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Full text of "Dogmengeschichte"

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Dogmengeschichte 


-Vr/yrf? 


von 


D. Adolf Harnack, 

Professor der Sirchengeschiolite an der UniTersität Berlin. 


Zweite, neu bearbeitete Auflage. 



Freibnrg i. B. und Leipzig 1893. 

Akademische Yerlagsbuchliandluiig you J. C. B. Mohr 


(Paol Siebeck). 


Jk^SM.1^' *-l 


Druck von B. G. Teubnor in L«ipzig. 


Vorwort. 


Auf Grund meines Lehrbuchs der Dogmengeschichte ist 
dieser Abriss, der hier in 2. Auflage erscheint, ausgearbeitet 
worden und schliesst sich, eine Umstellung (im 1. Teil 1. Buch 
ist Kap. 6 nach Kap. 3 gestellt) abgerechnet, enge an jenes Werk an. 
Mir lag es daran, den inneren Gang der Entwickelung zu zeichnen. 
Alles auszuscheiden, was die Einsicht in ihn erschwert, und eine 
Darstellung zu geben, die im Zusammenhang gelesen werden kann. 
Von einem Grundriss der Dogmengeschichte, der dieser Aufgabe 
genügt, verspreche ich mir am meisten; denn in unserer Disziplin 
kommt Alles darauf an, Verständniss zu erwecken. Es ist aber 
eine alte Erfahrung, dass solche Leitföden, die nicht gelesen, 
sondern nur studirt werden können, in der Regel auch nicht 
studirt, sondern nur zum Nachschlagen benutzt werden. Ich 
wünsche, dass die Hörer dogmengeschichtlicher Vorlesungen 
diese Blätter in die Hand nehmen, imd dass die Geforderten sie 
bei der ßepetition gebrauchen. Vielleicht aber leisten sie auch 
über diesen nächsten Zweck hinaus denen einen Dienst, die sich, 
ohne Theologen zu sein, über den Gang einer der komplizirtesten 
geschichtlichen Entwickelungen in Kürze belehren wollen. Die 
Kenntniss der wichtigsten Thatsachen der Kirchengeschichte 
setzen sie allerdings voraus. Für diese hat jetzt Karl Müller 
in seinem „Grundriss" (Bd. 1 1892) das trefflichste Studentenbuch 
geschaffen, aus dem auch die alten Studenten viel lernen können. 
Leider erschien desselben Verfassers wertvolle Abhandlung: „Der 
Umschwung in der Lehre von der Busse während des 12. Jahr- 
hunderts" (Theologische Abhandlimgen, Carl v. Weizsäcker 
gewidmet) zu spät, um noch berücksichtigt zu werden. 

Berlin, den 21. Oktober 1892. 

A. Harnack. 


YH 


Inhaltsverzeichniss. 

Seite 

Vorwort .... V 

Prolegomena zur Disziplin der Dogmengeschichte. 

§ 1. Begriff und Aufgabe der Dogmengeschichte 1 

§ 2. Geschichte der Dogmengeschichte .... 6 
Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. 

§ 3. Einleitendes 7 

§ 4. Das Evangelium Jesu Christi nach seinem 

Selbstzeugniss 11 

§ 6. Die gemeinsame Verkündigung von Jesus 
Christus in der ersten Generation seiner 
Gläubigen 1» 

§ 6. Die damalige Auslegung des Alten Testaments 
und die jüdischen Zukunftshoffnungen in ihrer 
Bedeutung für die ältesten Ausprägungen der 

christlichen Verkündigung 17 

, / § 7. Die religiösen Auffassungen und die Beligions- 
philosophie der hellenistischen Juden in ihrer 
Bedeutung für die Ümprägung des Evangeliums 20 

§ 8. Die religiösen Dispositionen der Griechen und 
j Römer in den beiden ersten Jahrhunderten 
und die damab'ge griechisch-römische Beli- 
gionsphilosophie • . 2S 

Erster Teil. 

Die EntsteliTing des kirchlichen Dogmas. 

Erstes Bach. 

Die Vorbereitung. 

1. Kapitel. 

§ 9. Geschichtliche Orientirung 27 

2. Kapitel. 

§ 10. Das allen Christen Gemeinsame und die Aus- 
einandersetzung mit dem Judentum .... 28 

3. Kapitel. 

§ 11. Der Gemeinglaube und die Anfänge der Er- 

kenntniss in dem zum Katholicismus sich 
entwickelnden Heidenchristentum 30 

4. Kapitel. 

§ 12. Die Judenchristen und ihre Ausscheidung. . 42 

5. Kapitel. 

§ 13. Die Versuche der Gnostiker, eine apostolische 

. . Glaubenslehre und eine christliche Theologie 
zu schaffen, oder: die akute Verweltlichung 
des Christentums 46 


Vlll Inhaltsverzeichniss. 


6. Kapitel. Seite 

§ 14. Das unternehmen Marcion*s, die alttestament- 
liche Grundlage des Eyangeliams zu beseitigen, 
die Tradition zu reinigen und auf Grund des 
paulinischen Evangeliums die Christenheit zu 
reformiren 66 


I. Kapitel. 


Zweites Bneh. 
Die Grnndlegnng. 


§ 16. Geschichtliche Orientirung 59 

I. Fixirung und allmähliche Yerweltlichung des 
Christentums als Kirche. 

2. Kapitel. Die Aufstellung der apostolischen Normen für das 

kirchliche Christentum. Die katholische Kirche. 

§ 16. A. Die apostolische Glaubensregel .... 62 
§ 17. B. Die apostolische Schriftensammlung . . 65 
18. C. Das apostolische Amt 70 


3. Kapitel. Das aite Christentum und die neue Kirche. 

§ 19. Der Montanismus und seine allgemeine Ein- 
wirkung auf die Kirche 74 

§ 20. Umbildung der sakralen Einrichtungen: 

Das Priestertum. Die Gnadenmittel, Taufe 
und Eucharistie 80 

IL Fixirung und allmähliche Gräcisirung des 
Christentums als Glaubenslehre. 

4. Kapitel. 

§ 21. Das kirchliche Christentum und die Philo- 
sophie. Die Apologeten 85 

5. Kapitel. 

§ 22. Die altkatholischen Väter Irenäus, Tertullian, 

Hippolyt u. s. w 95 

6. Kapitel. Die kirchlichen Reiigionsphiiosophen Clemens und* 

Orlgenes. 

§ 23. Clemens 109 

§ 24. Origenes 112 

7. Kapitel. Der entscheidende Erfolg der theologischen Speku- 

lation auf dem Gebiet der Glaubensregei oder die 
Präcisirung der kirchlichen Lehrnorm durch die Auf- 
nahme der Logoschristoiogie. 
§ 25. Die Ausscheidung des dynamistischen Mon- 

archianismus oder des Adoptianismus . . . 122 
§ 26. Die Ausscheidung des modalistischen Mon- 

archianismus 127 

§ 27. Geschichte der orientalischen Theologie bis 

zum Anfang des 4. Jahrhunderts .... 183 


InhaltsverzeichDiss. IX 


Zweiter TeiL 

Die Entwickelung des kirchlichen Dogmas. 

£rstes Bach. 

Di» Entwiokelnngsgesoliiolite des Dogmas als Lehre von 

dem Gottmensohen anf dem Grunde der natürlichen 

Theologie (Morgenland). 

1. Kapitel. Seite 

§ 28. Geschichtliche Orientirung 138 

2. Kapitel. 

§ 29. Die Grimdauffassung vom Heil und der all- 
gemeine Aufriss der Glaubenslehre . . . . 146 

3. Kapitel. Die Erlcenntnissquelien und Autoritäten oder die Schrift, 

die Tradition und die Kirctie. 

§ 30. Die heilige Schrift 160 

§ 31. Die Tradition 162 

§ 32. Die Kirche 167 

A. DieVoraussetzungender Erlösungslehre oder die 
natürliche Theologie. 

4. Kapitel. 

§ 33. Die Voraussetzungen und Auffassungen von 

Gk)tt dem Schöpfer als dem Spender des Heils 168 

5. Kapitel. 

§ 34. Die Voraussetzungen und Auffassungen vom 

Menschen als dem Subjekt des Heilsempfangs 161 

B. Die Lehre von der Erlösung in der Person des 
Gottmenschen in ihrer geschichtlichen Ent- 
wickelung. 

6. Kapitel. 

§ 36. Die Lehre von der Notwendigkeit und Wirk- 
lichkeit der Erlösung durch die Menschwerdung 
des Sohnes Gottes 166 

7. Kapitel. Die Lelire von der Homousie des Soiines Gottes mit 

Gott seihst. 

§ 36. Vom Anfang des Streites bis zur Synode von 

Nieäa 170 

§ 37. Bis zum Tode des Konstantins 178 

§ 38. Bis zu den Konzilien von Konstantinopel 181 

§ 39. Die Lehre vom h. Geist und von der Trinität 186 

8. Kapitel. 

§ 40. Die Lehre Ton der yollkommenen Gleich- 
beschaffenheit des menscligewordenen 
Sohnes Gottes mit der Menschheit . . . 190 

9. Kapitel. Fortsetzung. Die Lehre von der personalen Einigung 

der göttlichen und menschlichen Natur in dem mensch- 
gewordenen Sohne Gottes. 

§ 41. Der nestorianische Streit 196 


X iDhaltsrerzeiclmiss. 

Seite 

§ 42. Der eutychianische Streit 200 

§ 43. Die monopliyBitischen Streitigkeiten und das 

6. Konzil 205 

§ 44. Die monotheletischen Streitigkeiten . . . 209 

C. Der vorläufige Genuas der Erlösung. 

10. Kapitel. 

§ 45. Mystik und Mysterien 212 

§ 46. Verehrung der Engel, Heiligen, Bilder u. s. w. 216 

11. Kapitel. 

§ 47. Skizze der Entstehuugsgescliichte des ortho- 
doxen Systems 220 

Zweites Bach. 

Die Erweiterimg nnd ümprägnng des Dogmas zu einer Lehre 

von der Sünde, der Gnade nnd den Gnadenmitteln anf dem 

Grande der Kirche (Ahendland). 

1. Kapitel. 

§ 48. Geschichtliche Orientirung 226 

2. Kapitel. 

§ 49. Das abendländische Christentum und die 

abendländischen Theologen vor Augustin . 228 

3. Kapitel. 

§ 60. Die weltgeschichtliche Stellung Augustinus als 

Reformator der christlichen Frömmigkeit . 232 

4. Kapitel. Die weitgeschichtiiclie Stellung Augustinus als Letirer 

der Kirclie. 

§ 61. Augustinus Lehre von den ersten und letzten 

Dingen 238 

§ 62. Der donatistische Kampf. Das Werk de civi- 
tate dei. Die Lehre von der Elrche und den 
Gnadenmitteln 244 

§ 53. Der pelagianische Kampf. Die Lehre von der 

Gnade und Sunde 249 

§ 54. Augustinus Erklärung des Symbols. Die neue 

Religionslehre . 258 

5. Kapitel. Geschichte des Dogmas im Abendlande bis zum Beginn 

des Mittelalters. 430—604. 

§ 55. Der Kampf des Semipelagianismus und Aügu- 

stinismus 262 

§ 56. Gregor der Grosse 264 

8. Kapitel. Geschichte des Dogmas in der Zeit der Icarolingischen 

Renaissance. 

§ 57. Der adoptianische Streit 268 

§ 58. Der Prädestinationsstreit 269 

§ 59. Der Streit über das filioque und über die Bilder 270 
§ 60. Die Fortbildung der Praxis und Theorie der 

Messe (des Abendmahlsdogmas) und der Busse 271 


Inbaltsverzeichniss. XI 


7. Kapitel. Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm's 

und Bernhardts bis zum Ende des 12. Jahrh. seite 

§ 61. Der Aufschwung der Frömmigkeit .... 276 

§ 62. Zur Geschichte des kirchlichen Rechts . . 279 

§ 63. Der Aufschwung der Wissenschaft .... 281 
§ 64. Arbeiten am Dogma. 

A. Der Berengar'sche Streit 286 

§ 65. B. Anselm's Satisfaktionslehre und die Ver- 
söhnungslehren der Theologen des 12. Jahrh. 289 

8. Kapitel. Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis 

zum Anfang des 16. Jahrh. 

§ 66. Zur Geschichte der Frömmigkeit .... 293 
§ 67. Zur Geschichte des kirchlichen Rechts. Die 

Lehre von der Kirche 298 

§ 68. Zur Geschichte der kirchlichen Wissenschaft 304 
§ 69. Die Ausprägung der Dogmatik in der Scho^ 

lastik 310 

A. Die Bearbeitung der überlieferten articuli 

fidei 311 

§ 70. B. Die scholastische Sakramentslehre . . . 315 
§ 71. C. Die Bearbeitung des Augustinismus in der 

Richtung auf die Lehre vom Verdienst . 327 

Drittes Bneh. 

Der dreifache Ausgang der Dogmengesohichte. 

1. Kapitel. 

§ 72. Geschichtliche Orientirung 334 

2. Kapitel. Die Ausgänge des Dogmas Im römischen Katholiclsmus. 

§ 73. Die Eodifizirung der mittelalterlichen Lehren 
im Gegensatz zum Protestantismus (das Tri- 
dentinum) 340 

§ 74. Die nachtridentinische Entwickelung als Vor- 
bereitung des Vaticanums 345 

§ 75. Das Vaticanum 351 

3. Kapitel. Die Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus und 

Socinlanismus. 

§ 76. Geschichtliche Einleituüg 352 

§ 77. Die socinianische Lehre 365 

4. Kapitel. Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus. 

§ 78. Einleitung '. 359 

§ 79. Das Christentum Luther's 362 

§ 80. Die Kritik Luther's an der herrschenden kirch- 
lichen Überlieferung und am Dogma . . . 366 
§ 81. Die von Luther neben und in seinem Christen- 
tum festgehaltenen katholischen Elemente . 370 


xn 


Abkürzimgen. 


,i 


JDTh. =« Jahrbücher für deutsche Theologie. 

B£'. «= Beal-Encyklopädie für protestantische Theologie u. Kirche ^ 

herausg. Ton Hebzog, Plitt und Hauck. 
SB6A, a* Sitzungsberichte der Berliner Akad. der Wissenschaften. 
ThQuSchr. = Theologische Quartalschrift. 
Z£G. SS Zeitschrift für Kirchengeschichte. 

ZThK, =■ Zeitschrift für Theologie u. Kirche, herausg. von JGottschick. 

ZwTh. <» Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, herausg. von 

AHlLOBKFELD. 


Prolegomena zur Disziplin der DogmengescMclite. 


§ 1. Begriff und Aufgabe der Dogmengeschichte. 

ABiTScHL, Ober die Methode der älteren Dogmengesch. in JDTh. 
1871 S. 191 ff. — ASabatiek, Die christlichen Dogmen, ihr Wesen und ihre 
Entw. (deutsch von Schwalb 1890). 

1. Die Religion ist eine praktische Angelegenheit des 
Menschen, denn es handelt sich in ihr um die Seligkeit und 
um Kräfte zu einem heiligen Leben. Aber in allen Religionen 
sind diese Kräfte gebunden entweder an einen bestimmten 
Olauben oder an einen bestimmten Kultus, die auf gött- 
liche Offenbarung zurückgeführt werden. Das Christentum 
ist die Religion, in welcher die Kraft zu einem seligen und 
heiligen Leben gebunden ist an den Glauben an Gott als den 
Vater Jesu Christi. Sofern dieser Gott als der allmächtige 
Herr Himmels und der Erde geglaubt wird, schliesst die christ- 
Uche Religion eine bestimmte Erkenntniss Gottes, der Welt 
und des Weltzweckes ein; sofern sie aber lehrt, dass Gott 
nur in Jesus Christus vollkommen erkannt werden kann, ist 
sie von geschichtlichem Wissen nicht zu trennen. 

2. Der Trieb, in Glaubenssätzen den Inhalt der Reli- 
gion zusammenzufassen, ist dem Christentum somit ebenso 
wesentlich wie das Bestreben, diese Sätze in Bezug auf die 
Welterkenntniss und die Geschichte als die Wahrheit zu er- 
weisen. Dazu stellt der universale und überweltliche Charakter 
der christlichen Religion ihren Bekennem die Aufgabe, einen 
Ausdruck für sie zu gewinnen, der von den Schwankungen 
der Natur- und Geschichtserkenntniss nicht betroffen wird, resp. 
sich gegen jede mögliche Erkenntniss zu behaupten vermag. 
Das Problem, welches hier entsteht, lässt aber keine vollkommene 
Lösung zu; denn alle Erkenntnisse sind bedingt, die Religion 
aber will ihr Unbedingtes auch in der Sphäre der Erkenntniss 

GnuLdrles IV. m. Habnack, Dogmengeaohichte. 2. Aufl. 1 


Prolegomen a. [§ 1. 


zum Ausdruck bringen. Dennoch lässt sich, wie die Geschichte 
lehrt und jeder denkende Christ bezeugt, das Problem nicht 
zum Schweigen bringen, und eben deshalb sind die Stufen 
der Lösungsversuche von Wert. 

3. Der bisher eindrucksvollste Lösungsversuch ist der,, 
den der Katholicismus gemacht hat und den die Reformations-^ 
kirchen, wenn auch mit sehr grossen Vorbehalten, übernommen 
haben. Es wurde hier der Ursprung einer Reihe christlicher 
und vorchristlicher Schriften, sowie mündlicher Überlieferungen 
als göttlich angenommen 5 es wurden aus ihnen begrifflich 
formulirte, für eine wissenschaftlich-apologetische Behandlung 
ausgeprägte, unter sich zusammenhängende Glaubenssätze 
abstrahirt, die die Erkenntniss Gottes, der Welt und der Heils- 
veranstaltungen Gottes zu ihrem Inhalt haben und auf die 
Beseeligung der Menschen abzielen. Dieser Komplex (Dogmen) 
wurde nun als der Inbegriff des Christentums proklamirt,. 
dessen gläubige Anerkennimg von jedem mündigen Gliede der 
Kirche gefordert werden müsse und zugleich die Vorbedingung 
der von der Religion in Aussicht gestellten Seligkeit sei.. 
Mit diesem Inbegriff nahm die christliche Gemeinschaft — 
deren Charakter als „katholische Kirche ^^ ganz wesentlich 
durch diese Art der Auffassung des Christentums bezeichnet 
ist — eine bestimmte, vermeintlich unerschütterliche Stellung: 
zu der Welterkenntniss imd Geschichte ein, brachte ihren reli- 
giösen Glauben an Gott und Christus zum Ausdruck und gab,, 
indem sie alle ihre Glieder an die Glaubenssätze band, doch 
dem denkenden Teile derselben einen Stoff, der der weiteren 
Ausführung in unbegrenztem Masse fähig ist. So entstand 
das dogmatische Christentum. 

4. Aufgabe der Dogmengeschichte ist es, 1) die Ent- 
s t e h u n g dieses dogmatischen Christentums zu ermitteln,. 
2) die Entwickelung desselben zu beschreiben. Die Grenze 
zwischen dieser und jener ist natürlich relativ. 

5. Die Entstehungsgeschichte des dogmatischen 
Christentums erscheint vollendet, wo zuerst ein begrifflich 
formulirter und mit den Mitteln der Wissenschaft ausgeprägter 
Glaubenssatz zum articulus constitutivus ecclesiae erhoben und 
als solcher allgemein in der Kirche durchgesetzt worden ist. 
Das ist aber um die Wende des 3. zum 4. Jahrhundert ge- 
schehen, als die Logoschristologie sich durchsetzte. Die Ent- 


§ 1.] Begriff und Aufgabe der Dogmengeschichte. 3 

Wickelung des Dogmas ist in abstracto unbegrenzt, in con- 
creto aber geschlossen; denn a) die griechische Kirche 
erklärt, dass ihr Dogmensystem seit der Beendigung des 
Bilderstreits vollendet sei; b) die römisch-katholische 
Kirche lässt zwar die Möglichkeit der Formulirung neuer 
Dogmen offen, aber sie hat schon im Tridentinum und noch 
mehr im Vaticanum ihr Dogma wesentlich aus politischen 
Gründen und als eine Rechtsordnung ausgebildet, die vor 
allem Gehorsam, erst in zweiter Linie bewussten Glauben ver- 
langt; sie hat damit die ursprünglichen Motive des dogma- 
tischen Christentums verschoben und ganz neue eingeführt, 
die die alten zu ersticken drohen; c) die evangelischen 
Kirchen haben einerseits einen grosseh Teil der Formulirungen 
des dogmatischen Christentums übernommen und suchen sie, 
wie die katholischen Kirchen, aus den heiligen Schriften zu 
begründen; aber sie haben andererseits die Autorität der 
heiligen Schriften anders gefasst, die Überlieferung als Quelle 
der Glaubenslehren abgethan, die Bedeutung der empirischen 
Kirche für das Dogma in Abrede gestellt und vor Allem eine 
Auffassung der christlichen Religion versucht, die direkt auf 
den „reinen Verstand des Wortes Gottes" zurückgeht. 
Damit ist im Prinzip die alte dogmatische Auffassung des 
Christentums abgethan^ während doch im Einzelnen eine feste 
Stellung zu ihm nicht gefunden ist und Reaktionen sich gleich 
Anfangs eingestellt haben und noch fortdauern. („Prinzipiell 
sowohl als thatsächlich steht in den protestantischen Kirchen 
die Revision der Dogmen immer auf der Tagesordnung'^: 
Sabatier.) Deshalb ist es angezeigt, die Geschichte der pro- 
testantischen Glaubenslehre aus der Dogmengeschichte auszu- 
schliessen und innerhalb unserer Disziplin nur die Position 
der Reformatoren und der reformatorischen Kirchen, aus der 
sich die komplizirte spätere Entwickelung ergiebt, darzulegen. 
Somit kann die Dogmengeschichte als eine relativ abgeschlossene 
Disziplin behandelt werden. 

6. Die Behauptung der Kirchen, dass die Dogmen ledig- 
lich die Darlegung der christlichen Offenbarung selbst seien, 
weil aus den h. Schriften gefolgert, wird von der geschicht- 
lichen Forschung nicht bestätigt. Vielmehr ergiebt diese, 
dass das dogmatische Christentum (die Dogmen) in seiner 
Konzeption und seinem Ausbau ein Werk des griechischen 

1* 


Prolegomena. [§ 1. 


Geistes auf dem Boden des Evangeliums ist. (Marcell 
von Ancyra: Th döyfiatog '6vo^a rfig avd'QcmCvriQ ixsrai ßovkfig 
xs xal yvfoiirjg.) Die begrifflichen Mittel, durch die man sich 
in der antiken Zeit das Evangelium verständlich zu machen 
und zu versichern versucht hat, sind mit dem Inhalt desselben 
verschmolzen worden. So ist das Dogma entstanden, an dessen 
Bildung allerdings auch noch andere Faktoren (Sprüche der 
h. Schrift, Bedürfhisse des Kultus und der Verfassung, politische 
und soziale Verhältnisse, logische Konsequenzmacherei, blinde 
Gewohnheit u. s. w.) beteiligt gewesen sind, so jedoch, dass 
das Bestreben, den Grundgedanken des christlichen Heils zu 
erfassen, zu expliziren und anzuwenden, wenigstens in der j 

älteren Zeit die Oberhand behalten hat. ! 

7. Wie sich die Auffassung des Dogmas, sofern es die 
reine Darlegung des Evangeliums sein soll, als eine Illusion 
darstellt, so zerstört die geschichtliche Forschung auch die 
andere Illusion der Kirchen, dass das Dogma in ihnen stets 
dasselbe gewesen, daher lediglich explizirt worden sei, und 
dass die kirchliche Theologie niemals eine andere Aufgabe 
gehabt habe, als das immer gleiche Dogma auszuführen und 
die von Aussen eindringenden Irrlehren zu widerlegen. Sie 
zeigt vielmehr, dass die Theologie das Dogma gebildet hat, dass 
aber die Kirche nachträglich die Arbeit der Theologen stets 
verdecken musste und diese somit in eine schlimme Lage ver- 
setzt wurden. Im günstigsten Fall wurde ihre produktive 
Arbeit als Reproduktion bezeichnet, und sie selbst wurden um 
ihr bestes Verdienst gebracht. In der Regel fielen sie aber 
im Fortgang der Geschichte unter das Gericht der dogmatischen 
Formulirungen, deren Grund sie selbst gelegt hatten, und so- 
wohl ganze Generationen von Theologen als die hervorragenden 
Häupter derselben sind nachträglich von dem weiter ent- 
wickelten Dogma betroffen und für häretisch oder doch für 
verdächtig erklärt worden. Das Dogma hat stets im Fort- 
gang der Geschichte seine eigenen Väter verschlungen. 

8. Obwohl das dogmatische Christentum im Laufe der 
Entwickelung seinen ursprünglichen Stil und Charakter als ein 
Werk des Geistes der untergehenden Antike auf dem Boden 
des Evangeliums nie eingebüsst hat (Stil der griechischen 
Apologeten und des Origenes), so hat es doch erstens 
durch Augustin, sodann durch Luther eine tiefgreifende Um- 


§ 1.] Begriff und Aufgabe der Dogmengeschichte. 


bildung erfahren. Beide, der Letztere in noch höherem Masse 
als Augustin, haben eine neue, aber dem Evangelium näher 
kommende Grundauffassung vom Christentum, hauptsächlich 
durch den Paulinismus bestimmt, geltend gemacht. Aber 
Augustin hat eine Revision des überkommenen Dogmas kaum 
versucht, vielmehr Altes und Neues nebeneinandergestellt, 
Luther sie zwar versucht, aber nicht zu Ende geführt. Die 
Christlichkeit des Dogmas hat durch Beide gewonnen; aber 
das überlieferte Dogmensystem hat an Stringenz eingebüsst — 
im Protestantismus so sehr, dass man, wie oben bemerkt, 
gut thut, die symbolmässige Lehre der protestantischen Kirchen 
nicht mehr als blosse Abwandelimg des alten Dogmas zu betrachten. 

9. Ein Verständniss des dogmengeschichtlichen Prozesses 
kann nicht erworben werden, wenn man die einzelnen Lehren 
isolirt und für sich verfolgt (spezielle D.-Geschichte), nachdem 
man im Voraus die Epochen charakterisirt hat (allgemeine 
D.-Geschichte). Es gilt vielmehr, das „Allgemeine" und 
„Spezielle" für jede Periode in Eins zu setzen, die Perioden 
für sich zu behandeln und, soweit es möglich, das Einzelne 
als aus den Grundauffassungen und -motiven abgeleitet zu er- 
weisen. Es lassen sich aber nicht mehr als vier Haupt- 
abschnitte abgrenzen, nämlich I die Entstehung des Dogmas, 
IIa die Entwicklung des Dogmas nach Massgabe seiner ur- 
sprünglichen Konzeption (Orientalische Entwickelung vom 
arianischen bis zum Bilder-Streit), IIb die abendländische 
Entwickelung des Dogmas unter dem Einfluss des Christen- 
tums Augustins und der Politik des römischen Stuhls, 11 c der 
dreifache Ausgang des Dogmas (in den Reformationskirchen — 
im tridentischen Katholicismus — in der Kritik der Auf- 
klärung resp. des Socinianismus). 

10. Indem die Dogmengeschichte den Prozess der Ent- 
stehung und Entwickelung des Dogmas darlegt, bietet sie das 
geeignetste Mittel, um die Kirche von dem dogmatischen 
Christentum zu befreien und den unaufhaltsamen Prozess der 
Emanzipation, der mit Augustin begonnen hat, zu beschleunigen. 
Aber sie zeugt auch von der Einheit des christlichen Glaubens 
im Laufe seiner Geschichte, sofern sie nachweist, dass die 
centrale Bedeutung der Person Jesu Christi und die Grund- 
gedanken des Evangeliums niemals verloren gegangen sind 
und allen Anläufen getrotzt haben. 


6 Prolegomen a. [§ 2. 


§ 2. Oeschichte der Dogmengescliichte, 

Die Geschiclite der Dogmengescliiehte begiimt erst im 
18. Jahrhundert mit Mosheim, Walch, Ernesti, Lessing 
und Semler ; da der Katholicismus überhaupt nicht zu einer 
kritischen Darstellung dieser Disziplin befähigt ist — so ge- 
lehrte Bücher auch einzelne katholische Theologen (Baronius, 
Bellarmin, Petavius, Thomassin, Kuhn, Schwane, Bach 
u. s. w.) geschrieben haben — , und da die protestantischen 
Kirchen bis zum 18. Jahrhundert konfessionell befangen ge- 
blieben sind, so wichtige Ansätze zu einer kritischen Dogmen- 
geschichtsschreibung auch im ßeformations-Zeitalter, z. T. 
auf Grund der Arbeiten kritisch gerichteter Humanisten 
(L. Valla, Erasmus u. s. w.), nachweisbar sind (Luther, Öko- 
LAMPAD, Melanchthon, Flacius, Hyperius, Chemnitz). Aber 
ohne das gelehrte Material, welches die Benediktiner und andere 
Kongregationen einerseits, die Protestanten Casaubonus, Vos- 
sius, Pearsonus, Dalläus, Spanheim, Grabe, Basnage u. s. w. 
andererseits vorgelegt haben, und ohne den mächtigen Anstoss, 
den der Pietismus gegeben (Gottfried Arnold), wäre die 
Arbeit des 18. Jahrhunderts nicht denkbar. Der Rationalis- 
mus entzog der Dogmengeschichte das kirchliche Interesse 
und übergab sie der kritischen Bearbeitimg, in welcher ihre 
„Finsterniss" teils mit der Lampe nüchterner Verständigkeit, 
teils mit der Fackel universalhistorischer Betrachtung erhellt 
wurde (Erste Dogmengeschichte von Lange 1796, vorher 
Arbeiten von Semler, Rössler, Löffler u. s. w., sodann 
Dogmengeschichten von Münscher, Handb. 4 Bde. 1797 f., 
vortreffliches Lehrbuch 1. Aufl. 1811, 3. Aufl. 1832 f.. Munter 
2 Bde. 1802 f., Stäudlin, 1800 resp. 1822, Aügusti 1805 
resp. 1835, Gieseler hrsg. v. Redepenning 2 Bde. 1855). 
Die geschätzten Lehrbücher von Baumgarten-Crusius 1832 
resp. 1840, 1846 und Meier 1840 resp. 1854 bezeichnen 
den Übergang zu der Gruppe von Lehrbüchern, in denen ein 
inneres Verständniss des dogmengeschichtlichen Prozesses ge- 
wonnen werden sollte, nach welchem schon Lessing getrachtet 
hatte und welches Herder, Schleiermacher und die roman- 
tische Schule einerseits, Hegel und Schelling andererseits 
vorbereitet haben. Epochemachend sind FChrBaurs Schriften 
(Lehrbuch 1847 resp. 1867, Vorl. 3 Tl. 1865 f.), in denen der 


§ 3.] Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. Einleitendes. 7 

dogmengeschichtliche Prozess, freilicli einseitig erfasst, gleich- 
sam nacherlebt ist (vgl. auch DFStrauss, Glaubenslehre 2 Bde. 
1840 f. PhKMarheineke 1849). Vom Schleiermacherschen 
Standpunkte aus ANeander (2 Tl. 1857) imd KRHägen- 
BACH (1840 resp. 1867 [ed. Benrath 1888]). Hegel und 
Schleiermacher zu verbinden strebte JDorner (Entw. -Gesch. 
d. L. V. d. Person Christi 1839 resp. 1845—53). Vom kon- 
fessionell lutherischen Standpunkt ThFDKliefoth (Einl. 
in d. DG. 1839), GThomasiüs (2 Bde. 1874 f. resp. 1887 f. 
herausg. v. NBonvvtetsch und RSeeberg), HSchmid (1859 
resp. 1887 herausg. v. AHauck) und — mit Vorbehalten — 
KFAKahnis (Der Kirchenglaube 1864). Einen bedeutenden 
Fortschritt bezeichnete die DG. von FNitzsch (1. Bd. 1870). 
Der folgenden Darstellung, die sich an das „Lehrbuch der DG" 
(3 Bde. 2. Aufl. 1888 flF. 1. Aufl. 1886 ff.) anschliesst, steht 
nahe der vorzügliche Leitfaden von FLooFS (2, Aufl. 1890). 
Speziell fiir das richtige Verständniss der Entstehimg des 
Dogmas sind die Arbeiten von Rothe, Ritschl, Renan, 
OvERBECK, V. Engelhardt, Hatch, CWeizsäcker und 
JReville wertvoll. 


Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. 

§ 3. Einleitendes. 

1. Das Evangelium ist erschienen, „als die Zeit erfüllt 
war" — das Evangelium ist Jesus Christus: in diesen Sätzen 
ist gegeben, dass das Evangelium die Vollendung einer imi- 
versalen Entwickelung ist, dass es aber seine Kraft an einem 
persönlichen Leben hat. 

Jesus Christus hat nicht „aufgelöst'^, sondern „erfüllt". 
Er hat ein neues Leben vor Gott und in Gott erzeugt, aber 
innerhalb des Judentums und auf Grund des A. T.'s, dessen 
verborgene Schätze er heraufgeführt hat. Man kann nach- 
weisen, dass alles Hohe und Spirituelle, was in den Propheten 
und Psalmen zu finden ist und was in der damaligen Ent- 
wickelung der griechischen Ethik gewonnen war, in dem 
schlichten Evangelium bejaht ist; aber seine Kraft hat es 
hier erhalten, weil es in einer Person Leben und That ge- 
worden ist, deren Grösse auch darin besteht, dass sie irdische 


8 Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 3, 

Verhältnisse nicht umgestaltet und keine neuen Bestimmungen 
für die Zukunft getroffen, sich überhaupt in die Zeit nicht 
verstrickt hat. 

2. Zwei Menschenalter später ist zwar nicht eine ein- 
heitliche Kirche vorhanden, wohl aber im weiten römischen 
Reiche zerstreute und konföderirte Gemeinschaften von Christus- 
gläubigen (Kirchen), die vornehmlich aus geborenen Heiden 
zusammengesetzt sind, die jüdische Nation und ihre Religions- 
übungen abfallig beurteilen, das A. T. für sich mit Beschlag 
belegt haben, sich als ein „neues Volk", zugleich aber als die 
älteste Schöpfung Gottes wissen und auf allen Gebieten de» 
Lebens und Denkens bestimmte heilige Formen auszuprägen, 
im Begriff sind. Die Existenz dieser konföderirten heiden- 
christlichen Gemeinschaften ist die Vorbedingung der Ent- 
stehung des dogmatischen Christentums. 

Die Bildung dieser Kirchen hat schon im apostolischen 
Zeitalter begonnen, und ihre Eigenart ist negativ durch die 
Loslösung des Evangeliums von der jüdischen Kirche bezeichnet. 
Während im Islam das arabische Volk Jahrhunderte lang der 
Stamm der neuen Religion geblieben ist, ist die erstaunlichste 
Thatsache in der Geschichte des Evangeliums die, dass es 
sehr rasch von dem mütterlichen Boden in die grosse Welt 
übergetreten ist und seinen universalen Charakter nicht durch 
eine Umbildung der jüdischen Religion, sondern durch die 
Entfaltung zu einer Weltreligion auf griechisch-römischem 
Boden zum Ausdruck gebracht hat. Das Evangelium wird 
Weltreligion, indem es als eine Botschaft an die 
ganze Menschheit erkannt, Griechen und Barbaren 
verkündet und demgemäss an die geistige und poli- 
tische Kultur des römischen Weltreiches angeknüpft 
wird. 

3. Da das Evangelium ursprünglich in den jüdischen 
Formen heimisch war und auch nur Juden verkündet worden 
ist, so liegt in diesem übertritt, der sich teils allmählich und 
ohne Erschütterungen, teils in einer gewaltigen Krisis voll- 
zogen hat, die folgenschwerste Thatsache vor. Vom Standpunkt 
der Kirchen- und Dogmengeschichte ist daher die kurze Ge- 
schichte des Evangeliums im Rahmen des palästinensischen 
Judentums eine paläontologische Epoche. Dennoch bleibt sie 
die klassische Epoche, nicht nur um des Stifters und der 


§ 3.] Einleitendes. 9 

ursprünglichen Zeugen willen, sondern ebensosehr deshalb, 
weü ein jüdischer Christ (Paulus) das Evangelium als eine 
Gotteskraft, die da Juden und Griechen selig macht, erkannt, 
mit Bewusstsein die jüdische nationale Religion abgestreift 
und Christus als das Ende des Gesetzes verkündet hat. Ihm 
sind andere jüdische Christen, sogar persönliche Jünger Jesu^ 
gefolgt (s. auch das 4. Ev. u. d. Hebräerbrief). 

Somit liegt im tiefsten Grunde doch keine Kluft zwischen 
jener älteren kurzen Epoche und der Folgezeit, sofern das 
Evangelium an sich universalistisch ist und dieser Charakter 
desselben sehr bald hervorgetreten ist. Allein das Mittel, 
durch welches Paulus und andere ihm Gleichgesinnte den 
üniversalisiaus des Evangeliums ans Licht gestellt haben — 
der Nachweis, dass die AT liehe Religionsstufe überwunden 
sei — , fand wenig Verständniss, und umgekehrt kann die Art 
und Weise, in der sich die Heidenchristen im Evangelium 
heimisch machten, an der Predigt des Paulus nur zum Teil 
legitimirt werden. Sofern wir nun im N. T. wesentlich 
Bücher besitzen, in denen das Evangelium so tief durchdacht 
ist, dass es als Überwindung der ATlichen Religion geschätzt 
wird, und die zugleich von dem griechischen Geiste nicht im 
Tiefsten berührt sind, hebt sich diese Litteratur von aller 
folgenden kräftig ab. 

4. Die werdende Heidenkirche hat, trotz der Bedeutung 
des Paulus für sie, die Ejrisis nicht verstanden und nacherlebt, 
aus der die paulinische Passung des Evaugeliums geflossen ist. 
In die jüdische Propaganda, in der das A. T. längst entschränkt 
und vergeistigt worden war, eintretend und sie sich allmählich 
unterwerfend, hat die Heidenkirche das Problem, das die 
Vereinigung des A. T. und des Evangeliums bot, nur selten 
empfunden, da man sich durch das Mittel der allegorischen 
Interpretation vom Buchstaben des Gesetzes befreite, den Geist 
desselben aber nicht völlig überwand, vielmehr nur das Natio- 
nale von sich wies. Durch die feindliche Gewalt der Juden 
und bald auch der Heiden sowie durch das eigene Kraftgefühl 
veranlasst, ein „Volk" für sich zu bilden, entnahm man die 
Formen des Denkens und Lebens selbstverständlich der Welt, 
in der man lebte, alles Polytheistische, Unsittliche und Niedrige 
abwehrend. So entstanden die neuen Bildungen, die bei aller 
Neuheit sich doch als verwandt mit den alten palästinensischen 


10 Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 4. 

Gemeinden erweisen, sofern man 1) dort wie hier das A. T. 
als OflFenbamngsurkunde anerkannte, imd sofern 2) der strenge 
geistige Monotheismus, 3) die Grundzüge der Verkündigung 
von Jesus Christus, 4) das Bewusstsein, in einem lebendigen 
und unmittelbaren Verkehr mit Gott durch die Gaben des 
Geistes zu stehen, 5) die HoflEnungen auf das nahe Weltende 
und die ernsten Überzeugungen von der Verantwortlichkeit 
jeder Menschenseele und von der Vergeltung dieselben gewesen 
sind. Dazu kommt endlich noch, dass auch die älteste juden- 
christliche Verkündigung, ja das Evangelium selbst den 
Stempel der geistigen Epoche tragen, aus der sie stammen — 
der hellenistischen Zeit, in der die Nationen ihre Güter 
austauschten, die Religionen sich wandelten und die Ideen von 
dem Werte und der Verantwortlichkeit jeder Menschenseele 
sich verbreiteten, so dass das Hellenische, welches bald so 
mächtig in die Kirche einströmte, doch kein absolut Fremdes 
mehr war. 

5. Die Dogmengeschichte hat es nur mit der Heidenkirche 
zu thun — die Geschichte der Theologie freilich beginnt mit 
Paulus — , aber um die Grundlagen der Lehrbildung der 
Heidenkirche geschichtlich zu verstehen, hat sie nach dem 
bisher Erörterten Folgendes als Voraussetzungen in Betracht 
zu ziehen: 1) Das Evangelium Jesu Christi, 2) die ge- 
meinsame Verkündigung von Jesus Christus in der 
ersten Generation seiner Gläubigen, 3) die damalige 
Auslegung des A. T., die jüdischen Zukunftshoffnungen 
und Spekulationen, 4) die religiösen Auffassungen 
und die Religionsphilosophie der hellenistischen 
Juden, 5) die religiösen Dispositionen der Griechen 
und Römer in den beiden ersten Jahrhunderten und 
die damalige griechisch-römische Religionsphilo- 
sophie. 

§ 4. Das Evangelium Jesu Christi nach seinem Selbstzengniss. 

Das Evangelium ist die frohe Botschaft von der Herr- 
schaft des allmächtigen und heiligen Gottes, des Vaters und 
Richters, über die Welt und über jede einzelne Seele. In dieser 
Herrschaft, die die Menschheit zu Bürgern eines himmlischen 
Reiches macht und sich in dem demnächst anbrechenden zu- 
künftigen Aon verwirklichen wird, ist das Leben aller Men- 


§ 4.] Das Evangelium Jesu Christi nach seinem Selbstzeugniss. H 

sehen, die sich Gott ergeben, ob sie gleich die Welt und das 
irdische Leben verlieren, sichergestellt, während die, welche die 
Welt gewinnen und ihr Leben erhalten wollen, dem Richter 
yerfaUen, der in die Hölle verdammt. Diese Herrschaft Gottes 
legt, indem sie über alle Ceremonien und Satzungen hinweg- 
schreitet, den Menschen ein Gesetz auf, ein altes und doch 
ein neues, nämlich das der ungeteilten Liebe zu Gott und 
dem Nächsten. In dieser Liebe, wo sie die Gesinnung in ihrem 
tiefsten Grunde beherrscht, stellt sich die bessere Gerech- 
tigkeit dar, die der Vollkommenheit Gottes entspricht. 
Der Weg, sie zu erlangen, ist die Sinnesänderung, d. h. 
die Selbstverleugnung, die Demut vor Gott und das herzliche 
Vertrauen zu ihm. In der Demut und dem Vertrauen auf 
Gott ist die Anerkennung der eigenen ünwürdigkeit enthalten. 
Das Evangelium ruft aber eben die Sünder, die also gesinnt 
sind, in das Reich Gottes, indem es ihnen die Sättigung mit 
Gerechtigkeit verheisst, d. h. die Vergebung der Sünden, 
die sie bisher von Gott getrennt haben, zusagt. — In den drei 
Momenten aber, in denen sich das Evangelium darstellt (Gottes- 
herrschaft, bessere Gerechtigkeit [Gebot der Liebe] und Sünden- 
vergebung), ist es untrennbar verknüpft mit Jesus Christus. 
Denn indem Jesus Christus dieses Evangelium verkündigt, ruft 
er überall die Menschen zu sich selber. In ihm ist das Ev. 
Wort und That; es ist seine Speise und darum sein persön- 
liches Leben geworden, und in dieses sein Leben zieht er alle 
Anderen hinein. Er ist der Sohn, der den Vater kennt und 
zu erkennen giebt. An ihm sollen sie wahrnehmen, wie freund- 
lich der Herr ist; an ihm sollen sie die Macht und Herrschaft 
Gottes über die Welt empfinden und dieses Trostes gewiss 
werden; ihm, dem Demütigen und Sanftmütigen, sollen sie 
nachfolgen, und indem er, der Heilige und Reine, die Sünder 
zu sich ruft, sollen sie die Gewissheit erhalten, dass Gott durch 
ihn Sünde vergiebt und die Menschen zu seinen Kindern 
macht. 

Diesen Zusammenhang seines Evangeliums mit seiner 
Person hat Jesus in Worten keineswegs in den Vordergrund 
geschoben, sondern seine Jünger erleben lassen. Er nannte 
sich „der Menschensohn^^ und führte sie zu dem Bekenntniss, 
dass er der Herr und Messias sei. Damit hat er seiner blei- 
benden Bedeutung für sie und für sein Volk einen verstand- 


12 Die VorausBetzungen der Dogmengeschichte. [§ 4. 

liehen Ausdruck gegeben, und er hat ihnen am Ende seines 
Lebens in feierlicher Stunde gesagt, dass sein Tod, wie auch 
sein Leben, ein unvergänglicher Dienst sei, den er den „Vielen" 
leiste zur Vergebung der Sünden. Damit hat er sich aus der 
Reihe aller Übrigen herausgestellt, ob sie schon seine Brüder 
werden sollen; er hat eine einzigartige Bedeutung in Anspruch 
genommen als der Erlöser und als der Richter; denn er 
hat seinen Tod, wie alles Leiden, als einen Sieg gedeutet, als 
den Übergang zu seiner Herrlichkeit^ und er hat sich mächtig 
erwiesen, in den Seinen wirklich die Überzeugung zu erwecken, 
dass er lebe und über Tote und Lebendige Herr sei. 

Die Religion des Evangeliums steht auf diesem Glauben 
an Jesus Christus, d. h. im Hinblick auf ihn, diese geschicht- 
liche Person, ist es dem Gläubigen gewiss, dass Gott Himmel 
imd Erde regiert, und dass Gott der Richter auch der Vater 
und Erlöser ist. Die Religion des Evangeliums ist die Religion^ 
welche die Menschen von aller Gesetzlichkeit befreit, die aber 
zugleich die höchsten sittlichen Anforderungen — das Ein- 
fachste und Schwerste — vorhält und den Widerspruch auf- 
deckt, in dem jeder Mensch sich zu ihnen befindet. Aber sie 
schaflFt die Erlösung aus solcher Not, indem sie den Menschen 
zu dem gnädigen Gott führt, ihn in seine Hände beschliesst 
und unser Leben hineinzieht in das unerschöpfliche und selige 
Leben Jesu Christi, der die Welt überwunden und die Sünder 
zu sich gerufen hat. 

1. Der eigentümliche Charakter der christlichen Religion ist da- 
durch bedingt, dass jede Beziehung auf Gott zugleich eine Beziehung 
auf Jesus Christus ist und umgekehrt. In diesem Sinn ist die Person 
Christi Mittelpunkt der Religion, resp. unabtrennbar mit dem Inhalt 
der Frömmigkeit als gewisse Zuversicht auf Gott verbunden. Eine 
solche Verbindung bringt nicht, wie man gemeint hat, ein fremdes 
Stück in das reine Wesen der Religion. Dieses fordert vielmehr eine 
solche; denn „die Ehrfurcht vor Personen, die innere Beugung vor der 
Erscheinung sittlicher Kraft und Güte, ist die Wurzel aller wahrhaftigen 
Religion" (WHerrmasn). Die christliche Religion weiss und nennt aber 
nur einen Namen, vor dem sie sich beugt. Hierin ruht ihr positiver 
Charakter; in allem Übrigen — als Frömmigkeit — ist sie durch ihre 
streng geistige und innerliche Haltung keine positive Einzelreligion 
neben anderen, sondern die Religion selbst. 

2. In der Predigt Christi sind die ruhenden Elemente, wie sie 
in vollkommenster Weise im „Vater-Unser" und in der ,,Bergpredigt" 
zusammengefasst sind und ihren kürzesten Ausdruck in der Erkenntniss 
Gottes als des Vaters haben, eingebettet in die Verkündigung vom 


§ 5.] Die älteste Verkündigung. 13 

Beiche Gottes (das Eyangelium ist als eine apokalyptisch-eschato- 
logische Botschaft und Bewegung in die Welt eingetreten). Diese Ver- 
kündigung umschloss ein impulsives, zündendes, die Welt preis- 
gebendes Element. Hiermit war eine Spannung von Quietismus und 
Ekstase, Beschaulichkeit und thätiger Kraft, Unterordnung unter die 
Vorsehung Gottes und stürmischem Kampf gegen die Welt gegeben, die 
in der ganzen Geschichte der Kirche bis heute nachwiikt. Die Dogmen- 
geschichte ist auf dem ruhenden Elemente begründet. Die impulsiven 
Elemente haben in der Kirchengeschichte gewechselt (Eschatologie, Welt- 
flucht) und sind in stetem Fluss. Angesichts der sichersten Sprüche Jesu 
kann ein Zweifel darüber nicht walten, dass das einzige Ziel der Religion 
darin besteht, dass der Mensch seineu Gott finde, erkenne und ihm sich 
ergebe. Die Koefficienten, ob jüdische Religion oder nicht, ob Askese 
oder Weintrinken, ob Weltflucht oder Weltherrschaft, sind letztlich 
gleichgiltig. Aber andererseits — Jesus lehrte, dass ein Reicher schwer- 
lich ins Himmelreich kommen werde, und er hat in dei* Regel den 
Verzicht auf die Welt gefordert. 

§ 5. Die gemeinsame YerkfiudigiiDg von Jesns Christus in der 

ersten Generation seiner Glänbigen. 

CWbizsÄckeb, Apostel. Zeitalter. 2. Aufl. 1892. — ERenan, Hist. 
des orig. de Christianisme T. II — IV. — OPpleidkreb, Das Urchristentum 
1887. S. die Einleitungen i. d. N. T. und die Bibl. Theologien. 

Man hatte Jesus Christus erlebt und in ihm den Messias 
gefanden. Schon in den zwei Menschenaltem nach ihm ist 
AUes von ihm ausgesagt worden, was Menschen überhaupt 
auszusagen vermögen. Indem man ihn als den Auferstandenen 
wusste, pries man ihn als den zur Rechten Gottes sitzenden 
Herrn der Welt und der Geschichte, als den Weg, die Wahr- 
heit und das Leben, als den Fürsten des Lebens und die leben- 
dige Kraft eines neuen Daseins, als den Überwinder des Todes 
und den König eines demnächst anbrechenden neuen Reiches. 
Doch lassen sich gemeinsame Grundzüge der Verkündigung 
feststellen, so sehr individuelle Empfindung, besondere Er- 
fahrimg, Schriftgelehrsamkeit und phantastischer Trieb von 
Anfang an das Bekenntniss zu ihm mannigfaltig gestaltet haben. 

1. Der Inhalt des Glaubens der Jünger und die gemein- 
same Verkündigung, welche sie auf Grund der Gewissheit der 
Auferweckung Jesu verband, lässt sich in die Sätze zusammen- 
fassen: Jesus ist der von den Propheten verheissene Messias 
— er wird demnächst wiederkommen und das Reich sichtbar 
aufrichten — wer an ihn glaubt und sich voll und ganz in 
den Dienst dieses Glaubens stellt, darf der Gnade Gottes und 


14 Die Voraussetzungen der Dogmengeschicbte. [§ 5. 

des Anteils an der zukünftigen Herrlichkeit gewiss sein. Eine 
neue Gemeinde der Chris tusgläubigen, die Jesus als ihren 
Herrn verehrten, bildete sich so innerhalb des israelitischen 
Volkes. Diese neue Gemeinde wufste sich als das wahre 
Israel der messianischen Zeit und lebte deshalb mit allem 
ihren Denken und Fühlen in der Zukunft. Somit konnten 
auch für die Zeit der Wiederkunft Christi alle apokalyptisch- 
jüdischen Hofi&iungen in Kraft bleiben. Eine Gewähr aber 
für die Erfüllung derselben besass die neue Gemeinde in dem 
Opfertode Christi sowie in den mancherlei Manifestationen des 
Geistes, die sich an ihren Gliedern bei dem Eintritt in die 
Gemeinde — mit demselben scheint von Anfang an ein Tauf- 
akt verbimden gewesen zu sein — und in den Zusammen- 
künften zeigten. Der Besitz des Geistes verbürgte es den 
Einzelnen, dass sie nicht nur „Jünger", sondern berufene 
„Heilige" und als solche Priester und Könige Gottes seien. 
Der Glaube an den Gott Israels wurde zum Glauben an Gott 
den Vater; zu ihm trat der Glaube an Jesus, den Christ 
und den Sohn Gottes, sowie das Zeugniss von der Gabe des 
h. Geistes, d. h. des Geistes Gottes und Christi. Auf Grund 
dieses Glaubens lebte man in der Furcht des Richters und im 
Vertrauen auf den Gott, der die Erlösung der Seinen bereits 
begonnen hat. 

2. Die Verkündigung von Jesus dem Christ ruhte zu- 
nächst ganz auf dem A. T., hatte aber an der Erhöhung Jesu 
durch die Auferstehung von den Toten ihren Ausgangspunkt. 
Der Nachweis, dass das ganze A. T. auf ihn abziele, imd dass 
seine Person, seine Thaten und sein Geschick die wirkliche 
und wörtliche Erfüllung der ATlichen Verheissungen sei, war 
das vornehmste Interesse der Gläubigen, sofern sie sich nicht 
ganz den Zukunftshoffhungen hingaben. Dieser Nachweis diente 
zunächst nicht dazu, den Sinn und Wert des messianischen 
Werkes deutlicher zu machen — dessen schien es nicht zu 
bedürfen — , sondern dazu, die Messiauität Jesu zu erweisen. 
Indessen gab das A. T., wie es damals verstanden wurde, An- 
lass dazu, bei der Bestimmung der Person und Würde Christi 
den Rahmen des Gedankens der in Israel vollendeten Theo- 
kratie zu erweitern. Ferner veranlasste der Glaube an die Er- 
höhung Jesu zur Rechten Gottes, sich auch die Anfänge seiner 
Existenz dem entsprechend zu denken. Weiter warf die That- 


§ 5.] Paulus. 15 

Sache der erfolgreiclien HeidenbekehruBg ein neues Licht auf 
den Umfang seines Werkes, d. h. auf seine Bedeutung für die 
ganze Menschheit. Endlich forderte das Selbstzeugniss Jesu 
dazu auf, sein einzigartiges Verhältniss zu Gott dem Vater zu 
erwägen. An diesen vier Punkten setzte schon im apostolischen 
Zeitalter die Spekulation ein imd brachte es zu neuen Aussagen 
über die Person und die Würde Christi, deren Kern die gewisse 
Zuversicht gewesen ist, dass in Jesus Christus Gott selbst 
oflFenbar geworden ist, in dem Sohne erfasst und ergriffen 
wird, und in dem Geiste Christi sich als Prinzip eines neuen 
Lebens zu eigen giebt. Li dieser Verkündigung von Jesus als 
dem Christus dem Sohne (der geschichtliche Christus ist der 
Sohn) und dem Herrn ging die Verkündigung des Evange- 
liums geradezu auf, indem das trjQStv navxa o6a ivarsCXato 6 
'Itjöovs daneben wie ein Selbstverständliches empfanden wurde 
und das Nachdenken nicht besonders anregte. Dass hierdurch 
eine für die Zukunft bedenkliche Verschiebung veranlasst 
werden musste, liegt auf der Hand; denn wenn auch Alles 
auf die Aneignung der Person Jesu ankommt, so kann doch 
persönliches Leben nicht durch Urteile über die Person 
angeeignet werden, sondern nur durch die Überlieferung des 
konkreten Bildes. 

3. Auf Grund ausdrücklicher Worte Jesu und im Be- 
wusstsein des Besitzes des Geistes war man der Sünden- 
vergebung, der Gerechtigkeit vor Gott, der vollen Erkenntniss 
des göttlichen Willens und der Berufung in das zukünftige 
Reich als eines gegenwärtigen Besitzes gewiss. Li der Be- 
schaffung dieser Güter erkannten sicher nicht Wenige den Er- 
folg der ersten Ankunft des Messias, d. h. sein Werk, und 
führten speziell die Sündenvergebung auf den Tod Christi, 
das ewige Leben auf seine Auferstehung zurück. Allein man 
stellte keine Theorien auf über das Verhältniss der Güter des 
Evangeliums zur Geschichte Christi. Paulus ist der Erste ge- 
wesen, der auf Grund des Todes und der Auferstehung Christi 
eine Theologie als Auseinandersetzung mit der ATlichen Reli- 
gion entwickelt hat. 

4. Diese Theologie hatte ihren Gegensatz an der Gesetzes- 
gerechtigkeit des Pharisäismus resp. an der offiziellen ATlichen 
Religion. Ladem sie eben deshalb z. T. aus dieser ihre Form 
erhielt, war doch ihre Kraft die Gewissheit des neuen Lebens 


16 Die VoraussetzuDgen der Dogmengeschichte. [§ 5. 

im Geist, welches der Auferstandene bot, der durch seinen 
Tod die Welt des Fleisches und der Sünde gebrochen hat. 
In dem Gedanken, dass die Gerechtigkeit aus dem Glauben 
an den Gott kommt, der Jesum auferweckt und dem Gesetz 
auf gesetzlichem Wege im Kreuzestode Christi ein Ende ge- 
macht hat, riss Paulus das Evangelium von seinem mütter- 
lichen Boden los und gab ihm zugleich in der Christusspeku- 
lation und der Ausführung des Gegensatzes von Fleisch und 
Geist eine den Hellenen verständliche Ausprägung, so wenig 
diese im Stande waren, die spezielle Form der Auseinander- 
setzimg mit dem Gesetz sich anzueignen. Durch Paulus, den 
ersten Theologen, wurde demgemäss die Frage nach dem Ge- 
setz (in Theorie und Praxis) und nach den Prinzipien der 
Missionsthätigkeit innerhalb der Christengemeinde brennend. 
Während er die Freiheit vom Gesetz verkündete imd die 
Heiden taufte, ihnen verwehrend, Juden zu werden, leiteten 
Andere nun erst in bewusster Weise die Gerechtigkeit der 
Christgläubigen auch von dem pünktlichen Halten des Gesetzes 
ab und verwarfen den Paulus als Apostel und als Christen. 
Allein gerade die hervorragendsten Jünger Jesu Hessen sich, 
vielleicht nicht zum mindesten durch die Erfolge des Paulus 
bestimmt, überzeugen und gestanden den Heiden das Recht 
zu, Christen zu sein, ohne Juden zu werden. Diese sicher 
bezeugte Thatsache ist der stärkste Beweis dafür, dsiss Christus 
in seinen persönlichen Jüngern einen Glauben an ihn erweckt 
hat, der ihnen teurer war als alle väterlichen Überlieferungen. 
Doch gab es imter denen, welche die paulinische Mission an- 
erkannten, verschiedene Schattirungen je nach der Stellung, 
die man im Leben und Verkehr zu den- Heidenchristen ein- 
nehmen zu müssen meinte. Diese Schattirungen haben sich 
lange erhalten. 

Indessen, so gewiss Paulus seinen Kampf für die ganze 
Christenheit gekämpft hat, so gewiss hat sich doch die Um- 
wandelung der ursprünglichen Formen in universale auch 
neben seiner Thätigkeit vollzogen (Beweis: die römische Ge- 
meinde). Das Judentum der Diaspora hatte längst um sich 
einen Hof halbbürtiger griechischer Brüder, für welche die 
partikularen und nationalen Formen der ATlichen Religion 
kaum bestanden (s. § 7). Ferner hatte dieses Judentum selbst 
für Juden die alte Religion zu einer universalen und geistigen 


§ 6.] Auslegung des A. T. und Apokalyptik. 17 

amzuschaflfen begonnen, ohne ihre Formen abzuwerfen, die 
vielmehr als bedeutungsvolle Ordnungen und Symbole (Myste- 
rien) galten. Indem das Evangelium hier ergriflfen wurde, 
fahrte es einfach und fast augenblicklich den Prozess der 
Vergeistigung der alten Religion zu Ende und streifte die 
alten Formen als Hüllen ab, sie z. T. sofort durch neue er- 
setzend (z. B. die Beschneidung ist die Beschneidung des Her- 
zens, zugleich auch die Taufe; der Sabbath ist das herrliche 
Reich Christi u. s. w.). Die äussere Scheidung von der Syna- 
goge ist freilich auch hier ein Beweis von der Kraft und dem 
Selbstbewusstsein des Neuen. Sie ^Uzog sich rasch infolge 
des Hasses der altgläubigen Juden; Paulus wirkte ein, und 
die Zerstörung Jerusalems beseitigte vollends unklare Verhält- 
nisse, die noch übrig geblieben waren. 

Streng universalistisch und geistig, der Eeligion, nicht nur dem 
Buchstaben des A. T. übergeordnet ist das Ev^angelium auch im Hebräer- 
brief und in den johanneischen Schriften gefasst. Das Christusbild des 
4. Ev. erscheint wie eine Synthese des synoptischen und des Paulinismus 
und ist doch aus einem Guss. Der Hellenismus hat an ihm einen ge- 
wissen Anteil, aber nicht als metaphysisches System, sondern als Denk- 
weise und Ordnung der Begriffe. Doch ist auch hier die Unterscheidung 
dessen, was griechisch ist, nicht leicht. Den Logosbegriff scheint der 
Verf. nur aufgenommen zu haben, um den Logos als den Sohn Gottes 
Jesus Christus zu enthüllen (s. AHarnace, Ober das Yerhältniss des 
Prologs des 4. Ev.'s z. ganzen Werk, i. ZThK, 2. Bd. 3. Heft). 

§ 0. Die damalige Auslegung des Alten Testaments und die 

jüdischen Znknnftshoffnuugen in ihrer Bedentnng für die 

ältesten Ansprägnngen der cbristlicben Verkflndigang. 

EScHüREB, Gesch. des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi. 
Bd. 2. 1886. S. 248 ff. über die Schriftgelehrsamkeit (Halacha und 
Haggada), S. 314 ff. über Pharisäer und Sadducäer, S. 417 ff", über die 
messianische Hoffnung, S. 575 — 693 über die palästinensisch-jüdische 
Litteratur der Zeit. Besonders gichtig sind die Apokalypsen (Daniel, 
Henoch, Mosis, Baruch, Esra u. s. w.). — FWkbkr, System der altsyna- 
gogalen paläst. Theologie 1880. — AKuenen, Volksreligion und Welt- 
religion 1883. — JWellhaüsen, Abriss der Geschichte IsraeFs und Juda^s 
(Skizzen und Vorarbeiten 1887). — LDiestbl, Geschichte des A. T. in d. 
Christi. Kirche, 1869. 

1. Obgleich die Methode der Kleinmeisterei, der kasuisti- 
schen Behandlung des Gesetzes und der Ausklügelung des tie- 
feren Sinnes der W^eissagungen von Jesus indirekt aber prinzipiell 
abgethan war, so blieb doch in der christlichen Gemeinde die 

Orondriss lY. ui. Habstack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 2 


18 Die Voraufisetziingen der Dogmengeschichte. [§ 6, 

alte Schulexegese, vor Allem die unhistorische Lokalmethode 
in der Auslegung des 'A. T., sowie die AUegoristik und Hag- 
gada noch wirksam; denn eia heiliger Text — und als solcher 
galt das A. T. — fordert immer dazu auf, bei der Erklärung 
von seiner geschichtlichen Bedingtheit abzusehen und ihn nach 
dem jeweiligen Bedürfuiss auszulegen. Besonders wo es sich 
um dem Nachweis der Erfüllung der Weissagung d. L der 
Messianität Jesu handelte, übte die herkömmliche Betrachtungs- 
weise ihren Einfluss sowohl auf die Auslegung des A. T. als 
auf die Vorstellungen von der Person, dem Geschick und den 
Thaten Jesu. Sie gab, unter dem Eindruck der Greschichte 
Jesu, vielen ATlichen Stellen einen ihnen fremden Sinn und 
bereicherte andererseits das Leben Jesu mit neuen Thatsachen^ 
zugleich das Interesse auf Einzelheiten lenkend, die häufig un- 
wirklich, selten hervorragend wichtig gewesen siud. 

2. Die jüdisch - apokalyptische Litteratur, wie dieselbe 
namentlich seit der Zeit des Antiochus Epiphanes in Blüte 
stand, ist aus den Kreisen der ersten Bekenner des Evan- 
geliums nicht verbannt, sondern vielmehr — da das Evan- 
gelium die Form eiuer eschatologischen Botschaft hatte — in 
ihnen festgehalten, als Verdeutlichung der Verheissungen Jesu 
eifrig gelesen und sogar fortgeführt worden. Erscheint auch 
der Inhalt derselben modifizirt und die üngewissheit über die 
Person des zum Gerichte erscheinenden Messias gehoben, so 
sind doch die sinnlich -irdischen Hoffnungen keineswegs zurück- 
gedrängt worden. Bunte Bilder erfüllten die Phantasie, drohten 
die schlichten und ernsten Sprüche von dem Gericht, das jeder 
einzelnen Seele gewiss ist, zu verdunkeln und zogen manche 
Bekenner des Evangeliums in ein imruhiges Treiben und in 
den Abscheu vor dem Staat hinein. Infolge hiervon musste 
die Reproduktion der eschatologischen Reden Jesu unsicher 
werden, ja selbst ganz Fremdes wurde ihnen beigemischt^ 
und die wahren Ziele der christlichen Lebensbewegung und 
Hoffnung drohten schwankend zu werden und sich zu ver- 
wirren. 

3. Durch die apokalyptische Litteratur, die kunstmässige 
Exegese und Haggada bürgerte sich eine Fülle von Mytho- 
logien (s. besonders die Engellehren) und Begriffsdichtungen 
in den christlichen Gemeinden ein und wurde legitimirt. Am 
wichtigsten wurden für die Folgezeit die Spekulationen über 


§ 6.] Auslegung des A. T. und Apokalyptik. 19 

den Messias, die man teils den Auslegungen des A. T. und 
den Apokalypsen entnahm, teils selbständig ausbildete nach 
Methoden, deren Recht Niemand bestritt und deren Anwendung 
den Glauben sicher zu stellen schien. Schon langst hatte man 
in der jüdischen Religion allem Sein imd Geschehen in dem 
Wissen Gottes eine Existenz verliehen, diese Vorstellung aber 
natürlich nur auf Wertvolles wirklich angewendet. Das fort- 
schreitende religiöse Denken hatte vor Allem auch die Indivi- 
duen, namentlich die hervorragenden, in diese Spekulation, 
welche lediglich Gott verherrlichen sollte, hineingezogen, und 
so wurde auch dem Messias Praexistenz beigelegt, allein eine 
solche, kraft welcher er in seiner irdischen Erscheinung 
bei Gott weilt. Dagegen wurzelten die hellenischen Präexistenz- 
vorstellungen in der Unterscheidung von Gott und der Materie, 
Geist und Fleisch. Nach ihnen präexistirt der Geist, und 
die sinnliche Natur ist nur eine Hülle, die er annimmt. Hier 
war der Boden für Ideen von der Menschwerdung, der An- 
nahme einer zweiten Natur u. s. w. gegeben. Im Zeitalter 
Christi wirkten diese hellenischen Vorstellungen auf die jü- 
dischen ein, und so verbreitet waren beide, dass auch die 
hervorragendsten christlichen Lehrer sie übernahmen. Die 
religiösen Überzeugungen (s. § 5, 2), dass 1) die Stiftung des 
Gottesreiches auf Erden und die Sendung Jesu als des voll- 
kommenen Mittlers von Ewigkeit her in dem Heilsplan Gottes 
als oberster Zweckgedanke begründet sei, dass 2) der erhöhte 
Christus in eine ihm gebührende, gottgleiche Herrscherstellimg 
eingerückt sei, dass 3) in Jesus Gott selbst offenbar geworden 
sei und dass er daher alle ATlichen Mittler, ja selbst alle Engel- 
mächte überrage — diese Überzeugungen wurden, nicht ohne 
Einfluss der hellenischen Denkweise, so fixirt, dass Jesus prä- 
existirt habe resp. dass in ihm ein himmlisches, Gott gleich- 
gestelltes Wesen, welches älter ist als die Welt, ja ihr schöpfe- 
risches Prinzip, erschienen sei und Fleisch angenommen habe. 
Die religiöse Wurzel dieser Spekulation liegt in Sätzen wie 
I. Pet. 1, 20, ihre Ausgestaltungen waren sehr verschieden, je 
nach dem Bildungsgrad und der Vertrautheit mit der apoka- 
lyptischen Theologie oder der hellenischen Religionsphilosophie, 
in der Zwischenwesen (vor Allem der Logos) eine grosse Rolle 
spielten. Nur der vierte Evangelist hat es mit voller Klarheit 

erkannt, dass der vor weltliche Christus als d'Bog S)v iv ocQxfi 

2* 


20 Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 7. 

TCQog tbv d'sov gesetzt werden müsse, um den Inhalt nnd die 
Bedeutung der in Christus geschehenen Offenbarung Gottes 
nicht zu gefährden. Übrigens haben in weiten Kreisen auch 
solche Auffassungen geherrscht, welche in einer Geistes- 
mitteilung bei der Taufe die Ausrüstung des Menschen Jesus 
(s. die Genealogien, die Variante zu Luc. 3, 22, den Beginn 
des Marcus -^Ev.) zu seinem Amte erkannten oder auf Grund 
von Jes. 7 in einer wunderbaren Geburt (aus der Jungfrau) 
den Keim seines einzigartigen Wesens gesetzt fanden. (Das 
Aufkommen und die Verbreitung dieser Vorstellung ist uns 
ganz dunkel; Paulus scheint sie nicht zu kennen; im Lucas -Ev. 
ist sie vielleicht interpolirt; am Anfang des 2. Jahrhunderts ist 
sie bereits allgemein gewesen.) Andererseits ist es von hoher 
Bedeutung, dass alle Lehrer, welche das Neue des Christen- 
tums als Religion erkannten, Christus Präexistenz beigelegt 
haben. 

Zusatz. Die Verweisung auf den Weissagungsbeweis, auf die 
damalige Auslegung des A. T., auf die Apokalyptik und die giltigen 
Methoden der Spekulation vermag nicht alle neuen Momente zu er- 
klären, die sich in der Ausprägung der christlichen Yeiküudigung schon 
sehr frühe finden. Die ältesten Gemeinden waren enthusiastisch, hatten 
Propheten in ihrer Mitte u. s. w. Unter solchen Bedingungen werden 
in der Geschichte stets Thatsachen geradezu produzirt (z. B. als be- 
sonders wichtige die Himmel- und Höllenfahrt Christi — freilich auch 
im Zusammenhang mit dem Weissagungsbeweis). Es ist nachträglich 
nicht möglich, die Veranlassungen zu solchen i'roduktionen nachzuweisen, 
die erst durch die Schöpfung des NT liehen Kanons ihr übrigens nicht 
einmal vollkommenes Ende erlangt haben, resp. nun darch begriffliche 
Mythologumena bereichert wurden. Ihre Wahrheit haben alle diese 
Aussagen an der religiösen Oberzeugung, dass in der Geschichte Christi 
Zweck und Ziel der Geschichte enthüllt ist und dass das Göttliche in 
reiner Gestalt nun in die Geschichte eingetreten ist. 

§ 7. Die religiösen Änffassnngen nnd die Religionsphilosophie 
der hellenistischen Juden in ihrer Bedentnng für die Um- 

prägniig des Evangelinms. 

EScHüRHR, a. a. 0. S. 493 ff. 694—884. — KSiegpried, Philo von 
Alexandrien 1875. — ChBigg, The Christian Platonists of Alex. 1886. 
Die Untersuchungen von JFheüdknthal (Hellenist. Studien) und JBehnays. 

1. Aus den liesten der jüdisch -alexandrinischen Litteratur 
(erinnert sei auch an die Sibyllen sowie an Josephus) und aus 
der grossen Propaganda des Judentums in der griechisch- 


[§ 7. Der Hellenismus. 21 

römischen Welt ist zu schliessen, dass es in der Diaspora ein 
Judentum gab, für dessen Bewusstsein der Kultus und das 
Ceremonialgesetz hinter die bildlose monotheistische Gottes- 
verehrung, die Tugendlehren und den Glauben an eine künftige 
jenseitige Vergeltung ganz zurücktraten. Selbst die Beschnei- 
dung wurde von den bekehrten Juden nicht durchgängig mehr 
verlangt: man begnügte sich auch mit dem Reinigungsbade. 
Die jüdische Religion scheint hier umgesetzt in eine all- 
gemein menschliche Moral und in eine monotheistische Kos- 
mologie. Deshalb ist auch der Gedanke der Theokratie sowie 
die messianische Hoffnung verblasst. Die letztere fehlte zwar 
nicht; aber die Prophetien wurden hauptsächlich für den 
Altersbeweis des jüdischen Monotheismus verwertet, und der 
Zukunftsgedanke erschöpfte sich in der Erwartung des Unter- 
gangs des römischen Reichs, des Weltbrandes und — was 
das Wichtigste war — der allgemeinen Vergeltung. Das 
spezifisch Jüdische aber erhielt sich in der Hochschätzung 
des A. T., welches als Quelle aller Weisheit (auch der grie- 
chischen Philosophie und der Wahrheitsmomente der nicht- 
jüdischen Religionen) betrachtet wi^rde. Viele Aufgeklärte 
hielten auch das Gesetz, seiner symbolischen Bedeutung 
wegen, pünktlich. Diese Juden und die von ihnen bekehrten 
Griechen bildeten ein neues Judentum auf der Wurzel des 
alten. Es hat den Boden für die Christianisirung der Griechen 
sowie für die Entstehung einer grossen gesetzesfreien Heiden- 
kirche im Reiche bereitet; es hat sich unter dem Einfluss der 
griechischen Kultur zu einer Art von Weltbürgertum mit 
monotheistischem Hintergrund entwickelt. Als Religion hat 
es die nationalen Formen abgestreift imd sich als die voll- 
kommenste Ausprägung jener „natürlichen" Religion produ- 
zirt, welche die Stoa entdeckt hatte. Aber in dem Masse 
wurde es auch moralistischer und verlor einen Teil der 
religiösen Kräftigkeit, welche die Propheten und Psabnisten 
besessen hatten. Die innige Verknüpfung des Judentums mit 
der hellenistischen Religionsphilosophie bedeutet den grössten 
Fortschritt in der Religions- und Kulturgeschichte; aber sie 
brachte es nicht zu kräftigen religiösen Bildungen. Ihre 
Schöpfungen sind in das „Christentum" übergegangen. 

2. Die jüdisch- alexandrinische Religionsphilosophie hat 
ihren bedeutendsten Vertreter in Philo — dem vollkommenen 


22 Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 7. 


Griechen und dem überzeugten Juden, der die religiöse Philo- 
sophie des Zeitalters in der Richtung auf den Neuplatonismus 
fortgebildet und eine christliche Theologie, die mit der Philo- 
sophie zu rivalisiren vermochte, vorbereitet hat. Philo ist 
Platoniker imd Stoiker, zugleich aber Offenbarungsphilosoph; 
er versetzte das letzte Ziel in das Übervemünftige (die über 
aller natütlichen Erkenntniss liegende Gotteserkenntniss) und 
daher die höchste Kraft in die göttliche Mitteilung. Anderer- 
seits sah er, ein erklärter Dualist (Gott = Geist = das Gute; 
die Materie = das Nichtige, das Böse), im menschlichen Geist 
ein Göttliches imd überbrückte den Gegensatz von Gott und 
dem kreatürlichen Geist, von Natur und Geschichte durch den 
persönlich -unpersönlichen Logos (der Logos ist weltwirksame 
Kraft Gottes, Geschöpf Gottes, Stellvertreter Gottes, Zu- 
sammenfassung aller in der Welt sich ausgestaltenden Adyo^, 
Ideen), aus dem er die Religion und die Welt erklärte, deren 
Stoff ihm freilich das gänzlich Nichtige und Böse blieb. Seine 
ethischen Anweisimgen, die in der durch Gott selbst herbei- 
zuführenden, in der Erkenntniss sich vermittelnden Einheit mit 
Gott gipfeln, haben im Prinzip einen streng asketischen Cha- 
rakter, so sehr er die irdischen Tugenden als relative zu 
schätzen wusste. Die Tugend ist Befreiung von der Sinnlich- 
keit, und sie vollendet sich in dem Berührtsein von der Gott- 
heit. Dieses Berührtsein liegt über aller Erkenntniss, die aber 
als der Weg hochgeschätzt wird. Das Denken über die Welt 
ist bei Philo von dem Bedürfniss nach einer Seligkeit und einem 
Frieden abhängig, der höher ist als alle Vemimft. Man darf 
urteilen, dass Philo deshalb der Erste gewesen ist, der als 
Philosoph diesem Bedürfniss einen deutlichen Ausdruck ge- 
geben hat, weil er nicht nur ein Grieche, sondern auch ein 
im A. T. lebender Jude war, in dessen Gesichtskreis freilich 
die Synthese des Messias und des Logos noch nicht gelegen hat. 
3. Die praktischen Grundgedanken der alex. Religions- 
Philosophie müssen — in verschiedener Stärke — sehr frühe 
in judenchristlichen Kreisen der Diaspora, und durch sie auch 
in heidenchristlichen, Eingang gefunden haben, oder vielmehr 
dort war der Boden bereitet, wo diese Gedanken verbreitet 
waren. Seit dem Anfang des 2. Jahrh. ist dann auch die 
Philosophie Philo's selbst, speziell die Logoslehre als Aus- 
druck der Einheit von Religion, Natur und Geschichte, und 


§ 8.] Die religiösen Dispositionen der Griechen u. Römer. 23 

Tor Allem seine hermeneutisclien Grundsätze, bei 
christlichen Lehrern wirksam geworden. Die Systeme Valen- 
tin's und Origenes' setzen das System Philo's voraus. Der feine 
Dualismus und die Kunst der AUegoristik („die biblische Al- 
chemie") wurden auch bei den Gelehrten der Kirche heimisch: 
den geistigen Sinn der h. Texte zu finden, teils neben dem 
buchstäblichen, teils mit Ausschluss desselben, wurde die 
Losung für die wissenschaftliche christliche Theologie, die 
überhaupt nur auf diesem Grunde möglich war, da sie (ohne 
doch relative Massstäbe zu kennen, deren Anwendung allein 
die Lösung der Aufgabe ermöglicht hätte) den ungeheuren imd 
xiisparaten Stoff des A. T. mit dem Evangelium und Beides 
mit der religiösen und wissenschaftlichen Kultur der Griechen 
zu einer Einheit zu verbinden strebte. Hier war Philo der 
Meister; denn er hat zuerst im grössten Umfang den neuen 
Wein in alte Schläuche gegossen — ein Verfahren, in seiner 
letzten Absicht berechtigt; denn die Geschichte ist eine Ein- 
heit; aber in kleinmeisterlicher Ausführung eine Quelle der 
Täuschungen, der Unwahrhaftigkeit und schliesslich der totalen 
Verblendung. 

§ 8. Die religiSseu Dispositionen der Griechen und Römer in 
den beiden ersten Jahrhunderten und die damalige griechisch- 

rSmische Religionsphilosophie. 

GBoissiER, La räligion Romaine d^ Auguste aux Antonius. 2 Bde. 
1874. — JRiSviLLE, La räligion ä Eome sous las Samaras, 1886 (dautsch 
TonGERÜGER 1888). — GFbiedlÄnder, Darstellungen aus dar Sittengeschichte 
Borns in der Zeit von August bis zum Ausgang der Antonine. 3. Bd. 
h. Aufl. — EMarqüardt, Römische Staatsverwaltung. 3. Bd. 1878. — Leop. 
Schmidt, Die Ethik der alten Griechen, 2 Bde. 1882. — MHeinzk, Die 
Lehre vom Logos 1872. — RHirzel, Unters, z. Cicero's philos. Schriften, 
3 Tle. 1877 ff. — EHatch, The influence of Greec ideas and usages upon 
the Christian church 1890 (deutsch von EPreuschen 1892). Die Lehr- 
bücher der Geschichte der Philosophie vonEZKT.LER, JEEudmann, FÜberweö, 
LStrömpell, W Windelband u. A. 

1. Nachdem im Zeitalter des Cicero und Augustus die 
Volksreligion und der religiöse Sinn überhaupt in den Kreisen 
der Gebildeten fast ganz abhanden gekommen waren, ist seit 
dem Ausgang des 1. Jahrh. in der griechisch-römischen Welt 
eine Wiederbelebung des religiösen Sinns bemerkbar, welche 
alle Schichten der Gesellschaft erfasste und sich namentlich 


24 Die Voran ßsetzuDgen der Dogmeogeschichte. [§ 8, 

seit der Mitte des 2. Jahrli. von Decennium zu Decennium 
gesteigert zu haben scheint. Parallel mit ihr gingen die nicht 
erfolglosen Versuche, die alten nationalen Kulte, religiösen 
Gebräuche, Orakelstätten u. s. w. zu restauriren. Indessen 
kamen . die neuen religiösen Bedürfnisse der Zeit in diesen 
Versuchen, die z. T. von oben und künstlich gemacht wurden^ 
weder kräftig noch imgetrübt zum Ausdruck. Dieselben suchten 
sich vielmehr, entsprechend den gänzlich geänderten Zeit- 
verhältnissen (Völkermischung und Verkehr — Verfall der 
alten republ. Ordnungen, Gliederungen imd Stände — Mon- 
archie und Absolutismus — soziale Krisen und Pauperismus 
— Einfluss der Philosophie auf Religion, Sittlichkeit und 
Recht — Weltbürgertum und Menschenrechte — Eindringen 
orientalischer Kulte — Weltkenntniss und -Überdruss), neue 
Formen der Befriedigung. Aus dem Verfall der politischen 
Kulte imd dem Synkretismus entwickelte sich unter dem Ein- 
fluss der Philosophie die Disposition für den Monotheismus. 
Religion und individuelle Sittlichkeit wurden enger ver- 
knüpft: Vergeistigung der Kulte, Veredelung des Men- 
schen, Idee der sittlichen Persönlichkeit, des Ge- 
wissens und der Reinheit. Busse und Entsühnung 
wurden von Wichtigkeit, innere Verbindung mit der Gottheit, 
Sehnsucht nach Offenbarung (Askese und geheimniss- 
volle Riten als Mittel der Aneignung des Göttlichen), Sehn- 
sucht nach leidlosem, ewigem Leben im Jenseits (Ver- 
gottung); das irdische Leben als Scheinleben (iyxQcitSLa und 
ccvd6ta6Lg). Trat im 2. Jahrh. der moralistische Zug stärker 
hervor, so im 3. mehr und mehr der religiöse — die Sehn- 
sucht nach Leben. Dabei war der Polytheismus nicht über- 
wunden, sondern nur auf eine zweite Stufe geschoben, auf 
dieser aber so lebendig wie je zuvor. Das numen supremum 
offenbart seine Fülle in tausend Gestaltungen (Untergöttern), 
die aufwärts (Vergötterung, Kaiserkult, „dominus ac deus 
noster") und abwärts (Manifestationen in der Natur und in 
der Geschichte) steigen. Die Seele selbst ist ein überirdisches 
Wesen; das Ideal des vollkommenen Menschen und des Führers 
(Erlösers) wird entwickelt imd gesucht. Das Neue blieb aber 
teilweise verdeckt durch die alten Kultusformen, *die der Staat 
und die Pietät stützten oder restaurirten; es tastete unsicher 
nach Ausdrucksformen umher, und der Weise, der Skeptiker, 


§ 8.] Die religiösen Dispositionen der Griechen u. Römer. 25 

der Fromme und der Patriot kapitulirten mit der alten kul- 
tischen Überlieferung. 

2. Hohe Bedeutung für die Entwickelung eines Neuen auf 
religiösem Gebiet kam dem Assoziationswesen einerseits, der 
Schöpfung des monarchischen römischen Weltstaats anderer- 
seits zu. In beiden entsteht die weltbürgerliche Gesinnung, 
die doch über sich selbst hinausweist, dort dazu die Praxis 
der sozialen Hülfeleistung, hier die Vereinigung der Mensch- 
heit unter einem Haupte und die Neutralisirung der Nationen. 
Die Kirche hat Stück für Stück den grossen Apparat des 
rÖHiischen Weltstaates sich angeeignet, wohl auch in seiner 
Verfassung das Abbild der göttlichen Ökonomie gesehen. 

3. Vielleicht der entscheidendste Faktor in dem Umschwung 
der religiös-sittlichen Stimmungen ist die Philosophie gewesen, 
die in fast allen ihren Schulen mehr und mehr die Ethik 
in den Vordergrund gerückt und vertieft hat. Vom Boden 
des Stoicismus aus haben Posidonius, Seneca, Epiktet und 
M. Aurel, vom Piatonismus aus Männer wie Plutarch eine 
ethische Anschauung gewonnen, welche im Prinzip unklar 
(Erkenntniss, Resignation, Gottvertrauen), doch im Einzelnen 
einer Steigerung kaum mehr fähig ist. Gemeinsam ist ihnen 
allen die Wertschätzung der Seele. Eine religiöse Stimmung, 
die Sehnsucht nach göttlicher Hülfe, nach Erlösung und einem 
jenseitigen Leben tritt bei Einzelnen deutlich hervor; am deut- 
lichsten bei den Neuplatonikem und ihren Vorläufern im 
2. Jahrh. (vorgebildet bei Philo). Merkmale dieser Denkweise 
sind die dualistische Entgegensetzung des Göttlichen und Ir- 
dischen, der abstrakte Gottesbegriff, die Behauptung der üner- 
kennbarkeit Gottes, die Skepsis in Bezug auf die sionliche Er- 
fahrung und das Misstrauen in Bezug auf die Kräfte des 
Verstandes bei hoher Bereitschaft, die Dinge zu erforschen 
und den Ertrag der bisherigen wissenschaftlichen Arbeit zu 
verwerten, femer die Forderung der Befreiung von der Sinn- 
lichkeit durch Askese, das Autoritätsbedürfiiiss, der Glaube an 
höhere Offenbarungen und die Verschmelzung von Religion, 
Wissenschaft . und Mythologie. Bereits begann man die reli- 
giöse Phantasie im Reiche der Philosophie zu legitimiren, in- 
dem man auf die Mythen als die Vehikel der tiefsten Weisheit 
zurückgriff (Romantik). Die theosophische Philosophie, die 
sich so vorbereitete, ist vom Standpunkt der Naturwissenschaft 


26 Pie Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 8. 

und Aufklärung vielfach ein Rückschritt (doch nicht in jeder 
Beziehung, z. B. ist die neuplatonische Psychologie viel besser 
als die stoische); aber sie war der Ausdruck für tiefere 
religiöse Bedürfnisse und wertvolle Selbsterkenntniss. Das 
Innenleben mit seinen Ahnungen, HoflEhungen und Wünschen 
wird nun vollständig der Ausgangspunkt des Denkens über 
die Welt. Die Gedanken der göttlichen gnädigen Vorsehung, 
der Zusammengehörigkeit aller Menschen, der allgemeinen 
Bruderliebe, der bereitwilligen Vergebung des Unrechts, der 
nachsichtigen Geduld, der Einsicht in die eigenen Schwächen 
— freilich noch mit manchem Schatten behaftet — sind nicht 
minder ein Erwerb der praktischen Philosophie der Griechen 
für weite Kreise geworden, wie die Überzeugung von der in- 
härenten Sündhaftigkeit, von der Erlösungsbedürftigkeit und 
dem Werte einer Menschenseele, die nur in Gott ihre Ruhe 
findet. Aber man besass keine sichere Offenbarung, keine 
umfassende und befriedigende religiöse Gemeinschaft, 
keinen kräftigen religiösen Genius und keine Betrachtung der 
Geschichte, welche an die Stelle der nicht mehr wertvollen 
politischen Geschichte treten konnte; man besass keine Ge- 
wissheit, und man kam aus dem Schwanken zwischen Gottes- 
furcht und Naturvergötterung nicht heraus. Die Kraft fehlte, 
welche die Götzen stürzte und das Alte abthat. Dennoch hat 
sich mit dieser Philosophie, dem Höchsten, was das Zeitalter 
bot, das Evangelium verbündet, und die Stadien der kirch- 
lichen Dogmengeschiehte in den 5 ersten Jahrhunderten ent- 
sprechen den Stadien der hellenischen Religionsphilosophie in 
demselben Zeitraum. 


Als Einleitung zam Studium der Dogmengeschichte ist, abgesehen 
von der oben verzeichneten Litteratur und dem Studium der Septaaginta 
und des NTs, die Lektüre folgender Schriften besonders zu empfehlen: 
Die Apokalypse des Esra (= 4. Buch Esra, hrsg, von FFbitzsche, Libri 
apocr. Vet. Test. 1871), Die Psalmen Salomos (a. a. 0.), die Pirke Aboth 
(hrsg. von HStrack 1882), Die sibyllinischen Orakel (hrsg. von Rzach 1891), 
Schriften Philo's (^besonders seine Erklärungen zur Genesis), Seneca*s, 
Plutarch's, Epiktet^s und Marc AurePs, resp. EZelleb^s Philosophie der 
Griechen, Bd. III, 1. 2 (3. Aufl. 1880 f.). 


27 


Erster Teil. 

Die Entstehung des kirchlichen Dogmas. 

Erstes Buch. 

Die Vorbereitung. 

Erstes Kapitel. 

Gescliiclitliclie Orientiruiig. 
§9. 

FGvERBECK, Über die Anfänge der patrist. Litteratur (Histor. Ztschr. 
N. F. XII S. 417 ff. RSoHM, Kirchenrecht I 1892. 

Das 1. Jahrhundert des Bestehens heidenchristlicher Ge- 
meinden ist charakterisirt 1) durch das rapide Zurücktreten 
des Judenchristentums, 2) durch den religiösen Enthusiasmus 
(das charismatische Lehrertum), 3) durch die Kräftigkeit der 
Zukunftshofi&iungen (Chiliasmus), 4) durch strenge Sittlichkeit 
nach Massgahe der Hermgebote , 5) durch die Mannigfaltig- 
keit und Freiheit der Ausprägungen des Glaubens auf Grund 
deutbarer Formeln und einer stets bereicherten Überlieferung, 
6) durch das Fehlen einer fest umgrenzten, in ihrer Anwen- 
dung sicheren, äusseren Autorität in den Gemeinden (Autori- 
i^ten sind das A. T., die „Lehre des Herrn^^ in apostolischer 
Überlieferung und der lebendig wirkende, sich z. T. sinnen- 
föltig bezeugende h. Geist), 7) durch das Fehlen einer politi- 
schen Verbindung der einzelnen Gemeinden unter einander 
(jede Ekklesia ist ein in sich geschlossenes Abbild und eine 
Auswirkung der ganzen himmlischen Kirche) und durch eine 
feste, aber dem Individuum Spielraum lassende Organisation, 
8) durch eine eigenartige, mit den höchsten Ansprüchen auf- 
tretende, auch Thatsachen produzirende Schriftstellerei, 9) durch 
die Reproduktion einzelner Sprüche und Ausführungen apo- 
stolischer Lehrer bei unsicherem Verständniss für dieselben, 


28 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 10. 

10) durch das Aufkommen von Richtungen, die den vom Ur- 
sprung her begonnenen Prozess der Verschmelzung des Evan- 
geliums mit den geistigen und religiösen Interessen der Zeit 
(mit dem Hellenischen) in jeder Hinsicht zu beschleunigen 
trachteten, sowie durch Unternehmungen, das Evangelium von 
seinem Ursprung loszulösen und ihm ganz fremde Voraus- 
setzungen unterzuschieben. Zu Letzterem gehört vor Allem 
die (hellenische) Vorstellung, dass die Erkenntniss nicht eine 
(charismatische) Zugabe zum Glauben sei, sondern dass sie mit 
dem Wesen des Glaubens selbst zusammenfalle. 

Zweites Kapitel. 

Das allen Christen Gemeinsame und die Auseinandersetzung 

mit dem Judentum. 

§10. 

Für die grosse Mehrzahl der Christen war ein Gemein- 
sames vorhanden, wie neben Anderem die Thatsache beweist, 
dass die Ausscheidung des Gnosticismus nur allmählich erfolgt 
ist. Die Überzeugung, den höchsten Gott zu kennen, das Be- 
wusstsein, ihm verantwortlich zu sein, das Vertrauen auf 
Christus, die sichere Hoffnung auf ein ewiges Leben, die kraft- 
volle Erhebimg über die Welt — diese Elemente bildeten die 
Grundstimmung. Justin's Definition des Christentums (bei Euseb., 
h. e. IV, 17, 10): tb SvSaOxdXiov r^g ^^eCa^ ccQStrlg ist gewiss 
von jedem Christen gebilligt worden, und ebenso spricht der 
Verf. der Thekla- Akten die allgemeine Auffassung aus, wenn 
er (c. 5. 7) rbv rov xqiözov koyov gleichsetzt dem köyog d'sov 
jcsqI iyTCQarevag xal avaötdöscog. Im Einzelnen darf hier Fol- 
gendes genannt werden: 

1. Das Evangelium ist die sichere, weil auf Offenbarung 
beruhende, Kundgebung des höchsten Gottes, deren gläubige 
Aufnahme das Heil verbürgt; 

2. Der wesentliche Inhalt dieser Kundgebung ist der 
geistige Monotheismus, die Botschaft von der Auferstehung 
und dem ewigen Leben, sowie die Predigt von der sittlichen 
Reinheit und Enthaltung auf Grund der Busse zu Gott und 
einer einmal gewährten Entsühnimg (Taufe) im Hinblick auf 
die Vergeltimg des Guten und Bösen; 

3. Vermittelt ist diese Kundgebung durch Jesus Christus, 


§ 10.] Das allen Christen Gemeinsame. 29 

welcher der „in der letzten Zeit^^ gesandte Heiland ist und mit 
Gott selbst in einer besonderen, einzigartigen Verbindung steht 
(vgl. das in ältester Zeit viel gebrauchte und vieldeutige TCccts 
d-eov). Er ist der Erlöser (<Jori}p), weil er die volle Erkennt- 
niss Gottes und das Geschenk des ewigen Lebens gebracht hat 
{yv&ötg und goi}, resp. yv&ötg tfjg Sa>^g, als Ausdruck far die 
Summa des Evangeliums; s. die Abendmahlsgebete in der 
Didache c. 9 u. 10: s'öxaQi^tov^Ev 6oi^ tcAxbq i^Lcbv^ {)7cIq rrjg 
tc^rjg xal yvaöecog ijg iyvcoQiöag fifitv dcä 'Irj6ov tov ^atdög 
ffov). Er ist aber ferner das höchste Vorbild aller sittlichen 
Tugend, Gesetzgeber und Gesetz für das vollkommene Leben, 
dazu Besieger der Dämonen und Weltrichter; 

4. Die Tugend ist die Enthaltung (als Verzicht auf die 
Güter dieser Welt, in der der Christ ein Fremdling ist und 
deren Untergang er erwartet), sodann auch die brüderliche Liebe. 
(La unzweifelhafter Abweichung von den Sprüchen Christi tritt 
für die Reflexion in den ältesten heidenchristlichen Gemeinden 
<Iie Bruderliebe hinter der asketischen Tugendübung zurück; 
Celsus [bei Orig. c. Cels. V, 59 sq.] hat nicht den Ruf „Liebet 
die Brüder^' aus aller Christen Munde gehört, sondern „Mir ist 
die Welt gekreuzigt und ich der Welt^'); 

5. Die Botschaft Christi ist erwählten Männern, den 
Aposteln, resp. einem Apostel, übertragen; in ihrer Predigt 
stellt sich die Predigt Christi selbst dar. Ausserdem waltet 
in den „Heiligen^^ der Geist Gottes mit seinen Gaben, der zu- 
dem noch besondere „Propheten und Lehrer^^ erweckt, welche 
Mitteilungen zur Erbauung der Anderen erhalten und deren 
Anweisungen Gehorsam zu leisten ist; 

6. Der christliche Gottesdienst ist ein geistiger Opferdienst 
ohne Ceremonien und statuarische Regeln; die heiligen Hand- 
lungen imd Weihen, die mit dem Kultus verbunden sind, 
haben ihren Wert darin, dass geistige Güter mitgeteilt werden 
(Didache 10: ij^tv dh ixaQLöco^ deeTCora^ Ttvsv^atiTciiv tQOtpiiv 
xal notbv xal ^ayfiv- althvLOv diä rot) Ttacdög öov)] 

7. Die durch Geschlecht, Alter, Bildung, Nation zwischen 
den Menschen gezogenen Schranken fallen für die Christen als 
Christen weg; die christliche Gemeinde beruht auf göttlicher 
Auswahl und ist organisirt durch die Geistesgaben; über die 
Begründung der Auswahl waren die Meinungen geteilt; 

8. Da das Christentum die allein Wahre Religion und 


30 Vorbereitimg der Entstehung des Dogmas. L§ H- 

keine nationale Religion ist; yielmehr der ganzen Menschheit 
resp. ihrem Kerne gilt, so folgt, dass es mit dem jüdischen 
Volk und dessen derzeitigen Kultus nichts gemeinsam haben 
kann. Das jüdische Volk hat mindestens zur Zeit kein Guaden- 
verhältniss zu dem Gott, dessen Oflfenbarer Jesus gewesen ist; 
ob es früher ein solches besessen hat, ist zweifelhaft (vgl. hier 
z. B. die Stellung Marcion's, des Valentinianschülers Ptolemäus, 
des Verf. des Bamabasbriefs, des Aristides und des Justin), 
gewiss aber ist, dass es jetzt von Gott verworfen ist, und dass 
alle Gottesoflfenbarungen, sofern solche vor Christus überhaupt 
stattgefunden haben (die Mehrzahl nahm solche an und be- 
trachtete das A. T. als heilige Urkunde), ledigUch auf die Be- 
rufung des „neuen Volkes" abzielten und die Offenbarung 
Gottes durch seinen Sohn vorbereiten sollten. 

Drittes Kapitel. 

Der Gemeinglaube und die Anfänge der Erkenntniss in dem 
zum Katholicismus sicli entwickelnden Heidenchristentum. 

§11. 

Die Schriften der sog. apost. Väter (Ausgabe von Gebhardt, Habnack 
und Zahn 1876 ff.)» ^i® Lehre der zwölf Apostel (Ausgabe von AHabkack 
1884, kl. Ausgabe 1886), Die Fragmente des Kerygmas Petri u. a. ver- 
lorener uralter Schriften (s. AHilgenfeld, Nov. Testam. extra can. recept. 
fasc. 4. edit. II 1884), Eückschlüsse aus den Werken der Apologeten 
des 2. Jahrhunderts, aus Irenäus und Clemens Alex. Auch die Frag- 
mente der Gnostiker können mit Vorsicht herbeigezogen werden, anderer- 
seits die paulinischen Briefe, besonders der 1. und 2. Eor. (s. GHeinbici, 
Kommentar II S. 667 ff.). — ARitschl, Entstehung d. altkath. Kirche. 
2.Aufl.l857. — MyEnoblhardt, Das Christentum .Tustins.1878. — OPfleideber, 
Das Urchristentum, 1887. Monographien über die apostolischen Väter: 
Zu I Clemens: BLipsius, JBLightpoot [genauester Kommentar], WWrede; 
zu II Clemens: AHabnack in ZKG I 1877; zu Barnabas: JMüllbr; zu 
Hermas: ThZahn, EHückstÄdt, ALink; zu Ignatius und Polykarp: 
JBLiöHTPooT [vorzüglicher Kommentar], ThZahn. 

1. Die Gemeinden und die Kirche. Sowohl dem Um- 
fange als der Bedeutimg nach bildeten den Stamm der Christen- 
heit die in geordneten Gremeinden stehenden Bekenner des 
Evangeliums, die das A. T. als die göttliche Oflfenbarungs- 
Urkunde anerkannten und die evangelische Überlieferung als 
eine öflfentliche Botschaft für Alle schätzten und ohne Um- 
deutung rein \md treu festhalten wollten. Jede Gemeinde 


§ 11.] Der heidenchristlicbe Gemeinglaube. 31 

sollte durch die Kräftigkeit des Glaubens^ die Gewissheit, der 
HoffiauDg, die heilige Ordnung des Lebens, sowie durch Liebe 
und Frieden ein Abbild der heiligen Kirche Gottes sein, die 
im Himmel ist und deren Glieder auf Erden zerstreut sind; 
sie sollte femer durch Reinheit des Wandels und thatkräftigen 
Brudersinn den „Auswärtigen" d. h. der fremden Welt ein 
Muster sein. In der jüngst entdeckten „Apostellehre" tritt 
uns der Literessenkreis der noch nicht philosophisch beein- 
flussten Gemeinden deutlich entgegen. Sie fühlten sich als 
Fremdlinge auf Erden, harrten auf die Wiederkunft Christi,' 
schärften ein heiliges Leben ein („Zwei Wege'^, Abhängigkeit 
der Sittenregeln von der jüdisch-alexandrinischen Gnomik und 
der Bergpredigt) und wussten sich, ohne gemeinsame politische 
Verbindung, als zu der neuen und doch uralten Schöpfung ge- 
hörig, der Kirche, der wahren Eva, der Genossin des himm- 
lischen Christus (Ep. Petri ad Jacob. 1: slg d'sog^ slg vö^iog^ 
fiia iknig. TertulL, Apolog. 39: corpus sumxis de conscientia 
religionis et disciplinae unitate et spei foedere. 11 Clem. 14: 
jtovovvtsg tb d^skr^fia tov TCatQbg 'fifi&v iöö^sd'a ix xfig ixxlrj- 
6Lag tilg Tt^mtrig rfig Ttvsv^arixrig^ tfjg tcqö tjXvov xccl 6eli^vrig 
ixri6iisvrig . . . ixxXrjöLa ^Giöa 6&ficc i6xi XQL6tov' kiysi yäq 
il yQaif^' i%oCri6£v 6 ^eog thv avd^QCOTtov ccQöav xal d'rj^v' ro 
aQtfsv itftlv 6 XQL6t6g^ tb d"ilkv fj ixxXri^ta. Valentin bei 
Clemens Alex., Strom. V, 6, 52: 6 kabg 6 rov iiyaTtrunivov b 
g)Lkov^6vog xal tpiXwv avtöv). 

2. Die Grundlagen des Glaubens d. h. des Bekennt- 
nisses zu dem einen Gott (Hermas, Mand. 1 formulirt nur 
das monotheistische Bekenntniss), zu Jesus als dem von Gott 
gesandten ömriiQ xal aQxvy^S f^VS &(p^aQ6iag (resp. auch zu 
dem h. Geist), bildeten das christlich gedeutete A. T. sammt 
den Apokalypsen und die fortwährend noch bereicherten Über- 
Heferungen von Christus (ethische und eschatologische Herm- 
worte einerseits, Verkündigung der Geschichte Jesu anderer- 
seits). Der Weissa,gungsbeweis war die Theologie. Daneben 
wurden schon frühe kurze Bekenntnissformeln zusammengestellt 
(^ jcagdSoöigy 6 Jtagadod'slg Xöyog^ 6 xavG}v tilg ^ccQccSööecjgj 
tb XT^Qvy^a^ i^ dtdaxt^y rj jtLötLg^ 6 xavcov tilg m6t£cog etc.)» 
Die römische Gemeinde hat höchstwahrscheinlich kurz vor 150 
folgendes Bekenntniss gebildet und bei der Taufe gebraucht: 
m^tBVGi slg d'sbv JtatsQa TtavtoxQcctOQa ' xal eig XQi6tbv 'IrjöovVy 


32 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ H- 

vibV' aiiroi) rbv iiovoysvri^ rbv xvqlov tjii&Vj xov ysvvrjd'svra 
ix Tcvsv^cctog äyCov xal MaQiccg tilg TtccQd'svov^ rbv btcX IJovriov 
IliXdxov 6ravQ(o%'Bvra tcccI xatpivxa^ tri tQtrrj '^I^bqüc ava^xdvra 
ix VEXQ&v^ avccßdvrcc Big rovg ovgavovgy xccd"i]^Bvov iv ÖBi^iä 
%ov TtazQÖg^ od'Bv BQiBxai XQivat t,G)vtag xal vBXQOvg' xal Big 
^vBVfia ayiov^ ayiccv ixxXrj^iav^ ccfpBöiv &iiaQtiä)v^ öagxbg avcc- 
6rcc0iv. Alle Überlieferungen von Christus, im A. T. (dem Ur- 
evangelium) geweissagt, wurden auf das einstimmige Zeugniss 
der Zwölfapostel zurückgeführt (8i8a%ii xvqiov diä r&v iß 
ccTtoöröXcov). Die Entstehung dieser Instanz, in der die An- 
fänge des katholischen Traditionsbegriffes gegeben sind, ist 
geschichtlich dunkel und beruht mindestens zum Teil auf einem 
a priori. Neben ihr steht, zunächst ohne Verbindung, Paulus 
mit seinen Briefen, die übrigens fleissig gelesen worden sind. 
Das „einstimmige Zeugniss'^ der Apostel und die Lehre Jesu 
wurden fast yollkommen identifizirt — diese Identifizirung, 
der die richtige Erkenntniss zu Grunde liegt, dass das apo- 
stolische Zeugniss die Predigt Jesu ergänzt und daher nicht 
zu missen ist, legte den Grund zu den bedenklichsten Ent- 
wickelungen der Folgezeit. 

3. Die Hauptstücke des Christentums waren 1) der 
Glaube an Gott, den dB07t6xrig^ und an den Sohn auf Grund 
des Weissagungsbeweises und der apostolisch bezeugten Herrn- 
lehre, 2) die Disziplin nach Massgabe der Herrnworte, 3) die 
Taufe, 4) das gemeinsame im Abendmahl kulminirende Gebets- 
opfer und die heilige Speise, 5) die sichere Hoffnung auf das 
nahe, herrliche Reich Christi. Die Glaubenserkenntnisse waren 
sehr mannigfaltig; noch gab es keine geschlossene Glaubens- 
lehre; Phantasie, Spekulation und geistreiche Deutung des A. T. 
hatten den weitesten Spielraum; denn den Geist sollte man 
nicht dämpfen. Bamabas (ep. 16, 9) unterscheidet noch aus- 
drücklich zwischen dem loyog xov ^bov xijg Tti^xEcjg (der 
eigentlichen dida%ri) und der 6oq)Ca^ övvBöig^ i^i6xi]iiri^ yv&öig 
(ähnlich Hermas). In den kultischen Gebeten kam zum Aus- 
druck, was die Gemeinde an ihrem Gott und Christus besass; 
und die Aufgabe, die Welt in Hoffnung auf das Jenseits preis- 
zugeben, erschien als die praktische Seite des Glaubens selbst. 
Die Auffassungen vom Heil gruppirten sich um zwei Mittel- 
punkte, die selbst nur lose mit einander verbunden waren, 
und von denen der eine mehr die Stimmimg und Phantasie, 


§11.] Der heidenchriBtliche Gemeinglaube. 33 

der andere die Gedanken bestimmt hat. Einerseits nämlich 
galt als das Heil das bevorstehende herrliche Reich Christi, 
das eine Preudenzeit fiir die Gerechten auf Erden herauf- 
fahren werde (selbst die sinnlichen jüdischen Vorstellimgen 
wurden aus den Apokalypsen übernommen: Chiliasmus, daher 
Interesse an der Auferstehung des Fleisches). Andererseits 
erscheint das Heil in der sicheren und vollständigen Er- 
kenntniss Gottes (und der Welt) gegenüber dem Irrtum des 
Heidentums gegeben, und diese Erkenntniss schliesst zugleich 
die gläubige HofiBüung (%L6rcg) auf das Geschenk des Lebens 
und alle denkbaren Güter in sich (von hier aus fällt ein 
schwächerer Accent auf die Auferstehung des Fleisches). Von 
diesen Gütern besitzt die Gemeinde die Sündenvergebung und 
Gerechtigkeit schon jetzt, sofern sie eine Gemeinde der Heiligen 
ist. Aber beide Güter scheinen in ihrem Werte durch eine 
moralistische Betrachtimg gefährdet, nach der das ewige 
Leben der Lohn und die Vergeltung für ein wesentlich aus 
eigener Kraft zu leistendes, vollkommenes sittliches Leben ist. 
Zwar ist der Gedanke noch wirksam, dass die Sündlosigkeit 
auf einer sittlichen Neuschöpfung (Wiedergeburt) beruht, die 
in der Taufe zu Stande kommt (s. besonders Bamabas); aber 
er ist überall in Gefahr, von dem anderen verdrängt zu werden, 
nach welchem es neben der aufgeschlossenen Erkenntniss und 
dem für die Zukunft zugesicherten ewigen Leben ein weiteres 
Heilsgut nicht giebt, vielmehr nur eine Summe von Ver- 
pflichtungen, in denen sich das Evangelium als das neue 
Gesetz (der asketischen Heiligkeit und der Liebe) darstellt. 
Die Christianisirung des A. T. leistete dieser griechischen 
Auffassung Vorschub. Zwar war noch ein Sinn dafür vor- 
handen, dass das Evangelium, auch sofern es vö^og ist, ein 
geschenktes Heil umfasse (vöiiog avav ^vyov ävayxrig^ Bar- 
nabas — vöfiog rrig iksvd'EQtag^ Jakobus — Christus selbst 
das Gesetz, Hermas); aber diese Vorstellung ist stets unsicher 
gewesen und allmählich abhanden gekommen. Die Ausprägimg 
des Evangeliums in den- Begriffen yvm6ig (Gott und Welt), 
mayyeXCa (ewiges Leben), v6^og (sittliche Verpflichtung) er- 
schien ebenso deutlich wie erschöpfend, und in jeder Beziehimg 
sollte dabei die TcCötig gewahrt bleiben, die sich sowohl in 
der Erkenntniss, als in der Hoffnung, als in dem Gehorsam 
darstellt, im Grunde aber nur TCiöng rfig xki^6e(og ist, ein 

Grundrisa IV. iii. Habxack, Bogmengeschichte. 2. Aufl. 3 


34 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 11. 

Vorläufiges, da das Heilsgut (sowohl die ßa^ikda xov d-sov^ 
als die aq)d'ccQ6ca) in die Zukunft fallt. 

h\ der Hofl&iung auf jene ist das Heil als in einer Ge- 
meinschaft sich verwirklichend vorgestellt, dagegen erscheint 
es bei der moralistisch-gnostischen Betrachtung als ein in- 
dividuelles, und Lohn und Strafe werden koordinirt ge- 
dacht, was eine Entleerung des christlichen Grottesbegriffs zur 
Folge hatte. Die moralische Betrachtung der Sünde, Sünden- 
vergebung und Gerechtigkeit tritt bei Clemens, Bamabas und 
Polykarp hinter paulinischen Formeln zurück; aber die Un- 
sicherheit, mit der diese reproduzirt werden (s. bes. I Clem. 
10 sq. u. soüst), zeigt, dass sie nicht eigentlich verstanden 
sind. Bei Hermas und H Clemens ist Ursache der Sünden- 
vergebung die spontan zu leistende iisrdvoLa, Die weitver- 
breitete Vorstellung, dass Getauften schwere Sünden iimerhalb 
der Kirche nicht vergeben werden können (oder doch nur auf 
Grund einer besonderen göttlichen Erlaubniss), leichte -Sünden 
aber nachsichtig übersehen werden, zeigt den vollen Übergang^ 
zu einem theoretisch flachen Moralismus, der indess durch den 
apokalyptischen Enthusiasmus noch verdeckt war. 

4. Das A. T. als Quelle der Glaubenserkenntnis» 
diente 1) zur Entwickelung der monotheistischen Kosmologie, 
2) zur Darlegung des Weissagimgsbeweises und des Alters des 
Christentums („älter als die Welt''), 3) zur Fimdamentirung 
aller kirchlichen Gedanken, Riten und Anordnimgen, die man 
nötig hatte, 4) zu wirklicher Vertiefung des Glaubenslebens. 
(Psalmen und prophetische Stücke), 5) zur Widerlegung des 
Judentums als Nation d. h. zum Nachweise, dass dieses Volk 
von Gott verworfen sei, entweder nie einen Bund mit ihm 
gehabt habe (Bamabas) oder nur einen Zombund oder den 
Bund verloren habe, dass es das A. T. nie verstanden habe 
und deshalb aus dem Besitze desselben geworfen sei, wenn es 
je im Besitze gewesen ist (die Stellung der Grosskirche zum 
jüdischen Volk imd seiner Geschichte scheint ursprünglich 
ebenso verschieden gewesen zu sein, wie die Stellung der 
Gnostiker zum A. T.). Ansätze zu Korrekturen des A. T. im 
christlichen Sinn haben ursprünglich nicht gefehlt; sie sind 
durch die Schöpfimg des N. T. überflüssig geworden. Dieses 
hat den Wortlaut des A. T. geschützt. 

5. Die Glaubenserkenntniss war vor Allem Erkenntniss 


§ 11.] Der heidencliristliclie Gemeinglaube. 35 

Gottes als des Einzigen, des Überweltlichen, des Geistigen 
und Allmächtigen: Gott ist der Schöpfer und Regierer der 
Welt und deshalb der Herr. Aber wie er die Welt als ein 
schönes, geordnetes Ganze (monotheistische Naturbetrachtung) 
um der Menschen willen geschaffen hat, so ist er auch zu- 
gleich der Gott der Güte und der Erlösung (d'sbg 6(or7]Q\ 
und erst in der Erkenntniss der Identität des Schöpfer- und 
Erlöser-Gottes vollendet sich der Glaube an Gott als den 
Vater. Erlösung aber war notwendig, weil die Menschheit 
und die Welt gleich im Anfang unter die Herrschaft böser 
Dämonen geraten ist. Eine allgemein giltige Theorie über 
den Ursprung dieser Herrschaft war keineswegs vorhanden; 
aber gewiss und allgemein war die Überzeugung, dass der 
gegenwärtige Weltbestand und Weltlauf nicht Gottes, sondern 
des Teufels sei. Doch Hess der Glaube an den allmächtigen 
Schöpfer und die Hoffnung auf die Verklärung der Erde den 
theoretischen Dualismus nicht aufkommen, während der 
praktische die Stimmung beherrschte. Die Welt ist gut und 
ist Gottes, aber der Weltlauf ist des Teufels. So wechselte 
man zwischen der Betrachtung der Welt als eines schönen 
planvollen Ganzen und zwischen den Eindrücken der Schlechtig- 
keit des Weltlaufes, der Gemeinheit alles Sinnlichen und der 
Herrschaft, der Dämonen in der Welt. Wie die Predigt Christi 
selbst, so umschloss auch das Christentum der ältesten Kirche 
ruhende (Erkenntniss Gottes, Ergebung in den Weltlauf, Demut, 
Geduld) und impulsive Elemente (Chiliasmus; Feindschaft 
gegen den Staat; aggressive Weltflucht und Askese). Jene 
gaben in der Regel den Kurs, diese den Dampf; indessen wurde 
der Kurs doch stark durch die impulsiven Elemente beeinflusst. 
6. Der Glaube an Jesus Christus als den Erlöser 
war mit dem Glauben an Gott, den Erlöser, aufs Engste 
zusammengeschlossen. Jesus ist xvQtog und (yorijp wie Gott, 
und häufig brauchte man diese Worte, ohne anzugeben, ob 
man ihn oder Gott selbst meine; denn in dem Offenbarer und 
Vermittler des Heils (Jesus) stellt sich der Urheber (Gott) 
selbst dar (Heils wille und Heilsoffenbarung decken sich); doch 
richtete man die Gebete in der Regel an Gott durch Christus. 
Diese Bezeichnung Jesu („Christus'^ wurde freilich zu einem 
blossen Namen, da man für die Bedeutung des „Messias'^ über- 
haupt kein Verständniss hatte. Also mussten die Heidenchristen 

3* 


36 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§11. 

die Würde Jesu durch andere Mittel zum Ausdruck bringen; 
allein in. der eschatologischen Gedankenreihe besass man doch 
wertvolle Reminiscenzen an die ursprüngliche Auffassimg der 
Person Jesu. In dem Bekenntniss, dass Gott Jesum erwählt 
resp. bereitet habe, dass er der „Engel" (der Verf. der ep. ad 
Diognetum und die Apoc. Zephanjae lehnen diesen Ausdruck 
ab) und „Knecht" Gottes sei, dass er die Menschen richten 
werde, und in ähnlichen Ausdrücken kamen noch Aussagen 
über Jesus zum Ausdruck, die der Grundvorstellung ent- 
stammen, dass er der von Gott berufene und mit einem Amt 
betraute Christ sei. Daneben war eine überkommene, doch 
allmählich zurücktretende Bezeichnung „der Lehrer". 

Überkommen und ohne Schwanken festgehalten war aber 
auch die Bezeichnung „Gottessohn" (nicht „Menschensohn"). Aus 
ihr ergab sich unmittelbar, dass Jesus in die Sphäre Gottes 
gehöre, und dass man über ihn denken müsse „cb? jibqI -O-fcö" 
(11 Clem. 1). In dieser Formulirung ist in klassischer Weise 
die indirekte theologia Christi, über die kein Schwanken 
bestand, ausgedrückt. Man muss aber über Jesus denken 
wie über Gott, 1) weil er der von Gott erhöhte Herr und 
Richter ist, 2) weil er Erkenntniss und Leben gebracht hat 
und die Menschen aus der Dämonenherrschaft, aus Irrtum und 
Sünde herausführt, resp. fuhren wird. So ist er öcornJQ^ xvQtog^ 
^sbg ii^mv^ dei films ac deus, dominus ac deuSy aber nicht 6 %^£6g 
(starke Polemik gegen diesen Ausdruck Clem. Hom. XVI, 15 sq.). 
Er ist „unsere Hofl&iung", „imser Glaube" der Hohepriester 
unserer Gebete, unser Leben. 

Auf diesem Grunde gab es sehr verschiedene Auf- 
fassungen von dem Wesen Jesu, welche sämmtlich eine ge- 
wisse Analogie zu den griechischen „Theologien", den naiven 
und den philosophischen, aufweisen, aber noch keine allgemein 
giltige Lehren. Zwei Haupttypen lassen sich hier unter- 
scheiden: Jesus galt als der Mensch, den Gott sich erwählt, 
in dem der Geist Gottes (die Gottheit selbst) gewohnt hat, 
und der nach seiner Bewährung von Gott adoptirt und in 
eine Herrscherstellung eingesetzt worden ist (adoptianische 
Christologie), oder Jesus galt als ein himmlisches Geist- 
wesen (resp, das höchste himmlische Geistwesen nach Gott, 
der „zweite" Gott, der aber eine Einheit mit Gott bildet), 
welches Fleisch angenommen hat und nach Vollendung seines 


§ 11.] Der heidenchristliche Gemeioglaube. 37 

Werkes auf Erden wieder in den Himmel zurückgekelirfc ist 
(pneumatische Christologie; hier war der Übergang zur 
Logoschristologie einfach). Diese beiden verschiedenen Christo- 
logien (der von Gott berufene, ausgerüstete, im Gehorsam sich 
bewährende imd deshalb zu göttlicher Herrscherstellung er- 
hobene Mensch und das in Menschengestalt erschienene gött- 
liche Wesen) rückten sich aber in dem Momente sehr nahe^ 
wo man den in den Menschen Jesus eingepflanzten Geist 
Gottes als den praexistenten Sohn Gottes fasste (Hermas), 
und wo man andererseits den Titel „Gottes Sohn" für jenes 
(in seiner Präexistenz mehr oder weniger unbestimmte) pneu- 
matische Wesen erst von der (wunderbaren) Zeugung ins 
Fleisch ableitete — beides aber war die Regel. Trotz dieser 
Übergangsformen lassen sich aber doch die beiden Christo- 
logien deutlich unterscheiden: für die eine ist die Erwählimg 
(Wertlegen auf den wunderbaren Vorgang bei der Taufe) imd 
das „zum Gott Werden", für die andere ein naiver Doketismus 
charakteristisch; denn eine Zwei-Naturen-Lehre gab es noch 
nicht (entweder schien die Gottheit als eine Gabe oder das 
menschliche Fleisch als zeitweilige Hülle, die über die Gott- 
heit gezogen ist). — Die Formel, Jesus sei purer Mensch 
(^tAöff &v&Q(07tog) gewesen, galt imzweifelhaft von Anfang an 
und allezeit als anstössig; ebenso die Leugnung des „^1/ öaQXi^'] 
nicht mit derselben Sicherheit aber wurden Formeln verworfen, 
welche die Person Jesu einfach mit der Gottheit identifizirten 
(naiver Modalismus; „er hat sich in einen Menschen ver- 
wandelt" so die Apoc. Zephan.). Allein eine förmliche Theorie 
der Identität von Gott und Jesu scheint es in weiteren kirch- 
lichen Kreisen nicht gegeben zu haben (Justin hat sie aus- 
drücklich verworfen); die Annahme der Existenz mindestens 
eines* himmlischen, ewigen Geistwesens neben Gott war durch 
die ATlichen Schriften, wie man sie verstand, schlechthin ge- 
fordert, so dass auch solche (z. B. Hermas) dieselbe aiierkennen 
mussten, die für die Christologie auf jenes himmlische Wesen 
zu reflektiren keinen Grund hatten. 

Die pneumatische Christologie ist überall dort zu finden, 
wo man sich mit dem A. T. eingehend beschäftigte imd der 
Glaube an Christus als den vollkommenen Offenbarer Gottes 
im Vordergrund stand, d. h. bei allen bedeutenden und ge- 
bildeteren christlichen Schriftstellern (nicht bei Hermas, wohl 


S8 Yorbereituiig der Entstehung des Dogmas. [§ 11. 

aber bei Clemens , Bamabas, Ignatius, dem Verfasser des 
Kerygma Petri u. s. w.). Weil sie durch die damalige Aus- 
legung des A. T. geradezu gefordert schien, weil sie allein es 
gestattete, Schöpfung und Erlösung enge zusammenzuschliessen, 
weil sie den Beweis lieferte, dass die Welt und die Religion 
auf demselben göttlichen Grunde ruhen, weil die geschlitztesten 
Schriften der christlichen Urzeit sie vertraten, weil sie endlich 
Raum bot, um die Spekulationen vom Logos einzufügen (diese 
Bezeichnimg bei Ignat., ad Magn. 8, 2, in dem Kerygma Petri, 
in den alten Johannes-Akten, bei den Apologeten; der Verf. 
der Altere. Jasonis et Papisci fasst Genes. 1, 1 iv agx^ = iv 
vCw. Celsus bei Orig. 11, 31: „Die Christen behaupten, der 
Sohn Gottes sei zugleich dessen leibhaftiges Wort.'' In den 
Johanneischen Schriften findet sich keine Logosspekulation, 
sondern der geläufige Ausdruck wird aufgegriffen, um zu 
zeigen, dass er in dem erschienenen Jesus Christus seine Wahr- 
heit hat), so gehörte dieser Christologie die Zukunft. Die adop- 
tianische Christologie aber erwies sich als unzureichend gegen- 
über jeder Reflexion auf das Verhältniss der Religion zum 
Kosmos, zur Menschheit und zu ihrer Geschichte, sowie zum 
A. T. So haben denn auch die Vertreter der pneumatischen 
Christologie diese nicht als ein schwankendes Theologumenon 
vertreten; vielmehr zeigen ihre Ausführungen (Clemens, 
Ignatius, Barnabas, Justin), dass sie sich ein Christentum 
ohne den Glauben an das göttliche Geistwesen Christus nicht 
zu denken vermögen. Dagegen wird in den uns erhaltenen 
liturgischen Stücken und Gebeten die Präexistenz wenig berück- 
sichtigt; es genügt, dass Jesus jetzt der anzubetende x'Öqios ist. 
Die Vorstellimgen vom Werk Christi (Christus als Lehrer: 
Beschaffung der Erkenntniss, Aufstellung des neuen Gesetzes; 
Christus als Heiland: Beschaffung des Lebens, Dämonenbesie- 
gung, Vergebung der in der Zeit des fcrtums begangenen 
Sünden) wurden von den Einen der Überlieferung gemäss 
(Benutzung paulinischer Briefe) an den Tod und die Auf- 
erstehung geknüpft, von den Anderen ohne Verbindung mit 
diesen Thatsachen behauptet. Selbständige Reflexionen über 
den Zusammenhang des Heilswerks Christi mit den im Kerygma 
verkündeten Thatsachen findet man kaum irgendwo; doch 
wirkte die Vorstellung von dem freiwillig übernommenen Lei- 
den, vom Kreuze imd vom Blute Jesu in weiten Kreisen wie 


§ 11.] Der heidencbristliche Gemeinglaube. 39 

ein heiliges Mysterium, in dem die tiefste Weisheit und Ej*aft 
des Evangeliums verschlossen sei (Ignatius), wenn auch 
Kreuzestod und Sündenvergebung keineswegs überall (wie bei 
Clemens, Polykarp und Bamabas) in eine Verbindung ge- 
setzt wurden (am wenigsten weiss davon Hebmas, der sich 
Sim. V, 6, 2 mit dem Satze begnügt: Kai airbs tag &iiaQriccg 
axrt&v ixad^dQLöe %okkä xoTCcd^ag %al Tcokkoiyg xoxovg ^mXrj- 
xAg), Die Eigentümlichkeit und Einzigkeit des Werkes des 
geschichtlichen Christus wurde zudem durch die Annahme 
bedroht, Christus sei bereits im A. T. Offenbarer Gottes gewesen. 

Was die Thatsachen der Geschichte Jesu betrifft, die 
wirklichen und die geglaubten, so gab ihnen die fortgesetzte 
Wiederholung im Unterricht und der Angriff der Häretiker 
eine grosse Bedeutung. Zu der wunderbaren Geburt, dem 
Tode, der Auferstehung, der Erhöhung und der Wiederkimft 
trat jetzt erst bestimmt die Himmelfahrt am 40. Tage und 
— unbestimmter — die Niederfahrt in das Totenreich hinzu, 
während die Taufgeschichte mehr und mehr zurücktrat. Die 
Thatsächlichkeit dieser Stücke wurde mit Nachdruck behauptet; 
aber „Dogmen" waren sie noch nicht; denn weder waren sie 
mit der Auffassung vom Heilsgut in eine unlösliche Verbin- 
dung gesetzt, noch waren sie in ihrem Umfang sicher gestellt, 
noch waren der Phantasie in der Ausmalung und Auffassung 
Schranken gezogen. 

7. Dass die Gottesverehrung (s. bes. die letzten Kapp, 
der 1. Apol. Justins und die Didache) eine rein geistige sein 
müsse ohne Ceremonien, stand fest (Kerygma Petri: Kaivmg 
xhv d'€ov diä tov XQL0tov öeßö^sd'a). Aller Gottesdienst galt 
als geistiges Opfer (des Dankes), begleitet von Fasten imd 
Thaten barmherziger Liebe. Als Opfer im engsten Sinn galt 
das Hermmahl (Eucharistie), und Alles, was mit ihm in Zu- 
sammenhang gesetzt wurde (z. B. die Armenunterstützung), 
wurde in die Opferidee einbezogen. Von hier aus erhielt trotz 
der prinzipiellen Geistigkeit Statutarisches doch einen weiten 
Spielraum. Unter der Betrachtung des Symbolischen wurden 
die den Hellenen unentbehrlichen „Mysterien^' etablirt. Die 
Taufe im Namen des Vaters, Sohnes und Geistes (diese For- 
mel ausser im Matth. auch bei Paulus, I Clem. 58 u. s. w.) 
galt als das Mysterium, durch welches die Sünden der Blind- 
heit vöUig beseitigt werden (Kreuzestod und Taufe verbunden 


40 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§11- 

bei Bamabas und Melito), welches aber darüber hinaus nur 
Verpflichtungen auferlegt (Todsünden nach der Taufe galten 
als unvergebbar, doch wurde Gott die Verzeihung vorbehalten^ 
der sie hier und da auch schon auf Erden durch Inspirirte 
vollzieht. Die Idee und Praxis einer einmaligen „zweiten 
Busse^ aus der Not geboren, verbreitete sich indess doch und 
wurde durch das prophetische Buch des Hermas begründet)» 
Die Taufe hiefs efcpQaytg und g)(otc6ii6g (wahrscheinlich anfangs 
keine Kindertaufe); die Verbindung der Taufe mit der Aus- 
rüstung mit dem h. Geist wurde imsicher. Das Abendmahl 
galt als cpccQiiaxov ad-avaefiag^ als geheimnissvolle, reale Mit- 
teilung der Gnosis imd des Lebens (s. die Abendmahlsgebete 
in der Didache; die Sündenvergebung ist hier nicht erwähnt); 
es war zugleich Gemeindemahl und Opfermahlzeit; Gebrauch 
des Wassers statt Weins war nicht ausgeschlossen (Texte u. 
Unters, z. altchristl. Litt.-Gesch. VII, 2). Realistisches und Sym- 
bolisches verschwammen in ihm, ebenso wie die Ideen der 
Gabe und der Opferleistung. Hellenische Vorstellungen drangen 
hier frühe ein (s. Ignatius, Justin, Apol. I Schluss, EHatch, 
The influence etc. p. 19 sq., JWFHöfling, Die L. d. ältesten 
K. vom Opfer. 1851). 

Die Verfassungszustände der Gemeinden übten bis 
c. 150 keinen Einfluss auf die Glaubensvorstellungen aus. 
Doch war in der Hochschätzung der Apostel, Propheten und 
Lehrer die Grundlage für spätere Entwickelungen gegeben; 
femer behauptet schon Ignatius, dass die Stellung zum 
Bischof entscheidend sei für die Stellung zu Gott und Christus, 
und andere Lehrer schärfen ein, dass man in Allem den 
„Alten^', den Apostelschülem, folgen müsse. 

Diese Übersicht zeigt, dass die entscheidenden Prämissen 
für die Entwickelung der katholischen Glaubenslehre schon 
vor der Mitte des 2. Jahrhunderts und vor dem brennenden 
Kampf mit dem Gnosticismus vorhanden gewesen sind. 

Die Urkunden, die uns aus dem 1. Jahrh. der Heidenkirclie er- 
halten sind, sind dogmengescMchtlicli sehr verschieden. In der Didache 
besitzen wir einen Katechismus für das christliche Leben, abhängig 
von einem jüdisch-griechischen Katechismus, das spezifisch Christliche 
in den Gebeten und der Kirchenordnung zum Ausdruck bringend. Der 
Barnabasbrief, wahrscheinlich alexandrinischen Ursx^rungs, lehrt die 
richtige (christliche) Deutung des A. T., verwirft die wörtliche Deutung 


§11.] Der heidencliristliclie Gemeinglaube. 41 

und das Judentum als teuflisch und folgt in der Christologie wesent- 
lich dem Paulus. Dieselbe Christologie vertritt auch der römische 
1. Clemensbrief, der auch sonst paulinische Eeminiscenzen (Versöh- 
nung und Rechtfertigung) enthält, sie aber in eine moralistische Denk- 
weise einstellt. Diese ist klassisch repräsentirt durch den Hirten des 
Hermas und den 2. Clemensbrief, in denen ausserdem das eschato- 
logische Element stark hervortritt. Die Christologie Jenes ist adoptia- 
nisch; der Verf. des 2. Clemensbriefes hat keine einstimmige Ch^sto- 
logie, sondern folgt verschiedenen Motiven. Die Theologie des Ignatius 
ist insofern die vorgeschrittenste, als er, Gnostiker bekämpfend, Heüs- 
thatsachen in den Vordergrund ruckt und seine Gnosis nicht sowohl 
auf das A. T. als auf die Geschichte Christi richtet. Er versucht es, 
Jesus Christus %axk nvsvfia und %atcc ßccQTia zum Mittelpunkt des 
Christentums zu machen. In diesem Sinne ist seine Theologie und 
Sprache der des Paulus und des 4. Evangelisten verwandt (besonders 
auffallend ist die Verwandtschaft mit Ephes.), christocentrisch und hebt 
sich stark von der seiner Zeitgenossen ab. Seine Geistesverwandten 
sind Melito und Irenäus, deren Vorläufer er ist. Er verhält sich zu 
ihnen wie später Methodius zur klassischen orthodoxen Theologie des 
4. und 5. Jahrhunderts. Diese Parallele trifft nicht nur formal zu; es 
ist vielmehr eine und dieselbe Geistesrichtung, die von Ignatius über 
Melito, Irenäus, Methodius, Athanasius, Gregor von Nyssa (hier aber 
mit Origenistischem vermischt) zu Cyrill von Alexandrien geht. Ihr 
Charakteristisches besteht darin, dass nicht nur die Person Christi als 
des Gottmenschen Mittelpunkt und Sphäre der Theologie büdet, sondern 
dass auch alle Hauptstücke seiner Geschichte Mysterien der Welt- 
erlösung sind, s. ad Ephes. 19. Ignatius aber ist auch dadurch aus- 
gezeichnet, dass man aus seinen Briefen hinter allem Enthusiastischen, 
Abrupten und wiederum liturgisch Formelhaften ein wahrhaftiges Christus- 
pathos heraushört. Er ist von Christus ergriffen; vgl. ad Rom. 6: insZvov 
tritm, xbv (nesQ Tificbv &7eo&av6vrcc, instvov ^eXm^ rbv di' ijfiäg &vcc6rdvta. 
7: 6 ifibg ^Qcag ietavQonai %al oi)% %6xtv iv ifiol tcvq q)iX6vXov. Als 
Probe seiner theologischen Sprache und seiner Glaubensregel s. ad 
Smym. 1: ivSriGa 'bfi&g HcctriQttGfiivovg iv &%tvi/it(p nlatSL, mansQ %ad^- 
tmfjLivovg iv rd» atavQfp rov -nv^iov 'Iriaov Xgiatov aagyii ts %ccl nvsvfiavi 
xal TidQaGfisvovg iv äydicri iv ro5 atiiaxi Xgietov, TCsnXriQOcpOQrifiivovg slg 
xhv nifQiov TificbVj ScXji^'&g övta i% ysvovg jdaßld ^atoc «ra^xa, vlbv d'so^ 
wxtce. ^iXtifia nal Svwfiiv -O'aot;, y^ysvrniivov &Xri&&g ix. nagd'ivov^ ßsßa- 
yttiCfisvov {fTtb 'loidvvovj iva itXY^qcaQ'y n&ea 8iY.aiQüvvri vic' avtov, dlj}- 
^&g inl TLovtiov JJiXdtov xal ^Hgoadov xstQaQXOv 'nad'riXGjfiivov 'bnsQ 
fjfi&v iv aaQKL — &q>' ov xaQTCov '^ftstg, Scjtb rov d'BOfKxwxQlrov ocbtov 
ndO'ovg — , iva &q7j avaarifiov sig rovg ai&vag Stcc tijg dvocatdasoag slg 
to^g ayiovg xal niCTo^g wörov ehe iv 'lovdaiotg sltb iv %%'vbgiv iv kvl 
a&\Laxi tfjg inuXriaLag aifto^. Der Brief des Polykarp ist charakteristisch 
durch seine Abhängigkeit von älteren christlichen Schriftstücken (Paulus- 
briefen, I. Petr., I. Joh.), somit durch seine konservative Haltung in 
Bezug^auf die wertvollsten Traditionen. DasKerygmaPetri bezeichnet 
den Übergang aus der urchristlichen Schriftstellerei in die apologetische 
(Christus als v6itog und X6yog), 


42 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 12, 


Viertes Kapitel. 

Die Judenchristen und ihre Ausscheidung. 

§12. 

Hauptquellen sind verstreute Angaben des Justin, Origenes, Euse- 
bius und Hieronymus, femer die pseudoclementinischen Schriften. Litte- 
ratur: Fast alle Hauptschriften der BAim^schen Schule gehören hierher 
(zuletzt noch AHilobnfeld, Judentum und Juden-Christentum 1886) und 
die grosse Gegenschrift von ABitschl, Entsteh, der aJtkathol. Kirche.^ 
1857. — ThZahn, Gesch. des NTlichen Kanons II S. 668 fiL 

1. Das ursprüngliche Christentum ist seiner Erscheinung 
nach christliches Judentum gewesen, die Schöpfung einer uni- 
versalen Religion auf dem Boden der alttestamentlichen; 
daher behielt es auch, soweit es nicht heUenisirt wurde — 
und das ist niemals völlig geschehen — , die jüdischen Züge 
seines Ursprungs bei, vor Allem das A. T. als Offenbarungs- 
urkunde. Demgemäss ist jede Art der Ausbeutung des A. T. 
christlich, welche von dem Gedanken ausgehend, die Christen- 
heit sei das wahre Israel, das A. T. auf die christlichen Ein- 
richtungen und Lehren bezieht, einerlei ob dabei eine mehr 
realistische oder spiritualistische Auslegung befolgt wird. Die 
Frage nach den Prinzipien der Auslegung ist so lange ein 
innerkirchliches Problem, als der jüdischen Nation als solcher 
kein Vorrang eingeräumt und die Abschaffung der jüdischen 
Ceremonien und des Gesetzes behauptet wird. Daher ist die 
Bezeichnung „ Judenchris tentum^' ausschliesslich für solche 
Christen zu verwenden, welche im ganzen Umfang oder in 
irgend welchem Masse, sei es auch in einem Minimum, die 
nationalen und politischen Formen des Judentums und 
die Beobachtung des mosaischen Gesetzes ohne Umdeutung 
als für das Christentum, mindestens für das Christentum ge- 
borener Juden, wesentlich festhielten oder diese Formen zwar 
verwarfen, aber doch eine Prärogative des jüdischen Volkes 
auch im Christentum annahmen; sehr richtig Clem. Rom. 
Hom. XI, 16: i&v 6 &kX6(pvXog xbv vö^wv Tcgd^ti^ 'lovdaiög 
iötiv^ liil TCQtt^ag dh '''EkXrjv. (Keine Judenchristen sind z. B. 
Papias trotz des Chiliasmus, der Verf. der Didache trotz der 
Übertragung der alttestamentlichen Priesterrechte auf die 
christlichen Propheten, Hermas trotz der fehlenden altgriechi- 
schen Philosophie, die adoptianischen Christologen trotz der 


§ 12.] Die Judenchristen und ihre Ausscheidung. 43 

Verwerfiing des Logos ^ wohl aber Paulus wegen Rom. 11.) 
Die stärkere Ausbeutung des A. T.'s zu Gunsten der katho- 
liseben Kultus-, Lehr- und Verfassungsordnung ist so wenig 
ein Zeichen fortschreitenden Judenchristentums in der grossen 
Barche, dass sie vielmehr der fortschreitenden Hellenisirung 
parallel geht imd durch sie hervorgerufen ist. Die Formel 
„das neue Gesetz" in der katholischen Kirche ist nicht judaistisch, 
sondern antijudaistisch, liess aber freilich Baum, in steigendem 
Masse alttestamentliche Gebote in die Kirche einzuschleppen. 
2. Das Judenchristentum, einst ein mächtiger Gegner des 
Paulus, ist durch die Predigt dieses Apostels und anderer 
Lehrer sowie durch die eingeborene Kraft des Evangeliums 
überwunden worden. Durch den Fall Jerusalems wurde diese 
Überwindung, die der universalistischen Stimmung des Zeit- 
alters entgegenkam, besiegelt. Seitdem ist es kein Faktor 
in der Kirchengeschichte mehr gewesen, während das Juden- 
tum ein solcher geblieben ist (Einfluss des Judentums auf 
die Kirchen des äussersten Orients und des Südens im 4. und 
5. Jahrb.). Aber Judenchristen (Ebioniten, Nazaräer) erhielten 
sich lange, imd unter ihnen dauerten die Unterschiede fort, 
die sich schon im apostolischen Zeitalter ausgebildet hatten. 
Von der grossen Kirche ursprünglich nicht durch „Lehren", 
sondern durch die Grundsätze des sozialen kirchlichen Lebens, 
der Sitte und der Missionspraxis geschieden, waren unter 
ihnen selbst folgende Punkte kontrovers: 1) ob die Gtesetzes- 
beobachtung eine oder die entscheidende Bedingung für den 
Empfang des messianischen Heiles sei, 2) ob sie auch von 
den im Heidentum geborenen Christen zu fordern sei, um sie 
als Christen anerkennen zu können, 3) ob imd in wie weit 
man Gemeinschaft mit Heidenchristen, die das Gesetz nicht 
halten, pflegen dürfe, 4) ob Paulus ein erwählter Diener Christi 
oder ein gottverhasster Eindringling gewesen sei, 5) ob Jesus 
ein Sohn Josephs gewesen oder vom h. Geist wunderbar ge- 
zeugt worden sei. Demgemäss gab es Schattirungen inner- 
halb des Judenchristentums (nicht zwei streng geschiedene 
Parteien, jedoch zwei Gruppen, eine altgläubige und eine fort- 
schreitende, „gnostischen" Einflüssen zugängliche, s. unt. sub 3). 
Litterarisch scheinen die von den Juden verstossenen altgläu- 
bigen Judenchristen wenig thätig gewesen zu sein; ihr Evan- 
gelium war das den Synoptikern verwandte Hebräerevangelium 


44 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 12. 

(Zeugnisse über sie resp. über ihr Eyangelium bei Justin^ 
Origenes, Eusebius, Hieronymus, Epiplianius). Noch Justin 
hielt die liberalen Judenchristen, welche nur für ihre Person 
das Gesetz beobachteten und sich zu den Heidenchristen 
freundlich stellten, für christliche Brüder. Noch trennte kein 
christologisches Bekeiintniss, kein N. T., und auch in den 
eschatologischen Erwartungen konnten sich Heiden- und Juden- 
christen noch verständigen. Aber je mehr sich das Juden- 
christentum aus der grossen Welt zurückzog und je fester 
sich die katholische Kirche in Lehre und Verfassung zusammen- 
schloss (dazu Schöpfung des N. T.) und ihre Logoschristologie 
ausbildete, um so fremder, häretischer erschien das Juden- 
christentum, das man sogar seit Irenäus dort, wo man es aus 
eigener Anschauung nicht kannte, mit dem Gnosticismus in 
eine Kategorie stellte. Doch haben sich einige orientalische 
Väter ein besseres Urteil bewahrt. 

3. Das Judentum war im 1. Jahrh. ein sehr kompli- 
zirtes, von fremden Eiaflüssen bestimmtes Gebilde (helleni- 
stisches Judentum, Samaritaner, „Sekten"). Demgemäss gab 
es schon frühe auch „gnostische" Judenchristen (Irrlehrer zu 
Kolossä, s, auch die Pastoralbriefe; — andererseits Simon Ma- 
gus, Menander), welche angelologische Spekulationen (sie sind 
übrigens auch den Pharisäern imd Apokalyptikem nicht fremd) 
in das Christentum einschleppten, kosmologische Erkenntnisse 
und Mythen verwerteten, durch Beides den Gottesbegriff subli- 
mirten, das Gesetz halbirten, korrigirten oder umdeuteten 
(Verwerfung der blutigen Opfer) und zu einer eigentümlichen 
Askese und Kultusmysterien anleiteten. Sie haben sich bis 
tief in die byzantinische Zeit erhalten. Cerinth (um 100) hielt 
an gewissen Gesetzesbestimmungen (Beschneidung) fest und 
verkündete ein grobsinnliches Zukunftsreich; aber andererseits 
unterschied er den höchsten Gott vom Weltschöpfer, übte 
Kritik am Gesetz und unterschied in dem Erlöser den Men- 
schen Jesus und den mit dem h. Geist identifizirten Christus. 
Einen anderen Zweig dieses Judenchristentums lernt man aus 
den Pseudoclementinen kennen. Hier, d. h. wie es scheint in 
ihren Quellen, ist der Versuch gemacht, den Gedanken, dass 
das Evangelium die Wiederherstellung des reinen Mosaismus 
sei, mit den Mitteln des stoischen Rationalismus einerseits, 
der orientalischen mythologischen Kosmologie andererseits 


§ 12.] Die Jndencbristen und ihre Aussclieidung. 45 

apologetisch zu befestigen. Die sich widersprechenden Vor- 
stellungen des stoischen Naturalismus und einer durch Pro- 
pheten vermittelten positiven Offenbarung sollen in der Idee 
von dem einen Propheten, der von Adam ab in verschiedenen 
Gestalten aufgetreten ist, vereinigt werden. Das Evangelium 
gilt als die Wiederherstellung der ür- imd üniversalreligion, 
die der aller partikularen Bestimmungen (Beschneidung, Opfer- 
gesetze) entkleidete Mosaismus ist. Christus ist der eine wahre 
Prophet, der, wie es scheint, auch mit dem üradam identifi- 
zirt wurde. Der stoische Gedanke der A(5yot ist übernommen, 
aber durch eine dualistisch gefasste Äonenspekulation, in der 
die alte semitische Grundlage durchschimmert (männlich-weib- 
lich; Neutralisation der ethischen Gegensätze in Gott dem 
Erhabenen), ersetzt. Platonische Elemente sind schwerlich 
nachweisbar. Stark ausgeprägt aber ist neben der apologeti- 
schen Tendenz die polemische. Dieselbe richtet sich in der 
Form einer Bestreitung des Simon Magus gegen alle Formen 
des heidenchristlichen Gnosticismus (auch gegen Marcion), 
während in den Quellenschriften vielleicht auch eine Polemik 
gegen Paulus enthalten war. Die Polemik und die Mittel, 
welche dabei gebraucht werden, zeigen, dass die katholische 
Kirche bereits existirte. Daher gehören die Pseudoclemen- 
tinen dem 3. Jahrhundert an (einen geschichtlichen Fingerzeig 
für die Zeit und den Ort ihrer Quellenschriften bietet die 
Gestalt des Ebioniten Symmachus am Ende des 2. Jahrb., 
namentlich nach dem, was Victorinus Rhetor von seiner Lehre 
berichtet). Dabei bleibt vorbehalten, dass ihre Kompilatoren 
ältere antipaulinische Schriften der Judenchristen verwendet 
haben. Weiter aber ist wahrscheinlich, dass die letzten Re- 
daktoren gar nicht Judenchristen gewesen sind, dass also die 
oben zusammengestellten Merkmale nicht den Standpunkt 
irgend einer Gruppe charakterisiren, sondern zufällig dadurch 
zusammengekommen sind, dass alte jiidenchristliche Quellen- 
schriften durch sehr verschiedene Hände gingen und arglos 
tradirt und bearbeitet wurden. In diesem wahrscheinlichen 
Fall ist die Enpittelung eines „pseudoclementioischen Systems^' 
eine fruchtlose Aufgabe; man hätte den letzten Erzähler viel- 
mehr als einen katholischen Christen anzusehen, der für seinen 
Roman übernahm, was ihn und Andere interessirte, freilich 
aber kein Schüler des Irenäus oder Origenes gewesen ist. In 


46 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 13. 

den Homilien, wie sie uns vorliegen, sind die antipolytheisti- 
schen^ antimythologischen, antidämonischen, moraUsch-asketi- 
sehen, rationalistischen Reden des Petrus und der Anderen 
die Hauptsache; die Bekämpfung des Simon Magus ist nur 
Staffage. Ob unter solchen Umständen die reinliche Aus- 
scheidung der gnostisch-judenchristlich-antipaulinischen Quellen 
noch gelingen kann, ist fraglich. Eine dritte Gruppe, die nicht, 
wie die vorige, im besten Fall eine litterarische Existenz ge- 
führt hat, ihr jedoch verwandt gewesen ist, bilden die Elke- 
saiten (in Syrien, Vorstoss nach Rom durch Alcibiades am 
Anfang des 3. Jahrh.). Es sind das solche Judenchristen, in 
deren Kreisen die ATliche Religion durch Naturspekulationen 
faltbabylonische Religion) völlig zersetzt war, die zwar die 
Idee des Prophetismus resp. Jesu als des Propheten festhielten, 
aber einem neuen Propheten folgten, der auf Grund eines 
neuen Offenbarungsbuches die Religion durch Buss- und Kultus- 
ordnungen (Waschungen) erst vollendet habe. Eine Reihe 
von Zügen an diesem eigentlich nicht mehr christlichen Juden- 
christentum (Quellen: Hippolyt, Origenes, Epiphanius), nämlich 
der strenge Monotheismus, die partielle Kritik am A. T., die 
Verwerfung der blutigen Opfer, das Verbot des Weingenusses, 
die häufigen Waschungen, die Konnivenz in Bezug auf die 
Ehe, die Verkümmerung der messianischen Idee zur Vor- 
stellimg vom Propheten, der Fortfall der Versöhnungsidee 
und, wie es scheint, auch des Reichsgedankens, die hohe 
Schätzung selbst noch der Verwandten des Propheten — finden 
sich in dem Islam wieder, der nicht ohne Beeinflussung seitens 
dieses „Judenchristentums", welches wohl mit den Zabiem 
(s. AJHWBrandt, Die mandäische Religion 1889) verwandt 
ist, entstanden ist. — Die grosse Kirche hat sich wenig darum 
bekümmert. 

Fünftes Kapitel. 

Die Versuche der Gnostiker, eine apostolische Glaubenslehre 
und eine christliche Theologie zu schaffen, oder: die akute 

Verweltlichung des Christentums. 

§ 13. 

Quellen: Die Schriften des Justin, des Irenäus und der altkatho- 
lischen Väter, dazu Epiphanius und Theodoret. Fragmente gesammelt 
von AHiLGENPELD, Kctzergesch. 1884. Darstellungen von ANeandeb, 


§ 13.] Der Quosticismus. 47 

Gnostigclie Systeme 1818, FChBaub, Gnosis 1835, BLipsiüs, Gnosticisinus 
1860, WMöLLEB, Kosmologie i. d. griech. Kirche 1860, s. auch ERenan, 
Hist. des Orig. du Ghristianisme T. V — VII. — Carl Schmidt (über die 
in koptischer Sprache erhaltenen gnostischen Originalwerke) in den 
Texten u. Unters, z. altchristl. Litt.-Gesch. Bd. YIU, 1. 2. S. auch das 
gnostische Buch Pistis Sophia (hrsg. y. Phtebmajitn u. Schwartzb 1863) 
n. dazu AHabhack in den Texten u. Unters. VII, 2. 

1. Der Gnosticismus ist eine Erscheinungsform der grossen 
synkretistischen Bewegung des 2. und 3. Jahrhunderts, die eine 
Folge des Austausches der nationalen Religionen, der Berüh- 
rung von Orient (altbabylonische Religionen) und Occident 
und des Einflusses der griechischen Philosophie auf die Reli- 
gionen ist. Es handelte sich um die Gewinnimg einer Welt- 
religion, ftlr welche die Menschen nicht als Bürger, sondern 
nach Massgabe ihrer sittlichen und intellektuellen Fähigkeiten 
in Betracht kommen. Als Weltreligion wurde das Evangelium 
erkannt, indess nur insofern, als es sich von der alttestament- 
lichen Religion und dem A. T. trennen, von der religiösen 
Philosophie der Hellenen modelliren imd auf überlieferte 
Kultus Weisheit und Mysterienpraxis aufpfropfen Hess (hier 
kommen namentlich die altbabylonische und vorderasiatische 
in Betracht; die ägyptische hat merkwürdigerweise für den 
christlichen Gnosticismus wenig Bedeutung gehabt). Das Mittel, 
diese künstlichen Verbindungen herbeizuführen, war die alle- 
gorische Methode, wie sie die griechischen Religionsphilo- 
sophen längst geübt hatten. Die Möglichkeit für das Auf- 
konunen des christlichen Gnosticismus lag darin, dass die 
christlichen Gemeiuden im Reiche in das Erbe der jüdischen 
Propaganda eingetreten waren, iu der bereits eine weitgehende 
Spiritualisirung der alttestamentlichen Religion stattgefunden 
hatte, in der das intellektuelle Interesse an der Religion ent- 
fesselt war und die bereits starke Eiuflüsse seitens fremder 
Religionen (babylonische, persische, s. die jüdischen Apoka- 
lypsen) erlebt hatte. Femer aber machte das Evangelium 
Christi, resp. Christus selbst, einen so überwältigenden Ein- 
druck, dass man den mächtigsten Antrieb erhielt, das Höchste, 
was man besass, ihm unterzuordnen, wobei dann, wie so häufig, 
das y,victus vietori legem dat^^ zu seiuem Rechte kam. Endlich 
verhiess die christliche Predigt von Anfang an eine Gnosis 
der Weisheit Gottes, speziell die des Paulus eine antinomistische, 
und die Gemeinden im Reich fassten die christliche Weisheit 


48 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 13. 

als loycTcij kaxQsCa nach Massgabe ihres griechischen Verständ- 
nisses, verbanden das Geheimniss volle mit einer wunderbiEiren 
Offenheit, das Geistige mit bedeutungsvollen Riten und for- 
derten durch ihre Organisation und ihr „philosophisches Leben" 
dazu auf, hier das Ideal verwirklicht zu finden, das der hel- 
lenische religiöse Geist damals suchte, nämlich eine Gemein- 
schaft, die auf Grund göttlicher Offenbarung im Besitze der 
höchsten Erkenntniss ist und deshalb das heiligste Leben führt, 
und welche diese Erkenntniss nicht durch Diskurse, sondern 
durch geheimnissvolle, wirkungskräftige Weihen imd durch 
geoffenbarte Lehrsätze übermittelt. 

2. Hiermit ist bereits gesagt, dass sich im Gnosticismus 
der akute Verlauf eines Prozesses darstellt, der in der Kirche 
schon früher begonnen imd im katholischen System eine lang- 
same und bedingte Entwicklung erfahren hat. Die Gnostiker 
sind die Theologen des 1. Jahrhimderts gewesen; sie haben 
zuerst das Christentum in ein System von Lehren (Dogmen) 
verwandelt; sie haben zuerst die Tradition (Berufung auf diese, 
freilich auch auf eine Geheimtradition, war die Regel; die 
gnostischen Schulhäupter wollten nicht Religionsstifter sein) 
und urchristliche Schriften systematisch bearbeitet; sie haben 
das Christentum als die absolute Religion darzustellen unter- 
nommen und es deshalb den anderen Religionen, auch der 
alttestamentlichen (nicht nur dem Judentum), bestimmt ent- 
gegengesetzt; aber die absolute Religion, die sie an Christus 
anknüpften, war ihnen, inhaltlich betrachtet, identisch mit dem 
Ergebniss der Religionsphilosophie, für die die Unterlage einer 
Offenbarung nun gefunden war: so sind sie diejenigen Christen, 
die es versucht haben, in schnellem Vorgehen das Christentum 
für die hellenische Kultur und diese für jenes zu erobern, und 
sie haben dabei das A. T. preisgegeben, um sich die Schliessung 
des Bundes zwischen beiden Mächten zu erleichtern. Das 
Christentum wird hier eine mysteriöse Theosophie (geoffen- 
barte Metaphysik und Geschichtsphilosophie), durchwaltet von 
platonischem Geist und paulinischen Ideen, gebaut aus 
den Bausteinen alter, in der Regel babylonischer Kultus- 
weisheit, angeeignet durch Mysterien und erleuchtete Erkennt- 
niss, abgegrenzt durch kühne, z. T. treffende Kritik gegen die 
alttestamentliche Religion und den dürftigen Gemeindeglauben 
(s, hier besonders den Brief des Valentinianers Ptolemäus an 


§ 13.] Der Gnosticismus. 49 

die Flora). Mithin hat man in den hervorragenden gnostischen 
Schulen die semitisch -kosmologisehen Grundlagen, die 
hellenisch-philosophische Denkweise und die Anerken- 
nung der Welterlösung durch Christus zu konstatiren. 
Ferner hat man die drei Elemente zu beachten, das speku- 
lativ-philosophische, das kultisch-mystische und das 
dualistisch-asketische. Die Verbindung, in der diese Ele- 
mente auftreten, die totale Umsetzung aller ethischen Probleme 
in kosmologische, endlich die Anschauung, dass die Geschichte 
Fortsetzung der Naturgeschichte ist, speziell die Erlösung der 
letzte Akt in einem Drama, dessen Ursprung in der Gottheit 
selbst liegt nnd dessen Verwickelung die Welt ist — alles 
dieses ist dem Gnosticismus nicht eigentümlich, sondern ist 
eine Stufe der allgemeinen Entwickelung, der philonischen 
vielfach verwandt imd die neuplatonische imd katholische 
antizipirend. 

Aus der groben Mythologie irgend einer orientalischen 
Religion wurde durch Umsetzung der konkreten Gestalten in 
spekulative und sittliche Ideen, wie „Abgrund'^, „Schweigen", 
„Logos" „Weisheit", „Leben" (oft sind auch die semitischen 
Namen beibehalten), eine Mythologie von Begriffen geschaffen, 
indem man das gegenseitige Verhältniss und die Zahl dieser 
Begriffe nach der Angabe der alten heidnischen Vorlage be- 
stimmte, aber Alles an biblische Geschichten und Sprüche an- 
zulehnen strebte. So entstand ein philosophisches dramatisches 
Gedicht, dem platonischen ähnlich, aber ungleich komplizirter 
und darum phantastischer, in dem gewaltige Mächte, das 
Geistige und Gute mit dem Materiellen und Schlechten, in 
eine unheilvolle Verbindung gesetzt erscheinen, aus der aber 
schliesslich das Geistige, unterstützt durch die stammverwandten 
Mächte, die zu erhaben sind, um je in das Gemeine herab- 
gezogen zu werden, doch wieder befreit wird. Das unwandel- 
bare, unveränderliche Gute ist die Gottheit mitsammt der Fülle 
ihrer Ausstrahlungen, das in das Materielle zeitweilig herab- 
gezogene Gute und Himmlische ist der menschliche Geist, die 
erhabene Macht, die ihn befreit, ist Christus. Die evangelische 
Geschichte ist nicht die Geschichte Christi, sondern eine 
Sammlung allegorischer Darstellungen der grossen Gott -Welt- 
Geschichte. Christus hat in Wahrheit keine Geschichte; seine 
Erscheinung in dieser Welt der Mischung und Verwirrung ist 

GrandrisB IV. in. Habnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 4 


50 Yorbereitimg der Entstehung des Dogmas. [§ 13. 

seine That, und die Aufklärung des Geistes über sich selber 
ist die aus dieser That entspringende Wirkung. Diese Auf- 
klärung selbst ist das Leben. Aber sie ist abhängig von der 
Askese und von der Hingabe an jene von Christus gestifteten 
Mysterien, in denen man in Gemeinschaft mit einem praesens 
numen tritt, und die in geheimnissvoUer Weise den Prozess der 
Entsinnliehung des Geistes befördern. Diese Entsinnlichung 
soll auch aktiv geübt werden. Enthaltung ist daher die 
Losung. So ist also das Christentum die spekulative Philo- 
sophie, die den Geist erlöst (yv&öig öotriQLug), indem sie ihn 
aufklärt, ihn weiht und zur richtigen Lebensführung anleitet. 
Die Gnosis ist frei von dem rationalistischen Lateresse der 
Stoa. Die Mächte, die dem Geist Kjraft und Leben verleihen, 
walten im Ubervernünftigen. Dorthin führt nur eine auf 
Offenbarung ruhende, mit fivdtayayyLa verbundene fidd^riöLg 
(nicht exakte Philosophie). Die Grundlehren sind daher fol* 
gende: 1) die über alles Denken erhabene, bestimmungslose 
und unendliche Natur des göttlichen Urwesens, 2) die dem 
göttlichen Wesen entgegengesetzte böse (nicht seiende) Materie, 
3) die Fülle göttlicher Potenzen (Äonen), die teils als Kräfte, 
teils als reale Ideen, teils als relativ selbständige Wesen ge- 
dacht, in der Form von Abstufungen die Entfaltung und 
Offenbarung der Gottheit darstellen, aber zugleich den Über- 
gang des Oberen in das Untere ermöglichen sollen, 4) der 
Kosmos als eine Mischung der Materie mit göttlichen Funken, 
entstanden aus einem Herabsinken dieser in jene, resp. aus 
dem verwerflichen oder doch von der Gottheit bloss gedul- 
deten Unternehmen eines untergeordneten Geistes, daher der 
Demiurg ein böses, oder mittleres oder schwaches, aber reuiges 
Weseji; demgemäss ist das Beste in der Welt die Sehnsucht, 
5) die Befreiung der geistigen Elemente aus ihrer Vereiaigung 
mit der Materie oder die Ausscheidung des Guten aus der 
Welt der Sinnlichkeit durch den Christusgeist, der in heiligen 
Weihen, Erkenntniss imd Askese wirksam ist — so entsteht 
der vollkommene Gnostiker, der weltfreie, sein selbst mächtige 
Geist, der iu Gott lebt und sich für die Ewigkeit bereitet. 
Die anderen Menschen sind Hyliker. Doch unterscheiden her- 
vorragende Lehrer (Schule Valentins) auch zwischen Hylikem 
und Psychikern, letztere die Gesetzesmenschen, die von Gesetz 
und Glauben leben, für die der Gemeindeglaube gut genug, 


§ 13.] Der Gnosticismus. 51 

resp. notwendig ist. Der Schwerpunkt der gnostischen Systeme 
ruhte nicht in ihren wechselnden^ nns auch nur unsicher bekannten 
Details ; sondern in ihrem Ziel und ihren Grundvoraussetzungen. 

3. Die Erscheinungsformen des Gnosticismus waren so 
bmit wie möglich (Gemeinden, Asketenvereine, Mysterienkulte, 
geschlossene Schulen, zwanglose Erbauungsvereine, Unterhal- 
tungen durch christliche Schwindler und betrogene Betrüger, 
Versuche neuer Beligionsstifbongen nach dem Muster und unter 
dem Einfluss der christlichen). 

Einzelne Gnostiker standen auf der Höhe wissenschaft- 
hcher Erkenntniss und religiösen Schwungs. Hier sind beson- 
ders Valentin und seine Hauptschüler zu nennen (Herakleon 
und Ptolemäus). Valentin ragt hervor durch die Ej-affc reli- 
giöser Phantasie und des Geistes — das haben auch die KW. 
anerkannt -— , Herakleon durch sein exegetisch-theologisches 
Vermögen (Reste seines Kommentars zum Johannesev. bei 
Origenes), Ptolemäus durch seine Kritik am Ä. T. und seinen 
trefTenden Blick für die Stufen religiöser Entwickelung 
(s. seinen Brief an die Flora). Als Probe der Sprache Valentins 
diene ein Stück aus einer Homilie (bei Clemens, Strom. IV, 
13, 89): ^A%^ ^9Xh^ a^&vwtoi iöts xal rexva t^rjg iöts aiwriag 
7ud rbv d'dvarov ^d^skere fieQLöaöd'aL eis iavtovg^ Iva dajccc- 
viffirixe avxhv xal ävakdiörjte^ xal äxod-dvy 6 d^dvarog iv ifitv 
xal ÖL ifi&v, 8rav yäQ rbv filv xööfiov kvrjrs^ a{ytol Se fiij 
wxxahiri6%'e ^ TcvQievsxß xfig KQiöBmg xal tilg q>d^OQäg andörjg. 
Hinter Valentin und seiner Schule tritt Basilides zurück. 
Doch nennen die KW., wenn sie die bedeutendsten Gnostiker 
zusammenfassen wollen, gewöhnlich Simon Magus, Basilides, 
Valentin, Marcion (auch Apelles). Daneben sprechen sie von 
einer unbestimmten Gruppe, die sie Gnostiker xar' i^ox'tjv nennen. 
Gemeint sind die ursprünglich syrischen, aber auch nach 
Ägypten und ins Reich ausgewanderten „ophitischen^' Häretiker 
— eine bunte Gruppe, die uns durch Epiphanius, namentlich 
aber durch die in koptischer Sprache erhaltenen gnostischen 
Originalschriften teilweise gut bekannt ist. Doch gehören 
diese Originalschriften grösstenteils der 2. Hälfte des 3. Jahrh. 
an und zeigen einen durch die Fülle von wilden Spekulationen, 
Formeln und Riten überlasteten Gnosticismus. Indessen wird 
gerade an diesen Denkmälern deutlich, dass der Gnosticismus 
den Katholicismus als Ritualsystem antizipirt. 


52 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 13. 

Das Verhältniss zum Gemeinchristlichen und zu den Ge- 
meinden war sehr verschieden. Der ,,Gnosticismus" reichte 
einerseits bis in das Herz der Gemeinden, sofern doketische 
und dualistisch -asketische Neigungen weit verbreitet .waren 
und die Umdeutung des Kerygmas vielfach geübt wurde; an- 
dererseits gab es „gnostische" Vereinigungen, die sich sepa- 
rirten, ja die die Gemeinde verbände verabscheuten. Für die 
Dogmengeschichte kommt der rechte Flügel des Gnosticismus 
und der eigentliche Stamm, die grossen gnostischen Schulsekten 
(Basilidianer, Valentinianer), besonders in Betracht. Letztere 
wollten eine höhere Ordnung von Christen über den geduldeten 
Gemeinchristen, den Psychikem, darstellen. Mit ihnen ist 
hauptsächlich gekämpft worden, und sie waren die Theo- 
logen, von denen man gelernt hat, die zuerst Lehrbücher der 
Dogmatik und Ethik, wissenschaftliche und exegetische Ab- 
handlungen geschrieben, kurz die technische, christlich-theolo- 
gische Litteratur begründet und die Bearbeitung der christ- 
lichen Tradition begonnen haben. Die Ausscheidung dieser 
Gnostiker und des rechten Flügels (Enkratiten, „Doketen**, 
Tatian, Bardesanes — seine von Valentin beeinflusste, den 
Marcionitismus bekämpfende Lehre war in Edessa eine Zeit 
lang geduldet, ja anerkannt) konnte nur langsam geUngen und 
ist eine Folge der Konsolidirung der Gemeinden zur katho- 
lischen Kirche, die durch die gnostische Bewegung mit her- 
vorgerufen ist. 

Der Ursprung des Gnosticismus ist aus den allgemeinen 
Bedingungen, unter denen die christliche Predigt auf dem Boden 
des römischen Weltreichs stand, und aus ihrer Anziehungs- 
kraft als sichere Botschaft von der Erkenntniss, dem Leben 
und der Enthaltung, angeschlossen an eine göttliche Person, 
die auf Erden erschienen ist, hinreichend erklärt. Die Kirchen- 
väter machen neben den Dämonen bald das vielgespaltene 
Judentum, bald den samaritanischen Messias Simon (dessen 
Existenz und hohe geschichtliche Bedeutung nicht geleugnet 
werden kann), bald die griechischen Philosophen, zuletzt auch 
den Ungehorsam wider das kirchliche Amt für den Ursprung 
verantwortlich. Li alledem liegt eine particula veri, wie leicht 
zu zeigen; speziell hat der zum christlichen Gnosticismus 
führende Synkretismus unzweifelhaft auf samaritanisch- syri- 
schem Boden einerseits, auf alexandrinischem andererseits seine 


§ 13.] Der Gnosticismus. 53 

Hauptquartiere gehabt; allein es ist nicht zu übersehen, dasa 
überall im Reiche die Bedingungen zu spontanen Bildungen 
vorhanden gewesen sind. Eben deshalb lässt sich eine Ent- 
wickelungsgeschichte des Gnosticismus nicht schreiben, selbst 
wenn wir mehr von den einzelnen Bildungen und ihrer gene- 
tischen Geschichte wüssten, als wir wissen. Man kann nur 
zwischen judenchristlichen und heidenchristlichen Gnostikern 
unterscheiden, letztere nach ihrer grösseren oder geringeren 
Entfernung vom gemein Christlichen, die sich namentlich in 
der Schätzung des A. T. und des Demiurgen ausspricht, grup- 
piren und ausserdem die Züge aufsuchen, in denen uns in 
unbefangen gelesenen christlichen Schriften „Gnostisches" ent- 
gegentritt (so in „apokryphen^^Ew. — Petrusev. u. Ägypterev. 
— '- und Apostelgeschichten, wie in den Joh.-Akten, vgl. ferner 
besonders die B^ste der Hypotyposen des Clemens Alex.). 
Dass die ganze vielarmige Bewegung, in der der Hellenismus 
mit allen seinen guten imd schlimmen Kräften sich das Evan- 
gelium anzupassen suchte, allmählich christlicher resp. kirch- 
licher geworden ist, liegt in der Natur der Sache. Deshalb 
aber darf man doch nicht für das 2. Jahrhundert die Systeme 
chronologisch nach dem Masse ihrer Christlichkeit gruppiren, 
so gewiss die Regel gilt, dass Versuche wie der des Karpo- 
krates, die christliche Lehre in Piatonismus, die Kirche in den 
platonischen Staat, Christus in einen Genius umzuwandeln, der 
ältesten Zeit und nicht der späteren angehören. 

4. Erscheinen auch die Unterschiede zwischen dem gno- 
stischen Christentum und dem gemein Kirchlichen sowie der 
späteren kirchlichen Theologie zum Teil als fliessende, sofern 
man auch hier das Erkenntnissmoment besonders betonte, das 
Evangelium in ein vollkommenes Wissen um die Welt zu ver- 
wandeln sich anschickte, die xCötiq durch die yvmötg überboten 
sein Hess, die griechische Philosophie in steigendem Masse ver- 
wendete, die Eschatologie einschränkte, doketischen Ansichten 
Baum liess und eine strenge Askese schätzte, so war doch 
1) zur Zeit der Blüte des Gnosticismus dies Alles in der 
Grosskirche nur in Keimen oder Fragmenten vorhanden, 2) hielt 
die Grosskirche an den im Taufbekenntniss fixirten Thatsachen 
und an den eschatologischen Erwartungen, ferner am Welt- 
ßchopfer als höchstem Gott, an der Einheit Jesu Christi und 
am A. T. fest und lehnte darum den Dualismus ab, 3) trat 


54 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 13. 

sie fiir diQ Emlieit und Gleichlieit des menschlichen Geschlechts 
ein und deshalb für die Einheitlichkeit nnd universale Tendenz 
des christlichen Heils, und 4) lehnte sie jede Einschleppung 
neuer, namentlich orientalischer Mythologien ab, hierbei von 
dem altchristlichen Bewusstsein und einer gewissen Verstän- 
digkeit geleitet. Dennoch hat die Kirche, indem sie den Gno- 
stfcismus bestritt, sehr viel von ihm gelernt. Um welche 
Hauptsätze es sich gehandelt hat, sei kurz hier angefiihrt (das 
beigesetzte „pos." soll besagen, dass die betreflPende gnostische 
These auch von positiver Bedeutung für die Entwickelung 
der kirchlichen Anschauimg und Lehre geworden ist): 

(1) Das Christentum, welches die allein wahre und absolute 
Religion ist, umschliesst ein geoflPenbartes Lehrsystem 
(pos.), 

(2) diese Lehre enthält als Lehre geheimnissvolle Kräfte in sich, 
deren Übertragung an Weihen (Mysterien) gebunden sind, 

(3) der Offenbarer ist Christus (pos.), aber Christus allein 
und Christus nur sofern er erschienen ist (kein ATlicher 
Christus). Diese Erscheinung ist selbst die Erlösimg, die 
Lehre ist die Verkündigung von derselben und von ihren 
Voraussetzungen (pos.), 

(4) die christliche Lehre ist aus der kritisch untersuchten 
apostolischen Tradition zu schöpfen; dieselbe liegt in apo- 
stolischen Schriften und in einer von den Aposteln stam- 
menden Geheimlehre vor (pos.); als öffentliche ist sie zu- 
sammengefasst in der regula fidei (pos.), als esoterische 
wird sie von berufenen Lehrern fortgepflanzt, 

(5) die Offenbarungsurkimden (apost. Schriften) müssen, eben 
weil sie solche sind, durch das Mittel der Allegorie bearbeitet 
werden, um ihnen den tieferen Sinn zu entlocken (pos.), 

(6) was die einzelnen Stücke der regula anlangt, wie die Gno- 
stiker sie fassten, so sind hauptsächlich folgende bemer- 
kenswert: 

(a) die Verschiedenheit des höchsten Gottes vom Welt- 
schöpfer und damit die Entgegenstellung von Erlösung 
und Schöpfung resp. auch die Trennung des Offen- 
barungs- und Schöpfongsmittlers, 

(b) die Trennung des höchsten Gottes vom Gott des A. T. 
imd damit die Verwerfung des A. T., resp. die Be- 
hauptung, dass das A. T. keine — oder nur in ge- 


§ 13.] Der Gnosticismus. 55 

wissen Teilen — OflPenbanmgen des höchsten Gottes 
enthalte, 

(c) die Lehre von der Selbständigkeit und Ewigkeit der 
Materie, 

(d) die Behauptung, dass die gegenwärtige Welt aus einem 
Sündenfall, resp. aus einem widergöttlichen Unternehmen 
entstanden und daher das Produkt eines bösen oder 
mittleren Wesens sei, 

(e) die' Lehre, dass das Böse der Materie inhärent, also 
eine physikalische Potenz sei, 

(f) die Annahme von Äonen, resp. realen Bj-äften und 
himmlischen Personen, in denen sich die Absolutheit 
der Gottheit entfalte, 

(g) die Behauptung, dass Christus eine bisher unbekannte 
Gottheit verkündet habe, 

(h) die Lehre, dass man in Jesus Christus — mit Recht 
sahen die Gnostiker in seiner Person die Erlösung, 
aber sie haben die Person auf das physische Wesen 
reduzirt — den himmlischen Aon Christus und die 
menschliche Erscheinung desselben stark unterscheiden 
und jeder „Natur" ein „distincte agere" beilegen müsse 
(nicht der Doketismus, sondern die Zwei-Naturenlehre 
ist das Charakteristische). Demgemäss nahmen die 
Einen, wie Basilides, überhaupt keine wirkliche Ver- 
einigung zwischen Christus und dem Menschen Jesus 
an, den sie übrigens für einen wirklichen Menschen 
hielten. Die Anderen, wie ein Teil der Valentinianer 
— ihre Christologie war höchst komplizirt und ver- 
schieden — , lehrten, dass der Leib Jesu ein himm- 
lisch-psychisches Gebilde gewesen und nur scheinbar 
dem Schooss der Maria entstammt sei. Die Dritten 
endlich, wie Satornil, erklärten, dass die ganze sicht- 
bare Erscheinung Christi ein Phantasma gewesen sei, 
und stellten konsequent die Geburt Christi in Abrede, 

(i) die Umsetzung ^ der ixxkriöia (dass die himmlische 
Kirche als ein Aon galt, war keiüe Neuerung) in das 
Kollegium der Pneumatiker, die allein die höchste 
Seligkeit geniessen werden, während die Hyliker dem 
Untergang verfallen imd die Psychiker mit ihrer ^tAi) 
jciötcg nur eine niedere Seligkeit erhalten. 


56 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 14. 

(k) die Verwerfung der gesammten urchristlichen Escha- 
tolögie, speziell der Wiederkunft Christi und der Auf- 
erstehung des Fleisches; damit verbunden die Behaup- 
tung, dass von der Zukunft nur die Befreiung de» 
Geistes von der sinnliehen Hülle zu erwarten sei^ 
während der über sich selbst aufgeklärte und seines 
Gottes gewisse Geist die Unvergänglichkeit besitze und 
nur auf die Einführung in das Pleroma warte, 
(1) die dualistische Ethik (strenge Askese), die hie und 

da in Libertinismus umgeschlagen ist. 
Wie stark der Gnosticismus den Katholicismus antizipirt 
hat, lässt sich namentlich an seiner Christologie und Erlösungs- 
lehre, seiner Kultusmagie und Sakramentslehre sowie an seiner 
wissenschaftlichen Litteratur erweisen. 

Sechstes Kapitel. 

Das Ontemelunen Marcion's, die Alttestamentliclie Grundlage 
des Evangeliums zu beseitigen, die Tradition zu reinigen und 
auf Grund des paulinischen Evangeliums die Christenheit zu 

reformiren. 

§14. 

Hauptquellen sind Tertullian's Werk gegen M. in 6 Büchern, das 
Panarion des Epiphanius, die Dialoge des Adamantius. Das älteste 
Zeugniss bietet Justin in der Apalogie, vgl. auch Irenäus. — AHahn, 
Marcionis Antitheses 1823. — ThZahn, Marcion's N. T. in: Gesch. d. 
NTlichen Kanons II S. 409 £F. — AHarnack, De Apellis gnosi monarchica 
1874 u. i. d. ZwTh. 1876 S. 80 ff. 

Zu den Gnostikem wie Basilides und Valentin darf Marcion 
trotz der Polemik der KW. nicht gerechnet werden; denn 
1) leitete ihn kein metaphysisches, auch kein apologetisches, 
sondern ein rein soteriologisches Interesse, 2) legte er darum 
auf das reine Evangelium und den Glauben (nicht auf die 
Erkenntniss) allen Nachdruck, 3) verwendete er für seine Auf- 
fassung vom Christentum — wenigstens prinzipiell — die 
Philosophie nicht, 4) war er bestrebt, nicht Schulen von 
Wissenden zu gründen, sondern die Gemeinden allerorts, deren 
Christentum er für gesetzlich (judaisirend) und die freie 
Gnade verleugnend hielt, nach dem wahren paulinischen Evan- 
gelium zu reformiren. Erst als er damit nicht durchdrang, 
bildete er eine eigene Kirche, die erste auf einem ausgeführten 


§ 14.] Marcion's Reformversnch. 57 

Yerstandniss des Evangeliums und auf einer streng ge- 
schlossenen SamnJung christlicher Schriften ruhende kirch- 
liche Gemeinschaft. Völlig hingenommen von der Neuheit, 
Einzigkeit und Herrlichkeit der Gnade Gottes in Christus, 
glaubte er die scharfen Antithesen des Paulus (Gesetz und 
Evangelium, Werke imd Glaube, Fleisch und Geist, Sünde und 
Gerechtigkeit) zum Fundamente der religiösen Betrachtung 
machen und auf zwei Prinzipien, den gerechten und zornigen 
Gott des A. T., der mit dem Weltschöpfer identisch sei, und 
den vor Christus unbekannten Gott des Evangeliums, der nur 
die Liebe und das Erbarmen sei, verteilen zu müssen. Dieser 
schroffe Dualismus — ein Paulinismus ohne Dialektik, A. T. 
und judenchristliche Geschichtsbetrachtung — ist doch nicht 
ohne Beeinflussung seitens der syrischen Gnosis (Cerdo) von M. 
ausgestaltet worden. Mit dem ethischen Gegensatz des Er- 
habenen und Guten einerseits imd des Kleinlichen, Gerechten 
und Harten andererseits verband sich doch der Gegensatz des 
Unendlichen, Geistigen und des Beschränkten, Sinnlichen in 
einer Weise, die die Probleme wieder ins Kosmologische herab- 
zuziehen drohte. Im Einzelnen ist Folgendes besonders wichtig: 

1. Das A. T. wurde von Marcion seinem Wortsinn nach 
mit Ablehnung jeder allegorischen Deutung erklärt und als 
Offenbarungsbuch des Weltschöpfers und Judengottes anerkannt, 
aber eben deshalb in schroffen Gegensatz zu dem Evangelium 
(s. die Antithesen) gestellt, dessen Inhalt M. lediglich aus 
Sprüchen Jesu und den paulinischen Briefen ermittelte, nach- 
dem er sie von angeblichen judaistischen Verfälschungen ge- 
reinigt. Diese Fälschungen waren seiner Meinung nach sehr 
alt, da die zwölf Apostel Jesum nicht verstanden, bez. das 
richtige Verständniss wieder verloren und sein Evangelium nach 
dem A. T. missdeutet haben. Paulus, von Christus zum Er- 
sätze berufen, sei der Einzige, der eingesehen, dass Jesus einen 
bisher unbekannten Gott der Gnade im Gegensatz zu Jehovah 
verkündet habe. Als auch seine Predigt verdunkelt worden, 
sei er, Marcion, mit der Wiederherstellung des reinen Evan- 
geliums betraut worden. In dieser Eigenschaft als Reformator 
und zweiter Paulus hat ihn seine Kirche anerkannt und seinen 
„Antithesen" eine Art von kanonischem Ansehen gegeben. 

2. Der Gottesbegriff und die Christologie Marcion's sind 
den gnostischen insofern ähnlich, als auch er im Gegensatz 


58 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 14. 

zur Grosstirche die Neuheit, Einzigartigkeit und Absolutheit 
des Christentums zum deutlichsten Ausdruck bringt; er über- 
bietet die Gnostiker noch, sofern er den ganzen Menschen als 
Erzeugniss des Weltschöpfers fasst und in der Natur des 
Menschen nichts findet, was dem Gott der Liebe stammverwandt 
ist. Aber Liebe und Gnade ist nach M. das ganze Wesen der 
Gottheit; die Erlösung ist die unbegreiflichste That göttlichen 
Erbarmens, imd Alles, was der Christ besitzt, verdankt er 
einzig Christus, der die Erscheinung des guten Gottes selber 
ist (Modalismus). Er hat durch sein Leiden die, welche an 
ihn glauben, dem Weltschöpfer abgekauft und für sich ge- 
wonnen. Der strenge Doketismus aber, den M. lehrte, die 
Behauptung, dass nur die Seelen der Menschen gerettet werden, 
der Verzicht auf die Wiederkunft Christi und die harte, bis 
zum Eheverbot gesteigerte Askese (trotz des Gedankens, dass 
die Liebe Gottes das neue Leben zu beherrschen habe), sind 
Beweise dafür, dass M. bis zu einem gewissen Grad dem 
Hellenismus gegenüber wehrlos gewesen ist; andererseits zeigen 
die eschatologischen Gedanken, dass er den Bückgang zur 
Monarchie des guten Gottes gesucht hat. 

3. Die Absicht, die Kirche des reinen Evangeliums wieder- 
herzustellen und die Erlösten als die von dem Gott dieser 
Welt Gehassten zu sammeln, hat M. veranlasst, evangelische 
Schriften zu einer Sammlung mit normativem Charakter zu 
vereinigen (Luc. Ev. u. 10 paulinische Briefe), bestimmte 
Grundsätze für ihre Auslegung aufzustellen und die Gemeinden 
in fester, aber freier Organisation zusammenzuschliessen. Da 
er das A. T. verwarf, ebenso jede natürliche Religion, Philo- 
sophie imd Geheimtradition j so musste er die Frage, was 
christlich sei, aus geschichtlichen Urkunden beantworten. Hier, 
wie in mancher anderen Hinsicht, ist er der katholischen 
Kirche vorangegangen. 

4. Die tiefe Auffassung, dass die in der Natur und Ge- 
schichte waltenden Gesetze und der Lauf der bürgerlichen 
Gerechtigkeit das Widerspiel zu den Thaten göttlichen Er- 
barmens seien, und dass demütiger Glaube, herzliche Liebe 
und opferfreudige Askese den eigentlichen Gegensatz zu Tugend- 
stolz, Selbstgerechtigkeit und Leidensscheu bilden — diese 
Auffassung, die das Christentum Marcion's beherrscht und ihn 
von aller rationalistischen Systematik abgehalten hat, wurde 


§ 15.] Marcion's Befonny ersuch. 59 

in seiner Kirche in der Folgezeit nicht rein festgehalten. Im 
Interesse^ die Lücken und Widersprüche der Auffassung zu 
heben, schritten einige Schüler zu einer Dreiprinzipienlehre, 
andere zum vulgären Dualismus vor, ohne indess die Grund- 
gedanken des Meisters ganz aufzugeben. Apelles aber, M.'s 
grösster Schüler, kehrte zum Bekenntniss des einen Gottes 
zurück (der Weltschöpfer ist ein Engel Gottes), ohne im 
Übrigen die Auffassung des Meisters fallen zu lassen, ja 
wertvolle Andeutungen weiter verfolgend, die M. gegeben hatte. 
Die KW. (Bhodon, Tertullian, Origenes) haben ihn nicht ver- 
standen und aufs Heftigste bekämpft. In der Soteriologie hat 
Apelles wahrscheinlich wie M. gelehrt (bei Euseb. h. e. V, 13): 
öcjdijöeöd'ai toi)g stcI tbv i6ravQ(D(ievov ijkjaTCÖTag äne^paCvsto^ 
fiövov iäv iv iQyotg äyad'otg eigiöxiovtat (s. auch das Folgende; 
in Bezug auf da« A. T. hat er im scharfen Unterschied von 
Marcion die These vertreten, dass es grossenteils unglaub- 
würdige, mythische Geschichte enthalte und voU Wider- 
sprüchen sei [s. die Reste seiner „Syllogismen"]). Marcion hat 
die Thatsächlichkeit der ATlichen Geschichte anerkannt, aber 
eben deshalb ihren Urheber für ein eiferndes, bösartig- „ge- 
rechtes" Wesen erklärt. 

Die KW. haben M. als den schlimmsten Häretiker be- 
kämpft. Besonders in der Auseinandersetzang mit ihm ist 
die altkathoUsche Kirchenlehre entwickelt imd der Umfang 
des N. T.'s bestimmter ausgeprägt worden. 


Zweites Buch. 

Die Grnndlegiiiig. 

Erstes Kapitel. 

GescMchtliclie Orientirung. 
§16. 

ABiTscHL, Entstehung d. altkathol. Kirche.' 1857. — EBenan, 
Origines da ChrisüaniBnie T. V — VII. 

1. Das zweite Jahrhundert des Bestehens heidenchrist- 
licher Gemeinden ist charakterisirt durch den siegreichen 
Kampf gegen die Gnostiker, Marcion und den urchristlichen 


60 Grundlegung des Bogmas. [§ 15. 

Enthusiasmus, d. h. durch die Ablehnung der akuten Helle- 
nisirung einerseits und die Unterdrückung der ursprünglichen 
christlichen Stimmung, Disziplin und z. T. auch der Hoffnung 
andererseits. Man rettete einen bedeutenden Teil des Ur- 
christentums durch Fixirung der Tradition (den Glauben an 
den Schöpfer- und Erlösergott); aber man ging nun uui so 
unbefangener auf die Welt und ihre Weisheit ein, da man 
glaubte, an der apostolischen Schriftensammlung, der 
apostolischen Glaubensregel, dem apostolischen Amt die 
sichere Gewähr der Christlichkeit zu besitzen. Man zügelte 
den Subjektivismus der christlichen Frömmigkeit und schränkte 
die phantastische Mythenbildung sowie die Aufnahme ganz 
fremder StofiFe in die Glaubenslehre ein; aber man band den 
Einzelnen an eine heilige Urkunde und an den Priester, indem 
man ihn dem festgefugten bischöflichen Verbände der einen, 
heiligen, apostolischen, katholischen Kirche unterwarf, den 
man als Seligkeitsanstalt mit der Stiftung Christi identifizirte. 
Man widerlegte endlich die gnos tischen Systeme; aber man 
schuf selbst aus dem Kerygma mit den Begriffen der griechischen 
Philosophie ein wissenschaftliches Glaubenssystem, ein aus- 
gezeichnetes Mittel, die Kirche der gebildeten Welt zu em- 
pfehlen, aber den Laien ein den Glauben verdunkelndes Ge- 
heimniss oder eine Verdeutlichung des Evangeliums im Sinne 
der griechischen Religionsphilosophie. 

2. Die Aufgabe der Dogmengeschichte für den Zeitraum 
von c. 150 — 300 ist eine doppelte: erstlich hat sie die Ent- 
stehung des Katholicismus als Kirche zu beschreiben, d. h. 
die Entstehung und Entwickelung der apostolisch-katholischen 
Massstäbe (Glaubensregel, N. T., kirchliches Amt; Massstäbe für 
die Heiligkeit der Kirche), durch welche die Gemeinden zu 
der einen empirischen Kirche, die doch die apostolische, 
wahre und heilige sein soll, erwachsen sind. Zweitens hat 
sie die Entstehung und Entwickelung der wissenschaftlichen 
Glaubenslehre zu schildern, wie dieselbe an der Peripherie 
der Kirche zum Zweck der Apologetik entstanden ist, freilich 
nicht als ein Fremdes, vielmehr im genauesten Zusammenhang mit 
den Intentionen des ältesten Heidenchristentums (s. Buch I c. 3); 
wie sie, die ursprünglich lediglich durch die Offenbarung ver- 
sicherte monotheistische Kosmologie, Logoslehre und Moral- 
theologie gewesen ist, dann im gnostischen Kampf sich mit 


§ 15.] Die apostolischen Normen. Die Glaubensregel. 61 

dem Heilsgedanken der antiken Mysterien einerseits, mit dem 
kirchlichen Kerygma und AT liehen Gedankenreihen anderer- 
seits verbunden hat (Irenäns, Hippolyt, TertuUian) und zu 
einem komplizirten Gebilde (philosophische, kerygmatische, 
biblische und urchristlich-eschatologische Elemente) geworden 
ist; wie sie weiter ^urch die Alexandriner zu einem helle- 
nistischen synkretistischen System für katholische Gnostiker 
umgeschmolzen worden (Vorbild des Philo und Valentin), und 
wie dann die grosse Spannimg zwischen der wissenschaftlichen 
Dogmatik und dem traditionellen Glauben deutlich hervor- 
getreten ist, die schon im 3. Jahrhundert ihre Lösung gruiid- 
legend so empfangen hat, dass die Ziele der wissenschaftlichen 
Dogmatik und ein Teil ihrer Lehren (vor Allem die Logos- 
lehre) als der Glaube von der Kirche adoptirt wurden, 
während man Anderes bei Seite Hess oder bekämpfte, die 
realistischen Sätze des Kerygmas gegen spiritualisirende Um- 
setzung schützte und das Recht der Unterscheidung einer 
Glaubenslehre für die Denkenden und eines Glaubens für die 
Unwissenden (so Origenes) prinzipiell in Abrede stellte. Die 
vier Stufen der Entwickelung des Dogmas (Apologeten, alt- 
katholische Väter, Alexandriner, Methodius nebst Konsorten) 
entsprechen der fortschreitenden religiösen und philosophischen 
Entwickelung des Heidentums in jener Zeit: philosophischer 
Moralismus, Heilsidee (Mysterientheologie und -praxis), Neu- 
platonismus und reaktionärer Synkretismus. 

L Fixirung und allmähliche Vervy^eltlichung des 

Christentums als Kirche. 

Zweites Kapitel. 

Die Aufstellung der apostolischen Normen für das kirchliche 

Christentum. Die katholische Kirche. 

Quellen: Die Schriften des Irenäus, Hippolyt, Tertullian, erst in 
zweiter Linie die der nicht römischen altkatholischen Väter; denn in 
Kom sind die Massstäbe festgestellt worden, der Anteil Kleinasiens ist 
dunkel und kontrovers. 

Die drei apostolischen Normen (Glaubensregel, N. T., 
Amt) — s. Iren. III, Isq., Tertull. de praescr. 21. 32. 36 1) — 

1) De praescr. 21: „Constat omnem doctrinam quae cum ecclesiis 
apostoltcis matricibua et originälibus fidei conspiret veritati deputandam. 


62 Grundlegung des Dogmas. [§ 16. 

haben sich von Rom aus zwar in den verschiedenen Provinzial- 
kirchen zu verschiedener Zeit^ aber alle drei stets gleichzeitig 
eingebürgert. Sie haben an den kurzen kerygmatischen Be- 
kenntnissen^ an der Autorität des xvQiog und der apostolischen 
Tradition sowie an den Gemeindeleseschriften^ endlich an dem 
Ansehen der Apostel^ Propheten und Lehrer, resp. der „Alten^^ 
und der Leiter der Einzelgemeinden ihre Vorstufen gehabt. 

§ 16. A. Die ümprägnng des Tanfbekenntnisses zur aposto- 
lischen Glaubensregel. 

CPCaspari, Quellen z. Gesch. des Taufsymbols, 4 Bde. — AHabnack 
in der grossen Ausgabe der Patr. Apost. I, 2 1878. — AHahx, Bibl. d. 
Symbole und Glaubensregeln.* 1877. 

Von Alters her gab es in den Gemeinden ein Kerygma 
von Christus (s. Buch I c. 3 sub 2) und kurze Bekenntniss- 
formeln (Vater, Sohn und Geist), speziell in der romischen 
Gemeinde seit + 140 ein festes Taufbekenniniss (ob auch 
in kleinasiatischen ?). Diese Bekenntnisse waren „der Glaube'^, 
galten als die Quintessenz der apostolischen Verkündigung 
und wurden daher auf Christus, resp. auf Gott selbst, Siä 
x&v &7Co6x6X(DV zurückgeführt. Aber als apostolische „Regel 
des Glaubens" galt überhaupt Alles, was unveräusserUch 
erschien, z. B. auch das christliche Verständniss des A. T. 
Fixirt war indess ausser jenem römischen Symbol wahr- 
scheinlich nichts, imd die Sittenregeln (^Siäaxii xvqCov) 
standen mindestens auf der gleichen Stufe mit jenem Kerygma 
von Christus. Von Anfang an schärfte man aber im Unter- 
richt, in den Ermahnungen und vor Allem bei Bekämpfungen 
von Irrlehren ein: änolLTto^ev tag xsväg xal (lataiag tpQOv- 
tCSag^ xal IXd'CD^ev iycl xov evxXari xal ösfivbv tijg xagaSo- 


id sine dubio tenentem quod ecclesiae ah apostolis, apostoli a Christo, 
Christus a deo accepit/' 36: „Videamus quid (ecclesia Bomana) didicerit, 
quid docueritf cum Africanis quoque ecclesiis contesserarit, Unum deum 
dominum novit, creatorem universitatis , et Christum Jesum ex virgine 
Maria fUium dei creatoris, et camis resurrectionem ; legem et prophetas 
cum evangelids et apostolids litteris miscet, inde potat fidem, eam aquu 
signat, sancto spiriiu vestit, eucharistia pascit, martyrium exhortatur, et 
ita adversus hanc institutionem neminem recipit'^ 32 : „Evolvant ordinem 
episcoporum suorum, ita per successionem ah initio decurr entern, ut primus 
iile episcopus aliquem ex apostolis vel apostolids viris, qui tarnen cum 
apostolis perseveravit, habuerit auctorem et antecessorem* 


« 


§ 16.] Die apostolischen Normen. Die Glaubensregel. 63 

ösGig ij^&v xavöva (I Clem. 7; vgl. Polyc. ep. 2. 7; die Pastoral- 
briefe, Judasbrief, Ignatiusbriefe, auch Justin). Als die Ge- 
fahr des Gnosticismus akut wurde, musste man notwendig 
die Erfahrung machen, dass weder Inhalt und Umfang des 
„überlieferten Glaubens" („der gesunden Lehre^'), noch sein 
Verständniss gesetzlich gesichert sei. Man brauchte aber einen 
festen äusseren Massstab, um Lehren wie die von der Ver- 
schiedenheit des höchsten Gottes vom Schöpfergott oder wie 
den Doketismus ablehnen, Verflüchtigungen und ümdeutungen 
der evangelischen Geschichte zurückweisen und die eigne Auf- 
fassung als die ap stolische Lehre behaupten zu können — man 
brauchte ein bestimmt interpretirtes apostolisches Be- 
kenntniss. In dieser Lage hat die Kirche Roms, deren Ver- 
fahren uns durch Irenäus und Tertullian bekannt ist (Iren, ist 
schwerlich der Urheber desselben), das geschlossene römische 
Taufbekenntniss als apostolisches in der Weise in Geltung gesetzt, 
dass sie die jeweilig antignostischen Interpretationen als selbst- 
verständlichen Inhalt desselben proklamirte, das explizirte 
Bekenntniss als „fides catholica" resp. als Regel der Wahrheit 
für den Glauben bezeichnete imd von seiner Anerkennung die 
Zugehörigkeit zur Kirche abhängig machte (wie weit Rom 
im Einvernehmen resp. unter Einwirkung der kleinasiatischen 
Kirche gehandelt hat, ist noch dunkel und wird vielleicht 
nie erhellt werden). Dieses Verfahren, durch welches der 
Schwerpunkt des Christentums verrückt, dieses aber vor 
völligem Zerfliessen bewahrt worden ist, basirt auf zwei im- 
bewiesenen Behauptungen und einer Vertauschung. Nicht be- 
wiesen ist, dass irgend ein Bekenntniss dieser Art von den 
Aposteln stammt und dass die von Aposteln gegründeten Ge- 
meinden deren Lehre stets unverändert bewahrt haben; ver- 
tauscht ist das Bekenntniss selbst mit seiner Explikation. 
Endlich ist der Schluss von der wesentlichen Übereinstimmung 
einer Reihe von Gemeinden (Bischöfen) in der Lehre auf die 
Existenz einer fides catholica, sofern diese ein festes Lehr- 
gesetz sein soll, ungerechtfertigt. Das Verfahren be- 
gründet den katholischen Traditionsbeweis und seine 
fundamentale Bedeutung bis heute: die Amphibolie, einer- 
seits das Bekenntniss für ein geschlossenes und deutliches 
auszugeben, andererseits es so elastisch zu halten, dass man 
die Ablehnung jeder unbequemen Meinung ihm entnehmen 


64 Grundlegung des Dogmas. [§ 16. 

kann, ist bis heute för den Katholicismns charakteristiscli. 
Ebenso charakteristisch ist, dass man das Christentum mit 
einer Glaubenslehre identifizirt, die die meisten Laien nicht 
verstehen können. Diese werden also herabgedrückt und auf 
die Autorität verwiesen. 

Tertullian, mit Rom und mit den Schriften des Irenäus 
bekannt, hat die Methode weiter ausgebildet. Fand schon 
Irenäus die wichtigsten gnostischen Lehren durch das Tauf- 
bekenntniss widerlegt, während doch nur der kirchliche common 
sense wider sie sprach, so hat TertulL, das Bekenntniss noch 
strenger als Autorität für den Glauben fassend, in der regula 
bereits die Schöpfung des Universums aus Nichts, die Schöpfungs- 
mittlerschaft des Logos, den Ursprung desselben vor allen Krea- 
turen, eine bestimmte Theorie über die Menschwerdung, die 
Predigt einer nova lex imd einer nova promissio, schliesslich 
auch schon die trinitarische Ökonomie und die richtige Lehre 
von den Naturen Christi gefunden (de praescr. 13; de virg. 1 ; 
adv. Prax. 2 etc.; überall lautet hier die regula [regula fidei, 
regula traditionis, xavhv trig 7tv0re(Dg^ r^g 7taQad66ac3g\ im Ein- 
zelnen verschieden, Prax. 2 lautet sie also: „ Unicum quidem deum 
credimuSy sub hac tarnen dispensatione quam oiKOvo(iiav dicimus 
ut unici dei sit et ßius sermo ipsius, qui ex ipso processcrit, per 
quem omnia facta sunt et sine quo factum est nihil, hunc missum 
a patre in virginem et ex ea natum, hominem et deum, filium 
hominis et filium dei et cognominatum lesnm Christum, hunc 
passuntj hunc mortimm et sepultum secundum scripturas et resu- 
scitatum a patre et in caelo resumptum sedere ad dexteram patris, 
venturum iudicare vivos et mortuos; qui exinde miserit secundum 
promissionem suam a patre spiritum s, paracletum sanctificatorem 
fidei eorum qui credunt in patrem et filium et spiritum sanctum. 
Hanc regnlam ab initio evangelii decucurrisse^^). Seine „regula" 
ist eine apostolische lex et doctrina, unverbrüchlich für jeden 
Christen: Die Zustimmung zu dieser lex entscheidet 
über den christlichen Charakter des Einzelnen. Die 
christliche Gesinnung und das christliche Leben ist dann 
ein Zweites, welches besonderen Bedingungen unterliegt (damit 
ist das Wesen der Religion gespalten — die verhängnissvollste 
Wendung in der Geschichte des Christentums!). 

AUein erst im Laufe des 3. Jahrh. hat sich dieser katho- 
lische Massstab in der Kirche verbreitet. Clemens Alex. 


§ 17.] Die apostolischen Normen. Das Nene Testament. 65 

kennt ihn noch nicht (ihm ist der xavhv rrjg ixxXrjöiag die 
antignostische Interpretg-tion der h. Schrift)^ dagegen ist ihm 
Origenes sehr nahe gekommen (s. de princip. praef.), d. h; 
im Anfang des 3. Jährh. ist die alexandrinisehe Kirche der 
romischen gefolgt mid allmählich „katholisch" geworden. Noch 
später folgten die syrischen Kirchen, wie die Grmidschrift der 
Apost. Konstitutionen beweist, die die „apostolische Glaubens- 
regel" im Sinn des Occidents nicht kennt. Erst am Ende 
des 3. Jahrhimderts wurde die katholische Kirche auf Grund 
der gemeinsamen apostolischen lex eine Wirklichkeit und 
schied sich scharf von den häretischen Parteien; ja abgelege* 
nere Gemeinden mögen erst durch das Nicänum zu einer 
„apostolischen Glaubenslehre" gekommen sein. Aber auch da« 
Nicänum ist nicht mit einem Schlag rezipift worden. 

§ 17. B. Die Prädizirnng einer Auswahl kirchlicher Lese- 
schriften als Schriften des N. T. resp. als Sammlung der 

apostolischen Schriften. 

S. clie Einleitungen in d. N. T. von EEbuss, HHoltzhann, B Weiss. 
Bazn TbZahn, Gesch. des NTlichen Kanons, 2 Bde. 1888 ff. -^ AHa.knacs, 
Das N. T. um d. J. 200. 1889. 

Neben dem Gesetz und den Propheten (tä ßvßUa) war in 
den Gemeinden das Hermwort oder kurzweg „6 tivqioq^^ un- 
discutirbare Instanz. Die Worte und Thaten des Herrn -(„das 
Evangelium") waren verzeichnet in mehreren unter sich ver- 
wandten und vielfach rezensirten Schriften, die man ,,Herm- 
schrifben", ferner — jedoch erst seit der Mitte des 2. JahrL — 
^hvayyiXiaf^ und ,yajtO(ivrjfLOvsviiaTa t&v &7toöt6kcov^^ nannte und 
die mindestens seit c. 140 öflFentlich verlesen wurden (Justin). 
Die letztgenannte Bezeichnung drückt das Urteil aus, dass AUes, 
was vom Herrn berichtet wird, direkt oder indirekt auf die 
Apostel zurückgeht. Aus der Zahl dieser evangelischen Schriften 
ragten schon vor der Mitte des 2. Jahrhunderts in einigen Haupt- 
kirchen (vor Allem in Kleinasien, Rom und in den von ihnen 
abhängigen Gemeinden; in Alexandrien auch mindestens seit 
der 2. Hälfte des 2. Jahrh.) vier hervor — unsere jetzigen 
Evangelien — , die z. B. schon bald nach 160 von Tatian zu 
einem einzigen Evangelium (Diatessaron) verarbeitet worden 
sind. (Ein Vergleich des Lucasev. mit dem Marcion's lehrt, 

Gmndriss IV. in. Habnaoe, Dogmengeschiclite. 2. Aufl. 5 


66 Grundlegung des Dogmas. [§ 17. 

dass es nach c. 140 nur unbedeutende redaktionelle Ände- 
rungen erfahren hat. Das Marcusev. empfing im 2. Jahrh. 
einen ausführlichen Schluss, das Matth.ev., wenn nicht Alles 
trügt, eine Schlussredaktion. Das Joh.ev. ist vielleicht von 
Anfang an mit seinem Anhang publizirt worden.) Neben 
diesen Schriften wurden Briefe des Apostels Paulus, die frühe 
gesammelt worden sind, in den Gemeinden, resp. von ihren 
Leitern gelesen, wie die Briefe des Clemens, Bamabas, Igna- 
tius und namentlich des Polykarp bezeugen. Während aber 
die Evangelien eine direkte Beziehung zum Kerygma und 
eine Stellung im Traditionsbeweis besassen (Ignatius, Justin), 
fehlte eine solche den Paulusbriefen vollständig. Endlich ver- 
ehrte man alle schriftlich fixirten Kundgebungen von „Geistes- 
trägem" (:7rv£vfiaro9?<$pot) als inspirirte heilige Schriften, mochten 
es nun jüdische Apokalypsen sein mit hochklingendem Namen 
oder Schriften christlicher Propheten und Lehrer. Die yQaqyil 
war zunächst das A. T., aber mit „6 xvQLog kaysi'^ (yiyQaicxai, 
oder einfach kiyei) wurden auch apokalyptische Verse be- 
zeichnet. Gleichwertig aber andersartig war die Instanz: 6 
x:vQLog ksysL iv r& BvayyekCfp (Erfüllung der Weissagung — 
Sittenregeln). In Worten des Apostels Paulus sprachen viele 
Lehrer gerne, ohne ihnen das gleiche Ansehen wie der Schrift 
und dem Hermwort zu geben (sind die Paulusbriefe vor c. 180 
öffentlich in den Gemeinden verlesen worden?). 

Marcion, der das A. T. und den Weissagungsbeweis ver- 
warf, hat eine neue Schriftensammlung mit kanonischem An- 
sehen (Lucasev., 10 Paulusbriefe) aufgestellt. Wahrscheinlich 
gleichzeitig oder etwas später thaten gnostische Schulhäupter 
dasselbe unter Anlehnung an das in den Gemeinden Ver- 
breitetste, aber auch Neues einmischend (Valentin, Tatian, 
Enkratiten). Überall traten hier die Briefe des Paulus in 
den Vordergrund; denn sie waren theologisch, soteriologisch 
und konnten dualistisch verstanden werden. Die neuen, kritisch 
zurechtgemachten Sammlungen, die die Gnostiker dem A. T. 
entgegensetzten, wurden mit derselben Autorität ausgestattet, 
die das A. T. in der Grosskirche besass, und dem entsprechend 
allegorisch erklärt (daneben doch Geheimtradition und -Schriften). 

Die Leiter der Gemeinden reichten demgegenüber mit 
einer Berufung auf die yQa(pri und den KVQiog nicht aus. Es 
musste 1) bestimmt werden, welche Evangelienschriften (und 


§ 17.] Die apostolischen Normen. Dais Neiie Testament. 67 

in welcher Rezension) überhaupt in Betracht kommen; es 
mnsste 2) den Häretikern alles das entzogen und als katiio- 
lisches Eigentum in Anspruch genommen werden, was man 
nicht als jung und falsch diskreditiren konnte; es musste 
3) eine solche Sammlung von Schriften hergestellt werden, 
die den Traditionsbeweis nicht störte, sondern durch ihre 
Qualitäten zu verstärken geeignet war. Zunächst beschränkte 
man sich darauf, die vier Evangelien als die einzig authen- 
tischen apostolischen Herrnschriften zu bezeichnen. Sie 
standen in der Geltung dem A. T. schon so nahe, dass der 
imgeheure Schritt, ihren Buchstaben heilig zu sprechen, schwer- 
lich als eine Neuerung empfunden wurde, war zudem doch 
von Anfang an das heilig, was der Herr gesagt hatte. Bei 
dieser Fixirung verharrten viele Kirchen bis tief in das 3. Jahr- 
hundert hinein; so z. B. die Grundschrift der App. Gonstit.; 
einige orientalische brauchten sogar fort und fort das Dia- 
tessaron. Nicht eine zweite neue Sammlung wurde beliebt, 
sondern die vier Evangelien traten zu den ßißUa hinzu (6 
%vQiog diä 7tQ0(prjtG)v — 6 xvQLog iv r& BiayysXCco)'^ daneben 
standen die Erzeugnisse pneumatischer Schriftstellerei, in- 
dessen mit stets sich mindernder Dignität (montanistischer 
Kampf). 

Aber dort, wo der Kampf gegen die Häresie am heftigsten 
geführt und die Konsolidirung der Gemeinden auf festen Ge- 
setzen am zielbewusstesten betrieben wurde — in (Kleinasien 
und) Rom, hat man den gnostischen neuen Sammlungen, an 
die Sammlungen und den Gebrauch heiliger Schriften sich 
anlehnend, aber ihn sichtend und das Massgebende und 
Sichere nach strengen Grundsätzen ausscheidend, eine 
katholisch-apostolische neue Sammlung entgegengestellt, 
mehr zur Verteidigung als zum AngriflF. Man fügte die Paulus- 
briefe den vier Evangelien hinzu (nicht ohne Skrupel Ge- 
legenheitsschriflen in göttliche Orakel verwandelnd, ja diese 
Wandelung vor sich selber verdeckend) und zog sie dadurch 
in den Traditionsbeweis hinein, dass man sie durch das Me- 
dium eines nun erst in die Sammlung rezipirten Buches, der 
Apostelgeschichte, dem angeblichen Kerygma der Zwölfapostel 
beigesellte, resp. unterordnete. Der von den Zwölfaposteln in 
der Apostelgeschichte legitimirte und in den Pastoralbriefen 
ziemlich unkenntliche Paulus wurde so zum Zeugen der Si- 


68 Grundlegung des Dogmas. [§ 17. 

dax"^ KVQiov Stä tmv cß' &jco6x6k(av (im katliolisclieji Sinn)^ 
d. h. man hatte nun Pflicht und Recht^ ihn nach der Apostel- 
geschichte zu verstehen, die freilich selbst nur faute de mieux 
in die Sammlung gekommen ist (sie vertritt im Kanon die 
Stelle einer Schrift^ in der die Missionsgeschichte und die 
Lehre aller zwölf Apostel enthalten sein sollte — aber solch 
eine Schrift besass man eben nicht) und eine Tradition decken 
musstC; die auch über ihren Buchstaben weit hinausging. 
Die zwei- resp. dreigliederige neue apostolische Sammlung 
(Evangelium, Ap.-Gesch., Paulusbriefe), nun als das Neue 
Testament dem Alten (Gesetz und Propheten) zu- und bald 
übergeordnet, schon von Irenäus und Tertullian in Wirksam- 
keit gesetzt (doch scheinen nur im Gebrauch, nicht in der 
Theorie Evangelien imd Paulusbriefe gleichwertig gewesen zu 
sein; auch findet sich bei Irenäus der Name N. T. noch nicht, 
und die Sache selbst ist bei ihm noch im Werden, s. J Werner 
i. Texten u. Unters, z. altchristl. Litt.-Gesch. VI, 2), hat sich 
vom Occident aus allmählich in den Kirchen verbreitet und 
hat, einmal geschaffen, kaum Erschütterungen erfahren. Dar 
gegen hat ein vierter und fünfter Bestandteil eigentlich nie- 
mals eine geschlossene feste Form gewinnen können. Erstlich 
nämlich suchte man die Apostelgeschichte durch Schriften von 
Zwölfaposteln zu verstärken. Es war natürlich, dass man 
solche Schriften zu haben wünschte, und andererseits gab es 
angesehene Schriften von christlichen Propheten und Lehrern, 
die sich zur Aufiiahme anboten (nicht umgangen werden 
konnten), aber keine apostolische Autorität (im strengen Sinn) 
besassen. So entstand die Gruppe der katholischen Briefe. 
Ihren Kern bildeten ursprünglich wahrscheinlich der 1. und 
2. Johannesbrief und der Brief des Judas (s. das Muratorische 
Fragment). Angegliedert wurden der 3. Johannesbrief (der 
mit 1 u. 2 denselben Verf. hat), ein mit den paulinischen 
Briefen verwandtes, altes Schreiben, das jetzt erst den Namen 
des Petrus empfing (das wird freilich sehr bestritten), und 
eine kömige Sammlung prophetischer Manifeste und Mah- 
nungen unter dem Namen des Jakobus. Die übrigen Schriften 
unter dem Namen des Petrus (Evangelium, Acta, Kerygma, 
Apokalypse) sind schliesslich ebenso abgelehnt worden wie 
eine umfangreiche Schrift: Acta Pauli. Dagegen ist im Aa- 
fang des 3. Jahrh. ein 2. Petrusbrief, ' zunächst in Alexandrien, 


§ 17.] Die apostolischen Normen. Das Neue Testament. 69 

in die Gruppe aufgenommen worden. Nicht einmal in Alexan- 
drien gelang es anderen Schriften ( Clemensbrief ^ Barnabas- 
brief , Hermas u. s. w.) sich einen dauernden Platz im Kanon 
zu erobern. Diese Gruppe katholischer Briefe^ zwei Briefe 
abgerechnet^ hat bis ins 4. Jahrh. und weiter weder in ihrem 
Umfang noch in ihrer Dignität Festigkeit erlangen können^ 
ohne doch dabei — erstaunlich genug — das Ansehen der 
ganzen Sammlung wirklich zu gefährden. Zweitens boten sich 
für die neue Sammlung die Apokalypsen an. Allein schon 
war die Zeit über die Stimmung^ aus der sie stammten^ hin- 
weggeschritten ^ ja bekämpfte sie^ imd die Natur der neuen 
Sammlimg verlangte Apostolisches, nicht Prophetisches, welch 
letzteres sie vielmehr ausschloss. So konnten nur die Petrus- 
und Johannesapokalyse in Betracht kommen. Die erstere fiel 
rasch dahin aus uns verborgenen Gründen, die letztere ist oi^ 
öiä xvQÖg schliesslich für die neue Sammlung gerettet worden. 

Ein geschlossenes N. T. hat es im 3. Jahrh in der Kirche 
nicht überall, vielleicht nirgends gegeben; aber wo eine zweite 
Sammlung vorhanden war, da brauchte man sie wesentlich 
wie das A. T. und zeigte keine Bedenken. Auch die unfertige 
Sammlung leistete ad hoc alles das, was, wie man denken 
müsste, nur die fertige hätte leisten können. Zu einer Beligion 
des Buches ist aber der Eatholicismus nie geworden. Die 
Herrnworte blieben die Richtschnur für die Gestaltung des 
Lebens, und die Lehrentwickelung hat allezeit ihren eigenen 
Weg verfolgt, der von dem N. T. nur sekundär beeinflusst 
worden ist. 

Folgen: 1) Das N. T. — die durch Ausscheidung her- 
gestellte „apostolische" Schriftensammlung — hat in sich den 
wertvollsten Teil der Drlitteratur vor dem Untergang ge- 
schützt; aber es hat alles Übrige aus dieser Litteratur als 
Anmassungen oder Fälschungen oder als Überflüssiges dem 
Untergang preisgegeben; 2) das N. T. hat der Abfassung in- 
spirirter Schriften ein Ende gemacht, aber eine kirchlich- 
profane Litteratur erst ermöglicht, ihr zugleich feste Schranken 
setzend; 3) das N. T. hat den historischen Sinn und den ge- 
schichtlichen Ursprung der in ihm enthaltenen Schriften ver- 
dunkelt, aber es hat zugleich die Bedingungen geschaffen für 
ein eingehendes Studium derselben und für ihre Wirksamkeit 
in der Earche; 4) das N. T. hat der enthusiastischen Pro- 


70 Grundlegung des Dogma». [§ 18. 

duktion von ^^Thatsaohen^^ einexL Damm entgegengesetzt; aber 
es hat durch die Forderung, die in ihm enthaltenen Schriften 
in allen Sätzen für einstimmig, deutlich, sufficient und pneu- 
matisch zu halten, die gelehrte, theologische Produktion neuer 
Thatsachen und Begrififsmythologien zur notwendigen Folge 
gehabt; 5) das N. T. hat eine OflFenbarungszeit abgegrenzt^ 
die apostolische Zeit und die Apostel auf eine unerreichbare 
Höhe gestellt und damit der Herabsetzung der christlichen 
Ideale und Forderungen Vorschub geleistet, aber es hat zu- 
gleich die Kenntniss derselben in Kraft erhalten und ist zum 
Stachel der Gewissen geworden; 6) das N. T. hat das bean- 
standete kanonische Ansehen des A. T. wirksam geschützt; 
aber es hat zugleich den Anstoss geboten, die christliche 
Offenbarung der ATlichen überzuordnen und über die spe- 
zifische Bedeutung jener nachzusinnen; 7) das N. T. hat die 
verhängnissvolle Identifizirung von Hermwort und apostolischer 
Tradition (Apostellehre) befördert; aber es hat durch die Auf- 
nahme der Paulusbriefe den höchsten Ausdruck des Erlösungs- 
bewusstseins als Richtschnur aufgestellt und durch die Kano- 
nisirung des Paulinismus ein segensreiches Ferment in die 
Kirchengeschichte eingeführt; 8) durch den Anspruch der 
katholischen Kirche, dass ihr allein beide Testamente gehören, 
hat sie allen anderen christlichen Gemeinschaften den Rechts- 
titel genommen; aber indem sie das N. T. zur Norm erhob, 
hat sie die Rüstkammer geschaffen, der in der Folgezeit die 
schärfsten Waffen gegen sie selbst entnommen worden sind. 
— Wiegt man die Vorteile und Nachteile der Schöpfung des 
N. T.'s vergleichend ab, so sind die Vorteile bei Weitem, 
grösser, ja es lässt sich nicht absehen, was aus dem Evan- 
gelium ohne das N. T. geworden wäre. Aber man kann neben 
dem N. T. die analogia fidei nicht missen, sonst droht der 
Glaube sich am N. T. zu zersplittern und seine einheitliche 
Kraft zu verlieren. 

§ 18. C. Die ümprä^nng des bischSflichen Amts in der 
Kirche zu dem apostolischen Amt. Die Geschichte der Um- 
bildung des Begriffs der Kirche* 

S. RSoHM, Kirchenrecht Bd. I 1892. — EHatch, Die Gesellschafts- 
verfassung d. christl. KK. im Altertum, deutsch v. AHabnack 1883. — 
AHabnack, Die Lehre der 12 Apostel. 1884. S. 88 f. 


§: 18;] Die apostoUschen Normen. Der Episkopat. 71 

Der Nachweis, dass die Apostel eine Glaubensregel auf- 
gestellt haben, genügte nicht; manmusste zeigen^ dass die Kirche 
sie treu bewahrt habe und in sich selber eine lebendige In- 
stanz besitze, die gegebenen Falls alle Streitigkeiten entscheide. 
Ursprünglich verwies man auf die von den Aposteln gestifteten 
Gemeinden, in den^n die wahre Lehre zu erfahren sei, und auf 
den Zusammenhang mit den Apostelschülern und „Altan^^ 
Allein, dieser Hinweis bot keine, absolute Sicherheit; daher 
haben ihn Irenäus und Tertullian, durch die imponirende'Ent 
Wickelung des Episkopats namentlich in Rom bestimmt und 
das alte Ansehen der Apostel, Propheten und Lehrer auf die 
Bischöfe übertragend, so gefasst, dass der „ordo episcoporum 
per successionem ab initio decurrens^^ die Unversehrtheit des 
apostolischen Erbes garantire. Bei Beiden schillert diese 
These noch zwischen einer historischen (die Gemeinden sind 
die von den Aposteln gestifteten; die Bischöfe sind Schüler 
der Apostelschüler) imd einer dogmatischen. Doch tritt schon 
bei Irenäus die letztere klar hervor: y,episcopi cum episcopahis 
successione certum veritatis charisma accepernnif^ (an dem auf 
apostolischer Succession beruhenden Amt der Bischöfe 
haftet das Charisma der Wahrheit). Die These ist nur ein 
dogmatischer Ausdruck für die hohe Stellung, die der Episkopat 
bereits faktisch erworben hatte; sie sollte übrigens ursprünglich 
Apostel und Bischöfe keineswegs vollkommen identifiziren, 
blieb auch in ihrer Anwendung auf den einzelnen Bischof 
unsicher und Hess noch Raum für die alte Gleichung: Spiritus^ 
ecclesia, fideles. Allein Oalixt von Rom (s. Tbrtüll., de pudic. ; 
HiPPOL., Philos. IX) hat das volle apostolische Ansehen und 
die apostolischen Kompetenzen für sich in Anspruch genommen, 
während Tertullian dem Bischof nur den locus magisterii, 
dagegen nicht ohne Weiteres den Besitz des h. Geistes (zur 
Sündenvergebung) vindizirte. Im Orient und in Alexandrien 
ißt der apostolische Charakter der Bischöfe erst sehr spät 
zur Anerkennung gekommen. Wie Ignatius nichts von ihm 
weiss (der Bischof ist nach ihm der Stellvertreter Gottes in 
seiner Einzelgpmöinde), so auch nicht Clemens Alex., ja noch 
die Grundschrift der apost. Constit. schweigt. Doch begann 
er sich zur Zeit des Origenes in Alexandrien einzubürgern. . 
Der KirchenbegriflF wurde durch diese Entwickelung schwer 
betroffen. Ursprünglich war die Kirche die himmlische Ge- 


72 Grundlegung des Dogmas. [§ IS. 

nossin Christi; die Stätte des h. Geistes, und ihre ChristKchkeit 
ruhte auf dem Besitz des Geistes, dem Glauben an Gott, der 
Hoffnung und der Disziplin des Lebens: wer zur Kirche ge- 
hörte, war seiner Seligkeit gewiss (heilige Kirche), und jede 
Einzelgemeinde galt als irdische Projektion der einen heiligen 
Kirche. Dann wurde die Kirche zur sichtbaren Anstalt des- 
selben Glaubensbekenntnisses {jyfides in regtda posita est^ 
habet legem et salutem de observatione legis'^ Tertüll.); sie 
ist die Hinterlassenschaft der Apostel, und ihre Christlichkeii 
ruht auf dem Besitz der wahren apostolischen Lehre (katho- 
lische Kirche im Sinne der Oekumenicität und der Lehr- 
reinheit; der Ausdruck in diesem Sinn seit dem Ende des 
2. Jahrb.). Man muss Glied dieser empirischen einen apo- 
stolischen Kirche sein, um des Heils teilhaftig zu werden, weil 
nur hier das seligmachende Bekenntniss gegeben ist. Die 
Kirche hört auf, sichere Geraeinschaft des Heils und der 
Heiligen zu sein, und wird Bedingung des Heils (s. das folg. 
Kap.). Dieser Kirchenbegriff (Iren., Tertull., Orig.), in dem sich 
die Entwickelung der Gemeinden zu der einen geschlossenen 
Erche darstellt — gewiss eine schöpferische That des christ- 
lichen Geistes — , ist nicht evangelisch, aber auch nicht 
hierarchisch; er ist in den katholischen Kirchen nie ganz 
untergegangen. Aber er ist fast von Anfang an durch den 
hierarchischen Kirchenbegriff beeinflusst worden. Derselbe 
ist bei Irenäus und Tertullian nur erst angedeutet (doch hat 
ihn der Letztere schliesslich bekämpft und ist in solcher Be- 
kämpfung sogar auf den ältesten Kirchenbegriff zurückgegangen: 
Spiritus gleich ecclesia, allgemeines Priestertum); ausgebildet 
worden ist er durch Calixt und andere römische Priester, 
namentlich aber durch Cyprian, während die Alexandriner den 
ältesten Kirchenbegrifif mit einem mystisch-philosophischen 
verbunden haben, und Origenes bei aller Hochachtung vor 
der empirischen Kirche ihre nur relative Bedeutung nie aus 
den Augen verloren hat. 

Calixt und Cyprian haben aus den faktischen Verhält- 
nissen und aus den Nötigungen, welche sie auferlegten, den 
hierarchischen Kirchenbegriff gebildet; dieser hat die Theorie 
zu den Massnahmen jenes geliefert, ist aber an einem Punkt 
hinter der Legitimirung der Weltlichkeit der Kirche zurück- 
geblieben, wie sie Calixt entschlossen vollzogen hatte (s. das 


§ 18.] Die apostolischen Normen. Die Kirche. 73 

folg. Kap.). Die Krisen waren im 3. Jahrhundert so gross, dass 
es — von abgelegenen Gemeinden abgesehen — nirgends mehr 
genügte, den katholischen Glauben zu bewahren; man musste 
den Bischöfen gehorchen, um das Kirchenwesen gegen 
oflFenkundiges Heidentum (im Leben), Häresie und Enthusias- 
mus (die urchristlichen Erinnerungen) zu schützen. Die Idee 
der einen, bischöflich verfassten Kirche wurde die oberste und 
schob die Bedeutung der Glaubenslehre als des Einheitsbandes 
zurück: die auf den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel, 
den Stellvertretern Gottes, ruhende Kirche ist um dieses ihres 
Fundamentes willen selbst die apostolische Hinterlassenschaft. 
Nach Cyprian (s. seine Briefe und die Schrift „de unitate 
ecclesiae'O ist die Kirche die Heilsanstalt (^„extra quam nulla 
5a?««s") als einheitlich organisirte Konföderation. Sie 
ruht ganz und gar auf dem Episkopat, der als Portsetzung 
des Apostolats, ausgerüstet mit den Gewalten der Apostel, sie 
trägt. Die Verbindung des Einzelnen mit Gott und Christus 
ist deshalb nur in der Form der Unterordnung unter den 
Bischof denkbar. Es stellt sich aber das Attribut der Einheit 
der Kirche (welches gleichbedeutend ist mit dem der Wahr- 
heit, weil die Einheit nur durch die Liebe zu Stande kommt) 
primär in der Einheit des Episkopats dar. Dieser ist von 
seinem Ursprung her ein einheitlicher und ist einheitlich ge- 
blieben, sofern die Bischöfe von Gott eingesetzt werden und 
in brüderlichem Austausch stehen. Also kommen die einzelnen 
Bischöfe nicht nur als Leiter ihrer besonderen Gemeinden, 
sondern als die Fundamente der einen Kirche in Betracht 
(„ecdesia in episcopo est^'). Daraus folgt weiter, dass den 
Bischöfen von Apostelkirchen eine besondere Dignität nicht mehr 
zukommt (alle Bischöfe, da sie Teilhaber eines Amts siud, 
sind gleich). Indessen besitzt der römische Stuhl deshalb eine 
besondere Bedeutung, weil er der Stuhl des Apostels ist, dem 
Christus die apostolischen Gewalten zuerst erteilt hat, um so 
die Einheit dieser Gewalten und der Kirche deutlich zu zeigen, 
femer auch deshalb, weil geschichtlich die Kirche dieses 
Stuhls die Wurzel und Mutter der einen katholischen Kirche 
geworden ist. In einer schweren karthag. Krisis hat sich 
Cyprian auf Rom so berufen, als sei die Gemeinschafk mit 
dieser Kirche (ihrem Bischof) an sich die Gewähr der Wahr- 
heit; allein später hat er, unterstützt von vielen afrikanischen 


74 Grundlegung des Dogmas. [§ 19. 


Bischöfen und von Firmilian Cappad., die Ansprüche auf be- 
sondere Rechte seitens des römischen Bischofs in Bezug auf 
andere Kirchen bestimmt in Abrede gestellt (Streit mit Ste- 
phanus). Endlich, obgleich er die Einheit der Verfassung der 
Kirche der Einheit der Glaubenslehre übergeordnet hat, ist 
das Moment der Christlichkeit insofern von ihm gewahrt 
worden, als er überall ein christliches Verhalten von den 
Bischöfen verlangte, widrigenfalls sie ipso facto ihr Amt ver- 
lören. Also kennt Cyprian noch keinen character indelebilis 
der Bischöfe, während ihnen Calixt und andere römische 
Bischöfe einen solchen vindizirt haben. Eine Folge seiner 
Theorie war es, dass er Häretiker und Schismatiker streng 
identifizirte, worin ihm übrigens die Kirche zunächst nicht 
gefolgt ist. — Die grosse eine bischöfliche Kirche, die er 
voraussetzte, war eine Fiktion: eine solche einheitliche Kon- 
föderation gab es doch im Grunde nicht; selbst Konstantin 
hat sie nicht vollständig verwirklichen können. 

Drittes Kapitel. 

Fortsetzung: Das alte Christentum und die neue Kirche. 

Hauptquellen sind die Schriften Tertullian^s, das 5. Buch der bist, 
eccl. des Eusebius und einige Angaben bei Hippel jt, Origenes (Kommen- 
tare), Didymus und Hieronymus. Für die novatianische Krisis vgl. den 
Briefwechsel Cyprian's u. Euseb., h. e. VI fin. — NBonwetsch, Gesch. d. 
Montanismus 1881. — Artikel „Lapsi" u. „Novatian** in RE*. — GESteitz, 
Das röm. Busssakrament 1854. — OBitschl, Cyprian v. Karthago 1885. 

§ 19. Der Montanismns und seine allgemeine Einwirkung 

auf die Kirche. 

1. Die Herabsetzung der Ansprüche an das sittliche Leben, 
das Verblassen der urchristlichen Hofifhungen, die rechtlichen und 
politischen Formen, durch die sich die Gemeinden gegenüber der 
Welt und der Häresie sicher stellten, riefen bald nach der Mitte 
des 2. Jahrh., zuerst in Eleinasien, dann auch in anderen Gebieten 
der Christenheit, eine Reaktion hervor, die die alten Stim- 
mungen und Zustände zu bewahren, resp. wiederherzustellen 
und die Christenheit vor Verweltlichung zu schützen suchte. 
Ergebniss dieser Krisis, der sog. montanistischen und der ihr 
verwandten, war, dass sich die Kirche nur um so strenger 
als eine ßechtsgemeinschaft fasste, die ihre Wahrheit an ihren. 


^ 19.] Das alte Christentam und die neue Kirche. 75 

historischen und objektiven Grundlagen habe, dass sie dem- 
gemäss dem Attribut der Heiligkeit eine neue Deutung gab, 
dass sie einen doppelten Stand, einen geistlichen und welt- 
lichen, und eine doppelte Sittlichkeit in ihrer Mitte ausdrück- 
Hch legitimirte, und dass sie ihren Charakter als Gemeinschaft 
des sicheren Heils mit dem anderen, unumgängliche Bedingung 
für den Heilsempfang und Erziehungsanstalt zu sein, vertauschte. 
Die Montanisten mussten ausscheiden (gute Dienste hat dabei 
schon das N. T. gethan), ebenso alle Christen, die die Wahr- 
heit der Kirche von einer strengeren Handhabung der Sitten- 
zucht abhängig machten (Novatianer). Die Folge war, dass 
am Ende des 3. Jahrhunderts zwei grosse Kirchengemeinschaften 
den Anspruch erhoben, die wahre katholische Kirche zu sein, 
nämlich die von Konstantin zur Reichskirche erhobene Kon- 
föderation und die mit den Resten des Montanismus ver- 
schmolzene novatianische Kirche. Die Anfänge des grossen 
Schismas gehen in Rom bis auf die Zeit des Hippolyt imd 
Calixt zurück; das ältere montanistische Schisma entwickelte 
sich, von Kleinasien ausgehend, in den Provinzen zwischen 
180 und 210. 

2. Die montanistische Reaktion hat eine grosse Entwicke- 
lung durchgemacht. Ursprünglich war sie das gewaltsame 
Unternehmen eines christlichen Propheten (Montanus), der, 
durch Prophetinnen imterstützt, die verheissungsvoUen Aus- 
blicke des 4. Evangeliums in der Christenheit zu verwirklichen 
den Beruf fühlte. Er deutete sie nach der Apokalypse, und 
verkündete, dass in ihm selber der Paraklet erschienen sei, 
in dem Christus, ja sogar der allmächtige Gott, zu den Seinen 
komme, um sie in alle Wahrheit zu leiten und die Zerstreuten 
zu einer Heerde zusammenzuführen. Demgemäss war es 
Montanus' höchstes Bestreben, die Christen aus den bürger- 
hchen Verhältnissen und den Gemeindeverbänden herauszu- 
führen (ähnliche, freilich vorübergehende Bewegungen kennen 
wir jetzt aus dem Kommentar des Hippolyt zu Daniel) und 
ein neues, einheitliches Gemeinwesen zu schaffen, das, von 
der Welt abgeschieden, sich auf das Herabfahren des oberen 
Jerusalems bereiten sollte. Der Widerstand, den diese exor- 
bitante prophetische Botschaft bei den Gemeindeleitern fand, 
und die Verfolgungen unter M. Aurel schärften die ohnehin 
schon lebhaften eschatologischen Erwartimgen und steigerten 


76 Gmndlegimg des Dogmas. [§ 19. 

die Martyriumsucht. Was die Bewegung aber an Eigentüm- 
lichkeit einbüsste, sofern die Verwirklichung des Ideals einer 
Sammlung aller Christen sich nicht oder doch nur auf kurze 
Zeit und in engen Grenzen durchführen liess (resp. von den 
Montanisten selbst bald fallen gelassen wurde), das gewann 
sie seit c. 180 reichlich wieder, sofern die Kunde von ihr 
fortschreitend den ernster Gesinnten Kraft und Mut verlieh^ 
der stets zunehmenden Verweltlichung der Kirche Widerstand 
zu leisten. In Asien xmd Phrygien erkannten viele Gemeinden 
in corpore die göttliche Sendung der Propheten an; in anderen 
Provinzen bildeten sich Konventikel, in denen die kolportirten 
Weissagungen der Propheten wie ein Evangelium betrachtet^ 
zugleich aber auch abgestumpft wurden (Sympathien der Kon- 
fessoren in Lyon. Der römische Bischof ist nahe daran, die 
neue Prophetie anzuerkennen). In den montanistischen Ge- 
meinden (c. 190) handelte es sich aber nicht mehr um eine 
neue Organisation im strengen Sinn des Worts mid um eine 
radikale Neubildung der christlichen Gesellschaft, vielmehr, 
wo die Bewegung für uns in ein helles Licht tritt, ist sie 
bereits gedämpft, wenn auch sehr wirksam. Die Urheber 
hatten ihrem Enthusiasmus keine Schranken gesetzt; auch 
waren noch keine festen Schranken für anspruchsvolle Pro- 
pheten vorhanden: Gott und Christus waren in ihnen erschienen; 
die Prisca sah Christus leibhaftig in weiblicher Gestalt; diese 
Propheten gaben die exzessivsten Verheissungen und sprachen 
in einem höheren Ton als irgend ein Apostel; sie stiessen 
sogar apostolische Anordnungen um; sie stellten, unbekümmert 
um jegliche Tradition, neue Gebote für das christliche Leben 
auf; sie schalten auf die grosse Christenheit; sie hielten sich 
für die letzten und deshalb höchsten Propheten, die Träger 
der SchlussoflFenbarung Gottes. Aber nachdem sie vom Schau- 
platz abgetreten, suchten ihre Anhänger einen Ausgleich mit 
dem vulgär Christlichen. Sie erkannten die grosse Kirche an 
und begehrten ihrerseits Anerkennung. Sie wollten sich an 
die apostolische regula und das N. T. binden; sie beanstan- 
deten auch die kirchliche Verfassung (die Bischöfe) nicht mehr. 
Dafür verlangten sie Anerkennung ihrer Propheten, die sie 
nun als Nachfolger älterer Propheten (prophetische Succession) 
zu empfehlen suchten; die „neue" Prophetie sei lediglich eine 
Nachoffenbarung, welche sich die frühere, wie die Kirche 


§ 19.] Das alte Christentum und die neue Kirche. 77 

sie ÜLasty yoraussetze; und diese Nachoffenbarung bezöge sich 
wesentlich nur — neben der Bestätigung, die sie kirchlichen 
Lehren im Gegensatz zu gnostischen gebe — auf die brennenden 
Fragen der christlichen Disziplin, die sie im Sinne einer 
strengeren Observanz entscheide. Darin lag f&r ihre 
Anhanger im Reich die Bedeutung der neuen Prophetie (Schutz 
gegen die Verweltlichung der Kirche) und deshalb hatten sie 
ihr Glauben geschenkt. In diesem Glauben, dass in Fhrygien 
der Paraklet für die ganze Kirche Offenbanmgen gegeben 
habe, um eine relativ strengere Lebensordnung zu begründen 
(Enthaltung von der 2. Ehe, strengere Fastenordnung, kräftigere 
Bezeugung der Christlichkeit im Leben des Tages, volle Mär- 
tyrerbereitschaft), schlug sich der ursprüngliche Enthusiasmus 
nieder. Aber dieses Phlegma war eine gewaltige Ejraft, da 
die grosse Christenheit zwischen 190 und 220 die grössten 
Fortschritte in der Säkularisirung des Evangeliums machte. 
Der Sieg des Montanismus Mtte eine vollige Änderung im 
Besitzstand der Kirche und in der Missionspraxis zur Folge 
gehabt: die Gemeinden wären dezimirt worden. Daher halfen 
den Montanisten ihre Konzessionen (N. T., apostol. regula, 
Episkopat) nichts. Die Bischöfe griffen die Form der neuen 
Prophetie als Neuerung an, verdächtigten den Inhalt derselben, 
erklärten die alten Zukunftshoffiiungen für sinnlich und fleisch- 
lich, die sittlichen Forderungen für übertrieben, ceremonial- 
gesetzlich, jüdisch, wider NTliche Stellen verstossend, ja selbst 
für heidnisch. Sie hielten den Ansprüchen der Montanisten, 
authentische Gottesorakel zu bringen, das neugeschaffene N. T. 
entgegen, erklärten, dass alles Massgebende in den x^iussprüchen ' 
der beiden Testamente enthalten sei, und grenzten so eine 
Offenbarungsepoche scharf ab, die nur durch das N. T., 
die apostolische Lehre und das apostolische Amt der Bischöfe 
in die Gegenwart hineinrage (in diesem Kampfe erst wurden 
die neuen Vorstellungen perfekt, 1) dass das A. T. Propheti- 
sches enthalte, das N. T. nicht Prophetisches, sondern Aposto- 
lisches, 2) dass das Apostolische von keinem Christen der 
Gegenwart erreicht werden könne). Sie begazmen endlich 
zwischen der Sittlichkeit des Klerus und der der Laien zu 
unterscheiden (so in der Frage der Einehe). Durch dies Alles 
diskreditirten sie das, was einst der ganzen Christenheit teuer 
gewesen, was sie nun aber nicht mehr brauchen konnte. In- 


78 Grundiegtmg des Dogmas. [§ Id. 

dem sie den augebliclien Missbraucli ablehnten, setzten sie die 
Sache selbst mehr imd mehr ausser Kraft (Chiliasmns, Pro- 
phetie, Mündigkeit der Laien, strenge Heiligkeit), ohne sie 
doch ganz abthun zu können. 

Am heftigsten aber trafen die Gegensätze bei der Frage 
nach der Sündenvergebung auf einander. Die Montanisten, 
sonst die Bischöfe anerkennend, wiesen das Recht auf dieselbe 
allein dem h. Geiste (d. h. den Geistesträgern) zu — denn der 
Geist hafte nicht an der Amtsübertragimg — und erkannten 
kein menschliches Recht der Sündenvergebung an, die viel- 
mehr auf (seltenen) Eingriffen göttlichen Erbarmens beruhe^ 
(y^potest ecclesia [s^nritus] donare delicta, sed non faciam^^). 
Sie schieden daher alle Todsünder aus den Gemeinden aus, 
ihre Seelen Gott befehlend. Die Bischöfe dagegen mussten 
wider das eigene Prinzip, dass allein die Taufe die Sünden 
tilge, sich das Recht der Schlüsselgewalt, unter Berufung auf 
ihr apostolisches Amt, vindiziren, um den Bestand der immer 
unheiligeren Gemeinden gegen die Auflösung zu schützen, die 
eine Folge der alten Strenge gewesen wäre. Calixt hat zuerst 
das Recht der Bischöfe, Sünden zu vergeben, in vollstem Um- 
fang in Anspruch genommen und dieses Recht auch auf Tod- 
sünden ausgedehnt. Ihm begegnete nicht nur der Montanist 
TertuUian, sondern in Rom selbst ein sonst hochkirchlicher 
Gegenbischof (Hippolyt). Die Montanisten mussten ausscheiden 
mit ihrer „Teufelsprophetie"; aber sie selbst zogen sich auch 
freiwillig aus einer Kirche zurück, die „ungeistlich" (psychisch) 
geworden sei. Die Bischöfe behaupteten den Besitzstand der 
Kirche auf Kosten ihrer Christlichkeit. An die Stelle der 
Christenheit, welche den Geist in ihrer Mitte hat, trat die 
Kirchenanstalt, welche das N. T. und das geistliche Amt besitzt. 

3. Indessen machte die Durchführung des Anspruches der 
Bischöfe auf das Recht der Sündenvergebung (dagegen z. T. 
die Gemeinden und die christlichen Heroen, die Konfessoren) 
und ihre Anwendung auf Todsünder (dagegen die alte Praxis, 
die alte Vorstellung von der Taufe und von der Kirche) die 
grössten Schwierigkeiten, obgleich die Bischöfe nicht nur der 
alten früheren strengeren Praxis, sondern auch einer weitei^ 
gehenden Laxheit entgegentraten. Die Anwendung der Sünden- 
vergebung auf Ehebrecher hatte das hippolytische Schisma zur 
Folge. Nach der decianischen Verfolgung sah man sich aber 


§ 19.] Das alte Christentum und die neue Kirche. 79 

genötigt, auch die grösste Sünde, den Abfall, für vergebbar 
zu erklären, zugleich die alte Konzession, dass noch eine 
Hauptsünde nach der Taufe erlassen werden könne (eine aus 
dem Hirten begründete Praxis), zu erweitem und alle Rechte 
geistlicher Personen (Konfessoren) abzuschaiBFen, d. h. die Sün- 
denvergebung an ein regelmässiges, kasuistisches, bischöfliches 
Verfahren zu knüpfen (Cornelius v. Rom und Cyprian). Da- 
mit erst war der Kirchenbegriff total geändert: die Kirche 
muss ihrem Wesen nach Reine und Unreine umfassen (wie 
die Arche Noah); ihre Glieder sind nicht sämmtlich Heilige 
und keineswegs alle der Seligkeit gewiss. Die Kirche ist 
lediglich kraft ihrer Ausstattung heilig (objektiv), die sich 
ganz wesentlich neben der reinen Lehre in dem bischöflichen 
Amt (Priester und Richter in Gottes Namen) darstellt; sie 
ist unumgängliche Heilsanstalt, so dass Niemand ausser ihr 
selig wird, auch societas fidei, aber nicht fidelium, vielmehr 
Erziehungsschule imd Kultusanstalt für das Heil. Sie besitzt 
auch ausser der Taufe ein zweites sündentilgendes Mittel, 
wenigstens in der Praxis; die Theorie aber war noch verlegen 
und unsicher. Jetzt erst war die Scheidung von Klerus und 
Laien vollständig als religiöse vollzogen Qecdesia est nu- 
merus episcoporum^^), und römische Bischöfe legten sogar dem 
Klerus einen character indelebilis bei (nicht Cyprian). Jetzt 
erst begannen aber auch die theologischen Spekulationen über 
das Verhältniss der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen zu 
der empirischen heiligen Kirche, der temperirten, durch die 
Gnadenmittel korrigirten Verweltlichung der Christenheit. Allein 
dies Alles konnte sich nicht durchsetzen ohne eine grosse Gegen- 
bewegung, die von Rom (Novatian) ausging und bald alle 
Provinzialkirchen erfasste. Novatian verlangte nur ein Mini- 
mum, die ünvergebbarkeit der Sünde des Abfalls (auf Erden), 
sonst sei die Kirche nicht mehr heilig. Aber dieses Minimum 
hatte dieselbe Bedeutung wie zwei Menschenalter früher die 
weitergehenden montanistischen Forderungen. Es wurde in 
ihm ein Rest des alten Kirchenbegriffs lebendig, so seltsam es 
war, dass eine Gemeinschaft sich lediglich deshalb für rein 
(Katharer) und wahrhaft evangelisch hielt, weil sie die Ab- 
gefallenen (später vielleicht auch andere Todsünder) nicht 
duldete. Eine zweite katholische, von Spanien bis Kleinasien 
sich erstreckende Kirche entstand, der aber ihr archaistisches 


80 Grundlegung des Dogmas. [§ 20. 

Trümmerstück der alten Disziplin nicht zu einer weltfreieren 
Lebensordnnng verhalf, und die sich von der anderen Kirche 
nicht wesentlich unterschied, obgleich sie die Gnadenspendungen 
dieser für nichtig erklärte (Praxis der Wiedertaufe). 

Mit Weisheit, Vorsicht und relativer Strenge haben die 
Bischöfe in diesen Krisen die Gemeinden in einen neuen Zu- 
stand übergeführt. Wie sie waren, konnten sie nur eine sie 
bevormundende Bischofskirche brauchen und lernten sich mit 
Kecht als Schüler und Schafe beurteilen. Zugleich hatte die 
Kirche nun die Gestalt gewonnen, in der sie eine mächtige 
Stütze des Staates sein konnte; denn sie disziplinirte und er- 
zog die Massen. Dabei war die Gesellschaft in ihr doch er- 
heblich geordneter als sonst im Reiche, und die Schätze des 
Evangeliums waren noch immer in ihrer Mitte (Christi Bild, 
die Gewissheit des ewigen Lebens, die Uebung der Barmherzig- 
keit), wie einst der Monotheismus und die Frömmigkeit der 
Psalmisten in der harten und fremden Schale der jüdischen 
Kirche lebendig geblieben sind. 

§ 20. Umbildung der sakralen Einrichtungen. 

1. Das Priestertum. Der Abschluss des altkatholischen 
Kirchenbegriffs zeigt sich besonders deutlich in der vollendeten 
Entwickelung eines priesterlichen Standes. Hierurgische Priester 
finden sich zuerst bei Gnostikem (Marcianem); in der Kirche 
sind die Propheten (Didache) und die Gemeindeliturgen (I Cle- 
mens) mit den ATlichen Priestern frühe verglichen worden. 
Zuerst bei Tertullian (de baptist. 17) heisst der Bischof Priester, 
und seit dieser Zeit entwickelte sich bis c. 250 der priesterliche 
Charakter der Bischöfe und Presbyter sehr rasch im Orient wie 
im Occident, ja so stark war der Einfluss des Heidenturas hier, 
dass auch ein ordo priesterlicher Diener (innerhalb der niederen 
Weihen) — zuerst im Occident — neben den Diakonen aufkam. 
Der vollendete Priesterbegriff tritt uns bei Cyprian, den damaligen 
römischen Bischöfen und in der Grundschrift der apostoL 
Konstit. entgegen. Die Bischöfe (sekundär auch die Presbyter) 
galten als Vertreter der Gemeinde Gott gegenüber (sie allein 
dürfen das Opfer, nämlich das Abendmahl, darbringen) und 
als Vertreter Gottes der Gemeinde gegenüber (sie allein spenden 
oder verweigern die göttliche Gnade als Richter an Gottes 


§ 20.] Das Prieatertum. 81 

und Christi Statt; sie sind die Mystagogen, welche die als 
Weihe dinglicher Art gedachte Gnade verwalten). Für diese 
Ethnisirung berief man sich in steigendem Mass auf die AT- 
lichen Priester und die gesammte jüdische Kultusordnung. 
Thor und Thür wurden hier in Bezug auf die Rechte und 
Pflichten der Priester dem Heidentum und Judentum geöfl&iet, 
nachdem man die Mahnungen des alternden Tertullian^ 
zum. allgemeinen Priestertum zurückzukehren, überhört hatte. 
Zehnten-, Reinheits-, zuletzt (durch Konstantin) auch Sabbaths- 
ordnungen (übertragen auf den Sonntag) stellten sich ein. 

2. Das Opfer (JWFHöflino, Die L. d. ältesten K. vom 
Opfer 1851). Priestertum und Opfer bedingen sich. Die 
Opferidee hatte von Anfang an in der Kirche den weitesten 
Spielraum (s. B. I c. 3 Abs. 7); somit musste der neue Priester- 
begriff auf den Opferbegriff einwirken, wenn auch die alte 
Vorstellung (reines Opfer der Gesinnimg, Lobopfer, das ganze 
Leben ein Opfer) daneben bestehen blieb. Die Einwirkung 
zeigt sich in zweifacher Hinsicht: 1) innerhalb des christlichen 
Opferlebens traten die besonderen Akte des Fastens, der frei- 
willigen Ehelosigkeit, des Martyriums u. s. w. immer deut- 
licher hervor (s. übrigens schon Hermas) und erhielten eine 
meritorische, ja satisfaktorische Bedeutung (s. TertulL); 
vollendet erscheint diese Entwickelung bei Cyprian. Ihm ist 
es selbstverständlich, dass der Christ, der nicht sündlos bleiben 
kann, den erzürnten Gott durch Leistungen (satisfaktorische 
Opfer) zu versöhnen habe. Die Leistungen geben, wo beson- 
dere Sünden nicht zu tilgen sind, den Anspruch auf einen be- 
sonderen Lohn. Neben den Bussexerzitien sind die Almosen 
das wichtigste Mittel (Gebet ohne Almosen ist kahl und un- 
fruchtbar). Li der Schrift de opere et eleemos. hat Cyprian 
eine ausgeführte Theorie, man darf sagen über das Gnaden- 
mittel des Almosens gegeben, welches der Mensch sich selbst 
bereiten kann und welches Gott acceptirt. Seit der decia- 
oischen Verfolgung dringen die opera et eleemosynae in das 
Absolutionssystem der Kirche ein und erhalten hier eine feste 
Stelle: man kann — durch Gottes Nachsicht — selbst den 
Christenstand durch Leistungen wiedergewinnen. Hätte man 
sich einfach hiermit begnügt, so wäre der volle Moralismus 
eingezogen. Daher war es notwendig, den Begriff der gratia 
dei zu erweitern, und sie nicht, wie bisher, lediglich an das 

QrimdrisB IV. ui. Habkaok, Dogmeugeschichte. 2. Aufl. 6 


82 GrandleguDg des Dogmas. [§ 20. 

Taufsakrament zu heffcen. Das ist aber erst von Augustin 
geschehen. 2) änderten sich die Vorstellungen vom Opfer im 
Kultus. Auch hier ist Cyprian epochemachend. Er hat zu- 
erst deutlich das spezifische Opfer, das Abendmahlsopfer, dem 
spezifischen Priestertum zugeordnet; er hat zuerst die passio 
domini, ja den sanguis Christi und die dominica hostia als 
Gegenstand der eucharistischen Darbringung bezeichnet und 
damit die Vorstellung der priesterlichen Wiederholung des 
Opfers Christi erreicht (Jj jCQOtfipOQä tov öAgtarog Tcal rov aZ- 
(larog auch in der apost. Kirchenordnung); er hat die Abend- 
mahlsfeier bestimmt unter den Gesichtspunkt der Inkorporation 
der Gemeinde und der Einzelnen in Christus gestellt und zu- 
erst in deutlicher Weise bezeugt, dass der Kommemoration 
der Offerirenden (vivi et defuncti) eine besondere (deprekato- 
rische) Bedeutung beigelegt wurde. Die verstärkte Fürbitte 
war aber überhaupt der wesentliche EflFekt des Abendmahls- 
opfers für die Feiernden; denn auf die Sündenvergebung im 
vollen Sinn konnte die Handlung trotz aller Steigerung der 
Vorstellung und Bereicherung der Ceremonien nicht bezogen 
werden. Daher blieb die Behauptung, dass die Handlung Wieder- 
holung des Opfers Christi sei, doch eine blosse Behauptung; 
denn gegen die durch die kultische Praxis nahe gelegte Auf- 
fassung, dass der Anteil an der Feier entsündige wie die My- 
sterien der magna mater und des Mithras, reagirten die kirch- 
lichen Grundsätze von der Taufe und Busse. Als Opferhand- 
lung ist das Abendmahl niemals zu einer der Taufe ebenbürtigen 
Handlung geworden; aber für die populäre Vorstellung musste 
das feierliche, den antiken Mysterien nachgebildete Ritual die 
höchste Bedeutung erlangen. 

3. Gnadenmittel, Taufe und Eucharistie. Was man 
seit Augustin Gnadenmittel nannte, hat die Kirche des 2. und 
3. Jahrh. nur in der Taufe besessen: der strengen Theorie 
nach hat der Getaufte nicht neue von Christus gespendete 
Gnadenmittel zu erwarten, sondern er hat das Gesetz Christi 
zu erfüllen. Aber in der Praxis besass man von dem Moment 
an, wo Todsünder absolvirt wurden (und das geschah auf 
Grund von Anweisungen des Geistes in einzelnen Fällen von 
Anfang an), in der Absolution ein wirkliches Gnadenmittel, 
dessen Bedeutung sich mit der der Taufe deckte. Die Reflexion 
auf dieses „Gnadenmittel" blieb aber insofern noch ganz un- 


§ 20. J Das Opfer und die Sakramente. 83 

sicher, als der Gedanke, dass Gott durcli den Priester die 
Sünder absolvire, durch den anderen (s. oben) gekreuzt wurde, 
dass vielmehr die Bussleistungen der Sünder die Vergebung 
herbeiführen. — Die Vorstellungen von der Taufe änderten 
sich nicht wesentlich (JWPHöpling, Sakrament der Taufe. 
2. Bde. 1846). Als Erfolg der Taufe wurde allgemein die 
Sündenvergebung angesehen (eine moralische Betrachtung trat 
indess auch hier ein: die Sünden der Ungetauften sind die 
Sünden der Blindheit; also ist es angemessen, dass Gott sie 
dem Beuigen abnimmt); als Erfolg der Vergebung galt die 
faktische Sündlosigkeit, die man nun zu bewahren hatte. 
Häufig wird neben der remissio und der consecutio aeternitatis 
die absolutio mortis, regeneratio hominis, restitutio ad si- 
militudinem dei, consecutio spiritus sancti genannt (,,lavacrum 
regenerationis et sanctificationis^'), dazu noch alle möglichen 
Güter. Die stets zunehmende Bereicherung des Rituals ist 
z. T. eine Folge der Absicht, jene vorausgesetzten reichen 
Wirkungen der Taufe zu symbolisiren; z. T. verdankt sie dem 
Bestreben, das grosse Mysterium würdig auszustatten, ihren 
Ursprung. Eine Verselbständigung der einzelnen Akte begann 
auch schon (Firmelung durch den Bischof, spätestens seit der 
Mitte des 3. Jahrh.). Das Wasser galt als Symbol und 
VehikeL Gänzlich im Dunklen liegt die Einbürgerung der 
Kindertaufe (z. Z. des Tertull. schon verbreitet, aber von ihm 
de bapt. 18 gemissbilligt, weil er die cunctatio um des pon- 
duß der Hardlurgen willen für angezeigt hielt; von Origenes 
auf die Apostel zurückgeführt}. Die Versuche Einiger, die Taufe 
zu wiederholen, wurden abgelehnt. — Das Abendmahl galt 
nicht nur als Opfer, sondern auch als g<)ttliche Gabe (Mono- 
graphien von JDöLLiKGER 1826, KFAKahnis 1851, LJRückert 
1 856), deren Wirkungen aber nie streng bestimmt worden sind, 
weü das strenge Schema (Taufgnade, Taufverpflichtung) solche 
ausschloss. Mitteilung des göttlichen Lebens durch die heil. 
Speise war die Hauptvorstellung, verbunden mit ganz super- 
stitiösen Phantasien ((pccQ^axov a&avaöiag): Spirituelles und 
Physisches flössen ineinander (die Speise als yi/coc^ts^Mitteilung 
und 5oi}). Kein Kirchenvater hat hier scharf geschieden: der 
realistischste wurde zum Spiritualisten und der Spiritualist 
zum Mystagogen; aber die Sündenvergebung trat zurück. Dem 
entsprechend gestaltete sich auch die Vorstellung von dem 

6* 


84 Chnndlegtuig des Dogmas. [§ 20. 

Verhältnisse der sichtbaren Elemente zum Leibe Christi. Ein 
Problem (ob symbolisch oder realistisch) ist von Niemandem 
empfunden worden: das Symbol ist das wirkungskräftige Ge- 
heimniss (Vehikel), und das Geheimniss war ohne Symbol 
nicht denkbar. Das Fleisch Christi ist selbst „Geist" (an den 
historischen Leib dachte wohl Niemand); aber dass der Geist 
hier sinnlich wird, war eben das Auszeichnende. Die anti- 
gn ostischen Väter erkannten, dass die geheiligte Speise aus 
zwei unauflöslich verbundenen Elementen bestehe, einem ir- 
dischen und einem himmlischen, und sahen so in dem Sakrament 
die von den Gnostikem geleugnete Verbindung des Geistigen 
mit dem Fleisch und die Auferstehung des von dem Blute des 
Herrn genährten Fleisches gewährleistet (ebenso TertuUian, 
den man falschlich zum puren Symboliker gemacht hat). 
Justin hat von einer Transformation gesprochen, aber der 
Empfanger; die Vorstellung von einer Transformation der 
Elemente begann aber auch bereits. Die Alexandriner sahen 
hier wie in Allem, was die grosse Kirche that, das Mysterium 
hinter dem Mysterium; sie akkommodirten sich an die Hand- 
lung, aber sie wollten solche geistl iche Christen sein, die sich 
allezeit vom Logos nähren und ein ewiges Abendmahl feiern. 
Überall wurde die Handlung ihrer ursprunglichen Bestimmung 
entrückt und grazisirt nach Form und Lihalt, bei Gebildeten 
und Ungebildeten (Praxis der Kinderkommunion von Cyprian 
bezeugt). 

Mysterienmagie, Superstition, Autoritätsglaube und Ge- 
horsam einerseits, eine höchst lebendige Vorstellung von der 
Freiheit, Kraft und Verantwortung des Einzelnen im Mora- 
lischen andererseits sind die Signatur des katholischen Christen- 
tums: im Religiösen autoritativ und superstitiös gebunden, 
also passiv, im Moralischen frei und auf sich selber angewiesen, 
also aktiv. 

Dass die römische Kirche in diesem Prozess der Katho- 
lisirung der Gemeinden durchweg die Führung gehabt hat, 
ist eine sicher zu beweisende geschichtliche Thatsache. Die 
katholische Kirche ist wirklich die römische Kirche. Die 
„apostolischen'^ Massstäbe, die den Katholicismus zum Katho- 
licismus machen, sind römisch und haben sich von Rom aus 
verbreitet. Damit ist der faktische Primat der römischen Kirche 


§ 21.] Die Apologeten. Ö5 

innerhalb des Katholicismus (also auch des romischen Bischofs; 
s. AHarnack, Die ältesten christl. Datirungen u. d. Anfänge 
einer bischöfl. Chronographie in Rom, in SBBA, 7. Jnli 1892) 
gegeben. Die Frage der Zukunft konnte nur die sein, wie- 
viel davon in das Kirchenrecht aufgenommen und unter 
den Schutz einer A'nordnung Christi gestellt werden sollte. 
Aber die philosophisch-wissenschaftliche Glaubenslehre, welche 
sich in derselben Zeit aus dem Glauben entwickelt hat, ist 
nicht das Werk der römischen Gemeinde und ihrer Bischöfe. 


n. Fixirung und allmähliche Gräzisirung des 
Christentums als Glaubenslehre. 

Tiertes Kapitel. 

Das kirchliche Christentum und die Philosophie. 

Die Apologeten. 

§21. 

Ausgabe der Apologeten von Otto, 9 Bde.** 1876 f. — Die Apo- 
logie des Aristides in Texts and Studies ed. JARobinson Vol. I, 1 
1891. — AHabnack i. d. Text. u. Unters. 1, 1—3 1882 f. — MvEngel- 
HABDT, Christentum Justin's 1878. — FKühn, Der Octavius des Min. 
Felix 1882. 

1. Die Apologeten (Aristides, Justin, Tatian, Athenagoras, 
Clemens Alex. [Protreptic.], Theophilus, Tertullian [Apologeti- 
cum], Minucius Felix; nicht oder nur in kleinen Bruchstücken 
erhalten sind die Apologien des Quadratus, Melito, ApoUinaris, 
Miltiades; unter Justin's Namen steht auch Altes und Wertvolles) 
wollten in allen Stücken das Christentum der Gemeinden be- 
haupten und yertreten, standen deshalb auf dem Boden des 
A. T., betonten den üniversalismus der christlichen OflFen- 
banmg und hielten an der überlieferten Eschatologie fest. 
Sie lehnten den ,,Gnosticismus'^ ab und sahen in der mora- 
lischen Kraft, die der Glaube den Ungebildeten verlieh, einen 
Hauptbeweis für seine Wahrheit. Aber beflissen, das Christen- 
tum den Gebildeten als die höchste und sicherste Philosophie 
darzulegen, haben sie die moralistische Denkweise, in die die 
Heidenchristen das Evangelium von Anfang an hineingezogen 
haben, als die christliche ausgebildet, damit zugleich das 
Christentum rational gemacht und es auf eine Formel ge- 


86 Grundlegung des Dogmas. [§ 21. 

bracht; die dem common sense aller ernst Denkenden und 
Yemünftigen des Zeitalters entspracli. Dabei haben sie den 
überkommenen positiven Stoff, das A. T. sowie die Geschichte 
\md die Verehrung Christi, lediglich als die bisher fehlende 
nnd mit heissem Bemühen gesuchte Beglaubigung und 
Versicherung dieser vernünftigen Religion zu benutzen ver- 
standen. In der apologetischen Theologie ist das Christen- 
tum als die von Gott selbst herbeigeführte, der ursprünglichen 
Anlage des Menschen entsprechende, religiöse Auftlärung ge- 
fasst und in den schärfsten Gegensatz zu allem Polytheistischen, 
National-Religiösen und Ceremoniellen gestellt. Mit höchster 
Energie ist es als die Religion des Geistes, der Freiheit und 
der absoluten Moral von den Apologeten proklamirt worden. 
Der gesammte positive Stoff des Christentums aber ist in 
einen grossen Bewei sapparat verwandelt; nicht die Religion 
empfängt ihren Inhalt aus geschichtlichen Thatsachen — sie 
empfangt ihn aus der göttlichen Offenbarung, die in der an- 
erschaffenen Vernunft und Freiheit des Menschen sich er- 
weist — , sondern die geschichtlichen Thatsachen dienen zur 
Beglaubigung der Religion, zu ihrer Verdeutlichung 
gegenüber ihrer partiellen Verdunkelung und zu ihrer imiver- 
salen Verbreitung. 

Das aber war es, was die Meisten suchten. Worin Religion 
und Moral bestehe, das glaubte man zu wissen; aber dass sie 
Realitäten sind, dass ihre Belohnungen und Strafen sicher 
sind, dass die wahre Religion allen Polytheismus \md Götzen- 
dienst ausschliesst, dafür hatte man keine Gewähr. Das 
Christentum als wirkliche Offenbarung brachte hier Ge- 
wissheit. Es verlieh dem höchsten Ertrage der griechischen 
Philosophie und der Souveränetät der theistischen Moral Sieg 
und Dauer; es gab dieser Philosophie als Welterkenntniss und 
Moral erst den Mut, sich von der polytheistischen Vergangen- 
heit zu befreien und aus den Kreisen der Gelehrten zu dem 
Volk hinabzusteigen. 

Die Apologeten waren im Gegensatz zu den Gnostikem 
konservativ, weil sie der kirchlichen Überlieferung eigenir 
lich an keinem Punkte näher treten und sie nicht inhaltlich 
verständlich machen wollten. Der Weissagungsbeweis, nun 
aber in seiner äusserlichsten Fassung, verband sie mit der 
grossen Kirche. Die Gnostiker suchten im Evangelium eine 


§ 21.] Die Apologeten. 87 

neue ßeligion^ die Apologeten Hessen sich durch dasselbe 
ihre religiöse Moral bestätigen. Jene hielten den Erlösungs- 
gedanken fest und ordneten ihm AUes unter; diese stellten 
Alles in das Schema einer natürlichen Religion und rückten 
den Erlösungsgedanken in die Peripherie. Beide haben das 
Evangelium hellenisirt; aber nur die Spekulationen der Apo- 
logeten wurden sofort legitimirt, weil sie Alles auf den Gegen- 
satz gegen den Polytheismus abzweckten, das A. T. und das 
Kerygma unangetastet liessen und die Freiheit und Verantwort- 
lichkeit aufs schärfste betonten. Apologeten und Gnostiker 
haben das Werk fortgesetzt, welches die alexandrinischen 
jüdischen Denker (Philo) in Bezug auf die AT liehe Religion 
begonnen haben; aber sie haben sich so zu sagen in die Arbeit 
geteilt: diese haben mehr die platonisch-religiöse, jene die 
stoisch-rationalistische Seite der Aufgabe bearbeitet. Indessen 
reinlich konnte die Teilung nicht sein; kein Apologet hat von 
dem Erlösungsgedanken ganz abgesehen (Befreiung von der 
Dämonenherrschaft kann nur der Logos bewirken). Mit Irenaus 
beginnt in der theologischen Arbeit der Kirche wiederum die 
Vereinigung der beiden Aufgaben; nicht nur der Kampf gegen 
den Gnosticismus nötigte dazu, sondern der Geist des Zeit- 
alters selbst wandte sich von dem stoischen Moralismus immer 
mehr dem neuplatonischen Mysticismus zu, unter dessen Hüllen 
der Trieb nach Religion, nach dem lebendigen Gott, 
verborgen lag. 

2. Das Christentum ist Philosophie und ist Offen- 
barung: das ist die These aller Apologeten von Aristides bis 
Minucius Felix. Mit der Behauptung, es sei Philosophie, 
traten die Apologeten der in den Gemeinden verbreiteten 
Meinung, dass es der Gegensatz zu aller Weltweisheit sei 
(s. das Zeugniss des Celsus), entgegen; allein sie versöhnten 
sie durch das freudige Zugeständniss, dass das Christentum 
supranaturalen Ursprungs sei und als Offenbarung trotz seines 
vernünftigen Inhalts nur von einem gotterleuchteten Sinne 
erfasst werden könne. In den Grundzügen dieser Auffassung 
sind alle Apologeten einig. Die stärkste Ausprägung des 
stoischen Moralismus und Rationalismus findet sich bei Minu- 
cius; Justin's Schriften (Apologie und Dialog) enthalten die 
meisten Beziehungen zu dem Gemeindeglauben und zu den 
Thatsachen der evangelischen Geschichte. Andererseits denken 


38 Grundlegung des Dogmas. [§ 21. 

Justin und Athenagoras am günstigsten von der Philosophie 
und den Philosophen, während in der Folgezeit das Urteil 
immer härter wird (Theophilus, doch s. schon Tatian), ohne 
dass sich das Urteil über den philosophischen Inhalt des 
Christentums ändert. Die gemeinsame Überzeugung lässt 
sich also zusammenfassen: das Christentum ist Philosophie, 
weil es einen rationalen Inhalt hat, weil es über die Fragen 
einen befriedigenden und allgemein verständlichen Aufschluss 
bringt, um die sich alle wahrhaften Philosophen bemüht haben; 
aber es ist keine Philosophie, ja eigentlich der konträre Gegen- 
satz zu derselben, sofern es von allem Wähnen und Meinen 
frei ist und den Polytheismus widerlegt, d. h. aus OiBFenbarung 
stammt, also einen supranaturalen, göttlichen Ursprung hat, 
auf dem schliesslich allein die Wahrheit und Gewissheit seiner 
Lehre beruht. Dieser Gegensatz zur Philosophie zeigt sich 
vor Allem auch in der unphilosophischen Form, in der die 
christliche Predigt ausgegangen ist. Diese These liess im 
Einzelnen verschiedene Urteile über das konkrete Verhältnis» 
des Christentums zu der Philosophie zu und forderte die Apo- 
logeten zur Bearbeitung des Problems auf, warum denn das 
Rationale einer OflFenbarung bedürfe. Doch lassen sich auch 
hier noch folgende gemeinsame Überzeugungen feststellen: 
1) Das Christentum ist nach den Apologeten Offenbarung, 
d. h. es ist die göttliche Weisheit, die von Alters her durch 
die Propheten verkündet worden ist und an ihrem Ursprung 
eine absolute Sicherheit besitzt, die sich in der Erfüllung 
der Prophetensprüche auch erkennbar darstellt (der 
Weissagungsbeweis als der einzig sichere Beweis; er hat an 
sich mit dem Inhalt der Religion nichts zu thun, sondern 
begleitet sie). Als göttliche Weisheit steht das Christentum 
allem natürlichen und philosophischen Wissen gegenüber und 
macht ihm ein Ende. 2) Das Christentum ist die Aufklärung, 
die dem natürlichen aber verdunkelten Wissen des Menschen 
entspricht; es umfasst alle Wahrheitsmomente der Philosophie 
— es ist darum die Philosophie (i^ xa-Ö*' fjiiäg ipvXo6oq>ia^ ij 
ßccQßaQLxii fptkoöotpCa) — und es verhilft dem Menschen dazu, 
die in ihm angelegte Erkenntniss zu verwirklichen. 3) Offen- 
barung des Vernünftigen war und ist notwendig, weil die 
Menschheit unter die Herrschaft der Dämonen geraten ist. 
4) Die Bemühungen der Philosophen, die richtige Erkenntniss 


§ 21.] Die Apologeten. 89 

zu ermitteln, waren vergeblich, was sich vor Allem darin zeigt, 
dass weder der Polytheismus noch die herrschende ünsitt- 
licKkeit durch sie gebrochen worden ist. Soweit die Philo- 
sophen Wahres gefunden haben, verdanken sie es übrigens 
den Propheten (so lehrten schon die jüdischen Alexandriner), 
von denen sie es entlehnt haben; mindestens ist es unsicher, 
ob sie auch nur Fragmente der Wahrheit durch sporadische 
Logoswirkungen erkannt haben (Justin behauptet das, s. Apol. 
I, 5: ov yaQ ^6vov iv '''EXItjöl diä IJcDXQcctovg imo koyov 
rjXiyxdifi xavta^ akkä xal iv ßaQßccQOLS vx' avrov tot) köyov 
liOQgxod-avtog xal dv^Q(X)ytov xal 'Irj^ov ^Mptöroi) xkr^^ivrog^ 
dazu aber Apol. 11, 10: IJoxgdtei oidslg STteL^d-rj imiQ tovtov 
Tov döyiiatog ccnodi/ijöxeLV' X^^^t^ de rö xal vtco 2Ja)XQdtovg 
azb iiBQovg yvay^d'svtt . . , oi (pMöoffoi ovdh (pMkoyOL [lövov 
iicsLöd-riöäv)] gewiss aber ist, dass manche scheinbare Wahr- 
heiten bei den Philosophen NachäfFungen der Wahrheit durch 
böse Dämonen sind (auf diese geht der ganze Polytheismus 
zurück, der teilweise auch NachäfFung christlicher Institutionen 
ist). 5) Die Anerkennung Christi ist in der Anerkennung der 
prophetischen Weisheit einfach mit eingeschlossen ; einen neuen 
Inhalt hat die Lehre der Propheten durch Christus nicht em- 
pfangen; er hat sie nur der Welt zugänglich gemacht und 
gekräftigt (Sieg über die Dämonen; Eigentümliches anerkannt 
von Justin und Tertullian). 6) Die praktische Erprobung des 
Christentums liegt a) in seiner Fasslichkeit (die Ungebildeten 
und Weiber werden zu Weisen), b) in der Vertreibung der 
Dämonen, c) in der Krafk, ein heiliges Leben zu führen. In 
den Apologeten hat mithin das Christentum die Antike, d. h. 
den Ertrag der monotheistischen Erkenntniss und Ethik der 
Griechen, mit Beschlag belegt: p6a na^ä tt&öl xaX&g etQrjxav^ 
flU&v t&v XQtöTcav&v iöXL (Justin, Apol. II, 13). Es hat sich 
selbst bis zu dem Anfang der Welt hinauf datirt. AUes 
Wahre und Gute, was die Menschheit erhebt, stammt aus 
göttlicher Offenbarung und ist doch zugleich echt menschlich, 
weil klarer Ausdruck dessen, was der Mensch in seinem Innern 
findet und wozu er bestimmt ist (Justin, Apol. I, 46: oC (isrä 
X6yov ßi(o0avr€g XQi6xiavoC slei^ xctv &%'Boi ivo[i{6d'rj0av, ocov 
iv '^XXri^i {ikv 2^G)XQdtr]g xal ^HQaxkecrog xal of 5(iolol a'dtotg^ 
iv ßagßdQOLg dh ^AßQadii xtL). Es ist aber zugleich christ- 
l^ich; denn Christentum ist nichts Anderes als die Lehre der 


90 Grrundlegang des Dogmas. [§ 21. 

Offenbarung. Keine zweite Formel kann gedacht werden, in 
der der Anspruch des Christentums, die Weltreligion zu sein, 
so kräftig hervortritt (daher auch das Bestreben, den Welt- 
staat mit der neuen Religion zu versöhnen), keine zweite 
Formel aber auch, in der der spezifische Inhalt des über- 
lieferten Christentums so durchgreifend neutraüsirt ist wie 
hier. Aber das wahrhaft Epochemachende liegt darin, dass 
die geistige Kultur der Menschheit nun mit der Religion ver- 
söhnt und verbunden erscheint: die Offenbarung ist lediglich 
äussere, wunderbare Mitteilung (Passivität der Propheten) des 
Vernünftigen; das Vernünftige aber — die theistische Kos- 
mologie und Moral — wurde als solches und als Gemeinbesitz 
der Menschheit einfach dogmatisch vorausgesetzt. 

3. Die „Dogmen^' des Christentums — dieser Begriff und 
der andere, d-eoloyta^ ist im techiiischen Sinn zuerst von den 
Apologeten angewendet worden — sind die durch die Propheten 
in den h. Schriften geoffenbarten Vemunftwahrheiten, die in 
Christus zusammengeschlossen sind {XQt0tbg Xöyog xal v6(iog) 
und die Tugend und das ewige Leben zur Folge haben (Gott, 
Freiheit und Tugend, ewiger Lohn und ewige Strafe, resp. das 
Christentum als monotheistische Kosmologie, als Lehre von der 
Freiheit und Moral, als Lehre von der Erlösung; doch ist die 
letztere unsicher ausgeprägt). Die Belehrung wird auf Gott 
zurückgeführt, die Herstellung eines tugendhaften Lebens 
(der Gerechtigkeit) hat Gott den Menschen überlassen müssen. 
Die Propheten und Christus sind also insofern die Quelle der 
Gerechtigkeit, als sie die göttlichen Lehrer sind. Das Christen- 
tum ist zu definiren als die durch Gott selbst neu vermittelte 
Erkenntniss Gottes und als der tugendhafte Wandel nach dem 
Vemunftgesetz sowie in der Sehnsucht nach ewigem Leben 
und in der Gewissheit des Lohnes. Durch Wissen des Wahren 
und durch Thun des Guten wird der Mensch gerecht, durch 
Christi Namen und Kraft wird er von den Dämonen befreit; 
so wird er der höchsten Seligkeit teilhaftig. Das Wissen ruht 
auf dem Glauben an die göttliche Offenbarung. Diese 
Offenbarung hat insofern auch die Art und Kraft der Erlösung, 
als das Faktum zweifellos ist, dass sich die Menschheit ohne 
sie der Herrschaft der Dämonen nicht entwinden kann. Das 
Alles ist griechisch gedacht. 

a) Die Dogpien, die die Erkenntniss Gottes und der 


§ 21.] Die Apologeten. 91 

' ' '" .■■^■- _.._.i.i i.i. ., I. ■III ,,■■ , ^ ,, ■■—■■.■■i ,m 

Welt zum Ausdruck bringen, sind von dem Grundgedanken 
beherrscht, dass der Welt als dem Kreatürlichen, Bedingten 
und Vergänglichen ein Selbst seiendes, Unveränderliches und 
Ewiges gegenüber steht, welches die Ursache der Welt ist. 
Es hat keine der Eigenschaften, welche der Welt zukommen; 
darum ist es über jeden Namen erhaben und hat in sich keine 
Unterschiede (die platonischen Aussagen über Gott gelten als 
unübertrefiPlich gut). Es ist deshalb einzig und Eines, gei- 
stig, fehlerlos und daher vollkommen; in lauter negativen 
Prädikaten wird es am zutreffendsten beschrieben; aber es ist 
doch Ursprung (Ursache) imd Fülle alles Seins; es ist 
Wille und Leben, daher auch gütiger Geber. Drei Thesen 
stehen den Apologeten in Bezug auf das Verhältniss Gottes 
aur Welt fest: 1) dass Gott primär als die letzte Ursache 
zu denken ist, 2) dass das Prinzip des sittlich Guten auch 
das Prinzip der Welt ist, 3) dass das Prinzip der Welt, d. h. 
die Gottheit, als das Unsterbliche und Ewige den Gegensatz 
zu der Welt als dem Vergänglichen bildet. (Also enthalten 
These 2 und 3 in sich eine Spannung.) Die Dogmen von 
Gott sind nicht vom Standpunkt der erlösten Gemeinde ent- 
worfen, sondern auf Grund der Betrachtung der Welt einer- 
seits, der sittlichen Art des Menschen andererseits, die aber 
selbst eine Erscheinimg im Kosmos ist. Dieser ist überall 
von Vernunft und Ordnung durchwaltet (Gegensatz zum Gno- 
sticismus); er trägt den Stempel des Logos (als Abbild einer 
höheren Welt und als Produkt eines vernünftigen Willens). 
Auch die Materie, die ihm zu Grunde liegt, ist nichts Schlechtes, 
sondern von Gott geschaffen. Dennoch haben die Apologeten 
Gott nicht zum direkten Urheber der Welt gemacht, sondern 
die in der Welt wahrnehmbare göttUche Vernunft personifizirt 
und zwischen Gott und die Welt geschoben. Dies ist nicht 
in Hinblick auf Christus geschehen oder um (im gnostischen 
Sinn) Gott und Welt auseinanderzureissen, sondern die Formel 
vom Logos war in der damaligen Religionsphilosophie längst 
fertig, und der sublime Gottesbegriff verlangte ein Wesen, 
welches die Aktualität und das vielseitige Wirken Gottes dar- 
stelle, ohne dass die Unveränderlichkeit Gottes Schaden leide 
(feiner Dualismus: der Logos ist die Hypostase der wirksamen 
Vernunftkraft, welche es ermöglicht, die Gottheit «elbst als 
ruhendes imsQovöLOv zu denken; er ist sowohl das Offen- 


92 GrandleguDg des Dogmas. [§21- 

^ . — , — . — . . T 

barungswort Gottes, das sich auf Erden hörbar imd sichtbar 
kundgebende Göttliche, als die schaffende Vernunft, die sich 
in ihren Gebilden zum Ausdruck bringt; er ist das Prinzip 
der Welt und der Offenbarung zugleich; er ist der d'ab^ 
ersQog^ d. h. der depotenzirte Gott, depotenzirt, weil er in das 
Endliche eingeht, s. TertuU. adv. Marc. II, 27: ,Jgitur quaectm- 
que exigitis deo digna, habehuntur in patre invisibili incmigressi- 
hilique et placido et, ut iia dixerim, philosophorum deo. quaecun- 
que autem ut indigna reprehenditis deputabuntur in ßlio et viso 
et audito et congresso^ arbitro patris et ministroJ' Das Alles ist 
nicht neu; aber der Logos wird von den Apologeten nicht 
als ein voovfisvov vorgetragen, sondern als die sicherste Reali- 
tät). Ueber die Durchführung des Gedankens, dass das Prin-r 
zip des Kosmos auch das Prinzip der Offenbarung sei, gehen 
die Meisten nicht hinaus; ihre Abhängigkeit vom Gemeinde- 
glauben bezeugen sie aber durch die undurchsichtige Unter- 
scheidung des Logos und des heiligen Geistes. Die Geschichte 
des Logos (s. bes. Tatian, Orat. 5sq. Justiu, Apol. 1, 13.21.42; 
Dial. 56. 61. 128) ist folgende: Gott ((lövog äysvvritog^ 6 d^sög) 
ist nie aXoyog gewesen; er hat stets den Logos in sich gehabt 
als seine Vernunft imd als die Potenz (Idee, Energie) der 
Welt (also sind trotz aller Negativitäten Gott und Welt doch 
verstrickt). Behufs der Schöpfung hat Gott den Logos aus 
sich herausgesetzt (hervorgeschickt, herausspringen lassen), 
resp. durch einen freien und einfachen Willensakt (aarö tov 
TCccTQbg d'ek'^öst ysvvijd'SLg) aus seinem Wesen gezei^. Er 
ist nun eine selbständige Hypostase (d-ebg ix d'sov — ersQog 
aQid'fiw^ oi) yv(hfiff)j deren inneres Wesen (piöia) mit dem 
Gottes identisch ist; er ist nicht von Gott getrennt oder ab- 
geschnitten, auch nicht eine blosse Modalität an Gott; son- 
dern er ist das selbständige Ergebniss der Selbstentfaltung 
Gottes, welches, obgleich Inbegriff der göttlichen Vernunft, 
den Vater nicht der Vernunft beraubt hat; er ist Gott und 
Herr, besitzt die göttliche Natur wesenhaft, obgleich ein Zweiter 
neben Gott {d^sbg dsvteQog)] aber seine Persönlichkeit hat eioen 
Anfang genommen {y/uit tempus, cum patri filius non fuit" 
TertulL). Da er somit einen Ursprung hat, der Vater nicht, 
so ist er ihm gegenüber Kreatur, der gezeugte, gemachte, 
gewordene Gott. Die Subordination liegt nicht in seinem Wesen 
(sonst wäre der Monotheismus aufgehoben), sondern in der 


§ 21.] Die Apologeten. 93 

Origination (l^yov TCQiDtöroxov rov itcctgög^ Tatian). Diese er- 
möglicht es ihm auch,' in die Endlichkeit einzugehen als Ver- 
nunft, Wort und That, während der Vater im Dunkel der 
ünveränderlichkeit bleibt. Mit dem Hervorgehen des Logos 
beginnt die Realisation der Weltidee. Er ist der Schöpfer und 
gewissermaasen das Urbild (das Eine und Geistige in dem 
Vielen und Sinnlichen) der Welt, die aus dem Nichts ihren 
Ursprung hat. Zweck der Weltschöpfang ist der Mensch^ Zweck 
des Menschen ist, zu göttlichem Wesen d. h. zu ewigem, leid- 
losem Leben durch die anerschaffene Vernunft (Ebenbild Gottes) 
und Freiheit aufzusteigen. Als geist-leibliche Wesen sind die 
Menschen weder sterblich noch unsterblich, sondern des Todes 
und des ewigen Lebens fähig. In den Lehren, dass Gott der 
absolute Herr der Materie ist, dass das Böse nicht Eigenschaft 
des Stoffs ist, sondern in der Zeit und aus der freien Ent- 
scheidung des Geistes (der Engel) entstanden ist, endlich dass 
die Welt der Verklärung entgegengeht, erscheint der Dualismus 
in der Kosmologie im Prinzip überwunden. Doch ist er inso- 
fern nicht aufgehoben, als faktisch das Sinnliche doch als 
das Böse gilt. Die Apologeten hielten diese Lehren von Gott, 
dem Logos, der Welt und dem Menschen für den wesentlichen 
Inhalt des Christentums (des A. T. und der Predigt Christi). 
Das triadische Taufbekenntniss findet sich bei den meisten 
von ihnen, sei's auch nur angedeutet (s. Justin, Apol. I, 13, 
aber hier auch die Engel. Das Wort tQidg m. W. zuerst bei 
Theophilus, ad Autol. H, 15). 

b) Die Lehren von der Freiheit, Tugend, Gerechtigkeit 
und dem Lohn sind so gehalten, dass Gott nur als Schöpfer 
und Richter, nicht, oder doch nicht sicher, als das Prinzip 
eines neuen Lebens in Betracht kommt (Reminiszenzen bei 
Justin; übrigens war auch den heidnischen Philosophen die 
Vorstellung geläufig, dass nichts Gutes und Grosses sine afflatu 
divino geschehe). Die afpd^aQöca ist Lohn und Geschenk zu- 
gleich, geknüpft an das richtige Wissen und die Tugend. Die 
Tugend ist Weltflucht (der Mensch hat dem Naturhaften zu 
entsagen), Erhebung über die Sinnlichkeit in jeder Hinsicht 
(besonders stark von Tatian gefordert) imd Liebe (diese aber 
auch mehr im Sinne des Preisgebens der an sich wertlosen 
Güter). Das Sittengesetz ist das Gesetz für den vollkommenen 
erhabenen Geist, der, weil er das vornehmste Wesen auf Erden 


94 Grundlegung des Dogmas. [§21* 

■ ' I - - ' ■ ■ ■■-■ » -— »..1 -.MlllUMIIMI ., I ■■ -1 ■ 

ist, zu vornehm för sie ist (Tatian hat diesen Gedanken schon 
in seiner Oratio bis an die Grenze des Dualistischen gesteigert). 
Der Geist soll von der Erde eilen zu dem Vater des Lichtes; 
in dem Gleichmut, der Bedürfiiisslosigkeit, der Beinheit und 
Güte, die die notwendigen Folgen der rechten Erkenntniss sind, 
soll zum Ausdruck kommen, dass er die Welt bereits über- 
wunden hat. Der Lasterhafte stirbt den ewigen Tod, der Tugend- 
hafte erhält das ewige Leben (starke Betonung der Idee des 
Gerichts; Auferstehung des Fleisches der Tugendhaften aner- 
kannt; die Idee der Gerechtigkeit ist über die rechtliche 
Linie nicht hinausgeführt). 

c) Gott ist insofern der Erlöser, als er (obgleich der Kos- 
mos und die Vernunft ausreichende Offenbarungen sind) doch 
noch direkte wunderbare Mitteilungen der Wahrheit hat aus- 
gehen lassen und durch Christus die Teufel niederschlägt. Da 
sich die abgefallenen Engel gleich anfangs der Menschen be- 
mächtigten und sie in Sinnlichkeit und Polytheismus verstrickten, 
hat er die Propheten gesandt, um die verdunkelte Erkenntniss 
zu erhellen und die Freiheit zu kräftigen. In ihnen wirkte der 
Logos direkt, und manche Apologeten haben sich in ihren 
Traktaten mit dem Hinweis auf die h. Schriften und den 
Weissagungsbeweis begnügt. Aber gewiss haben alle, wie 
Justin, in Jesus Christus die Volloffenbarung des Logos 
anerkannt, durch den die Weissagung erfüllt und die Wahrheit 
Allen leicht zugänglich gemacht worden sei (Anbetung Christi 
als des erschienenen, ganzen Logos). Justin hat darüber 
hinaus die Anbetung eines gekreuzigten „Menschen" eingehend 
verteidigt und Manches aus der Überlieferung über Christus 
beigebracht, was erst wieder bei Irenäus auftaucht. Er hat 
das Geheimniss der Menschwerdung und des Kreuzestodes 
stark betont, Wiedergeburt, Taufe, Abendmahl als Gottes Thaten 
imd Geschenke an uns hervorgehoben; ja es finden sich bei 
ihm Ausführungen, in denen der Gang der Geschichte des 
menschgewordenen Logos als eine Kette heilsgeschichtlicher, 
die Sündengeschichte des Menschengeschlechts paralysirender 
imd die Menschheit neu gründender Veranstaltungen angedeutet 
ist. Die deutlichste dieser Stellen (doch s. auch Dial. 100) 
steht aber nicht in der Apologie oder im Dialog, sondern ist 
uns von Irenäus aus einer verlorenen Schrift Justin's auf- 
bewahrt (Iren. IV, 6, 2: j^tmigenitus filius venit ad nos suum 


§ 2a.] Die Apologeten. 95 

plasma in semetipsum recapitulans*'). Hieraus ergiebt sicli, dass 
Justin über eine reichere, wenn auch minder geschlossene, 
theologische Auffassung verfögte, als in seinen apologetischen 
Schriften hervortritt. Auch die Fragmente Melito's beweisen, 
dass man seine Theologie nicht auf die vulgär apologetische 
Auffassung einschränken darf. Andererseits haben sich Athe- 
nagoras und Minucius Felix so ausgesprochen, dass man in 
ihren Apologien ihr ganzes Christentum (in den Grundzügen) 
zu erkennen allen Grund hat. „Die Apologeten haben den Grund 
gelegt zur Verkehrung des Christentums in eine offenbarte Lehre. 
Im Speziellen hat ihre Christologie die Entwickelung verhäng- 
nissvoll beeinflusst. Sie haben, die Übertragung des Sohnes- 
begriffs auf den präexistenten Christus als selbstverständlich 
betrachtend, die Entstehung des christologischen Problems des 
4. Jahrh. ermöglicht; sie haben den Ausgangspunkt des christo- 
logischen Denkens verschoben (von dem historischen Christus 
weg in die Präexistenz), Jesu Leben der Menschwerdung gegen- 
über in den Schatten gerückt; sie haben die Christologie mit 
der Kosmologie verbunden, mit der Soteriologie sie nicht zu 
verknüpfen vermocht. Ihre Logoslehre ist nicht eine »höhere« 
Christologie als üblich war; sie bleibt vielmehr hinter der genuin 
christlichen Schätzung Christi zurück: nicht Gott offenbart sich 
in Christus, sondern der Logos, der depotenzirte Gott, ein Gott, 
der als Gott imtergeordnet ist dem höchsten Gott^^ (LooFs). 

Fünftes EapiteL 

Die Anfange einer kirchlich - theologisclLen Explikation und 
Bearbeitong der Glaubensregel im Gegensatz zum Gnosticismus 
nnter Voraussetzung des Neuen Testaments und der christlichen 
Philosophie der Apologeten: Irenäus, Tertullian, Hippolyt, 

Cyprian, Novatian. 
§22. 

Quellen: Die Werke des Irenäus (s. d. Ausgaben Ton Stieren und 
von Haryey), des Tertullian (Oehlbr), des Hippolyt (Ausgaben von 
Fab&icius u. von Lagabde. Fhilosophumena von Dunckbr u. Schnkidewin), 
des Cyprian (Hartel), des Novatian (Jackson). — Biographien von 
FrBöhrinoeb, Die K. Christi und ihre Zeugen.* 1873 ff. — JWernek, 
Der Paulinismus des Iren. 1889. — ENöldechen, Tertullian 1890. — 
JDöLi:.iKGEB, Hippolytus u. Kallistus 1863. 

1. Der in Lyon lebende, mit der Tradition der römischen 
Kirche vertraute, auf das Zeugniss der „Alten" sich berufende 


96 GrandlegoDg des Dogmas. [§ 22. 

kleinasiatische Lehrer Ireiiäus (Schüler des Polykarp) hat in 
semem grossen antignostischen Werk sowohl die apostolischen 
Normen der katholischen Kirche aufgestellt, als auch den Versuch 
der Entwicklung einer kirchlichen Glaubenslehre gemacht.*) 
Die apologetische Theologie hat er mit einer theologi- 
schen Bearbeitung des Taufbekenntnisses in Verbin- 
dung zu setzen gesucht; aus den beiden Testamenten ent- 
nahm er den Stoff, der ihm nicht nur zur Beglaubigung 
philosophischer Lehren diente; den Gedanken der realisirten 
Erlösung stellte er, wie die Gnostiker, in den Mittelpunkt 
und suchte dabei doch die urchristlichen eschatologischen 
Hoffnungen zum Ausdruck zu bringen. Auf diese Weise ent- 
stand ein „Glaube^^ nicht ohne innere Einheit und Kraft, aber 
von unbegrenzter Ausdehnung, der der Glaube der Eirche, 
der Gebildeten und Ungebildeten, sein sollte und sich aus den 
verschiedensten Elementen — philosophisch-apologetischen, bibli- 
schen, christosophischen, gnostisch-antignostischen und sinn- 
lich-phantastischen — zusammensetzte (die Pistis sollte zugleich 
Gnosis sein und umgekehrt; jedes Bewusstsein, dass rationale 
Theologie und fides credenda unvereinbare Grössen seien, fehlt; 
Alles steht auf einer Fläche; die Spekulation wird misstrauisch 
betrachtet und doch nicht abgedankt). Seine Einheit empfing 
dieses komplizirte Gebilde äusserlich durch die Zurückfuhrung 
aller Aussagen auf die Glaubensregel und die beiden Testamente, 
innerlich durch die starke Betonung zweier Grundgedanken: 
dass der Schopfergott auch der Erlösergott ist, und 
dass Jesus Christus lediglich deshalb der Erlöser ist, 
weil er der menschgewordene Gott ist (filius dei filius 
hominis factus). In der Durchfuhrung dieser Gedanken ist 
Irenäus seinen Schülern, TertuUian und Hippolyt, überlegen. 
Namentlich der Erstere ist ganz unföhig gewesen, die apo- 
logetisch-rationalen, die heilsgeschichtlichen und die escha- 
tologischen Gedankenreihen in eine Einheit zu bringen; aber 
er hat, seiner juristischen Anlage imd Bildimg gemäss, im 
Einzelnen runde Schemata ausgebildet, die in der Folgezeit 
höchst wirksam geworden sind (Terminologie des trinitarischen 


1) Ungefähr gleichzeitig mit Irenäus schrieb sein Gesinnangsgenosse 
Melito Ton Sardes zahlreiche Schriften, die denselben Geist atmeten, 
uns aber leider nur in kleinen Fragmenten erhalten sind. 


§ 22.] Irenäus, Tertullian, u. 8. w. 97 

und christologischen Dogmas; Richtung der abendländischen 
Dogmatik auf das Juristische). 

Die Verknüpfung der antiken Heilsidee (Vergottung) mit 
NTlichen Gedanken (Heilsgeschichte) und mit dem apologe- 
tischen Rationalismus, ist das Werk des Irenäus. Das 
Christentum ist ihm reale Erlösung, herbeigeführt 
durch den Sehöpfergott in Jesus Christus. Diese Er- 
lösung ist ihm recapitulatio, d. h. Rückführung des durch Tod 
und Sünde widernatürlich Getrennten zur lebensvollen Ein- 
heit, speziell für den Menschen die Vergottung der mensch- 
hchen Natur durch die Gabe der Unvergänglichkeit. BeschaflFt 
ist dieses Heil nicht durch den Logos an sich, sondern ledig- 
hch durch Jesus Christus, und zwar durch Jesus Christus, 
sofern er Gott war und Mensch wurde. Indem er die Mensch- 
heit in sich aufnahm, hat er diese unauflöslich mit der Gott- 
heit verbunden und verschmolzen. Die Menschwerdung 
{„commixUo et communio dei et hominis*' IV, 20, 4; „propter im- 
mimsam suam diledionem factus est quod s^imvs nos, uti nos 
perficeret esse quod et ipse" V praef.) ist also neben der 
Lehre von der Einheit Gottes das Grunddogma. Somit 
steht der geschichtliche Christus (wie bei den Gnostikem imd 
Marcion) im Mittelpunkt, nicht als der Lehrer (obgleich das 
rationale Schema vielfach die realistische Erlösungstheorie 
durchkreuzt), sondern kraft seiner Konstitution als der Gott- 
mensch. Alles Übrige in der heiligen Schrift ist Vor- 
geschichte (nicht nur Ziffer im Weissagungsbeweis), und 
die Geschichte Christi (Kerygma) selbst ist Entfaltung der 
Menschwerdung (nicht nur ErfüUimg der Weissagung). 
Hatten die Apologeten die Frage „cur deus-homo" im Grunde 
gar nicht gestellt, so hat sie Irenäus zur fundamentalen er- 
hoben und mit dem berauschenden Satze beantwortet: „damit 
wir Götter würden" (doch hat er sich nüchterner auch so 
ausgedrückt: j^tit quod perdideramus in Adam i, e, secundum 
imaginem et similitudinem esse dei^ hoc in Christo lesu recipere- 
mus'^ HI, 18, 1), Diese Antwort war deshalb so befriedigend, 
weil sie 1) ein spezifisches christliches Heilsgut nachwies, 
2) der gnostischen Auffassung ebenbürtig war, ja sie durch 
den Umfang des für die Vergottung in Aussicht genommenen 
Gebietes übertraf (der ganze Mensch nach Geist, Seele und 
Leib wird leben), 3) dem eschatölogischen Zuge der Christen- 

GrandrisB IV. iii. Harnack, Dogxnengeschichte. 2. Aufl. 7 


98 Grundlegung des Dogmas. [§ 22. 

heit entgegeiikam, aber zugleich die Stelle der phantastisch- 
eschatologischen Erwartimgen einnehmeii konnte, 4) dem 
mystisch-neuplatonisclien Zuge der Zeit entsprach und ihm 
die grösste Befriedigung gewährte, 5) an die Stelle des 
schwindenden Intellektualismus (Rationalismus) die zuversicht- 
liche Hofi&iung auf eine übernatürliche Verwandlung des mensch- 
lichen Wesens setzte, die es beföhigen werde, auch das Über- 
vemünftige sich anzueignen, 6) den überlieferten historischen 
Aussagen über Christus sowie der ganzen Vorgeschichte ein 
festes Fundament und ein sicheres Ziel verlieh und die Auf- 
fassung einer stufenmässig sich entfaltenden Geschichte des 
Heils (olxovofiLa d-sov) ermöglichte (Aufnahme paulinischer 
Gedanken, Unterscheidung der beiden Testamente, inneres Inter- 
esse am Kerygma). Das Moralistische und Eschatologische wurde 
nun durch ein wirklich religiöses und christologisches Interesse 
balancirt: die Vergottung der Menschennatur per adoptionem. 
„Durch seine Geburt als Mensch verbürgt das ewige Wort 
Gottes die Erbschaft des Lebens für die, die in der natür- 
lichen Geburt den Tod geerbt haben." Die Durchführung 
dieses Gedankens ist freilich noch vielfach durch Fremdartiges 
gekreuzt. Irenäus und seine Schüler haben die akute Hel- 
lenisirung durch die Einführung der beiden Testamente, durch 
die Idee der Einheit von Schöpfung und Erlösung, durch die 
Bekämpfung des Doketismus abgewehrt; sie haben die Kirche 
wieder gelehrt, dass das Christentum Glaube an Jesus Christus 
sei; aber sie haben andererseits die Hellenisirung durch den 
superstitiösen Erlösungsbegriff imd die Richtung des Inter- 
esses auf die Naturen statt auf die lebendige Person befördert. 
2. Gegen die gnostischen Thesen haben die altkatholischen 
Väter eingewandt, dass der Dualismus die Allmacht Gottes, 
also überhaupt den Gottesbegriff, vernichte, dass die Emana- 
tionen ein mythologisches Spiel seien und die Einheit der 
Gottheit gefährden, dass der Versuch, innergöttliche Zustände 
zu ermitteln, dreist sei, dass die Gnostiker nicht umhin 
könnten, den letzten Ursprung der Sünde in das Pleroma 
selbst zu verlegen, dass die Kritik der Konstitution des Kos- 
mos unverschämt sei, derselbe vielmehr der Weisheit und 
Güte entspreche, dass der Doketismus der Gottheit eine Lüge 
aufbürde, dass die Freiheit des Menschen eine unleugbare 
Thatsache sei, dass die Übel ein notwendiges Zuchtmittel seien, 


§ 22.] IrenÄus, TertuUian, u. s. w, 99 

Güte und Gerechtigkeit sich nicht ausschliessen u. s. w. Über- 
all argumentiren sie dabei für den gnostischen Demiurg wider 
den gnostischen Erlösergott. Sie berufen sich vor Allem auf 
die beiden Testamente, und man hat sie deshalb rühmend 
„Schrifttheologen" genannt; aber die „Religion der Schrift", 
wobei die Schrift als inspirirte Urkunde willkürlich gedeutet 
wird (Irenäus schilt auf die gnostische Exegese, kommt ihr aber 
sehr nahe), bietet an sich noch keiae Garantie für den sicheren 
Eontakt mit dem Evangelium; denn was kann man nicht Alles 
aus der Schrift herauslesen! Auch ist das Verhältniss von 
Glaubensregel und Schrift (bald Über- bald Unterordnung) nicht 
zur Klarheit gekommen. 

In der Gott es lehre wurden die Grundzüge für alle Zukunft 
festgestellt. Ein Mittelweg zwischen dem Verzicht auf die Er- 
kenntniss und einer vorwitzigen Spekulation wurde beliebt. Bei 
Irenäus, der das deutliche Bestreben zeigt, den christlichen Gottes- 
begriff nicht durch metaphysische Spekulationen zu verwirren, 
finden sich Ansätze,^ die Liebe, resp. Jesus Christus, als das Er- 
kenntnissprinzip zu fassen. Aus der Offenbarung ist Gott zu er- 
kennen, wobei die Erkenntniss aus der Welt bald für genügend, 
bald für ungenügend erklärt wird: Irenäus, dem Apologeten, ge- 
nügt sie, Irenäus, dem Christologen, genügt sie nicht; aber ein 
Gott ohne Schöpfung ist ein Phantom; immer muss das Kos- 
mische dem Religiösen vorangehen. Der Schöpfergott ist der 
Ausgangspunkt, die Blasphemie des Schöpfers ist die höchste 
Blasphemie. Darum ist auch der apologetische Gottesbegriff 
wesentlich übernommen (Gott die Negation und die Ursache des 
Kosmos); aber er ist doch erwärmt, weil für die geschichtliche 
Offenbarimg ein sachliches Interesse vorhanden ist. Speziell wurde 
gegen Marcion gezeigt, dass die Güte die Gerechtigkeit fordert. 

In Bezug auf den Logos knüpfen TertuUian und Hippolyt 
viel stärker an die apologetische (subordinatianische) Lehre an 
als Irenäus (der in johanneischer Weise das Göttliche in Christus 
vollkommen fasst und sogar bis an die Grenze des Modalismus 
kommt). Sie übernehmen sie vollständig (Tertull., Apolog.21); 
aber sie geben ihr eine bestimmtere Abzweckung auf Jesus Christus 
(Tert. de came Christi und adv. Prax.). TertuUian hat in der 
letztgenannten Schrift die Formeln der späterenOrtho- 
doxie geschaffen, indem er die Begriffe Substanz und 
Person eingeführt und trotz des ausgeprägtesten Sub- 

7* 


100 Grundlegung des Dogmas. [§ 23. 

ordinatianismus und einer bloss ökonomischen Fas- 
sung der Trinität (nur innerhalb der Offenbarung giebt es 
eineTrinität; am Ende der Dinge ist Gott wieder Alles in Allem) 
doch Bestimmungen über das Verhältniss der drei Per- 
sonen getroffen hat, die auf dem Boden des Nicänums 
voll anerkannt werden konnten („una substantia, tres 
personae^'). Die Einheit der Gottheit stellt sich in der una 
substantia dar. Die dispositio der einen Substanz zu drei Per- 
sonen (trinitas) hebt die Einheit nicht auf (die gnostische Aonen- 
spekulation ist hier auf die Dreizahl beschränkt). Schon nannte 
er es Häresie, Gott für eine numerische Einheit zu halten. Aber 
die Selbstentfaltung (nicht Zerteilung) der Gottheit hat einen 
Anfang genommen (immer noch ist die Realisation der Weltidee 
die Ursache der innergöttlichen dispositio/, der Logos ist als 
distinktes Wesen geworden {,,secundus a deo constitutus, ][>er- 
severans in sua forma^^)] daher ist er wie derivatio, so portio der 
Gottheit {„pater tota substantia^^)] deshalb hat er trotz seiner 
Substanzeinheit (unius substantiae-6^oot5<ytog) das Moment der 
Endlichkeit an sich (der Sohn ist nicht der Weltgedanke selbst, 
wohl aber hat er ihn an sich): er, der Bach, wird schliesslich, 
wenn die Offenbarung ihren. Zweck erfüllt hat, in seine Quelle 
zurückfliessen. Diese Auffassung ist an sich noch gar nicht von 
der griechischer Philosophen über den vovg (löyog) unterschieden; 
sie ist ungeeignet, den Glauben an Jesus Christus voll auszu- 
prägen; denn sie ist zu niedrig; sie hat ihre Bedeutung lediglich 
an der Identifizirung des historischen Christus mit diesem Logos 
und an der Betonung des „unius substantiae". Aber entwickelt 
hat Tertullian diesen Begriff noch nicht — das hat erst Athanasius 
gethan — ; er hat die centrale religiöse Bedeutung desselben noch 
nicht erkannt. Wie sollte man sie auch erkennen? hinderte doch 
die übergeordnete Vorstellung von der Subordination des Logos 
jede konsequente Entfaltung des Homousios. Die Subordination 
des Logos konnte man aber deshalb nicht aufgeben, weil die 
Verflechtung mit dem Weltbegriff (also die Depotenzirung seiner 
göttlichen Natur) zum Wesen des Logos gehörte. Den h. Geist 
hat TertuUian lediglich nach dem Schema der Logoslehre be- 
Imndelt — ein Fortschritt über die Apologeten — , aber ohne 
jede Spur eines selbständigen Literesses (,^terfnis est spiritus a 
deo et filio^ yyvicaria vis fiW^ dem Sohn untergeordnet, wie dieser 
dem Vater, aber doch ^,nnius substantiae^'). Hippolyt hat die 


§22.] IrenäuB, Tertullian, u. s. w. 101 

Kreatürliclikeit des Logos noch stärker betont (Philos. X, 33: ei 
yaQ d'söv 6a rjd'skriös 7C0Lfj6aL 6 d'sög^ idvvato' exsig rov Xoyov 
tö jcaQddstyficc\ dem Geist aber nicht ein selbständiges Prosopon 
beigelegt fadv. Noet 14: £va d'sbv igcb^ TtgööcoTCcc Se Svo^ olxovo- 
\xia Sa tQLtrjv ti^v %dQiv reo äyCov Tivav^azog). 

Während Tertullian und Hippolyt den Christus des Keryg- 
mas der fertigen Logoslehre einfach hinzufügen, hat Irenäus sei- 
nen Ausgangspunkt bei-dem Gott Christus genommen, der Mensch 
geworden ist. Ihm ist, wie dem 4. Evangelisten, „Logos" mehr 
ein Prädikat für Christus, als das Subjekt selbst. Von der Er- 
lösungslehre aus sind die Aussagen über Christus gewonnen; die 
apologetische Logoslehre beunruhigte ihn sogar; aber er konnte sie 
doch nicht los werden, da die Erlösung recapitulatio der Schöpfung 
ist, und da Joh. 1, 1 Christus als den Logos lehrte. Indessen lehnte 
er jede TCQoßoki^, Emanation und theologische Spekulationen hier 
im Prinzip ab. Christus ist der ewige Gottessohn (kein zeitliches 
Hervorgehen); er ist die ewige Selbstoflfenbarung des Vaters; es 
besteht zwischen ihm und Gott keine Scheidung. Allein so sehr 
er sich bemüht, die Aonenspekulation aufzugeben — ganz konnte 
auch er das Göttliche in Christus nicht in der Erlösung anschauen; 
er musste ihm auch auf die Schöpfung eine Beziehung geben, und 
dann lehrte er nicht anders als Justin und Tertullian. Aber über- 
all hat er die Menschwerdung im Auge, deren Subjekt die volle 
Gottheit sein muss. „Gott hat sich in das Verhältniss des Vaters 
zum Sohn gesetzt, um nach dessen Bilde den Menschen zu schaffen, 
der sein Sohn werden sollte." Vielleicht war dem Irenäus die 
Menschwerdung die oberste in der Sohnschaft Christi gesetzte 
Zweckbestimmung. Über den h. Geist hat sich Irenäus ganz un- 
bestimmt ausgedrückt; nicht einmal rptag findet sich bei ihm. 

In der Lehre des Irenäus von der Bestimmung des Men- 
schen, dem ürstande, dem Fall und der Sünde treten die 
disparaten Gedankenreihen (apologetisch-moralistisch, biblisch- 
realistisch) deutlich hervor, wie sie für die Kirchenlehre charak- 
teristisch geblieben sind. Klar ist nur die erstere entwickelt. 
Alles GeschajBFene, also auch der Mensch, ist anfangs unvoll- 
kommen. Die Vollkommenheit konnte nur die Bestimmung (An- 
lage) des Menschen sein. Die Bestimmung wird durch die freie 
Entscheidung des Menschen realisirt auf Grund seiner gott- 
geschenkten Anlage (Ebenbild Gottes). Der jugendliche Mensch 
strauchelt und verfällt dem Tode; aber sein Fall ist entschuldbar 


102 Grundlegung des Dogmas. [§ 22 

(er ist der Verführte; er ist der Unwissende; er hat praetextu im- 
mortalitatis sich verfahren lassen) und sogar teleologisch not- 
wendig. Der ungehorsam ist für die Entwickelung des Menschen 
forderUch gewesen. Um gewitzigt zu werden, musste er einsehen, 
dass der Ungehorsam den Tod wirkt; er musste den Abstand zwi- 
schen Mensch und Gott kennen lernen und den rechten Gebrauch 
der Freiheit. Um Leben und Tod handelt es sich dabei; die Folge 
der Sünde ist das eigentlich Fürchterliche. Aber die Güte Gottes 
hat sich sofort gezeigt, sowohl in der Entfernung vom Baum des 
Lebens als in der Verhängung des zeitlichen Todes. Der Mensch 
erreicht seine Bestimmung in dem Moment wieder, wo er sich frei 
für das Gute entscheidet, imd das kann er noch immer. Die Be- 
deutung der Propheten und Christi reduzirt sich hier wie bei den 
Apologeten auf die Lehre, die die Freiheit kräftigt (ebenso 
lehrten TertuUian und Hippolyt). Die zweite Gedankenreihe des 
Irenäus ist aus der gnostisch-antignostischen Rekapitulations- 
theorie geflossen und ist durch Paulus beeinflusst. Sie befasst die 
ganze Menschheit als den sündigen Adam, der, einmal gefallen, 
sich selbst nicht helfen kann. Alle haben in Adam Gott beleidigt; 
durch Eva ist das ganze Geschlecht dem Tod verfallen; die Bestim- 
mung ist eingebüsst, und nur Gott kann helfen, indem er sich 
wieder zur Gemeinschaft herablässt und uns nach seinem Wesen 
wiederherstellt (nicht aus der Freiheit quillt die Seligkeit, sondern 
aus der Gemeinschaft mit Gott, „m quantum deus nullius indiget, 
in tantum homo indiget dei communione^^ IV, 14, 1). Christus als 
der zweite Adam erlöst den ersten Adam (,yChristus lihertatem 
restauraviif^), indem er Schritt für Schritt das in bonum restituirt, 
was Adam in malum gethan hat. (Aus dem Weissagungsbeweis 
wird hier eine Unheils- und Heilsgeschichte, diese ist das genaue 
Gegenbild zu jener.) Nahezu naturalistisch ist diese religiöse, 
historisirende Betrachtung ausgefühi't. Vor der Konsequenz der 
Apokatastasis aller einzelnen Menschen hat den Irenäus nur die 
moralistische Gedankenreihe bewahrt. 

Die Idee des Gottmenschen beherrscht diese ganze Aus- 
führung. Die kirchliche Christologie, soweit sie die Einheit der 
göttlichen und menschlichen Natur in Christus betont, steht heute 
noch bei Irenäus (TertuUian hat die Notwendigkeit der Einheit 
nicht so durchschaut). Jesus Christus vere homo vere deus, 
d. L 1) er ist wirklich das Wort Gottes, Gott von Art, 2) dieses 
Wort ist wirklich Mensch geworden, 3) das menschgewordene 


§ 22.] Irenäus, Tertullian, u. s. w. 103 

Wort ist eine unzertrennbare Einheit. Das ist gegen die ,^bioni- 
ten" und die Valentinianer durchgefakrt, die die Herabkunft eines 
der yielen Äonen lehrten. Der Sohn steht in naturhafter, nicht 
adoptirter Kindschaft (die Jungfrauengeburt ist recapitulatio: 
Eya und Maria); sein Leib ist substanzieU mit dem unsrigen iden- 
tisch-, denn der Doketismus bedroht die Erlösung ebenso wie der 
^^bionitismus". Daher musste Christus auch, um den ganzen 
Menschen rekapituliren zu können, ein volles Menschenleben von 
der Geburt bis zum Greisenalter und zum Tode durchlaufen. Die 
Einheit zwischen dem Logos und der Menschennatur hat Lrenäus 
„adunitio verbi dei ad plasma" imd „communio et commixtio dei 
et hominis" benannt. Sie ist ihm eine vollkommene; denn er will 
in der Regel nicht geschieden wissen, was der Mensch und was 
das Wort gethan hat. Dagegen hat Tertullian, von Irenäus 
abhängig, aber die realistische Erlösungslehre nicht als den 
Schlüssel des Christentums betrachtend, zwar die Formel „homo 
deo mixtus" gebraucht, aber das „homo f actus" nicht in dem 
strengen Sinn verstanden. Auch hier hat Tertullian (in der 
Schrift adv. Prax.) die spätere (chalcedonensische) Terminologie 
vorbereitet, ja geschaffen (die Ausprägung lässt den Juristen nicht 
verkennen). Er spricht von den zwei Substanzen Christi 
(corporalis et spiritualis), von der „conditio duarum 
substantiarum", die in ihrer Integrität verharren, von 
dem „duplex status domini, non confusus, sed coniunc- 
tus in una persona — deus et homo". Tertullian hat sie 
ausgebildet, indem er sich bemühte, die Meinung, Gott habe sich 
verwandelt, abzulehnen (so einige Patripassianer); aber er 
merkt nicht, obgleich er die alten Formeln „deus crucifixus", 
„nasci se vult deus" braucht, dass die realistische Erlösung durch 
die scharfe Unterscheidung der beiden Naturen stärker bedroht 
wird als durch die Annahme einer Verwandlung. Er behauptet 
eben nur die Einheit und lehnt es ab, dass Christus „tertium quid" 
sei Allein auch Irenäus selbst konnte nicht umhin, den einen 
Jesus Christus in gnostischer Weise wider seine eigene bessere 
Absicht zu spalten: 1) gab es nicht wenige Stellen im N. T., die 
man nur auf die Menschheit Jesu beziehen konnte (nicht auf den 
Gottmenschen), wenn anders die naturhafte Gottheit nicht Schaden 
leiden sollte (so z. B. die Herabkunft des Geistes bei der Taufe, 
das Zittern und Zagen), 2) fasste Irenäus Christus auch so, dass 
er der neue Adam („perfectus homo") sei, der den Logos besitzt, 


104 Grundlegung des Dogmas. [§ 22, 

der bei einzelnen Akten der Geschichte Jesu unthätig gewesen 
sei. Die gnostische Unterscheidung des Jesus patibilis und des 
Christus ocTcadijg ist von Tertullian ausdrücklich, von Irenäu» 
indirekt legitimirt worden. So ist die kirchliche Zweinaturenlehre 
entstanden. Hippolyt steht zwischen den beiden älteren Lehrern. 
Aber die durchschlagende Auffassung des Irenäus bleibt 
doch die Einheit. Indena Christus geworden ist, was wir sind, 
hat er als Gottmensch rekapitulirend geleistet, was wir hätten 
leisten sollen. Christus ist nicht nur „salus et salvator", sondern 
sein ganzes Leben ist Heils werk. Von der Empfangniss bis zum 
Begräbniss ist Alles innerlich notwendig. Irenäus ist der Vater 
„der Theologie der Thatsachen" in der Kirche (Paulus hatte nur auf 
den Tod und die Auferstehung Gewicht gelegt). Der Einfluss der 
Gnosis ist unverkennbar, ja er braucht sogar dieselben Ausdrücke 
wie die Gnostiker, wenn er in der blossen Erscheinung Jesu 
Christi als des zweiten Adams einerseits und in der blossen Er- 
kenntniss dieser Erscheinung andererseits die Erlösung voll- 
zogen sieht (IV, 36, 7: i^ yvG)6Lg rot) viov tov d'eov^ ^tig fjv aq)d'aQ- 
öca). Aber er betont doch die persönliche Leistung. Das Werk 
Christi hat er imter mannigfaltige Gesichtspunkte gestellt (Rück- 
führung zur Gemeinschaft, Wiederherstellung der Freiheit, Er- 
lösung von Tod und Teufel, Versöhnung Gottes); der beherr- 
schende ist die Beschaffung der äfp^agöCa (Adoption zu göttlichem 
Leben). Aber wie unsicher ihm noch Alles war, verrät er 1, 10, 3, 
wenn er die Frage, warum Gott Fleisch geworden, zu denen 
rechnet, die den einfältigen Glauben nichts angehen. Dieser also 
kann sich noch immer mit der Hoffnung der Wiederkunft Christi 
und der Fleischesauferstehung begnügen. Zwischen dieser Hoff- 
nung und der Vergottungsidee liegt die paulinische Ansicht 
(Gnosis des Kreuzestodes) in der Mitte; Irenäus hat sich bemüht 
auch ihr gerecht zu werden (der Tod Christi ist die wahre Er- 
lösung). Allein den Gedanken der Versöhnung (das Lösegeld ist 
an den „Abfall", nicht an den Teufel gezahlt) hat Irenäus nicht 
erreicht; innerhalb der Rekapitulationstheorie spricht er die 
Meinung aus, durch Ungehorsam an dem Holz sei Adam ein 
Schuldner Gottes geworden und durch Gehorsam am Holz werde 
Gott versöhnt. Ausführungen über ein stellvertretendes Straf- 
leiden Christi finden sich bei Irenäus nicht; selten ist die Idee 
des Opfertodes. Sündenvergebung kennt er im vollsten Sinne 
nicht, sondern nur Aufhebung der Sünde und ihrer Folgen. Die 


§ 22.] Irenäus, Tertullian, u. s. w. 105 

Erlosten werden durch Christus zu einer Einheit zusammen- 
gefasst, zu der wahren Menschheit, der Kirche, deren Haupt er 
selber ist. Bei TertuUian und Hippolyt finden sich dieselben 
Gesichtspunkte, nur tritt die mystische (rekapitulirende) Form 
der Erlösung zurück. Sie wechseln mit Vorliebe zwischen der 
rationalen und der paulinischen Erlösungsvorstellung {^totum 
Christiani nominis et pondus et frnctus mors Christi^^ adv. Marc. 
IQ, 8); aber Hippolyt hat der Auffassung von der durch Christus 
herbeigeführten Vergottung einen klassischen Ausdruck verliehen, 
dabei das rationale Schema (die Erkenntniss erlöst) doch ein- 
flechtend (s. Philosoph. X, 34: Kai tavxa [die Hölle] ^^v i7Cfpevi,ri 
%Bov tbv bvxa dida%%'Bvg, e^etg dh äd'dvarov rö iS&[ia xal aipd'aQtov 
cifia ifv%fi xal ßa^iXaCav ovgav&v «ÄoA^t^Ty, 6 iv yfj ßioi)g xccl i%ov- 
Qaviov ßccöilea iniyvovg^ iöy dh bfiLkrjTiig d'eov xal övyxlTjQOvö- 
fwg XQLötov^ ovx iTCidv^iaig ij xdd'Söi xal voöoig Sovkov^evog. 
yiyovag yäg d'sög' oöa yäg imsfieLvag jccc^rj ävd'QiDTCog c3i/, tavrcc 
ididov^ ort avd'QCJTCog elg^ oöcc äa TtaQaxokovd'st d's^^ tccvtcc itags- 
Xeiv iTCTJyyeXtatd'BÖg^ on id^sokoir^di^g^ dd-dvcctog ysvvrid'sig. rovr- 
aöu rö Pv&d'i, öaavröv^ ijtiyvovg tbv Ttejcoirjxöra d'aöv .... Xqi- 
6tbg ydg ictiv 6 xatct Ttdvrcov d'aög^ bg f^v a^iaprcav ^| dvd'QcoTtfDV 
ditonkvvevv %Q06ita%a . . , oi 7CQ06rdy(ia6LV vTtccxovöag öaiivotg 
xal dyad'ov dyad^bg yavönavog [liiiriTt^g^ aörj o^ioiog vtc^ avtov T^- 
liirjd'sig. oi) yäp nt(o%avai d'abg xal 0a d'abv Tcoti^öag alg S6i,av ai- 
rov). Schärfer treten bei dem Juristen TertuUian die BegrijBFe 
culpa, reatus peccati etc. hervor; er hat auch schon „satisfacere 
deo^', „meritum", „promereri deum", was dann Cyprian präziser 
ausgeführt hat. Endlich findet sich bei TertuUian das Schema 
von Christus als dem Bräutigam und der Einzelseele als der Braut, 
eine verhängnissvoUe Modifikation des urchristlichen Schemas 
von der Erche als dem Leibe Christi unter Einfiuss der heUeni- 
schen philosophischen Vorstellung (s. auch die Valentinianer), 
dass die Qottheit der Eheherr der Seele sei. 

Höchst frappirt wird man durch die Eschatologie der alt- 
katholischen Väter; denn sie entspricht weder ihrer rationalen 
Theologie noch ihrer Mystik, sondern ist noch ganz archaistisch. 
Aber sie repetiren dieselbe keineswegs notgedrungen (etwa der 
Gemeinden oder der regula oder der Joh. Apok. wegen), sondern 
sie und die lateinischen Väter des 3. und anfangenden 4. Jahrhun- 
derts leben und weben noch ganz und gar in diesen Hoffixungen 
der ältesten Gemeinden (wie Papias und Justin). Die paulinische 


106 Grundlegung des Dogmas. [§ 22. 

Eschatologie empfinden sie als Schwierigkeit, die urchristliche 
sammt dem gröbsten Chiliasmus keineswegs. Das ist der deut- 
lichste Beweis dafür, dass diese Theologen nur mit halber Seele 
bei ihrer rationalen imd mystischen Theologie gewesen sind, die 
ihnen durch den Kampf gegen die Grnosis aufgenötigt worden ist. 
Sie haben in der That zwei Christus': den wiederkehrenden, den 
Antichrist besiegenden imd das Gericht haltenden Kriegskönig 
und den Logos, der bald als göttlicher Lehrer bald als Gottmensch 
betrachtet wird. Eben diese Komplikation empfahl die neue 
Kirchenlehre. Die Details der eschatologischen HoflEnungen bei 
Irenäus (1. V, s. auch Melito), Tertullian und Hippolyt ( de antichr.) 
sind in den Grundzügen ebenso stereotyp, im Einzelnen ebenso 
schwankend wie in der früheren Zeit. Die Joh. Apok. sammt ge- 
lehrter Auslegung steht neben Daniel im Vordergrund (6 resp. 
7 tausend Jahre, heidnische Weltmacht, Antichrist, Sitz in Jeru- 
salem, Kriegszug des wiederkehrenden Christus, Sieg, Aufer- 
stehung der Christen, sinnliches Reich der Freuden, allgemeine 
Auferstehung, Gericht, definitives Ende). Aber seit der monta- 
nistischen Krise erhebt sich im Orient eine Gegenbewegung gegen 
die Zukunftsdramatik (die „Aloger"); die gelehrten Bischöfe des 
Orients im 3. Jahrb., vor Allem die Origenisten, bekämpfen sie 
und mit ihr sogar die Joh. Apok. (Dionysius Alex.), finden aber 
zähe Gegner imter den „simplices et idiotae" (Nepos in Ägypten). 
Das christliche Volk Hess sich auch im Orient den alten Glauben 
nur ungern rauben, musste sich aber allmählich fügen (die Apok. 
verschwindet vielfach im Kanon orientalischer Kirchen). Im 
Occident bleibt der Chiliasmus ungebrochen. 

Es erübrigt noch die Lehre von den beiden Testa- 
menten. Die Schöpfung des N. T. warf ein neues Licht auf das 
A. T. Dieses galt nun nicht mehr einfach als ein christliches 
Buch (Barnabas, Justin), aber auch nicht als ein Buch des Juden- 
gottes (Marcion), sondern neben der alten Vorstellung, dass es 
in jeder Zeile christlich sei und auf der Höhe der christlichen 
Offenbarung stehe, bürgerte sich friedlich die andere, mit ihr un- 
verträgliche ein, dass es eine Vorstufe Christi imd des N. T. 
sei. Diese Betrachtung, in der eine geschichtliche Auffassung 
aufdämmert, war zuerst von Valentinianem (ep. Ptolemaei ad 
Floram) aufgebracht worden. Man wechselte nun je nach Bedarf: 
bald soll das A. T. die volle Wahrheit in Gestalt der Weissagung 
enthalten, bald ist es eine legisdatio in servitutem neben der neuen 


§ 22.] Irenäus, TertuUian, u. s. w. 107 

legisdatio in libertatem, ein alter vergänglicher Bund, der den 
neuen vorbereitet hat, sein Inhalt die Geschichte der Pädagogie 
Oottes mit seiner Menschheit, in jedem Stück heilsam und doch 
vergänglich, zugleich der Schatten des Zukünftigen, typisch. 
Gegenüber den gnostischen Angriffen bemühten sich jetzt die 
Väter (in scharfem Gegensatz z. B. zum Barnabasbrief), die Vor- 
trefiElichkeit auch des Ceremonialgesetzes darzulegen, und Paulus 
wird geradezu verzerrt, um auch bei ihm die Devotion vor dem 
Gesetze nachzuweisen. Weissagung, Typus, Pädagogie sind die 
ausschlaggebenden Gesichtspunkte, und nur wo man durch keinen 
Gegensatz bestimmt war, gab man zu, dass gewisse AT liehe Be- 
stimmungen völlig abgethan seien. In dem Allen liegt trotz der 
Konfusion und der bis heute verharrenden Widersprüche doch 
ein Portschritt: man begann im A. T. zu unterscheiden, man kam 
auf die Idee von Stufen der Wahrheit, von geschichtlichen Be- 
dingungen (Tert. de orat. 1 : „quidquid retro fuerat, atit demutatum 
est per Christum ^ ut circumcisio^ aut suppletum ut reliqua lex, 
aut impletum ut prophetiaj aut perfedum ut fidcs ipsa^^). Indem 
man jetzt zwei Testamente annahm, trat die spezifische Bedeutung 
des christlichen Bundes mehr hervor (Tert.: „Zex et proplietae iiS" 
que ad Johannem^^; die Apostel grösser als die Propheten); frei- 
lich YRirde auch der neue Bund als „lex" behandelt, und deshalb 
die hoffiiungslose Frage erörtert, ob Christus das alte Gesetz er- 
leichtert oder erschwert habe. Die pädagogische Heilsgeschichte, 
wie Irenäus sie zuerst entworfen und mit dem Weissagungsbeweis 
verflochten hat, hat einen ungeheuren Eindruck gemaaht (ab initio 
— Moses — Christus); der tertuUianische Zusatz (4. Stufe: paracle- 
tus als novus legislator) hat sich nicht durchgesetzt, ist aber in 
der Kirchengeschichte immer wieder aufgetaucht, da sich eben 
Christus und Paulus nicht unter das Schema, neue Gesetzgeber 
für das kirchliche Leben zu sein, zwingen lassen. 

3. Der Ertrag der Arbeit der altkatholischen Väter für die 
Eirche des 3. Jahrh. — im Abendlande hat Novatian die ter- 
tuUianische Christologie ausgearbeitet und so das Nicänum und 
Chalcedonense vorbereitet in seinem Werk de trinitate; Cyprian 
hat die zu einer Heilsgeschichte entwickelte regula eingebürgert 
und einen Teil der tertuUianischen Formeln weiteren Kreisen zu- 
gänglich gemacht — liegt nicht in der Gewinnung einer syste- 
matischen Dogmatik, sondern in der Widerlegung der Gnosis und 
in theologischen Fragmenten, nämlich in der antignostisch inter- 


108 GrundlegDDg des Dogmas. [§ 22. 

pretirten, mit den Hauptsätzen der apologetischen Theologie ver- 
knüpften Glaubensregel (s. vor Allem Cypriai^^s Schrift „testi^ 
monia"; hier bildet die Lehre von den beiden Testamenten, wie 
Irenäus sie entwickelt, das Grundschema, in das die einzelnen 
Lehrsätze eingestellt sind. Lehrsätze aus der rationalen Theo- 
logie wechseln mit kerygmatischen Fakten; Alles wird aber aus 
den beiden Testamenten bewiesen; Glaube und Theologie sind 
nicht in Spannung). Um katholischer Christ zu sein, musste man 
jetzt vornehmlich folgende Sätze glauben, die in scharfer Ab- 
grenzung zu den Gegenlehren standen: 1) die Einheit Gottes, 2) die 
Identität des höchsten Gottes und des Weltschöpfers, resp. die 
Identität des Schöpfungs- und Erlösungsmittlers, 3) die Identität 
des höchsten Gottes mit dem Gott des A. T. und die Beurteilung 
des A. T. als des alten Offenbarungsbuchs Gottes, 4) die Schöpfung 
der Welt aus Nichts, 5) die Einheit des Menschengeschlechts^ 
6) den Ursprung des Bösen aus der Freiheit und die ünverlier- 
barkeit der Freiheit, 7) die beiden Testamente, 8) Christus als 
Gott und Mensch, die Einheit seiner Persönlichkeit, die Natur^ 
haftigkeit seiner Gottheit, die Realität seiner Menschheit, die 
Wirklichkeit seines Geschicks, 9) die Erlösung und Bundes- 
schliessung durch Christus als die neue, abschliessende Gnaden- 
erweisung Gottes für alle Menschen, 10) die Auferstehung des 
ganzen Menschen, die Identität der sichtbaren katholischen, von 
den Bischöfen geleiteten Kirche mit der himmlischen. Mit diesen 
Lehren stand aber die Logoslehre im engsten Zusammenhang, ja 
bildete gewissermassen das Fundament ihres Inhaltes und ihres 
Rechtes. Wie sie sich durchgesetzt hat, soll im 7. Kap. gezeigt 
werden. Von ihrer Durchführung hing aber auch die Entscheidung 
der wichtigsten Frage ab, ob der christliche Glaube sich wie vor 
Alters an den Sprüchen Jesu, an den Wirkungen seines Geistes 
und an der Hoffnung auf den wiederkehrenden, das Reich grün- 
denden Christus zu orientiren habe oder an dem Glauben an den 
Gottmenschen, der die volle Erkenntniss gebracht hat und die 
Natur des Menschen in göttliche Natur wandelt. 

Sechstes Kapitel. 

Die Umbildung der kirchliclien Überlieferung zu einer Religions- 

philcsopliie oder der Ursprung der wissenschaftlichen kirchUchen 

Theologie und Dogmatik: Clemens und Orlgenes. 

Clemens' Werke (Ausgaben von Sylbiiru, Potteh, Dindorf), Orlgenes' 
Werke (Ausgaben von De la Rue, Loumatzscu). — Huktics, Origeniana 1668 


•§ 23.] Clemens von Alexandrien. 109 

{s. den Abdruck bei Lomhatzsch T. 21 — 24). — HEFGüericke, de schola 
quae Alex, floruit catechetica 1824. — ChBigg, The Christian Platonists of 
Alex. 1886. — FJWinter, Ethik des Clemens 1882. — GThomasius, Ori- 
genes 1837. — ERRkdepennino, Origenes 1841 f. — EDenis, Philosophie 
^'Origfene 1884. 

§ 23. Clemens von Alexandrien. 

Die Gnostiker hatten Pistis und Gnosis scharf unterschieden 5 
Irenäus und TertuUian hatten sich nur notgedrungen der Wissen- 
schaft und Spekulation bedient, um sie zu widerlegen, das in 
den Glauben selbst einrechnend, was sie an theologischer Ex- 
plizirung bedurften. Im Grunde waren sie mit der Autorität, der 
Hofi&iung und den h. Ordnungen des Lebens zufrieden; sie bauten 
an einem Gebäude, das sie selbst nicht wollten. Aber seit dem 
Ende des 2. Jahrh. beginnt in der Kirche der Trieb nach einer 
wissenschaftlichen Religion und nach theologischer Wissenschaft 
sich zu regen (Schulen in Kleinasien, Kappadocien, Edessa, Alia, 
Cäsarea, Rom; Aloger, Alexander von Kappadocien, Julius Afri- 
kanus, Theoktist, theodotianische Schulen). Am stärksten war 
er in der Stadt der Wissenschaft, Alexandrien, wo das Christen- 
tum in das Erbe Philo's eingetreten war und wo wahrscheinlich 
bis gegen Ende des 2. Jahrh. eine strenge Formirung der 
Christen auf exklusiven Grundlagen überhaupt nicht statt- 
gefunden hatte. Die alexandrinische Kirche tritt zugleich mit 
der alexandrinischen christlichen Schule in das Licht der Ge- 
schichte (um 190); in dieser wurde die ganze griechische Wissen- 
schaft gelehrt und im Dienst des Evangeliums und der Kirche 
verwertet. Clemens, der Schüler des Pantänus, hat in seinen 
Stromateis das erste christlich-kirchliche Werk geliefert, in dem 
die Religionsphilosophie der Griechen nicht nur apologetischen 
und polemischen Zwecken dient, sondern das Mittel ist, um 
das Christentum dem Denkenden erst zu erschliessen 
(wie bei Philo und Valentin). Die kirchliche Überlieferung ist 
dem Clemens an sich ein Fremdes; er hat sich ihrer Autorität 
unterworfen, weil ihm die h. Schriften als Offenbarung er- 
schienen; aber er ist sich der Aufgabe bewusst, den Inhalt philo- 
sophisch bearbeiten und sich denkend aneignen zu müssen. Die 
Pistis ist gegeben; sie ist in die Gnosis umzuschmelzen d. h. eine 
Lehre ist zu entwickeln, die den wissenschaftlichen Anforderungen 
an eine philosophische Weltanschauung und Ethik genügt. Die 
Gnosis widerspricht dem Glauben nicht, stützt und verdeutlicht 


110 Grundlegung des Dogmas. [§ 2^. 

ihn aber auch nicht nur an einigen Stellen, »ondern erhebt ihn in 
eine höhere Sphäre: aus dem Bereiche der Autorität in die Sphäre 
des hellen Wissens und der aus der Gottesliebe iäiessenden inneren 
geistigen Zustimmung. Verbunden aber sind Pistis und Gnosis 
dadurch, dass beide ihren Inhalt an den h. Schriften haben (doch 
ist Clemens in praxi nicht so pünktlicher Schrifttheologe wie 
Origenes). In diese werden die letzten Ziele und der ganze 
Apparat der idealistischen griechischen Philosophie (beginnt 
doch um 200 die neuplatonische Philosophie in Alexandrien und 
steht sofort mit der christlichen teils in friedlichem, teils in pole- 
mischem Austausch) hineingedeutet; sie werden zugleich an Jesus 
Christus und das kirchliche Christentum — soweit es ein solches 
damals in Alexandrien gab — geheftet. Die apologetische Auf- 
gabe, die sich Justin gestellt hat, ist hier in eine systematisch- 
theologische verwandelt. Der positive Stoff ist demgemäss nicht 
in den Weissagungsbeweis geschoben, sondern, wie bei Philo 
und Valentin, in unendlicher Bemühung in wissenschaftliche 
Dogmatik umgesetzt. 

Der Idee des Logos, welcher Christus ist, hat Clemens, in- 
dem er sie zum höchsten Prinzip der religiösen Welterklärung 
und der Darstellung des Christentums erhob, einen viel reicheren 
Inhalt gegeben als Justin. Das Christentum ist die Lehre von 
der Schöpfung, Erziehung und Vollendung des Menschenge- 
schlechts durch den Logos, dessen Werk in dem vollkommenen 
Gnostiker gipfelt und der sich zweier Hülfsmittel bedient hat, des 
ATlichen Gesetzes und der griechischen Philosophie (Strom. 1, 5, 
28 sq.: TtdvtcDV ^ev aÜtcog r&v xaXmv 6 d'sög^ akkä t&v (i€V otatä 
TtQOTjyovfisvov d)s trjs te diad'7]xrjg rrlg jtaXaiag xal rrlg viag^ t&v 
dh xccT 87taKoXovd"rj^a d}g rrig cpiXoöocpCag. xd%a 8% xal nQorjyov- 
pLEvag toig "Eklriöiv id6d"rj töte tcqIv t) tbv xvqlov xaXieai xal 
tovg "EXXrivag' S'XaiöayGi'yei yäg xal avxii rö ^EXXiqvLxbv d}g 6 i/d- 
^og tovg ^EßQaiovg sig XQL6t6v), Logos ist überall, wo sich der 
Mensch über die Naturstufe erhebt (der Logos ist das Sittliche 
und Vernünftige auf allen Stufen der Entwickelung); aber die 
authentische Kenntniss von ihm kann nur aus der Offenbarung 
gewonnen werden. Er ist das Weltgesetz, der Lehrer, oder in 
Christus der Hierurg, der durch h. Weihen in die Erkenntniss 
einführt, schliesslich für den Vollkommenen die Brücke zur Eini- 
gung mit Gott selbst. Ausser den h. Schriften ermöglichte es die 
griechische Kombination von Erkenntniss und ceremoniösen 


§ 23.] Clemens von Alexandrien. 111 

Weihen dem Clemens, das kircliliclie Christentum gelten zu 
lassen. Der kirchliche Gnostiker erhebt sich gleichsam mittelst 
eines an der Schrift und dem Gemeindechristentum befestigten 
Ballons zu den göttlichen Sphären; er lässt alles Irdische, Ge- 
schichtliche, Statutarische und Autoritative, ja schliesslich den 
Logos selbst hinter sich, indem er in Liebe und Erkenntniss auf- 
strebt; aber das Seil bleibt unten befestigt, während die Gno- 
stiker es (in Bezug auf das Gemeindechristentum) abschnitten. 
Die Erhebung vollzieht sich in einem geordneten Stufengang 
(Philo), bei dem die gesammte philosophische Ethik zum Aus- 
druck kommt, vom verständigen Masshalten bis zum Excess des 
Bewusstseins und der apathischen Liebe. Auch die kirchliche Tra- 
dition kommt zum Ausdruck; aber der wahre Gnostiker soll auf 
der höheren Stufe die niedere überwinden. Wenn dem Geist die 
Flügel wachsen, bedarf er keiner Krücken. So wenig es dem 
Clemens noch gelungen ist, den ungeheuren Stoff seinem Zweck- 
gedanken unterzuordnen, so deutlich ist doch die Absicht. 
Während Irenäus ganz naiv Disparates vermengt und daher 
keine religiöse Freiheit gewinnt, ist Clemens zur Freiheit gelangt. 
Er hat die Aufgabe der zukünftigen Theologie zuerst ins Auge 
gefasst: im Anschluss an die geschichtlichen Überlieferungen, 
durch die wir geworden sind, was wir sind, und im Anschluss an 
die christliche Gemeinschaft, auf die wir angewiesen sind, weil sie 
die einzige universelle sittlich-religiöse Gemeinschaft ist, an dem 
Evangelium Freiheit und Selbständigkeit des eigenen Lebens zu 
gewinnen und dieses Evangelium so darzustellen, dass es als die 
höchste Kundgebung des Logos erscheint, der sich in jeder Er- 
hebung über die Naturstufe und daher in der ganzen Geschichte 
der Menschheit bezeugt hat. Freilich ist bei Clemens die Gefahr 
vorhanden, dass das Ideal des selbstgenügsamen griechischen 
Weisen die Stimmimg verdrängt, dass wir von der Gnade Gottes 
in Christo leben; aber die Gefahr der Verweltlichung ist in der 
gebundenen Auffassung des Irenäus, welche Autoritäten in Gel- 
tung setzt, die mit dem Evangelium nichts zu thun haben, und 
Heilsthatsachen aufrichtet, die abstumpfen, nur andersartig, aber 
nicht geringer. Wenn das Evangelium Freiheit und Friede in 
Gott geben und an ein ewiges Leben im Zusammenschluss mit 
Christus gewöhnen will, so hat Clemens diesen Sinn verstanden. 
Es ist wirklich ein Versuch, das Ziel des Evangeliums, reich zu 
sein in Gott und von ihm Kraft und Leben zu empfangen, mit dem 


112 Grundlegung des Dogmas. [§ 24. 

Ideal der platonischen Philosopliie, sicli als freier Geist über die 
Welt zu Gott zu erheben, zu verschmelzen und die Anweisungen 
zu einem seligen Leben dort und hier zu verknüpfen (wie freudig 
und wie kühn Clemens als Denker gewesen ist, zeigt das fast 
vermessene Wort Strom. IV, 22, 136: si yovv reg xad'^ 'b%6^£6iv 
^Qod'Btri rö yvcjötix^ nöteQOv ikaöd'aL ßovkoito ri)v yv&öiv zov 
^sov 7} Ti^ öcarrjQLav ri)v aCiovCav^ sCrj de xavta iuxiOQtöusva 
Ttavtbg fiäXXov iv tavtörritL &vtcc^ ovdh xad'^ driovv SLördöccg 
ekoir &v xiiv yv&6iv zov %'aov). Aber erst dem Origenes ist es 
gelungen, dies in Form eines Systems zu thun, in dem skrupu- 
löser Biblicismus und sorgßltige Achtung der Glaubensregel mit 
der kühnsten Religionsphdlosophie verbunden sind. Clemens ist 
in der Aufgabe stecken geblieben. Auch im Einzelnen findet sich 
recht viel Heterodoxes in der Ausführung seines, wie er selbst 
wusste, gefahrlichen Unternehmens, die Religion in Religions- 
philosophie umzuschmelzen. Die späteren KW. haben Doke- 
tisches und Dualistisches in seinen Werken missliebig bemerkt. 
Ein fest geschlossenes N. T. kannte Clemens noch nicht. Was 
religiös anregend und gut ist, ist auch inspirirt. Aber die In- 
spiration hat ihre Stufen. Das A. T. und die 4 Evangelien stehen 
auf der höchsten Stufe. Neben ihnen benutzt Clemens sehr viele 
altchristliche Schriften als Instanzen mit abgestufter Dignität 
(Clemensbrief, Barnabasbrief, Hermas, Apok. Petri, Kerygma 
Petri, Didache u. s. w.). 

§ 24. Origenes. 

Origenes ist der einflussreichste Theologe der morgen- 
ländischen Kirche, der Vater der theologischen Wissenschaft, 
der Schöpfer der kirchlichen Dogmatik. Was Apologeten, Gno- 
stiker und altkatholische Theologen gelehrt, verbindet er; er 
hat das Problem und die Probleme erkannt, die historischen und 
die spekulativen. Er hat mit klarstem Bewusstsein zwischen 
kirchlichem Glauben und kirchlicher Theologie scharf geschieden, 
anders zu dem Volke sprechend, anders zu den Wissenden. Sein 
universaler Geist wollte nirgends auflösen, sondern überall kon- 
serviren; er fand überall Wertvolles und wusste jeder Wahrheit 
ihre Stelle zu geben, sei es in der Pistis, sei es in der Gnosis; 
Niemand sollte „geärgert" werden; aber die christliche Wahrheit 
sollte siegen über die Systeme der griechischen Philosophen und 
der heterodoxen Gnostiker, über die Superstition der Heiden und 


§ 24.] Origenes. 113 

Juden und über die dürftigen Vorstellungen christlicher üni- 
tarier. Diese christliche Wahrheit erhielt aber als Gnosis neu- 
platonisches Gepräge, und zwar in so hohem Masse, dass ein 
Porphyrius die kosmologische Theologie des Origenes gut- 
geheissen und nur die eingemischten „fremden Fabeln" verworfen 
hat (s. sein Urteil bei Euseb., h. e. VI, 19, 7). In umrissener fester 
Gestalt setzte sich Origenes (s. sein Hauptwerk tcsqI ägi^v) die 
Glaubensregel voraus sammt den beiden Testamenten: wer sie 
hat, hat die Wahrheit, die selig macht; aber es giebt eine tiefere, 
befriedigendere Fassung. Auf ihrer Höhe werden alle Kon- 
traste zu Schattirungen, und in der absoluten Stimmung, die 
sie gewährt, lernt man relativ urteilen. So ist Origenes recht- 
gläubiger Traditionalist, strenger biblischer Theologe (nichts 
soll gelten, was nicht in den Schriften steht), kühner idealistischer 
Philosoph, der den Inhalt des Glaubens in Ideen umsetzt, die 
Welt des Innern ausbaut und schliesslich nichts gelten lässt, als 
Gottes- und Selbsterkenntniss in engster Verbindung, die zur Er- 
hebung über die Welt und zur Vergöttlichung führt. Aber Zeno 
und Plato sollen doch nicht die Führer sein, sondern Christus; 
denn jene haben weder den Polytheismus überwunden, noch die 
Wahrheit allgemein zugänglich gemacht, noch eine Lehran- 
weisung gegeben, die es auch den Ungebildeten ermöglicht, um 
soviel gebessert zu werden, als es ihre Fassungskraft erlaubt. 
Dass das Christentum Beides ist, Religion für den gemeinen Mann 
ohne Polytheismus (freilich mit Bildern und Zeichen) und Reli- 
gion für den denkenden Geist, darin erkannte Origenes die Über- 
legenheit dieser Religion über alle Religionen und alle Systeme. 
Die christliche Religion ist die einzige Religion, die 
auch in mythischer Form Wahrheit ist. Die Theologie hat 
5ich freilich — wie immer, so auch hier — von den für die posi- 
tive Religion charakteristischen Merkmalen der äusseren Offen- 
barung und der Satzungen zu emanzipiren, aber im Christentum 
thut sie das unter Anweisung und auf Grund derselben hei- 
ligen Urkunden, die die positive Religion für die Menge be- 
gründen. Die Gnosis neutralisirt alles empirisch-Geschichtliche, 
wenn auch nicht immer in seiner Thatsächlichkeit, so doch durch- 
weg in seinem Werte. Sie sublimirt aus der empirischen Ge- 
schichte eine höhere transzendentale Geschichte, die in der Ewig- 
keit anhebt und hinter der empirischen ruht; aber im Grunde 
£ubliniirt sie diese transzendentale noch einmal, und es bleibt nur 

GrandriSB IV. nr. Habrack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 8 


114 Grundlegung des Dogmas. [§ 24. 

der unveränderliche Gott und die geschaffene Seele, die von Gott 
durch und zu Gott aufstrebt, übrig. Am deutlichsten ist das an 
der Christologie. Hinter dem historischen Christus ruht der 
ewige Logos; er, der erst als Arzt und Erlöser erscheint, erscheint 
bei tieferer Betrachtung als der Lehrer — selig die Geforderten, 
welche des Arztes, des Hirten und Erlösers nicht mehr bedürfen! 
in Joh. I, 20 sq.: ^aycd^LOL ya o6ol Se6^evoL xov vlov tov ^sov 
rotovrot yBy6va6LV^ cag firjx^ti aitov ;^p^5*ti/ iaxQov tovg xax&g 
i^ovrag d'SQaxsvovtog^^Tjdi Ttoi^avog^ jLwjdf a^okxrtQmöscog^ äkXa 
6oq)Cag xal Xöyov xal dixaio^vvrig — aber auch der Lehrer ist 
schliesslich dem Vollkommenen nicht mehr nötig; er ruht in 
Gott. So ist hier das kirchliche Christentum als Hülle abgestreift 
und als Krücke verworfen. Was bei Justin Weissagungsbeweis, 
bei Irenäus Heilsgeschichte ist, verdampft bei Origenes für den 
Gnostiker oder ist nur Bild einer unsinnlichen Geschichte. Im 
letzten Grund fehlt der hochfliegenden. Alles umspannenden Ethik 
doch das Gefühl der Schuld und der Ehrfurcht vor der Majestät 
Gottes und vor dem Richter. Der Geist fühlt sich hier fast als 
ein Teil Gottes, nicht als sein Ebenbild und Kind, obgleich 
die Kreatürlichkeit so stark betont wird. 

Das System soll streng monistisch sein (das aus dem Nichts 
erschaffene Materielle hat nur transitorische Bedeutung als Läu- 
terungsort); faktisch wohnt ihm doch ein dualistisches Moment 
inne. Der beherrschende Gegensatz ist Gott und das Geschaffene. 
Die Amphibolie liegt in der doppelten Betrachtung des Geistigen 
(es gehört einerseits als Wesensentfaltung Gottes zu Gott selbst, 
es steht andererseits als Geschaffenes Gott gegenüber), die in allen 
neuplatonischen Systemen wiederkehrt. Der Pantheismus soll ab- 
gewehrt und doch die Überweltlichkeit des menschlichen Geistes 
festgehalten werden. Dieser ist der freie, aber in seinem dunklen 
Drang sich des rechten Weges wohlbewusste, himmlische Aon. 
Göttlicher Ursprung, göttliches Ziel, freie Entscheidung konsti- 
tuiren sein Wesen. Der Knoten ist aber bereits in dem Moment 
geschürzt, wo der Geist in die Erscheinung tritt. Also giebt es 
eine Geschichte vor der Geschichte. Das System hat drei Teile: 
1) Gott und seine Entfaltungen, 2) der Abfall des kreatürlichen 
Geistes und seine Folgen, 3) Erlösung und WiederherstelluDg. 
Dass die Freiheit zum Schein zu werden droht, wenn der Geist 
sein Ziel erreichen m u s s, hat Origenes nicht bemerkt. In der Aus- 
führung nimmt er es so ernst mit ihr, dass er selbst die göttliche 


§ 24.] Origenes. 115 

Allmacht und Allwissenheit beschränkt. Aus der h. Schrift wird 
das Gott -Welt -Drama angeblich abstrahirt (die Geheimtradition, 
welche noch bei Clemens eine grosse Rolle spielt, tritt ganz zu- 
rück). Wie der Kosmos geistig, psychisch und materiell ist, so 
besteht auch die h. Schrift, diese zweite Offenbarung, aus diesen 
drei Teilen. Damit ist der Exegese die sichere Methode gegeben; 
sie hat 1) den Wortsinn zu ermitteln, der aber die Schale ist, 
2) den psychisch- moralischen Sinn, 3) den pneumatischen. Hie 
und da kommt allein dieser pneumatische in Betracht und muss 
der Wortsinn sogar verworfen werden, wodurch man eben zur 
Auffindung des tieferen veranlasst wird. Diese biblische Alchemie 
hat Origenes mit höchster Virtuosität ausgebildet. 

a) Gott ist das Eine, welches dem Vielen gegenüber steht, 
das auf ihn als die Ursache zurückweist; er ist das schlechthin 
Seiende und Geistige, das dem bedingt Seienden gegenüber steht. 
Er ist anders als das Viele, aber die Ordnung, die Unselbständigkeit 
und die Sehnsucht des Vielen kündet von ihm. Gott als die ab- 
solute Kausalität mit Bewusstsein und Wille ist von 0. leben- 
diger, so zu sagen persönlicher vorgestellt als von den Gnostikem 
und Neuplatonikern. Aber Gott ist stets als Kausalität, daher nie 
ohne Offenbarung zu denken. Dass er schafft, gehört zu seinem 
Wesen, das ja eben in dem Vielen hervortritt. Da aber alle Offen- 
barung ein Begrenztes sein muss, so lässt 0. keinen schranken- 
losen Begriff der Allwissenheit und Allmacht gelten; Gott kann 
nur, was er will; er kann nicht, was in sich einen Widerspruch 
hat, also nicht existent werden kann (alle Wunder sind natürlich); 
er kann sogar nicht das Geschaffene absolut gut gestalten, weil 
der Begriff des Geschaffenen eine privatio des Seins in sich 
schliesst; er kann es nur möglichst gut machen; denn niemals 
geht die Idee ohne Rest in den Stoff auf, der sie zur Darstellung 
bringt. Auch die Freiheit setzt Gott eine Schranke, die er sich 
freilich selbst geschaffen hat. So wird die relative Betrachtung 
auf den Gottesbegriff selbst angewandt. Gott ist Liebe und Güte; 
die Gerechtigkeit ist eine Erscheinungsform der Güte. 

Da Gott ewig offenbart, so ist die Welt ewig, aber nicht diese 
Welt, sondern die Welt der Geister. Mit dieser aber ist Gott durch 
den Logos verbunden, in dem sich Gott mit Abstreifang der ab- 
soluten Apathie noch einmal setzt. Der Logos ist Gott selbst und 
zugleich das Integral und der Schöpfer des Vielen (Philo), eine 
besondere Hypostase, wie auch Bewusstseiu Gottes und Potenz 

8* 


116 Grundlegung des Dogmas. [§ 24. 

V. , '-■ >■ 

der Welt. Der Logos ist das vollkommene Ebenbild (axccQcckka- 
xtog elxAv) Gottes (ß^oov6Log). Er hat nichts Körperliches an 
sich, ist darum wahrhafter Gott, aber zweiter Gott (keine mit- 
geteilte Gottheit, oi xarä ^STOveiav^ &Xkä xax ov6iav d^sög). Er 
ist aus dem Wesen des Vaters von Ewigkeit gezeugt; es gab 
keine Zeit, wo er nicht war, und fort und fort geht er hervor kraft 
göttlichen notwendigen Willens aus dem Wesen. Aber eben weil 
er substantia substantialiter subsistens ist, ist er als solche kein 
aydvvrjtov'^ er ist ein airiccröVy der Vater das TCQßytov atriov. So 
ist er die erste Stufe des Übergangs des Einen zu dem Vielen; 
vom Standpunkt Gottes das %xC6yLa 6^oov6iov^ von unserem Stand- 
punkt der offenbare Gott von Art. Also nur für uns besteht die 
Gleichartigkeit von Vater und Sohn; seine ünwandelbarkeit ist 
daher auch nur relativ, weil sie nicht auf Autousie ruht. Überall 
ist bei diesen Spekulationen an den Logos den Schöpfer, nicht an 
den Logos den Erlöser gedacht. Auch der h. Geist — die Glaubens- 
regel nötigte ihn auf — wird als drittes unwandelbares Wesen in 
die Gottheit gerechnet, als dritte Stufe und Hypostase. Er ist 
durch den Sohn geworden und verhält sich zu diesem, wie der 
Sohn zum Vater. Sein Wirkungskreis ist der kleinste, freilich — 
seltsam genug — der wichtigste. Der Vater ist das Prinzip des 
Seienden, der Sohn des Vernünftigen, der Geist des Geheiligten. 
Diese abgestufte Trinität ist Offenbarungstrinität, aber eben des- 
halb auch immanent und beharrlich, weil Gott niemals ohne die 
Offenbarung gedacht werden kann. Der h. Geist ist der Übergang 
zu der Fülle von Geistern und Ideen, die, durch den Sohn geschaf- 
fen, in Wahrheit die Entfaltung seiner Fülle sind. Das Charakte- 
ristische der geschaffenen Geister im Unterschied von Gott ist 
das Werden (Fortschritt, ngoxoTti^), d. h. die Freiheit (Gegensatz 
zur häretischen Gnosis). Aber die Freiheit ist doch relativ, d. h. 
in der übersehbaren Zeit sind sie frei; im Grunde aber herrscht 
die strenge Notwendigkeit für den geschaffenen Geist, das Ziel zu 
erreichen. Die Freiheit ist also sub specie aetemitatis notwen- 
dige Entwickelung. Aus der Freiheit hat 0. den wirklichen 
Kosmos zu verstehen gesucht; denn zu den Geistern gehören auch 
die Menschengeister; sie sind alle von E wigkeit geschaffen (Gott 
ist immer Schöpfer), vom Ursprung her gleich; aber ihre Aufgabe 
und demgemäss ihre Entwickelung ist verschieden. Sofern sie 
wandelbare Geister sind, sind sie alle mit einer Art von Körper- 
lichkeit behaftet. In dem Geschaffensein selbst ist für Engel und 


§ 24.] Origenes. 117 

^ ■ ■ ■ ■ ■ - - ■ — ■■—■-■, ■■■■■■ ■ ■ ^■^^ - ■ ■ ■ ■ i ■ . ■ ■ . ■■ i- . , _ — . — ■■■■■ ,^ 

Menschen schon eine Art Materialität gesetzt. Wie sie sich hätten 
entwickeln können, darüber hat 0. nicht spekulirt, sondern nur, 
wie sie sich entwickelt haben. 

h) Sie alle sollen ein beharrliches Wesen erreichen, um dann 
neuen Schöpfungen Platz zu machen. Aber sie fallen in Trägheit 
und Ungehorsam (präexistenter Sündenfall). Um sie zu zügeln 
und zu läutern, ist die Sinnenwelt geschaffen; diese ist also ein 
Zuchthaus, und die Geister werden durch das Band der Seele in 
verschiedenartige Körper geschlossen, die gröbsten haben die 
Teufel, die feinsten die Engel, die Menschen die mittleren, die 
von Teufeln und Engeln unterstützt und gefährdet werden (Re- 
zeption volkstümlicher Vorstellungen). Das Leben ist eine Auf- 
gabe, ein Kampf unter Gottes Zulassung und Leitung, der mit der 
Niederlage des Bösen und mit seiner Vemichtimg enden soll. So 
herbe, fast buddhistisch 0. von der Welt denkt — im Grunde ist 
er doch Optimist. Der Mensch besteht aus Geist, Seele und Leib 
(die Unterscheidung von Geist und Seele nach Plato und weil der 
Geist nicht Prinzip der widergöttlichen Aktion seia kann; die Seele 
ist so widerspruchsvoll behandelt, wie der Logos: sie ist erkalteter 
Geist und doch kein Geist; sie soll einerseits den Fall denkbar 
machen und doch die Vernunftseele in ihrer Integrität schützen). 
Der Kampf des Menschen besteht in dem Streben der iu seiner 
Konstitution gesetzten Faktoren, die Herrschaft über die Aktions- 
sphäre zu gewinnen. Die Sünde liegt einerseits in dem irdischen 
Zustande vor (im Grunde müssen Alle Sünder sein); andererseits 
ist sie Produkt der Freiheit, eben deshalb aber überwindlich, 
wobei Gott hilft. Denn ohne ihn ist nichts Gutes. 

c) Aber wir müssen uns selbst helfen; Gott hilft als Lehrer, 
erst durch das Naturgesetz, dann durch das mosaische Gesetz, 
dann durch das Evangelium (Jedem nach seiner Eigenart und dem 
Mass seiner Fähigkeit), den Vollkommenen durch das ewige 
Evangelium, das keine Hüllen und Bilder hat. Die Offenbarung 
ist eine mannigfaltige, stufenweise Hülfleistung, welche der 
seufzenden Kreatur entgegenkommt (sogar die Bedeutung des 
Volkes Israel ist erkannt). Aber der Logos musste selbst er- 
scheinen und helfen. Sein Werk musste so komplizirt sein, wie 
das Bedürfhiss es ist: den Einen musste er wirklich den Sieg über 
den Tod und die Dämonen zeigen, musste als „Gottmensch^^ ein 
Opfer bringen, das die Sühne der Sünde darstellt, musste ein 
Lösegeld zahlen, das der Herrschaft der Teufel ein Ende bereitete 


118 Grundlegung des Dogmas. [§ 24. 

— kurz er musste eine verständliche Erlösung in „Thatsachen*' 
bringen (Origenes hat zuerst in der Heidenkirche eine Theorie der 
Versöhnung und Entsühnung; aber man beachte, in welcher Zeit 
er geschrieben hat). Den Anderen aber musste er als göttlicher 
Lehrer und Hierurg die Tiefen der Erkenntniss aufschliessen und 
ihnen damit ein neues Lebensprinzip bringen, so dass sie nun an 
seinem Leben Teil hätten und verwebt mit dem göttlichen Wesen 
selbst göttlich würden. Rückkehr in die Gemeinschaft mit Gott 
, ist hier wie dort das Ziel, dort durch Facta, auf die man den Glau- 
ben richtet, hier durch Erkenntniss und Liebe, die über den Ge- 
kreuzigten hinaufstrebend, das ewige Wesen so erfassen, wie es 
der Logos selbst umfasst. Die „Thatsachen" sind also nicht, wie 
bei den Gnostikem, Schein oder indifferente Basis der Wahrheit, 
sondern sie sind Wahrheit, aber nicht die Wahrheit. So hat er 
Glauben und Religionsphilosophie versöhnt. Er kann die kos- 
mische Bedeutung des Kreuzestodes preisen, dessen Wirkung alle 
Geister umfasst, und überfliegt doch dies Ereigniss durch die 
Spekulation, für die es keine Geschichte giebt. 

Hiernach gestaltet sich dieChristologie: ihr Charakteristisches 
ist die Komplizirtheit: der Erlöser ist alles das gewesen, was 
Christen fromm von ihm denken können. Für den Gnostiker ist 
er das göttliche Prinzip, der Lehrer, der Erstling, die erkennbare 
göttliche Vernunft. Der Gnostiker kennt keine „Christologie": 
von Christus her hat die vollkommene Einwohnung des Logos in 
den Menschen ihren Anfang genommen. Also ist hier weder die 
Gottheit noch die Menschheit Christi eine Frage oder ein Problem. 
Aber für den unvollendeten Christen ist Christus der Gottmensch, 
und der Gnostiker hat die Pflicht, das Problem, das diese Aussage 
bietet, zu lösen und die Lösung nach links und rechts vor In:- 
tümern zu schützen (gegen Doketismus und „Ebionitismus^^. Der 
Logos konnte sich mit dem Leibe nur durch das Medium einer 
menschlichen Seele verbinden. Diese Seele war ein nie gefallener 
reiner Geist, der sich zur Seele bestimmt hatte, um den Absichten 
der Erlösung zu dienen. Sie war als reine im Grunde stets mit 
dem Logos verbunden und wurde dann ihrer sittlichen Würdig- 
keit wegen Mittel für die Menschwerdung des Logos (innigste 
Verbindung, aber eigentlich nur durch unablässige Willens- 
bewegung von beiden Seiten perfekt; also keine Vermischung). 
Der Logos bleibt unveränderlich; nur die Seele hungert und 
leidet, wie sie denn, ebenso wie der Leib, wahrhaft menschlich ist. 


§ 24.] Origenes. 119 

Aber weil beide rein sind und die Materie an sich qnalitätslos ist, 
war der Leib doch, faktisch ganz anders wie unserer (noch doke- 
tischer ist Clemens). Der Leib konnte jeden Augenblick so ge- 
staltet sein, wie es die Situation verlangte, um den stärksten Ein- 
druck auf die Verschiedenen zu machen. Auch war der Logos 
nicht in dem Leib eingeschlossen, sondern wirkte überall wie 
vorher und verband sich mit allen frommen Seelen. Freilich 
wurde die Verbindung mit keiner so innig wie mit der Seele Jesu 
und deshalb auch mit seinem Leibe. Der Logos verklärte und 
vergöttlichte stufenweise während des irdischen Lebens die Seele 
und diese den Leib. Die Funktionen und Prädikate des mensch- 
gewordenen Logos bilden eine Stufenleiter, in deren Erkenntniss 
der Gläubige successive fortschreitet. Die Verbindung (xotvcovta, 
£vc36tg^ ävaKQccöis) wurde so innig, dass die Prädikate von der 
h. Schrift vertauscht werden. Zuletzt erscheint Jesus in Geist 
verwandelt, in die Gottheit aufgenommen, derselbe mit dem 
Logos. Aber die Verbindung ist im Grunde eine ethische und 
schliesslich keine einzigartige. Alle denkbaren Häresien sind hier 
gestreift, aber durch Kautelen umgrenzt (Jesus der himmlische 
Mensch — aber alle Menschen sind himmlisch; die adoptianische 
Christologie — aber der Logos steht hinter ihr; die Auffassung 
von zwei Logoi; die gnostische Zerreissung von Jesus und 
Christus; monophysitische Vermischung; der Doketismus), aus- 
genommen ist nur der Modalismus. Dass in einer wissenschaft- 
lichen Christologie soviel Raum für die Menschheit gelassen ist, 
ist dasWichtige:dieIdee der Mensch werdung ist aufgenommen. 
Die Heilsaneignung ist mit dem Allen schon gezeichnet: die 
Freiheit und der Glaube gehen voran: wie in Christus die mensch- 
hche Seele sich stufenweise mit dem Logos verbunden hat, so 
erhält auch der Mensch Gnade gemäss seinen Fortschritten (neu- 
platonischer Stufengang der Erkenntniss von der niederen Wissen- 
schaft und den sinnlichen Dingen an; doch tritt Ekstase und Vision 
zurück; wenig Helldunkles). Überall ist ein Ineinander von Frei- 
heit und Erleuchtung nötig, imd der kirchliche Glaube bleibt der 
Ausgangspunkt auch des „theoretischen Lebens^^, bis es zur freu- 
digen asketischen Beschaulichkeit kommt, in der der Logos der 
Freund und Bräutigam der Seele ist (Komment, z. Hohenlied), die 
nun vergottet in Liebe der Gottheit anhängt. Eine Wiedergeburt 
kennt 0. nur als Prozess; aber bei ihm und Clemens (s. besonders 
Paedag. I, 6) finden sich in Anschluss an das N. T. Ausführungen 


120 Grundlegung des Dogmas. [§ 24. 

(Gott als die Liebe, als der Vater, Wiedergeburt, Adoptio), welche, 
frei von den Fesseln des Systems, die evangelische Verkündigung 
in überraschend treffender Weise darlegen. Im höchsten Sinn 
giebt es keine Gnadenmittel, aber die Symbole, welche die Mit- 
teilung der Gnade begleiten, sind nicht gleichgiltig. Das System 
zahlreicher Vermittler und Intercessoren (Engel, Märtyrer, lebende 
Heilige) hat 0. erst recht in Wirksamkeit gesetzt und ihre An- 
rufung angeraten (in Bezug auf das Gebet zu Christus ist 0. sehr 
zurückhaltend gewesen, s. seine Schrift de orat.). 

Nach 0. werden alle Geister in der Form ihres indivi- 
duellen Lebens schliesslich gerettet und verklärt (Apokatastasis), 
um einer neuen Weltepoche Platz zu machen. Die sinnlich-escha- 
tologischen Erwartungen sind sämmtlich verbannt. Der Lehre 
von der „Auferstehung des Fleisches" hat 0. sich angeschlossen 
(Glaubensregel), sie aber so gedeutet, dass ein corpus spiritale 
auferstehen wird, dem alle Eigenschaften des Sinnlichen, ja auch 
alle Glieder, die sinnliche Funktionen haben, fehlen werden, und 
das, wie die Engel und Gestirne, in Lichtglanz strahlen wird. 
Die Seelen der Entschlafenen kommen sofort ins Paradies (kein 
Seelenschlaf)*, die noch nicht geläuterten Seelen in einen neuen 
Strafzustand (Straffeuer), der sie weiter läutern wird (Qualen des 
Gewissens sind die Hölle). Aber nur soweit rezipirt 0. die kirch- 
liche Lehre von der Verdammniss; zuletzt werden alle Geister, 
selbst die Dämonen, geläutert zur Gottheit zurückkehren. Doch 
ist die Lehre esoterisch: „für den gemeinen Mann genügt es, zu 
wissen, dass der Sünder bestraft wird." 

Dieses System hat die häretisch-gnostischen aus dem Felde 
geschlagen und in der Folgezeit die kirchliche Theologie des 
Orients — allerdings unter strengen Restriktionen — beherrscht. 
Die Kirche konnte auf die Dauer weder alle Lehren des O. gut- 
heissen, noch sich bei seiner scharfen Scheidung von Glaube und 
Glaubens Wissenschaft beruhigen. Sie musste es versuchen, 
beide doch in einander zu schieben und auf eine Fläche zu setzen 
(wie Irenäus). 

Siebentes Kapitel. 

Der entscheidende Erfolg der theologischen Spekulation auf 
dem Gebiet der Glaubensregel oder die Präzisirang der kirch- 
lichen Lehmonn durch die Aufnahme der Logoschristologie. 

Quellen: Das Material ist aus der gesammten Litteratur von Irenäus 
bis Athanasins zusammenzubringen. — AHabnack, Monarchianismus in RE*. 


Einleitg. z. §§25 f.] Die Receptioo der Logoschristologie. 121 

Allein die Logoschristologie Hess eine Verbindung des Glau- 
bens mit der damaligen Wissenschaft zu, entsprach der Formel, 
dass Gott Mensch geworden, damit wir Götter würden, und stützte 
so das Christentum nach aussen und nach innen. Aber sie war 
in den Gemeinden um 190 und später noch keineswegs verbreitet, 
vielmehr teils unbekannt, teils als häretisch-gnostisch (Aufhebung 
der göttlichen Monarchie, resp. andererseits der Gottheit Christi) 
gefürchtet; Tert. adv. Prax. 3: ,ySimplices quique, ne dixerim inpru- 
dentes et idiotae^ quae maior semper pars credentium est, quoniam et 
ipsa regtda fidei a plwribus diis saeculi ad unicum et verum deum 
transferty non intellegentes unicum quidem, sed cum sua oixovoiiia 
esse credendum, expavescunt ad olxovo^Cav . . . Itaque duos et tres 
iam iactitant a nöbis praedicari, se vero unius dei cultores praesn- 
munt . . . monarchiam inquiunt tenemus'^] ähnlich haben sich Hip- 
polyt und Origenes ausgesprochen. Die Einbürgerung der Logos- 
christologie in dem Glauben der Kirche — und zwar als articulus 
fundamentalis — hat sich nach schweren Kämpfen im Lauf eines 
Jahrhunderts (bis gegen 300) vollzogen. Sie bedeutete die üm- 
wandelung des Glaubens in eine Glaubenslehre mit griechisch- 
philosophischem Gepräge; sie schob die alten eschatologischen 
Vorstellungen zurück, ja verdrängte sie; sie setzte hinter den 
Christus der Geschichte einen begrifflichen Christus, ein Prinzip, 
und wandelte den geschichtlichen in eine „Erscheinung'^; sie wies 
den Christen auf „Naturen'^ und auf naturhafte Grössen, statt auf 
die Person und das Sittliche; sie gab dem Glauben der Christen 
definitiv die Richtung auf die Kontemplation von Ideen und Lehr- 
sätzen und bereitete damit das mönchische Leben einerseits, das 
bevormundete Christentum der unvollkommenen, thätigen Laien 
andererseits vor; sie legitimirte hundert Fragen der Metaphysik, 
der Kosmologie und der Weltwissenschaft als kirchliche und ver- 
langte bei Verlust der Seligkeit eine bestimmte Antwort; sie 
führte dazu, dass man statt Glauben vielmehr Glauben an den 
Glauben predigte, und verkümmerte die Religion, indem sie sie 
scheinbar erweiterte. Aber indem sie den Bund mit der Welt- 
wissenschaft perfekt machte, gestaltete sie das Christentum zur 
Welt-, freilich auch zur Allerweltsreligion und bereitete die That 
Konstantin's vor. 

Die Richtungen in der Kirche, die dem philosophischen Chri- 
stentum und der Logoschristologie widerstrebten, nennt man 
monarchianische (so zuerst TertuUian). Der Name ist nicht 


122 GrandleguDg des Dogmas. [§ 25. 

glücklich gewählt, da viele Monarchianer eine zweite Hypostase 
anerkannten, und nur für die Christologie keinen Gebrauch von 
ihr machten. Man kann unter den Monarchianem zwei Rich- 
tungen unterscheiden (s. die alten Christologien Buch I c. 3 sub 6): 
die adoptianischen, die das Göttliche in Christus als eine Kraft 
ansahen und von der menschlichen Person Jesu ausgingen, die 
vergottet worden sei, und die modalistischen, die Christus für 
eine Erscheinung Gottes des Vaters hielten. Beide bekämpften 
die Logoschristologie als „Gnosticismus^^, die Ersteren in aus- 
gesprochenem Interesse für das geschichtliche (synoptische) Chri- 
stusbild, die Letzteren im Interesse der Monarchie und der Gott- 
heit Christi. Beide Richtungen, auch in einander übergehend, sind 
katholische gewesen, den Boden der Glaubensregel behauptend 
(nicht „ebionitisch" oder gnostisch); aber nachdem das N. T. ais 
solches eingebürgert war, wurde ihr Kampf vergeblich; denn 
wenn sich auch im N. T. Stellen für ihre Thesen fanden, so über- 
wogen doch die Stellen, die die Präexistenz Christi als besondere 
Hypostase enthielten — wenigstens nach der damaligen Aus- 
legung — , und es erschien selbstverständlich, dass überall das 
„Niedere^^ in den Aussagen nach dem „Höheren" (Pneumatischen) 
zu deuten sei (also die Synoptiker nach Johannes). In allen 
kirchlichen Provinzen hat es „monarchianische" Kämpfe gegeben; 
aber wir kennen sie nur teilweise. 

§ 35. Die Ausscheidung des dynamistischen Monarchianismns 

oder des Adoptianismns. 

a) Die „ A 1 o g e r" in Kleinasien (Spottname, Quellen : Ieenäur 
ni, 11, 9; HipPOLYT, ihn ausschreibend Epiphaniüs h. 51) waren 
eine Partei der radikalen antimontanistischen Opposition, die alles 
Prophetentum in der Kirche verwarf; sie traten zu einer Zeit auf, 
da es noch kein N. T. gab. Sie kritisirten die johanneischen Schriften 
historisch und verwarfen sie wegen der Ankündigung des Parar 
kleten und der Apokalyptik, zugleich die Geschichtserzähliing des 
Joh.-Ev. auf Grund der Synoptiker als unrichtig nachweisend. Aber 
sie tadelten auch den Doketismus des Evangeliums, beanstandeten 
den Logos, und schlössen, dass die unwahren, einerseits jüdisch- 
Sinnliches , andererseits doketisch - Gnostisches enthaltenden 
Schriften von Cerinth stammen müssten. Ihre eigene Christo- 
logie war nach der synoptischen gebildet: die wunderbare Geburt, 
die Herabkunft des Geistes auf Jesus, seine Fortschritte, die Er- 


§ 25.] Die Ausscheidung des Adoptianismus. 123 

höhung durch die Auferstehung konstituiren seine Würde. Die 
Gegner (Irenäus, Hippolyt) haben sie verhältnissmässig anständig 
behandelt, da diese „Aloger" gegen die Montanisten gute Dienste 
leisteten. Man muss aber bei aller Hochachtung der gesunden 
historischen Kritik, die die Aloger übten, urteilen, dass ihre reh- 
giöse Begeisterung keine sehr grosse gewesen sein kann; denn 
sie waren weder apokalyptische Enthusiasten noch Mystiker: 
worin bestand aber dann die Kraft ihrer Frömmigkeit? 

b) Dasselbe ist von den römisch-adoptianischen Par- 
teien der Theodotianer zu sagen, die in nachweisbarem Zu- 
sammenhang mit den „Alogem" gestanden haben (der Leder- 
arbeiter Theodotus und seine Partei, Theodotus der Wechsler, die 
Artemoniten). Sie etablirten sich seit c. 185 in Rom (der ältere 
Theodot stammte aus Byzanz, ein Mann von ungewöhnlicher Bil- 
dung r, allein schon Bischof Victor von Rom (um 195) stiess den 
Theodotus aus der Kirche, weil er Christus für einen j^Mg ccv- 
^Qcmog halte — der erste Fall, dass ein auf der Glaubensregel 
stehender Christ als Irrlehrer gemassregelt worden ist. Theo- 
dotus lehrte wie die „Aloger" über Christus (TtQoxoTf^ des wunder- 
bar geborenen, in der Taufe ausgerüsteten Menschen Jesus bis 
zur Erhöhung durch die Auferstehung; Nachdruck auf die sitt- 
liche Bewährung), erkannte aber das Joh.-E v. bereits als h Schrift 
an, den Schriftbeweis nach derselben nüchternen, kritischen Me- 
thode führend wie Jene (Deut. 18, 15; Jerem. 17, 9; Jes. 53, 2 f.; 
Mt. 12, 31; Lc. 1, 35; Joh. 8, 40; Act. 2, 22, I Tim. 2, 5). Unter 
seinem bedeutendsten Schüler, Theodot dem Wechsler, standen 
die Ädoptianer, eifrig mit Kritik d. h. Texte, empirischer Wissen- 
schaft und Naturkunde (nicht mit Plato) beschäftigt, als Schule 
neben der Kirche (s. die Schilderung Euseb. h. e. V, 28). Ihr 
Versuch, eine Kirche zu gründen (Bischof Natalis), scheiterte 
schnell (z. Z. des Bischofs Zephyrin); sie blieben Offiziere mit 
einer, wahrscheinlich kleinen, immer mehr zusammenschmelzen- 
den Armee. Aus ihrer These, der h. Geist, dessen Hypostase (als 
ewiger Sohn Gottes, s. Hermas, dessen Christologie sie befolgten) 
sie zugestanden, stünde höher als Jesus, weil dieser nur adoptirter 
Gott sei, haben die Gegner eine kapitale Häresie gemacht. Da sie 
nämlich jenem ewigen Sohn Gottes die Theophanien im A. T. zu- 
schrieben und den Melchisedek für eine Erscheinung des ewigen 
Sohnes hielten, so nannte man sie Melchisedekianer, die den Mel- 
chisedek anbeteten. Von den gelehrten Arbeiten dieser Männer 


124 Grnndlegang des Dogmas. [§ 25. 

ist nichts auf uns gekommen. Hippolyt berichtet uns, dass Einige 
unter ihnen auch nach der Auferstehung Christum nicht für einen 
Gott gelten lassen wollten, Andere die d-soTCoiri^tg zugestanden. 
Offenbar wurde es in dem Streit, dass die Kirche einen Bund mit 
der Wissenschaft des Aristoteles, Euklid und Galen nicht ver- 
trug, dagegen den Bund mit Plato forderte, und dass die alte Chri- 
stologie des Hermas — die Adoptianer beriefen sich auf diese 
Überlieferung und erklärten die Logoschristologie für eine Neue- 
rung — nicht mehr genügte. Einige Dezennien später ist in 
Artemon zu Rom noch ein bedeutender adoptianischer Lehrer 
aufgetreten, von dem indess wenig bekannt ist. Auch er hat 
das Prädikat „Gott" für Christus abgelehnt, scheint aber nicht in 
allen Stücken mit den Theodotianem solidarisch gewesen zu sein. 
Um 250 war in Rom der Adoptianismus bedeutungslos (Cyprian 
schweigt; doch s. Novatian, de trinit.); aber im Abendland er- 
hielten sich in den Gemeinden Formeln, wie „spiritus sanctus = 
dei filius, caro «= Jesus, spiritus sanctus =* Christus, spiritus 
carni mixtus == Jesus Christus" noch geraume Zeit (durch die 
Lektüre des hochangesehenen Hermas vornehmlich), und lehr- 
reich ist, dass noch Augustin bis kurz vor seiner Bekehrung die 
adoptianische Christologie für die katholische gehalten hat. Also 
waren die orthodoxen christologischen Formeln in der abendlän- 
dischen Laienwelt noch im 4. Jahrh. wenig bekannt. 

c) Aus den Schriften des Origenes erkennt man, dass es auch 
im Morgenland Adoptianer gegeben hat. 0. hat sie als irre- 
geleitete, resp. einfältige christliche Brüder behandelt, die der 
freundlichen Belehrung bedürfen; hatte er doch selbst die adop- 
tianische Ansicht in seiner komplizirten Christologie verwertet 
(weshalb man ihn später ohne Recht auch mit den Adoptianem 
zusammengestellt hat; wogegen ihnPamphilus verteidigte). Den 
monarchianisch lehrenden und in Arabien und Syrien viele An- 
hänger gewinnenden Beryll von Bostra (Euseb. VI, 33: rbv tfo- 
tilQa Tcal TiVQLov ini&v fii) 7tQOV(p66tccvai xat^ IdCav ox>€iag nsQL- 
yQatpiiv TtQO tilg eig &v^QG}%ovg imörniCag^ (irjöh (ihv d^sörr^ra löCav 
e%Biv^ akV i^Ttohtsvofisvrjv aindi [lovriv xriv jtatQLXi/jv) hat er 
von der Wahrheit der Logoschristologie überzeugt. Auch jene 
ägyptischen Chiliasten, die Dionysius von Alexandrien beMmpft 
und denen er Belehrungen 7t€Ql xrig ivdöl^ov xal aXri^Gig ivd^iov 
xov xvQiov rj^&v iniipaveCag zu geben für nötig befunden hat, 
werden dynamistische Vorstellungen gehegt haben. Aber eine 


§ 25.] Die Ausscheidung des Adoptianismus. 125 

grosse adoptianisclie Aktion im Morgenland hat nur Paul von 
Samosata, Metropolit von Antiochien, unternommen (Euseb. VII, 
27 — 30; sonstiges Material bei Roüth, Rel. Sacr. III), der natio- 
nal-syrische Bischof, der den Griechen und ihrer Wissenschaft 
wie den Römern und ihrer Kirche entgegentrat. Dass zwei grosse 
orientalische Generalkonzilien zu Antiochien gegen ihn resultat- 
los verHefen und er erst auf dem dritten verdammt und abgesetzt 
worden ist (wahrscheinlich 268), ist ein Beweis, wie wenig noch 
die alexandrinische Dogmatik im Orient eingebürgert war. Paul 
war ein kundiger Theologe (ungeistlich, eitel, verschlagen, sophi- 
stisch, einen Weltmann nennen ihn die Gegner), der die Macht 
der griechischen (platonischen) Philosophie in der Kirche brechen 
und die alte Lehre behaupten wollte. Er ist der Kirche nachmals 
als ein Erzketzer erschienen, als Jude, Ebionit, Nestorianer, Mo- 
nothelet u. s. w. Seine Auffassung war diese: Gott ist schlechthin 
einpersönlich zu denken (ßv TtQÖdamov). Wohl kann in Gott ein 
Logos (Sohn), resp. eine Sophia (Geist) unterschieden werden 
— beide sind übrigens auch zu identifiziren — , aber sie sind 
Eigenschaften. Gott setzt den Logos von Ewigkeit aus sich 
heraus, so dass man ihn Sohn nennen kann, aber er bleibt eine 
unpersönliche Kraft. Er hat in Moses und den Propheten gewirkt, 
(läHov xal dcag)SQ6vt(og in dem von der Jungfrau geborenen 
Davidsohn. Der Erlöser ist ein Mensch „von unten her'^, aber 
von oben her wirkte in ihn der Logos hinein (Einwohnung mit- 
telst einer von aussen wirkenden Inspiration, so dass der Logos 
der „innere Mensch" des Erlösers wird). Die Gemeinschaft, die 
so entstanden, ist eine 0vvdq)Bia Tiara (idd'riöLV xal ^srovöiav^ 
eine övvdXsvöig (keine oiöva ov6L(o^8vri iv 6(0(iatL)] der Logos 
hat nicht in Jesus ovöiiod&g gewohnt, sondern xatä Ttoiötrjza] da- 
her ist er von ihm als der Grössere stets zu unterscheiden. Der 
Erlöser ist der vom Logos durchwaltete Mensch; aber er besass 
in einziger Weise die göttliche Gnade, wie seine Stellung einzig- 
artig ist. Seiner Ausstattung entspricht seine Bewährung. Zwi- 
schen zwei Personen — also auch zwischen Gott und Christus — 

• 

ist nur Einheit der Gesinnung und des Willens möglich. Solche 
Einheit kommt nur durch Liebe zu Stande; aber auch nur das, 
was aus der Liebe geschieht, hat Wert; das durch „die Natur" 
Erreichte ist indififerent. Jesus ist durch die ünveränderlichkeit 
seiner Liebesgesinnimg und seines Willens Gott ähnlich und mit 
ihm eins geworden, und zwar, indem er nicht nur selbst ohne 


126 Grundlegung des Dogmas. [§ 25. 

Sünde blieb, sondern auch in Kampf und Mühen die Sünden der 
Vorväter überwand. Wie er aber fortschritt und beharrte in der 
Bewährung des Guten, so rüstete ihn auch der Vater mit Macht 
und Wunderthaten aus, in denen Jesus seinen stetigen Willen auf 
Gott bekundete. So wurde er der Erlöser und trat in eine in 
Ewigkeit unauflösliche Verbindung mit Gott, weil seine Liebe 
nicht mehr aufhören kann. Als Siegespreis seiner Liebe hat er 
den Namen über alle Namen, das Gericht und göttliche Würde 
erhalten, so dass man ihn „den Gott aus der Jungfrau" nennen 
kann, der er in Gottes Vorherbestimmung und Vorherverkün- 
digung immer gewesen ist (durch die Gnade und Bewährung ist 
er zum Gott geworden; die Stufen waren auch hier Geburt, Taufe, 
Auferweckung). Diese evangelische Christologie, die einzige, in 
der mit vollem Bewusstsein die religiöse Physik abgelehnt ist, 
stützte Paul durch Schriftbeweise und widerlegte eifrig die 
Gegner, namentlich die „alten Ausleger", die Alexandriner. Er 
schaffte alle Kirchenlieder ab, in denen die wesenhafte Gottheit 
Christi verkündet war; er wollte von „Substanzen" nichts wissen, 
sondern hielt sich an die lebendige Person. Seine Lehre wurde 
von den gebildeten griechischen Bischöfen als im höchsten Masse 
häretisch betrachtet: er habe das „Geheimniss" verraten. In dem 
Bekenntniss von sechs Bischöfen gegen ihn ist die physikalische 
Logoslehre in breiter Ausführung als wichtigster Bestandteil des 
apostolischen und katholischen Kirchenglaubens dargelegt. Auf 
der Synode verwarf man auch ausdrücklich das Wort „6ftoov<ytog", 
wahrscheinlich weil Paul es für den Logos gebraucht hatte, um 
durch dasselbe Gott sammt dem Logos als ein Subjekt zu be- 
zeichnen. Mit PauFs Absetzung und Removirung (272) war es 
entschieden, dass kein katholischer Christ mehr die göttliche 
Physis des Erlösers bezweifeln durfte. Allein PauFs Lehre ist in 
Antiochien nicht spurlos untergegangen. Lucian und seine be- 
rühmte Gelehrtenschule, der Mutterschooss des Arianismus, ist 
vom Geiste PauFs befruchtet worden. Doch erscheint die Lehre 
im Arianismus durch Kombination mit dem hypostasirten k&yog- 
xttö^a schlimm entstellt. Dagegen haben Photin und die grossen 
Antiochener -— obgleich die letzteren das Nicänum anerkannten 
— das Beste, was sie hatten, von Paul gelernt: der sog. Nestoria- 
nismus wurzelt in Paul's Lehre, und in ihm ist Paul noch einmal 
verdammt worden. 

Wie lange sich in abgelegenen orientalischen Gemeinden 


§ 26.] Die AusscheidoDg des Modalismas. 127 

adoptianische Anschauungen erhalten haben, zeigen die im An- 
fang des 4. Jahrh. geschriebenen Acta Archelai. Was ihr Verf., 
ein EQeriker, über Christus ausgeführt hat, istPaul's Lehre sehr 
verwandt. Allein in den grossen Centren der Christenheit war 
der Adoptianismus um 270 völlig gebrochen. 

§ 26. Die Ansscheidnng des modalistischen MonarcManismns. 

Nicht der Adoptianismus, sondern der Modalismus ist der 
gefährliche Gegner der Logoschristologie zwischen 180 und 
300 gewesen, jene Lehre, nach welcher die Gottheit selbst in 
Christus inkarnirt angeschaut, er selbst als der leibhaftige Gott, 
der es allein ist, aufgefasst wurde. Gegen diese Ansicht haben 
Tertullian, Origenes, Novatian, besonders Hippolyt, am nach- 
drücklichsten gekämpft („Patripassiani" neimt sie zuerst Ter- 
tullian; im Orient wird später „Sabelliani" der gebräuchlichste 
Ausdruck). Hippolyt sagt, dass zu seiner Zeit die Frage die ganze 
Kirche bewegt habe (Philos. IX, 6 : fisy lörov rccQaxov xatä jtdvta 
tbv xüöfiov iv TCäöLv toig Ttiötotg i^ßdklovöcv) j und Tertullian 
und Origenes bezeugen, dass die Masse des christlichen Volkes 
monarchianisch denke. In Rom war von Victor bis Calixt der 
Modalismus die offizielle Lehre; unter den Montanisten dachte 
die eine Hälfte modalistisch; auch die marcionitische Kirche neigte 
zu dieser Auffassung, und in der katholischen Kirche wurden von 
Alters her viele Formeln gebraucht, die dieser Denkweise Vor- 
schub leisteten, die ja in der That dem schlichten unreflektirten 
Glauben am besten entsprach (6 d^sös fiov XQLötog). Aber eine 
exklusive modalistische Lehre hat sich erst im Gegensatz zum 
Gnosticismus und zur Logoschristologie entwickelt, 1) um den 
Ditheismus abzuwehren, 2) um die volle Gottheit Christi zu be- 
haupten, 3) um jeden Ansatz zum Gnosticismus abzuschneiden. 
Jetzt erst suchte man exegetisch als Lehre diesen Glauben zu be- 
gründen. Wissenschaftliche Theologen traten für ihn ein. Aber 
mehr als irgend einer anderen religiösen Vorstellung musste dieser 
die Berührung mit dem Denken und der Wissenschaft schädlich 
sein; sie war der Anfang vom Ende; indessen dauerte der Todes- 
kampf sehr lang. Die stoische Philosophie wurde zu Hülfe ge- 
rufen mit ihrem Pantheismus und ihren dialektischen Formeln 
(die Adoptianer stützten sich z. T. auf Aristoteles, s. oben). So 
bietet die Kontroverse eine Seite, die sie der Kontroverse der 
Platoniker und gemeinen Stoiker über den Gottesbegriflf ver- 


128 Gnmdlegnog des Dogmas. [§ 26. 

wandt erscheinen lässt (ob der Xdyog-^sög der letzte Gott ist oder 
ob hinter ihm noch ein apathisches 81/ als d'sög steht). Die älte- 
sten Vertreter des Modalismus aber haben zugleich ein ausgepräg- 
tes biblisches Interesse gehabt. 

a) Auch hier sind Kleinasien und Rom die ersten Schau- 
plätze der Kontroverse gewesen. Dort war es Noet (er ist aber 
wahrscheinlich spät exkommunizirt worden), hier sein Schüler 
Epigonus (um 200), der den Kleomenes, dann den Sabellius fiir 
sich gewann. Gegen sie trat Hippolyt auf; allein die Bischöfe 
Roms (vor Allem Zephyrin) begünstigten die Schule. Cahxt 
(217 — 222), von Haus aus Modalist, suchte alle Parteien durch 
eine vermittelnde Formel zu befriedigen und sah sich deshalb 
genötigt, sowohl den Hippolyt (Gegenbischof) als den Sabellius 
zu exkommuniziren. Seine Formel scheint wirklich die Mehrzahl 
beruhigt zu haben. Wie unvollkommen uns das Einzelne be- 
kannt ist, zeigt der Umstand, dass Hippolyt über den Modalisten 
Praxeas in Rom (s. TertuUian) ganz schweigt. Wahrscheinlich 
ist dieser schon vor Epigonus nach Rom gekommen (vielleicht 
schon unter Eleutherus), hat aber damals keinen Streit erregt. 
Da er auch nach Karthago gekommen und ein entschiedener 
Antimontanist war, so braucht TertuUian seinen Namen, um den 
römischen Modalismus überhaupt (um 210) zu bekämpfen. Sicher 
ist, dass Victor, der den Theodotus exkommunizirte, dies nicht 
im Sinne der Logoschristologie, sondern mehr im Sinne des 
Modalismus gethan hat. Dennoch ist wohl zu beachten, dass die 
beiden monarchianischen Auffassungen einander näher stehen, 
als jede von ihnen der Logoschristologie. Beide vertraten die 
heilsgeschichtliche Auffassung der Person Christi gegenüber einer 
naturgeschichtlichen und gingen vielfach ineinander über (bei 
Beryll kann man zweifelhaft sein, ob er Adoptianer oder Modalist 
war; in den Schriften des Origenes lassen nicht wenige Stellen 
Zweifel, welche Partei er bekämpft; die Eintrachtsformel des 
Calixt schillert ebenfalls). Die einfachste Form des Modalismus 
zeigt Noet (s. Hippolyt); Christus ist der Vater selbst, der geboren 
und gestorben sei. Ist Christus nicht der Vater, so ist er nicht 
Gott. Neben dem monotheistischen Interesse (die Gegner werden 
did^soL genannt) ist es das Interesse an der vollen Gottheit Christi 
((pdöxovöLv 6wi6täv €vcc d'sov — TL ovv xaxbv jcoLG) do^d^cov tbv 
Xqlötöv — Xgvötbg ^v d^sbg xal inaö%Bv 81 ij^g ainbg &V jcati^Q, 
Lva xal 6m6aL ii^äg öwriMf). Schriftbeweis war Exod. 3, 6; 20, 2f ; 


§ 26.] Die Ausscheidung des Modalismus. 129 

Jes. 44, 6; 45, 5. 14 f.; Baruch 3, 36; Joh. 10, 30; 14, 8 f. ; Rom. 9, 5; 
das Joh.-Ev^. war anerkamit; aber 'Icodvvrjg ^ev kiysL Adyov, &kX 
alX(og aXXrjyoQSt. Der BegrijBF „Logos" wird streng abgelehnt. 
Spekulativ begründet (bei Kleomenes) wird der Gottesbegriff 
durch den Gredanken, Grott sei unsichtbar, wenn er will, sichtbar 
aber, wenn er sich zu sehen giebt; unfassbar, wenn er nicht ge- 
fasst werden will, fassbar, wenn er sich zu fassen giebt, ungezeugt 
und gezeugt, unsterblich und sterblich (alte Kirchenformeln, 
durch den stoischen Gottesbegriff gerechtfertigt). Der Vater, so- 
fern er geruht hat geboren zu werden, ist der Sohn; beide sind 
also nur nominell unterschieden; aber die Unterscheidung ist 
auch eine heilsgeschichtliche. Für die Identität beriefen sie sich 
auch auf die AT liehen Theophanien. Dass sie in stoischer Weise 
das Moment der Endlichkeit in die Gottheit selbst hineinlegten, 
ist nicht zu erweisen. Es ist der alte naive Modalismus, der hier zu 
einer Theorie erhoben ist (übrigens beachte, dass alle nicht philoso- 
phischen altchristliehen Schriftsteller nur eine Geburt des Sohnes 
gekannt haben, die aus der Jungfrau). Die Theorie scheitert daran, 
dass unzweifelhaft in den Evangelien zwei Subjekte (Vater und 
Sohn) vorausgesetzt sind. Indessen haben die Modalisten schwer- 
lich je rund behauptet: der Vater hat gelitten; sie sagten, der 
Sohn, welcher gelitten hat, ist mit dem Vater identisch (Bischof 
Zephyrin: eycj olda eva d'sbv XQiötbv ^Irjöovv xal nXijv aitov 
£T8Qa oiSiva yevrjtbv xal jtad'rjTÖv^ aber: ov^ 6 JtaziiQ ajtsd'avsv^ 
ikkä 6 vCog). Komplizirter ist die Lehre des Praxeas und die 
Formel des Kallist; sie zeigen den Eindruck der Schwierigkeiten: 
„Logos" ist keine Substanz, sondern nichts Anderes als Schall und 
Wort. Praxeas, in der Tendenz und im Schriftbeweis mit Noet 
einig, unterscheidet doch schon mehr zwischen Vater und Sohn: 
Gott hat sich durch Annahme des Fleisches zum Sohn gemacht ; 
das Fleisch macht den Vater zum Sohn, d. h. in der Person 
des Erlösers ist das Fleisch (der Mensch, Jesus) der Sohn, der 
Geist (Gott, Christus) der Vater (Berufung auf Luc. 1, 35). Das 
Geborene ist der Sohn; der Geist (Gott) hat nicht leiden können; 
sofern er sich ins Fleisch begeben, hat er mitgelitten (,,p(iter 
compasstis est filip^'). Sobald nun die Unterscheidung von caro 
(filius) und Spiritus (pater) streng genommen wird, geht der 
Modalismus in den Adoptianismus über. Dies ist z. T. bei Kallist 
geschehen, der in seine Eintrachtsformel den Logos (aber als Be- 
zeichnung auch für den Vater) und ein adoptianisches Elemeijt 

Gnmdziss IV. iii. Ha.bnaok, Dogmeugeschichte. 2. Aufl. 9 


130 Grundlegung des Dogmas. [§ 2^. 

(das hat Hippolyt wohl bemerkt) aufgenommen, faktisch damit 
aber den römischeu Gremeindeglauben zur Logoschristologie und 
zur physischen Vergottungslehre — seinen alten Freund Sabellius 
exkommunizirend — übergeführt hat. Doch hat sich der gnosti- 
sirende Subordinatianismus Tertullian*s und Hippolyt*s in Rom 
niemals durchsetzen können (Kallist's Formel bei Hippol., Philo- 
soph. IX, 12: rbv Xöyov avtbv alvai viöv^ avrbv xal naxsQa [sto- 
ischer X6yo^-d's6g\ xal TtatSQcc övofiarc fiiv xako'öfievov^ €v dh 8r 
rö Jtvsv(Aa adiatQStov oix akXo alvai narsQa^ akko ö\ vi6v^ ^v 
d\ xal %o avtb vnaQ%BLV' xal xä Tcavra yi^ieiv reo %'biov nvsv- 
fiarog xd xa av(o xal xdxco ' xal alvai xb av xfj nag^avco 6aQX(o%'av 
Ttvav^a ovi sxbqov Ttagä xbv naxBQa^ akkä ?v xal xb ainö, Kai tovxa 
alvai xb aCgrj^avov Joh. 14, 11: Tb ^av yaQ ßkaTtö^iavov^ Stcbq- 
aöxlv avd'QCjjtog^ xovxo alvai xbv viöv^ xb da iv xm vip x^QV^^''^ 
Ttvav^a xovxo alvai xbv TtaxaQa' oi ydg^ g}rj6iv^ iQO) Siio 9'aovg^ 
TtaxBQa xal viöv^ dkÜ ava. V? yäg av avx^ yavöfiavog TtaxijQ 7tQO€- 
kaßö^avog xiiv ödQxa ad'aoTtoirjöav av(D6ag aavxm^ xal iTtoitjöev av^ 
hg xakaißd'ai Ttaxaga xal vtbv ava d'aov^ xal xovxo av ov ngööcoTtov 
fii) ävvaöd-ai alvai Svo^ xal ovxcag xbv TtaxaQa öv^LTcanovd'avai x& 
vt^' oi) yaQ d^akai kayaiv xbv TCaxaga Ttanovd'ivai). Sicherlich hat 
der gelehrte und einflussreiche Novatian (de trinit.) viel dafür 
gethan, dass man im Abendland sich endlich die Logoschristologie 
gefallen Hess. Um 260 schreibt der römische Bischof Dionysius: 
Uaßakkiog ßka6(prj^ai ^ avxbv xbv vtbv alvai kaycov xbv naxaQa. 
Cyprian bezeichnet den Patripassianismus als Pestilenz der Häre- 
sie wie den Marcionitismus, und selbst in eine Tochterrezension 
des römischen Symbols (Aquileja) drang der Zusatz ein: ^firedo 
in deo patre omnipotente, invisibili et iwpassibiW, Allein einen 
geeigneten Boden hat die Logoschristologie im Abendland niemals 
gefunden; man liess sie gelten, aber viel strenger hielt man — 
hier war man wirklich interessirt — an dem Glaubenssatz fest: 
Christus ist voller wahrhaftiger Gott, und es giebt nur einen 
Gott. Diese Haltung des Abendlands ist im arianischen Streit 
von ausschlaggebender Bedeutung geworden : die nicänische Lehre 
ist nicht als philosophische Spekulation, sondern als wissenschaft- 
lich unvermittelter, symbolmässiger Glaube ebenso Eigentum der 
abendländischen Kirche des 3. Jahrh. gewesen, wie die chalce- 
donensische Lehre. Dabei brauchten viele abendländische Lehrer, 
die von Plato und vom Orient nicht beeinflusst waren, im 3. und 
4. Jahrh. modalistische Formeln ruhig fort, vor Allem Commodian. 


§ 26.] Die Ausscbeidung des Modalismus. 131 

Überhaupt zeigt die Theologie der Abendländer bis Augustin 
eine Mischung von ciceronianischer Moral, massiver urchrist- 
licher Eschatologie, unreflektirter Christologie mit mehr oder 
weniger latentem Modalismus (ein Gott im strengen Sinn, 
Christus Gott und Mensch) und praktischer Kirchenpolitik (Buss- 
institut), die dem Orient ganz fremd ist (Arnobius, Lactantius, 
Commodian). Sie sind keine Mystiker, z. T. Gegner des Neu- 
platonismus. Wie schwer es ihnen gefallen, sich in die Spekula- 
tionen des Orients zu finden, zeigen die energischen, aber un- 
beholfenen Versuche des Hilarius und die theologische Barbarei 
des Lucifer. Wohl verständlich ist, dass sich gerade im Abend- 
land der Modalismus als Sekte nicht so lange erhalten hat, wie 
im Morgenland; er fand eben in der herrschenden Lehrweise, 
selbst wo der Logos acceptirt war, eine Unterkunft. 

b) Sehr getrübt sind die Berichte über den alten Modalis- 
mus im Orient; denn es ist nachmals Alles „Sabellianismus" 
genannt worden, was die ewige und bleibende Hypostase des 
Sohnes beanstandete (z. B. MarceU's Lehre). Auch bemächtigte 
sich schon im 3. Jahrh. im Orient die Spekulation der moda- 
listischen These und bildete sie in mannigfaltigen Spielarten aus, 
und die Berichterstatter (Epiphanius, Athanasius u. s. w.) fügten 
wohl noch erfundene Formen hinzu. Wie man keine Geschichte 
der Logoschristologie von Origenes bis Athanasius im Orient 
schreiben kann — die Quellen sind vernichtet — , so auch keine 
Geschichte des Modalismus. Pest steht, dass der Kampf im Orient 
später begonnen hat, aber heftiger und langwieriger gewesen ist 
und die Ausbildung der origenis tischen Christologie in der Rich- 
tung auf den Arianismus (also antithetisch) bestimmt hat. Die 
erste grössere Bewegung fand in der Pentapolis statt, nachdem 
Origenes die „eiofaltigen" Modalisten als christliche Brüder be- 
kämpft und Bischöfe (römische) scharf getadelt hatte, die den 
Unterschied von Vater und Sohn zu einem bloss nominellen 
machen (die Verurteilung des 0. zu Rom durch Pontian mag auch 
in Rücksicht auf seine Christologie erfolgt sein). Vielleicht ist 
Sabellius selbst von Rom aus am Ende seines Lebens (wieder?) 
in die Pentapolis gekommen. Er war schon tot, als Dionysius 
von Alexandrien den dortigen Sabellianismus bekämpfte. 
Dieser unterscheidet sich von dem Noctis durch sorgfältigere 
theologische Ausführung uud durch Berücksichtigung des 
h. Geistes: aün einem Wesen haften drei Namen (Väter, Sohn und 


132 Grundlegung des Dogmas. [§ 26. 

Geist), sonst wäre der Polytheismus etablirt; die drei Namen sind 
zugleich drei Energien. Das eine Wesen ist vCoxcctcoq zu 
nennen — eiae Bezeichnung für Gottes Wesen selbst. Aber es 
ist nicht gleichzeitig Vater und Sohn, sondern in drei aufeinander- 
folgenden, sich ablösenden Energien (Prosopen) wirksam als 
Schöpfer und Gesetzgeber, als Erlöser, als Lebendigmacher 
(durch diese Lehre wurde der Begrifif „Prosopon^^, „Person" im 
Orient discreditirt). Ob es dem Sabellius möglich gewesen, den 
Gedanken der strengen Succession durchzuführen, wissen wir 
nicht. Vielleicht hat er doch das Prosopon des Vaters fortwirken 
lassen (die Sabellianer beriefen sich auf ATliche Schriften, aber 
auch auf das Ägypter Ev. und andere Apokryphen — ein Beweis, 
dass sich der katholische Kanon in der Pentapolis noch nicht 
durchgesetzt hatte). Von dem älteren Modalismus unterscheidet 
sich dieser nicht durch einen stärkeren pantheistischen Zug oder 
durch eine neue Trinitätslehre (beides ist erst später im 4. Jahrh. 
dazu gekommen, wenn nicht von den Berichterstattern ein- 
getragen), sondern in dem Versuch, die Succession der Prosopen 
nachzuweisen, in der Reflexion auf den h. Geist (s. oben) und in 
der formellen Parallelisirung des Prosopon des Vaters mit den 
beiden anderen Prosopen, die allerdings dazu aufforderte, hinter 
den Prosopen eiae ^ovdg-Xoyog anzunehmen (pvöroXrl und jiXa- 
tvtffiög)^ die nie sich selbst ojBFenbart, sondern nur in Wirkungen 
erkannt wird (diese Auffassung sagte Schleieumachkr zu, Theol. 
Ztschr. 1822 H. 3). Die Kosmologie ist von Sabellius als eine 
Parallele zur Soteriologie eingeführt, mit der Bevorzugung des 
Vaters gebrochen, und damit ist in eigentümlicher Weise die 
athanasianische, resp. die augustinische Christologie vorbereitet. 
Das ist die entscheidende Bedeutung des Sabellianismus im 
Orient. Er hat dort dem ö^oovöLog den Weg gebahnt; denn dass 
sich Sabellianer dieses Worts bedienten (andrerseits auch Paul 
von Samos.), ist wahrscheinlich. Während innerhalb des ModaUs- 
mus bisher kein festes Band Kosmologie und Soteriologie ver- 
knüpfte, wurde durch den späteren Sabellianismus die Welt- und 
Heilsgeschichte zu einer Geschichte des sich offenbarenden 
Gottes: er wurde der Logoschristologie ebenbürtig. In verschie- 
dener Weise haben Marcell und Athanasius versucht, den Grund- 
gedanken des Modalismus mit der Logoschristologie zu versöhnen: 
jener ist gescheitert, dieser hat gesiegt, indem er aus der Logos- 
idee die Weltidee fast ganz entfernte, d. h. den Logos, wie die 


§ 27.] Orientalische Theologie nach Origenes. 133 

Sabellianer den vCög^ in das Wesen, ja in die numerische Einheit 
Gottes zurückführte. 

§ 27. Geschichte der orientalischen Theologie bis znm Anfang 

des 4. Jahrhunderts. 

Zunächst hatte der Modalismus die Folge, dass die Schüler 
des Origenes die Logoschristologie scharf subordinatianisch aus- 
bildeten. Dionysius von Alex, ging so weit, dass er in einem 
Lehrbriefe den Sohn einfach als Geschöpf bezeichnete, das sich 
zum Vater verhalte wie der Weinstock zum Gärtner und wie der 
Kahn zum Schiflfsbaumann (Athanas., de sentent. Dionys.). Er 
wurde bei seinem römischen gleichnamigen Kollegen verklagt 
(um 260); dieser erliess ein warnendes Schreiben, in dem er — 
höchst charakteristisch — den Modalismus als Häresie auf die 
eine, die in Alexandrien geltende Christologie, aber gänzlich un- 
verstanden und in rohester Form, als Dreigötterei auf die andere 
Seite stellte und, ohne jede Vermittelung, als die Wahrheit die 
Paradoxie hinstellte, es sei zu glauben an Vater, Sohn und Geist, 
und diese Drei seien gleich Eins. Der alexandrinische Kollege, 
nun die andere Seite der origenistischen Christologie hervor- 
kehrend, kroch zu Kreuz, erklärte, er habe nichts gegen das Wort 
6fioovtffcog, der Vater sei immer Vater gewesen, der Sohn immer 
Sohn, und dieser verhalte sich zu jenem wie die Ausstrahlung 
zum Licht, der Ausfluss zur Quelle*, ja er ging noch weiter und 
erklärte, dass schon in der Benennung „Vater" der Sohn mit- 
gesetzt sei. Allein in dem diplomatischen Schriftstück hatte sich 
der Bischof doch eine Mentalreservation gestattet; er hätte die 
neuplatonische Philosophie, d. h. die Wissenschaft, abdanken 
müssen, wenn er jeden ^SQL0^6g in der Gottheit abgelehnt hätte. 
Der Streit war ein Vorspiel des arianischen, endete schnell, und 
sein Ausgang hat die Alexandriner zunächst nicht genötigt, ihre 
Spekulationen zu beschränken. Auch sonst waren sie eifrig be- 
müht, den alten einfältigen Glauben in den Gemeinden, wenn er 
unbequem wurde, durch den philosophischen zu ersetzen (Dio- 
nysius wirkt in den ägyptischen Dörfern gegen den Chiliasmus; 
sein Gegner Nepos; Euseb., h. e. VIT, 24. 25), zugleich aber die 
empiristische Philosophie zu widerlegen (Dionysius' Schrift über 
die Natur wider die Atomtheorie). Die Logos- und Christuslehre 
ist von den Vorstehern der Katechetenschule im Geist des Ori- 
genes ausgebildet worden (feiner philosophischer Polytheismus); 


134 Grundlegung des Dogmas [§ 27- 

aber aus der umfangreichen Litteratur haben wir nur dörftige 
Fragmente. Pierius, der Origenes iunior, hat ausdrücklich Vater 
und Logos ab zwei ox)6iav und zwei (pvöeig bezeichnet und den 
h. Geist dem Sohne als 3. üsie tief untergeordnet. Er lehrte die 
Präexistenz der Seelen und bestritt den Wortsinn einiger Schrift- 
stellen als nicht massgebend. Theognost (z. Z. Diocletians) hat 
eine umfangreiche, leider untergegangene Dogmatik verfasst, 
die, in der Systematik der des Origenes überlegen, die Form ge- 
habt zu haben scheint, die bis heute üblich ist. Er hat übrigens 
den Origenismus in der Richtung auf Arius fortgebildet. Ein 
anderer Origenist, Hierakas, hat einen Mönchsverein gestiftet, 
einzig in der Ehelosigkeit das Neue in der christlichen Ethik er- 
kannt und, wie es scheint, die substanzielle Einheit von Vater 
und Sohn stärker betont. Jedenfalls hat dies der Bischof von 
Alex., Petrus, gethan (f als Märtyrer 311). In ihm lenkt der 
alexandrinische Bischof wieder in die Haltung jenes Demetrius 
eio, der den Origenes verdammt hat. Unter welchen umständen 
dies geschehen ist, ist unbekannt. Aber aus den Resten der 
Schriften des Petrus geht hervor, dass er den biblischen Realis- 
mus (Schöpfungs- und Sündenfallsgeschichte) an die Stelle des 
origenistischen Spiritualismus gesetzt und diesen als fiäd^iia 
rijg ^Ekkr^vLxfjg itaideiag bezeichnet hat. Allein diese Reaktion 
war bei Petrus noch keine radikale; er hat nur Spitzen ab- 
gestumpft. Er beginnt in Alexandrien den Ausgleich zwischen 
dem realistischen Glauben der Einfältigen und der Glaubens- 
wissenschaft mittelst Abzügen und Zusätzen: was vorschwebte, 
war ein einheitlicher Glaube, der zugleich kirchlich und wissen- 
schaftlich sein sollte. Allein dafür war die Zeit noch nicht da 
(s. die Kappadocier); noch herrschte Freiheit in der Theologie, 
die freilich zur völligen Verweltlichung und philosophischen Ver- 
sum{ fung zu führen drohte. Bereits waren alle Begriffe der Zu- 
kunft in Kurs; aber es fehlte ümen noch das bestimmte Gepräge 
und der feste Wert^), ja sie wurden sämmtlich als unbiblisch von 

1) So ftovag, tQuig, o'baia, (pvaig, vno'nsifisvovy {m6aTaaig, ngdcamov, 
nsQiygarpi/j y fiSQl^sad'ai,, diatpsZv^ nXatvvsiv, avyiiSqfaXatova^aty nvl^BiPf 
noisiVy yiyvsa&aij ysvv&v^ .dfioovatoß ^ in rfjg ovaLag tov natgög^ 6ice to^ 
^sXi^fiatog^ d'sbg in d'sov, (p&g i% (poftdgy ysvvri^Bvta oi) noiri^ivxa, f^p 
Zts oijn r\v^ o^x ^v Zxs oi)V, ^v, ?TSQog itair* o-öfftav, ätgsnrog, &valXoi(o- 
tog, &yivvf\xog^ &XX6tgiog^ nriyii trjg ^sdtrjtog, Svo ovaCai^ ovcia o'beuo- 
fiivri, ivavd'Qoamiatg, d'sdvd'Qcanog, ivtoGig ovßiAdrig, ivcuaig xara fistovaiav, 
ßwatpsiu %axu (iM^Ticiv xal fisvova lav, avyngäcig, ivomttv etc. 


I 27.] Orientalische Theologie nach Origenes. 135 

Vielen noch für verdächtig angesehen. Den Zustand der Glaubens- 
lehre spiegeln am besten die Werke des Gregorius Thaumaturgus, 
des begeisterten Origenesschülers, ab, des einflussreichsten Theo- 
logen in Kleinasien. Man erkennt hier, dass selbst den „Wissen- 
schaftlichen" vor dem feinen Polytheismus, den sie einführten, 
bange wurde, weiter, dass die Christologie ein reines Philosophem 
geworden war: das Symbol, das Gregor in den Gemeinden als 
Taufsymbol und für den Unterricht verbreitete und das als ge- 
offenbart galt, hat kaum in einem Satz Anklänge an Biblisches« 
es ist ein Kompendium der sublimsten Spekulation, nur in den 
Worten, Vater, Sohn und Geist, an das Evangelium erinnernd. 
Darin sollte der christliche Glaube sich wiedererkennen! Wie 
gross war die Gefahr, dass das Christentum im Orient in Philo- 
sophie und Mysterien unterging!!) 

Kein Wunder, dass doch eine Reaktion sich regte, wenn auch 
eine zahme. Neben Petrus von Alex, traten um 300 hier und dort 
im Orient Gegner des Origenes auf und nötigten seine Verehrer 
zur Verteidigung. Der bedeutendste und einflussreichste Gegner 
ist Methodius (um 300, Ausgaben seiner Schriften von AJahn 
und von NBonwetsch). Er war kein Feind des Plato und der 
Spekulation — im Gegenteil; aber er wollte den biblischen Rea- 
lismus und die wörtlich verstandene Glaubensregel mit der Wissen- 
schaft ausgleichen — ein neuer Irenäus wollte er einen einheit- 
licl|,en Glauben, der echt kirchlich und echt wissenschaftlich sei. 
Also mussten dem Origenismus alle häretischen Spitzen abge- 
brochen werden, damit er in dieser Gestalt in den Kircheuglauben 
selbst eininterpretirt werden konnte (spekulativerRealismus; 

1) Das Symbol Gregorys lautet: Elg d'sog^ natriQ loyov i&vtog^ 
cntpiag 'bcpsOTODGrig xal Swafisaig xal ;ua^axr^905 Sc'CdLov, r^Xsiog xsXslov ysv- 
vritatQ, natriQ vlov (lovoyevovg. slg xv^tog, fiovog i% fiovov, ^sbg in d'sov, 
XttQaTiTTiQ %al sUoav tilg d'edrritog, Xoyog ivsgyogy aoq>La T^g r&v SXmv 
üvatdcstog nsgisntmii xal Svva^iig tfjg oXrig •KtiasoDg Trotr^rix^, vlbg ccXri- 
^Lvbg äXrid'LVOv Trar^ög, aö^arog Scogatov xal &(p&a^og cc(pd'ocQTov xal 
i^d'dvatog &^avdtov xal Sctdiog icXdCov. xal %v Tcvsv^ia ayiov, in d'soij 
Trjv vnag^iv ^%ov %aX $i vlov nstprivbg [SriXadri ToZg &vd'Q<ii7toLg] , slnrnv 
tov vioVj TsXsiov tsXsia^ ^atr} ^Svtaiv ahia [nriyri äyia], ccyiorrig äyiaßfiov 
%0Qriy6gy iv cS (pavsQOVtai d'sbg 6 nariiQ 6 inl ndvxtov xal iv näci, xal 
^shg 6 vibg 6 Suc ndvToav — tQiccg tsLXsia, So^y nal ccXSLorrizi iial ßaai- 
Xsicc firi fiSQiSofjbfvri ^iriSs icitaXXotgiov^ivri' o^ts ovv ktlütov tl ri doüXov 
iv Tg tQidSiy o^TS iTCsiaantov, mg Tcgotsgov fihv O'bx vTcdgxov, vatsgov öh 
iviiatXd'ov 0^8 yccQ iviXmi nors vibg natgl, o^ts vUp nvsvfiUj dXX' 
axfftnxog aal ävaXXolatrog ij ai>tr] rgiccg &eL 


136 Grundleg43ng des Dogmas. [§ 27, 

Methodius hat den Irenäus gelesen). Vor Allem musste der Pessi- 
mismus des Origenes in Bezug auf die Welt (innerhalb der Kos- 
mologie I abgethan werden: die Materie und der Menschenleib sind 
von Gott gewollt und werden daher verklärt werden und ewig 
bleiben. Dem entsprechend wurde die origenistische Lehre von, 
der ewigen Schöpfung der Geister, von dem präexistenten Fall, 
von dem Wesen und Zweck der Welt u. s. w. abgethan. Dafür 
wurde die mystisch-realistische Lehre des Irenäus von Adam 
(der Menschheit) wieder eingeführt, aber nur noch mystischer 
ausgebildet und die Rekapitulationstheorie ihr beigesellt. Die 
Menschen vor Christus sind Adam gewesen (erlösungsbedürftig^ 
aber Kindeszustand ). Durch den 2. Adam verbindet sich der 
Logos mit uns. Aber Methodius ging noch einen Schritt weiter; 
die ganze neue Menschheit ist der 2. Adam. Alle sollen Christus 
werden, indem der Logos sich mit jeder einzelnen Seele so ver- 
bindet wie mit Christus (für jede Seele muss sich die Herabkunft 
des Logos vom Himmel und sein Tod wiederholen — nämlich im 
Innern). Dies geschieht nicht sowohl durch die Erkenntniss, als 
vielmehr durch Mystik, Jungfräulichkeit und Askese. Der theo- 
retische Optimismus wird also balancirt durch die in der Jung- 
fräulichkeit ausgesprochene Weltverneinung. Kein Kirchenmann 
vor Methodius hat die Jungfräulichkeit so geschätzt, so sehr als 
Mittel der mystischen Vereinigung mit der Gottheit gepriesen, 
wie er (die Virginität ist das Ziel der Inkarnation). Indem Ijier 
der Realismus der Glaubenslehre mit der origenistischen Speku- 
lation verbunden, die Zweiheit von Glaube und Glaubenswissen- 
schaft auf eine Einheit reduzirt, der theoretische Optimismus (in 
Bezug auf die sinnliche Welt) mit der praktischen Weltvemei- 
nung verknüpft und AUes auf die mystische Verbindung mit der 
Gottheit durch die Virginität abgezweckt ist, ohne dass die ob- 
jektive Bedeutung Christus' des Erlösers verneint wäre (aber 
zurückgeschoben ist sie), ist die Dogmatik der Zukunft im üm- 
riss gewonnen. 

Was Methodius für die Dogmatik als ausgeführte Lehre ge- 
than hat, thaten um 300 die Bischöfe für die Glaubensregel, so- 
fern sie die wissenschaftliche Logoslehre in die ünterrichtssym- 
bole einführten, damit die Neutralisirung des Unterschieds von 
Glaube und wissenschaftlicher Dogmatik beförderten und die 
Hauptergebnisse der griechischen Spekulation unter den Schutz 
der apostolischen Überlieferung stellten. Die orientalischen 


§ 27.] Orientalische Theologie nach Origenes. 137 

Symbole aus dieser Zeit (Symbol von Cäsarea, von Alexandrien, 
der sechs Bischöfe gegen Paul, desGregorius Thaumaturgus u.s. w.) 
geben sich als den undiskutirbaren apostolischen Glauben der 
Gemeinde und sind doch philosophische Verarbeitungen der 
Glaubensregel: die exegetisch-spekulative Theologie ist 
in den Glauben selbst eingeführt. Dies ist durch die Logos- 
lehre geschehen; das Dogma ist nun gefunden und eingebürgert. 
Ein Göttliches ist wesenhaft auf Erden erschienen, und diese 
Erscheinung ist der Schlüssel für die Kosmologie und Soterio- 
logie. Allein nur diese Grundthese war in weitesten Kreisen an- 
erkannt. Man konnte sich aber nicht bei ihr beruhigen, solange 
nicht festgestellt war, wie sich das auf Erden erschienene 
Göttliche zu der höchsten Gottheit verhält. Ist das auf 
Erden erschienene Göttliche die Gottheit selber oder ist es eine 
untergeordnete, zweite Gottheit? Sind wir von Gott selbst zu Gott 
erlöst, oder stehen wir auch in der christlichen Religion nur in 
einem kosmischen System, und ist unser Erlöser nur der in der 
Welt wirksame Untergott? Die richtige Antwort auf diese Frage 
war geeignet, die philosophischen Prämissen der damaligen Dog- 
matik zu bedrohen. Wird sie gefunden werden? wird sie, wenn 
gefunden, konsequent durchgeführt werden? Die Geschichte hat 
auf die erste Frage mit Ja, auf die zweite mit Nein geantwortet. 


138 


Zweiter Teil. 

Die Entwickelung des kirchlichen Dogmas. 

Erstes Buch. 

Die EntwickelnngsgescMchte des Dogmas als Lehre 
von dem Gottmenschen anf dem Grnnde der 

natürliclien Theologie. 

Erstes Kapitel. 

GescMchtliche Orientiruiig. 

§28. 

CWFWalch, Entw. einer vollst. Historie der Ketzereien, 1762 ff. — 
CJHepkle, Konziliengesch.* Bd. I — IV. — Geschichte des römischen 
Keiches von Tillemont, Gibbon und LBanke (Weltgesch. Bd. IV u. V). — 
JBi&viLLK, Die Religion zu Born unter den Severern (deutsch von GErüo£r 
1888). — VSoHULTZE, G^sch. des Untergangs des griechisch-römischen 
Heidentums. 2 Bde. 1887 f. — GBoissibr, La fin du paganisme. 2 Bde. 
1891. — IDoRNKB, Entw.- Gesch. d. L. v. d. Person Christi. '^ 1853. — HSchültz, 
Die L. V. d. Gottheit Christi, 1881. — PGass, Symbolik d. griech. K., 1872. — 
PKattehbusch, Lehrbuch der vergleich. Konfessionskunde. 1. Bd. 1890. — 
HDbnzingeb, Eitus Orientalium, 2 Bde. 1863 f. 

Die christliche Religion hat im 3. Jahrh. keinen Kompromiss 
mit irgend einer der heidnischen Religionen geschlossen und sich 
fern ab von den zahlreichen Kreuzungen gehalten, aus denen sich 
unter dem Einfluss der monotheistischen Religionsphilosophie 
eine neue Religiosität entwickelte. Allein der Geist dieser Reli- 
giosität ist in die Kirche eingezogen und hat die ihm entsprechen- 
den Ausdrucksformen in der Lehre und im Kultus hervorgehen 
lassen. Das Testament des Urchristentums (die heiligen Schriften) 
und das Testament der Antike (die neuplatonische Spekulation) 
waren am Ende des 3. Jahrh. innig und, wie es schien, untreimbar 
in den grossen Kirchen des Orients verbunden. Durch die Auf- 
nahme der Logoschristologie als des kirchlichen Centraldogmas 
war die kirchliche Lehre, auch für die Laien, auf dem Boden des 
Hellenismus festgebannt. Sie wurde für die grosse Mehrzahl der 


§ 28.] Geschichtliche Orientirung. 139 

Christen dadurch zum Mysterium. Aber eben nach Mysterien 
suchte man. Nicht die Frische und Klarheit einer Religion zog 
an^ sondern sie musste etwas Raffinirtes und Eomplizirtes haben^ 
ein Bau im Barockstil sein, um die Menschen zu befriedigen, die 
damals alle idealistischen Triebe ihrer Natur in der Religion be- 
friedigt sehen wollten. Mit diesem Verlangen verband sich die 
höchste Pietät gegen alles Überlieferte, wie sie Restaurations- 
epochen eigen ist. Aber, wie immer, wurde das Alte durch die 
Konservirung ein Neues und das Neue unter den Schutz des Alten 
gestellt. Was die Kirche brauchte an Lehr-, Kultus- und Ver- 
fassungsordnungen, war „apostolisch^^ oder stammte angeblich aus 
den heiligen Schriften. Aber in Wahrheit legitimirte sie in ihrer 
Mitte die hellenische Spekulation, die superstitiösen Anschauungen 
xmd Gebräuche der heidnischen Mysterienkulte und die Institu- 
tionen der verfallenden Staatsverfassung, denen sie sich an- 
schmiegte und die bei ihr neue Kraft erhielten. In der Theorie 
monotheistisch, drohte sie in praxi polytheistisch zu werden und 
dem ganzen Apparat niederer oder verbildeter Religionen Raum 
zu geben. Aus der Religion der reinen Vernunft und der strengsten 
Moral, als welche die Apologeten einst das Christentum dargestellt 
hatten, wurde sie die Religion der kräftigsten Weihen, der 
geheimnissvollen Mittel und einer sinnenfälligen Hei- 
ligkeit. Der Zug, mechanisch entsühnende Weihen (Sakra- 
mente) zu erfinden, trat immer stärker hervor und gereichte selbst 
strengdenkenden Heiden zum Anstoss. 

Die Anpassung an die lokalen Kulte, Sitten und Gewohn- 
heiten musste auf die Dauer zu einer vollkommenen Verwelt- 
lichuBg und zu einer Zersplitterung der Kirche (zu National- 
kirchen ) führen: allein zunächst war das Gemeinsame noch stärker 
als das Trennende. Die Anerkennung derselben Autoritäten und 
Schematen, die gleichmässige Hochschätzung derselben sakra- 
mentalen Weihen, der Abscheu vor dem groben Polytheismus und 
der Zug zur Askese um des jenseitigen Lebens willen bildeten 
neben der gleichartig und streng ausgebildeten bischöflichen Ver- 
fassung die gemeinsame Basis der Kirchen. Alle diese Elemente 
reichten indess nicht aus, die Einheit der Kirchen zu erhalten. 
Hätte Konstantin nicht ein neues Band um sie geschlungen, indem 
er sie zur Reichskirche erhob, so wäre die Zersplitterung, die man 
vom 5. Jahrh. ab beobachtet, viel früher eingetreten; denn die 
bischöflich- metropolitane Verfassung barg ein zentrifugales Ele- 


140 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 2S. 

ment in ihrem Innern; die Askese, in der sich alle Emstdenkenden 
zusammenfanden, drohte die geschichtlichen Bedingungen, auf 
denen die Religion stand, allmählich aufzulösen und die gemein- 
schaftliche Gottesverehrung zu zerstören, und in die Ausprägung 
der Autoritäten imd Lehrformeln schlichen sieh mehr und mehr 
Unterschiede ein, die ihre Einheitlichkeit in Frage stellten. 

Nimmt man seinen Standort am Ende des 3. Jahrh., so kann 
man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das kirchliche Christen- 
tum damals von vollkommener Verweltlichung und von äusserer 
und innerer Auflösung bedroht gewesen ist Die Gefahr der in- 
neren, unmittelbar vor der diokletianischen Verfolgung, hatEuse- 
bius selbst konstatirt (h. e. VIII, 1). Er gesteht — wenigstens 
von den Kirchen des Orients — ein, dass sie in die Welt zu zer- 
fliessen drohten, dass sich das pure Heidentum in dem Leben der 
Geistlichen und Laien breit machte. Die diokletianische Verfol- 
gung fügte die äussere Gefahr hinzu, und man kann nicht sagen, 
dass es lediglich die Kraft der Kirche gewesen sei, die die Gefahr 
siegreich bestanden hat. 

Schon damals war die Kirche Bischofs- und Theologenkirche. 
Allein diejenige Macht, die, wie die Dinge damals lagen, die Eigen- 
art der Religion allein energisch stützen konnte — die Theo- 
logie—, war nahe daran, sie aufzulösen und der Welt preiszugeben. 

Es ist am Schlüsse des ersten Teils geschildert worden, wie 
in der Kirche die philosophische Theologie zum Siege gekommen 
ist und ihre Sätze in die Glaubensformeln selbst ein- 
gebürgerthat. Der „Ebionitismus" und „Sabellianismus" waren 
besiegt; das Panier der neuplatonischen Philosophie war aber 
trotz der Abschüttelung des Gnosticismus aufgepflanzt. Alle 
Denkenden standen unter dem Einfluss des Origenes. Aber war 
das System dieses Mannes an sich schon heterodox, so bedrohte 
die Entwickelung der alexandrinischen Theologie die Kirche mit 
weiteren Gefahren. Origenes hatte Gnosis und Pistis unvermischt 
gehalten-, er hatte in konservativem Sinn alles Wertvolle einzu- 
gUedem und die verschiedenen Faktoren (kosmologische und 
soteriologische) in eine Art von Gleichgewicht zu bringen ver- 
standen; er hatte seiner Theologie durch strengen Anschluss an 
die h. Texte ein biblisches Gepräge gegeben und durchweg den 
Schriftbeweis verlangt. Überall traten aber hier bei den Epigonen 
Veränderungen ein: 1) bemühten sich sowohl die Schüler als die 
Gegner des Origenes, Pistis und Gnosis wieder auf eine Fläche zu 


§ 28.] Geschichtliche Orientirung. 141 

setzen^ der Glaubensregel Philosopliisclies hinzuzufügen und von 
der Gnosis Einiges abzuziehen. Eben dadurch drohte eine Ver- 
sumpfung und Verwirrung, die 0. sorgsam abgewehrt hatte: der 
Glaube selbst wurde den Laien undurchsichtig und unverständ- 
lich; 2) die kosmologischen und rein philosophischen Interessen 
erhielten in der Theologie ein Übergewicht über die soteriolo- 
gischen. Dem entsprechend wurde die Christologie wieder in 
höherem Grade philosophische Logoslehre (wie bei den Apolo- 
geten), und die Idee des kosmischen Gottes als des üntergottes 
neben dem höchsten Gott bedrohte geradezu den Monotheismus. 
Schon wurden hier und dort — im Gegensatz zum ,,Sabellianis- 
mus — Glaubensformeln aufgestellt, in denen von Christus 
gar nicht die Bede war, sondern lediglich der Logos mit einem 
Schwall philosophischer Prädikate als der erscheinende aber 
untergeordnete Gott verherrlicht wurde; schon wurde die Mensch- 
werdung als Aufgang der Sonne gefeiert, die alle Menschen er- 
leuchtet; schon schien man sich der neuplatonischen Idee des 
einen unnennbaren Wesens imd seiner abgestuften mehr oder 
minder zahlreichen Kräfte, Erscheinungen, Statthalter anpassen 
zu wollen, indem man Alles mit einem üppig aufwuchemden 
Oewinde philosophischer Kunstausdrücke umzog; 3) trat sogar 
die h. Schrift bei diesen Bemühungen, auch nur im Sinne einer 
formalen Instanz, etwas zurück, ohne indess ihre Geltung ein- 
zubüssen. Die Theologie, die aus diesen Elementen gebildet war 
(z. B. Eusebius von Cäsarea ist ihr konservativer, biblisch gerich- 
teter Repräsentant), liess Alles gelten, was sich in den Linien des 
Origenismus hielt. Ihre Vertreter empfanden sich als die Kon- 
servativen, indem sie jede festere Präzisirung der Gotteslehre 
(Trinitätslehre) und der Lehre von Christus als Neuerungen ab- 
lehnten (Widerwille gegen die Präzisirung bisher nicht präzisirter 
Dogmen hat die Majorität in der Kirche stets beseelt; denn Prä- 
zisirung ist Neuerung) und um der Wissenschaft und des „Glau- 
bens" willen sich lediglich abmühten, die Logoslehre im kosmo- 
logischen Sinn auszugestalten und alles Innerliche und Sittliche 
dem Gedanken der Wahlfreiheit unterzuordnen. 

Weder die Gedanken einer heroischen Askese, noch die reali- 
stische Mystik im Sinne des Methodius, noch Abzüge an den 
Heterodoxien des Origenes konnten hier helfen. Die Theologie 
und mit ihr die Kirche schien rettungslos in die Zeitströmung zu 
Tersinken. Aber wie am Anfang des 4. Jahrh. ein Mann aufgetreten 


142 Entwickelnng des Dogmas im Morgenland. [§ 28. 

ist, der die durch innem Hader und äussere Verfolgung tief 
bedrohte Kirche gerettet hat — Konstantin, so ist um dieselbe 
Zeit ein anderer Mann erschienen, der die Kirche vor der völligen 
Verweltlichung ihrer Glaubensgrundlagen bewahrt hat — Atha- 
n a s i u s. Zwar haben Reaktionen gegen die Ausbildung der Logos- 
lehre in der Richtung auf die völlige Entfremdung des Sohnes 
vom Vater im Orient wahrscheinlich zu keiner Zeit gefehlt; aber 
erst Athanasius hat (unterstützt vom Abendland, dessen Bischöfe 
jedoch den Kern der Frage ursprünglich nicht erkannt haben) 
der christlichen Religion auf dem einmal gegebenen Boden der 
griechischen Spekulation das eigene Gebiet gesichert und Alles 
auf den Gedanken der Erlösung durch Gott selbst d. h. durch den 
Gottmenschen, der mit Gott wesenseins ist, zurückgeführt. 
Nicht um eine Formel war es ihm zu thun, sondern um einen ent- 
scheidenden Gedanken des Glaubens, um die Erlösung zu gött- 
lichem Leben durch den Gottmenschen. Einzig auf der Gewiss- 
heit, dass das Göttliche, welches in Christus erschienen ist, die 
Natur der Gottheit selber habe und nur deshalb im Stande sei, 
uns zu göttlichem Leben zu erheben, soll der Glaube seine Kraft, 
das Leben sein Gesetz und die Theologie ihre Richtung empfangen. 
Indem Athanasius aber den Glauben an den Gottmenschen, der 
uns allein von Tod und Sünde befreit, an die Spitze stellte, gab 
er zugleich der praktischen Frömmigkeit, wie sie damals fast 
ausschliesslich in der mönchischen Askese lebte, das höchste 
Motiv. Er verband das 'Oiioovöiog^ das die Vergottung der mensch- 
lichen Natur verbürgt, aufs Engste mit der mönchischen Askese 
und hob diese aus ihrem noch unterirdischen oder doch unsicheren 
Bereiche in das öffentliche Leben der Kirche. Indem er die Formel 
vom köyog xriöficc^ die neuplatonische Lehre von einer absteigen- 
den Trinität, als eine heidnische, das Wesen des Christentums 
verleugnende bekämpfte, bekämpfte er zugleich ebenso energisch 
das weltförmige Treiben. Er ist der Vater der kirchlichen Ortho- 
doxie und der Patron des kirchlichen Mönchtums geworden: 
nichts Neues hat er gelehrt, neu war nur die That, die Energie 
und Ausschliesslichkeit seines Betrachtens und Handelns in einer 
Zeit, da Alles zu zerfliessen drohte. Er ist auch kein wissen- 
schaftlicher Theologe im strengsten Sinn gewesen, sondern er ist 
aus der Theologie in die Frömmigkeit herabgestiegen und hat das 
treffende Wort gefunden. Er ehrte die Wissenschaft, auch die 
des Origenes; aber er entfernte sich von dem verständigen Denken 


§ 28.] Geschichtliche Orientirung. 143 

seiner Zeit. Indem er die Prämissen desselben zugestand, fügte 
er ihnen ein Element bei, das die Spekulation niemals vollständig 
aufzuarbeiten vermocht hat. Nichts war ihr hier unverständlicher 
als die Annahme der Wesenseinheit der ruhenden und der wirken- 
den Gottheit. Athanasius befeetigte eine Kluft zwischen dem 
Logos, an den die Philosophen dachten, und dem Logos, dessen 
erlösende Kraft er verkündete. Was er von diesem aussagte, 
indem er das Geheimniss stark und kräftig aussprach und sich 
keineswegs in neuen Distinktionen gefiel, erschien den Griechen 
als ein Argerniss und eine Thorheit. Aber er scheute diesen Vor- 
wurf nicht, umschrieb vielmehr innerhalb der einmal gegebenen 
Spekulation dem christlichen Glauben ein eigenes Gebiet und hat 
so den Weg gefunden, um die völlige Hellenisirung und Verwelt- 
lichung des Christentums abzuwehren. 


Die Dogmengeschichte des Orients seit dem Nicänum zeigt 
zwei verflochtene Entwickelungsreihen. Erstlich wurde die Idee 
des Gottmenschen unter dem Gesichtspunkt der Erlösung des 
Menschengeschlechts zu göttlichem Leben — also der Glaube des 
Athanasius — - nach allen Seiten präzisirt (Dogmengeschichte im 
strengen Sinn des Worts). Zweitens galt es festzustellen, wie viel 
von dem spekulativen System des Origenes, resp. von der^El^rj- 
VLxii TtccLÖeia^ in der Kirche erträglich sei, anders ausgedrückt: in 
welchem Masse die h. Schriften und die Glaubensregel eine speku- 
lative ümdeutung und Spiritualisirung vertrügen. Die Behand- 
lung beider Probleme war durch hundert umstände (auch poli- 
tische) erschwert, vor Allem aber deshalb verdunkelt und vergiftet, 
weil die Kirche eine theologische Arbeit am Dogma niemals vor 
sich selber zugestehen durfte, und weil zugleich die grosse Mehr- 
zahl der Christen in der That jede zu neuen Formeln führende 
Arbeit als Abfall von dem Glauben, weil als Neuerung, scheute. 
Der Schein des „semper idem^^ musste stets aufrecht erhalten 
werden, da ja die Kirche im „apostolischen Erbe" Alles fix und 
fertig besitzt. Die Theologie und die Theologen — gerade die 
besten — kamen dadurch bei Lebzeiten und nach dem Tode in 
die schlimmste Lage: bei Lebzeiten galten sie als Neuerer und 
nach d^ Tode, wenn das Dogma über sie hinaus fortgeschritten 
war, kamen sie oft genug völlig in Misskredit; denn das präziser 
ausgebildete Dogma wurde nun der Massstab, den man selbst an 
die Theologen der ältesten Zeit anlegte. Zur Ruhe kam die Kirche 


144 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 28. 

erst, als die Dogmenbildung aufhörte und neben das fertige Dogma 
eine scholastisch-mystische Theologie und eine harmlose antiqua- 
rische Wissenschaft traten, die beide das Dogma nicht mehr an- 
tasteten, sondern es entweder als ein Festgegebenes explizirten 
oder es, indififerent, bei Seite liegen Hessen. Damit war endlich 
erreicht, was die „Konservativen" stets ersehnt hatten. Aber die 
lebendige Frömmigkeit hatte sich unterdess dem Dogma entzogen 
und betrachtete im Grunde den geistigen Glauben nicht mehr als 
die Sphäre, in der sie lebte, und als ihren ureigenen und frischen 
Ausdruck, sondern als das heilige Erbe des Altertums und 
als die Vorbedingung, um die christlichen Güter gemessen 
zu können. 

Perioden der Dogmengeschichte im Orient: Konstantin er- 
möglichte eine einheitliche Entwickelung der Kirche im Dogma 
(ökumenische Synoden als forum publicum; an die Stelle der 
provinzialkirchlichen Symbole tritt ein einheitliches dogmatisches 
Bekenn tniss); allein die Unifizirung der Kirchen wurde genau 
genommen nie perfekt, und der nationalkirchliche Partikularis- 
mus erstarkte gerade im Gegensatz zum Byzantinismus, wurde 
aber im Occident überwunden, weil sich dort das altrömische 
Reich in die römische Kirche rettete. Indem das Morgenland zer- 
fiel und der Islam schliesslich die Schöpfung Alexanders des 
Grossen völlig zertrümmerte, Griechen und Semiten scheidend, 
fielen Abendland und Morgenland immer mehr auseinander. Doch 
hat bis zum Schluss der dogmenbildenden Periode des Morgen- 
lands das Abendland den regsten, oft entscheidenden Anteil an 
den dogmatischen Feststellungen genommen. 

I. Periode von 318—381 (383). Präzisirung der vollen Gott- 
heit des Erlösers. Athanasius, Konstantin, die Kappadocier, Theo- 
dosius. Die Orthodoxie siegt durch die Festigkeit des Athanasius 
und einiger Abendländer, durch den Gang der Welt begebenheiten 
(des Arius, Julian und Valens plötzliches Ende, Auftreten des 
Abendländers Theodosius im Morgenland) und durch das Ver- 
mögen der Kappadocier, den Glauben des Athanasius — freilich 
nicht ohne Abzug — in der origenistischen Wissenschaft unter- 
zubringen, 

IL Periode von 383 — 451. Die selbständige theologische 
Wissenschaft {'EkXrivLxfi naiSeCa^ Origenes) wird bereits heftig 
bekämpft; die kirchlichen Führer geben sie preis und werfen sich 


§ 28.] Geschichtliche Orientirung. 145 

mehr mid mehr der Gemeinde- und Mönchsorthodoxie in die Arme. 
Über das christologische Dogma erheben sich zwischen Antio- 
chien und Alexandrien die heftigsten Streitigkeiten, hinter denen 
sich die Machtfrage verbirgt. Die korrekte Lehre siegt zu Ephe- 
fius449; allein mit derTyrannis der alexandrinischen Patriarchen 
verbunden, muss sie das Geschick der letzteren teilen, über die 
£aiser und Staat triumphiren. Dem Kaiser bleibt nichts übrig, 
als die abendländische Formel als die orthodoxe zu proklamiren 
(das Chalcedouense), die zunächst dem Orient fremd ist und nicht 
ohne Grund als häretisch empfunden wird, 

ni. Periode von 451 — 553. Aufruhr und Schisma im Orient 
des Chalcedouense wegen; der Monophysitismus ist in lebendig- 
ster Bewegung, die „Orthodoxie" zunächst ratlos. Aber der spe- 
kulative Piatonismus hatte abgewirtschaftet; an seine Stelle war 
auch in der allgemeinen Wissenschaft die aristotelische Dialektik 
und Scholastik getreten, andrerseits eine Mysteriosophie, die aus 
jeder Formel und jedem Ritus etwas zu machen verstand. Diesen 
Mächten gelingt es, sich die aufgenötigte Formel zurechtzulegen 
(Leontius von Byzanz, der Areopagite). Justinian, überall ab- 
schliessend, kodifizirt das Dogma ebenso wie das Recht und 
schliesst nicht nur die Schule von Athen, sondern auch die von 
Alexandrien und 4ntiochien. Origenes und die antiochenischen 
Theologen werden verdammt. Als theologische Wissenschaft 
bleibt nur eine Wissenschaft zweiter Ordnung übrig — die Scho- 
lastik und die Kultusmystik, diese freilich im letzten Grunde wie 
im Ziele heterodox, äusserlich aber korrekt. Die Kirche reagirt 
nicht; denn sie hat stets Ruhe gewollt, und die Frömmigkeit 
hatte sich längst in das Mönchtum und die Mysterien (den 

Kultus) geworfeB,0. . . 

IV. Periode von 553—680. Der monotheletische Streit, im 
Grunde teils Nachspiel, teils Wiederholung des alten Streits, nicht 
aus der Überzeugung, sondern aus der Politik geboren. Auch hier 
muss schliesslich das Abendland mit einer blutlosen Formel helfen, 

V.Periode von 726 — 842. Im Grunde zeigen die Kämpfe 
dieser Periode (Bilderstreit) bereits, dass die Dogmengeschichte 
zu Ende ist; aber gekämpft wurde um das, was sich als praktischer 

1) Von Polykarp heisst es in seiner Vita per Pionium (saec. IV) : 
kgfnivieeccL re inavbg (ivatT^gioCy a toTg noXXoTg rjv Sin6%QV(pa, ovr<o (pavs- 
Q&s a'iftcc i^srld'STOy m0rs rovg &7iovovTag fiaqtvgsZv^ Ott ov fiovov i^nov- 
oveiv äXXa xal dg&ctv ai)td. 

Gnmdrias IV. in. Habhacx, Dogmengeschichte. 8. Aufl. 10 


146 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 29. 

Ertrag der Dogmengescliichte herausgestellt hatte, um das Recht^ 
an tausend sinnlichen Dingen, vor Allem an den Bildern, die Ver- 
gottung, dielneinsbildung von Himmlischem und Irdischem, wahr- 
nehmen und verehren zu dürfen. Dabei tritt hier am Schluss das, 
was in der ganzen Dogmengeschichte als ein untergeordneter 
Faktor erscheint, es aber nicht ist, deutlich hervor — der Streit 
des Staats (des Kaisers) und der Kirche (der Bischöfe und Mönche) 
um die Herrschaft, für die die Gestaltung des Dogmas und Kultus 
von höchster Bedeutung ist. Der Staat muss schliesslich die Ein- 
führung seiner Staatsreligion preisgeben, -aber für dieses Zu- 
geständniss bleibt er der Sieger im Lande. Die Kirche behält 
üiren Kultus und damit die ihr eigentümliche praktische Frukti- 
fizirung des Dogmas; aber sie wird definitiv unselbständig, Stütze, 
Spielball, unter Umständen freilich auch Palladium des Staats 
und der Nation. 

Zweites Kapitel. 

Die Gmndauffassung vom Heil und der allgemeine Aufriss der 

Glaubenslehre. 

§ 29. 

WHerrmann, Gregorii Nyss. sententiae de salute adipisc, 1875. — 
HScHDLTZ, Lehre v. d. Gottheit Christi, 1881. — ARitschl, Die christl. 
Lehre v. d. Rechtfert. und Versöhn.* Bd.I S. 3 ff. — FKattenbüsch (s. § 28). 

1. Aus den dogmatischen Kämpfen vom 4. bis 7. Jahrh. geht 
hervor, dass man damals um die Christologie mit dem Bewusst- 
sein gekämpft hat, in ihr sei das Wesen der christlichen Religion 
selbst enthalten. Alles Übrige wurde nur in schwankenden Aus- 
prägungen behauptet und hatte daher nicht den Wert einer dog- 
matischen Aussage im strengsten Sinn des Worts. Hieraus er- 
giebt sich aber für die Orthodoxie folgende Grundauffassung vom 
Heil: das im Christentum dargereichte Heil besteht in der Er- 
lösung des Menschengeschlechts von dem Zustande der Vergäng- 
lichkeit imd der mit ihr gesetzten Sünde zu göttlichem Leben 
(d. h. Vergottung einerseits, seliger Genuss Gottes andererseits), 
die sich in der Menschwerdung des Sohnes Gottes bereits voll- 
zogen hat und der Menschheit durch die unauflösliche Verbindung 
mit ihm zugutkommt; das Christentum ist die Religion, die vom 
Tode befreit und den Menschen zum Anteil am göttlichen Leben 
und Wesen per adoptionem führt. Die Erlösung wird also als 


§ 29.] Die GrundauffassuDg vom Heil. 147 

die Aufhebung des natürlichen Zustandes durch eine wunderbare 
Umbildung aufgefasst (Vergottung ist der Centralgedanke); das 
religiöse Heilsgut wird von dem sittlich Guten bestimmt imter- 
schieden und demgemäss bleibt der Versöhn ungsgedanke rudi- 
mentär; für den gegenwärtigen Zustand wird nur ein vorläufiger 
Heilsbesitz (Berufung, Erkenntniss Gottes und des Heils, Sieg 
über die Dämonen, unterstützende Mitteilungen Gottes, Genuss 
der Mysterien) vorausgesetzt. Demgemäss ist das Grundbekennt- 
niss das des Irenäus: „Wir werden göttlich um seinetwillen, da 
auch er xmsertwegen Mensch geworden.'^ Dieses Bekenntniss, 
richtig durchdacht, fordert zwei Hauptdogmen, nicht mehr und 
nicht weniger: „Christus ist d'sbg 6fiooi5<ytog", „dieser d'ebg 6fW)ov- 
(ftog hat die ganze Menschennatur in sein Wesen aufgenommen 
und mit sich in Eins gebildet". 

Allein diese Dogmen haben sich erst nach schweren Käm- 
pfen durchgesetzt; sie haben niemals eine völlig reine Ausprägung 
erlangt, und sie haben die exklusive Herrschaft, die sie fordern, 
nicht vollständig erreicht. Die Gründe dafür sind folgende: 1) die 
Formulirungen, die man bedurfte, hatten als neue den Geist der 
Kirche gegen sich, dem auch die beste Neuerung verdächtig war; 
2) die reine Ausprägung des Glaubens ist zu allen Zeiten die 
schwierigste Aufgabe; damals aber wurde sie besonders durch 
apologetische, aber auch durch andere fremde Erwägungen ge- 
hemmt; 3) die orthodoxen Formulirungen stritten mit jedweder 
Philosophie; sie gereichten dem geschulten Denken zum Anstoss; 
es dauerte aber lange, bis man in dem Unverständlichen das Cha- 
rakteristische des Heiligen und Göttlichen erkannte; 4) die Auf- 
fassung von dem durch den Gottmenschen beschafften Heil war 
dem Schema der „natürlichen Theologie" (resp. dem Moralismus) 
beigegeben, resp. auf dasselbe aufgepfropft; die natürliche Theo- 
logie suchte fort und fort das Dogma aufzuarbeiten und sich kon- 
form zu gestalten; 5) die mystische Erlösungslehre und ihre neuen 
Formeln hatten nicht nur kein Schriftwort für sich, sondern stritten 
auch mit dem evangelischen Bilde Jesu Christi; Nlliche Gedanken 
und Reminiszenzen, überhaupt biblische Theologumena der ver- 
schiedensten Art haben das werdende und das gewordene Dogma 
stets umspült und die exklusive Herrschaft desselben verhindert; 
6) das eigenartige Schema der abendländischen Christologie hat 
störend in die morgenländische Dogmengeschichte eingegriffen. 
Auf sich gestellt hätte das Morgenland den Monophysitismus 

10* 


148 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 29. 

legitimiren müssen; die EvangeHen, das Abendland und die Kaiser 
haben es daran gehindert. Eine inkorrekte Formel siegte; aber 
sie erhielt eine korrekte Auslegung; umgekehrt hat am Ende des 
4. Jahrh. die korrekte Formel des Athanasius gesiegt, aber in 
einer durch die Weltwissenschafl der Kappadocier beeinflussten 
Auslegung. Beide Abschlüsse hatten die weltgeschichtliche Folge, 
dass die orthodoxe Kirche mit der biblischen Theologie und mit 
der Wissenschaft (der Scholastik) in Kontakt geblieben ist. 

2. Da die Lehre vom Heil streng in dem Schema des mystisch- 
reßlistischen Erlösungsgedankens gehalten wurde, so war sie an 
sich gegen das Sitth'che indifferent; aber man war allerseits ge- 
wiss, dass das Christentum auch die höchste Sittlichkeit umfasse. 
Demgemäss wurde das Heilsgut nur dem sittlich-guten Menschen 
zugesprochen, das Sittlich-Gute aber als Produkt der freien Selbst- 
bethätigung des Menschen xmd als die von ihm zu erfüllende Be- 
dingung der Beseligung gefasst, wobei Gott als unterstützend 
gedacht wurde (dies gilt von der positiven Sittlichkeit; die nega- 
tive, die Askese, galt als die direkte Disposition für die Ver- 
gottung). Die dogmatische Ausprägung der christlichen Religion 
wurde also balanzirt durch den Gedanken der Wahlfreiheit (s. schon 
Clem. Alex., Protrep. 1, 7 : rö sv ^ijv idCda^ev iniq>uvslg ä)g didd' 
(fTcakog^ Iva riy äsl t,fiv v6xbqov hg %ehg %0Q'riyifi6ri) ^ und dieser ist 
nur der kürzeste Ausdruck für die gesammte iiatürliche Theo- 
logie, die die Kirche aus der antiken Philosophie übernommen 
und als die selbstverständliche Voraussetzung ihrer spezi- 
fischen Lehre behandelt hat, für die sie auf ein allgemeines Ver- 
ständniss rechnete. Mithin belegt sich das griechische Christen- 
tum zwischen zwei Polen, die lediglich einander zugeordnet sind. 
Dogmen im strengen Sinn giebt es nur innerhalb der Erlösungs- 
lehre; auf der anderen Seite sind nur sichere (weil vernünftige) 
Voraussetzungen und Auffassungen (sofern im Einzelnen 
Abweichungen hier nicht unerträglich sind) vorhanden. Allein 
da die griechische natürliche Theologie an nicht wenigen Punkten 
mit dem Buchstaben und dein Geist der h. Schriften und mit der 
Glaubensregel in Konflikt stand (wie vor Allem die Theologie des 
Origenes beweist), so mussten auch hier Probleme entstehen, die 
in steigendem Masse im Einzelnen zu Gunsten des biblischen 
Realismus und des Bibelbuchstabens wider die Vernunft und eine 
idealistische Betrachtimg gelöst wurden, wenn auch im Ganzen 
das rationalistisch -moralistischfe Schema unversehrt blieb (s. die 


§ 29.] Die GrundauffasfiHDg vom Heil. 149 

Dogmatik des JoL Damascenus; Sophronius v. Jerus : d'so^&^sv 
^Biaig (istaßokatg xal fiLfiilösöLv). Eine ganz untergeordnete 
Rolle spielte neben der Erlösnngsmystik, dem Rationalismus und 
Biblicismus die urchristliche Eschatologie; doch ist der sich stei- 
gernde Biblicismus allmählich auch ihr zu gut gekommen (vgl. die 
Geschichte der Apokalypse in der griechischen Kirche); man fing 
wieder an, apokalyptische Bilder der Dogmatik beizulegen, die 
indess ohne wesentliche Wirkung blieben. Auch das Wertvolle 
der alten Eschatologie, die Aussicht auf das Gericht, hat in der 
offiziellen griechischen Theologie niemals die Rolle gespielt, 
die diesem hochwichtigen Stücke zukommt. Trotz der Ablehnung 
der origenistischen Eschatologie blieb in der griechischen Dog- 
matik ein verborgener Rest der Auffassung der Geschichte als 
einer Evolution zurück. 

3. Als Ergebniss dieser Betrachtung ergiebt sich, dass man 
nach der Erörterung der Autoritäten und Erkenntnissquellen (A) 
die natürliche Theologie als Voraussetzung der Erlösungslehre 
zu behandeln hat; diese aber zerfällt in die Lehre von Gott und 
vom Menschen. Sodann ist (B) die Erlösungslehre selbst in 
ihrer geschichtlichen Entwickelung als Trinitätslehreund Ohristo- 
logie darzustellen. Den Beschluss bildet (C) die Lehre von den 
Mysterien, in denen sich schon im Diesseits die zukünftige Ver- 
gottimg des Endlichen darstellt und genossen werden kann. An- 
zufügen ist eine Skizze der Entstehungsgeschichte des ortho- 
doxen Systems. 

Zusatz: Erst durch den Aristotelismus ist die griechische 
Kirche nach Origeues wieder zu einem, freilich keineswegs ein- 
heitlichen dogmatischen System gelangt (Joh. Damascenus). Die 
Eenntniss der griechischen Dogmengeschichte ist, abgesehen von 
den Synodalakten und -beschlüssen, zu schöpfen 1) aus den zahl- 
reichen Werken über die Menschwerdung des Sohnes Gottes, 
2) aus den katechetischen Schriften, 3) aus den apologetischen 
Traktaten, 4) aus den Monographien über das Sechstagewerk und 
ähnlichen Arbeiten, sowie aus den exegetischen Werken, 5) aus 
den Monographien über die Virginität, das Mönchtum, die Voll- 
kommenheit, die Tugenden und die Auferstehung, 6) aus den 
Monographien über die Mysterien, den Kultus und das Priester- 
tum, 7) aus den Predigten. Bei der Benutzung dieser Quellen ist 
neben Anderem auch das zu berücksichtigen, dass die Väter häufig 
dtaXsxrcx&g geschrieben haben, und dass die offizielle Litteratur 


150 Entwickelnng des Dogmas im Morgenland. [§ 30. 

( Synodallitteratur) in steigendem Masse von Fälschungen wim- 
melt und von bewusster Unwahrheit und Ungerechtigkeit durch- 
tränkt ist. 

Drittes Kapitel. 

Die Erkenntnissqnellen und Autoritäten oder die Schrift, die 

Tradition und die Kirche. 

S. die Einleitunßren in d. A. u. N. T. — JL Jacob r. Die k. L. v. d. 
Tradition u. h- Schriffc. 1. Abt. 1847. — HHoltzmann, Kanon u. Tra- 
dition, 1869. — SöDEB, Der Begriff d. Katholicität d. K, 1881. — 
BSkebkro, Stadien z. Gesch. d. Begriffs d. E., 1885. — HBeütbr, Augustin. 
Studien, 1888. 

Der Umfang und die Geltung der katholischen Autoritäten 
war bereits am Anfang des 4. Jahrh. wesentlich festgestellt, wenn 
auch nicht ihr gegenseitiges Verhältniss und die Art ihrer Aus- 
beutung. Dem grossen Gegensatz zwischen der freieren Theologie 
und dem puren Traditionalismus lag auch eine verschiedene 
Fassung der Autoritäten zu Grunde; aber zu einer Auseinander- 
setzung ist es nie gekommen. Wandelungen haben in der Zeit 
zwischen Eusebius und Joh. Damascenus stattgefunden, dem ge- 
steigerten Traditionalismus folgend; aber Niemand hat eine In- 
ventarisirung unternommen — ein Beweis, dass beachtenswerte 
Gegner der Methode, den jeweiligen Zustand in der Kirche fiir 
den traditionellen (apostolischen) auszugeben, gefehlt haben (nur 
die Sekten protestirten und reagirten). 

§ 30. Die heilige Schrift. 

Die heilige Schrift hatte eine einzigartige Autorität. Sich 
auf sie allein zu stellen, war im Grunde nicht unkatholisch; den 
Schriftbeweis durfte man stets verlangen. Aber ein ganz sicheres 
Einverständniss war nicht einmal über den Umfang der h, Schrift 
^vorhanden (s. die antiochenische Schule mit ihrer Kritik am 
Kanon). Was das A. T. betrifft, so galt in der Theorie lange Zeit 
nur der hebräische Kanon im Orient als massgebenS, aber in praxi 
galten doch auch die zugesetzten Schriften der LXX, die man mit 
abschrieb. Erst im 17. Jahrh. ist durch römischen Einfluss eine 
Gleichstellung der kanonischen und deuterokanonischen Schriften 
im Orient erfolgt, jedoch nicht in Form einer offiziellen Er- 
klärung. Im Occident siegte die unkritische Ansicht des Augustin 
über die kritische des Hieronymus (Synoden zu Büppo 393 und 
Karthago 397), die nur leise noch nachwirkte. Zu dem alexan- 


§ 30.] Die heilige Schrift. 151 

drinischen Kanon traten übrigens hier auch Apokalypsen wie 
Hermas und Esra, freilich nicht überall. — Das N. T. anlangend, 
so hat Eusebius einem höchst unsicheren Zustand ein freilich nur 
relatives Ende bereitet. Bei den drei Kategorien von Büchern, 
die er annahm, konnte man sich auch nicht beruhigen, und alte 
pro vinzialkirchliche Bestimmungen wirkten besonders im Osten 
nach. Doch herrschte seit der Mitte des 4. JahrL . — von den 
syrischen Kirchen abgesehen — im Orient ein wesentliches Ein- 
verständniss über das N. T. Nur die Joh.- Apokalypse blieb noch 
lange ausgeschlossen; kleine Schwankungen fehlten nicht. Wie 
das Abendland zum Jakob-, 2. Petri-, 3. Joh.-Brief gekommen ist, 
ist ganz dunkel. Den Hebräerbrief hat es durch die berühmten 
Mittelsmänner im 4. Jahrh. erhalten. Augustinus Ansicht über den 
Umfang des N. T. ist für das ganze Abendland massgebend ge- 
worden (s. aber schon die Bestimmungen des Damasus in dem 
sog. Decr. Gelasii). Indessen ist auch hier ein jeden Zweifel aus- 
schliessendes kirchliches Urteil vor dem Tridentinum nicht erfolgt. 
Alle Prädikate der h. Schriften verschwanden hinter dem 
ihrer Göttlichkeit (Werke des h. Geistes); Inspiration im 
höchsten Sinne wurde jetzt auf sie beschränkt. Aus der Inspira- 
tion ergab sich die Forderung der pneumatischen (allegori- 
schen) Exegese, sowie die der Konformirung des Inhalts der 
Texte sowohl unter sich als mit der Dogmatik. Allein der Buch- 
stabe sollte doch auch heilig sein und das Heiligste enthalten 
(gegen Origenes): mirakelsüchtige Laien und Kritiker (Antio- 
chener) traten für den Buchstaben ein und für die Geschichte. 
Eine sichere Methode fehlte: die pneumatische Exegese der Ale- 
xandriner, die historisch-kritische, den Typus suchende der Antio- 
<ihener, die buchstäbelude realistische barbarischer Mönche und 
handfester Theologen (Epiphanius) standen sich gegenüber. Sehr 
allmählich bildete sich in Bezug auf die wichtigsten Schriftstellen 
und -anschauimgen im Orient ein Kompromiss heraus: die orige- 
nistische und noch mehr die antiochenische Exegese wurden zu- 
rückgedrängt, aber nicht überwunden, die buchstäbelnd-reali- 
stische, durch mystische Einfälle schmackhaft gemacht, drängte 
sich vor (s. Joh. Damascenus und dessen Auslegung von Gen. 1—3). 
Das Abendland hat die pneumatisch-wissenschaftliche Methode 
der Kappadocier durch ffilarius, Ambrosius, Hieronymus und 
Bufin kennen gelernt. Vorher und nachher herrschte System- 
losigkeit; Achtung vor dem Buchstaben ging neben allegorischen 


152 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 31. 

Einfallen und chiliastischen Interessen einher. Hieronymns war 
zu feige^ um seinen Zeitgenossen die bessern Erkenntnisse zu 
leliren, die er besass^ nnd Augustin hat zwar von den Griechen 
gelernt^ aber sich nicht über sie erhoben, ja sie nicht einmal er- 
reicht. Er hat die Schrifttheologie mit ihrem schwankenden drei- 
und vierfachen Sinn in dem Abendland eingebürgert, vor AUem 
aber den strengen Biblicismus, obgleich er selbst wusste, dass die 
religiöse Wahrheit eine Bestimmtheit der Gesinnung ist, zu der 
die Schrift nur führen kann, und dass es eine christliche Freiheit 
giebt, die auch frei von der Schrift ist (s. seine Schrift de doctrina 
christiana). Namentlich durch Junilius hat die mehr methodische 
antiochenische Exegese auf das Abendland eingewirkt, ohne der 
Methodenlosigkeit und den tendenziösen Ausflüchten der Exe- 
geten abhelfen zu können. Faktisch hat die Schrift im Leben der 
Kirche im Abendland doch eine andere Stellung erhalten als im 
Morgenland (firüher war es dort anders; s. z. B. Cyrill ▼. Jerus.); 
sie steht mehr im Yordergrxmd. Das ist vor Allem aus dem Ein- 
fluss Augustins und aus der Thatsache zu erklären, dass die 
Eirchendogmatik im Abendland nie so vordringlich gewesen ist 
wie im Morgenland. Wie der Umfang der Schrift nie sicher fest- 
gestellt worden ist, so auch nicht ihre Eigenschaften. Das Prä- 
dikat der Irrtumslosigkeit musste sich doch leise Einschrän- 
kungen gefallen lassen, und zu einer klaren Vorstellung von der 
Suffizienz der Schrift gelangte man vollends nicht. Über das Yer- 
hältniss der beiden Testamente blieben dieselben Unklarheiten 
wie früher (das A. T. ein christliches Buch wie das N. T. — das 
A. T. durchweg Urkunde der Weissagung — das A. T. als das 
Buch, das die Glaubenswahrheit in gewissen Schranken und unter 
bestimmten Belastungen enthält und pädagogisch zu Christus ge- 
föhrt hat und führt). 

§ 31. Die Tradition. 

Der Schrift gelang es nicht — am wenigsten im Morgen- 
land — , sich von den Bedingungen zu befreien, aus denen sie her- 
vorgegangen ist, und völlig selbständige Autorität zu werden. 
Die Kirche (ihre Lehren imd Einrichtungen) war an und für sich 
Erkenntnissquelle und verbürgende Autorität der Wahrheit. 
Alles in ihr ist im Grunde apostolisch, weil sie die apostolische 
Schöpfung ist. Hieraus ergiebt sich, warum eine Inventarisining 
der Tradition nicht erfolgen konnte. Sie blieb de facto immer 


§ 31.] Die Tradition. 153 

elastisch: was die apostolische Kirche notwendig hat^ ist aposto- 
lisch^ also alt. Allein zunächst verzichtete man noch nicht auf 
Unterscheidungen und Beweise. 

Tradition war vor Allem der Glaube der Kirche. Die Sym- 
bole galten als apostolisch; doch hat nur die römische Kirche ihr 
Symbol für apostolisch im strei^sten Sinn (Abfassung durch die 
Apostel) ausgegeben. Aber der Inhalt des Nicänums und Chal- 
cedonense galt als apostolisch, ja als die apostolische Hinter- 
lassenschaft xatsi^oxriv und als die Quintessenz der h. Schrift. 
Doch blieb das Verhältniss von Schrift und Symbol amphibo- 
lisch. Im Morgenlaad wurde das sog. Gonstantinopolitanum das 
Hauptsymbol; im Abendland blieb das nach dem Nicänum zu er- 
klärende apostolische Symbol an der Spitze. 

Aber auch die Ordnungen der Verfassung und des Kultus 
stellte man unter den Schutz der apostolischen Tradition, indem 
man zum Beweise auf ihre allgemeine Verbreitung und auch auf 
Apostellegenden verwies. Daneben begann man im 4. Jahrh. 
— nicht ohne Einfiuss von Clemens und Origenes her — den Be- 
griff einer apostolischen xagccdoötg ayQafpog einzuführen, in deren 
gänzlich unbestimmten Inhalt man sogar auch dogmatische 
Lehren — jedoch höchst selten die trinitarischen und christologi- 
schen Stichworte — einschloss, deren Verständniss nicht Jeder- 
maons Sache sei (so besonders die Kappadocier). Allein dieser 
gnostische Traditionsbegriff (Geheimtradition , obgleich er sich 
mehr und mehr einbürgerte, wurde doch als gefährlich empfunden; 
man machte nur in der höchsten Not in dogmatischen Fragen 
von ihm Gebrauch (z. B. die Kappadocier bei der Lehre vom 
h. Geist) und bezog ihn sonst auf die Mysterien und ihre rituelle 
Ausführung. 

Da es feststand, dass der Kirche selbst vermöge ihrer Ver- 
bindung mit dem h, Geist die entscheidende Autorität eingestiftet 
sei (Augustin: ,yEgo evangelio non crederem, nisi me catholicae eccle- 
siae commoveret mictoritas^'^)^ so mussten sich die Fragen erheben: 
1) durch wen und wann spricht die Kirche, 2) wie sind die Neue- 
rungen in der Kirche, speziell auf dem Gebiete der Lehre, zu 
deuten, wenn doch die Autorität der Kirche ganz und gar in ihrer 
Apostolizität d. h. in ihrer Stabilität wurzelt? Beide Fragen sind 
aber nie scharf gestellt und daher auch nur höchst schwankend 
beantwortet worden. Feststand, dass die Repräsentation der 
Kirche in dem Episkopat liege (s. z. B. die ganze Anlage der 


154 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 31. 

Kirchengescliichte des Eusebius), wenn auch die strenge cypria- 
nische Theorie längst nicht Allgemeingut geworden war und die 
Vorstellung nie auftauchte, der einzelne Bischof sei unfehlbar. 
Aber schon den Pro vinzialsyn öden legte man eine gewisse Inspi- 
ration bei (längst war man bei den heidnischen Griechen gewohnt, 
von Lsgä övvodog in den Städten zu sprechen). Konstantin hat 
zuerst eine ökumenische Synode berufen und ihre Entscheidung 
für irrtumslos erklärt. Langsam bürgerte sich der Gedanke der 
unfehlbaren Autorität des nicänischen Konzils im 4. Jahrh. ein 
und wurde später auf die folgenden Konzilien übertragen, so je- 
doch, dass eine Synode (die 3.) erst nachträglich zu einer ökume- 
nischen gestempelt worden ist und der Unterschied zwischen 
ihnen und den Provinzialsynoden noch lang.? fliessend blieb (war 
die Synode von Arles eine ökumenische?). Durch Justinian 
wurden die vier Konzilien auf eine imerreichbare Höhe gestellt, 
und nach dem 7. Konzil stellte sich im Orient der Satz fest, dass 
die Erkenntnissquellen der christlichen Wahrheit die Schrift und 
die Bestimmungen der 7 ökumenischen Synoden seien. Bis heute 
nimmt man dort häufig die Miene an, als besitze und brauche die 
Kirche keine anderen. 

Allein diese scheinbar einfache und folgerichtige Entwicke- 
lung löste keineswegs alle Schwierigkeiten, weil Konzilien nicht 
immer zur Hand waren und doch auch andere Autoritäten noch 
berücksichtigt werden mussten Wie hat man sich zu verhalten, 
wenn die Barche noch nicht gesprochen hat? Kommt den 
Besitzern der grossen apostolischen Bischofsstühle oder den 
Bischöfen der Hauptstädte nicht eine besondere Autorität zu? 
Ad 1) Die Kirche spricht auch durch einstimmige, alte Zeugnisse. 
Die Instanz der „Väter" ist wichtig, ja entscheidend. Was All- 
gemeinheit und Altertum für sich hat, ist wahr. Dabei wurde der 
Begriff des „Altertums" immer elastischer. Ursprünglich waren 
die „Alten" die Apostelschüler, dann rechnete man auch die 3. 
und 4. Generation (bis zum Ende des 2. Jahrh.) zu den Alten; 
dann waren Origenes und seine Schüler die „alten" Exegeten; 
schliesslich galt die ganze vorkonstantinische Epoche als klassi- 
sches Altertum. Da man aber doch wenig aus dieser Epoche 
brauchen konnte, so berief man sich auf Äthan asius und die 
Väter des 4. Jahrh. als auf die „Alten" und zugleich auf zahl- 
reiche Fälschungen unter dem Namen der Väter des 2. und 
B. Jahrh. Auf den Konzilien zählte man immer mehr bloss die 


§ 31.] Die Tradition. 155 

Stimmen der „ Alten'^ und legte weitschichtige Chrestomathien an, 
um die neuen Formebi und Stichworte zu belegen. So entschied 
man mehr und mehr nach Autoritäten, die man sich freilich häufig 
erst schuf. Das Konzil war mithin nur unfehlbar, weil und sofern 
es nichts Anderes lehrte als die „Väter^^. Die Unfehlbarkeit ist 
also im Grunde keine direkte. Ad 2) An das besondere Ansehen 
der Apostelstühle — auch der orientalischen — hat sich noch 
Augustin bei der Frage nach dem Umfang der h. Schrift er- 
innert. Im Orient aber ging dieses Ansehen in dem der Stühle 
der Hauptstädte unter, und deshalb rückte Konstantinopel in den 
Vordergrund, stark befehdet vom römischen Bischof. Dieser 
alleiQ vermochte sein altes Ansehen im Abendland nicht nur zu 
bewahren, sondern zu erhöhen (einziger Apostelstuhl im Abend- 
land, Petrus und Paulus, Untergang des weströmischen Reichs, 
der Stuhl wird dais Centrum für die Reste des Römertums im 
Abendland) und dasselbe auch — Dank den günstigen Umständen 
der politischen und kirchlichen Geschichte — im Morgenland, 
freilich unter grossen Schwankungen, zu befestigen. An dem 
römischen Bischof haftete stets ein einzigartiges Ansehen, ohne 
dass es näher definirt werden konnte. Es hat im Orient erst auf- 
gehört, als Orient und Occident überhaupt nichts Gemeinsames 
mehr besassen. Bevor es aber erlosch, hatte der römische Bischof 
im Bunde mit dem oströmischen Kaiser es erreicht, dass im 
Morgenland die Ansätze zu einer Primatsstellung irgend eines 
Bischofs (besonders des alexandrinischen) unterdrückt wurden, 
zu welcher Unterdrückung die christologischen Streitigkeiten 
beitrugen. Die grossen Patriarchenstühle im Orient, durch die 
Schismen geschwächt, zum Teil um ihre reelle Bedeutung ge- 
bracht, standen nun in thesi einander gleich. Ihre Inhaber stellen 
in ihrem Zusammenwirken auch eine Art von dogmatischer Auto- 
rität dar, die aber weder an sich noch in ihrem Verhältniss zu 
den ökumenischen Synoden klar definirt ist. Sie bilden eben nur 
ein Stück Altertum. 

Es ergiebt sich aus dem Erörterten, dass den Konzilien die 
Fähigkeit, neue Offenbarungen der Kirche zu übermitteln, nicht 
zukommt, vielmehr sind sie lediglich durch die Bewahrung des 
apostolischen Erbes legitimirt. Deshalb hat die Rezeption neuer 
Formeln (des b^oovöLog^ der wesenseiuen Trinität, der zwei 
Naturen u. s. w.) so grosse Schwierigkeiten gemacht.' Als endlich 
die nicänische Lehre sich durchsetzte, geschah es, weil das 


156 Entwickelang des Dogmas im Mori^nland. [§ 31. 

Nicannm selbst ein Stück Altertum geworden war, und aUe spateren 
neuen Formulirungen suchte man nun, übel genug, aus dem 
Nicänum abzuleiten, indem man, wie schon einst Irenäus gethan, 
zugleich mit dem Text auch eine bestimmte Explikation desselben 
als vorgeschrieben ausgab. Selbst die Fähigkeit der Konzilien, 
die Lehren authentisch zu expliziren, ist im Orient nicht ruud 
ausgesprochen worden; daher ist auch dort den älteren Vätern 
die Entschuldigung nur selten gespendet worden, zu ihrer Zeit 
sei das Dogma noch nicht explizirt und scharf formulirt gewesen. 
Dagegen hat ein Abendländer (Vincentius v. Lerinum) in seinem 
Commonitorium (Mitte des 5. Jahrb.), nachdem er die Kriterien 
der wahren Tradition (was überall, immer und von Allen geglaubt 
sei) geltend gemacht und vor den Häresien sonst orthodoxer 
Väter gewarnt, einen „organischen" Fortschritt der Lehre zu- 
gestanden (vom Unbestimmteren zum Bestimmteren) und die 
Konzilien als Träger dieses Fortschritts bezeichnet („f*xcitata hae- 
reticomm novitatibus'*). Augustin hat ausdrücklich gelehrt, dass, 
solange unzweideutige Entscheidungen in einer Frage noch nicht 
gegeben seien, das Band der Eioheit unter den dissentirenden 
Bischöfen aufrecht zu erhalten sei. Nach dieser Regel hat der 
römische Bischof stets gehandelt, sich selbst aber die Ent- 
scheidungen und den Zeitpunkt für dieselben vorbehalten. 

Der Begriff der Tradition ist also ganz unklar. Das hierar- 
chische Element spielt in ihm der Theorie nach nicht die erste 
Bolle. Die apostolische Succession hat selbst im Abendland für 
den Traditionsbeweis in thesi keine so grosse Bedeutung gehabt. 
Seit der Zeit der Konzilien erschöpft sich auf diesen das Ansehen 
der Bischöfe als Träger der Tradition. Doch ist das vielleicht 
schon zuviel gesagt. Alles war eben unklar. Sofern sich aber die 
griechische Earche seit Joh. Damascenus nicht verändert hat, hat 
der Grieche in der Gegenwart ein ganz bestimmtes Bewusstsein 
von dem Fundament der Religion. Es ist neben der L Schrift 
die Kirche selbst, aber nicht als lebendige Macht, sondern in 
ihren unverrückbaren, tausendjährigen Lehren und Ordnungen. 
Nach der Tradition ist auch die Schrift zu erklären. Die Tradition 
ist aber im Grimde noch immer eine doppelte — die öffentliche 
der Konzilien und Väter, und die geheime, die die Mysterien, ihr 
Ritual und seine Erklärung, bestätigt. 


§ 32.] Die Kirche. 157 

§ 32. Die Kirche. 

Als Verbürgerin der Glaubenswahrheit — die aber im 
Grunde alle Philosophie einsehliesst*) — und Verwalterin der 
Mysterien kam die Kirche vor Allem in Betracht.^) Man reflektirte 
ferner über sie im Orient, wenn man an das A. T. und die falsche 
Judenkirche, an die Häresie und die Organisation der Christen- 
heit, sowie an die Anmassungen des römischen Bischofs dachte 
(Christus ist allein das Haupt der Kirche). Weiter stellte man 
im katechetischen Unterricht die Kirche als die Gemeinschaft des 
wahren Glaubens und der Tugend dar, ausserhalb welcher es nicht 
leicht einen weisen und frommen Mann geben könne, und wieder- 
holte die biblischen Aussagen über sie, dass sie die eine und 
heilige, vom h. Geist geleitete sei, die katholische im Gegensatz 
zu den zahlreichen gottlosen Vereinigungen der Häretiker. Selbst- 
verständlich identifizirte man dabei die empirische Kirche mit 
der Kirche des Glaubens und der Tugend, ohne sich doch auf 
nähere Erwägungen über corpus verum et permixtum einzulassen 
und ohne die Konsequenzen sämmtlich zu ziehen, welche jene 
Identifizirung verlangte. Trotz alledem war die Kirche im Grunde 
kein dogmatischer Begriff, der in das Gefüge der Heilslehren 
selbst gehörte, oder sie wurde es nur, wenn man an sie als die 
Mysterienanstalt dachte, von der sich übrigens der Mönch eman- 
zipiren durfte. Durch die Verengung, in der die Griechen die 
Aufgaben der Kirche anschauten, und durch die natürliche Theo- 
logie ist die Nichtbeachtung zu erklären. Die Kirche ist das 
Menschengeschlecht als die Summe aller der Einzelnen, die das 
Heil annehmen. Die Heilslehre erschöpft sich in den Begriffen: 
Oott, die Menschheit, Christus, die Mysterien, die Einzelnen. Die. 
Betrachtung der Kirche als die Mutter der Gläubigen, als einer 
götthchen Schöpfung, als des Leibes Christi wurde dogmatisch 
nicht ausgebeutet. Auch die mystische Erlösungslehre und die 

1) S. Anastasius Sin., Viae dux (Migne, Patrol. Gr. T. 89 p. 76 sq.): 
OqO'odo^ia iarlv dc'tffsvdrig jcsqI d'sov yial Tiricscog 'bnöXriipig t) %vvoLa nBqi 
ndvttav dcXrid-i/jg, rj d6^a r&v 8vra)v Ttad-dnSQ siaCv. 

2) So de&iirt auch eia neuerer Grieche (Damalas, *if 6Q^68oiog 
mezig 1877 S. 3): *H ^h niatig avtri sig xriv fitav ccylav 'Ka&oUyirjv xal 
^noaroXiTiriv iit^lr^aioLv iatl jtSTtoi^aig, oti avtri ^^"^^"^ o (poQSvg tijg &siag 
Zaptrog Ti)ff ivSsmvviisvrig elg dvo rtva, ngättov ort ccvtri iarlv 6 ScXdv^ 
-O-affTog SiddanaXog rijg ;|r9t0rtcci/txi]$ iclri^'S^ag ttal dsvtsgov 6 yvriaiog r&v 
l^vani^imv olitovoitog. 


158 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 33. 

Lehre von der Eucharistie hat der Kirche nicht zu einem sicheren 
Platz in der Dogmatik verholfen (sie fehlt z. B. bei Joh. Damas- 
cenus). Ihre Organisation, so wesentlich sie ist, ist nicht über die 
Stufe der Bischöfe ausgebildet worden und wurde selten dog- 
matisch behandelt. Die Kirche ist nicht die Hinterlassenschaft 
der Apostel, sondern Christi; daher tritt ihre Bedeutung als 
Kultusanstalt in den Vordergrund. 

Das Alles gilt von der morgenländischen Kirche. Im Abeud- 
land wurde durch den donatistischen Streit der Grund zu neuen 
und reichen Auffassungen von der Kirche gelegt. Diese selbst 
aber war am Ende der alten Zeit in drei grosse Teile gespalten, 
das Abendland, die byzantinische Kirche, den semitischen Orient, 
der selbst vielfach zerklüftet war. Jeder Teil hielt sich für die 
eine, katholische Kirche und rühmte seine besonderen Palladien. 

A. Die Voraussetzungen der Erlösungslehre oder die 

natürliche Theologie. 

Quellen: Die kosmologischen und ethischen Ausfcllirungen der Väter 
des 4. u. 5. Jahrb., besonders ihre Erklärungen des Sechstagewerks. 

Die natürliche Theologie ist bei allen Vätern wesentlich die- 
selbe; aber sie zeigt Nuancen, je nachdem der Piatonismus oder 
Aristotelismus vorwaltet, und nach dem Masse, in welchem der 
Bibelbuchstabe eingewirkt hat. Der Unterschied der alexan- 
drinischen und der antiochenischen Schule machte sich auch hier 
geltend. 

Tiertes Kapitel. 

Die Voraussetzungen und Auffassungen von Gott dem Schöpfer 

als dem Spender des Heils. 

§38. 

Die Grundzüge der Gotteslehre, wie sie die Apologeten und 
die antignostischen Väter festgestellt, blieben stabil, wurden 
namentlich gegen den Manichäismus ausgeführt und durch die 
Ausbildung der Trinitätslehre kaum berührt, da der Vater als 
Qi^cc rrlg d'sörrjros hier allein in Betracht kam. Doch drängten 
sich mit dem wachsenden Biblicismus und der mönchischen Bar- 
barei anthropomorphische Vorstelluugen immer mehr in die 
Theologie ein. — In der Frage nach der Erkennbarkeit Gottes 
stritten sich Aristotehker (Eunomins, Diodor v. Tarsus; besonders 
seit dem Anfang des 6. Jahrh.) und Platoniker, während man im 


§ 33.] Die Gotteslehre. 159 

Grunde doch einig war. Dass man Gott nur aus der Oflfenbarung, 
genauer durch Christus, erkennen könne, sagte man wohl, gab 
aber diesem Satze in der Regel keine weitere Folge, sondern stieg 
von der Welt zu Gott auf, die alten Beweise fortführend und 
durch den ontologischen Beweis ergänzend (Augustin). Neu- 
platonische Theologen nahmen ein unmittelbares, intuitives Gott- 
innewerden auf der höchsten Stufe an, haben aber doch gerade 
die scholastische Form der Gotteserkenntniss ausgebildet (der 
Areopagite: Negation, Eminenz, Kausalität). 

Die höchste Aussage über das Wesen Gottes war noch immer, 
dass er Nicht -Welt sei, die pneumatische, unsterbliche, apathische 
Substanz (das ^Ov), der allein das Sein zukommt (Aristoteliker 
dachten an Ursache und Zwecksetzung, ohne das platonische 
Schema durchgreifend zu korrigiren). Seine Güte ist die Voll- 
kommenheit, Neidlosigkeit und der Schöpfungswille (Ansätze zu 
einer besseren Auffassung bei Augustin: Gott als die Liebe, die 
den Menschen von der Eigensucht und dem inneren Zerfall be- 
freit). Demgemäss wurden die Eigenschaften Gottes behandelt, 
nämlich als Ausdruck der Kausalität imd Macht, wobei vom 
Heilszweck abgesehen wurde (Origenes' Auffassung wurde tem- 
perirt resp. korrigirt). Neben der naturalistischen Auffassung 
von Gott als dem'Oi/ steht die moralistische von Gott als dem 
Vergelter imd Richter; auch auf sie hatte der Erlösungsgedanke 
kaum merkbaren Einfluss (weniger als bei Origenes), da „Lohn" 
und Strafe gleichwertig behandelt wurden. Doch hat Augustin 
den Unwert einer Gotteslehre erkannt, die Gott für den Menschen 
nur an den Anfang und an das Ende stellt und den Menschen 
Gott gegenüber verselbständigt, statt Gott als die Kraft des Guten 
und die Quelle des persönlichen seligen Lebens zu erkennen. 

Die Kosmologie der Väter lässt sich also zusammenfassen: 
Gott selbst, der die Weltidee von Ewigkeit in sich getragen hat^ 
hat durch den Logos, der alle Ideen umfasst, in freier Selbst- 
bestimmung diese Welt, die einen Anfang gehabt hat und ein 
Ende haben wird, nach dem Vorbild einer von ihm hervorge- 
brachten oberen Welt in sechs Tagen aus dem Nichts geschaffen 
und ihr in dem Menschen eine Spitze gegeben — um seine Güte 
zu beweisen und Kreaturen an seiner Seligkeit teilnehmen zu 
lassen. In dieser These wurden die Häresien des Origenes ab- 
gelehnt (namentlich auch sein Pessimismus). Doch gelang es 
nicht, überall den Wortlaut von Gen. 1—3 zu rechtfertigen, und 


160 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 33. 

in der Vorstellung von einer oberen Welt (x6ö(iog vosQog), deren 
geringes Abbild die irdische sei, blieb ein bedeutungsvolles Stück 
der neuplatoniscli-origenistischen Lebre konservirt, das dann von 
den platonisirenden Mystikern seit dem Areopagiten reichlich an- 
gebaut worden ist. Aber die pantheistischen Häresien wurden 
nicht deutlich empfunden, wenn nur irgendwie der Wortlaut von 
Gen. 1—3 konservirt schien. DieTheodice — des Manichäismus und 
Fatalismus wegen noch immer nötig — suchte durch empirische 
Erwägungen sich zu halten, zeigt aber, da auch sie natürliche 
Theologie sein sollte, in einer oft befremdenden Kasuistik und in 
Unsicherheiten die antike Wurzel. Man verwies auf die Not- 
wendigkeit und Zweckmässigkeit der kreatürlichen Freiheit, die 
das Böse und das Übel zur Folge haben müsse, auf die Unschäd- 
lichkeit des Übels für die Seele, auf die Unwirklichkeit des Bösen 
und auf die Zweckmässigkeit der Übel als Läuterungsmittel. 

In Bezug auf die himmlichen Geister stellten sich folgende 
Punkte fest: dass sie von Gott geschaffen seien, dass sie frei seien 
und der stofflichen Leiblichkeit entbehrten, dass sie eine Krisis 
di.rchgemacht, in der ein Teil gefallen sei, dass Gott die guten als 
Werkzeuge seiner Weltregierung brauche, dass die Wirklichkeit 
des Bösen in der Welt auf die bösen Geister zurückzuführen sei, die 
Gott gewähren lasse, die inkorrigibel seien, deren fast schranken- 
lose Macht über die Welt nur das Kreuz brechen könne und die 
der Verdammniss entgegen gehen (gegen Origenes). Immer 
stärker warf sich aber seit dem 4. Jahrb. der polytheistische 
Trieb auf Engel und Dämonen, und schon um 400 lebte die 
Frömmigkeit der Mönche und Laien fast mehr bei ihnen als bei 
Gott. Während die Synode von Laodicea um 360 den Engelkult 
für Abgötterei erklärt hat, bürgerte sich doch die-iVerehrung der 
Engel immer mehr ein (Schutzengel, Glaube an ihre Intercession) 
und wurde auf dem 7. Konzil 787 kirchlich fixirt (jCQ06xvvriijtg), 
Viel trug dazu bei, dass die „wissenschaftliche" Theologie in der 
Form der neuplatonischen Mystik seit ca. 500 dem Ansehen der 
Engel dadurch Vorschub leistete, dass sie sie in ihr System als 
wichtige Faktoren aufnahm (doch s. schon die alexandrinischen 
Theologen): die Engel in abgestuften Ordnungen sind einerseits die 
Entfaltung des Himmlischen, andererseits die Vermittler desselben 
an die Menschen. Der irdischen Hierarchie mit ihren Abstufungen, 
Kompetenzen und Weihen entspricht eine himmlische, abge- 
stufte Hierarchie mit himmlischen Opfern, Intercessionen u. s. w.; 


§ 34.] Die Lehre vom Menschen. 161 

im Kultus schliessen sich beide zusammen (s. den Areopa- 
giten und seine Erklärer). So entstand — freilicli lange vor- 
bereitet — eine neue kirchliche Theosophie, die letztlich ein 
verschämter Ausdruck war ftir die Eskamotirung des Schöpfungs- 
und Erlösungsgedankens und für die Zurückfahrung des phanta- 
stischen Pantheismus, den die Barocktheosophie der untergehenden 
Antike gebildet hatte; Alles, was ist, strömt in vielfachen Aus- 
strahlungen aus Gott aus und muss, weil es entfernt und isolirt 
ist, geläutert und zu Gott zurückgeführt werden. Dies geschieht 
in notwendigen Prozessen, die so geschildert werden, dass 
allen Bedürfnissen, auch den barbarischsten, Rechnung getragen 
wird und alle Autoritäten und Formeln respektirt werden. Aber 
der lebendige Gott, ausser dem die Seele nichts besitzt, drohte 
dabei zu verschwinden. Neben dieser theosophischen Kosmologie 
stand seit dem Niedergang der grossen Schulen von Antiochien 
und Alexandrien ein realistischer Biblicismus. 

Fünftes Kapitel. 

Die Voraussetzungen und Auffassungen vom Menschen als dem 

Subjekt des Heilsempfangs. 

§ 34. 

Als gemeinsame Überzeugung der orthodoxen Väter lässt 
sich etwa Folgendes feststellen: Der nach dem Ebenbilde Gottes 
geschaffene Mensch ist ein freies, sich selbst bestimmendes Wesen. 
Er ist mit Vernunft begabt worden, um sich für das Gute zu ent- 
scheiden und unsterbliches Leben zu gemessen. Diese Bestimmung 
hat er, indem er sich der Sünde, verführt aber freiwillig, hin- 
gegeben hat und noch immer hingiebt, verfehlt, ohne jedoch die 
Möglichkeit und Kraft eines tugendhaften Lebens und die Fähig- 
keit zur Unsterblichkeit eingebüsst zu haben. Durch die christ- 
liche Offenbarung, die der verdunkelten Vernunft durch volle 
Gotteserkenntniss zu Hülfe kommt, ist jene Möglichkeit gekräftigt 
und die Unsterblichkeit wiederhergestellt und angeboten worden. 
Über Gut und Böse entscheidet also die Erkenntniss. Der Wille 
ist, genau genommen, nichts Moralisches. — Im Einzelnen gab es 
sehr verschiedene Ansichten: 1) was war ursprünglich Besitz des 
Menschen und was Bestimmung? 2) wie weit reicht die Natur 
rmd wo fängt die Gnadengabe an? 3) wie weit reichen die Folgen 
der Sünde? 4) konstituirt die leere Freiheit das Wesen des 

OrandrisB rv. in. Habnace, Dogmengeschiehte. 2. Aufl. 11 


162 Entwickelung des Dogmas iiu Morgenland. [§ 34. 

Menschen oder entspricht es seiner Natur, gut zu sein? 5) in 
welche Bestandteile zerfallt da8 menschliche Wesen? 6) worin 
besteht das göttliche Ebenbild? u. s. w. Die verschiedenen Ant- 
worten sind sämmtlich Kompromisse 1) zwischen der religions- 
wissenschaftlichen Theorie (Lehre des Origenes) und Gen. 1 — 3, 
2) zwischen der moralistischen Betrachtung und der Bücksicht auf 
die Erlösung durch Christus, 3) zwischen dem Dualismus und 
der Betrachtung des Leibes als eines notwendigen und guten 
Organs der Seele. 

1. Die Idee der angeborenen Freiheit ist die Centralidee; in 
ihr ist die Vernunft mitgesetzt. Sie konstituirt das göttliche 
Ebenbild, das somit Selbständigkeit gegenüber Gott bedeutet. 
Ob zur Natur des Menschen nur das kreatürlich-Sinnliche oder 
auch die Vemunftbegabung oder gar die Unsterblichkeit gehört, 
blieb kontrovers. Doch war die Kontroverse ziemlich gleichgiltig, 
da die herrliche Natur des Menschen doch stets als Gnadengabe 
und die Gnadengabe bei den Meisten als Natur galt. Das Wesen 
des Menschen wurde als trichotomisch, von Anderen als dichoto- 
misch vorgestellt. Die griechisch-origenistische Auffassung von 
dem Leibe als Kerker wurde schliesslich offiziell abgelehnt — der 
Mensch ist vielmehr eben als geistleiblicher ein Mikrokosmos 
(Gregor v. Nyssa), und der Leib ist auch etwas Gottgewolltes — , 
allein sie hat nie aufgehört, nachzuwirken, weil die positive Sitt- 
lichkeit stets hinter der negativen (der Askese) zurückstehen 
musste, resp. in der Auffassung von den opera supererogatoria 
eine asketische Spitze erhielt. Die späteren neuplatonischen 
Mysteriosophen haben zwar die Idee von der Verklärung des 
Leibes zu verwerten verstanden, aber in Wahrheit wurde von 
ihnen das Leibliche doch als ein Aufzuhebendes gedacht, wenn 
auch an dem Wortlaut der Formel „Auferstehung des Fleisches" 
nicht mehr gerüttelt werden durfte. 

Was die Entstehung der einzelnen Seelen betrifft (die Seele 
ist kein Teil Gottes; allein im Grunde fassten sie doch viele Theo- 
sophen so auf), so wurde die präexistentianische Ansicht des 
Origenes (die im 4. Jahrh. viele orthodoxe Theologen teilten) 553 
ausdrücklich verdammt; aber die traducianische konnte sich 
doch nicht durchsetzen; vielmehr wurde die kreatianische 
(fortgehende Schöpfung der einzelnen Seelen) herrschend. 

Das Ebenbild Gottes anlangend, so bewegte man sich in der 
Antinomie, dass Gutheit und Reinheit nur Produkt der mensch- 


§ 34.] Die Lehre vom Menschen^ 163 

liehen Freiheit sein könne, dass aber das anerschaffene Ebenbild 
doch nicht in der possibilitas utriusque, sondern in einer (guten) 
Bestimmtheit der Vernunft und Freiheit liegen müsse und teil- 
weise verloren gegangen sei. Demgemäss waren auch die Auf- 
fassungen vom Urständ so amphibolisch wie bei Irenäus. Einer- 
seits soll die begriffsmässige Vollkommenheit des Menschen im 
Anfang verwirklicht gewesen und dann durch Christus wieder- 
hergestellt worden sein; andererseits soll der Urständ einKindes- 
zustand gewesen sein, aus dem der Mensch sich erst zur Voll- 
kommenheit zu entwixjkeln hatte, und den er daher im Grunde nie 
verlieren, sondern nur verbessern konnte (so besonders energisch 
die Antiochener). Noch die Kappadocier haben über den Urständ 
wesentlich ähnlich gelehrt wie Origenes; allein man wurde in der 
Folgezeit genötigt, sich streng an die Genesis zu binden, und die 
spekulativen Auffassungen wurden ebenso beschnitten, wie die 
rationalistischen der Antiochener. Die Zweifel über den Urständ 
hatten auch Unsicherheiten über die Auffassung der Askese zur 
Folge, die in der griechischen Kirche nie gelöst worden sind: 
die Einen sahen in der Askese den natürlichen und bestim- 
mnngsmässigen Zustand des Menschen; die Anderen (nament- 
Hch die Antiochener) fassten sie als etwas Überirdisches und Über- 
menschliches. 

2. Anerkannt wurde, dass das Menschengeschlecht von 
seinem Ursprünge, d. h. von Adam her (ausdrückliche Ablehnung 
der Lehre des Origenes vom vorzeitlichen Fall im 6. Jahrh.), sich 
vom Guten abgewendet habe (Ursache: nicht eine anerschaffene 
sündige Potenz, nicht die Materie, nicht die Gottheit, nicht Ver- 
erbung der Sünde Adam's — Adam ist für die Meisten der Typus, 
nicht der Stammvater der Sünder — , sondern Missbrauch der 
Freiheit auf Grund dämonischer Verführung, Überlieferung böser 
Sitten. Daneben ruhte allerdings bei den Meisten der Gedanke, 
nicht überwunden, im Hintergrund, dass der Reiz zur Abkehr von 
Gott aus der sinnlichen Natur und der kreatürlichen Gebrechlich- 
keit des Menschen mit einer gewissen Notwendigkeit herv^orgehe, 
also aus der Zusammensetzung des Menschen und der Todes- 
haftigkeit — sei sie nun natürlich [die Antiochener] oder durch 
Verfehlung erworben oder ererbt — folge. Man findet daher bei 
denselben Vätern die widersprechenden Aussagen, dass das Gute 
dem Menschen natürlich sei, und dass ihm die Sünde natürlich 
sei). Die Genesis und Rom. 5 zwangen die Griechen immer mehr, 

11* 


164 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. | § 34. 

dem Fall Adam's wider ihre empirisch-rationalistische Theorie 
eine weltgeschichtliche Bedeutung zu geben. Aber die augusti- 
niache Lehre von der Erbsünde haben sie Jahrhunderte lang nicht 
angenommen, ja geradezu für Manichäismus erklärt. Da sie nun 
gehindert waren, die origenistische Lehre aufrecht zu erhalten, 
und die Bibel den konsequenten Rationalismus der antiochenischen 
Theologen verbot, so blieben sie in lauter Unsicherheiten stecken. 
Die Meisten leiteten die allgemeine Sterblichkeit (Erbtod), die 
Verdunkelung der Erkenntniss (daher den Polytheismus) und eine 
gewisse Schwäche der Freiheit von Adam's Fall ab, letztere zum 
fast völligen Verlust steigernd, wenn sie an das Werk Christi 
dachten, aber kaum erwähnend, wenn sie gegen die Manichäer 
schrieben. Aber da sie sich nie entschlossen, an die Stelle der 
moralistischen Betrachtung der Sünde die religiöse zu setzen, da 
ihnen das Philosophumenon, das Böse sei das Nichtseiende, nie 
ganz aus dem Gedächtniss kam, da sie die Folgen der Sünde stets 
stärker empfanden als die Sünde selbst — zu welcher Betrachtung 
sie auch ihre Auffassung vom Werke Christi anleitete — , so haben 
sie der Schwere der Sünde, d.h. der Schuld niemals einen vollen 
Ausdruck zu geben vermocht: die Sünde ist böse Einzelthat, 
ist Zufall und wiederum Verhängniss, ist Folge der Todeshaftig- 
keit; aber sie ist nicht die furchtbare Macht, die die Gemeinschaft 
mit Gott aufhebt. 

Der Einfluss der in der Lehre von Gott und vom Menschen 
hervortretenden natürlichen Theologie (des Rationalismus und 
der ihm stammverwandten Mystik) auf die eigentliche Dogmatik 
war fundamental: 1) der Mensch wird durch die Erlösung zu der 
Bestimmung geführt, die er auch kraft seiner Freiheit erreichen 
kann (Gefahr, die Erlösung lediglich als Unterstützungsmittel zu 
fassen), 2) der Mensch, als Ebenbild Gottes ein auch Gott gegen- 
über selbständiges Wesen, kann zu diesem keine anderen Be- 
ziehungen haben als zu dem Schöpfer und Richter; nicht Gott 
selbst ist sein Leben, sondern das Gesetz Gottes ist seine Richt- 
schnur (Gefahr, das Evangelium und das Heil als Wissen und als 
Gesetz zu fassen, die Strafe als das höchste Unglück und die Reue 
als die Ursache der Vergebung), 3) auch die Lehren von Gott 
dem Erlöser müssen nach dem rationalistischen Schema behandelt 
werden (Vernünftigkeit der Trinitätslehre, der Lehre von der 
Fleischesauferstehung u. s. w.), 4) im letzten Grunde kann der 
Mensch aus der Geschichte nichts empfangen; in die Geschichte 


§ 35.] Die Menschwerdung des Sohnes Gottes. 165 

gehört aber ancli der Xoyog ivöagxog] also wurde die Anschauung 
nicht ganz verdrängt, dass es einen Standpunkt giebt, für den der 
geschichtliche Christus, da er nur unterstützender Lehrer ist, 
nichts bedeutet: der Mensch, der durch Gnosis und Askese zum 
sittlichen Heros geworden ist, steht frei neben Gott; er liebt 
Gott und Gott liebt ihn; in ihm wird ein Christus geboren. Gerade 
die lebendigste Frömmigkeit der griechischen Väter und der 
energischste Versuch, sich in der Religion heimisch zu machen, 
sind am wenigsten davor sicher gewesen, den geschichtlichen 
Christus zu verlieren. Aber es war nur eine Gefahr, die drohte. 
Die Gottheit ist herabgestiegen, Gott ist in dem geschichtlichen 
Jesus Mensch geworden: der Glaube an diese ungeheuere That- 
sache — „das Neueste alles Neuen, ja das allein Neue unter der 
Sonne^^ (Damasc.) — sowie das Bätsei und der Schrecken des 
Todes begrenzten allen RationaHsmus: der Mensch muss er- 
löst werden und ist erlöst. 

B. Die Lehre von der Erlösung in der Person des Gott- 
menschen in ihrer geschichtlichen Entwickelung. 

Seclistes KapiteL 

Die Lehre von der Notwendigkeit und Wirklichkeit der Er- 
lösung durch die Menschwerdung des Sohnes Grottes. 

§35. 

Athanasius, JJsqI ivav&Qomi^csoag rov X6yov, — Gregor v. Nyssa, 
A6yog %avrixriTLKbg 6 (liyag. S. die Litteratur z. 2. Kap. 

Die Menschwerdung Gottes allein balancirte das ganze System 
der natürlichen Theologie. Weil man an ihre Wirklichkeit glaubte, 
behauptete man auch ihre Notwendigkeit. Man bezog sie auf den 
Tod, die Dämonenherrschaft, die Sünde und den Irrtum, und man 
hat in diesem Zusammenhang nicht selten Aufstellungen über die 
Heillosigkeit des Menschen getroffen, die an Augustin erinnern. 
Allein wenn man eine straffe Theorie gab, hielt nur der Gesichts- 
punkt der Aufhebung der Vergänglichkeit und des Todes Stich; 
denn die Freiheitslehre schloss eine Sündentilgung aus und legte 
andererseits die Auffassung nahe ^ dass herzliche ßeue vor Gott 
von Sünden befreie (so z. B. Athanasius, de incam. 7). Athana- 
sius hat nach Irenäus zuerst eine straffe Theorie der Mensch- 
werdung gegeben (1. c). Er begründet sie einerseits aus der Güte 
Gottes, resp. seiner Selbstbehauptung und Ehre, andererseits aus 


166 Entwickelung des Dogmae im Morgenland. [§ 35. 

der Folge der Sünde, der Vergänglichkeit. Diese vermag nur 
der Logos zn beseitigen, der auch ursprünglich Alles aus dem 
Nichts geschaffen hat. Die Mittel anlangend, so rekurrirt Athana- 
sius auf alle biblischen Gedanken (Opfertod, Schuld tilgungu. s.w.); 
allein fest führt er lediglich den Gedanken aus, dass in dem Akt 
der Menschwerdung selbst die Wendung vom Todesverhängniss 
zur Vergottung (avtbg ivrjvd'Q(07tri6€v^ Iva rj^stg ^saTtoirjd'&^ev) 
und äfpd'UQöia liege, sofern die physische Verbindung des Menschen- 
wesens mit dem Göttlichen (das Wohnen Gottes im Fleische) die 
Menschheit in die Sphäre der Seligkeit und der &(p^aQ6Ca erhebt 
(c. 9: Xafißdvsc öa^ia^ Zva rovto rov ijtl xdvt(ov k6yov ^stalaßbv 
ävrl ndvxcov Cxavbv ysvrjtaL rö d'avccra)^ xal ölcc rbv ivoi7nq6avxa 
koyov atpd'aQTOv diafisuvy^ xccl loiTtbv inl xävtcov fj (pd'OQa jcav- 
öTjzai tri trjg dvaatdöscog xagcti). Die Folge der Menschwerdung 
ist also primär die Verwandelung ins unvergängliche (Wieder- 
erneuerung des göttlichen Ebenbildes), sekundär aber auch die 
Wiederherstellung der Erkenntniss Gottes, sofern die irdische 
Erscheinung der Gottheit (in Christus) dem blödesten Auge die 
Gottheit erkennbar macht und damit den Polytheismus austilgt. 
Indem Athanasius diesen doppelten Erfolg behauptet, vermochte 
er auch den partikularen Erfolg der Menschwerdung zu erklären: 
er kommt eben nur denen zugut, die Gott erkennen und nach 
dieser Erkenntniss ihr Leben einrichten. Die Vergottung des 
menschlichen Wesens (Anteil an Gott durch Sohnschaft) war dem 
Athanasius die Hauptsache, nicht aber die Erkenntniss. Deshalb 
lag ihm Alles an der genauen Bestimmung der Fragen, wie das 
Göttliche, welches Mensch geworden, beschaffen gewesen, und in 
welche Verbindung es mit der Menschheit getreten sei. Dagegen 
legten die Arianer und später die Antiochener auf die Erkenntniss 
das Hauptgewicht; sie beharrten beim rationalistischen Schema. 
Eben deshalb hatten sie überhaupt nicht ein entscheidendes Liter- 
esse an jenen beiden Fragen, und wenn sie es hatten, beantworteten 
sie dieselben in einem anderen Sinn. Man sieht, wie die grossen 
dogmatischen Kämpfe hier ihre Wurzel haben: wesenhafter Anteil 
an Gott oder [Erkenntniss Gottes, die die Freiheit unterstützt: 
Christus die Gottheit oder die Weltvemunft (und der göttliche 
Lehrer) — Christus der untrennbare Gottmensch oder der inspi- 
rirte Mensch und das Doppelwesen. Athanasius hatte die höchste 
griechische Frömmigkeit für sich, seine Gegner die verständigeren 
Formeln und z. T. den Bibelbuchstaben. 


§ 36.] Die Menschwerdung des Sohnes Grottes. 167 

So klar wie Athanasius hat kein griechischer Vater mehr die 
Frage, warum Gott Mensch geworden, beantwortet. Am 
nächsten kommt ihm der Platoniker Gregor v. Nyssa (Grosse 
Katechese), wie überhaupt die ganze Lehrauffassung nur auf dem 
Boden des Piatonismus möglich ist. Gregor hat die Ausfüh- 
rungen an einigen Punkten verstärkt, sich übrigens vielfach an 
Methodius angeschlossen. Er zeigt gegenüber Juden und Heiden, 
dass die Menschwerdung die beste Form der Erlösung gewesen 
ist; er fasst den ganzen Sündenzustand als Tod, giebt diesem Be- 
griff also einen weiteren Spielraum (alle Abkehr von Gott zum 
nichtseienden Sinnlichen ist Tod); er hat die Vollendung der 
Menschwerdung erst in der Auferstehimg Christi angeschaut 
(origenistischer Einschlag: die Erlösung hat die Loslösung vom 
Leibe zur Voraussetzung); er hat ausdrücklich gelehrt, dass Chri- 
stus nicht ein einzelnes Menschen wesen angenommen habe, son- 
dern als zweiter Adam die menschliche Natur, so dass nach dieser 
mystisch-platonischen Anschauung alles Menschliche mit der 
Gottheit zusammengewachsen ist; er hat das Ganze streng als 
einen physisch-pharmakologischen Prozess gedacht: die Mensch- 
heit wird wie ein Teig vom Sauerteig der Gottheit durchdrungen 
(Gegengewicht ist die Forderung spontaner Gesetzeserfüllung); 
er hat die Sakramente in die engste Beziehung zur Menschwerdung 
gebracht. Er hat aber endlich dieser realistischen und allem 
Rationalismus scheinbar feindlichen Vorstellung eine panthei- 
stische Wendung gegeben, die ihr das Eigenartige benimmt und 
mit einer rationalistischen Auffassung wohl verträglich ist: 
Christi Menschwerdung ist eine Aktion von kosmischer Bedeutung; 
sie erstreckt sich als Rekonziliation und Restitution über die ge- 
sammte Welt von den höchsten Engeln ab bis herunter zu den 
tiefsten Tiefen. Damit löst sie sich, wie bei Origenes, in einen 
notwendigen kosmischen Prozess auf; sie wird zu einem Spezial- 
fall der allgemeinen Allgegenwart des Göttlichen in der Schöpfung. 
Es ist im Kosmos die Entfremdung von Gott ebenso angelegt 
wie die Zurückführung zu ihm. Gregor hat diesen pantheistischen 
Gedanken, den er selbst freilich niemals rein und in Ablösung 
von dem Historischen gedacht hat, überleiten helfen in die Folge- 
zeit. Die pantheistische Erlösungslehre tritt in der Folgezeit in 
doppelter Form auf (pantheistische Monophysiten, der Areopagite 
und seine Schüler u. s. w.): entweder erscheint das Werk des ge- 
schichtlichen Christus als Spezialfall, resp. als Symbol der all- 


168 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 35. 

gemeinen 7 reinigenden und heiligenden Wirksamkeit, die der 
Logos im Verein mit den abgestuften Ordnungen der übersinn- 
lichen Kreaturen und zugleich wiederum für sie, durch heilige 
Medien fortgesetzt vollzieht — oder es wird bei dem Gedanken 
der Menschwerdung sofort an die Vereinigung jeder einzelnen 
Seele mit dem Logos gedacht, bei der sich das wiederholt, was an 
Christus geschehen ist. Eine dritte Form ist noch die Ansicht, 
dass die Menschheit Christi eine himmlische gewesen sei, resp. 
dass der Logos die Menschheit stets in sich getragen habe. Selbst 
unverhüllter Pantheismus — die ganze Natur ist an sich wesens- 
eins mit der Gottheit — hat nicht gefehlt (Dionysius Bar Salibi). 

Doch das Alles lagerte nur im Hintergrund; dagegen ver- 
breitete sich der Gedanke, dass Christus den Allgemeinbegriff 
der Menschheit an sich genommen habe, im Morgen- und Abend- 
land und verdrängte die Vorstellung von einer moralischen Ein- 
heit der Gottheit mit einem einzelnen Menschen, aus der sich 
freilich die Gewissheit unserer physischen Vergottung nicht ab- 
leiten liess. Die, welche jene moralische Einheit lehrten (Antio- 
chener), fassten in der Regel zugleich die Erlösung nicht als 
Wiederherstellung, deren Notwendigkeit sie eben nicht empfanden, 
sondern als Heraufführung einer neuen Katastase, als den Ab- 
schluss der göttlichen Pädagogie. Dagegen haben die dem Atha- 
nasius und Gregor folgenden Theologen die Menschwerdung stets 
als notwendige Restitution gefasst, sie also auf Sünde und Tod be- 
zogen. Sie hielten demnach, soweit sie nicht vom Pantheismus ver- 
führt wurden, daran fest, dass die Menschwerdung eine geschicht- 
liche That unergründlichen göttlichen Erbarmens sei, durch die 
die Menschheit zu göttlichem Leben wiederhergestellt worden ist. 

Anhang. Die Thatsachen der Geschichte Jesu hat man in 
das so aufgefasste Erlösungswerk einzustellen versucht, was bei 
der Auferstehung wohl glückte, aber sonst im Grunde an keinem 
einzigen Punkte. Speziell der Kreuzestod blieb unverstanden, 
obgleich man die paulinischen Gesichtspunkte fortwährend wieder- 
holte; denn mit der Menschwerdung war eigentlich Alles schon 
gegeben und der Tod konnte höchstens der Abschluss der Ensar- 
kose sein (Fruktifizirung des Opfergedankens nach dem Schema 
der griechischen Mysterien ist übrigens seit Origenes nicht selten). 
Dennoch lässt sich nicht verkennen, dass man den Tod als ein 
seliges Geheimniss, vor dem man sich beugte, empfand (kräftige 
religiöse Aussagen über den Wert des Kreuzestodes finden sich 


§ 35.] Die Menschwerdung des Sohnes Goties. 169 

auch bei den Griechen zu allen Zeiten), und es fragt sich doch, ob 
die dogmatische Zurückhaltung der Griechen hier minderwertig 
ist gegenüber dem dreisten Rechnen und Markten der Abend- 
länder in Bezug auf das „Verdienst^^ Christi. Diese haben schon 
seit Tertullian und Cyprian das Todesleiden als eine Leistung 
betrachtet, deren Wert man in juristischen Formeln zu bestimmen 
habe; sie haben den Tod als satisfactio und placatio dei angeschaut 
und das bei der Betrachtung der Bussleistungen gewonnene 
rechtliche Schema auf ihn angewendet (Aufhebung des Schuld- 
und Strafleidens durch das Sühnemittel resp. durch das Ver- 
dienst des Todes Christi, das den zürnenden Gott besänftigt. 
Berechnung des Wertes des Todes Christi für Gott: Ambrosius, 
Augustin, die grossen Päpste). Dabei sind sie seit Ambrosius 
folgerecht zu der Annahme vorgeschritten, dass die Sühne (das 
Verdienst) von Christus als Mensch geleistet sei, da die Mensch- 
heit die Schuldnerin ist und Leistungen überhaupt nur an dem 
Menschen geschätzt werden können, der freilich seinen Wert 
durch die Gottheit erhält. Damit entfernte sich das Abendland 
vom Morgenland: hier ist der Gott, der die Menschheit in die 
Einheit seines Wesens aufgenommen hat, durch diese seine 
Doppelkonstitution der Erlöser; dort ist der Mensch, dessen 
Todesleistung göttlichen Wert hat, der Versöhner. Aber freilich 
eine straffe Theorie besass auch das Abendland noch nicht. 
Acceptirte es doch auch die gnostisch-morgenländischen Vor- 
stellungen, das Lösegeld sei dem Teufel gezahlt worden, der dabei 
betrogen worden sei. 

Siebentes KapiteL 

Die Lehre von der Homousie des Sohnes Gottes mit Gott selbst. 

Hauptquellen: Die Kirchenbistoriker des 4. und 5. Jahrh. und die 
Werke der Väter des 4. Jahrh. — Von Athanasius' Werken kommen be- 
sonders in Betracht: de decretis syn. Nicaenae — de sentent. Dionysii — 
orationes IV c. Arianos — epp. IV ad Serap. — de synodis Arimini et 
Seleuciae — ep. ad Afros. - FChBaur, Die christl. L. v. d. Dreieinig- 
keit u. Menschwerdung Gottes. 3 Bde. 1841 f. — IDorneb, Entwicke- 
lungsgesch. d. L. v. d. Person Christi.^ 1853. — HSchultz, Die L. v. d. 
Gottheit Christi, 1881. ~ CJHkfkle, Konziliengesch.« Bd. 2 ft. 1875ff. — 
HMGWatkin, Studies ot* Arianism, 1882. — Möhleb, Athanasius, 1827. — 
HJMVoioT, Die L. d. Athanasius, 1861. — PBöhringer, Athanasius und 
Arius, 1874. — GKrüger in ZwTh. 1888. S. 434 if. - ThZahn, Marcell, 1867. 
— MEadk, Damasus v. Rom, 1882, vgl. auch die Biographien der Kappa- 
docier^ — AHaun, Bibliothek der Symbole.'-* 1877. — CPCasparj, Quellen 
z. Gesch. d. Taufsymbols. 4 Bde. 1866 ü. 


170 EDtwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 36. 

Ist das Göttliche^ das auf Erden erschienen ist- und die Men- 
schen mit Gott wiedervereinigt hat, identisch mit dem höchsten 
Göttlichen, das Hinütoel und Erden regiert, oder ist es ein Halb- 
göttKches? Das war die entscheidende Frage im arianischen Streit. 

§ 36. Vom Anfang des Streites bis zur Synode von Nicäa. 

Zu Antiochien 208 war die Logoslehre durchgesetzt, das 
opLOOvöiog aber verworfen worden. Allein das Erbe PauVs von 
Samosata ging nicht unter. Lucian, der gelehrteste Exeget seiner 
Zeit, nahm es auf und gründete in Antiochien eine gesuchte, ein- 
flussreiche exegetisch-theologische Schule, die lange Zeit ausser- 
halb der Kirche stand, dann ihren Frieden mit ihr schloss und 
der Mutterschooss des Arianismus geworden ist. Lucian ist vom 
Adoptianismus (Paul von Samosata) ausgegangen; der hohe Wert, 
den er auf die Entwickelung Christi (pcQoxojti/l) legte, beweist 
dies. Aber er hat sich dazu bequemt, den hypostatischen Logos 
einzuführen, jedoch als köyog-xTLöfia, als geschaffenes, der Ent- 
wickelung fähiges und bedürftiges Wesen, das von dem ewigen, 
unpersönlichen Logos Gottes scharf zu unterscheiden ist. Das 
Subjekt in Christus ist also ein himmlisches, präexistentes Wesen 
(nicht mehr der Mensch, wie bei Paul) — in diesem Zugeständniss 
schloss Lucian seinen Frieden mit dem Dogma und den Orige- 
nisten — , aber menschliche Eigenschaften (resp. ünvollkommen- 
heiten, die durch Kampf und Leiden überwunden werden mussten) 
wurden von demselben ausgesagt, die Menschwerdung wurde zu 
blosser Fleischesannahme und mit den Mitteln der aristoteli- 
schen Dialektik und der biblischen Exegese wurde nun ein Lehr- 
begriff entworfen, in dem der unerzeugte Erzeuger (das „Unge- 
wordene'^ in scharfen Gegensatz zu allem Gewordenen (dessen 
Wesen Fortschreiten vom Unvollkommenen zum Vollkommenen 
ist), also auch zum Logos-Christus, gestellt wurde. Die Theologie 
wurde zu einer „Technologie", d. h. zu einer in Syllogismen be- 
arbeiteten, auf den h. Kodex gegründeten Lehre von dem Ui^e- 
zeugten und dem Gezeugten, ohne durchschlagendes Literesse an 
dem Erlösungsgedanken, aber nicht ohne moralische Energie, 
verbreitet von engbefreundeten, auf ihre Dialektik und ihre exe- 
getische Kunst eingebildeten Schülern (^2JvkkovxLavL6rai nannten 
sie sich gegenseitig aus Verehrung für ihren Meister). 

Zu ihnen gehörte auch Arius, der in gereiftem Alter Diakon 
und Presbyter in Alexandrien wurde. Dort war zur Zeit eine 


§ 36.] Der arianische Streit bis 325, 171 

Richtung im Episkopat vertreten, die gegen die fiad^fiata rrjg 
'EXX'qvixfjg (piko6oq)iag misstrauisch war und den Gedanken der 
Verschiedenheit von Vater und Logos zurückstellte. Obgleich 
Arius längere Zeit gemeinsam mit seinem Bischof Alexander 
christologische Irrtümer bekämpft hatte, kam er doch um das 
J. 318 mit ihm auseinander, und der Bischof sah sich um 320 ge- 
nötigt, auf einer alex. Synode den Arius nebst einigen anderen 
Klerikern seiner Christologie wegen zu verdammen und abzu- 
setzen. Allein er hatte in ein W^espennest gegriffen. Die Lucia- 
nisten, vor Allem der einflussreiche Eusebius von Nikomedien, 
traten für Arius entschieden ein, und die Mehrzahl der orientali- 
schen Bischöfe war ihm sympathisch (auch Eusebius von Cäsarea). 
Briefe wurden von beiden Seiten geschrieben, um Succurs zu er- 
halten; auch Synoden fanden statt. Arius konnte unter Protest 
seine Thätigkeit in Alexandrien wieder aufnehmen. Als Kon- 
stantin 323 auch Herrscher des Orients geworden war, hatte der 
Streit alle Küstenprovinzen des Ostens ergriffen (Thalia des 
Arius, durch die das Volk für die Streitfrage interessirt werden 
sollte; Spott der Juden und Heiden). Der Kaiser suchte zuerst 
durch ein vom Hofbischof Hosius von Kordova überbrachtes 
Schreiben beide Parteien zu versöhnen (der Streit sei müssiges, 
unziemliches Gezänk). Allein der Brief fruchtete nichts, und 
wahrscheinlich hat sich Hosius, der die tertuUianisch-novatia- 
nische Trinitätslehre vertrat, schon damals mit Alexander ver- 
ständigt. Durch ihn ist auch der Kaiser gewonnen und die nicä- 
nische Entscheidimg vorbereitet worden. Auf seinen Rat hat 
Konstantin ein Konzil nach Nicäa berufen. 

Alexander's Lehre (s. seine beiden Briefe bei Theodoret, 
h. e. I, 3 und Sokrates, h. e. I, 6 und seinen Sermo de anima et 
corpore deque passione domini, vgl. auch die ep. Arii ad Euseb.) 
war der Sache nach wesentlich identisch mit der späteren des 
Athanasius; aber sie war in den Formeln unklar. Speziell das 
biioovüfiog hat schwerlich er zum Stichwort erhoben, da es im 
Morgenland verpönt war. Wahrscheinlich hat es Hosius als Über- 
setzung des abendländischen „unius substantiae" wieder auf- 
gebracht. Alexander^s Formeln waren: ael ^eog^ asl viog^ afia xa- 
tijp, Sfia viög^ 6vvvnAQXBL 6 vtbg dysvvtlrcjg rö d'6c5^ äsvyEvilg^ 
iyevriroysvTlg ^ ovr ijcivoia oiir atöpLG) xivl ngodysi 6 d'sbg tov 
vfov, äel ^s6g, asl vCög^ i^ aixov tov %'Bov 6 vtog, Alexander be- 
hauptete die anfangslose, ewige Koexistenz von Vater und Sohn 


172 EDtwickelung des Dogmas im Morgenland. [^ 36. 

(Einfluss des Melito und Irenäus?); er schloss den Sohn in das 
Wesen des Vaters als einen notwendigen Bestandteil ein; er wider- 
legte die Sätze, der Sohn sei nicht ewig, sei aus dem Nichtseienden 
geschaffen, sei nicht q)v6£L Gott, sei wandelbar, habe eine sittliche 
Entwickelung durchgemacht, sei nur Adoptivsohn, Er ist sich 
bewusst', für den allgemeinen Glauben der Kirche, die Gottheit 
Christi, zu streiten und lehnt vor Allem die Dialektik über Ge- 
zeugt und Ungezeugt ab. Er führt für seine Ansicht den Schrift- 
beweis (Joh. 1, 1-3; 1, 18; 10, 30; 14,8.9.28; Mi 3,17; 11,27; 
I Joh. 5, 1; Goloss. 1, 15. 16; Rom. 8,32; Hebr. l,2f; Prov. 8,30; 
Ps. 2, 7; 1 10, 3; 35, 10; Jes. 53, 8). Er gebraucht mit Vorliebe 
den von Origenes bevorzugten Ausdruck: der Sohn ist die voll- 
kommene Abstrahlung ; aber selbst dieser Ausdruck reicht ihm nicht 
aus : 6v avta %aQa7txriQCiexai 6 %axY^Q, Er nähert sich dem Sabel- 
lianismus, will ihn aber kräftig ablehnen und behauptet, der Vater 
sei doch grösser als der Sohn, obschon der Sohn zu seinem Wesen 
gehöre. Das Hervorgehen eines solchen Sohnes will er als Ge- 
heimniss verehrt wissen: um den Glauben handelt es sich, nicht 
um Spekulation. Doch braucht er vielfach unklare, verworrene 
und widersprechende Formeln, unter denen selbst xatQtx'^ d'eo- 
yovia nicht fehlt und die zu ihren Ungunsten abstechen von den 
formell klaren Sätzen des Arius, der es leicht hatte, von Alexan- 
der's Lehre nachzuweisen, sie sei weder gegen den Dualismus (zwei 
ayivrixa\ noch gegen den gnostischen Emanatismus (pcQoßokii^ 
äjtOQQOio), noch gegen den Sabellianismus (vtoycaxmQ), noch gegen 
die Vorstellung einer Körperlichkeit Gottes gedeckt, habe Cha- 
mäleonsgestalt und sei biblisch unhaltbar. 

Arius lehrte Folgendes (s. seine und seiner Freunde Briefe, 
die Fragmente der Thalia, die Charakteristik bei Alexander und 
Athanasius, die Schriften der späteren Arianer): 

1) Gott, der Einzige, neben dem es keinen Anderen giebt, ist 
allein ungezeugt, anfangslos, ewig; er ist unaussprechlich und an- 
erfassbar, femer aller Dinge Ursache und Schöpfer. In diesen 
Merkmalen liegt sein Wesen (der unerzeugte Erzeuger). Seine 
Thätigkeit ist Schaffen („Zeugen" ist nur ein Synonymum). 
Alles, was ist, ist geschaffen — nicht aus dem Wesen Gottes (sonst 
wäre er nicht einfach und geistig), sondern aus seinem freien 
Willen. Gott ist demgemäss nicht immer Vater gewesen, sonst 
wäre das Geschaffene ewig; auch kann dem Geschaffenen nie das 
Wesen Gottes mitgeteilt werden, denn dieses ist eben ungeschaffen. 


§ 36.] Der arianische Streit bis 325. 173 

2) Diesem Gott wohnen als unabtrennbare Kräfte (nicht 
Personen) Weisheit und Logos inne; ausserdem giebt es viele ge- 
schaffene Kräfte. 

3) Vor der Weltzeit als Werkzeug zur Schöpfung der übrigen 
Kreaturen {Iva 6 ^ebg ijiiäg dt^ aitov drjiiiovQyilöri) hat Gott aus 
freiem Willen (d'skijiiati xov TcatQÖg) ein selbständiges Wesen 
(ovtfta, 'bnööxccöLg) geschaffen, das von der Schrift Weisheit, Sohn, 
Ebenbild, Wort genannt wird; es ist, wie alle Kreaturen, aus dem 
Nichts geschaffen {Xöyog i^ oim 'dvrav ysyovs) und hat einen An- 
fang gehabt. Es gab also eine Zeit, wo dieser Sohn nicht war (fjjf 
Äor«, ots ovx 'fjv xal ovx ^v jcqIv ysvrjtai), „Sohn" heisst er nur 
uneigentlich; auch die übrigen Kreaturen werden von der Schrift 
so genannt. 

4) Also ist dieser „Söhn" seinem Wesen nach eine selbstän- 
dige, von dem „Vater" völlig verschiedene Grösse; weder hat. er 
ein Wesen mit dem Vater, noch die gleiche Naturbeschaffenheit 
(sonst gäbe es zwei Götter). Er hat vielmehr einen freien Willen 
und ist der Veränderung föhig (6 Xoyog avo^oiog Tiarä 'jtdvxcc trig 
xov TcaxQog ovöiag — ^svog xov vCov acar' ovöiav 6 ^ax7]Q^ ort 
avuQxog — löyog XQSXxbg q)v6si). Er hat sich aber dauernd für 
das Gute bestimmt. Somit ist er vermöge seines Willens unver- 
änderlich geworden. 

5) Also ist der „Sohn" nicht wahrhaftiger Gott, und er hat 
göttliche Eigenschaften nur als erworbene und nur teilweise. 
Weil er nicht ewig, ist auch seine Erkenntniss nicht vollkommen 
(oikf ÖQccv ovtE yLV(b6x€LV xsl€t(og dvvccxccL 6 loyog xov itaxega). 
Ihm gebührt daher nicht die gleiche Ehre wie dem Vater. 

6) Doch unterscheidet er sich von allen Kreaturen: er ist 
das itXLöfia xikaiov (d. h. so vollkommen, wie ein Geschöpf sein 
kann), durch ihn ist Alles geschaffen; er steht in einem besondem 
Gnadenverhältnisse zu Gott, der ihm in Voraussicht seiner Bewäh- 
rung schon in der Präexistenz Herrlichkeit gegeben hat. Durch 
Gottes Mitteilung und eigenes Portschreiten ist er zum Gott ge- 
worden, so dass man ihn „eingeborener Gott" nennen kann 
(ft£ro;(;7} Tcal avxog id'Bonoi'if^d^ — ksyexcci ^sog). 

7) Dieser Sohn hat einen Menschen leib {pcb^a a^v%ov) wahr- 
haftig angenommen. Die Affekte, die der geschichtliche Christus 
zeigt, lehren, dass der Logos, dem sie zukommen (denn eine 
menschliche Seele hat Christus nicht gehabt), ein leidensfähiges. 


174 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 36. 

nicht absolut vollkommenes (sondern die absolute Vollkommen- 
heit erringendes) Wesen ist. 

8) Neben und unter dem Sohn steht der h. Geist; denn der 
Christ glaubt an drei getrennte und verschiedene ovöiai (gebraucht 
wird auch gleichbedeutend intoördöeLg)] der h. Geist ist durch 
den Sohn geschaflfen. 

9) Schriftbeweis für diese Lehren waren: Deut. 6, 4; 32, 3i'; 
Prov. 8, 22; Ps. 45, 8; Mt. 12, 28; Mr. 13,32; Mt. 26,41; 28, 18; 
Lc. 2, 52; 18, 19; Joh.ll, 34; 14, 28; 17,3; Act. 2, 36; I Cor. 1, 24; 
15, 28; Col. 1, 15; Phil.2,6f.; Hebr. 1,4; 3,2; Joh. 12,27; 13,21; 
Mt. 26, 39; 27, 46 u. s. w. Dialektisch vertrat diesen Lehrbegriff 
vor Allem der Sophist Asterius. Bei dem strengen Arianismus 
überwog die Tradition von Paul und Lucian her, bei dem ab- 
gemilderten (Eusebius v. Cäsarea) die Subordinationslehre des 
Origenes. 

Athanasius' Lehre ist in der dogmatisch-wissenschaft- 
lichen Ausprägung nicht bedeutend, gross in der siegreichen 
Beharrlichkeit des Glaubens. Sie umfasst eigentlich nur einen 
Satz: Gott selbst ist in die Menschheit eingegangen. 
Sie wurzelt ganz und gar im Erlösungsgedanken. Judentum und 
Heidentum haben die Menschheit nicht in die Gemeinschaft mit 
Gott zurückgebracht: nur Gott konnte uns vergöttlichen, d. h. zu 
seinen Söhnen adoptiren und unvergänglich machen. Wer leugnet, 
dass Christus voller Gott ist, ist noch Jude oder Heide. Athana- 
sius hat im Grunde keine Logoslehre mehr; er ist Christologe. 
Überall denkt er nur an den Christus, der Gott ist. Um eine 
Formel war es ihm nicht zu thun; selbst das dfioovöiog ist nicht 
so oft von ihm gebraucht worden, als man denken sollte. Seine 
Richtlinien sind folgende: 

1) Ist Christus Gott — und das muss er als Erlöser sein — , 
so hat er als solcher nichts Ereatürliches an sich und gehört in 
keinem Sinn zu dem Geschaffenen. Athanasiuä scheidet ebenso 
bestimmt wie Arius zwischen Geschaffenem und ünerschaffenem, 
aber er stellt den Sohn als zu Gott gehörig der Welt gegenüber. 

2) Da das Göttliche in Christus nichts Geschaflfenes ist, so 
kann es auch nicht aus der Welt und Weltschöpfung postulirt 
werdeu, dazu: Gott bedarf zur Weltschöpfung keiner Vermitte- 
lung. Also ist die Idee des Göttlichen, das die Menschen erlöst 
hat, von der Weltidee zu trennen: die alte Logoslehre ist beseitigt. 


§ 36.] Der arianische Streit biä 326. 175 

Natur und Oflfenbarung gelten nicht mehr als identisch. Der 
Logos -Sohn ist Heils-, nicht Weltprinzip. 

3) Da aber die Gottheit eine Einheit (^ovdg) ist, der Sohn 
nicht zur Welt gehört, so muss er in eben diese Einheit des un- 
gezeugten Prinzips gehören, das der Vater ist. 

4) Eben der Vatemame besagt, dass in der Gottheit ein 
Zweites vorhanden ist. Gott ist immer Vat#r gewesen; wer ihn 
so nennt, nennt den Sohn mit; denn der Vater ist der Vater des 
Sohnes, nur uneigentlich der Vater der Welt, denn diese ist ge- 
schaffen, ungeschaffen aber ist die in der Einheit ruhende gött- 
liche Trias. 

5) Mithin ist der Sohn ysvvrjfia tov TtatQÖg^ gezeugt (nicht 
geschaffen) aus dem Wesen Gottes (£| oi^iag rov jrarpdg), wie 
das Licht aus der Sonne (fiv 6 Xöyog asC^ iitaQiGiv dcdiCDg TCccgä 
x& TtaxQi hg anavya6(icc qxDzög — ovit fjv ot£ ovx ^v), mit innerer 
Notwendigkeit (q)vö€L^ nicht d^slr^fiatL), Er ist das aus dem Wesen 
hervorgehende Ebenbild. „Gezeugt werden" heisst nichts Anderes 
als vollkommen an der ganzen Natur des Vaters von Natur Teil 
haben (Ttccvtcc xä nargog tov vvov) , ohne dass der Vater etwas 
dabei erleidet. 

6) Somit sind die arianischen Behauptungen falsch; der Sohn 
ist vielmehr a) gleichewig mit dem Vater, b) aus dem Wesen des 
Vaters, c) in allen Stücken seiner Natur nach gleichbeschaffen 
mit dem Vater, und er ist dies Alles, weil er ein und dasselbe 
Wesen mit dem Vater gemein hat (6(wo^öLog = ravtovöLog) 
und mit ihm eine strenge Einheit bildet — Wesen, das 
heisst aber in Bezug auf Gott nichts Anderes als das „Sein". 
Nicht so ist es, dass der Vater ein Wesen für sich ist und der 
Sohn ein anderes für sich, und dass diese beiden gleichbeschaffen 
sind — das würde die Einheit der Gottheit aufheben, sondern der 
Vater ist die Gottheit; aber diese Gottheit birgt in sich als selb- 
ständiges und selbstthätiges Erzeugniss eine Hervorbringung, 
welche von Ewigkeit her und nicht kraft einer Mitteilung die- 
selbe göttliche Natur auch besitzt — den echten Sohn, das aus 
dem Wesen hervorgehende Ebenbild (duo pilv Ttardga xal vCöv^ 
iiovdda dl ^sötrjtog ddtaLQsrov). Vater und Sohn sind ein ein- 
ziges Wesen, welches die Unterscheidung von ocQxi} und yivvruLa, 
also von Prinzip und Abgeleitetem, und in diesem Sinne eine Sub- 
ordination (der Vater ist ahiov^ der Sohn aCttatöv^ in diesem 
Sinn steht er logisch, nicht nach Wesen und Würde unter dem 


176 Ent.wickeluDg des Dogmas im Morgenland. [§ 86. 

Vater) in sich schliesst, die aber mit der Subordination des Ge- 
schaffenen nichts zu thun hat — das ist der Sinn des 6fioov6iog 
bei Athanasius. 

7) Alle Kreatürlichkeiten, die die Schrift von Jesus Christus 
aussagt, beziehen sich lediglich auf seine menschliche Natur. 
Auch die Erhöhung bezieht sich auf diese, resp. auf unsere Er- 
höhung; denn die Verbindung des Gott-Logos mit der Menschen- 
natur war von Anfang an eine wesenhafte und vollkommene (Maria 
ols^eoTÖxog schon bei Alexander von Alex.): der Leib wurde sein 
Leib. Auf den menschgewordeuen Logos ist auch Proverb. 8, 22 £ 
zu beziehen. 

Beide Doktrinen sind formell darin gleichartig, dass in ihnen 
Beligion und Theologie aufs innigste verschmolzen sind und die Logos- 
lehre zu Grunde gelegt ist. Der Arianismus aber ist eine Verbindung 
des Adoptianismus mit der origenistisch - neuplatonischen Lehre vom 
subordinirten Logos, der das geistige Prinzip der Welt ist, durchgeführt 
mit den Mitteln der aristotelischen Dialektik; die orthodoxe Lehre ist 
eine Verbindung des fast modalistisch gefärbten Glaubenssatzes, dass 
Jesus Christus Gott von Art sei, mit der origenistischen Lehre von dem 
Logos als dem vollkommenen Ebenbild des Vaters. Dort liegt der 
Hauptaccent auf dem Eosmologischen und rational- Moralischen (abstei- 
gende Trinität, Erleuchtung und Stärkung der Freiheit), hier auf dem 
Erlösungsgedanken, aber in physischer Vorstellung. Dort sind die Formeln 
scheinbar plan- und widerspruchsfrei; aber genau betrachtet ist die Be- 
griffsmythologie so schlimm wie möglich; ferner, nur als Eosmologen 
sind die Arianer Monotheisten, als Theologen und in der Beligion sind 
sie Polytheisten, endlich liegen im Hintergrund tiefe Widersprüche: ein 
Sohn, der kein Sohn ist, ein Logos, der kein Logos ist, ein Monotheismus, 
der den Polytheismus nicht ausschliesst, zwei oder drei Usien, die zu 
verehren sind, während sich doch nur eine von den Kreaturen wirk- 
lich unterscheidet, ein undefinirbares Wesen, das erst Gott wird, indem 
es Mensch wird, und das doch weder Gott noch Mensch ist. Dabei kein 
energisches religiöses Interesse, aber auch kein sachlich-philosophisches, 
vielmehr Alles hohl und formalistisch, ja eine knabenhafte Begeisterung 
für das Spiel mit Hülsen und Schalen und eine kindische Selbstgefällig- 
keit beim Betriebe inhaltsloser Syllogismen. Die Gegner hatten ganz 
Recht: diese Doktrin führte ins Heidentum zurück. Nur dort kommt 
ihr ein relativer Wert zu, wo sie, Ungebildeten und barbarischen Völkern 
gegenüber, ihr philosophisches Gewand abstreifen musste und sich des- 
halb wesentlich als Adoptianismus, als die Verehrung Christi neben der 
Gottes gab, begründet durch biblische Sprüche (Germanischer Adoptia- 
nismus). Die orthodoxe Lehre dagegen hat ihren bleibenden 
Wert an der Aufrechterhaltung des Glaubens, dass iuChristus 
Gott selbst den Menschen erlöst und in seine Gemeinschaft 
geführt hat. Aber da der Gott in Christus als alter ego des Vaters 
aufgefasst und die Erlösung mystisch-physisch gedacht wurde, ergaben 


§ 87.] Der arianische Streit bis 325. 177 

«ich 1) Formeln, deren kontradiktorischer Widerspruch auf der Hand 
liegt (Eins =« Zwei, resp. Drei\ und Vorstellungen, die nicht gedacht, 
sondern nur in Worten behauptet werden können. Damit trat an die 
Stelle der Gottes erkenntniss, die Christus yerheissen, das Mysterium 
und sollte als der tiefste entscheidende Inhalt der' Religion anerkannt 
werden. Neben das Wunder als Charakteristikum der Religion trat nun 
das Begriffswunder als Charakteristikum der wahren Theologie; 2) Hess 
«ich die Behauptung, dass die Person in Christus der mit Gott wesens- 
«ine Logos sei, nur halten, wenn man alle evangelischen Berichte über 
ihn umdeutete und seine Geschichte doketisch verstand . Also die Ein- 
führung des vollkommenen Widerspruchs und das Preisgeben des ge- 
schichtlichen Christus in den wertvollsten Zügen ist die Folge der ortho- 
doxen Lehre, sofern sie die Gottheit in Christus als eine physische Kon- 
stitution fasst. Aber der Eerngedanke des Evangeliums, dass Jesus 
Christus als der Sohn Gottes die Menschen zu Gott zurückgeführt und 
ihnen göttliches Leben geschenkt hat, blieb doch aufrecht erhalten. 
Diese Glaubensüberzeugung ist von Athanasius wider eine Doktrin ge- 
rettet worden, die das innere Wesen der Religion überhaupt nicht ver- 
stand, die in der Religion wesentlich nur Belehrung und Kräftigung der 
Moral suchte und zuletzt an einer hohlen Dialektik ihr Genüge fand. 

Leicht gewahrt man, dass sowohl bei Arius als bei Athanasius die 
Widersprüche und Schwächen aus der Rezeption des Origenismus, d. h. 
der wissenschaftlichen, physisch und kosmisch orientirten Theologie, 
fliessen. Ohne sie, d. h. die Lehre vom präezistenten hypostatischen 
Logos, wäre der Arianismus Adoptianismus oder reiner Rationalismus, 
und Athanasius wäre genötigt gewesen, entweder sich dem Modalismus 
zuzuwenden oder den Gedanken an die göttliche „Natur** Christi auf- 
zugeben und die Kraft und Liebe Gottes in ihm anzuschauen. 

Auf der Synode zu Nicäa (325) siegte schliesslich, dank der 
ungeschickten Taktik der Arianer und Eusebianer (origenistische 
Mittelpartei), der Entschiedenheit der Orthodoxen und der Ent- 
schlossenheit des Kaisers das Homousios (Hosius, vielleicht auch 
Marcell von Ancyra). In das cäsareensische, von dem Kirchen- 
historiker Eusebius vorgelegte Bekenntniss wurden die Stich- 
worte ysvvrjd'BTna oi> TCotrj^dvTa^ ix r^g oiöLag tov natQÖg^ 6fioot5- 
<fiov rö ytatQL eingeschoben, die arianischen Formeln ausdrücklich 
verdammt (toi)g de Xeyovxag' ^v tcoxb oxe oinc ^v, xal jiqIv yswrj-- 
dijvaL oinc fjv^ xal ort i^ oix ovrav iyaveto r) i^ itsQag vitoötd- 
<f€(og fj oiföiag q)a6xovtag slvat r) xtl^tov tj XQEnrov ^ dXXoLOtov 
tbv vlbv Tov ^sov dva^Bfiati^si fi xad'olixij ixxXrjöta)^ und dieses 
Bekenntniss wurde zum Kirchengesetz erhoben. Die nicänische 
Formel hatte im Morgenland keine Tradition für sich; denn selbst 
Alexander von Alex, hatte noch von xQstg i)7C06td6sLg im Sinne 
von Usien gesprochen. Die Bischöfe (300? 318?) fügten sich 
fest sämmtlich; Arins und einige Genossen wurden exkommuni- 

Gnindriss IV. iit. Habnacx, Dogmengeschichte. 8. Anfl. 12 


178 Entwickelung dea Dogmas im Morgenland. [§ 37. 

zirt, ihre Anhänger verfolgt. Athanasius hat als Diakon, wahr- 
scheinlich nicht ohne bedeutenden Anteil, die Synode mitgemacht. 

§ 37. Bis znm Tode des Konstantins. 

Der Sieg war zu schnell errungen. Weder formell noch sach- 
lich war er genügend vorbereitet 5 daher begann der Kampferst 
recht. Man sah in dem Homousios eine unbiblische neue Formel, 
die Zweigötterei oder den Einzug des Sabellianismus, dazu den 
Tod der hellen Wissenschaft. Deutlich prägten sich jetzt unter 
den Gegnern, die sich sämmtlich als konservativ vorkamen, zwei 
Parteien aus, die Arianer und die Origenisten (Eusebianer), denen 
die Indifferenten folgten. Aber sie waren im Kampfe gegen die 
Orthodoxie einig (Hauptstreiter gegen diese war Eusebius von 
Nikomedien). Konstantin sah bald ein, dass er mit der antinica- 
nischen Koalition paktiren müsse, die seit 328 ein ajitiathanasia- 
nische wurde, denn der junge Bischof war der entschiedenste Ni- 
cäner. Persönliche Streitigkeiten mischten sich ein in einer Zeit, 
wo der Ehrgeiz und die Kraft der Kirchenmänner endlich auf die 
höchste Befriedigung rechnen konnte. 335 wurde Athanasius zu 
Tyrus für abgesetzt erklärt und 336 vom Kaiser nach Trier ver- 
bannt. Die feierliche Einführung des Arius in die Kirche wurde 
durch den Tod desselben vereitelt. 337 starb Konstantin, es fak- 
tisch billigend, dass unter der Hülle des Nicänums feindliche 
Doktrinen verkündet wurden. 

Seine Söhne teilten das Reich. Athanasius kehrte (337) zu- 
rück. Allein Konstantins, der Herr des Ostens, sah richtig ein, 
dass er mit der Orthodoxie nicht regieren könne, und er fühlte 
sich nicht, wie sein Vater, ans Nicänum gebunden. Der orthodoxe 
Bischof der Hauptstadt wurde abgesetzt; Eusebius von Nikome- 
dien rückte an seine Stelle. In Cäsarea folgte dem Eusebius ein 
Arianer, Akacius; Athanasius wurde abgesetzt, kam aber seiner 
Verbannung durch Flucht nach Rom zuvor (339), Ägypten in 
wildem Aufruhr zurücklassend. Die Eusebianer waren jetzt Herren 
der Situation; aber das Abendland war gut nicänisch und der Hort 
der orientalischen Orthodoxen. Mit ihm wollten es die Eusebianer 
nicht verderben; sie mussten also das Nicänum geräuschlos bei 
Seite zu schieben suchen, indem sie angeblich nur das Homousios 
durch bessere biblische Formeln ersetzten und die Durchführung 
der Absetzung des Athanasius verlangten. Sehr zu statten kam 
es den Orientalen dabei, dass ein entschiedener Nicäner und Freund 


§ 37.] Der arianische Streit bis 361. 179 

des Athanasius, Marceil von Ancyra, die gemeinsame Lehr- 
grundlage, die philosophisch-origenistische Logoslehre, nicht an- 
erkannte, sondern den Logos homousius für die Gotteskraft er- 
klärte, die erst bei der Menschwerdung göttliche Person und 
„Sohn" geworden sei, um, wenn sie ihr Werk einst vollbracht, 
wieder in den Vater aufzugehen (die Orientalen sahen in dieser 
Lehre „Sabellianismus"). Julius von Rom und Athanasius er- 
klärten den Marcell (gegen ihn schrieb der Kirchenhistoriker Eu- 
sebius) für orthodox, bewiesen damit, dass es ihnen um den Er- 
lösungsglauben allein zu thun war, und lehnten die von den Orien- 
talen zu Antiochien (34 1 ) aufgestellten Formeln ab, obgleich diese 
sich von dem Arianismus jetzt förmlich lossagten und eine Lehre 
aufstellten, die nicänisch verstanden werden konnte. 

Politische Gründe zwangen Konstantins seinem orthodoxen 
Bruder Konstans, dem Herrn des Abendlands, gefällig zu sein. 
Das grosse Konzil von Sardika (343) sollte die Glaubenseinheit 
im Reich wiederherstellen. Allein die Abendländer wiesen die 
Präliminarforderung der Morgenländer, die Absetzung des Atha- 
nasius und Marcell anzuerkennen, ab und sprachen nach dem 
Exodus der Morgenländer (nach Philippopolis) die Absetzung 
ihrer Häupter aus, sich schroff auf den Boden des Nicänums stel- 
lend. Die Gegner wiederholten die 4. antiochenische Formel. 
Konstantins selbst scheint ihnen eine Zeitlang nicht getraut zu 
haben; jedenfalls fürchtete er, seinen Bruder zu reizen, der nach 
der Suprematie trachtete. Die Orientalen wiederholten in einer 
langen Formel noch einmal ihre Rechtgläubigkeit (Antiochien 
344) und das Minimum ihrer Forderungen. Das Abendland ver- 
warf zwar auf den mailänder Synoden (345. 347) die Doktrin des 
Photin von Sirmium, der aus der Lehre seines Meisters Mar- 
cell einen streng adoptianischen Lehrbegriff entwickelt hatte (der 
Logos wird nie Person), blieb aber sonst fest, während im Orient 
politische Bischöfe bereits auf Frieden mit Athanasius sannen. 
Dieser wurde von dem durch die Perser hart bedrängten Kon- 
stantins notgedrungen restituirt und mit Jubel in Alexandrien 
'begrüsst (346). Es schien um 348, als habe die Orthodoxie ge- 
siegt; nur Marcell und das Wort biwoii^tog schienen noch An- 
stoss zu geben. 

Allein der Tod des Konstans (350) und die Besiegung des 
abendländischen Usurpators Magnentius (353) durch Konstantins 
änderten Alles. Hatte Konstantins sich in den letzten Jahren vor 

12* 


IgO Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 37. 

ein paar Bischöfen, seinen Unterthanen, beugen müssen, die seinen 
Bruder beherrscht hatten, so war er jetzt als Alleinherrscher ent- 
schlossen, die Kirche zu regieren und die Demütigungen heim- 
zuzahlen. Schon 351 (2. sirmische Synode) waren die orienta- 
lischen Bischöfe zur Aktion zurückgekehrt. Auf den Synoden zu 
Arles (353) und Mailand (355) wurde der abendländische Episko- 
pat gebeugt. Man verlangte von ihm zunächst nichts Anderes als 
die Verurteilung des Athanasius; aber diese bedeutete die Schwen- 
kung in der Glaubensfrage, und die Bischöfe Hessen sie sich auf- 
nötigen (wenige Ausnahmen: Paulin v. Trier, Lucifer v. Cagliari, 
Eusebius v. Vercelii; auch Hosius, Liberius, Hilarius mussten ins 
Exil). Seiner Absetzung kam Athanasius durch Flucht in die 
Wüste zuvor (356). Die Einheit schien hergestellt, aber als 
Staatskirchentum, gegen das orthodoxe abendländische Bischöfe 
grimmig losfuhren, sich nun erst erinnernd, dass Kaiser und Staat 
sich nicht in die Religion mischen dürfen. 

Die Einheit unter den Siegern war nur scheinbar; denn es 
zeigte sich, dass sie über die Negation nicht hinausging. Der 
strenge aggressive Arianismus trat in Aetius und Eunomins wie- 
der hervor und wollte die anomöische Lehre durchsetzen {&v6- 
fioiog xal xata navta xal xar' ov6iav). Ihm gegenüber schloss 
sich der Semiarianismus (das „unveränderliche Ebenbild", ofiOLog 
xatä itavra xal xaxa tijv oiöiav) scharf ab. Diese Homöusianer 
(Georgius von Laodicea, Eustatius von Sebaste, Eusebius von 
Emesa, Basihus von Ancyra) hatten gelernt, dass der Sohn mit 
dem Vater dem Wesen nach gleichbeschaffen sein müsse; sie 
wollten nur als wissenschaftliche Männer (Kosmologen) die kos- 
mische Potenz des Logos nicht aufgeben und damit die absteigende 
Trinität der drei göttlichen Wesen. Sie verstanden auf Grund 
der h. Schrift und im Zusammenhang mit der Christologie ihre 
Lehre so auszubilden, dass sie selbst auf nicänische Abendländer, 
die sich freilich noch immer in der wissenschaftlichen Theologie 
nicht zurecht zu finden wussten und mit ihren Studien erst be- 
gannen (Hilarius), Eindruck machten. Die dritte Partei war die 
der Politiker, die der Formel Beifall schenkten, welche am meisten 
Aussicht hatte, den Streit zu beschwichtigen (Ursacius und Valens: 
OfiOLog xatä rag yQaqxüg). Die Zeit von 357 — 361 ist die Zeit, 
in der der Kaiser, das Nicänum offen fallen lassend, nach einer 
christologischen Reichsformel suchte und mit aller Energie 
gewillt war, diese auf Synoden durchzusetzen. Hier konnte sich 


§ 38.] Der arianische Streit bis 381/3. 181 

schliesslich nur das „o/Lioto^ xatä tag yQagxig" bieten: denn mit 
dieser nichtssagenden Formel konnte der Arianer^ der Semi- 
arianer^ ja selbst der Orthodoxe sich befreunden^ da sie keiner 
Lehre direkt widersprach. Die sirmischen Synoden leisteten noch 
nicht ^ was sie leisten sollten, und zeigten yorübergehend selbst 
ein Schwanken zum strengen Arianismus. Zu Ancyra rafften sich 
(358) die Semiarianer kräftig auf. Zwei grosse gleichzeitige Syn- 
oden in Ost und West (zu Seleucia und Rimini) sollten die 4. sir- 
mische Formel, ein dogmatisch-politisches Meisterwerk des Kaisers, 
proklamiren. Als die eine eine homousianische, die andere eine 
orthodoxe Haltung einnahm, wurden sie terrorisirt, hingehalten 
und ihnen schliesslich gegen das Zugeständniss der Ausstossung 
des strengen Arianismus das homöisch- kaiserliche Bekenntniss 
aufgenötigt und abgepresst (Synoden zu Nice und Konstanti- 
nopel 360). Dann wurden doch alle Homöusianer aus den ein- 
flussreichen Stellen verbannt, so dass sich trotz der Ausstossung 
des Aetius faktisch ein durch Gesinnungslosigkeit gemilderter 
Arianismus in der Kirche als Reichsreligion etablirte. 

§ 38. Bis zn den Konzilien von Konstantinopel 381. 883. 

Im J. 361 starb Konstantins. Julian folgte; damit traten 
statt der künstlichen Einheit die wirklichen Parteien wieder in 
ihre Rechte. Die Homöusianer waren aber nicht mehr „Mittel- 
partei", nicht mehr die „Konservativen" im alten Sinn; denn sie 
hatten im Gegensatz zum Arianismus ihren Lehrbegriff vertieft 
und befestigt (zum Konservativen gehörte das Elastische). „Kon- 
servativ" und konziliant gegen den Arianismus waren nur die 
arianisirenden Homöer, die aber nichts mehr zu bedeuten hatten, 
seit kein Kaiser sie mehr unterstützte. Hier ist der Umschwung 
des Orients — zimächst freilich nur in den Köpfen der hervor- 
ragendsten Theologen — gegeben. Die Homöusianer, zugleich 
durch kirchlichen Sinn, Askese und höchste Wissenschaft 
ausgezeichnete Schüler des Origenes, kapitulirten mit dem 
Homousios — eine Vereinigung, die der Abendländer Hilarius 
eifirig betrieben hat. 

Julian gestattete den verbannten Bischöfen, daher auch dem 
Athanasius, die Rückkehr. Die Synode von Alexandrien (362) 
bezeichnet die Wende, sofern Athanasius hier zugestanden hat, 
dass das Nicänum sans phrase gelten sollte, d. h. er verzichtete 
ausdrücklich auf die Formel „ein Wesen" (im Sinne einer Hypo- 


132 Eiitwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 38. 

stase)^ gab also eine solche Interpretation des Sfioovötog £reiy nach 
der es als wesensgleich (statt wesenseins) gefasst werden durfte. 
Demgemäss durfte auch von drei Hypostasen geredet werden. 
Allein diese Konzession und die grosse Milde gegen Solche, die 
einst die 4. sirmische Formel unterschrieben hatten, erregte das 
Missfallen einiger hervorragender Abendländer (Lucifer von Cag- 
liari; s. über ihn GKrüger 1886) und Glaubensmärtyrer. Im 
Abendland fühlte man, dass die alte Lehre (die substanzielle Ein- 
heit der Gottheit ist der Fels und die Pluralität ist das Mysterium) 
verschoben sei (die Dreiheit göttlicher Personen ist der Fels und 
die Einheit ist das Problem), und Athanasius selbst hat an den 
neuen wissenschaftlichen Freunden in Kleinasien, Kappadocien 
und Antiochien keine rechte Freude gewinnen können; denn nun 
war die Wissenschaft des Origenes, die die kosmische Potenz im 
Logos nicht missen konnte, innerhalb der Orthodoxie geduldet 
(die durch das Nicänum vollzogene Einschränkung der Geltung 
des Origenes wurde also durch die Synode von 362 gemildert). 
Die grossen Theologen Apollinaris von Laodicea und die drei 
Kappadocier sind von Origenes und von dem 'Ofioiov^iog aus- 
gegangen; aber sie haben das '0^oov6iog nun anerkannt und mit 
und neben demselben ihre philosophischen Spekulationen be- 
treiben können; denn man durfte nun sagen, dass es drei Hypo- 
stasen sind, und war doch orthodox. Durch die Schöpfung einer 
festen Terminologie gelang es ihnen zugleich scheinbar klare 
Formeln zu erzeugen. Ov^Ca erhielt nun den Mittelsinn zwischen 
dem Abstraktum „Wesen" und dem Konkretum „Einzelwesen^', 
so jedoch, dass es sehr stark nach Jenem gravitirte; V7t66xa6ig 
erhielt den Mittelsinn zwischen Person und Eigenschaft (Accidenz 
resp. Modalität), so jedoch, dass der Personbegriff der stärkere 
war. IlQoöcDTtov wurde vermieden, da es sabellianisch klang, aber 
nicht verworfen (das Abendland bleibt bei „persona^*, ein Aus- 
druck, der nicht ganz das bedeutet, was wir heute Person nennen). 
Die Einheit der Gottheit, an die die Kappadocier dachten, war nicht 
dieselbe, welche Athanasius und die Abendländer meinten. Mia 
ovcsCa iv TQiölv vjio6tdö60Lv wurde die Formel. Um die wirkliche 
ünterschiedenheit der Personen innerhalb der Einheit der Gott- 
heit zum Ausdruck zu bringen, legte ihnen Gregor von Nyssa 
XQOTtov ixdcQ^ecog bei (iSvoxritBg ^(^QaxrriQc^ovöaL^ i^aiQsza iSnh- 
ftara), und zwar dem Vater die aysvvrjöta (nicht als Wesen, son- 
dern als Seingweise [pxsöig] des Vaters), dem Sohne die ysvvrj^La 


§ 38.] Der arianische Streit bis 381/3. 183 

— selbst die älteren Homöusianer waren hier zurückhaltender 
gewesen als Gregor — und dem Geist die ixjtoQsvöig, Die orige- 
nistisch- neuplatonische Trinitätsspekulation wurde rehabilitirt. 
Der Logos begriff rückte wieder in den Vordergrund (neben dem 
Sohn es begriff). Die Einheit der Gottheit wurde wieder aus 
der Monarchie des Vaters, nicht aus dem 6(ioovöLog bewiesen. So 
schloss die „Wissenschaft" ihren Bund mit dem Nicänum. Hatten 
am Anfang die Wissenschaftlichen — auch unter den Heiden -r- 
dem Arius Recht gegeben, so wurden jetzt Männer, denen selbst 
ein Libanius die Palme reichte, die Vertreter des Nicänums. Sie 
standen auf dem Boden der wissenschaftlichen Weltanschauung, 
waren mit Plato, Origenes und Libanius im Bunde und widerlegten 
unter dem Beifall der Philosophen den Eunomins. Es war zu- 
gleich ein Sieg des Neuplatonismus über die aristotelische Dia- 
lektik. So hat die Orthodoxie im Bunde mit der Wissenschaft 
von c. 370 — 394 einen schönen Frühling gehabt, dem aber ver- 
nichtende Stürme oder vielmehr der Mehltau des Traditionalis- 
mus gefolgt ist. Man träumte den Traum eines ewigen Bundes 
zwischen Glauben und Wissenschaft. Freilich — ungestört war 
er nicht. Die altgläubigen Orthodoxen im Abendland und in 
Antiochien blieben misstrauisch, ja ablehnend (gegenüber den tQStg 
intoördösig). In Antiochien entstand sogar ein Schisma zwischen 
der alten und der neuen wissenschaftlichen Orthodoxie (Schisma des 
Meletius). Diese hielt jene für sabellianisch, während sie selbst den 
Verdacht, es homöusianisch zu meinen, schwer abschütteln konnte. 
Aber nicht nur die Wissenschaft hat den Sieg des Homousios 
vorbereitet, sondern auch der Gang der Weltereignisse. Li Valens 
erhielt der Orient einen kräftigen arianischen Kaiser. Orthodoxe 
und Homöusianer mussten in die Verbannung wandern und kamen 
sieh näher. Man suchte wieder am orthodoxen Abendland Rück- 
halt. Liberius von Rom war nicht ungeneigt, und seit 370 war 
Basilius von Cäsarea in kräftiger Aktion. Allein Damasus von 
Rom trat auf den schroffen alten Standpunkt zurück, und mehrere 
Synoden waren nötig (in den 70er Jahren), um ihm die Orthodoxie 
der neuorthodoxen Orientalen glaubhaft zu machen. Endlich 
unterschrieben diese (zu Antiochien 379) die Glaubensformeln 
des Damasus, ohne doch das Schisma in Antiochien beseitigen zu 
können. Diese Unterschrift war aber schon eine Folge der welt- 
historischen Ereignisse, dass i. J. 375 auf den toleranten Valen- 
tinian im Abendland der jugendliche, ganz der Kirche und der 


184 EntwickeluDg des Dogmas im Morgenland. [§ 38. 

Orthodoxie (Damasus^ Ambrosius) ergebene Gratian gefolgt, und 
dass dieser seit 378 Alleinherrscher geworden war (Valens f bei 
Adrianopel gegen die Goten). Im J. 379 wurde der orthodoxe 
Spanier Theodosius zum Mitregenten und Kaiser des Orients er- 
hoben. Er war entschlossen, die Kirche zu regieren wie Konstan- 
tins, aber (zunächst) im Sinne der strengen abendländischen 
Orthodoxie: das zeigte das berühmte Edikt von Thessalonich im 
J. 380 (gleich nach seiner Taufe vom Kaiser erlassen)^). Er 
nahm in Konstantinopel den Arianern alle Kirchen weg und ver- 
bot den Ketzern überhaupt den Kultus in den Städten. Allein er 
sah bald ein, dass er nur mit der orientalischen Orthodoxie im 
Orient regieren könne, dass er den strengen Massstab des Abend- 
landes nicht anlegen dürfe und halbe Freunde vollends gewinnen 
müsse. Er berief daher 381 ein orientalisches Konzil in die Haupt- 
stadt und ernannte als Vorsitzenden den Meletius, d. L den Führer 
der neuorthodoxen Partei in Antiochien. Damit stiess er freilich 
die Abendländer und Ägypter vor den Kopf, sicherte sich aber die 
Kappadocier und Kleinasiaten. Der Gegensatz kam auf der 
Synode so stark zum Ausdruck, dass der Bruch nahe war (der 
neue Vorsitzende, Gregor von Nazianz, musste resigniren). Allein 
schliesslich proklamirte die Synode (150 Bischöfe) das Nicänum 
Sans phrase, die volle Homousie der drei Personen, und stiess 
auch die Macedonier (s. unten § 39) aus. Faktisch siegte die 
Wesensgemeinschaft im Sinne der Wesensgleichheit, nicht 
der Wesenseinheit; die Kleinasiaten, nicht die mit Rom verbün- 
deten Ägypter behielten die Oberhand. Das Symbol, das seit 
ca. 450 im Orient, seit ca. 530 im Occident als das dieser Synode 
gegolten, das höchste Ansehen in der Kirche erlangt und das Nicä- 
num verdrängt hat, ist nicht das Symbol dieser Synode, die 
übrigens auch nur durch ein quid pro quo nachträglich zu einer 
ökumenischen gestempelt worden ist. Das sog. Constantinopoli- 

1) „Ownctofi populos . . . in täli volumus religione versari, quam di- 
vinum Petrum apostolum tradidisse Bomanis religio usque ad nunc ab ipw 
insinuata declarat quamque pontificem Damasum sequi claret et Petrum 
Alexandriae episcopum virum apostolicae sanctitatis, hoc est, ut secundum 
apostolicam difciplinam evangelicamque doctrinam patris et filii et Spiritus 
sancti unam deitatem mb pari maiestate et sub pia trinitate credamus. 
Hanc legem, sequentes Christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti, 
reliquos vero dementes vesanosque iudicantes haeretid dogmatis infamiam 
sustinere, divina primum vindicta, post etiam motus nostri, quem ex cae- 
lesti arbitrio swnpserimus^ ultione piectendos/^ 


§ 38.] Der arianische Stareit bis 3S1/3. 185 

tanum ist vielmehr älter; es ist das Taufsymbol von Jerusalem, 
wahrscheinlich bald nach 362 von Cyrill redigirt, als er seinen 
Übergang vom Semiarianismus zum 'Oiioovöiog vollzog. Es fehlt 
in ihm das „£x rflg ovöiag rov itatQÖg^'^ und es enthält eine Formel 
vom heiligen Geist, die nicht die orthodoxe Lehre ausspricht, son- 
dern die Streitfrage umgeht (tb xvqlov^ rö Sooäoäov, rö ix rov 
TcazQog ix%0Qevö(i6V0Vj ro övv %axQl xal vCa 0vvjcqo0xvvov(isvov 
Tcocl övväo^a^öfievov^ rö Xalfjöav äiä tg>v jCQOfprjt&v). Wie es in 
die Akten der Synode (durch Cyrill? Epiphanius?) gekommen und 
dann zu dem Symbol des Konzils geworden ist, ist ganz dunkel. 
Allein die kirchliche Legendenbildung hat hier eine wunderbare 
Gerechtigkeit geübt, sofern sie der Synode neuorthodoxer Bischöfe 
ein Symbol angehängt hat, in dem die antiarianischen Anathema- 
tismen und ein nicänisches Stichwort fehlen. Man war ja wirklich 
im Orient unter der Hülle des'Ofioovöiog bei einer Art von Homöu- 
sianismus verblieben, der in allen Kirchen bis heute orthodox ist.^) 

Das Abendland war mit dem Verlauf der Synode höchst 
unzufrieden, da sie u. A. die Orthodoxie von Männern anerkannt 
hatte, die in Rom höchst verdächtig waren. Man machte Vor- 
stellungen, man drohte mit dem Schisma. Allein der Orient 
wollte sich nicht weiter mehr unter die dogmatische Herrschaft 
Roms beugen, und Theodosius, die beiden Reichshälften getrennt 
haltend, blieb fest und klug; er vermied es, auf das allgemeine 
Konzil einzugehen, das Gratian berufen wollte. Man kam sich 
i J. 382 näher, indem sowohl zu Rom als zu Konstantinopel 
gleichzeitig eine Synode tagte und diese sich in Personenfragen 
— darauf hatte sich die Kontroverse zugespitzt, da das antioche- 
nische Schisma fortdauerte — konzilianter zeigten. Zur Ver- 
söhnung aber trug vor Allem bei, dass der geistige Lenker des 
Abendlandes, Ambrosius, bei der Wissenschaft der Kappadocier in 
die Schule gegangen und von ihr mächtig erfasst war. 

Im J. 381 war vielleicht ^^^ des christlichen Orients arianisch 
gewesen. Theodosius suchte die arianisch Gesinnten zu schrecken, 
dann aber auch zu gewinnen (Synode von 383 zu Konstantinopel; 
selbst Eunomins war eingeladen). Doch bald gab er die sanfte 
Methode auf, und Ambrosius sekundirte ihm im Abendlande. 
Man darf annehmen, dass die meisten arianischen und halbariani- 
schen griechischen Bischöfe sich gefügt haben; nur die äusserste 


1) Über das Symbol s. meinen Artikel in RE^ 8, 212 ff. 


t^M 


186 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 39. 

Linke blieb fest (Eunomiusj. Schneller als der Hellenismus ist 
der Arianismus bei den Griecben erloschen. Freilich — die ortho- 
doxen Laien, stets konservativ, haben die orthodoxe Formel, so 
lange sie noch nicht durch das Alter geheiligt war, mehr als ein 
notwendigesÜbelund als ein unerklärliches Geheimniss betrachtet, 
denn als einen Ausdruck ihres Glaubens. Der Sieg der Orthodoxie 
war ein Sieg der Priester und Theologen über den freilich tief 
stehenden Glauben des Volkes; aber er hat diesen Glauben nicht 
geklärt, wohl aber gegen den Polytheismus geschützt. 

§ 39. Die Lehre vom li. Geist und von der Trinität. 

1. Von Alters her glaubte man neben Vater und Sohn an 
den h. Geist; aber was er sei und welche Bedeutung er habe, 
wurde nach der Ablehnung des Montanismus und dem Zurück- 
treten der Kombination „spiritus-ecclesia" vollends unklar. Die 
wissenschaftliche Theologie der Apologeten wusste überhaupt 
nichts mit ihm anzufangen, und noch im 3. Jahrh. hielten ihn die 
Meisten für eine Kraft. Indessen haben schon Irenäus und Ter- 
tullian versucht, ihn als eine göttliche Grösse innerhalb der Gott- 
heit zu würdigen. TertuUian hat ihn als „Gott" und als „Person" 
in seine absteigende, aber wesenseine Trinität aufgenommen (,7^^^ 
subiectus"). Nun fand auch die neuplatonische Spekulation, die 
Wissenschaft, drei göttliche Hypostasen für nötig. Demgemäss 
und an die Bibel sich anschliessend, hat Origenes den Geist in 
seine Theologie aufgenommen als das dritte beharrliche Wesen, 
freilich auch als ein dem Sohne untergeordnetes Geschöpf, welches 
den kleinsten Kreis, den Kreis des Geheiligten, beherrscht. Die 
der Logoslehre völlig analoge Behandlung der Geistlehre bei 
TertuUian und Origenes zeigt, dass ein spezifisch christliches 
Literesse bei diesem Lehrpunkt überhaupt nicht bestand. Dass 
auch Sabellius auf den Geist achten musste, ist nur ein Beweis, 
dass die Ansprüche der allgemein- wissenschaftlichen Dreiheitslehre 
und der biblischen Formeln nicht mehr überhört werden durften. 

Allein in den Gemeinden und bei der Mehrzahl der Bischöfe 
wurden diese gelehrten Fortschritte noch im Anfang des 4. Jahrh. 
nicht beachtet; selbst das Nicänum spricht den Glauben an den 
h. Geist ohne Zusatz und Verdeutlichung aus. Athanasius hat in 
den ersten Decennien nie an ihn gedacht. Wer ihn für göttlich 
in vollem Sinne hielt, hielt ihn für eine Kraft; wer ihn persönlich 
nahm, hielt ihn für etwas recht untergeordnetes: eigentlich- war 


§ 30.] Die Lehre vom h. Geist. 187 

er nur ein Wort, und das ist er innerhalb der Trinität auch 
nachmals geblieben. 

Die Arianer haben die weitere Lehrbildung sollizitirt, da sie 
die Unterordnung des Sohnes durch das Concessum der Inferiori- 
tät des Geistes trefflich belegen konnten. Aber eben dadurch 
wurden die Orthodoxen nachdenklich. Athanasius hat seit ca. 358 
dem Geist seine Aufmerksamkeit geschenkt und keinen Augen- 
blick über die Formel geschwankt: da er angebetet werden muss, 
so ist er d^sbg bfioovöLog wie der Sohn, gehört in keinem Sinn zur 
Welt (epp. ad. Serap.). Auf der Synode zu Alexandrien wurde 
diese Lehre vom Geist unter den Schutz des Nicänums gestellt: 
wer sie leugnet, ist ein heuchlerischer Arianer (freilich blieben 
die Versuche, die Wirksamkeit des Geistes von der des Sohnes zu 
unterscheiden, leere Worte). Aber so sicher das Abendland auf 
diese Formulirung einging — im Morgenland sahen nicht nur die 
Arianer in ihr eine oflfenkundige Neuerung, sondern auch die 
Semiarianer; selbst Solche, die in der Sohiieslehre das Homousios 
acceptirten, weigerten sich, es für den h. Geist anzuerkennen, und 
nahmen unter Macedonius, Bischof von Konstantinopel, eine feste 
Haltung gegen die Neuerung ein. Noch mehr — sogar die Kappa- 
docier, obgleich sie für die Formel eintraten, gestanden das Fehlen 
jeder greifbaren Tradition ein, mahnten zur grössteii Vorsicht 
und hielten es für nötig, die Formel zunächst als Geheimlehre 
zurückzuhalten, sich darauf berufend, dass sie ja auch nur durch 
die Annahme einer TcaQddoatg &yQaq)og in der Kirche gestützt 
werde. Li der Verlegenheit, dem Geiste eine eigentümliche Seins- 
weise im Verhältniss zum Vater zu geben, geriet man darauf, 
nach Johannes ihm die ewige &jrfft^4^und ixTCOQevöig beizulegen. 
Aber seit 362 war man vom Abendland aus unermüdlich thätig 
den orientalischen halbgewonnenen Brüdern auch den h. Geist 
als d'sbg 6fLOov0iog aufizuerlegen, und mit den Kappadociern im 
Bunde gelang es. Zwar wurden noch i. J. 381 die Macedonianer 
(Pneumatomachen) zur Synode geladen, aber nur, um dort ihre 
Verurteilung zu hören und ausgewiesen zu werden. Die Anathe- 
matismen des Damasus verstärkten das Ergebniss. Man durfte 
fortan nicht mehr lehren, dass der Geist dem Sohn untergeordnet 
sei; ja, da der Vater den Griechen die Wurzel der Gottheit blieb, 
so schien die Homousie des Geistes nur gesichert, wenn er allein 
auf den Vater zurückgeführt und dabei vom Sohne völlig ab- 
gesehen wurde. 


Igg Entwickeluog des Dogmas im Morgenland. [§ 39^ 

2. Die Kappadocier und vor ihnen ihr grosser Lehrer ApoUi- 
naris haben die orthodoxe Trinitätslehre festgestellt (s. ob. S. 1 82): 
eine göttliche Wesenheit in drei Subjekten, deren in der Wesen- 
heit enthaltene Gleichbeschaflfenheit in den Eigenschaften und 
Thätigkeiten, deren Unterschied in dem charakteristischen Merk- 
mal ihrer Seins weise sich ausprägt; aber der Vater allein ist 
ahiov^ die beiden anderen ahtaxd^ doch nicht wie die Welt es ist 
(eigentlich hat schon TertuUian die Formeln Natur und Person, 
aber ihm ist die Trinität noch durchaus OflPenbarungstrinität 
gewesen, nicht immanente). Durch die Trinität unterscheidet sich 
— so sagte man jetzt — das Christentum von dem heidnischen 
Polytheismus und dem jüdischen „starren" Monotheismus. 

In die Feststellung der Trinitätslehre hat im Orient bereits 
seit dem Auftreten der Homöusianer die Rücksicht auf die Christo- 
logie eingewirkt (auch dort Natur und Person; 6iiov(Ofia stammte 
von dort, sowie die Geltendmachung der Analogie der Begriffe 
„Menschheit" und „Adam" in ihrem Verhältniss zu den einzelnen 
Menschen). Ein subordinatianisches und ein aristotelisches Ele- 
ment blieb in der Trinitätslehre der orientalischen Orthodoxen, und 
sie wurde durch die späteren christologischen Kämpfe in Mitleiden- 
schaft gezogen (allerdings nicht stark; denn sie wars chon zu starr 
geworden). Einige apollinaristische Monophysiten bearbeiteten 
seit 530 die Begriffe Natur und Person in der Christologie aristo- 
telisch und kamen so auch in der Trinitätslehre zum Tritheis- 
mus oder zum Modalismus ((pvöcg = {)7t66ta6tg'^ Askusnages, Jo- 
hannes Philoponus, Petrus von Kallinico; gegen sie Leontius von 
Byzanz und Joh. Damascenus). Der Letztere gab gegenüber dem 
Tritheismus dem Trinitätsdogma eine der abendländischen Auf- 
fassung näher kommende Wendung (die ysvvi]€fia wird der äysv- 
vri6La formell gleichgesetzt, das iv akkrikoLg der 3 Personen wird 
stark betont, dabei die xeQixtoQr^öig^ jedoch nicht 6vvakoiq)ij und 
6vii<pvQ€fLg] der Unterschied sei nur für die iiCLVoCa vorhanden); 
allein diese Fassung blieb ohne Wirkung, da sie am entscheidend- 
sten Punkt den feinen Subordinatianismus bestehen liess; aucli 
Johannes lehrte, dass der Geist allein vom Vater ausgehe (resp. 
durch den Sohn). Der Vater bleibt also die &QX^ der Gottheit. 
Es ist mithin noch immer ein anderes geistiges Bild, das sieb, 
das Morgenland und das sich das Abendland von der Trinität 
gemacht hat: dort blieb der Vater die Wurzel der zwei alttardi^ 
die volle Reziprozität aller drei Personen schien den Orientalen 


§ 39.] Die Lehre von der Trinitat. 189 

die Monaxchie und speziell die Ableitung des Geistes vom Sohn 
die Homousie zu gefährden. Hier setzte Photius (867), nach einem 
dogmatischen Streitpunkt suchend, ein, warf den Abendländern, 
die die immanente processio des Geistes vom Vater und Sohn 
lehrten, Neuerung vor, ja manichäischen Dualismus und verstärkte 
diesen Vorwurf durch den noch härteren einer Fälschung des 
h. Symbols von Konstantinopel durch den Zusatz „filioque". Dies 
Wort war dort wirklich eine Neuerung, die in Spanien auf- 
gekommen war. Ein nie geschlichteter Streit entsprang, in dem 
den Griechen auch das ,jdcä rov vfoi)" verdächtig wurde. Die 
Abendländer aber mussten an ihrer Lehre festhalten, weil sie 
nach ihrem geistigen Bild von der Trinitat nur in der vollen 
Einheit, daher auch nur in der vollen Reziprozität der Personen 
den wairen Glauben ausgeprägt fanden. Die Griechen verstanden 
das nicht, weil sie im Geheimen doch stets kosmologisch inter- 
essirt blieben, wie denn die Trinitätslehre in unaufhörlicher 
wissenschaftlicher Bearbeitung das Vehikel geblieben ist, das die, 
Philosophie des Altertums den slavischen und germanischen 
Völkern überliefert hat: sie enthält den christlichen Gedanken 
der Offenbarung Gottes in Jesus und das Testament der antiken 
Philosophie in eigentümlichster Vermischung. 

Im Abendland war die Trinitätslehre in der Regel nicht als 
Gegenstand der Spekulation bearbeitet worden. Die Einheit war 
das sichere, und die Unterscheidung von Wesen und Person wurde 
mehr im Sinne einer (durch die Jurisprudenz) geläufigen for- 
mellen Distinktion verstanden. Augustin hat diese Trinitäts- 
vorstellung mit den Mitteln der VTissenschaft, aber auch von 
seinem religiösen Bewusstsein geleitet, das nur einen Gott 
kannte, in seinem grossen Werk de trinitate zum Ausdruck 
bringen wollen.^) Die Folge war die völlige Austilgung jedes 
Rests von Subordinatianismus, die Verwandelung der Personen 
in Relationen (der alte abendländische Modalismus, nur verhüllt), 
aber damit zugleich ein solches Heer von kontradiktorischen und 
sich widersprechenden Formeln, dass es dem im Unbegreiflichen 
schwelgenden und dann wieder skeptischen Autor selbst gruselig 
geworden ist (die drei zusammen sind gleich Eins; das absolut 
Einfache muss als Dreifaches verstanden werden; sunt sempcr 


1) Ober Augustinus Verhältniss zu den trinitarischen Feststellungen 
des Orients s. HRkutek, ZKG V S. 375 ff., VI S. 155 ff. 


190 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 40. 

invicenty neuter solus] auch die ökonomischen Funktionen sind nie 
getrennt zu denken — daher: dictum est „trcs persona^^, non ut 
illud diceretuTj sed ne taceretur). Dieses Eingeständniss und die 
Analogien, die A. für die Trinität braucht — sie sind sämmtlich 
modalistisch — , zeigen, dass er selbst nie auf die Trinität ge- 
kommen wäre, wenn er nicht an die Überlieferung gebunden ge- 
wesen wäre. Sein grosses Werk, in dem natürlich auch der Aus- 
gang des Geistes von Vater und Sohn betont ist — denn an jedem 
Akt sind alle drei beteiligt — , ist die hohe Schule für die 
technisch-logische Ausbildung des Verstandes und die Fundgrube 
der Scholastik im Mittelalter geworden. Durch Augustin hat sich 
zuerst die spanische Kirche, dann auch andere bestimmen lassen, 
das filioque zu proklamiren. 

Die paradoxen Formeln der augustinischen Trinitätslehre, 
die jeden Zusammenhang mit der Offenbarungsgeschichte und 
der Vernunft verleugnen, aber an dem Bestreben, den vollen 
Monotheismus aufrecht zu erhalten, ihre Wahrheit haben, ver- 
breiteten sich im Abendland und wurden im sog. Symb. Atha- 
nasianum, das im frühen Mittelalter allmählich entstanden ist, 
zusammengefasst und mit der Rezeption desselben (8. — 9. Jahrh.) 
als heilige Kirchenlehre verkündet.^) „Wer selig werden will, 
muss sie glauben", d. h. sich ihnen unterwerfen. In dem Atha- 
nasianum als Symbol liegt die Umbildung der Trinitätslehre als 
eines innerlich anzueignenden Glaubensgedankens zu einer kirch- 
lichen Rechtsordnung vor, an deren Beobachtung die Seligkeit 
hängt. Bei Athanasius war das biLooveiog der entscheidende 
Glaubensgedanke, bei den Kappadociem der erkenntnissmässig 
zu durchdringende theologische Lehrsatz, bei den späteren 
Griechen die geheiligte Reliquie, bei den späteren Abendländern 
die geoffenbarte kirchliche Lehrordnung, die Gehorsam verlangt. 

Achtes Kapitel. 

Die Lehre von der vollkommenen Gleichbeschaffenheit des 
menschgewordenen Sohnes Gottes mit der Menschheit. 

§40. 

Quellen: Die Schriften und Fragmente des ApoUinaris (ein grosser 
Teil derselben jetzt zusammengestellt und besprochen von JDsäseke, 

1) Über das Athanasianum s. EEöllner, Symbolik I S. 63 ff. und 
die englischen Arbeiten von FFoulkes (1871), CASwainson (1876), Ommanky 
(1876.\ JRLuMBY (1887). . 


§ 40.] Der apoUinaristische Streit. 191 

Apoll. V. Laodicea i. d. Text. u. Unters. VII, 3. 4, s. auch desselben 
Gesamm. patrist. Abhandl. 1889). — Die Schriften des Athanasius, der 
Eappadocier und Antiochener. 

Die Frage nach der Gottheit Christi war nur die Voraus- 
setzung für die Frage nach der Verbindung des Göttlichen und 
Menschlichen in Christus. In dieses Problem mündete alle Dog- 
matik. Schon Irenäus, und dann Athanasius, hat die Gottheit des 
Erlösers in Rücksicht auf die Erlösung, d. h. auf jene Verbindung, 
festgestellt. 

Aber die Frage nach der Verbindung setzte nicht nur eine 
präzise Vorstellung von der Gottheit, sondern auch von der 
Menschheit des Erlösers voraus. Zwar war im gnostischen 
Kampf die Realität der 6dQ^ Christi sichergestellt (Tertull., de 
carne Chr.); allein ein feiner Doketismus hatte sich trotzdem er- 
halten, und zwar nicht nur bei den Alexandrinern, sondern bei 
fast allen Lehrern. Kaum Einer dachte an ein volles menschliches 
Selbstbewusstsein, und kein Einziger legte der menschlichen 
Natur Christi alle die Schranken bei, die unsere Natur umgeben. 
Zwar hat Origenes — und nicht zuerst — Christus eine mensch- 
liche Seele und einen freien Willen zugewiesen; allein er brauchte 
eine Verbindung zwischen dem Gott-Logos und der Materie, und 
gerade er hat in seiner Christologie — soweit er den Jesus und 
Christus nicht spaltete — gezeigt, dass der handgreiflichste 
Doketismus wirksam bleibt, wenn man die öccq^^ weil etwas 
Materielles, als qualitätslos und jeglicher Eigenschaft fähig fasst. 

Bei den origenistischen Theologen und im christlichen Volke 
herrschten am Anfang des 4. Jahrh. über die Menschwerdung und 
Menschheit Christi die allerverschiedensten Vorstellungen. Nur 
Wenige dachten an eine menscldiche Seele, und Viele fassten das 
Fleisch Christi als ein himmlisches oder als eine Verwandelung 
des Logos oder als ein Gewand. Grob doketische Vorstellungen 
wurden durch neuplatonisch- spekulative (die Endlichkeit ein 
Moment an der sich entfaltenden Gottheit) gemildert. An zwei 
Naturen dachte im Orient im Grunde Niemand; eine ewige gott- 
menschliche Natur, eine gewordene gottmenschliche Natur, eine 
ins Menschliche zeitweilig verwandelte göttliche Natur, eine im 
Menschlichen wohnende resp. eine mit der Hülle des Menschlichen 
bekleidete göttliche Natur — das waren die herrschenden Vor- 
stellungen, und ebenso verworren waren die Antworten auf Einzel- 
fragen (ist das Fleisch von Maria geboren, oder der Logos mit 


192 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 40. 

dem Fleisch? ist Christus ein Mensch geworden oder hat er 
Menschennatur an sich genommen? wie viel kann dieser Natur 
fehlen, um noch als menschliche zu gelten? u. s. w.) und die bibli- 
schen Erwägungen (wer leidet? wer hungert? wer stirbt? wer 
bekennt seine Unwissenheit? der Gott oder der Mensch oder der 
Gottmensch? oder sind nicht im Grunde alle diese Ttddn^ nur 
Schein, resp. ökonomisch?). Auch Athanasius lehrte trotz alles 
Sträubens einen feinen Doketismus; denn seine Fassung der Gott- 
heit Christi nötigte ihn zu ümdeutungen des geschichtlichen 
Christus und seiner Geschichte. Das Subjekt in seinem Erlöser 
ist der Gott, der zwar Mensch geworden ist, sich aber in Wahrheit 
der Menschennatur, ihren Schranken und Leiden, immer nur 
accommodirt. Machte Athanasius aber mit der Menschheit Ernst, 
so zerfiel ihm die Geschichte des Erlösers in das, was der Gott, 
und in das, was der Mensch gethan hat. Tm Abendland wurde in 
concreto ebenfalls ein mehr oder weniger feiner Doketismus ge- 
lehrt. Aber daneben stand von Tertullian und Novatian her auf 
Grund des Symbols die juristische Formel: zwei Substanzen, 
eine Person. Diese Formel, gleichsam ein Schutz- und Grenz- 
begriff, wurde nicht weiter durchdacht; sie sollte aber dereinst 
das rettende Wort in den Kämpfen des Orients werden. 

Die Einheit der übernatürlichen Persönlichkeit Christi war 
hier der allgemeine Ausgangspunkt, Wie man dabei die Mensch- 
heit unterzubringen habe, war das Problem, das zuerst ApoUinaris 
von Laodicea (2. Hälfte des 4. Jahrh.) in seiner Schärfe und 
Schwere durchschaut hat. Den Anstoss hatten die Arianer ge- 
geben, indem sie die Menschheit Christi lediglich als öd^| fassten, 
um die volle Einheit der Erlöserpersönlichkeit auszudrücken und 
zugleich das beschränkte Wissen und die Leidensfähigkeit Christi 
ihrem halbgöttlichen Logos selbst beilegen zu können. Sie warfen 
dabei den Orthodoxen vor, ihre Lehre führe zu zwei Gottessöhnen 
oder zwei Naturen (das galt noch als identisch). ApoUinaris er- 
kannte nun, dass dieser Vorwurf berechtigt sei; er stellte seiner 
Theologie die Aufgabe, 1) eine ebenso strenge Einheit der Person 
des Gottmenschen Christus zum Ausdruck zu bringen wie der 
Arianismus in seinem lediglich mit der öocq^ bekleideten Logos, 
2) die volle Menschheit Christi damit zu vereinigen. Hier ist 
das Problem gefunden, das die Barche in den folgenden Jahr- 
hunderten beschäftigt hat, und zwar hat es ApoUinaris als das 
christliche Hauptproblem, als den Kern aller Glaubensaussagen, 


§ 40. J Der apoUinaristische Streit. 193 

in seiner ganzen Tragweite übersehen und demgemäss mit Auf- 
bietung des höchsten Scharfsinns und einer fast alle Termino- 
logien der Zukunft vorwegnehmenden Dialektik behandelt. An 
den Orthodoxen (Athanasius) tadelte er, dass sie, um den Ein- 
würfen der Arianer zu entgehen, trotz ihrer besseren Absicht in 
Christus stets unterschieden, was der Mensch und was der Gott 
gethan habe; damit sei die Zweiheit aufgerichtet (in Christus sei 
nach dieser Auffassung elg vCbg q)v6sv und slg vtbg d-d^si) und der 
Trost der Erlösung dahin; denn Christus müsse so Mensch ge- 
worden sein, dass Alles, was von der Menschheit gilt, auch von 
der Gottheit gilt und umgekehrt (freilich hat Athanasius nie den 
Ausdruck ävo q)v6Big gebraucht, wie Origenes; aber wider seinen 
Willen musste er in der Anwendung die Einheit des k6yog öccq- 
xmd'sig spalten). An den Arianem tadelte er, dass auch sie den 
Trost der Erlösung rauben, sofern Christus nicht die ganze Mensch- 
heit angenommen habe, sondern nur Fleisch. Demgemäss ergab 
sich ihm die Erkenntniss, dass Svo xiksia av ysvaöd^ai oi Svvaxai. 
Er selbst, den Einheitsgedanken als Steuer festhaltend, sich aber 
als Aristoteliker nicht wie Athanasius mit dem Geheimnis» des 
Glaubens begnügend, stellte nun die Lehre auf, der Gott-Logos 
habe menschliches Fleisch und menschliche Seele an sich ge- 
nommen, die die Menschennatur als Natur konstituiren, nicht aber 
einen menschlichen Logos (yovg^ d. h. — so würden wir jetzt 
sagen — nicht das, was am Menschen die (Einzel)Person kon- 
stituirt, daher auch keinen freien Willen. Mit der so gearteten 
Menschennatur habe aber der Logos zu einer vollen Einheit ver- 
schmelzen können, weil niemals zwei Subjekte vorhanden waren 
(der Logos vertritt vom ersten Moment an die i^v^ii loyLxr] in 
Jesus Christus; er ist seine ij/vx'^ AoytxiJ); denn die Klippen, 
welche Apollinaris als verderblich erkannt hatte, waren 1) die 
Meinung von zwei Söhnen d. h. die Zerspaltung von Mensch und 
Gott, Jesus und Christus („zwei Naturen sind zwei Söhne^^), 2) die 
Vorstellimg, dass Jesus nur ein avd^QCJTtog evd'sog gewesen sei 
(wie der Adoptianismus lehrte), 3) die Meinung, dass er ein freies, 
wandelbares Wesen gehabt habe. Man müsse das Subjekt aus 
der Menschennatur in Christus entfernen, sonst käme man zu 
einem Zwitterwesen (Bockhirsch, Minotaurus); dagegen seine Auf- 
fassung stelle die ^Ca tpxxsvg tov koyov öaöaQxcjiisvrj klar. Diese 
begründete A. soteriologisch (was der Mensch gethan hat, muss 
Gott gethan und erlitten haben; sonst hat es keine Heilskraft: 

Gnuidrisa IV. iii. Habnagk, DogmengeBcliichte. 2. Aufl. 13 


194 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 40. 

äv^Q(07tov ^dvarog ov xaragyat xbv ^ccvarov; die Gottheit ist 
durch Christus der vovg und köyog der ganzen Menschheit ge- 
worden; die Menschennatur ist durch Christus die ödg^ der Gott- 
heit geworden), biblisch — er war ein sehr tüchtiger Exeget — 
und spekulativ (die Menschennatur ist stets das Bewegte, das 
Göttliche der Beweger; dieses Verhältniss kommt im loyog öaQ- 
xcad^etg zu seiner vollkommenen Ausgestaltung und Erscheinung; 
Christus ist der himmlische Adam, der also die Annahme der 
Menschennatur potenziell an sich hat; in verborgener Weise war 
er stets vovg svöaQxog; sein Fleisch ist, weil er auf die Mensch- 
werdung angelegt ist, seiner Gottheit 6ftoov<Jto^; die Mensch- 
werdung ist daher nichts Zufalliges und unterscheidet sich von aller 
blossen Inspiration ; der Logos ist stets der Mittler — fisöorr^g — 
zwischen Gottheit und Menschheit; doch weiss man nicht, wie weit 
A. hier gegangen ist). 

Sollte das Geheimniss Zwei = Eins (s. die Parallele zu dem 
Geheimniss Drei = Eins) überhaupt beschrieben werden, so ist 
die Lehre des A,, gemessen an den Voraussetzungen und Zielen 
der griechischen Auffassung vom Christentum, als Religion voll- 
kommen. Darum hat er auch überzeugte Schüler gefunden, und 
im Grunde sind alle Monophysiten, ja selbst die frommen griechi- 
schen Orthodoxen, Apollinaristen: die Annahme einer mensch- 
lichen Einzelpersönlichkeit (mit allen ihren Schranken) in Christus 
hebt seine Erlösermacht (nach der physischen Erlösungslehre) 
ebenso auf, wie die Meiiiung von zwei unvermischten Naturen die 
Menschwerdung um ihren Effekt bringt. Daher hat A.den mensch- 
lichen vovg gestrichen, wie alle griechischen Gläubigen vor ihm 
und nach ihm — er aber offen und energisch. 

Aber die Forderung eines vollständigen Menschenwesens, 
einmal ausgesprochen, Hess sich nicht mehr überhören: konnte 
man doch sagen, nach A. werde der menschliche vovg nicht ge- 
rettet; auch schien die Gotteslehre ins Schwanken zu geraten, 
wenn Gott gelitten haben solle. Daher bekannte man sich schon 
auf der Synode zu Alex. 362 zur vollen Menschheit, und die 
Kappadocier traten gegen ihren verehrten Lehrer auf, der um 375 
aus der Kirche ausscheiden musste, aber eine eigene Kirche bildete; 
auch das Abendland verdammte ihn (zu Rom 377, besonders 
energisch Damasus). Die volle Homousie Christi mit der Mensch- 
heit wurde zum Glaubenssatz erhoben. Gewiss hatten die evan- 
gelischen Berichte dabei ihren Anteil; aber was die Kappadocier 


§ 41.] Der nestorianisclie Streit. 195 

dem A. entgegenzusetzen wussten, waren nur klägliche, wider- 
spruchsvolle Formeln: es sind zwei Naturen, aber doch nur eine; 
es sind nicht zwei Söhne, aber anders handelt in Christus die 
Gottheit, anders die Menschheit; Christus hatte menschliche Frei- 
heit, handelte aber in göttlicher Notwendigkeit. Im Grunde 
dachten die Kappadocier wie A., aber sie mussten Rücksicht 
nehmen auf den „vollkommenen Menschen". Hier zeigte sich eine 
wirkliche Notlage der Dogmatik: sie hatte die volle Menschheit 
so nötig, wie eine volle physische Einheit der beiden Naturen, 
die doch die Menschheit vom ersten Moment an zu verschlingen 
drohte, um nur das Fleisch oder höchstens noch die ^v%i) öaQxtKii 
übrig zu lassen. Die Souveränetät des Glaubens hatte dem Apol- 
linaris die Lehre diktirt; er hat dem athanasianischen 'Ofioovövog 
die entsprechendö Christologie hinzugefügt; er hat wie Athanasius 
für seinen Glauben kein Opfer gescheut, ja ein noch grösseres 
Opfer gebracht als dieser. Die Gegner thaten aber der Kirche der 
Zukunft doch einen grossen Dienst, indem sie die volle Mensch- 
heit (menschliches Subjekt) aufrechterhielten. Nun mussten sie 
den Widerspruch (nicht zwei Söhne, aber doch zwei selbständige 
Wesenheiten) zu vereinigen suchen. In welcher Formel das zu 
geschehen hatte, wusste noch Niemand. 

Neuntes Kapitel. 

Fortsetzung. Die Lehre von der personalen Einigung der göttlichen 
und menschlichen Natur in dem menschgewordenen Sohne Gottes, 

Quellen: Die Schriften des Cyrill von Alex, und der Antiochener 
(Theodor v. Mopsveate ed. Swete, 2 Bde. 1880 ff., Theodoret), die Kon- 
zilsakten (ed. Manst, Conciliorum coUectio amplissima T. IV ff,)- — 
CJHefkle, Konzilienges eh.* Bd. 11 u. III. 

§ 41. Der nestorianische Streit. 

Wie kann der vollkommene Gott und der vollkommene Mensch 
eine Einheit bilden? Die eifrigsten Gegner des ApoUinaris sind 
seine Landsleute und z. T. philosophischen Gesinnungsgenossen, 
die Antiochener, gewesen. Sie zogen aus der Formel: „voll- 
kommener Gott nnd vollkommener Mensch" die Konsequenz, 
dass zwei verschiedene und immer verschieden bleibende Naturen 
in Christus anzunehmen seien. Diodor von Tarsus und vor Allem 
Theodor von Mopsuestia, ausgezeichnet durch nüchterne Philo- 
sophie, treffliche Exegese und strenge Askese, waren überzeugte 
Nicäner; aber sie erkannten zugleich richtig, dass vollkommene 

13* 


196 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 41. 

Menschheit ohne Freiheit und Wandelbarkeit ein Unding sei 
(daher forderten sie teXsiog avd^QG)7Cog)] mithin seien Gottheit 
nnd Menschheit Gegensätze, die schlechterdings nichtverschmolzen 
werden können (leidensunfähig, leidensfähig). Darnach gestalten sie 
die Christologie, die bei ihnen also nicht soteriologisch, wohl aber 
durch das evangelische Bild Christi bestimmt gewesen ist, Christus 
besteht aus zwei getrennten Naturen (keine svoöig 9?vtftxiJ); der 
Gott-Logos hat einen Einzelmenschen an sich genommen, d, h. er 
hat ihm eingewohnt; diese Einwohnung ist keine substanzielle, auch 
keine bloss inspirirende, sondern xarä %&qiv gewesen, d. h. Gott 
hat sich mit dem Menschen Jesus in besonderer Weise, aber nach 
Analogie seiner Vereinigung mit frommen Seelen (xar' BvdoKiav), 
verbunden und sich mit ihm verknüpft (tfvvdqfSLo). Der Logos 
wohnte in Christus wie in einem Tempel; die menschliche Natur 
blieb substanziell, was sie ist; aber sie hat sich allmählich bis zur 
vollkommenen Bewährung und Beharrung entwickelt. Die Union 
ist also nur eine beziehungsweise {evcoöLg 6%exixYi)y und sie ist am 
Anfang nur relativ vollkommen gewesen (fortschreitende ivoticrj- 
6tg)] sie ist an sich eine moralische; aber durch die Bewährung 
und Erhöhung stellte sich am Ende und für immer ein anzubeten- 
des Subjekt dar (xcdql^cd tag (pvöstg^ ivm xriv TtQOöxvvricfLv). 
Theodor hat zwar die chaloedonensische Formel: „zwei Naturen, 
eine Person"; aber bei ihm ist die Einheit der Person lediglich 
die der Namen, der Ehre und Anbetung; in keinem Sinne eine 
substanzielle (Christus bleibt aklog xal äkkog). Er hat ganz deut- 
lich zwei Personen, weil zwei Naturen (Person = Natur) und 
daneben für die Gläubigen ein anzubetendes jtQoöcojtov. Von 
einer Menschwerdung darf man daher im Grunde nicht reden, 
sondern nur von einer Annahme des Menschen seitens des Logos. 
Die Funktionen Jesu Christi sind streng auf Gottheit und Mensch- 
heit zu verteilen. Maria d^eotöxog zu nennen, ist absurd. 

Diese Lehre unterscheidet sich von der des Samosateners 
nur durch die Behauptung der Persönlichkeit des Gott-Logos 
in Christus. In Wahrheit ist Jesus — invito Theodoro — doch 
ein &vd'Q(DJcog svd^sog, Dass sich die Antiochener mit diesem be- 
gnügten, war eine Folge ihres Rationalismus. So anerkennenswert 
ihre geistige Fassung der Probleme ist, so waren sie von der Auf- 
fassung der Erlösung als Wiedergeburt und Sündenvergebung 
doch noch weiter entfernt, als die Vertreter der realistischen Er- 
lösungsvorstellung. Sie wussten von einem Vollender der Mensch- 


§ 41.] Der nestoriani&clie Streit. 197 

heit; der sie durch Erkenntniss und Askese in eine neue Kataetase 
führt, nicht von einem Restitutor. Aber sie haben, indem sie die 
Menschlichkeiten Christi nicht doketisch verflüchtigten oder aus 
Accommodation erklärten, das Bild des geschichtlichen Christus 
der Kirche in einer Zeit vorgehalten, in der diese sich in ihren 
Glaubensformeln immer weiter von ihm entfernen musste. Freilich 
kräftig konnte ein Bild nicht wirken, in dem man die Züge der 
leeren Freiheit und Leidensfähigkeit, sowie der Weisheit und 
Askese mit besonderem Eifer hervorhob. 

Ihre Gegner, die Alexandriner, fussten auf der Überlieferung, 
die den Antiochenem Verlegenheit bereitete, dass Christus die 
göttliche Physis besessen habe, und dass er wirklich Mensch ge- 
worden sei. Ihre Ausführungen ermangelten bis 431 und noch 
weiter der begrifflichen Klarheit; aber das konnte nicht anders 
sein; um so sicherer war ihnen der Glaube. Cyrill von Alex., 
in mancher Hinsicht wenig achtungswert, hat für den Grund- 
gedanken der Frömmigkeit, wie Athanasius, gestritten und die 
Überlieferung für sich gehabt. Diese Frömmigkeit verlangte nur 
eine starke und sichere Aussprache des Geheimnisses, nicht mehr 
{(Stam^ 7CQ0öxvvsL6d'(D rö aQQTjtov). Die thetische Darlegung 
des Glaubens hat Cyrill nie viele Worte gekostet; aber er ist 
sofort in Gefahr gewesen, die Grenzen seines Glaubensgedankens 
zu überschreiten, wenn er das Geheimniss klar machen wollte, 
und seine Terminologie war unsicher. Sein Glaube ging nicht 
vom geschichtlichen Christus aus, sondern von dem Gott, der 
Mensch geworden und in dem Gottmenschen die Person ist. Der 
Gott-Logos hat die ganze Menschefinatur sich einverleibt und 
ist doch derselbe geblieben. Nicht sich hat er verwandelt, 
sondern die Menschheit hat er in die Einheit seines Wesens auf- 
genommen, ohne etwas an sie zu verlieren. Er ist nachher der- 
selbe wie vorher, das eine Subjekt. Was der Leib erduldet, hat 
er erduldet. Daher brauchte Cyi'ill folgende Stich worte mit Vor- 
liebe: slg xal 6 aitög^ nämlich der Gott-Logos, 6 k6yog ^stä rrig 
ISCag 6aQx6gj ISCav Tcoielv xiiv öccQxa olxovo^LX&g, ^siisvrixsv ojcsq 
^v, ix Ovo q)'66B(ov elgy öwsksvöig Svo (pvöacov xa-d*' evcoöiv äÖLcc- 
6za6rov &6vyxvtG}g xal dxQSTttwg, Daher: evmöig (pvöLXi^ (xad^^ 
wc6öta0iv) imd [iia q}v0tg rot) d-eov koyov öeöuQxco^evrj, Den 
Unterschied von q)v0Lg und vTtööraöLg hat Cyrill kaum gestreift. 
Doch sagte er nie: ix ovo vicoQrdesGiv oder ev(o6Lg xatä q)'6öLVj 
wiU auch von einer Vermischung nichts wissen. Für die göttliche 


198 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 41. 

Natur fielen ihm (pvöig und {j^öötaöLg zusammen, für die mensch- 
liche nicht. Obgleich er alle Bestandteile des Menschenwesens 
Christus zuspricht, verwirft er doch die Ansicht, Christus 
sei ein individueller Mensch gewesen. Christus ist der 
Logos, der die unpersönliche Menschennatur wie ein Kleid 
angenommen hat: nur so kann er der Erlöser sein. Vor der 
Menschwerdung gab es nach Cyrill zwei Naturen, nach derselben 
nur eine, nämlich die gottmenschliche, die d'scjQia fiovy unter- 
schieden ist. Die Einheit hat freilich nicht die Leidensfahigkeit 
der Gottheit zur Folge; aber der Logos leidet an seinem Fleische. 
Er ist also doch dsbg öravQcod^atg , und die Maria ist dsoröxog. 
Darum kann auch die efccQ^ Christi im Abendmahl göttliches 
Leben wirken; denn sie ist erfüllt mit der Gottheit. 

Diese Auffassung ist im Grunde purer Monophysitismus; 
aber sie will es nicht sein, und indem sie die Menschheit Christi 
als unverflüchtigt, unvermischt und unverwandelt behauptet, 
sucht sie sich gegen die konsequente monophysitische Formel zu 
schützen. Cyrill ist wirklich orthodox, d. h. er hat das gelehrt, 
was in der Konsequenz der orthodoxen Christuslehre lag. Aber 
der Widerspruch — die Naturen sollen beide unverkürzt und un- 
vermischt vorhanden sein einschliesslich eines menschlichen 
Logos, und doch soll es nur eine gottmenschliche Natur sein und 
die menschliche ist subjektlos — ist offenkundig. Offenkundig 
ist auch, dass sich das Bild des wirklichen Christus bei dieser 
Ansicht nicht halten lässt: doketische Erklärungen müssen not- 
wendig zugelassen werden (resp. die Accommodation: Christus 
hat gehungert und gedürstet, gezittert und gezagt, weil er so 
wollte). Aber diese Lehre ist relativ doch wertvoller als die des 
Chalcedonense, weil der Glaube sich an ihr deutlich klar machen 
kann; dass Christus die ganze Menschennatur angenommen, 
wesenhaft mit sich vereinigt und so ins Göttliche erhoben hat. 

Der Streit brach in Konstantinopel durch den eitlen, poltern- 
den, aber nicht unedlen Bis chofNestoriu (428) aus, der von dem 
Alexandriner als Antiochener gehasst und um seinen Stuhl be- 
neidet, in unvorsichtiger Weise den Hass durch Predigten und 
Angriffe auf die cyrillisch Gesinnten schürte und speziell das 
Wort d-sotoxog und ähnliche als heidnische Fabeln verfolgte. 
Die „Fäulniss des Arius und ApoUinaris" suchte er jetzt aus- 
zutilgen; als Christologe stand er übrigens selbst keineswegs auf 
der äussejsten Linken der Orthodoxie wie Theodor. Er brachte 


§ 41,] Der nestorianische Streit. 199 

die Hauptstadt in Aufregimg; die Mönche und die kaiserlichen 
Damen waren gegen ihn, und nun mischte sich Cyrill ein. Die 
Formeln, welche Beide brauchten, lauteten nicht sehr verschieden 
— war doch Nestorius selbst bereit, unter Kautelen auf das d'eo- 
roxog einzugehen; aber hinter den Formeln lag ein tiefer dog- 
matischer und kirchenpolitischer Gegensatz. Cyrill (Offene Briefe 
an Nestorius) kämpfte um die eine gottmenschliche Natur und 
um den Primat im Orient. Er wusste den römischen Bischof 
Cölestin für sich zu gewinnen, dem damals noch der Bischof von 
Konstantinopel der gefährlichere Rivale schien als der von Alexan- 
drien. Cölestin, auch persönlich über Nestorius gereizt, ver- 
leugnete seine eigene christologische Ansicht, die der des Nestorius 
sehr nahe stand, trat den Anathematismen des Cyrill bei und ver- 
langte von Nestorius den Widerruf. Dieser, Gregenanathematismen 
gegen Cyrillus schleudernd, betrieb die Berufung eines allge- 
meinen Konzils beim Kaiser, der ihm günstig war. Aber Cyrill 
wusste das allgemeine Konzil zu Ephesus (431) so zu leiten, dass 
es von vornherein zu einer Spaltung kam. Nachmals sind die Be- 
schlüsse der ägyptisch-römischen Partei (des cyrillischen Konzi- 
liabulums) als die Beschlüsse des Konzils anerkannt worden, 
während ursprünglich der Kaiser weder diese noch die Beschlüsse 
der antiochenischen Partei anerkannte. Cyrill liess kein neues 
Symbol aufstellen, sondern den Nestorius absetzen und seine 
eigene Lehre für orthodox erklären. Umgekehrt hat das von den 
antiochenisch Gesinnten abgehaltene Konzil den Cyrill abgesetzt. 
Der Kaiser bestätigte zunächst beide Absetzungen, und in Bezug 
auf Nestorius hatte es dabei sein Bewenden. Er ist in der Ver- 
bannung gestorben. Aber dem bei Hofe mächtigen Cyrill gelang 
es sich zu halten, und im Jahre 433 schloss er sogar (s. seine ep. 
ad orientales), um seinen Einfluss nicht zu verlieren, eine Union 
mit den Antiochenern, deren zweideutiges Bekenntniss dem Wort- 
laut nach der antiochenischen Theologie näher stand. ^) Aber 


1) Die Formel, die das Chalcedonense mit vorbereitet hat, lautet: 
^O^oloyovfisv zbv v,vQtov rifi&v . . . d'sbv riXsiov %al avd'Qconov tslsiov i'K 
tpvxrjg Xoyi'^fjg xal aSfiarog . . . o^oovolov t^ natgl tbv avtbv natcc tiiv 
^sorrira xai dfioovciov rjiiLV v.axa tt/v ävd'QcoTtoxrjta' Svo yccg cpvascov 
^vcoaig ysyovs' 8l6 iva Xqlgtov, iva viov, ?va %vqiov öfioXoyovpLSV. xara 
tavrriv xriv rfjg ict5vy%vxov kvmcscog k'vvoiav öiioloyovfisv rrjv ayiav Ttag- 
d'svov &sot6yiov, dioc tb tbv ^sbv X6yov aaQyicod'rivaL )(al ivavd'QfoitiiGai 
xal i^ avTfjg rfjg cvllrii(}Scog kv&öai kccvnp tbv i^ avrrig Xricpd'svva vaov. 


200 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 42, 

Cyrill blieb eben deshalb Herr der Situation (die Antiochener 
Hessen den Nestorius schmählich fallen, weil sie in der Sache 
gesiegt zu haben glaubten; die Strengen unter ihnen wanderten 
in den Osten aus) und verstand es, die alexandrinische Lehre und 
Kirchenherrschaft immer mehr zu befestisren. 

§ 42. Der eutychianische Streit. 

Die Konzilsakten s. bei Mansi T. VI. VII. 

Cyrill starb im J. 444, und es gab in seiner eigenen Partei 
Leute, die ihm die aus Herrschsucht geschlossene Union von 433 
nie vergessen hatten. Sein Nachfolger wurde Dioskur, ihm nicht 
ebenbürtig, aber doch nicht ungleich. Dioskur suchte das Unter- 
nehmen seiner Vorgänger auf dem alexandrinischen Stuhl, Ägypten 
zur Domäne zu machen, die Kirche des Orients als Papst zu be- 
herrschen und Kaiser und Staat sich faktisch zu unterwerfen, zu 
vollenden. Schon Theophilus und Cyrill hatten sich dabei auf die 
Mönche und die Massen gestützt, aber auch auf den römischen 
Bischof, der das gleiche Literesse hatte, den Bischof von Konstan- 
tinopel niederzudrücken. Sie hatten ferner die Verbindung mit 
der griechischen Wissenschaft gelockert (Kampf gegen den Ori- 
genismus), um der Grossmacht des Zeitalters, der frommen 
Barbarei, keinen Anstoss zu geben. Dioskur schien unter dem 
schwächlichen Kaiser Theodosius II. sein Ziel wirklich zu er- 
reichen (Konzil von Ephesus 449); allein dem grössten Siege 
folgte die Katastrophe. Sie ist herbeigeführt worden durch die 
kraftvolle Kaiserin Pulcheria und ihren Gemahl Marcian, die sich 
auf die byzantinische Staatsidee, die Kirche zu beherrschen, wieder 
besannen, und durch Leo I., der im entscheidenden Moment die 
traditionelle Politik des römischen Stuhls, Alexandrien gegen 
Konstantinopel zu stützen, aufgab, mit dem Kaiser und dem 
Bischof der Hauptstadt geme]nsame Sache machte und Dioskur 
stürzte. Allein in dem Moment des Falls musste der Gegensatz 
der ad hoc verbündeten Mächte (Kaiser und Papst) wieder hervor- 
treten. Beide wollten den Sieg für sich ausnützen. Der Kaiser 
war nicht gewillt, dem zu Hülfe gerufenen Papst die Kirche des 
Orients auszuliefern, wenn er auch die dogmatische Formel des- 
selben als einzige Auskunft der orientalischen Kirche diktirte, 

rag Sh s^ayysXfKccg . . . nsgl tov yivgLov qxoväg i'aiisv rovg &sol6yovg 
avdgag tag iihv Tio Lvonoiovvtag mg itp' hv6g ngoatSsnov tag dh duxi^ovvtag 
oig inl dvo tpvcBcav 


§ 42.] Der eulychianisclie Streit. 201 

und der Papst konnte es nicht dulden, dass der Patriarch der 
Hauptstadt die übrigen Patriarchen des Orients verdrängte, als 
Kreatur des Kaisers die Kirche nach den Winken desselben 
regierte, und dass der Stuhl Konstantinopels dem des heiligen 
Petrus gleichgesetzt wurde. In Folge des chalcedonensischen 
Konzils triumphirte zwar momentan der Staat über die Kirche; 
aber indem er ihr seine dogmatische Formel gab, die mehr als die 
Hälfte der Gläubigen gegen sich hatte, zersplitterte er das Reich, 
legte den Grund für den Abfall grosser Provinzen im Süden, Osten 
und Nordosten, stärkte den heftigsten iGregner, den Bischof von 
Rom, in einem Moment, wo durch den Untergang des weströmi- 
schen Reichs dieser sich an die Spitze des Abendlandes gestellt 
sah, und bereitete so den Zustand vor, der die byaantinische Herr- 
schaft auf die Küstenprovinzen des östlichen Mittehr.eers be- 
schränkte. 

Dies sind die allgemeinen Verhältnisse, unter denen sich der 
eutychianische Streit abgespielt hat, und es ist damit gesagt, 
welche Bedeutung die Politik in ihm gehabt hat. 

Durch die Union von 433 war die christologische Frage 
bereits versumpft. Je nach der Auslegung der Formel konnte 
man Jeden als Häretiker fassen. Faktisch machte trotz der ener- 
gischen Gegenwirkung des wackeren und bestgehassten Theodoret 
die alexandrinische Doktrin, die ja wirklich dem Glauben der 
Orientalen entsprach, immer grössere Fortschritte, und Dioskur 
geberdete sich wie ein Oberbischof über Palästina imd Syrien. 
Der Kaiser lieferte ihm die Kirche geradezu aus. Dioskur ver- 
folgte die antiochenisch Gesinnten, suchte die Formel „zwei Na- 
turen" auszutilgen und Hess selbst bedenklich apoUinaristisch 
lautende Bekenntnisse gewähren. Allein als der alte Ärchimandrit 
Eutyches in Konstantinopel seine cyrillische Christologie in Sätzen 
ausdrückte, wie: „mein Gott ist nicht gleichen Wesens mit uns; 
er hat kein öcb^ia avd'QWTCov, sondern ein 0a)^a avd'Qto^ivov^^, 
nahmen persönliche Gegner (Domnus von Antiochien, dann Euse- 
bius von Doryläum) daran Gelegenheit, ihn bei dem Patriarchen 
Flavian zu denunziren, der, selbst kein entschiedener Christologe, 
den Anlass gern benutzte, um den vom Hofe bevorzugten Geist- 
lichen los zu werden. Auf einer Synode zu Konstantinopel (44S) 
wurde Eutyches als Valentinianer und Apollinarist verurteilt, ob- 
gleich er nach Zögern die Formel: „Aus zwei Naturen ein Christus" 
zugestand und sich auf die Positionen CyrilFs zurückzog. Von 


202 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 42. 

beiden Seiten wurden nun der Hof, die Hauptstadt, der römische 
Bischof in Bewegung gesetzt. Dioskur sah ein, dass der Moment 
der Machtfrage gekommen sei, aber Leo I. nicht minder. Während 
jener die Berufung des Konzils beim Kaiser durchsetzte und für 
dasselbe mit unerhörter Machtvollkommenheit als wahrer Papst 
ausgerüstet wurde, sah dieser jetzt — trotz der Entscheidung 
seines Vorgängers Cölestin für Cyrill — in Eutyches den 
schlimmsten Ketzer, in Flavian den teuren, angefochtenen Freund, 
suchte das Konzil durch zahlreiche Briefe an die Einflussreichen 
zu hintertreiben und schrieb an Flavian (Sommer 449) die be- 
rühmte Epistel, in der er in der Christologie zur tertuUiauischr 
augustinischen Fassung zurücklenkte. In diesem Brief ist die 
Zwei-Naturenlekre streng ausgeführt {^,agit ntraque forma cum 
altcrius communioney quod proprium est, verbo seih operante qtiod 
verbi est et carne exsequente quod carnis est^^) und die alte abend- 
ländische juristische Auskunft dargelegt, man müsse an eine 
Person glauben, die zwei geschiedene Naturen (Substanzen) zu 
ihrer Verfügung habe — eine Auskunft, die allerdings weder 
monophysitisch noch nestorianisch ist, da sie zwischen der Person 
und zwei Naturen scharf scheidet, also eigentlich drei Grössen 
einführt, indessen jedenfalls dem Nestorianismus näher steht, dem 
entscheidenden Interesse des orientalischen Glaubens nicht ge- 
recht wird und jedes konkrete Denken ausschliesst, mithin 
weder die Frömmigkeit noch den Verstand befriedigte. Daneben 
kennt Leo nur die Häresien des Doketismus und Samosatenismus. 
Leo hat zwar das Interesse unserer Erlösung in dem Schreiben 
bekannt; aber er hat eine Darlegung gegeben, die Cyrill von sich 
gewiesen hätte. 

Im August 449 trat das grosse Konzil zu Ephesus unter 
Dioskur's Leitung zusammen. Rom wurde erst als nicht vor- 
handen betrachtet, dann in seinen übrigens unsicher operirenden 
Legaten gedemütigt und in seiner Stellung herabgedrückt. 
Dioskur liess beschliessen, dass es bei den Synoden zu Nicäa und 
Ephesus (43 1) sein Bewenden haben müsse, die den alten Glauben: 
„Nach der Menschwerdung giebt es eine fleischgewordene Natur^^ 
enthielten-, kein Symbol wurde aufgestellt; Eutyches wurde resti- 
tuirt und auf Grund des Nicänums (!) wurden die Häupter der 
Antiochener, aber auch Flavian, Eusebius von Doryläum, Theo- 
doret, Domnus von Antiochien abgesetzt, kurz die Kirche von dem 
„Nestorianismus" gründlich gereinigt. Das Alles geschah fast mit 


§ 42.] Der eutychianisclie Streit. 203 

Einstimmigkeit. Zwei Jahre später wurde diese von vielen 
Bischöfen, die Teil genommen hatten, als erzwungen dargestellt 
(latrocinium Ephesinum sagt Leo). Gewiss hat Dioskur mit 
seinen fanatischen Mönchen die Synode terrorisirt; allein viel 
stärkeren Druck hat man nachmals in Chalcedon nötig gehabt. 
Dioskur hat wirklich den Glauben des Orients zum Beschluss er- 
hoben, und der unvergleichliche Sieg, den er feierte, hatte, wenn 
nicht fremde Mächte (der Staat, Rom) eingriffen, in der Kirche 
die Gewähr der Dauer. Allein Dioskur rief den Papst und die 
byzantinische Staatsidee gegen sich auf und hat nicht mit der 
weitverbreiteten Abneigung gegen den rechten Flügel seines 
Heeres, den verkappt apoUinaristischen, gerechnet. Er hat den 
Eutyches rehabilitirt, ohne die bedenklichen Sätze, die er und 
seine Anhänger im Munde führten, ausdrücklich zu verurteilen. 
Am 28. Juli 450 folgten Pulcheria und Marcian dem Theo- 
dosius; bis dahin hatte sich Leo vergeblich bemüht, dem Konzil 
Opposition zu machen. Jetzt hatte ihn Marcian, der entschlossen 
war, die Tyrannis des alexandrinischen Bischofs zu brechen, nötig. 
Leo wünschte eine Verurteilung des Dioskur und die Annahme 
seines Lehrbriefs ohne Konzil; allein der Kaiser musste auf ein 
solches dringen, um in aller Form eine Neuordnung herbei- 
zuführen. Sie konnte nur gelingen, wenn auch eine neue dogma- 
tische Formel geschaffen wurde, die die Ägypter ins Unrecht 
setzte und den Antiochenern doch nicht Recht gab. Die Politik 
riet zu der durch das ünionssymbol von 433 einigermassen vor- 
bereiteten, für den Orient jedoch immer noch neuen Formel des 
Abendlandes (Leo's) als der einzigen Auskunft. Das Konzil kam 
451 zu Chalcedon wirklich zu Stande; den päpstlichen Legaten 
wurde der Ehrenvorsitz eingeräumt; Leo hatte sie instruirt, der 
Würde Roms nichts zu vergeben. Die grössere Hälfte der 
5—600 Bischöfe war wie Cyrill und Dioskur gesinnt, allem Nesto- 
rianismus höchst abgeneigt, dem Theodoret feindlich; aber der 
Kaiser beherrschte die Versammlung. Es stand fest, dass Dioskur 
abgesetzt und eine dogmatische Formel im Sinne Leo's ange- 
nommen werden müsse, da der Beschluss von 449 als „abgepresst" 
annullirt worden war. Ebenso fest stand aber, dass man das An- 
denken und die Lehre CyrilFs nicht preisgeben durfte. Daher 
wurde Dioskur nach einem höchst schmachvollen Prozess nicht 
als Häretiker, sondern wegen Ungehorsams und Unregelmässig- 
keiten abgesetzt. Die Mehrzahl der Bischöfe verleugnete vor dem 


204 EntwickeluDg des Dogmas im Morgenland. [§ 42. 

Angesicht der kaiserlichen Kommissare ihre Vergangenheit und 
gab den Dioskur mid den Beschluss von 449 auf; aber nur durch 
trügerische Vorspiegelungen und Drohungen liessen sich die 
Bischöfe zur Anerkennung des Lehrbriefs Leo's, den jeder Orien- 
tale nestorianisch verstehen musste, und zur Genehmigung der 
Lehre, dass auch nach der Menschwerdung zwei Naturen in 
Christus vorhanden seien, bewegen. Noch in der letzten Stunde 
suchte man — freilich vergeblich — eine bloss begriffliche 
Unterscheidung der Naturen zum Dogma zu erheben. Auf der 
5. Sitzung wurden die Bestimmungen von 325, 381, 431 (das 
cyrillische Konziliabulum gilt von da ab als 3. ökumenische 
Synode) bestätigt, die Suffizienz derselben anerkannt, aber be- 
merkt, dass um der Irrlehrer willen, welche einerseits das d'soxöxog 
verwerfen, andererseits eine (Jt;y;uvötg und xQ&6tg der Naturen ein- 
führen wollen, „unvernünftig nur eine Natur des Fleisches und 
der Gottheit erdichtend und die göttliche Natur för leidensföhig 
haltend", es nötig sei, sowohl die Briefe CyrilFs an Nestorius und 
die Orientalen als auch den Brief Leo^s — also eine concordia dis- 
cors - anzunehmen Die Deklaration lautete: toifg dvo fiiv xqo 
XTjg iv(b6a(og (pvöeig rov xvqlov ^vd^avovtag^ ^liav de (isrä ti^v 
€VG)(fLV ävankdxxovxag^ avad^siiaxi^sv (das war das Opfer des 
Glaubensgedankens). ^ETtö^ievoL xoCvw xotg ayiotg TcaxQcifftv sva 
xal xbv avxbv d^oXoyeiv vlbv xbv xvqlov ij^&v 'J, Xq, övfMpmv&g 
aitavxag ixöiddöxo^iev^ xiksLOv xbv ainbv iv ^söxrjXL xal xikaiov 
xbv avxbv iv ävd'QomöxrjXL^ d'sbv älrjd'&g xal avd'Qonov älrid'&g 
xbv avxöv^ dann heisst es: eva xal xbv aixbv XQiöxbv .,, iv Ovo 
q>v6e6iv {ix dvo fpveacov ist eine spätere, aber alte, dem Monophy- 
sitismus günstige Korrektur) a6vy%vxcjg^ äxgajtxcog^ ädiai^xog^ 
ai&QC^xcag yvcjQL^ofiav^ ovda^v rijg x&v (pvöacsv diatpogäg ävy- 
Qrj^ivrjg diä xi^v av(o6iv^ öcj^o^dvr^g öa ^kXov XTJg idLÖxrjxog ixa- 
xagag (pv6a(ogj xal aig ?v ngdetonov xal ^liav imööxaötv övvxQa- 
Xovdrig^ ovx aig di5o TtQÖöiQTca (laQL^öfiavov t) diaiQoviiavov, äkkä 
ava xal xbv avxbv vlbv xal fiovoyavrj^ d'abv köyov. 

Die Kraft des Glaubensgeheimnisses war durch diese Unter- 
scheidung von Natur und Person gelähmt, ein begriffliches Myste- 
rium aufgerichtet, die Klarheit der antiochenischen Auffassung 
von der Menschheit Jesu doch nicht erreicht. Die Formel ist 
negativ und kühl; die Frommen sahen ihren Trost, die evcoötg 
(pvötxi^ (die ii£a fpv6ig), dahinsinken. Wie soll das unserer 
Natur zu Gute kommen, was sich nur in der Person Christi er- 


§ 43.] Die monophysitischen Streitigkeiten und das 5. Konzil. 205 

eignet hat? Der verbasste „MoraKsmus" oder die Mystik der Ver- 
einigung des Logos mit jeder Mensehenseele schienen die Folge 
zu sein. Der Gewinn, die volle Menschheit Jesu nun als unum- 
stosslichen Glaubensartikel gesichert zu haben, für die Zukunft 
unschätzbar, war damals zu teuer erkauft. Auch war der Friede 
nicht hergestellt. Kaiser und Papst entzweiten sich über den 
28. Kanon (Gleichstellung Konstantinopels mit Rom), wenn sie 
es auch nicht zum Bruch kommen Hessen, und die Kirche des 
Morgenlandes geriet fast in Auflösung. 

§ 43. Die monophysitiscben Streitigkeiten und das ffinfte Konzil. 

Manbi T. Vn— IX. — GKrügek, Monophysit. Streitigkeiten, 1884. — 
FLooFs, Leontius von Byzanz, i, d. Texten u. Unters. III, 1. 2, 1887. 

Das Jahrhundert zwischen dem 4. und 5. Konzil bietet die 
komplizirtesten und wirrsten Verhältnisse; auch wechselte die 
dogmatische Situation in ihm beständig, so dass ein kurzer Über- 
blick unmöglich ist. Daher können hier nur einige Hauptpunkte 
betrachtet werden. 

1) Die Gegner des Chalcedonense, die Monophysiten, waren 
an geistiger Kraft und Regsamkeit den Orthodoxen überlegen. 
In Ägypten, Teilen von Syrien und in Armenien behielten sie die 
Oberhand, und es gelang den Kaisem weder durch Drohimgen 
noch durch Konzessionen, sie auf die Dauer zu gewinnen; viel- 
mehr entfremdeten sich jene Provinzen immer mehr dem Reiche 
und verknüpften das monophysitische Bekenntniss mit der Natio- 
ualität, die Bildung selbständiger, griechenfeindlicher National- 
kirchen vorbereitend. In der Hauptsache auf der Doktrin CyrilFs 
beharrend und die weitergehenden apoUinaristisch-eutychianischen 
Formeln verwerfend, zeigten die Monophysiten in inneren geistigen 
Bewegungen, dass zunächst allein in ihrer Mitte das dogmatische 
Erbe der Kirche lebendig war. Der neu erwachte Aristotelismus, 
der als Scholastik den Piatonismus ablöste, fand bei ihnen ge- 
lehrte Vertreter, die freilich (Johannes Philoponus) in ihren Spe- 
kulationen dem Tritheismus sehr nahe kamen. In der christo- 
logischen Frage gab es zwei Hauptrichtungen (Gieskler, Com- 
ment., qua Monoph. opin. illustr. 2 Part. 1835 f.). Die Einen 
(Severus v. Antiochien, Severianer, „Agnoeten^^, „Phartolatren") 
opponirten im Grunde nur gegen das Chalcedonense als eine for- 
melle Neuerung, gingen auf eine begriffliche Unterscheidung der 
beiden Naturen in Christus ein, ja waren eifrig darauf bedacht, 


206 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 43. 

die Naturen unvermischt zu erhalten und die Kreatürlichkeit und 
Verweslichkeit (in thesi) des Leibes Christi {ö^oovötov 'fj^tv), so- 
wie die Schranken der Erkenntniss der Seele Christi zu betonen, 
so dass sie selbst Orthodoxen Anstoss gaben. Sie wären zu ge- 
winnen gewesen, wenn man die ehalcedonensische Formel resp. 
den Lehrbrief Leo's geopfert hätte. Die Anderen dagegen (Julian 
von Halikamass, „Aktisteten", „Aphthartodoketen") zogen, die 
Verwandlung der einen Natur in die andere allerdings ablehnend, 
mit (und über) Cyrill die Konsequenzen des €V(x)0ig q)v6LX7] (aus 
zwei Naturen [nicht in zwei N.] ein Christus; die Naturen han- 
deln nicht für sich; denn sie sind nur in thesi [d'SoyQva iiovrj] unter- 
schieden); vom Moment der assumptio an sei auch der Leib als 
unvergänglich, ja sogar als unerschaflfen zu betrachten, alle Idiome 
der Gottheit seien auf die menschliche Natur übergegangen; dem- 
gemäss seien alle Affekte und Beschränktheiten, die man am 
evangelischen Bilde Christi gewahre, von Christus frei xatä %dQiv 
übernommen, nicht aber notwendige Folgen seines Wesens. Diese 
einzig vom Erlösungsgedanken bestimmte Auffassung entspricht 
der alten Tradition (Irenäus, Athanasius, Gregor von Nyssa etc.). 
Endlich gab es auch solche Monophysiten — doch gewiss nicht 
zahlreich — , die zu einer pantheistischen Spekulation fortschritten 
(„Adiaphoriten"): die Kreatur ist in geheimniss voller Weise 
überhaupt wesenseins mit Gott; die evfoaig (pv^vari in Christus ist 
nur der Ausdruck für die allgemeine Wesenseinheit der Natur 
und der Gottheit (Stephan barSudaili; die Mystiker; Einwirkung 
auf das Abendland; Scotus Erigena). Seit dem 5. Konzil, noch 
mehr seit dem Einbruch des Islam, verkümmerten die monophysi- 
tischen Kirchen in der Isolirung; der wilde nationale und kultische 
Fanatismus und die öde Phantasie der Mönche haben sie der Bar- 
barei nahe geführt. 

2) Da die Mittel der Gewalt nicht fruchteten, suchten einige 
Kaiser, um die Reichseinheit aufrecht zu erhalten , zeitweise das 
Chalcedonense zu unterdrücken (Encyklica des Basiliskus 476) 
oder zu umgehen (Henotikon des Zeno 482). AUein Folge dieser 
Politik war stets, dass man nur einen Teil der Monophysiten ge- 
wann und sich mit Rom und dem Abendland überwarf. So ent- 
stand des Henotikons wegen ein 35jähriges Schisma mit Rom 
(484 — 519), das nur dazu diente, den Papst noch selbständiger 
zu machen. Die Kaiser woUten sich eben nicht entschliesseii, ent- 
weder Rom oder den Orient preiszugeben, und verloreji schliess- 


§ 43.] Die monophysitischen Streitigkeiten und das 5. Konzil. 207 

liek Beides. Im J. 519 wurde das Chalcedonense im Bunde mit 
Rom durch Kaiser Justin, geleitet von seinem Neffen Justinian, 
voll wiederhergestellt. Allein der theopaschitische Streit 
(Erweiterung des Trishagion durch den Zusatz: 6 öravQcod'slg öl^ 
il(iägj resp. Giltigkeit der Formel: „einer aus der Trinität ist ge- 
kreuzigt^^: beides ist nicht identisch; denn jenes war eine kultische 
Neuerung und konnte sabellianisch verstanden werden, dieses ist 
gut orthodox) seit 518 zeigte, dass man im Abendland jede cyril- 
lische Erklärung des Chalcedonense misstrauisch betrachtete, 
während die Orthodoxen im Orient sich das Chalcedonense nur 
in cyrillischer Auslegung gefallen lassen wollten, dabei noch 
immer auf Versöhnung mit den Monophysiten hoffend. 

3) Während im 5. Jahrh. die chalcedonensische Orthodoxie 
im Orient überhaupt keinen dogmatischen Vertreter von Ansehen 
besessen hat — der stärkste Beweis, dass sie dem Geiste des 
Orients fremd war — , stellten sich solche seit dem Anfang des 
6. Jahrh. ein. Nicht nur war die Formel durch die Zeit ehrwür- 
diger geworden, sondern vor Allem lieferte das Studium des 
Aristoteles Waffen zu ihrer Verteidigung. Die Scholastik ge- 
stattete es, die chalcedonensische Unterscheidung von Natur und 
Person beizubehalten, ja sie willkommen zu heissen, und der 
Formel doch eine streng cyrillische Auslegung zu geben. 
Das ist durch den skythischen, wissenschaftlich gerichteten (am 
Ende seines Lebens ist er sogar für Origenes eingetreten), aber 
allem Antiochenischen abholden Mönch Leontius von Byzanz 
(c. 485 — 543), den bedeutendsten Dogmatiker des 6. Jahrh., den 
Vorläufer des Joh. Damascenus, den Lehrer Justinians, geschehen. 
Er hat die Kirche durch philosophisch -begriffliche Darlegung 
über das Chalcedonense beruhigt und das Dogma der scholasti- 
schen Technik überantwortet. Er ist der Vater der christologi- 
schen Neu- Orthodoxie, wie die Kappadocier die Väter der trini- 
tarischen Neu -Orthodoxie gewesen sind. Durch seine Lehre von 
derEnhypostasie der menschlichen Natur hat er in der Form 
eines feinen ApoUinarismus (die menschliche Natur entbehrt nicht 
der Hypostasie, d. h. des Subjekts, aber sie hat ihre Hypostase an 
dem Logos) dem Erlösungsgedanken vollkommen Rechnung ge- 
tragen (Leontius behauptet zwar zwei Energien, aber andererseits 
hält er das fita cpvöig köyov ösöaQxmfievrj aufrecht imd verschmilzt 
die Energien durch die Annahme einer ocvtlScoöls und xolvcovlcc 
TG)v ovoyLdtfov). 


208 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 43. 

4) Von hier aus ist Justinian's, des kaiserlichen Dogmatikers, 
Religionspolitik zu verstehen. Wie er durch beispielloses Glück 
das ganze Reich sich unterwarf, so wollte er auch das Reichsrecht 
und die Reichsdogmatik endgiltig fixiren. Folgende Gesichts- 
punkte leiteten ihn: a) strenges Festhalten am Wortlaut des 
Chalcedonense als einer Kapitalentscheidung, denen von Nicäa, 
Konstantinopel und Ephesus ebenbürtig, b) streng cyrillische Aus- 
legung des Symbols (der Kaiser war geneigt, bis zum Aphthar- 
todoketismus zu gehen), um die Monophysiten zu gewinnen 
und der eigenen Neigung zu folgen. Mittel dafür waren a) zahl- 
reiche kaiserliche Religionsedikte im Sinne der Christologie des 
Leontius, b) öffentliche Religionsgespräche, c) die Durchführung 
der theopaschitischen Formel, d) Unterdrückung jeder freieren, 
selbständigeren Theologie, daher des Origenismus einerseits, der 
bei monophysitischen Mönchen, namentlich in Palästina, zahl- 
reiche Anhänger hatte, und der antiochenischen Theologie anderer- 
seits (543), die sich ebenfalls noch zahlreicher Verehrer erfreute 
(wie der Kaiser die Schule von Athen geschlossen hat, so wollte 
er auch alle christlichen wissenschaftlichen Schulen schliessen; 
nur die Scholastik sollte nachbleiben), e) gewaltsame Einbürge- 
rung der Neu -Orthodoxie im Abendland. Erschwert wurde die 
Durchführung dieser Pläne 1) durch die geheime monophysitische 
Nebenregierung der Kaiserin Theodora, 2) durch den Widerstand 
des Abendlandes, das nicht in die Verwerfung der Antiochener, 
d. h. der „drei Kapitel" (Person und Schriften Theodor's, anti- 
cyrillische Schriften Theodoret's, Brief des Ibas an Maris) willigen 
wollte. Mit Recht erkannte das Abendland (Facundus von Her- 
miane) in der nachträglichen Verdammung der Antiochener einen 
Versuch, die Zwei- Naturenlehre, wie sie Leo gemeint hatte, ab- 
zuthun und dafür einen feinen Monophysitismus einzusetzen. 
Allein der Kaiser fand in Rom einen charakterlosen Papst (Vigi- 
lius), der sich mit Schmach bedeckte und seine Stellung im Abend- 
land aufs Spiel setzte, dem Kaiser willfahrend (grosse Schismen 
im Abendland; dem römischen Stuhl drohte die Isolirung). Dieser 
setzte die Verdammung des Origenes und der „drei Kapitel" durch; 
er restituirte den dogmatischen Gedanken der beiden ephesini- 
schen Konzilien von 431 und 449, ohne das Chalcedonense an- 
zutasten, und er liess sich das Alles von gehorsamen Bischöfen 
auf dem 5. Konzil zu Konstantinopel 553 bestätigen. Allein trotz- 
dem dass nun (mit Cyrill) von einer gottmenschlichen Natur 


^ 44] Die monotlieletischen Streitigkeiten. 209 

gesprochen werden sollte (neben der Zwei -Naturenlehre) und 
somit der Geist der orientalischen Dogmatik zum Siege 
gekommen, die abendländische Christologie unterlegen war, 
Hessen sich die Monophysiten nicht gewinnen; denn das Chalce- 
donense war zu verhasst, und die Gegensätze waren längst natio- 
nale geworden. 

§ 44. Die monergistischen und monotheletischen Streitigkeiten, 

das 6. Konzil nnd Job. Damascenns. 

S. Mansi T. X u. XL 

Mit den Bestimmungen des 4. und 5. Konzils hätte sich 
sowohl die Lehre von einem als von zwei Willen in Christjtis 
vertragen. Faktisch hat vor dem 6. Jahrhundert Niemand Von 
zwei Willen in Christus gesprochen; denn auch die Antiochener 
fahrten, wie einst Paul von Samosata, aus, dass sich der mensch- 
liche Wille ganz mit dem göttlichen Willen erfüllt habe (Willens- 
einheit, nicht Willenseinzigkeit). Aber die Theologie des Leontius 
tendirte allerdings auf die Zwei -Willenlehre. Doch wäre es zu 
einer Kontroverse schwerlich gekommen — das Dogma war schon 
seit 553 der theologischen Wissenschaft (Scholastik) und dem 
Kultus (Mystik) ausgeliefert — , wenn sich nicht die Politik der 
Frage bemächtigt hätte. 

Der hauptstädtische Patriarch Sergius riet dem gewaltigen 
Kaiser Heraklius (610 — 41) die Wiedereroberungen im Süden 
und Osten dadurch zu festigen, dass mau den Monophysiten mit 
der Formel entgegenkomme, der aus zwei Naturen bestehende 
Gottmensch habe Alles {^Lä d-eavÖQvxfj avsQyeCa) mit einer gott- 
menschlichen Energie gewirkt (ein „apostolisches" Zeugniss für 
diese Lehre fand man bei Dionysios Pseudo-Areopagita). Wirklich 
wurde 633 mit vielen Monophysiten auf dieser Grundlage eine 
Union geschlossen. Allein es erhob sich Widerstand (Sophronius, 
nachmals Bischof von Jerusalem), und Sergius im Bunde mit 
Honorius von Rom suchte nun Allen dadurch gerecht zu werden, 
dafls er die Losung ausgab, man müsse über die Energien 
schweigen (dass Christus nur ein d'elrjfiu habe, galt noch als 
selbstverständlich). So lautete auch ein kaiserlicher Erlass, die 
Ekthesis (638). Allein nicht nur im Abendland besann man sich 
jetzt auf die Konsequenzen des Lehrbriefs Leo's, sondern auch im 
Orient waren die tüchtigsten Theologen (Maximus Confessor) 
durch die aristotelische Scholastik mit der chalcedonensischen 

Ginndriss IV. in. Habnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 14 


210 Entwickelusg des Dogmas im Morgenland. [§ 44. 

Formel so vertraut, dass man den Willen auf die Seite der Naturen 
schob (nicht der Person) und daher die Zweiheit forderte. Jetzt 
wurde auf einer römischen Synode 641 (Papst Johann IV.) sogar 
der Monotheletismus verdammt. Die die Ekthesis verwerfen- 
den Orientalen flüchteten nach Karthago und Rom und bereiteten 
im Bunde mit dem Papst eine förmliche Revolution vor. Zwar 
scheiterte diese (es handelte sich um die Freiheit der Kirche 
gegenüber dem Staat; das Bestreben setzte sich im Bilderstreit 
fort); aber der Kaiser sah sich doch genötigt, die Ekthesis preis- 
zugeben, sie durch den Typ os ersetzend, der bei schweren Strafen 
den Streit um ein oder zwei Willen verbot. Allein Rom liess sich 
auch darauf nicht ein. Auf der Lateransynode 649 (Martin I.), der 
viele Orientalen beiwohnten, setzte sich die Verschwörung gegen 
den Kaiser, der der Kirche Vorschriften zu machen sich erdreiste, 
fort. In strenger Fassung wurde die Zwei-Willenlehre formulirt, 
seltsamerweise aber das Recht des richtig verstandenen Satzes: 
(iLa (p^6tg rov d'sov Xöyov 6B6aQ7C(o^ivri eingeräumt. Eine Reihe 
konstantinopolitanischer Patriarchen der letzten Zeit wurde ver- 
dammt. Martin machte Miene, wie ein zweiter Dioskur, die 
Kirchen des Orients zu beherrschen und aufzuwiegeln; aber es 
gelang dem Kaiser Konstans, dem Landesherrn des Papstes, sich 
desselben zu bemächtigen (653). Entehrt und beschimpft ist er 
im Chersones gestorben. Auch Maximus Confessor musste leiden. 
Konstans fand bald in Rom gefügigere Päpste und blieb bis zu 
seinem Tode (668) Herr der Situation, den Typos zur Geltung 
bringend und der verständigen Auskunft Vorschub leistend, dass 
die zwei natürlichen Willen gemäss der hypostatischen Einigung 
zu einem hypostatischen Willen werden. 

Der nun folgende Umschwung in Konstantinopel ist nicht 
vollkommen durchsichtig. Vielleicht weil man auf die Monophy- 
siten keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte, vielleicht weil 
die „Wissenschaft" der Zwei -Willenlehre günstig war, vielleicht 
weil man die imsicheren abendländischen Besitzungen durch dog- 
matisches Entgegenkommen fester an die Hauptstadt knüpfen 
wollte, lenkte Kaiser Konstantin Pogonatus ein und suchte den 
kraftvollen Papst Agathon zu neuen Verhandlungen zu bestimmen. 
Dieser sandte jetzt, wie einst Leo L, einen Lehrbrief ein, der die 
Irrtumslosigkeit des römischen Stuhls und den Dyotheletismus 
verkündete. Auf dem G. Konzil zu Konstantinopel (680) wurde 
dieser nach verschiedenen Vermittelungsvorschlägen und unter 


§ 44.] Die monotheletischen Streitigkeiten. 211 

Widerspruch, der aber endlich wich, durchgesetzt, d. h. die for- 
mellen Konsequenzen des Dekrets von 451 Wurden gezogen (zwei 
natürliche d'sl'^^ata und zwei natürliche Energien adiaLQatcog^ 
axQETCtcyq^ a^EQiöt(og^ a6vy%vtG3g in dem einen Christus; nicht 
als entgegengesetzt seien sie zu denken, sondern der menschliche 
Wille folgt und widersteht und widerspricht nicht, ist vielmehr 
dem göttlichen und allmächtigen Willen unterworfen; der mensch- 
liche Wille ist nicht aufgehoben, aber es findet andererseits eine 
Kommunikation statt: er ist der Wille des Gott-Logos, so wie die 
menschliche Natur, ohne aufgehoben zu sein, doch die Natur des 
Gott-Logos geworden ist). Zugleich wurden viele konstantinopo- 
litanische Patriarchen und der Papst Honorius verdammt. So 
hatte Rom wieder seine Formel diktirt, das 5. Konzil durch das 
6. balancirt und sich selbst dem Orient insinuirt. Allein das Ein- 
vernehmen war von kurzer Dauer. Schon 692 schloss sich auf 
dem TruUanum der Orient in kultischen Dingen — und diese 
waren bereits die entscheidenderen — schroff gegen Rom ab. 

Die Formeln der byzantinischen Dogmatik sind abend- 
ländisch; aber der Geist, der 431 imd 553 sich einen Ausdruck 
gegeben hatte (Cyrill), behielt in der Deutung der Formeln die 
Oberhand, und das Kultussystem und die kultische Mystik ist 
stets monophysitisch bestimmt geblieben. Das zeigte sich im 
Bilderstreit einerseits, in der christologischen Dogmatik des in 
der Mitte des 8. Jahrh. wirkenden Joh. Damascenus {ÜYjyii yvio- 
(fswg: T. 1 ocsgxikccia fpiko60(pixa^ T. 2 %bqI aCgsöecav^ T. 3 &c- 
dotfLQ ccTCQcßiig tfjg ÖQd'oöö^ov jtidtscjg^ s. die Ausgabe von Lequien, 
dazu Langen, Joh. von Damascus 1879) andererseits. Hier ist 
trotz der dyophysitischen und dyotheletischen Formel und der 
scharfen Unterscheidung von Natur und Person ein feiner ApoUi- 
narismus oder Monophysitismns insofern bewahrt, als gelehrt 
wird, der Gott-Logos habe die menschliche Natur (nicht einen 
Menschen) so angenommen, dass diese erst durch den Gott-Logos 
iüdividualisirt worden sei. Das ist das schon von Leontius er- 
kannte Zwischending, das keine eigene Hypostase hat, aber auch 
nicht ohne sie ist, sondern in der Hypostase des Logos seine 
Selbständigkeit besitzt. Ausserdem wurde der Unterschied der 
Naturen durch die Lehre von der jtsQLXG}QYj6Lg und der Idiomen- 
kommunikation ausgeglichen (s. auch hier Leontius). Die fistcc- 
6o6Lg (oixsLCoövg^ avtCdoöig) der Eigenarten der beiden Naturen 

will der Damascener so vollkommen fassen, dass er von einer sig 

14* 


212 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 45. 

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äkkrika t&v (iBQfov iteQiX^Qri^iq redet. Das Fleisch ist wirklich 
indirekt Gott geworden, und das vergottete Fleisch durchdringt 
die Gottheit. 

C. Der vorläufige Genuss der Erlösung. 

Zehntes Kapitel. 

Die Mysterien. 
§ 45. Mystik und Mysterien. 

Litteratur: S. die im 1. Kap. dieses Teils genannten Werke und 
KScHWABZLosE, Der Bilderetreit, 1890. 

Bereits im 6. Jahrhundert ist die dogmatische Entwickelung 
der griechischen Kirche abgeschlossen gewesen, und auch schon 
vorher hat jeder Fortschritt mit Abneigung und Misstrauen zu 
kämpfen gehabt. DJe Ursache hierfür liegt in dem Traditionalis- 
mus, genauer aber in dem immer mehr die Oberhand gewinnenden 
Ritualismus. 

Auch der Kitualismus hat eine zarte religiöse, ja christliche 
Wurzel. Er entstand aus dem Bestreben, einen schon in der 
Gegenwart vorhandenen Heilsbesitz nachzuweisen und festzu- 
halten, der aus derselben Quelle stammt, aus welcher die zukünftige 
Erlösung fliesst — aus der gottmenschlichen Person Christi — 
und daher dieselbe Art hat wie diese. Ursprünglich dachte man 
bei dem gegenwärtigen Heilsbesitz mehr an geistige Güter, 
an die Erkenntniss, an die Kräftigung der Freiheit zu guten 
Werken u. s. w. Allein da man die zukünftige Erlösung als 
geheimnissvolle Vergottung vorstellte, war es nur konsequent, 
dass man auch die Erkenntniss als geheimnissvolle, durch heilige 
Weihen mitzuteilende betrachtete, und dass man, gemäss der 
Vorstellung einer zukünftigen physischen Vereinigung mit der 
Gottheit, auch in der Gegenwart die Anbahnung und den Vor- 
schmack dieser Vergottung zu empfinden bestrebt war. 

Diese Tendenz leitete aber direkt zur Ethnisirung des 
Christentums hinüber oder ist vielmehr bereits ein Symptom 
derselben. Die iiccd^öig wird zur iivötayoyCa] diese aber, ur- 
sprünglich eine unheimliche Verbindung von Spirituellem und 
Sinnlichem, wird immer mehr zur Magie und zum Zauberwerk. 
In diesem ist das Ritual die Hauptsache; nichts aber ist empfind- 
licher als eine Ceremonie; sie verträgt nicht die geringste Ver- 
änderung. Sofern nun die Glaubensformeln immer mehr ihre 


§ 46.] Mystik und Mysterien. 213 

Bedeutung als ^dd'rjöig einbüssten und dafür in immer höherem 
Grade Bestandteile des Rituals wurden, zugleich Sinn und Zweck 
desselben, die Vergottung, ausdrückend, vertrugen sie keine Ver- 
änderung mehr. Wo das Dogma nur als Reliquie des Altertums 
oder in ritueller Behandlung wertvoll erscheint, da hat die 
Dogmengeschichte ein Ende. An ihre Stelle tritt die inystago- 
gische Theologie, und in der That hat diese, neben der Scho- 
lastik und mit ihr eng verbündet, bereits im 6. Jahrhundert die 
Dogmengeschichte abgelöst. Die mystagogische Theologie aber 
hat eine doppelte Seite. Einerseits führt sie, indem sie sich im 
Irdischen eine .neue Welt schafft und Dinge, Personen und Zeiten 
als geheimnissvolle Symbole und Vehikel nimmt, zur Zauber- 
religion über, resp. auf die tiefsten Religionsstufen zurück; denn 
für die Masse und schliesslich für die Theologen selbst entweicht 
der Geist, und das Phlegma, der geheiligte Stoff, bleibt nach. 
Wie die neuplatonische Philosophie zur religiösen Barbarei aus- 
geartet ist, so ist auch das griechische Christentum unter dem 
Einfluss der absterbenden Antike, die ihm ihre höchsten Ideale 
und ihre Idole vermacht hat, Bilderdienst geworden. Andererseits 
aber bewahrt die mystagogische Theologie für die „Wissenden" 
ihren uralten, pantheistischen Kern, den Grundgedanken^ dass 
Gott und die Natur im Tiefsten eins sind, dass die Natur die Ent- 
faltung der Gottheit ist. Auch die christlichen mystagogischen 
Theologen haben diesen Gedanken, mehr oder weniger klar 
durchdacht, beibehalten. Durch Spekulation und Askese kann 
man sich von allen Medien, Trägern und Vehikeln emanzipiren. 
Die Mysteriosophie ersetzt die Mysterien; diese wie alles Kon- 
krete und Geschichtliche werden für den Wissenden wirklich zu 
reinen Symbolen, und speziell die geschichtliche Erlösung durch 
Christus wird verflüchtigt. 

Es ist nicht auffallend, dass zwei so verschiedene, im Ritua- 
lismus freilich ausgeglichene, Gestaltungen wie der Pantheismus 
und der Fetischismus das Endprodukt der Entwickelung sind; 
denn sie steckten beide schon im Anfang der Bewegung und sie 
sind blutsverwandt, da sie an der Vorstellung von der substan- 
ziellen Einheit Gottes und der Natur ihre Wurzeln haben. Die 
Geschichte der Entwickelung der Mysterien und der Mysterien- 
theologie gehört streng genommen nicht hierher; daher sollen 
nur einige Andeutungen folgen: 

Am Anfang des 4. Jahrh. besass die Kirche bereits eine grosse 


214 Entwickeluug des Dogm&s im Morgenland. [§ 45. 

Reihe von „Mysterien", deren Zahl und Grenzen aber keineswegs 
sicher bestimmt waren. Unter ihnen waren die Taufe nebst der 
mit ihr verbundenen Salbung und das Abendmahl die höchst- 
geschätzten; aus ihnen hat sich auch ein Teil der übrigen 
Mysterien entwickelt. Symbolische Handlungen, ursprüngUch 
bestimmt, jene Mysterien za begleiten, wurden selbständig. So 
ist die Firmelung entstanden, die schon Cyprian als ein besonderes 
„sacramentum^ gezählt. Augustin als sacramentum chrismatis be- 
zeichnet, der Areopagite iivöttIqiov reksrfjg ^ivqov genannt hat. 
Man sprach auch von einem Mysterium des Kreuzeszeichens, der 
Reliquie, des Exorcismus, der Ehe u. s. w., und der Areopagite 
zählt sechs Mysterien: fpiDtLöiiatoSj ffvvä^scjg alr ovv xoLVioviag^ 
tslstfjg (ivQOv^ [sQatLX&v trilH&öscjVj iiova^cxrig rsksifböemg und 
(ivöTTlQLa STcl tcbv fsQ&g xsxoi^rjiievcjv. Die Zählung war sehr 
willkürlich; Mysterium war jedes Sinnliche, bei dem etwas Heiliges 
gedacht oder genossen werden sollte. Sie entsprachen den himm- 
lischen Mysterien, die ihre Quelle an der Trinität und der Mensch- 
werdung haben. Wie jede Oflfenbarungsthatsache ein Mysterium 
ist, sofern das Göttliche durch sie in das Sinnliche getreten ist, 
so ist umgekehrt jedes sinnliche Mittel, auch das Wort oder die 
Handlung; ein Mysterium, sobald das Sinnliche Symbol oder 
Vehikel — diese sind nie streng unterschieden worden — des 
Göttlichen ist. Die Wirkungen der Mysterien werden mit den 
höchsten Ausdrücken gefeiert als die Vereinigung mit der Gott- 
heit; aber da sie die verlorene Gottesgemeinschaft nicht wieder- 
herstellen können (nur Christus und die Freiheit vermögen das),, 
so vermag die strenge Dogmatik nur wenig über sie auszusagen. 
Die wahre Wirkung ist eine rein gefuhlsmässige, resp. wird in 
der Phantasie erlebt: man sah, hörte, roch und fühlte das Himm- 
lische, aber ein angefochtenes Gewissen konnte man mit den 
Mysterien nicht trösten, versuchte es m. W. auch kaum. 

Auf Grund derselben entwickelte sich, indem der rohe Instinkt 
der Massen voraneilte, die Mysteriosophie. Ihre Wurzeln sind so 
alt wie die Heidenkirche, und es lassen sich zwei konvergirende 
Entwickelungen imterscheiden, die antiochenische und die alexan- 
drinische. Jene (Ignatius, die apostolischen Konstit., Chrysosto- 
mus) knüpft an den Kultus und Priester an, diese an den wahren 
Gnostiker resp. an den Mönch. Jene sieht in dem Gottesdienst 
und im Priester (Bischofj die wahre Hinterlassenschaft des gott- 
menschüchen Lebens Christi und bindet den völlig passiv ge- 


§ 46.] Mystik und Mysterien. 215 

dachten Laien an das kultisch-hierarchische System, durch das 
man zur Unsterblichkeit geweiht wird; diese will selbständige 
Virtuosen der Religion bilden. Die alexandrinische Mysterio- 
sophie ist heterodox; aber sie hat kein einziges Schema der posi- 
tiven Religion ausser Acht gelassen, vielmehr alle neben der 
stufenweise fortschreitenden Erkenntniss verwertet (Opfer, Blut, 
Versöhnung, Entsühnung, Reinigung, Vollendung, Heilsmittel, 
Heilsmittler), freilich alle als Durchgangspunkte betrachtet, 
um durch Spekulation und Askese einen Standpunkt zu gewinnen, 
für den jedes Vehikel und Sakrament, alles Heilige, was in sinn- 
licher Hülle auftritt, profan wird, weil die Seele im AUerheiligsten 
lebt und in Jedem ein Christus geboren werden soll: TCaQovörig 
tijg dkrjd'SLag rä tTjg alrjd'siag dst tcoleiv^ ov rä tilg €ix6vog. 

Die beiden Mysteriosophien, die hierarchische und die gnosti- 
sche, konvergiren in der Mystik des grossen Unbekannten Diony- 
sius Areopagita (Vorstufen bieten Methodius, Gregor v. Nyssa, 
Makarius), der einerseits den Kultus und das Priestertum als irdi- 
sche Parallele der himmlischen Hierarchie (der abgestuften Geister- 
welt als der sich entfaltenden Gottheit) gefasst, andererseits den 
Individualismus der neuplatonischen Mystik aufgenommen hat. 
(Über Dionysius, dessen Lebenszeit noch immer nicht ermittelt 
ist — Ende des 4. oder des 5. Jahrb.? — und seine seit dem 6. Jahrh. 
höchst einflussreichen, weil als „apostolisch" geschätzten Schriften 
[TIsqI ovQccvLag tsQaQxCag — IlaQi 8KKlrj6Lcc(fri7cfig tsQUQiiag — 
IIeqI %'eC(ov övondrcov — IJsqI iiv6riKrjg d'eokoytag — 10 Briefe] 
s. MoELLER in RE^, Hipler, Dionys. d. Areop. 1861, GESteitz 
i. JDTh XI S. 197 ff., ALFrothingham, Stephen Bar Sudaüi 1886, 
JDräseke, Ges. patrist. Abhandl. 1889 S. 25 ft'., AJahn, Diony- 
siaca 1889.) Durch Maximus Confessor wurde diese Kombination 
die Macht, die die Kirche beherrschte, sie zu monachisiren ver- 
suchte und ihr den mönchischen Widerstand gegen den Staat — 
die einzige Form, in der die griechische Kirche Selbständigkeit 
zu behaupten vermag — einimpfte. 

Der eigentümliche Charakter der Mysteriös ophie als der 
Spekulation über die Versinnlichung des Göttlichen und über die 
Vergottung des Sinnlichen konnte bei keinem Mysterium stärker 
ausgeprägt werden als beim Abendmahl (GESteitz, Abend- 
mahlslehre d. griech. Kirche i. JDTh. Bd. IX — XIII). Dieses, 
schon längst als der Boden erkannt, auf dem der sublimste Spiri- 
tualismus der massivsten Sinnlichkeit die Hand reichen konnte. 


216 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 46, 

wurde so ausgebildet, dass an ihm die christologische Formel, 
das Grunddogma, lebendig und fassbar erschien. Ohne der Speku- 
lation über das Abendmahl eine streng lehrhafte Ausbildung zu 
geben, wurde es namentlich seit Cyrill v. Alex, allgemein so be- 
handelt, dass es als das Mysterium galt, welches unmittelbar auf 
der Inkarnation ruht und das Geheimniss der d^smöis fortsetzt. 
Alle übrigen Mysterien, sofern auch sie die Ineinsbildung von 
Himmlischem und Irdischem enthalten, bestehen eigentlich nur 
zu Recht auf Grund des Abendmahls. Nur hier ist eine förmliche 
Transmutation des Sinnlichen in den göttlichen Leib Christi 
gegeben; denn diese Vorstellung nahm immer mehr überhand, 
tilgte den Symbolismus aus und setzte sich endlich völlig durch. 
Die Verwandelung des geheiligten Brotes in den Leib Christi ist 
gewissermassen die Fortsetzung des Prozesses der Inkarnation. 
Dabei wurden in Bezug auf das Abendmahl — höchst charakte- 
ristisch — durchweg monophysitische Formeln gebraucht, 
und allmählich setzte sich sogar die Vorstellung durch, dass der 
Leib, in den sich das Brot transformire, per assumptionem der 
von der Jungfrau geborene Leib Christi selbst sei, woran früher 
kaum Einer gedacht hatte, indem die Alteren auch unter öäg^ 
XQL6rov etwas Pneumatisches verstanden. Wie aber das Abend- 
mahl als Sakrament aufs engste mit dem Inkamationsdogma und 
der christologischen Formel verbunden wurde (daher die Empfind- 
lichkeit dieser Formel), so wurde es als Opfer mit dem KJreuzes- 
tode verknüpft (Wiederholung des Kreuzesopfers; jedoch ist die 
Vorstellung in der griechischen Kirche nicht so sicher wie im 
Abendland ausgeprägt worden). So vergegenwärtigte es die wich- 
tigsten geschichtlichen Thatsachen, aber nicht als Erinnerung, 
sondern als Fortsetzung resp. Wiederholung, wodurch jene That- 
sachen um ihre einzigartige Bedeutung bez. auch um ihren Sinn 
gebracht wurden. Zugleich wandelte der unsittliche und irreligiöse 
Hunger nach „Realitäten" die h. Handlung in eine Mahlzeit, in der 
man die Gottheit mit den Zähnen zerbiss (so schon Chrysostomus; 
Abschluss der Abendmahlslehre bei Joh. Damasc). 

§ 46. Verehrung der Engel, Heiligen, Bilder u. s. w. 

Die ganze Entwickelimg des griechischen Christentums 
zum Bilderdienst, zur Superstition und einem schlecht verhüllten 
Polytheismus lässt sich aber auch als Sieg der in der Kirche stets 
vorhandenen Religion zweiter Ordnung (apokryphe Religion) über 


§ 46.] Engel, Heilige, Bilder. 217 

die geistige Religion auffassen. Jene wurde legitiniirt und mit 
der doctrina publica verschmolzen, wenn auch die Theologen ge- 
wisse Kautelen anbrachten. Wie die heidnischen Tempel in christ- 
liche Kirchen umgeweiht wurden, so wurde das alte Heidentum 
als Engel-, Heiligen-, Bilder-, Reliquien-, Amulettendienst und 
Festordnung konservirt (s. bes. die Arbeiten von Hüsener und 
seiner Schule). Die Religion, deren Stärke einst der Abscheu vor 
den Idolen gewesen ist, ist schliesslich den Idolen verfallen und 
in dem Masse sittlich stumpf geworden. Freilich lagen die An- 
knüpfungspunkte in der doctrina publica selbst; denn 1) diese 
war mit den Mitteln der griechischen Philosophie gebaut; die 
Philosophie aber hing durch tausend Fäden mit der Mythologie 
und Superstition zusammen, 2) sie sanktionirte das A. T., ur- 
sprünglich freilich eine geistige Deutung desselben vorsclireibend; 
allein der Buchstabe des A. T., der zum Teil eine untergeordnete 
Religionsstufe ausprägte, wurde immer mächtiger und kam den 
inferioren Tendenzen der Kirche entgegen, die er dann zu legiti- 
miren schien, 3) die als Mysterien vorgestellten Handlungen der 
Taufe und des Abendmahls öffneten dem Einströmen des Mysterien- 
unwesens überhaupt Thor und Thür, 4) der altüberlieferte, durch 
die doctrina publica geschützte Engel- und Dämonenglaube wurde 
immer mächtiger, wurde in massiver Form von den Mönchen, in 
spiritueller von den neuplatonischen Theologen gepflegt und 
drohte immer mehr die wahre Sphäre der Frömmigkeit zu werden, 
hinter der der unerfassliche Gott und der durch die Kirchenlehre 
ebenso unerfassliche Christus im Dunklen ruhten, 5) die alte Vor- 
stellung, dass es „Heilige" gebe (Apostel, Propheten, geistliche 
Lehrer, Blutzeugen), war schon sehr frühe so ausgebildet worden, 
dass diese Heiligen fürbittend und satisfaktorisch für die Menschen 
eintreten; sie nahmen nun mehr und mehr die Stelle der ent- 
thronten Götter ein, sich an die Engelmächte anreihend. Unter 
ihnen trat Maria in den Vordergrund, und der Gang der Ent- 
wickelung des Dogmas ist ihr — nur ihr — speziell zu gut ge- 
kommen. Ein Weib, eine Mutter, erschien nun in der Nähe der 
Gottheit, und damit war endlich die Möglichkeit gegeben, das 
dem ursprünglichen Christentum Fremdeste doch zur Aner- 
kennung zu bringen — das Heilige, das Göttliche in weiblicher 
Gestalt — Maria wurde die Mutter Gottes, die Gottesgebärerin, *) 

1) Über den Engeldienst, sofern die Engel die Heilsgüter an die 
Menschen vermitteln, s. den Areopagiten; über die Verbreituog des 


218 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 46. 

6) von den ältesten Zeiten her war den Christen der Tod als Ge- 
burtsstunde des wahren Lebens heilig gewesen; deiogemäss er- 
hielt allmählich Alles, was mit dem Tode christlicher Heroen zu- 
sammenhing, eine dingliche Heiligkeit. Das antike Idol- und 
Amulettwesen bürgerte sich ein, aber in der hässlichsten Form 
als Reliquien wesen und Knochenverehrung; an dem Kontraste 
der unscheinbaren, abschreckenden Gestalt und dem religiösen 
Wert machten sich die Christen die Erhabenheit ihres Glaubens 
klar, und je imästhetischer eine Reliquie erschien, um so höheren 
Wert musste sie für diejenigen haben, die in der Entkörperung 
und der Austilgung aller sinnlichen Reize die Gewähr des Heiligen 
erkannten, 7) endlich öffnete die Kirche dem schrankenlosen Be- 
gehren, in einer Wunderwelt zu leben, das Heilige mit allen fünf 
Sinnen zu geniessen und Zauberwinke von der Gottheit zu er- 
halten, freie Bahn. Auch die gebildetsten Kirchenväter der 
späteren Zeit wissen zwischen Wirklichem und Unwirklichem 
nicht mehr zu unterscheiden, leben in einer Welt der Magie und 
lockern den Bund des Religiösen mit dem Sittlichen (von der 

Engeldienstes (besonders die Idee der Schutzengel) schon im 4. Jahrh. 
s. Didymus, de trinit. II, 7. — Der Heiligendienst (Kirchen einena be- 
stimmten Heiligen geweiht) war schon um 300 sehr ausgebildet; allein 
es fehlten im 4. Jahrh Gegenwirkungen nicht (auch nicht in Bezug auf 
den Engeldienst; s. die Synode von Laodicea). Namentlich hat der gal- 
lische Priester Vigilantius (um 406) ihn bekämpft, sowie auch die ßeli- 
quienverehrung. Allein die angesehensten Lehrer (Hieronymus) erklärten 
sich gegen Vigilantius und arbeiteten eine „Heiligentheologie" aus, die 
XatQsia Gott reservirend, aber tnii] 6%Btiv,ri {'JtQoav.vvr\aig) den HeiHgen 
zugestehend. Das Reliquienwesen, ebenfalls im 4. Jahrh. schon in Blüte, 
stieg doch erst im monophysitischen Zeitalter zur vollen Höhe. Schliess- 
lich musste jede Kirche ihre Reliquien haben, und der 7. Kanon des 
7. Konzils bestätigte das und sanktionirte den kirchlichen Gebrauch der 
Reliquien feierlich. — Die Hauptrolle in dieser Religion zweiter Ordnung 
spielt aber die Maria; sie allein ist zu einer dogmatischen Grösse, 
^Botoyiog ein Stichwort wie ö^oovGiosy geworden: „der Name Gottes- 
gebärerin stellt das ganze Geheimniss der Menschwerdung dar" (Joh. 
Damasc. in den Marienhomilien). Gen. 3, 15 wurde auf sie bezogen und 
eine aktive Teilnahme der Maria an dem Erlösungswerk gelehrt (nament- 
lich seit Cyrill v. Alex., doch s. schon Irenäus und Athanasius, Ambro- 
sius, Hieronymus). Maria erhielt eine heilige Geschichte von Empfäng- 
niss bis Himmelfahrt, eine Dublette zur Geschichte Christi (Marien- 
legenden und -feste); sie galt als unumgängliche Fürsprecherin. Doch 
ist sie bei den Griechen nicht „Himmelskönigin" und „Schmerzensmutter" 
geworden wie bei den Lateinern (KBkkrath, Z. Gesch. der Marienverehrung 
i. d. Stud. u. Krit., 1886 S. 7 ff.; WGa.ss, Symbolik der griech. Kirche S. 183). 


§ 46.] Der Büderstreit 219 

Askese abgesehen), ihn um so enger mit dem Sinnliehen schliessend. 
Prozeduren aus der grauen Vorzeit der Religion, wenig modifizirt, 
tauchten wieder auf — Orakelbefragung aller Art, Gottesurteile, 
Prodigien u. s. w. Die Sjmoden, ursprünglich diesem Treiben 
feindlich, gingen schliesslich darauf ein. 

Am deutlichsten ist die neugewonnene Eigenart der griechi- 
schen Kirche zum Ausdruck gekommen in der Bilderverehrung 
und dem Bilderstreit. Nachdem sich langsam die Bilder- 
verehrung in die Kirche eingeschlichen hatte, erhielt sie eine 
mächtige Kräftigung und eine in der Antike unerhörte Begründung 
durch das Inkamationsdogma und die diesem entsprechende Be- 
handlung der Eucharistie (seit dem 5. Jahrh.). Christus ist sixfhv 
Gottes und doch ein lebendiges Wesen, ja Tcvsv^a ^(oojtotöv; 
Christus hat durch die Menschwerdung das Göttliche sinnlich 
fassbar gemacht: die konsekrirten Elemente sind ffixövsg Christi 
und doch zugleich Christi Leib selbst. Diese Gedanken führten 
für die Anschauung eine neue Welt herauf. Alles Sinnliche, das 
die Kirche berührt, wird nicht nur Symbol, sondern auch Vehikel 
des Heiligen: so empfanden die Mönche und Laien, und so lehrten 
die Theologen. Unter den sinnlichen Dingen zeigt aber die Ver- 
einigung von Heiligem und Stofflichem am deutlichsten das Bild. 
Bilder Christi, der Maria und der Heiligen wurden schon seit dem 
5. (4.) Jahrh. nach antiker Weise verehrt; man war naiv genug, 
zu meinen, jetzt vor dem Heidentum gesichert zu sein, und man 
übertrug die dogmatische Vorstellung von dem vergotteten Stoff 
in besonderer Weise auf die Bilder, in denen man — auch die 
aristotelische Scholastik wurde zu Hülfe gerufen — die Ver- 
mählung des irdischen Stoffs mit der himmlischen (heiligen) 
Form leibhaftig sehen konnte (dazu der superstitiöse Glaube an 
nicht mit Händen gemalte Bilder). Das Mönchtum nährte den 
Bilderdienst und machte Geschäfte mit ihm-, Scholastiker und 
Mystiker bildeten ihn dogmatisch aus. 

Das Mönchtum forderte aber auch das Selbständigkeits- 
streben der Kirche gegenüber der justinianischen Staatsordnung, 
die die Kirche fesselte. Im 7. Jahrh. flüchtete sich der kirchlich- 
mönchische Widerstand gegen Byzanz hinter den Dyotheletismus, 
wie er sich im 5. und 6. hinter den Monophysitismus geflüchtet 
hatte; er wurde immer mächtiger und suchte die Kirchenfreiheit 
zu gewinnen, die das Abendland zum Teil bereits genoss. Kraft- 
volle, aber barbarische Kaiser suchten diesem Streben ein Ende 


220 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 47. 

zu machen, an die Stelle der Priester und Mönche das Heer zu 
setzen und die Selbständigkeit der Kirche dadurch zu brechen, 
dass sie sie an ihrer Eigenart trafen, dem Bilderdienst. So 
entstand der furchtbare Bilderstreit, der mehr als ein Jahr- 
hundert gedauert hat. Die Kaiser kämpften in ihm um den staat- 
lichen Absolutismus und waren nur mit einer einzigen Macht im 
Bunde, dem Militär; denn die übrigen Bundesgenossen, nämlich 
die religiöse Aufklärung imd die älteste Tradition der Kirche, 
die gegen die Bilder sprach,' waren ohne Kraft. Die Mönche und 
Bischöfe hatten auf ihrer Seite die damalige Bildung, Kunst und 
Wissenschaft (Joh. Damasc, der Bildertheologe, s. seine drei 
Reden JtQog tovg öiaßdkkovxag tag kyCag sixövag^ Theodorus 
Studita), den römischen Bischof, femer die Frömmigkeit und die 
lebendige Tradition; sie stritten für das Centraldogma, das sie 
im Bilderdienst ausgeprägt sahen, und für die Kirchenfreiheit. 
Die letztere konnten sie nicht durchsetzen. Der Ausgang war 
vielmehr der, dass die Kirche zwar ihre Eigenart behielt, aber 
ihre Selbständigkeit gegenüber dem Staat definitiv einbüsste. 
Das 7. Konzil zu Nicäa (787) sanktionirte die Bilderverehrung 
(aöTcaöfibv xccl xv^rixvKriv TtQoöxvvrjöLV aTCOveinEvv ^ ov (irjv rrjv 
Tcarä Ttiöriv r^iäyv äXrjd'Lvriv kaxQBiav^ tj 7tQE7t8t fiövr] xri %'eta 

q)v6Bi rixrig sixovog xi^ij stcI xb TtQioxöxvjtov SiaßaCvsC). Eine 

in den Hauptpunkten folgerechte Entwickelung liegt hier ab- 
geschlossen vor. Das Göttliche und Heilige, wie es durch die 
Menschwerdung sich in das Sinnliche herabgelassen, hat sich in 
der Kirche ein System von sinnlich-übersinnlichen Dingen ge- 
schaffen, die dem Genuss sich darbieten. Dem mit dem In- 
kamationsgedanken verbundenen neuplatonischen Gedanken des 
sich in einer Vielheit abgestufter Ideen (Urbilder) bis zum Irdi- 
schen hin entfaltenden Einen entspricht die Bildertheosophie. 
Dem Theodorus Studita war das Bild fast wichtiger als das 
korrekte dogmatische Stichwort; denn in dem authentischen 
Bild habe man den wirklichen Christus und die wirklichen 
Heiligen — nur die Materie ist verschieden. 

Elftes Kapitel. 

Schluss. Skizze der Entstehungsgeschichte des orthodoxen Systems. 

§47. 

1. Ein christliches System auf der Grundlage der vier Prin- 
zipien Gott, Welt, Freiheit und h. Schrift unter Anlehnung an die 


§ 47.] Das orthodoxe System. 221 

doctrina publica, den gesammten Ertrag der ^EkXrjVLX'^ navdsCa 
verarbeitend, hat Origenes gegeben; allein es war in vielen Details 
heterodox, und als Wissenschaft vom Glauben sollte es den Glauben 
selbst überbieten. Dazu war der Gedanke der geschichtlichen Er- 
lösung durch den wahren Gott Jesus Christus nicht der Alles 
beherrschende. 

2. Die Kirche vermochte sich bei diesem System nicht zu be- 
ruhigen. Sie verlangte 1) die Identität der Aussagen des Glaubens 
und der Glaubenswissenschaft (namentlich seit Methodius), 2) eine 
solche Beschränkung des Gebrauchs der ^Ellrjvtxii itaiSsCa, dass 
die realistischen Sätze der regula fidei und der Bibel dabei intakt 
blieben (die Gegner des Origenes: Epiphanius, ApoUinaris, die 
Mönche, Theophilus von Alex., Hieronymus), 3) die Einführung 
des Gedankens der realen und geschichtlichen Erlösung durch 
den Gottmenschen als des centralen (Athanasius und seine An- 
hänger). Diese Forderungen konsequent durchgeführt, sprengten 
aber das origenistische System, das im Grunde ein philosophisches 
war. Sprengen aber wollte und konnte es von den gebildeten 
Christen zunächst Niemand 5 denn man beurteilte es als die 
Wissenschaft, von der man sich nicht trennen durfte und die 
der christliche Glaube zu seiner Verteidigung bedurfte. 

3. In Folge hiervon herrschte bis zum Ende des 4. Jahrh. in 
der orientalischen Kirche, in die seit Konstantin die alte Welt 
einzog, Unklarheit und Freiheit. Allerdings war durch Arius und 
Athanasius der Erlösungsgedanke zum kritischen Problem ge- 
worden und setzte sich dann wesentlich in der Fassung durch, 
die der christliche Glaube damals verlangte; aber alles Peripheri- 
sche war ganz unsicher: eine völlig spiritualistisch-philosophische 
Auslegung der Bibel stand neben einer grob realistischen, ein 
massiver Anthropomorphismus neben einem christlich gefärbten 
"Neuplatonismus, die umgedeutete Glaubensregel neben ihren 
Buchstaben. Dazwischen gab es unzählige Nuancen; Steuermann 
und Steuer fehlten, und die Religion zweiter Ordnung, das kaum 
verhüllte Heidentum, drängte sich mit elementarer Gewalt nicht 
nur in die Kirche, sondern auch in die Kirchenlehre ein. Wohl 
haben die Kappadocier (Gregor von Nyssa) die Wissenschaft des 
Origenes inmitten der Angriffe von Rechts und Links aufrecht 
erhalten und der Überzeugimg gelebt, dass es möglich sei, den 
kirchlichen Glauben und die freie Wissenschaft zu versöhnen. 
Kirchlich gesinnte Laien, wie Sokrates, gaben ihnen Recht, und 


222 EntwickeluDg des Bogm&n im Morgenland. [§ 47. 

zugleich drang die griecliische Theologie in das Abendland und 
wurde dort ein wichtiges Ferment. Allein daneben wuchs, nament- 
lich seit dem Sturz des Arianismus, eine mrt der Barbarei ver- 
brüderte Mönchs- und Gemeindeorthodoxie auf, die der selbst- 
ständigen kirchlichen Wissenschaft höchst feindlich war; aller- 
dings verfügte diese über keine Mittel, um den heterodoxen 
Hellenismus sicher abzuwehren. Gab es doch sogar Bischöfe 
(Synesius), die die kirchlichen Hauptdogmen entweder umdeuteten 
oder in Abrede stellten. 

4. Unter solchen umständen spitzte sich die Situation zu 
einem Kampf gegen Origenes zu. Sein Name bedeutete ein Prinzip, 
die bewusste Anwendung ier^EXktjVLxii iiaideLa in der kirchlichen 
Wissenschaft. In Palästina war es der leidenschaftliche, gelehrte 
und bomirte Epiphanius, der die Kreise der mönchischen Ver- 
ehrer des Origenes und den Bischof Johannes von Jerusalem 
störte (Ende des 4. Jahrb.). In Ägypten sah sich der Bischof 
Theophilus, um seinen Einfluss zu erhalten, genötigt, den Origenes 
den Mönchen preiszugeben und zu verdammen. Das ist eine der 
folgenschwersten Thatsachen in der Geschichte der Theologie. 
Nicht minder folgenschwer aber war es, dass der grösste Theologe 
des Abendlandes, der im Orient lebende Hieronymus, einst ein Ver- 
ehrer des Origenes, mit Theophilus gemeinsame Sache machte, 
um sein kirchliches Ansehen zu bewahren, und den Origenes zum 
Häretiker stempelte. In dem Streit, in den er deshalb mit seinem 
alten Freunde ßufin geriet, nahm der römische Bischof Partei. 
Origenes wurde auch zu Rom (399) verdammt, Rufin zensurirt. 
Allein, zu einer allgemeinen kirchlichen Aktion gegen Origenes 
kam es noch nicht. Die Kontroverse verschwand in dem Kampfe 
des Theophilus gegen Chrysostomus. Noch im 5. und 6. Jahrh. 
hatte Origenes unter Mönchen und Laien im Orient, namentlich 
in Palästina, zahlreiche Verehrer; seine Heterodoxien wurden von 
ihnen teils vertuscht, teils gebilligt. 

5. Der grosse Kampf um das christologische Dogma im 
5. Jahrh. brachte zunächst alle übrigen Kämpfe zum Schweigen. 
Aber der Gegensatz zwischen den Alexandrinern und Antiochenem 
war auch ein allgemein wissenschaftlicher. Jene stellten sich auf 
die Tradition und die Spekulation (über den realistisch gefassten 
Erlösungsgedanken), auf dem linken Flügel noch immer Anhänger 
zählend, die der origenistisch-neuplatonischen Philosophie geneigt 
waren und die ertragen wurden, wenn sie ihre Heterodoxien hinter 


§ 47.] Das orthodoxe System. 223 

der Kultusmystik verbargen; diese waren nüchterne Exegeten mit 
einem kritischen Zug und verwandten die Philosophie des Aristo- 
teles, die spiritualisirende Methode des Origenes ablehnend, im 
Einzelnen von ihm lernend. Das heterodoxe Element lag bei den 
Alexandrinern, soweit sie sich nicht völlig dem Traditionalismus 
in die Arme geworfen hatten, noch immer in der Richtung auf 
den Pantheismus (ündeutung der regula), bei den Antiochenern 
in der Fassung des Centraldogmas. Genötigt auf der Wacht gegen 
die alten Ketzereien zu stehen, die sich sämmtlich in den Osten 
gezogen hatten, blieben die Antiochener die „antignostischen'^ 
Theologen und thaten sich viel darauf zu gut, dass sie die Kämpfe 
des Herrn führten. Der letzte unter ihnen (doch lebten sie ausser- 
halb des Reiches in Edessa und Nisibis fort), Theodoret, hat 
seinem Kompendium der häretischen Fabeln ein 5. Buch: ^^d^s^cov 
doy(icit(ov ^TrtroftiJ" angehängt, das als der erste systematische 
Versuch nach Origenes bezeichnet werden muss und augenschein- 
lich auf Johannes Damascenus von grossem Enfluss gewesen ist. 
Diese „Epitome" hat eine grosse Bedeutung. Sie verbindet das 
trinitarische und christologische Dogma mit dem ganzen Kreis 
der an das Symbol angeknüpften Lehren. Sie zeigt eine ebenso 
ausgeprägt biblische, wie kirchliche und verständige Haltung. 
Sie hält überall die rechte „Mitte" inne. Sie ist fast vollständig 
und berücksichtigt namentlich auch die realistische Eschatologie 
wieder. Sie hat keine der anstössigen Lehren des Origenes auf- 
genommen, und doch ist Origenes nicht als Ketzer behandelt. 
Ein System ist diese Epitome nicht; aber die immer gleiche 
Nüchternheit und Klarheit in der Behandlung des Einzelnen und 
die sorgfältige biblische Begründung verleihen dem Ganzen ein 
einheitliches Gepräge. Genügen konnte es freilich noch nicht, 
erstlich schon um der Person seines Urhebers willen, sodann weil 
alles Mystische und Neuplatonische diesem Lehrinbegriflf fehlt. 
6. Nach dem Chalcedonense stockte in der orthodoxen Kirche 
zunächst alle Wissenschaft: es gab in ihr zeitweilig weder „Antio- 
chener" noch „Alexandriner" mehr, die freie theologische Arbeit 
erlosch fast völlig. Allein das Jahrhundert bis zum 5. Konzil zeigt 
zwei merkwürdige Erscheinungen. Erstlich gewann eine M y s t e r i o- 
sophie in der Kirche immer mehr Boden, die nicht die Dogmen 
bearbeitete, sondern mit dem einen Fusse auf dem Boden der 
Religion zweiter Ordnung stand (Superstition, Kultus), mit dem 
anderen auf demNeuplatonismus (der Pseudoareopagite); zweitens 


224 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 47. 

wuchs eine Scholastik auf, die sich das Dogma als Gegebenes 
voraussetzte und durch begriffliche Distinktionen aneignete (Leon- 
tius von Byzanz). Im Geiste beider Richtungen hat Justinian 
seine Religionspolitik getrieben. Auf sie sich stützend hat er, der 
die Schule von Athen geschlossen hat, auch die alten kirchlichen 
Schulen, die origenistische und antiochenische, geschlossen. Das 
5. Konzil sanktionirte die Verdammung des Origenes (in 15 Ana- 
thematismen wurden seine heterodoxen Sätze verworfen) und die 
Verdammung der drei „Kapitel" (der Antiochener). Fortab gab 
es eine auf die Prinzipien zurückgehende theologische Wissen- 
schaft nicht mehr. Es gab nur noch Kultusmystik (freilich mit 
einem verborgenen heterodoxen Zuge) und Scholastik, beide z. T. 
in engster Verbindung (Maximus Confessor). Damit war der Zu- 
stand erreicht, den die „Konservativen" zu allen Zeiten herbei- 
gesehnt hatten; allein man war durch die Verdammung des Ori- 
genes und der Antiochener nun wehrlos gegen den massiven 
Biblicismus und einen superstitiösen Realismus, und das war ein 
Ergebniss, das man ursprünglich nicht gewollt hatte. In dem 
Bilderdienst einerseits und der ängstlich- buchstäbelnden Aus- 
legung von Gen. 1 — 3 andererseits offenbart sich der Untergang 
der freieren theologischen Wissenschaft. 

7. Für die fidd'ifjöLg galten vor Allem die Kappadocier (dazu 
Athanasius imd Cyrillj als entscheidend, für die iivötayGxyia der 
Areopagite und Maximus, für die q)iXo6o(pLa Aristoteles, für die 
biLiUa Chrysostomus. Der Mann aber, der das Alles zusammen- 
gefasst hat, der die scholastisch- dialektische Methode, die Leon- 
tius auf das Inkarnationsdogma angewendet hatte, auf den ganzen 
Umkreis der „göttlichen Dogmen", wie Theodoret denselben fest- 
gestellt, übertragen hat, war Johannes Damascenus (^"Exdoötg axQt- 
ßVS '^VS oQd'odo^ov Tttötscjg). Durch ihn gewann die griechische 
Kirche das orthodoxe System; aber nicht nur die griechische 
Kirche. Die Bedeutung des Werks des Johannes ist für das 
Abendland nicht geringer. Es ist ein Fundament der mittelalter- 
lichen Theologie geworden. Vor Allem ist Johannes Scholastiker 
gewesen. Jede Schwierigkeit ist ihm nur die Aufforderung, künst- 
lich die Begriffe zu spalten und einen neuen Begriff zu finden, dem 
nichts in der Welt entspricht, als eben jene Schwierigkeit, die 
durch den neuen Begriff gehoben werden soll. Auch schon die 
Grundfrage der Wissenschaft des Mittelalters ist von ihm gestellt, 
die Frage nach dem Nominalismus und Realismus; er lost sie 


§47.] Das orthodoxe System. 225 

durch einen modifizirten Aristotelismus. Alle Lehren sind ihm 
bereits gegeben; er entnimmt sie den Konzilsbeschlüssen und den 
Werken der anerkannten Väter. Für die Aufgabe der Wissen- 
schaft hält er, sie zu bearbeiten. Dabei sind die beiden Haupt- 
dogmen eingestellt in den Kreis der Lehren des alten, antignostisch 
interpretirten Symbols. Von der allegorischen Erklärung der 
h. Schrift ist ein sehr bescheidener Gebrauch gemacht. Der Buch- 
stabe der Schrift herrscht im Grossen und Ganzen, jedenfalls viel 
durchgreifender als bei den Kappadociern. In Folge dessen ist 
auch die natürliche Theologie stark verdeckt; sehr realistische 
Schrifterzählungen, die gläubig hingenommen sind, umranken 
dieselbe. Was aber das Empfindlichste ist — der straffe Zu- 
sammenhang, der bei Athanasius, ApoUinaris und Cyrill die Tri- 
nität und Inkarnation, überhaupt das Dogma, mit dem Gedanken 
des Heilsguts verbindet, ist ganz gelockert. Johannes hat eine 
Unzahl von Dogmen, die geglaubt werden müssen; aber sie stehen 
nicht mehr deutlich unter einem einheitlichen Zweckgedanken. 
Der Zweck, dem das Dogma einst als Mittel diente, ist geblieben; 
aber das Mittel ist ein anderes geworden: es ist der Kultus, es 
sind die Mysterien, in die auch das 4. Buch seiner Dogmatik aus- 
mündet. In Folge dessen entbehrt das System der inneren lebens- 
vollen Einheit. Es ist im Grunde nicht Darlegung des Glaubens, 
sondern Darlegung seiner Voraussetzungen, und es hat seine Ein- 
heit an der Form der Behandlung, an dem hohen Altertum der 
Lehren und an der heiligen Schrift. Die Dogmen sind das heilige 
Erbe des klassischen Altertums der Kirche geworden; aber sie 
sind gleichsam in den Boden gesunken. Der Bilderdienst, die 
Mystik und die Scholastik beherrschen die Kirche. Die Schil- 
derung ihrer weiteren Entwicklung, die nicht mehr Entwickelung 
der Lehre gewesen ist, so reich und mannigfaltig sich die theo- 
logische Arbeit auch dargestellt hat, fällt nicht mehr in den 
Rahmen der Dogmengeschichte. 


Grundrisa IV. iii. Habnack , Dogmengeschichte. 2. Aufl. 15 


226 Eot^ickelung des Dogmas im Abendland. [§ 48, 


Zweites Buch. 

Die Erweiternng nnd Umprägnng des Dogmas 

zn einer Lehre von der Sttnde, der Gnade und den 

Gnadenmitteln anf dem Gmnde der Kirche. 

Erstes Kapitel. 

Gescliiclitliclie Orientirnng. 
§48. 

FChBaur, Vorl. üb. d. christl. DG. 2. Bd. 1866. — JBach, Die DG. 
des MA. 2 Bde. 1873 f. — JSchwane, DG. d. miltl. Zeit, 1882. — 
GThomasius-RSeebebo, Die christl. DG. 2. Bd. 1. Abt. 1888. 

1. Die Dogmengeschichte des Abendlandes in dem Jahr- 
tausend der Völkerwanderung und der Reformation hat sich aus 
folgenden Elementen entwickelt: 1) aus der Eigenart des abend- 
ländischen Christentums, wie es durch Tertullian und Cyprian 
einerseits, durch Popularphilosophen wie Lactantius andererseits 
repräsentirt ist, 2) aus der durch die Theologen des 4. Jahrhun- 
derts importirten griechischen Theologie, 3) aus dem Augustinis- 
mus, d. h. aus dem Christentum und der Theologie Augustinus, 
4) — in sekundärer Weise — aus den neuen Bedürfnissen der 
romanisch -germanischen Völker. Die entscheidende Autorität 
wurde in steigendem Masse der römische Bischof. Die Dogmen- 
geschichte des Mittelalters ist die Dogmengeschichte der r ö mi- 
mischen Kirche, obgleich die Theologie nicht in Italien, sondern 
erst in Nordafrika, dann in Frankreich heimisch war. 

2. Die Durchführung des geistigen Monotheismus, die Ent- 
deckung des Individualismus und die Beschreibung der inneren 
Prozesse des christlichen Lebens (Sünde und Gnade) bezeichnen 
die Bedeutung Augustinus als des Schülers der Neuplatoniker und 
des Paulus. Da er aber auch für das alte Dogma eingetreten ist 
und zugleich der Kirche als dem Reiche Gottes auf Erden neue 
Aufgaben und Ziele gestellt hat, so hat sein reicher Geist alle die 
Spannungen in sich getragen, deren lebendige Kräfte die Dogmen- 
geschichte des Abendlandes bestimmt haben. Selbst der Moralis- 
mus und die sakramentale Superstition, die nachmals den Augusti- 
nismus nahezu aufgesogen haben, sind von Augustin in den An- 
satz seiner Religionslehre eingestellt worden. Als neues Element 


§ 48.] Geschichtliche Orientirung. 227 

ist im späteren Mittelalter der Aristotelismus hinzugetreten (wie 
im Orient schon im 6. Jahrh.), der jenen Moralismns verstärkt, 
aber andererseits der neuplatonischen Mystik in heilsamer Weise 
Grenzen gezogen hat. 

3. Augustinus Frömmigkeit lebte nicht im alten Dogma; 
aber er respektirte es als Autorität und verwandte es als Bau- 
material für seine Religionslehre. Demgemäss wurde es im Abend- 
land einerseits Kirchen- und Rechtsordnung und erfuhr an- 
dererseits tiefgreifende Umbildungen innerhalb der Theo- 
logie. Die Folge hiervon war, dass man sich im Mittelalter trotz 
aller Veränderungen der Illusion hingab, lediglich beim Dogma 
des 5. Jahrhunderts zu verharren, indem das Neue entweder nicht 
als solches erkannt oder als blosse Verwaltungsordnung auf die 
selbst freilich noch kontroverse Autorität des römischen Bischofs 
zurückgeführt wurde. Diesem Zustande hat erst die Reformation, 
resp. das Tridentinum, ein Ende gemacht. Lediglich vom 1 6. Jahr- 
hundert aus lässt sich daher eine Do gm engeschichte des Mittel- 
alters aus der Geschichte der Theologie ausscheiden und be- 
schreiben. 

4. Zu beachten ist vornehmlich 1) die Geschichte der Fröm- 
migkeit (Augustin, Bernhard, Franciskus, sog. Vorreformatoren j 
in ihrer Bedeutung für eine Neubildung des Dogmas, 2) die Sa- 
kramentslehre, 3) die wissenschaftliche Theologie (Augustin und 
Aristoteles, fides und ratio) in ihrem Einfluss auf die r)fiFentliche 
Lehrbildung. Hinter diesen Entwickelungen lag im späteren 
Mittelalter die Frage der persönlichen Glaubensgewissheit 
und des persönlichen Christenstandes, die durch die that- 
sächliche Gewalt der sichtbaren Kirche niedergehalten wurde. 
Diese ist der stille Koeffizient aller geistigen und theologischen 
Bewegung gewesen, bis sie in dem Kampfe um das Recht des 
Papstes deutlich hervortrat. 

5. Einteilung: 1) das abendländische Christentum und die 
abendländische Theologie vor Augustin, 2) Augustin, 3) der 
vorläufige Ausgleich des voraugustinischen und augustinischen 
Christentums bis Gregor I., 4) die karolingische Renaissance, 
5) die cluniacensisch-bernhardinische Epoche, 6) die Epoche der 
Bettelorden, der Scholastik und der Vorreformatoren. 


16' 


228 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 49. 

Zweites Kapitel. 

Das abendländische Christentum und die abendländischen Theo- 
logen vor Angnstin. 

§49. 

ENöLDECHEN, TertuUian 1890. — ORitschl, Cyprianl88ö. — ThFörster, 
Ambrosius 1884. — SMDkutsch, Des Ambrosius L. v. d. Sünde 1876. — 
JHBiäiNKBNs, Hilarius 1864. — OZöckler, Hieronymus 1866. — DVölteb, 
Donatismus 1882. — FNitsch, Boethius 1860. — AHar.nack, Gesch. d. 
Lehre v. d. Seligkeit allein durch den Glauben in der alten Kirche, 
i. ZThK 1 S. 82 ff. — GBoisbirr, La fiu du paganisme. 2 Bde. 1891. 

1. Das abendländische Christentum ist im Unterschied vom 
morgenländischen durch zwei Persönlichkeiten bestimmt 
worden — TertuUian und Augustin — , dazu durch die im Dienen 
und Herrschen zielbewusste Politik der römischen Gemeinde und 
ihrer Bischöfe. 

2. TertuUian's Christentum war durch den alten, enthusia- 
stischen und strengen Glauben und durch die äntignostische Glau- 
bensregel gegensätzlich bestimmt. Gemäss seiner juristischen 
Bildung suchte er überall in der Religion Rechtssätze und 
-formein zu gewinnen und fasste das Verhältniss zwischen Gott 
und Mensch als ein privatrechtliches. Ferner zeigt seine Theo- 
logie ein syllogistisch-dialektisches Gepräge, sie philoso- 
phirt nicht, sondern sie raisonnirt, zwischen den Argumenten ex 
auctoritate und e ratione abwechselnd. Andererseits frappirt Ter- 
tuUian häufig durch seine psychologische Beobachtung und 
zwar durch eine empirische Psychologie. Endlich zeigen 
seine Schriften eine praktisch-evangelische, durch die Furcht 
vor Gott als dem Richter bestimmte Haltung, ein Drängen auf 
Wille und That, das den spekulativen Griechen fehlte. In allen 
diesen Stücken und in ihrer Mischung ist sein Christentum typisch 
für das Abendland geworden. Auch hat er einen beträchtlichen 
Teil der lateinischen dogmatischen Formeln geschaffen und — 
was ebensoviel bedeutet — eine Reihe von dogmatischen Frage- 
stellungen der Kirche geschenkt {una substantia, tres personae; 
duae substantiae, una persona; duplex status; satisf actio; meritum; 
opera; Vitium originis; tradux peccati; eigentümlicher Gebrauch 
von lex, sacramentum; natura und gratia etc.). 

3. In mancher Hinsicht abgestumpft und moralistisch ver- 
flacht („de opere et eleemosynis^^) , aber in klerikaler Bearbeitimg 


§ 49.] Das abendländische Christentum vor Augustin. 229 

(^jjde unitate ecclesiaoJ^) wurde das tertullianische Christentum von 
Cyprian, der grossen Autorität der lateinischen Christenheit, im 
Abendland eingebürgert; daneben hielt sich jene ciceronianische 
Theologie mit apokalyptischer Zugabe, welche Minucius und Lac- 
tantius vertraten. Die Religion war „das Gesetz"; aber nachdem 
die Kirche notgedrungen alle Sünden für vergebbar erklärt hatte 
(novatianische Krisis), war die Religion auch das kirchliche Buss- 
institut. Vor Augustin hat jedoch kein Theologe „lex" und „venia" 
wirklich auszugleichen vermocht. In Rom und Karthago arbeitete 
man an der Befestigung des Kirchenwesens, an der Ausarbeitung 
einer erfüllbaren kirchlichen Sittenregel und an der Erziehung 
der Gemeinde durch den Gottesdienst und die Bussordnungen. 
Das Massenchristentum schuf den Klerus und die Sakramente^ 
der Klerus heiligte den Laien die halbschlächtige Religion. Die 
Formeln waren fast durchweg tertullianische, doch wurde sein 
Geist abgestumpft oder verdrängt. 

4. Abendland und Morgenland waren im Zeitalter Konstan- 
tin's bereits getrennt, aber der arianische Kampf brachte sie 
wieder zusammen. Das Abendland stützte die morgenländische 
Orthodoxie und erhielt von ihr zwei grosse Geschenke, die wissen- 
schaftliche (origenistische) Theologie und das Mönchtum. 
Im Grunde war es ein einziges Geschenk; denn das Mönchtum 
(das Ideal gottinniger Virginität) ist die praktische Anwendung 
jener „Wissenschaft". So stellt sich die abendländische Theologie 
der zweiten Hälfte des 4. Jahrh. in zwei Linien dar, die beide in 
Augustin konvergiren: die Linie der Griechenschüler (Hilarius, 
Victorinus Rhetor, Rufin, Hieronymus) und die Linie der ge- 
nuinen Lateiner (Optatus, Pacian, Prudentius). In beiden Linien 
ist aber Ambrosius als der theologisch bedeutendste Vorläufer 
des Augustin zu nennen. 

5. Die Griechenschüler haben die wissenschaftliche (pneu- 
matische) Exegese des Philo, Origenes, Gregorv. Nyssa und die 
spekulative orthodoxe Theologie der Kappadocier in das Abend- 
land verpflanzt. Mit der ersteren beschwichtigten sie die Zweifel 
an dem A. T. und begegneten den Anläufen des Manichäismus, 
durch die letztere haben sie, besonders Ambrosius, die Spannung 
beseitigt, welche bis über d. J. 381 hinaus zwischen der Ortho- 
doxie des Morgenlandes und des Abendlandes bestand. In drei 
auf einander folgenden Schenkungen ist die griechische Speku- 
lation in die Theologie des Abendlandes gekommen, 1) durch 


\ 


230 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 49. 

Ambrosius, Victorin und Augustin, 2) durch Boethius im 6. Jahrh. 
(hier Aristotelisches), 3) durch den Areopagiten im 9. Jahrh. 
Bei Victorin (um 385 in Rom, Kommentar z. d. paulinischen 
Briefen) findet sich bereits jene Kombination von Neuplatonis- 
mus und Paulinismus, die die Grundlage der augustinischen Theo- 
logie bildet; bei Ambrosius leuchtet schon die Verbindung von 
Spekulation und religiösem Individualismus, die den grossen Afri- 
kaner charakterisirt. 

6. Das eigentliche Problem der lateinischen Kirche war die 
Anwendung des christlichen Gesetzes und die kirchliche Behand- 
lung der Sünder. Im Orient legte man den Wirkungen des Kultus 
als Gesammtinstitution und der stillen Selbsterziehung durch 
^skese und Gebet ein grösseres Gewicht bei; im Occident hatte 
man mehr die Empfindung, in religiösen Rechtsverhältnissen zu 
stehen, in denen man der Kirche verantwortlich sei, aber auch 
von ihr sakramentale imd prekatorische Hülfleistung in indivi- 
dueller Anwendung zu erwarten habe. Das Gefühl für die Sünde 
als öffentliche Schuld war kräftiger ausgebildet. Das wirkte auf 
den Kirchenbegrifl* zurück. In Bezug auf die Ausbildung des 
letzteren ist Optatus (de schismate Donatistarum) der Vorläufer 
Augustinus gewesen, in Bezug auf die strengere Fassung der 
Sünde Ambrosius. 

Der donatistische Streit des 4. und anfangenden 5. Jahrhun- 
derts, in dem sich die montanistische und novatianische Kontro- 
verse in eigentümlicher Begrenzung fortsetzt, wurzelt in persön- 
lichen Zänkereien; aber bald erhielt er eine prinzipielle Bedeutung. 
Die donatistische Partei (im Laufe der Entwickelung wurde sie 
zur afrikanischen Nationalpartei, nahm gegenüber dem sie be- 
drückenden Staate eine freikirchliche Haltung ein und bildete 
sogar einen revolutionären Enthusiasmus aus) leugnete die Giltig- 
keit einer von einem Traditor gespendeten Ordination und des- 
halb auch die Giltigkeit der Sakramente, die ein von einem Tra- 
ditor geweihter Bischof vollzog (daher die Forderung der Wieder- 
taufe). Es war der letzte Rest der alten Forderung, dass in der 
Kirche nicht nur die Institutionen, sondern vor Allem die Per- 
sonen heilig sein müssen, und die Donatisten konnten sich für 
ihre These auf den gefeierten Cyprian berufen. Wenigstens ein 
Minimum von persönlicher Würdigkeit der Kleriker sollte noch 
notwendig sein, damit die Kirche die wahre bleibe. Dem gegen- 
über haben die Katholiken die Konsequenzen des „objektiven" 


§ 49.] Das abendländische Christentum vor Augastin. 231 

Kirchenbegriffs gezogen. Vor Allem hat Optatus ausgeführt, 
dass die Wahrheit und Heiligkeit der Kirche auf den Sakra- 
menten beruht, und dass somit die personliche Qualität des 
Spenders gleichgiltig ist {y^Ecdesia una est, cuius sanctitas de 
sacramentis colligHur, non de stiperbia personarum ponderatnr^^)] 
er hat ferner gezeigt, dass die Kirche gegenüber der Winkelkirche 
der Donatisten die Bürgschaft ihrer Wahrheit an ihrer Katho- 
licität habe. Auch auf eine evangelische Spur geriet man, 
sofern man neben und mit dem Sakrament den Glauben im 
Gegensatz zur persönlichen Heiligkeit betonte. So ist schon vor 
Augustin der Grund zur römisch-katholischen Lehre von der 
Kirche tmd den Sakramenten durch Optatus gelegt worden. Den 
Glauben aber hat besonders Ambrosius im Zusammenhang einer 
tieferen Auffassung von der Sünde betont. Von TertuUian her 
war im Abendland die Auffassung der Sünde als Vitium originis 
und als Sünde wider Gott bekannt. In beiden Richtungen hat 
Ambrosius die Betrachtung gefördert und demgemäss auch die 
Bedeutung der paulinischen Gedanken von der gratia, iustificatio 
und remissio peccatorum gewürdigt (^ylllud mihiprodest, qmdnon 
iustificamur ex operibus legis . . . gloriahor in Christo; non gloriabor, 
quia iustus sum, sed gloriabor, quia redemptus sum^^). Es war von 
epochemachender Bedeutung, dass man im Abendland eben in 
der Zeit, in der man den Kirchenbegriff veräusserlichte und eine 
Sakramentslehre schuf, auf die paulinischen Gedanken von Sünde 
und Gnade, Gesetz und Evangelium aufmerksam wurde. Ambro- 
sius selbst freilich ist durch vulgär katholische Anschauungen 
über Gesetz, Tugend und Verdienst doch stark bestimmt gewesen. 


Der lebendigere Gottesbegriff, das starke Gefühl der Verant- 
wortung gegenüber dem Richter, das durch keine Naturspekula- 
tion gehemmte oder aufgelöste Bewusstsein von Gott als der 
sittlichen Macht, die Vorstellung von Christus als dem Menschen, 
dessen Leistung für uns vor Gott einen unendlichen Wert besitzt, 
die placatio (satisfactio) dei durch seinen Tod, die Kirche als 
pädagogische Anstalt, sicher ruhend auf den Heilsmitteln (den 
Sakramenten), die h. Schrift als lex dei, das Symbolum als der 
sichere Inbegriff der Lehre, die Auffassung des christlichen 
Lebens unter den Gesichtspunkten der Schuld, der Sühnungen 
und des Verdienstes, wenn auch mehr kirchlich als religiös ge- 
dacht: in diesen Stücken stellen sich die Eigentümlichkeiten des 


232 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 50. 

abendländischen Christentums vor Augustin dar. Er hat sie be- 
jaht und doch umgebildet. Vor Allem harrte die soteriologische 
Frage einer Lösung. Neben manichäischen, origenistisch-neu- 
platonischen und stoisch-rationalistischen Auffassungen vom 
Bösen und von der Erlösung flackerten hier und dort im Abend- 
lande um das Jahr 400 auch paulinische, die in der Regel sittliche 
Laxheit deckten, aber in einigen Vertretern doch Ausdruck einer 
evangelischen Überzeugung waren, die die Zeit nicht verstand 
und die deshalb für die katholische Kirche tödlich werden musste 
(Jovinian; gegen ihn Hieronymus). Überschlägt man dazu, dass 
um 400 das Heidentum noch immer eine Macht war, so begreift 
man, welch* eine Aufgabe Augustinus wartete! Er hätte sie nicht 
für die gesammte abendländische Kirche lösen können, wenn, 
diese nicht damals noch eine einheitliche gewesen wäre. Noch 
bestand das weströmische Reich, und es scheint fast, als sei ihm 
seine kümmerliche Existenz nur verlängert worden, um die welt- 
geschichtliche Wirksamkeit Augustinus zu ermöglichen. 

Drittes Kapitel. 

Die weltgescMchtliche Stellung Augustinus als Reformator der 

christlichen Frömmigkeit. 

§50. 

EBiNDEMANN, Der h. Aug. 3 Bde. 1844—69. — ADorneb, Augustinus 
1873. — PBöHBiNGER, Augustin.* 1877 f. — HReutkk, August. Studien 
1887. — AHarsack, Aug.'s Konfessionen 1888. — ChBigg, The Christ. 
Platonists of Alexandria 1886. 

Man kann versuchen, den Augustinismus aus den Prämissen 
des abendländischen Christentums (s. das vorige Kapitel) oder 
aus dem Bildungsgang Augustinus (der heidnische Vater, die 
christlich-fromme Mutter, Cicero's Hortensius, der Manichäismus, 
der Aristotelismus, der Neuplatonismus mit seiner Mystik und 
Skepsis, der Eindruck des Ambrosius und des Mönchtums) zu kon- 
struiren, aber beide Wege werden nicht völlig zum Ziel führen. 
Augustin hat in der Religion die Religion entdeckt; er hat sein 
Herz als das schlimmste, den lebendigen Gott als das höchste Gut 
erkannt; er besass eine hinreissende Fähigkeit, innere Beobach- 
tungen auszusprechen: hierin besteht seine Eigenart und Grösse. 
In der Liebe Gottes und bezwungenem Seelenschmerz hat er das 
Hochgefühl gefunden, das über die Welt erhebt und den Menschen 
zu einem Anderen macht, während die Theologen vor ihm ge- 


§ 60.] Augustin's Frömmigkeit. 233 

träumt hatten, der Menscli müsse ein Anderes werden, um selig 
sein zu können, oder sich mit Tugendstreben begnügten. Er 
trennte die Natur und die Gnade, band aber die Religion und die 
Sittlichkeit zusammen und gab der Idee des Guten einen neuen 
Inhalt. Er zerstörte das Wahnbild der antiken populären Psycho- 
logie und Moral; er gab dem Intellektualismus und Optimismus 
des Altertums den Abschied; aber er Hess jenen Wiederaufleben 
in dem frommen Denken des Mannes, der in dem lebendigen Gott 
das wahre Sein gefunden hat, und indem er den christlichen 
Pessimismus vollendete, überbot er ihn zugleich durch die Ge- 
wissheit der Gnade. Vor Allem aber: er hielt jeder Seele ihre 
Herrlichkeit und ihre Verantwortlichkeit vor, Gott imd die Seele, 
die Seele und ihr Gott. Er führte die Religion aus der Gemeinde- 
und Kultusform in die Herzen als Gabe und Aufgabe hinein. 
Liebe, ungefärbte Demut und Kraft zur Überwindung der Welt 
— das sind die Elemente der Religion und ihre Seligkeit; sie 
quellen aus dem Besitz des lebendigen Gottes. „Wohl den Men- 
schen, die Dich für ihre Stärke halten, die von Herzen Dir nach- 
wandeln." Dies Wort hat Augustin der Christenheit seiner Zeit 
und aller Zeiten gepredigt. 

1. Die voraugustinische Frömmigkeit war ein Schwanken 
zwischen Furcht und Hoffnung. Sie lebte nicht im Glauben. 
Wissen und Thun des Guten macht selig, lehrte sie, nachdem man 
in der Taufe die Vergebung der vergangenen Sünden empfangen 
hat; aber man empfand die Seligkeit nicht. Weder die Taufe noch 
die Askese befreiten von der Furcht; man fühlte sich nicht stark 
genug, auf die eigene Tugend zu vertrauen, und man fühlte sich 
nicht schuldig und gläubig genug, um sich der Gnade Gottes in 
Christus zu getrösten. Fischt und Hoffnung blieben nach; es 
waren ungeheure Kräfte. Sie haben die Welt erschüttert und die 
Kirche gebaut; aber ein seliges Leben vermochten sie dem Ein- 
zelnen nicht zu schaffen. Augustin drang von den Sünden zur 
Sünde und Schuld, von der Taufe zu der Gnade vor.. Die Aus- 
schliesslichkeit und Festigkeit, mit der er den schuldigen Men- 
schen und den lebendigen Gott auf einander bezog, ist das Neue, 
das ihn vor allen seinen Vorgängern auszeichnet. „An Dir allein 
habe ich gesündigt" — „Du Herr hast uns auf Dich hin geschaffen, 
und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in Dir" — „(/« 
qttod itibeSj et iahe quod vis^^ — „eo, qiiod quisque novit, non fruitur, 
nisi et id diligit, neque quisquam in eo, quodpercipit, pennanet msi 


234 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 50. 

dilf'ctioneJ^ Das ist der gewaltige Accord, den er aus der h. Schrift, 
aus den tiefsten Betrachtungen des menschlichen Wesens und aus 
der Spekulation über die ersten und letzten Dinge herausgehört 
hat. An dem Geiste, der Gottes ledig ist, ist Alles eitel Sünde; 
nur dass er ist, ist noch gut an ihm. Die Sünde ist die Sphäre 
und die Form des inneren Lebens jedes natürlichen Menschen. 
Ferner, alle Sünde ist Sünde an Gott; denn der geschaffene Geist 
hat nur ein dauerndes Verhältniss, nämlich zu Gott. Die Sünde 
ist das Selbst-sein- wollen (superbia); darum ist ihre Form die Be- 
gierde und Unruhe. In der Unruhe offenbart sich die niemals 
gestillte Lust und die Furcht. Diese ist das Böse, jene ist als 
Streben nach Gütern (Seligkeit) gut, aber als Streben nach ver- 
gänglichen Gütern böse. Wir müssen streben glücklich zu 
sein („infelices esse nolnmus sed nee velle possumus^^ — dieses 
Streben ist das uns von Gott geschenkte, unverlierbare Leben — , 
aber es giebt nur ein Gut, eine Seligkeit und eine Ruhe: ,,Mihi 
adhaerere deo bomim est,'' Nur im Elemente Gottes lebt und ruht 
die Seele. Aber der Gott, der uns erschaffen hat, hat uns erlöst. 
Durch Gnade und Liebe, die in Christus offenbar geworden, ruft 
er uns aus der Zerstreuung zu sich zurück, macht j^ex nolentibus 
volentes^' und giebt uns so ein unbegreiflich neues Wesen, das in 
Glaube und Liebe besteht. Diese stammen von Gott; sie sind das 
Mittel, durch das der lebendige Gott sich uns zu eigen giebt. Der 
Glaube aber ist Glaube an die „gratia gratis data", und die Liebe 
ist die Lust an Gott, vereinigt mit der Demut, die auf alles Eigene 
verzichtet. Als ein inmierwährendes Geschenk und als ein heiliges 
Geheimniss betrachtet die Seele diese Güter, in denen sie Alles 
erlangt, was Gott verlangt; denn ein mit Glaube und Liebe aus- 
gerüstetes Herz erhält die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und 
besitzt den Frieden, der über die Unruhe und Furcht erhebt. Es 
kann zwar keinen Moment vergessen, dass es noch in Welt und 
Sünde verstrickt ist, aber es denkt mit der Sünde stets die Gnade 
zusammen. Durch Glaube, Demut und Liebe überwundenes Sünden- 
elend — das ist die christliche Frömmigkeit. Li der Fülle der 
Glaubensgedanken, die sich hier ergeben, ruht die Seele aus und 
strebt doch unhaltsam vorwärts. 

In dieser Weise zu empfinden und zu denken hat sich die 
Religion tiefer erschlossen, und der augustinische Typus der 
Frömmigkeit ist im Abendland bis zur Reformation, ja bis heute 
noch massgebend; aber ein quietistisches, fast möchte man 


§ 60.] Augastin's Frömmigkeit. 235 

sagen narkotisches Element ist in ihm verborgen, das wir in 
dem Evangelium nicht finden. 

2. In dem Vorstehenden ist Augustinus Frömmigkeit nur ein- 
seitig bestimmt. Er war auch in seiner Frömmigkeit katholi- 
scher Christ, ja erst er hat jenes Ineinander von freiester eigenster 
Hingabe an das Göttliche und stetiger gehorsamer Unterordnung 
unter die Kirche als Gnadenmittelanstalt geschaffen, das den 
abendländischen Katholicismus charakterisirt. Im Einzelnen sind 
folgende Momente besonders hervorzuheben, in denen er das 
„Katholische" bejaht, resp. noch gesteigert hat: 1) Erst er hat die 
Autorität der Kirche in eine religiöse Grösse verwandelt und der 
praktischen Religion eine Lehre von der Kirche geschenkt. Zwei 
Erwägungen leiteten ihn dabei, der Skepticismus und die Er- 
kenntniss des Wertes der kirchlichen Gemeinschaft als einer ge- 
schichtlichen Macht. In ersterer Hinsicht war er überzeugt, dass 
das isolirte Individuum schlechterdings nicht zur vollen und 
sicheren Erkenntniss der Wahrheit überhaupt und der Wahrheit 
der geoffenbarten Lehre gelangen könne — sie bietet zu viele An- 
stösse — 5 wie er sich daher selbst der Autorität der Kirche in 
die Arme geworfen hat; so lehrte er generell, dass die Kirche 
für die Wahrheit des Glaubens einstehe, wo das Indivi- 
duum sie nicht zu erkennen vermag, und dass demgemäss 
die Glaubensakte zugleich Akte des Gehorsams sind. In letzterer 
Hinsicht hatte er, indem er mit dem Moral ismus brach, erkannt, 
dass die gratia geschichtlich wirke und die Kirche zu ihrem Orga- 
nismus gemacht habe. Die Einsicht in die Stellung der Kirche 
im untergehenden römischen Reich verstärkte diese Erkenntniss. 
Aber nicht nur als Skeptiker und Historiker hat Augustin die 
Bedeutung der Kirche eingesehen, sondern auch kraft seiner 
starken Frömmigkeit. Diese bedurfte einer äusseren Autorität, 
wie sie zu allen Zeiten noch jeder lebendige religiöse Glaube be- 
durft hat. Augustin fand sie in dem Zeugniss der Kirche. 2) Ob- 
gleich er in den Konfessionen unzweideutig bekannt hat: Religion, 
ist der Besitz des lebendigen Gottes, so hat er doch in den Aus- 
führungen seiner Theologie den lebendigen Gott mit der „gratia", 
diese mit den Sakramenten vertauscht und so das Lebendigste 
und Freieste in ein gleichsam dingliches Gut eingepresst, das der 
Kirche übergeben sei. Hiermit hat er, durch eben brennende 
Kämpfe verleitet (der donatistische Streit), den Zeitvorstellungen 
den schwersten Tribut bezahlt und die mittelalterliche Sakra- 


236 Entwickelusg des Dogmas im Abendland. [§ 50. 

mentskirche begründet. Wo er aber über die Sakramente hinaus 
auf Gott selbst zurückgeht, da ist er in der Folgezeit stets in Ge- 
fahr geraten, auch die Bedeutung Christi zu neutralisiren und sich 
in den Abgrund des Gedankens der Alleinwirksamkeit Gottes zu 
verlieren (Prädestinationslehre). 3) Hat er sich zwar mit aller 
Energie zur gratia gratis data und deshalb zur Souveränetät des 
Glaubens bekannt, aber dann doch das alte Schema damit verbun- 
den, dass das schliessliche Geschick derEinzelnen von „Verdiensten" 
und nur von ihnen abhängig sei. Demgemäss hat er in den aus 
der fides caritate formata entspringenden merita, die freilich dei 
munera sind, das Ziel aller christlichen Entwicklung erblickt 
und es damit der Folgezeit nicht nur bequem gemacht, unter der 
Hülle seiner Worte ihr altes Schema beizubehalten, sondern selbst 
auch das Wesen des Glaubens (d. h. der aus der Gewissheit der 
Sündenvergebung entspringenden stetigen Zuversicht auf Gott) 
als das höchste Geschenk Gottes verkannt. Seine Lehre von der 
eingeflössten Liebe aber war dem geschichtlichen Christus gegen- 
über neutral. 4) Obgleich Augustin von der Freude der Seligkeit, 
die der Christ schon jetzt im Glauben und in der Liebe besitzt, 
zu zeugen verstanden hat, hat er doch dem gegenwärtigen Leben 
ein deutliches Ziel nicht zu setzen vermocht; er teilte im All- 
gemeinen die überlieferte katholische Stimmung, und der Quietis- 
mus seiner Frömmigkeit gab dem christlichen Handeln keine 
neuen Impulse. Dass es durch das Werk „de civitate dei" solche 
erhalten hat, ist im Grunde von Augustin nicht beabsichtigt worden. 
Augustinus Theologie ist aus dieser Art seiner Frömmigkeit 
zu verstehen. Seine religiösen Theorien sind z. T. nichts Anderes 
als theoretisch gedeutete Stimmungen und Erfahrungen. Aber in 
ihnen sammelten sich zugleich die mannigfaltigen religiösen Er- 
fahrungen und sittlichen Reflexionen der alten Welt: die Psalmen 
und Paulus, Plato und die Neuplatoniker, die Moralisten, Ter- 
tullian und Ambrosius — man findet Alles in Augustin wieder. 

Viertes Kapitel. 

Die weltgescMclitliche Stellung Augustinus als Lehrer der Kirche. 

Die alte Kirche hat ihre Theologie von den Mittelpunkten 
der Christologie und der Freiheitslehre (Tugendlehre) aus ent- 
worfen; Augustin rückte die beiden Punkte zusammen. Das 
Gute wurde ihm der Angelpunkt für die Betrachtung 


Einl. z. §§ 51 ff.] Augustin als Lehrer der Kirche. 237 

der Güter. Das sittlich Gute und das Heilsgut sollen sich decken 
(ipsa virtus et praemium virtutis). Er hat die Dogmatik vom 
Himmel heruntergeholt; aber freilich die alte Auffassung nicht 
abgethan, sondern sie mit der neuen verschmolzen. In seinen Aus- 
legungen des Symbols zeigt sich diese Verbindung am deutlichsten. 
Schon durch seine vorkatholische Entwickelung und Bekehrung, 
dann durch seinen Kampf mit dem Donatismus und Pelagianismus 
stellte sich ihm das Christentum in neuer Gestalt dar; aber da er 
das Symbol für den Inbegriff der Lehre hielt, so musste seine 
Lehrfassung komplizirt werden — eine Verbindung der altkatho- 
lischen Theologie und des altkirchlichen Schemas mit dem neuen 
Gedanken der Gnadenlehre, eingepresst in den Rahmen des 
Symbols. Diese Stilmischung, die die abendländische Kirche bis 
heute bewahrt hat, hatte Widersprüche zur Folge und machte das 
alte Dogma eindruckslos. 

Im Einzelnen sind besonders folgende Spannungen in Augu- 
stin's Theologie nachzuweisen. 1) Die Spannung zwischen Symbol 
und Schrift, Sowohl die, welche die Schrift über das Symbol 
setzen, als die, welche die entgegengesetzte Ordnung vorschreiben, 
können sich auf ihn berufen. Augustin hat den Biblicismus ver- 
stärkt, aber zugleich auch die Haltung jener Kirchenmänher, die 
mit Tertullian die Biblicisten niederschlagen. 2) Die Spannung 
zwischen dem Schrift- und dem Heilsprinzip. Augustin lehrte 
einerseits, dass es lediglich auf die Sachen (d. h. das Heil) in der 
Schrifb ankomme, ja er ist manchmal bis zu jenem Spiritualismus 
vorgeschritten, der die Schrift überfliegt; andererseits konnte er 
sich von dem Gedanken nicht befreien, dass jedes Schriftwort 
absolute Offenbarung sei. 3) Die Spannung zwischen den Vor- 
stellungen vom Wesen der Religion; sie soll einerseits Glaube, 
Liebe, Hoffnung sein, andererseits doch Erkenntniss und über- 
irdisches, unsterbliches Leben; sie soll den Zweck haben, durch 
Gnade und wiederum durch den amor intellectualis zu beseligen. 
Glaube im Sinne des Paulus und akosmistische Mystik streiten 
um den Prinzipat. 4) Die Spannung zwischen der Lehre von der 
prädestinatianischen Gnade und einer Gnadenlehre, die wesentlich 
Ecclesiastik und Sakramentslehre ist. 5) Spannungen innerhalb 
der Hauptgedankenreihen. So streitet in der Gnadenlehre der 
Gedanke der gratia per (propter) Christum nicht selten mit der 
Vorstellung einer unabhängig von Christus aus dem Grundwesen 
Gottes als des summum bonum und summum esse fliessenden 


238 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 51. 

gratia. So ist in der Ecclesiastik das hierarchisch-sakramentale 
Gmndelement mit einer von den Apologeten stammenden liberalen, 
universalistischen Betrachtung nicht ausgeglichen. 

Man kann drei Niveaus der Theologie Augustinus unter- 
scheiden, das prädestinatianische, das soteriologische und das 
Niveau der Autorität und der Sakramente der Kirche; aber man 
würde ihm nicht gerecht werden, wollte man diese Höhenlagen 
einzeln beschreiben; denn in seiner Gesammtauf fassung waren 
sie verbunden. Eben weil sein reicher Geist alle diese Spannungen 
umfasste und als Erlebnisse charaktervoll darstellte, ist er der 
Kirchenvater des Abendlands geworden. Er ist der Vater der 
römischen Kirche und der Reformation, der Biblicisten imd der 
Mystiker, ja selbst die Renaissance und die moderne empirische 
Philosophie (Psychologie) sind ihm verpflichtet. Neue Dogmen 
im strengen Sinn hat er nicht eingeführt. Einer sehr viel späteren 
Zeit blieb es überlassen, aus der von ihm vollzogenen Umbildung 
des alten dogmatischen Stoffs, der Verurteilung des Pelagianis- 
mus und der neuen Sakramentslehre fest umschriebene Dogmen 
zu bilden. 

§ 51., Augustinus Lehre von den ersten nnd letzten Dingen. 

HSiEBECK i. d. Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik 1888 S. 161 ff. — 
Gangaup, Metaphys. Psychol. d. h. Aug. 1862. — Storz, Die Philos. 
d. h. Aug. 1882. — Scipio, Des Aurel. Aug. Metaph. 1886. — Kahl, 
Primat d. Willens b. Aug. 1886. — Kühner, A.'s Anschauung v. d. 
Erlös.bedeutuijg Christi 1890. 

Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang: mit dem 
Gebetsleben verband Augustin eine Innenschau, die ihn, den 
Schüler der Neuplatoniker und des Paulus, zu einer neuen Psy- 
chologie und Theologie führte. Er ist der „alter Aristoteles" ge- 
worden, indem er das Innenleben zum Ausgangspunkt des 
Denkens über die Welt machte. Die naiv -objektive und damit 
die antik-klassische Stimmung hat erst er vollkommen abgethan, 
damit aber auch die Beste der polytheistischen Betrachtung. Er 
ist der erste monotheistische Theologe (im strengen Sinn des 
Worts) unter den Kirchenvätern, indem er die neuplatonische 
Philosophie über sich selbst emporgehoben hat. Nicht unbe- 
wandert auf den Gebieten der objektiven Welterkenntniss, wollte 
er doch nur zwei Dinge erkennen, Gott und die Seele; denn sein 
Skepticismus hatte die Welt der Erscheinung aufgelöst, aber in 
der Flucht der Erscheinungen waren ihm nach schmerzlichem 


§ 51.] Augustinus Lehre von den ersten und letzten Dingen. 239 

Bingen die Thatsachen des inneren Lebens als Thatsachen stehen 
geblieben. Mag es auch kein Übel und keinen Gott geben, so 
giebt es doch unzweifelhaft die Furcht vor dem Übel. Von hier 
aus, d. h. durch, die psychologische Analyse, kann man die Seele 
und Gott finden imd ein Weltbild entwerfen. Von hier aus kann 
der Skeptiker zur Erkeuntniss der Wahrheit gelangen, nach der 
das Mark der Seele seufzt. 

Die Grundform des Seelenlebens ist das Streben nach Lust 
(cupido, amor) als Streben nach Gütern. Alle Triebe sind nur 
Entfaltungen dieser Grundform (als Affizirtsein und als Aktivität), 
und sie gelten ebenso für das Gebiet des geistigen, wie für das des 
sinnlichen Lebens. Der Wille hängt mit diesen Trieben zusammen; 
aber er ist doch eine über der sinnlichen Natur stehende Kraft 
(Aug. ist Indeterminist). In concreto ist er freilich an die sinn- 
Uclien Triebe gebunden d. h, imfrei. Die theoretische Wahlfreiheit 
wird zur wirklichen Freiheit nur dann, wenn die cupiditas (amor) 
boni das herrschende Motiv für den Willen geworden ist, d. h. 
nur der gute Wille ist frei. Sittliche Gutheit und Willens- 
freiheit fallen zusammen. Der wahrhaft freie Wille hat seine 
Freiheit an dem Motiv des Guten (beata necessitas boni). Diese 
Gebundenheit ist Freiheit, weil sie den Willen der Herrschaft der 
niederen Triebe entzieht und die Bestimmung und Anlage des 
Menschen, sich mit wahrhaftem Sein und Leben zu erfüllen, ver- 
wirklicht. In der Bindung an das Gute verwirklicht sich somit 
der höhere appetitus, der wahrhafte Selbsterhaltungtrieb des 
Menschen, während sich der Mensch stückweise selbst zum Zer- 
fall bringt, wenn er den niederen Trieben folgt. Für diese Ge- 
dankenreihe nahm Augustin strenge AUgemeingiltigkeit in An- 
spruch; denn er wusste, dass jeder über sich selbst nachdenkende 
Mensch sie bejahen muss. Mit ihr verband A. die Ergebnisse der 
neuplatonischen kosmologischen Spekulation; aber die schhchte 
Grösse des lebendigen Gottesbegrififs wirkte mit Kraft in diese 
hinein und zwang die künstlich gewonnenen Elemente der Gottes- 
lehre immer wieder in das einfachste Bekenntniss zusammen: 
„der Herr Himmels und der Erde ist die Liebe; er ist das Heil 
der Seele; vor wem sollte ihr grauen ?'' 

Auf dem Wege der neuplatonischen Spekulation (durch 
Nachweis des Nichtseins der Erscheinungen und durch fort- 
schreitende Eliminirung der niederen Sphären des Sinnlichen und 
Begrifflichen) gelangte A. zum Begriff des einzigen, unveränder- 


240 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 51. 

liehen beliarrliehen Seins (incorporeaveritas^spiritualis substantia, 
lux incommutabilis). Zugleich entspricht der Einfachheit des 
höchsten Begehrungsobjektes der Seele nur dieses summum esse. 
Dieses summum esse ist im Grunde allein das Seiende; denn 
alles andere Sein hat das Nicht-seih an sich, kann auch nicht sein 
und geht wirklich zu Grunde. Aber es kann -andererseits auch 
als die Entfaltung der einzigen Substanz aufgefasst werden, als 
das ausgestrahlte Kunstwerk derselben, und in dieser Betrachtung 
kehrt in ästhetischer Form die metaphysisch aufgelöste Er- 
scheinung und das Interesse an ihr zurück. Allein dieses Natur- 
gefühl ist nur noch eine Grundirung der augustinischen Em- 
pfindung. Er giebt sich ihm nicht hin, vielmehr geht er sofort 
zu der Beobachtung über, dass die Seele nach diesem höchsten 
Sein strebt und es in allen niedrigen Gütern mit unverwüstlicher 
edler Konkupiscenz sucht, dass sie aber sich doch scheut, es 
zu ergreifen. Hier stellte sich ihm eine furchtbare Paradoxie dar, 
die er als „monstrum" bezeichnet, dass der Wille das faktisch 
ni'cht will, was er will oder doch zu wollen scheint. Mit 
dem ganzen Gewicht der Verantwortung empfand Augustin diesen 
Zustand, die ihm durch keine, auch ihm sonst geläufige ästhetische 
Betrachtung (der Kosmos mit Licht und Schatten als das ,,pul- 
chrum", als das Gleichniss der Lebensfülle des AU-Einen) ge- 
mildert wurde. Von hier aus wandelte sich ihm die Meta- 
physik in Ethik. In dem Gefühl der Verantwortung erschien 
Gott (das summum esse) als das summum bonum und das den 
Willen bestimmende selbstsüchtige Eigenleben als das Böse. 
Jenes summum bonum ist nicht nur der beharrende Ruhepunkt 
für den unruhigen Denker oder der berauschende Lebensgenuss 
für den lebenssüchtigen Sterblichen, sondern Ausdruck für das 
Sein-Sollende, für das, was das beherrschende Grund motiv 
des Willens werden soll, was dem Willen seine Freiheit und damit 
erst seine Kraft über der Sphäre des Naturhaften verleihen, was 
die unverwüstliche Neigung des Menschen zum Guten von der 
misera necessitas peccandi befreien soll — Ausdruck des Guten. 
So fielen ihm vom Begriff des Guten alle Eintragungen des In- 
tellekts und alle eudämonistischen Hüllen ab. Auch für diese 
Gedankenreihe nahm er AUgemeingiltigkeit in Anspruch. 

Aber nun folgte noch eine Erfahrung, und sie spottete jeder 
Analyse. Jenes Gute stand ihm nicht nur als das Sein-Sollende 
gegenüber, sondern er fühlte sich von ihm als Liebe ergriflfen 


§ 51.] Augustin's Lehre v. d. ersten u. letzten Dingen. 241 

». 

und aus dem Jammer des monströsen Widerspruchs des Daseins 
herausgehoben. Damit erhielt der Gottesbegriff einen ganz neuen 
Inhalt: das Gute, welches das vermag, ist das Allmächtige, ist 
Person, ist Liebe. Das summum esse ist das als allmächtige 
Liebe auf den Willen wirkende heilige Gute in Person. Die 
Metaphysik und Ethik wandeln sich in Religion. Das 
Böse ist nicht nur privatio substantiae, auch nicht bloss privatio 
boni, sondern Gottlosigkeit (privatio dei); der ontologische Defekt 
des kreatürlichen Seins und der moralische Defekt des Guten ist 
Defekt des Liebesverhältnisses zu Gott; Gott haben aber ist Alles, 
ist Sein, Gutsein, freier Wille und Friede. Ein Strom von Gottes- 
gedanken entfesselte sich von hier aus in Augustin. Es ist für 
Gott ebenso wesentlich, dass er sich in Liebe mitteilende gratia, 
als dass er causa causatrix non causata ist; der Mensch aber 
lebt von der Gnade der Liebe. Dass er — in einem monströsen 
Dasein befangen, das auf einen schweren Sündenfall zurückweist 
— nur von Gnade leben kann, das kann noch deutlich gemacht 
werden; aber dass die Gnade der Liebe wirklich ist, ist eine 
überschwängliche Thatsache. Nicht in der Selbständigkeit Gott 
gegenüber kommt der Mensch zur Freiheit, sondern in der Ab- 
hängigkeit von ihm: nur, was dem Menschen von Gott geschenkt 
wird, macht ihn selig und gut — die Liebe. 

In den Einzelausfühnmgen Augustin's über Gott und die 
Seele schwingen die Töne der Metaphysik, der Ethik und der 
tiefsten christlichen Erfahrung in einander. Gott ist die einzige 
„res", die genossen werden darf (frui = alicui rei amore inhaercre 
propter se ipsam), die anderen dürfen nur gebraucht werden. Das 
klingt neuplatonisch, aber es wird christlich aufgelöst in dem 
Gedanken: fide^ spe et caritate colendum deum. Gott ist Person, 
der man über alle Dinge trauen und die man lieben soll. Die 
fides quae per dilectionem operatur wird zum souveränen Aus- 
druck der Religion. Der ästhetisch begründete Optimismus, die 
feine Emanationslehre, der Gedanke der Alleinwirksamkeit Gottes 
(Prädestinationslehre), die Vorstellung von dem Bösen als dem 
„Nichts^^, welches das Gute begrenzt, verschwinden zwar nicht 
ganz, aber sie verbinden sich in eigentümlicher Weise mit der 
Vorstellung Gottes als des Schöpfers der Menschheit, die durch 
eigene Schuld zu einer massa perditionis geworden ist, und 
Gottes als des Erlösers und des ordinator peccatorum. Auch das 
Trachten nach einem absoluten Wissen und die Auffassung der 

Gnindrigs IV. in. Harnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 16 


242 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 51. 

_ • 

christlichen Religion nach dem Schema der Apologeten (rationa- 
listisch) ist bei Augustin nie verschwunden, und die Liebe Gottes^ 
die er fühlte, war ihm nur sicher unter der Autorität der äusseren 
Offenbarung, der er sich gehorsam unterwarf; aber in seiner reli- 
giösen Denkweise, in der das Verständniss für die Bedeutung der 
Geschichte allerdings nicht so ausgebildet war, wie die Fähigkeit zu 
psychologischer Beobachtung, regierte doch der christliche Geist. 
Denn Christus war der stille Richtpunkt seiner Seele von 
Jugend auf. Auch die scheinbar rein philosophischen Ausfüh- 
rungen sind vielfach durch den Gedanken an ihn beeinflusst. 
Alle Ansätze, das eiserne Schema der Unveränderlichkeit Gottes 
zu durchbrechen und Gott, die Welt und das Ich zu unterscheiden, 
sind aus dem Eindruck der Geschichte d. h. Christi zu erklären. 
So trat ihm, dem Religionsphilosophen, Christus immer deut- 
licher als der Weg, die Kraft und die Autorität entgegen. 
Wie oft hat er von der Offenbarung im Allgemeinen gesprochen 
und meinte nur ihn; wie oft hat er von Christus gesprochen, wo 
die Früheren von Offenbarung im Allgemeinen redeten! Die spe- 
kulative Vorstellung von der Idee des Guten und seiner Wirksam- 
keit als Liebe wurde ihm erst gewiss durch die Anschauung 
Christi und durch die autoritative Verkündigung der Kirche von 
ihm. Die Anschauung Christi war ein neues Element, das 
erst er wieder (nach Paulus und Ignatius) eingeführt hat. Wie 
seine Trinitätslehre, obgleich er die alten Formeln aufnahm, eine 
neue Gestalt erhielt durch die im Glauben erlebte ÜberzeuguDg 
von der Einheit Gottes, so hat auch seine Christologie bei allem 
Anschluss an die Überlieferung (strenge Bekämpfung des Apolli- 
naris) durch die Verkündigung des Ambrosius und eigene Er- 
fahrung einen neuen Inhalt empfangen. 1) war ihm an Chri- 
stus entscheidend wichtig das Bild der Hoheit in der Demut,, 
die thatsächliche Bewährung des Satzes „omne honum in humili' 
täte perficitur" (auch die Inkarnation stellte er unter diesen Ge- 
sichtspunkt); hier hat er die mittelalterlichen Töne der Christo- 
logie anzuschlagen begonnen, 2) legte er allen Nachdruck auf die 
Möglichkeit, die nun gewonnen sei, dass der im Staube liegende 
Mensch Gott erfassen könne, da er uns in unserer Niedrigkeit 
nahe gekommen ist (der Grieche wartet auf eine Erhebung, um 
Gott in Christus erfassen zu können), 3) konstruirte er nicht 
selten die Christuspersönlichkeit auch von der menschlichen 
Seele des Erlösers her und sah in der Ausstattung derselben das 


§ 51.] Augustinus Lehre v. d. ersten u. letzten Dingen. 243 

grosse Beispiel der gratia praeveniens, die den Menschen Jesus 
zu dem gemacht hat, was er geworden ist, 4) fasste er den Men- 
schen Jesus als den Mittler, als das Opfer und den Priester, 
durch den wir mit der Gottheit versöhnt und erlöst sind, dessen 
Tod, wie die Kirche ihn verkündigte, das sichere Fundament 
unseres Glaubens an die Erlösung ist. In allen diesen Beziehungen 
hat Augustin neue Gedanken in das alte Dogma hineingebaut, sie 
freilich nur unsicher oder künstlich mit ihm verbindend. Eine 
neue christologische Formel hat er nicht geschaffen; ihm war 
Christus der Fels des Glaubens geworden, weil er wusste, dass 
der Eindruck dieser Person seinen Stolz gebrochen und ibm die 
Kraft gegeben hatte, an die Liebe Gottes zu glauben und sich von 
ihr finden zu lassen. Der lebendige Christus ist die Wahrheit 
und der von der Kirche verkündigte der Weg und die Autorität. 
Die Seele wird durch die fides quae per dilectionem operatur 
zur vita beata geführt. Diese ist der selige Friede in der An- 
schauung Gottes. Also bleibt das Erkennen doch das Ziel der 
Menschen. Nicht der Wille führt denPrimat, sondern der Intellekt. 
Augustin hat schliesslich die vulgär katholische Stimmung fest- 
gehalten, die den Menschen im Jenseits auf feierndes Erkennen 
verweist; dem entspricht im Diesseits die Askese und die Kon- 
templation (daher Augustinus Eintreten für das Mönchtum gegen 
Jovinian). Auch das Reich Gottes, sofern es irdisch, ist vergäng- 
lich. Die Seele muss aus der Welt des Scheins, des Gleichnisses 
und des notgedrungenen Handehis befreit werden. Aber in 
ünterströmungen hat Augustin doch mächtig auf die giltigen 
eschatologischen Gedanken eingewirkt: 1) nicht die Tugend ist 
das höchste Gut, sondern die Abhängigkeit von Gott (in der Vor- 
stellung von der entscheidenden Bedeutung der merita ist dieser 
Gesichtspunkt freilich wieder aufgegeben), 2) das geistlich aske- 
tische Leben soll ein geistiges sein; die magisch-physischen 
Elemente der griechischen Mystik treten ganz zurück (keine 
Kultusmystik), 3) in dem Gedanken „mihi adkaerere deo bonum 
est^' ist der Intellektualismus durchbrochen; der Wille hat die 
ihm gebührende Stelle erhalten, 4) die Liebe bleibt auch in der 
Ewigkeit dieselbe, die wir schon in der Zeit haben können; also 
sind Jenseits und Diesseits doch innig verbunden, 5) bleibt 
die Liebe auch im Jenseits, so erscheint der Intellektualismus 
wiederum modifizirt, 6) nicht die irdische Welt, wohl aber die 
irdische Kirche hat eine höhere Bedeutung; sie ist gleichsam das 

16* 


244 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 52. 

Heilige vor dem Allerheiligsten, und es ist Pflicht, sie zu bauen; 
nicht eine Religion zweiter Ordnung steht vor der Religion, 
sondern die Ecclesiastik, der Dienst an der Kirche als sittlich- 
wirkende, die Gesellschaft ausbildende Macht, als Organismus 
der sakramentalen Liebeskräfte, des Guten und der Gerechtigkeit, 
in dem Christus wirkt, 7) höher als alles Mönchtum steht fides, 
spes und Caritas: also ist das Schema einer öden und egoistischen 
Kontemplation durchbrochen. Allerdings ist es Augustin mög- 
lich gewesen, in allen diesen Richtungen die neuen Zweckgedanken 
mit den alten, wenn auch unter Widersprüchen, zu verbinden. 

§ 52. Der donatistische Kampf. Das Werk de civitate dei. 
Die Lehre von der Kirche und den Gnadenmitteln. 

HBeutes a. a. 0. — JHBeinkens, Gesch.philos. d. h. Aug. 1866.— 
GiNZEL, Aug. Lehre v. d. Kirche i. ThQuSchr. 1849. — JKöstlih, Die kathol. 
AufFaas. v. d. K. i. d. Deutschen Ztschr. f. christl. Wißsensch. 1856 Nr. 14. — 
HScHMiBT, Aug 'b Lehre v. d. K. i. JDTh. 1861. — BSeebebg, Begriff d. 
christl. E. L T. 1885. — Bibbeck, Donatus u. Aug. 1858. 

Im Kampfe mit dem Manichäismus und Donatismus hat 
Augustin, dem Optatus folgend, seine Lehre von der Kirche ge- 
bildet auf dem Boden der Auffassung Cyprian's, aber die donati- 
stischen Elemente Cyprians ausscheidend und die hierarchischen 
ermässigend. Indem er die Kirche als Autorität und als unzer- 
störbare Heilsanstalt beschrieb, glaubte er lediglich einen 
gottgewirkten Thatbestand zu beschreiben; indem er sie als 
communio sanctorum darstellte, folgte er seiner eigenen religiösen 
Erkenntniss. Dort trat er dem kritischen „Subjektivismus'' der 
Manichäer und dem Puritanismus der Donatisten entgegen, die 
die Wahrheit der Kirche von der Reinheit der Priester abhängig 
machen wollten, hier wandte er seine Heilslehre auf die Begriffs- 
bestimmung der Kirche an. Komplizirte Betrachtungen waren 
die Folge. Nicht nur erscheint die Kirche bald als das Ziel der 
Religion, bald als Weg zum Ziel, sondern der Begriff selbst wird 
zum Komplex verschiedener Begriffe. Letztlich stellt ihn die Prä- 
destinationslehre geradezu in Frage. 

I, 1. Das wichtigste Merkmal der Kirche ist die Einheit 
(in Glaube, Hoffnung, Liebe einerseits, in der Katholizität anderer- 
seits), die derselbe Geist wirkt, der die Trinität zusammenhält; 
sie ist inmitten der Zerspaltung der Menschheit ein Beweis der 
Göttlichkeit der Kirche. Da Einheit nur aus der Liebe fliesst, 
so ruht die Kirche auf dem Walten des gottlichen Liebesgeistes; 


§ 52.] Augustinus L. v. d. EircHe u. d. Gnadenmitteln. 245 

die Gemeinsamkeit des Glaubens allein reicht noch nicht aus. 
Aus dieser Betrachtung folgt: j^caritas christiana nisi in unitate 
ecclesiae non potest custodiri, etsi baptismtan et fidem teneatis^\ d. h. 
Einheit ist nur dort wo Liebe ist, und Liebe ist nur dort wo 
Einheit ist. Die folgenschwere Anwendung dieses Satzes lautet: 
nicht nur gehören die Häretiker nicht zur Kirche (denn sie negiren 
die Einheit des Glaubens), sondern auch die Schismatiker stehen 
ausserhalb; denn eben ihre Trennung von der Einheit beweist, 
dass sie der Liebe d. h. des Wirkens des h. Geistes ermangeln. 
Also ist nur die eine grosse Kirche die Kirche, und ausser ihr 
können wohl Glaube, heroische Thaten, ja Heilsmittel vorhanden 
sein, aber kein Heil. 

2. Das zweite Merkmal der Kirche ist die Heiligkeit. Die 
Kirche ist heilig als Stätte der Wirksamkeit Christi und des 
h. Geistes und als Besitzerin der Mittel, welche die Einzelnen 
heilig machen. Dass ihr das nicht bei Allen gelingt, kann ihrer 
Heiligkeit nichts rauben; selbst ein numerisches Übergewicht der 
mah et hypocritae gefährdet sie nicht, denn sonst würde schon 
ein unheiliges Glied ihr Recht in Frage stellen. Die Zucht und 
Exkommunikation übt die Kirche nicht sowohl um ihre Heilig- 
keit zu erhalten, sondern um zu erziehen. Sie selbst ist vor der 
Verflechtung mit dem ünheiligen bereits dadurch sicher gestellt, 
dass sie es nie billigt, und sie erweist ihre Heiligkeit, indem in 
ihrer Mitte, und nur in ihr, wirklich Heilige erzeugt werden und 
sie überall die Sitten hebt und heiligt. Im strengen Sinn gehören 
nur die boni. et spirituales zu ihr, aber im weiteren auch die Un- 
heihgen, sofern sie noch geistlich werden können und unter dem 
Einfluss der Sakramente stehen {,,vasa in contumeliam in domo 
dei^*; sie sind nicht das Haus Gottes, sondern „in domo"; sie sind 
nicht „in communione sanctorum", sondern „sacramentorum"). 
So ist die Kirche ein „corpus permixtum", und letztlich gehören 
selbst Häretiker und Schismatiker zu ihr, sofern sie Heihgungs- 
mittel sich angeeignet haben und unter der Zucht der Kirche 
stehen. Aber die Heiligkeit der Kirche schliesst als Ziel die reine 
communio sanctorum (communio fidelium) ein, und alle religiösen 
Prädikate der Kirche gelten dieser Gemeinschaft. 

3. Das dritte Merkmal der Kirche ist die Katholizi tat (All- 
gemeinheit der räumlichen Verbreitung). Sie liefert den stärksten 
äusseren Beweis für die Wahrheit der Kirche; denn sie ist eine 
sinnenfdllige Thatsache und ein Wunder zugleich, dem die Dona- 


246 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 52. 

tisten nichts an die Seite zu setzen haben. Die grosse Kirche in 
Karthago erweist sich durch die Verbindung mit Rom, mit den 
alten orientalischen Kirchen, mit den Kirchen des Weltkreises als 
die wahre (dagegen mit Recht der Donatist: „Qiiantum ad totius 
mundi pertinet parteSf modicapars est in compmsatione totius mundi, 
in qua fides Christiana nominatur^^). 

4. Das vierte Merkmal ist die Apostolizität, die sich zeigt 
1) in dem Besitz der apostolischen Schriften und Lehre, 2) in der 
Fähigkeit der Kirche, ihre Existenz an dem Faden der bischöf- 
lichen Successionen (diesen Punkt hat Cyprian stärker betont) 
bis auf die Apostelgemeinden zurückzuführen, unter diesen ist 
die romische die wichtigste um ihres ersten Bischofs, Petrus, 
willen. Dieser ist Repräsentant der Apostel, der Kirch«, der 
schwachen Christen und des Lehramts der Bischöfe. Die alte 
Theorie, dass man mit der sedes apostolica und cathedra Petri 
in Gemeinschaft stehen müsse, hat Augustin festgehalten; aber 
über die Infallibilität des römischen Stuhls hat er sich ebenso un- 
sicher und widerspruchsvoll ausgedrückt wie über die der Kon- 
zilien und des Episkopats (natürlich stand ihm ein Konzil über 
dem römischen Bischof). 

5. Die Irrtumslosigkeit der Kirche stand Augustin fest; 
aber alle Begründungen derselben hat er nur als relativ sichere 
zu reproduziren vermocht. Ebenso war er von der ünumgäng- 
lichkeit der Kirche überzeugt; aber er verfügte über Gedanken 
(von der Prädestinationslehre und von der ünveränderlichkeit des 
uranfänglichen Wirkens Gottes her), die sie aufhoben. 

6. Die Kirche ist das Reich Gottes auf Erden. Li der 
Regel freilich denkt A. bei diesem Begriff nicht an die Kirche, 
sondern an den gesammten Erfolg des Wirkens Gottes in der Welt 
im Gegensatz zum Wirken des Teufels. Wenn er aber Kirche und 
Reich Gottes identifizirt, meint er unter jener die communio fide- 
lium (corpus verum). Da es aber nur eine Kirche giebt, konnte 
er nicht umhin, gegebenen Falls auch das corpus permixtum als 
Reich Gottes zu betrachten, und da er unter Aufhebung aller 
apokalyptischen Vorstellungen das 1 000 jährige Reich schon jetzt 
in der Kirche im Gegensatz zum untergehenden sündigen Welt- 
staat verwirklicht sah, wurde er fast unfreiwillig zu der Konse- 
quenz getrieben, dass die sichtbare Kirche mit ihren richtenden 
Priestern und ihren Ordnungen das Reich Gottes sei (de civit. dei 
XX^ 9 — 13). So durchläuft der Gedanke des Reichs Gottes bei ihm 


§ 52.] Augustinus L. v. d. Kirche u. d. Gnadenmitteln 247 

alle Stadien von einem dem Kirchenbegriff gegenüber neutralen 
geschichtstlieologisehen Gedanken (das Reich Gottes ist im Him- 
mel und baut sich von Abel an auf Erden für den Himmel) bis 
zur Priesterkirche, hat aber sein Centrum an der ecclesia als 
himmlischer „communio sanctorum in terris peregrinans'^ Parallel 
mit dieser Vorstellung geht die andere von der societas der Gott- 
losen und Verworfenen (einschliesslich der Dämonen), die letzt- 
lich übergeht in den Gedanken des Weltreiches (des Staates) als 
des „magnum latrocinium". Dieser aus der Sünde entsprungenen, 
zu ewigeoi Kampf verurteilten Gemeinschaft tritt im Grunde der 
Gottesstaat als die einzig berechtigte Verbindung der Menschen 
gegenüber. Aber die letzten Spitzen dieser auf eine förmliche 
Theokratie der Kirche und auf Verurteilung des Staates hinaus- 
laufenden Betrachtung hat A. weder ausgefeilt noch besonders 
betont. Er dachte fast durchweg an die geistigen Mächte und den 
geistigen Kampf; erst die Päpste des Mittelalters haben die theo- 
kratischen Konsequenzen gezogen. Der Betrachtung des Staats 
hat er auch die Wendung gegeben, dass, da die pax terrena ein 
Gut sei (wenn auch ein partikulares), eine Gemeinschaft, die diese 
schützt (der Staat), gut sei. Da aber die pax terrena nur durch 
die Gerechtigkeit zu Stande kommen kann und diese unzweifelhaft 
allein im Besitz der Kirche ist, weil sie als auf der Caritas ruhend 
von Gott stammt, so kann der Staat nur durch Unterordnung 
unter den Gottesstaat ein relatives Recht erlangen. Dass sich 
auch diese Betrachtung, in der der irdische Staat eine gewisse 
Selbständigkeit (weil einen besonderen Zweck) erhalten hat, leicht 
dem theokratischen Schema einfügen lässt, liegt auf der Hand. 
A. selbst hat nur wenige Konsequenzen gezogen, aber doch die, 
dass der Staat der Kirche durch Zwangsmassregehi gegen den 
Götzendienst, die Häretiker und Schismatiker zu dienen hat 
(„coge intrare"), und dass die Kirche überhaupt auf sein Straf- 
recht Einfluss üben muss. 

n, 1. Der donatistische Kampf nötigte auch zu einer genaueren 
Beschäftigung mit den Sakramenten (s. Optatus; im Allgemeinen 
Hahn, L. v. d. Sakramenten 1864). Zunächst war es der grösste 
Fortschritt, dass A. das Wort als Gnadenmittel erkannt hat. Die 
Formel „Wort und Sakrament" stammt von ihm, ja er wertet 
das Wort so hoch, dass er das Sakrament auch „verbum visibile" 
nennt, mit dem Satz: ^firede et manducasti^^ allem Mysterienwerk 
entgegentritt und dem Begriff „Sakrament^^ einen so weiten Um- 


248 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 52. 

fang giebt, dass jedes sinnliche Zeichen, mit dem ein heilbringen- 
des Wort verbunden ist, so heissen kann (,/iccedit verbum ad ele- 
mentum et fit sacramentiim^^). Eine besondere Sakramentslehre ist 
von hier aus nicht zu gewinnen, ja Augustin geht im Spiritualis- 
mus nicht selten so weit, dass das sinnliche Zeichen und das hör- 
bare Wort nur als signa und Bilder eines nebenher gehenden 
Unsichtbaren (der Sündenvergebung, des Liebesgeistes) zu gelten 
haben. 

2. Allein andererseits sind die Sakramente — A. denkt in 
dieser Betrachtung in der Regel nur an Taufe und Abendmahl — 
doch etwas Höheres. Sie sind von Gott eingesetzte Zeichen eines 
h. Gegenstandes, mit dem sie schon kraft der Schöpfungsordnui^ 
eine gewisse Verwandtschaft haben, und unter ihnen wird dem 
Gebrauchenden Gnade wirklich mitgeteilt (Gewissheit der miseri- 
cordia Christi im Sakrament, aber andererseits actus medicinalis). 
Diese Mitteilung haftet am Vollzug (Objektivität der Sakramente); 
aber nur wo der Liebesgeist (die wahre Kirche) ist, ist sie heil- 
kräftig. Dadurch ergab sich der doppelte Widerspruch, dass die 
Sakramente überall wirken und doch nur in der Kirche, unab- 
hängig sind von Menschen und doch in ihrer Heilswirksamkeit an 
die Kirche gebunden sind. A. löste diesen Widerspruch durch die 
Unterscheidung des Charakters, den die Sakramente verleihen 
(gleichsam eine Abstempelung), und der wirklichen Gnaden- 
mitteilung. Die Sakramente „sancta per se ipsa" können der 
Kirche entwendet werden und behalten ihren Effekt, aber nur in 
der Kirche gereichen sie zum Heil („wo« considei'andum, quis det 
sed quid det^\ aber andererseits : „habere" ist noch nicht „utiliter 
habere^^. 

3. Doch nur an der Taufe (Charakter: das unverlierbare Ver- 
hältniss zu Christus und seiner Kirche) und Ordination (Charakter: 
die unverlierbare Fähigkeit zu opfern und die Sakramente zu ver- 
walten) liess sich diese Betrachtung durchführen, nicht aber am 
Abendmahl; denn hier ist die res sacramenti die unsichtbare In- 
korporation in den Leib Christi (über die Elemente lehrte A. 
symbolisch) und das Abendmahlsopfer das sacrificiura caritatis; 
also ist mit dem Wesen des Abendmahls (sacramentum unitatis) 
die katholische Kirche schon immer mitgesetzt, und es kann keinen 
„Charakter" geben, der unabhängig von dieser Kirche wäre. A. ist 
über diese Schwierigkeit hinweggeglitten. Seine allgemeine 
Sakramentslehre ist von der Taufe her gewonnen, und er unter- 


§ 53.] Augustinus Lehre von den Gnadenmitteln. 249 

schied bei ihr so künstlich, um 1) die Donatisten ins Unrecht zu 
setzen, 2) das Merkmal der Heiligkeit der Kirche zu behaupten^ 
3) dem Glauben ein Festes zu geben, worauf er sich — unabhängig 
von Menschen — verlassen könne. Nachmals ist die Unterschei- 
dung wesentlich im hierarchischen Sinn ausgebeutet worden. Aber 
A.'s Betonung des „Wortes" und sein Spiritualismus haben gleich- 
zeitig Anstösse in anderer Richtung (auf Luther und auf die Vor- 
reformatoren hin) gegeben. 

A.'s Vorstellungen von der Kirche sind widerspruchsvoll. Die 
wahre Kirche soll auch sichtbar sein, und doch gehören zur sicht- 
baren Kirche auch die Bösen und Heuchler, ja selbst die Häretiker, 
Die externa societas sacramentorum, die communio fidelium et 
sanctorum und schliesslich auch der numerus praedestinatorum 
sollen eine und dieselbe Kirche sein! Das „in ecclesia esse" hat 
in Wahrheit einen dreifachen Sinn. „In ecclesia" sind nur die 
Prädestinirten, einschliesslich der noch unbekehrten; „in ecclesia" 
sind die Gläubigen, einschliesslich derer, die wieder abfallen; „in 
ecclesia" sind Alle, welche an den Sakramenten Teil haben ! Die 
Kirche ist eigentlich im Himmel und doch sichtbar als civitas auf 
Erden! Sie ist uranfänglich und doch erst von Christus gestiftet! Sie 
ruht auf der Prädestination, nein auf Glaube, Liebe, Hofl&iung, nein 
auf den Sakramenten! Aber indem man diese verschiedenen Höhen- 
lagen, die zu Widersprüchen werden, wenn es doch nur eine Kirche 
geben soll, beachtet, darf man nicht vergessen, dass Augustin als 
demütiger Christ in dem Gedanken lebte, dass die Kirche die com- 
munio fidelium et sanctorum ist, dass Glaube, Hoffiaung und Liebe 
sie begründen, und dass sie „m tcrris stai per remissionem pecca- 
torum in caritate^^. Der prädestinatianische Kirchenbegriff (in 
Wahrheit die Auflösung der Kirche) gehört dem Theologen und 
Theosophen an, der empiristische dem katholischen Polemiker. 
Auch ist nicht zu übersehen, dass erst A. die Sakramente aus der 
magischen Anschauung, in der sie eiue moralistische Denkweise 
kompensiren sollten, herausgeführt und dem Glauben zu- und unter- 
geordnet hat. Erst er hat die Sakramentslehre reformabel gemacht. 

§ 53. Der pelagianische Kampf. Die Lehre von der Gnade 

nnd Sünde. 

HReuter a. a. 0. — JJacobi, Lehre d. Pelagius 1842. — PWörteb, 
Der Pelagianismus 1866. — FKlasen, Die innere Entw. d. Pelagianismus 
1882. — JWiGöBRs, Augustinismas und Pelagianismus. 2 Bde. 1831f. -^ 


250 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 53. 

AWDiECKHOFP, A.'s L. V. d. Gnade (Meckl. ThZtschr 1, 1860). — EChLuthardt, 
L. V. fr. Willen 1863. — CJHefele, Konzil.Gesch. Bd. IP. 

Augustin hatte seine Gnaden- und Sündenlehre noch nicht 
gewonnen, als er sich katholisch taufen liess (s. seine antimanichä- 
ischen Schriften), wohl aber bevor er in den pelagianischen Kampf 
eintrat. Auch Pelagius hat seine Lehre nicht erst im Streit ge- 
bildet, sondern besass sie schon, als er an dem augustinischen 
Wort: „rfa qnod iuhcs et iube qtiod vis^' Anstoss nahm. Die beiden 
grossen Denkweisen — ob die Gnade auf die Natur zu reduziren 
sei oder ob sie die Natur befreie — traten sich gewappnet gegen- 
über. Mit wunderbarer Schnelligkeit hat sich das durch Ambrosius 
vorbereitete Abendland dem Augustinismus unterworfen. Dem 
religiösen Charakter und Virtuosen Augustin trat in Pelagius ein 
ernster, sittenstrenger Mönch, in Cälestius ein eigensinniger 
Eunuch, in Julian ein lebhaftes Weltkind, zugleich ein entschlosse- 
ner Aufldärer und ein unerbittlicher Dialektiker, gegenüber. 

Der Pelagianismus ist der unter demEinfluss des griechischen 
Mönchtums konsequent entwickelte christliche Rationalismus, die 
stoisch und aristotelisch begründete abendländische Popular- 
philosophie (Lactantius), die den Versuch macht, sich die über- 
lieferte Erlösungslehre unterzuordnen. Einfluss der antiocheni- 
schen Theologie ist nachweisbar. Quellen sind die Schriften und 
Briefe des Cälestius, Pelagius und Julian (grösstenteils bei Augustin 
und Hieronymus), die Werke des Augustin, Hieronymus, Orosius, 
Marius Mercator, die Papstbriefe und Synodalbeschlüsse. Pelagius 
selbst war vorsichtiger, minder aggressiv und minder wahrhaftig 
als Cälestius und Julian. Erst der Letztere hat die Doktrin voll- 
endet (ohne ihn, sagt Augustin, y^Pelagiani dogmatis machina sine 
architecto necessario remansisseV). Formell sind Augustinismus 
und Pelagianismus darin verwandt und der bisherigen Denkweise 
entgegengesetzt, dass 1) beiden der Trieb nach Einheit der religiös- 
sittlichen Erkenntniss zu Grunde liegt, 2) beide das dramatisch- 
eschatologische Element aus der Überlieferung zurückschieben, 
3) beide nicht kultisch-mystisch interessirt sind, sondern das 
Problem in der Sphäre des Geistes halten und 4) beide auf den 
Traditionsbeweis nicht den höchsten Nachdruck legen (A. hat 
offen eingestanden, dass der Beweis aus den öffentlichen Schriften 
der Väter schwer zu führen ist). Pelagius war ängstlich besorgt 
zu zeigen, dass es sich im ganzen Streit nicht um das Dogma handle, 
sondern um eine praktische Frage; Augustin führte den Kampf in 


^ 53.] Aufirustin und der Pela^ianismus. 251 

dem Bewusstsein, dass das Wesen und die Kraft der christlichen 
Religion mit seiner Gnadenlehre stehe und falle 5 Cälestius war 
besonders interessirt, die Erbsündenlehre zu stürzen; Julian war 
sich bewusst, die Sache der Vernunft und Freiheit wider ein 
„dummes und gottloses Dogma'^ zu führen, durch das die Kirche 
in Barbarei versenkt und die gebildete Minorität an die Massen^ 
die den Aristoteles nicht verstehen, ausgeliefert werde. 

I. Pelagius trat in Rom auf und verkündigte den Welt- 
christen das Mönchtum und die Fähigkeit jedes Menschen, sich 
zur Tugend selbständig aufzuraffen, theologische Polemik ver- 
meidend, jedoch den Quietismus der augustinischen Konfessionen 
bekämpfend. Sein römischer Freund Cälestius sekundirte ihm. 
Beide gingen nach Nordafrika, das Pelagius jedoch bald wieder 
verliess. Cälestius bewarb sich um ein Presbyteramt in Karthago. 
Allein er wurde (412 oder 411) vom Mailänder Diakon Paulinus 
auf einer Synode zu Karthago verklagt, weil er die Sterblichkeit 
für etwas Natürliches (bei Adam und bei allen Menschen) erachte, 
die universalen Folgen der Sünde Adam^s leugne, die völlige Un- 
schuld der Neugeborenen lehre, die Frucht der Auferstehung 
Christi nicht als Allen notwendig gelten lasse, den Unterschied 
von Gesetz und Evangelium verkenne, von sündlosen Menschen 
vor der Ankunft Christi spreche und die Sündlosigkeit und die 
Erfüllung der Gebote Christi überhaupt für etwas Leichtes halte, 
wenn man nur den guten Willen habe (s. die 6 verurteilten Sätze 
bei Marius Mercator). Trotz seiner Behauptung, er lasse die 
Kindertaufe gelten (aber nicht als Sündenvergebung), sei also 
orthodox, wurde er exkommunizirt. Er ging nach Ephesus und 
Konstantinopel. Pelagius war in Palästina und suchte Frieden 
mit Augustin und Hieronymus zu halten. Der scharfe Freund 
mit seiner Polemik gegen den tradux peccati und die Kindertaufe 
in remissionem peccatorum war ihm unbequem; wertvoller waren 
die neuen Freunde im Orient, besonders Johannes von Jerusalem. 
Dieser und Andere erklärten ihn für unschuldig (auf den Synoden 
zu Jerusalem und Diospolis 415), als ihn der Augustinschüler 
Orosius und Hieronymus der Verkennung der göttlichen Gnade 
beschuldigten. Aber nur mit einer Mentalreservation lehnte Pe- 
lagius die inkriminirten Sätze des Cälestius ab, die somit auch im 
Orient gerichtet blieben. In seiner Schriftstellerei wurde er nur 
vorsichtiger, lenkte aber nicht ein. Die nordafrikanische Kirche 
(Synoden von Karthago und Mileve 416) sowie Augustin wandten 


252 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 53. 

sich nach Rom an Innocenz I. um Verurteilung der beiden Häre- 
tiker. Der Papst, froh von Nordafrika angesprochen zu sein, will- 
fahrte (417), hielt sich jedoch eine Rückzugslinie offen. Sein 
Nachfolger Zosimus, durch ein kluges Glaubensbekenntniss des 
Pelagius bestimmt, und von Cälestius, der nun auch vorsichtiger 
wurde, gewonnen, rehabilitirte sie zwar Beide und blieb gegen die 
Vorstellungen der Nordafrikaner zunächst taub; aber eine General- 
synode zu Karthago (418) und ein kaiserliches Edikt, welches die 
beiden Ketzer sammt Anhang aus Rom verwies, machte auch auf 
den Papst Eindruck, der in einer epistula tractoria der Verurtei- 
lung beitrat und die abendländischen Bischöfe zur Unterschrift 
aufforderte (418). Allein diese Zumutung stärkte die Gegenpartei. 
Achtzehn Bischöfe weigerten sich. Ihr Führer war Julian von 
Eklanum. Dieser iuvenis confidentissimus ergriff jetzt seine rast- 
lose scharfe Feder. Er schrieb kühne Briefe an Zosimus und 
Rufus von Thessalonich, die Augustin beantwortete (420). Da- 
mit begann eine zehnjährige litterarische Fehde zwischen Beiden 
(Fragmente der julianischen Schriften in Aug. de nuptiis et con- 
cupisc, libri sex c. Jul. u. opus imperf. c. Jul.). In dieser ist Au- 
gustin oftmals von Julian in die Enge getrieben worden; aber der 
Streit kam post festum: Augustin war schon Sieger. Julian schrieb 
wie Einer, der nichts mehr zu verlieren hat. Er entwickelte darum 
den Rationalismus und Moralismus aus der königlichen Vemunfb 
mit hohem Freisinn und mit Ablehnung aller Möncherei, aber 
ohne Verständniss für die Bedürfnisse und das Recht der Reli- 
gion. Mit seinen Genossen musste er schliesslich in den Orient 
fliehen und fand bei Theodor von Mopsvestia Schutz. Das ephe- 
sinische Konzil, d. h. Cyrill, erwies dem römischen Bischof den 
Gefallen, die Pelagianer zu verdammen (431). Ein Verständniss 
für den Streit hatte man im Orient nicht, ja war in Bezug auf die 
Willensfreiheit im Grunde pelagianisch gesinnt; aber auch im 
Occident war man nur darin einig, dass jede Taufe in remissionem 
peccatorum sei, dass es von Adam^s Fall her einen tradux peccati 
gäbe, der die Adamskinder dem Tode und der Verdammung über- 
liefere, und dass die Gnade Gottes als Kraft zum Guten jedem 
Menschen zur Seligkeit von Anfang an nötig sei. 

II. Pelagius (s. seinen libellus fidei ad Innocentium, seinen 
Brief an die Demetrias, seinen Kommentar z. d. paul. Briefen 
[unter den Werken des Hieronymus]; Anderes ist verloren oder 
nur in Fragmenten in den Gegenschriften des Augustin erhalten) 


§ 53.] Augustin und der Pelagianismns. 253 

wollte von neuen Dogmen und einem System nichts wissen; Ju- 
lian^s stoisches System mit aristotelischer Dialektik/ christlicher 
Etiquette und dem Zug zum Naturalismus gehört der Geschichte 
der Theologie an. Doch ist es wichtig, die Grundzüge der pela- 
gianischen Lehre zu kennen; denn in feiner Form ist sie immer 
wieder aufgetreten. Der mönchische Zug ist ihr schon bei Pela- 
gius nicht wesentlich, sondern dem Ziele der spontanen Charakter- 
bildung im Guten und der antiken Idee des Masshaltens unter- 
geordnet. Eben deshalb darf man Pelagius und Julian zusammen- 
fassen. Der mutige Glaube an die Fähigkeit zum Guten und das 
Bedürfniss nach Klarheit im Denken über religiös-sittliche Fragen 
verbindet sie. 

Weil es Gerechtigkeit giebt*, giebt es einen Gott. Gott ist 
der gute Schöpfer und gerechte Leiter. Alles ist gut, was er ge- 
schaffen hat, also auch die Kreatur, das Gesetz, der freie Wille. 
Ist die Natur gut, so kann sie auch nicht konvertibel sein; dann 
kann es aber auch keine peccata naturalia geben, sondern nur 
peccata per accidens. Die menschliche Natur kann nur accidentell 
modifizirt werden. Die wichtigste und beste Ausstattung dieser 
Natur ist der freie Wille („mohis animi cogente nullo^)'^ in ihm 
ist die Vernunft mitgesetzt. Beide bewirken es, dass der Mensch 
nicht unter der conditio necessitatis steht und keiner Hülfe bedarf. 
Das ist die herrliche gratia prima des Schöpfergottes, dass wir 
Beides vermögen und Eines thun können. Die possibilitas boni 
ist von Gott, die voluntas und actio ist unsere Sache. Das Böse 
ist eine momentane falsche Selbstbestimmung ohne Folge für die 
Natur, entspringend aus der Sinnlichkeit. Nach Pelagius ist diese 
«elbst schlecht, aber zu überwinden, nach Julian ist sie an sich 
nicht schlecht, sondern nur „in excessu". Wäre es anders, so 
müsste die Taufe die Konkupiscenz vernichten, auch wäre der 
Schöpfergott nicht gut, wenn die Konkupiscenz schlecht wäre. 
Der Mensch kann jeder Sünde Widerstand leisten, also muss er 
es; es hat auch sündlose Menschen gegeben. Nach Pelagius 
kommt Jeder in die Hölle, der wider besseres Können handelt. 
Der Versuch, diese Lehren mit der Schrift und der kirchlichen 
Überlieferung auszugleichen, war schwierig. Zugestanden wird, 
dass der mit Wahlfreiheit ausgerüstete Adam gefallen ist; aber 
seine Sünde hatte nicht den natürlichen Tod zur Folge, der eben 
natürlich ist, sondern den geistlichen. Wie sich von ihm her nicht 
Äer Tod vererbt hat, so noch weniger die Sünde; denn die An- 


254 Entwickelun^ des Dogmas im Abendland. [§ 53. 

Dahme eines tradux peccati (Erbsünde) fahrt zur absurden An- 
nahme der SeeWugung und zum Manichäismus (böse Natur), 
zerstört die göttliche Gerechtigkeit, lässt die Ehe als unheilig, 
mithin als unerlaubt erscheinen und hebt jede Möglichkeit einer 
Erlösung auf (denn wie kann eine befreiende Botschaft oder ein 
Gesetz auf eine Natur einwirken?). Sünde bleibt stets Sache des 
Willens, und Jeder wird nur für seine Sünde gestraft. Alle Men- 
schen stehen im Stande Adams vor dem Fall (^yliberum arbitrium 
et post peccata tarn pleniim est quam fuit ante peccata*^) ; nur eine 
sündige Gewohnheit hält sie nieder, deren Macht allerdings an- 
zuerkennen ist. Deshalb ist auch die Gnade als adiutorium an- 
zuerkennen. Je nach dem Grade der Accommddation haben die 
Pelagianer die Gnade für schlechthin notwendig, für erleichternd^ 
für überflüssig erklärt. Im Grunde hielten sie sie nur für eine 
bequeme Krücke der Christen; denn der Satz „Aomo libero arhitrio 
emancipatus est a deo^^ schliesst prinzipiell die Gnade aus. Auch 
giebt es im Grunde nur eine Gnade, das aufklärende, abschreckende 
und Belohnung vorhaltende Gesetz; aber man kann auch unter- 
scheiden 1 ) die Schöpfungsgnade (die Ausstattung), 2) das Gesetz 
(illuminatio et doctrina), 3) die gratia per Christum und zwar 
a) sein Vorbild, b) die Frucht seines in der Taufe als Sünden- 
vergebung uns zugewandten Werkes. Hieran durften die Pela- 
gianer nicht rütteln; aber sie leugneten die gratia praeveniens, 
sahen in der Kindertaufe keine Taufe in remissionem peccatorum 
und erkannten die absolute Notwendigkeit der Vergebung nicht 
an. Die ungetauft sterbenden Kinder werden auch selig, gelangen 
aber nicht in das regnum caelorum. Der Satz der Pelagianer, 
dass die christliche Gnade nur secundum merita verliehen werde, 
hebt die Gnade ebenso auf wie der andere, dass sie wesentlich 
so wirke wie das Gesetz. Indem sie den Augustinismus bald als 
Neuerung, bald als Manichäismus, bald als inneren Widerspruch 
beurteilten, brachten sie selbst die grössten Widersprüche (dia- 
lektisch verdeckt) vor, waren Neuerer, sofern sie zwar die alt- 
kirchliche Freiheitslehre, nicht aber den Gegenpol, die mystische 
Erlösungslehre, festhielten, und verkauften die Religion an eine 
unvernünftige Vernunft und eine im Tiefsten unsittliche Moral, 
in. Augustin (i. J. 412 de peccatorum meritis et remissione 
1. III; de spiritu et littera — i. J. 414 de perfectione iustitiae — 
i. J. 415 de natura et gratia — i. J. 417 de gestis Pelagii — 
i. J. 418 de gratia Christi et peccato originali 1. II — i. J. 419 de 


§ 53.] Augustin und der Pelagianismus. 255 

nuptiis et concupiscentia 1. II — i. J. 420 contra duas epp. Pela- 
gianorum — i. J. 421 contra Julianum L VI, später noch das 
opus imperfectum gegen Julian. Seine letzten Schriften sind de 
gratia et libero arbitrio; de correptione et gratia [an die Mönche 
zu Hadmmet] und de praedestimatione sanctorum sowie de dono 
perseverantiae [nach Massilia]) ging nicht vom liberum arbitrium 
aus, sondern von Gott und von der Seele, die sich ihm gegenüber 
schuldig fühlt, aber seine Gnade erfahren hat. Indem er die Natur, 
die Weltgeschichte und die Geschichte des Einzelnen von hier aus 
erklären und eine rationale Darstellung geben wollte, geriet er 
in viele Widersprüche und zu leicht widerlegbaren Annahmen. 
Aber es giebt Sätze, die von Aussen betrachtet ganz unwahr sind, 
von Innen betrachtet aber wahr. So ist auch Augustinus Gnaden- 
und Sündenlehre zu beurteilen. Als Ausdruck psychologisch- 
religiöser Erfahrung ist sie wahr; aber projizirt in die Geschichte 
ist sie falsch. Dazu ist sie auch in sich nicht eindeutig; denn sie 
ist sowohl vom Gedanken „Gott in Christus schafft den Glauben" 
als von dem anderen „Gott, die einzige Kausalität" beherrscht, 
die nur scheinbar in der Definition der Gnade als gratis data zur 
Kongruenz gebracht sind. Ausserdem sind manichäische Reste 
unverkennbar; der Bibelbuchstabe, in der Regel der miss ver- 
standene, wirkte dazu noch trübend ein, und die religiöse Be- 
trachtung wird von einer moralistischen (merita) begleitet, die 
schliesslich den Ausschlag giebt. 

Die Menschheit ist erfahrungsgemäss eine massa peccati d. h. 
Gottes leer; aber der Gottmensch Christus — nur er — hat durch 
seinen Tod die Kräfte, die entleerte Menschheit wieder mit gött- 
Uchem Leben zu füllen, gebracht: das ist die gratia gratis data, 
Anfang, Mitte und Ende unseres Heils. Ihr Ziel ist, dass aus der 
massa perditionis ein certus numerus electoruni gerettet wird. 
Gerettet wird er, weil Gott ihn prädestinirt hat (A. lehrt infra- 
lapsarisch), erwählt, beruft, rechtfertigt, heiligt und erhält, kraft 
seines evngen Ratschlusses. Dies geschieht in der Kirche durch 
die Gnade, die 1) praeveniens ist, d. h. den Menschen aus dem 
Sündenstand herausreisst und den guten Willen schafft (= vo- 
catio, aber diese und' alle ferneren Akte der Gnade vollziehen sich 
auch an Solchen, die schliesslich nicht gerettet werden, weil sie 
keine Erwählten sind), 2) cooperans — diese entfaltet sich in 
einer Reihe von Stufen bis zur völligen und faktischen Regene- 
ration des Menschen, die ihm, dem mit Liebe Erfüllten, es ermög- 


256 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 53. 

licht sich merita zu erwerben. Aus der vocatio folgt die fides; 
sie ist eine wachsende, indem sie sich auf den Stufen des Pürwahr- 
haltenS; des Gehorsams, der fiducia und der Liebe entwickelt. 
Parallel damit geht das effektive (sichtbare) Handeln der Gnade 
in der Kirche, welches mit der remissio peccatorum beginnt A h. 
mit der Taufe, die den reatus der Erbsünde wegnimmt und die 
vorhergegangenen Sünden tilgt. Sie vollendet sich in der iusti- 
ficatio, welche nicht ein urteil über den Sünder ist, sondern die 
Vollendung des Prozesses, kraft welches er aus einem ünfrommen 
faktisch ein Gerechter geworden ist. Dies geschieht durch die 
Einflössung des Liebesgeistes in das Herz des Gläubigen (und 
durch das Abendmahl), wodurch derselbe, in die Einheit der Ge- 
meinschaft mit Christus (Kirche) aufgenommen, als sanctus und 
ßpiritualis eine neue Stimmung und Lust empfängt (,ymihi adhaerere 
deo bonum esP^) und nun die Fähigkeit zu guten Werken hat (,ßdes 
impetrat, quod lex imperai^^). Die Rechtfertigung ruht auf derfides 
und ist sub specie aetemitatis ein abgeschlossener Akt, empirisch 
betrachtet ein im Diesseits nie vollendeter Prozess. In der Be- 
währung der Liebe und Abkehr von der Welt (Askese) beweist 
sich das Erfülltsein mit Glaube, Hoffnung und Liebe. Jene Be- 
währung zeigt sich in guten Werken, die nun einen Wert vor Gott 
haben (merita), obschon sie, als aus der Gnade geboren, seine Ge- 
schenke sind. Nicht Jedem werden die vollkommenen Werke ge- 
geben (consilia evangelica); aber jeder Gerechtfertigte hat Werke 
des Glaubens, der Hoffnung und Liebe; 3) das höchste und letzte 
Oeschenk der gratia, die in den Erwählten irresistibilis ist, ist die 
perseverantia. Die vocati (et sanctificati?), die sie nicht haben, 
gehen verloren. Warum sie nur Einige erhalten, da sie doch nicht 
secundum merita verliehen wird, ist Gottes Geheimniss. Gewiss 
aber ist — trotz der Prädestination imd der souveränen Gnade — , 
dass beim Endgericht nicht das „adhaerere deo", sondern der 
sittliche Habitus das Entscheidende ist. Nur wer merita aufweisen 
kann (aber sie sind dei munera), wird gerettet. Die Bedeutung 
der Sündenvergebung und des Glaubens ist doch verkannt. A.'s 
Satz ist: „Wo Liebe ist, da ist auch eine dem Masse der Liebe 
entsprechende Seligkeit". 

Von hier aus hat A. seine Lehre von der Sünde, dem Sünden- 
fall und dem Urständ entworfen. Die Sünde ist privatio boni 
(Mangel des Seins und des Gutseins), Zukehr des Menschen zu 
sich selbst (Hochmut) und Konkupiscenz (Sinnlichkeit): j^misera 


§ 53] Augastin's Lehre von Gnade und Sünde. 257 

necessitas non posse non peccandi'\ obgleich die formale Freiheit 
besteht — Herrschaft des Teufels (daher ist Erlösung von aussen 
nötig). A. will als Hauptbegriff der Sünde den „amor sui" fest- 
halten^ aber faktisch ordnet er ihm die Konkupiscenz über. Diese 
offenbart sich vor Allem in der Geschlechtslust. Da diese sich 
spontan (vom Willen unabhängig) regt, beweist sie, dass die 
Natur verderbt ist (natura vitiata). Daher pflanzt sie Sünde fort: 
der mit Lust vollzogene Zeugungsakt bezeugt, dass die Menschheit 
eine massa peccati geworden. Da A. Bedenken trug, über die 
Entstehung der Seele traduzianisch zu lehren, so wird — wider 
den ursprünglichen Ansatz — der Leib zum Träger der Sünde, 
der die Seele infizirt. Der tradux peccati durchzieht als vitium 
originis die Menschheit. Diese Erbsünde ist Sünde, Sündenstrafe 
imd Schuld; sie zerstört das wahre Leben und überhefert den 
Menschen dem nou posse nou mori (auch die ungetauft sterbenden 
Kinder — jedoch „mitissima poena^'), nachdem sie alle Thaten 
desselben befleckt hat („splendida vitia"). So bezeugt es die 
Schrift, die Praxis der Kirche (Kindertaufe) und das Gewissen des 
Sünders. Von Adam her herrscht diese Erbsünde als natura 
vitiata. Sein Fall war furchtbar, ein Komplex aller schweren 
Sünden (Hochmut und Konkupiscenz); er war um so furchtbarer, 
als Adam nicht nur gut geschaffen war, sondern als adiutorium 
die göttliche Gnade besass (denn ein spontanes Gutsein ohne 
diese giebt es nicht). Diese Gnade verscherzte er, und so gross 
war der Verlust, dass das ganze Menschengeschlecht „in ihm" 
verdarb (nicht nur weil alle jener Adam waren, sondern auch weil 
von ihm das böse Kontagium sich verbreitete), und selbst die 
Taufe die Erbsünde (Geschlechtslust) nicht auszutilgen, sondern 
nur ihren reatus wegzuräumen vermag. Augustinus Vorstellung 
vom Urständ (posse non peccare und adiutorium) steht in dem 
klaffendsten Widerspruch zu seiner Gnadenlehre; denn die gratia 
als adiutorium im Urständ ist der Gnade der Erlösung insofern 
ganz unähnlich, als sie den Willen frei lässt und nichts wirklich 
schafft, sondern nur eine Bedingung für die freie Entscheidung 
zum Guten ist, also nicht irresistibilis. Dieses „adiutorium" ist 
in Wahrheit pelagianisch gedacht (die Lehre vom Urständ und 
von den Massstäben des Endgerichts lässt sich mit der Gnaden- 
lehre nicht vereinigen , und die natura vitiata (als Geschlechtslust 
erkennbar) lässt keinen Raum mehr für eine heilige Ehe, ist mit- 
hin fast manichäisch. Aber alle schweren Anstösse können die 

Grundriss IV. iii. Habnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 17 


258 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 54, 

Grösse der Erkenntniss nicht verdunkeln, dass Gott Wollen und 
Vollbringen wirkt, dass wir nichts haben, was wir nicht empfangen 
haben, und dass Gott- Anhangen gut und unser Gut ist. 

§ 54. Angnstin's Erklärung des Symbols. Die neue Religious- 

lehre. 

um zu erkennen, wie A. die überlieferte Religionslehre (das 
Dogma) umgebildet hat, imd welche seiner Gedanken in den 
kirchlichen Besitz übergegangen sind, muss man seine Erklä- 
rungen des Symbols, bes. sein Enchiridion, studiren. Zunächst 
sind die vulgär katholischen Züge seiner Lehre hier ojBFenbar. An 
dem alten Symbol wird die Dreieinigkeits- und Zwei-Naturen- 
Lehre dargelegt; die Bedeutung der katholischen Kirche ist streng 
gewahrt. Die Taufe ist als das wichtigste Mysterium in den 
Vordergrund gestellt und vom Tode Christi abgeleitet, in dem die 
Herrschaft des Teufels, nachdem er sein Recht bekommen hat, 
gebrochen ist. Der Glaube erscheint oftmals als etwas Vorläu- 
figes; das ewige Leben wird nur den Verdiensten zu Teil, diese 
bestehen in Liebeswerken, letztlich aber in der Askese. Doch 
brauchen nicht Alle diese zu leisten; man muss zwischen mandata 
und consilia unterscheiden. Von den Almosen wird breit gehan- 
delt; sie konstituiren die Busse. Innerhalb der Kirche ist für alle 
Sündenvergebung da unter Voraussetzung der satisf actio congrua. 
Es giebt eine Sündenskala von den Verbrechen bis zu den ganz 
leichten Sünden des Tages; so giebt es auch eine Skala der bösen 
und guten Menschen; auch die besten (sancti, perfecti) sind von 
leichten Sünden nicht frei. Es giebt eine Stufenleiter der Selig- 
keit (nach den merita). Den abgeschiedenen guten, aber nicht 
vollendeten Seelen nützen Messopfer, Almosen und Gebete; sie 
sind in einem sie läuternden Straffeuer. Die vulgären supersti- 
tiösen Anschauungen sind von A. vielfach noch gesteigert worden, 
so in Bezug auf das Fegfeuer, die zeitweilige Linderung der 
Strafe der Verdammten, die Engel, die der diesseitigen Kirche 
Hülfe leisten, die Kompletirung der in Folge des Engelfalls ge- 
schmälerten himmlischen Kirche durch die erlösten Menschen, 
die Jungfräulichkeit der Maria in partu und ihre einzigartige 
Reinheit und Empfänglichkeit, die leisen Anfänge der Berechnung 
des Wertes des Opfertods Christi, endlich — die Auffassung vom 
Heil als visio et fruitio dei, die immer wieder durchschlägt, und 


§ 54.] Augustin's Religionslehre. 259 

die Fesselung der geistlichen Kräfte an geheimnissvoll wirkende 
Sakramente. 

Aber andererseits — die Religionslehre im Enchiridion ist 
neu. An das alte Symbol ist hier ein Stofif herangebracht, der nur 
ganz lose mit ihm verbunden werden kann und zugleich die ur- 
sprünglichen Elemente modifizirt. In allen drei Artikeln ist die 
Behandlung der Sünde, Sündenvergebung und Vollendung in der 
Liebe die Hauptsache (§ lOf. 25f. 41f. 64-83). Alles wird als 
innerlicher Prozess vorgestellt, dem der sehr kurz behandelte alte 
dogmatische Stoff als untergeordnet erscheint. Deshalb ist der 
3. Artikel am ausführlichsten behandelt. Schon im Auf- 
riss zeigt sich das Neue: auf Glaube, Hoffnung und Liebe kommt 
Alles an, so innerlich ist die Religion (3 — 8). Im 1. Artikel ist 
keine Kosmologie gegeben, ja ausdrücklich wird die Physik als 
Inhalt der Dogmatik abgelehnt (9. IG f.). Daher fehlt auch jede 
Logoslehre. Die Dreieinigkeit, als Dogma überliefert, wird in 
eine Einheit zusammengezogen: sie ist der Schöpfer. Im Grunde 
ist sie eine Person (die Personen sind Momente in Gott und 
haben keine kosmologische Bedeutung mehr). Alles in der Reli- 
gion bezieht sich auf Gott als die einzige Quelle alles Guten 
und auf die Sünde; diese wird vom Irrtum unterschieden. Damit 
ist mit dem alten Intellektualismus gebrochen. Wo immer an 
die Sünde gedacht wird, wird an die gratia gratis data, die prä- 
destinatianische Gnade, gedacht, die den gebundenen Willen erst 
frei macht. Mit dem Hinweis auf die misericordia praeveniens 
und subsequens schliesst die Auslegimg des 1. Artikels. Wie 
anders hätten die Worte desselben gelautet, wenn A. ihn hätte 
frei entwerfen können! — Im 2. Artikel ist das, was das Symbol 
wirklich enthält, ganz kurz berührt (die Wiederkunft Christi ohne 
Chiliasmus). Dagegen tritt Folgendes in den Vordergrund: die 
Einheit der Christuspersönlichkeit als des homo, mit dessen Seele 
sich das Wort verbunden hat, die prädestinatianische Gnade, die 
diesen homo in die Einheit der Person mit der Gottheit gebracht 
hat, obgleich er keine Verdienste besass, die feste Verknüpfung 
des Todes Christi mit der Erlösung vom Teufel, der Versöhnimg 
und der Taufe einerseits, aber die Betrachtung der Erscheinung 
und der Geschichte Christi als der Hoheit in der Demut und als 
des Vorbildes der vita christiana andererseits. Die erlösende Be- 
deutung Christi ist für A. ebenso stark in dieser Demut in der 
Hoheit und in dem Vorbilde (s. Bernhard und Franciskus) aus- 

17* 


260 Entwickelung.des Dogmas im Abendland. [§ 54. 

gedrückt, wie in seinem Tode. Die Menschwerdung tritt als 
solche zurück, resp. wird unter eine Beleuchtung gestellt, die den 
Griechen ganz fremd war. So ist der 2. Art. ein ganz anderer 
geworden; der altdogmatische Stoff ist nur Baumaterial. — Im 
3. Art. ist die Unbefangenheit und Sicherheit, mit der eine immer 
währende Sündenvergebung in der Kirche gelehrt wird, die 
Hauptsache und das Neue. Bei den Massen hat die steigende 
Laxheit das unerschöpfliche Busssakrament herbeigerufen; allein 
bei A. war die neue Erkenntniss durch eine Vertiefung des 
Sündenbewusstseins und eine Versenkung in die Gnade Gottes, 
wie Paulus sie gelehrt, verursacht. Freilich, die Frage der per- 
sönlichen Heilsgewissheit hat ihm noch nicht die Seele getroffen 
— er steht zwischen der alten Kirche und Luther — ; die Frage: 
wie werde ich meiner Sünden ledig und mit Gottes Kraft erfüllt, 
war seine Grundfrage. Im Anschluss an das vulgär Katholische 
schaute er auf gute Werke aus; aber er fasste sie als Produkt der 
Gnade und des Willens, der unter der Gnade steht; er warnte 
dabei vor jedem äusserlichen Thun. Den Kultus und selbst die 
Almosen schiebt er zurück; er weiss, dass es auf eine innere Um- 
bildung, ein reines Herz und einen neuen Geist ankommt. Zu- 
gleich ist er gewiss, dass auch nach der Taufe immerfort der 
Weg der Sündenvergebung dem Bussfertigen offen steht, und 
dass der die Sünde wider den h, Geist begeht, der an diese nicht 
glaubt. Das ist eine völlig neue Deutung des evangelischen 
Spruchs. Sehr ausführlich ist der Schluss des Symbols (resurrectio 
carnis) erklärt. Aber die Hauptsache ist hier nach kurzer Er- 
örterung des eigentlichen Themas — die neue Prädestinations- 
lehre als die Kraft seiner Theologie, ferner die als Lehre ebenfalls 
wesentlich neue Betrachtung (sie steht an der Stelle der Lehre 
des Origenes von der Apokatastasis) von einer jenseitigen Läute- 
rung der Seelen, zu der die Gebete und Opfer der Überlebenden 
beitragen können. 

Die Frömmigkeit: Glaube und Liebe statt Furcht und 
Hoffnung; die Religionslehre: etwas Höheres als Alles, was Lehre 
heisst, ein neues Leben in der Kraft der Liebe; die Lehre von 
der Schrift: die Sachen (das Evangelium, Glaube, Liebe, Hoff- 
nung — Gott); die Trinität: der eine lebendige Gott; die Christo- 
logie: der eine Mittler, der Mensch Jesus, mit dessen Seele sich 
die Gottheit verbunden, ohne dass sie es verdiente; die Erlösung: 
der Tod zum Besten der Feinde und die Demut in der Hoheit; 


Einl. z. §§ 55 f.] Augustinus Religionslehre. 261 

die Gnade: die neuschöpferische stetige Kraft der Liebe; die 
Sakramente: das Wort neben den Zeichen; die Seligkeit: die 
beata necessitas des Guten; das Gute: die Abhängigkeit von 
Gott; die Geschichte: Gott wirkt Alles nach seinem Wohl- 
gefallen. Damit vergleiche man die griechische Dogmatik! 
Freilich das alte Dogma wurde nun um so starrer, je mehr es in 
den Hintergrund gerückt (nicht abgethan) wurde; es wurde kirch- 
liche Rechtsordnung. Die neuen Lehren blieben noch flüssig, 
erhielten also noch nicht die Ausgestaltung und den Wert von 
Dogmen. Durch A. wurde die Kirchenlehre nach Umfang und 
Bedeutung unsicherer. Einerseits wurde sie in das Evangelium 
selbst zurückgeführt, andererseits grenzte sie sich minder scharf 
gegen die Theologie ab, da die sichere Formulirung fehlte. Um 
das alte Dogma, welches sich in erstarrender Giltigkeit behaup- 
tete, bildete sich ein grosser unsicherer Kreis von Lehren, in dem 
die wichtigsten Glaubensgedanken lebten, und der doch von Nie- 
mandem überschaut und festgefügt werden konnte. Das ist der 
Zustand des Dogmas im Mittelalter. Neben der Erstarrung be- 
ginnt bereits der Prozess der inneren Auflösung. 

Fünftes Kapitel. 

GescMchte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn des 

Mittelalters (430-604). 

WMöLLEB, Semipelagianismus RE.* — JWiggers, a. a. 0. u. ZhTh. 
1854 f. — GLAr, Gregor d. Gr. 1845. — PBöhbingrr, Biographien Leo's 1. 
u. Gregorys I. 1879. 

Das weströmische Reich brach zusammen. Die katholische 
Kirche trat in das Erbe des Reichs, der römische Bischof in das 
des Kaisers ein (Leo I. und seine Nachfolger im 5. Jahrh.). Aber 
kaum an die Spitze gestellt, erlebte das Papsttum im Zeitalter 
Justinian's einen tiefen Fall, aus dem es erst Gregor I. befreit hat. 
Im 5. und 6. Jahrh. vermochte die lömische Kirche die barbari- 
schen Nationen noch nicht zu erziehen; denn sie waren arianisch 
und Rom war nicht frei, sondern seit dem 6. Jahrh. an den Orient 
gekettet. Nur die Franken wurden katholisch, blieben aber zu- 
nächst romfrei. Dennoch hat sich gerade in diesem Zeiträume 
der Anspruch des römischen Bischofs, dass Alles, was von Petrus 
gelte (besonders Mt. 16, 17 f.), auch von ihm gelte, durchgesetzt. 
Die dogmatischen Aktionen beschränkten sich auf die Rezeption 
und Abmüderung des Augustinismus im Sinne der Verklitterun 


er 


262 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 55. 

desselben mit dem vulgär Katholischen. Das alte römische 
Symbol anlangend, so erhielt es in dieser Zeit in Gallien seine 
heutige Gestalt, in der besonders der neue Ausdruck „communio 
sanctorum" (wahrscheinlich gegen Vigilantius für die Heiligen- 
verehrung, s. FaustüS von Reji) wichtig ist. 

§ 55. Der Kampf des Semipelagianismas und Aagnstinismns. 

Die dankbare Hochschätzung Augustinus, die Verwerfung des 
Pelagianismus imd die Anerkennung der allgemeinen erblichen 
Sündhaftigkeit und der Notwendigkeit der Gnade (als adiutorium) 
bedeuteten noch nicht die Anerkennung der Prädestination und 
der gratia irresistibilis. Die Werkgerechtigkeit, der doch A. selbst 
einen verborgenen Raum gelassen, und ein richtiger Instinkt der 
kirchlichen Selbsterhaltung reagirten wider diese Lehren. Schon 
bei A.'s Lebzeiten riefen sie bei den Mönchen zu Hadrumet Unruhe 
und Zweifel hervor (Aug., de gratia et lib. arbitrio und de correp- 
tione et gratia). Ein oder zwei Jahre später (428/9) berichteten 
ihm seine ergebenen Freunde, dass man in dem südlichen Gallien 
(Mönche zu Massilia und sonst j der Lehre von der Prädestination 
und der völligen Unfähigkeit des Willens entgegentrete, weil sie 
die christliche Predigt lähme. A. hat durch die Schriften de prae- 
dest. sanct. und de dono perseverantiae die Freunde gestärkt, die 
Gegner eher aufgestachelt. Die „servi dei" in Südgallien schritten 
nach dem Tode A.'s kühner vor, aber doch nicht ganz oJBFen; denn 
A. besass eine grosse Autorität. Das Kommonitorium des Vin- 
centius, welches den streng-kirchlichen traditionellen Standpunkt 
formulirt (s. oben S. 156), richtet sich mindestens indirekt gegen 
die Neuheit der Lehre A.'s; Johannes Cassianus, der Vater der 
südgallischen Mönche, brachte in seinen „collationes^^ den Semi- 
pelagianismus zum Ausdruck, obgleich er viel von A. gelernt 
hat. Die Richtpunkte des Semipelagianismus sind die wirk- 
liche Universalität der Gnade, die Zurechnungsfälligkeit (Ver- 
antwortlichkeit) des Menschen — darin ist er evangelisch — und 
die Bedeutung der guten Werke. Demgemäss wird generell die 
gratia praeveniens nur als äussere Gnade zugestanden: Gott 
schafft die Bedingungen, Gelegenheit und Möglichkeit unseres 
Heils zuvor; die innere (heiligmachende) Gnade aber konkurrirt 
mit dem freien Willen, der somit ein koordinirter Faktor ist. Da- 
her kann sowohl dieser als jene vorangehen, und eine gratia irre- 
sistibilis ist ebenso ausgeschlossen, wie eine von göttlicher Prä- 


§ 55] Der Semipelagianismus u. Augustinismus. 263 

scienz (der freien Handlungen) unabhängige Prädestination. 
Diese involvirt ein „ingens sacrilegium" (nämlich den Fatalismus), 
wenn auch vorbehalten bleiben muss, dass Gottes Wege unbe- 
greiflich sind (ähnlich Hilarius von Arles und schroJBFer, aber zu- 
gleich verlogen, der unbekannte Verf. des „Praedestinatus'^, über 
dessen ürsprimg noch ein Rätsel schwebt — die Vorstellung deckt 
sich ungefähr mit der des Hieronymus, ist als allgemeine Lehre 
unbedenklicher als die Augustinus, als Ausdruck der christlichen 
Selbstbeurteilung ein Abfall von der Wahrheit). Die Verteidiger 
A.'s, Prosper und der unbekannte Verf. der libri II de vocatione 
gentium (milderer Augustinismus), brachten es zu keiner durch- 
schlagenden Wirkung, obgleich der Papst Cölestin ihre Gegner 
als vorwitzige Leute tadelte. In den letzten Jahrzehnten des 
5. Jahrh. erhielt der Semipelagianismus an dem angesehensten 
Lehrer Südgalliens, Faustus von Reji, einem liebenswürdigen und 
milden Abt und Bischof, einen ausgezeichneten Vertreter, der sich 
ebenso gegen den Pelagius „pestifer" wie gegen den schweren Irr- 
tum der Prädestination wandte i^in der Schrift de gratia dei et 
humanae mentis libero arbitrio) und den streng augustinischen 
Presbyter Lucidus zum Widerruf bewegte, nachdem auf der 
Synode zu Arles (475 j die Prädestinationslehre verurteilt worden 
war. Faustus ist in seiner Lehre noch „mönchischer^^ als Cassian 
und minder von A. bestimmt. Implicite hat er schon die Lehre 
vom meritum de congruo et condigno vorgetragen. In der fides 
als Kenntniss imd in den Anstrengungen des Willens sich zu 
bessern liegt ein von der gratia prima getragenes meritum, ihm 
wird die erlösende Gnade zu Teil, und sie wirkt nun mit dem 
Willen zusammen, so dass vollkommene merita entstehen. 

Wie einst Pelagianismus und Nestorianismus, die innerlich 
verbunden sind, in ein gemeinsames Geschick gezogen wurden, so 
ist auch der Semipelagianismus in die christologische Kontroverse 
verwickelt worden und hat in ihr sein vorläufiges Ende gefunden. 
Die theopaschitisch lehrenden skythischen Mönche in Konstan- 
tinopel (s. oben S. 207), die in der Christologie den göttlichen 
Faktor besonders betonten, klagten abendländische Theologen 
(Faustus) als Feinde der richtigen Christologie und als Gegner 
der Gnade an, sich auf den Boden A.'s stellend. Der Papst gab 
eine ausweichende Entscheidung, aber bei den aus Nordafrika 
nach Sardinien verbannten Bischöfen fanden die Mönche Bimdes- 
genossen. Fulgentius von Ruspe schrieb um 520 gegen die Auto- 


264 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 5(>. 

rität des Faustus mekrere bedeutende Schriften, in denen der volle 
Augustinismus vertreten ist (Partikularität der Gnade, praedesti- 
natio ad poenam). Diese und die Lektüre der Predigten A /s wirkten 
auch in Südgallien. Die Zeit verstand nur noch das Dilemma, ent- 
weder ist Augustin ein Ketzer oder ein heiliger Lehrer. Der 
grosse gallische Prediger, der sich ganz an Aug. gebildet hatte^ 
Cäsarius von Arles (f 542), beseitigte den südgallischen Wider- 
spruch, der auf der Synode zu Valence laut wurde, wurde vom 
Papst unterstützt und brachte auf der kleinen Synode zu Oranges 
(529) die 25 „Kapitel" zum Siege, die der Papst aus den Schriften 
A.'s und Prosper's gezogen und als die Lehre der alten Väter den 
Südgalliem übersandt hatte. Wenige in Südgallien unterstützten 
Cäsarius (Avitus von Vienne f 523); aber die meisten Bischöfe 
waren wohl nicht mehr im Stande, der Streitfrage zu folgen. Die 
Billigung des Papstes Bonifaz IL verstärkte das Ansehen der Be- 
schlüsse von Oranges, die vom Tridentinum eingehend berück- 
sichtigt worden sind. Die Kapitel sind augustinisch; aber es fehlt 
die Prädestination, und der innerliche Gnadenprozess, auf den für 
A. doch der Hauptnachdruck fiel, ist nicht gebührend gewürdigt. 
Die gratia praeveniens ist unzweideutig gelehrt, weil die mön- 
chische Anschauung von der Unreinheit der Ehe der strikten 
Fassung der Erbsünde und damit der Gnadenlehre zu gute kam. 
Aber sonst ist die Lehre in Wahrheit ein Augustinismus ohne 
Augustin oder konnte doch leicht so verstanden werden, d. h. die 
vulgärkatholischen Anschauungen von der äusserlichen Gnade imd 
von den Werken konnten und sollten sich neben ihr behaupten. 

§ 66. Gregor der Grosse (590-604). 

Rom hat den Formeln des Augustinismus schliesslich zum 
Siege verholfen, trotzdem sich seine Bischöfe im 6. Jahrh. weit 
von ihm entfernten. Der durch seine Persönlichkeit (Mönch), 
durch Briefe, Schriften (Regula pastoralis, Dialogi, Expos, in 
Job seu Moralia, Homil. in Ezech.) und litui^ische Reformen ein- 
flussreichste Papst, Gregor I., hat unter der Hülle augustioischer 
Worte den vulgärkatholischen Typus, aber durch superstitiöse 
Elemente verstärkt, wieder zum Ausdruck gebracht und die alte 
abendländische Auffassung der Religion als einer Rechtsordnung 
aus Licht gestellt. Das Mirakel wurde das Kennzeichen der Reli- 
gion. Diese lebt unter Engeln, Teufeln, Sakramenten, Opfern, 
Bussordnungen, Sündenstrafen, Furcht und HoflEuung, aber nicht 


§ 56.] Gregor der Grosse. 265 

in dem sicheren Vertrauen auf Gott in Christus und in der Liebe, 
Hat Gregor für seine Person sich auch noch in augustinischen 
Gedanken bewegt und zeigt er in seiner Weise Gerechtigkeit^ 
Milde und Freiheit, so bezeugt eben das buntscheckige Gemenge 
seiner Theologie, dass sich selbst der Beste damals der religiösen 
Barbarei nicht zu entziehen vermochte, in die die Antike sich 
auflöste. Gregor wurde in der Folgezeit mehr gelesen und höher 
gepriesen als Augustin. Er hat fast ein halbes Jahrtausend die 
Dogmengeschichte im Abendland ohne Rivalen beherrscht imd 
beherrscht im Grunde den Katholicismus noch eben. Neues hat 
er freilich nicht geschaffen; aber durch die Art, wie er die ver- 
schiedenen Lehren und Kirchengebräuche accentuirt und die 
Religion zweiter Ordnung in die Theologie übergeführt hat, hat 
er den vulgären Typus des romanischen Katholicismus geschaffen. 
Vornehmlich ist Folgendes zu nennen: 1) Er reproduzirt die 
wertvollsten Gedankenreihen A.'s über die innerliche Wirkung 
und Aneignung der Gnade z. T. sogar selbständig, auch dem 
Worte (verbum fidei) eine grosse Bedeutung beilegend, aber er 
hat allen Stufen des augustinischen ordo salutis eine semipelagia- 
nische Wendung gegeben, da er das liberum arbitrium als einen 
der Gnade koordinirten Faktor auffasst („nosmet ipsos liberare 
didtmiTy quia liberanti nos domino consentimus^^); 2) er hat die Be- 
deutung des Todes Christi vielleicht lebhafter als A. empfunden, 
aber unter den verschiedenen Gesichtspunkten, unter die er ihn 
stellt, wiegen die apokryphen vor: durch Christi Tod ist der 
Teufel überwunden, nachdem er geprellt worden; im Abendmahl 
wiederholt sich das Opfer Christi thatsächlich (hier ist Gregor's 
Lehre besonders massgebend geworden), und damit rückt ein ein- 
gebildetes Opfer an die Stelle des geschichtlichen; aber auch sonst 
erscheint der geschichtliche Christus verdrängt, nämlich durch 
sein eigenes „meritum", das als die Leistung eines sündlosen 
Lebens und h. Sterbens von ihm abgetrennt wird, ein dingliches 
Gut, Jedermann nötig, um den zürnenden Gott zu befriedigen, in 
seinem Werte für den Einzelnen aber ein ganz unsicherer Schatz; 
3) mit dieser Auffassung von der Interzession des meritum Christi 
hat Gregor die bisher unsicheren Gedanken über die Interzession 
der Heiligen und die Dienste der Engel verbunden imd auf die 
Höhe der „Theologie" erhoben. Die heidnische Superstition, die 
Halbgötter und Götterreihen brauchte und zu den heiligen Kör- 
pern der Märtyrer ihre Zuflucht nahm, hat er legitimirt, die Ver- 


266 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 56. 

dienste Christi und der Heiligen zusammenknüpfend^ die Erzengel, 
Engel und Schutzengel klassifizirend und empfehlend, die schlimme 
Praxis durch die „Lehre" verfestigend; 4) Hierarch mehr in der 
Praxis als in der Lehre, hat er doch die Gleichung von Kirche und 
civitas dei streng gezogen, denn er lebte in einer Zeit, wo nichts 
anderes Wertvolles vorhanden war als die Kirche. Er feierte sie 
als die congregatio sanctorum, aber in Wahrheit war ihm diese eine 
erziehende, das Schlimmste abwehrende Gnadenanstalt; denn an 
ein höheres Ideal durften sich die Menschen damals nicht heran- 
wagen. Der römische Bischof war ihm der Herr nur der sündigen 
Bischöfe (die Laien spielen überhaupt keine Rolle mehr), aber 
Sünder waren sie alle („si qua culpa in episcopis invenitur, nescio 
quis Pttri successori suhiectus non sit; cum vero culpa non exigity 
omnes secundum rationein humilitatis aequales sunV^); 5) Gregor 
weiss noch, was innerliche Gnadengaben und Tugenden sind, aber 
das ausgerottete römische Heidentum hat doch andererseits in so 
vollkommener Weise auch ihm sein Inventar und seine religiöse 
Denkart überliefert, dass er alle religiösen Pflichten und Tugenden 
in statutarische, festumschriebene Ceremonien einkapselt, die z.T. 
adoptirte altrömische Bräuche waren; auch hier hat er freilich 
nicht viel Neues geschaffen, sondern die römische „religio*^ sammt 
dem Abhub der Mysterien, die längst Bürgerrecht in der Kirche 
erlangt hatten, zu kirchlichen Heilsordnimgen ersten Ranges er- 
hoben; 6) Gregor hat ein Gefühl für wahre Demut, aber die 
Wendung, welche diese Tugend zur mönchischen „humilitas", 
Selbstwegwerfung und zum geistlichen Selbstbetrug genommen 
hatte, hat er verstärkt; mit dem einfachen Sinn für Wahrheit er- 
losch auch der Sinn für Wahrhaftigkeit — es wurde Nacht; denn 
auch die Welt des Lineniebens, die Augustin erhellt hatte, ver- 
dunkelte sich wieder; 7) am folgenschwersten sind Gregorys Aus- 
führungen über die Busse geworden; in ihnen lebte seine Theo- 
logie, und man könnte sie vollständig von hier konstruiren. Der 
imerforschliche Gott ist der Vergelter und lässt keine Sünde un- 
gestraft; in der Taufe hat er die Erbschuld nachgelassen, aber es 
gilt nun, durch Busse und gute Werke an der unterstützenden 
Hand der Gnade sich die Seligkeit zu schaffen. Unter den drei 
Stücken der Busse (conversio mentis, confessio oris, vindicta pec- 
cati) tritt faktisch die abzuleistende Sündenstrafe als das wich- 
tigste hervor. Erst bei Gregor ist die verhängnissvolle Umsetzung 
vollendet, dass die „satisfactiones", die ursprünglich als sichere 


Einl. z. §§ 57ff.l Gregor der Grosse. 267 

Bezeugung wahrer Reue galten, die satisfaktorischen Sünden- 
strafen sind, denen man sich unterzieht, um die ewige Strafe zu 
vermeiden. Das Verdienst Christi und die Macht der Kirche 
scheinen eben darin zu bestehen, dass ewige Strafen in zeitliche 
umgesetzt werden; diese zeitlichen aber werden wiederum durch 
die Interzession Christi und der Heiligen, durch Seelenmessen, 
Reliquien, Amulette etc. verkleinert, verkürzt oder verhindert. 
Was stets in der Religionsgeschichte sich gezeigt hat, dass, wo 
die Religion ihr Ziel von der Moral nimmt, sie unmoralisch wird, 
das zeigte sich auch hier. Im Obersatz herrscht die strenge Idee 
der Vergeltung, im Untersatz treiben alle möglichen Heilsmittel, 
z. T. nicht einmal mit christlicher Etiquette, ihr Wesen, und im 
Schlusssatz regiert die Kasuistik und die Angst. Längst kam man 
bei dieser Betrachtung mit dem Diesseits und der Zeit nicht mehr 
aus und durfte doch noch nicht in die Ewigkeit übergreifen — 
denn wer wäre dann für selig zu erachten?; aber erst Gregor hat 
das Fegfeuer in die Theologie sicher eingeführt, damit der Kirche 
eine ungeheure Provinz erobert, die Hölle weitergerückt und so 
der Unsicherheit einen neuen Trost, aber keine Ruhe verschafft. 

Sechstes Kapitel. 

GescUclite des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance. 

JBach, dg. des MA. 2 Bde. 1873 f. — HReutkb, Geach. d. relig. 
Aufklärang im MA. 2 Bde. 1875 f. — AHaück, EGesch. Deutschlands. 
2 Bde. 1887f. — JSchwanb, DG. d. mittleren Zt. 1882. — CJHkpele, 
Konzü.Gesch. III * IV.'' — J ASpecht, Gesch. d. Unterrichts wesens i. 
Deutschi, bis z. Mitte d. 13. Jahrh. 1885. — EHatch, Grundlegung d. 
Kirchenverfass. Westeuropas i. frühen MA., übers, v. AHabnack 1888. 

Chlodwig's Übertritt zum Christentum und Gregorys Missions- 
untemehmen bei den Angelsachsen begründen die Geschichte der 
römisch-katholischen Kirche bei den Germanen. Im 7. und 
8. Jahrh. erlischt der Arianismus; im 8. muss Rom den Schwer- 
punkt seiner Politik in die romanisch- germanischen Reiche ver- 
legen. Das neubekehrte England und Deutschland wurden sofort 
römisch; Pippin und Karl der Grosse kamen dem Papst entgegen. 
Zunächst gewann der neue Weltstaat der Franken mehr als der 
Papst; aber bald zeigte es sich, dass dieser aus der Verbindung 
den höchsten Vorteil zog, nicht weil die Idee des christhchen 
Kaisers an sich weniger bedeutete als die des Nachfolgers Petri, 
sondern weil jene die Grimdlage eines wirklichen Weltreiches 
erforderte, das doch nur vorübergehend geschaJBFen werden konnte. 


268 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 67. 

Das geistige Leben und die Theologie hat bis z. Z. Karl's d. Gr. 
keine fortschreitende Geschichte; die karolingische Epoche ist ein 
grosser und in mancher Hinsicht verfehlter Versuch einer Re- 
naissance der Antike, somit auch der Vätertheologie. Was von 
Theologie bis gegen d. J. 800 vorhanden ist, ist Kompendium und 
Exzerpt (Isidor v. Sevilla, Beda, später ßabanus), gewissermassen 
Institution, wie die ganze Religion. Durch Beda und Alcuin 
wird Augustin wieder erweckt. Es war schon ein gewaltiger 
Fortschritt, dass man ihn wirklich wieder zu verstehen begann 
— z. T. besser als Gregor (Alcuin, Agobard u. A.) — ; aber als 
selbständiger Denker kann doch nur Scotus Erigena angesehen 
werden, dessen am Areopagiten imd Augustin gebildeter mysti- 
scher Pantheismus (,jdc divisione naturae^) jedoch völlig wir- 
kungslos blieb. Das Bildungsstreben des 9. Jahrh. war ein sehr 
respektables (s. die uns erhaltenen Handschriften). Es bemäch- 
tigte sich von England aus (Theodor von Tarsus, Beda, Alcuin) 
des Kontinents und erhielt durch die in Italien nie ganz erloschene 
Bildung Unterstützung. Aber in den grossen Erschütterungen 
seit dem letzten Viertel des 9. Jahrh. schien Alles wieder zu ver- 
sinken. Die dogmatischen Kontroversen des Zeitalters entspringen 
teils aus bisher verdeckten und nun wieder bestimmt gezogenen 
Konsequenzen des Augustinismus, teils aus dem Verhältniss zum 
Orient. Eine besondere Beachtung verdient die Fortbildung der 
Praxis und Theorie der Messe und Busse. 

§ 57. Der adoptianisclie Streit. 

AHauck, a. a. 0. II. — PGams, EGesch. Spaniens Tl. 

Im Abendland war nach schweren Kämpfen die Christologia 
des 5. Konzils zum Siege gekommen, und trotz des 6. Konzils ver- 
drängte die mystische, verkappt monophysitische Anschauung die 
streng chalcedonensische, da die superstitiösen Vorstellungen vom 
Abendmahl jene begünstigten. Spanien wurde von dieser Ent- 
Wickelung weniger beeinflusst. In der mozarabischen Liturgie 
stand die augustinische Formel von der passiofiliia dop ti vi. Eli- 
pandus, der herrschsüchtige, von nationalem Stolz erfüllte Bischof 
von Toledo, machte um 780 die alte Lehre geltend, dass Christus 
seiner menschlichen Natur nach filius dei adoptivus sei, die Er- 
lösten also im vollen Sinne Brüder des Menschen Jesus. Wahr- 
scheinlich wollte er eine von Rom unterschiedene Formel als 
Ausdruck der Orthodoxie, die nur in Spanien zu finden sei. Mit 


§ 58.] Der adoptianische und der Prädestinationsstreit. 269 

innerer Überzeugung und hoher Wertschätzui^ der menschliehen 
Person Jesu hat sie der Bischof Felix von ürgel vertreten, der im 
Reiche Karl's sass (Lektüre antiochenischer Schriften ist wahr- 
scheinlich). Nachdem in Spanien Beatus und Eterius die Gegen- 
lehre verfochten hatten, griffen die fränkischen Theologen, vor 
Allem Alcuin, ein. Monophysiten und Nestorianer standen sich 
unter neuen Kappen gegenüber; Karl aber war der Anlass will- 
kommen, sich als den Hüter der Orthodoxie und Herrn der Kirche 
zu erweisen. Der Adoptianismus wurde auf den Synoden zu 
Regensburg 792, Frankfurt 794, Aachen 799 verdammt, dem 
Felix wiederholt der Widerruf abgepresst, das fränkische Spanien 
durch Theologie und sanfte Gewalt (Leidrad) zur Einheit des 
mystischen Glaubens zurückgerufen. Die Lehre des Joh. Damas- 
cenus, die die Menschennatur in Christus unpersönlich fasste und 
sie als die angenommene Natur des Logos mit ihm in völlige Ein- 
heit setzte, siegte auch im Abendland. Alcuin drückt sich so 
mystisch und überschwänglich aus wie Cyrill. Doch haben sich 
trotz der realistischen Abendmahlslehre, die den geschichtlichen 
Christus verdrängte und einen feinen Monophysitismus forderte, 
augustinisch-adoptianische Gedanken bei den späteren Theologen 
des MA. erhalten. 

§ 58. Der Prädestinationsstreit. 

JWiGaEBs i. d. ZhTh. 1859. — JWeizsackeb i. JDTh. 1859. — 
Monographie über Hinkmar von HSchböbs 1884. 

Das herrschende Kirchensystem war semipelagianisch; aber 
im 9. Jahrh. wurde Augustin wieder eifrig studirt. Dass in der 
Krisis, welche dadurch entstand, der Augustinismus trotz aller 
gut augustinischen Redensarten doch nicht wieder hergestellt 
wurde, ist ein Beweis für die Macht der Kirchenpraxis. Der Mönch 
Gottschalk von Orbais machte die Prädestinationslehre mit der 
Kraft Augustinus geltend, zugleich als die eigentliche Haupt- und 
Stamnilehre, in ihr den Schlüssel für die Rätsel seines eigenen 
Lebens findend. Er verkündigte die praedestinatio gemina (ad 
vitam et ad mortem), meinte aber doch, dass Gott nur das Gute 
bestimmt, das Böse bloss vorhergewusst habe. Nicht was er sagte 
(Fulgentius und Isidor hatten nicht anders gelehrt), sondern wie 
er es der Kirche vorhielt, erweckte ihm Feinde. Er wurde zu Mainz 
(848) von Rabanus, zu Chiersey (849) von Hinkmar verurteilt und 
als „miserabilis monachus^^ in Haft genommen, aus der er nie be- 


270 EntwickeluDg des Dogmas im Abendlaxid. [§ 59. 

freit worden ist, weil er jeden Widerruf verweigerte. Aber auf 
seine Seite traten die bedeutendsten Theologen, nicht sowohl um 
mit dem Augustinismus Ernst zu machen, als um Hinkmar 
Schwierigkeiten zu bereiten und die augustinischen „Worte" als 
Traditionalisten zu schützen. Namentlich aus dem Reiche Lothar's 
kam der Widerspruch gegen die Raban-Hinkmar'sche These, die 
Prädestination sei aus derPräscienz abzuleiten und auf die Heiligen 
zu beschränken. Hinkmar suchte sich gegen die Schaar der Alcuin- 
schüler (Prudentius v. Troyes, Ratramnus, Lupus v. Ferneres^ 
Servatus Lupus, Remigius v. Lyon, die proven^alischen Bischöfe) 
auf der Synode zu Chiersey 853 dadurch zu decken, dass er in den 
„Kapiteln" dem Augustinismus grosse Konzessionen machte, aber 
doch seine Lehre von einer Prädestination, dem universalen Heils- 
willen Gottes u. s. w. beibehielt. Es kommt in diesen objektiv 
und subjektiv imwahrhaftigen „Kapiteln" das, um was es sich 
handelte, gar nicht mehr deutlich zimi Ausdruck. Die, welche mit 
dem Munde den ganzen Augustinismus bekannten, meinten damals 
den halben, und die, welche, wie Hinkmar, Einiges unterschlugen, 
wollten ihn in Wahrheit gar nicht. Im Erzbistum Sens und im 
südlichen Prankreich befriedigten die Beschlüsse von Chiersey 
nicht. Zu Valence 855 wurde die gemina praedestinatio proklamirt 
und überhaupt der Augustinismus verkündigt. Auf den grossen 
Synoden der drei Reiche zu Savonieres (859) und Toucy (860) 
wurde dann nicht sowohl eine Einigimg erzielt, als vielmehr die 
Kontroverse durch Übereinkunft paralysirt. In Wahrheit siegte 
der Hinkmar'sche Lehrbegriff d. h. der Gregorys I. Die Lehren 
von dem üniversalismus des Heilswillens Gottes, von der prompten 
und sicheren Wirksamkeit der Sakramente und von der Kon- 
kurrenz des freien Willens blieben bestehen; die Prädestinations- 
lehre erschien wieder als ein dekoratives Element der Theologie. 
Nur in dieser Gestalt war sie mit dem empirischen Kirchentum 
vereinbar. 

§ 59. Der Streit über das fllioque und über die Bilder. 

CJHefele, Konzil.Gesch. III.* — APichler, Gesch. d. kirchl. Tren- 
nung zwischen dem Orient u. Occident. 2 Bde. 1864 f. 

Die augustinisch-spanische Formel „filioque"(s. oben S. 189) 
war im Frankenreich rezipirt (s. die Synode von Gentilly 767) 
und wurde von den Theologen Karl's (libri Carolini; Alcuin, de 
process. s. s.) verteidigt. Zu Aachen 809 beschloss die fränkische 


§ 60.] Abendmahl und Busse. 271 

Kirche, dass das filioque in das Symbol gehöre. Dieser Beschluss 
war durch eine schwere Unbill provozirt, welche abendländische 
Pilger in Jerusalem zu erleiden hatten. Der Papst billigte zwar 
die spanisch-fränkische Lehre, verweigerte aber die Aufiiahme 
des Stichworts ins Symbol. Erst im 10. Jahrh. scheint es Rom 
rezipirt zu haben. Hat Karl die sich öffnende Kluft zwischen 
Orient und Occident durch das „filioque" erweitert und den Papst 
dabei nur zum halben Bundesgenossen gehabt, so entfernte er sich 
von der Orthodoxie des Orients noch mehr durch seine Ablehnung 
der Bilderverehrung, die doch auch der Papst guthiess. Die Tradi- 
tion der fränkischen Kirche und ein augustinisches Element (bei 
Karl vielleicht auch ein aufklärerisches) bestimmten die Haltung 
der Abendländer. Zu Frankfurt 794 wurden die Bestimmungen des 
7. Konzils abgelehnt, jedoch auch die Beschlüsse der Synode von 754 
verworfen. Das Selbstbewusstsein der fränkischen Kirche nahm die 
sechs ersten Konzilien als Ausdruck des kirchlichen Altertums hin, 
wollte sich aber auf modernen Konzilien nichts von Byzanz vor- 
schreiben lassen. Die „libri Carolini" — das Manifest theologischen 
Könnens, fränkisch-kirchlicher Selbständigkeit und einer gewissen 
Aufklärung (abgedruckt bei Migne, Patrol. Lat. Bd. 98) — halten 
den altkirchlichen Standpunkt fest: man will die Bilder nicht ver- 
ehren, auch nicht stürmen, sondern fromm gebrauchen. Diese 
Haltung haben noch Ludwig (Synode zu Paris 825) und Hinkmar 
eingenommen; andere fränkische Theologen wie Agobard und 
Claudius schritten noch weiter vor. Die Päpste bewahrten kluges 
Schweigen, und allmählich kam im Abendland von Rom aus auch 
die 7. bilderfreundliche Synode zur Anerkennung. 

§ 60. Die Fortbildnng der Praxis und Theorie der Messe 
(des Abendniahlsdogmas) nnd der Busse. 

JBach, a. a. 0. — LJRückert i. Hilgenfeld's Ztschr. 1858. — HReuter, 
a. a. 0. I. — Choisy, Paschase 1888. — Geschichte d. Abendmahlslehre 
V. AWDiECKBOPP, AEbrard, AKahxip. — GESteitz, D. röm. Busssakra- 
ment 1864. — HWassekschlebkn, Die Bussordnungen der abendländischen 
Kirche 1851; ders., Die irische Kanon Sammlung.^ 1885. — HISchmitz^ 
Die Bussbücher der Kirche 1883. — HBrunner, Deutsche Rechtsgesch. 
I. 11. 1887 f. 

Die Vorstellung des Bildes wurde in steigendem Masse vom 
Abendmahl ferngehalten; man lebte in einer Welt der Mirakel 
und der Sakramente, um so grösser musste die Neigung werden^ 
den Inhalt des höchsten Sakraments ausschweifend zu schildern, 


272 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 60. 

um es aus der Masse des Heiligen hervorzuheben; die Christo- 
logie, die den geschichtlichen Christus hinter der Einheit der 
„Naturen" verschwinden liess, forderte ein immer gegenwärtiges 
christologisches Mysterium, das empfunden und genossen werden 
kann; die Messe galt als das Hauptstück und Kompendium der 
Religion; die Vorstellung von Gottes Eigenschaften konzentrirte 
sich mehr und mehr in der einen, dass er die allmächtige, wunder- 
wirkende Willkür ist — alle diese Momente wirkten zusammen, 
um das Ergebniss herbeizuführen: im Abendmahl ist der ge- 
schichtliche Leib Jesu Christi gegenwärtig; denn die Elemente 
werden in ihn verwandelt. Die Gleichung zwischen dem sakra- 
mentalen und dem wirklichen (geschichtlichen) Leibe Christi 
konnte um so leichter vollzogen werden, als man ja diesen selbst 
von dem Moment der Menschwerdung ab als einen von der Gott- 
heit assumirten, pneumatischen (mysteriösen) betrachtete und 
ganz doketische Ansichten über ihn hegte, wie z. B. die Kontro- 
verse über die Geburt Jesu aus Maria clauso utero beweist. Die 
neue Lehre vom Abendmahl wäre ohne Schwierigkeit im karo- 
lingischen Zeitalter formulirt worden, weil sie faktisch bereits 
vorhanden war, hätte nicht das damals wieder aufgelebte Studium 
des Sakramentsbegriffs Augustinus und seiner spiritualistischen 
Abendmahlslehre hemmend eingewirkt. Paschasius Radbertus, 
Abt zu Corbie, der die erste Monographie über das Abendmahl 
(de corpore et sanguine domini 831) geschrieben hat, war einer- 
seits Augustiner und reproduzirte mit wirklichem Yerständniss 
und innerem Anteil die augustinische Lehre, dass die Handlung 
dem Glauben gehöre imd eine geistliche Speisung darstelle; aber 
andererseits führte er sie in die realistische volkstümliche Lehre 
über, dass durch ein Allmachtswunder in jeder Messe die Elemente 
innerlich aber wirklich in den von Maria geborenen Leib um- 
gewandelt und nun Gott als Opfer dargebracht werden. Ausser- 
lich tritt in der Regel keine Veränderung ein, damit der Leib 
Christi nicht mit den Zähnen zerbissen werde. Gott schafft dieses 
Wunder, das P. als Schöpfungswunder fasst; der Priester lässt 
nur die Aufforderung an Gott ergehen. Aber wenn auch die 
h. Speise nun wirklich der wahrhaftige Leib Christi selbst ist (der 
sinnenfällige Schein der Elemente ist das Symbol), so bleibt es 
doch dabei, dass nur die Gläubigen die geistliche Speisung zur 
Unsterblichkeit erhalten, nicht aber die Ungläubigen. Paschasius 
hat weder die hierarchischen noch die „objektiven"-Konsequenzen 


§ 60.] Abendraabl und Busse. 273 

der Wandelungslelire sämmtlich gezogen, sondern hat versucht, 
das Mirakel dem Glauben zuzuordnen. Er ist auch nicht in 
erster Linie Theologe der Messe gewesen, sondern wollte Theologe 
im Sinn Augustinus und der griechischen Mystiker sein. Dennoch 
kam ihm ein unerwarteter Widerspruch, ßabanus sprach sich 
gegen diese Lehrfassung in einem Brief an Eigil aus, und Ratra- 
mnus, Mönch zu Corbie, fand in seiner Schrift an Karl den Kahlen 
i^de corpore et sanguine domini), dass Paschasius dem „spirituale" 
Augustinus nicht gerecht geworden sei. Aber seine eigenen Aus- 
führungen leiden an der altkirchlichen Unklarheit. Augenschein- 
lich wiU er, wie in dem Streit über den uterus clausus der Maria, 
als guter Augustiner das plumpe Allmachtswunder contra natu- 
ram beseitigen und auf das „spiritualiter geri*^ im Interesse des 
Olaubens allen Nachdruck legen; aber da auch er an dem Vor- 
handensein des corpus domini nach der Konsekration nicht zwei- 
felt, so muss er zwischen dem wirklichen Leib und dem Leib 
unterscheiden. Der geborene, gekreuzigte Leib ist nicht im 
Sakrament — das ist altkirchlich gedacht — , aber in dem Sakra- 
ment ist die Kraft des Leibes Christi als einer invisibilis substantia 
und insofern der pneumatische, nur dem Sinne der Gläubigen 
zugängliche Leib selbst. In einigen Ausführungen kam Ratramnus 
übrigens dem Paschasius noch mehr entgegen; doch ist die deut- 
lichste Vorstellung die des „potentialiter creari in mysterio^^\ aber 
eben diese Vorstellung war den abergläubischen Zeitgenossen 
nicht mehr deutlich; sie wollten mehr als eine Glaubensrealität 
und eine Seelenspeise. Paschasius hatte das entscheidende Wort 
gesprochen. Die Schauer jeder Messe schienen es zu bestätigen 
und wurden selbst durch die Kraft der sicheren Formulirung der 
Lehre erhöht. Menschwerdung und Kreuzesopfer wiederholen 
sich in jeder Messe. Was reicht dann an diese heran? Man 
brauchte den alten Wortlaut der Messgebete nicht zu ändern, 
die, wenn sie von dem Opfer handelten, das Lobopfer betonten; 
denn wer merkte auf die Worte? Die Messe als Opferhandlung, 
in der der Gottmensch Gott dargebracht wurde, hatte aber ihre 
Spitze schon lange nicht mehr am Genuss, sondern an dem 
sündentilgenden und Übel wegschaffenden Vollzug. Sie war in 
das grosse Entsühnungsinstitut aufgenommen, und man häufte 
die Messen ohne Kommunion (Seelenmessen), um Gott zu be- 
sänftigen. Das uralte Element der Kommemoration der Feiernden 
hatte sich besonders seit den Tagen Gregorys I. selbständig ge- 

Grandriss IV. iii. Habnack, Dogmengeschichto. 2. Aufl. 18 


274 Ent Wickelung des Dogmas im Abendland. [§ 60. 

macht und die Kommunion gleichsam in eine zweite Feier ver- 
wandelt. Die erste Feier, die Messe, gehörte den Laien nur inso- 
fern, als sie eine besonders wirksame Form der Fürbitte der 
Kirche zur Erleichterung der Sündenstrafen darstellte. Dies 
war die allein deutliche Wirkung der Handlung — ein winziger, 
nur durch Summationen erheblicher Efifekt eines .ungeheuren 
Mysteriums ! 

Die Messe war dem Bussinstitut untergeordnet; in diesem 
spielte sich das religiöse Leben ab. Die Strafe regierte die Welt 
und die Gewissen. Der Gottesbegriflf der allmächtigen Will- 
kür, der Vergeltung und der Nachlassung, eine christliche 
Modifizirung des altrömischen, war der herrschende. Er hatte die 
Vorstellung zur Folge, dass es auf Verdienste ankomme und auf 
Satisfaktionen, um die durch die Sünde herbeigeführten, sich 
immer wiederholenden Kontraktbrüche zu kompensiren. So hatte 
schon Gregor L gelehrt; aber diese Anschauung floss bei den 
germanischen Völkern mit ihren nationalen Rechtsvorstellungen 
und -bestimmungen zusammen. Da nun die abendländische Kirche 
nicht wie die morgenländische die Rechts- und Sittenpflege dem 
Staat allein überliess, vielmehr selbst erziehend und strafend ein- 
trat, so entwickelte sich parallel dem Rechtsinstitut des Staats 
das Bussinstitut der Kirche. Die detaillirte Ausbildung dieses 
Listituts war eine Folge der Übertragimg der Bussdisziplin in 
den Klöstern auf die W^ltgeistlichkeit und die Laien und ist von 
der iroschottischen resp. angelsächsischen Kirche ausgegangen. 
Aber in der Angst vor den Sündenstrafen, der Hölle und dem 
Fegfeuer sind die Laien der Praxis entgegengekommen und haben 
den Einfluss der Kirche auf den gesammten Bereich auch de» 
privaten Lebens selbst herbeigeführt. Eine gewisse Vertiefung 
des Sündenbegriffs war die Folge: man suchte die Kirche auf, 
nicht nur der groben Sünden wegen, sondern auch um der „Sünden- 
wurzeln" und der verborgenen Verfehlungen willen (Völlerei, ge- 
schlechtliche Lust, Habsucht, Zorn, Verstimmung, Angst und 
Widerwille des Herzens, Aufgeblasenheit, Stolz), die man nun 
auch für Todsünden hielt; allein jene Vertiefung wurde aufge- 
wogen durch die abstumpfende Bereitschaft, sich stets als Sünder 
zu bekennen, und durch die Vorstellung, dass Fürbitten und Satis- 
faktionen an sich die Kraft haben, die verdienten Strafen auf- 
zuheben. In Wahrheit dachte man viel mehr an die Strafe und 
ihre Beseitigung als an die Sünde. Im karolingischen Zeitalter 


§ 60.] Abendmahl und Basse. 275 

wurde die hierarchische Seite des Bussinstitüts noch wenig ent- 
wickelt und auch die dogmatische Theorie blieb noch zurück; 
aber die Satisfaktionen erfuhren eine neue Ausbildung im Zu- 
sammenhang mit der durch die freiwillige Beichte übernommenen 
Bussübung. 1) Zu den alten, mehr oder minder willkürlichen Be- 
stimmungen in Bezug auf Auswahl und Dauer der kompensirenden 
Strafen (Gebete, Almosen, lamentationes, zeitweiliger Ausschluss) 
treten in steigendem Masse Bestimmungen aus dem ATlicheu 
Gesetz und den germanischen Rechtsordnungen. Jene hatten die 
Folge, dass die Ausmessung der Kompensationsstrafen selbst in 
"das Licht einer göttlichen Ordnung rückte, 2) die Kompensations- 
mittel galten als Dinge, an denen Gott eine Freude habe, die also 
an sich, wenn keine Verfehlung vorliegt, Verdienste begründen; 
als das wirksamste musste der Opfertod Christi gelten; also war 
die Wiederholung dieses Todes (pretii copiositas mysterii passionis) 
das wirksamste und bequemste Mittel (Seelenmessen); daneben 
musste man sich der Heiligen versichern, denn ihre Interzessionen 
müssen wirksam sein, da Gott von ihnen nichts verlangen kann, 
sie ihm also wertvolle Geschenke zu bringen vermögen, 3) da die 
Bussleistungen einen dinglichen Wert vor Gott haben, so können 
sie vertauscht resp. bei reuiger Gesinnung verringert werden; 
hier besonders tritt die Kirche ein, indem sie solche Vertauschungen 
gütig anordnet; so entstand ein ganzes. System von Nachlassungen, 
Vertauschungen und Ablösungen, zu dessen Aufbau das ger- 
manische Recht mitgewirkt hat (Entstehimg der Ablässe; die 
Nachlassungen sind uralt), 4) ausser Vertauschung ist aber auch 
Stellvertretung möglich; hier hat das germanische Recht noch 
stärker eingewirkt; doch hat die Vorstellung an der Auffassung 
Christi und der Heiligen als Stellvertreter auch eine kirchliche 
Wurzel, 5) die ganze Auffassung hatte die Folge, dass man durch 
die Ableistung der Busse nicht sowohl Gott den Vater wieder- 
zugewinnen, als vielmehr Gott dem Richter zu entfliehen begehrte! 
Diese seelenmörderische Praxis hat den Augustinismus vollends 
umgebogen; sie hat die Christologie schon zur Zeit Gregorys I. 
beeinflusst, und sie hat dann in der klassischen Zeit des MA. auf 
alle aus dem Altertum stammenden Dogmen entscheidend ein- 
gewirkt und neue geschaffen. 


18 = 


276 Entwiokelung des Dopmas im Abendland. [§ 61. 

Siebentes Kapitel. 

GescMclite des Dogmas im Zeitalter Clngny's, Anselm's und 
Bemhard's bis zum Ende des 12. Jabrbnnderts. 

HRküter a. a. 0. — HvEicken, Gesch. u. System d. MAlichen Welt- 
anschauung 1887. 

Durch das Bussinstitut war die Kirche die entscheidende 
Macht des Lebens in der abendländischen Kirche. Ein Auf- 
schwung der Kirche musste daher der gesammten abendländischen 
Christenheit direkt zu gut kommen. Dieser Aufschwung ist seit 
dem Ende des 10. Jahrb. eingetreten und hat bis zum 13. Jahrb. 
fortgewirkt, in dem die Herrschaft der Kirche und das System 
der mittelalterlich kirchlichen Weltanschauung vollendet ist. 
Betrachtet man das Christentum als Lehre, so erscheint das 
Mittelalter fast wie ein Anhang zur Geschichte der alten Kirche; 
betrachtet man es aber als Leben, so ist das alte Christentum 
erst in der mittelalterlich-abendländischen Kirche zu voller Aus- 
gestaltung gekommen. Im Altertum standen der Kirche die 
Motive, Massstäbe und Vorstellungen des antiken Lebens als 
Schranken gegenüber. Sie hat diese Schranken, wie die griechische 
Kirche zeigt, nie zu überwinden vermocht: das Mönchtum steht 
neben der Kirche, die Weltkirche ist die alte Welt mit christlicher 
Etiquette. Aber die abendländische Kirche des MA. hat die ihr 
eigentümlichen Massstäbe der mönchischen Askese und der Be- 
herrschung des Diesseits durch das Jenseits viel sicherer durch- 
zusetzen vermocht, weil sie nicht eine alte Kultur neben sich 
hatte. Allmählich ist sie so erstarkt, dass sie schliesslich auch 
den alten Feind, die aristotelische Wissenschaft, in ihren Dienst 
zu nehmen und zu einem Machtmittel umzuschaflfen vermocht hat. 
Sie hat sich alle Elemente des Lebens und Wissens unterworfen. 
Die innere Kraft ihres Wirkens war die augustinisch-asketische 
Frömmigkeit, die in immer wiederholten Neubildungen des 
Mönchtums hervorbrach, die äussere war der römische Papst, 
der als Nachfolger Petri das Recht Christi und der römischen 
Cäsaren zugleich geltend machte. 

§ 61. Der Anfschwnng der FrSmmigkeit. 

AEUrnack, D. Möncht.^ 1886. — KLamprecht, Das deutsche Geistes- 
leben unter den Ottonen i. d. Ztschr. f. Geschichtsw. VI[, 1 S. Iff. — 
ANeander, D. h. Bernhard (hrsg. v. Deutsch 1889). — HHüffer, D. L. 


§ 61.] Der Aufschwung der Frömmigkeit im 11. u. 12. Jahrh. "277 

Bernhard I 1886. — ARitschl i. d. Stud. u. Krit. 1879 S. 317f. — Deutsche 
Geschichte von KWNitzsch, WGibsebrecht u. s. w. 

Von Quedlinburg (Mathilde) und Clugny ist der neue Auf- 
schwung der Frömmigkeit ausgegangen; die gregorianischen 
Päpste, die neuen Kongregationen und Bernhard haben ihn durch- 
gesetzt; die Laien kamen ihm lebhafter entgegen als die Welt- 
kleriker, an die er grössere Anforderungen stellte; in dem Kreuz- 
zugs-Enthusiasmus und den unzähligen Klosterstiftungen stellt 
er sich am deutlichsten dar. Strenge Zucht in den Klöstern, 
mönchische Regulirung der Weltgeistlichkeit, Herrschaft der 
mönchisch regulirten Kirche über die Laienwelt, die Fürsten und 
Nationen — das waren die Ziele. Auf dieser Grundlage allein 
schien es möglich, ein wahrhaft christliches d. h. weltflüchtiges 
Leben zu erzeugen. Das ganze Diesseits soll dem Jenseits dienen : 
höchste Anspannung der Weltherrschaft der Kirche, um die voll- 
kommenste Überwindung der Welt d. h. Weltflucht zu gewinnen. 
Freiheit von der Welt schien nur unter der Bedingung der Welt- 
herrschaft möglich Auch solche Mönche haben sich von dieser 
Dialektik blenden lassen, die den Widerspruch zwischen dem 
Zweck und dem Mittel wohl fühlten und den direkten Weg, 
Weltflucht durch Weltflucht zu verbreiten, für ihre Person vor- 
zogen. Aber die Kirche war ja auch der Gottesstaat, nicht nur 
die individuelle Beseligung! Darum entflammten auch sie die 
Gemüter zum Kampf gegen simonistische Fürsten und welt- 
süchtige Kleriker. Um den Schmerzenszug der Weltverneinung 
vollkommen auszuprägen, dazu waren Germanen und Romanen 
noch zu jugendlich. Der gewaltthätige Charakterzug der Welt- 
eroberung verband sich mit ihm und schuf jene merkwürdige 
Stimmung, in welcher blitzartig Kraftgefühl und Demut, Genuss- 
sucht und Verzicht, Grausamkeit und Sentimentalität wechselten. 
Man wollte nichts von dieser Welt, sondern nur den Himmel, und 
man wollte doch diese schöne Erde besitzen. 

Der religiöse Lidividualismus wurde zunächst noch nicht ent- 
zündet (doch s. die Ketzereien, die schon im 1 1 . Jahrhundert Ein- 
gang fanden, teils importirt aus dem Osten — Bogomilen — , teils 
spontan entstanden) ; wohl aber brachte man aus dem h. Lande, 
in das man Kreuzzugsablässe mitnahm, Anschauungen zurück. 
Das Christusbild wurde wiedergewonnen, und die Frömmigkeit 
wurde durch die lebendigste Vorstellung von dem leidenden und 
sterbenden Erlöser belebt: man muss ihm auf allen Stufen des 


278 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 61. 

Leidenswegs folgen ! Damit trat an die Stelle des ausgeschiedenen 
„Adoptianismus" doch wieder der Mensch Jesus in den Vorder- 
grund, und die negative Askese erhielt eine positive Form und 
ein neues sicheres Ziel. Die Töne der Christusmystik, welche 
Augustin nur unsicher angeschlagen hatte, wurden zu einer hin- 
reissenden Melodie. Neben den sakramentalen Christus trat — die 
Vermittelimg bildete die „Busse" — das Bild des geschichtlichen, 
die Hoheit in der Demut, die Unschuld in dem Leiden, das Leben 
in dem Tode. Es ist unermesslich, welche Wirkungen diese an 
dem „Ecce homo" neugestimmte Frömmigkeit gehabt und wie 
mannigfaltig sie sich entwickelt hat. Zu kräftiger und ergreifender 
Darstellung hat sie zuerst der h. Bernhard gebracht, der das reli- 
giöse Genie des 12. Jahrhunderts imd darum auch der Führer der 
Epoche gewesen ist — Augustinus redivivus, zugleich aber der 
gewaltigste Kirchenfürst. Soweit Bernhard ein System der Kon- 
templation darbietet und den Stufengang der Liebe (caritas und 
humilitas) bis zum Exzess schildert, soweit hat er Augustin nach- 
erlebt. Auch seine Sprache ist von der der Konfessionen be- 
stimmt. Aber in der passionirten Christusliebe ist er über 
Augustin hinausgeschritten. „Die Ehrfurcht vor dem, was unter 
uns ist", vor dem Leiden und der Demut (Devotion), ist ihm auf- 
gegangen, wie vielleicht keinem abendländischen Christen zuvor. 
Er verehrte Kreuz, Schmach und Tod als die Gestalt des Gött- 
lichen, das auf Erden erscheint. Das Studium des Hohenliedes 
und die Kreuzzugsbegeisterimg führten ihn vor das Bild des ge- 
kreuzigten Heilandes als des Bräutigams der Seele. La dieses Bild 
versenkte er sich; in ihm strahlte ihm die Liebe und leuchtete 
ihm die Wahrheit leibhaftig. Die Sinnlichkeit der Anschauung 
der Wunden Christi verschmolz sich ihm mit der geistlichen 
Erhebung, die aber stets auf der Grundlage der kirchlichen 
Bussordnung ruhen sollte. Bernhard hat die neuplatonischen 
Exerzitien des Aufstiegs zu Gott mit der Betrachtung des ge- 
kreuzigten Erlösers verbunden und die Subjektivität der Christus- 
niystik und -lyrik entfesselt. Diese Betrachtung hat ihn in seinen 
Sermonen über das Hohelied zu einer Selbsbeurteilung geführt, 
die nicht selten die Höhe paulinischen und lutherischen Heils- 
glaubens gewinnt („mow modo insttissed etbcatus, cuinoniwputahit 
deus peccattim'^). Aber andererseits hat auch er den Tribut aller 
Mystik bezahlen müssen, nicht nur sofern das Gefühl besonderer 
Erhebung mit dem der Verlassenheit abwechselte, sondern 


§ 62.] Der Aufschwung der Frömmigkeit. Der h. Bernhard. 279 

auch sofern er eine pantheistische Wendung nicht abzuwehren 
Yermochte. Wie Origenes lehrte auch Bernhard, dass man von 
dem Christus im Fleisch zu dem Christus xatä Tcvsvna aufsteigen 
müsse, dass das Geschichtliche eine Stufe sei. Aller Mystik ist in 
der Folgezeit dieser Zug geblieben; sie hat von Bernhard, den man 
wie einen Propheten und Apostel verehrte, die Christuskontem- 
plation gelernt; aber sie hat zugleich den pantheistischenZug über- 
nommen. Das „excedere et cum Christo esse" heisst, dass die 
Seele in den Armen des Bräutigams aufhört, ein eigenes Selbst 
zu sein. Wo aber die Seele in die Gottheit untergeht, da löst sich 
die Gottheit in das AU-Eine auf. 

Unermesslich ist die Bedeutung der neuen Christusanschauung 
für die Christologie gewesen. Man behielt das Schema der beiden 
Naturen freilich bei; aber in Wahrheit gab es neben dem sakra- 
mentalen Christus einen zweiten, denMenschen Jesus, dessen 
Gesinnung, Leiden und Thaten göttliches Leben dar- 
stellen und fortpflanzen. Er ist Vorbild und Kraft; auch sein 
Todesopfer ist das Opfer des Menschen, in dem Gott war. So kam 
hier die augustinische, schon von Ambrosius angebahnte Vor- 
stellung zu ihrer Vollendung. In der zweiten Hälfte des 12. Jahr- 
hunderts ist diese neue Frömmigkeit (Liebe, Leiden, Demut) eine 
gewaltige Kraft in der Kirche. Aber wie Bernhard den Kontrast 
zwischen der Welt des christlich-frommen Gefühls und der hierar- 
chischen Politik der weltherrschenden Kirche in sich selber dar- 
stellte, so haben auch die meisten Gläubigen in naiver Anhäng- 
lichkeit an die Kirche die Ideale der weltlichen Macht und der 
Demut für vereinbar gehalten. Noch ist der grosse Bettler von 
Assisi nicht aufgetreten, dessen Erscheinung eine Krisis in dem 
Gewoge von Weltflucht und Weltherrschaft hervorrufen sollte; 
aber am Ende des 12. Jahrhunderts umschwebten bereits zornige 
Flüche von „Häretikern" die Kirche, die in ihrer weltlichen Herr- 
schaft imd in der Veräusserlichung ihrer Gnadenspendungen die 
Züge des alten Babel erkannten, und Bernhard selbst hat die 
Päpste gewarnt. 

§ 62. Znr Oeschichte des kirchlichen Rechts. 

FbMaassen, Gesch. d. Quellen u. Litt, des kanonischen Rechts I 1870. 
— JFvScHüLTE, Gesch. der Quellen d. Kirchenrechts 1 u. II 1875. — 
PHiNscHiuß, Kathol. Kirchenrecht. — HSDeniflb, Univers. d. MA. 1885. — 
G Kaufmann, Geschichte d. deutschen Univ. I 1888. 

Was je einmal von Päpsten beansprucht worden, erscheint 


280 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 62, 

in der grossen Fälschung Pseudoisidor's zusammengefasst und als 
uraltes päpstliches Recht dargestellt: die Unabhängigkeit der 
Kirche und ihrer Organe von den Laien und die päpstliche Herr- 
schaft über die Bischöfe und die Nationalkirchen. Auf dieser 
pseudoisidorischen Grundlage bauten die Päpste der Folgezeit, 
Nicht um Theologie war es ihnen zu thun, sondern, als Römer, 
um die Ausbildung des Rechts, das sie als ein göttliches für sich 
in Anspruch nahmen. In dem Streit zwischen Kaiser und Papst 
handelte es sich darum, wer der wirkliche Rektor des Gottesstaats 
sein sollte und wem die Bischöfe zu imterstehen haben. Das 
reformirte Papsttum entwickelte sich unter den Impulsen Clugny's 
und Gregorys VIF. zur autokratischen Macht in der Kirche und 
bildete demgemäss durch zahllose Dekretalen seine Gesetzgebung 
aus, nachdem es sich in Rom selbst von den letzten Resten älterer 
Verfassungszustände befreit hatte. Verbündet mit den Besten des 
Zeitalters haben die Päpste des 12. Jahrhunderts, nachdem sie die 
Investitur erlangt, ein neues Kirchenrecht zu entwerfen begonnen. 
Die Dekretalen traten neben die alten Canones, ja neben die Be- 
schlüsse der alten Konzilien. Doch blieb strenggenommen ihr 
Ansehen noch schwankend. 

Niemals hätte das Papsttum, indem es sich als Jurisdiktio- 
nelle Oberinstanz entwickelte, in der Kirche, die doch Glaubens- 
und Kultusgemeinschaft ist, die monarchische Leitung in Bezug 
auf Glaube und Sitte erlangen können, wäre nicht in unserer 
Periode die Verquickung von Dogma und Recht perfekt ge- 
worden. Die Form des Dogmatischen trat in Rom selbst hinter 
der des Rechts (lex dei) vollständig zurück, und die romanisch- 
germanischen Völker waren zunächst wehrlos ; denn als römische 
Rechtsordnung war die Kirche einst zu ihnen gekommen. Die 
grossen Päpste waren Mönche und Juristen. Die juristisch- wissen- 
schaftliche Behandlung aller Funktionen der Kirche wurde die 
höchste Aufgabe. Das Studium des Rechts übte einen ungeheuren 
Einfluss auf die denkende Betrachtung der Kirche in der ganzen 
Breite^ ihrer Existenz aus. Was sich früher aus zwingenden Ver- 
hältnissen heraus entwickelt hatte, die Kirche als Rechtsinstitut, 
wurde nun durch den Gedanken befestigt und ausgebaut. Der 
Geist der Jurisprudenz, der sich über den Glauben der Kirche 
lagerte, begann sich auch die überlieferten Dogmen unterzuordnen. 
Hier hat die Scholastik eine starke Wurzel; aber man darf nicht 
vergessen, dass von TertuUian her die abendländischen Dogmen 


§ 63.] Das kirchliche Recht im 11. u. 12. Jahrh. 281 

für eine juristische Behandlung zubereitet waren, aus der sie z. T. 
entstanden sind. Auf auctoritas und ratio gründet sich die Dia- 
lektik der Juristen. Es gehört mit zu den grossen Kontrasten des 
MA.'s — Bemhardinische Frömmigkeit und römisch-juristisches 
Denken! Auf diesem Wege sollte die Kirche zur Gerichtsstube, 
zum Kaufhaus und zur Räuberhöhle werden. Aber in unserer 
Epoche stand sie noch am Anfang dieser Entwickelung. 

§ 63. Der Anfschwnng der Wissenschaft. 

Geschichte der Philosophie v. F Überweg, JEErdmann, AStöckl. — 
Gesch. der Logik v. CPrantl Bd. II — IV. — HReuter a. a. 0. — FNitzsch 
i. d. RE*. XIII S. 660 ff. — HSDeniplr a. a. 0. — GKaüfmann a. a. 0. — 
JHLöwE, Kampf zwischen d. Nominal, u. Realism. 1876. — SM Deutsch, 
F. Abälard 1883. 

Scholastik ist die Wissenschaft des MA.'s. In ihr zeigt sich 
eine Kraftprobe des Denktriebes und eine Energie, alles Wirk- 
liche und Wertvolle dem Gedanken unterzuordnen, wie vielleicht 
kein anderes Zeitalter eine solche bietet. Aber Scholastik ist 
allerdings Denken „aus der Mitte heraus"; denn wenn die Schola- 
stiker auch überall auf die letzten Gründe zurückgingen, so sind 
diese nicht aus der Erfahrung und der wirklichen Geschichte ge- 
wonnen, obgleich die Erfahrung in steigendem Masse im Laufe 
der Entwickelung der MAlichen Wissenschaft berücksichtigt 
wurde. Auctoritas und ratio (dialektisch-deduktive Methode) be- 
herrschen die Scholastik, die sich von der alten Theologie darin 
unterscheidet, dass die Autorität des Dogmas und der Kirchen- 
praxis eine fester gefügte ist, und dass man in der zugehörigen 
Philosophie (der antiken) nicht mehr lebte, sondern sie von aussen 
hinzubrachte. Ihre Grundvoraussetzung hat sie — wenigstens 
bis zur Zeit ihrer Auflösung — an der These, dass alle Dinge aus 
der Theologie zu verstehen, alle Dinge deshalb auch auf die T h e o- 
logie zurückzuführen sind Diese These setzt voraus, dass der 
Denker sich selbst in der vollen Abhängigkeit von Gott empfindet. 
Die Frömmigkeit ist also die Voraussetzimg der MAlichen Wissen- 
schaft. Im Wesen der MAlichen Frömmigkeit selbst liegt aber 
die zur Wissenschaft führende Kontemplation begründet; deon 
Frömmigkeit ist die aus der stetigen Reflexion über die Beziehimg 
der Seele auf Gott erzeugte, sich steigernde Erkenntniss. Also 
ist die Scholastik, sofern sie alle Dinge von Gott ab- 
leitet und in ihm wieder zusammenfasst, bewusst ge- 
wordene und exponirte Frömmigkeit. Eben deshalb ist sie 


282 Ent Wickelung des Dogmas im Abendland. [§ 63. 

in der Wurzel von der Mystik nicht verscldeden; der Unterschied 
Kegt nur darin, dass in der Scholastik die Erkenntniss der Welt 
in ihrer Beziehung zu Gott ein selbständigeres, objektives Inter- 
esse gewinnt und die theologischen Lehren wo möglich bewiesen 
werden sollen, während in der Mystik die reflexive Abzweckung 
des Erkenntnissprozess^s (zur Erhöhung der eigenen Frömmig- 
keit) stärker hervortritt. Auch wird in jener von der Dialektik 
in der Regel mehr Gebrauch gemacht, in dieser von der Intuition 
und den inneren Erlebnissen. Aber unbedenklich kann z. B. die 
Theologie des Thomas ihrem Ausgangspunkt und Ziele nach auch 
als Mystik bezeichnet werden, und umgekehrt gab es Theologen, 
die man herkömmlich Mystiker nennt, die aber in der Stärke des 
Triebes, die Welt zu erkennen und die Kirchenlehre ordnend zu 
versteheu, den sog. Scholastikern nichts nachgaben. Nicht nur 
der Zweck ist derselbe (Mystik ist die Praxis der Scholastik), 
sondern auch die Mittel (das autoritative Dogma der Kirche, die 
geistliche Erfahrung, die überlieferte Philosophie) sind dieselben. 
Die Spannungen, welche sich anfangs in der mittelalterlichen 
Wissenschaft einstellten, sind deshalb auch beseitigt worden, 
nachdem man die Kunst gelernt hatte, die dialektische Methode 
dem überlieferten Dogma und dem Frömmigkeitsstreben unter- 
zuordnen. 

Das MA. hat von der alten Kirche die h. Schrift, das wesent^ 
lieh fertige Dogma, die Theologie, die zu diesem Dogma geführt 
hat, und einen Schatz klassischer, mit der Theologie lose zu- 
sammenhängender Litteratur und philosophisch- methodischer 
Lehren erhalten. In diesen Beigaben zum Dogma waren auch 
Elemente überliefert, die dem Dogma feindlich waren, oder es 
doch bedrohten (der Neuplatonismus und Aristotelismus). In der 
Theologie des Joh. Damascenus war der Versuch gemacht, alles 
Widerstrebende wissenschaftlich auszugleichen; aber dem Abend- 
land konnte die Arbeit der Vermittelung dadurch nicht erspart 
werden. Im karolingischen Zeitalter waren seine Kräfte noch zu 
schwach, um mit den Kapitalien selbständig zu arbeiten, die es 
ererbt hatte. Einige Theologen lebten sich in Augustin ein — 
schon dieses Unternehmen hatte, wie wir gesehen haben, partielle 
Krisen zur Folge — , andere steckten sich in das fremde Gewand 
der klassischen Autoren; in den Schulen lernte man an den 
Schriften des Boethius und Isidor die Anfänge der dialektischen 
Methode und einen schüchternen Gebrauch der ratio. Selbständig 


§ 63.] Anfänge der Scholastik. 283 

war, von Scotus Erigena abgesehen, kein Theologe. Wenn sie 
selbstbewusster werden, lehnen sie die Erkenntniss der Natur, 
des Teufels Buhlerin, und die Antike ab. Als formales Bildungs- 
mittel konnten sie sie freilich nicht entbehren, und in steigendem 
Masse imponirte die Dialektik, d. h. jene Methode, welche zuerst 
Widersprüche aufdeckt, um sie dann zu lösen. Aus dem karolingi- 
sehen Zeitalter läuft eine Kette wissenschaftlicher Überliefenmg 
in gelehrten Schulen bis ins 11. Jahrh. Aber noch nicht Gerbert 
von Rheims brachte es zu epochemachender Wirkung, sondern 
erst die theologischen Dialektiker seit der Mitte des 1 1 . Jahrh. 
Die philosophisch-theologische Hauptfrage der Zukunft ist schon 
damals erwogen worden, ob die Gattungsbegriflfe über oder in den 
Dingen existiren, oder ob sie nur Abstraktionen sind (Boethius in 
Porphyr.; Realismus und Nominalismus). Der kirchliche Instinkt 
der Selbsterhaltung wandte sich dem Realismus zu, den die Mystik 
forderte. Als Roscellin in Folge seines Nominalismus zum kon- 
sequenten Tritheismus gekommen war, wurde mit diesem auch 
jene Denkweise als häretisch abgewiesen (1092). Mit grossem 
Misstrauen wurden die Dialektiker im 11. Jahrh. betrachtet. In 
der That griflfen sie häufig nicht nur den rohen Aberglauben und 
die barbarische Denkweise in der Religion an, sondern gefährdeten 
auch die Orthodoxie oder das, was man für Orthodoxie hielt. 
Aber „Aufklärer'^ waren sie nicht. Sieht man näher zu, so stehen 
auch die kühnsten auf dem Boden der Kirche oder sind doch mit 
hundert Fäden an ihn geknüpft. Freilich alle Wissenschaft, auch 
die gebundenste, wird stets ein Element in sich schliessen, durch 
das sie den Glauben, der Ruhe begehrt, beleidigt; sie wird eine 
Frische und Freudigkeit zur Schau tragen, die der Devotion als 
Keckheit erscheint; ja sie wird, auch wenn sie im Ausgangspunkt 
und im Ziele sich mit der Kirche Eins weiss, niemals einen nega- 
tiven Zug verleugnen können, weil sie mit Recht immer finden 
wird, dass die Prinzipien der Kirche in den konkreten Ausprägungen 
des Lebens deteriorirt und durch Aberglauben und Wünsche ent- 
stellt sind. So war es auch damals; aber wie der Aufschwung der 
Wissenschaft eine Folge des Aufschwungs der Kirche gewesen 
ist, so hat auch die Kirche schliesslich ihr eigenes Leben in der 
Theologie wiedererkannt. 

In der Erhebung der Wissenschaft war ein Dreifaches ge- 
geben: 1) die Vertiefung in die neuplatonisch- augustinischen 
Prinzipien aller Theologie, 2) die erhöhte Virtuosität in der 


284 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 63. 

dialektischen Zergliederungskunst und der rationellen Beweis- 
führung, 3) eine sich steigernde Beschäftigung mit den Kirchen- 
vätern und den alten Philosophen. Die Gefahr jener Vertiefung 
war ein akosmistischer mystischer Pantheismus, und je naiver 
man dem Realismus huldigte, um so grösser war die Gefahr; die 
Gefahr der Dialektik war die Auflösung des Dogmas statt der 
Beweisführung; die Gefahr des Umgangs mit den Alten war die 
Verflüchtigung des geschichtlichen Christentums in den Kosmo- 
politismus, in eine blasse allgemeine Religionsphilosophie auf 
dem Boden der neutralisirten Geschichte. Eine eigentliche Philo- 
sophie neben der Theologie gab es bis zum Ende des 12. Jahrh. 
noch nicht; soweit etwas dem Ahnliches existirte, wurde es ge- 
fürchtet, und so geschah es, dass zunächst die sub 2) bemerkte 
Gefahr (Berengar und seine Freunde) am frühesten empfunden 
wurde. Die sub 1) markirte Gefahr wurde um so weniger bemerkt, 
als der grösste Theologe vor Thomas, Anselm, dessen Orthodoxie 
über jedem Zweifel stand, sich höchst unbefangen in den neu- 
platonisch- augustinischen Prinzipien bewegte. Vielleicht hätte 
er bereits die dialektische Wissenschaft, der er sich mit Virtuosität 
zu bedienen verstand, zu vollen Ehren gebracht und die Verträg- 
lichkeit der Mystik (meditatio) und Vernunft, des Autoritäts- 
glaubens und der ratio, glaublich gemacht {predo, ut intelligam 
einerseits — rationahili necessitate intelligere esse oportere omnia 
üla, qiiae nobis fides cathoUca de Christo credere praecipit anderer- 
seits), hätten nicht Schüler von ihm, wie Wilh. von Champeaux, 
bedenkliche Konsequenzen des platonischen Realismus gezogen 
(die eine ruhende Substanz, das Erscheinende als Schein), und 
wäre nicht in Abälard ein kühnes wissenschaftliches Talent auf- 
getreten, das die Kirchenmänner abschrecken musste. Abälard 
fehlt der Zug des Aufklärers nicht ganz; aber er ist mehr kühn 
als konsequent gewesen, und sein „Rationalismus" hatte an der 
Anerkennung der Offenbarung seine Schranke. Aber dem blossen 
Autoritätsglauben ist er — wenn auch längst nicht überall — 
doch entgegengetreten; er wollte wissen, was er glaubte, und er 
wollte zeigen, wie unsicher und widerspruchsvoll die unkontrolirte 
Orthodoxie und die für unfehlbar ausgegebene Überlieferung sei 
(„Sic et Non"). So hat er die Grundlagen des Glaubens in glei- 
cherweise ins Auge gefasst, wie die im Dogma sich darstellenden 
theologischen Spitzen. Seine Gegner, vor Allem Bernhard, em- 
pfanden seine Trinitätslehre und die ganze Methode seiner Wissen- 


§ 63.] Anfänge der Scholastik. Abälard. 285 

Schaft, die freilich bei ihm und den Schülern oftmals in formali- 
stische Disputirkunst ausartete und mit unerträglichem Hochmut 
gepaart war, als fremd und häretisch; sie haben ihn deshalb ver- 
urteilt. Sie merkten gar nicht, dass die bedenklichsten Sätze des 
kühnen Erneurers teils von den Kirchenvätern stammten, teils 
Konsequenzen jener mystischen Gotteslehre waren, die sie selber 
teilten (so seine Geschichtsbetrachtung, die das geschichtliche 
Christentum zu Gunsten der griechischen Philosophie zu neutra- 
lisiren scheint; vergl. Justin). Noch paradoxer ist es, dass gerade 
Abälard, indem er einerseits jene Konsequenzen zog, andererseits 
eine Art von Konzeptualismus an die Stelle des Realismus setzte, 
dem. nüchternen Denken einen materiellen Einfluss auf die Be- 
trachtung der Grundprinzipien vergönnte, die pantheistischen 
Folgerungen der damaligen Orthodoxie beseitigte und so den 
Orund zur klassischen Ausgestaltung der MAlichen 
konservativen Theologie gelegt hat. Das kirchliche Dogma 
forderte den Realismus, aber war denkend nicht zu halten unter 
der vollen Herrschaft der mystischen neuplatonischen Theologie. 
Es bedurfte der Herabstimmung des platonischen Hochflugs, also 
des „Aristotelismus", wie man ihn damals verstand und wie er 
damals wirkte, nämlich als die Betrachtung der Dinge, nach der 
das Erscheinende imd Kreatürliche nicht die transitorische Aus- 
gestaltung des Göttlichen ist, sondern der übernatürliche Gott 
als Schöpfer im eigentlichen Sinn des Wortes die Kreatur hervor- 
gerufen und mit Selbständigkeit begabt hat. Mit dieser Betrach- 
tung hat Abälard wieder begonnen, und Manches, was zu seiner 
Zeit Widerspruch hervorrief, ist nachmals orthodox geworden. 
Doch es lag an ihm selbst, an den Fehlern seines Charakters, an 
der Unklarheit seiner Positionen und an manchen Heterodoxien, 
dass er nicht durchschlug. Er diskreditirte bei Bernhard und den 
Mystikern die „Wissenschaft'^ so sehr, dass die nächste Genera- 
tion der Theologen einen schweren Stand hatte. Es hätte nicht 
viel gefehlt, so wären die Sentenzen des Petrus Lombardus, die 
mit einer gewissen wissenschaftlichen Freiheit die patristische 
Tradition, Meinung neben Meinung, zusammenstellen und eine 
zweckmässige Übersicht über die Lehre im Geiste der Kirche 
geben, verurteilt worden (1164. 1179). Walther von St. Victor 
eiferte gegen ihn wie gegen Abälard. Aber dia Aufgabe der 
Theologie, eine Übersicht über das ganze Gebiet der Dogmatik 
zu lieferu und Alles durchzudenken, war, einmal gestellt, nicht 


286 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 64. 

mehr zu beseitigen, und in der Erledigung dieser Aufgabe kamen 
sich Abälardianer und Bernhardiner näher. Auch forderte der 
Verkehr mit Juden und Muhamedanern eine verständige Apolo- 
getik. Am meisten aber hat Hugo von St. Victor, der schon auf 
den Lombarden eingewirkt hat, für die Vereinigung der Rich- 
tungen gethan. Die neue Frömmigkeit, auch mit den allemeuesten 
Auflagen, Exerzitien und Erbauungsmitteln, konflagrirte am 
Ende des 1 2. Jahrh. allmählich, wenn auch noch nicht vollkommen, 
mit der dialektischen Wissenschaft. Dort wurde der naive 
Köhlerglaube, hier die Keckheit ausgeschaltet, mit der allerdings 
auch manche frische Erkenntniss verloren ging. Dies geschak 
unter den berauschenden Eindrücken der in Siegen strahlenden 
Kirche. Ihr Recht in Leben und Lehre wurde der würdigste 
Gegenstand der Erforschung und Darstellung. In diese Aufgabe 
verschmolz die andere, alle Dinge auf Gott zu beziehen imd die 
Welterkenntniss als Theologie zu konstruiren. Doch erst im 
Laufe des 1 3. Jahrh. wird Patristik, Ekklesiastik, mystische Theo- 
logie und Aristotelismus in gewaltigen Systemen vereinigt. Die 
dogmatischen Werke des 12. Jahrh. tragen — vielleicht von Hugo's 
Arbeiten abgesehen — noch einen aggregirenden Charakter. Das 
Denken, wenn es mehr sein wollte, als Reproduktion und Medita- 
tion, wurde noch immer beargwöhnt. 

§ 64. Arbeiten am Dogma. 

Aus der Zahl der theologischen Zänkereien und der ver- 
einzelten Verurteilungen hebt sich der Streit mit Berengar über 
das Abendmahl und die neue Fassung der Versöhnungslehre 
durch Anselm hervor. Nur sie bezeichnen einen Fortschritt in 
der Geschichte des Dogmas, das in unserer Periode sonst nicht 
bereichert worden ist. 

A. Der Berengar'sche Streit. 

JBach a. a. 0. I. — HReuter a. a. 0. — HSüdkndobp, BerengariuR 1850. 
— LScHWABB, Stud. z. Gesch. d. 2. Abendmahlsstreits 1887. — JSchnitzleb^ 
B. V. Tours 1890. 

Der zweite Abendmahlsstreit hat neben dem theologischen 
auch ein philosophisches imd kirchenpolitisches Interesse. Das 
Letztere mag hier auf sich beruhen. Berengar, der Schüler Ful- 
bert's von Chartres, ist der erste Dialektiker, der voll Zuversicht 
zu seiner Kunst, die mit der Vernunft selbst identisch sei, sich 


§64] Der BereDgar'sche Streit. 287 

gegen einen kirchliclien Aberglauben, der bereits nahezu ein 
Dogma war, wandte. Die Kritik an dem Abendmahlsdogma war 
aber bei der hervorragenden Stellung dieser Lehre eine Kritik 
an der herrschenden Kirchenlehre überhaupt. Nicht als nega- 
tiver Aufklärer, sondern um die wahre Tradition der üblen Ge- 
wohnheit entgegenzusetzen, zugleich auch um sein Licht leuchten 
zu lassen, hat B. geschrieben (Zusammenfassung in der Schrift 
de Sacra coena adv. Lanfruncum c. 1073) und Schule gemacht. Er 
sah in deif herrschenden Wandelungslehre Unvernunft und er- 
neuerte die augustinische Abendmahlslehre (wie Ratramnus, dessen 
Buch übrigens für das des Scotus Erigena galt und als solches zu 
Vercelli 1050 verurteilt wurde), um die koytxrj XarQsCa wieder- 
herzustellen und die barbarische Mysteriensucht zu bekämpfen. 
Mit einem Brief an Lanfranc eröffnete B. den Streit und zeigte, 
dass die AnnaJime einer leibhaftigen Verwandelung absurd sei, 
dass also die Worte Christi tropisch zu verstehen seien. Die rein 
symbolische Auffassung hat er nicht gelehrt, vielmehr signum 
und sacramentum, wie die Väter, in der h. Handlung anerkannt: 
ein Heiliges tritt durch die „conversio" hinzu, aber ein unsicht- 
bares Element, d. h. der ganze Christus; Brot und Wein werden 
nur beziehungsweise verändert. Die Gegenlehre streite mit 
der Vernunft, in der das göttliche Ebenbild beschlossen liegt; 
wer der „ineptia" huldigt, wirft somit sein göttliches Teil weg. 
B.'s Lehre wurde in seiner Abwesenheit zu Rom und Vercelli 
(1050) verdammt; er selbst wurde 1059 zu Rom zum Widerruf 
gezwungen und liess sich herbei, ein vom Kardinal Humbert auf- 
gesetztes Bekenntniss zu unterschreiben, welches zeigte, dass B. 
die herrschende Lehre nicht übertrieben hatte; denn in dem Be- 
kenntniss hiess es, dass die Elemente nach der Konsekration nicht 
nur Sakrament seien, sondern der wahre Leib Christi (sensuaUter, non 
soltim sacranuvfo), der denn auch von den Zähnen der Gläubigen 
zerbissen werde. B., in den folgenden Jahren von einflussreichen 
römischen Freunden (Hildebrand) geschützt, hielt längere Zeit 
hindurch an sich, aber dann begann er den litterarischen Streit 
aufs Neue. Nun erst wurden die Hauptschriften geschrieben 
(Lanfranc, de corp. et sang, domini adv. B. c. 1069). Gregor VII . 
beeilte sich nicht mit dem Ketzermachen ; aber um sein eigenes An- 
sehen nicht zu schädigen, hat er schliesslich (Rom 1079) B. zum 
zweiten Mal zur Unterwerfung gezwungen. Der Gelehrte war 
gebrochen, und seine Sache ging unter. Die Wandelungslehre 


288 Entwickelunfr des Dogmas im Abendland. [§ 64. 

des Paschasius ist von den Gegnern B.'s weiter ausgebildet 
worden (manducatio infidelium; krasser Realismus^-, doch hat 
man in diesen Kreisen auch angefangen, die „Wissenschaft" 
auf das Dogma im Interesse der Kirche anzuwenden. Die rohen 
Vorstellungen wurden zurückgeschoben, der- ganze Christus in 
der Handlung (in jeder Partikel) anerkannt (nicht blutige Stücke 
seines Leibes), der Unterschied von signum und sacramentum 
geltend gemacht, um die manducatio infidelium und fidelium zu 
unterscheiden (bes. wichtig Guitmünd v. Aversa, de corp. et 
sang. Christi veritate in eucharistia). Auch die „wissenschaft- 
lichen" Betrachtimgen über Substanz und Accidentien wurden 
bereits angestellt, wodurch sich das rohe „sensualiter" von selbst 
korrigirte, während Einige freilich an eine Inkorruptibilität der 
Accidentien der konvertirten Substanzen dachten; femer sind 
schüchterne Anfänge der Spekulation über die übiquität der Sub- 
stanz des Leibes Christi bereits zu treffen. Der Ausdruck „trans- 
substantiatio" ist zuerst bei Hildebert von Tours (Anfg, des 
12. Jahrh.) nachweisbar; das letzte Argument blieb immer die 
allmächtige Willkür Gottes. Als Dogma ist die Wandelungslehre 
auf dem Laterankonzil 1215 in dem neuen Glaubensbekenntniss 
ausgeprägt worden, das vor der professio fidei Trident. das ein- 
flussreichste Symbol nach dem Nicänum gewesen ist. Die Abend- 
mahlslehre ist hier sofort an die Trinität und Christologie ange- 
schlossen. Damit ist auch im Symbol zum Ausdruck ge- 
kommen, dass sie mit diesen Lehren eine Einheit bildet, 
und zwar in der Gestalt der Wandelungslehre (jiranssuhstanüaiis 
pane et vino^') und mit streng hierarchischer Zuspitzung. Daran 
reiht sich die Erwähnung der Taufe und der Busse (jypcr veram 
poemtentiam semper potest reparari^^). Damit ist auch diese Ent- 
wickelung abgeschlossen und zugleich die zugehörige andere, 
dass ein jeder Christ vor dem parochus seine Sünden 
beichten muss (c. 21). Die Neuerung im Symbol (Kombi- 
nation der Abendmahlslehre mit Trinität und Christologie) ist die 
eigenste und kühnste That des MA.'s, die viel schwerer wiegt als 
das „filioque". Andererseits aber zeigt das neue Symbol noch 
immer sehr deutlich, dass nur das alte Dogma wahrhaft Dogma 
ist, nicht die augustinischen Sätze über Sünde, Erbsünde, 
Gnade u. s. w. Das katholische Christentum wird ausser den 
altkirchlichen Dogmen durch die Lehren von den drei Sakra- 
menten (Taufe, Busse und Abendmahl) konstituirt. Das Übrige 


^ 65.] Anselm's Satisfaktionslehre. 289 

ist Dogma zweiter Ordnung, resp. kein Dogma. Dieser Zustand 
ist für die Folgezeit (bis zur Reformation) von höchstem Werte. 

§ 65. Fortsetzung. 

B. Anselm's Satisfaktionslehre und die Versöhnungs- 
lehren der Theologen des 12. Jahrhunderts. 

Gresch. d. Versöhnungslehre v. JChBauk u. ARitschl (Bd. P). — 
FBHassb, Anselm. 2 Bde. 1852 f. — HCremkr i. d. Stud. u. Krit. 1880 S. 7 ff. 

Anselm hat in seiner Schrift „Cur deus homo*^ die strenge 
Notwendigkeit (Vemünftigkeit) des Todes eines Gottmenschen 
zur Erlösung der sündigen Menschheit nachzuweisen gesucht 
(selbst bei Augustin finden sich Zweifel an der Notwendigkeit) 
und dabei die Grundsätze der Busspraxis (satisfactio congrua) 
zum. Grundschema der Religion überhaupt erhoben. Hierin be- 
steht seine epochemachende Bedeutung. Voraussetzung ist, dass 
die Sünde Schuld ist und zwar Schuld an Gott, dass die Schuld- 
tilgung die Hauptsache im Werke Christi ist, dass das Kreuz 
Christi die Erlösung ist, und dass darum Gottes Gnade eben 
nichts Anderes ist als das Werk Christi (Augustin zeigt hier noch 
Unsicherheiten . In diesen Momenten liegt die evangelische 
Wahrheit der Anselm'schen Ausführungen. Aber sie leiden an 
schweren Mängeln; denn indem sie nur das „Objektive" ins Auge 
fassen, enthalten sie nicht den Nachweis der Wirklichkeit der 
Erlösung, sondern im Grunde nur den der Bedingungen für 
dieselbe (sie enthalten keine Versöhnungslehre); ferner fussen 
sie auf einer widerspruchsvollen Anschauung von Gottes Ehre, 
bringen die göttlichen Eigenschaften in eine unerträgliche Span- 
nung, lassen Gott nicht als den Herrn und die allmächtige Liebe 
erscheinen, sondern als einen mächtigen Privatmann, der der 
Partner des Menschen ist, verkennen die Unverbrüchlichkeit des 
heiligen Sittengesetzes und deshalb das Strafleiden und lassen 
schliesslich den Menschen durch Christus vom zornigen Gott er- 
löst und Gott durch Menschenopfer (!) befriedigt werden, ohne 
es deutlich zu machen, wie im Menschen selbst eine Umänderung 
seiner Gesinnung zu Stande kommt. Der grosse Augustiner und 
Dialektiker Anselm wusste eben nicht, was Glaube ist, und 
meinte darum eine Erlösungslehre in streng notwendigen E^te- 
gorien (zur Bekehrung von Juden und Heiden) geben zu können, 
ohne sich um die Begründung der Religion im Herzen, d. h. um 
die Erweckung des Glaubens zu kümmern. Das heisst aber, die 

OrundriBS IV. iii. Harnaok, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 19 


290 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 66. 

KeKgion ohne die Religion behandeln wollen; denn die Schöpfung 
des Glaubens ist die Religion. Die alte Zerspaltung des Problems 
in ,,objektive" Erlösung und „subjektive" Aneignung wirkt auch 
hier, ja stärker als je früher; denn Anselm hat das Hauptproblem 
energisch angefasst. um so übler sind die bösen Folgen, die noch 
heute herrschen; denn ist das Problem in das „Objektive" (drama- 
tische Veranstaltung Gottes) und das „Subjektive" zu zerteilen, 
so hat Gott auch im Christentum nur die allgemeine Möglichkeit 
der wahren Religion durch den Tod Christi begründet, sie selbst 
aber muss sich der Einzelne, sei es allein oder mit hundert kleinen 
Helfern und Hülfsmitteln (die Kirche), schaffen. Wer diese Auf- 
fassung teilt, denkt katholisch, mag er sich auch einen luthe- 
rischen Christen nennen. Anselm hat bei dem wichtigsten 
Problem, das an die Spitze gestellt zu haben sein Ver- 
dienst ist, den falschen katholischen Gottesbegriff und 
die falsche altkatholische Auffassung der Religion, 
wie sie in der Busspraxis längst zum Ausdruck ge- 
kommen waren, erst zu voller Klarheit gebracht. In 
diesem Sinne ist er ein Mitbegründer der katholischen Kirche^ 
obgleich seine Theorie im Einzelnen — zu Gunsten einer noch be- 
quemeren Kirchenpraxis — vielfach verlassen worden ist. 

Seiner Überzeugung, dass man erst auf Autorität hin glauben 
müsse, dann aber im Stande sei, den Glauben denknotwendig zu 
begründen, hat Anselm in verschiedenen Schriften Ausdruck ge- 
geben („Monologium", „Proslogium" über den Gottesbegriff; 
ontologischer Beweis). Aber erst in der dialogisch geschriebenen 
Schrift „Cur deus homo" hat er das Ganze der christlichen Reli- 
gion, in einen Punkt zusammengefasst, einheitlich und logisch 
behandelt. Nach einer sehr bemerkenswerten Einleitung, in der 
namentlich die alte Vorstellung von der Erlösung als Befriedi- 
gung der Rechtsansprüche des Teufels abgewiesen wird, stellt er 
den Obersatz auf, dass die vernünftige Kreatur Gott die ihm ge- 
bührende Ehre durch die Sünde entzogen habe, sofern sie das, 
was diese Ehre fordert, die gehorsame Unterwürfigkeit, nicht 
mehr leiste. Da Gott seine Ehre nicht . verlieren kann, und da 
ausserdem Straflosigkeit eine allgemeine Unordnung im Reiche 
Gottes herbeiführen würde, so ist nur Rückerstattung (satisfactio) 
öder Strafe möglich. Auch die Letztere wäre an sich angemessen, 
aber da sie nur in der Vernichtung, somit in dem Untergang des 
köstlichsten Werkes Gottes (der rationabilis creatura) bestehen 


§ 65.] Anselm's Satisfaktionsielire. 291 

»— ~— __ _ H — -, . 

könnte^ lässt die Ehre Gottes sie nicht zu. Somit bleibt die satis- 
factio übrig, die sowohl Rückerstattung als Schmerzensgeld sein 
muss. Nun aber kann der Mensch diese nicht leisten; denn Alles, 
was er Gott geben kann, ist ohnehin pflichtmässig zu leisten, und 
ausserdem ist die Schuld der Sünde unendlich gross, da schon 
der kleinste Ungehorsam eine unendliche Schuld zur Folge hat 
(„nondtim considerasti qtianti ponderis sit peccatum^^). Wie soll 
also der Mensch „totum qtiod deo äbstulit^^ wieder herstellen, „ut 
sicut dcusper ilhim perdidit, itaper ilhim recuperet^^? Das vermag 
nur der Gottmensch; denn nur Gott kann etwas „de suo^^ dar- 
bringen, y^quod malus est quam omne quod praeter de^im est"^ und 
der Mensch muss es bringen. Also ist eine Persönlichkeit ge- 
fordert, die zwei Naturen hat und freiwillig ihr gottmensch- 
liches Leben Gott darbringen kann (Sündlosigkeit) und darbringt. 
Es muss sein Leben sein; denn nur dieses ist er nicht ver- 
pflichtet, Gott zu opfern; alles Übrige ist auch er, der sündlose, 
zu geben verpflichtet. Aber in diesem Opfer ist volle Satis- 
faktion (j^nullatenus seipsnm potest homo magis dare deo, quam cum 
se mortl tradit ad honorem illius'^) enthalten, ja sein Wert ist ein 
unendlicher. Weil die kleinste Antastung dieses Lebens einen 
unendlich negativen Wert hat, so hat die freiwillige Hingabe 
einen unendlich positiven. Die acceptio mortis eines solchen 
Gottmenschen ist ein unendliches Gut für Gott (!), welches die 
Einbusse der Sünde weit übersteigt. Christus hat das Alles ge- 
leistet; sein freiwilliger Tod kann nur ,^iw honorem dei^^ erfolgt 
sein; denn ein anderer Zweck lässt sich nicht finden. Für uns hat 
nun dieser Tod eine dreifache Folge, dass 1) die bisherige lastende 
Sündenschuld weggeräumt ist, dass 2) wir uns an diesem frei- 
willigen Tode ein kräftiges Beispiel nehmen können, und dass 
3) Gott, indem er die Beschaffung der satisfactio auch als ein 
meritum des Gottmenschen anerkennt, uns dieses meritum zu- 
wendet, da er Christo doch nichts geben kann. Nur unter der 
Bedingung dieser Zuwendung vermögen wir Nachahmer Christi 
zu werden. Diese letzte Wendung ist ein erfreulicher Versuch 
Anselm's, die Kraft der dramatischen Erlösungsveranstaltung in 
die Herzen überzuführen; aber er leidet an einer Unklarheit, die 
schon in der Busspraxis herrschte. An sich sind satisfactio und 
meritum unvereinbar; denn eine und dieselbe Handlung kann 
entweder nur dieses oder jene sein (dieses, wenn zu einer über- 
pflichtmässigen Handlung kein Anlass gegeben war). Aber aus 

19* 


292 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 65. 

der Busspraxis war man gewohnt, in den überpflichtmässigen 
Leistungen, auch wenn sie zur Kompensirung dienten, doch „Ver- 
dienste" zu erkennen. So hat Anselm denn auch die satisfactio 
Christi unter den Gesichtspunkt des meritum gestellt, das fort 
und fort — auch nach Abschluss des eigentlichen Handels — 
Gott besänftigt und gütig stimmt. Anselm konnte das um so 
leichter, als er die Leistung Christi für grösser hielt als das Ge- 
wicht der Sünde. An den Gedanken des meritum aber hat er, 
freilich mehr andeutungsweise, den subjektiven Effekt der Hand- 
lung angeschlossen; im Rahmen der Vorstellung von der satis- 
factio hat er keinen Punkt gefunden, von dem aus er zum „Sub- 
jektiven" hätte übergehen können. Dennoch schloss er mit dem 
grossen Bewusstsein, „/?e^' unius quaestionis sohitionem quicquid in 
novo veterique testamento continetur^^ vernünftig erwiesen zu haben. 
Ansehn's Satisfaktionstheorie ist in der Folgezeit nur unter 
Modifikationen aufgenommen worden. Abälard machte von ihr 
keinen Gebrauch, sondern ging, wo er die Erlösung durch Christus 
behandelt (Komm. z. ßömerbr.), auf das N. T. und die patristische 
Überlieferung zurück, den wichtigen Gedanken in den Vorder- 
grund stellend, dass wir zu Gott zurückgeführt werden müssen 
(keine ümstimmung Gottes ist nötig). Von vornherein bezieht 
er die Erlösung auf die Erwählten und lehrt deshalb, dass der 
Tod des Gottmenschen nur alsLiebesthat gefasst werden dürfe, 
die unsere kalten Herzen entzündet; aber er giebt der Sache auch 
die Wendung, dass das Verdienst Christi als des Haupts der 
Gemeinde seinen Gliedern zu Gute komme; dieses Verdienst sei 
aber keine Summe bestimmter Leistungen, sondern die Christus 
einwohnende Fülle der Liebe gegen Gott. Christi Verdienst ist 
sein Liebesdienst, der sich in unablässiger Fürbitte fortsetzt; die 
Versöhnung ist die persönliche Gemeinschaft mit Christus. Von 
Ansprüchen des Teufels an uns wollte Abälard auch Nichts 
wissen, und mit dem Gedanken der Notwendigkeit eines blutigen 
Opfers für Gott leimte er auch den Gedanken der logischen 
Notwendigkeit des Kreuzestodes ab. Das Recht der Vorstellung 
eines Strafleidens ist auch ihm wie Anselm verborgen geblieben, 
Bernhardts Gedanken über die Versöhnung bleiben hinter denen 
Abälard's zurück; er vermochte aber seine Christusliebe erbau- 
licher auszusprechen als dieser. In der Folgezeit wird die Vor- 
stellung des Verdienstes Christi (nach Anselm) die entschei- 
dende. Sofern man über die satisfactio nachdachte, wurden die 


§ 66] Die franciskanische Frömmigkeit. 293 

strengen Kategorien Anselm's an verschiedenen Punkten gelockert. 
War doch auch in der Bussdisziplin alle Notwendigkeit und alle 
,,Quantität" unsicher! Übrigens hat sich der Lombarde damit 
begnügt, alle möglichen Gesichtspunkte, unter denen man den 
Tod Christi stellen kann, der Überlieferung gemäss auszuführen, 
selbst den Teufelskauf sammt Täuschung, den Strafwert, aber 
nicht die Satisfaktionslehre, weil sie keine Tradition für sich 
hatte. Im Grunde aber war er Abälardiancr (Verdienst, Erweckung 
der Gegenliebe). Nach ihm begann das Feilschen und Markten 
um den Wert der Sünde und den Wert des Verdienstes Christi. 

Achtes Kapitel. 

GescMclite des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 

Anfang des 16. Jahrhunderts. 

Die Bedingungen, unter denen das Dogma in diesem Zeitraum 
gestanden hat, machten es als Rechtsordnung immer stabiler 
— weshalb auch die Reformation vor dem alten Dogma unwill- 
kürlich Halt gemacht hat — , lösten es aber innerlich immer 
mehr auf, weil es die individuelle Frömmigkeit nicht mehr be- 
friedigte und vor den neuen Erkenntnissen nicht Stand hielt. 

§ 66. Zur Geschichte der Frömmigkeit. 

KHase, Franz y. Assisi 1856. — EMüller, Anfänge d. Minoriten- 
ordens 1885. — HThode, Franz von A. u. die Anfänge der Kunst der 
Eenaissance in Italien 1885. — KMüllek, Die Waldenser 1886. — WPbbgeb, 
Geschichte der deutschen Mystik. Bd. 1—3. 1874. 1881. 1893. — Ferner 
die Arbeiten tiber die Joachimiten, Spiritualen, Brüder vom gemein- 
samen Leben, Husiten und die „Ketzer" des MA. : JDöllingkr, Beitr. 
z. Sektengesch. d. MA. 2 Bde. 1890; die Arbeiten von HDeniflb und 
FEhble im Archiv f. Litt.- u. K.-Gesch. des MA. Bd. 1—4 und die betr. 
Artikel der RE*. 

Die bemhardinische Frömmigkeit der Versenkung in das 
Leiden Christi wurde durch den h. Franciskus zur Frömmigkeit 
der Nachfolge Christi ausgestaltet „in humilitate, caritate, 
obedientia". Humilitas — das ist die vollkommene Armut, und 
in der Art, wie Franciskus diese in seinem Leben zur Darstellung 
brachte und mit der überschwänglichsten Christusliebe verband, 
hat er ein unerschöpflich reiches, der verschiedensten individuellen 
Ausgestaltung fähiges, hohes Ideal der Christenheit vorgehalten, 
das mächtig durchschlug, weil erst in ihm die katholische 
Frömmigkeit ihren klassischen Ausdruck erhielt. Zu- 


294 Entwickelung des Dogmas im Abendland. {§ 66. 

gleich war Franciskus von einem wahrhaft apostolischen Missions- 
trieb und dem glühendsten Eifer, Herzen zu entzünden und der 
Christenheit in Liebe zu dienen, beseelt. Seine Predigt galt der 
einzelnen Seele, der Busse und der Herstellung des apo- 
stolischen Lebens. In weiteren Kreisen sollte sie als er- 
schütternde Busspredigt wirken, und in dieser Hinsicht verwies 
Franciskus die Gläubigen an die Kirche, deren treuester Sohn er 
war, obgleich ihre Bischöfe und Priester nicht dienten, sondern 
herrschten, Diesen Widerspruch hat er übersehen; aber Andere, 
die ihm vorangegangen waren (Waldesier, Humiliaten), übersahen 
ihn nicht, beargwöhnten bei ihren Bestrebimgen, das apostolische 
Leben aufzurichten, die herrschende Kirche und trennten sich von 
ihr. Die Bettelorden haben das Verdienst, einen grossen Strom 
erweckten und bewegten christlichen Lebens im Bett der Kirche 
erhalten zu haben; nicht wenige Wasser desselben fluteten bereits 
daneben, nahmen eine kirchenfeindliche Richtung, wühlten die 
alten apokalyptischen Gedanken wieder auf und sahen in der 
Kirche die grosse Babel, das nahe Gericht bald Gott bald dem 
Kaiser vorbehaltend. Ein kleiner Teil der Pranciskaner hat mit 
ihnen gemeinsame Sache gemacht. Sie verbreiteten sich über 
Italien, Frankreich, Deutschland bis nach Böhmen und Branden- 
burg, hin und her verworrene häretische Gedanken hegend, in der 
Regel aber nur die Gewissen schärfend, religiöse Unruhe oder 
Selbständigkeit in der Form individueller asketischer Religiosität 
erweckend und die Autorität des Kirchentums lockernd oder be- 
kämpfend. Ein Laienchristentum entwickelte sich in und 
neben der Kirche, in dem der Trieb nach religiöser Selbständig- 
keit gross wurde; aber da Askese schliesslich immer ziellos ist 
und keine Seligkeit schaffen kann, so bedarf sie der Kirche, ihrer 
Autorität und ihrer Sakramente. Durch ein geheimes, aber sehr 
festes Band bleiben alle „Ketzer", die das asketisch evangelische 
Lebensideal auf ihre Fahne schreiben, mit der Kirche verbunden, 
deren Druck, Herrschaft und Weltsucht sie entfliehen wollen. 
Aus den Sekten, den biblicistischen , apokalyptischen, walde- 
sischen, husitischen hat sich nichts Dauerndes entwickelt. Sie 
waren wirklich „ketzerisch"; denn sie gehörten der Kirche, der 
sie entfliehen wollten, doch an. Die zahlreichen frommen Bruder- 
schaften, die sich entwickelten und im Rahmen der Kirche — 
wenn auch tmter manchem Seufzen — blieben, zeigen, dass die 
grosse Kirche noch immer Elastizität genug besass, um der 


§ 66.] Die franciskanisclie Frömmigkeit. Mystik. 295 

^^Armut^' und dem eYangelischen Leben Baum zu lassen und die 
Bettelorden sich einzugliedern. Bald entmannte sie dieselben^ 
und sie wurden ihre besten Stützen. Der individuellen Frömmig^ 
keit der Laien ^ aufs festeste an den Beichtstuhl, die Sakramente, 
den Priester und den Papst gekettet, wurde in der Priesterkirche 
eine subalterne Existenz gestattet. So schlug sich die mittel- 
alterliche Kirche mühsam durchs 14. und 15. Jahrh. durch. Was 
die Minoriten der Hierarchie an Opfer darbringen mussten, dafür 
haben sie sich gleichsam entschädigt durch die unerhörte Energie, 
mit der sie bei den Laien den Zwecken der weltherrschenden 
Kirche dienten. Die universalgeschichtliche Bedeutung der durch 
dieWaldesier und die Bettelorden begründeten Bewegungen lässt 
sich nicht an neuen Lehren und Institutionen nachweisen, obgleich 
sie nicht ganz gefehlt haben, sondern sie liegt in der religiösen 
Erweckung und in der zum religiösen Lidividualismus führenden 
Unruhe, die sie erzeugt haben. Sofern sie den Einzelnen zum 
Nachsinnen über die Heilswahrheiten gebracht haben, sind die 
Bettelorden mid die „vorreformatorischen^' Bewegungen eine Vor- 
stufe der Brcformation geworden. Aber je mehr man die Religion 
in die Kreise des dritten Standes und der Laien überhaupt hinein- 
trug, um so aufmerksamer wachte man über die Unversehrtheit 
des alten Dogmas, und die grosse Mehrzahl der Laien selbst wollte 
bei der Unsicherheit über das Mass der praktischen Aufgaben 
und über den rechten Zustand der empirischen Kirche im Dogma 
den festen Punkt verehren. — 

Im Einzelnen kommt für die Zwecke der Dogmengeschichte 
bei dieser Verinnerlichung der Religion der Bund der Bettelorden 
mit der Mystik besonders in Betracht. Mystik ist die bewusste, 
reflektirende katholische Frömmigkeit, die eben durch Reflexion 
und Kontemplation sich steigern will: der Katholicismus kennt 
nur sie oder die fides implicita. Das Muster stammt aus einer 
Kombination Augustinus mit dem Areopagiten, belebt durch die 
bemhardinische Hingabe an Christus. Die Mystik hat viele Ge- 
stalten; aber sie ist national oder konfessionell wenig unter- 
schieden. Wie sie geschichtlich einen pantheistischen Ausgangs- 
punkt hat, so hat sie auch ein pantheistisches (akosmistisches) 
Ziel. In dem Masse, als sie sich mehr oder weniger an den ge- 
schichtlichen Christus und die Anweisungen der Kirche hält, tritt 
dieses Ziel minder stark oder stärker zu Tage; aber auch in den 
kirchlichsten Ausprägungen der Mystik fehlt jene Richtlinie nie 


296 Entwickelung des Dogmas im Abendland. |§ QG^ 

ganz, die über den geschichtlichen Christus hinausweist: Gott und 
die Seele, die Seele und ihr Gott; Christus der Bruder; die Geburt 
Christi in jedem Gläubigen (der letztere Gedanke bald phanta- 
stisch, bald spirituell gedacht). Die Mystik hat gelehrt, dass die 
Religion Leben und Liebe sei, und sie hat von diesem hohen 
Gedanken aus das ganze Dogma bis in die Tiefen der Trioität^ 
hinein zu beleuchten, ja umzusetzen unternommen; sie hat indi- 
viduelles religiöses Leben erzeugt, und die Bettelorden-Mystiker 
waren ihre grössten Virtuosen. Aber weil sie den Fels des- 
Glaubens nicht sicher erkannt hat, hat sie nur Anweisungen zu 
einem progressus infinitus zu Gott) zu geben vermocht, das stetige 
Gefühl eines sicheren Besitzes jedoch nicht aufkommen lassen. 

Die Anweisungen der Mystik bewegen sich in dem Rahmen^ 
dass die von Gott entfernte Seele durch Reinigung, Erleuch- 
tung und wesenhafte Vereinigung zu Gott zurückkehren muss; 
sie muss „entbildet", „gebildet" und „überbildet" werden. Mit 
der reichen und sicheren Anschauimg des Erlebten haben die 
Mystiker geredet von der Einkehr in sich selber, von der Be- 
trachtung der Aussenwelt als eines Werkes Gottes, von der 
Armut und Demut, auf die sich die Seele stimmen muss. Auf 
allen Stufen haben viele Mystiker es verstanden, den ganzen 
kirchlichen Apparat der Heilsmittel (Sakramente, Sakramentalien) 
herbeizuziehen; denn, wie bei den Neuplatonikem, bildete auch 
bei den Mystikern die innerlichste geistige Frömmigkeit und der 
Kult der Idole keinen Gegensatz: das Sinnliche, auf dem der 
Schimmer einer h. Überlieferung liegt, ist das Zeichen und Pfand 
des Ewigen. Speziell das Busssakraraent spielte in der Regel bei 
der „Reinigung" eine grosse Rolle. Bei der „Erleuchtung" treten 
die bernhardinischen Kontemplationen stark hervor. Neben 
höchst bedenklichen Anweisungen über die Nachahmung Christi 
finden sich auch evangelische Gedanken — die glaubensvolle 
Zuversicht auf Christus. Dabei wird hier jenes sich Versenken in 
die Liebe betont, aus dem sich eine hohe Steigerung des Innen- 
lebens entwickelt hat, in der die Renaissance und Reformation 
vorbereitet erscheinen. Bei der ,,wesenhaften Vereinigimg^' end- 
lich erscheinen die metaphysischen Gedanken (Gott als das All- 
Eine, das Individuelle nichts; Gott die „abgründliche Substanz" 
„die stille Stillheit" u. s. w.). Selbst der Normaldogmatiker Tho- 
mas hat hier pantheistische Gedanken nicht verleugnet, die den 
Anstoss zur „ausbrüchigen" Frömmigkeit gegeben haben. In 


§ 66.] Die Mystik. 297 

neuerer Zeit ist vonDenifle gezeigt worden, dass Meister Eckhart, 
der grosse, von der Kirche zensurirte Mystiker, ganz von Thomas 
abhängig gewesen ist. Aber so bedenklich diese Spekulationen 
gewesen sind — gemeint war doch auch die höchste geistige 
Freiheit (s. z. B. die „deutsche Theologie";, die in der vollen 
Loslösung von der Welt in dem Gefühl des Überweltlichen 
errungen werden soll. In diesem Sinne haben namentlich die 
deutschen Mystiker von Eckhart ab gewirkt. Während die 
Bomanen vor Allem durch Busspredigten zu erschüttern 
suchten, haben Jene die positive Aufgabe unternommen, die 
höchsten Ideen der damaligen Frömmigkeit in der Volkssprache 
.in die Laienkreise zu tragen (Tauler, Seuse u. s. w.) und die Ge- 
müter durch Selbstzucht in der Welt der Liebe heimisch zu 
machen. Sie haben gelehrt (nach Thomas), dass die Seele schon 
hier auf Erden Gott so in sich aufnehmen könne, dass sie im 
vollsten Sinn die visio seines Wesens geniesst und bereits im 
Himmel weilt. Allerdings aber schlägt der Gedanke der völligen 
Hingabe an die Gottheit in den andern über, dass die Seele in 
sich selbst das Göttliche trägt und es als geistige Freiheit und 
Erhabenheit über alles Seiende und Denkbare zu entwickeln ver- 
mag. Die Anweisungen hiezu sind bald mehr intellektualistisch 
bestimmt, bald mehr quietistisch. Die thomistische Mystik hatte 
die augustinische Zuversicht, sich durch das Erkennen zu be- 
freien und zu Gott aufzusteigen, die scotistische hatte diese Zu- 
versicht nicht mehr und suchte durch Disziplinirung des Willens 
die höchste Stimmimg zu erreichen: Willenseinheit mit Gott, 
Ergebung, Gelassenheit. Hierin war an sich ein Fortschritt 
in der Erkenntniss der evangelischen Frömmigkeit gegeben, der 
für die Reformation bedeutungsvoll war; aber gerade die Nomi- 
nalisten (Scotisten) hatten eine klare und sichere Erkenntniss des 
Inhalts des göttlichen Willens verloren. Die Frage nach der 
certitudo salutis erscheint hier angebahnt, aber sie muss unbeant- 
wortet bleiben, so lange der Gottesbegriff über die Linie des Will- 
kürlichen nicht hinausgeführt wird. 

Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der Mystik, 
namentlich der deutschen, auch in der Richtimg auf die positive 
Ausgestaltung der Askese als werkthätiger Bruderliebe. Die 
alten mönchischen Anweisungen wurden belebt durch die ener- 
gische Mahnung zum Dienst am Nächsten. Die einfache Beziehung 
des Menschen zum Menschen, geheiligt durch das christliche Ge- 


298 Entwickelong des Dogmas im Abendland. [§ 67. 

bot der Liebe und durch den Frieden Gottes, trat aus all den 
überlieferten Korporationen und Kasten des MA/s hervor und 
schickte sich an, sie zu sprengen. Auch hier ist der Anbruch 
einer neuen Zeit zu spüren; die Mönche wurden aktiver, weltlicher 
— verwilderten freilich häufig dabei — , und die Laien wurden 
lebendiger und thätiger. In den halb weltlichen, halb geistlichen 
freien Vereinigungen pulsirte das Leben der Frömmigkeit. Die 
alten Orden wurden z. T. nur künstlich am Leben erhalten und 
verloren ihr Ansehen. Bei den Angelsachsen und Tschechen, 
bisher von fremden Nationen unterdrückt und in Armut erhalten, 
hat sich die neue Frömmigkeit mit einem politisch-nationalen 
Programm verbunden (wiclifitische und husitische Bewegung). 
Dieses hat sehr energisch auf Deutschland hinüber gewirkt, aber 
zu nationalen Beformbewegungen ist es in dem geduldigen und 
zersplitterten Deutschland nicht gekommen. Alles Sozialrevolu- 
tionäre und Antihierarchische blieb vereinzelt, und selbst als sich 
die weltherrschende Kirche in Avignon prostituirt hatte und auf 
den Reformkonzilien der Schrei der romanischen Nationen nach 
Besserung und Sicherstellung vor der schamlosen Finanzgewalt 
der Kurie laut geworden war, da hat das deutsche Volk noch 
immer mit wenigen Ausnahmen Geduld bewahrt. Eine ungeheure 
Umwälzung, immer wieder aufgehalten, bereitete sich im 15. Jahrh. 
vor; aber sie schien lediglich den Institutionen, den politischen 
und den kirchlichen, zu drohen. Die Frömmigkeit tastete das 
alte Dogma, das durch den Nominalismus vollends zur heiligen 
Reliquie geworden war, selten ani Sie kehrte sich wohl gegen 
die aus der schlimmen Kirchenpraxis abstrahirten neuen Lehren^ 
aber sie selbst wollte nichts Ändieres sein als die alte kirchliche 
Frömmigkeit, und war auch im Grunde nichts Anderes. Im 
15. Jahrb. hat sich in Deutschland die Mystik abgeklärt. Die 
„Nachfolge Christi" des Thomas a Kempis ist ihr reinster Aus- 
druck; aber Reformatorisches im strengen Sinn kündigt sich 
in dem Büchlein nicht an. Das Reförmatorische liegt nur in 
seinem Individualismus und in der! Kraft, mit der es sich an jede 
Seele richtet. 

§ 67. Zur Geschichte des kirchlich eu Rechts. Die Lehre von 

der Kirche. 

In der Zeit von Gratian bis Innocenz III. gewann das päpst- 
liche System die Herrschaft. Die ganze Dekretalengesetzgebung 


§ 67.] Lehre von der Kirche i. d. 2. Hälfte des MA. 299 

von 1159 — 1320 ruht auf dem Gesetzbuche Gratian's, und die 
scholastische Theologie ordnete sich ihm unter. Citate aus den 
Kirchenvätern sind zu einem grossen Teil durch die Rechtsbücher 
vermittelt. Die Kirche, die doch in der Dogmatik noch immer 
-die Gemeinde der Gläubigen (der Prädestinirten) sein soll, ist in 
Wahrheit die Hierarchie, der Papst der episcopus universalis. 
Auf kirchlichem Gebiet haben die deutschen Könige diese Ent- 
wickelung gewähren lassen und sind mit für sie verantwortlich. 
Die leitenden Gedanken in Bezug auf die Kirche, die jetzt 
-erst endgiltig festgestellt wurden, waren folgende: 1) Die hier- 
archische Organisation ist der Kirche wesentlich, und in allen 
Beziehungen ist das Christentum der Laien an die Vermittelung 
■der Priester (rite ordinati) gebunden, die allein die kirchlichen 
Handlungen vollziehen können. 2) Die sakramentalen und juris- 
diktionellen Gewalten der Priester sind unabhängig von ihrer 
persönlichen Würdigkeit. 3) Die Kirche ist eine, mit einer von 
Christus stammenden Verfassung ausgerüstete sichtbare Gemein- 
schaft (auch als solche corpus Christi); sie hat eine doppelte 
potestas, nämlich spiritualis et temporalis. Durch beide ist sie, 
die bis zum Welttmtergang bleiben soll, den vergänglichen 
Staaten überlegen und übergeordnet. Ihr müssen deshalb alle 
Staaten und alle Einzelnen gehorsam sein (de necessitate salutis); 
ja auch über Ketzer und Heiden erstreckt sich die Gewalt der 
Kirche (Abschluss durch Bonifacius VIH.). 4) Der Kirche ist eine 
streng monarchische Verfassung in dem Stellvertreter Christi 
und Nachfolger Petri, dem Papste, gegeben. Was von der Hier- 
archie gilt, gilt in erster Linie von ihm, ja die übrigen Glieder 
der Hierarchie sind nur „in partem soUicitudinis" berufen. Er 
ist der episcopus universalis; ihni gehören daher die beiden 
Schwerter, und da der Christ die Heiligung nur in der Kirche 
erreichen kann, die Kirche aber die Hierarchie, die Hierarchie der 
Papst ist, so muss de necessitate salutis alle Welt dem Papste 
nnterthan sein (Bulle „ünam sanctam^*). In einer Kette von 
Fälschungen, die namentlich innerhalb der wiedererweckten Pole- 
mik gegen die Griechen (13. Jahrh.) entstanden sind, sind diese 
Grundsätze in das kirchliche Altertum hiuaufdatirt worden; aber 
sie sind doch erst streng formulirt worden (Thomas Aquinas), 
nachdem sie in der Praxis längst eingebürgert waren. Das neue 
Recht folgte der neuen Gewohnheit, die durch die Bettelorden 
verstärkt wurde; denn diese zerrütteten durch die besonderen 


300 Entwickeltmg des Dogmas im Abendland. [§ 67. 

Rechte, die sie erhielten, die aristokratischen, provinzialen nnd 
lokalen Gewalten vollends und brachten den Sieg der päpstlichen^ 
Autokratie zum Abschluss. Die Lehre von der päpstlichen Un- 
fehlbarkeit war das notwendige Ergebniss dieser Entwickelung. 
Auch sie ist von Thomas formulirt, aber noch nicht durchgesetzt 
worden; denn in diesem letzten Punkte reagirte das geschichtliche 
und das provinzialkirchliche Bewusstsein (die Universität Paris -^ 
der Vorwurf gegen Johann XXII. als Häretiker). Um 1300 ist die 
ausschweifende Erhebung des Papsttums in der Litteratur auf dem 
Höhepunkt (Augustinus Triumphus, Alvarus Pelagius), aber seit 
c. 1330 erlahmt sie, um erst nach c. 120 Jahren wieder hervor- 
zubrechen (Torquemada). In der Zwischenzeit wurde die neueste 
Entwickelimg des Papsttums heftig, aber nicht glücklich bekämpft,, 
erst in der ghibellinischen Litteratur und der mit ihr zeitweise ver- 
bundenen minoritischen(Occam), dann vom Standpunkte der Supre- 
matie der Konzilien. Nur vorübergehend war München der Sitz 
der Opposition und waren deutsche Schriftsteller an ihr beteiligt 
Das eigentliche Land der Opposition war Frankreich, sein Konig,, 
seine Bischöfe, ja die französische Nation. Diese allein behauptete 
die auf den Konzilien errungene Freiheit (pragmatische Sanktion 
von Bourges 1438); allein in dem Konkordat von 1516 gab sie 
auch hier der König preis, um siöh nadh dem Beispiel anderer 
Fürsten mit dem Papst in die Landeskirche zu teilen. Die alte 
Tyrannei war um 1500 fast überall wieder aufgerichtet. Da& 
Laterankonzil am Anfang des 16. Jahrh. sprach den Wünschen 
der Völker Hohn, als hätte man nie zu Konstanz und Basel getagt. 
Die neue Entwickelung des Kirchenbegriffs ist bis zur Mitte 
des 13. Jahrh. nicht durch die Theologie, sondern durch die Juris- 
prudenz zu Stande gekommen. Dies erklärt sich 1) aus dem man- 
gelnden Interesse für die Theologie in Rom, 2) aus der Thatsache,. 
dass die Theologen, wenn sie über die Kirche nachsannen, noch 
immer die „unpraktischen" Ausführungen Augustinus über die 
Kirche als societas fidelium (numerus electorum) wiederholten, so 
dass die späteren „ketzerischen^^ Meinungen über das Wesen der 
Kirche sich auch bei grossen Scholastikern finden. Erst seit der 
Mitte des 13. Jahrh. kümmerte sich die Theologie um den hier- 
archisch-papalen Kirchenbegriff der Juristen (Vorläufer: Hugo 
von St. Victor). Der Streit mit den Griechen, besonders seit dem 
Konzilvon Lyon 1274, gab dazu den Anlass. Die Bedeutung des 
Thomas liegt darin, dass er zuerst den papalen Kirchen- 


^ 67.] Kirchenbegriff dea Thomas und der Reformer. 301 

begriff innerhalb der Dogmatik streng entwickelt, ihn 
aber zugleich kunstvoll mit dem augustinischen ver- 
bunden hat. Thomas hält daran fest, dass die Kirche die Zahl 
der Erwählten sei; aber er zeigt, dass die Kirche als lehrgesetz- 
liche Autorität und priesterliche Sakramentsanstalt das aus- 
schliessliche Organ ist, durch welches das Haupt der Kirche 
sich seine Glieder schafft. So vermag er das Neue mit dem Alten 
XU verknüpfen. Dennoch erhielt bis zur Reformation und über sie 
hinaus die ganze hierarchische und papale Theorie in der Dog- 
matik keine sichere Stelle; sie blieb römisches Dekretalenrecht, 
wurde in der Praxis geübt und herrschte faktisch in den Gemütern 
«durch die Sakramentslehre. Hier war in der That alles das als 
sicherer Besitz bereits untergebracht, was man von einer Formu- 
lirung des Kirchenbegriffs im hierarchischen Interesse nur er- 
ivarten konnte. 

Eben deshalb ist aller Widerspruch gegen den römischen 
Kirchenbegriff, der in der letzten Hälfte des MA. so laut wurde, 
unwirksam geblieben, weil er ein Widerspruch aus der Mitte her- 
aus war. Die Bedeutung des Glaubens für den Kirchenbegriff 
iat Niemand klar erkannt, und die letzte Abzweckung des ganzen 
religiösen Systems auf die visio et fruitio dei hat Niemand korri- 
^irt. Der gemeinsame Boden der Vertreter des hierarchischen 
Kirchenbegriffs und ihrer Gegner war folgender: 1) die Kirche ist 
die Gemeinschaft derer, die zur Anschauung Gottes gelangen 
«oUen, der Prädestinirten, 2) da Niemand weiss, ob er zu dieser 
Gemeinschaft gehört, so muss er alle Heilsmittel fleissig ge- 
brauchen, 3) diese Heilsmittel, die Sakramente, sind der empiri- 
schen Kirche gegeben und an die Priester gebunden, 4) sie haben 
den doppelten Zweck, erstlich auf das jenseitige Leben durch In- 
korporation in den Leib Christi vorzubereiten, sodann, da sie 
Kräfte des Glaubens und der Liebe sind, hier auf Erden das „bene 
vivere" zu erzeugen d. h. die Erfüllung des Gesetzes Christi zu 
bewirken, 5) da auf Erden die Erfüllung des Gesetzes Christi (in 
Armut, Demut und Gehorsam) die höchste Aufgabe ist, so ist das 
weltliche Leben, also auch der Staat, diesem Zweck untergeordnet, 
damit aber auch den Sakramenten und somit in irgend welchem 
Sinne auch der Kirche. Auf diesem gemeinsamen Boden be- 
wegten sich alle Streitigkeiten über die Kirche und ihre Reform. 
Die Römlinge zogen die weiteren Konsequenzen, dass die in der 
Sakramentsverwaltung und in der Befugniss der Kirche, das weit- 


302 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 67. 

liehe Leben sich unterzuordnen, gesetzte hierarchische Gliederung^ 
de necessitate salutis sei, liessen aber dann die sittliche Aufgabe^ 
das Gesetz Christi wirklich zu erfüllen, hinter der mechanisch 
und hierarchisch ausgeübten Sakramentsverwaltung ganz zurück- 
treten, setzten damit den Begriff der Kirche als der Zahl der Prä- 
destinirten (religiös) und der Gemeinschaft der nach dem Gesetz 
Christi Lebenden (sittlich) zu einer blossen Floskel herab und 
suchten die Gewähr für die Legitimität der Kirche in der 
strengsten Fassung des objektiven, im Papste gipfelnden 
Systems, an einem Punkte freilich — dem der E eordinationen — 
den geschlossenen Bau selbst gefährdend. Die Gegner dagegen 
gerieten auf „ketzerische" Meinungen, indem sie entweder 1) die 
hierarchische Gliederung bestritten, da diese über das Bischofs- 
amt hinaus in der Schrift und der alten Tradition keine Stütze 
habe, oder 2) die in dem Prädestinationsgedanken und in der 
Vorstellung von der Kirche als der Gemeinschaft der Christus- 
nachahmer gesetzte religiöse und sittliche Idee übergreifen liessen 
über den Begriff der empirischen Kirche als der Sakraments- 
anstalt und rechtlichen Institution, imd 3) deshalb die Priester^ 
und damit die kirchlichen Autoritäten, an dem Gesetze Gottes (in 
donatistischer Weise) massen, bevor sie ihnen das Recht ein- 
räumten, den Binde- und Löseschlüssel zu verwalten. Der Wider- 
spruch aller sog. „vorreformatorischen" Sekten und Männer 
wurzelt in diesen Thesen. Man konnte aus ihnen die scheinbar 
radikalste Antithese gegen das herrschende Kirchentum ent- 
wickeln imd hat sie entwickelt (Teufelskirche, Babel, Antichrist 
u. s. w.); aber das darf darüber nicht täuschen, dass die Gegner 
auf gemeinsamem Boden standen. Man ordnete die sittlichen 
Merkmale der Kirche den rechtlichen und „objektiven" über 
— das war gewiss ein segensreicher Fortschritt — , aber die 
Grundbegriffe (Kirche als sakramentale Anstalt, Notwendigkeit 
des Priestertums, fruitio dei als Zweck, Nichtachtung des bürger- 
lichen Lebens) blieben dieselben, und imter dem Titel der societas 
fidelium wurde in Wahrheit nur ein gesetzlich -moralisti- 
scher Kirchenbegriff aufgerichtet: die Kirche als die Summe 
derer, welche nach dem Gesetz Christi das apostolische Leben 
durchführen. Der Glaube wurde nur als ein Merkmal unter dem 
Begriff des Gesetzes befasst, und an die Stelle der Priestergebote 
trat die franciskanische Regel oder ein Biblicismus, dessen apo- 
kalytischen und wilden Auswüchsen gegenüber man doch zum 


§ 67.] Kirchenbegriff der Reformer. 303 

alten Dogma und zur Kirchentradition Zuflucht nehmen musste. 
Weder die Gemeinschaft der Gläubigen, noch eine „unsichtbare" 
Kirche, wie man falschlich gemeint hat, schwebte den Reformern 
vor, sondern die alte Priester- und Sakramentskirche sollte ver- 
edelt werden durch Auflösung ihrer hierarchisch-monarchischen 
yerfassung, durch Aufhebung ihrer angemassten politischen Be- 
fugnisse und durch strenge Sichtung ihrer Priester nach dem 
Massstabe des Gesetzes Christi oder der Bibel, unter diesen Be- 
dingungen galt sie auch den Reformern als die sichtbare heilige 
Kirche, durch die Gott seine Prädestination verwirklicht. Man er- 
kannte nicht, dass die Durchführung der dönatistischen These 
eine Unmöglichkeit sei, und dass diese Reformkirche immer wieder 
zur hierarchischen werden müsse. 

Die Walde sier bestritten weder den katholischen Kultus 
noch die Sakramente und die hierarchische Verfassung an sich, 
sahen es aber als eine Todsünde an, dass die katholischen Geist- 
lichen die Rechte der Nachfolger der Apostel ausübten, ohne das 
apostolische Leben auf sich ^u nehmen, und protestirten gegen 
die umfangreiche Regierungsgewalt des Papstes und der Bischöfe. 
Die Joachimiten und ein Teil der Minoriten haben mit dem 
gesetzlichen Element das apokalyptische verbunden. Auch hier 
handelte es sich gar nicht um die Sakramentstostalt und das 
Priestertum, sondern auch nur um die Berechtigung der hierar- 
chischen Gliederung, die göttliche Einsetzung des Papstes und 
um die kirchliche Regierungsgewalt, die der Kirche im Namen 
der franciskanischen Anschauung abgesprochen wurde. Die Zu- 
weisung der ganzen Rechtssphäre an den Staat war bei Vielen 
lediglich ein Ausdruck für die Verachtung dieser Sphäre. Die 
Pariser Professoren und ihr nationalliberaler Anhang haben 
die pseudoisidorische und gregorianische EntT^ickelung des Papst- 
tums und der Verfassung an der Wurzel [angegriffen, aber doch 
vor Allem nur das päpstliche Finanzsystem lahm legen und die 
Schäden der Kirche durch einen Episkopalxsmus heilen wollen, 
der angesichts dessen, was die Kirche als romisiehe Macht bereits 
war, als eine Utopie bezeichnet werden" inüss. Wiclif und Hus 
— dieser als kraftvoller Agitator im Sinne Wiclif s, aber ohne 
theologische Selbständigkeit — zeigen die reifste Ausgestaltung 
der Reformbewegungen desMA.: 1) haben sie nachgewiesen, dass 
die kultische und sakramentale Praxis überall durch Menschen- 
satzungen, beschwert. und .verfälflcbt sei (Ablass, Ohrenbeichte, 


304 Entwickeltmg des Dogmas im Abendland. [§ 68. 

absolute Schlüsselgewalt der Priester, manducatio iBfidelium, 
Heiligen-, Bilder-, Reliquiendienst, Privatmessen, Sakramentalien, 
Wiclif auch gegen Transsubstantiation); sie haben Schlichtheit, 
Verständlichkeit (Landessprache) und Geistigkeit des Kultus ver- 
langt; 2) haben sie eine Reform der Hierarchie und der verwelt- 
lichten Bettelorden gefordert; sie müssen alle, der Papst voran, 
zum apostolischen Dienen zurückkehren; der Papst sei nur 
oberster Diener Christi, nicht Statthalter; alle Herrschaft habe 
aufzuhören; 3) haben sie den augustinisch-prädestinatianischen 
Kirchenbegriff, wie Thomas, in den Vordergrund geschoben; aber 
während Thomas, indem er den empirischen mit ihm verband, 
alles Sittliche nur durch das Medium der Sakrameute in den An- 
satz bringt, haben sie, ohne den Sakramenten ihre Bedeutung zu 
nehmen, doch den Gedanken, dass die empirische Kirche das Reich 
sein müsse, in welchem das Gesetz Christi herrscht, zum zen- 
tralen erhoben. Das Gesetz Christi ist die wahre nota ecclesiae, 
lehrten sie; deshalb ist nach diesem Grundsatz auch das Recht des 
Priestertums und die Art der Sakramentsverwaltimg zu Ijestim- 
men. Wiclif bestritt somit das selbständige Recht des Klerus, 
Repräsentation der Kirche und Verwalter der Gnadenmittel zu 
sein, und machte es von der Beobachtung der lex Christi ab- 
hängig. Der „Glaube" wurde auch von Wiclif und Hus über- 
sprungen. Indem sie sich mit aller Kraft gegen die Hierarchie 
wendeten und gegen die objektiv- rechtliche Betrachtung des 
Kirchensystems, setzten sie dem rechtlichen Kirchenbegriff den 
gesetzlichen gegenüber. Die „fides caritate formata" d. h. die 
Gesetzesbeobachtung giebt allein der Kirche die Legitimität. So- 
viel sie zur Verinnerlichung der Anschauung von der Kirche ge- 
leistet — der hierarchische Kirchenbegriff hatte dem ihrigen 
gegenüber doch ein, freilich deteriorirtes, Wahrheitsmoment: dass 
Gott seine Kirche auf Erden baut durch seine Gnade inmitten der 
Sünde, und dass Heiligkeit im religiösen Sinn kein Merkmal ist, 
das an einem gesetzlichen Massstab erkannt werden kann. (Über 
den Kirchenbegriff des Thomas und der Vorreformatoren s. 
JGoTTSCHiCK i. ZKG Bd. VHL) 

§ 68. Zur Geschichte der kirchlichen Wissenschaft. 

Geschichten d. Philos. v. Erdhann, Übkrweq-Heinze , Windelband, 
Stöckl. — FChBaüb, Vorles. üb. DG. 2. Bd. — KWerner, Scholastik d. 
späteren MA. 3 Bde. 1881 ff. — ARitschl, Fides implicita 1890. 

Der hohe Aufschwung der Wissenschaft seit dem Anfang des 


§ 68] Die Scholastik. 305 

13. Jahrh. ist bedingt 1) durch den grossartigen Triumph der 
Kirche und des Papsttums seit Innocenz III., 2) durch die Er- 
hebung der Frömmigkeit seit dem h. Franciskus, 3) durch die 
Erweiterung und Bereicherung der allgemeinen Kultur und die 
Entdeckung des wahren Aristoteles (Kontakt mit dem Orient; 
Yermittelung der griechischen Philosophie durch Araber und 
Juden; der supranaturalistische Avicenna f 1037, der pantheisti- 
sehe Averrhoes f 1 1 98 ; Maimonides' Einwirkung auf Thomas u. A.). 
Die beiden neuen Grossmächte, die Bettelorden und Aristoteles, 
haben sich ihren Platz in der Wissenschaft erst erkämpfen müssen; 
dieser siegte, als man erkannt hatte, dass er gegen einen exzentri- 
schen Realismus, der zum Pantheismus führte, die besten Dienste 
leistete. Der gemilderte Realismus entwickelte sich nun, der die 
üni Versalien „in re" erkannte, aber sie je nach Bedarf auch „ante" 
und „post rem" anzusetzen verstand. 

Die neue Wissenschaft suchte, wie die ältere, alle Dinge durch 
Zurückfahrung auf Gott zu erklären; aber diese Zurückführung 
war gleichbedeutend mit der Unterwerfung aller Erkenntnisse 
unter die Autorität der Kirche. In gewissem Sinn war man im 
13. Jahrh. noch gebundener als früher; denn nicht nur das alte 
Dogma (articuli fidei), sondern das gesammte Gebiet des kirchlichen 
Handelns galt als absolute Autorität, unddie Voraussetzung, dass 
jede Autorität in Einzelfragen soviel wiege wie die ratio, kam nun 
erst zum vollkommensten Ausdruck. Die Bettelordentheologen 
haben den gesammten Bestand des Kirchentums mit seinen 
neuesten Einrichtungen und Lehren „wissenschaftlich" gerecht- 
fertigt, auf einer und derselben Fläche mit dem „credo" und dem 
,,intelligo^* operirend. Anselm hatte erstrebt, auf dem Boden der 
autoritativen Offenbarung ein rationales Gebäude aufzurichten; 
bei den Neueren war die Stilmischung in unbefangenster Weise 
Prinzip. Zwar wurde festgehalten, dass die Theologie eine speku- 
lative Wissenschaft sei, die in der visio dei gipfele; aber so gross 
war das Zutrauen zu der Kirche, dass man den spekulativen Bau 
immerfort mit Sätzen der Autorität aufführte. Doch entwickelte 
sich die Einsicht, dass es eine natürliche und eine geoffenbarte 
Theologie gebe; aber man fasste sie in innigster Harmonie, die 
•eine als Ergänzung und Vollendung der anderen, und man lebte 
der Zuversicht, dass das Ganze doch auch vor dem Forum der Ver- 
nunft haltbar sei. Die Fülle des zu bewältigenden Stoffs war un- 
übersehbar, sowohl nach Seiten der Offenbarung (die ganze Bibel^ 

Gmndriss IV. m. Habnace, Dogmengeachichte. 2. Aufl. 20 


306 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 68. 

die Lehre und Praxis der Kirche) als der Vernunft (Aristoteles), 
Dennoch schritt man von den „Sentenzen" zum System („Sum- 
men") vor: was die Kirche im Leben errungen, die Herrschaft 
über die Welt, sollte sich auch in ihrer Theologie spiegeln. Die 
neue Dogmatik ist die dialektisch-systematische Bearbeitung des 
kirchlichen Dogmas und des kirchlichen Handelns zu dem Z weck^ 
es zu einem alles im höchsten Sinn Wissenswürdige umspannen- 
den, einheitlichen System zu entfalten, es zu beweisen und so alle 
Kräfte des Verstandes und das gesammte Welterkennen der 
Kirche dienstbar zu machen. Mit diesem Zweck ist noch immer 
der andere subjektive verbunden, zu Gott aufzusteigen und ihn 
zu gemessen. Aber die beiden Zwecke fallen nun zusammen: Er- 
kenntniss der Kirchenlehre ist Gotteserkenntniss; denn die Kirche 
ist der gegenwärtige Christus. Dabei waren diese Scholastiker nicht 
Sklavenarbeiter der Kirche — im Gegenteil : bewusst suchten sie nur 
nach Erkenntniss für ihre Seele ; aber sie atmeten nur in der Kirche. 
Der Bau, den sie aufführten, ist zusammengebrochen; aber auch 
ihre Arbeit war ein Fortschritt in der Geschichte der Wissenschaft. 
Das Gesagte gilt von der vorscotistischen Scholastik, vor 
Allem aber von Thomas. Seine „Summa" ist charakterisirt 1) durch 
die Überzeugung, dass Religion und Theologie wesentlich speku- 
lativer (nicht praktischer) Art sind, dass sie also denkend an- 
geeignet werden müssen, und dass schliesslich kein Widerspruch 
entstehen kann zwischen Vernunft und Offenbarung, 2) durch 
strenges Festhalten an der augustinischen Lehre von Gott, der 
Prädestination, der Sünde und Gnade (nur auf den Gottesbegriff 
hat der aristotelische eingewirkt; die strenge Hervorhebung der 
h. Schrift als der einzig sicheren Offenbarung hat Thomas auch 
von Augustin übernommen), 3) durch eine tief eindringende 
Kenntniss des Aristoteles und durch umfangreiche Anwendung 
seiner Philosophie, soweit es der Augustinismus gestattet, 4) durch 
eine kühne Rechtfertigung der höchsten kirchlichen Ansprüche 
vermöge einer genialen Theorie vom Staat und einer wunderbar 
aufmerksamen Beobachtung der empirischen Tendenzen des päpst- 
lichen Kirchen- und Staatssystems. Die weltgeschichtliche Be- 
deutung des Thomas liegt in der Verbindung des Augustin und 
Aristoteles. Als Schüler Jenes ist er ein spekulativer Denker voll 
Zuversicht, und doch finden sich schon bei ihm Keime zur Zer- 
störung der absoluten Theologie. Für das Ganze suchte er noch 
den Eindruck des absolut Giltigen und Bewiesenen aufrecht zu 


§ 68.] Die Scholastik. Thomas. 307 

erhalten; im Einzelnen ist schon Arbiträres und Relatives hier 
und dort an die Stelle des Notwendigen getreten, wie er denn auch 
die articuli fidei nicht mehr, wie Anselm, rein rational deduzirtJ) 
Aber der Kirche war auch mit dem streng Notwendigen nicht 
in jeder Hinsicht gedient. Sie verlangt auch hier, dass ä deux mains 
gespielt wird: sie will eine Theologie, welche die spekulative 
Notwendigkeit ihres Systems darthut, und sie will eine solche, 
welche die blinde Unterwerfung lehrt. Thomas' Theologie allein 
konnte nicht genügen. Hatte sie doch bei aller Kirchlichkeit den 
Grundgedanken nicht verleugnet, dass Gott und die Seele, die 
Seele und Gott Alles ist. Aus dieser augustinisch-areopagitischen 
Haltung wird sich immer jene „Aftermystik" entwickeln, in der 
das Subjekt seine eigenen Wege zu gehen trachtet. Wo ionere 
Überzeugung ist, ist auch Selbständigkeit. Es kam der Kirche zu 
gut, dass die Theologie bald eine andere Richtung nahm. Sie wurde 
skeptisch in Bezug auf das „Allgemeine'^, auf jene „Idee", die 
„Substanz" sein soll. Unter dem fortgesetzten Studium des 
Aristoteles wurde die Kausalität der Hauptbegriff an Stelle der 
Immanenz. Der wissenschaftliche Sinn erstarkte; das Einzelne 
in seiner konkreten Ausprägung gewann das Interesse; der Wille 
regiert die Welt, der Wille Gottes und der Wille des Einzelnen, 
nicht eine unfassliche Substanz oder ein konstruirter Universal- 
intellekt. Die Vernunft erkennt die Kausalitätenreihe und endet 
bei der Einsicht der Willkür und des bloss Kontingenten. Diesen 
ungeheuren Umschwung bezeichnet Duns Scotus, der scharf- 
sinnigste MAliche Denker; aber erst seit Occam ist er vollendet. 


1) Der Aufriss der Summa entspricht dem Grundgedanken: von 
Gott durch Gott zu Gott. Der 1. Teil (119 Quaest.) handelt von Gott 
und dem Ausgang der Dinge aus Gott, der 2. T. 1. Abt. (114 Quaest.) 
von der allgemeinen Moral, der 2. T. 2. Abt. (189 Quaest.) von der 
speziellen Moral unter dem Gesichtspunkt der Eückkehr der vernünftigen 
Kreatur zu Gott, der 3. Teil, den Thomas nicht mehr vollenden konnte, 
von Christus, den Sakramenten und der fischatologie. Das Verfahren in 
jeder einzelnen Quaestio ist ein kontradiktorisches. Es kommen alle 
Gründe, die gegen die richtige Fassung der Lehre sprechen, zum Aus- 
druck („difficultates*^). Im Allgemeinen gilt der Grundsatz, dass das 
ganze System sich auf die Autorität der Offenbarung zu gründen habe; 
„utiiur tarnen sacra doctrina etiam ratione humana, non quidem ad pro- 
handam fidem (quia per hoc tolleretur meritum fidei), sed ad manifestan- 
dum aligua alia, quae traduntur in hac doctrina, Oum enim gratia non 
tollat naturam, sed perficiat, oportet quod natv/ralis ratio subserviat fidei/* 

20* 


308 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 68. 

Die Folge dieses Umschwungs aber war nicht der Protest 
gegen die Kirchenlehre mit ihren absoluten Sätzen oder der Ver- 
such, sie auf ihre Grundlagen zu prüfen, sondern die Steigerung 
der Autorität der Kirche. Ihr schob man zu, was einst ratio 
imd auctoritas im Bunde getragen hatten, nicht als Akt der Ver- 
zweiflung, sondern als selbstyerständlichen Akt des Gehorsams. 
Protestirt hat erst der Socinianismus, die Grundlagen der Lehre 
geprüft der Protestantismus — der nachtridentinische Katholicis- 
mus hat die eingeschlagene Richtung weiter verfolgt: somit ist, 
indem der Nominalismus die Herrschaft antrat, der 
Boden für die spätere dreifaltige Entwickelung der 
Lehre gewonnen. 

Der Nominalismus hat hohe Vorzüge: es ist ihm aufgegangen, 
dass die Religion etwas Anderes ist als Erkenntniss und Philo- 
sophie, während Thomas sich in Unklarheiten bewegte; er kennt 
die Bedeutung des Konkreten gegenüber den Hohlheiten der Ab- 
straktionen (Grundlegung einer neuen Psychologie); er hat den 
Willen erkannt, auch in Gott dieses Moment hervorgehoben, die 
Persönlichkeit Gottes streng betont und somit der neuplatonischen 
Theosophie, die Gott und Weit vermischte, zunächst ein Ende 
bereitet: er hat die Positivität der historischen Religion sicherer 
erfasst — aber er hat mit der Zuversicht zu einem absoluten 
Wissen auch die Zuversicht zur Majestät des Sittengesetzes ein- 
gebüsst, damit den Gottesbegriff entleert und der Willkür preis- 
gegeben, und er hat in das „Positive", unter das er sich beugte, 
die Kirche mitsammt ihrem ganzen Apparat eingerechnet — die 
Gebote des Religiösen und Sittlichen sind arbritär, aber die Ge- 
bote der Kirche sind absolut. Das souveräne Recht der Kasuistik, 
in der Bussdisziplin, aber auch in der Dialektik der Thomisten 
bereits vorbereitet, hat er in der Dogmatik aufgerichtet: Alles iu 
der Offenbarung beruht auf göttlicher Willkür; daher vermag der 
Verstand höchstens das „conveniens" der Anordnungen nach- 
zuweisen. Sofern er aber seine eigene Erkenntniss hat, giebt es 
eine doppelte Wahrheit, die religiöse und die natürliche; jener 
unterwirft man sich, und darin eben besteht das Verdienst des 
Glaubens. In steigendem Masse, selbst vor dem Frivolen nicht 
zurückscheuend, hat der Nominalismus die Sufficienz der „fides 
implicita" bekannt; auch hier freilich hatte er an päpstlichen 
Dekretalen Vorbilder. Hatte doch Innocenz IV. ausdrücklich ge- 
lehrt, für den Laien genüge es, an einen vergeltenden Gott zu 


§ 68.] Der NominalismuB. 309 

glauben, im Übrigen sich der Kirchenlebre zu unterwerfen. Wider- 
sinn und Autorität wurden jetzt der Stempel der religiösen Wahr- 
heit. Indem man sich von der Last spekulativer Ungeheuerlich- 
keiten und täuschender ,, Denknot wendigkeiten ^^ befreite, nahm 
man die furchtbare Last eines Glaubens auf sich, dessen Lihalt 
man selbst für willkürlich und undurchsichtig erklärte, den man 
also nur noch wie eine Uniform zu tragen vermochte. 

Eng verbunden mit dieser Entwickelung war die andere, die 
allmähliche Ausmerzung des Augustinismus und die Zurück- 
führung des römischen, nun durch Aristoteles bestätigten Morahs- 
mus. Das Gewicht der Schuld und die Kraft der Gnade wurden 
relative Grössen. Aus dem Aristoteles lernte man, dass der 
Mensch durch seine Freiheit unabhängig vor Gott stehe, und da 
man Augustinus Lehre von den ersten imd letzten Dingen abgethan 
hatte, so streifte man unter der Hülle seiner Worte auch seine 
Gnadenlehre ab. Alles in der Religion und Ethik wurde nur pro- 
babel, die Erlösung durch Christus selbst unter ganz unsichere 
Kategorien gestellt. Die Grundsätze einer weltbürgerlichen Reli- 
gions- und Sittlichkeitsdiplomatie wurden auf die objektive 
Religion und die subjektive Religiosität angewandt. Die Heilig- 
keit Gottes erlosch: er ist nicht ganz streng, nicht ganz heilig. 
Der Glaube braucht nicht volle Hingabe zu sein, die Busse nicht 
vollkommene Reue, die Liebe nicht vollkommene Liebe. Überall 
genügt ein „gewisses Mass" (Aristoteles), und was fehlt, wird 
durch die Sakramente imd die Kirchlichkeit ergänzt; denn die 
Oflfenbarungsreligion ist geschenkt worden, um den Weg zum 
Himmel zu erleichtem, und die Kirche vermag allein anzugeben, 
welches „Mass" Gott genügt und welche zufälligen Verdienste 
ihn befriedigen. Das ist der „Aristotelismus" oder die „Vernunft" 
der nominalistischen Scholastiker, die Luther gehasst hat. Die 
Jesuiten haben sie in der nachtridentinischen Zeit vollends in der 
Kirche eingebürgert. 

Beim Ausgang des MA., ja schon im 14. Jahrh., rief dieser 
die Religion entleerende Nominalismus grosse Reaktionen hervor, 
blieb aber doch auf den Universitäten herrschend. Nicht nur die 
Theologen des Dominikanerordens widersprachen ihm fort und 
fort, sondern auch ausserhalb des Ordens brach eine augustinische 
Reaktion hervor in Bradwardina, Wiclif, Hus, Wesel, Wessel u. s. w. 
Sie machten gegen den Pelagianismus Front, wenn sie auch den 
Sakramenten, der fides implicita und der Kirchenautorität einen 


310 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§69. 

weiten Spielraum Hessen. Einen gewaltigen Bundesgenossen 
gegen den Nominalismus, der sich durch seine hohle Formalistik 
und Dialektik im 15. Jahrh. geradezu verächtlich machte, gewann 
die augustinische Reaktion an Plato, der damals wieder ans Licht 
gebracht wurde. Ein neuer Geist ging von ihm und der wieder 
entdeckten Antike aus : er suchte die Erkenntniss des Lebendigen 
und damit auch des Wirkhchen und begehrte Ideale, die das 
Subjekt befreien und über die gemeine Welt erheben. Li wilden 
Stürmen kündigte sich dieser neue Geist an und schien anfangs 
die Christenheit mit dem Heidentum zu bedrohen; aber die, welche 
die Renaissance am leuchtendsten vertraten (Nicolaus von Kus, 
Erasmus u. A.), wollten nur das entgeistigte Kirchentum und seine 
nichtige Wissenschaft abthun, aber die Kirche und das Dogma im 
letzten Grunde nicht gefährden. Die wiedergewonnene Zuversicht 
zu der erkennbaren Einheit aller Dinge und der kühne Schwung 
der Phantasie, begeistert durch die Antike und durch die neuen 
Welten, die man entdeckte, sie haben die neue Wissenschaft be- 
gründet. Nicht ist die noniinalistische Wissenschaft durch Reini- 
gung zur exakten geworden, sondern ein neuer Geist fuhr über 
die dürren Blätter der Scholastik und schöpfte Zuversicht und 
Kraft, auch der Natur ihre Geheimnisse abzugewinnen, aus den 
lebendigen, den ganzen Menschen erfassenden Spekulationen 
Plato's und aus dem Umgang mit dem Lebendigen. 

Aber die Theologie hat doch zunächst keinen Vorteil davon 
gehabt. Sie wurde einfach bei Seite geschoben. Auch die christ- 
lichen Humanisten waren keine Theologen, sondern gelehrte Patri- 
stiker mit platonisch-franciskanischen Idealen, im besten Fall 
Augustiner. Zur Kirchenlehre hatte eigentlich Niemand mehr 
Zuversicht; aber durch den Sinn für das Originale, den die 
Renaissance erweckt hatte, wurde eiue neue Theologie vorbereitet. 

§ 69. Die Ausprägung der Dogmatik in der Scholastik« 

In der Scholastik des 13. Jahrh. erlangte die abendländische 
Kirche eine einheitliche, systematische Darstellung ihres Glaubens. 
Voraussetzungen waren 1) die h. Schrift und die Glaubenssätze 
der Konzilien, 2) der Augustinismus, 3) die Entwickelung des 
Kirchentums seit dem 9. Jahrh., 4) die aristotelische Philosophie. 
Der finis theologiae ist noch immer die individuelle Seligkeit im 
Jenseits; aber sofern die Sakramente, die diesem Zwecke dienen, 
als Liebeskräfte das Reich Christi auch auf Erden herstellen, war 


% 69.] Die Bearbeitung der articuli fidei. 311 

(schon seit Augustin) ein zweiter Zweckgedanke in die Theologie 
gekommen: sie ist nicht nur Seelen speise, sondern auch Eccle- 
siastik. Die beiden Zweckgedanken sind aber im Katholicismus 
nie ausgeghchen worden. In ihnen sind die Gnade und das Ver- 
dienst die beiden Zentren der Kurve der MAlichen Auffassung 
vom Christentum. 

Dogmen im strengen Sinn waren nur die alten articuli 'fidei; 
aber seitdem die Transsubstantiation als mit der Inksmation ge- 
geben angeschaut wurde, war im Grunde daB ganze sakramentale 
Systeiu auf die Höhe der absoluten Olaubenslehre gehoben. Die 
Abgrenzung zwischen Dogma und theologischem Lehrsatz wurde 
im Einzelnen ganz unsicher. Niemand konnte mehr angeben, was 
die Kirche eigentlich lehre, imd diese selbst hat sich stets gehütet, 
den Bereich des notwendigen Glaubens abzustecken. 

Die Aufgabe der Scholastik war eine dreifache: 1) die alten 
articuli fidei wissenschaftlich zu bearbeiten und sie in die um das 
Sakrament und das Verdienst gezogene Linie einzustellen, 2) die 
Sakramentslehre auszugestalten, 3) die Prinzipien des kirchlichen 
Handelns mit dem Augustinismus auszugleichen. Diesen Auf- 
gaben hat sie in grossartiger Weise genügt, ist aber dabei in eine 
Spannung mit jener Frömmigkeit geraten, die in steigendem 
Masse in der offiziellen Theologie (der nominalistischen) nicht 
mehr ihren eigenen Ausdruck wiederfand (augustinische Reak- 
tionen) und sie deshalb bei Seite schob. 

A. Die Bearbeitung der überlieferten articuli fidei. 

1. Der augustinisch-areopagitische Gottesbegriff hat anfangs 
die Theologie des MA. beherrscht (Begriff des notwendigen Seins 
aus sich selbst; die Alles determinirende Substanz; virtuelles Sein 
Gottes in der Welt; ontologischer Beweis Anselm's); aber dann 
wurde die pantheistische Gefahr (Amalrich von Bena, David von 
Dinanto) bemerkt. Thomas hat den augustinischen und den 
aristotelischen Gottesbegriff zu verbinden gesucht. Gott ist ab- 
solute Substanz, selbstbewusstes Denken, actus purus; er ist von 
der Welt unterschieden (kosmologischer Beweis). Aber das leb- 
hafteste Interesse hatte doch auch noch Thomas daran, die absolute 
Sufficienz und Notwendigkeit in Gott zu betonen (in Gottes Selbst- 
zweck ist die Welt eingeschlossen); denn nur das Notwendige kann 
sicher erkannt werden; von der sichern Erkenntniss aber hängt 
die Seligkeit ab. Allein Duns bestritt den Begriff eines not- 


312 Entwickelnng des Dogmas im Abendland. [§ 69, 

wendigen Seins ans sich, selbst, warf alle Gottesbeweise über den 
Haufen, leugnete auch, dass der gottliche WiUe unter das Mass 
unserer ethischen „Denkgewohnheiten'^ gestellt werden konne^ 
und fasste Gott lediglich als freien Willen mit unergründlichen 
Motiven resp. ohne dieselben (Willkur). Occam stellte auch den 
Begriff des primum movens immobile in Abrede und erklärte den 
Monotheismus nur für probabilior als den Polytheismus. Der 
Gegensatz von Thomisten und Scotisten ist durch die verschiedene 
Vorstellung von der Stellung des Menschen zu Gott bestimmt. 
Jene sahen sie als Abhängigkeit an und erkannten in dem 
Guten das Wesen Gottes (Gott will etwas, weil es gut ist); diese 
trennten Gott und Kreatur, fassten die letztere als selbständig,, 
aber als gottlichen Geboten verpflichtet, die aus der Willkür 
Gottes stammen (etwas ist gut, weil Gott es will). Dort Präde- 
stination, hier Willkür. Die Theologie führte den Satz „pater in 
filio revelatus" wohl im Munde, aber achtete ihn nicht. 

2. Die Ausbildung der Trinitätslehre gehorte, nacbdem 
tritheistische (RosceUin) und modalistische (Abälard) Versuche 
abgewiesen waren, ganz der gelehrten Arbeit an. Der Thomismu» 
musste notwendig die Neigung zum Modalismus behalten (Ver- 
selbständigung der divina esseutia und daher Quatemität wurde 
selbst dem Lombarden vorgeworfen), während die scotistische 
Schule die Personen scharf auseinanderhielt. In subtilen Unter- 
suchungen wurde die Trinität ein Schulproblem. Die Behandlung 
bezeugte es, dass der Glaube des Abendlandes nicht in dieser über- 
lieferten Lehre lebte. 

3. Bei Thomas finden sich noch Reste der pantheistischen 
Denkweise (Schöpfung als Aktualisirung der gottlichen Ideen; 
Alles was ist, besteht nur participatione dei; divina bonitas est 
finis rerum omnium, also kein selbständiger Weltzweck); aber 
doch hat schon er durch Einführung der aristotelischen Gedanken 
die Trennung von Gott und Kreatur wesentlich vollzogen und 
den reinen Schöpfungsgedanken herzustellen versucht. In dem 
Streit über den Anfang der Welt spiegelten sich die Gegensätze. 
In der scotistischen Schule ist der Selbstzweck Gottes und der 
Zweck der Kreaturen scharf geschieden worden. Das unermess- 
liche Heer von Fragen über die Weltleitung, die Theodicee u. s. w., 
die die Scholastik wieder aufwarf, gehört der Geschichte der 
Theologie an. Thomas nahm an, dass Gott alle Dinge immediate 
leite und auch die corruptiones rerum „quasi per accidens" bewirke 


§ 69.] Die Bearbeitung der articnli fidei. s 313 

* — 

(Origenes, Augustin)-, die Scotisten wollten nur von einer mittel- 
baren Leitung etwas wissen und bestritten die neuplatoniscbe 
Lehre vom malum im Literesse Gottes und der Selbständigkeit 
des Menschen. 

4. Mit einer „nota" gegen den ,,Nihilianismus" des Lom- 
barden, der in Abrede stellte, dass Gott durch die Menschwerdung 
etwas geworden ist, ist die Zweinaturenlehre zu den grossen 
Scholastikern gekommen. Die Fassung des Joh. Damascenus war 
die vorgeschriebene; aber die hypostatische Union wurde wie 
ein Schulproblem behandelt. Die Thomisten fassten das Mensch- 
liche als Passives und Accidentelles und setzten im Grunde die 
monophysitische Anschauung fort; Duns suchte die Menschheit 
Christi zu retten, dem menschlichen Erkennen Christi gewisse 
Grenzen zu stecken und auch der menschlichen individuellen 
Natur Christi Existenz beizulegen. Aber auf diesem Gebiet 
blieb der Thomismus siegreich. Praktisch machte man frei- 
lich nur im Abendmahlsdogma von dem cbristologischen Dogma 
Gebrauch, welches die späteste Scholastik (Occam) als notwendig 
und vernünftig völlig auflöste (Gott hätte auch die natura asinina 
annehmen und uns so erretten können). Die Lehre vom Werke 
Christi wurzelte eben nicht in der Zweinaturenlehre, sondern in 
dem Gedanken des Verdienstes des sündlosen Menschen Jesus, 
dessen Leben göttlichen Wert hat (Christus paasus est secundum 
carnem). Daneben wurde auch wieder der Gedanke der satisfactio 
(Halesius, Albertus) hervorgeholt. Thomas hat ihn bearbeitet, 
aber die Erlösung durch den Tod Christi nur für den schick- 
lichsten Weg erklärt. Dieser Tod ist es, weil sich in ihm die 
Summe aller denkbaren Leiden darstellt; er führt uns die Liebe 
Gottes zu Gemüt, wird uns ein Beispiel, ruft uns von der Sünde 
ab und erweckt als Motiv die Gegenliebe. Neben diesem Sub- 
jektiven betont Thomas auch das Objektive: hätte uns Gott sola 
voluntate erlöst, so hätte er uns nicht so viel zuwenden können; 
der Tod hat uns nicht nur die Freiheit von der Schuld, sondern 
auch die gratia iustificans und die gloria beatitudinis erworben. 
Ausserdem werden alle möglichen Gesichtspunkte beigebracht, 
unter denen der Tod Christi betrachtet werden kann. Als satis- 
factio ist er super abundans; denn für alle Satisfaktion gilt die 
Regel, dass der Beleidigte die in ihr geschenkte Gabe mehr liebt, 
als er die Beleidigung hasst (sacrificium acceptissimum). Dieser 
scheinbar richtige und würdige Gedanke wurde Verhängnis s voll; 


314 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 69. 

offenbar verkennt auch Thomas das Strafleiden und damit den 
vollen Emsl der Sünde. In der Lehre vom Verdienst soll die 
Wirklichkeit (nicht Uoss die Möglichkeit) imserer Versöhnung 
durch den Tod Christi zum Ausdruck kommen. Mit Zurück- 
schiebung der Zweinaturenlehre wird der Anselm'sche Gedanke 
weiter ausgeführt, dass das durch das freiwüli^je Leiden gewon- 
nene Verdienst vom Haupte auf die Glieder übergeht: yyCmimä et 
memhra sunt quasi una persona mystica, et ideo satisfactio Christi 
ad omncs fideles pertinet, sicut ad sua membraJ^ Doch wird sofort 
der Begriff des Glaubens durch den der Liebe ersetzt: ,yfides, per 
quam a peccato mundamur^ non est fides informis, quae potest esse 
etiam cumppccatOy sed est fides formataper caritatem}^ Thomas hat 
zwischen der hypothetischen und der notwendigen, der objektiven 
(möglichen) und subjektiven (wirklichen), der rationalen und 
irrationalen Erlösung geschwankt. Duns zog die Konsequenz der 
Satisfaktionstheorie, indem er Alles auf die willkürliche „accep- 
tatio'^ Gottes zurückführte. Die arbiträre Schätzung des Em- 
pfängers giebt der Satisfaktion ihren Wert, wie auch sie allein 
die Grösse der Beleidigung bestimmt. Der Tod Christi gilt soviel, 
als Gott ihn gelten liess; jedenfalls ist die Vorstellung von „Un- 
endlichem" abzuweisen; denn weder kann die Sünde endlicher 
Menschen, noch der Tod eines endlichen Menschen unendliches 
Gewicht haben; auch ist ein unendliches Verdienst ganz unnötig, 
da der souveräne Wille Gottes deklarirt, was vor ihm gut und 
verdienstlich ist. Deshalb hätte uns auch ein purus homo erlösen 
können; denn es bedurfte ja nur des ersten Anstosses; das Übrige 
muss doch der selbständige Mensch leisten. Duns bemüht sich 
zwar noch zu zeigen, dass der Tod Christi „schicklich" gewesen 
sei; aber dieser Nachweis hat keine rechte Bedeutung mehr: 
Christus ist gestorben, weil Gott es so gewollt hat. Alles „Not- 
wendige" und „Unendliche", welches hier doch Ausdruck für das 
Göttliche ist, ist weggeräumt. Die prädestinirende Willkür 
Gottes und die Werkgerechtigkeit regieren die Dogmatik. Duns 
hat in ^^'ahrheit die Erlösungslehre bereits zersetzt und die Gott- 
heit Christi aufgehoben. Nur die Kirchenautorität hält sie in 
Geltung; fällt sie, so ist der Socinianismus da. Unter An- 
erkennung jener Autorität sind nominalistische Theologen in 
ihrer Dialektik bis zum Frivolen und Blasphemischen vorge- 
schritten. Doch stellte sich im 15. Jahrh. im Zusammenhang mit 
dem Augustinismus bei Gerson, Wessel, selbst bei Biel u. A. 


% 70.] Die scholastische Sakramentslehre. 315 

wieder eine ernstere Auffassung ein, und die bernhardinische Be- 
trachtung des leidenden Christus ist im MA. nie untergegangen. 

§ 70. Fortsetzung. 
B. Die scholastische Sakramentslehre. 

HLHahn, L. y. d. Sakramenten 1864. 

Die Unsicherheiten und Freiheiten der Scholastik in der 
Lehre vom Werk Christi erklären sich aus der Sicherheit, mit 
der sie in den Sakramenten das Heilsgut als ein gegenwärtiges 
betrachtete. Der Glaube und die Theologie lebten in den 
Sakramenten. Die augustinische Lehre wurde hier materiell 
und formell ausgebildet, jedoch das „verbum" noch mehr hinter 
das „sacramentum^^ zurückgeschoben; denn da neben der Er- 
weckung von Glaube und Liebe als Gnade doch die alte Defini- 
tion galt: „gratla nihil est aliud quam participata similitudo divinae 
naturae", so war im Grunde keine andere Form der Gnade 
denkbar als die magisch -sakramentale. 

Die Sakramentslehre hat sich lange Zeit unter der Schwierig- 
keit entwickelt, dass die Zahl der Sakramente nicht feststand. 
Neben Taufe und Abendmahl gab es eine unbestimmte Menge 
h. Handlungen (vgl. noch Bernhard). Abälard und Hugo von 
St. Victor hoben die Konfirmation, Ölung und Ehe hervor (Fünf- 
zahl), Robert Pullus Konfirmation, Beichte und Ordination. Aus 
«iner Kombination ist, vielleicht im Kampf gegen die Katharer, 
die Siebenzahl entstanden (Sentenzenbuch ßoland's), die der Lom- 
barde als eine „Ansicht'^ vorgetragen hat. Noch auf den Kon- 
zilien 1179 und 1215 hat sich die Zahl nicht durchgesetzt. Erst 
die grossen Scholastiker haben sie zu Ehren gebracht, und erst 
zu Florenz 1439 erfolgte eine sichere kirchliche Erklärung 
(Eugen IV., Bulle Exultate deo). Jedoch ist eine völlige Gleich- 
fitellung der sieben Sakramente nicht beabsichtigt (die Taufe und 
besonders das Abendmahl bleiben bevorzugt). Das „conveniens" 
der Siebenzahl und der Organismus der Sakramente, wie er das 
ganze Leben der Einzelnen und der Kirche umspannt, wurde aus- 
führlich dargestellt. In der That ist die Schöpfung gerade dieser 
sieben Sakramente ein Meisterstück einer vielleicht imbewussten 
Politik 

Hugo hat die technische Bearbeitung der Lehre begonnen 
mit Beibehaltung der augustinischen Unterscheidung von sacra- 
mentum und res sacramenti und starker Betonung der physisch- 


316 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 7(K 

geistlichen Gabe, die wirklieh eingeschlossen ist. Ihm folgend 
hat der Lombarde (IV, 1 B) definirt: jßacramenttim proprio dicitur, 
quod ita Signum est gratiac dei et invisibilis gratiae forma, ut ima- 
ginem ipsUcs gerat et causa existat Non ergo significandi tantum 
gratia sacramenta wstituta sunt, scd etiam sanctificandi (significandi 
gratia sind die ATlichen Einrichtungen getroflfen)/^ Doch sagt 
er nicht, dass die Sakramente die Gnade enthalten (Hugo), son- 
dern ursächlich bewirken; auch fordert er nur ein signum als 
Grundlage, nicht wie Hugo ein corporale elementum. Thomas 
mildert auch das „continent" Hugo's ab, ja er geht noch weiter- 
Zwar wirkt Gott nicht „adhibitis sacramentis^^ (Bernhard), aber 
doch nur „per aliquem modum" bewirken sie die Gnade. Gott 
selbst wirkt sie; die Sakramente sind causae instrumentales, sie^ 
tragen die Wirkung hinüber a primo movente. Sie sind also 
causa et signa; so sei das Wort: y,efficiunt quod figurani^^ zu 
verstehen. Doch ist in den Sakramenten eine virtus ad indu- 
cendum sacramentalem effectum vorhanden. In der Folgezeit 
wurde das Verhältniss von Sakramenten und Gnade vollständige 
gelockert. Jene begleitet diese nur; denn lediglich die Willkür 
Gottes hat sie zusammengeschlossen (Duns) kraft eines „pactum 
cum ecclesia initum". So erscheint die nominalistische Auffassung- 
minder magisch imd hat die Sakramentslehre der „Vorreforma- 
toren" und Zwingli's durch den Protest gegen das „continent^^ 
vorbereitet; aber nicht aus dem Interesse für das „Wort" und 
den Glauben ist diese Wendung entstanden, sondern, wie be- 
merkt, aus dem eigentümlichen Gottesbegriflf. Die offizielle Lehre 
blieb bei Thomas stehen, resp. kehrte zu dem ,,figurantj continent 
et confcrnni^^ (Florentiner Konzil) zurück. Dabei gilt, dass die 
Sakramente im unterschied von den ATlichen, bei denen der 
Glaube („opus operantis") nötig war, „ex opere operato" wirken 
(so schon der Lombarde), d. h. der Ejffekt fliesst aus der Hand- 
lung als solcher. Der Versuch der Scotisten, ATliche Sakramente 
den NTlichen gleich zu stellen, wurde abgelehnt. 

Im Einzelnen sind folgende Pimkte der thomistischen Lehre 
noch besonders wichtig: 1) In genere sind die Sakramente über- 
haupt zum Heil notwendig, in specie gilt das im strengsten Sinn 
nur von der Taufe (sonst gilt die Regel: „won defectns scd con- 
iemptus damnni^^. 2) In genere müssen die Sakramente einen 
dreifachen Effekt haben, einen signifikativen (sacramentum), einen 
präparatorischen (sacramentum et res) und einen heilsmässigen 


^ 70.] Die scholastische Sakramentslehre. 317 

^res sacramenti); in specie aber lässt sich der präparatorische 
Effekt, der Charakter, nur bei der Taufe, der Firmung und 
•dem Ordo nachweisen. Durch sie wird der „character Christi" 
ak Befähigung zur receptio et traditio cultus dei der Potenz der 
Seele indelebiliter und daher nicht wiederholbar eingepflanzt 
{gleichsam eine Abstempelung), 3) bei der genauen Erörterung 
•der Frage „quid sit sacramentum^^ wird bestimmt, dass es nicht 
nur ein heiliges, sondern auch ein heiligmachendes Zeichen ist, 
lind zwar ist die Ursache der Heihgung das Leiden Christi, die 
Form besteht in der mitgeteilten Gnade und den Tugenden, und 
•der Zweck ist das ewige Leben. Das Sakrament muss stets eine 
res sensibilis a deo determinata sein (Materie des Sakraments), 
und es ist „sehr angemessen^', dass auch „Worte" dabei sind, „qui- 
bus verho incarnato quodammodo conformantur^\ Diese verba a deo 
<leterminata (Form des Sakraments) müssen genau beobachtet 
werden; auch ein unabsichtlicher lapsus linguae lässt das Sakra- 
ment nicht perfekt werden; selbstverständlich wird es aufgehoben, 
ivenn einer das nicht zu thun beabsichtigt^ was die Kirche thut, 
4) die Notwendigkeit der Sakramente wird daraus erwiesen, dass 
sie „quodammodo applicant passionem Christi liominibus^^, sofern 
«ie „congrna gratiae pracsentialiter denionstrandae sunt^', 5) bei 
'dem Effekt (character und gratia) wird erörtert, dass im Sakra- 
ment zu der allgemeinen gratia yirtutum et donorum noch hinzu- 
tritt „quoddam divinum auxilium ad consequendum sacramenti 
finem^'^ sowohl in verbis als in rebus sei eine instrumentalis virtus 
ad inducendam gratiam enthalten. Bei der Bestimmung des Yer- 
Mltnisses der sakramentalen Gnade zur passio Christi tritt deut- 
lich herror, dass die katholische Sakramentslehre nichts Anderes 
ist als eine Verdoppelung der Erlösung durch Christus. Da man 
die Gnade physisch fasste, diese physische Gnade aber nicht direkt 
an den Tod Christi anknüpfen, resp. von ihm ableiten konnte, so 
musste Gott dem Erlöser ausser dem instrumentum coniunctum 
(Jesus) noch ein weiteres instrumentum separatura (die Sakra- 
mente) zugeordnet werden. (Kann man dagegen solch' ein Ver- 
ständniss des Lebens und des Todes Christi gewinnen, dass dieses 
selbst als die Gnade und das Sakrament erscheint, so ist die Ver- 
doppelung unnütz und schädlich), G) bei der Bestimmung der 
causa sacramentorum wird durchgeführt, dass Gott der Urheber, 
der Priester aber als minister „causa instrumentalis*^ ist. Alles, 
was de necessitate sacramenti ist (also nicht die Priestergebete etc.). 


318 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 70. 

muss von Christus selbst eingesetzt sein (Appell an die Tradition, 
während noch Hugo und der Lombarde einige Sakramente von den 
Aposteln ableiteten; dies hat sich bei Einigen bis zum 16. Jahrh. 
erhalten; die Apostel können nicht institutores sacramenti im 
strengen Sinne gewesen sein; auch Christus als Mensch kam 
nur die potestas ministerii principalis seu excellentiae zu; er 
wirkt meritorie et efficienter und hätte diese ausserordentliche 
potestas ministerii auch übertragen können, was er indess nicht 
gethan hat); auch schlechte Priester können die Sakramente giltig 
verwalten; sie brauchen nur die intentio, nicht die fides; aber sie 
ziehen sich eine Todsünde zu. Selbst die Häretiker können das 
sacramentum überliefern, aber nicht die res sacramenti. 

Diese Lehren des Thomas lassen die Bücksicht auf den Glau- 
ben vermissen und gehen über die Frage nach den Bedingungen 
des heilsamen Empfangs schnell hinweg. Diese Frage wurde 
bei den Nominalisten neben der Frage nach dem Verhältniss von 
Gnade und Sakrament (s. o.) und nach dem minister bei jedem 
einzelnen Sakrament die wichtigste, und sie entschieden sie so, 
dass sie den Faktor des Verdienstes über den des Sakra- 
ments und der Gnade übergreifen Hessen, zugleich aber 
die Bedingungen für das Verdienst laxer fassten und das opus 
operatum stärker betonten. Im Grunde lösten sie den ganzen 
Thomismus auf. Sie wollten auch hier die Lehre geistiger und 
ethischer fassen; in Wahrheit verfielen sie in eine schimpfliche 
Kasuistik und leisteten der Werkgerechtigkeit und der Sakra- 
mentsmagie zugleich Vorschub. Dass irgend eine Disposition 
zum heilsamen Empfang gehöre, nahmen Alle an, aber worin 
sie bestehe und welchen Wert sie habe, war die Frage. Die Einen 
sahen in ihr keine positive Bedingung der sakramentalen Gnade, 
sondern nur die conditio sine qua non, fassten sie also nicht als 
Würdigkeit und erklärten daher rund, die Sakramente wirken 
nur ex opere operato (die Disposition ist notwendig, aber hat 
keine kausative Bedeutung). Die Anderen — sie waren nicht 
zahlreich — erklärten, die Sakramente können nur dann Gnade 
vermitteln, wenn innere Reue und Glaube vorhanden seien, diese 
aber würden als interiores motus von Gott gewirkt, so dass keine 
Rechtfertigung ex opere operante anzunehmen sei; die Sakramente 
deklariren bloss die innere Gottesthat (Anbahnung des reforma- 
torischen Standpunkts). Die Dritten, welche die Oberhand ge- 
wannen, lehrten, dass die heilsame Gnade ein Produkt des Sakra- 


§ 70] Die ßcholaßtische Sakramentslelire. 319 

ments und des reuevollen Glaubens sei, so dass das Sakrament 
selbst nur über den toten Punkt erhebt, um dann sofort mit der 
innern Disposition zu kooperiren. Hier erst wurde die Frage 
wichtig, wie denn die Disposition (Reue und Glaube) beschaffen 
sein müsse, um das Sakrament zur Wirkung kommen zu lassen» 
Zunächst wurde mit Augustin geantwortet, der Empfänger dürfe 
nicht yfObicem contrariae cngitationis opponere^'. Die älteren Theo- 
logen hatten hieraus gefolgert, dass ein bonus motus interior vor- 
handen sein müsse, freilich diesen auch schon als Verdienst 
gefasst; denn ein Minimum von Verdienst (gegen Augustin) muss 
doch immer da sein, wenn Gnade erteilt werden soll. Duns und 
seine Schüler lehrten aber — eine heillose Korruption eines rich- 
tigen Gedankens — , dass darin eben die Herrlichkeit der NTlichen 
Sakramente bestehe, dass sie nicht wie die früheren einen bonus 
motus als Voraussetzung fordern, vielmehr nur das Fehlen eines 
motus contrarius malus (Verachtung des Sakraments, positiver 
Unglaube). Ohne Sakrament kann Gnade nur wirksam sein, wo 
irgend welche Würdigkeit vorhanden ist, die sakramentale Gnade 
aber wirkt auch dort, wo tabula rasa ist (als ob es eine solche 
gäbe!); dort ist ein meritum de congruo erforderlich, hier ,,solum 
requiritur opus exterius citm amotione interioris impedimenti^^, Ist 
aber dieses eingetreten, so wird die blosse gehorsame Unter- 
stellung unter den Vollzug des Sakraments für den Empfanger zu 
einem meritum de congruo, und damit beginnt der Heilsprozess, 
der, indem sich die sakramentalen Kollationen steigern, schliess- 
lich zu Ende geführt werden kann, ohne dass das Subjekt je die 
Grenze des meritum de congruo d. h. eines gewissen Verdienstes, 
welches ohne wirklichen innern Glauben und Liebe bestehen 
kann, überschreitet. Die sakramentale Gnade verwandelt ex opere 
operato die attritio zur contritio und ergänzt somit die mangel- 
haften Verdienste zu vollkommenen. Auf der Leiter der durch 
die Sakramente immerfort ergänzten ganz nichtigen, ja irreligiösen 
innern Regungen (Furcht vor Strafe, Höllenangst, kraftlose Un- 
zufriedenheit mit sich selbst) steigt die Seele zu Gott empor: 
„attritio superveniente sacramento virtute clavium efßcitur sufficiens^^. 
Hier ist die Sakramentslehre der schlimmsten Form einer pela- 
gianischen Justifikationslehre (s. u.) untergeordnet. 

Die einzelnen Sakramente. 1. Die Taufe (JVfaterie: 
Wasser, Form: die Einsetzungsworte). Sie bezieht sich auf die 
Erbsünde. Die Taufe tilgt die Schuld derselben imd aller bisher 


320 Entwickelunpf des Dogmas im Abendland. [§ 70. 

begangenen Thatsünden, erlässt die Strafe (doch nicht irdische 
Strafübel) und ordnet die Konkupiscenz, d. h. es wird der Begriff 
einer unschuldigen Konkupiscenz zugelassen (keine religiöse Be- 
trachtung) und behauptet, dass die Taufe den Menschen in den 
Stand setzt, die Konkupiscenz in Schranken zu halten. Die posi- 
tive Wirkung der Taufe wird unter den Titel „regeneratio" gesetzt, 
ohne dass dieser BegriflF von der Unklarheit und Bedeutungslosig- 
keit befreit wird, die er bei den KW. besass. In thesi behauptete 
man, die positive Gnade der Taufe sei perfectissima und auch die 
Kinder erhielten sie (Sakr. der Rechtfertigung im vollen Sinn); 
aber faktisch konnte man sie doch nur als Initiationssakrament 
fassen und nur in diesem Sinne die Vollkommenheit der Kinder- 
taufe (Glaube der Kirche oder der Paten als vikarirend) festhalten : 
die Taufe begründet den Rechtfertigungsprozess nur in habitu, 
nicht in actu. — Taufen kann im Notfall auch ein Diakon, ja 
ein Laie. Ausführliche Erörterung über die Sakramentalien bei 
der Taufe. 

2. Die Firmung (Materie: das vom Bischof geweihte 
Chrisma, Form: consigno te etc.). Effekt dieses, wie die Taufe, 
nicht wiederholbaren Sakraments ist die Kraft (robur) zum 
Wachstum, die Stärke zum Kampf, im Rechtfertigungsprozess 
die gratia gratum faciens. Nur der Bischof kann es erteilen; als 
Sakrament der bischöflichen Hierarchie hat es neben dem ordo 
seine Bedeutung erlangt; diese liegt im Grunde doch nur im 
„Charakter". Zweifel an dem Sakramente sind im MA. nie 
erloschen (Wiclif). Von Thomas ab ist es sehr nahe an die Gewalt 
des Papstes herangerückt worden, da es sich auf den mystischen 
Leib Christi (die Kirche) in besonderer Weise bezieht (nicht auf 
den sakramentalen Leib), und somit die Jurisdiktionsgewalt in 
Betracht kommt. 

3. Die Eucharistie (Materie: die Elemente, Form: die Ein- 
setzungsworte). Die thomistische Lehre ist hier gegenüber den 
Versuchen der Nominalisten, die Transsubstantiationslehre zu 
lockern, zu vollem Sieg gekommen; aber auch der „häretische^* 
Widerspruch gegen diese Lehre hat im MA. nach dem Lateran- 
konzil (s. o. S. 288) nie aufgehört. Der Realismus ist die Voraus- 
setzung der orthodoxen Theorie; ohne ihn fällt sie zusammen. 
Alles Hohe ist vom Abendmahl ausgesagt worden, aber der Glaube, 
der Gewissheit sucht, ging leer aus, und schliesslich ist doch das 
Busssakrament dem Abendmahl als Sakrament und als Opfer weit 


§ 70.] Taufe, Firmung, Eucharistie. 321 

überlegen: die Messen sind ein geringes Mittel, und die geistliche 
Speise tilgt keine Todsünden. Das grosse theologische Problem 
war die Transsubstantiation selbst, und bei der Grösse desselben 
übersah man die Geringfügigkeit der Wirkung. Thomas hat die 
Lehre von der Art der Gegenwart des Leibes Christi im Sakrament 
ausgebildet (keine Neuschöpfung, keine assumptio elementorum, 
so dass sie Leib werden, keine Konsubstanzialität); die Substanz 
der Elemente schwindet vollkommen, aber nicht per annihilatio- 
nem, sondern per con versionem ; die Existenz der übrigbleibenden 
substanzlosen Accidentien der Elemente wird durch direktes 
Gottes wirken ermöglicht; der Leib Christi tritt ein und zwar totus 
in toto; in jeder Spezies ist der ganze Christus und zwar per con- 
comitantiam nach Leib und Seele sowie nach seiner Gottheit vom 
Moment der Rezitation der Einsetzungsworte an (also auch extra 
usum) ; die Gegenwart Christi in den Elementen ist keine dimen- 
sionale; aber wie sie zu denken ist, wurde ein Hauptproblem, bei 
welchem Thomas und die nominalistischen Nachfolger absurde 
nnd scharfsinnige Raumtheorien aufgeboten haben. Diese kamen 
dabei entweder der Ansicht von der Vernichtung der elementaren 
Substanz (Duns) oder der Konsubstanzialität und Impanation sehr 
nahe (Occam); auf letztere gerieten sie, weil ihre Metaphysik über- 
haupt nur die Vorstellung zuliess, dass Göttliches und Kreatür- 
liches sichkrait göttlicher Anordnung begleiten (ähnlich Wesel 
und, anders motivirt, Luther). Die Folgen der Ausbildung der 
Transsubstantiationslehre waren 1) Aufhören der Kinderkommu- 
nion (dieses hat auch noch andere Ursachen), 2) Steigerung des An- 
sehens der Priester, 3) Kelchentziehung (zu Konstanz fixirt), 
4) Adoration der erhobenen Hostie (Fronleichnamsfest 1264. 
1311). Gegen die beiden letzten Folgerungen erhob sich im 
14. und 1 5. Jahrh. ein bedeutender Widerspruch. — In Bezug auf 
die Vorstellung des Abendmahls als Opfer ist noch der Lombarde 
von dem altkirchlichen Motiv der recordatio bestimmt gewesen; 
allein die durch Gregor I. bestärkte Vorstellung von der Wieder- 
holung des Opfertodes Christi drang immer mehr durch (Hugo, 
Albertus; Thomas rechtfertigt die Theorie eigentlich nur durch 
die Praxis der Kirche) und modifizirte auch den Messkanon (La- 
terankonzil 1215). Der Priester galt als sacerdos corporis Christi. 
Die Angriffe Wiclif s u. A. auf diese ganz unbiblische Betrachtung 
verhallten; im 14. und 15. Jahrh. kämpfte man eigentlich nur 
noch gegen den abusus. 

Grutidrisa IV. in. Habnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 21 


322 Entwickelang des Dogmas im Abendland. [§ 70. 

4. Die Busse ("grosse Kontroverse über die Materie, da keine 
res corporalis vorhanden) ist im Grunde das Hauptsakrament, 
weil sie allein die verlorene Taufgnade ersetzt. Die Theorie blieb 
der hierarchischen Praxis gegenüber, die in der pseudoaugustini- 
schen Schrift de vera et falsa paenitentia zum Ausdruck gekommen 
war, noch lange spröde. Der Lombarde hat noch die wahrhaftige 
Beue des Christen an sich für sakramental gehalten und die 
priesterliche Absolution als eine bloss deklarative betrachtet (als 
kirchlichen Akt) •, denn Gott allein vergiebt Sünden. Hugo und 
das Laterankonzil v. 1215 haben Thomas vorgearbeitet. Dieser 
hat die Materie des Sakraments in den sichtbaren Handlungen des 
Pänitenten, die Form in den Absolutionsworten des Priesters er- 
kannt, diesen als autorisirten minister für den Spender in 
vollem Sinne erklärt und die Notwendigkeit der sakramentalen 
Busse (vor dem Priester) durch den perversen Satz begründet: 
^fix quo aliqiiis peccatum (Todsünde) incurrity Caritas, fides et mise- 
ricordia non liherant hominem a peccato sine paenitentia^^. Er hat 
aber hinzugefügt, dass die sakramentale Absolution nicht sofort 
mit der Schuld der Todsünde auch den reatus totius poenae weg- 
nehme, sondern dieser erst schwinde .yCompletis omnilms paxmiten- 
iiae actihis^^. Die drei partes paenitentiae — schon vom Lom- 
barden als contritio cordis, confessio oris, satisfactio operis 
formulirt — galten ursprünglich nicht als gleichwertig. Die 
innere, vollkommene Reue galt als res und sacramentum und be- 
herrscht noch beim Lombarden und Thomas die ganze Vorstellung. 
Allein schon Alexander Halesius und Bonaventura meinten, dass 
Gott eben durch das Sakrament den Weg zum Heil erleichtert 
habe, und unterschieden contritio und attritio (timor servilis), die 
letztere für genügend erklärend, um das Sakrament zu empfangen. 
Trotz der stillschweigenden Ablehnung durch Thomas setzte sich 
diese Ansicht immer mehr durch: das Sakrament selbst vervoll- 
kommnet die halbe Reue durch die infusio gratiae. Die attritio, 
die Galgenreue, ist das Gift der Kirchenlehre im 14. u. 15. Jahrb. 
geworden (Johann von Paltz, Petrus de Palude u. A; Dieck- 
HOFF, Der Ablassstreit 1886); das Tridentinum hat sie bedingt 
gebilligt. Man wusste wohl, dass die attritio oft aus unsitt- 
lichen Motiven entspringt und baute doch aus ihr und dem 
Sakrament die Leiter zum Himmel. — Der Theologe der con- 
fessio oris ist Thomas; er hat die Verpflichtung zu ihr unter 
das ins divinum gestellt, den umfang der neuen Anordnung zuerst 


§ 70] Das Sakrament der Busse. 323 

genau angegeben und das alleinige Recht der Geistlichen, Beichte 
zu hören, aus dem ministerium super corpus Christi verum ab- 
geleitet (im Notfall soll man vor einem Laien beichten; solche 
Beichte ist aber nach Thomas nicht mehr sakramental). Die Sco- 
tisten haben dies Alles wesentlich acceptirt. Das alleinige Recht 
des Priesters zu absolviren ist auch erst von Thomas streng 
durchgeführt. Doch wirkt in dies Sakrament die Jurisdiktions- 
gewalt hinein (Reservatfälle für den Papst). Nach den Scotisten 
bewegt der Priester in der Absolution Gott nur zur Erfüllung 
seines Vertrages, nach Thomas handelt er aus der überlieferten 
potestas ministerii selbständig. — Bei der Auferlegung der satis- 
f actio wirkt der Priester als medicus peritus et iudex aequus. 
Die Praxis ist alt, dieMechanisirungund theoretische Schätzung 
(neben der contritio als Teil der Busse) verhältnissmässig jung. 
Die Idee ist jetzt diese, dass die satisfactio als Bestandteil des 
Sakraments die notwendige Offenbarung der Reue in solchen 
Werken ist, die geeignet sind, dem beleidigten Gott eine gewisse 
Genugthuung zu gewähren und dadurch die Veranlassung zur 
Abkürzung der zeitlichen Strafen werden. In der Taufe vergiebt 
Gott ohne jede Genugthuung, aber von dem Getauften verlangt 
er eine gewisse Genugthuung, die dann, als Verdienst, dem, der 
sie leistet, zu gute kommt. Auch vermag sie der Getaufte wirk- 
lich zu leisten, sie dient ferner zu seiner Besserung und schützt 
ihn vor Sünden. Wertvoll sind nur solche Leistungen, die im 
Stande der Gnade (in caritate, also nach der Absolution) ge- 
schehen; allein einen gewissen Wert haben auch die Werke (Ge- 
bet, Fasten, Almosen) derer, die nicht in caritate sind. So be- 
herrschten schliesslich attritio und unvollkommene verdienstliche 
Werke das ganze Gebiet der Busse, d. h. des kirchlichen Lebens. 
Aber die Scholastiker nahmen auch aus der Praxis die Vorstel- 
lung von der Vertauschung der Satisfaktionen und der Stellver- 
tretung der Personen auf, Dies führte zur Lehre von den Ablässen. 
(EBratke, Luther's 95 Thesen 1884. JSchneidekFBeringer, 
Die Ablässe. 9. Aufl. 1887.) Der Ablass knüpft an die satisfactio 
resp. auch an die attritio an. In der Theorie hat er mit dem reatus 
culpae et poenae aeternae nichts zu thun; in der Praxis wurde er 
doch nicht selten mit ihm in Verbindung gebracht Tselbst das 
Tridentiner Konzil hat hier Missbräuche beklagt). Der Ablass 
ruht auf dem Gedanken der Kommutation und hat den Zweck, 
die zeitlichen Sündenstrafen, vor Allem die Fegfeuerstrafen, ab- 

21* 


324 Entwickeliing des Dogmas im Abendland. [§ 70. 

zumildern resp. aufzuheben. Durch die Absolution wurde die 
Hölle geschlossen; aber die homines attriti glauben im Grunde 
weder an die Hölle noch an die Kraft der Gnade; denn nur ein 
contritus weiss etwas von diesen Dingen. Aber sie haben Angst 
vor empfindlichen Strafen, und sie glauben an die Möglichkeit, 
durch allerlei „Thun" sie zu beseitigen, sind auch zu einigen 
Opfern in dieser Richtung bereit, So war für sie das Fegfeuer die 
Hölle, und so wurde für sie der Ablass zum Sakrament. Auf diese 
Stimmungen ist die Kirche faktisch eingegangen: attritio, opera 
und indulgentia wurden in Wahrheit die Stücke des Busssakra- 
ments. Thomas suchte noch durchweg eine ernste Theorie mit 
der schlimmen Praxis, an der er nicht zu rütteln vermochte C„afe 
oinnibus concedititr indulgentias aliquid valere, quia impium esset 
dicere, qvod ecclesia aliqtnd vane faccvcif^)^ auszugleichen. Bei ihm 
ist der Ablass noch nicht zur Persiflage auf das Christentum als 
Religion der Erlösung geworden, weil er ihn wirklich nur als 
Annex zum Sakrament fasst. Aber er hat doch den alten Ge- 
danken aufgegeben, dass der Ablass sich hin: auf die vom Priester 
auferlegten Kirchenstrafen bezieht, und er hat die Theorie des 
Ablasses geliefert. Diese setzt sich aus zwei Gedanken zusammen: 
1) auch die vergebene Sünde wirkt in ihren zeitlichen Folgen fort, 
kann nicht „inordinata" bleiben, und ihre zeitliche Strafe muss 
daher abgebüsst werden, 2) Christus hat durch sein Leiden 
Grösseres geleistet als die Tilgung der ewigen Schuld und Strafe; 
innerhalb des Sakraments wirkt nur diese, nämlich in der Abso- 
lution; aber ausserhalb desselben ist ein Uberschuss vorhanden. 
Dieses überschüssige Verdienst (thesaurus operum supererogato- 
riorum) muss notwendig, da es Christus und den Heiligen nicht 
zu gute kommen kann, dem Leibe Christi, der Kirche, zu gute 
kommen. 

Eine andere Wirksamkeit kann es aber gar nicht mehr finden, 
als dass es die zeitlichen Sündenstrafen abkürzt oder tilgt. Zu- 
gewandt kann es nur den Absolvirten werden, die regelmäsig ein 
Minimum (eine kleine Leistung) dafür darzubringen haben; ver- 
waltet wird es vom Haupt der Kirche, dem Papst, der indess 
Anderen eine partielle Verwaltung übertragen kann. Diese 
Theorie der überschüssigen Verdienste, die eine lange Vor- 
geschichte hat (Perser, Juden), wurde dann besonders verderblich, 
wenn man auf die Bedingung des reuemütigen Glaubens kein ent- 
scheidendes Gewicht legte oder wenn man mit Absichtlichkeit 


§ 70.] Busse, Ölung, Priesterweihe. 325 

ein Duükel darüber bestehen liess, was denn eigentlich durch den 
Ablass getilgt werde, oder wenn man die Frage bejahte, ob nicht 
der Ablass auch Todsündem ad requirendam gratiam von Nutzen 
sei, ob man ihn daher nicht auch im Voraus geben könne, damit 
man ihn bei eintretender Disposition brauche (scotistische Praxis). 
Zusammengefasst ist die Ablasstheorie in der Bulle „ünigenitus" 
Clemens' IV. v. J. 1349; hier steht auch, dass sich der Ablass nur 
auf die „vere paenitentes et confessi" beziehe. Polemisirt hat 
gegen die Praxis und Theorie vor Allem Wiclif ; er nannte die Ab- 
lässe willkürlich und blasphemisch, die Befolgung des Gesetzes 
Christi lähmend, eine heillose Neuerung. Aber der Ablass ist noch 
nicht aus den Angeln gehoben, wenn man das Unbiblische, die 
Anmassung der Hierarchie und die sittliche Korruption nach- 
weist-, man muss zeigen, wie ein schlafendes Gewissen zu wecken 
und ein angefochtenes zu trösten ist. Das aber vermochten weder 
Wiclif noch die anderen energischen Bestreiter der Ablässe, Hus, 
Wesel u. A. Nur Wessel hat den Ablass an der Wurzel angegriffen; 
denn nicht nur hat er gelehrt, dass allein den Frommen (nicht 
dem Papste und den Priestern) die Schlüssel gegeben seien, sondern 
auch eingeschärft, dass die Vergebung nicht auf Willkür gestellt 
ist, sondern auf wahre Busse, dass aber die zeitlichen Sünden- 
strafen zur Erziehung gereichen und daher nicht zu vertauschen 
sind. Er hat auch die satisfactio operum beanstandet: satisfactio 
kann überhaupt nicht statthaben, wo Gott seine Liebe eingegossen 
hat; sie würde das Werk Christi (die gratia gratis data) ver- 
kleinem. Dennoch herrschten die Ablässe, die auch zu Konstanz 
gebilligt waren, um 1500 mehr wie je; man wusste, dass sie 
„abusus quaestorum'^ seien, und brauchte sie doch. 

5. Die letzte Ölung (Materie: benedicirtes Öl, Form: ein 
deprekatorisches Gebets wort). Thomas behauptete die Einsetzung 
durch Christus, Promulgation durch Jakobus (ep. 5, 14). Der 
Zweck dieses wiederholbaren Sakraments ist die remissio pecca- 
torum, aber doch nur der lässlichen. Wie dieses Sakrament sich 
aus dem Bedürfniss der Sterbenden entwickelt hat, so liess man 
es auch der Praxis. Die Theorie hat sich nur wenig mit ihm 
beschäftigt. 

6. Die Priesterweihe ''aus der Unmöglichkeit, eine sinn- 
liche Materie neben der Form: „accipe potestatem etc." nach- 
zuweisen — doch dachte man auch an die kultischen Gefässe 
oder an die Handauflegung und Sinnbilder — , hat Thomas Kapital 


326 Entwickeliing des Dogmas im Abendland. [§ 70. 

zu schlagen verstanden: „äöc quod covffrtur in aliis sacramentis 
derivatur tanhim a deo, non a ministro, qni mcramentum dispensaty 
sed illud quod in hoc sacramento traditur^ seil, spiriiualis potcstaSy 
derivatur etiam ah eo, qni sacrainenkmi dat, siciitpotestas imperfecta 
a perfecta, et ideo efficacia aliorumsacramentorumprincipalitercon' 
sistit in materia, quae virtutcm divinam et significat et continet . . ., 
scd efficacia huius saeramenfi jmncipaliter residet pencs cum, qui 
sacrameiitumdifipensat^'). Spender ist allein der Bischof. Kontro- 
versen entstanden l)über die sieben Weihen und ihr Verhältniss, 
2) über das Verhältniss der Priester- und Bischofsweihe, 3) über 
die Giltigkeit von Weihen, die von schismatischen oder häretischen 
Bischöfen erteilt worden waren (Frage der Reordinationen; der 
Lombarde für die strengere Praxis, welche doch die ganze Existenz 
des Priestertums gefährdet). Der Charakter ist in Wahrheit 
der HaupteflFekt dieses Sakraments. Den Episkopat konnte man 
um der alten Überlieferung willen nicht mehr als besonderen ordo 
zählen; aber man suchte ihm doch eine besondere von Christus 
geordnete höhere Stellung zu vindiziren (auf Grund der juris- 
diktionellen Gewalt); Duns, die faktischen Verhältnisse berück- 
sichtigend, wollte in der bischöflichen Konsekration ein eigenes 
Sakrament erkennen. 

7. Die Ehe (Materie und Form der Konsensus der Nuptu- 
rienten). Wie beim vorigen Sakrament fehlt auch bei diesem 
jeder nachweisbare Heilsefifekt; aber noch schwieriger war es hier, 
die allgemeine Sakramentslehre überhaupt durchzuführen. Die 
Behandlung der Ehe als Sakrament ist schon bei Thomas eine 
Kette von Verlegenheiten; im Grunde ist nur das Kirchenrecht 
hier beteiligt. Peinliche Ausführungen über die Bedeutung der 
copula camalis für das Sakrament; die priesterliche Einsegnung 
galt nur als „quoddam sacramentale". 

In der Sakramentslehre ist Thomas der massgebende Doktor 
geblieben; seine Lehren wurden durch Eugen IV. bestätigt; aber 
sofern dieselben sämmtlich den Lehren von den Verdiensten 
untergeordnet wurden, kam allmählich ein anderer Geist, der 
scotistische, in die ganze Dogmatik. Thomas selbst hat bereits die 
vulgär katholischen Elemente des Augustinismus steigern müssen, 
weil er der Praxis seiner Kirche in seiner Summa folgte. Die 
Späteren sind darin noch viel weiter gegangen. Die Zersetzung 
des Augustinismus in der Dogmatik ist wesentlich nicht von 
Aussen erfolgt; sie ist grösstenteils das Ergebniss einer inneren 


§ 71.] Die Bearbeitung des Angustinismus (Thomas). 327 

Entwickelung. Die drei Elemente, die Augustin in und neben seiner 
Gnadenlehre hatte bestehen lassen, das Verdienst, die gratia 
infusa und das hierarchisch-priesterliche Element, wirkten 
so lange fort, bis sie die augustinische Denkweise völlig umge- 
bildet hatten. 

§ 71. Fortsetzung. 

C. Die Bearbeitung des Augustinismus in der Richtung 

auf die Lehre vom Verdienst. 

Direkt hat kein kirchlicher Theologe verleugnet, dass die 
Gnade das Fundament der christlichen Religion ist, aber wie der 
Begriff „Gnade" selbst vieldeutig ist — Gott selbst in Christo, 
eine geheimniss volle Qualität, Liebe? — , so konnte er auch ver- 
schiedenen Ansichten dienstbar gemacht werden. Der Lombarde 
hat über Gnade, Prädestination, Rechtfertigung die augustinischen 
Sätze genau wiederholt, aber sich über den freien Willen nicht 
mehr augustinisch, sondern semipelagianisch geäussert, weil auch 
er an das Verdienst dachte. Ebenso lässt sich bei Anselm, 
Bernhard und vor Allem bei Abälard ein Widerspruch zwischen 
der Gnadenlehre und der Freiheitslehre bemerken; denn Alle sind 
von dem Gedanken beherrscht, den der Lombarde so formulirt 
hat: y^nulluni mcrittim est in homine, quod non fit per liberum arbi- 
irmm^\ Daher muss die ratio und das Willensvermögen zum 
Guten den Menschen nach dem Fall geblieben sein. Die religiöse 
Betrachtimg Augustinus wird durch die empirische abgelöst, und 
selbst von Bernhard die augustinische Unterscheidung von for- 
maler und materialer Freiheit überhört. Beachtenswert ist der 
Ansatz des Lombarden, die heiligmachende Gnade mit dem h. Geist 
zu identifiziren. Doch blieb das ohne Folgen; man wollte nicht 
Gott selbst haben, sondern göttliche Kräfte, die zu menschlichen 
Tugenden werden können. 

Von Gott zu Gott durch die Gnade ist der Grundgedanke des 
Thomas, und doch ist schliesslich die habituelle Tugend das, 
worauf es auch ihm ankommt. Der Grundfehler liegt schon in 
der augustinischen Unterscheidung von gratia operans et cooperans. 
Nur diese schafft die Seligkeit, sie kooperirt aber mit dem Willen, 
und beide bewirken das Verdienst. Auf Verdienste aber kommt es 
an, weil der Theologe es sich nicht anders vorstellen kann, als 
dass vor Gott nur eine in einem Habitus sich darstellende Besse- 
rung etwas gilt. Das ist aber nicht der Standpunkt der Religion ; 


328 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 71. 

denn so wird der Glaube lediglich zum Initiationsakt, und Gott 
erscheint nicht als die allmächtige Liebe und darum als der 
Fels des Heils, sondern als der Partner und Richter; er erscheint 
nicht als das persönliche Gut, welches allein als Vater die 
Seele zur Zuversicht zu führen vermag, sondern als der Geber 
dinglicher Güter, wenn auch sehr hoher (Mitteilung seiner 
Natur). Diese Theologen blickten, wenn sie an Gott dachten, 
nicht auf das Herz des allmächtigen Vaters, sondern auf ein un- 
ergründliches Wesen, das, wie es die Welt aus dem Nichts ge- 
schaffen hat, so auch überschwängliche Kräfte zur Erkennt- 
niss, Besserung und wesenhaften Umformung hervor- 
gehen lässt. Und wenn sie an sich selber denken, denken sie nicht 
an das Centrum des menschlichen Ichs, den Geist, der so frei und 
hoch ist, dass er nur an einer göttlichen Person, nicht aber an den 
herrlichstei) Gaben Halt gewinnt: Gott und die gratia, lehrten 
sie, statt: persönliche Gemeinschaft mit Gott, der die gratia 
ist. Im Ansatz liegen nun zwar bei ihnen Gott und die gratia 
(Macht der Liebe) sehr nahe, aber im Fortgang der Betrachtung^ 
wird die gratia immer mehr von Gott abgerückt, bis man sie an 
magisch wirkenden Idolen findet. Der Doppelgedanke „natura 
divina" und „bonum esse" war der herrschende: Physis und Moral^ 
aber nicht Religion. 

Thomas geht von Gesetz und Gnade als den äusseren Prin- 
zipien des sittlichen Handelns aus. Jenes, auch als neues Gesetz,, 
reicht nicht aus. Es wird daher die Notwendigkeit der Gnade^ 
zum Teil mit aristotelischen Mitteln, bewiesen. Zugleich tritt der 
Intellektualismus des Thomas stark hervor: Gnade ist die Mit- 
teilung übernatürlicher Erkenntniss. Das lumen gratiae ist aber 
zugleich lumen superadditum , d. h. nicht zur Vollendung dea 
Zwecks des Menschen notwendig, sondern über ihn hinausragend, 
also auch einen übernatürlichen Wert, d. h. ein Verdienst, be- 
gründend. Der Mensch im Zustand der Integrität besitzt nämlich 
die Fähigkeit, aus eigenen Kräften das bonum suae naturae pro- 
portionatum zu thun-, der göttlichen Hülfe bedurfte er jedoch, um 
ein meritorisches bonum superexcedens zu gewinnen. Nach dem 
Falle aber bedurfte er zu Beiden der Gnade; somit ist jetzt eine 
doppelte Gnade nötig. Damit ist schon die Unterscheidung der 
gratia operans et cooperans fixirt, und zugleich ist als Ziel des 
Menschen ein übernatürlicher Zustand ins Auge gefasst, den man 
nur mit Hülfe der zweiten Gnade, die Verdienste schafft, zu er- 


§71] Gnade und Verdienst (Thomas). 329 

reichen vermag. ^yVita aeterna est finis excedens proportionem 
naturae humanae'^; aber mit der Gnade kann und muss man das 
ewige Leben verdienen. Doch lässt Thomas als strenger Augu- 
stiner die Ansicht nicht zu^ dass man sich auf die erste Gnade 
vorbereiten könne. Er erkennt für den Anfang nur die Gnade an, 
keine merita de congruo. Die Essenz der Gnade beschreibt er so^ 
dass sie als Geschenk eine eigentümliche Qualität der Seele er- 
zeugt, d. h. ausser dem auxilium, durch das Gott die Seele über- 
haupt zum guten Handeln bewegt, giesst er eine übernatürliche 
Qualität in die Seele ein. Zu unterscheiden ist die Gnade erstens 
als Heilsgnade (gratum faciens) und als priesterliche Amtsgnade, 
zweitens als operans (praeveniens) und cooperans (subsequens); 
dort ist die Seele mota non movens, hier mota movens. Ursache 
der Gnade, die deifica ist, ist Gott selbst, der auch die Vorbereitung 
für sie im Menschen schafft, um die materia (die Seele) „disposita" 
zu machen. Ob aber Gott dieses übernatürliche Werk in Einem 
treibt, das kann Niemand wissen. Dieser Satz (yiinllus polest scire, 
se hahfre gratiam^ certitudinaliter^^) und jene überflüssige Reflexion 
auf die materia disposita (von Aristoteles angeregt) wurden ver- 
hängnissvoll. Der Effekt der Gnade ist ein doppelter, ersthch die 
Rechtfertigung, zweitens die Verdienste, d. h. die wirkliche iusti- 
ficatio findet durch die remissio peccatorum noch nicht statt, 
sondern nur um des Zieles willen kann man sagen, dass die 
Sündenvergebung bereits die Rechtfertigung ist. Die gratia infusa 
ist aber schon für die Sündenvergebung nötig, und deshalb wird 
ein motus liberi arbitrii schon hier verlangt. Somit besteht die 
gratia praeveniens in VTahrheit in einem undefinirbaren Akt; 
denn jeder Effekt setzt doch schon Mitwirkung voraus. Sieht man 
genauer zu, so herrscht bei Thomas eine grosse Verwirrung in 
Bezug auf den Prozess der Rechtfertigung, weil die Unterbringung 
des Moments der Sündenvergebung Schwierigkeiten macht; es 
soll im Anfang stehen und muss doch später gesetzt werden, weil 
die Eingiessung der Gnade, die Hinbewegung zu Gott in Liebe 
und die Abkehr von der Sünde vorausgehen sollen. Nach dem 
„opus magnum et miraculosum" der iustificatio impii werden die 
Wirkungen erwogen, die in steigendem Masse dem bereits Ge- 
rechtfertigten durch die Gnade zu Teil werden. Sie stehen sämmt- 
lich unter dem Titel des Verdienstes. Jeder Fortschritt ist so zu 
betrachten, dass, sofern die Gnade ihn wirkt, er ex condigno er- 
worben ist, dass er aber, sofern der freie Wille des Gerechtfertigten 


330 Entwickelmig des Dogmas im Abendland. [§ 71. 

beteiligt ist, ex congruo erfolgt. Die Meinung des Thomas ist also 
die, dass der natürliche Mensch nach dem Fall sich überhaupt 
kein Verdienst erwerben kann, der Gerechtfertigte aber ex congruo 
(„covgru'um est, ttt homini operanti sccundum stiam virtittem deus 
recompeiiset srcundum excellentiam suae virkttis^^); dagegen giebt 
es für den Menschen „propter maximaminaequälitateniproportionis'^ 
in Bezug auf das ewige Heil kein meritum de condigno. Dieses 
bleibt der Gnadenwirksamkeit vorbehalten. Das verdienstliche 
Prinzip ist immer die von Gott eingeflösste Liebe; diese verdient 
das augmentum gratiae ex condigno. Dagegen kann die Be- 
harrlichkeit in der Gnade überhaupt nicht verdient werden: 
jyperseverantia viae non cadit sub merito, quia depcndet solum ex 
motioiie divina, quae est principium omnis meriti, sed deus gratis 
perseverantiae bonum largitur, cuicunque ilhid largitur^^. Damit ist 
der reine Augustinismus wiederhergestellt, den Thomas auch in 
der Prädestinationslehre ungebrochen rezipirt hat, während nicht 
nur die unermüdlich wiederholte Definition Gottes als primuni 
movens, sondern die ganze spezielle Morallehre den Einfluss des 
Aristoteles zeigt. In ihr wird durchgeführt, dass die Tugend in 
der richtigen Ordnung der Strebungen und Triebe durch die Ver- 
nunft besteht und dann übernatürlich vollendet wird durch die 
Gnadengaben. Die Tugend gipfelt in der Erfüllung der consilia 
evangelica (Armut, Keuschheit, Gehorsam). Diese bilden den Ab- 
schluss der Lehre vom neuen Gesetz; allein andererseits kulminirt 
auch die Lehre von der Gnade in ihnen, so dass sie recht eigentlich 
den Höhepunkt der ganzen Betrachtung bilden. „Praecepta im- 
portant necessitafem, consiUum in optione ponitur eins, cui datur/^ 
Durch die „Räte" erreicht der Mensch „melius et expeditius" das 
Ziel; denn die Gebote lassen noch eine gewisse Hinneigung zu 
den Gütern dieser Welt zu, die Räte geben sie völlig Preis, so 
dass in ihrer Befolgung der kürzeste Weg zum ewigen Leben ge- 
geben ist. Von dieser ünterscheiduag der praecepta und consilia 
fällt noch einmal ein Licht auf den Urständ. Die ursprüngliche 
Ausstattung des Menschen v^ar an sich nicht ausreichend zur Er- 
langung der vita aeterna, diese war ein bonum superexcedens 
naturam; aber in der Beigabe der iustitia originalis besass der 
Mensch ein übernatürliches Geschenk, welches ihm ermöglichte, 
das ewige Leben wirklich zu erwerben. Somit kann man sagen, 
dass nach Eintritt der Sünde (materialiter =^ concupiscentia, for- 
maliter = defectus originalis iustitiae) die praecepta der Wieder- 


§ 71.] Gnade und Verdienst (Duns). 331 

herstellung des natürlicheii Wesens des Menschen entsprechen, 
<iie consilia dem donum superadditum der iustitia originalis. 

Die Gnadenlehre des Thomas hat ein doppeltes Gesicht; sie 
blickt rückwärts auf Augustin, vorwärts auf die Zersetzung der 
Lehre im 14. Jahrh. Thomas wollte Augustiner sein, und seine 
Darlegung war bereits eine augustinische Reaktion gegenüber 
den Aufstellungen von Halesius, Bonaventura u. A.; aber er hat 
<iem Gedanken des Verdienstes bereits viel mehr Spielraum ge- 
währt als Augustin, hat die Gnadenlehre noch mehr als dieser von 
der Person Christi entfernt (sie ist vor der Christologie ab- 
gehandelt!) und hat den Glauben und die Sündenvergebung noch 
mehr zurücktreten lassen. Der Glaube ist entweder fides informis, 
also noch nicht Glaube, oder fides formata, also nicht mehr Glaube. 
Es kann in der That der Glaube als fiducia keine Stelle finden, 
ivenn die Effekte der Gnade eine neue Natur und eine moralische 
Besserung sind. In dem amphibolischen Satz „Caritas meretur 
viiam aetemam^^ lag schon das Unheil der Folgezeit beschlossen. 

Die Zersetzung ist auf allen Punkten der augustinischen 
•Gnaden- imd Sündenlehre nachzuweisen: 1) Halesius lehrte be- 
reits, dass sich Adam im Paradies die gratia gratum faciens durch 
gute Werke ex congruo verdient habe. Die Scotisten sind ihm 
gefolgt, zugleich die iustitia originalis von jener Gnade unter- 
scheidend und zur Vollkommenheit der menschlichen Natur selbst 
rechnend. War dieses auch ein Vorteil, so wurde er dadurch wett 
gemacht, dass das Verdienst ex congruo von Anfang an neben 
die „alleinwirksame Gnade" gesetzt wurde. 2) Schon Thomas 
hatte in Bezug auf die Erbsünde den. Satz nicht mehr rund zu- 
gegeben: „naturalia bona corrupta sunt^\ sofern er die Konkupis- 
cenz, die an sich nicht böse ist, nur als languor et fomes definirt, 
die negative Seite der Sünde stärker als Augustin betont und, 
weil die ratio geblieben sei, eine fortdauernde inclinatio ad bonum 
angenommen hat. Duns hat die Frage nach der Konkupiscenz im 
Onmde von der Frage nach der Erbsünde getrennt, jene ist ihm 
nicht mehr das Formale an dieser, sondern lediglich das Materiale. 
So bleibt für die Erbsünde bloss die privatio des übernatürlichen 
Outes, die wohl eine Störung der Natur des Menschen herbei- 
geführt hat, ohne dass indess etwas von den natürlichen Gütern 
wirklich verloren gegangen wäre. Auch die erste Sünde selbst 
wurde von Duns (gegen Augustin) sehr lax gefasst: gegen das 
Oebot der Gottesliebe habe Adam nur indirekt Verstössen und 


332 Entwickeluog des Dogmas im Abendland. [§71. 

das Gebot der Nächstenliebe nur insofern übertreten, als er durch 
Nachgiebigkeit das richtige Mass überschritt. Dazu handelte es 
sich überhaupt nicht um einen Verstoss wider die Sittenregel,, 
sondern um die Nichtbefolgung eines der Prüfung wegen auf- 
erlegten Gebotes. Bei Occam ist vollends Alles aufgelöst. Wie 
die Erlösung, so schien ihm auch die Anrechnung des Sünden- 
falles als Willkür Gottes, die uns durch die „OflFenbarung^^ bekannt 
geworden ist. Kleine Sünden waren auch schon im Urständ 
möglich (so schon Duns). Der Verzicht auf jedes ideelle, d. h. neu- 
platonische Weltverständniss führte die Nominalisten zur Zer- 
setzung des Begriffs von Schuld und Sünde; sie machten auch 
hier tabula rasa und zogen sich auf die als Offenbarung erschei- 
nende Kirchenpraxis zurück, weil sie für die Geschichte und die- 
konkreten Verhältnisse noch blind waren. 3) Duns und seine 
Na.chfolger hielten die Schuld der Erbsünde für endlich. 4) Duns 
sah das Kontagium der Erbsünde lediglich im Fleische und pole- 
misirte gegen die thomistische Annahme einer vulneratio naturaef 
die religiöse Betrachtung der Sünde als Schuld, schon durch 
Augustin imd Thomas bedroht, schwand völlig. 5) Das liberiuni 
arbitrium erhielt den weitesten Spielraum, da die Grundthese 
preisgegeben war, dass es nur in der Abhängigkeit von Gott 
Gutes gebe. Der freie Wille ist bei Duns und den führenden 
Theologen nach ihm die zweite grosse Macht neben Gott, und 
was sie in der Sphäre der empirischen Psychologie richtig fest- 
stellten, dem gaben sie auch eine materiale und positiv religiöse 
Bedeutung. Es ist das ererbte Verhängniss der MAlichen Dog- 
matik, dass bei der Verquickung von Welterkennen und Religion 
schliesslich eine relativ richtigere Welterkenntniss dem Glauben 
gefährlicher vnirde als eine falsche. Gegen den Pelagianismus, 
der sich immer ungescheuter des Augustinismus nur als „Kunst- 
sprache" bediente, hat zuerst wieder Bradwardina kräftig Front 
gemacht, und seitdem ist die Reaktion nicht mehr erloschen,, 
sondern hat sich langsam im 15. Jahrh. bis zu Wesel, Wessel^ 
Staupitz, Cajetan und Contarini gesteigert. 6) In der Lehre von 
der Rechtfertigung und der verdienstlichen Erwerbung des ewigen 
Lebens zeigte sich die Zersetzung am stärksten: a) die gratia 
praeveniens wurde zu einer Redensart, die gratia cooperans ist 
die allein verständliche Gnade; b) was bei Thomas meritum de 
congruo war, wurde zum meritum de condigno, merita de congruo 
aber in solchen Regungen erkannt, die Thomas überhaupt nicht 


§ 71.] Gnade und Verdienst (Dans, Occam). 333 

unter den Gesichtspunkt des Verdienstes gestellt hatte; c) mit 
-der Verdienstlichkeit der attritio wurde auch die fides informis, 
der blosse Glaubensgehorsam, höher geschätzt. An diesem Punkt 
wurde das Verderben am grössten. Die blosse Unterwerfung 
unter den Kirchenglauben und die attritio wurden gewissermassen 
•die dogmatischen Grundprinzipien. Nach Duns kann sich der 
natürliche sündige Mensch noch immer auf die Gnade präpariren; 
«r kann den Anfang machen, Gott zu lieben. Also muss er es 
auch. In Wahrheit geht also das Verdienst der Gnade immer 
vorher, erst das meritum de congruo, dann nach Erlangung der 
ersten Gnade das meritum de condigno. Damit ist die erste und 
die zweite Gnade auf die Stufe blosser Hülfsmittel herabgesetzt. 
Ja im Grunde erscheint der göttliche Faktor nur in der acceptatio. 
Diese nun — hier schlägt die Betrachtung um — lässt im strengen 
Sinn überhaupt keine Verdienste zu. Die nominalistische 
Doktrin ist nur insofern nicht einfacher Moralismus, 
als sie weniger ist, d. h. die Gotteslehre lässt einen strengen 
Moralismus überhaupt nicht zu. Dies ist am deutlichsten bei 
Occam, der überhaupt den paradoxen Anblick gewährt, dass sein 
stark ausgeprägter religiöser Sinn lediglich zur Willkür Gottes 
flüchtet. Die Zuversicht zu dieser, wie die Kirche ihren Inhalt 
definirte, befreite ihn allein vom Nihilismus. Der Glaube, um 
sich zu erhalten, fand gegenüber den eindringenden Fluten der 
Welterkenntnisse keine andere Rettung, als die Planke der 
Willkür des Gottes, den er suchte. Er versteht ihn nicht mehr, 
aber er unterwirft sich ihm. So blieb das Kirchendogma und die 
Kirchenpraxis aufrecht stehen, eben weil Religionsphilosophie 
und absolute Moral fortgeschwemmt waren. Nach Occam lässt 
sich die Notwendigkeit eines supranaturalen Habitus (also der 
Gnade überhaupt) zur Erlangung des ewigen Lebens durch Ver- 
nunftgründe nicht erweisen; kann doch auch ein Heide durch die 
Vernunft zur Gottesliebe kommen. Jene Notwendigkeit steht 
allein durch die Autorität der Kirchenlehre fest. Occam und seine 
Freunde waren noch keine Moralisten und Rationalisten; sie 
scheinen uns nur so. Erst die Socinianer wurden es; denn erst 
sie haben die hypothetischen Sätze der Nominalisten über die 
natürliche Theologie zu kategorischen erhoben. Aber sie ge- 
wannen damit wieder eine kräftige Zuversicht zur Klarheit und 
Macht des Sittlichen, die die Nominalisten mitsammt der inneren 
Zuversicht zur Religion eingebüsst hatten. Wenn man im 15. Jahrh. 


334 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 72^ 

dieVerwüstung der Theologie in der Religion beklagte, so meinte- 
man die in die Praxis umgesetzten Sätze, dass die guten Werke 
die causae für den Empfang des ewigen Lebens seien, dass auch 
die nichtigsten Leistungen noch immer als Verdienste angesehen 
würden, und dass man die Unterwerfung unter die Ordnungen 
der Kirche für einen bonus motus hielt, der, durch die Sakramente 
kompletirt, die zum ewigen Leben nötige Würdigkeit verleihe. 

Die laxe Auffassung von der Erbsünde zeigte sich in der 
Entwickelung des Mariendogmas. Noch Anselm, Bernhard, Bona- 
ventura und Thomas bezogen die Erbsünde auch auf Maria, wenn 
sie auch dann eine besondere Bewahrung derselben annahmen; 
allein schon i. J. 1140 wurde in Lyon ein Fest zu Ehren der un- 
befleckten Empfängniss Maria's gefeiert, und Duns lehrte, die 
unbefleckte Empfängniss sei probabel (vermöge der rückwirkenden 
Kraft des Todes Christi). Der Streit zwischen Franciskanern und 
Dominikanern, der sich nun erhob, ist im Mittelalter nicht ge- 
schlichtet, von Sixtus IV. verboten worden. Die Dominikaner 
standen übrigens sonst in der ausschweifenden Verherrlichung- 
der Jungfrau nicht zurück. Hatte doch Thomas gelehrt, ihr ge- 
bühre nicht nur „Dulia" wie den Heiligen, sondern „Hyperdulia". 
Auch wurde ihr ein gewisser Anteil am Erlösungswerk zugespro- 
chen (Himmelskönigin, inventrix gratiae, via, ianua, scala, domina,. 
mediatrix). Die Annahme der Scotisten, dass sie nicht nur passiv,, 
sondern auch aktiv bei der Inkarnation mitgewirkt, war eine 
natürliche Folge der Verehrung, wie sie namentlich Bernhard 
gelehrt hat. 

Drittes Buch. 

Der dreifache Ausgang der DogmengescMclite^ 

Erstes Kapitel. 

GescMclitliclie Orientirung. 
§72. 

Die Elemente der augustinischen Theologie haben sich im 
MA. verstärkt, sind aber immer mehr auseinander getreten. Zwar 
hat Thomas noch einmal die ungeheure Aufgabe zu lösen unter- 
nommen, imRahmen eines Systems allen Ansprüchen zugenügen^ 
die das im Dogma verkörperte kirchliche Altertum, die h. Schrift^ 


§ 72.] Geschichtliche Orientirung. 335 

die Idee der Kirche als des lebendigen gegenwärtigen Christus^ 
die Reditsordaung der römischen Kirche, die Gnadenlehre Augu- 
stin's, die Wissenschaft des Aristoteles und die bernhardinisch- 
franciskanische Frömmigkeit stellten; aber dieser neue Augustinus 
hat eine befriedigende Einheit doch nicht zu schaffen verstanden. 
Sein Unternehmen hatte sogar teilweise den entgegengesetzten 
Erfolg. Die Verstandeskritik der Nominalisten und die Mystik 
Eckharts gingen bei Thomas in die Schule; die KuriaUsten 
lernten von ihm und die Reformer. Im 15. Jahrh. erschien 
die theologische Lehre aufgelöst. Deutlich traten damals aber 
zwei Richtungen hervor: der Kurialismus und die Opposition 
wider denselben. 

Der Kurialismus lehrte, dass die Gewohnheiten der 
römischen Kirche die göttliche Wahrheit seien. Er 
behandelte das Kirchenwesen und die Religion wie eine äussere 
Herrschaft und suchte sie mit den Mitteln der Gewalt, der Bureau- 
kratie und eines drückenden Steuersystems zu behaupten. Nach 
dem unglücklichen Verlauf der grossen Konzilien war in weiten 
Kreisen eine Ermattung eingetreten. Die zum Absolutismus stre- 
benden Fürsten fanden ihre Rechnung, wenn sie mit der Kurie 
verhandelten, um gemeinsam mit ihr die Schafe zu scheeren. Sie 
gaben der Kurie in rein kirchlichen Dingen die absolute Gewalt 
zurück, um in gemischten mit ihr zu teilen (die Bullen „Exe- 
crabilis" Pius' 11. v. J. 1459 und „Pastor aeternus" Leo's X. 
V. J. 1516 proklamiren den Supremat des Papstes über den Kon- 
zilien). Die Meinung, dass päpstliche Entscheidungen so heilig 
seien wie die Konzilsbeschlüsse, und dass das Recht der Aus- 
legung überall nur der Kirche, d. h. Rom, gebühre, setzte sich 
immer mehr durch. Die Kurie hütete sich aber wohl, aus jenen 
Entscheidungen ein Rechtsbuch, einen geschlossenen dogma- 
tischen Kanon, zu gestalten. Ihre Unfehlbarkeit und Souveräni- 
tät stand nur fest, wenn sie stets freie Hand hatte und man ihren 
richterlichen Spruch von Fall zu Fall einholen musste. Das alte 
Dogma galt wie früher; aber die Fragen, um die es sich im Leben 
handelte, lagen längst nicht mehr in seinem Rahmen. Sie wurden 
von der Theologie behandelt. Diese aber war in den 150 Jahren 
nach Thomas zur Erkenn tniss der Irrationalität der geoffenbarten 
Lehre gekommen und hatte daher die Losung ausgegeben, man 
müsse sich der Autorität der Kirche blind unterwerfen. Diese 
Entwickelung kam dem Kurialismus zu gute; hatte man doch in 


336 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ ^2- 

Rom längst gelehrt, dass die Unterwerfung unter die Autorität 
der Kirche (fides implicita) zur Seligkeit geniige, wenn man da- 
neben nur an die göttliche Vergeltung glaube. In den huma- 
nistischen Kreisen an der Kurie nahm man es wohl auch mit 
Letzterer nicht mehr genau; doch hat andererseits auch frommer 
Sinn in dem Irrationalen und Arbiträren das Göttliche verehrt. 
Dass diese ganze Haltung eine Weise war, das alte Dogma zu 
begraben, ist klar. Worauf es im Abendland von Anfang an an- 
gelegt war, das offenbarte sich jetzt in erschreckender Klarheit: 
das Dogma ist Institution, ist Rechtsordnung. Die Kurie 
selbst respektirte es nur formell; materiell unterlag es, wie alle 
Rechtsordnung in der Hand des absoluten Herrn, ihrer Politik. 
Das „tolerari potest" und das „probabile" bezeugen noch eine 
schlimmere Verweltlichung des Dogmas und der Kirche als das 
„anathema sit". Dennoch lag selbst in dem kurialistischenKirchen- 
tum gegenüber den Richtungen, die die Kirche aus der Heiligkeit 
der Christen auf erbauen wollten, eine Wahrheit. Gegen Husiten 
und Mystiker hat Rom das Recht der Überzeugung konservirt, 
dass die Kirche Christi die Herrschaft des Evangeliums unter 
sündigen Menschen ist. 

Die Opposition gegen den Kurialismus war nur durch einen 
negativen Gedanken zusammengehalten, dass die Gewohn- 
heiten der römischen Kirche zur Tyrannei geworden 
seien und das Zeugniss des kirchlichen Altertums 
gegen sich hätten. Hierin trafen politische, soziale, religiöse 
und wissenschaftliche Beweggründe zusammen. Man folgerte 
demgemäss, dass päpstliche Entscheidungen nicTit die Bedeutung 
von Glaubenssätzen haben, dass Rom nicht allein befugt sei, die 
Schrift und die Väter auszulegen, dass das Konzil die Kirche an 
Haupt und Gliedern reformiren solle, und dass die Kirche gegen- 
über den dogmatischen, kultischen und kirchenrechtlichen Neue- 
rungen Roms zu ihren ursprünglichen Grundsätzen und dem 
ursprünglichen Zustande zurückkehren müsse. Man glaubte die 
Entwicklung der letzten Jahrhunderte negiren zu können und 
stellte sich in thesi auf die h. Schrift und das kirchliche Alter- 
tum; aber in praxi war das reformatorische Ziel entweder ganz 
nebelhaft oder enthielt noch so viele Stücke aus der nachaugusti- 
nischen Entwickelung, dass die Opposition von vornherein ge- 
lähmt war. Man wusste nicht, ob man Gebräuche oder Miss- 
bräuche zu reformiren habe, und man wusste nicht, was man 


§ 72.] Geschichtliche Orientimug. 337 

mit dem Papste anfangen sollte, den man in einem Athem an- 
erkannte und verwarf, segnete und schmähte (vergl. selbst Luther's 
Haltung 1517—1520 in Bezug auf den Papst). Aber diese wider- 
spruchsvolle Opposition war doch eine Macht, nur nicht auf dem 
Oebiet der Lehre; denn diese war auch in den Kreisen der Anti- 
kurialisten diskreditirt. „Praktische Frömmigkeit^' war die Lo- 
sung der Humanisten wie Erasmus und der Augustiner wie Stau- 
pitz. Man war der Theologie überdrüssig, die im sicheren Hafen 
^er Autorität vernünftelte und das wahrhaft fromme Leben nur 
beschwerte. Wäre die kirchliche Lehre nur „Wissenschaft", so 
vräre es um sie geschehen gewesen; sie hätte abtreten und einer 
neuen Denkweise Platz machen müssen (s. den Socinianismus). 
Aber da das alte Dogma mehr war, blieb es — aber auch hier als 
Rechtsordnung. Von einigen Stürmern abgesehen, respektirten 
die oppositionellen Parteien das Dogma mit dem Listinkt der 
Selbsterhaltung. Sie fühlten es noch immer, wenn auch unklar, 
als Grundlage ihrer Existenz. Aber sie wollten keine Lehr- 
streitigkeiten: scholastische Streitigkeiten waren ihnen als 
Mönchsgezänk zuwider, und doch wollten sie sich von der Scho- 
lastik bfefreien. Welch' ein Widerspruch! Der letzte Grund lag 
in der ungeheuren Spannung, die zwischen dem alten Dogma und 
den christlichen Anschauungen, deren Ausgestaltung das damalige 
Leben war, bestand. Das Dogma war der Boden und Rechtstitel 
der Existenz der Kirche — aber welches altkirchliche Dogma 
hatte denn noch für die Frömmigkeit, wie sie damals lebte, einen 
unmittelbar verständlichen Sinn? Weder die Trinitäts- noch die 
Zweinaturenlehre. Man dachte nicht mehr wie die Griechen. Die 
Frömmigkeit, wie sie im 15. Jahrh. sich ausgebildet, lebte in 
Augustin, Bernhard und Franciskus. Unter der Hülle eines alten 
•Glaubens hatte sich während eines Jahrtausends eine neue Fröm- 
migkeit und darum auch ein neuer Glaube gebildet. Man meinte 
hier und dort, durch Rückgang auf den reinen Augustinismus 
helfen zu können. Allein der gegenwärtige Zustand, die Spannung 
zwischen der dogmatischen Rechtsordnung in der Kirche und den 
unklaren Zielen der Frömmigkeit, war ja auf dem Boden des 
Augustinismus erwachsen. Die Fehler lagen keimhaft schon in 
seinen Ansätzen. Das sah freilich keiner der Vorreformatoren 
ein; aber die Thatsache der Unmöglichkeit einer Reform mit den 
Mitteln Augustinus spricht hinreichend vernehmlich. Der zer- 
setzte Augustinismus ist doch auch Augustinismus; 

GmndriBS IV. iir. Habnace, Dogmengeschiolite. 2. Aufl. 22 


338 Dreifacher Aasgang des Dogmas. [§ 72. 

wie soll man ihm also durch den genuinen auf die Dauer 
aufhelfen können? 

Dennoch ist die Kritik^ welche der wiedererweckte Augusti- 
nismus an dem zersetzten ausgeübt hat, im 1 5. Jahrh. eine segens- 
reiche Macht gewesen, ohne deren vorbereitende Wirkung die 
Reformation und das Tridentinum nicht denkbar wären. Den un- 
sittlichen, irreligiösen, ja heidnischen Mechanismus des herr- 
schenden Kirchentums hat er diskreditirt, ja noch mehr, er hat 
das Gefühl der Freiheit in der Religion und damit das 
Streben nach selbständiger Religion entfesselt. Er hat 
im Bunde mit all den Mächten gearbeitet, die im 15. Jahrh. das 
Recht des Individuums und der Subjektivität geltend machten 
und das Mittelalter zu sprengen suchten. Er hat Unruhe ge- 
schaffen, eine Unruhe, die über sich selbst hinauswies — wie 
kann man ein freier und ein seliger Mensch zugleich sein? Aber 
Niemand vermochte noch diese Frage sicher zu formuliren, weil 
man ihr volles Gewicht noch nicht empfand. 

Beim Ausgang des 15. Jahrhunderts schienen verschiedene 
Ausgänge der Kritik möglich: ein voller Sieg des Kurialismus^ 
ein Sieg des repristinirten Augustinismus, ein Auseinanflerf allen 
der Kirche in verschiedene Gruppen von dem strengsten Kurialis- 
mus und der Ceremonialreligion bis zu einem rationalistischen 
und schwärmerischen, das alte Dogma aufhebenden Bibelchristen- 
tum, endlich eine Neubildung des gesammten Religionswesens^ 
d.h. eine evangelische Reformation, die das alte Dogma entwurzeln 
und aufheben wird, weil der neue Ausgangspunkt, der um Christus 
willen gnädige Gott, und das aus ihm entsprungene Recht auf 
Freiheit, in der Theologie nur das bestehen lassen konnte, was zu 
ihm gehört. 

In Wahrheit aber wurden die Ausgänge andere. Sie blieben 
sämmtlich mit Widersprüchen behaftet: der tridentinische 
Katholicismus, der Socinianismus und die evangelische 
Reformation. In jenem setzte sich der Kurialismus durch, die 
monarchische Seligkeitsanstalt mit ihren Sakramenten und ihren 
„Verdiensten"; aber sie sah sich genötigt, mit dem Augustinismus 
zu paktiren und mit ihm bei der ihr aufgedrungenen Kodifikation 
der neuen Dogmen zu rechnen. Im Socinianismus setzte sich die 
nominalistische Verstandeskritik und der humanistische Geist der 
neuen Zeit durch; aber er blieb im alten Biblicismus hängen, und 
indem er das alte Dogma beseitigte, schuf er sich aus dem Gegen- 


§ 72.] Geschiclitliche Orientining. 339 

satz zum alten ein neues. In der evangelischen RiBformation end- 
lich wurde prinzipiell die unfehlbare Organisation der Erche, die 
unfehlbare Lehrüberlieferung der Kirche und der unfehlbare 
Schriftenkodex abgethan und ein ganz neuer Boden gewonnen; 
allein Einsicht und Mut reichten nicht aus, um dem in specie 
überall Folge zu geben, was man in genere errungen hatte. Unter 
dem Titel, dass die Sache (das Evangelium) — nicht die Auto- 
rität — es verlange (man wusste es nicht anders), behielt man das 
alte Dogma als den wesentlichen Inhalt des Evangeliums bei und 
kehrte unter dem Titel „Wort Gottes" zum Biblicismus zurück. 
Gegenüber den neuen Lehren des hierarchischen, kultischen, pela- 
gianischen und mönchischen Christentums sah man in dem alten 
Dogma nur den Ausdruck des Glaubens an den in Christus gnä- 
digen Gott und übersah es, dass das Dogma zugleich noch etwas 
ganz Anderes war, nämlich philosophische Gott-Welt-Erkenntniss 
und Glaubensgesetz. Was man aber unter neuem Titel zuliess, 
das, machte sich, einmal zugelassen, mit seiner eigenen Logik 
wieder geltend. Man hob die wahre Theologie, die theologia 
crucis, auf den Leuchter; aber indem man dies in den altkirch- 
lichen Formen that, bekam man auch das zugehörige Erkennen 
und das Glaubensgesetz mit in den Kauf, und die Lehrstreitig- 
keiten der Evangelischen erschienen wie eine Fortsetzung der 
scholastischen Schulstreitigkeiten, nur mit unendlich höherer Be- 
deutung; denn jetzt handelte es sich in ihnen um die Existenz 
der neuen Kirche. So entstand gleich Anfangs — mindestens 
von dem Abendmahlsstreit und der Augsburgischen Konfession 
an, die damit begonnen hat, den neuen Wein in alte Schläuche 
zu giessen — in dem reformatorischen Lehrbegriff ein höchst 
komplizirtes, widerspruchsvolles Gebilde. Nur in den Prinzipien 
Luther's, und auch nicht in allen, stellt sich der neue Geist dar; 
im Übrigen enthält er nichts Neues, und wer ihn heute, im 
19. Jahrh., nicht als Aufgabe nimmt, sondern sich bei dem 
Niederschlage, wie er am Ende des 16. Jahrh. sich ergeben hat, 
beruhigt, der täuscht sich über seine eigene Stellung: er ist nicht 
evangelisch, sondern gehört zu einer katholischen Spielart, wobei 
es ihm nach den Grundsätzen des heutigen Protestantismus frei 
steht, sich die biblicistische, dogmatische, mystische oder hierar- 
chische zu wählen. 

Dennoch stellen sich in diesen drei Bildungen Ausgänge 
der Dogmengeschichte dar: der nachtridentinische Katholi- 

22* 


340 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 73. 

cismus vollendet schliesslich doch die Neutralisirung des alten 
Dogmas zu einer arbiträren päpstlichen Rechtsordnung; der Soci- 
nianismus zersetzt es verstandesmässig und hebt es auf; die Refor- 
mation, indem sie es zugleich abgethan und aufrecht erhalten hat, 
weist über dasselbe hinaus, rückwärts zum Evangelium, vorwärts 
auf eine neue Formulirung des evangelischen Bekenntnisses, be- 
freit vom Dogma und versöhnt mit der Wahrhaftigkeit und der 
Wahrheit unzweifelhafter geschichtlicher Erkenntnisse. In diesem 
Sinne hat die Dogmengeschichte die Ausgänge des Dogmas dar- 
zustellen. Bei der Reformation vermag sie nur das Christentum 
Luther's zu schildern, um die folgende Entwicklung verständlich 
zu machen. Diese selbst gehört entweder als ganze (bis heute) 
oder gar nicht in die Dogmengeschichte. Es ist aber korrekter, 
sie ganz auszuscheiden; denn das alte Dogma gab sich als unfehl- 
bar. Diesen Anspruch hat die Reformation für ihre eigenen Auf- 
stellungen zurückgewiesen. Man würde daher die Konfusion der 
Epigonen, die für den protestantischen Lehrbegriff noch immer 
nach einem Zwischenbegriff zwischen reformabel und unfehlbar 
suchen, verewigen, wollte man in den Formulirungen des Prote- 
stantismus im 16. Jahrh. Dogmen erkennen und die Dogmen- 
geschichte bis zur Konkordienformel und den Beschlüssen von 
Dortrecht führen. 

Zweites Kapitel. 
Die Ausgänge des Dogmas im römischen Eatholicismus. 
§ 73. Die Eodiflzirnng der mittelalterlichen Lehren im Gegen- 
satz zum Protestantismus (das Tridenfinum). 

Ausgabe der Dekrete 1664; seither oft. Stereotypausgabe von Taüchnitz. 
— Ältere-Arbeiten bei EKöllner, Symbolik 1844, neuere in der RE-*. s. v. 
Tridentinum. — WMaurenbrkcher im Histor. Taschenbach 1886. 1888. 

In Rom wollte mau nur fremde Lehren verdammen, nicht die 
eigenen kodifiziren; man wollte auch kein Konzil. Aber es wurde 
von den Fürsten der Kurie aufgenötigt. Als es zusammentrat, er- 
gab es sich, dass der mittelalterliche Geist aus der Reformation, 
dem Humanismus und Augustinismus Kräfte an sich gezogen 
hatte, dass er selbst aber die stärkere Macht geblieben war. Der 
Kurie gelang das Meisterstück, das Neue sich unterzuordnen, die 
Reformation zu verdammen, sich selbst zu behaupten und dabei 
doch die gröbsten Missbräuche abzustellen. Im Gegensatz zum 
Luthertum hat sie zahlreiche mittelalterliche Lehren in Dogmen 
verwandeln müssen — die Dekrete von Trident sind der Schatten 


§ 73.] Das Tridentinum. 341 

der Reformation. Was ursprünglich im Sinne der Kurie als ein 
Unglück erschien, die Nötigung der Formulirung und die ab- 
gezwungene Rücksicht auf den Augustinismus, erwies sich später 
als Vorteil: man hatte ein neues Glaubensgesetz, das man, wo 
es passend schien, mit buchstäblicher Strenge anwenden konnte, 
und es war andererseits so doppelsinnig und elastisch, dass 
es den arbiträren Entscheidungen der Kurie Spielraum liess. 
Diese aber hat sich das Recht der Auslegung vorbehalten, und das 
Konzil hat es bewilligt, damit dem Papste im Grunde bereits die 
Unfehlbarkeit zugestehend. So ist die Kurie selbst unverändert, 
d. h. mit allen ihren Gewohnheiten, Praktiken, Anmassungen und 
Sünden aus dem Fegfeuer des Konzils hervorgegangen; aber der 
innere Zustand der Gesammtkirche hob sich doch. Um ihrer in- 
neren Unwahrhaftigkeit willen und weil sich die Kirchenlehre 
heute an nicht wenigen Punkten konsequenter entwickelt hat (er- 
neute Ausscheidung des Augustinismus, Entscheidung über die 
zu Trident unentschiedene Frage, ob der Papst der Universal- 
bischof und unfehlbar sei), sind die tridentinischen Dekrete keine 
deutlichen Quellen des Katholicismus mehr. Es ist eben schon 
in Trident das Dogma in eine Dogmenpolitik verwandelt und der 
Laie von Glaube und Dogma abgesperrt worden: alles Überlieferte 
ist dem Wortlaut nach sakrosankt, aber löst sich der Theologie in 
eine Reihe mehr oder minder probabler Meinungen auf, die im 
Kontroversfall vom Papst entschieden werden. 

Einig war man in der Ablehnung der „Wiedertäufer" und 
Protestanten. Nach Wiederholung des Constantinopolitanums 
hat man in der 4. Sitzung, um die „puritas evangelii" zu wahren, 
erklärt, dass die Apokryphen dem A.T gleich stehen, die Vulgata für 
authentisch zu halten sei und die Kirche allein die Schrift aus- 
legen dürfe. Neben diese aber stellte man die y^traditiones sine 
scripto, qtioe ah ipsitts Christi ore ab apostolis acceptae aut nb ipsis 
apobtoliSy spiritn sancto didaiite, quasi pm^ manus traditae adnosus- 
que pervefiierunf^ (an einer anderen Stelle lautet die Definition 
etwas anders). In der 5. und 6. Sitzung sind die Dekrete über 
Erbsünde und Rechtfertigung zu Stande gekommen. Hier hat 
man sich unter dem Eindruck des wiedererweckten Augustinis- 
mus und der Reformation nicht mit der nominalistischen Doktrin 
identifizirt und ist dem Thomismus sehr nahe gekommen, ja das 
Rechtfertigungsdekret ist, obgleich aus der Politik geboren, eine 
sehr respektable Leistung, der ein evangelischer Inhalt nicht fehlt. 


342 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 73. 


Allein 1) setzte man doch hier und dort Richtlinien ein, die zu 
einem scotistischen (semipelagianischen) Verständniss der Lehren 
führten, 2) war es ziemlich gleichgiltig, was man im Obersatz 
über Sünde und Gnade lehrte, wenn im Untersatz doch die These 
galt, dass die Gewohnheiten der römischen Kirche das oberste 
Gesetz sind. Bei der Erbsünde bekannte man, dass Adam die 
Heiligkeit und Gerechtigkeit, „in qua constitutus fuerat", ver- 
loren habe, nach Leib und Seele „in deterius" commutirt worden 
sei, und dass sich „propagatione" seine Sünde fortsetze. Aber man 
lehrte auch, dass der freie Wille nicht ausgetilgt, sondern „viribus 
attenuatus" sei, und dass die Taufe zwar den reatus originalis 
peccati tilge, aber die concupiscentia (fomes) bleibe, die nicht für 
Sünde zu erachten sei (also ist die religiöse Betrachtung auf- 
gegeben). Von der Rechtfertigung wurde erklärt, sie sei der Akt, 
durch den der Mensch aus einem Ungerechten zu einem Gerechten 
wird (durch die Taufe, resp. das Busssakrament); sie bestehe aber 
nicht bloss in der Sündenvergebung, sondern auch in der Heiligung 
und Erneuerung des inneren Menschen durch freiwillige Annahme 
der Gnade, obgleich der Mensch unfähig sei, sich per vim naturae 
oder per litteram legis Moysis aus der Sündenherrschaft zu be- 
freien. Einerseits erscheint die Rechtfertigung als die translatio 
von einem Zustand in einen anderen, nämlich in den der Adoption, 
imd der Glaube als die entscheidende Macht neben der Gnade 
(yyChristum proposult deus propitlatorem per fideni in sanguine 
ipsius pro peccatis nostrls'^), andererseits erscheint sie als ein 
Heilungsprozess durch eingeflösste Gnade {,yChribti sanc- 
tissimae passionis merifo per spiritum sandum Caritas dei diffundi- 
tnr in cordibu^^ so dass der Mensch in der Rechtfertigung mit 
der Sündenvergebung Glaube, Liebe und Hoffnung zugleich ein- 
geflösst erhält; ohne die beiden letzteren ist man weder mit 
Christus vollkommen verbimden noch der Glaube lebendig). 
Die letztere Betrachtung ist die durchschlagende, und dem- 
gemäss werden die Stadien des Rechtfertigungsprozesses (Ein- 
leitimg u. s. w.) breit dargelegt. Die gratia praeveniens erschöpft 
sich in der vocatio (nuUis existentibus meritis); aber darin ist die 
Einleitung nicht erschöpft, vielmehr gehört zu ihr die illuminatio 
Spiritus sancti, welche den Menschen zur Richtung auf dieiustitia 
befähigt, und somit eine Disposition und freie Hinbewegung zu 
Gott. Lidem nun erst die iustificatio erfolgt, ist der Gedanke der 
gratia gratis data verwundet. Nur in abstracto ist die Sünden- 


§ 73.] Das Tridentinnm. 343 

Vergebung etwas für sich Bestehendes und die Rechtfertigung 
selbst; in concreto ist diese ein stufenmässiges Heiligwerden, das 
sich in der mortificatio membrorum camis vollzieht und auf 
Grund der vermehrten Gnade in der Befolgung der Gebote Gottes 
und der Kirche äussert. Zu einer Gewissheit der erlangten Gnade 
kann man in diesem Leben nicht gelangen; aber ihren Verlust 
kann man durch die Busse stets wieder ersetzen; auch braucht 
nicht immer der Prozess ganz von Neuem zu beginnen, sofern 
trotz des Verlustes der rechtfertigenden Gnade der Glaube ge- 
blieben sein kann. Das Ziel des Prozesses in diesem Leben sind 
die bona opera, welche Gott vermöge seiner Gnade als ihm an- 
genehme und verdienstliche annimmt. Daher muss man sie 
einerseits als Geschenke Gottes, andererseits als wirkliche Mittel 
zur Seligkeit ansehen. Das Wichtigste ist, dass (gegen die 
thomistisch-augustinische Überlieferung) die gratia prima nicht 
rechtfertigt, sondern nur disponirt. Also stammt die Recht- 
fertigung aus einer Kooperation. Alle augustinischen Redens- 
arten können das nicht verhüllen. Von den 33 Anathematismen 
wenden sich 29 gegen den Protestantismus. Mit der Verdammung 
des Satzes: ^fidcin ütstificantem nihil alitul esse quam fiduciam 
divinae misericordiae peccata remiUentis propter Christum^ vel eam 
fiduciam solam esse, qua itistifieamur^\ wurde implicite noch mehr 
verdammt, nämlich der strenge Augustinismus : darin bestand die 
Kunst des Dekrets. 

In der 7. Session imd flf. formulirte man die Sakramentslehre 
und behauptete sich als Sakramentskirche (yper sacramcnta omnis 
Vera iustitia vel incipit vel coepfa augctur vel amissa reparatnr*^)] 
über das Wort und den Glauben schwieg man dabei. Statt einer 
Lehre von den Sakramenten in genere formulirte man 13 Anathe- 
matismen, welche den eigentlichen Protest wider den Protestantis- 
mus enthalten. Die Einsetzung aller sieben Sakramente durch 
Christus wird behauptet, ebenso die Unmöglichkeit, per solam 
fidem ohne Sakramente gerechtfertigt zu werden. Diese „continent 
gratiam", enthalten also eine geheimnissvolle Kraft, die sie ex 
opere operato denen mitteilen, y,qui obicern non ponunif^. Auch in 
anderer Beziehung ist überall die thomistische Lehre (Charakter, 
Litention, u. s. w.) bewahrt, jedoch sind theologische Feinheiten 
bei Seite gelassen, und die Wendung zu scotistischer Auffassung 
bleibt möglich. Am Schluss der Anathematismen wurde jede Ab- 
weichung von einmal bestehenden Gebräuchen der Kirche ver- 


344 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 73. 

dämmt.* Für die Ausführungen über die einzelnen Sakramente 
diente die Bulle Eugen's IV. Exultate domino (1439) als Vorbild 
Die Bestimmungen über die Taufe und die Konfirmation sind nur 
dadurch lehrreich, dass dort die verdammt werden, welche lehren^ 
dass alle späteren Sünden ,,sola recordatione et ßde svscepti bap- 
tismi'^ vergeben werden können, hier der Bischof allein zum 
minister sacramenti proklamirt wird. In Bezug auf die Eucharistie 
wurden die thomistischen Theologumena nun zum Dogma. Kraft 
der Transsubstantiation ist der ganze Christus in jedem Teilstück 
jedes Elements gegenwärtig, und zwar schon vor dem Genuss, 
also ist die Hostie anzubeten („in encharistia ipse sanctitatis auctor 
ante us^tm est''). Alle Gebräuche werden hier als apostolisch be- 
zeichnet. Der Effekt des Sakraments bleibt ein höchst geringer;, 
ausdrücklich werden die verdammt, welche die Sündenvergebung 
für die hauptsächliche Frucht halten. Auch bei dem angefochten- 
sten Punkte, der Messe, sanktionirte man das gesammte Her- 
kommen, nur einige abergläubische Missbräuche obenhin miss^ 
billigend. Die Still- und Seelenmessen (^^sacrificmmpropitiatorium 
pro vivis et defunctis nondum ad plennm purgatis'^) wurden ebenso 
gerechtfertigt, wie — trotz aller Fürstenbedenken — die Kelch- 
entziehung und die lateinische Sprache. Die Canones stellen alles- 
Reformatorische unter das Anathem und schliessen somit die 
Kirche des Messopfers wider die Kirche des Worts streng ab. 
Die Lehre von der Busse ist viel ausführlicher behandelt wie die 
Eucharistie, um die nur die Theologen sich stritten. Bis zur 
materia und quasi materia ist bei der Busse die ganze scholastische 
Arbeit als Dogma rezipirt worden. Daher ist (s. oben S. 322) ein 
genaueres Eingehen nicht notwendig. Doch ist es bemerkenswert^ 
dass die attritio sehr vorsichtig behandelt ist, immerhin gilt sie 
als contritio imperfecta. Um so kategorischer ist die confessio 
aller Todsünden vor dem Priester gefordert und der richterlich e 
Charakter des Priesters behauptet. Die satisfactiones wurden,, 
wie bei Thomas, als notwendig um der temporalis poena peccati 
willen ebenso beibehalten, wie die Ablässe. Doch hat man sick 
über diese sehr zurückhaltend ausgesprochen. Die scholastische 
Theorie ist nicht berührt, der Missbrauch zugestanden; doch ist 
in der Sache schlechterdings nichts nachgegeben (Jeder ist zui 
verdammen, der die Ablässe nicht für heilsam erklärt). Über 
letzte Ölung, Ordo und Ehe ging man rasch hinweg, die septem 
ordines seien ab ipso initio ecclesiae vorhanden gewesen. Die alte 


§ 74.] Kurialismus und Episkopalismus. 345 

Streitfrage über das Verhältniss der Bischöfe zu den Priestern 
wird nicht entschieden, doch komme jenen eine Superiorität zu. 
über die Ehe redete man nur homiletisch und kirchengesetzlich, 
verdammte aber doch die, welche leugneten, dass sie eine gratia 
erteile. In den Fragen nach dem Fegfeuer, den Heiligen, Reliquien 
und Bildern sprach man voll Bedauern über die Missbräuche, hielt 
aber die Überlieferung streng aufre^cht, in vorsichtigen Worten 
den Geist der Zeit schonend. So hat sich die Kirche in der spezi- 
fischen Verweltlichung als Opfer-, Priester- und Sakramentskirche 
durch das Tridentinum abgeschlossen und nicht einmal ihre Idole 
preisgegeben (s. über die Praxis der Benediktionen, Sakramentalien 
und Ablässe GiHRJ Das h. Messopfer 1887, Schneider-Beringer, 
Die Ablässe^ 1 887). Die Dekrete haben die Kirche auf dem Boden 
des Mittelalters und der Scholastik festgebannt: Sakramente, 
Gehorsam, Verdienst. 

§ 74. Die nachtrid^ntinische Entwickelang als Vorbereitung 

des Vaticanums. 

HDßNziNORR, Enchiridion symbolorum et definitionum^ 1888. 

Die zu Trident nicht rund entschiedenen Fragen: Kurialis- 
mus oder Episkopalismus, Augustinismus oder jesuitischer Pela- 
gianismus, Sittengesetz oder Probabilismus, bewegten die folgen- 
den drei Jahrhunderte. Die erste Frage zerfiel in zwei: Papst oder 
Konzil, päpstliche Entscheidungen oder Tradition. Das Vaticanum 
hat für den Kurialismus und damit auch für den Jesuitismus 
entschieden. 

1 a) In Trident hatte es der Gegensatz zwischen Kurialisten 
und Episkopalisten in Bezug auf den Artikel von des Papstes 
Gewalt überhaupt zu keinem Dekret kommen lassen; aber schon 
die professio fidei Tridentinae hat die römische Kirche und den 
Papst ins Credo eingeschmuggelt, und der thomistische Catechis- 
mus Bomanus hat die päpstliche Autokratie als Glaubensartikel 
gelehrt („necessarium f'uit hoc visibile caput ad unitatem ecclesiae 
constittiendam et conservandam^'). Doch erhob sich ein kräftiger 
Widerspruch, namentlich in dem Frankreich Heinrich's IV. und 
Ludwig's XIV. Man kehrte dort (Bossuet) zum Gallikanismus 
zurück (übrigens war auch das Tridentinum nicht unbedingt an- 
genommen worden), teils im Interesse des Königs, teils in dem 
der Nation und ihrer Bischöfe (Residenz der Bischöfe divino iure). 
Über die Bedeutung des Primats, den man gelten liess, konnte 


346 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 14. 

man freilicli so wenig zur Klarheit und Einheit gelangen, wie im 
15. Jahrh.; aber fest stand, dass der König und die Bischöfe die 
französische Kirche regieren, dass der Papst in zeitlichen Dingen 
nichts zu sagen habe, und dass er auch in geistlichen an die Be- 
stimmungen der Konzilien (Konstanz) gebimden sei, seine Be- 
schlüsse mithin nur unter Zustimmung der Kirche irreformabel 
seien (Gallikanische Propositionen von 1682). Die Päpste ver- 
warfen diese Sätze, brachen aber nicht mit Frankreich. Am Ende 
seines Lebens gab sie der grosse König selbst preis, ohne sie 
formell zurückzuziehen. Sie waren im 18. Jahrh. noch immer 
eine Macht, bis sie der Monarch, der sie zum Staatsgesetz erhoben 
hatte (1810), an die Kurie auslieferte — Napoleon I. Die Weise, 
in der er die durch die Revolution niedergeworfene Kirche und 
Kirchenordnung mit Bewilligung des Papstes völlig zer- 
trümmerte, um sie dann neu mit dem Papste zubauen, war 
eine Auslieferung der französischen Kirche an den Papst. So 
meinte es der Kaiser nicht, aber so wurde es. Die Romantiker 
(de Maistre, Bonald, Chateaubriand u. s. w.) vollendeten mit der 
Restauration im Bunde das Werk. Der Gallikanismus wurde 
ausgerottet. Soweit Frankreich heute noch wirklich katholisch 
ist, ist es päpstlich; aber auch die offizielle Politik besorgt im 
Ausland die Geschäfte des ültramontanismus. In Deutschland 
hat Febronius (1763) mächtig an dem Kurialismus gerüttelt; aber 
indem die Einen eine erzbischöfliche Nationalkirche (Emser 
Punktation 1786) wollten, die Anderen Staatskirchen (Joseph IL 
u. s. w.), geschah faktisch nichts. Die alte Kirchenverfassung 
und die neuen Kirchenbaupläne gingen in dem Strudel der napo- 
leonischen Epoche unter. In dem Wiener Frieden tauchte eine 
neue Kirche auf, welche die Kurie leitete, und in der sie mit 
Hülfe der Fürsten, der ultramontanen Romantiker, vertrauens- 
seliger Liberaler und Metternichscher Diplomaten die Reste 
des Episkopalismus und des Nationalkirchentums unterdrückte 
(JFriedrich, Gesch. d. vatik. Konzils. 3 Bde. 1877 flf. Janüs, Der 
Papst und das Konzil. 1869; 2. Aufl. u. d. T. IDöllinger, Das 
Papsttum. 1892). 

1 b) Schon die Professio fid. Trid. hatte der Tradition einen 
viel weiteren Umfang gegeben als das Tridentinum selbst (j,aposto- 
licas et ecclesiaatlcas traditiones reliquasque eiusdem ecclesiae obser- 
vationes et constitutiones firmissime admitto et amplcctor'^) imd sie 
vor die Schrift gestellt. Die Jesuiten ordneten ihr diese immer 


§ 74.] Die Tradition. Austilgung des Augustinismus. 347 

melir unter und bemühten sich deshalb, die Inspiration der Schrift 
«o lax wie möglich zufassen, so dass sogar das Vaticanum Wider- 
spruch erhoben hat. Der moderne Katholicismus verlangt aber 
Beides, auch die schriftliche Überlieferung als unantastbares 
Heiligtum aufrecht zu halten und zugleich auf ihre Insufficienz 
und ihre Mängel behutsam den Finger zu legen. Wichtiger war 
die Entwickelung des Traditionsbegriffs. In thesi hielt man den 
Satz fest: es giebt keine neuen Offenbarungen in der Kirche; in 
Wahrheit verfocht man immer dreister das gnostische (Geheim- 
überlieferung) und enthusiastische Traditionsprinzip, gegen wel- 
•ches doch einst das katholische aufgestellt war. Bellarmin war 
noch zaghaft; aber schon Cornelius Mussus, ein Mitglied des 
Tridentiner Konzils, hatte den Satz aufgestellt, dass er in Glau- 
benssachen einem Papste mehr glaube als tausend Augustinus 
und Hieronymus'. Die Jesuiten haben den selbst schon neuen 
Satz, dass alle Gewohnheiten der römischen Kirche Tradition 
seien, durch den allerneuesten ergänzt, dass jede Lehrentscheidung 
des Papstes es sei. Sie haben sich sogar hin und her abschätzig 
über Konzilien und Traditionsbeweise ausgesprochen, oder die 
beglaubigtsten Aktenstücke für Fälschungen erklärt, um die Ge- 
schichte durch das Dogma vom Papst zu überwinden. Die Kirche 
selbst ist die lebendige Tradition, die Kirche aber ist der Papst: 
also ist der Papst die Tradition (Pius IX.). In dieser Eigen- 
schaft hat er sich bereits 1854 durch Proklamation der unbe- 
fleckten Empfangniss Maria*s bethätigt, eine alte Streitfrage 
(s. S. 334) lösend. Was zu Trident propter angustias temporum 
noch nicht in Kraft gesetzt werden konnte, ein gemessen am katho- 
lischen Altertum häretisches Prinzip, herrscht heute (HHoltz- 
MANN, Kanon u. Tradition 1859. JDelitzsch, Lehrsystem d. 
römisch-kathol. Kirche. I. 1 875). 

2) Im Catechismus Romanus (1566), den die Jesuiten darum 
angriffen, hat der Augustinismus sein letztes offizielles Denkmal 
•erhalten. Fortab wurde daran gearbeitet, dass die Gnadenlehre 
ihr Gesetz durch die weltformige Praxis des Beichtstuhls erhielt. 
Schon im Jahre 1567 bewirkte man es, dass Pius V. 79 Sätze des 
Löwener Professors Bajus verwarf, die allerdings den strengsten 
Augustinismus, jedoch mit Fremdem vermengt, enthielten, der 
Reformation übrigens nicht günstig waren. Ein langer und heftiger 
Streit zwischen Dominikanern und Jesuiten erhob sich. Jene be- 
anstandeten die jesuitische Studienordnung, verdammten die 


348 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 74. 

kecksten Sätze der Jesuiten (Lessius und Hamel) und suchten die 
thomistische Lehre in Bezug auf den Ernst der ersten Sünde, die 
Konkupiscenz und die gratia praeveniens festzuhalten. Diese 
legten besonderes Gewicht auf den freien Willen und die „Dis- 
position". Unter ihnen hat Molina das grösste Aufsehen gemacht 
mit seinem Werk: „Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina prae- 
scientia . . praedestinatione . . concordia" (1588). Er versuchte, 
den Semipelagianismus in den Augustinismus einzuinterpretlren;. 
faktisch gab er letzteren vollkommen preis. Um die stürmische 
Kontroverse zu schlichten, wandte man sich nach Rom. Dieses 
hatte kein Interesse für die Sache, sondern nur für das Opportune;, 
handelte es sich doch nicht um Augustin und Pelagius, sondern 
um Dominikaner und Jesuiten. Die Politik gebot, es mit keiner 
Partei ganz zu verderben. Die „congregatio de auxiliis'^, welche 
von 1597 -—1(507 tagte, während man gleichzeitig von jeisuitischer 
Seite den Papst einschüchterte, wurde endlich aufgelöst, ohne 
eine Entscheidung zu geben (yyfore ut sua Sanctitas declaraiionefn 
et determinationem , quae exspcctahaUtr y opportune promulgaret^')^ 
Die Ergebnisslosigkeit war faktisch ein Sieg der Jesuiten. 

Noch schlimmer verlief der jansenistische Streit. In dem 
katholischen Frankreich, das nach furchtbaren Kämpfen die Refor- 
mation ausgeschieden hatte, arbeitete sich langsam neben dem 
leichtsinnigen Hof- und Staatskatholicismus und dem laxen 
Jesuitismus ernste Frömmigkeit wieder empor. Das posthume 
Werk des Bischofs Jansen von Ypern „Augustinus^^ (1640) gab 
ihr einen geschichtlichen und theologischen Halt. Sie raffte sich 
auf,' um die Kirche von der Kirche, den Glauben vom Gewohnheits- 
Christentum, die Sittlichkeit von der raffinirten und laxen Moral 
zu befreien Der Beichtstuhl der Jesuiten erschien ihr als der 
eigentliche Feind (Pascals Briefe: ,,€cce patres, qui tollunt peccata 
mandi!''). Der Orden Jesu vermochte sich gegenüber den furcht- 
baren Angriffen nur zu erhalten, indem er zur Offensive griff und 
den echten Augustinismus Jansen's und seiner Freunde als Häresie 
(„Jansenisraus") verketzerte. Die Päpste Hessen sich gewinnen, 
ürban VILL. („In eminenti"), vor Allem aber Innocenz X. („Cum 
occasione") und Alexander VII. („Ad sancti b. Petri sedem") ver- 
boten, resp. verdammten das Buch Jansen's. Innocenz bezeichnete 
ausserdem fünf Sätze Jansen's als verwerflich. Jetzt erhob sich 
ein heftiger Widerstand: die „Jansenisten" weigerten sich, die in- 
kriminirten Sätze als die Jansen's anzuerkennen und zu verdammen. 


^ 74] Der jansenistisclie Streit. 349 

Allein Alexander VII. verlangte es, und die Krone unterstützte 
ihn. Nach einem vorübergehenden Kompromiss (silentium obse- 
quiosum 1668 Clemens IX.) erneuerte Clemens XI. 1705 die 
scharfen Bullen seiner Vorgänger. Port Royal wurde zerstört. 
Noch härter aber traf den Augustinismus die Konstitution „Uni- 
genitus" Clemens' XI. (1713). In ihr wurden 101 Sätze aus der 
erbaulichen Erklärung des Paschasius Quesnel zum N. T., die die 
Jesuiten ausgezogen hatten, präskribirt. Unter ihnen waren nicht 
nur viele rein augustinische, sondern auch paulinische {^,Nullae 
dantur gratiae nisi per fidem^' — „fides est prima gratia et fons 
<yinnium äliarum'^ — ,jprima gratia, quam deiis concedit peccatori, 
est peccatorum remissio'^ — ypeccator non est Über nisi ad maltim 
sine gratia liheratoris'^ etc.). Wieder erhob sich ein Sturm in 
Prankreich. Acceptanten der Bulle und Appellanten standen sich 
gegenüber. Aber, wie immer im Katholicismus — schliesslich 
imterwarfen sich die Einen mit beflecktem Gewissen, die Anderen 
gingen in Ekstase und Schwärmerei unter. Nur in den Nieder- 
landen hatte sich schon vorher in Folge des jansenistischen Streits 
eine schismatische altkatholische Kirche gebildet. Die Bulle 
Unigenitus, von mehreren Päpsten konfirmirt, ist der Sieg der 
jesuitischen Dogmatik über die augustinische, daher das letzte 
Wort der katholischen Dogmengeschichte (im Sinne der Glaubens- 
lehre). Wie dann im 19. Jahrh. die letzten Reste des Gallikanis- 
mus vernichtet worden sind, so auch des Jansenismus oder der 
„Afkermystik", die sich mit Notwendigkeit aus dem Augustinismus 
und Quietismus entwickelt und allerdings eine Gefahr für die 
katholische Kirche bildet. Die Proklamation der unbefleckten 
Empfängniss Maria's durch Pius IX. bezeichnet hier den Ab- 
schluss. Wie sie in formeller Beziehung (s. sub 1) die definitive 
Erhebung des Papsttums bezeichnet, so in materieller die Aus- 
tilgung des Augustinismus. Den unverwüstlichen Trieb zur 
Innerlichkeit, Beschaulichkeit und christlichen Selbständigkeit 
hat dann der jesuitische Katholicismus durch sinnliche Mittel aller 
Art, durch Spielsachen und Wunder, sowie durch Bruderschaften, 
Exercitien und Gebetsübungen beschäftigt und dabei am Seile der 
Kirche gehalten (FXLinsenmann, Bajus 1867. IDöllinger und 
HReusch, Gesch. d. Moralstreitigkeiten i. d. röm.-kath. Kirche 
seit dem 16. Jahrh. 2 Bde. 1889. Reüchlin, Jansen in RE^). 

3) Schon im MA. hatte der juristisch-kasuistische Geist der 
römischen Kirche den Beichtstuhl, die Ethik und die Dogmatik 


350 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 74^ 

anfs ungünstigste beeinflusst. Die nominalistische Theologie be- 
sass eine ihrer starken Wurzeln in der juristischen Kasuistik 
(d. h. im P r o b a b i 1 i s m u s) Die Jesuiten haben sie aufgenommeö 
und in einer Weise kultivirt, die einige Male selbst die Päpste, ja^ 
ihre eigenen Ordensmitglieder in Schrecken gesetzt hat (Döllinger 
und Keusch, a. a. 0.). „Wissenschaftlich" hat zuerst der Domini- 
kaner Bartholomäus de Medina den „Probabilismus" 1577 dar- 
gelegt. Die Formel lautete: „Si est opinio probabilis, licitum est 
eam sequi, licet opposita sit probabilior^^. Selten hat ein Wort so ge- 
zündet. Es war die Befreiung der Moral von der Moral, der Religion 
von der Religion. Schon um 1600 wurde der Probabilismus al» 
die herrschende Ansicht bezeichnet, aber besonders von den 
Jesuiten kultivirt. Auf dem Gebiet des Glaubens stellt er sich 

1) als Laxismus dar (in Bezug auf die Spendung der Absolution)^ 

2) als Attritionismus. Es bildete sich eiue Reihe von Spielarten 
aus, laxester, echter, rigoristischer Probabilismus, Aquiprobabüis- 
mus, Probabiliorismus, laxer und strenger Tutiorismus. Die Unter- 
schiede unter den sechs ersten besagen im Grunde wenig; der letztere 
— er ist allein sittlich — ist von Alexander VIII. 1600 ausdrücklich 
verworfen worden. Die ganze Methode ist die talmudistische ; wahr- 
scheinlich besteht auch vomMA. her ein wirklicher Zusammenhang, 
Der Jansenismus, vor Allem Pascal, erhob sich gegen diese Destruk- 
tion der Sittlichkeit. Er setzte es auch durch, dass der Probabilis- 
mus seit der Mitte des 17. Jahrh. zurückgedrängt wurde. Mehrere 
Päpste verboten die laxesten moraltheologischen Bücher; Inno- 
cenz XI. verdammte 1679 65 Sätze der Probabilisten, unter denen 
sich wahre Bubenstücke befanden (s. Denzinger, Enchiridion 
p. 213f. 217. 218 f.). Das Schlimmste schien abgewehrt, zumal 
da sich im Jesuitenorden selbst Thyrsus Gonzalez wider die 
DoktrtQ erhob (1687 wurde er General). Allein Jansenismus und 
Antiprobabilismus waren solidarisch. Als jener fiel, musste auch 
dieser weichen. Auch hatten es die Päpste in Bezug auf den 
Attritionismus nur zur Neutralität gebracht. Aus dieser Quelle 
brach im 18. Jahrh. der Probabilismus von Neuem hervor. Der 
Stifter des Redemptoristenordens, Alphons Liguori (selig 1816, 
heilig 1829, Lehrer der Kirche 1871), wurde durch seine Bücher 
der einflussreichste Lehrer der Kirche. Er ist im modernen 
Katholicismus an die Stelle Augustin's getreten. Er ist 
aber Aquiprobabilist, d. h. Probabilist, gewesen, und kein Pascal 
erhob sich mehr. 


§ 75.] Der Probabilismus. Das Vaticanum. 351 

§ 75. Das Vaticanum. 

JFriedrich, Gesch. d. Vatikan. Konzils. 3 Bde. 1877 ff. 

Die Kirche, die den Episkopalismus und Augustinismus in 
sicli gestürzt, den Probabilismus aufgerichtet und im Bunde mit 
der politischen Reaktion und der Romantik den Papst zum Herrn 
der Kirche erhoben und als die lebendige Tradition proklamirt 
hatte, war endlich reif für das Dogma von der Unfehlbarkeit des 
Papstes. Die Bischöfe bekannten auf dem Vaticanum (1869/70), 
eine beträchtliche Minorität überhörend, dass der Primat ein 
wirklicher und direkter sei, dass der Papst die potestas ordinaria 
et immediata als plena et suprema über die ganze Kirche besitze, 
und dass diese Gewalt im vollen Sinne überall bischöflich sei. 
Von diesem üniversalbischof bekannten sie am 18. Juli 1870: 
^ydocemus et divin itus revelatum dogma esse definimus: Bomanum 
Pontificem^ quitm ex cathedra loquitur id est quum omnium Chri- 
stianornm pastoris et doctoris mimere fungens pro suprema sua apo- 
stölica auctoritate doctrinam de fide vel moribus ab universa ecclesia 
tenendam definit, per assisfentiam divinam, ipsi in h. Petro pro- 
missam, ea in fallibilitate pollere, qua divinus redemptor ecclesiam 
suam in definienda doctrina de fide vel moribus instructam esse 
voluity ideoque eiusmodi Romani pontificis deßnitiones ex sese, non 
autem ex consenstt ecclesiaey irreformdbiles esse. 8i quis autem huic 
nostrae definitioni contradicere, qnod deus avertaf, praesnmpsorit, 
anatJiema sit^^. Die widersprechenden Bischöfe haben sich bald 
unterworfen. Die Zahl derer, die die Annahme des neuen Dogmas 
verweigerten, war und ist gering (JFvSchülte, Der Altkatholicis- 
mus 1887). Die neue Lehre ist in der That der Schlussstein des 
Gebäudes. Anderes mag nachfolgen, z. B. die weltliche Herrschaft 
des Papstes und sein Recht, den Katholiken die Politik zu diktiren, 
als Glaubensartikel; aber die Hauptsache ist schon jetzt erreicht. 
Die römische Kirche hat sich als die autokratische Herrschaft des 
Pontifex Maximus offenbart — das alte römische Reich, bezogen 
auf die Erinnerung an Jesus Christus, ausgestattet mit seinem 
Wort und mit Sakramenten, über eine nach Bedarf elastische 
oder eiserne dogmatische Rechtsordnung verfügend, ausser der 
Erde auch das Fegfeuer und den Himmel umspannend. 


352 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 76. 

Drittes Kapitel. 

Die Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus und Socinianismus. 

§ 76, Gescbiclitliche Einleitniig. 

HWErbkam, Gesch. d, prötest. Sekten 1848. — MOarriere, Die 
philos. Weltanschauung d. ßefZt.* 1887. — Tkechsel, Die protest. Anti- 
trinitarier. 2 Bde. 1839 f. — KHkgler, Seb. Franck 1892. 

Sozzini war ein Epigone wie Calvin. Der Socinianismus hat, 
kirchen- und dogmengeschichtlich betrachtet, die grossen mittel- 
alterlichen antikirchlichen Bewegungen zu seiner Voraussetzung; 
aber auch die Reformation hat auf ihn eingewirkt. Aus jenen 
hat er sich entwickelt; sie hat er geklärt und zur Einheit zu- 
sammengefügt. Ein scotistisch-pelagianisches und ein kritisch- 
humanistisches Element ist in ihm verbunden; daneben gewahrt 
man auch noch ein anabaptistisches (pantheistische, schwärme- 
rische, mystische, sozialistische Elemente fehlen). In ihm sind 
also die kritischen und rationalistischen Gedanken der kirchlichen 
Theologie des 14. und 15. Jahrh. zu freier Entfaltung gekommen; 
zugleich aber ist er auch den Impulsen der Neuzeit (Renaissance) 
gefolgt. Das Charakteristische der antitrinitarischen und socinia- 
nischen Bewegungen des IG. Jahrh. liegt darin, dass sie diejenige 
Destruktion des Katholicismus darstellen, die man auf Grund des 
Ertrags der Scholastik und der Renaissance zu bewirken ver- 
mochte, ohne die Religion zu vertiefen und zu beleben. In 
diesem Sinne ist der Socinianismus auch ein Ausgang der Dogmen- 
geschichte. Mittelalter und Neuzeit reichen sich in ihm über die 
Reformation hinweg die Hände. Das scheinbar Unvereinbare, der 
Bund zwischen Scholastik und Renaissance, ist hier wirklich ge- 
worden. Eben deshalb fehlt auch ein prophetisches Element nicht. 
In diesen Bewegungen ist Vieles in wunderbarer Sicherheit bereits 
vorweggenommen worden, was in den evangelischen Kirchen nach 
flüchtigen Ansätzen zunächst gänzlich unterdrückt erscheint, weil 
das Interesse für Religion in gebundener Form 150 Jahre lang 
hier Alles absorbirte. Der Antitrinitarismus und Socinianismus 
sind „aufgeklärter" als der kirchliche Protestantismus, aber minder 
entwickelungsfähig und ärmer. 

Nur eine flüchtige Übersicht soll hier gegeben werden. Allen 
antitrinitarischen und wiedertäuferischen Gruppen ist der Bruch 
mit der Geschichte, der Verzicht auf die Kirche, wie sie bereits 
existirt, und die Überzeugung von dem Recht des Individuums 


§ 76.] Der Antitrinitarismus und Socinianismus. 353 

gemeinsam. Von den verscliiedensten Ausgangspunkten sind sie 
nicht selten zu den gleichen Ergebnissen gelangt, weil die Stim- 
mung, die sie bewegte, die gleiche gewesen ist. Die erste 
Oruppe knüpfte an die pantheistische Mystik und die neue Bildung 
-der Renaissance an: nicht Begriffe, sondern Thatsachen, nicht 
Formeln, sondern Leben, nicht Aristoteles, sondern Plato, nicht 
4er Buchstabe, sondern der Geist. Das innere Licht wurde neben 
•die Bibel gestellt, die freie Überzeugung über die Satzung. Die 
Kirchendogmen wurden entweder umgedeutet oder fallen gelassen. 
Von der Last der Vergangenheit befreit und vom Evangelium be- 
stimmt, haben sich Manche von ihnen in das Reich des freien 
•Geistes aufgeschwungen. Andere blieben im Phant «stischen 
hängen. Hierher gehören Schwenkfeld, V. Weigel, Giordano 
Bruno, vor Allem Sebastian Franck (und Theobald Thamer). Eine 
zweite unübersehbare Gruppe hatte ihre Stärke an dem Gegen- 
satz zum politischen und sakramentalen Katholicismus und spielte 
ihm gegenüber eine neue sozial- politische Welt- und Kirchen- 
ordnung, die Apokalyptik und den Chili asmus, aus. In ihr setzt 
sich das enthusiastische Minoritentum, Waldesiertum u. s. w. fort. 
Ihr Kennzeichen wurde die Wiedertaufe. Mit den reformatorischen 
Elementen mannigfach durchsetzt, hat dieses Täufertum bis zur 
Katastrophe von Münster und über sie hinaus eiue sehr bedeutende 
Rolle gespielt. In einer dritten, wesentlich romanischen (ita- 
lienischen) Gruppe stellt sich die konsequente Ausbildung der 
nominalistischen Scholastik unter dem Einfluss des Humanismus 
dar, die Unterwürfigkeit unter die Kirche hat aufgehört; der 
Moralismus, humanistisch, z. T. auch evangelisch verklärt, ist 
nachgeblieben. Das alte Dogma und der Sakramentarismus ist 
verworfen; aber ein historisches Element ist hinzugetreten, die 
Rückkehr zu den Quellen, der philologische Sinn, der Respekt 
vor dem Klassischen in Allem, was Altertum heisst. Das religiöse 
Motiv im tiefsten Sinn fehlt diesen Italienern: auch haben sie es 
nicht zu einer volkstümlichen Bewegung gebracht. Diese und die 
«rste Gruppe stehen in vieler Hinsicht in einem strengen Gegen- 
satz, sofern jene der spekulativen Mystik, diese dem verständigen 
Denken huldigen. Allein nicht nur schlangen die humanistischen 
Interessen ein gemeinsames Band um sie, sondern aus der speku- 
lativen Mystik entwickelte sich im Zusammenhang mit der Er- 
fahrung, auf die man Wert legte, auch ein reines Denken, und 
andererseits streiften die nüchternen italienischen Denker unter 

Gruudriss IV. iii. Habitack, Dogmengeschiclite. 2. Aufl. 23 


354 Dreifacher Ausgang des Dogmas. f§ 76. 

dem Einfluss der neuen Bildung die Unarten jener Begriffsmytho- 
logie ab, in der sich der ältere Nominalismus ergangen hatte. 
Am bedeutendsten ist dieser Zusammenschluss durch den Spanier 
Michael Servede repräsentirt. La seiner Theologie ist das Beste 
von alledem vereinigt, was im 16. Jahrh. zur Reife gekommen, 
war, wenn man von der evangelischen Reformation absieht. 

In Bezug auf alle diese Gruppen hat die Dogmengeschichte 
zwei Hauptpunkte ins Auge zu fassen, ihr Verhältniss 1) zu dem 
formalen Autoritäten des Katholicismus, 2) zur Lehre von der 
Trinität und von Christus. Was den ersten Punkt betrifft, so 
haben sie die Autorität der Kirche, der gegenwärtigen und der 
früheren, als Lehrerin und Richterin abgethan. Unklar aber blieb 
das Verhältniss zur Schrift. Man spielte sie gegen die Tradition 
aus und fusste mit unerhörter Gesetzlichkeit auf dem Buchstaben; 
andererseits drückte man ihre Autorität unter die der inneren. 
Offenbarung herab, ja schob sie wohl auch ganz bei Seite. Allein^ 
in der Regel blieb ihre einzigartige Geltung bestehen; der Soci- 
nianismus hat sich fest auf die Schrift gestellt. An ihr wagten, 
also die Reformer des 16. Jahrh. — einige ausgezeichnete Männer 
ausgenommen, die wirklich verstanden hatten, was die Freiheit 
eines Christenmenschen ist — nicht ernsthaft zu rütteln. Der 
Widerspruch, in den sich der Protestantismus verwickelt hat,, 
findet sich freilich auch bei den meisten Reformern: eine um- 
fangreiche Büchersammlimg als absolute Norm in Geltung zu 
setzen, aber das Verständniss derselben den Bemühungen der 
Einzelnen zu überlassen. — Was den Antitrinitarismus betrifft,, 
so hat sich derselbe in allen vier Gruppen entwickelt, aber in 
verschiedener Weise. In der ersten Gruppe ist er nicht aggressiv 
gewesen, sondern latitudinarisch (wie bei den älteren Mystikern^ 
die ja auch in der Trinität nur „modi" erkannten, die Mensch- 
werdung in Christo als einen Spezialfall betrachteten und über- 
haupt in den Dogmen nur verhüllte Wahrheit sahen). Li der 
zweiten, wiedertäuferischen Gruppe ist der Antitrinitarismus in 
der Regel ein verhältnissmässig untergeordnetes Element, wenn 
er auch vielleicht nirgends ganz fehlt. Bei dem bedeutenden Re- 
former Denck ist er kaum zu finden, dagegen deutlicher bei 
Hätzer, noch stärker bei Campanus, D. Joris und Melchior Hoff- 
mann, die sich übrigens sämmtlich eine eigene Trinitätslehre 
zurecht gemacht haben. An der Wurzel, d. h. an der Gottheit 
Christi, ist die Trinitätslehre nur von Italienern (Pietro Manelfi),. 


§ 77.] Der Antiiarinitarismus. 355 

resp. innerlialb der dritten Gruppe angegriflfen worden. Die Ver- 
bindung des Humanismus mit der nominalistisch-pelagianischen 
Überlieferung der Theologie hat in Italien deu Antitrinitarismus 
im Sinne des Adoptianismus oder Arianismus als einen wirklichen 
Faktor der geschichtlichen Bewegung erzeugt. Die Beseitigung 
der Lehre von der Gottheit Christi und der Trinität galt hier als 
die wichtigste Reinigung und Entlastung der Religion. An ihre 
Stelle tritt der geschaffene Christus und der eine Gott; hierfür 
wird der Schriftbeweis gesucht und gefunden (vgl. die römischen 
Theodotianer des Altertums). Eine ganze Schaar von gelehrten 
und meistens sehr respektablen Antitrinitariern hat Italien in 
der Mitte des 16. Jahrh. über seine Grenzen gejagt, Camillo 
Renato, Blandrata, Gentilis, Occhino, die beiden Sozzini u. s. w. 
In der Schweiz wurde der Kampf über das Recht des Antitrinita- 
rismus in der evangelischen Kirche ausgekämpft. Calvin entschied 
gegen sie und verbrannte Servede. In Polen und Siebenbürgen 
fand die Lehre eine Freistatt. Dort entstanden antitrinitarische 
Gemeinden, ja in Siebenbürgen gelang es Blandrata, sein Bekennt- 
niss zur formlichen Anerkennung zu bringen. Innerhalb der 
Anarchie fand auch die Gewissensfreiheit eine Stätte. Der üni- 
tarismus, wie ihn Blandrata lehrte, sah in Christus einen von 
Q^tt erwählten imd zum Gott erhobenen Menschen. Bald trat 
eine Spaltung ein. Die Linke verwarf auch die wunderbare Ge- 
burt und die Anbetung Jesu (Nonadorantismus). Ihr Hauptver- 
treter war Franz Davidis. Um diese Richtung zu bekämpfen, ist 
Fausto Sozzioi 1578 nach Siebenbürgen gekommen, und wirklich 
unterdrückte er sie. Dort und in Polen hat er aus den wieder- 
täuferischen, sozialistischen, chiliastischen, libertinis tischen und 
nonadorantischen Gemeinden eine Kirche auf dem Grunde einer 
ausgeführten biblischen Dogmatik gebildet. Nach einer an dra- 
matischen Episoden reichen Geschichte hat der polnische ünita- 
rismus in Verbindung mit dem niederländischen Arminianismus 
schliesslich in England und Amerika eine Stätte gefunden und 
ausgezeichnete Männer hervorgebracht. Allerdings hat er sich 
dort immer mehr mit evangelischem Geist erfüllt. 

§ 77, Die socinianische Lebre. 

OFocK, Der Socisianismus 1847. 

Aus dem Rakauer Katechismus (1609) lässt sich das socinia- 
nische Christentum am besten erkennen. Die Religion ist das 

23* 


356 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 77. 

vollständige und riclitige Wisaen der heilsamen Lehre. Diese ist 
aus der h. Schrift als einer äusseren, statutarischen Offenbarung, 
vorzüglich aus dem N. T. zu gewinnen. Die christliche Religion 
ist Theologie des N. T., aber sie ist zugleich vernünftige 
Religion. Das Buch und die Vernunft sind die Stamina der 
socinianischen Lehre. Daher ist der Nachweis der certitudo sa- 
crarum litterarum eine Hauptaufgabe dieses supranaturalen Ra- 
tionalismus. Er tritt an die Stelle des Traditionsbeweises. Die 
Geltung des N. T. (das A. T. wird nur noch fortgeführt) soll der 
Vernunft, nicht der Frömmigkeit demonstrirt werden. Das N. T. 
ist aber sufficient, weil der Glaube, der in der Liebe thätig ist, 
„quantum satis" in ihm enthalten ist. Dieser Glaube aber ist der 
Glaube an Gottes Existenz und Vergeltung (vgl. den Nominalis- 
mus), die Liebe sind die Sittengebote. Die Schrift aber ist auch, 
deutlich, wenn man sie mit Verstand betrachtet ( ^itagtie cum sa- 
cras litter as suffieere ad salutem dicimus, rcctam rationem non tan- 
tum non excludiwus, sed omnino inclndimits'^). 

Den Heils weg konnte der Mensch selbst nicht finden, weil er 
sterblich war (altkatholisches Element). Gottes Ebenbild in 
ihm bestand lediglich in der Herrschaft über die Tiere. Nicht der 
zeitliche Tod, sondern der ewige ist durch die Sünde in die Welt 
gekommen. Letztlich aber konnte der Mensch den Heilsweg des- 
halb nicht finden, weil er ,,ex solo dei arhitrio ac consilio pependit^\ 
also durch eine äussere Offenbarung mitgeteilt werden musste 
(vgl. den Nominalismus). Vom Fürchten, Lieben und Vertrauen 
ist nicht die Rede, sondern nur von der notitia dei und dem Gesetz 
des heiligen Lebens, welche offenbart werden mussten. Die notitia 
dei ist die Erkenntniss Gottes als des obersten Herrn aller Dinge^ 
der „pro arhitrio leges ponere et praemia ac poenas sfatnere potesf* 
(vgl. den Nominalismus). Am wichtigsten ist es, Gottes Einheit 
zu erkennen; aber ,,nildL prohihct, quominus ille unus detis imperinm 
potestatemque cum aliis communicare possit et communicaverif' (vgl. 
die alten Subordinatianer und Arianer). Die Eigenschaften Gottes 
werden ohne Beziehung auf den Heilsglauben aus dem Begriff des 
„supremus dominus" und des „summe iustus" entwickelt (vgl. den 
Nominalismus). Sehr nützlich zum Heil, wenn auch nicht schlecht- 
hin notwendig, ist die Einsicht in die Verwerflichkeit der Trinitäts- 
lehre. Ante legem et per legem erkannten die Menschen bereits die 
Schöpfung der Welt durch Gott, die Vorsehung Gottes de singulis 
rebus (!), die Vergeltung und den göttlichen Willen (im Dekalog). 


§77.] Die socinianische Lehre. 357 

Die notitia Christi zerlegt sich in die Erkenntniss seiner 
Person und seines Amtes. In ersterer Hinsicht handelt es sich um 
die Einsicht, dass Gott uns durch einen Menschen erlöst hat (vgl. 
die hypothetischen Sätze des Nominalismus). Christus ist ein 
sterblicher Mensch gewesen, der vom Vater geheiligt, mit gött- 
licher Weisheit und Macht ausgerüstet, auferweckt und schliess- 
lich zu Gott gleicher Macht eingesetzt worden ist. Das ist der 
exegetische Befund im N. T. Gott hat ihn gesandt, um die Men- 
schen in eine neue Katastase zu erheben, d. h. die Sterblichen 
zu unsterblichem Leben zu führen (altkirchlich; vgl. besonders 
die Antiochener). Das war ein freier Willensentschluss Gottes, 
und die Ausführung (wunderbare Geburt, Auferweckung) ist 
ebenso willkürlich. Christus hat uns als Prophet die vollkom- 
mene göttliche Gesetzgebung gebracht (Erklärung und Vertiefung 
des Dekalogs), die Verheissung des ewigen Lebens sicher aus- 
gesprochen und das Beispiel eines vollkommen sittlichen Lebens 
durch seinen Tod bekräftigt, nachdem er einige sakramentale An- 
ordnungen getroffen. Durch diese Predigt hat er einen starken 
Impuls zur Beobachtung des göttlichen Willens gegeben und zu- 
gleich die allgemeine Absicht Gottes versichert, den Reuigen und 
der Besserung Beflissenen die Sünden zu vergeben (vgl. den Nomi- 
nalismus). Sofern Niemand das göttliche Gesetz vollkommen er- 
füllen kann, erfolgt die Rechtfertigung nicht durch Werke, son- 
dern durch den Glauben. Dieser Glaube aber ist Vertrauen auf 
den Gesetzgeber, der ein herrliches Ziel, das ewige Leben, vor- 
gesteckt und durch den h. Geist die vorausgehende Gewissheit 
jenes Lebens erweckt hat, ferner Zuversicht zu Christus, der, mit 
göttlicher Macht bekleidet, denen, welche sich zu ihm halten, die 
Befreiung von der Sünde verbürgt. Im Einzelnen ist bemerkens- 
wert: 1) die virtuose, vielfach zutreffende Kritik der kirchlichen 
Christologie aus der Schrift und der Vernunft — Schwierig- 
keiten machten freilich die Schriftaussagen über die Präexistenz 
Christi — , 2) der Versuch, das Werk Christi in dem Schema der 
drei Amter darzulegen, und die offenkundige Unfähigkeit, es über 
das prophetische Amt hinauszuführen. Im Rahmen des letzteren 
wird im Grunde Alles abgehandelt: ^jCompi'eheiidit tum praecepta, 
tumpromissa dei perfecta, tum denique modum ac ratimxem, qui nos 
et praeceptis et promissümibvs dei coiifirmare debeamusJ* Darüber 
hinaus aber kennt der Söcinianismus nichts. Die „praecepta" sind 
der erläuterte Dekalog mit dem Zusatz des Vater-ünsers und die 


358 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 77. 

besonderen Gebote der zuversichtliehen stetigen Freude zu Gott im 
Gebet, Danksagung und Vertrauen zu Gottes Hülfe, Enthaltung von 
der Weltliebe sowie Selbstverleugnung und Geduld. Dazu kommen 
noch die besonderen ceremonialen Gebote, nämlich die Taufe und das 
Abendmahl. Jene ist Bekenntniss, Verpflichtung und Symbol; in 
verschämter Weise wird auch der Sündenvergebung um der Schrift 
willen gedacht und die Kindertaufe abgelehnt, aber geduldet (weil 
es sich um eine Ceremonie handelt). Das Abendmahl wird unter 
Ablehnung aller übrigen Betrachtungen als angeordnetes Er- 
innerungsmahl aufgefasst. Die promissa dei sind die Verheissung 
des ewigen Lebens und des h. Geistes. In Ausführung des letzteren 
Stückes hat der Socinianismus Tüchtiges geleistet, dagegen die 
Sündenvergebung sehr zweideutig behandelt. Im Gegensatz zum 
evaugelischen Verständniss lehrt er: „iw vita aeterna simul com- 
preliensa est peccatorum remissio,^' Dieses ewige Leben ist nur sehr 
oberflächlich beschrieben, und die katholische Grundstimmung 
des Socinianismus zeigt sich in dem Satze, dass der h. Geist nur 
nach Massgabe des moralischen Fortschritts verliehen wird. Auf 
die Frage, wie Christus die Gebote und Verheissungen eindring- 
lich versichert hat, wird geantwortet: 1) durch seine Sündlosig- 
keit, 2) durch seine Wunder, 3) durch seinen Tod. Der letztere 
wird als Liebesbeweis gefasst und nun in ausführlichster Dar- 
legung die Satisfaktionstheorie bekämpft. Hier liegt die Stärke 
des Socinianismus. Kann man sich auch manche Argumente nicht 
aneignen, weil sie aus dem scotistischen Gottesbegriff geflossen 
sind, so muss man doch sagen, dass hier die juristische Satisfak- 
tionstheorie wirklich widerlegt ist. Der Gedanke des Ver- 
dienstes Christi wird beibehalten. Aber wie dürftig ist es, wenn 
der Katechismus, noch einmal zum Glauben zurückkehrend, er- 
klärt: „fides obedientiam nostram deo commendatiorem gratioremgue 
facit et dbedientiae defedus, modo ea sit vera ac seriay supplet, utque 
a deo iustificemur efficit.^ Das ist der volle Gegensatz zum evan- 
gelischen Glaubensgedanken. Was dann noch über Rechtfertigung 
bemerkt wird, ist wertlose Accommodation an den Paulinismus. 
Accommodationen sind überhaupt nicht selten. — Bei dem 
priesterlichen Amte Christi wird die fortdauernde Priester- 
schaft Christi betont, während die einmalige im Grunde abgelehnt 
ist. Ganz kurz wird die Herrschaft Christi über alle Wesen und 
Dinge beschrieben. 

Am Schluss kehrt der Katechismus zur Kirche zurück und 


% 78.] Der Protestantismus. Luther. Einleitung. 359 

yiefinirt sie noch einmal als Scliule: y,coetus eorum hominum, qui 
doctrinam salutarem tenent et profitentur.^^ Pastoren (Doktoren) 
und Diakonen sind der Kirche nötig; aber von der Ordination wird 
geschwiegen und die bischöfliche Succession bekämpft. Die Aus- 
führungen über sichtbare und unsichtbare Earche sind unsicher 
und unklar. 


Im Socinianismus stellt sich die Zersetzung des Dogmas auf 
katholischem Boden dar, wie im Romanismus die Neutralisirung. 
An die Stelle der Tradition ist die äussere Offenbarung in der 
Bibel getreten. Die Religion, soweit sie verständlich ist, ist in 
den Moralismus verschlungen. Doch sind glückliche Inkonse- 
quenzen nachgeblieben, und der Socinianismus bietet, auch ab- 
gesehen von ihnen, erfreuliche Seiten: 1) hat er den Mut ge- 
wonnen, die Frage nach dem Wesen imd Inhalt der Religion zu 
vereinfachen und die Lasten der kirchlichen Vergangenheit ab- 
zuwerfen, 2) hat er den engen Bund von Religion und Welt- 
erkennen, Christentum und Piatonismus gesprengt, 3) hat er die 
Einsicht verbreiten helfen, dass der religiöse Ausdruck klar sein 
muss, und verständlich, wenn er kräftig sein soll, 4) hat er das 
Studium der h. Schrift vom Bann des alten Dogmas zu befreien 
versucht. 

Viertes Kapitel. 

Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus. 

§ 78. Einleitung. 

Der nachtridentinische Katholicismus und der Socinianismus 
:sind in vieler Hinsicht moderne Erscheinungen, aber auf ihren 
religiösen Kern gesehen sind sie es nicht, vielmehr Konsequenzen 
des MAlichen Christentums. Die Reformation, wie sie sich im 
Christentum Luther's darstellt, ist dagegen in vieler Hinsicht 
eine altkatholische, resp. auch eine mittelalterliche Erscheinung, 
-dagegen auf ihren religiösen Kern beurteilt, ist sie es nicht, viel- 
mehr Wiederherstellung des paulinischen Christentums im Geist 
'einer neuen Zeit. Von hier aus ergiebt sich, dass die Reformation 
nicht lediglich nach den Resultaten, die sie in den ersten zwei 
Menschenaltem ihres Bestehens errungen hat, beurteilt werden 
kann; denn sie hat nicht als eine in sich widerspruchslose und 
eindeutige Erscheinung eingesetzt. Luther's Christentum war 


360 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 78^ 

die Reformation; in der Peripherie seines Daseins aber war^ 
Luther eine altkatholisch -mittelalterliche Erscheinung. Die Zeit 
von 1519 — 1523, die schönsten Jahre der Reformation, in denen 
sie mit allem Lebendigen in Verbindung gestanden hat und eine- 
neue Ordnung herbeizuführen schien, war nur eine Episode. 
Luther ist bald wieder zu seinen Schranken zurückgekehrt. Diese 
aber waren nicht etwa nur leichte Hüllen, so dass erst Melan- 
chthon und die Epigonen die Verengung verschuldet hätten, son- 
dern Luther empfand sie mit als die Wurzeln seiner Kraft und 
hat sie in diesem Sinne geltend gemacht. 

Luther's Grösse besteht in der am Evangelium wieder ent- 
deckten Erkenntniss Gottes. Der lebendige Glaube an den Gott,« 
der propter Christum und in Christus der schuldigen und ver- 
zweifelnden Seele zuruft: j^sahis tua ego sum^^, die gewisse Zuver- 
sicht, Gott sei das Wesen, auf das man sich verlassen kann — 
das war Luther's Botschaft an die Christenheit. Er hat das reli- 
giöse Verständniss des Evangeliums wiederhergestellt, das sou- 
veräne Recht der Religion in der Religion, die souveräne Geltung^ 
der geschichtlichen Person Jesu Christi im Christentum. Indem 
er das that, schritt er über die Kirche des Mittelalters und der 
altkatholischen Zeit hinweg bis zum N. T., ja bis zum Evangelium 
selbst. Aber derselbe Mann, der das Evangelium von Jesu Christa 
aus dem Kirchentum und dem Moralismus befreit hat, hat doch 
die Geltung desselben in den Formen der altkatholischen Theo- 
logie verstärkt, ja diesen Formen nach Jahrhunderte 
langer Quiescirung erst wieder Sinn und Bedeutung^ 
für den Glauben verliehen. Er ist der Restaurator des 
alten Dogmas geworden und hat es dem Glauben wiedergeschenkt. 
Ihm hat man es zuzuschreiben, dass diese Formeln bis heute im 
Protestantismus eine lebendige Macht für den Glauben sind, wäh- 
rend sie in den katholischen Kirchen ein todter Besitz sind. Man 
wird dem „ganzen Luther" nur gerecht, wenn man diese seine 
zwiespältige Stellung zur altkatholischen Theologie bestehen lässt 
und zu erklären sucht. Luther hat die Zeitgenossen aus den Bahnen 
des humanistischen, franciskanischen und politischen Christen- 
tums geworfen und sie gezwungen, sich für das ihnen Fremdeste 
zu interessiren — für das Evangelium und die alte Theo- 
logie. Er hat das Evangelium neu verkündigt und zugleich da» 
„Quicunque vult salvus esse" des Athanasianums mit Plerophorie 
vertreten können. 


§ 78.] Der Protestantismus. Luther. Einleitung. 361 

Um diese seine Haltung zu verstehen, darf man auf Fol- 
gendes venveisen: 1) die Missstände, die es zu bekämpfen galt, 
flössen vornehmlich aus der mittelalterlichen Theologie, und 
Luther's geschichtlicher Horizont schloss ungefähr bei der Zeit 
des Ursprungs der Papstkirche ab; was dahinter lag, verschwamm 
ihm an vielen Punkten in der goldenen Linie des N.Ts., 2) Luther 
kämpfte niemals gegen unrichtige Theorien und Lehren als solche, 
sondern nur gegen solche Theorien und Lehren, welche offenbar 
die puritas evangelii verdarben (den Pelagianismus in allen seinen 
Gestalten); in ihm lebte nicht der unwiderstehliche Drang des 
Denkers, der nach theoretischer Klarheit strebt, vielmehr hatte 
er einen instinktiven Widerwillen und ein eingeborenes Miss- 
trduen gegen jeden Geist, der, lediglich von der Erkenntniss ge- 
leitet, Irrtümer kühn berichtigte; auch hatte er keineswegs alle 
Bildungsmittel und kritischen Elemente seiner Zeit in sich auf- 
genommen — „sublimement bome, gauchement savant, terrible- 
ment naif ", hat ein Menschenkenner diesen Heros genannt, 3) das 
alte Dogma selbst kam der neuen Auffassung des Evangeliums, 
die er verkündigte, entgegen; er wollte den rechten Glauben 
und nichts als ihn; das alte Dogma aber hatte, im Unterschiede 
vom mittelalterlichen, das Christentum nicht als ein Gefüge von 
Glaube und Werken (Letztere gehörten nicht ins Dogma), Gnade 
und Verdienst beschrieben, vielmehr als Gottesthat durch 
Jesum Christum zur Sündenvergebung und zum ewigen 
Leben. Nur diesen Inhalt sah Luther in dem alten 
Dogma; alles Übrige an ihm übersah er. Deshalb fasste er 
seinen Beruf als den des Reformators: es galt nur auf den 
Leuchter zu stellen, was die Kirche schon besass, aber mitten im 
Besitz verloren hatte; es galt durch Wiederherstellung des alten 
Dogmas das Evangelium von der frei(n Gnade Gottes in Christo 
wiederherzustellen. 

Hatte er nicht wirklich Recht? Fällt seine neue Erkenntniss 
des Evangeliums nicht wirklich mit dem alten Dogma einfach 
zusammen? Man behauptet es noch heute, freilich mehr oder 
weniger verlegen und mit der Einschränkung, Luther habe ein 
Wichtiges hinzugefügt, die Lehre von der Rechtfertigung. 
Aber hat er nicht die unfehlbare Kirchentradition, das unfehl- 
bare Kirchenamt, den unfehlbaren Schriftenkanon abgethan? 
Und doch soll sich sein Verständniss des Evangeliums mit dem 
alten Dogma decken? Worin bestand jenes Verständniss? wie 


362 Dreifacher Ansgang des Dogmas. [§ 79. 

weit ging seine Kritik an der Überlieferung? was hat er bei- 
behalten? war seine Stellung eine widerspruchslose oder ist der 
heutige Zustand des Protestantismus, voll Widersprüchen und 
Yerwirrung, auf ihn zurückzuführen? 

§ 79. Das Christentnni Lnther^s. 

Luther's Theologie von JKüstlin*. 1883, ThHarnack (1862. 1886), 
SLoMMATZscH (1879\ — HHerino, Die Mystik Luther's 1879. — WHbrrmai«n, 
Der Verkehr des Ciiristen mit Gott* 1892. — ARitschl, Rechtfertigung 
u. Versöhnung Bd. P u. IIP. — FKattenbusch, Luther's Stellung zu den 
ökumenischen Symbolen 1883. — JGottschick, Luther's Anschauungen 
V. christl. Gottesdienst 1887. — Zur altprotest. Rechtfert.-Lehre vgl. 
FLooPs und AEichhorn i. d. Stud. u. Krit. 1884 u. 1887. — IDorner, 
Gesch. d. Protest. Theol. 1867. 

Im Kloster glaubte Luther mit sich und seiner Sünde zu 
kämpfen; aber in Wahrheit rang er mit der Religion seiner Kirche. 
In dem System von Sakramenten und Leistungen, dem er sich 
unterwarf, fand er die Gewissheit des Friedens nicht, die er suchte. 
Eben das, was ihm Trost gewähren sollte, offenbarte sich ihm 
als der Schrecken. In solcher Not ging es ihm langsam und all- 
mählich an dem verschütteten kirchlichen Bekenntnisse („ich 
glaube die Vergebung der Sünden^^) und an der h. Schrift auf, was 
die Wahrheit und die Kraft des Evangeliums sei. Auch Augustinus 
Glaubensauffassung von den ersten und letzten Dingen ist ihm 
dabei ein Leitstern gewesen. Aber wie viel sicherer ergriff er das 
Wesen der Sache! Was er hier lernte^ was er mit aller Kraft 
seiner Seele als das Einzige ergriff, das war die Offenbarung des 
gnädigen Gottes im Evangelium, d. h. in Christus. Dieselbe Er- 
fahrung, die Paulus gemacht, erlebte Luther, und wiewohl sie 
nicht so stürmisch und plötzlich eintrat wie bei Jenem, so hat 
doch auch er an dieser Erfahrung gelernt, dass Gott es ist, 
der den Glauben giebt: „da es Gott wohlgefiel, dass er seinen 
Sohn offenbarte in mir". 

Das, was er erlebt hatte, lernte er aussprechen, und da ergab 
sich, gemessen an dem Vielerlei dessen, was dieKirche als„Religion" 
bot, vor Allem eine imgeheure Reduktion. Aus einem weit- 
schichtigen System von Gnade, Leistungen, Büssungen und 
Tröstungen führte er die Religion heraus und stellte sie in 
schlichter Grösse wieder her. Die christliche Religion ist der 
lebendige Glaube an den lebendigen Gott, der sich in Jesus Christus 
offenbart, sein Herz aufgethan hat und propter Christum gnädig 


§ 79] Das Christentum Luther's. 363 

ist — nicht Anderes. Objektiv ist sie Jesus Christus, subjektiv 
der Glaube; ihr Inhalt aber ist der gnädige Gott und desdalb die 
Sündenvergebung, welche Kindschaft und Seligkeit einschliesst. 
In diesem Ring ist für Luther die ganze Religion beschlossen. 
Der lebendige Gott — nicht die philosophische oder mystische 
Abstraktion — der offenbare, der gewisse, der jedem Christen er- 
reichbare gnädige Gott. Unwandelbares Vertrauen des Herzens 
auf ihn, der sich in Christus zu unserem Yater gegeben hat, persön- 
liche Glaubenszuversicht, denn Christus steht durch sein Werk 
für uns ein — das wurde ihm die ganze Summe der Religion. 
Über alles Sorgen und Grämen, über alle Künste der Askese, über 
alle Vorschriften der Theologie hinweg wagte er es, auf Christus 
hin Gott selbst zu ergreifen, imd in dieser That seines Glaubens, 
die er als Gottes Werk wusste, gewann sein ganzes Wesen Selbst- 
ständigkeit und Festigkeit, ja eine Selbstgewissheit und Freudig- 
keit, wie sie niemals ein mittelalterlicher Mensch besessen hat. 
Aus der Einsicht: „Mit unserer Macht ist nichts gethan" zog er 
«die höchste innere Freiheit. Glauben — das hiess ihm nun 
nicht mehr das gehorsame Fürwahrhalten kirchlicher Lehren 
oder geschichtlicher Fakta, kein Meinen und kein Thun, kein actus 
initiationis, auf den Grösseres folgt, sondern die Gewissheit der 
Sündenvergebung und darum die persönliche und stetige Hingabe 
an Gott als den Vater Jesu Christi, die den ganzen Menschen um- 
«chaflft und erneuert. Glauben ist eine gewisse Zuversicht, die da 
fröhlich und lustig macht gegen Gott und alle Kreaturen, die, wie 
ein guter Baum, ge wisslich gute Früchte bringt, imd die immer bereit 
ist, Jedermann zu dienen und allerlei zu leiden. Das Leben eines 
Christen ist trotz aller Übel, Sünde und Schuld geborgen in Gott. 
Weil diese Gewissheit Luther belebte, hat er auch die Freiheit 
eines Christenmenschen erlebt. Diese Freiheit war ihm nicht eine 
leere Emanzipation oder ein Freibrief, sondern Freiheit war ihm 
die Herrschaft über die Welt in der Gewissheit, dass, wenn Gott 
für uns ist. Niemand wider uns sein kann. Er hat das Recht des 
Individuums zunächst für sich selber erkämpft; die Freiheit des 
•Gewissens hat er erlebt. Aber das freie Gewissen war ihm das 
innerlich gebundene, und das Recht des Individuums verstand er 
als die heilige Pflicht, es mutig auf Gott zu wagen und dem 
Nächsten selbständig und selbstlos in Liebe zu dienen. 

Damit ist bereits gesagt, was ihm die Kirche war — die Ge- 
meinschaft der Gläubigen, die der h. Geist durch das Wort Gottes 


364 Dreifacher AuFgang des Dogmas. [§ 79. 

berufen hat, erleuchtet und heiligt, die fort und fort durchs Evan- 
gelium im rechten Glauben erbaut werden, auf die herrliche Zu- 
kunft der Kinder Gottes warten und unterdess einander in Liebe 
dienen, ein Jeder an seiner Stelle. Dieses Bekenntniss von der 
Kirche schloss eine gewaltige Reduktion ein. Es ruht ganz und 
gar auf folgenden einfachen Grundgedanken: 1) dass der h. Geist 
durch das Wort Gottes die Kirche begründet, 2) dass dieses 
Wort die Predigt von der Offenbarung Gottes in Christo ist, sofern 
sie Glauben schafft, 3) dass die Kirche deshalb keinen anderen 
Spielraum hat als den des Glaubens, dass sie aber innerhalb des- 
selben die Mutter ist, in deren Schoss man zum Glauben kommt, 
4) dass, weil die Religion nur Glauben ist, nicht besondere Lei- 
stungen, auch nicht ein besonderes Gebiet, sei es nun der öffent- 
liche Kultus oder eine ausgewählte Lebensführung, die Sphäre 
sein kann, in der die Kirche und die Einzelnen ihren Glauben be- 
währen, sondern dass der Christ in den natürlichen Ordnungen 
des Lebens seinen Glauben in dienender Nächstenliebe zu be- 
weisen hat. 

Mit diesen vier Sätzen trat Luther der alten Kirche gegen- 
über. Durch den ersten hat er das Wort Gottes nach dem 
reinen Verstand als das Fundament der Kirche aufgerichtet. 
Durch den zweiten hat er im Gegensatz zu allen Theologen, 
Asketen und Sektirem des Mittelalters und der alten Kirche das- 
Evangelium im Evangelium wiederhergestellt und die „con- 
solationes in Christo propositae" zur einzigen Norm erhoben. 
Durch den dritten hat er Begriff und umfang der Kirche stark 
reduzirt, aber die Kirche in den Glauben zurückgeführt. 
Durch den vierten endlich hat er den natürlichen Ordnungen in 
Ehe, Familie, Beruf und Staat ihr selbständiges Recht zurück- 
gegeben; er hat sie von der Bevormundung der Kirche emanzipirt^ 
aber sie dem Geiste des Glaubens und der Liebe unterworfen. 
Damit hat er die mittelalterliche und altkirchliche Weltauffassung 
und Lebensordnung durchbrochen und das Ideal religiöser Voll- 
kommenheit so umgestimmt, wie kein Christ seit dem aposto- 
lischen Zeitalter. An die Stelle der Kombination von mönchischer 
Weltflucht und kirchlicher Weltherrschaft setzte er dem Christen 
die grosse Aufgabe, seinen Glauben in den Ordnungen des natür- 
lichen Lebens zu bewähren, in ihnen dem Nächsten selbstlos in 
Liebe zu dienen und sie zu heiligen. Das Recht der natürlichen 
Lebensordnung war für Luther keineswegs ein selbständiges Ideal 


§ 79.] Das Christentum Luther's. 365 

— er war eschatologisch gestimmt und wartete auf den Tag, da 
die Welt vergehen wird mit ihrer Lust, ihrem Leid, ihren Teufe- 
leien und ihren Ordnungen — , aber weil er den Glauben so 
gross und so souverän fasste, duldete er an und in der Religion 
nichts Fremdes. Darum lösten sich durch seine gewaltige Predigt 
alle die in sich verschlungenen Gebilde des Mittelalters. Er wollte 
die Welt nichts Anderes lehren, als was es bedeute, einen Gott zu 
haben; aber indem er das wichtigste Gebiet in seiner Eigentümlich- 
keit erkannte, kamen alle anderen, die Wissenschaft, die Familie, 
<ier Staat, die Liebespflege, der bürgerliche Beruf, zu ihrem Rechte 
Indem er das, was bisher unter dem Schutt raffinirter und kom- 
plizirter Ideale am wenigsten geachtet worden war — die demütige 
und sichere Zuversicht auf Gottes väterliche Vorsehung und die 
Treue im Beruf in der Gewissheit der Sündenvergebung — zur 
Hauptsache machte, führte er eine neue Zeit in der Weltgeschichte 
herauf. 

Wer hier seinen Standort nimmt, wird sich schwerlich über- 
zeugen lassen, dass Luther zu dem alten „gesunden" Dogma nur 
«in paar Lehren ergänzend hinzugefügt hat. 

Luther^s Theologie mus» in engem Zusammenhang mit peiner oben 
-entwickelten Grundanschauung behandelt werden. Er ist in der theo- 
logischen Terminologie Ton einer grossartigen Unbefangenheit gewesen 
und hat die Lehrformen sehr frei benutzt. Die überkommenen theo- 
logischen Schemata hat er in der Regel so behandelt, dass er in jedem 
von ihnen, richtig verstanden, die ganze Lehre ausgedrückt fand. 
Dies lässt sich an der Gotteslehre (Gott ausser Christus und in Christus), 
der Lehre von der Vorsehung (der 1. Artikel ist, richtig verstanden, das 
^anze Christentum), der Christologie („Christus ist nicht darumb Christus 
genennet, dass er zwei Naturen hat, sondern er trägt diesen herrlichen 
und tröstlichen Namen von dem Ampt und Werk, so er auf sich ge- 
nommen hat; Christus ist der Spiegel des väterlichen Herzens Gottes"), 
der Lehre von der Sünde (Sünde ist „keinen Gott haben"), der Präde- 
stination und dem unfreien Willen (das religiöse Erlebniss setzt sich 
nicht ans historischen und sakramentalen Akten, die Gott wirkt, und 
AUS subjektiven Akten, die irgendwie Sache des Menschen sind, zu- 
sammen, sondern Gott wirkt allein Wollen und Vollbringen), dem Gesetz 
und Evangelium (Unterschied von Möglichkeit und Wirklichkeit der 
Erlösung), der Busse (sie ist die Demut des Glaubens, daher das ganze 
Leben eine fortgesetzte Busse), der Rechtfertigung erweisen. In allen 
diesen Lehrstücken hat Luther das Ganze dargestellt — die freie Gnade 
Oottes in Christo — , mit Vorliebe aber sich in dem paulinischen Schema 
von der Rechtfertigung „propter Christum per fidem" heimisch gemacht. 
Die spitzen Formeln über die iustitia imputativa und die schulmäsäige 
Trennung von Rechtfertigung und Heiligung (Glaube und Liebe) stammen 


366 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 80, 

nicht von ihm, auch nicht von dem Melanchthon der früheren Zeit; doch 
haben sie beide den Anstoss zu derselben gegeben. Überall war es ihm 
um die Heilsgewissheit des Glaubens zu thun. „Wo Vergebung der 
Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit/* In dieser Überzeugung^ 
gewann er die religiöse Selbständigkeit und Freiheit gegenüber Allem,, 
was nicht von Gott ist; denn nur Selbständigkeit und Freiheit ist Leben. 
Die G^wissheit der Sündenvergebung in Christus wurde ihm die Summe 
der Beligion. Auf sie hat er darum die Beligion zurückgeführt. Aber 
die positive Seite der Sündenvergebung war ihm die Kindschaffc, durch 
die der Christ ein selbständiges Wesen wird gegenüber der Welt, keines 
Dinges bedarf und weder unter der Knechtschaft von Geboten, noch in 
der Abhängigkeit von Menschen steht — ein Priester vor Gott und ein 
König über der Welt. 

§ 80. Die Kritik Lnther^s an der herrschenden kircMichen 

Überlieferung nnd am Dogma. 

Überall ist Luther bei seiner Kritik vom Centruin in die 
Peripherie gegangen, vom Glauben zur Institution, und hat nicht 
Lehren als solche getroffen, sondern Lehren, welche die rechte 
Praxis verdunkelten oder verdarben. 

1) Er hat die herrschende Heilslehre als verderblich ab- 
geihan (Apol. IV init.: „adoersarii^ quum neque quid remissio 
peccatorum, ncque quid fides, ncque quid gratia neque quid iustitia 
sity infelligant, misere contaminant locum de iustificatione ei ob- 
scurant gloriam et beneficia Christi et e^ipiunt piis eonscientiis pro- 
positas in Christo consolationes''^, und zwar zeigte er seinen Gegnern^ 
dass ihre Gotteslehre (sophistische Philosophie und Vernünfteln),. 
Christologie (sie spekuliren über die zwei Naturen und kennen 
die beneficia Christi nicht), ihre Lehre von der Wahrheit, Ge- 
rechtigkeit und Gnade Gottes (sie treffen nicht das „Tröstliche*^ 
imd deshalb irren sie mit blinder Vernunft), von der Sünde und 
dem freien Willen (sie sind Pelagianer), von der Rechtfertigung 
und dem Glauben (sie wissen nicht, was es heisst, propter Christum 
einen gnädigen Gott haben, verlassen sich auf Verdienste) und 
von den guten Werken falsch und seelenverführerisch ist. Mit 
diesem Nachweise traf Luther nicht nur die Scholastiker, sondern 
auch die Kirchenväter, ja selbst Augustin, also die ganze alt- 
katholische Kirchenlehre. 

2) Luther griff die altkatholischen (nicht nur mittelalter- 
lichen) Ideale der Vollkommenheit und der Seligkeit an. 
Indem er die Vorstellung einer doppelten Sittlichkeit bis in ihre 
Wurzeln tilgte, setzte er an Stelle der mönchischen Vollkommen- 


§ 80.] Kritik Luther's an der Überlieferung und am Dogma. 367 

heit den sich der Sündenvergebung tröstenden Glauben, an Stelle 
des BegriflFs von Seligkeit als eines Genusses der geheiligten Sinne 
und der geheiligten Erkenntniss den Trost eines befriedeten Ge- 
wissens und die Gotteskindschaft. 

3) Luther zertrümmerte die katholische Sakramentslehre, 
nicht nur die sieben Sakramente.- Durch die drei Sätze: l) die 
Sakramente dienen der Sündenvergebung und nichts Anderem, 
2) sacramenta non implentur dum fiunt, sed dum creduntur, 3) sie 
sind eine eigentümliche Form des seligmachenden Wortes Gottes 
(der promissio dei) und haben deshalb ihre Kraft an dem geschicht- 
lichen Christus — verwandelte er die sakramentalen Ele- 
mente in Sakramentalien und erkannte in ihnen nur ein wirk- 
liches Sakrament an, nämlich das sündenvergebende Wort 
Gottes. Er wandte sich hier gegen Augustin nicht minder wie 
gegen die Scholastiker, und indem er den Christus praedicatus, 
die Sündenvergebung und den Glauben zur strengsten Einheit 
zusammenschloss, schloss er alles übrige aus, das mystische 
Schwelgen, das dingliche Gut, das opus operatum, das Feilschen 
um die Effekte und die Dispositionen. Nicht als „Instrumente'^ 
der Gnade, die das zukünftige Leben geheimnissvoll im Menschen 
vorbereiten und durch eingegossene Liebe gute Werke ermög- 
lichen, fasste er die Sakramente, sondern als verbum visibile, in 
welchem Gott selbst mit uns handelt und sich in Christus uns zu 
eigen giebt. Gott schafft durch das Wort im Sakrament den 
Glauben und Glaubenstrost, d. h. er schafft Sündenvergebumg. An 
der Taufe und dem Abendmahl führte das Luther durch. Am 
schwersten aber hat er die katholische Kirche durch seine Kritik 
des Busssakraments getroffen; denn 1) hat er, ohne confessio und 
satisfactio — richtig verstanden — ganz abzuthun, die souveräne 
Geltimg der herzlichen Reue wiederhergestellt, 2) hat er diese 
Reue im Gegensatz zur attritio, die ihm ein teuflisches Werk war, 
im strengsten Sinn gefasst als Hass gegen die Sünde, entspringend 
aus der Einsicht in die Grösse des Guts, welches man verscherzt: 
„an Dir allein habe ich gesündigt", 3) hat er Stetigkeit der gläu- 
bigen Bussgesinnung gefordert und damit die vor dem Priester 
abgelegte Busse für einen Spezialfall erklärt, 4) hat er die Not- 
wendigkeit der priesterlichen Mitwirkung abgethan, 5) hat er die 
ausschliessliche Verbindung von contritio und absolutio gelehrt^ 
die beide beschlossen sind in der fides, 6) hat er allen Unfug, der 
sich an das Sakrament angeschlossen, die Berechnungen über 


368 Dreifacher Ansgang des Dogmas. [§ 80. 

zeitliche und ewige Vorteile, Fegfeuer, Heiligenverdienste, ver- 
dienstliche Satisfaktionen und Ablässe abgethan, indem er alles 
auf die ewige Schuld reduzirte. So hat er den Baum der katho- 
lischen Kirche gefäUt, indem er aus seinen Wurzeln einem neuen 
Triebe Licht und Luft gab. 

4) Luther hat das ganze hier archische und priesterliche 
Kirchensystem umgestürzt, der Kirche jede Jurisdiktions- 
gewalt über die Anwendung der Schlüssel (d. h. des Worts) hinaus 
abgesprochen, die bischöfliche Succession für eine Fiktion erklärt 
und jedem besonderen Priestertum neben dem allgemeinen das 
Recht aufgekündigt. Indem er nur ein Amt der Verkündigung 
des Evangeliums bestehen Hess, hat er die katholische Kirche 
nicht nur der Päpste, sondern auch des Irenäus aufgelöst. 

5) Luther hat die überlieferte Kultusordnung nach 
Form, Zweck, Inhalt und Bedeutung abgethan. Er wollte von 
einem spezifischen Gottesdienst, besonderen Priestern und be- 
sonderen Opfern Nichts mehr wissen. Die Opferidee hat er über- 
haupt, im Hinblick auf das einmalige Opfer Christi, zurück- 
geschoben. Der Gottesdienst ist nichts Anderes als die Einheit 
der Gottes Verehrung der Einzelnen nach Zeit und Raum. Wer 
ihm einen besonderen Wert beilegt, um auf Gott einzuwirken, 
der sündigt. Um Erbauung des Glaubens durch Verkündigung 
des göttlichen Worts und gemeinsames Lobopfer des Gebets 
handelt es sich allein. Der wahre Gottesdienst ist das christliche 
Leben im Vertrauen auf Gott, Busse und Glauben, Demut und 
Treue im Beruf. Diesem Gottesdienst soll der öffenthche dienen. 
Auch hier hat er nicht nur die Kirche des MA., sondern auch die 
alte, zerschlagen. 

6) Luther hat die formalen äusseren Autoritäten des 
Katholicismus vernichtet; den Unterschied von Sache und 
Autorität hat er aufgehoben. Weil ihm der gepredigte Christus 
(Gott in Christus, Wort Gottes) die Sache und die Autorität war, 
so warf er die formalen Autoritäten über den Haufen. Selbst vor 
dem Bibelbuchstaben machte er nicht Halt. Eben in der Zeit, 
in welcher er die absolute Autorität der Tradition, der Päpste 
und der Konzilien bekämpfte, stellte er das, was Christum treibet, 
wider den klaren Buchstaben der Schrift und scheute sich nicht, 
von Irrtümern biblischer Schriftsteller in Glaubenssachen 
frischweg zu reden. 

7) Luther hat seinen Gegnern die dogmatische Termi- 


§ 80.] Luther's Kritik an der Überlieferung und am Dogma. 369 

nologie nur konzedirt, soweit er sie nicht einfach abgethan hat. 
Er hatte das lebendigste Gefühl dafür, dass diese ganze Termino- 
logie mindestens irreführend sei. Es lässt sich das nachweisen 
an seinen Ausstellungen 1) betreffs des Vielerlei der Begriffe 
iustificatio, sanctificatio, vivificatio, regeneratio etc., 2) in Bezug 
auf den Begriff satisf actio, 3)ecclesia, 4) sacramenta, 5)homousion, 
6) trinitas und unitas. Die Terminologien der Scholastiker hat 
er in der Regel für falsch, die der altkatholischen Theologen für 
unnütz und kalt erklärt. Am wichtigsten aber war, dass er in der 
Gotteslehre und Christologie zwischen dem „für uns" und „für 
sich" unterschied, damit scharf bezeichnend, was wirklich Glau- 
benslehre ist imd was Sache der spekulirenden Vernunft oder 
im besten Fall unergründliches Geheimniss des Glaubens. 


Luther hat das alte dogmatische Christentum abgethan und 
•eine neue evangelische Auffassung an die Stelle gesetzt. Die 
Reformation ist wirklich ein Ausgang der Dogmengeschichte: 
■das lehrt diese Übersicht klar und deutlich. Was Augustin be- 
gonnen, aber nicht zu bewirken vermocht hat, hat Luther durch- 
geführt: er hat den evangelischen Glauben an Stelle des Dogmas 
aufgerichtet, indem er den Dualismus von dogmatischem Christen- 
tum und praktisch -christlicher Selbstbeurteilung und Lebens- 
führung aufgehoben und den christlichen Glauben aus der 
Jmarmung der antiken Philosophie, des Welterkennen s, der 
heidnischen Ceremonien und der klugen Moral befreit hat. Der 
Glaubenslehre, aber der reinen, hat er ihr souveränes 
Recht in der Kirche wieder zurückgegeben — zum Schrecken 
aller Humanisten, Kirchenmänner, Franciskaner und Aufklärer. 
Die wahre Theologie soll die entscheidende Macht in der 
Kirche sein. 

Aber welch' eine Aufgabe! Erschien es doch fast wie ein 
Widerspruch: die Bedeutung des Glaubens als Inhalt der Offen- 
barung in den Mittelpunkt zu rücken gegenüber allem Vernünfteln 
und Thun imd so das zurückgedrängte theoretische Element her- 
vorzuholen, und doch andererseits nicht jenen Glauben einfach 
hinzunehmen, den die Vergangenheit gebildet hatte, ihn vielmehr 
in der Gestalt zu zeigen, in der er Leben ist imd Leben schafft, 
Praxis i^t, aber Praxis der Religion. Aus der Grösse dieses Pro- 
blems erklärt sich auch der Rückstand jener Elemente in Luther*s 

Grundriss IV. iii. Habnack, DogmengeStfhiohte. 2. Aufl. 24 


370 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 81. 

Theologie, der sie verwirrt hat und der das Urteil, die 
Reformation sei der Ausgang der Dogmengeschichte, wohl er- 
schüttern kann. 

§ 81. Die Ton Luther neben und in seinem Christentum 
festgehaltenen katholischen Elemente. 

Wie viel oder wie wenig Luther hier festgehalten hat — est 
gehört wohl zum „ganzen Luther '', aber nicht zum „ganzen 
Christentum" Luther's. Wie vermochte Luther katholische Ele- 
mente festzuhalten, und welche hat er konservirt? Von diesen 
beiden Fragen, die es zu beantworten gilt, ist die erste bereit» 
oben (S. 361) z. T. beantwortet worden; es bedarf hier nur einer 
Ergänzung. 

1) Luther trat für den Glauben ein im Gegensatz zu jeg- 
lichem Werk, für die doctrina evangelii im Gegensatz zu gerecht 
machenden Leistungen und Prozessen. Daher stand er in Gefahr,, 
jegliche Ausprägung des Glaubens sich anzueignen oder dock 
gelten zu lassen, wenn sie nur frei erschien von Gesetz und Leistung. 
Dieser Gefahr ist er verfallen. Demgemäss trübte sich auch sein 
KirchenbegriflF. Er wurde so zweideutig wie der BegriflF der doc- 
trina evangelii (Gemeinschaft des Glaubens, Gemeinschaft der 
reinen Lehre). — 2) Luther glaubte in der Regel nur gegen Irr- 
lehren und Missbräuche der mittelalterlichen Kirche zu kämpfen,, 
und da er allen Schaden vom Papst ableitete, so hatte er ein zu 
günstiges Vorurteil für die vorpäpstliche alte Kirche. — 3) Luther 
kannte die altkatholische Kirche wenig und legte ihren Entschei- 
dungen in unklarer Weise doch eine gewisse Autorität bei. — 
4) Luther rechnete sich und sein unternehmen stets in die eine- 
katholische Kirche ein, behauptete, dass diese Kirche ihm den 
Rechtstitel zu seiner Reformation gebe, und hatte deshalb ein leb- 
haftes Interesse, die Kontinuität des Glaubens in ihr nachzuweisen. 
Dieser Nachweis schien am sichersten an den alten Glaubens- 
formeln geliefert werden zu können. — 5) Luther war kein Syste- 
matiker, sondern schaltete wie ein Kind im Hause der Kirche^ 
nach der Helligkeit eines geordneten Lehrgebäudes hatte er keine 
Sehnsucht; aber so wurde seine Kraft auch seine Schwäche. — 
6) Luther hat in jedem Schema der überlieferten Lehre sein 
ganzes Christentum zum Ausdruck zu bringen vermocht und sich 
deshalb bei den alten Formeln beruhigt, — 7) Luther ist in con- 
creto — nicht der Absicht nach — ein mittelalterlicher Exegei 


§ 81.] Die y. Luther festgehaltenen katholischen Elemente. 371 

gewesen; er fand daher viele überlieferte Leliren in der Scliriffc, 
obgleich sie nicht darin standen. In Bezug auf die Geschichte 
hatte er wohl intuitive richtige Erkenntnisse, aber keine metho- 
disch gewonnenen. — 8) Seine Einsicht in das Wesen des Wortes 
Gottes hat den Biblicismus doch nicht ganz ausgetilgt, vielmehr 
kehrte derselbe nach 1523 immer stärker zurück. Das „es steht 
geschrieben" blieb ihm eine Macht. — 9) Auch in Bezug auf die 
Sakramente blieb ihm eine superstitio nach als „Gnaden mittel" 
(statt als die eine Gnade) und hat die schwersten Polgen für seine 
Lehrbildung gehabt. — 10) Reste nominalistischer Scholastik hat 
er nicht auszutilgen vermocht, und sie wirkten auf die Ausprägung 
der Gottes-, Prädestinations- und Sakramentslehre ein. — 11) Nach- 
dem er in den Kampf mit den Schwärmern geraten war, hat er ein 
Misstrauen gegen die Vernunft gewonnen, das über das Miss- 
trauen wider dieselbe als Stütze der Selbstgerechtigkeit weit hin- 
ausging. Er hat sich wirklich in kühnem Trotz wider die Vernunft 
verhärtet und ist an wichtigen Punkten der bedenklichen katho- 
lischen Stimmung verfallen, die in der Paradoxie und dem 
Absurden die göttliche Weisheit erkennt, der man sich zu unter- 
werfen hat. Speziell die hochmütige Verwerfung der „Schwär- 
mer", die auf nicht wenigen Punkten richtige Einsicht besassen, 
und die Abneigung, mit der weltlichen Bildung fortzuschreiten, 
haben der Reformation die schwersten Wunden geschlagen. 

Die Folge dieser Haltung ist gewesen, dass, sofern Luther 
seinen Anhängern eine Dogmatik hinterlassen hat, diese sich als 
ein höchst verwirrtes, ungenügendes Gebilde darstellt: nicht als 
ein Neubau, sondern als eine Modifikation des Überlieferten. So- 
mit ist (nach Abschnitt 3) klar, dass Luther hier kein Endgiltiges 
gesetzt, sondern nur einen der Reform nach den eigenen 
Prinzipien Luther's bedürftigen Anfang gemacht hat. 
Folgendes sind die schwersten Verwirrungen und Probleme in 
seiner Erbschaft: 

1) Die Verwirrung von Evangelium und doctrina 
evangelii. Luther hat freilich nie aufgehört, die articuli fidei 
als mannigfaltige Zeugnisse dessen zu betrachten, worauf es im 
Christenglauben allein ankommt; aber daneben hat er ihnen doch 
auch einen selbständigen Wert gegeben. Demgemäss wurde der 
den Glauben belastende Intellektualismus der Scholastik nicht 
ausgerottet, vielmehr wurde er unter dem Titel der reinen Lehre 
bald eine furchtbare Macht und die Kirche demgemäss Theologen- 

24* 


372 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§81. 

und Pastoreiikirclie (vgl. die Geschichte des Beichtstuhls im 
Luthertum). Die Folge war, dass sich als Gegengewicht gegen 
die veräusserlichte Lehre (besonders von der Rechtfertigung) die 
katholische Mystik wieder einschlich imd das evangelische Lebens- 
ideal sich verdunkelte (s. Ritschl, Gesch. des Pietismus 3 Bde.). 
So ist der Zukunft statt einer klaren und eindeutigen Anweisung 
in Bezug auf Glaube, Lehre und Kirche vielmehr ein Problem ge- 
stellt worden, nämlich die „Lehre" in echt lutherischem Sinn hoch- 
zuhalten, sie aber von Allem zu befreien, was nicht anders ange- 
eignet werden kann als durch das Mittel geistiger Unterwerfung, 
und die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens auszuprägen, 
ohne ihr den Charakter einer theologischen Schule zu geben. 

2) Die Verwirrung von evangelischem Glauben und 
altem Dogma. Lidem Luther seinen neuen Heilsglauben in den 
Formen des alten Dogmas aussprach, vermochte er es nicht zu 
hindern, dass dieses sein altes Recht und seine alten Ziele be- 
hauptete, ja er selbst hat — namentlich von der Abendmahlslehre 
her — in dem ursprünglichen Schema der Christologie weiter 
gedacht. Lidem er aber den neuen Wein in die alten Schläuche 
goss, entstand eine Spekulation über die TJbiquität des Leibes 
Christi, die sich auf den höchsten Höhen scholastischen Wider- 
sinns bewegte. Die traurige Folge war, dass das Luthertum 
gleichsam als nota ecclesiae die ausgeführteste scholastische 
Doktrin erhielt, die je eine Kirche erhalten hat. Dies Ergebniss 
ist nicht auffallend; denn wie kann man ohne Widersinn den 
Glaubensgedanken, der Mensch Jesus Christus ist die OflFenbaruiig 
Gottes selbst, sofern Gott in ihm uns sein väterliches Herz zu er- 
kennen gegeben und aufgethan hat, in das Schema der Zwei- 
Naturenlehre spannen? Eben weil erst Luther wirklieh Ernst 
gemacht hat mit dem Glauben an den Gottmenschen (Einheit 
von Gott und Mensch in Christus), musste die ^eräßa^tg zur Spe- 
kulation über die „Naturen" die kläglichsten Folgen haben. Das- 
selbe kann man auch an der Rezeption der augustinischen Lehre 
vom Urständ und der Erbsünde nachweisen. Auch hier konnte 
Luther die Paradoxien und das Absurde nur steigern, indem er in 
diesen Formen seine evangelische Überzeugung, dass alle Sünde 
Gottlosigkeit und Schuld ist, auszudrücken versuchte. Überall 
zeigt es sich, dass der evangelische Glaube, projizirt in jene dog- 
matischen Vernunftschemata, die die Griechen, Augustin und die 
Scholastiker geschaffen haben, zu bizarren Formeln führt, ja jene 


§ 81.] Die V. Luther festgehaltenen katholischen Elemente. 373 

Schemata nun erst vollends unvernünftig werden. Also hat die 
Reformation der Folgezeit die Aufgabe gesetzt, jene Gott- Welt- 
Philosophie abzuthun und an ihre Stelle den einfachen Ausdruck 
des Glaubens, die richtige Selbstbeurteilung im Lichte des Evan- 
geliums und die wahrhafte Deutung der Geschichte zu setzen. 

3) Verwirrung zwischen Wort Gottes und h. Schrift. 
Luther hat, wie bereits bemerkt, das Schwanken zwischen einer 
qualitativen und buchstäblichen Schätzung der h. Schrift nie 
überwunden, und der Streit um das Abendmahl verfestigte ihn in 
letzterer. Er hat die Knechtschaft des Buchstabens doch nicht 
gebrochen. So geschah es, dass seine Kirche zur strengsten Inspi-^ 
rationslehre kam, während sie andererseits doch nie ganz vergass, 
dass der Inhalt des Evangeliums nicht alles das ist, was zwischen 
den Deckeln des Bibelbuchs steht, sondern die Verkündigung der 
freien Gnade Gottes in Christo. Auch hier ist also der Kirche der 
Reformation die Aufgabe geblieben, mit dem Christentum Luther's 
wider den „ganzen" Luther Ernst zu machen. 

4) Die Verwirrung zwischen Gnade und Gnaden- 
mitteln (Sakramenten). Die feste und ausschliessliche Be- 
trachtung, in die Luther Gott, Christus, h. Geist, Wort Gottes^ 
Glaube, Sündenvergebung und Rechtfertigung (Gnade) gesetzt 
hat, ist sein höchstes Verdienst, vor Allem die Erkenntniss von 
dem untrennbaren Zusammenhang des Geistes und des Worts. 
Aber durch eine scheinbar leichte Verschiebung ist er doch zu 
sehr bedenklichen Sätzen gekommen, indem er das, was vom 
Wort (Christus, die Predigt des Evangeliums) gilt, auf den Be- 
griff yjvocale verbum et sacramcnta^^ schlechthin übertrug. Mit 
Recht stritt er dafür, dass Christus selbst im Wort handle und 
dass nicht ein Nebeneinander von Wort und Geist, Zeichen und 
Sache, anzunehmen sei. Allein nicht nur durch die Ausscheidung 
bestimmter Handlungen als „Gnadenmittel" trat er in die ver- 
lassenen engen Kreise des MA. zurück — der Christ lebt, wie er 
selbst am besten wusste, nicht von Gnadenmitteln, er lebt durch 
den persönlichen Zusammenschluss mit Gott, den er in Christus 
ergreift — , sondern in noch höherem Masse durch das Unter- 
nehmen, A) die Kindertaufe als Gnadenmittel im strengen Sinn 
zu rechtfertigen, B) die Busse doch auch als das Gnadenmittel 
der Initiation zu fassen, C) die reale Gegenwart des Leibes Christi 
im Abendmahl als das wesentlichste Stück dieses Sakraments 
zu behaupten. 


374 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 81. 

Ad A) Stehen Sündenvergebung (Gnade) und Glaube in einem 
untrennbaren Zusammenhang; so ist die Kindertaufe kein Sakra- 
ment im strengen Sinn („aftsew^e fide haptismus nudum et ine/ficax 
Signum tantvwmodo jyermanei", sagt Luther selbst im grossen 
Katech.). Um diesem Schluss zu entgehen, hat Luther Ausfluchte 
gebraucht, die einen Rückfall in den Katholicismus bedeuteten 
(fides implicita, stellvertretender Glaube). Die schlimmste war, 
dass er den Anlass gab — um die Kindertaufe als vollendetes 
Sakrament fassen zu können — , Wiedergeburt und Rechtfertigung 
zu spalten (objekiv und subjektiv). Freilich wurde so die Kinder- 
taufe zum Sakrament der Rechtfertigung (nicht der Wieder- 
geburt); die bedenklichsten Konfusionen traten ein, und das herr- 
lichste Kleinod des evangelischen Christentums, die Rechtferti- 
gung, wurde veräusserlicht und drohte ein dogmatischer locus 
neben anderen zu werden und seine praktische Bedeutung zu 
verlieren. 

Ad B) Glaube und wahre Busse sind nach Luther eins 
(RALiPSius, Luther's Lehre von der Busse 1892. WHerrmann 
in ZThK I S. 28fiF.), so jedoch, dass der Glaube das Prius ist: so- 
fern der Christ stetig im Glauben leben soll, soll er stetig in der 
Busse leben; einzelne Bussakte haben keinen Wert, und ohne 
rechten Glauben giebt es überhaupt keine rechte Busse. So hat 
Luther vom Standpunkt des gläubigen Christen aus gepredigt. 
Die Gefahr, dass diese Lehre zur sittlichen Laxheit führt, ist ebenso 
deutlich wie das Andere, dass man mit ihr keinen Türken, Juden 
und groben Sünder bekehren kann. Erst Melanchthon, dann 
Luther selbst, hat dies gefühlt. Aber statt zwischen pädagogischen 
Missionsgrundsätzen und dem Glaubensausdruck zu unterscheiden, 
haben sie — indem zugleich das katholische Busssakrament bei 
ihnen nachwirkte — jene in diesen übergeführt, demgemäss eine 
vor dem Glauben eintretende Busse gefordert, die sich von der 
attritio nicht mehr sicher unterschied, und nun das Busssakrament 
(ohne obligatorische Ohrenbeichte und Satisfaktionen) als Akt 
der forensischen Rechtfertigung eintreten lassen. Zwar hat Luther 
daneben stets seine alte richtige Anschauung festgehalten; aber 
die einmal zugelassene Auffassung entwickelte sich mit er- 
schreckender Schnelligkeit weiter und schuf eine Praxis, die 
schlimmer, weil laxer, war als der römische Beichtstuhl (s. die 
Reaktion des Pietismus). Li ihr veräusserlichte sich der Begriff 
des Glaubens bis zum blossen Kirchengehen; ziemlich unverhüllt 


§81.] Die y. Luther festgehaltenen katholischen Elemente. B75 

trat wieder die alte Annahme der Wirksamkeit der Gnadenmittel 
•ex opere operato hervor, und die Rechtfertigung des Sünders 
43chrumpfte zusammen zu einem äusserlichen forensischen Akt, 
«inem die Gewissen einschläfernden Begnadigungsurteil Gottes, 
das unfehlbar eintritt, wenn der Pfarrherr den Sünder in foro 
absolvirt. Um dem Leichtsinn zu steuern, hatte man der katholi- 
schen Auffassung die Hinterthür geöffnet, und der Leichtsinn 
wurde nun erst gross! Der Gedanke aber, dass die Rechtfertigung 
die Sphäre und die Erbauung des Christenmenschen ist, ver- 
dunkelte sich; sie galt nur noch als die iustificatio impii. Also 
musste sich der pius nach neuen Erbauungsmittehi umsehen, war 
-doch seine Rechtfertigung nur ein (sich wiederholender) „objek- 
tiver" Initiationsakt. Hier liegt noch heute der Grundschaden! 

Ad C) Unzählige Male hat Luther bekannt, dass man im 
Wort und Sakrament nur nach der Versicherung der Sünden- 
Tergebung suchen dürfe, und mit „grimmiger Verachtung" Alles 
abgewiesen, was man sonst ans Sakrament gehängt hatte. Er 
hat diese Überzeugung auch nie aufgegeben, die die 
Frage nach dem Leibe Christi im Abendmahl (als eine 
theologische) überhaupt nicht aufkommen lässt. Aber 
als er sah, dass erst Karlstadt, dann Zwingli u. A. Zeichen und 
Sache auseinanderfallen Hessen und die Gewissheit der Sünden- 
vergebung im Sakrament gefährdeten, suchte er, zugleich von 
mittelalterlicher Überlieferung bestimmt, diese dadurch sicher 
zu stellen, dass er auf die Realpräsenz im Sakrament zurückgriff 
und diese mit steigender Heftigkeit und vollendetem Starrsinn 
80 vertheidigte, als handele es sich um Sein oder Nicht- 
sein der Sündenvergebung selbst. Nur dann kaim man 
Luther's Haltung in dem Streite verstehen, wenn man dieses 
•quid pro quo erkennt und wenn man ferner würdigt, dass Luther 
instinktiv nach einem Mittel suchte, um Geister los zu werden, 
die sich an ihn herandrängten und denen er in richtiger Selbst- 
«chätzung — im Literesse seiner evangelischen Erkenntniss und 
seiner Haltung als Reformator — die Hand nicht zu bieten ver- 
mochte. Aber die Dinge haben ihre eigene Logik. Lidem er an 
dem einen Punkte, der Realpräsenz, im Namen des Glaubens für 
«twas eintrat, was der Natur und Eigenart seines Glaubens nicht 
entsprach, erwachten alle mittelalterlichen Interessen in ihm, die 
bereits überwunden schienen. Hier erwachte der Biblicismus 
(„est" „est"), hier der scholastische Doktrinarismus an Stelle der 


376 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 81. 

fides sola, hier ein perverses Interesse für sophistische Spekula- 
tionen, hier eine ungehörige Sehätzung des Sakraments neben 
und über dem Wort, hier eine Hinneigung zum opus operatum,. 
und über das Alles eine engherzige und lieblose Gesinnung! Was 
die Fassung der Lehre selbst betrifft, so konnte es nicht aus- 
bleiben, dass sie paradoxer wurde als die katholische. Die Trans- 
substantiation sollte nicht gelten, sondern jene von Occam und 
anderen Nominalisten hypothetisch ausgesprochene Meinung, 
dass in einem und demselben Raum (mit, neben, unter) die sinn- 
lichen Elemente und der wahrhaftige Leib Christi beschlossen 
seien. Derselbe Mann, der sonst die Scholastiker verspottet, er- 
klärte nun: „Die Sophisten reden hiervon recht", beschenkte seine 
Kirche mit einer Christologie, die an scholastischem Widersina 
die thomistische weit hinter sich liess (Ubiquität des Leibes 
Christi), eliminirte den Glauben so sehr aus dem Sakrament, dass- 
er die Lehre von der manducatio infidelium zum articulus stanti» 
et cadentis ecclesiae erhob („der Leib Christi wird mit den Zähnen 
zerbissen"), und trumpfte mit der Unvernunft der Lehre als dem 
Siegel ihrer göttlichen Wahrheit. 

Durch die Fassung, die Luther der Abendmahlslehre ge- 
geben, hat er es mit verschuldet, dass die spätere lutherische 
Kirche in ihrer Christologie, in ihrer Sakramentslehre, in ihrem 
Doktrinarismus imd in ihrem falschen Massstabe, mit dem sie 
abweichende Lehren mass und für Ketzereien erklärte, eine küm- 
merliche Doublette zur katholischen Kirche zu werden drohte;, 
denn Katholicismus ist nicht der Papst und nicht die Heiligen- 
verehrung oder die Messe — das sind Folgen — , sondern die- 
falsche Lehre vom Sakrament, von der Busse, vom Glauben und 
den Glaubensautoritäten. 

Die Gestalt, welche die Reformationskirchen im 16. Jahrh^ 
erhielten, war keine einheitliche und keine definitive: das zeigt 
die Geschichte des Protestantismus bis auf diesen Tag. Luther 
hat das Evangelium wieder auf den Leuchter gestellt und ihm 
das Dogma unterworfen. Es gilt, das festzuhalten und fort- 
zusetzen, was er begonnen hat. 


377 


Eegister. 


Ein * bezeichnet 
treffende Person, Lehre 

Aachen (Synoden) 269 f. 
Abälard 284 f. 292 312 

327. 
Abendmahl; vorkath. 32 

40; altkath. 80 82 ff.; 

Cyrill 198; giiech. 

Orthod. 216; August. 

248; Gregor. I. 265; 

Radb. Eatramn. 272f. ; 

Bereng. Lanfr. u. a. 

287f.; Scholast. 320f. 

Luth. 375. 
Ablässe 275 [303] 323 ff. 

344. 
Acta Archelai 127. 
Acta Pauli 68. 
Adam 102 104 136 163 

167 188 194 251 ff. 331. 
Adiaphoriten 2ü6. 
Adoptianische Christo- 

logie, alte, 36 ff. 41 f. 
Adoptianismus 122—127 

129 170 268 f. 355; 

germanischer 176. 
Ägypterevang. 53. 132. 
Aon, zukünftiger, 10. 
Aetius 180 f. 
Agathon 210. 
Agnoeten 206. 
Agobard 268 271. 
Akazius 178. 
Akiisteten 206. 
Albertus 313 321. 
Alcibiades 46. 
Alcuin 268 f. 
Alexander VII. 348. 
Alexander v. Alex. 171 f. 
Alexander y. Kappad. 

109. 


die Hauptstellen. [ ] bezeichnen, dass die be- 
etc. bekämpft, abgelehnt etc. wird. 

! Alexandrien, Patriarch. ' Anselm 284 289 ff* 305 


155. 
Alexandriner , Christ 
liehe, 61 84 109 ff. 145 
151 214 222. 


311. 
Anthropomorphism. 158 

211. 
Antichrist 302. 


Alexandrinische Kate- 1 Antiochenische Schule 


chetenschule 109. 

Alexandrinismus , jüdi- 
scher, 20 ff. 89. 

Allegorische Exegese 9 
17 f. 23 47 54 [57] 66 
99 115 129 134 151 
225 229. 

Almosen 81 258 260. 

Aloger 106 109 122 f.* 

Alphons Liguori 350. 

Altercatio Simonis 38. 

Altes Testament; Be- 
deutung für das Chri- 
stentum 7 (9) 10; apost. 
Zeitalt. 8 14f. 17 23; 
hellenist. Juden t. 21 
47; vorkath. 27 30 33 f. 
37 f. [41] 42 f. 62 66; 
Gnost. 47—55; Mar- 
cion 56—59; Apelles 
59; Apolog. 85; alt- 
kath. 69 f. 106 ff. Clem. 
110; griech. u. röm. 


u. Theologie 126 145 
150 f. 163 166168 170 
[2081 214 222 260. 

Antiochenische Symbole 
179. 

Antiochien^Schisma 183. 

Antiochien, Synoden, 
125 170. 

Antitrinitarier 352 ff. 

Apelles 51 69*. 

&(pd-aQ6La (29) 34 93 
104 f. 166. 

Aphtbartoketismus 206. 

Apokalypse Joh. 106 149 
151; Petri 112; Ze- 
phanj. 36 f. 

Apokalypsen 69 161. 

Apokalyptik (cf. Chi- 
liasm. u. Eschatol.) 18 
33 f. 44 [120] [122] 
[246] 294 302 f 353. 

Apokalyptische Littera- 
tur (jüd.) 18 f. 47 66, 


Kirche 150 ff.; griech. : Apokatastasis 102 120. 
Orthod. 217; Abendl. Apokryphen 150. 341. 


275; Scot. 316. 
Alvarus Pelagius 300. 
Amalrich v. Bena 311. 


Apollinaris 85 182 188 
192—195* 201 207 
[242]. 


Ambrosius 151 169 185 ! Apologeten 4 38 61 85 

229ff. 236. I —95* 97. 

Ancyra (Synode) 181. j Apostel, apostolisch, 29 
Anhomöer 180. 32 40 60 ff. 70ff. 76 f. 


378 


Begister. 


137 139 143 152 f. 216 

246 318. 
Apostelgeschichte 67. 
Apostelstühie 155. 
Apostolische Konstitu- 
tionen 67 bO 214. 
Apostolische Väter 30 

-41. 
Apostolisches Symbol, s. 

(röm.) Bekenntniss u. 

153. 
Aqnileja, Symbol, 130. 
Areopagite cf.Dionysius. 
Aristides 85. 
Aristoteles 124 145 149 

168170176183193205 

207219 223flP. 227 250f. 

276 282285 306 ff. 310. 
Arius u. Arianism. 131 

134 144 166 170—186 

267. 
Arles (Synoden) 154 180 

193 263. 
Armenien 205. 
Amobius 131. 
Artemon, -iten 123 f. 
Askese 22 24 f. 35 44 

49—56 58 136 139 142 

148 162 f. 181195 213 

243 256 258 294 297 f. 
Askusnages 188. 
Asterius 174. 
Athanasianum 190. 
Athaoasius 41 142 ff 154 

166f.* 174ff.* 193. 
Athenagoras 85 88. 
attritio 319 322 333 344 

cf. 360 367 374. 
Auferstehung Christi 

13f. 38 123. 
Auferstehung des Flei- 
sches 33 [66] 94 104 

108 120 162. 
Augustana 339. 
Augustiu 4 82 124 150 

152 156 169 169 189 

214 232—261* 268 ff. 

289300306(t.310 326f. 

330 ff. 337 f 340 347 ff. 
Augustinus Triumphus 

300. 
ATCrrhoes 303. 
Avicenna 305. 
Avitus V. Vienne 264. 


Bajus 347. 
Bardesanes 52. 
Barnabas, siehe apost. 

Väter. 
Bartholomäus de Medi- 

na 360. 
Basilides 51 55. 
Basilius v. Ancyra 180. 
Basilius v. Caesar. 183. 
Beatus 269. 
Beda 268. 
Beichte, cf. Busse. 
Bekenntniss; alt- röm. 31 

62 262; — Apolog. 93; 

altkath. 96 99 (cf. re- 

gula fidei, Symbole). 
Bellarmin 347. 
Berengar 284 286 ff. 

Bernhard v. Clairv. 27 7f. 
284 292 315. 

Beryll v. Bostra 124 128. 

Bettelorden 294 ff. 299 f. 

304 f. 
Biblicismus (cf. heiig. 

Sehr.) 149 152 168 161 

224 237 302 338 f. 371 

376. 
Biel 314. 
Bilderdienst 216 ff. 271 

304. 
Bilderstreit 145 f. 219 f. 
Bischöfe 40 73 79 139 

153 266 280 303 320 

326 344 ff. 
Blandrata 365. 
Boethius 230 282 f. 
Bogomilen 277. 
Bonaventura 322 331. 
Bonifazn. 264; VIII. 299. 
Bourges, pragm. Sankt., 

300. 
Bradwardina 309 332. 
Bräutigam, Christus od. 

der Logos der, 105 

119 278. 
Busse u. Entsühnung 24. 
Busse,Bussdiscipl.,Buss- 

sakram., vorkath. 40; 

altkath. 77 ff. 82 f. 

Abendl.229 260; Au- 
gust. 258 ; Greg. 1. 266 ; 

Mittelalt. 274fcf. 296; 

Laterankonz. v. 1215: 

288; Ans. 289; Nomin. 


309; Scholast. 322— 
325. Luth. 367 374. 

Caelestius 260 ff. 
Caesareensisches Sym- 
bol 177. 
Caesarins y. Arles 264. 
Cajetan 332. 
Calixt 71 f. 75 78 127ff. 
Calvin 336. 
Cumpanus 354. 
catechism. Boman. 345 

347. 
Celsus 29 3S 87. 
Cerdo 57. 
Cerinth 44 122. 
Chalcedon (Synode u. 

Symbol) 145 153 201 

203 ff.* 
character indelebilis 74 

79 248 317 326. 
Chiersey (Capitel von) 

270. 
Chiliasmus 33 35 42 78 

106 124 132 [269] 353. 
Chlodwig 267. 
Christologie , urchristl . 

13 f. 16 19 f.; vorkath. 

28f 35ff.; judenchriatL 

43 f.; gnost. 49f. 54f.; 

Marcion 57 f.; Apolog. 

89 91 ff.; Justin 94; 

Iren. 97 101 ff.; Tert. 

103f ;0rig.ll4118f.; 

monarch. 121 — 133 ; 

Origenisten 133ff. ; uui 

300: 41; Äthan, u. 

Arius 166; Alexander 

V. Alex. 171; Arius 

172 ff.; Äthan. 174ff ; 

Marceil u.Photin'l 79; 

Semiarian. 180; Apol- 

linaris 192 — 194; An- 

tioch.l96;Cyrill. 197; 

Leo 1. 202; Chalced 

204; August. 242 269; 

bemh. - abendl. 279 ; 

Scholast. 313f.;Socin. 

366357; Luth. 372 376. 
Chrysostomus 214 224. 
Cicero 229 232. 
Claudius (v. Turin) 271. 
Clemens v. Alex. 63 64 

85 109 ff.* 
Clemens XI. 349. 


Regster. 


379 


Olemensbriefe s. apost. 

Väter. 
■Clajpiy 277 280. 
<]Joele8tin 199 263. 
•Oonfirmation 83 214 315 

317 320. 
consilia eyaogelica 266 

258 330. 
•Contarini 332. 
Oomelius Massus 347. 
Cornelius v. Rom 79. 
'Cyprian 72 ff. 80 f. 107 

229 
■€yrill'v.Alex.41197ff.* 

216 ff.; V. Jerusal. 186. 


Dämonen 29 35 f. 38 52 
87 ff. 117 120 147 160 
163 247 264. 

Damasus 183 187 194. 

David V. Dinanto 311. 

Demetrius 134. 

:Denck 354. 

Denifle 297. 

Deutsche Theologie, 
Buch, 297. 

Didache 29 31-40 42. 

Diocletian 140. 

Diodorv.Tars.158 195ff.* 

Dionysius v. Alex. 124 
131 133; Areoi agita 
145 159ff. 2141* 224 
230 307 Bar Salibi 
168 V. Rom 130 133. 

Dioskur 200 ff. 

Dogma u. Dogmen 48 
90 1 44 225 258ff. 2S0ff. 
288 293 295 305 311 
836 f. 339 353 360 369 
372 f. 

Dogmatik 60 f 107 110 
112 134 136 306 308. 

Dogmengeschichte; Be- 
griff Iff., Endpunkt 
3 340. 

Doketismus 37 52 58 
[98 103] 112 119 122 
177 191 f. 
[Dominikaoer 309. 

Domnus v. Antioch. 201f. 

Donatismus 230 — 244 

302 f. 
.Dreikapitelstreit 208 cf. 
224. 


Dualismus 25 35 44 f. 

49—56 93 f. 98 112. 
Duns Scotus 297 (scot. 

Mystik); 307 311 313f. 

316-334 (332f.*) 
Dynamisti scher Monar- 

chianismud cf. Adop- 

tianismus. 
Dyophysitismus, Gnost. 

65; Iren. 102 ff.; Tert. 

103f.; cf. Orig. 118 

193; Antioch. 196ff.; 

Leo I. 202; ^cholast. 

313. 

Ebioniten 43. 

Eckhart 297. 

Edessa 223. 

ky%qdteia 24 28. 

Ehe, Sakram. 214 315 
326. 

Ehe, Verachtung oder 
Verbot der (zweiten) ; 
Marcion 58; Monta- 
nism. 77; altkath. 81; 
Hierak. 134; cf. Au- 
gust 267. 

Ekthesis 209. 

Elipandus 268. 

Elkesaiten 46. 

Emser Punktation 346. 

Encyklika 206. 

Engel 44 120 160 217ff. 
258 264. 

Enorel Gottes, Christus 
der, 36. 

Enhypostasie 207 211. 

Enkratiten 52. 

Enthusiasmus 20 27 34 
41 [60] 69 73 76 f. 228 
230. 

Entsühnung 24 28 139 
273. 

Ephesus (Konzil 431) 
199 252 

— (Konzil 449) 200 202. 

Epigonus 128. 

Epiktet 25. 

Epiphanius 222. 

Episkopalismus (cf. Bi- 
schöfe) 303 345 f. 

Erasmus 310. 

Erbsünde [griech.Orth. 
164] [Pelag. 263 f.] 
August. 256t'., abendl.- 


kirchl. 262; Scholast. 

320331f.;Trident.342. 
Erkenntniss, Bedeut. 1; 

vorkath.33 36;Gnost 

47f. 53; griech Orthod. 

147 161 164 cf. 212; 

Äthan. 166 cf. 177. 

August 237 243; tho- 

mist. Myst. 297; Rea- 

lism. u. Nominalism. 

328 332; Socin. 356. 
Erlösung; vorkath. 29 

35 ; Marcion 58 ; Apo- 

log. 87; Iren. H6ff. ; 

Tert. 103 106; Hippel. 

105 ; Orig. 118; griech. 

Orthod. 146 f.; Äthan. 

142 165 f. 176 f. 179; 

Greg. Nyss. 167; Apol- 

lin.194; Antioch.l96f.; 

August. 243 259; Ans. 

289ff.; Abäl.u.a.292; 

Thom. u. Scot. 313 f. 

332. 
Eschatologie 13 41 53 

[56] 75 85 96 ff. 105 f. 

120f. 131 149 223 260. 
Esra-Apokalypse 151. 
Eterius 2<59. 
Eugen IV. 326. 
Euklid 124. 

Eunomins 158 180 185 f. 
Eusebianer 174 f. 
Eusebius v. Caesarea 

141 151 154 171 177. 

— V. Doryläum 201 f. 

— V. Emesa 180. 

— V. Nikomed.171178. 

— V. Vercelli 180. 
Eustatius V. Sebaste 180. 
Eutyches 201 ff, 

Eva 102. 
Evangelien 65. 
Exegese (cf. allegor.) 

150 ff. 
Exkommunikation 245. 
Exultate Domino (Bulle) 

344. 


Facundus v. Herm. 208. 
Faustus V. Reji 262. 
Febronius 346. 
Fegfeaer, Orig, 120; 
August. 258; Greg, I 


880 


Begisier. 


267; Abendl. 274; 
Scholast. 324. 

Felix V. Urgel 269. 

fides form ata n. informis 
304 314 331 333. 

fides implicita 296 308 f. 
836 374. 

filioque 189 f. 270 f. 288. 

Firmelung, cf. Confir- 
mation. 

Firmilian 74. 

Flavian 201 f. 

Florentiner Konzil 316. 

Frankfurt (Synode) 269 
271. 

Franz Davidis 355. 

Franziskus u. die Mino- 
riten 293 ff. 303 305. 

Freiheit des Willens, 
altkircM. 33 f.; Apo- 
log. 87 90; altkath.98 
101 f. 108; Orig. 114 
116 119, cf. 141; 
griech. Kirche 148 f. 
161 f.; August. 239; 
Pelag. 252 ff.; Semi- 
pelag. 262 ; Nomin.309 
332; Petr.Lomb. 327; 
Thom. 329; Trident. 
342: Jesuit. 348. 

Frömmigkeit, heidn.des 
2. u. 3. Jahrh. 24 f.; 
voraugust.233; augu- 
stin . 233 ff. ; bernhard . 
278f;franci8k. 293ff.; 
des 15. Jahrh. 337. 

Fronleichnamsfest 321. 

Fulgentiusv.Ruspe263f. 


Galen 124. 

Geheimtradition 48 54 
[58] 66 115 153 347. 

Geist (Gottes, heiliger) 
urchristl.l4; vorkath 
27 29 37 40; montan 
78; Apol. 92; Tert 
100 ; Hippol. 101 
Orig. 116; Theodot 
123; Sabell. 131 f. 
Pierius 134; Ariusl74 
konstantinopolit. 185 ; 
griech. u. röm. Kirche 
186— 190; Petr.Lomb. 
327 


Geisterwelt (cf. Dämo- 
nen, Engel) 115 ff. 160. 

Georg V. Laodicea 180. 

Gerbert 283. 

Gericht (cf. Eschatol.) 
149 256. 

Gerson 314. 

Ge8chichte,Bedeutungl; 
Clem. 3; griech. Or- 
thod. 164 f.; August. 
235 242. 

Geschichte Jesu, cf. Ke- 
rygma. 

Gesetz, neues, 33 38 43 
107 cf. 164 229 f. cf. 
254 301 304 328 330 
357. 

Giordano Bruno 353. 

Glauben (cf. fides) Be- 
deutung 1 : apost. 
Vät. 33; Marc. 58; 
Apolog. 90 i Iren. 96; 
Ambros. u. a. 231; 
August. 233 ff. 256 
258; Ans. 289; Vor- 
reform. 301 ff.; Schol. 

314 318, cf. 320 328 
331; Trident. 342; 
Socin. 357 ; Luth. 363 
369 f. 

Glauben u. Wissen, cf. 

Gnosis. 
Glaubenslehre b. Dog- 

matik. 
Gnaden lehre (cf. gratia 

und Paulus) Ambros. 

231; August. 233 ff. 

255 ff.; Pelag. 253 f.; 

Ans. 289 ff ; Scholast. 

315 cf. 316 ff. 327 — 
333; Trident. 342. 

Gnosis, kirchliche, Clem. 
109 f.; Orig. 112. 

Gnosticismus 28 40 f. 
44 f. 47 — 56* [59] 
86 f. 

Gottesdienst, vorkath. 
29 39; Luth. 368. 

Gotteslehre (cf. Mono- 
theism. Dualism. Tri- 
nität) Jesus lOff. ; vor- 
kath. 34 f ; Gno.-t. 49 f. 
64 ; Marcion 57 f.; Apo- 
log. 90 ff.; Iren. 99; 
Tert. 100; cf. 108. 


Orig. 115; Modalism. 

127 ff.; griech. Kirche- 

158 ff; August. 239 ff.; 

Abendl. 274 f.; Ans. 

289 f. ; Bealism. und 

Nominal. 307 309 311 

328 330 333; Luth. 

360 363. 
Gottessohn 36 123 173. 
Gottheit Christi (cf^ 

Christologie) 122. 
Gottmensch (cf. Dyo- 

physitism.) 102 142 f. 

221. 
Gottschalk 269 f. 
Gratian, Kaiser, 184 L 

Dekretist, 299. 
Gregor L 261 264 ff.*" 

270 273 321. . 

— VIL 280 287 303, 

— V. Nazianz 184. 

— V. Nyssa 41 l&T 
182 f. 215. 

Gregorius Thauuratur- 

gus 135. 
Guitmund v. Aversa 288. 

Hadrumet (Mönche) 262. 

Häretiker (cf. Gnosti- 
cism.) 245 247 318. 

Hätzer 354, 

Haggada 18. 

Halesius 313 322 331. 

Hebräer-Brief 9 17 151. 

Hebräer- Evang. 43. 

Heilige 217 ff. 262 265^ 
275 304. 

Heiligkeit der Kirche 79 
245. 

Hellenismus und Evan- 
gelium 10 17 19 28 
39 f. 47 — 66 58 84 
87ff. 98 121 134138ff. 
143 171 221 ff. 

Henotikon 206. 

Heracleon 51. 

Heraclius 209. 

Hermas (cf. apost. Vät.) 
123 151. 

Herrenworte 32. 

Hierakas 134. 

Hierarchie, cf. Kirche- 
und Bischöfe. 

Hieronymus 150 ff. 21& 
222 229 283. 


Register. 


381 


Hilarius 151 180f. 229. 
Hildebert v. Tours 288. 
Himmelfahrt 20 89. 
Hinkmar 269 ff. 
Hippo (Synode) 150. 
Hippolyt 61 75 78 96 

99 101 105. 
Hölle und Höllenstrafe 

120 267 274 324. 
Höllenfahrt 20 39. 
Hoheslied bei Orig. 119; 

Bemh. 278. 
Homöer 180 f. 
Homöusianer 180 ff. 
^IwovOLog 126 l32f. 142 

147 155 170 f. 175 • 

— 190 206. 
Honorius v. Rom 209 

[211]. 
Hosius V. Kordova 171 

177 180. 
Hugo V. St. Victor 286 

300 318 321. 
Humanisten 6 336 f 

340. 
Humbert 287. 
Humiliaten 294. 
Hub und Husiten 298 

303 309 325 336. 
Hyliker 50 65. 
^ootaaig cf. bei o/hcia. 

Jansen und Jansenism. 

348 ff. 
Ibas 208. 

Jerusalem, Synode, 251. 
Jesuiten 346 ff. 
Ignatius, cf. apost. Väter 

und 214. 
IndiTidualismus 226 230 

277 294ff. 338. 
Infralapsarismus 255. 
Innocenz 1. 252. 

— IlL 305. 

— IV. 308. 

— X. 348. 

— XI. 360. 
Inspiration (cf. Kanon) 

112 151 154 347. 
intentio 318. 
Joachimiten 303. 
Johann XXII. 300. 
Johanneische Schriften 

9 17 19 38 41 73 122f. 
Johannes - Akten 38 53. 


Johannes Cassianus 262. 
Johannes Damascenus 

149 151 188 211* 220 

224* 269. 
Johannes Philoponus 

188 205. 
Joris 354. 
Jovinian 232 243. 
Irenäus 41 61 63 f. 68 

71 87 96—108* 135f. 

147. 
Isidor 268 282. 
Islam 46 144 206. 
Israel, das wahre, 14 42. 
Juden 17 30 34 42 
Judenchristentum 27 

42 ff.* 
Julian, Kaiser, 144 181. 

— V. Eklanum 250 ff. 

— V. Halikamass 206. 
Julius Afrikanus 109. 
Julius V. Rom 179. 
Jungfrauengeburt 20 

103 122 129 [355]. 
Junilius 152. 
Justin 44 65 85 87 — 

95*. 
Justin I., Kaiser, 207. 
Justinian 145 154 207 f.* 

224 261. 

Kanon (cf. Altes und 
Neues Testament) 132 
150f. 3G1. 

Kappadocier 144 148 
153 163 182ff.* 188* 
194 221 224 229. 

Karl der Grosse 267 
269 ff. 

Karlstadt 375. 

Karpokrates 53. 

Karthago (Synode) 150 
252. 

Katholicismus , katho- 
lisch, 3 44 f. 52 60 
62 ff. 235 245 258 ff. 
264 288 290 308 311 
376. 

Katholische Briefe 68. 

Kelchentziehung 321 
344. 

Kerygma 10 ff.; vorkath. 
38 f. 41 62; Gnost. 
49 52f.; Apolog. 86f.; 
Iren. 9 7 f.; Tert.Hipp. 


101; Orig. 114; Adop- 
tian. 122 ; griech. Or- 
thod. 147 165 168; 
Äthan. 177; Antioch. 
196 f.; Monophys. 198 
206, cf. 216; Au- 
gust. 242 ; Greg. 1. 265 ; 
Abendl.269 272;Bernh. 
278 f.; Luth. 360. 

Kerygma Petri 38 f. 112. 

Kinderkommunion 84 
97. 

Kinder taufe [40] 83 251 
254 257 320 358 374. 

Kirche(n), vorkath. 27 
31 71; Gnost. 66 
Marc. 56 58; Iren 
Tert. 72 ; Calixt, Cypr 
72 ff. Montanism. 76 
altkath. 79 ff. 108 
Iren. 105; 3. Jahrh 
139; griech. Kirche 
157 f.; Optatus 231 
August. 153 236 243 ff. 
258; Greg. I. 266 
Francisk. 294; Mittel- 
alt. 299 ff.; Scholast. 
306 ff. 335; Kurialism. 
335 f.; Trident. 341; 
Socin. 354; Luth. 364 
368 370. 

Kirchenrecht 280 299 f. 

Kleinasiatische Theo- 
logie 96 122 128. 

Kleomenea 128. 

Knecht Gottes, Christus 
der, 36. 

Koloss. - Brief 44. 

Konstans I. 179. 

— II 2l0. 

Konstantin 75 81 139 
142 ff. 154 171 178 
229. 

Konstantin Pogonatus 
210 

Konstantinopel 156 201. 

— , Synode, v. 360:181 
„ 381:184 
„ 383:185 
„ 448:201 
,, 658:208 
„ 680:210 
„ 692:211. 

Konstantinopolitanum 
153 184 f. 189 341. 


382 


Register. 


Konstant ius 178fi. 

Eonstanz (Konzil) 825. 

Konzilien 164f. ^80 300 
310 335 346 f. 368. 

Kosmologie , kosmolo- 
gisch, 44 481}'. 113 
121 132 137 141 159 
167 176 189 259. 

Kreatianismus 162. 

Kurialismus 335 f. 

TiVQiog, Christas der, 35 f. 
38 62 65. 

Lactantius 131 229. 

Laienchristentum 294 ff. 

Lanfranc 287. 

Laodicea (Synode) 160 
218. 

Lateransynode 649 : 210 ; 
— 1215:288 322; — 
1615:300. 

Leben, ewiges (und Auf- 
erstehung) 15 24 28 f. 
33 88 40 237 258 329 f. 
833 357. 

Leidrad 269. 

Leo L 200 ff. 206. 

Leontius v Byzanz 145 
188 207* 224. 

Libanius 183. 

Liberius 180 188. 

LibertinismuB 56. 

libri Carolini 271. 

Logos: Job. 17 38; 
Philo 22; vorkath. 
88 44; Apolog. 91— 
95; Tert. 99 f.; Hip- 
poL 101; Iren. 101 
cf. 108; Clem. llOf.; 
Orig. 115 f.; altkath. 
121 ; Aloger 122 ; Paul. 
Samos. 125 ; Moda- 
lism. 128 ff.; Dionys. 
Alex. 133; Lucian 
170; Arius 172 ff.; 
Äthan. 174 ff.; Mar- 
ceil 179; Photin 179 
[August. 259]. 

Lucian 126 170*. 

Lucidus 263. 

Lucifer 180 182. 

Lupus V. Ferneres 270. 

Luther 4 6 309 321 337 
359 — 376. 

Lyon 76; — Konzil 300. 


Macedonius und Mace- 

donianer 184 187. 
Magnentius 179. 
Mailand (Synoden) 179 f. 
Maimonides 305. 
Makarius 215. 
Manicbäismus (cf. Dua- 

lism.) 229 254. 
Marc Aurel 25 75. 
Marcell 181 f. 177 179*. 
Marcian 200 203. 
Marcion 45 51 56 — 59* 

66 99. 
Maria (cf. Jungfrauen- 
geburt) 217 f. 334 349 ; 

— -a-fOTÖxog 176 [196] 

198 204 217; — virgo 

in partu 258 272. 
MariuB Mercator 250. 
Martin I. 210. 
Massilia (Mönche) 262. 
Materie 91 93 114 136. 
Mathilde v. Sachsen 277. 
Maximus Confessor 209 

215 224. 
Melanchthon 6 360 866 

874. 
Melchior Hoffmann 854. 
Melchisedek 123. 
Meletius 183. 
Melito 40 f. 85 95. 
Menander 44. 
Menschensohn 11. 
Menschheit Christi (cf. 

Christologie)169 191ff. 

196 f. 205 f. 
meritum, Tert. 105; 

Abendl. 169; August. 

236 243 256; Pelag. 

254; Semipel. 265; 

Mittelalt. 275 811 : 

Scholast. 318 f. 826 f. 

Trident. 348. 
meritum de congruo u. 

de condigno 263 319 

329 ff. 
meritum Christi 258 265 

275 291 ff. 313. 
Messopfer cf. Opfer u. 

Abendmahl. 
Methodius 41 61 135 f.* 

167 215. 
Michael Servede 354. 
Miltiades 85. 
Minoriten cf. Prancisk. 


Minucius Felix 85 87 229^ 

Modalismus und Moda« 
listen 122 127 — 135^ 
188 f. 312. 

Modalism., naiver, 37;: 
58 99. 

Molina 348. 

Monarchiani^mus 121 — 
133 

Mönchtum 142 229 243 f. 
266. 

Monergismus 209 f. 

Monophysitismus 145 
194 198 201 203 ff. 
268 313. 

Monotheismus 10 (Be- 
deutung im Christen- 
tum) 31 35; 238 (Au- 
gust) 312 (Occam). 

— griechischer, 24. 

Monothelesischer Streit 
145 209 ff.* 

Montanismus 74 ff.* 123- 
127. 

Moralismus 24 3df. 131 
205 [235] 252 802 309 
333 353. 

Mysterien, Mysterio- 
sophie , Mystagogie 
17 39 41 44 47—55 
61 82 ff. 110 135 189 
145 147 153 157 168 
177 212 ff". 223 ff. 266. 

Mystik, Iren. 98 cf. 105;. 
cf. Orig. 119; Method. 
136 141; griech. Or- 
thod. 164 212 ff.; Au- 
gust. 243; Scot. Erig. 
268; Bemh. V. Clairv. 
278 f.; M, u. bcholastv 
2-1 f.; Bettelorden 
295 ff.; Thom, 307; 
Lutheran. 372. 


Napoleon L 346. 

Natalis 123. 

Nazaräer 43. 

Nepos 133. 

Nestorius 126 198 ff.*. 

Neues Testament 65 — 
70* 112 122 356. 

Neuplatonismus 25 f. 41^ 
87 98 110 113f. 13a 
188 ff. 160 183 21ä 


Resrister. 


383 


221 223 236 278 282 

308. 
Kicaea ( Synode 326 ) 

164 171 177. 
— (Synode 787) 160 

218 220 271. 
Nicänum 65 100 153 

155 177* 184 186. 
Nice 181. 

Nicolaus V. Kus 310. 
Nihilianismus 313. 
Nisibis 223. 
Noet 128. 
Nominali^mus 224 283 

297 308iF.* 316 318 

— 334 338. 
Novatian 79 107 130. 


Occam 300 307 311 313 

832 f. 
Ohrenbeichte 288 [303]. 
Ökonomie 64 98 100 1 

121. 
ökumenische Synoden 

164 f. 
Ölung 315 325. 
Offen bar ung , Bedeu - 

tung 1; Apolog. 8 6 ff.; 

Iren. 99; Clem. 109f.: 

Orig. 113 115 117; 

griech. Kirche 159 

161; August. 242; 

Abäl. 284; Bealism. 

u. Nomin. 305 ff. 332; 

Socin. 356. 
opera superer ogatoria 

162 324. 
Opfer, christliches, 39 

81 260 321. 
— Christi 104 166 168 

216 258 f. 265 368. 
Ophiten 51. 
Optatus 229 231. 
opus operatum u. ope- 

rans 316 318 343 367 

375. 
Oranges (Synode) 264. 
Ordination 230 317 326 

359. 
Origenes 4 23 61 112 

— 120* 124 131 140 

[145] [cf. 159] [cf. 

163] 177 182 [200] 

[20öJ 221 ff. 


Origenisten 106 133 ff. 
144. 

Orosius 260f. 

ovcLa (qpvfftg cf. Sub- 
stanz) u. 'bnöataatgi 
in der Trinitätsiehre 
174 177 181 f.; 
in der Christologie 
197 207 211. 

Pacian 229. 

Pamphilus 124. 

Pantänus 109. 

Pantheismus 167 f. 206 
213 223 268 279 284 
295 306. 

Papst (cf. röm. Bischof 
u. Unfehlbarkeit) 279f. 
299 — 304 305 f. 324 
335 ff. 345 f. 351 368 
370. 

nagddoGig icyQci(pog (cf. 
Geheimtradition) 153 
187. 

Pascal 348 350. 

Paschasius Quesnel 349. 

Paschasius Badbertus 
272 f. 

Pastoral- Briefe 67. 

Patripassianer 127. 

Paulin V. Trier 180. 

Paulinus 251. 

Paulus 5 9 15 ff.* 43; 
vorkath. 32 34 38; 
gnost. 48 66; Mar- 
cion 57 ff. ; altkath. 
67 107; Iren. 98 102. 
Abendl. 231 f.; Au- 
gust. 236 260: Socin. 
358; Luth. 362. 

Paulus y. Samosata 126 f. 

Felagius u. Pelagianism. 
250 ff. 309 332 361. 

TrsQtx^QrjCLg 188 211. 

perseverantia 256. 

Person, in der Trinitäts- 
iehre, 99 f. 132 182 
186 189; 

in der Christologie 
103 192 196 2u2 cf. 
204 207 211. 

Petrus V. Alex. 134f 

— V. Kallinico 188. 

— Lombardus 285 293 
312 f. 315 ff. 322 327. 


Petrusevang. 53 68. 

Petrus -Schriften 68. 

Pharisäer 44. 

Philippopolis 179. 

Philosophie, griechische 
(cf. Hellenismus) 47 ff. 
85 ff. 109f. 121 126 
136 137 140 171 217 
805 ff. 359 369 373. 

Photin 126 179. 

Photius 189. 

Phthartolatren 205. 

Pierius 134. 

Pippin 267. 

Pius V. 347. 

Pius IX. 347. 

Piatonismus 26 [45] 48 
53 87 [123]. 

Plutarch 26. 

Pneumatische Christo- 
logie 37 f. 

Pneumatomachen cf. 
Macedonianer. 

Polykarp cf. apostoL 
Väter. 

Pontian 131. 

Porphyrius 113. 

Posidonius 26. 

Prädestination : August, 
236 244 255 f. 260 
Semipelag. 262 ff. 
Gottschalk 269 f. 
Thom. 306 312 330, 

Prädestinatus , über, 
263. 

E*räexi8tenz,Christi : jüd, 
u. hellen. 19 f.; vor- 
kath. 38; Apolog. 96; 
altkath. 122; Ariu& 
173; Socin. 357. 
der Seele: Orig. 117 
cf. 134 [Method. 136] 
[anno 653 : 162]. 

Praxeas 128. 

Priester, christl., 80. 

Priestertum , allgemei- 
nes, 81 368. 

Prisca 76. 

Probabilismus 350. 

professio fidei Trident, 
345 f. 

Propheten, christl. u. 
Lehrer, 29 40 62 66 
68 76 [122]. 


384 


Register. 


Propositionen, Gallika- 

nische, 846. 
Prosper 263. 
Provinzialsynoden 164. 
Prudentius 229. 
Prüden tiuB v.Troyes 270. 
Psalmen 236. 
Pseadoclementinen 44 f. 
Pseudoisidor 280 303. 
Psychiker 50 52 55. 
Psychologie 26 228 283 

238 242 308 322. 
Ptolemäus (Valentini- 

aner) 49 fF. 106. 
Piücheria 200 203. 

Ouadratus 85. 
Quietismns 236 251. 

Babanus 268 ff. 273. 
Eakauer Katechismas 

355 ff. 
Bationalismus 6 85 88 

97 f. 148 164 176 196 

242 250 284 
Ratramnus 270 273 287. 
Realismus 224 283 f. 305 

820. 
recapitulatio : lustin 94 f. 

Iren.97101ff;Method. 

130. 
RechtfertigungAug.256; 

Scholast. 318 318 327 

329 332 f.; Trident. 

341 f.; Socin. 357; 

Luth. 366 375. 
Reformation 227 338 f. 

852 359 376. 
Reformkonzilien 298. 
Regens bürg ( Synode ) 

269. 
regula fidei 62 ff. 93 96 

99 123 135 ff. 141. 
Reich Gottes (Christi) 

32f. 246 f. 266 277 280. 
Religion u. Sittlichkeit, 

Jesus 11; urchristl. 15 

27 ff.; griech.-röm. 1. 

u. 2. Jahrh. 24; Apo- 

log. 87 89 ff.; griech. 

Kirche 148 f. ; August. 

233 cf.240f. 250 255; 

Pelag. 250 254; Greg. I. 

267. 


Religion zweiter Ord- 
nung 216 ff. 221 265. 

Reliquien 217. 

Renaissance 310. 

ReOrdinationen 302 826. 

Richter, Gott der, 10 ff. 
159 228 231 266 275 
328. 

— Christus der, 12 29 36. 

Rimini (Synode) 181. 

Ritualismus 212 f. 

Robert PuUus 315. 

Rom, röm. Gemeinde, 
Bischof, Christentum, 
81 62 73 76 84f. 128 
144 158 155 226 228 
246 261 266 300 ff. 

Rom (Synode 641) 210. 

Romantiker 346. 

Roscellin 283 812. 

Rufin 151 222 229. 

Rufus y. Thessalonich 
252. 


Sabellius u. Sabellia- 

nismus 128 181 ff.» 

172 178 f. 
Sakramente, im 8. Jahrh. 

139; Greg. Nyss. 167 ; 

Optatus 231 ; August. 

235 247 ff. 259; My- 
stiker 296; Mittelalt. 

309 311; Nominal. 

309; Scholast. 315— 

327; Trident. 848 ff.; 

Luth. 367 371 373 376. 
Sardika 179. 
Satisfaktion : Tert. Cypr. 

81 105; August. 258; 

Greg. 1. 267 ; Abendl. 

274;Ans.290f.;Thom. 

u. a. 313 f. 323 f.; 

Trident. 344. 
Satornil 55. 
Savoniäres 270. 
Schismatiker 245 247. 
Schleiermacher 132. 
Schöpfung 35 91 99 108. 
Scholastik 145 207 213 

224 280 ff. 305—334. 

337. 
Schrift, heil. (cf. Alt. u. 

Neues Test.) 99 106 ff. 

110 115 141 150 ff. 


237 302 306 f. 310 836 

346 f. 354 356 368 873. 
Schulen , theologische, 

109 123 138 [145 224]. 
Schwenkfeld 353. 
Scotus Erigena 206 268* 

283 287. 
Sebastian Franck 353. 
Seele Christi 118 193. 
Seelenmessen 278 275 

844. 
Seleucia (Synode) 181. 
Semiarianismus 180. 
Semipelagianismus 262 

—264* 265 269 341. 
Seneca 26. 
Sergius 209. 
Seuse (Suso) 297. 
Severus v. Antioch., Se- 

verianer 205 f. 
Simon Magus 44 61 f. 
Sirmium (Synoden) 179 

181. 
Sittlichkeit, doppelte 

(cf. consilia) 76 [366]. 
Sixtus IV. 334. 
Skepticismus 25 232 

235 238. 
Socinianismus 308 814 

333. 
Sokrates , Kirch. - Hist . 

221. 
Sophronius v. Jerus. 149 

209. 
Sozzini u. Socinianismus 

352 ff. 
Staat u. Kirche 247 277 

280 299 ff. 306. 
Staupitz 332 .^37. 
Stephanus bar Sudaili 

206. 
Stephanus v. Rom 74. 
Stoicismus 21 25 f. 44 

87 127 250 
Strafleiden 289 292 814. 
Subordinatianismus 95 

99 f. 1301331881189]. 
Substanz : in der Trini- 

tätslehre 99 f. 189, in 

der Christologie 103 

192 202. 
Succession, apostol. der 

Bischöfe, 71 246 [359] 

[368]. 
Sünde, Begriff, Iren. 101 ; 


Register. 


385 


Orig. 117; griech. Or- 
thod. 163 f.; Abendl. 
230 f.; August. 234 
255 ff.; Pelag. 253; 
Scholast. 330. 

Sündenfall, Orig. 117; 
August. 241 258; Pe- 
lag. 263; Scot.331f. 

Sündenvergebung, ur- 
christl. 11 15; vor- 
kath. 33f. 38 f.; mon- 
tan. 78; altkath. 78f. 
83; Iren. 104; Pelag. 
254; August. 256 259 f. 
Ans. 291; Scholast. 329 
331 ; Luth. 363 366. 

Symbol, das, beiAugust., 
237 258 f. 

Symbole (Glaubens- 
regeln) 31 62 93 96 
99 130 135 ff. 144 153. 

Symbole (Zeichen) 39 f. 
84 214. 

Symmachus 45. 

Synesius 222. 

Synkretismus 47 52. 

Syrien 205. 

Tatian 52 65 86. 

Taufbekenntniss , cf . 
Bekenntniss, regula, 
Symbol. 

Taufe, urchristl. 14; vor- 
kath. 32 f. 39; alt- 
kath. 83; August. 248 
257 f.; Greg. I. 266; 
Scholast. 316 319 f. 

Taufe Christi 20. 

Tauler 297. 

TertuUian 61 63 f. 68 
71 78 84f. 96-108* 
228* 236 280. 

Teufel , vorkath. 35 ; Au- 
gust. 2462571; Greg.I 
265; Abäl. 292; Petr. 
Lomb. 293; — Em- 
pfänger des Opfers 
Christi 169 259 [290]. 

Theodice 160. 

Theodor v. Tarsus 268, 
V. Mopsneste 195 ff. 

Theodora 208. 

Theodoret 201ff. [cf 208] 
223. 

Theodorus Studita 220. 


Theodotianer 109 123. 
Theodotus, der Leder- 
arbeiter 123. 
— der Wechsler 123. 
Theodosius 144 184 f 
Theognost 134. 
Theoktist 109. 
Theologie, natürliche 

(cf. Eationalism., Mo- 

ralism.^ 147 ff. 168— 

165 226 305. 
Theopaschitischer Streit 

207 f. 
Theophilus (Apolog.)85. 
Theophilus v. Alex. 200 

222 
Theosophie 25 f 161. 
^sorS'KOs cf. Maria. 
Thes salonich, Edikt von, 

184. 
Thomas y. Aquino 296 

300 f. 306 f.* 311 ff. 

316—334. 
Thomas a Eempis 298. 
Thyrsus Gonzalez 350. 
Tod Christi 14 f 39. 
Todsünden 40 78 f 82 

274 318 320 322 325. 
Torquemada 300. 
Toucy 270. 
Tradition 32 48 60 62 f 

67 152 ff. 250 318 341 

346 361. 
Traducianismus 162. 
Transformation (Trans- 
mutation) 84 216. 
Transsubstantiation 288 

[304] 311 320 f 344 

[376]. 
Tnchotomie 117 162. 
Tridentinum 3 227 264 

322 f. 338 340-345*. 
Trinität: Tert. 96 100 

[Hippel. Iren. 101] ; 

Orig. 116; Dionys. v. 

Roml33,Greg.Thaum. 

135 ; Arius 174 ; Äthan. 

175177;Kappad.l83; 

griech. u. röm. Kirche 

186—190; August. 242 

259; Scholast. 312; 

Socin. 364 f. 
Tritheismus 188 205 283 

312. 
TruUanum 211. 


Typos 210. 

T^rus (Synode) 178. 

übiquität 288 372. 
Unam sanctam (Bulle) 

299. 
Unfehlbarkeit derKirche 

u. der Konzile 155 246 ; 

des Papstes 246 300 

341 351 
Unigenitus (Bulle) 325 

349. 
Universalismus des 

Evang. 9 15 f. 29 f 

64 85. 
Urban VIII. 348. 
Ursacius 180. 
Urständ; Iren. 101; 

griech. Kirche 163 ; 

August. 267 ; Scholast. 

330 f. 

Täter, Instanz der, 154. 
Valence (Synode) 270. 
Valens, Bischof, 180. 
— Kaiser, 144 183. 
Valentin 23 50 f. 55. 
Valentinian 183. 
Vaticanum 3 347 851. 
Vercelli, Synode, 287. 
Vergottung 97 105 119 

142 146 f. 148 f. 166 

213 ff. 
Versöhnung 104 118 147 

169 243 289 292 314. 
Victor V. Rom 123 127. 
Victorinus Rhetor 229 f. 
Vigilantius 218 262. 
Vigilius 208. 
Vincentius v. Lerinnm 

156 262. 
Virginität 136. 
Vorreformatoren 295 298 

302 ff. 316 336 ff. 
Vulgata 341. 

Waldesier 294 303. 
Walther v. St. Victor 

285. 
Weigel 353. 
Weissagungsbeweis 14 

18 20 31 f. 34 86 88. 
Weltbürgertum 25. 
Wesel 309 332. 


Grundriss lY. xii. Habnaok, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 


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