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•w- - — ^'^ -M
Dogmengeschichte
-Vr/yrf?
von
D. Adolf Harnack,
Professor der Sirchengeschiolite an der UniTersität Berlin.
Zweite, neu bearbeitete Auflage.
Freibnrg i. B. und Leipzig 1893.
Akademische Yerlagsbuchliandluiig you J. C. B. Mohr
(Paol Siebeck).
Jk^SM.1^' *-l
Druck von B. G. Teubnor in L«ipzig.
Vorwort.
Auf Grund meines Lehrbuchs der Dogmengeschichte ist
dieser Abriss, der hier in 2. Auflage erscheint, ausgearbeitet
worden und schliesst sich, eine Umstellung (im 1. Teil 1. Buch
ist Kap. 6 nach Kap. 3 gestellt) abgerechnet, enge an jenes Werk an.
Mir lag es daran, den inneren Gang der Entwickelung zu zeichnen.
Alles auszuscheiden, was die Einsicht in ihn erschwert, und eine
Darstellung zu geben, die im Zusammenhang gelesen werden kann.
Von einem Grundriss der Dogmengeschichte, der dieser Aufgabe
genügt, verspreche ich mir am meisten; denn in unserer Disziplin
kommt Alles darauf an, Verständniss zu erwecken. Es ist aber
eine alte Erfahrung, dass solche Leitföden, die nicht gelesen,
sondern nur studirt werden können, in der Regel auch nicht
studirt, sondern nur zum Nachschlagen benutzt werden. Ich
wünsche, dass die Hörer dogmengeschichtlicher Vorlesungen
diese Blätter in die Hand nehmen, imd dass die Geforderten sie
bei der ßepetition gebrauchen. Vielleicht aber leisten sie auch
über diesen nächsten Zweck hinaus denen einen Dienst, die sich,
ohne Theologen zu sein, über den Gang einer der komplizirtesten
geschichtlichen Entwickelungen in Kürze belehren wollen. Die
Kenntniss der wichtigsten Thatsachen der Kirchengeschichte
setzen sie allerdings voraus. Für diese hat jetzt Karl Müller
in seinem „Grundriss" (Bd. 1 1892) das trefflichste Studentenbuch
geschaffen, aus dem auch die alten Studenten viel lernen können.
Leider erschien desselben Verfassers wertvolle Abhandlung: „Der
Umschwung in der Lehre von der Busse während des 12. Jahr-
hunderts" (Theologische Abhandlimgen, Carl v. Weizsäcker
gewidmet) zu spät, um noch berücksichtigt zu werden.
Berlin, den 21. Oktober 1892.
A. Harnack.
YH
Inhaltsverzeichniss.
Seite
Vorwort .... V
Prolegomena zur Disziplin der Dogmengeschichte.
§ 1. Begriff und Aufgabe der Dogmengeschichte 1
§ 2. Geschichte der Dogmengeschichte .... 6
Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte.
§ 3. Einleitendes 7
§ 4. Das Evangelium Jesu Christi nach seinem
Selbstzeugniss 11
§ 6. Die gemeinsame Verkündigung von Jesus
Christus in der ersten Generation seiner
Gläubigen 1»
§ 6. Die damalige Auslegung des Alten Testaments
und die jüdischen Zukunftshoffnungen in ihrer
Bedeutung für die ältesten Ausprägungen der
christlichen Verkündigung 17
, / § 7. Die religiösen Auffassungen und die Beligions-
philosophie der hellenistischen Juden in ihrer
Bedeutung für die Ümprägung des Evangeliums 20
§ 8. Die religiösen Dispositionen der Griechen und
j Römer in den beiden ersten Jahrhunderten
und die damab'ge griechisch-römische Beli-
gionsphilosophie • . 2S
Erster Teil.
Die EntsteliTing des kirchlichen Dogmas.
Erstes Bach.
Die Vorbereitung.
1. Kapitel.
§ 9. Geschichtliche Orientirung 27
2. Kapitel.
§ 10. Das allen Christen Gemeinsame und die Aus-
einandersetzung mit dem Judentum .... 28
3. Kapitel.
§ 11. Der Gemeinglaube und die Anfänge der Er-
kenntniss in dem zum Katholicismus sich
entwickelnden Heidenchristentum 30
4. Kapitel.
§ 12. Die Judenchristen und ihre Ausscheidung. . 42
5. Kapitel.
§ 13. Die Versuche der Gnostiker, eine apostolische
. . Glaubenslehre und eine christliche Theologie
zu schaffen, oder: die akute Verweltlichung
des Christentums 46
Vlll Inhaltsverzeichniss.
6. Kapitel. Seite
§ 14. Das unternehmen Marcion*s, die alttestament-
liche Grundlage des Eyangeliams zu beseitigen,
die Tradition zu reinigen und auf Grund des
paulinischen Evangeliums die Christenheit zu
reformiren 66
I. Kapitel.
Zweites Bneh.
Die Grnndlegnng.
§ 16. Geschichtliche Orientirung 59
I. Fixirung und allmähliche Yerweltlichung des
Christentums als Kirche.
2. Kapitel. Die Aufstellung der apostolischen Normen für das
kirchliche Christentum. Die katholische Kirche.
§ 16. A. Die apostolische Glaubensregel .... 62
§ 17. B. Die apostolische Schriftensammlung . . 65
18. C. Das apostolische Amt 70
3. Kapitel. Das aite Christentum und die neue Kirche.
§ 19. Der Montanismus und seine allgemeine Ein-
wirkung auf die Kirche 74
§ 20. Umbildung der sakralen Einrichtungen:
Das Priestertum. Die Gnadenmittel, Taufe
und Eucharistie 80
IL Fixirung und allmähliche Gräcisirung des
Christentums als Glaubenslehre.
4. Kapitel.
§ 21. Das kirchliche Christentum und die Philo-
sophie. Die Apologeten 85
5. Kapitel.
§ 22. Die altkatholischen Väter Irenäus, Tertullian,
Hippolyt u. s. w 95
6. Kapitel. Die kirchlichen Reiigionsphiiosophen Clemens und*
Orlgenes.
§ 23. Clemens 109
§ 24. Origenes 112
7. Kapitel. Der entscheidende Erfolg der theologischen Speku-
lation auf dem Gebiet der Glaubensregei oder die
Präcisirung der kirchlichen Lehrnorm durch die Auf-
nahme der Logoschristoiogie.
§ 25. Die Ausscheidung des dynamistischen Mon-
archianismus oder des Adoptianismus . . . 122
§ 26. Die Ausscheidung des modalistischen Mon-
archianismus 127
§ 27. Geschichte der orientalischen Theologie bis
zum Anfang des 4. Jahrhunderts .... 183
InhaltsverzeichDiss. IX
Zweiter TeiL
Die Entwickelung des kirchlichen Dogmas.
£rstes Bach.
Di» Entwiokelnngsgesoliiolite des Dogmas als Lehre von
dem Gottmensohen anf dem Grunde der natürlichen
Theologie (Morgenland).
1. Kapitel. Seite
§ 28. Geschichtliche Orientirung 138
2. Kapitel.
§ 29. Die Grimdauffassung vom Heil und der all-
gemeine Aufriss der Glaubenslehre . . . . 146
3. Kapitel. Die Erlcenntnissquelien und Autoritäten oder die Schrift,
die Tradition und die Kirctie.
§ 30. Die heilige Schrift 160
§ 31. Die Tradition 162
§ 32. Die Kirche 167
A. DieVoraussetzungender Erlösungslehre oder die
natürliche Theologie.
4. Kapitel.
§ 33. Die Voraussetzungen und Auffassungen von
Gk)tt dem Schöpfer als dem Spender des Heils 168
5. Kapitel.
§ 34. Die Voraussetzungen und Auffassungen vom
Menschen als dem Subjekt des Heilsempfangs 161
B. Die Lehre von der Erlösung in der Person des
Gottmenschen in ihrer geschichtlichen Ent-
wickelung.
6. Kapitel.
§ 36. Die Lehre von der Notwendigkeit und Wirk-
lichkeit der Erlösung durch die Menschwerdung
des Sohnes Gottes 166
7. Kapitel. Die Lelire von der Homousie des Soiines Gottes mit
Gott seihst.
§ 36. Vom Anfang des Streites bis zur Synode von
Nieäa 170
§ 37. Bis zum Tode des Konstantins 178
§ 38. Bis zu den Konzilien von Konstantinopel 181
§ 39. Die Lehre vom h. Geist und von der Trinität 186
8. Kapitel.
§ 40. Die Lehre Ton der yollkommenen Gleich-
beschaffenheit des menscligewordenen
Sohnes Gottes mit der Menschheit . . . 190
9. Kapitel. Fortsetzung. Die Lehre von der personalen Einigung
der göttlichen und menschlichen Natur in dem mensch-
gewordenen Sohne Gottes.
§ 41. Der nestorianische Streit 196
X iDhaltsrerzeiclmiss.
Seite
§ 42. Der eutychianische Streit 200
§ 43. Die monopliyBitischen Streitigkeiten und das
6. Konzil 205
§ 44. Die monotheletischen Streitigkeiten . . . 209
C. Der vorläufige Genuas der Erlösung.
10. Kapitel.
§ 45. Mystik und Mysterien 212
§ 46. Verehrung der Engel, Heiligen, Bilder u. s. w. 216
11. Kapitel.
§ 47. Skizze der Entstehuugsgescliichte des ortho-
doxen Systems 220
Zweites Bach.
Die Erweiterimg nnd ümprägnng des Dogmas zu einer Lehre
von der Sünde, der Gnade nnd den Gnadenmitteln anf dem
Grande der Kirche (Ahendland).
1. Kapitel.
§ 48. Geschichtliche Orientirung 226
2. Kapitel.
§ 49. Das abendländische Christentum und die
abendländischen Theologen vor Augustin . 228
3. Kapitel.
§ 60. Die weltgeschichtliche Stellung Augustinus als
Reformator der christlichen Frömmigkeit . 232
4. Kapitel. Die weitgeschichtiiclie Stellung Augustinus als Letirer
der Kirclie.
§ 61. Augustinus Lehre von den ersten und letzten
Dingen 238
§ 62. Der donatistische Kampf. Das Werk de civi-
tate dei. Die Lehre von der Elrche und den
Gnadenmitteln 244
§ 53. Der pelagianische Kampf. Die Lehre von der
Gnade und Sunde 249
§ 54. Augustinus Erklärung des Symbols. Die neue
Religionslehre . 258
5. Kapitel. Geschichte des Dogmas im Abendlande bis zum Beginn
des Mittelalters. 430—604.
§ 55. Der Kampf des Semipelagianismus und Aügu-
stinismus 262
§ 56. Gregor der Grosse 264
8. Kapitel. Geschichte des Dogmas in der Zeit der Icarolingischen
Renaissance.
§ 57. Der adoptianische Streit 268
§ 58. Der Prädestinationsstreit 269
§ 59. Der Streit über das filioque und über die Bilder 270
§ 60. Die Fortbildung der Praxis und Theorie der
Messe (des Abendmahlsdogmas) und der Busse 271
Inbaltsverzeichniss. XI
7. Kapitel. Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm's
und Bernhardts bis zum Ende des 12. Jahrh. seite
§ 61. Der Aufschwung der Frömmigkeit .... 276
§ 62. Zur Geschichte des kirchlichen Rechts . . 279
§ 63. Der Aufschwung der Wissenschaft .... 281
§ 64. Arbeiten am Dogma.
A. Der Berengar'sche Streit 286
§ 65. B. Anselm's Satisfaktionslehre und die Ver-
söhnungslehren der Theologen des 12. Jahrh. 289
8. Kapitel. Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis
zum Anfang des 16. Jahrh.
§ 66. Zur Geschichte der Frömmigkeit .... 293
§ 67. Zur Geschichte des kirchlichen Rechts. Die
Lehre von der Kirche 298
§ 68. Zur Geschichte der kirchlichen Wissenschaft 304
§ 69. Die Ausprägung der Dogmatik in der Scho^
lastik 310
A. Die Bearbeitung der überlieferten articuli
fidei 311
§ 70. B. Die scholastische Sakramentslehre . . . 315
§ 71. C. Die Bearbeitung des Augustinismus in der
Richtung auf die Lehre vom Verdienst . 327
Drittes Bneh.
Der dreifache Ausgang der Dogmengesohichte.
1. Kapitel.
§ 72. Geschichtliche Orientirung 334
2. Kapitel. Die Ausgänge des Dogmas Im römischen Katholiclsmus.
§ 73. Die Eodifizirung der mittelalterlichen Lehren
im Gegensatz zum Protestantismus (das Tri-
dentinum) 340
§ 74. Die nachtridentinische Entwickelung als Vor-
bereitung des Vaticanums 345
§ 75. Das Vaticanum 351
3. Kapitel. Die Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus und
Socinlanismus.
§ 76. Geschichtliche Einleituüg 352
§ 77. Die socinianische Lehre 365
4. Kapitel. Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
§ 78. Einleitung '. 359
§ 79. Das Christentum Luther's 362
§ 80. Die Kritik Luther's an der herrschenden kirch-
lichen Überlieferung und am Dogma . . . 366
§ 81. Die von Luther neben und in seinem Christen-
tum festgehaltenen katholischen Elemente . 370
xn
Abkürzimgen.
,i
JDTh. =« Jahrbücher für deutsche Theologie.
B£'. «= Beal-Encyklopädie für protestantische Theologie u. Kirche ^
herausg. Ton Hebzog, Plitt und Hauck.
SB6A, a* Sitzungsberichte der Berliner Akad. der Wissenschaften.
ThQuSchr. = Theologische Quartalschrift.
Z£G. SS Zeitschrift für Kirchengeschichte.
ZThK, =■ Zeitschrift für Theologie u. Kirche, herausg. von JGottschick.
ZwTh. <» Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, herausg. von
AHlLOBKFELD.
Prolegomena zur Disziplin der DogmengescMclite.
§ 1. Begriff und Aufgabe der Dogmengeschichte.
ABiTScHL, Ober die Methode der älteren Dogmengesch. in JDTh.
1871 S. 191 ff. — ASabatiek, Die christlichen Dogmen, ihr Wesen und ihre
Entw. (deutsch von Schwalb 1890).
1. Die Religion ist eine praktische Angelegenheit des
Menschen, denn es handelt sich in ihr um die Seligkeit und
um Kräfte zu einem heiligen Leben. Aber in allen Religionen
sind diese Kräfte gebunden entweder an einen bestimmten
Olauben oder an einen bestimmten Kultus, die auf gött-
liche Offenbarung zurückgeführt werden. Das Christentum
ist die Religion, in welcher die Kraft zu einem seligen und
heiligen Leben gebunden ist an den Glauben an Gott als den
Vater Jesu Christi. Sofern dieser Gott als der allmächtige
Herr Himmels und der Erde geglaubt wird, schliesst die christ-
Uche Religion eine bestimmte Erkenntniss Gottes, der Welt
und des Weltzweckes ein; sofern sie aber lehrt, dass Gott
nur in Jesus Christus vollkommen erkannt werden kann, ist
sie von geschichtlichem Wissen nicht zu trennen.
2. Der Trieb, in Glaubenssätzen den Inhalt der Reli-
gion zusammenzufassen, ist dem Christentum somit ebenso
wesentlich wie das Bestreben, diese Sätze in Bezug auf die
Welterkenntniss und die Geschichte als die Wahrheit zu er-
weisen. Dazu stellt der universale und überweltliche Charakter
der christlichen Religion ihren Bekennem die Aufgabe, einen
Ausdruck für sie zu gewinnen, der von den Schwankungen
der Natur- und Geschichtserkenntniss nicht betroffen wird, resp.
sich gegen jede mögliche Erkenntniss zu behaupten vermag.
Das Problem, welches hier entsteht, lässt aber keine vollkommene
Lösung zu; denn alle Erkenntnisse sind bedingt, die Religion
aber will ihr Unbedingtes auch in der Sphäre der Erkenntniss
GnuLdrles IV. m. Habnack, Dogmengeaohichte. 2. Aufl. 1
Prolegomen a. [§ 1.
zum Ausdruck bringen. Dennoch lässt sich, wie die Geschichte
lehrt und jeder denkende Christ bezeugt, das Problem nicht
zum Schweigen bringen, und eben deshalb sind die Stufen
der Lösungsversuche von Wert.
3. Der bisher eindrucksvollste Lösungsversuch ist der,,
den der Katholicismus gemacht hat und den die Reformations-^
kirchen, wenn auch mit sehr grossen Vorbehalten, übernommen
haben. Es wurde hier der Ursprung einer Reihe christlicher
und vorchristlicher Schriften, sowie mündlicher Überlieferungen
als göttlich angenommen 5 es wurden aus ihnen begrifflich
formulirte, für eine wissenschaftlich-apologetische Behandlung
ausgeprägte, unter sich zusammenhängende Glaubenssätze
abstrahirt, die die Erkenntniss Gottes, der Welt und der Heils-
veranstaltungen Gottes zu ihrem Inhalt haben und auf die
Beseeligung der Menschen abzielen. Dieser Komplex (Dogmen)
wurde nun als der Inbegriff des Christentums proklamirt,.
dessen gläubige Anerkennimg von jedem mündigen Gliede der
Kirche gefordert werden müsse und zugleich die Vorbedingung
der von der Religion in Aussicht gestellten Seligkeit sei..
Mit diesem Inbegriff nahm die christliche Gemeinschaft —
deren Charakter als „katholische Kirche ^^ ganz wesentlich
durch diese Art der Auffassung des Christentums bezeichnet
ist — eine bestimmte, vermeintlich unerschütterliche Stellung:
zu der Welterkenntniss imd Geschichte ein, brachte ihren reli-
giösen Glauben an Gott und Christus zum Ausdruck und gab,,
indem sie alle ihre Glieder an die Glaubenssätze band, doch
dem denkenden Teile derselben einen Stoff, der der weiteren
Ausführung in unbegrenztem Masse fähig ist. So entstand
das dogmatische Christentum.
4. Aufgabe der Dogmengeschichte ist es, 1) die Ent-
s t e h u n g dieses dogmatischen Christentums zu ermitteln,.
2) die Entwickelung desselben zu beschreiben. Die Grenze
zwischen dieser und jener ist natürlich relativ.
5. Die Entstehungsgeschichte des dogmatischen
Christentums erscheint vollendet, wo zuerst ein begrifflich
formulirter und mit den Mitteln der Wissenschaft ausgeprägter
Glaubenssatz zum articulus constitutivus ecclesiae erhoben und
als solcher allgemein in der Kirche durchgesetzt worden ist.
Das ist aber um die Wende des 3. zum 4. Jahrhundert ge-
schehen, als die Logoschristologie sich durchsetzte. Die Ent-
§ 1.] Begriff und Aufgabe der Dogmengeschichte. 3
Wickelung des Dogmas ist in abstracto unbegrenzt, in con-
creto aber geschlossen; denn a) die griechische Kirche
erklärt, dass ihr Dogmensystem seit der Beendigung des
Bilderstreits vollendet sei; b) die römisch-katholische
Kirche lässt zwar die Möglichkeit der Formulirung neuer
Dogmen offen, aber sie hat schon im Tridentinum und noch
mehr im Vaticanum ihr Dogma wesentlich aus politischen
Gründen und als eine Rechtsordnung ausgebildet, die vor
allem Gehorsam, erst in zweiter Linie bewussten Glauben ver-
langt; sie hat damit die ursprünglichen Motive des dogma-
tischen Christentums verschoben und ganz neue eingeführt,
die die alten zu ersticken drohen; c) die evangelischen
Kirchen haben einerseits einen grosseh Teil der Formulirungen
des dogmatischen Christentums übernommen und suchen sie,
wie die katholischen Kirchen, aus den heiligen Schriften zu
begründen; aber sie haben andererseits die Autorität der
heiligen Schriften anders gefasst, die Überlieferung als Quelle
der Glaubenslehren abgethan, die Bedeutung der empirischen
Kirche für das Dogma in Abrede gestellt und vor Allem eine
Auffassung der christlichen Religion versucht, die direkt auf
den „reinen Verstand des Wortes Gottes" zurückgeht.
Damit ist im Prinzip die alte dogmatische Auffassung des
Christentums abgethan^ während doch im Einzelnen eine feste
Stellung zu ihm nicht gefunden ist und Reaktionen sich gleich
Anfangs eingestellt haben und noch fortdauern. („Prinzipiell
sowohl als thatsächlich steht in den protestantischen Kirchen
die Revision der Dogmen immer auf der Tagesordnung'^:
Sabatier.) Deshalb ist es angezeigt, die Geschichte der pro-
testantischen Glaubenslehre aus der Dogmengeschichte auszu-
schliessen und innerhalb unserer Disziplin nur die Position
der Reformatoren und der reformatorischen Kirchen, aus der
sich die komplizirte spätere Entwickelung ergiebt, darzulegen.
Somit kann die Dogmengeschichte als eine relativ abgeschlossene
Disziplin behandelt werden.
6. Die Behauptung der Kirchen, dass die Dogmen ledig-
lich die Darlegung der christlichen Offenbarung selbst seien,
weil aus den h. Schriften gefolgert, wird von der geschicht-
lichen Forschung nicht bestätigt. Vielmehr ergiebt diese,
dass das dogmatische Christentum (die Dogmen) in seiner
Konzeption und seinem Ausbau ein Werk des griechischen
1*
Prolegomena. [§ 1.
Geistes auf dem Boden des Evangeliums ist. (Marcell
von Ancyra: Th döyfiatog '6vo^a rfig avd'QcmCvriQ ixsrai ßovkfig
xs xal yvfoiirjg.) Die begrifflichen Mittel, durch die man sich
in der antiken Zeit das Evangelium verständlich zu machen
und zu versichern versucht hat, sind mit dem Inhalt desselben
verschmolzen worden. So ist das Dogma entstanden, an dessen
Bildung allerdings auch noch andere Faktoren (Sprüche der
h. Schrift, Bedürfhisse des Kultus und der Verfassung, politische
und soziale Verhältnisse, logische Konsequenzmacherei, blinde
Gewohnheit u. s. w.) beteiligt gewesen sind, so jedoch, dass
das Bestreben, den Grundgedanken des christlichen Heils zu
erfassen, zu expliziren und anzuwenden, wenigstens in der j
älteren Zeit die Oberhand behalten hat. !
7. Wie sich die Auffassung des Dogmas, sofern es die
reine Darlegung des Evangeliums sein soll, als eine Illusion
darstellt, so zerstört die geschichtliche Forschung auch die
andere Illusion der Kirchen, dass das Dogma in ihnen stets
dasselbe gewesen, daher lediglich explizirt worden sei, und
dass die kirchliche Theologie niemals eine andere Aufgabe
gehabt habe, als das immer gleiche Dogma auszuführen und
die von Aussen eindringenden Irrlehren zu widerlegen. Sie
zeigt vielmehr, dass die Theologie das Dogma gebildet hat, dass
aber die Kirche nachträglich die Arbeit der Theologen stets
verdecken musste und diese somit in eine schlimme Lage ver-
setzt wurden. Im günstigsten Fall wurde ihre produktive
Arbeit als Reproduktion bezeichnet, und sie selbst wurden um
ihr bestes Verdienst gebracht. In der Regel fielen sie aber
im Fortgang der Geschichte unter das Gericht der dogmatischen
Formulirungen, deren Grund sie selbst gelegt hatten, und so-
wohl ganze Generationen von Theologen als die hervorragenden
Häupter derselben sind nachträglich von dem weiter ent-
wickelten Dogma betroffen und für häretisch oder doch für
verdächtig erklärt worden. Das Dogma hat stets im Fort-
gang der Geschichte seine eigenen Väter verschlungen.
8. Obwohl das dogmatische Christentum im Laufe der
Entwickelung seinen ursprünglichen Stil und Charakter als ein
Werk des Geistes der untergehenden Antike auf dem Boden
des Evangeliums nie eingebüsst hat (Stil der griechischen
Apologeten und des Origenes), so hat es doch erstens
durch Augustin, sodann durch Luther eine tiefgreifende Um-
§ 1.] Begriff und Aufgabe der Dogmengeschichte.
bildung erfahren. Beide, der Letztere in noch höherem Masse
als Augustin, haben eine neue, aber dem Evangelium näher
kommende Grundauffassung vom Christentum, hauptsächlich
durch den Paulinismus bestimmt, geltend gemacht. Aber
Augustin hat eine Revision des überkommenen Dogmas kaum
versucht, vielmehr Altes und Neues nebeneinandergestellt,
Luther sie zwar versucht, aber nicht zu Ende geführt. Die
Christlichkeit des Dogmas hat durch Beide gewonnen; aber
das überlieferte Dogmensystem hat an Stringenz eingebüsst —
im Protestantismus so sehr, dass man, wie oben bemerkt,
gut thut, die symbolmässige Lehre der protestantischen Kirchen
nicht mehr als blosse Abwandelimg des alten Dogmas zu betrachten.
9. Ein Verständniss des dogmengeschichtlichen Prozesses
kann nicht erworben werden, wenn man die einzelnen Lehren
isolirt und für sich verfolgt (spezielle D.-Geschichte), nachdem
man im Voraus die Epochen charakterisirt hat (allgemeine
D.-Geschichte). Es gilt vielmehr, das „Allgemeine" und
„Spezielle" für jede Periode in Eins zu setzen, die Perioden
für sich zu behandeln und, soweit es möglich, das Einzelne
als aus den Grundauffassungen und -motiven abgeleitet zu er-
weisen. Es lassen sich aber nicht mehr als vier Haupt-
abschnitte abgrenzen, nämlich I die Entstehung des Dogmas,
IIa die Entwicklung des Dogmas nach Massgabe seiner ur-
sprünglichen Konzeption (Orientalische Entwickelung vom
arianischen bis zum Bilder-Streit), IIb die abendländische
Entwickelung des Dogmas unter dem Einfluss des Christen-
tums Augustins und der Politik des römischen Stuhls, 11 c der
dreifache Ausgang des Dogmas (in den Reformationskirchen —
im tridentischen Katholicismus — in der Kritik der Auf-
klärung resp. des Socinianismus).
10. Indem die Dogmengeschichte den Prozess der Ent-
stehung und Entwickelung des Dogmas darlegt, bietet sie das
geeignetste Mittel, um die Kirche von dem dogmatischen
Christentum zu befreien und den unaufhaltsamen Prozess der
Emanzipation, der mit Augustin begonnen hat, zu beschleunigen.
Aber sie zeugt auch von der Einheit des christlichen Glaubens
im Laufe seiner Geschichte, sofern sie nachweist, dass die
centrale Bedeutung der Person Jesu Christi und die Grund-
gedanken des Evangeliums niemals verloren gegangen sind
und allen Anläufen getrotzt haben.
6 Prolegomen a. [§ 2.
§ 2. Oeschichte der Dogmengescliichte,
Die Geschiclite der Dogmengescliiehte begiimt erst im
18. Jahrhundert mit Mosheim, Walch, Ernesti, Lessing
und Semler ; da der Katholicismus überhaupt nicht zu einer
kritischen Darstellung dieser Disziplin befähigt ist — so ge-
lehrte Bücher auch einzelne katholische Theologen (Baronius,
Bellarmin, Petavius, Thomassin, Kuhn, Schwane, Bach
u. s. w.) geschrieben haben — , und da die protestantischen
Kirchen bis zum 18. Jahrhundert konfessionell befangen ge-
blieben sind, so wichtige Ansätze zu einer kritischen Dogmen-
geschichtsschreibung auch im ßeformations-Zeitalter, z. T.
auf Grund der Arbeiten kritisch gerichteter Humanisten
(L. Valla, Erasmus u. s. w.), nachweisbar sind (Luther, Öko-
LAMPAD, Melanchthon, Flacius, Hyperius, Chemnitz). Aber
ohne das gelehrte Material, welches die Benediktiner und andere
Kongregationen einerseits, die Protestanten Casaubonus, Vos-
sius, Pearsonus, Dalläus, Spanheim, Grabe, Basnage u. s. w.
andererseits vorgelegt haben, und ohne den mächtigen Anstoss,
den der Pietismus gegeben (Gottfried Arnold), wäre die
Arbeit des 18. Jahrhunderts nicht denkbar. Der Rationalis-
mus entzog der Dogmengeschichte das kirchliche Interesse
und übergab sie der kritischen Bearbeitimg, in welcher ihre
„Finsterniss" teils mit der Lampe nüchterner Verständigkeit,
teils mit der Fackel universalhistorischer Betrachtung erhellt
wurde (Erste Dogmengeschichte von Lange 1796, vorher
Arbeiten von Semler, Rössler, Löffler u. s. w., sodann
Dogmengeschichten von Münscher, Handb. 4 Bde. 1797 f.,
vortreffliches Lehrbuch 1. Aufl. 1811, 3. Aufl. 1832 f.. Munter
2 Bde. 1802 f., Stäudlin, 1800 resp. 1822, Aügusti 1805
resp. 1835, Gieseler hrsg. v. Redepenning 2 Bde. 1855).
Die geschätzten Lehrbücher von Baumgarten-Crusius 1832
resp. 1840, 1846 und Meier 1840 resp. 1854 bezeichnen
den Übergang zu der Gruppe von Lehrbüchern, in denen ein
inneres Verständniss des dogmengeschichtlichen Prozesses ge-
wonnen werden sollte, nach welchem schon Lessing getrachtet
hatte und welches Herder, Schleiermacher und die roman-
tische Schule einerseits, Hegel und Schelling andererseits
vorbereitet haben. Epochemachend sind FChrBaurs Schriften
(Lehrbuch 1847 resp. 1867, Vorl. 3 Tl. 1865 f.), in denen der
§ 3.] Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. Einleitendes. 7
dogmengeschichtliche Prozess, freilicli einseitig erfasst, gleich-
sam nacherlebt ist (vgl. auch DFStrauss, Glaubenslehre 2 Bde.
1840 f. PhKMarheineke 1849). Vom Schleiermacherschen
Standpunkte aus ANeander (2 Tl. 1857) imd KRHägen-
BACH (1840 resp. 1867 [ed. Benrath 1888]). Hegel und
Schleiermacher zu verbinden strebte JDorner (Entw. -Gesch.
d. L. V. d. Person Christi 1839 resp. 1845—53). Vom kon-
fessionell lutherischen Standpunkt ThFDKliefoth (Einl.
in d. DG. 1839), GThomasiüs (2 Bde. 1874 f. resp. 1887 f.
herausg. v. NBonvvtetsch und RSeeberg), HSchmid (1859
resp. 1887 herausg. v. AHauck) und — mit Vorbehalten —
KFAKahnis (Der Kirchenglaube 1864). Einen bedeutenden
Fortschritt bezeichnete die DG. von FNitzsch (1. Bd. 1870).
Der folgenden Darstellung, die sich an das „Lehrbuch der DG"
(3 Bde. 2. Aufl. 1888 flF. 1. Aufl. 1886 ff.) anschliesst, steht
nahe der vorzügliche Leitfaden von FLooFS (2, Aufl. 1890).
Speziell fiir das richtige Verständniss der Entstehimg des
Dogmas sind die Arbeiten von Rothe, Ritschl, Renan,
OvERBECK, V. Engelhardt, Hatch, CWeizsäcker und
JReville wertvoll.
Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte.
§ 3. Einleitendes.
1. Das Evangelium ist erschienen, „als die Zeit erfüllt
war" — das Evangelium ist Jesus Christus: in diesen Sätzen
ist gegeben, dass das Evangelium die Vollendung einer imi-
versalen Entwickelung ist, dass es aber seine Kraft an einem
persönlichen Leben hat.
Jesus Christus hat nicht „aufgelöst'^, sondern „erfüllt".
Er hat ein neues Leben vor Gott und in Gott erzeugt, aber
innerhalb des Judentums und auf Grund des A. T.'s, dessen
verborgene Schätze er heraufgeführt hat. Man kann nach-
weisen, dass alles Hohe und Spirituelle, was in den Propheten
und Psalmen zu finden ist und was in der damaligen Ent-
wickelung der griechischen Ethik gewonnen war, in dem
schlichten Evangelium bejaht ist; aber seine Kraft hat es
hier erhalten, weil es in einer Person Leben und That ge-
worden ist, deren Grösse auch darin besteht, dass sie irdische
8 Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 3,
Verhältnisse nicht umgestaltet und keine neuen Bestimmungen
für die Zukunft getroffen, sich überhaupt in die Zeit nicht
verstrickt hat.
2. Zwei Menschenalter später ist zwar nicht eine ein-
heitliche Kirche vorhanden, wohl aber im weiten römischen
Reiche zerstreute und konföderirte Gemeinschaften von Christus-
gläubigen (Kirchen), die vornehmlich aus geborenen Heiden
zusammengesetzt sind, die jüdische Nation und ihre Religions-
übungen abfallig beurteilen, das A. T. für sich mit Beschlag
belegt haben, sich als ein „neues Volk", zugleich aber als die
älteste Schöpfung Gottes wissen und auf allen Gebieten de»
Lebens und Denkens bestimmte heilige Formen auszuprägen,
im Begriff sind. Die Existenz dieser konföderirten heiden-
christlichen Gemeinschaften ist die Vorbedingung der Ent-
stehung des dogmatischen Christentums.
Die Bildung dieser Kirchen hat schon im apostolischen
Zeitalter begonnen, und ihre Eigenart ist negativ durch die
Loslösung des Evangeliums von der jüdischen Kirche bezeichnet.
Während im Islam das arabische Volk Jahrhunderte lang der
Stamm der neuen Religion geblieben ist, ist die erstaunlichste
Thatsache in der Geschichte des Evangeliums die, dass es
sehr rasch von dem mütterlichen Boden in die grosse Welt
übergetreten ist und seinen universalen Charakter nicht durch
eine Umbildung der jüdischen Religion, sondern durch die
Entfaltung zu einer Weltreligion auf griechisch-römischem
Boden zum Ausdruck gebracht hat. Das Evangelium wird
Weltreligion, indem es als eine Botschaft an die
ganze Menschheit erkannt, Griechen und Barbaren
verkündet und demgemäss an die geistige und poli-
tische Kultur des römischen Weltreiches angeknüpft
wird.
3. Da das Evangelium ursprünglich in den jüdischen
Formen heimisch war und auch nur Juden verkündet worden
ist, so liegt in diesem übertritt, der sich teils allmählich und
ohne Erschütterungen, teils in einer gewaltigen Krisis voll-
zogen hat, die folgenschwerste Thatsache vor. Vom Standpunkt
der Kirchen- und Dogmengeschichte ist daher die kurze Ge-
schichte des Evangeliums im Rahmen des palästinensischen
Judentums eine paläontologische Epoche. Dennoch bleibt sie
die klassische Epoche, nicht nur um des Stifters und der
§ 3.] Einleitendes. 9
ursprünglichen Zeugen willen, sondern ebensosehr deshalb,
weü ein jüdischer Christ (Paulus) das Evangelium als eine
Gotteskraft, die da Juden und Griechen selig macht, erkannt,
mit Bewusstsein die jüdische nationale Religion abgestreift
und Christus als das Ende des Gesetzes verkündet hat. Ihm
sind andere jüdische Christen, sogar persönliche Jünger Jesu^
gefolgt (s. auch das 4. Ev. u. d. Hebräerbrief).
Somit liegt im tiefsten Grunde doch keine Kluft zwischen
jener älteren kurzen Epoche und der Folgezeit, sofern das
Evangelium an sich universalistisch ist und dieser Charakter
desselben sehr bald hervorgetreten ist. Allein das Mittel,
durch welches Paulus und andere ihm Gleichgesinnte den
üniversalisiaus des Evangeliums ans Licht gestellt haben —
der Nachweis, dass die AT liehe Religionsstufe überwunden
sei — , fand wenig Verständniss, und umgekehrt kann die Art
und Weise, in der sich die Heidenchristen im Evangelium
heimisch machten, an der Predigt des Paulus nur zum Teil
legitimirt werden. Sofern wir nun im N. T. wesentlich
Bücher besitzen, in denen das Evangelium so tief durchdacht
ist, dass es als Überwindung der ATlichen Religion geschätzt
wird, und die zugleich von dem griechischen Geiste nicht im
Tiefsten berührt sind, hebt sich diese Litteratur von aller
folgenden kräftig ab.
4. Die werdende Heidenkirche hat, trotz der Bedeutung
des Paulus für sie, die Ejrisis nicht verstanden und nacherlebt,
aus der die paulinische Passung des Evaugeliums geflossen ist.
In die jüdische Propaganda, in der das A. T. längst entschränkt
und vergeistigt worden war, eintretend und sie sich allmählich
unterwerfend, hat die Heidenkirche das Problem, das die
Vereinigung des A. T. und des Evangeliums bot, nur selten
empfunden, da man sich durch das Mittel der allegorischen
Interpretation vom Buchstaben des Gesetzes befreite, den Geist
desselben aber nicht völlig überwand, vielmehr nur das Natio-
nale von sich wies. Durch die feindliche Gewalt der Juden
und bald auch der Heiden sowie durch das eigene Kraftgefühl
veranlasst, ein „Volk" für sich zu bilden, entnahm man die
Formen des Denkens und Lebens selbstverständlich der Welt,
in der man lebte, alles Polytheistische, Unsittliche und Niedrige
abwehrend. So entstanden die neuen Bildungen, die bei aller
Neuheit sich doch als verwandt mit den alten palästinensischen
10 Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 4.
Gemeinden erweisen, sofern man 1) dort wie hier das A. T.
als OflFenbamngsurkunde anerkannte, imd sofern 2) der strenge
geistige Monotheismus, 3) die Grundzüge der Verkündigung
von Jesus Christus, 4) das Bewusstsein, in einem lebendigen
und unmittelbaren Verkehr mit Gott durch die Gaben des
Geistes zu stehen, 5) die HoflEnungen auf das nahe Weltende
und die ernsten Überzeugungen von der Verantwortlichkeit
jeder Menschenseele und von der Vergeltung dieselben gewesen
sind. Dazu kommt endlich noch, dass auch die älteste juden-
christliche Verkündigung, ja das Evangelium selbst den
Stempel der geistigen Epoche tragen, aus der sie stammen —
der hellenistischen Zeit, in der die Nationen ihre Güter
austauschten, die Religionen sich wandelten und die Ideen von
dem Werte und der Verantwortlichkeit jeder Menschenseele
sich verbreiteten, so dass das Hellenische, welches bald so
mächtig in die Kirche einströmte, doch kein absolut Fremdes
mehr war.
5. Die Dogmengeschichte hat es nur mit der Heidenkirche
zu thun — die Geschichte der Theologie freilich beginnt mit
Paulus — , aber um die Grundlagen der Lehrbildung der
Heidenkirche geschichtlich zu verstehen, hat sie nach dem
bisher Erörterten Folgendes als Voraussetzungen in Betracht
zu ziehen: 1) Das Evangelium Jesu Christi, 2) die ge-
meinsame Verkündigung von Jesus Christus in der
ersten Generation seiner Gläubigen, 3) die damalige
Auslegung des A. T., die jüdischen Zukunftshoffnungen
und Spekulationen, 4) die religiösen Auffassungen
und die Religionsphilosophie der hellenistischen
Juden, 5) die religiösen Dispositionen der Griechen
und Römer in den beiden ersten Jahrhunderten und
die damalige griechisch-römische Religionsphilo-
sophie.
§ 4. Das Evangelium Jesu Christi nach seinem Selbstzengniss.
Das Evangelium ist die frohe Botschaft von der Herr-
schaft des allmächtigen und heiligen Gottes, des Vaters und
Richters, über die Welt und über jede einzelne Seele. In dieser
Herrschaft, die die Menschheit zu Bürgern eines himmlischen
Reiches macht und sich in dem demnächst anbrechenden zu-
künftigen Aon verwirklichen wird, ist das Leben aller Men-
§ 4.] Das Evangelium Jesu Christi nach seinem Selbstzeugniss. H
sehen, die sich Gott ergeben, ob sie gleich die Welt und das
irdische Leben verlieren, sichergestellt, während die, welche die
Welt gewinnen und ihr Leben erhalten wollen, dem Richter
yerfaUen, der in die Hölle verdammt. Diese Herrschaft Gottes
legt, indem sie über alle Ceremonien und Satzungen hinweg-
schreitet, den Menschen ein Gesetz auf, ein altes und doch
ein neues, nämlich das der ungeteilten Liebe zu Gott und
dem Nächsten. In dieser Liebe, wo sie die Gesinnung in ihrem
tiefsten Grunde beherrscht, stellt sich die bessere Gerech-
tigkeit dar, die der Vollkommenheit Gottes entspricht.
Der Weg, sie zu erlangen, ist die Sinnesänderung, d. h.
die Selbstverleugnung, die Demut vor Gott und das herzliche
Vertrauen zu ihm. In der Demut und dem Vertrauen auf
Gott ist die Anerkennung der eigenen ünwürdigkeit enthalten.
Das Evangelium ruft aber eben die Sünder, die also gesinnt
sind, in das Reich Gottes, indem es ihnen die Sättigung mit
Gerechtigkeit verheisst, d. h. die Vergebung der Sünden,
die sie bisher von Gott getrennt haben, zusagt. — In den drei
Momenten aber, in denen sich das Evangelium darstellt (Gottes-
herrschaft, bessere Gerechtigkeit [Gebot der Liebe] und Sünden-
vergebung), ist es untrennbar verknüpft mit Jesus Christus.
Denn indem Jesus Christus dieses Evangelium verkündigt, ruft
er überall die Menschen zu sich selber. In ihm ist das Ev.
Wort und That; es ist seine Speise und darum sein persön-
liches Leben geworden, und in dieses sein Leben zieht er alle
Anderen hinein. Er ist der Sohn, der den Vater kennt und
zu erkennen giebt. An ihm sollen sie wahrnehmen, wie freund-
lich der Herr ist; an ihm sollen sie die Macht und Herrschaft
Gottes über die Welt empfinden und dieses Trostes gewiss
werden; ihm, dem Demütigen und Sanftmütigen, sollen sie
nachfolgen, und indem er, der Heilige und Reine, die Sünder
zu sich ruft, sollen sie die Gewissheit erhalten, dass Gott durch
ihn Sünde vergiebt und die Menschen zu seinen Kindern
macht.
Diesen Zusammenhang seines Evangeliums mit seiner
Person hat Jesus in Worten keineswegs in den Vordergrund
geschoben, sondern seine Jünger erleben lassen. Er nannte
sich „der Menschensohn^^ und führte sie zu dem Bekenntniss,
dass er der Herr und Messias sei. Damit hat er seiner blei-
benden Bedeutung für sie und für sein Volk einen verstand-
12 Die VorausBetzungen der Dogmengeschichte. [§ 4.
liehen Ausdruck gegeben, und er hat ihnen am Ende seines
Lebens in feierlicher Stunde gesagt, dass sein Tod, wie auch
sein Leben, ein unvergänglicher Dienst sei, den er den „Vielen"
leiste zur Vergebung der Sünden. Damit hat er sich aus der
Reihe aller Übrigen herausgestellt, ob sie schon seine Brüder
werden sollen; er hat eine einzigartige Bedeutung in Anspruch
genommen als der Erlöser und als der Richter; denn er
hat seinen Tod, wie alles Leiden, als einen Sieg gedeutet, als
den Übergang zu seiner Herrlichkeit^ und er hat sich mächtig
erwiesen, in den Seinen wirklich die Überzeugung zu erwecken,
dass er lebe und über Tote und Lebendige Herr sei.
Die Religion des Evangeliums steht auf diesem Glauben
an Jesus Christus, d. h. im Hinblick auf ihn, diese geschicht-
liche Person, ist es dem Gläubigen gewiss, dass Gott Himmel
imd Erde regiert, und dass Gott der Richter auch der Vater
und Erlöser ist. Die Religion des Evangeliums ist die Religion^
welche die Menschen von aller Gesetzlichkeit befreit, die aber
zugleich die höchsten sittlichen Anforderungen — das Ein-
fachste und Schwerste — vorhält und den Widerspruch auf-
deckt, in dem jeder Mensch sich zu ihnen befindet. Aber sie
schaflFt die Erlösung aus solcher Not, indem sie den Menschen
zu dem gnädigen Gott führt, ihn in seine Hände beschliesst
und unser Leben hineinzieht in das unerschöpfliche und selige
Leben Jesu Christi, der die Welt überwunden und die Sünder
zu sich gerufen hat.
1. Der eigentümliche Charakter der christlichen Religion ist da-
durch bedingt, dass jede Beziehung auf Gott zugleich eine Beziehung
auf Jesus Christus ist und umgekehrt. In diesem Sinn ist die Person
Christi Mittelpunkt der Religion, resp. unabtrennbar mit dem Inhalt
der Frömmigkeit als gewisse Zuversicht auf Gott verbunden. Eine
solche Verbindung bringt nicht, wie man gemeint hat, ein fremdes
Stück in das reine Wesen der Religion. Dieses fordert vielmehr eine
solche; denn „die Ehrfurcht vor Personen, die innere Beugung vor der
Erscheinung sittlicher Kraft und Güte, ist die Wurzel aller wahrhaftigen
Religion" (WHerrmasn). Die christliche Religion weiss und nennt aber
nur einen Namen, vor dem sie sich beugt. Hierin ruht ihr positiver
Charakter; in allem Übrigen — als Frömmigkeit — ist sie durch ihre
streng geistige und innerliche Haltung keine positive Einzelreligion
neben anderen, sondern die Religion selbst.
2. In der Predigt Christi sind die ruhenden Elemente, wie sie
in vollkommenster Weise im „Vater-Unser" und in der ,,Bergpredigt"
zusammengefasst sind und ihren kürzesten Ausdruck in der Erkenntniss
Gottes als des Vaters haben, eingebettet in die Verkündigung vom
§ 5.] Die älteste Verkündigung. 13
Beiche Gottes (das Eyangelium ist als eine apokalyptisch-eschato-
logische Botschaft und Bewegung in die Welt eingetreten). Diese Ver-
kündigung umschloss ein impulsives, zündendes, die Welt preis-
gebendes Element. Hiermit war eine Spannung von Quietismus und
Ekstase, Beschaulichkeit und thätiger Kraft, Unterordnung unter die
Vorsehung Gottes und stürmischem Kampf gegen die Welt gegeben, die
in der ganzen Geschichte der Kirche bis heute nachwiikt. Die Dogmen-
geschichte ist auf dem ruhenden Elemente begründet. Die impulsiven
Elemente haben in der Kirchengeschichte gewechselt (Eschatologie, Welt-
flucht) und sind in stetem Fluss. Angesichts der sichersten Sprüche Jesu
kann ein Zweifel darüber nicht walten, dass das einzige Ziel der Religion
darin besteht, dass der Mensch seineu Gott finde, erkenne und ihm sich
ergebe. Die Koefficienten, ob jüdische Religion oder nicht, ob Askese
oder Weintrinken, ob Weltflucht oder Weltherrschaft, sind letztlich
gleichgiltig. Aber andererseits — Jesus lehrte, dass ein Reicher schwer-
lich ins Himmelreich kommen werde, und er hat in dei* Regel den
Verzicht auf die Welt gefordert.
§ 5. Die gemeinsame YerkfiudigiiDg von Jesns Christus in der
ersten Generation seiner Glänbigen.
CWbizsÄckeb, Apostel. Zeitalter. 2. Aufl. 1892. — ERenan, Hist.
des orig. de Christianisme T. II — IV. — OPpleidkreb, Das Urchristentum
1887. S. die Einleitungen i. d. N. T. und die Bibl. Theologien.
Man hatte Jesus Christus erlebt und in ihm den Messias
gefanden. Schon in den zwei Menschenaltem nach ihm ist
AUes von ihm ausgesagt worden, was Menschen überhaupt
auszusagen vermögen. Indem man ihn als den Auferstandenen
wusste, pries man ihn als den zur Rechten Gottes sitzenden
Herrn der Welt und der Geschichte, als den Weg, die Wahr-
heit und das Leben, als den Fürsten des Lebens und die leben-
dige Kraft eines neuen Daseins, als den Überwinder des Todes
und den König eines demnächst anbrechenden neuen Reiches.
Doch lassen sich gemeinsame Grundzüge der Verkündigung
feststellen, so sehr individuelle Empfindung, besondere Er-
fahrimg, Schriftgelehrsamkeit und phantastischer Trieb von
Anfang an das Bekenntniss zu ihm mannigfaltig gestaltet haben.
1. Der Inhalt des Glaubens der Jünger und die gemein-
same Verkündigung, welche sie auf Grund der Gewissheit der
Auferweckung Jesu verband, lässt sich in die Sätze zusammen-
fassen: Jesus ist der von den Propheten verheissene Messias
— er wird demnächst wiederkommen und das Reich sichtbar
aufrichten — wer an ihn glaubt und sich voll und ganz in
den Dienst dieses Glaubens stellt, darf der Gnade Gottes und
14 Die Voraussetzungen der Dogmengeschicbte. [§ 5.
des Anteils an der zukünftigen Herrlichkeit gewiss sein. Eine
neue Gemeinde der Chris tusgläubigen, die Jesus als ihren
Herrn verehrten, bildete sich so innerhalb des israelitischen
Volkes. Diese neue Gemeinde wufste sich als das wahre
Israel der messianischen Zeit und lebte deshalb mit allem
ihren Denken und Fühlen in der Zukunft. Somit konnten
auch für die Zeit der Wiederkunft Christi alle apokalyptisch-
jüdischen Hofi&iungen in Kraft bleiben. Eine Gewähr aber
für die Erfüllung derselben besass die neue Gemeinde in dem
Opfertode Christi sowie in den mancherlei Manifestationen des
Geistes, die sich an ihren Gliedern bei dem Eintritt in die
Gemeinde — mit demselben scheint von Anfang an ein Tauf-
akt verbimden gewesen zu sein — und in den Zusammen-
künften zeigten. Der Besitz des Geistes verbürgte es den
Einzelnen, dass sie nicht nur „Jünger", sondern berufene
„Heilige" und als solche Priester und Könige Gottes seien.
Der Glaube an den Gott Israels wurde zum Glauben an Gott
den Vater; zu ihm trat der Glaube an Jesus, den Christ
und den Sohn Gottes, sowie das Zeugniss von der Gabe des
h. Geistes, d. h. des Geistes Gottes und Christi. Auf Grund
dieses Glaubens lebte man in der Furcht des Richters und im
Vertrauen auf den Gott, der die Erlösung der Seinen bereits
begonnen hat.
2. Die Verkündigung von Jesus dem Christ ruhte zu-
nächst ganz auf dem A. T., hatte aber an der Erhöhung Jesu
durch die Auferstehung von den Toten ihren Ausgangspunkt.
Der Nachweis, dass das ganze A. T. auf ihn abziele, imd dass
seine Person, seine Thaten und sein Geschick die wirkliche
und wörtliche Erfüllung der ATlichen Verheissungen sei, war
das vornehmste Interesse der Gläubigen, sofern sie sich nicht
ganz den Zukunftshoffhungen hingaben. Dieser Nachweis diente
zunächst nicht dazu, den Sinn und Wert des messianischen
Werkes deutlicher zu machen — dessen schien es nicht zu
bedürfen — , sondern dazu, die Messiauität Jesu zu erweisen.
Indessen gab das A. T., wie es damals verstanden wurde, An-
lass dazu, bei der Bestimmung der Person und Würde Christi
den Rahmen des Gedankens der in Israel vollendeten Theo-
kratie zu erweitern. Ferner veranlasste der Glaube an die Er-
höhung Jesu zur Rechten Gottes, sich auch die Anfänge seiner
Existenz dem entsprechend zu denken. Weiter warf die That-
§ 5.] Paulus. 15
Sache der erfolgreiclien HeidenbekehruBg ein neues Licht auf
den Umfang seines Werkes, d. h. auf seine Bedeutung für die
ganze Menschheit. Endlich forderte das Selbstzeugniss Jesu
dazu auf, sein einzigartiges Verhältniss zu Gott dem Vater zu
erwägen. An diesen vier Punkten setzte schon im apostolischen
Zeitalter die Spekulation ein imd brachte es zu neuen Aussagen
über die Person und die Würde Christi, deren Kern die gewisse
Zuversicht gewesen ist, dass in Jesus Christus Gott selbst
oflFenbar geworden ist, in dem Sohne erfasst und ergriffen
wird, und in dem Geiste Christi sich als Prinzip eines neuen
Lebens zu eigen giebt. Li dieser Verkündigung von Jesus als
dem Christus dem Sohne (der geschichtliche Christus ist der
Sohn) und dem Herrn ging die Verkündigung des Evange-
liums geradezu auf, indem das trjQStv navxa o6a ivarsCXato 6
'Itjöovs daneben wie ein Selbstverständliches empfanden wurde
und das Nachdenken nicht besonders anregte. Dass hierdurch
eine für die Zukunft bedenkliche Verschiebung veranlasst
werden musste, liegt auf der Hand; denn wenn auch Alles
auf die Aneignung der Person Jesu ankommt, so kann doch
persönliches Leben nicht durch Urteile über die Person
angeeignet werden, sondern nur durch die Überlieferung des
konkreten Bildes.
3. Auf Grund ausdrücklicher Worte Jesu und im Be-
wusstsein des Besitzes des Geistes war man der Sünden-
vergebung, der Gerechtigkeit vor Gott, der vollen Erkenntniss
des göttlichen Willens und der Berufung in das zukünftige
Reich als eines gegenwärtigen Besitzes gewiss. Li der Be-
schaffung dieser Güter erkannten sicher nicht Wenige den Er-
folg der ersten Ankunft des Messias, d. h. sein Werk, und
führten speziell die Sündenvergebung auf den Tod Christi,
das ewige Leben auf seine Auferstehung zurück. Allein man
stellte keine Theorien auf über das Verhältniss der Güter des
Evangeliums zur Geschichte Christi. Paulus ist der Erste ge-
wesen, der auf Grund des Todes und der Auferstehung Christi
eine Theologie als Auseinandersetzung mit der ATlichen Reli-
gion entwickelt hat.
4. Diese Theologie hatte ihren Gegensatz an der Gesetzes-
gerechtigkeit des Pharisäismus resp. an der offiziellen ATlichen
Religion. Ladem sie eben deshalb z. T. aus dieser ihre Form
erhielt, war doch ihre Kraft die Gewissheit des neuen Lebens
16 Die VoraussetzuDgen der Dogmengeschichte. [§ 5.
im Geist, welches der Auferstandene bot, der durch seinen
Tod die Welt des Fleisches und der Sünde gebrochen hat.
In dem Gedanken, dass die Gerechtigkeit aus dem Glauben
an den Gott kommt, der Jesum auferweckt und dem Gesetz
auf gesetzlichem Wege im Kreuzestode Christi ein Ende ge-
macht hat, riss Paulus das Evangelium von seinem mütter-
lichen Boden los und gab ihm zugleich in der Christusspeku-
lation und der Ausführung des Gegensatzes von Fleisch und
Geist eine den Hellenen verständliche Ausprägung, so wenig
diese im Stande waren, die spezielle Form der Auseinander-
setzimg mit dem Gesetz sich anzueignen. Durch Paulus, den
ersten Theologen, wurde demgemäss die Frage nach dem Ge-
setz (in Theorie und Praxis) und nach den Prinzipien der
Missionsthätigkeit innerhalb der Christengemeinde brennend.
Während er die Freiheit vom Gesetz verkündete imd die
Heiden taufte, ihnen verwehrend, Juden zu werden, leiteten
Andere nun erst in bewusster Weise die Gerechtigkeit der
Christgläubigen auch von dem pünktlichen Halten des Gesetzes
ab und verwarfen den Paulus als Apostel und als Christen.
Allein gerade die hervorragendsten Jünger Jesu Hessen sich,
vielleicht nicht zum mindesten durch die Erfolge des Paulus
bestimmt, überzeugen und gestanden den Heiden das Recht
zu, Christen zu sein, ohne Juden zu werden. Diese sicher
bezeugte Thatsache ist der stärkste Beweis dafür, dsiss Christus
in seinen persönlichen Jüngern einen Glauben an ihn erweckt
hat, der ihnen teurer war als alle väterlichen Überlieferungen.
Doch gab es imter denen, welche die paulinische Mission an-
erkannten, verschiedene Schattirungen je nach der Stellung,
die man im Leben und Verkehr zu den- Heidenchristen ein-
nehmen zu müssen meinte. Diese Schattirungen haben sich
lange erhalten.
Indessen, so gewiss Paulus seinen Kampf für die ganze
Christenheit gekämpft hat, so gewiss hat sich doch die Um-
wandelung der ursprünglichen Formen in universale auch
neben seiner Thätigkeit vollzogen (Beweis: die römische Ge-
meinde). Das Judentum der Diaspora hatte längst um sich
einen Hof halbbürtiger griechischer Brüder, für welche die
partikularen und nationalen Formen der ATlichen Religion
kaum bestanden (s. § 7). Ferner hatte dieses Judentum selbst
für Juden die alte Religion zu einer universalen und geistigen
§ 6.] Auslegung des A. T. und Apokalyptik. 17
amzuschaflfen begonnen, ohne ihre Formen abzuwerfen, die
vielmehr als bedeutungsvolle Ordnungen und Symbole (Myste-
rien) galten. Indem das Evangelium hier ergriflfen wurde,
fahrte es einfach und fast augenblicklich den Prozess der
Vergeistigung der alten Religion zu Ende und streifte die
alten Formen als Hüllen ab, sie z. T. sofort durch neue er-
setzend (z. B. die Beschneidung ist die Beschneidung des Her-
zens, zugleich auch die Taufe; der Sabbath ist das herrliche
Reich Christi u. s. w.). Die äussere Scheidung von der Syna-
goge ist freilich auch hier ein Beweis von der Kraft und dem
Selbstbewusstsein des Neuen. Sie ^Uzog sich rasch infolge
des Hasses der altgläubigen Juden; Paulus wirkte ein, und
die Zerstörung Jerusalems beseitigte vollends unklare Verhält-
nisse, die noch übrig geblieben waren.
Streng universalistisch und geistig, der Eeligion, nicht nur dem
Buchstaben des A. T. übergeordnet ist das Ev^angelium auch im Hebräer-
brief und in den johanneischen Schriften gefasst. Das Christusbild des
4. Ev. erscheint wie eine Synthese des synoptischen und des Paulinismus
und ist doch aus einem Guss. Der Hellenismus hat an ihm einen ge-
wissen Anteil, aber nicht als metaphysisches System, sondern als Denk-
weise und Ordnung der Begriffe. Doch ist auch hier die Unterscheidung
dessen, was griechisch ist, nicht leicht. Den Logosbegriff scheint der
Verf. nur aufgenommen zu haben, um den Logos als den Sohn Gottes
Jesus Christus zu enthüllen (s. AHarnace, Ober das Yerhältniss des
Prologs des 4. Ev.'s z. ganzen Werk, i. ZThK, 2. Bd. 3. Heft).
§ 0. Die damalige Auslegung des Alten Testaments und die
jüdischen Znknnftshoffnuugen in ihrer Bedentnng für die
ältesten Ansprägnngen der cbristlicben Verkflndigang.
EScHüREB, Gesch. des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi.
Bd. 2. 1886. S. 248 ff. über die Schriftgelehrsamkeit (Halacha und
Haggada), S. 314 ff. über Pharisäer und Sadducäer, S. 417 ff", über die
messianische Hoffnung, S. 575 — 693 über die palästinensisch-jüdische
Litteratur der Zeit. Besonders gichtig sind die Apokalypsen (Daniel,
Henoch, Mosis, Baruch, Esra u. s. w.). — FWkbkr, System der altsyna-
gogalen paläst. Theologie 1880. — AKuenen, Volksreligion und Welt-
religion 1883. — JWellhaüsen, Abriss der Geschichte IsraeFs und Juda^s
(Skizzen und Vorarbeiten 1887). — LDiestbl, Geschichte des A. T. in d.
Christi. Kirche, 1869.
1. Obgleich die Methode der Kleinmeisterei, der kasuisti-
schen Behandlung des Gesetzes und der Ausklügelung des tie-
feren Sinnes der W^eissagungen von Jesus indirekt aber prinzipiell
abgethan war, so blieb doch in der christlichen Gemeinde die
Orondriss lY. ui. Habstack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 2
18 Die Voraufisetziingen der Dogmengeschichte. [§ 6,
alte Schulexegese, vor Allem die unhistorische Lokalmethode
in der Auslegung des 'A. T., sowie die AUegoristik und Hag-
gada noch wirksam; denn eia heiliger Text — und als solcher
galt das A. T. — fordert immer dazu auf, bei der Erklärung
von seiner geschichtlichen Bedingtheit abzusehen und ihn nach
dem jeweiligen Bedürfuiss auszulegen. Besonders wo es sich
um dem Nachweis der Erfüllung der Weissagung d. L der
Messianität Jesu handelte, übte die herkömmliche Betrachtungs-
weise ihren Einfluss sowohl auf die Auslegung des A. T. als
auf die Vorstellungen von der Person, dem Geschick und den
Thaten Jesu. Sie gab, unter dem Eindruck der Greschichte
Jesu, vielen ATlichen Stellen einen ihnen fremden Sinn und
bereicherte andererseits das Leben Jesu mit neuen Thatsachen^
zugleich das Interesse auf Einzelheiten lenkend, die häufig un-
wirklich, selten hervorragend wichtig gewesen siud.
2. Die jüdisch - apokalyptische Litteratur, wie dieselbe
namentlich seit der Zeit des Antiochus Epiphanes in Blüte
stand, ist aus den Kreisen der ersten Bekenner des Evan-
geliums nicht verbannt, sondern vielmehr — da das Evan-
gelium die Form eiuer eschatologischen Botschaft hatte — in
ihnen festgehalten, als Verdeutlichung der Verheissungen Jesu
eifrig gelesen und sogar fortgeführt worden. Erscheint auch
der Inhalt derselben modifizirt und die üngewissheit über die
Person des zum Gerichte erscheinenden Messias gehoben, so
sind doch die sinnlich -irdischen Hoffnungen keineswegs zurück-
gedrängt worden. Bunte Bilder erfüllten die Phantasie, drohten
die schlichten und ernsten Sprüche von dem Gericht, das jeder
einzelnen Seele gewiss ist, zu verdunkeln und zogen manche
Bekenner des Evangeliums in ein imruhiges Treiben und in
den Abscheu vor dem Staat hinein. Infolge hiervon musste
die Reproduktion der eschatologischen Reden Jesu unsicher
werden, ja selbst ganz Fremdes wurde ihnen beigemischt^
und die wahren Ziele der christlichen Lebensbewegung und
Hoffnung drohten schwankend zu werden und sich zu ver-
wirren.
3. Durch die apokalyptische Litteratur, die kunstmässige
Exegese und Haggada bürgerte sich eine Fülle von Mytho-
logien (s. besonders die Engellehren) und Begriffsdichtungen
in den christlichen Gemeinden ein und wurde legitimirt. Am
wichtigsten wurden für die Folgezeit die Spekulationen über
§ 6.] Auslegung des A. T. und Apokalyptik. 19
den Messias, die man teils den Auslegungen des A. T. und
den Apokalypsen entnahm, teils selbständig ausbildete nach
Methoden, deren Recht Niemand bestritt und deren Anwendung
den Glauben sicher zu stellen schien. Schon langst hatte man
in der jüdischen Religion allem Sein imd Geschehen in dem
Wissen Gottes eine Existenz verliehen, diese Vorstellung aber
natürlich nur auf Wertvolles wirklich angewendet. Das fort-
schreitende religiöse Denken hatte vor Allem auch die Indivi-
duen, namentlich die hervorragenden, in diese Spekulation,
welche lediglich Gott verherrlichen sollte, hineingezogen, und
so wurde auch dem Messias Praexistenz beigelegt, allein eine
solche, kraft welcher er in seiner irdischen Erscheinung
bei Gott weilt. Dagegen wurzelten die hellenischen Präexistenz-
vorstellungen in der Unterscheidung von Gott und der Materie,
Geist und Fleisch. Nach ihnen präexistirt der Geist, und
die sinnliche Natur ist nur eine Hülle, die er annimmt. Hier
war der Boden für Ideen von der Menschwerdung, der An-
nahme einer zweiten Natur u. s. w. gegeben. Im Zeitalter
Christi wirkten diese hellenischen Vorstellungen auf die jü-
dischen ein, und so verbreitet waren beide, dass auch die
hervorragendsten christlichen Lehrer sie übernahmen. Die
religiösen Überzeugungen (s. § 5, 2), dass 1) die Stiftung des
Gottesreiches auf Erden und die Sendung Jesu als des voll-
kommenen Mittlers von Ewigkeit her in dem Heilsplan Gottes
als oberster Zweckgedanke begründet sei, dass 2) der erhöhte
Christus in eine ihm gebührende, gottgleiche Herrscherstellimg
eingerückt sei, dass 3) in Jesus Gott selbst offenbar geworden
sei und dass er daher alle ATlichen Mittler, ja selbst alle Engel-
mächte überrage — diese Überzeugungen wurden, nicht ohne
Einfluss der hellenischen Denkweise, so fixirt, dass Jesus prä-
existirt habe resp. dass in ihm ein himmlisches, Gott gleich-
gestelltes Wesen, welches älter ist als die Welt, ja ihr schöpfe-
risches Prinzip, erschienen sei und Fleisch angenommen habe.
Die religiöse Wurzel dieser Spekulation liegt in Sätzen wie
I. Pet. 1, 20, ihre Ausgestaltungen waren sehr verschieden, je
nach dem Bildungsgrad und der Vertrautheit mit der apoka-
lyptischen Theologie oder der hellenischen Religionsphilosophie,
in der Zwischenwesen (vor Allem der Logos) eine grosse Rolle
spielten. Nur der vierte Evangelist hat es mit voller Klarheit
erkannt, dass der vor weltliche Christus als d'Bog S)v iv ocQxfi
2*
20 Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 7.
TCQog tbv d'sov gesetzt werden müsse, um den Inhalt nnd die
Bedeutung der in Christus geschehenen Offenbarung Gottes
nicht zu gefährden. Übrigens haben in weiten Kreisen auch
solche Auffassungen geherrscht, welche in einer Geistes-
mitteilung bei der Taufe die Ausrüstung des Menschen Jesus
(s. die Genealogien, die Variante zu Luc. 3, 22, den Beginn
des Marcus -^Ev.) zu seinem Amte erkannten oder auf Grund
von Jes. 7 in einer wunderbaren Geburt (aus der Jungfrau)
den Keim seines einzigartigen Wesens gesetzt fanden. (Das
Aufkommen und die Verbreitung dieser Vorstellung ist uns
ganz dunkel; Paulus scheint sie nicht zu kennen; im Lucas -Ev.
ist sie vielleicht interpolirt; am Anfang des 2. Jahrhunderts ist
sie bereits allgemein gewesen.) Andererseits ist es von hoher
Bedeutung, dass alle Lehrer, welche das Neue des Christen-
tums als Religion erkannten, Christus Präexistenz beigelegt
haben.
Zusatz. Die Verweisung auf den Weissagungsbeweis, auf die
damalige Auslegung des A. T., auf die Apokalyptik und die giltigen
Methoden der Spekulation vermag nicht alle neuen Momente zu er-
klären, die sich in der Ausprägung der christlichen Yeiküudigung schon
sehr frühe finden. Die ältesten Gemeinden waren enthusiastisch, hatten
Propheten in ihrer Mitte u. s. w. Unter solchen Bedingungen werden
in der Geschichte stets Thatsachen geradezu produzirt (z. B. als be-
sonders wichtige die Himmel- und Höllenfahrt Christi — freilich auch
im Zusammenhang mit dem Weissagungsbeweis). Es ist nachträglich
nicht möglich, die Veranlassungen zu solchen i'roduktionen nachzuweisen,
die erst durch die Schöpfung des NT liehen Kanons ihr übrigens nicht
einmal vollkommenes Ende erlangt haben, resp. nun darch begriffliche
Mythologumena bereichert wurden. Ihre Wahrheit haben alle diese
Aussagen an der religiösen Oberzeugung, dass in der Geschichte Christi
Zweck und Ziel der Geschichte enthüllt ist und dass das Göttliche in
reiner Gestalt nun in die Geschichte eingetreten ist.
§ 7. Die religiösen Änffassnngen nnd die Religionsphilosophie
der hellenistischen Juden in ihrer Bedentnng für die Um-
prägniig des Evangelinms.
EScHüRHR, a. a. 0. S. 493 ff. 694—884. — KSiegpried, Philo von
Alexandrien 1875. — ChBigg, The Christian Platonists of Alex. 1886.
Die Untersuchungen von JFheüdknthal (Hellenist. Studien) und JBehnays.
1. Aus den liesten der jüdisch -alexandrinischen Litteratur
(erinnert sei auch an die Sibyllen sowie an Josephus) und aus
der grossen Propaganda des Judentums in der griechisch-
[§ 7. Der Hellenismus. 21
römischen Welt ist zu schliessen, dass es in der Diaspora ein
Judentum gab, für dessen Bewusstsein der Kultus und das
Ceremonialgesetz hinter die bildlose monotheistische Gottes-
verehrung, die Tugendlehren und den Glauben an eine künftige
jenseitige Vergeltung ganz zurücktraten. Selbst die Beschnei-
dung wurde von den bekehrten Juden nicht durchgängig mehr
verlangt: man begnügte sich auch mit dem Reinigungsbade.
Die jüdische Religion scheint hier umgesetzt in eine all-
gemein menschliche Moral und in eine monotheistische Kos-
mologie. Deshalb ist auch der Gedanke der Theokratie sowie
die messianische Hoffnung verblasst. Die letztere fehlte zwar
nicht; aber die Prophetien wurden hauptsächlich für den
Altersbeweis des jüdischen Monotheismus verwertet, und der
Zukunftsgedanke erschöpfte sich in der Erwartung des Unter-
gangs des römischen Reichs, des Weltbrandes und — was
das Wichtigste war — der allgemeinen Vergeltung. Das
spezifisch Jüdische aber erhielt sich in der Hochschätzung
des A. T., welches als Quelle aller Weisheit (auch der grie-
chischen Philosophie und der Wahrheitsmomente der nicht-
jüdischen Religionen) betrachtet wi^rde. Viele Aufgeklärte
hielten auch das Gesetz, seiner symbolischen Bedeutung
wegen, pünktlich. Diese Juden und die von ihnen bekehrten
Griechen bildeten ein neues Judentum auf der Wurzel des
alten. Es hat den Boden für die Christianisirung der Griechen
sowie für die Entstehung einer grossen gesetzesfreien Heiden-
kirche im Reiche bereitet; es hat sich unter dem Einfluss der
griechischen Kultur zu einer Art von Weltbürgertum mit
monotheistischem Hintergrund entwickelt. Als Religion hat
es die nationalen Formen abgestreift imd sich als die voll-
kommenste Ausprägung jener „natürlichen" Religion produ-
zirt, welche die Stoa entdeckt hatte. Aber in dem Masse
wurde es auch moralistischer und verlor einen Teil der
religiösen Kräftigkeit, welche die Propheten und Psabnisten
besessen hatten. Die innige Verknüpfung des Judentums mit
der hellenistischen Religionsphilosophie bedeutet den grössten
Fortschritt in der Religions- und Kulturgeschichte; aber sie
brachte es nicht zu kräftigen religiösen Bildungen. Ihre
Schöpfungen sind in das „Christentum" übergegangen.
2. Die jüdisch- alexandrinische Religionsphilosophie hat
ihren bedeutendsten Vertreter in Philo — dem vollkommenen
22 Die Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 7.
Griechen und dem überzeugten Juden, der die religiöse Philo-
sophie des Zeitalters in der Richtung auf den Neuplatonismus
fortgebildet und eine christliche Theologie, die mit der Philo-
sophie zu rivalisiren vermochte, vorbereitet hat. Philo ist
Platoniker imd Stoiker, zugleich aber Offenbarungsphilosoph;
er versetzte das letzte Ziel in das Übervemünftige (die über
aller natütlichen Erkenntniss liegende Gotteserkenntniss) und
daher die höchste Kraft in die göttliche Mitteilung. Anderer-
seits sah er, ein erklärter Dualist (Gott = Geist = das Gute;
die Materie = das Nichtige, das Böse), im menschlichen Geist
ein Göttliches imd überbrückte den Gegensatz von Gott und
dem kreatürlichen Geist, von Natur und Geschichte durch den
persönlich -unpersönlichen Logos (der Logos ist weltwirksame
Kraft Gottes, Geschöpf Gottes, Stellvertreter Gottes, Zu-
sammenfassung aller in der Welt sich ausgestaltenden Adyo^,
Ideen), aus dem er die Religion und die Welt erklärte, deren
Stoff ihm freilich das gänzlich Nichtige und Böse blieb. Seine
ethischen Anweisimgen, die in der durch Gott selbst herbei-
zuführenden, in der Erkenntniss sich vermittelnden Einheit mit
Gott gipfeln, haben im Prinzip einen streng asketischen Cha-
rakter, so sehr er die irdischen Tugenden als relative zu
schätzen wusste. Die Tugend ist Befreiung von der Sinnlich-
keit, und sie vollendet sich in dem Berührtsein von der Gott-
heit. Dieses Berührtsein liegt über aller Erkenntniss, die aber
als der Weg hochgeschätzt wird. Das Denken über die Welt
ist bei Philo von dem Bedürfniss nach einer Seligkeit und einem
Frieden abhängig, der höher ist als alle Vemimft. Man darf
urteilen, dass Philo deshalb der Erste gewesen ist, der als
Philosoph diesem Bedürfniss einen deutlichen Ausdruck ge-
geben hat, weil er nicht nur ein Grieche, sondern auch ein
im A. T. lebender Jude war, in dessen Gesichtskreis freilich
die Synthese des Messias und des Logos noch nicht gelegen hat.
3. Die praktischen Grundgedanken der alex. Religions-
Philosophie müssen — in verschiedener Stärke — sehr frühe
in judenchristlichen Kreisen der Diaspora, und durch sie auch
in heidenchristlichen, Eingang gefunden haben, oder vielmehr
dort war der Boden bereitet, wo diese Gedanken verbreitet
waren. Seit dem Anfang des 2. Jahrh. ist dann auch die
Philosophie Philo's selbst, speziell die Logoslehre als Aus-
druck der Einheit von Religion, Natur und Geschichte, und
§ 8.] Die religiösen Dispositionen der Griechen u. Römer. 23
Tor Allem seine hermeneutisclien Grundsätze, bei
christlichen Lehrern wirksam geworden. Die Systeme Valen-
tin's und Origenes' setzen das System Philo's voraus. Der feine
Dualismus und die Kunst der AUegoristik („die biblische Al-
chemie") wurden auch bei den Gelehrten der Kirche heimisch:
den geistigen Sinn der h. Texte zu finden, teils neben dem
buchstäblichen, teils mit Ausschluss desselben, wurde die
Losung für die wissenschaftliche christliche Theologie, die
überhaupt nur auf diesem Grunde möglich war, da sie (ohne
doch relative Massstäbe zu kennen, deren Anwendung allein
die Lösung der Aufgabe ermöglicht hätte) den ungeheuren imd
xiisparaten Stoff des A. T. mit dem Evangelium und Beides
mit der religiösen und wissenschaftlichen Kultur der Griechen
zu einer Einheit zu verbinden strebte. Hier war Philo der
Meister; denn er hat zuerst im grössten Umfang den neuen
Wein in alte Schläuche gegossen — ein Verfahren, in seiner
letzten Absicht berechtigt; denn die Geschichte ist eine Ein-
heit; aber in kleinmeisterlicher Ausführung eine Quelle der
Täuschungen, der Unwahrhaftigkeit und schliesslich der totalen
Verblendung.
§ 8. Die religiSseu Dispositionen der Griechen und Römer in
den beiden ersten Jahrhunderten und die damalige griechisch-
rSmische Religionsphilosophie.
GBoissiER, La räligion Romaine d^ Auguste aux Antonius. 2 Bde.
1874. — JRiSviLLE, La räligion ä Eome sous las Samaras, 1886 (dautsch
TonGERÜGER 1888). — GFbiedlÄnder, Darstellungen aus dar Sittengeschichte
Borns in der Zeit von August bis zum Ausgang der Antonine. 3. Bd.
h. Aufl. — EMarqüardt, Römische Staatsverwaltung. 3. Bd. 1878. — Leop.
Schmidt, Die Ethik der alten Griechen, 2 Bde. 1882. — MHeinzk, Die
Lehre vom Logos 1872. — RHirzel, Unters, z. Cicero's philos. Schriften,
3 Tle. 1877 ff. — EHatch, The influence of Greec ideas and usages upon
the Christian church 1890 (deutsch von EPreuschen 1892). Die Lehr-
bücher der Geschichte der Philosophie vonEZKT.LER, JEEudmann, FÜberweö,
LStrömpell, W Windelband u. A.
1. Nachdem im Zeitalter des Cicero und Augustus die
Volksreligion und der religiöse Sinn überhaupt in den Kreisen
der Gebildeten fast ganz abhanden gekommen waren, ist seit
dem Ausgang des 1. Jahrh. in der griechisch-römischen Welt
eine Wiederbelebung des religiösen Sinns bemerkbar, welche
alle Schichten der Gesellschaft erfasste und sich namentlich
24 Die Voran ßsetzuDgen der Dogmeogeschichte. [§ 8,
seit der Mitte des 2. Jahrli. von Decennium zu Decennium
gesteigert zu haben scheint. Parallel mit ihr gingen die nicht
erfolglosen Versuche, die alten nationalen Kulte, religiösen
Gebräuche, Orakelstätten u. s. w. zu restauriren. Indessen
kamen . die neuen religiösen Bedürfnisse der Zeit in diesen
Versuchen, die z. T. von oben und künstlich gemacht wurden^
weder kräftig noch imgetrübt zum Ausdruck. Dieselben suchten
sich vielmehr, entsprechend den gänzlich geänderten Zeit-
verhältnissen (Völkermischung und Verkehr — Verfall der
alten republ. Ordnungen, Gliederungen imd Stände — Mon-
archie und Absolutismus — soziale Krisen und Pauperismus
— Einfluss der Philosophie auf Religion, Sittlichkeit und
Recht — Weltbürgertum und Menschenrechte — Eindringen
orientalischer Kulte — Weltkenntniss und -Überdruss), neue
Formen der Befriedigung. Aus dem Verfall der politischen
Kulte imd dem Synkretismus entwickelte sich unter dem Ein-
fluss der Philosophie die Disposition für den Monotheismus.
Religion und individuelle Sittlichkeit wurden enger ver-
knüpft: Vergeistigung der Kulte, Veredelung des Men-
schen, Idee der sittlichen Persönlichkeit, des Ge-
wissens und der Reinheit. Busse und Entsühnung
wurden von Wichtigkeit, innere Verbindung mit der Gottheit,
Sehnsucht nach Offenbarung (Askese und geheimniss-
volle Riten als Mittel der Aneignung des Göttlichen), Sehn-
sucht nach leidlosem, ewigem Leben im Jenseits (Ver-
gottung); das irdische Leben als Scheinleben (iyxQcitSLa und
ccvd6ta6Lg). Trat im 2. Jahrh. der moralistische Zug stärker
hervor, so im 3. mehr und mehr der religiöse — die Sehn-
sucht nach Leben. Dabei war der Polytheismus nicht über-
wunden, sondern nur auf eine zweite Stufe geschoben, auf
dieser aber so lebendig wie je zuvor. Das numen supremum
offenbart seine Fülle in tausend Gestaltungen (Untergöttern),
die aufwärts (Vergötterung, Kaiserkult, „dominus ac deus
noster") und abwärts (Manifestationen in der Natur und in
der Geschichte) steigen. Die Seele selbst ist ein überirdisches
Wesen; das Ideal des vollkommenen Menschen und des Führers
(Erlösers) wird entwickelt imd gesucht. Das Neue blieb aber
teilweise verdeckt durch die alten Kultusformen, *die der Staat
und die Pietät stützten oder restaurirten; es tastete unsicher
nach Ausdrucksformen umher, und der Weise, der Skeptiker,
§ 8.] Die religiösen Dispositionen der Griechen u. Römer. 25
der Fromme und der Patriot kapitulirten mit der alten kul-
tischen Überlieferung.
2. Hohe Bedeutung für die Entwickelung eines Neuen auf
religiösem Gebiet kam dem Assoziationswesen einerseits, der
Schöpfung des monarchischen römischen Weltstaats anderer-
seits zu. In beiden entsteht die weltbürgerliche Gesinnung,
die doch über sich selbst hinausweist, dort dazu die Praxis
der sozialen Hülfeleistung, hier die Vereinigung der Mensch-
heit unter einem Haupte und die Neutralisirung der Nationen.
Die Kirche hat Stück für Stück den grossen Apparat des
rÖHiischen Weltstaates sich angeeignet, wohl auch in seiner
Verfassung das Abbild der göttlichen Ökonomie gesehen.
3. Vielleicht der entscheidendste Faktor in dem Umschwung
der religiös-sittlichen Stimmungen ist die Philosophie gewesen,
die in fast allen ihren Schulen mehr und mehr die Ethik
in den Vordergrund gerückt und vertieft hat. Vom Boden
des Stoicismus aus haben Posidonius, Seneca, Epiktet und
M. Aurel, vom Piatonismus aus Männer wie Plutarch eine
ethische Anschauung gewonnen, welche im Prinzip unklar
(Erkenntniss, Resignation, Gottvertrauen), doch im Einzelnen
einer Steigerung kaum mehr fähig ist. Gemeinsam ist ihnen
allen die Wertschätzung der Seele. Eine religiöse Stimmung,
die Sehnsucht nach göttlicher Hülfe, nach Erlösung und einem
jenseitigen Leben tritt bei Einzelnen deutlich hervor; am deut-
lichsten bei den Neuplatonikem und ihren Vorläufern im
2. Jahrh. (vorgebildet bei Philo). Merkmale dieser Denkweise
sind die dualistische Entgegensetzung des Göttlichen und Ir-
dischen, der abstrakte Gottesbegriff, die Behauptung der üner-
kennbarkeit Gottes, die Skepsis in Bezug auf die sionliche Er-
fahrung und das Misstrauen in Bezug auf die Kräfte des
Verstandes bei hoher Bereitschaft, die Dinge zu erforschen
und den Ertrag der bisherigen wissenschaftlichen Arbeit zu
verwerten, femer die Forderung der Befreiung von der Sinn-
lichkeit durch Askese, das Autoritätsbedürfiiiss, der Glaube an
höhere Offenbarungen und die Verschmelzung von Religion,
Wissenschaft . und Mythologie. Bereits begann man die reli-
giöse Phantasie im Reiche der Philosophie zu legitimiren, in-
dem man auf die Mythen als die Vehikel der tiefsten Weisheit
zurückgriff (Romantik). Die theosophische Philosophie, die
sich so vorbereitete, ist vom Standpunkt der Naturwissenschaft
26 Pie Voraussetzungen der Dogmengeschichte. [§ 8.
und Aufklärung vielfach ein Rückschritt (doch nicht in jeder
Beziehung, z. B. ist die neuplatonische Psychologie viel besser
als die stoische); aber sie war der Ausdruck für tiefere
religiöse Bedürfnisse und wertvolle Selbsterkenntniss. Das
Innenleben mit seinen Ahnungen, HoflEhungen und Wünschen
wird nun vollständig der Ausgangspunkt des Denkens über
die Welt. Die Gedanken der göttlichen gnädigen Vorsehung,
der Zusammengehörigkeit aller Menschen, der allgemeinen
Bruderliebe, der bereitwilligen Vergebung des Unrechts, der
nachsichtigen Geduld, der Einsicht in die eigenen Schwächen
— freilich noch mit manchem Schatten behaftet — sind nicht
minder ein Erwerb der praktischen Philosophie der Griechen
für weite Kreise geworden, wie die Überzeugung von der in-
härenten Sündhaftigkeit, von der Erlösungsbedürftigkeit und
dem Werte einer Menschenseele, die nur in Gott ihre Ruhe
findet. Aber man besass keine sichere Offenbarung, keine
umfassende und befriedigende religiöse Gemeinschaft,
keinen kräftigen religiösen Genius und keine Betrachtung der
Geschichte, welche an die Stelle der nicht mehr wertvollen
politischen Geschichte treten konnte; man besass keine Ge-
wissheit, und man kam aus dem Schwanken zwischen Gottes-
furcht und Naturvergötterung nicht heraus. Die Kraft fehlte,
welche die Götzen stürzte und das Alte abthat. Dennoch hat
sich mit dieser Philosophie, dem Höchsten, was das Zeitalter
bot, das Evangelium verbündet, und die Stadien der kirch-
lichen Dogmengeschiehte in den 5 ersten Jahrhunderten ent-
sprechen den Stadien der hellenischen Religionsphilosophie in
demselben Zeitraum.
Als Einleitung zam Studium der Dogmengeschichte ist, abgesehen
von der oben verzeichneten Litteratur und dem Studium der Septaaginta
und des NTs, die Lektüre folgender Schriften besonders zu empfehlen:
Die Apokalypse des Esra (= 4. Buch Esra, hrsg, von FFbitzsche, Libri
apocr. Vet. Test. 1871), Die Psalmen Salomos (a. a. 0.), die Pirke Aboth
(hrsg. von HStrack 1882), Die sibyllinischen Orakel (hrsg. von Rzach 1891),
Schriften Philo's (^besonders seine Erklärungen zur Genesis), Seneca*s,
Plutarch's, Epiktet^s und Marc AurePs, resp. EZelleb^s Philosophie der
Griechen, Bd. III, 1. 2 (3. Aufl. 1880 f.).
27
Erster Teil.
Die Entstehung des kirchlichen Dogmas.
Erstes Buch.
Die Vorbereitung.
Erstes Kapitel.
Gescliiclitliclie Orientiruiig.
§9.
FGvERBECK, Über die Anfänge der patrist. Litteratur (Histor. Ztschr.
N. F. XII S. 417 ff. RSoHM, Kirchenrecht I 1892.
Das 1. Jahrhundert des Bestehens heidenchristlicher Ge-
meinden ist charakterisirt 1) durch das rapide Zurücktreten
des Judenchristentums, 2) durch den religiösen Enthusiasmus
(das charismatische Lehrertum), 3) durch die Kräftigkeit der
Zukunftshofi&iungen (Chiliasmus), 4) durch strenge Sittlichkeit
nach Massgahe der Hermgebote , 5) durch die Mannigfaltig-
keit und Freiheit der Ausprägungen des Glaubens auf Grund
deutbarer Formeln und einer stets bereicherten Überlieferung,
6) durch das Fehlen einer fest umgrenzten, in ihrer Anwen-
dung sicheren, äusseren Autorität in den Gemeinden (Autori-
i^ten sind das A. T., die „Lehre des Herrn^^ in apostolischer
Überlieferung und der lebendig wirkende, sich z. T. sinnen-
föltig bezeugende h. Geist), 7) durch das Fehlen einer politi-
schen Verbindung der einzelnen Gemeinden unter einander
(jede Ekklesia ist ein in sich geschlossenes Abbild und eine
Auswirkung der ganzen himmlischen Kirche) und durch eine
feste, aber dem Individuum Spielraum lassende Organisation,
8) durch eine eigenartige, mit den höchsten Ansprüchen auf-
tretende, auch Thatsachen produzirende Schriftstellerei, 9) durch
die Reproduktion einzelner Sprüche und Ausführungen apo-
stolischer Lehrer bei unsicherem Verständniss für dieselben,
28 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 10.
10) durch das Aufkommen von Richtungen, die den vom Ur-
sprung her begonnenen Prozess der Verschmelzung des Evan-
geliums mit den geistigen und religiösen Interessen der Zeit
(mit dem Hellenischen) in jeder Hinsicht zu beschleunigen
trachteten, sowie durch Unternehmungen, das Evangelium von
seinem Ursprung loszulösen und ihm ganz fremde Voraus-
setzungen unterzuschieben. Zu Letzterem gehört vor Allem
die (hellenische) Vorstellung, dass die Erkenntniss nicht eine
(charismatische) Zugabe zum Glauben sei, sondern dass sie mit
dem Wesen des Glaubens selbst zusammenfalle.
Zweites Kapitel.
Das allen Christen Gemeinsame und die Auseinandersetzung
mit dem Judentum.
§10.
Für die grosse Mehrzahl der Christen war ein Gemein-
sames vorhanden, wie neben Anderem die Thatsache beweist,
dass die Ausscheidung des Gnosticismus nur allmählich erfolgt
ist. Die Überzeugung, den höchsten Gott zu kennen, das Be-
wusstsein, ihm verantwortlich zu sein, das Vertrauen auf
Christus, die sichere Hoffnung auf ein ewiges Leben, die kraft-
volle Erhebimg über die Welt — diese Elemente bildeten die
Grundstimmung. Justin's Definition des Christentums (bei Euseb.,
h. e. IV, 17, 10): tb SvSaOxdXiov r^g ^^eCa^ ccQStrlg ist gewiss
von jedem Christen gebilligt worden, und ebenso spricht der
Verf. der Thekla- Akten die allgemeine Auffassung aus, wenn
er (c. 5. 7) rbv rov xqiözov koyov gleichsetzt dem köyog d'sov
jcsqI iyTCQarevag xal avaötdöscog. Im Einzelnen darf hier Fol-
gendes genannt werden:
1. Das Evangelium ist die sichere, weil auf Offenbarung
beruhende, Kundgebung des höchsten Gottes, deren gläubige
Aufnahme das Heil verbürgt;
2. Der wesentliche Inhalt dieser Kundgebung ist der
geistige Monotheismus, die Botschaft von der Auferstehung
und dem ewigen Leben, sowie die Predigt von der sittlichen
Reinheit und Enthaltung auf Grund der Busse zu Gott und
einer einmal gewährten Entsühnimg (Taufe) im Hinblick auf
die Vergeltimg des Guten und Bösen;
3. Vermittelt ist diese Kundgebung durch Jesus Christus,
§ 10.] Das allen Christen Gemeinsame. 29
welcher der „in der letzten Zeit^^ gesandte Heiland ist und mit
Gott selbst in einer besonderen, einzigartigen Verbindung steht
(vgl. das in ältester Zeit viel gebrauchte und vieldeutige TCccts
d-eov). Er ist der Erlöser (<Jori}p), weil er die volle Erkennt-
niss Gottes und das Geschenk des ewigen Lebens gebracht hat
{yv&ötg und goi}, resp. yv&ötg tfjg Sa>^g, als Ausdruck far die
Summa des Evangeliums; s. die Abendmahlsgebete in der
Didache c. 9 u. 10: s'öxaQi^tov^Ev 6oi^ tcAxbq i^Lcbv^ {)7cIq rrjg
tc^rjg xal yvaöecog ijg iyvcoQiöag fifitv dcä 'Irj6ov tov ^atdög
ffov). Er ist aber ferner das höchste Vorbild aller sittlichen
Tugend, Gesetzgeber und Gesetz für das vollkommene Leben,
dazu Besieger der Dämonen und Weltrichter;
4. Die Tugend ist die Enthaltung (als Verzicht auf die
Güter dieser Welt, in der der Christ ein Fremdling ist und
deren Untergang er erwartet), sodann auch die brüderliche Liebe.
(La unzweifelhafter Abweichung von den Sprüchen Christi tritt
für die Reflexion in den ältesten heidenchristlichen Gemeinden
<Iie Bruderliebe hinter der asketischen Tugendübung zurück;
Celsus [bei Orig. c. Cels. V, 59 sq.] hat nicht den Ruf „Liebet
die Brüder^' aus aller Christen Munde gehört, sondern „Mir ist
die Welt gekreuzigt und ich der Welt^');
5. Die Botschaft Christi ist erwählten Männern, den
Aposteln, resp. einem Apostel, übertragen; in ihrer Predigt
stellt sich die Predigt Christi selbst dar. Ausserdem waltet
in den „Heiligen^^ der Geist Gottes mit seinen Gaben, der zu-
dem noch besondere „Propheten und Lehrer^^ erweckt, welche
Mitteilungen zur Erbauung der Anderen erhalten und deren
Anweisungen Gehorsam zu leisten ist;
6. Der christliche Gottesdienst ist ein geistiger Opferdienst
ohne Ceremonien und statuarische Regeln; die heiligen Hand-
lungen imd Weihen, die mit dem Kultus verbunden sind,
haben ihren Wert darin, dass geistige Güter mitgeteilt werden
(Didache 10: ij^tv dh ixaQLöco^ deeTCora^ Ttvsv^atiTciiv tQOtpiiv
xal notbv xal ^ayfiv- althvLOv diä rot) Ttacdög öov)]
7. Die durch Geschlecht, Alter, Bildung, Nation zwischen
den Menschen gezogenen Schranken fallen für die Christen als
Christen weg; die christliche Gemeinde beruht auf göttlicher
Auswahl und ist organisirt durch die Geistesgaben; über die
Begründung der Auswahl waren die Meinungen geteilt;
8. Da das Christentum die allein Wahre Religion und
30 Vorbereitimg der Entstehung des Dogmas. L§ H-
keine nationale Religion ist; yielmehr der ganzen Menschheit
resp. ihrem Kerne gilt, so folgt, dass es mit dem jüdischen
Volk und dessen derzeitigen Kultus nichts gemeinsam haben
kann. Das jüdische Volk hat mindestens zur Zeit kein Guaden-
verhältniss zu dem Gott, dessen Oflfenbarer Jesus gewesen ist;
ob es früher ein solches besessen hat, ist zweifelhaft (vgl. hier
z. B. die Stellung Marcion's, des Valentinianschülers Ptolemäus,
des Verf. des Bamabasbriefs, des Aristides und des Justin),
gewiss aber ist, dass es jetzt von Gott verworfen ist, und dass
alle Gottesoflfenbarungen, sofern solche vor Christus überhaupt
stattgefunden haben (die Mehrzahl nahm solche an und be-
trachtete das A. T. als heilige Urkunde), ledigUch auf die Be-
rufung des „neuen Volkes" abzielten und die Offenbarung
Gottes durch seinen Sohn vorbereiten sollten.
Drittes Kapitel.
Der Gemeinglaube und die Anfänge der Erkenntniss in dem
zum Katholicismus sicli entwickelnden Heidenchristentum.
§11.
Die Schriften der sog. apost. Väter (Ausgabe von Gebhardt, Habnack
und Zahn 1876 ff.)» ^i® Lehre der zwölf Apostel (Ausgabe von AHabkack
1884, kl. Ausgabe 1886), Die Fragmente des Kerygmas Petri u. a. ver-
lorener uralter Schriften (s. AHilgenfeld, Nov. Testam. extra can. recept.
fasc. 4. edit. II 1884), Eückschlüsse aus den Werken der Apologeten
des 2. Jahrhunderts, aus Irenäus und Clemens Alex. Auch die Frag-
mente der Gnostiker können mit Vorsicht herbeigezogen werden, anderer-
seits die paulinischen Briefe, besonders der 1. und 2. Eor. (s. GHeinbici,
Kommentar II S. 667 ff.). — ARitschl, Entstehung d. altkath. Kirche.
2.Aufl.l857. — MyEnoblhardt, Das Christentum .Tustins.1878. — OPfleideber,
Das Urchristentum, 1887. Monographien über die apostolischen Väter:
Zu I Clemens: BLipsius, JBLightpoot [genauester Kommentar], WWrede;
zu II Clemens: AHabnack in ZKG I 1877; zu Barnabas: JMüllbr; zu
Hermas: ThZahn, EHückstÄdt, ALink; zu Ignatius und Polykarp:
JBLiöHTPooT [vorzüglicher Kommentar], ThZahn.
1. Die Gemeinden und die Kirche. Sowohl dem Um-
fange als der Bedeutimg nach bildeten den Stamm der Christen-
heit die in geordneten Gremeinden stehenden Bekenner des
Evangeliums, die das A. T. als die göttliche Oflfenbarungs-
Urkunde anerkannten und die evangelische Überlieferung als
eine öflfentliche Botschaft für Alle schätzten und ohne Um-
deutung rein \md treu festhalten wollten. Jede Gemeinde
§ 11.] Der heidenchristlicbe Gemeinglaube. 31
sollte durch die Kräftigkeit des Glaubens^ die Gewissheit, der
HoffiauDg, die heilige Ordnung des Lebens, sowie durch Liebe
und Frieden ein Abbild der heiligen Kirche Gottes sein, die
im Himmel ist und deren Glieder auf Erden zerstreut sind;
sie sollte femer durch Reinheit des Wandels und thatkräftigen
Brudersinn den „Auswärtigen" d. h. der fremden Welt ein
Muster sein. In der jüngst entdeckten „Apostellehre" tritt
uns der Literessenkreis der noch nicht philosophisch beein-
flussten Gemeinden deutlich entgegen. Sie fühlten sich als
Fremdlinge auf Erden, harrten auf die Wiederkunft Christi,'
schärften ein heiliges Leben ein („Zwei Wege'^, Abhängigkeit
der Sittenregeln von der jüdisch-alexandrinischen Gnomik und
der Bergpredigt) und wussten sich, ohne gemeinsame politische
Verbindung, als zu der neuen und doch uralten Schöpfung ge-
hörig, der Kirche, der wahren Eva, der Genossin des himm-
lischen Christus (Ep. Petri ad Jacob. 1: slg d'sog^ slg vö^iog^
fiia iknig. TertulL, Apolog. 39: corpus sumxis de conscientia
religionis et disciplinae unitate et spei foedere. 11 Clem. 14:
jtovovvtsg tb d^skr^fia tov TCatQbg 'fifi&v iöö^sd'a ix xfig ixxlrj-
6Lag tilg Tt^mtrig rfig Ttvsv^arixrig^ tfjg tcqö tjXvov xccl 6eli^vrig
ixri6iisvrig . . . ixxXrjöLa ^Giöa 6&ficc i6xi XQL6tov' kiysi yäq
il yQaif^' i%oCri6£v 6 ^eog thv avd^QCOTtov ccQöav xal d'rj^v' ro
aQtfsv itftlv 6 XQL6t6g^ tb d"ilkv fj ixxXri^ta. Valentin bei
Clemens Alex., Strom. V, 6, 52: 6 kabg 6 rov iiyaTtrunivov b
g)Lkov^6vog xal tpiXwv avtöv).
2. Die Grundlagen des Glaubens d. h. des Bekennt-
nisses zu dem einen Gott (Hermas, Mand. 1 formulirt nur
das monotheistische Bekenntniss), zu Jesus als dem von Gott
gesandten ömriiQ xal aQxvy^S f^VS &(p^aQ6iag (resp. auch zu
dem h. Geist), bildeten das christlich gedeutete A. T. sammt
den Apokalypsen und die fortwährend noch bereicherten Über-
Heferungen von Christus (ethische und eschatologische Herm-
worte einerseits, Verkündigung der Geschichte Jesu anderer-
seits). Der Weissa,gungsbeweis war die Theologie. Daneben
wurden schon frühe kurze Bekenntnissformeln zusammengestellt
(^ jcagdSoöigy 6 Jtagadod'slg Xöyog^ 6 xavG}v tilg ^ccQccSööecjgj
tb XT^Qvy^a^ i^ dtdaxt^y rj jtLötLg^ 6 xavcov tilg m6t£cog etc.)»
Die römische Gemeinde hat höchstwahrscheinlich kurz vor 150
folgendes Bekenntniss gebildet und bei der Taufe gebraucht:
m^tBVGi slg d'sbv JtatsQa TtavtoxQcctOQa ' xal eig XQi6tbv 'IrjöovVy
32 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ H-
vibV' aiiroi) rbv iiovoysvri^ rbv xvqlov tjii&Vj xov ysvvrjd'svra
ix Tcvsv^cctog äyCov xal MaQiccg tilg TtccQd'svov^ rbv btcX IJovriov
IliXdxov 6ravQ(o%'Bvra tcccI xatpivxa^ tri tQtrrj '^I^bqüc ava^xdvra
ix VEXQ&v^ avccßdvrcc Big rovg ovgavovgy xccd"i]^Bvov iv ÖBi^iä
%ov TtazQÖg^ od'Bv BQiBxai XQivat t,G)vtag xal vBXQOvg' xal Big
^vBVfia ayiov^ ayiccv ixxXrj^iav^ ccfpBöiv &iiaQtiä)v^ öagxbg avcc-
6rcc0iv. Alle Überlieferungen von Christus, im A. T. (dem Ur-
evangelium) geweissagt, wurden auf das einstimmige Zeugniss
der Zwölfapostel zurückgeführt (8i8a%ii xvqiov diä r&v iß
ccTtoöröXcov). Die Entstehung dieser Instanz, in der die An-
fänge des katholischen Traditionsbegriffes gegeben sind, ist
geschichtlich dunkel und beruht mindestens zum Teil auf einem
a priori. Neben ihr steht, zunächst ohne Verbindung, Paulus
mit seinen Briefen, die übrigens fleissig gelesen worden sind.
Das „einstimmige Zeugniss'^ der Apostel und die Lehre Jesu
wurden fast yollkommen identifizirt — diese Identifizirung,
der die richtige Erkenntniss zu Grunde liegt, dass das apo-
stolische Zeugniss die Predigt Jesu ergänzt und daher nicht
zu missen ist, legte den Grund zu den bedenklichsten Ent-
wickelungen der Folgezeit.
3. Die Hauptstücke des Christentums waren 1) der
Glaube an Gott, den dB07t6xrig^ und an den Sohn auf Grund
des Weissagungsbeweises und der apostolisch bezeugten Herrn-
lehre, 2) die Disziplin nach Massgabe der Herrnworte, 3) die
Taufe, 4) das gemeinsame im Abendmahl kulminirende Gebets-
opfer und die heilige Speise, 5) die sichere Hoffnung auf das
nahe, herrliche Reich Christi. Die Glaubenserkenntnisse waren
sehr mannigfaltig; noch gab es keine geschlossene Glaubens-
lehre; Phantasie, Spekulation und geistreiche Deutung des A. T.
hatten den weitesten Spielraum; denn den Geist sollte man
nicht dämpfen. Bamabas (ep. 16, 9) unterscheidet noch aus-
drücklich zwischen dem loyog xov ^bov xijg Tti^xEcjg (der
eigentlichen dida%ri) und der 6oq)Ca^ övvBöig^ i^i6xi]iiri^ yv&öig
(ähnlich Hermas). In den kultischen Gebeten kam zum Aus-
druck, was die Gemeinde an ihrem Gott und Christus besass;
und die Aufgabe, die Welt in Hoffnung auf das Jenseits preis-
zugeben, erschien als die praktische Seite des Glaubens selbst.
Die Auffassungen vom Heil gruppirten sich um zwei Mittel-
punkte, die selbst nur lose mit einander verbunden waren,
und von denen der eine mehr die Stimmimg und Phantasie,
§11.] Der heidenchriBtliche Gemeinglaube. 33
der andere die Gedanken bestimmt hat. Einerseits nämlich
galt als das Heil das bevorstehende herrliche Reich Christi,
das eine Preudenzeit fiir die Gerechten auf Erden herauf-
fahren werde (selbst die sinnlichen jüdischen Vorstellimgen
wurden aus den Apokalypsen übernommen: Chiliasmus, daher
Interesse an der Auferstehung des Fleisches). Andererseits
erscheint das Heil in der sicheren und vollständigen Er-
kenntniss Gottes (und der Welt) gegenüber dem Irrtum des
Heidentums gegeben, und diese Erkenntniss schliesst zugleich
die gläubige HofiBüung (%L6rcg) auf das Geschenk des Lebens
und alle denkbaren Güter in sich (von hier aus fällt ein
schwächerer Accent auf die Auferstehung des Fleisches). Von
diesen Gütern besitzt die Gemeinde die Sündenvergebung und
Gerechtigkeit schon jetzt, sofern sie eine Gemeinde der Heiligen
ist. Aber beide Güter scheinen in ihrem Werte durch eine
moralistische Betrachtimg gefährdet, nach der das ewige
Leben der Lohn und die Vergeltung für ein wesentlich aus
eigener Kraft zu leistendes, vollkommenes sittliches Leben ist.
Zwar ist der Gedanke noch wirksam, dass die Sündlosigkeit
auf einer sittlichen Neuschöpfung (Wiedergeburt) beruht, die
in der Taufe zu Stande kommt (s. besonders Bamabas); aber
er ist überall in Gefahr, von dem anderen verdrängt zu werden,
nach welchem es neben der aufgeschlossenen Erkenntniss und
dem für die Zukunft zugesicherten ewigen Leben ein weiteres
Heilsgut nicht giebt, vielmehr nur eine Summe von Ver-
pflichtungen, in denen sich das Evangelium als das neue
Gesetz (der asketischen Heiligkeit und der Liebe) darstellt.
Die Christianisirung des A. T. leistete dieser griechischen
Auffassung Vorschub. Zwar war noch ein Sinn dafür vor-
handen, dass das Evangelium, auch sofern es vö^og ist, ein
geschenktes Heil umfasse (vöiiog avav ^vyov ävayxrig^ Bar-
nabas — vöfiog rrig iksvd'EQtag^ Jakobus — Christus selbst
das Gesetz, Hermas); aber diese Vorstellung ist stets unsicher
gewesen und allmählich abhanden gekommen. Die Ausprägimg
des Evangeliums in den- Begriffen yvm6ig (Gott und Welt),
mayyeXCa (ewiges Leben), v6^og (sittliche Verpflichtung) er-
schien ebenso deutlich wie erschöpfend, und in jeder Beziehimg
sollte dabei die TcCötig gewahrt bleiben, die sich sowohl in
der Erkenntniss, als in der Hoffnung, als in dem Gehorsam
darstellt, im Grunde aber nur TCiöng rfig xki^6e(og ist, ein
Grundrisa IV. iii. Habxack, Bogmengeschichte. 2. Aufl. 3
34 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 11.
Vorläufiges, da das Heilsgut (sowohl die ßa^ikda xov d-sov^
als die aq)d'ccQ6ca) in die Zukunft fallt.
h\ der Hofl&iung auf jene ist das Heil als in einer Ge-
meinschaft sich verwirklichend vorgestellt, dagegen erscheint
es bei der moralistisch-gnostischen Betrachtung als ein in-
dividuelles, und Lohn und Strafe werden koordinirt ge-
dacht, was eine Entleerung des christlichen Grottesbegriffs zur
Folge hatte. Die moralische Betrachtung der Sünde, Sünden-
vergebung und Gerechtigkeit tritt bei Clemens, Bamabas und
Polykarp hinter paulinischen Formeln zurück; aber die Un-
sicherheit, mit der diese reproduzirt werden (s. bes. I Clem.
10 sq. u. soüst), zeigt, dass sie nicht eigentlich verstanden
sind. Bei Hermas und H Clemens ist Ursache der Sünden-
vergebung die spontan zu leistende iisrdvoLa, Die weitver-
breitete Vorstellung, dass Getauften schwere Sünden iimerhalb
der Kirche nicht vergeben werden können (oder doch nur auf
Grund einer besonderen göttlichen Erlaubniss), leichte -Sünden
aber nachsichtig übersehen werden, zeigt den vollen Übergang^
zu einem theoretisch flachen Moralismus, der indess durch den
apokalyptischen Enthusiasmus noch verdeckt war.
4. Das A. T. als Quelle der Glaubenserkenntnis»
diente 1) zur Entwickelung der monotheistischen Kosmologie,
2) zur Darlegung des Weissagimgsbeweises und des Alters des
Christentums („älter als die Welt''), 3) zur Fimdamentirung
aller kirchlichen Gedanken, Riten und Anordnimgen, die man
nötig hatte, 4) zu wirklicher Vertiefung des Glaubenslebens.
(Psalmen und prophetische Stücke), 5) zur Widerlegung des
Judentums als Nation d. h. zum Nachweise, dass dieses Volk
von Gott verworfen sei, entweder nie einen Bund mit ihm
gehabt habe (Bamabas) oder nur einen Zombund oder den
Bund verloren habe, dass es das A. T. nie verstanden habe
und deshalb aus dem Besitze desselben geworfen sei, wenn es
je im Besitze gewesen ist (die Stellung der Grosskirche zum
jüdischen Volk imd seiner Geschichte scheint ursprünglich
ebenso verschieden gewesen zu sein, wie die Stellung der
Gnostiker zum A. T.). Ansätze zu Korrekturen des A. T. im
christlichen Sinn haben ursprünglich nicht gefehlt; sie sind
durch die Schöpfimg des N. T. überflüssig geworden. Dieses
hat den Wortlaut des A. T. geschützt.
5. Die Glaubenserkenntniss war vor Allem Erkenntniss
§ 11.] Der heidencliristliclie Gemeinglaube. 35
Gottes als des Einzigen, des Überweltlichen, des Geistigen
und Allmächtigen: Gott ist der Schöpfer und Regierer der
Welt und deshalb der Herr. Aber wie er die Welt als ein
schönes, geordnetes Ganze (monotheistische Naturbetrachtung)
um der Menschen willen geschaffen hat, so ist er auch zu-
gleich der Gott der Güte und der Erlösung (d'sbg 6(or7]Q\
und erst in der Erkenntniss der Identität des Schöpfer- und
Erlöser-Gottes vollendet sich der Glaube an Gott als den
Vater. Erlösung aber war notwendig, weil die Menschheit
und die Welt gleich im Anfang unter die Herrschaft böser
Dämonen geraten ist. Eine allgemein giltige Theorie über
den Ursprung dieser Herrschaft war keineswegs vorhanden;
aber gewiss und allgemein war die Überzeugung, dass der
gegenwärtige Weltbestand und Weltlauf nicht Gottes, sondern
des Teufels sei. Doch Hess der Glaube an den allmächtigen
Schöpfer und die Hoffnung auf die Verklärung der Erde den
theoretischen Dualismus nicht aufkommen, während der
praktische die Stimmung beherrschte. Die Welt ist gut und
ist Gottes, aber der Weltlauf ist des Teufels. So wechselte
man zwischen der Betrachtung der Welt als eines schönen
planvollen Ganzen und zwischen den Eindrücken der Schlechtig-
keit des Weltlaufes, der Gemeinheit alles Sinnlichen und der
Herrschaft, der Dämonen in der Welt. Wie die Predigt Christi
selbst, so umschloss auch das Christentum der ältesten Kirche
ruhende (Erkenntniss Gottes, Ergebung in den Weltlauf, Demut,
Geduld) und impulsive Elemente (Chiliasmus; Feindschaft
gegen den Staat; aggressive Weltflucht und Askese). Jene
gaben in der Regel den Kurs, diese den Dampf; indessen wurde
der Kurs doch stark durch die impulsiven Elemente beeinflusst.
6. Der Glaube an Jesus Christus als den Erlöser
war mit dem Glauben an Gott, den Erlöser, aufs Engste
zusammengeschlossen. Jesus ist xvQtog und (yorijp wie Gott,
und häufig brauchte man diese Worte, ohne anzugeben, ob
man ihn oder Gott selbst meine; denn in dem Offenbarer und
Vermittler des Heils (Jesus) stellt sich der Urheber (Gott)
selbst dar (Heils wille und Heilsoffenbarung decken sich); doch
richtete man die Gebete in der Regel an Gott durch Christus.
Diese Bezeichnung Jesu („Christus'^ wurde freilich zu einem
blossen Namen, da man für die Bedeutung des „Messias'^ über-
haupt kein Verständniss hatte. Also mussten die Heidenchristen
3*
36 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§11.
die Würde Jesu durch andere Mittel zum Ausdruck bringen;
allein in. der eschatologischen Gedankenreihe besass man doch
wertvolle Reminiscenzen an die ursprüngliche Auffassimg der
Person Jesu. In dem Bekenntniss, dass Gott Jesum erwählt
resp. bereitet habe, dass er der „Engel" (der Verf. der ep. ad
Diognetum und die Apoc. Zephanjae lehnen diesen Ausdruck
ab) und „Knecht" Gottes sei, dass er die Menschen richten
werde, und in ähnlichen Ausdrücken kamen noch Aussagen
über Jesus zum Ausdruck, die der Grundvorstellung ent-
stammen, dass er der von Gott berufene und mit einem Amt
betraute Christ sei. Daneben war eine überkommene, doch
allmählich zurücktretende Bezeichnung „der Lehrer".
Überkommen und ohne Schwanken festgehalten war aber
auch die Bezeichnung „Gottessohn" (nicht „Menschensohn"). Aus
ihr ergab sich unmittelbar, dass Jesus in die Sphäre Gottes
gehöre, und dass man über ihn denken müsse „cb? jibqI -O-fcö"
(11 Clem. 1). In dieser Formulirung ist in klassischer Weise
die indirekte theologia Christi, über die kein Schwanken
bestand, ausgedrückt. Man muss aber über Jesus denken
wie über Gott, 1) weil er der von Gott erhöhte Herr und
Richter ist, 2) weil er Erkenntniss und Leben gebracht hat
und die Menschen aus der Dämonenherrschaft, aus Irrtum und
Sünde herausführt, resp. fuhren wird. So ist er öcornJQ^ xvQtog^
^sbg ii^mv^ dei films ac deus, dominus ac deuSy aber nicht 6 %^£6g
(starke Polemik gegen diesen Ausdruck Clem. Hom. XVI, 15 sq.).
Er ist „unsere Hofl&iung", „imser Glaube" der Hohepriester
unserer Gebete, unser Leben.
Auf diesem Grunde gab es sehr verschiedene Auf-
fassungen von dem Wesen Jesu, welche sämmtlich eine ge-
wisse Analogie zu den griechischen „Theologien", den naiven
und den philosophischen, aufweisen, aber noch keine allgemein
giltige Lehren. Zwei Haupttypen lassen sich hier unter-
scheiden: Jesus galt als der Mensch, den Gott sich erwählt,
in dem der Geist Gottes (die Gottheit selbst) gewohnt hat,
und der nach seiner Bewährung von Gott adoptirt und in
eine Herrscherstellung eingesetzt worden ist (adoptianische
Christologie), oder Jesus galt als ein himmlisches Geist-
wesen (resp, das höchste himmlische Geistwesen nach Gott,
der „zweite" Gott, der aber eine Einheit mit Gott bildet),
welches Fleisch angenommen hat und nach Vollendung seines
§ 11.] Der heidenchristliche Gemeioglaube. 37
Werkes auf Erden wieder in den Himmel zurückgekelirfc ist
(pneumatische Christologie; hier war der Übergang zur
Logoschristologie einfach). Diese beiden verschiedenen Christo-
logien (der von Gott berufene, ausgerüstete, im Gehorsam sich
bewährende imd deshalb zu göttlicher Herrscherstellung er-
hobene Mensch und das in Menschengestalt erschienene gött-
liche Wesen) rückten sich aber in dem Momente sehr nahe^
wo man den in den Menschen Jesus eingepflanzten Geist
Gottes als den praexistenten Sohn Gottes fasste (Hermas),
und wo man andererseits den Titel „Gottes Sohn" für jenes
(in seiner Präexistenz mehr oder weniger unbestimmte) pneu-
matische Wesen erst von der (wunderbaren) Zeugung ins
Fleisch ableitete — beides aber war die Regel. Trotz dieser
Übergangsformen lassen sich aber doch die beiden Christo-
logien deutlich unterscheiden: für die eine ist die Erwählimg
(Wertlegen auf den wunderbaren Vorgang bei der Taufe) imd
das „zum Gott Werden", für die andere ein naiver Doketismus
charakteristisch; denn eine Zwei-Naturen-Lehre gab es noch
nicht (entweder schien die Gottheit als eine Gabe oder das
menschliche Fleisch als zeitweilige Hülle, die über die Gott-
heit gezogen ist). — Die Formel, Jesus sei purer Mensch
(^tAöff &v&Q(07tog) gewesen, galt imzweifelhaft von Anfang an
und allezeit als anstössig; ebenso die Leugnung des „^1/ öaQXi^']
nicht mit derselben Sicherheit aber wurden Formeln verworfen,
welche die Person Jesu einfach mit der Gottheit identifizirten
(naiver Modalismus; „er hat sich in einen Menschen ver-
wandelt" so die Apoc. Zephan.). Allein eine förmliche Theorie
der Identität von Gott und Jesu scheint es in weiteren kirch-
lichen Kreisen nicht gegeben zu haben (Justin hat sie aus-
drücklich verworfen); die Annahme der Existenz mindestens
eines* himmlischen, ewigen Geistwesens neben Gott war durch
die ATlichen Schriften, wie man sie verstand, schlechthin ge-
fordert, so dass auch solche (z. B. Hermas) dieselbe aiierkennen
mussten, die für die Christologie auf jenes himmlische Wesen
zu reflektiren keinen Grund hatten.
Die pneumatische Christologie ist überall dort zu finden,
wo man sich mit dem A. T. eingehend beschäftigte imd der
Glaube an Christus als den vollkommenen Offenbarer Gottes
im Vordergrund stand, d. h. bei allen bedeutenden und ge-
bildeteren christlichen Schriftstellern (nicht bei Hermas, wohl
S8 Yorbereituiig der Entstehung des Dogmas. [§ 11.
aber bei Clemens , Bamabas, Ignatius, dem Verfasser des
Kerygma Petri u. s. w.). Weil sie durch die damalige Aus-
legung des A. T. geradezu gefordert schien, weil sie allein es
gestattete, Schöpfung und Erlösung enge zusammenzuschliessen,
weil sie den Beweis lieferte, dass die Welt und die Religion
auf demselben göttlichen Grunde ruhen, weil die geschlitztesten
Schriften der christlichen Urzeit sie vertraten, weil sie endlich
Raum bot, um die Spekulationen vom Logos einzufügen (diese
Bezeichnimg bei Ignat., ad Magn. 8, 2, in dem Kerygma Petri,
in den alten Johannes-Akten, bei den Apologeten; der Verf.
der Altere. Jasonis et Papisci fasst Genes. 1, 1 iv agx^ = iv
vCw. Celsus bei Orig. 11, 31: „Die Christen behaupten, der
Sohn Gottes sei zugleich dessen leibhaftiges Wort.'' In den
Johanneischen Schriften findet sich keine Logosspekulation,
sondern der geläufige Ausdruck wird aufgegriffen, um zu
zeigen, dass er in dem erschienenen Jesus Christus seine Wahr-
heit hat), so gehörte dieser Christologie die Zukunft. Die adop-
tianische Christologie aber erwies sich als unzureichend gegen-
über jeder Reflexion auf das Verhältniss der Religion zum
Kosmos, zur Menschheit und zu ihrer Geschichte, sowie zum
A. T. So haben denn auch die Vertreter der pneumatischen
Christologie diese nicht als ein schwankendes Theologumenon
vertreten; vielmehr zeigen ihre Ausführungen (Clemens,
Ignatius, Barnabas, Justin), dass sie sich ein Christentum
ohne den Glauben an das göttliche Geistwesen Christus nicht
zu denken vermögen. Dagegen wird in den uns erhaltenen
liturgischen Stücken und Gebeten die Präexistenz wenig berück-
sichtigt; es genügt, dass Jesus jetzt der anzubetende x'Öqios ist.
Die Vorstellimgen vom Werk Christi (Christus als Lehrer:
Beschaffung der Erkenntniss, Aufstellung des neuen Gesetzes;
Christus als Heiland: Beschaffung des Lebens, Dämonenbesie-
gung, Vergebung der in der Zeit des fcrtums begangenen
Sünden) wurden von den Einen der Überlieferung gemäss
(Benutzung paulinischer Briefe) an den Tod und die Auf-
erstehung geknüpft, von den Anderen ohne Verbindung mit
diesen Thatsachen behauptet. Selbständige Reflexionen über
den Zusammenhang des Heilswerks Christi mit den im Kerygma
verkündeten Thatsachen findet man kaum irgendwo; doch
wirkte die Vorstellung von dem freiwillig übernommenen Lei-
den, vom Kreuze imd vom Blute Jesu in weiten Kreisen wie
§ 11.] Der heidencbristliche Gemeinglaube. 39
ein heiliges Mysterium, in dem die tiefste Weisheit und Ej*aft
des Evangeliums verschlossen sei (Ignatius), wenn auch
Kreuzestod und Sündenvergebung keineswegs überall (wie bei
Clemens, Polykarp und Bamabas) in eine Verbindung ge-
setzt wurden (am wenigsten weiss davon Hebmas, der sich
Sim. V, 6, 2 mit dem Satze begnügt: Kai airbs tag &iiaQriccg
axrt&v ixad^dQLöe %okkä xoTCcd^ag %al Tcokkoiyg xoxovg ^mXrj-
xAg), Die Eigentümlichkeit und Einzigkeit des Werkes des
geschichtlichen Christus wurde zudem durch die Annahme
bedroht, Christus sei bereits im A. T. Offenbarer Gottes gewesen.
Was die Thatsachen der Geschichte Jesu betrifft, die
wirklichen und die geglaubten, so gab ihnen die fortgesetzte
Wiederholung im Unterricht und der Angriff der Häretiker
eine grosse Bedeutung. Zu der wunderbaren Geburt, dem
Tode, der Auferstehung, der Erhöhung und der Wiederkimft
trat jetzt erst bestimmt die Himmelfahrt am 40. Tage und
— unbestimmter — die Niederfahrt in das Totenreich hinzu,
während die Taufgeschichte mehr und mehr zurücktrat. Die
Thatsächlichkeit dieser Stücke wurde mit Nachdruck behauptet;
aber „Dogmen" waren sie noch nicht; denn weder waren sie
mit der Auffassung vom Heilsgut in eine unlösliche Verbin-
dung gesetzt, noch waren sie in ihrem Umfang sicher gestellt,
noch waren der Phantasie in der Ausmalung und Auffassung
Schranken gezogen.
7. Dass die Gottesverehrung (s. bes. die letzten Kapp,
der 1. Apol. Justins und die Didache) eine rein geistige sein
müsse ohne Ceremonien, stand fest (Kerygma Petri: Kaivmg
xhv d'€ov diä tov XQL0tov öeßö^sd'a). Aller Gottesdienst galt
als geistiges Opfer (des Dankes), begleitet von Fasten imd
Thaten barmherziger Liebe. Als Opfer im engsten Sinn galt
das Hermmahl (Eucharistie), und Alles, was mit ihm in Zu-
sammenhang gesetzt wurde (z. B. die Armenunterstützung),
wurde in die Opferidee einbezogen. Von hier aus erhielt trotz
der prinzipiellen Geistigkeit Statutarisches doch einen weiten
Spielraum. Unter der Betrachtung des Symbolischen wurden
die den Hellenen unentbehrlichen „Mysterien^' etablirt. Die
Taufe im Namen des Vaters, Sohnes und Geistes (diese For-
mel ausser im Matth. auch bei Paulus, I Clem. 58 u. s. w.)
galt als das Mysterium, durch welches die Sünden der Blind-
heit vöUig beseitigt werden (Kreuzestod und Taufe verbunden
40 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§11-
bei Bamabas und Melito), welches aber darüber hinaus nur
Verpflichtungen auferlegt (Todsünden nach der Taufe galten
als unvergebbar, doch wurde Gott die Verzeihung vorbehalten^
der sie hier und da auch schon auf Erden durch Inspirirte
vollzieht. Die Idee und Praxis einer einmaligen „zweiten
Busse^ aus der Not geboren, verbreitete sich indess doch und
wurde durch das prophetische Buch des Hermas begründet)»
Die Taufe hiefs efcpQaytg und g)(otc6ii6g (wahrscheinlich anfangs
keine Kindertaufe); die Verbindung der Taufe mit der Aus-
rüstung mit dem h. Geist wurde imsicher. Das Abendmahl
galt als cpccQiiaxov ad-avaefiag^ als geheimnissvolle, reale Mit-
teilung der Gnosis imd des Lebens (s. die Abendmahlsgebete
in der Didache; die Sündenvergebung ist hier nicht erwähnt);
es war zugleich Gemeindemahl und Opfermahlzeit; Gebrauch
des Wassers statt Weins war nicht ausgeschlossen (Texte u.
Unters, z. altchristl. Litt.-Gesch. VII, 2). Realistisches und Sym-
bolisches verschwammen in ihm, ebenso wie die Ideen der
Gabe und der Opferleistung. Hellenische Vorstellungen drangen
hier frühe ein (s. Ignatius, Justin, Apol. I Schluss, EHatch,
The influence etc. p. 19 sq., JWFHöfling, Die L. d. ältesten
K. vom Opfer. 1851).
Die Verfassungszustände der Gemeinden übten bis
c. 150 keinen Einfluss auf die Glaubensvorstellungen aus.
Doch war in der Hochschätzung der Apostel, Propheten und
Lehrer die Grundlage für spätere Entwickelungen gegeben;
femer behauptet schon Ignatius, dass die Stellung zum
Bischof entscheidend sei für die Stellung zu Gott und Christus,
und andere Lehrer schärfen ein, dass man in Allem den
„Alten^', den Apostelschülem, folgen müsse.
Diese Übersicht zeigt, dass die entscheidenden Prämissen
für die Entwickelung der katholischen Glaubenslehre schon
vor der Mitte des 2. Jahrhunderts und vor dem brennenden
Kampf mit dem Gnosticismus vorhanden gewesen sind.
Die Urkunden, die uns aus dem 1. Jahrh. der Heidenkirclie er-
halten sind, sind dogmengescMchtlicli sehr verschieden. In der Didache
besitzen wir einen Katechismus für das christliche Leben, abhängig
von einem jüdisch-griechischen Katechismus, das spezifisch Christliche
in den Gebeten und der Kirchenordnung zum Ausdruck bringend. Der
Barnabasbrief, wahrscheinlich alexandrinischen Ursx^rungs, lehrt die
richtige (christliche) Deutung des A. T., verwirft die wörtliche Deutung
§11.] Der heidencliristliclie Gemeinglaube. 41
und das Judentum als teuflisch und folgt in der Christologie wesent-
lich dem Paulus. Dieselbe Christologie vertritt auch der römische
1. Clemensbrief, der auch sonst paulinische Eeminiscenzen (Versöh-
nung und Rechtfertigung) enthält, sie aber in eine moralistische Denk-
weise einstellt. Diese ist klassisch repräsentirt durch den Hirten des
Hermas und den 2. Clemensbrief, in denen ausserdem das eschato-
logische Element stark hervortritt. Die Christologie Jenes ist adoptia-
nisch; der Verf. des 2. Clemensbriefes hat keine einstimmige Ch^sto-
logie, sondern folgt verschiedenen Motiven. Die Theologie des Ignatius
ist insofern die vorgeschrittenste, als er, Gnostiker bekämpfend, Heüs-
thatsachen in den Vordergrund ruckt und seine Gnosis nicht sowohl
auf das A. T. als auf die Geschichte Christi richtet. Er versucht es,
Jesus Christus %axk nvsvfia und %atcc ßccQTia zum Mittelpunkt des
Christentums zu machen. In diesem Sinne ist seine Theologie und
Sprache der des Paulus und des 4. Evangelisten verwandt (besonders
auffallend ist die Verwandtschaft mit Ephes.), christocentrisch und hebt
sich stark von der seiner Zeitgenossen ab. Seine Geistesverwandten
sind Melito und Irenäus, deren Vorläufer er ist. Er verhält sich zu
ihnen wie später Methodius zur klassischen orthodoxen Theologie des
4. und 5. Jahrhunderts. Diese Parallele trifft nicht nur formal zu; es
ist vielmehr eine und dieselbe Geistesrichtung, die von Ignatius über
Melito, Irenäus, Methodius, Athanasius, Gregor von Nyssa (hier aber
mit Origenistischem vermischt) zu Cyrill von Alexandrien geht. Ihr
Charakteristisches besteht darin, dass nicht nur die Person Christi als
des Gottmenschen Mittelpunkt und Sphäre der Theologie büdet, sondern
dass auch alle Hauptstücke seiner Geschichte Mysterien der Welt-
erlösung sind, s. ad Ephes. 19. Ignatius aber ist auch dadurch aus-
gezeichnet, dass man aus seinen Briefen hinter allem Enthusiastischen,
Abrupten und wiederum liturgisch Formelhaften ein wahrhaftiges Christus-
pathos heraushört. Er ist von Christus ergriffen; vgl. ad Rom. 6: insZvov
tritm, xbv (nesQ Tificbv &7eo&av6vrcc, instvov ^eXm^ rbv di' ijfiäg &vcc6rdvta.
7: 6 ifibg ^Qcag ietavQonai %al oi)% %6xtv iv ifiol tcvq q)iX6vXov. Als
Probe seiner theologischen Sprache und seiner Glaubensregel s. ad
Smym. 1: ivSriGa 'bfi&g HcctriQttGfiivovg iv &%tvi/it(p nlatSL, mansQ %ad^-
tmfjLivovg iv rd» atavQfp rov -nv^iov 'Iriaov Xgiatov aagyii ts %ccl nvsvfiavi
xal TidQaGfisvovg iv äydicri iv ro5 atiiaxi Xgietov, TCsnXriQOcpOQrifiivovg slg
xhv nifQiov TificbVj ScXji^'&g övta i% ysvovg jdaßld ^atoc «ra^xa, vlbv d'so^
wxtce. ^iXtifia nal Svwfiiv -O'aot;, y^ysvrniivov &Xri&&g ix. nagd'ivov^ ßsßa-
yttiCfisvov {fTtb 'loidvvovj iva itXY^qcaQ'y n&ea 8iY.aiQüvvri vic' avtov, dlj}-
^&g inl TLovtiov JJiXdtov xal ^Hgoadov xstQaQXOv 'nad'riXGjfiivov 'bnsQ
fjfi&v iv aaQKL — &q>' ov xaQTCov '^ftstg, Scjtb rov d'BOfKxwxQlrov ocbtov
ndO'ovg — , iva &q7j avaarifiov sig rovg ai&vag Stcc tijg dvocatdasoag slg
to^g ayiovg xal niCTo^g wörov ehe iv 'lovdaiotg sltb iv %%'vbgiv iv kvl
a&\Laxi tfjg inuXriaLag aifto^. Der Brief des Polykarp ist charakteristisch
durch seine Abhängigkeit von älteren christlichen Schriftstücken (Paulus-
briefen, I. Petr., I. Joh.), somit durch seine konservative Haltung in
Bezug^auf die wertvollsten Traditionen. DasKerygmaPetri bezeichnet
den Übergang aus der urchristlichen Schriftstellerei in die apologetische
(Christus als v6itog und X6yog),
42 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 12,
Viertes Kapitel.
Die Judenchristen und ihre Ausscheidung.
§12.
Hauptquellen sind verstreute Angaben des Justin, Origenes, Euse-
bius und Hieronymus, femer die pseudoclementinischen Schriften. Litte-
ratur: Fast alle Hauptschriften der BAim^schen Schule gehören hierher
(zuletzt noch AHilobnfeld, Judentum und Juden-Christentum 1886) und
die grosse Gegenschrift von ABitschl, Entsteh, der aJtkathol. Kirche.^
1857. — ThZahn, Gesch. des NTlichen Kanons II S. 668 fiL
1. Das ursprüngliche Christentum ist seiner Erscheinung
nach christliches Judentum gewesen, die Schöpfung einer uni-
versalen Religion auf dem Boden der alttestamentlichen;
daher behielt es auch, soweit es nicht heUenisirt wurde —
und das ist niemals völlig geschehen — , die jüdischen Züge
seines Ursprungs bei, vor Allem das A. T. als Offenbarungs-
urkunde. Demgemäss ist jede Art der Ausbeutung des A. T.
christlich, welche von dem Gedanken ausgehend, die Christen-
heit sei das wahre Israel, das A. T. auf die christlichen Ein-
richtungen und Lehren bezieht, einerlei ob dabei eine mehr
realistische oder spiritualistische Auslegung befolgt wird. Die
Frage nach den Prinzipien der Auslegung ist so lange ein
innerkirchliches Problem, als der jüdischen Nation als solcher
kein Vorrang eingeräumt und die Abschaffung der jüdischen
Ceremonien und des Gesetzes behauptet wird. Daher ist die
Bezeichnung „ Judenchris tentum^' ausschliesslich für solche
Christen zu verwenden, welche im ganzen Umfang oder in
irgend welchem Masse, sei es auch in einem Minimum, die
nationalen und politischen Formen des Judentums und
die Beobachtung des mosaischen Gesetzes ohne Umdeutung
als für das Christentum, mindestens für das Christentum ge-
borener Juden, wesentlich festhielten oder diese Formen zwar
verwarfen, aber doch eine Prärogative des jüdischen Volkes
auch im Christentum annahmen; sehr richtig Clem. Rom.
Hom. XI, 16: i&v 6 &kX6(pvXog xbv vö^wv Tcgd^ti^ 'lovdaiög
iötiv^ liil TCQtt^ag dh '''EkXrjv. (Keine Judenchristen sind z. B.
Papias trotz des Chiliasmus, der Verf. der Didache trotz der
Übertragung der alttestamentlichen Priesterrechte auf die
christlichen Propheten, Hermas trotz der fehlenden altgriechi-
schen Philosophie, die adoptianischen Christologen trotz der
§ 12.] Die Judenchristen und ihre Ausscheidung. 43
Verwerfiing des Logos ^ wohl aber Paulus wegen Rom. 11.)
Die stärkere Ausbeutung des A. T.'s zu Gunsten der katho-
liseben Kultus-, Lehr- und Verfassungsordnung ist so wenig
ein Zeichen fortschreitenden Judenchristentums in der grossen
Barche, dass sie vielmehr der fortschreitenden Hellenisirung
parallel geht imd durch sie hervorgerufen ist. Die Formel
„das neue Gesetz" in der katholischen Kirche ist nicht judaistisch,
sondern antijudaistisch, liess aber freilich Baum, in steigendem
Masse alttestamentliche Gebote in die Kirche einzuschleppen.
2. Das Judenchristentum, einst ein mächtiger Gegner des
Paulus, ist durch die Predigt dieses Apostels und anderer
Lehrer sowie durch die eingeborene Kraft des Evangeliums
überwunden worden. Durch den Fall Jerusalems wurde diese
Überwindung, die der universalistischen Stimmung des Zeit-
alters entgegenkam, besiegelt. Seitdem ist es kein Faktor
in der Kirchengeschichte mehr gewesen, während das Juden-
tum ein solcher geblieben ist (Einfluss des Judentums auf
die Kirchen des äussersten Orients und des Südens im 4. und
5. Jahrb.). Aber Judenchristen (Ebioniten, Nazaräer) erhielten
sich lange, imd unter ihnen dauerten die Unterschiede fort,
die sich schon im apostolischen Zeitalter ausgebildet hatten.
Von der grossen Kirche ursprünglich nicht durch „Lehren",
sondern durch die Grundsätze des sozialen kirchlichen Lebens,
der Sitte und der Missionspraxis geschieden, waren unter
ihnen selbst folgende Punkte kontrovers: 1) ob die Gtesetzes-
beobachtung eine oder die entscheidende Bedingung für den
Empfang des messianischen Heiles sei, 2) ob sie auch von
den im Heidentum geborenen Christen zu fordern sei, um sie
als Christen anerkennen zu können, 3) ob imd in wie weit
man Gemeinschaft mit Heidenchristen, die das Gesetz nicht
halten, pflegen dürfe, 4) ob Paulus ein erwählter Diener Christi
oder ein gottverhasster Eindringling gewesen sei, 5) ob Jesus
ein Sohn Josephs gewesen oder vom h. Geist wunderbar ge-
zeugt worden sei. Demgemäss gab es Schattirungen inner-
halb des Judenchristentums (nicht zwei streng geschiedene
Parteien, jedoch zwei Gruppen, eine altgläubige und eine fort-
schreitende, „gnostischen" Einflüssen zugängliche, s. unt. sub 3).
Litterarisch scheinen die von den Juden verstossenen altgläu-
bigen Judenchristen wenig thätig gewesen zu sein; ihr Evan-
gelium war das den Synoptikern verwandte Hebräerevangelium
44 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 12.
(Zeugnisse über sie resp. über ihr Eyangelium bei Justin^
Origenes, Eusebius, Hieronymus, Epiplianius). Noch Justin
hielt die liberalen Judenchristen, welche nur für ihre Person
das Gesetz beobachteten und sich zu den Heidenchristen
freundlich stellten, für christliche Brüder. Noch trennte kein
christologisches Bekeiintniss, kein N. T., und auch in den
eschatologischen Erwartungen konnten sich Heiden- und Juden-
christen noch verständigen. Aber je mehr sich das Juden-
christentum aus der grossen Welt zurückzog und je fester
sich die katholische Kirche in Lehre und Verfassung zusammen-
schloss (dazu Schöpfung des N. T.) und ihre Logoschristologie
ausbildete, um so fremder, häretischer erschien das Juden-
christentum, das man sogar seit Irenäus dort, wo man es aus
eigener Anschauung nicht kannte, mit dem Gnosticismus in
eine Kategorie stellte. Doch haben sich einige orientalische
Väter ein besseres Urteil bewahrt.
3. Das Judentum war im 1. Jahrh. ein sehr kompli-
zirtes, von fremden Eiaflüssen bestimmtes Gebilde (helleni-
stisches Judentum, Samaritaner, „Sekten"). Demgemäss gab
es schon frühe auch „gnostische" Judenchristen (Irrlehrer zu
Kolossä, s, auch die Pastoralbriefe; — andererseits Simon Ma-
gus, Menander), welche angelologische Spekulationen (sie sind
übrigens auch den Pharisäern imd Apokalyptikem nicht fremd)
in das Christentum einschleppten, kosmologische Erkenntnisse
und Mythen verwerteten, durch Beides den Gottesbegriff subli-
mirten, das Gesetz halbirten, korrigirten oder umdeuteten
(Verwerfung der blutigen Opfer) und zu einer eigentümlichen
Askese und Kultusmysterien anleiteten. Sie haben sich bis
tief in die byzantinische Zeit erhalten. Cerinth (um 100) hielt
an gewissen Gesetzesbestimmungen (Beschneidung) fest und
verkündete ein grobsinnliches Zukunftsreich; aber andererseits
unterschied er den höchsten Gott vom Weltschöpfer, übte
Kritik am Gesetz und unterschied in dem Erlöser den Men-
schen Jesus und den mit dem h. Geist identifizirten Christus.
Einen anderen Zweig dieses Judenchristentums lernt man aus
den Pseudoclementinen kennen. Hier, d. h. wie es scheint in
ihren Quellen, ist der Versuch gemacht, den Gedanken, dass
das Evangelium die Wiederherstellung des reinen Mosaismus
sei, mit den Mitteln des stoischen Rationalismus einerseits,
der orientalischen mythologischen Kosmologie andererseits
§ 12.] Die Jndencbristen und ihre Aussclieidung. 45
apologetisch zu befestigen. Die sich widersprechenden Vor-
stellungen des stoischen Naturalismus und einer durch Pro-
pheten vermittelten positiven Offenbarung sollen in der Idee
von dem einen Propheten, der von Adam ab in verschiedenen
Gestalten aufgetreten ist, vereinigt werden. Das Evangelium
gilt als die Wiederherstellung der ür- imd üniversalreligion,
die der aller partikularen Bestimmungen (Beschneidung, Opfer-
gesetze) entkleidete Mosaismus ist. Christus ist der eine wahre
Prophet, der, wie es scheint, auch mit dem üradam identifi-
zirt wurde. Der stoische Gedanke der A(5yot ist übernommen,
aber durch eine dualistisch gefasste Äonenspekulation, in der
die alte semitische Grundlage durchschimmert (männlich-weib-
lich; Neutralisation der ethischen Gegensätze in Gott dem
Erhabenen), ersetzt. Platonische Elemente sind schwerlich
nachweisbar. Stark ausgeprägt aber ist neben der apologeti-
schen Tendenz die polemische. Dieselbe richtet sich in der
Form einer Bestreitung des Simon Magus gegen alle Formen
des heidenchristlichen Gnosticismus (auch gegen Marcion),
während in den Quellenschriften vielleicht auch eine Polemik
gegen Paulus enthalten war. Die Polemik und die Mittel,
welche dabei gebraucht werden, zeigen, dass die katholische
Kirche bereits existirte. Daher gehören die Pseudoclemen-
tinen dem 3. Jahrhundert an (einen geschichtlichen Fingerzeig
für die Zeit und den Ort ihrer Quellenschriften bietet die
Gestalt des Ebioniten Symmachus am Ende des 2. Jahrb.,
namentlich nach dem, was Victorinus Rhetor von seiner Lehre
berichtet). Dabei bleibt vorbehalten, dass ihre Kompilatoren
ältere antipaulinische Schriften der Judenchristen verwendet
haben. Weiter aber ist wahrscheinlich, dass die letzten Re-
daktoren gar nicht Judenchristen gewesen sind, dass also die
oben zusammengestellten Merkmale nicht den Standpunkt
irgend einer Gruppe charakterisiren, sondern zufällig dadurch
zusammengekommen sind, dass alte jiidenchristliche Quellen-
schriften durch sehr verschiedene Hände gingen und arglos
tradirt und bearbeitet wurden. In diesem wahrscheinlichen
Fall ist die Enpittelung eines „pseudoclementioischen Systems^'
eine fruchtlose Aufgabe; man hätte den letzten Erzähler viel-
mehr als einen katholischen Christen anzusehen, der für seinen
Roman übernahm, was ihn und Andere interessirte, freilich
aber kein Schüler des Irenäus oder Origenes gewesen ist. In
46 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 13.
den Homilien, wie sie uns vorliegen, sind die antipolytheisti-
schen^ antimythologischen, antidämonischen, moraUsch-asketi-
sehen, rationalistischen Reden des Petrus und der Anderen
die Hauptsache; die Bekämpfung des Simon Magus ist nur
Staffage. Ob unter solchen Umständen die reinliche Aus-
scheidung der gnostisch-judenchristlich-antipaulinischen Quellen
noch gelingen kann, ist fraglich. Eine dritte Gruppe, die nicht,
wie die vorige, im besten Fall eine litterarische Existenz ge-
führt hat, ihr jedoch verwandt gewesen ist, bilden die Elke-
saiten (in Syrien, Vorstoss nach Rom durch Alcibiades am
Anfang des 3. Jahrh.). Es sind das solche Judenchristen, in
deren Kreisen die ATliche Religion durch Naturspekulationen
faltbabylonische Religion) völlig zersetzt war, die zwar die
Idee des Prophetismus resp. Jesu als des Propheten festhielten,
aber einem neuen Propheten folgten, der auf Grund eines
neuen Offenbarungsbuches die Religion durch Buss- und Kultus-
ordnungen (Waschungen) erst vollendet habe. Eine Reihe
von Zügen an diesem eigentlich nicht mehr christlichen Juden-
christentum (Quellen: Hippolyt, Origenes, Epiphanius), nämlich
der strenge Monotheismus, die partielle Kritik am A. T., die
Verwerfung der blutigen Opfer, das Verbot des Weingenusses,
die häufigen Waschungen, die Konnivenz in Bezug auf die
Ehe, die Verkümmerung der messianischen Idee zur Vor-
stellimg vom Propheten, der Fortfall der Versöhnungsidee
und, wie es scheint, auch des Reichsgedankens, die hohe
Schätzung selbst noch der Verwandten des Propheten — finden
sich in dem Islam wieder, der nicht ohne Beeinflussung seitens
dieses „Judenchristentums", welches wohl mit den Zabiem
(s. AJHWBrandt, Die mandäische Religion 1889) verwandt
ist, entstanden ist. — Die grosse Kirche hat sich wenig darum
bekümmert.
Fünftes Kapitel.
Die Versuche der Gnostiker, eine apostolische Glaubenslehre
und eine christliche Theologie zu schaffen, oder: die akute
Verweltlichung des Christentums.
§ 13.
Quellen: Die Schriften des Justin, des Irenäus und der altkatho-
lischen Väter, dazu Epiphanius und Theodoret. Fragmente gesammelt
von AHiLGENPELD, Kctzergesch. 1884. Darstellungen von ANeandeb,
§ 13.] Der Quosticismus. 47
Gnostigclie Systeme 1818, FChBaub, Gnosis 1835, BLipsiüs, Gnosticisinus
1860, WMöLLEB, Kosmologie i. d. griech. Kirche 1860, s. auch ERenan,
Hist. des Orig. du Ghristianisme T. V — VII. — Carl Schmidt (über die
in koptischer Sprache erhaltenen gnostischen Originalwerke) in den
Texten u. Unters, z. altchristl. Litt.-Gesch. Bd. YIU, 1. 2. S. auch das
gnostische Buch Pistis Sophia (hrsg. y. Phtebmajitn u. Schwartzb 1863)
n. dazu AHabhack in den Texten u. Unters. VII, 2.
1. Der Gnosticismus ist eine Erscheinungsform der grossen
synkretistischen Bewegung des 2. und 3. Jahrhunderts, die eine
Folge des Austausches der nationalen Religionen, der Berüh-
rung von Orient (altbabylonische Religionen) und Occident
und des Einflusses der griechischen Philosophie auf die Reli-
gionen ist. Es handelte sich um die Gewinnimg einer Welt-
religion, ftlr welche die Menschen nicht als Bürger, sondern
nach Massgabe ihrer sittlichen und intellektuellen Fähigkeiten
in Betracht kommen. Als Weltreligion wurde das Evangelium
erkannt, indess nur insofern, als es sich von der alttestament-
lichen Religion und dem A. T. trennen, von der religiösen
Philosophie der Hellenen modelliren imd auf überlieferte
Kultus Weisheit und Mysterienpraxis aufpfropfen Hess (hier
kommen namentlich die altbabylonische und vorderasiatische
in Betracht; die ägyptische hat merkwürdigerweise für den
christlichen Gnosticismus wenig Bedeutung gehabt). Das Mittel,
diese künstlichen Verbindungen herbeizuführen, war die alle-
gorische Methode, wie sie die griechischen Religionsphilo-
sophen längst geübt hatten. Die Möglichkeit für das Auf-
konunen des christlichen Gnosticismus lag darin, dass die
christlichen Gemeiuden im Reiche in das Erbe der jüdischen
Propaganda eingetreten waren, iu der bereits eine weitgehende
Spiritualisirung der alttestamentlichen Religion stattgefunden
hatte, in der das intellektuelle Interesse an der Religion ent-
fesselt war und die bereits starke Eiuflüsse seitens fremder
Religionen (babylonische, persische, s. die jüdischen Apoka-
lypsen) erlebt hatte. Femer aber machte das Evangelium
Christi, resp. Christus selbst, einen so überwältigenden Ein-
druck, dass man den mächtigsten Antrieb erhielt, das Höchste,
was man besass, ihm unterzuordnen, wobei dann, wie so häufig,
das y,victus vietori legem dat^^ zu seiuem Rechte kam. Endlich
verhiess die christliche Predigt von Anfang an eine Gnosis
der Weisheit Gottes, speziell die des Paulus eine antinomistische,
und die Gemeinden im Reich fassten die christliche Weisheit
48 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 13.
als loycTcij kaxQsCa nach Massgabe ihres griechischen Verständ-
nisses, verbanden das Geheimniss volle mit einer wunderbiEiren
Offenheit, das Geistige mit bedeutungsvollen Riten und for-
derten durch ihre Organisation und ihr „philosophisches Leben"
dazu auf, hier das Ideal verwirklicht zu finden, das der hel-
lenische religiöse Geist damals suchte, nämlich eine Gemein-
schaft, die auf Grund göttlicher Offenbarung im Besitze der
höchsten Erkenntniss ist und deshalb das heiligste Leben führt,
und welche diese Erkenntniss nicht durch Diskurse, sondern
durch geheimnissvolle, wirkungskräftige Weihen imd durch
geoffenbarte Lehrsätze übermittelt.
2. Hiermit ist bereits gesagt, dass sich im Gnosticismus
der akute Verlauf eines Prozesses darstellt, der in der Kirche
schon früher begonnen imd im katholischen System eine lang-
same und bedingte Entwicklung erfahren hat. Die Gnostiker
sind die Theologen des 1. Jahrhimderts gewesen; sie haben
zuerst das Christentum in ein System von Lehren (Dogmen)
verwandelt; sie haben zuerst die Tradition (Berufung auf diese,
freilich auch auf eine Geheimtradition, war die Regel; die
gnostischen Schulhäupter wollten nicht Religionsstifter sein)
und urchristliche Schriften systematisch bearbeitet; sie haben
das Christentum als die absolute Religion darzustellen unter-
nommen und es deshalb den anderen Religionen, auch der
alttestamentlichen (nicht nur dem Judentum), bestimmt ent-
gegengesetzt; aber die absolute Religion, die sie an Christus
anknüpften, war ihnen, inhaltlich betrachtet, identisch mit dem
Ergebniss der Religionsphilosophie, für die die Unterlage einer
Offenbarung nun gefunden war: so sind sie diejenigen Christen,
die es versucht haben, in schnellem Vorgehen das Christentum
für die hellenische Kultur und diese für jenes zu erobern, und
sie haben dabei das A. T. preisgegeben, um sich die Schliessung
des Bundes zwischen beiden Mächten zu erleichtern. Das
Christentum wird hier eine mysteriöse Theosophie (geoffen-
barte Metaphysik und Geschichtsphilosophie), durchwaltet von
platonischem Geist und paulinischen Ideen, gebaut aus
den Bausteinen alter, in der Regel babylonischer Kultus-
weisheit, angeeignet durch Mysterien und erleuchtete Erkennt-
niss, abgegrenzt durch kühne, z. T. treffende Kritik gegen die
alttestamentliche Religion und den dürftigen Gemeindeglauben
(s, hier besonders den Brief des Valentinianers Ptolemäus an
§ 13.] Der Gnosticismus. 49
die Flora). Mithin hat man in den hervorragenden gnostischen
Schulen die semitisch -kosmologisehen Grundlagen, die
hellenisch-philosophische Denkweise und die Anerken-
nung der Welterlösung durch Christus zu konstatiren.
Ferner hat man die drei Elemente zu beachten, das speku-
lativ-philosophische, das kultisch-mystische und das
dualistisch-asketische. Die Verbindung, in der diese Ele-
mente auftreten, die totale Umsetzung aller ethischen Probleme
in kosmologische, endlich die Anschauung, dass die Geschichte
Fortsetzung der Naturgeschichte ist, speziell die Erlösung der
letzte Akt in einem Drama, dessen Ursprung in der Gottheit
selbst liegt nnd dessen Verwickelung die Welt ist — alles
dieses ist dem Gnosticismus nicht eigentümlich, sondern ist
eine Stufe der allgemeinen Entwickelung, der philonischen
vielfach verwandt imd die neuplatonische imd katholische
antizipirend.
Aus der groben Mythologie irgend einer orientalischen
Religion wurde durch Umsetzung der konkreten Gestalten in
spekulative und sittliche Ideen, wie „Abgrund'^, „Schweigen",
„Logos" „Weisheit", „Leben" (oft sind auch die semitischen
Namen beibehalten), eine Mythologie von Begriffen geschaffen,
indem man das gegenseitige Verhältniss und die Zahl dieser
Begriffe nach der Angabe der alten heidnischen Vorlage be-
stimmte, aber Alles an biblische Geschichten und Sprüche an-
zulehnen strebte. So entstand ein philosophisches dramatisches
Gedicht, dem platonischen ähnlich, aber ungleich komplizirter
und darum phantastischer, in dem gewaltige Mächte, das
Geistige und Gute mit dem Materiellen und Schlechten, in
eine unheilvolle Verbindung gesetzt erscheinen, aus der aber
schliesslich das Geistige, unterstützt durch die stammverwandten
Mächte, die zu erhaben sind, um je in das Gemeine herab-
gezogen zu werden, doch wieder befreit wird. Das unwandel-
bare, unveränderliche Gute ist die Gottheit mitsammt der Fülle
ihrer Ausstrahlungen, das in das Materielle zeitweilig herab-
gezogene Gute und Himmlische ist der menschliche Geist, die
erhabene Macht, die ihn befreit, ist Christus. Die evangelische
Geschichte ist nicht die Geschichte Christi, sondern eine
Sammlung allegorischer Darstellungen der grossen Gott -Welt-
Geschichte. Christus hat in Wahrheit keine Geschichte; seine
Erscheinung in dieser Welt der Mischung und Verwirrung ist
GrandrisB IV. in. Habnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 4
50 Yorbereitimg der Entstehung des Dogmas. [§ 13.
seine That, und die Aufklärung des Geistes über sich selber
ist die aus dieser That entspringende Wirkung. Diese Auf-
klärung selbst ist das Leben. Aber sie ist abhängig von der
Askese und von der Hingabe an jene von Christus gestifteten
Mysterien, in denen man in Gemeinschaft mit einem praesens
numen tritt, und die in geheimnissvoUer Weise den Prozess der
Entsinnliehung des Geistes befördern. Diese Entsinnlichung
soll auch aktiv geübt werden. Enthaltung ist daher die
Losung. So ist also das Christentum die spekulative Philo-
sophie, die den Geist erlöst (yv&öig öotriQLug), indem sie ihn
aufklärt, ihn weiht und zur richtigen Lebensführung anleitet.
Die Gnosis ist frei von dem rationalistischen Lateresse der
Stoa. Die Mächte, die dem Geist Kjraft und Leben verleihen,
walten im Ubervernünftigen. Dorthin führt nur eine auf
Offenbarung ruhende, mit fivdtayayyLa verbundene fidd^riöLg
(nicht exakte Philosophie). Die Grundlehren sind daher fol*
gende: 1) die über alles Denken erhabene, bestimmungslose
und unendliche Natur des göttlichen Urwesens, 2) die dem
göttlichen Wesen entgegengesetzte böse (nicht seiende) Materie,
3) die Fülle göttlicher Potenzen (Äonen), die teils als Kräfte,
teils als reale Ideen, teils als relativ selbständige Wesen ge-
dacht, in der Form von Abstufungen die Entfaltung und
Offenbarung der Gottheit darstellen, aber zugleich den Über-
gang des Oberen in das Untere ermöglichen sollen, 4) der
Kosmos als eine Mischung der Materie mit göttlichen Funken,
entstanden aus einem Herabsinken dieser in jene, resp. aus
dem verwerflichen oder doch von der Gottheit bloss gedul-
deten Unternehmen eines untergeordneten Geistes, daher der
Demiurg ein böses, oder mittleres oder schwaches, aber reuiges
Weseji; demgemäss ist das Beste in der Welt die Sehnsucht,
5) die Befreiung der geistigen Elemente aus ihrer Vereiaigung
mit der Materie oder die Ausscheidung des Guten aus der
Welt der Sinnlichkeit durch den Christusgeist, der in heiligen
Weihen, Erkenntniss imd Askese wirksam ist — so entsteht
der vollkommene Gnostiker, der weltfreie, sein selbst mächtige
Geist, der iu Gott lebt und sich für die Ewigkeit bereitet.
Die anderen Menschen sind Hyliker. Doch unterscheiden her-
vorragende Lehrer (Schule Valentins) auch zwischen Hylikem
und Psychikern, letztere die Gesetzesmenschen, die von Gesetz
und Glauben leben, für die der Gemeindeglaube gut genug,
§ 13.] Der Gnosticismus. 51
resp. notwendig ist. Der Schwerpunkt der gnostischen Systeme
ruhte nicht in ihren wechselnden^ nns auch nur unsicher bekannten
Details ; sondern in ihrem Ziel und ihren Grundvoraussetzungen.
3. Die Erscheinungsformen des Gnosticismus waren so
bmit wie möglich (Gemeinden, Asketenvereine, Mysterienkulte,
geschlossene Schulen, zwanglose Erbauungsvereine, Unterhal-
tungen durch christliche Schwindler und betrogene Betrüger,
Versuche neuer Beligionsstifbongen nach dem Muster und unter
dem Einfluss der christlichen).
Einzelne Gnostiker standen auf der Höhe wissenschaft-
hcher Erkenntniss und religiösen Schwungs. Hier sind beson-
ders Valentin und seine Hauptschüler zu nennen (Herakleon
und Ptolemäus). Valentin ragt hervor durch die Ej-affc reli-
giöser Phantasie und des Geistes — das haben auch die KW.
anerkannt -— , Herakleon durch sein exegetisch-theologisches
Vermögen (Reste seines Kommentars zum Johannesev. bei
Origenes), Ptolemäus durch seine Kritik am Ä. T. und seinen
trefTenden Blick für die Stufen religiöser Entwickelung
(s. seinen Brief an die Flora). Als Probe der Sprache Valentins
diene ein Stück aus einer Homilie (bei Clemens, Strom. IV,
13, 89): ^A%^ ^9Xh^ a^&vwtoi iöts xal rexva t^rjg iöts aiwriag
7ud rbv d'dvarov ^d^skere fieQLöaöd'aL eis iavtovg^ Iva dajccc-
viffirixe avxhv xal ävakdiörjte^ xal äxod-dvy 6 d^dvarog iv ifitv
xal ÖL ifi&v, 8rav yäQ rbv filv xööfiov kvrjrs^ a{ytol Se fiij
wxxahiri6%'e ^ TcvQievsxß xfig KQiöBmg xal tilg q>d^OQäg andörjg.
Hinter Valentin und seiner Schule tritt Basilides zurück.
Doch nennen die KW., wenn sie die bedeutendsten Gnostiker
zusammenfassen wollen, gewöhnlich Simon Magus, Basilides,
Valentin, Marcion (auch Apelles). Daneben sprechen sie von
einer unbestimmten Gruppe, die sie Gnostiker xar' i^ox'tjv nennen.
Gemeint sind die ursprünglich syrischen, aber auch nach
Ägypten und ins Reich ausgewanderten „ophitischen^' Häretiker
— eine bunte Gruppe, die uns durch Epiphanius, namentlich
aber durch die in koptischer Sprache erhaltenen gnostischen
Originalschriften teilweise gut bekannt ist. Doch gehören
diese Originalschriften grösstenteils der 2. Hälfte des 3. Jahrh.
an und zeigen einen durch die Fülle von wilden Spekulationen,
Formeln und Riten überlasteten Gnosticismus. Indessen wird
gerade an diesen Denkmälern deutlich, dass der Gnosticismus
den Katholicismus als Ritualsystem antizipirt.
52 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 13.
Das Verhältniss zum Gemeinchristlichen und zu den Ge-
meinden war sehr verschieden. Der ,,Gnosticismus" reichte
einerseits bis in das Herz der Gemeinden, sofern doketische
und dualistisch -asketische Neigungen weit verbreitet .waren
und die Umdeutung des Kerygmas vielfach geübt wurde; an-
dererseits gab es „gnostische" Vereinigungen, die sich sepa-
rirten, ja die die Gemeinde verbände verabscheuten. Für die
Dogmengeschichte kommt der rechte Flügel des Gnosticismus
und der eigentliche Stamm, die grossen gnostischen Schulsekten
(Basilidianer, Valentinianer), besonders in Betracht. Letztere
wollten eine höhere Ordnung von Christen über den geduldeten
Gemeinchristen, den Psychikem, darstellen. Mit ihnen ist
hauptsächlich gekämpft worden, und sie waren die Theo-
logen, von denen man gelernt hat, die zuerst Lehrbücher der
Dogmatik und Ethik, wissenschaftliche und exegetische Ab-
handlungen geschrieben, kurz die technische, christlich-theolo-
gische Litteratur begründet und die Bearbeitung der christ-
lichen Tradition begonnen haben. Die Ausscheidung dieser
Gnostiker und des rechten Flügels (Enkratiten, „Doketen**,
Tatian, Bardesanes — seine von Valentin beeinflusste, den
Marcionitismus bekämpfende Lehre war in Edessa eine Zeit
lang geduldet, ja anerkannt) konnte nur langsam geUngen und
ist eine Folge der Konsolidirung der Gemeinden zur katho-
lischen Kirche, die durch die gnostische Bewegung mit her-
vorgerufen ist.
Der Ursprung des Gnosticismus ist aus den allgemeinen
Bedingungen, unter denen die christliche Predigt auf dem Boden
des römischen Weltreichs stand, und aus ihrer Anziehungs-
kraft als sichere Botschaft von der Erkenntniss, dem Leben
und der Enthaltung, angeschlossen an eine göttliche Person,
die auf Erden erschienen ist, hinreichend erklärt. Die Kirchen-
väter machen neben den Dämonen bald das vielgespaltene
Judentum, bald den samaritanischen Messias Simon (dessen
Existenz und hohe geschichtliche Bedeutung nicht geleugnet
werden kann), bald die griechischen Philosophen, zuletzt auch
den Ungehorsam wider das kirchliche Amt für den Ursprung
verantwortlich. Li alledem liegt eine particula veri, wie leicht
zu zeigen; speziell hat der zum christlichen Gnosticismus
führende Synkretismus unzweifelhaft auf samaritanisch- syri-
schem Boden einerseits, auf alexandrinischem andererseits seine
§ 13.] Der Gnosticismus. 53
Hauptquartiere gehabt; allein es ist nicht zu übersehen, dasa
überall im Reiche die Bedingungen zu spontanen Bildungen
vorhanden gewesen sind. Eben deshalb lässt sich eine Ent-
wickelungsgeschichte des Gnosticismus nicht schreiben, selbst
wenn wir mehr von den einzelnen Bildungen und ihrer gene-
tischen Geschichte wüssten, als wir wissen. Man kann nur
zwischen judenchristlichen und heidenchristlichen Gnostikern
unterscheiden, letztere nach ihrer grösseren oder geringeren
Entfernung vom gemein Christlichen, die sich namentlich in
der Schätzung des A. T. und des Demiurgen ausspricht, grup-
piren und ausserdem die Züge aufsuchen, in denen uns in
unbefangen gelesenen christlichen Schriften „Gnostisches" ent-
gegentritt (so in „apokryphen^^Ew. — Petrusev. u. Ägypterev.
— '- und Apostelgeschichten, wie in den Joh.-Akten, vgl. ferner
besonders die B^ste der Hypotyposen des Clemens Alex.).
Dass die ganze vielarmige Bewegung, in der der Hellenismus
mit allen seinen guten imd schlimmen Kräften sich das Evan-
gelium anzupassen suchte, allmählich christlicher resp. kirch-
licher geworden ist, liegt in der Natur der Sache. Deshalb
aber darf man doch nicht für das 2. Jahrhundert die Systeme
chronologisch nach dem Masse ihrer Christlichkeit gruppiren,
so gewiss die Regel gilt, dass Versuche wie der des Karpo-
krates, die christliche Lehre in Piatonismus, die Kirche in den
platonischen Staat, Christus in einen Genius umzuwandeln, der
ältesten Zeit und nicht der späteren angehören.
4. Erscheinen auch die Unterschiede zwischen dem gno-
stischen Christentum und dem gemein Kirchlichen sowie der
späteren kirchlichen Theologie zum Teil als fliessende, sofern
man auch hier das Erkenntnissmoment besonders betonte, das
Evangelium in ein vollkommenes Wissen um die Welt zu ver-
wandeln sich anschickte, die xCötiq durch die yvmötg überboten
sein Hess, die griechische Philosophie in steigendem Masse ver-
wendete, die Eschatologie einschränkte, doketischen Ansichten
Baum liess und eine strenge Askese schätzte, so war doch
1) zur Zeit der Blüte des Gnosticismus dies Alles in der
Grosskirche nur in Keimen oder Fragmenten vorhanden, 2) hielt
die Grosskirche an den im Taufbekenntniss fixirten Thatsachen
und an den eschatologischen Erwartungen, ferner am Welt-
ßchopfer als höchstem Gott, an der Einheit Jesu Christi und
am A. T. fest und lehnte darum den Dualismus ab, 3) trat
54 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 13.
sie fiir diQ Emlieit und Gleichlieit des menschlichen Geschlechts
ein und deshalb für die Einheitlichkeit nnd universale Tendenz
des christlichen Heils, und 4) lehnte sie jede Einschleppung
neuer, namentlich orientalischer Mythologien ab, hierbei von
dem altchristlichen Bewusstsein und einer gewissen Verstän-
digkeit geleitet. Dennoch hat die Kirche, indem sie den Gno-
stfcismus bestritt, sehr viel von ihm gelernt. Um welche
Hauptsätze es sich gehandelt hat, sei kurz hier angefiihrt (das
beigesetzte „pos." soll besagen, dass die betreflPende gnostische
These auch von positiver Bedeutung für die Entwickelung
der kirchlichen Anschauimg und Lehre geworden ist):
(1) Das Christentum, welches die allein wahre und absolute
Religion ist, umschliesst ein geoflPenbartes Lehrsystem
(pos.),
(2) diese Lehre enthält als Lehre geheimnissvolle Kräfte in sich,
deren Übertragung an Weihen (Mysterien) gebunden sind,
(3) der Offenbarer ist Christus (pos.), aber Christus allein
und Christus nur sofern er erschienen ist (kein ATlicher
Christus). Diese Erscheinung ist selbst die Erlösimg, die
Lehre ist die Verkündigung von derselben und von ihren
Voraussetzungen (pos.),
(4) die christliche Lehre ist aus der kritisch untersuchten
apostolischen Tradition zu schöpfen; dieselbe liegt in apo-
stolischen Schriften und in einer von den Aposteln stam-
menden Geheimlehre vor (pos.); als öffentliche ist sie zu-
sammengefasst in der regula fidei (pos.), als esoterische
wird sie von berufenen Lehrern fortgepflanzt,
(5) die Offenbarungsurkimden (apost. Schriften) müssen, eben
weil sie solche sind, durch das Mittel der Allegorie bearbeitet
werden, um ihnen den tieferen Sinn zu entlocken (pos.),
(6) was die einzelnen Stücke der regula anlangt, wie die Gno-
stiker sie fassten, so sind hauptsächlich folgende bemer-
kenswert:
(a) die Verschiedenheit des höchsten Gottes vom Welt-
schöpfer und damit die Entgegenstellung von Erlösung
und Schöpfung resp. auch die Trennung des Offen-
barungs- und Schöpfongsmittlers,
(b) die Trennung des höchsten Gottes vom Gott des A. T.
imd damit die Verwerfung des A. T., resp. die Be-
hauptung, dass das A. T. keine — oder nur in ge-
§ 13.] Der Gnosticismus. 55
wissen Teilen — OflPenbanmgen des höchsten Gottes
enthalte,
(c) die Lehre von der Selbständigkeit und Ewigkeit der
Materie,
(d) die Behauptung, dass die gegenwärtige Welt aus einem
Sündenfall, resp. aus einem widergöttlichen Unternehmen
entstanden und daher das Produkt eines bösen oder
mittleren Wesens sei,
(e) die' Lehre, dass das Böse der Materie inhärent, also
eine physikalische Potenz sei,
(f) die Annahme von Äonen, resp. realen Bj-äften und
himmlischen Personen, in denen sich die Absolutheit
der Gottheit entfalte,
(g) die Behauptung, dass Christus eine bisher unbekannte
Gottheit verkündet habe,
(h) die Lehre, dass man in Jesus Christus — mit Recht
sahen die Gnostiker in seiner Person die Erlösung,
aber sie haben die Person auf das physische Wesen
reduzirt — den himmlischen Aon Christus und die
menschliche Erscheinung desselben stark unterscheiden
und jeder „Natur" ein „distincte agere" beilegen müsse
(nicht der Doketismus, sondern die Zwei-Naturenlehre
ist das Charakteristische). Demgemäss nahmen die
Einen, wie Basilides, überhaupt keine wirkliche Ver-
einigung zwischen Christus und dem Menschen Jesus
an, den sie übrigens für einen wirklichen Menschen
hielten. Die Anderen, wie ein Teil der Valentinianer
— ihre Christologie war höchst komplizirt und ver-
schieden — , lehrten, dass der Leib Jesu ein himm-
lisch-psychisches Gebilde gewesen und nur scheinbar
dem Schooss der Maria entstammt sei. Die Dritten
endlich, wie Satornil, erklärten, dass die ganze sicht-
bare Erscheinung Christi ein Phantasma gewesen sei,
und stellten konsequent die Geburt Christi in Abrede,
(i) die Umsetzung ^ der ixxkriöia (dass die himmlische
Kirche als ein Aon galt, war keiüe Neuerung) in das
Kollegium der Pneumatiker, die allein die höchste
Seligkeit geniessen werden, während die Hyliker dem
Untergang verfallen imd die Psychiker mit ihrer ^tAi)
jciötcg nur eine niedere Seligkeit erhalten.
56 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 14.
(k) die Verwerfung der gesammten urchristlichen Escha-
tolögie, speziell der Wiederkunft Christi und der Auf-
erstehung des Fleisches; damit verbunden die Behaup-
tung, dass von der Zukunft nur die Befreiung de»
Geistes von der sinnliehen Hülle zu erwarten sei^
während der über sich selbst aufgeklärte und seines
Gottes gewisse Geist die Unvergänglichkeit besitze und
nur auf die Einführung in das Pleroma warte,
(1) die dualistische Ethik (strenge Askese), die hie und
da in Libertinismus umgeschlagen ist.
Wie stark der Gnosticismus den Katholicismus antizipirt
hat, lässt sich namentlich an seiner Christologie und Erlösungs-
lehre, seiner Kultusmagie und Sakramentslehre sowie an seiner
wissenschaftlichen Litteratur erweisen.
Sechstes Kapitel.
Das Ontemelunen Marcion's, die Alttestamentliclie Grundlage
des Evangeliums zu beseitigen, die Tradition zu reinigen und
auf Grund des paulinischen Evangeliums die Christenheit zu
reformiren.
§14.
Hauptquellen sind Tertullian's Werk gegen M. in 6 Büchern, das
Panarion des Epiphanius, die Dialoge des Adamantius. Das älteste
Zeugniss bietet Justin in der Apalogie, vgl. auch Irenäus. — AHahn,
Marcionis Antitheses 1823. — ThZahn, Marcion's N. T. in: Gesch. d.
NTlichen Kanons II S. 409 £F. — AHarnack, De Apellis gnosi monarchica
1874 u. i. d. ZwTh. 1876 S. 80 ff.
Zu den Gnostikem wie Basilides und Valentin darf Marcion
trotz der Polemik der KW. nicht gerechnet werden; denn
1) leitete ihn kein metaphysisches, auch kein apologetisches,
sondern ein rein soteriologisches Interesse, 2) legte er darum
auf das reine Evangelium und den Glauben (nicht auf die
Erkenntniss) allen Nachdruck, 3) verwendete er für seine Auf-
fassung vom Christentum — wenigstens prinzipiell — die
Philosophie nicht, 4) war er bestrebt, nicht Schulen von
Wissenden zu gründen, sondern die Gemeinden allerorts, deren
Christentum er für gesetzlich (judaisirend) und die freie
Gnade verleugnend hielt, nach dem wahren paulinischen Evan-
gelium zu reformiren. Erst als er damit nicht durchdrang,
bildete er eine eigene Kirche, die erste auf einem ausgeführten
§ 14.] Marcion's Reformversnch. 57
Yerstandniss des Evangeliums und auf einer streng ge-
schlossenen SamnJung christlicher Schriften ruhende kirch-
liche Gemeinschaft. Völlig hingenommen von der Neuheit,
Einzigkeit und Herrlichkeit der Gnade Gottes in Christus,
glaubte er die scharfen Antithesen des Paulus (Gesetz und
Evangelium, Werke imd Glaube, Fleisch und Geist, Sünde und
Gerechtigkeit) zum Fundamente der religiösen Betrachtung
machen und auf zwei Prinzipien, den gerechten und zornigen
Gott des A. T., der mit dem Weltschöpfer identisch sei, und
den vor Christus unbekannten Gott des Evangeliums, der nur
die Liebe und das Erbarmen sei, verteilen zu müssen. Dieser
schroffe Dualismus — ein Paulinismus ohne Dialektik, A. T.
und judenchristliche Geschichtsbetrachtung — ist doch nicht
ohne Beeinflussung seitens der syrischen Gnosis (Cerdo) von M.
ausgestaltet worden. Mit dem ethischen Gegensatz des Er-
habenen und Guten einerseits imd des Kleinlichen, Gerechten
und Harten andererseits verband sich doch der Gegensatz des
Unendlichen, Geistigen und des Beschränkten, Sinnlichen in
einer Weise, die die Probleme wieder ins Kosmologische herab-
zuziehen drohte. Im Einzelnen ist Folgendes besonders wichtig:
1. Das A. T. wurde von Marcion seinem Wortsinn nach
mit Ablehnung jeder allegorischen Deutung erklärt und als
Offenbarungsbuch des Weltschöpfers und Judengottes anerkannt,
aber eben deshalb in schroffen Gegensatz zu dem Evangelium
(s. die Antithesen) gestellt, dessen Inhalt M. lediglich aus
Sprüchen Jesu und den paulinischen Briefen ermittelte, nach-
dem er sie von angeblichen judaistischen Verfälschungen ge-
reinigt. Diese Fälschungen waren seiner Meinung nach sehr
alt, da die zwölf Apostel Jesum nicht verstanden, bez. das
richtige Verständniss wieder verloren und sein Evangelium nach
dem A. T. missdeutet haben. Paulus, von Christus zum Er-
sätze berufen, sei der Einzige, der eingesehen, dass Jesus einen
bisher unbekannten Gott der Gnade im Gegensatz zu Jehovah
verkündet habe. Als auch seine Predigt verdunkelt worden,
sei er, Marcion, mit der Wiederherstellung des reinen Evan-
geliums betraut worden. In dieser Eigenschaft als Reformator
und zweiter Paulus hat ihn seine Kirche anerkannt und seinen
„Antithesen" eine Art von kanonischem Ansehen gegeben.
2. Der Gottesbegriff und die Christologie Marcion's sind
den gnostischen insofern ähnlich, als auch er im Gegensatz
58 Vorbereitung der Entstehung des Dogmas. [§ 14.
zur Grosstirche die Neuheit, Einzigartigkeit und Absolutheit
des Christentums zum deutlichsten Ausdruck bringt; er über-
bietet die Gnostiker noch, sofern er den ganzen Menschen als
Erzeugniss des Weltschöpfers fasst und in der Natur des
Menschen nichts findet, was dem Gott der Liebe stammverwandt
ist. Aber Liebe und Gnade ist nach M. das ganze Wesen der
Gottheit; die Erlösung ist die unbegreiflichste That göttlichen
Erbarmens, imd Alles, was der Christ besitzt, verdankt er
einzig Christus, der die Erscheinung des guten Gottes selber
ist (Modalismus). Er hat durch sein Leiden die, welche an
ihn glauben, dem Weltschöpfer abgekauft und für sich ge-
wonnen. Der strenge Doketismus aber, den M. lehrte, die
Behauptung, dass nur die Seelen der Menschen gerettet werden,
der Verzicht auf die Wiederkunft Christi und die harte, bis
zum Eheverbot gesteigerte Askese (trotz des Gedankens, dass
die Liebe Gottes das neue Leben zu beherrschen habe), sind
Beweise dafür, dass M. bis zu einem gewissen Grad dem
Hellenismus gegenüber wehrlos gewesen ist; andererseits zeigen
die eschatologischen Gedanken, dass er den Bückgang zur
Monarchie des guten Gottes gesucht hat.
3. Die Absicht, die Kirche des reinen Evangeliums wieder-
herzustellen und die Erlösten als die von dem Gott dieser
Welt Gehassten zu sammeln, hat M. veranlasst, evangelische
Schriften zu einer Sammlung mit normativem Charakter zu
vereinigen (Luc. Ev. u. 10 paulinische Briefe), bestimmte
Grundsätze für ihre Auslegung aufzustellen und die Gemeinden
in fester, aber freier Organisation zusammenzuschliessen. Da
er das A. T. verwarf, ebenso jede natürliche Religion, Philo-
sophie imd Geheimtradition j so musste er die Frage, was
christlich sei, aus geschichtlichen Urkunden beantworten. Hier,
wie in mancher anderen Hinsicht, ist er der katholischen
Kirche vorangegangen.
4. Die tiefe Auffassung, dass die in der Natur und Ge-
schichte waltenden Gesetze und der Lauf der bürgerlichen
Gerechtigkeit das Widerspiel zu den Thaten göttlichen Er-
barmens seien, und dass demütiger Glaube, herzliche Liebe
und opferfreudige Askese den eigentlichen Gegensatz zu Tugend-
stolz, Selbstgerechtigkeit und Leidensscheu bilden — diese
Auffassung, die das Christentum Marcion's beherrscht und ihn
von aller rationalistischen Systematik abgehalten hat, wurde
§ 15.] Marcion's Befonny ersuch. 59
in seiner Kirche in der Folgezeit nicht rein festgehalten. Im
Interesse^ die Lücken und Widersprüche der Auffassung zu
heben, schritten einige Schüler zu einer Dreiprinzipienlehre,
andere zum vulgären Dualismus vor, ohne indess die Grund-
gedanken des Meisters ganz aufzugeben. Apelles aber, M.'s
grösster Schüler, kehrte zum Bekenntniss des einen Gottes
zurück (der Weltschöpfer ist ein Engel Gottes), ohne im
Übrigen die Auffassung des Meisters fallen zu lassen, ja
wertvolle Andeutungen weiter verfolgend, die M. gegeben hatte.
Die KW. (Bhodon, Tertullian, Origenes) haben ihn nicht ver-
standen und aufs Heftigste bekämpft. In der Soteriologie hat
Apelles wahrscheinlich wie M. gelehrt (bei Euseb. h. e. V, 13):
öcjdijöeöd'ai toi)g stcI tbv i6ravQ(D(ievov ijkjaTCÖTag äne^paCvsto^
fiövov iäv iv iQyotg äyad'otg eigiöxiovtat (s. auch das Folgende;
in Bezug auf da« A. T. hat er im scharfen Unterschied von
Marcion die These vertreten, dass es grossenteils unglaub-
würdige, mythische Geschichte enthalte und voU Wider-
sprüchen sei [s. die Reste seiner „Syllogismen"]). Marcion hat
die Thatsächlichkeit der ATlichen Geschichte anerkannt, aber
eben deshalb ihren Urheber für ein eiferndes, bösartig- „ge-
rechtes" Wesen erklärt.
Die KW. haben M. als den schlimmsten Häretiker be-
kämpft. Besonders in der Auseinandersetzang mit ihm ist
die altkathoUsche Kirchenlehre entwickelt imd der Umfang
des N. T.'s bestimmter ausgeprägt worden.
Zweites Buch.
Die Grnndlegiiiig.
Erstes Kapitel.
GescMchtliclie Orientirung.
§16.
ABiTscHL, Entstehung d. altkathol. Kirche.' 1857. — EBenan,
Origines da ChrisüaniBnie T. V — VII.
1. Das zweite Jahrhundert des Bestehens heidenchrist-
licher Gemeinden ist charakterisirt durch den siegreichen
Kampf gegen die Gnostiker, Marcion und den urchristlichen
60 Grundlegung des Bogmas. [§ 15.
Enthusiasmus, d. h. durch die Ablehnung der akuten Helle-
nisirung einerseits und die Unterdrückung der ursprünglichen
christlichen Stimmung, Disziplin und z. T. auch der Hoffnung
andererseits. Man rettete einen bedeutenden Teil des Ur-
christentums durch Fixirung der Tradition (den Glauben an
den Schöpfer- und Erlösergott); aber man ging nun uui so
unbefangener auf die Welt und ihre Weisheit ein, da man
glaubte, an der apostolischen Schriftensammlung, der
apostolischen Glaubensregel, dem apostolischen Amt die
sichere Gewähr der Christlichkeit zu besitzen. Man zügelte
den Subjektivismus der christlichen Frömmigkeit und schränkte
die phantastische Mythenbildung sowie die Aufnahme ganz
fremder StofiFe in die Glaubenslehre ein; aber man band den
Einzelnen an eine heilige Urkunde und an den Priester, indem
man ihn dem festgefugten bischöflichen Verbände der einen,
heiligen, apostolischen, katholischen Kirche unterwarf, den
man als Seligkeitsanstalt mit der Stiftung Christi identifizirte.
Man widerlegte endlich die gnos tischen Systeme; aber man
schuf selbst aus dem Kerygma mit den Begriffen der griechischen
Philosophie ein wissenschaftliches Glaubenssystem, ein aus-
gezeichnetes Mittel, die Kirche der gebildeten Welt zu em-
pfehlen, aber den Laien ein den Glauben verdunkelndes Ge-
heimniss oder eine Verdeutlichung des Evangeliums im Sinne
der griechischen Religionsphilosophie.
2. Die Aufgabe der Dogmengeschichte für den Zeitraum
von c. 150 — 300 ist eine doppelte: erstlich hat sie die Ent-
stehung des Katholicismus als Kirche zu beschreiben, d. h.
die Entstehung und Entwickelung der apostolisch-katholischen
Massstäbe (Glaubensregel, N. T., kirchliches Amt; Massstäbe für
die Heiligkeit der Kirche), durch welche die Gemeinden zu
der einen empirischen Kirche, die doch die apostolische,
wahre und heilige sein soll, erwachsen sind. Zweitens hat
sie die Entstehung und Entwickelung der wissenschaftlichen
Glaubenslehre zu schildern, wie dieselbe an der Peripherie
der Kirche zum Zweck der Apologetik entstanden ist, freilich
nicht als ein Fremdes, vielmehr im genauesten Zusammenhang mit
den Intentionen des ältesten Heidenchristentums (s. Buch I c. 3);
wie sie, die ursprünglich lediglich durch die Offenbarung ver-
sicherte monotheistische Kosmologie, Logoslehre und Moral-
theologie gewesen ist, dann im gnostischen Kampf sich mit
§ 15.] Die apostolischen Normen. Die Glaubensregel. 61
dem Heilsgedanken der antiken Mysterien einerseits, mit dem
kirchlichen Kerygma und AT liehen Gedankenreihen anderer-
seits verbunden hat (Irenäns, Hippolyt, TertuUian) und zu
einem komplizirten Gebilde (philosophische, kerygmatische,
biblische und urchristlich-eschatologische Elemente) geworden
ist; wie sie weiter ^urch die Alexandriner zu einem helle-
nistischen synkretistischen System für katholische Gnostiker
umgeschmolzen worden (Vorbild des Philo und Valentin), und
wie dann die grosse Spannimg zwischen der wissenschaftlichen
Dogmatik und dem traditionellen Glauben deutlich hervor-
getreten ist, die schon im 3. Jahrhundert ihre Lösung gruiid-
legend so empfangen hat, dass die Ziele der wissenschaftlichen
Dogmatik und ein Teil ihrer Lehren (vor Allem die Logos-
lehre) als der Glaube von der Kirche adoptirt wurden,
während man Anderes bei Seite Hess oder bekämpfte, die
realistischen Sätze des Kerygmas gegen spiritualisirende Um-
setzung schützte und das Recht der Unterscheidung einer
Glaubenslehre für die Denkenden und eines Glaubens für die
Unwissenden (so Origenes) prinzipiell in Abrede stellte. Die
vier Stufen der Entwickelung des Dogmas (Apologeten, alt-
katholische Väter, Alexandriner, Methodius nebst Konsorten)
entsprechen der fortschreitenden religiösen und philosophischen
Entwickelung des Heidentums in jener Zeit: philosophischer
Moralismus, Heilsidee (Mysterientheologie und -praxis), Neu-
platonismus und reaktionärer Synkretismus.
L Fixirung und allmähliche Vervy^eltlichung des
Christentums als Kirche.
Zweites Kapitel.
Die Aufstellung der apostolischen Normen für das kirchliche
Christentum. Die katholische Kirche.
Quellen: Die Schriften des Irenäus, Hippolyt, Tertullian, erst in
zweiter Linie die der nicht römischen altkatholischen Väter; denn in
Kom sind die Massstäbe festgestellt worden, der Anteil Kleinasiens ist
dunkel und kontrovers.
Die drei apostolischen Normen (Glaubensregel, N. T.,
Amt) — s. Iren. III, Isq., Tertull. de praescr. 21. 32. 36 1) —
1) De praescr. 21: „Constat omnem doctrinam quae cum ecclesiis
apostoltcis matricibua et originälibus fidei conspiret veritati deputandam.
62 Grundlegung des Dogmas. [§ 16.
haben sich von Rom aus zwar in den verschiedenen Provinzial-
kirchen zu verschiedener Zeit^ aber alle drei stets gleichzeitig
eingebürgert. Sie haben an den kurzen kerygmatischen Be-
kenntnissen^ an der Autorität des xvQiog und der apostolischen
Tradition sowie an den Gemeindeleseschriften^ endlich an dem
Ansehen der Apostel^ Propheten und Lehrer, resp. der „Alten^^
und der Leiter der Einzelgemeinden ihre Vorstufen gehabt.
§ 16. A. Die ümprägnng des Tanfbekenntnisses zur aposto-
lischen Glaubensregel.
CPCaspari, Quellen z. Gesch. des Taufsymbols, 4 Bde. — AHabnack
in der grossen Ausgabe der Patr. Apost. I, 2 1878. — AHahx, Bibl. d.
Symbole und Glaubensregeln.* 1877.
Von Alters her gab es in den Gemeinden ein Kerygma
von Christus (s. Buch I c. 3 sub 2) und kurze Bekenntniss-
formeln (Vater, Sohn und Geist), speziell in der romischen
Gemeinde seit + 140 ein festes Taufbekenniniss (ob auch
in kleinasiatischen ?). Diese Bekenntnisse waren „der Glaube'^,
galten als die Quintessenz der apostolischen Verkündigung
und wurden daher auf Christus, resp. auf Gott selbst, Siä
x&v &7Co6x6X(DV zurückgeführt. Aber als apostolische „Regel
des Glaubens" galt überhaupt Alles, was unveräusserUch
erschien, z. B. auch das christliche Verständniss des A. T.
Fixirt war indess ausser jenem römischen Symbol wahr-
scheinlich nichts, imd die Sittenregeln (^Siäaxii xvqCov)
standen mindestens auf der gleichen Stufe mit jenem Kerygma
von Christus. Von Anfang an schärfte man aber im Unter-
richt, in den Ermahnungen und vor Allem bei Bekämpfungen
von Irrlehren ein: änolLTto^ev tag xsväg xal (lataiag tpQOv-
tCSag^ xal IXd'CD^ev iycl xov evxXari xal ösfivbv tijg xagaSo-
id sine dubio tenentem quod ecclesiae ah apostolis, apostoli a Christo,
Christus a deo accepit/' 36: „Videamus quid (ecclesia Bomana) didicerit,
quid docueritf cum Africanis quoque ecclesiis contesserarit, Unum deum
dominum novit, creatorem universitatis , et Christum Jesum ex virgine
Maria fUium dei creatoris, et camis resurrectionem ; legem et prophetas
cum evangelids et apostolids litteris miscet, inde potat fidem, eam aquu
signat, sancto spiriiu vestit, eucharistia pascit, martyrium exhortatur, et
ita adversus hanc institutionem neminem recipit'^ 32 : „Evolvant ordinem
episcoporum suorum, ita per successionem ah initio decurr entern, ut primus
iile episcopus aliquem ex apostolis vel apostolids viris, qui tarnen cum
apostolis perseveravit, habuerit auctorem et antecessorem*
«
§ 16.] Die apostolischen Normen. Die Glaubensregel. 63
ösGig ij^&v xavöva (I Clem. 7; vgl. Polyc. ep. 2. 7; die Pastoral-
briefe, Judasbrief, Ignatiusbriefe, auch Justin). Als die Ge-
fahr des Gnosticismus akut wurde, musste man notwendig
die Erfahrung machen, dass weder Inhalt und Umfang des
„überlieferten Glaubens" („der gesunden Lehre^'), noch sein
Verständniss gesetzlich gesichert sei. Man brauchte aber einen
festen äusseren Massstab, um Lehren wie die von der Ver-
schiedenheit des höchsten Gottes vom Schöpfergott oder wie
den Doketismus ablehnen, Verflüchtigungen und ümdeutungen
der evangelischen Geschichte zurückweisen und die eigne Auf-
fassung als die ap stolische Lehre behaupten zu können — man
brauchte ein bestimmt interpretirtes apostolisches Be-
kenntniss. In dieser Lage hat die Kirche Roms, deren Ver-
fahren uns durch Irenäus und Tertullian bekannt ist (Iren, ist
schwerlich der Urheber desselben), das geschlossene römische
Taufbekenntniss als apostolisches in der Weise in Geltung gesetzt,
dass sie die jeweilig antignostischen Interpretationen als selbst-
verständlichen Inhalt desselben proklamirte, das explizirte
Bekenntniss als „fides catholica" resp. als Regel der Wahrheit
für den Glauben bezeichnete imd von seiner Anerkennung die
Zugehörigkeit zur Kirche abhängig machte (wie weit Rom
im Einvernehmen resp. unter Einwirkung der kleinasiatischen
Kirche gehandelt hat, ist noch dunkel und wird vielleicht
nie erhellt werden). Dieses Verfahren, durch welches der
Schwerpunkt des Christentums verrückt, dieses aber vor
völligem Zerfliessen bewahrt worden ist, basirt auf zwei im-
bewiesenen Behauptungen und einer Vertauschung. Nicht be-
wiesen ist, dass irgend ein Bekenntniss dieser Art von den
Aposteln stammt und dass die von Aposteln gegründeten Ge-
meinden deren Lehre stets unverändert bewahrt haben; ver-
tauscht ist das Bekenntniss selbst mit seiner Explikation.
Endlich ist der Schluss von der wesentlichen Übereinstimmung
einer Reihe von Gemeinden (Bischöfen) in der Lehre auf die
Existenz einer fides catholica, sofern diese ein festes Lehr-
gesetz sein soll, ungerechtfertigt. Das Verfahren be-
gründet den katholischen Traditionsbeweis und seine
fundamentale Bedeutung bis heute: die Amphibolie, einer-
seits das Bekenntniss für ein geschlossenes und deutliches
auszugeben, andererseits es so elastisch zu halten, dass man
die Ablehnung jeder unbequemen Meinung ihm entnehmen
64 Grundlegung des Dogmas. [§ 16.
kann, ist bis heute för den Katholicismns charakteristiscli.
Ebenso charakteristisch ist, dass man das Christentum mit
einer Glaubenslehre identifizirt, die die meisten Laien nicht
verstehen können. Diese werden also herabgedrückt und auf
die Autorität verwiesen.
Tertullian, mit Rom und mit den Schriften des Irenäus
bekannt, hat die Methode weiter ausgebildet. Fand schon
Irenäus die wichtigsten gnostischen Lehren durch das Tauf-
bekenntniss widerlegt, während doch nur der kirchliche common
sense wider sie sprach, so hat TertulL, das Bekenntniss noch
strenger als Autorität für den Glauben fassend, in der regula
bereits die Schöpfung des Universums aus Nichts, die Schöpfungs-
mittlerschaft des Logos, den Ursprung desselben vor allen Krea-
turen, eine bestimmte Theorie über die Menschwerdung, die
Predigt einer nova lex imd einer nova promissio, schliesslich
auch schon die trinitarische Ökonomie und die richtige Lehre
von den Naturen Christi gefunden (de praescr. 13; de virg. 1 ;
adv. Prax. 2 etc.; überall lautet hier die regula [regula fidei,
regula traditionis, xavhv trig 7tv0re(Dg^ r^g 7taQad66ac3g\ im Ein-
zelnen verschieden, Prax. 2 lautet sie also: „ Unicum quidem deum
credimuSy sub hac tarnen dispensatione quam oiKOvo(iiav dicimus
ut unici dei sit et ßius sermo ipsius, qui ex ipso processcrit, per
quem omnia facta sunt et sine quo factum est nihil, hunc missum
a patre in virginem et ex ea natum, hominem et deum, filium
hominis et filium dei et cognominatum lesnm Christum, hunc
passuntj hunc mortimm et sepultum secundum scripturas et resu-
scitatum a patre et in caelo resumptum sedere ad dexteram patris,
venturum iudicare vivos et mortuos; qui exinde miserit secundum
promissionem suam a patre spiritum s, paracletum sanctificatorem
fidei eorum qui credunt in patrem et filium et spiritum sanctum.
Hanc regnlam ab initio evangelii decucurrisse^^). Seine „regula"
ist eine apostolische lex et doctrina, unverbrüchlich für jeden
Christen: Die Zustimmung zu dieser lex entscheidet
über den christlichen Charakter des Einzelnen. Die
christliche Gesinnung und das christliche Leben ist dann
ein Zweites, welches besonderen Bedingungen unterliegt (damit
ist das Wesen der Religion gespalten — die verhängnissvollste
Wendung in der Geschichte des Christentums!).
AUein erst im Laufe des 3. Jahrh. hat sich dieser katho-
lische Massstab in der Kirche verbreitet. Clemens Alex.
§ 17.] Die apostolischen Normen. Das Nene Testament. 65
kennt ihn noch nicht (ihm ist der xavhv rrjg ixxXrjöiag die
antignostische Interpretg-tion der h. Schrift)^ dagegen ist ihm
Origenes sehr nahe gekommen (s. de princip. praef.), d. h;
im Anfang des 3. Jährh. ist die alexandrinisehe Kirche der
romischen gefolgt mid allmählich „katholisch" geworden. Noch
später folgten die syrischen Kirchen, wie die Grmidschrift der
Apost. Konstitutionen beweist, die die „apostolische Glaubens-
regel" im Sinn des Occidents nicht kennt. Erst am Ende
des 3. Jahrhimderts wurde die katholische Kirche auf Grund
der gemeinsamen apostolischen lex eine Wirklichkeit und
schied sich scharf von den häretischen Parteien; ja abgelege*
nere Gemeinden mögen erst durch das Nicänum zu einer
„apostolischen Glaubenslehre" gekommen sein. Aber auch da«
Nicänum ist nicht mit einem Schlag rezipift worden.
§ 17. B. Die Prädizirnng einer Auswahl kirchlicher Lese-
schriften als Schriften des N. T. resp. als Sammlung der
apostolischen Schriften.
S. clie Einleitungen in d. N. T. von EEbuss, HHoltzhann, B Weiss.
Bazn TbZahn, Gesch. des NTlichen Kanons, 2 Bde. 1888 ff. -^ AHa.knacs,
Das N. T. um d. J. 200. 1889.
Neben dem Gesetz und den Propheten (tä ßvßUa) war in
den Gemeinden das Hermwort oder kurzweg „6 tivqioq^^ un-
discutirbare Instanz. Die Worte und Thaten des Herrn -(„das
Evangelium") waren verzeichnet in mehreren unter sich ver-
wandten und vielfach rezensirten Schriften, die man ,,Herm-
schrifben", ferner — jedoch erst seit der Mitte des 2. JahrL —
^hvayyiXiaf^ und ,yajtO(ivrjfLOvsviiaTa t&v &7toöt6kcov^^ nannte und
die mindestens seit c. 140 öflFentlich verlesen wurden (Justin).
Die letztgenannte Bezeichnung drückt das Urteil aus, dass AUes,
was vom Herrn berichtet wird, direkt oder indirekt auf die
Apostel zurückgeht. Aus der Zahl dieser evangelischen Schriften
ragten schon vor der Mitte des 2. Jahrhunderts in einigen Haupt-
kirchen (vor Allem in Kleinasien, Rom und in den von ihnen
abhängigen Gemeinden; in Alexandrien auch mindestens seit
der 2. Hälfte des 2. Jahrh.) vier hervor — unsere jetzigen
Evangelien — , die z. B. schon bald nach 160 von Tatian zu
einem einzigen Evangelium (Diatessaron) verarbeitet worden
sind. (Ein Vergleich des Lucasev. mit dem Marcion's lehrt,
Gmndriss IV. in. Habnaoe, Dogmengeschiclite. 2. Aufl. 5
66 Grundlegung des Dogmas. [§ 17.
dass es nach c. 140 nur unbedeutende redaktionelle Ände-
rungen erfahren hat. Das Marcusev. empfing im 2. Jahrh.
einen ausführlichen Schluss, das Matth.ev., wenn nicht Alles
trügt, eine Schlussredaktion. Das Joh.ev. ist vielleicht von
Anfang an mit seinem Anhang publizirt worden.) Neben
diesen Schriften wurden Briefe des Apostels Paulus, die frühe
gesammelt worden sind, in den Gemeinden, resp. von ihren
Leitern gelesen, wie die Briefe des Clemens, Bamabas, Igna-
tius und namentlich des Polykarp bezeugen. Während aber
die Evangelien eine direkte Beziehung zum Kerygma und
eine Stellung im Traditionsbeweis besassen (Ignatius, Justin),
fehlte eine solche den Paulusbriefen vollständig. Endlich ver-
ehrte man alle schriftlich fixirten Kundgebungen von „Geistes-
trägem" (:7rv£vfiaro9?<$pot) als inspirirte heilige Schriften, mochten
es nun jüdische Apokalypsen sein mit hochklingendem Namen
oder Schriften christlicher Propheten und Lehrer. Die yQaqyil
war zunächst das A. T., aber mit „6 xvQLog kaysi'^ (yiyQaicxai,
oder einfach kiyei) wurden auch apokalyptische Verse be-
zeichnet. Gleichwertig aber andersartig war die Instanz: 6
x:vQLog ksysL iv r& BvayyekCfp (Erfüllung der Weissagung —
Sittenregeln). In Worten des Apostels Paulus sprachen viele
Lehrer gerne, ohne ihnen das gleiche Ansehen wie der Schrift
und dem Hermwort zu geben (sind die Paulusbriefe vor c. 180
öffentlich in den Gemeinden verlesen worden?).
Marcion, der das A. T. und den Weissagungsbeweis ver-
warf, hat eine neue Schriftensammlung mit kanonischem An-
sehen (Lucasev., 10 Paulusbriefe) aufgestellt. Wahrscheinlich
gleichzeitig oder etwas später thaten gnostische Schulhäupter
dasselbe unter Anlehnung an das in den Gemeinden Ver-
breitetste, aber auch Neues einmischend (Valentin, Tatian,
Enkratiten). Überall traten hier die Briefe des Paulus in
den Vordergrund; denn sie waren theologisch, soteriologisch
und konnten dualistisch verstanden werden. Die neuen, kritisch
zurechtgemachten Sammlungen, die die Gnostiker dem A. T.
entgegensetzten, wurden mit derselben Autorität ausgestattet,
die das A. T. in der Grosskirche besass, und dem entsprechend
allegorisch erklärt (daneben doch Geheimtradition und -Schriften).
Die Leiter der Gemeinden reichten demgegenüber mit
einer Berufung auf die yQa(pri und den KVQiog nicht aus. Es
musste 1) bestimmt werden, welche Evangelienschriften (und
§ 17.] Die apostolischen Normen. Dais Neiie Testament. 67
in welcher Rezension) überhaupt in Betracht kommen; es
mnsste 2) den Häretikern alles das entzogen und als katiio-
lisches Eigentum in Anspruch genommen werden, was man
nicht als jung und falsch diskreditiren konnte; es musste
3) eine solche Sammlung von Schriften hergestellt werden,
die den Traditionsbeweis nicht störte, sondern durch ihre
Qualitäten zu verstärken geeignet war. Zunächst beschränkte
man sich darauf, die vier Evangelien als die einzig authen-
tischen apostolischen Herrnschriften zu bezeichnen. Sie
standen in der Geltung dem A. T. schon so nahe, dass der
imgeheure Schritt, ihren Buchstaben heilig zu sprechen, schwer-
lich als eine Neuerung empfunden wurde, war zudem doch
von Anfang an das heilig, was der Herr gesagt hatte. Bei
dieser Fixirung verharrten viele Kirchen bis tief in das 3. Jahr-
hundert hinein; so z. B. die Grundschrift der App. Gonstit.;
einige orientalische brauchten sogar fort und fort das Dia-
tessaron. Nicht eine zweite neue Sammlung wurde beliebt,
sondern die vier Evangelien traten zu den ßißUa hinzu (6
%vQiog diä 7tQ0(prjtG)v — 6 xvQLog iv r& BiayysXCco)'^ daneben
standen die Erzeugnisse pneumatischer Schriftstellerei, in-
dessen mit stets sich mindernder Dignität (montanistischer
Kampf).
Aber dort, wo der Kampf gegen die Häresie am heftigsten
geführt und die Konsolidirung der Gemeinden auf festen Ge-
setzen am zielbewusstesten betrieben wurde — in (Kleinasien
und) Rom, hat man den gnostischen neuen Sammlungen, an
die Sammlungen und den Gebrauch heiliger Schriften sich
anlehnend, aber ihn sichtend und das Massgebende und
Sichere nach strengen Grundsätzen ausscheidend, eine
katholisch-apostolische neue Sammlung entgegengestellt,
mehr zur Verteidigung als zum AngriflF. Man fügte die Paulus-
briefe den vier Evangelien hinzu (nicht ohne Skrupel Ge-
legenheitsschriflen in göttliche Orakel verwandelnd, ja diese
Wandelung vor sich selber verdeckend) und zog sie dadurch
in den Traditionsbeweis hinein, dass man sie durch das Me-
dium eines nun erst in die Sammlung rezipirten Buches, der
Apostelgeschichte, dem angeblichen Kerygma der Zwölfapostel
beigesellte, resp. unterordnete. Der von den Zwölfaposteln in
der Apostelgeschichte legitimirte und in den Pastoralbriefen
ziemlich unkenntliche Paulus wurde so zum Zeugen der Si-
68 Grundlegung des Dogmas. [§ 17.
dax"^ KVQiov Stä tmv cß' &jco6x6k(av (im katliolisclieji Sinn)^
d. h. man hatte nun Pflicht und Recht^ ihn nach der Apostel-
geschichte zu verstehen, die freilich selbst nur faute de mieux
in die Sammlung gekommen ist (sie vertritt im Kanon die
Stelle einer Schrift^ in der die Missionsgeschichte und die
Lehre aller zwölf Apostel enthalten sein sollte — aber solch
eine Schrift besass man eben nicht) und eine Tradition decken
musstC; die auch über ihren Buchstaben weit hinausging.
Die zwei- resp. dreigliederige neue apostolische Sammlung
(Evangelium, Ap.-Gesch., Paulusbriefe), nun als das Neue
Testament dem Alten (Gesetz und Propheten) zu- und bald
übergeordnet, schon von Irenäus und Tertullian in Wirksam-
keit gesetzt (doch scheinen nur im Gebrauch, nicht in der
Theorie Evangelien imd Paulusbriefe gleichwertig gewesen zu
sein; auch findet sich bei Irenäus der Name N. T. noch nicht,
und die Sache selbst ist bei ihm noch im Werden, s. J Werner
i. Texten u. Unters, z. altchristl. Litt.-Gesch. VI, 2), hat sich
vom Occident aus allmählich in den Kirchen verbreitet und
hat, einmal geschaffen, kaum Erschütterungen erfahren. Dar
gegen hat ein vierter und fünfter Bestandteil eigentlich nie-
mals eine geschlossene feste Form gewinnen können. Erstlich
nämlich suchte man die Apostelgeschichte durch Schriften von
Zwölfaposteln zu verstärken. Es war natürlich, dass man
solche Schriften zu haben wünschte, und andererseits gab es
angesehene Schriften von christlichen Propheten und Lehrern,
die sich zur Aufiiahme anboten (nicht umgangen werden
konnten), aber keine apostolische Autorität (im strengen Sinn)
besassen. So entstand die Gruppe der katholischen Briefe.
Ihren Kern bildeten ursprünglich wahrscheinlich der 1. und
2. Johannesbrief und der Brief des Judas (s. das Muratorische
Fragment). Angegliedert wurden der 3. Johannesbrief (der
mit 1 u. 2 denselben Verf. hat), ein mit den paulinischen
Briefen verwandtes, altes Schreiben, das jetzt erst den Namen
des Petrus empfing (das wird freilich sehr bestritten), und
eine kömige Sammlung prophetischer Manifeste und Mah-
nungen unter dem Namen des Jakobus. Die übrigen Schriften
unter dem Namen des Petrus (Evangelium, Acta, Kerygma,
Apokalypse) sind schliesslich ebenso abgelehnt worden wie
eine umfangreiche Schrift: Acta Pauli. Dagegen ist im Aa-
fang des 3. Jahrh. ein 2. Petrusbrief, ' zunächst in Alexandrien,
§ 17.] Die apostolischen Normen. Das Neue Testament. 69
in die Gruppe aufgenommen worden. Nicht einmal in Alexan-
drien gelang es anderen Schriften ( Clemensbrief ^ Barnabas-
brief , Hermas u. s. w.) sich einen dauernden Platz im Kanon
zu erobern. Diese Gruppe katholischer Briefe^ zwei Briefe
abgerechnet^ hat bis ins 4. Jahrh. und weiter weder in ihrem
Umfang noch in ihrer Dignität Festigkeit erlangen können^
ohne doch dabei — erstaunlich genug — das Ansehen der
ganzen Sammlung wirklich zu gefährden. Zweitens boten sich
für die neue Sammlung die Apokalypsen an. Allein schon
war die Zeit über die Stimmung^ aus der sie stammten^ hin-
weggeschritten ^ ja bekämpfte sie^ imd die Natur der neuen
Sammlimg verlangte Apostolisches, nicht Prophetisches, welch
letzteres sie vielmehr ausschloss. So konnten nur die Petrus-
und Johannesapokalyse in Betracht kommen. Die erstere fiel
rasch dahin aus uns verborgenen Gründen, die letztere ist oi^
öiä xvQÖg schliesslich für die neue Sammlung gerettet worden.
Ein geschlossenes N. T. hat es im 3. Jahrh in der Kirche
nicht überall, vielleicht nirgends gegeben; aber wo eine zweite
Sammlung vorhanden war, da brauchte man sie wesentlich
wie das A. T. und zeigte keine Bedenken. Auch die unfertige
Sammlung leistete ad hoc alles das, was, wie man denken
müsste, nur die fertige hätte leisten können. Zu einer Beligion
des Buches ist aber der Eatholicismus nie geworden. Die
Herrnworte blieben die Richtschnur für die Gestaltung des
Lebens, und die Lehrentwickelung hat allezeit ihren eigenen
Weg verfolgt, der von dem N. T. nur sekundär beeinflusst
worden ist.
Folgen: 1) Das N. T. — die durch Ausscheidung her-
gestellte „apostolische" Schriftensammlung — hat in sich den
wertvollsten Teil der Drlitteratur vor dem Untergang ge-
schützt; aber es hat alles Übrige aus dieser Litteratur als
Anmassungen oder Fälschungen oder als Überflüssiges dem
Untergang preisgegeben; 2) das N. T. hat der Abfassung in-
spirirter Schriften ein Ende gemacht, aber eine kirchlich-
profane Litteratur erst ermöglicht, ihr zugleich feste Schranken
setzend; 3) das N. T. hat den historischen Sinn und den ge-
schichtlichen Ursprung der in ihm enthaltenen Schriften ver-
dunkelt, aber es hat zugleich die Bedingungen geschaffen für
ein eingehendes Studium derselben und für ihre Wirksamkeit
in der Earche; 4) das N. T. hat der enthusiastischen Pro-
70 Grundlegung des Dogma». [§ 18.
duktion von ^^Thatsaohen^^ einexL Damm entgegengesetzt; aber
es hat durch die Forderung, die in ihm enthaltenen Schriften
in allen Sätzen für einstimmig, deutlich, sufficient und pneu-
matisch zu halten, die gelehrte, theologische Produktion neuer
Thatsachen und Begrififsmythologien zur notwendigen Folge
gehabt; 5) das N. T. hat eine OflFenbarungszeit abgegrenzt^
die apostolische Zeit und die Apostel auf eine unerreichbare
Höhe gestellt und damit der Herabsetzung der christlichen
Ideale und Forderungen Vorschub geleistet, aber es hat zu-
gleich die Kenntniss derselben in Kraft erhalten und ist zum
Stachel der Gewissen geworden; 6) das N. T. hat das bean-
standete kanonische Ansehen des A. T. wirksam geschützt;
aber es hat zugleich den Anstoss geboten, die christliche
Offenbarung der ATlichen überzuordnen und über die spe-
zifische Bedeutung jener nachzusinnen; 7) das N. T. hat die
verhängnissvolle Identifizirung von Hermwort und apostolischer
Tradition (Apostellehre) befördert; aber es hat durch die Auf-
nahme der Paulusbriefe den höchsten Ausdruck des Erlösungs-
bewusstseins als Richtschnur aufgestellt und durch die Kano-
nisirung des Paulinismus ein segensreiches Ferment in die
Kirchengeschichte eingeführt; 8) durch den Anspruch der
katholischen Kirche, dass ihr allein beide Testamente gehören,
hat sie allen anderen christlichen Gemeinschaften den Rechts-
titel genommen; aber indem sie das N. T. zur Norm erhob,
hat sie die Rüstkammer geschaffen, der in der Folgezeit die
schärfsten Waffen gegen sie selbst entnommen worden sind.
— Wiegt man die Vorteile und Nachteile der Schöpfung des
N. T.'s vergleichend ab, so sind die Vorteile bei Weitem,
grösser, ja es lässt sich nicht absehen, was aus dem Evan-
gelium ohne das N. T. geworden wäre. Aber man kann neben
dem N. T. die analogia fidei nicht missen, sonst droht der
Glaube sich am N. T. zu zersplittern und seine einheitliche
Kraft zu verlieren.
§ 18. C. Die ümprä^nng des bischSflichen Amts in der
Kirche zu dem apostolischen Amt. Die Geschichte der Um-
bildung des Begriffs der Kirche*
S. RSoHM, Kirchenrecht Bd. I 1892. — EHatch, Die Gesellschafts-
verfassung d. christl. KK. im Altertum, deutsch v. AHabnack 1883. —
AHabnack, Die Lehre der 12 Apostel. 1884. S. 88 f.
§: 18;] Die apostoUschen Normen. Der Episkopat. 71
Der Nachweis, dass die Apostel eine Glaubensregel auf-
gestellt haben, genügte nicht; manmusste zeigen^ dass die Kirche
sie treu bewahrt habe und in sich selber eine lebendige In-
stanz besitze, die gegebenen Falls alle Streitigkeiten entscheide.
Ursprünglich verwies man auf die von den Aposteln gestifteten
Gemeinden, in den^n die wahre Lehre zu erfahren sei, und auf
den Zusammenhang mit den Apostelschülern und „Altan^^
Allein, dieser Hinweis bot keine, absolute Sicherheit; daher
haben ihn Irenäus und Tertullian, durch die imponirende'Ent
Wickelung des Episkopats namentlich in Rom bestimmt und
das alte Ansehen der Apostel, Propheten und Lehrer auf die
Bischöfe übertragend, so gefasst, dass der „ordo episcoporum
per successionem ab initio decurrens^^ die Unversehrtheit des
apostolischen Erbes garantire. Bei Beiden schillert diese
These noch zwischen einer historischen (die Gemeinden sind
die von den Aposteln gestifteten; die Bischöfe sind Schüler
der Apostelschüler) imd einer dogmatischen. Doch tritt schon
bei Irenäus die letztere klar hervor: y,episcopi cum episcopahis
successione certum veritatis charisma accepernnif^ (an dem auf
apostolischer Succession beruhenden Amt der Bischöfe
haftet das Charisma der Wahrheit). Die These ist nur ein
dogmatischer Ausdruck für die hohe Stellung, die der Episkopat
bereits faktisch erworben hatte; sie sollte übrigens ursprünglich
Apostel und Bischöfe keineswegs vollkommen identifiziren,
blieb auch in ihrer Anwendung auf den einzelnen Bischof
unsicher und Hess noch Raum für die alte Gleichung: Spiritus^
ecclesia, fideles. Allein Oalixt von Rom (s. Tbrtüll., de pudic. ;
HiPPOL., Philos. IX) hat das volle apostolische Ansehen und
die apostolischen Kompetenzen für sich in Anspruch genommen,
während Tertullian dem Bischof nur den locus magisterii,
dagegen nicht ohne Weiteres den Besitz des h. Geistes (zur
Sündenvergebung) vindizirte. Im Orient und in Alexandrien
ißt der apostolische Charakter der Bischöfe erst sehr spät
zur Anerkennung gekommen. Wie Ignatius nichts von ihm
weiss (der Bischof ist nach ihm der Stellvertreter Gottes in
seiner Einzelgpmöinde), so auch nicht Clemens Alex., ja noch
die Grundschrift der apost. Constit. schweigt. Doch begann
er sich zur Zeit des Origenes in Alexandrien einzubürgern. .
Der KirchenbegriflF wurde durch diese Entwickelung schwer
betroffen. Ursprünglich war die Kirche die himmlische Ge-
72 Grundlegung des Dogmas. [§ IS.
nossin Christi; die Stätte des h. Geistes, und ihre ChristKchkeit
ruhte auf dem Besitz des Geistes, dem Glauben an Gott, der
Hoffnung und der Disziplin des Lebens: wer zur Kirche ge-
hörte, war seiner Seligkeit gewiss (heilige Kirche), und jede
Einzelgemeinde galt als irdische Projektion der einen heiligen
Kirche. Dann wurde die Kirche zur sichtbaren Anstalt des-
selben Glaubensbekenntnisses {jyfides in regtda posita est^
habet legem et salutem de observatione legis'^ Tertüll.); sie
ist die Hinterlassenschaft der Apostel, und ihre Christlichkeii
ruht auf dem Besitz der wahren apostolischen Lehre (katho-
lische Kirche im Sinne der Oekumenicität und der Lehr-
reinheit; der Ausdruck in diesem Sinn seit dem Ende des
2. Jahrb.). Man muss Glied dieser empirischen einen apo-
stolischen Kirche sein, um des Heils teilhaftig zu werden, weil
nur hier das seligmachende Bekenntniss gegeben ist. Die
Kirche hört auf, sichere Geraeinschaft des Heils und der
Heiligen zu sein, und wird Bedingung des Heils (s. das folg.
Kap.). Dieser Kirchenbegriff (Iren., Tertull., Orig.), in dem sich
die Entwickelung der Gemeinden zu der einen geschlossenen
Erche darstellt — gewiss eine schöpferische That des christ-
lichen Geistes — , ist nicht evangelisch, aber auch nicht
hierarchisch; er ist in den katholischen Kirchen nie ganz
untergegangen. Aber er ist fast von Anfang an durch den
hierarchischen Kirchenbegriff beeinflusst worden. Derselbe
ist bei Irenäus und Tertullian nur erst angedeutet (doch hat
ihn der Letztere schliesslich bekämpft und ist in solcher Be-
kämpfung sogar auf den ältesten Kirchenbegriff zurückgegangen:
Spiritus gleich ecclesia, allgemeines Priestertum); ausgebildet
worden ist er durch Calixt und andere römische Priester,
namentlich aber durch Cyprian, während die Alexandriner den
ältesten Kirchenbegrifif mit einem mystisch-philosophischen
verbunden haben, und Origenes bei aller Hochachtung vor
der empirischen Kirche ihre nur relative Bedeutung nie aus
den Augen verloren hat.
Calixt und Cyprian haben aus den faktischen Verhält-
nissen und aus den Nötigungen, welche sie auferlegten, den
hierarchischen Kirchenbegriff gebildet; dieser hat die Theorie
zu den Massnahmen jenes geliefert, ist aber an einem Punkt
hinter der Legitimirung der Weltlichkeit der Kirche zurück-
geblieben, wie sie Calixt entschlossen vollzogen hatte (s. das
§ 18.] Die apostolischen Normen. Die Kirche. 73
folg. Kap.). Die Krisen waren im 3. Jahrhundert so gross, dass
es — von abgelegenen Gemeinden abgesehen — nirgends mehr
genügte, den katholischen Glauben zu bewahren; man musste
den Bischöfen gehorchen, um das Kirchenwesen gegen
oflFenkundiges Heidentum (im Leben), Häresie und Enthusias-
mus (die urchristlichen Erinnerungen) zu schützen. Die Idee
der einen, bischöflich verfassten Kirche wurde die oberste und
schob die Bedeutung der Glaubenslehre als des Einheitsbandes
zurück: die auf den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel,
den Stellvertretern Gottes, ruhende Kirche ist um dieses ihres
Fundamentes willen selbst die apostolische Hinterlassenschaft.
Nach Cyprian (s. seine Briefe und die Schrift „de unitate
ecclesiae'O ist die Kirche die Heilsanstalt (^„extra quam nulla
5a?««s") als einheitlich organisirte Konföderation. Sie
ruht ganz und gar auf dem Episkopat, der als Portsetzung
des Apostolats, ausgerüstet mit den Gewalten der Apostel, sie
trägt. Die Verbindung des Einzelnen mit Gott und Christus
ist deshalb nur in der Form der Unterordnung unter den
Bischof denkbar. Es stellt sich aber das Attribut der Einheit
der Kirche (welches gleichbedeutend ist mit dem der Wahr-
heit, weil die Einheit nur durch die Liebe zu Stande kommt)
primär in der Einheit des Episkopats dar. Dieser ist von
seinem Ursprung her ein einheitlicher und ist einheitlich ge-
blieben, sofern die Bischöfe von Gott eingesetzt werden und
in brüderlichem Austausch stehen. Also kommen die einzelnen
Bischöfe nicht nur als Leiter ihrer besonderen Gemeinden,
sondern als die Fundamente der einen Kirche in Betracht
(„ecdesia in episcopo est^'). Daraus folgt weiter, dass den
Bischöfen von Apostelkirchen eine besondere Dignität nicht mehr
zukommt (alle Bischöfe, da sie Teilhaber eines Amts siud,
sind gleich). Indessen besitzt der römische Stuhl deshalb eine
besondere Bedeutung, weil er der Stuhl des Apostels ist, dem
Christus die apostolischen Gewalten zuerst erteilt hat, um so
die Einheit dieser Gewalten und der Kirche deutlich zu zeigen,
femer auch deshalb, weil geschichtlich die Kirche dieses
Stuhls die Wurzel und Mutter der einen katholischen Kirche
geworden ist. In einer schweren karthag. Krisis hat sich
Cyprian auf Rom so berufen, als sei die Gemeinschafk mit
dieser Kirche (ihrem Bischof) an sich die Gewähr der Wahr-
heit; allein später hat er, unterstützt von vielen afrikanischen
74 Grundlegung des Dogmas. [§ 19.
Bischöfen und von Firmilian Cappad., die Ansprüche auf be-
sondere Rechte seitens des römischen Bischofs in Bezug auf
andere Kirchen bestimmt in Abrede gestellt (Streit mit Ste-
phanus). Endlich, obgleich er die Einheit der Verfassung der
Kirche der Einheit der Glaubenslehre übergeordnet hat, ist
das Moment der Christlichkeit insofern von ihm gewahrt
worden, als er überall ein christliches Verhalten von den
Bischöfen verlangte, widrigenfalls sie ipso facto ihr Amt ver-
lören. Also kennt Cyprian noch keinen character indelebilis
der Bischöfe, während ihnen Calixt und andere römische
Bischöfe einen solchen vindizirt haben. Eine Folge seiner
Theorie war es, dass er Häretiker und Schismatiker streng
identifizirte, worin ihm übrigens die Kirche zunächst nicht
gefolgt ist. — Die grosse eine bischöfliche Kirche, die er
voraussetzte, war eine Fiktion: eine solche einheitliche Kon-
föderation gab es doch im Grunde nicht; selbst Konstantin
hat sie nicht vollständig verwirklichen können.
Drittes Kapitel.
Fortsetzung: Das alte Christentum und die neue Kirche.
Hauptquellen sind die Schriften Tertullian^s, das 5. Buch der bist,
eccl. des Eusebius und einige Angaben bei Hippel jt, Origenes (Kommen-
tare), Didymus und Hieronymus. Für die novatianische Krisis vgl. den
Briefwechsel Cyprian's u. Euseb., h. e. VI fin. — NBonwetsch, Gesch. d.
Montanismus 1881. — Artikel „Lapsi" u. „Novatian** in RE*. — GESteitz,
Das röm. Busssakrament 1854. — OBitschl, Cyprian v. Karthago 1885.
§ 19. Der Montanismns und seine allgemeine Einwirkung
auf die Kirche.
1. Die Herabsetzung der Ansprüche an das sittliche Leben,
das Verblassen der urchristlichen Hofifhungen, die rechtlichen und
politischen Formen, durch die sich die Gemeinden gegenüber der
Welt und der Häresie sicher stellten, riefen bald nach der Mitte
des 2. Jahrh., zuerst in Eleinasien, dann auch in anderen Gebieten
der Christenheit, eine Reaktion hervor, die die alten Stim-
mungen und Zustände zu bewahren, resp. wiederherzustellen
und die Christenheit vor Verweltlichung zu schützen suchte.
Ergebniss dieser Krisis, der sog. montanistischen und der ihr
verwandten, war, dass sich die Kirche nur um so strenger
als eine ßechtsgemeinschaft fasste, die ihre Wahrheit an ihren.
^ 19.] Das alte Christentam und die neue Kirche. 75
historischen und objektiven Grundlagen habe, dass sie dem-
gemäss dem Attribut der Heiligkeit eine neue Deutung gab,
dass sie einen doppelten Stand, einen geistlichen und welt-
lichen, und eine doppelte Sittlichkeit in ihrer Mitte ausdrück-
Hch legitimirte, und dass sie ihren Charakter als Gemeinschaft
des sicheren Heils mit dem anderen, unumgängliche Bedingung
für den Heilsempfang und Erziehungsanstalt zu sein, vertauschte.
Die Montanisten mussten ausscheiden (gute Dienste hat dabei
schon das N. T. gethan), ebenso alle Christen, die die Wahr-
heit der Kirche von einer strengeren Handhabung der Sitten-
zucht abhängig machten (Novatianer). Die Folge war, dass
am Ende des 3. Jahrhunderts zwei grosse Kirchengemeinschaften
den Anspruch erhoben, die wahre katholische Kirche zu sein,
nämlich die von Konstantin zur Reichskirche erhobene Kon-
föderation und die mit den Resten des Montanismus ver-
schmolzene novatianische Kirche. Die Anfänge des grossen
Schismas gehen in Rom bis auf die Zeit des Hippolyt imd
Calixt zurück; das ältere montanistische Schisma entwickelte
sich, von Kleinasien ausgehend, in den Provinzen zwischen
180 und 210.
2. Die montanistische Reaktion hat eine grosse Entwicke-
lung durchgemacht. Ursprünglich war sie das gewaltsame
Unternehmen eines christlichen Propheten (Montanus), der,
durch Prophetinnen imterstützt, die verheissungsvoUen Aus-
blicke des 4. Evangeliums in der Christenheit zu verwirklichen
den Beruf fühlte. Er deutete sie nach der Apokalypse, und
verkündete, dass in ihm selber der Paraklet erschienen sei,
in dem Christus, ja sogar der allmächtige Gott, zu den Seinen
komme, um sie in alle Wahrheit zu leiten und die Zerstreuten
zu einer Heerde zusammenzuführen. Demgemäss war es
Montanus' höchstes Bestreben, die Christen aus den bürger-
hchen Verhältnissen und den Gemeindeverbänden herauszu-
führen (ähnliche, freilich vorübergehende Bewegungen kennen
wir jetzt aus dem Kommentar des Hippolyt zu Daniel) und
ein neues, einheitliches Gemeinwesen zu schaffen, das, von
der Welt abgeschieden, sich auf das Herabfahren des oberen
Jerusalems bereiten sollte. Der Widerstand, den diese exor-
bitante prophetische Botschaft bei den Gemeindeleitern fand,
und die Verfolgungen unter M. Aurel schärften die ohnehin
schon lebhaften eschatologischen Erwartimgen und steigerten
76 Gmndlegimg des Dogmas. [§ 19.
die Martyriumsucht. Was die Bewegung aber an Eigentüm-
lichkeit einbüsste, sofern die Verwirklichung des Ideals einer
Sammlung aller Christen sich nicht oder doch nur auf kurze
Zeit und in engen Grenzen durchführen liess (resp. von den
Montanisten selbst bald fallen gelassen wurde), das gewann
sie seit c. 180 reichlich wieder, sofern die Kunde von ihr
fortschreitend den ernster Gesinnten Kraft und Mut verlieh^
der stets zunehmenden Verweltlichung der Kirche Widerstand
zu leisten. In Asien xmd Phrygien erkannten viele Gemeinden
in corpore die göttliche Sendung der Propheten an; in anderen
Provinzen bildeten sich Konventikel, in denen die kolportirten
Weissagungen der Propheten wie ein Evangelium betrachtet^
zugleich aber auch abgestumpft wurden (Sympathien der Kon-
fessoren in Lyon. Der römische Bischof ist nahe daran, die
neue Prophetie anzuerkennen). In den montanistischen Ge-
meinden (c. 190) handelte es sich aber nicht mehr um eine
neue Organisation im strengen Sinn des Worts mid um eine
radikale Neubildung der christlichen Gesellschaft, vielmehr,
wo die Bewegung für uns in ein helles Licht tritt, ist sie
bereits gedämpft, wenn auch sehr wirksam. Die Urheber
hatten ihrem Enthusiasmus keine Schranken gesetzt; auch
waren noch keine festen Schranken für anspruchsvolle Pro-
pheten vorhanden: Gott und Christus waren in ihnen erschienen;
die Prisca sah Christus leibhaftig in weiblicher Gestalt; diese
Propheten gaben die exzessivsten Verheissungen und sprachen
in einem höheren Ton als irgend ein Apostel; sie stiessen
sogar apostolische Anordnungen um; sie stellten, unbekümmert
um jegliche Tradition, neue Gebote für das christliche Leben
auf; sie schalten auf die grosse Christenheit; sie hielten sich
für die letzten und deshalb höchsten Propheten, die Träger
der SchlussoflFenbarung Gottes. Aber nachdem sie vom Schau-
platz abgetreten, suchten ihre Anhänger einen Ausgleich mit
dem vulgär Christlichen. Sie erkannten die grosse Kirche an
und begehrten ihrerseits Anerkennung. Sie wollten sich an
die apostolische regula und das N. T. binden; sie beanstan-
deten auch die kirchliche Verfassung (die Bischöfe) nicht mehr.
Dafür verlangten sie Anerkennung ihrer Propheten, die sie
nun als Nachfolger älterer Propheten (prophetische Succession)
zu empfehlen suchten; die „neue" Prophetie sei lediglich eine
Nachoffenbarung, welche sich die frühere, wie die Kirche
§ 19.] Das alte Christentum und die neue Kirche. 77
sie ÜLasty yoraussetze; und diese Nachoffenbarung bezöge sich
wesentlich nur — neben der Bestätigung, die sie kirchlichen
Lehren im Gegensatz zu gnostischen gebe — auf die brennenden
Fragen der christlichen Disziplin, die sie im Sinne einer
strengeren Observanz entscheide. Darin lag f&r ihre
Anhanger im Reich die Bedeutung der neuen Prophetie (Schutz
gegen die Verweltlichung der Kirche) und deshalb hatten sie
ihr Glauben geschenkt. In diesem Glauben, dass in Fhrygien
der Paraklet für die ganze Kirche Offenbanmgen gegeben
habe, um eine relativ strengere Lebensordnung zu begründen
(Enthaltung von der 2. Ehe, strengere Fastenordnung, kräftigere
Bezeugung der Christlichkeit im Leben des Tages, volle Mär-
tyrerbereitschaft), schlug sich der ursprüngliche Enthusiasmus
nieder. Aber dieses Phlegma war eine gewaltige Ejraft, da
die grosse Christenheit zwischen 190 und 220 die grössten
Fortschritte in der Säkularisirung des Evangeliums machte.
Der Sieg des Montanismus Mtte eine vollige Änderung im
Besitzstand der Kirche und in der Missionspraxis zur Folge
gehabt: die Gemeinden wären dezimirt worden. Daher halfen
den Montanisten ihre Konzessionen (N. T., apostol. regula,
Episkopat) nichts. Die Bischöfe griffen die Form der neuen
Prophetie als Neuerung an, verdächtigten den Inhalt derselben,
erklärten die alten Zukunftshoffiiungen für sinnlich und fleisch-
lich, die sittlichen Forderungen für übertrieben, ceremonial-
gesetzlich, jüdisch, wider NTliche Stellen verstossend, ja selbst
für heidnisch. Sie hielten den Ansprüchen der Montanisten,
authentische Gottesorakel zu bringen, das neugeschaffene N. T.
entgegen, erklärten, dass alles Massgebende in den x^iussprüchen '
der beiden Testamente enthalten sei, und grenzten so eine
Offenbarungsepoche scharf ab, die nur durch das N. T.,
die apostolische Lehre und das apostolische Amt der Bischöfe
in die Gegenwart hineinrage (in diesem Kampfe erst wurden
die neuen Vorstellungen perfekt, 1) dass das A. T. Propheti-
sches enthalte, das N. T. nicht Prophetisches, sondern Aposto-
lisches, 2) dass das Apostolische von keinem Christen der
Gegenwart erreicht werden könne). Sie begazmen endlich
zwischen der Sittlichkeit des Klerus und der der Laien zu
unterscheiden (so in der Frage der Einehe). Durch dies Alles
diskreditirten sie das, was einst der ganzen Christenheit teuer
gewesen, was sie nun aber nicht mehr brauchen konnte. In-
78 Grundiegtmg des Dogmas. [§ Id.
dem sie den augebliclien Missbraucli ablehnten, setzten sie die
Sache selbst mehr imd mehr ausser Kraft (Chiliasmns, Pro-
phetie, Mündigkeit der Laien, strenge Heiligkeit), ohne sie
doch ganz abthun zu können.
Am heftigsten aber trafen die Gegensätze bei der Frage
nach der Sündenvergebung auf einander. Die Montanisten,
sonst die Bischöfe anerkennend, wiesen das Recht auf dieselbe
allein dem h. Geiste (d. h. den Geistesträgern) zu — denn der
Geist hafte nicht an der Amtsübertragimg — und erkannten
kein menschliches Recht der Sündenvergebung an, die viel-
mehr auf (seltenen) Eingriffen göttlichen Erbarmens beruhe^
(y^potest ecclesia [s^nritus] donare delicta, sed non faciam^^).
Sie schieden daher alle Todsünder aus den Gemeinden aus,
ihre Seelen Gott befehlend. Die Bischöfe dagegen mussten
wider das eigene Prinzip, dass allein die Taufe die Sünden
tilge, sich das Recht der Schlüsselgewalt, unter Berufung auf
ihr apostolisches Amt, vindiziren, um den Bestand der immer
unheiligeren Gemeinden gegen die Auflösung zu schützen, die
eine Folge der alten Strenge gewesen wäre. Calixt hat zuerst
das Recht der Bischöfe, Sünden zu vergeben, in vollstem Um-
fang in Anspruch genommen und dieses Recht auch auf Tod-
sünden ausgedehnt. Ihm begegnete nicht nur der Montanist
TertuUian, sondern in Rom selbst ein sonst hochkirchlicher
Gegenbischof (Hippolyt). Die Montanisten mussten ausscheiden
mit ihrer „Teufelsprophetie"; aber sie selbst zogen sich auch
freiwillig aus einer Kirche zurück, die „ungeistlich" (psychisch)
geworden sei. Die Bischöfe behaupteten den Besitzstand der
Kirche auf Kosten ihrer Christlichkeit. An die Stelle der
Christenheit, welche den Geist in ihrer Mitte hat, trat die
Kirchenanstalt, welche das N. T. und das geistliche Amt besitzt.
3. Indessen machte die Durchführung des Anspruches der
Bischöfe auf das Recht der Sündenvergebung (dagegen z. T.
die Gemeinden und die christlichen Heroen, die Konfessoren)
und ihre Anwendung auf Todsünder (dagegen die alte Praxis,
die alte Vorstellung von der Taufe und von der Kirche) die
grössten Schwierigkeiten, obgleich die Bischöfe nicht nur der
alten früheren strengeren Praxis, sondern auch einer weitei^
gehenden Laxheit entgegentraten. Die Anwendung der Sünden-
vergebung auf Ehebrecher hatte das hippolytische Schisma zur
Folge. Nach der decianischen Verfolgung sah man sich aber
§ 19.] Das alte Christentum und die neue Kirche. 79
genötigt, auch die grösste Sünde, den Abfall, für vergebbar
zu erklären, zugleich die alte Konzession, dass noch eine
Hauptsünde nach der Taufe erlassen werden könne (eine aus
dem Hirten begründete Praxis), zu erweitem und alle Rechte
geistlicher Personen (Konfessoren) abzuschaiBFen, d. h. die Sün-
denvergebung an ein regelmässiges, kasuistisches, bischöfliches
Verfahren zu knüpfen (Cornelius v. Rom und Cyprian). Da-
mit erst war der Kirchenbegriff total geändert: die Kirche
muss ihrem Wesen nach Reine und Unreine umfassen (wie
die Arche Noah); ihre Glieder sind nicht sämmtlich Heilige
und keineswegs alle der Seligkeit gewiss. Die Kirche ist
lediglich kraft ihrer Ausstattung heilig (objektiv), die sich
ganz wesentlich neben der reinen Lehre in dem bischöflichen
Amt (Priester und Richter in Gottes Namen) darstellt; sie
ist unumgängliche Heilsanstalt, so dass Niemand ausser ihr
selig wird, auch societas fidei, aber nicht fidelium, vielmehr
Erziehungsschule imd Kultusanstalt für das Heil. Sie besitzt
auch ausser der Taufe ein zweites sündentilgendes Mittel,
wenigstens in der Praxis; die Theorie aber war noch verlegen
und unsicher. Jetzt erst war die Scheidung von Klerus und
Laien vollständig als religiöse vollzogen Qecdesia est nu-
merus episcoporum^^), und römische Bischöfe legten sogar dem
Klerus einen character indelebilis bei (nicht Cyprian). Jetzt
erst begannen aber auch die theologischen Spekulationen über
das Verhältniss der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen zu
der empirischen heiligen Kirche, der temperirten, durch die
Gnadenmittel korrigirten Verweltlichung der Christenheit. Allein
dies Alles konnte sich nicht durchsetzen ohne eine grosse Gegen-
bewegung, die von Rom (Novatian) ausging und bald alle
Provinzialkirchen erfasste. Novatian verlangte nur ein Mini-
mum, die ünvergebbarkeit der Sünde des Abfalls (auf Erden),
sonst sei die Kirche nicht mehr heilig. Aber dieses Minimum
hatte dieselbe Bedeutung wie zwei Menschenalter früher die
weitergehenden montanistischen Forderungen. Es wurde in
ihm ein Rest des alten Kirchenbegriffs lebendig, so seltsam es
war, dass eine Gemeinschaft sich lediglich deshalb für rein
(Katharer) und wahrhaft evangelisch hielt, weil sie die Ab-
gefallenen (später vielleicht auch andere Todsünder) nicht
duldete. Eine zweite katholische, von Spanien bis Kleinasien
sich erstreckende Kirche entstand, der aber ihr archaistisches
80 Grundlegung des Dogmas. [§ 20.
Trümmerstück der alten Disziplin nicht zu einer weltfreieren
Lebensordnnng verhalf, und die sich von der anderen Kirche
nicht wesentlich unterschied, obgleich sie die Gnadenspendungen
dieser für nichtig erklärte (Praxis der Wiedertaufe).
Mit Weisheit, Vorsicht und relativer Strenge haben die
Bischöfe in diesen Krisen die Gemeinden in einen neuen Zu-
stand übergeführt. Wie sie waren, konnten sie nur eine sie
bevormundende Bischofskirche brauchen und lernten sich mit
Kecht als Schüler und Schafe beurteilen. Zugleich hatte die
Kirche nun die Gestalt gewonnen, in der sie eine mächtige
Stütze des Staates sein konnte; denn sie disziplinirte und er-
zog die Massen. Dabei war die Gesellschaft in ihr doch er-
heblich geordneter als sonst im Reiche, und die Schätze des
Evangeliums waren noch immer in ihrer Mitte (Christi Bild,
die Gewissheit des ewigen Lebens, die Uebung der Barmherzig-
keit), wie einst der Monotheismus und die Frömmigkeit der
Psalmisten in der harten und fremden Schale der jüdischen
Kirche lebendig geblieben sind.
§ 20. Umbildung der sakralen Einrichtungen.
1. Das Priestertum. Der Abschluss des altkatholischen
Kirchenbegriffs zeigt sich besonders deutlich in der vollendeten
Entwickelung eines priesterlichen Standes. Hierurgische Priester
finden sich zuerst bei Gnostikem (Marcianem); in der Kirche
sind die Propheten (Didache) und die Gemeindeliturgen (I Cle-
mens) mit den ATlichen Priestern frühe verglichen worden.
Zuerst bei Tertullian (de baptist. 17) heisst der Bischof Priester,
und seit dieser Zeit entwickelte sich bis c. 250 der priesterliche
Charakter der Bischöfe und Presbyter sehr rasch im Orient wie
im Occident, ja so stark war der Einfluss des Heidenturas hier,
dass auch ein ordo priesterlicher Diener (innerhalb der niederen
Weihen) — zuerst im Occident — neben den Diakonen aufkam.
Der vollendete Priesterbegriff tritt uns bei Cyprian, den damaligen
römischen Bischöfen und in der Grundschrift der apostoL
Konstit. entgegen. Die Bischöfe (sekundär auch die Presbyter)
galten als Vertreter der Gemeinde Gott gegenüber (sie allein
dürfen das Opfer, nämlich das Abendmahl, darbringen) und
als Vertreter Gottes der Gemeinde gegenüber (sie allein spenden
oder verweigern die göttliche Gnade als Richter an Gottes
§ 20.] Das Prieatertum. 81
und Christi Statt; sie sind die Mystagogen, welche die als
Weihe dinglicher Art gedachte Gnade verwalten). Für diese
Ethnisirung berief man sich in steigendem Mass auf die AT-
lichen Priester und die gesammte jüdische Kultusordnung.
Thor und Thür wurden hier in Bezug auf die Rechte und
Pflichten der Priester dem Heidentum und Judentum geöfl&iet,
nachdem man die Mahnungen des alternden Tertullian^
zum. allgemeinen Priestertum zurückzukehren, überhört hatte.
Zehnten-, Reinheits-, zuletzt (durch Konstantin) auch Sabbaths-
ordnungen (übertragen auf den Sonntag) stellten sich ein.
2. Das Opfer (JWFHöflino, Die L. d. ältesten K. vom
Opfer 1851). Priestertum und Opfer bedingen sich. Die
Opferidee hatte von Anfang an in der Kirche den weitesten
Spielraum (s. B. I c. 3 Abs. 7); somit musste der neue Priester-
begriff auf den Opferbegriff einwirken, wenn auch die alte
Vorstellung (reines Opfer der Gesinnimg, Lobopfer, das ganze
Leben ein Opfer) daneben bestehen blieb. Die Einwirkung
zeigt sich in zweifacher Hinsicht: 1) innerhalb des christlichen
Opferlebens traten die besonderen Akte des Fastens, der frei-
willigen Ehelosigkeit, des Martyriums u. s. w. immer deut-
licher hervor (s. übrigens schon Hermas) und erhielten eine
meritorische, ja satisfaktorische Bedeutung (s. TertulL);
vollendet erscheint diese Entwickelung bei Cyprian. Ihm ist
es selbstverständlich, dass der Christ, der nicht sündlos bleiben
kann, den erzürnten Gott durch Leistungen (satisfaktorische
Opfer) zu versöhnen habe. Die Leistungen geben, wo beson-
dere Sünden nicht zu tilgen sind, den Anspruch auf einen be-
sonderen Lohn. Neben den Bussexerzitien sind die Almosen
das wichtigste Mittel (Gebet ohne Almosen ist kahl und un-
fruchtbar). Li der Schrift de opere et eleemos. hat Cyprian
eine ausgeführte Theorie, man darf sagen über das Gnaden-
mittel des Almosens gegeben, welches der Mensch sich selbst
bereiten kann und welches Gott acceptirt. Seit der decia-
oischen Verfolgung dringen die opera et eleemosynae in das
Absolutionssystem der Kirche ein und erhalten hier eine feste
Stelle: man kann — durch Gottes Nachsicht — selbst den
Christenstand durch Leistungen wiedergewinnen. Hätte man
sich einfach hiermit begnügt, so wäre der volle Moralismus
eingezogen. Daher war es notwendig, den Begriff der gratia
dei zu erweitern, und sie nicht, wie bisher, lediglich an das
QrimdrisB IV. ui. Habkaok, Dogmeugeschichte. 2. Aufl. 6
82 GrandleguDg des Dogmas. [§ 20.
Taufsakrament zu heffcen. Das ist aber erst von Augustin
geschehen. 2) änderten sich die Vorstellungen vom Opfer im
Kultus. Auch hier ist Cyprian epochemachend. Er hat zu-
erst deutlich das spezifische Opfer, das Abendmahlsopfer, dem
spezifischen Priestertum zugeordnet; er hat zuerst die passio
domini, ja den sanguis Christi und die dominica hostia als
Gegenstand der eucharistischen Darbringung bezeichnet und
damit die Vorstellung der priesterlichen Wiederholung des
Opfers Christi erreicht (Jj jCQOtfipOQä tov öAgtarog Tcal rov aZ-
(larog auch in der apost. Kirchenordnung); er hat die Abend-
mahlsfeier bestimmt unter den Gesichtspunkt der Inkorporation
der Gemeinde und der Einzelnen in Christus gestellt und zu-
erst in deutlicher Weise bezeugt, dass der Kommemoration
der Offerirenden (vivi et defuncti) eine besondere (deprekato-
rische) Bedeutung beigelegt wurde. Die verstärkte Fürbitte
war aber überhaupt der wesentliche EflFekt des Abendmahls-
opfers für die Feiernden; denn auf die Sündenvergebung im
vollen Sinn konnte die Handlung trotz aller Steigerung der
Vorstellung und Bereicherung der Ceremonien nicht bezogen
werden. Daher blieb die Behauptung, dass die Handlung Wieder-
holung des Opfers Christi sei, doch eine blosse Behauptung;
denn gegen die durch die kultische Praxis nahe gelegte Auf-
fassung, dass der Anteil an der Feier entsündige wie die My-
sterien der magna mater und des Mithras, reagirten die kirch-
lichen Grundsätze von der Taufe und Busse. Als Opferhand-
lung ist das Abendmahl niemals zu einer der Taufe ebenbürtigen
Handlung geworden; aber für die populäre Vorstellung musste
das feierliche, den antiken Mysterien nachgebildete Ritual die
höchste Bedeutung erlangen.
3. Gnadenmittel, Taufe und Eucharistie. Was man
seit Augustin Gnadenmittel nannte, hat die Kirche des 2. und
3. Jahrh. nur in der Taufe besessen: der strengen Theorie
nach hat der Getaufte nicht neue von Christus gespendete
Gnadenmittel zu erwarten, sondern er hat das Gesetz Christi
zu erfüllen. Aber in der Praxis besass man von dem Moment
an, wo Todsünder absolvirt wurden (und das geschah auf
Grund von Anweisungen des Geistes in einzelnen Fällen von
Anfang an), in der Absolution ein wirkliches Gnadenmittel,
dessen Bedeutung sich mit der der Taufe deckte. Die Reflexion
auf dieses „Gnadenmittel" blieb aber insofern noch ganz un-
§ 20. J Das Opfer und die Sakramente. 83
sicher, als der Gedanke, dass Gott durcli den Priester die
Sünder absolvire, durch den anderen (s. oben) gekreuzt wurde,
dass vielmehr die Bussleistungen der Sünder die Vergebung
herbeiführen. — Die Vorstellungen von der Taufe änderten
sich nicht wesentlich (JWPHöpling, Sakrament der Taufe.
2. Bde. 1846). Als Erfolg der Taufe wurde allgemein die
Sündenvergebung angesehen (eine moralische Betrachtung trat
indess auch hier ein: die Sünden der Ungetauften sind die
Sünden der Blindheit; also ist es angemessen, dass Gott sie
dem Beuigen abnimmt); als Erfolg der Vergebung galt die
faktische Sündlosigkeit, die man nun zu bewahren hatte.
Häufig wird neben der remissio und der consecutio aeternitatis
die absolutio mortis, regeneratio hominis, restitutio ad si-
militudinem dei, consecutio spiritus sancti genannt (,,lavacrum
regenerationis et sanctificationis^'), dazu noch alle möglichen
Güter. Die stets zunehmende Bereicherung des Rituals ist
z. T. eine Folge der Absicht, jene vorausgesetzten reichen
Wirkungen der Taufe zu symbolisiren; z. T. verdankt sie dem
Bestreben, das grosse Mysterium würdig auszustatten, ihren
Ursprung. Eine Verselbständigung der einzelnen Akte begann
auch schon (Firmelung durch den Bischof, spätestens seit der
Mitte des 3. Jahrh.). Das Wasser galt als Symbol und
VehikeL Gänzlich im Dunklen liegt die Einbürgerung der
Kindertaufe (z. Z. des Tertull. schon verbreitet, aber von ihm
de bapt. 18 gemissbilligt, weil er die cunctatio um des pon-
duß der Hardlurgen willen für angezeigt hielt; von Origenes
auf die Apostel zurückgeführt}. Die Versuche Einiger, die Taufe
zu wiederholen, wurden abgelehnt. — Das Abendmahl galt
nicht nur als Opfer, sondern auch als g<)ttliche Gabe (Mono-
graphien von JDöLLiKGER 1826, KFAKahnis 1851, LJRückert
1 856), deren Wirkungen aber nie streng bestimmt worden sind,
weü das strenge Schema (Taufgnade, Taufverpflichtung) solche
ausschloss. Mitteilung des göttlichen Lebens durch die heil.
Speise war die Hauptvorstellung, verbunden mit ganz super-
stitiösen Phantasien ((pccQ^axov a&avaöiag): Spirituelles und
Physisches flössen ineinander (die Speise als yi/coc^ts^Mitteilung
und 5oi}). Kein Kirchenvater hat hier scharf geschieden: der
realistischste wurde zum Spiritualisten und der Spiritualist
zum Mystagogen; aber die Sündenvergebung trat zurück. Dem
entsprechend gestaltete sich auch die Vorstellung von dem
6*
84 Chnndlegtuig des Dogmas. [§ 20.
Verhältnisse der sichtbaren Elemente zum Leibe Christi. Ein
Problem (ob symbolisch oder realistisch) ist von Niemandem
empfunden worden: das Symbol ist das wirkungskräftige Ge-
heimniss (Vehikel), und das Geheimniss war ohne Symbol
nicht denkbar. Das Fleisch Christi ist selbst „Geist" (an den
historischen Leib dachte wohl Niemand); aber dass der Geist
hier sinnlich wird, war eben das Auszeichnende. Die anti-
gn ostischen Väter erkannten, dass die geheiligte Speise aus
zwei unauflöslich verbundenen Elementen bestehe, einem ir-
dischen und einem himmlischen, und sahen so in dem Sakrament
die von den Gnostikem geleugnete Verbindung des Geistigen
mit dem Fleisch und die Auferstehung des von dem Blute des
Herrn genährten Fleisches gewährleistet (ebenso TertuUian,
den man falschlich zum puren Symboliker gemacht hat).
Justin hat von einer Transformation gesprochen, aber der
Empfanger; die Vorstellung von einer Transformation der
Elemente begann aber auch bereits. Die Alexandriner sahen
hier wie in Allem, was die grosse Kirche that, das Mysterium
hinter dem Mysterium; sie akkommodirten sich an die Hand-
lung, aber sie wollten solche geistl iche Christen sein, die sich
allezeit vom Logos nähren und ein ewiges Abendmahl feiern.
Überall wurde die Handlung ihrer ursprunglichen Bestimmung
entrückt und grazisirt nach Form und Lihalt, bei Gebildeten
und Ungebildeten (Praxis der Kinderkommunion von Cyprian
bezeugt).
Mysterienmagie, Superstition, Autoritätsglaube und Ge-
horsam einerseits, eine höchst lebendige Vorstellung von der
Freiheit, Kraft und Verantwortung des Einzelnen im Mora-
lischen andererseits sind die Signatur des katholischen Christen-
tums: im Religiösen autoritativ und superstitiös gebunden,
also passiv, im Moralischen frei und auf sich selber angewiesen,
also aktiv.
Dass die römische Kirche in diesem Prozess der Katho-
lisirung der Gemeinden durchweg die Führung gehabt hat,
ist eine sicher zu beweisende geschichtliche Thatsache. Die
katholische Kirche ist wirklich die römische Kirche. Die
„apostolischen'^ Massstäbe, die den Katholicismus zum Katho-
licismus machen, sind römisch und haben sich von Rom aus
verbreitet. Damit ist der faktische Primat der römischen Kirche
§ 21.] Die Apologeten. Ö5
innerhalb des Katholicismus (also auch des romischen Bischofs;
s. AHarnack, Die ältesten christl. Datirungen u. d. Anfänge
einer bischöfl. Chronographie in Rom, in SBBA, 7. Jnli 1892)
gegeben. Die Frage der Zukunft konnte nur die sein, wie-
viel davon in das Kirchenrecht aufgenommen und unter
den Schutz einer A'nordnung Christi gestellt werden sollte.
Aber die philosophisch-wissenschaftliche Glaubenslehre, welche
sich in derselben Zeit aus dem Glauben entwickelt hat, ist
nicht das Werk der römischen Gemeinde und ihrer Bischöfe.
n. Fixirung und allmähliche Gräzisirung des
Christentums als Glaubenslehre.
Tiertes Kapitel.
Das kirchliche Christentum und die Philosophie.
Die Apologeten.
§21.
Ausgabe der Apologeten von Otto, 9 Bde.** 1876 f. — Die Apo-
logie des Aristides in Texts and Studies ed. JARobinson Vol. I, 1
1891. — AHabnack i. d. Text. u. Unters. 1, 1—3 1882 f. — MvEngel-
HABDT, Christentum Justin's 1878. — FKühn, Der Octavius des Min.
Felix 1882.
1. Die Apologeten (Aristides, Justin, Tatian, Athenagoras,
Clemens Alex. [Protreptic.], Theophilus, Tertullian [Apologeti-
cum], Minucius Felix; nicht oder nur in kleinen Bruchstücken
erhalten sind die Apologien des Quadratus, Melito, ApoUinaris,
Miltiades; unter Justin's Namen steht auch Altes und Wertvolles)
wollten in allen Stücken das Christentum der Gemeinden be-
haupten und yertreten, standen deshalb auf dem Boden des
A. T., betonten den üniversalismus der christlichen OflFen-
banmg und hielten an der überlieferten Eschatologie fest.
Sie lehnten den ,,Gnosticismus'^ ab und sahen in der mora-
lischen Kraft, die der Glaube den Ungebildeten verlieh, einen
Hauptbeweis für seine Wahrheit. Aber beflissen, das Christen-
tum den Gebildeten als die höchste und sicherste Philosophie
darzulegen, haben sie die moralistische Denkweise, in die die
Heidenchristen das Evangelium von Anfang an hineingezogen
haben, als die christliche ausgebildet, damit zugleich das
Christentum rational gemacht und es auf eine Formel ge-
86 Grundlegung des Dogmas. [§ 21.
bracht; die dem common sense aller ernst Denkenden und
Yemünftigen des Zeitalters entspracli. Dabei haben sie den
überkommenen positiven Stoff, das A. T. sowie die Geschichte
\md die Verehrung Christi, lediglich als die bisher fehlende
nnd mit heissem Bemühen gesuchte Beglaubigung und
Versicherung dieser vernünftigen Religion zu benutzen ver-
standen. In der apologetischen Theologie ist das Christen-
tum als die von Gott selbst herbeigeführte, der ursprünglichen
Anlage des Menschen entsprechende, religiöse Auftlärung ge-
fasst und in den schärfsten Gegensatz zu allem Polytheistischen,
National-Religiösen und Ceremoniellen gestellt. Mit höchster
Energie ist es als die Religion des Geistes, der Freiheit und
der absoluten Moral von den Apologeten proklamirt worden.
Der gesammte positive Stoff des Christentums aber ist in
einen grossen Bewei sapparat verwandelt; nicht die Religion
empfängt ihren Inhalt aus geschichtlichen Thatsachen — sie
empfangt ihn aus der göttlichen Offenbarung, die in der an-
erschaffenen Vernunft und Freiheit des Menschen sich er-
weist — , sondern die geschichtlichen Thatsachen dienen zur
Beglaubigung der Religion, zu ihrer Verdeutlichung
gegenüber ihrer partiellen Verdunkelung und zu ihrer imiver-
salen Verbreitung.
Das aber war es, was die Meisten suchten. Worin Religion
und Moral bestehe, das glaubte man zu wissen; aber dass sie
Realitäten sind, dass ihre Belohnungen und Strafen sicher
sind, dass die wahre Religion allen Polytheismus \md Götzen-
dienst ausschliesst, dafür hatte man keine Gewähr. Das
Christentum als wirkliche Offenbarung brachte hier Ge-
wissheit. Es verlieh dem höchsten Ertrage der griechischen
Philosophie und der Souveränetät der theistischen Moral Sieg
und Dauer; es gab dieser Philosophie als Welterkenntniss und
Moral erst den Mut, sich von der polytheistischen Vergangen-
heit zu befreien und aus den Kreisen der Gelehrten zu dem
Volk hinabzusteigen.
Die Apologeten waren im Gegensatz zu den Gnostikem
konservativ, weil sie der kirchlichen Überlieferung eigenir
lich an keinem Punkte näher treten und sie nicht inhaltlich
verständlich machen wollten. Der Weissagungsbeweis, nun
aber in seiner äusserlichsten Fassung, verband sie mit der
grossen Kirche. Die Gnostiker suchten im Evangelium eine
§ 21.] Die Apologeten. 87
neue ßeligion^ die Apologeten Hessen sich durch dasselbe
ihre religiöse Moral bestätigen. Jene hielten den Erlösungs-
gedanken fest und ordneten ihm AUes unter; diese stellten
Alles in das Schema einer natürlichen Religion und rückten
den Erlösungsgedanken in die Peripherie. Beide haben das
Evangelium hellenisirt; aber nur die Spekulationen der Apo-
logeten wurden sofort legitimirt, weil sie Alles auf den Gegen-
satz gegen den Polytheismus abzweckten, das A. T. und das
Kerygma unangetastet liessen und die Freiheit und Verantwort-
lichkeit aufs schärfste betonten. Apologeten und Gnostiker
haben das Werk fortgesetzt, welches die alexandrinischen
jüdischen Denker (Philo) in Bezug auf die AT liehe Religion
begonnen haben; aber sie haben sich so zu sagen in die Arbeit
geteilt: diese haben mehr die platonisch-religiöse, jene die
stoisch-rationalistische Seite der Aufgabe bearbeitet. Indessen
reinlich konnte die Teilung nicht sein; kein Apologet hat von
dem Erlösungsgedanken ganz abgesehen (Befreiung von der
Dämonenherrschaft kann nur der Logos bewirken). Mit Irenaus
beginnt in der theologischen Arbeit der Kirche wiederum die
Vereinigung der beiden Aufgaben; nicht nur der Kampf gegen
den Gnosticismus nötigte dazu, sondern der Geist des Zeit-
alters selbst wandte sich von dem stoischen Moralismus immer
mehr dem neuplatonischen Mysticismus zu, unter dessen Hüllen
der Trieb nach Religion, nach dem lebendigen Gott,
verborgen lag.
2. Das Christentum ist Philosophie und ist Offen-
barung: das ist die These aller Apologeten von Aristides bis
Minucius Felix. Mit der Behauptung, es sei Philosophie,
traten die Apologeten der in den Gemeinden verbreiteten
Meinung, dass es der Gegensatz zu aller Weltweisheit sei
(s. das Zeugniss des Celsus), entgegen; allein sie versöhnten
sie durch das freudige Zugeständniss, dass das Christentum
supranaturalen Ursprungs sei und als Offenbarung trotz seines
vernünftigen Inhalts nur von einem gotterleuchteten Sinne
erfasst werden könne. In den Grundzügen dieser Auffassung
sind alle Apologeten einig. Die stärkste Ausprägung des
stoischen Moralismus und Rationalismus findet sich bei Minu-
cius; Justin's Schriften (Apologie und Dialog) enthalten die
meisten Beziehungen zu dem Gemeindeglauben und zu den
Thatsachen der evangelischen Geschichte. Andererseits denken
38 Grundlegung des Dogmas. [§ 21.
Justin und Athenagoras am günstigsten von der Philosophie
und den Philosophen, während in der Folgezeit das Urteil
immer härter wird (Theophilus, doch s. schon Tatian), ohne
dass sich das Urteil über den philosophischen Inhalt des
Christentums ändert. Die gemeinsame Überzeugung lässt
sich also zusammenfassen: das Christentum ist Philosophie,
weil es einen rationalen Inhalt hat, weil es über die Fragen
einen befriedigenden und allgemein verständlichen Aufschluss
bringt, um die sich alle wahrhaften Philosophen bemüht haben;
aber es ist keine Philosophie, ja eigentlich der konträre Gegen-
satz zu derselben, sofern es von allem Wähnen und Meinen
frei ist und den Polytheismus widerlegt, d. h. aus OiBFenbarung
stammt, also einen supranaturalen, göttlichen Ursprung hat,
auf dem schliesslich allein die Wahrheit und Gewissheit seiner
Lehre beruht. Dieser Gegensatz zur Philosophie zeigt sich
vor Allem auch in der unphilosophischen Form, in der die
christliche Predigt ausgegangen ist. Diese These liess im
Einzelnen verschiedene Urteile über das konkrete Verhältnis»
des Christentums zu der Philosophie zu und forderte die Apo-
logeten zur Bearbeitung des Problems auf, warum denn das
Rationale einer OflFenbarung bedürfe. Doch lassen sich auch
hier noch folgende gemeinsame Überzeugungen feststellen:
1) Das Christentum ist nach den Apologeten Offenbarung,
d. h. es ist die göttliche Weisheit, die von Alters her durch
die Propheten verkündet worden ist und an ihrem Ursprung
eine absolute Sicherheit besitzt, die sich in der Erfüllung
der Prophetensprüche auch erkennbar darstellt (der
Weissagungsbeweis als der einzig sichere Beweis; er hat an
sich mit dem Inhalt der Religion nichts zu thun, sondern
begleitet sie). Als göttliche Weisheit steht das Christentum
allem natürlichen und philosophischen Wissen gegenüber und
macht ihm ein Ende. 2) Das Christentum ist die Aufklärung,
die dem natürlichen aber verdunkelten Wissen des Menschen
entspricht; es umfasst alle Wahrheitsmomente der Philosophie
— es ist darum die Philosophie (i^ xa-Ö*' fjiiäg ipvXo6oq>ia^ ij
ßccQßaQLxii fptkoöotpCa) — und es verhilft dem Menschen dazu,
die in ihm angelegte Erkenntniss zu verwirklichen. 3) Offen-
barung des Vernünftigen war und ist notwendig, weil die
Menschheit unter die Herrschaft der Dämonen geraten ist.
4) Die Bemühungen der Philosophen, die richtige Erkenntniss
§ 21.] Die Apologeten. 89
zu ermitteln, waren vergeblich, was sich vor Allem darin zeigt,
dass weder der Polytheismus noch die herrschende ünsitt-
licKkeit durch sie gebrochen worden ist. Soweit die Philo-
sophen Wahres gefunden haben, verdanken sie es übrigens
den Propheten (so lehrten schon die jüdischen Alexandriner),
von denen sie es entlehnt haben; mindestens ist es unsicher,
ob sie auch nur Fragmente der Wahrheit durch sporadische
Logoswirkungen erkannt haben (Justin behauptet das, s. Apol.
I, 5: ov yaQ ^6vov iv '''EXItjöl diä IJcDXQcctovg imo koyov
rjXiyxdifi xavta^ akkä xal iv ßaQßccQOLS vx' avrov tot) köyov
liOQgxod-avtog xal dv^Q(X)ytov xal 'Irj^ov ^Mptöroi) xkr^^ivrog^
dazu aber Apol. 11, 10: IJoxgdtei oidslg STteL^d-rj imiQ tovtov
Tov döyiiatog ccnodi/ijöxeLV' X^^^t^ de rö xal vtco 2Ja)XQdtovg
azb iiBQovg yvay^d'svtt . . , oi (pMöoffoi ovdh (pMkoyOL [lövov
iicsLöd-riöäv)] gewiss aber ist, dass manche scheinbare Wahr-
heiten bei den Philosophen NachäfFungen der Wahrheit durch
böse Dämonen sind (auf diese geht der ganze Polytheismus
zurück, der teilweise auch NachäfFung christlicher Institutionen
ist). 5) Die Anerkennung Christi ist in der Anerkennung der
prophetischen Weisheit einfach mit eingeschlossen ; einen neuen
Inhalt hat die Lehre der Propheten durch Christus nicht em-
pfangen; er hat sie nur der Welt zugänglich gemacht und
gekräftigt (Sieg über die Dämonen; Eigentümliches anerkannt
von Justin und Tertullian). 6) Die praktische Erprobung des
Christentums liegt a) in seiner Fasslichkeit (die Ungebildeten
und Weiber werden zu Weisen), b) in der Vertreibung der
Dämonen, c) in der Krafk, ein heiliges Leben zu führen. In
den Apologeten hat mithin das Christentum die Antike, d. h.
den Ertrag der monotheistischen Erkenntniss und Ethik der
Griechen, mit Beschlag belegt: p6a na^ä tt&öl xaX&g etQrjxav^
flU&v t&v XQtöTcav&v iöXL (Justin, Apol. II, 13). Es hat sich
selbst bis zu dem Anfang der Welt hinauf datirt. AUes
Wahre und Gute, was die Menschheit erhebt, stammt aus
göttlicher Offenbarung und ist doch zugleich echt menschlich,
weil klarer Ausdruck dessen, was der Mensch in seinem Innern
findet und wozu er bestimmt ist (Justin, Apol. I, 46: oC (isrä
X6yov ßi(o0avr€g XQi6xiavoC slei^ xctv &%'Boi ivo[i{6d'rj0av, ocov
iv '^XXri^i {ikv 2^G)XQdtr]g xal ^HQaxkecrog xal of 5(iolol a'dtotg^
iv ßagßdQOLg dh ^AßQadii xtL). Es ist aber zugleich christ-
l^ich; denn Christentum ist nichts Anderes als die Lehre der
90 Grrundlegang des Dogmas. [§ 21.
Offenbarung. Keine zweite Formel kann gedacht werden, in
der der Anspruch des Christentums, die Weltreligion zu sein,
so kräftig hervortritt (daher auch das Bestreben, den Welt-
staat mit der neuen Religion zu versöhnen), keine zweite
Formel aber auch, in der der spezifische Inhalt des über-
lieferten Christentums so durchgreifend neutraüsirt ist wie
hier. Aber das wahrhaft Epochemachende liegt darin, dass
die geistige Kultur der Menschheit nun mit der Religion ver-
söhnt und verbunden erscheint: die Offenbarung ist lediglich
äussere, wunderbare Mitteilung (Passivität der Propheten) des
Vernünftigen; das Vernünftige aber — die theistische Kos-
mologie und Moral — wurde als solches und als Gemeinbesitz
der Menschheit einfach dogmatisch vorausgesetzt.
3. Die „Dogmen^' des Christentums — dieser Begriff und
der andere, d-eoloyta^ ist im techiiischen Sinn zuerst von den
Apologeten angewendet worden — sind die durch die Propheten
in den h. Schriften geoffenbarten Vemunftwahrheiten, die in
Christus zusammengeschlossen sind {XQt0tbg Xöyog xal v6(iog)
und die Tugend und das ewige Leben zur Folge haben (Gott,
Freiheit und Tugend, ewiger Lohn und ewige Strafe, resp. das
Christentum als monotheistische Kosmologie, als Lehre von der
Freiheit und Moral, als Lehre von der Erlösung; doch ist die
letztere unsicher ausgeprägt). Die Belehrung wird auf Gott
zurückgeführt, die Herstellung eines tugendhaften Lebens
(der Gerechtigkeit) hat Gott den Menschen überlassen müssen.
Die Propheten und Christus sind also insofern die Quelle der
Gerechtigkeit, als sie die göttlichen Lehrer sind. Das Christen-
tum ist zu definiren als die durch Gott selbst neu vermittelte
Erkenntniss Gottes und als der tugendhafte Wandel nach dem
Vemunftgesetz sowie in der Sehnsucht nach ewigem Leben
und in der Gewissheit des Lohnes. Durch Wissen des Wahren
und durch Thun des Guten wird der Mensch gerecht, durch
Christi Namen und Kraft wird er von den Dämonen befreit;
so wird er der höchsten Seligkeit teilhaftig. Das Wissen ruht
auf dem Glauben an die göttliche Offenbarung. Diese
Offenbarung hat insofern auch die Art und Kraft der Erlösung,
als das Faktum zweifellos ist, dass sich die Menschheit ohne
sie der Herrschaft der Dämonen nicht entwinden kann. Das
Alles ist griechisch gedacht.
a) Die Dogpien, die die Erkenntniss Gottes und der
§ 21.] Die Apologeten. 91
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Welt zum Ausdruck bringen, sind von dem Grundgedanken
beherrscht, dass der Welt als dem Kreatürlichen, Bedingten
und Vergänglichen ein Selbst seiendes, Unveränderliches und
Ewiges gegenüber steht, welches die Ursache der Welt ist.
Es hat keine der Eigenschaften, welche der Welt zukommen;
darum ist es über jeden Namen erhaben und hat in sich keine
Unterschiede (die platonischen Aussagen über Gott gelten als
unübertrefiPlich gut). Es ist deshalb einzig und Eines, gei-
stig, fehlerlos und daher vollkommen; in lauter negativen
Prädikaten wird es am zutreffendsten beschrieben; aber es ist
doch Ursprung (Ursache) imd Fülle alles Seins; es ist
Wille und Leben, daher auch gütiger Geber. Drei Thesen
stehen den Apologeten in Bezug auf das Verhältniss Gottes
aur Welt fest: 1) dass Gott primär als die letzte Ursache
zu denken ist, 2) dass das Prinzip des sittlich Guten auch
das Prinzip der Welt ist, 3) dass das Prinzip der Welt, d. h.
die Gottheit, als das Unsterbliche und Ewige den Gegensatz
zu der Welt als dem Vergänglichen bildet. (Also enthalten
These 2 und 3 in sich eine Spannung.) Die Dogmen von
Gott sind nicht vom Standpunkt der erlösten Gemeinde ent-
worfen, sondern auf Grund der Betrachtung der Welt einer-
seits, der sittlichen Art des Menschen andererseits, die aber
selbst eine Erscheinimg im Kosmos ist. Dieser ist überall
von Vernunft und Ordnung durchwaltet (Gegensatz zum Gno-
sticismus); er trägt den Stempel des Logos (als Abbild einer
höheren Welt und als Produkt eines vernünftigen Willens).
Auch die Materie, die ihm zu Grunde liegt, ist nichts Schlechtes,
sondern von Gott geschaffen. Dennoch haben die Apologeten
Gott nicht zum direkten Urheber der Welt gemacht, sondern
die in der Welt wahrnehmbare göttUche Vernunft personifizirt
und zwischen Gott und die Welt geschoben. Dies ist nicht
in Hinblick auf Christus geschehen oder um (im gnostischen
Sinn) Gott und Welt auseinanderzureissen, sondern die Formel
vom Logos war in der damaligen Religionsphilosophie längst
fertig, und der sublime Gottesbegriff verlangte ein Wesen,
welches die Aktualität und das vielseitige Wirken Gottes dar-
stelle, ohne dass die Unveränderlichkeit Gottes Schaden leide
(feiner Dualismus: der Logos ist die Hypostase der wirksamen
Vernunftkraft, welche es ermöglicht, die Gottheit «elbst als
ruhendes imsQovöLOv zu denken; er ist sowohl das Offen-
92 GrandleguDg des Dogmas. [§21-
^ . — , — . — . . T
barungswort Gottes, das sich auf Erden hörbar imd sichtbar
kundgebende Göttliche, als die schaffende Vernunft, die sich
in ihren Gebilden zum Ausdruck bringt; er ist das Prinzip
der Welt und der Offenbarung zugleich; er ist der d'ab^
ersQog^ d. h. der depotenzirte Gott, depotenzirt, weil er in das
Endliche eingeht, s. TertuU. adv. Marc. II, 27: ,Jgitur quaectm-
que exigitis deo digna, habehuntur in patre invisibili incmigressi-
hilique et placido et, ut iia dixerim, philosophorum deo. quaecun-
que autem ut indigna reprehenditis deputabuntur in ßlio et viso
et audito et congresso^ arbitro patris et ministroJ' Das Alles ist
nicht neu; aber der Logos wird von den Apologeten nicht
als ein voovfisvov vorgetragen, sondern als die sicherste Reali-
tät). Ueber die Durchführung des Gedankens, dass das Prin-r
zip des Kosmos auch das Prinzip der Offenbarung sei, gehen
die Meisten nicht hinaus; ihre Abhängigkeit vom Gemeinde-
glauben bezeugen sie aber durch die undurchsichtige Unter-
scheidung des Logos und des heiligen Geistes. Die Geschichte
des Logos (s. bes. Tatian, Orat. 5sq. Justiu, Apol. 1, 13.21.42;
Dial. 56. 61. 128) ist folgende: Gott ((lövog äysvvritog^ 6 d^sög)
ist nie aXoyog gewesen; er hat stets den Logos in sich gehabt
als seine Vernunft imd als die Potenz (Idee, Energie) der
Welt (also sind trotz aller Negativitäten Gott und Welt doch
verstrickt). Behufs der Schöpfung hat Gott den Logos aus
sich herausgesetzt (hervorgeschickt, herausspringen lassen),
resp. durch einen freien und einfachen Willensakt (aarö tov
TCccTQbg d'ek'^öst ysvvijd'SLg) aus seinem Wesen gezei^. Er
ist nun eine selbständige Hypostase (d-ebg ix d'sov — ersQog
aQid'fiw^ oi) yv(hfiff)j deren inneres Wesen (piöia) mit dem
Gottes identisch ist; er ist nicht von Gott getrennt oder ab-
geschnitten, auch nicht eine blosse Modalität an Gott; son-
dern er ist das selbständige Ergebniss der Selbstentfaltung
Gottes, welches, obgleich Inbegriff der göttlichen Vernunft,
den Vater nicht der Vernunft beraubt hat; er ist Gott und
Herr, besitzt die göttliche Natur wesenhaft, obgleich ein Zweiter
neben Gott {d^sbg dsvteQog)] aber seine Persönlichkeit hat eioen
Anfang genommen {y/uit tempus, cum patri filius non fuit"
TertulL). Da er somit einen Ursprung hat, der Vater nicht,
so ist er ihm gegenüber Kreatur, der gezeugte, gemachte,
gewordene Gott. Die Subordination liegt nicht in seinem Wesen
(sonst wäre der Monotheismus aufgehoben), sondern in der
§ 21.] Die Apologeten. 93
Origination (l^yov TCQiDtöroxov rov itcctgög^ Tatian). Diese er-
möglicht es ihm auch,' in die Endlichkeit einzugehen als Ver-
nunft, Wort und That, während der Vater im Dunkel der
ünveränderlichkeit bleibt. Mit dem Hervorgehen des Logos
beginnt die Realisation der Weltidee. Er ist der Schöpfer und
gewissermaasen das Urbild (das Eine und Geistige in dem
Vielen und Sinnlichen) der Welt, die aus dem Nichts ihren
Ursprung hat. Zweck der Weltschöpfang ist der Mensch^ Zweck
des Menschen ist, zu göttlichem Wesen d. h. zu ewigem, leid-
losem Leben durch die anerschaffene Vernunft (Ebenbild Gottes)
und Freiheit aufzusteigen. Als geist-leibliche Wesen sind die
Menschen weder sterblich noch unsterblich, sondern des Todes
und des ewigen Lebens fähig. In den Lehren, dass Gott der
absolute Herr der Materie ist, dass das Böse nicht Eigenschaft
des Stoffs ist, sondern in der Zeit und aus der freien Ent-
scheidung des Geistes (der Engel) entstanden ist, endlich dass
die Welt der Verklärung entgegengeht, erscheint der Dualismus
in der Kosmologie im Prinzip überwunden. Doch ist er inso-
fern nicht aufgehoben, als faktisch das Sinnliche doch als
das Böse gilt. Die Apologeten hielten diese Lehren von Gott,
dem Logos, der Welt und dem Menschen für den wesentlichen
Inhalt des Christentums (des A. T. und der Predigt Christi).
Das triadische Taufbekenntniss findet sich bei den meisten
von ihnen, sei's auch nur angedeutet (s. Justin, Apol. I, 13,
aber hier auch die Engel. Das Wort tQidg m. W. zuerst bei
Theophilus, ad Autol. H, 15).
b) Die Lehren von der Freiheit, Tugend, Gerechtigkeit
und dem Lohn sind so gehalten, dass Gott nur als Schöpfer
und Richter, nicht, oder doch nicht sicher, als das Prinzip
eines neuen Lebens in Betracht kommt (Reminiszenzen bei
Justin; übrigens war auch den heidnischen Philosophen die
Vorstellung geläufig, dass nichts Gutes und Grosses sine afflatu
divino geschehe). Die afpd^aQöca ist Lohn und Geschenk zu-
gleich, geknüpft an das richtige Wissen und die Tugend. Die
Tugend ist Weltflucht (der Mensch hat dem Naturhaften zu
entsagen), Erhebung über die Sinnlichkeit in jeder Hinsicht
(besonders stark von Tatian gefordert) imd Liebe (diese aber
auch mehr im Sinne des Preisgebens der an sich wertlosen
Güter). Das Sittengesetz ist das Gesetz für den vollkommenen
erhabenen Geist, der, weil er das vornehmste Wesen auf Erden
94 Grundlegung des Dogmas. [§21*
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ist, zu vornehm för sie ist (Tatian hat diesen Gedanken schon
in seiner Oratio bis an die Grenze des Dualistischen gesteigert).
Der Geist soll von der Erde eilen zu dem Vater des Lichtes;
in dem Gleichmut, der Bedürfiiisslosigkeit, der Beinheit und
Güte, die die notwendigen Folgen der rechten Erkenntniss sind,
soll zum Ausdruck kommen, dass er die Welt bereits über-
wunden hat. Der Lasterhafte stirbt den ewigen Tod, der Tugend-
hafte erhält das ewige Leben (starke Betonung der Idee des
Gerichts; Auferstehung des Fleisches der Tugendhaften aner-
kannt; die Idee der Gerechtigkeit ist über die rechtliche
Linie nicht hinausgeführt).
c) Gott ist insofern der Erlöser, als er (obgleich der Kos-
mos und die Vernunft ausreichende Offenbarungen sind) doch
noch direkte wunderbare Mitteilungen der Wahrheit hat aus-
gehen lassen und durch Christus die Teufel niederschlägt. Da
sich die abgefallenen Engel gleich anfangs der Menschen be-
mächtigten und sie in Sinnlichkeit und Polytheismus verstrickten,
hat er die Propheten gesandt, um die verdunkelte Erkenntniss
zu erhellen und die Freiheit zu kräftigen. In ihnen wirkte der
Logos direkt, und manche Apologeten haben sich in ihren
Traktaten mit dem Hinweis auf die h. Schriften und den
Weissagungsbeweis begnügt. Aber gewiss haben alle, wie
Justin, in Jesus Christus die Volloffenbarung des Logos
anerkannt, durch den die Weissagung erfüllt und die Wahrheit
Allen leicht zugänglich gemacht worden sei (Anbetung Christi
als des erschienenen, ganzen Logos). Justin hat darüber
hinaus die Anbetung eines gekreuzigten „Menschen" eingehend
verteidigt und Manches aus der Überlieferung über Christus
beigebracht, was erst wieder bei Irenäus auftaucht. Er hat
das Geheimniss der Menschwerdung und des Kreuzestodes
stark betont, Wiedergeburt, Taufe, Abendmahl als Gottes Thaten
imd Geschenke an uns hervorgehoben; ja es finden sich bei
ihm Ausführungen, in denen der Gang der Geschichte des
menschgewordenen Logos als eine Kette heilsgeschichtlicher,
die Sündengeschichte des Menschengeschlechts paralysirender
imd die Menschheit neu gründender Veranstaltungen angedeutet
ist. Die deutlichste dieser Stellen (doch s. auch Dial. 100)
steht aber nicht in der Apologie oder im Dialog, sondern ist
uns von Irenäus aus einer verlorenen Schrift Justin's auf-
bewahrt (Iren. IV, 6, 2: j^tmigenitus filius venit ad nos suum
§ 2a.] Die Apologeten. 95
plasma in semetipsum recapitulans*'). Hieraus ergiebt sicli, dass
Justin über eine reichere, wenn auch minder geschlossene,
theologische Auffassung verfögte, als in seinen apologetischen
Schriften hervortritt. Auch die Fragmente Melito's beweisen,
dass man seine Theologie nicht auf die vulgär apologetische
Auffassung einschränken darf. Andererseits haben sich Athe-
nagoras und Minucius Felix so ausgesprochen, dass man in
ihren Apologien ihr ganzes Christentum (in den Grundzügen)
zu erkennen allen Grund hat. „Die Apologeten haben den Grund
gelegt zur Verkehrung des Christentums in eine offenbarte Lehre.
Im Speziellen hat ihre Christologie die Entwickelung verhäng-
nissvoll beeinflusst. Sie haben, die Übertragung des Sohnes-
begriffs auf den präexistenten Christus als selbstverständlich
betrachtend, die Entstehung des christologischen Problems des
4. Jahrh. ermöglicht; sie haben den Ausgangspunkt des christo-
logischen Denkens verschoben (von dem historischen Christus
weg in die Präexistenz), Jesu Leben der Menschwerdung gegen-
über in den Schatten gerückt; sie haben die Christologie mit
der Kosmologie verbunden, mit der Soteriologie sie nicht zu
verknüpfen vermocht. Ihre Logoslehre ist nicht eine »höhere«
Christologie als üblich war; sie bleibt vielmehr hinter der genuin
christlichen Schätzung Christi zurück: nicht Gott offenbart sich
in Christus, sondern der Logos, der depotenzirte Gott, ein Gott,
der als Gott imtergeordnet ist dem höchsten Gott^^ (LooFs).
Fünftes EapiteL
Die Anfange einer kirchlich - theologisclLen Explikation und
Bearbeitong der Glaubensregel im Gegensatz zum Gnosticismus
nnter Voraussetzung des Neuen Testaments und der christlichen
Philosophie der Apologeten: Irenäus, Tertullian, Hippolyt,
Cyprian, Novatian.
§22.
Quellen: Die Werke des Irenäus (s. d. Ausgaben Ton Stieren und
von Haryey), des Tertullian (Oehlbr), des Hippolyt (Ausgaben von
Fab&icius u. von Lagabde. Fhilosophumena von Dunckbr u. Schnkidewin),
des Cyprian (Hartel), des Novatian (Jackson). — Biographien von
FrBöhrinoeb, Die K. Christi und ihre Zeugen.* 1873 ff. — JWernek,
Der Paulinismus des Iren. 1889. — ENöldechen, Tertullian 1890. —
JDöLi:.iKGEB, Hippolytus u. Kallistus 1863.
1. Der in Lyon lebende, mit der Tradition der römischen
Kirche vertraute, auf das Zeugniss der „Alten" sich berufende
96 GrandlegoDg des Dogmas. [§ 22.
kleinasiatische Lehrer Ireiiäus (Schüler des Polykarp) hat in
semem grossen antignostischen Werk sowohl die apostolischen
Normen der katholischen Kirche aufgestellt, als auch den Versuch
der Entwicklung einer kirchlichen Glaubenslehre gemacht.*)
Die apologetische Theologie hat er mit einer theologi-
schen Bearbeitung des Taufbekenntnisses in Verbin-
dung zu setzen gesucht; aus den beiden Testamenten ent-
nahm er den Stoff, der ihm nicht nur zur Beglaubigung
philosophischer Lehren diente; den Gedanken der realisirten
Erlösung stellte er, wie die Gnostiker, in den Mittelpunkt
und suchte dabei doch die urchristlichen eschatologischen
Hoffnungen zum Ausdruck zu bringen. Auf diese Weise ent-
stand ein „Glaube^^ nicht ohne innere Einheit und Kraft, aber
von unbegrenzter Ausdehnung, der der Glaube der Eirche,
der Gebildeten und Ungebildeten, sein sollte und sich aus den
verschiedensten Elementen — philosophisch-apologetischen, bibli-
schen, christosophischen, gnostisch-antignostischen und sinn-
lich-phantastischen — zusammensetzte (die Pistis sollte zugleich
Gnosis sein und umgekehrt; jedes Bewusstsein, dass rationale
Theologie und fides credenda unvereinbare Grössen seien, fehlt;
Alles steht auf einer Fläche; die Spekulation wird misstrauisch
betrachtet und doch nicht abgedankt). Seine Einheit empfing
dieses komplizirte Gebilde äusserlich durch die Zurückfuhrung
aller Aussagen auf die Glaubensregel und die beiden Testamente,
innerlich durch die starke Betonung zweier Grundgedanken:
dass der Schopfergott auch der Erlösergott ist, und
dass Jesus Christus lediglich deshalb der Erlöser ist,
weil er der menschgewordene Gott ist (filius dei filius
hominis factus). In der Durchfuhrung dieser Gedanken ist
Irenäus seinen Schülern, TertuUian und Hippolyt, überlegen.
Namentlich der Erstere ist ganz unföhig gewesen, die apo-
logetisch-rationalen, die heilsgeschichtlichen und die escha-
tologischen Gedankenreihen in eine Einheit zu bringen; aber
er hat, seiner juristischen Anlage imd Bildimg gemäss, im
Einzelnen runde Schemata ausgebildet, die in der Folgezeit
höchst wirksam geworden sind (Terminologie des trinitarischen
1) Ungefähr gleichzeitig mit Irenäus schrieb sein Gesinnangsgenosse
Melito Ton Sardes zahlreiche Schriften, die denselben Geist atmeten,
uns aber leider nur in kleinen Fragmenten erhalten sind.
§ 22.] Irenäus, Tertullian, u. 8. w. 97
und christologischen Dogmas; Richtung der abendländischen
Dogmatik auf das Juristische).
Die Verknüpfung der antiken Heilsidee (Vergottung) mit
NTlichen Gedanken (Heilsgeschichte) und mit dem apologe-
tischen Rationalismus, ist das Werk des Irenäus. Das
Christentum ist ihm reale Erlösung, herbeigeführt
durch den Sehöpfergott in Jesus Christus. Diese Er-
lösung ist ihm recapitulatio, d. h. Rückführung des durch Tod
und Sünde widernatürlich Getrennten zur lebensvollen Ein-
heit, speziell für den Menschen die Vergottung der mensch-
hchen Natur durch die Gabe der Unvergänglichkeit. BeschaflFt
ist dieses Heil nicht durch den Logos an sich, sondern ledig-
hch durch Jesus Christus, und zwar durch Jesus Christus,
sofern er Gott war und Mensch wurde. Indem er die Mensch-
heit in sich aufnahm, hat er diese unauflöslich mit der Gott-
heit verbunden und verschmolzen. Die Menschwerdung
{„commixUo et communio dei et hominis*' IV, 20, 4; „propter im-
mimsam suam diledionem factus est quod s^imvs nos, uti nos
perficeret esse quod et ipse" V praef.) ist also neben der
Lehre von der Einheit Gottes das Grunddogma. Somit
steht der geschichtliche Christus (wie bei den Gnostikem imd
Marcion) im Mittelpunkt, nicht als der Lehrer (obgleich das
rationale Schema vielfach die realistische Erlösungstheorie
durchkreuzt), sondern kraft seiner Konstitution als der Gott-
mensch. Alles Übrige in der heiligen Schrift ist Vor-
geschichte (nicht nur Ziffer im Weissagungsbeweis), und
die Geschichte Christi (Kerygma) selbst ist Entfaltung der
Menschwerdung (nicht nur ErfüUimg der Weissagung).
Hatten die Apologeten die Frage „cur deus-homo" im Grunde
gar nicht gestellt, so hat sie Irenäus zur fundamentalen er-
hoben und mit dem berauschenden Satze beantwortet: „damit
wir Götter würden" (doch hat er sich nüchterner auch so
ausgedrückt: j^tit quod perdideramus in Adam i, e, secundum
imaginem et similitudinem esse dei^ hoc in Christo lesu recipere-
mus'^ HI, 18, 1), Diese Antwort war deshalb so befriedigend,
weil sie 1) ein spezifisches christliches Heilsgut nachwies,
2) der gnostischen Auffassung ebenbürtig war, ja sie durch
den Umfang des für die Vergottung in Aussicht genommenen
Gebietes übertraf (der ganze Mensch nach Geist, Seele und
Leib wird leben), 3) dem eschatölogischen Zuge der Christen-
GrandrisB IV. iii. Harnack, Dogxnengeschichte. 2. Aufl. 7
98 Grundlegung des Dogmas. [§ 22.
heit entgegeiikam, aber zugleich die Stelle der phantastisch-
eschatologischen Erwartimgen einnehmeii konnte, 4) dem
mystisch-neuplatonisclien Zuge der Zeit entsprach und ihm
die grösste Befriedigung gewährte, 5) an die Stelle des
schwindenden Intellektualismus (Rationalismus) die zuversicht-
liche Hofi&iung auf eine übernatürliche Verwandlung des mensch-
lichen Wesens setzte, die es beföhigen werde, auch das Über-
vemünftige sich anzueignen, 6) den überlieferten historischen
Aussagen über Christus sowie der ganzen Vorgeschichte ein
festes Fundament und ein sicheres Ziel verlieh und die Auf-
fassung einer stufenmässig sich entfaltenden Geschichte des
Heils (olxovofiLa d-sov) ermöglichte (Aufnahme paulinischer
Gedanken, Unterscheidung der beiden Testamente, inneres Inter-
esse am Kerygma). Das Moralistische und Eschatologische wurde
nun durch ein wirklich religiöses und christologisches Interesse
balancirt: die Vergottung der Menschennatur per adoptionem.
„Durch seine Geburt als Mensch verbürgt das ewige Wort
Gottes die Erbschaft des Lebens für die, die in der natür-
lichen Geburt den Tod geerbt haben." Die Durchführung
dieses Gedankens ist freilich noch vielfach durch Fremdartiges
gekreuzt. Irenäus und seine Schüler haben die akute Hel-
lenisirung durch die Einführung der beiden Testamente, durch
die Idee der Einheit von Schöpfung und Erlösung, durch die
Bekämpfung des Doketismus abgewehrt; sie haben die Kirche
wieder gelehrt, dass das Christentum Glaube an Jesus Christus
sei; aber sie haben andererseits die Hellenisirung durch den
superstitiösen Erlösungsbegriff imd die Richtung des Inter-
esses auf die Naturen statt auf die lebendige Person befördert.
2. Gegen die gnostischen Thesen haben die altkatholischen
Väter eingewandt, dass der Dualismus die Allmacht Gottes,
also überhaupt den Gottesbegriff, vernichte, dass die Emana-
tionen ein mythologisches Spiel seien und die Einheit der
Gottheit gefährden, dass der Versuch, innergöttliche Zustände
zu ermitteln, dreist sei, dass die Gnostiker nicht umhin
könnten, den letzten Ursprung der Sünde in das Pleroma
selbst zu verlegen, dass die Kritik der Konstitution des Kos-
mos unverschämt sei, derselbe vielmehr der Weisheit und
Güte entspreche, dass der Doketismus der Gottheit eine Lüge
aufbürde, dass die Freiheit des Menschen eine unleugbare
Thatsache sei, dass die Übel ein notwendiges Zuchtmittel seien,
§ 22.] IrenÄus, TertuUian, u. s. w, 99
Güte und Gerechtigkeit sich nicht ausschliessen u. s. w. Über-
all argumentiren sie dabei für den gnostischen Demiurg wider
den gnostischen Erlösergott. Sie berufen sich vor Allem auf
die beiden Testamente, und man hat sie deshalb rühmend
„Schrifttheologen" genannt; aber die „Religion der Schrift",
wobei die Schrift als inspirirte Urkunde willkürlich gedeutet
wird (Irenäus schilt auf die gnostische Exegese, kommt ihr aber
sehr nahe), bietet an sich noch keiae Garantie für den sicheren
Eontakt mit dem Evangelium; denn was kann man nicht Alles
aus der Schrift herauslesen! Auch ist das Verhältniss von
Glaubensregel und Schrift (bald Über- bald Unterordnung) nicht
zur Klarheit gekommen.
In der Gott es lehre wurden die Grundzüge für alle Zukunft
festgestellt. Ein Mittelweg zwischen dem Verzicht auf die Er-
kenntniss und einer vorwitzigen Spekulation wurde beliebt. Bei
Irenäus, der das deutliche Bestreben zeigt, den christlichen Gottes-
begriff nicht durch metaphysische Spekulationen zu verwirren,
finden sich Ansätze,^ die Liebe, resp. Jesus Christus, als das Er-
kenntnissprinzip zu fassen. Aus der Offenbarung ist Gott zu er-
kennen, wobei die Erkenntniss aus der Welt bald für genügend,
bald für ungenügend erklärt wird: Irenäus, dem Apologeten, ge-
nügt sie, Irenäus, dem Christologen, genügt sie nicht; aber ein
Gott ohne Schöpfung ist ein Phantom; immer muss das Kos-
mische dem Religiösen vorangehen. Der Schöpfergott ist der
Ausgangspunkt, die Blasphemie des Schöpfers ist die höchste
Blasphemie. Darum ist auch der apologetische Gottesbegriff
wesentlich übernommen (Gott die Negation und die Ursache des
Kosmos); aber er ist doch erwärmt, weil für die geschichtliche
Offenbarimg ein sachliches Interesse vorhanden ist. Speziell wurde
gegen Marcion gezeigt, dass die Güte die Gerechtigkeit fordert.
In Bezug auf den Logos knüpfen TertuUian und Hippolyt
viel stärker an die apologetische (subordinatianische) Lehre an
als Irenäus (der in johanneischer Weise das Göttliche in Christus
vollkommen fasst und sogar bis an die Grenze des Modalismus
kommt). Sie übernehmen sie vollständig (Tertull., Apolog.21);
aber sie geben ihr eine bestimmtere Abzweckung auf Jesus Christus
(Tert. de came Christi und adv. Prax.). TertuUian hat in der
letztgenannten Schrift die Formeln der späterenOrtho-
doxie geschaffen, indem er die Begriffe Substanz und
Person eingeführt und trotz des ausgeprägtesten Sub-
7*
100 Grundlegung des Dogmas. [§ 23.
ordinatianismus und einer bloss ökonomischen Fas-
sung der Trinität (nur innerhalb der Offenbarung giebt es
eineTrinität; am Ende der Dinge ist Gott wieder Alles in Allem)
doch Bestimmungen über das Verhältniss der drei Per-
sonen getroffen hat, die auf dem Boden des Nicänums
voll anerkannt werden konnten („una substantia, tres
personae^'). Die Einheit der Gottheit stellt sich in der una
substantia dar. Die dispositio der einen Substanz zu drei Per-
sonen (trinitas) hebt die Einheit nicht auf (die gnostische Aonen-
spekulation ist hier auf die Dreizahl beschränkt). Schon nannte
er es Häresie, Gott für eine numerische Einheit zu halten. Aber
die Selbstentfaltung (nicht Zerteilung) der Gottheit hat einen
Anfang genommen (immer noch ist die Realisation der Weltidee
die Ursache der innergöttlichen dispositio/, der Logos ist als
distinktes Wesen geworden {,,secundus a deo constitutus, ][>er-
severans in sua forma^^)] daher ist er wie derivatio, so portio der
Gottheit {„pater tota substantia^^)] deshalb hat er trotz seiner
Substanzeinheit (unius substantiae-6^oot5<ytog) das Moment der
Endlichkeit an sich (der Sohn ist nicht der Weltgedanke selbst,
wohl aber hat er ihn an sich): er, der Bach, wird schliesslich,
wenn die Offenbarung ihren. Zweck erfüllt hat, in seine Quelle
zurückfliessen. Diese Auffassung ist an sich noch gar nicht von
der griechischer Philosophen über den vovg (löyog) unterschieden;
sie ist ungeeignet, den Glauben an Jesus Christus voll auszu-
prägen; denn sie ist zu niedrig; sie hat ihre Bedeutung lediglich
an der Identifizirung des historischen Christus mit diesem Logos
und an der Betonung des „unius substantiae". Aber entwickelt
hat Tertullian diesen Begriff noch nicht — das hat erst Athanasius
gethan — ; er hat die centrale religiöse Bedeutung desselben noch
nicht erkannt. Wie sollte man sie auch erkennen? hinderte doch
die übergeordnete Vorstellung von der Subordination des Logos
jede konsequente Entfaltung des Homousios. Die Subordination
des Logos konnte man aber deshalb nicht aufgeben, weil die
Verflechtung mit dem Weltbegriff (also die Depotenzirung seiner
göttlichen Natur) zum Wesen des Logos gehörte. Den h. Geist
hat TertuUian lediglich nach dem Schema der Logoslehre be-
Imndelt — ein Fortschritt über die Apologeten — , aber ohne
jede Spur eines selbständigen Literesses (,^terfnis est spiritus a
deo et filio^ yyvicaria vis fiW^ dem Sohn untergeordnet, wie dieser
dem Vater, aber doch ^,nnius substantiae^'). Hippolyt hat die
§22.] IrenäuB, Tertullian, u. s. w. 101
Kreatürliclikeit des Logos noch stärker betont (Philos. X, 33: ei
yaQ d'söv 6a rjd'skriös 7C0Lfj6aL 6 d'sög^ idvvato' exsig rov Xoyov
tö jcaQddstyficc\ dem Geist aber nicht ein selbständiges Prosopon
beigelegt fadv. Noet 14: £va d'sbv igcb^ TtgööcoTCcc Se Svo^ olxovo-
\xia Sa tQLtrjv ti^v %dQiv reo äyCov Tivav^azog).
Während Tertullian und Hippolyt den Christus des Keryg-
mas der fertigen Logoslehre einfach hinzufügen, hat Irenäus sei-
nen Ausgangspunkt bei-dem Gott Christus genommen, der Mensch
geworden ist. Ihm ist, wie dem 4. Evangelisten, „Logos" mehr
ein Prädikat für Christus, als das Subjekt selbst. Von der Er-
lösungslehre aus sind die Aussagen über Christus gewonnen; die
apologetische Logoslehre beunruhigte ihn sogar; aber er konnte sie
doch nicht los werden, da die Erlösung recapitulatio der Schöpfung
ist, und da Joh. 1, 1 Christus als den Logos lehrte. Indessen lehnte
er jede TCQoßoki^, Emanation und theologische Spekulationen hier
im Prinzip ab. Christus ist der ewige Gottessohn (kein zeitliches
Hervorgehen); er ist die ewige Selbstoflfenbarung des Vaters; es
besteht zwischen ihm und Gott keine Scheidung. Allein so sehr
er sich bemüht, die Aonenspekulation aufzugeben — ganz konnte
auch er das Göttliche in Christus nicht in der Erlösung anschauen;
er musste ihm auch auf die Schöpfung eine Beziehung geben, und
dann lehrte er nicht anders als Justin und Tertullian. Aber über-
all hat er die Menschwerdung im Auge, deren Subjekt die volle
Gottheit sein muss. „Gott hat sich in das Verhältniss des Vaters
zum Sohn gesetzt, um nach dessen Bilde den Menschen zu schaffen,
der sein Sohn werden sollte." Vielleicht war dem Irenäus die
Menschwerdung die oberste in der Sohnschaft Christi gesetzte
Zweckbestimmung. Über den h. Geist hat sich Irenäus ganz un-
bestimmt ausgedrückt; nicht einmal rptag findet sich bei ihm.
In der Lehre des Irenäus von der Bestimmung des Men-
schen, dem ürstande, dem Fall und der Sünde treten die
disparaten Gedankenreihen (apologetisch-moralistisch, biblisch-
realistisch) deutlich hervor, wie sie für die Kirchenlehre charak-
teristisch geblieben sind. Klar ist nur die erstere entwickelt.
Alles GeschajBFene, also auch der Mensch, ist anfangs unvoll-
kommen. Die Vollkommenheit konnte nur die Bestimmung (An-
lage) des Menschen sein. Die Bestimmung wird durch die freie
Entscheidung des Menschen realisirt auf Grund seiner gott-
geschenkten Anlage (Ebenbild Gottes). Der jugendliche Mensch
strauchelt und verfällt dem Tode; aber sein Fall ist entschuldbar
102 Grundlegung des Dogmas. [§ 22
(er ist der Verführte; er ist der Unwissende; er hat praetextu im-
mortalitatis sich verfahren lassen) und sogar teleologisch not-
wendig. Der ungehorsam ist für die Entwickelung des Menschen
forderUch gewesen. Um gewitzigt zu werden, musste er einsehen,
dass der Ungehorsam den Tod wirkt; er musste den Abstand zwi-
schen Mensch und Gott kennen lernen und den rechten Gebrauch
der Freiheit. Um Leben und Tod handelt es sich dabei; die Folge
der Sünde ist das eigentlich Fürchterliche. Aber die Güte Gottes
hat sich sofort gezeigt, sowohl in der Entfernung vom Baum des
Lebens als in der Verhängung des zeitlichen Todes. Der Mensch
erreicht seine Bestimmung in dem Moment wieder, wo er sich frei
für das Gute entscheidet, imd das kann er noch immer. Die Be-
deutung der Propheten und Christi reduzirt sich hier wie bei den
Apologeten auf die Lehre, die die Freiheit kräftigt (ebenso
lehrten TertuUian und Hippolyt). Die zweite Gedankenreihe des
Irenäus ist aus der gnostisch-antignostischen Rekapitulations-
theorie geflossen und ist durch Paulus beeinflusst. Sie befasst die
ganze Menschheit als den sündigen Adam, der, einmal gefallen,
sich selbst nicht helfen kann. Alle haben in Adam Gott beleidigt;
durch Eva ist das ganze Geschlecht dem Tod verfallen; die Bestim-
mung ist eingebüsst, und nur Gott kann helfen, indem er sich
wieder zur Gemeinschaft herablässt und uns nach seinem Wesen
wiederherstellt (nicht aus der Freiheit quillt die Seligkeit, sondern
aus der Gemeinschaft mit Gott, „m quantum deus nullius indiget,
in tantum homo indiget dei communione^^ IV, 14, 1). Christus als
der zweite Adam erlöst den ersten Adam (,yChristus lihertatem
restauraviif^), indem er Schritt für Schritt das in bonum restituirt,
was Adam in malum gethan hat. (Aus dem Weissagungsbeweis
wird hier eine Unheils- und Heilsgeschichte, diese ist das genaue
Gegenbild zu jener.) Nahezu naturalistisch ist diese religiöse,
historisirende Betrachtung ausgefühi't. Vor der Konsequenz der
Apokatastasis aller einzelnen Menschen hat den Irenäus nur die
moralistische Gedankenreihe bewahrt.
Die Idee des Gottmenschen beherrscht diese ganze Aus-
führung. Die kirchliche Christologie, soweit sie die Einheit der
göttlichen und menschlichen Natur in Christus betont, steht heute
noch bei Irenäus (TertuUian hat die Notwendigkeit der Einheit
nicht so durchschaut). Jesus Christus vere homo vere deus,
d. L 1) er ist wirklich das Wort Gottes, Gott von Art, 2) dieses
Wort ist wirklich Mensch geworden, 3) das menschgewordene
§ 22.] Irenäus, Tertullian, u. s. w. 103
Wort ist eine unzertrennbare Einheit. Das ist gegen die ,^bioni-
ten" und die Valentinianer durchgefakrt, die die Herabkunft eines
der yielen Äonen lehrten. Der Sohn steht in naturhafter, nicht
adoptirter Kindschaft (die Jungfrauengeburt ist recapitulatio:
Eya und Maria); sein Leib ist substanzieU mit dem unsrigen iden-
tisch-, denn der Doketismus bedroht die Erlösung ebenso wie der
^^bionitismus". Daher musste Christus auch, um den ganzen
Menschen rekapituliren zu können, ein volles Menschenleben von
der Geburt bis zum Greisenalter und zum Tode durchlaufen. Die
Einheit zwischen dem Logos und der Menschennatur hat Lrenäus
„adunitio verbi dei ad plasma" imd „communio et commixtio dei
et hominis" benannt. Sie ist ihm eine vollkommene; denn er will
in der Regel nicht geschieden wissen, was der Mensch und was
das Wort gethan hat. Dagegen hat Tertullian, von Irenäus
abhängig, aber die realistische Erlösungslehre nicht als den
Schlüssel des Christentums betrachtend, zwar die Formel „homo
deo mixtus" gebraucht, aber das „homo f actus" nicht in dem
strengen Sinn verstanden. Auch hier hat Tertullian (in der
Schrift adv. Prax.) die spätere (chalcedonensische) Terminologie
vorbereitet, ja geschaffen (die Ausprägung lässt den Juristen nicht
verkennen). Er spricht von den zwei Substanzen Christi
(corporalis et spiritualis), von der „conditio duarum
substantiarum", die in ihrer Integrität verharren, von
dem „duplex status domini, non confusus, sed coniunc-
tus in una persona — deus et homo". Tertullian hat sie
ausgebildet, indem er sich bemühte, die Meinung, Gott habe sich
verwandelt, abzulehnen (so einige Patripassianer); aber er
merkt nicht, obgleich er die alten Formeln „deus crucifixus",
„nasci se vult deus" braucht, dass die realistische Erlösung durch
die scharfe Unterscheidung der beiden Naturen stärker bedroht
wird als durch die Annahme einer Verwandlung. Er behauptet
eben nur die Einheit und lehnt es ab, dass Christus „tertium quid"
sei Allein auch Irenäus selbst konnte nicht umhin, den einen
Jesus Christus in gnostischer Weise wider seine eigene bessere
Absicht zu spalten: 1) gab es nicht wenige Stellen im N. T., die
man nur auf die Menschheit Jesu beziehen konnte (nicht auf den
Gottmenschen), wenn anders die naturhafte Gottheit nicht Schaden
leiden sollte (so z. B. die Herabkunft des Geistes bei der Taufe,
das Zittern und Zagen), 2) fasste Irenäus Christus auch so, dass
er der neue Adam („perfectus homo") sei, der den Logos besitzt,
104 Grundlegung des Dogmas. [§ 22,
der bei einzelnen Akten der Geschichte Jesu unthätig gewesen
sei. Die gnostische Unterscheidung des Jesus patibilis und des
Christus ocTcadijg ist von Tertullian ausdrücklich, von Irenäu»
indirekt legitimirt worden. So ist die kirchliche Zweinaturenlehre
entstanden. Hippolyt steht zwischen den beiden älteren Lehrern.
Aber die durchschlagende Auffassung des Irenäus bleibt
doch die Einheit. Indena Christus geworden ist, was wir sind,
hat er als Gottmensch rekapitulirend geleistet, was wir hätten
leisten sollen. Christus ist nicht nur „salus et salvator", sondern
sein ganzes Leben ist Heils werk. Von der Empfangniss bis zum
Begräbniss ist Alles innerlich notwendig. Irenäus ist der Vater
„der Theologie der Thatsachen" in der Kirche (Paulus hatte nur auf
den Tod und die Auferstehung Gewicht gelegt). Der Einfluss der
Gnosis ist unverkennbar, ja er braucht sogar dieselben Ausdrücke
wie die Gnostiker, wenn er in der blossen Erscheinung Jesu
Christi als des zweiten Adams einerseits und in der blossen Er-
kenntniss dieser Erscheinung andererseits die Erlösung voll-
zogen sieht (IV, 36, 7: i^ yvG)6Lg rot) viov tov d'eov^ ^tig fjv aq)d'aQ-
öca). Aber er betont doch die persönliche Leistung. Das Werk
Christi hat er imter mannigfaltige Gesichtspunkte gestellt (Rück-
führung zur Gemeinschaft, Wiederherstellung der Freiheit, Er-
lösung von Tod und Teufel, Versöhnung Gottes); der beherr-
schende ist die Beschaffung der äfp^agöCa (Adoption zu göttlichem
Leben). Aber wie unsicher ihm noch Alles war, verrät er 1, 10, 3,
wenn er die Frage, warum Gott Fleisch geworden, zu denen
rechnet, die den einfältigen Glauben nichts angehen. Dieser also
kann sich noch immer mit der Hoffnung der Wiederkunft Christi
und der Fleischesauferstehung begnügen. Zwischen dieser Hoff-
nung und der Vergottungsidee liegt die paulinische Ansicht
(Gnosis des Kreuzestodes) in der Mitte; Irenäus hat sich bemüht
auch ihr gerecht zu werden (der Tod Christi ist die wahre Er-
lösung). Allein den Gedanken der Versöhnung (das Lösegeld ist
an den „Abfall", nicht an den Teufel gezahlt) hat Irenäus nicht
erreicht; innerhalb der Rekapitulationstheorie spricht er die
Meinung aus, durch Ungehorsam an dem Holz sei Adam ein
Schuldner Gottes geworden und durch Gehorsam am Holz werde
Gott versöhnt. Ausführungen über ein stellvertretendes Straf-
leiden Christi finden sich bei Irenäus nicht; selten ist die Idee
des Opfertodes. Sündenvergebung kennt er im vollsten Sinne
nicht, sondern nur Aufhebung der Sünde und ihrer Folgen. Die
§ 22.] Irenäus, Tertullian, u. s. w. 105
Erlosten werden durch Christus zu einer Einheit zusammen-
gefasst, zu der wahren Menschheit, der Kirche, deren Haupt er
selber ist. Bei TertuUian und Hippolyt finden sich dieselben
Gesichtspunkte, nur tritt die mystische (rekapitulirende) Form
der Erlösung zurück. Sie wechseln mit Vorliebe zwischen der
rationalen und der paulinischen Erlösungsvorstellung {^totum
Christiani nominis et pondus et frnctus mors Christi^^ adv. Marc.
IQ, 8); aber Hippolyt hat der Auffassung von der durch Christus
herbeigeführten Vergottung einen klassischen Ausdruck verliehen,
dabei das rationale Schema (die Erkenntniss erlöst) doch ein-
flechtend (s. Philosoph. X, 34: Kai tavxa [die Hölle] ^^v i7Cfpevi,ri
%Bov tbv bvxa dida%%'Bvg, e^etg dh äd'dvarov rö iS&[ia xal aipd'aQtov
cifia ifv%fi xal ßa^iXaCav ovgav&v «ÄoA^t^Ty, 6 iv yfj ßioi)g xccl i%ov-
Qaviov ßccöilea iniyvovg^ iöy dh bfiLkrjTiig d'eov xal övyxlTjQOvö-
fwg XQLötov^ ovx iTCidv^iaig ij xdd'Söi xal voöoig Sovkov^evog.
yiyovag yäg d'sög' oöa yäg imsfieLvag jccc^rj ävd'QiDTCog c3i/, tavrcc
ididov^ ort avd'QCJTCog elg^ oöcc äa TtaQaxokovd'st d's^^ tccvtcc itags-
Xeiv iTCTJyyeXtatd'BÖg^ on id^sokoir^di^g^ dd-dvcctog ysvvrid'sig. rovr-
aöu rö Pv&d'i, öaavröv^ ijtiyvovg tbv Ttejcoirjxöra d'aöv .... Xqi-
6tbg ydg ictiv 6 xatct Ttdvrcov d'aög^ bg f^v a^iaprcav ^| dvd'QcoTtfDV
ditonkvvevv %Q06ita%a . . , oi 7CQ06rdy(ia6LV vTtccxovöag öaiivotg
xal dyad'ov dyad^bg yavönavog [liiiriTt^g^ aörj o^ioiog vtc^ avtov T^-
liirjd'sig. oi) yäp nt(o%avai d'abg xal 0a d'abv Tcoti^öag alg S6i,av ai-
rov). Schärfer treten bei dem Juristen TertuUian die BegrijBFe
culpa, reatus peccati etc. hervor; er hat auch schon „satisfacere
deo^', „meritum", „promereri deum", was dann Cyprian präziser
ausgeführt hat. Endlich findet sich bei TertuUian das Schema
von Christus als dem Bräutigam und der Einzelseele als der Braut,
eine verhängnissvoUe Modifikation des urchristlichen Schemas
von der Erche als dem Leibe Christi unter Einfiuss der heUeni-
schen philosophischen Vorstellung (s. auch die Valentinianer),
dass die Qottheit der Eheherr der Seele sei.
Höchst frappirt wird man durch die Eschatologie der alt-
katholischen Väter; denn sie entspricht weder ihrer rationalen
Theologie noch ihrer Mystik, sondern ist noch ganz archaistisch.
Aber sie repetiren dieselbe keineswegs notgedrungen (etwa der
Gemeinden oder der regula oder der Joh. Apok. wegen), sondern
sie und die lateinischen Väter des 3. und anfangenden 4. Jahrhun-
derts leben und weben noch ganz und gar in diesen Hoffixungen
der ältesten Gemeinden (wie Papias und Justin). Die paulinische
106 Grundlegung des Dogmas. [§ 22.
Eschatologie empfinden sie als Schwierigkeit, die urchristliche
sammt dem gröbsten Chiliasmus keineswegs. Das ist der deut-
lichste Beweis dafür, dass diese Theologen nur mit halber Seele
bei ihrer rationalen imd mystischen Theologie gewesen sind, die
ihnen durch den Kampf gegen die Grnosis aufgenötigt worden ist.
Sie haben in der That zwei Christus': den wiederkehrenden, den
Antichrist besiegenden imd das Gericht haltenden Kriegskönig
und den Logos, der bald als göttlicher Lehrer bald als Gottmensch
betrachtet wird. Eben diese Komplikation empfahl die neue
Kirchenlehre. Die Details der eschatologischen HoflEnungen bei
Irenäus (1. V, s. auch Melito), Tertullian und Hippolyt ( de antichr.)
sind in den Grundzügen ebenso stereotyp, im Einzelnen ebenso
schwankend wie in der früheren Zeit. Die Joh. Apok. sammt ge-
lehrter Auslegung steht neben Daniel im Vordergrund (6 resp.
7 tausend Jahre, heidnische Weltmacht, Antichrist, Sitz in Jeru-
salem, Kriegszug des wiederkehrenden Christus, Sieg, Aufer-
stehung der Christen, sinnliches Reich der Freuden, allgemeine
Auferstehung, Gericht, definitives Ende). Aber seit der monta-
nistischen Krise erhebt sich im Orient eine Gegenbewegung gegen
die Zukunftsdramatik (die „Aloger"); die gelehrten Bischöfe des
Orients im 3. Jahrb., vor Allem die Origenisten, bekämpfen sie
und mit ihr sogar die Joh. Apok. (Dionysius Alex.), finden aber
zähe Gegner imter den „simplices et idiotae" (Nepos in Ägypten).
Das christliche Volk Hess sich auch im Orient den alten Glauben
nur ungern rauben, musste sich aber allmählich fügen (die Apok.
verschwindet vielfach im Kanon orientalischer Kirchen). Im
Occident bleibt der Chiliasmus ungebrochen.
Es erübrigt noch die Lehre von den beiden Testa-
menten. Die Schöpfung des N. T. warf ein neues Licht auf das
A. T. Dieses galt nun nicht mehr einfach als ein christliches
Buch (Barnabas, Justin), aber auch nicht als ein Buch des Juden-
gottes (Marcion), sondern neben der alten Vorstellung, dass es
in jeder Zeile christlich sei und auf der Höhe der christlichen
Offenbarung stehe, bürgerte sich friedlich die andere, mit ihr un-
verträgliche ein, dass es eine Vorstufe Christi imd des N. T.
sei. Diese Betrachtung, in der eine geschichtliche Auffassung
aufdämmert, war zuerst von Valentinianem (ep. Ptolemaei ad
Floram) aufgebracht worden. Man wechselte nun je nach Bedarf:
bald soll das A. T. die volle Wahrheit in Gestalt der Weissagung
enthalten, bald ist es eine legisdatio in servitutem neben der neuen
§ 22.] Irenäus, TertuUian, u. s. w. 107
legisdatio in libertatem, ein alter vergänglicher Bund, der den
neuen vorbereitet hat, sein Inhalt die Geschichte der Pädagogie
Oottes mit seiner Menschheit, in jedem Stück heilsam und doch
vergänglich, zugleich der Schatten des Zukünftigen, typisch.
Gegenüber den gnostischen Angriffen bemühten sich jetzt die
Väter (in scharfem Gegensatz z. B. zum Barnabasbrief), die Vor-
trefiElichkeit auch des Ceremonialgesetzes darzulegen, und Paulus
wird geradezu verzerrt, um auch bei ihm die Devotion vor dem
Gesetze nachzuweisen. Weissagung, Typus, Pädagogie sind die
ausschlaggebenden Gesichtspunkte, und nur wo man durch keinen
Gegensatz bestimmt war, gab man zu, dass gewisse AT liehe Be-
stimmungen völlig abgethan seien. In dem Allen liegt trotz der
Konfusion und der bis heute verharrenden Widersprüche doch
ein Portschritt: man begann im A. T. zu unterscheiden, man kam
auf die Idee von Stufen der Wahrheit, von geschichtlichen Be-
dingungen (Tert. de orat. 1 : „quidquid retro fuerat, atit demutatum
est per Christum ^ ut circumcisio^ aut suppletum ut reliqua lex,
aut impletum ut prophetiaj aut perfedum ut fidcs ipsa^^). Indem
man jetzt zwei Testamente annahm, trat die spezifische Bedeutung
des christlichen Bundes mehr hervor (Tert.: „Zex et proplietae iiS"
que ad Johannem^^; die Apostel grösser als die Propheten); frei-
lich YRirde auch der neue Bund als „lex" behandelt, und deshalb
die hoffiiungslose Frage erörtert, ob Christus das alte Gesetz er-
leichtert oder erschwert habe. Die pädagogische Heilsgeschichte,
wie Irenäus sie zuerst entworfen und mit dem Weissagungsbeweis
verflochten hat, hat einen ungeheuren Eindruck gemaaht (ab initio
— Moses — Christus); der tertuUianische Zusatz (4. Stufe: paracle-
tus als novus legislator) hat sich nicht durchgesetzt, ist aber in
der Kirchengeschichte immer wieder aufgetaucht, da sich eben
Christus und Paulus nicht unter das Schema, neue Gesetzgeber
für das kirchliche Leben zu sein, zwingen lassen.
3. Der Ertrag der Arbeit der altkatholischen Väter für die
Eirche des 3. Jahrh. — im Abendlande hat Novatian die ter-
tuUianische Christologie ausgearbeitet und so das Nicänum und
Chalcedonense vorbereitet in seinem Werk de trinitate; Cyprian
hat die zu einer Heilsgeschichte entwickelte regula eingebürgert
und einen Teil der tertuUianischen Formeln weiteren Kreisen zu-
gänglich gemacht — liegt nicht in der Gewinnung einer syste-
matischen Dogmatik, sondern in der Widerlegung der Gnosis und
in theologischen Fragmenten, nämlich in der antignostisch inter-
108 GrundlegDDg des Dogmas. [§ 22.
pretirten, mit den Hauptsätzen der apologetischen Theologie ver-
knüpften Glaubensregel (s. vor Allem Cypriai^^s Schrift „testi^
monia"; hier bildet die Lehre von den beiden Testamenten, wie
Irenäus sie entwickelt, das Grundschema, in das die einzelnen
Lehrsätze eingestellt sind. Lehrsätze aus der rationalen Theo-
logie wechseln mit kerygmatischen Fakten; Alles wird aber aus
den beiden Testamenten bewiesen; Glaube und Theologie sind
nicht in Spannung). Um katholischer Christ zu sein, musste man
jetzt vornehmlich folgende Sätze glauben, die in scharfer Ab-
grenzung zu den Gegenlehren standen: 1) die Einheit Gottes, 2) die
Identität des höchsten Gottes und des Weltschöpfers, resp. die
Identität des Schöpfungs- und Erlösungsmittlers, 3) die Identität
des höchsten Gottes mit dem Gott des A. T. und die Beurteilung
des A. T. als des alten Offenbarungsbuchs Gottes, 4) die Schöpfung
der Welt aus Nichts, 5) die Einheit des Menschengeschlechts^
6) den Ursprung des Bösen aus der Freiheit und die ünverlier-
barkeit der Freiheit, 7) die beiden Testamente, 8) Christus als
Gott und Mensch, die Einheit seiner Persönlichkeit, die Natur^
haftigkeit seiner Gottheit, die Realität seiner Menschheit, die
Wirklichkeit seines Geschicks, 9) die Erlösung und Bundes-
schliessung durch Christus als die neue, abschliessende Gnaden-
erweisung Gottes für alle Menschen, 10) die Auferstehung des
ganzen Menschen, die Identität der sichtbaren katholischen, von
den Bischöfen geleiteten Kirche mit der himmlischen. Mit diesen
Lehren stand aber die Logoslehre im engsten Zusammenhang, ja
bildete gewissermassen das Fundament ihres Inhaltes und ihres
Rechtes. Wie sie sich durchgesetzt hat, soll im 7. Kap. gezeigt
werden. Von ihrer Durchführung hing aber auch die Entscheidung
der wichtigsten Frage ab, ob der christliche Glaube sich wie vor
Alters an den Sprüchen Jesu, an den Wirkungen seines Geistes
und an der Hoffnung auf den wiederkehrenden, das Reich grün-
denden Christus zu orientiren habe oder an dem Glauben an den
Gottmenschen, der die volle Erkenntniss gebracht hat und die
Natur des Menschen in göttliche Natur wandelt.
Sechstes Kapitel.
Die Umbildung der kirchliclien Überlieferung zu einer Religions-
philcsopliie oder der Ursprung der wissenschaftlichen kirchUchen
Theologie und Dogmatik: Clemens und Orlgenes.
Clemens' Werke (Ausgaben von Sylbiiru, Potteh, Dindorf), Orlgenes'
Werke (Ausgaben von De la Rue, Loumatzscu). — Huktics, Origeniana 1668
•§ 23.] Clemens von Alexandrien. 109
{s. den Abdruck bei Lomhatzsch T. 21 — 24). — HEFGüericke, de schola
quae Alex, floruit catechetica 1824. — ChBigg, The Christian Platonists of
Alex. 1886. — FJWinter, Ethik des Clemens 1882. — GThomasius, Ori-
genes 1837. — ERRkdepennino, Origenes 1841 f. — EDenis, Philosophie
^'Origfene 1884.
§ 23. Clemens von Alexandrien.
Die Gnostiker hatten Pistis und Gnosis scharf unterschieden 5
Irenäus und TertuUian hatten sich nur notgedrungen der Wissen-
schaft und Spekulation bedient, um sie zu widerlegen, das in
den Glauben selbst einrechnend, was sie an theologischer Ex-
plizirung bedurften. Im Grunde waren sie mit der Autorität, der
Hofi&iung und den h. Ordnungen des Lebens zufrieden; sie bauten
an einem Gebäude, das sie selbst nicht wollten. Aber seit dem
Ende des 2. Jahrh. beginnt in der Kirche der Trieb nach einer
wissenschaftlichen Religion und nach theologischer Wissenschaft
sich zu regen (Schulen in Kleinasien, Kappadocien, Edessa, Alia,
Cäsarea, Rom; Aloger, Alexander von Kappadocien, Julius Afri-
kanus, Theoktist, theodotianische Schulen). Am stärksten war
er in der Stadt der Wissenschaft, Alexandrien, wo das Christen-
tum in das Erbe Philo's eingetreten war und wo wahrscheinlich
bis gegen Ende des 2. Jahrh. eine strenge Formirung der
Christen auf exklusiven Grundlagen überhaupt nicht statt-
gefunden hatte. Die alexandrinische Kirche tritt zugleich mit
der alexandrinischen christlichen Schule in das Licht der Ge-
schichte (um 190); in dieser wurde die ganze griechische Wissen-
schaft gelehrt und im Dienst des Evangeliums und der Kirche
verwertet. Clemens, der Schüler des Pantänus, hat in seinen
Stromateis das erste christlich-kirchliche Werk geliefert, in dem
die Religionsphilosophie der Griechen nicht nur apologetischen
und polemischen Zwecken dient, sondern das Mittel ist, um
das Christentum dem Denkenden erst zu erschliessen
(wie bei Philo und Valentin). Die kirchliche Überlieferung ist
dem Clemens an sich ein Fremdes; er hat sich ihrer Autorität
unterworfen, weil ihm die h. Schriften als Offenbarung er-
schienen; aber er ist sich der Aufgabe bewusst, den Inhalt philo-
sophisch bearbeiten und sich denkend aneignen zu müssen. Die
Pistis ist gegeben; sie ist in die Gnosis umzuschmelzen d. h. eine
Lehre ist zu entwickeln, die den wissenschaftlichen Anforderungen
an eine philosophische Weltanschauung und Ethik genügt. Die
Gnosis widerspricht dem Glauben nicht, stützt und verdeutlicht
110 Grundlegung des Dogmas. [§ 2^.
ihn aber auch nicht nur an einigen Stellen, »ondern erhebt ihn in
eine höhere Sphäre: aus dem Bereiche der Autorität in die Sphäre
des hellen Wissens und der aus der Gottesliebe iäiessenden inneren
geistigen Zustimmung. Verbunden aber sind Pistis und Gnosis
dadurch, dass beide ihren Inhalt an den h. Schriften haben (doch
ist Clemens in praxi nicht so pünktlicher Schrifttheologe wie
Origenes). In diese werden die letzten Ziele und der ganze
Apparat der idealistischen griechischen Philosophie (beginnt
doch um 200 die neuplatonische Philosophie in Alexandrien und
steht sofort mit der christlichen teils in friedlichem, teils in pole-
mischem Austausch) hineingedeutet; sie werden zugleich an Jesus
Christus und das kirchliche Christentum — soweit es ein solches
damals in Alexandrien gab — geheftet. Die apologetische Auf-
gabe, die sich Justin gestellt hat, ist hier in eine systematisch-
theologische verwandelt. Der positive Stoff ist demgemäss nicht
in den Weissagungsbeweis geschoben, sondern, wie bei Philo
und Valentin, in unendlicher Bemühung in wissenschaftliche
Dogmatik umgesetzt.
Der Idee des Logos, welcher Christus ist, hat Clemens, in-
dem er sie zum höchsten Prinzip der religiösen Welterklärung
und der Darstellung des Christentums erhob, einen viel reicheren
Inhalt gegeben als Justin. Das Christentum ist die Lehre von
der Schöpfung, Erziehung und Vollendung des Menschenge-
schlechts durch den Logos, dessen Werk in dem vollkommenen
Gnostiker gipfelt und der sich zweier Hülfsmittel bedient hat, des
ATlichen Gesetzes und der griechischen Philosophie (Strom. 1, 5,
28 sq.: TtdvtcDV ^ev aÜtcog r&v xaXmv 6 d'sög^ akkä t&v (i€V otatä
TtQOTjyovfisvov d)s trjs te diad'7]xrjg rrlg jtaXaiag xal rrlg viag^ t&v
dh xccT 87taKoXovd"rj^a d}g rrig cpiXoöocpCag. xd%a 8% xal nQorjyov-
pLEvag toig "Eklriöiv id6d"rj töte tcqIv t) tbv xvqlov xaXieai xal
tovg "EXXrivag' S'XaiöayGi'yei yäg xal avxii rö ^EXXiqvLxbv d}g 6 i/d-
^og tovg ^EßQaiovg sig XQL6t6v), Logos ist überall, wo sich der
Mensch über die Naturstufe erhebt (der Logos ist das Sittliche
und Vernünftige auf allen Stufen der Entwickelung); aber die
authentische Kenntniss von ihm kann nur aus der Offenbarung
gewonnen werden. Er ist das Weltgesetz, der Lehrer, oder in
Christus der Hierurg, der durch h. Weihen in die Erkenntniss
einführt, schliesslich für den Vollkommenen die Brücke zur Eini-
gung mit Gott selbst. Ausser den h. Schriften ermöglichte es die
griechische Kombination von Erkenntniss und ceremoniösen
§ 23.] Clemens von Alexandrien. 111
Weihen dem Clemens, das kircliliclie Christentum gelten zu
lassen. Der kirchliche Gnostiker erhebt sich gleichsam mittelst
eines an der Schrift und dem Gemeindechristentum befestigten
Ballons zu den göttlichen Sphären; er lässt alles Irdische, Ge-
schichtliche, Statutarische und Autoritative, ja schliesslich den
Logos selbst hinter sich, indem er in Liebe und Erkenntniss auf-
strebt; aber das Seil bleibt unten befestigt, während die Gno-
stiker es (in Bezug auf das Gemeindechristentum) abschnitten.
Die Erhebung vollzieht sich in einem geordneten Stufengang
(Philo), bei dem die gesammte philosophische Ethik zum Aus-
druck kommt, vom verständigen Masshalten bis zum Excess des
Bewusstseins und der apathischen Liebe. Auch die kirchliche Tra-
dition kommt zum Ausdruck; aber der wahre Gnostiker soll auf
der höheren Stufe die niedere überwinden. Wenn dem Geist die
Flügel wachsen, bedarf er keiner Krücken. So wenig es dem
Clemens noch gelungen ist, den ungeheuren Stoff seinem Zweck-
gedanken unterzuordnen, so deutlich ist doch die Absicht.
Während Irenäus ganz naiv Disparates vermengt und daher
keine religiöse Freiheit gewinnt, ist Clemens zur Freiheit gelangt.
Er hat die Aufgabe der zukünftigen Theologie zuerst ins Auge
gefasst: im Anschluss an die geschichtlichen Überlieferungen,
durch die wir geworden sind, was wir sind, und im Anschluss an
die christliche Gemeinschaft, auf die wir angewiesen sind, weil sie
die einzige universelle sittlich-religiöse Gemeinschaft ist, an dem
Evangelium Freiheit und Selbständigkeit des eigenen Lebens zu
gewinnen und dieses Evangelium so darzustellen, dass es als die
höchste Kundgebung des Logos erscheint, der sich in jeder Er-
hebung über die Naturstufe und daher in der ganzen Geschichte
der Menschheit bezeugt hat. Freilich ist bei Clemens die Gefahr
vorhanden, dass das Ideal des selbstgenügsamen griechischen
Weisen die Stimmimg verdrängt, dass wir von der Gnade Gottes
in Christo leben; aber die Gefahr der Verweltlichung ist in der
gebundenen Auffassung des Irenäus, welche Autoritäten in Gel-
tung setzt, die mit dem Evangelium nichts zu thun haben, und
Heilsthatsachen aufrichtet, die abstumpfen, nur andersartig, aber
nicht geringer. Wenn das Evangelium Freiheit und Friede in
Gott geben und an ein ewiges Leben im Zusammenschluss mit
Christus gewöhnen will, so hat Clemens diesen Sinn verstanden.
Es ist wirklich ein Versuch, das Ziel des Evangeliums, reich zu
sein in Gott und von ihm Kraft und Leben zu empfangen, mit dem
112 Grundlegung des Dogmas. [§ 24.
Ideal der platonischen Philosopliie, sicli als freier Geist über die
Welt zu Gott zu erheben, zu verschmelzen und die Anweisungen
zu einem seligen Leben dort und hier zu verknüpfen (wie freudig
und wie kühn Clemens als Denker gewesen ist, zeigt das fast
vermessene Wort Strom. IV, 22, 136: si yovv reg xad'^ 'b%6^£6iv
^Qod'Btri rö yvcjötix^ nöteQOv ikaöd'aL ßovkoito ri)v yv&öiv zov
^sov 7} Ti^ öcarrjQLav ri)v aCiovCav^ sCrj de xavta iuxiOQtöusva
Ttavtbg fiäXXov iv tavtörritL &vtcc^ ovdh xad'^ driovv SLördöccg
ekoir &v xiiv yv&6iv zov %'aov). Aber erst dem Origenes ist es
gelungen, dies in Form eines Systems zu thun, in dem skrupu-
löser Biblicismus und sorgßltige Achtung der Glaubensregel mit
der kühnsten Religionsphdlosophie verbunden sind. Clemens ist
in der Aufgabe stecken geblieben. Auch im Einzelnen findet sich
recht viel Heterodoxes in der Ausführung seines, wie er selbst
wusste, gefahrlichen Unternehmens, die Religion in Religions-
philosophie umzuschmelzen. Die späteren KW. haben Doke-
tisches und Dualistisches in seinen Werken missliebig bemerkt.
Ein fest geschlossenes N. T. kannte Clemens noch nicht. Was
religiös anregend und gut ist, ist auch inspirirt. Aber die In-
spiration hat ihre Stufen. Das A. T. und die 4 Evangelien stehen
auf der höchsten Stufe. Neben ihnen benutzt Clemens sehr viele
altchristliche Schriften als Instanzen mit abgestufter Dignität
(Clemensbrief, Barnabasbrief, Hermas, Apok. Petri, Kerygma
Petri, Didache u. s. w.).
§ 24. Origenes.
Origenes ist der einflussreichste Theologe der morgen-
ländischen Kirche, der Vater der theologischen Wissenschaft,
der Schöpfer der kirchlichen Dogmatik. Was Apologeten, Gno-
stiker und altkatholische Theologen gelehrt, verbindet er; er
hat das Problem und die Probleme erkannt, die historischen und
die spekulativen. Er hat mit klarstem Bewusstsein zwischen
kirchlichem Glauben und kirchlicher Theologie scharf geschieden,
anders zu dem Volke sprechend, anders zu den Wissenden. Sein
universaler Geist wollte nirgends auflösen, sondern überall kon-
serviren; er fand überall Wertvolles und wusste jeder Wahrheit
ihre Stelle zu geben, sei es in der Pistis, sei es in der Gnosis;
Niemand sollte „geärgert" werden; aber die christliche Wahrheit
sollte siegen über die Systeme der griechischen Philosophen und
der heterodoxen Gnostiker, über die Superstition der Heiden und
§ 24.] Origenes. 113
Juden und über die dürftigen Vorstellungen christlicher üni-
tarier. Diese christliche Wahrheit erhielt aber als Gnosis neu-
platonisches Gepräge, und zwar in so hohem Masse, dass ein
Porphyrius die kosmologische Theologie des Origenes gut-
geheissen und nur die eingemischten „fremden Fabeln" verworfen
hat (s. sein Urteil bei Euseb., h. e. VI, 19, 7). In umrissener fester
Gestalt setzte sich Origenes (s. sein Hauptwerk tcsqI ägi^v) die
Glaubensregel voraus sammt den beiden Testamenten: wer sie
hat, hat die Wahrheit, die selig macht; aber es giebt eine tiefere,
befriedigendere Fassung. Auf ihrer Höhe werden alle Kon-
traste zu Schattirungen, und in der absoluten Stimmung, die
sie gewährt, lernt man relativ urteilen. So ist Origenes recht-
gläubiger Traditionalist, strenger biblischer Theologe (nichts
soll gelten, was nicht in den Schriften steht), kühner idealistischer
Philosoph, der den Inhalt des Glaubens in Ideen umsetzt, die
Welt des Innern ausbaut und schliesslich nichts gelten lässt, als
Gottes- und Selbsterkenntniss in engster Verbindung, die zur Er-
hebung über die Welt und zur Vergöttlichung führt. Aber Zeno
und Plato sollen doch nicht die Führer sein, sondern Christus;
denn jene haben weder den Polytheismus überwunden, noch die
Wahrheit allgemein zugänglich gemacht, noch eine Lehran-
weisung gegeben, die es auch den Ungebildeten ermöglicht, um
soviel gebessert zu werden, als es ihre Fassungskraft erlaubt.
Dass das Christentum Beides ist, Religion für den gemeinen Mann
ohne Polytheismus (freilich mit Bildern und Zeichen) und Reli-
gion für den denkenden Geist, darin erkannte Origenes die Über-
legenheit dieser Religion über alle Religionen und alle Systeme.
Die christliche Religion ist die einzige Religion, die
auch in mythischer Form Wahrheit ist. Die Theologie hat
5ich freilich — wie immer, so auch hier — von den für die posi-
tive Religion charakteristischen Merkmalen der äusseren Offen-
barung und der Satzungen zu emanzipiren, aber im Christentum
thut sie das unter Anweisung und auf Grund derselben hei-
ligen Urkunden, die die positive Religion für die Menge be-
gründen. Die Gnosis neutralisirt alles empirisch-Geschichtliche,
wenn auch nicht immer in seiner Thatsächlichkeit, so doch durch-
weg in seinem Werte. Sie sublimirt aus der empirischen Ge-
schichte eine höhere transzendentale Geschichte, die in der Ewig-
keit anhebt und hinter der empirischen ruht; aber im Grunde
£ubliniirt sie diese transzendentale noch einmal, und es bleibt nur
GrandriSB IV. nr. Habrack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 8
114 Grundlegung des Dogmas. [§ 24.
der unveränderliche Gott und die geschaffene Seele, die von Gott
durch und zu Gott aufstrebt, übrig. Am deutlichsten ist das an
der Christologie. Hinter dem historischen Christus ruht der
ewige Logos; er, der erst als Arzt und Erlöser erscheint, erscheint
bei tieferer Betrachtung als der Lehrer — selig die Geforderten,
welche des Arztes, des Hirten und Erlösers nicht mehr bedürfen!
in Joh. I, 20 sq.: ^aycd^LOL ya o6ol Se6^evoL xov vlov tov ^sov
rotovrot yBy6va6LV^ cag firjx^ti aitov ;^p^5*ti/ iaxQov tovg xax&g
i^ovrag d'SQaxsvovtog^^Tjdi Ttoi^avog^ jLwjdf a^okxrtQmöscog^ äkXa
6oq)Cag xal Xöyov xal dixaio^vvrig — aber auch der Lehrer ist
schliesslich dem Vollkommenen nicht mehr nötig; er ruht in
Gott. So ist hier das kirchliche Christentum als Hülle abgestreift
und als Krücke verworfen. Was bei Justin Weissagungsbeweis,
bei Irenäus Heilsgeschichte ist, verdampft bei Origenes für den
Gnostiker oder ist nur Bild einer unsinnlichen Geschichte. Im
letzten Grund fehlt der hochfliegenden. Alles umspannenden Ethik
doch das Gefühl der Schuld und der Ehrfurcht vor der Majestät
Gottes und vor dem Richter. Der Geist fühlt sich hier fast als
ein Teil Gottes, nicht als sein Ebenbild und Kind, obgleich
die Kreatürlichkeit so stark betont wird.
Das System soll streng monistisch sein (das aus dem Nichts
erschaffene Materielle hat nur transitorische Bedeutung als Läu-
terungsort); faktisch wohnt ihm doch ein dualistisches Moment
inne. Der beherrschende Gegensatz ist Gott und das Geschaffene.
Die Amphibolie liegt in der doppelten Betrachtung des Geistigen
(es gehört einerseits als Wesensentfaltung Gottes zu Gott selbst,
es steht andererseits als Geschaffenes Gott gegenüber), die in allen
neuplatonischen Systemen wiederkehrt. Der Pantheismus soll ab-
gewehrt und doch die Überweltlichkeit des menschlichen Geistes
festgehalten werden. Dieser ist der freie, aber in seinem dunklen
Drang sich des rechten Weges wohlbewusste, himmlische Aon.
Göttlicher Ursprung, göttliches Ziel, freie Entscheidung konsti-
tuiren sein Wesen. Der Knoten ist aber bereits in dem Moment
geschürzt, wo der Geist in die Erscheinung tritt. Also giebt es
eine Geschichte vor der Geschichte. Das System hat drei Teile:
1) Gott und seine Entfaltungen, 2) der Abfall des kreatürlichen
Geistes und seine Folgen, 3) Erlösung und WiederherstelluDg.
Dass die Freiheit zum Schein zu werden droht, wenn der Geist
sein Ziel erreichen m u s s, hat Origenes nicht bemerkt. In der Aus-
führung nimmt er es so ernst mit ihr, dass er selbst die göttliche
§ 24.] Origenes. 115
Allmacht und Allwissenheit beschränkt. Aus der h. Schrift wird
das Gott -Welt -Drama angeblich abstrahirt (die Geheimtradition,
welche noch bei Clemens eine grosse Rolle spielt, tritt ganz zu-
rück). Wie der Kosmos geistig, psychisch und materiell ist, so
besteht auch die h. Schrift, diese zweite Offenbarung, aus diesen
drei Teilen. Damit ist der Exegese die sichere Methode gegeben;
sie hat 1) den Wortsinn zu ermitteln, der aber die Schale ist,
2) den psychisch- moralischen Sinn, 3) den pneumatischen. Hie
und da kommt allein dieser pneumatische in Betracht und muss
der Wortsinn sogar verworfen werden, wodurch man eben zur
Auffindung des tieferen veranlasst wird. Diese biblische Alchemie
hat Origenes mit höchster Virtuosität ausgebildet.
a) Gott ist das Eine, welches dem Vielen gegenüber steht,
das auf ihn als die Ursache zurückweist; er ist das schlechthin
Seiende und Geistige, das dem bedingt Seienden gegenüber steht.
Er ist anders als das Viele, aber die Ordnung, die Unselbständigkeit
und die Sehnsucht des Vielen kündet von ihm. Gott als die ab-
solute Kausalität mit Bewusstsein und Wille ist von 0. leben-
diger, so zu sagen persönlicher vorgestellt als von den Gnostikem
und Neuplatonikern. Aber Gott ist stets als Kausalität, daher nie
ohne Offenbarung zu denken. Dass er schafft, gehört zu seinem
Wesen, das ja eben in dem Vielen hervortritt. Da aber alle Offen-
barung ein Begrenztes sein muss, so lässt 0. keinen schranken-
losen Begriff der Allwissenheit und Allmacht gelten; Gott kann
nur, was er will; er kann nicht, was in sich einen Widerspruch
hat, also nicht existent werden kann (alle Wunder sind natürlich);
er kann sogar nicht das Geschaffene absolut gut gestalten, weil
der Begriff des Geschaffenen eine privatio des Seins in sich
schliesst; er kann es nur möglichst gut machen; denn niemals
geht die Idee ohne Rest in den Stoff auf, der sie zur Darstellung
bringt. Auch die Freiheit setzt Gott eine Schranke, die er sich
freilich selbst geschaffen hat. So wird die relative Betrachtung
auf den Gottesbegriff selbst angewandt. Gott ist Liebe und Güte;
die Gerechtigkeit ist eine Erscheinungsform der Güte.
Da Gott ewig offenbart, so ist die Welt ewig, aber nicht diese
Welt, sondern die Welt der Geister. Mit dieser aber ist Gott durch
den Logos verbunden, in dem sich Gott mit Abstreifang der ab-
soluten Apathie noch einmal setzt. Der Logos ist Gott selbst und
zugleich das Integral und der Schöpfer des Vielen (Philo), eine
besondere Hypostase, wie auch Bewusstseiu Gottes und Potenz
8*
116 Grundlegung des Dogmas. [§ 24.
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der Welt. Der Logos ist das vollkommene Ebenbild (axccQcckka-
xtog elxAv) Gottes (ß^oov6Log). Er hat nichts Körperliches an
sich, ist darum wahrhafter Gott, aber zweiter Gott (keine mit-
geteilte Gottheit, oi xarä ^STOveiav^ &Xkä xax ov6iav d^sög). Er
ist aus dem Wesen des Vaters von Ewigkeit gezeugt; es gab
keine Zeit, wo er nicht war, und fort und fort geht er hervor kraft
göttlichen notwendigen Willens aus dem Wesen. Aber eben weil
er substantia substantialiter subsistens ist, ist er als solche kein
aydvvrjtov'^ er ist ein airiccröVy der Vater das TCQßytov atriov. So
ist er die erste Stufe des Übergangs des Einen zu dem Vielen;
vom Standpunkt Gottes das %xC6yLa 6^oov6iov^ von unserem Stand-
punkt der offenbare Gott von Art. Also nur für uns besteht die
Gleichartigkeit von Vater und Sohn; seine ünwandelbarkeit ist
daher auch nur relativ, weil sie nicht auf Autousie ruht. Überall
ist bei diesen Spekulationen an den Logos den Schöpfer, nicht an
den Logos den Erlöser gedacht. Auch der h. Geist — die Glaubens-
regel nötigte ihn auf — wird als drittes unwandelbares Wesen in
die Gottheit gerechnet, als dritte Stufe und Hypostase. Er ist
durch den Sohn geworden und verhält sich zu diesem, wie der
Sohn zum Vater. Sein Wirkungskreis ist der kleinste, freilich —
seltsam genug — der wichtigste. Der Vater ist das Prinzip des
Seienden, der Sohn des Vernünftigen, der Geist des Geheiligten.
Diese abgestufte Trinität ist Offenbarungstrinität, aber eben des-
halb auch immanent und beharrlich, weil Gott niemals ohne die
Offenbarung gedacht werden kann. Der h. Geist ist der Übergang
zu der Fülle von Geistern und Ideen, die, durch den Sohn geschaf-
fen, in Wahrheit die Entfaltung seiner Fülle sind. Das Charakte-
ristische der geschaffenen Geister im Unterschied von Gott ist
das Werden (Fortschritt, ngoxoTti^), d. h. die Freiheit (Gegensatz
zur häretischen Gnosis). Aber die Freiheit ist doch relativ, d. h.
in der übersehbaren Zeit sind sie frei; im Grunde aber herrscht
die strenge Notwendigkeit für den geschaffenen Geist, das Ziel zu
erreichen. Die Freiheit ist also sub specie aetemitatis notwen-
dige Entwickelung. Aus der Freiheit hat 0. den wirklichen
Kosmos zu verstehen gesucht; denn zu den Geistern gehören auch
die Menschengeister; sie sind alle von E wigkeit geschaffen (Gott
ist immer Schöpfer), vom Ursprung her gleich; aber ihre Aufgabe
und demgemäss ihre Entwickelung ist verschieden. Sofern sie
wandelbare Geister sind, sind sie alle mit einer Art von Körper-
lichkeit behaftet. In dem Geschaffensein selbst ist für Engel und
§ 24.] Origenes. 117
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Menschen schon eine Art Materialität gesetzt. Wie sie sich hätten
entwickeln können, darüber hat 0. nicht spekulirt, sondern nur,
wie sie sich entwickelt haben.
h) Sie alle sollen ein beharrliches Wesen erreichen, um dann
neuen Schöpfungen Platz zu machen. Aber sie fallen in Trägheit
und Ungehorsam (präexistenter Sündenfall). Um sie zu zügeln
und zu läutern, ist die Sinnenwelt geschaffen; diese ist also ein
Zuchthaus, und die Geister werden durch das Band der Seele in
verschiedenartige Körper geschlossen, die gröbsten haben die
Teufel, die feinsten die Engel, die Menschen die mittleren, die
von Teufeln und Engeln unterstützt und gefährdet werden (Re-
zeption volkstümlicher Vorstellungen). Das Leben ist eine Auf-
gabe, ein Kampf unter Gottes Zulassung und Leitung, der mit der
Niederlage des Bösen und mit seiner Vemichtimg enden soll. So
herbe, fast buddhistisch 0. von der Welt denkt — im Grunde ist
er doch Optimist. Der Mensch besteht aus Geist, Seele und Leib
(die Unterscheidung von Geist und Seele nach Plato und weil der
Geist nicht Prinzip der widergöttlichen Aktion seia kann; die Seele
ist so widerspruchsvoll behandelt, wie der Logos: sie ist erkalteter
Geist und doch kein Geist; sie soll einerseits den Fall denkbar
machen und doch die Vernunftseele in ihrer Integrität schützen).
Der Kampf des Menschen besteht in dem Streben der iu seiner
Konstitution gesetzten Faktoren, die Herrschaft über die Aktions-
sphäre zu gewinnen. Die Sünde liegt einerseits in dem irdischen
Zustande vor (im Grunde müssen Alle Sünder sein); andererseits
ist sie Produkt der Freiheit, eben deshalb aber überwindlich,
wobei Gott hilft. Denn ohne ihn ist nichts Gutes.
c) Aber wir müssen uns selbst helfen; Gott hilft als Lehrer,
erst durch das Naturgesetz, dann durch das mosaische Gesetz,
dann durch das Evangelium (Jedem nach seiner Eigenart und dem
Mass seiner Fähigkeit), den Vollkommenen durch das ewige
Evangelium, das keine Hüllen und Bilder hat. Die Offenbarung
ist eine mannigfaltige, stufenweise Hülfleistung, welche der
seufzenden Kreatur entgegenkommt (sogar die Bedeutung des
Volkes Israel ist erkannt). Aber der Logos musste selbst er-
scheinen und helfen. Sein Werk musste so komplizirt sein, wie
das Bedürfhiss es ist: den Einen musste er wirklich den Sieg über
den Tod und die Dämonen zeigen, musste als „Gottmensch^^ ein
Opfer bringen, das die Sühne der Sünde darstellt, musste ein
Lösegeld zahlen, das der Herrschaft der Teufel ein Ende bereitete
118 Grundlegung des Dogmas. [§ 24.
— kurz er musste eine verständliche Erlösung in „Thatsachen*'
bringen (Origenes hat zuerst in der Heidenkirche eine Theorie der
Versöhnung und Entsühnung; aber man beachte, in welcher Zeit
er geschrieben hat). Den Anderen aber musste er als göttlicher
Lehrer und Hierurg die Tiefen der Erkenntniss aufschliessen und
ihnen damit ein neues Lebensprinzip bringen, so dass sie nun an
seinem Leben Teil hätten und verwebt mit dem göttlichen Wesen
selbst göttlich würden. Rückkehr in die Gemeinschaft mit Gott
, ist hier wie dort das Ziel, dort durch Facta, auf die man den Glau-
ben richtet, hier durch Erkenntniss und Liebe, die über den Ge-
kreuzigten hinaufstrebend, das ewige Wesen so erfassen, wie es
der Logos selbst umfasst. Die „Thatsachen" sind also nicht, wie
bei den Gnostikem, Schein oder indifferente Basis der Wahrheit,
sondern sie sind Wahrheit, aber nicht die Wahrheit. So hat er
Glauben und Religionsphilosophie versöhnt. Er kann die kos-
mische Bedeutung des Kreuzestodes preisen, dessen Wirkung alle
Geister umfasst, und überfliegt doch dies Ereigniss durch die
Spekulation, für die es keine Geschichte giebt.
Hiernach gestaltet sich dieChristologie: ihr Charakteristisches
ist die Komplizirtheit: der Erlöser ist alles das gewesen, was
Christen fromm von ihm denken können. Für den Gnostiker ist
er das göttliche Prinzip, der Lehrer, der Erstling, die erkennbare
göttliche Vernunft. Der Gnostiker kennt keine „Christologie":
von Christus her hat die vollkommene Einwohnung des Logos in
den Menschen ihren Anfang genommen. Also ist hier weder die
Gottheit noch die Menschheit Christi eine Frage oder ein Problem.
Aber für den unvollendeten Christen ist Christus der Gottmensch,
und der Gnostiker hat die Pflicht, das Problem, das diese Aussage
bietet, zu lösen und die Lösung nach links und rechts vor In:-
tümern zu schützen (gegen Doketismus und „Ebionitismus^^. Der
Logos konnte sich mit dem Leibe nur durch das Medium einer
menschlichen Seele verbinden. Diese Seele war ein nie gefallener
reiner Geist, der sich zur Seele bestimmt hatte, um den Absichten
der Erlösung zu dienen. Sie war als reine im Grunde stets mit
dem Logos verbunden und wurde dann ihrer sittlichen Würdig-
keit wegen Mittel für die Menschwerdung des Logos (innigste
Verbindung, aber eigentlich nur durch unablässige Willens-
bewegung von beiden Seiten perfekt; also keine Vermischung).
Der Logos bleibt unveränderlich; nur die Seele hungert und
leidet, wie sie denn, ebenso wie der Leib, wahrhaft menschlich ist.
§ 24.] Origenes. 119
Aber weil beide rein sind und die Materie an sich qnalitätslos ist,
war der Leib doch, faktisch ganz anders wie unserer (noch doke-
tischer ist Clemens). Der Leib konnte jeden Augenblick so ge-
staltet sein, wie es die Situation verlangte, um den stärksten Ein-
druck auf die Verschiedenen zu machen. Auch war der Logos
nicht in dem Leib eingeschlossen, sondern wirkte überall wie
vorher und verband sich mit allen frommen Seelen. Freilich
wurde die Verbindung mit keiner so innig wie mit der Seele Jesu
und deshalb auch mit seinem Leibe. Der Logos verklärte und
vergöttlichte stufenweise während des irdischen Lebens die Seele
und diese den Leib. Die Funktionen und Prädikate des mensch-
gewordenen Logos bilden eine Stufenleiter, in deren Erkenntniss
der Gläubige successive fortschreitet. Die Verbindung (xotvcovta,
£vc36tg^ ävaKQccöis) wurde so innig, dass die Prädikate von der
h. Schrift vertauscht werden. Zuletzt erscheint Jesus in Geist
verwandelt, in die Gottheit aufgenommen, derselbe mit dem
Logos. Aber die Verbindung ist im Grunde eine ethische und
schliesslich keine einzigartige. Alle denkbaren Häresien sind hier
gestreift, aber durch Kautelen umgrenzt (Jesus der himmlische
Mensch — aber alle Menschen sind himmlisch; die adoptianische
Christologie — aber der Logos steht hinter ihr; die Auffassung
von zwei Logoi; die gnostische Zerreissung von Jesus und
Christus; monophysitische Vermischung; der Doketismus), aus-
genommen ist nur der Modalismus. Dass in einer wissenschaft-
lichen Christologie soviel Raum für die Menschheit gelassen ist,
ist dasWichtige:dieIdee der Mensch werdung ist aufgenommen.
Die Heilsaneignung ist mit dem Allen schon gezeichnet: die
Freiheit und der Glaube gehen voran: wie in Christus die mensch-
hche Seele sich stufenweise mit dem Logos verbunden hat, so
erhält auch der Mensch Gnade gemäss seinen Fortschritten (neu-
platonischer Stufengang der Erkenntniss von der niederen Wissen-
schaft und den sinnlichen Dingen an; doch tritt Ekstase und Vision
zurück; wenig Helldunkles). Überall ist ein Ineinander von Frei-
heit und Erleuchtung nötig, imd der kirchliche Glaube bleibt der
Ausgangspunkt auch des „theoretischen Lebens^^, bis es zur freu-
digen asketischen Beschaulichkeit kommt, in der der Logos der
Freund und Bräutigam der Seele ist (Komment, z. Hohenlied), die
nun vergottet in Liebe der Gottheit anhängt. Eine Wiedergeburt
kennt 0. nur als Prozess; aber bei ihm und Clemens (s. besonders
Paedag. I, 6) finden sich in Anschluss an das N. T. Ausführungen
120 Grundlegung des Dogmas. [§ 24.
(Gott als die Liebe, als der Vater, Wiedergeburt, Adoptio), welche,
frei von den Fesseln des Systems, die evangelische Verkündigung
in überraschend treffender Weise darlegen. Im höchsten Sinn
giebt es keine Gnadenmittel, aber die Symbole, welche die Mit-
teilung der Gnade begleiten, sind nicht gleichgiltig. Das System
zahlreicher Vermittler und Intercessoren (Engel, Märtyrer, lebende
Heilige) hat 0. erst recht in Wirksamkeit gesetzt und ihre An-
rufung angeraten (in Bezug auf das Gebet zu Christus ist 0. sehr
zurückhaltend gewesen, s. seine Schrift de orat.).
Nach 0. werden alle Geister in der Form ihres indivi-
duellen Lebens schliesslich gerettet und verklärt (Apokatastasis),
um einer neuen Weltepoche Platz zu machen. Die sinnlich-escha-
tologischen Erwartungen sind sämmtlich verbannt. Der Lehre
von der „Auferstehung des Fleisches" hat 0. sich angeschlossen
(Glaubensregel), sie aber so gedeutet, dass ein corpus spiritale
auferstehen wird, dem alle Eigenschaften des Sinnlichen, ja auch
alle Glieder, die sinnliche Funktionen haben, fehlen werden, und
das, wie die Engel und Gestirne, in Lichtglanz strahlen wird.
Die Seelen der Entschlafenen kommen sofort ins Paradies (kein
Seelenschlaf)*, die noch nicht geläuterten Seelen in einen neuen
Strafzustand (Straffeuer), der sie weiter läutern wird (Qualen des
Gewissens sind die Hölle). Aber nur soweit rezipirt 0. die kirch-
liche Lehre von der Verdammniss; zuletzt werden alle Geister,
selbst die Dämonen, geläutert zur Gottheit zurückkehren. Doch
ist die Lehre esoterisch: „für den gemeinen Mann genügt es, zu
wissen, dass der Sünder bestraft wird."
Dieses System hat die häretisch-gnostischen aus dem Felde
geschlagen und in der Folgezeit die kirchliche Theologie des
Orients — allerdings unter strengen Restriktionen — beherrscht.
Die Kirche konnte auf die Dauer weder alle Lehren des O. gut-
heissen, noch sich bei seiner scharfen Scheidung von Glaube und
Glaubens Wissenschaft beruhigen. Sie musste es versuchen,
beide doch in einander zu schieben und auf eine Fläche zu setzen
(wie Irenäus).
Siebentes Kapitel.
Der entscheidende Erfolg der theologischen Spekulation auf
dem Gebiet der Glaubensregel oder die Präzisirang der kirch-
lichen Lehmonn durch die Aufnahme der Logoschristologie.
Quellen: Das Material ist aus der gesammten Litteratur von Irenäus
bis Athanasins zusammenzubringen. — AHabnack, Monarchianismus in RE*.
Einleitg. z. §§25 f.] Die Receptioo der Logoschristologie. 121
Allein die Logoschristologie Hess eine Verbindung des Glau-
bens mit der damaligen Wissenschaft zu, entsprach der Formel,
dass Gott Mensch geworden, damit wir Götter würden, und stützte
so das Christentum nach aussen und nach innen. Aber sie war
in den Gemeinden um 190 und später noch keineswegs verbreitet,
vielmehr teils unbekannt, teils als häretisch-gnostisch (Aufhebung
der göttlichen Monarchie, resp. andererseits der Gottheit Christi)
gefürchtet; Tert. adv. Prax. 3: ,ySimplices quique, ne dixerim inpru-
dentes et idiotae^ quae maior semper pars credentium est, quoniam et
ipsa regtda fidei a plwribus diis saeculi ad unicum et verum deum
transferty non intellegentes unicum quidem, sed cum sua oixovoiiia
esse credendum, expavescunt ad olxovo^Cav . . . Itaque duos et tres
iam iactitant a nöbis praedicari, se vero unius dei cultores praesn-
munt . . . monarchiam inquiunt tenemus'^] ähnlich haben sich Hip-
polyt und Origenes ausgesprochen. Die Einbürgerung der Logos-
christologie in dem Glauben der Kirche — und zwar als articulus
fundamentalis — hat sich nach schweren Kämpfen im Lauf eines
Jahrhunderts (bis gegen 300) vollzogen. Sie bedeutete die üm-
wandelung des Glaubens in eine Glaubenslehre mit griechisch-
philosophischem Gepräge; sie schob die alten eschatologischen
Vorstellungen zurück, ja verdrängte sie; sie setzte hinter den
Christus der Geschichte einen begrifflichen Christus, ein Prinzip,
und wandelte den geschichtlichen in eine „Erscheinung'^; sie wies
den Christen auf „Naturen'^ und auf naturhafte Grössen, statt auf
die Person und das Sittliche; sie gab dem Glauben der Christen
definitiv die Richtung auf die Kontemplation von Ideen und Lehr-
sätzen und bereitete damit das mönchische Leben einerseits, das
bevormundete Christentum der unvollkommenen, thätigen Laien
andererseits vor; sie legitimirte hundert Fragen der Metaphysik,
der Kosmologie und der Weltwissenschaft als kirchliche und ver-
langte bei Verlust der Seligkeit eine bestimmte Antwort; sie
führte dazu, dass man statt Glauben vielmehr Glauben an den
Glauben predigte, und verkümmerte die Religion, indem sie sie
scheinbar erweiterte. Aber indem sie den Bund mit der Welt-
wissenschaft perfekt machte, gestaltete sie das Christentum zur
Welt-, freilich auch zur Allerweltsreligion und bereitete die That
Konstantin's vor.
Die Richtungen in der Kirche, die dem philosophischen Chri-
stentum und der Logoschristologie widerstrebten, nennt man
monarchianische (so zuerst TertuUian). Der Name ist nicht
122 GrandleguDg des Dogmas. [§ 25.
glücklich gewählt, da viele Monarchianer eine zweite Hypostase
anerkannten, und nur für die Christologie keinen Gebrauch von
ihr machten. Man kann unter den Monarchianem zwei Rich-
tungen unterscheiden (s. die alten Christologien Buch I c. 3 sub 6):
die adoptianischen, die das Göttliche in Christus als eine Kraft
ansahen und von der menschlichen Person Jesu ausgingen, die
vergottet worden sei, und die modalistischen, die Christus für
eine Erscheinung Gottes des Vaters hielten. Beide bekämpften
die Logoschristologie als „Gnosticismus^^, die Ersteren in aus-
gesprochenem Interesse für das geschichtliche (synoptische) Chri-
stusbild, die Letzteren im Interesse der Monarchie und der Gott-
heit Christi. Beide Richtungen, auch in einander übergehend, sind
katholische gewesen, den Boden der Glaubensregel behauptend
(nicht „ebionitisch" oder gnostisch); aber nachdem das N. T. ais
solches eingebürgert war, wurde ihr Kampf vergeblich; denn
wenn sich auch im N. T. Stellen für ihre Thesen fanden, so über-
wogen doch die Stellen, die die Präexistenz Christi als besondere
Hypostase enthielten — wenigstens nach der damaligen Aus-
legung — , und es erschien selbstverständlich, dass überall das
„Niedere^^ in den Aussagen nach dem „Höheren" (Pneumatischen)
zu deuten sei (also die Synoptiker nach Johannes). In allen
kirchlichen Provinzen hat es „monarchianische" Kämpfe gegeben;
aber wir kennen sie nur teilweise.
§ 35. Die Ausscheidung des dynamistischen Monarchianismns
oder des Adoptianismns.
a) Die „ A 1 o g e r" in Kleinasien (Spottname, Quellen : Ieenäur
ni, 11, 9; HipPOLYT, ihn ausschreibend Epiphaniüs h. 51) waren
eine Partei der radikalen antimontanistischen Opposition, die alles
Prophetentum in der Kirche verwarf; sie traten zu einer Zeit auf,
da es noch kein N. T. gab. Sie kritisirten die johanneischen Schriften
historisch und verwarfen sie wegen der Ankündigung des Parar
kleten und der Apokalyptik, zugleich die Geschichtserzähliing des
Joh.-Ev. auf Grund der Synoptiker als unrichtig nachweisend. Aber
sie tadelten auch den Doketismus des Evangeliums, beanstandeten
den Logos, und schlössen, dass die unwahren, einerseits jüdisch-
Sinnliches , andererseits doketisch - Gnostisches enthaltenden
Schriften von Cerinth stammen müssten. Ihre eigene Christo-
logie war nach der synoptischen gebildet: die wunderbare Geburt,
die Herabkunft des Geistes auf Jesus, seine Fortschritte, die Er-
§ 25.] Die Ausscheidung des Adoptianismus. 123
höhung durch die Auferstehung konstituiren seine Würde. Die
Gegner (Irenäus, Hippolyt) haben sie verhältnissmässig anständig
behandelt, da diese „Aloger" gegen die Montanisten gute Dienste
leisteten. Man muss aber bei aller Hochachtung der gesunden
historischen Kritik, die die Aloger übten, urteilen, dass ihre reh-
giöse Begeisterung keine sehr grosse gewesen sein kann; denn
sie waren weder apokalyptische Enthusiasten noch Mystiker:
worin bestand aber dann die Kraft ihrer Frömmigkeit?
b) Dasselbe ist von den römisch-adoptianischen Par-
teien der Theodotianer zu sagen, die in nachweisbarem Zu-
sammenhang mit den „Alogem" gestanden haben (der Leder-
arbeiter Theodotus und seine Partei, Theodotus der Wechsler, die
Artemoniten). Sie etablirten sich seit c. 185 in Rom (der ältere
Theodot stammte aus Byzanz, ein Mann von ungewöhnlicher Bil-
dung r, allein schon Bischof Victor von Rom (um 195) stiess den
Theodotus aus der Kirche, weil er Christus für einen j^Mg ccv-
^Qcmog halte — der erste Fall, dass ein auf der Glaubensregel
stehender Christ als Irrlehrer gemassregelt worden ist. Theo-
dotus lehrte wie die „Aloger" über Christus (TtQoxoTf^ des wunder-
bar geborenen, in der Taufe ausgerüsteten Menschen Jesus bis
zur Erhöhung durch die Auferstehung; Nachdruck auf die sitt-
liche Bewährung), erkannte aber das Joh.-E v. bereits als h Schrift
an, den Schriftbeweis nach derselben nüchternen, kritischen Me-
thode führend wie Jene (Deut. 18, 15; Jerem. 17, 9; Jes. 53, 2 f.;
Mt. 12, 31; Lc. 1, 35; Joh. 8, 40; Act. 2, 22, I Tim. 2, 5). Unter
seinem bedeutendsten Schüler, Theodot dem Wechsler, standen
die Ädoptianer, eifrig mit Kritik d. h. Texte, empirischer Wissen-
schaft und Naturkunde (nicht mit Plato) beschäftigt, als Schule
neben der Kirche (s. die Schilderung Euseb. h. e. V, 28). Ihr
Versuch, eine Kirche zu gründen (Bischof Natalis), scheiterte
schnell (z. Z. des Bischofs Zephyrin); sie blieben Offiziere mit
einer, wahrscheinlich kleinen, immer mehr zusammenschmelzen-
den Armee. Aus ihrer These, der h. Geist, dessen Hypostase (als
ewiger Sohn Gottes, s. Hermas, dessen Christologie sie befolgten)
sie zugestanden, stünde höher als Jesus, weil dieser nur adoptirter
Gott sei, haben die Gegner eine kapitale Häresie gemacht. Da sie
nämlich jenem ewigen Sohn Gottes die Theophanien im A. T. zu-
schrieben und den Melchisedek für eine Erscheinung des ewigen
Sohnes hielten, so nannte man sie Melchisedekianer, die den Mel-
chisedek anbeteten. Von den gelehrten Arbeiten dieser Männer
124 Grnndlegang des Dogmas. [§ 25.
ist nichts auf uns gekommen. Hippolyt berichtet uns, dass Einige
unter ihnen auch nach der Auferstehung Christum nicht für einen
Gott gelten lassen wollten, Andere die d-soTCoiri^tg zugestanden.
Offenbar wurde es in dem Streit, dass die Kirche einen Bund mit
der Wissenschaft des Aristoteles, Euklid und Galen nicht ver-
trug, dagegen den Bund mit Plato forderte, und dass die alte Chri-
stologie des Hermas — die Adoptianer beriefen sich auf diese
Überlieferung und erklärten die Logoschristologie für eine Neue-
rung — nicht mehr genügte. Einige Dezennien später ist in
Artemon zu Rom noch ein bedeutender adoptianischer Lehrer
aufgetreten, von dem indess wenig bekannt ist. Auch er hat
das Prädikat „Gott" für Christus abgelehnt, scheint aber nicht in
allen Stücken mit den Theodotianem solidarisch gewesen zu sein.
Um 250 war in Rom der Adoptianismus bedeutungslos (Cyprian
schweigt; doch s. Novatian, de trinit.); aber im Abendland er-
hielten sich in den Gemeinden Formeln, wie „spiritus sanctus =
dei filius, caro «= Jesus, spiritus sanctus =* Christus, spiritus
carni mixtus == Jesus Christus" noch geraume Zeit (durch die
Lektüre des hochangesehenen Hermas vornehmlich), und lehr-
reich ist, dass noch Augustin bis kurz vor seiner Bekehrung die
adoptianische Christologie für die katholische gehalten hat. Also
waren die orthodoxen christologischen Formeln in der abendlän-
dischen Laienwelt noch im 4. Jahrh. wenig bekannt.
c) Aus den Schriften des Origenes erkennt man, dass es auch
im Morgenland Adoptianer gegeben hat. 0. hat sie als irre-
geleitete, resp. einfältige christliche Brüder behandelt, die der
freundlichen Belehrung bedürfen; hatte er doch selbst die adop-
tianische Ansicht in seiner komplizirten Christologie verwertet
(weshalb man ihn später ohne Recht auch mit den Adoptianem
zusammengestellt hat; wogegen ihnPamphilus verteidigte). Den
monarchianisch lehrenden und in Arabien und Syrien viele An-
hänger gewinnenden Beryll von Bostra (Euseb. VI, 33: rbv tfo-
tilQa Tcal TiVQLov ini&v fii) 7tQOV(p66tccvai xat^ IdCav ox>€iag nsQL-
yQatpiiv TtQO tilg eig &v^QG}%ovg imörniCag^ (irjöh (ihv d^sörr^ra löCav
e%Biv^ akV i^Ttohtsvofisvrjv aindi [lovriv xriv jtatQLXi/jv) hat er
von der Wahrheit der Logoschristologie überzeugt. Auch jene
ägyptischen Chiliasten, die Dionysius von Alexandrien beMmpft
und denen er Belehrungen 7t€Ql xrig ivdöl^ov xal aXri^Gig ivd^iov
xov xvQiov rj^&v iniipaveCag zu geben für nötig befunden hat,
werden dynamistische Vorstellungen gehegt haben. Aber eine
§ 25.] Die Ausscheidung des Adoptianismus. 125
grosse adoptianisclie Aktion im Morgenland hat nur Paul von
Samosata, Metropolit von Antiochien, unternommen (Euseb. VII,
27 — 30; sonstiges Material bei Roüth, Rel. Sacr. III), der natio-
nal-syrische Bischof, der den Griechen und ihrer Wissenschaft
wie den Römern und ihrer Kirche entgegentrat. Dass zwei grosse
orientalische Generalkonzilien zu Antiochien gegen ihn resultat-
los verHefen und er erst auf dem dritten verdammt und abgesetzt
worden ist (wahrscheinlich 268), ist ein Beweis, wie wenig noch
die alexandrinische Dogmatik im Orient eingebürgert war. Paul
war ein kundiger Theologe (ungeistlich, eitel, verschlagen, sophi-
stisch, einen Weltmann nennen ihn die Gegner), der die Macht
der griechischen (platonischen) Philosophie in der Kirche brechen
und die alte Lehre behaupten wollte. Er ist der Kirche nachmals
als ein Erzketzer erschienen, als Jude, Ebionit, Nestorianer, Mo-
nothelet u. s. w. Seine Auffassung war diese: Gott ist schlechthin
einpersönlich zu denken (ßv TtQÖdamov). Wohl kann in Gott ein
Logos (Sohn), resp. eine Sophia (Geist) unterschieden werden
— beide sind übrigens auch zu identifiziren — , aber sie sind
Eigenschaften. Gott setzt den Logos von Ewigkeit aus sich
heraus, so dass man ihn Sohn nennen kann, aber er bleibt eine
unpersönliche Kraft. Er hat in Moses und den Propheten gewirkt,
(läHov xal dcag)SQ6vt(og in dem von der Jungfrau geborenen
Davidsohn. Der Erlöser ist ein Mensch „von unten her'^, aber
von oben her wirkte in ihn der Logos hinein (Einwohnung mit-
telst einer von aussen wirkenden Inspiration, so dass der Logos
der „innere Mensch" des Erlösers wird). Die Gemeinschaft, die
so entstanden, ist eine 0vvdq)Bia Tiara (idd'riöLV xal ^srovöiav^
eine övvdXsvöig (keine oiöva ov6L(o^8vri iv 6(0(iatL)] der Logos
hat nicht in Jesus ovöiiod&g gewohnt, sondern xatä Ttoiötrjza] da-
her ist er von ihm als der Grössere stets zu unterscheiden. Der
Erlöser ist der vom Logos durchwaltete Mensch; aber er besass
in einziger Weise die göttliche Gnade, wie seine Stellung einzig-
artig ist. Seiner Ausstattung entspricht seine Bewährung. Zwi-
schen zwei Personen — also auch zwischen Gott und Christus —
•
ist nur Einheit der Gesinnung und des Willens möglich. Solche
Einheit kommt nur durch Liebe zu Stande; aber auch nur das,
was aus der Liebe geschieht, hat Wert; das durch „die Natur"
Erreichte ist indififerent. Jesus ist durch die ünveränderlichkeit
seiner Liebesgesinnimg und seines Willens Gott ähnlich und mit
ihm eins geworden, und zwar, indem er nicht nur selbst ohne
126 Grundlegung des Dogmas. [§ 25.
Sünde blieb, sondern auch in Kampf und Mühen die Sünden der
Vorväter überwand. Wie er aber fortschritt und beharrte in der
Bewährung des Guten, so rüstete ihn auch der Vater mit Macht
und Wunderthaten aus, in denen Jesus seinen stetigen Willen auf
Gott bekundete. So wurde er der Erlöser und trat in eine in
Ewigkeit unauflösliche Verbindung mit Gott, weil seine Liebe
nicht mehr aufhören kann. Als Siegespreis seiner Liebe hat er
den Namen über alle Namen, das Gericht und göttliche Würde
erhalten, so dass man ihn „den Gott aus der Jungfrau" nennen
kann, der er in Gottes Vorherbestimmung und Vorherverkün-
digung immer gewesen ist (durch die Gnade und Bewährung ist
er zum Gott geworden; die Stufen waren auch hier Geburt, Taufe,
Auferweckung). Diese evangelische Christologie, die einzige, in
der mit vollem Bewusstsein die religiöse Physik abgelehnt ist,
stützte Paul durch Schriftbeweise und widerlegte eifrig die
Gegner, namentlich die „alten Ausleger", die Alexandriner. Er
schaffte alle Kirchenlieder ab, in denen die wesenhafte Gottheit
Christi verkündet war; er wollte von „Substanzen" nichts wissen,
sondern hielt sich an die lebendige Person. Seine Lehre wurde
von den gebildeten griechischen Bischöfen als im höchsten Masse
häretisch betrachtet: er habe das „Geheimniss" verraten. In dem
Bekenntniss von sechs Bischöfen gegen ihn ist die physikalische
Logoslehre in breiter Ausführung als wichtigster Bestandteil des
apostolischen und katholischen Kirchenglaubens dargelegt. Auf
der Synode verwarf man auch ausdrücklich das Wort „6ftoov<ytog",
wahrscheinlich weil Paul es für den Logos gebraucht hatte, um
durch dasselbe Gott sammt dem Logos als ein Subjekt zu be-
zeichnen. Mit PauFs Absetzung und Removirung (272) war es
entschieden, dass kein katholischer Christ mehr die göttliche
Physis des Erlösers bezweifeln durfte. Allein PauFs Lehre ist in
Antiochien nicht spurlos untergegangen. Lucian und seine be-
rühmte Gelehrtenschule, der Mutterschooss des Arianismus, ist
vom Geiste PauFs befruchtet worden. Doch erscheint die Lehre
im Arianismus durch Kombination mit dem hypostasirten k&yog-
xttö^a schlimm entstellt. Dagegen haben Photin und die grossen
Antiochener -— obgleich die letzteren das Nicänum anerkannten
— das Beste, was sie hatten, von Paul gelernt: der sog. Nestoria-
nismus wurzelt in Paul's Lehre, und in ihm ist Paul noch einmal
verdammt worden.
Wie lange sich in abgelegenen orientalischen Gemeinden
§ 26.] Die AusscheidoDg des Modalismas. 127
adoptianische Anschauungen erhalten haben, zeigen die im An-
fang des 4. Jahrh. geschriebenen Acta Archelai. Was ihr Verf.,
ein EQeriker, über Christus ausgeführt hat, istPaul's Lehre sehr
verwandt. Allein in den grossen Centren der Christenheit war
der Adoptianismus um 270 völlig gebrochen.
§ 26. Die Ansscheidnng des modalistischen MonarcManismns.
Nicht der Adoptianismus, sondern der Modalismus ist der
gefährliche Gegner der Logoschristologie zwischen 180 und
300 gewesen, jene Lehre, nach welcher die Gottheit selbst in
Christus inkarnirt angeschaut, er selbst als der leibhaftige Gott,
der es allein ist, aufgefasst wurde. Gegen diese Ansicht haben
Tertullian, Origenes, Novatian, besonders Hippolyt, am nach-
drücklichsten gekämpft („Patripassiani" neimt sie zuerst Ter-
tullian; im Orient wird später „Sabelliani" der gebräuchlichste
Ausdruck). Hippolyt sagt, dass zu seiner Zeit die Frage die ganze
Kirche bewegt habe (Philos. IX, 6 : fisy lörov rccQaxov xatä jtdvta
tbv xüöfiov iv TCäöLv toig Ttiötotg i^ßdklovöcv) j und Tertullian
und Origenes bezeugen, dass die Masse des christlichen Volkes
monarchianisch denke. In Rom war von Victor bis Calixt der
Modalismus die offizielle Lehre; unter den Montanisten dachte
die eine Hälfte modalistisch; auch die marcionitische Kirche neigte
zu dieser Auffassung, und in der katholischen Kirche wurden von
Alters her viele Formeln gebraucht, die dieser Denkweise Vor-
schub leisteten, die ja in der That dem schlichten unreflektirten
Glauben am besten entsprach (6 d^sös fiov XQLötog). Aber eine
exklusive modalistische Lehre hat sich erst im Gegensatz zum
Gnosticismus und zur Logoschristologie entwickelt, 1) um den
Ditheismus abzuwehren, 2) um die volle Gottheit Christi zu be-
haupten, 3) um jeden Ansatz zum Gnosticismus abzuschneiden.
Jetzt erst suchte man exegetisch als Lehre diesen Glauben zu be-
gründen. Wissenschaftliche Theologen traten für ihn ein. Aber
mehr als irgend einer anderen religiösen Vorstellung musste dieser
die Berührung mit dem Denken und der Wissenschaft schädlich
sein; sie war der Anfang vom Ende; indessen dauerte der Todes-
kampf sehr lang. Die stoische Philosophie wurde zu Hülfe ge-
rufen mit ihrem Pantheismus und ihren dialektischen Formeln
(die Adoptianer stützten sich z. T. auf Aristoteles, s. oben). So
bietet die Kontroverse eine Seite, die sie der Kontroverse der
Platoniker und gemeinen Stoiker über den Gottesbegriflf ver-
128 Gnmdlegnog des Dogmas. [§ 26.
wandt erscheinen lässt (ob der Xdyog-^sög der letzte Gott ist oder
ob hinter ihm noch ein apathisches 81/ als d'sög steht). Die älte-
sten Vertreter des Modalismus aber haben zugleich ein ausgepräg-
tes biblisches Interesse gehabt.
a) Auch hier sind Kleinasien und Rom die ersten Schau-
plätze der Kontroverse gewesen. Dort war es Noet (er ist aber
wahrscheinlich spät exkommunizirt worden), hier sein Schüler
Epigonus (um 200), der den Kleomenes, dann den Sabellius fiir
sich gewann. Gegen sie trat Hippolyt auf; allein die Bischöfe
Roms (vor Allem Zephyrin) begünstigten die Schule. Cahxt
(217 — 222), von Haus aus Modalist, suchte alle Parteien durch
eine vermittelnde Formel zu befriedigen und sah sich deshalb
genötigt, sowohl den Hippolyt (Gegenbischof) als den Sabellius
zu exkommuniziren. Seine Formel scheint wirklich die Mehrzahl
beruhigt zu haben. Wie unvollkommen uns das Einzelne be-
kannt ist, zeigt der Umstand, dass Hippolyt über den Modalisten
Praxeas in Rom (s. TertuUian) ganz schweigt. Wahrscheinlich
ist dieser schon vor Epigonus nach Rom gekommen (vielleicht
schon unter Eleutherus), hat aber damals keinen Streit erregt.
Da er auch nach Karthago gekommen und ein entschiedener
Antimontanist war, so braucht TertuUian seinen Namen, um den
römischen Modalismus überhaupt (um 210) zu bekämpfen. Sicher
ist, dass Victor, der den Theodotus exkommunizirte, dies nicht
im Sinne der Logoschristologie, sondern mehr im Sinne des
Modalismus gethan hat. Dennoch ist wohl zu beachten, dass die
beiden monarchianischen Auffassungen einander näher stehen,
als jede von ihnen der Logoschristologie. Beide vertraten die
heilsgeschichtliche Auffassung der Person Christi gegenüber einer
naturgeschichtlichen und gingen vielfach ineinander über (bei
Beryll kann man zweifelhaft sein, ob er Adoptianer oder Modalist
war; in den Schriften des Origenes lassen nicht wenige Stellen
Zweifel, welche Partei er bekämpft; die Eintrachtsformel des
Calixt schillert ebenfalls). Die einfachste Form des Modalismus
zeigt Noet (s. Hippolyt); Christus ist der Vater selbst, der geboren
und gestorben sei. Ist Christus nicht der Vater, so ist er nicht
Gott. Neben dem monotheistischen Interesse (die Gegner werden
did^soL genannt) ist es das Interesse an der vollen Gottheit Christi
((pdöxovöLv 6wi6täv €vcc d'sov — TL ovv xaxbv jcoLG) do^d^cov tbv
Xqlötöv — Xgvötbg ^v d^sbg xal inaö%Bv 81 ij^g ainbg &V jcati^Q,
Lva xal 6m6aL ii^äg öwriMf). Schriftbeweis war Exod. 3, 6; 20, 2f ;
§ 26.] Die Ausscheidung des Modalismus. 129
Jes. 44, 6; 45, 5. 14 f.; Baruch 3, 36; Joh. 10, 30; 14, 8 f. ; Rom. 9, 5;
das Joh.-Ev^. war anerkamit; aber 'Icodvvrjg ^ev kiysL Adyov, &kX
alX(og aXXrjyoQSt. Der BegrijBF „Logos" wird streng abgelehnt.
Spekulativ begründet (bei Kleomenes) wird der Gottesbegriff
durch den Gredanken, Grott sei unsichtbar, wenn er will, sichtbar
aber, wenn er sich zu sehen giebt; unfassbar, wenn er nicht ge-
fasst werden will, fassbar, wenn er sich zu fassen giebt, ungezeugt
und gezeugt, unsterblich und sterblich (alte Kirchenformeln,
durch den stoischen Gottesbegriff gerechtfertigt). Der Vater, so-
fern er geruht hat geboren zu werden, ist der Sohn; beide sind
also nur nominell unterschieden; aber die Unterscheidung ist
auch eine heilsgeschichtliche. Für die Identität beriefen sie sich
auch auf die AT liehen Theophanien. Dass sie in stoischer Weise
das Moment der Endlichkeit in die Gottheit selbst hineinlegten,
ist nicht zu erweisen. Es ist der alte naive Modalismus, der hier zu
einer Theorie erhoben ist (übrigens beachte, dass alle nicht philoso-
phischen altchristliehen Schriftsteller nur eine Geburt des Sohnes
gekannt haben, die aus der Jungfrau). Die Theorie scheitert daran,
dass unzweifelhaft in den Evangelien zwei Subjekte (Vater und
Sohn) vorausgesetzt sind. Indessen haben die Modalisten schwer-
lich je rund behauptet: der Vater hat gelitten; sie sagten, der
Sohn, welcher gelitten hat, ist mit dem Vater identisch (Bischof
Zephyrin: eycj olda eva d'sbv XQiötbv ^Irjöovv xal nXijv aitov
£T8Qa oiSiva yevrjtbv xal jtad'rjTÖv^ aber: ov^ 6 JtaziiQ ajtsd'avsv^
ikkä 6 vCog). Komplizirter ist die Lehre des Praxeas und die
Formel des Kallist; sie zeigen den Eindruck der Schwierigkeiten:
„Logos" ist keine Substanz, sondern nichts Anderes als Schall und
Wort. Praxeas, in der Tendenz und im Schriftbeweis mit Noet
einig, unterscheidet doch schon mehr zwischen Vater und Sohn:
Gott hat sich durch Annahme des Fleisches zum Sohn gemacht ;
das Fleisch macht den Vater zum Sohn, d. h. in der Person
des Erlösers ist das Fleisch (der Mensch, Jesus) der Sohn, der
Geist (Gott, Christus) der Vater (Berufung auf Luc. 1, 35). Das
Geborene ist der Sohn; der Geist (Gott) hat nicht leiden können;
sofern er sich ins Fleisch begeben, hat er mitgelitten (,,p(iter
compasstis est filip^'). Sobald nun die Unterscheidung von caro
(filius) und Spiritus (pater) streng genommen wird, geht der
Modalismus in den Adoptianismus über. Dies ist z. T. bei Kallist
geschehen, der in seine Eintrachtsformel den Logos (aber als Be-
zeichnung auch für den Vater) und ein adoptianisches Elemeijt
Gnmdziss IV. iii. Ha.bnaok, Dogmeugeschichte. 2. Aufl. 9
130 Grundlegung des Dogmas. [§ 2^.
(das hat Hippolyt wohl bemerkt) aufgenommen, faktisch damit
aber den römischeu Gremeindeglauben zur Logoschristologie und
zur physischen Vergottungslehre — seinen alten Freund Sabellius
exkommunizirend — übergeführt hat. Doch hat sich der gnosti-
sirende Subordinatianismus Tertullian*s und Hippolyt*s in Rom
niemals durchsetzen können (Kallist's Formel bei Hippol., Philo-
soph. IX, 12: rbv Xöyov avtbv alvai viöv^ avrbv xal naxsQa [sto-
ischer X6yo^-d's6g\ xal TtatSQcc övofiarc fiiv xako'öfievov^ €v dh 8r
rö Jtvsv(Aa adiatQStov oix akXo alvai narsQa^ akko ö\ vi6v^ ^v
d\ xal %o avtb vnaQ%BLV' xal xä Tcavra yi^ieiv reo %'biov nvsv-
fiarog xd xa av(o xal xdxco ' xal alvai xb av xfj nag^avco 6aQX(o%'av
Ttvav^a ovi sxbqov Ttagä xbv naxBQa^ akkä ?v xal xb ainö, Kai tovxa
alvai xb aCgrj^avov Joh. 14, 11: Tb ^av yaQ ßkaTtö^iavov^ Stcbq-
aöxlv avd'QCjjtog^ xovxo alvai xbv viöv^ xb da iv xm vip x^QV^^''^
Ttvav^a xovxo alvai xbv TtaxaQa' oi ydg^ g}rj6iv^ iQO) Siio 9'aovg^
TtaxBQa xal viöv^ dkÜ ava. V? yäg av avx^ yavöfiavog TtaxijQ 7tQO€-
kaßö^avog xiiv ödQxa ad'aoTtoirjöav av(D6ag aavxm^ xal iTtoitjöev av^
hg xakaißd'ai Ttaxaga xal vtbv ava d'aov^ xal xovxo av ov ngööcoTtov
fii) ävvaöd-ai alvai Svo^ xal ovxcag xbv TtaxaQa öv^LTcanovd'avai x&
vt^' oi) yaQ d^akai kayaiv xbv TCaxaga Ttanovd'ivai). Sicherlich hat
der gelehrte und einflussreiche Novatian (de trinit.) viel dafür
gethan, dass man im Abendland sich endlich die Logoschristologie
gefallen Hess. Um 260 schreibt der römische Bischof Dionysius:
Uaßakkiog ßka6(prj^ai ^ avxbv xbv vtbv alvai kaycov xbv naxaQa.
Cyprian bezeichnet den Patripassianismus als Pestilenz der Häre-
sie wie den Marcionitismus, und selbst in eine Tochterrezension
des römischen Symbols (Aquileja) drang der Zusatz ein: ^firedo
in deo patre omnipotente, invisibili et iwpassibiW, Allein einen
geeigneten Boden hat die Logoschristologie im Abendland niemals
gefunden; man liess sie gelten, aber viel strenger hielt man —
hier war man wirklich interessirt — an dem Glaubenssatz fest:
Christus ist voller wahrhaftiger Gott, und es giebt nur einen
Gott. Diese Haltung des Abendlands ist im arianischen Streit
von ausschlaggebender Bedeutung geworden : die nicänische Lehre
ist nicht als philosophische Spekulation, sondern als wissenschaft-
lich unvermittelter, symbolmässiger Glaube ebenso Eigentum der
abendländischen Kirche des 3. Jahrh. gewesen, wie die chalce-
donensische Lehre. Dabei brauchten viele abendländische Lehrer,
die von Plato und vom Orient nicht beeinflusst waren, im 3. und
4. Jahrh. modalistische Formeln ruhig fort, vor Allem Commodian.
§ 26.] Die Ausscbeidung des Modalismus. 131
Überhaupt zeigt die Theologie der Abendländer bis Augustin
eine Mischung von ciceronianischer Moral, massiver urchrist-
licher Eschatologie, unreflektirter Christologie mit mehr oder
weniger latentem Modalismus (ein Gott im strengen Sinn,
Christus Gott und Mensch) und praktischer Kirchenpolitik (Buss-
institut), die dem Orient ganz fremd ist (Arnobius, Lactantius,
Commodian). Sie sind keine Mystiker, z. T. Gegner des Neu-
platonismus. Wie schwer es ihnen gefallen, sich in die Spekula-
tionen des Orients zu finden, zeigen die energischen, aber un-
beholfenen Versuche des Hilarius und die theologische Barbarei
des Lucifer. Wohl verständlich ist, dass sich gerade im Abend-
land der Modalismus als Sekte nicht so lange erhalten hat, wie
im Morgenland; er fand eben in der herrschenden Lehrweise,
selbst wo der Logos acceptirt war, eine Unterkunft.
b) Sehr getrübt sind die Berichte über den alten Modalis-
mus im Orient; denn es ist nachmals Alles „Sabellianismus"
genannt worden, was die ewige und bleibende Hypostase des
Sohnes beanstandete (z. B. MarceU's Lehre). Auch bemächtigte
sich schon im 3. Jahrh. im Orient die Spekulation der moda-
listischen These und bildete sie in mannigfaltigen Spielarten aus,
und die Berichterstatter (Epiphanius, Athanasius u. s. w.) fügten
wohl noch erfundene Formen hinzu. Wie man keine Geschichte
der Logoschristologie von Origenes bis Athanasius im Orient
schreiben kann — die Quellen sind vernichtet — , so auch keine
Geschichte des Modalismus. Pest steht, dass der Kampf im Orient
später begonnen hat, aber heftiger und langwieriger gewesen ist
und die Ausbildung der origenis tischen Christologie in der Rich-
tung auf den Arianismus (also antithetisch) bestimmt hat. Die
erste grössere Bewegung fand in der Pentapolis statt, nachdem
Origenes die „eiofaltigen" Modalisten als christliche Brüder be-
kämpft und Bischöfe (römische) scharf getadelt hatte, die den
Unterschied von Vater und Sohn zu einem bloss nominellen
machen (die Verurteilung des 0. zu Rom durch Pontian mag auch
in Rücksicht auf seine Christologie erfolgt sein). Vielleicht ist
Sabellius selbst von Rom aus am Ende seines Lebens (wieder?)
in die Pentapolis gekommen. Er war schon tot, als Dionysius
von Alexandrien den dortigen Sabellianismus bekämpfte.
Dieser unterscheidet sich von dem Noctis durch sorgfältigere
theologische Ausführung uud durch Berücksichtigung des
h. Geistes: aün einem Wesen haften drei Namen (Väter, Sohn und
132 Grundlegung des Dogmas. [§ 26.
Geist), sonst wäre der Polytheismus etablirt; die drei Namen sind
zugleich drei Energien. Das eine Wesen ist vCoxcctcoq zu
nennen — eiae Bezeichnung für Gottes Wesen selbst. Aber es
ist nicht gleichzeitig Vater und Sohn, sondern in drei aufeinander-
folgenden, sich ablösenden Energien (Prosopen) wirksam als
Schöpfer und Gesetzgeber, als Erlöser, als Lebendigmacher
(durch diese Lehre wurde der Begrifif „Prosopon^^, „Person" im
Orient discreditirt). Ob es dem Sabellius möglich gewesen, den
Gedanken der strengen Succession durchzuführen, wissen wir
nicht. Vielleicht hat er doch das Prosopon des Vaters fortwirken
lassen (die Sabellianer beriefen sich auf ATliche Schriften, aber
auch auf das Ägypter Ev. und andere Apokryphen — ein Beweis,
dass sich der katholische Kanon in der Pentapolis noch nicht
durchgesetzt hatte). Von dem älteren Modalismus unterscheidet
sich dieser nicht durch einen stärkeren pantheistischen Zug oder
durch eine neue Trinitätslehre (beides ist erst später im 4. Jahrh.
dazu gekommen, wenn nicht von den Berichterstattern ein-
getragen), sondern in dem Versuch, die Succession der Prosopen
nachzuweisen, in der Reflexion auf den h. Geist (s. oben) und in
der formellen Parallelisirung des Prosopon des Vaters mit den
beiden anderen Prosopen, die allerdings dazu aufforderte, hinter
den Prosopen eiae ^ovdg-Xoyog anzunehmen (pvöroXrl und jiXa-
tvtffiög)^ die nie sich selbst ojBFenbart, sondern nur in Wirkungen
erkannt wird (diese Auffassung sagte Schleieumachkr zu, Theol.
Ztschr. 1822 H. 3). Die Kosmologie ist von Sabellius als eine
Parallele zur Soteriologie eingeführt, mit der Bevorzugung des
Vaters gebrochen, und damit ist in eigentümlicher Weise die
athanasianische, resp. die augustinische Christologie vorbereitet.
Das ist die entscheidende Bedeutung des Sabellianismus im
Orient. Er hat dort dem ö^oovöLog den Weg gebahnt; denn dass
sich Sabellianer dieses Worts bedienten (andrerseits auch Paul
von Samos.), ist wahrscheinlich. Während innerhalb des ModaUs-
mus bisher kein festes Band Kosmologie und Soteriologie ver-
knüpfte, wurde durch den späteren Sabellianismus die Welt- und
Heilsgeschichte zu einer Geschichte des sich offenbarenden
Gottes: er wurde der Logoschristologie ebenbürtig. In verschie-
dener Weise haben Marcell und Athanasius versucht, den Grund-
gedanken des Modalismus mit der Logoschristologie zu versöhnen:
jener ist gescheitert, dieser hat gesiegt, indem er aus der Logos-
idee die Weltidee fast ganz entfernte, d. h. den Logos, wie die
§ 27.] Orientalische Theologie nach Origenes. 133
Sabellianer den vCög^ in das Wesen, ja in die numerische Einheit
Gottes zurückführte.
§ 27. Geschichte der orientalischen Theologie bis znm Anfang
des 4. Jahrhunderts.
Zunächst hatte der Modalismus die Folge, dass die Schüler
des Origenes die Logoschristologie scharf subordinatianisch aus-
bildeten. Dionysius von Alex, ging so weit, dass er in einem
Lehrbriefe den Sohn einfach als Geschöpf bezeichnete, das sich
zum Vater verhalte wie der Weinstock zum Gärtner und wie der
Kahn zum Schiflfsbaumann (Athanas., de sentent. Dionys.). Er
wurde bei seinem römischen gleichnamigen Kollegen verklagt
(um 260); dieser erliess ein warnendes Schreiben, in dem er —
höchst charakteristisch — den Modalismus als Häresie auf die
eine, die in Alexandrien geltende Christologie, aber gänzlich un-
verstanden und in rohester Form, als Dreigötterei auf die andere
Seite stellte und, ohne jede Vermittelung, als die Wahrheit die
Paradoxie hinstellte, es sei zu glauben an Vater, Sohn und Geist,
und diese Drei seien gleich Eins. Der alexandrinische Kollege,
nun die andere Seite der origenistischen Christologie hervor-
kehrend, kroch zu Kreuz, erklärte, er habe nichts gegen das Wort
6fioovtffcog, der Vater sei immer Vater gewesen, der Sohn immer
Sohn, und dieser verhalte sich zu jenem wie die Ausstrahlung
zum Licht, der Ausfluss zur Quelle*, ja er ging noch weiter und
erklärte, dass schon in der Benennung „Vater" der Sohn mit-
gesetzt sei. Allein in dem diplomatischen Schriftstück hatte sich
der Bischof doch eine Mentalreservation gestattet; er hätte die
neuplatonische Philosophie, d. h. die Wissenschaft, abdanken
müssen, wenn er jeden ^SQL0^6g in der Gottheit abgelehnt hätte.
Der Streit war ein Vorspiel des arianischen, endete schnell, und
sein Ausgang hat die Alexandriner zunächst nicht genötigt, ihre
Spekulationen zu beschränken. Auch sonst waren sie eifrig be-
müht, den alten einfältigen Glauben in den Gemeinden, wenn er
unbequem wurde, durch den philosophischen zu ersetzen (Dio-
nysius wirkt in den ägyptischen Dörfern gegen den Chiliasmus;
sein Gegner Nepos; Euseb., h. e. VIT, 24. 25), zugleich aber die
empiristische Philosophie zu widerlegen (Dionysius' Schrift über
die Natur wider die Atomtheorie). Die Logos- und Christuslehre
ist von den Vorstehern der Katechetenschule im Geist des Ori-
genes ausgebildet worden (feiner philosophischer Polytheismus);
134 Grundlegung des Dogmas [§ 27-
aber aus der umfangreichen Litteratur haben wir nur dörftige
Fragmente. Pierius, der Origenes iunior, hat ausdrücklich Vater
und Logos ab zwei ox)6iav und zwei (pvöeig bezeichnet und den
h. Geist dem Sohne als 3. üsie tief untergeordnet. Er lehrte die
Präexistenz der Seelen und bestritt den Wortsinn einiger Schrift-
stellen als nicht massgebend. Theognost (z. Z. Diocletians) hat
eine umfangreiche, leider untergegangene Dogmatik verfasst,
die, in der Systematik der des Origenes überlegen, die Form ge-
habt zu haben scheint, die bis heute üblich ist. Er hat übrigens
den Origenismus in der Richtung auf Arius fortgebildet. Ein
anderer Origenist, Hierakas, hat einen Mönchsverein gestiftet,
einzig in der Ehelosigkeit das Neue in der christlichen Ethik er-
kannt und, wie es scheint, die substanzielle Einheit von Vater
und Sohn stärker betont. Jedenfalls hat dies der Bischof von
Alex., Petrus, gethan (f als Märtyrer 311). In ihm lenkt der
alexandrinische Bischof wieder in die Haltung jenes Demetrius
eio, der den Origenes verdammt hat. Unter welchen umständen
dies geschehen ist, ist unbekannt. Aber aus den Resten der
Schriften des Petrus geht hervor, dass er den biblischen Realis-
mus (Schöpfungs- und Sündenfallsgeschichte) an die Stelle des
origenistischen Spiritualismus gesetzt und diesen als fiäd^iia
rijg ^Ekkr^vLxfjg itaideiag bezeichnet hat. Allein diese Reaktion
war bei Petrus noch keine radikale; er hat nur Spitzen ab-
gestumpft. Er beginnt in Alexandrien den Ausgleich zwischen
dem realistischen Glauben der Einfältigen und der Glaubens-
wissenschaft mittelst Abzügen und Zusätzen: was vorschwebte,
war ein einheitlicher Glaube, der zugleich kirchlich und wissen-
schaftlich sein sollte. Allein dafür war die Zeit noch nicht da
(s. die Kappadocier); noch herrschte Freiheit in der Theologie,
die freilich zur völligen Verweltlichung und philosophischen Ver-
sum{ fung zu führen drohte. Bereits waren alle Begriffe der Zu-
kunft in Kurs; aber es fehlte ümen noch das bestimmte Gepräge
und der feste Wert^), ja sie wurden sämmtlich als unbiblisch von
1) So ftovag, tQuig, o'baia, (pvaig, vno'nsifisvovy {m6aTaaig, ngdcamov,
nsQiygarpi/j y fiSQl^sad'ai,, diatpsZv^ nXatvvsiv, avyiiSqfaXatova^aty nvl^BiPf
noisiVy yiyvsa&aij ysvv&v^ .dfioovatoß ^ in rfjg ovaLag tov natgög^ 6ice to^
^sXi^fiatog^ d'sbg in d'sov, (p&g i% (poftdgy ysvvri^Bvta oi) noiri^ivxa, f^p
Zts oijn r\v^ o^x ^v Zxs oi)V, ^v, ?TSQog itair* o-öfftav, ätgsnrog, &valXoi(o-
tog, &yivvf\xog^ &XX6tgiog^ nriyii trjg ^sdtrjtog, Svo ovaCai^ ovcia o'beuo-
fiivri, ivavd'Qoamiatg, d'sdvd'Qcanog, ivtoGig ovßiAdrig, ivcuaig xara fistovaiav,
ßwatpsiu %axu (iM^Ticiv xal fisvova lav, avyngäcig, ivomttv etc.
I 27.] Orientalische Theologie nach Origenes. 135
Vielen noch für verdächtig angesehen. Den Zustand der Glaubens-
lehre spiegeln am besten die Werke des Gregorius Thaumaturgus,
des begeisterten Origenesschülers, ab, des einflussreichsten Theo-
logen in Kleinasien. Man erkennt hier, dass selbst den „Wissen-
schaftlichen" vor dem feinen Polytheismus, den sie einführten,
bange wurde, weiter, dass die Christologie ein reines Philosophem
geworden war: das Symbol, das Gregor in den Gemeinden als
Taufsymbol und für den Unterricht verbreitete und das als ge-
offenbart galt, hat kaum in einem Satz Anklänge an Biblisches«
es ist ein Kompendium der sublimsten Spekulation, nur in den
Worten, Vater, Sohn und Geist, an das Evangelium erinnernd.
Darin sollte der christliche Glaube sich wiedererkennen! Wie
gross war die Gefahr, dass das Christentum im Orient in Philo-
sophie und Mysterien unterging!!)
Kein Wunder, dass doch eine Reaktion sich regte, wenn auch
eine zahme. Neben Petrus von Alex, traten um 300 hier und dort
im Orient Gegner des Origenes auf und nötigten seine Verehrer
zur Verteidigung. Der bedeutendste und einflussreichste Gegner
ist Methodius (um 300, Ausgaben seiner Schriften von AJahn
und von NBonwetsch). Er war kein Feind des Plato und der
Spekulation — im Gegenteil; aber er wollte den biblischen Rea-
lismus und die wörtlich verstandene Glaubensregel mit der Wissen-
schaft ausgleichen — ein neuer Irenäus wollte er einen einheit-
licl|,en Glauben, der echt kirchlich und echt wissenschaftlich sei.
Also mussten dem Origenismus alle häretischen Spitzen abge-
brochen werden, damit er in dieser Gestalt in den Kircheuglauben
selbst eininterpretirt werden konnte (spekulativerRealismus;
1) Das Symbol Gregorys lautet: Elg d'sog^ natriQ loyov i&vtog^
cntpiag 'bcpsOTODGrig xal Swafisaig xal ;ua^axr^905 Sc'CdLov, r^Xsiog xsXslov ysv-
vritatQ, natriQ vlov (lovoyevovg. slg xv^tog, fiovog i% fiovov, ^sbg in d'sov,
XttQaTiTTiQ %al sUoav tilg d'edrritog, Xoyog ivsgyogy aoq>La T^g r&v SXmv
üvatdcstog nsgisntmii xal Svva^iig tfjg oXrig •KtiasoDg Trotr^rix^, vlbg ccXri-
^Lvbg äXrid'LVOv Trar^ög, aö^arog Scogatov xal &(p&a^og cc(pd'ocQTov xal
i^d'dvatog &^avdtov xal Sctdiog icXdCov. xal %v Tcvsv^ia ayiov, in d'soij
Trjv vnag^iv ^%ov %aX $i vlov nstprivbg [SriXadri ToZg &vd'Q<ii7toLg] , slnrnv
tov vioVj TsXsiov tsXsia^ ^atr} ^Svtaiv ahia [nriyri äyia], ccyiorrig äyiaßfiov
%0Qriy6gy iv cS (pavsQOVtai d'sbg 6 nariiQ 6 inl ndvxtov xal iv näci, xal
^shg 6 vibg 6 Suc ndvToav — tQiccg tsLXsia, So^y nal ccXSLorrizi iial ßaai-
Xsicc firi fiSQiSofjbfvri ^iriSs icitaXXotgiov^ivri' o^ts ovv ktlütov tl ri doüXov
iv Tg tQidSiy o^TS iTCsiaantov, mg Tcgotsgov fihv O'bx vTcdgxov, vatsgov öh
iviiatXd'ov 0^8 yccQ iviXmi nors vibg natgl, o^ts vUp nvsvfiUj dXX'
axfftnxog aal ävaXXolatrog ij ai>tr] rgiccg &eL
136 Grundleg43ng des Dogmas. [§ 27,
Methodius hat den Irenäus gelesen). Vor Allem musste der Pessi-
mismus des Origenes in Bezug auf die Welt (innerhalb der Kos-
mologie I abgethan werden: die Materie und der Menschenleib sind
von Gott gewollt und werden daher verklärt werden und ewig
bleiben. Dem entsprechend wurde die origenistische Lehre von,
der ewigen Schöpfung der Geister, von dem präexistenten Fall,
von dem Wesen und Zweck der Welt u. s. w. abgethan. Dafür
wurde die mystisch-realistische Lehre des Irenäus von Adam
(der Menschheit) wieder eingeführt, aber nur noch mystischer
ausgebildet und die Rekapitulationstheorie ihr beigesellt. Die
Menschen vor Christus sind Adam gewesen (erlösungsbedürftig^
aber Kindeszustand ). Durch den 2. Adam verbindet sich der
Logos mit uns. Aber Methodius ging noch einen Schritt weiter;
die ganze neue Menschheit ist der 2. Adam. Alle sollen Christus
werden, indem der Logos sich mit jeder einzelnen Seele so ver-
bindet wie mit Christus (für jede Seele muss sich die Herabkunft
des Logos vom Himmel und sein Tod wiederholen — nämlich im
Innern). Dies geschieht nicht sowohl durch die Erkenntniss, als
vielmehr durch Mystik, Jungfräulichkeit und Askese. Der theo-
retische Optimismus wird also balancirt durch die in der Jung-
fräulichkeit ausgesprochene Weltverneinung. Kein Kirchenmann
vor Methodius hat die Jungfräulichkeit so geschätzt, so sehr als
Mittel der mystischen Vereinigung mit der Gottheit gepriesen,
wie er (die Virginität ist das Ziel der Inkarnation). Indem Ijier
der Realismus der Glaubenslehre mit der origenistischen Speku-
lation verbunden, die Zweiheit von Glaube und Glaubenswissen-
schaft auf eine Einheit reduzirt, der theoretische Optimismus (in
Bezug auf die sinnliche Welt) mit der praktischen Weltvemei-
nung verknüpft und AUes auf die mystische Verbindung mit der
Gottheit durch die Virginität abgezweckt ist, ohne dass die ob-
jektive Bedeutung Christus' des Erlösers verneint wäre (aber
zurückgeschoben ist sie), ist die Dogmatik der Zukunft im üm-
riss gewonnen.
Was Methodius für die Dogmatik als ausgeführte Lehre ge-
than hat, thaten um 300 die Bischöfe für die Glaubensregel, so-
fern sie die wissenschaftliche Logoslehre in die ünterrichtssym-
bole einführten, damit die Neutralisirung des Unterschieds von
Glaube und wissenschaftlicher Dogmatik beförderten und die
Hauptergebnisse der griechischen Spekulation unter den Schutz
der apostolischen Überlieferung stellten. Die orientalischen
§ 27.] Orientalische Theologie nach Origenes. 137
Symbole aus dieser Zeit (Symbol von Cäsarea, von Alexandrien,
der sechs Bischöfe gegen Paul, desGregorius Thaumaturgus u.s. w.)
geben sich als den undiskutirbaren apostolischen Glauben der
Gemeinde und sind doch philosophische Verarbeitungen der
Glaubensregel: die exegetisch-spekulative Theologie ist
in den Glauben selbst eingeführt. Dies ist durch die Logos-
lehre geschehen; das Dogma ist nun gefunden und eingebürgert.
Ein Göttliches ist wesenhaft auf Erden erschienen, und diese
Erscheinung ist der Schlüssel für die Kosmologie und Soterio-
logie. Allein nur diese Grundthese war in weitesten Kreisen an-
erkannt. Man konnte sich aber nicht bei ihr beruhigen, solange
nicht festgestellt war, wie sich das auf Erden erschienene
Göttliche zu der höchsten Gottheit verhält. Ist das auf
Erden erschienene Göttliche die Gottheit selber oder ist es eine
untergeordnete, zweite Gottheit? Sind wir von Gott selbst zu Gott
erlöst, oder stehen wir auch in der christlichen Religion nur in
einem kosmischen System, und ist unser Erlöser nur der in der
Welt wirksame Untergott? Die richtige Antwort auf diese Frage
war geeignet, die philosophischen Prämissen der damaligen Dog-
matik zu bedrohen. Wird sie gefunden werden? wird sie, wenn
gefunden, konsequent durchgeführt werden? Die Geschichte hat
auf die erste Frage mit Ja, auf die zweite mit Nein geantwortet.
138
Zweiter Teil.
Die Entwickelung des kirchlichen Dogmas.
Erstes Buch.
Die EntwickelnngsgescMchte des Dogmas als Lehre
von dem Gottmenschen anf dem Grnnde der
natürliclien Theologie.
Erstes Kapitel.
GescMchtliche Orientiruiig.
§28.
CWFWalch, Entw. einer vollst. Historie der Ketzereien, 1762 ff. —
CJHepkle, Konziliengesch.* Bd. I — IV. — Geschichte des römischen
Keiches von Tillemont, Gibbon und LBanke (Weltgesch. Bd. IV u. V). —
JBi&viLLK, Die Religion zu Born unter den Severern (deutsch von GErüo£r
1888). — VSoHULTZE, G^sch. des Untergangs des griechisch-römischen
Heidentums. 2 Bde. 1887 f. — GBoissibr, La fin du paganisme. 2 Bde.
1891. — IDoRNKB, Entw.- Gesch. d. L. v. d. Person Christi. '^ 1853. — HSchültz,
Die L. V. d. Gottheit Christi, 1881. — PGass, Symbolik d. griech. K., 1872. —
PKattehbusch, Lehrbuch der vergleich. Konfessionskunde. 1. Bd. 1890. —
HDbnzingeb, Eitus Orientalium, 2 Bde. 1863 f.
Die christliche Religion hat im 3. Jahrh. keinen Kompromiss
mit irgend einer der heidnischen Religionen geschlossen und sich
fern ab von den zahlreichen Kreuzungen gehalten, aus denen sich
unter dem Einfluss der monotheistischen Religionsphilosophie
eine neue Religiosität entwickelte. Allein der Geist dieser Reli-
giosität ist in die Kirche eingezogen und hat die ihm entsprechen-
den Ausdrucksformen in der Lehre und im Kultus hervorgehen
lassen. Das Testament des Urchristentums (die heiligen Schriften)
und das Testament der Antike (die neuplatonische Spekulation)
waren am Ende des 3. Jahrh. innig und, wie es schien, untreimbar
in den grossen Kirchen des Orients verbunden. Durch die Auf-
nahme der Logoschristologie als des kirchlichen Centraldogmas
war die kirchliche Lehre, auch für die Laien, auf dem Boden des
Hellenismus festgebannt. Sie wurde für die grosse Mehrzahl der
§ 28.] Geschichtliche Orientirung. 139
Christen dadurch zum Mysterium. Aber eben nach Mysterien
suchte man. Nicht die Frische und Klarheit einer Religion zog
an^ sondern sie musste etwas Raffinirtes und Eomplizirtes haben^
ein Bau im Barockstil sein, um die Menschen zu befriedigen, die
damals alle idealistischen Triebe ihrer Natur in der Religion be-
friedigt sehen wollten. Mit diesem Verlangen verband sich die
höchste Pietät gegen alles Überlieferte, wie sie Restaurations-
epochen eigen ist. Aber, wie immer, wurde das Alte durch die
Konservirung ein Neues und das Neue unter den Schutz des Alten
gestellt. Was die Kirche brauchte an Lehr-, Kultus- und Ver-
fassungsordnungen, war „apostolisch^^ oder stammte angeblich aus
den heiligen Schriften. Aber in Wahrheit legitimirte sie in ihrer
Mitte die hellenische Spekulation, die superstitiösen Anschauungen
xmd Gebräuche der heidnischen Mysterienkulte und die Institu-
tionen der verfallenden Staatsverfassung, denen sie sich an-
schmiegte und die bei ihr neue Kraft erhielten. In der Theorie
monotheistisch, drohte sie in praxi polytheistisch zu werden und
dem ganzen Apparat niederer oder verbildeter Religionen Raum
zu geben. Aus der Religion der reinen Vernunft und der strengsten
Moral, als welche die Apologeten einst das Christentum dargestellt
hatten, wurde sie die Religion der kräftigsten Weihen, der
geheimnissvollen Mittel und einer sinnenfälligen Hei-
ligkeit. Der Zug, mechanisch entsühnende Weihen (Sakra-
mente) zu erfinden, trat immer stärker hervor und gereichte selbst
strengdenkenden Heiden zum Anstoss.
Die Anpassung an die lokalen Kulte, Sitten und Gewohn-
heiten musste auf die Dauer zu einer vollkommenen Verwelt-
lichuBg und zu einer Zersplitterung der Kirche (zu National-
kirchen ) führen: allein zunächst war das Gemeinsame noch stärker
als das Trennende. Die Anerkennung derselben Autoritäten und
Schematen, die gleichmässige Hochschätzung derselben sakra-
mentalen Weihen, der Abscheu vor dem groben Polytheismus und
der Zug zur Askese um des jenseitigen Lebens willen bildeten
neben der gleichartig und streng ausgebildeten bischöflichen Ver-
fassung die gemeinsame Basis der Kirchen. Alle diese Elemente
reichten indess nicht aus, die Einheit der Kirchen zu erhalten.
Hätte Konstantin nicht ein neues Band um sie geschlungen, indem
er sie zur Reichskirche erhob, so wäre die Zersplitterung, die man
vom 5. Jahrh. ab beobachtet, viel früher eingetreten; denn die
bischöflich- metropolitane Verfassung barg ein zentrifugales Ele-
140 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 2S.
ment in ihrem Innern; die Askese, in der sich alle Emstdenkenden
zusammenfanden, drohte die geschichtlichen Bedingungen, auf
denen die Religion stand, allmählich aufzulösen und die gemein-
schaftliche Gottesverehrung zu zerstören, und in die Ausprägung
der Autoritäten imd Lehrformeln schlichen sieh mehr und mehr
Unterschiede ein, die ihre Einheitlichkeit in Frage stellten.
Nimmt man seinen Standort am Ende des 3. Jahrh., so kann
man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das kirchliche Christen-
tum damals von vollkommener Verweltlichung und von äusserer
und innerer Auflösung bedroht gewesen ist Die Gefahr der in-
neren, unmittelbar vor der diokletianischen Verfolgung, hatEuse-
bius selbst konstatirt (h. e. VIII, 1). Er gesteht — wenigstens
von den Kirchen des Orients — ein, dass sie in die Welt zu zer-
fliessen drohten, dass sich das pure Heidentum in dem Leben der
Geistlichen und Laien breit machte. Die diokletianische Verfol-
gung fügte die äussere Gefahr hinzu, und man kann nicht sagen,
dass es lediglich die Kraft der Kirche gewesen sei, die die Gefahr
siegreich bestanden hat.
Schon damals war die Kirche Bischofs- und Theologenkirche.
Allein diejenige Macht, die, wie die Dinge damals lagen, die Eigen-
art der Religion allein energisch stützen konnte — die Theo-
logie—, war nahe daran, sie aufzulösen und der Welt preiszugeben.
Es ist am Schlüsse des ersten Teils geschildert worden, wie
in der Kirche die philosophische Theologie zum Siege gekommen
ist und ihre Sätze in die Glaubensformeln selbst ein-
gebürgerthat. Der „Ebionitismus" und „Sabellianismus" waren
besiegt; das Panier der neuplatonischen Philosophie war aber
trotz der Abschüttelung des Gnosticismus aufgepflanzt. Alle
Denkenden standen unter dem Einfluss des Origenes. Aber war
das System dieses Mannes an sich schon heterodox, so bedrohte
die Entwickelung der alexandrinischen Theologie die Kirche mit
weiteren Gefahren. Origenes hatte Gnosis und Pistis unvermischt
gehalten-, er hatte in konservativem Sinn alles Wertvolle einzu-
gUedem und die verschiedenen Faktoren (kosmologische und
soteriologische) in eine Art von Gleichgewicht zu bringen ver-
standen; er hatte seiner Theologie durch strengen Anschluss an
die h. Texte ein biblisches Gepräge gegeben und durchweg den
Schriftbeweis verlangt. Überall traten aber hier bei den Epigonen
Veränderungen ein: 1) bemühten sich sowohl die Schüler als die
Gegner des Origenes, Pistis und Gnosis wieder auf eine Fläche zu
§ 28.] Geschichtliche Orientirung. 141
setzen^ der Glaubensregel Philosopliisclies hinzuzufügen und von
der Gnosis Einiges abzuziehen. Eben dadurch drohte eine Ver-
sumpfung und Verwirrung, die 0. sorgsam abgewehrt hatte: der
Glaube selbst wurde den Laien undurchsichtig und unverständ-
lich; 2) die kosmologischen und rein philosophischen Interessen
erhielten in der Theologie ein Übergewicht über die soteriolo-
gischen. Dem entsprechend wurde die Christologie wieder in
höherem Grade philosophische Logoslehre (wie bei den Apolo-
geten), und die Idee des kosmischen Gottes als des üntergottes
neben dem höchsten Gott bedrohte geradezu den Monotheismus.
Schon wurden hier und dort — im Gegensatz zum ,,Sabellianis-
mus — Glaubensformeln aufgestellt, in denen von Christus
gar nicht die Bede war, sondern lediglich der Logos mit einem
Schwall philosophischer Prädikate als der erscheinende aber
untergeordnete Gott verherrlicht wurde; schon wurde die Mensch-
werdung als Aufgang der Sonne gefeiert, die alle Menschen er-
leuchtet; schon schien man sich der neuplatonischen Idee des
einen unnennbaren Wesens imd seiner abgestuften mehr oder
minder zahlreichen Kräfte, Erscheinungen, Statthalter anpassen
zu wollen, indem man Alles mit einem üppig aufwuchemden
Oewinde philosophischer Kunstausdrücke umzog; 3) trat sogar
die h. Schrift bei diesen Bemühungen, auch nur im Sinne einer
formalen Instanz, etwas zurück, ohne indess ihre Geltung ein-
zubüssen. Die Theologie, die aus diesen Elementen gebildet war
(z. B. Eusebius von Cäsarea ist ihr konservativer, biblisch gerich-
teter Repräsentant), liess Alles gelten, was sich in den Linien des
Origenismus hielt. Ihre Vertreter empfanden sich als die Kon-
servativen, indem sie jede festere Präzisirung der Gotteslehre
(Trinitätslehre) und der Lehre von Christus als Neuerungen ab-
lehnten (Widerwille gegen die Präzisirung bisher nicht präzisirter
Dogmen hat die Majorität in der Kirche stets beseelt; denn Prä-
zisirung ist Neuerung) und um der Wissenschaft und des „Glau-
bens" willen sich lediglich abmühten, die Logoslehre im kosmo-
logischen Sinn auszugestalten und alles Innerliche und Sittliche
dem Gedanken der Wahlfreiheit unterzuordnen.
Weder die Gedanken einer heroischen Askese, noch die reali-
stische Mystik im Sinne des Methodius, noch Abzüge an den
Heterodoxien des Origenes konnten hier helfen. Die Theologie
und mit ihr die Kirche schien rettungslos in die Zeitströmung zu
Tersinken. Aber wie am Anfang des 4. Jahrh. ein Mann aufgetreten
142 Entwickelnng des Dogmas im Morgenland. [§ 28.
ist, der die durch innem Hader und äussere Verfolgung tief
bedrohte Kirche gerettet hat — Konstantin, so ist um dieselbe
Zeit ein anderer Mann erschienen, der die Kirche vor der völligen
Verweltlichung ihrer Glaubensgrundlagen bewahrt hat — Atha-
n a s i u s. Zwar haben Reaktionen gegen die Ausbildung der Logos-
lehre in der Richtung auf die völlige Entfremdung des Sohnes
vom Vater im Orient wahrscheinlich zu keiner Zeit gefehlt; aber
erst Athanasius hat (unterstützt vom Abendland, dessen Bischöfe
jedoch den Kern der Frage ursprünglich nicht erkannt haben)
der christlichen Religion auf dem einmal gegebenen Boden der
griechischen Spekulation das eigene Gebiet gesichert und Alles
auf den Gedanken der Erlösung durch Gott selbst d. h. durch den
Gottmenschen, der mit Gott wesenseins ist, zurückgeführt.
Nicht um eine Formel war es ihm zu thun, sondern um einen ent-
scheidenden Gedanken des Glaubens, um die Erlösung zu gött-
lichem Leben durch den Gottmenschen. Einzig auf der Gewiss-
heit, dass das Göttliche, welches in Christus erschienen ist, die
Natur der Gottheit selber habe und nur deshalb im Stande sei,
uns zu göttlichem Leben zu erheben, soll der Glaube seine Kraft,
das Leben sein Gesetz und die Theologie ihre Richtung empfangen.
Indem Athanasius aber den Glauben an den Gottmenschen, der
uns allein von Tod und Sünde befreit, an die Spitze stellte, gab
er zugleich der praktischen Frömmigkeit, wie sie damals fast
ausschliesslich in der mönchischen Askese lebte, das höchste
Motiv. Er verband das 'Oiioovöiog^ das die Vergottung der mensch-
lichen Natur verbürgt, aufs Engste mit der mönchischen Askese
und hob diese aus ihrem noch unterirdischen oder doch unsicheren
Bereiche in das öffentliche Leben der Kirche. Indem er die Formel
vom köyog xriöficc^ die neuplatonische Lehre von einer absteigen-
den Trinität, als eine heidnische, das Wesen des Christentums
verleugnende bekämpfte, bekämpfte er zugleich ebenso energisch
das weltförmige Treiben. Er ist der Vater der kirchlichen Ortho-
doxie und der Patron des kirchlichen Mönchtums geworden:
nichts Neues hat er gelehrt, neu war nur die That, die Energie
und Ausschliesslichkeit seines Betrachtens und Handelns in einer
Zeit, da Alles zu zerfliessen drohte. Er ist auch kein wissen-
schaftlicher Theologe im strengsten Sinn gewesen, sondern er ist
aus der Theologie in die Frömmigkeit herabgestiegen und hat das
treffende Wort gefunden. Er ehrte die Wissenschaft, auch die
des Origenes; aber er entfernte sich von dem verständigen Denken
§ 28.] Geschichtliche Orientirung. 143
seiner Zeit. Indem er die Prämissen desselben zugestand, fügte
er ihnen ein Element bei, das die Spekulation niemals vollständig
aufzuarbeiten vermocht hat. Nichts war ihr hier unverständlicher
als die Annahme der Wesenseinheit der ruhenden und der wirken-
den Gottheit. Athanasius befeetigte eine Kluft zwischen dem
Logos, an den die Philosophen dachten, und dem Logos, dessen
erlösende Kraft er verkündete. Was er von diesem aussagte,
indem er das Geheimniss stark und kräftig aussprach und sich
keineswegs in neuen Distinktionen gefiel, erschien den Griechen
als ein Argerniss und eine Thorheit. Aber er scheute diesen Vor-
wurf nicht, umschrieb vielmehr innerhalb der einmal gegebenen
Spekulation dem christlichen Glauben ein eigenes Gebiet und hat
so den Weg gefunden, um die völlige Hellenisirung und Verwelt-
lichung des Christentums abzuwehren.
Die Dogmengeschichte des Orients seit dem Nicänum zeigt
zwei verflochtene Entwickelungsreihen. Erstlich wurde die Idee
des Gottmenschen unter dem Gesichtspunkt der Erlösung des
Menschengeschlechts zu göttlichem Leben — also der Glaube des
Athanasius — - nach allen Seiten präzisirt (Dogmengeschichte im
strengen Sinn des Worts). Zweitens galt es festzustellen, wie viel
von dem spekulativen System des Origenes, resp. von der^El^rj-
VLxii TtccLÖeia^ in der Kirche erträglich sei, anders ausgedrückt: in
welchem Masse die h. Schriften und die Glaubensregel eine speku-
lative ümdeutung und Spiritualisirung vertrügen. Die Behand-
lung beider Probleme war durch hundert umstände (auch poli-
tische) erschwert, vor Allem aber deshalb verdunkelt und vergiftet,
weil die Kirche eine theologische Arbeit am Dogma niemals vor
sich selber zugestehen durfte, und weil zugleich die grosse Mehr-
zahl der Christen in der That jede zu neuen Formeln führende
Arbeit als Abfall von dem Glauben, weil als Neuerung, scheute.
Der Schein des „semper idem^^ musste stets aufrecht erhalten
werden, da ja die Kirche im „apostolischen Erbe" Alles fix und
fertig besitzt. Die Theologie und die Theologen — gerade die
besten — kamen dadurch bei Lebzeiten und nach dem Tode in
die schlimmste Lage: bei Lebzeiten galten sie als Neuerer und
nach d^ Tode, wenn das Dogma über sie hinaus fortgeschritten
war, kamen sie oft genug völlig in Misskredit; denn das präziser
ausgebildete Dogma wurde nun der Massstab, den man selbst an
die Theologen der ältesten Zeit anlegte. Zur Ruhe kam die Kirche
144 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 28.
erst, als die Dogmenbildung aufhörte und neben das fertige Dogma
eine scholastisch-mystische Theologie und eine harmlose antiqua-
rische Wissenschaft traten, die beide das Dogma nicht mehr an-
tasteten, sondern es entweder als ein Festgegebenes explizirten
oder es, indififerent, bei Seite liegen Hessen. Damit war endlich
erreicht, was die „Konservativen" stets ersehnt hatten. Aber die
lebendige Frömmigkeit hatte sich unterdess dem Dogma entzogen
und betrachtete im Grunde den geistigen Glauben nicht mehr als
die Sphäre, in der sie lebte, und als ihren ureigenen und frischen
Ausdruck, sondern als das heilige Erbe des Altertums und
als die Vorbedingung, um die christlichen Güter gemessen
zu können.
Perioden der Dogmengeschichte im Orient: Konstantin er-
möglichte eine einheitliche Entwickelung der Kirche im Dogma
(ökumenische Synoden als forum publicum; an die Stelle der
provinzialkirchlichen Symbole tritt ein einheitliches dogmatisches
Bekenn tniss); allein die Unifizirung der Kirchen wurde genau
genommen nie perfekt, und der nationalkirchliche Partikularis-
mus erstarkte gerade im Gegensatz zum Byzantinismus, wurde
aber im Occident überwunden, weil sich dort das altrömische
Reich in die römische Kirche rettete. Indem das Morgenland zer-
fiel und der Islam schliesslich die Schöpfung Alexanders des
Grossen völlig zertrümmerte, Griechen und Semiten scheidend,
fielen Abendland und Morgenland immer mehr auseinander. Doch
hat bis zum Schluss der dogmenbildenden Periode des Morgen-
lands das Abendland den regsten, oft entscheidenden Anteil an
den dogmatischen Feststellungen genommen.
I. Periode von 318—381 (383). Präzisirung der vollen Gott-
heit des Erlösers. Athanasius, Konstantin, die Kappadocier, Theo-
dosius. Die Orthodoxie siegt durch die Festigkeit des Athanasius
und einiger Abendländer, durch den Gang der Welt begebenheiten
(des Arius, Julian und Valens plötzliches Ende, Auftreten des
Abendländers Theodosius im Morgenland) und durch das Ver-
mögen der Kappadocier, den Glauben des Athanasius — freilich
nicht ohne Abzug — in der origenistischen Wissenschaft unter-
zubringen,
IL Periode von 383 — 451. Die selbständige theologische
Wissenschaft {'EkXrivLxfi naiSeCa^ Origenes) wird bereits heftig
bekämpft; die kirchlichen Führer geben sie preis und werfen sich
§ 28.] Geschichtliche Orientirung. 145
mehr mid mehr der Gemeinde- und Mönchsorthodoxie in die Arme.
Über das christologische Dogma erheben sich zwischen Antio-
chien und Alexandrien die heftigsten Streitigkeiten, hinter denen
sich die Machtfrage verbirgt. Die korrekte Lehre siegt zu Ephe-
fius449; allein mit derTyrannis der alexandrinischen Patriarchen
verbunden, muss sie das Geschick der letzteren teilen, über die
£aiser und Staat triumphiren. Dem Kaiser bleibt nichts übrig,
als die abendländische Formel als die orthodoxe zu proklamiren
(das Chalcedouense), die zunächst dem Orient fremd ist und nicht
ohne Grund als häretisch empfunden wird,
ni. Periode von 451 — 553. Aufruhr und Schisma im Orient
des Chalcedouense wegen; der Monophysitismus ist in lebendig-
ster Bewegung, die „Orthodoxie" zunächst ratlos. Aber der spe-
kulative Piatonismus hatte abgewirtschaftet; an seine Stelle war
auch in der allgemeinen Wissenschaft die aristotelische Dialektik
und Scholastik getreten, andrerseits eine Mysteriosophie, die aus
jeder Formel und jedem Ritus etwas zu machen verstand. Diesen
Mächten gelingt es, sich die aufgenötigte Formel zurechtzulegen
(Leontius von Byzanz, der Areopagite). Justinian, überall ab-
schliessend, kodifizirt das Dogma ebenso wie das Recht und
schliesst nicht nur die Schule von Athen, sondern auch die von
Alexandrien und 4ntiochien. Origenes und die antiochenischen
Theologen werden verdammt. Als theologische Wissenschaft
bleibt nur eine Wissenschaft zweiter Ordnung übrig — die Scho-
lastik und die Kultusmystik, diese freilich im letzten Grunde wie
im Ziele heterodox, äusserlich aber korrekt. Die Kirche reagirt
nicht; denn sie hat stets Ruhe gewollt, und die Frömmigkeit
hatte sich längst in das Mönchtum und die Mysterien (den
Kultus) geworfeB,0. . .
IV. Periode von 553—680. Der monotheletische Streit, im
Grunde teils Nachspiel, teils Wiederholung des alten Streits, nicht
aus der Überzeugung, sondern aus der Politik geboren. Auch hier
muss schliesslich das Abendland mit einer blutlosen Formel helfen,
V.Periode von 726 — 842. Im Grunde zeigen die Kämpfe
dieser Periode (Bilderstreit) bereits, dass die Dogmengeschichte
zu Ende ist; aber gekämpft wurde um das, was sich als praktischer
1) Von Polykarp heisst es in seiner Vita per Pionium (saec. IV) :
kgfnivieeccL re inavbg (ivatT^gioCy a toTg noXXoTg rjv Sin6%QV(pa, ovr<o (pavs-
Q&s a'iftcc i^srld'STOy m0rs rovg &7iovovTag fiaqtvgsZv^ Ott ov fiovov i^nov-
oveiv äXXa xal dg&ctv ai)td.
Gnmdrias IV. in. Habhacx, Dogmengeschichte. 8. Aufl. 10
146 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 29.
Ertrag der Dogmengescliichte herausgestellt hatte, um das Recht^
an tausend sinnlichen Dingen, vor Allem an den Bildern, die Ver-
gottung, dielneinsbildung von Himmlischem und Irdischem, wahr-
nehmen und verehren zu dürfen. Dabei tritt hier am Schluss das,
was in der ganzen Dogmengeschichte als ein untergeordneter
Faktor erscheint, es aber nicht ist, deutlich hervor — der Streit
des Staats (des Kaisers) und der Kirche (der Bischöfe und Mönche)
um die Herrschaft, für die die Gestaltung des Dogmas und Kultus
von höchster Bedeutung ist. Der Staat muss schliesslich die Ein-
führung seiner Staatsreligion preisgeben, -aber für dieses Zu-
geständniss bleibt er der Sieger im Lande. Die Kirche behält
üiren Kultus und damit die ihr eigentümliche praktische Frukti-
fizirung des Dogmas; aber sie wird definitiv unselbständig, Stütze,
Spielball, unter Umständen freilich auch Palladium des Staats
und der Nation.
Zweites Kapitel.
Die Gmndauffassung vom Heil und der allgemeine Aufriss der
Glaubenslehre.
§ 29.
WHerrmann, Gregorii Nyss. sententiae de salute adipisc, 1875. —
HScHDLTZ, Lehre v. d. Gottheit Christi, 1881. — ARitschl, Die christl.
Lehre v. d. Rechtfert. und Versöhn.* Bd.I S. 3 ff. — FKattenbüsch (s. § 28).
1. Aus den dogmatischen Kämpfen vom 4. bis 7. Jahrh. geht
hervor, dass man damals um die Christologie mit dem Bewusst-
sein gekämpft hat, in ihr sei das Wesen der christlichen Religion
selbst enthalten. Alles Übrige wurde nur in schwankenden Aus-
prägungen behauptet und hatte daher nicht den Wert einer dog-
matischen Aussage im strengsten Sinn des Worts. Hieraus er-
giebt sich aber für die Orthodoxie folgende Grundauffassung vom
Heil: das im Christentum dargereichte Heil besteht in der Er-
lösung des Menschengeschlechts von dem Zustande der Vergäng-
lichkeit imd der mit ihr gesetzten Sünde zu göttlichem Leben
(d. h. Vergottung einerseits, seliger Genuss Gottes andererseits),
die sich in der Menschwerdung des Sohnes Gottes bereits voll-
zogen hat und der Menschheit durch die unauflösliche Verbindung
mit ihm zugutkommt; das Christentum ist die Religion, die vom
Tode befreit und den Menschen zum Anteil am göttlichen Leben
und Wesen per adoptionem führt. Die Erlösung wird also als
§ 29.] Die GrundauffassuDg vom Heil. 147
die Aufhebung des natürlichen Zustandes durch eine wunderbare
Umbildung aufgefasst (Vergottung ist der Centralgedanke); das
religiöse Heilsgut wird von dem sittlich Guten bestimmt imter-
schieden und demgemäss bleibt der Versöhn ungsgedanke rudi-
mentär; für den gegenwärtigen Zustand wird nur ein vorläufiger
Heilsbesitz (Berufung, Erkenntniss Gottes und des Heils, Sieg
über die Dämonen, unterstützende Mitteilungen Gottes, Genuss
der Mysterien) vorausgesetzt. Demgemäss ist das Grundbekennt-
niss das des Irenäus: „Wir werden göttlich um seinetwillen, da
auch er xmsertwegen Mensch geworden.'^ Dieses Bekenntniss,
richtig durchdacht, fordert zwei Hauptdogmen, nicht mehr und
nicht weniger: „Christus ist d'sbg 6fiooi5<ytog", „dieser d'ebg 6fW)ov-
(ftog hat die ganze Menschennatur in sein Wesen aufgenommen
und mit sich in Eins gebildet".
Allein diese Dogmen haben sich erst nach schweren Käm-
pfen durchgesetzt; sie haben niemals eine völlig reine Ausprägung
erlangt, und sie haben die exklusive Herrschaft, die sie fordern,
nicht vollständig erreicht. Die Gründe dafür sind folgende: 1) die
Formulirungen, die man bedurfte, hatten als neue den Geist der
Kirche gegen sich, dem auch die beste Neuerung verdächtig war;
2) die reine Ausprägung des Glaubens ist zu allen Zeiten die
schwierigste Aufgabe; damals aber wurde sie besonders durch
apologetische, aber auch durch andere fremde Erwägungen ge-
hemmt; 3) die orthodoxen Formulirungen stritten mit jedweder
Philosophie; sie gereichten dem geschulten Denken zum Anstoss;
es dauerte aber lange, bis man in dem Unverständlichen das Cha-
rakteristische des Heiligen und Göttlichen erkannte; 4) die Auf-
fassung von dem durch den Gottmenschen beschafften Heil war
dem Schema der „natürlichen Theologie" (resp. dem Moralismus)
beigegeben, resp. auf dasselbe aufgepfropft; die natürliche Theo-
logie suchte fort und fort das Dogma aufzuarbeiten und sich kon-
form zu gestalten; 5) die mystische Erlösungslehre und ihre neuen
Formeln hatten nicht nur kein Schriftwort für sich, sondern stritten
auch mit dem evangelischen Bilde Jesu Christi; Nlliche Gedanken
und Reminiszenzen, überhaupt biblische Theologumena der ver-
schiedensten Art haben das werdende und das gewordene Dogma
stets umspült und die exklusive Herrschaft desselben verhindert;
6) das eigenartige Schema der abendländischen Christologie hat
störend in die morgenländische Dogmengeschichte eingegriffen.
Auf sich gestellt hätte das Morgenland den Monophysitismus
10*
148 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 29.
legitimiren müssen; die EvangeHen, das Abendland und die Kaiser
haben es daran gehindert. Eine inkorrekte Formel siegte; aber
sie erhielt eine korrekte Auslegung; umgekehrt hat am Ende des
4. Jahrh. die korrekte Formel des Athanasius gesiegt, aber in
einer durch die Weltwissenschafl der Kappadocier beeinflussten
Auslegung. Beide Abschlüsse hatten die weltgeschichtliche Folge,
dass die orthodoxe Kirche mit der biblischen Theologie und mit
der Wissenschaft (der Scholastik) in Kontakt geblieben ist.
2. Da die Lehre vom Heil streng in dem Schema des mystisch-
reßlistischen Erlösungsgedankens gehalten wurde, so war sie an
sich gegen das Sitth'che indifferent; aber man war allerseits ge-
wiss, dass das Christentum auch die höchste Sittlichkeit umfasse.
Demgemäss wurde das Heilsgut nur dem sittlich-guten Menschen
zugesprochen, das Sittlich-Gute aber als Produkt der freien Selbst-
bethätigung des Menschen xmd als die von ihm zu erfüllende Be-
dingung der Beseligung gefasst, wobei Gott als unterstützend
gedacht wurde (dies gilt von der positiven Sittlichkeit; die nega-
tive, die Askese, galt als die direkte Disposition für die Ver-
gottung). Die dogmatische Ausprägung der christlichen Religion
wurde also balanzirt durch den Gedanken der Wahlfreiheit (s. schon
Clem. Alex., Protrep. 1, 7 : rö sv ^ijv idCda^ev iniq>uvslg ä)g didd'
(fTcakog^ Iva riy äsl t,fiv v6xbqov hg %ehg %0Q'riyifi6ri) ^ und dieser ist
nur der kürzeste Ausdruck für die gesammte iiatürliche Theo-
logie, die die Kirche aus der antiken Philosophie übernommen
und als die selbstverständliche Voraussetzung ihrer spezi-
fischen Lehre behandelt hat, für die sie auf ein allgemeines Ver-
ständniss rechnete. Mithin belegt sich das griechische Christen-
tum zwischen zwei Polen, die lediglich einander zugeordnet sind.
Dogmen im strengen Sinn giebt es nur innerhalb der Erlösungs-
lehre; auf der anderen Seite sind nur sichere (weil vernünftige)
Voraussetzungen und Auffassungen (sofern im Einzelnen
Abweichungen hier nicht unerträglich sind) vorhanden. Allein
da die griechische natürliche Theologie an nicht wenigen Punkten
mit dem Buchstaben und dein Geist der h. Schriften und mit der
Glaubensregel in Konflikt stand (wie vor Allem die Theologie des
Origenes beweist), so mussten auch hier Probleme entstehen, die
in steigendem Masse im Einzelnen zu Gunsten des biblischen
Realismus und des Bibelbuchstabens wider die Vernunft und eine
idealistische Betrachtimg gelöst wurden, wenn auch im Ganzen
das rationalistisch -moralistischfe Schema unversehrt blieb (s. die
§ 29.] Die GrundauffasfiHDg vom Heil. 149
Dogmatik des JoL Damascenus; Sophronius v. Jerus : d'so^&^sv
^Biaig (istaßokatg xal fiLfiilösöLv). Eine ganz untergeordnete
Rolle spielte neben der Erlösnngsmystik, dem Rationalismus und
Biblicismus die urchristliche Eschatologie; doch ist der sich stei-
gernde Biblicismus allmählich auch ihr zu gut gekommen (vgl. die
Geschichte der Apokalypse in der griechischen Kirche); man fing
wieder an, apokalyptische Bilder der Dogmatik beizulegen, die
indess ohne wesentliche Wirkung blieben. Auch das Wertvolle
der alten Eschatologie, die Aussicht auf das Gericht, hat in der
offiziellen griechischen Theologie niemals die Rolle gespielt,
die diesem hochwichtigen Stücke zukommt. Trotz der Ablehnung
der origenistischen Eschatologie blieb in der griechischen Dog-
matik ein verborgener Rest der Auffassung der Geschichte als
einer Evolution zurück.
3. Als Ergebniss dieser Betrachtung ergiebt sich, dass man
nach der Erörterung der Autoritäten und Erkenntnissquellen (A)
die natürliche Theologie als Voraussetzung der Erlösungslehre
zu behandeln hat; diese aber zerfällt in die Lehre von Gott und
vom Menschen. Sodann ist (B) die Erlösungslehre selbst in
ihrer geschichtlichen Entwickelung als Trinitätslehreund Ohristo-
logie darzustellen. Den Beschluss bildet (C) die Lehre von den
Mysterien, in denen sich schon im Diesseits die zukünftige Ver-
gottimg des Endlichen darstellt und genossen werden kann. An-
zufügen ist eine Skizze der Entstehungsgeschichte des ortho-
doxen Systems.
Zusatz: Erst durch den Aristotelismus ist die griechische
Kirche nach Origeues wieder zu einem, freilich keineswegs ein-
heitlichen dogmatischen System gelangt (Joh. Damascenus). Die
Eenntniss der griechischen Dogmengeschichte ist, abgesehen von
den Synodalakten und -beschlüssen, zu schöpfen 1) aus den zahl-
reichen Werken über die Menschwerdung des Sohnes Gottes,
2) aus den katechetischen Schriften, 3) aus den apologetischen
Traktaten, 4) aus den Monographien über das Sechstagewerk und
ähnlichen Arbeiten, sowie aus den exegetischen Werken, 5) aus
den Monographien über die Virginität, das Mönchtum, die Voll-
kommenheit, die Tugenden und die Auferstehung, 6) aus den
Monographien über die Mysterien, den Kultus und das Priester-
tum, 7) aus den Predigten. Bei der Benutzung dieser Quellen ist
neben Anderem auch das zu berücksichtigen, dass die Väter häufig
dtaXsxrcx&g geschrieben haben, und dass die offizielle Litteratur
150 Entwickelnng des Dogmas im Morgenland. [§ 30.
( Synodallitteratur) in steigendem Masse von Fälschungen wim-
melt und von bewusster Unwahrheit und Ungerechtigkeit durch-
tränkt ist.
Drittes Kapitel.
Die Erkenntnissqnellen und Autoritäten oder die Schrift, die
Tradition und die Kirche.
S. die Einleitunßren in d. A. u. N. T. — JL Jacob r. Die k. L. v. d.
Tradition u. h- Schriffc. 1. Abt. 1847. — HHoltzmann, Kanon u. Tra-
dition, 1869. — SöDEB, Der Begriff d. Katholicität d. K, 1881. —
BSkebkro, Stadien z. Gesch. d. Begriffs d. E., 1885. — HBeütbr, Augustin.
Studien, 1888.
Der Umfang und die Geltung der katholischen Autoritäten
war bereits am Anfang des 4. Jahrh. wesentlich festgestellt, wenn
auch nicht ihr gegenseitiges Verhältniss und die Art ihrer Aus-
beutung. Dem grossen Gegensatz zwischen der freieren Theologie
und dem puren Traditionalismus lag auch eine verschiedene
Fassung der Autoritäten zu Grunde; aber zu einer Auseinander-
setzung ist es nie gekommen. Wandelungen haben in der Zeit
zwischen Eusebius und Joh. Damascenus stattgefunden, dem ge-
steigerten Traditionalismus folgend; aber Niemand hat eine In-
ventarisirung unternommen — ein Beweis, dass beachtenswerte
Gegner der Methode, den jeweiligen Zustand in der Kirche fiir
den traditionellen (apostolischen) auszugeben, gefehlt haben (nur
die Sekten protestirten und reagirten).
§ 30. Die heilige Schrift.
Die heilige Schrift hatte eine einzigartige Autorität. Sich
auf sie allein zu stellen, war im Grunde nicht unkatholisch; den
Schriftbeweis durfte man stets verlangen. Aber ein ganz sicheres
Einverständniss war nicht einmal über den Umfang der h, Schrift
^vorhanden (s. die antiochenische Schule mit ihrer Kritik am
Kanon). Was das A. T. betrifft, so galt in der Theorie lange Zeit
nur der hebräische Kanon im Orient als massgebenS, aber in praxi
galten doch auch die zugesetzten Schriften der LXX, die man mit
abschrieb. Erst im 17. Jahrh. ist durch römischen Einfluss eine
Gleichstellung der kanonischen und deuterokanonischen Schriften
im Orient erfolgt, jedoch nicht in Form einer offiziellen Er-
klärung. Im Occident siegte die unkritische Ansicht des Augustin
über die kritische des Hieronymus (Synoden zu Büppo 393 und
Karthago 397), die nur leise noch nachwirkte. Zu dem alexan-
§ 30.] Die heilige Schrift. 151
drinischen Kanon traten übrigens hier auch Apokalypsen wie
Hermas und Esra, freilich nicht überall. — Das N. T. anlangend,
so hat Eusebius einem höchst unsicheren Zustand ein freilich nur
relatives Ende bereitet. Bei den drei Kategorien von Büchern,
die er annahm, konnte man sich auch nicht beruhigen, und alte
pro vinzialkirchliche Bestimmungen wirkten besonders im Osten
nach. Doch herrschte seit der Mitte des 4. JahrL . — von den
syrischen Kirchen abgesehen — im Orient ein wesentliches Ein-
verständniss über das N. T. Nur die Joh.- Apokalypse blieb noch
lange ausgeschlossen; kleine Schwankungen fehlten nicht. Wie
das Abendland zum Jakob-, 2. Petri-, 3. Joh.-Brief gekommen ist,
ist ganz dunkel. Den Hebräerbrief hat es durch die berühmten
Mittelsmänner im 4. Jahrh. erhalten. Augustinus Ansicht über den
Umfang des N. T. ist für das ganze Abendland massgebend ge-
worden (s. aber schon die Bestimmungen des Damasus in dem
sog. Decr. Gelasii). Indessen ist auch hier ein jeden Zweifel aus-
schliessendes kirchliches Urteil vor dem Tridentinum nicht erfolgt.
Alle Prädikate der h. Schriften verschwanden hinter dem
ihrer Göttlichkeit (Werke des h. Geistes); Inspiration im
höchsten Sinne wurde jetzt auf sie beschränkt. Aus der Inspira-
tion ergab sich die Forderung der pneumatischen (allegori-
schen) Exegese, sowie die der Konformirung des Inhalts der
Texte sowohl unter sich als mit der Dogmatik. Allein der Buch-
stabe sollte doch auch heilig sein und das Heiligste enthalten
(gegen Origenes): mirakelsüchtige Laien und Kritiker (Antio-
chener) traten für den Buchstaben ein und für die Geschichte.
Eine sichere Methode fehlte: die pneumatische Exegese der Ale-
xandriner, die historisch-kritische, den Typus suchende der Antio-
<ihener, die buchstäbelude realistische barbarischer Mönche und
handfester Theologen (Epiphanius) standen sich gegenüber. Sehr
allmählich bildete sich in Bezug auf die wichtigsten Schriftstellen
und -anschauimgen im Orient ein Kompromiss heraus: die orige-
nistische und noch mehr die antiochenische Exegese wurden zu-
rückgedrängt, aber nicht überwunden, die buchstäbelnd-reali-
stische, durch mystische Einfälle schmackhaft gemacht, drängte
sich vor (s. Joh. Damascenus und dessen Auslegung von Gen. 1—3).
Das Abendland hat die pneumatisch-wissenschaftliche Methode
der Kappadocier durch ffilarius, Ambrosius, Hieronymus und
Bufin kennen gelernt. Vorher und nachher herrschte System-
losigkeit; Achtung vor dem Buchstaben ging neben allegorischen
152 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 31.
Einfallen und chiliastischen Interessen einher. Hieronymns war
zu feige^ um seinen Zeitgenossen die bessern Erkenntnisse zu
leliren, die er besass^ nnd Augustin hat zwar von den Griechen
gelernt^ aber sich nicht über sie erhoben, ja sie nicht einmal er-
reicht. Er hat die Schrifttheologie mit ihrem schwankenden drei-
und vierfachen Sinn in dem Abendland eingebürgert, vor AUem
aber den strengen Biblicismus, obgleich er selbst wusste, dass die
religiöse Wahrheit eine Bestimmtheit der Gesinnung ist, zu der
die Schrift nur führen kann, und dass es eine christliche Freiheit
giebt, die auch frei von der Schrift ist (s. seine Schrift de doctrina
christiana). Namentlich durch Junilius hat die mehr methodische
antiochenische Exegese auf das Abendland eingewirkt, ohne der
Methodenlosigkeit und den tendenziösen Ausflüchten der Exe-
geten abhelfen zu können. Faktisch hat die Schrift im Leben der
Kirche im Abendland doch eine andere Stellung erhalten als im
Morgenland (firüher war es dort anders; s. z. B. Cyrill ▼. Jerus.);
sie steht mehr im Yordergrxmd. Das ist vor Allem aus dem Ein-
fluss Augustins und aus der Thatsache zu erklären, dass die
Eirchendogmatik im Abendland nie so vordringlich gewesen ist
wie im Morgenland. Wie der Umfang der Schrift nie sicher fest-
gestellt worden ist, so auch nicht ihre Eigenschaften. Das Prä-
dikat der Irrtumslosigkeit musste sich doch leise Einschrän-
kungen gefallen lassen, und zu einer klaren Vorstellung von der
Suffizienz der Schrift gelangte man vollends nicht. Über das Yer-
hältniss der beiden Testamente blieben dieselben Unklarheiten
wie früher (das A. T. ein christliches Buch wie das N. T. — das
A. T. durchweg Urkunde der Weissagung — das A. T. als das
Buch, das die Glaubenswahrheit in gewissen Schranken und unter
bestimmten Belastungen enthält und pädagogisch zu Christus ge-
föhrt hat und führt).
§ 31. Die Tradition.
Der Schrift gelang es nicht — am wenigsten im Morgen-
land — , sich von den Bedingungen zu befreien, aus denen sie her-
vorgegangen ist, und völlig selbständige Autorität zu werden.
Die Kirche (ihre Lehren imd Einrichtungen) war an und für sich
Erkenntnissquelle und verbürgende Autorität der Wahrheit.
Alles in ihr ist im Grunde apostolisch, weil sie die apostolische
Schöpfung ist. Hieraus ergiebt sich, warum eine Inventarisining
der Tradition nicht erfolgen konnte. Sie blieb de facto immer
§ 31.] Die Tradition. 153
elastisch: was die apostolische Kirche notwendig hat^ ist aposto-
lisch^ also alt. Allein zunächst verzichtete man noch nicht auf
Unterscheidungen und Beweise.
Tradition war vor Allem der Glaube der Kirche. Die Sym-
bole galten als apostolisch; doch hat nur die römische Kirche ihr
Symbol für apostolisch im strei^sten Sinn (Abfassung durch die
Apostel) ausgegeben. Aber der Inhalt des Nicänums und Chal-
cedonense galt als apostolisch, ja als die apostolische Hinter-
lassenschaft xatsi^oxriv und als die Quintessenz der h. Schrift.
Doch blieb das Verhältniss von Schrift und Symbol amphibo-
lisch. Im Morgenlaad wurde das sog. Gonstantinopolitanum das
Hauptsymbol; im Abendland blieb das nach dem Nicänum zu er-
klärende apostolische Symbol an der Spitze.
Aber auch die Ordnungen der Verfassung und des Kultus
stellte man unter den Schutz der apostolischen Tradition, indem
man zum Beweise auf ihre allgemeine Verbreitung und auch auf
Apostellegenden verwies. Daneben begann man im 4. Jahrh.
— nicht ohne Einfiuss von Clemens und Origenes her — den Be-
griff einer apostolischen xagccdoötg ayQafpog einzuführen, in deren
gänzlich unbestimmten Inhalt man sogar auch dogmatische
Lehren — jedoch höchst selten die trinitarischen und christologi-
schen Stichworte — einschloss, deren Verständniss nicht Jeder-
maons Sache sei (so besonders die Kappadocier). Allein dieser
gnostische Traditionsbegriff (Geheimtradition , obgleich er sich
mehr und mehr einbürgerte, wurde doch als gefährlich empfunden;
man machte nur in der höchsten Not in dogmatischen Fragen
von ihm Gebrauch (z. B. die Kappadocier bei der Lehre vom
h. Geist) und bezog ihn sonst auf die Mysterien und ihre rituelle
Ausführung.
Da es feststand, dass der Kirche selbst vermöge ihrer Ver-
bindung mit dem h, Geist die entscheidende Autorität eingestiftet
sei (Augustin: ,yEgo evangelio non crederem, nisi me catholicae eccle-
siae commoveret mictoritas^'^)^ so mussten sich die Fragen erheben:
1) durch wen und wann spricht die Kirche, 2) wie sind die Neue-
rungen in der Kirche, speziell auf dem Gebiete der Lehre, zu
deuten, wenn doch die Autorität der Kirche ganz und gar in ihrer
Apostolizität d. h. in ihrer Stabilität wurzelt? Beide Fragen sind
aber nie scharf gestellt und daher auch nur höchst schwankend
beantwortet worden. Feststand, dass die Repräsentation der
Kirche in dem Episkopat liege (s. z. B. die ganze Anlage der
154 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 31.
Kirchengescliichte des Eusebius), wenn auch die strenge cypria-
nische Theorie längst nicht Allgemeingut geworden war und die
Vorstellung nie auftauchte, der einzelne Bischof sei unfehlbar.
Aber schon den Pro vinzialsyn öden legte man eine gewisse Inspi-
ration bei (längst war man bei den heidnischen Griechen gewohnt,
von Lsgä övvodog in den Städten zu sprechen). Konstantin hat
zuerst eine ökumenische Synode berufen und ihre Entscheidung
für irrtumslos erklärt. Langsam bürgerte sich der Gedanke der
unfehlbaren Autorität des nicänischen Konzils im 4. Jahrh. ein
und wurde später auf die folgenden Konzilien übertragen, so je-
doch, dass eine Synode (die 3.) erst nachträglich zu einer ökume-
nischen gestempelt worden ist und der Unterschied zwischen
ihnen und den Provinzialsynoden noch lang.? fliessend blieb (war
die Synode von Arles eine ökumenische?). Durch Justinian
wurden die vier Konzilien auf eine imerreichbare Höhe gestellt,
und nach dem 7. Konzil stellte sich im Orient der Satz fest, dass
die Erkenntnissquellen der christlichen Wahrheit die Schrift und
die Bestimmungen der 7 ökumenischen Synoden seien. Bis heute
nimmt man dort häufig die Miene an, als besitze und brauche die
Kirche keine anderen.
Allein diese scheinbar einfache und folgerichtige Entwicke-
lung löste keineswegs alle Schwierigkeiten, weil Konzilien nicht
immer zur Hand waren und doch auch andere Autoritäten noch
berücksichtigt werden mussten Wie hat man sich zu verhalten,
wenn die Barche noch nicht gesprochen hat? Kommt den
Besitzern der grossen apostolischen Bischofsstühle oder den
Bischöfen der Hauptstädte nicht eine besondere Autorität zu?
Ad 1) Die Kirche spricht auch durch einstimmige, alte Zeugnisse.
Die Instanz der „Väter" ist wichtig, ja entscheidend. Was All-
gemeinheit und Altertum für sich hat, ist wahr. Dabei wurde der
Begriff des „Altertums" immer elastischer. Ursprünglich waren
die „Alten" die Apostelschüler, dann rechnete man auch die 3.
und 4. Generation (bis zum Ende des 2. Jahrh.) zu den Alten;
dann waren Origenes und seine Schüler die „alten" Exegeten;
schliesslich galt die ganze vorkonstantinische Epoche als klassi-
sches Altertum. Da man aber doch wenig aus dieser Epoche
brauchen konnte, so berief man sich auf Äthan asius und die
Väter des 4. Jahrh. als auf die „Alten" und zugleich auf zahl-
reiche Fälschungen unter dem Namen der Väter des 2. und
B. Jahrh. Auf den Konzilien zählte man immer mehr bloss die
§ 31.] Die Tradition. 155
Stimmen der „ Alten'^ und legte weitschichtige Chrestomathien an,
um die neuen Formebi und Stichworte zu belegen. So entschied
man mehr und mehr nach Autoritäten, die man sich freilich häufig
erst schuf. Das Konzil war mithin nur unfehlbar, weil und sofern
es nichts Anderes lehrte als die „Väter^^. Die Unfehlbarkeit ist
also im Grunde keine direkte. Ad 2) An das besondere Ansehen
der Apostelstühle — auch der orientalischen — hat sich noch
Augustin bei der Frage nach dem Umfang der h. Schrift er-
innert. Im Orient aber ging dieses Ansehen in dem der Stühle
der Hauptstädte unter, und deshalb rückte Konstantinopel in den
Vordergrund, stark befehdet vom römischen Bischof. Dieser
alleiQ vermochte sein altes Ansehen im Abendland nicht nur zu
bewahren, sondern zu erhöhen (einziger Apostelstuhl im Abend-
land, Petrus und Paulus, Untergang des weströmischen Reichs,
der Stuhl wird dais Centrum für die Reste des Römertums im
Abendland) und dasselbe auch — Dank den günstigen Umständen
der politischen und kirchlichen Geschichte — im Morgenland,
freilich unter grossen Schwankungen, zu befestigen. An dem
römischen Bischof haftete stets ein einzigartiges Ansehen, ohne
dass es näher definirt werden konnte. Es hat im Orient erst auf-
gehört, als Orient und Occident überhaupt nichts Gemeinsames
mehr besassen. Bevor es aber erlosch, hatte der römische Bischof
im Bunde mit dem oströmischen Kaiser es erreicht, dass im
Morgenland die Ansätze zu einer Primatsstellung irgend eines
Bischofs (besonders des alexandrinischen) unterdrückt wurden,
zu welcher Unterdrückung die christologischen Streitigkeiten
beitrugen. Die grossen Patriarchenstühle im Orient, durch die
Schismen geschwächt, zum Teil um ihre reelle Bedeutung ge-
bracht, standen nun in thesi einander gleich. Ihre Inhaber stellen
in ihrem Zusammenwirken auch eine Art von dogmatischer Auto-
rität dar, die aber weder an sich noch in ihrem Verhältniss zu
den ökumenischen Synoden klar definirt ist. Sie bilden eben nur
ein Stück Altertum.
Es ergiebt sich aus dem Erörterten, dass den Konzilien die
Fähigkeit, neue Offenbarungen der Kirche zu übermitteln, nicht
zukommt, vielmehr sind sie lediglich durch die Bewahrung des
apostolischen Erbes legitimirt. Deshalb hat die Rezeption neuer
Formeln (des b^oovöLog^ der wesenseiuen Trinität, der zwei
Naturen u. s. w.) so grosse Schwierigkeiten gemacht.' Als endlich
die nicänische Lehre sich durchsetzte, geschah es, weil das
156 Entwickelang des Dogmas im Mori^nland. [§ 31.
Nicannm selbst ein Stück Altertum geworden war, und aUe spateren
neuen Formulirungen suchte man nun, übel genug, aus dem
Nicänum abzuleiten, indem man, wie schon einst Irenäus gethan,
zugleich mit dem Text auch eine bestimmte Explikation desselben
als vorgeschrieben ausgab. Selbst die Fähigkeit der Konzilien,
die Lehren authentisch zu expliziren, ist im Orient nicht ruud
ausgesprochen worden; daher ist auch dort den älteren Vätern
die Entschuldigung nur selten gespendet worden, zu ihrer Zeit
sei das Dogma noch nicht explizirt und scharf formulirt gewesen.
Dagegen hat ein Abendländer (Vincentius v. Lerinum) in seinem
Commonitorium (Mitte des 5. Jahrb.), nachdem er die Kriterien
der wahren Tradition (was überall, immer und von Allen geglaubt
sei) geltend gemacht und vor den Häresien sonst orthodoxer
Väter gewarnt, einen „organischen" Fortschritt der Lehre zu-
gestanden (vom Unbestimmteren zum Bestimmteren) und die
Konzilien als Träger dieses Fortschritts bezeichnet („f*xcitata hae-
reticomm novitatibus'*). Augustin hat ausdrücklich gelehrt, dass,
solange unzweideutige Entscheidungen in einer Frage noch nicht
gegeben seien, das Band der Eioheit unter den dissentirenden
Bischöfen aufrecht zu erhalten sei. Nach dieser Regel hat der
römische Bischof stets gehandelt, sich selbst aber die Ent-
scheidungen und den Zeitpunkt für dieselben vorbehalten.
Der Begriff der Tradition ist also ganz unklar. Das hierar-
chische Element spielt in ihm der Theorie nach nicht die erste
Bolle. Die apostolische Succession hat selbst im Abendland für
den Traditionsbeweis in thesi keine so grosse Bedeutung gehabt.
Seit der Zeit der Konzilien erschöpft sich auf diesen das Ansehen
der Bischöfe als Träger der Tradition. Doch ist das vielleicht
schon zuviel gesagt. Alles war eben unklar. Sofern sich aber die
griechische Earche seit Joh. Damascenus nicht verändert hat, hat
der Grieche in der Gegenwart ein ganz bestimmtes Bewusstsein
von dem Fundament der Religion. Es ist neben der L Schrift
die Kirche selbst, aber nicht als lebendige Macht, sondern in
ihren unverrückbaren, tausendjährigen Lehren und Ordnungen.
Nach der Tradition ist auch die Schrift zu erklären. Die Tradition
ist aber im Grimde noch immer eine doppelte — die öffentliche
der Konzilien und Väter, und die geheime, die die Mysterien, ihr
Ritual und seine Erklärung, bestätigt.
§ 32.] Die Kirche. 157
§ 32. Die Kirche.
Als Verbürgerin der Glaubenswahrheit — die aber im
Grunde alle Philosophie einsehliesst*) — und Verwalterin der
Mysterien kam die Kirche vor Allem in Betracht.^) Man reflektirte
ferner über sie im Orient, wenn man an das A. T. und die falsche
Judenkirche, an die Häresie und die Organisation der Christen-
heit, sowie an die Anmassungen des römischen Bischofs dachte
(Christus ist allein das Haupt der Kirche). Weiter stellte man
im katechetischen Unterricht die Kirche als die Gemeinschaft des
wahren Glaubens und der Tugend dar, ausserhalb welcher es nicht
leicht einen weisen und frommen Mann geben könne, und wieder-
holte die biblischen Aussagen über sie, dass sie die eine und
heilige, vom h. Geist geleitete sei, die katholische im Gegensatz
zu den zahlreichen gottlosen Vereinigungen der Häretiker. Selbst-
verständlich identifizirte man dabei die empirische Kirche mit
der Kirche des Glaubens und der Tugend, ohne sich doch auf
nähere Erwägungen über corpus verum et permixtum einzulassen
und ohne die Konsequenzen sämmtlich zu ziehen, welche jene
Identifizirung verlangte. Trotz alledem war die Kirche im Grunde
kein dogmatischer Begriff, der in das Gefüge der Heilslehren
selbst gehörte, oder sie wurde es nur, wenn man an sie als die
Mysterienanstalt dachte, von der sich übrigens der Mönch eman-
zipiren durfte. Durch die Verengung, in der die Griechen die
Aufgaben der Kirche anschauten, und durch die natürliche Theo-
logie ist die Nichtbeachtung zu erklären. Die Kirche ist das
Menschengeschlecht als die Summe aller der Einzelnen, die das
Heil annehmen. Die Heilslehre erschöpft sich in den Begriffen:
Oott, die Menschheit, Christus, die Mysterien, die Einzelnen. Die.
Betrachtung der Kirche als die Mutter der Gläubigen, als einer
götthchen Schöpfung, als des Leibes Christi wurde dogmatisch
nicht ausgebeutet. Auch die mystische Erlösungslehre und die
1) S. Anastasius Sin., Viae dux (Migne, Patrol. Gr. T. 89 p. 76 sq.):
OqO'odo^ia iarlv dc'tffsvdrig jcsqI d'sov yial Tiricscog 'bnöXriipig t) %vvoLa nBqi
ndvttav dcXrid-i/jg, rj d6^a r&v 8vra)v Ttad-dnSQ siaCv.
2) So de&iirt auch eia neuerer Grieche (Damalas, *if 6Q^68oiog
mezig 1877 S. 3): *H ^h niatig avtri sig xriv fitav ccylav 'Ka&oUyirjv xal
^noaroXiTiriv iit^lr^aioLv iatl jtSTtoi^aig, oti avtri ^^"^^"^ o (poQSvg tijg &siag
Zaptrog Ti)ff ivSsmvviisvrig elg dvo rtva, ngättov ort ccvtri iarlv 6 ScXdv^
-O-affTog SiddanaXog rijg ;|r9t0rtcci/txi]$ iclri^'S^ag ttal dsvtsgov 6 yvriaiog r&v
l^vani^imv olitovoitog.
158 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 33.
Lehre von der Eucharistie hat der Kirche nicht zu einem sicheren
Platz in der Dogmatik verholfen (sie fehlt z. B. bei Joh. Damas-
cenus). Ihre Organisation, so wesentlich sie ist, ist nicht über die
Stufe der Bischöfe ausgebildet worden und wurde selten dog-
matisch behandelt. Die Kirche ist nicht die Hinterlassenschaft
der Apostel, sondern Christi; daher tritt ihre Bedeutung als
Kultusanstalt in den Vordergrund.
Das Alles gilt von der morgenländischen Kirche. Im Abeud-
land wurde durch den donatistischen Streit der Grund zu neuen
und reichen Auffassungen von der Kirche gelegt. Diese selbst
aber war am Ende der alten Zeit in drei grosse Teile gespalten,
das Abendland, die byzantinische Kirche, den semitischen Orient,
der selbst vielfach zerklüftet war. Jeder Teil hielt sich für die
eine, katholische Kirche und rühmte seine besonderen Palladien.
A. Die Voraussetzungen der Erlösungslehre oder die
natürliche Theologie.
Quellen: Die kosmologischen und ethischen Ausfcllirungen der Väter
des 4. u. 5. Jahrb., besonders ihre Erklärungen des Sechstagewerks.
Die natürliche Theologie ist bei allen Vätern wesentlich die-
selbe; aber sie zeigt Nuancen, je nachdem der Piatonismus oder
Aristotelismus vorwaltet, und nach dem Masse, in welchem der
Bibelbuchstabe eingewirkt hat. Der Unterschied der alexan-
drinischen und der antiochenischen Schule machte sich auch hier
geltend.
Tiertes Kapitel.
Die Voraussetzungen und Auffassungen von Gott dem Schöpfer
als dem Spender des Heils.
§38.
Die Grundzüge der Gotteslehre, wie sie die Apologeten und
die antignostischen Väter festgestellt, blieben stabil, wurden
namentlich gegen den Manichäismus ausgeführt und durch die
Ausbildung der Trinitätslehre kaum berührt, da der Vater als
Qi^cc rrlg d'sörrjros hier allein in Betracht kam. Doch drängten
sich mit dem wachsenden Biblicismus und der mönchischen Bar-
barei anthropomorphische Vorstelluugen immer mehr in die
Theologie ein. — In der Frage nach der Erkennbarkeit Gottes
stritten sich Aristotehker (Eunomins, Diodor v. Tarsus; besonders
seit dem Anfang des 6. Jahrh.) und Platoniker, während man im
§ 33.] Die Gotteslehre. 159
Grunde doch einig war. Dass man Gott nur aus der Oflfenbarung,
genauer durch Christus, erkennen könne, sagte man wohl, gab
aber diesem Satze in der Regel keine weitere Folge, sondern stieg
von der Welt zu Gott auf, die alten Beweise fortführend und
durch den ontologischen Beweis ergänzend (Augustin). Neu-
platonische Theologen nahmen ein unmittelbares, intuitives Gott-
innewerden auf der höchsten Stufe an, haben aber doch gerade
die scholastische Form der Gotteserkenntniss ausgebildet (der
Areopagite: Negation, Eminenz, Kausalität).
Die höchste Aussage über das Wesen Gottes war noch immer,
dass er Nicht -Welt sei, die pneumatische, unsterbliche, apathische
Substanz (das ^Ov), der allein das Sein zukommt (Aristoteliker
dachten an Ursache und Zwecksetzung, ohne das platonische
Schema durchgreifend zu korrigiren). Seine Güte ist die Voll-
kommenheit, Neidlosigkeit und der Schöpfungswille (Ansätze zu
einer besseren Auffassung bei Augustin: Gott als die Liebe, die
den Menschen von der Eigensucht und dem inneren Zerfall be-
freit). Demgemäss wurden die Eigenschaften Gottes behandelt,
nämlich als Ausdruck der Kausalität imd Macht, wobei vom
Heilszweck abgesehen wurde (Origenes' Auffassung wurde tem-
perirt resp. korrigirt). Neben der naturalistischen Auffassung
von Gott als dem'Oi/ steht die moralistische von Gott als dem
Vergelter imd Richter; auch auf sie hatte der Erlösungsgedanke
kaum merkbaren Einfluss (weniger als bei Origenes), da „Lohn"
und Strafe gleichwertig behandelt wurden. Doch hat Augustin
den Unwert einer Gotteslehre erkannt, die Gott für den Menschen
nur an den Anfang und an das Ende stellt und den Menschen
Gott gegenüber verselbständigt, statt Gott als die Kraft des Guten
und die Quelle des persönlichen seligen Lebens zu erkennen.
Die Kosmologie der Väter lässt sich also zusammenfassen:
Gott selbst, der die Weltidee von Ewigkeit in sich getragen hat^
hat durch den Logos, der alle Ideen umfasst, in freier Selbst-
bestimmung diese Welt, die einen Anfang gehabt hat und ein
Ende haben wird, nach dem Vorbild einer von ihm hervorge-
brachten oberen Welt in sechs Tagen aus dem Nichts geschaffen
und ihr in dem Menschen eine Spitze gegeben — um seine Güte
zu beweisen und Kreaturen an seiner Seligkeit teilnehmen zu
lassen. In dieser These wurden die Häresien des Origenes ab-
gelehnt (namentlich auch sein Pessimismus). Doch gelang es
nicht, überall den Wortlaut von Gen. 1—3 zu rechtfertigen, und
160 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 33.
in der Vorstellung von einer oberen Welt (x6ö(iog vosQog), deren
geringes Abbild die irdische sei, blieb ein bedeutungsvolles Stück
der neuplatoniscli-origenistischen Lebre konservirt, das dann von
den platonisirenden Mystikern seit dem Areopagiten reichlich an-
gebaut worden ist. Aber die pantheistischen Häresien wurden
nicht deutlich empfunden, wenn nur irgendwie der Wortlaut von
Gen. 1—3 konservirt schien. DieTheodice — des Manichäismus und
Fatalismus wegen noch immer nötig — suchte durch empirische
Erwägungen sich zu halten, zeigt aber, da auch sie natürliche
Theologie sein sollte, in einer oft befremdenden Kasuistik und in
Unsicherheiten die antike Wurzel. Man verwies auf die Not-
wendigkeit und Zweckmässigkeit der kreatürlichen Freiheit, die
das Böse und das Übel zur Folge haben müsse, auf die Unschäd-
lichkeit des Übels für die Seele, auf die Unwirklichkeit des Bösen
und auf die Zweckmässigkeit der Übel als Läuterungsmittel.
In Bezug auf die himmlichen Geister stellten sich folgende
Punkte fest: dass sie von Gott geschaffen seien, dass sie frei seien
und der stofflichen Leiblichkeit entbehrten, dass sie eine Krisis
di.rchgemacht, in der ein Teil gefallen sei, dass Gott die guten als
Werkzeuge seiner Weltregierung brauche, dass die Wirklichkeit
des Bösen in der Welt auf die bösen Geister zurückzuführen sei, die
Gott gewähren lasse, die inkorrigibel seien, deren fast schranken-
lose Macht über die Welt nur das Kreuz brechen könne und die
der Verdammniss entgegen gehen (gegen Origenes). Immer
stärker warf sich aber seit dem 4. Jahrb. der polytheistische
Trieb auf Engel und Dämonen, und schon um 400 lebte die
Frömmigkeit der Mönche und Laien fast mehr bei ihnen als bei
Gott. Während die Synode von Laodicea um 360 den Engelkult
für Abgötterei erklärt hat, bürgerte sich doch die-iVerehrung der
Engel immer mehr ein (Schutzengel, Glaube an ihre Intercession)
und wurde auf dem 7. Konzil 787 kirchlich fixirt (jCQ06xvvriijtg),
Viel trug dazu bei, dass die „wissenschaftliche" Theologie in der
Form der neuplatonischen Mystik seit ca. 500 dem Ansehen der
Engel dadurch Vorschub leistete, dass sie sie in ihr System als
wichtige Faktoren aufnahm (doch s. schon die alexandrinischen
Theologen): die Engel in abgestuften Ordnungen sind einerseits die
Entfaltung des Himmlischen, andererseits die Vermittler desselben
an die Menschen. Der irdischen Hierarchie mit ihren Abstufungen,
Kompetenzen und Weihen entspricht eine himmlische, abge-
stufte Hierarchie mit himmlischen Opfern, Intercessionen u. s. w.;
§ 34.] Die Lehre vom Menschen. 161
im Kultus schliessen sich beide zusammen (s. den Areopa-
giten und seine Erklärer). So entstand — freilicli lange vor-
bereitet — eine neue kirchliche Theosophie, die letztlich ein
verschämter Ausdruck war ftir die Eskamotirung des Schöpfungs-
und Erlösungsgedankens und für die Zurückfahrung des phanta-
stischen Pantheismus, den die Barocktheosophie der untergehenden
Antike gebildet hatte; Alles, was ist, strömt in vielfachen Aus-
strahlungen aus Gott aus und muss, weil es entfernt und isolirt
ist, geläutert und zu Gott zurückgeführt werden. Dies geschieht
in notwendigen Prozessen, die so geschildert werden, dass
allen Bedürfnissen, auch den barbarischsten, Rechnung getragen
wird und alle Autoritäten und Formeln respektirt werden. Aber
der lebendige Gott, ausser dem die Seele nichts besitzt, drohte
dabei zu verschwinden. Neben dieser theosophischen Kosmologie
stand seit dem Niedergang der grossen Schulen von Antiochien
und Alexandrien ein realistischer Biblicismus.
Fünftes Kapitel.
Die Voraussetzungen und Auffassungen vom Menschen als dem
Subjekt des Heilsempfangs.
§ 34.
Als gemeinsame Überzeugung der orthodoxen Väter lässt
sich etwa Folgendes feststellen: Der nach dem Ebenbilde Gottes
geschaffene Mensch ist ein freies, sich selbst bestimmendes Wesen.
Er ist mit Vernunft begabt worden, um sich für das Gute zu ent-
scheiden und unsterbliches Leben zu gemessen. Diese Bestimmung
hat er, indem er sich der Sünde, verführt aber freiwillig, hin-
gegeben hat und noch immer hingiebt, verfehlt, ohne jedoch die
Möglichkeit und Kraft eines tugendhaften Lebens und die Fähig-
keit zur Unsterblichkeit eingebüsst zu haben. Durch die christ-
liche Offenbarung, die der verdunkelten Vernunft durch volle
Gotteserkenntniss zu Hülfe kommt, ist jene Möglichkeit gekräftigt
und die Unsterblichkeit wiederhergestellt und angeboten worden.
Über Gut und Böse entscheidet also die Erkenntniss. Der Wille
ist, genau genommen, nichts Moralisches. — Im Einzelnen gab es
sehr verschiedene Ansichten: 1) was war ursprünglich Besitz des
Menschen und was Bestimmung? 2) wie weit reicht die Natur
rmd wo fängt die Gnadengabe an? 3) wie weit reichen die Folgen
der Sünde? 4) konstituirt die leere Freiheit das Wesen des
OrandrisB rv. in. Habnace, Dogmengeschiehte. 2. Aufl. 11
162 Entwickelung des Dogmas iiu Morgenland. [§ 34.
Menschen oder entspricht es seiner Natur, gut zu sein? 5) in
welche Bestandteile zerfallt da8 menschliche Wesen? 6) worin
besteht das göttliche Ebenbild? u. s. w. Die verschiedenen Ant-
worten sind sämmtlich Kompromisse 1) zwischen der religions-
wissenschaftlichen Theorie (Lehre des Origenes) und Gen. 1 — 3,
2) zwischen der moralistischen Betrachtung und der Bücksicht auf
die Erlösung durch Christus, 3) zwischen dem Dualismus und
der Betrachtung des Leibes als eines notwendigen und guten
Organs der Seele.
1. Die Idee der angeborenen Freiheit ist die Centralidee; in
ihr ist die Vernunft mitgesetzt. Sie konstituirt das göttliche
Ebenbild, das somit Selbständigkeit gegenüber Gott bedeutet.
Ob zur Natur des Menschen nur das kreatürlich-Sinnliche oder
auch die Vemunftbegabung oder gar die Unsterblichkeit gehört,
blieb kontrovers. Doch war die Kontroverse ziemlich gleichgiltig,
da die herrliche Natur des Menschen doch stets als Gnadengabe
und die Gnadengabe bei den Meisten als Natur galt. Das Wesen
des Menschen wurde als trichotomisch, von Anderen als dichoto-
misch vorgestellt. Die griechisch-origenistische Auffassung von
dem Leibe als Kerker wurde schliesslich offiziell abgelehnt — der
Mensch ist vielmehr eben als geistleiblicher ein Mikrokosmos
(Gregor v. Nyssa), und der Leib ist auch etwas Gottgewolltes — ,
allein sie hat nie aufgehört, nachzuwirken, weil die positive Sitt-
lichkeit stets hinter der negativen (der Askese) zurückstehen
musste, resp. in der Auffassung von den opera supererogatoria
eine asketische Spitze erhielt. Die späteren neuplatonischen
Mysteriosophen haben zwar die Idee von der Verklärung des
Leibes zu verwerten verstanden, aber in Wahrheit wurde von
ihnen das Leibliche doch als ein Aufzuhebendes gedacht, wenn
auch an dem Wortlaut der Formel „Auferstehung des Fleisches"
nicht mehr gerüttelt werden durfte.
Was die Entstehung der einzelnen Seelen betrifft (die Seele
ist kein Teil Gottes; allein im Grunde fassten sie doch viele Theo-
sophen so auf), so wurde die präexistentianische Ansicht des
Origenes (die im 4. Jahrh. viele orthodoxe Theologen teilten) 553
ausdrücklich verdammt; aber die traducianische konnte sich
doch nicht durchsetzen; vielmehr wurde die kreatianische
(fortgehende Schöpfung der einzelnen Seelen) herrschend.
Das Ebenbild Gottes anlangend, so bewegte man sich in der
Antinomie, dass Gutheit und Reinheit nur Produkt der mensch-
§ 34.] Die Lehre vom Menschen^ 163
liehen Freiheit sein könne, dass aber das anerschaffene Ebenbild
doch nicht in der possibilitas utriusque, sondern in einer (guten)
Bestimmtheit der Vernunft und Freiheit liegen müsse und teil-
weise verloren gegangen sei. Demgemäss waren auch die Auf-
fassungen vom Urständ so amphibolisch wie bei Irenäus. Einer-
seits soll die begriffsmässige Vollkommenheit des Menschen im
Anfang verwirklicht gewesen und dann durch Christus wieder-
hergestellt worden sein; andererseits soll der Urständ einKindes-
zustand gewesen sein, aus dem der Mensch sich erst zur Voll-
kommenheit zu entwixjkeln hatte, und den er daher im Grunde nie
verlieren, sondern nur verbessern konnte (so besonders energisch
die Antiochener). Noch die Kappadocier haben über den Urständ
wesentlich ähnlich gelehrt wie Origenes; allein man wurde in der
Folgezeit genötigt, sich streng an die Genesis zu binden, und die
spekulativen Auffassungen wurden ebenso beschnitten, wie die
rationalistischen der Antiochener. Die Zweifel über den Urständ
hatten auch Unsicherheiten über die Auffassung der Askese zur
Folge, die in der griechischen Kirche nie gelöst worden sind:
die Einen sahen in der Askese den natürlichen und bestim-
mnngsmässigen Zustand des Menschen; die Anderen (nament-
Hch die Antiochener) fassten sie als etwas Überirdisches und Über-
menschliches.
2. Anerkannt wurde, dass das Menschengeschlecht von
seinem Ursprünge, d. h. von Adam her (ausdrückliche Ablehnung
der Lehre des Origenes vom vorzeitlichen Fall im 6. Jahrh.), sich
vom Guten abgewendet habe (Ursache: nicht eine anerschaffene
sündige Potenz, nicht die Materie, nicht die Gottheit, nicht Ver-
erbung der Sünde Adam's — Adam ist für die Meisten der Typus,
nicht der Stammvater der Sünder — , sondern Missbrauch der
Freiheit auf Grund dämonischer Verführung, Überlieferung böser
Sitten. Daneben ruhte allerdings bei den Meisten der Gedanke,
nicht überwunden, im Hintergrund, dass der Reiz zur Abkehr von
Gott aus der sinnlichen Natur und der kreatürlichen Gebrechlich-
keit des Menschen mit einer gewissen Notwendigkeit herv^orgehe,
also aus der Zusammensetzung des Menschen und der Todes-
haftigkeit — sei sie nun natürlich [die Antiochener] oder durch
Verfehlung erworben oder ererbt — folge. Man findet daher bei
denselben Vätern die widersprechenden Aussagen, dass das Gute
dem Menschen natürlich sei, und dass ihm die Sünde natürlich
sei). Die Genesis und Rom. 5 zwangen die Griechen immer mehr,
11*
164 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. | § 34.
dem Fall Adam's wider ihre empirisch-rationalistische Theorie
eine weltgeschichtliche Bedeutung zu geben. Aber die augusti-
niache Lehre von der Erbsünde haben sie Jahrhunderte lang nicht
angenommen, ja geradezu für Manichäismus erklärt. Da sie nun
gehindert waren, die origenistische Lehre aufrecht zu erhalten,
und die Bibel den konsequenten Rationalismus der antiochenischen
Theologen verbot, so blieben sie in lauter Unsicherheiten stecken.
Die Meisten leiteten die allgemeine Sterblichkeit (Erbtod), die
Verdunkelung der Erkenntniss (daher den Polytheismus) und eine
gewisse Schwäche der Freiheit von Adam's Fall ab, letztere zum
fast völligen Verlust steigernd, wenn sie an das Werk Christi
dachten, aber kaum erwähnend, wenn sie gegen die Manichäer
schrieben. Aber da sie sich nie entschlossen, an die Stelle der
moralistischen Betrachtung der Sünde die religiöse zu setzen, da
ihnen das Philosophumenon, das Böse sei das Nichtseiende, nie
ganz aus dem Gedächtniss kam, da sie die Folgen der Sünde stets
stärker empfanden als die Sünde selbst — zu welcher Betrachtung
sie auch ihre Auffassung vom Werke Christi anleitete — , so haben
sie der Schwere der Sünde, d.h. der Schuld niemals einen vollen
Ausdruck zu geben vermocht: die Sünde ist böse Einzelthat,
ist Zufall und wiederum Verhängniss, ist Folge der Todeshaftig-
keit; aber sie ist nicht die furchtbare Macht, die die Gemeinschaft
mit Gott aufhebt.
Der Einfluss der in der Lehre von Gott und vom Menschen
hervortretenden natürlichen Theologie (des Rationalismus und
der ihm stammverwandten Mystik) auf die eigentliche Dogmatik
war fundamental: 1) der Mensch wird durch die Erlösung zu der
Bestimmung geführt, die er auch kraft seiner Freiheit erreichen
kann (Gefahr, die Erlösung lediglich als Unterstützungsmittel zu
fassen), 2) der Mensch, als Ebenbild Gottes ein auch Gott gegen-
über selbständiges Wesen, kann zu diesem keine anderen Be-
ziehungen haben als zu dem Schöpfer und Richter; nicht Gott
selbst ist sein Leben, sondern das Gesetz Gottes ist seine Richt-
schnur (Gefahr, das Evangelium und das Heil als Wissen und als
Gesetz zu fassen, die Strafe als das höchste Unglück und die Reue
als die Ursache der Vergebung), 3) auch die Lehren von Gott
dem Erlöser müssen nach dem rationalistischen Schema behandelt
werden (Vernünftigkeit der Trinitätslehre, der Lehre von der
Fleischesauferstehung u. s. w.), 4) im letzten Grunde kann der
Mensch aus der Geschichte nichts empfangen; in die Geschichte
§ 35.] Die Menschwerdung des Sohnes Gottes. 165
gehört aber ancli der Xoyog ivöagxog] also wurde die Anschauung
nicht ganz verdrängt, dass es einen Standpunkt giebt, für den der
geschichtliche Christus, da er nur unterstützender Lehrer ist,
nichts bedeutet: der Mensch, der durch Gnosis und Askese zum
sittlichen Heros geworden ist, steht frei neben Gott; er liebt
Gott und Gott liebt ihn; in ihm wird ein Christus geboren. Gerade
die lebendigste Frömmigkeit der griechischen Väter und der
energischste Versuch, sich in der Religion heimisch zu machen,
sind am wenigsten davor sicher gewesen, den geschichtlichen
Christus zu verlieren. Aber es war nur eine Gefahr, die drohte.
Die Gottheit ist herabgestiegen, Gott ist in dem geschichtlichen
Jesus Mensch geworden: der Glaube an diese ungeheuere That-
sache — „das Neueste alles Neuen, ja das allein Neue unter der
Sonne^^ (Damasc.) — sowie das Bätsei und der Schrecken des
Todes begrenzten allen RationaHsmus: der Mensch muss er-
löst werden und ist erlöst.
B. Die Lehre von der Erlösung in der Person des Gott-
menschen in ihrer geschichtlichen Entwickelung.
Seclistes KapiteL
Die Lehre von der Notwendigkeit und Wirklichkeit der Er-
lösung durch die Menschwerdung des Sohnes Grottes.
§35.
Athanasius, JJsqI ivav&Qomi^csoag rov X6yov, — Gregor v. Nyssa,
A6yog %avrixriTLKbg 6 (liyag. S. die Litteratur z. 2. Kap.
Die Menschwerdung Gottes allein balancirte das ganze System
der natürlichen Theologie. Weil man an ihre Wirklichkeit glaubte,
behauptete man auch ihre Notwendigkeit. Man bezog sie auf den
Tod, die Dämonenherrschaft, die Sünde und den Irrtum, und man
hat in diesem Zusammenhang nicht selten Aufstellungen über die
Heillosigkeit des Menschen getroffen, die an Augustin erinnern.
Allein wenn man eine straffe Theorie gab, hielt nur der Gesichts-
punkt der Aufhebung der Vergänglichkeit und des Todes Stich;
denn die Freiheitslehre schloss eine Sündentilgung aus und legte
andererseits die Auffassung nahe ^ dass herzliche ßeue vor Gott
von Sünden befreie (so z. B. Athanasius, de incam. 7). Athana-
sius hat nach Irenäus zuerst eine straffe Theorie der Mensch-
werdung gegeben (1. c). Er begründet sie einerseits aus der Güte
Gottes, resp. seiner Selbstbehauptung und Ehre, andererseits aus
166 Entwickelung des Dogmae im Morgenland. [§ 35.
der Folge der Sünde, der Vergänglichkeit. Diese vermag nur
der Logos zn beseitigen, der auch ursprünglich Alles aus dem
Nichts geschaffen hat. Die Mittel anlangend, so rekurrirt Athana-
sius auf alle biblischen Gedanken (Opfertod, Schuld tilgungu. s.w.);
allein fest führt er lediglich den Gedanken aus, dass in dem Akt
der Menschwerdung selbst die Wendung vom Todesverhängniss
zur Vergottung (avtbg ivrjvd'Q(07tri6€v^ Iva rj^stg ^saTtoirjd'&^ev)
und äfpd'UQöia liege, sofern die physische Verbindung des Menschen-
wesens mit dem Göttlichen (das Wohnen Gottes im Fleische) die
Menschheit in die Sphäre der Seligkeit und der &(p^aQ6Ca erhebt
(c. 9: Xafißdvsc öa^ia^ Zva rovto rov ijtl xdvt(ov k6yov ^stalaßbv
ävrl ndvxcov Cxavbv ysvrjtaL rö d'avccra)^ xal ölcc rbv ivoi7nq6avxa
koyov atpd'aQTOv diafisuvy^ xccl loiTtbv inl xävtcov fj (pd'OQa jcav-
öTjzai tri trjg dvaatdöscog xagcti). Die Folge der Menschwerdung
ist also primär die Verwandelung ins unvergängliche (Wieder-
erneuerung des göttlichen Ebenbildes), sekundär aber auch die
Wiederherstellung der Erkenntniss Gottes, sofern die irdische
Erscheinung der Gottheit (in Christus) dem blödesten Auge die
Gottheit erkennbar macht und damit den Polytheismus austilgt.
Indem Athanasius diesen doppelten Erfolg behauptet, vermochte
er auch den partikularen Erfolg der Menschwerdung zu erklären:
er kommt eben nur denen zugut, die Gott erkennen und nach
dieser Erkenntniss ihr Leben einrichten. Die Vergottung des
menschlichen Wesens (Anteil an Gott durch Sohnschaft) war dem
Athanasius die Hauptsache, nicht aber die Erkenntniss. Deshalb
lag ihm Alles an der genauen Bestimmung der Fragen, wie das
Göttliche, welches Mensch geworden, beschaffen gewesen, und in
welche Verbindung es mit der Menschheit getreten sei. Dagegen
legten die Arianer und später die Antiochener auf die Erkenntniss
das Hauptgewicht; sie beharrten beim rationalistischen Schema.
Eben deshalb hatten sie überhaupt nicht ein entscheidendes Liter-
esse an jenen beiden Fragen, und wenn sie es hatten, beantworteten
sie dieselben in einem anderen Sinn. Man sieht, wie die grossen
dogmatischen Kämpfe hier ihre Wurzel haben: wesenhafter Anteil
an Gott oder [Erkenntniss Gottes, die die Freiheit unterstützt:
Christus die Gottheit oder die Weltvemunft (und der göttliche
Lehrer) — Christus der untrennbare Gottmensch oder der inspi-
rirte Mensch und das Doppelwesen. Athanasius hatte die höchste
griechische Frömmigkeit für sich, seine Gegner die verständigeren
Formeln und z. T. den Bibelbuchstaben.
§ 36.] Die Menschwerdung des Sohnes Grottes. 167
So klar wie Athanasius hat kein griechischer Vater mehr die
Frage, warum Gott Mensch geworden, beantwortet. Am
nächsten kommt ihm der Platoniker Gregor v. Nyssa (Grosse
Katechese), wie überhaupt die ganze Lehrauffassung nur auf dem
Boden des Piatonismus möglich ist. Gregor hat die Ausfüh-
rungen an einigen Punkten verstärkt, sich übrigens vielfach an
Methodius angeschlossen. Er zeigt gegenüber Juden und Heiden,
dass die Menschwerdung die beste Form der Erlösung gewesen
ist; er fasst den ganzen Sündenzustand als Tod, giebt diesem Be-
griff also einen weiteren Spielraum (alle Abkehr von Gott zum
nichtseienden Sinnlichen ist Tod); er hat die Vollendung der
Menschwerdung erst in der Auferstehimg Christi angeschaut
(origenistischer Einschlag: die Erlösung hat die Loslösung vom
Leibe zur Voraussetzung); er hat ausdrücklich gelehrt, dass Chri-
stus nicht ein einzelnes Menschen wesen angenommen habe, son-
dern als zweiter Adam die menschliche Natur, so dass nach dieser
mystisch-platonischen Anschauung alles Menschliche mit der
Gottheit zusammengewachsen ist; er hat das Ganze streng als
einen physisch-pharmakologischen Prozess gedacht: die Mensch-
heit wird wie ein Teig vom Sauerteig der Gottheit durchdrungen
(Gegengewicht ist die Forderung spontaner Gesetzeserfüllung);
er hat die Sakramente in die engste Beziehung zur Menschwerdung
gebracht. Er hat aber endlich dieser realistischen und allem
Rationalismus scheinbar feindlichen Vorstellung eine panthei-
stische Wendung gegeben, die ihr das Eigenartige benimmt und
mit einer rationalistischen Auffassung wohl verträglich ist:
Christi Menschwerdung ist eine Aktion von kosmischer Bedeutung;
sie erstreckt sich als Rekonziliation und Restitution über die ge-
sammte Welt von den höchsten Engeln ab bis herunter zu den
tiefsten Tiefen. Damit löst sie sich, wie bei Origenes, in einen
notwendigen kosmischen Prozess auf; sie wird zu einem Spezial-
fall der allgemeinen Allgegenwart des Göttlichen in der Schöpfung.
Es ist im Kosmos die Entfremdung von Gott ebenso angelegt
wie die Zurückführung zu ihm. Gregor hat diesen pantheistischen
Gedanken, den er selbst freilich niemals rein und in Ablösung
von dem Historischen gedacht hat, überleiten helfen in die Folge-
zeit. Die pantheistische Erlösungslehre tritt in der Folgezeit in
doppelter Form auf (pantheistische Monophysiten, der Areopagite
und seine Schüler u. s. w.): entweder erscheint das Werk des ge-
schichtlichen Christus als Spezialfall, resp. als Symbol der all-
168 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 35.
gemeinen 7 reinigenden und heiligenden Wirksamkeit, die der
Logos im Verein mit den abgestuften Ordnungen der übersinn-
lichen Kreaturen und zugleich wiederum für sie, durch heilige
Medien fortgesetzt vollzieht — oder es wird bei dem Gedanken
der Menschwerdung sofort an die Vereinigung jeder einzelnen
Seele mit dem Logos gedacht, bei der sich das wiederholt, was an
Christus geschehen ist. Eine dritte Form ist noch die Ansicht,
dass die Menschheit Christi eine himmlische gewesen sei, resp.
dass der Logos die Menschheit stets in sich getragen habe. Selbst
unverhüllter Pantheismus — die ganze Natur ist an sich wesens-
eins mit der Gottheit — hat nicht gefehlt (Dionysius Bar Salibi).
Doch das Alles lagerte nur im Hintergrund; dagegen ver-
breitete sich der Gedanke, dass Christus den Allgemeinbegriff
der Menschheit an sich genommen habe, im Morgen- und Abend-
land und verdrängte die Vorstellung von einer moralischen Ein-
heit der Gottheit mit einem einzelnen Menschen, aus der sich
freilich die Gewissheit unserer physischen Vergottung nicht ab-
leiten liess. Die, welche jene moralische Einheit lehrten (Antio-
chener), fassten in der Regel zugleich die Erlösung nicht als
Wiederherstellung, deren Notwendigkeit sie eben nicht empfanden,
sondern als Heraufführung einer neuen Katastase, als den Ab-
schluss der göttlichen Pädagogie. Dagegen haben die dem Atha-
nasius und Gregor folgenden Theologen die Menschwerdung stets
als notwendige Restitution gefasst, sie also auf Sünde und Tod be-
zogen. Sie hielten demnach, soweit sie nicht vom Pantheismus ver-
führt wurden, daran fest, dass die Menschwerdung eine geschicht-
liche That unergründlichen göttlichen Erbarmens sei, durch die
die Menschheit zu göttlichem Leben wiederhergestellt worden ist.
Anhang. Die Thatsachen der Geschichte Jesu hat man in
das so aufgefasste Erlösungswerk einzustellen versucht, was bei
der Auferstehung wohl glückte, aber sonst im Grunde an keinem
einzigen Punkte. Speziell der Kreuzestod blieb unverstanden,
obgleich man die paulinischen Gesichtspunkte fortwährend wieder-
holte; denn mit der Menschwerdung war eigentlich Alles schon
gegeben und der Tod konnte höchstens der Abschluss der Ensar-
kose sein (Fruktifizirung des Opfergedankens nach dem Schema
der griechischen Mysterien ist übrigens seit Origenes nicht selten).
Dennoch lässt sich nicht verkennen, dass man den Tod als ein
seliges Geheimniss, vor dem man sich beugte, empfand (kräftige
religiöse Aussagen über den Wert des Kreuzestodes finden sich
§ 35.] Die Menschwerdung des Sohnes Goties. 169
auch bei den Griechen zu allen Zeiten), und es fragt sich doch, ob
die dogmatische Zurückhaltung der Griechen hier minderwertig
ist gegenüber dem dreisten Rechnen und Markten der Abend-
länder in Bezug auf das „Verdienst^^ Christi. Diese haben schon
seit Tertullian und Cyprian das Todesleiden als eine Leistung
betrachtet, deren Wert man in juristischen Formeln zu bestimmen
habe; sie haben den Tod als satisfactio und placatio dei angeschaut
und das bei der Betrachtung der Bussleistungen gewonnene
rechtliche Schema auf ihn angewendet (Aufhebung des Schuld-
und Strafleidens durch das Sühnemittel resp. durch das Ver-
dienst des Todes Christi, das den zürnenden Gott besänftigt.
Berechnung des Wertes des Todes Christi für Gott: Ambrosius,
Augustin, die grossen Päpste). Dabei sind sie seit Ambrosius
folgerecht zu der Annahme vorgeschritten, dass die Sühne (das
Verdienst) von Christus als Mensch geleistet sei, da die Mensch-
heit die Schuldnerin ist und Leistungen überhaupt nur an dem
Menschen geschätzt werden können, der freilich seinen Wert
durch die Gottheit erhält. Damit entfernte sich das Abendland
vom Morgenland: hier ist der Gott, der die Menschheit in die
Einheit seines Wesens aufgenommen hat, durch diese seine
Doppelkonstitution der Erlöser; dort ist der Mensch, dessen
Todesleistung göttlichen Wert hat, der Versöhner. Aber freilich
eine straffe Theorie besass auch das Abendland noch nicht.
Acceptirte es doch auch die gnostisch-morgenländischen Vor-
stellungen, das Lösegeld sei dem Teufel gezahlt worden, der dabei
betrogen worden sei.
Siebentes KapiteL
Die Lehre von der Homousie des Sohnes Gottes mit Gott selbst.
Hauptquellen: Die Kirchenbistoriker des 4. und 5. Jahrh. und die
Werke der Väter des 4. Jahrh. — Von Athanasius' Werken kommen be-
sonders in Betracht: de decretis syn. Nicaenae — de sentent. Dionysii —
orationes IV c. Arianos — epp. IV ad Serap. — de synodis Arimini et
Seleuciae — ep. ad Afros. - FChBaur, Die christl. L. v. d. Dreieinig-
keit u. Menschwerdung Gottes. 3 Bde. 1841 f. — IDorneb, Entwicke-
lungsgesch. d. L. v. d. Person Christi.^ 1853. — HSchultz, Die L. v. d.
Gottheit Christi, 1881. ~ CJHkfkle, Konziliengesch.« Bd. 2 ft. 1875ff. —
HMGWatkin, Studies ot* Arianism, 1882. — Möhleb, Athanasius, 1827. —
HJMVoioT, Die L. d. Athanasius, 1861. — PBöhringer, Athanasius und
Arius, 1874. — GKrüger in ZwTh. 1888. S. 434 if. - ThZahn, Marcell, 1867.
— MEadk, Damasus v. Rom, 1882, vgl. auch die Biographien der Kappa-
docier^ — AHaun, Bibliothek der Symbole.'-* 1877. — CPCasparj, Quellen
z. Gesch. d. Taufsymbols. 4 Bde. 1866 ü.
170 EDtwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 36.
Ist das Göttliche^ das auf Erden erschienen ist- und die Men-
schen mit Gott wiedervereinigt hat, identisch mit dem höchsten
Göttlichen, das Hinütoel und Erden regiert, oder ist es ein Halb-
göttKches? Das war die entscheidende Frage im arianischen Streit.
§ 36. Vom Anfang des Streites bis zur Synode von Nicäa.
Zu Antiochien 208 war die Logoslehre durchgesetzt, das
opLOOvöiog aber verworfen worden. Allein das Erbe PauVs von
Samosata ging nicht unter. Lucian, der gelehrteste Exeget seiner
Zeit, nahm es auf und gründete in Antiochien eine gesuchte, ein-
flussreiche exegetisch-theologische Schule, die lange Zeit ausser-
halb der Kirche stand, dann ihren Frieden mit ihr schloss und
der Mutterschooss des Arianismus geworden ist. Lucian ist vom
Adoptianismus (Paul von Samosata) ausgegangen; der hohe Wert,
den er auf die Entwickelung Christi (pcQoxojti/l) legte, beweist
dies. Aber er hat sich dazu bequemt, den hypostatischen Logos
einzuführen, jedoch als köyog-xTLöfia, als geschaffenes, der Ent-
wickelung fähiges und bedürftiges Wesen, das von dem ewigen,
unpersönlichen Logos Gottes scharf zu unterscheiden ist. Das
Subjekt in Christus ist also ein himmlisches, präexistentes Wesen
(nicht mehr der Mensch, wie bei Paul) — in diesem Zugeständniss
schloss Lucian seinen Frieden mit dem Dogma und den Orige-
nisten — , aber menschliche Eigenschaften (resp. ünvollkommen-
heiten, die durch Kampf und Leiden überwunden werden mussten)
wurden von demselben ausgesagt, die Menschwerdung wurde zu
blosser Fleischesannahme und mit den Mitteln der aristoteli-
schen Dialektik und der biblischen Exegese wurde nun ein Lehr-
begriff entworfen, in dem der unerzeugte Erzeuger (das „Unge-
wordene'^ in scharfen Gegensatz zu allem Gewordenen (dessen
Wesen Fortschreiten vom Unvollkommenen zum Vollkommenen
ist), also auch zum Logos-Christus, gestellt wurde. Die Theologie
wurde zu einer „Technologie", d. h. zu einer in Syllogismen be-
arbeiteten, auf den h. Kodex gegründeten Lehre von dem Ui^e-
zeugten und dem Gezeugten, ohne durchschlagendes Literesse an
dem Erlösungsgedanken, aber nicht ohne moralische Energie,
verbreitet von engbefreundeten, auf ihre Dialektik und ihre exe-
getische Kunst eingebildeten Schülern (^2JvkkovxLavL6rai nannten
sie sich gegenseitig aus Verehrung für ihren Meister).
Zu ihnen gehörte auch Arius, der in gereiftem Alter Diakon
und Presbyter in Alexandrien wurde. Dort war zur Zeit eine
§ 36.] Der arianische Streit bis 325, 171
Richtung im Episkopat vertreten, die gegen die fiad^fiata rrjg
'EXX'qvixfjg (piko6oq)iag misstrauisch war und den Gedanken der
Verschiedenheit von Vater und Logos zurückstellte. Obgleich
Arius längere Zeit gemeinsam mit seinem Bischof Alexander
christologische Irrtümer bekämpft hatte, kam er doch um das
J. 318 mit ihm auseinander, und der Bischof sah sich um 320 ge-
nötigt, auf einer alex. Synode den Arius nebst einigen anderen
Klerikern seiner Christologie wegen zu verdammen und abzu-
setzen. Allein er hatte in ein W^espennest gegriffen. Die Lucia-
nisten, vor Allem der einflussreiche Eusebius von Nikomedien,
traten für Arius entschieden ein, und die Mehrzahl der orientali-
schen Bischöfe war ihm sympathisch (auch Eusebius von Cäsarea).
Briefe wurden von beiden Seiten geschrieben, um Succurs zu er-
halten; auch Synoden fanden statt. Arius konnte unter Protest
seine Thätigkeit in Alexandrien wieder aufnehmen. Als Kon-
stantin 323 auch Herrscher des Orients geworden war, hatte der
Streit alle Küstenprovinzen des Ostens ergriffen (Thalia des
Arius, durch die das Volk für die Streitfrage interessirt werden
sollte; Spott der Juden und Heiden). Der Kaiser suchte zuerst
durch ein vom Hofbischof Hosius von Kordova überbrachtes
Schreiben beide Parteien zu versöhnen (der Streit sei müssiges,
unziemliches Gezänk). Allein der Brief fruchtete nichts, und
wahrscheinlich hat sich Hosius, der die tertuUianisch-novatia-
nische Trinitätslehre vertrat, schon damals mit Alexander ver-
ständigt. Durch ihn ist auch der Kaiser gewonnen und die nicä-
nische Entscheidimg vorbereitet worden. Auf seinen Rat hat
Konstantin ein Konzil nach Nicäa berufen.
Alexander's Lehre (s. seine beiden Briefe bei Theodoret,
h. e. I, 3 und Sokrates, h. e. I, 6 und seinen Sermo de anima et
corpore deque passione domini, vgl. auch die ep. Arii ad Euseb.)
war der Sache nach wesentlich identisch mit der späteren des
Athanasius; aber sie war in den Formeln unklar. Speziell das
biioovüfiog hat schwerlich er zum Stichwort erhoben, da es im
Morgenland verpönt war. Wahrscheinlich hat es Hosius als Über-
setzung des abendländischen „unius substantiae" wieder auf-
gebracht. Alexander^s Formeln waren: ael ^eog^ asl viog^ afia xa-
tijp, Sfia viög^ 6vvvnAQXBL 6 vtbg dysvvtlrcjg rö d'6c5^ äsvyEvilg^
iyevriroysvTlg ^ ovr ijcivoia oiir atöpLG) xivl ngodysi 6 d'sbg tov
vfov, äel ^s6g, asl vCög^ i^ aixov tov %'Bov 6 vtog, Alexander be-
hauptete die anfangslose, ewige Koexistenz von Vater und Sohn
172 EDtwickelung des Dogmas im Morgenland. [^ 36.
(Einfluss des Melito und Irenäus?); er schloss den Sohn in das
Wesen des Vaters als einen notwendigen Bestandteil ein; er wider-
legte die Sätze, der Sohn sei nicht ewig, sei aus dem Nichtseienden
geschaffen, sei nicht q)v6£L Gott, sei wandelbar, habe eine sittliche
Entwickelung durchgemacht, sei nur Adoptivsohn, Er ist sich
bewusst', für den allgemeinen Glauben der Kirche, die Gottheit
Christi, zu streiten und lehnt vor Allem die Dialektik über Ge-
zeugt und Ungezeugt ab. Er führt für seine Ansicht den Schrift-
beweis (Joh. 1, 1-3; 1, 18; 10, 30; 14,8.9.28; Mi 3,17; 11,27;
I Joh. 5, 1; Goloss. 1, 15. 16; Rom. 8,32; Hebr. l,2f; Prov. 8,30;
Ps. 2, 7; 1 10, 3; 35, 10; Jes. 53, 8). Er gebraucht mit Vorliebe
den von Origenes bevorzugten Ausdruck: der Sohn ist die voll-
kommene Abstrahlung ; aber selbst dieser Ausdruck reicht ihm nicht
aus : 6v avta %aQa7txriQCiexai 6 %axY^Q, Er nähert sich dem Sabel-
lianismus, will ihn aber kräftig ablehnen und behauptet, der Vater
sei doch grösser als der Sohn, obschon der Sohn zu seinem Wesen
gehöre. Das Hervorgehen eines solchen Sohnes will er als Ge-
heimniss verehrt wissen: um den Glauben handelt es sich, nicht
um Spekulation. Doch braucht er vielfach unklare, verworrene
und widersprechende Formeln, unter denen selbst xatQtx'^ d'eo-
yovia nicht fehlt und die zu ihren Ungunsten abstechen von den
formell klaren Sätzen des Arius, der es leicht hatte, von Alexan-
der's Lehre nachzuweisen, sie sei weder gegen den Dualismus (zwei
ayivrixa\ noch gegen den gnostischen Emanatismus (pcQoßokii^
äjtOQQOio), noch gegen den Sabellianismus (vtoycaxmQ), noch gegen
die Vorstellung einer Körperlichkeit Gottes gedeckt, habe Cha-
mäleonsgestalt und sei biblisch unhaltbar.
Arius lehrte Folgendes (s. seine und seiner Freunde Briefe,
die Fragmente der Thalia, die Charakteristik bei Alexander und
Athanasius, die Schriften der späteren Arianer):
1) Gott, der Einzige, neben dem es keinen Anderen giebt, ist
allein ungezeugt, anfangslos, ewig; er ist unaussprechlich und an-
erfassbar, femer aller Dinge Ursache und Schöpfer. In diesen
Merkmalen liegt sein Wesen (der unerzeugte Erzeuger). Seine
Thätigkeit ist Schaffen („Zeugen" ist nur ein Synonymum).
Alles, was ist, ist geschaffen — nicht aus dem Wesen Gottes (sonst
wäre er nicht einfach und geistig), sondern aus seinem freien
Willen. Gott ist demgemäss nicht immer Vater gewesen, sonst
wäre das Geschaffene ewig; auch kann dem Geschaffenen nie das
Wesen Gottes mitgeteilt werden, denn dieses ist eben ungeschaffen.
§ 36.] Der arianische Streit bis 325. 173
2) Diesem Gott wohnen als unabtrennbare Kräfte (nicht
Personen) Weisheit und Logos inne; ausserdem giebt es viele ge-
schaffene Kräfte.
3) Vor der Weltzeit als Werkzeug zur Schöpfung der übrigen
Kreaturen {Iva 6 ^ebg ijiiäg dt^ aitov drjiiiovQyilöri) hat Gott aus
freiem Willen (d'skijiiati xov TcatQÖg) ein selbständiges Wesen
(ovtfta, 'bnööxccöLg) geschaffen, das von der Schrift Weisheit, Sohn,
Ebenbild, Wort genannt wird; es ist, wie alle Kreaturen, aus dem
Nichts geschaffen {Xöyog i^ oim 'dvrav ysyovs) und hat einen An-
fang gehabt. Es gab also eine Zeit, wo dieser Sohn nicht war (fjjf
Äor«, ots ovx 'fjv xal ovx ^v jcqIv ysvrjtai), „Sohn" heisst er nur
uneigentlich; auch die übrigen Kreaturen werden von der Schrift
so genannt.
4) Also ist dieser „Söhn" seinem Wesen nach eine selbstän-
dige, von dem „Vater" völlig verschiedene Grösse; weder hat. er
ein Wesen mit dem Vater, noch die gleiche Naturbeschaffenheit
(sonst gäbe es zwei Götter). Er hat vielmehr einen freien Willen
und ist der Veränderung föhig (6 Xoyog avo^oiog Tiarä 'jtdvxcc trig
xov TcaxQog ovöiag — ^svog xov vCov acar' ovöiav 6 ^ax7]Q^ ort
avuQxog — löyog XQSXxbg q)v6si). Er hat sich aber dauernd für
das Gute bestimmt. Somit ist er vermöge seines Willens unver-
änderlich geworden.
5) Also ist der „Sohn" nicht wahrhaftiger Gott, und er hat
göttliche Eigenschaften nur als erworbene und nur teilweise.
Weil er nicht ewig, ist auch seine Erkenntniss nicht vollkommen
(oikf ÖQccv ovtE yLV(b6x€LV xsl€t(og dvvccxccL 6 loyog xov itaxega).
Ihm gebührt daher nicht die gleiche Ehre wie dem Vater.
6) Doch unterscheidet er sich von allen Kreaturen: er ist
das itXLöfia xikaiov (d. h. so vollkommen, wie ein Geschöpf sein
kann), durch ihn ist Alles geschaffen; er steht in einem besondem
Gnadenverhältnisse zu Gott, der ihm in Voraussicht seiner Bewäh-
rung schon in der Präexistenz Herrlichkeit gegeben hat. Durch
Gottes Mitteilung und eigenes Portschreiten ist er zum Gott ge-
worden, so dass man ihn „eingeborener Gott" nennen kann
(ft£ro;(;7} Tcal avxog id'Bonoi'if^d^ — ksyexcci ^sog).
7) Dieser Sohn hat einen Menschen leib {pcb^a a^v%ov) wahr-
haftig angenommen. Die Affekte, die der geschichtliche Christus
zeigt, lehren, dass der Logos, dem sie zukommen (denn eine
menschliche Seele hat Christus nicht gehabt), ein leidensfähiges.
174 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 36.
nicht absolut vollkommenes (sondern die absolute Vollkommen-
heit erringendes) Wesen ist.
8) Neben und unter dem Sohn steht der h. Geist; denn der
Christ glaubt an drei getrennte und verschiedene ovöiai (gebraucht
wird auch gleichbedeutend intoördöeLg)] der h. Geist ist durch
den Sohn geschaflfen.
9) Schriftbeweis für diese Lehren waren: Deut. 6, 4; 32, 3i';
Prov. 8, 22; Ps. 45, 8; Mt. 12, 28; Mr. 13,32; Mt. 26,41; 28, 18;
Lc. 2, 52; 18, 19; Joh.ll, 34; 14, 28; 17,3; Act. 2, 36; I Cor. 1, 24;
15, 28; Col. 1, 15; Phil.2,6f.; Hebr. 1,4; 3,2; Joh. 12,27; 13,21;
Mt. 26, 39; 27, 46 u. s. w. Dialektisch vertrat diesen Lehrbegriff
vor Allem der Sophist Asterius. Bei dem strengen Arianismus
überwog die Tradition von Paul und Lucian her, bei dem ab-
gemilderten (Eusebius v. Cäsarea) die Subordinationslehre des
Origenes.
Athanasius' Lehre ist in der dogmatisch-wissenschaft-
lichen Ausprägung nicht bedeutend, gross in der siegreichen
Beharrlichkeit des Glaubens. Sie umfasst eigentlich nur einen
Satz: Gott selbst ist in die Menschheit eingegangen.
Sie wurzelt ganz und gar im Erlösungsgedanken. Judentum und
Heidentum haben die Menschheit nicht in die Gemeinschaft mit
Gott zurückgebracht: nur Gott konnte uns vergöttlichen, d. h. zu
seinen Söhnen adoptiren und unvergänglich machen. Wer leugnet,
dass Christus voller Gott ist, ist noch Jude oder Heide. Athana-
sius hat im Grunde keine Logoslehre mehr; er ist Christologe.
Überall denkt er nur an den Christus, der Gott ist. Um eine
Formel war es ihm nicht zu thun; selbst das dfioovöiog ist nicht
so oft von ihm gebraucht worden, als man denken sollte. Seine
Richtlinien sind folgende:
1) Ist Christus Gott — und das muss er als Erlöser sein — ,
so hat er als solcher nichts Ereatürliches an sich und gehört in
keinem Sinn zu dem Geschaffenen. Athanasiuä scheidet ebenso
bestimmt wie Arius zwischen Geschaffenem und ünerschaffenem,
aber er stellt den Sohn als zu Gott gehörig der Welt gegenüber.
2) Da das Göttliche in Christus nichts Geschaflfenes ist, so
kann es auch nicht aus der Welt und Weltschöpfung postulirt
werdeu, dazu: Gott bedarf zur Weltschöpfung keiner Vermitte-
lung. Also ist die Idee des Göttlichen, das die Menschen erlöst
hat, von der Weltidee zu trennen: die alte Logoslehre ist beseitigt.
§ 36.] Der arianische Streit biä 326. 175
Natur und Oflfenbarung gelten nicht mehr als identisch. Der
Logos -Sohn ist Heils-, nicht Weltprinzip.
3) Da aber die Gottheit eine Einheit (^ovdg) ist, der Sohn
nicht zur Welt gehört, so muss er in eben diese Einheit des un-
gezeugten Prinzips gehören, das der Vater ist.
4) Eben der Vatemame besagt, dass in der Gottheit ein
Zweites vorhanden ist. Gott ist immer Vat#r gewesen; wer ihn
so nennt, nennt den Sohn mit; denn der Vater ist der Vater des
Sohnes, nur uneigentlich der Vater der Welt, denn diese ist ge-
schaffen, ungeschaffen aber ist die in der Einheit ruhende gött-
liche Trias.
5) Mithin ist der Sohn ysvvrjfia tov TtatQÖg^ gezeugt (nicht
geschaffen) aus dem Wesen Gottes (£| oi^iag rov jrarpdg), wie
das Licht aus der Sonne (fiv 6 Xöyog asC^ iitaQiGiv dcdiCDg TCccgä
x& TtaxQi hg anavya6(icc qxDzög — ovit fjv ot£ ovx ^v), mit innerer
Notwendigkeit (q)vö€L^ nicht d^slr^fiatL), Er ist das aus dem Wesen
hervorgehende Ebenbild. „Gezeugt werden" heisst nichts Anderes
als vollkommen an der ganzen Natur des Vaters von Natur Teil
haben (Ttccvtcc xä nargog tov vvov) , ohne dass der Vater etwas
dabei erleidet.
6) Somit sind die arianischen Behauptungen falsch; der Sohn
ist vielmehr a) gleichewig mit dem Vater, b) aus dem Wesen des
Vaters, c) in allen Stücken seiner Natur nach gleichbeschaffen
mit dem Vater, und er ist dies Alles, weil er ein und dasselbe
Wesen mit dem Vater gemein hat (6(wo^öLog = ravtovöLog)
und mit ihm eine strenge Einheit bildet — Wesen, das
heisst aber in Bezug auf Gott nichts Anderes als das „Sein".
Nicht so ist es, dass der Vater ein Wesen für sich ist und der
Sohn ein anderes für sich, und dass diese beiden gleichbeschaffen
sind — das würde die Einheit der Gottheit aufheben, sondern der
Vater ist die Gottheit; aber diese Gottheit birgt in sich als selb-
ständiges und selbstthätiges Erzeugniss eine Hervorbringung,
welche von Ewigkeit her und nicht kraft einer Mitteilung die-
selbe göttliche Natur auch besitzt — den echten Sohn, das aus
dem Wesen hervorgehende Ebenbild (duo pilv Ttardga xal vCöv^
iiovdda dl ^sötrjtog ddtaLQsrov). Vater und Sohn sind ein ein-
ziges Wesen, welches die Unterscheidung von ocQxi} und yivvruLa,
also von Prinzip und Abgeleitetem, und in diesem Sinne eine Sub-
ordination (der Vater ist ahiov^ der Sohn aCttatöv^ in diesem
Sinn steht er logisch, nicht nach Wesen und Würde unter dem
176 Ent.wickeluDg des Dogmas im Morgenland. [§ 86.
Vater) in sich schliesst, die aber mit der Subordination des Ge-
schaffenen nichts zu thun hat — das ist der Sinn des 6fioov6iog
bei Athanasius.
7) Alle Kreatürlichkeiten, die die Schrift von Jesus Christus
aussagt, beziehen sich lediglich auf seine menschliche Natur.
Auch die Erhöhung bezieht sich auf diese, resp. auf unsere Er-
höhung; denn die Verbindung des Gott-Logos mit der Menschen-
natur war von Anfang an eine wesenhafte und vollkommene (Maria
ols^eoTÖxog schon bei Alexander von Alex.): der Leib wurde sein
Leib. Auf den menschgewordeuen Logos ist auch Proverb. 8, 22 £
zu beziehen.
Beide Doktrinen sind formell darin gleichartig, dass in ihnen
Beligion und Theologie aufs innigste verschmolzen sind und die Logos-
lehre zu Grunde gelegt ist. Der Arianismus aber ist eine Verbindung
des Adoptianismus mit der origenistisch - neuplatonischen Lehre vom
subordinirten Logos, der das geistige Prinzip der Welt ist, durchgeführt
mit den Mitteln der aristotelischen Dialektik; die orthodoxe Lehre ist
eine Verbindung des fast modalistisch gefärbten Glaubenssatzes, dass
Jesus Christus Gott von Art sei, mit der origenistischen Lehre von dem
Logos als dem vollkommenen Ebenbild des Vaters. Dort liegt der
Hauptaccent auf dem Eosmologischen und rational- Moralischen (abstei-
gende Trinität, Erleuchtung und Stärkung der Freiheit), hier auf dem
Erlösungsgedanken, aber in physischer Vorstellung. Dort sind die Formeln
scheinbar plan- und widerspruchsfrei; aber genau betrachtet ist die Be-
griffsmythologie so schlimm wie möglich; ferner, nur als Eosmologen
sind die Arianer Monotheisten, als Theologen und in der Beligion sind
sie Polytheisten, endlich liegen im Hintergrund tiefe Widersprüche: ein
Sohn, der kein Sohn ist, ein Logos, der kein Logos ist, ein Monotheismus,
der den Polytheismus nicht ausschliesst, zwei oder drei Usien, die zu
verehren sind, während sich doch nur eine von den Kreaturen wirk-
lich unterscheidet, ein undefinirbares Wesen, das erst Gott wird, indem
es Mensch wird, und das doch weder Gott noch Mensch ist. Dabei kein
energisches religiöses Interesse, aber auch kein sachlich-philosophisches,
vielmehr Alles hohl und formalistisch, ja eine knabenhafte Begeisterung
für das Spiel mit Hülsen und Schalen und eine kindische Selbstgefällig-
keit beim Betriebe inhaltsloser Syllogismen. Die Gegner hatten ganz
Recht: diese Doktrin führte ins Heidentum zurück. Nur dort kommt
ihr ein relativer Wert zu, wo sie, Ungebildeten und barbarischen Völkern
gegenüber, ihr philosophisches Gewand abstreifen musste und sich des-
halb wesentlich als Adoptianismus, als die Verehrung Christi neben der
Gottes gab, begründet durch biblische Sprüche (Germanischer Adoptia-
nismus). Die orthodoxe Lehre dagegen hat ihren bleibenden
Wert an der Aufrechterhaltung des Glaubens, dass iuChristus
Gott selbst den Menschen erlöst und in seine Gemeinschaft
geführt hat. Aber da der Gott in Christus als alter ego des Vaters
aufgefasst und die Erlösung mystisch-physisch gedacht wurde, ergaben
§ 87.] Der arianische Streit bis 325. 177
«ich 1) Formeln, deren kontradiktorischer Widerspruch auf der Hand
liegt (Eins =« Zwei, resp. Drei\ und Vorstellungen, die nicht gedacht,
sondern nur in Worten behauptet werden können. Damit trat an die
Stelle der Gottes erkenntniss, die Christus yerheissen, das Mysterium
und sollte als der tiefste entscheidende Inhalt der' Religion anerkannt
werden. Neben das Wunder als Charakteristikum der Religion trat nun
das Begriffswunder als Charakteristikum der wahren Theologie; 2) Hess
«ich die Behauptung, dass die Person in Christus der mit Gott wesens-
«ine Logos sei, nur halten, wenn man alle evangelischen Berichte über
ihn umdeutete und seine Geschichte doketisch verstand . Also die Ein-
führung des vollkommenen Widerspruchs und das Preisgeben des ge-
schichtlichen Christus in den wertvollsten Zügen ist die Folge der ortho-
doxen Lehre, sofern sie die Gottheit in Christus als eine physische Kon-
stitution fasst. Aber der Eerngedanke des Evangeliums, dass Jesus
Christus als der Sohn Gottes die Menschen zu Gott zurückgeführt und
ihnen göttliches Leben geschenkt hat, blieb doch aufrecht erhalten.
Diese Glaubensüberzeugung ist von Athanasius wider eine Doktrin ge-
rettet worden, die das innere Wesen der Religion überhaupt nicht ver-
stand, die in der Religion wesentlich nur Belehrung und Kräftigung der
Moral suchte und zuletzt an einer hohlen Dialektik ihr Genüge fand.
Leicht gewahrt man, dass sowohl bei Arius als bei Athanasius die
Widersprüche und Schwächen aus der Rezeption des Origenismus, d. h.
der wissenschaftlichen, physisch und kosmisch orientirten Theologie,
fliessen. Ohne sie, d. h. die Lehre vom präezistenten hypostatischen
Logos, wäre der Arianismus Adoptianismus oder reiner Rationalismus,
und Athanasius wäre genötigt gewesen, entweder sich dem Modalismus
zuzuwenden oder den Gedanken an die göttliche „Natur** Christi auf-
zugeben und die Kraft und Liebe Gottes in ihm anzuschauen.
Auf der Synode zu Nicäa (325) siegte schliesslich, dank der
ungeschickten Taktik der Arianer und Eusebianer (origenistische
Mittelpartei), der Entschiedenheit der Orthodoxen und der Ent-
schlossenheit des Kaisers das Homousios (Hosius, vielleicht auch
Marcell von Ancyra). In das cäsareensische, von dem Kirchen-
historiker Eusebius vorgelegte Bekenntniss wurden die Stich-
worte ysvvrjd'BTna oi> TCotrj^dvTa^ ix r^g oiöLag tov natQÖg^ 6fioot5-
<fiov rö ytatQL eingeschoben, die arianischen Formeln ausdrücklich
verdammt (toi)g de Xeyovxag' ^v tcoxb oxe oinc ^v, xal jiqIv yswrj--
dijvaL oinc fjv^ xal ort i^ oix ovrav iyaveto r) i^ itsQag vitoötd-
<f€(og fj oiföiag q)a6xovtag slvat r) xtl^tov tj XQEnrov ^ dXXoLOtov
tbv vlbv Tov ^sov dva^Bfiati^si fi xad'olixij ixxXrjöta)^ und dieses
Bekenntniss wurde zum Kirchengesetz erhoben. Die nicänische
Formel hatte im Morgenland keine Tradition für sich; denn selbst
Alexander von Alex, hatte noch von xQstg i)7C06td6sLg im Sinne
von Usien gesprochen. Die Bischöfe (300? 318?) fügten sich
fest sämmtlich; Arins und einige Genossen wurden exkommuni-
Gnindriss IV. iit. Habnacx, Dogmengeschichte. 8. Anfl. 12
178 Entwickelung dea Dogmas im Morgenland. [§ 37.
zirt, ihre Anhänger verfolgt. Athanasius hat als Diakon, wahr-
scheinlich nicht ohne bedeutenden Anteil, die Synode mitgemacht.
§ 37. Bis znm Tode des Konstantins.
Der Sieg war zu schnell errungen. Weder formell noch sach-
lich war er genügend vorbereitet 5 daher begann der Kampferst
recht. Man sah in dem Homousios eine unbiblische neue Formel,
die Zweigötterei oder den Einzug des Sabellianismus, dazu den
Tod der hellen Wissenschaft. Deutlich prägten sich jetzt unter
den Gegnern, die sich sämmtlich als konservativ vorkamen, zwei
Parteien aus, die Arianer und die Origenisten (Eusebianer), denen
die Indifferenten folgten. Aber sie waren im Kampfe gegen die
Orthodoxie einig (Hauptstreiter gegen diese war Eusebius von
Nikomedien). Konstantin sah bald ein, dass er mit der antinica-
nischen Koalition paktiren müsse, die seit 328 ein ajitiathanasia-
nische wurde, denn der junge Bischof war der entschiedenste Ni-
cäner. Persönliche Streitigkeiten mischten sich ein in einer Zeit,
wo der Ehrgeiz und die Kraft der Kirchenmänner endlich auf die
höchste Befriedigung rechnen konnte. 335 wurde Athanasius zu
Tyrus für abgesetzt erklärt und 336 vom Kaiser nach Trier ver-
bannt. Die feierliche Einführung des Arius in die Kirche wurde
durch den Tod desselben vereitelt. 337 starb Konstantin, es fak-
tisch billigend, dass unter der Hülle des Nicänums feindliche
Doktrinen verkündet wurden.
Seine Söhne teilten das Reich. Athanasius kehrte (337) zu-
rück. Allein Konstantins, der Herr des Ostens, sah richtig ein,
dass er mit der Orthodoxie nicht regieren könne, und er fühlte
sich nicht, wie sein Vater, ans Nicänum gebunden. Der orthodoxe
Bischof der Hauptstadt wurde abgesetzt; Eusebius von Nikome-
dien rückte an seine Stelle. In Cäsarea folgte dem Eusebius ein
Arianer, Akacius; Athanasius wurde abgesetzt, kam aber seiner
Verbannung durch Flucht nach Rom zuvor (339), Ägypten in
wildem Aufruhr zurücklassend. Die Eusebianer waren jetzt Herren
der Situation; aber das Abendland war gut nicänisch und der Hort
der orientalischen Orthodoxen. Mit ihm wollten es die Eusebianer
nicht verderben; sie mussten also das Nicänum geräuschlos bei
Seite zu schieben suchen, indem sie angeblich nur das Homousios
durch bessere biblische Formeln ersetzten und die Durchführung
der Absetzung des Athanasius verlangten. Sehr zu statten kam
es den Orientalen dabei, dass ein entschiedener Nicäner und Freund
§ 37.] Der arianische Streit bis 361. 179
des Athanasius, Marceil von Ancyra, die gemeinsame Lehr-
grundlage, die philosophisch-origenistische Logoslehre, nicht an-
erkannte, sondern den Logos homousius für die Gotteskraft er-
klärte, die erst bei der Menschwerdung göttliche Person und
„Sohn" geworden sei, um, wenn sie ihr Werk einst vollbracht,
wieder in den Vater aufzugehen (die Orientalen sahen in dieser
Lehre „Sabellianismus"). Julius von Rom und Athanasius er-
klärten den Marcell (gegen ihn schrieb der Kirchenhistoriker Eu-
sebius) für orthodox, bewiesen damit, dass es ihnen um den Er-
lösungsglauben allein zu thun war, und lehnten die von den Orien-
talen zu Antiochien (34 1 ) aufgestellten Formeln ab, obgleich diese
sich von dem Arianismus jetzt förmlich lossagten und eine Lehre
aufstellten, die nicänisch verstanden werden konnte.
Politische Gründe zwangen Konstantins seinem orthodoxen
Bruder Konstans, dem Herrn des Abendlands, gefällig zu sein.
Das grosse Konzil von Sardika (343) sollte die Glaubenseinheit
im Reich wiederherstellen. Allein die Abendländer wiesen die
Präliminarforderung der Morgenländer, die Absetzung des Atha-
nasius und Marcell anzuerkennen, ab und sprachen nach dem
Exodus der Morgenländer (nach Philippopolis) die Absetzung
ihrer Häupter aus, sich schroff auf den Boden des Nicänums stel-
lend. Die Gegner wiederholten die 4. antiochenische Formel.
Konstantins selbst scheint ihnen eine Zeitlang nicht getraut zu
haben; jedenfalls fürchtete er, seinen Bruder zu reizen, der nach
der Suprematie trachtete. Die Orientalen wiederholten in einer
langen Formel noch einmal ihre Rechtgläubigkeit (Antiochien
344) und das Minimum ihrer Forderungen. Das Abendland ver-
warf zwar auf den mailänder Synoden (345. 347) die Doktrin des
Photin von Sirmium, der aus der Lehre seines Meisters Mar-
cell einen streng adoptianischen Lehrbegriff entwickelt hatte (der
Logos wird nie Person), blieb aber sonst fest, während im Orient
politische Bischöfe bereits auf Frieden mit Athanasius sannen.
Dieser wurde von dem durch die Perser hart bedrängten Kon-
stantins notgedrungen restituirt und mit Jubel in Alexandrien
'begrüsst (346). Es schien um 348, als habe die Orthodoxie ge-
siegt; nur Marcell und das Wort biwoii^tog schienen noch An-
stoss zu geben.
Allein der Tod des Konstans (350) und die Besiegung des
abendländischen Usurpators Magnentius (353) durch Konstantins
änderten Alles. Hatte Konstantins sich in den letzten Jahren vor
12*
IgO Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 37.
ein paar Bischöfen, seinen Unterthanen, beugen müssen, die seinen
Bruder beherrscht hatten, so war er jetzt als Alleinherrscher ent-
schlossen, die Kirche zu regieren und die Demütigungen heim-
zuzahlen. Schon 351 (2. sirmische Synode) waren die orienta-
lischen Bischöfe zur Aktion zurückgekehrt. Auf den Synoden zu
Arles (353) und Mailand (355) wurde der abendländische Episko-
pat gebeugt. Man verlangte von ihm zunächst nichts Anderes als
die Verurteilung des Athanasius; aber diese bedeutete die Schwen-
kung in der Glaubensfrage, und die Bischöfe Hessen sie sich auf-
nötigen (wenige Ausnahmen: Paulin v. Trier, Lucifer v. Cagliari,
Eusebius v. Vercelii; auch Hosius, Liberius, Hilarius mussten ins
Exil). Seiner Absetzung kam Athanasius durch Flucht in die
Wüste zuvor (356). Die Einheit schien hergestellt, aber als
Staatskirchentum, gegen das orthodoxe abendländische Bischöfe
grimmig losfuhren, sich nun erst erinnernd, dass Kaiser und Staat
sich nicht in die Religion mischen dürfen.
Die Einheit unter den Siegern war nur scheinbar; denn es
zeigte sich, dass sie über die Negation nicht hinausging. Der
strenge aggressive Arianismus trat in Aetius und Eunomins wie-
der hervor und wollte die anomöische Lehre durchsetzen {&v6-
fioiog xal xata navta xal xar' ov6iav). Ihm gegenüber schloss
sich der Semiarianismus (das „unveränderliche Ebenbild", ofiOLog
xatä itavra xal xaxa tijv oiöiav) scharf ab. Diese Homöusianer
(Georgius von Laodicea, Eustatius von Sebaste, Eusebius von
Emesa, Basihus von Ancyra) hatten gelernt, dass der Sohn mit
dem Vater dem Wesen nach gleichbeschaffen sein müsse; sie
wollten nur als wissenschaftliche Männer (Kosmologen) die kos-
mische Potenz des Logos nicht aufgeben und damit die absteigende
Trinität der drei göttlichen Wesen. Sie verstanden auf Grund
der h. Schrift und im Zusammenhang mit der Christologie ihre
Lehre so auszubilden, dass sie selbst auf nicänische Abendländer,
die sich freilich noch immer in der wissenschaftlichen Theologie
nicht zurecht zu finden wussten und mit ihren Studien erst be-
gannen (Hilarius), Eindruck machten. Die dritte Partei war die
der Politiker, die der Formel Beifall schenkten, welche am meisten
Aussicht hatte, den Streit zu beschwichtigen (Ursacius und Valens:
OfiOLog xatä rag yQaqxüg). Die Zeit von 357 — 361 ist die Zeit,
in der der Kaiser, das Nicänum offen fallen lassend, nach einer
christologischen Reichsformel suchte und mit aller Energie
gewillt war, diese auf Synoden durchzusetzen. Hier konnte sich
§ 38.] Der arianische Streit bis 381/3. 181
schliesslich nur das „o/Lioto^ xatä tag yQagxig" bieten: denn mit
dieser nichtssagenden Formel konnte der Arianer^ der Semi-
arianer^ ja selbst der Orthodoxe sich befreunden^ da sie keiner
Lehre direkt widersprach. Die sirmischen Synoden leisteten noch
nicht ^ was sie leisten sollten, und zeigten yorübergehend selbst
ein Schwanken zum strengen Arianismus. Zu Ancyra rafften sich
(358) die Semiarianer kräftig auf. Zwei grosse gleichzeitige Syn-
oden in Ost und West (zu Seleucia und Rimini) sollten die 4. sir-
mische Formel, ein dogmatisch-politisches Meisterwerk des Kaisers,
proklamiren. Als die eine eine homousianische, die andere eine
orthodoxe Haltung einnahm, wurden sie terrorisirt, hingehalten
und ihnen schliesslich gegen das Zugeständniss der Ausstossung
des strengen Arianismus das homöisch- kaiserliche Bekenntniss
aufgenötigt und abgepresst (Synoden zu Nice und Konstanti-
nopel 360). Dann wurden doch alle Homöusianer aus den ein-
flussreichen Stellen verbannt, so dass sich trotz der Ausstossung
des Aetius faktisch ein durch Gesinnungslosigkeit gemilderter
Arianismus in der Kirche als Reichsreligion etablirte.
§ 38. Bis zn den Konzilien von Konstantinopel 381. 883.
Im J. 361 starb Konstantins. Julian folgte; damit traten
statt der künstlichen Einheit die wirklichen Parteien wieder in
ihre Rechte. Die Homöusianer waren aber nicht mehr „Mittel-
partei", nicht mehr die „Konservativen" im alten Sinn; denn sie
hatten im Gegensatz zum Arianismus ihren Lehrbegriff vertieft
und befestigt (zum Konservativen gehörte das Elastische). „Kon-
servativ" und konziliant gegen den Arianismus waren nur die
arianisirenden Homöer, die aber nichts mehr zu bedeuten hatten,
seit kein Kaiser sie mehr unterstützte. Hier ist der Umschwung
des Orients — zimächst freilich nur in den Köpfen der hervor-
ragendsten Theologen — gegeben. Die Homöusianer, zugleich
durch kirchlichen Sinn, Askese und höchste Wissenschaft
ausgezeichnete Schüler des Origenes, kapitulirten mit dem
Homousios — eine Vereinigung, die der Abendländer Hilarius
eifirig betrieben hat.
Julian gestattete den verbannten Bischöfen, daher auch dem
Athanasius, die Rückkehr. Die Synode von Alexandrien (362)
bezeichnet die Wende, sofern Athanasius hier zugestanden hat,
dass das Nicänum sans phrase gelten sollte, d. h. er verzichtete
ausdrücklich auf die Formel „ein Wesen" (im Sinne einer Hypo-
132 Eiitwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 38.
stase)^ gab also eine solche Interpretation des Sfioovötog £reiy nach
der es als wesensgleich (statt wesenseins) gefasst werden durfte.
Demgemäss durfte auch von drei Hypostasen geredet werden.
Allein diese Konzession und die grosse Milde gegen Solche, die
einst die 4. sirmische Formel unterschrieben hatten, erregte das
Missfallen einiger hervorragender Abendländer (Lucifer von Cag-
liari; s. über ihn GKrüger 1886) und Glaubensmärtyrer. Im
Abendland fühlte man, dass die alte Lehre (die substanzielle Ein-
heit der Gottheit ist der Fels und die Pluralität ist das Mysterium)
verschoben sei (die Dreiheit göttlicher Personen ist der Fels und
die Einheit ist das Problem), und Athanasius selbst hat an den
neuen wissenschaftlichen Freunden in Kleinasien, Kappadocien
und Antiochien keine rechte Freude gewinnen können; denn nun
war die Wissenschaft des Origenes, die die kosmische Potenz im
Logos nicht missen konnte, innerhalb der Orthodoxie geduldet
(die durch das Nicänum vollzogene Einschränkung der Geltung
des Origenes wurde also durch die Synode von 362 gemildert).
Die grossen Theologen Apollinaris von Laodicea und die drei
Kappadocier sind von Origenes und von dem 'Ofioiov^iog aus-
gegangen; aber sie haben das '0^oov6iog nun anerkannt und mit
und neben demselben ihre philosophischen Spekulationen be-
treiben können; denn man durfte nun sagen, dass es drei Hypo-
stasen sind, und war doch orthodox. Durch die Schöpfung einer
festen Terminologie gelang es ihnen zugleich scheinbar klare
Formeln zu erzeugen. Ov^Ca erhielt nun den Mittelsinn zwischen
dem Abstraktum „Wesen" und dem Konkretum „Einzelwesen^',
so jedoch, dass es sehr stark nach Jenem gravitirte; V7t66xa6ig
erhielt den Mittelsinn zwischen Person und Eigenschaft (Accidenz
resp. Modalität), so jedoch, dass der Personbegriff der stärkere
war. IlQoöcDTtov wurde vermieden, da es sabellianisch klang, aber
nicht verworfen (das Abendland bleibt bei „persona^*, ein Aus-
druck, der nicht ganz das bedeutet, was wir heute Person nennen).
Die Einheit der Gottheit, an die die Kappadocier dachten, war nicht
dieselbe, welche Athanasius und die Abendländer meinten. Mia
ovcsCa iv TQiölv vjio6tdö60Lv wurde die Formel. Um die wirkliche
ünterschiedenheit der Personen innerhalb der Einheit der Gott-
heit zum Ausdruck zu bringen, legte ihnen Gregor von Nyssa
XQOTtov ixdcQ^ecog bei (iSvoxritBg ^(^QaxrriQc^ovöaL^ i^aiQsza iSnh-
ftara), und zwar dem Vater die aysvvrjöta (nicht als Wesen, son-
dern als Seingweise [pxsöig] des Vaters), dem Sohne die ysvvrj^La
§ 38.] Der arianische Streit bis 381/3. 183
— selbst die älteren Homöusianer waren hier zurückhaltender
gewesen als Gregor — und dem Geist die ixjtoQsvöig, Die orige-
nistisch- neuplatonische Trinitätsspekulation wurde rehabilitirt.
Der Logos begriff rückte wieder in den Vordergrund (neben dem
Sohn es begriff). Die Einheit der Gottheit wurde wieder aus
der Monarchie des Vaters, nicht aus dem 6(ioovöLog bewiesen. So
schloss die „Wissenschaft" ihren Bund mit dem Nicänum. Hatten
am Anfang die Wissenschaftlichen — auch unter den Heiden -r-
dem Arius Recht gegeben, so wurden jetzt Männer, denen selbst
ein Libanius die Palme reichte, die Vertreter des Nicänums. Sie
standen auf dem Boden der wissenschaftlichen Weltanschauung,
waren mit Plato, Origenes und Libanius im Bunde und widerlegten
unter dem Beifall der Philosophen den Eunomins. Es war zu-
gleich ein Sieg des Neuplatonismus über die aristotelische Dia-
lektik. So hat die Orthodoxie im Bunde mit der Wissenschaft
von c. 370 — 394 einen schönen Frühling gehabt, dem aber ver-
nichtende Stürme oder vielmehr der Mehltau des Traditionalis-
mus gefolgt ist. Man träumte den Traum eines ewigen Bundes
zwischen Glauben und Wissenschaft. Freilich — ungestört war
er nicht. Die altgläubigen Orthodoxen im Abendland und in
Antiochien blieben misstrauisch, ja ablehnend (gegenüber den tQStg
intoördösig). In Antiochien entstand sogar ein Schisma zwischen
der alten und der neuen wissenschaftlichen Orthodoxie (Schisma des
Meletius). Diese hielt jene für sabellianisch, während sie selbst den
Verdacht, es homöusianisch zu meinen, schwer abschütteln konnte.
Aber nicht nur die Wissenschaft hat den Sieg des Homousios
vorbereitet, sondern auch der Gang der Weltereignisse. Li Valens
erhielt der Orient einen kräftigen arianischen Kaiser. Orthodoxe
und Homöusianer mussten in die Verbannung wandern und kamen
sieh näher. Man suchte wieder am orthodoxen Abendland Rück-
halt. Liberius von Rom war nicht ungeneigt, und seit 370 war
Basilius von Cäsarea in kräftiger Aktion. Allein Damasus von
Rom trat auf den schroffen alten Standpunkt zurück, und mehrere
Synoden waren nötig (in den 70er Jahren), um ihm die Orthodoxie
der neuorthodoxen Orientalen glaubhaft zu machen. Endlich
unterschrieben diese (zu Antiochien 379) die Glaubensformeln
des Damasus, ohne doch das Schisma in Antiochien beseitigen zu
können. Diese Unterschrift war aber schon eine Folge der welt-
historischen Ereignisse, dass i. J. 375 auf den toleranten Valen-
tinian im Abendland der jugendliche, ganz der Kirche und der
184 EntwickeluDg des Dogmas im Morgenland. [§ 38.
Orthodoxie (Damasus^ Ambrosius) ergebene Gratian gefolgt, und
dass dieser seit 378 Alleinherrscher geworden war (Valens f bei
Adrianopel gegen die Goten). Im J. 379 wurde der orthodoxe
Spanier Theodosius zum Mitregenten und Kaiser des Orients er-
hoben. Er war entschlossen, die Kirche zu regieren wie Konstan-
tins, aber (zunächst) im Sinne der strengen abendländischen
Orthodoxie: das zeigte das berühmte Edikt von Thessalonich im
J. 380 (gleich nach seiner Taufe vom Kaiser erlassen)^). Er
nahm in Konstantinopel den Arianern alle Kirchen weg und ver-
bot den Ketzern überhaupt den Kultus in den Städten. Allein er
sah bald ein, dass er nur mit der orientalischen Orthodoxie im
Orient regieren könne, dass er den strengen Massstab des Abend-
landes nicht anlegen dürfe und halbe Freunde vollends gewinnen
müsse. Er berief daher 381 ein orientalisches Konzil in die Haupt-
stadt und ernannte als Vorsitzenden den Meletius, d. L den Führer
der neuorthodoxen Partei in Antiochien. Damit stiess er freilich
die Abendländer und Ägypter vor den Kopf, sicherte sich aber die
Kappadocier und Kleinasiaten. Der Gegensatz kam auf der
Synode so stark zum Ausdruck, dass der Bruch nahe war (der
neue Vorsitzende, Gregor von Nazianz, musste resigniren). Allein
schliesslich proklamirte die Synode (150 Bischöfe) das Nicänum
Sans phrase, die volle Homousie der drei Personen, und stiess
auch die Macedonier (s. unten § 39) aus. Faktisch siegte die
Wesensgemeinschaft im Sinne der Wesensgleichheit, nicht
der Wesenseinheit; die Kleinasiaten, nicht die mit Rom verbün-
deten Ägypter behielten die Oberhand. Das Symbol, das seit
ca. 450 im Orient, seit ca. 530 im Occident als das dieser Synode
gegolten, das höchste Ansehen in der Kirche erlangt und das Nicä-
num verdrängt hat, ist nicht das Symbol dieser Synode, die
übrigens auch nur durch ein quid pro quo nachträglich zu einer
ökumenischen gestempelt worden ist. Das sog. Constantinopoli-
1) „Ownctofi populos . . . in täli volumus religione versari, quam di-
vinum Petrum apostolum tradidisse Bomanis religio usque ad nunc ab ipw
insinuata declarat quamque pontificem Damasum sequi claret et Petrum
Alexandriae episcopum virum apostolicae sanctitatis, hoc est, ut secundum
apostolicam difciplinam evangelicamque doctrinam patris et filii et Spiritus
sancti unam deitatem mb pari maiestate et sub pia trinitate credamus.
Hanc legem, sequentes Christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti,
reliquos vero dementes vesanosque iudicantes haeretid dogmatis infamiam
sustinere, divina primum vindicta, post etiam motus nostri, quem ex cae-
lesti arbitrio swnpserimus^ ultione piectendos/^
§ 38.] Der arianische Stareit bis 3S1/3. 185
tanum ist vielmehr älter; es ist das Taufsymbol von Jerusalem,
wahrscheinlich bald nach 362 von Cyrill redigirt, als er seinen
Übergang vom Semiarianismus zum 'Oiioovöiog vollzog. Es fehlt
in ihm das „£x rflg ovöiag rov itatQÖg^'^ und es enthält eine Formel
vom heiligen Geist, die nicht die orthodoxe Lehre ausspricht, son-
dern die Streitfrage umgeht (tb xvqlov^ rö Sooäoäov, rö ix rov
TcazQog ix%0Qevö(i6V0Vj ro övv %axQl xal vCa 0vvjcqo0xvvov(isvov
Tcocl övväo^a^öfievov^ rö Xalfjöav äiä tg>v jCQOfprjt&v). Wie es in
die Akten der Synode (durch Cyrill? Epiphanius?) gekommen und
dann zu dem Symbol des Konzils geworden ist, ist ganz dunkel.
Allein die kirchliche Legendenbildung hat hier eine wunderbare
Gerechtigkeit geübt, sofern sie der Synode neuorthodoxer Bischöfe
ein Symbol angehängt hat, in dem die antiarianischen Anathema-
tismen und ein nicänisches Stichwort fehlen. Man war ja wirklich
im Orient unter der Hülle des'Ofioovöiog bei einer Art von Homöu-
sianismus verblieben, der in allen Kirchen bis heute orthodox ist.^)
Das Abendland war mit dem Verlauf der Synode höchst
unzufrieden, da sie u. A. die Orthodoxie von Männern anerkannt
hatte, die in Rom höchst verdächtig waren. Man machte Vor-
stellungen, man drohte mit dem Schisma. Allein der Orient
wollte sich nicht weiter mehr unter die dogmatische Herrschaft
Roms beugen, und Theodosius, die beiden Reichshälften getrennt
haltend, blieb fest und klug; er vermied es, auf das allgemeine
Konzil einzugehen, das Gratian berufen wollte. Man kam sich
i J. 382 näher, indem sowohl zu Rom als zu Konstantinopel
gleichzeitig eine Synode tagte und diese sich in Personenfragen
— darauf hatte sich die Kontroverse zugespitzt, da das antioche-
nische Schisma fortdauerte — konzilianter zeigten. Zur Ver-
söhnung aber trug vor Allem bei, dass der geistige Lenker des
Abendlandes, Ambrosius, bei der Wissenschaft der Kappadocier in
die Schule gegangen und von ihr mächtig erfasst war.
Im J. 381 war vielleicht ^^^ des christlichen Orients arianisch
gewesen. Theodosius suchte die arianisch Gesinnten zu schrecken,
dann aber auch zu gewinnen (Synode von 383 zu Konstantinopel;
selbst Eunomins war eingeladen). Doch bald gab er die sanfte
Methode auf, und Ambrosius sekundirte ihm im Abendlande.
Man darf annehmen, dass die meisten arianischen und halbariani-
schen griechischen Bischöfe sich gefügt haben; nur die äusserste
1) Über das Symbol s. meinen Artikel in RE^ 8, 212 ff.
t^M
186 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 39.
Linke blieb fest (Eunomiusj. Schneller als der Hellenismus ist
der Arianismus bei den Griecben erloschen. Freilich — die ortho-
doxen Laien, stets konservativ, haben die orthodoxe Formel, so
lange sie noch nicht durch das Alter geheiligt war, mehr als ein
notwendigesÜbelund als ein unerklärliches Geheimniss betrachtet,
denn als einen Ausdruck ihres Glaubens. Der Sieg der Orthodoxie
war ein Sieg der Priester und Theologen über den freilich tief
stehenden Glauben des Volkes; aber er hat diesen Glauben nicht
geklärt, wohl aber gegen den Polytheismus geschützt.
§ 39. Die Lehre vom li. Geist und von der Trinität.
1. Von Alters her glaubte man neben Vater und Sohn an
den h. Geist; aber was er sei und welche Bedeutung er habe,
wurde nach der Ablehnung des Montanismus und dem Zurück-
treten der Kombination „spiritus-ecclesia" vollends unklar. Die
wissenschaftliche Theologie der Apologeten wusste überhaupt
nichts mit ihm anzufangen, und noch im 3. Jahrh. hielten ihn die
Meisten für eine Kraft. Indessen haben schon Irenäus und Ter-
tullian versucht, ihn als eine göttliche Grösse innerhalb der Gott-
heit zu würdigen. TertuUian hat ihn als „Gott" und als „Person"
in seine absteigende, aber wesenseine Trinität aufgenommen (,7^^^
subiectus"). Nun fand auch die neuplatonische Spekulation, die
Wissenschaft, drei göttliche Hypostasen für nötig. Demgemäss
und an die Bibel sich anschliessend, hat Origenes den Geist in
seine Theologie aufgenommen als das dritte beharrliche Wesen,
freilich auch als ein dem Sohne untergeordnetes Geschöpf, welches
den kleinsten Kreis, den Kreis des Geheiligten, beherrscht. Die
der Logoslehre völlig analoge Behandlung der Geistlehre bei
TertuUian und Origenes zeigt, dass ein spezifisch christliches
Literesse bei diesem Lehrpunkt überhaupt nicht bestand. Dass
auch Sabellius auf den Geist achten musste, ist nur ein Beweis,
dass die Ansprüche der allgemein- wissenschaftlichen Dreiheitslehre
und der biblischen Formeln nicht mehr überhört werden durften.
Allein in den Gemeinden und bei der Mehrzahl der Bischöfe
wurden diese gelehrten Fortschritte noch im Anfang des 4. Jahrh.
nicht beachtet; selbst das Nicänum spricht den Glauben an den
h. Geist ohne Zusatz und Verdeutlichung aus. Athanasius hat in
den ersten Decennien nie an ihn gedacht. Wer ihn für göttlich
in vollem Sinne hielt, hielt ihn für eine Kraft; wer ihn persönlich
nahm, hielt ihn für etwas recht untergeordnetes: eigentlich- war
§ 30.] Die Lehre vom h. Geist. 187
er nur ein Wort, und das ist er innerhalb der Trinität auch
nachmals geblieben.
Die Arianer haben die weitere Lehrbildung sollizitirt, da sie
die Unterordnung des Sohnes durch das Concessum der Inferiori-
tät des Geistes trefflich belegen konnten. Aber eben dadurch
wurden die Orthodoxen nachdenklich. Athanasius hat seit ca. 358
dem Geist seine Aufmerksamkeit geschenkt und keinen Augen-
blick über die Formel geschwankt: da er angebetet werden muss,
so ist er d^sbg bfioovöLog wie der Sohn, gehört in keinem Sinn zur
Welt (epp. ad. Serap.). Auf der Synode zu Alexandrien wurde
diese Lehre vom Geist unter den Schutz des Nicänums gestellt:
wer sie leugnet, ist ein heuchlerischer Arianer (freilich blieben
die Versuche, die Wirksamkeit des Geistes von der des Sohnes zu
unterscheiden, leere Worte). Aber so sicher das Abendland auf
diese Formulirung einging — im Morgenland sahen nicht nur die
Arianer in ihr eine oflfenkundige Neuerung, sondern auch die
Semiarianer; selbst Solche, die in der Sohiieslehre das Homousios
acceptirten, weigerten sich, es für den h. Geist anzuerkennen, und
nahmen unter Macedonius, Bischof von Konstantinopel, eine feste
Haltung gegen die Neuerung ein. Noch mehr — sogar die Kappa-
docier, obgleich sie für die Formel eintraten, gestanden das Fehlen
jeder greifbaren Tradition ein, mahnten zur grössteii Vorsicht
und hielten es für nötig, die Formel zunächst als Geheimlehre
zurückzuhalten, sich darauf berufend, dass sie ja auch nur durch
die Annahme einer TcaQddoatg &yQaq)og in der Kirche gestützt
werde. Li der Verlegenheit, dem Geiste eine eigentümliche Seins-
weise im Verhältniss zum Vater zu geben, geriet man darauf,
nach Johannes ihm die ewige &jrfft^4^und ixTCOQevöig beizulegen.
Aber seit 362 war man vom Abendland aus unermüdlich thätig
den orientalischen halbgewonnenen Brüdern auch den h. Geist
als d'sbg 6fLOov0iog aufizuerlegen, und mit den Kappadociern im
Bunde gelang es. Zwar wurden noch i. J. 381 die Macedonianer
(Pneumatomachen) zur Synode geladen, aber nur, um dort ihre
Verurteilung zu hören und ausgewiesen zu werden. Die Anathe-
matismen des Damasus verstärkten das Ergebniss. Man durfte
fortan nicht mehr lehren, dass der Geist dem Sohn untergeordnet
sei; ja, da der Vater den Griechen die Wurzel der Gottheit blieb,
so schien die Homousie des Geistes nur gesichert, wenn er allein
auf den Vater zurückgeführt und dabei vom Sohne völlig ab-
gesehen wurde.
Igg Entwickeluog des Dogmas im Morgenland. [§ 39^
2. Die Kappadocier und vor ihnen ihr grosser Lehrer ApoUi-
naris haben die orthodoxe Trinitätslehre festgestellt (s. ob. S. 1 82):
eine göttliche Wesenheit in drei Subjekten, deren in der Wesen-
heit enthaltene Gleichbeschaflfenheit in den Eigenschaften und
Thätigkeiten, deren Unterschied in dem charakteristischen Merk-
mal ihrer Seins weise sich ausprägt; aber der Vater allein ist
ahiov^ die beiden anderen ahtaxd^ doch nicht wie die Welt es ist
(eigentlich hat schon TertuUian die Formeln Natur und Person,
aber ihm ist die Trinität noch durchaus OflPenbarungstrinität
gewesen, nicht immanente). Durch die Trinität unterscheidet sich
— so sagte man jetzt — das Christentum von dem heidnischen
Polytheismus und dem jüdischen „starren" Monotheismus.
In die Feststellung der Trinitätslehre hat im Orient bereits
seit dem Auftreten der Homöusianer die Rücksicht auf die Christo-
logie eingewirkt (auch dort Natur und Person; 6iiov(Ofia stammte
von dort, sowie die Geltendmachung der Analogie der Begriffe
„Menschheit" und „Adam" in ihrem Verhältniss zu den einzelnen
Menschen). Ein subordinatianisches und ein aristotelisches Ele-
ment blieb in der Trinitätslehre der orientalischen Orthodoxen, und
sie wurde durch die späteren christologischen Kämpfe in Mitleiden-
schaft gezogen (allerdings nicht stark; denn sie wars chon zu starr
geworden). Einige apollinaristische Monophysiten bearbeiteten
seit 530 die Begriffe Natur und Person in der Christologie aristo-
telisch und kamen so auch in der Trinitätslehre zum Tritheis-
mus oder zum Modalismus ((pvöcg = {)7t66ta6tg'^ Askusnages, Jo-
hannes Philoponus, Petrus von Kallinico; gegen sie Leontius von
Byzanz und Joh. Damascenus). Der Letztere gab gegenüber dem
Tritheismus dem Trinitätsdogma eine der abendländischen Auf-
fassung näher kommende Wendung (die ysvvi]€fia wird der äysv-
vri6La formell gleichgesetzt, das iv akkrikoLg der 3 Personen wird
stark betont, dabei die xeQixtoQr^öig^ jedoch nicht 6vvakoiq)ij und
6vii<pvQ€fLg] der Unterschied sei nur für die iiCLVoCa vorhanden);
allein diese Fassung blieb ohne Wirkung, da sie am entscheidend-
sten Punkt den feinen Subordinatianismus bestehen liess; aucli
Johannes lehrte, dass der Geist allein vom Vater ausgehe (resp.
durch den Sohn). Der Vater bleibt also die &QX^ der Gottheit.
Es ist mithin noch immer ein anderes geistiges Bild, das sieb,
das Morgenland und das sich das Abendland von der Trinität
gemacht hat: dort blieb der Vater die Wurzel der zwei alttardi^
die volle Reziprozität aller drei Personen schien den Orientalen
§ 39.] Die Lehre von der Trinitat. 189
die Monaxchie und speziell die Ableitung des Geistes vom Sohn
die Homousie zu gefährden. Hier setzte Photius (867), nach einem
dogmatischen Streitpunkt suchend, ein, warf den Abendländern,
die die immanente processio des Geistes vom Vater und Sohn
lehrten, Neuerung vor, ja manichäischen Dualismus und verstärkte
diesen Vorwurf durch den noch härteren einer Fälschung des
h. Symbols von Konstantinopel durch den Zusatz „filioque". Dies
Wort war dort wirklich eine Neuerung, die in Spanien auf-
gekommen war. Ein nie geschlichteter Streit entsprang, in dem
den Griechen auch das ,jdcä rov vfoi)" verdächtig wurde. Die
Abendländer aber mussten an ihrer Lehre festhalten, weil sie
nach ihrem geistigen Bild von der Trinitat nur in der vollen
Einheit, daher auch nur in der vollen Reziprozität der Personen
den wairen Glauben ausgeprägt fanden. Die Griechen verstanden
das nicht, weil sie im Geheimen doch stets kosmologisch inter-
essirt blieben, wie denn die Trinitätslehre in unaufhörlicher
wissenschaftlicher Bearbeitung das Vehikel geblieben ist, das die,
Philosophie des Altertums den slavischen und germanischen
Völkern überliefert hat: sie enthält den christlichen Gedanken
der Offenbarung Gottes in Jesus und das Testament der antiken
Philosophie in eigentümlichster Vermischung.
Im Abendland war die Trinitätslehre in der Regel nicht als
Gegenstand der Spekulation bearbeitet worden. Die Einheit war
das sichere, und die Unterscheidung von Wesen und Person wurde
mehr im Sinne einer (durch die Jurisprudenz) geläufigen for-
mellen Distinktion verstanden. Augustin hat diese Trinitäts-
vorstellung mit den Mitteln der VTissenschaft, aber auch von
seinem religiösen Bewusstsein geleitet, das nur einen Gott
kannte, in seinem grossen Werk de trinitate zum Ausdruck
bringen wollen.^) Die Folge war die völlige Austilgung jedes
Rests von Subordinatianismus, die Verwandelung der Personen
in Relationen (der alte abendländische Modalismus, nur verhüllt),
aber damit zugleich ein solches Heer von kontradiktorischen und
sich widersprechenden Formeln, dass es dem im Unbegreiflichen
schwelgenden und dann wieder skeptischen Autor selbst gruselig
geworden ist (die drei zusammen sind gleich Eins; das absolut
Einfache muss als Dreifaches verstanden werden; sunt sempcr
1) Ober Augustinus Verhältniss zu den trinitarischen Feststellungen
des Orients s. HRkutek, ZKG V S. 375 ff., VI S. 155 ff.
190 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 40.
invicenty neuter solus] auch die ökonomischen Funktionen sind nie
getrennt zu denken — daher: dictum est „trcs persona^^, non ut
illud diceretuTj sed ne taceretur). Dieses Eingeständniss und die
Analogien, die A. für die Trinität braucht — sie sind sämmtlich
modalistisch — , zeigen, dass er selbst nie auf die Trinität ge-
kommen wäre, wenn er nicht an die Überlieferung gebunden ge-
wesen wäre. Sein grosses Werk, in dem natürlich auch der Aus-
gang des Geistes von Vater und Sohn betont ist — denn an jedem
Akt sind alle drei beteiligt — , ist die hohe Schule für die
technisch-logische Ausbildung des Verstandes und die Fundgrube
der Scholastik im Mittelalter geworden. Durch Augustin hat sich
zuerst die spanische Kirche, dann auch andere bestimmen lassen,
das filioque zu proklamiren.
Die paradoxen Formeln der augustinischen Trinitätslehre,
die jeden Zusammenhang mit der Offenbarungsgeschichte und
der Vernunft verleugnen, aber an dem Bestreben, den vollen
Monotheismus aufrecht zu erhalten, ihre Wahrheit haben, ver-
breiteten sich im Abendland und wurden im sog. Symb. Atha-
nasianum, das im frühen Mittelalter allmählich entstanden ist,
zusammengefasst und mit der Rezeption desselben (8. — 9. Jahrh.)
als heilige Kirchenlehre verkündet.^) „Wer selig werden will,
muss sie glauben", d. h. sich ihnen unterwerfen. In dem Atha-
nasianum als Symbol liegt die Umbildung der Trinitätslehre als
eines innerlich anzueignenden Glaubensgedankens zu einer kirch-
lichen Rechtsordnung vor, an deren Beobachtung die Seligkeit
hängt. Bei Athanasius war das biLooveiog der entscheidende
Glaubensgedanke, bei den Kappadociem der erkenntnissmässig
zu durchdringende theologische Lehrsatz, bei den späteren
Griechen die geheiligte Reliquie, bei den späteren Abendländern
die geoffenbarte kirchliche Lehrordnung, die Gehorsam verlangt.
Achtes Kapitel.
Die Lehre von der vollkommenen Gleichbeschaffenheit des
menschgewordenen Sohnes Gottes mit der Menschheit.
§40.
Quellen: Die Schriften und Fragmente des ApoUinaris (ein grosser
Teil derselben jetzt zusammengestellt und besprochen von JDsäseke,
1) Über das Athanasianum s. EEöllner, Symbolik I S. 63 ff. und
die englischen Arbeiten von FFoulkes (1871), CASwainson (1876), Ommanky
(1876.\ JRLuMBY (1887). .
§ 40.] Der apoUinaristische Streit. 191
Apoll. V. Laodicea i. d. Text. u. Unters. VII, 3. 4, s. auch desselben
Gesamm. patrist. Abhandl. 1889). — Die Schriften des Athanasius, der
Eappadocier und Antiochener.
Die Frage nach der Gottheit Christi war nur die Voraus-
setzung für die Frage nach der Verbindung des Göttlichen und
Menschlichen in Christus. In dieses Problem mündete alle Dog-
matik. Schon Irenäus, und dann Athanasius, hat die Gottheit des
Erlösers in Rücksicht auf die Erlösung, d. h. auf jene Verbindung,
festgestellt.
Aber die Frage nach der Verbindung setzte nicht nur eine
präzise Vorstellung von der Gottheit, sondern auch von der
Menschheit des Erlösers voraus. Zwar war im gnostischen
Kampf die Realität der 6dQ^ Christi sichergestellt (Tertull., de
carne Chr.); allein ein feiner Doketismus hatte sich trotzdem er-
halten, und zwar nicht nur bei den Alexandrinern, sondern bei
fast allen Lehrern. Kaum Einer dachte an ein volles menschliches
Selbstbewusstsein, und kein Einziger legte der menschlichen
Natur Christi alle die Schranken bei, die unsere Natur umgeben.
Zwar hat Origenes — und nicht zuerst — Christus eine mensch-
liche Seele und einen freien Willen zugewiesen; allein er brauchte
eine Verbindung zwischen dem Gott-Logos und der Materie, und
gerade er hat in seiner Christologie — soweit er den Jesus und
Christus nicht spaltete — gezeigt, dass der handgreiflichste
Doketismus wirksam bleibt, wenn man die öccq^^ weil etwas
Materielles, als qualitätslos und jeglicher Eigenschaft fähig fasst.
Bei den origenistischen Theologen und im christlichen Volke
herrschten am Anfang des 4. Jahrh. über die Menschwerdung und
Menschheit Christi die allerverschiedensten Vorstellungen. Nur
Wenige dachten an eine menscldiche Seele, und Viele fassten das
Fleisch Christi als ein himmlisches oder als eine Verwandelung
des Logos oder als ein Gewand. Grob doketische Vorstellungen
wurden durch neuplatonisch- spekulative (die Endlichkeit ein
Moment an der sich entfaltenden Gottheit) gemildert. An zwei
Naturen dachte im Orient im Grunde Niemand; eine ewige gott-
menschliche Natur, eine gewordene gottmenschliche Natur, eine
ins Menschliche zeitweilig verwandelte göttliche Natur, eine im
Menschlichen wohnende resp. eine mit der Hülle des Menschlichen
bekleidete göttliche Natur — das waren die herrschenden Vor-
stellungen, und ebenso verworren waren die Antworten auf Einzel-
fragen (ist das Fleisch von Maria geboren, oder der Logos mit
192 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 40.
dem Fleisch? ist Christus ein Mensch geworden oder hat er
Menschennatur an sich genommen? wie viel kann dieser Natur
fehlen, um noch als menschliche zu gelten? u. s. w.) und die bibli-
schen Erwägungen (wer leidet? wer hungert? wer stirbt? wer
bekennt seine Unwissenheit? der Gott oder der Mensch oder der
Gottmensch? oder sind nicht im Grunde alle diese Ttddn^ nur
Schein, resp. ökonomisch?). Auch Athanasius lehrte trotz alles
Sträubens einen feinen Doketismus; denn seine Fassung der Gott-
heit Christi nötigte ihn zu ümdeutungen des geschichtlichen
Christus und seiner Geschichte. Das Subjekt in seinem Erlöser
ist der Gott, der zwar Mensch geworden ist, sich aber in Wahrheit
der Menschennatur, ihren Schranken und Leiden, immer nur
accommodirt. Machte Athanasius aber mit der Menschheit Ernst,
so zerfiel ihm die Geschichte des Erlösers in das, was der Gott,
und in das, was der Mensch gethan hat. Tm Abendland wurde in
concreto ebenfalls ein mehr oder weniger feiner Doketismus ge-
lehrt. Aber daneben stand von Tertullian und Novatian her auf
Grund des Symbols die juristische Formel: zwei Substanzen,
eine Person. Diese Formel, gleichsam ein Schutz- und Grenz-
begriff, wurde nicht weiter durchdacht; sie sollte aber dereinst
das rettende Wort in den Kämpfen des Orients werden.
Die Einheit der übernatürlichen Persönlichkeit Christi war
hier der allgemeine Ausgangspunkt, Wie man dabei die Mensch-
heit unterzubringen habe, war das Problem, das zuerst ApoUinaris
von Laodicea (2. Hälfte des 4. Jahrh.) in seiner Schärfe und
Schwere durchschaut hat. Den Anstoss hatten die Arianer ge-
geben, indem sie die Menschheit Christi lediglich als öd^| fassten,
um die volle Einheit der Erlöserpersönlichkeit auszudrücken und
zugleich das beschränkte Wissen und die Leidensfähigkeit Christi
ihrem halbgöttlichen Logos selbst beilegen zu können. Sie warfen
dabei den Orthodoxen vor, ihre Lehre führe zu zwei Gottessöhnen
oder zwei Naturen (das galt noch als identisch). ApoUinaris er-
kannte nun, dass dieser Vorwurf berechtigt sei; er stellte seiner
Theologie die Aufgabe, 1) eine ebenso strenge Einheit der Person
des Gottmenschen Christus zum Ausdruck zu bringen wie der
Arianismus in seinem lediglich mit der öocq^ bekleideten Logos,
2) die volle Menschheit Christi damit zu vereinigen. Hier ist
das Problem gefunden, das die Barche in den folgenden Jahr-
hunderten beschäftigt hat, und zwar hat es ApoUinaris als das
christliche Hauptproblem, als den Kern aller Glaubensaussagen,
§ 40. J Der apoUinaristische Streit. 193
in seiner ganzen Tragweite übersehen und demgemäss mit Auf-
bietung des höchsten Scharfsinns und einer fast alle Termino-
logien der Zukunft vorwegnehmenden Dialektik behandelt. An
den Orthodoxen (Athanasius) tadelte er, dass sie, um den Ein-
würfen der Arianer zu entgehen, trotz ihrer besseren Absicht in
Christus stets unterschieden, was der Mensch und was der Gott
gethan habe; damit sei die Zweiheit aufgerichtet (in Christus sei
nach dieser Auffassung elg vCbg q)v6sv und slg vtbg d-d^si) und der
Trost der Erlösung dahin; denn Christus müsse so Mensch ge-
worden sein, dass Alles, was von der Menschheit gilt, auch von
der Gottheit gilt und umgekehrt (freilich hat Athanasius nie den
Ausdruck ävo q)v6Big gebraucht, wie Origenes; aber wider seinen
Willen musste er in der Anwendung die Einheit des k6yog öccq-
xmd'sig spalten). An den Arianem tadelte er, dass auch sie den
Trost der Erlösung rauben, sofern Christus nicht die ganze Mensch-
heit angenommen habe, sondern nur Fleisch. Demgemäss ergab
sich ihm die Erkenntniss, dass Svo xiksia av ysvaöd^ai oi Svvaxai.
Er selbst, den Einheitsgedanken als Steuer festhaltend, sich aber
als Aristoteliker nicht wie Athanasius mit dem Geheimnis» des
Glaubens begnügend, stellte nun die Lehre auf, der Gott-Logos
habe menschliches Fleisch und menschliche Seele an sich ge-
nommen, die die Menschennatur als Natur konstituiren, nicht aber
einen menschlichen Logos (yovg^ d. h. — so würden wir jetzt
sagen — nicht das, was am Menschen die (Einzel)Person kon-
stituirt, daher auch keinen freien Willen. Mit der so gearteten
Menschennatur habe aber der Logos zu einer vollen Einheit ver-
schmelzen können, weil niemals zwei Subjekte vorhanden waren
(der Logos vertritt vom ersten Moment an die i^v^ii loyLxr] in
Jesus Christus; er ist seine ij/vx'^ AoytxiJ); denn die Klippen,
welche Apollinaris als verderblich erkannt hatte, waren 1) die
Meinung von zwei Söhnen d. h. die Zerspaltung von Mensch und
Gott, Jesus und Christus („zwei Naturen sind zwei Söhne^^), 2) die
Vorstellimg, dass Jesus nur ein avd^QCJTtog evd'sog gewesen sei
(wie der Adoptianismus lehrte), 3) die Meinung, dass er ein freies,
wandelbares Wesen gehabt habe. Man müsse das Subjekt aus
der Menschennatur in Christus entfernen, sonst käme man zu
einem Zwitterwesen (Bockhirsch, Minotaurus); dagegen seine Auf-
fassung stelle die ^Ca tpxxsvg tov koyov öaöaQxcjiisvrj klar. Diese
begründete A. soteriologisch (was der Mensch gethan hat, muss
Gott gethan und erlitten haben; sonst hat es keine Heilskraft:
Gnuidrisa IV. iii. Habnagk, DogmengeBcliichte. 2. Aufl. 13
194 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 40.
äv^Q(07tov ^dvarog ov xaragyat xbv ^ccvarov; die Gottheit ist
durch Christus der vovg und köyog der ganzen Menschheit ge-
worden; die Menschennatur ist durch Christus die ödg^ der Gott-
heit geworden), biblisch — er war ein sehr tüchtiger Exeget —
und spekulativ (die Menschennatur ist stets das Bewegte, das
Göttliche der Beweger; dieses Verhältniss kommt im loyog öaQ-
xcad^etg zu seiner vollkommenen Ausgestaltung und Erscheinung;
Christus ist der himmlische Adam, der also die Annahme der
Menschennatur potenziell an sich hat; in verborgener Weise war
er stets vovg svöaQxog; sein Fleisch ist, weil er auf die Mensch-
werdung angelegt ist, seiner Gottheit 6ftoov<Jto^; die Mensch-
werdung ist daher nichts Zufalliges und unterscheidet sich von aller
blossen Inspiration ; der Logos ist stets der Mittler — fisöorr^g —
zwischen Gottheit und Menschheit; doch weiss man nicht, wie weit
A. hier gegangen ist).
Sollte das Geheimniss Zwei = Eins (s. die Parallele zu dem
Geheimniss Drei = Eins) überhaupt beschrieben werden, so ist
die Lehre des A,, gemessen an den Voraussetzungen und Zielen
der griechischen Auffassung vom Christentum, als Religion voll-
kommen. Darum hat er auch überzeugte Schüler gefunden, und
im Grunde sind alle Monophysiten, ja selbst die frommen griechi-
schen Orthodoxen, Apollinaristen: die Annahme einer mensch-
lichen Einzelpersönlichkeit (mit allen ihren Schranken) in Christus
hebt seine Erlösermacht (nach der physischen Erlösungslehre)
ebenso auf, wie die Meiiiung von zwei unvermischten Naturen die
Menschwerdung um ihren Effekt bringt. Daher hat A.den mensch-
lichen vovg gestrichen, wie alle griechischen Gläubigen vor ihm
und nach ihm — er aber offen und energisch.
Aber die Forderung eines vollständigen Menschenwesens,
einmal ausgesprochen, Hess sich nicht mehr überhören: konnte
man doch sagen, nach A. werde der menschliche vovg nicht ge-
rettet; auch schien die Gotteslehre ins Schwanken zu geraten,
wenn Gott gelitten haben solle. Daher bekannte man sich schon
auf der Synode zu Alex. 362 zur vollen Menschheit, und die
Kappadocier traten gegen ihren verehrten Lehrer auf, der um 375
aus der Kirche ausscheiden musste, aber eine eigene Kirche bildete;
auch das Abendland verdammte ihn (zu Rom 377, besonders
energisch Damasus). Die volle Homousie Christi mit der Mensch-
heit wurde zum Glaubenssatz erhoben. Gewiss hatten die evan-
gelischen Berichte dabei ihren Anteil; aber was die Kappadocier
§ 41.] Der nestorianisclie Streit. 195
dem A. entgegenzusetzen wussten, waren nur klägliche, wider-
spruchsvolle Formeln: es sind zwei Naturen, aber doch nur eine;
es sind nicht zwei Söhne, aber anders handelt in Christus die
Gottheit, anders die Menschheit; Christus hatte menschliche Frei-
heit, handelte aber in göttlicher Notwendigkeit. Im Grunde
dachten die Kappadocier wie A., aber sie mussten Rücksicht
nehmen auf den „vollkommenen Menschen". Hier zeigte sich eine
wirkliche Notlage der Dogmatik: sie hatte die volle Menschheit
so nötig, wie eine volle physische Einheit der beiden Naturen,
die doch die Menschheit vom ersten Moment an zu verschlingen
drohte, um nur das Fleisch oder höchstens noch die ^v%i) öaQxtKii
übrig zu lassen. Die Souveränetät des Glaubens hatte dem Apol-
linaris die Lehre diktirt; er hat dem athanasianischen 'Ofioovövog
die entsprechendö Christologie hinzugefügt; er hat wie Athanasius
für seinen Glauben kein Opfer gescheut, ja ein noch grösseres
Opfer gebracht als dieser. Die Gegner thaten aber der Kirche der
Zukunft doch einen grossen Dienst, indem sie die volle Mensch-
heit (menschliches Subjekt) aufrechterhielten. Nun mussten sie
den Widerspruch (nicht zwei Söhne, aber doch zwei selbständige
Wesenheiten) zu vereinigen suchen. In welcher Formel das zu
geschehen hatte, wusste noch Niemand.
Neuntes Kapitel.
Fortsetzung. Die Lehre von der personalen Einigung der göttlichen
und menschlichen Natur in dem menschgewordenen Sohne Gottes,
Quellen: Die Schriften des Cyrill von Alex, und der Antiochener
(Theodor v. Mopsveate ed. Swete, 2 Bde. 1880 ff., Theodoret), die Kon-
zilsakten (ed. Manst, Conciliorum coUectio amplissima T. IV ff,)- —
CJHefkle, Konzilienges eh.* Bd. 11 u. III.
§ 41. Der nestorianische Streit.
Wie kann der vollkommene Gott und der vollkommene Mensch
eine Einheit bilden? Die eifrigsten Gegner des ApoUinaris sind
seine Landsleute und z. T. philosophischen Gesinnungsgenossen,
die Antiochener, gewesen. Sie zogen aus der Formel: „voll-
kommener Gott nnd vollkommener Mensch" die Konsequenz,
dass zwei verschiedene und immer verschieden bleibende Naturen
in Christus anzunehmen seien. Diodor von Tarsus und vor Allem
Theodor von Mopsuestia, ausgezeichnet durch nüchterne Philo-
sophie, treffliche Exegese und strenge Askese, waren überzeugte
Nicäner; aber sie erkannten zugleich richtig, dass vollkommene
13*
196 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 41.
Menschheit ohne Freiheit und Wandelbarkeit ein Unding sei
(daher forderten sie teXsiog avd^QG)7Cog)] mithin seien Gottheit
nnd Menschheit Gegensätze, die schlechterdings nichtverschmolzen
werden können (leidensunfähig, leidensfähig). Darnach gestalten sie
die Christologie, die bei ihnen also nicht soteriologisch, wohl aber
durch das evangelische Bild Christi bestimmt gewesen ist, Christus
besteht aus zwei getrennten Naturen (keine svoöig 9?vtftxiJ); der
Gott-Logos hat einen Einzelmenschen an sich genommen, d, h. er
hat ihm eingewohnt; diese Einwohnung ist keine substanzielle, auch
keine bloss inspirirende, sondern xarä %&qiv gewesen, d. h. Gott
hat sich mit dem Menschen Jesus in besonderer Weise, aber nach
Analogie seiner Vereinigung mit frommen Seelen (xar' BvdoKiav),
verbunden und sich mit ihm verknüpft (tfvvdqfSLo). Der Logos
wohnte in Christus wie in einem Tempel; die menschliche Natur
blieb substanziell, was sie ist; aber sie hat sich allmählich bis zur
vollkommenen Bewährung und Beharrung entwickelt. Die Union
ist also nur eine beziehungsweise {evcoöLg 6%exixYi)y und sie ist am
Anfang nur relativ vollkommen gewesen (fortschreitende ivoticrj-
6tg)] sie ist an sich eine moralische; aber durch die Bewährung
und Erhöhung stellte sich am Ende und für immer ein anzubeten-
des Subjekt dar (xcdql^cd tag (pvöstg^ ivm xriv TtQOöxvvricfLv).
Theodor hat zwar die chaloedonensische Formel: „zwei Naturen,
eine Person"; aber bei ihm ist die Einheit der Person lediglich
die der Namen, der Ehre und Anbetung; in keinem Sinne eine
substanzielle (Christus bleibt aklog xal äkkog). Er hat ganz deut-
lich zwei Personen, weil zwei Naturen (Person = Natur) und
daneben für die Gläubigen ein anzubetendes jtQoöcojtov. Von
einer Menschwerdung darf man daher im Grunde nicht reden,
sondern nur von einer Annahme des Menschen seitens des Logos.
Die Funktionen Jesu Christi sind streng auf Gottheit und Mensch-
heit zu verteilen. Maria d^eotöxog zu nennen, ist absurd.
Diese Lehre unterscheidet sich von der des Samosateners
nur durch die Behauptung der Persönlichkeit des Gott-Logos
in Christus. In Wahrheit ist Jesus — invito Theodoro — doch
ein &vd'Q(DJcog svd^sog, Dass sich die Antiochener mit diesem be-
gnügten, war eine Folge ihres Rationalismus. So anerkennenswert
ihre geistige Fassung der Probleme ist, so waren sie von der Auf-
fassung der Erlösung als Wiedergeburt und Sündenvergebung
doch noch weiter entfernt, als die Vertreter der realistischen Er-
lösungsvorstellung. Sie wussten von einem Vollender der Mensch-
§ 41.] Der nestoriani&clie Streit. 197
heit; der sie durch Erkenntniss und Askese in eine neue Kataetase
führt, nicht von einem Restitutor. Aber sie haben, indem sie die
Menschlichkeiten Christi nicht doketisch verflüchtigten oder aus
Accommodation erklärten, das Bild des geschichtlichen Christus
der Kirche in einer Zeit vorgehalten, in der diese sich in ihren
Glaubensformeln immer weiter von ihm entfernen musste. Freilich
kräftig konnte ein Bild nicht wirken, in dem man die Züge der
leeren Freiheit und Leidensfähigkeit, sowie der Weisheit und
Askese mit besonderem Eifer hervorhob.
Ihre Gegner, die Alexandriner, fussten auf der Überlieferung,
die den Antiochenem Verlegenheit bereitete, dass Christus die
göttliche Physis besessen habe, und dass er wirklich Mensch ge-
worden sei. Ihre Ausführungen ermangelten bis 431 und noch
weiter der begrifflichen Klarheit; aber das konnte nicht anders
sein; um so sicherer war ihnen der Glaube. Cyrill von Alex.,
in mancher Hinsicht wenig achtungswert, hat für den Grund-
gedanken der Frömmigkeit, wie Athanasius, gestritten und die
Überlieferung für sich gehabt. Diese Frömmigkeit verlangte nur
eine starke und sichere Aussprache des Geheimnisses, nicht mehr
{(Stam^ 7CQ0öxvvsL6d'(D rö aQQTjtov). Die thetische Darlegung
des Glaubens hat Cyrill nie viele Worte gekostet; aber er ist
sofort in Gefahr gewesen, die Grenzen seines Glaubensgedankens
zu überschreiten, wenn er das Geheimniss klar machen wollte,
und seine Terminologie war unsicher. Sein Glaube ging nicht
vom geschichtlichen Christus aus, sondern von dem Gott, der
Mensch geworden und in dem Gottmenschen die Person ist. Der
Gott-Logos hat die ganze Menschefinatur sich einverleibt und
ist doch derselbe geblieben. Nicht sich hat er verwandelt,
sondern die Menschheit hat er in die Einheit seines Wesens auf-
genommen, ohne etwas an sie zu verlieren. Er ist nachher der-
selbe wie vorher, das eine Subjekt. Was der Leib erduldet, hat
er erduldet. Daher brauchte Cyi'ill folgende Stich worte mit Vor-
liebe: slg xal 6 aitög^ nämlich der Gott-Logos, 6 k6yog ^stä rrig
ISCag 6aQx6gj ISCav Tcoielv xiiv öccQxa olxovo^LX&g, ^siisvrixsv ojcsq
^v, ix Ovo q)'66B(ov elgy öwsksvöig Svo (pvöacov xa-d*' evcoöiv äÖLcc-
6za6rov &6vyxvtG}g xal dxQSTttwg, Daher: evmöig (pvöLXi^ (xad^^
wc6öta0iv) imd [iia q}v0tg rot) d-eov koyov öeöuQxco^evrj, Den
Unterschied von q)v0Lg und vTtööraöLg hat Cyrill kaum gestreift.
Doch sagte er nie: ix ovo vicoQrdesGiv oder ev(o6Lg xatä q)'6öLVj
wiU auch von einer Vermischung nichts wissen. Für die göttliche
198 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 41.
Natur fielen ihm (pvöig und {j^öötaöLg zusammen, für die mensch-
liche nicht. Obgleich er alle Bestandteile des Menschenwesens
Christus zuspricht, verwirft er doch die Ansicht, Christus
sei ein individueller Mensch gewesen. Christus ist der
Logos, der die unpersönliche Menschennatur wie ein Kleid
angenommen hat: nur so kann er der Erlöser sein. Vor der
Menschwerdung gab es nach Cyrill zwei Naturen, nach derselben
nur eine, nämlich die gottmenschliche, die d'scjQia fiovy unter-
schieden ist. Die Einheit hat freilich nicht die Leidensfahigkeit
der Gottheit zur Folge; aber der Logos leidet an seinem Fleische.
Er ist also doch dsbg öravQcod^atg , und die Maria ist dsoröxog.
Darum kann auch die efccQ^ Christi im Abendmahl göttliches
Leben wirken; denn sie ist erfüllt mit der Gottheit.
Diese Auffassung ist im Grunde purer Monophysitismus;
aber sie will es nicht sein, und indem sie die Menschheit Christi
als unverflüchtigt, unvermischt und unverwandelt behauptet,
sucht sie sich gegen die konsequente monophysitische Formel zu
schützen. Cyrill ist wirklich orthodox, d. h. er hat das gelehrt,
was in der Konsequenz der orthodoxen Christuslehre lag. Aber
der Widerspruch — die Naturen sollen beide unverkürzt und un-
vermischt vorhanden sein einschliesslich eines menschlichen
Logos, und doch soll es nur eine gottmenschliche Natur sein und
die menschliche ist subjektlos — ist offenkundig. Offenkundig
ist auch, dass sich das Bild des wirklichen Christus bei dieser
Ansicht nicht halten lässt: doketische Erklärungen müssen not-
wendig zugelassen werden (resp. die Accommodation: Christus
hat gehungert und gedürstet, gezittert und gezagt, weil er so
wollte). Aber diese Lehre ist relativ doch wertvoller als die des
Chalcedonense, weil der Glaube sich an ihr deutlich klar machen
kann; dass Christus die ganze Menschennatur angenommen,
wesenhaft mit sich vereinigt und so ins Göttliche erhoben hat.
Der Streit brach in Konstantinopel durch den eitlen, poltern-
den, aber nicht unedlen Bis chofNestoriu (428) aus, der von dem
Alexandriner als Antiochener gehasst und um seinen Stuhl be-
neidet, in unvorsichtiger Weise den Hass durch Predigten und
Angriffe auf die cyrillisch Gesinnten schürte und speziell das
Wort d-sotoxog und ähnliche als heidnische Fabeln verfolgte.
Die „Fäulniss des Arius und ApoUinaris" suchte er jetzt aus-
zutilgen; als Christologe stand er übrigens selbst keineswegs auf
der äussejsten Linken der Orthodoxie wie Theodor. Er brachte
§ 41,] Der nestorianische Streit. 199
die Hauptstadt in Aufregimg; die Mönche und die kaiserlichen
Damen waren gegen ihn, und nun mischte sich Cyrill ein. Die
Formeln, welche Beide brauchten, lauteten nicht sehr verschieden
— war doch Nestorius selbst bereit, unter Kautelen auf das d'eo-
roxog einzugehen; aber hinter den Formeln lag ein tiefer dog-
matischer und kirchenpolitischer Gegensatz. Cyrill (Offene Briefe
an Nestorius) kämpfte um die eine gottmenschliche Natur und
um den Primat im Orient. Er wusste den römischen Bischof
Cölestin für sich zu gewinnen, dem damals noch der Bischof von
Konstantinopel der gefährlichere Rivale schien als der von Alexan-
drien. Cölestin, auch persönlich über Nestorius gereizt, ver-
leugnete seine eigene christologische Ansicht, die der des Nestorius
sehr nahe stand, trat den Anathematismen des Cyrill bei und ver-
langte von Nestorius den Widerruf. Dieser, Gregenanathematismen
gegen Cyrillus schleudernd, betrieb die Berufung eines allge-
meinen Konzils beim Kaiser, der ihm günstig war. Aber Cyrill
wusste das allgemeine Konzil zu Ephesus (431) so zu leiten, dass
es von vornherein zu einer Spaltung kam. Nachmals sind die Be-
schlüsse der ägyptisch-römischen Partei (des cyrillischen Konzi-
liabulums) als die Beschlüsse des Konzils anerkannt worden,
während ursprünglich der Kaiser weder diese noch die Beschlüsse
der antiochenischen Partei anerkannte. Cyrill liess kein neues
Symbol aufstellen, sondern den Nestorius absetzen und seine
eigene Lehre für orthodox erklären. Umgekehrt hat das von den
antiochenisch Gesinnten abgehaltene Konzil den Cyrill abgesetzt.
Der Kaiser bestätigte zunächst beide Absetzungen, und in Bezug
auf Nestorius hatte es dabei sein Bewenden. Er ist in der Ver-
bannung gestorben. Aber dem bei Hofe mächtigen Cyrill gelang
es sich zu halten, und im Jahre 433 schloss er sogar (s. seine ep.
ad orientales), um seinen Einfluss nicht zu verlieren, eine Union
mit den Antiochenern, deren zweideutiges Bekenntniss dem Wort-
laut nach der antiochenischen Theologie näher stand. ^) Aber
1) Die Formel, die das Chalcedonense mit vorbereitet hat, lautet:
^O^oloyovfisv zbv v,vQtov rifi&v . . . d'sbv riXsiov %al avd'Qconov tslsiov i'K
tpvxrjg Xoyi'^fjg xal aSfiarog . . . o^oovolov t^ natgl tbv avtbv natcc tiiv
^sorrira xai dfioovciov rjiiLV v.axa tt/v ävd'QcoTtoxrjta' Svo yccg cpvascov
^vcoaig ysyovs' 8l6 iva Xqlgtov, iva viov, ?va %vqiov öfioXoyovpLSV. xara
tavrriv xriv rfjg ict5vy%vxov kvmcscog k'vvoiav öiioloyovfisv rrjv ayiav Ttag-
d'svov &sot6yiov, dioc tb tbv ^sbv X6yov aaQyicod'rivaL )(al ivavd'QfoitiiGai
xal i^ avTfjg rfjg cvllrii(}Scog kv&öai kccvnp tbv i^ avrrig Xricpd'svva vaov.
200 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 42,
Cyrill blieb eben deshalb Herr der Situation (die Antiochener
Hessen den Nestorius schmählich fallen, weil sie in der Sache
gesiegt zu haben glaubten; die Strengen unter ihnen wanderten
in den Osten aus) und verstand es, die alexandrinische Lehre und
Kirchenherrschaft immer mehr zu befestisren.
§ 42. Der eutychianische Streit.
Die Konzilsakten s. bei Mansi T. VI. VII.
Cyrill starb im J. 444, und es gab in seiner eigenen Partei
Leute, die ihm die aus Herrschsucht geschlossene Union von 433
nie vergessen hatten. Sein Nachfolger wurde Dioskur, ihm nicht
ebenbürtig, aber doch nicht ungleich. Dioskur suchte das Unter-
nehmen seiner Vorgänger auf dem alexandrinischen Stuhl, Ägypten
zur Domäne zu machen, die Kirche des Orients als Papst zu be-
herrschen und Kaiser und Staat sich faktisch zu unterwerfen, zu
vollenden. Schon Theophilus und Cyrill hatten sich dabei auf die
Mönche und die Massen gestützt, aber auch auf den römischen
Bischof, der das gleiche Literesse hatte, den Bischof von Konstan-
tinopel niederzudrücken. Sie hatten ferner die Verbindung mit
der griechischen Wissenschaft gelockert (Kampf gegen den Ori-
genismus), um der Grossmacht des Zeitalters, der frommen
Barbarei, keinen Anstoss zu geben. Dioskur schien unter dem
schwächlichen Kaiser Theodosius II. sein Ziel wirklich zu er-
reichen (Konzil von Ephesus 449); allein dem grössten Siege
folgte die Katastrophe. Sie ist herbeigeführt worden durch die
kraftvolle Kaiserin Pulcheria und ihren Gemahl Marcian, die sich
auf die byzantinische Staatsidee, die Kirche zu beherrschen, wieder
besannen, und durch Leo I., der im entscheidenden Moment die
traditionelle Politik des römischen Stuhls, Alexandrien gegen
Konstantinopel zu stützen, aufgab, mit dem Kaiser und dem
Bischof der Hauptstadt geme]nsame Sache machte und Dioskur
stürzte. Allein in dem Moment des Falls musste der Gegensatz
der ad hoc verbündeten Mächte (Kaiser und Papst) wieder hervor-
treten. Beide wollten den Sieg für sich ausnützen. Der Kaiser
war nicht gewillt, dem zu Hülfe gerufenen Papst die Kirche des
Orients auszuliefern, wenn er auch die dogmatische Formel des-
selben als einzige Auskunft der orientalischen Kirche diktirte,
rag Sh s^ayysXfKccg . . . nsgl tov yivgLov qxoväg i'aiisv rovg &sol6yovg
avdgag tag iihv Tio Lvonoiovvtag mg itp' hv6g ngoatSsnov tag dh duxi^ovvtag
oig inl dvo tpvcBcav
§ 42.] Der eulychianisclie Streit. 201
und der Papst konnte es nicht dulden, dass der Patriarch der
Hauptstadt die übrigen Patriarchen des Orients verdrängte, als
Kreatur des Kaisers die Kirche nach den Winken desselben
regierte, und dass der Stuhl Konstantinopels dem des heiligen
Petrus gleichgesetzt wurde. In Folge des chalcedonensischen
Konzils triumphirte zwar momentan der Staat über die Kirche;
aber indem er ihr seine dogmatische Formel gab, die mehr als die
Hälfte der Gläubigen gegen sich hatte, zersplitterte er das Reich,
legte den Grund für den Abfall grosser Provinzen im Süden, Osten
und Nordosten, stärkte den heftigsten iGregner, den Bischof von
Rom, in einem Moment, wo durch den Untergang des weströmi-
schen Reichs dieser sich an die Spitze des Abendlandes gestellt
sah, und bereitete so den Zustand vor, der die byaantinische Herr-
schaft auf die Küstenprovinzen des östlichen Mittehr.eers be-
schränkte.
Dies sind die allgemeinen Verhältnisse, unter denen sich der
eutychianische Streit abgespielt hat, und es ist damit gesagt,
welche Bedeutung die Politik in ihm gehabt hat.
Durch die Union von 433 war die christologische Frage
bereits versumpft. Je nach der Auslegung der Formel konnte
man Jeden als Häretiker fassen. Faktisch machte trotz der ener-
gischen Gegenwirkung des wackeren und bestgehassten Theodoret
die alexandrinische Doktrin, die ja wirklich dem Glauben der
Orientalen entsprach, immer grössere Fortschritte, und Dioskur
geberdete sich wie ein Oberbischof über Palästina imd Syrien.
Der Kaiser lieferte ihm die Kirche geradezu aus. Dioskur ver-
folgte die antiochenisch Gesinnten, suchte die Formel „zwei Na-
turen" auszutilgen und Hess selbst bedenklich apoUinaristisch
lautende Bekenntnisse gewähren. Allein als der alte Ärchimandrit
Eutyches in Konstantinopel seine cyrillische Christologie in Sätzen
ausdrückte, wie: „mein Gott ist nicht gleichen Wesens mit uns;
er hat kein öcb^ia avd'QWTCov, sondern ein 0a)^a avd'Qto^ivov^^,
nahmen persönliche Gegner (Domnus von Antiochien, dann Euse-
bius von Doryläum) daran Gelegenheit, ihn bei dem Patriarchen
Flavian zu denunziren, der, selbst kein entschiedener Christologe,
den Anlass gern benutzte, um den vom Hofe bevorzugten Geist-
lichen los zu werden. Auf einer Synode zu Konstantinopel (44S)
wurde Eutyches als Valentinianer und Apollinarist verurteilt, ob-
gleich er nach Zögern die Formel: „Aus zwei Naturen ein Christus"
zugestand und sich auf die Positionen CyrilFs zurückzog. Von
202 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 42.
beiden Seiten wurden nun der Hof, die Hauptstadt, der römische
Bischof in Bewegung gesetzt. Dioskur sah ein, dass der Moment
der Machtfrage gekommen sei, aber Leo I. nicht minder. Während
jener die Berufung des Konzils beim Kaiser durchsetzte und für
dasselbe mit unerhörter Machtvollkommenheit als wahrer Papst
ausgerüstet wurde, sah dieser jetzt — trotz der Entscheidung
seines Vorgängers Cölestin für Cyrill — in Eutyches den
schlimmsten Ketzer, in Flavian den teuren, angefochtenen Freund,
suchte das Konzil durch zahlreiche Briefe an die Einflussreichen
zu hintertreiben und schrieb an Flavian (Sommer 449) die be-
rühmte Epistel, in der er in der Christologie zur tertuUiauischr
augustinischen Fassung zurücklenkte. In diesem Brief ist die
Zwei-Naturenlekre streng ausgeführt {^,agit ntraque forma cum
altcrius communioney quod proprium est, verbo seih operante qtiod
verbi est et carne exsequente quod carnis est^^) und die alte abend-
ländische juristische Auskunft dargelegt, man müsse an eine
Person glauben, die zwei geschiedene Naturen (Substanzen) zu
ihrer Verfügung habe — eine Auskunft, die allerdings weder
monophysitisch noch nestorianisch ist, da sie zwischen der Person
und zwei Naturen scharf scheidet, also eigentlich drei Grössen
einführt, indessen jedenfalls dem Nestorianismus näher steht, dem
entscheidenden Interesse des orientalischen Glaubens nicht ge-
recht wird und jedes konkrete Denken ausschliesst, mithin
weder die Frömmigkeit noch den Verstand befriedigte. Daneben
kennt Leo nur die Häresien des Doketismus und Samosatenismus.
Leo hat zwar das Interesse unserer Erlösung in dem Schreiben
bekannt; aber er hat eine Darlegung gegeben, die Cyrill von sich
gewiesen hätte.
Im August 449 trat das grosse Konzil zu Ephesus unter
Dioskur's Leitung zusammen. Rom wurde erst als nicht vor-
handen betrachtet, dann in seinen übrigens unsicher operirenden
Legaten gedemütigt und in seiner Stellung herabgedrückt.
Dioskur liess beschliessen, dass es bei den Synoden zu Nicäa und
Ephesus (43 1) sein Bewenden haben müsse, die den alten Glauben:
„Nach der Menschwerdung giebt es eine fleischgewordene Natur^^
enthielten-, kein Symbol wurde aufgestellt; Eutyches wurde resti-
tuirt und auf Grund des Nicänums (!) wurden die Häupter der
Antiochener, aber auch Flavian, Eusebius von Doryläum, Theo-
doret, Domnus von Antiochien abgesetzt, kurz die Kirche von dem
„Nestorianismus" gründlich gereinigt. Das Alles geschah fast mit
§ 42.] Der eutychianisclie Streit. 203
Einstimmigkeit. Zwei Jahre später wurde diese von vielen
Bischöfen, die Teil genommen hatten, als erzwungen dargestellt
(latrocinium Ephesinum sagt Leo). Gewiss hat Dioskur mit
seinen fanatischen Mönchen die Synode terrorisirt; allein viel
stärkeren Druck hat man nachmals in Chalcedon nötig gehabt.
Dioskur hat wirklich den Glauben des Orients zum Beschluss er-
hoben, und der unvergleichliche Sieg, den er feierte, hatte, wenn
nicht fremde Mächte (der Staat, Rom) eingriffen, in der Kirche
die Gewähr der Dauer. Allein Dioskur rief den Papst und die
byzantinische Staatsidee gegen sich auf und hat nicht mit der
weitverbreiteten Abneigung gegen den rechten Flügel seines
Heeres, den verkappt apoUinaristischen, gerechnet. Er hat den
Eutyches rehabilitirt, ohne die bedenklichen Sätze, die er und
seine Anhänger im Munde führten, ausdrücklich zu verurteilen.
Am 28. Juli 450 folgten Pulcheria und Marcian dem Theo-
dosius; bis dahin hatte sich Leo vergeblich bemüht, dem Konzil
Opposition zu machen. Jetzt hatte ihn Marcian, der entschlossen
war, die Tyrannis des alexandrinischen Bischofs zu brechen, nötig.
Leo wünschte eine Verurteilung des Dioskur und die Annahme
seines Lehrbriefs ohne Konzil; allein der Kaiser musste auf ein
solches dringen, um in aller Form eine Neuordnung herbei-
zuführen. Sie konnte nur gelingen, wenn auch eine neue dogma-
tische Formel geschaffen wurde, die die Ägypter ins Unrecht
setzte und den Antiochenern doch nicht Recht gab. Die Politik
riet zu der durch das ünionssymbol von 433 einigermassen vor-
bereiteten, für den Orient jedoch immer noch neuen Formel des
Abendlandes (Leo's) als der einzigen Auskunft. Das Konzil kam
451 zu Chalcedon wirklich zu Stande; den päpstlichen Legaten
wurde der Ehrenvorsitz eingeräumt; Leo hatte sie instruirt, der
Würde Roms nichts zu vergeben. Die grössere Hälfte der
5—600 Bischöfe war wie Cyrill und Dioskur gesinnt, allem Nesto-
rianismus höchst abgeneigt, dem Theodoret feindlich; aber der
Kaiser beherrschte die Versammlung. Es stand fest, dass Dioskur
abgesetzt und eine dogmatische Formel im Sinne Leo's ange-
nommen werden müsse, da der Beschluss von 449 als „abgepresst"
annullirt worden war. Ebenso fest stand aber, dass man das An-
denken und die Lehre CyrilFs nicht preisgeben durfte. Daher
wurde Dioskur nach einem höchst schmachvollen Prozess nicht
als Häretiker, sondern wegen Ungehorsams und Unregelmässig-
keiten abgesetzt. Die Mehrzahl der Bischöfe verleugnete vor dem
204 EntwickeluDg des Dogmas im Morgenland. [§ 42.
Angesicht der kaiserlichen Kommissare ihre Vergangenheit und
gab den Dioskur mid den Beschluss von 449 auf; aber nur durch
trügerische Vorspiegelungen und Drohungen liessen sich die
Bischöfe zur Anerkennung des Lehrbriefs Leo's, den jeder Orien-
tale nestorianisch verstehen musste, und zur Genehmigung der
Lehre, dass auch nach der Menschwerdung zwei Naturen in
Christus vorhanden seien, bewegen. Noch in der letzten Stunde
suchte man — freilich vergeblich — eine bloss begriffliche
Unterscheidung der Naturen zum Dogma zu erheben. Auf der
5. Sitzung wurden die Bestimmungen von 325, 381, 431 (das
cyrillische Konziliabulum gilt von da ab als 3. ökumenische
Synode) bestätigt, die Suffizienz derselben anerkannt, aber be-
merkt, dass um der Irrlehrer willen, welche einerseits das d'soxöxog
verwerfen, andererseits eine (Jt;y;uvötg und xQ&6tg der Naturen ein-
führen wollen, „unvernünftig nur eine Natur des Fleisches und
der Gottheit erdichtend und die göttliche Natur för leidensföhig
haltend", es nötig sei, sowohl die Briefe CyrilFs an Nestorius und
die Orientalen als auch den Brief Leo^s — also eine concordia dis-
cors - anzunehmen Die Deklaration lautete: toifg dvo fiiv xqo
XTjg iv(b6a(og (pvöeig rov xvqlov ^vd^avovtag^ ^liav de (isrä ti^v
€VG)(fLV ävankdxxovxag^ avad^siiaxi^sv (das war das Opfer des
Glaubensgedankens). ^ETtö^ievoL xoCvw xotg ayiotg TcaxQcifftv sva
xal xbv avxbv d^oXoyeiv vlbv xbv xvqlov ij^&v 'J, Xq, övfMpmv&g
aitavxag ixöiddöxo^iev^ xiksLOv xbv ainbv iv ^söxrjXL xal xikaiov
xbv avxbv iv ävd'QomöxrjXL^ d'sbv älrjd'&g xal avd'Qonov älrid'&g
xbv avxöv^ dann heisst es: eva xal xbv aixbv XQiöxbv .,, iv Ovo
q>v6e6iv {ix dvo fpveacov ist eine spätere, aber alte, dem Monophy-
sitismus günstige Korrektur) a6vy%vxcjg^ äxgajtxcog^ ädiai^xog^
ai&QC^xcag yvcjQL^ofiav^ ovda^v rijg x&v (pvöacsv diatpogäg ävy-
Qrj^ivrjg diä xi^v av(o6iv^ öcj^o^dvr^g öa ^kXov XTJg idLÖxrjxog ixa-
xagag (pv6a(ogj xal aig ?v ngdetonov xal ^liav imööxaötv övvxQa-
Xovdrig^ ovx aig di5o TtQÖöiQTca (laQL^öfiavov t) diaiQoviiavov, äkkä
ava xal xbv avxbv vlbv xal fiovoyavrj^ d'abv köyov.
Die Kraft des Glaubensgeheimnisses war durch diese Unter-
scheidung von Natur und Person gelähmt, ein begriffliches Myste-
rium aufgerichtet, die Klarheit der antiochenischen Auffassung
von der Menschheit Jesu doch nicht erreicht. Die Formel ist
negativ und kühl; die Frommen sahen ihren Trost, die evcoötg
(pvötxi^ (die ii£a fpv6ig), dahinsinken. Wie soll das unserer
Natur zu Gute kommen, was sich nur in der Person Christi er-
§ 43.] Die monophysitischen Streitigkeiten und das 5. Konzil. 205
eignet hat? Der verbasste „MoraKsmus" oder die Mystik der Ver-
einigung des Logos mit jeder Mensehenseele schienen die Folge
zu sein. Der Gewinn, die volle Menschheit Jesu nun als unum-
stosslichen Glaubensartikel gesichert zu haben, für die Zukunft
unschätzbar, war damals zu teuer erkauft. Auch war der Friede
nicht hergestellt. Kaiser und Papst entzweiten sich über den
28. Kanon (Gleichstellung Konstantinopels mit Rom), wenn sie
es auch nicht zum Bruch kommen Hessen, und die Kirche des
Morgenlandes geriet fast in Auflösung.
§ 43. Die monophysitiscben Streitigkeiten und das ffinfte Konzil.
Manbi T. Vn— IX. — GKrügek, Monophysit. Streitigkeiten, 1884. —
FLooFs, Leontius von Byzanz, i, d. Texten u. Unters. III, 1. 2, 1887.
Das Jahrhundert zwischen dem 4. und 5. Konzil bietet die
komplizirtesten und wirrsten Verhältnisse; auch wechselte die
dogmatische Situation in ihm beständig, so dass ein kurzer Über-
blick unmöglich ist. Daher können hier nur einige Hauptpunkte
betrachtet werden.
1) Die Gegner des Chalcedonense, die Monophysiten, waren
an geistiger Kraft und Regsamkeit den Orthodoxen überlegen.
In Ägypten, Teilen von Syrien und in Armenien behielten sie die
Oberhand, und es gelang den Kaisem weder durch Drohimgen
noch durch Konzessionen, sie auf die Dauer zu gewinnen; viel-
mehr entfremdeten sich jene Provinzen immer mehr dem Reiche
und verknüpften das monophysitische Bekenntniss mit der Natio-
ualität, die Bildung selbständiger, griechenfeindlicher National-
kirchen vorbereitend. In der Hauptsache auf der Doktrin CyrilFs
beharrend und die weitergehenden apoUinaristisch-eutychianischen
Formeln verwerfend, zeigten die Monophysiten in inneren geistigen
Bewegungen, dass zunächst allein in ihrer Mitte das dogmatische
Erbe der Kirche lebendig war. Der neu erwachte Aristotelismus,
der als Scholastik den Piatonismus ablöste, fand bei ihnen ge-
lehrte Vertreter, die freilich (Johannes Philoponus) in ihren Spe-
kulationen dem Tritheismus sehr nahe kamen. In der christo-
logischen Frage gab es zwei Hauptrichtungen (Gieskler, Com-
ment., qua Monoph. opin. illustr. 2 Part. 1835 f.). Die Einen
(Severus v. Antiochien, Severianer, „Agnoeten^^, „Phartolatren")
opponirten im Grunde nur gegen das Chalcedonense als eine for-
melle Neuerung, gingen auf eine begriffliche Unterscheidung der
beiden Naturen in Christus ein, ja waren eifrig darauf bedacht,
206 Entwickelang des Dogmas im Morgenland. [§ 43.
die Naturen unvermischt zu erhalten und die Kreatürlichkeit und
Verweslichkeit (in thesi) des Leibes Christi {ö^oovötov 'fj^tv), so-
wie die Schranken der Erkenntniss der Seele Christi zu betonen,
so dass sie selbst Orthodoxen Anstoss gaben. Sie wären zu ge-
winnen gewesen, wenn man die ehalcedonensische Formel resp.
den Lehrbrief Leo's geopfert hätte. Die Anderen dagegen (Julian
von Halikamass, „Aktisteten", „Aphthartodoketen") zogen, die
Verwandlung der einen Natur in die andere allerdings ablehnend,
mit (und über) Cyrill die Konsequenzen des €V(x)0ig q)v6LX7] (aus
zwei Naturen [nicht in zwei N.] ein Christus; die Naturen han-
deln nicht für sich; denn sie sind nur in thesi [d'SoyQva iiovrj] unter-
schieden); vom Moment der assumptio an sei auch der Leib als
unvergänglich, ja sogar als unerschaflfen zu betrachten, alle Idiome
der Gottheit seien auf die menschliche Natur übergegangen; dem-
gemäss seien alle Affekte und Beschränktheiten, die man am
evangelischen Bilde Christi gewahre, von Christus frei xatä %dQiv
übernommen, nicht aber notwendige Folgen seines Wesens. Diese
einzig vom Erlösungsgedanken bestimmte Auffassung entspricht
der alten Tradition (Irenäus, Athanasius, Gregor von Nyssa etc.).
Endlich gab es auch solche Monophysiten — doch gewiss nicht
zahlreich — , die zu einer pantheistischen Spekulation fortschritten
(„Adiaphoriten"): die Kreatur ist in geheimniss voller Weise
überhaupt wesenseins mit Gott; die evfoaig (pv^vari in Christus ist
nur der Ausdruck für die allgemeine Wesenseinheit der Natur
und der Gottheit (Stephan barSudaili; die Mystiker; Einwirkung
auf das Abendland; Scotus Erigena). Seit dem 5. Konzil, noch
mehr seit dem Einbruch des Islam, verkümmerten die monophysi-
tischen Kirchen in der Isolirung; der wilde nationale und kultische
Fanatismus und die öde Phantasie der Mönche haben sie der Bar-
barei nahe geführt.
2) Da die Mittel der Gewalt nicht fruchteten, suchten einige
Kaiser, um die Reichseinheit aufrecht zu erhalten , zeitweise das
Chalcedonense zu unterdrücken (Encyklica des Basiliskus 476)
oder zu umgehen (Henotikon des Zeno 482). AUein Folge dieser
Politik war stets, dass man nur einen Teil der Monophysiten ge-
wann und sich mit Rom und dem Abendland überwarf. So ent-
stand des Henotikons wegen ein 35jähriges Schisma mit Rom
(484 — 519), das nur dazu diente, den Papst noch selbständiger
zu machen. Die Kaiser woUten sich eben nicht entschliesseii, ent-
weder Rom oder den Orient preiszugeben, und verloreji schliess-
§ 43.] Die monophysitischen Streitigkeiten und das 5. Konzil. 207
liek Beides. Im J. 519 wurde das Chalcedonense im Bunde mit
Rom durch Kaiser Justin, geleitet von seinem Neffen Justinian,
voll wiederhergestellt. Allein der theopaschitische Streit
(Erweiterung des Trishagion durch den Zusatz: 6 öravQcod'slg öl^
il(iägj resp. Giltigkeit der Formel: „einer aus der Trinität ist ge-
kreuzigt^^: beides ist nicht identisch; denn jenes war eine kultische
Neuerung und konnte sabellianisch verstanden werden, dieses ist
gut orthodox) seit 518 zeigte, dass man im Abendland jede cyril-
lische Erklärung des Chalcedonense misstrauisch betrachtete,
während die Orthodoxen im Orient sich das Chalcedonense nur
in cyrillischer Auslegung gefallen lassen wollten, dabei noch
immer auf Versöhnung mit den Monophysiten hoffend.
3) Während im 5. Jahrh. die chalcedonensische Orthodoxie
im Orient überhaupt keinen dogmatischen Vertreter von Ansehen
besessen hat — der stärkste Beweis, dass sie dem Geiste des
Orients fremd war — , stellten sich solche seit dem Anfang des
6. Jahrh. ein. Nicht nur war die Formel durch die Zeit ehrwür-
diger geworden, sondern vor Allem lieferte das Studium des
Aristoteles Waffen zu ihrer Verteidigung. Die Scholastik ge-
stattete es, die chalcedonensische Unterscheidung von Natur und
Person beizubehalten, ja sie willkommen zu heissen, und der
Formel doch eine streng cyrillische Auslegung zu geben.
Das ist durch den skythischen, wissenschaftlich gerichteten (am
Ende seines Lebens ist er sogar für Origenes eingetreten), aber
allem Antiochenischen abholden Mönch Leontius von Byzanz
(c. 485 — 543), den bedeutendsten Dogmatiker des 6. Jahrh., den
Vorläufer des Joh. Damascenus, den Lehrer Justinians, geschehen.
Er hat die Kirche durch philosophisch -begriffliche Darlegung
über das Chalcedonense beruhigt und das Dogma der scholasti-
schen Technik überantwortet. Er ist der Vater der christologi-
schen Neu- Orthodoxie, wie die Kappadocier die Väter der trini-
tarischen Neu -Orthodoxie gewesen sind. Durch seine Lehre von
derEnhypostasie der menschlichen Natur hat er in der Form
eines feinen ApoUinarismus (die menschliche Natur entbehrt nicht
der Hypostasie, d. h. des Subjekts, aber sie hat ihre Hypostase an
dem Logos) dem Erlösungsgedanken vollkommen Rechnung ge-
tragen (Leontius behauptet zwar zwei Energien, aber andererseits
hält er das fita cpvöig köyov ösöaQxmfievrj aufrecht imd verschmilzt
die Energien durch die Annahme einer ocvtlScoöls und xolvcovlcc
TG)v ovoyLdtfov).
208 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 43.
4) Von hier aus ist Justinian's, des kaiserlichen Dogmatikers,
Religionspolitik zu verstehen. Wie er durch beispielloses Glück
das ganze Reich sich unterwarf, so wollte er auch das Reichsrecht
und die Reichsdogmatik endgiltig fixiren. Folgende Gesichts-
punkte leiteten ihn: a) strenges Festhalten am Wortlaut des
Chalcedonense als einer Kapitalentscheidung, denen von Nicäa,
Konstantinopel und Ephesus ebenbürtig, b) streng cyrillische Aus-
legung des Symbols (der Kaiser war geneigt, bis zum Aphthar-
todoketismus zu gehen), um die Monophysiten zu gewinnen
und der eigenen Neigung zu folgen. Mittel dafür waren a) zahl-
reiche kaiserliche Religionsedikte im Sinne der Christologie des
Leontius, b) öffentliche Religionsgespräche, c) die Durchführung
der theopaschitischen Formel, d) Unterdrückung jeder freieren,
selbständigeren Theologie, daher des Origenismus einerseits, der
bei monophysitischen Mönchen, namentlich in Palästina, zahl-
reiche Anhänger hatte, und der antiochenischen Theologie anderer-
seits (543), die sich ebenfalls noch zahlreicher Verehrer erfreute
(wie der Kaiser die Schule von Athen geschlossen hat, so wollte
er auch alle christlichen wissenschaftlichen Schulen schliessen;
nur die Scholastik sollte nachbleiben), e) gewaltsame Einbürge-
rung der Neu -Orthodoxie im Abendland. Erschwert wurde die
Durchführung dieser Pläne 1) durch die geheime monophysitische
Nebenregierung der Kaiserin Theodora, 2) durch den Widerstand
des Abendlandes, das nicht in die Verwerfung der Antiochener,
d. h. der „drei Kapitel" (Person und Schriften Theodor's, anti-
cyrillische Schriften Theodoret's, Brief des Ibas an Maris) willigen
wollte. Mit Recht erkannte das Abendland (Facundus von Her-
miane) in der nachträglichen Verdammung der Antiochener einen
Versuch, die Zwei- Naturenlehre, wie sie Leo gemeint hatte, ab-
zuthun und dafür einen feinen Monophysitismus einzusetzen.
Allein der Kaiser fand in Rom einen charakterlosen Papst (Vigi-
lius), der sich mit Schmach bedeckte und seine Stellung im Abend-
land aufs Spiel setzte, dem Kaiser willfahrend (grosse Schismen
im Abendland; dem römischen Stuhl drohte die Isolirung). Dieser
setzte die Verdammung des Origenes und der „drei Kapitel" durch;
er restituirte den dogmatischen Gedanken der beiden ephesini-
schen Konzilien von 431 und 449, ohne das Chalcedonense an-
zutasten, und er liess sich das Alles von gehorsamen Bischöfen
auf dem 5. Konzil zu Konstantinopel 553 bestätigen. Allein trotz-
dem dass nun (mit Cyrill) von einer gottmenschlichen Natur
^ 44] Die monotlieletischen Streitigkeiten. 209
gesprochen werden sollte (neben der Zwei -Naturenlehre) und
somit der Geist der orientalischen Dogmatik zum Siege
gekommen, die abendländische Christologie unterlegen war,
Hessen sich die Monophysiten nicht gewinnen; denn das Chalce-
donense war zu verhasst, und die Gegensätze waren längst natio-
nale geworden.
§ 44. Die monergistischen und monotheletischen Streitigkeiten,
das 6. Konzil nnd Job. Damascenns.
S. Mansi T. X u. XL
Mit den Bestimmungen des 4. und 5. Konzils hätte sich
sowohl die Lehre von einem als von zwei Willen in Christjtis
vertragen. Faktisch hat vor dem 6. Jahrhundert Niemand Von
zwei Willen in Christus gesprochen; denn auch die Antiochener
fahrten, wie einst Paul von Samosata, aus, dass sich der mensch-
liche Wille ganz mit dem göttlichen Willen erfüllt habe (Willens-
einheit, nicht Willenseinzigkeit). Aber die Theologie des Leontius
tendirte allerdings auf die Zwei -Willenlehre. Doch wäre es zu
einer Kontroverse schwerlich gekommen — das Dogma war schon
seit 553 der theologischen Wissenschaft (Scholastik) und dem
Kultus (Mystik) ausgeliefert — , wenn sich nicht die Politik der
Frage bemächtigt hätte.
Der hauptstädtische Patriarch Sergius riet dem gewaltigen
Kaiser Heraklius (610 — 41) die Wiedereroberungen im Süden
und Osten dadurch zu festigen, dass mau den Monophysiten mit
der Formel entgegenkomme, der aus zwei Naturen bestehende
Gottmensch habe Alles {^Lä d-eavÖQvxfj avsQyeCa) mit einer gott-
menschlichen Energie gewirkt (ein „apostolisches" Zeugniss für
diese Lehre fand man bei Dionysios Pseudo-Areopagita). Wirklich
wurde 633 mit vielen Monophysiten auf dieser Grundlage eine
Union geschlossen. Allein es erhob sich Widerstand (Sophronius,
nachmals Bischof von Jerusalem), und Sergius im Bunde mit
Honorius von Rom suchte nun Allen dadurch gerecht zu werden,
dafls er die Losung ausgab, man müsse über die Energien
schweigen (dass Christus nur ein d'elrjfiu habe, galt noch als
selbstverständlich). So lautete auch ein kaiserlicher Erlass, die
Ekthesis (638). Allein nicht nur im Abendland besann man sich
jetzt auf die Konsequenzen des Lehrbriefs Leo's, sondern auch im
Orient waren die tüchtigsten Theologen (Maximus Confessor)
durch die aristotelische Scholastik mit der chalcedonensischen
Ginndriss IV. in. Habnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 14
210 Entwickelusg des Dogmas im Morgenland. [§ 44.
Formel so vertraut, dass man den Willen auf die Seite der Naturen
schob (nicht der Person) und daher die Zweiheit forderte. Jetzt
wurde auf einer römischen Synode 641 (Papst Johann IV.) sogar
der Monotheletismus verdammt. Die die Ekthesis verwerfen-
den Orientalen flüchteten nach Karthago und Rom und bereiteten
im Bunde mit dem Papst eine förmliche Revolution vor. Zwar
scheiterte diese (es handelte sich um die Freiheit der Kirche
gegenüber dem Staat; das Bestreben setzte sich im Bilderstreit
fort); aber der Kaiser sah sich doch genötigt, die Ekthesis preis-
zugeben, sie durch den Typ os ersetzend, der bei schweren Strafen
den Streit um ein oder zwei Willen verbot. Allein Rom liess sich
auch darauf nicht ein. Auf der Lateransynode 649 (Martin I.), der
viele Orientalen beiwohnten, setzte sich die Verschwörung gegen
den Kaiser, der der Kirche Vorschriften zu machen sich erdreiste,
fort. In strenger Fassung wurde die Zwei-Willenlehre formulirt,
seltsamerweise aber das Recht des richtig verstandenen Satzes:
(iLa (p^6tg rov d'sov Xöyov 6B6aQ7C(o^ivri eingeräumt. Eine Reihe
konstantinopolitanischer Patriarchen der letzten Zeit wurde ver-
dammt. Martin machte Miene, wie ein zweiter Dioskur, die
Kirchen des Orients zu beherrschen und aufzuwiegeln; aber es
gelang dem Kaiser Konstans, dem Landesherrn des Papstes, sich
desselben zu bemächtigen (653). Entehrt und beschimpft ist er
im Chersones gestorben. Auch Maximus Confessor musste leiden.
Konstans fand bald in Rom gefügigere Päpste und blieb bis zu
seinem Tode (668) Herr der Situation, den Typos zur Geltung
bringend und der verständigen Auskunft Vorschub leistend, dass
die zwei natürlichen Willen gemäss der hypostatischen Einigung
zu einem hypostatischen Willen werden.
Der nun folgende Umschwung in Konstantinopel ist nicht
vollkommen durchsichtig. Vielleicht weil man auf die Monophy-
siten keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte, vielleicht weil
die „Wissenschaft" der Zwei -Willenlehre günstig war, vielleicht
weil man die imsicheren abendländischen Besitzungen durch dog-
matisches Entgegenkommen fester an die Hauptstadt knüpfen
wollte, lenkte Kaiser Konstantin Pogonatus ein und suchte den
kraftvollen Papst Agathon zu neuen Verhandlungen zu bestimmen.
Dieser sandte jetzt, wie einst Leo L, einen Lehrbrief ein, der die
Irrtumslosigkeit des römischen Stuhls und den Dyotheletismus
verkündete. Auf dem G. Konzil zu Konstantinopel (680) wurde
dieser nach verschiedenen Vermittelungsvorschlägen und unter
§ 44.] Die monotheletischen Streitigkeiten. 211
Widerspruch, der aber endlich wich, durchgesetzt, d. h. die for-
mellen Konsequenzen des Dekrets von 451 Wurden gezogen (zwei
natürliche d'sl'^^ata und zwei natürliche Energien adiaLQatcog^
axQETCtcyq^ a^EQiöt(og^ a6vy%vtG3g in dem einen Christus; nicht
als entgegengesetzt seien sie zu denken, sondern der menschliche
Wille folgt und widersteht und widerspricht nicht, ist vielmehr
dem göttlichen und allmächtigen Willen unterworfen; der mensch-
liche Wille ist nicht aufgehoben, aber es findet andererseits eine
Kommunikation statt: er ist der Wille des Gott-Logos, so wie die
menschliche Natur, ohne aufgehoben zu sein, doch die Natur des
Gott-Logos geworden ist). Zugleich wurden viele konstantinopo-
litanische Patriarchen und der Papst Honorius verdammt. So
hatte Rom wieder seine Formel diktirt, das 5. Konzil durch das
6. balancirt und sich selbst dem Orient insinuirt. Allein das Ein-
vernehmen war von kurzer Dauer. Schon 692 schloss sich auf
dem TruUanum der Orient in kultischen Dingen — und diese
waren bereits die entscheidenderen — schroff gegen Rom ab.
Die Formeln der byzantinischen Dogmatik sind abend-
ländisch; aber der Geist, der 431 imd 553 sich einen Ausdruck
gegeben hatte (Cyrill), behielt in der Deutung der Formeln die
Oberhand, und das Kultussystem und die kultische Mystik ist
stets monophysitisch bestimmt geblieben. Das zeigte sich im
Bilderstreit einerseits, in der christologischen Dogmatik des in
der Mitte des 8. Jahrh. wirkenden Joh. Damascenus {ÜYjyii yvio-
(fswg: T. 1 ocsgxikccia fpiko60(pixa^ T. 2 %bqI aCgsöecav^ T. 3 &c-
dotfLQ ccTCQcßiig tfjg ÖQd'oöö^ov jtidtscjg^ s. die Ausgabe von Lequien,
dazu Langen, Joh. von Damascus 1879) andererseits. Hier ist
trotz der dyophysitischen und dyotheletischen Formel und der
scharfen Unterscheidung von Natur und Person ein feiner ApoUi-
narismus oder Monophysitismns insofern bewahrt, als gelehrt
wird, der Gott-Logos habe die menschliche Natur (nicht einen
Menschen) so angenommen, dass diese erst durch den Gott-Logos
iüdividualisirt worden sei. Das ist das schon von Leontius er-
kannte Zwischending, das keine eigene Hypostase hat, aber auch
nicht ohne sie ist, sondern in der Hypostase des Logos seine
Selbständigkeit besitzt. Ausserdem wurde der Unterschied der
Naturen durch die Lehre von der jtsQLXG}QYj6Lg und der Idiomen-
kommunikation ausgeglichen (s. auch hier Leontius). Die fistcc-
6o6Lg (oixsLCoövg^ avtCdoöig) der Eigenarten der beiden Naturen
will der Damascener so vollkommen fassen, dass er von einer sig
14*
212 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 45.
__^^.^__^^^___^_ ■■ ■- ■ ■ _^ —. .iH ■■ ■■ ■■■■ --.i IM
äkkrika t&v (iBQfov iteQiX^Qri^iq redet. Das Fleisch ist wirklich
indirekt Gott geworden, und das vergottete Fleisch durchdringt
die Gottheit.
C. Der vorläufige Genuss der Erlösung.
Zehntes Kapitel.
Die Mysterien.
§ 45. Mystik und Mysterien.
Litteratur: S. die im 1. Kap. dieses Teils genannten Werke und
KScHWABZLosE, Der Bilderetreit, 1890.
Bereits im 6. Jahrhundert ist die dogmatische Entwickelung
der griechischen Kirche abgeschlossen gewesen, und auch schon
vorher hat jeder Fortschritt mit Abneigung und Misstrauen zu
kämpfen gehabt. DJe Ursache hierfür liegt in dem Traditionalis-
mus, genauer aber in dem immer mehr die Oberhand gewinnenden
Ritualismus.
Auch der Kitualismus hat eine zarte religiöse, ja christliche
Wurzel. Er entstand aus dem Bestreben, einen schon in der
Gegenwart vorhandenen Heilsbesitz nachzuweisen und festzu-
halten, der aus derselben Quelle stammt, aus welcher die zukünftige
Erlösung fliesst — aus der gottmenschlichen Person Christi —
und daher dieselbe Art hat wie diese. Ursprünglich dachte man
bei dem gegenwärtigen Heilsbesitz mehr an geistige Güter,
an die Erkenntniss, an die Kräftigung der Freiheit zu guten
Werken u. s. w. Allein da man die zukünftige Erlösung als
geheimnissvolle Vergottung vorstellte, war es nur konsequent,
dass man auch die Erkenntniss als geheimnissvolle, durch heilige
Weihen mitzuteilende betrachtete, und dass man, gemäss der
Vorstellung einer zukünftigen physischen Vereinigung mit der
Gottheit, auch in der Gegenwart die Anbahnung und den Vor-
schmack dieser Vergottung zu empfinden bestrebt war.
Diese Tendenz leitete aber direkt zur Ethnisirung des
Christentums hinüber oder ist vielmehr bereits ein Symptom
derselben. Die iiccd^öig wird zur iivötayoyCa] diese aber, ur-
sprünglich eine unheimliche Verbindung von Spirituellem und
Sinnlichem, wird immer mehr zur Magie und zum Zauberwerk.
In diesem ist das Ritual die Hauptsache; nichts aber ist empfind-
licher als eine Ceremonie; sie verträgt nicht die geringste Ver-
änderung. Sofern nun die Glaubensformeln immer mehr ihre
§ 46.] Mystik und Mysterien. 213
Bedeutung als ^dd'rjöig einbüssten und dafür in immer höherem
Grade Bestandteile des Rituals wurden, zugleich Sinn und Zweck
desselben, die Vergottung, ausdrückend, vertrugen sie keine Ver-
änderung mehr. Wo das Dogma nur als Reliquie des Altertums
oder in ritueller Behandlung wertvoll erscheint, da hat die
Dogmengeschichte ein Ende. An ihre Stelle tritt die inystago-
gische Theologie, und in der That hat diese, neben der Scho-
lastik und mit ihr eng verbündet, bereits im 6. Jahrhundert die
Dogmengeschichte abgelöst. Die mystagogische Theologie aber
hat eine doppelte Seite. Einerseits führt sie, indem sie sich im
Irdischen eine .neue Welt schafft und Dinge, Personen und Zeiten
als geheimnissvolle Symbole und Vehikel nimmt, zur Zauber-
religion über, resp. auf die tiefsten Religionsstufen zurück; denn
für die Masse und schliesslich für die Theologen selbst entweicht
der Geist, und das Phlegma, der geheiligte Stoff, bleibt nach.
Wie die neuplatonische Philosophie zur religiösen Barbarei aus-
geartet ist, so ist auch das griechische Christentum unter dem
Einfluss der absterbenden Antike, die ihm ihre höchsten Ideale
und ihre Idole vermacht hat, Bilderdienst geworden. Andererseits
aber bewahrt die mystagogische Theologie für die „Wissenden"
ihren uralten, pantheistischen Kern, den Grundgedanken^ dass
Gott und die Natur im Tiefsten eins sind, dass die Natur die Ent-
faltung der Gottheit ist. Auch die christlichen mystagogischen
Theologen haben diesen Gedanken, mehr oder weniger klar
durchdacht, beibehalten. Durch Spekulation und Askese kann
man sich von allen Medien, Trägern und Vehikeln emanzipiren.
Die Mysteriosophie ersetzt die Mysterien; diese wie alles Kon-
krete und Geschichtliche werden für den Wissenden wirklich zu
reinen Symbolen, und speziell die geschichtliche Erlösung durch
Christus wird verflüchtigt.
Es ist nicht auffallend, dass zwei so verschiedene, im Ritua-
lismus freilich ausgeglichene, Gestaltungen wie der Pantheismus
und der Fetischismus das Endprodukt der Entwickelung sind;
denn sie steckten beide schon im Anfang der Bewegung und sie
sind blutsverwandt, da sie an der Vorstellung von der substan-
ziellen Einheit Gottes und der Natur ihre Wurzeln haben. Die
Geschichte der Entwickelung der Mysterien und der Mysterien-
theologie gehört streng genommen nicht hierher; daher sollen
nur einige Andeutungen folgen:
Am Anfang des 4. Jahrh. besass die Kirche bereits eine grosse
214 Entwickeluug des Dogm&s im Morgenland. [§ 45.
Reihe von „Mysterien", deren Zahl und Grenzen aber keineswegs
sicher bestimmt waren. Unter ihnen waren die Taufe nebst der
mit ihr verbundenen Salbung und das Abendmahl die höchst-
geschätzten; aus ihnen hat sich auch ein Teil der übrigen
Mysterien entwickelt. Symbolische Handlungen, ursprüngUch
bestimmt, jene Mysterien za begleiten, wurden selbständig. So
ist die Firmelung entstanden, die schon Cyprian als ein besonderes
„sacramentum^ gezählt. Augustin als sacramentum chrismatis be-
zeichnet, der Areopagite iivöttIqiov reksrfjg ^ivqov genannt hat.
Man sprach auch von einem Mysterium des Kreuzeszeichens, der
Reliquie, des Exorcismus, der Ehe u. s. w., und der Areopagite
zählt sechs Mysterien: fpiDtLöiiatoSj ffvvä^scjg alr ovv xoLVioviag^
tslstfjg (ivQOv^ [sQatLX&v trilH&öscjVj iiova^cxrig rsksifböemg und
(ivöTTlQLa STcl tcbv fsQ&g xsxoi^rjiievcjv. Die Zählung war sehr
willkürlich; Mysterium war jedes Sinnliche, bei dem etwas Heiliges
gedacht oder genossen werden sollte. Sie entsprachen den himm-
lischen Mysterien, die ihre Quelle an der Trinität und der Mensch-
werdung haben. Wie jede Oflfenbarungsthatsache ein Mysterium
ist, sofern das Göttliche durch sie in das Sinnliche getreten ist,
so ist umgekehrt jedes sinnliche Mittel, auch das Wort oder die
Handlung; ein Mysterium, sobald das Sinnliche Symbol oder
Vehikel — diese sind nie streng unterschieden worden — des
Göttlichen ist. Die Wirkungen der Mysterien werden mit den
höchsten Ausdrücken gefeiert als die Vereinigung mit der Gott-
heit; aber da sie die verlorene Gottesgemeinschaft nicht wieder-
herstellen können (nur Christus und die Freiheit vermögen das),,
so vermag die strenge Dogmatik nur wenig über sie auszusagen.
Die wahre Wirkung ist eine rein gefuhlsmässige, resp. wird in
der Phantasie erlebt: man sah, hörte, roch und fühlte das Himm-
lische, aber ein angefochtenes Gewissen konnte man mit den
Mysterien nicht trösten, versuchte es m. W. auch kaum.
Auf Grund derselben entwickelte sich, indem der rohe Instinkt
der Massen voraneilte, die Mysteriosophie. Ihre Wurzeln sind so
alt wie die Heidenkirche, und es lassen sich zwei konvergirende
Entwickelungen imterscheiden, die antiochenische und die alexan-
drinische. Jene (Ignatius, die apostolischen Konstit., Chrysosto-
mus) knüpft an den Kultus und Priester an, diese an den wahren
Gnostiker resp. an den Mönch. Jene sieht in dem Gottesdienst
und im Priester (Bischofj die wahre Hinterlassenschaft des gott-
menschüchen Lebens Christi und bindet den völlig passiv ge-
§ 46.] Mystik und Mysterien. 215
dachten Laien an das kultisch-hierarchische System, durch das
man zur Unsterblichkeit geweiht wird; diese will selbständige
Virtuosen der Religion bilden. Die alexandrinische Mysterio-
sophie ist heterodox; aber sie hat kein einziges Schema der posi-
tiven Religion ausser Acht gelassen, vielmehr alle neben der
stufenweise fortschreitenden Erkenntniss verwertet (Opfer, Blut,
Versöhnung, Entsühnung, Reinigung, Vollendung, Heilsmittel,
Heilsmittler), freilich alle als Durchgangspunkte betrachtet,
um durch Spekulation und Askese einen Standpunkt zu gewinnen,
für den jedes Vehikel und Sakrament, alles Heilige, was in sinn-
licher Hülle auftritt, profan wird, weil die Seele im AUerheiligsten
lebt und in Jedem ein Christus geboren werden soll: TCaQovörig
tijg dkrjd'SLag rä tTjg alrjd'siag dst tcoleiv^ ov rä tilg €ix6vog.
Die beiden Mysteriosophien, die hierarchische und die gnosti-
sche, konvergiren in der Mystik des grossen Unbekannten Diony-
sius Areopagita (Vorstufen bieten Methodius, Gregor v. Nyssa,
Makarius), der einerseits den Kultus und das Priestertum als irdi-
sche Parallele der himmlischen Hierarchie (der abgestuften Geister-
welt als der sich entfaltenden Gottheit) gefasst, andererseits den
Individualismus der neuplatonischen Mystik aufgenommen hat.
(Über Dionysius, dessen Lebenszeit noch immer nicht ermittelt
ist — Ende des 4. oder des 5. Jahrb.? — und seine seit dem 6. Jahrh.
höchst einflussreichen, weil als „apostolisch" geschätzten Schriften
[TIsqI ovQccvLag tsQaQxCag — IlaQi 8KKlrj6Lcc(fri7cfig tsQUQiiag —
IIeqI %'eC(ov övondrcov — IJsqI iiv6riKrjg d'eokoytag — 10 Briefe]
s. MoELLER in RE^, Hipler, Dionys. d. Areop. 1861, GESteitz
i. JDTh XI S. 197 ff., ALFrothingham, Stephen Bar Sudaüi 1886,
JDräseke, Ges. patrist. Abhandl. 1889 S. 25 ft'., AJahn, Diony-
siaca 1889.) Durch Maximus Confessor wurde diese Kombination
die Macht, die die Kirche beherrschte, sie zu monachisiren ver-
suchte und ihr den mönchischen Widerstand gegen den Staat —
die einzige Form, in der die griechische Kirche Selbständigkeit
zu behaupten vermag — einimpfte.
Der eigentümliche Charakter der Mysteriös ophie als der
Spekulation über die Versinnlichung des Göttlichen und über die
Vergottung des Sinnlichen konnte bei keinem Mysterium stärker
ausgeprägt werden als beim Abendmahl (GESteitz, Abend-
mahlslehre d. griech. Kirche i. JDTh. Bd. IX — XIII). Dieses,
schon längst als der Boden erkannt, auf dem der sublimste Spiri-
tualismus der massivsten Sinnlichkeit die Hand reichen konnte.
216 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 46,
wurde so ausgebildet, dass an ihm die christologische Formel,
das Grunddogma, lebendig und fassbar erschien. Ohne der Speku-
lation über das Abendmahl eine streng lehrhafte Ausbildung zu
geben, wurde es namentlich seit Cyrill v. Alex, allgemein so be-
handelt, dass es als das Mysterium galt, welches unmittelbar auf
der Inkarnation ruht und das Geheimniss der d^smöis fortsetzt.
Alle übrigen Mysterien, sofern auch sie die Ineinsbildung von
Himmlischem und Irdischem enthalten, bestehen eigentlich nur
zu Recht auf Grund des Abendmahls. Nur hier ist eine förmliche
Transmutation des Sinnlichen in den göttlichen Leib Christi
gegeben; denn diese Vorstellung nahm immer mehr überhand,
tilgte den Symbolismus aus und setzte sich endlich völlig durch.
Die Verwandelung des geheiligten Brotes in den Leib Christi ist
gewissermassen die Fortsetzung des Prozesses der Inkarnation.
Dabei wurden in Bezug auf das Abendmahl — höchst charakte-
ristisch — durchweg monophysitische Formeln gebraucht,
und allmählich setzte sich sogar die Vorstellung durch, dass der
Leib, in den sich das Brot transformire, per assumptionem der
von der Jungfrau geborene Leib Christi selbst sei, woran früher
kaum Einer gedacht hatte, indem die Alteren auch unter öäg^
XQL6rov etwas Pneumatisches verstanden. Wie aber das Abend-
mahl als Sakrament aufs engste mit dem Inkamationsdogma und
der christologischen Formel verbunden wurde (daher die Empfind-
lichkeit dieser Formel), so wurde es als Opfer mit dem KJreuzes-
tode verknüpft (Wiederholung des Kreuzesopfers; jedoch ist die
Vorstellung in der griechischen Kirche nicht so sicher wie im
Abendland ausgeprägt worden). So vergegenwärtigte es die wich-
tigsten geschichtlichen Thatsachen, aber nicht als Erinnerung,
sondern als Fortsetzung resp. Wiederholung, wodurch jene That-
sachen um ihre einzigartige Bedeutung bez. auch um ihren Sinn
gebracht wurden. Zugleich wandelte der unsittliche und irreligiöse
Hunger nach „Realitäten" die h. Handlung in eine Mahlzeit, in der
man die Gottheit mit den Zähnen zerbiss (so schon Chrysostomus;
Abschluss der Abendmahlslehre bei Joh. Damasc).
§ 46. Verehrung der Engel, Heiligen, Bilder u. s. w.
Die ganze Entwickelimg des griechischen Christentums
zum Bilderdienst, zur Superstition und einem schlecht verhüllten
Polytheismus lässt sich aber auch als Sieg der in der Kirche stets
vorhandenen Religion zweiter Ordnung (apokryphe Religion) über
§ 46.] Engel, Heilige, Bilder. 217
die geistige Religion auffassen. Jene wurde legitiniirt und mit
der doctrina publica verschmolzen, wenn auch die Theologen ge-
wisse Kautelen anbrachten. Wie die heidnischen Tempel in christ-
liche Kirchen umgeweiht wurden, so wurde das alte Heidentum
als Engel-, Heiligen-, Bilder-, Reliquien-, Amulettendienst und
Festordnung konservirt (s. bes. die Arbeiten von Hüsener und
seiner Schule). Die Religion, deren Stärke einst der Abscheu vor
den Idolen gewesen ist, ist schliesslich den Idolen verfallen und
in dem Masse sittlich stumpf geworden. Freilich lagen die An-
knüpfungspunkte in der doctrina publica selbst; denn 1) diese
war mit den Mitteln der griechischen Philosophie gebaut; die
Philosophie aber hing durch tausend Fäden mit der Mythologie
und Superstition zusammen, 2) sie sanktionirte das A. T., ur-
sprünglich freilich eine geistige Deutung desselben vorsclireibend;
allein der Buchstabe des A. T., der zum Teil eine untergeordnete
Religionsstufe ausprägte, wurde immer mächtiger und kam den
inferioren Tendenzen der Kirche entgegen, die er dann zu legiti-
miren schien, 3) die als Mysterien vorgestellten Handlungen der
Taufe und des Abendmahls öffneten dem Einströmen des Mysterien-
unwesens überhaupt Thor und Thür, 4) der altüberlieferte, durch
die doctrina publica geschützte Engel- und Dämonenglaube wurde
immer mächtiger, wurde in massiver Form von den Mönchen, in
spiritueller von den neuplatonischen Theologen gepflegt und
drohte immer mehr die wahre Sphäre der Frömmigkeit zu werden,
hinter der der unerfassliche Gott und der durch die Kirchenlehre
ebenso unerfassliche Christus im Dunklen ruhten, 5) die alte Vor-
stellung, dass es „Heilige" gebe (Apostel, Propheten, geistliche
Lehrer, Blutzeugen), war schon sehr frühe so ausgebildet worden,
dass diese Heiligen fürbittend und satisfaktorisch für die Menschen
eintreten; sie nahmen nun mehr und mehr die Stelle der ent-
thronten Götter ein, sich an die Engelmächte anreihend. Unter
ihnen trat Maria in den Vordergrund, und der Gang der Ent-
wickelung des Dogmas ist ihr — nur ihr — speziell zu gut ge-
kommen. Ein Weib, eine Mutter, erschien nun in der Nähe der
Gottheit, und damit war endlich die Möglichkeit gegeben, das
dem ursprünglichen Christentum Fremdeste doch zur Aner-
kennung zu bringen — das Heilige, das Göttliche in weiblicher
Gestalt — Maria wurde die Mutter Gottes, die Gottesgebärerin, *)
1) Über den Engeldienst, sofern die Engel die Heilsgüter an die
Menschen vermitteln, s. den Areopagiten; über die Verbreituog des
218 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 46.
6) von den ältesten Zeiten her war den Christen der Tod als Ge-
burtsstunde des wahren Lebens heilig gewesen; deiogemäss er-
hielt allmählich Alles, was mit dem Tode christlicher Heroen zu-
sammenhing, eine dingliche Heiligkeit. Das antike Idol- und
Amulettwesen bürgerte sich ein, aber in der hässlichsten Form
als Reliquien wesen und Knochenverehrung; an dem Kontraste
der unscheinbaren, abschreckenden Gestalt und dem religiösen
Wert machten sich die Christen die Erhabenheit ihres Glaubens
klar, und je imästhetischer eine Reliquie erschien, um so höheren
Wert musste sie für diejenigen haben, die in der Entkörperung
und der Austilgung aller sinnlichen Reize die Gewähr des Heiligen
erkannten, 7) endlich öffnete die Kirche dem schrankenlosen Be-
gehren, in einer Wunderwelt zu leben, das Heilige mit allen fünf
Sinnen zu geniessen und Zauberwinke von der Gottheit zu er-
halten, freie Bahn. Auch die gebildetsten Kirchenväter der
späteren Zeit wissen zwischen Wirklichem und Unwirklichem
nicht mehr zu unterscheiden, leben in einer Welt der Magie und
lockern den Bund des Religiösen mit dem Sittlichen (von der
Engeldienstes (besonders die Idee der Schutzengel) schon im 4. Jahrh.
s. Didymus, de trinit. II, 7. — Der Heiligendienst (Kirchen einena be-
stimmten Heiligen geweiht) war schon um 300 sehr ausgebildet; allein
es fehlten im 4. Jahrh Gegenwirkungen nicht (auch nicht in Bezug auf
den Engeldienst; s. die Synode von Laodicea). Namentlich hat der gal-
lische Priester Vigilantius (um 406) ihn bekämpft, sowie auch die ßeli-
quienverehrung. Allein die angesehensten Lehrer (Hieronymus) erklärten
sich gegen Vigilantius und arbeiteten eine „Heiligentheologie" aus, die
XatQsia Gott reservirend, aber tnii] 6%Btiv,ri {'JtQoav.vvr\aig) den HeiHgen
zugestehend. Das Reliquienwesen, ebenfalls im 4. Jahrh. schon in Blüte,
stieg doch erst im monophysitischen Zeitalter zur vollen Höhe. Schliess-
lich musste jede Kirche ihre Reliquien haben, und der 7. Kanon des
7. Konzils bestätigte das und sanktionirte den kirchlichen Gebrauch der
Reliquien feierlich. — Die Hauptrolle in dieser Religion zweiter Ordnung
spielt aber die Maria; sie allein ist zu einer dogmatischen Grösse,
^Botoyiog ein Stichwort wie ö^oovGiosy geworden: „der Name Gottes-
gebärerin stellt das ganze Geheimniss der Menschwerdung dar" (Joh.
Damasc. in den Marienhomilien). Gen. 3, 15 wurde auf sie bezogen und
eine aktive Teilnahme der Maria an dem Erlösungswerk gelehrt (nament-
lich seit Cyrill v. Alex., doch s. schon Irenäus und Athanasius, Ambro-
sius, Hieronymus). Maria erhielt eine heilige Geschichte von Empfäng-
niss bis Himmelfahrt, eine Dublette zur Geschichte Christi (Marien-
legenden und -feste); sie galt als unumgängliche Fürsprecherin. Doch
ist sie bei den Griechen nicht „Himmelskönigin" und „Schmerzensmutter"
geworden wie bei den Lateinern (KBkkrath, Z. Gesch. der Marienverehrung
i. d. Stud. u. Krit., 1886 S. 7 ff.; WGa.ss, Symbolik der griech. Kirche S. 183).
§ 46.] Der Büderstreit 219
Askese abgesehen), ihn um so enger mit dem Sinnliehen schliessend.
Prozeduren aus der grauen Vorzeit der Religion, wenig modifizirt,
tauchten wieder auf — Orakelbefragung aller Art, Gottesurteile,
Prodigien u. s. w. Die Sjmoden, ursprünglich diesem Treiben
feindlich, gingen schliesslich darauf ein.
Am deutlichsten ist die neugewonnene Eigenart der griechi-
schen Kirche zum Ausdruck gekommen in der Bilderverehrung
und dem Bilderstreit. Nachdem sich langsam die Bilder-
verehrung in die Kirche eingeschlichen hatte, erhielt sie eine
mächtige Kräftigung und eine in der Antike unerhörte Begründung
durch das Inkamationsdogma und die diesem entsprechende Be-
handlung der Eucharistie (seit dem 5. Jahrh.). Christus ist sixfhv
Gottes und doch ein lebendiges Wesen, ja Tcvsv^a ^(oojtotöv;
Christus hat durch die Menschwerdung das Göttliche sinnlich
fassbar gemacht: die konsekrirten Elemente sind ffixövsg Christi
und doch zugleich Christi Leib selbst. Diese Gedanken führten
für die Anschauung eine neue Welt herauf. Alles Sinnliche, das
die Kirche berührt, wird nicht nur Symbol, sondern auch Vehikel
des Heiligen: so empfanden die Mönche und Laien, und so lehrten
die Theologen. Unter den sinnlichen Dingen zeigt aber die Ver-
einigung von Heiligem und Stofflichem am deutlichsten das Bild.
Bilder Christi, der Maria und der Heiligen wurden schon seit dem
5. (4.) Jahrh. nach antiker Weise verehrt; man war naiv genug,
zu meinen, jetzt vor dem Heidentum gesichert zu sein, und man
übertrug die dogmatische Vorstellung von dem vergotteten Stoff
in besonderer Weise auf die Bilder, in denen man — auch die
aristotelische Scholastik wurde zu Hülfe gerufen — die Ver-
mählung des irdischen Stoffs mit der himmlischen (heiligen)
Form leibhaftig sehen konnte (dazu der superstitiöse Glaube an
nicht mit Händen gemalte Bilder). Das Mönchtum nährte den
Bilderdienst und machte Geschäfte mit ihm-, Scholastiker und
Mystiker bildeten ihn dogmatisch aus.
Das Mönchtum forderte aber auch das Selbständigkeits-
streben der Kirche gegenüber der justinianischen Staatsordnung,
die die Kirche fesselte. Im 7. Jahrh. flüchtete sich der kirchlich-
mönchische Widerstand gegen Byzanz hinter den Dyotheletismus,
wie er sich im 5. und 6. hinter den Monophysitismus geflüchtet
hatte; er wurde immer mächtiger und suchte die Kirchenfreiheit
zu gewinnen, die das Abendland zum Teil bereits genoss. Kraft-
volle, aber barbarische Kaiser suchten diesem Streben ein Ende
220 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 47.
zu machen, an die Stelle der Priester und Mönche das Heer zu
setzen und die Selbständigkeit der Kirche dadurch zu brechen,
dass sie sie an ihrer Eigenart trafen, dem Bilderdienst. So
entstand der furchtbare Bilderstreit, der mehr als ein Jahr-
hundert gedauert hat. Die Kaiser kämpften in ihm um den staat-
lichen Absolutismus und waren nur mit einer einzigen Macht im
Bunde, dem Militär; denn die übrigen Bundesgenossen, nämlich
die religiöse Aufklärung imd die älteste Tradition der Kirche,
die gegen die Bilder sprach,' waren ohne Kraft. Die Mönche und
Bischöfe hatten auf ihrer Seite die damalige Bildung, Kunst und
Wissenschaft (Joh. Damasc, der Bildertheologe, s. seine drei
Reden JtQog tovg öiaßdkkovxag tag kyCag sixövag^ Theodorus
Studita), den römischen Bischof, femer die Frömmigkeit und die
lebendige Tradition; sie stritten für das Centraldogma, das sie
im Bilderdienst ausgeprägt sahen, und für die Kirchenfreiheit.
Die letztere konnten sie nicht durchsetzen. Der Ausgang war
vielmehr der, dass die Kirche zwar ihre Eigenart behielt, aber
ihre Selbständigkeit gegenüber dem Staat definitiv einbüsste.
Das 7. Konzil zu Nicäa (787) sanktionirte die Bilderverehrung
(aöTcaöfibv xccl xv^rixvKriv TtQoöxvvrjöLV aTCOveinEvv ^ ov (irjv rrjv
Tcarä Ttiöriv r^iäyv äXrjd'Lvriv kaxQBiav^ tj 7tQE7t8t fiövr] xri %'eta
q)v6Bi rixrig sixovog xi^ij stcI xb TtQioxöxvjtov SiaßaCvsC). Eine
in den Hauptpunkten folgerechte Entwickelung liegt hier ab-
geschlossen vor. Das Göttliche und Heilige, wie es durch die
Menschwerdung sich in das Sinnliche herabgelassen, hat sich in
der Kirche ein System von sinnlich-übersinnlichen Dingen ge-
schaffen, die dem Genuss sich darbieten. Dem mit dem In-
kamationsgedanken verbundenen neuplatonischen Gedanken des
sich in einer Vielheit abgestufter Ideen (Urbilder) bis zum Irdi-
schen hin entfaltenden Einen entspricht die Bildertheosophie.
Dem Theodorus Studita war das Bild fast wichtiger als das
korrekte dogmatische Stichwort; denn in dem authentischen
Bild habe man den wirklichen Christus und die wirklichen
Heiligen — nur die Materie ist verschieden.
Elftes Kapitel.
Schluss. Skizze der Entstehungsgeschichte des orthodoxen Systems.
§47.
1. Ein christliches System auf der Grundlage der vier Prin-
zipien Gott, Welt, Freiheit und h. Schrift unter Anlehnung an die
§ 47.] Das orthodoxe System. 221
doctrina publica, den gesammten Ertrag der ^EkXrjVLX'^ navdsCa
verarbeitend, hat Origenes gegeben; allein es war in vielen Details
heterodox, und als Wissenschaft vom Glauben sollte es den Glauben
selbst überbieten. Dazu war der Gedanke der geschichtlichen Er-
lösung durch den wahren Gott Jesus Christus nicht der Alles
beherrschende.
2. Die Kirche vermochte sich bei diesem System nicht zu be-
ruhigen. Sie verlangte 1) die Identität der Aussagen des Glaubens
und der Glaubenswissenschaft (namentlich seit Methodius), 2) eine
solche Beschränkung des Gebrauchs der ^Ellrjvtxii itaiSsCa, dass
die realistischen Sätze der regula fidei und der Bibel dabei intakt
blieben (die Gegner des Origenes: Epiphanius, ApoUinaris, die
Mönche, Theophilus von Alex., Hieronymus), 3) die Einführung
des Gedankens der realen und geschichtlichen Erlösung durch
den Gottmenschen als des centralen (Athanasius und seine An-
hänger). Diese Forderungen konsequent durchgeführt, sprengten
aber das origenistische System, das im Grunde ein philosophisches
war. Sprengen aber wollte und konnte es von den gebildeten
Christen zunächst Niemand 5 denn man beurteilte es als die
Wissenschaft, von der man sich nicht trennen durfte und die
der christliche Glaube zu seiner Verteidigung bedurfte.
3. In Folge hiervon herrschte bis zum Ende des 4. Jahrh. in
der orientalischen Kirche, in die seit Konstantin die alte Welt
einzog, Unklarheit und Freiheit. Allerdings war durch Arius und
Athanasius der Erlösungsgedanke zum kritischen Problem ge-
worden und setzte sich dann wesentlich in der Fassung durch,
die der christliche Glaube damals verlangte; aber alles Peripheri-
sche war ganz unsicher: eine völlig spiritualistisch-philosophische
Auslegung der Bibel stand neben einer grob realistischen, ein
massiver Anthropomorphismus neben einem christlich gefärbten
"Neuplatonismus, die umgedeutete Glaubensregel neben ihren
Buchstaben. Dazwischen gab es unzählige Nuancen; Steuermann
und Steuer fehlten, und die Religion zweiter Ordnung, das kaum
verhüllte Heidentum, drängte sich mit elementarer Gewalt nicht
nur in die Kirche, sondern auch in die Kirchenlehre ein. Wohl
haben die Kappadocier (Gregor von Nyssa) die Wissenschaft des
Origenes inmitten der Angriffe von Rechts und Links aufrecht
erhalten und der Überzeugimg gelebt, dass es möglich sei, den
kirchlichen Glauben und die freie Wissenschaft zu versöhnen.
Kirchlich gesinnte Laien, wie Sokrates, gaben ihnen Recht, und
222 EntwickeluDg des Bogm&n im Morgenland. [§ 47.
zugleich drang die griecliische Theologie in das Abendland und
wurde dort ein wichtiges Ferment. Allein daneben wuchs, nament-
lich seit dem Sturz des Arianismus, eine mrt der Barbarei ver-
brüderte Mönchs- und Gemeindeorthodoxie auf, die der selbst-
ständigen kirchlichen Wissenschaft höchst feindlich war; aller-
dings verfügte diese über keine Mittel, um den heterodoxen
Hellenismus sicher abzuwehren. Gab es doch sogar Bischöfe
(Synesius), die die kirchlichen Hauptdogmen entweder umdeuteten
oder in Abrede stellten.
4. Unter solchen umständen spitzte sich die Situation zu
einem Kampf gegen Origenes zu. Sein Name bedeutete ein Prinzip,
die bewusste Anwendung ier^EXktjVLxii iiaideLa in der kirchlichen
Wissenschaft. In Palästina war es der leidenschaftliche, gelehrte
und bomirte Epiphanius, der die Kreise der mönchischen Ver-
ehrer des Origenes und den Bischof Johannes von Jerusalem
störte (Ende des 4. Jahrb.). In Ägypten sah sich der Bischof
Theophilus, um seinen Einfluss zu erhalten, genötigt, den Origenes
den Mönchen preiszugeben und zu verdammen. Das ist eine der
folgenschwersten Thatsachen in der Geschichte der Theologie.
Nicht minder folgenschwer aber war es, dass der grösste Theologe
des Abendlandes, der im Orient lebende Hieronymus, einst ein Ver-
ehrer des Origenes, mit Theophilus gemeinsame Sache machte,
um sein kirchliches Ansehen zu bewahren, und den Origenes zum
Häretiker stempelte. In dem Streit, in den er deshalb mit seinem
alten Freunde ßufin geriet, nahm der römische Bischof Partei.
Origenes wurde auch zu Rom (399) verdammt, Rufin zensurirt.
Allein, zu einer allgemeinen kirchlichen Aktion gegen Origenes
kam es noch nicht. Die Kontroverse verschwand in dem Kampfe
des Theophilus gegen Chrysostomus. Noch im 5. und 6. Jahrh.
hatte Origenes unter Mönchen und Laien im Orient, namentlich
in Palästina, zahlreiche Verehrer; seine Heterodoxien wurden von
ihnen teils vertuscht, teils gebilligt.
5. Der grosse Kampf um das christologische Dogma im
5. Jahrh. brachte zunächst alle übrigen Kämpfe zum Schweigen.
Aber der Gegensatz zwischen den Alexandrinern und Antiochenem
war auch ein allgemein wissenschaftlicher. Jene stellten sich auf
die Tradition und die Spekulation (über den realistisch gefassten
Erlösungsgedanken), auf dem linken Flügel noch immer Anhänger
zählend, die der origenistisch-neuplatonischen Philosophie geneigt
waren und die ertragen wurden, wenn sie ihre Heterodoxien hinter
§ 47.] Das orthodoxe System. 223
der Kultusmystik verbargen; diese waren nüchterne Exegeten mit
einem kritischen Zug und verwandten die Philosophie des Aristo-
teles, die spiritualisirende Methode des Origenes ablehnend, im
Einzelnen von ihm lernend. Das heterodoxe Element lag bei den
Alexandrinern, soweit sie sich nicht völlig dem Traditionalismus
in die Arme geworfen hatten, noch immer in der Richtung auf
den Pantheismus (ündeutung der regula), bei den Antiochenern
in der Fassung des Centraldogmas. Genötigt auf der Wacht gegen
die alten Ketzereien zu stehen, die sich sämmtlich in den Osten
gezogen hatten, blieben die Antiochener die „antignostischen'^
Theologen und thaten sich viel darauf zu gut, dass sie die Kämpfe
des Herrn führten. Der letzte unter ihnen (doch lebten sie ausser-
halb des Reiches in Edessa und Nisibis fort), Theodoret, hat
seinem Kompendium der häretischen Fabeln ein 5. Buch: ^^d^s^cov
doy(icit(ov ^TrtroftiJ" angehängt, das als der erste systematische
Versuch nach Origenes bezeichnet werden muss und augenschein-
lich auf Johannes Damascenus von grossem Enfluss gewesen ist.
Diese „Epitome" hat eine grosse Bedeutung. Sie verbindet das
trinitarische und christologische Dogma mit dem ganzen Kreis
der an das Symbol angeknüpften Lehren. Sie zeigt eine ebenso
ausgeprägt biblische, wie kirchliche und verständige Haltung.
Sie hält überall die rechte „Mitte" inne. Sie ist fast vollständig
und berücksichtigt namentlich auch die realistische Eschatologie
wieder. Sie hat keine der anstössigen Lehren des Origenes auf-
genommen, und doch ist Origenes nicht als Ketzer behandelt.
Ein System ist diese Epitome nicht; aber die immer gleiche
Nüchternheit und Klarheit in der Behandlung des Einzelnen und
die sorgfältige biblische Begründung verleihen dem Ganzen ein
einheitliches Gepräge. Genügen konnte es freilich noch nicht,
erstlich schon um der Person seines Urhebers willen, sodann weil
alles Mystische und Neuplatonische diesem Lehrinbegriflf fehlt.
6. Nach dem Chalcedonense stockte in der orthodoxen Kirche
zunächst alle Wissenschaft: es gab in ihr zeitweilig weder „Antio-
chener" noch „Alexandriner" mehr, die freie theologische Arbeit
erlosch fast völlig. Allein das Jahrhundert bis zum 5. Konzil zeigt
zwei merkwürdige Erscheinungen. Erstlich gewann eine M y s t e r i o-
sophie in der Kirche immer mehr Boden, die nicht die Dogmen
bearbeitete, sondern mit dem einen Fusse auf dem Boden der
Religion zweiter Ordnung stand (Superstition, Kultus), mit dem
anderen auf demNeuplatonismus (der Pseudoareopagite); zweitens
224 Entwickelung des Dogmas im Morgenland. [§ 47.
wuchs eine Scholastik auf, die sich das Dogma als Gegebenes
voraussetzte und durch begriffliche Distinktionen aneignete (Leon-
tius von Byzanz). Im Geiste beider Richtungen hat Justinian
seine Religionspolitik getrieben. Auf sie sich stützend hat er, der
die Schule von Athen geschlossen hat, auch die alten kirchlichen
Schulen, die origenistische und antiochenische, geschlossen. Das
5. Konzil sanktionirte die Verdammung des Origenes (in 15 Ana-
thematismen wurden seine heterodoxen Sätze verworfen) und die
Verdammung der drei „Kapitel" (der Antiochener). Fortab gab
es eine auf die Prinzipien zurückgehende theologische Wissen-
schaft nicht mehr. Es gab nur noch Kultusmystik (freilich mit
einem verborgenen heterodoxen Zuge) und Scholastik, beide z. T.
in engster Verbindung (Maximus Confessor). Damit war der Zu-
stand erreicht, den die „Konservativen" zu allen Zeiten herbei-
gesehnt hatten; allein man war durch die Verdammung des Ori-
genes und der Antiochener nun wehrlos gegen den massiven
Biblicismus und einen superstitiösen Realismus, und das war ein
Ergebniss, das man ursprünglich nicht gewollt hatte. In dem
Bilderdienst einerseits und der ängstlich- buchstäbelnden Aus-
legung von Gen. 1 — 3 andererseits offenbart sich der Untergang
der freieren theologischen Wissenschaft.
7. Für die fidd'ifjöLg galten vor Allem die Kappadocier (dazu
Athanasius imd Cyrillj als entscheidend, für die iivötayGxyia der
Areopagite und Maximus, für die q)iXo6o(pLa Aristoteles, für die
biLiUa Chrysostomus. Der Mann aber, der das Alles zusammen-
gefasst hat, der die scholastisch- dialektische Methode, die Leon-
tius auf das Inkarnationsdogma angewendet hatte, auf den ganzen
Umkreis der „göttlichen Dogmen", wie Theodoret denselben fest-
gestellt, übertragen hat, war Johannes Damascenus (^"Exdoötg axQt-
ßVS '^VS oQd'odo^ov Tttötscjg). Durch ihn gewann die griechische
Kirche das orthodoxe System; aber nicht nur die griechische
Kirche. Die Bedeutung des Werks des Johannes ist für das
Abendland nicht geringer. Es ist ein Fundament der mittelalter-
lichen Theologie geworden. Vor Allem ist Johannes Scholastiker
gewesen. Jede Schwierigkeit ist ihm nur die Aufforderung, künst-
lich die Begriffe zu spalten und einen neuen Begriff zu finden, dem
nichts in der Welt entspricht, als eben jene Schwierigkeit, die
durch den neuen Begriff gehoben werden soll. Auch schon die
Grundfrage der Wissenschaft des Mittelalters ist von ihm gestellt,
die Frage nach dem Nominalismus und Realismus; er lost sie
§47.] Das orthodoxe System. 225
durch einen modifizirten Aristotelismus. Alle Lehren sind ihm
bereits gegeben; er entnimmt sie den Konzilsbeschlüssen und den
Werken der anerkannten Väter. Für die Aufgabe der Wissen-
schaft hält er, sie zu bearbeiten. Dabei sind die beiden Haupt-
dogmen eingestellt in den Kreis der Lehren des alten, antignostisch
interpretirten Symbols. Von der allegorischen Erklärung der
h. Schrift ist ein sehr bescheidener Gebrauch gemacht. Der Buch-
stabe der Schrift herrscht im Grossen und Ganzen, jedenfalls viel
durchgreifender als bei den Kappadociern. In Folge dessen ist
auch die natürliche Theologie stark verdeckt; sehr realistische
Schrifterzählungen, die gläubig hingenommen sind, umranken
dieselbe. Was aber das Empfindlichste ist — der straffe Zu-
sammenhang, der bei Athanasius, ApoUinaris und Cyrill die Tri-
nität und Inkarnation, überhaupt das Dogma, mit dem Gedanken
des Heilsguts verbindet, ist ganz gelockert. Johannes hat eine
Unzahl von Dogmen, die geglaubt werden müssen; aber sie stehen
nicht mehr deutlich unter einem einheitlichen Zweckgedanken.
Der Zweck, dem das Dogma einst als Mittel diente, ist geblieben;
aber das Mittel ist ein anderes geworden: es ist der Kultus, es
sind die Mysterien, in die auch das 4. Buch seiner Dogmatik aus-
mündet. In Folge dessen entbehrt das System der inneren lebens-
vollen Einheit. Es ist im Grunde nicht Darlegung des Glaubens,
sondern Darlegung seiner Voraussetzungen, und es hat seine Ein-
heit an der Form der Behandlung, an dem hohen Altertum der
Lehren und an der heiligen Schrift. Die Dogmen sind das heilige
Erbe des klassischen Altertums der Kirche geworden; aber sie
sind gleichsam in den Boden gesunken. Der Bilderdienst, die
Mystik und die Scholastik beherrschen die Kirche. Die Schil-
derung ihrer weiteren Entwicklung, die nicht mehr Entwickelung
der Lehre gewesen ist, so reich und mannigfaltig sich die theo-
logische Arbeit auch dargestellt hat, fällt nicht mehr in den
Rahmen der Dogmengeschichte.
Grundrisa IV. iii. Habnack , Dogmengeschichte. 2. Aufl. 15
226 Eot^ickelung des Dogmas im Abendland. [§ 48,
Zweites Buch.
Die Erweiternng nnd Umprägnng des Dogmas
zn einer Lehre von der Sttnde, der Gnade und den
Gnadenmitteln anf dem Gmnde der Kirche.
Erstes Kapitel.
Gescliiclitliclie Orientirnng.
§48.
FChBaur, Vorl. üb. d. christl. DG. 2. Bd. 1866. — JBach, Die DG.
des MA. 2 Bde. 1873 f. — JSchwane, DG. d. miltl. Zeit, 1882. —
GThomasius-RSeebebo, Die christl. DG. 2. Bd. 1. Abt. 1888.
1. Die Dogmengeschichte des Abendlandes in dem Jahr-
tausend der Völkerwanderung und der Reformation hat sich aus
folgenden Elementen entwickelt: 1) aus der Eigenart des abend-
ländischen Christentums, wie es durch Tertullian und Cyprian
einerseits, durch Popularphilosophen wie Lactantius andererseits
repräsentirt ist, 2) aus der durch die Theologen des 4. Jahrhun-
derts importirten griechischen Theologie, 3) aus dem Augustinis-
mus, d. h. aus dem Christentum und der Theologie Augustinus,
4) — in sekundärer Weise — aus den neuen Bedürfnissen der
romanisch -germanischen Völker. Die entscheidende Autorität
wurde in steigendem Masse der römische Bischof. Die Dogmen-
geschichte des Mittelalters ist die Dogmengeschichte der r ö mi-
mischen Kirche, obgleich die Theologie nicht in Italien, sondern
erst in Nordafrika, dann in Frankreich heimisch war.
2. Die Durchführung des geistigen Monotheismus, die Ent-
deckung des Individualismus und die Beschreibung der inneren
Prozesse des christlichen Lebens (Sünde und Gnade) bezeichnen
die Bedeutung Augustinus als des Schülers der Neuplatoniker und
des Paulus. Da er aber auch für das alte Dogma eingetreten ist
und zugleich der Kirche als dem Reiche Gottes auf Erden neue
Aufgaben und Ziele gestellt hat, so hat sein reicher Geist alle die
Spannungen in sich getragen, deren lebendige Kräfte die Dogmen-
geschichte des Abendlandes bestimmt haben. Selbst der Moralis-
mus und die sakramentale Superstition, die nachmals den Augusti-
nismus nahezu aufgesogen haben, sind von Augustin in den An-
satz seiner Religionslehre eingestellt worden. Als neues Element
§ 48.] Geschichtliche Orientirung. 227
ist im späteren Mittelalter der Aristotelismus hinzugetreten (wie
im Orient schon im 6. Jahrh.), der jenen Moralismns verstärkt,
aber andererseits der neuplatonischen Mystik in heilsamer Weise
Grenzen gezogen hat.
3. Augustinus Frömmigkeit lebte nicht im alten Dogma;
aber er respektirte es als Autorität und verwandte es als Bau-
material für seine Religionslehre. Demgemäss wurde es im Abend-
land einerseits Kirchen- und Rechtsordnung und erfuhr an-
dererseits tiefgreifende Umbildungen innerhalb der Theo-
logie. Die Folge hiervon war, dass man sich im Mittelalter trotz
aller Veränderungen der Illusion hingab, lediglich beim Dogma
des 5. Jahrhunderts zu verharren, indem das Neue entweder nicht
als solches erkannt oder als blosse Verwaltungsordnung auf die
selbst freilich noch kontroverse Autorität des römischen Bischofs
zurückgeführt wurde. Diesem Zustande hat erst die Reformation,
resp. das Tridentinum, ein Ende gemacht. Lediglich vom 1 6. Jahr-
hundert aus lässt sich daher eine Do gm engeschichte des Mittel-
alters aus der Geschichte der Theologie ausscheiden und be-
schreiben.
4. Zu beachten ist vornehmlich 1) die Geschichte der Fröm-
migkeit (Augustin, Bernhard, Franciskus, sog. Vorreformatoren j
in ihrer Bedeutung für eine Neubildung des Dogmas, 2) die Sa-
kramentslehre, 3) die wissenschaftliche Theologie (Augustin und
Aristoteles, fides und ratio) in ihrem Einfluss auf die r)fiFentliche
Lehrbildung. Hinter diesen Entwickelungen lag im späteren
Mittelalter die Frage der persönlichen Glaubensgewissheit
und des persönlichen Christenstandes, die durch die that-
sächliche Gewalt der sichtbaren Kirche niedergehalten wurde.
Diese ist der stille Koeffizient aller geistigen und theologischen
Bewegung gewesen, bis sie in dem Kampfe um das Recht des
Papstes deutlich hervortrat.
5. Einteilung: 1) das abendländische Christentum und die
abendländische Theologie vor Augustin, 2) Augustin, 3) der
vorläufige Ausgleich des voraugustinischen und augustinischen
Christentums bis Gregor I., 4) die karolingische Renaissance,
5) die cluniacensisch-bernhardinische Epoche, 6) die Epoche der
Bettelorden, der Scholastik und der Vorreformatoren.
16'
228 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 49.
Zweites Kapitel.
Das abendländische Christentum und die abendländischen Theo-
logen vor Angnstin.
§49.
ENöLDECHEN, TertuUian 1890. — ORitschl, Cyprianl88ö. — ThFörster,
Ambrosius 1884. — SMDkutsch, Des Ambrosius L. v. d. Sünde 1876. —
JHBiäiNKBNs, Hilarius 1864. — OZöckler, Hieronymus 1866. — DVölteb,
Donatismus 1882. — FNitsch, Boethius 1860. — AHar.nack, Gesch. d.
Lehre v. d. Seligkeit allein durch den Glauben in der alten Kirche,
i. ZThK 1 S. 82 ff. — GBoisbirr, La fiu du paganisme. 2 Bde. 1891.
1. Das abendländische Christentum ist im Unterschied vom
morgenländischen durch zwei Persönlichkeiten bestimmt
worden — TertuUian und Augustin — , dazu durch die im Dienen
und Herrschen zielbewusste Politik der römischen Gemeinde und
ihrer Bischöfe.
2. TertuUian's Christentum war durch den alten, enthusia-
stischen und strengen Glauben und durch die äntignostische Glau-
bensregel gegensätzlich bestimmt. Gemäss seiner juristischen
Bildung suchte er überall in der Religion Rechtssätze und
-formein zu gewinnen und fasste das Verhältniss zwischen Gott
und Mensch als ein privatrechtliches. Ferner zeigt seine Theo-
logie ein syllogistisch-dialektisches Gepräge, sie philoso-
phirt nicht, sondern sie raisonnirt, zwischen den Argumenten ex
auctoritate und e ratione abwechselnd. Andererseits frappirt Ter-
tuUian häufig durch seine psychologische Beobachtung und
zwar durch eine empirische Psychologie. Endlich zeigen
seine Schriften eine praktisch-evangelische, durch die Furcht
vor Gott als dem Richter bestimmte Haltung, ein Drängen auf
Wille und That, das den spekulativen Griechen fehlte. In allen
diesen Stücken und in ihrer Mischung ist sein Christentum typisch
für das Abendland geworden. Auch hat er einen beträchtlichen
Teil der lateinischen dogmatischen Formeln geschaffen und —
was ebensoviel bedeutet — eine Reihe von dogmatischen Frage-
stellungen der Kirche geschenkt {una substantia, tres personae;
duae substantiae, una persona; duplex status; satisf actio; meritum;
opera; Vitium originis; tradux peccati; eigentümlicher Gebrauch
von lex, sacramentum; natura und gratia etc.).
3. In mancher Hinsicht abgestumpft und moralistisch ver-
flacht („de opere et eleemosynis^^) , aber in klerikaler Bearbeitimg
§ 49.] Das abendländische Christentum vor Augustin. 229
(^jjde unitate ecclesiaoJ^) wurde das tertullianische Christentum von
Cyprian, der grossen Autorität der lateinischen Christenheit, im
Abendland eingebürgert; daneben hielt sich jene ciceronianische
Theologie mit apokalyptischer Zugabe, welche Minucius und Lac-
tantius vertraten. Die Religion war „das Gesetz"; aber nachdem
die Kirche notgedrungen alle Sünden für vergebbar erklärt hatte
(novatianische Krisis), war die Religion auch das kirchliche Buss-
institut. Vor Augustin hat jedoch kein Theologe „lex" und „venia"
wirklich auszugleichen vermocht. In Rom und Karthago arbeitete
man an der Befestigung des Kirchenwesens, an der Ausarbeitung
einer erfüllbaren kirchlichen Sittenregel und an der Erziehung
der Gemeinde durch den Gottesdienst und die Bussordnungen.
Das Massenchristentum schuf den Klerus und die Sakramente^
der Klerus heiligte den Laien die halbschlächtige Religion. Die
Formeln waren fast durchweg tertullianische, doch wurde sein
Geist abgestumpft oder verdrängt.
4. Abendland und Morgenland waren im Zeitalter Konstan-
tin's bereits getrennt, aber der arianische Kampf brachte sie
wieder zusammen. Das Abendland stützte die morgenländische
Orthodoxie und erhielt von ihr zwei grosse Geschenke, die wissen-
schaftliche (origenistische) Theologie und das Mönchtum.
Im Grunde war es ein einziges Geschenk; denn das Mönchtum
(das Ideal gottinniger Virginität) ist die praktische Anwendung
jener „Wissenschaft". So stellt sich die abendländische Theologie
der zweiten Hälfte des 4. Jahrh. in zwei Linien dar, die beide in
Augustin konvergiren: die Linie der Griechenschüler (Hilarius,
Victorinus Rhetor, Rufin, Hieronymus) und die Linie der ge-
nuinen Lateiner (Optatus, Pacian, Prudentius). In beiden Linien
ist aber Ambrosius als der theologisch bedeutendste Vorläufer
des Augustin zu nennen.
5. Die Griechenschüler haben die wissenschaftliche (pneu-
matische) Exegese des Philo, Origenes, Gregorv. Nyssa und die
spekulative orthodoxe Theologie der Kappadocier in das Abend-
land verpflanzt. Mit der ersteren beschwichtigten sie die Zweifel
an dem A. T. und begegneten den Anläufen des Manichäismus,
durch die letztere haben sie, besonders Ambrosius, die Spannung
beseitigt, welche bis über d. J. 381 hinaus zwischen der Ortho-
doxie des Morgenlandes und des Abendlandes bestand. In drei
auf einander folgenden Schenkungen ist die griechische Speku-
lation in die Theologie des Abendlandes gekommen, 1) durch
\
230 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 49.
Ambrosius, Victorin und Augustin, 2) durch Boethius im 6. Jahrh.
(hier Aristotelisches), 3) durch den Areopagiten im 9. Jahrh.
Bei Victorin (um 385 in Rom, Kommentar z. d. paulinischen
Briefen) findet sich bereits jene Kombination von Neuplatonis-
mus und Paulinismus, die die Grundlage der augustinischen Theo-
logie bildet; bei Ambrosius leuchtet schon die Verbindung von
Spekulation und religiösem Individualismus, die den grossen Afri-
kaner charakterisirt.
6. Das eigentliche Problem der lateinischen Kirche war die
Anwendung des christlichen Gesetzes und die kirchliche Behand-
lung der Sünder. Im Orient legte man den Wirkungen des Kultus
als Gesammtinstitution und der stillen Selbsterziehung durch
^skese und Gebet ein grösseres Gewicht bei; im Occident hatte
man mehr die Empfindung, in religiösen Rechtsverhältnissen zu
stehen, in denen man der Kirche verantwortlich sei, aber auch
von ihr sakramentale imd prekatorische Hülfleistung in indivi-
dueller Anwendung zu erwarten habe. Das Gefühl für die Sünde
als öffentliche Schuld war kräftiger ausgebildet. Das wirkte auf
den Kirchenbegrifl* zurück. In Bezug auf die Ausbildung des
letzteren ist Optatus (de schismate Donatistarum) der Vorläufer
Augustinus gewesen, in Bezug auf die strengere Fassung der
Sünde Ambrosius.
Der donatistische Streit des 4. und anfangenden 5. Jahrhun-
derts, in dem sich die montanistische und novatianische Kontro-
verse in eigentümlicher Begrenzung fortsetzt, wurzelt in persön-
lichen Zänkereien; aber bald erhielt er eine prinzipielle Bedeutung.
Die donatistische Partei (im Laufe der Entwickelung wurde sie
zur afrikanischen Nationalpartei, nahm gegenüber dem sie be-
drückenden Staate eine freikirchliche Haltung ein und bildete
sogar einen revolutionären Enthusiasmus aus) leugnete die Giltig-
keit einer von einem Traditor gespendeten Ordination und des-
halb auch die Giltigkeit der Sakramente, die ein von einem Tra-
ditor geweihter Bischof vollzog (daher die Forderung der Wieder-
taufe). Es war der letzte Rest der alten Forderung, dass in der
Kirche nicht nur die Institutionen, sondern vor Allem die Per-
sonen heilig sein müssen, und die Donatisten konnten sich für
ihre These auf den gefeierten Cyprian berufen. Wenigstens ein
Minimum von persönlicher Würdigkeit der Kleriker sollte noch
notwendig sein, damit die Kirche die wahre bleibe. Dem gegen-
über haben die Katholiken die Konsequenzen des „objektiven"
§ 49.] Das abendländische Christentum vor Augastin. 231
Kirchenbegriffs gezogen. Vor Allem hat Optatus ausgeführt,
dass die Wahrheit und Heiligkeit der Kirche auf den Sakra-
menten beruht, und dass somit die personliche Qualität des
Spenders gleichgiltig ist {y^Ecdesia una est, cuius sanctitas de
sacramentis colligHur, non de stiperbia personarum ponderatnr^^)]
er hat ferner gezeigt, dass die Kirche gegenüber der Winkelkirche
der Donatisten die Bürgschaft ihrer Wahrheit an ihrer Katho-
licität habe. Auch auf eine evangelische Spur geriet man,
sofern man neben und mit dem Sakrament den Glauben im
Gegensatz zur persönlichen Heiligkeit betonte. So ist schon vor
Augustin der Grund zur römisch-katholischen Lehre von der
Kirche tmd den Sakramenten durch Optatus gelegt worden. Den
Glauben aber hat besonders Ambrosius im Zusammenhang einer
tieferen Auffassung von der Sünde betont. Von TertuUian her
war im Abendland die Auffassung der Sünde als Vitium originis
und als Sünde wider Gott bekannt. In beiden Richtungen hat
Ambrosius die Betrachtung gefördert und demgemäss auch die
Bedeutung der paulinischen Gedanken von der gratia, iustificatio
und remissio peccatorum gewürdigt (^ylllud mihiprodest, qmdnon
iustificamur ex operibus legis . . . gloriahor in Christo; non gloriabor,
quia iustus sum, sed gloriabor, quia redemptus sum^^). Es war von
epochemachender Bedeutung, dass man im Abendland eben in
der Zeit, in der man den Kirchenbegriff veräusserlichte und eine
Sakramentslehre schuf, auf die paulinischen Gedanken von Sünde
und Gnade, Gesetz und Evangelium aufmerksam wurde. Ambro-
sius selbst freilich ist durch vulgär katholische Anschauungen
über Gesetz, Tugend und Verdienst doch stark bestimmt gewesen.
Der lebendigere Gottesbegriff, das starke Gefühl der Verant-
wortung gegenüber dem Richter, das durch keine Naturspekula-
tion gehemmte oder aufgelöste Bewusstsein von Gott als der
sittlichen Macht, die Vorstellung von Christus als dem Menschen,
dessen Leistung für uns vor Gott einen unendlichen Wert besitzt,
die placatio (satisfactio) dei durch seinen Tod, die Kirche als
pädagogische Anstalt, sicher ruhend auf den Heilsmitteln (den
Sakramenten), die h. Schrift als lex dei, das Symbolum als der
sichere Inbegriff der Lehre, die Auffassung des christlichen
Lebens unter den Gesichtspunkten der Schuld, der Sühnungen
und des Verdienstes, wenn auch mehr kirchlich als religiös ge-
dacht: in diesen Stücken stellen sich die Eigentümlichkeiten des
232 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 50.
abendländischen Christentums vor Augustin dar. Er hat sie be-
jaht und doch umgebildet. Vor Allem harrte die soteriologische
Frage einer Lösung. Neben manichäischen, origenistisch-neu-
platonischen und stoisch-rationalistischen Auffassungen vom
Bösen und von der Erlösung flackerten hier und dort im Abend-
lande um das Jahr 400 auch paulinische, die in der Regel sittliche
Laxheit deckten, aber in einigen Vertretern doch Ausdruck einer
evangelischen Überzeugung waren, die die Zeit nicht verstand
und die deshalb für die katholische Kirche tödlich werden musste
(Jovinian; gegen ihn Hieronymus). Überschlägt man dazu, dass
um 400 das Heidentum noch immer eine Macht war, so begreift
man, welch* eine Aufgabe Augustinus wartete! Er hätte sie nicht
für die gesammte abendländische Kirche lösen können, wenn,
diese nicht damals noch eine einheitliche gewesen wäre. Noch
bestand das weströmische Reich, und es scheint fast, als sei ihm
seine kümmerliche Existenz nur verlängert worden, um die welt-
geschichtliche Wirksamkeit Augustinus zu ermöglichen.
Drittes Kapitel.
Die weltgescMchtliche Stellung Augustinus als Reformator der
christlichen Frömmigkeit.
§50.
EBiNDEMANN, Der h. Aug. 3 Bde. 1844—69. — ADorneb, Augustinus
1873. — PBöHBiNGER, Augustin.* 1877 f. — HReutkk, August. Studien
1887. — AHarsack, Aug.'s Konfessionen 1888. — ChBigg, The Christ.
Platonists of Alexandria 1886.
Man kann versuchen, den Augustinismus aus den Prämissen
des abendländischen Christentums (s. das vorige Kapitel) oder
aus dem Bildungsgang Augustinus (der heidnische Vater, die
christlich-fromme Mutter, Cicero's Hortensius, der Manichäismus,
der Aristotelismus, der Neuplatonismus mit seiner Mystik und
Skepsis, der Eindruck des Ambrosius und des Mönchtums) zu kon-
struiren, aber beide Wege werden nicht völlig zum Ziel führen.
Augustin hat in der Religion die Religion entdeckt; er hat sein
Herz als das schlimmste, den lebendigen Gott als das höchste Gut
erkannt; er besass eine hinreissende Fähigkeit, innere Beobach-
tungen auszusprechen: hierin besteht seine Eigenart und Grösse.
In der Liebe Gottes und bezwungenem Seelenschmerz hat er das
Hochgefühl gefunden, das über die Welt erhebt und den Menschen
zu einem Anderen macht, während die Theologen vor ihm ge-
§ 60.] Augustin's Frömmigkeit. 233
träumt hatten, der Menscli müsse ein Anderes werden, um selig
sein zu können, oder sich mit Tugendstreben begnügten. Er
trennte die Natur und die Gnade, band aber die Religion und die
Sittlichkeit zusammen und gab der Idee des Guten einen neuen
Inhalt. Er zerstörte das Wahnbild der antiken populären Psycho-
logie und Moral; er gab dem Intellektualismus und Optimismus
des Altertums den Abschied; aber er Hess jenen Wiederaufleben
in dem frommen Denken des Mannes, der in dem lebendigen Gott
das wahre Sein gefunden hat, und indem er den christlichen
Pessimismus vollendete, überbot er ihn zugleich durch die Ge-
wissheit der Gnade. Vor Allem aber: er hielt jeder Seele ihre
Herrlichkeit und ihre Verantwortlichkeit vor, Gott imd die Seele,
die Seele und ihr Gott. Er führte die Religion aus der Gemeinde-
und Kultusform in die Herzen als Gabe und Aufgabe hinein.
Liebe, ungefärbte Demut und Kraft zur Überwindung der Welt
— das sind die Elemente der Religion und ihre Seligkeit; sie
quellen aus dem Besitz des lebendigen Gottes. „Wohl den Men-
schen, die Dich für ihre Stärke halten, die von Herzen Dir nach-
wandeln." Dies Wort hat Augustin der Christenheit seiner Zeit
und aller Zeiten gepredigt.
1. Die voraugustinische Frömmigkeit war ein Schwanken
zwischen Furcht und Hoffnung. Sie lebte nicht im Glauben.
Wissen und Thun des Guten macht selig, lehrte sie, nachdem man
in der Taufe die Vergebung der vergangenen Sünden empfangen
hat; aber man empfand die Seligkeit nicht. Weder die Taufe noch
die Askese befreiten von der Furcht; man fühlte sich nicht stark
genug, auf die eigene Tugend zu vertrauen, und man fühlte sich
nicht schuldig und gläubig genug, um sich der Gnade Gottes in
Christus zu getrösten. Fischt und Hoffnung blieben nach; es
waren ungeheure Kräfte. Sie haben die Welt erschüttert und die
Kirche gebaut; aber ein seliges Leben vermochten sie dem Ein-
zelnen nicht zu schaffen. Augustin drang von den Sünden zur
Sünde und Schuld, von der Taufe zu der Gnade vor.. Die Aus-
schliesslichkeit und Festigkeit, mit der er den schuldigen Men-
schen und den lebendigen Gott auf einander bezog, ist das Neue,
das ihn vor allen seinen Vorgängern auszeichnet. „An Dir allein
habe ich gesündigt" — „Du Herr hast uns auf Dich hin geschaffen,
und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in Dir" — „(/«
qttod itibeSj et iahe quod vis^^ — „eo, qiiod quisque novit, non fruitur,
nisi et id diligit, neque quisquam in eo, quodpercipit, pennanet msi
234 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 50.
dilf'ctioneJ^ Das ist der gewaltige Accord, den er aus der h. Schrift,
aus den tiefsten Betrachtungen des menschlichen Wesens und aus
der Spekulation über die ersten und letzten Dinge herausgehört
hat. An dem Geiste, der Gottes ledig ist, ist Alles eitel Sünde;
nur dass er ist, ist noch gut an ihm. Die Sünde ist die Sphäre
und die Form des inneren Lebens jedes natürlichen Menschen.
Ferner, alle Sünde ist Sünde an Gott; denn der geschaffene Geist
hat nur ein dauerndes Verhältniss, nämlich zu Gott. Die Sünde
ist das Selbst-sein- wollen (superbia); darum ist ihre Form die Be-
gierde und Unruhe. In der Unruhe offenbart sich die niemals
gestillte Lust und die Furcht. Diese ist das Böse, jene ist als
Streben nach Gütern (Seligkeit) gut, aber als Streben nach ver-
gänglichen Gütern böse. Wir müssen streben glücklich zu
sein („infelices esse nolnmus sed nee velle possumus^^ — dieses
Streben ist das uns von Gott geschenkte, unverlierbare Leben — ,
aber es giebt nur ein Gut, eine Seligkeit und eine Ruhe: ,,Mihi
adhaerere deo bomim est,'' Nur im Elemente Gottes lebt und ruht
die Seele. Aber der Gott, der uns erschaffen hat, hat uns erlöst.
Durch Gnade und Liebe, die in Christus offenbar geworden, ruft
er uns aus der Zerstreuung zu sich zurück, macht j^ex nolentibus
volentes^' und giebt uns so ein unbegreiflich neues Wesen, das in
Glaube und Liebe besteht. Diese stammen von Gott; sie sind das
Mittel, durch das der lebendige Gott sich uns zu eigen giebt. Der
Glaube aber ist Glaube an die „gratia gratis data", und die Liebe
ist die Lust an Gott, vereinigt mit der Demut, die auf alles Eigene
verzichtet. Als ein inmierwährendes Geschenk und als ein heiliges
Geheimniss betrachtet die Seele diese Güter, in denen sie Alles
erlangt, was Gott verlangt; denn ein mit Glaube und Liebe aus-
gerüstetes Herz erhält die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und
besitzt den Frieden, der über die Unruhe und Furcht erhebt. Es
kann zwar keinen Moment vergessen, dass es noch in Welt und
Sünde verstrickt ist, aber es denkt mit der Sünde stets die Gnade
zusammen. Durch Glaube, Demut und Liebe überwundenes Sünden-
elend — das ist die christliche Frömmigkeit. Li der Fülle der
Glaubensgedanken, die sich hier ergeben, ruht die Seele aus und
strebt doch unhaltsam vorwärts.
In dieser Weise zu empfinden und zu denken hat sich die
Religion tiefer erschlossen, und der augustinische Typus der
Frömmigkeit ist im Abendland bis zur Reformation, ja bis heute
noch massgebend; aber ein quietistisches, fast möchte man
§ 60.] Augastin's Frömmigkeit. 235
sagen narkotisches Element ist in ihm verborgen, das wir in
dem Evangelium nicht finden.
2. In dem Vorstehenden ist Augustinus Frömmigkeit nur ein-
seitig bestimmt. Er war auch in seiner Frömmigkeit katholi-
scher Christ, ja erst er hat jenes Ineinander von freiester eigenster
Hingabe an das Göttliche und stetiger gehorsamer Unterordnung
unter die Kirche als Gnadenmittelanstalt geschaffen, das den
abendländischen Katholicismus charakterisirt. Im Einzelnen sind
folgende Momente besonders hervorzuheben, in denen er das
„Katholische" bejaht, resp. noch gesteigert hat: 1) Erst er hat die
Autorität der Kirche in eine religiöse Grösse verwandelt und der
praktischen Religion eine Lehre von der Kirche geschenkt. Zwei
Erwägungen leiteten ihn dabei, der Skepticismus und die Er-
kenntniss des Wertes der kirchlichen Gemeinschaft als einer ge-
schichtlichen Macht. In ersterer Hinsicht war er überzeugt, dass
das isolirte Individuum schlechterdings nicht zur vollen und
sicheren Erkenntniss der Wahrheit überhaupt und der Wahrheit
der geoffenbarten Lehre gelangen könne — sie bietet zu viele An-
stösse — 5 wie er sich daher selbst der Autorität der Kirche in
die Arme geworfen hat; so lehrte er generell, dass die Kirche
für die Wahrheit des Glaubens einstehe, wo das Indivi-
duum sie nicht zu erkennen vermag, und dass demgemäss
die Glaubensakte zugleich Akte des Gehorsams sind. In letzterer
Hinsicht hatte er, indem er mit dem Moral ismus brach, erkannt,
dass die gratia geschichtlich wirke und die Kirche zu ihrem Orga-
nismus gemacht habe. Die Einsicht in die Stellung der Kirche
im untergehenden römischen Reich verstärkte diese Erkenntniss.
Aber nicht nur als Skeptiker und Historiker hat Augustin die
Bedeutung der Kirche eingesehen, sondern auch kraft seiner
starken Frömmigkeit. Diese bedurfte einer äusseren Autorität,
wie sie zu allen Zeiten noch jeder lebendige religiöse Glaube be-
durft hat. Augustin fand sie in dem Zeugniss der Kirche. 2) Ob-
gleich er in den Konfessionen unzweideutig bekannt hat: Religion,
ist der Besitz des lebendigen Gottes, so hat er doch in den Aus-
führungen seiner Theologie den lebendigen Gott mit der „gratia",
diese mit den Sakramenten vertauscht und so das Lebendigste
und Freieste in ein gleichsam dingliches Gut eingepresst, das der
Kirche übergeben sei. Hiermit hat er, durch eben brennende
Kämpfe verleitet (der donatistische Streit), den Zeitvorstellungen
den schwersten Tribut bezahlt und die mittelalterliche Sakra-
236 Entwickelusg des Dogmas im Abendland. [§ 50.
mentskirche begründet. Wo er aber über die Sakramente hinaus
auf Gott selbst zurückgeht, da ist er in der Folgezeit stets in Ge-
fahr geraten, auch die Bedeutung Christi zu neutralisiren und sich
in den Abgrund des Gedankens der Alleinwirksamkeit Gottes zu
verlieren (Prädestinationslehre). 3) Hat er sich zwar mit aller
Energie zur gratia gratis data und deshalb zur Souveränetät des
Glaubens bekannt, aber dann doch das alte Schema damit verbun-
den, dass das schliessliche Geschick derEinzelnen von „Verdiensten"
und nur von ihnen abhängig sei. Demgemäss hat er in den aus
der fides caritate formata entspringenden merita, die freilich dei
munera sind, das Ziel aller christlichen Entwicklung erblickt
und es damit der Folgezeit nicht nur bequem gemacht, unter der
Hülle seiner Worte ihr altes Schema beizubehalten, sondern selbst
auch das Wesen des Glaubens (d. h. der aus der Gewissheit der
Sündenvergebung entspringenden stetigen Zuversicht auf Gott)
als das höchste Geschenk Gottes verkannt. Seine Lehre von der
eingeflössten Liebe aber war dem geschichtlichen Christus gegen-
über neutral. 4) Obgleich Augustin von der Freude der Seligkeit,
die der Christ schon jetzt im Glauben und in der Liebe besitzt,
zu zeugen verstanden hat, hat er doch dem gegenwärtigen Leben
ein deutliches Ziel nicht zu setzen vermocht; er teilte im All-
gemeinen die überlieferte katholische Stimmung, und der Quietis-
mus seiner Frömmigkeit gab dem christlichen Handeln keine
neuen Impulse. Dass es durch das Werk „de civitate dei" solche
erhalten hat, ist im Grunde von Augustin nicht beabsichtigt worden.
Augustinus Theologie ist aus dieser Art seiner Frömmigkeit
zu verstehen. Seine religiösen Theorien sind z. T. nichts Anderes
als theoretisch gedeutete Stimmungen und Erfahrungen. Aber in
ihnen sammelten sich zugleich die mannigfaltigen religiösen Er-
fahrungen und sittlichen Reflexionen der alten Welt: die Psalmen
und Paulus, Plato und die Neuplatoniker, die Moralisten, Ter-
tullian und Ambrosius — man findet Alles in Augustin wieder.
Viertes Kapitel.
Die weltgescMclitliche Stellung Augustinus als Lehrer der Kirche.
Die alte Kirche hat ihre Theologie von den Mittelpunkten
der Christologie und der Freiheitslehre (Tugendlehre) aus ent-
worfen; Augustin rückte die beiden Punkte zusammen. Das
Gute wurde ihm der Angelpunkt für die Betrachtung
Einl. z. §§ 51 ff.] Augustin als Lehrer der Kirche. 237
der Güter. Das sittlich Gute und das Heilsgut sollen sich decken
(ipsa virtus et praemium virtutis). Er hat die Dogmatik vom
Himmel heruntergeholt; aber freilich die alte Auffassung nicht
abgethan, sondern sie mit der neuen verschmolzen. In seinen Aus-
legungen des Symbols zeigt sich diese Verbindung am deutlichsten.
Schon durch seine vorkatholische Entwickelung und Bekehrung,
dann durch seinen Kampf mit dem Donatismus und Pelagianismus
stellte sich ihm das Christentum in neuer Gestalt dar; aber da er
das Symbol für den Inbegriff der Lehre hielt, so musste seine
Lehrfassung komplizirt werden — eine Verbindung der altkatho-
lischen Theologie und des altkirchlichen Schemas mit dem neuen
Gedanken der Gnadenlehre, eingepresst in den Rahmen des
Symbols. Diese Stilmischung, die die abendländische Kirche bis
heute bewahrt hat, hatte Widersprüche zur Folge und machte das
alte Dogma eindruckslos.
Im Einzelnen sind besonders folgende Spannungen in Augu-
stin's Theologie nachzuweisen. 1) Die Spannung zwischen Symbol
und Schrift, Sowohl die, welche die Schrift über das Symbol
setzen, als die, welche die entgegengesetzte Ordnung vorschreiben,
können sich auf ihn berufen. Augustin hat den Biblicismus ver-
stärkt, aber zugleich auch die Haltung jener Kirchenmänher, die
mit Tertullian die Biblicisten niederschlagen. 2) Die Spannung
zwischen dem Schrift- und dem Heilsprinzip. Augustin lehrte
einerseits, dass es lediglich auf die Sachen (d. h. das Heil) in der
Schrifb ankomme, ja er ist manchmal bis zu jenem Spiritualismus
vorgeschritten, der die Schrift überfliegt; andererseits konnte er
sich von dem Gedanken nicht befreien, dass jedes Schriftwort
absolute Offenbarung sei. 3) Die Spannung zwischen den Vor-
stellungen vom Wesen der Religion; sie soll einerseits Glaube,
Liebe, Hoffnung sein, andererseits doch Erkenntniss und über-
irdisches, unsterbliches Leben; sie soll den Zweck haben, durch
Gnade und wiederum durch den amor intellectualis zu beseligen.
Glaube im Sinne des Paulus und akosmistische Mystik streiten
um den Prinzipat. 4) Die Spannung zwischen der Lehre von der
prädestinatianischen Gnade und einer Gnadenlehre, die wesentlich
Ecclesiastik und Sakramentslehre ist. 5) Spannungen innerhalb
der Hauptgedankenreihen. So streitet in der Gnadenlehre der
Gedanke der gratia per (propter) Christum nicht selten mit der
Vorstellung einer unabhängig von Christus aus dem Grundwesen
Gottes als des summum bonum und summum esse fliessenden
238 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 51.
gratia. So ist in der Ecclesiastik das hierarchisch-sakramentale
Gmndelement mit einer von den Apologeten stammenden liberalen,
universalistischen Betrachtung nicht ausgeglichen.
Man kann drei Niveaus der Theologie Augustinus unter-
scheiden, das prädestinatianische, das soteriologische und das
Niveau der Autorität und der Sakramente der Kirche; aber man
würde ihm nicht gerecht werden, wollte man diese Höhenlagen
einzeln beschreiben; denn in seiner Gesammtauf fassung waren
sie verbunden. Eben weil sein reicher Geist alle diese Spannungen
umfasste und als Erlebnisse charaktervoll darstellte, ist er der
Kirchenvater des Abendlands geworden. Er ist der Vater der
römischen Kirche und der Reformation, der Biblicisten imd der
Mystiker, ja selbst die Renaissance und die moderne empirische
Philosophie (Psychologie) sind ihm verpflichtet. Neue Dogmen
im strengen Sinn hat er nicht eingeführt. Einer sehr viel späteren
Zeit blieb es überlassen, aus der von ihm vollzogenen Umbildung
des alten dogmatischen Stoffs, der Verurteilung des Pelagianis-
mus und der neuen Sakramentslehre fest umschriebene Dogmen
zu bilden.
§ 51., Augustinus Lehre von den ersten nnd letzten Dingen.
HSiEBECK i. d. Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik 1888 S. 161 ff. —
Gangaup, Metaphys. Psychol. d. h. Aug. 1862. — Storz, Die Philos.
d. h. Aug. 1882. — Scipio, Des Aurel. Aug. Metaph. 1886. — Kahl,
Primat d. Willens b. Aug. 1886. — Kühner, A.'s Anschauung v. d.
Erlös.bedeutuijg Christi 1890.
Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang: mit dem
Gebetsleben verband Augustin eine Innenschau, die ihn, den
Schüler der Neuplatoniker und des Paulus, zu einer neuen Psy-
chologie und Theologie führte. Er ist der „alter Aristoteles" ge-
worden, indem er das Innenleben zum Ausgangspunkt des
Denkens über die Welt machte. Die naiv -objektive und damit
die antik-klassische Stimmung hat erst er vollkommen abgethan,
damit aber auch die Beste der polytheistischen Betrachtung. Er
ist der erste monotheistische Theologe (im strengen Sinn des
Worts) unter den Kirchenvätern, indem er die neuplatonische
Philosophie über sich selbst emporgehoben hat. Nicht unbe-
wandert auf den Gebieten der objektiven Welterkenntniss, wollte
er doch nur zwei Dinge erkennen, Gott und die Seele; denn sein
Skepticismus hatte die Welt der Erscheinung aufgelöst, aber in
der Flucht der Erscheinungen waren ihm nach schmerzlichem
§ 51.] Augustinus Lehre von den ersten und letzten Dingen. 239
Bingen die Thatsachen des inneren Lebens als Thatsachen stehen
geblieben. Mag es auch kein Übel und keinen Gott geben, so
giebt es doch unzweifelhaft die Furcht vor dem Übel. Von hier
aus, d. h. durch, die psychologische Analyse, kann man die Seele
und Gott finden imd ein Weltbild entwerfen. Von hier aus kann
der Skeptiker zur Erkeuntniss der Wahrheit gelangen, nach der
das Mark der Seele seufzt.
Die Grundform des Seelenlebens ist das Streben nach Lust
(cupido, amor) als Streben nach Gütern. Alle Triebe sind nur
Entfaltungen dieser Grundform (als Affizirtsein und als Aktivität),
und sie gelten ebenso für das Gebiet des geistigen, wie für das des
sinnlichen Lebens. Der Wille hängt mit diesen Trieben zusammen;
aber er ist doch eine über der sinnlichen Natur stehende Kraft
(Aug. ist Indeterminist). In concreto ist er freilich an die sinn-
Uclien Triebe gebunden d. h, imfrei. Die theoretische Wahlfreiheit
wird zur wirklichen Freiheit nur dann, wenn die cupiditas (amor)
boni das herrschende Motiv für den Willen geworden ist, d. h.
nur der gute Wille ist frei. Sittliche Gutheit und Willens-
freiheit fallen zusammen. Der wahrhaft freie Wille hat seine
Freiheit an dem Motiv des Guten (beata necessitas boni). Diese
Gebundenheit ist Freiheit, weil sie den Willen der Herrschaft der
niederen Triebe entzieht und die Bestimmung und Anlage des
Menschen, sich mit wahrhaftem Sein und Leben zu erfüllen, ver-
wirklicht. In der Bindung an das Gute verwirklicht sich somit
der höhere appetitus, der wahrhafte Selbsterhaltungtrieb des
Menschen, während sich der Mensch stückweise selbst zum Zer-
fall bringt, wenn er den niederen Trieben folgt. Für diese Ge-
dankenreihe nahm Augustin strenge AUgemeingiltigkeit in An-
spruch; denn er wusste, dass jeder über sich selbst nachdenkende
Mensch sie bejahen muss. Mit ihr verband A. die Ergebnisse der
neuplatonischen kosmologischen Spekulation; aber die schhchte
Grösse des lebendigen Gottesbegrififs wirkte mit Kraft in diese
hinein und zwang die künstlich gewonnenen Elemente der Gottes-
lehre immer wieder in das einfachste Bekenntniss zusammen:
„der Herr Himmels und der Erde ist die Liebe; er ist das Heil
der Seele; vor wem sollte ihr grauen ?''
Auf dem Wege der neuplatonischen Spekulation (durch
Nachweis des Nichtseins der Erscheinungen und durch fort-
schreitende Eliminirung der niederen Sphären des Sinnlichen und
Begrifflichen) gelangte A. zum Begriff des einzigen, unveränder-
240 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 51.
liehen beliarrliehen Seins (incorporeaveritas^spiritualis substantia,
lux incommutabilis). Zugleich entspricht der Einfachheit des
höchsten Begehrungsobjektes der Seele nur dieses summum esse.
Dieses summum esse ist im Grunde allein das Seiende; denn
alles andere Sein hat das Nicht-seih an sich, kann auch nicht sein
und geht wirklich zu Grunde. Aber es kann -andererseits auch
als die Entfaltung der einzigen Substanz aufgefasst werden, als
das ausgestrahlte Kunstwerk derselben, und in dieser Betrachtung
kehrt in ästhetischer Form die metaphysisch aufgelöste Er-
scheinung und das Interesse an ihr zurück. Allein dieses Natur-
gefühl ist nur noch eine Grundirung der augustinischen Em-
pfindung. Er giebt sich ihm nicht hin, vielmehr geht er sofort
zu der Beobachtung über, dass die Seele nach diesem höchsten
Sein strebt und es in allen niedrigen Gütern mit unverwüstlicher
edler Konkupiscenz sucht, dass sie aber sich doch scheut, es
zu ergreifen. Hier stellte sich ihm eine furchtbare Paradoxie dar,
die er als „monstrum" bezeichnet, dass der Wille das faktisch
ni'cht will, was er will oder doch zu wollen scheint. Mit
dem ganzen Gewicht der Verantwortung empfand Augustin diesen
Zustand, die ihm durch keine, auch ihm sonst geläufige ästhetische
Betrachtung (der Kosmos mit Licht und Schatten als das ,,pul-
chrum", als das Gleichniss der Lebensfülle des AU-Einen) ge-
mildert wurde. Von hier aus wandelte sich ihm die Meta-
physik in Ethik. In dem Gefühl der Verantwortung erschien
Gott (das summum esse) als das summum bonum und das den
Willen bestimmende selbstsüchtige Eigenleben als das Böse.
Jenes summum bonum ist nicht nur der beharrende Ruhepunkt
für den unruhigen Denker oder der berauschende Lebensgenuss
für den lebenssüchtigen Sterblichen, sondern Ausdruck für das
Sein-Sollende, für das, was das beherrschende Grund motiv
des Willens werden soll, was dem Willen seine Freiheit und damit
erst seine Kraft über der Sphäre des Naturhaften verleihen, was
die unverwüstliche Neigung des Menschen zum Guten von der
misera necessitas peccandi befreien soll — Ausdruck des Guten.
So fielen ihm vom Begriff des Guten alle Eintragungen des In-
tellekts und alle eudämonistischen Hüllen ab. Auch für diese
Gedankenreihe nahm er AUgemeingiltigkeit in Anspruch.
Aber nun folgte noch eine Erfahrung, und sie spottete jeder
Analyse. Jenes Gute stand ihm nicht nur als das Sein-Sollende
gegenüber, sondern er fühlte sich von ihm als Liebe ergriflfen
§ 51.] Augustin's Lehre v. d. ersten u. letzten Dingen. 241
».
und aus dem Jammer des monströsen Widerspruchs des Daseins
herausgehoben. Damit erhielt der Gottesbegriff einen ganz neuen
Inhalt: das Gute, welches das vermag, ist das Allmächtige, ist
Person, ist Liebe. Das summum esse ist das als allmächtige
Liebe auf den Willen wirkende heilige Gute in Person. Die
Metaphysik und Ethik wandeln sich in Religion. Das
Böse ist nicht nur privatio substantiae, auch nicht bloss privatio
boni, sondern Gottlosigkeit (privatio dei); der ontologische Defekt
des kreatürlichen Seins und der moralische Defekt des Guten ist
Defekt des Liebesverhältnisses zu Gott; Gott haben aber ist Alles,
ist Sein, Gutsein, freier Wille und Friede. Ein Strom von Gottes-
gedanken entfesselte sich von hier aus in Augustin. Es ist für
Gott ebenso wesentlich, dass er sich in Liebe mitteilende gratia,
als dass er causa causatrix non causata ist; der Mensch aber
lebt von der Gnade der Liebe. Dass er — in einem monströsen
Dasein befangen, das auf einen schweren Sündenfall zurückweist
— nur von Gnade leben kann, das kann noch deutlich gemacht
werden; aber dass die Gnade der Liebe wirklich ist, ist eine
überschwängliche Thatsache. Nicht in der Selbständigkeit Gott
gegenüber kommt der Mensch zur Freiheit, sondern in der Ab-
hängigkeit von ihm: nur, was dem Menschen von Gott geschenkt
wird, macht ihn selig und gut — die Liebe.
In den Einzelausfühnmgen Augustin's über Gott und die
Seele schwingen die Töne der Metaphysik, der Ethik und der
tiefsten christlichen Erfahrung in einander. Gott ist die einzige
„res", die genossen werden darf (frui = alicui rei amore inhaercre
propter se ipsam), die anderen dürfen nur gebraucht werden. Das
klingt neuplatonisch, aber es wird christlich aufgelöst in dem
Gedanken: fide^ spe et caritate colendum deum. Gott ist Person,
der man über alle Dinge trauen und die man lieben soll. Die
fides quae per dilectionem operatur wird zum souveränen Aus-
druck der Religion. Der ästhetisch begründete Optimismus, die
feine Emanationslehre, der Gedanke der Alleinwirksamkeit Gottes
(Prädestinationslehre), die Vorstellung von dem Bösen als dem
„Nichts^^, welches das Gute begrenzt, verschwinden zwar nicht
ganz, aber sie verbinden sich in eigentümlicher Weise mit der
Vorstellung Gottes als des Schöpfers der Menschheit, die durch
eigene Schuld zu einer massa perditionis geworden ist, und
Gottes als des Erlösers und des ordinator peccatorum. Auch das
Trachten nach einem absoluten Wissen und die Auffassung der
Gnindrigs IV. in. Harnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 16
242 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 51.
_ •
christlichen Religion nach dem Schema der Apologeten (rationa-
listisch) ist bei Augustin nie verschwunden, und die Liebe Gottes^
die er fühlte, war ihm nur sicher unter der Autorität der äusseren
Offenbarung, der er sich gehorsam unterwarf; aber in seiner reli-
giösen Denkweise, in der das Verständniss für die Bedeutung der
Geschichte allerdings nicht so ausgebildet war, wie die Fähigkeit zu
psychologischer Beobachtung, regierte doch der christliche Geist.
Denn Christus war der stille Richtpunkt seiner Seele von
Jugend auf. Auch die scheinbar rein philosophischen Ausfüh-
rungen sind vielfach durch den Gedanken an ihn beeinflusst.
Alle Ansätze, das eiserne Schema der Unveränderlichkeit Gottes
zu durchbrechen und Gott, die Welt und das Ich zu unterscheiden,
sind aus dem Eindruck der Geschichte d. h. Christi zu erklären.
So trat ihm, dem Religionsphilosophen, Christus immer deut-
licher als der Weg, die Kraft und die Autorität entgegen.
Wie oft hat er von der Offenbarung im Allgemeinen gesprochen
und meinte nur ihn; wie oft hat er von Christus gesprochen, wo
die Früheren von Offenbarung im Allgemeinen redeten! Die spe-
kulative Vorstellung von der Idee des Guten und seiner Wirksam-
keit als Liebe wurde ihm erst gewiss durch die Anschauung
Christi und durch die autoritative Verkündigung der Kirche von
ihm. Die Anschauung Christi war ein neues Element, das
erst er wieder (nach Paulus und Ignatius) eingeführt hat. Wie
seine Trinitätslehre, obgleich er die alten Formeln aufnahm, eine
neue Gestalt erhielt durch die im Glauben erlebte ÜberzeuguDg
von der Einheit Gottes, so hat auch seine Christologie bei allem
Anschluss an die Überlieferung (strenge Bekämpfung des Apolli-
naris) durch die Verkündigung des Ambrosius und eigene Er-
fahrung einen neuen Inhalt empfangen. 1) war ihm an Chri-
stus entscheidend wichtig das Bild der Hoheit in der Demut,,
die thatsächliche Bewährung des Satzes „omne honum in humili'
täte perficitur" (auch die Inkarnation stellte er unter diesen Ge-
sichtspunkt); hier hat er die mittelalterlichen Töne der Christo-
logie anzuschlagen begonnen, 2) legte er allen Nachdruck auf die
Möglichkeit, die nun gewonnen sei, dass der im Staube liegende
Mensch Gott erfassen könne, da er uns in unserer Niedrigkeit
nahe gekommen ist (der Grieche wartet auf eine Erhebung, um
Gott in Christus erfassen zu können), 3) konstruirte er nicht
selten die Christuspersönlichkeit auch von der menschlichen
Seele des Erlösers her und sah in der Ausstattung derselben das
§ 51.] Augustinus Lehre v. d. ersten u. letzten Dingen. 243
grosse Beispiel der gratia praeveniens, die den Menschen Jesus
zu dem gemacht hat, was er geworden ist, 4) fasste er den Men-
schen Jesus als den Mittler, als das Opfer und den Priester,
durch den wir mit der Gottheit versöhnt und erlöst sind, dessen
Tod, wie die Kirche ihn verkündigte, das sichere Fundament
unseres Glaubens an die Erlösung ist. In allen diesen Beziehungen
hat Augustin neue Gedanken in das alte Dogma hineingebaut, sie
freilich nur unsicher oder künstlich mit ihm verbindend. Eine
neue christologische Formel hat er nicht geschaffen; ihm war
Christus der Fels des Glaubens geworden, weil er wusste, dass
der Eindruck dieser Person seinen Stolz gebrochen und ibm die
Kraft gegeben hatte, an die Liebe Gottes zu glauben und sich von
ihr finden zu lassen. Der lebendige Christus ist die Wahrheit
und der von der Kirche verkündigte der Weg und die Autorität.
Die Seele wird durch die fides quae per dilectionem operatur
zur vita beata geführt. Diese ist der selige Friede in der An-
schauung Gottes. Also bleibt das Erkennen doch das Ziel der
Menschen. Nicht der Wille führt denPrimat, sondern der Intellekt.
Augustin hat schliesslich die vulgär katholische Stimmung fest-
gehalten, die den Menschen im Jenseits auf feierndes Erkennen
verweist; dem entspricht im Diesseits die Askese und die Kon-
templation (daher Augustinus Eintreten für das Mönchtum gegen
Jovinian). Auch das Reich Gottes, sofern es irdisch, ist vergäng-
lich. Die Seele muss aus der Welt des Scheins, des Gleichnisses
und des notgedrungenen Handehis befreit werden. Aber in
ünterströmungen hat Augustin doch mächtig auf die giltigen
eschatologischen Gedanken eingewirkt: 1) nicht die Tugend ist
das höchste Gut, sondern die Abhängigkeit von Gott (in der Vor-
stellung von der entscheidenden Bedeutung der merita ist dieser
Gesichtspunkt freilich wieder aufgegeben), 2) das geistlich aske-
tische Leben soll ein geistiges sein; die magisch-physischen
Elemente der griechischen Mystik treten ganz zurück (keine
Kultusmystik), 3) in dem Gedanken „mihi adkaerere deo bonum
est^' ist der Intellektualismus durchbrochen; der Wille hat die
ihm gebührende Stelle erhalten, 4) die Liebe bleibt auch in der
Ewigkeit dieselbe, die wir schon in der Zeit haben können; also
sind Jenseits und Diesseits doch innig verbunden, 5) bleibt
die Liebe auch im Jenseits, so erscheint der Intellektualismus
wiederum modifizirt, 6) nicht die irdische Welt, wohl aber die
irdische Kirche hat eine höhere Bedeutung; sie ist gleichsam das
16*
244 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 52.
Heilige vor dem Allerheiligsten, und es ist Pflicht, sie zu bauen;
nicht eine Religion zweiter Ordnung steht vor der Religion,
sondern die Ecclesiastik, der Dienst an der Kirche als sittlich-
wirkende, die Gesellschaft ausbildende Macht, als Organismus
der sakramentalen Liebeskräfte, des Guten und der Gerechtigkeit,
in dem Christus wirkt, 7) höher als alles Mönchtum steht fides,
spes und Caritas: also ist das Schema einer öden und egoistischen
Kontemplation durchbrochen. Allerdings ist es Augustin mög-
lich gewesen, in allen diesen Richtungen die neuen Zweckgedanken
mit den alten, wenn auch unter Widersprüchen, zu verbinden.
§ 52. Der donatistische Kampf. Das Werk de civitate dei.
Die Lehre von der Kirche und den Gnadenmitteln.
HBeutes a. a. 0. — JHBeinkens, Gesch.philos. d. h. Aug. 1866.—
GiNZEL, Aug. Lehre v. d. Kirche i. ThQuSchr. 1849. — JKöstlih, Die kathol.
AufFaas. v. d. K. i. d. Deutschen Ztschr. f. christl. Wißsensch. 1856 Nr. 14. —
HScHMiBT, Aug 'b Lehre v. d. K. i. JDTh. 1861. — BSeebebg, Begriff d.
christl. E. L T. 1885. — Bibbeck, Donatus u. Aug. 1858.
Im Kampfe mit dem Manichäismus und Donatismus hat
Augustin, dem Optatus folgend, seine Lehre von der Kirche ge-
bildet auf dem Boden der Auffassung Cyprian's, aber die donati-
stischen Elemente Cyprians ausscheidend und die hierarchischen
ermässigend. Indem er die Kirche als Autorität und als unzer-
störbare Heilsanstalt beschrieb, glaubte er lediglich einen
gottgewirkten Thatbestand zu beschreiben; indem er sie als
communio sanctorum darstellte, folgte er seiner eigenen religiösen
Erkenntniss. Dort trat er dem kritischen „Subjektivismus'' der
Manichäer und dem Puritanismus der Donatisten entgegen, die
die Wahrheit der Kirche von der Reinheit der Priester abhängig
machen wollten, hier wandte er seine Heilslehre auf die Begriffs-
bestimmung der Kirche an. Komplizirte Betrachtungen waren
die Folge. Nicht nur erscheint die Kirche bald als das Ziel der
Religion, bald als Weg zum Ziel, sondern der Begriff selbst wird
zum Komplex verschiedener Begriffe. Letztlich stellt ihn die Prä-
destinationslehre geradezu in Frage.
I, 1. Das wichtigste Merkmal der Kirche ist die Einheit
(in Glaube, Hoffnung, Liebe einerseits, in der Katholizität anderer-
seits), die derselbe Geist wirkt, der die Trinität zusammenhält;
sie ist inmitten der Zerspaltung der Menschheit ein Beweis der
Göttlichkeit der Kirche. Da Einheit nur aus der Liebe fliesst,
so ruht die Kirche auf dem Walten des gottlichen Liebesgeistes;
§ 52.] Augustinus L. v. d. EircHe u. d. Gnadenmitteln. 245
die Gemeinsamkeit des Glaubens allein reicht noch nicht aus.
Aus dieser Betrachtung folgt: j^caritas christiana nisi in unitate
ecclesiae non potest custodiri, etsi baptismtan et fidem teneatis^\ d. h.
Einheit ist nur dort wo Liebe ist, und Liebe ist nur dort wo
Einheit ist. Die folgenschwere Anwendung dieses Satzes lautet:
nicht nur gehören die Häretiker nicht zur Kirche (denn sie negiren
die Einheit des Glaubens), sondern auch die Schismatiker stehen
ausserhalb; denn eben ihre Trennung von der Einheit beweist,
dass sie der Liebe d. h. des Wirkens des h. Geistes ermangeln.
Also ist nur die eine grosse Kirche die Kirche, und ausser ihr
können wohl Glaube, heroische Thaten, ja Heilsmittel vorhanden
sein, aber kein Heil.
2. Das zweite Merkmal der Kirche ist die Heiligkeit. Die
Kirche ist heilig als Stätte der Wirksamkeit Christi und des
h. Geistes und als Besitzerin der Mittel, welche die Einzelnen
heilig machen. Dass ihr das nicht bei Allen gelingt, kann ihrer
Heiligkeit nichts rauben; selbst ein numerisches Übergewicht der
mah et hypocritae gefährdet sie nicht, denn sonst würde schon
ein unheiliges Glied ihr Recht in Frage stellen. Die Zucht und
Exkommunikation übt die Kirche nicht sowohl um ihre Heilig-
keit zu erhalten, sondern um zu erziehen. Sie selbst ist vor der
Verflechtung mit dem ünheiligen bereits dadurch sicher gestellt,
dass sie es nie billigt, und sie erweist ihre Heiligkeit, indem in
ihrer Mitte, und nur in ihr, wirklich Heilige erzeugt werden und
sie überall die Sitten hebt und heiligt. Im strengen Sinn gehören
nur die boni. et spirituales zu ihr, aber im weiteren auch die Un-
heihgen, sofern sie noch geistlich werden können und unter dem
Einfluss der Sakramente stehen {,,vasa in contumeliam in domo
dei^*; sie sind nicht das Haus Gottes, sondern „in domo"; sie sind
nicht „in communione sanctorum", sondern „sacramentorum").
So ist die Kirche ein „corpus permixtum", und letztlich gehören
selbst Häretiker und Schismatiker zu ihr, sofern sie Heihgungs-
mittel sich angeeignet haben und unter der Zucht der Kirche
stehen. Aber die Heiligkeit der Kirche schliesst als Ziel die reine
communio sanctorum (communio fidelium) ein, und alle religiösen
Prädikate der Kirche gelten dieser Gemeinschaft.
3. Das dritte Merkmal der Kirche ist die Katholizi tat (All-
gemeinheit der räumlichen Verbreitung). Sie liefert den stärksten
äusseren Beweis für die Wahrheit der Kirche; denn sie ist eine
sinnenfdllige Thatsache und ein Wunder zugleich, dem die Dona-
246 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 52.
tisten nichts an die Seite zu setzen haben. Die grosse Kirche in
Karthago erweist sich durch die Verbindung mit Rom, mit den
alten orientalischen Kirchen, mit den Kirchen des Weltkreises als
die wahre (dagegen mit Recht der Donatist: „Qiiantum ad totius
mundi pertinet parteSf modicapars est in compmsatione totius mundi,
in qua fides Christiana nominatur^^).
4. Das vierte Merkmal ist die Apostolizität, die sich zeigt
1) in dem Besitz der apostolischen Schriften und Lehre, 2) in der
Fähigkeit der Kirche, ihre Existenz an dem Faden der bischöf-
lichen Successionen (diesen Punkt hat Cyprian stärker betont)
bis auf die Apostelgemeinden zurückzuführen, unter diesen ist
die romische die wichtigste um ihres ersten Bischofs, Petrus,
willen. Dieser ist Repräsentant der Apostel, der Kirch«, der
schwachen Christen und des Lehramts der Bischöfe. Die alte
Theorie, dass man mit der sedes apostolica und cathedra Petri
in Gemeinschaft stehen müsse, hat Augustin festgehalten; aber
über die Infallibilität des römischen Stuhls hat er sich ebenso un-
sicher und widerspruchsvoll ausgedrückt wie über die der Kon-
zilien und des Episkopats (natürlich stand ihm ein Konzil über
dem römischen Bischof).
5. Die Irrtumslosigkeit der Kirche stand Augustin fest;
aber alle Begründungen derselben hat er nur als relativ sichere
zu reproduziren vermocht. Ebenso war er von der ünumgäng-
lichkeit der Kirche überzeugt; aber er verfügte über Gedanken
(von der Prädestinationslehre und von der ünveränderlichkeit des
uranfänglichen Wirkens Gottes her), die sie aufhoben.
6. Die Kirche ist das Reich Gottes auf Erden. Li der
Regel freilich denkt A. bei diesem Begriff nicht an die Kirche,
sondern an den gesammten Erfolg des Wirkens Gottes in der Welt
im Gegensatz zum Wirken des Teufels. Wenn er aber Kirche und
Reich Gottes identifizirt, meint er unter jener die communio fide-
lium (corpus verum). Da es aber nur eine Kirche giebt, konnte
er nicht umhin, gegebenen Falls auch das corpus permixtum als
Reich Gottes zu betrachten, und da er unter Aufhebung aller
apokalyptischen Vorstellungen das 1 000 jährige Reich schon jetzt
in der Kirche im Gegensatz zum untergehenden sündigen Welt-
staat verwirklicht sah, wurde er fast unfreiwillig zu der Konse-
quenz getrieben, dass die sichtbare Kirche mit ihren richtenden
Priestern und ihren Ordnungen das Reich Gottes sei (de civit. dei
XX^ 9 — 13). So durchläuft der Gedanke des Reichs Gottes bei ihm
§ 52.] Augustinus L. v. d. Kirche u. d. Gnadenmitteln 247
alle Stadien von einem dem Kirchenbegriff gegenüber neutralen
geschichtstlieologisehen Gedanken (das Reich Gottes ist im Him-
mel und baut sich von Abel an auf Erden für den Himmel) bis
zur Priesterkirche, hat aber sein Centrum an der ecclesia als
himmlischer „communio sanctorum in terris peregrinans'^ Parallel
mit dieser Vorstellung geht die andere von der societas der Gott-
losen und Verworfenen (einschliesslich der Dämonen), die letzt-
lich übergeht in den Gedanken des Weltreiches (des Staates) als
des „magnum latrocinium". Dieser aus der Sünde entsprungenen,
zu ewigeoi Kampf verurteilten Gemeinschaft tritt im Grunde der
Gottesstaat als die einzig berechtigte Verbindung der Menschen
gegenüber. Aber die letzten Spitzen dieser auf eine förmliche
Theokratie der Kirche und auf Verurteilung des Staates hinaus-
laufenden Betrachtung hat A. weder ausgefeilt noch besonders
betont. Er dachte fast durchweg an die geistigen Mächte und den
geistigen Kampf; erst die Päpste des Mittelalters haben die theo-
kratischen Konsequenzen gezogen. Der Betrachtung des Staats
hat er auch die Wendung gegeben, dass, da die pax terrena ein
Gut sei (wenn auch ein partikulares), eine Gemeinschaft, die diese
schützt (der Staat), gut sei. Da aber die pax terrena nur durch
die Gerechtigkeit zu Stande kommen kann und diese unzweifelhaft
allein im Besitz der Kirche ist, weil sie als auf der Caritas ruhend
von Gott stammt, so kann der Staat nur durch Unterordnung
unter den Gottesstaat ein relatives Recht erlangen. Dass sich
auch diese Betrachtung, in der der irdische Staat eine gewisse
Selbständigkeit (weil einen besonderen Zweck) erhalten hat, leicht
dem theokratischen Schema einfügen lässt, liegt auf der Hand.
A. selbst hat nur wenige Konsequenzen gezogen, aber doch die,
dass der Staat der Kirche durch Zwangsmassregehi gegen den
Götzendienst, die Häretiker und Schismatiker zu dienen hat
(„coge intrare"), und dass die Kirche überhaupt auf sein Straf-
recht Einfluss üben muss.
n, 1. Der donatistische Kampf nötigte auch zu einer genaueren
Beschäftigung mit den Sakramenten (s. Optatus; im Allgemeinen
Hahn, L. v. d. Sakramenten 1864). Zunächst war es der grösste
Fortschritt, dass A. das Wort als Gnadenmittel erkannt hat. Die
Formel „Wort und Sakrament" stammt von ihm, ja er wertet
das Wort so hoch, dass er das Sakrament auch „verbum visibile"
nennt, mit dem Satz: ^firede et manducasti^^ allem Mysterienwerk
entgegentritt und dem Begriff „Sakrament^^ einen so weiten Um-
248 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 52.
fang giebt, dass jedes sinnliche Zeichen, mit dem ein heilbringen-
des Wort verbunden ist, so heissen kann (,/iccedit verbum ad ele-
mentum et fit sacramentiim^^). Eine besondere Sakramentslehre ist
von hier aus nicht zu gewinnen, ja Augustin geht im Spiritualis-
mus nicht selten so weit, dass das sinnliche Zeichen und das hör-
bare Wort nur als signa und Bilder eines nebenher gehenden
Unsichtbaren (der Sündenvergebung, des Liebesgeistes) zu gelten
haben.
2. Allein andererseits sind die Sakramente — A. denkt in
dieser Betrachtung in der Regel nur an Taufe und Abendmahl —
doch etwas Höheres. Sie sind von Gott eingesetzte Zeichen eines
h. Gegenstandes, mit dem sie schon kraft der Schöpfungsordnui^
eine gewisse Verwandtschaft haben, und unter ihnen wird dem
Gebrauchenden Gnade wirklich mitgeteilt (Gewissheit der miseri-
cordia Christi im Sakrament, aber andererseits actus medicinalis).
Diese Mitteilung haftet am Vollzug (Objektivität der Sakramente);
aber nur wo der Liebesgeist (die wahre Kirche) ist, ist sie heil-
kräftig. Dadurch ergab sich der doppelte Widerspruch, dass die
Sakramente überall wirken und doch nur in der Kirche, unab-
hängig sind von Menschen und doch in ihrer Heilswirksamkeit an
die Kirche gebunden sind. A. löste diesen Widerspruch durch die
Unterscheidung des Charakters, den die Sakramente verleihen
(gleichsam eine Abstempelung), und der wirklichen Gnaden-
mitteilung. Die Sakramente „sancta per se ipsa" können der
Kirche entwendet werden und behalten ihren Effekt, aber nur in
der Kirche gereichen sie zum Heil („wo« considei'andum, quis det
sed quid det^\ aber andererseits : „habere" ist noch nicht „utiliter
habere^^.
3. Doch nur an der Taufe (Charakter: das unverlierbare Ver-
hältniss zu Christus und seiner Kirche) und Ordination (Charakter:
die unverlierbare Fähigkeit zu opfern und die Sakramente zu ver-
walten) liess sich diese Betrachtung durchführen, nicht aber am
Abendmahl; denn hier ist die res sacramenti die unsichtbare In-
korporation in den Leib Christi (über die Elemente lehrte A.
symbolisch) und das Abendmahlsopfer das sacrificiura caritatis;
also ist mit dem Wesen des Abendmahls (sacramentum unitatis)
die katholische Kirche schon immer mitgesetzt, und es kann keinen
„Charakter" geben, der unabhängig von dieser Kirche wäre. A. ist
über diese Schwierigkeit hinweggeglitten. Seine allgemeine
Sakramentslehre ist von der Taufe her gewonnen, und er unter-
§ 53.] Augustinus Lehre von den Gnadenmitteln. 249
schied bei ihr so künstlich, um 1) die Donatisten ins Unrecht zu
setzen, 2) das Merkmal der Heiligkeit der Kirche zu behaupten^
3) dem Glauben ein Festes zu geben, worauf er sich — unabhängig
von Menschen — verlassen könne. Nachmals ist die Unterschei-
dung wesentlich im hierarchischen Sinn ausgebeutet worden. Aber
A.'s Betonung des „Wortes" und sein Spiritualismus haben gleich-
zeitig Anstösse in anderer Richtung (auf Luther und auf die Vor-
reformatoren hin) gegeben.
A.'s Vorstellungen von der Kirche sind widerspruchsvoll. Die
wahre Kirche soll auch sichtbar sein, und doch gehören zur sicht-
baren Kirche auch die Bösen und Heuchler, ja selbst die Häretiker,
Die externa societas sacramentorum, die communio fidelium et
sanctorum und schliesslich auch der numerus praedestinatorum
sollen eine und dieselbe Kirche sein! Das „in ecclesia esse" hat
in Wahrheit einen dreifachen Sinn. „In ecclesia" sind nur die
Prädestinirten, einschliesslich der noch unbekehrten; „in ecclesia"
sind die Gläubigen, einschliesslich derer, die wieder abfallen; „in
ecclesia" sind Alle, welche an den Sakramenten Teil haben ! Die
Kirche ist eigentlich im Himmel und doch sichtbar als civitas auf
Erden! Sie ist uranfänglich und doch erst von Christus gestiftet! Sie
ruht auf der Prädestination, nein auf Glaube, Liebe, Hofl&iung, nein
auf den Sakramenten! Aber indem man diese verschiedenen Höhen-
lagen, die zu Widersprüchen werden, wenn es doch nur eine Kirche
geben soll, beachtet, darf man nicht vergessen, dass Augustin als
demütiger Christ in dem Gedanken lebte, dass die Kirche die com-
munio fidelium et sanctorum ist, dass Glaube, Hoffiaung und Liebe
sie begründen, und dass sie „m tcrris stai per remissionem pecca-
torum in caritate^^. Der prädestinatianische Kirchenbegriff (in
Wahrheit die Auflösung der Kirche) gehört dem Theologen und
Theosophen an, der empiristische dem katholischen Polemiker.
Auch ist nicht zu übersehen, dass erst A. die Sakramente aus der
magischen Anschauung, in der sie eiue moralistische Denkweise
kompensiren sollten, herausgeführt und dem Glauben zu- und unter-
geordnet hat. Erst er hat die Sakramentslehre reformabel gemacht.
§ 53. Der pelagianische Kampf. Die Lehre von der Gnade
nnd Sünde.
HReuter a. a. 0. — JJacobi, Lehre d. Pelagius 1842. — PWörteb,
Der Pelagianismus 1866. — FKlasen, Die innere Entw. d. Pelagianismus
1882. — JWiGöBRs, Augustinismas und Pelagianismus. 2 Bde. 1831f. -^
250 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 53.
AWDiECKHOFP, A.'s L. V. d. Gnade (Meckl. ThZtschr 1, 1860). — EChLuthardt,
L. V. fr. Willen 1863. — CJHefele, Konzil.Gesch. Bd. IP.
Augustin hatte seine Gnaden- und Sündenlehre noch nicht
gewonnen, als er sich katholisch taufen liess (s. seine antimanichä-
ischen Schriften), wohl aber bevor er in den pelagianischen Kampf
eintrat. Auch Pelagius hat seine Lehre nicht erst im Streit ge-
bildet, sondern besass sie schon, als er an dem augustinischen
Wort: „rfa qnod iuhcs et iube qtiod vis^' Anstoss nahm. Die beiden
grossen Denkweisen — ob die Gnade auf die Natur zu reduziren
sei oder ob sie die Natur befreie — traten sich gewappnet gegen-
über. Mit wunderbarer Schnelligkeit hat sich das durch Ambrosius
vorbereitete Abendland dem Augustinismus unterworfen. Dem
religiösen Charakter und Virtuosen Augustin trat in Pelagius ein
ernster, sittenstrenger Mönch, in Cälestius ein eigensinniger
Eunuch, in Julian ein lebhaftes Weltkind, zugleich ein entschlosse-
ner Aufldärer und ein unerbittlicher Dialektiker, gegenüber.
Der Pelagianismus ist der unter demEinfluss des griechischen
Mönchtums konsequent entwickelte christliche Rationalismus, die
stoisch und aristotelisch begründete abendländische Popular-
philosophie (Lactantius), die den Versuch macht, sich die über-
lieferte Erlösungslehre unterzuordnen. Einfluss der antiocheni-
schen Theologie ist nachweisbar. Quellen sind die Schriften und
Briefe des Cälestius, Pelagius und Julian (grösstenteils bei Augustin
und Hieronymus), die Werke des Augustin, Hieronymus, Orosius,
Marius Mercator, die Papstbriefe und Synodalbeschlüsse. Pelagius
selbst war vorsichtiger, minder aggressiv und minder wahrhaftig
als Cälestius und Julian. Erst der Letztere hat die Doktrin voll-
endet (ohne ihn, sagt Augustin, y^Pelagiani dogmatis machina sine
architecto necessario remansisseV). Formell sind Augustinismus
und Pelagianismus darin verwandt und der bisherigen Denkweise
entgegengesetzt, dass 1) beiden der Trieb nach Einheit der religiös-
sittlichen Erkenntniss zu Grunde liegt, 2) beide das dramatisch-
eschatologische Element aus der Überlieferung zurückschieben,
3) beide nicht kultisch-mystisch interessirt sind, sondern das
Problem in der Sphäre des Geistes halten und 4) beide auf den
Traditionsbeweis nicht den höchsten Nachdruck legen (A. hat
offen eingestanden, dass der Beweis aus den öffentlichen Schriften
der Väter schwer zu führen ist). Pelagius war ängstlich besorgt
zu zeigen, dass es sich im ganzen Streit nicht um das Dogma handle,
sondern um eine praktische Frage; Augustin führte den Kampf in
^ 53.] Aufirustin und der Pela^ianismus. 251
dem Bewusstsein, dass das Wesen und die Kraft der christlichen
Religion mit seiner Gnadenlehre stehe und falle 5 Cälestius war
besonders interessirt, die Erbsündenlehre zu stürzen; Julian war
sich bewusst, die Sache der Vernunft und Freiheit wider ein
„dummes und gottloses Dogma'^ zu führen, durch das die Kirche
in Barbarei versenkt und die gebildete Minorität an die Massen^
die den Aristoteles nicht verstehen, ausgeliefert werde.
I. Pelagius trat in Rom auf und verkündigte den Welt-
christen das Mönchtum und die Fähigkeit jedes Menschen, sich
zur Tugend selbständig aufzuraffen, theologische Polemik ver-
meidend, jedoch den Quietismus der augustinischen Konfessionen
bekämpfend. Sein römischer Freund Cälestius sekundirte ihm.
Beide gingen nach Nordafrika, das Pelagius jedoch bald wieder
verliess. Cälestius bewarb sich um ein Presbyteramt in Karthago.
Allein er wurde (412 oder 411) vom Mailänder Diakon Paulinus
auf einer Synode zu Karthago verklagt, weil er die Sterblichkeit
für etwas Natürliches (bei Adam und bei allen Menschen) erachte,
die universalen Folgen der Sünde Adam^s leugne, die völlige Un-
schuld der Neugeborenen lehre, die Frucht der Auferstehung
Christi nicht als Allen notwendig gelten lasse, den Unterschied
von Gesetz und Evangelium verkenne, von sündlosen Menschen
vor der Ankunft Christi spreche und die Sündlosigkeit und die
Erfüllung der Gebote Christi überhaupt für etwas Leichtes halte,
wenn man nur den guten Willen habe (s. die 6 verurteilten Sätze
bei Marius Mercator). Trotz seiner Behauptung, er lasse die
Kindertaufe gelten (aber nicht als Sündenvergebung), sei also
orthodox, wurde er exkommunizirt. Er ging nach Ephesus und
Konstantinopel. Pelagius war in Palästina und suchte Frieden
mit Augustin und Hieronymus zu halten. Der scharfe Freund
mit seiner Polemik gegen den tradux peccati und die Kindertaufe
in remissionem peccatorum war ihm unbequem; wertvoller waren
die neuen Freunde im Orient, besonders Johannes von Jerusalem.
Dieser und Andere erklärten ihn für unschuldig (auf den Synoden
zu Jerusalem und Diospolis 415), als ihn der Augustinschüler
Orosius und Hieronymus der Verkennung der göttlichen Gnade
beschuldigten. Aber nur mit einer Mentalreservation lehnte Pe-
lagius die inkriminirten Sätze des Cälestius ab, die somit auch im
Orient gerichtet blieben. In seiner Schriftstellerei wurde er nur
vorsichtiger, lenkte aber nicht ein. Die nordafrikanische Kirche
(Synoden von Karthago und Mileve 416) sowie Augustin wandten
252 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 53.
sich nach Rom an Innocenz I. um Verurteilung der beiden Häre-
tiker. Der Papst, froh von Nordafrika angesprochen zu sein, will-
fahrte (417), hielt sich jedoch eine Rückzugslinie offen. Sein
Nachfolger Zosimus, durch ein kluges Glaubensbekenntniss des
Pelagius bestimmt, und von Cälestius, der nun auch vorsichtiger
wurde, gewonnen, rehabilitirte sie zwar Beide und blieb gegen die
Vorstellungen der Nordafrikaner zunächst taub; aber eine General-
synode zu Karthago (418) und ein kaiserliches Edikt, welches die
beiden Ketzer sammt Anhang aus Rom verwies, machte auch auf
den Papst Eindruck, der in einer epistula tractoria der Verurtei-
lung beitrat und die abendländischen Bischöfe zur Unterschrift
aufforderte (418). Allein diese Zumutung stärkte die Gegenpartei.
Achtzehn Bischöfe weigerten sich. Ihr Führer war Julian von
Eklanum. Dieser iuvenis confidentissimus ergriff jetzt seine rast-
lose scharfe Feder. Er schrieb kühne Briefe an Zosimus und
Rufus von Thessalonich, die Augustin beantwortete (420). Da-
mit begann eine zehnjährige litterarische Fehde zwischen Beiden
(Fragmente der julianischen Schriften in Aug. de nuptiis et con-
cupisc, libri sex c. Jul. u. opus imperf. c. Jul.). In dieser ist Au-
gustin oftmals von Julian in die Enge getrieben worden; aber der
Streit kam post festum: Augustin war schon Sieger. Julian schrieb
wie Einer, der nichts mehr zu verlieren hat. Er entwickelte darum
den Rationalismus und Moralismus aus der königlichen Vemunfb
mit hohem Freisinn und mit Ablehnung aller Möncherei, aber
ohne Verständniss für die Bedürfnisse und das Recht der Reli-
gion. Mit seinen Genossen musste er schliesslich in den Orient
fliehen und fand bei Theodor von Mopsvestia Schutz. Das ephe-
sinische Konzil, d. h. Cyrill, erwies dem römischen Bischof den
Gefallen, die Pelagianer zu verdammen (431). Ein Verständniss
für den Streit hatte man im Orient nicht, ja war in Bezug auf die
Willensfreiheit im Grunde pelagianisch gesinnt; aber auch im
Occident war man nur darin einig, dass jede Taufe in remissionem
peccatorum sei, dass es von Adam^s Fall her einen tradux peccati
gäbe, der die Adamskinder dem Tode und der Verdammung über-
liefere, und dass die Gnade Gottes als Kraft zum Guten jedem
Menschen zur Seligkeit von Anfang an nötig sei.
II. Pelagius (s. seinen libellus fidei ad Innocentium, seinen
Brief an die Demetrias, seinen Kommentar z. d. paul. Briefen
[unter den Werken des Hieronymus]; Anderes ist verloren oder
nur in Fragmenten in den Gegenschriften des Augustin erhalten)
§ 53.] Augustin und der Pelagianismns. 253
wollte von neuen Dogmen und einem System nichts wissen; Ju-
lian^s stoisches System mit aristotelischer Dialektik/ christlicher
Etiquette und dem Zug zum Naturalismus gehört der Geschichte
der Theologie an. Doch ist es wichtig, die Grundzüge der pela-
gianischen Lehre zu kennen; denn in feiner Form ist sie immer
wieder aufgetreten. Der mönchische Zug ist ihr schon bei Pela-
gius nicht wesentlich, sondern dem Ziele der spontanen Charakter-
bildung im Guten und der antiken Idee des Masshaltens unter-
geordnet. Eben deshalb darf man Pelagius und Julian zusammen-
fassen. Der mutige Glaube an die Fähigkeit zum Guten und das
Bedürfniss nach Klarheit im Denken über religiös-sittliche Fragen
verbindet sie.
Weil es Gerechtigkeit giebt*, giebt es einen Gott. Gott ist
der gute Schöpfer und gerechte Leiter. Alles ist gut, was er ge-
schaffen hat, also auch die Kreatur, das Gesetz, der freie Wille.
Ist die Natur gut, so kann sie auch nicht konvertibel sein; dann
kann es aber auch keine peccata naturalia geben, sondern nur
peccata per accidens. Die menschliche Natur kann nur accidentell
modifizirt werden. Die wichtigste und beste Ausstattung dieser
Natur ist der freie Wille („mohis animi cogente nullo^)'^ in ihm
ist die Vernunft mitgesetzt. Beide bewirken es, dass der Mensch
nicht unter der conditio necessitatis steht und keiner Hülfe bedarf.
Das ist die herrliche gratia prima des Schöpfergottes, dass wir
Beides vermögen und Eines thun können. Die possibilitas boni
ist von Gott, die voluntas und actio ist unsere Sache. Das Böse
ist eine momentane falsche Selbstbestimmung ohne Folge für die
Natur, entspringend aus der Sinnlichkeit. Nach Pelagius ist diese
«elbst schlecht, aber zu überwinden, nach Julian ist sie an sich
nicht schlecht, sondern nur „in excessu". Wäre es anders, so
müsste die Taufe die Konkupiscenz vernichten, auch wäre der
Schöpfergott nicht gut, wenn die Konkupiscenz schlecht wäre.
Der Mensch kann jeder Sünde Widerstand leisten, also muss er
es; es hat auch sündlose Menschen gegeben. Nach Pelagius
kommt Jeder in die Hölle, der wider besseres Können handelt.
Der Versuch, diese Lehren mit der Schrift und der kirchlichen
Überlieferung auszugleichen, war schwierig. Zugestanden wird,
dass der mit Wahlfreiheit ausgerüstete Adam gefallen ist; aber
seine Sünde hatte nicht den natürlichen Tod zur Folge, der eben
natürlich ist, sondern den geistlichen. Wie sich von ihm her nicht
Äer Tod vererbt hat, so noch weniger die Sünde; denn die An-
254 Entwickelun^ des Dogmas im Abendland. [§ 53.
Dahme eines tradux peccati (Erbsünde) fahrt zur absurden An-
nahme der SeeWugung und zum Manichäismus (böse Natur),
zerstört die göttliche Gerechtigkeit, lässt die Ehe als unheilig,
mithin als unerlaubt erscheinen und hebt jede Möglichkeit einer
Erlösung auf (denn wie kann eine befreiende Botschaft oder ein
Gesetz auf eine Natur einwirken?). Sünde bleibt stets Sache des
Willens, und Jeder wird nur für seine Sünde gestraft. Alle Men-
schen stehen im Stande Adams vor dem Fall (^yliberum arbitrium
et post peccata tarn pleniim est quam fuit ante peccata*^) ; nur eine
sündige Gewohnheit hält sie nieder, deren Macht allerdings an-
zuerkennen ist. Deshalb ist auch die Gnade als adiutorium an-
zuerkennen. Je nach dem Grade der Accommddation haben die
Pelagianer die Gnade für schlechthin notwendig, für erleichternd^
für überflüssig erklärt. Im Grunde hielten sie sie nur für eine
bequeme Krücke der Christen; denn der Satz „Aomo libero arhitrio
emancipatus est a deo^^ schliesst prinzipiell die Gnade aus. Auch
giebt es im Grunde nur eine Gnade, das aufklärende, abschreckende
und Belohnung vorhaltende Gesetz; aber man kann auch unter-
scheiden 1 ) die Schöpfungsgnade (die Ausstattung), 2) das Gesetz
(illuminatio et doctrina), 3) die gratia per Christum und zwar
a) sein Vorbild, b) die Frucht seines in der Taufe als Sünden-
vergebung uns zugewandten Werkes. Hieran durften die Pela-
gianer nicht rütteln; aber sie leugneten die gratia praeveniens,
sahen in der Kindertaufe keine Taufe in remissionem peccatorum
und erkannten die absolute Notwendigkeit der Vergebung nicht
an. Die ungetauft sterbenden Kinder werden auch selig, gelangen
aber nicht in das regnum caelorum. Der Satz der Pelagianer,
dass die christliche Gnade nur secundum merita verliehen werde,
hebt die Gnade ebenso auf wie der andere, dass sie wesentlich
so wirke wie das Gesetz. Indem sie den Augustinismus bald als
Neuerung, bald als Manichäismus, bald als inneren Widerspruch
beurteilten, brachten sie selbst die grössten Widersprüche (dia-
lektisch verdeckt) vor, waren Neuerer, sofern sie zwar die alt-
kirchliche Freiheitslehre, nicht aber den Gegenpol, die mystische
Erlösungslehre, festhielten, und verkauften die Religion an eine
unvernünftige Vernunft und eine im Tiefsten unsittliche Moral,
in. Augustin (i. J. 412 de peccatorum meritis et remissione
1. III; de spiritu et littera — i. J. 414 de perfectione iustitiae —
i. J. 415 de natura et gratia — i. J. 417 de gestis Pelagii —
i. J. 418 de gratia Christi et peccato originali 1. II — i. J. 419 de
§ 53.] Augustin und der Pelagianismus. 255
nuptiis et concupiscentia 1. II — i. J. 420 contra duas epp. Pela-
gianorum — i. J. 421 contra Julianum L VI, später noch das
opus imperfectum gegen Julian. Seine letzten Schriften sind de
gratia et libero arbitrio; de correptione et gratia [an die Mönche
zu Hadmmet] und de praedestimatione sanctorum sowie de dono
perseverantiae [nach Massilia]) ging nicht vom liberum arbitrium
aus, sondern von Gott und von der Seele, die sich ihm gegenüber
schuldig fühlt, aber seine Gnade erfahren hat. Indem er die Natur,
die Weltgeschichte und die Geschichte des Einzelnen von hier aus
erklären und eine rationale Darstellung geben wollte, geriet er
in viele Widersprüche und zu leicht widerlegbaren Annahmen.
Aber es giebt Sätze, die von Aussen betrachtet ganz unwahr sind,
von Innen betrachtet aber wahr. So ist auch Augustinus Gnaden-
und Sündenlehre zu beurteilen. Als Ausdruck psychologisch-
religiöser Erfahrung ist sie wahr; aber projizirt in die Geschichte
ist sie falsch. Dazu ist sie auch in sich nicht eindeutig; denn sie
ist sowohl vom Gedanken „Gott in Christus schafft den Glauben"
als von dem anderen „Gott, die einzige Kausalität" beherrscht,
die nur scheinbar in der Definition der Gnade als gratis data zur
Kongruenz gebracht sind. Ausserdem sind manichäische Reste
unverkennbar; der Bibelbuchstabe, in der Regel der miss ver-
standene, wirkte dazu noch trübend ein, und die religiöse Be-
trachtung wird von einer moralistischen (merita) begleitet, die
schliesslich den Ausschlag giebt.
Die Menschheit ist erfahrungsgemäss eine massa peccati d. h.
Gottes leer; aber der Gottmensch Christus — nur er — hat durch
seinen Tod die Kräfte, die entleerte Menschheit wieder mit gött-
Uchem Leben zu füllen, gebracht: das ist die gratia gratis data,
Anfang, Mitte und Ende unseres Heils. Ihr Ziel ist, dass aus der
massa perditionis ein certus numerus electoruni gerettet wird.
Gerettet wird er, weil Gott ihn prädestinirt hat (A. lehrt infra-
lapsarisch), erwählt, beruft, rechtfertigt, heiligt und erhält, kraft
seines evngen Ratschlusses. Dies geschieht in der Kirche durch
die Gnade, die 1) praeveniens ist, d. h. den Menschen aus dem
Sündenstand herausreisst und den guten Willen schafft (= vo-
catio, aber diese und' alle ferneren Akte der Gnade vollziehen sich
auch an Solchen, die schliesslich nicht gerettet werden, weil sie
keine Erwählten sind), 2) cooperans — diese entfaltet sich in
einer Reihe von Stufen bis zur völligen und faktischen Regene-
ration des Menschen, die ihm, dem mit Liebe Erfüllten, es ermög-
256 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 53.
licht sich merita zu erwerben. Aus der vocatio folgt die fides;
sie ist eine wachsende, indem sie sich auf den Stufen des Pürwahr-
haltenS; des Gehorsams, der fiducia und der Liebe entwickelt.
Parallel damit geht das effektive (sichtbare) Handeln der Gnade
in der Kirche, welches mit der remissio peccatorum beginnt A h.
mit der Taufe, die den reatus der Erbsünde wegnimmt und die
vorhergegangenen Sünden tilgt. Sie vollendet sich in der iusti-
ficatio, welche nicht ein urteil über den Sünder ist, sondern die
Vollendung des Prozesses, kraft welches er aus einem ünfrommen
faktisch ein Gerechter geworden ist. Dies geschieht durch die
Einflössung des Liebesgeistes in das Herz des Gläubigen (und
durch das Abendmahl), wodurch derselbe, in die Einheit der Ge-
meinschaft mit Christus (Kirche) aufgenommen, als sanctus und
ßpiritualis eine neue Stimmung und Lust empfängt (,ymihi adhaerere
deo bonum esP^) und nun die Fähigkeit zu guten Werken hat (,ßdes
impetrat, quod lex imperai^^). Die Rechtfertigung ruht auf derfides
und ist sub specie aetemitatis ein abgeschlossener Akt, empirisch
betrachtet ein im Diesseits nie vollendeter Prozess. In der Be-
währung der Liebe und Abkehr von der Welt (Askese) beweist
sich das Erfülltsein mit Glaube, Hoffnung und Liebe. Jene Be-
währung zeigt sich in guten Werken, die nun einen Wert vor Gott
haben (merita), obschon sie, als aus der Gnade geboren, seine Ge-
schenke sind. Nicht Jedem werden die vollkommenen Werke ge-
geben (consilia evangelica); aber jeder Gerechtfertigte hat Werke
des Glaubens, der Hoffnung und Liebe; 3) das höchste und letzte
Oeschenk der gratia, die in den Erwählten irresistibilis ist, ist die
perseverantia. Die vocati (et sanctificati?), die sie nicht haben,
gehen verloren. Warum sie nur Einige erhalten, da sie doch nicht
secundum merita verliehen wird, ist Gottes Geheimniss. Gewiss
aber ist — trotz der Prädestination imd der souveränen Gnade — ,
dass beim Endgericht nicht das „adhaerere deo", sondern der
sittliche Habitus das Entscheidende ist. Nur wer merita aufweisen
kann (aber sie sind dei munera), wird gerettet. Die Bedeutung
der Sündenvergebung und des Glaubens ist doch verkannt. A.'s
Satz ist: „Wo Liebe ist, da ist auch eine dem Masse der Liebe
entsprechende Seligkeit".
Von hier aus hat A. seine Lehre von der Sünde, dem Sünden-
fall und dem Urständ entworfen. Die Sünde ist privatio boni
(Mangel des Seins und des Gutseins), Zukehr des Menschen zu
sich selbst (Hochmut) und Konkupiscenz (Sinnlichkeit): j^misera
§ 53] Augastin's Lehre von Gnade und Sünde. 257
necessitas non posse non peccandi'\ obgleich die formale Freiheit
besteht — Herrschaft des Teufels (daher ist Erlösung von aussen
nötig). A. will als Hauptbegriff der Sünde den „amor sui" fest-
halten^ aber faktisch ordnet er ihm die Konkupiscenz über. Diese
offenbart sich vor Allem in der Geschlechtslust. Da diese sich
spontan (vom Willen unabhängig) regt, beweist sie, dass die
Natur verderbt ist (natura vitiata). Daher pflanzt sie Sünde fort:
der mit Lust vollzogene Zeugungsakt bezeugt, dass die Menschheit
eine massa peccati geworden. Da A. Bedenken trug, über die
Entstehung der Seele traduzianisch zu lehren, so wird — wider
den ursprünglichen Ansatz — der Leib zum Träger der Sünde,
der die Seele infizirt. Der tradux peccati durchzieht als vitium
originis die Menschheit. Diese Erbsünde ist Sünde, Sündenstrafe
imd Schuld; sie zerstört das wahre Leben und überhefert den
Menschen dem nou posse nou mori (auch die ungetauft sterbenden
Kinder — jedoch „mitissima poena^'), nachdem sie alle Thaten
desselben befleckt hat („splendida vitia"). So bezeugt es die
Schrift, die Praxis der Kirche (Kindertaufe) und das Gewissen des
Sünders. Von Adam her herrscht diese Erbsünde als natura
vitiata. Sein Fall war furchtbar, ein Komplex aller schweren
Sünden (Hochmut und Konkupiscenz); er war um so furchtbarer,
als Adam nicht nur gut geschaffen war, sondern als adiutorium
die göttliche Gnade besass (denn ein spontanes Gutsein ohne
diese giebt es nicht). Diese Gnade verscherzte er, und so gross
war der Verlust, dass das ganze Menschengeschlecht „in ihm"
verdarb (nicht nur weil alle jener Adam waren, sondern auch weil
von ihm das böse Kontagium sich verbreitete), und selbst die
Taufe die Erbsünde (Geschlechtslust) nicht auszutilgen, sondern
nur ihren reatus wegzuräumen vermag. Augustinus Vorstellung
vom Urständ (posse non peccare und adiutorium) steht in dem
klaffendsten Widerspruch zu seiner Gnadenlehre; denn die gratia
als adiutorium im Urständ ist der Gnade der Erlösung insofern
ganz unähnlich, als sie den Willen frei lässt und nichts wirklich
schafft, sondern nur eine Bedingung für die freie Entscheidung
zum Guten ist, also nicht irresistibilis. Dieses „adiutorium" ist
in Wahrheit pelagianisch gedacht (die Lehre vom Urständ und
von den Massstäben des Endgerichts lässt sich mit der Gnaden-
lehre nicht vereinigen , und die natura vitiata (als Geschlechtslust
erkennbar) lässt keinen Raum mehr für eine heilige Ehe, ist mit-
hin fast manichäisch. Aber alle schweren Anstösse können die
Grundriss IV. iii. Habnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 17
258 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 54,
Grösse der Erkenntniss nicht verdunkeln, dass Gott Wollen und
Vollbringen wirkt, dass wir nichts haben, was wir nicht empfangen
haben, und dass Gott- Anhangen gut und unser Gut ist.
§ 54. Angnstin's Erklärung des Symbols. Die neue Religious-
lehre.
um zu erkennen, wie A. die überlieferte Religionslehre (das
Dogma) umgebildet hat, imd welche seiner Gedanken in den
kirchlichen Besitz übergegangen sind, muss man seine Erklä-
rungen des Symbols, bes. sein Enchiridion, studiren. Zunächst
sind die vulgär katholischen Züge seiner Lehre hier ojBFenbar. An
dem alten Symbol wird die Dreieinigkeits- und Zwei-Naturen-
Lehre dargelegt; die Bedeutung der katholischen Kirche ist streng
gewahrt. Die Taufe ist als das wichtigste Mysterium in den
Vordergrund gestellt und vom Tode Christi abgeleitet, in dem die
Herrschaft des Teufels, nachdem er sein Recht bekommen hat,
gebrochen ist. Der Glaube erscheint oftmals als etwas Vorläu-
figes; das ewige Leben wird nur den Verdiensten zu Teil, diese
bestehen in Liebeswerken, letztlich aber in der Askese. Doch
brauchen nicht Alle diese zu leisten; man muss zwischen mandata
und consilia unterscheiden. Von den Almosen wird breit gehan-
delt; sie konstituiren die Busse. Innerhalb der Kirche ist für alle
Sündenvergebung da unter Voraussetzung der satisf actio congrua.
Es giebt eine Sündenskala von den Verbrechen bis zu den ganz
leichten Sünden des Tages; so giebt es auch eine Skala der bösen
und guten Menschen; auch die besten (sancti, perfecti) sind von
leichten Sünden nicht frei. Es giebt eine Stufenleiter der Selig-
keit (nach den merita). Den abgeschiedenen guten, aber nicht
vollendeten Seelen nützen Messopfer, Almosen und Gebete; sie
sind in einem sie läuternden Straffeuer. Die vulgären supersti-
tiösen Anschauungen sind von A. vielfach noch gesteigert worden,
so in Bezug auf das Fegfeuer, die zeitweilige Linderung der
Strafe der Verdammten, die Engel, die der diesseitigen Kirche
Hülfe leisten, die Kompletirung der in Folge des Engelfalls ge-
schmälerten himmlischen Kirche durch die erlösten Menschen,
die Jungfräulichkeit der Maria in partu und ihre einzigartige
Reinheit und Empfänglichkeit, die leisen Anfänge der Berechnung
des Wertes des Opfertods Christi, endlich — die Auffassung vom
Heil als visio et fruitio dei, die immer wieder durchschlägt, und
§ 54.] Augustin's Religionslehre. 259
die Fesselung der geistlichen Kräfte an geheimnissvoll wirkende
Sakramente.
Aber andererseits — die Religionslehre im Enchiridion ist
neu. An das alte Symbol ist hier ein Stofif herangebracht, der nur
ganz lose mit ihm verbunden werden kann und zugleich die ur-
sprünglichen Elemente modifizirt. In allen drei Artikeln ist die
Behandlung der Sünde, Sündenvergebung und Vollendung in der
Liebe die Hauptsache (§ lOf. 25f. 41f. 64-83). Alles wird als
innerlicher Prozess vorgestellt, dem der sehr kurz behandelte alte
dogmatische Stoff als untergeordnet erscheint. Deshalb ist der
3. Artikel am ausführlichsten behandelt. Schon im Auf-
riss zeigt sich das Neue: auf Glaube, Hoffnung und Liebe kommt
Alles an, so innerlich ist die Religion (3 — 8). Im 1. Artikel ist
keine Kosmologie gegeben, ja ausdrücklich wird die Physik als
Inhalt der Dogmatik abgelehnt (9. IG f.). Daher fehlt auch jede
Logoslehre. Die Dreieinigkeit, als Dogma überliefert, wird in
eine Einheit zusammengezogen: sie ist der Schöpfer. Im Grunde
ist sie eine Person (die Personen sind Momente in Gott und
haben keine kosmologische Bedeutung mehr). Alles in der Reli-
gion bezieht sich auf Gott als die einzige Quelle alles Guten
und auf die Sünde; diese wird vom Irrtum unterschieden. Damit
ist mit dem alten Intellektualismus gebrochen. Wo immer an
die Sünde gedacht wird, wird an die gratia gratis data, die prä-
destinatianische Gnade, gedacht, die den gebundenen Willen erst
frei macht. Mit dem Hinweis auf die misericordia praeveniens
und subsequens schliesst die Auslegimg des 1. Artikels. Wie
anders hätten die Worte desselben gelautet, wenn A. ihn hätte
frei entwerfen können! — Im 2. Artikel ist das, was das Symbol
wirklich enthält, ganz kurz berührt (die Wiederkunft Christi ohne
Chiliasmus). Dagegen tritt Folgendes in den Vordergrund: die
Einheit der Christuspersönlichkeit als des homo, mit dessen Seele
sich das Wort verbunden hat, die prädestinatianische Gnade, die
diesen homo in die Einheit der Person mit der Gottheit gebracht
hat, obgleich er keine Verdienste besass, die feste Verknüpfung
des Todes Christi mit der Erlösung vom Teufel, der Versöhnimg
und der Taufe einerseits, aber die Betrachtung der Erscheinung
und der Geschichte Christi als der Hoheit in der Demut und als
des Vorbildes der vita christiana andererseits. Die erlösende Be-
deutung Christi ist für A. ebenso stark in dieser Demut in der
Hoheit und in dem Vorbilde (s. Bernhard und Franciskus) aus-
17*
260 Entwickelung.des Dogmas im Abendland. [§ 54.
gedrückt, wie in seinem Tode. Die Menschwerdung tritt als
solche zurück, resp. wird unter eine Beleuchtung gestellt, die den
Griechen ganz fremd war. So ist der 2. Art. ein ganz anderer
geworden; der altdogmatische Stoff ist nur Baumaterial. — Im
3. Art. ist die Unbefangenheit und Sicherheit, mit der eine immer
währende Sündenvergebung in der Kirche gelehrt wird, die
Hauptsache und das Neue. Bei den Massen hat die steigende
Laxheit das unerschöpfliche Busssakrament herbeigerufen; allein
bei A. war die neue Erkenntniss durch eine Vertiefung des
Sündenbewusstseins und eine Versenkung in die Gnade Gottes,
wie Paulus sie gelehrt, verursacht. Freilich, die Frage der per-
sönlichen Heilsgewissheit hat ihm noch nicht die Seele getroffen
— er steht zwischen der alten Kirche und Luther — ; die Frage:
wie werde ich meiner Sünden ledig und mit Gottes Kraft erfüllt,
war seine Grundfrage. Im Anschluss an das vulgär Katholische
schaute er auf gute Werke aus; aber er fasste sie als Produkt der
Gnade und des Willens, der unter der Gnade steht; er warnte
dabei vor jedem äusserlichen Thun. Den Kultus und selbst die
Almosen schiebt er zurück; er weiss, dass es auf eine innere Um-
bildung, ein reines Herz und einen neuen Geist ankommt. Zu-
gleich ist er gewiss, dass auch nach der Taufe immerfort der
Weg der Sündenvergebung dem Bussfertigen offen steht, und
dass der die Sünde wider den h, Geist begeht, der an diese nicht
glaubt. Das ist eine völlig neue Deutung des evangelischen
Spruchs. Sehr ausführlich ist der Schluss des Symbols (resurrectio
carnis) erklärt. Aber die Hauptsache ist hier nach kurzer Er-
örterung des eigentlichen Themas — die neue Prädestinations-
lehre als die Kraft seiner Theologie, ferner die als Lehre ebenfalls
wesentlich neue Betrachtung (sie steht an der Stelle der Lehre
des Origenes von der Apokatastasis) von einer jenseitigen Läute-
rung der Seelen, zu der die Gebete und Opfer der Überlebenden
beitragen können.
Die Frömmigkeit: Glaube und Liebe statt Furcht und
Hoffnung; die Religionslehre: etwas Höheres als Alles, was Lehre
heisst, ein neues Leben in der Kraft der Liebe; die Lehre von
der Schrift: die Sachen (das Evangelium, Glaube, Liebe, Hoff-
nung — Gott); die Trinität: der eine lebendige Gott; die Christo-
logie: der eine Mittler, der Mensch Jesus, mit dessen Seele sich
die Gottheit verbunden, ohne dass sie es verdiente; die Erlösung:
der Tod zum Besten der Feinde und die Demut in der Hoheit;
Einl. z. §§ 55 f.] Augustinus Religionslehre. 261
die Gnade: die neuschöpferische stetige Kraft der Liebe; die
Sakramente: das Wort neben den Zeichen; die Seligkeit: die
beata necessitas des Guten; das Gute: die Abhängigkeit von
Gott; die Geschichte: Gott wirkt Alles nach seinem Wohl-
gefallen. Damit vergleiche man die griechische Dogmatik!
Freilich das alte Dogma wurde nun um so starrer, je mehr es in
den Hintergrund gerückt (nicht abgethan) wurde; es wurde kirch-
liche Rechtsordnung. Die neuen Lehren blieben noch flüssig,
erhielten also noch nicht die Ausgestaltung und den Wert von
Dogmen. Durch A. wurde die Kirchenlehre nach Umfang und
Bedeutung unsicherer. Einerseits wurde sie in das Evangelium
selbst zurückgeführt, andererseits grenzte sie sich minder scharf
gegen die Theologie ab, da die sichere Formulirung fehlte. Um
das alte Dogma, welches sich in erstarrender Giltigkeit behaup-
tete, bildete sich ein grosser unsicherer Kreis von Lehren, in dem
die wichtigsten Glaubensgedanken lebten, und der doch von Nie-
mandem überschaut und festgefügt werden konnte. Das ist der
Zustand des Dogmas im Mittelalter. Neben der Erstarrung be-
ginnt bereits der Prozess der inneren Auflösung.
Fünftes Kapitel.
GescMchte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn des
Mittelalters (430-604).
WMöLLEB, Semipelagianismus RE.* — JWiggers, a. a. 0. u. ZhTh.
1854 f. — GLAr, Gregor d. Gr. 1845. — PBöhbingrr, Biographien Leo's 1.
u. Gregorys I. 1879.
Das weströmische Reich brach zusammen. Die katholische
Kirche trat in das Erbe des Reichs, der römische Bischof in das
des Kaisers ein (Leo I. und seine Nachfolger im 5. Jahrh.). Aber
kaum an die Spitze gestellt, erlebte das Papsttum im Zeitalter
Justinian's einen tiefen Fall, aus dem es erst Gregor I. befreit hat.
Im 5. und 6. Jahrh. vermochte die lömische Kirche die barbari-
schen Nationen noch nicht zu erziehen; denn sie waren arianisch
und Rom war nicht frei, sondern seit dem 6. Jahrh. an den Orient
gekettet. Nur die Franken wurden katholisch, blieben aber zu-
nächst romfrei. Dennoch hat sich gerade in diesem Zeiträume
der Anspruch des römischen Bischofs, dass Alles, was von Petrus
gelte (besonders Mt. 16, 17 f.), auch von ihm gelte, durchgesetzt.
Die dogmatischen Aktionen beschränkten sich auf die Rezeption
und Abmüderung des Augustinismus im Sinne der Verklitterun
er
262 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 55.
desselben mit dem vulgär Katholischen. Das alte römische
Symbol anlangend, so erhielt es in dieser Zeit in Gallien seine
heutige Gestalt, in der besonders der neue Ausdruck „communio
sanctorum" (wahrscheinlich gegen Vigilantius für die Heiligen-
verehrung, s. FaustüS von Reji) wichtig ist.
§ 55. Der Kampf des Semipelagianismas und Aagnstinismns.
Die dankbare Hochschätzung Augustinus, die Verwerfung des
Pelagianismus imd die Anerkennung der allgemeinen erblichen
Sündhaftigkeit und der Notwendigkeit der Gnade (als adiutorium)
bedeuteten noch nicht die Anerkennung der Prädestination und
der gratia irresistibilis. Die Werkgerechtigkeit, der doch A. selbst
einen verborgenen Raum gelassen, und ein richtiger Instinkt der
kirchlichen Selbsterhaltung reagirten wider diese Lehren. Schon
bei A.'s Lebzeiten riefen sie bei den Mönchen zu Hadrumet Unruhe
und Zweifel hervor (Aug., de gratia et lib. arbitrio und de correp-
tione et gratia). Ein oder zwei Jahre später (428/9) berichteten
ihm seine ergebenen Freunde, dass man in dem südlichen Gallien
(Mönche zu Massilia und sonst j der Lehre von der Prädestination
und der völligen Unfähigkeit des Willens entgegentrete, weil sie
die christliche Predigt lähme. A. hat durch die Schriften de prae-
dest. sanct. und de dono perseverantiae die Freunde gestärkt, die
Gegner eher aufgestachelt. Die „servi dei" in Südgallien schritten
nach dem Tode A.'s kühner vor, aber doch nicht ganz oJBFen; denn
A. besass eine grosse Autorität. Das Kommonitorium des Vin-
centius, welches den streng-kirchlichen traditionellen Standpunkt
formulirt (s. oben S. 156), richtet sich mindestens indirekt gegen
die Neuheit der Lehre A.'s; Johannes Cassianus, der Vater der
südgallischen Mönche, brachte in seinen „collationes^^ den Semi-
pelagianismus zum Ausdruck, obgleich er viel von A. gelernt
hat. Die Richtpunkte des Semipelagianismus sind die wirk-
liche Universalität der Gnade, die Zurechnungsfälligkeit (Ver-
antwortlichkeit) des Menschen — darin ist er evangelisch — und
die Bedeutung der guten Werke. Demgemäss wird generell die
gratia praeveniens nur als äussere Gnade zugestanden: Gott
schafft die Bedingungen, Gelegenheit und Möglichkeit unseres
Heils zuvor; die innere (heiligmachende) Gnade aber konkurrirt
mit dem freien Willen, der somit ein koordinirter Faktor ist. Da-
her kann sowohl dieser als jene vorangehen, und eine gratia irre-
sistibilis ist ebenso ausgeschlossen, wie eine von göttlicher Prä-
§ 55] Der Semipelagianismus u. Augustinismus. 263
scienz (der freien Handlungen) unabhängige Prädestination.
Diese involvirt ein „ingens sacrilegium" (nämlich den Fatalismus),
wenn auch vorbehalten bleiben muss, dass Gottes Wege unbe-
greiflich sind (ähnlich Hilarius von Arles und schroJBFer, aber zu-
gleich verlogen, der unbekannte Verf. des „Praedestinatus'^, über
dessen ürsprimg noch ein Rätsel schwebt — die Vorstellung deckt
sich ungefähr mit der des Hieronymus, ist als allgemeine Lehre
unbedenklicher als die Augustinus, als Ausdruck der christlichen
Selbstbeurteilung ein Abfall von der Wahrheit). Die Verteidiger
A.'s, Prosper und der unbekannte Verf. der libri II de vocatione
gentium (milderer Augustinismus), brachten es zu keiner durch-
schlagenden Wirkung, obgleich der Papst Cölestin ihre Gegner
als vorwitzige Leute tadelte. In den letzten Jahrzehnten des
5. Jahrh. erhielt der Semipelagianismus an dem angesehensten
Lehrer Südgalliens, Faustus von Reji, einem liebenswürdigen und
milden Abt und Bischof, einen ausgezeichneten Vertreter, der sich
ebenso gegen den Pelagius „pestifer" wie gegen den schweren Irr-
tum der Prädestination wandte i^in der Schrift de gratia dei et
humanae mentis libero arbitrio) und den streng augustinischen
Presbyter Lucidus zum Widerruf bewegte, nachdem auf der
Synode zu Arles (475 j die Prädestinationslehre verurteilt worden
war. Faustus ist in seiner Lehre noch „mönchischer^^ als Cassian
und minder von A. bestimmt. Implicite hat er schon die Lehre
vom meritum de congruo et condigno vorgetragen. In der fides
als Kenntniss imd in den Anstrengungen des Willens sich zu
bessern liegt ein von der gratia prima getragenes meritum, ihm
wird die erlösende Gnade zu Teil, und sie wirkt nun mit dem
Willen zusammen, so dass vollkommene merita entstehen.
Wie einst Pelagianismus und Nestorianismus, die innerlich
verbunden sind, in ein gemeinsames Geschick gezogen wurden, so
ist auch der Semipelagianismus in die christologische Kontroverse
verwickelt worden und hat in ihr sein vorläufiges Ende gefunden.
Die theopaschitisch lehrenden skythischen Mönche in Konstan-
tinopel (s. oben S. 207), die in der Christologie den göttlichen
Faktor besonders betonten, klagten abendländische Theologen
(Faustus) als Feinde der richtigen Christologie und als Gegner
der Gnade an, sich auf den Boden A.'s stellend. Der Papst gab
eine ausweichende Entscheidung, aber bei den aus Nordafrika
nach Sardinien verbannten Bischöfen fanden die Mönche Bimdes-
genossen. Fulgentius von Ruspe schrieb um 520 gegen die Auto-
264 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 5(>.
rität des Faustus mekrere bedeutende Schriften, in denen der volle
Augustinismus vertreten ist (Partikularität der Gnade, praedesti-
natio ad poenam). Diese und die Lektüre der Predigten A /s wirkten
auch in Südgallien. Die Zeit verstand nur noch das Dilemma, ent-
weder ist Augustin ein Ketzer oder ein heiliger Lehrer. Der
grosse gallische Prediger, der sich ganz an Aug. gebildet hatte^
Cäsarius von Arles (f 542), beseitigte den südgallischen Wider-
spruch, der auf der Synode zu Valence laut wurde, wurde vom
Papst unterstützt und brachte auf der kleinen Synode zu Oranges
(529) die 25 „Kapitel" zum Siege, die der Papst aus den Schriften
A.'s und Prosper's gezogen und als die Lehre der alten Väter den
Südgalliem übersandt hatte. Wenige in Südgallien unterstützten
Cäsarius (Avitus von Vienne f 523); aber die meisten Bischöfe
waren wohl nicht mehr im Stande, der Streitfrage zu folgen. Die
Billigung des Papstes Bonifaz IL verstärkte das Ansehen der Be-
schlüsse von Oranges, die vom Tridentinum eingehend berück-
sichtigt worden sind. Die Kapitel sind augustinisch; aber es fehlt
die Prädestination, und der innerliche Gnadenprozess, auf den für
A. doch der Hauptnachdruck fiel, ist nicht gebührend gewürdigt.
Die gratia praeveniens ist unzweideutig gelehrt, weil die mön-
chische Anschauung von der Unreinheit der Ehe der strikten
Fassung der Erbsünde und damit der Gnadenlehre zu gute kam.
Aber sonst ist die Lehre in Wahrheit ein Augustinismus ohne
Augustin oder konnte doch leicht so verstanden werden, d. h. die
vulgärkatholischen Anschauungen von der äusserlichen Gnade imd
von den Werken konnten und sollten sich neben ihr behaupten.
§ 66. Gregor der Grosse (590-604).
Rom hat den Formeln des Augustinismus schliesslich zum
Siege verholfen, trotzdem sich seine Bischöfe im 6. Jahrh. weit
von ihm entfernten. Der durch seine Persönlichkeit (Mönch),
durch Briefe, Schriften (Regula pastoralis, Dialogi, Expos, in
Job seu Moralia, Homil. in Ezech.) und litui^ische Reformen ein-
flussreichste Papst, Gregor I., hat unter der Hülle augustioischer
Worte den vulgärkatholischen Typus, aber durch superstitiöse
Elemente verstärkt, wieder zum Ausdruck gebracht und die alte
abendländische Auffassung der Religion als einer Rechtsordnung
aus Licht gestellt. Das Mirakel wurde das Kennzeichen der Reli-
gion. Diese lebt unter Engeln, Teufeln, Sakramenten, Opfern,
Bussordnungen, Sündenstrafen, Furcht und HoflEuung, aber nicht
§ 56.] Gregor der Grosse. 265
in dem sicheren Vertrauen auf Gott in Christus und in der Liebe,
Hat Gregor für seine Person sich auch noch in augustinischen
Gedanken bewegt und zeigt er in seiner Weise Gerechtigkeit^
Milde und Freiheit, so bezeugt eben das buntscheckige Gemenge
seiner Theologie, dass sich selbst der Beste damals der religiösen
Barbarei nicht zu entziehen vermochte, in die die Antike sich
auflöste. Gregor wurde in der Folgezeit mehr gelesen und höher
gepriesen als Augustin. Er hat fast ein halbes Jahrtausend die
Dogmengeschichte im Abendland ohne Rivalen beherrscht imd
beherrscht im Grunde den Katholicismus noch eben. Neues hat
er freilich nicht geschaffen; aber durch die Art, wie er die ver-
schiedenen Lehren und Kirchengebräuche accentuirt und die
Religion zweiter Ordnung in die Theologie übergeführt hat, hat
er den vulgären Typus des romanischen Katholicismus geschaffen.
Vornehmlich ist Folgendes zu nennen: 1) Er reproduzirt die
wertvollsten Gedankenreihen A.'s über die innerliche Wirkung
und Aneignung der Gnade z. T. sogar selbständig, auch dem
Worte (verbum fidei) eine grosse Bedeutung beilegend, aber er
hat allen Stufen des augustinischen ordo salutis eine semipelagia-
nische Wendung gegeben, da er das liberum arbitrium als einen
der Gnade koordinirten Faktor auffasst („nosmet ipsos liberare
didtmiTy quia liberanti nos domino consentimus^^); 2) er hat die Be-
deutung des Todes Christi vielleicht lebhafter als A. empfunden,
aber unter den verschiedenen Gesichtspunkten, unter die er ihn
stellt, wiegen die apokryphen vor: durch Christi Tod ist der
Teufel überwunden, nachdem er geprellt worden; im Abendmahl
wiederholt sich das Opfer Christi thatsächlich (hier ist Gregor's
Lehre besonders massgebend geworden), und damit rückt ein ein-
gebildetes Opfer an die Stelle des geschichtlichen; aber auch sonst
erscheint der geschichtliche Christus verdrängt, nämlich durch
sein eigenes „meritum", das als die Leistung eines sündlosen
Lebens und h. Sterbens von ihm abgetrennt wird, ein dingliches
Gut, Jedermann nötig, um den zürnenden Gott zu befriedigen, in
seinem Werte für den Einzelnen aber ein ganz unsicherer Schatz;
3) mit dieser Auffassung von der Interzession des meritum Christi
hat Gregor die bisher unsicheren Gedanken über die Interzession
der Heiligen und die Dienste der Engel verbunden imd auf die
Höhe der „Theologie" erhoben. Die heidnische Superstition, die
Halbgötter und Götterreihen brauchte und zu den heiligen Kör-
pern der Märtyrer ihre Zuflucht nahm, hat er legitimirt, die Ver-
266 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 56.
dienste Christi und der Heiligen zusammenknüpfend^ die Erzengel,
Engel und Schutzengel klassifizirend und empfehlend, die schlimme
Praxis durch die „Lehre" verfestigend; 4) Hierarch mehr in der
Praxis als in der Lehre, hat er doch die Gleichung von Kirche und
civitas dei streng gezogen, denn er lebte in einer Zeit, wo nichts
anderes Wertvolles vorhanden war als die Kirche. Er feierte sie
als die congregatio sanctorum, aber in Wahrheit war ihm diese eine
erziehende, das Schlimmste abwehrende Gnadenanstalt; denn an
ein höheres Ideal durften sich die Menschen damals nicht heran-
wagen. Der römische Bischof war ihm der Herr nur der sündigen
Bischöfe (die Laien spielen überhaupt keine Rolle mehr), aber
Sünder waren sie alle („si qua culpa in episcopis invenitur, nescio
quis Pttri successori suhiectus non sit; cum vero culpa non exigity
omnes secundum rationein humilitatis aequales sunV^); 5) Gregor
weiss noch, was innerliche Gnadengaben und Tugenden sind, aber
das ausgerottete römische Heidentum hat doch andererseits in so
vollkommener Weise auch ihm sein Inventar und seine religiöse
Denkart überliefert, dass er alle religiösen Pflichten und Tugenden
in statutarische, festumschriebene Ceremonien einkapselt, die z.T.
adoptirte altrömische Bräuche waren; auch hier hat er freilich
nicht viel Neues geschaffen, sondern die römische „religio*^ sammt
dem Abhub der Mysterien, die längst Bürgerrecht in der Kirche
erlangt hatten, zu kirchlichen Heilsordnimgen ersten Ranges er-
hoben; 6) Gregor hat ein Gefühl für wahre Demut, aber die
Wendung, welche diese Tugend zur mönchischen „humilitas",
Selbstwegwerfung und zum geistlichen Selbstbetrug genommen
hatte, hat er verstärkt; mit dem einfachen Sinn für Wahrheit er-
losch auch der Sinn für Wahrhaftigkeit — es wurde Nacht; denn
auch die Welt des Lineniebens, die Augustin erhellt hatte, ver-
dunkelte sich wieder; 7) am folgenschwersten sind Gregorys Aus-
führungen über die Busse geworden; in ihnen lebte seine Theo-
logie, und man könnte sie vollständig von hier konstruiren. Der
imerforschliche Gott ist der Vergelter und lässt keine Sünde un-
gestraft; in der Taufe hat er die Erbschuld nachgelassen, aber es
gilt nun, durch Busse und gute Werke an der unterstützenden
Hand der Gnade sich die Seligkeit zu schaffen. Unter den drei
Stücken der Busse (conversio mentis, confessio oris, vindicta pec-
cati) tritt faktisch die abzuleistende Sündenstrafe als das wich-
tigste hervor. Erst bei Gregor ist die verhängnissvolle Umsetzung
vollendet, dass die „satisfactiones", die ursprünglich als sichere
Einl. z. §§ 57ff.l Gregor der Grosse. 267
Bezeugung wahrer Reue galten, die satisfaktorischen Sünden-
strafen sind, denen man sich unterzieht, um die ewige Strafe zu
vermeiden. Das Verdienst Christi und die Macht der Kirche
scheinen eben darin zu bestehen, dass ewige Strafen in zeitliche
umgesetzt werden; diese zeitlichen aber werden wiederum durch
die Interzession Christi und der Heiligen, durch Seelenmessen,
Reliquien, Amulette etc. verkleinert, verkürzt oder verhindert.
Was stets in der Religionsgeschichte sich gezeigt hat, dass, wo
die Religion ihr Ziel von der Moral nimmt, sie unmoralisch wird,
das zeigte sich auch hier. Im Obersatz herrscht die strenge Idee
der Vergeltung, im Untersatz treiben alle möglichen Heilsmittel,
z. T. nicht einmal mit christlicher Etiquette, ihr Wesen, und im
Schlusssatz regiert die Kasuistik und die Angst. Längst kam man
bei dieser Betrachtung mit dem Diesseits und der Zeit nicht mehr
aus und durfte doch noch nicht in die Ewigkeit übergreifen —
denn wer wäre dann für selig zu erachten?; aber erst Gregor hat
das Fegfeuer in die Theologie sicher eingeführt, damit der Kirche
eine ungeheure Provinz erobert, die Hölle weitergerückt und so
der Unsicherheit einen neuen Trost, aber keine Ruhe verschafft.
Sechstes Kapitel.
GescUclite des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
JBach, dg. des MA. 2 Bde. 1873 f. — HReutkb, Geach. d. relig.
Aufklärang im MA. 2 Bde. 1875 f. — AHaück, EGesch. Deutschlands.
2 Bde. 1887f. — JSchwanb, DG. d. mittleren Zt. 1882. — CJHkpele,
Konzü.Gesch. III * IV.'' — J ASpecht, Gesch. d. Unterrichts wesens i.
Deutschi, bis z. Mitte d. 13. Jahrh. 1885. — EHatch, Grundlegung d.
Kirchenverfass. Westeuropas i. frühen MA., übers, v. AHabnack 1888.
Chlodwig's Übertritt zum Christentum und Gregorys Missions-
untemehmen bei den Angelsachsen begründen die Geschichte der
römisch-katholischen Kirche bei den Germanen. Im 7. und
8. Jahrh. erlischt der Arianismus; im 8. muss Rom den Schwer-
punkt seiner Politik in die romanisch- germanischen Reiche ver-
legen. Das neubekehrte England und Deutschland wurden sofort
römisch; Pippin und Karl der Grosse kamen dem Papst entgegen.
Zunächst gewann der neue Weltstaat der Franken mehr als der
Papst; aber bald zeigte es sich, dass dieser aus der Verbindung
den höchsten Vorteil zog, nicht weil die Idee des christhchen
Kaisers an sich weniger bedeutete als die des Nachfolgers Petri,
sondern weil jene die Grimdlage eines wirklichen Weltreiches
erforderte, das doch nur vorübergehend geschaJBFen werden konnte.
268 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 67.
Das geistige Leben und die Theologie hat bis z. Z. Karl's d. Gr.
keine fortschreitende Geschichte; die karolingische Epoche ist ein
grosser und in mancher Hinsicht verfehlter Versuch einer Re-
naissance der Antike, somit auch der Vätertheologie. Was von
Theologie bis gegen d. J. 800 vorhanden ist, ist Kompendium und
Exzerpt (Isidor v. Sevilla, Beda, später ßabanus), gewissermassen
Institution, wie die ganze Religion. Durch Beda und Alcuin
wird Augustin wieder erweckt. Es war schon ein gewaltiger
Fortschritt, dass man ihn wirklich wieder zu verstehen begann
— z. T. besser als Gregor (Alcuin, Agobard u. A.) — ; aber als
selbständiger Denker kann doch nur Scotus Erigena angesehen
werden, dessen am Areopagiten imd Augustin gebildeter mysti-
scher Pantheismus (,jdc divisione naturae^) jedoch völlig wir-
kungslos blieb. Das Bildungsstreben des 9. Jahrh. war ein sehr
respektables (s. die uns erhaltenen Handschriften). Es bemäch-
tigte sich von England aus (Theodor von Tarsus, Beda, Alcuin)
des Kontinents und erhielt durch die in Italien nie ganz erloschene
Bildung Unterstützung. Aber in den grossen Erschütterungen
seit dem letzten Viertel des 9. Jahrh. schien Alles wieder zu ver-
sinken. Die dogmatischen Kontroversen des Zeitalters entspringen
teils aus bisher verdeckten und nun wieder bestimmt gezogenen
Konsequenzen des Augustinismus, teils aus dem Verhältniss zum
Orient. Eine besondere Beachtung verdient die Fortbildung der
Praxis und Theorie der Messe und Busse.
§ 57. Der adoptianisclie Streit.
AHauck, a. a. 0. II. — PGams, EGesch. Spaniens Tl.
Im Abendland war nach schweren Kämpfen die Christologia
des 5. Konzils zum Siege gekommen, und trotz des 6. Konzils ver-
drängte die mystische, verkappt monophysitische Anschauung die
streng chalcedonensische, da die superstitiösen Vorstellungen vom
Abendmahl jene begünstigten. Spanien wurde von dieser Ent-
Wickelung weniger beeinflusst. In der mozarabischen Liturgie
stand die augustinische Formel von der passiofiliia dop ti vi. Eli-
pandus, der herrschsüchtige, von nationalem Stolz erfüllte Bischof
von Toledo, machte um 780 die alte Lehre geltend, dass Christus
seiner menschlichen Natur nach filius dei adoptivus sei, die Er-
lösten also im vollen Sinne Brüder des Menschen Jesus. Wahr-
scheinlich wollte er eine von Rom unterschiedene Formel als
Ausdruck der Orthodoxie, die nur in Spanien zu finden sei. Mit
§ 58.] Der adoptianische und der Prädestinationsstreit. 269
innerer Überzeugung und hoher Wertschätzui^ der menschliehen
Person Jesu hat sie der Bischof Felix von ürgel vertreten, der im
Reiche Karl's sass (Lektüre antiochenischer Schriften ist wahr-
scheinlich). Nachdem in Spanien Beatus und Eterius die Gegen-
lehre verfochten hatten, griffen die fränkischen Theologen, vor
Allem Alcuin, ein. Monophysiten und Nestorianer standen sich
unter neuen Kappen gegenüber; Karl aber war der Anlass will-
kommen, sich als den Hüter der Orthodoxie und Herrn der Kirche
zu erweisen. Der Adoptianismus wurde auf den Synoden zu
Regensburg 792, Frankfurt 794, Aachen 799 verdammt, dem
Felix wiederholt der Widerruf abgepresst, das fränkische Spanien
durch Theologie und sanfte Gewalt (Leidrad) zur Einheit des
mystischen Glaubens zurückgerufen. Die Lehre des Joh. Damas-
cenus, die die Menschennatur in Christus unpersönlich fasste und
sie als die angenommene Natur des Logos mit ihm in völlige Ein-
heit setzte, siegte auch im Abendland. Alcuin drückt sich so
mystisch und überschwänglich aus wie Cyrill. Doch haben sich
trotz der realistischen Abendmahlslehre, die den geschichtlichen
Christus verdrängte und einen feinen Monophysitismus forderte,
augustinisch-adoptianische Gedanken bei den späteren Theologen
des MA. erhalten.
§ 58. Der Prädestinationsstreit.
JWiGaEBs i. d. ZhTh. 1859. — JWeizsackeb i. JDTh. 1859. —
Monographie über Hinkmar von HSchböbs 1884.
Das herrschende Kirchensystem war semipelagianisch; aber
im 9. Jahrh. wurde Augustin wieder eifrig studirt. Dass in der
Krisis, welche dadurch entstand, der Augustinismus trotz aller
gut augustinischen Redensarten doch nicht wieder hergestellt
wurde, ist ein Beweis für die Macht der Kirchenpraxis. Der Mönch
Gottschalk von Orbais machte die Prädestinationslehre mit der
Kraft Augustinus geltend, zugleich als die eigentliche Haupt- und
Stamnilehre, in ihr den Schlüssel für die Rätsel seines eigenen
Lebens findend. Er verkündigte die praedestinatio gemina (ad
vitam et ad mortem), meinte aber doch, dass Gott nur das Gute
bestimmt, das Böse bloss vorhergewusst habe. Nicht was er sagte
(Fulgentius und Isidor hatten nicht anders gelehrt), sondern wie
er es der Kirche vorhielt, erweckte ihm Feinde. Er wurde zu Mainz
(848) von Rabanus, zu Chiersey (849) von Hinkmar verurteilt und
als „miserabilis monachus^^ in Haft genommen, aus der er nie be-
270 EntwickeluDg des Dogmas im Abendlaxid. [§ 59.
freit worden ist, weil er jeden Widerruf verweigerte. Aber auf
seine Seite traten die bedeutendsten Theologen, nicht sowohl um
mit dem Augustinismus Ernst zu machen, als um Hinkmar
Schwierigkeiten zu bereiten und die augustinischen „Worte" als
Traditionalisten zu schützen. Namentlich aus dem Reiche Lothar's
kam der Widerspruch gegen die Raban-Hinkmar'sche These, die
Prädestination sei aus derPräscienz abzuleiten und auf die Heiligen
zu beschränken. Hinkmar suchte sich gegen die Schaar der Alcuin-
schüler (Prudentius v. Troyes, Ratramnus, Lupus v. Ferneres^
Servatus Lupus, Remigius v. Lyon, die proven^alischen Bischöfe)
auf der Synode zu Chiersey 853 dadurch zu decken, dass er in den
„Kapiteln" dem Augustinismus grosse Konzessionen machte, aber
doch seine Lehre von einer Prädestination, dem universalen Heils-
willen Gottes u. s. w. beibehielt. Es kommt in diesen objektiv
und subjektiv imwahrhaftigen „Kapiteln" das, um was es sich
handelte, gar nicht mehr deutlich zimi Ausdruck. Die, welche mit
dem Munde den ganzen Augustinismus bekannten, meinten damals
den halben, und die, welche, wie Hinkmar, Einiges unterschlugen,
wollten ihn in Wahrheit gar nicht. Im Erzbistum Sens und im
südlichen Prankreich befriedigten die Beschlüsse von Chiersey
nicht. Zu Valence 855 wurde die gemina praedestinatio proklamirt
und überhaupt der Augustinismus verkündigt. Auf den grossen
Synoden der drei Reiche zu Savonieres (859) und Toucy (860)
wurde dann nicht sowohl eine Einigimg erzielt, als vielmehr die
Kontroverse durch Übereinkunft paralysirt. In Wahrheit siegte
der Hinkmar'sche Lehrbegriff d. h. der Gregorys I. Die Lehren
von dem üniversalismus des Heilswillens Gottes, von der prompten
und sicheren Wirksamkeit der Sakramente und von der Kon-
kurrenz des freien Willens blieben bestehen; die Prädestinations-
lehre erschien wieder als ein dekoratives Element der Theologie.
Nur in dieser Gestalt war sie mit dem empirischen Kirchentum
vereinbar.
§ 59. Der Streit über das fllioque und über die Bilder.
CJHefele, Konzil.Gesch. III.* — APichler, Gesch. d. kirchl. Tren-
nung zwischen dem Orient u. Occident. 2 Bde. 1864 f.
Die augustinisch-spanische Formel „filioque"(s. oben S. 189)
war im Frankenreich rezipirt (s. die Synode von Gentilly 767)
und wurde von den Theologen Karl's (libri Carolini; Alcuin, de
process. s. s.) verteidigt. Zu Aachen 809 beschloss die fränkische
§ 60.] Abendmahl und Busse. 271
Kirche, dass das filioque in das Symbol gehöre. Dieser Beschluss
war durch eine schwere Unbill provozirt, welche abendländische
Pilger in Jerusalem zu erleiden hatten. Der Papst billigte zwar
die spanisch-fränkische Lehre, verweigerte aber die Aufiiahme
des Stichworts ins Symbol. Erst im 10. Jahrh. scheint es Rom
rezipirt zu haben. Hat Karl die sich öffnende Kluft zwischen
Orient und Occident durch das „filioque" erweitert und den Papst
dabei nur zum halben Bundesgenossen gehabt, so entfernte er sich
von der Orthodoxie des Orients noch mehr durch seine Ablehnung
der Bilderverehrung, die doch auch der Papst guthiess. Die Tradi-
tion der fränkischen Kirche und ein augustinisches Element (bei
Karl vielleicht auch ein aufklärerisches) bestimmten die Haltung
der Abendländer. Zu Frankfurt 794 wurden die Bestimmungen des
7. Konzils abgelehnt, jedoch auch die Beschlüsse der Synode von 754
verworfen. Das Selbstbewusstsein der fränkischen Kirche nahm die
sechs ersten Konzilien als Ausdruck des kirchlichen Altertums hin,
wollte sich aber auf modernen Konzilien nichts von Byzanz vor-
schreiben lassen. Die „libri Carolini" — das Manifest theologischen
Könnens, fränkisch-kirchlicher Selbständigkeit und einer gewissen
Aufklärung (abgedruckt bei Migne, Patrol. Lat. Bd. 98) — halten
den altkirchlichen Standpunkt fest: man will die Bilder nicht ver-
ehren, auch nicht stürmen, sondern fromm gebrauchen. Diese
Haltung haben noch Ludwig (Synode zu Paris 825) und Hinkmar
eingenommen; andere fränkische Theologen wie Agobard und
Claudius schritten noch weiter vor. Die Päpste bewahrten kluges
Schweigen, und allmählich kam im Abendland von Rom aus auch
die 7. bilderfreundliche Synode zur Anerkennung.
§ 60. Die Fortbildnng der Praxis und Theorie der Messe
(des Abendniahlsdogmas) nnd der Busse.
JBach, a. a. 0. — LJRückert i. Hilgenfeld's Ztschr. 1858. — HReuter,
a. a. 0. I. — Choisy, Paschase 1888. — Geschichte d. Abendmahlslehre
V. AWDiECKBOPP, AEbrard, AKahxip. — GESteitz, D. röm. Busssakra-
ment 1864. — HWassekschlebkn, Die Bussordnungen der abendländischen
Kirche 1851; ders., Die irische Kanon Sammlung.^ 1885. — HISchmitz^
Die Bussbücher der Kirche 1883. — HBrunner, Deutsche Rechtsgesch.
I. 11. 1887 f.
Die Vorstellung des Bildes wurde in steigendem Masse vom
Abendmahl ferngehalten; man lebte in einer Welt der Mirakel
und der Sakramente, um so grösser musste die Neigung werden^
den Inhalt des höchsten Sakraments ausschweifend zu schildern,
272 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 60.
um es aus der Masse des Heiligen hervorzuheben; die Christo-
logie, die den geschichtlichen Christus hinter der Einheit der
„Naturen" verschwinden liess, forderte ein immer gegenwärtiges
christologisches Mysterium, das empfunden und genossen werden
kann; die Messe galt als das Hauptstück und Kompendium der
Religion; die Vorstellung von Gottes Eigenschaften konzentrirte
sich mehr und mehr in der einen, dass er die allmächtige, wunder-
wirkende Willkür ist — alle diese Momente wirkten zusammen,
um das Ergebniss herbeizuführen: im Abendmahl ist der ge-
schichtliche Leib Jesu Christi gegenwärtig; denn die Elemente
werden in ihn verwandelt. Die Gleichung zwischen dem sakra-
mentalen und dem wirklichen (geschichtlichen) Leibe Christi
konnte um so leichter vollzogen werden, als man ja diesen selbst
von dem Moment der Menschwerdung ab als einen von der Gott-
heit assumirten, pneumatischen (mysteriösen) betrachtete und
ganz doketische Ansichten über ihn hegte, wie z. B. die Kontro-
verse über die Geburt Jesu aus Maria clauso utero beweist. Die
neue Lehre vom Abendmahl wäre ohne Schwierigkeit im karo-
lingischen Zeitalter formulirt worden, weil sie faktisch bereits
vorhanden war, hätte nicht das damals wieder aufgelebte Studium
des Sakramentsbegriffs Augustinus und seiner spiritualistischen
Abendmahlslehre hemmend eingewirkt. Paschasius Radbertus,
Abt zu Corbie, der die erste Monographie über das Abendmahl
(de corpore et sanguine domini 831) geschrieben hat, war einer-
seits Augustiner und reproduzirte mit wirklichem Yerständniss
und innerem Anteil die augustinische Lehre, dass die Handlung
dem Glauben gehöre imd eine geistliche Speisung darstelle; aber
andererseits führte er sie in die realistische volkstümliche Lehre
über, dass durch ein Allmachtswunder in jeder Messe die Elemente
innerlich aber wirklich in den von Maria geborenen Leib um-
gewandelt und nun Gott als Opfer dargebracht werden. Ausser-
lich tritt in der Regel keine Veränderung ein, damit der Leib
Christi nicht mit den Zähnen zerbissen werde. Gott schafft dieses
Wunder, das P. als Schöpfungswunder fasst; der Priester lässt
nur die Aufforderung an Gott ergehen. Aber wenn auch die
h. Speise nun wirklich der wahrhaftige Leib Christi selbst ist (der
sinnenfällige Schein der Elemente ist das Symbol), so bleibt es
doch dabei, dass nur die Gläubigen die geistliche Speisung zur
Unsterblichkeit erhalten, nicht aber die Ungläubigen. Paschasius
hat weder die hierarchischen noch die „objektiven"-Konsequenzen
§ 60.] Abendraabl und Busse. 273
der Wandelungslelire sämmtlich gezogen, sondern hat versucht,
das Mirakel dem Glauben zuzuordnen. Er ist auch nicht in
erster Linie Theologe der Messe gewesen, sondern wollte Theologe
im Sinn Augustinus und der griechischen Mystiker sein. Dennoch
kam ihm ein unerwarteter Widerspruch, ßabanus sprach sich
gegen diese Lehrfassung in einem Brief an Eigil aus, und Ratra-
mnus, Mönch zu Corbie, fand in seiner Schrift an Karl den Kahlen
i^de corpore et sanguine domini), dass Paschasius dem „spirituale"
Augustinus nicht gerecht geworden sei. Aber seine eigenen Aus-
führungen leiden an der altkirchlichen Unklarheit. Augenschein-
lich wiU er, wie in dem Streit über den uterus clausus der Maria,
als guter Augustiner das plumpe Allmachtswunder contra natu-
ram beseitigen und auf das „spiritualiter geri*^ im Interesse des
Olaubens allen Nachdruck legen; aber da auch er an dem Vor-
handensein des corpus domini nach der Konsekration nicht zwei-
felt, so muss er zwischen dem wirklichen Leib und dem Leib
unterscheiden. Der geborene, gekreuzigte Leib ist nicht im
Sakrament — das ist altkirchlich gedacht — , aber in dem Sakra-
ment ist die Kraft des Leibes Christi als einer invisibilis substantia
und insofern der pneumatische, nur dem Sinne der Gläubigen
zugängliche Leib selbst. In einigen Ausführungen kam Ratramnus
übrigens dem Paschasius noch mehr entgegen; doch ist die deut-
lichste Vorstellung die des „potentialiter creari in mysterio^^\ aber
eben diese Vorstellung war den abergläubischen Zeitgenossen
nicht mehr deutlich; sie wollten mehr als eine Glaubensrealität
und eine Seelenspeise. Paschasius hatte das entscheidende Wort
gesprochen. Die Schauer jeder Messe schienen es zu bestätigen
und wurden selbst durch die Kraft der sicheren Formulirung der
Lehre erhöht. Menschwerdung und Kreuzesopfer wiederholen
sich in jeder Messe. Was reicht dann an diese heran? Man
brauchte den alten Wortlaut der Messgebete nicht zu ändern,
die, wenn sie von dem Opfer handelten, das Lobopfer betonten;
denn wer merkte auf die Worte? Die Messe als Opferhandlung,
in der der Gottmensch Gott dargebracht wurde, hatte aber ihre
Spitze schon lange nicht mehr am Genuss, sondern an dem
sündentilgenden und Übel wegschaffenden Vollzug. Sie war in
das grosse Entsühnungsinstitut aufgenommen, und man häufte
die Messen ohne Kommunion (Seelenmessen), um Gott zu be-
sänftigen. Das uralte Element der Kommemoration der Feiernden
hatte sich besonders seit den Tagen Gregorys I. selbständig ge-
Grandriss IV. iii. Habnack, Dogmengeschichto. 2. Aufl. 18
274 Ent Wickelung des Dogmas im Abendland. [§ 60.
macht und die Kommunion gleichsam in eine zweite Feier ver-
wandelt. Die erste Feier, die Messe, gehörte den Laien nur inso-
fern, als sie eine besonders wirksame Form der Fürbitte der
Kirche zur Erleichterung der Sündenstrafen darstellte. Dies
war die allein deutliche Wirkung der Handlung — ein winziger,
nur durch Summationen erheblicher Efifekt eines .ungeheuren
Mysteriums !
Die Messe war dem Bussinstitut untergeordnet; in diesem
spielte sich das religiöse Leben ab. Die Strafe regierte die Welt
und die Gewissen. Der Gottesbegriflf der allmächtigen Will-
kür, der Vergeltung und der Nachlassung, eine christliche
Modifizirung des altrömischen, war der herrschende. Er hatte die
Vorstellung zur Folge, dass es auf Verdienste ankomme und auf
Satisfaktionen, um die durch die Sünde herbeigeführten, sich
immer wiederholenden Kontraktbrüche zu kompensiren. So hatte
schon Gregor L gelehrt; aber diese Anschauung floss bei den
germanischen Völkern mit ihren nationalen Rechtsvorstellungen
und -bestimmungen zusammen. Da nun die abendländische Kirche
nicht wie die morgenländische die Rechts- und Sittenpflege dem
Staat allein überliess, vielmehr selbst erziehend und strafend ein-
trat, so entwickelte sich parallel dem Rechtsinstitut des Staats
das Bussinstitut der Kirche. Die detaillirte Ausbildung dieses
Listituts war eine Folge der Übertragimg der Bussdisziplin in
den Klöstern auf die W^ltgeistlichkeit und die Laien und ist von
der iroschottischen resp. angelsächsischen Kirche ausgegangen.
Aber in der Angst vor den Sündenstrafen, der Hölle und dem
Fegfeuer sind die Laien der Praxis entgegengekommen und haben
den Einfluss der Kirche auf den gesammten Bereich auch de»
privaten Lebens selbst herbeigeführt. Eine gewisse Vertiefung
des Sündenbegriffs war die Folge: man suchte die Kirche auf,
nicht nur der groben Sünden wegen, sondern auch um der „Sünden-
wurzeln" und der verborgenen Verfehlungen willen (Völlerei, ge-
schlechtliche Lust, Habsucht, Zorn, Verstimmung, Angst und
Widerwille des Herzens, Aufgeblasenheit, Stolz), die man nun
auch für Todsünden hielt; allein jene Vertiefung wurde aufge-
wogen durch die abstumpfende Bereitschaft, sich stets als Sünder
zu bekennen, und durch die Vorstellung, dass Fürbitten und Satis-
faktionen an sich die Kraft haben, die verdienten Strafen auf-
zuheben. In Wahrheit dachte man viel mehr an die Strafe und
ihre Beseitigung als an die Sünde. Im karolingischen Zeitalter
§ 60.] Abendmahl und Basse. 275
wurde die hierarchische Seite des Bussinstitüts noch wenig ent-
wickelt und auch die dogmatische Theorie blieb noch zurück;
aber die Satisfaktionen erfuhren eine neue Ausbildung im Zu-
sammenhang mit der durch die freiwillige Beichte übernommenen
Bussübung. 1) Zu den alten, mehr oder minder willkürlichen Be-
stimmungen in Bezug auf Auswahl und Dauer der kompensirenden
Strafen (Gebete, Almosen, lamentationes, zeitweiliger Ausschluss)
treten in steigendem Masse Bestimmungen aus dem ATlicheu
Gesetz und den germanischen Rechtsordnungen. Jene hatten die
Folge, dass die Ausmessung der Kompensationsstrafen selbst in
"das Licht einer göttlichen Ordnung rückte, 2) die Kompensations-
mittel galten als Dinge, an denen Gott eine Freude habe, die also
an sich, wenn keine Verfehlung vorliegt, Verdienste begründen;
als das wirksamste musste der Opfertod Christi gelten; also war
die Wiederholung dieses Todes (pretii copiositas mysterii passionis)
das wirksamste und bequemste Mittel (Seelenmessen); daneben
musste man sich der Heiligen versichern, denn ihre Interzessionen
müssen wirksam sein, da Gott von ihnen nichts verlangen kann,
sie ihm also wertvolle Geschenke zu bringen vermögen, 3) da die
Bussleistungen einen dinglichen Wert vor Gott haben, so können
sie vertauscht resp. bei reuiger Gesinnung verringert werden;
hier besonders tritt die Kirche ein, indem sie solche Vertauschungen
gütig anordnet; so entstand ein ganzes. System von Nachlassungen,
Vertauschungen und Ablösungen, zu dessen Aufbau das ger-
manische Recht mitgewirkt hat (Entstehimg der Ablässe; die
Nachlassungen sind uralt), 4) ausser Vertauschung ist aber auch
Stellvertretung möglich; hier hat das germanische Recht noch
stärker eingewirkt; doch hat die Vorstellung an der Auffassung
Christi und der Heiligen als Stellvertreter auch eine kirchliche
Wurzel, 5) die ganze Auffassung hatte die Folge, dass man durch
die Ableistung der Busse nicht sowohl Gott den Vater wieder-
zugewinnen, als vielmehr Gott dem Richter zu entfliehen begehrte!
Diese seelenmörderische Praxis hat den Augustinismus vollends
umgebogen; sie hat die Christologie schon zur Zeit Gregorys I.
beeinflusst, und sie hat dann in der klassischen Zeit des MA. auf
alle aus dem Altertum stammenden Dogmen entscheidend ein-
gewirkt und neue geschaffen.
18 =
276 Entwiokelung des Dopmas im Abendland. [§ 61.
Siebentes Kapitel.
GescMclite des Dogmas im Zeitalter Clngny's, Anselm's und
Bemhard's bis zum Ende des 12. Jabrbnnderts.
HRküter a. a. 0. — HvEicken, Gesch. u. System d. MAlichen Welt-
anschauung 1887.
Durch das Bussinstitut war die Kirche die entscheidende
Macht des Lebens in der abendländischen Kirche. Ein Auf-
schwung der Kirche musste daher der gesammten abendländischen
Christenheit direkt zu gut kommen. Dieser Aufschwung ist seit
dem Ende des 10. Jahrb. eingetreten und hat bis zum 13. Jahrb.
fortgewirkt, in dem die Herrschaft der Kirche und das System
der mittelalterlich kirchlichen Weltanschauung vollendet ist.
Betrachtet man das Christentum als Lehre, so erscheint das
Mittelalter fast wie ein Anhang zur Geschichte der alten Kirche;
betrachtet man es aber als Leben, so ist das alte Christentum
erst in der mittelalterlich-abendländischen Kirche zu voller Aus-
gestaltung gekommen. Im Altertum standen der Kirche die
Motive, Massstäbe und Vorstellungen des antiken Lebens als
Schranken gegenüber. Sie hat diese Schranken, wie die griechische
Kirche zeigt, nie zu überwinden vermocht: das Mönchtum steht
neben der Kirche, die Weltkirche ist die alte Welt mit christlicher
Etiquette. Aber die abendländische Kirche des MA. hat die ihr
eigentümlichen Massstäbe der mönchischen Askese und der Be-
herrschung des Diesseits durch das Jenseits viel sicherer durch-
zusetzen vermocht, weil sie nicht eine alte Kultur neben sich
hatte. Allmählich ist sie so erstarkt, dass sie schliesslich auch
den alten Feind, die aristotelische Wissenschaft, in ihren Dienst
zu nehmen und zu einem Machtmittel umzuschaflfen vermocht hat.
Sie hat sich alle Elemente des Lebens und Wissens unterworfen.
Die innere Kraft ihres Wirkens war die augustinisch-asketische
Frömmigkeit, die in immer wiederholten Neubildungen des
Mönchtums hervorbrach, die äussere war der römische Papst,
der als Nachfolger Petri das Recht Christi und der römischen
Cäsaren zugleich geltend machte.
§ 61. Der Anfschwnng der FrSmmigkeit.
AEUrnack, D. Möncht.^ 1886. — KLamprecht, Das deutsche Geistes-
leben unter den Ottonen i. d. Ztschr. f. Geschichtsw. VI[, 1 S. Iff. —
ANeander, D. h. Bernhard (hrsg. v. Deutsch 1889). — HHüffer, D. L.
§ 61.] Der Aufschwung der Frömmigkeit im 11. u. 12. Jahrh. "277
Bernhard I 1886. — ARitschl i. d. Stud. u. Krit. 1879 S. 317f. — Deutsche
Geschichte von KWNitzsch, WGibsebrecht u. s. w.
Von Quedlinburg (Mathilde) und Clugny ist der neue Auf-
schwung der Frömmigkeit ausgegangen; die gregorianischen
Päpste, die neuen Kongregationen und Bernhard haben ihn durch-
gesetzt; die Laien kamen ihm lebhafter entgegen als die Welt-
kleriker, an die er grössere Anforderungen stellte; in dem Kreuz-
zugs-Enthusiasmus und den unzähligen Klosterstiftungen stellt
er sich am deutlichsten dar. Strenge Zucht in den Klöstern,
mönchische Regulirung der Weltgeistlichkeit, Herrschaft der
mönchisch regulirten Kirche über die Laienwelt, die Fürsten und
Nationen — das waren die Ziele. Auf dieser Grundlage allein
schien es möglich, ein wahrhaft christliches d. h. weltflüchtiges
Leben zu erzeugen. Das ganze Diesseits soll dem Jenseits dienen :
höchste Anspannung der Weltherrschaft der Kirche, um die voll-
kommenste Überwindung der Welt d. h. Weltflucht zu gewinnen.
Freiheit von der Welt schien nur unter der Bedingung der Welt-
herrschaft möglich Auch solche Mönche haben sich von dieser
Dialektik blenden lassen, die den Widerspruch zwischen dem
Zweck und dem Mittel wohl fühlten und den direkten Weg,
Weltflucht durch Weltflucht zu verbreiten, für ihre Person vor-
zogen. Aber die Kirche war ja auch der Gottesstaat, nicht nur
die individuelle Beseligung! Darum entflammten auch sie die
Gemüter zum Kampf gegen simonistische Fürsten und welt-
süchtige Kleriker. Um den Schmerzenszug der Weltverneinung
vollkommen auszuprägen, dazu waren Germanen und Romanen
noch zu jugendlich. Der gewaltthätige Charakterzug der Welt-
eroberung verband sich mit ihm und schuf jene merkwürdige
Stimmung, in welcher blitzartig Kraftgefühl und Demut, Genuss-
sucht und Verzicht, Grausamkeit und Sentimentalität wechselten.
Man wollte nichts von dieser Welt, sondern nur den Himmel, und
man wollte doch diese schöne Erde besitzen.
Der religiöse Lidividualismus wurde zunächst noch nicht ent-
zündet (doch s. die Ketzereien, die schon im 1 1 . Jahrhundert Ein-
gang fanden, teils importirt aus dem Osten — Bogomilen — , teils
spontan entstanden) ; wohl aber brachte man aus dem h. Lande,
in das man Kreuzzugsablässe mitnahm, Anschauungen zurück.
Das Christusbild wurde wiedergewonnen, und die Frömmigkeit
wurde durch die lebendigste Vorstellung von dem leidenden und
sterbenden Erlöser belebt: man muss ihm auf allen Stufen des
278 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 61.
Leidenswegs folgen ! Damit trat an die Stelle des ausgeschiedenen
„Adoptianismus" doch wieder der Mensch Jesus in den Vorder-
grund, und die negative Askese erhielt eine positive Form und
ein neues sicheres Ziel. Die Töne der Christusmystik, welche
Augustin nur unsicher angeschlagen hatte, wurden zu einer hin-
reissenden Melodie. Neben den sakramentalen Christus trat — die
Vermittelimg bildete die „Busse" — das Bild des geschichtlichen,
die Hoheit in der Demut, die Unschuld in dem Leiden, das Leben
in dem Tode. Es ist unermesslich, welche Wirkungen diese an
dem „Ecce homo" neugestimmte Frömmigkeit gehabt und wie
mannigfaltig sie sich entwickelt hat. Zu kräftiger und ergreifender
Darstellung hat sie zuerst der h. Bernhard gebracht, der das reli-
giöse Genie des 12. Jahrhunderts imd darum auch der Führer der
Epoche gewesen ist — Augustinus redivivus, zugleich aber der
gewaltigste Kirchenfürst. Soweit Bernhard ein System der Kon-
templation darbietet und den Stufengang der Liebe (caritas und
humilitas) bis zum Exzess schildert, soweit hat er Augustin nach-
erlebt. Auch seine Sprache ist von der der Konfessionen be-
stimmt. Aber in der passionirten Christusliebe ist er über
Augustin hinausgeschritten. „Die Ehrfurcht vor dem, was unter
uns ist", vor dem Leiden und der Demut (Devotion), ist ihm auf-
gegangen, wie vielleicht keinem abendländischen Christen zuvor.
Er verehrte Kreuz, Schmach und Tod als die Gestalt des Gött-
lichen, das auf Erden erscheint. Das Studium des Hohenliedes
und die Kreuzzugsbegeisterimg führten ihn vor das Bild des ge-
kreuzigten Heilandes als des Bräutigams der Seele. La dieses Bild
versenkte er sich; in ihm strahlte ihm die Liebe und leuchtete
ihm die Wahrheit leibhaftig. Die Sinnlichkeit der Anschauung
der Wunden Christi verschmolz sich ihm mit der geistlichen
Erhebung, die aber stets auf der Grundlage der kirchlichen
Bussordnung ruhen sollte. Bernhard hat die neuplatonischen
Exerzitien des Aufstiegs zu Gott mit der Betrachtung des ge-
kreuzigten Erlösers verbunden und die Subjektivität der Christus-
niystik und -lyrik entfesselt. Diese Betrachtung hat ihn in seinen
Sermonen über das Hohelied zu einer Selbsbeurteilung geführt,
die nicht selten die Höhe paulinischen und lutherischen Heils-
glaubens gewinnt („mow modo insttissed etbcatus, cuinoniwputahit
deus peccattim'^). Aber andererseits hat auch er den Tribut aller
Mystik bezahlen müssen, nicht nur sofern das Gefühl besonderer
Erhebung mit dem der Verlassenheit abwechselte, sondern
§ 62.] Der Aufschwung der Frömmigkeit. Der h. Bernhard. 279
auch sofern er eine pantheistische Wendung nicht abzuwehren
Yermochte. Wie Origenes lehrte auch Bernhard, dass man von
dem Christus im Fleisch zu dem Christus xatä Tcvsvna aufsteigen
müsse, dass das Geschichtliche eine Stufe sei. Aller Mystik ist in
der Folgezeit dieser Zug geblieben; sie hat von Bernhard, den man
wie einen Propheten und Apostel verehrte, die Christuskontem-
plation gelernt; aber sie hat zugleich den pantheistischenZug über-
nommen. Das „excedere et cum Christo esse" heisst, dass die
Seele in den Armen des Bräutigams aufhört, ein eigenes Selbst
zu sein. Wo aber die Seele in die Gottheit untergeht, da löst sich
die Gottheit in das AU-Eine auf.
Unermesslich ist die Bedeutung der neuen Christusanschauung
für die Christologie gewesen. Man behielt das Schema der beiden
Naturen freilich bei; aber in Wahrheit gab es neben dem sakra-
mentalen Christus einen zweiten, denMenschen Jesus, dessen
Gesinnung, Leiden und Thaten göttliches Leben dar-
stellen und fortpflanzen. Er ist Vorbild und Kraft; auch sein
Todesopfer ist das Opfer des Menschen, in dem Gott war. So kam
hier die augustinische, schon von Ambrosius angebahnte Vor-
stellung zu ihrer Vollendung. In der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts ist diese neue Frömmigkeit (Liebe, Leiden, Demut) eine
gewaltige Kraft in der Kirche. Aber wie Bernhard den Kontrast
zwischen der Welt des christlich-frommen Gefühls und der hierar-
chischen Politik der weltherrschenden Kirche in sich selber dar-
stellte, so haben auch die meisten Gläubigen in naiver Anhäng-
lichkeit an die Kirche die Ideale der weltlichen Macht und der
Demut für vereinbar gehalten. Noch ist der grosse Bettler von
Assisi nicht aufgetreten, dessen Erscheinung eine Krisis in dem
Gewoge von Weltflucht und Weltherrschaft hervorrufen sollte;
aber am Ende des 12. Jahrhunderts umschwebten bereits zornige
Flüche von „Häretikern" die Kirche, die in ihrer weltlichen Herr-
schaft imd in der Veräusserlichung ihrer Gnadenspendungen die
Züge des alten Babel erkannten, und Bernhard selbst hat die
Päpste gewarnt.
§ 62. Znr Oeschichte des kirchlichen Rechts.
FbMaassen, Gesch. d. Quellen u. Litt, des kanonischen Rechts I 1870.
— JFvScHüLTE, Gesch. der Quellen d. Kirchenrechts 1 u. II 1875. —
PHiNscHiuß, Kathol. Kirchenrecht. — HSDeniflb, Univers. d. MA. 1885. —
G Kaufmann, Geschichte d. deutschen Univ. I 1888.
Was je einmal von Päpsten beansprucht worden, erscheint
280 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 62,
in der grossen Fälschung Pseudoisidor's zusammengefasst und als
uraltes päpstliches Recht dargestellt: die Unabhängigkeit der
Kirche und ihrer Organe von den Laien und die päpstliche Herr-
schaft über die Bischöfe und die Nationalkirchen. Auf dieser
pseudoisidorischen Grundlage bauten die Päpste der Folgezeit,
Nicht um Theologie war es ihnen zu thun, sondern, als Römer,
um die Ausbildung des Rechts, das sie als ein göttliches für sich
in Anspruch nahmen. In dem Streit zwischen Kaiser und Papst
handelte es sich darum, wer der wirkliche Rektor des Gottesstaats
sein sollte und wem die Bischöfe zu imterstehen haben. Das
reformirte Papsttum entwickelte sich unter den Impulsen Clugny's
und Gregorys VIF. zur autokratischen Macht in der Kirche und
bildete demgemäss durch zahllose Dekretalen seine Gesetzgebung
aus, nachdem es sich in Rom selbst von den letzten Resten älterer
Verfassungszustände befreit hatte. Verbündet mit den Besten des
Zeitalters haben die Päpste des 12. Jahrhunderts, nachdem sie die
Investitur erlangt, ein neues Kirchenrecht zu entwerfen begonnen.
Die Dekretalen traten neben die alten Canones, ja neben die Be-
schlüsse der alten Konzilien. Doch blieb strenggenommen ihr
Ansehen noch schwankend.
Niemals hätte das Papsttum, indem es sich als Jurisdiktio-
nelle Oberinstanz entwickelte, in der Kirche, die doch Glaubens-
und Kultusgemeinschaft ist, die monarchische Leitung in Bezug
auf Glaube und Sitte erlangen können, wäre nicht in unserer
Periode die Verquickung von Dogma und Recht perfekt ge-
worden. Die Form des Dogmatischen trat in Rom selbst hinter
der des Rechts (lex dei) vollständig zurück, und die romanisch-
germanischen Völker waren zunächst wehrlos ; denn als römische
Rechtsordnung war die Kirche einst zu ihnen gekommen. Die
grossen Päpste waren Mönche und Juristen. Die juristisch- wissen-
schaftliche Behandlung aller Funktionen der Kirche wurde die
höchste Aufgabe. Das Studium des Rechts übte einen ungeheuren
Einfluss auf die denkende Betrachtung der Kirche in der ganzen
Breite^ ihrer Existenz aus. Was sich früher aus zwingenden Ver-
hältnissen heraus entwickelt hatte, die Kirche als Rechtsinstitut,
wurde nun durch den Gedanken befestigt und ausgebaut. Der
Geist der Jurisprudenz, der sich über den Glauben der Kirche
lagerte, begann sich auch die überlieferten Dogmen unterzuordnen.
Hier hat die Scholastik eine starke Wurzel; aber man darf nicht
vergessen, dass von TertuUian her die abendländischen Dogmen
§ 63.] Das kirchliche Recht im 11. u. 12. Jahrh. 281
für eine juristische Behandlung zubereitet waren, aus der sie z. T.
entstanden sind. Auf auctoritas und ratio gründet sich die Dia-
lektik der Juristen. Es gehört mit zu den grossen Kontrasten des
MA.'s — Bemhardinische Frömmigkeit und römisch-juristisches
Denken! Auf diesem Wege sollte die Kirche zur Gerichtsstube,
zum Kaufhaus und zur Räuberhöhle werden. Aber in unserer
Epoche stand sie noch am Anfang dieser Entwickelung.
§ 63. Der Anfschwnng der Wissenschaft.
Geschichte der Philosophie v. F Überweg, JEErdmann, AStöckl. —
Gesch. der Logik v. CPrantl Bd. II — IV. — HReuter a. a. 0. — FNitzsch
i. d. RE*. XIII S. 660 ff. — HSDeniplr a. a. 0. — GKaüfmann a. a. 0. —
JHLöwE, Kampf zwischen d. Nominal, u. Realism. 1876. — SM Deutsch,
F. Abälard 1883.
Scholastik ist die Wissenschaft des MA.'s. In ihr zeigt sich
eine Kraftprobe des Denktriebes und eine Energie, alles Wirk-
liche und Wertvolle dem Gedanken unterzuordnen, wie vielleicht
kein anderes Zeitalter eine solche bietet. Aber Scholastik ist
allerdings Denken „aus der Mitte heraus"; denn wenn die Schola-
stiker auch überall auf die letzten Gründe zurückgingen, so sind
diese nicht aus der Erfahrung und der wirklichen Geschichte ge-
wonnen, obgleich die Erfahrung in steigendem Masse im Laufe
der Entwickelung der MAlichen Wissenschaft berücksichtigt
wurde. Auctoritas und ratio (dialektisch-deduktive Methode) be-
herrschen die Scholastik, die sich von der alten Theologie darin
unterscheidet, dass die Autorität des Dogmas und der Kirchen-
praxis eine fester gefügte ist, und dass man in der zugehörigen
Philosophie (der antiken) nicht mehr lebte, sondern sie von aussen
hinzubrachte. Ihre Grundvoraussetzung hat sie — wenigstens
bis zur Zeit ihrer Auflösung — an der These, dass alle Dinge aus
der Theologie zu verstehen, alle Dinge deshalb auch auf die T h e o-
logie zurückzuführen sind Diese These setzt voraus, dass der
Denker sich selbst in der vollen Abhängigkeit von Gott empfindet.
Die Frömmigkeit ist also die Voraussetzimg der MAlichen Wissen-
schaft. Im Wesen der MAlichen Frömmigkeit selbst liegt aber
die zur Wissenschaft führende Kontemplation begründet; deon
Frömmigkeit ist die aus der stetigen Reflexion über die Beziehimg
der Seele auf Gott erzeugte, sich steigernde Erkenntniss. Also
ist die Scholastik, sofern sie alle Dinge von Gott ab-
leitet und in ihm wieder zusammenfasst, bewusst ge-
wordene und exponirte Frömmigkeit. Eben deshalb ist sie
282 Ent Wickelung des Dogmas im Abendland. [§ 63.
in der Wurzel von der Mystik nicht verscldeden; der Unterschied
Kegt nur darin, dass in der Scholastik die Erkenntniss der Welt
in ihrer Beziehung zu Gott ein selbständigeres, objektives Inter-
esse gewinnt und die theologischen Lehren wo möglich bewiesen
werden sollen, während in der Mystik die reflexive Abzweckung
des Erkenntnissprozess^s (zur Erhöhung der eigenen Frömmig-
keit) stärker hervortritt. Auch wird in jener von der Dialektik
in der Regel mehr Gebrauch gemacht, in dieser von der Intuition
und den inneren Erlebnissen. Aber unbedenklich kann z. B. die
Theologie des Thomas ihrem Ausgangspunkt und Ziele nach auch
als Mystik bezeichnet werden, und umgekehrt gab es Theologen,
die man herkömmlich Mystiker nennt, die aber in der Stärke des
Triebes, die Welt zu erkennen und die Kirchenlehre ordnend zu
versteheu, den sog. Scholastikern nichts nachgaben. Nicht nur
der Zweck ist derselbe (Mystik ist die Praxis der Scholastik),
sondern auch die Mittel (das autoritative Dogma der Kirche, die
geistliche Erfahrung, die überlieferte Philosophie) sind dieselben.
Die Spannungen, welche sich anfangs in der mittelalterlichen
Wissenschaft einstellten, sind deshalb auch beseitigt worden,
nachdem man die Kunst gelernt hatte, die dialektische Methode
dem überlieferten Dogma und dem Frömmigkeitsstreben unter-
zuordnen.
Das MA. hat von der alten Kirche die h. Schrift, das wesent^
lieh fertige Dogma, die Theologie, die zu diesem Dogma geführt
hat, und einen Schatz klassischer, mit der Theologie lose zu-
sammenhängender Litteratur und philosophisch- methodischer
Lehren erhalten. In diesen Beigaben zum Dogma waren auch
Elemente überliefert, die dem Dogma feindlich waren, oder es
doch bedrohten (der Neuplatonismus und Aristotelismus). In der
Theologie des Joh. Damascenus war der Versuch gemacht, alles
Widerstrebende wissenschaftlich auszugleichen; aber dem Abend-
land konnte die Arbeit der Vermittelung dadurch nicht erspart
werden. Im karolingischen Zeitalter waren seine Kräfte noch zu
schwach, um mit den Kapitalien selbständig zu arbeiten, die es
ererbt hatte. Einige Theologen lebten sich in Augustin ein —
schon dieses Unternehmen hatte, wie wir gesehen haben, partielle
Krisen zur Folge — , andere steckten sich in das fremde Gewand
der klassischen Autoren; in den Schulen lernte man an den
Schriften des Boethius und Isidor die Anfänge der dialektischen
Methode und einen schüchternen Gebrauch der ratio. Selbständig
§ 63.] Anfänge der Scholastik. 283
war, von Scotus Erigena abgesehen, kein Theologe. Wenn sie
selbstbewusster werden, lehnen sie die Erkenntniss der Natur,
des Teufels Buhlerin, und die Antike ab. Als formales Bildungs-
mittel konnten sie sie freilich nicht entbehren, und in steigendem
Masse imponirte die Dialektik, d. h. jene Methode, welche zuerst
Widersprüche aufdeckt, um sie dann zu lösen. Aus dem karolingi-
sehen Zeitalter läuft eine Kette wissenschaftlicher Überliefenmg
in gelehrten Schulen bis ins 11. Jahrh. Aber noch nicht Gerbert
von Rheims brachte es zu epochemachender Wirkung, sondern
erst die theologischen Dialektiker seit der Mitte des 1 1 . Jahrh.
Die philosophisch-theologische Hauptfrage der Zukunft ist schon
damals erwogen worden, ob die Gattungsbegriflfe über oder in den
Dingen existiren, oder ob sie nur Abstraktionen sind (Boethius in
Porphyr.; Realismus und Nominalismus). Der kirchliche Instinkt
der Selbsterhaltung wandte sich dem Realismus zu, den die Mystik
forderte. Als Roscellin in Folge seines Nominalismus zum kon-
sequenten Tritheismus gekommen war, wurde mit diesem auch
jene Denkweise als häretisch abgewiesen (1092). Mit grossem
Misstrauen wurden die Dialektiker im 11. Jahrh. betrachtet. In
der That griflfen sie häufig nicht nur den rohen Aberglauben und
die barbarische Denkweise in der Religion an, sondern gefährdeten
auch die Orthodoxie oder das, was man für Orthodoxie hielt.
Aber „Aufklärer'^ waren sie nicht. Sieht man näher zu, so stehen
auch die kühnsten auf dem Boden der Kirche oder sind doch mit
hundert Fäden an ihn geknüpft. Freilich alle Wissenschaft, auch
die gebundenste, wird stets ein Element in sich schliessen, durch
das sie den Glauben, der Ruhe begehrt, beleidigt; sie wird eine
Frische und Freudigkeit zur Schau tragen, die der Devotion als
Keckheit erscheint; ja sie wird, auch wenn sie im Ausgangspunkt
und im Ziele sich mit der Kirche Eins weiss, niemals einen nega-
tiven Zug verleugnen können, weil sie mit Recht immer finden
wird, dass die Prinzipien der Kirche in den konkreten Ausprägungen
des Lebens deteriorirt und durch Aberglauben und Wünsche ent-
stellt sind. So war es auch damals; aber wie der Aufschwung der
Wissenschaft eine Folge des Aufschwungs der Kirche gewesen
ist, so hat auch die Kirche schliesslich ihr eigenes Leben in der
Theologie wiedererkannt.
In der Erhebung der Wissenschaft war ein Dreifaches ge-
geben: 1) die Vertiefung in die neuplatonisch- augustinischen
Prinzipien aller Theologie, 2) die erhöhte Virtuosität in der
284 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 63.
dialektischen Zergliederungskunst und der rationellen Beweis-
führung, 3) eine sich steigernde Beschäftigung mit den Kirchen-
vätern und den alten Philosophen. Die Gefahr jener Vertiefung
war ein akosmistischer mystischer Pantheismus, und je naiver
man dem Realismus huldigte, um so grösser war die Gefahr; die
Gefahr der Dialektik war die Auflösung des Dogmas statt der
Beweisführung; die Gefahr des Umgangs mit den Alten war die
Verflüchtigung des geschichtlichen Christentums in den Kosmo-
politismus, in eine blasse allgemeine Religionsphilosophie auf
dem Boden der neutralisirten Geschichte. Eine eigentliche Philo-
sophie neben der Theologie gab es bis zum Ende des 12. Jahrh.
noch nicht; soweit etwas dem Ahnliches existirte, wurde es ge-
fürchtet, und so geschah es, dass zunächst die sub 2) bemerkte
Gefahr (Berengar und seine Freunde) am frühesten empfunden
wurde. Die sub 1) markirte Gefahr wurde um so weniger bemerkt,
als der grösste Theologe vor Thomas, Anselm, dessen Orthodoxie
über jedem Zweifel stand, sich höchst unbefangen in den neu-
platonisch- augustinischen Prinzipien bewegte. Vielleicht hätte
er bereits die dialektische Wissenschaft, der er sich mit Virtuosität
zu bedienen verstand, zu vollen Ehren gebracht und die Verträg-
lichkeit der Mystik (meditatio) und Vernunft, des Autoritäts-
glaubens und der ratio, glaublich gemacht {predo, ut intelligam
einerseits — rationahili necessitate intelligere esse oportere omnia
üla, qiiae nobis fides cathoUca de Christo credere praecipit anderer-
seits), hätten nicht Schüler von ihm, wie Wilh. von Champeaux,
bedenkliche Konsequenzen des platonischen Realismus gezogen
(die eine ruhende Substanz, das Erscheinende als Schein), und
wäre nicht in Abälard ein kühnes wissenschaftliches Talent auf-
getreten, das die Kirchenmänner abschrecken musste. Abälard
fehlt der Zug des Aufklärers nicht ganz; aber er ist mehr kühn
als konsequent gewesen, und sein „Rationalismus" hatte an der
Anerkennung der Offenbarung seine Schranke. Aber dem blossen
Autoritätsglauben ist er — wenn auch längst nicht überall —
doch entgegengetreten; er wollte wissen, was er glaubte, und er
wollte zeigen, wie unsicher und widerspruchsvoll die unkontrolirte
Orthodoxie und die für unfehlbar ausgegebene Überlieferung sei
(„Sic et Non"). So hat er die Grundlagen des Glaubens in glei-
cherweise ins Auge gefasst, wie die im Dogma sich darstellenden
theologischen Spitzen. Seine Gegner, vor Allem Bernhard, em-
pfanden seine Trinitätslehre und die ganze Methode seiner Wissen-
§ 63.] Anfänge der Scholastik. Abälard. 285
Schaft, die freilich bei ihm und den Schülern oftmals in formali-
stische Disputirkunst ausartete und mit unerträglichem Hochmut
gepaart war, als fremd und häretisch; sie haben ihn deshalb ver-
urteilt. Sie merkten gar nicht, dass die bedenklichsten Sätze des
kühnen Erneurers teils von den Kirchenvätern stammten, teils
Konsequenzen jener mystischen Gotteslehre waren, die sie selber
teilten (so seine Geschichtsbetrachtung, die das geschichtliche
Christentum zu Gunsten der griechischen Philosophie zu neutra-
lisiren scheint; vergl. Justin). Noch paradoxer ist es, dass gerade
Abälard, indem er einerseits jene Konsequenzen zog, andererseits
eine Art von Konzeptualismus an die Stelle des Realismus setzte,
dem. nüchternen Denken einen materiellen Einfluss auf die Be-
trachtung der Grundprinzipien vergönnte, die pantheistischen
Folgerungen der damaligen Orthodoxie beseitigte und so den
Orund zur klassischen Ausgestaltung der MAlichen
konservativen Theologie gelegt hat. Das kirchliche Dogma
forderte den Realismus, aber war denkend nicht zu halten unter
der vollen Herrschaft der mystischen neuplatonischen Theologie.
Es bedurfte der Herabstimmung des platonischen Hochflugs, also
des „Aristotelismus", wie man ihn damals verstand und wie er
damals wirkte, nämlich als die Betrachtung der Dinge, nach der
das Erscheinende imd Kreatürliche nicht die transitorische Aus-
gestaltung des Göttlichen ist, sondern der übernatürliche Gott
als Schöpfer im eigentlichen Sinn des Wortes die Kreatur hervor-
gerufen und mit Selbständigkeit begabt hat. Mit dieser Betrach-
tung hat Abälard wieder begonnen, und Manches, was zu seiner
Zeit Widerspruch hervorrief, ist nachmals orthodox geworden.
Doch es lag an ihm selbst, an den Fehlern seines Charakters, an
der Unklarheit seiner Positionen und an manchen Heterodoxien,
dass er nicht durchschlug. Er diskreditirte bei Bernhard und den
Mystikern die „Wissenschaft'^ so sehr, dass die nächste Genera-
tion der Theologen einen schweren Stand hatte. Es hätte nicht
viel gefehlt, so wären die Sentenzen des Petrus Lombardus, die
mit einer gewissen wissenschaftlichen Freiheit die patristische
Tradition, Meinung neben Meinung, zusammenstellen und eine
zweckmässige Übersicht über die Lehre im Geiste der Kirche
geben, verurteilt worden (1164. 1179). Walther von St. Victor
eiferte gegen ihn wie gegen Abälard. Aber dia Aufgabe der
Theologie, eine Übersicht über das ganze Gebiet der Dogmatik
zu lieferu und Alles durchzudenken, war, einmal gestellt, nicht
286 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 64.
mehr zu beseitigen, und in der Erledigung dieser Aufgabe kamen
sich Abälardianer und Bernhardiner näher. Auch forderte der
Verkehr mit Juden und Muhamedanern eine verständige Apolo-
getik. Am meisten aber hat Hugo von St. Victor, der schon auf
den Lombarden eingewirkt hat, für die Vereinigung der Rich-
tungen gethan. Die neue Frömmigkeit, auch mit den allemeuesten
Auflagen, Exerzitien und Erbauungsmitteln, konflagrirte am
Ende des 1 2. Jahrh. allmählich, wenn auch noch nicht vollkommen,
mit der dialektischen Wissenschaft. Dort wurde der naive
Köhlerglaube, hier die Keckheit ausgeschaltet, mit der allerdings
auch manche frische Erkenntniss verloren ging. Dies geschak
unter den berauschenden Eindrücken der in Siegen strahlenden
Kirche. Ihr Recht in Leben und Lehre wurde der würdigste
Gegenstand der Erforschung und Darstellung. In diese Aufgabe
verschmolz die andere, alle Dinge auf Gott zu beziehen imd die
Welterkenntniss als Theologie zu konstruiren. Doch erst im
Laufe des 1 3. Jahrh. wird Patristik, Ekklesiastik, mystische Theo-
logie und Aristotelismus in gewaltigen Systemen vereinigt. Die
dogmatischen Werke des 12. Jahrh. tragen — vielleicht von Hugo's
Arbeiten abgesehen — noch einen aggregirenden Charakter. Das
Denken, wenn es mehr sein wollte, als Reproduktion und Medita-
tion, wurde noch immer beargwöhnt.
§ 64. Arbeiten am Dogma.
Aus der Zahl der theologischen Zänkereien und der ver-
einzelten Verurteilungen hebt sich der Streit mit Berengar über
das Abendmahl und die neue Fassung der Versöhnungslehre
durch Anselm hervor. Nur sie bezeichnen einen Fortschritt in
der Geschichte des Dogmas, das in unserer Periode sonst nicht
bereichert worden ist.
A. Der Berengar'sche Streit.
JBach a. a. 0. I. — HReuter a. a. 0. — HSüdkndobp, BerengariuR 1850.
— LScHWABB, Stud. z. Gesch. d. 2. Abendmahlsstreits 1887. — JSchnitzleb^
B. V. Tours 1890.
Der zweite Abendmahlsstreit hat neben dem theologischen
auch ein philosophisches imd kirchenpolitisches Interesse. Das
Letztere mag hier auf sich beruhen. Berengar, der Schüler Ful-
bert's von Chartres, ist der erste Dialektiker, der voll Zuversicht
zu seiner Kunst, die mit der Vernunft selbst identisch sei, sich
§64] Der BereDgar'sche Streit. 287
gegen einen kirchliclien Aberglauben, der bereits nahezu ein
Dogma war, wandte. Die Kritik an dem Abendmahlsdogma war
aber bei der hervorragenden Stellung dieser Lehre eine Kritik
an der herrschenden Kirchenlehre überhaupt. Nicht als nega-
tiver Aufklärer, sondern um die wahre Tradition der üblen Ge-
wohnheit entgegenzusetzen, zugleich auch um sein Licht leuchten
zu lassen, hat B. geschrieben (Zusammenfassung in der Schrift
de Sacra coena adv. Lanfruncum c. 1073) und Schule gemacht. Er
sah in deif herrschenden Wandelungslehre Unvernunft und er-
neuerte die augustinische Abendmahlslehre (wie Ratramnus, dessen
Buch übrigens für das des Scotus Erigena galt und als solches zu
Vercelli 1050 verurteilt wurde), um die koytxrj XarQsCa wieder-
herzustellen und die barbarische Mysteriensucht zu bekämpfen.
Mit einem Brief an Lanfranc eröffnete B. den Streit und zeigte,
dass die AnnaJime einer leibhaftigen Verwandelung absurd sei,
dass also die Worte Christi tropisch zu verstehen seien. Die rein
symbolische Auffassung hat er nicht gelehrt, vielmehr signum
und sacramentum, wie die Väter, in der h. Handlung anerkannt:
ein Heiliges tritt durch die „conversio" hinzu, aber ein unsicht-
bares Element, d. h. der ganze Christus; Brot und Wein werden
nur beziehungsweise verändert. Die Gegenlehre streite mit
der Vernunft, in der das göttliche Ebenbild beschlossen liegt;
wer der „ineptia" huldigt, wirft somit sein göttliches Teil weg.
B.'s Lehre wurde in seiner Abwesenheit zu Rom und Vercelli
(1050) verdammt; er selbst wurde 1059 zu Rom zum Widerruf
gezwungen und liess sich herbei, ein vom Kardinal Humbert auf-
gesetztes Bekenntniss zu unterschreiben, welches zeigte, dass B.
die herrschende Lehre nicht übertrieben hatte; denn in dem Be-
kenntniss hiess es, dass die Elemente nach der Konsekration nicht
nur Sakrament seien, sondern der wahre Leib Christi (sensuaUter, non
soltim sacranuvfo), der denn auch von den Zähnen der Gläubigen
zerbissen werde. B., in den folgenden Jahren von einflussreichen
römischen Freunden (Hildebrand) geschützt, hielt längere Zeit
hindurch an sich, aber dann begann er den litterarischen Streit
aufs Neue. Nun erst wurden die Hauptschriften geschrieben
(Lanfranc, de corp. et sang, domini adv. B. c. 1069). Gregor VII .
beeilte sich nicht mit dem Ketzermachen ; aber um sein eigenes An-
sehen nicht zu schädigen, hat er schliesslich (Rom 1079) B. zum
zweiten Mal zur Unterwerfung gezwungen. Der Gelehrte war
gebrochen, und seine Sache ging unter. Die Wandelungslehre
288 Entwickelunfr des Dogmas im Abendland. [§ 64.
des Paschasius ist von den Gegnern B.'s weiter ausgebildet
worden (manducatio infidelium; krasser Realismus^-, doch hat
man in diesen Kreisen auch angefangen, die „Wissenschaft"
auf das Dogma im Interesse der Kirche anzuwenden. Die rohen
Vorstellungen wurden zurückgeschoben, der- ganze Christus in
der Handlung (in jeder Partikel) anerkannt (nicht blutige Stücke
seines Leibes), der Unterschied von signum und sacramentum
geltend gemacht, um die manducatio infidelium und fidelium zu
unterscheiden (bes. wichtig Guitmünd v. Aversa, de corp. et
sang. Christi veritate in eucharistia). Auch die „wissenschaft-
lichen" Betrachtimgen über Substanz und Accidentien wurden
bereits angestellt, wodurch sich das rohe „sensualiter" von selbst
korrigirte, während Einige freilich an eine Inkorruptibilität der
Accidentien der konvertirten Substanzen dachten; femer sind
schüchterne Anfänge der Spekulation über die übiquität der Sub-
stanz des Leibes Christi bereits zu treffen. Der Ausdruck „trans-
substantiatio" ist zuerst bei Hildebert von Tours (Anfg, des
12. Jahrh.) nachweisbar; das letzte Argument blieb immer die
allmächtige Willkür Gottes. Als Dogma ist die Wandelungslehre
auf dem Laterankonzil 1215 in dem neuen Glaubensbekenntniss
ausgeprägt worden, das vor der professio fidei Trident. das ein-
flussreichste Symbol nach dem Nicänum gewesen ist. Die Abend-
mahlslehre ist hier sofort an die Trinität und Christologie ange-
schlossen. Damit ist auch im Symbol zum Ausdruck ge-
kommen, dass sie mit diesen Lehren eine Einheit bildet,
und zwar in der Gestalt der Wandelungslehre (jiranssuhstanüaiis
pane et vino^') und mit streng hierarchischer Zuspitzung. Daran
reiht sich die Erwähnung der Taufe und der Busse (jypcr veram
poemtentiam semper potest reparari^^). Damit ist auch diese Ent-
wickelung abgeschlossen und zugleich die zugehörige andere,
dass ein jeder Christ vor dem parochus seine Sünden
beichten muss (c. 21). Die Neuerung im Symbol (Kombi-
nation der Abendmahlslehre mit Trinität und Christologie) ist die
eigenste und kühnste That des MA.'s, die viel schwerer wiegt als
das „filioque". Andererseits aber zeigt das neue Symbol noch
immer sehr deutlich, dass nur das alte Dogma wahrhaft Dogma
ist, nicht die augustinischen Sätze über Sünde, Erbsünde,
Gnade u. s. w. Das katholische Christentum wird ausser den
altkirchlichen Dogmen durch die Lehren von den drei Sakra-
menten (Taufe, Busse und Abendmahl) konstituirt. Das Übrige
^ 65.] Anselm's Satisfaktionslehre. 289
ist Dogma zweiter Ordnung, resp. kein Dogma. Dieser Zustand
ist für die Folgezeit (bis zur Reformation) von höchstem Werte.
§ 65. Fortsetzung.
B. Anselm's Satisfaktionslehre und die Versöhnungs-
lehren der Theologen des 12. Jahrhunderts.
Gresch. d. Versöhnungslehre v. JChBauk u. ARitschl (Bd. P). —
FBHassb, Anselm. 2 Bde. 1852 f. — HCremkr i. d. Stud. u. Krit. 1880 S. 7 ff.
Anselm hat in seiner Schrift „Cur deus homo*^ die strenge
Notwendigkeit (Vemünftigkeit) des Todes eines Gottmenschen
zur Erlösung der sündigen Menschheit nachzuweisen gesucht
(selbst bei Augustin finden sich Zweifel an der Notwendigkeit)
und dabei die Grundsätze der Busspraxis (satisfactio congrua)
zum. Grundschema der Religion überhaupt erhoben. Hierin be-
steht seine epochemachende Bedeutung. Voraussetzung ist, dass
die Sünde Schuld ist und zwar Schuld an Gott, dass die Schuld-
tilgung die Hauptsache im Werke Christi ist, dass das Kreuz
Christi die Erlösung ist, und dass darum Gottes Gnade eben
nichts Anderes ist als das Werk Christi (Augustin zeigt hier noch
Unsicherheiten . In diesen Momenten liegt die evangelische
Wahrheit der Anselm'schen Ausführungen. Aber sie leiden an
schweren Mängeln; denn indem sie nur das „Objektive" ins Auge
fassen, enthalten sie nicht den Nachweis der Wirklichkeit der
Erlösung, sondern im Grunde nur den der Bedingungen für
dieselbe (sie enthalten keine Versöhnungslehre); ferner fussen
sie auf einer widerspruchsvollen Anschauung von Gottes Ehre,
bringen die göttlichen Eigenschaften in eine unerträgliche Span-
nung, lassen Gott nicht als den Herrn und die allmächtige Liebe
erscheinen, sondern als einen mächtigen Privatmann, der der
Partner des Menschen ist, verkennen die Unverbrüchlichkeit des
heiligen Sittengesetzes und deshalb das Strafleiden und lassen
schliesslich den Menschen durch Christus vom zornigen Gott er-
löst und Gott durch Menschenopfer (!) befriedigt werden, ohne
es deutlich zu machen, wie im Menschen selbst eine Umänderung
seiner Gesinnung zu Stande kommt. Der grosse Augustiner und
Dialektiker Anselm wusste eben nicht, was Glaube ist, und
meinte darum eine Erlösungslehre in streng notwendigen E^te-
gorien (zur Bekehrung von Juden und Heiden) geben zu können,
ohne sich um die Begründung der Religion im Herzen, d. h. um
die Erweckung des Glaubens zu kümmern. Das heisst aber, die
OrundriBS IV. iii. Harnaok, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 19
290 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 66.
KeKgion ohne die Religion behandeln wollen; denn die Schöpfung
des Glaubens ist die Religion. Die alte Zerspaltung des Problems
in ,,objektive" Erlösung und „subjektive" Aneignung wirkt auch
hier, ja stärker als je früher; denn Anselm hat das Hauptproblem
energisch angefasst. um so übler sind die bösen Folgen, die noch
heute herrschen; denn ist das Problem in das „Objektive" (drama-
tische Veranstaltung Gottes) und das „Subjektive" zu zerteilen,
so hat Gott auch im Christentum nur die allgemeine Möglichkeit
der wahren Religion durch den Tod Christi begründet, sie selbst
aber muss sich der Einzelne, sei es allein oder mit hundert kleinen
Helfern und Hülfsmitteln (die Kirche), schaffen. Wer diese Auf-
fassung teilt, denkt katholisch, mag er sich auch einen luthe-
rischen Christen nennen. Anselm hat bei dem wichtigsten
Problem, das an die Spitze gestellt zu haben sein Ver-
dienst ist, den falschen katholischen Gottesbegriff und
die falsche altkatholische Auffassung der Religion,
wie sie in der Busspraxis längst zum Ausdruck ge-
kommen waren, erst zu voller Klarheit gebracht. In
diesem Sinne ist er ein Mitbegründer der katholischen Kirche^
obgleich seine Theorie im Einzelnen — zu Gunsten einer noch be-
quemeren Kirchenpraxis — vielfach verlassen worden ist.
Seiner Überzeugung, dass man erst auf Autorität hin glauben
müsse, dann aber im Stande sei, den Glauben denknotwendig zu
begründen, hat Anselm in verschiedenen Schriften Ausdruck ge-
geben („Monologium", „Proslogium" über den Gottesbegriff;
ontologischer Beweis). Aber erst in der dialogisch geschriebenen
Schrift „Cur deus homo" hat er das Ganze der christlichen Reli-
gion, in einen Punkt zusammengefasst, einheitlich und logisch
behandelt. Nach einer sehr bemerkenswerten Einleitung, in der
namentlich die alte Vorstellung von der Erlösung als Befriedi-
gung der Rechtsansprüche des Teufels abgewiesen wird, stellt er
den Obersatz auf, dass die vernünftige Kreatur Gott die ihm ge-
bührende Ehre durch die Sünde entzogen habe, sofern sie das,
was diese Ehre fordert, die gehorsame Unterwürfigkeit, nicht
mehr leiste. Da Gott seine Ehre nicht . verlieren kann, und da
ausserdem Straflosigkeit eine allgemeine Unordnung im Reiche
Gottes herbeiführen würde, so ist nur Rückerstattung (satisfactio)
öder Strafe möglich. Auch die Letztere wäre an sich angemessen,
aber da sie nur in der Vernichtung, somit in dem Untergang des
köstlichsten Werkes Gottes (der rationabilis creatura) bestehen
§ 65.] Anselm's Satisfaktionsielire. 291
»— ~— __ _ H — -, .
könnte^ lässt die Ehre Gottes sie nicht zu. Somit bleibt die satis-
factio übrig, die sowohl Rückerstattung als Schmerzensgeld sein
muss. Nun aber kann der Mensch diese nicht leisten; denn Alles,
was er Gott geben kann, ist ohnehin pflichtmässig zu leisten, und
ausserdem ist die Schuld der Sünde unendlich gross, da schon
der kleinste Ungehorsam eine unendliche Schuld zur Folge hat
(„nondtim considerasti qtianti ponderis sit peccatum^^). Wie soll
also der Mensch „totum qtiod deo äbstulit^^ wieder herstellen, „ut
sicut dcusper ilhim perdidit, itaper ilhim recuperet^^? Das vermag
nur der Gottmensch; denn nur Gott kann etwas „de suo^^ dar-
bringen, y^quod malus est quam omne quod praeter de^im est"^ und
der Mensch muss es bringen. Also ist eine Persönlichkeit ge-
fordert, die zwei Naturen hat und freiwillig ihr gottmensch-
liches Leben Gott darbringen kann (Sündlosigkeit) und darbringt.
Es muss sein Leben sein; denn nur dieses ist er nicht ver-
pflichtet, Gott zu opfern; alles Übrige ist auch er, der sündlose,
zu geben verpflichtet. Aber in diesem Opfer ist volle Satis-
faktion (j^nullatenus seipsnm potest homo magis dare deo, quam cum
se mortl tradit ad honorem illius'^) enthalten, ja sein Wert ist ein
unendlicher. Weil die kleinste Antastung dieses Lebens einen
unendlich negativen Wert hat, so hat die freiwillige Hingabe
einen unendlich positiven. Die acceptio mortis eines solchen
Gottmenschen ist ein unendliches Gut für Gott (!), welches die
Einbusse der Sünde weit übersteigt. Christus hat das Alles ge-
leistet; sein freiwilliger Tod kann nur ,^iw honorem dei^^ erfolgt
sein; denn ein anderer Zweck lässt sich nicht finden. Für uns hat
nun dieser Tod eine dreifache Folge, dass 1) die bisherige lastende
Sündenschuld weggeräumt ist, dass 2) wir uns an diesem frei-
willigen Tode ein kräftiges Beispiel nehmen können, und dass
3) Gott, indem er die Beschaffung der satisfactio auch als ein
meritum des Gottmenschen anerkennt, uns dieses meritum zu-
wendet, da er Christo doch nichts geben kann. Nur unter der
Bedingung dieser Zuwendung vermögen wir Nachahmer Christi
zu werden. Diese letzte Wendung ist ein erfreulicher Versuch
Anselm's, die Kraft der dramatischen Erlösungsveranstaltung in
die Herzen überzuführen; aber er leidet an einer Unklarheit, die
schon in der Busspraxis herrschte. An sich sind satisfactio und
meritum unvereinbar; denn eine und dieselbe Handlung kann
entweder nur dieses oder jene sein (dieses, wenn zu einer über-
pflichtmässigen Handlung kein Anlass gegeben war). Aber aus
19*
292 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 65.
der Busspraxis war man gewohnt, in den überpflichtmässigen
Leistungen, auch wenn sie zur Kompensirung dienten, doch „Ver-
dienste" zu erkennen. So hat Anselm denn auch die satisfactio
Christi unter den Gesichtspunkt des meritum gestellt, das fort
und fort — auch nach Abschluss des eigentlichen Handels —
Gott besänftigt und gütig stimmt. Anselm konnte das um so
leichter, als er die Leistung Christi für grösser hielt als das Ge-
wicht der Sünde. An den Gedanken des meritum aber hat er,
freilich mehr andeutungsweise, den subjektiven Effekt der Hand-
lung angeschlossen; im Rahmen der Vorstellung von der satis-
factio hat er keinen Punkt gefunden, von dem aus er zum „Sub-
jektiven" hätte übergehen können. Dennoch schloss er mit dem
grossen Bewusstsein, „/?e^' unius quaestionis sohitionem quicquid in
novo veterique testamento continetur^^ vernünftig erwiesen zu haben.
Ansehn's Satisfaktionstheorie ist in der Folgezeit nur unter
Modifikationen aufgenommen worden. Abälard machte von ihr
keinen Gebrauch, sondern ging, wo er die Erlösung durch Christus
behandelt (Komm. z. ßömerbr.), auf das N. T. und die patristische
Überlieferung zurück, den wichtigen Gedanken in den Vorder-
grund stellend, dass wir zu Gott zurückgeführt werden müssen
(keine ümstimmung Gottes ist nötig). Von vornherein bezieht
er die Erlösung auf die Erwählten und lehrt deshalb, dass der
Tod des Gottmenschen nur alsLiebesthat gefasst werden dürfe,
die unsere kalten Herzen entzündet; aber er giebt der Sache auch
die Wendung, dass das Verdienst Christi als des Haupts der
Gemeinde seinen Gliedern zu Gute komme; dieses Verdienst sei
aber keine Summe bestimmter Leistungen, sondern die Christus
einwohnende Fülle der Liebe gegen Gott. Christi Verdienst ist
sein Liebesdienst, der sich in unablässiger Fürbitte fortsetzt; die
Versöhnung ist die persönliche Gemeinschaft mit Christus. Von
Ansprüchen des Teufels an uns wollte Abälard auch Nichts
wissen, und mit dem Gedanken der Notwendigkeit eines blutigen
Opfers für Gott leimte er auch den Gedanken der logischen
Notwendigkeit des Kreuzestodes ab. Das Recht der Vorstellung
eines Strafleidens ist auch ihm wie Anselm verborgen geblieben,
Bernhardts Gedanken über die Versöhnung bleiben hinter denen
Abälard's zurück; er vermochte aber seine Christusliebe erbau-
licher auszusprechen als dieser. In der Folgezeit wird die Vor-
stellung des Verdienstes Christi (nach Anselm) die entschei-
dende. Sofern man über die satisfactio nachdachte, wurden die
§ 66] Die franciskanische Frömmigkeit. 293
strengen Kategorien Anselm's an verschiedenen Punkten gelockert.
War doch auch in der Bussdisziplin alle Notwendigkeit und alle
,,Quantität" unsicher! Übrigens hat sich der Lombarde damit
begnügt, alle möglichen Gesichtspunkte, unter denen man den
Tod Christi stellen kann, der Überlieferung gemäss auszuführen,
selbst den Teufelskauf sammt Täuschung, den Strafwert, aber
nicht die Satisfaktionslehre, weil sie keine Tradition für sich
hatte. Im Grunde aber war er Abälardiancr (Verdienst, Erweckung
der Gegenliebe). Nach ihm begann das Feilschen und Markten
um den Wert der Sünde und den Wert des Verdienstes Christi.
Achtes Kapitel.
GescMclite des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum
Anfang des 16. Jahrhunderts.
Die Bedingungen, unter denen das Dogma in diesem Zeitraum
gestanden hat, machten es als Rechtsordnung immer stabiler
— weshalb auch die Reformation vor dem alten Dogma unwill-
kürlich Halt gemacht hat — , lösten es aber innerlich immer
mehr auf, weil es die individuelle Frömmigkeit nicht mehr be-
friedigte und vor den neuen Erkenntnissen nicht Stand hielt.
§ 66. Zur Geschichte der Frömmigkeit.
KHase, Franz y. Assisi 1856. — EMüller, Anfänge d. Minoriten-
ordens 1885. — HThode, Franz von A. u. die Anfänge der Kunst der
Eenaissance in Italien 1885. — KMüllek, Die Waldenser 1886. — WPbbgeb,
Geschichte der deutschen Mystik. Bd. 1—3. 1874. 1881. 1893. — Ferner
die Arbeiten tiber die Joachimiten, Spiritualen, Brüder vom gemein-
samen Leben, Husiten und die „Ketzer" des MA. : JDöllingkr, Beitr.
z. Sektengesch. d. MA. 2 Bde. 1890; die Arbeiten von HDeniflb und
FEhble im Archiv f. Litt.- u. K.-Gesch. des MA. Bd. 1—4 und die betr.
Artikel der RE*.
Die bemhardinische Frömmigkeit der Versenkung in das
Leiden Christi wurde durch den h. Franciskus zur Frömmigkeit
der Nachfolge Christi ausgestaltet „in humilitate, caritate,
obedientia". Humilitas — das ist die vollkommene Armut, und
in der Art, wie Franciskus diese in seinem Leben zur Darstellung
brachte und mit der überschwänglichsten Christusliebe verband,
hat er ein unerschöpflich reiches, der verschiedensten individuellen
Ausgestaltung fähiges, hohes Ideal der Christenheit vorgehalten,
das mächtig durchschlug, weil erst in ihm die katholische
Frömmigkeit ihren klassischen Ausdruck erhielt. Zu-
294 Entwickelung des Dogmas im Abendland. {§ 66.
gleich war Franciskus von einem wahrhaft apostolischen Missions-
trieb und dem glühendsten Eifer, Herzen zu entzünden und der
Christenheit in Liebe zu dienen, beseelt. Seine Predigt galt der
einzelnen Seele, der Busse und der Herstellung des apo-
stolischen Lebens. In weiteren Kreisen sollte sie als er-
schütternde Busspredigt wirken, und in dieser Hinsicht verwies
Franciskus die Gläubigen an die Kirche, deren treuester Sohn er
war, obgleich ihre Bischöfe und Priester nicht dienten, sondern
herrschten, Diesen Widerspruch hat er übersehen; aber Andere,
die ihm vorangegangen waren (Waldesier, Humiliaten), übersahen
ihn nicht, beargwöhnten bei ihren Bestrebimgen, das apostolische
Leben aufzurichten, die herrschende Kirche und trennten sich von
ihr. Die Bettelorden haben das Verdienst, einen grossen Strom
erweckten und bewegten christlichen Lebens im Bett der Kirche
erhalten zu haben; nicht wenige Wasser desselben fluteten bereits
daneben, nahmen eine kirchenfeindliche Richtung, wühlten die
alten apokalyptischen Gedanken wieder auf und sahen in der
Kirche die grosse Babel, das nahe Gericht bald Gott bald dem
Kaiser vorbehaltend. Ein kleiner Teil der Pranciskaner hat mit
ihnen gemeinsame Sache gemacht. Sie verbreiteten sich über
Italien, Frankreich, Deutschland bis nach Böhmen und Branden-
burg, hin und her verworrene häretische Gedanken hegend, in der
Regel aber nur die Gewissen schärfend, religiöse Unruhe oder
Selbständigkeit in der Form individueller asketischer Religiosität
erweckend und die Autorität des Kirchentums lockernd oder be-
kämpfend. Ein Laienchristentum entwickelte sich in und
neben der Kirche, in dem der Trieb nach religiöser Selbständig-
keit gross wurde; aber da Askese schliesslich immer ziellos ist
und keine Seligkeit schaffen kann, so bedarf sie der Kirche, ihrer
Autorität und ihrer Sakramente. Durch ein geheimes, aber sehr
festes Band bleiben alle „Ketzer", die das asketisch evangelische
Lebensideal auf ihre Fahne schreiben, mit der Kirche verbunden,
deren Druck, Herrschaft und Weltsucht sie entfliehen wollen.
Aus den Sekten, den biblicistischen , apokalyptischen, walde-
sischen, husitischen hat sich nichts Dauerndes entwickelt. Sie
waren wirklich „ketzerisch"; denn sie gehörten der Kirche, der
sie entfliehen wollten, doch an. Die zahlreichen frommen Bruder-
schaften, die sich entwickelten und im Rahmen der Kirche —
wenn auch tmter manchem Seufzen — blieben, zeigen, dass die
grosse Kirche noch immer Elastizität genug besass, um der
§ 66.] Die franciskanisclie Frömmigkeit. Mystik. 295
^^Armut^' und dem eYangelischen Leben Baum zu lassen und die
Bettelorden sich einzugliedern. Bald entmannte sie dieselben^
und sie wurden ihre besten Stützen. Der individuellen Frömmig^
keit der Laien ^ aufs festeste an den Beichtstuhl, die Sakramente,
den Priester und den Papst gekettet, wurde in der Priesterkirche
eine subalterne Existenz gestattet. So schlug sich die mittel-
alterliche Kirche mühsam durchs 14. und 15. Jahrh. durch. Was
die Minoriten der Hierarchie an Opfer darbringen mussten, dafür
haben sie sich gleichsam entschädigt durch die unerhörte Energie,
mit der sie bei den Laien den Zwecken der weltherrschenden
Kirche dienten. Die universalgeschichtliche Bedeutung der durch
dieWaldesier und die Bettelorden begründeten Bewegungen lässt
sich nicht an neuen Lehren und Institutionen nachweisen, obgleich
sie nicht ganz gefehlt haben, sondern sie liegt in der religiösen
Erweckung und in der zum religiösen Lidividualismus führenden
Unruhe, die sie erzeugt haben. Sofern sie den Einzelnen zum
Nachsinnen über die Heilswahrheiten gebracht haben, sind die
Bettelorden mid die „vorreformatorischen^' Bewegungen eine Vor-
stufe der Brcformation geworden. Aber je mehr man die Religion
in die Kreise des dritten Standes und der Laien überhaupt hinein-
trug, um so aufmerksamer wachte man über die Unversehrtheit
des alten Dogmas, und die grosse Mehrzahl der Laien selbst wollte
bei der Unsicherheit über das Mass der praktischen Aufgaben
und über den rechten Zustand der empirischen Kirche im Dogma
den festen Punkt verehren. —
Im Einzelnen kommt für die Zwecke der Dogmengeschichte
bei dieser Verinnerlichung der Religion der Bund der Bettelorden
mit der Mystik besonders in Betracht. Mystik ist die bewusste,
reflektirende katholische Frömmigkeit, die eben durch Reflexion
und Kontemplation sich steigern will: der Katholicismus kennt
nur sie oder die fides implicita. Das Muster stammt aus einer
Kombination Augustinus mit dem Areopagiten, belebt durch die
bemhardinische Hingabe an Christus. Die Mystik hat viele Ge-
stalten; aber sie ist national oder konfessionell wenig unter-
schieden. Wie sie geschichtlich einen pantheistischen Ausgangs-
punkt hat, so hat sie auch ein pantheistisches (akosmistisches)
Ziel. In dem Masse, als sie sich mehr oder weniger an den ge-
schichtlichen Christus und die Anweisungen der Kirche hält, tritt
dieses Ziel minder stark oder stärker zu Tage; aber auch in den
kirchlichsten Ausprägungen der Mystik fehlt jene Richtlinie nie
296 Entwickelung des Dogmas im Abendland. |§ QG^
ganz, die über den geschichtlichen Christus hinausweist: Gott und
die Seele, die Seele und ihr Gott; Christus der Bruder; die Geburt
Christi in jedem Gläubigen (der letztere Gedanke bald phanta-
stisch, bald spirituell gedacht). Die Mystik hat gelehrt, dass die
Religion Leben und Liebe sei, und sie hat von diesem hohen
Gedanken aus das ganze Dogma bis in die Tiefen der Trioität^
hinein zu beleuchten, ja umzusetzen unternommen; sie hat indi-
viduelles religiöses Leben erzeugt, und die Bettelorden-Mystiker
waren ihre grössten Virtuosen. Aber weil sie den Fels des-
Glaubens nicht sicher erkannt hat, hat sie nur Anweisungen zu
einem progressus infinitus zu Gott) zu geben vermocht, das stetige
Gefühl eines sicheren Besitzes jedoch nicht aufkommen lassen.
Die Anweisungen der Mystik bewegen sich in dem Rahmen^
dass die von Gott entfernte Seele durch Reinigung, Erleuch-
tung und wesenhafte Vereinigung zu Gott zurückkehren muss;
sie muss „entbildet", „gebildet" und „überbildet" werden. Mit
der reichen und sicheren Anschauimg des Erlebten haben die
Mystiker geredet von der Einkehr in sich selber, von der Be-
trachtung der Aussenwelt als eines Werkes Gottes, von der
Armut und Demut, auf die sich die Seele stimmen muss. Auf
allen Stufen haben viele Mystiker es verstanden, den ganzen
kirchlichen Apparat der Heilsmittel (Sakramente, Sakramentalien)
herbeizuziehen; denn, wie bei den Neuplatonikem, bildete auch
bei den Mystikern die innerlichste geistige Frömmigkeit und der
Kult der Idole keinen Gegensatz: das Sinnliche, auf dem der
Schimmer einer h. Überlieferung liegt, ist das Zeichen und Pfand
des Ewigen. Speziell das Busssakraraent spielte in der Regel bei
der „Reinigung" eine grosse Rolle. Bei der „Erleuchtung" treten
die bernhardinischen Kontemplationen stark hervor. Neben
höchst bedenklichen Anweisungen über die Nachahmung Christi
finden sich auch evangelische Gedanken — die glaubensvolle
Zuversicht auf Christus. Dabei wird hier jenes sich Versenken in
die Liebe betont, aus dem sich eine hohe Steigerung des Innen-
lebens entwickelt hat, in der die Renaissance und Reformation
vorbereitet erscheinen. Bei der ,,wesenhaften Vereinigimg^' end-
lich erscheinen die metaphysischen Gedanken (Gott als das All-
Eine, das Individuelle nichts; Gott die „abgründliche Substanz"
„die stille Stillheit" u. s. w.). Selbst der Normaldogmatiker Tho-
mas hat hier pantheistische Gedanken nicht verleugnet, die den
Anstoss zur „ausbrüchigen" Frömmigkeit gegeben haben. In
§ 66.] Die Mystik. 297
neuerer Zeit ist vonDenifle gezeigt worden, dass Meister Eckhart,
der grosse, von der Kirche zensurirte Mystiker, ganz von Thomas
abhängig gewesen ist. Aber so bedenklich diese Spekulationen
gewesen sind — gemeint war doch auch die höchste geistige
Freiheit (s. z. B. die „deutsche Theologie";, die in der vollen
Loslösung von der Welt in dem Gefühl des Überweltlichen
errungen werden soll. In diesem Sinne haben namentlich die
deutschen Mystiker von Eckhart ab gewirkt. Während die
Bomanen vor Allem durch Busspredigten zu erschüttern
suchten, haben Jene die positive Aufgabe unternommen, die
höchsten Ideen der damaligen Frömmigkeit in der Volkssprache
.in die Laienkreise zu tragen (Tauler, Seuse u. s. w.) und die Ge-
müter durch Selbstzucht in der Welt der Liebe heimisch zu
machen. Sie haben gelehrt (nach Thomas), dass die Seele schon
hier auf Erden Gott so in sich aufnehmen könne, dass sie im
vollsten Sinn die visio seines Wesens geniesst und bereits im
Himmel weilt. Allerdings aber schlägt der Gedanke der völligen
Hingabe an die Gottheit in den andern über, dass die Seele in
sich selbst das Göttliche trägt und es als geistige Freiheit und
Erhabenheit über alles Seiende und Denkbare zu entwickeln ver-
mag. Die Anweisungen hiezu sind bald mehr intellektualistisch
bestimmt, bald mehr quietistisch. Die thomistische Mystik hatte
die augustinische Zuversicht, sich durch das Erkennen zu be-
freien und zu Gott aufzusteigen, die scotistische hatte diese Zu-
versicht nicht mehr und suchte durch Disziplinirung des Willens
die höchste Stimmimg zu erreichen: Willenseinheit mit Gott,
Ergebung, Gelassenheit. Hierin war an sich ein Fortschritt
in der Erkenntniss der evangelischen Frömmigkeit gegeben, der
für die Reformation bedeutungsvoll war; aber gerade die Nomi-
nalisten (Scotisten) hatten eine klare und sichere Erkenntniss des
Inhalts des göttlichen Willens verloren. Die Frage nach der
certitudo salutis erscheint hier angebahnt, aber sie muss unbeant-
wortet bleiben, so lange der Gottesbegriff über die Linie des Will-
kürlichen nicht hinausgeführt wird.
Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der Mystik,
namentlich der deutschen, auch in der Richtimg auf die positive
Ausgestaltung der Askese als werkthätiger Bruderliebe. Die
alten mönchischen Anweisungen wurden belebt durch die ener-
gische Mahnung zum Dienst am Nächsten. Die einfache Beziehung
des Menschen zum Menschen, geheiligt durch das christliche Ge-
298 Entwickelong des Dogmas im Abendland. [§ 67.
bot der Liebe und durch den Frieden Gottes, trat aus all den
überlieferten Korporationen und Kasten des MA/s hervor und
schickte sich an, sie zu sprengen. Auch hier ist der Anbruch
einer neuen Zeit zu spüren; die Mönche wurden aktiver, weltlicher
— verwilderten freilich häufig dabei — , und die Laien wurden
lebendiger und thätiger. In den halb weltlichen, halb geistlichen
freien Vereinigungen pulsirte das Leben der Frömmigkeit. Die
alten Orden wurden z. T. nur künstlich am Leben erhalten und
verloren ihr Ansehen. Bei den Angelsachsen und Tschechen,
bisher von fremden Nationen unterdrückt und in Armut erhalten,
hat sich die neue Frömmigkeit mit einem politisch-nationalen
Programm verbunden (wiclifitische und husitische Bewegung).
Dieses hat sehr energisch auf Deutschland hinüber gewirkt, aber
zu nationalen Beformbewegungen ist es in dem geduldigen und
zersplitterten Deutschland nicht gekommen. Alles Sozialrevolu-
tionäre und Antihierarchische blieb vereinzelt, und selbst als sich
die weltherrschende Kirche in Avignon prostituirt hatte und auf
den Reformkonzilien der Schrei der romanischen Nationen nach
Besserung und Sicherstellung vor der schamlosen Finanzgewalt
der Kurie laut geworden war, da hat das deutsche Volk noch
immer mit wenigen Ausnahmen Geduld bewahrt. Eine ungeheure
Umwälzung, immer wieder aufgehalten, bereitete sich im 15. Jahrh.
vor; aber sie schien lediglich den Institutionen, den politischen
und den kirchlichen, zu drohen. Die Frömmigkeit tastete das
alte Dogma, das durch den Nominalismus vollends zur heiligen
Reliquie geworden war, selten ani Sie kehrte sich wohl gegen
die aus der schlimmen Kirchenpraxis abstrahirten neuen Lehren^
aber sie selbst wollte nichts Ändieres sein als die alte kirchliche
Frömmigkeit, und war auch im Grunde nichts Anderes. Im
15. Jahrb. hat sich in Deutschland die Mystik abgeklärt. Die
„Nachfolge Christi" des Thomas a Kempis ist ihr reinster Aus-
druck; aber Reformatorisches im strengen Sinn kündigt sich
in dem Büchlein nicht an. Das Reförmatorische liegt nur in
seinem Individualismus und in der! Kraft, mit der es sich an jede
Seele richtet.
§ 67. Zur Geschichte des kirchlich eu Rechts. Die Lehre von
der Kirche.
In der Zeit von Gratian bis Innocenz III. gewann das päpst-
liche System die Herrschaft. Die ganze Dekretalengesetzgebung
§ 67.] Lehre von der Kirche i. d. 2. Hälfte des MA. 299
von 1159 — 1320 ruht auf dem Gesetzbuche Gratian's, und die
scholastische Theologie ordnete sich ihm unter. Citate aus den
Kirchenvätern sind zu einem grossen Teil durch die Rechtsbücher
vermittelt. Die Kirche, die doch in der Dogmatik noch immer
-die Gemeinde der Gläubigen (der Prädestinirten) sein soll, ist in
Wahrheit die Hierarchie, der Papst der episcopus universalis.
Auf kirchlichem Gebiet haben die deutschen Könige diese Ent-
wickelung gewähren lassen und sind mit für sie verantwortlich.
Die leitenden Gedanken in Bezug auf die Kirche, die jetzt
-erst endgiltig festgestellt wurden, waren folgende: 1) Die hier-
archische Organisation ist der Kirche wesentlich, und in allen
Beziehungen ist das Christentum der Laien an die Vermittelung
■der Priester (rite ordinati) gebunden, die allein die kirchlichen
Handlungen vollziehen können. 2) Die sakramentalen und juris-
diktionellen Gewalten der Priester sind unabhängig von ihrer
persönlichen Würdigkeit. 3) Die Kirche ist eine, mit einer von
Christus stammenden Verfassung ausgerüstete sichtbare Gemein-
schaft (auch als solche corpus Christi); sie hat eine doppelte
potestas, nämlich spiritualis et temporalis. Durch beide ist sie,
die bis zum Welttmtergang bleiben soll, den vergänglichen
Staaten überlegen und übergeordnet. Ihr müssen deshalb alle
Staaten und alle Einzelnen gehorsam sein (de necessitate salutis);
ja auch über Ketzer und Heiden erstreckt sich die Gewalt der
Kirche (Abschluss durch Bonifacius VIH.). 4) Der Kirche ist eine
streng monarchische Verfassung in dem Stellvertreter Christi
und Nachfolger Petri, dem Papste, gegeben. Was von der Hier-
archie gilt, gilt in erster Linie von ihm, ja die übrigen Glieder
der Hierarchie sind nur „in partem soUicitudinis" berufen. Er
ist der episcopus universalis; ihni gehören daher die beiden
Schwerter, und da der Christ die Heiligung nur in der Kirche
erreichen kann, die Kirche aber die Hierarchie, die Hierarchie der
Papst ist, so muss de necessitate salutis alle Welt dem Papste
nnterthan sein (Bulle „ünam sanctam^*). In einer Kette von
Fälschungen, die namentlich innerhalb der wiedererweckten Pole-
mik gegen die Griechen (13. Jahrh.) entstanden sind, sind diese
Grundsätze in das kirchliche Altertum hiuaufdatirt worden; aber
sie sind doch erst streng formulirt worden (Thomas Aquinas),
nachdem sie in der Praxis längst eingebürgert waren. Das neue
Recht folgte der neuen Gewohnheit, die durch die Bettelorden
verstärkt wurde; denn diese zerrütteten durch die besonderen
300 Entwickeltmg des Dogmas im Abendland. [§ 67.
Rechte, die sie erhielten, die aristokratischen, provinzialen nnd
lokalen Gewalten vollends und brachten den Sieg der päpstlichen^
Autokratie zum Abschluss. Die Lehre von der päpstlichen Un-
fehlbarkeit war das notwendige Ergebniss dieser Entwickelung.
Auch sie ist von Thomas formulirt, aber noch nicht durchgesetzt
worden; denn in diesem letzten Punkte reagirte das geschichtliche
und das provinzialkirchliche Bewusstsein (die Universität Paris -^
der Vorwurf gegen Johann XXII. als Häretiker). Um 1300 ist die
ausschweifende Erhebung des Papsttums in der Litteratur auf dem
Höhepunkt (Augustinus Triumphus, Alvarus Pelagius), aber seit
c. 1330 erlahmt sie, um erst nach c. 120 Jahren wieder hervor-
zubrechen (Torquemada). In der Zwischenzeit wurde die neueste
Entwickelimg des Papsttums heftig, aber nicht glücklich bekämpft,,
erst in der ghibellinischen Litteratur und der mit ihr zeitweise ver-
bundenen minoritischen(Occam), dann vom Standpunkte der Supre-
matie der Konzilien. Nur vorübergehend war München der Sitz
der Opposition und waren deutsche Schriftsteller an ihr beteiligt
Das eigentliche Land der Opposition war Frankreich, sein Konig,,
seine Bischöfe, ja die französische Nation. Diese allein behauptete
die auf den Konzilien errungene Freiheit (pragmatische Sanktion
von Bourges 1438); allein in dem Konkordat von 1516 gab sie
auch hier der König preis, um siöh nadh dem Beispiel anderer
Fürsten mit dem Papst in die Landeskirche zu teilen. Die alte
Tyrannei war um 1500 fast überall wieder aufgerichtet. Da&
Laterankonzil am Anfang des 16. Jahrh. sprach den Wünschen
der Völker Hohn, als hätte man nie zu Konstanz und Basel getagt.
Die neue Entwickelung des Kirchenbegriffs ist bis zur Mitte
des 13. Jahrh. nicht durch die Theologie, sondern durch die Juris-
prudenz zu Stande gekommen. Dies erklärt sich 1) aus dem man-
gelnden Interesse für die Theologie in Rom, 2) aus der Thatsache,.
dass die Theologen, wenn sie über die Kirche nachsannen, noch
immer die „unpraktischen" Ausführungen Augustinus über die
Kirche als societas fidelium (numerus electorum) wiederholten, so
dass die späteren „ketzerischen^^ Meinungen über das Wesen der
Kirche sich auch bei grossen Scholastikern finden. Erst seit der
Mitte des 13. Jahrh. kümmerte sich die Theologie um den hier-
archisch-papalen Kirchenbegriff der Juristen (Vorläufer: Hugo
von St. Victor). Der Streit mit den Griechen, besonders seit dem
Konzilvon Lyon 1274, gab dazu den Anlass. Die Bedeutung des
Thomas liegt darin, dass er zuerst den papalen Kirchen-
^ 67.] Kirchenbegriff dea Thomas und der Reformer. 301
begriff innerhalb der Dogmatik streng entwickelt, ihn
aber zugleich kunstvoll mit dem augustinischen ver-
bunden hat. Thomas hält daran fest, dass die Kirche die Zahl
der Erwählten sei; aber er zeigt, dass die Kirche als lehrgesetz-
liche Autorität und priesterliche Sakramentsanstalt das aus-
schliessliche Organ ist, durch welches das Haupt der Kirche
sich seine Glieder schafft. So vermag er das Neue mit dem Alten
XU verknüpfen. Dennoch erhielt bis zur Reformation und über sie
hinaus die ganze hierarchische und papale Theorie in der Dog-
matik keine sichere Stelle; sie blieb römisches Dekretalenrecht,
wurde in der Praxis geübt und herrschte faktisch in den Gemütern
«durch die Sakramentslehre. Hier war in der That alles das als
sicherer Besitz bereits untergebracht, was man von einer Formu-
lirung des Kirchenbegriffs im hierarchischen Interesse nur er-
ivarten konnte.
Eben deshalb ist aller Widerspruch gegen den römischen
Kirchenbegriff, der in der letzten Hälfte des MA. so laut wurde,
unwirksam geblieben, weil er ein Widerspruch aus der Mitte her-
aus war. Die Bedeutung des Glaubens für den Kirchenbegriff
iat Niemand klar erkannt, und die letzte Abzweckung des ganzen
religiösen Systems auf die visio et fruitio dei hat Niemand korri-
^irt. Der gemeinsame Boden der Vertreter des hierarchischen
Kirchenbegriffs und ihrer Gegner war folgender: 1) die Kirche ist
die Gemeinschaft derer, die zur Anschauung Gottes gelangen
«oUen, der Prädestinirten, 2) da Niemand weiss, ob er zu dieser
Gemeinschaft gehört, so muss er alle Heilsmittel fleissig ge-
brauchen, 3) diese Heilsmittel, die Sakramente, sind der empiri-
schen Kirche gegeben und an die Priester gebunden, 4) sie haben
den doppelten Zweck, erstlich auf das jenseitige Leben durch In-
korporation in den Leib Christi vorzubereiten, sodann, da sie
Kräfte des Glaubens und der Liebe sind, hier auf Erden das „bene
vivere" zu erzeugen d. h. die Erfüllung des Gesetzes Christi zu
bewirken, 5) da auf Erden die Erfüllung des Gesetzes Christi (in
Armut, Demut und Gehorsam) die höchste Aufgabe ist, so ist das
weltliche Leben, also auch der Staat, diesem Zweck untergeordnet,
damit aber auch den Sakramenten und somit in irgend welchem
Sinne auch der Kirche. Auf diesem gemeinsamen Boden be-
wegten sich alle Streitigkeiten über die Kirche und ihre Reform.
Die Römlinge zogen die weiteren Konsequenzen, dass die in der
Sakramentsverwaltung und in der Befugniss der Kirche, das weit-
302 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 67.
liehe Leben sich unterzuordnen, gesetzte hierarchische Gliederung^
de necessitate salutis sei, liessen aber dann die sittliche Aufgabe^
das Gesetz Christi wirklich zu erfüllen, hinter der mechanisch
und hierarchisch ausgeübten Sakramentsverwaltung ganz zurück-
treten, setzten damit den Begriff der Kirche als der Zahl der Prä-
destinirten (religiös) und der Gemeinschaft der nach dem Gesetz
Christi Lebenden (sittlich) zu einer blossen Floskel herab und
suchten die Gewähr für die Legitimität der Kirche in der
strengsten Fassung des objektiven, im Papste gipfelnden
Systems, an einem Punkte freilich — dem der E eordinationen —
den geschlossenen Bau selbst gefährdend. Die Gegner dagegen
gerieten auf „ketzerische" Meinungen, indem sie entweder 1) die
hierarchische Gliederung bestritten, da diese über das Bischofs-
amt hinaus in der Schrift und der alten Tradition keine Stütze
habe, oder 2) die in dem Prädestinationsgedanken und in der
Vorstellung von der Kirche als der Gemeinschaft der Christus-
nachahmer gesetzte religiöse und sittliche Idee übergreifen liessen
über den Begriff der empirischen Kirche als der Sakraments-
anstalt und rechtlichen Institution, imd 3) deshalb die Priester^
und damit die kirchlichen Autoritäten, an dem Gesetze Gottes (in
donatistischer Weise) massen, bevor sie ihnen das Recht ein-
räumten, den Binde- und Löseschlüssel zu verwalten. Der Wider-
spruch aller sog. „vorreformatorischen" Sekten und Männer
wurzelt in diesen Thesen. Man konnte aus ihnen die scheinbar
radikalste Antithese gegen das herrschende Kirchentum ent-
wickeln imd hat sie entwickelt (Teufelskirche, Babel, Antichrist
u. s. w.); aber das darf darüber nicht täuschen, dass die Gegner
auf gemeinsamem Boden standen. Man ordnete die sittlichen
Merkmale der Kirche den rechtlichen und „objektiven" über
— das war gewiss ein segensreicher Fortschritt — , aber die
Grundbegriffe (Kirche als sakramentale Anstalt, Notwendigkeit
des Priestertums, fruitio dei als Zweck, Nichtachtung des bürger-
lichen Lebens) blieben dieselben, und imter dem Titel der societas
fidelium wurde in Wahrheit nur ein gesetzlich -moralisti-
scher Kirchenbegriff aufgerichtet: die Kirche als die Summe
derer, welche nach dem Gesetz Christi das apostolische Leben
durchführen. Der Glaube wurde nur als ein Merkmal unter dem
Begriff des Gesetzes befasst, und an die Stelle der Priestergebote
trat die franciskanische Regel oder ein Biblicismus, dessen apo-
kalytischen und wilden Auswüchsen gegenüber man doch zum
§ 67.] Kirchenbegriff der Reformer. 303
alten Dogma und zur Kirchentradition Zuflucht nehmen musste.
Weder die Gemeinschaft der Gläubigen, noch eine „unsichtbare"
Kirche, wie man falschlich gemeint hat, schwebte den Reformern
vor, sondern die alte Priester- und Sakramentskirche sollte ver-
edelt werden durch Auflösung ihrer hierarchisch-monarchischen
yerfassung, durch Aufhebung ihrer angemassten politischen Be-
fugnisse und durch strenge Sichtung ihrer Priester nach dem
Massstabe des Gesetzes Christi oder der Bibel, unter diesen Be-
dingungen galt sie auch den Reformern als die sichtbare heilige
Kirche, durch die Gott seine Prädestination verwirklicht. Man er-
kannte nicht, dass die Durchführung der dönatistischen These
eine Unmöglichkeit sei, und dass diese Reformkirche immer wieder
zur hierarchischen werden müsse.
Die Walde sier bestritten weder den katholischen Kultus
noch die Sakramente und die hierarchische Verfassung an sich,
sahen es aber als eine Todsünde an, dass die katholischen Geist-
lichen die Rechte der Nachfolger der Apostel ausübten, ohne das
apostolische Leben auf sich ^u nehmen, und protestirten gegen
die umfangreiche Regierungsgewalt des Papstes und der Bischöfe.
Die Joachimiten und ein Teil der Minoriten haben mit dem
gesetzlichen Element das apokalyptische verbunden. Auch hier
handelte es sich gar nicht um die Sakramentstostalt und das
Priestertum, sondern auch nur um die Berechtigung der hierar-
chischen Gliederung, die göttliche Einsetzung des Papstes und
um die kirchliche Regierungsgewalt, die der Kirche im Namen
der franciskanischen Anschauung abgesprochen wurde. Die Zu-
weisung der ganzen Rechtssphäre an den Staat war bei Vielen
lediglich ein Ausdruck für die Verachtung dieser Sphäre. Die
Pariser Professoren und ihr nationalliberaler Anhang haben
die pseudoisidorische und gregorianische EntT^ickelung des Papst-
tums und der Verfassung an der Wurzel [angegriffen, aber doch
vor Allem nur das päpstliche Finanzsystem lahm legen und die
Schäden der Kirche durch einen Episkopalxsmus heilen wollen,
der angesichts dessen, was die Kirche als romisiehe Macht bereits
war, als eine Utopie bezeichnet werden" inüss. Wiclif und Hus
— dieser als kraftvoller Agitator im Sinne Wiclif s, aber ohne
theologische Selbständigkeit — zeigen die reifste Ausgestaltung
der Reformbewegungen desMA.: 1) haben sie nachgewiesen, dass
die kultische und sakramentale Praxis überall durch Menschen-
satzungen, beschwert. und .verfälflcbt sei (Ablass, Ohrenbeichte,
304 Entwickeltmg des Dogmas im Abendland. [§ 68.
absolute Schlüsselgewalt der Priester, manducatio iBfidelium,
Heiligen-, Bilder-, Reliquiendienst, Privatmessen, Sakramentalien,
Wiclif auch gegen Transsubstantiation); sie haben Schlichtheit,
Verständlichkeit (Landessprache) und Geistigkeit des Kultus ver-
langt; 2) haben sie eine Reform der Hierarchie und der verwelt-
lichten Bettelorden gefordert; sie müssen alle, der Papst voran,
zum apostolischen Dienen zurückkehren; der Papst sei nur
oberster Diener Christi, nicht Statthalter; alle Herrschaft habe
aufzuhören; 3) haben sie den augustinisch-prädestinatianischen
Kirchenbegriff, wie Thomas, in den Vordergrund geschoben; aber
während Thomas, indem er den empirischen mit ihm verband,
alles Sittliche nur durch das Medium der Sakrameute in den An-
satz bringt, haben sie, ohne den Sakramenten ihre Bedeutung zu
nehmen, doch den Gedanken, dass die empirische Kirche das Reich
sein müsse, in welchem das Gesetz Christi herrscht, zum zen-
tralen erhoben. Das Gesetz Christi ist die wahre nota ecclesiae,
lehrten sie; deshalb ist nach diesem Grundsatz auch das Recht des
Priestertums und die Art der Sakramentsverwaltimg zu Ijestim-
men. Wiclif bestritt somit das selbständige Recht des Klerus,
Repräsentation der Kirche und Verwalter der Gnadenmittel zu
sein, und machte es von der Beobachtung der lex Christi ab-
hängig. Der „Glaube" wurde auch von Wiclif und Hus über-
sprungen. Indem sie sich mit aller Kraft gegen die Hierarchie
wendeten und gegen die objektiv- rechtliche Betrachtung des
Kirchensystems, setzten sie dem rechtlichen Kirchenbegriff den
gesetzlichen gegenüber. Die „fides caritate formata" d. h. die
Gesetzesbeobachtung giebt allein der Kirche die Legitimität. So-
viel sie zur Verinnerlichung der Anschauung von der Kirche ge-
leistet — der hierarchische Kirchenbegriff hatte dem ihrigen
gegenüber doch ein, freilich deteriorirtes, Wahrheitsmoment: dass
Gott seine Kirche auf Erden baut durch seine Gnade inmitten der
Sünde, und dass Heiligkeit im religiösen Sinn kein Merkmal ist,
das an einem gesetzlichen Massstab erkannt werden kann. (Über
den Kirchenbegriff des Thomas und der Vorreformatoren s.
JGoTTSCHiCK i. ZKG Bd. VHL)
§ 68. Zur Geschichte der kirchlichen Wissenschaft.
Geschichten d. Philos. v. Erdhann, Übkrweq-Heinze , Windelband,
Stöckl. — FChBaüb, Vorles. üb. DG. 2. Bd. — KWerner, Scholastik d.
späteren MA. 3 Bde. 1881 ff. — ARitschl, Fides implicita 1890.
Der hohe Aufschwung der Wissenschaft seit dem Anfang des
§ 68] Die Scholastik. 305
13. Jahrh. ist bedingt 1) durch den grossartigen Triumph der
Kirche und des Papsttums seit Innocenz III., 2) durch die Er-
hebung der Frömmigkeit seit dem h. Franciskus, 3) durch die
Erweiterung und Bereicherung der allgemeinen Kultur und die
Entdeckung des wahren Aristoteles (Kontakt mit dem Orient;
Yermittelung der griechischen Philosophie durch Araber und
Juden; der supranaturalistische Avicenna f 1037, der pantheisti-
sehe Averrhoes f 1 1 98 ; Maimonides' Einwirkung auf Thomas u. A.).
Die beiden neuen Grossmächte, die Bettelorden und Aristoteles,
haben sich ihren Platz in der Wissenschaft erst erkämpfen müssen;
dieser siegte, als man erkannt hatte, dass er gegen einen exzentri-
schen Realismus, der zum Pantheismus führte, die besten Dienste
leistete. Der gemilderte Realismus entwickelte sich nun, der die
üni Versalien „in re" erkannte, aber sie je nach Bedarf auch „ante"
und „post rem" anzusetzen verstand.
Die neue Wissenschaft suchte, wie die ältere, alle Dinge durch
Zurückfahrung auf Gott zu erklären; aber diese Zurückführung
war gleichbedeutend mit der Unterwerfung aller Erkenntnisse
unter die Autorität der Kirche. In gewissem Sinn war man im
13. Jahrh. noch gebundener als früher; denn nicht nur das alte
Dogma (articuli fidei), sondern das gesammte Gebiet des kirchlichen
Handelns galt als absolute Autorität, unddie Voraussetzung, dass
jede Autorität in Einzelfragen soviel wiege wie die ratio, kam nun
erst zum vollkommensten Ausdruck. Die Bettelordentheologen
haben den gesammten Bestand des Kirchentums mit seinen
neuesten Einrichtungen und Lehren „wissenschaftlich" gerecht-
fertigt, auf einer und derselben Fläche mit dem „credo" und dem
,,intelligo^* operirend. Anselm hatte erstrebt, auf dem Boden der
autoritativen Offenbarung ein rationales Gebäude aufzurichten;
bei den Neueren war die Stilmischung in unbefangenster Weise
Prinzip. Zwar wurde festgehalten, dass die Theologie eine speku-
lative Wissenschaft sei, die in der visio dei gipfele; aber so gross
war das Zutrauen zu der Kirche, dass man den spekulativen Bau
immerfort mit Sätzen der Autorität aufführte. Doch entwickelte
sich die Einsicht, dass es eine natürliche und eine geoffenbarte
Theologie gebe; aber man fasste sie in innigster Harmonie, die
•eine als Ergänzung und Vollendung der anderen, und man lebte
der Zuversicht, dass das Ganze doch auch vor dem Forum der Ver-
nunft haltbar sei. Die Fülle des zu bewältigenden Stoffs war un-
übersehbar, sowohl nach Seiten der Offenbarung (die ganze Bibel^
Gmndriss IV. m. Habnace, Dogmengeachichte. 2. Aufl. 20
306 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 68.
die Lehre und Praxis der Kirche) als der Vernunft (Aristoteles),
Dennoch schritt man von den „Sentenzen" zum System („Sum-
men") vor: was die Kirche im Leben errungen, die Herrschaft
über die Welt, sollte sich auch in ihrer Theologie spiegeln. Die
neue Dogmatik ist die dialektisch-systematische Bearbeitung des
kirchlichen Dogmas und des kirchlichen Handelns zu dem Z weck^
es zu einem alles im höchsten Sinn Wissenswürdige umspannen-
den, einheitlichen System zu entfalten, es zu beweisen und so alle
Kräfte des Verstandes und das gesammte Welterkennen der
Kirche dienstbar zu machen. Mit diesem Zweck ist noch immer
der andere subjektive verbunden, zu Gott aufzusteigen und ihn
zu gemessen. Aber die beiden Zwecke fallen nun zusammen: Er-
kenntniss der Kirchenlehre ist Gotteserkenntniss; denn die Kirche
ist der gegenwärtige Christus. Dabei waren diese Scholastiker nicht
Sklavenarbeiter der Kirche — im Gegenteil : bewusst suchten sie nur
nach Erkenntniss für ihre Seele ; aber sie atmeten nur in der Kirche.
Der Bau, den sie aufführten, ist zusammengebrochen; aber auch
ihre Arbeit war ein Fortschritt in der Geschichte der Wissenschaft.
Das Gesagte gilt von der vorscotistischen Scholastik, vor
Allem aber von Thomas. Seine „Summa" ist charakterisirt 1) durch
die Überzeugung, dass Religion und Theologie wesentlich speku-
lativer (nicht praktischer) Art sind, dass sie also denkend an-
geeignet werden müssen, und dass schliesslich kein Widerspruch
entstehen kann zwischen Vernunft und Offenbarung, 2) durch
strenges Festhalten an der augustinischen Lehre von Gott, der
Prädestination, der Sünde und Gnade (nur auf den Gottesbegriff
hat der aristotelische eingewirkt; die strenge Hervorhebung der
h. Schrift als der einzig sicheren Offenbarung hat Thomas auch
von Augustin übernommen), 3) durch eine tief eindringende
Kenntniss des Aristoteles und durch umfangreiche Anwendung
seiner Philosophie, soweit es der Augustinismus gestattet, 4) durch
eine kühne Rechtfertigung der höchsten kirchlichen Ansprüche
vermöge einer genialen Theorie vom Staat und einer wunderbar
aufmerksamen Beobachtung der empirischen Tendenzen des päpst-
lichen Kirchen- und Staatssystems. Die weltgeschichtliche Be-
deutung des Thomas liegt in der Verbindung des Augustin und
Aristoteles. Als Schüler Jenes ist er ein spekulativer Denker voll
Zuversicht, und doch finden sich schon bei ihm Keime zur Zer-
störung der absoluten Theologie. Für das Ganze suchte er noch
den Eindruck des absolut Giltigen und Bewiesenen aufrecht zu
§ 68.] Die Scholastik. Thomas. 307
erhalten; im Einzelnen ist schon Arbiträres und Relatives hier
und dort an die Stelle des Notwendigen getreten, wie er denn auch
die articuli fidei nicht mehr, wie Anselm, rein rational deduzirtJ)
Aber der Kirche war auch mit dem streng Notwendigen nicht
in jeder Hinsicht gedient. Sie verlangt auch hier, dass ä deux mains
gespielt wird: sie will eine Theologie, welche die spekulative
Notwendigkeit ihres Systems darthut, und sie will eine solche,
welche die blinde Unterwerfung lehrt. Thomas' Theologie allein
konnte nicht genügen. Hatte sie doch bei aller Kirchlichkeit den
Grundgedanken nicht verleugnet, dass Gott und die Seele, die
Seele und Gott Alles ist. Aus dieser augustinisch-areopagitischen
Haltung wird sich immer jene „Aftermystik" entwickeln, in der
das Subjekt seine eigenen Wege zu gehen trachtet. Wo ionere
Überzeugung ist, ist auch Selbständigkeit. Es kam der Kirche zu
gut, dass die Theologie bald eine andere Richtung nahm. Sie wurde
skeptisch in Bezug auf das „Allgemeine'^, auf jene „Idee", die
„Substanz" sein soll. Unter dem fortgesetzten Studium des
Aristoteles wurde die Kausalität der Hauptbegriff an Stelle der
Immanenz. Der wissenschaftliche Sinn erstarkte; das Einzelne
in seiner konkreten Ausprägung gewann das Interesse; der Wille
regiert die Welt, der Wille Gottes und der Wille des Einzelnen,
nicht eine unfassliche Substanz oder ein konstruirter Universal-
intellekt. Die Vernunft erkennt die Kausalitätenreihe und endet
bei der Einsicht der Willkür und des bloss Kontingenten. Diesen
ungeheuren Umschwung bezeichnet Duns Scotus, der scharf-
sinnigste MAliche Denker; aber erst seit Occam ist er vollendet.
1) Der Aufriss der Summa entspricht dem Grundgedanken: von
Gott durch Gott zu Gott. Der 1. Teil (119 Quaest.) handelt von Gott
und dem Ausgang der Dinge aus Gott, der 2. T. 1. Abt. (114 Quaest.)
von der allgemeinen Moral, der 2. T. 2. Abt. (189 Quaest.) von der
speziellen Moral unter dem Gesichtspunkt der Eückkehr der vernünftigen
Kreatur zu Gott, der 3. Teil, den Thomas nicht mehr vollenden konnte,
von Christus, den Sakramenten und der fischatologie. Das Verfahren in
jeder einzelnen Quaestio ist ein kontradiktorisches. Es kommen alle
Gründe, die gegen die richtige Fassung der Lehre sprechen, zum Aus-
druck („difficultates*^). Im Allgemeinen gilt der Grundsatz, dass das
ganze System sich auf die Autorität der Offenbarung zu gründen habe;
„utiiur tarnen sacra doctrina etiam ratione humana, non quidem ad pro-
handam fidem (quia per hoc tolleretur meritum fidei), sed ad manifestan-
dum aligua alia, quae traduntur in hac doctrina, Oum enim gratia non
tollat naturam, sed perficiat, oportet quod natv/ralis ratio subserviat fidei/*
20*
308 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 68.
Die Folge dieses Umschwungs aber war nicht der Protest
gegen die Kirchenlehre mit ihren absoluten Sätzen oder der Ver-
such, sie auf ihre Grundlagen zu prüfen, sondern die Steigerung
der Autorität der Kirche. Ihr schob man zu, was einst ratio
imd auctoritas im Bunde getragen hatten, nicht als Akt der Ver-
zweiflung, sondern als selbstyerständlichen Akt des Gehorsams.
Protestirt hat erst der Socinianismus, die Grundlagen der Lehre
geprüft der Protestantismus — der nachtridentinische Katholicis-
mus hat die eingeschlagene Richtung weiter verfolgt: somit ist,
indem der Nominalismus die Herrschaft antrat, der
Boden für die spätere dreifaltige Entwickelung der
Lehre gewonnen.
Der Nominalismus hat hohe Vorzüge: es ist ihm aufgegangen,
dass die Religion etwas Anderes ist als Erkenntniss und Philo-
sophie, während Thomas sich in Unklarheiten bewegte; er kennt
die Bedeutung des Konkreten gegenüber den Hohlheiten der Ab-
straktionen (Grundlegung einer neuen Psychologie); er hat den
Willen erkannt, auch in Gott dieses Moment hervorgehoben, die
Persönlichkeit Gottes streng betont und somit der neuplatonischen
Theosophie, die Gott und Weit vermischte, zunächst ein Ende
bereitet: er hat die Positivität der historischen Religion sicherer
erfasst — aber er hat mit der Zuversicht zu einem absoluten
Wissen auch die Zuversicht zur Majestät des Sittengesetzes ein-
gebüsst, damit den Gottesbegriff entleert und der Willkür preis-
gegeben, und er hat in das „Positive", unter das er sich beugte,
die Kirche mitsammt ihrem ganzen Apparat eingerechnet — die
Gebote des Religiösen und Sittlichen sind arbritär, aber die Ge-
bote der Kirche sind absolut. Das souveräne Recht der Kasuistik,
in der Bussdisziplin, aber auch in der Dialektik der Thomisten
bereits vorbereitet, hat er in der Dogmatik aufgerichtet: Alles iu
der Offenbarung beruht auf göttlicher Willkür; daher vermag der
Verstand höchstens das „conveniens" der Anordnungen nach-
zuweisen. Sofern er aber seine eigene Erkenntniss hat, giebt es
eine doppelte Wahrheit, die religiöse und die natürliche; jener
unterwirft man sich, und darin eben besteht das Verdienst des
Glaubens. In steigendem Masse, selbst vor dem Frivolen nicht
zurückscheuend, hat der Nominalismus die Sufficienz der „fides
implicita" bekannt; auch hier freilich hatte er an päpstlichen
Dekretalen Vorbilder. Hatte doch Innocenz IV. ausdrücklich ge-
lehrt, für den Laien genüge es, an einen vergeltenden Gott zu
§ 68.] Der NominalismuB. 309
glauben, im Übrigen sich der Kirchenlebre zu unterwerfen. Wider-
sinn und Autorität wurden jetzt der Stempel der religiösen Wahr-
heit. Indem man sich von der Last spekulativer Ungeheuerlich-
keiten und täuschender ,, Denknot wendigkeiten ^^ befreite, nahm
man die furchtbare Last eines Glaubens auf sich, dessen Lihalt
man selbst für willkürlich und undurchsichtig erklärte, den man
also nur noch wie eine Uniform zu tragen vermochte.
Eng verbunden mit dieser Entwickelung war die andere, die
allmähliche Ausmerzung des Augustinismus und die Zurück-
führung des römischen, nun durch Aristoteles bestätigten Morahs-
mus. Das Gewicht der Schuld und die Kraft der Gnade wurden
relative Grössen. Aus dem Aristoteles lernte man, dass der
Mensch durch seine Freiheit unabhängig vor Gott stehe, und da
man Augustinus Lehre von den ersten imd letzten Dingen abgethan
hatte, so streifte man unter der Hülle seiner Worte auch seine
Gnadenlehre ab. Alles in der Religion und Ethik wurde nur pro-
babel, die Erlösung durch Christus selbst unter ganz unsichere
Kategorien gestellt. Die Grundsätze einer weltbürgerlichen Reli-
gions- und Sittlichkeitsdiplomatie wurden auf die objektive
Religion und die subjektive Religiosität angewandt. Die Heilig-
keit Gottes erlosch: er ist nicht ganz streng, nicht ganz heilig.
Der Glaube braucht nicht volle Hingabe zu sein, die Busse nicht
vollkommene Reue, die Liebe nicht vollkommene Liebe. Überall
genügt ein „gewisses Mass" (Aristoteles), und was fehlt, wird
durch die Sakramente imd die Kirchlichkeit ergänzt; denn die
Oflfenbarungsreligion ist geschenkt worden, um den Weg zum
Himmel zu erleichtem, und die Kirche vermag allein anzugeben,
welches „Mass" Gott genügt und welche zufälligen Verdienste
ihn befriedigen. Das ist der „Aristotelismus" oder die „Vernunft"
der nominalistischen Scholastiker, die Luther gehasst hat. Die
Jesuiten haben sie in der nachtridentinischen Zeit vollends in der
Kirche eingebürgert.
Beim Ausgang des MA., ja schon im 14. Jahrh., rief dieser
die Religion entleerende Nominalismus grosse Reaktionen hervor,
blieb aber doch auf den Universitäten herrschend. Nicht nur die
Theologen des Dominikanerordens widersprachen ihm fort und
fort, sondern auch ausserhalb des Ordens brach eine augustinische
Reaktion hervor in Bradwardina, Wiclif, Hus, Wesel, Wessel u. s. w.
Sie machten gegen den Pelagianismus Front, wenn sie auch den
Sakramenten, der fides implicita und der Kirchenautorität einen
310 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§69.
weiten Spielraum Hessen. Einen gewaltigen Bundesgenossen
gegen den Nominalismus, der sich durch seine hohle Formalistik
und Dialektik im 15. Jahrh. geradezu verächtlich machte, gewann
die augustinische Reaktion an Plato, der damals wieder ans Licht
gebracht wurde. Ein neuer Geist ging von ihm und der wieder
entdeckten Antike aus : er suchte die Erkenntniss des Lebendigen
und damit auch des Wirkhchen und begehrte Ideale, die das
Subjekt befreien und über die gemeine Welt erheben. Li wilden
Stürmen kündigte sich dieser neue Geist an und schien anfangs
die Christenheit mit dem Heidentum zu bedrohen; aber die, welche
die Renaissance am leuchtendsten vertraten (Nicolaus von Kus,
Erasmus u. A.), wollten nur das entgeistigte Kirchentum und seine
nichtige Wissenschaft abthun, aber die Kirche und das Dogma im
letzten Grunde nicht gefährden. Die wiedergewonnene Zuversicht
zu der erkennbaren Einheit aller Dinge und der kühne Schwung
der Phantasie, begeistert durch die Antike und durch die neuen
Welten, die man entdeckte, sie haben die neue Wissenschaft be-
gründet. Nicht ist die noniinalistische Wissenschaft durch Reini-
gung zur exakten geworden, sondern ein neuer Geist fuhr über
die dürren Blätter der Scholastik und schöpfte Zuversicht und
Kraft, auch der Natur ihre Geheimnisse abzugewinnen, aus den
lebendigen, den ganzen Menschen erfassenden Spekulationen
Plato's und aus dem Umgang mit dem Lebendigen.
Aber die Theologie hat doch zunächst keinen Vorteil davon
gehabt. Sie wurde einfach bei Seite geschoben. Auch die christ-
lichen Humanisten waren keine Theologen, sondern gelehrte Patri-
stiker mit platonisch-franciskanischen Idealen, im besten Fall
Augustiner. Zur Kirchenlehre hatte eigentlich Niemand mehr
Zuversicht; aber durch den Sinn für das Originale, den die
Renaissance erweckt hatte, wurde eiue neue Theologie vorbereitet.
§ 69. Die Ausprägung der Dogmatik in der Scholastik«
In der Scholastik des 13. Jahrh. erlangte die abendländische
Kirche eine einheitliche, systematische Darstellung ihres Glaubens.
Voraussetzungen waren 1) die h. Schrift und die Glaubenssätze
der Konzilien, 2) der Augustinismus, 3) die Entwickelung des
Kirchentums seit dem 9. Jahrh., 4) die aristotelische Philosophie.
Der finis theologiae ist noch immer die individuelle Seligkeit im
Jenseits; aber sofern die Sakramente, die diesem Zwecke dienen,
als Liebeskräfte das Reich Christi auch auf Erden herstellen, war
% 69.] Die Bearbeitung der articuli fidei. 311
(schon seit Augustin) ein zweiter Zweckgedanke in die Theologie
gekommen: sie ist nicht nur Seelen speise, sondern auch Eccle-
siastik. Die beiden Zweckgedanken sind aber im Katholicismus
nie ausgeghchen worden. In ihnen sind die Gnade und das Ver-
dienst die beiden Zentren der Kurve der MAlichen Auffassung
vom Christentum.
Dogmen im strengen Sinn waren nur die alten articuli 'fidei;
aber seitdem die Transsubstantiation als mit der Inksmation ge-
geben angeschaut wurde, war im Grunde daB ganze sakramentale
Systeiu auf die Höhe der absoluten Olaubenslehre gehoben. Die
Abgrenzung zwischen Dogma und theologischem Lehrsatz wurde
im Einzelnen ganz unsicher. Niemand konnte mehr angeben, was
die Kirche eigentlich lehre, imd diese selbst hat sich stets gehütet,
den Bereich des notwendigen Glaubens abzustecken.
Die Aufgabe der Scholastik war eine dreifache: 1) die alten
articuli fidei wissenschaftlich zu bearbeiten und sie in die um das
Sakrament und das Verdienst gezogene Linie einzustellen, 2) die
Sakramentslehre auszugestalten, 3) die Prinzipien des kirchlichen
Handelns mit dem Augustinismus auszugleichen. Diesen Auf-
gaben hat sie in grossartiger Weise genügt, ist aber dabei in eine
Spannung mit jener Frömmigkeit geraten, die in steigendem
Masse in der offiziellen Theologie (der nominalistischen) nicht
mehr ihren eigenen Ausdruck wiederfand (augustinische Reak-
tionen) und sie deshalb bei Seite schob.
A. Die Bearbeitung der überlieferten articuli fidei.
1. Der augustinisch-areopagitische Gottesbegriff hat anfangs
die Theologie des MA. beherrscht (Begriff des notwendigen Seins
aus sich selbst; die Alles determinirende Substanz; virtuelles Sein
Gottes in der Welt; ontologischer Beweis Anselm's); aber dann
wurde die pantheistische Gefahr (Amalrich von Bena, David von
Dinanto) bemerkt. Thomas hat den augustinischen und den
aristotelischen Gottesbegriff zu verbinden gesucht. Gott ist ab-
solute Substanz, selbstbewusstes Denken, actus purus; er ist von
der Welt unterschieden (kosmologischer Beweis). Aber das leb-
hafteste Interesse hatte doch auch noch Thomas daran, die absolute
Sufficienz und Notwendigkeit in Gott zu betonen (in Gottes Selbst-
zweck ist die Welt eingeschlossen); denn nur das Notwendige kann
sicher erkannt werden; von der sichern Erkenntniss aber hängt
die Seligkeit ab. Allein Duns bestritt den Begriff eines not-
312 Entwickelnng des Dogmas im Abendland. [§ 69,
wendigen Seins ans sich, selbst, warf alle Gottesbeweise über den
Haufen, leugnete auch, dass der gottliche WiUe unter das Mass
unserer ethischen „Denkgewohnheiten'^ gestellt werden konne^
und fasste Gott lediglich als freien Willen mit unergründlichen
Motiven resp. ohne dieselben (Willkur). Occam stellte auch den
Begriff des primum movens immobile in Abrede und erklärte den
Monotheismus nur für probabilior als den Polytheismus. Der
Gegensatz von Thomisten und Scotisten ist durch die verschiedene
Vorstellung von der Stellung des Menschen zu Gott bestimmt.
Jene sahen sie als Abhängigkeit an und erkannten in dem
Guten das Wesen Gottes (Gott will etwas, weil es gut ist); diese
trennten Gott und Kreatur, fassten die letztere als selbständig,,
aber als gottlichen Geboten verpflichtet, die aus der Willkür
Gottes stammen (etwas ist gut, weil Gott es will). Dort Präde-
stination, hier Willkür. Die Theologie führte den Satz „pater in
filio revelatus" wohl im Munde, aber achtete ihn nicht.
2. Die Ausbildung der Trinitätslehre gehorte, nacbdem
tritheistische (RosceUin) und modalistische (Abälard) Versuche
abgewiesen waren, ganz der gelehrten Arbeit an. Der Thomismu»
musste notwendig die Neigung zum Modalismus behalten (Ver-
selbständigung der divina esseutia und daher Quatemität wurde
selbst dem Lombarden vorgeworfen), während die scotistische
Schule die Personen scharf auseinanderhielt. In subtilen Unter-
suchungen wurde die Trinität ein Schulproblem. Die Behandlung
bezeugte es, dass der Glaube des Abendlandes nicht in dieser über-
lieferten Lehre lebte.
3. Bei Thomas finden sich noch Reste der pantheistischen
Denkweise (Schöpfung als Aktualisirung der gottlichen Ideen;
Alles was ist, besteht nur participatione dei; divina bonitas est
finis rerum omnium, also kein selbständiger Weltzweck); aber
doch hat schon er durch Einführung der aristotelischen Gedanken
die Trennung von Gott und Kreatur wesentlich vollzogen und
den reinen Schöpfungsgedanken herzustellen versucht. In dem
Streit über den Anfang der Welt spiegelten sich die Gegensätze.
In der scotistischen Schule ist der Selbstzweck Gottes und der
Zweck der Kreaturen scharf geschieden worden. Das unermess-
liche Heer von Fragen über die Weltleitung, die Theodicee u. s. w.,
die die Scholastik wieder aufwarf, gehört der Geschichte der
Theologie an. Thomas nahm an, dass Gott alle Dinge immediate
leite und auch die corruptiones rerum „quasi per accidens" bewirke
§ 69.] Die Bearbeitung der articnli fidei. s 313
* —
(Origenes, Augustin)-, die Scotisten wollten nur von einer mittel-
baren Leitung etwas wissen und bestritten die neuplatoniscbe
Lehre vom malum im Literesse Gottes und der Selbständigkeit
des Menschen.
4. Mit einer „nota" gegen den ,,Nihilianismus" des Lom-
barden, der in Abrede stellte, dass Gott durch die Menschwerdung
etwas geworden ist, ist die Zweinaturenlehre zu den grossen
Scholastikern gekommen. Die Fassung des Joh. Damascenus war
die vorgeschriebene; aber die hypostatische Union wurde wie
ein Schulproblem behandelt. Die Thomisten fassten das Mensch-
liche als Passives und Accidentelles und setzten im Grunde die
monophysitische Anschauung fort; Duns suchte die Menschheit
Christi zu retten, dem menschlichen Erkennen Christi gewisse
Grenzen zu stecken und auch der menschlichen individuellen
Natur Christi Existenz beizulegen. Aber auf diesem Gebiet
blieb der Thomismus siegreich. Praktisch machte man frei-
lich nur im Abendmahlsdogma von dem cbristologischen Dogma
Gebrauch, welches die späteste Scholastik (Occam) als notwendig
und vernünftig völlig auflöste (Gott hätte auch die natura asinina
annehmen und uns so erretten können). Die Lehre vom Werke
Christi wurzelte eben nicht in der Zweinaturenlehre, sondern in
dem Gedanken des Verdienstes des sündlosen Menschen Jesus,
dessen Leben göttlichen Wert hat (Christus paasus est secundum
carnem). Daneben wurde auch wieder der Gedanke der satisfactio
(Halesius, Albertus) hervorgeholt. Thomas hat ihn bearbeitet,
aber die Erlösung durch den Tod Christi nur für den schick-
lichsten Weg erklärt. Dieser Tod ist es, weil sich in ihm die
Summe aller denkbaren Leiden darstellt; er führt uns die Liebe
Gottes zu Gemüt, wird uns ein Beispiel, ruft uns von der Sünde
ab und erweckt als Motiv die Gegenliebe. Neben diesem Sub-
jektiven betont Thomas auch das Objektive: hätte uns Gott sola
voluntate erlöst, so hätte er uns nicht so viel zuwenden können;
der Tod hat uns nicht nur die Freiheit von der Schuld, sondern
auch die gratia iustificans und die gloria beatitudinis erworben.
Ausserdem werden alle möglichen Gesichtspunkte beigebracht,
unter denen der Tod Christi betrachtet werden kann. Als satis-
factio ist er super abundans; denn für alle Satisfaktion gilt die
Regel, dass der Beleidigte die in ihr geschenkte Gabe mehr liebt,
als er die Beleidigung hasst (sacrificium acceptissimum). Dieser
scheinbar richtige und würdige Gedanke wurde Verhängnis s voll;
314 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 69.
offenbar verkennt auch Thomas das Strafleiden und damit den
vollen Emsl der Sünde. In der Lehre vom Verdienst soll die
Wirklichkeit (nicht Uoss die Möglichkeit) imserer Versöhnung
durch den Tod Christi zum Ausdruck kommen. Mit Zurück-
schiebung der Zweinaturenlehre wird der Anselm'sche Gedanke
weiter ausgeführt, dass das durch das freiwüli^je Leiden gewon-
nene Verdienst vom Haupte auf die Glieder übergeht: yyCmimä et
memhra sunt quasi una persona mystica, et ideo satisfactio Christi
ad omncs fideles pertinet, sicut ad sua membraJ^ Doch wird sofort
der Begriff des Glaubens durch den der Liebe ersetzt: ,yfides, per
quam a peccato mundamur^ non est fides informis, quae potest esse
etiam cumppccatOy sed est fides formataper caritatem}^ Thomas hat
zwischen der hypothetischen und der notwendigen, der objektiven
(möglichen) und subjektiven (wirklichen), der rationalen und
irrationalen Erlösung geschwankt. Duns zog die Konsequenz der
Satisfaktionstheorie, indem er Alles auf die willkürliche „accep-
tatio'^ Gottes zurückführte. Die arbiträre Schätzung des Em-
pfängers giebt der Satisfaktion ihren Wert, wie auch sie allein
die Grösse der Beleidigung bestimmt. Der Tod Christi gilt soviel,
als Gott ihn gelten liess; jedenfalls ist die Vorstellung von „Un-
endlichem" abzuweisen; denn weder kann die Sünde endlicher
Menschen, noch der Tod eines endlichen Menschen unendliches
Gewicht haben; auch ist ein unendliches Verdienst ganz unnötig,
da der souveräne Wille Gottes deklarirt, was vor ihm gut und
verdienstlich ist. Deshalb hätte uns auch ein purus homo erlösen
können; denn es bedurfte ja nur des ersten Anstosses; das Übrige
muss doch der selbständige Mensch leisten. Duns bemüht sich
zwar noch zu zeigen, dass der Tod Christi „schicklich" gewesen
sei; aber dieser Nachweis hat keine rechte Bedeutung mehr:
Christus ist gestorben, weil Gott es so gewollt hat. Alles „Not-
wendige" und „Unendliche", welches hier doch Ausdruck für das
Göttliche ist, ist weggeräumt. Die prädestinirende Willkür
Gottes und die Werkgerechtigkeit regieren die Dogmatik. Duns
hat in ^^'ahrheit die Erlösungslehre bereits zersetzt und die Gott-
heit Christi aufgehoben. Nur die Kirchenautorität hält sie in
Geltung; fällt sie, so ist der Socinianismus da. Unter An-
erkennung jener Autorität sind nominalistische Theologen in
ihrer Dialektik bis zum Frivolen und Blasphemischen vorge-
schritten. Doch stellte sich im 15. Jahrh. im Zusammenhang mit
dem Augustinismus bei Gerson, Wessel, selbst bei Biel u. A.
% 70.] Die scholastische Sakramentslehre. 315
wieder eine ernstere Auffassung ein, und die bernhardinische Be-
trachtung des leidenden Christus ist im MA. nie untergegangen.
§ 70. Fortsetzung.
B. Die scholastische Sakramentslehre.
HLHahn, L. y. d. Sakramenten 1864.
Die Unsicherheiten und Freiheiten der Scholastik in der
Lehre vom Werk Christi erklären sich aus der Sicherheit, mit
der sie in den Sakramenten das Heilsgut als ein gegenwärtiges
betrachtete. Der Glaube und die Theologie lebten in den
Sakramenten. Die augustinische Lehre wurde hier materiell
und formell ausgebildet, jedoch das „verbum" noch mehr hinter
das „sacramentum^^ zurückgeschoben; denn da neben der Er-
weckung von Glaube und Liebe als Gnade doch die alte Defini-
tion galt: „gratla nihil est aliud quam participata similitudo divinae
naturae", so war im Grunde keine andere Form der Gnade
denkbar als die magisch -sakramentale.
Die Sakramentslehre hat sich lange Zeit unter der Schwierig-
keit entwickelt, dass die Zahl der Sakramente nicht feststand.
Neben Taufe und Abendmahl gab es eine unbestimmte Menge
h. Handlungen (vgl. noch Bernhard). Abälard und Hugo von
St. Victor hoben die Konfirmation, Ölung und Ehe hervor (Fünf-
zahl), Robert Pullus Konfirmation, Beichte und Ordination. Aus
«iner Kombination ist, vielleicht im Kampf gegen die Katharer,
die Siebenzahl entstanden (Sentenzenbuch ßoland's), die der Lom-
barde als eine „Ansicht'^ vorgetragen hat. Noch auf den Kon-
zilien 1179 und 1215 hat sich die Zahl nicht durchgesetzt. Erst
die grossen Scholastiker haben sie zu Ehren gebracht, und erst
zu Florenz 1439 erfolgte eine sichere kirchliche Erklärung
(Eugen IV., Bulle Exultate deo). Jedoch ist eine völlige Gleich-
fitellung der sieben Sakramente nicht beabsichtigt (die Taufe und
besonders das Abendmahl bleiben bevorzugt). Das „conveniens"
der Siebenzahl und der Organismus der Sakramente, wie er das
ganze Leben der Einzelnen und der Kirche umspannt, wurde aus-
führlich dargestellt. In der That ist die Schöpfung gerade dieser
sieben Sakramente ein Meisterstück einer vielleicht imbewussten
Politik
Hugo hat die technische Bearbeitung der Lehre begonnen
mit Beibehaltung der augustinischen Unterscheidung von sacra-
mentum und res sacramenti und starker Betonung der physisch-
316 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 7(K
geistlichen Gabe, die wirklieh eingeschlossen ist. Ihm folgend
hat der Lombarde (IV, 1 B) definirt: jßacramenttim proprio dicitur,
quod ita Signum est gratiac dei et invisibilis gratiae forma, ut ima-
ginem ipsUcs gerat et causa existat Non ergo significandi tantum
gratia sacramenta wstituta sunt, scd etiam sanctificandi (significandi
gratia sind die ATlichen Einrichtungen getroflfen)/^ Doch sagt
er nicht, dass die Sakramente die Gnade enthalten (Hugo), son-
dern ursächlich bewirken; auch fordert er nur ein signum als
Grundlage, nicht wie Hugo ein corporale elementum. Thomas
mildert auch das „continent" Hugo's ab, ja er geht noch weiter-
Zwar wirkt Gott nicht „adhibitis sacramentis^^ (Bernhard), aber
doch nur „per aliquem modum" bewirken sie die Gnade. Gott
selbst wirkt sie; die Sakramente sind causae instrumentales, sie^
tragen die Wirkung hinüber a primo movente. Sie sind also
causa et signa; so sei das Wort: y,efficiunt quod figurani^^ zu
verstehen. Doch ist in den Sakramenten eine virtus ad indu-
cendum sacramentalem effectum vorhanden. In der Folgezeit
wurde das Verhältniss von Sakramenten und Gnade vollständige
gelockert. Jene begleitet diese nur; denn lediglich die Willkür
Gottes hat sie zusammengeschlossen (Duns) kraft eines „pactum
cum ecclesia initum". So erscheint die nominalistische Auffassung-
minder magisch imd hat die Sakramentslehre der „Vorreforma-
toren" und Zwingli's durch den Protest gegen das „continent^^
vorbereitet; aber nicht aus dem Interesse für das „Wort" und
den Glauben ist diese Wendung entstanden, sondern, wie be-
merkt, aus dem eigentümlichen Gottesbegriflf. Die offizielle Lehre
blieb bei Thomas stehen, resp. kehrte zu dem ,,figurantj continent
et confcrnni^^ (Florentiner Konzil) zurück. Dabei gilt, dass die
Sakramente im unterschied von den ATlichen, bei denen der
Glaube („opus operantis") nötig war, „ex opere operato" wirken
(so schon der Lombarde), d. h. der Ejffekt fliesst aus der Hand-
lung als solcher. Der Versuch der Scotisten, ATliche Sakramente
den NTlichen gleich zu stellen, wurde abgelehnt.
Im Einzelnen sind folgende Pimkte der thomistischen Lehre
noch besonders wichtig: 1) In genere sind die Sakramente über-
haupt zum Heil notwendig, in specie gilt das im strengsten Sinn
nur von der Taufe (sonst gilt die Regel: „won defectns scd con-
iemptus damnni^^. 2) In genere müssen die Sakramente einen
dreifachen Effekt haben, einen signifikativen (sacramentum), einen
präparatorischen (sacramentum et res) und einen heilsmässigen
^ 70.] Die scholastische Sakramentslehre. 317
^res sacramenti); in specie aber lässt sich der präparatorische
Effekt, der Charakter, nur bei der Taufe, der Firmung und
•dem Ordo nachweisen. Durch sie wird der „character Christi"
ak Befähigung zur receptio et traditio cultus dei der Potenz der
Seele indelebiliter und daher nicht wiederholbar eingepflanzt
{gleichsam eine Abstempelung), 3) bei der genauen Erörterung
•der Frage „quid sit sacramentum^^ wird bestimmt, dass es nicht
nur ein heiliges, sondern auch ein heiligmachendes Zeichen ist,
lind zwar ist die Ursache der Heihgung das Leiden Christi, die
Form besteht in der mitgeteilten Gnade und den Tugenden, und
•der Zweck ist das ewige Leben. Das Sakrament muss stets eine
res sensibilis a deo determinata sein (Materie des Sakraments),
und es ist „sehr angemessen^', dass auch „Worte" dabei sind, „qui-
bus verho incarnato quodammodo conformantur^\ Diese verba a deo
<leterminata (Form des Sakraments) müssen genau beobachtet
werden; auch ein unabsichtlicher lapsus linguae lässt das Sakra-
ment nicht perfekt werden; selbstverständlich wird es aufgehoben,
ivenn einer das nicht zu thun beabsichtigt^ was die Kirche thut,
4) die Notwendigkeit der Sakramente wird daraus erwiesen, dass
sie „quodammodo applicant passionem Christi liominibus^^, sofern
«ie „congrna gratiae pracsentialiter denionstrandae sunt^', 5) bei
'dem Effekt (character und gratia) wird erörtert, dass im Sakra-
ment zu der allgemeinen gratia yirtutum et donorum noch hinzu-
tritt „quoddam divinum auxilium ad consequendum sacramenti
finem^'^ sowohl in verbis als in rebus sei eine instrumentalis virtus
ad inducendam gratiam enthalten. Bei der Bestimmung des Yer-
Mltnisses der sakramentalen Gnade zur passio Christi tritt deut-
lich herror, dass die katholische Sakramentslehre nichts Anderes
ist als eine Verdoppelung der Erlösung durch Christus. Da man
die Gnade physisch fasste, diese physische Gnade aber nicht direkt
an den Tod Christi anknüpfen, resp. von ihm ableiten konnte, so
musste Gott dem Erlöser ausser dem instrumentum coniunctum
(Jesus) noch ein weiteres instrumentum separatura (die Sakra-
mente) zugeordnet werden. (Kann man dagegen solch' ein Ver-
ständniss des Lebens und des Todes Christi gewinnen, dass dieses
selbst als die Gnade und das Sakrament erscheint, so ist die Ver-
doppelung unnütz und schädlich), G) bei der Bestimmung der
causa sacramentorum wird durchgeführt, dass Gott der Urheber,
der Priester aber als minister „causa instrumentalis*^ ist. Alles,
was de necessitate sacramenti ist (also nicht die Priestergebete etc.).
318 EntwickeluDg des Dogmas im Abendland. [§ 70.
muss von Christus selbst eingesetzt sein (Appell an die Tradition,
während noch Hugo und der Lombarde einige Sakramente von den
Aposteln ableiteten; dies hat sich bei Einigen bis zum 16. Jahrh.
erhalten; die Apostel können nicht institutores sacramenti im
strengen Sinne gewesen sein; auch Christus als Mensch kam
nur die potestas ministerii principalis seu excellentiae zu; er
wirkt meritorie et efficienter und hätte diese ausserordentliche
potestas ministerii auch übertragen können, was er indess nicht
gethan hat); auch schlechte Priester können die Sakramente giltig
verwalten; sie brauchen nur die intentio, nicht die fides; aber sie
ziehen sich eine Todsünde zu. Selbst die Häretiker können das
sacramentum überliefern, aber nicht die res sacramenti.
Diese Lehren des Thomas lassen die Bücksicht auf den Glau-
ben vermissen und gehen über die Frage nach den Bedingungen
des heilsamen Empfangs schnell hinweg. Diese Frage wurde
bei den Nominalisten neben der Frage nach dem Verhältniss von
Gnade und Sakrament (s. o.) und nach dem minister bei jedem
einzelnen Sakrament die wichtigste, und sie entschieden sie so,
dass sie den Faktor des Verdienstes über den des Sakra-
ments und der Gnade übergreifen Hessen, zugleich aber
die Bedingungen für das Verdienst laxer fassten und das opus
operatum stärker betonten. Im Grunde lösten sie den ganzen
Thomismus auf. Sie wollten auch hier die Lehre geistiger und
ethischer fassen; in Wahrheit verfielen sie in eine schimpfliche
Kasuistik und leisteten der Werkgerechtigkeit und der Sakra-
mentsmagie zugleich Vorschub. Dass irgend eine Disposition
zum heilsamen Empfang gehöre, nahmen Alle an, aber worin
sie bestehe und welchen Wert sie habe, war die Frage. Die Einen
sahen in ihr keine positive Bedingung der sakramentalen Gnade,
sondern nur die conditio sine qua non, fassten sie also nicht als
Würdigkeit und erklärten daher rund, die Sakramente wirken
nur ex opere operato (die Disposition ist notwendig, aber hat
keine kausative Bedeutung). Die Anderen — sie waren nicht
zahlreich — erklärten, die Sakramente können nur dann Gnade
vermitteln, wenn innere Reue und Glaube vorhanden seien, diese
aber würden als interiores motus von Gott gewirkt, so dass keine
Rechtfertigung ex opere operante anzunehmen sei; die Sakramente
deklariren bloss die innere Gottesthat (Anbahnung des reforma-
torischen Standpunkts). Die Dritten, welche die Oberhand ge-
wannen, lehrten, dass die heilsame Gnade ein Produkt des Sakra-
§ 70] Die ßcholaßtische Sakramentslelire. 319
ments und des reuevollen Glaubens sei, so dass das Sakrament
selbst nur über den toten Punkt erhebt, um dann sofort mit der
innern Disposition zu kooperiren. Hier erst wurde die Frage
wichtig, wie denn die Disposition (Reue und Glaube) beschaffen
sein müsse, um das Sakrament zur Wirkung kommen zu lassen»
Zunächst wurde mit Augustin geantwortet, der Empfänger dürfe
nicht yfObicem contrariae cngitationis opponere^'. Die älteren Theo-
logen hatten hieraus gefolgert, dass ein bonus motus interior vor-
handen sein müsse, freilich diesen auch schon als Verdienst
gefasst; denn ein Minimum von Verdienst (gegen Augustin) muss
doch immer da sein, wenn Gnade erteilt werden soll. Duns und
seine Schüler lehrten aber — eine heillose Korruption eines rich-
tigen Gedankens — , dass darin eben die Herrlichkeit der NTlichen
Sakramente bestehe, dass sie nicht wie die früheren einen bonus
motus als Voraussetzung fordern, vielmehr nur das Fehlen eines
motus contrarius malus (Verachtung des Sakraments, positiver
Unglaube). Ohne Sakrament kann Gnade nur wirksam sein, wo
irgend welche Würdigkeit vorhanden ist, die sakramentale Gnade
aber wirkt auch dort, wo tabula rasa ist (als ob es eine solche
gäbe!); dort ist ein meritum de congruo erforderlich, hier ,,solum
requiritur opus exterius citm amotione interioris impedimenti^^, Ist
aber dieses eingetreten, so wird die blosse gehorsame Unter-
stellung unter den Vollzug des Sakraments für den Empfanger zu
einem meritum de congruo, und damit beginnt der Heilsprozess,
der, indem sich die sakramentalen Kollationen steigern, schliess-
lich zu Ende geführt werden kann, ohne dass das Subjekt je die
Grenze des meritum de congruo d. h. eines gewissen Verdienstes,
welches ohne wirklichen innern Glauben und Liebe bestehen
kann, überschreitet. Die sakramentale Gnade verwandelt ex opere
operato die attritio zur contritio und ergänzt somit die mangel-
haften Verdienste zu vollkommenen. Auf der Leiter der durch
die Sakramente immerfort ergänzten ganz nichtigen, ja irreligiösen
innern Regungen (Furcht vor Strafe, Höllenangst, kraftlose Un-
zufriedenheit mit sich selbst) steigt die Seele zu Gott empor:
„attritio superveniente sacramento virtute clavium efßcitur sufficiens^^.
Hier ist die Sakramentslehre der schlimmsten Form einer pela-
gianischen Justifikationslehre (s. u.) untergeordnet.
Die einzelnen Sakramente. 1. Die Taufe (JVfaterie:
Wasser, Form: die Einsetzungsworte). Sie bezieht sich auf die
Erbsünde. Die Taufe tilgt die Schuld derselben imd aller bisher
320 Entwickelunpf des Dogmas im Abendland. [§ 70.
begangenen Thatsünden, erlässt die Strafe (doch nicht irdische
Strafübel) und ordnet die Konkupiscenz, d. h. es wird der Begriff
einer unschuldigen Konkupiscenz zugelassen (keine religiöse Be-
trachtung) und behauptet, dass die Taufe den Menschen in den
Stand setzt, die Konkupiscenz in Schranken zu halten. Die posi-
tive Wirkung der Taufe wird unter den Titel „regeneratio" gesetzt,
ohne dass dieser BegriflF von der Unklarheit und Bedeutungslosig-
keit befreit wird, die er bei den KW. besass. In thesi behauptete
man, die positive Gnade der Taufe sei perfectissima und auch die
Kinder erhielten sie (Sakr. der Rechtfertigung im vollen Sinn);
aber faktisch konnte man sie doch nur als Initiationssakrament
fassen und nur in diesem Sinne die Vollkommenheit der Kinder-
taufe (Glaube der Kirche oder der Paten als vikarirend) festhalten :
die Taufe begründet den Rechtfertigungsprozess nur in habitu,
nicht in actu. — Taufen kann im Notfall auch ein Diakon, ja
ein Laie. Ausführliche Erörterung über die Sakramentalien bei
der Taufe.
2. Die Firmung (Materie: das vom Bischof geweihte
Chrisma, Form: consigno te etc.). Effekt dieses, wie die Taufe,
nicht wiederholbaren Sakraments ist die Kraft (robur) zum
Wachstum, die Stärke zum Kampf, im Rechtfertigungsprozess
die gratia gratum faciens. Nur der Bischof kann es erteilen; als
Sakrament der bischöflichen Hierarchie hat es neben dem ordo
seine Bedeutung erlangt; diese liegt im Grunde doch nur im
„Charakter". Zweifel an dem Sakramente sind im MA. nie
erloschen (Wiclif). Von Thomas ab ist es sehr nahe an die Gewalt
des Papstes herangerückt worden, da es sich auf den mystischen
Leib Christi (die Kirche) in besonderer Weise bezieht (nicht auf
den sakramentalen Leib), und somit die Jurisdiktionsgewalt in
Betracht kommt.
3. Die Eucharistie (Materie: die Elemente, Form: die Ein-
setzungsworte). Die thomistische Lehre ist hier gegenüber den
Versuchen der Nominalisten, die Transsubstantiationslehre zu
lockern, zu vollem Sieg gekommen; aber auch der „häretische^*
Widerspruch gegen diese Lehre hat im MA. nach dem Lateran-
konzil (s. o. S. 288) nie aufgehört. Der Realismus ist die Voraus-
setzung der orthodoxen Theorie; ohne ihn fällt sie zusammen.
Alles Hohe ist vom Abendmahl ausgesagt worden, aber der Glaube,
der Gewissheit sucht, ging leer aus, und schliesslich ist doch das
Busssakrament dem Abendmahl als Sakrament und als Opfer weit
§ 70.] Taufe, Firmung, Eucharistie. 321
überlegen: die Messen sind ein geringes Mittel, und die geistliche
Speise tilgt keine Todsünden. Das grosse theologische Problem
war die Transsubstantiation selbst, und bei der Grösse desselben
übersah man die Geringfügigkeit der Wirkung. Thomas hat die
Lehre von der Art der Gegenwart des Leibes Christi im Sakrament
ausgebildet (keine Neuschöpfung, keine assumptio elementorum,
so dass sie Leib werden, keine Konsubstanzialität); die Substanz
der Elemente schwindet vollkommen, aber nicht per annihilatio-
nem, sondern per con versionem ; die Existenz der übrigbleibenden
substanzlosen Accidentien der Elemente wird durch direktes
Gottes wirken ermöglicht; der Leib Christi tritt ein und zwar totus
in toto; in jeder Spezies ist der ganze Christus und zwar per con-
comitantiam nach Leib und Seele sowie nach seiner Gottheit vom
Moment der Rezitation der Einsetzungsworte an (also auch extra
usum) ; die Gegenwart Christi in den Elementen ist keine dimen-
sionale; aber wie sie zu denken ist, wurde ein Hauptproblem, bei
welchem Thomas und die nominalistischen Nachfolger absurde
nnd scharfsinnige Raumtheorien aufgeboten haben. Diese kamen
dabei entweder der Ansicht von der Vernichtung der elementaren
Substanz (Duns) oder der Konsubstanzialität und Impanation sehr
nahe (Occam); auf letztere gerieten sie, weil ihre Metaphysik über-
haupt nur die Vorstellung zuliess, dass Göttliches und Kreatür-
liches sichkrait göttlicher Anordnung begleiten (ähnlich Wesel
und, anders motivirt, Luther). Die Folgen der Ausbildung der
Transsubstantiationslehre waren 1) Aufhören der Kinderkommu-
nion (dieses hat auch noch andere Ursachen), 2) Steigerung des An-
sehens der Priester, 3) Kelchentziehung (zu Konstanz fixirt),
4) Adoration der erhobenen Hostie (Fronleichnamsfest 1264.
1311). Gegen die beiden letzten Folgerungen erhob sich im
14. und 1 5. Jahrh. ein bedeutender Widerspruch. — In Bezug auf
die Vorstellung des Abendmahls als Opfer ist noch der Lombarde
von dem altkirchlichen Motiv der recordatio bestimmt gewesen;
allein die durch Gregor I. bestärkte Vorstellung von der Wieder-
holung des Opfertodes Christi drang immer mehr durch (Hugo,
Albertus; Thomas rechtfertigt die Theorie eigentlich nur durch
die Praxis der Kirche) und modifizirte auch den Messkanon (La-
terankonzil 1215). Der Priester galt als sacerdos corporis Christi.
Die Angriffe Wiclif s u. A. auf diese ganz unbiblische Betrachtung
verhallten; im 14. und 15. Jahrh. kämpfte man eigentlich nur
noch gegen den abusus.
Grutidrisa IV. in. Habnack, Dogmengeschichte. 2. Aufl. 21
322 Entwickelang des Dogmas im Abendland. [§ 70.
4. Die Busse ("grosse Kontroverse über die Materie, da keine
res corporalis vorhanden) ist im Grunde das Hauptsakrament,
weil sie allein die verlorene Taufgnade ersetzt. Die Theorie blieb
der hierarchischen Praxis gegenüber, die in der pseudoaugustini-
schen Schrift de vera et falsa paenitentia zum Ausdruck gekommen
war, noch lange spröde. Der Lombarde hat noch die wahrhaftige
Beue des Christen an sich für sakramental gehalten und die
priesterliche Absolution als eine bloss deklarative betrachtet (als
kirchlichen Akt) •, denn Gott allein vergiebt Sünden. Hugo und
das Laterankonzil v. 1215 haben Thomas vorgearbeitet. Dieser
hat die Materie des Sakraments in den sichtbaren Handlungen des
Pänitenten, die Form in den Absolutionsworten des Priesters er-
kannt, diesen als autorisirten minister für den Spender in
vollem Sinne erklärt und die Notwendigkeit der sakramentalen
Busse (vor dem Priester) durch den perversen Satz begründet:
^fix quo aliqiiis peccatum (Todsünde) incurrity Caritas, fides et mise-
ricordia non liherant hominem a peccato sine paenitentia^^. Er hat
aber hinzugefügt, dass die sakramentale Absolution nicht sofort
mit der Schuld der Todsünde auch den reatus totius poenae weg-
nehme, sondern dieser erst schwinde .yCompletis omnilms paxmiten-
iiae actihis^^. Die drei partes paenitentiae — schon vom Lom-
barden als contritio cordis, confessio oris, satisfactio operis
formulirt — galten ursprünglich nicht als gleichwertig. Die
innere, vollkommene Reue galt als res und sacramentum und be-
herrscht noch beim Lombarden und Thomas die ganze Vorstellung.
Allein schon Alexander Halesius und Bonaventura meinten, dass
Gott eben durch das Sakrament den Weg zum Heil erleichtert
habe, und unterschieden contritio und attritio (timor servilis), die
letztere für genügend erklärend, um das Sakrament zu empfangen.
Trotz der stillschweigenden Ablehnung durch Thomas setzte sich
diese Ansicht immer mehr durch: das Sakrament selbst vervoll-
kommnet die halbe Reue durch die infusio gratiae. Die attritio,
die Galgenreue, ist das Gift der Kirchenlehre im 14. u. 15. Jahrb.
geworden (Johann von Paltz, Petrus de Palude u. A; Dieck-
HOFF, Der Ablassstreit 1886); das Tridentinum hat sie bedingt
gebilligt. Man wusste wohl, dass die attritio oft aus unsitt-
lichen Motiven entspringt und baute doch aus ihr und dem
Sakrament die Leiter zum Himmel. — Der Theologe der con-
fessio oris ist Thomas; er hat die Verpflichtung zu ihr unter
das ins divinum gestellt, den umfang der neuen Anordnung zuerst
§ 70] Das Sakrament der Busse. 323
genau angegeben und das alleinige Recht der Geistlichen, Beichte
zu hören, aus dem ministerium super corpus Christi verum ab-
geleitet (im Notfall soll man vor einem Laien beichten; solche
Beichte ist aber nach Thomas nicht mehr sakramental). Die Sco-
tisten haben dies Alles wesentlich acceptirt. Das alleinige Recht
des Priesters zu absolviren ist auch erst von Thomas streng
durchgeführt. Doch wirkt in dies Sakrament die Jurisdiktions-
gewalt hinein (Reservatfälle für den Papst). Nach den Scotisten
bewegt der Priester in der Absolution Gott nur zur Erfüllung
seines Vertrages, nach Thomas handelt er aus der überlieferten
potestas ministerii selbständig. — Bei der Auferlegung der satis-
f actio wirkt der Priester als medicus peritus et iudex aequus.
Die Praxis ist alt, dieMechanisirungund theoretische Schätzung
(neben der contritio als Teil der Busse) verhältnissmässig jung.
Die Idee ist jetzt diese, dass die satisfactio als Bestandteil des
Sakraments die notwendige Offenbarung der Reue in solchen
Werken ist, die geeignet sind, dem beleidigten Gott eine gewisse
Genugthuung zu gewähren und dadurch die Veranlassung zur
Abkürzung der zeitlichen Strafen werden. In der Taufe vergiebt
Gott ohne jede Genugthuung, aber von dem Getauften verlangt
er eine gewisse Genugthuung, die dann, als Verdienst, dem, der
sie leistet, zu gute kommt. Auch vermag sie der Getaufte wirk-
lich zu leisten, sie dient ferner zu seiner Besserung und schützt
ihn vor Sünden. Wertvoll sind nur solche Leistungen, die im
Stande der Gnade (in caritate, also nach der Absolution) ge-
schehen; allein einen gewissen Wert haben auch die Werke (Ge-
bet, Fasten, Almosen) derer, die nicht in caritate sind. So be-
herrschten schliesslich attritio und unvollkommene verdienstliche
Werke das ganze Gebiet der Busse, d. h. des kirchlichen Lebens.
Aber die Scholastiker nahmen auch aus der Praxis die Vorstel-
lung von der Vertauschung der Satisfaktionen und der Stellver-
tretung der Personen auf, Dies führte zur Lehre von den Ablässen.
(EBratke, Luther's 95 Thesen 1884. JSchneidekFBeringer,
Die Ablässe. 9. Aufl. 1887.) Der Ablass knüpft an die satisfactio
resp. auch an die attritio an. In der Theorie hat er mit dem reatus
culpae et poenae aeternae nichts zu thun; in der Praxis wurde er
doch nicht selten mit ihm in Verbindung gebracht Tselbst das
Tridentiner Konzil hat hier Missbräuche beklagt). Der Ablass
ruht auf dem Gedanken der Kommutation und hat den Zweck,
die zeitlichen Sündenstrafen, vor Allem die Fegfeuerstrafen, ab-
21*
324 Entwickeliing des Dogmas im Abendland. [§ 70.
zumildern resp. aufzuheben. Durch die Absolution wurde die
Hölle geschlossen; aber die homines attriti glauben im Grunde
weder an die Hölle noch an die Kraft der Gnade; denn nur ein
contritus weiss etwas von diesen Dingen. Aber sie haben Angst
vor empfindlichen Strafen, und sie glauben an die Möglichkeit,
durch allerlei „Thun" sie zu beseitigen, sind auch zu einigen
Opfern in dieser Richtung bereit, So war für sie das Fegfeuer die
Hölle, und so wurde für sie der Ablass zum Sakrament. Auf diese
Stimmungen ist die Kirche faktisch eingegangen: attritio, opera
und indulgentia wurden in Wahrheit die Stücke des Busssakra-
ments. Thomas suchte noch durchweg eine ernste Theorie mit
der schlimmen Praxis, an der er nicht zu rütteln vermochte C„afe
oinnibus concedititr indulgentias aliquid valere, quia impium esset
dicere, qvod ecclesia aliqtnd vane faccvcif^)^ auszugleichen. Bei ihm
ist der Ablass noch nicht zur Persiflage auf das Christentum als
Religion der Erlösung geworden, weil er ihn wirklich nur als
Annex zum Sakrament fasst. Aber er hat doch den alten Ge-
danken aufgegeben, dass der Ablass sich hin: auf die vom Priester
auferlegten Kirchenstrafen bezieht, und er hat die Theorie des
Ablasses geliefert. Diese setzt sich aus zwei Gedanken zusammen:
1) auch die vergebene Sünde wirkt in ihren zeitlichen Folgen fort,
kann nicht „inordinata" bleiben, und ihre zeitliche Strafe muss
daher abgebüsst werden, 2) Christus hat durch sein Leiden
Grösseres geleistet als die Tilgung der ewigen Schuld und Strafe;
innerhalb des Sakraments wirkt nur diese, nämlich in der Abso-
lution; aber ausserhalb desselben ist ein Uberschuss vorhanden.
Dieses überschüssige Verdienst (thesaurus operum supererogato-
riorum) muss notwendig, da es Christus und den Heiligen nicht
zu gute kommen kann, dem Leibe Christi, der Kirche, zu gute
kommen.
Eine andere Wirksamkeit kann es aber gar nicht mehr finden,
als dass es die zeitlichen Sündenstrafen abkürzt oder tilgt. Zu-
gewandt kann es nur den Absolvirten werden, die regelmäsig ein
Minimum (eine kleine Leistung) dafür darzubringen haben; ver-
waltet wird es vom Haupt der Kirche, dem Papst, der indess
Anderen eine partielle Verwaltung übertragen kann. Diese
Theorie der überschüssigen Verdienste, die eine lange Vor-
geschichte hat (Perser, Juden), wurde dann besonders verderblich,
wenn man auf die Bedingung des reuemütigen Glaubens kein ent-
scheidendes Gewicht legte oder wenn man mit Absichtlichkeit
§ 70.] Busse, Ölung, Priesterweihe. 325
ein Duükel darüber bestehen liess, was denn eigentlich durch den
Ablass getilgt werde, oder wenn man die Frage bejahte, ob nicht
der Ablass auch Todsündem ad requirendam gratiam von Nutzen
sei, ob man ihn daher nicht auch im Voraus geben könne, damit
man ihn bei eintretender Disposition brauche (scotistische Praxis).
Zusammengefasst ist die Ablasstheorie in der Bulle „ünigenitus"
Clemens' IV. v. J. 1349; hier steht auch, dass sich der Ablass nur
auf die „vere paenitentes et confessi" beziehe. Polemisirt hat
gegen die Praxis und Theorie vor Allem Wiclif ; er nannte die Ab-
lässe willkürlich und blasphemisch, die Befolgung des Gesetzes
Christi lähmend, eine heillose Neuerung. Aber der Ablass ist noch
nicht aus den Angeln gehoben, wenn man das Unbiblische, die
Anmassung der Hierarchie und die sittliche Korruption nach-
weist-, man muss zeigen, wie ein schlafendes Gewissen zu wecken
und ein angefochtenes zu trösten ist. Das aber vermochten weder
Wiclif noch die anderen energischen Bestreiter der Ablässe, Hus,
Wesel u. A. Nur Wessel hat den Ablass an der Wurzel angegriffen;
denn nicht nur hat er gelehrt, dass allein den Frommen (nicht
dem Papste und den Priestern) die Schlüssel gegeben seien, sondern
auch eingeschärft, dass die Vergebung nicht auf Willkür gestellt
ist, sondern auf wahre Busse, dass aber die zeitlichen Sünden-
strafen zur Erziehung gereichen und daher nicht zu vertauschen
sind. Er hat auch die satisfactio operum beanstandet: satisfactio
kann überhaupt nicht statthaben, wo Gott seine Liebe eingegossen
hat; sie würde das Werk Christi (die gratia gratis data) ver-
kleinem. Dennoch herrschten die Ablässe, die auch zu Konstanz
gebilligt waren, um 1500 mehr wie je; man wusste, dass sie
„abusus quaestorum'^ seien, und brauchte sie doch.
5. Die letzte Ölung (Materie: benedicirtes Öl, Form: ein
deprekatorisches Gebets wort). Thomas behauptete die Einsetzung
durch Christus, Promulgation durch Jakobus (ep. 5, 14). Der
Zweck dieses wiederholbaren Sakraments ist die remissio pecca-
torum, aber doch nur der lässlichen. Wie dieses Sakrament sich
aus dem Bedürfniss der Sterbenden entwickelt hat, so liess man
es auch der Praxis. Die Theorie hat sich nur wenig mit ihm
beschäftigt.
6. Die Priesterweihe ''aus der Unmöglichkeit, eine sinn-
liche Materie neben der Form: „accipe potestatem etc." nach-
zuweisen — doch dachte man auch an die kultischen Gefässe
oder an die Handauflegung und Sinnbilder — , hat Thomas Kapital
326 Entwickeliing des Dogmas im Abendland. [§ 70.
zu schlagen verstanden: „äöc quod covffrtur in aliis sacramentis
derivatur tanhim a deo, non a ministro, qni mcramentum dispensaty
sed illud quod in hoc sacramento traditur^ seil, spiriiualis potcstaSy
derivatur etiam ah eo, qni sacrainenkmi dat, siciitpotestas imperfecta
a perfecta, et ideo efficacia aliorumsacramentorumprincipalitercon'
sistit in materia, quae virtutcm divinam et significat et continet . . .,
scd efficacia huius saeramenfi jmncipaliter residet pencs cum, qui
sacrameiitumdifipensat^'). Spender ist allein der Bischof. Kontro-
versen entstanden l)über die sieben Weihen und ihr Verhältniss,
2) über das Verhältniss der Priester- und Bischofsweihe, 3) über
die Giltigkeit von Weihen, die von schismatischen oder häretischen
Bischöfen erteilt worden waren (Frage der Reordinationen; der
Lombarde für die strengere Praxis, welche doch die ganze Existenz
des Priestertums gefährdet). Der Charakter ist in Wahrheit
der HaupteflFekt dieses Sakraments. Den Episkopat konnte man
um der alten Überlieferung willen nicht mehr als besonderen ordo
zählen; aber man suchte ihm doch eine besondere von Christus
geordnete höhere Stellung zu vindiziren (auf Grund der juris-
diktionellen Gewalt); Duns, die faktischen Verhältnisse berück-
sichtigend, wollte in der bischöflichen Konsekration ein eigenes
Sakrament erkennen.
7. Die Ehe (Materie und Form der Konsensus der Nuptu-
rienten). Wie beim vorigen Sakrament fehlt auch bei diesem
jeder nachweisbare Heilsefifekt; aber noch schwieriger war es hier,
die allgemeine Sakramentslehre überhaupt durchzuführen. Die
Behandlung der Ehe als Sakrament ist schon bei Thomas eine
Kette von Verlegenheiten; im Grunde ist nur das Kirchenrecht
hier beteiligt. Peinliche Ausführungen über die Bedeutung der
copula camalis für das Sakrament; die priesterliche Einsegnung
galt nur als „quoddam sacramentale".
In der Sakramentslehre ist Thomas der massgebende Doktor
geblieben; seine Lehren wurden durch Eugen IV. bestätigt; aber
sofern dieselben sämmtlich den Lehren von den Verdiensten
untergeordnet wurden, kam allmählich ein anderer Geist, der
scotistische, in die ganze Dogmatik. Thomas selbst hat bereits die
vulgär katholischen Elemente des Augustinismus steigern müssen,
weil er der Praxis seiner Kirche in seiner Summa folgte. Die
Späteren sind darin noch viel weiter gegangen. Die Zersetzung
des Augustinismus in der Dogmatik ist wesentlich nicht von
Aussen erfolgt; sie ist grösstenteils das Ergebniss einer inneren
§ 71.] Die Bearbeitung des Angustinismus (Thomas). 327
Entwickelung. Die drei Elemente, die Augustin in und neben seiner
Gnadenlehre hatte bestehen lassen, das Verdienst, die gratia
infusa und das hierarchisch-priesterliche Element, wirkten
so lange fort, bis sie die augustinische Denkweise völlig umge-
bildet hatten.
§ 71. Fortsetzung.
C. Die Bearbeitung des Augustinismus in der Richtung
auf die Lehre vom Verdienst.
Direkt hat kein kirchlicher Theologe verleugnet, dass die
Gnade das Fundament der christlichen Religion ist, aber wie der
Begriff „Gnade" selbst vieldeutig ist — Gott selbst in Christo,
eine geheimniss volle Qualität, Liebe? — , so konnte er auch ver-
schiedenen Ansichten dienstbar gemacht werden. Der Lombarde
hat über Gnade, Prädestination, Rechtfertigung die augustinischen
Sätze genau wiederholt, aber sich über den freien Willen nicht
mehr augustinisch, sondern semipelagianisch geäussert, weil auch
er an das Verdienst dachte. Ebenso lässt sich bei Anselm,
Bernhard und vor Allem bei Abälard ein Widerspruch zwischen
der Gnadenlehre und der Freiheitslehre bemerken; denn Alle sind
von dem Gedanken beherrscht, den der Lombarde so formulirt
hat: y^nulluni mcrittim est in homine, quod non fit per liberum arbi-
irmm^\ Daher muss die ratio und das Willensvermögen zum
Guten den Menschen nach dem Fall geblieben sein. Die religiöse
Betrachtimg Augustinus wird durch die empirische abgelöst, und
selbst von Bernhard die augustinische Unterscheidung von for-
maler und materialer Freiheit überhört. Beachtenswert ist der
Ansatz des Lombarden, die heiligmachende Gnade mit dem h. Geist
zu identifiziren. Doch blieb das ohne Folgen; man wollte nicht
Gott selbst haben, sondern göttliche Kräfte, die zu menschlichen
Tugenden werden können.
Von Gott zu Gott durch die Gnade ist der Grundgedanke des
Thomas, und doch ist schliesslich die habituelle Tugend das,
worauf es auch ihm ankommt. Der Grundfehler liegt schon in
der augustinischen Unterscheidung von gratia operans et cooperans.
Nur diese schafft die Seligkeit, sie kooperirt aber mit dem Willen,
und beide bewirken das Verdienst. Auf Verdienste aber kommt es
an, weil der Theologe es sich nicht anders vorstellen kann, als
dass vor Gott nur eine in einem Habitus sich darstellende Besse-
rung etwas gilt. Das ist aber nicht der Standpunkt der Religion ;
328 Entwickelung des Dogmas im Abendland. [§ 71.
denn so wird der Glaube lediglich zum Initiationsakt, und Gott
erscheint nicht als die allmächtige Liebe und darum als der
Fels des Heils, sondern als der Partner und Richter; er erscheint
nicht als das persönliche Gut, welches allein als Vater die
Seele zur Zuversicht zu führen vermag, sondern als der Geber
dinglicher Güter, wenn auch sehr hoher (Mitteilung seiner
Natur). Diese Theologen blickten, wenn sie an Gott dachten,
nicht auf das Herz des allmächtigen Vaters, sondern auf ein un-
ergründliches Wesen, das, wie es die Welt aus dem Nichts ge-
schaffen hat, so auch überschwängliche Kräfte zur Erkennt-
niss, Besserung und wesenhaften Umformung hervor-
gehen lässt. Und wenn sie an sich selber denken, denken sie nicht
an das Centrum des menschlichen Ichs, den Geist, der so frei und
hoch ist, dass er nur an einer göttlichen Person, nicht aber an den
herrlichstei) Gaben Halt gewinnt: Gott und die gratia, lehrten
sie, statt: persönliche Gemeinschaft mit Gott, der die gratia
ist. Im Ansatz liegen nun zwar bei ihnen Gott und die gratia
(Macht der Liebe) sehr nahe, aber im Fortgang der Betrachtung^
wird die gratia immer mehr von Gott abgerückt, bis man sie an
magisch wirkenden Idolen findet. Der Doppelgedanke „natura
divina" und „bonum esse" war der herrschende: Physis und Moral^
aber nicht Religion.
Thomas geht von Gesetz und Gnade als den äusseren Prin-
zipien des sittlichen Handelns aus. Jenes, auch als neues Gesetz,,
reicht nicht aus. Es wird daher die Notwendigkeit der Gnade^
zum Teil mit aristotelischen Mitteln, bewiesen. Zugleich tritt der
Intellektualismus des Thomas stark hervor: Gnade ist die Mit-
teilung übernatürlicher Erkenntniss. Das lumen gratiae ist aber
zugleich lumen superadditum , d. h. nicht zur Vollendung dea
Zwecks des Menschen notwendig, sondern über ihn hinausragend,
also auch einen übernatürlichen Wert, d. h. ein Verdienst, be-
gründend. Der Mensch im Zustand der Integrität besitzt nämlich
die Fähigkeit, aus eigenen Kräften das bonum suae naturae pro-
portionatum zu thun-, der göttlichen Hülfe bedurfte er jedoch, um
ein meritorisches bonum superexcedens zu gewinnen. Nach dem
Falle aber bedurfte er zu Beiden der Gnade; somit ist jetzt eine
doppelte Gnade nötig. Damit ist schon die Unterscheidung der
gratia operans et cooperans fixirt, und zugleich ist als Ziel des
Menschen ein übernatürlicher Zustand ins Auge gefasst, den man
nur mit Hülfe der zweiten Gnade, die Verdienste schafft, zu er-
§71] Gnade und Verdienst (Thomas). 329
reichen vermag. ^yVita aeterna est finis excedens proportionem
naturae humanae'^; aber mit der Gnade kann und muss man das
ewige Leben verdienen. Doch lässt Thomas als strenger Augu-
stiner die Ansicht nicht zu^ dass man sich auf die erste Gnade
vorbereiten könne. Er erkennt für den Anfang nur die Gnade an,
keine merita de congruo. Die Essenz der Gnade beschreibt er so^
dass sie als Geschenk eine eigentümliche Qualität der Seele er-
zeugt, d. h. ausser dem auxilium, durch das Gott die Seele über-
haupt zum guten Handeln bewegt, giesst er eine übernatürliche
Qualität in die Seele ein. Zu unterscheiden ist die Gnade erstens
als Heilsgnade (gratum faciens) und als priesterliche Amtsgnade,
zweitens als operans (praeveniens) und cooperans (subsequens);
dort ist die Seele mota non movens, hier mota movens. Ursache
der Gnade, die deifica ist, ist Gott selbst, der auch die Vorbereitung
für sie im Menschen schafft, um die materia (die Seele) „disposita"
zu machen. Ob aber Gott dieses übernatürliche Werk in Einem
treibt, das kann Niemand wissen. Dieser Satz (yiinllus polest scire,
se hahfre gratiam^ certitudinaliter^^) und jene überflüssige Reflexion
auf die materia disposita (von Aristoteles angeregt) wurden ver-
hängnissvoll. Der Effekt der Gnade ist ein doppelter, ersthch die
Rechtfertigung, zweitens die Verdienste, d. h. die wirkliche iusti-
ficatio findet durch die remissio peccatorum noch nicht statt,
sondern nur um des Zieles willen kann man sagen, dass die
Sündenvergebung bereits die Rechtfertigung ist. Die gratia infusa
ist aber schon für die Sündenvergebung nötig, und deshalb wird
ein motus liberi arbitrii schon hier verlangt. Somit besteht die
gratia praeveniens in VTahrheit in einem undefinirbaren Akt;
denn jeder Effekt setzt doch schon Mitwirkung voraus. Sieht man
genauer zu, so herrscht bei Thomas eine grosse Verwirrung in
Bezug auf den Prozess der Rechtfertigung, weil die Unterbringung
des Moments der Sündenvergebung Schwierigkeiten macht; es
soll im Anfang stehen und muss doch später gesetzt werden, weil
die Eingiessung der Gnade, die Hinbewegung zu Gott in Liebe
und die Abkehr von der Sünde vorausgehen sollen. Nach dem
„opus magnum et miraculosum" der iustificatio impii werden die
Wirkungen erwogen, die in steigendem Masse dem bereits Ge-
rechtfertigten durch die Gnade zu Teil werden. Sie stehen sämmt-
lich unter dem Titel des Verdienstes. Jeder Fortschritt ist so zu
betrachten, dass, sofern die Gnade ihn wirkt, er ex condigno er-
worben ist, dass er aber, sofern der freie Wille des Gerechtfertigten
330 Entwickelmig des Dogmas im Abendland. [§ 71.
beteiligt ist, ex congruo erfolgt. Die Meinung des Thomas ist also
die, dass der natürliche Mensch nach dem Fall sich überhaupt
kein Verdienst erwerben kann, der Gerechtfertigte aber ex congruo
(„covgru'um est, ttt homini operanti sccundum stiam virtittem deus
recompeiiset srcundum excellentiam suae virkttis^^); dagegen giebt
es für den Menschen „propter maximaminaequälitateniproportionis'^
in Bezug auf das ewige Heil kein meritum de condigno. Dieses
bleibt der Gnadenwirksamkeit vorbehalten. Das verdienstliche
Prinzip ist immer die von Gott eingeflösste Liebe; diese verdient
das augmentum gratiae ex condigno. Dagegen kann die Be-
harrlichkeit in der Gnade überhaupt nicht verdient werden:
jyperseverantia viae non cadit sub merito, quia depcndet solum ex
motioiie divina, quae est principium omnis meriti, sed deus gratis
perseverantiae bonum largitur, cuicunque ilhid largitur^^. Damit ist
der reine Augustinismus wiederhergestellt, den Thomas auch in
der Prädestinationslehre ungebrochen rezipirt hat, während nicht
nur die unermüdlich wiederholte Definition Gottes als primuni
movens, sondern die ganze spezielle Morallehre den Einfluss des
Aristoteles zeigt. In ihr wird durchgeführt, dass die Tugend in
der richtigen Ordnung der Strebungen und Triebe durch die Ver-
nunft besteht und dann übernatürlich vollendet wird durch die
Gnadengaben. Die Tugend gipfelt in der Erfüllung der consilia
evangelica (Armut, Keuschheit, Gehorsam). Diese bilden den Ab-
schluss der Lehre vom neuen Gesetz; allein andererseits kulminirt
auch die Lehre von der Gnade in ihnen, so dass sie recht eigentlich
den Höhepunkt der ganzen Betrachtung bilden. „Praecepta im-
portant necessitafem, consiUum in optione ponitur eins, cui datur/^
Durch die „Räte" erreicht der Mensch „melius et expeditius" das
Ziel; denn die Gebote lassen noch eine gewisse Hinneigung zu
den Gütern dieser Welt zu, die Räte geben sie völlig Preis, so
dass in ihrer Befolgung der kürzeste Weg zum ewigen Leben ge-
geben ist. Von dieser ünterscheiduag der praecepta und consilia
fällt noch einmal ein Licht auf den Urständ. Die ursprüngliche
Ausstattung des Menschen v^ar an sich nicht ausreichend zur Er-
langung der vita aeterna, diese war ein bonum superexcedens
naturam; aber in der Beigabe der iustitia originalis besass der
Mensch ein übernatürliches Geschenk, welches ihm ermöglichte,
das ewige Leben wirklich zu erwerben. Somit kann man sagen,
dass nach Eintritt der Sünde (materialiter =^ concupiscentia, for-
maliter = defectus originalis iustitiae) die praecepta der Wieder-
§ 71.] Gnade und Verdienst (Duns). 331
herstellung des natürlicheii Wesens des Menschen entsprechen,
<iie consilia dem donum superadditum der iustitia originalis.
Die Gnadenlehre des Thomas hat ein doppeltes Gesicht; sie
blickt rückwärts auf Augustin, vorwärts auf die Zersetzung der
Lehre im 14. Jahrh. Thomas wollte Augustiner sein, und seine
Darlegung war bereits eine augustinische Reaktion gegenüber
den Aufstellungen von Halesius, Bonaventura u. A.; aber er hat
<iem Gedanken des Verdienstes bereits viel mehr Spielraum ge-
währt als Augustin, hat die Gnadenlehre noch mehr als dieser von
der Person Christi entfernt (sie ist vor der Christologie ab-
gehandelt!) und hat den Glauben und die Sündenvergebung noch
mehr zurücktreten lassen. Der Glaube ist entweder fides informis,
also noch nicht Glaube, oder fides formata, also nicht mehr Glaube.
Es kann in der That der Glaube als fiducia keine Stelle finden,
ivenn die Effekte der Gnade eine neue Natur und eine moralische
Besserung sind. In dem amphibolischen Satz „Caritas meretur
viiam aetemam^^ lag schon das Unheil der Folgezeit beschlossen.
Die Zersetzung ist auf allen Punkten der augustinischen
•Gnaden- imd Sündenlehre nachzuweisen: 1) Halesius lehrte be-
reits, dass sich Adam im Paradies die gratia gratum faciens durch
gute Werke ex congruo verdient habe. Die Scotisten sind ihm
gefolgt, zugleich die iustitia originalis von jener Gnade unter-
scheidend und zur Vollkommenheit der menschlichen Natur selbst
rechnend. War dieses auch ein Vorteil, so wurde er dadurch wett
gemacht, dass das Verdienst ex congruo von Anfang an neben
die „alleinwirksame Gnade" gesetzt wurde. 2) Schon Thomas
hatte in Bezug auf die Erbsünde den. Satz nicht mehr rund zu-
gegeben: „naturalia bona corrupta sunt^\ sofern er die Konkupis-
cenz, die an sich nicht böse ist, nur als languor et fomes definirt,
die negative Seite der Sünde stärker als Augustin betont und,
weil die ratio geblieben sei, eine fortdauernde inclinatio ad bonum
angenommen hat. Duns hat die Frage nach der Konkupiscenz im
Onmde von der Frage nach der Erbsünde getrennt, jene ist ihm
nicht mehr das Formale an dieser, sondern lediglich das Materiale.
So bleibt für die Erbsünde bloss die privatio des übernatürlichen
Outes, die wohl eine Störung der Natur des Menschen herbei-
geführt hat, ohne dass indess etwas von den natürlichen Gütern
wirklich verloren gegangen wäre. Auch die erste Sünde selbst
wurde von Duns (gegen Augustin) sehr lax gefasst: gegen das
Oebot der Gottesliebe habe Adam nur indirekt Verstössen und
332 Entwickeluog des Dogmas im Abendland. [§71.
das Gebot der Nächstenliebe nur insofern übertreten, als er durch
Nachgiebigkeit das richtige Mass überschritt. Dazu handelte es
sich überhaupt nicht um einen Verstoss wider die Sittenregel,,
sondern um die Nichtbefolgung eines der Prüfung wegen auf-
erlegten Gebotes. Bei Occam ist vollends Alles aufgelöst. Wie
die Erlösung, so schien ihm auch die Anrechnung des Sünden-
falles als Willkür Gottes, die uns durch die „OflFenbarung^^ bekannt
geworden ist. Kleine Sünden waren auch schon im Urständ
möglich (so schon Duns). Der Verzicht auf jedes ideelle, d. h. neu-
platonische Weltverständniss führte die Nominalisten zur Zer-
setzung des Begriffs von Schuld und Sünde; sie machten auch
hier tabula rasa und zogen sich auf die als Offenbarung erschei-
nende Kirchenpraxis zurück, weil sie für die Geschichte und die-
konkreten Verhältnisse noch blind waren. 3) Duns und seine
Na.chfolger hielten die Schuld der Erbsünde für endlich. 4) Duns
sah das Kontagium der Erbsünde lediglich im Fleische und pole-
misirte gegen die thomistische Annahme einer vulneratio naturaef
die religiöse Betrachtung der Sünde als Schuld, schon durch
Augustin imd Thomas bedroht, schwand völlig. 5) Das liberiuni
arbitrium erhielt den weitesten Spielraum, da die Grundthese
preisgegeben war, dass es nur in der Abhängigkeit von Gott
Gutes gebe. Der freie Wille ist bei Duns und den führenden
Theologen nach ihm die zweite grosse Macht neben Gott, und
was sie in der Sphäre der empirischen Psychologie richtig fest-
stellten, dem gaben sie auch eine materiale und positiv religiöse
Bedeutung. Es ist das ererbte Verhängniss der MAlichen Dog-
matik, dass bei der Verquickung von Welterkennen und Religion
schliesslich eine relativ richtigere Welterkenntniss dem Glauben
gefährlicher vnirde als eine falsche. Gegen den Pelagianismus,
der sich immer ungescheuter des Augustinismus nur als „Kunst-
sprache" bediente, hat zuerst wieder Bradwardina kräftig Front
gemacht, und seitdem ist die Reaktion nicht mehr erloschen,,
sondern hat sich langsam im 15. Jahrh. bis zu Wesel, Wessel^
Staupitz, Cajetan und Contarini gesteigert. 6) In der Lehre von
der Rechtfertigung und der verdienstlichen Erwerbung des ewigen
Lebens zeigte sich die Zersetzung am stärksten: a) die gratia
praeveniens wurde zu einer Redensart, die gratia cooperans ist
die allein verständliche Gnade; b) was bei Thomas meritum de
congruo war, wurde zum meritum de condigno, merita de congruo
aber in solchen Regungen erkannt, die Thomas überhaupt nicht
§ 71.] Gnade und Verdienst (Dans, Occam). 333
unter den Gesichtspunkt des Verdienstes gestellt hatte; c) mit
-der Verdienstlichkeit der attritio wurde auch die fides informis,
der blosse Glaubensgehorsam, höher geschätzt. An diesem Punkt
wurde das Verderben am grössten. Die blosse Unterwerfung
unter den Kirchenglauben und die attritio wurden gewissermassen
•die dogmatischen Grundprinzipien. Nach Duns kann sich der
natürliche sündige Mensch noch immer auf die Gnade präpariren;
«r kann den Anfang machen, Gott zu lieben. Also muss er es
auch. In Wahrheit geht also das Verdienst der Gnade immer
vorher, erst das meritum de congruo, dann nach Erlangung der
ersten Gnade das meritum de condigno. Damit ist die erste und
die zweite Gnade auf die Stufe blosser Hülfsmittel herabgesetzt.
Ja im Grunde erscheint der göttliche Faktor nur in der acceptatio.
Diese nun — hier schlägt die Betrachtung um — lässt im strengen
Sinn überhaupt keine Verdienste zu. Die nominalistische
Doktrin ist nur insofern nicht einfacher Moralismus,
als sie weniger ist, d. h. die Gotteslehre lässt einen strengen
Moralismus überhaupt nicht zu. Dies ist am deutlichsten bei
Occam, der überhaupt den paradoxen Anblick gewährt, dass sein
stark ausgeprägter religiöser Sinn lediglich zur Willkür Gottes
flüchtet. Die Zuversicht zu dieser, wie die Kirche ihren Inhalt
definirte, befreite ihn allein vom Nihilismus. Der Glaube, um
sich zu erhalten, fand gegenüber den eindringenden Fluten der
Welterkenntnisse keine andere Rettung, als die Planke der
Willkür des Gottes, den er suchte. Er versteht ihn nicht mehr,
aber er unterwirft sich ihm. So blieb das Kirchendogma und die
Kirchenpraxis aufrecht stehen, eben weil Religionsphilosophie
und absolute Moral fortgeschwemmt waren. Nach Occam lässt
sich die Notwendigkeit eines supranaturalen Habitus (also der
Gnade überhaupt) zur Erlangung des ewigen Lebens durch Ver-
nunftgründe nicht erweisen; kann doch auch ein Heide durch die
Vernunft zur Gottesliebe kommen. Jene Notwendigkeit steht
allein durch die Autorität der Kirchenlehre fest. Occam und seine
Freunde waren noch keine Moralisten und Rationalisten; sie
scheinen uns nur so. Erst die Socinianer wurden es; denn erst
sie haben die hypothetischen Sätze der Nominalisten über die
natürliche Theologie zu kategorischen erhoben. Aber sie ge-
wannen damit wieder eine kräftige Zuversicht zur Klarheit und
Macht des Sittlichen, die die Nominalisten mitsammt der inneren
Zuversicht zur Religion eingebüsst hatten. Wenn man im 15. Jahrh.
334 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 72^
dieVerwüstung der Theologie in der Religion beklagte, so meinte-
man die in die Praxis umgesetzten Sätze, dass die guten Werke
die causae für den Empfang des ewigen Lebens seien, dass auch
die nichtigsten Leistungen noch immer als Verdienste angesehen
würden, und dass man die Unterwerfung unter die Ordnungen
der Kirche für einen bonus motus hielt, der, durch die Sakramente
kompletirt, die zum ewigen Leben nötige Würdigkeit verleihe.
Die laxe Auffassung von der Erbsünde zeigte sich in der
Entwickelung des Mariendogmas. Noch Anselm, Bernhard, Bona-
ventura und Thomas bezogen die Erbsünde auch auf Maria, wenn
sie auch dann eine besondere Bewahrung derselben annahmen;
allein schon i. J. 1140 wurde in Lyon ein Fest zu Ehren der un-
befleckten Empfängniss Maria's gefeiert, und Duns lehrte, die
unbefleckte Empfängniss sei probabel (vermöge der rückwirkenden
Kraft des Todes Christi). Der Streit zwischen Franciskanern und
Dominikanern, der sich nun erhob, ist im Mittelalter nicht ge-
schlichtet, von Sixtus IV. verboten worden. Die Dominikaner
standen übrigens sonst in der ausschweifenden Verherrlichung-
der Jungfrau nicht zurück. Hatte doch Thomas gelehrt, ihr ge-
bühre nicht nur „Dulia" wie den Heiligen, sondern „Hyperdulia".
Auch wurde ihr ein gewisser Anteil am Erlösungswerk zugespro-
chen (Himmelskönigin, inventrix gratiae, via, ianua, scala, domina,.
mediatrix). Die Annahme der Scotisten, dass sie nicht nur passiv,,
sondern auch aktiv bei der Inkarnation mitgewirkt, war eine
natürliche Folge der Verehrung, wie sie namentlich Bernhard
gelehrt hat.
Drittes Buch.
Der dreifache Ausgang der DogmengescMclite^
Erstes Kapitel.
GescMclitliclie Orientirung.
§72.
Die Elemente der augustinischen Theologie haben sich im
MA. verstärkt, sind aber immer mehr auseinander getreten. Zwar
hat Thomas noch einmal die ungeheure Aufgabe zu lösen unter-
nommen, imRahmen eines Systems allen Ansprüchen zugenügen^
die das im Dogma verkörperte kirchliche Altertum, die h. Schrift^
§ 72.] Geschichtliche Orientirung. 335
die Idee der Kirche als des lebendigen gegenwärtigen Christus^
die Reditsordaung der römischen Kirche, die Gnadenlehre Augu-
stin's, die Wissenschaft des Aristoteles und die bernhardinisch-
franciskanische Frömmigkeit stellten; aber dieser neue Augustinus
hat eine befriedigende Einheit doch nicht zu schaffen verstanden.
Sein Unternehmen hatte sogar teilweise den entgegengesetzten
Erfolg. Die Verstandeskritik der Nominalisten und die Mystik
Eckharts gingen bei Thomas in die Schule; die KuriaUsten
lernten von ihm und die Reformer. Im 15. Jahrh. erschien
die theologische Lehre aufgelöst. Deutlich traten damals aber
zwei Richtungen hervor: der Kurialismus und die Opposition
wider denselben.
Der Kurialismus lehrte, dass die Gewohnheiten der
römischen Kirche die göttliche Wahrheit seien. Er
behandelte das Kirchenwesen und die Religion wie eine äussere
Herrschaft und suchte sie mit den Mitteln der Gewalt, der Bureau-
kratie und eines drückenden Steuersystems zu behaupten. Nach
dem unglücklichen Verlauf der grossen Konzilien war in weiten
Kreisen eine Ermattung eingetreten. Die zum Absolutismus stre-
benden Fürsten fanden ihre Rechnung, wenn sie mit der Kurie
verhandelten, um gemeinsam mit ihr die Schafe zu scheeren. Sie
gaben der Kurie in rein kirchlichen Dingen die absolute Gewalt
zurück, um in gemischten mit ihr zu teilen (die Bullen „Exe-
crabilis" Pius' 11. v. J. 1459 und „Pastor aeternus" Leo's X.
V. J. 1516 proklamiren den Supremat des Papstes über den Kon-
zilien). Die Meinung, dass päpstliche Entscheidungen so heilig
seien wie die Konzilsbeschlüsse, und dass das Recht der Aus-
legung überall nur der Kirche, d. h. Rom, gebühre, setzte sich
immer mehr durch. Die Kurie hütete sich aber wohl, aus jenen
Entscheidungen ein Rechtsbuch, einen geschlossenen dogma-
tischen Kanon, zu gestalten. Ihre Unfehlbarkeit und Souveräni-
tät stand nur fest, wenn sie stets freie Hand hatte und man ihren
richterlichen Spruch von Fall zu Fall einholen musste. Das alte
Dogma galt wie früher; aber die Fragen, um die es sich im Leben
handelte, lagen längst nicht mehr in seinem Rahmen. Sie wurden
von der Theologie behandelt. Diese aber war in den 150 Jahren
nach Thomas zur Erkenn tniss der Irrationalität der geoffenbarten
Lehre gekommen und hatte daher die Losung ausgegeben, man
müsse sich der Autorität der Kirche blind unterwerfen. Diese
Entwickelung kam dem Kurialismus zu gute; hatte man doch in
336 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ ^2-
Rom längst gelehrt, dass die Unterwerfung unter die Autorität
der Kirche (fides implicita) zur Seligkeit geniige, wenn man da-
neben nur an die göttliche Vergeltung glaube. In den huma-
nistischen Kreisen an der Kurie nahm man es wohl auch mit
Letzterer nicht mehr genau; doch hat andererseits auch frommer
Sinn in dem Irrationalen und Arbiträren das Göttliche verehrt.
Dass diese ganze Haltung eine Weise war, das alte Dogma zu
begraben, ist klar. Worauf es im Abendland von Anfang an an-
gelegt war, das offenbarte sich jetzt in erschreckender Klarheit:
das Dogma ist Institution, ist Rechtsordnung. Die Kurie
selbst respektirte es nur formell; materiell unterlag es, wie alle
Rechtsordnung in der Hand des absoluten Herrn, ihrer Politik.
Das „tolerari potest" und das „probabile" bezeugen noch eine
schlimmere Verweltlichung des Dogmas und der Kirche als das
„anathema sit". Dennoch lag selbst in dem kurialistischenKirchen-
tum gegenüber den Richtungen, die die Kirche aus der Heiligkeit
der Christen auf erbauen wollten, eine Wahrheit. Gegen Husiten
und Mystiker hat Rom das Recht der Überzeugung konservirt,
dass die Kirche Christi die Herrschaft des Evangeliums unter
sündigen Menschen ist.
Die Opposition gegen den Kurialismus war nur durch einen
negativen Gedanken zusammengehalten, dass die Gewohn-
heiten der römischen Kirche zur Tyrannei geworden
seien und das Zeugniss des kirchlichen Altertums
gegen sich hätten. Hierin trafen politische, soziale, religiöse
und wissenschaftliche Beweggründe zusammen. Man folgerte
demgemäss, dass päpstliche Entscheidungen nicTit die Bedeutung
von Glaubenssätzen haben, dass Rom nicht allein befugt sei, die
Schrift und die Väter auszulegen, dass das Konzil die Kirche an
Haupt und Gliedern reformiren solle, und dass die Kirche gegen-
über den dogmatischen, kultischen und kirchenrechtlichen Neue-
rungen Roms zu ihren ursprünglichen Grundsätzen und dem
ursprünglichen Zustande zurückkehren müsse. Man glaubte die
Entwicklung der letzten Jahrhunderte negiren zu können und
stellte sich in thesi auf die h. Schrift und das kirchliche Alter-
tum; aber in praxi war das reformatorische Ziel entweder ganz
nebelhaft oder enthielt noch so viele Stücke aus der nachaugusti-
nischen Entwickelung, dass die Opposition von vornherein ge-
lähmt war. Man wusste nicht, ob man Gebräuche oder Miss-
bräuche zu reformiren habe, und man wusste nicht, was man
§ 72.] Geschichtliche Orientimug. 337
mit dem Papste anfangen sollte, den man in einem Athem an-
erkannte und verwarf, segnete und schmähte (vergl. selbst Luther's
Haltung 1517—1520 in Bezug auf den Papst). Aber diese wider-
spruchsvolle Opposition war doch eine Macht, nur nicht auf dem
Oebiet der Lehre; denn diese war auch in den Kreisen der Anti-
kurialisten diskreditirt. „Praktische Frömmigkeit^' war die Lo-
sung der Humanisten wie Erasmus und der Augustiner wie Stau-
pitz. Man war der Theologie überdrüssig, die im sicheren Hafen
^er Autorität vernünftelte und das wahrhaft fromme Leben nur
beschwerte. Wäre die kirchliche Lehre nur „Wissenschaft", so
vräre es um sie geschehen gewesen; sie hätte abtreten und einer
neuen Denkweise Platz machen müssen (s. den Socinianismus).
Aber da das alte Dogma mehr war, blieb es — aber auch hier als
Rechtsordnung. Von einigen Stürmern abgesehen, respektirten
die oppositionellen Parteien das Dogma mit dem Listinkt der
Selbsterhaltung. Sie fühlten es noch immer, wenn auch unklar,
als Grundlage ihrer Existenz. Aber sie wollten keine Lehr-
streitigkeiten: scholastische Streitigkeiten waren ihnen als
Mönchsgezänk zuwider, und doch wollten sie sich von der Scho-
lastik bfefreien. Welch' ein Widerspruch! Der letzte Grund lag
in der ungeheuren Spannung, die zwischen dem alten Dogma und
den christlichen Anschauungen, deren Ausgestaltung das damalige
Leben war, bestand. Das Dogma war der Boden und Rechtstitel
der Existenz der Kirche — aber welches altkirchliche Dogma
hatte denn noch für die Frömmigkeit, wie sie damals lebte, einen
unmittelbar verständlichen Sinn? Weder die Trinitäts- noch die
Zweinaturenlehre. Man dachte nicht mehr wie die Griechen. Die
Frömmigkeit, wie sie im 15. Jahrh. sich ausgebildet, lebte in
Augustin, Bernhard und Franciskus. Unter der Hülle eines alten
•Glaubens hatte sich während eines Jahrtausends eine neue Fröm-
migkeit und darum auch ein neuer Glaube gebildet. Man meinte
hier und dort, durch Rückgang auf den reinen Augustinismus
helfen zu können. Allein der gegenwärtige Zustand, die Spannung
zwischen der dogmatischen Rechtsordnung in der Kirche und den
unklaren Zielen der Frömmigkeit, war ja auf dem Boden des
Augustinismus erwachsen. Die Fehler lagen keimhaft schon in
seinen Ansätzen. Das sah freilich keiner der Vorreformatoren
ein; aber die Thatsache der Unmöglichkeit einer Reform mit den
Mitteln Augustinus spricht hinreichend vernehmlich. Der zer-
setzte Augustinismus ist doch auch Augustinismus;
GmndriBS IV. iir. Habnace, Dogmengeschiolite. 2. Aufl. 22
338 Dreifacher Aasgang des Dogmas. [§ 72.
wie soll man ihm also durch den genuinen auf die Dauer
aufhelfen können?
Dennoch ist die Kritik^ welche der wiedererweckte Augusti-
nismus an dem zersetzten ausgeübt hat, im 1 5. Jahrh. eine segens-
reiche Macht gewesen, ohne deren vorbereitende Wirkung die
Reformation und das Tridentinum nicht denkbar wären. Den un-
sittlichen, irreligiösen, ja heidnischen Mechanismus des herr-
schenden Kirchentums hat er diskreditirt, ja noch mehr, er hat
das Gefühl der Freiheit in der Religion und damit das
Streben nach selbständiger Religion entfesselt. Er hat
im Bunde mit all den Mächten gearbeitet, die im 15. Jahrh. das
Recht des Individuums und der Subjektivität geltend machten
und das Mittelalter zu sprengen suchten. Er hat Unruhe ge-
schaffen, eine Unruhe, die über sich selbst hinauswies — wie
kann man ein freier und ein seliger Mensch zugleich sein? Aber
Niemand vermochte noch diese Frage sicher zu formuliren, weil
man ihr volles Gewicht noch nicht empfand.
Beim Ausgang des 15. Jahrhunderts schienen verschiedene
Ausgänge der Kritik möglich: ein voller Sieg des Kurialismus^
ein Sieg des repristinirten Augustinismus, ein Auseinanflerf allen
der Kirche in verschiedene Gruppen von dem strengsten Kurialis-
mus und der Ceremonialreligion bis zu einem rationalistischen
und schwärmerischen, das alte Dogma aufhebenden Bibelchristen-
tum, endlich eine Neubildung des gesammten Religionswesens^
d.h. eine evangelische Reformation, die das alte Dogma entwurzeln
und aufheben wird, weil der neue Ausgangspunkt, der um Christus
willen gnädige Gott, und das aus ihm entsprungene Recht auf
Freiheit, in der Theologie nur das bestehen lassen konnte, was zu
ihm gehört.
In Wahrheit aber wurden die Ausgänge andere. Sie blieben
sämmtlich mit Widersprüchen behaftet: der tridentinische
Katholicismus, der Socinianismus und die evangelische
Reformation. In jenem setzte sich der Kurialismus durch, die
monarchische Seligkeitsanstalt mit ihren Sakramenten und ihren
„Verdiensten"; aber sie sah sich genötigt, mit dem Augustinismus
zu paktiren und mit ihm bei der ihr aufgedrungenen Kodifikation
der neuen Dogmen zu rechnen. Im Socinianismus setzte sich die
nominalistische Verstandeskritik und der humanistische Geist der
neuen Zeit durch; aber er blieb im alten Biblicismus hängen, und
indem er das alte Dogma beseitigte, schuf er sich aus dem Gegen-
§ 72.] Geschiclitliche Orientining. 339
satz zum alten ein neues. In der evangelischen RiBformation end-
lich wurde prinzipiell die unfehlbare Organisation der Erche, die
unfehlbare Lehrüberlieferung der Kirche und der unfehlbare
Schriftenkodex abgethan und ein ganz neuer Boden gewonnen;
allein Einsicht und Mut reichten nicht aus, um dem in specie
überall Folge zu geben, was man in genere errungen hatte. Unter
dem Titel, dass die Sache (das Evangelium) — nicht die Auto-
rität — es verlange (man wusste es nicht anders), behielt man das
alte Dogma als den wesentlichen Inhalt des Evangeliums bei und
kehrte unter dem Titel „Wort Gottes" zum Biblicismus zurück.
Gegenüber den neuen Lehren des hierarchischen, kultischen, pela-
gianischen und mönchischen Christentums sah man in dem alten
Dogma nur den Ausdruck des Glaubens an den in Christus gnä-
digen Gott und übersah es, dass das Dogma zugleich noch etwas
ganz Anderes war, nämlich philosophische Gott-Welt-Erkenntniss
und Glaubensgesetz. Was man aber unter neuem Titel zuliess,
das, machte sich, einmal zugelassen, mit seiner eigenen Logik
wieder geltend. Man hob die wahre Theologie, die theologia
crucis, auf den Leuchter; aber indem man dies in den altkirch-
lichen Formen that, bekam man auch das zugehörige Erkennen
und das Glaubensgesetz mit in den Kauf, und die Lehrstreitig-
keiten der Evangelischen erschienen wie eine Fortsetzung der
scholastischen Schulstreitigkeiten, nur mit unendlich höherer Be-
deutung; denn jetzt handelte es sich in ihnen um die Existenz
der neuen Kirche. So entstand gleich Anfangs — mindestens
von dem Abendmahlsstreit und der Augsburgischen Konfession
an, die damit begonnen hat, den neuen Wein in alte Schläuche
zu giessen — in dem reformatorischen Lehrbegriff ein höchst
komplizirtes, widerspruchsvolles Gebilde. Nur in den Prinzipien
Luther's, und auch nicht in allen, stellt sich der neue Geist dar;
im Übrigen enthält er nichts Neues, und wer ihn heute, im
19. Jahrh., nicht als Aufgabe nimmt, sondern sich bei dem
Niederschlage, wie er am Ende des 16. Jahrh. sich ergeben hat,
beruhigt, der täuscht sich über seine eigene Stellung: er ist nicht
evangelisch, sondern gehört zu einer katholischen Spielart, wobei
es ihm nach den Grundsätzen des heutigen Protestantismus frei
steht, sich die biblicistische, dogmatische, mystische oder hierar-
chische zu wählen.
Dennoch stellen sich in diesen drei Bildungen Ausgänge
der Dogmengeschichte dar: der nachtridentinische Katholi-
22*
340 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 73.
cismus vollendet schliesslich doch die Neutralisirung des alten
Dogmas zu einer arbiträren päpstlichen Rechtsordnung; der Soci-
nianismus zersetzt es verstandesmässig und hebt es auf; die Refor-
mation, indem sie es zugleich abgethan und aufrecht erhalten hat,
weist über dasselbe hinaus, rückwärts zum Evangelium, vorwärts
auf eine neue Formulirung des evangelischen Bekenntnisses, be-
freit vom Dogma und versöhnt mit der Wahrhaftigkeit und der
Wahrheit unzweifelhafter geschichtlicher Erkenntnisse. In diesem
Sinne hat die Dogmengeschichte die Ausgänge des Dogmas dar-
zustellen. Bei der Reformation vermag sie nur das Christentum
Luther's zu schildern, um die folgende Entwicklung verständlich
zu machen. Diese selbst gehört entweder als ganze (bis heute)
oder gar nicht in die Dogmengeschichte. Es ist aber korrekter,
sie ganz auszuscheiden; denn das alte Dogma gab sich als unfehl-
bar. Diesen Anspruch hat die Reformation für ihre eigenen Auf-
stellungen zurückgewiesen. Man würde daher die Konfusion der
Epigonen, die für den protestantischen Lehrbegriff noch immer
nach einem Zwischenbegriff zwischen reformabel und unfehlbar
suchen, verewigen, wollte man in den Formulirungen des Prote-
stantismus im 16. Jahrh. Dogmen erkennen und die Dogmen-
geschichte bis zur Konkordienformel und den Beschlüssen von
Dortrecht führen.
Zweites Kapitel.
Die Ausgänge des Dogmas im römischen Eatholicismus.
§ 73. Die Eodiflzirnng der mittelalterlichen Lehren im Gegen-
satz zum Protestantismus (das Tridenfinum).
Ausgabe der Dekrete 1664; seither oft. Stereotypausgabe von Taüchnitz.
— Ältere-Arbeiten bei EKöllner, Symbolik 1844, neuere in der RE-*. s. v.
Tridentinum. — WMaurenbrkcher im Histor. Taschenbach 1886. 1888.
In Rom wollte mau nur fremde Lehren verdammen, nicht die
eigenen kodifiziren; man wollte auch kein Konzil. Aber es wurde
von den Fürsten der Kurie aufgenötigt. Als es zusammentrat, er-
gab es sich, dass der mittelalterliche Geist aus der Reformation,
dem Humanismus und Augustinismus Kräfte an sich gezogen
hatte, dass er selbst aber die stärkere Macht geblieben war. Der
Kurie gelang das Meisterstück, das Neue sich unterzuordnen, die
Reformation zu verdammen, sich selbst zu behaupten und dabei
doch die gröbsten Missbräuche abzustellen. Im Gegensatz zum
Luthertum hat sie zahlreiche mittelalterliche Lehren in Dogmen
verwandeln müssen — die Dekrete von Trident sind der Schatten
§ 73.] Das Tridentinum. 341
der Reformation. Was ursprünglich im Sinne der Kurie als ein
Unglück erschien, die Nötigung der Formulirung und die ab-
gezwungene Rücksicht auf den Augustinismus, erwies sich später
als Vorteil: man hatte ein neues Glaubensgesetz, das man, wo
es passend schien, mit buchstäblicher Strenge anwenden konnte,
und es war andererseits so doppelsinnig und elastisch, dass
es den arbiträren Entscheidungen der Kurie Spielraum liess.
Diese aber hat sich das Recht der Auslegung vorbehalten, und das
Konzil hat es bewilligt, damit dem Papste im Grunde bereits die
Unfehlbarkeit zugestehend. So ist die Kurie selbst unverändert,
d. h. mit allen ihren Gewohnheiten, Praktiken, Anmassungen und
Sünden aus dem Fegfeuer des Konzils hervorgegangen; aber der
innere Zustand der Gesammtkirche hob sich doch. Um ihrer in-
neren Unwahrhaftigkeit willen und weil sich die Kirchenlehre
heute an nicht wenigen Punkten konsequenter entwickelt hat (er-
neute Ausscheidung des Augustinismus, Entscheidung über die
zu Trident unentschiedene Frage, ob der Papst der Universal-
bischof und unfehlbar sei), sind die tridentinischen Dekrete keine
deutlichen Quellen des Katholicismus mehr. Es ist eben schon
in Trident das Dogma in eine Dogmenpolitik verwandelt und der
Laie von Glaube und Dogma abgesperrt worden: alles Überlieferte
ist dem Wortlaut nach sakrosankt, aber löst sich der Theologie in
eine Reihe mehr oder minder probabler Meinungen auf, die im
Kontroversfall vom Papst entschieden werden.
Einig war man in der Ablehnung der „Wiedertäufer" und
Protestanten. Nach Wiederholung des Constantinopolitanums
hat man in der 4. Sitzung, um die „puritas evangelii" zu wahren,
erklärt, dass die Apokryphen dem A.T gleich stehen, die Vulgata für
authentisch zu halten sei und die Kirche allein die Schrift aus-
legen dürfe. Neben diese aber stellte man die y^traditiones sine
scripto, qtioe ah ipsitts Christi ore ab apostolis acceptae aut nb ipsis
apobtoliSy spiritn sancto didaiite, quasi pm^ manus traditae adnosus-
que pervefiierunf^ (an einer anderen Stelle lautet die Definition
etwas anders). In der 5. und 6. Sitzung sind die Dekrete über
Erbsünde und Rechtfertigung zu Stande gekommen. Hier hat
man sich unter dem Eindruck des wiedererweckten Augustinis-
mus und der Reformation nicht mit der nominalistischen Doktrin
identifizirt und ist dem Thomismus sehr nahe gekommen, ja das
Rechtfertigungsdekret ist, obgleich aus der Politik geboren, eine
sehr respektable Leistung, der ein evangelischer Inhalt nicht fehlt.
342 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 73.
Allein 1) setzte man doch hier und dort Richtlinien ein, die zu
einem scotistischen (semipelagianischen) Verständniss der Lehren
führten, 2) war es ziemlich gleichgiltig, was man im Obersatz
über Sünde und Gnade lehrte, wenn im Untersatz doch die These
galt, dass die Gewohnheiten der römischen Kirche das oberste
Gesetz sind. Bei der Erbsünde bekannte man, dass Adam die
Heiligkeit und Gerechtigkeit, „in qua constitutus fuerat", ver-
loren habe, nach Leib und Seele „in deterius" commutirt worden
sei, und dass sich „propagatione" seine Sünde fortsetze. Aber man
lehrte auch, dass der freie Wille nicht ausgetilgt, sondern „viribus
attenuatus" sei, und dass die Taufe zwar den reatus originalis
peccati tilge, aber die concupiscentia (fomes) bleibe, die nicht für
Sünde zu erachten sei (also ist die religiöse Betrachtung auf-
gegeben). Von der Rechtfertigung wurde erklärt, sie sei der Akt,
durch den der Mensch aus einem Ungerechten zu einem Gerechten
wird (durch die Taufe, resp. das Busssakrament); sie bestehe aber
nicht bloss in der Sündenvergebung, sondern auch in der Heiligung
und Erneuerung des inneren Menschen durch freiwillige Annahme
der Gnade, obgleich der Mensch unfähig sei, sich per vim naturae
oder per litteram legis Moysis aus der Sündenherrschaft zu be-
freien. Einerseits erscheint die Rechtfertigung als die translatio
von einem Zustand in einen anderen, nämlich in den der Adoption,
imd der Glaube als die entscheidende Macht neben der Gnade
(yyChristum proposult deus propitlatorem per fideni in sanguine
ipsius pro peccatis nostrls'^), andererseits erscheint sie als ein
Heilungsprozess durch eingeflösste Gnade {,yChribti sanc-
tissimae passionis merifo per spiritum sandum Caritas dei diffundi-
tnr in cordibu^^ so dass der Mensch in der Rechtfertigung mit
der Sündenvergebung Glaube, Liebe und Hoffnung zugleich ein-
geflösst erhält; ohne die beiden letzteren ist man weder mit
Christus vollkommen verbimden noch der Glaube lebendig).
Die letztere Betrachtung ist die durchschlagende, und dem-
gemäss werden die Stadien des Rechtfertigungsprozesses (Ein-
leitimg u. s. w.) breit dargelegt. Die gratia praeveniens erschöpft
sich in der vocatio (nuUis existentibus meritis); aber darin ist die
Einleitung nicht erschöpft, vielmehr gehört zu ihr die illuminatio
Spiritus sancti, welche den Menschen zur Richtung auf dieiustitia
befähigt, und somit eine Disposition und freie Hinbewegung zu
Gott. Lidem nun erst die iustificatio erfolgt, ist der Gedanke der
gratia gratis data verwundet. Nur in abstracto ist die Sünden-
§ 73.] Das Tridentinnm. 343
Vergebung etwas für sich Bestehendes und die Rechtfertigung
selbst; in concreto ist diese ein stufenmässiges Heiligwerden, das
sich in der mortificatio membrorum camis vollzieht und auf
Grund der vermehrten Gnade in der Befolgung der Gebote Gottes
und der Kirche äussert. Zu einer Gewissheit der erlangten Gnade
kann man in diesem Leben nicht gelangen; aber ihren Verlust
kann man durch die Busse stets wieder ersetzen; auch braucht
nicht immer der Prozess ganz von Neuem zu beginnen, sofern
trotz des Verlustes der rechtfertigenden Gnade der Glaube ge-
blieben sein kann. Das Ziel des Prozesses in diesem Leben sind
die bona opera, welche Gott vermöge seiner Gnade als ihm an-
genehme und verdienstliche annimmt. Daher muss man sie
einerseits als Geschenke Gottes, andererseits als wirkliche Mittel
zur Seligkeit ansehen. Das Wichtigste ist, dass (gegen die
thomistisch-augustinische Überlieferung) die gratia prima nicht
rechtfertigt, sondern nur disponirt. Also stammt die Recht-
fertigung aus einer Kooperation. Alle augustinischen Redens-
arten können das nicht verhüllen. Von den 33 Anathematismen
wenden sich 29 gegen den Protestantismus. Mit der Verdammung
des Satzes: ^fidcin ütstificantem nihil alitul esse quam fiduciam
divinae misericordiae peccata remiUentis propter Christum^ vel eam
fiduciam solam esse, qua itistifieamur^\ wurde implicite noch mehr
verdammt, nämlich der strenge Augustinismus : darin bestand die
Kunst des Dekrets.
In der 7. Session imd flf. formulirte man die Sakramentslehre
und behauptete sich als Sakramentskirche (yper sacramcnta omnis
Vera iustitia vel incipit vel coepfa augctur vel amissa reparatnr*^)]
über das Wort und den Glauben schwieg man dabei. Statt einer
Lehre von den Sakramenten in genere formulirte man 13 Anathe-
matismen, welche den eigentlichen Protest wider den Protestantis-
mus enthalten. Die Einsetzung aller sieben Sakramente durch
Christus wird behauptet, ebenso die Unmöglichkeit, per solam
fidem ohne Sakramente gerechtfertigt zu werden. Diese „continent
gratiam", enthalten also eine geheimnissvolle Kraft, die sie ex
opere operato denen mitteilen, y,qui obicern non ponunif^. Auch in
anderer Beziehung ist überall die thomistische Lehre (Charakter,
Litention, u. s. w.) bewahrt, jedoch sind theologische Feinheiten
bei Seite gelassen, und die Wendung zu scotistischer Auffassung
bleibt möglich. Am Schluss der Anathematismen wurde jede Ab-
weichung von einmal bestehenden Gebräuchen der Kirche ver-
344 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 73.
dämmt.* Für die Ausführungen über die einzelnen Sakramente
diente die Bulle Eugen's IV. Exultate domino (1439) als Vorbild
Die Bestimmungen über die Taufe und die Konfirmation sind nur
dadurch lehrreich, dass dort die verdammt werden, welche lehren^
dass alle späteren Sünden ,,sola recordatione et ßde svscepti bap-
tismi'^ vergeben werden können, hier der Bischof allein zum
minister sacramenti proklamirt wird. In Bezug auf die Eucharistie
wurden die thomistischen Theologumena nun zum Dogma. Kraft
der Transsubstantiation ist der ganze Christus in jedem Teilstück
jedes Elements gegenwärtig, und zwar schon vor dem Genuss,
also ist die Hostie anzubeten („in encharistia ipse sanctitatis auctor
ante us^tm est''). Alle Gebräuche werden hier als apostolisch be-
zeichnet. Der Effekt des Sakraments bleibt ein höchst geringer;,
ausdrücklich werden die verdammt, welche die Sündenvergebung
für die hauptsächliche Frucht halten. Auch bei dem angefochten-
sten Punkte, der Messe, sanktionirte man das gesammte Her-
kommen, nur einige abergläubische Missbräuche obenhin miss^
billigend. Die Still- und Seelenmessen (^^sacrificmmpropitiatorium
pro vivis et defunctis nondum ad plennm purgatis'^) wurden ebenso
gerechtfertigt, wie — trotz aller Fürstenbedenken — die Kelch-
entziehung und die lateinische Sprache. Die Canones stellen alles-
Reformatorische unter das Anathem und schliessen somit die
Kirche des Messopfers wider die Kirche des Worts streng ab.
Die Lehre von der Busse ist viel ausführlicher behandelt wie die
Eucharistie, um die nur die Theologen sich stritten. Bis zur
materia und quasi materia ist bei der Busse die ganze scholastische
Arbeit als Dogma rezipirt worden. Daher ist (s. oben S. 322) ein
genaueres Eingehen nicht notwendig. Doch ist es bemerkenswert^
dass die attritio sehr vorsichtig behandelt ist, immerhin gilt sie
als contritio imperfecta. Um so kategorischer ist die confessio
aller Todsünden vor dem Priester gefordert und der richterlich e
Charakter des Priesters behauptet. Die satisfactiones wurden,,
wie bei Thomas, als notwendig um der temporalis poena peccati
willen ebenso beibehalten, wie die Ablässe. Doch hat man sick
über diese sehr zurückhaltend ausgesprochen. Die scholastische
Theorie ist nicht berührt, der Missbrauch zugestanden; doch ist
in der Sache schlechterdings nichts nachgegeben (Jeder ist zui
verdammen, der die Ablässe nicht für heilsam erklärt). Über
letzte Ölung, Ordo und Ehe ging man rasch hinweg, die septem
ordines seien ab ipso initio ecclesiae vorhanden gewesen. Die alte
§ 74.] Kurialismus und Episkopalismus. 345
Streitfrage über das Verhältniss der Bischöfe zu den Priestern
wird nicht entschieden, doch komme jenen eine Superiorität zu.
über die Ehe redete man nur homiletisch und kirchengesetzlich,
verdammte aber doch die, welche leugneten, dass sie eine gratia
erteile. In den Fragen nach dem Fegfeuer, den Heiligen, Reliquien
und Bildern sprach man voll Bedauern über die Missbräuche, hielt
aber die Überlieferung streng aufre^cht, in vorsichtigen Worten
den Geist der Zeit schonend. So hat sich die Kirche in der spezi-
fischen Verweltlichung als Opfer-, Priester- und Sakramentskirche
durch das Tridentinum abgeschlossen und nicht einmal ihre Idole
preisgegeben (s. über die Praxis der Benediktionen, Sakramentalien
und Ablässe GiHRJ Das h. Messopfer 1887, Schneider-Beringer,
Die Ablässe^ 1 887). Die Dekrete haben die Kirche auf dem Boden
des Mittelalters und der Scholastik festgebannt: Sakramente,
Gehorsam, Verdienst.
§ 74. Die nachtrid^ntinische Entwickelang als Vorbereitung
des Vaticanums.
HDßNziNORR, Enchiridion symbolorum et definitionum^ 1888.
Die zu Trident nicht rund entschiedenen Fragen: Kurialis-
mus oder Episkopalismus, Augustinismus oder jesuitischer Pela-
gianismus, Sittengesetz oder Probabilismus, bewegten die folgen-
den drei Jahrhunderte. Die erste Frage zerfiel in zwei: Papst oder
Konzil, päpstliche Entscheidungen oder Tradition. Das Vaticanum
hat für den Kurialismus und damit auch für den Jesuitismus
entschieden.
1 a) In Trident hatte es der Gegensatz zwischen Kurialisten
und Episkopalisten in Bezug auf den Artikel von des Papstes
Gewalt überhaupt zu keinem Dekret kommen lassen; aber schon
die professio fidei Tridentinae hat die römische Kirche und den
Papst ins Credo eingeschmuggelt, und der thomistische Catechis-
mus Bomanus hat die päpstliche Autokratie als Glaubensartikel
gelehrt („necessarium f'uit hoc visibile caput ad unitatem ecclesiae
constittiendam et conservandam^'). Doch erhob sich ein kräftiger
Widerspruch, namentlich in dem Frankreich Heinrich's IV. und
Ludwig's XIV. Man kehrte dort (Bossuet) zum Gallikanismus
zurück (übrigens war auch das Tridentinum nicht unbedingt an-
genommen worden), teils im Interesse des Königs, teils in dem
der Nation und ihrer Bischöfe (Residenz der Bischöfe divino iure).
Über die Bedeutung des Primats, den man gelten liess, konnte
346 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 14.
man freilicli so wenig zur Klarheit und Einheit gelangen, wie im
15. Jahrh.; aber fest stand, dass der König und die Bischöfe die
französische Kirche regieren, dass der Papst in zeitlichen Dingen
nichts zu sagen habe, und dass er auch in geistlichen an die Be-
stimmungen der Konzilien (Konstanz) gebimden sei, seine Be-
schlüsse mithin nur unter Zustimmung der Kirche irreformabel
seien (Gallikanische Propositionen von 1682). Die Päpste ver-
warfen diese Sätze, brachen aber nicht mit Frankreich. Am Ende
seines Lebens gab sie der grosse König selbst preis, ohne sie
formell zurückzuziehen. Sie waren im 18. Jahrh. noch immer
eine Macht, bis sie der Monarch, der sie zum Staatsgesetz erhoben
hatte (1810), an die Kurie auslieferte — Napoleon I. Die Weise,
in der er die durch die Revolution niedergeworfene Kirche und
Kirchenordnung mit Bewilligung des Papstes völlig zer-
trümmerte, um sie dann neu mit dem Papste zubauen, war
eine Auslieferung der französischen Kirche an den Papst. So
meinte es der Kaiser nicht, aber so wurde es. Die Romantiker
(de Maistre, Bonald, Chateaubriand u. s. w.) vollendeten mit der
Restauration im Bunde das Werk. Der Gallikanismus wurde
ausgerottet. Soweit Frankreich heute noch wirklich katholisch
ist, ist es päpstlich; aber auch die offizielle Politik besorgt im
Ausland die Geschäfte des ültramontanismus. In Deutschland
hat Febronius (1763) mächtig an dem Kurialismus gerüttelt; aber
indem die Einen eine erzbischöfliche Nationalkirche (Emser
Punktation 1786) wollten, die Anderen Staatskirchen (Joseph IL
u. s. w.), geschah faktisch nichts. Die alte Kirchenverfassung
und die neuen Kirchenbaupläne gingen in dem Strudel der napo-
leonischen Epoche unter. In dem Wiener Frieden tauchte eine
neue Kirche auf, welche die Kurie leitete, und in der sie mit
Hülfe der Fürsten, der ultramontanen Romantiker, vertrauens-
seliger Liberaler und Metternichscher Diplomaten die Reste
des Episkopalismus und des Nationalkirchentums unterdrückte
(JFriedrich, Gesch. d. vatik. Konzils. 3 Bde. 1877 flf. Janüs, Der
Papst und das Konzil. 1869; 2. Aufl. u. d. T. IDöllinger, Das
Papsttum. 1892).
1 b) Schon die Professio fid. Trid. hatte der Tradition einen
viel weiteren Umfang gegeben als das Tridentinum selbst (j,aposto-
licas et ecclesiaatlcas traditiones reliquasque eiusdem ecclesiae obser-
vationes et constitutiones firmissime admitto et amplcctor'^) imd sie
vor die Schrift gestellt. Die Jesuiten ordneten ihr diese immer
§ 74.] Die Tradition. Austilgung des Augustinismus. 347
melir unter und bemühten sich deshalb, die Inspiration der Schrift
«o lax wie möglich zufassen, so dass sogar das Vaticanum Wider-
spruch erhoben hat. Der moderne Katholicismus verlangt aber
Beides, auch die schriftliche Überlieferung als unantastbares
Heiligtum aufrecht zu halten und zugleich auf ihre Insufficienz
und ihre Mängel behutsam den Finger zu legen. Wichtiger war
die Entwickelung des Traditionsbegriffs. In thesi hielt man den
Satz fest: es giebt keine neuen Offenbarungen in der Kirche; in
Wahrheit verfocht man immer dreister das gnostische (Geheim-
überlieferung) und enthusiastische Traditionsprinzip, gegen wel-
•ches doch einst das katholische aufgestellt war. Bellarmin war
noch zaghaft; aber schon Cornelius Mussus, ein Mitglied des
Tridentiner Konzils, hatte den Satz aufgestellt, dass er in Glau-
benssachen einem Papste mehr glaube als tausend Augustinus
und Hieronymus'. Die Jesuiten haben den selbst schon neuen
Satz, dass alle Gewohnheiten der römischen Kirche Tradition
seien, durch den allerneuesten ergänzt, dass jede Lehrentscheidung
des Papstes es sei. Sie haben sich sogar hin und her abschätzig
über Konzilien und Traditionsbeweise ausgesprochen, oder die
beglaubigtsten Aktenstücke für Fälschungen erklärt, um die Ge-
schichte durch das Dogma vom Papst zu überwinden. Die Kirche
selbst ist die lebendige Tradition, die Kirche aber ist der Papst:
also ist der Papst die Tradition (Pius IX.). In dieser Eigen-
schaft hat er sich bereits 1854 durch Proklamation der unbe-
fleckten Empfangniss Maria*s bethätigt, eine alte Streitfrage
(s. S. 334) lösend. Was zu Trident propter angustias temporum
noch nicht in Kraft gesetzt werden konnte, ein gemessen am katho-
lischen Altertum häretisches Prinzip, herrscht heute (HHoltz-
MANN, Kanon u. Tradition 1859. JDelitzsch, Lehrsystem d.
römisch-kathol. Kirche. I. 1 875).
2) Im Catechismus Romanus (1566), den die Jesuiten darum
angriffen, hat der Augustinismus sein letztes offizielles Denkmal
•erhalten. Fortab wurde daran gearbeitet, dass die Gnadenlehre
ihr Gesetz durch die weltformige Praxis des Beichtstuhls erhielt.
Schon im Jahre 1567 bewirkte man es, dass Pius V. 79 Sätze des
Löwener Professors Bajus verwarf, die allerdings den strengsten
Augustinismus, jedoch mit Fremdem vermengt, enthielten, der
Reformation übrigens nicht günstig waren. Ein langer und heftiger
Streit zwischen Dominikanern und Jesuiten erhob sich. Jene be-
anstandeten die jesuitische Studienordnung, verdammten die
348 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 74.
kecksten Sätze der Jesuiten (Lessius und Hamel) und suchten die
thomistische Lehre in Bezug auf den Ernst der ersten Sünde, die
Konkupiscenz und die gratia praeveniens festzuhalten. Diese
legten besonderes Gewicht auf den freien Willen und die „Dis-
position". Unter ihnen hat Molina das grösste Aufsehen gemacht
mit seinem Werk: „Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina prae-
scientia . . praedestinatione . . concordia" (1588). Er versuchte,
den Semipelagianismus in den Augustinismus einzuinterpretlren;.
faktisch gab er letzteren vollkommen preis. Um die stürmische
Kontroverse zu schlichten, wandte man sich nach Rom. Dieses
hatte kein Interesse für die Sache, sondern nur für das Opportune;,
handelte es sich doch nicht um Augustin und Pelagius, sondern
um Dominikaner und Jesuiten. Die Politik gebot, es mit keiner
Partei ganz zu verderben. Die „congregatio de auxiliis'^, welche
von 1597 -—1(507 tagte, während man gleichzeitig von jeisuitischer
Seite den Papst einschüchterte, wurde endlich aufgelöst, ohne
eine Entscheidung zu geben (yyfore ut sua Sanctitas declaraiionefn
et determinationem , quae exspcctahaUtr y opportune promulgaret^')^
Die Ergebnisslosigkeit war faktisch ein Sieg der Jesuiten.
Noch schlimmer verlief der jansenistische Streit. In dem
katholischen Frankreich, das nach furchtbaren Kämpfen die Refor-
mation ausgeschieden hatte, arbeitete sich langsam neben dem
leichtsinnigen Hof- und Staatskatholicismus und dem laxen
Jesuitismus ernste Frömmigkeit wieder empor. Das posthume
Werk des Bischofs Jansen von Ypern „Augustinus^^ (1640) gab
ihr einen geschichtlichen und theologischen Halt. Sie raffte sich
auf,' um die Kirche von der Kirche, den Glauben vom Gewohnheits-
Christentum, die Sittlichkeit von der raffinirten und laxen Moral
zu befreien Der Beichtstuhl der Jesuiten erschien ihr als der
eigentliche Feind (Pascals Briefe: ,,€cce patres, qui tollunt peccata
mandi!''). Der Orden Jesu vermochte sich gegenüber den furcht-
baren Angriffen nur zu erhalten, indem er zur Offensive griff und
den echten Augustinismus Jansen's und seiner Freunde als Häresie
(„Jansenisraus") verketzerte. Die Päpste Hessen sich gewinnen,
ürban VILL. („In eminenti"), vor Allem aber Innocenz X. („Cum
occasione") und Alexander VII. („Ad sancti b. Petri sedem") ver-
boten, resp. verdammten das Buch Jansen's. Innocenz bezeichnete
ausserdem fünf Sätze Jansen's als verwerflich. Jetzt erhob sich
ein heftiger Widerstand: die „Jansenisten" weigerten sich, die in-
kriminirten Sätze als die Jansen's anzuerkennen und zu verdammen.
^ 74] Der jansenistisclie Streit. 349
Allein Alexander VII. verlangte es, und die Krone unterstützte
ihn. Nach einem vorübergehenden Kompromiss (silentium obse-
quiosum 1668 Clemens IX.) erneuerte Clemens XI. 1705 die
scharfen Bullen seiner Vorgänger. Port Royal wurde zerstört.
Noch härter aber traf den Augustinismus die Konstitution „Uni-
genitus" Clemens' XI. (1713). In ihr wurden 101 Sätze aus der
erbaulichen Erklärung des Paschasius Quesnel zum N. T., die die
Jesuiten ausgezogen hatten, präskribirt. Unter ihnen waren nicht
nur viele rein augustinische, sondern auch paulinische {^,Nullae
dantur gratiae nisi per fidem^' — „fides est prima gratia et fons
<yinnium äliarum'^ — ,jprima gratia, quam deiis concedit peccatori,
est peccatorum remissio'^ — ypeccator non est Über nisi ad maltim
sine gratia liheratoris'^ etc.). Wieder erhob sich ein Sturm in
Prankreich. Acceptanten der Bulle und Appellanten standen sich
gegenüber. Aber, wie immer im Katholicismus — schliesslich
imterwarfen sich die Einen mit beflecktem Gewissen, die Anderen
gingen in Ekstase und Schwärmerei unter. Nur in den Nieder-
landen hatte sich schon vorher in Folge des jansenistischen Streits
eine schismatische altkatholische Kirche gebildet. Die Bulle
Unigenitus, von mehreren Päpsten konfirmirt, ist der Sieg der
jesuitischen Dogmatik über die augustinische, daher das letzte
Wort der katholischen Dogmengeschichte (im Sinne der Glaubens-
lehre). Wie dann im 19. Jahrh. die letzten Reste des Gallikanis-
mus vernichtet worden sind, so auch des Jansenismus oder der
„Afkermystik", die sich mit Notwendigkeit aus dem Augustinismus
und Quietismus entwickelt und allerdings eine Gefahr für die
katholische Kirche bildet. Die Proklamation der unbefleckten
Empfängniss Maria's durch Pius IX. bezeichnet hier den Ab-
schluss. Wie sie in formeller Beziehung (s. sub 1) die definitive
Erhebung des Papsttums bezeichnet, so in materieller die Aus-
tilgung des Augustinismus. Den unverwüstlichen Trieb zur
Innerlichkeit, Beschaulichkeit und christlichen Selbständigkeit
hat dann der jesuitische Katholicismus durch sinnliche Mittel aller
Art, durch Spielsachen und Wunder, sowie durch Bruderschaften,
Exercitien und Gebetsübungen beschäftigt und dabei am Seile der
Kirche gehalten (FXLinsenmann, Bajus 1867. IDöllinger und
HReusch, Gesch. d. Moralstreitigkeiten i. d. röm.-kath. Kirche
seit dem 16. Jahrh. 2 Bde. 1889. Reüchlin, Jansen in RE^).
3) Schon im MA. hatte der juristisch-kasuistische Geist der
römischen Kirche den Beichtstuhl, die Ethik und die Dogmatik
350 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 74^
anfs ungünstigste beeinflusst. Die nominalistische Theologie be-
sass eine ihrer starken Wurzeln in der juristischen Kasuistik
(d. h. im P r o b a b i 1 i s m u s) Die Jesuiten haben sie aufgenommeö
und in einer Weise kultivirt, die einige Male selbst die Päpste, ja^
ihre eigenen Ordensmitglieder in Schrecken gesetzt hat (Döllinger
und Keusch, a. a. 0.). „Wissenschaftlich" hat zuerst der Domini-
kaner Bartholomäus de Medina den „Probabilismus" 1577 dar-
gelegt. Die Formel lautete: „Si est opinio probabilis, licitum est
eam sequi, licet opposita sit probabilior^^. Selten hat ein Wort so ge-
zündet. Es war die Befreiung der Moral von der Moral, der Religion
von der Religion. Schon um 1600 wurde der Probabilismus al»
die herrschende Ansicht bezeichnet, aber besonders von den
Jesuiten kultivirt. Auf dem Gebiet des Glaubens stellt er sich
1) als Laxismus dar (in Bezug auf die Spendung der Absolution)^
2) als Attritionismus. Es bildete sich eiue Reihe von Spielarten
aus, laxester, echter, rigoristischer Probabilismus, Aquiprobabüis-
mus, Probabiliorismus, laxer und strenger Tutiorismus. Die Unter-
schiede unter den sechs ersten besagen im Grunde wenig; der letztere
— er ist allein sittlich — ist von Alexander VIII. 1600 ausdrücklich
verworfen worden. Die ganze Methode ist die talmudistische ; wahr-
scheinlich besteht auch vomMA. her ein wirklicher Zusammenhang,
Der Jansenismus, vor Allem Pascal, erhob sich gegen diese Destruk-
tion der Sittlichkeit. Er setzte es auch durch, dass der Probabilis-
mus seit der Mitte des 17. Jahrh. zurückgedrängt wurde. Mehrere
Päpste verboten die laxesten moraltheologischen Bücher; Inno-
cenz XI. verdammte 1679 65 Sätze der Probabilisten, unter denen
sich wahre Bubenstücke befanden (s. Denzinger, Enchiridion
p. 213f. 217. 218 f.). Das Schlimmste schien abgewehrt, zumal
da sich im Jesuitenorden selbst Thyrsus Gonzalez wider die
DoktrtQ erhob (1687 wurde er General). Allein Jansenismus und
Antiprobabilismus waren solidarisch. Als jener fiel, musste auch
dieser weichen. Auch hatten es die Päpste in Bezug auf den
Attritionismus nur zur Neutralität gebracht. Aus dieser Quelle
brach im 18. Jahrh. der Probabilismus von Neuem hervor. Der
Stifter des Redemptoristenordens, Alphons Liguori (selig 1816,
heilig 1829, Lehrer der Kirche 1871), wurde durch seine Bücher
der einflussreichste Lehrer der Kirche. Er ist im modernen
Katholicismus an die Stelle Augustin's getreten. Er ist
aber Aquiprobabilist, d. h. Probabilist, gewesen, und kein Pascal
erhob sich mehr.
§ 75.] Der Probabilismus. Das Vaticanum. 351
§ 75. Das Vaticanum.
JFriedrich, Gesch. d. Vatikan. Konzils. 3 Bde. 1877 ff.
Die Kirche, die den Episkopalismus und Augustinismus in
sicli gestürzt, den Probabilismus aufgerichtet und im Bunde mit
der politischen Reaktion und der Romantik den Papst zum Herrn
der Kirche erhoben und als die lebendige Tradition proklamirt
hatte, war endlich reif für das Dogma von der Unfehlbarkeit des
Papstes. Die Bischöfe bekannten auf dem Vaticanum (1869/70),
eine beträchtliche Minorität überhörend, dass der Primat ein
wirklicher und direkter sei, dass der Papst die potestas ordinaria
et immediata als plena et suprema über die ganze Kirche besitze,
und dass diese Gewalt im vollen Sinne überall bischöflich sei.
Von diesem üniversalbischof bekannten sie am 18. Juli 1870:
^ydocemus et divin itus revelatum dogma esse definimus: Bomanum
Pontificem^ quitm ex cathedra loquitur id est quum omnium Chri-
stianornm pastoris et doctoris mimere fungens pro suprema sua apo-
stölica auctoritate doctrinam de fide vel moribus ab universa ecclesia
tenendam definit, per assisfentiam divinam, ipsi in h. Petro pro-
missam, ea in fallibilitate pollere, qua divinus redemptor ecclesiam
suam in definienda doctrina de fide vel moribus instructam esse
voluity ideoque eiusmodi Romani pontificis deßnitiones ex sese, non
autem ex consenstt ecclesiaey irreformdbiles esse. 8i quis autem huic
nostrae definitioni contradicere, qnod deus avertaf, praesnmpsorit,
anatJiema sit^^. Die widersprechenden Bischöfe haben sich bald
unterworfen. Die Zahl derer, die die Annahme des neuen Dogmas
verweigerten, war und ist gering (JFvSchülte, Der Altkatholicis-
mus 1887). Die neue Lehre ist in der That der Schlussstein des
Gebäudes. Anderes mag nachfolgen, z. B. die weltliche Herrschaft
des Papstes und sein Recht, den Katholiken die Politik zu diktiren,
als Glaubensartikel; aber die Hauptsache ist schon jetzt erreicht.
Die römische Kirche hat sich als die autokratische Herrschaft des
Pontifex Maximus offenbart — das alte römische Reich, bezogen
auf die Erinnerung an Jesus Christus, ausgestattet mit seinem
Wort und mit Sakramenten, über eine nach Bedarf elastische
oder eiserne dogmatische Rechtsordnung verfügend, ausser der
Erde auch das Fegfeuer und den Himmel umspannend.
352 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 76.
Drittes Kapitel.
Die Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus und Socinianismus.
§ 76, Gescbiclitliche Einleitniig.
HWErbkam, Gesch. d, prötest. Sekten 1848. — MOarriere, Die
philos. Weltanschauung d. ßefZt.* 1887. — Tkechsel, Die protest. Anti-
trinitarier. 2 Bde. 1839 f. — KHkgler, Seb. Franck 1892.
Sozzini war ein Epigone wie Calvin. Der Socinianismus hat,
kirchen- und dogmengeschichtlich betrachtet, die grossen mittel-
alterlichen antikirchlichen Bewegungen zu seiner Voraussetzung;
aber auch die Reformation hat auf ihn eingewirkt. Aus jenen
hat er sich entwickelt; sie hat er geklärt und zur Einheit zu-
sammengefügt. Ein scotistisch-pelagianisches und ein kritisch-
humanistisches Element ist in ihm verbunden; daneben gewahrt
man auch noch ein anabaptistisches (pantheistische, schwärme-
rische, mystische, sozialistische Elemente fehlen). In ihm sind
also die kritischen und rationalistischen Gedanken der kirchlichen
Theologie des 14. und 15. Jahrh. zu freier Entfaltung gekommen;
zugleich aber ist er auch den Impulsen der Neuzeit (Renaissance)
gefolgt. Das Charakteristische der antitrinitarischen und socinia-
nischen Bewegungen des IG. Jahrh. liegt darin, dass sie diejenige
Destruktion des Katholicismus darstellen, die man auf Grund des
Ertrags der Scholastik und der Renaissance zu bewirken ver-
mochte, ohne die Religion zu vertiefen und zu beleben. In
diesem Sinne ist der Socinianismus auch ein Ausgang der Dogmen-
geschichte. Mittelalter und Neuzeit reichen sich in ihm über die
Reformation hinweg die Hände. Das scheinbar Unvereinbare, der
Bund zwischen Scholastik und Renaissance, ist hier wirklich ge-
worden. Eben deshalb fehlt auch ein prophetisches Element nicht.
In diesen Bewegungen ist Vieles in wunderbarer Sicherheit bereits
vorweggenommen worden, was in den evangelischen Kirchen nach
flüchtigen Ansätzen zunächst gänzlich unterdrückt erscheint, weil
das Interesse für Religion in gebundener Form 150 Jahre lang
hier Alles absorbirte. Der Antitrinitarismus und Socinianismus
sind „aufgeklärter" als der kirchliche Protestantismus, aber minder
entwickelungsfähig und ärmer.
Nur eine flüchtige Übersicht soll hier gegeben werden. Allen
antitrinitarischen und wiedertäuferischen Gruppen ist der Bruch
mit der Geschichte, der Verzicht auf die Kirche, wie sie bereits
existirt, und die Überzeugung von dem Recht des Individuums
§ 76.] Der Antitrinitarismus und Socinianismus. 353
gemeinsam. Von den verscliiedensten Ausgangspunkten sind sie
nicht selten zu den gleichen Ergebnissen gelangt, weil die Stim-
mung, die sie bewegte, die gleiche gewesen ist. Die erste
Oruppe knüpfte an die pantheistische Mystik und die neue Bildung
-der Renaissance an: nicht Begriffe, sondern Thatsachen, nicht
Formeln, sondern Leben, nicht Aristoteles, sondern Plato, nicht
4er Buchstabe, sondern der Geist. Das innere Licht wurde neben
•die Bibel gestellt, die freie Überzeugung über die Satzung. Die
Kirchendogmen wurden entweder umgedeutet oder fallen gelassen.
Von der Last der Vergangenheit befreit und vom Evangelium be-
stimmt, haben sich Manche von ihnen in das Reich des freien
•Geistes aufgeschwungen. Andere blieben im Phant «stischen
hängen. Hierher gehören Schwenkfeld, V. Weigel, Giordano
Bruno, vor Allem Sebastian Franck (und Theobald Thamer). Eine
zweite unübersehbare Gruppe hatte ihre Stärke an dem Gegen-
satz zum politischen und sakramentalen Katholicismus und spielte
ihm gegenüber eine neue sozial- politische Welt- und Kirchen-
ordnung, die Apokalyptik und den Chili asmus, aus. In ihr setzt
sich das enthusiastische Minoritentum, Waldesiertum u. s. w. fort.
Ihr Kennzeichen wurde die Wiedertaufe. Mit den reformatorischen
Elementen mannigfach durchsetzt, hat dieses Täufertum bis zur
Katastrophe von Münster und über sie hinaus eiue sehr bedeutende
Rolle gespielt. In einer dritten, wesentlich romanischen (ita-
lienischen) Gruppe stellt sich die konsequente Ausbildung der
nominalistischen Scholastik unter dem Einfluss des Humanismus
dar, die Unterwürfigkeit unter die Kirche hat aufgehört; der
Moralismus, humanistisch, z. T. auch evangelisch verklärt, ist
nachgeblieben. Das alte Dogma und der Sakramentarismus ist
verworfen; aber ein historisches Element ist hinzugetreten, die
Rückkehr zu den Quellen, der philologische Sinn, der Respekt
vor dem Klassischen in Allem, was Altertum heisst. Das religiöse
Motiv im tiefsten Sinn fehlt diesen Italienern: auch haben sie es
nicht zu einer volkstümlichen Bewegung gebracht. Diese und die
«rste Gruppe stehen in vieler Hinsicht in einem strengen Gegen-
satz, sofern jene der spekulativen Mystik, diese dem verständigen
Denken huldigen. Allein nicht nur schlangen die humanistischen
Interessen ein gemeinsames Band um sie, sondern aus der speku-
lativen Mystik entwickelte sich im Zusammenhang mit der Er-
fahrung, auf die man Wert legte, auch ein reines Denken, und
andererseits streiften die nüchternen italienischen Denker unter
Gruudriss IV. iii. Habitack, Dogmengeschiclite. 2. Aufl. 23
354 Dreifacher Ausgang des Dogmas. f§ 76.
dem Einfluss der neuen Bildung die Unarten jener Begriffsmytho-
logie ab, in der sich der ältere Nominalismus ergangen hatte.
Am bedeutendsten ist dieser Zusammenschluss durch den Spanier
Michael Servede repräsentirt. La seiner Theologie ist das Beste
von alledem vereinigt, was im 16. Jahrh. zur Reife gekommen,
war, wenn man von der evangelischen Reformation absieht.
In Bezug auf alle diese Gruppen hat die Dogmengeschichte
zwei Hauptpunkte ins Auge zu fassen, ihr Verhältniss 1) zu dem
formalen Autoritäten des Katholicismus, 2) zur Lehre von der
Trinität und von Christus. Was den ersten Punkt betrifft, so
haben sie die Autorität der Kirche, der gegenwärtigen und der
früheren, als Lehrerin und Richterin abgethan. Unklar aber blieb
das Verhältniss zur Schrift. Man spielte sie gegen die Tradition
aus und fusste mit unerhörter Gesetzlichkeit auf dem Buchstaben;
andererseits drückte man ihre Autorität unter die der inneren.
Offenbarung herab, ja schob sie wohl auch ganz bei Seite. Allein^
in der Regel blieb ihre einzigartige Geltung bestehen; der Soci-
nianismus hat sich fest auf die Schrift gestellt. An ihr wagten,
also die Reformer des 16. Jahrh. — einige ausgezeichnete Männer
ausgenommen, die wirklich verstanden hatten, was die Freiheit
eines Christenmenschen ist — nicht ernsthaft zu rütteln. Der
Widerspruch, in den sich der Protestantismus verwickelt hat,,
findet sich freilich auch bei den meisten Reformern: eine um-
fangreiche Büchersammlimg als absolute Norm in Geltung zu
setzen, aber das Verständniss derselben den Bemühungen der
Einzelnen zu überlassen. — Was den Antitrinitarismus betrifft,,
so hat sich derselbe in allen vier Gruppen entwickelt, aber in
verschiedener Weise. In der ersten Gruppe ist er nicht aggressiv
gewesen, sondern latitudinarisch (wie bei den älteren Mystikern^
die ja auch in der Trinität nur „modi" erkannten, die Mensch-
werdung in Christo als einen Spezialfall betrachteten und über-
haupt in den Dogmen nur verhüllte Wahrheit sahen). Li der
zweiten, wiedertäuferischen Gruppe ist der Antitrinitarismus in
der Regel ein verhältnissmässig untergeordnetes Element, wenn
er auch vielleicht nirgends ganz fehlt. Bei dem bedeutenden Re-
former Denck ist er kaum zu finden, dagegen deutlicher bei
Hätzer, noch stärker bei Campanus, D. Joris und Melchior Hoff-
mann, die sich übrigens sämmtlich eine eigene Trinitätslehre
zurecht gemacht haben. An der Wurzel, d. h. an der Gottheit
Christi, ist die Trinitätslehre nur von Italienern (Pietro Manelfi),.
§ 77.] Der Antiiarinitarismus. 355
resp. innerlialb der dritten Gruppe angegriflfen worden. Die Ver-
bindung des Humanismus mit der nominalistisch-pelagianischen
Überlieferung der Theologie hat in Italien deu Antitrinitarismus
im Sinne des Adoptianismus oder Arianismus als einen wirklichen
Faktor der geschichtlichen Bewegung erzeugt. Die Beseitigung
der Lehre von der Gottheit Christi und der Trinität galt hier als
die wichtigste Reinigung und Entlastung der Religion. An ihre
Stelle tritt der geschaffene Christus und der eine Gott; hierfür
wird der Schriftbeweis gesucht und gefunden (vgl. die römischen
Theodotianer des Altertums). Eine ganze Schaar von gelehrten
und meistens sehr respektablen Antitrinitariern hat Italien in
der Mitte des 16. Jahrh. über seine Grenzen gejagt, Camillo
Renato, Blandrata, Gentilis, Occhino, die beiden Sozzini u. s. w.
In der Schweiz wurde der Kampf über das Recht des Antitrinita-
rismus in der evangelischen Kirche ausgekämpft. Calvin entschied
gegen sie und verbrannte Servede. In Polen und Siebenbürgen
fand die Lehre eine Freistatt. Dort entstanden antitrinitarische
Gemeinden, ja in Siebenbürgen gelang es Blandrata, sein Bekennt-
niss zur formlichen Anerkennung zu bringen. Innerhalb der
Anarchie fand auch die Gewissensfreiheit eine Stätte. Der üni-
tarismus, wie ihn Blandrata lehrte, sah in Christus einen von
Q^tt erwählten imd zum Gott erhobenen Menschen. Bald trat
eine Spaltung ein. Die Linke verwarf auch die wunderbare Ge-
burt und die Anbetung Jesu (Nonadorantismus). Ihr Hauptver-
treter war Franz Davidis. Um diese Richtung zu bekämpfen, ist
Fausto Sozzioi 1578 nach Siebenbürgen gekommen, und wirklich
unterdrückte er sie. Dort und in Polen hat er aus den wieder-
täuferischen, sozialistischen, chiliastischen, libertinis tischen und
nonadorantischen Gemeinden eine Kirche auf dem Grunde einer
ausgeführten biblischen Dogmatik gebildet. Nach einer an dra-
matischen Episoden reichen Geschichte hat der polnische ünita-
rismus in Verbindung mit dem niederländischen Arminianismus
schliesslich in England und Amerika eine Stätte gefunden und
ausgezeichnete Männer hervorgebracht. Allerdings hat er sich
dort immer mehr mit evangelischem Geist erfüllt.
§ 77, Die socinianische Lebre.
OFocK, Der Socisianismus 1847.
Aus dem Rakauer Katechismus (1609) lässt sich das socinia-
nische Christentum am besten erkennen. Die Religion ist das
23*
356 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 77.
vollständige und riclitige Wisaen der heilsamen Lehre. Diese ist
aus der h. Schrift als einer äusseren, statutarischen Offenbarung,
vorzüglich aus dem N. T. zu gewinnen. Die christliche Religion
ist Theologie des N. T., aber sie ist zugleich vernünftige
Religion. Das Buch und die Vernunft sind die Stamina der
socinianischen Lehre. Daher ist der Nachweis der certitudo sa-
crarum litterarum eine Hauptaufgabe dieses supranaturalen Ra-
tionalismus. Er tritt an die Stelle des Traditionsbeweises. Die
Geltung des N. T. (das A. T. wird nur noch fortgeführt) soll der
Vernunft, nicht der Frömmigkeit demonstrirt werden. Das N. T.
ist aber sufficient, weil der Glaube, der in der Liebe thätig ist,
„quantum satis" in ihm enthalten ist. Dieser Glaube aber ist der
Glaube an Gottes Existenz und Vergeltung (vgl. den Nominalis-
mus), die Liebe sind die Sittengebote. Die Schrift aber ist auch,
deutlich, wenn man sie mit Verstand betrachtet ( ^itagtie cum sa-
cras litter as suffieere ad salutem dicimus, rcctam rationem non tan-
tum non excludiwus, sed omnino inclndimits'^).
Den Heils weg konnte der Mensch selbst nicht finden, weil er
sterblich war (altkatholisches Element). Gottes Ebenbild in
ihm bestand lediglich in der Herrschaft über die Tiere. Nicht der
zeitliche Tod, sondern der ewige ist durch die Sünde in die Welt
gekommen. Letztlich aber konnte der Mensch den Heilsweg des-
halb nicht finden, weil er ,,ex solo dei arhitrio ac consilio pependit^\
also durch eine äussere Offenbarung mitgeteilt werden musste
(vgl. den Nominalismus). Vom Fürchten, Lieben und Vertrauen
ist nicht die Rede, sondern nur von der notitia dei und dem Gesetz
des heiligen Lebens, welche offenbart werden mussten. Die notitia
dei ist die Erkenntniss Gottes als des obersten Herrn aller Dinge^
der „pro arhitrio leges ponere et praemia ac poenas sfatnere potesf*
(vgl. den Nominalismus). Am wichtigsten ist es, Gottes Einheit
zu erkennen; aber ,,nildL prohihct, quominus ille unus detis imperinm
potestatemque cum aliis communicare possit et communicaverif' (vgl.
die alten Subordinatianer und Arianer). Die Eigenschaften Gottes
werden ohne Beziehung auf den Heilsglauben aus dem Begriff des
„supremus dominus" und des „summe iustus" entwickelt (vgl. den
Nominalismus). Sehr nützlich zum Heil, wenn auch nicht schlecht-
hin notwendig, ist die Einsicht in die Verwerflichkeit der Trinitäts-
lehre. Ante legem et per legem erkannten die Menschen bereits die
Schöpfung der Welt durch Gott, die Vorsehung Gottes de singulis
rebus (!), die Vergeltung und den göttlichen Willen (im Dekalog).
§77.] Die socinianische Lehre. 357
Die notitia Christi zerlegt sich in die Erkenntniss seiner
Person und seines Amtes. In ersterer Hinsicht handelt es sich um
die Einsicht, dass Gott uns durch einen Menschen erlöst hat (vgl.
die hypothetischen Sätze des Nominalismus). Christus ist ein
sterblicher Mensch gewesen, der vom Vater geheiligt, mit gött-
licher Weisheit und Macht ausgerüstet, auferweckt und schliess-
lich zu Gott gleicher Macht eingesetzt worden ist. Das ist der
exegetische Befund im N. T. Gott hat ihn gesandt, um die Men-
schen in eine neue Katastase zu erheben, d. h. die Sterblichen
zu unsterblichem Leben zu führen (altkirchlich; vgl. besonders
die Antiochener). Das war ein freier Willensentschluss Gottes,
und die Ausführung (wunderbare Geburt, Auferweckung) ist
ebenso willkürlich. Christus hat uns als Prophet die vollkom-
mene göttliche Gesetzgebung gebracht (Erklärung und Vertiefung
des Dekalogs), die Verheissung des ewigen Lebens sicher aus-
gesprochen und das Beispiel eines vollkommen sittlichen Lebens
durch seinen Tod bekräftigt, nachdem er einige sakramentale An-
ordnungen getroffen. Durch diese Predigt hat er einen starken
Impuls zur Beobachtung des göttlichen Willens gegeben und zu-
gleich die allgemeine Absicht Gottes versichert, den Reuigen und
der Besserung Beflissenen die Sünden zu vergeben (vgl. den Nomi-
nalismus). Sofern Niemand das göttliche Gesetz vollkommen er-
füllen kann, erfolgt die Rechtfertigung nicht durch Werke, son-
dern durch den Glauben. Dieser Glaube aber ist Vertrauen auf
den Gesetzgeber, der ein herrliches Ziel, das ewige Leben, vor-
gesteckt und durch den h. Geist die vorausgehende Gewissheit
jenes Lebens erweckt hat, ferner Zuversicht zu Christus, der, mit
göttlicher Macht bekleidet, denen, welche sich zu ihm halten, die
Befreiung von der Sünde verbürgt. Im Einzelnen ist bemerkens-
wert: 1) die virtuose, vielfach zutreffende Kritik der kirchlichen
Christologie aus der Schrift und der Vernunft — Schwierig-
keiten machten freilich die Schriftaussagen über die Präexistenz
Christi — , 2) der Versuch, das Werk Christi in dem Schema der
drei Amter darzulegen, und die offenkundige Unfähigkeit, es über
das prophetische Amt hinauszuführen. Im Rahmen des letzteren
wird im Grunde Alles abgehandelt: ^jCompi'eheiidit tum praecepta,
tumpromissa dei perfecta, tum denique modum ac ratimxem, qui nos
et praeceptis et promissümibvs dei coiifirmare debeamusJ* Darüber
hinaus aber kennt der Söcinianismus nichts. Die „praecepta" sind
der erläuterte Dekalog mit dem Zusatz des Vater-ünsers und die
358 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 77.
besonderen Gebote der zuversichtliehen stetigen Freude zu Gott im
Gebet, Danksagung und Vertrauen zu Gottes Hülfe, Enthaltung von
der Weltliebe sowie Selbstverleugnung und Geduld. Dazu kommen
noch die besonderen ceremonialen Gebote, nämlich die Taufe und das
Abendmahl. Jene ist Bekenntniss, Verpflichtung und Symbol; in
verschämter Weise wird auch der Sündenvergebung um der Schrift
willen gedacht und die Kindertaufe abgelehnt, aber geduldet (weil
es sich um eine Ceremonie handelt). Das Abendmahl wird unter
Ablehnung aller übrigen Betrachtungen als angeordnetes Er-
innerungsmahl aufgefasst. Die promissa dei sind die Verheissung
des ewigen Lebens und des h. Geistes. In Ausführung des letzteren
Stückes hat der Socinianismus Tüchtiges geleistet, dagegen die
Sündenvergebung sehr zweideutig behandelt. Im Gegensatz zum
evaugelischen Verständniss lehrt er: „iw vita aeterna simul com-
preliensa est peccatorum remissio,^' Dieses ewige Leben ist nur sehr
oberflächlich beschrieben, und die katholische Grundstimmung
des Socinianismus zeigt sich in dem Satze, dass der h. Geist nur
nach Massgabe des moralischen Fortschritts verliehen wird. Auf
die Frage, wie Christus die Gebote und Verheissungen eindring-
lich versichert hat, wird geantwortet: 1) durch seine Sündlosig-
keit, 2) durch seine Wunder, 3) durch seinen Tod. Der letztere
wird als Liebesbeweis gefasst und nun in ausführlichster Dar-
legung die Satisfaktionstheorie bekämpft. Hier liegt die Stärke
des Socinianismus. Kann man sich auch manche Argumente nicht
aneignen, weil sie aus dem scotistischen Gottesbegriff geflossen
sind, so muss man doch sagen, dass hier die juristische Satisfak-
tionstheorie wirklich widerlegt ist. Der Gedanke des Ver-
dienstes Christi wird beibehalten. Aber wie dürftig ist es, wenn
der Katechismus, noch einmal zum Glauben zurückkehrend, er-
klärt: „fides obedientiam nostram deo commendatiorem gratioremgue
facit et dbedientiae defedus, modo ea sit vera ac seriay supplet, utque
a deo iustificemur efficit.^ Das ist der volle Gegensatz zum evan-
gelischen Glaubensgedanken. Was dann noch über Rechtfertigung
bemerkt wird, ist wertlose Accommodation an den Paulinismus.
Accommodationen sind überhaupt nicht selten. — Bei dem
priesterlichen Amte Christi wird die fortdauernde Priester-
schaft Christi betont, während die einmalige im Grunde abgelehnt
ist. Ganz kurz wird die Herrschaft Christi über alle Wesen und
Dinge beschrieben.
Am Schluss kehrt der Katechismus zur Kirche zurück und
% 78.] Der Protestantismus. Luther. Einleitung. 359
yiefinirt sie noch einmal als Scliule: y,coetus eorum hominum, qui
doctrinam salutarem tenent et profitentur.^^ Pastoren (Doktoren)
und Diakonen sind der Kirche nötig; aber von der Ordination wird
geschwiegen und die bischöfliche Succession bekämpft. Die Aus-
führungen über sichtbare und unsichtbare Earche sind unsicher
und unklar.
Im Socinianismus stellt sich die Zersetzung des Dogmas auf
katholischem Boden dar, wie im Romanismus die Neutralisirung.
An die Stelle der Tradition ist die äussere Offenbarung in der
Bibel getreten. Die Religion, soweit sie verständlich ist, ist in
den Moralismus verschlungen. Doch sind glückliche Inkonse-
quenzen nachgeblieben, und der Socinianismus bietet, auch ab-
gesehen von ihnen, erfreuliche Seiten: 1) hat er den Mut ge-
wonnen, die Frage nach dem Wesen imd Inhalt der Religion zu
vereinfachen und die Lasten der kirchlichen Vergangenheit ab-
zuwerfen, 2) hat er den engen Bund von Religion und Welt-
erkennen, Christentum und Piatonismus gesprengt, 3) hat er die
Einsicht verbreiten helfen, dass der religiöse Ausdruck klar sein
muss, und verständlich, wenn er kräftig sein soll, 4) hat er das
Studium der h. Schrift vom Bann des alten Dogmas zu befreien
versucht.
Viertes Kapitel.
Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
§ 78. Einleitung.
Der nachtridentinische Katholicismus und der Socinianismus
:sind in vieler Hinsicht moderne Erscheinungen, aber auf ihren
religiösen Kern gesehen sind sie es nicht, vielmehr Konsequenzen
des MAlichen Christentums. Die Reformation, wie sie sich im
Christentum Luther's darstellt, ist dagegen in vieler Hinsicht
eine altkatholische, resp. auch eine mittelalterliche Erscheinung,
-dagegen auf ihren religiösen Kern beurteilt, ist sie es nicht, viel-
mehr Wiederherstellung des paulinischen Christentums im Geist
'einer neuen Zeit. Von hier aus ergiebt sich, dass die Reformation
nicht lediglich nach den Resultaten, die sie in den ersten zwei
Menschenaltem ihres Bestehens errungen hat, beurteilt werden
kann; denn sie hat nicht als eine in sich widerspruchslose und
eindeutige Erscheinung eingesetzt. Luther's Christentum war
360 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 78^
die Reformation; in der Peripherie seines Daseins aber war^
Luther eine altkatholisch -mittelalterliche Erscheinung. Die Zeit
von 1519 — 1523, die schönsten Jahre der Reformation, in denen
sie mit allem Lebendigen in Verbindung gestanden hat und eine-
neue Ordnung herbeizuführen schien, war nur eine Episode.
Luther ist bald wieder zu seinen Schranken zurückgekehrt. Diese
aber waren nicht etwa nur leichte Hüllen, so dass erst Melan-
chthon und die Epigonen die Verengung verschuldet hätten, son-
dern Luther empfand sie mit als die Wurzeln seiner Kraft und
hat sie in diesem Sinne geltend gemacht.
Luther's Grösse besteht in der am Evangelium wieder ent-
deckten Erkenntniss Gottes. Der lebendige Glaube an den Gott,«
der propter Christum und in Christus der schuldigen und ver-
zweifelnden Seele zuruft: j^sahis tua ego sum^^, die gewisse Zuver-
sicht, Gott sei das Wesen, auf das man sich verlassen kann —
das war Luther's Botschaft an die Christenheit. Er hat das reli-
giöse Verständniss des Evangeliums wiederhergestellt, das sou-
veräne Recht der Religion in der Religion, die souveräne Geltung^
der geschichtlichen Person Jesu Christi im Christentum. Indem
er das that, schritt er über die Kirche des Mittelalters und der
altkatholischen Zeit hinweg bis zum N. T., ja bis zum Evangelium
selbst. Aber derselbe Mann, der das Evangelium von Jesu Christa
aus dem Kirchentum und dem Moralismus befreit hat, hat doch
die Geltung desselben in den Formen der altkatholischen Theo-
logie verstärkt, ja diesen Formen nach Jahrhunderte
langer Quiescirung erst wieder Sinn und Bedeutung^
für den Glauben verliehen. Er ist der Restaurator des
alten Dogmas geworden und hat es dem Glauben wiedergeschenkt.
Ihm hat man es zuzuschreiben, dass diese Formeln bis heute im
Protestantismus eine lebendige Macht für den Glauben sind, wäh-
rend sie in den katholischen Kirchen ein todter Besitz sind. Man
wird dem „ganzen Luther" nur gerecht, wenn man diese seine
zwiespältige Stellung zur altkatholischen Theologie bestehen lässt
und zu erklären sucht. Luther hat die Zeitgenossen aus den Bahnen
des humanistischen, franciskanischen und politischen Christen-
tums geworfen und sie gezwungen, sich für das ihnen Fremdeste
zu interessiren — für das Evangelium und die alte Theo-
logie. Er hat das Evangelium neu verkündigt und zugleich da»
„Quicunque vult salvus esse" des Athanasianums mit Plerophorie
vertreten können.
§ 78.] Der Protestantismus. Luther. Einleitung. 361
Um diese seine Haltung zu verstehen, darf man auf Fol-
gendes venveisen: 1) die Missstände, die es zu bekämpfen galt,
flössen vornehmlich aus der mittelalterlichen Theologie, und
Luther's geschichtlicher Horizont schloss ungefähr bei der Zeit
des Ursprungs der Papstkirche ab; was dahinter lag, verschwamm
ihm an vielen Punkten in der goldenen Linie des N.Ts., 2) Luther
kämpfte niemals gegen unrichtige Theorien und Lehren als solche,
sondern nur gegen solche Theorien und Lehren, welche offenbar
die puritas evangelii verdarben (den Pelagianismus in allen seinen
Gestalten); in ihm lebte nicht der unwiderstehliche Drang des
Denkers, der nach theoretischer Klarheit strebt, vielmehr hatte
er einen instinktiven Widerwillen und ein eingeborenes Miss-
trduen gegen jeden Geist, der, lediglich von der Erkenntniss ge-
leitet, Irrtümer kühn berichtigte; auch hatte er keineswegs alle
Bildungsmittel und kritischen Elemente seiner Zeit in sich auf-
genommen — „sublimement bome, gauchement savant, terrible-
ment naif ", hat ein Menschenkenner diesen Heros genannt, 3) das
alte Dogma selbst kam der neuen Auffassung des Evangeliums,
die er verkündigte, entgegen; er wollte den rechten Glauben
und nichts als ihn; das alte Dogma aber hatte, im Unterschiede
vom mittelalterlichen, das Christentum nicht als ein Gefüge von
Glaube und Werken (Letztere gehörten nicht ins Dogma), Gnade
und Verdienst beschrieben, vielmehr als Gottesthat durch
Jesum Christum zur Sündenvergebung und zum ewigen
Leben. Nur diesen Inhalt sah Luther in dem alten
Dogma; alles Übrige an ihm übersah er. Deshalb fasste er
seinen Beruf als den des Reformators: es galt nur auf den
Leuchter zu stellen, was die Kirche schon besass, aber mitten im
Besitz verloren hatte; es galt durch Wiederherstellung des alten
Dogmas das Evangelium von der frei(n Gnade Gottes in Christo
wiederherzustellen.
Hatte er nicht wirklich Recht? Fällt seine neue Erkenntniss
des Evangeliums nicht wirklich mit dem alten Dogma einfach
zusammen? Man behauptet es noch heute, freilich mehr oder
weniger verlegen und mit der Einschränkung, Luther habe ein
Wichtiges hinzugefügt, die Lehre von der Rechtfertigung.
Aber hat er nicht die unfehlbare Kirchentradition, das unfehl-
bare Kirchenamt, den unfehlbaren Schriftenkanon abgethan?
Und doch soll sich sein Verständniss des Evangeliums mit dem
alten Dogma decken? Worin bestand jenes Verständniss? wie
362 Dreifacher Ansgang des Dogmas. [§ 79.
weit ging seine Kritik an der Überlieferung? was hat er bei-
behalten? war seine Stellung eine widerspruchslose oder ist der
heutige Zustand des Protestantismus, voll Widersprüchen und
Yerwirrung, auf ihn zurückzuführen?
§ 79. Das Christentnni Lnther^s.
Luther's Theologie von JKüstlin*. 1883, ThHarnack (1862. 1886),
SLoMMATZscH (1879\ — HHerino, Die Mystik Luther's 1879. — WHbrrmai«n,
Der Verkehr des Ciiristen mit Gott* 1892. — ARitschl, Rechtfertigung
u. Versöhnung Bd. P u. IIP. — FKattenbusch, Luther's Stellung zu den
ökumenischen Symbolen 1883. — JGottschick, Luther's Anschauungen
V. christl. Gottesdienst 1887. — Zur altprotest. Rechtfert.-Lehre vgl.
FLooPs und AEichhorn i. d. Stud. u. Krit. 1884 u. 1887. — IDorner,
Gesch. d. Protest. Theol. 1867.
Im Kloster glaubte Luther mit sich und seiner Sünde zu
kämpfen; aber in Wahrheit rang er mit der Religion seiner Kirche.
In dem System von Sakramenten und Leistungen, dem er sich
unterwarf, fand er die Gewissheit des Friedens nicht, die er suchte.
Eben das, was ihm Trost gewähren sollte, offenbarte sich ihm
als der Schrecken. In solcher Not ging es ihm langsam und all-
mählich an dem verschütteten kirchlichen Bekenntnisse („ich
glaube die Vergebung der Sünden^^) und an der h. Schrift auf, was
die Wahrheit und die Kraft des Evangeliums sei. Auch Augustinus
Glaubensauffassung von den ersten und letzten Dingen ist ihm
dabei ein Leitstern gewesen. Aber wie viel sicherer ergriff er das
Wesen der Sache! Was er hier lernte^ was er mit aller Kraft
seiner Seele als das Einzige ergriff, das war die Offenbarung des
gnädigen Gottes im Evangelium, d. h. in Christus. Dieselbe Er-
fahrung, die Paulus gemacht, erlebte Luther, und wiewohl sie
nicht so stürmisch und plötzlich eintrat wie bei Jenem, so hat
doch auch er an dieser Erfahrung gelernt, dass Gott es ist,
der den Glauben giebt: „da es Gott wohlgefiel, dass er seinen
Sohn offenbarte in mir".
Das, was er erlebt hatte, lernte er aussprechen, und da ergab
sich, gemessen an dem Vielerlei dessen, was dieKirche als„Religion"
bot, vor Allem eine imgeheure Reduktion. Aus einem weit-
schichtigen System von Gnade, Leistungen, Büssungen und
Tröstungen führte er die Religion heraus und stellte sie in
schlichter Grösse wieder her. Die christliche Religion ist der
lebendige Glaube an den lebendigen Gott, der sich in Jesus Christus
offenbart, sein Herz aufgethan hat und propter Christum gnädig
§ 79] Das Christentum Luther's. 363
ist — nicht Anderes. Objektiv ist sie Jesus Christus, subjektiv
der Glaube; ihr Inhalt aber ist der gnädige Gott und desdalb die
Sündenvergebung, welche Kindschaft und Seligkeit einschliesst.
In diesem Ring ist für Luther die ganze Religion beschlossen.
Der lebendige Gott — nicht die philosophische oder mystische
Abstraktion — der offenbare, der gewisse, der jedem Christen er-
reichbare gnädige Gott. Unwandelbares Vertrauen des Herzens
auf ihn, der sich in Christus zu unserem Yater gegeben hat, persön-
liche Glaubenszuversicht, denn Christus steht durch sein Werk
für uns ein — das wurde ihm die ganze Summe der Religion.
Über alles Sorgen und Grämen, über alle Künste der Askese, über
alle Vorschriften der Theologie hinweg wagte er es, auf Christus
hin Gott selbst zu ergreifen, imd in dieser That seines Glaubens,
die er als Gottes Werk wusste, gewann sein ganzes Wesen Selbst-
ständigkeit und Festigkeit, ja eine Selbstgewissheit und Freudig-
keit, wie sie niemals ein mittelalterlicher Mensch besessen hat.
Aus der Einsicht: „Mit unserer Macht ist nichts gethan" zog er
«die höchste innere Freiheit. Glauben — das hiess ihm nun
nicht mehr das gehorsame Fürwahrhalten kirchlicher Lehren
oder geschichtlicher Fakta, kein Meinen und kein Thun, kein actus
initiationis, auf den Grösseres folgt, sondern die Gewissheit der
Sündenvergebung und darum die persönliche und stetige Hingabe
an Gott als den Vater Jesu Christi, die den ganzen Menschen um-
«chaflft und erneuert. Glauben ist eine gewisse Zuversicht, die da
fröhlich und lustig macht gegen Gott und alle Kreaturen, die, wie
ein guter Baum, ge wisslich gute Früchte bringt, imd die immer bereit
ist, Jedermann zu dienen und allerlei zu leiden. Das Leben eines
Christen ist trotz aller Übel, Sünde und Schuld geborgen in Gott.
Weil diese Gewissheit Luther belebte, hat er auch die Freiheit
eines Christenmenschen erlebt. Diese Freiheit war ihm nicht eine
leere Emanzipation oder ein Freibrief, sondern Freiheit war ihm
die Herrschaft über die Welt in der Gewissheit, dass, wenn Gott
für uns ist. Niemand wider uns sein kann. Er hat das Recht des
Individuums zunächst für sich selber erkämpft; die Freiheit des
•Gewissens hat er erlebt. Aber das freie Gewissen war ihm das
innerlich gebundene, und das Recht des Individuums verstand er
als die heilige Pflicht, es mutig auf Gott zu wagen und dem
Nächsten selbständig und selbstlos in Liebe zu dienen.
Damit ist bereits gesagt, was ihm die Kirche war — die Ge-
meinschaft der Gläubigen, die der h. Geist durch das Wort Gottes
364 Dreifacher AuFgang des Dogmas. [§ 79.
berufen hat, erleuchtet und heiligt, die fort und fort durchs Evan-
gelium im rechten Glauben erbaut werden, auf die herrliche Zu-
kunft der Kinder Gottes warten und unterdess einander in Liebe
dienen, ein Jeder an seiner Stelle. Dieses Bekenntniss von der
Kirche schloss eine gewaltige Reduktion ein. Es ruht ganz und
gar auf folgenden einfachen Grundgedanken: 1) dass der h. Geist
durch das Wort Gottes die Kirche begründet, 2) dass dieses
Wort die Predigt von der Offenbarung Gottes in Christo ist, sofern
sie Glauben schafft, 3) dass die Kirche deshalb keinen anderen
Spielraum hat als den des Glaubens, dass sie aber innerhalb des-
selben die Mutter ist, in deren Schoss man zum Glauben kommt,
4) dass, weil die Religion nur Glauben ist, nicht besondere Lei-
stungen, auch nicht ein besonderes Gebiet, sei es nun der öffent-
liche Kultus oder eine ausgewählte Lebensführung, die Sphäre
sein kann, in der die Kirche und die Einzelnen ihren Glauben be-
währen, sondern dass der Christ in den natürlichen Ordnungen
des Lebens seinen Glauben in dienender Nächstenliebe zu be-
weisen hat.
Mit diesen vier Sätzen trat Luther der alten Kirche gegen-
über. Durch den ersten hat er das Wort Gottes nach dem
reinen Verstand als das Fundament der Kirche aufgerichtet.
Durch den zweiten hat er im Gegensatz zu allen Theologen,
Asketen und Sektirem des Mittelalters und der alten Kirche das-
Evangelium im Evangelium wiederhergestellt und die „con-
solationes in Christo propositae" zur einzigen Norm erhoben.
Durch den dritten hat er Begriff und umfang der Kirche stark
reduzirt, aber die Kirche in den Glauben zurückgeführt.
Durch den vierten endlich hat er den natürlichen Ordnungen in
Ehe, Familie, Beruf und Staat ihr selbständiges Recht zurück-
gegeben; er hat sie von der Bevormundung der Kirche emanzipirt^
aber sie dem Geiste des Glaubens und der Liebe unterworfen.
Damit hat er die mittelalterliche und altkirchliche Weltauffassung
und Lebensordnung durchbrochen und das Ideal religiöser Voll-
kommenheit so umgestimmt, wie kein Christ seit dem aposto-
lischen Zeitalter. An die Stelle der Kombination von mönchischer
Weltflucht und kirchlicher Weltherrschaft setzte er dem Christen
die grosse Aufgabe, seinen Glauben in den Ordnungen des natür-
lichen Lebens zu bewähren, in ihnen dem Nächsten selbstlos in
Liebe zu dienen und sie zu heiligen. Das Recht der natürlichen
Lebensordnung war für Luther keineswegs ein selbständiges Ideal
§ 79.] Das Christentum Luther's. 365
— er war eschatologisch gestimmt und wartete auf den Tag, da
die Welt vergehen wird mit ihrer Lust, ihrem Leid, ihren Teufe-
leien und ihren Ordnungen — , aber weil er den Glauben so
gross und so souverän fasste, duldete er an und in der Religion
nichts Fremdes. Darum lösten sich durch seine gewaltige Predigt
alle die in sich verschlungenen Gebilde des Mittelalters. Er wollte
die Welt nichts Anderes lehren, als was es bedeute, einen Gott zu
haben; aber indem er das wichtigste Gebiet in seiner Eigentümlich-
keit erkannte, kamen alle anderen, die Wissenschaft, die Familie,
<ier Staat, die Liebespflege, der bürgerliche Beruf, zu ihrem Rechte
Indem er das, was bisher unter dem Schutt raffinirter und kom-
plizirter Ideale am wenigsten geachtet worden war — die demütige
und sichere Zuversicht auf Gottes väterliche Vorsehung und die
Treue im Beruf in der Gewissheit der Sündenvergebung — zur
Hauptsache machte, führte er eine neue Zeit in der Weltgeschichte
herauf.
Wer hier seinen Standort nimmt, wird sich schwerlich über-
zeugen lassen, dass Luther zu dem alten „gesunden" Dogma nur
«in paar Lehren ergänzend hinzugefügt hat.
Luther^s Theologie mus» in engem Zusammenhang mit peiner oben
-entwickelten Grundanschauung behandelt werden. Er ist in der theo-
logischen Terminologie Ton einer grossartigen Unbefangenheit gewesen
und hat die Lehrformen sehr frei benutzt. Die überkommenen theo-
logischen Schemata hat er in der Regel so behandelt, dass er in jedem
von ihnen, richtig verstanden, die ganze Lehre ausgedrückt fand.
Dies lässt sich an der Gotteslehre (Gott ausser Christus und in Christus),
der Lehre von der Vorsehung (der 1. Artikel ist, richtig verstanden, das
^anze Christentum), der Christologie („Christus ist nicht darumb Christus
genennet, dass er zwei Naturen hat, sondern er trägt diesen herrlichen
und tröstlichen Namen von dem Ampt und Werk, so er auf sich ge-
nommen hat; Christus ist der Spiegel des väterlichen Herzens Gottes"),
der Lehre von der Sünde (Sünde ist „keinen Gott haben"), der Präde-
stination und dem unfreien Willen (das religiöse Erlebniss setzt sich
nicht ans historischen und sakramentalen Akten, die Gott wirkt, und
AUS subjektiven Akten, die irgendwie Sache des Menschen sind, zu-
sammen, sondern Gott wirkt allein Wollen und Vollbringen), dem Gesetz
und Evangelium (Unterschied von Möglichkeit und Wirklichkeit der
Erlösung), der Busse (sie ist die Demut des Glaubens, daher das ganze
Leben eine fortgesetzte Busse), der Rechtfertigung erweisen. In allen
diesen Lehrstücken hat Luther das Ganze dargestellt — die freie Gnade
Oottes in Christo — , mit Vorliebe aber sich in dem paulinischen Schema
von der Rechtfertigung „propter Christum per fidem" heimisch gemacht.
Die spitzen Formeln über die iustitia imputativa und die schulmäsäige
Trennung von Rechtfertigung und Heiligung (Glaube und Liebe) stammen
366 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 80,
nicht von ihm, auch nicht von dem Melanchthon der früheren Zeit; doch
haben sie beide den Anstoss zu derselben gegeben. Überall war es ihm
um die Heilsgewissheit des Glaubens zu thun. „Wo Vergebung der
Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit/* In dieser Überzeugung^
gewann er die religiöse Selbständigkeit und Freiheit gegenüber Allem,,
was nicht von Gott ist; denn nur Selbständigkeit und Freiheit ist Leben.
Die G^wissheit der Sündenvergebung in Christus wurde ihm die Summe
der Beligion. Auf sie hat er darum die Beligion zurückgeführt. Aber
die positive Seite der Sündenvergebung war ihm die Kindschaffc, durch
die der Christ ein selbständiges Wesen wird gegenüber der Welt, keines
Dinges bedarf und weder unter der Knechtschaft von Geboten, noch in
der Abhängigkeit von Menschen steht — ein Priester vor Gott und ein
König über der Welt.
§ 80. Die Kritik Lnther^s an der herrschenden kircMichen
Überlieferung nnd am Dogma.
Überall ist Luther bei seiner Kritik vom Centruin in die
Peripherie gegangen, vom Glauben zur Institution, und hat nicht
Lehren als solche getroffen, sondern Lehren, welche die rechte
Praxis verdunkelten oder verdarben.
1) Er hat die herrschende Heilslehre als verderblich ab-
geihan (Apol. IV init.: „adoersarii^ quum neque quid remissio
peccatorum, ncque quid fides, ncque quid gratia neque quid iustitia
sity infelligant, misere contaminant locum de iustificatione ei ob-
scurant gloriam et beneficia Christi et e^ipiunt piis eonscientiis pro-
positas in Christo consolationes''^, und zwar zeigte er seinen Gegnern^
dass ihre Gotteslehre (sophistische Philosophie und Vernünfteln),.
Christologie (sie spekuliren über die zwei Naturen und kennen
die beneficia Christi nicht), ihre Lehre von der Wahrheit, Ge-
rechtigkeit und Gnade Gottes (sie treffen nicht das „Tröstliche*^
imd deshalb irren sie mit blinder Vernunft), von der Sünde und
dem freien Willen (sie sind Pelagianer), von der Rechtfertigung
und dem Glauben (sie wissen nicht, was es heisst, propter Christum
einen gnädigen Gott haben, verlassen sich auf Verdienste) und
von den guten Werken falsch und seelenverführerisch ist. Mit
diesem Nachweise traf Luther nicht nur die Scholastiker, sondern
auch die Kirchenväter, ja selbst Augustin, also die ganze alt-
katholische Kirchenlehre.
2) Luther griff die altkatholischen (nicht nur mittelalter-
lichen) Ideale der Vollkommenheit und der Seligkeit an.
Indem er die Vorstellung einer doppelten Sittlichkeit bis in ihre
Wurzeln tilgte, setzte er an Stelle der mönchischen Vollkommen-
§ 80.] Kritik Luther's an der Überlieferung und am Dogma. 367
heit den sich der Sündenvergebung tröstenden Glauben, an Stelle
des BegriflFs von Seligkeit als eines Genusses der geheiligten Sinne
und der geheiligten Erkenntniss den Trost eines befriedeten Ge-
wissens und die Gotteskindschaft.
3) Luther zertrümmerte die katholische Sakramentslehre,
nicht nur die sieben Sakramente.- Durch die drei Sätze: l) die
Sakramente dienen der Sündenvergebung und nichts Anderem,
2) sacramenta non implentur dum fiunt, sed dum creduntur, 3) sie
sind eine eigentümliche Form des seligmachenden Wortes Gottes
(der promissio dei) und haben deshalb ihre Kraft an dem geschicht-
lichen Christus — verwandelte er die sakramentalen Ele-
mente in Sakramentalien und erkannte in ihnen nur ein wirk-
liches Sakrament an, nämlich das sündenvergebende Wort
Gottes. Er wandte sich hier gegen Augustin nicht minder wie
gegen die Scholastiker, und indem er den Christus praedicatus,
die Sündenvergebung und den Glauben zur strengsten Einheit
zusammenschloss, schloss er alles übrige aus, das mystische
Schwelgen, das dingliche Gut, das opus operatum, das Feilschen
um die Effekte und die Dispositionen. Nicht als „Instrumente'^
der Gnade, die das zukünftige Leben geheimnissvoll im Menschen
vorbereiten und durch eingegossene Liebe gute Werke ermög-
lichen, fasste er die Sakramente, sondern als verbum visibile, in
welchem Gott selbst mit uns handelt und sich in Christus uns zu
eigen giebt. Gott schafft durch das Wort im Sakrament den
Glauben und Glaubenstrost, d. h. er schafft Sündenvergebumg. An
der Taufe und dem Abendmahl führte das Luther durch. Am
schwersten aber hat er die katholische Kirche durch seine Kritik
des Busssakraments getroffen; denn 1) hat er, ohne confessio und
satisfactio — richtig verstanden — ganz abzuthun, die souveräne
Geltimg der herzlichen Reue wiederhergestellt, 2) hat er diese
Reue im Gegensatz zur attritio, die ihm ein teuflisches Werk war,
im strengsten Sinn gefasst als Hass gegen die Sünde, entspringend
aus der Einsicht in die Grösse des Guts, welches man verscherzt:
„an Dir allein habe ich gesündigt", 3) hat er Stetigkeit der gläu-
bigen Bussgesinnung gefordert und damit die vor dem Priester
abgelegte Busse für einen Spezialfall erklärt, 4) hat er die Not-
wendigkeit der priesterlichen Mitwirkung abgethan, 5) hat er die
ausschliessliche Verbindung von contritio und absolutio gelehrt^
die beide beschlossen sind in der fides, 6) hat er allen Unfug, der
sich an das Sakrament angeschlossen, die Berechnungen über
368 Dreifacher Ansgang des Dogmas. [§ 80.
zeitliche und ewige Vorteile, Fegfeuer, Heiligenverdienste, ver-
dienstliche Satisfaktionen und Ablässe abgethan, indem er alles
auf die ewige Schuld reduzirte. So hat er den Baum der katho-
lischen Kirche gefäUt, indem er aus seinen Wurzeln einem neuen
Triebe Licht und Luft gab.
4) Luther hat das ganze hier archische und priesterliche
Kirchensystem umgestürzt, der Kirche jede Jurisdiktions-
gewalt über die Anwendung der Schlüssel (d. h. des Worts) hinaus
abgesprochen, die bischöfliche Succession für eine Fiktion erklärt
und jedem besonderen Priestertum neben dem allgemeinen das
Recht aufgekündigt. Indem er nur ein Amt der Verkündigung
des Evangeliums bestehen Hess, hat er die katholische Kirche
nicht nur der Päpste, sondern auch des Irenäus aufgelöst.
5) Luther hat die überlieferte Kultusordnung nach
Form, Zweck, Inhalt und Bedeutung abgethan. Er wollte von
einem spezifischen Gottesdienst, besonderen Priestern und be-
sonderen Opfern Nichts mehr wissen. Die Opferidee hat er über-
haupt, im Hinblick auf das einmalige Opfer Christi, zurück-
geschoben. Der Gottesdienst ist nichts Anderes als die Einheit
der Gottes Verehrung der Einzelnen nach Zeit und Raum. Wer
ihm einen besonderen Wert beilegt, um auf Gott einzuwirken,
der sündigt. Um Erbauung des Glaubens durch Verkündigung
des göttlichen Worts und gemeinsames Lobopfer des Gebets
handelt es sich allein. Der wahre Gottesdienst ist das christliche
Leben im Vertrauen auf Gott, Busse und Glauben, Demut und
Treue im Beruf. Diesem Gottesdienst soll der öffenthche dienen.
Auch hier hat er nicht nur die Kirche des MA., sondern auch die
alte, zerschlagen.
6) Luther hat die formalen äusseren Autoritäten des
Katholicismus vernichtet; den Unterschied von Sache und
Autorität hat er aufgehoben. Weil ihm der gepredigte Christus
(Gott in Christus, Wort Gottes) die Sache und die Autorität war,
so warf er die formalen Autoritäten über den Haufen. Selbst vor
dem Bibelbuchstaben machte er nicht Halt. Eben in der Zeit,
in welcher er die absolute Autorität der Tradition, der Päpste
und der Konzilien bekämpfte, stellte er das, was Christum treibet,
wider den klaren Buchstaben der Schrift und scheute sich nicht,
von Irrtümern biblischer Schriftsteller in Glaubenssachen
frischweg zu reden.
7) Luther hat seinen Gegnern die dogmatische Termi-
§ 80.] Luther's Kritik an der Überlieferung und am Dogma. 369
nologie nur konzedirt, soweit er sie nicht einfach abgethan hat.
Er hatte das lebendigste Gefühl dafür, dass diese ganze Termino-
logie mindestens irreführend sei. Es lässt sich das nachweisen
an seinen Ausstellungen 1) betreffs des Vielerlei der Begriffe
iustificatio, sanctificatio, vivificatio, regeneratio etc., 2) in Bezug
auf den Begriff satisf actio, 3)ecclesia, 4) sacramenta, 5)homousion,
6) trinitas und unitas. Die Terminologien der Scholastiker hat
er in der Regel für falsch, die der altkatholischen Theologen für
unnütz und kalt erklärt. Am wichtigsten aber war, dass er in der
Gotteslehre und Christologie zwischen dem „für uns" und „für
sich" unterschied, damit scharf bezeichnend, was wirklich Glau-
benslehre ist imd was Sache der spekulirenden Vernunft oder
im besten Fall unergründliches Geheimniss des Glaubens.
Luther hat das alte dogmatische Christentum abgethan und
•eine neue evangelische Auffassung an die Stelle gesetzt. Die
Reformation ist wirklich ein Ausgang der Dogmengeschichte:
■das lehrt diese Übersicht klar und deutlich. Was Augustin be-
gonnen, aber nicht zu bewirken vermocht hat, hat Luther durch-
geführt: er hat den evangelischen Glauben an Stelle des Dogmas
aufgerichtet, indem er den Dualismus von dogmatischem Christen-
tum und praktisch -christlicher Selbstbeurteilung und Lebens-
führung aufgehoben und den christlichen Glauben aus der
Jmarmung der antiken Philosophie, des Welterkennen s, der
heidnischen Ceremonien und der klugen Moral befreit hat. Der
Glaubenslehre, aber der reinen, hat er ihr souveränes
Recht in der Kirche wieder zurückgegeben — zum Schrecken
aller Humanisten, Kirchenmänner, Franciskaner und Aufklärer.
Die wahre Theologie soll die entscheidende Macht in der
Kirche sein.
Aber welch' eine Aufgabe! Erschien es doch fast wie ein
Widerspruch: die Bedeutung des Glaubens als Inhalt der Offen-
barung in den Mittelpunkt zu rücken gegenüber allem Vernünfteln
und Thun imd so das zurückgedrängte theoretische Element her-
vorzuholen, und doch andererseits nicht jenen Glauben einfach
hinzunehmen, den die Vergangenheit gebildet hatte, ihn vielmehr
in der Gestalt zu zeigen, in der er Leben ist imd Leben schafft,
Praxis i^t, aber Praxis der Religion. Aus der Grösse dieses Pro-
blems erklärt sich auch der Rückstand jener Elemente in Luther*s
Grundriss IV. iii. Habnack, DogmengeStfhiohte. 2. Aufl. 24
370 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 81.
Theologie, der sie verwirrt hat und der das Urteil, die
Reformation sei der Ausgang der Dogmengeschichte, wohl er-
schüttern kann.
§ 81. Die Ton Luther neben und in seinem Christentum
festgehaltenen katholischen Elemente.
Wie viel oder wie wenig Luther hier festgehalten hat — est
gehört wohl zum „ganzen Luther '', aber nicht zum „ganzen
Christentum" Luther's. Wie vermochte Luther katholische Ele-
mente festzuhalten, und welche hat er konservirt? Von diesen
beiden Fragen, die es zu beantworten gilt, ist die erste bereit»
oben (S. 361) z. T. beantwortet worden; es bedarf hier nur einer
Ergänzung.
1) Luther trat für den Glauben ein im Gegensatz zu jeg-
lichem Werk, für die doctrina evangelii im Gegensatz zu gerecht
machenden Leistungen und Prozessen. Daher stand er in Gefahr,,
jegliche Ausprägung des Glaubens sich anzueignen oder dock
gelten zu lassen, wenn sie nur frei erschien von Gesetz und Leistung.
Dieser Gefahr ist er verfallen. Demgemäss trübte sich auch sein
KirchenbegriflF. Er wurde so zweideutig wie der BegriflF der doc-
trina evangelii (Gemeinschaft des Glaubens, Gemeinschaft der
reinen Lehre). — 2) Luther glaubte in der Regel nur gegen Irr-
lehren und Missbräuche der mittelalterlichen Kirche zu kämpfen,,
und da er allen Schaden vom Papst ableitete, so hatte er ein zu
günstiges Vorurteil für die vorpäpstliche alte Kirche. — 3) Luther
kannte die altkatholische Kirche wenig und legte ihren Entschei-
dungen in unklarer Weise doch eine gewisse Autorität bei. —
4) Luther rechnete sich und sein unternehmen stets in die eine-
katholische Kirche ein, behauptete, dass diese Kirche ihm den
Rechtstitel zu seiner Reformation gebe, und hatte deshalb ein leb-
haftes Interesse, die Kontinuität des Glaubens in ihr nachzuweisen.
Dieser Nachweis schien am sichersten an den alten Glaubens-
formeln geliefert werden zu können. — 5) Luther war kein Syste-
matiker, sondern schaltete wie ein Kind im Hause der Kirche^
nach der Helligkeit eines geordneten Lehrgebäudes hatte er keine
Sehnsucht; aber so wurde seine Kraft auch seine Schwäche. —
6) Luther hat in jedem Schema der überlieferten Lehre sein
ganzes Christentum zum Ausdruck zu bringen vermocht und sich
deshalb bei den alten Formeln beruhigt, — 7) Luther ist in con-
creto — nicht der Absicht nach — ein mittelalterlicher Exegei
§ 81.] Die y. Luther festgehaltenen katholischen Elemente. 371
gewesen; er fand daher viele überlieferte Leliren in der Scliriffc,
obgleich sie nicht darin standen. In Bezug auf die Geschichte
hatte er wohl intuitive richtige Erkenntnisse, aber keine metho-
disch gewonnenen. — 8) Seine Einsicht in das Wesen des Wortes
Gottes hat den Biblicismus doch nicht ganz ausgetilgt, vielmehr
kehrte derselbe nach 1523 immer stärker zurück. Das „es steht
geschrieben" blieb ihm eine Macht. — 9) Auch in Bezug auf die
Sakramente blieb ihm eine superstitio nach als „Gnaden mittel"
(statt als die eine Gnade) und hat die schwersten Polgen für seine
Lehrbildung gehabt. — 10) Reste nominalistischer Scholastik hat
er nicht auszutilgen vermocht, und sie wirkten auf die Ausprägung
der Gottes-, Prädestinations- und Sakramentslehre ein. — 11) Nach-
dem er in den Kampf mit den Schwärmern geraten war, hat er ein
Misstrauen gegen die Vernunft gewonnen, das über das Miss-
trauen wider dieselbe als Stütze der Selbstgerechtigkeit weit hin-
ausging. Er hat sich wirklich in kühnem Trotz wider die Vernunft
verhärtet und ist an wichtigen Punkten der bedenklichen katho-
lischen Stimmung verfallen, die in der Paradoxie und dem
Absurden die göttliche Weisheit erkennt, der man sich zu unter-
werfen hat. Speziell die hochmütige Verwerfung der „Schwär-
mer", die auf nicht wenigen Punkten richtige Einsicht besassen,
und die Abneigung, mit der weltlichen Bildung fortzuschreiten,
haben der Reformation die schwersten Wunden geschlagen.
Die Folge dieser Haltung ist gewesen, dass, sofern Luther
seinen Anhängern eine Dogmatik hinterlassen hat, diese sich als
ein höchst verwirrtes, ungenügendes Gebilde darstellt: nicht als
ein Neubau, sondern als eine Modifikation des Überlieferten. So-
mit ist (nach Abschnitt 3) klar, dass Luther hier kein Endgiltiges
gesetzt, sondern nur einen der Reform nach den eigenen
Prinzipien Luther's bedürftigen Anfang gemacht hat.
Folgendes sind die schwersten Verwirrungen und Probleme in
seiner Erbschaft:
1) Die Verwirrung von Evangelium und doctrina
evangelii. Luther hat freilich nie aufgehört, die articuli fidei
als mannigfaltige Zeugnisse dessen zu betrachten, worauf es im
Christenglauben allein ankommt; aber daneben hat er ihnen doch
auch einen selbständigen Wert gegeben. Demgemäss wurde der
den Glauben belastende Intellektualismus der Scholastik nicht
ausgerottet, vielmehr wurde er unter dem Titel der reinen Lehre
bald eine furchtbare Macht und die Kirche demgemäss Theologen-
24*
372 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§81.
und Pastoreiikirclie (vgl. die Geschichte des Beichtstuhls im
Luthertum). Die Folge war, dass sich als Gegengewicht gegen
die veräusserlichte Lehre (besonders von der Rechtfertigung) die
katholische Mystik wieder einschlich imd das evangelische Lebens-
ideal sich verdunkelte (s. Ritschl, Gesch. des Pietismus 3 Bde.).
So ist der Zukunft statt einer klaren und eindeutigen Anweisung
in Bezug auf Glaube, Lehre und Kirche vielmehr ein Problem ge-
stellt worden, nämlich die „Lehre" in echt lutherischem Sinn hoch-
zuhalten, sie aber von Allem zu befreien, was nicht anders ange-
eignet werden kann als durch das Mittel geistiger Unterwerfung,
und die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens auszuprägen,
ohne ihr den Charakter einer theologischen Schule zu geben.
2) Die Verwirrung von evangelischem Glauben und
altem Dogma. Lidem Luther seinen neuen Heilsglauben in den
Formen des alten Dogmas aussprach, vermochte er es nicht zu
hindern, dass dieses sein altes Recht und seine alten Ziele be-
hauptete, ja er selbst hat — namentlich von der Abendmahlslehre
her — in dem ursprünglichen Schema der Christologie weiter
gedacht. Lidem er aber den neuen Wein in die alten Schläuche
goss, entstand eine Spekulation über die TJbiquität des Leibes
Christi, die sich auf den höchsten Höhen scholastischen Wider-
sinns bewegte. Die traurige Folge war, dass das Luthertum
gleichsam als nota ecclesiae die ausgeführteste scholastische
Doktrin erhielt, die je eine Kirche erhalten hat. Dies Ergebniss
ist nicht auffallend; denn wie kann man ohne Widersinn den
Glaubensgedanken, der Mensch Jesus Christus ist die OflFenbaruiig
Gottes selbst, sofern Gott in ihm uns sein väterliches Herz zu er-
kennen gegeben und aufgethan hat, in das Schema der Zwei-
Naturenlehre spannen? Eben weil erst Luther wirklieh Ernst
gemacht hat mit dem Glauben an den Gottmenschen (Einheit
von Gott und Mensch in Christus), musste die ^eräßa^tg zur Spe-
kulation über die „Naturen" die kläglichsten Folgen haben. Das-
selbe kann man auch an der Rezeption der augustinischen Lehre
vom Urständ und der Erbsünde nachweisen. Auch hier konnte
Luther die Paradoxien und das Absurde nur steigern, indem er in
diesen Formen seine evangelische Überzeugung, dass alle Sünde
Gottlosigkeit und Schuld ist, auszudrücken versuchte. Überall
zeigt es sich, dass der evangelische Glaube, projizirt in jene dog-
matischen Vernunftschemata, die die Griechen, Augustin und die
Scholastiker geschaffen haben, zu bizarren Formeln führt, ja jene
§ 81.] Die V. Luther festgehaltenen katholischen Elemente. 373
Schemata nun erst vollends unvernünftig werden. Also hat die
Reformation der Folgezeit die Aufgabe gesetzt, jene Gott- Welt-
Philosophie abzuthun und an ihre Stelle den einfachen Ausdruck
des Glaubens, die richtige Selbstbeurteilung im Lichte des Evan-
geliums und die wahrhafte Deutung der Geschichte zu setzen.
3) Verwirrung zwischen Wort Gottes und h. Schrift.
Luther hat, wie bereits bemerkt, das Schwanken zwischen einer
qualitativen und buchstäblichen Schätzung der h. Schrift nie
überwunden, und der Streit um das Abendmahl verfestigte ihn in
letzterer. Er hat die Knechtschaft des Buchstabens doch nicht
gebrochen. So geschah es, dass seine Kirche zur strengsten Inspi-^
rationslehre kam, während sie andererseits doch nie ganz vergass,
dass der Inhalt des Evangeliums nicht alles das ist, was zwischen
den Deckeln des Bibelbuchs steht, sondern die Verkündigung der
freien Gnade Gottes in Christo. Auch hier ist also der Kirche der
Reformation die Aufgabe geblieben, mit dem Christentum Luther's
wider den „ganzen" Luther Ernst zu machen.
4) Die Verwirrung zwischen Gnade und Gnaden-
mitteln (Sakramenten). Die feste und ausschliessliche Be-
trachtung, in die Luther Gott, Christus, h. Geist, Wort Gottes^
Glaube, Sündenvergebung und Rechtfertigung (Gnade) gesetzt
hat, ist sein höchstes Verdienst, vor Allem die Erkenntniss von
dem untrennbaren Zusammenhang des Geistes und des Worts.
Aber durch eine scheinbar leichte Verschiebung ist er doch zu
sehr bedenklichen Sätzen gekommen, indem er das, was vom
Wort (Christus, die Predigt des Evangeliums) gilt, auf den Be-
griff yjvocale verbum et sacramcnta^^ schlechthin übertrug. Mit
Recht stritt er dafür, dass Christus selbst im Wort handle und
dass nicht ein Nebeneinander von Wort und Geist, Zeichen und
Sache, anzunehmen sei. Allein nicht nur durch die Ausscheidung
bestimmter Handlungen als „Gnadenmittel" trat er in die ver-
lassenen engen Kreise des MA. zurück — der Christ lebt, wie er
selbst am besten wusste, nicht von Gnadenmitteln, er lebt durch
den persönlichen Zusammenschluss mit Gott, den er in Christus
ergreift — , sondern in noch höherem Masse durch das Unter-
nehmen, A) die Kindertaufe als Gnadenmittel im strengen Sinn
zu rechtfertigen, B) die Busse doch auch als das Gnadenmittel
der Initiation zu fassen, C) die reale Gegenwart des Leibes Christi
im Abendmahl als das wesentlichste Stück dieses Sakraments
zu behaupten.
374 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 81.
Ad A) Stehen Sündenvergebung (Gnade) und Glaube in einem
untrennbaren Zusammenhang; so ist die Kindertaufe kein Sakra-
ment im strengen Sinn („aftsew^e fide haptismus nudum et ine/ficax
Signum tantvwmodo jyermanei", sagt Luther selbst im grossen
Katech.). Um diesem Schluss zu entgehen, hat Luther Ausfluchte
gebraucht, die einen Rückfall in den Katholicismus bedeuteten
(fides implicita, stellvertretender Glaube). Die schlimmste war,
dass er den Anlass gab — um die Kindertaufe als vollendetes
Sakrament fassen zu können — , Wiedergeburt und Rechtfertigung
zu spalten (objekiv und subjektiv). Freilich wurde so die Kinder-
taufe zum Sakrament der Rechtfertigung (nicht der Wieder-
geburt); die bedenklichsten Konfusionen traten ein, und das herr-
lichste Kleinod des evangelischen Christentums, die Rechtferti-
gung, wurde veräusserlicht und drohte ein dogmatischer locus
neben anderen zu werden und seine praktische Bedeutung zu
verlieren.
Ad B) Glaube und wahre Busse sind nach Luther eins
(RALiPSius, Luther's Lehre von der Busse 1892. WHerrmann
in ZThK I S. 28fiF.), so jedoch, dass der Glaube das Prius ist: so-
fern der Christ stetig im Glauben leben soll, soll er stetig in der
Busse leben; einzelne Bussakte haben keinen Wert, und ohne
rechten Glauben giebt es überhaupt keine rechte Busse. So hat
Luther vom Standpunkt des gläubigen Christen aus gepredigt.
Die Gefahr, dass diese Lehre zur sittlichen Laxheit führt, ist ebenso
deutlich wie das Andere, dass man mit ihr keinen Türken, Juden
und groben Sünder bekehren kann. Erst Melanchthon, dann
Luther selbst, hat dies gefühlt. Aber statt zwischen pädagogischen
Missionsgrundsätzen und dem Glaubensausdruck zu unterscheiden,
haben sie — indem zugleich das katholische Busssakrament bei
ihnen nachwirkte — jene in diesen übergeführt, demgemäss eine
vor dem Glauben eintretende Busse gefordert, die sich von der
attritio nicht mehr sicher unterschied, und nun das Busssakrament
(ohne obligatorische Ohrenbeichte und Satisfaktionen) als Akt
der forensischen Rechtfertigung eintreten lassen. Zwar hat Luther
daneben stets seine alte richtige Anschauung festgehalten; aber
die einmal zugelassene Auffassung entwickelte sich mit er-
schreckender Schnelligkeit weiter und schuf eine Praxis, die
schlimmer, weil laxer, war als der römische Beichtstuhl (s. die
Reaktion des Pietismus). Li ihr veräusserlichte sich der Begriff
des Glaubens bis zum blossen Kirchengehen; ziemlich unverhüllt
§81.] Die y. Luther festgehaltenen katholischen Elemente. B75
trat wieder die alte Annahme der Wirksamkeit der Gnadenmittel
•ex opere operato hervor, und die Rechtfertigung des Sünders
43chrumpfte zusammen zu einem äusserlichen forensischen Akt,
«inem die Gewissen einschläfernden Begnadigungsurteil Gottes,
das unfehlbar eintritt, wenn der Pfarrherr den Sünder in foro
absolvirt. Um dem Leichtsinn zu steuern, hatte man der katholi-
schen Auffassung die Hinterthür geöffnet, und der Leichtsinn
wurde nun erst gross! Der Gedanke aber, dass die Rechtfertigung
die Sphäre und die Erbauung des Christenmenschen ist, ver-
dunkelte sich; sie galt nur noch als die iustificatio impii. Also
musste sich der pius nach neuen Erbauungsmittehi umsehen, war
-doch seine Rechtfertigung nur ein (sich wiederholender) „objek-
tiver" Initiationsakt. Hier liegt noch heute der Grundschaden!
Ad C) Unzählige Male hat Luther bekannt, dass man im
Wort und Sakrament nur nach der Versicherung der Sünden-
Tergebung suchen dürfe, und mit „grimmiger Verachtung" Alles
abgewiesen, was man sonst ans Sakrament gehängt hatte. Er
hat diese Überzeugung auch nie aufgegeben, die die
Frage nach dem Leibe Christi im Abendmahl (als eine
theologische) überhaupt nicht aufkommen lässt. Aber
als er sah, dass erst Karlstadt, dann Zwingli u. A. Zeichen und
Sache auseinanderfallen Hessen und die Gewissheit der Sünden-
vergebung im Sakrament gefährdeten, suchte er, zugleich von
mittelalterlicher Überlieferung bestimmt, diese dadurch sicher
zu stellen, dass er auf die Realpräsenz im Sakrament zurückgriff
und diese mit steigender Heftigkeit und vollendetem Starrsinn
80 vertheidigte, als handele es sich um Sein oder Nicht-
sein der Sündenvergebung selbst. Nur dann kaim man
Luther's Haltung in dem Streite verstehen, wenn man dieses
•quid pro quo erkennt und wenn man ferner würdigt, dass Luther
instinktiv nach einem Mittel suchte, um Geister los zu werden,
die sich an ihn herandrängten und denen er in richtiger Selbst-
«chätzung — im Literesse seiner evangelischen Erkenntniss und
seiner Haltung als Reformator — die Hand nicht zu bieten ver-
mochte. Aber die Dinge haben ihre eigene Logik. Lidem er an
dem einen Punkte, der Realpräsenz, im Namen des Glaubens für
«twas eintrat, was der Natur und Eigenart seines Glaubens nicht
entsprach, erwachten alle mittelalterlichen Interessen in ihm, die
bereits überwunden schienen. Hier erwachte der Biblicismus
(„est" „est"), hier der scholastische Doktrinarismus an Stelle der
376 Dreifacher Ausgang des Dogmas. [§ 81.
fides sola, hier ein perverses Interesse für sophistische Spekula-
tionen, hier eine ungehörige Sehätzung des Sakraments neben
und über dem Wort, hier eine Hinneigung zum opus operatum,.
und über das Alles eine engherzige und lieblose Gesinnung! Was
die Fassung der Lehre selbst betrifft, so konnte es nicht aus-
bleiben, dass sie paradoxer wurde als die katholische. Die Trans-
substantiation sollte nicht gelten, sondern jene von Occam und
anderen Nominalisten hypothetisch ausgesprochene Meinung,
dass in einem und demselben Raum (mit, neben, unter) die sinn-
lichen Elemente und der wahrhaftige Leib Christi beschlossen
seien. Derselbe Mann, der sonst die Scholastiker verspottet, er-
klärte nun: „Die Sophisten reden hiervon recht", beschenkte seine
Kirche mit einer Christologie, die an scholastischem Widersina
die thomistische weit hinter sich liess (Ubiquität des Leibes
Christi), eliminirte den Glauben so sehr aus dem Sakrament, dass-
er die Lehre von der manducatio infidelium zum articulus stanti»
et cadentis ecclesiae erhob („der Leib Christi wird mit den Zähnen
zerbissen"), und trumpfte mit der Unvernunft der Lehre als dem
Siegel ihrer göttlichen Wahrheit.
Durch die Fassung, die Luther der Abendmahlslehre ge-
geben, hat er es mit verschuldet, dass die spätere lutherische
Kirche in ihrer Christologie, in ihrer Sakramentslehre, in ihrem
Doktrinarismus imd in ihrem falschen Massstabe, mit dem sie
abweichende Lehren mass und für Ketzereien erklärte, eine küm-
merliche Doublette zur katholischen Kirche zu werden drohte;,
denn Katholicismus ist nicht der Papst und nicht die Heiligen-
verehrung oder die Messe — das sind Folgen — , sondern die-
falsche Lehre vom Sakrament, von der Busse, vom Glauben und
den Glaubensautoritäten.
Die Gestalt, welche die Reformationskirchen im 16. Jahrh^
erhielten, war keine einheitliche und keine definitive: das zeigt
die Geschichte des Protestantismus bis auf diesen Tag. Luther
hat das Evangelium wieder auf den Leuchter gestellt und ihm
das Dogma unterworfen. Es gilt, das festzuhalten und fort-
zusetzen, was er begonnen hat.
377
Eegister.
Ein * bezeichnet
treffende Person, Lehre
Aachen (Synoden) 269 f.
Abälard 284 f. 292 312
327.
Abendmahl; vorkath. 32
40; altkath. 80 82 ff.;
Cyrill 198; giiech.
Orthod. 216; August.
248; Gregor. I. 265;
Radb. Eatramn. 272f. ;
Bereng. Lanfr. u. a.
287f.; Scholast. 320f.
Luth. 375.
Ablässe 275 [303] 323 ff.
344.
Acta Archelai 127.
Acta Pauli 68.
Adam 102 104 136 163
167 188 194 251 ff. 331.
Adiaphoriten 2ü6.
Adoptianische Christo-
logie, alte, 36 ff. 41 f.
Adoptianismus 122—127
129 170 268 f. 355;
germanischer 176.
Ägypterevang. 53. 132.
Aon, zukünftiger, 10.
Aetius 180 f.
Agathon 210.
Agnoeten 206.
Agobard 268 271.
Akazius 178.
Akiisteten 206.
Albertus 313 321.
Alcibiades 46.
Alcuin 268 f.
Alexander VII. 348.
Alexander v. Alex. 171 f.
Alexander y. Kappad.
109.
die Hauptstellen. [ ] bezeichnen, dass die be-
etc. bekämpft, abgelehnt etc. wird.
! Alexandrien, Patriarch. ' Anselm 284 289 ff* 305
155.
Alexandriner , Christ
liehe, 61 84 109 ff. 145
151 214 222.
311.
Anthropomorphism. 158
211.
Antichrist 302.
Alexandrinische Kate- 1 Antiochenische Schule
chetenschule 109.
Alexandrinismus , jüdi-
scher, 20 ff. 89.
Allegorische Exegese 9
17 f. 23 47 54 [57] 66
99 115 129 134 151
225 229.
Almosen 81 258 260.
Aloger 106 109 122 f.*
Alphons Liguori 350.
Altercatio Simonis 38.
Altes Testament; Be-
deutung für das Chri-
stentum 7 (9) 10; apost.
Zeitalt. 8 14f. 17 23;
hellenist. Juden t. 21
47; vorkath. 27 30 33 f.
37 f. [41] 42 f. 62 66;
Gnost. 47—55; Mar-
cion 56—59; Apelles
59; Apolog. 85; alt-
kath. 69 f. 106 ff. Clem.
110; griech. u. röm.
u. Theologie 126 145
150 f. 163 166168 170
[2081 214 222 260.
Antiochenische Symbole
179.
Antiochien^Schisma 183.
Antiochien, Synoden,
125 170.
Antitrinitarier 352 ff.
Apelles 51 69*.
&(pd-aQ6La (29) 34 93
104 f. 166.
Aphtbartoketismus 206.
Apokalypse Joh. 106 149
151; Petri 112; Ze-
phanj. 36 f.
Apokalypsen 69 161.
Apokalyptik (cf. Chi-
liasm. u. Eschatol.) 18
33 f. 44 [120] [122]
[246] 294 302 f 353.
Apokalyptische Littera-
tur (jüd.) 18 f. 47 66,
Kirche 150 ff.; griech. : Apokatastasis 102 120.
Orthod. 217; Abendl. Apokryphen 150. 341.
275; Scot. 316.
Alvarus Pelagius 300.
Amalrich v. Bena 311.
Apollinaris 85 182 188
192—195* 201 207
[242].
Ambrosius 151 169 185 ! Apologeten 4 38 61 85
229ff. 236. I —95* 97.
Ancyra (Synode) 181. j Apostel, apostolisch, 29
Anhomöer 180. 32 40 60 ff. 70ff. 76 f.
378
Begister.
137 139 143 152 f. 216
246 318.
Apostelgeschichte 67.
Apostelstühie 155.
Apostolische Konstitu-
tionen 67 bO 214.
Apostolische Väter 30
-41.
Apostolisches Symbol, s.
(röm.) Bekenntniss u.
153.
Aqnileja, Symbol, 130.
Areopagite cf.Dionysius.
Aristides 85.
Aristoteles 124 145 149
168170176183193205
207219 223flP. 227 250f.
276 282285 306 ff. 310.
Arius u. Arianism. 131
134 144 166 170—186
267.
Arles (Synoden) 154 180
193 263.
Armenien 205.
Amobius 131.
Artemon, -iten 123 f.
Askese 22 24 f. 35 44
49—56 58 136 139 142
148 162 f. 181195 213
243 256 258 294 297 f.
Askusnages 188.
Asterius 174.
Athanasianum 190.
Athaoasius 41 142 ff 154
166f.* 174ff.* 193.
Athenagoras 85 88.
attritio 319 322 333 344
cf. 360 367 374.
Auferstehung Christi
13f. 38 123.
Auferstehung des Flei-
sches 33 [66] 94 104
108 120 162.
Augustana 339.
Augustiu 4 82 124 150
152 156 169 169 189
214 232—261* 268 ff.
289300306(t.310 326f.
330 ff. 337 f 340 347 ff.
Augustinus Triumphus
300.
ATCrrhoes 303.
Avicenna 305.
Avitus V. Vienne 264.
Bajus 347.
Bardesanes 52.
Barnabas, siehe apost.
Väter.
Bartholomäus de Medi-
na 360.
Basilides 51 55.
Basilius v. Ancyra 180.
Basilius v. Caesar. 183.
Beatus 269.
Beda 268.
Beichte, cf. Busse.
Bekenntniss; alt- röm. 31
62 262; — Apolog. 93;
altkath. 96 99 (cf. re-
gula fidei, Symbole).
Bellarmin 347.
Berengar 284 286 ff.
Bernhard v. Clairv. 27 7f.
284 292 315.
Beryll v. Bostra 124 128.
Bettelorden 294 ff. 299 f.
304 f.
Biblicismus (cf. heiig.
Sehr.) 149 152 168 161
224 237 302 338 f. 371
376.
Biel 314.
Bilderdienst 216 ff. 271
304.
Bilderstreit 145 f. 219 f.
Bischöfe 40 73 79 139
153 266 280 303 320
326 344 ff.
Blandrata 365.
Boethius 230 282 f.
Bogomilen 277.
Bonaventura 322 331.
Bonifazn. 264; VIII. 299.
Bourges, pragm. Sankt.,
300.
Bradwardina 309 332.
Bräutigam, Christus od.
der Logos der, 105
119 278.
Busse u. Entsühnung 24.
Busse,Bussdiscipl.,Buss-
sakram., vorkath. 40;
altkath. 77 ff. 82 f.
Abendl.229 260; Au-
gust. 258 ; Greg. 1. 266 ;
Mittelalt. 274fcf. 296;
Laterankonz. v. 1215:
288; Ans. 289; Nomin.
309; Scholast. 322—
325. Luth. 367 374.
Caelestius 260 ff.
Caesareensisches Sym-
bol 177.
Caesarins y. Arles 264.
Cajetan 332.
Calixt 71 f. 75 78 127ff.
Calvin 336.
Cumpanus 354.
catechism. Boman. 345
347.
Celsus 29 3S 87.
Cerdo 57.
Cerinth 44 122.
Chalcedon (Synode u.
Symbol) 145 153 201
203 ff.*
character indelebilis 74
79 248 317 326.
Chiersey (Capitel von)
270.
Chiliasmus 33 35 42 78
106 124 132 [269] 353.
Chlodwig 267.
Christologie , urchristl .
13 f. 16 19 f.; vorkath.
28f 35ff.; judenchriatL
43 f.; gnost. 49f. 54f.;
Marcion 57 f.; Apolog.
89 91 ff.; Justin 94;
Iren. 97 101 ff.; Tert.
103f ;0rig.ll4118f.;
monarch. 121 — 133 ;
Origenisten 133ff. ; uui
300: 41; Äthan, u.
Arius 166; Alexander
V. Alex. 171; Arius
172 ff.; Äthan. 174ff ;
Marceil u.Photin'l 79;
Semiarian. 180; Apol-
linaris 192 — 194; An-
tioch.l96;Cyrill. 197;
Leo 1. 202; Chalced
204; August. 242 269;
bemh. - abendl. 279 ;
Scholast. 313f.;Socin.
366357; Luth. 372 376.
Chrysostomus 214 224.
Cicero 229 232.
Claudius (v. Turin) 271.
Clemens v. Alex. 63 64
85 109 ff.*
Clemens XI. 349.
Regster.
379
Olemensbriefe s. apost.
Väter.
■Clajpiy 277 280.
<]Joele8tin 199 263.
•Oonfirmation 83 214 315
317 320.
consilia eyaogelica 266
258 330.
•Contarini 332.
Oomelius Massus 347.
Cornelius v. Rom 79.
'Cyprian 72 ff. 80 f. 107
229
■€yrill'v.Alex.41197ff.*
216 ff.; V. Jerusal. 186.
Dämonen 29 35 f. 38 52
87 ff. 117 120 147 160
163 247 264.
Damasus 183 187 194.
David V. Dinanto 311.
Demetrius 134.
:Denck 354.
Denifle 297.
Deutsche Theologie,
Buch, 297.
Didache 29 31-40 42.
Diocletian 140.
Diodorv.Tars.158 195ff.*
Dionysius v. Alex. 124
131 133; Areoi agita
145 159ff. 2141* 224
230 307 Bar Salibi
168 V. Rom 130 133.
Dioskur 200 ff.
Dogma u. Dogmen 48
90 1 44 225 258ff. 2S0ff.
288 293 295 305 311
836 f. 339 353 360 369
372 f.
Dogmatik 60 f 107 110
112 134 136 306 308.
Dogmengeschichte; Be-
griff Iff., Endpunkt
3 340.
Doketismus 37 52 58
[98 103] 112 119 122
177 191 f.
[Dominikaoer 309.
Domnus v. Antioch. 201f.
Donatismus 230 — 244
302 f.
.Dreikapitelstreit 208 cf.
224.
Dualismus 25 35 44 f.
49—56 93 f. 98 112.
Duns Scotus 297 (scot.
Mystik); 307 311 313f.
316-334 (332f.*)
Dynamisti scher Monar-
chianismud cf. Adop-
tianismus.
Dyophysitismus, Gnost.
65; Iren. 102 ff.; Tert.
103f.; cf. Orig. 118
193; Antioch. 196ff.;
Leo I. 202; ^cholast.
313.
Ebioniten 43.
Eckhart 297.
Edessa 223.
ky%qdteia 24 28.
Ehe, Sakram. 214 315
326.
Ehe, Verachtung oder
Verbot der (zweiten) ;
Marcion 58; Monta-
nism. 77; altkath. 81;
Hierak. 134; cf. Au-
gust 267.
Ekthesis 209.
Elipandus 268.
Elkesaiten 46.
Emser Punktation 346.
Encyklika 206.
Engel 44 120 160 217ff.
258 264.
Enorel Gottes, Christus
der, 36.
Enhypostasie 207 211.
Enkratiten 52.
Enthusiasmus 20 27 34
41 [60] 69 73 76 f. 228
230.
Entsühnung 24 28 139
273.
Ephesus (Konzil 431)
199 252
— (Konzil 449) 200 202.
Epigonus 128.
Epiktet 25.
Epiphanius 222.
Episkopalismus (cf. Bi-
schöfe) 303 345 f.
Erasmus 310.
Erbsünde [griech.Orth.
164] [Pelag. 263 f.]
August. 256t'., abendl.-
kirchl. 262; Scholast.
320331f.;Trident.342.
Erkenntniss, Bedeut. 1;
vorkath.33 36;Gnost
47f. 53; griech Orthod.
147 161 164 cf. 212;
Äthan. 166 cf. 177.
August 237 243; tho-
mist. Myst. 297; Rea-
lism. u. Nominalism.
328 332; Socin. 356.
Erlösung; vorkath. 29
35 ; Marcion 58 ; Apo-
log. 87; Iren. H6ff. ;
Tert. 103 106; Hippel.
105 ; Orig. 118; griech.
Orthod. 146 f.; Äthan.
142 165 f. 176 f. 179;
Greg. Nyss. 167; Apol-
lin.194; Antioch.l96f.;
August. 243 259; Ans.
289ff.; Abäl.u.a.292;
Thom. u. Scot. 313 f.
332.
Eschatologie 13 41 53
[56] 75 85 96 ff. 105 f.
120f. 131 149 223 260.
Esra-Apokalypse 151.
Eterius 2<59.
Eugen IV. 326.
Euklid 124.
Eunomins 158 180 185 f.
Eusebianer 174 f.
Eusebius v. Caesarea
141 151 154 171 177.
— V. Doryläum 201 f.
— V. Emesa 180.
— V. Nikomed.171178.
— V. Vercelli 180.
Eustatius V. Sebaste 180.
Eutyches 201 ff,
Eva 102.
Evangelien 65.
Exegese (cf. allegor.)
150 ff.
Exkommunikation 245.
Exultate Domino (Bulle)
344.
Facundus v. Herm. 208.
Faustus V. Reji 262.
Febronius 346.
Fegfeaer, Orig, 120;
August. 258; Greg, I
880
Begisier.
267; Abendl. 274;
Scholast. 324.
Felix V. Urgel 269.
fides form ata n. informis
304 314 331 333.
fides implicita 296 308 f.
836 374.
filioque 189 f. 270 f. 288.
Firmelung, cf. Confir-
mation.
Firmilian 74.
Flavian 201 f.
Florentiner Konzil 316.
Frankfurt (Synode) 269
271.
Franz Davidis 355.
Franziskus u. die Mino-
riten 293 ff. 303 305.
Freiheit des Willens,
altkircM. 33 f.; Apo-
log. 87 90; altkath.98
101 f. 108; Orig. 114
116 119, cf. 141;
griech. Kirche 148 f.
161 f.; August. 239;
Pelag. 252 ff.; Semi-
pelag. 262 ; Nomin.309
332; Petr.Lomb. 327;
Thom. 329; Trident.
342: Jesuit. 348.
Frömmigkeit, heidn.des
2. u. 3. Jahrh. 24 f.;
voraugust.233; augu-
stin . 233 ff. ; bernhard .
278f;franci8k. 293ff.;
des 15. Jahrh. 337.
Fronleichnamsfest 321.
Fulgentiusv.Ruspe263f.
Galen 124.
Geheimtradition 48 54
[58] 66 115 153 347.
Geist (Gottes, heiliger)
urchristl.l4; vorkath
27 29 37 40; montan
78; Apol. 92; Tert
100 ; Hippol. 101
Orig. 116; Theodot
123; Sabell. 131 f.
Pierius 134; Ariusl74
konstantinopolit. 185 ;
griech. u. röm. Kirche
186— 190; Petr.Lomb.
327
Geisterwelt (cf. Dämo-
nen, Engel) 115 ff. 160.
Georg V. Laodicea 180.
Gerbert 283.
Gericht (cf. Eschatol.)
149 256.
Gerson 314.
Ge8chichte,Bedeutungl;
Clem. 3; griech. Or-
thod. 164 f.; August.
235 242.
Geschichte Jesu, cf. Ke-
rygma.
Gesetz, neues, 33 38 43
107 cf. 164 229 f. cf.
254 301 304 328 330
357.
Giordano Bruno 353.
Glauben (cf. fides) Be-
deutung 1 : apost.
Vät. 33; Marc. 58;
Apolog. 90 i Iren. 96;
Ambros. u. a. 231;
August. 233 ff. 256
258; Ans. 289; Vor-
reform. 301 ff.; Schol.
314 318, cf. 320 328
331; Trident. 342;
Socin. 357 ; Luth. 363
369 f.
Glauben u. Wissen, cf.
Gnosis.
Glaubenslehre b. Dog-
matik.
Gnaden lehre (cf. gratia
und Paulus) Ambros.
231; August. 233 ff.
255 ff.; Pelag. 253 f.;
Ans. 289 ff ; Scholast.
315 cf. 316 ff. 327 —
333; Trident. 342.
Gnosis, kirchliche, Clem.
109 f.; Orig. 112.
Gnosticismus 28 40 f.
44 f. 47 — 56* [59]
86 f.
Gottesdienst, vorkath.
29 39; Luth. 368.
Gotteslehre (cf. Mono-
theism. Dualism. Tri-
nität) Jesus lOff. ; vor-
kath. 34 f ; Gno.-t. 49 f.
64 ; Marcion 57 f.; Apo-
log. 90 ff.; Iren. 99;
Tert. 100; cf. 108.
Orig. 115; Modalism.
127 ff.; griech. Kirche-
158 ff; August. 239 ff.;
Abendl. 274 f.; Ans.
289 f. ; Bealism. und
Nominal. 307 309 311
328 330 333; Luth.
360 363.
Gottessohn 36 123 173.
Gottheit Christi (cf^
Christologie) 122.
Gottmensch (cf. Dyo-
physitism.) 102 142 f.
221.
Gottschalk 269 f.
Gratian, Kaiser, 184 L
Dekretist, 299.
Gregor L 261 264 ff.*"
270 273 321. .
— VIL 280 287 303,
— V. Nazianz 184.
— V. Nyssa 41 l&T
182 f. 215.
Gregorius Thauuratur-
gus 135.
Guitmund v. Aversa 288.
Hadrumet (Mönche) 262.
Häretiker (cf. Gnosti-
cism.) 245 247 318.
Hätzer 354,
Haggada 18.
Halesius 313 322 331.
Hebräer-Brief 9 17 151.
Hebräer- Evang. 43.
Heilige 217 ff. 262 265^
275 304.
Heiligkeit der Kirche 79
245.
Hellenismus und Evan-
gelium 10 17 19 28
39 f. 47 — 66 58 84
87ff. 98 121 134138ff.
143 171 221 ff.
Henotikon 206.
Heracleon 51.
Heraclius 209.
Hermas (cf. apost. Vät.)
123 151.
Herrenworte 32.
Hierakas 134.
Hierarchie, cf. Kirche-
und Bischöfe.
Hieronymus 150 ff. 21&
222 229 283.
Register.
381
Hilarius 151 180f. 229.
Hildebert v. Tours 288.
Himmelfahrt 20 89.
Hinkmar 269 ff.
Hippo (Synode) 150.
Hippolyt 61 75 78 96
99 101 105.
Hölle und Höllenstrafe
120 267 274 324.
Höllenfahrt 20 39.
Hoheslied bei Orig. 119;
Bemh. 278.
Homöer 180 f.
Homöusianer 180 ff.
^IwovOLog 126 l32f. 142
147 155 170 f. 175 •
— 190 206.
Honorius v. Rom 209
[211].
Hosius V. Kordova 171
177 180.
Hugo V. St. Victor 286
300 318 321.
Humanisten 6 336 f
340.
Humbert 287.
Humiliaten 294.
Hub und Husiten 298
303 309 325 336.
Hyliker 50 65.
^ootaaig cf. bei o/hcia.
Jansen und Jansenism.
348 ff.
Ibas 208.
Jerusalem, Synode, 251.
Jesuiten 346 ff.
Ignatius, cf. apost. Väter
und 214.
IndiTidualismus 226 230
277 294ff. 338.
Infralapsarismus 255.
Innocenz 1. 252.
— IlL 305.
— IV. 308.
— X. 348.
— XI. 360.
Inspiration (cf. Kanon)
112 151 154 347.
intentio 318.
Joachimiten 303.
Johann XXII. 300.
Johanneische Schriften
9 17 19 38 41 73 122f.
Johannes - Akten 38 53.
Johannes Cassianus 262.
Johannes Damascenus
149 151 188 211* 220
224* 269.
Johannes Philoponus
188 205.
Joris 354.
Jovinian 232 243.
Irenäus 41 61 63 f. 68
71 87 96—108* 135f.
147.
Isidor 268 282.
Islam 46 144 206.
Israel, das wahre, 14 42.
Juden 17 30 34 42
Judenchristentum 27
42 ff.*
Julian, Kaiser, 144 181.
— V. Eklanum 250 ff.
— V. Halikamass 206.
Julius Afrikanus 109.
Julius V. Rom 179.
Jungfrauengeburt 20
103 122 129 [355].
Junilius 152.
Justin 44 65 85 87 —
95*.
Justin I., Kaiser, 207.
Justinian 145 154 207 f.*
224 261.
Kanon (cf. Altes und
Neues Testament) 132
150f. 3G1.
Kappadocier 144 148
153 163 182ff.* 188*
194 221 224 229.
Karl der Grosse 267
269 ff.
Karlstadt 375.
Karpokrates 53.
Karthago (Synode) 150
252.
Katholicismus , katho-
lisch, 3 44 f. 52 60
62 ff. 235 245 258 ff.
264 288 290 308 311
376.
Katholische Briefe 68.
Kelchentziehung 321
344.
Kerygma 10 ff.; vorkath.
38 f. 41 62; Gnost.
49 52f.; Apolog. 86f.;
Iren. 9 7 f.; Tert.Hipp.
101; Orig. 114; Adop-
tian. 122 ; griech. Or-
thod. 147 165 168;
Äthan. 177; Antioch.
196 f.; Monophys. 198
206, cf. 216; Au-
gust. 242 ; Greg. 1. 265 ;
Abendl.269 272;Bernh.
278 f.; Luth. 360.
Kerygma Petri 38 f. 112.
Kinderkommunion 84
97.
Kinder taufe [40] 83 251
254 257 320 358 374.
Kirche(n), vorkath. 27
31 71; Gnost. 66
Marc. 56 58; Iren
Tert. 72 ; Calixt, Cypr
72 ff. Montanism. 76
altkath. 79 ff. 108
Iren. 105; 3. Jahrh
139; griech. Kirche
157 f.; Optatus 231
August. 153 236 243 ff.
258; Greg. I. 266
Francisk. 294; Mittel-
alt. 299 ff.; Scholast.
306 ff. 335; Kurialism.
335 f.; Trident. 341;
Socin. 354; Luth. 364
368 370.
Kirchenrecht 280 299 f.
Kleinasiatische Theo-
logie 96 122 128.
Kleomenea 128.
Knecht Gottes, Christus
der, 36.
Koloss. - Brief 44.
Konstans I. 179.
— II 2l0.
Konstantin 75 81 139
142 ff. 154 171 178
229.
Konstantin Pogonatus
210
Konstantinopel 156 201.
— , Synode, v. 360:181
„ 381:184
„ 383:185
„ 448:201
,, 658:208
„ 680:210
„ 692:211.
Konstantinopolitanum
153 184 f. 189 341.
382
Register.
Konstant ius 178fi.
Eonstanz (Konzil) 825.
Konzilien 164f. ^80 300
310 335 346 f. 368.
Kosmologie , kosmolo-
gisch, 44 481}'. 113
121 132 137 141 159
167 176 189 259.
Kreatianismus 162.
Kurialismus 335 f.
TiVQiog, Christas der, 35 f.
38 62 65.
Lactantius 131 229.
Laienchristentum 294 ff.
Lanfranc 287.
Laodicea (Synode) 160
218.
Lateransynode 649 : 210 ;
— 1215:288 322; —
1615:300.
Leben, ewiges (und Auf-
erstehung) 15 24 28 f.
33 88 40 237 258 329 f.
833 357.
Leidrad 269.
Leo L 200 ff. 206.
Leontius v Byzanz 145
188 207* 224.
Libanius 183.
Liberius 180 188.
LibertinismuB 56.
libri Carolini 271.
Logos: Job. 17 38;
Philo 22; vorkath.
88 44; Apolog. 91—
95; Tert. 99 f.; Hip-
poL 101; Iren. 101
cf. 108; Clem. llOf.;
Orig. 115 f.; altkath.
121 ; Aloger 122 ; Paul.
Samos. 125 ; Moda-
lism. 128 ff.; Dionys.
Alex. 133; Lucian
170; Arius 172 ff.;
Äthan. 174 ff.; Mar-
ceil 179; Photin 179
[August. 259].
Lucian 126 170*.
Lucidus 263.
Lucifer 180 182.
Lupus V. Ferneres 270.
Luther 4 6 309 321 337
359 — 376.
Lyon 76; — Konzil 300.
Macedonius und Mace-
donianer 184 187.
Magnentius 179.
Mailand (Synoden) 179 f.
Maimonides 305.
Makarius 215.
Manicbäismus (cf. Dua-
lism.) 229 254.
Marc Aurel 25 75.
Marcell 181 f. 177 179*.
Marcian 200 203.
Marcion 45 51 56 — 59*
66 99.
Maria (cf. Jungfrauen-
geburt) 217 f. 334 349 ;
— -a-fOTÖxog 176 [196]
198 204 217; — virgo
in partu 258 272.
MariuB Mercator 250.
Martin I. 210.
Massilia (Mönche) 262.
Materie 91 93 114 136.
Mathilde v. Sachsen 277.
Maximus Confessor 209
215 224.
Melanchthon 6 360 866
874.
Melchior Hoffmann 854.
Melchisedek 123.
Meletius 183.
Melito 40 f. 85 95.
Menander 44.
Menschensohn 11.
Menschheit Christi (cf.
Christologie)169 191ff.
196 f. 205 f.
meritum, Tert. 105;
Abendl. 169; August.
236 243 256; Pelag.
254; Semipel. 265;
Mittelalt. 275 811 :
Scholast. 318 f. 826 f.
Trident. 348.
meritum de congruo u.
de condigno 263 319
329 ff.
meritum Christi 258 265
275 291 ff. 313.
Messopfer cf. Opfer u.
Abendmahl.
Methodius 41 61 135 f.*
167 215.
Michael Servede 354.
Miltiades 85.
Minoriten cf. Prancisk.
Minucius Felix 85 87 229^
Modalismus und Moda«
listen 122 127 — 135^
188 f. 312.
Modalism., naiver, 37;:
58 99.
Molina 348.
Monarchiani^mus 121 —
133
Mönchtum 142 229 243 f.
266.
Monergismus 209 f.
Monophysitismus 145
194 198 201 203 ff.
268 313.
Monotheismus 10 (Be-
deutung im Christen-
tum) 31 35; 238 (Au-
gust) 312 (Occam).
— griechischer, 24.
Monothelesischer Streit
145 209 ff.*
Montanismus 74 ff.* 123-
127.
Moralismus 24 3df. 131
205 [235] 252 802 309
333 353.
Mysterien, Mysterio-
sophie , Mystagogie
17 39 41 44 47—55
61 82 ff. 110 135 189
145 147 153 157 168
177 212 ff". 223 ff. 266.
Mystik, Iren. 98 cf. 105;.
cf. Orig. 119; Method.
136 141; griech. Or-
thod. 164 212 ff.; Au-
gust. 243; Scot. Erig.
268; Bemh. V. Clairv.
278 f.; M, u. bcholastv
2-1 f.; Bettelorden
295 ff.; Thom, 307;
Lutheran. 372.
Napoleon L 346.
Natalis 123.
Nazaräer 43.
Nepos 133.
Nestorius 126 198 ff.*.
Neues Testament 65 —
70* 112 122 356.
Neuplatonismus 25 f. 41^
87 98 110 113f. 13a
188 ff. 160 183 21ä
Resrister.
383
221 223 236 278 282
308.
Kicaea ( Synode 326 )
164 171 177.
— (Synode 787) 160
218 220 271.
Nicänum 65 100 153
155 177* 184 186.
Nice 181.
Nicolaus V. Kus 310.
Nihilianismus 313.
Nisibis 223.
Noet 128.
Nominali^mus 224 283
297 308iF.* 316 318
— 334 338.
Novatian 79 107 130.
Occam 300 307 311 313
832 f.
Ohrenbeichte 288 [303].
Ökonomie 64 98 100 1
121.
ökumenische Synoden
164 f.
Ölung 315 325.
Offen bar ung , Bedeu -
tung 1; Apolog. 8 6 ff.;
Iren. 99; Clem. 109f.:
Orig. 113 115 117;
griech. Kirche 159
161; August. 242;
Abäl. 284; Bealism.
u. Nomin. 305 ff. 332;
Socin. 356.
opera superer ogatoria
162 324.
Opfer, christliches, 39
81 260 321.
— Christi 104 166 168
216 258 f. 265 368.
Ophiten 51.
Optatus 229 231.
opus operatum u. ope-
rans 316 318 343 367
375.
Oranges (Synode) 264.
Ordination 230 317 326
359.
Origenes 4 23 61 112
— 120* 124 131 140
[145] [cf. 159] [cf.
163] 177 182 [200]
[20öJ 221 ff.
Origenisten 106 133 ff.
144.
Orosius 260f.
ovcLa (qpvfftg cf. Sub-
stanz) u. 'bnöataatgi
in der Trinitätsiehre
174 177 181 f.;
in der Christologie
197 207 211.
Pacian 229.
Pamphilus 124.
Pantänus 109.
Pantheismus 167 f. 206
213 223 268 279 284
295 306.
Papst (cf. röm. Bischof
u. Unfehlbarkeit) 279f.
299 — 304 305 f. 324
335 ff. 345 f. 351 368
370.
nagddoGig icyQci(pog (cf.
Geheimtradition) 153
187.
Pascal 348 350.
Paschasius Quesnel 349.
Paschasius Badbertus
272 f.
Pastoral- Briefe 67.
Patripassianer 127.
Paulin V. Trier 180.
Paulinus 251.
Paulus 5 9 15 ff.* 43;
vorkath. 32 34 38;
gnost. 48 66; Mar-
cion 57 ff. ; altkath.
67 107; Iren. 98 102.
Abendl. 231 f.; Au-
gust. 236 260: Socin.
358; Luth. 362.
Paulus y. Samosata 126 f.
Felagius u. Pelagianism.
250 ff. 309 332 361.
TrsQtx^QrjCLg 188 211.
perseverantia 256.
Person, in der Trinitäts-
iehre, 99 f. 132 182
186 189;
in der Christologie
103 192 196 2u2 cf.
204 207 211.
Petrus V. Alex. 134f
— V. Kallinico 188.
— Lombardus 285 293
312 f. 315 ff. 322 327.
Petrusevang. 53 68.
Petrus -Schriften 68.
Pharisäer 44.
Philippopolis 179.
Philosophie, griechische
(cf. Hellenismus) 47 ff.
85 ff. 109f. 121 126
136 137 140 171 217
805 ff. 359 369 373.
Photin 126 179.
Photius 189.
Phthartolatren 205.
Pierius 134.
Pippin 267.
Pius V. 347.
Pius IX. 347.
Piatonismus 26 [45] 48
53 87 [123].
Plutarch 26.
Pneumatische Christo-
logie 37 f.
Pneumatomachen cf.
Macedonianer.
Polykarp cf. apostoL
Väter.
Pontian 131.
Porphyrius 113.
Posidonius 26.
Prädestination : August,
236 244 255 f. 260
Semipelag. 262 ff.
Gottschalk 269 f.
Thom. 306 312 330,
Prädestinatus , über,
263.
E*räexi8tenz,Christi : jüd,
u. hellen. 19 f.; vor-
kath. 38; Apolog. 96;
altkath. 122; Ariu&
173; Socin. 357.
der Seele: Orig. 117
cf. 134 [Method. 136]
[anno 653 : 162].
Praxeas 128.
Priester, christl., 80.
Priestertum , allgemei-
nes, 81 368.
Prisca 76.
Probabilismus 350.
professio fidei Trident,
345 f.
Propheten, christl. u.
Lehrer, 29 40 62 66
68 76 [122].
384
Register.
Propositionen, Gallika-
nische, 846.
Prosper 263.
Provinzialsynoden 164.
Prudentius 229.
Prüden tiuB v.Troyes 270.
Psalmen 236.
Pseadoclementinen 44 f.
Pseudoisidor 280 303.
Psychiker 50 52 55.
Psychologie 26 228 283
238 242 308 322.
Ptolemäus (Valentini-
aner) 49 fF. 106.
Piücheria 200 203.
Ouadratus 85.
Quietismns 236 251.
Babanus 268 ff. 273.
Eakauer Katechismas
355 ff.
Bationalismus 6 85 88
97 f. 148 164 176 196
242 250 284
Ratramnus 270 273 287.
Realismus 224 283 f. 305
820.
recapitulatio : lustin 94 f.
Iren.97101ff;Method.
130.
RechtfertigungAug.256;
Scholast. 318 318 327
329 332 f.; Trident.
341 f.; Socin. 357;
Luth. 366 375.
Reformation 227 338 f.
852 359 376.
Reformkonzilien 298.
Regens bürg ( Synode )
269.
regula fidei 62 ff. 93 96
99 123 135 ff. 141.
Reich Gottes (Christi)
32f. 246 f. 266 277 280.
Religion u. Sittlichkeit,
Jesus 11; urchristl. 15
27 ff.; griech.-röm. 1.
u. 2. Jahrh. 24; Apo-
log. 87 89 ff.; griech.
Kirche 148 f. ; August.
233 cf.240f. 250 255;
Pelag. 250 254; Greg. I.
267.
Religion zweiter Ord-
nung 216 ff. 221 265.
Reliquien 217.
Renaissance 310.
ReOrdinationen 302 826.
Richter, Gott der, 10 ff.
159 228 231 266 275
328.
— Christus der, 12 29 36.
Rimini (Synode) 181.
Ritualismus 212 f.
Robert PuUus 315.
Rom, röm. Gemeinde,
Bischof, Christentum,
81 62 73 76 84f. 128
144 158 155 226 228
246 261 266 300 ff.
Rom (Synode 641) 210.
Romantiker 346.
Roscellin 283 812.
Rufin 151 222 229.
Rufus y. Thessalonich
252.
Sabellius u. Sabellia-
nismus 128 181 ff.»
172 178 f.
Sakramente, im 8. Jahrh.
139; Greg. Nyss. 167 ;
Optatus 231 ; August.
235 247 ff. 259; My-
stiker 296; Mittelalt.
309 311; Nominal.
309; Scholast. 315—
327; Trident. 848 ff.;
Luth. 367 371 373 376.
Sardika 179.
Satisfaktion : Tert. Cypr.
81 105; August. 258;
Greg. 1. 267 ; Abendl.
274;Ans.290f.;Thom.
u. a. 313 f. 323 f.;
Trident. 344.
Satornil 55.
Savoniäres 270.
Schismatiker 245 247.
Schleiermacher 132.
Schöpfung 35 91 99 108.
Scholastik 145 207 213
224 280 ff. 305—334.
337.
Schrift, heil. (cf. Alt. u.
Neues Test.) 99 106 ff.
110 115 141 150 ff.
237 302 306 f. 310 836
346 f. 354 356 368 873.
Schulen , theologische,
109 123 138 [145 224].
Schwenkfeld 353.
Scotus Erigena 206 268*
283 287.
Sebastian Franck 353.
Seele Christi 118 193.
Seelenmessen 278 275
844.
Seleucia (Synode) 181.
Semiarianismus 180.
Semipelagianismus 262
—264* 265 269 341.
Seneca 26.
Sergius 209.
Seuse (Suso) 297.
Severus v. Antioch., Se-
verianer 205 f.
Simon Magus 44 61 f.
Sirmium (Synoden) 179
181.
Sittlichkeit, doppelte
(cf. consilia) 76 [366].
Sixtus IV. 334.
Skepticismus 25 232
235 238.
Socinianismus 308 814
333.
Sokrates , Kirch. - Hist .
221.
Sophronius v. Jerus. 149
209.
Sozzini u. Socinianismus
352 ff.
Staat u. Kirche 247 277
280 299 ff. 306.
Staupitz 332 .^37.
Stephanus bar Sudaili
206.
Stephanus v. Rom 74.
Stoicismus 21 25 f. 44
87 127 250
Strafleiden 289 292 814.
Subordinatianismus 95
99 f. 1301331881189].
Substanz : in der Trini-
tätslehre 99 f. 189, in
der Christologie 103
192 202.
Succession, apostol. der
Bischöfe, 71 246 [359]
[368].
Sünde, Begriff, Iren. 101 ;
Register.
385
Orig. 117; griech. Or-
thod. 163 f.; Abendl.
230 f.; August. 234
255 ff.; Pelag. 253;
Scholast. 330.
Sündenfall, Orig. 117;
August. 241 258; Pe-
lag. 263; Scot.331f.
Sündenvergebung, ur-
christl. 11 15; vor-
kath. 33f. 38 f.; mon-
tan. 78; altkath. 78f.
83; Iren. 104; Pelag.
254; August. 256 259 f.
Ans. 291; Scholast. 329
331 ; Luth. 363 366.
Symbol, das, beiAugust.,
237 258 f.
Symbole (Glaubens-
regeln) 31 62 93 96
99 130 135 ff. 144 153.
Symbole (Zeichen) 39 f.
84 214.
Symmachus 45.
Synesius 222.
Synkretismus 47 52.
Syrien 205.
Tatian 52 65 86.
Taufbekenntniss , cf .
Bekenntniss, regula,
Symbol.
Taufe, urchristl. 14; vor-
kath. 32 f. 39; alt-
kath. 83; August. 248
257 f.; Greg. I. 266;
Scholast. 316 319 f.
Taufe Christi 20.
Tauler 297.
TertuUian 61 63 f. 68
71 78 84f. 96-108*
228* 236 280.
Teufel , vorkath. 35 ; Au-
gust. 2462571; Greg.I
265; Abäl. 292; Petr.
Lomb. 293; — Em-
pfänger des Opfers
Christi 169 259 [290].
Theodice 160.
Theodor v. Tarsus 268,
V. Mopsneste 195 ff.
Theodora 208.
Theodoret 201ff. [cf 208]
223.
Theodorus Studita 220.
Theodotianer 109 123.
Theodotus, der Leder-
arbeiter 123.
— der Wechsler 123.
Theodosius 144 184 f
Theognost 134.
Theoktist 109.
Theologie, natürliche
(cf. Eationalism., Mo-
ralism.^ 147 ff. 168—
165 226 305.
Theopaschitischer Streit
207 f.
Theophilus (Apolog.)85.
Theophilus v. Alex. 200
222
Theosophie 25 f 161.
^sorS'KOs cf. Maria.
Thes salonich, Edikt von,
184.
Thomas y. Aquino 296
300 f. 306 f.* 311 ff.
316—334.
Thomas a Eempis 298.
Thyrsus Gonzalez 350.
Tod Christi 14 f 39.
Todsünden 40 78 f 82
274 318 320 322 325.
Torquemada 300.
Toucy 270.
Tradition 32 48 60 62 f
67 152 ff. 250 318 341
346 361.
Traducianismus 162.
Transformation (Trans-
mutation) 84 216.
Transsubstantiation 288
[304] 311 320 f 344
[376].
Tnchotomie 117 162.
Tridentinum 3 227 264
322 f. 338 340-345*.
Trinität: Tert. 96 100
[Hippel. Iren. 101] ;
Orig. 116; Dionys. v.
Roml33,Greg.Thaum.
135 ; Arius 174 ; Äthan.
175177;Kappad.l83;
griech. u. röm. Kirche
186—190; August. 242
259; Scholast. 312;
Socin. 364 f.
Tritheismus 188 205 283
312.
TruUanum 211.
Typos 210.
T^rus (Synode) 178.
übiquität 288 372.
Unam sanctam (Bulle)
299.
Unfehlbarkeit derKirche
u. der Konzile 155 246 ;
des Papstes 246 300
341 351
Unigenitus (Bulle) 325
349.
Universalismus des
Evang. 9 15 f. 29 f
64 85.
Urban VIII. 348.
Ursacius 180.
Urständ; Iren. 101;
griech. Kirche 163 ;
August. 267 ; Scholast.
330 f.
Täter, Instanz der, 154.
Valence (Synode) 270.
Valens, Bischof, 180.
— Kaiser, 144 183.
Valentin 23 50 f. 55.
Valentinian 183.
Vaticanum 3 347 851.
Vercelli, Synode, 287.
Vergottung 97 105 119
142 146 f. 148 f. 166
213 ff.
Versöhnung 104 118 147
169 243 289 292 314.
Victor V. Rom 123 127.
Victorinus Rhetor 229 f.
Vigilantius 218 262.
Vigilius 208.
Vincentius v. Lerinnm
156 262.
Virginität 136.
Vorreformatoren 295 298
302 ff. 316 336 ff.
Vulgata 341.
Waldesier 294 303.
Walther v. St. Victor
285.
Weigel 353.
Weissagungsbeweis 14
18 20 31 f. 34 86 88.
Weltbürgertum 25.
Wesel 309 332.
Grundriss lY. xii. Habnaok, Dogmengeschichte. 2. Aufl.
25