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RUDOLF GRONAU
DREI JAHRHUNDERTE DEUTSCHEN LEBENS
IN AMERIKA
Frühere Werke von RUDOLF GRONAU
GESCHICHTE DER SOLINGER KLINGENINDUSTRIE.
Mit Illustrationen. Stuttgart 1885.
VON WUNDERLAND ZU WUNDERLAND. Landschafts-
und Lebensbilder aus den Staaten und Territorien der Union.
Mit 50 Lichtdruckbildern nach Originalzeichnungen des
Herausgebers. 2 Bände Großfolio. Leipzig 1885 und 1886.
UNTER'M STERNENBANNER. Landschafts- und Lebens-
bilder aus den Staaten und Territorien der Union. Mit
50 Lichtdruckbildern nach Originalzeichnungen des Heraus-
gebers. 2 Bände Großfolio. Leipzig 1887.
FAHRTEN IM LANDE DER SIOUX-INDIANER. Leipzig 1886.
DAS BUCH DER REKLAME. Geschichte, Wesen und Praxis
der Reklame. Mit 150 Abbildungen. Ulm und Leipzig 1887.
IM WILDEN WESTEN. Eine Künstlerfahrt durch die Prärien
und Felsengebirgc der Union. Mit vielen Abbildungen.
Braunschweig 1890.
AMERIKA, DIE GESCHICHTE SEINER ENTDECKUNG
VON DER ÄLTESTEN BIS AUF DIE NEUESTE ZEIT.
Eine Festschrift zur 400jährigen Jubelfeier der Entdeckung
Amerikas durch Christoph Columbus. 2 Bände mit
545 Bildern und 37 Karten. Leipzig 1890—1892.
OUR WASTEFUL NATION. A story of American prodigality
and the abuse of our national resources. With illustrations.
New York 1908.
DREI JAHRHUNDERTE
DEUTSCHEN LEBENS
IN AMERIKA
EINE GESCHICHTE DER DEUTSCHEN IN DEN
VEREINIGTEN STAATEN
VON
RUDOLF GRONAU
MIT 210 ILLUSTRATIONEN
Of TH€ A
UNIVERSITY I mmm^\
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BERLIN 1909
DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)
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.RtG^'.'J
Alle Rechte, auch das der Übersetzung
in fremde Sprachen, vorbehalten.
Da zahlreiche der in diesem Buch ent-
haltenen Abbildungen und Abschnitte
gesetzlich geschützt sind (in den Ver-
einigten Staaten durch Copyright), so
wird vor unbefugter Benützung der-
:: selben ausdrücklich gewarnt. ::
Vorwort.
Seit drei Jahrhunderten wälzt sich au$ D^tschlands Gauen ein Strom
von Auswandrern nach der Neuen Welt, je nach* den' im alten Vaterland ob-
waltenden politischen oder wirtschaftlichen Verhältnissen bald gleichmäßig
fließend, bald nachlassend, um dann plötzlich wieder mächtig anzuschwellen
und den Charakter einer wahren Völkerwandrung anzunehmen.
Fragte man die in der Heimat Zurückgebliebenen, was aus ihren nach
Millionen zählenden ausgewanderten Landsleuten in der Fremde geworden,
so vermöchten gewiß nur sehr wenige eine befriedigende Auskunft zu geben.
Man verhielt sich in Deutschland gegenüber dem Schicksal seiner ausgewan-
derten Söhne bisher recht gleichgültig, indem man sich an die durchaus falsche
Vorstellung gewöhnte, daß dieselben für ihr Vaterland wie für das deutsche
Volkstum verloren seien. Man betrachtete sie als Faktoren, mit welchen man
nicht länger rechnen dürfe. Man weiß nicht, was sie da draußen erlebten und
verrichteten, ob sie im Elend verkamen oder es verstanden, eine achtung-
gebietende Stellung zu erringen.
Und die Ausgewanderten selbst? — Obwohl sie die Erfolge vieler ihrer
Brüder vor Augen sehen, so sind auch sie über das, was die Gesamtmasse
der Deutschen in Amerika leistete, doch nur oberflächlich unterrichtet. Weder
sie, noch die neben ihnen wirkenden Amerikaner anderer Abstammung wissen,
wie ungeheuer viel die großartig entwickelten V^ereinigten Staaten von Amerika
der rastlosen Arbeit, dem unermüdlichen Fleiß und der Intelligenz der Deut-
schen verdanken. —
An Geschichtswerken, welche die Vergangenheit Amerikas, den Ursprung
und die Entwicklung der Vereinigten Staaten behandeln, ist zwar kein Mangel.
Aber gegen diese Werke ist von vielen klarblickenden, nach historischer Wahr-
heit strebenden Forschern mit vollem Recht der Einwand erhoben worden, daß
sie die Geschichte nur eines Teiles des amerikanischen Volkes, und zwar des
aus England eingewanderten berücksichtigen, während auf die Vergangenheit
und Leistungen der anderen Völkerelemente, die zum Aufbau der amerikanischen
Nation beitrugen, entweder gar nicht oder nur sehr oberflächlich einge-
gangen sei. —
Beim Prüfen dieser Angelegenheit kann der mit der Entwicklungsge-
schichte Amerikas Vertraute sich der Erkenntnis nicht entziehen, daß jener
— VI —
Einwand durchaus zutrifft. Fast alle in den vorhandenen Geschichtswerken
geschilderten Ereignisse sind vom Gesichtswinkel des Anglo-Amerikaners,
speziell des Neu-Engländers aus gesehen und beschrieben. Was andere Völker-
elemente zur amerikanischen Kultur, zum Aufbau der Nation beitrugen, welche
hervorragenden Männer sie lieferten, welche Taten dieselben verrichteten, was
sie an Großem, Bleibendem schufen, blieb entweder unberücksichtigt oder
wurde nur mit flüchtigen Strichen angedeutet, oft sogar absichtlich entstellt.
Infolgedessen bildet sich bei den Lesern solcher Werke die irrige Anschauung,
als ob die Anwesenheit der zahlreichen, nicht angelsächsischen Stämme auf
amerikanischem Boden für die dort entstandene Kultur gar nichts bedeutet habe,
und den Angelsachsen allein das Verdienst gebühre, das Material zum
Aufbau der amerikanischen Nation geliefert und die Kultur derselben geschaffen
zu haben.
So wenig aber eine Schilderung des Mississippi Anspruch auf Voll-
ständigkeit erheben dürfte, die es unterließe, auch seine Hauptarme, den
Missouri und Ohio zu beschreiben und ihre Bedeutung für die Größe und den
Charakter des ganzen Strom Systems darzulegen, ebensowenig können so ein-
seitig aufgefaßte Geschichtswerke wie die bezeichneten Anspruch auf den Titel
einer „Geschichte des amerikanischen Volkes" erheben.
Diese muß noch geschrieben werden. Und zwar unter gerechter Be-
rücksichtigung aller verschiedenen Rassen- und Völkerelemente, aus denen sich
das Volk der Vereinigten Staaten zusammensetzt und die in irgendeiner be-
sonderen Weise zur amerikanischen Kultur beitrugen.
Das kann erst geschehen, wenn das erforderliche historische Material in
Spezialwerken niedergelegt ist, die den Anteil der Deutschen, Iren, Schotten,
Holländer und Skandinavier, der romanischen und slavischen Völker, der Is-
realiten, der indianischen, afrikanischen und mongolischen Rassen feststellen.
Durch ausgedehnten Gebrauch solcher Spezialwerke kann die zu schreibende
Geschichte der amerikanischen Nation an Interesse, Mannigfaltigkeit und Farben-
reiz nur ungemein gewinnen. —
Wie zu dem in der Bundeshauptstadt Washington gen Himmel ragenden
Monument zu Ehren des Begründers der Union, George Washington, fast alle
Nationen des Erdballs Bausteine beitrugen, so mögen die in den Vereinigten
Staaten ansässig gewordenen Vertreter solcher Nationen dies auch tun zu dem
erhabenen Ruhmestempel der amerikanischen Geschichte. —
Der Verfasser dieses Buches bietet einen solchen Baustein, in der Über-
zeugung, daß die nach Millionen zählenden Abkömmlinge des deutschen Volkes,
welche seit frühen Tagen in das Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten von
Amerika einströmten, in jeder Beziehung ein gewaltiger Faktor waren, der nicht
übersehen werden sollte.
Berlin, im Sommer 1909.
Rudolf Gronau.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Vorwort V
Verzeichnis der Abbildungen IX
I. Teil: Die Deutschen während der Kolonialzeit.
Die ersten deutschen Flugblätter über Amerika und die Vorläufer
der deutschen Auswanderung dorthin 3
Die ersten Deutschen in den nordamerikanischen Kolonien.
Die deutschen Gouverneure von Neu-Niederland und Neu-Schweden .... 11
Jakob Leisler. Die stürmischste Periode in der Geschichte der Kolonie New York 26
Augustin Herrman, der erste deutsche Kartograph; Johann Lederer, der erste
deutsche Forschungsreisende in Nordamerika 41
Die deutschen Sektenniederlassungen des 17. und 18. Jahrhunderts.
Die Ursachen der Sektenauswanderung 46
Die Mennoniten und die Gründung Germantowns 49
Die Labadisten und Rosenkreuzer 70
Die Tunker und das Kloster Ephrata 75
Die Salzburger in Georgia 81
Die Mährischen Brüder oder Herrnhuter 85
Die Masseneinwanderung der Pfälzer im 18. Jahrhundert 97
Die Pfälzer in Karolina und Virginien. — Die Pfälzer in der Kolonie New York.
— Die Niederlassungen der Pfälzer und Elsaß-Lothringer in Louisiana. —
Die Pfälzerniederlassungen in Neu-England.
Die Käuflinge oder Redemptionisten und das Entstehen der „Deutschen
Gesellschaften" 116
Die kulturellen Zustände der Deutschamerikaner während der
Kolonialzeit 124
Der Franzosenkrieg 152
Gegner und Freunde der deutschen Ansiedler 170
Der Anteil der Deutschen am amerikanischen Unabhängigkeitskriege.
Der Freiheit Morgengrauen 177
Deutsches Heldentum und deutsche Opferwilligkeit im Freiheitskrieg .... 185
Nikolas Herchheimer und die deutschen Helden von Oriskany \96
Generalmajor Peter Mühlenberg 205
Der Soldatenhandel deutscher Fürsten und die deutschen Söldlinge im eng-
lischen Heer 208
— VIII —
Seite
Die deutschen Ansiedler im Kampf mit den indianischen Verbündeten der Briten 216
Generalmajor Johann von Kalb 222
Generalmajor Friedrich Wilhelm von Steuben, der Schöpfer des amerikanischen
Heeres 226
Die deutschen Truppenabteilungen im französischen Hilfsheer ...... 242
II. Teil: Die Deutschamerikaner seit Aufrichtung der Union.
Der Anteil der Deutschen an der Erschließung und Besiedlung der
westlich von den Alleghany's gelegenen Gebiete.
Die deutschen Ansiedler im Stromgebiet des Ohio 249
Die deutschen Ansiedler im Mississippital 260
Deutsche Pioniere des fernen Westens 273
Deutsche Kommunistengemeinden 285
Staatenpläne 296
Die politischen Flüchtlinge der deutschen Revolutionszeit 301
Der Anteil der Deutschamerikaner an den Kriegen der Vereinigten
Staaten im 19. Jahrhundert 308
Die Deutschamerikaner im politischen Leben der Vereinigten Staaten 332
Karl Schurz 338
Die kulturellen Bestrebungen der Deutschamerikaner während des
19. Jahrhunderts und ihr Einfluß auf die amerikanische Be-
völkerung.
Die Gründung der deutschen Turnvereine und ihr Einfluß auf die körperliche
Entwicklung der amerikanischen Bevölkerung 349
Der Einfluß des deutschen Erziehungswesens auf die Lehranstalten der Ver-
einigten Staaten 355
Die deutschamerikanischen Landwirte und Forstleute der Neuzeit 370
Der Anteil der Deutschen an der Entwicklung der amerikanischen Industrie . 381
Der Anteil der Deutschen an der Entwicklung des amerikanischen Verkehrs-
wesens 411
Deutschamerikanische Techniker und Ingenieure 423
Die deutsche Presse in den Vereinigten Staaten 441
Deutsche Gelehrte in den Vereinigten Staaten 446
Der Einfluß des deutschen Ärztetums auf die amerikanische Heilkunde . . . 458
Deutschamerikanische Schriftsteller 461
Die deutschamerikanische Dichtung des 19. und 20. Jahrhunderts 468
Deutsches Lied und deutscher Sang in Amerika 498
Deutsche Einflüsse im Musikleben Amerikas 505
Das deutsche Theater in Amerika 517
Die deutsche Oper in Amerika 522
Deutschamerikanische Maler, Bildhauer und Baumeister 530
Ehrendenkmäler des Deutschamerikanertums 578
Die neueste Zeit 585
Der deutschamerikanische Nationalbund 605
Die Quellen zur Geschichte des deutschen Elements in den Ver-
einigten Staaten 613
Register 632
Verzeichnis der Abbildungen.
I. Teil.
Seite
Titelblatt des im Jahre 1497 zu Straßburg gedruckten ersten deutschen Flugblattes,
welches die Entdeckungen des Columbus meldet 3
Titelblatt der ersten deutschen Ausgabe von Amerigo Vespuccis Reisebeschreibungen 4
Titelblatt der zweiten deutschen Ausgabe von Vespuccis Reisebeschreibungen ... 5
Stelle aus Waldseemüllers „Cosmographiae introductio", wo vorgeschlagen wird, die
Neue Welt „Amerika" zu nennen 6
Titelblatt des als „Neue Zeitung aus Jucalan" bekannten deutschen Flugblattes . . 7
Neu-Amsterdam zur Zeit Minnewits . . 11
Peter Minnewit ersteht von den Indianern die Insel Manhattan 15
Das Siegel der Kolonie Neu Niederland oder Neu-Belgien 18
Titelblatt der Argonautica Gustaviana, der ersten in deutscher Sprache gedruckten
Auswanderungs-Flugschrift 19
Unterschriften der deutschen Gouverneure von Neu-Niederland und Neu-Schweden . 24
Das Fort Dreifaltigkeit 25
Leislers Wohnhaus in Alt New York 26
Neu-Amsterdam zu Leislers Zeit . 31
Das Stadthaus zu New York, in dem Leisler prozessiert wurde 37
Leislers Grabstätte auf dem ehemaligen Friedhof der holländischen Gemeinde zu
New York 39
Leislers Siegel und Unterschrift 40
Porträt Augustin Herrmans 41
Namenszug Augustin Herrmans 43
Indianer aus Virginien ... 45
Plünderung eines Dorfs im Dreißigjährigen Krieg 46
William Penn 49
Namenszug von William Penn 50
Namenszug von Pastorius 51
Pastorius' Gruß an die Nachkommenschaft 55
Der Protest der Deutschen von Germantown gegen die Sklaverei 58 59
Altes Haus in Germantown, in dem der Protect gegen die Sklaverei verfaßt und
geschrieben wurde 62
Titelblatt der ersten mit deutschen Lettern in Amerika gedruckten Zeitung .... 66
Titelblatt der ersten in Amerika gedruckten deutschen Bibel 67
Christoph Saurs Wohnhaus und Druckerei • 68
Das Siegel von Germantown . "^
70
Johannes Kelpius '"
Kelpius' Höhle '^^
— X —
Seite
Konrad Beissel . 75
Ein Liebesmahl der Tunker 76
Eine Klosterschwester von Ephrata 77
Die Handpresse des Klosters Ephrata 78
Titelblatt des in Ephrata gedruckten Märtyrerspiegels 79
Pastor Johann Martin Bolzius 81
Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf 85
Ansicht von Bethlehem im Jahre 1830 87
Das Schwesternhaus der Herrnhuter in Bethlehem, Pennsylvanien 88
Herrnhuter Missionare unter den Indianern 91
Johann Heckewelder 95
Der Friedhof der Herrnhuter zu Bethlehem 96
Der Brand der Stadt Worms 97
Greueltaten französischer Soldaten im 17. Jahrhundert 98
Ein Häuptling der Mohawk-Indianer 105
Ein Pfälzer des Mohawktals im 18. Jahrhundert 108
Beim Bau der Heimstätte 124
Eine befestigte Niederlassung -des 18. Jahrhunderts 125
Angriff auf eine befestigte Ansiedlung . 126
Die Verteidigung einer verpalisadierten Ansiedlung im 18. Jahrhundert 129
Eine befestigte Ansiedlung zur Winterszeit 131
Eine entstehende Ansiedlung . 132
Eine Waldkirche 135
David Rittenhausen 144
Heinrich Melchior Mühlenberg 149
Die letzte Zuflucht 151
Indianische Kundschafter beschleichen unter Wolfsmasken ein Lager von Ansiedlern 152
Ein Indianer mit den Zeichen seiner Kriegstaten geschmückt 155
Die Abschlachtung einer Ansiedlerfamilie durch Indianer 158
Heinrich Bouquet 164
Die Heimkehr aus indianischer Gefangenschaft 167
Indianischer Tomahawk 169
Benjamin Rush 170
Namenszug von Peter Zenger 178
A. Hamilton . . 179
Der Ruf zu den Waffen 185
Daniel Morgan, der Führer der virginischen Scharfschützen 187
Marie Heis (Molly Pitcheri in der Schlacht bei Monmouth 191
Versorgung der Soldaten im Winterlager von Valley Forge durch die Herrnhuter . . 194
Michael Hillegas, erster Schatzmeister der Vereinigten Staaten 195
Herchheimers Wohn- und Sterbehaus im Mohawktal 196
Namenszug von Nikolas Herchheimer 197
Ein Originalbrief des Generals Nikolas Herchheimer 198
Bronzetafel am Schlachtendenkmal bei Oriskany 199
Herchheimers Grabstätte im Mohawktal 204
Generalmajor Peter Mühlenberg 205
Namenszug Peter Mühlenbergs 207
Vom Herde weg in ferne Lande 208
Ein Anhalt-Zerbstsches Werbeplakat aus dem 18. Jahrhundert 211
Thayendanegea 216
Das Wyomingtal 217
— XI —
Seite
Ein indianischer SI<alp 220
Eine zerstörte Heimstätte 221
Johann von Kalb 222
Friedrich Wilhelm von Steuben 226
Friedrich Wilhelm von Steuben, der Generalinspektor der amerikanischen Armee 231
Titelblatt von Steubens „Regulations" 235
Steubens Ruhestätte in der Grafschaft Oneida, N. Y 240
Steubens Blockhütte in der Grafschaft Oneida, N. Y 241
Die Kapitulation der englischen Armee bei Yorktown 242
IL Teil.
Die Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika
am 4. Juli 1776 249
Cumberland Gap 252
Ein Trapper des 18. Jahrhunderts 253
Ein Fort des 18. Jahrhunderts 256
Ein Flachboot auf dem oberen Ohio 257
Cincinnati im Jahre 1802 258
Fort Washington am Ohio 259
Amerikanische Flußdampfer aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 260
Die Unterzeichnung des Louisiana-Vertrags 261
Eine Eisenbahn im Mohawktal im Jahre 1835 263
Einwandrer auf ihrem Zug gen Westen 266
Ansiedler beim Errichten ihrer Heimstätte 267
Sioux-Indianer 269
Überfall einer Auswandrerkarawane 270
Abgeschlachtet! 271
Astoria im Jahre 1812 273
Johann Jacob Astor 274
Johann August Sutter 277
Fort Sutter 279
Neu.Harmonie im Jahre 1832 286
Ansicht von Ökonomie (Economy) am Ohio im Jahre 1900 287
Die Kirche der Harmoniten in Ökonomie . . • 289
Rapps Wohnhaus in Ökonomie 290
Deutsche Einwanderer auf dem Zuge nach Neu-Braunfels 299
Auszug eines New Yorker Regiments während des Bürgerkriegs 308
Johann Anton Quitmann 309
Generalmajor Franz Sigel 316
Reiterstatue des Generalmajors Franz Sigel in New York . 317
Szene aus der Schlacht bei Gettysburg 321
Die Erstürmung der Missionary Ridge 322
Die Erstürmung des Lookout Mountain 323
Ch. Gustav Memminger, Finanzminister der südstaatlichen Regierung 327
Admiral Winfield Scott Schley 329
Friedrich August Mühlenberg, Vorsitzender im Abgeordnetenhause des Bundeskongresses 332
Karl Schurz 343
Das Deutsche Haus in Indianopolis, Indiana, der Sitz des Turnlehrerseminars des
Nordamerikanischen Turnerbundes • • 349
Römischer Wagenlenker 354
— XII —
Seite
Benjamin Franklin 355
Kuno Franci<e . 360
Das deutschamerikanische Lehrerseminar in Milwaukee, Wisconsin 368
Die Landwirtschaft 370
Westliche Farmer bei der Mais- und Kürbisernte 371
Ernte im fernen Westen 375
Ernte im fernen Westen . 376
Die erste von Johann August Roebling im Jahre 1848 zu Trenton, New Jersey, angelegte
Drahtseilfabrik . . 381
Die heutigen Drahtseilfabriken der Firma John A. Roeblings Sons Company zu Trenton,
New Jersey . 384
Die Anheuser-Busch Brauerei zu St Louis, Missouri 389
Die Pabst Brauerei in Milwaukee, Wisconsin 391
Die Joseph Schlitz Brauerei in Milwaukee, Wisconsin 395
Die Konservenfabriken der Firma H. J Heinz Company in Pittsburgh, Pennsylvanien 397
In der Konservenfabrik H. J Heinz & Co., Pittsburgh, Pennsylvanien 399
Die Lederfabriken der Firma Robert H. Foerderer, Philadelphia, Pennsylvanien . . 400
Die Dixie-Gerbereien der Lederriemenfabrik Charles A. Schieren Company (New York)
zu Bristol, Tennessee 401
De Pianofabrik der Firma William Knabe & Co. in Baltimore, Maryland . . . 402
Heinrich Steinway, der Begründer der Pianofabrik Steinway & Söhne in New York 403
Die Pianofabriken der Firma Steinway & Söhne in Steinway, Long Island, New York 404
Die Pianofabrik der Firma Steinway & Söhne an Park Avenue u 53. Straße in New York 405
Die Spinnereien der von Stöhr, Arnold und Hirsch gegründeten Botany Worsted Mills
zu Passaic, New Jersey 406
Der Segler „Deutschland" der „Hamburg-Amerika-Linie" 411
H. H. Meier, Gründer des „Norddeut chen Lloyd" 412
Lloyddampfer Kaiser Wilhelm II ..... 413
„Kronprinzessin Cecilie", ein moderner Dampfer des Norddeutschen Lloyd .... 415
Die Pieranlagen des Norddeutschen Lloyd in Hoboken ... 416
Die Pieranlagen der Hamburg-Amerika-Linie in Hoboken, New Jersey 417
Eme Rennjacht der Herreshoffs im Kampf um den Amerikabecher 419
Heinrich Hilgard-Villard 421
Der erste Lloyddampfer „Bremen" im Jahre 1858 • . 422
Roeblings Hängebrücke über den Niagara 423
Adolf Bonzanos Kinzua-Brücke während ihres Baus 427
Johann August Roebling 431
Roeblings Hängebiücke über den East River zwischen New York und Brooklyn . . 434
Lindenthals Eisenbahnbrücke über die Höllengasse bei New York 437
Ludwig Johann Rudolf Agassiz ... . ... . . • • 446
Franz Lieber 452
Frauenfigur Von Henry Linder, New York 468
Die von Sr. Maj. Kaiser Wilhelm II. dem Nordöstlichen Sängerbund gestiftete Silber-
statuette . 503
Die alte Herrnhuter Kirche zu Bethlehem in Pennsylvanien 505
Leopold Damrosch 508
Theodor Thomas 509
Karl Zerrahn 511
Anton Seidl 522
Malerei, Architektur und Poesie 530
Washingtons Übergang über den Delaware. ...,..,... 531
— XIII —
Seito
Die Westfahrer .535
Büffeljagd 539
Mount Corcoran 541
Der Kampf um die Palisaden 543
Ein sichrer Schuß 545
Der französische Entdecker La Salle schließt einen Vertrag mit den Miami-Indianern 547
Ein Renkontre in den Felsengebirgen 549
Sonnenuntergang der roten Rasse 550
Losgelassen 551
Ein Monarch der amerikanischen Wildnis 552
Ein König der Felsengebirge • 553
Ahasver 554
Hochzeit in der Bretagne 555
Die beiden Schwestern 557
Die heilige Familie 561
Unsere Frau der immerwährenden Hilfe 562
Der kreuztragende Christus und Maria 563
Das Schicksal der roten Rasse 564
Denkmal des Generalmajors Friedrich Wilhelm von Steuben in Washington . . . 565
General Grant 567
Die Kongreßbibliothek zu Washington, D. C 569
Korridor in der Kongreßbibliothek zu Washington, D. C 570
Treppenaufgang in der Kongreßbibliothek zu Washington, D. C 571
Die Lesehalle der Kongreßbibliothek zu Washington, D. C 572
Das Waldorf Astoria Hotel in New York 575
Das Gebäude der „Times" in New York 576
Das Mary Drexel-Heim in Philadelphia 578
Das Isabella-Heim in New York 583
Der Bannerträger 585
Blick auf den Dachgarten des Hotels Astor in New York 591
Die Einfahrt des Prinzen Heinrich von Preußen an Bord des Lloyddampfors „Kronprinz
Wilhelm" in den Hafen von New York am 23. Februar 1902 599
Die Feier des Deutschen Tages auf der Weltausstellung zu Chicago am 15. Juni 1893 601
Das Gebäude der „Deutschen Gesellschaft" zu Philadelphia, die Geburtsstätte des
Deutschamerikanischen Nationalbundes . . . • 605
Dr. Charles John Hexamer 609
Die Freiheitsstatue im Hafen von New York 613
Register 632
I. Teil.
Die Deutschen während der Kolonialzeit.
^m fc^on ^abfc^lcfcn vonctUc^crt inßlen
Tie ^do m ^urtsen 5pten futiöen fynö ^urcß'^c
r ümg von ^ifpama*viit> fagr vö ßro^eti wuti
Die ersten deutschen Flugblätter über Amerika
und die Vorläufer der deutschen Auswanderung
dorthin.
Die glückliche Heimlcehr des Genuesen Christoph Columbus von
seiner ersten großen Entdeckungsreise war ein Ereignis, dessen Bedeutung von
allen Kulturvölkern der damaligen Zeit sofort empfunden v^urde. Man erkannte
instinktiv, daß die gelungene Fahrt für die ganze Menschheit von höchster Wich-
tigkeit sei und gewaltige Umwälzungen zur Folge haben müsse. Welch tiefen
Eindruck die Kunde in der Gelehrtenwelt erregte, kann man am besten aus fol-
gendem Brief des spanischen Geschichtschreibers Peter Martyr an seinen
Freund Pomponius Laetus ermessen: „Du schreibst, mein lieber Pomponius,
daß Du beim Eintreffen meiner die Entdeckung der entgegengesetzten Welt
betreffenden Nachricht vor Entzücken aufgesprungen seiest und Dich der
Freudentränen nicht hättest erwehren können. Das zeigt, daß Du als Gelehrter
die Größe und Tragweite der neuen Entdeckung wohl zu würdigen weißt. In
der Tat, auch ich kenne keine Speise, die erhabenen und genialen Geistern will-
kommener sein könnte, als diese. Ich fühle eine wunderbare geistige Erregung
in mir, wenn ich mit den aus jenen Gegenden zurückgekehrten Männern rede.
Es ist, als ob ein Armer plötzlich zu Reichtum gelange. Unsere durch die
Kopfleiste: Titelblatt des im Jahre 1497 zu Straßburg gedruckten ersten deutschen
Flugblattes, welches die Entdeckungen des Columbus meldet. Nach dem Exemplar der
New Yorker Stadtbibliothek.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
1'
4 —
kleinen täglichen Sorgen und gesellschaftlichen Pflichten herabgezogenen Ge-
danken werden erhoben und geläutert durch das Nachsinnen über so herrliche
Ereignisse.''
Selbst in dem nüchternen England wurde die Tat des Columbus als etwas
Unerhörtes, Göttliches gepriesen. Schrieb doch Giovanni Caboto (Johann
Cabot), der von England aus im Jahre 1497 eine Fahrt nach dem Westen unter-
nahm und dabei das FesÜand von Nordamerika entdeckte: „Als die Nachricht
^^ ^^ eintraf, daß Christoph Co-
X>0UQtrtttaSnatAnt|f>t9l0ltbifttt(|iI lumbus, der Genuese, die
rtnJ^)fhgmmtm4gtw^cn/^m•c^^majlfioilK^Wmg Küsten Indiens entdeckt
ronpoitigal/irwtlxtftnljd) afimX>m, h^be — wovon im ganzen
Reich des damals regieren-
den Königs Heinrich VIT.
gesprochen wurde, indem
alle voll größter Bewun-
derung erklärten, es sei
mehr ein göttliches als
menschliches Wagnis, auf
nie zuvor befahrenen We-
gen vom Westen aus nach
den im Osten gelegenen
Gewürzländern zu segeln,
— da entbrannte in mei-
nem Herzen ein heißes
Verlangen, gleichfalls eine
große Tat zu verrichten."
Auch in Frankreich
und Deutschland erkannte
man die Bedeutung des
Ereignisses. Deutschland
war schon damals das
Land der Denker und Ge-
lehrten. Martin Behaim,
Schöner, Reisch, Münster,
Pirckheimer u. a. verfolg-
ten mJt scharfen Blicken
die in Afrika und Asien
gemachten geographischen Entdeckungen und trugen dieselben auf ihre Welt-
karten und Erdkugeln ein.
Der Brief, den Columbus am 3. März 1493 nach seiner Ankunft in Lissa-
bon an Raphael Sanchez, den Schatzmeister des spanischen Königspaares, ge-
sandt hatte, fand in lateinischen und italienischen Ausgaben Verbreitung und
wurde auch in deutscher Übersetzung in Straßburg, wahrscheinlich auch an
Titelblatt der ersten deutschen Ausgabe von Amerigo
Vespuccis Reisebeschreibungen.
Nach dem Exemplar der New Yorker Stadtbibliothek.
5 —
fulr unD (fliiöf n fa ym härRlirtim
crfunben fvnr *^urc^ ^en Tkuntcj Von potm^ÄÖT.
andern Orten gedruckt. Alan kennt bis jetzt siebzehn verschiedene Ausgaben
dieses Columbusbriefes in spanischer, lateinischer, itaUenischer und deutscher
Sprache. Es ist nicht ausgeschlossen, daß außerdem manche andere gedruckt
wurden, von denen wir keine Kunde mehr besitzen.
Noch größeres Aufsehen erregten die Reisebeschreibungen des A m e r i g o
V e s p u c c i. Sie versetzten ganz Europa in Erregung, da sie im Gegensatz
zu dem Brief des Colum-
bus, der nur die Entdeck-
ung einiger Inseln gemel-
det hatte, die Entdeckung
einer „neu gefunden Re-
gion" verkündigten, „die
wohl eine Welt genannt
mag werden". Dazu war
in Vespuccis Schilderun-
gen das Interessante her-
vorgehoben und in pi-
kanter Weise ausgemalt;
die Beschreibungen des
Völker-, Tier- und Pflan-
zenlebens waren neu und
fesselten um so mehr, als
man außer dem mageren
Brief des Columbus noch
nichts über die Neue
Welt erfahren hatte. Co-
lumbus, um das Geheim-
nis des neuen Seeweges
nach Indien zu bewahren,
vermied absichtlich jede
weitere Mitteilung über
seine Entdeckungen. Da-
durch, wie auch durch
den Umstand, daß Ves-
puccius fälschlich angab,
die erste seiner angeb-
lich vier Reisen im Jahre
14Q7 vollführt zu haben,
wobei er konsequent die Namen der Befehlshaber verschwieg, an deren
Forschungsreisen er sich beteiligte, gelangten die den Unternehmungen fem-
stehenden italienischen, deutschen und französischen Geschichtschreiber jener
Zeit zu der irrtümlichen Anschauung, Vespuccius sei der Leiter jener Expedi-
tionen gewesen und habe das Festland der neuen Welt entdeckt. Unter diesem
Titelblatt der zweiten deutschen Ausgabe von Vespuccis
Reisebeschreibungen.
Nach dem Exemplar der New Yorker Stadtbibliothek.
— 6 —
Eindruck stand auch der um das Jahr 1481 in Freiburg in Baden geborene Ge-
lehrte Martin Waldseemüller, der in der lothringischen Stadt St. Die
lebte und an dem vom Herzog Rene II. errichteten „Vogesischen Gymnasium"
Geographie und Naturwissenschaft lehrte.
Waldseemüller war zugleich mit einer Neuausgabe des Atlas von
Ptolemäus beschäftigt, in welcher alle in der Neuen Welt gemachten Entdeckungen
berücksichtigt werden sollten. Ferner schrieb Waldseemüller einen Leitfaden
für den Unterricht in der Erd- und Himmelskunde.
Während er mit diesen Arbeiten beschäftigt war, erhielt der Herzog ein
Exemplar der Vespuccischen Reisebesdireibungen. Dieselben erfüllten Wald-
seemüller mit solcher Begeisterung, daß er die Reisen Vespuccis in seinem am
25. April 1507 gedruckten Lehrbuch „Cosmographiae introductio" ausführlich
besprach und im neunten Abschnitt den Vorschlag ausbrachte, die bis dahin
noch namenlose Welt zu Ehren ihres Entdeckers, Amerigo Vespucci, „Amerika"
zu nennen. Der betreffende Satz lautet verdeutscht: „Nun wahrlich, da diese
ivT-.of r , . . ^ «- Regionen weiter
Niic,?o&:hfpartcsfuntlatmsJuftraw/&:aIä durchforscht sind,
quarta pars per Ammcuyefputmcvtmfequenti „„^ da ein anderer
J^DUs audietur )inuenta eit/qua non Video cur quis tt jj. ■^ a
«. , - . . ^ r ■ . ... Erdteil von Ameri-
Jiure vetet ab Amenco inuentore lagacis ingenij VI
AmcriV roAmcriPcnquafiAmerici terra /uue Amencam , ,, ,
ca dicendätc! &: Europa &: Afia a mulieribus fua for ^'^^ '^"'^'' Z'^ T'
titarmtnomina.Eiusrim&gentis mores ex bis bi ^^" nachstehenden
nis Americi nauigationibus quae fequunt liquide ^^^^*^" ersehen wer-
intelligidatun <^e" "^^g' so kenne
ich keinen Grund,
Stelle aus Waldseemüllers „Cosmographiae introductio", wo vor- . , ,
geschlagen wird, die Neue Welt „Amerika" zu nennen. warum er nicnt ge-
rechterweise Ameri-
gen genannt werden sollte, das ist das Land des Amerigus, oder America, nach
seinem Entdecker Americus, einem Manne von scharfem Verstände; haben doch
Europa und Asien beide ihre Namen nach Weibern erhalten."
Waldseemüllers Vorschlag fand bei vielen Geographen der damaligen Zeit
Anklang. Da Columbus bereits im Jahre 1506 gestorben war, und niemand
auftrat, um den wissenschaftlichen Irrtum zu berichtigen, so fand der von dem
deutschen Gelehrten vorgeschlagene Name rasch Annahme. Schon 1510 konnte
der dem „Vogesischen Gymnasium" angehörende Walter Lud in seiner
„Grammatica Figurata" mit Stolz erklären, „daß St. Die jetzt eine in der ganzen
Welt bekannte Stadt sei, weil sie America den Namen gegeben habe".
Es war die einzige Großtat, durch die das Gymnasium bekannt wurde,
denn als Herzog Rene starb, löste sich die kleine Gelehrtengemeinde auf. Wald-
seemüller zog nach Straßburg, wo er bei Jean Grüninger die fünfte Ausgabe
seiner „Cosmographiae introductio" drucken ließ. Nachdem der Straßburger
Jean Schott die Druckerpresse und den Typenvorrat des „Vogesischen
Gymnasiums" erworben hatte, gab Waldseemüller hier auch im Jahre 1513 die
— 7 —
von jenem Gymnasium geplante Neuausgabe des Atlas des Ptolemäus heraus.
Inzwischen hatte er seinen Irrtum bezüglich des Entdeckers der Neuen Welt er-
kannt, denn er trug auf die schöne, dem Atlas beigegebene Karte von Amerika
^mt Jtittung.Don btralanbt.basWt
epomcrfUnöen ^aDm ymi fzutere genant >crtt4ii.
Titelblatt des als „Neue Zeitung aus Jucatan" bekannten deutschen Flugblattes.
Nach dem Exemplar der New Yorker Stadtbibliothek.
an der Stelle, wo Columbus zuerst seinen Fuß auf das Festland der Neuen Welt
gesetzt hatte, folgenden Satz ein: „Hec terra adjacentibus insulis inventa est
per Columbu ianuensem ex mandato Regis Castelle", „Dies Land imd die be-
nachbarten Inseln wurden durch Columbus unter der Regierung des Königs von
Kastilien entdeckt''. Über die Reisen des Vespucci findet sich im ganzen Atlas
kein Wort. Aber der frühere Irrtum konnte nicht wieder gutgemacht werden.
Der Name Amerika hatte sich bereits so eingebürgert, daß er trotz aller Be-
mühungen, ihn durch die passendere Bezeichnung „Columbia" zu ersetzen, der
Neuen Welt bis heute verblieb.
Den Reisebeschreibungen Vespuccis folgten zahlreiche „Newe Zeitungen",
welche die Entdeckungen der Portugiesen in Südamerika, die kühnen Erobe-
rungszüge der Spanier in Yucatan, Mexiko und Peru schilderten. Sie umfaßten
meist nur wenige Seiten.
Von solchen, aus leicht erklärlichen Gründen, der Verzettelung unter-
worfenen Flugblättern haben sich leider nur wenige erhalten. Von diesen nenne
ich die wahrscheinlich im Jahre 1520 gedruckte „Copia der Newen Zeytung
auß Presillg Landt" (Brasilien); die „Nev/e Zeittung von dem Lande, das die
Spanier funden haben im 1521 jare, genannt Yucatan". Von den mexikanischen
Eroberungszügen erzählen Flugschriften, die im Jahre 1520 bei „Friyderichen
Peypus in Nürmberg", 1522 in Augsburg, 1534 bei Georg Ulricher in Straß-
burg und 1550 bei Philipp Ulhart in Augsburg erschienen. Über den Raubzug
Pizarros berichtet ein 1535 gedruckter Brief, der mit den Worten anhebt: „Item
es ist vor etlichen Jaren durch Kay. May. beuelch (auf Befehl Sr. Majestät des
Kaisers) außgefaren auß Hispania ein hispanischer Her Francisco de
Pysaria . . ." usw.
Im Verein mit den von den Geographen und Geschichtsschreibern in um-
fangreichen Erdbeschreibungen niedergelegten Nachrichten übten diese neuen
Zeitungen einen ungeheuren Eindruck auf das deutsche Volk. Man verschlang
die Beschreibungen der mit goldenen Schätzen und seltsamen Götzenbildern
gefüllten Tempel und Paläste der Inkas und Montezumas; staunend las man
von den volkreichen Städten Tenochtitlan, Cholula, Tlaskala und Cuzko, von
ihren großen Märkten und Festen. Man hörte von der Fahrt des Ritters Ponce
de Leon nach Bimini, wo eine Quelle existiere, deren Wasser ewige Jugend ver-
leihe. Man vernahm vom Eldorado, einem indianischen König, dessen Körper
tagtäglich derart mit Goldstaub bedeckt werde, daß er einer Goldfigur
gleiche.
Es bedurfte nicht mehr, um das Wunderfieber und die Lust zu Abenteuern
bei den Deutschen zu erregen. Diese beiden Neigungen steckten ihnen von
jeher im Blute. Seit den frühesten Tagen des Mittelalters zogen fahrende Ritter,
Reisige und Minnesänger von Burg zu Burg, von Hof zu Hof, um Speere zu
verstechen oder beim Klang der Saiten die Gunst hoher Herren und schöner
Frauen zu gewinnen. Neben ihnen gab es viel anderes ruheloses Volk: fahrende
Gaukler, Spielleute, Schüler und Fräulein, fahrende Ärzte und Quacksalber, und
nicht zuletzt der unabsehbare Troß der Landsknechte, die ihre Dienste bald
diesem, bald jenem Herrn verkauften. Deutsche Landsknechte fochten in fast
allen europäischen Kriegen. Wenn einer dieser rauhen Söldlinge, Nikolaus
Schmid von Regensburg, der für Philipp II. von Spanien in Marokko focht,
— 9 —
in seiner poetisclien Beschreibung der Kriege in selbstbewußtem Tone
singt:
Uns Deutsche braucht man zu dem Spiel
Wan man einen Krieg will fangen an.
Ohn uns wird nichts gerichtet außj
Wo wir nicht sein dabei im Strauß . . .
SO bezeichnete er die damalige Zeit in der zutreffendsten Weise.
Es konnte nicht ausbleiben, daß diese allzeit abenteuerlustigen Lands-
knechte durch die Nachrichten über die neuentdeckte Welt und deren Schätze
mächtig angezogen wurden. Besonders diejenigen, welche unter den Fahnen
des zum Erben des spanischen Thrones, und im Jahre 1519 auch zum deutschen
Kaiser ausgerufenen Karls V. gen Spanien zogen. Dort kamen sie in Berührung
mit jenen Abenteurern, die für diesen Herrscher die Länder der Neuen Welt er-
oberten. Mit Sicherheit dürfen wir annehmen, daß viele dieser deutschen Lands-
knechte sich für die Eroberungszüge in Amerika anwerben ließen. Leider
wissen wir nur wenig über die Beteiligung solcher Deutschen. Daß sie aber
keineswegs gering veranschlagt werden darf, geht daraus hervor, daß unter
den 3000 Soldaten des Pedro de Mendoza, der im Jahre 1534 nach dem süd-
amerikanischen „Silberstrom", dem L.a Plata, zog, sich 150 Deutsche befanden.
Einer derselben war Ulrich Schmidel aus Straubing. Er verweilte
19 Jahre lang am La Plata und nahm an fast allen von Mendoza unternommenen
Eroberungszügen teil. Als er nach zahllosen Abenteuern endlich wieder in die
Heimat zurückkehrte, schrieb er seine: „Warhafftige Historien Einer Wunder-
baren Schiffart, welche Ulrich Schmidel von Straubing von Anno 1534 biß
Anno 1554 in Americam oder Neuwewelt, bey Brasilia und Rio della Plata
getan. Was er in diesen neuntzehn Jahren außgestanden, und was für selt-
zame Wunderbare Länder und Leut er gesehen" usw.
Noch absonderlichere Erlebnisse bestand der aus Homburg in Hessen
stammende HansStade. In Brasilien geriet er in die Gefangenschaft „der
wilden, nacketen, grimmigen Menschenfresser Leuthen", deren Sitten er in einem
1556 zu Frankfurt a. M. gedruckten Büchlein höchst anschaulich beschrieb.
Sicher befanden sich auch viele deutsche Landsknechte bei jenen Expedi-
tionen, die in den Jahren 1528 bis 1546 von den Augsburger Kaufherren Welser
ausgesandt wurden, um Venezuela zu erobern. Diese Expeditionen, von denen
die erste 50 Bergleute aus dem Erzgebirge mit sich führte, wurden sämtlich von
deutschen Rittern befehligt. Von der am Karabischen Meere gelegenen Ortschaft
Coro aus drangen sie in überaus waghalsigen Entdeckerzügen durch die tropi-
schen Niederungen des Zuliagebietes bis auf die kalten Hochebenen Kolumbiens,
in südlicher Richtung bis zu den oberen Nebenflüssen des Orinoco. Niko-
laus Federmann schrieb über diese oft mehrere Jahre währenden Fahrten
seine berühmte „Indianische Historia". Der Junker Philipp von Hütten
sandte gleichfalls hochinteressante Reisebriefe an seine in der Heimat zurück-
gebliebenen Angehörigen.
— 10 —
Alle diese Flugblätter, Zeitungen und Reiseschilderungen, zu denen sich
noch viele in Erdbeschreibungen enthaltene umfangreiche Mitteilungen gesellten,
erregten im deutschen Vollce das lebhafteste Interesse für die Neue Welt. Die
Folge war, daß im 17. und 18. Jahrhundert die auswanderungslustigen Deut-
schen sich nicht mehr atisschließlich nach Ungarn, Siebenbürgen, Polen und
Rußland wendeten, sondern sich auch an der Besiedelung der Neuen Welt be-
teiligten.
"^' Tort nieuw tAtnßerdanL av icMMwatans
Die ersten Deutschen in den amerikanischen
Kolonien.
Die deutschen Gouverneure von Neu-Niederland und
Neu-Schweden.
Wie deutsche Soldaten, Seefahrer, Handwerker und Kaufleute in der Ge-
folgschaft der Spanier und Portugiesen nach den neuweltlichen Kolonien der-
selben verschlagen wurden, so kamen auch zahlreiche Deutsche im Dienst der
Holländer und Schweden nach der Ostküste von Nordamerika.
Es war im Jahre 1609, als der im Sold der „Niederländisch Ostindischen
Compagnie" stehende Seefahrer Henry Hudson jenen herrlichen Strom ent-
deckte, der späterhin mit seinem Namen belegt wurde. Diesen Strom genauer
zu erforschen, war aber nicht dem berühmten englischen Kapitän, sondern dem
aus Kleve gebürtigen Hendrik Christiansen beschieden. Auf einer
Handelsreise nach Westindien hatte dieser Deutsche die Mündung des majestäti-
schen Stroms gesehen und war von dem Anblick so eingenommen worden, daß
er wieder und wieder zurückkehrte und insgesamt elf Fahrten dorthin vollführte.
Die erste dieser Reisen machte er in Gemeinschaft mit dem Kapitän Adrian
Block. Sie diente hauptsächlich Erkundigungszwecken. Aber die Bedeutung
der Gegend für den Pelzhandel scheint beiden sofort aufgegangen zu sein.
Kopfleiste: Neu-Amsterdam zur Zeit Minnewits.
Kupferstich.
Nach einem gleichzeitigen
— 12 —
Denn nach ihrer Rückkehr bildete sich in Amsterdam und Hörn eine Kaufmanns-
gesellschaft, die im Jahre 1614 eine kleine Flotte ausrüstete, um am Hudson den
Grund zu einem Kolonialreich zu legen, das den Namen „Neu-Nieder-
1 a n d^' empfangen sollte.
Zwei der jener Flotte angehörenden Schiffe wurden von Christiansen und
Block befehligt. Der erste führte die „Fortuna", Block den „Tiger".
Christiansen erkannte bald die Notwendigkeit und die Vorteile eines stän-
digen Stützpunktes für den Tauschhandel mit den Urbewohnern und legte auf der
Südspitze der von den Manhattanindianern bewohnten, 13 engl. Meilen langen
Manhattaninsel einen aus mehreren Blockhütten bestehenden Handelsposten an.
Später richtete er sein Augenmerk auch auf die Gegend, wo der Mohawk-
fluß sich mit dem Hudson verbindet und gründete auf einer unweit dieser
Stelle gelegenen Insel eine zweite, befestigte Station, die er Fort Nassau taufte.
Zur Verteidigung dieses m.it Gräben und Palisaden umgebenen, aus Wohn-
stätten und Lagerhaus bestehenden Postens dienten zwei Kanonen und elf
Drehbrassen. Der häufigen Überschwemmungen wegen wurde diese Station
später auf das westliche Stromufer verlegt und bildete als „Fort Oranien" den
Keim der heutigen Stadt Albany.
Leider sind wir über die weitere Tätigkeit Christiansens, des ersten in der
Kolonialgeschichte der heutigen Vereinigten Staaten genannten Deutschen, nur
wenig unterrichtet. Wir wissen nur, daß er dem Pelzhandel, der Haupteinnahme-
quelle der Kolonie Neu-Niederland, die Wege ebnete, indem er die an beiden
Ufern des Hudson und am Ausfluß des Mohawk wohnenden Indianer besuchte
und in regelmäßige geschäftliche Beziehungen zu ihnen trat. Daß die Holländer
selbst Christiansen als den eigentlichen Erforscher der Hudsongegenden be-
tracheteten, geht aus folgender Stelle der von dem zeitgenössischen Lehrer
Nikolas Jean de Wassenaer stammenden „Geschichte der denkwürdigsten Er-
eignisse" hervor: „Dieses Land (Neu-Niederland) wurde zuerst von dem ehren-
werten Hendrik Christiansen von Kleve befahren . . . Hudson, der berühmte
englische Seefahrer, w^ar auch dort gewesen."
Leider fand Christiansen einen vorzeitigen Tod. Und zwar durch die
Hand eines jungen Indianers, den er einst mit nach Holland genommen hatte.
Die Beweggründe zu der Tat sind nicht bekannt, daß es sich aber um einen
Mord handelte, dürfte daraus zu schließen sein, daß der Indianer von den Leuten
Christiansens standrechtlich erschossen wurde.
Als im Jahre 1623 die „Niederländisch-Westindische Gesellschaft" einen
Freibrief für Neu-Niederland erhielt, ernannte sie, nachdem ihre Interessen von
den beiden Holländern Cornelius May und Willem Verhulst mit wenig Glück
vertreten worden waren, im Jahre 1626 den aus Wesel gebürtigen Peter
M i n n e w i t zum Direktor der jungen Kolonie.
Leider wissen wir über das Vorleben dieses bedeutenden Mannes nur, daß
er in seiner Vaterstadt Diakon der reformierten Kirche gewesen war. Von
Wesel hatte Minnewit sich nach den Niederlanden gewendet, als die Stadt
— 13 —
während des klevischen Erbfolgekrieges von den Spaniern eingenommen wurde.
Von Holland aus unternahm Minnewit im Dienst hervorragender Handelshäuser
Reisen nach Ostindien und Südamerika. Auf diesen erwarb er sich den Ruf
eines so tüchtigen Beamten, daß die vorsichtigen Leiter der Niederländisch-West-
indischen Gesellschaft ihn für den schwierigen Posten erkoren, der von seinem
Inhaber so mannigfache Fähigkeiten erheischte.
Bereits die erste Maßregel, die Minnewit nach seiner am 4. Mai 1626 er-
folgten Ankunft in seinem Verwahungsbereich traf, stellt seiner Umsicht das
beste Zeugnis aus. Obgleich die Niederländer kraft der in ihrem Auftrag ge-
schehenen Entdeckung und Besiedelung alles Land am Hudson beanspruchten,
so waren doch Gerüchte im Umlauf, daß die Engländer auf Grund der im
Jahre 1497 von John Cabot gemachten Entdeckungen Anspruch auf die ganze
Ostküste Nordamerikas von Neufundland bis Florida erhöben. Es galt nun,
solchen vagen Ansprüchen einen einwandfreien Besitztitel gegenüberzustellen.
Aus diesem Grunde, und um in der Ausdehnung des Handelspostens unbe-
schränkt zu sein, schloß Minnewit mit den die Insel bewohnenden Indianern
einen Vertrag, durch welchen die Insel in den Besitz der Niederländisch-West-
indischen Gesellschaft überging.
Die einzige, auf unsere läge gekommene Urkunde, welche über diese
hochinteressante Episode in der Kolonialgeschichte Amerikas berichtet, besteht
in einem Brief, der von dem Stadtschreiber der Stadt Amsterdam an die im Haag
residierenden Herren der Generalstaaten gerichtet ist. Derselbe lautet verdeutscht :
Hochmächtigste Herren !
Hier ist gestern das Schiff „das Wappen von Amsterdam" angekommen,
welches von Neu-Niederland aus dem Muritius Fluß am 23. September ab-
gesegelt ist. Es berichtet, daß unser Volk daselbst guten Mutes ist und in
Frieden lebt. Die Frauen haben auch Kinder daselbst geboren; man
hat die Insel Manhattes von den Wilden für einen Wert
von 60 Gulden gekauft; sie ist 1 1 000 iVl o r g e n groß. Sie
säten all ihr Korn um die Mitte des Mai und ernteten es Mitte August. Wir
haben Proben des Sommer-Getreides, wie Weizen, Roggen, Gerste, Hafer,
Buchweizen, Canarisamen, Böhnchen und Flachs. Die Ladung des ge-
nannten Schiffes besteht aus 7246 Biberfellen; 178il. Otterfellen; 675 Otter-
fellen; 48 Minkfellen; 36 Wildkatzenfellen; 33 Minkfellen;. 34 Rattenfellen.
Viele Stämme von Eichen und Nußbaum. Hiermit mögen Eure hochmächtigen
Herren der Gnade des Allmächtigen empfohlen sein.
In Amsterdam, den 5. November 1626.
Euer Hochm. Dienstwilligster
V. Schaaben.
Nachdem Minnewit so den Ansprüchen der Niederländer eine feste Grund-
lage gegeben, traf er Vorkehrungen zum Schutz der Insel, indem er auf ihrer
Südspitze ein Fort aufführen ließ. Die Lage war glücklich gewählt. Denn
— 14 —
auf seiner Westseite wurde das Fort vom Hudson, auf der Ostseite vom
Mauritiusfluß, dem heutigen East River bespült. Gegen Norden konnte es
durch einen befestigten Graben leicht verteidigt werden. Die Angaben über
die Bauart des Forts widersprechen einander. Einige besagen, es sei von
hohen, mit Palisaden besetzten Erdwällen umgeben gewesen, während andere
Nachrichten von Steinmauern reden. Das aus Stein aufgeführte „Kontor" oder
Geschäftshaus der Gesellschaft lag in der Mitte des Forts. Ein Teil dieses
Hauses diente gleichzeitig als Lagerraum und Kaufladen. Die Holzhütten der
Ansiedler und Bediensteten, etwa dreißig an der Zahl, lagen am Ufer des East
Rivers. Der ganze Handelsposten führte den Namen Neu- Amsterdam. Der
übrige Teil der Insel Manhattan war mit dichten Wäldern bedeckt, in deren
Dunkel Hirsche, Panther und Bären hausten. Zwischen den Felsgraten dehnten
sich zahlreiche Sümpfe, ferner ein kleiner See, an dessen malerischem Strand
die Wigwams der Rothäute lagen. Ohne Zweifel muß der damalige Anblick
der herrlich grünen Insel inmitten der von indianischen Kanus belebten Bai
eines der großartigsten Landschaftsbilder gewesen sein, welche die Neue Welt
zu bieten vermochte.
Unter der umsichtigen Leitung Minnewits, der es sich angelegen sein ließ,
mit den Indianern in Frieden auszukommen, entwickelte sich der Handel von
Neu- Amsterdam so rasch, daß die Ausfuhr an Pelzen, die im Jahre 1624 einen
Wert von nur 25 000 Gulden besaß, im Jahre 1631 bereits auf 130 000 Gulden
stieg. Minnewit war aber auch darauf bedacht, alle Flilfsquellen der jungen
Kolonie zu entwickeln. Jede Bucht, jeder Strom wurden gründlich erforscht.
Und zwar erstreckten sich diese Streifzüge über Long Island hinaus bis zur
Narragansett Bai.
Nordöstlich der letzteren lag die im Jahre 1 620 gegründete englische Kolonie
New Plymouth, deren Bewohner gleichfalls mit den Indianern der Narragansett
Bai Handel trieben.
Minnewit gab sich große Mühe, mit jenen englischen Nachbarn freund-
schafdichen Verkehr zu gewinnen. Er sandte mehrere von Geschenken be-
gleitete Briefe an den Gouverneur Bradford, in welchen er ihm Grüße über-
mittelte und einen Warenaustausch vorschlug. Der Engländer erwiderte zwar
diese Höflichkeiten, benutzte aber gleichzeitig die Gelegenheit, das Recht der
Niederländer, mit den Indianern der Narragansett Bai Handel zu treiben, an-
zuzweifeln. Ja, er ließ wissen, daß die englischen Schiffe vom König Befelil
erhalten hätten, alle fremden Fahrzeuge, die an den bis zum 40. Breitengrad
reichenden Küsten angetroffen würden, aufzugreifen und ihre Insassen ge-
fangen zu nehmen. Da Neu-Niederland nördlich vom 40. Breitengrad lag,
so ließ die Mitteilung sich nicht anders auslegen, als daß England die An-
sprüche der Niederländer auf das Hudsongebiet nicht anerkenne.
Minnewits Antwort lautete höflich aber bestimmt: „As the English claim
authority under the King of England, so we derive ours from the States of
Holland and will defend it."
^i-.f wr>;4\b-<
— 17 —
Obgleich die Versicherungen gegenseitigen Wohlwollens zwischen den
beiden Gouverneuren fortgesetzt wurden, hielt Minnewit es doch für geraten,
die niederländische Regierung um Verstärkung seiner Garnison zu bitten, damit
er etwaige feindliche Angriffe zurückweisen könne. Ehe sein Gesuch in Holland
eintraf, hatten die Niederlande aber bereits mit Karl 1. von England ein Über-
einkommen geschlossen, wonach sämtliche Häfen des Königreiches wie der
englischen Kolonien holländischen Schiffen offenstehen sollten.
War dadurch den drohenden Verwicklungen einstweilen vorgebeugt, so
bereiteten hingegen andere von den Direktoren der Niederländisch-West-
indischen Gesellschaft getroifene Maßregeln Minnewit neue Verlegenheiten.
Obwohl Neu-Niederland von Jahr zu Jahr Fortschritte machte, so war es
noch nicht imstande, sich selbst zu erhalten. Die Einnahmen deckten nictit
die Ausgaben.
Besonders die landwirtschaftlichen Zustände ließen viel zu wünschen übrig.
Das war darauf zurückzuführen, daß die Westindische Gesellschaft weit inten-
siver die Interessen des Handels als die der Besiedlung betrieb. Überdies
konnten wirkliche Ackerbauer nur schwer dazu bewogen werden, ein sicheres
Auskommen im gesegneten Holland gegen ein ungewisses Dasein in einem
unbekannten, von Wilden bewohnten Lande zu vertauschen.
Um nun die Besiedlung Neu-Niederlandes zu fördern und auch die Privat-
spekulationen zu ermuntern, nahmen die Direktoren der Gesellschaft am 7. Juni
1628 einen Freibrief an, in welchem allen denjenigen, die sich zur Gründung
von Ansiedlungen in Neu-Niederland entschlössen, die weitestgehenden Ver-
günstigungen zugesichert wurden.
Wer eine Niederlassung mit wenigstens 50 erwachsenen Personen gründe,
solle berechtigt sein, innerhalb der Kolonie am Ufer irgendeines schiff-
baren Stromes einen Streifen Landes von 16 Meilen Länge auszusuchen,
wenn das gewählte Stück auf einer Seite des Stromes lag. Aber man durfte
auch zwei, auf beiden Ufern gelegene Streifen von je acht Meilen Länge be-
setzen. Nach dem Innern hin war die Ausdehnung unbegrenzt. Wer mehr
als 50 Ansiedler brachte, dessen Ansprüche auf Land erhöhten sich der Kopfzahl
der Personen entsprechend. Auf solchen ,.Patronaten", die als unumschränktes
erbliches Eigentum zuerkannt wurden, standen den Besitzern alle Jagd- und
Fischereigerechtsame, sowie die Gerichtsbarkeit über sämtliche dort wohnende
Kolonisten zu. Entstand auf einem Patronat eine Stadt, so hatte der Patron
das Recht, ihre Behörden zu ernennen und einzusetzen.
Da obendrein den Patronen für zehn Jahre lang alle Abgaben und Steuern
erlassen wurden, so beeilten sich natürlich viele, deren Mittel zum Erfüllen der
Bedingung ausreichten, von so verlockenden Vergünstigungen Gebrauch zu
machen. Die ersten v/aren mehrere Direktoren der Gesellschaft. Schon als
der Freibrief in Beratung war, belegten sie die schönsten und wertvollsten
Landstriche für sich. Der Diamantenhändler Kilian van Rensselaer sicherte
sich am Hudson ein Gebiet, welches die späteren Grafschaften Albany und
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 2.
— 18 —
Rensselaer umfaßte. Michael Paiiw belegte Staten Island und einen Streifen
der New Jersey Küste. Andere Direktoren setzten sich am untern Hudson
und nördlich von der Insel Manhattan fest. Natürlich führte diese Handlungs-
weise zu Eifersucht und Streit innerhalb der Gesellschaft. Das Verhältnis
wurde noch gespannter, als die Herren der neugeschaffenen Besitzungen ent-
gegen der ausdrücklichen Bestimmung, daß der Pelzhandel Reservatrecht der
Gesellschaft bleiben solle, auf eigene Faust mit den Indianern Pelzhandel zu
betreiben begannen, was einen bedeutenden Rückgang in den Einnahmen des
Gesellschaftpostens Neu-Amsterdam zur Folge hatte.
Wie das bei solchen Vorgängen zu geschehen pflegt, so erhoben die-
jenigen, welche ihre Besitztümer nicht so ergiebig oder wertvoll wie jene der
andern wähnten, gegen Gouverneur Minnewit die durchaus ungerechte Be-
schuldigung, daß er bei der Verteilung der Besitzungen andere Patronatsherren
bevorzugt habe. Das Gezänk wurde schließ-
lich so unerquicklich, daß Minnewit froh war,
als im August des Jahres 1631 seine Ab-
berufung erfolgte.
Sowohl für Neu-Niederland wie für die
spätere Kolonie New York hatten die Bestim-
mungen des Freibriefes viele üble Folgen. Es
wurde auf dem Boden der Neuen Welt ein
Feudaladel geschaffen, der für das Aufblühen
eines kräftigen Bürgertums überaus hinderlich
war und durch seine Anmaßungen schwere
Kämpfe mit den wirklichen Kolonisten ver-
Das Siegel der Kolonie Neu-Nieder-^ . v. . ....
laad oder Neu-Belgien. War Peter Minnewit dem verhängnis-
vollen Fehler der Niederländisch-Westindi-
schen Gesellschaft zum Opfer gefallen, so war aber seine Rolle auf dem Boden
der Neuen Welt noch nicht abgeschlossen. Er trat in die Dienste der schwedi-
schen Regierung, die sich gleichfalls mit Kolonisationsplänen trug.
Die Anregung hierzu hatte Willem Usselinx, einer der Gründer der
Niederländisch-Westindischen Gesellschaft gegeben. Demselben schwebte der
Aufbau eines großen niederländischen Kolonialreiches vor, welches demjenigen
der Spanier die Spitze bieten und sein Handelsmonopol brechen sollte. Als er aber
mit seinen kühnen Plänen im Direktorenrat nicht durchzudringen vermochte,
wandte er sich an den hochstrebenden König Gustav Adolf von Schweden.
Dieser griff die Pläne Usselinx' begierig auf und gründete am 10. November 1624
die „Australische Gesellschaft". Um den Handel Schwedens mit außereuropä-
ischen Ländern zu fördern, erteilte er derselben die wertvollsten Vergünstigungen.
Als er sich selbst mit 400 000 Reichstalern an die Spitze stellte, erwachte in
Schweden ein förmliches Kolonisationsfieber. Die vornehmsten Edelleute,
Offiziere, Bischöfe und Gelehrte beeilten sich, ihren Namen in die Listen
— 10 —
der Gesellschaft einzutragen. Dieselbe änderte ihren
Seilschaft" um und nahm ihren Sitz in Gothenburg.
ganz im Sinne Usse-
Titel bald in „Süd-Ge-
Dort reiften ihre Pläne
linx' zu einer der eigen-
artigsten Kolonialunter-
nehmungen aller Zei-
ten aus. Man wollte
alle germanischen Völ-
ker für dieselbe gewin-
nen. VornehmUch die
Deutschen, mit denen
man die herzlichsten
Beziehungen unterhielt.
Von vornherein wur-
den zu diesem Zweck
alle Veröffentlichungen
der „Süd-Gesellschaft"
auch in deutscher
Sprache gedruckt. Zu-
nächst die in den
Jahren 1624 und 1626
in Stockholm durch
„Christoffer Reusner'
gedruckten Vertrags-
briefe.
Zwar geriet das
Unternehmen durch
den Kriegszug Gustav
Adolfs nach Deutsch-
land etwas ins Stocken,
aber der König be-
schäftigte sich unaus-
gesetzt mit den großen
Plänen. So ordnete er
den Erlaß eines Auf-
rufs an die Deutschen
zur Beteihgung an.
Dieses vom Kanzler
Oxenstierna verfaßte
ARGONAVTICA GVSTAVIANAj
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^enerafganöei c o M p A G N IE,
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SnbrroiXeic^ t?nb iantxm ^utcxfdbmfontctba^xm^ufff
nehmen onD ^for/au^ t)of)f m Vnfiant>t mt^'^at^/ vor twnia ^^tm
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Titelblatt der Argonautica Gustaviana, der ersten in deutscher
Sprache gedruckten Auswanderungs-Flugschrift.
Schriftstück lag im No-
vember 1632 zur Unterzeichnung durch den König bereit. Unglück-
licherweise wurde aber dem Leben des letzteren in der am 16. November 1632
stattfindenden Schlacht bei Lützen ein vorzeitiges Ziel gesetzt. —
— 20 —
Sobald die dadurch verursachte Verwirrung sich gelegt hatte, ließ Oxeii-
stierna im April 1633 bei „Christoph Krausen zu Heilbrunn" mehrere Flug-
schriften und im Juni bei „Caspar Rödteln zu Frankfurt am Mayn" den Auf-
ruf erscheinen. Wohl in der Voraussetzung, daß man den Deutschen mit nichts
so sehr imponieren könne als Gründlichkeit, ließ Oxenstierna seiner 120 Folio-
seiten umfassenden Schrift einen Titel voransetzen, dessen ungeheure Länge ge-
wiß auch in jenem, an Weitschweifigkeiten gewöhnten Zeitalter manchem Leser
den Atem benommen haben mag. Zur Erheiterung unseres Kürze des Aus-
drucks liebenden Geschlechts möge hier der Titel m einer verkleinerten Fak-
similiewiedergabe eine Stelle finden.
Die von Friedrich Kapp treffend als „das erste in deutscher Sprache er-
schienene „Auswanderungspamphlet" bezeichnete Schrift war eine Sammlung
aller das Unternehmen der „Süd-Gesellschaft" betreffenden Veröffentlichungen.
Sie legte in klarer Weise sämtliche Vorteile dar, welche solchen erwachsen
müßten, die sich mit ihrem Geld an dem Unternehmen beteiligen wollten.
Es wird ausgeführt;
I. „Daß Schweden und Teutschland so gut Fug vnd Recht für Gott vnd
aller Welt, auch so viele gute vnd bequeme, allerhand behörliche Mittel habe,
eine solche Seefahrt vnd Handelsgesellschaft anzurichten, als einig andter Landt
in Europa : Vnd nichts mehr mangele, als daß man sich nur selbst recht erkennt,
vnd die von Gott verliehenen vnd gewiesenen Mittel vernünftig vnd mit gutem
Willen und Ernst gebrauche."
II. „Daß Sothane Compagny nicht allein vor allen andern Nationen in
Europa, sondern auch vor alle andere Particulier Handlungen in Schweden
vnd Teutschlandt vielfältige vnd vberaus große Vorteile, vnter andern auch in
Zöllen, haben werde: — so daß solches respectiue 20. 30. 50 bis 100 pro cento
außträgt."
III. „Daß männiglich so theil mit daran zu haben begehret, bey dem
Gelde so er in diese Gesellschaft leget, sich viel weniger Gefahr zu besorgen
habe, als wenn er es an andern Handlungen, Landgütern, Häusern, u. s. w.
anleget, oder auff Zinsen, Wechsel, v. s. w. außßgethan hätte: Ja daz es ihme
besser versichert sey, als wenn er es baar oder an Kleinodien in seynem Beutel
und Kasten hette."
IV. „Daß er aber unter dessen vielfältig mehr Gewerb und Gewinn davon
gewarten als in einiger andern Handthierung; so auch das, wohlbedachter Weise
davon zu reden, von einem Thaler in dieser Compagny mehr Gewinn ver-
hoffenlich vnd ordinaire zu erlangen seyn wirdt, als von 10 Thalern in andern
Handlungen, vnd 20 Thalern an Landtgütern."
V. „Daß niemandt so Lust hiezu trägt, deßwegen sich auff koufman-
schafften verstehen, Reyßen auff sich nehmen, oder das geringste seinem Beruff
zuwider, er sei wes Standts oder Condition er auch jmmer wolle, handeln dürfe;
Sondern seines ordentlichen Wesens einen Weg wie den andern abwarten,
dieses als eine Zweckmühle betrachten könne."
— 21 —
Als weiterer, aus dem Unternehmen entspringender „Haubtnutz" sei die
„Fortpflanzung des heiligen Evangelij" und die „Wohlfahrt aller Europeischen
Landen" anzusehen. „In deme viel mehr Europeische Waaren verführet (ver-
schifft) werden könne als jetzo." Zuletzt wird nicht unterlassen, darauf hin-
zuweisen, daß „eine sehr große Wohlthat widerfahre den Leuten, die wegen
der großen Verfolgung und Verwüstung, die in Teutschland vnd andern Orten
in diesen Jahren entstanden, und deß großen Krieges, so vber gantz Europam,
mit dem eußersten Vntcrgang und Verderben vieler Ländter vnd Städte, sich
außbreitet, nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen, damit sie noch jhres
Lebens, vnd der wenigen Mittel, so jhnen etwa vberblieben, vnd jhrer Töchter
und Weiber Ehr, für Gewalt versichert seyn mögen." —
Der Aufruf bewirkte, daß zunächst die vier oberdeutschen Kreise sich am
12. Dezember 1634 in Frankfurt zur Unterstützung des Unternehmens bereit
erklärten. Desgleichen sandten die Städte Emden, Stettin und Stralsund, ferner
der Herzog von Pommern sowie Livland zustimmende Antworten. Aber die
gerade jetzt mit vernichtender Gewalt einherbrausenden Stürme des Dreißig-
jährigen Krieges verhinderten, daß die große Masse des deutschen Volkes dem
Vorhaben die erforderliche Aufmerksamkeit schenken konnte. Auch in Schweden
machte das Unternehmen infolge des Krieges nur langsame Fortschritte. Willem
Usselinx war am 1. Mai 1633 vom Kanzler Oxenstierna zum Generaldirektor
der „Süd-Gesellschaft" ernannt und obendrein im Jahre 1635 zum schwedischen
Minister erhoben worden. Als solcher bemühte er sich, auch in Holland und
England Stimmung für seine Pläne zu machen, hatte aber nur wenig Erfolg.
Erst als einer seiner Agenten, Peter Spiering, in Amsterdam mit Peter Minnewit,
dem früheren Gouverneur von Neu-Niederland, zusam.mentraf, begannen die seit
zwölf Jahren genährten Hoffnungen sich zu verwirklichen. Minnewit bot in
einem vom 15. Juni 1636 datierten, von Spiering nach Schweden gebrachten
Brief der dortigen Regierung seine Dienste an und erklärte sich bereit, eine Reise
nach „gewissen, bei Virginien und Neu-Niederland gelegenen Gegenden zu
machen, die ihm wohl bekannt seien, ein sehr gutes Klima besäßen und Nova
Suedia genannt werden möchten". Für diese Expedition sei ein mit zwölf
Kanonen, genügender Munition und 20 bis 25 Mann versehenes Schiff erforder-
lich. Als Ladung könne es für 10 bis 12 000 Gulden Beile, Äxte, Decken und
andere Tauschgegenstände mit sich nehmen, wogegen es 4500 bis 6000 Biber-
felle heimbringen werde. Die durch diesen Brief eingeleiteten Unterhandlungen
führten zu einem Vertrag, wonach Minnewit und seine niederländischen Freunde
die Kosten der Expedition zur Hälfte bestritten, während die schwedische
Regierung die andere Flälfte trug. Die Expedition wurde aber in einem größeren
als dem von Minnewit vorgeschlagenen Umfang ausgerüstet. Ihre Kosten be-
liefen sich auf 36 000 Gulden; zugleich stellte man zwei Schiffe sowie eine
größere Zahl von Personen zur Verfügung.
Es war im Herbst 1637, als Minnewit mit dem „Kalmar Nyckel" („Schlüssel
von Kalmar") und dem „Gripen" („Greif") von Gothenburg absegelte. Im
— 22 —
März 1638 liefen die beiden Fahrzeuge in den Delaware ein, fuhren diesen Fluß
eine Strecke aufwärts und gingen an der Mündung des Minquas Creek vor
Anker. Hier erw^arb Minnewit am 29. März an der Stelle, wo heute die Stadt
Wilmington liegt, von den Häuptlingen der Minquaindianer gegen mehrere
Decken, kupferne Kessel und andere Kleinigkeiten das ganze, zwischen Bomtiens
Udden und dem Einfluß des Schuylkillflusses gelegene Westufer des Delaware.
Dem Innern zu blieb die Ausdehnung des Landes unbegrenzt. Zwar erhoben
die Neu-Niederländer, als sie von dem Handel erfuhren, Einspruch gegen die
Besitznahme; Minnewit aber schlug den Protest mit dem Hinweis darauf, daß
das Land unbewohnt sei, in den Wind und baute ein Fort, das er zu Ehren der
jungen schwedischen Königin Christina nannte.
Durch reiche Geschenke an die Indianer zog Minnewit den Pelzhandel so
an sich, daß die am Delaware Handel treibenden Niederländer den Abgang
bald empfindlich bemerkten. Zornentbrannt sandte William Kieft, der damalige
Gouverneur in Neu-Amsterdam am 26. Mai 1638 einen Brief an Peter Minnewit,
worin er ihn darauf aufmerksam machte, daß man den Delaware oder Südfluß
seit vielen Jahren als zu Neu-Niederland gehörig betrachtete und entschlossen
sei, dieses Gebiet zu verteidigen. Minnewit, der die Schwäche seiner Nachbarn
nur zu gut kannte, ließ auch diesen Protest unbeachtet. Ja, er trat, um die
Sicherheit des Fortes Christiha unbesorgt, mit seinen beiden Schiffen eine Reise
nach Westindien an, um Tabak einzukaufen. Auf dieser Fahrt kam Minnewit
aber während eines Orkanes ums Leben.
Unter den hervorragenden Personen, welche der Kolonialgeschichte Nord-
amerikas so hohen Glanz verleihen, war Peter Minnewit zweifellos eine der be-
deutendsten. Er war kein Abenteurer oder Phantast, sondern ein umsichtiger,
praktisch denkender und handelnder Mann, der seinen schwierigen Posten mit
Geschick ausfüllte und unermüdlich tätig war. Wo es nottat, zeigte er Ent-
schlossenheit und Festigkeit des Charakters. Im Verkehr mit den Urbewohnern
verstand er es in hohem Grade ihr Vertrauen zu gewinnen. Anstatt sie ge-
waltsam zu vertreiben, behandelte er sie als Menschen, die auf den von ihnen
bewohnten Boden Anrecht besäßen. Aus diesem Grunde suchte er die be-
gehrten Landstriche auf gütlichem Wege durch gegenseitiges Übereinkommen
zu erwerben. Deshalb blieben auch Neu-Niederland sowohl wie Neu-Schweden
unter seiner Verwaltung von Indianerunruhen verschont.
Die beiden Schiffe, mit welchen Minnewit nach Westindien gesegelt war
und die dem Orkan glücklich entrannen, kehrten reichbeladen nach Schweden
zurück. Dort ernannte man zum Nachfolger Minnewits den Leutnant Peter
H o 1 1 e n d e r.
Dieser traf im April 1640 in Fort Christiana ein. Aber er vermochte nicht,
sich gleich seinem Vorgänger bei den nördlichen Nachbarn Respekt zu ver-
schaffen, denn bald begannen die Niederländer, in Neu-Schweden einzudringen.
Auch englische Kolonisten von New Haven kamen den Delaware hinauf, trieben
mit den Indianern Handel und schlössen mit ihnen Landkäufe über Gebiete ab,
— 23 —
die lange zuvor auf die gleiche Art von den Schweden erworben waren. Ob-
wohl Hollender die Eindringlinge prompt entfernte, so hielt man es in Schweden
doch für geraten, eine kraftvollere Person an seine Stelle zu setzen. Die Wahl
fiel auf den deutschen Edelmann Johann Printz von Buchau, einen
Oberstleutnant der West-Oothischen Reiter. Das war ein Mann von festem
Charakter und gewaltigem Körperbau. Sein Gewicht belief sich auf 350 Pfund;
an Trinkfestigkeit übertraf ihn keiner.
Die erteilten Weisungen empfahlen ihm, mit seinen holländischen Nach-
barn wennmöglich gutes Einvernehmen zu unterhalten, feindliche Angriffe da-
gegen mit Gewalt zurückzuweisen. Johann Printz (mit diesem Namen unter-
zeichnete sich der neue Gouverneur) traf am 15. Februar 1643 im Eort Christina
ein, begleitet von zahlreichen Personen, unter denen sich viele Deutsche, meist
Pommern und Westpreußen, befanden. Seine Residenz „Printzhof" schlug er
auf einer mehrere Meilen nördlich von Christina, im Delaware gelegenen Insel
auf, die er obendrein durch das aus schweren fiolzstämmen erbaute Fort Neu-
Gothenburg befestigte. Die Ansiedler trieben Ackerbau und pflanzten Tabak.
Im Tauschhandel mit den Indianern zeigten sie sich so erfolgreich, daß die
Holländer klagten, die Schweden verdürben den ganzen Handel. Nichtsdesto-
weniger blieb das Verhältnis zwischen den beiden Gouverneuren erträglich ; ja,
man wechselte Briefe miteinander und tauschte die von Europa kommenden
Nachrichten aus.
Als Johann Printz im Jahre 1647 seinen dritten Bericht nach der Heimat
sandte, konnte er die Lage der Kolonie als vorzüglich bezeichnen. Den früheren
Befestigungen hatte er die Forts Elfsborg und Neu-Korsholm hinzugefügt.
Um die gleiche Zeit, wo dieser Bericht in Schweden eintraf, vollzog sich
aber in der Verwaltung von Neu-Niederland ein bedeutungsvoller Wechsel: an
Stelle des friedliebenden Gouverneurs Kieft trat im Mai 1647 der rücksichtslose,
kriegerisch gesinnte Peter Stuyvesant, welcher sofort nach seiner Ankunft alles
zwischen den Vorgebirgen Henlopen und Cod gelegene Land als holländisches
Gebiet reklamierte. Im Mai 1651 sandte er sogar ein bewaffnetes Schiff nach
dem Delaware. Er selbst zog mit 120 Mann über Land nach dem von den
Holländern an der Nordgrenze von Neu-Schweden erbauten Fort Nassau, fuhr
von dort mit vier stark ausgerüsteten Fahrzeugen den Delaware hinab und legte
auf dem Westufer, zwischen den beiden schwedischen Forts Christina und Elfs-
borg die kleine Festung Casimir an. Zugleich ließ er die schwedischen Grenz-
pfähle niederschlagen und von allen in den Fluß einfahrenden Schiffen Zölle
erheben. Gouverneur Printz fühlte sich mit seiner Handvoll Soldaten nicht im-
stande, diese Gewaltakte abzuwehren. Auf das gute Einvernehmen zwischen
dem schwedischen Königshause und den Generalstaaten hinweisend, lud er Stuy-
vesant zu einer Besprechung ein. Das Ergebnis bestand in dem Übereinkommen,
fortan freundschaftliche Beziehungen miteinander unterhalten zu wollen.
Printz erstattete über die Vorfälle Bericht nach Schweden und ersuchte, um
Wiederholungen vorbeugen zu können, um Zusendung von Soldaten und Waffen.
24 —
vM^r JjtrKiuyiz (^i/rec^ teZy^'
Auch betonte er die Notwendigkeit stärlceren Nachschubes an Einwanderern.
Gleichzeitig bat er um seine Ersetzung durch eine jüngere Kraft, da er alt und
schwach geworden sei und nach dreißigjährigem Dienst sich nach Ruhe sehne.
Mehrere Jahre verstrichen, ohne daß auf diesen Bericht eine Antwort ein-
traf. In der Befürchtung, von der Heimat vergessen zu sein, beschloß Printz
endlich, sich persönlich nach dem Stand der Dinge umzusehen. Er begab sich
auf einem holländischen Schiff nach Europa und traf im April 1654 in Schweden
ein. Dort erfuhr er zu seinem Staunen, daß bereits im Jahre 1649 ein Schiff
mit 400 Auswandrern, 19 Kanonen und vielen Vorräten nach Neu-Schweden
abgegangen sei. Es hatte
aber an der Küste von Porto
Rico Schiffbruch gelitten und
war von den Spaniern ge-
plündert worden. Von sei-
ner Besatzung kehrten nur
wenige Personen erst nach
Jahren nach Schweden zu-
rück. Eine Ersatzexpedition
unter dem Befehl des Handels-
kammersekretärs Johann
R i s i n g aus Elbing war
kurz vor dem Eintreffen des
Gouverneurs nach Amerika
abgegangen. Sie zählte mehr
als 100 Familien und traf
am 21. Mai 1654 an der
Mündung des Delaware ein.
Da das von den Holländern
errichtete Fort Casimir von nur einem Dutzend Soldaten besetzt war, so forderte
Rising dieselben zur Übergabe auf. Diesem Befehl kam die Besatzung nach,
worauf die Schweden ihre Flagge aufzogen und das Fort zum Andenken an
den Tag seiner Eroberung Trefaldighets Fort (Dreifaltigkeitsfeste) nannten.
Dieser Akt entflammte den Zorn der Neu-Niederländer. Der grimme
Stuyvesant schwur, die Unbill bitter zu rächen. Als am 12. September das von
Schweden kommende Schiff „Gyllene Hajen" irrtümlicherweise in die Mündung
des Hudson anstatt in den Delaware einlief, bemächtigte der alte Haudegen sich
des Fahrzeugs und ließ es samt der Ladung verkaufen. Gleichzeitig traf er
Vorbereitungen, Neu-Schweden zu überfallen. Hierfür stellten ihm die Direk-
toren der „Westindischen Gesellschaft" das mit 36 Kanonen und 200 Mann aus-
gerüstete Kriegsschiff „De Waag'' („Die Wage'') zur Verfügung. Er selbst
rüstete außerdem sechs Fahrzeuge mit zusammen 24 Kanonen und 700 Mann
Besatzung aus und erschien mit dieser ansehnlichen Macht am 27. August 1665
im Delaware. Das nur von 47 Mann verteidigte Dreifaltigkeitsfort zwang er
Unterschriften der deutschen Gouverneure von Neu-
Niederland und Neu-Schweden.
25
rasch zur Kapitulation. Dann umzingelte man das Fort Christina, wo Rising
und 30 Soldaten sich aufhielten. Da zwischen den Königreichen Schweden und
den Niederlanden fortgesetzt freundliche Beziehungen bestanden, so wollten so-
wohl Stuyvesant wie Rising Blutvergießen vermeiden. Man verlegte sich aufs
Parlamentieren. Als Rising nach zwölftägiger Belagerung nicht nachgab, stellte
Stuyvesant das Ultimatum, Fort Christina sofort zu räumen, widrigenfalls er es
bombardieren werde. Die Nutzlosigkeit weiteren Widerstandes erkennend und
hoffend, daß die Ansprüche auf das Land am Delaware am besten zwischen den
Regierungen der Mutterländer geregelt werden würden, unterzeichnete Rising
am 15. September einen Vertrag, der ihm freie Rückfahrt nach Europa, der schwe-
dischen Regierung das Eigentumsrecht auf sämtliche Waffen, den schwedischen
Ansiedlern das Verbleiben auf ihren Gütern sicherte. Den Soldaten ließ man
die Wahl, entweder in Amerika zu bleiben oder nach Europa zurückzukehren.
Von seinen Beamten begleitet, traf Rising im April 1656 in Schweden ein,
um über den Verlust der Kolonie zu berichten. An diplomatischen Bemühungen,
die Niederlande zur Herausgabe derselben zu veranlassen, ließ König Karl X.
es nicht fehlen. Aber er war zu sehr in kriegerische Unternehmungen gegen
Polen und Dänemark verstrickt, als daß er seinen Reklamationen den nötigen
Nachdruck hätte verleihen können. Die Unterhandlungen schleppten sich jahre-
lang hin und wurden endlich, als Neu-Niederland mitsamt Neu-Schweden im
Jahre 1664 von den Engländern genommen wurden, ganz fallen gelassen.
Ob Stuyvesant, als am 28. August jenes Jahres die Eeuerschlünde der vor
Neu-Amsterdam erschienenen englischen Fregatten sein Fort bedrohten, und er
zur Übergabe aufgefordert wurde, sich seines ehemaligen Nachbarn Rising
erinnert haben i — — , bequemen, die
mag, dem er
neun Jahre zu-
vor in gleicher
Weise mit-
gespielt hatte?
Möglich ist's,
denn seine Lage
warjenerRisings
verzweifelt ähn-
lich. Was half's.
Er mußte sich
weiße Flagge
aufziehen zu las-
sen. Als er da-
zu das Zeichen
gab, knirschte
er in seinen
grauen Bart:
„Lieber hätte
ich mich be-
graben lassen."
Schlußvignette: Das Fort Dreifaltigkeit.
„Neu-Schweden".
Nach einer Abbildung in Campanius'
Jacob Leisler; die stürmischste Periode in der Geschichte
der Kolonie New York.
Es war am 27. April des Jahres 1660. Die Bäume und das Unterholz
der mächtigen Wälder, welche die Ufer der herrlichen Bai von New York um-
gürteten, begannen eben, sich mit smaragdnem Frühlingsgrün zu schmücken.
Ein wunderbar weicher Südwind, von den Küsten Karolinas und Virginiens
kommend, schwellte die Segel eines holländischen Fahrzeuges, das nach langer,
stürmischer Seereise nunmehr seinem Ziel nahe war und ihm geräuschlos wie
ein gewaltiger Schwan entgegenglitt.
Mit derselben hoffnungsfrohen Erwartung, mit welcher noch heute
tausende und abertausende Einwandrer dem aus den Fluten emportauchenden
Häusermeer von Groß-New York entgegenblicken, so hafteten die Augen der
damals Kommenden auf dem majestätischen Bild der waldumsäumten, durch
den Zusammenfluß des Nord- oder Hudsonstroms mit dem Ostfluß gebildeten
Bai, in deren stillen Buchten Scharen von Wildenten und anderen Wasserge-
flügels sich tummelten. Da und dort kräuselten blaue Rauchwölkchen am Strande
empor. Bei schärferem Zusehen vermochte man leichtgebaute Hütten aus Baum-
rinde zu entdecken, vor denen braunrote, mJt Fellen und bunten Wolldecken
bekleidete Menschen lagen. Flinke überaus zierliche Boote glitten vorüber.
In ihnen saßen dieselben braunroten Menschen, die ihre Köpfe mit Adlerfedern
geschmückt hatten und als Waffen Bogen und Pfeile, Keulen und Speere
führten.
Kopfleiste: Leislers Wohnhaus in Alt New York.
— 27 —
Im Hintergrund der Bai wurde jetzt eine schmale, langgestreckte Insel
sichtbar. Auf ihrer Siidspitze lagerten mehrere hundert Holzhäuser um eine mit
hohen steinernen Wällen umgebene Befestigung, über welcher die Flagge der
„Niederländisch-Westindischen Gesellschaft" wehte.
Im Dienst dieser Gesellschaft stand auch ein junger, in das malerische
Gewand damaliger Soldateska gekleideter Kriegsmann, der vom Bug des Schiffes
aus seine strahlenden Blicke über die fremde, vom Schimmer wilder Romantik
überflutete Landschaft schweifen ließ. Ein Deutscher war's, ein Sprößling der
alten Handelsstadt Frankfurt a. M., den die Lust zu Abenteuern in die Fremde
getrieben hatte. Jetzt öffnete sich vor ihm die „Neue Welt", von deren Schätzen,
seltsamen Menschen und Tieren er soviel hatte erzählen hören.
Wie lange Jakob Leisler — das war der Name des Frankfurters —
nach seiner Ankunft in Neu-Amsterdam im Sold der „Niederländisch-West-
indischen Gesellschaft" blieb, wissen wir nicht. Vermutlich nahm der Dienst
ein Ende, als vier Jahre nach Leislers Ankunft eines Morgens mehrere englische
Kriegsschiffe in der Bai erschienen, Neu-Amsterdam samt Neu-Niederland mit
Waffengewalt dem englischen Reiche einverleibten und Stadt wie Land dem Her-
zog York zu Ehren New York tauften.
Über Leislers Lebenslauf während der nächsten zwanzig Jahre wissen wir,
daß er sich dem Handel v/idmete und zu Wohlstand kam. Sein Vermögen wuchs
durch einen Ehebund mit Elsie, der Witwe des Kaufherrn van der Veen. Als
Mann von generöser Veranlagung zeigte er sich häufig; so erkaufte er eines
Tages die Freiheit einer Hugenottenfamilie, die nicht imstande gewesen war,
das Geld für ihre Seereise aufzubringen, und damaliger Sitte gemäß dasselbe
durch langjährige Dienstbarkeit hätte abtragen müssen. Unzweifelhaft gehörte
Leisler zu den beliebtesten Persönlichkeiten der Stadt. Das ergibt sich daraus,
daß, als er während einer im Jahre 1678 unternommenen Handelsreise nach
Europa maurischen Seeräubern in die Hände fiel, der damalige Gouverneur von
New York eine Sammlung durch die ganze Kolonie eröffnete, um Leisler los-
zukaufen, was glücklich gelang.
Seiner soldatischen Neigung hatte Leisler nicht entsagt. Er war in die
sechs Kompagnien zählende Bürgerv/ehr eingetreten und im Jahre 1684 ihr
Seniorkapitän. Daß er als solcher die Achtung des größten Teiles der Mit-
bürger genoß, zeigte sich, als im Jahre 1689 ein Ereignis eintrat, das sämtliche
Kolonien in die heftigste Erregung versetzte. Der furchtbare Streit über reli-
giöse Glaubensfragen, der damals ganz Europa erschütterte, stellte auch in
England alle Verhältnisse auf den Kopf. Die Mehrheit des englischen Volkes
hatte sich dem Protestantismus angeschlossen; König Karl II. aber und sein
Nachfolger, James IL, blieben Katholiken, welche mit aller Macht die Wieder-
herstellung der römischen Kirche in England anstrebten. Die dadurch ent-
stehenden scharfen Reibungen zwischen Volk und Regierung führten schließlich
zur Revolution. Als auf Bitten der englischen Edelleute Wilhelm der Oranier
den Protestanten zu Hilfe eilte und mit einem starken Heer in England landete,
— 28 —
floh James 11. nach Frankreich. Er wurde vom Parlament seines Thrones ver-
lustig erklärt und der Oranier als Wilhelm III. zum König ausgerufen.
In jenen Tagen langwieriger Schiffahrt drang die Kunde selbst so wich-
tiger Ereignisse nur langsam nach Amerika. Sie kam anfangs in Form unver-
bürgter Gerüchte, die von den Beamten, die ihre Stellen dem entthronten König
verdankten, schleunigst unterdrückt wurden. Die an Geschäftsleute gerichteten
Mitteilungen wurden unterschlagen, um „Ruhestörung durch Verbreitung so
seltsamer Neuigkeiten zu verhüten".
Gründe zur Befürchtung von Ruhestörungen waren allerdings in den
Kolonien genug vorhanden. Die Mehrheit der Bevölkerung bestand aus Puri-
tanern und protestantischen Sektenanhängern, von denen viele wegen ihres
Glaubens die Heimat verlassen hatten. Die den Kolonien vorstehenden Be-
amten hingegen waren meist katholisch; die religiösen Streitigkeiten waren da-
durch törichterweise auch auf den Boden der Neuen Welt übertragen worden.
Dazu kam, daß manche Beamten sich durch ihren Despotismus verhaßt ge-
macht hatten.
Als in den Monaten März und April 168Q endlich verbürgte Nachrichten
über den Regierungswechsel nach Boston drangen, entstand dort ein Aufruhr,
währenddessen das Volk den Gouverneur Andros gefangennahm und ihn so-
wohl wie 50 seiner Anhänger nach Europa sandte. Als Nicholson, Andros'
Stellvertreter in New York, davon hörte, flüchtete er mit den öffentlichen Kassen
in das Fort.
In New York gestaltete sich jetzt die Lage zu einer höchst eigentümlichen.
Die von der „Niederländisch-Westindischen Gesellschaft" eingesetzten Groß-
grundbesitzer hatten sich während der letzten 60 Jahre zu einer förmlichen Kaste
von Aristokraten zusammengeschlossen. Sie herrschten nicht bloß auf ihren
ausgedehnten Besitztümern, den „Manors" im Feudalstil, sondern betrachteten
auch die Besetzung höherer Ämter in den Kolonien mit Personen ihres Kreises
als ein ihnen zukommendes Vorrecht. Sie bildeten einen förmlichen Ring, der
stets bemüht war, Einfluß auf den jeweiligen Gouverneur zu gewinnen und ihn
sowie das übrige Beamtentum den Interessen des nach weiteren Vergünstigungen
und Landschenkungen lüsternen Ringes geneigt zu machen. Das war um so
leichter, als die meisten Gouverneure infolge des in England geführten ver-
schwenderischen Lebens bankerott waren, und die ihnen anvertrauten Posten in
den Kolonien als günstige Gelegenheiten zum Aufbessern der zerrütteten Ver-
mögensverhältnisse betrachteten. Für das gewöhnliche Volk, den sogenannten
„rabble", bekundeten die dem Gouverneur schweifwedelnden Aristokraten natür-
lich unbegrenzte Verachtung. Sie hielten es nur mit der Regierung, von der
allein ja weitere Vergünstigungen als Belohnung für die erwiesene Loyalität zu
erwarten standen.
Das bedrückte, seiner unwürdigen Stellung bewußte Volk brachte sowohl
der Regierung, ihren hochmütigen Vertretern wie den Aristokraten mühsam ver-
haltenen Haß entgegen. Wären der Regierungswechsel in England und die Vor-
— 29 —
gänge in Boston allein hinreichend gewesen, um die Explosion zu erzeugen, so
ward dieselbe durch verschiedene andere Gerüchte noch beschleunigt. Man
munkelte, der Vizegouverneur wolle die Kolonie für James II. behaupten und
zu diesem Zweck aus Canada Franzosen herbeiziehen. Eine französische Flotte
sei bereits von Europa unterwegs; sämtliche Protestanten in New York sollten
in einer erneuten Bartholomäusnacht ausgerottet und die Stadt an allen vier
Ecken angezündet werden. Da in jenen Zeiten grausamster Religionsverfol-
gungen und überraschender Staatsstreiche solche Anschläge keineswegs zu den
Unmöglichkeiten gehörten, so entschlossen sich die beunruhigten Bürger, den-
selben zuvorzukommen und Stadt und Provinz für den Oranier zu bewahren.
Zum Durchführen dieses Plans bedurfte man eines entschlossenen Leiters.
Als die Bürger Umschau hielten, erschien niemand so geeignet, als der Senior-
kapitän der Bürgerwehr: Jakob Leisler. Sobald sein Name in der am 31. Mai
1689 statthabenden Bürgerversammlung in Vorschlag gebracht wurde, erscholl
aus hundert Kehlen der Ruf: „Zu Leisler! Zu Leisler!" und unter Trommel-
schlag zog die Menge nach dessen Haus, um ihm ihren Willen kundzugeben.
Leislers Haus, das erste aus Ziegeln aufgeführte Wohngebäude der Stadt, lag
östlich vom Fort. Leisler war daheim, als die Menge sich heranwälzte und
stürmisch verlangte, daß er die Stadt schütze und m.it seiner Bürgerwehr das
Fort besetze. Leisler, die Bedeutung eines solchen Schrittes klar erkennend,
lehnte die Forderung ab und ermahnte die Bürger, die Entwicklung der Dinge
abzuwarten. Davon wollte aber die erregte Menge nichts wissen; sie teilte sich
in zwei Haufen, von dener einer vor das Stadthaus zog und dem gerade mit
seinem Anhang beratenden Vizegouverneur Nicholson die Schlüssel des Forts
abverlangte. Der zweite Haufe marschierte inzwischen ins Fort und besetzte
es, ohne daß die dort befindlichen Soldaten Widerstand leisteten.
Nachdem so die Würfel ins Rollen gekommen, machte die Notwendigkeit,
daß eine tüchtige, für die Aufrechterhaltung der Ordnung bürgende Person an
die Spitze der Bewegung trete, sich um so dringender geltend. Als der Ruf
nach Leisler aufs neue ertönte, glaubte dieser das Verlangen seiner Mitbürger
nicht länger ablehnen zu dürfen. Er erklärte sich in einer öffentlichen An-
sprache zur Übernahme der provisorischen Regierung bereit und versprach.
Fort wie Stadt für Wilhelm den Oranier zu halten und gegen alle Anschläge
der früheren Regierung zu schützen. Bei Übernahme seines Amts mag Leisler
von der Hoffnnug geleitet worden sein, daß er, der durch seine Heirat mit Elsie
van der Veen zu den Aristokratenfamilien, den van Cortlandts, Bayards, Phi-
lipses u. a. in verwandtschaftliche Beziehungen getreten war, ein Vermittler
zwischen den beiden feindlichen Parteien werden könne.
Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Denn mit dem Augenblick,
wo Leisler sein Amt antrat, begannen die Aristokraten ihn als einen Demagogen
zu hassen und zu bekämpfen. Das Glück schien Leisler zu begünstigen, denn
als er am 3. Juni die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten tatsächlich über-
nahm, floh Vizegouverneur Nicholson auf ein im Hafen liegendes Schiff und
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verließ die Kolonien auf Nimmerwiedersehen. Seine Anhänger zogen sich nach
Albany zurück, um von dort aus einen wütenden Intriguenkrieg wider Leisler
und die Volkspartei zu eröffnen.
Als in New York die offizielle Nachricht von der Thronbesteigung Wil-
helms eintraf, sandten Leisler und die Bürger eine Ergebenheitsadresse nach
England. Gleichzeitig veranstalteten sie eine öffentliche Huldigungsfeier. Es
spricht in hohem Grade für die Friedliebe und das Rechtsgefühl Leislers, dal>
er den Bürgermeister Stephanus van Cortlandt sowie den Stadtrat, lauter der
Aristokratenpartei angehörige Personen, einlud, an der Feier teilzunehmen. Den
Bürgermeister ersuchte er sogar, die Huldigungsschrift zu verlesen. Aber die
hohen Herren hielten sich fern. Sie veranstalteten auf eigene Faust eine Feier
in Albany, gelegentlich welcher sie „die meuterischen Vorgänge in New York"'
aufs heftigste mißbilligten. Im Aufleben der Volkspartei das Ende ihrer Will-
kürherrschaft ahnend, entschlossen sie sich zur äußersten Kraftanstrengung, um
ihre Vorzugsstellung zu behaupten. Was sie dabei nicht durch Gewalt er-
zwingen konnten, suchten sie durch Verdächtigungen herbeizuführen. Man
beschuldigte in Briefen und Vorstellungen an die Regierung in England die in
New York aufgerichtete Volksverwaltung der verwerfhchsten Absichten, nannte
Leisler einen „fremdländischen Plebejer" und „Volksaufwiegler", der eine
Meuterei angezettelt habe, um während seiner Amtszeit für die auf seinen
Schiffen ankommenden Waren keine Einfuhrzölle bezahlen zu müssen. Die
Wut wuchs, als Leisler am 16. August durch einen über 400 L'nterschriften
tragenden Beschluß des Sicherheitsausschusses auch zum provisorischen Be-
fehlshaber der Provinz New York ernannt wurde, und nun, durch die Opposi-
tion seiner Gegner erbittert, die bisherigen Stadtbehörden ihres Amtes entsetzte
und Neuwahlen anordnete, in denen ausschließlich Männer des Volkes mit der
Leitung der öffentlichen Geschäfte betraut wurden. Während die Vorstände
der benachbarten Kolonien die Neuordnung anerkannten und mit Leisler offiziell
in Verkehr traten, fuhren die in Albany versammelten Aristokraten fort, die „aus
hergelaufenem Gesindel" bestehende Leislersche Regierung anzuschwärzen. Sie
gehe nur darauf aus, die öffentlichen Kassen zu bestehlen und die Regierung urn
die Zölle zu betrügen. Selbstredend weigerten die Aristokraten sich, Leisler
und die Beamten der Volkspartei anzuerkennen. Desgleichen erklärten sie die
Absetzung der bisherigen Beamten als eine unrechtmäßige Maßnahme. Oben-
drein forderten sie die Bewohner der Kolonie auf, Leisler sowie den Männern
seiner Regierung als Usurpatoren den Gehorsam zu verweigern.
Der so Herausgeforderte glaubte, die ihm gebührende Anerkennung seiner
provisorischen Herrschaft erzwingen zu müssen. Zu diesem Zweck sandte er
seinen Schwiegersohn, Major Jakob Milborne, mit einer Anzahl Soldaten nach
Albany, damit er das dort von seinen Gegnern gehaltene Fort besetze und die
Unbotmäßigen unterwerfe. Leider war die ausgeschickte Macht für einen solchen
Handstreich viel zu gering. Die Aristokraten waren auf der Hut und vertei-
digten Fort und Stadt so erfolgreich, daß Milborne un verrieb teter Dinge zurück-
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kehren mußte. Die Folge war, daß die Aristokraten um so kühner wurden und
der Leislerschen Regierung überall Hindernisse in den Weg legten.
Bereits war der Monat Dezember gekommen, als in Boston ein Brief des
Königs Wilhelm mit der Aufschrift eintraf: „An Francis Nicholson oder den-
jenigen, welcher zurzeit in Sr. Majestät Provinz New York für die Aufrecht-
erhaltung des Friedens und die Beobachtung der Gesetze Sorge trägt."
N
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Durch ihre in Boston unterhaltenen Kundschafter erfuhren die Aristokraten
von Albany zuerst von der Ankunft des Briefes und setzten Himmel und Erde
in Bewegung, um in seinen Besitz zu kommen, hoffend, daß der Brief manche
ihnen nützliche Nachrichten enthalte. Ihrer drei schlichen sich heimlich nach
New York, um den von Boston kommenden Boten abzufangen und zur Heraus-
gabe des wichtigen Schriftstückes zu bewegen. Aber Leislers Anhänger waren
gewarnt und führten den Boten sofort ins Fort, wo Leisler das Schriftstück ent-
gegennahm. Durch dasselbe wurde Nicholson oder derjenige Mann, welcher
an seiner Stelle stehe, ermächtigt, den Oberbefehl über die Provinz zu über-
nehmen und mehrere Räte zu ernennen, die ihm beim Führen der Geschäfte zur
Hand gehen sollten. Leisler entsprach dieser Vorschrift, indem er am 11. De-
zember 1689 den Titel eines Vizegouverneurs annahm und einen aus neun Per-
sonen bestehenden Rat einsetzte.
Dieser Schritt entflammte die Wut der Aristokraten aufs höchste. Sie
zettelten mit Hilfe ihrer in New York wohnenden Genossen einen öffentlichen
Tumult an und suchten sich während desselben der Person Leislers zu be-
mächtigen.
Aber der kühne Anschlag mißlang. Die beiden Hauptanstifter, der frühere
Stadtrat Bayard, sowie der Aristokrat Nicholson wurden gefangen und vom Ge-
richtshof wegen Angriffs auf die der Provinz vorgesetzte Behörde zum Tod
verurteilt. Leisler ließ sich durch die in erbärmlicher Feigheit gegebene Ver-
sicherung der beiden, daß sie in törichter Verblendung gegen ihn aufgetreten
seien und in Zukunft sich aller Feindseligkeiten enthalten wollten, bestimmen,
das Todesurteil aufzuheben. Er gab aber Befehl, die Gefangenen bis zum Ein-
treffen des vom König ernannten Gouverneurs in Gewahrsam zu halten.
Der deutsch-amerikanische Geschichtschreiber Friedrich Kapp rügt diesen
Gnadenakt Leislers als dessen größten politischen Fehler, da er eine der Ur-
sachen seines Unterganges geworden sei. Leisler habe dem Gefühl die Ober-
herrschaft über den Verstand eingeräumt und schwächliches Mitleid über poli-
tische Logik gesetzt. Er hätte rücksichtslos durchgreifen und die Verfolgung
seiner Gegner bis zu ihrer völligen Vernichtung fortsetzen müssen. Dieser An-
schauung kann man entgegensetzen, daß es Leisler zu einem solchen Krieg gegen
die über die ganze Provinz und auch in den benachbarten Kolonien stark ver-
breitete Aristokratenpartei doch an Machtmitteln fehlte. Zudem hätte er durch
Heraufbeschwören solcher Kämpfe zweifellos den Verdacht auf sich geladen, ein
Gewahherrscher, ein Usurpator zu sein. Diesen Verdacht wollte und mußte er
vermeiden und darum die Bestrafung der Schuldigen, hochangesehener Per-
sonen, der Regierung des Mutterlandes überlassen.
Übrigens zeigte es sich bereits im Januar 1690, daß die Besorgnis der New
Yorker, der verjagte König James IL möge mit Hilfe der Franzosen die Wieder-
herstellung seiner Herrschaft versuchen, nicht unbegründet gewesen sei. In Europa
mußte Wilhelm einen heftigen Krieg gegen die Heere des französischen Königs
Ludwig XIV. führen. Von Kanada aus unternahmen die Franzosen unter
— 33 —
Frontenac drei Vorstöße gegen die Kolonien, wobei sie mit mehreren hundeil
Indianern bis nach Shenectady vordrangen, diesen Ort niederbrannten und den
größten Teil seiner Bewohner töteten.
Leisler fiel die schwierige Aufgabe zu, die Franzosen zurückzuwerfen.
Er raffte sofort alle verfügbaren Soldaten zusammen und sandte dieselben nach
Albany, dessen Fort ihnen nun bereitwilligst eingeräumt wurde. Ferner er-
richtete er, um einem neuen Überfall vorzubeugen, fünfzig Meilen von dem Ort
entfernt einen starken Außenposten und lud endlich Vertreter sämtlicher von den
Franzosen bedrohten Neu-Englandstaaten nach New York ein, um über gemein-
same Schritte zur Züchtigung der Feinde zu beraten. Diese am 1. Mai 1690
abgehaltene Versammlung war insofern von hoher Bedeutung, als die Kolonien
sich zum erstenmal zu gemeinsamem Handeln, zur Ausrüstung eines Heeres und
einer Flotte entschlossen.
Die Kolonien New York. Connecticut, Plyniouth, Massachusetts und Mary-
land verpflichteten sich, zusammen 850 Mann aufzubringen. Im Verein mit
1600 Mohawkindianern sollten dieselben über Land nach Canada vordringen.
Gleichzeitig sollte eine 32 Schiffe zählende Flotte den St. Lorenzstrom hinauf-
fahren und Quebek angreifen. Dieser groß angelegte Plan, das erste von den
Kolonien auf eigene Kosten und Verantwortung ins Werk gesetzte gemein-
schaftliche Unternehmen, kam tatsächlich zur Aufführung. Leider erwiesen sich
aber die mit der Führung von Heer und Flotte betrauten Personen, Winthrop
und Philipps, so wenig als tatkräftige Männer, daß der Zweck der Expedition
fast vollständig verloren ging. Nur Leisler hatte einigen Erfolg, indem er sechs
französische Schiffe, die sich bis vor den Flafen von New York wagten, kaperte.
Trotz dieses Erfolgs säumten die Gegner Leislers nicht, ihn allein für das Miß-
lingen des Unternehmens, welches den Kolonien bedeutende Kosten verursacht
hatte, verantwortlich zu machen. War dasselbe doch auf seine Anregung zu-
rückzuführen! Desgleichen benützten sie jede andere Gelegenheit, um das An-
sehen Leislers zu untergraben und die Zahl seiner Anhänger durch Ver-
sprechungen und Bestechung zu vermindern.
So kam das Jahr 1691 heran. Es war gegen Ende Januar, als ein von
England kommendes Schiff die Nachricht brachte, daß Oberst Henry Sloughtei
vom König zum Gouverneur von New York ernannt worden sei. Derselbe
befinde sich mit mehreren Fahrzeugen und zahlreichen Truppen unterwegs, um
die Regierung der Provinz zu übernehmien. Ein schwerer Sturm hatte die kleine
Flotte zerstreut und Sloughter genötigt, mit seinem Fahrzeug den Schutz der
Bermudas aufzusuchen. Überbringer dieser Botschaft war Major Richard
Ingoldsby, der Befehlshaber der auf den Schiffen befindlichen Truppen.
Kaum war die Ankunft dieses Mannes bekannt geworden, als die Feinde
Leislers ihn an Bord des Schiffes besuchten und mit Höflichkeiten überschütteten.
Natürlich versäumten sie nicht, die augenblickliche Lage in New York und die
Volksregierung in den schwärzesten Farben zu schildern. Infolgedessen wurde
Ingoldsby so gegen Leisler eingenommen, daß er dessen Einladung, in seinem
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 3
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Hause Quartier zu nehmen, barsch abschlug und die sofortige Übergabe der
Stadt und des Forts verlangte. Zum Erfüllen dieses Verlangens konnte Leisler
sich aus guten Gründen nicht entschließen. Als er nämlich Ingoldsby um dessen
Legitimationen und Vollmachten ersuchte, vermochte dieser nichts weiter als
sem Offizierspatent vorzuzeigen. Daraufhin das Fort auszuliefern, fühlte Leisler
sich nicht berechtigt, zum.al die Möglichkeit eines Betrugs keineswegs ausge-
schlossen war. In der Uniform des englischen Majors konnte sich sehr wohl
ein Anhänger des vertriebenen Königs James IL verstecken. Indem Leisler sich
weigerte, dem Offizier das Fort zu überliefern, folgte er nur dem Gebot der
Klugheit. Aber Ingoldsby, ein hochfahrender, von seiner Würde sehr einge-
nommener Mann, fühlte sich in seiner Soldatenehre arg verletzt. Von den
Aristokraten überdies aufgehetzt, beschloß er, die Übergabe des Forts mit
Waffengewalt zu erzwingen.
Die jetzt in hellen Haufen nach New York zurückkehrenden Feinde Leislers
schürten das Feuer. Dazu hatten sie reiche Gelegenheit, als Ingoldsby bei
einem der Ihrigen, Frederick Philipse, Wohnung nahm.
Die ersten Schritte Ingoldsbys bestanden in der Besetzung des Stadt-
hauses und dem Erlaß eines öffentlichen Aufrufs an das Volk, seine Treue zur
königlichen Regierung dadurch zu bekunden, daß es ihn beim Begründen einer
geordneten Verwaltung unterstütze. Diejenigen, welche ihm Hindernisse in
den Weg legten, hätten zu gewärtigen, als Rebellen betrachtet und behandelt
zu werden.
Diesen Aufruf beantwortete Leisler am 3. Februar mit einem öffentlichen
Protest, in welchem er erklärte, daß man wohl Nachrichten über die Ernennung
des Hauptmanns Henry Sloughter zum Gouverneur besitze, daß derselbe aber
bisher niemandem Befehle oder Weisungen betreffs der Regierung von New York
erteilt habe. Nichtsdestoweniger maße Ingoldsby, aufgereizt durch gewisse
Gentlemen, sich allerlei Rechte an, gegen die im Namen des Königs Widerspruch
erhoben werden müsse. Für jeden Gewaltstreich und etwa dadurch hervor-
gerufenes Blutvergießen sei Ingoldsby verantwortlich.
Dieser Protest hielt die rasche Entwicklung der Dinge nicht auf. Im
Gegenteil, dieselben nahmen eine Gestaltung an, wie New York sie nie vordem
erlebte und wohl niemals wieder erleben wird. Zwei Parteien, jede auf ihre
Königstreue pochend, standen auf einem sehr engen Räume einander feindlich
gegenüber, nicht geneigt, in ihren vermeintlichen Rechten das Geringste nach-
zugeben. Zwischen den beiden Parteien befanden sich die irregemachten Bürger,
nicht wissend, wie sie sich verhalten und wem sie sich anschließen sollten.
Wäre Gouverneur Sloughter in diesem kritischen Augenblick eingetroffen,
so hätte die Lage sich vielleicht noch zum Guten gewendet. Aber leider ver-
strichen Wochen, ohne daß das von Leisler sehnsüchtig erwartete Schiff des
Gouverneurs auftauchte. Unterdessen spitzten sich die Dinge im.mer mehr zu.
Aufgestachelt von den Aristokraten und dreist gemacht durch Leislers passives
Verhalten, begann Ingoldsby das von jenem gehaltene Fort förmlich zu be-
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lagern. Er ließ alle dorthin führenden Straßen sperren, verbot jedermann,
Nahrungsmittel nach dem Fort zu bringen und befahl die Beschießung sämt-
licher Boote, die dem Fort sich nähern oder von dort abfahren würden.
Leisler beantwortete diese brutalen Feindseligkeiten damit, daß er einige Sol-
daten, die dem Fort herausfordernd sich näherten und die Posten ver-
höhnten, aufgreifen und einsperren ließ. In blinder Wut befahl Ingoldsby nun
die Erstürmung zweier nahegelegener Blockhäuser sowie die Beschießung des
Forts. Acht grobe Geschütze wurden aufgepflanzt und die kleine Festung
mit Kugeln überschüttet. Ob die Insassen des Forts Verluste erlitten, ist aus
den vorhandenen Zeugenaussagen (dieselben finden sich in der von der
New York Historical Society im Jahre 1868 veranstalteten Sammlung Leislerschen
Dokumente) nicht ersichtlich. Aus einer geht aber hervor, daß durch einen
Unfall beim Abfeuern der Geschütze drei Soldaten Ingoldsbys umkamen und
fünf Verwundungen erlitten. Außerdem wurde ein Mann durch einen Schuß
getötet, von dem nicht festgestellt werden konnte, ob er von Ingoldsbys Soldaten
oder aus dem Fort abgefeuert war.
Obwohl nach den gleichen Zeugenaussagen Leisler in wenigen Augen-
blicken die ganze Stadt hätte in Trümmer schießen können, so enthielt sich
dieser doch solcher Maßnahmen. Er sandte vielmehr am 12. März einen Brief
an Gouverneur Sloughter nach Bermuda, in welchem er schrieb, daß infolge
seiner Abwesenheit und infolge der Ausschreitungen Ingoldsbys die Dinge so
in Unordnung geraten seien, daß er zu Gott flehe, seine Exzellenz baldigst
in New York erscheinen zu lassen.
Ob dieser Brief in den Besitz des Gouverneurs gelangte, ist ungewiß.
Der letzte traf endlich am 19. März 16Q1 auf dem Admiralschiff „Archangel"
im Hafen ein. Natürlich wurde er von dem auf der Lauer liegenden Ingoldsby
und den Häuptern der Aristokratenpartei sofort eingeholt, im Triumph nach der
Stadt geleitet und gleichfalls im Hause eines Aristokraten einquartiert. Sloughter,
ein Mann von schwachem., unselbständigem und leichtfertigem Charakter,
Schmeicheleien sehr zugängig, durch verschwenderische Lebensweise finanziell
und moralisch heruntergekommen, und gleich allen Standespersonen jener Zeit
geneigt, das Volk als rechtlos und nur für die Zwecke der Aristokratie existierend
zu betrachten, wurde das willenlose Werkzeug der Aristokraten. Diese über-
schütteten ihn so mit Klagen über die durch den Despoten Leisler erduldeteji
Vergewaltigungen, daß er noch am. Abend seiner Ankunft Leisler und seine
Räte für abgesetzt erklärte. Gleichzeitig bildete er aus den Häuptern der
Aristokraten einen neuen Rat, in welchem die noch im Fort gefangengehaltenen
Bayard und NichoUs Ehrenämter erhielten. Damit war der LIntergang Leislers
besiegelt.
Leisler hatte dem Gouverneur gleich nach seiner Ankunft durch mehrere
Abgesandte seine Hochachtung entbieten lassen und ihn ersucht, Bestimmungen
zur ordnungsmäßigen Übergabe des Forts zu treffen. Wie sehr Sloughter aber
bereits von den Feinden Leislers beeinflußt war, ergibt sich daraus, daß er
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dessen Abgesandte verhaften ließ und dem Major Ingoldsby nachstehenden
schrifthchen Befehl ausfertigte:
„Sir! Ich befehle Ihnen hierdurch, mit Ihrer Kompagnie Fußsoldaten
vor das Fort dieser Stadt zu marschieren und abermals dessen sofortige
Übergabe zu verlangen. Sollten, nachdem Sie im Besitz desselben sind,
Kapitän Leisler und diejenigen Personen, welche man seine Räte nennt, sich
nicht ergeben, so verhaften Sie dieselben im Namen Sr. Majestät und bringen
sie alle vor mich und meinen Rat.
Ihr Freund
H. Sloughter."
New York, 20. März 1691.
Dieser Befehl gab dem erbitterten Ingoldsby erwünschte Gelegenheit, sich
an Leisler zu rächen. Sobald Leisler ihn und sei]ie Soldaten in das Fort ein-
gelassen, erklärte er Leisler und dessen Räte für verhaftet und schleppte sie vor
den Gouverneur ins Stadthaus.
Aus einem Brief, der gleichfalls in der von der New York Historical Society
herausgegebenen Sammlung abgedruckt ist, geht hervor, welch schmachvoller
Behandlung Leisler seitens der Aristokraten in Gegenwart des Gouverneurs aus-
gesetzt wurde.
„Nachdem Se. Exzellenz nur wenige Worte an ihn gerichtet hatte, ließ
sie es ruhig geschehen, daß man Leisler ins Gesicht spuckte, ihm Perücke,
Schwert, Gürtel und einen Teil der Kleider abriß. Sie behandelten ihn gleich
wütenden Furien, legten ihn in Ketten und warfen ihn in ein schmutziges, mit
Gestank erfülltes unterirdisches Loch."
Leisler hatte seine Verhaftung widerstandslos geschehen lassen in der
festen Zuversicht, der Gouverneur wie die Regierung in England würden sein
durchaus korrektes Verhalten aus den Gerichtsverhandlungen erkeimen und
ihm volle Genugtuung geben. Aber er unterschätzte den fanatischen Haß seiner
Gegner, die nur noch ein Ziel, die gänzliche Vernichtung Leislers kannten. Sie
schlugen Sloughter vor, die Prozessierung ihres Feindes einem Spezialgerichts-
hof zu überweisen. Diesem Vorschlag kam der Gouverneur um so be-
reitwilliger nach, als er dadurch der Verantwortung für den Schieds-
spruch enthoben wurde. Natürlich war dieser Gerichtshof aus lauter Feinden
Leislers zusammengesetzt. Obwohl dieser die Kompetenz desselben bestritt
und in England prozessiert zu werden verlangte, so wurde das Verfahren
gegen ihn dennoch „wegen gewaltsamer Auflösung des Rates des früheren
Vizegouverneurs Nicholson, wegen unrechtmäßiger Aneignung der höchsten
Macht, wegen unbefugter Erhebung der Steuern, wegen Rebellion gegen den
König" usw. eingeleitet.
In der obenerwähnten Dokumentensammlung befindet sich ein Blatt, auf
dem eine ungenannte Person, unzweifelhaft Leisler selbst, Bemerkungen in
holländischer Sprache über eine Gerichtssitzung niedergeschrieben hat. Dies
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Blatt gewährt Einblick in die geradezu frivole Behandlung, der Leisler unter-
worfen wurde. Es möge hier eine Stelle finden.
„Was geschehen ist, als ich vor Gericht erschien. Ein Schriftstück wurde
mir vorgelesen. Ich antwortete, daß ich dasselbe nicht verstehe und bat um
einen Dolmetscher. Stephanus van Cortlandt, der von der Volkspartei abge-
setzte Bürgermeister von New York, erklärte, daß ich des A.ufruhrs beschuldigt
sei. Ich brauche nur zu sagen, ob ich mich schuldig bekenne oder nicht.
Sie alle suchten mich zu der ersten Erklärung zu bereden. Ich antwortete, daß
Das Stadthaus zu New York, in dem Leisler prozessiert wurde.
Nach einem alten Stich.
ich mich nicht schuldig bekennen könne in einem Fall, in dem ich vom König
und seinem Gerichtshof sicher freigesprochen würde. Sie schrien mich unter
größtem Lärm an, ich solle englisch reden und jeder beschimpfte mich. Ich
ersuchte aufs neue um einen Dolmetscher und fragte, wem ich Rede zu stehen
habe; ich sei bereit, ihnen allen zu antworten. Desgleichen, daß sie sich
schämen sollten, einen Spott aus ihrem Gerichtshof zu machen; es scheine für
sie einem Sport gleichzukommen, einen Mann abzuurteilen oder ihn zu töten.
Der Richter fragte, was ich gesagt habe. Aber Cortlandt übersetzte das
Gesagte in einer sehr nachteiligen, falschen und verkehrten Weise.
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Sie sagten, ich solle mich der Gnade des Gerichtes unterwerfen, worauf
ich entgegnete, daß ich keine Gnade suche, da ich wohl wisse, dieselbe hier
nicht finden zu können, wo jeder ,kreuziget ihn, kreuziget ihn!' rufe.
Der Gerichtsbeamte packte mich darauf gewalttätig an, ergriff sein Schwert
und drohte, mich zu erstechen. Ich entblößte meine Brust und sagte, er sei ein
Feigling und wage nicht, das zu tun. Ein Kinderspielzeug passe ihm besser
als das Schwert . . ."
Hier brechen die Aufzeichnungen ab. Daß von einem Gerichtshof wie
dem hier geschilderten v/eder Gerechtigkeit noch Gnade zu erwarten seien,
war gewiß. Und in der Tat verhängte derselbe am 15. April über Leisler, seinen
Schwiegersohn Milborne sowie sechs Mitglieder des von Leisler eingesetzten
Rats wegen Hochverrates das Todesurteil. Zugleich wurde die Einziehung
ihres Vermögens verfügt. —
Unter allen nicht zur aristokratischen Partei gehörenden Bewohnern der
Kolonie New York erregte der ungerechte Spruch Erbitterung und Bestürzung.
Man bestürmte den Gouverneur durch Bittschriften, die Verurteilten zu be-
gnadigen. Aber die Feinde Leislers wußten es einzurichten, daß die Bittgesuche
gar nicht in die Hände des Gouverneurs gelangten. Nur zu einem Zugeständnis,
zur Begnadigung der sechs Räte ließen sie sich herbei. Der Tatsache vergessend,
daß Leisler in hochherziger Weise zwei der Ihrigen, Bayard und Nicholls, ge-
schont, drängten sie angesichts der von Tag zu Tag im Volke wachsenden
Gärung auf schnelle Vollstreckung des Urteils, damit der Sieg ihnen nicht im
letzten Augenblick entschlüpfe. Um den Schein zu wahren, veranlaßten sie
die anfangs Mai in New York zusammentretende, fast nur aus Mitgliedern der
Aristokratenpartei bestehende gesetzgebende Körperschaft der Provinz zur Ab-
gabe eines Beschlusses, durch welchen Gouverneur Sloughter zur Bestätigung
des „von allen loyalen Bürgern gebilligten'' Todesurteils aufgefordert wurde,
da „das Urteil zur Unterdrückung des in der Provinz umgehenden revolutio-
nären Geistes wesentlich beitragen werde".
Trotzdem zögerte Sloughter, der die ganze Haltlosigkeit des Prozesses,
den fanatischen Haß sowie die Selbstsucht der Feinde Leislers durchschaute,
das Todesurteil zu unterzeichnen. Er erklärte, vorher nach England über den
Fall berichten zu wollen. Das mußten die Aristokraten unter allen Umständen
verhüten, da dann eine Aufdeckung ihres schandbaren Treibens zu befürchten
stand. Sie machten deshalb den Gouverneur während eines großen Gelages
sinnlos betrunken und ließen ihn so unter Versprechen einer großen Summe
Geldes das Todesurteil Leislers und Milbornes unterzeichnen.
Als den beiden das Lirteil verkündigt wurde, protestierten sie gegen die
Vollstreckung, bis der Entscheid des Königs gehört worden sei. Aber ihr
Protest blieb unbeachtet. Noch ehe der Gouverneur seinen Rausch ausge-
schlafen hatte, wurden in der Frühe des 16. Mai 1691 Leisler und Milborne auf
den Richtplatz geschleppt und am Galgen gehängt. Die Leichen wurden über-
dies noch geköpft. Von welch grauenhafter Rachgier Leislers Feinde besessen
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waren, ergibt sich aus den Zeugenaussagen einer Frau Latham. Sie erklärte,
daß der Henker, nachdem er die Leiche Leislers geköpft hatte, dieselbe öffnete,
um das Herz herauszunehmen, für welches ihm eine den Aristokraten ange-
hörende Dame eine hohe Belohnung versprochen habe. An dieser Freveltat
wurde der Henker nur durch den Einwand eines iMannes verhindert.
Die Leichen der Gerichteten begrub man auf einem dem Galgen gegen-
übergelegenen Grundstück der Familie Leislers, wo heute Park Row und
Spruce Street zusammentreffen.
Die Aristokraten schwelgten in Freude über ihren Sieg. Am Herzen des
Gouverneurs aber nagte das Gewissen, daß er bei dem zwiefachen Justizmord
mitgeholfen. In einem
Berichte der Ältesten der
holländischen Kirche zu
New York an die Regie-
rung heißt es, daß er keine
ruhige Stunde mehr ge-
habt habe und in Trüb-
sinn verfallen sei.
Die Magistratsper-
sonen suchten diesen Trüb-
sinn zu zerstreuen, indem
sie den Gouverneur häufig
total betfunken machten.
Aber sobald der Rausch
ausgeschlafen war, be-
mächtigten Reue und Ver-
zweiflung sich seiner aufs
neue. Von seinen Ge-
nossen keinen bessern
Trost in seinen Klagen
empfangend, als Judas
von den Hohenpriestern empfing, stürzte er von einer leidenschaftlichen
Zerstreuung zur andern, bis er plötzlich an einer Herzkrankheit starb.
Wie die Wahrheit stets zum Durchbruch kommt, so sollte auch dem
Andenken Leislers Gerechtigkeit werden. Angesehene Männer, darunter der
spätere Gouverneur Lord Bellemont, der die grenzenlose Selbstsucht der Aristo-
kraten erkannte, unterstützten die von den Hinterbliebenen der Ermordeten beim
König erhobenen Beschwerden über das L^rteil, sowie die Gesuche um Rückgabe
der eingezogenen Besitztümer.- Allerdings bedurfte es jahrelanger Kämpfe,
bis Leislers Sohn in sein väterliches Erbe eingesetzt wurde und vom englischen
Parlament das Erkenntnis erwirkte, daß das über Leisler und Milborne gefällte
Urteil für ungültig und beider Verhalten als gesetzmäßig und loyal anzu-
erkennen sei.
Leislers Grabstätte auf dem ehemaligen Friedhof der
holländischen Gemeinde zu New York.
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Dieses Erkenntnis erregte bei den Bürgern von New York hohe Be-
friedigung. Sie beschlossen, der Ehrenerklärung der Gerichteten durch feier-
liche Überführung ihrer Überreste zum Friedhof der holländischen Gemeinde
auf sichtbare Weise Ausdruck zu verleihen. Diese Feierlichkeit erfolgte am
20. Oktober 1698 unter Teilnahme von 1500 Personen, die sich trotz eines
starken Schneesturmes vcm diesem Akt der Pietät nicht abhalten ließen. —
Aus den Gräbern der Gemordeten aber stieg der Geist der Vergeltung
empor. Er lebte fort in der Volkspartei, die sich ihrem gesunkenen Führer
zu Ehren fortan die „Leislersche Partei^' nannte und stetig an Boden gewann.
Bei den Wahlen des Jahres 1699 gaben die I.eislerianer bereits 455, ihre
Gegner nur 177 Stimmen ab; in der gesetzgebenden Körperschaft, der Assembly,
eroberten sie von 21 Sitzen deren 16. Schärfer und schärfer wurde ihr Wider-
stand gegen die Aristokraten und deren angemaßte V^orrechte. Von New York
aus verpflanzte sich die Bewegung während der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts über alle anderen, ähnlichen Bedrückungen ausgesetzten englischen
Kolonien der Ostküste Nordamerikas und führte endlich zu jenem großartigen
Freiheitskriege, aus welchem der Bund der Vereinigten Staaten hervorging.
Jakob Leisler, der Frankfurter, darf mit vollem Recht als der erste Märtyrer
dieses gewaltigen, zu seinen Lebzeiten anhebenden Freiheitskampfes gelten.
Leislers Verdienst ist es ferner, bei den Bewohnern der Kolonien zuerst
das Bewußtsein der Interessengemeinschaft erweckt zu haben, indem er Ver-
treter sämtlicher Kolonien nach New York berief, um sie zu gemeinsamen Maß-
regeln gegen die Franzosen zu veranlassen.
Die am 1. Mai 1690 unter seinem Vorsitz in New York abgehaltene Zu-
sammenkunft von Vertretern mehrerer Kolonien war der Vorläufer jenes großen
Kongresses, welchem 86 Jahre später das bedeutsamste und folgenreichste
Dokument der Menschheit, die LInabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten
von Nordamerika entsprang.
C^i
Schlußvignette: Leislers Siegel und Unterschrift.
Augustin Herrman, der erste deutsche Kartograph;
Johann Lederer, der erste deutsche Forschungsreisende
in Nordamerika.
Neben deutschen Soldaten kamen auch deutsche Handwerker schon früh-
zeitig nach der Neuen Welt. Wegen ihres, in langen Dienstjahren erworbenen
gründlichen Könnens wurden sie überall so geschätzt, daß sie mit Sicherheit
darauf rechnen konnten, auch in der Fremde gutes Auskommen zu finden.
Meist kamen die deutschen Handwerker über holländische, englische oder
spanische Häfen. Zu den über Spanien Auswandernden gehörte der Buch-
drucker Johann Crom berger, der bereits im Jahre 1538 in der Stadt
Mexiko eine Druckerei gründete und die dort hergestellten Werke mit dem
Zusatz versah : „Impressa en la gran ciudad de Mexico en casa de Juam Crom-
berger." —
Im ersten Kapitel seiner „History of the German Element in Virginia"
führt Hermann Schuriclit zahlreiche Beweise dafür an, daß auch in Jamestown,
der ersten englischen Ansiedlung von Virginien, manche deutsche Handwerker
lebten. Dieselben mögen auf Grund jener Empfehlung dorthin gebracht worden
sein, welche Kapitän John Smith, der Deutschland durch Augenschein kannte,
an den Rat der Kolonie richtete : „to send to Germany and Poland for laborers."
Deutsche Handwerker zur Auswanderung nach Nordamerika zu bewegen,
fiel nicht schwer. Die politischen und wirtschaftlichen Zustände Deutschlands
waren durch den Dreißigjährigen Krieg so traurig geworden, daß Tausende ins
Ausland flüchteten. Die meisten wandten sich nach den Niederlanden oder
Kopfleiste: Porträt Augustin Herrmans.
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England, wo die Erwerbsmöglichkeiten am günstigsten lagen. Besonders die
in Amsterdam und London bestehenden Kolonisationsgesellschaften waren stets
bereit, tüchtige Handwerker anzuwerben und nach den in der Neuen Welt ge-
gründeten Niederlassungen zu schicken.
Neben solchen Handwerkern begannen auch bereits den gebildeten Klassea
angehörende Deutsche in den Kolonien aufzutauchen. Johann Huygen
aus Wesel, der Schwager Peter Minnewits, des Generaldirektors von Neu-
Niederland, hatte den wichtigen Posten eines Eagerverwalters in Neu-Amster-
dam inne. Peter Petersen Bielefeld, offenbar auch ein Deutscher,
war der erste Beirat. Dr. Lubbertusvan Dinklage, einer der fähigsten
Beamten der „Niederländisch-Westindischen Gesellschaft'^ brachte es zum Vize-
direktor. Als Notar amtete um das Jahr 1650 Tielman van Vleck aus
Bremen in Neu-Amsterdam. Erster lutherischer Pfarrer war Johann Ernst
Gutwasser. Ihm folgte im Jahre 1669 der Schlesier Jakob Eabricius.
Paulus van der Beek aus Bremen, Wilhelm T r o p h a g e n aus dem
Detmoldischen und Hans Kierstede aus Magdeburg waren als Ärzte in
Neu-Amsterdam tätig. Unter den Handeltreibenden erfreuten sich Paul
Schrick aus Nürnberg, Gysbert Opdyck aus Wesel, Hieronimus
E b b i n g aus Hamburg und vor allem der Hamburger NikolausdeMeyer
großen Ansehens. Meyer besaß eine Brauerei, eine Windmühle und eine ganze
Anzahl Bauerngüter. Nachdem er mehrere städtische Ämter bekleidet hatte,
wurde er 1676 Bürgermeister.
Über umfassende Bildung verfügte auch der Landvermesser A u g u s t i n
H e r r m a n. Von protestantischen Eltern in Prag geboren, hatte er an der
dortigen Hochschule studiert und später an den Kriegszügen Gustav Adolfs
teilgenommen. Um das Jahr 1630 kam er nach Virginien, von wo er später
nach Neu-Amsterdam übersiedelte, um dort seine reichen Kenntnisse in den ver-
schiedensten Richtungen zu verwerten. Gouverneur Stuyvesant ernante ihn im
Jahre 1647 zu einem der neun mit der Verwaltung der Kolonie betrauten Räte.
Wichtige Dienste leistete Herrman ferner als Landvermesser. Wahrscheinlich
entstammen die in Van der Donks „Beschreyvings van Niew Nederland" (ge-
druckt 1655 in Amsterdam) enthaltene Karte von Neu-Niederland sowie die in
demselben Buch enthaltene älteste Ansicht von Neu-7\msterdam seiner Hand,
Schon im Jahre 1659 befürwortete Herrman die kartographische Auf-
nahme Neu-Niederlands und der englischen Grenzgebiete.
Stuyvesant bestimmte ihn neben Waldron zum Spezialkommissar, um in
dem Grenzstreit zwischen Neu-Niederland und der südlich davon entstandenen
englischen Kolonie Maryland die Ansprüche der Niederländer zu verteidigen.
Herrman stellte sich dabei auf den Standpunkt, daß das Patent des Lord Balti-
more denselben nur zum Besetzen solcher Landstriche berechtige, die nie zuvor
von Europäern bewohnt worden seien. Diese Auslegung sagte aber den Be-
hörden Marylands so wenig zu, daß sie vorschlugen, die Entscheidung den
Regierungen der beiden Mutterländer zu überlassen.
Of THE
UNIVERSITY
GF
— 43
Vor seiner Rückkehr nach Neu-Amsterdani besuchte Herrman verschie-
dene Teile der englischen Kolonien Maryland und Virginien. Die Schönheit
Marylands entzückte ihn so, daß er im Jahre 1660 dem Lord Baltimore anbot,
eine genaue Karte der Kolonie anfertigen zu wollen, wenn man ihm als Ent-
schädigung hierfür ein gewisses, in Maryland gelegenes Stück Land abtrete. Da
zwischen Maryland und Virginien gleichfalls Grenzstreitigkeiten bestanden, die
nur auf Grund guter Karten entschieden werden konnten, so kam das Angebot
Herrmans sehr gelegen. Herrman siedelte nach Maryland über und erlangte im
Jahre 1666 durch einen Beschluß der dortigen Legislatur samt seinen Kindern
das Bürgerrecht.
Die von ihm angefertigte Karte wurde in England von dem berühmten
Kupferstecher William Frithorne gestochen. Sie war so vorzüglich, daß der
König sie als die beste bezeichnete, die er je gesehen habe. Sie trägt auch das
Porträt ihres Urhebers mit der Unterschrift: „Augustine Herrman, Bohemian".
Ferner eine mit den Figuren eines Indianers und einer Indianerin geschmückte
Vignette mit der lateinischen Inschrift: „Virginien und Maryland, wie sie an-
gepflanzt und bewohnt waren im Jahre 1670. Vermessen und gezeichnet von
Augustin Herrman aus Böhmen. '^
Das Land, welches Herrman als Entschädigung für seine Arbeit erhielt,
maß 5000 Acres und lag am Elk River in der heutigen Grafschaft Cecil. Durch
Ankauf anderer Grundstücke vergrößerte Herrman dieses Besitztum später um
weitere 15000 Acker und teilte das Ganze in die Güter: „Bohemia Manor", „St.
Augustine Manor", „Little Bohemia Manor" und „The three Bohemian Sisters".
Wichtige Dienste leistete Herrman später bei der Festlegung der Grenze
zwischen Maryland und Pennsylvanien. Er starb n.ach dem Jahre 1684 und
wurde im Garten seiner Besitzung Bohemia Manor begraben.
Namenszug Augustin Herrmans.
Um dieselbe Zeit, wo Herrman in Maryland tätig war, beschäftigte sich
ein anderer junger deutscher Gelehrter, Johann L e d e r e r , mit der Er-
forschung Virginiens. Er war im Jahre 1668 nach Jamestown gekommen und
— 44 —
dort mit dem Gouverneur Berkly bekannt geworden. Dieser betraute ihn mit
der Aufgabe, die im Westen von Virgin ien aufragenden unbekannten Gebirge
zu erforschen und zu sehen, ob sie einen Paß besäßen, durch den man nach
dem Indischen Ozean gelangen könne.
Columbus war bekanntlich in dem Glauben gestorben, daß die von ihm
entdeckten Länder Teile Asiens und der ostindischen Inselwelt seien. Erst all-
mählich drängte sich seinen Nachfolgern die Überzeugung auf, daß man einen
neuen Erdteil vor sich habe, der den ganzen, zwischen der arktischen und der
antarktischen Zone gelegenen ungeheuren Raum ausfülle und gleich einem Wall
den Weg nach Indien versperre.
War das Staunen über diese „Neue Welt" begreiflicherweise groß, so hoffte
man aber, daß der gewaltige Erdteil irgendwo einen Durchlaß besitze, durcli
den man nach Indien kommen könne. Das Auffinden einer solchen Wasser-
straße war der Traum eines Baiboa und Cortes, der beiden Cabots, eines Verra-
zano, Cartier, Hudson und zahlreicher anderer Entdecker. Aber keinem hatte
sich dieser Traum erfüllt. Nichtsdestoweniger blieb der Glaube an die Existenz
einer Durchfahrt bis ins 17. Jahrhundert lebendig. Gouverneur Berkley nahm
an, daß der Indische Ozean sich bis an die Westseite der Virginien durchziehen-
den Gebirge erstrecke. Bestätigte sich diese Annahme, so m.ußte Virginien die
Durchgangsstation für den Mandel zwischen Europa und Asien werden.
Von dem heißen Wunsch beseelt, über diesen Punkt Klarheit zu schaffen,
drang Lederer während der Jahre 1669 und 1670 dreimal bis in die Appalachen-
gebirge vor. Seine in lateinischer Sprache niedergeschriebenen, von dem Gou-
verneur Talbot von Maryland im_ Jahre 1671 ins Englische übertragenen Reise-
schilderungen kamen im Jahre 1672 in London zum Druck. Sie enthalten höchst
anschauliche Beschreibungen der durchquerten Wildnis und gewaltigen Ge-
birge. Zugleich wertvolle Beobachtungen über die unterwegs angetroffenen
Indianer und Tiere.
Trotz aller Anstrengungen war es Lederer aber nicht beschieden, die vielen
parallel laufenden Gebirgsketten der Appalachen zu überschreiten. Hatte er
eine glücklich erklommen, so sah er dahinter andere, noch höhere aufragen, die
er nicht zu übersteigen verm.ochte, da ihm Proviant und Ausrüstung fehlten.
Nach Beendigung seiner überaus mühevollen Wanderungen zog Lederet"
folgenden Schluß: „Diejenigen befinden sich in großem Irrtum, welche an-
nehmen, daß der Erdteil Nordamerika zwischen dem Atlantischen und dem In-
dischen Ozean nur acht bis zehn Tagereisen breit sei.''
Aus mancherlei y\ndeutungen der Indianer glaubte er aber schließen zu
dürfen, daß sich nordwestlich von den Appalachen große Wasser befänden:
„Vielleicht ein Arm des Indischen Ozeans oder die Bai von Kalifornien." — Es
waren unbestimmte Nachrichten über die fünf großen Binnenseen, die um die-
selbe Zeit von französischen Pelzhändlern zuerst erforscht wurden.
Durch Lederers Entdeckungen angeregt, sandte Gouverneur Berkley später
noch den deutschen Kapitän Henry Batte auf eine Forschungsreise in die west-
— 45 —
liehen Gebirge. Aber auch diesem glückte es nicht, die wilden Ketten zu über-
steigen, zumal die indianischen Führer aus Furcht vor den westlich wohnenden
Stämmen sich weigerten, weiter zu gehen. Die Expedition kehrte zurück, ohne
den Berichten Lederers etwas Neues hinzufügen zu können.
Lederer erwuchs aus seinen mühevollen Wagnissen kein Dank. Seine
Begleiter, die ihn auf seiner zweiten Expedition schmählich im Stich gelassen
hatten, verbreiteten, um ihre eigene Feigheit zu bemänteln, allerlei ungünstige
Nachrichten über ihn. Obendrein hetzten sie die Bewohner Virginiens durch
die erlogene Behauptung auf, die Kosten der zwecklosen Reisen müßten von
Indianer aus Virginien.
Nach einem Kupferstich des 17. Jahrhunderts.
den Kolonisten bestritten werden. Infolgedessen nahmen die letzteren eine so
drohende Haltung gegen Lederer an, daß er nach Maryland floh, wo er in dem
Gouverneur Talbot einen neuen Beschützer fand.
Aus in den Archiven von Maryland entdeckten Aufzeichnungen wissen
wir, daß Lederer in der alten Hansastadt Hamburg geboren war. Im Jahre
1671 lebte er im Calvert County der Kolonie Maryland. Er hatte dort das
Bürgerrecht und von den Behörden die auf 14 Jahre ausgedehnte Erlaubnis er-
worben, mit den im Südwesten der Kolonie hausenden, von ihm entdeckten In-
dianerstämmen Pelzhandel treiben zu dürfen.
Über die weiteren Schicksale dieses ersten deutschen Forschungsreisenden
in Nordamerika ist leider nichts bekannt.
Aus Stike „Deutsche Geschichte '
Die deutschen Sektenniederlassungen des 17. und
18. Jahrhunderts.
Die Ursachen der Sektenauswanderung.
Kein Land der Erde erlitt jemals schrecklichere Heimsuchungen, als
Deutschland während des 17. Jahrhunderts. Gleich einem verheerenden Sturm-
wind brauste zunächst der durch religiösen Zwiespalt heraufbeschworene
Dreißigjährige Krieg durch alle Gauen, und ließ sie in einem solchen Zustande
gänzlicher Zerrüttung zurück, daß Deutschland im wahren Sinne des Wortes
einer großen Wüste mit einigen Kulturoasen darinnen glich. In Württemberg
gingen in den Jahren 1634 bis 1641 über 345 000 Menschen zugrunde. In
Sachsen wurden innerhalb der beiden Jahre 1631 und 1632 943 000 Personen
erschlagen oder durch Seuchen weggerafft. Die blühende Pfalz, welche vor
dem Krieg 500 000 Bewohner besaß, zählte zur Zeit des Friedensschlusses nur
noch 43 000, darunter bloß 200 Bauern. Im preußischen Henneberg vernichtete
der furchtbare Glaubenskrieg 68, im Eisenacher Oberland 90 "/.. aller Bewohner.
In Meiningen waren in 19 Dörfern von 1773 Famihen nur noch 316 übrig. Im
Nassauischen gab es Orte, die bis auf eine oder zwei Familien ausgestorben
waren. Man nimmt an, daß Deutschlands Bevölkerung in jener Zeit sich von
17 auf nur 4 Millionen verminderte.
Dieser entsetzlichen Einbuße an Menschenleben entsprach der Verlust an
Eigentum. Nach Hunderten zählten die zerstörten Ortschaften. In Württem-
berg lagen 8 Städte, 45 Dörfer, 158 Schulhäuser und Pfarrhäuser, 65 Kirchen
Kopfleiste: Plünderung eines Dorfs im dreißigjährigen Krieg. Nach einer gleich-
zeitigen Radierung.
— 47 —
und 36 000 Wohnhäuser in Asche. 80"/,, aller Pferde, Rinder, Schafe und
Ziegen waren zugrunde gegangen. Bedeutende Teile des Reiches, die sich
früher des blühendsten Wohlstandes erfreuten, blieben unbebaut, weil es an
Saaten, Zugtieren und Werkzeugen fehlte, um die Felder zu bestellen. Die
ganze Landwirtschaft war so zugrunde gerichtet, daß die Bevölkerung, trotz-
dem sie so schrecklich zusammengeschmolzen war, sich kaum zu ernähren ver-
mochte.
Als Schleppenträgerinnen der Kriegsfurie folgten Hungersnot und Pesti-
lenz. Von wahnsinniger Verzweiflung ergriffen mordeten Eltern ihre eigenen
Kinder, um deren Fleisch zur Sättigung zu benutzen. In Hessen und Sachsen,
im Elsaß und an andern Orten hörte man von Menschenfressern, die Jagd auf
Lebende machten, um sie zu verzehren.
In der Schrift „Excidium Germaniae" heißt es: „Man wandert bei zehn
Meilen und sieht nicht einen Menschen, nicht ein Vieh. In allen Dörfern sind
die Häuser voll toter Leichname und Äser gelegen; Mann, Weib, Kinder und
Gesinde, Pferde, Schweine, Ochsen und Kühe neben- und untereinander, von
Pest und Hunger erwürget, von Wölfen, Hunden, Krähen und Raben gefressen,
weil niemand gewesen, der sie begraben."
Manche der Überlebenden, obdachlos und ohne Existenzmittel, scharten
sich zu Räuberbanden zusammen, zogen sengend und plündernd von Hof zu
Hof, nahmen den Bewohnern das letzte und boten den ohnmächtigen Regie-
rungen Trotz.
Noch waren diese furchtbaren Leiden, welche der große Krieg den deut-
schen Landen geschlagen hatte, nicht verwunden, so kamen die Kriege gegen
die Polen, Schweden, Türken und Franzosen. Nebenher gab es endlose Streitig-
keiten der Reichsstände untereinander. Um das Elend voll zu machen, be-
gingen die an verschwenderische Hofhaltung, glänzende Gelage und große
Jagden gewöhnten großen und kleinen Landesherren an dem gewöhnlichen
Volke die ärgsten Bedrückungen. Auf ihr Gottesgnadentum pochend und ihre
Länder als persönliches Eigentum betrachtend, zwangen sie ihre Untertanen in
ein entwürdigendes, von völliger Leibeigenschaft kaum noch zu unterscheidendes
Knechtschaftsverhältnis.
In dieser langen Zeit des Leidens und des materiellen Elends schwand
einem großen Teil des deutsclien Volkes eine seiner edelsten Eigenschaften : der
unternehmende kühne Mannesmut, der es seit den Tagen, wo es zum ersten
Male in den Bereich der (jeschichte trat, in so hoher Weise ausgezeichnet hatte.
Aus dem freien deutschen Manne wurde ein ängstlicher, in sein Schicksal er-
gebener Spießbürger, der kaum noch Verständnis für das Entwürdigende seiner
Lage besaß, sondern Trost für seine Leiden tatenlos in der Religion suchte.
Aber auch das war ihm häufig erschwert. Nach dem Dreißigjährigen Kriege
war€n in Deutschland drei Bekenntnisse, das katholische, lutherische und refor-
mierte, anerkannt worden. Aber ihre Anhänger und Priester befehdeten auch
nach dem Kriege einander fort und fort. Besonders die an den zahlreichen
— 48 —
Fürstenhöfen angestellten Hcfgeistliclien und Beichtväter suchten auf die Landes-
herren Einfluß zu gewinnen und sie zu veranlassen, das von ihnen vertretene
Bekenntnis zur Staatsreligion zu machen. Dies gelang in manchen Ländern,
und so kam es, daß in Gegenden, deren Herrscher katholisch geblieben waren,
die Lutheraner und Reformierten in der Ausübung ihrer Andachten behindert
wurden; in Ländern hingegen, wo die Lutheraner oder Reformierten Ober-
wasser besaßen, waren die Katholiken und Reformierten oder die Katholiken
und Lutheraner allerlei Bedrängnissen ausgesetzt.
In verschiedenen Teilen Deutschlands hatten sich aber auch Sekten ge-
bildet, die sich sowohl von den Katholiken wie von den Reformierten und Luthe-
ranern absonderten und darum sowohl von den Geistlichen wie von der Regie-
rung verfolgt wurden, da man der immer größer werdenden religiösen Zer-
splitterung vorbeugen wollte.
Diese Sekten waren die Mennoniten, Labadisten, Pietisten, Herrnhuter,
Schwenkfeldianer, Tunker und andere mehr. Sie strebten meist eine Wieder-
herstellung des schlichten, innigen Gemeindelebens an, wie es die ersten Christen
geführt hatten. Da sie von berufsmäßigen Predigern nicht viel hielten und
auch die Beständigkeit der Kirche als Organisation nicht anerkannten, so zogen
sie sich natürlich den Zorn der Geistlichkeit zu. Den Regierungen erschienen
sie verdächtig, weil sie Neigungen bekundeten, die man als gefährlich für die
bestehenden Staatsformen betrachtete. Namentlich war es der von einigen
Sekten vertretene kommunistische Gedanke der gemeinsam füreinander arbeiten-
den Brüder und Schwestern, den man nicht dulden zu dürfen glaubte. Da die
Sektierer sich obendrein weigerten, Kriegsdienste und Kriegssteuern zu leisten,
weil Christus das Führen des Schwertes und das Töten von Menschen verboten
habe, so wandte sich der Groll der ausschließlich auf militärischer Gewalt be-
ruhenden Regierungen gegen sie.
Die Verfolgungen, denen die Sektierer sich infolgedessen ausgesetzt sahen,
nahmen in manchen Ländern so grausame Formen an, daß viele, um der Ein-
kerkerung oder den drohenden Leibes- und Lebensstrafen zu entgehen, sich zur
Auswanderung entschlossen.
Die Anregung dazu kam durch englische und holländische Puritaner und
Quäker, von denen viele gleicher Bedrängnisse wegen nach der Neuen Welt ge-
zogen waren. Von ihnen, mit denen man Fühlung hielt, erfuhr man, daß
Amerika, insbesondere Pennsylvanien, ein duldsames Land sei, wo jedermann
seinen religiösen Anschauungen ungehindert leben könne und auch der Bauer
darauf rechnen dürfe, des Lohnes für seine Arbeit teilhaftig zu werden.
Die Mennoniten und die Gründung Germantowns.
Die ersten deut-
schen Sektierer, welche
sich von der Scholle
lösten, um in der Fremde
ungehindert ihren reli-
giösen Anschauungen
leben zu können, waren
Mennoniten, Anhänger
des um das Jahr 1492
in dem friesländischen
Dorfe Witmarsum ge-
borenen Menno Si-
mon. Derselbe wai ur-
sprünglich Priester der
katholischen Kirche,
hatte sich aber von der-
selben losgesagt und
predigte in reformato-
rischem Sinne. Seinen
Anhängern empfahl er
Sittlichkeit, Herzens-
milde und Reinheit ; sich
der Verfolgung Anders-
gläubiger, des Tragens
und Gebrauchens von
Waffen, ja, jeder Gegen-
wehr zu enthalten ; auch
das Klagen vor weltlichen Gerichten, das Schwören von Eiden, die Teilnahme
an weltlicher Regierung und unnötigen Aufwand in Kleidung und Lebensweise
zu unterlassen. Hinsichtlich der Auffassung der Gottheit Christi stimmte er
mit den Wiedertäufern überein, beobachtete die Fußwaschung als religiöse
Zeremonie und erteilte die Taufe nur als bloßes Symbol innerer Sinnesänderung.
Seine Anhänger, die Mennoniten, bildeten diese Grundsätze noch weiter
aus. Das irdische Leben lediglich als eine Vorbereitung für das Jenseits be-
Cronaii, Deutsches Leben in Amerika. 4
William Penn.
— 50 —
trachtend, sonderten sie sich, um den Versuchungen dieser Welt zu entgehen,
soviel als möglich von den Gemeinwesen ab. In ihren Ehebündnissen be-
schränkten sie sich ausschheßlich auf Mitglieder der eignen Kreise.
Da von allen Sektierern die Mennoniten den unchristlichen Charakter der
Kirchen, wie des nur auf militärischer Gewalt beruhenden Staatswesens am
schärfsten kritisierten und obendrein sich weigerten, Kriegsdienste und Kriegs-
steuern zu leisten, so wurden sie auch mit der größten Erbitterung verfolgt.
Schon der Gründer der Sekte, Menno Simon, wurde für vogelfrei erklärt.
Wer seinen Kopf einliefre, sollte als Belohnung einen Karlsgulden und außer-
dem, welche Verbrechen er immer begangen habe, völlige Straflosigkeit erhalten.
Unter diesem Bann floh Menno Simon von Ort zu Ort, vom Rhein bis zu den
Ostseeländern, bis endlich im Jahre 1561 der Tod ihn seinen Verfolgern ent-
rückte. Seine Anhänger aber mußten den furchtbaren Haß derselben vollauf
verspüren. In den Niederlanden marterten die fanatischen Spanier ihrer 6000
zu Tode; in Süddeutschland und in der Schweiz hauchten über 3000 unter den
Richtschwertern oder auf den Scheiterhaufen ihre letzten Seufzer aus. Die ent-
setzlichen Leiden dieser Märtyrer wurden von Tieleman Jans van Braght In
einem dickleibigen Folianten „Het Bloedig
Toneel cf Martelaars Spiegel", „Der
blutige Schauplatz oder Märtyrer-Spie-
gel" beschrieben.
., ,.,.,,. n Erst nach 157Q ließen die wüte^i-
Namenszug von William Penn.
den Verfolgungen in Holland und Nord-
deutschland nach; in andern Ländern hingegen wurde den Mennoniten bis ins
18. Jahrhundert hinein zugesetzt. Die Anzeige eines Mennoniten wurde mit
fünf Gulden belohnt; die Sektierer selber bedrohte man mit Einziehung ihres
Vermögens, körperlicher Züchtigung und Gefängnisstrafe. Trotzdem bildeten
sich in Lübeck, Emden, Frankfurt a. M., Krefeld und Krisheim bei Worms
Mennonitengemeinden, die mit den nach ähnlichen Glaubenssatzungen lebenden
Quäkern in Holland und England nicht nur geheimen Verkehr unterhielten,
sondern bisweilen auch den Besuch von Predigern derselben empfingen. Einer
jener englischen Quäkermissionare, welche Deutschland bereisten, warW i 1 1 i a m
Penn. Auf seinen in den Jahren 1671 und 1677 unternommenen Missions-
reisen kam er auch nach Krefeld, Frankfurt a. M. und Krisheim, wo er vor den
dortigen Mennonitengemeinden predigte und bei all seinen Hörern einen tiefen,
nachhaltigen Eindruck hinterließ.
Penns Vater, ein Admiral in englischen Diensten, hatte seinem Sohne eine
auf 16 000 Pfund Sterling lautende Forderung an die Regierung hinterlassen.
William entschloß sich, an Stelle baren Geldes eine bedeutende Strecke Landes
anzunehmen, die in Nordamerika, westlich vom Delaware, lag. Zum Gedächt-
nis an seinen Vater und im Hinblick auf den ungeheuren Waldreichtum des
Landes nannte William Penn sein Besitztum Pennsylvanien.
— 51 -
Der Verfolgungen seiner Glaubensgenossen gedenkend, beschloß er, dieses
Besitztum zu einem Zufluchtsort für alle zu machen, die in Europa wegen ihres
Glaubens bedrängt wurden. Nachdem er durch seinen berühmten Vertrag mit
den Indianern bei Schackamoxon Pennsylvanien zu einer wirklichen Stätte des
Friedens gemacht hatte, veröffentlichte er eine in englischer, deutscher und
holländischer Sprache gedruckte Beschreibung von Pennsylvanien. Die deut-
schen Ausgaben erschienen in Amsterdam und Frankfurt unter dem Titel : „Eine
nachricht wegen der Landschaft Pennsylvania in America: welche jüngstens
unter dem Großen Siegel in Engelland an William Penn Sambt den Freiheilen
und der Macht so zu behörigen guten Regierung derselben nötig, übergebeii
worden.'*
Diese Schrift enthielt zugleich die Einladung an alle wegen ihrer religiösen
Anschauungen Verfolgten, nach der jenseits des Ozeans errichteten Freistätte
zu kommen. Die Emladung wurde von den Mennoniten in Frankfurt, Krefeld
und Krisheim freudig aufgenommen, zumal die Bedingungen, unter welchen
Penn Grundstücke zum Kauf anbot, äußerst günstig waren. Er verkaufte je
5000 Acker für 100 Pfund Sterling und 100 Acker für 40 Schilling neben Zahlung
einer Erbpacht von
1 Schilling für 100 ^^^ /) r^^
.^n w^, ^ ^=^^^A^a^^ 9a/^rU,
bis zu 200 Acker
Land für einen jährli-
chen Zins von IPenny Namenszug von Pastorius.
den Acker pachten.
Mehrere Mitglieder der Frankfurter Gemeinde traten zu der sogenannten
„Frankfurter Gesellschaft" zusammen und erwarben 25 000 Acker. Die Kre-
felder Gemeinde sicherte sich 18 000 Acker. Beim Abschluß des Kaufvertrages
bedienten die Frankfurter sich eines jungen Rechisgelehrten, namens Franz
Daniel Pastorius. Derselbe war am 26. September 1651 zu Sommer-
hausen in Franken geboren. Nach Beendigung seiner Studien auf den Uni-
versitäten Straßburg, Basel und Jena hatte er eine längere Reise durch Deutsch-
land, Holland, England, Frankreich und die Schweiz gemacht und war im No-
vember 1682 nach Frankfurt gekommen, wo er in Beziehungen mit der dortigen
Pietistengemeinde trat.
„Weilen ich nun," so erzählt Pastorius in seinen Aufzeichnungen, „alldar
von meinen Bekannten Pennsylvanien zum öfteren sehr rühmen hörte und ver-
schiedene Relationsschreiben davon zu lesen bekam, auch einige Gott fürchtende
Menschen sich bereits dorthin zu transportieren entschlossen und allschon zu-
sammengepackt hatten, entstund eine nicht geringe Begierde bey mir, in ihrer
Gesellschaft mit über zu segeln und daselbst nach überdrüssig gesehenen und
gekosteten europäischen Eitelkeiten nebenst ihnen ein still und christlich Leben
zu führen. Verehrte und schickte derowegen meine Bücher u. s. w. an meinen
4*
— 52 —
Bruder Joh. Samuel und erlangte endlich nach mehrmaliger Briefwechselung
meines verehrten Vatters Vervvilligung sammt 250 Reichsthalern, worauf ich dann
nach Krisheim reisete und mich sofort ganz reisefertig machte."
Am 2. April fuhr Pastorius von Frankfurt den Rhein hinab, verweilte
kurze Zeit in Köln und begab sich dann nach Krefeld, wo er mit mehreren Mit-
gliedern der dortigen Mennonitengemeinde Unterredungen hatte und von den-
selben erfuhr, daß sie gleichfalls bereit seien, nach Pennsylvanien überzusiedein.
Pastorius versprach, für ihre Ankunft alles vorzubereiten und begab sich über
Rotterdam und London nach Oravesend, von wo er am 6. Juni mit dem Schiff
„America" nach Philadelphia segelte. Als er dort am 20. August landete, be-
stand dieser „Ort der Bruderliebe" erst aus wenigen notdürftig hergerichteten
Blockhütten.
„Das Übrige war Wald und Gestrüpp, worin ich mich mehrere Male ver-
lor. Was für einen Eindruck solch eine Stadt auf mich machte, der ich eben
London, Paris, Amsterdam und Gent besucht hatte, brauche ich nicht zu be-
schreiben."
Dem Beispiel der Bewohner dieser Ansiedlung folgend, erbaute Pastorius
sich ein bescheidenes, für die erste Unterkunft genügendes Häuschen, dessen
Fensteröffnungen er, da Glas nicht zu haben war, mit ölgetränktem Papier ver-
klebte. Altem deutschem Brauch folgend, setzte er über die Haustür den von
ihm ersonnenen Spruch:
„Parva domus sed amica bonis, procul este profani."
„Klein ist mein Haus, doch Gute sieht es gern,
Wer gottlos ist, der bleibe fern." —
Mit William Penn häufig verkehrend und von diesem hochgeschätzt, er-
wartete Pastorius in seinem kleinen Nothause die Ankunft der Krefelder Ein-
wanderer.
Von der Krefelder Gemeinde hatten sich zunächst 13 Familien zur Über-
siedlung nach Pennsylvanien entschlossen. Es waren die Familien von H e r -
mann,AbrahamundDirk(Dietrich)opdenGraeff,Lenert
(Leonhard) Arets, Tünes (Anton) Kunders, Reinert (Rein-
hard) Tisen oder Theißen, Wilhelm Strepers, Jan (Jo-
hann) Lensen, Peter Keurlis oder Kuirlis, Jan Simens,
Johann Bleickers, Abraham Tünes oder Tünies und Jan
Luken oderLuyken. Zusammen bildeten diese Personen eine Schar von
33 Köpfen.
Am 18. Juni befanden sich die Auswanderer in Rotterdam, gingen von
dort nach England und schifften sich am 24. Juli 1683 auf der „Concord" in
Gravesend zur Überfahrt nach Amerika ein. Entlang der Küste Englands ging
die Fahrt äußerst langsam von statten, denn man behielt dieselbe drei Wochen
lang in Sicht. Nach weiteren 49 Tagen erblickten die Reisenden die Gestade
der Neuen Welt und betraten am 6 Oktober (dem 16. Oktober gegenwäriiger
Zeitrechnung) den Boden derselben.
— 53 -
Von Pastorius und Penn freudig betT^rüßt, schritten die deutschen Pilger
nach iiurzem Verweilen zur Auswahl eines geeigneten Platzes für die zu grün-
dende Niederlassung. Man entschied sich für einen zwei Stunden von Phila-
delphia in der Nähe des Schuylkillflusses gelegenen Landstreifen, auf dem
William Penn „am 24. Octobris durch Ihomas Fairman 14 Lose oder Erbe ab-
messen ließ, umb welche oberwähnte 13 Familien am 25. dito durch Zettel das
Los zogen und sofort anfingen, Keller und Hütten zu machen, worinnen sie
den Winter nicht sonder große Beschwerlichkeiten zubrachten. Den Ort nannten
wir Germantown, welches der Teutschen-Statt bedeutete. Etliche gaben ihm
den Beynamen Armentown, sindemahl viel der vorgedachten Beginner sich
nicht auf etliche Wochen, zu geschweigen Monaten, provisioniren kunnten. Und
mag weder genug beschrieben noch von denen vermöglicheren Nachkömmlingen
geglaubt werden, in was Mangel und Armuth, anbey mit welch einer Christ-
lichen Vergnüglichkeit und unermüdetem Fleiß diese Germantownship be-
gunnen sey."
Zunächst hatten die deutschen Ansiedler einen schweren Kampf gegen
die schier unbezwinghche Wildnis zu führen, die sich dicht an ihre Hütten
drängte, und deren Ende gen Westen hin noch kein Weißer erreicht hatte. „Man
wende sich," so schrieb Pastor ius an seine in Deutschland zurückgebliebenen
Angehörigen, „hin, wo man wolle, da heißet es: ,ltur in antiquam sylvam', und
ist alles mit Holtz überwachsen, also daß ich mir offt ein paar Dutzet starke
Tyroler gewünschet, welche die dicke Aychen-Bäume darnieder geworffen
hätten." In diesem Kampf mit der Wildnis bedurfte es, wie Pastorius an einer
anderen Stelle gesteht, „gedachten William Penns offtmaliger dringender Assi-
stenz, zumal wir wegen ermangelnder sattsamer Experienz in solcherlei Sachen
vieles gethan haben, was wir hernach theils selbst ändern, theils der klügeren
Nachfahren Verbesserung anbefehlen müssen."
Mit der Zeit wurde das Aussehen der Ortschaft doch ein wohnliches. Sie
war durch eine breite, von mehreren Querstraßen durchschnittene und auf beiden
Seiten mit Pfirsichbäumen besetzte Straße in zwei Hälften geteilt. Ein kleines
hölzernes Kirchlein erstand 1686. Die Wohnhäuser lagen inmitten großer
Blumen- und Gemüsegärten, deren fruchtbarer Boden die auf ihn gewendete
Mühe so reich lohnte, daß man mit den gewonnenen Erzeugnissen sowohl den
Bedarf der Bewohner decken wie auch den Markt von Philadelphia versorgen
konnte. Ja, nach mehreren Jahren konnte man den Überfluß an Getreide und
Vieh nach Barbados verhandeln „umb Brandwein, Syrup, Zucker und Salz".
Mit den Eingeborenen, die Pastorius als „starke, hurtige und gelenke
Leute" schildert, die „sich einer aufrichtigen Redlichkeit befleißigen, genau über
ihren Versprechen hielten und Niemanden betrogen oder beleidigten", kam man
gut aus. Man unterhielt sogar mit ihnen einen einträglichen Handel. „Der
wilden Leute ihre Kaufmannschaften," so erzählt Pastorius weiter, „ist von
Fischen, Vögeln, Hirschhäuten und allerlei Pelzwerk von Bibern, Ottern,
Füchsen, u. s. w. Bißweilen vertauschen sie's gegen Getränk, bißweilen ver-
— 54 —
kauffen sie's umb ihr Landgeld, welches nur langlichte an Faden angeschnürte
Corallen aus Meer-Muscheln geschliffen (Wampumperlen) theils weis, theils
braunlecht." Das im Handel mit den Indianern erworbene Pelzwerk verschiffte
man nach England.
Fleiß, Sparsamkeit und Genügsamkeit bildeten die Tugenden, durch welche
die Ansiedler vcn Germantown sich auszeichneten und die Achtung aller Um-
wohner erwarben. Besondere Sorgfalt wendeten sie auf den Anbau von Flachs
und Wein, die hoch in Ehren gehalten wurden. Der Flachs hatte Bedeutung,
weil die Krefelder Leineweberei betrieben. Dies Gewerbe setzten sie in der
Neuen Welt fort und stellten allerlei Zeuge her, die wegen ihrer Güte und Halt-
barkeit überall willige Abnehmer fanden. Als Rheinländer waren sie Freunde
des Frohsinns und wußten den Wein als Quelle desselben zu schätzen. So
währte es nicht lange, daß sich um die Fenster und Türen ihrer Hütten schwer-
tragende Reben rankten, andere sich zu schattigen Lauben verbanden. Gewiß
war es ein sinniger Gedanke, daß Pastorius beim Entwurf eines Ortssiegels in
dasselbe ein Kleeblatt zeichnete, dessen drei Blätter den Weinstock, den Flachs
und die Weberei darstellen sollten, was durch die Umschrift: „Vinum, Linum
et Textrinum" („Wein, Lein und Webeschrein'') Ausdruck fand. Dadurch
wurde zugleich die Mission der Deutschen in Amerika, die Förderung des Acker-
baues, des Gewerbes und des heiteren Lebensgenusses in der glücklichsten
Weise angedeutet.
Welch glückliche Stunden mögen die Väter der deutschen Auswanderung
in Germantown verlebt haben, wenn sie abends nach vollbrachter Arbeit auf
den nach heimischer Art zu beiden Seiten der Haustür angebrachten Bänken
saßen, von Bienen umsummt, von Tauben umflattert und vom Wohlgeruch der
Blumen umwallt, die den aus Deutschland mitgebrachten Sämereien entsprossen !
Wie oft mögen sie da der fernen Heimat gedacht haben, in der sie nur Kümmer-
nisse und Verfolgung erlebt hatten, die ihnen aber trotzdem heilig und teuer
blieb! Die Anhänglichkeit an dieselbe bekundeten sie, indem sie drei neue Ort-
schaften, die der Zuwachs später notwendig machte, Krefeld, Krisheim und
Sommerhausen tauften.
Unter den alltäglichen Arbeiten vergaßen die Bewohner der deutschen
Stadt nicht die Pflege des Geisteslebens. Den Mittelpunkt desselben bildete
Pastorius, der die Errichtung einer Schule durchsetzte und persönlich eine
Abendklasse leitete, in der er den reichen Born seines Wissens allen erschloß,
die auf Vertiefung ihrer Kenntnisse bedacht waren. Der in jeder Beziehung
merkwürdige Mann fand neben der Erledigung seiner Berufspflichten auch noch
Zeit, schriftstellerisch tätig zu sein. Von seiner Vielseitigkeit und Gemütstiefe
zeugt gewiß die Tatsache, daß er nicht weniger als 43 Bände mit Aufsätzen
über Rechtskunde, Naturwissenschaft, Geschichte, Landwirtschaft, Theologie,
Gedichten, Sinnsprüchen und philosophischen Betrachtungen fülle. Wie warm
in seinem Herzen echte Liebe für das Vaterland und für. seine Landsleute glühte,
geht aus seinem berühmten, in lateinischer Sprache geschriebenen „Gruß an die
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— 56 -
Nachkommen" hervor, mit dem er das Grundbuch von Germantov^n eröffnete.
Der um die deutsch-pennsylvanische Geschichte hochverdiente Oswald Seiden-
sticker, dessen Hauptwerk „Die Gründung von Germantown", eine Perle echter,
gemütstiefer Geschichtsschreibung ist, um die jedes Volk das Deutschamerikaner-
tum beneiden dürfte, übersetzte denselben folgendermaßen : „Sei gegrüßt, Nach-
kommenschaft! Nachkommenschaft in Germanopolis ! Und erfahre zuvörderst
aus dem Inhalt der folgenden Seite, daß deine Eltern und Vorfahren Deutsch-
land, das holde Land, das sie geboren und genährt, in freiwilliger Verbannung
verlassen haben — oh, ihr heimischen Herde! — um in diesem waldreichen
Pennsylvanien, in der öden Einsamkeit minder sorgenvoll den Rest ihres Lebens
in deutscher Weise, d. h. wie Brüder, zu verbringen. Erfahre auch ferner, wie
mühselig es war, nach IJberschiffung des Atlantischen Meeres in diesem Striche
Nordamerikas den deutschen Stamm zu gründen. Und du, geliebte Reihe der
Enkel, wo wir ein Muster des Rechten waren, ahme unser Beispiel nach; wo
wir aber von dem so schwierigen Pfade abwichen, was reumütig anerkannt
wird, vergib uns; mögen die Gefahren, die andere liefen, dich vorsichtig machen.
Heil dir, Nachkommenschaft! Heil dir, deutsches Brudervolk! Heil dir auf
immer!'")
Bereits im Jahre 16Q1 erhielt Germantown städtische Gerechtsame. Daß
die Bewohner Pastorius zum Bürgermeister erwählten, war der Ausdruck der
von allen gegen ihn empfundenen Dankbarkeit. Zugleich bekleidete er das Amt
eines Friedensrichters. Als er am 2. Juni ein Ratsbuch beschaffte, eröffnete er
dasselbe mit einigen seinen Gerechtigkeitssinn kennzeichnenden Sprüchen.
„Lasset die Forcht des Herrn bey Euch seyn und nehmet nicht Geschenke.
Beleidigt keine Wittib noch Waisen. Schaffet dem Armen Recht und helffet dem
Elenden und Dörftigen. Richtet recht zwischen Jedermann; sehet keine Person
an, sondern höret den Kleinen wie den Großen. In euren Wahltagen setzet zu
Häuptern übers Volk redliche, weise, erfahrene und verständige Leute, die wahr-
hafftig und dem Geitze feind sind.'^
Wie wohl würde es um die amerikanische Nation stehen, wenn alle
Richter sich bestrebten, gleich einem Pastorius solchen Grundsätzen gerecht
zu werden.
') Der lateinische Originaltext lautet:
Salve Posteritas!
Posteritas Germanopolitana!
A ex argumento in sequentis paginae primibus observa, Parentes ae Majores Tuos Alemaniam
Solum quod eos genuerat, alueratque diu, voluntario exilio deseruisse, (oh! Patrios
Focos!) ut in Silvosa hac Pennsylvania, deserta Solitudine, minus soliciti residuum Aetatis
Germane, h. e. instar Fratrum, transigerent. Porro etiam inde addiscas, quantae molis erat,
exant lato jani mari Atlantico, in Septentrionali isthoc Americae tractu, Germanam condere
gentem. Tuque Series dilecta Nepotum! ubi fuimus exemplar honesti, nostrum imitare
exemplum; Sin autem a semita tarn difficili aberravimus, quod poenitenter agnoscitur, ignosce;
Et sie te faciant aliena pericula cautam. Vale Posteritas! Vale Gernianitas! Aeternum Valc!
— 57 —
Als Richter hatte Pastorius kaum etwas zu tun. Mitunter vergingen
Monate, ehe er Anlaß fand, einen Bewohner von Germantown in eine gelinde
Geldstrafe zu nehmen. Seiden sticker, welcher die Gerichtsakten von German-
town einer Durchsicht unterzog, nennt dieselben trocken und langweilig, fügt
aber hinzu: „Glücklich die Gemeinde, deren Gerichts-Annalen langweilig sind!"
Unzweifelhaft ist auch eine Großtat der ersten deutschen Ansiedler in
Amerika auf den hochherzigen Pastorius zurückzuführen: der erste in der
zivilisiertenWelt erhobene Protest widerdieSklaverei,
die unfreiwillige Knechtschaft. Die Einfuhr von Negersklaven
in die an der Ostküste von Nordamerika gelegenen holländischen und eng-
lischen Kolonien wurde bereits seit Anfang des 17. Jahrhunderts betrieben, ohne
daß die für allgemeine Menschenrechte eintretenden Puritaner und Quäker den
Menschenhandel als eine Ungerechtigkeit empfanden. Erst als William Penn
für seine Provinz den ,, Frame of Government" entw^arf, und das Dokument
seinem Freunde Benjamin Furley, einem in Rotterdam geborenen Quäker, der
zugleich Agent der Frankfurter Gesellschaft war, zur Begutachtung vorlegte,
hatte dieser ihm den Vorschlag unterbreitet: „Faßt keine Schwarze direkt ein-
geführt werden. Und wenn solche aus Virginien, Maryland oder sonst woher
mit Familien kommen, welche dieselben früher irgendwo kauften, so laßt die-
selben (wie nach der Verfassung von West Jersey) nach acht Jahren frei
erklären."
Aber die Handelsgesellschaft, welcher Penn angehörte, und die gleich
allen anderen Kolonisten englischer und holländischer Abkunft Sklaven hieU,
wollte diesem Vorschlag Furleys nur so weit entgegenkommen, daß sie in eine
Freilassung ihrer Sklaven nach 14jähriger Dienstzeit derselben willige, wenn
dieselben sich verpflichteten, nach erfolgter Freilassung zwei Drittel aller Er-
zeugnisse des ihnen zugewiesenen Landes an das Warenhaus der Gesellschaft
abzuliefern, anderenfalls sie in dienendem Verhältnis bleiben müßten.
Den Deutschen, welche in ihrer eigenen Heimat den Druck der Obrigkeit
schwer empfunden hatten, schien die Sklaverei höchst ungerecht, indem sie gegen
die Lehren der christlichen Religion verstoße. Deshalb beschäftigten sie sich
sehr lebhaft mit dieser Frage und ließen ihren von Pastorius in englischer Sprache
niedergeschriebenen Protest im Februar 1688 der Monatsversammlung der
Quäker verlesen. Das denkwürdige Schriftstück hat verdeutscht folgenden
Wortlaut:
„An die Versammlung bei Richard Worrells.
Hier folgen die Gründe, warum wir gegen den Handel in Menschen-
leibern sind. Ist irgend jemand, der in gleicher Weise behandelt, das heißt ver-
kauft und zeidebens als Sklave gehalten werden möchte? — Wie zaghaft und
schwachherzig gebärden sich viele auf See, wenn ihnen ein fremdes Schiff be-
gegnet, — fürchtend, es möge ein türkisches sein, und sie möchten gefangen-
genommen und in der Türkei als Sklaven verkauft werden. Wohlan, ist Euer
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üermantown gegen die Sklaverei.
zu Philadelphia aufbewahrten OriRin:ilhandschrift.
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— 60 —
Verfahren besser als das der Türken? Im Gegenteil, es steht denen weit übler
an, welche vorgeben, Christen zu sein. Denn wir hören, daß die meisten Neger
gegen ihren Willen und gegen ihre Zustimmung hierhergebracht werden, und
daß viele von ihnen gestohlen wurden. Nun, obgleich sie schwarz sind, können
wir doch nicht einsehen, daß dieser Umstand irgendwelche größere Berechti-
gung verleiht, sie als Sklaven zu halten, als wenn man es mit weißen Menschen
zu tun hätte. Man sagt, wir sollten allen Menschen ohne Unterschied des Ge-
schlechts, der Rasse oder Hautfarbe, so begegnen, wie man selbst behandelt zu
werden wünscht. Doch sind die, welche Menschen rauben und jene, welche
sie kaufen und verkaufen, nicht alle gleich? — Hier herrscht Freiheit des
Glaubens, was recht und vernünftig ist. Aber hier sollte auch Freiheit des
Körpers herrschen, ausgenommen für Übeltäter, was ein andrer Fall ist. Aber
wir protestieren dagegen, Leute wider ihren Willen herzubringen. In Europa
sind viele ihres Glaubens wegen unterdrückt. Hier dagegen sind die, welche
wegen ihrer schwarzen Farbe unterdrückt werden.
Wir wissen, daß die Menschen keinen Ehebruch begehen sollen. Aber
manche machen sich dieser schweren Sünde in andrer Form schuldig, indem
sie Frauen von ihren Männern trennen und anderen überliefern. Manche ver-
handeln obendrein die Kinder dieser armen Geschöpfe an andere Leute. Oh, die
Ihr solche Dinge tut, überlegt, ob Ihr in der gleichen Weise behandelt werden
möchtet, und ob es sich mit wahrem Christentum verträgt. Ihr überbietet
Holland und Deutschland in solchen Dingen. Es bringt Euch in allen europä-
ischen Ländern in Verruf, wenn sie dort hören, daß die Quäker hier Menschen
in der gleichen Weise wie das Vieh verkaufen. Aus diesem Grunde zeigen
manche keine Neigung, hierherzukommen. Denn wer könnte solches Tun ver-
teidigen oder befürworten? Wir können es nicht; es sei denn, daß Ihr uns über-
zeugt, daß Christen ein Recht haben, so zu handeln. Sagt, was könnte uns
Schlimmeres widerfahren, als wenn Menschen uns rauben oder stehlen wollten,
um uns von unseren Angehörigen zu trennen und als Sklaven in fremde Länder
zu verkaufen? Einsehend, daß dies nicht die Art ist, in der wir mit uns ver-
fahren sehen möchten, protestieren wir gegen diesen Menschenschacher. Und
wir, die wir bekennen, daß es ungesetzlich ist, zu stehlen, müssen es gleichfalls
unterlassen, Dinge zu kaufen, von denen wir wissen, daß sie gestohlen wurden.
Wir sollten dagegen helfen, daß dieser Raub und Diebstahl unterdrückt werden.
Die Sklaven aber sollten aus den Händen ihrer Räuber erlöst und in gleicher
Weise freigegeben werden, wie in Europa. Dann wird Pennsylvanien einen
guten Ruf erlangen, wohingegen es jetzt dieser Ursache wegen in anderen
Ländern berüchtigt ist. Wir sollten dies um so mehr tun, als die Europäer be-
gierig sind, zu erfahren, in welcher Weise die Quäker ihre Provinz regieren.
Viele dieser Europäer beneiden uns. Wenn dies aber wohlgetan ist, was wäre
dann vom Übel?
Falls es diesen als dumm und hinterlistig verschrienen Sklaven einmal in
den Sinn käme, sich zu vereinigen und für ihre Freiheit zu kämpfen und dann
- 61 -
ihre Herren und Herrinnen in der gleichen Weise zu behandeln, wie diese sie
behandelten, werden dann diese Herren und Herrinnen zum Schwert greifen
und diese armen Sklaven bekämpfen? Manche würden, wie wir glauben, nicht
zögern, dies zu tun. Aber hätten diese Neger nicht ebensogut das Recht, für
ihre Freiheit zu kämpfen, als wie Ihr das Recht zu haben glaubt, sie als Sklaven
zu halten?
Nun erwägt diese Angelegenheit wohl, ob sie gut oder böse ist. Falls
Ihr es für recht befindet, die Schwarzen in solcher Weise zu behandeln, so bitten
und ersuchen wir Euch hiermit liebevoll, uns darin zu belehren, was bis heute
nie zuvor getan wurde, nämlich, daß es Christen ziemt, so zu verfahren. Einst-
weilen werden wir uns über diese Angelegenheit zufriedengeben, und gleich-
falls unsere guten Freunde und Bekannte in der Heimat beruhigen, für welche
es ein Schrecken und Abscheu ist, daß Menschen derart in Pennsylvanien be-
handelt werden.
Dies ist von unsrer Versammlung in Germantown, abgehalten am 18. des
2. Monats 1688. Zu übergeben an die Monatsversammlung bei Richard Worrells.
Garret Hendericks. Derick up de Graeff. Francis Daniell Pastorius.
Abraham up den Graeff."
Die Monatsversammlung der Quäker fand das Dokument zu wichtig, als
daß sie sich für zuständig hielt, einen Beschluß zu fassen. Sie überwies das
Schriftstück der „Vierteljahrsversammlung', die dasselbe aus den gleichen
Gründen am 4. April an die „Jahresversammlung" weitergab. Diese drückte
sich am 5. Juli mit der Erklärung um die heikle Frage herum: „Es wurde hier
eine von mehreren deutschen Freunden verfaßte Schrift eingereicht, welche die
Frage der Gesetzlichkeit oder Ungesetzlichkeit des Kaufs und Haltens von Negern
betrifft. Man kam dahin überein, daß es dieser Versammlung nicht zustehe, ein
positives Urteil über diese so viele andere Dinge berührende Frage abzugeben.
Aus diesem Grunde unterließ man es, auf die Angelegenheit einzugehen."
Damit wurde das denkwürdige Schriftstück zu den Akten gelegt. Erst
volle 1 55 Jahre später wurde es von dem Geschichtsforscher Nathan Kite wieder
aufgefunden und am 13. Januar 1844 in der Quäkerwochenschrift „Friend" zum
Abdruck gebracht. Das Original, ein stark verwitterter Bogen in Folioformat,
befindet sich noch heute im Besitz der Quäkergesellschaft der Friends in Phila-
delphia.
Wenngleich der menschenfreundliche Pastorius die Abschaffung der
Sklaverei nicht erlebte, so durfte er sich doch versichert halten, daß seine An-
regung einst Früchte tragen werde. Bereits im Jahre 1711 kam in Pennsylvanien
ein Gesetz zur Annahme: „An act to prevent the Importation of Negroes and
Indians into the province." Es wurde zwar von der englischen Regierung so-
fort für ungültig erklärt, aber schon 1715 begannen die Quäker ernstlich sich
gegen den überseeischen Sklavenhandel auszusprechen. 1730 gingen sie schon
so weit, das Kaufen importierter Sklaven zu mißbilligen.
— 62 —
Unterdessen war, was an dem edlen Pastorius sterblich, längst zu Staub
zerfallen. Er schied gegen Ende des Jahres 1719 aus dem Leben und wurde
auf dem alten Quäkerfriedhof von Germantown begraben. Kein Nachweis ist
vorhanden, an welcher Stelle die Gebeine des edlen Mannes ruhen, von dem sein
berühmter, ihm im Tode vorausgegangener Zeitgenosse und Freund William
Penn einst sagte: „Vir sobrius, probus, prudens et pius, spectatae inter in-
Altes Haus in Germantown, in dem der Protest gegen die Sklaverei verfaßt und
geschrieben wurde.
Nach einer alten Zeichnung.
culpataeque famae'*; „Nüchtern, rechtschaffen, weise und fromm, ein Mann von
allgemein geachtetem und unbescholtenem Namen".
Auch nach Pastorius' Tode flössen die Jahre in Frieden über die deutsche
Stadt hinweg. Keine Indianerkämpfe, Religionsstreitigkeiten oder Parteifehden
wurden hier ausgefochten. Mit den benachbarten Quäkern, denen sich viele
Mennoniten von Germantown förmlich anschlössen, unterhielt man die beste
Fühlung. Zuwanderung aus Deutschland und den benachbarten Kolonien ließ
— 63 —
das Städtchen Germantovvn rasch emporblühen. Von diesem Zuwachs erwies
sich keiner so wertvoll wie die Einwanderung eines aus Laasphe in Westfalen
stammenden Mannes, C h r i s t o p h S a u r , der im Jahre 1727 in Germantown
anlangte.
Nicht an Gelehrsamkeit, sicher aber an Vielseitigkeit war er dem edlen
Pastorius über. Sagt doch eine handschrifthche Notiz von ihm: „Er ist ein
sehr ingenieuser Mann, ein Separist, der auf die 30 Handwerke ohne Lehrmeister
erlernet. Denn als ein Schneider ist er dahin nach Amerika gereiset und nun
ein Buchdrucker, Apotheker, Chirurgus, Botanicus, groß und klein Uhrmacher,
Schreiner, Buchbinder, Concipient der Zeitungen, der sich alle seine Buch-
druckerwerkzeuge selbst verfertigt; ziehet auch Bley und Drat, ist ein Papier-
müller, u. s. W."
In keiner seiner vielen Beschäftigungen erzielte Christoph Säur so große
und nachhaltige Erfolge wie in der Druckerei.
Die nach Pennsylvanien gekommenen deutschen Sektierer verfaßten zahl-
reiche religiöse Erbauungsschriften, die sie in Philadelphia bei Andreas Brad-
ford, Samuel Keimer und Benjamin Franklin drucken ließen. Sie mußten es
sich allerdings gefallen lassen, daß ihre Andachtsbücher mit lateinischen Lettern
gedruckt wurden, da gotische Typen bisher nicht nacli Amerika gebracht waren.
Seidensticker zählt in seiner Monographie: „German printing in America"
eine ganze Reihe solcher mit römischen Typen gedruckten Bücher auf. Welchen
Wert die amerikanischen Drucker auf die Kundschaft der Deutschen legten, geht
daraus hervor, daß Bradford im Jahre 1730 einen deutschen Kalender erscheinen
ließ unter dem Titel: „Der Teutsche Pilgrim, mitbringend seinen sitten Ca-
lender. Auf das Jahr nach der gnadenreichen Geburt unseres Herrn und Hey-
iands Jesu Christ MDCXXXI."
Benjamin Franklin wagte sich sogar an die Herausgabe einer deutschen
Ausgabe seiner „Pennsylvania Gazette". Er kündigte dieselbe am U. Juli 1732
mit folgenden Worten an: „Am nächsten Samstag wird die Philadelphische
Zeitung, ein Blatt in Hochdeutsch, herausgegeben werden. Dieselbe wird alle
vierzehn Tage Samstags erscheinen. Auf dem Lande wohnende Subskribenten
können sie um zehn Uhr in Empfang nehmen. Anzeigen werden vom Drucker
der Zeitung wie auch von Herrn Louis Timothee, Sprachlehrer angenommen,
welcher dieselben übersetzt.
Diese Zeitung war mit römischen Lettern gedruckt. Eine Kopie der
zweiten Nummer vom 24. Juni 1732 befindet sich in den Sammlungen der
Historical Society of Pennsylvania. Gleich an der Spitze dieser Zeitung läßt
Franklin sich folgendermaßen vernehmen: „Wiewohl ich geglaubt hätte, daß
sich unter denen teutschen Einv/ohnern dieses Landes mehr Liebhaber sollten
gefunden haben, die dieses zumahl vor junge Personen so nützliche Werk, die
Ausgabe der Zeitungen nehmlich, befördern, und dazu mit anstehen würden;
so erstreckte sich doch die Anzahl derer, die sich dazu unterschrieben haben, vor
jetzt nicht über 50. Nichtsdestoweniger habe ich auf meiner seilen nicht er-
— 64 —
mangeln wollen, damit einen Anfang zu machen, der Hoffnung lebend, daß sich
noch mehrere einfinden werden, selbiges zu befördern, sonsten ich mich ge-
nöthigt sehen würde, bald wieder damit aufzuhören."
Da diese Ermunterung ohne Wirkung blieb, so stellte Franklin den Druck
der „Philadelphischen Zeitung" wieder ein. Die geringe Teilnahme der deut-
schen Bevölkerung an diesem Unternehmen erklärt sich dadurch, daß Franklin
wiederholt Äußerungen getan hatte, aus denen starke Abneigung gegen
alles Deutsche hervorleuchtete.
Dem scharfen Blick Christoph Saurs entging es nicht, daß er sich eine
lohnende Existenz gründen könne, wenn er in Germantown eine Druckerei er-
öffne und bei der Vervielfältigung der von seinen Landsleuten verfaßten Schriften
gotische Lettern verwende, die aus alter Gewohnheit von den Deutschen bevor-
zugt wurden. Wie richtig er rechnete, beweist die Tatsache, daß fortan fast
alle Werke der deutschen Sektierer in und um Germantown bei ihm verlegt
wurden.
Die Frage, ob Säur auch die ersten deutschen Lettern nach Amerika
brachte, ist noch offen. Die Ansicht Seidenstickers, dies sei der Fall gewesen,
wurde neuerdings durch den Fund eines im Besitz des Herrn JuHus Sachse in
Philadelphia befindlichen, nut gotischen Lettern gedruckten Büchleins hinfällig,
das die Jahreszahl 1728 trägt.
Seidensticker erwähnt in einem für den „Deutschen Pionier" geschriebenen
Aufsatz über „Deutsch-amerikanische Inkunabeln" mehrere Überlieferungen, wie
es in Germantown zur Einrichtung einer deutschen Druckerei gekommen sei.
Nach einer derselben hätten die aus Westfalen stammenden Tunker eine Drucker-
presse nebst Lettern von ihren in der Heimat zurückgebliebenen Glaubens-
genossen zugeschickt erhalten. Einer anderen Überlieferung zufolge habe der
Tunker Jacob Gaus Presse und Lettern mitgebracht, um für die deutschen
Sekten in Pennsylvanien religiöse Schriften zu drucken. Da er dazu nicht ge-
schickt genug gewesen sei, habe er den Apparat müßig stehen lassen, der später
von Christoph Säur erworben worden wäre.
Unzweifelhaft nahm die deutsche Druckerei in Nordamerika erst mit Säur
ihren Aufschwung. Er ergriff den neuen Beruf mit förmlicher Begeisterung,
überzeugt, durch die Gründung einer deutschen Druckerei ein gottgefälhges
Werk zu verrichten. So schrieb er in einem vom 17. November 1738 datierten
Brief: „Womit finde ich Worte, den guten Gott zu loben? Ich bin ihm hoch
verpflichtet! Mein Alles sey zu seinem Dienst und Verherrlichung seines Namens!
Dieses war in Schwachheit meine Begierde und Verlangen vor das viele Gute,
so mir die Zeit meines Hierseyns und meines gantzen Lebens wiederfahren.
Darum habe ich auch gewünschet, eine deutsche Druckerei im Lande mir anzu-
legen, die mir . . . gekauft und hierher befördert. Nun könnte man kein be-
quemer Vehiculum finden, solches durchs ganze Land bekannt zu machen, als
zuerst einen Calender zu drucken."
— 65 —
Dieser Kalender erschien unter dem Titel :
Der Hoch-Deutsch
Amerikanische Calender
auf das Jahr
nach der gnadenreichen Geburt unseres
Herrn und
Heylands Jesu Christi
1739.
Er enthielt neben den üblichen Mitteilungen allerhand nützliche Be-
lehrungen über Pflanzenkunde, Gesundheits- und Krankheitspflege, Geschichte,
Länder- und Völkerkunde und dergleichen mehr. Dem Kalender folgte noch im
selben Jahre ein von den Klosterbrüdern zu Ephrata zusammengestelltes,
792 Seiten umfassendes Gesangbuch. Dasselbe war „allen in der Wüsten
girrenden und einsamen Turteltäublein" gewidmet und trug den wunderlichen
Titil: „Zionitischer Weyrauchs-Hügel oder Myrrhen-berg, worinnen allerley
liebliches und wohlriechendes, nach Apotheker-Kunst zubereitetes Rauch-Werk
zu finden."
Es bezeugt gewiß den Wagemut Saurs, daß er, nachdem dieses Werk
kaum fertig war, schon zur Herausgabe einer deutschen Zeitung schritt. Die-
selbe erschien am 20. August 1739, hatte vier doppelspaltige Seiten von 13 Zoll
Höhe und 9 Zoll Breite und trug den Titel : „Der Hoch-Deutsch Pennsylvanische
Geschichtsschreiber oder Sammlung wichtiger Nachrichten aus dem Natur- und
Kirchenreich."
Dieser Erstling der deutsch-amerikanischen Zeitungspresse sollte dem
ursprünglichen Plan des Herausgebers zufolge viermal im Jahre erscheinen.
Die Zeitung schlug aber gleich mit ihrer ersten Nummer so gut ein, daß Säur
sich entschloß, sie jeden Monat erscheinen zu lassen. Im Jahre 1748 konnte sie
bereits halbmonatlich erscheinen. Drei Jahre später belief sich die Auflage
bereits auf 4000 Exemplare, die über das ganze östliche Pennsylvanien Ver-
breitung fanden.
Es bedarf kaum der Erwähnung, daß Säur seine Zeitung nicht nur druckte,
sondern auch selbst zusammenstellte. Er befleißigte sich dabei der größten Ge-
wissenhaftigkeit. Nichts war ihm so peinlich, als wenn in seine Zeitung Nach-
richten hineingerieten, die sich später als falsch erwiesen.
Für die Uneigennützigkeit Saurs im Verkehr mit seinen Abnehmern zeugt
die Tatsache, daß er, obwohl dieselben statt der ursprünglich angekündigten
vier Nummern jährlich zwölf erhielten, den Subskriptionspreis von 3 Schillingen
(40 Cents) unverändert beibehielt. Daran wurde auch nicht gerüttelt, als später
das Blatt halbmonatlich und endlich als „Germantowner Zeitung" wöchentlich
herauskam. Als Grund hierfür gab Säur die Erklärung, daß den größeren Aus-
lagen für Zusammenstellen, Druck und Papier auch größere Einnahmen aus
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 0
— 66 —
den Anzeigen gegenüberständen und daß ein ehrlicher Mann sich nicht doppelt
bezahlt machen dürfe.
Im Jahre 1742 schritt Säur zu dem in Anbetracht damaliger Verhältnisse
erstaunlichen Unternehmen, eine deutsche Bibel zu drucken, wozu er neue Typen
aus Frankfurt a. M. bestellte. Bereits im Sommer 1743 konnte der 1272 Seiten
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gen ?f?a(jm, -memgft bev 2lufn?ech.ing unJ>
bei ^^u.f[fcfxiuenä bek7 emtgen, bieejffeffn
fcbaffen. 2lud) motzten n)ol;[ fünfftiö ^l*
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•fragen er nf tli rben©e:Ti iit b em junT92atl)|im
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funoc^ bey^erfcit^ mitfinancSeiju ^l(ic
älfoau(^()piÄavpr ;mt ^em'Cur^m
en
■codi
Titelblatt der ersten mit deutschen Lettern in Amerika gedruckten Zeitung.
starke Quartband den Subskribenten ausgeliefert werden, wobei Säur das Exem-
plar um zwei Schillinge billiger als den ursprünglich auf 14 Schillinge festge-
setzten Preis abgab. „Für Arme und Bedürfftige'', so kündigte er ip seiner
Zeitung an, „ist kein Preis".
Für die Geschichte der Buchdruckerkunst in Amerika ist die Saursche Bibel
insofern von besonderer Wichtigkeit, als sie die erste in europäischer Sprache
BIBLIA,
iüe0 unt) üeue0
tUvunU,
. Sarnn ^ucßer«/
^it itM Sapitef^ tnt^tn (Summarien ^ au*
Mfl einem mf)mQ
Se^ dritten unb Werten Sdnd^i (£frd un5 beg
brimn ^ud)^ ber 501accab(Jer,
^ermantorDn:
©ebrucft kn |5briftop& ^aur^ 1743.
Titelblatt der ersten in Amerika gedruckten deutschen Bibel
— 68 —
auf der westlichen Erdhälfte hervorgebrachte Bibel ist. Ihr ging nur eine im
Jahre 1663 in der Sprache der Massachusettsindianer gedruckte Bibel voraus,
welche von dem Missionär Eliot hergestellt war. Eine englische Bibelausgabe
erschien in Amerika erst 40 Jahre nach der deutschen.
In den Jahren 1763 und 1776 veranstalteten die Söhne Saurs noch zwei
Neuauflagen der Bibel. Der Gesamtverlag umfaßte, bevor im Revolutions-
krieg schweres Unglück über die Saursche Familie hereinbrach, 150 Werke des
verschiedensten Inhalts. Saurs Druckerei befand sich in einem höchst beschei-
denen Hintergebäude seines in Germantown gelegenen Wohnhauses. Leider
Christoph Saurs Wohnhaus und Druckerei.
mußten beide Gebäude in der Mitte des vorigen Jahrhunderts einem Neubau
weichen. Dem eifrigen Betreiben des wackem Druckers Christoph Säur ist
die Errichtung der Germantown Academy zu danken, die im Jahre 1761 er-
öffnet wurde und noch heute besteht. Ihr Lehrpersonal bestand zunächst aus
einem deutschen und einem englischen Lehrer, sowie einem Hilfslehrer.
Daß im Jahre 1690 in Germantown auch die erste Papierfabrik in Amerika
errichtet wurde, möge nebenbei bemerkt sein.
So knüpfen sich an den Namen Germantown mancherlei Vorgänge, die
nicht bloß für die Geschichte des Deutschtums in Amerika, sondern überhaupt
für die Kulturgeschichte der Neuen Welt von hervorragender Bedeutung sind.
Kein Historiker, der es unternehmen wollte, die kulturelle Entwicklung
— 69 —
Amerikas, insbesondere der großen transatlantischen Republik, zu schildern,
dürfte versäumen, Germantowns und seiner Gründer zu gedenken.
Germantown blieb nicht die einzige Mennonitenniederlassung der Neuen
Welt. Durch den Erfolg ihrer Glaubensgenossen angeregt, kamen bald andere
Mennoniten aus Deutschland, England und der Schweiz. Besonders stark war
ihr Zuzug während der Jahre 1709, 1717 und 1726. Ihr Hauptsitz wurde der
pennsylvanische Kreis Lancaster, von wo die Mennoniten sich später über andere
Teile Pennsylvaniens sowie über West-Virginien, Virginien, Ohio, Tennessee,
Indiana und Illinois ausbreiteten.
Nach 1730 erhielt die Sekte wenig Zufluß aus Europa. Erst in den Jahren
1873 bis 1878 schnellte ihre bereits 60 000 betragende Kopfzahl um nahezu
100 000 empor. Dieser gewaltige Zuwachs bestand aus Mennoniten, die im
18. Jahrhundert nach Westpreußen und später, um der Militärpflicht zu ent-
gehen, nach Rußland ausgewandert waren, wo man ihnen nicht nur volle
Glaubensfreiheit, sondern auch Befreiung vom Militärdienst und Kriegssteuern
zugesichert hatte. Als die russische Regierung im Jahre 1871 diese Freiheiten
aufhob, verkauften die Sektierer ihre blühenden Wohnsitze, um nicht genötigt
zu sein, durch das Tragen von Mordwaffen gegen ihr Gewissen handeln zu
müssen. Sie wandten sich nach den noch wenig besiedelten, in ihrem land-
wirtschaftlichen Charakter den südrussischen Steppen ähnlichen Staaten Kansas,
Nebraska, Minnesota, Dakota und Kanada, wo sie, deutsches Wesen und
deutsche Sprache treu bewahrend, durch Fleiß, rechtschaffenes Leben sowie
durch ihre Erfolge die Achtung aller Amerikaner erwarben.
Schlußvignette: Das Siegel von Germantown.
Die Labadisten und Rosenkreuzer.
Das von den Kre-
felder Mennoniten ge-
gebene Beispiel veranlaßte
viele der in Deutschland
schweren Bedrängnissen
ausgesetzten Sekten zur
Nachfolge. Noch war kein
Jahr seit der Landung
der Krefelder in Phila-
delphia verstrichen, als in
Friesland die Labadisten
sich zur Übersiedlung
nach Amerika anschickten.
Sie waren Anhänger des
im Jahre 1610 geborenen
französischen Jesuiten d e
1 a B a d i e , der nach
seinem Übertritt zum Pro-
testantismus in Frankreich,
der Schweiz, den Nieder-
landen, in Norddeutsch-
land und Holstein mehrere
Gemeinden gegründet
hatte. Eine in dem friesi-
schen Städtchen Wieward
bestehende Labadistenge-
meinde sandte bereits im
Jahre 1679 zwei erprobte
Männer, Petrus Schlü-
ter oder Sluyter, und
Jaspar Dankers, nach
Amerika, um dort einen
Landstreifen anzukaufen, der sich für eine Niederlassung eigne. Die beiden
entschieden sich für ein 3750 Acker großes Grundstück an dem in Maryland ge-
legenen Bohemiafluß, welches zum Besitz des in einem früheren Abschnitt er-
wähnten Landvermessers Augustin Herrman gehörte.
Johannes Kelpius.
Nach einer alten Malerei im Besitz der Historical Society of Pennsylvania
Der Kaufakt wurde am 11. August 1684 vollzogen. Als bald darauf
die 100 Köpfe starke Hauptschar der Labadisten eintraf, begann dieselbe sofort
mit dem Bau eines Klosters. Seine Insassen entschlossen sich, in Gütergemein-
schaft zu leben. Niemand durfte — auch im Fall seines Austritts — etwas
vom Gesamtvermögen beanspruchen.
Da Trennung der Geschlechter und strenge Enthaltsamkeit zu den Grund-
sätzen der Labadisten gehörte, so wurden der Sektierer im Lauf der Jahre immer
weniger. Bereits um das Jahr 1724 war die ganze Kolonie ausgestorben, ohne
irgendwelchen Einfluß auf die Kultur Amerikas ausgeübt zu haben.
Ebenso unfruchtbar blieb der Zuzug einer anderen Schar von Sektierern,
die am 23. Juni 1694, 40 Personen stark in Philadelphia anlangte und großes
Aufsehen erregte. Ein Teil der Ankömmlinge war in grobe Pilgergewänder
gekleidet; andere trugen die Talare der deutschen Gelehrten und Studenten
oder die bunte Tracht mitteldeutscher Landbewohner. Nicht minder erregte
es Befremden, als bei Anbruch der Dunkelheit die seltsamen Gäste hinauszogen
und auf einem Hügel unter geheimnisvollen Zeremonien ein St. Johannis- oder
Sonnewendfeuer entzündeten, wohl das erste, welches auf der westlichen Erd-
hälfte emporflammte.
Die seltsamen Gäste waren sogenannte „Rosenkreuzer", die in den Wild-
nissen Amerikas eine theosophische Gemeinde gründen wollten. Ihr Führer
war Johann Kelpius, „Dokter der Freien Künste und Weltweisheit".
In der Stadt der Bruderliebe bewies man den Fremdlingen großes Ent-
gegenkommen. Ein Bürger, Thomas Fairman, schenkte ihnen sogar ein
175 Acker großes Grundstück, das in der wildromantischen Einöde am
Wissahickonbach lag. Dorthin siedelten die Mystiker über und bauten auf dem
höchsten Punkt des Landes ein großes Blockhaus, dessen Seiten genau nach
den vier Hauptpunkten des Kompasses gerichtet v/aren.
Es umschloß einen für die gemeinschaftlichen reli.giösen Übungen be-
stimmten Saal sowie eine Anzahl zellenartiger Kammern, die den Theosophen
als Wohnung dienten. Auf dem Dach erhob sich ein Observatorium, wo die
frommen Brüder mit einem Fernrohr beständig Ausschau hielten, ob am Firma-
ment gewisse Zeichen das Nahen des sehnsüchtig erwarteten himmlischen Bräuti-
gams und den Anbruch des tausendjährigen Reiches verkünden möchten. Da
diese Ereignisse ihrer Meinung nach jederzeit eintreten konnten, so sollte der
himmlische Bräutigam sie nicht unvorbereitet finden. Außer dem Observatorium
besaß das Tabernakel — so nannten die Einsiedler ihr Blockhaus — noch eine
Besonderheit : das hoch an einer Stange aufgerichtete Zeichen der Rosenkreuzer,
ein in einem Kreise stehendes Kreuz, das uralte Symbol des Sonnenjahres.
Nachdem die Theosophen für ihr Haus gesorgt, begannen sie das um-
liegende Land zu bestellen. Außer Getreide und Gemüse zogen sie allerhand
Heilkräuter, deren Samen sie aus Deutschland mitgebracht hatten.
Den größten Teil ihrer Zeit verbrachten die Rosenkreuzer mit frommen
Betrachtungen. Zu stiller Einkehr, zum Grübeln über die Rätsel des Lebens
— 72 —
und die Geheimnisse des Jenseits waren die Wälder am rauschenden Wissaliickon
allerdings wie geschaffen. Z.wischen ragendem Geklipp und unter tausend-
jährigen Eichen, Buchen und Fichten gab es überall Plätze, die durch ihre
Weltentrücktheit und Stille zu philosophischen Betrachtungen einluden. Höchst
selten wurden die frommen Einsiedler durch Besucher gestört, denn die Be-
wohner der Umgegend hielten sich in scheuer Ehrfurcht fern, zumal sie glaubten,
daß die Einsiedler im Besitz geheimnisvoller Kräfte seien, die „weiße Magie"
verstünden, Umgang mit unsichtbaren Geistern hielten und ihre Seele nach
Wunsch vom Körper loszulösen vermöchten.
In der Tat gab es bei den Rosenkreuzern manches, was befremden konnte.
Schon der Name, den die Theosophengemeinde sich zugelegt hatte, war seltsam
genug. Er war den Versen 1 und 6 des 12. Kapitels der Offenbarung Johannis
entlehnt, wo es heißt: „Es erschien ein großes Zeichen am Himmel: ein Weib
mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen. Auf ihrem Haupt
trug es eine Krone von zwölf Sternen." Und weiter: „Dies Weib entfloh in
die Wüste, wo es eine von Gott hergerichtete Stätte hatte, daß sie daselbst
ernähret würde tausend zweihundert und sechzig Tage." Nach diesen Versen
nannten die Theosophen sich ,.Das Weib in der Wüste". Sie verstanden unter
diesem Namen eine Gemeinschaft von Auserwählten inmitten der Wüste der vom
wahren Glauben abgewichenen Christen.
In dieser Wüste warteten sie der Wiederkunft Christi. Mit welch heißer
Inbrunst Kelpius diesem Ereignis entgegensah, bekundet folgende seiner noch
erhaltenen Dichtungen :
„O quälende Liebe! O süßeste Plag!
Verlege, verschiebe nicht länger den Tag!
Verkürze die Zeiten, laß kommen die Stund!
Denk an den getreuen, gnädigen Bund!
Und mache denselben für alle Welt kund!" . .
Aber Jahr auf Jahr rollte dahin, ohne daß der Seelenbräutigam erschien.
Verzagend ließen manche Brüder in ihrem frommen Eifer nach und zogen nacli
Germantown, um wieder am bürgerlichen Leben teilzunehmen.
Auch die Zurückgebliebenen wurden lässiger in ihren religiösen Übungen.
Ja, sogar das Observatorium, auf dem man so lange Wacht gehalten, verein-
samte. Nur Kelpius harrte mit wenigen Gestählten aus, obwohl ihre Ungeduld
sich häufig zu förmlicher Seelenqual steigerte. Einzelne seiner Gesänge legen
davon Zeugnis ab. Tief niedergeschlagen brach er in die Worte aus:
„So manches kummervolle Jahr
Hab ich nun dein geharret,
Doch ach! umsonst, ich furcht' fürwahr,
Ich werd' doch eingescharret,
Eh ich dich seh'.
Eh denn ich steh'
Geschmückt zu deiner Rechten
Gekrönt mit den Gerechten."
— 73 —
In dem Wahn, in seiner Selbstlcasteiung noch nicht genug getan zu haben,
Heß Kelpius in der Nähe einer noch heute seinen Namen tragenden Quelle eine
künstliche Höhle herrichten, in die er sich mit seinen Büchern und wissenschaft-
lichen Apparaten zurückzog, um völlig ungestört seinen Gedanken nachhängen
zu können. Aber infolge des langen Verweilens in diesem halbunterirdischen
feuchten Raum zog der dürftig gebaute, durch frugales Leben geschwächte
Gelehrte sich eine starke Erkältung zu, die in Schwindsucht überging.
Kelpius hatte gehofft, daß er nicht dem Tode verfallen, sondern von Gott
„überschattet" und gleich Elias zum Himmel emporgetragen werde. Die drei
letzten Tage vor seinem Tode verbrachte er mit inbrünstigen Gebeten und unter
Anrufung des Herrn. Als aber kein Zeichen ankündigte, daß sein Sehnen
erfüllt werde, brach er in tiefe Klagen aus, daß ihm nicht beschieden
sei, was er so inbrünstig erstrebt habe. „Nichts bin ich als irdischer Staub;
und zum Staube werde ich zurückkehren. Es ist bestimmt, daß ich sterben
soll gleich allen andern Adamskindern!"
Kurz vor seiner Auflösung berief er, wie in den an allen religiösen Vor-
gängen Amerikas Anteil nehmenden „Hallischen Nachrichten" (p. 1265) aus-
führlich erzählt ist, seinen Diener und Freund Daniel an sein Lager und über-
gab ihm eine versiegelte Schachtel mit dem Befehl, dieselbe unverzüglich in
den Schuylkillfluß zu werfen. Daniel aber dachte, daß die Schachtel einen
Schatz enthalte, der ihm von Nutzen sein könne. Deshalb habe er den Befehl
nicht erfüllt, sondern die Schachtel am Ufer versteckt. Als er zu dem Sterbenden
zurückkam, habe dieser ihm scharf in die Augen geschaut und ihm die Nicht-
erfüllung des Befehls vorgehalten, worauf Daniel tief erschrocken über die
Allwissenheit seines Herrn schleunigst an den Fluß zurückkehrte und die
Schachtel ins Wasser warf. Kaum kam sie mit demselben in Berührung, als sie
unter Blitz und Donner zersprang. Als Daniel an das Bett des Sterbenden
zurückkehrte, rief dieser „Es ist vollbracht!" Gleich darauf, im April 170S,
hauchte Kelpius, kaum 35 Jahre alt, seine Seele aus. Die wenigen Über-
lebenden seiner Gemeinde begruben ihn unter geheimnisvollen Zeremonien bei
Sonnenuntergang. Als die letzten Strahlen über das Gelände glitten, ließen
sie den einfachen Sarg unter den feierlichen Klängen des „De Profundis" in
die Gruft hernieder, aus der im selben Augenblick eine bereitgehaltene weiße
Taube sich himmelwärts in die Lüfte schwang. Mit gefalteten Händen sahen
die Trauernden ihr nach, dreimal die Worte rufend: „Gott gebe ihm eine
selige Auferstehung!"
Nach Kelpius Tode ließ die Auflösung der Theosophengemeinde sich
nicht länger verhüten. Ein Glied nach dem andern fiel ab. Manche gerieten,
wie die Chronik des benachbarten Klosters Ephrata berichtete, „ans Weib",
andere schlössen sich den um jene Zeit ins Land einwandernden Mährischen
Brüdern oder Herrnhutern an oder zogen mit Conrad Beissel, dem merkwür-
digen Begründer der Sekte der „Erweckten" nach den Wildnissen am Conestoga.
Der letzte Rosenkreuzer hieß Conrad Matthäi. Man sah ihn nur selten;
— 74 —
dann aber verfehlte seine Erscheinung nicht, auf alle tiefen Eindruck zu machen.
Er trug stets ein aus grobem ungefärbtem Zeug hergestelltes Pilgerge-
wand, das bis auf die mit Sandalen bekleideten Füße reichte. In den Händen
trug er einen langen Pilgerstab, auf den von weißen Locken und einem wallenden
Bart umgebenen Haupt einen breitkrämpigen Hut, an dessen Vorderseite eine
Pilgermuschel befestigt war. Die Augen des ehrwürdigen Eremiten leuchteten
stets in eigentümlichem überirdischem Feuer; über der ganzen Erscheinung
ruhte der Hauch des Weltentrückten.
Im August des Jahres 1748 erlag auch dieser letzte Theosoph dem All-
bezwinger Tod. Sein Wunsch, zu Füßen seines Meisters Kelpius begraben zu
werden, wurde von der zionitischen Brüderschaft Ephratas erfüllt.
So ruhten nan alle im Schatten ihres zerfallenen Tabernakels, die Brüder
einer Gemeinde, in deren Herzen das heilige Feuer m-ittelalterlicher Schwärmerei
noch einmal in hellen Flammen emporgeflackert war. Durchdrungen von der
Überzeugung, daß die Verheißung der Bibel in Erfüllung gehen und eines Tages
das tausendjährige Reich anbrechen werde, hatten sie in den Wildnissen
Amerikas ein an Mühseligkeiten und Entbehrungen reiches Leben geführt. Sich
als Fremdlinge auf dieser Erde betrachtend, schlummerten sie, an ihrem Glauben
unverrückt festhaltend, in die Ewigkeit hinüber.
.r^.'
Schlußvignette: Kelpius' Höhle.
Die Tunker und das Kloster Ephrata.
Fast gleichzeitig mit den Mennoniten er-
schienen in Pennsylvanien die Tunlcer oder Dunker,
die ihren Namen davon erhielten, daß sie die Taufe
durch dreimaliges Untertauchen oder Tunken des
ganzen Körpers vollziehen und diese Handlung als
die allein richtige Taufe betrachten. In ihren
sonstigen Ansichten sind sie den Mennoniten eng
verwandt. Die Sekte nahm im Jahre 1708 in
Schwarzenau bei Berleburg ihren Ursprung. Es
fanden sich daselbst acht Personen im Hause des
Alexander Mack zusammen, um in sorgfältigem
Studium der Bibel den wahren Glauben zu suchen,
den ihrer Meinung nach die Kirchen nicht zu er-
fassen vermocht hatten. Eine Zweiggemeinde ent-
stand in Marienborn; beide Gemeinden aber zogen,
als die Regierung die in den Flüssen vorgenom-
menen Taufakte nicht länger gestatten wollte, in
den Jahren 1719 und 1729 nach Pennsylvanien,
in die Nähe von Germantown. Zweigniederlassun-
gen entstanden später in Maryland, Virginien, Ohio,
Indiana, Kansas, Missouri und Texas. Im Jahre 1896 zogen 2500 Tunker nach
Norddakota, um neue Kolonien zu gründen. Die Gesamtzahl der Tunker, die
in Deutschland völlig ausgestorben sind, beläuft sich in den Vereinigen Staaten
auf über 100 000. Sie unterhalten 1100 Kirchen, 10 Colleges und über
2500 Pfarrer.
In Tracht und Lebensweise nahmen sie seit ihrem Verweilen in Amerika
mancherlei EigentümHchkeiten an. Stoff, Farbe und Schnitt der Kleidung, die
Tracht des Haares und Bartes werden auf den Jahresversammlungen genau
bestimmt. Diese Vorschriften erstrecken sich auf die geringfügigsten Kleinig-
keiten, ob z. B. die Kleider durch Knöpfe oder Haken zu schließen und wie
die Haare zu scheiteln sind. Die Erörterung solcher Fragen führte bisweilen
zu Disputen, ja zur Absonderung einzelner Gemeinden, die dann für sich neue
Sekten bildeten. So zweigte sich die nach ihrem Führer Jacob Amman
genannte Amisch Sekte ab, welche wiederum in mehrere Gruppen zerfällt.
Konrad Beissel.
Nach einer gleichzeitigen Silhouette.
— 76 —
Schon bald nach der Ankunft der Tunker in Pennsylvanien trennte sich
von ihnen eine kleine Schar von Mystikern, die gleich den Labadisten und Rosen-
kreuzern streng religiöses Leben auf die Spitze trieben. Ihr Oberhaupt war
der Pfälzer Konrad Beissel aus Ebersbach (geb. im März 1696). Sie
zogen sich in die Einsamkeit am Cocalicofluß zurück und bauten dort im
Jahre 1735 ein Kloster, das unter dem Namen Ephrata weithin bekannt wurde.
Es bestand aus einem großen Versammlungshause, dem Brüderhaus Bethanien
und dem Schwesternhaus Saron. Die Gebäude standen im Dreieck zueinander.
Das Zölibat war den Insassen des Klosters, deren Zahl sich auf etwa 300 belief,
nicht streng vorgeschrieben, aber sehr bevorzugt. Sämtliche Angehörigen, aucli
Ein Liebesmahl der Tunker.
die verheirateten Familien, die sich in eigenen Hütten in der Nähe des Klosters
ansässig machten, verpfHchteten sich zur Gemeinsamkeit alles Eigentums, trugen
im Sommer weißleinene, im Winter weißwollene Ordensgewänder, lebten von
Pflanzenkost und Quellwasser und schliefen in engen Zellen auf Bretterbänken
mit einem Holzklotz als Kopfkissen. Ein Schrank und ein Stundenglas vollen-
deten das Mobilar. Nächtliche Gebetversammlungen, Liebesmähler und Fuß-
waschungen waren für ihren Gottesdienst bezeichnend. Der Samstag wurde als
Sabath streng gefeiert, wohingegen man am Sonntag gewöhnliche Arbeiten ver-
richtete, Vom Volk wurden sie daher die „Siebentäger" genannt. Unter den
Brüdern gab es verschiedene Männer und Frauen, die große Kenntnisse sowie
Fertigkeit in Musik und Dichtkunst besaßen. Mit ihnen gründete Beissel einen
77 —
Chor, dessen Leistungen von allen Zeitgenossen, die das Kloster besuchten,
sehr gerühmt wurde. Man bemühte sich in dem Gesang das Wehen und
Klingen der damals sehr beliebten Äolsharfen nachzuahmen. Ein Engländer,
der das Kloster besuchte, schreibt • „Die Schwestern saßen da mit zurückgelegten
Häuptern. Die Mienen der infolge des strengen Lebenswandels bleichen und
abgezehrten Gesichter waren feierlich und klagend. Die Kleidung war schnee-
weiß und sehr male- ,^____
risch. Der Gesang der - - ' ■"-■ ' ' ■ l>ii
Schwestern schien von
Instrumenten zu kom-
men; die Lippen wur-
den kaum geöffnet, aber
die süßen sanften Töne
klangen so, daß sie
bis in die tiefste Seele
drangen. Dabei war
der Gesang von einem
bewundernswertenAus-
druck, einer seltenen
Bestimmtheit in Zeit-
maß und Betonung.
Ich war nahe daran,
mich in einer Geister-
welt zu glauben." Alle
von diesem Chor ge-
sungenen Lieder waren
von Beissel oder ande-
ren Mitgliedern des
Ordens gedichtet und
in Musik gesetzt.
Um das Jahr 1740
schaffte das Kloster
auch eine Drucker-
presse an, auf welcher
zahlreiche religiöse
Bücher in deutscher
und englischer Sprache hergestellt wurden. Man hatte diese Erbauungsbücher
früher bei William Bradford und Benjamin Franklin in Philadelphia, später bei
Christoph Säur in Germantown drucken lassen. Als Beissel aber mit letzterem
wegen religiöser Fragen in Meinungsverschiedenheiten geriet, erbauten die
Ephratenser nicht nur eine eigne Papiermühle, sondern schafften auch eine Presse
an, die noch jetzt im Museum der Flistorischen Gesellschaft zu Philadelphia
aufbewahrt wird.
Eine Klosterschwester von Ephrata.
Aus einer im Kloster angefertigten Handschrift.
— 78
Aus dieser Presse gingen viele mit. absonderlichen Titeln versehene Bücher
hervor, wie z. B. die Liedersammlungen : „Das Gesang der einsamen und ver-
lassenen Turteltaube, nämlich der Christlichen Kirche. Von einem friedsamen
und nach der stillen Ew^igkeit wallenden Pilger'*; „Ein angenehmer Geruch der
Rosen und Lilien, die im Thale der Demuth unter den Dornen hervorwachsen —
geistliche Lieder der Schwestern"; ferner „Das Paradisische Wunderspiel*' u. a. m.
Das bedeutendste Erzeugnis der Presse zu Ephrata war ein mächtiger
Großfolioband von 1514 Seiten, eine Übersetzung des im Jahre 1660 von Tile-
mann Jans vom Braght in Holland geschriebenen „Märtyrerspiegels". Dieses
Buch galt den Mennoniten als besonders wertvoll, weil es die Leidensgeschichte
vieler Glaubensgenossen enthielt, die in den Niederlanden, der Schweiz und in
Süddeutschland den Märtyrer-
tod auf flammenden Scheiter-
haufen oder durch das Richt-
schwert erlitten hatten.
Das Werk wurde in
Ephrata zunächst von dem
Bruder Peter Miller aus dem
Holländischen ins Deutsche
übersetzt. Über seine tech-
nische Herstel-
lung berichtet die
„Chronik von
Ephrata" folgen-
dermaßen :
„Nach geen-
detem Mühlenbau
wurde der Druck
des Marterbuchs
vor die Hand
genommen, zu welcher wichtigen /Xrbeit fünfzehn Brüder ausgesetzt wurden,
davon neun ihre Arbeit in der Druckerei hatten, nämlich ein Corrector,
welcher auch Übersetzer war, vier Setzer und vier Preßleute ; die übrigen fanden
ihre Arbeit in der Papiermühle. Mit diesem Buche hat man drey Jahre zu-
gebracht, doch nicht anhaltend, weilen es oft an Papier gebrach. Und weilen
während der Zeit sonst wenig Geschäfte im Lager (im Kloster) war, so ist
darüber der Brüder Haushaltung tief in Schulden geraten, welche aber durch
den starken Abgang des Buches bald getilgt wurden. Das Buch wurde in
groß Folio gedruckt, enthielt sechzehn Buch Papier und war die Auflag
1300 Stück. In einem mit den Mennoniten gehaltenen Rat war der Preiß auf
20 Schilling auf ein Exemplar gesetzt, welches sie kann überzeugen, daß man
zu desselben Druck gantz andere Ursachen als Gewinnsucht gehabt." —
Ein Teil der Auflage dieses Märtyrerspiegels verfiel übrigens während des
Die Handpresse des Klosters Ephrata.
Jetzt im Besitz der Historischen Gesellschaft zu Pennsylvanien
— 79 —
Unabhängigkeitskrieges einem seltsamen Schicksal. Er wurde von den amerika-
nischen Soldaten beschlagnahmt und zu Papierpfropfen für die Gewehre ver-
arbeitet.
Auch die mittel-
alterliche Miniatur-
malerei lebte in Eph-
rata wieder auf. Vor-
nehmlich unter den
Ordensschwestern gab
es manche vorzügliche
Kalligraphen,die pracht-
voll ausgeführte Manu-
skripte für das Kloster
anfertigten und die
Wände des Versamm-
lungssaales mit großen
Erakturschriften und
allegorischen Bildern
verzierten.
Nach dem am
6. Juli 1768 erfolgten
Tode Beissels fiel die
Leitung des Klosters
an Peter Miller,
ehemaligen Doktor der
Theologie an der Uni-
versität zu Heidelberg.
Er stand bis zu seinem
1796 eintretenden Tode
dem Kloster vor, daß
dann aber verfiel
und im Jahre 1814
ganz einging. Ein bei
Waynesboro gegründe-
tes Zweigkloster erhielt
sich bis in die neueste
Zeit, besaß aber im
Jahre 1890 nur noch drei hochbetagte Insassen. Von der Sekte der Sieben-
täger sind in Pennsylvanien noch geringe Reste in den Grafschaften Franklin
und Lancaster vorhanden.
Gleich den bisher beschriebenen Sekten fanden auch die nach dem
schlesischen Edelmann Kaspar Schwenkfeld von Ossing (geb. 1490, gest. 1561)
benannten Schwenkfelder in Pennsylvanien eine Zuflucht. Schwenkfeld hatte in
ober
eprlßfen Iprijten/
1/
©ic um M Seu^nug 3^/u ihxß ee(i3inac()er^ mtn
gelttten mmmb feynb gcro&rft mxUni Don SCbrifri Beiran
51^ auf i)a0 3al)r i66o.
Ift unb in <pollänbirc<)fr ©prad; heraus gegeben ^'"Sjnuiim geianu
üon T. J. V. BRACH T.
<niin ahn forflfältigff inö ^ocbieutfctje übenXjt unb aum fmenmaf anö C^t gebrockt,
EPHRATAinPenfylvanien,
^rugjinb ^erlagg Der ^rui)frfct)affr. Anno MDCCXLVm.
Titelblatt des in Ephrata gedruckten Märtyrerspiegels.
— 80 —
Köln den Titel eines Doktors der Rechtswissenschaften und Philosophie er-
worben. Seine Ansichten über die Lehre vom Abendmahl wichen von den-
jenigen Luthers ab; so lehrte er, daß der Körper Christi ebenfalls göttlicher
Natur sei. Dieser und einiger andern Besonderheiten wegen wurden er und
seine Anhänger sowohl von den Lutheranern wie von den Katholiken verfolgt;
ja, Kaiser Karl VI. forderte im Jahre 1725 die Schwenkfelder unter harten Straf-
androhungen auf, in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren. Die
Sektierer aber zogen vor, nach der Neuen Welt überzusiedeln, wo sie, 184 Köpfe
stark, am 22. September 1734 eintrafen. Ihre Niederlassungen befinden sich
noch jetzt in den pennsylvanischen Grafschaften Berks, Montgomery und Lehigh.
Wegen ihres Fleißes und ihrer Sparsamkeit sind die Schwenkfelder be-
kannt. Schönere Farmen als die ihrigen gibt es im ganzen Lande nicht. Ihr
Eigentum vererbt sich von Generation auf Generation. Niemals wird es zu-
gelassen, daß ein Schwenkfelder bettelt oder gar in ein Armenhaus geht. Um
dies zu verhüten, legten sie einen Armenfonds an, der aber selten in Anspruch
genommen wird. Schon lange, ehe im Staate Pennsylvania das Volksschul-
system eingeführt wurde, besaßen sie auch einen Schulfonds, aus welchem sie
die Kosten der Erziehung ihrer Kinder bestritten.
Die Salzburger in Georgia.
Zu den religiösen
Flüchtlingen zählten
auch die protestanti-
schen Salzburger,
welche im Jahre 1734
nach Georgia kamen.
Sie waren Nachkom-
men der im 13. Jahr-
hundert in Südfrank-
reich entstandenen Sekte
der Waldenser, welche
dort bekanntlich äußerst
harten Verfolgungen
ausgesetzt gewesen und
endlich zur Aufgabe
ihrer schönen Heimat
Savoyen gezwungen
worden war. Ein Teil
dieser Flüchtlinge
wandte sich nach den
Tiroler und Salzburger
Alpen, wo sie deutsche
Sprache und Sitten an-
nahmen, tüchtige luthe-
rische Prediger erhielten
und Luthers Bibel und
Schriften lasen. Durch
Fleiß und Genügsam-
keit brachten sie es zu
großem Wohlstand.
Ein dauerndes Asyl war ihnen aber auch dort nicht beschieden. Die
religiösen Verfolgungen begannen aufs neue. Ihre Prediger wurden vertrieben
oder ins Gefängnis geworfen, einer sogar enthauptet. Im Jahre 1684 erließ
der Erzbischof von Salzburg den Befehl, sämtliche Protestanten, die sich wei-
gerten, in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückzukehren, des
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 6
Pastor Johann Martin Bolzius.
^ 82 —
Landes zu verweisen. Es bedurfte der Vorstellungen aller protestantischen
Fürsten Deutschlands, daß jene Verfügung den Beschlüssen des Westfälischen
Friedens zuwiderlaufe, um den Widerruf jener Maßregel zu veranlassen.
Dieselbe lebte aber in voller Härte wieder auf, als im Jahre 1727 Graf
Leopold von Firmian Frzbischof von Salzburg wurde. Die Wiederherstellung
der früheren Glaubenseinheit seines Erzbistums betrachtete er als sein höchstes
Ziel. Wer nicht freiwillig dem Protestantismus entsagte und keine feste Wohn-
stätte besaß, mußte innerhalb einer Woche das Land verlassen. Den Haus-
besitzern und Landwirten gewährte man eine Frist von einem bis drei Monaten.
Hatten sie innerhalb dieser Zeit nicht ihre Rückkehr zur römischen Kirche an-
gekündigt, so sollten sie aller Bürgerrechte verlustig sein und der Acht verfallen.
Die Proteste und Drohungen der reformierten Fürsten Deutschlands
blieben diesmal ohne Wirkung und so begann im Dezember 1731 der Auszug
der Protestanten aus Salzburg. Ihrer 30 000 verließen die ihnen so liebge-
wordenen Gebirge, ohne zu wissen, wo sie neue Heimstätten finden würden.
Aber es öffneten sich an anderen Orten Deutschlands, in Schwaben,
Franken und Preußen, wohin die Kunde von dem Schicksal und guten Ruf
der Auswandrer gedrungen war, tausend Arme, um sie gasthch aufzunehmen.
Ihre Wanderung nahm den Charakter eines Triumphzuges an. Näherten
sie sich einer protestantischen Stadt, so zogen die Prediger und Behörden an
der Spitze der Einwohnerschaft den Fremdlingen entgegen und geleiteten sie
unter dem feierlichen Geläute der Glocken in den Ort. Hier bewirtete man die
Wandrer und erbaute sie durch zu ihren Ehren veranstaltete Kirchenfeierlich-
keiten. Man stritt sich darum, wer sie beherbergen dürfe. Zum Andenken an
ihren Durchzug prägte man silberne Denkmünzen. Mehrere protestantische
Fürsten, vor allen der edle König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, boten
ihnen Ländereien an.
Eine in warmen Worten gehaltene Einladung zur Übersiedelung nach
Amerika kam auch aus der südlich von Virginien und Karolina gegründeten
englischen Kolonie Georgia. Die Leiter derselben hatten im Juni des
Jahres 1732 von der englischen Regierung die Genehmigung zur Organisierung
der Kolonie unter der Bedmgung empfangen, daß man daselbst „den armen
Bewohnern Englands wie auch den bekümmerten Salzburgern und andern
Protestanten eine Zuflucht eröffne". .
Man hatte in England von dem traurigen Schicksal der Salzburger durch
den Augsburger Pfarrer Samuel Urlsperger Kunde erhalten, und an demselben
herzlichen Anteil genomen. Als man den Salzburgern sogar Schiffe zur freien
Überfahrt zur Verfügung stellte und die „Society for the Propagation of
Christianity" in London die Reisekosten der Auswandrer bis Rotterdam zu
tragen übernahm, entschlossen sich zunächst 50, insgesamt 91 Köpfe zählende
Familien, der Einladung zu folgen. Sie versammelten sich in Berchtesgaden,
und begaben sich dann unter der Führung des Freiherrn von Reck zunächst
nach Rotterdam, wo sie am 27. November 1733 eintrafen. Hier gesellten sich
- 83 —
die vom Waisenhaus in Halle entsandten Pastoren Johann Martin
Bolzius und Israel Christian Gronau zu ihnen, um der kleinen
Gemeinde fortan als geistliche Berater zu dienen.
Die Ankunft der Salzburger in Georgia am 12. März 1734 gestaltete sich
zu einen förmlichen Festtag. Die Neulinge wurden mit Kanonensalven begrüßt
und aufs herzlichste bewillkommt. Sie fanden unter den Bewohnern der ein
Jahr zuvor angelegten Stadt Savannah auch bereits einige Deutsche. Der
menschenfreundliche Leiter der Kolonie, General Oglethorpe, stellte den Salz-
burgern anheim, ein ihnen zusagendes Stück Land zur Anlage einer Ortschaft aus-
zuwählen. Sie entschieden sich für einen 24 englische Meilen von Savannah
entfernten Platz, der an einem Nebenfluß des Savannah inmitten ungeheurer
Fichtenwälder lag.
Dort schlug man Zelte und Blockhütten auf und nannte diese Ansiedlung
Ebenezer, „bis hierher hat der Herr geholfen".
Leider machte der ungesunde Charakter der Gegend bald eine Verlegung
der Ansiedlung an eine günstigere Stelle nötig. Diese fand sich direkt am
Ufer des Savannah, wo nun die Niederlassung Neu-Ebenezer entstand. Die
Entwicklung dieser Ortschaft hat mit derjenigen von Germantown viel Gemein-
sames. Auch hier gab es manches Ungemach, aber die an harte Arbeit Ge-
wöhnten ertrugen dasselbe mit christlicher Geduld und in der Zuversicht, daß
ihrem Fleiß, ihrer Ausdauer der Lohn nicht fehlen könne.
Bald stellte sich Verstärkung ein; 75 andere Salzburger langten im
Jahre 1735 an, denen sich später noch mehrere kleine Nachschübe zugesellten.
Im Jahre 1741 betrug die Bevölkerung von Ebenezer bereits 1200 Köpfe.
Das Leben in Ebenezer war von arkadischer Einfachheit. Neben dem Acker-
bau trieb man Viehzucht; als besondere Spezialität auch Seidengewinnung.
Letztere war durch den Piemontesen Nicolas Amatis im Jahre 1739 nach Georgia
übertragen worden. Pastor Bolzius bewog die Salzburger, die Seidenkultur
aufzunehmen. Er sorgte für die Anpflanzung von Maulbeerbäumen und be-
gründete dadurch in Ebenezer eine gewinnbringende Industrie, die um so
lohnender wurde, als die englischen Kolonisten nach mehreren Mißerfolgen die
Seidenkultur aufgaben. Bereits im Jahre 1751 sandten die Bewohner von
Ebenezer 1000 Pfund Kokons und 74 Pfund Rohseide nach England, wofür sie
110 Pfund Sterling erzielten. Um diese Industrie zu fördern, schenkten die
Behörden jeder derselben sich zuwendenden Frau eine Haspelmaschine. Ferner
bewilligten sie zwei Pfund Sterling zum Ankauf von Seiden würmern und An-
pflanzen von Maulbeerbäumen. Auch der Anbau von Indigo wurde von den
Salzburgern betrieben.
Die beiden Pastoren Bolzius und Gronau erwiesen sich als echte Väter
ihrer Gemeinde. Sich nicht bloß auf die geistliche Fürsorge beschränkend,
nahmen sie an allen weltlichen Angelegenheiten lebhaften Anteil. Sie sorgten
für den Bau einer Kirche, einer Schule und eines Waisenhauses. Das letzte
richteten sie so vorzüglich ein, daß es den berühmten englischen Methodisten
6*
— 84 —
George Whitfield geradezu begeisterte und ihm als Vorbild für seine Waisen-
anstalt Bethesda diente.
Der wackere Bolzius diente seiner Gemeinde 32 Jahre. Mit der Heimat,
insbesondere mit dem in Augsburg wohnenden Prediger Samuel Urlsperger
unterhielt er regelmäßigen schriftlichen Verkehr. Urlsperger redigierte seine
Berichte über das tägliche Leben in Ebenezer mit großer Sorgfalt und gab sie
unter dem Titel „Ausführliche Nachrichten von der königlich Großbritannischen
Kolonie der Saltzburgischen Emigranten in America" in Buchform heraus. Sie
bildeten die wichtigste Quelle zur Geschichte der Salzburger in Georgia.
Aus ihr ist zu ersehen, daß auch die Salzburger Anstoß an der Einfuhr
von Negersklaven in die englischen Kolonien nahmen. Wenn sie auch nicht,
wie die Bewohner von Germantown gegen die Sklaverei öffentlichen Protest
erhoben, so gaben sie ihre Abneigung doch so deutlich zu erkennen, daß sie
die Opposition ihrer anglo-amerikanischen Nachbarn erregten. Um ihr Ge-
wissen zu beruhigen, riefen sie die Meinung ihres Beraters Urlsperger in Augs-
burg an. Dieser erwiderte folgendes: „Wenn ihr Sklaven nehmt als Christen
und in der Absicht, sie als Christen zu erziehen, so wird diese Handlung kehie
Sünde sein, sondern mag euch Segen bringen."
Die Kolonie der Salzburger erhielt sich bis ins 19. Jahrhundert. Ihre Be-
wohner kennzeichneten sich durch Fleiß, Eintracht, Redlichkeit und freundUches
Wesen. Man sah unter ihnen weder Trunkenbolde noch Müßiggänger. Bis
zum Jahre 1824 wurde in Ebenezer deutsch gepredigt. Als kein Zuzug mehr
aus Deutschland erfolgte, ging die Kolonie allmählich im Amerikanertum auf.
Aber noch heute verraten die Namen und Gesichtszüge zahlreicher in Ebenezer,
Savannah und benachbarten Orten lebender Familien ihren echt deutschen
Ursprung.
Die Mährischen Brüder oder Herrnhuter.
Im Gegensatz zu den bisher genannten Sekten, die als Verfolgte nach
Nordamerika kamen, erschienen im Jahre 1735 Angehörige der großen
Missionssekte der Mährischen Brüder oder Herrnhuter als freiwillige Send-
boten. Die aus den hussitischen Bewegungen in Böhmen und Mähren hervor-
gegangenen Mährischen Brüder strebten gleich ihrem am 6. Juli 1415 zu Kon-
stanz dem Flammentod verfallenen Stifter Johann Hus die Wiederherstellung
der ursprünglichen Einfachheit und Reinheit der Apostolischen Kirche an.
Während der ganzen Dauer des 17. Jahrhunderts aufs fürchterlichste ver-
folgt, fanden sie zusammen mit Angehörigen der Böhmischen Brüder und der
Sekte der Schwenkfelder endlich im Jahre 1723 eine Zufluchtsstätte auf den Be-
sitzungen des berühmten Pietisten Graf NikolausLudwigvonZinzen-
d o r f. Derselbe gründete im Jahre 1727 in Sachsen das Dorf Herrnhut, welches
als Stammgemeinde der Herrnhuter weltbekannt wurde.
Kopfleiste: Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf.
— 86 —
Die Herrnhuter verbanden gewisse klösterliche Einrichtungen mit christ-
hchem Familienleben. Daneben faßten sie den Entschuß, durch eifrige Missions-
tätigkeit unter heidnischen Völkern für die Ausbreitung des Reiches Gottes zu
wirken.
In dieser Absicht begaben sich bereits im Jahre 1732 zwei Brüder nach
Westindien, um auf der Insel St. Thomas die dorthin verkauften Negersklaven
zum Christentum zu bekehren. Im Frühling 1735 kamen zehn andere Herrn-
huter unter der Führung des Professors A.G. Spangenberg nach Georgia,
um ihr Leben der Rekehrung der dortigen Schwarzen und Indianer zu weihen.
Sie ließen sich in der Nähe der von den Salzburgern gegründeten Ortschaft
Ebenezer nieder, bauten am Ogeghenfiuß eine Schule und begannen sofort mit
ihrer Missionstätigkeit. In dieser wurden sie bereits im folgenden Jahre durch
25 andere Brüder unterstützt, die unter Leitung des Bischofs DavidNitsch-
m a n n aus Herrnhut kamen.
Aber ihre christliche Aufopferung fand keineswegs den Beifall der nicht-
deutschen weißen Ansiedler. Diesen war an der Bekehrung und Aufklärung
der Neger und Rothäute, die man kaum als Menschen betrachtete, aus sozialen
und wirtschaftlichen Gründen nichts gelegen. Ebensowenig hatte für sie das
Gelübde der Sektierer, niemals Waffen zu tragen, eine Bedeutung.
Als nun zwischen den Kolonisten von Georgia und den in Florida an-
sässigen Spaniern ein Krieg ausbrach und die Herrnhuter sich weigerten, an
demselben teilzunehmen, sahen sie sich solchen Mißhelligkeiten ausgesetzt, daß
sie die Kolonie verließen und nach Pennsylvanien zogen. Hier bauten sie am
Ufer des Lehighflusses eine bescheidene Blockhütte, in der die Brüder im Jahre
1741 gemeinsam die Feier des Weihnachtsfestes begingen. Bei ihnen befand
: sich Graf Zinzendorf selbst, der aus Deutschland herübergekommen war, um
' an der Gründung neuer Missionen mitzuwirken. Er war es auch, der an jenem
durch fromme Gesänge verschönten Abend den Ort, wo die neue Niederlassung
entstehen sollte, Bethlehem taufte.
In der Folgezeit wurde Bethlehem nicht bloß der Hauptsitz der Herrn-
huter, sondern auch der .\usgangspunkt ihrer ganzen Missionstätigkeit in
Amerika. Schon innerhalb der nächsten 20 Jahre kamen über 700 Herrnhuter
hierher, um an den frommen Werken mitzuhelfen. Die erste Verstärkung langte
im Juni 1742 unter Bischof Spangenberg an. In den Annalen der Gemeinde
wird von ihr als der „First Sea Congregation" gesprochen. Ihr folgte im No-
vember 1743 die zweite Kongregation, darunter 30 junge Ehepaare, welche
kurz vor ihrer Abreise in Herrnhut den Bund fürs Leben geschlossen hatten.
Ein Teil dieser Neulinge wurde in der benachbarten Niederlassung Nazareth
untergebracht, die man von dem Engländer Whitefield kaufte. Ein dichter Ur-
wald trennte die beiden Ortschaften. Aber die Männer schlugen mit der Axt
einen Pfad durch die Wildnis und begannen dann an beiden Orten mit dem
Aufbau fester Wohnstätten und Bethäuser. In ihrer Tätigkeit strebten die Herrn-
huter, sich von der Außenwelt möglichst unabhängig zu machen. Sie strichen
87
eigenhändig die zum Hausbau benötigten Ziegel, brannten Kall« und bereiteten
den Mörtel. Außer Getreide und Obst zogen sie Hanf und Flachs, züchteten
Vieh und fertigten aus der gewonnenen Wolle ihre eigenen Kleider. Sie gerbten
die Häute der geschlachteten Tiere und verarbeiteten dieselben zu Schuhen und
Stiefeln. Sie brauten ihr eigenes Bier, machten Stärke und Mehl, richteten Färbe-
reien, Bleichereien, Baumwollspinnereien ein, desgleichen Werkstätten, in denen
sie sämtliche beim Landbau und zum Ausüben der verschiedenen Industrien
nötigen Werkzeuge und Maschinen herstellten. Die gröberen Arbeiten und
das Bestellen der Felder lagen den Brüdern ob. Die Schwestern besorgten den
Haushalt und das Anfertigen der Kleider. Unermüdlich regten sich die fleißigen
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Ansicht von Bethlehem im Jahre 1830.
Hände. Das Surren der Spinnräder verstummte nur an solchen Tagen, wo die
Glocke zur Andacht oder zu einem gemeinschaftlichen Liebesmahl rief.
Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich Bethlehem zu einer Musternieder-
lassung. An Stelle der ursprünglichen Blockhütten traten bequeme Steinhäuser
von einfacher aber malerischer Bauart. Die breiten Straßen wurden peinlich
sauber gehalten. Rmgs um die Ortschaft dehnten sich lachende Felder, deren
Saaten reiche Ernten ergaben. Das ganze Leben der Herrnhuter entsprach der
biblischen Mahnung: „Betet und arbeitet, damit ihr nicht in Anfechtung fallet!"
Um der letzteren vorzubeugen, unterlag der Verkehr der Geschlechter
strengen Regeln. Sowohl die Knaben und Mädchen wie auch die unverheirateten
Jünglinge und Jungfrauen wohnten in abgesonderten Häusern, wo sie den von
den Ältesten der Gemeinde erlassenen Vorschriften unterstanden. Die Jung-
frauen durften nicht an der Behausung der Junggesellen, diese wieder nicht an
der Wohnung der „Schwestern'' vorübergehen. Begegneten sie einander auf
der Straße, so war es nicht erlaubt, einander anzusehen. Die Schwestern durften
den Namen keines Bruders erwähnen, und so wuchsen beide Geschlechter auf in
völliger Unkenntnis voneinander. Erreichten Jünglinge und Mädchen das
heiratsfähige Alter, so sorgten die Gemeindevorsteher dafür, daß geeignete Paare
sich ehelich verbanden. Die solchen Bündnissen entspringenden Kinder blieben
bis zum vollendeten zweiten Jahre unter der Obhut der Eltern, mußten dann
aber der Gemeinde übergeben werden, welche die weitere Erziehung übernahm.
Das Schwesternhaus der Herrnhuter in Bethlehem, Pennsylvanien.
Durch Bezug der besten Erzeugnisse der deutschen Literatur hielt man
mit dem Vaterlande Fühlung. Mit besonderer Vorliebe pflegte man Musik, be-
schränkte sich aber nicht auf die Wiedergabe der herrlichen Reformationslieder,
sondern bemühte sich, auch die schwierigen Werke hervorragender Tonkünstiei
in mustergültiger Weise aufzuführen. Die Liebe zu Musik und Gesang lebte
so kräftig in aller Brust, daß Bischof Spangenberg eines Tages schrieb: „Nie-
mals, seitdem die Welt geschaffen, wurden so liebhche und fromme Lieder für
Hirten, Ackerleute, Schnitter, Drescher, Spinnerinnen, Näherinnen, Wäsche-
rinnen und andere Arbeiter erfunden und gesungen als hier. Man könnte aus
solchen Gesängen ein ganzes Buch zusammenstellen."
— 89 —
Während so ein Teil der Brüder und Sciiwestern der Gemeinde dauernde
Heimstätten schufen, zogen andere hinaus in die völlig unbekannte Wildnis, um
unter den Ureinwohnern das schwierige Missionswerk zu beginnen. Es er-
heischte seitens derjenigen, die sich ihm unterziehen wollten, hervorragende
Eigenschaften: Mut, Ausdauer, Geduld, Vorsicht und beispiellose Hingabe.
Schon die Reise und der lange Aufenthalt in der Wildnis stellten an die Körper-
kraft die größten Anforderungen. Daneben mußten Entbehrungen aller Art und
zahllose unbekannte Gefahren ertragen werden. Ferner galt es, die Feindschaft
und Abneigung der den Bleichgesichtern voll Argwohn gegenüberstehenden
Indianer zu überwinden und ihr Vertrauen zu gewinnen, was nur in engem
Verkehr mit ihnen geschehen konnte, indem man in ihren Dörfern lebte, ihre
Gewohnheiten annahm und ihre Sprache erlernte. War das gelungen, so galt
es die noch schwierigere Aufgabe zu lösen, die Jahrtausende alten religiösen An-
schauungen der Indianer durch die ihnen kaum verständlichen Lehren des
Christentums zu ersetzen.
Zu diesen Schwierigkeiten gesellten sich andere, die niemand vorausgesehen
hatte: der geheime oder offne Widerstand gewisenloser weißer Händler, welche
die Indianer mit Branntwein versorgten und dieses gewinnbringende Geschäft
durch die zur Nüchternheit mahnenden Missionare gefährdet glaubten. Zu
alledem kam endlich noch die Eifersucht der englischen Landeskirche, welcher
die Missionsarbeit der Herrnhuter ein Dorn im Auge war.
Will man ein treues Bild all dieser von den Herrnhutern zu überwindenden
Widerwärtigkeiten gewinnen, so braucht man nur Loskiels „Geschichte der
A^ission der Evangelischen Brüder unter den Indianern in Nordamerika" (Barby
1789), zu lesen. Sic enthält unter anderem die Erlebnisse jener Herrnhuter,
welche die in dem Dorf Schekomeko lebenden Mohikaner bekehrten.
Schekomeko lag in der Kolonie New York, östlich vom Hudson. Der
Herrnhuter ChristianHeinrichRauch war der erste, welcher sich unter
den hier wohnenden Wilden niederließ. Als er ihnen das Wesen Gottes zu
erklären suchte, lachten sie ihm ins Gesicht und verspotteten ihn. Erst nach
wochenlangen Bemühungen gelang es, zwei Mohikaner, die mit den Weißen
bereits häufiger in Berührung gekommen waren, für die christlichen Lehren
empfänglich zu machen. Das erbitterte die anderen so, daß sie drohten, den Mis-
sionar zu ermorden. Aber dieser blieb nicht nur standhaft, sondern suchte durch
die beiden Bekehrten auf deren Stammesgenossen noch kräftiger einzuwirken.
Vornehmlich Tschup, der ältere Mohikaner, zeigte sich darin sehr ge-
schickt. Wollte er seinen Stammesgenossen etwas recht deutlich machen, so
bediente er sich der Bilderschrift. So zeichnete er beispielsweise auf ein Stück
Baumrinde ein Herz, aus welchem auf allen Seiten Zacken und Stacheln hervor-
gingen und sagte: „Seht, so ist ein Herz, in dem der böse Geist wohnt; alles
Böse kommt von innen heraus." Mit solchen Darstellungen machte Tschup
einen stärkeren Eindruck, als der Missionar mit seinen Reden.
Allmählich gelang es, unter den Mohikanern Anhänger für den Christ-
— 90 —
liehen Glauben zu gewinnen. Es entstand der Keim zu einer kleinen Gemeinde,
die im August 1742 den Besuch des Grafen Zinzendorf empfing sowie den Bei-
stand zweier andrer Brüder, der Missionare Büttner und M a c k erhielt.
Je mehr die Zahl der Bekehrten wuchs, desto häufiger v/urden aber auch
die Zeichen der Mißgunst, womit die in den benachbarten An Siedlungen wohnen-
den Weißen die Bemühungen der Herrnhuter beobachteten. Die Brüder er-
fuhren durch die Indianer, daß man ihnen eine Menge Rum versprochen habe,
wenn sie die Missionare totschlagen wollten. Gleichzeitig hörten sie von aller-
hand in den Ansiedlungen umlaufenden Verdächtigungen. Die Herrnhuter
seien verkappte Papisten und französische Spione, welche das Land auskund-
schaften und mit Hilfe der Indianer bei der ersten passenden Gelegenheit den
Franzosen in die Hände spielen wollten.
Diese absurden Behauptungen wurden mit solcher Bestimmtheit verbreitet,
daß die Behörden der Kolonie sich beunruhigt fühlten. Sie luden die Missionare
unzählige Male zum Verhör vor, schleppten sie von einem Richter zum andern,
endlich sogar vor den Gouverneur. Der Umstand, daß die Herrnhuter, den
Satzungen ihrer Gemeinschaft entsprechend, sich weigerten, den ihnen abge-
forderten Treueid gegen das englische Königshaus zu schwören, wurde von
ihren Widersachern in der schlimmsten Weise ausgebeutet. Sie erwirkten bei
der gesetzgebenden Körperschaft der Kolonie eine Verordnung, wonach alle
Personen, die aus irgendeinem Grunde sich weigerten, den Eid der Treue zu
leisten, des Landes verwiesen werden sollten. Durch eine zweite Verordnung
wurde den Herrnhutern als verdächtigen Personen verboten, ihr Bekehrungs-
werk fortzusetzen.
Müde dieser Belästigungen,^) während welcher einer der Brüder sieben
^) Welch engherziger Geist die Behörden erfüllte, ergibt sich aus folgender Recht-
fertigung, welche der damalige Gouverneur der Kolonie New York als Antwort auf eine
vom Grafen Zinzendorf bei der Regierung in London eingereichten Beschwerde im Mai 1746
einsandte. Dieselbe lautet: „Seit einiger Zeit wird die Kolonie von verdächtigen Subjekten
und strolchenden Predigern heimgesucht, welche das Volk verführen und sich für besser
als andere halten. Sie stehen sogar im Verdacht, päpstliche Emissäre zu sein und Auf-
stände unter Seiner Majestät getreuen Untertanen zu beabsichtigen. Sie wollen die
Indianer und Neger bekehren; als ob man Menschen trauen könnte, die sich mit Schwarzen
abgeben. Diese Mährischen Brüder haben sich vor allem in Pennsylvanien festgesetzt, wo
das Übergewicht der Deutschen bereits so groß ist, daß sie bald die englische Bevölkerung
verdrängen werden. Sie machen jetzt auch in unserem Staat Proselyten, sind dabei ehr-
geizige, eitle Menschen, welche, statt bei dem erlernten Handwerk zu bleiben, den Pfarrer
spielen und mit ihren unverständlichen Lehren die Massen bethören. Vor ihnen muß man
sich ganz besonders hüten. In Schekomeko ließen sich einzelne Herrnhuter dauernd nieder,
heirateten Indianerinnen und erregten dadurch den Argwohn sowie die Eifersucht der be-
nachbarten Weißen. Wir fürchten um so mehr, daß sie die Indianer verführen möchten,
als sie ohne Erlaubniß der Behörde ins Land kamen und dem König den Treueid nicht
leisten wollen. Daraus geht hervor, daß sie Böses im Schilde führen, daß sie verkappte
Papisten sind und daß ihnen recht geschehen ist auf Grund des königlichen Befehls, wo-
nach kein Weißer unter dem Vorwand der Bekehrung der Indianer unter diesen wohnen
darf." (Documentary History of the State of New York, 1022-1027.)
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— 93 -
Wochen lang in Haft gehalten wurde, entschlossen sich die Hermhuter endlich,
mit den bekehrten Indianern nach Pennsylvanien überzusiedeln. In der Nähe
von Bethlehem legten sie im Jahre 1746 das Indianerdorf Onadenhütten an, wo
die Rothäute unter der Leitung der Herrnhuter sich dem Ackerbau widmeten.
Für religiöse Zwecke diente ein aus Baumrinde gezimmertes Kirchlein. Auch
baute man zwei Schulen, in denen die indianische Jugend je nach ihrem Ge-
schlecht von herrnhutischen Brüdern und Schwestern Unterricht empfing. Im
Jahre 1749 zählte Onadenhütten bereits 500 Bewohner.
Ähnliche Mißhelligkeiten wie die Brüder in Schekomeko erlebte der
Missionar David Zeisberger unter den Delawaren und Irokesen. Er
hatte bei denselben freundliche Aufnahme gefunden, wurde aber im Jahre 175Ö
von einem weißen Schnapshändler bei den Onandagas schrecklich mißhandelt.
Im Jahre 1772 drang Zeisberger als einer der ersten Weißen in das heutige
Ohio vor, und gründete am Tuscarawasfluß das große Indianerdorf Schönbrunn.
Von hohem Interesse sind die Verordnungen, welche dieser ersten christ-
lichen Niederlassung in Ohio gegeben wurden. Sie lauten:
1. Wir erkennen und verehren keinen anderen Gott als ihn, der uns er-
schaffen und mit seinem kostbaren Blut erlöset hat.
2. Der Sonntag ist der Ruhe nach der Arbeit und dem Gottesdienst
geweiht.
3. Wir wollen Vater und Mutter ehren und in Alter und Not unterstützen.
4. Ohne Erlaubnis unsrer Lehrer ist niemandem die Niederlassung unter
uns gestattet.
5. Diebe, Mörder, Trunkenbolde, Ehebrecher und Wüstlinge werden nicht
unter uns geduldet.
6. Wer an Tänzen, heidnischen Opfern und Festen teilnimmt, ist von
unsrer Gemeinde ausgeschlossen.
7. Ebenso, wer bei der Jagd heidnische Zaubersprüche anwendet.
8. Alle Gaukelkünste, Lügen und Tücken Satans seien verbannt.
9. Unseren Lehrern wollen wir Gehorsam erzeigen, ebenso den National-
helfern (so wurden solche Indianer geheißen, die sich durch gesitteten Lebens-
wandel besonders auszeichneten), die ernannt sind, Ordnung in- und außerhalb
der Stadt aufrecht zu halten.
10. Trägheit, Verleumdung und Gewalttätigkeiten seien aus unserer Mitte
verbannt. — Wir wollen in Frieden und Eintracht wohnen.
1 1 . Wer eines anderen Herde, Güter oder Effekten schädigt, soll Schaden-
ersatz leisten.
12. Ein Mann soll nur ein Weib haben, es lieben und für es und ihre
Kinder sorgen. Zugleichen soll ein Weib nur einen Mann haben und ihm ge-
horchen. Es soll für die Kinder Sorge tragen und reinlich sein in allen Dingen.
13. Rum oder geistige Getränke dürfen nicht nach unserer Stadt gebracht
werden. Kommen Fremde oder Händler mit solchen an, so sollen die Helfer
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diese Dinge in Besitz nehmen, sorgfältig aufbewahren und sie ihnen erst bei
der Abreise wieder zustellen.
14. Kein Einwohner soll bei Händlern Schulden machen oder Güter in
Kommission nehmen für Händler ohne Zustimmung der Nationalhelfer.
15. Ohne Erlaubnis des Kirchenvorstandes oder der städtischen Verwalter
darf niemand sich auf Reisen oder einen langen Jagdzug begeben.
16. Ohne Erlaubnis und den guten Rat ihrer Eltern dürfen junge Leute
sich nicht verheiraten.
17. Wenn die städtischen Helfer oder Verwalter die Hilfe der Einwohner
zu öffentlichen Bauten und Arbeiten, wie Versammlungsorte und Schulen, für
Klären und Einzäunen von Land und dergleichen fordern, so sollen sie Gehor-
sam finden.
18. Alle für das Gesamtwohl notwendigen Beiträge sollen freudig ge-
leistet werden.
Diesen Verordnungen wurden später noch die folgenden hinzugefügt :
19. Wer in den Krieg gehen, das heißt Menschenblut vergießen will, kann
fürder nicht unter uns wohnen.
20. Wer von Kriegern Kriegsartikel kauft mit dem Vorwissen, daß die-
selben gestohlen oder erplündert, muß uns verlassen. Denn es ist dieses nicht
anders, als eine Ermutigung zu Mord und Diebstahl.
Diese Verordnungen, die alljährlich in öffentlicher Versammlung verlesen
wurden, weckten in den Bewohnern jenes Gefühl der Solidarität, das später auch
für die Ansiedlungen der Weißen in jenen Gegenden bezeichnend und für die
kulturelle Entwicklung der Vereinigten Staaten von so außerordentlicher Be-
deutung werden sollte.
Das tägliche Leben in den christlichen Indianerdörfern glich, wie nicht
anders zu erA^arten, dem der Herrnhuter in Bethlehem. Die im Ackerbau und
in Handwerken unterrichteten Indianer erwiesen sich meist als sehr gelehrige
Schüler. Auch für Musik und Künste zeigten sie sich empfänglich.
In Gemeinschaft mit Zeisberger wirkten die Missionare JohannGeorg
Jungmann, Johann Ettwein, Johann Heckewelder, Jo-
hann e s R o t h u. a. Sie gründeten später in dem fruchtbaren Tal des Muskin-
gum die christlichen Indianerdörfer Gnadenhütten, Salem und Lichtenau. In
diesen von Mohikanern und Delawaren bewohnten Stätten wurden die ersten
weißen Kinder in Ohio geboren, in Gnadenhütten am 4. Juli 1773 dem Missionar
Roth ein Sohn, am 16. April 1781 in Schönbrunn dem Missionar Heckewelder
eine Tochter.
Später entstanden noch die Missionen Friedenshütten, Gnadental und
Scham okin-Gnadenhütten.
Gnadenhütten erlangte während des Unabhängigkeitskrieges eine traurige
Berühmtheit. Es wurde Schauplatz wahrhaft barbarischer Greuehaten, die von
05 -
weißen Grenzbewohnern hier verübt wurden. Böswillige Menschen hatten aus-
gesprengt, die christlichen Indianer seien an einigen von den Wyandots ver-
übten Mordtaten beteiligt gewesen. Ohne diesen Verleumdungen auf den
Grund zu gehen, überfiel eine unter der Führung des Obersten David Williamson
stehende Bande von Mordbrennern den Ort Gnadenhütten, und schlachtete da-
selbst am 5. März 1782 93 indianische Bewohner ab, darunter zahlreiche Frauen
und Kinder. Mit den Skalpen der Getöteten zogen die Mörder triumphierend
in Pittsburg ein, ohne daß einer der Barbaren wegen der verübten Greuel von
den Behörden zur Rechenschaft gezogen worden wäre.
Zeisberger flüchtete mit einer kleinen, dem Blutbad entronnenen Schar
von Indianern nach Michi-
gan. Hier gründete er am
St. Clairsee das Dorf Neu-
Gnadenhütten. Später,
nachdem die Zeiten ruhiger
geworden und der Bundes-
kongreß den christlichen
Indianern als Sühne für
die an ihnen begangenen
Schandtaten 10 000 Acker
Landes geschenkt hatte,
kehrte Zeisberger an den
Muskingum zurück und
gründete auf den den Indi-
anern angewiesenen Lände-
reien das Dorf Goschen.
Zeisberger starb hier am
7. November 1908 im Alter
von 87 Jahren, von denen
er 60 unter den Urbe-
wohnern Amerikas zuge-
bracht hatte.
Er sowohl wie Heckewelder hinterließen zahlreiche literarische Werke,
darunter Lehr- und Wörterbücher der Sprache der Onondagas, Delawaren und
Mohikaner. Desgleichen höchst anschauliche Schilderungen ihrer eigenen Er-
lebnisse, die wegen der in ihnen niedergelegten Beobachtungen wahre Fund-
gruben für den Freund der Völkerkunde bilden.
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Johann Heckewelder
Die Einwanderung der deutschen Sektierer hatte für die amerikanischen
Kolonien, insbesondere für Pennsylvanien, zur Folge, daß sie sich weit kräftiger
als alle anderen entwickelten. Pennsylvanien verlor dadurch auch am raschesten
— 96
den streng puritanischen Charakter, der den Neu-Englandkolonien solange an-
haftete. An Stelle der dort herrschenden Unduldsamkeit und Strenge waltete
bei den deutschen Sektierern weitgehende, freundlich geübte Toleranz. Für
ihre freiere, freudigere Lebensauffassung zeugte namentlich die Pflege, welche
sie der Musik, dem Gesang und der Geselligkeit zuteil werden ließen.
Im großen Ganzen kann man die schönen Worte, welche der berühmte
Historiker Bancroft auf die nach Georgia eingewanderten Salzburger anwendete,
mit vollem Recht auf alle während des 17. und 18. Jahrhunderts nach Amerika
gekommenen deutschen Sektierer ausdehnen:
„Sie waren ein edles Heer von Märtyrern, die in der Kraft Gottes aus-
zogen und im Glauben an das Evangelium unter den größten Schwierigkeiten
und heftigsten Verfolgungen triumphierten. Sie scharten sich um kein anderes
Panier als um das des Kreuzes, und keine anderen Führer schritten ihnen voran,
als ihre geistlichen Lehrer und der Herzog ihrer Seligkeit.''
Schlußvignette: Der Friedhof der Herrnhuter zu Bethlehem.
Die Masseneinwanderung der Pfälzer im 18. Jahr-
hundert.
Der anfangs dünne Strom Deutscher, die nicht aus reHgiösen Gründen,
sondern in dem Verlangen, ihre Lage zu verbessern, nach Nordamerika aus-
wanderten, gewann in dem gleichen Grade an Stärke, in welchem die politischen
und wirtschaftlichen Zustände ihrer Heimat sich verschlechterten.
Wie entsetzlich Deutschland durch den Dreißigjährigen Krieg gelitten
hatte, schilderten wir in einem früheren Abschnitt. Alle Schrecken jener grauen-
haften Zeit wiederholten sich während der Kriege, die Deutschland zu Ende des
17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts mit Ludwig XIV. von Frankreich führen
mußte. Der Streit über die Erbfolge in der Pfalz bildete die Hauptveranlassung
zu diesen Kriegen. y\ußerdem war der Gallier darüber ergrimmt, daß die aus
Frankreich vertriebenen Hugenotten bei den Pfälzern Aufnahme gefunden hatten.
Der Durst nach Rache wie das Verlangen, den Deutschen einen Angriff
auf Frankreich von der Pfalz aus zu erschweren, veranlaßte Ludwig, seinen
Generälen den Befehl zu geben, die Pfalz in eine Wüste zu verwandeln.
Diesem unerhörten Auftrag folgend, brachen die französischen Heere im
Jahre 1688 ohne vorhergegangene Kriegserklärung in das Land ein. Unzählige
blühende Dörfer gingen in Flammen auf. Heidelberg, Mannheim, Speier,
Worms, Alzey, Oppenheim, Kreuznach, Gernsheim, Ladenburg und viele andere
Orte sanken in Asche. Die Kaisergräber im Dom zu Speier wurden aufgerissen
und geplündert. Mit Blut und Flammen schrieben die französischen Mord-
brenner Melac, Turenne und de Lorges in das Buch der Geschichte ihre Namen
ein, Namen, an die der Fluch von Tausenden sich heftete.
Der Überfall erfolgte mitten im Winter. Tiefer Schnee erschwerte die
Flucht der unglücklichen Pfälzer, von denen viele, die den Mordbrennern ent-
kamen, erfroren oder infolge der furchtbaren Entbehrungen zugrunde gingen.
Zu den Schrecken, welche die Pfälzer in jener Zeit erlebten, gesellten sich
obendrein Bedrückungen und religiöse Verfolgungen durch die eigenen Landes-
Kopf leiste: Der Brand der Stadt Worms. Nach einem gleichzeitigen Stich.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
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Herren. Bereits viermal hatten sie während der letzten hundert Jahre mit dem
viermal eintretenden Fürsten Wechsel ihren Glauben wechseln müssen. Denn
„cujus regio, ejus religio" erklärten die Fürsten und zwangen ihre Untertanen
zur Annahme jener Glaubensform, der sie selber anhingen. Diesem Zwang nach-
gebend, waren die Pfälzer zuerst vom Katholizismus zum Luthertum überge-
treten, dann wurden sie reformiert, wieder lutherisch und zuletzt noch einmal
reformiert. Im Jahre 1600 kam Kurfürst Johann Wilhelm ans Regiment, der,
selbst Katholik, nunmehr die Pfälzer gewaltsam wieder katholisch machen wollte.
Genußsucht, Veschwendung, Ausbeutung des Bürger- und Bauernstandes waren
Aus Stake, Deutsche Geschichte.
Greueltaten französischer Soldaten im 17. Jahrhundert.
Nach einem gleichzeitigen Stich.
für diesen in Düsseldorf hofhaltenden Schwachkopf bezeichnend. Er äffte in
seiner Leben weise und Prachtentfaltung nicht nur Deutschlands größten Feind,
Louis XIV., nach, sondern setzte sich gleich diesem bei Lebzeiten sein eignes
Denkmal, das noch jetzt auf dem Marktplatz zu Düsseldorf zu sehen ist.
Die Inschrift sagt, die „grata civitas" habe dem Fürsten dies Denkmal ge-
setzt. Wie wenig Ursache aber seine Untertanen zur Dankbarkeit hatten, geht
daraus hervor, daß um das Jahr 1708 Tausende von armen Pfälzern, die nicht
vermochten, die ewig leeren Kassen des Verschwenders zu füllen, den Entschluß
faßten, nach Amerika überzusiedeln. In diesem Vorsatz wurden sie nicht nur
durch die beständig drohende Franzosengefahr bestärkt, sondern auch durch
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ihre bereits jenseits des Weltmeeres wohnenden Landsleute ermutigt. Zudem
machte ein massenhaft unter den Pfälzern verteiltes Werkchen, das sogenannte
„Goldene Buch", dessen mit dem Bilde der Königin Anna von England ge-
schmücktes Titelblatt in Gold gedruckt war, durch seine verlockenden Schilde-
rungen der englischen Kolonien Nordamerikas tiefen Eindruck auf die armen
Menschen.
Die erste Pfälzerschar, die zum Wanderstabe griff, stand unter der Eührung
des lutherischen Pfarrers josuavon Kocherthal. Zehn Familien mit
21 Kindern umfassend, zog sie im Jahre 1708 über Holland nach London. Die
englische Regierung, auf die Besiedelung ihrer überseeischen Besitzungen be-
dacht, beschloß die um Unterstützung bittenden Pfälzer an den Ufern des Hud-
son anzusiedeln, wo sie, wie es in den offiziellen Dokumenten heißt, „beim Er-
zeugen der Bedarfsgegenstände für die Flotte und als Grenzwächter gegen die
Franzosen und Indianer verwendet werden können".
Da Kocherthal sich bereit erklärte, als Seelsorger bei seiner kleinen Herde
zu bleiben, so bewilligte die Regierung ihm eine Unterstützung sowie 500 Acker
Landes.
Die Überführung der durch verschiedene Nachzügler auf 55 Köpfe an-
gewachsenen Schar geschah auf einem Kriegsschiff, das gleichzeitig den neu-
ernannten Gouverneur der Kolonie, Lord Lovelac, nach New York brachte.
Dieser wies den Pfälzern einen an der Mündung des Quassaickbaches am West-
ufer des Hudson gelegenen Landstrich an, der durch seine wunderschöne, an
die herrlichsten Strecken des Rheines erinnernde Umgebung das besondere Wohl-
wollen der Pfälzer erregte. Hier gründeten sie eine Niederlassung, die sie in
Erinnerung an den Stammsitz des damals über die Pfalz regierenden Fürsten-
geschlechts Neuburg hießen.
Wenngleich diese Ansiedlung infolge der bitteren Armut der Pfälzer nicht
recht gedieh, so rief die Kunde von der freundlichen Aufnahme und Unter-
stützung, die den Pfälzern von der englischen Regierung gewährt worden war,
in der Pfalz große Erregung hervor. Diese wurde von englischen Spekulanten
benutzt, die Auswanderungslust noch mehr anzufachen, wozu obendrein der
furchtbar kalte Winter von 1708 bis 1709, währenddessen alle Feldfrüchte und
Reben der Vernichtung anheimfielen, und der Wein in den Fässern gefror, nicht
wenig beitrug.
Es war im Frühling 1709, als der Rheinstrom Schauplatz einer außer-
ordentlichen Begebenheit wurde. Ganze Flotten von Flößen, Kähnen und
Booten glitten den schönen Strom hinab, alle beladen mit unglücklichen
Menschen, die das Geringe, was ihnen geblieben, in Bündeln, Kisten und Kasten
mit sich führten. Vom Oberrhein schifften die Auswandrer nach Holland, setzten
von da nach England über und zogen nach London, um von der englischen
Regierung die Weiterbeförderung nach Nordamerika zu erflehen.
In London erschrak man über die Menge der Ankömmlinge, auf die man
in keiner Weise vorbereitet war, und die man bald nicht mehr unterzubringen
— 100 —
vermochte. Nachdem sämtHche leerstehende Wohnungen mit solchen Hilfe-
suchenden gefüllt waren, mußte man 1400 in einem Warenlager einquartieren.
Mehreren Tausend anderen verschaffte man in einem auf der schwarzen Heide
(Black heath) aus 1000 Armeezelten errichteten Notlager Unterl^unft.
Ein damals in London gedrucktes Flugblatt gibt über das Leben der hier
Versammelten folgende Mitteilungen: „Ihre Zeit verbringen sie mit Arbeit und
Gottesdienst. Sie haben morgens und abends Gebete mit Psalmengesang, und
jeden Sonntag eine Predigt, wobei alt und jung sehr ernst und ergeben zu sein
scheinen. Einige beschäftigen sich mit dem Anfertigen billiger Spielsachen,
welche sie der täglich sie besuchenden Menge für ein Geringes ablassen. Sie
geben sich mit sehr gewöhnlicher Nahrung zufrieden. Ihr Brot ist braun, und
das von ihnen genossene Fleisch von der m.inderwertigsten Sorte. Aber sie
verzehren dasselbe unter Zugabe einiger Wurzeln und Kräuter in Frohsinn und
Dankbarkeit. Viele von ihnen wandern Sonntags zu ihrer Kirche in Savoy, um
dort durch ihre eignen Priester die Sakramente zu empfangen. Manche der
jüngeren treten in den Bund der Ehe ein, wobei die Frauen Rosmarin, die
Männer Lorbeer in den Haaren tragen. Ehebruch und Unzucht werden sehr
verabscheut. Bei einem Begräbnis schreiten alle singend hinter dem Sarge, und
wenn sie am Grabe stehen, wird der Sarg nochmals geöffnet, damit jeder nocii
einen letzten Blick auf den Toten werfen kann. Nachdem, man diesen beigesetzt,
gehen alle unter Seufzen davon. Die Leichen erwachsener Personen werden
auf einer Bahre, diejenigen von Kindern auf dem Kopf getragen. Im ganzen
erweisen sie sich unschuldig, arbeitsam, friedfertig, gesund und klug, so daß
sie eher ein Segen als eine Bürde für jenes Land sein dürften, in dem sie an-
gesiedelt werden sollen.''
Insgesamt waren im. Oktober 1709 gegen 14 000 Pfälzer in London ver-
sammelt. Unter den Männern befanden sich 1838 Landwirte und Winzer,
78 Bäcker, 477 Maurer, 124 Zimmerleute, 68 Schuhmacher, 99 Schneider,
29 Metzger, 45 Müller, 14 Gerber, 7 Strumpfwirker, 13 Sattler, 2 Glasbläser,
3 Hutmacher, 8 Kalkbrenner, IS Schullehrer, 2 Graveure, 3 Ziegeidecker, 2 Silber-
schmiede, 35 Schmiede, 3 Hirten, 48 Grobschmiede, 3 Töpfer, 6 Türmer, 1 Bar-
bier und 2 Ärzte.
Die Anwesenheit so vieler, meist mittelloser Menschen gestaltete sich für
das damalige London zu einer ernsten Sache. Man besaß nicht Schiffe genug,
um eine so große Menge zu befördern. Die anfangs glänzend eintretende Wohl-
tätigkeit erlahmte allgemach, so daß bei Einbruch des Winters die Not immer
größer wurde und infolge derselben gegen tausend Personen starben. Da dem
Zustande ein Ende bereitet werden mußte, so schaffte die Regierung mehrere
Tausend der Unglücklichen nach Holland und Deutschland zurück; 3800 brachte
man nach Irland, um die dortigen Webereien zu heben; 600 sandte man nach
Karolina und Virginien, und mehr als 3000 zu Anfang des Jahres 1710 mit dem
an Stelle des verstorbenen Lord Lovelac neu ernannten Gouverneur Hunter nach
New York.
— 101 —
Der besseren Übersicht wegen wollen wir die Schicksale der nach Amerika
beförderten Pfälzer in besonderen Abschnitten schildern.
Die Pfälzer in Karolina und Virginien.
Zur selben Zeit, wo die Pfälzer ihre verwüstete Heimat verließen, sandte
eine im Kanton Bern in der Schweiz bestehende kleine Mennonitengemeinde
zwei Bevollmächtigte nach London, den Freiherrn Christoph von
Graffenried und F r a n z L u d w i g M i c h e 1. Sie hatten den Auftrag,
von einer dort bestehenden Kolonialgesellschaft ein Stück Land in Amerika
zu erwerben, wohin die Mennoniten übersiedeln könnten. Die beiden Männer
kauften von der „Karolina-Gesellschaft" einen 10 000 Acker großen Landstrich
zwischen Kap Fear und dem Neusefluß, überdies sicherten sie sich das Anrecht
auf weitere 100 000 Acker.
Um für diese ausgedehnten Besitzungen Ansiedler zu gewinnen, machte
Graffenried der englischen Regierung den Vorschlag, mehrere Hundert der in
London weilenden Pfälzer dorthin überzuschiffen. Die Regierung ergriff in
ihrer Notlage freudig das Angebot und stellte, nachdem die künftigen Beziehun-
gen der Pfälzer zu Graffenried genau geregelt waren, zwei Schiffe zur Ver-
fügung, auf denen im Oktober 1709 650 Pfälzer nach Nordkarolina segelten.
Dort gründeten sie am Zusammenfluß der Neuse mit der Trent die Ansiedlung
Neu-Bern.
Graffenried hielt aber nicht die gemachten Versprechungen. Als seine
Erwartungen in bezug auf die zu gewinnenden Reichtümer sich nicht rasch
genug erfüllten, wandte er der Niederlassung den Rücken und kehrte nach
Europa zurück. Sein Besitztum verpfändete er an den Engländer Thomas
Pollock. So kam es, daß die Pfälzer die Besitztitel für die ihnen versprochenen
Ländereien erst mehrere Jahre später erhielten.
Während der im Jahre 1711 zwischen der Kolonie Karolina und den
Tuscarora Indianern entbrannten Streitigkeiten litten die Pfälzer schwer durch
einen indianischen Überfall, währenddessen 112 der Ihrigen niedergemacht
wurden. Dieses Ereignis bewog manche der Überlebenden, Karolina zu ver-
lassen und einer vom Gouverneur Alexander Spotswood erlassenen Einladung
folgend, nach Virginien zu ziehen.
Mit diesen Deutschen gründete Gouverneur Spotswood auf einer vom
Rapidanfluß gebildeten Halbinsel die Niederlassung Germanna. Es scheint aber
nicht, daß der Gouverneur die Förderung derselben sich sehr angelegen sein
ließ, denn sie befand sich noch mehrere Jahre nach ihrer Gründung in ziemlich
verwahrlostem Zustande. Das erhellt aus einer drastischen Beschreibung, die
von John Fontaine und John Clayton, zwei Bürgern der Ortschaft Williams-
burg, im Jahre 1714 geliefert wurde. Auf einer Reise begriffen, stiegen sie in
Germanna bei dem deutschen Pastor Johann Heinrich Hager ab.
Derselbe war kurz zuvor mit vierzig deutschen Bergleuten angekommen, die
— 102 —
Freiherr von Graffenried für den Gouverneur Spotswood angeworben hatte, da-
mit sie für denselben in Virginien Bergwerke und Eisenschmelzhütten anlegen
sollten. Die beiden Reisenden schrieben über ihren Besuch folgendermaßen:
„Wir begaben uns zunächst zur Wohnung des deutschen Pastors, fanden dort
aber nichts zu essen und lebten deshalb von unseren eignen Vorräten. Da unser
Lager nur aus einer Schütte Stroh bestand, und keineswegs bequem war, so
erhoben wir uns bereits bei Tagesanbruch und wanderten trotz starken Regens
durch den Ort, welcher ringsum mit dicken, für eine Fhntenkugel undurch-
dringUchen, eng aneinander in die Erde eingerammten Pfählen verpalisadiert ist.
Es halten sich hier nur neun Familien auf. Ihre neun Hütten bilden eine Reihe.
Vor jedem Hause, 20 Fuß entfernt, liegen die Ställe für die Hühner und Schweine,
so daß der Raum zwischen diesen Ställen und den Häusern eine Straße bildet. In
der Mitte des von den Palisaden umschlossenen fünfseitigen Raums steht ein
fünfeckiges Blockhaus, dessen fünf Seiten mit jenen der Palisaden Umfassung
korrespondieren. Die Wände des Blockhauses enthalten Schießscharten, von
denen aus man die ganze Gegend überschauen kann. Diese Hütte dient als
Zufluchtsort für den Fall, daß die Palisaden nicht länger gegen die Indianer
verteidigt werden könnten. Sie dient zugleich auch kirchlichen Zwecken. Ein-
mal täglich gehen die Bewohner zum Gebet, zweimal Sonntags zur Predigt.
Wir wohnten dem in deutscher Sprache abgehaltenen Gottesdienst bei. Ob-
wohl wir die Predigt nicht verstanden, bemerkten wir doch, daß alle sehr
ergeben waren und ihre Psalmen vortrefflich sangen. Die Ansiedlung liegt
30 Meilen von jeder andern menschlichen Wohnstätte entfernt. Ihre Bewohner
leben in recht kümmerlichen Verhältnissen. Infolge mangelnder Lebensmittel
waren wir genötigt weiterzuziehen.'*
Aus dieser Schilderung ergibt sich, daß die Ansiedler von Germanna
wenig Ursache hatten, dem Gouverneur Spotswood für zuteil gewordene Förde-
rung dankbar zu sein.
Aus anderen Quellen wissen wir, daß er ihnen für die in seinen Plantagen
und Bergwerken geleisteten Dienste große Summen schuldig blieb und ihnen
als Entschädigung Landstücke am Robertson, einem Nebenfluß des Rapidan,
übertrug.
Die meisten Deutschen verließen im Jahre 1718 nebst ihrem Pastor und
dem Lehrer Johann Holtzklau Germanna und gründeten im Fauquier
County die Niederlassung Germantown. Hier erbauten sie eine Kirche, welcher
Hager bis zu seinem im Jahre 1737 erfolgten Tode vorstand.
Germanna existierte noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts, aber es
bestand damals nur noch aus dem Wohnhaus des Gouverneurs und anderthalb
Dutzend halbverfallenen Hütten, in denen vormals Deutsche gelebt hatten.
Die von deutschen Bergleuten angelegten Eisen minen und Schmelzhütten
lagen einige Meilen von Germanna entfernt, in der sogenannten „Wildnis".
Sie waren die ersten ihrer Art in Nordamerika und werden noch heute von der
„Wilderniß Mining Co." ausgebeutet.
— 103 —
Die Pfälzer in der Kolonie New York.
Schon bald nach seiner Ankunft in New York, im Mai des Jahres 1709,
war Gouverneur Lovelac, der Protektor der unter Leitung des Pfarrers Josua
von Kocherthal am Hudson gegründeten Pfälzerkolonie Neuburg, gestorben.
Zu seinem Nachfolger wurde der Oberst Robert Hunter erwählt. Dieser erhielt
den Auftrag, 3000 der noch in London weilenden Pfälzer nach New York mit-
zunehmen und gleichfalls am Hudson anzusiedeln.
Die Einschiffung erfolgte im April 1710. Man brachte die Pfälzer auf
zehn Schiffen unter, um deren Einrichtung und Verproviantierung es aber so
jämmerlich bestellt war, daß während der Überfahrt 470 Personen starben.
Da man in New York die Einschleppung einer ansteckenden Seuche befürchtete,
so hielt man die Einwanderer wochenlang in einem auf Gouverneurs Island
errichteten Notlager zurück. Hier starben noch 250 Personen, so daß der
Gesamtverlust sich auf 720 belief.
Als endlich die entsetzliche Quarantäne aufgehoben wurde, glaubten die
Pfälzer das Schlimmste überstanden zu haben. Aber der ihnen beschiedene
Leidenskelch war noch lange nicht leer, denn nachdem Gouverneur Hunter sie
endlich südöstlich von den Catskillgebirgen in zwei zu beiden Seiten des
Hudson gelegenen Lagern, dem East- und West Camp untergebracht hatte, be-
gann für die Ärmsten eine mehrere Jahre währende Zeit schwerer Bedrückung.
Anstatt daß man sie die Rechte heutiger Einwandrer hätte genießen lassen,
behandelte man sie als eine Art von Kronbauern, die verpflichtet seien, die
ihnen gewährten Unterstützungen sowie die Kosten der Überfahrt und Ver-
pflegung durch ihre Arbeit auf Heller und Pfennig abzutragen. Sie wurden
angehalten, Teer zu bereiten und Hanf zu bauen, damit die englische Regierung
nicht länger genötigt sei, diese für die Marine unentbehrlichen Gegenstände aus
dem Ausland zu beziehen.
Das East Camp lag im Besitztum des Schotten Robert Livingston, eines
Abenteurers schlimmster Sorte, wie es deren in den Kolonien nicht wenige gab.
Als Indianeragent, Steuerbeamter und Armeelieferant hatte Livingston durch
zahllose Betrügereien sich ein großes Vermögen erworben und dieses zum
Ankauf eines 16 englische Meilen langen und 24 Meilen breiten, am Hudson
liegenden Besitztums verwendet. Es war mit allen Rechten einer jener von
den Holländern geschaffenen Baronien ausgestattet. Dieses „Manor" besiedelte
Livingston mit Leuten, die zu arm waren, um mit eigenen Mitteln ein Heim zu
schaffen. Durch rücksichtsloses Ausbeuten ihrer Arbeitskraft suchte er sein
Besitztum zu verbessern und dessen Wert zu erhöhen.
Livingston gehörte auch zu jenen Schurken, die im Jahre 1691 den
wackeren Jakob Leisler an den Galgen gebracht halten. Nach der Beseitigung
dieses Volksmannes war es ihm gelungen, Mitglied des Kolonialrats zu werden.
Aber -seine Unternehmungen waren meist so schmutziger Art, daß der Vize-
gouverneur Naufan ihn im Jahre 1702 seines Postens enthob und sogar die
— 104 —
Beschlagnahme seines Vermögens anordnete. y\ber der schlaue Fuchs ver-
stand es, sich bei der Londoner Regierung weißzuwaschen und bei den Nach-
folgern des ihm unbequemen Beamten in Gunst zu setzen.
Obwohl dieser Mann bei allen bessergesinnten Bewohnern der Kolonie
New York im schlechtesten Ruf stand, übertrug man ihm die Verpflegung der
am Hudson angesiedelten Pfälzer. Dieselben hätten in keine schlimmeren Hände
geraten können. Denn Livingston hatte sich um die für jene Kolonisten be-
stimmten Lieferungen nur beworben, um daraus neue Reichtümer zu gewinnen.
Daß es sich dabei um keine geringen Summen handelte, ergibt sich aus ver-
schiedenen noch vorhandenen Rechnungen, welche Livingston bei der Kolonial-
regierung einreichte. Aus denselben veranschlagte Samuel Cobb in seiner
„Story of the Palatines", daß Livingston während des vom 10. November 1710
bis zum September 1712 reichenden Zeitraumes für die Verpflegung der Pfälzer
über 26 000 Pfund Sterling erhielt! Daß der größte Teil dieser Summe als
reiner Gewinn in die Taschen des Gauners floß, ist selbstverständlich.
Liest man die in der dokumentarischen Geschichte des Staates New York
abgedruckten Beschwerden, die sowohl von den Pfälzern wie von den ihnen vor-
gesetzten Aufsehern gegen Livingston vorgebracht wurden, so erfaßt einen noch
heute tiefer Grimm über die von ihm begangenen Schuftereien.
Nicht bloß waren sämtliche durch ihn gelieferten Nahrungsmittel von
der allerschlechtesten Beschaffenheit, sondern auch hinsichtlich der zu liefernden
Menge wurden die gemeinsten Betrügereien verübt. Die Fässer, welche das
Mehl enthielten, wogen an Holz stets vier bis fünf Pfund mehr als auf den
Rechnungen angegeben stand. Selbstverständlich enthielten sie ebenso viele
Pfund Mehl weniger. Dem Pökelfleisch war so viel Salz beigemengt, daß
dasselbe ein Achtel des ganzen Inhalts der Fässer betrug und das Fleisch
ungenießbar machte.
In dem „Verzeichnis der Beschwerden", welches von den Pfälzern der
Regierung eingereicht wurde (abgedruckt in der Documentary History of New
York, III. 423) heißt es über den Winter des Jahres 1712: „Der Winter war
äußerst streng. Wir besaßen weder Lebensmittel noch Kleider. Infolgedessen
herrschte überall die größte Bestürzung. Von allen Seiten, besonders von
den Lippen der Frauen und Kinder ertönten die jämmerlichsten und herz-
brechendsten Klagen, die jemals von unter den kümmerlichsten Verhältnissen
und den unglücklichsten Zuständen lebenden Personen vernommen wurden.
Zuletzt, gegen ihren Willen, sahen sich diese Leute der bitteren Notwendigkeü
ausgesetzt, die Hilfe der Indianer anzurufen."
So war die Lage der Unglücklichen, denen man vor ihrer Überführung
nach den Gestaden der Neuen Welt versprochen hatte, daß sie daselbst auf
eigene Füße gestellt und mit allem Nötigen zur Begründung blühender An-
siedlung versorgt v/erden sollten.
Es konnte natürlich nicht ausbleiben, daß die Ärmsten der Bedrückungen
müde wurden und sich weigerten, weiterzuarbeiten.
— 105 —
Als darauf Gouverneur Hunter sie durch Soldaten zur Wiederaufnahme
der Arbeit zwingen wollte, faßten sie den Entschluß zu fliehen. Im Tal des
Schcharie lebten mehrere Indianerhäuptlinge, die während eines Besuchs in
London die Pfälzer in ihrem Notlager gesehen und ihnen, als sie vernahmen,
daß dieselben keine Heimstätten besaßen, Land zum Geschenk angeboten hatten.
Jetzt erinnerte man sich dieses Geschenkes und bat durch Abgesandte die
Ein Häuptling der Mohawk-Indianer.
Indianerhäuptlinge um die Erlaubnis, sich auf deren Gebiet ansiedeln zu dürfen.
Als die Häuptlinge die Schenkung nochmals ausdrücklich wiederholten, machten
die Pfälzer sich trotz aller Einsprüche des englischen Gouverneurs, der die
Ärmsten weiter auszubeuten dachte, im März 1713 auf den Weg nach dem
Schoharietal. Vierzehn Tage nahm die Wanderung in Anspruch. Sie wurde
dadurch erschwert, daß man kein einziges Zugtier, keinen Wagen besaß, um
das Gepäck, die Frauen, Kinder und Kranken fortzuschaffen. Alle Gegenstände
— 106 —
mußten auf dem Rücken getragen werden. Dazu lag weit und breit tiefer
Schnee, der das Vorwärtskommen fast unmöglich machte. Als endlich die
armen Wanderer in dem schönen Tale ankamen, besaßen sie nichts, wovon sie
hätten leben können. Zweifellos wären sie verhungert, wenn die Indianer
sich ihrer nicht erbarmt und sie zum Frühjahr mit Wildbret versorgt
hätten.
Kaum wurden jemals Niederlassungen unter schwierigeren Verhältnissen
begonnen, als diese pfälzischen im Schoharietal. Da man keine Pflüge besaß,
so riß man die Erde mit Sicheln auf und säte in diese rohen Furchen den
Scheffel Weizen, den man mit dem letzten Gelde in dem 20 Meilen entfernten
Örtchen Schenectady kaufte. Die Häuser baute man aus rohen Baumstämmen.
Die Kleider und Mützen fertigte man aus den Fellen erlegter Tiere. So schleppten
sich die Ärmsten hin bis zum Herbst, wo die erste Ernte 83 Scheffel ergab.
Dies gewonnene Getreide zerstampfte man in Ermanglung einer Mühle auf
Steinen. Bereits im nächsten Sommer begannen aber die Ansiedlungen einen
wohnlicheren Ausdruck zu gewinnen. Sieben kleine, nach den Führern der
Pfälzer benannte Dörfchen entstanden: Weisersdorf, Hartmannsdorf, Brunnen-
dorf, Schmidtsdorf, Fuchsdorf, Gerlachsdorf und Kneiskerndorf. Von diesen
bestehen das letztgenannte, sowie Hartmannsdorf noch heute.
Die Erbauer dieser Dörfer begannen eben voll neuer Hoffnung der Zu-
kunft entgegenzusehen, als plötzlich die Nachricht eintraf, daß Gouverneur
Hunter das Land am Schoharie mehreren Spekulanten übertragen habe, mit denen
die Pfälzer sich auf die eine oder andere Weise abfinden müßten. Unter diesen
Spekulanten befand sich der berüchtigte Livingston. Die Kunde traf die
Pfälzer gleich einem Donnerschlag; bedeutete sie doch eine Kriegserklärung des
über das Fehlschlagen seiner Pläne ergrimmten Gouverneurs, der an den
Pfälzeransiedlungen am Hudson finanziell stark beteiligt gewesen war und nun
fürchtete, durch den Wegzug der Deutschen den größten Teil seines Vermögens
einzubüßen. Daß die Pfälzer das Land am Schoharie von den Indianern ge-
schenkt erhalten und nach dem Kolonialrecht, daß dem ersten Ansiedler den
Besitz sicherte, Anspruch auf dasselbe hatten, darum kümmerte sich Hunter
nicht. Er fuhr fort, die Pfälzer durch allerlei Nichtswürdigkeiten so zu peinigen,
daß dieselben in ihrer Not beschlossen, drei zuverlässige Männer nach London
zu senden, um ihre Beschwerden direkt dem König zu unterbreiten. Die Wahl
fiel auf Johann Konrad Weiser, Wilhelm Scheff und Wilhelm
W a 1 1 r a t. Da Hunter ihre Abreise zweifellos verhindert haben würde, so
begaben die drei sich heimlich nach Philadelphia und schifften sich dort ein.
Erst nach mancherlei Abenteuern trafen sie in London ein, ohne jegliche
Mittel, da ihr Fahrzeug unterv/egs von Seeräubern überfallen worden war, die
sämtliche Insassen ausplünderten.
In London machten die Abgesandten die übelsten Erfahrungen. Man
gebot ihnen, ihre Klagen auf dem üblichen Wege durch Vermittlung des
Kolonialministeriums vorzubringen. Darüber verstrichen Monate, während
— 107 —
welcher die ohne Geld und Freunde dastehenden Männer nicht bloß die bittersten
Qualen der Ungewißheit, sondern Not und Entbehrungen erlitten.
Wallrat starb an Heimweh. Die beiden andern wurden sogar, da sie
Schulden gemacht hatten, ins Gefängnis geworfen. Sie wurden aus demselben
erst nach einjähriger Haft erlöst, nachdem die im Schoharietal zurückgebliebenen
Landsleute 70 Pfund Sterling zur Deckung ihrer Schulden aufgebracht hatten.
Während Scheff nach Am.erika zurückkehrte, blieb Weiser noch zwei
Jahre lang in London, in der Hoffnung, bei der Regierung Gehör zu finden.
Aber diese Hoffnung scheiterte, als Gouverneur Hunter nach England zurück-
kehrte und die Pfälzer als Aufwiegler bezeichnete, welche sich widerrechtlich
auf dem Eigentum anderer niedergelassen hätten.
Die Kolonialminister nahmen sich nicht die Mühe, die wirkliche Sachlage
zu untersuchen. Sie schenkten den Darstellungen des Beamten größeren Glauben
und wiesen den Pfälzer mit seinen Beschwerden ab.
Als derselbe nach fünfjähriger Abwesenheit im Jahre 1723 nach dem
Schoharietal zurückkehrte, hatte sich die Lage seiner Landsleute keineswegs ge-
bessert. Ja, manche waren in Albany ins Gefängnis geworfen worden, weil sie
einen Bevollmächtigten der Spekulanten mit Prügeln heimgeschickt hatten, als
derselbe kam, um für die von den Pfälzern bewohnten Ländereien Pacht zu
erheben.
Diese Vorkommnisse, sowie Weisers Heimkehr von seiner fruchtlosen
Reise stellten die Pfälzer vor die Notwendigkeit, neue Entschlüsse zu fassen.
300 Personen entschieden sich, im Schoharietal zu bleiben. Sie wollten, anstatt
ihre Familien nochmals den Gefahren einer langen Wanderung durch die
Wildnis auszusetzen, lieber den Spekulanten die verlangte Pacht oder das Kauf-
geld für die Ländereien bezahlen. Die anderen hingegen, welche sich dazu nicht
verstehen konnten, bildeten zwei Abteilungen, von denen eine nach Penn-
sylvanien zog, während die andere sich dem Mohawk zuwandte, in dessen Tal
die Mohawk Indianer einen 24 englische Meilen langen Landstrich ohne jede
Gegenleistung zur Verfügung stellten, damit sie sich dort neue Wohnsitze
gründen könnten.
Das Tal des Mohawk zählt zu den lieblichsten Landschaften des mit
Naturschönheiten reich gesegneten Staates New York. Es verdankt seinen
Ursprung den überschüssigen Wassern der fünf großen Binnenseen, die vor
Millionen von Jahren durch diese Rinne ihren Hauptabfluß zum Meere hatten.
Infolge irgendwelcher geologischer Ereignisse wandten sich diese Fluten später
dem St. Lorenzstrom zu. Das von ihnen ausgewaschene weite Tal ist aber
geblieben und wird heute von dem in weiten Schlangenwindungen dahinziehen-
den Mohawk durcheilt. Nur an einer Stelle stemmen sich dem Fluß trotzige
Felswände, Überreste eines Gebirgszugs entgegen, als wollten sie ihm den
Durchgang wehren. Aber der Fluß bricht, zahlreiche Wasserfälle bildend, durch
die dunklen Gassen, um in dem bald darauf sich wieder erweiternden Tal die
Reise zum Hudson fortzusetzen.
— 108
Als die Deutschen am Mohawk erschienen, bildete seine Umgebung eine
noch unberührte Wildnis. Sie gehörte zu den gewaltigen Jagdgründen des
mächtigen Irokesenbundes, dem die Mohawkindianer anhingen. Der Jagd und
dem Fischfang nachgehend, bewohnten sie zahlreiche, auf den Ufern des Flusses
liegende Dörfer.
In diesem Tal, das damals durchaus nicht den lieblichen Anblick darbot,
den es heute mit seinen saftigen Wiesen, reichen Feldern, blühenden Obstgärten
und den behäbigen Wohlstand verkündenden Ortschaften gewährt, ließ sich ein
Teil der vom Schoharie fortziehenden Pfälzer nieder.
Der an Stelle des ab-
berufenen Gouverneurs Hun-
ter tretende Gouverneur Bur-
net begünstigte ihre Über-
siedlung, weil dadurch nicht
nur die Grenze der Kolonit
New York um 40 Meilen
weiter gen Westen vorge-
schoben wurde, sondern die
deutschen Ansiedlungen auch
als Vorposten und Stütz-
punkte bei etwaigen feind-
lichen Einfällen der in Ca-
nada sitzenden Franzosen
gute Dienste leisten konnten.
Diejenigen Familien,wel-
che sich entschlossen, nach
Pennsylvanien zu ziehen,
bahnten sich unter Führung
einiger befreundeter Indianer
einen Weg durch den unge-
heuren Urwald, der ohne jede
Lichtung sich vom Schoharie
bis zum oberen Susquehanna erstreckte. Dort fällten sie hohe Tannen und
fügten sie zu Flößen zusammen. Diese beluden sie mit ihrer Habe, den Frauen
und Kindern und schwammen nun, von der Strömung getragen, den Fluß hinab.
Die Pferde und das Vieh wurden von einigen Männern am Ufer entlang getrieben.
Unbelästigt von Indianern kamen die Auswanderer nach mehreren Wochen an
die Mündung des Swatara. Diesen Fluß fuhren sie aufwärts bis sie in das
liebliche Tal eines Baches gelangten, den die hier wohnenden Delaware-In-
diander Tulpe wihaki „Der Ort der Schildkröten" nannten. Hier ließen die der
langen Reise müden Pfälzer sich nieder und gründeten mehrere neue Gemein-
wesen. Dieselben blühten durch den unermüdlichen Fleiß ihrer Bewohner
überraschend schnell auf und übten, nachdem durch Verträge mit den Indianern
-^
Ein Pfälzer des Mohawktals im 18. Jahrhundert.
— 109 —
und den Behörden der Kolonie Pennsylvanien die Reciite der Pfälzer auf das von
ihnen bewohnte Land bestätigt waren, eine wahrhaft magnetische Anziehungs-
kraft auf die in anderen Teilen Amerikas lebenden Pfälzer, sowie spätere An-
kömmlinge aus. Kaum zwanzig Jahre nach Gründung der Kolonien am Tulpe-
hocken') betrug die Zahl ihrer Bewohner bereits 50 000! Die Namen von
über 30 000 sind in einer noch heute im Staatsarchiv zu Harrisburg aufbe-
wahrten Liste enthalten.
Da die Kunde von den üblen Erfahrungen, welche die Pfälzer in New York
erlitten hatten, nach Deutschland gelangte, so mieden die von dort kommenden
Einwanderer jene Kolonie so viel wie möglich. Die Werke des schwedischen
Naturforschers Peter Kalm, welcher um jene Zeit Amerika bereiste, enthalten
darüber folgende interessante Stelle: „Die Deutschen schrieben an ihre An-
verwandte und Freunde in Deutschland und gaben ihnen den Rat: daß, wenn
sie nach Amerika hinüber gedächten, sie sich durchaus nicht in New York nieder-
lassen sollten, wo die Regierung sich so gehässig gegen sie gezeigt hätte.
Diese Vorstellungen hatten den Nachdruck, daß die Deutschen, welche nachher
in erstaunlicher Menge nach Amerika sich begaben, New York beständig flohen,
und Pennsylvanien zum Aufenthalt wählten. Bisweilen trug es sich zu, daß
sie genötigt waren, auf Schiffen herüberzureisen, die nach New York fuhren.
Sie traten aber kaum ans Land, da sie schon vor den Augen der Einwohner
von New York weiter nach Pennsylvanien eilten."
Wie sehr die Deutschen Pennsylvanien bevorzugten, ergibt sich auch
aus andern Angaben. Im Jahre 1749 landeten in Philadelphia allein 25 Schiffe
mit 7049 Deutschen. Während der Zeit von 1750 bis 1752 sollen über 18 000
angekommen sein. Besonders stark war der Zufluß im Jahre 1759, wo an-
geblich gegen 22 000 Pfälzer, Badenser und Württemberger in Philadelphia
den Boden der Neuen Welt betraten.
Wir können von den Pfälzern am Schoharie und Tulpehocken nicht
scheiden, ohne eines Mannes zu gedenken, dem das Schicksal einen außer-
gewöhnlichen Wirkungskreis zuwies : Konrad Weiser.
Derselbe war ein Sohn des bereits erwähnten Johann Konrad Weiser,
welcher in seinem schwäbischen Heimatsort Astädt das Amt eines Dorfvor-
stehers innegehabt hatte. Auch während der Reise nach der Neuen Welt wie
in den Hungerlagern am Hudson und Schoharie, diente Weiser seinen Lands-
leuten stets als Wortführer und treuer Berater. Sein noch in Deutschland
geborener Sohn Konrad hatte am Schoharie in häufigem Verkehr mit den In-
dianern so große Vorliebe für das Leben in der Wildnis und die Söhne des
Urwalds gefaßt, daß er der Einladung eines MohawkhäupÜings, sein Wigwam
zu teilen, folgte und mit Zustimmung seines Vaters in das Lager der Rothäute
übersiedelte. Im engen Verkehr mit denselben erwarb sich der junge Weiser
eine vorzügliche Kenntnis der Mohawksprache, so daß er imstande war, bei
^) So wurde die indianische Bezeichnung umgebildet.
— 110 —
allen Verhandlungen seiner Landsleute mit den Rothäuten als Dolmetscher zu
dienen. Später erlernte Weiser noch die Sprachen verschiedener anderer In-
dianerstämme und wurde wegen dieser Kenntnisse von den Behörden der
Kolonien New Yorks und Pennsylvanien bei ihren Beratungen und Vertrags-
schlüssen mit den Indianern häufig als amtlicher Dolmetscher zugezogen.
Infolge seiner strengen Unparteilichkeit setzten die Indianer so unbegrenztes
Vertrauen in ihn, daß sie wiederholt seine Vermittlung in Streitfragen mit den
Kolonialregierungen anriefen und es ablehnten, an Beratungen teilzunehmen,
wo Weiser nicht als Dolmetscher fungiere.
Die ersten größeren Erfolge errang Weiser nach seiner im Jahre 1729 er-
folgten Übersiedlung nach Tulpehocken. Von dort aus trat er im Jahre 1737
auf Wunsch der Gouverneure von Pennsylvanien und Virginien eine höchst
gefahrvolle Reise zum Onondaga See im Westen des heutigen Staates New York
an, um die dort versammelten Häuptlinge des mächtigen Irokesenbundes zu
einem Friedensschluß mit ihren alten Erbfeinden, den in Westpennsylvanien und
Westvirginien hausenden Cherokesen und Catawbas zu bewegen. Das glück-
liche Gelingen dieses Auftrages hatte zur Folge, daß die bisher als Kriegs-
schauplatz zwischen den feindlichen Nationen dienenden Gebiete sich nunmehr
in Ruhe und Frieden entwickeln konnten.
Im Jahre 1742 nahm Weiser an höchst wichtigen Verhandlungen teil,
die vom Gouverneur von Pennsylvanien mit 70 großen Häuptlingen anberaumt
waren, um den Irokesenbund wegen der Mäderrechtlichen Besitznahme einiger
ihm gehörenden Ländereien zu beschwichtigen und obendrein seinen Beistand
in dem drohenden Krieg gegen die Franzosen zu gewinnen. Der glückliche
Ausgang dieser Zusammenkunft wird von allen gleichzeitigen Berichten aus-
schließlich dem geschickten Vorgehen Weisers zugeschrieben.
Die wichtigsten Dienste leistete Weiser aber in den Jahren 1745, 1748
und 1754, wo die Franzosen alle erdenklichen Mittel aufboten, den Irokesenbund
zu sich hinüberzuziehen. Obwohl die indianischen Lager von französischen
Emissären schwärmten, machten Weisers Reden doch so tiefen Eindruck, daß
ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen dem Irokesenbund und den englischen
Kolonien gegen die Franzosen zustande kam. Weiser war damals viele Monate
unterwegs. Bald reiste er zu Fuß oder zu Pferde auf einsamen Indianerpfaden
durch die majestätische Wildnis; bald glitt er auf schwankendem Kanu die rau-
schenden Ströme hinab, zahllosen Entbehrungen und Gefahren mutig Trotz
bietend. Dies alles tat er lediglich in der Hoffnung, zwischen den Weißen
und Eingeborenen friedliche Beziehungen herzustellen, damit die Ansiedler
unbehelligt ihren Arbeiten nachgehen könnten. Beim Ausbruch des Franzosen-
kriegs wurde Weiser zum Hauptmann ernannt. Als solcher leitete er die Her-
stellung der Befestigungen, die auf den Höhen der „Blauen Berge" in Penn-
sylvanien angelegt wurden, um verfolgten Ansiedlern in Stunden der Gefahr
als Zufluchtsort zu dienen. Tätigen Anteil an dem Franzosenkrieg zu nehmen
war ihm nicht beschieden. Die jahrelangen Reisen, die damit verknüpften un-
— 111 —
säglichen Strapazen hatten seine Kräfte vor der Zeit erschöpft. Aber er erlebte
noch die Schlacht bei Quebec, die den Untergang der französischen Herrschaft
in Nordamerika bedeutete. Der Jubel über dieses Ereignis vergoldete den
Abend seines Lebens, das am 13. Juli 1760 seinen Abschluß fand.
Konrad Weiser war unstreitig einer der interessantesten Männer seiner
Zeit. Obwohl er nie regelmäßig Schulunterricht genossen hatte, gebot er
doch über reiche Kenntnisse. Zugleich besaß er einen scharfen Blick, der ihn
die jeweilige Lage und die einzuschlagenden Schritte rasch erkennen ließ. Die
Urbewohner des Landes hatten an ihm einen ebenso warmen Freund, wie die
gewissenlosen Schnapshändler einen erbitterten Feind. Er war zu oft Zeuge der
schrecklichen Verheerungen gewesen, welche diese Leute anrichteten, indem sie
den Eingeborenen gegen schweres Geld gemeinen Fusel zuführten und damit
ihr Dasein vergifteten. Weiser war auch der erste, welcher sich in energischer
Weise dafür aussprach, daß diese Übeltäter, wo man sie bei ihrem nichts-
würdigen Gewerbe erwische, auf dem Fleck gehängt werden sollten.
Die Niederlassungen der Pfälzer und Elsaß-Lothringer in Luisiana.
So schwere Drangsale die Pfälzer am Hudson und Schoharie erdulden
mußten, so waren sie doch noch glücklich zu preisen im Vergleich mit jenen, die
zusammen mit Elsässern und Lothringern von dem berüchtigten französischen
Finanzminister John Law verlockt wurden, nach seinen Besitzungen in Louisiana
zu ziehen.
John Law, von Geburt Schotte, war ein kühner Abenteurer, der nach dem
mi Jahre 1715 erfolgten Tod des Königs Ludwigs XIV. von Frankreich dem
mit der Regentschaft betrauten Herzog von Orleans seine Dienste anbot. Seine
Vorschläge zur Deckung der von dem verstorbenen König dem Lande aufge-
bürdeten Schuldenlast von drei Milliarden Francs fanden Gehör. Ein Teil dieser
Vorschläge bestand in der Ausbeutung des von dem Entdecker La Salle am
Mississippi gegründeten Kolonialreichs Lousiana.
Zu diesem Zweck rief Law die mit außerordentlichen Privilegien aus-
gestattete „Westliche" oder „Indianische Compagnie" ins Leben, deren Teil-
habern man bedeutende Strecken Landes unter der Bedingung bewilligte, daß
sie dieselben mit Ackerbauern und Bergleuten besiedeln müßten.
Law, der Direktor der Gesellschaft, behielt sich selbst ein am unteren
Arkansas gelegenes Gebiet von zwölf Meilen im Geviert vor. Da man mit
französischen Ansiedlern schlechte Erfahrungen machte, so beschloß er, sein
Besitztum mit Deutschen aus Elsaß-Lothringen und der Pfalz zu besetzen. Um
solche anzulocken, ließ er die Reklametrommel mächtig rühren und in den
betreffenden Landschaften allerhand überschwengliche Flugschriften verbreiten.
Eine derselben erschien im Jahre 1720 in Leipzig unter dem Titel: „Be-
schreibung des an dem großen Flusse Mississippi in Nordamerika gelegenen
— 112 —
herrlichen Landes Louisiana." Sie schildert Boden und Klima als „ungemein
angenehm". Man könne sich den Überfluß des vier Ernten im Jahre ermög-
lichenden Landes nicht groß genug einbilden. Wild sei in erstaunlichen Massen
vorhanden und der Pelzhandel äußerst gewinnbringend. Die Hauptsache wären
aber die Gold-, Silber-, Kupfer- und Bleibergwerke.- Ferner fände man dort
„Heilmittel für die allergef ährlichsten Blessuren, auch untrügliche vor die Früchte
der Liebe". (!)
Da die Rentabilität von Kapitalanlagen in der verlockendsten Weise ge-
schildert wurde, so erwachte ein ähnliches Spekulationsfieber, wie man es im
19. Jahrhundert bei der Entdeckung der Goldfelder Kaliforniens und Alaskas
erlebte. Tausende rüsteten sich zur Reise nach dem gelobten Lande. Da aber
die wenigen in den französischen Häfen vorhandenen Schiffe nicht ausreichten,
so blieben viele der Auswanderer in jenen Hafenorten zuriick. Viele Hundert
gingen während der langwierigen und an Entbehrungen reichen Reise zugrunde.
Sicher ist aber, daß wenigstens 3000 Deutsche nach Louisiana gelangten, wo
sie mit allerhand zweifelhaftem, aus Bettlern, Sträflingen und Prostituierten be-
stehenden Gesindel zusammentrafen, mit dem die Konzessionäre ihre Lände-
reien zu bevölkern gedachten.
Sämtliche hierher Geschleppten erlebten in dem „herrlichen Lande Loui-
siana" schreckliche Enttäuschungen. Denn als im Jahre 1720 der hohle Bau
der „Indischen Gesellschaft" zusammenbrach und die wilde Spekulation mit
einem der schlimmsten Krache endigte, derer die Weltgeschichte gedenkt, kamen
über die Ausgewanderten Zeiten geradezu entsetzlichen Elends. Kein Mensch
kümmerte sich um sie. Viele verhungerten. Die auf Laws Ländereien versam-
melten Deutschen schifften auf Kähnen nach der noch im Anfangsstadium be-
findlichen Niederlassung New Orleans, wo sie von dem damaligen Gouverneur
Bienville verlangten, daß er sie nach Europa zurückschaffe. Dieser, um die
Kolonie vor gänzlichem Untergang zu retten, bot alles auf, um die Enttäuschten
zum Bleiben zu bewegen. Er wies ihnen 20 Meilen oberhalb von New Orleans
ein 30 Meilen auf beiden Seiten des Mississippi sich hinziehendes Alluvialland
an, unterstützte sie mit Ackergeräten, Vieh und Vorschüssen und ernannte einen
früher als Offizier in schwedischen Diensten gewesenen Deutschen, Karl
Friedrich von Arensburg, zum Amtsrichter und Milizoberhaupt der
neuen deutschen Ansiedlung. Diese erscheint fortan in den offiziellen Berichten
unter dem Namen „La Cote des Allemands", kurzweg „aux Allemands".
„Was es heißt," so schreibt Hanno Deiler in seiner kleinen Monographie
„Die ersten Deutschen am unteren Mississippi", ,.dort eine Wildnis zu lichten,
das kann nur der ahnen, der den südlichen Urwald kennt; den Urwald auf
mannstiefem, schwarzem. Alluvialgrund, den jede Überschwemmung des Missis-
sippi mit neuem reichen Schlamm bedeckt. Millionenfaches Keimen weckt da
die südliche Sonne in jedem Fußbreit Boden. Riesige Lebenseichen mit langen
Moosbärten stehen wie seit Ewigkeiten und spotten der Axt. Dazwischen
dichtes Gehölz, Gebüsch und Gesträuch und ein wahrer Filz von kriechenden,
— 113 —
sich windenden, schlingenden und emporkletternden Pflanzen, unter deren Schutz
eine Welt von menschenfeindlichem Getier und Gewürme haust. Sengende
Hitze, Leoparden, Bären, Panther, wilde Katzen, Schlangen, Alligatoren und
die Miasmen der mit dem Pflug geöffneten jungfräulichen Erde verbanden sich
mit den das Menschenwerk hassenden Fluten des Mississippi zum Kampf gegen
die deutschen Kolonisten."
Auch die Indianer waren eine Quelle beständiger Sorge. Besonders in
den Jahren 1729 und 1748, als die Natchez und Choctaws mit den Franzosen
in Fehde gerieten. Aber der unermüdliche Fleiß und die beispiellose Ausdauer
der deutschen Bauern triumphierten mit der Zeit auch hier über alle Schwierig-
keiten und ließen auf beiden Ufern des gewaltigen Stromes zahlreiche schmucke
Hütten und Häuser erstehen, die sich gleich endlosen Perlenschnüren anein-
anderreihten. Da und dort erhoben sich zwischen diesen Wohnstätten freund-
liche Kirchlein, weithin sichtbare Fandmarken, zu denen Sonntags sämtliche
Bewohner pilgerten. Für ihre aus Korn, Reis, Gemüse, Tabak und Indigo be-
stehenden Erzeugnisse fanden die Deutschen in dem durch Ruderboote leicht
erreichbaren New Orleans Absatz.
Die steten Berührungen mit der vorwiegend französischen Bevölkerung
jener rasch wachsenden Stadt führten im Laufe der Jahrhunderte zur Ver-
mischung mit dem französischen Element. Und so bildete sich, zumal die Deut-
schen ohne Zuzug aus der Heimat blieben und weder deutsche Lehrer noch
Seelsorger empfingen, allmählich ein eigenartiges, deutsch-französisches Kreolen-
tum, das, wie Deiler hervorhebt, sich eines ganz wunderbaren Kindersegens er-
freute. Besonders in den beiden am Mississippiufer gelegenen Kirchspielen St.
Charles aux Allemands und St. Jean Baptiste aux Allemands sitzen diese
deutsch-französischen Kreolen zahlreich beisammen. Sie haben zwar ihre
deutsche Sprache verloren, aber man findet unter ihnen noch urgermanische Ge-
stalten mit kräftigem Körperbau, blauen Augen und blonden Haaren. Auch ge-
denken sie ihrer deutschen Abstammung noch gern und sagen dabei voll Stolz :
„Wir sind die Nachkommen jener Deutschen, die aus der Wildnis hier ein Para-
dies geschaffen, wie Louisiana kein zweites besaß."
Die Prälzerniederlassiingen in Neu-England.
Außer den bisher geschilderten Pfälzerkolonien entstand noch eine solche
in Neu-England, an der Küste des heutigen Staates Maine. Dorthin kamen im
Jahre 1740 auf Einladung des einem schwedisch-germanischen Adelsgeschlecht
entsprossenen Kaufmanns Samuel Waldo 40 deutsche Familien, um am
Ufer des Medomackflusses die Ansiedlung Waldoburg, das heutige Waldoboro,
anzulegen. Durch die Bemühungen des als Agenten Waldos fungierenden
Schweizers Sebastian Zuberbühler erhielten sie im folgenden Jahr
Zuzug aus der Pfalz und Württemberg. Aber die Hoffnungen, welche man auf
die neue Heimat setzte, erfüllten sich nicht, da Waldo die Einwandrer wahrhaft
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. <>
— 114 —
sträflich vernachlässigte und die Behörden der Kolonie ihre Klagen nicht be-
achteten.
Für die Betrogenen, denen es vielfach am Nötigsten fehlte, kamen harte
Tage. Strenge Winter setzten ein, mit Leiden aller Art im Gefolge. Dazu lebte
man in beständiger Furcht vor einem Überfall der Franzosen und kanadischen
Indianer. Es herrschte nämlich zwischen den Bewohnern der englischen
Kolonien und den Franzosen einer jener in der Kolonialgeschichte Amerikas so
häufigen Grenzkriege, die um so grausamer verliefen, als die Indianer in diese
Kämpfe mit hineingezogen wurden.
In der allgemeinen Not erinnerte man sich der so schändlich vernach-
lässigten Pfälzer und zwang die Männer, an der Belagerung der bei Kap Breton
angelegten französischen Festung Louisburg teilzunehmen. Nachdem diese er-
obert worden, ließen sich manche Deutsche mit ihren Famihen dort nieder. Sie
entgingen dadurch einem von mehreren Banden canadischer Indianer nach
Massachusetts unternommenen Rachezug, dem die in Waldoburg Zurückge-
bliebenen zum Opfer fielen. Diese wurden am Morgen des 21. Mai 1746 über-
rascht, teils niedergemacht und skalpiert, teils in die Gefangenschaft geschleppt.
Nur wenigen gelang es, nach Louisburg zu fliehen, wo sie bis zum Ende des
Feldzugs blieben.
Nach hergestellter Ruhe kehrten einzelne Deutsche nach Waldoburg zu-
rück. Neuen Zuwachs erhielt der Ort durch 20 bis 30 Familien, die mit vielen
andern durch einen von der Provinzialverwaltung von Massachusetts nach
Deutschland entsandten Agenten namens Grell zur Auswanderung nach Neu-
England bewogen wurden. Manche dieser Neulinge gründeten in Maine die
Ansiedlung Frankfurt, welche später in dem Ort Dresden aufging. Andere
zogen im Frühling 1753 in die westlichen Gebiete der Provinz und gründeten
dort eine Niederlassung, die sie in Erinnerung an die auf langer Seereise und
in Massachusetts erlittenen Trübsale Leydensdprf tauften. Manche ließen sich
auch in der Nähe des Forts Massachusetts und bei Braintree nieder, einer un-
weit von Boston entstandenen Ortschaft, die später den Namen Neu-German-
town annahm. Am Saco River, angesichts der schönen White Mountains, ent-
stand ferner unter Leitung des Schweizers Joseph Frey die noch heute bestehende
Stadt Freyburg.
Die meisten dieser Ansiedlungen fristeten für lange Zeit ein kümmerliches
Dasein. Nicht weil es den Bewohnern an Fleiß und Intelligenz gebrach, son-
dern weil sie von gewissenlosen Spekulanten vielfach mißbraucht und ausge-
beutet, und von den Behörden in Stunden der Not schmählich im Stich gelassen
wurden. Besonders war die Art, wie man die Ansprüche der Deutschen auf
die von ihnen bewohnten Ländereien handhabte, geradezu empörend. Kaum
hatten sie die angeblichen Eigentümer abgefunden, so tauchten andere mit neuen
Ansprüchen auf, die befriedigt werden mußten, um Ruhe zu finden. Manche
Bev/ohner von Waldoburg mußten denselben Grund und Boden zwei- bis drei-
mal bezahlen, bevor sie denselben wirklich ihr eigen nennen konnten. Müde
— 115 —
solcher Widerwärtigkeiten zogen viele in den Neu-Englandkolonien lebenden
Deutschen nach Nord-Karolina, wo am Buffalo Creek im heutigen Cabarros
County, sowie in der Hermhuter Kolonie Salem ein friedlicheres Dasein winkte.
Manche wandten sich nach Pennsylvanien, dessen Behörden im Verkehr mit den
Einwanderern stets Ehrlichkeit bewiesen hatten, wodurch diese Kolonie zum
Hauptziel der deutschen Einwanderung wurde.
Obwohl seit der Einwandrung der Pfälzer nahezu zwei Jahrhunderte
verstrichen sind, lassen ihre Spuren sich noch heute an vielen Orten feststellen.
Besonders durch die Namen der von ihnen gegründeten Niederlassungen.
Im heutigen Staat New York erinnern die Namen folgender Orte an die
Pfälzer: Newburgh -~ Neuburg; New Paltz Landing — Neu-Pfälzer Landung;
Rhinebeck ~ Rheinbach; Rhinecliff -^ Rheinfels; West Camp — West Lager;
Palatine Camp ^ Pfälzer Lager; Germantown; Palatine Bridge = Pfälzer Brücke;
Neu-Durlach; Palatine Church = Pfälzerkirche ; Mannheim; Oppenheim; Ger-
man Etats; Erankfort; Herkimer -- Elerchheimer u. a.
In Pennsylvanien finden wir die Ortsnamen Heidelberg, Womelsdorf,
Wernersville, Meyerstown, Stougsburg, Straustown, Rehrersbury, Millersbury
und andere. Sie bildeten einen weiten, gen Westen vorgeschobenen Halbkreis,
der die von Penn gegründeten Quäkerniederlassungen gegen die Einfälle der
Indianer schützte.
Zur selben Zeit, w^o die Pfälzer so an den verschiedenen Punkten des
nordamerikanischen Kontinents blühende Gemeinwesen schufen, waren aus
anderen Teilen Deutschlands gekommene Ansiedler nicht weniger eifrig im
Aufbau neuer Orte.
In den beiden Carolinas besiedelten sie hauptsächlich die den Gebirgen
vorgelagerten Hochländer. Namentlich die Orte Orangeburg, Amalia, Sachsen-
Gotha und Eredericksburg besaßen eine starke, vorwiegend protestantische
deutsche Bevölkerung. In Sachsen-Gotha betrieb dieselbe hauptsächlich Wein-
bau und die Zucht von Seidenraupen. Die Stadt Purrysburg am Savannali
wurde 1732 von dem aus Neuenburg in der Schweiz stammenden Johann
Peter Purry angelegt.
In Virginien gründeten die Deutschen Staufferstadt, das spätere Strasburg;
Schäferstadt, das spätere Sheperdstown ; Müllerstown, das spätere Woodstock;
Martensburg; Amsterdam; Salem; Frankfurt; Peterstown; Kieselstadt, das
spätere Keisletown und manche andere, deren deutsche Namen von nachfolgen-
den Geschlechtern bis zur LInkenntlichkeit entstellt wurden.
Das erste Haus der zu Maryland gehörigen Stadt Eredericksburg erbaute
ein deutscher Schullehrer, ThomasSchley,der Ahnherr eines Geschlechts,
dessen Name durch zahlreiche tüchtige Leute, vor allen den Admiral Winfield
Scott Schley, den Helden der Seeschlacht bei Santiago de Cuba, berühmt wurde.
Die Käuflinge oder Redemptionisten und das
Entstehen der „Deutschen Gesellschaften".
Es konnte nicht ausbleiben, daß die schnell anwachsende Auswandrung
nach Amerika Mißstände aller Art erzeugte. Die damaligen Verkehrs Verhält-
nisse entsprachen durchaus nicht den an sie gestellten Anforderungen. DieZahl der
für den Massentransport von Menschen eingerichteten Schiffe war sehr gering
und ihre innere Einrichtung ließ nahezu alles zu wünschen übrig. Auswan-
derungsbehörden, die sich um die sichere Beförderung und geeignete Ver-
pflegung der Auswandrer bekümmert hätten, kannte man nicht. Die ganze
Sorge um die letztern lag ausschließlich in den Händen der holländischen und
englischen Schiffsreeder, die niemand Verantwortung schuldeten.
Wer waren diese Reeder? Viele derselben hatten ihre Reichtümer aus
dem Handel mit Negersklaven gewonnen, die sie durch Raub oder Tausch an
den Küsten Afrikas erwarben, und nach den in Amerika angelegten europäischen
Kolonien brachten. Wo die Gelegenheit sich bot, scheuten diese Reeder und
ihre Kapitäne durchaus nicht, Seeräuberei zu treiben. Um die moralischen
Grundsätze dieser Herren stand es demnach entschieden schlecht. Es kann
deshalb nicht sonderlich überraschen, wenn wir diese Händler mit schwarzem
Menschenfleisch allmählich dazu übergehen sehen, auch einen Handel mit
weißem Menschenfleisch einzurichten. Dazu bot die zunehmende Auswand-
rungssucht die herrlichste Gelegenheit. Verstand man, dieselbe auszunutzen, so
brauchte man nicht die lange Reise nach Guinea zu machen, um dort unter
Einsatz des eignen Lebens die Sklaven gewaltsam zu rauben. Denn die weißen
Sklaven liefen den Menschenhändlern freiwillig ins Garn. Als Lockspeise
diente ein Mittel, das nicht bloß unverfänglich schien, sondern obendrein den
Stempel gütigen Entgegenkommens, edelgesinnter Beihilfe an der Stirn trug.
Unter dem Vorwand, solchen auswandrungslustigen Personen, deren Mittel
zum sofortigen Bezahlen der Überfahrt nicht ausreichten, behilflich zu sein,
erboten sich die Reeder, anstatt der Barzahlung Schuldscheine anzunehmen, die
durch in Amerika zu leistende Arbeit abgetragen werden könnten.
Diese Art, Personen zur Auswandrung zu verlocken, kam bereits in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Anwendung, wie aus einem im Jahre
1728 geschriebenen Brief hervorgeht, in dem es heißt: „Nun hat uns aber Peter
Siegfried zum zweiten Mal aus Amsterdam geschrieben, daß er einen Kauf-
mann in Amsterdam habe, der die Leit nach Benselfania (Pennsylvania) führen
— 117 —
wil, wenn sie schon die Fractit nicht haben; wenn sie nur durcheinander die
halbe Fracht ausmachen können. Wenn auch Leit seien, die nichts haben,
wenn sie nur im stant seien, daß sie arbeiten können, werden auch mitge-
nommen; missen darvor arbeiten, bis sie T^ij Bischtolen abverdient haben."
Solche mit den Auswandrern geschlossene Verträge brachten den
Reedern so reichen Gewinn, daß sie alles aufboten, die Auswandrung noch
mehr in Fluß zu bringen. Nicht nur verbreiteten sie die übertriebensten
Schiiderungen der Vorzüge Amerikas, sondern sandten auch Werber in die-
jenigen Länder, die vorzugsweise Auswandrer lieferten. Hierzu wählte man
Leute, die bereits in Amerika gewesen und imstande waren, denjenigen, die ihr
Glück dort versuchen wollten, Auskunft zu geben. Sie stellten natürlich alle
in der Neuen Welt herrschenden Zustände im rosigsten Licht dar: jeder Knecht
sei daselbst ein Herr, jede Magd eine gnädige Frau, der Bauer ein Edelmann, der
Bürger ein Graf. Das Geld werde haufenweise verdient; die Gesetze, sowie die
Obrigkeit mache man sich nach Gutdünken. Durch dergleichen Reden gelang
es den vornehm gekleideten, mit goldenen Ketten, Uhren und Ringen prah-
lenden und in stolzen Karossen von Flecken zu Flecken, von Stadt zu Stadt
fahrenden Schleppern, die bei den armen Bewohnern vorhandene Neigung, die
obwaltenden elenden Verhältnisse mit besseren, ja glänzenden zu vertauschen,
noch mehr anzufachen. Die einfachen Leute glaubten den feinen Herren, die
so wohl zu sprechen verstanden, einfach alles; sie glaubten, daß jedermann in
Amerika sein eigner Herr sei, Land in Fülle erhalte und es in kurzer Zeit bei
nur geringem Fleiß zu einem Dasein bringen müsse, wie es in Deutschland nur
dem Edelmann zu führen vergönnt sei. Vermochten sie nicht sofort die Über-
fahrt zu bezahlen, so sollte das, so versicherten die Schlepper, kein Hindernis
sein. Der Schiffsherr werde alles bezahlen, ja er sei obendrein bereit, die Kosten
der Verpflegung sowie andere notwendig werdende Vorschüsse zu leisten.
Durch solche Vorspiegelungen ließen sich Tausende und aber Tausende armer,
betörter Menschen zum Unterzeichnen der von den Werbern vorgelegten Ver-
träge verleiten, um später zu entdecken, daß sie gewissenlosen Schurken zum
Opfer gefallen waren und das Empfangene mit einem unsinnig hohen Gegen-
wert, mit den besten Jahren ihres Lebens bezahlen mußten.
Die ersten Enttäuschungen harrten ihrer schon in den Hafenplätzen, wo
der Aufenthalt unter allerhand Vorwänden in die Länge gezogen wurde, bis
diejenigen Auswandrer, die Mittel besaßen, den größten Teil derselben in den
mit den Reedern im Bunde stehenden Absteigeherbergen verzehrt hatten. Dann
gab es für die Unglücklichen keinen Ausweg als die den Reedern gegebene
Verpflichtung, alle Kosten, die während der Überfahrt durch die Verpflegung
entstehen möchten, durch Arbeit abzutragen. War der Vertrag geschlossen, so
ging es endlich aufs Schiff, in das mit Menschen vollgepfropfte Zwischendeck,
von dessen grauenhafter Beschaffenheit die heute nach Amerika fahrenden Aus-
wandrer sich kaum eine Vorstellung machen können. Aus allen auf uns
gekommenen Schilderungen jener Zeit ertönt die Klage, daß die Auswandrer
— 118 —
„so grausam dicht gepackt wurden, daß ein Kranker des andern Atem hat
holen müssen, und von dem Gestank, Unreinigkeit und Mangel an Lebensmitteln
Scharbock, Gelbfieber, Ruhr und andere ansteckende Krankheiten entstanden
seien."
In welch entsetzlicher Weise die holländischen Kapitäne ihre Schiffe mit
Menschen vollpfropften, zeigt ein Beispiel, das unter dem Kapitän de Groot
stehende Schiff „April'', welches im Jahre 1818 mit Auswandrern nach Amerika
segelte. Obwohl es nur Raum für 400 Personen besaß, hatte es 1200 aufge-
nommen. Von diesen starben 115 bereits im Hafen von Amsterdam, während
300 ins Hospital geschafft werden mußten.
Stets war die Seefahrt nach unsern heutigen Begriffen außerordentlich
lang. Sie dauerte ebenso viele Wochen wie heute Tage. Mitunter benötigten
Schiffe mehrere Monate zur Überfahrt. So befand sich im Jahre 1752 ein
Schiff 17, ein anderes 24 Wochen auf See. Die Verpflegung war so schlecht
wie möglich. Manchm.al ließen die Kapitäne unter dem Vorwand, einer
Hungersnot vorbeugen zu müssen, vom Tag der Abfahrt an nur halbe Rationen
austeilen, die dazu von der grauenhaftesten Beschaffenheit waren. Es gab meist
nur Brot und Salzfleisch. Der Lehrer Gottlieb Mittelberger, der im
Jahre 1750 nach Pennsylvanien fuhr und über seine Reise eine im Jahre 1756
zu Frankfurt a. M. gedruckte Reisebeschreibung verfaßte, sagt darin: „Man
kann solches Essen fast nicht genießen. Das Wasser so man verteilet, ist viel-
mals sehr schwarz, dick und voller Würmer, daß man es ohne Grauen auch
bei größtem Durst fast nicht trinken kann. Den Zwieback oder das Schiff s-
brod hat man essen müssen, obgleich an einem ganzen Stück kaum eines
Thalers groß gut gewesen, das nicht voller roter Würmlein und Spinnennester
gesteckt hätte."
Infolge der Überfüllung der Schiffe und der schlechten Beköstigung war
die Sterblichkeit stets erschreckend groß. Kinder unter sieben Jahren über-
standen die Reise fast nie. Im Jahre 1775 kam ein Schiff in Philadelphia an,
von dessen 400 Passagieren nur 50 am Leben geblieben waren. Heinrich
Keppeles, nachmals der erste Präsident der Deutschen Gesellschaft von Penn-
sylvanien, erzählt in seinem Tagebuch, daß von 312 Reisegefährten 250 um-
kamen. Der Menschen Verlust, der im Jahre 1758 mehrere nach Philadelphia
kommende Schiffe betroffen hatte, wurde auf 2000 Personen veranschlagt.
Und welchen Roheiten seitens der Schiffsbemannung und des Kapitäns
waren die Reisenden mitunter ausgesetzt! Ein holländischer Kapitän lief Eng-
land an und verkaufte 40 kräftige Burschen als Rekruten an englische Werbe-
offiziere. Ein anderer brachte seine Passagiere anstatt nach Philadelphia nach
dem Sklaven Staate Delaware und verkaufte sie dort als Sklaven. Starben
Reisende während der Fahrt, so eigneten die Kapitäne und Matrosen sich ihre
Hinterlassenschaft an. Alle von den Reisenden beanspruchten ärztlichen und
anderen Dienstleistungen berechnete man zu unerhörten Preisen, so daß am
Ende der Fahrt fast alle Reisenden tief in Schulden steckten. Für die Über-
— 119 —
fahrt verlangte man anfangs 6 bis 10, später 14 bis 17 Louisdor. Je nach der
Höhe der Schulden und nach der icörperlichen Beschaffenheit des Reisenden
richtete sich die Dauer der Dienstzeit, zu der er sich verpflichten mußte. Wie
gering dabei der Wert seiner Arbeit veranschlagt wurde, geht daraus hervor, daß
die Dienstzeit mindestens drei Jahre, häufig auch fünf bis acht Jahre brtrug. Für
Verluste, die den Reedern durch den Abgang verstorbener Passagiere erwuchsen,
mußten deren Angehörige, oder wenn solche nicht vorhanden, die ganze Reise-
gesellschaft derart aufkommen, daß die Arbeitszeit, die von den Verstorbenen
hätte erfüllt werden müssen, von den Überlebenden mit übernommen wurde.
Kinder mußten so für ihre Eltern, Eltern für ihre Kinder, Reisende für ihre
Mitreisenden eintreten. Welche Verlängerung der Arbeitsjahre solche Ab-
machungen bedeuteten, mag man daraus schließen, daß im Jahre 1752 50 Per-
sonen, die in einem holländischen Schiff nach Philadelphia kamen, so lange ins
Gefängnis gesperrt wurden, bis sie sich bereit erklärten, die Dienstzeit von mehr
als hundert Mitreisenden, die unterwegs an Hunger und Schiffskolik starben,
mitzuerfüllen.
Es bereitete den Kapitänen keine Schwierigkeiten, die mit solchen „Re-
demptionisten'* oder Käuflingen geschlossenen Verträge und Schuldscheine in
Amerika in bares Geld umzusetzen. Denn die Käuflinge waren so außerordent-
lich billige Arbeitskräfte, daß die Kolonisten sich nach ihrem Besitz drängten.
War ein mit Einwandrern befrachtetes Schiff in den Hafen eingelaufen,
so erließ der Kapitän in den Zeitungen eine Anzeige in folgender Eorm:
„Deutsche Redemptionisten !
Das holländische Schiff Jungfrau Johanna, Kapitän H. H. Bleeker, ist
von Amsterdam angekommen, mit einer Anzahl von Ackerbauern, Tagelöhnern
und Handwerkern, deren bedungene Zeit verkauft werden soll. Es sind sowohl
Manns- wie Weibspersonen, auch einige hübsche Knaben und Mädchen. Die-
jenigen, welche sich mit guten Dienstleuten versehen wollen, werden ersucht,
sich bei dem Schiffsmeister oder Kapitän zu melden/'
Unter den Käuflingen befanden sich nicht bloß Ackerbauer, Handwerker
und Dienstmägde, sondern häufig auch Studenten, Apotheker, Schullehrer und
Prediger. Der Lehrer Friedrich Schock, der 1793 nach Pennsylvanien kam,
mußte drei Jahre vier Monate lang die Jugend der lutherischen und reformierten
Gemeinden zu Hamburg in Pennsylvanien, die ihn ausgelöst hatten, unterrichten,
bevor er Lohn und die vom Gesetz vorgeschriebene „Freiheitskleidung" erhielt.
Kamen die Käufer an Bord, so war es den Einwandrern nicht etwa ge-
stattet, sich ihre Herren auszusuchen oder Wünsche betreffs der zu verrichtenden
Arbeit geltend zu machen. Auch durften die Angehörigen einer Familie nichts
gegen eine Trennung voneinander einwenden, wobei es sich sehr oft ereignete,
daß der Mann von der Frau, die Kinder von den Eltern für Jahre, manchmal
für immer geschieden wurden. Hatte der Ersteher eines Käuflings dessen
Schulden beim Kapitän bezahlt, so mußte der Gekaufte seinem neuen Herrn
— 120 —
folgen und ihm bis zum Ablauf der Dienstzeit gleich einem Leibeigenen ge-
horchen. Wurde der Herr seiner überdrüssig oder benötigte ihn aus irgend-
einem Grunde nicht länger, so konnte er den Käufling anderweitig vermieten
oder verkaufen. Dies geschah entweder durch Anzeigen in den Zeitungen oder
auf der „Vendu", der Stelle, wo Sklaven, Vieh und andere Gegenstände feil-
geboten wurden. Der „Pennsylvanische Staatsbote'' vom 10. Februar 1754
enthält eine Anzeige, worin Rosina Kost, geborene Kaufmann, aus Waidenburg
im lichenlohischen, ihren Schwager davon unterrichtet, daß sie „auf der Vendu
verkauft worden sei, wie daselbst dies Jahr andere mehr pflegten verkauft zu
werden." Dieselbe Zeitung vom 4. August 1766 hat eine andere Anzeige: „Zu
verkaufen einer deutschen verbundenen (zum Dienst verpflichteten) Magd Dienst-
zeit. Sie ist ein starkes, frisch und gesundes Mensch. Hat noch fünf Jahre zu
stehen.'' Unterm 14. Dezember 1773 steht: „Zu verkaufen ein Junge, der
noch 5 Jahre 3 Monate zu dienen hat. Er hat das Schneiderhandwerk gelernt
und arbeitet gut." Bei solchen Weiterverkäufen empfingen die Verkauften
keine Abschriften ihrer früheren Verträge. Da keine gerichtlichen Eintragungen
erfolgten, so befanden die Betroffenen sich vollkommen in den Händen ihrer
neuen Besitzer, die es in der Gewalt hatten, die Dienstzeit des Käuflings über
den eigentlichen Termin hinaus auszudehnen. Wenn im Fall Meinungsver-
schiedenheiten über jenen Zeitpunkt entstanden, stand der Käufling mit dem
Negersklaven an Rechtlosigkeit auf gleicher Stufe. Ohne Einwilligung seines
Herrn durfte er weder etwas kaufen noch verkaufen. Wurde er ohne schrift-
liche Erlaubnis von der Wohnung seines Besitzers entfernt angetroffen, so galt
dies als Fluchtversuch und er verfiel schwerer körperlicher Züchtigung. Per-
sonen, welche flüchtige Käuflinge verbargen oder ihnen zur Flucht behilflich
waren, mußten für je 24 Stunden des gewährten Obdachs eine Strafe von
500 Pfund Tabak entrichten; waren sie dazu nicht imstande, so drohte Prügel-
strafe. Wer einen flüchtigen Käufling einfing, empfing eine Belohnung von
200 Pfund Tabak, später Geldsummen bis zu 50 Dollar. Eine solche Belohnung
ist im „Baltimore American" des 11. April 1817 auf die Ergreifung des 30 Jahre
alten Moritz Schumacher ausgesetzt, von dem es in der Personenbeschreibung
heißt: „Er ist ein guter Lehrer, versteht Französich und Latein; ein ausge-
zeichneter Arbeiter; spricht Englisch unvollkommen." Wiedereingefangenen
Kauf fingen wurden nicht nur für jeden Tag ihrer Abwesenheit zehn volle Tage
zu ihrer Dienstzeit zugezählt, sondern sie wurden nicht selten auch furchtbar
mißhandelt. Hatten ihre Besitzer doch das Recht, jedes Versehen mit Peitschen-
hieben zu bestrafen. Von diesem Recht machten manche Sklavenhalter so aus-
giebigen Gebrauch, daß ein Gesetz erlassen werden mußte, wonach für jedes
Vergehen nicht mehr als zehn Peitschenhiebe verabfolgt werden sollten.
Je nach der Verschiedenheit der Menschennaturen gestaltete sich auch
das Dasein der Käuflinge während ihrer Dienstzeit. Manche trafen es gut,
manche außerordentlich schlecht. Besonders wenn sie in die Hände von Leuten
fielen, die aus niedrigster Selbstsucht die Kräfte des Käuflings so sehr als mög-
— 121 —
lieh auszunutzen trachteten. Dann wurde er bis zur äußersten Erschöpfung
mit Arbeiten belastet, während man die im gleichen Dienst stehenden Neger
schonte, da sie ja ihr ganzes Leben dienstpflichtig waren und arbeitsfähig er-
halten werden mußten.
Weiblichen Käuflingen gegenüber ließen die Sklavenhalter sich nicht selten
scheußliche Gewalttaten zuschulden kommen. Dazu forderten die Gesetze
mancher Kolonien förmlich heraus. In Maryland hatte man beispielsweise im
Jahre 1663 ein Gesetz angenommen, wonach weiße Mädchen und Frauen, die
mit Negern oder Mischlingen Ehebündnisse schlössen, samt den aus solchen
Ehen hervorgehenden Kindern den Besitzern der betreffenden Neger und Misch-
linge als Eigentum zufielen. Das Gesetz wollte weiße Frauen davon ab-
schrecken, mit farbigen Personen Ehen einzugehen. Dieses Gesetz machten
sich nichtswürdige Sklavenbesitzer zunutze; indem sie weiße weibliche Käuf-
linge, deren Dienstzeit sie erworben hatten, durch Drohungen, List oder Gewalt
zwangen, sich Negern hinzugeben; denn wenn solchen Vereinigungen Kinder
entsprangen, so erlangte der Sklavenhalter volles Besitzrecht über das weiße
Opfer sowohl wie über die Kinder. Die Aufhebung dieses Gesetzes wurde
erst durch ein außergewöhnliches Vorkommnis herbeigeführt. Lord Baltimore,
der Gründer von Maryland, hatte, als er im Jahre 1681 diese Kolonie besuchte,
unter seiner Dienerschaft ein Mädchen, Nellie, das sich verpflichtete, die Kosten
ihrer Seefahrt durch Dienstleistungen abzutragen. Bevor die vereinbarte Zeit
abgelaufen war, kehrte Lord Baltimore nach England zurück, verkaufte aber
vorher den Rest der Dienstzeit Nellies an einen in der Kolonie ansässigen Lands-
mann. Dieser tat nach zwei Monaten Nellie mit einem seiner Negersklaven
zusammen und erlangte dadurch auch über das Mädchen dauerndes Besitzrecht.
Als Lord Baltimore die Begebenheit erfuhr, erwirkte er zwar die Aufhebung des
Gesetzes vom Jahre 1663, aber er vermochte nicht seiner ehemaligen Dienerin,
sowie den beiden von ihr geborenen Kindern die Freiheit zu verschaffen. Lange
Zeit bemühten sich die Gerichte mit diesem Fall, entschieden aber im Jahre 1721,
daß Nellie und ihre Kinder Sklaven bleiben müßten, da die Verheiratung Nellies
und die Geburt der Kinder vor der Aufhebung des Gesetzes vom Jahre 1663
erfolgten.
Ein noch empörenderer Fall spielte sich in Louisiana ab. Schon während
Louisiana französisch war, hatte das Käuflingssystem auch dort Eingang ge-
funden. Aber die Dienstzeit war durch eine am 16. November 1716 vom
Königlichen Rat erlassene Verfügung auf drei Jahre beschränkt. Erst als im
Jahre 1803 Louisiana durch die Amerikaner käuflich erworben wurde, ver-
pflanzten sich die Mißbräuche des Käuflingssystems auch nach diesem Gebiet.
Dorthin wanderte im Jahre 1818 eine aus Mann, Frau, zwei Mädchen
und zwei Knaben bestehende Familie, namens Müller aus Langensulzbach aus.
Unglücklicherweise starb die Frau während der Seereise. Um die noch un-
gedeckten Kosten der Reise abzuarbeiten, wurde der Mann in New Orleans an
den Pflanzer Fitz John Miller in Attakapas verkauft. Da er sich nicht von
— 122 —
seinen vier Kindern trennen wollte, nahm er diese mit sich. Wenige Wochen
nach seiner Ankunft in Attakapas erlag der wackere Deutsche dem Fieber.
Von da ab blieben alle Nachforschungen, welche von den in New Orleans
wohnenden Verwandten der Famiüe nach dem Verbleib der Kinder angestellt
wurden, erfolglos. Selbst mehrere zu diesem Zweck unternommene Reisen
führten zu keinem Ergebnis. Erst 24 Jahre später wurde eines der Mädchen,
Salome oder Sally, zufällig in New Orleans aufgefunden, wohin sie von Fitz
John Miller im Jahre 1838 an den Kaffeehausbesitzer Louis Belmont verkauft
worden war.
Die von den Verwandten des Mädchens eingeleiteten Schritte zur Be-
freiung des Mädchens hatten zunächst zur Folge, daß Fitz John Miller mehrere
gefälschte Dokumente vorbrachte, durch welche er beweisen wollte, daß er das
Mädchen im Jahre 1822 als die Mulattensklavin Mary (Bridget) von einem ge-
wissen Anthony Williams in Mobile zum Verkauf erhalten und dem Williams
eine Abschlagszahlung von 100 Dollar gegeben habe; daß er im Februar
1823 die Mulattin für 53 Dollar an seine Mutter verkaufte, sie im Jahre 1835
aber um denselben Preis zurückerstand, und zwar nebst drei Kindern, die in-
zwischen von ihr mit einem Neger erzeugt worden waren.
Die Bemühungen zur Befreiung der weißen Sklavin, deren Identität mit
Salome Müller über jeden Zweifel festgestellt wurde, führten zu einem lang-
wierigen, großes Aufsehen erregenden Prozeß. Derselbe wurde am 21. Juni
1845 vom Obersten Gerichtshof von Louisiana dahin entschieden, daß die
Sklavin Sally Müller von europäischen Eltern geboren und darum zur Freiheit
berechtigt sei.
Wie viele ähnliche Fälle, die nicht vor den Richterstuhl gelangten, sich er-
eignet haben mögen, entzieht sich jeder Berechnung. Sie entflammten aber
schließlich den Unmut der in den englischen Kolonien ansässigen Deutschen
derart, daß sie, empört über die Behandlung, die ihren Landsleuten zuteil wurde,
sich zu Gesellschaften verbanden, deren Ziel in der Abschaffung des furchtbaren
Menschenhandels bestand. Die erste dieser „Deutschen Gesellschaften'* bildete
sich am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1764 in Philadelphia.
Nachdem L u d w i g W e i ß , ein deutscher Rechtsgelehrter, eine eindring-
liche Ansprache gehalten, schritt man zum Entwurf einer Verfassungsurkunde,
deren Anfang folgendermaßen lautete: „In nomine Domini nostri Jesu Christi.
Amen. Wir, Seiner Königlichen Majestät von Großbritannien Teutsche Unter-
thanen in Pennsylvanien, sind bei Gelegenheit der mitleidswürdigen Umstände
vieler unserer Landsleute, die in den letzten Schiffen von Europa in dem Hafen
von Philadelphia angekommen sind, bewogen worden, auf Mittel zu denken,
um diesen Fremdlingen einige Erleichterung zu verschaffen, und haben mit
unserem Versprechen und einem geringen Beitrage in Geld manchen Neu-
kommern ihre Noth etwas erträglich gemacht. Dies hat uns zum Schluß ge-
bracht, so, wie wir zusammen gekommen sind, eine Gesellschaft zur Hülfe und
Beistand der armen Fremdlinge Teutscher Nation in Pennsylvanien zu errichten,
— 123 —
und einige Regeln festzusetzen, wie dieselbe Gesellschaft von Zeit zu Zeit sich
vermehren und ihre Gutthätigkeit weiter und weiter ausbreiten möge."
Die erste Errungenschaft dieser „Deutschen Gesellschaft" bestand in
einem am 18. Mai 1765 in Kraft tretenden Gesetz, wonach den Einwanderern
auf den Schiffen mehr Raum gesichert und den schamlosen Betrügereien der
Proviantmeister vorgebeugt wurde. Ferner wurde bestimmt, daß jedes Schiff
einen Arzt und die nötigen Arzneien mit sich führen, sowie zu bestimmten
Zeiten gesäubert und geräuchert werden müsse. Auch wurde verfügt, daß den
Beamten, welche die Schiffe bei ihrer Ankunft zu besichtigen hatten, vereidigte
Dolmetscher zur Seite gestellt wurden.
Die zweite „Deutsche Gesellschaft" trat im Jahre 1765 in Charleston ins
Leben; dann folgten New York im Jahre 1784 und endlich Baltimore im Jahre
1817. Man kann diese heute noch bestehenden Gesellschaften sehr wohl die
Urheber der heutigen Einwandrergesetzgebung nennen, denn sie waren es, die
nicht nur die Abschaffung des Käuflingswesens, sondern auch die menschen-
würdige Behandlung der Auswandrer auf den Schiffen und in den Hafenorten
herbeiführten. Ihnen, wie ihren später entstandenen Tochteranstalten in Cin-
cinnati, Allentown, Chicago, Milwaukee, Boston, Pittsburgh, Rochester, St.
Louis, New Orleans, Kansas City, San Francisco, Portland und Seattle gebührt
darum der volle Dank jener vielen Millionen von Menschen, denen die Früchte
ihrer mühseligen Bestrebungen zugute gekommen sind.
Die kulturellen Zustände der Deutschamerikaner
während der Kolonialzeit.
Wie aus allen früheren Abschnitten unserer Geschichte hervorleuchtet, be-
stand das große Heer der während des 17. und 18. Jahrhunderts in die eng-
lischen Kolonien einwandernden Deutschen aus Ackerbauern und Handwerkern.
Unter ihnen bildeten die Landwirte die Mehrheit. Das Leben, welches ihrer in
dem neuen Weltteil wartete, war keineswegs leicht und behaglich, sondern voller
Mühseligkeiten und Entbehrungen. Galt es doch zunächst, einen förmlichen
Kampf gegen die das ganze Land bedeckenden Urwälder zu führen, ehe man
Raum für Hütten und Felder gewann. Denn meist drängten sich die dichten
Wälder bis hart an die, die bequemsten Verkehrswege darstellenden Ströme und
Seen, deren Ufer aus mancherlei Gründen zur Anlage von Niederlassungen be-
vorzugt wurden. Die Klagen der Ansiedler von Germantown über die „grau-
sam dicken Wälder'' ertönten auch von den Lippen aller späteren Nachkömm-
linge, welche in dem östlich vom Mississippi gelegenen Gebiet neue Heimsitze
schufen.
Nebenher gab es Gefahren der verschiedensten Art zu bestehen. Außer
Angriffen seitens wilder Tiere drohten solche seitens der Urbewohner des
Landes, die das Vordringen der Bleichgesichter keineswegs mit freundlichen
Blicken beobachteten.
Diese Indianer erwäesen sich ebenso kühn und verschlagen in der Art
ihrer Kriegsführung, als grausam in der Behandlung ihrer Gefangenen. Das
waren für die Ansiedler Gründe genug, um auf ihre Sicherheit bedacht zu sein.
Deshalb bildeten ihre Hütten stets kleine, mit großem Scharfsinn für die Ver-
teidigung hergerichtete Festungen.
Wenn möglich, erbaute man sie auf den Rücken abgeholzter Hügel, von
wo Feinde schnell bemerkt und ihre Annäherung verhindert werden konnte.
Fanden sich keine zum Bau verwendbaren Steine in der Nähe, so glätteten die
Ansiedler die Stämme einiger gefällter Bäume und fügten dieselben, einen Stamm
Kopfleiste: Beim Bau der Heimstätte.
— 125 —
über den arideren legend, in sinnreicher Weise zu äußerst festen Hütten zu-
sammen. Die Tür- und Fensteröffnungen wurden später ausgehauen, der fest-
gestampfte Fußboden bisweilen mit Dielen bedeckt und die Feuerstelle ausge-
mauert oder mit Lehm verschmiert, um das Übergreifen der Flammen auf die
Holzwände zu verhüten. Besaß das Blockhaus ein oberes Stockwerk, so hatte
das Erdgeschoß außer dem durch eine schwere Tür verschlossenen Eingang
keine Fenster, sondern nur schmale Schießscharten. Im Innern des Hauses führte
eine emporziehbare Leiter durch eine Falltür in das obere Stockwerk, welches auf
allen Seiten mehrere Fuß über das Erdgeschoß vorragte. Im Boden dieses vor-
springenden Teils befanden sich kleine Luken, durch welche man die Feinde von
Eine befestigte Niederlassung des 18. Jahrhunderts.
oben herab beschießen oder mit kochendem Wasser übergießen konnte, wenn
sie versuchten, die Türe einzustoßen oder das Haus anzuzünden.
Um zu verhüten, daß das Dach durch feurige Pfeile in Brand gesetzt
werde, bedeckte man es häufig mit einer dicken Lehmschicht, durch welche das
Feuer sich nicht durchfressen konnte. Obendrein standen im Innern des Ge-
bäudes überall Behälter mit Wasser zum Löschen bereit. Ein Brunnen befand
sich entweder in einer Ecke des Hauses oder in direkter Nähe desselben, damit
während einer Belagerung den Eingeschlossenen niemals das unentbehrliche
Wasser fehle. Bisweilen lagen unter dem Boden des Blockhauses geheime Keller,
welche in Augenblicken größter Not als letzte Zuflucht dienten.
Da die um jene Zeit benutzten Kugeln die Wände eines solchen Block-
hauses nicht zu durchschlagen vermochten, so entsprachen diese einfachen Be-
festigungen ihrem Zweck vollkommen, besonders wenn sie von heldenmütigen
— 126 —
miiilin, '/y^^ '^ '■ "&' ii(/f,i 1 111,1 ,
Männern verteidigt
wurden. Wohl das
glänzendste Beispiel
einer solchen Ver-
teidigung ist die in
einem anderen Ab-
schnitt erzählte des
Pfälzers Christian
Scheil, dessen im
Mohawl(tal gelegene
Hütte im Jahre 1780
von 48 Indianern und
16 Engländern be-
lagert wurde.
Wo man häufig von solchen feindlichen Überfällen bedroht war, rücl^ten
die Ansiedler ihre Behausungen so zusammen, daß sie ein Parallelogramm, ein
Vier- oder Fünfeck bildeten, wie beispielsweise die Ansiedlung Germanna in
VJrginien oder das von dem Trapper Daniel Boone in Kentucky angelegte
Boonesborough. Dann stießen die einzelnen Hütten mit ihren Schmalseiten
derart aneinander, daß die mit Türen und Fenstern versehenen Vorderseiten ge-
Angriff auf eine befestigte Ansiedlung.
— 127 —
meirischaftlich einen Hof bildeten, während die zehn bis zwölf Fuß hohen, nur
mit Schießscharten versehenen Rückwände die Außenseite der Befestigungen dar-
stellten. Häufig waren solche Bollwerke obendrein mit Palisaden und Wasser-
gräben umzogen. An den Ecken der Pahsadeneinfassung erhoben sich turm-
artige Blockhäuser, von denen aus das vor der Niederlassung liegende Land
sowie die Palisaden bestrichen werden konnten. Bisweilen stand ein besonders
starker Hclzturm im Mittelpunkt der Ansiedlung, um, wenn alle anderen Ge-
bäude den Feinden in die Hände gefallen waren, als letzte Zuflucht
zu dienen.
Die beständige Unsicherheit an der sogenannten Indianergrenze nötigte
die Ansiedler zu unablässigem Kundschafter- und Wachtdienst. Zur Teilnahme
an demselben war jeder waffenfähige Mann verpflichtet. Obwohl betreffs solcher
militärischen Leistungen keine bestimmten Gesetze bestanden, so erwartete man
doch von jedem, daß er der Allgemeinheit gegenüber seine volle Schuldig-
keit tue.
Da die Sicherheit aller auf der Schlagfertigkeit jedes einzelnen beruhte, so
galten Mängel in der Ausrüstung, das Fehlen eines Ladestocks oder Feuersteins,
Knappheit an Munition als äußerst schimpflich. Wer sich gar ohne triftige Ent-
schuldigung um den Wacht- oder Kundschafterdienst herumdrückte, erfuhr nicht
nur die scharfe Verurteilung aller anderen, sondern fand sich auch in sämtlichen
Gefahren und Arbeitsverrichtungen allein und wurde aus der Gegend förmlich
herausgeekelt.
Bemerkten die »Kundschafter oder Wachtposten das Nahen einer Gefahr,
so gaben sie sofort Warnungssignale. Ihre Art wurde stets genau verabredet.
So bedeutete im Schoharietal ein vom Fort aus abgefeuerter Kanonenschuß,
daß die Ansiedler dorthin zu flüchten hätten. Zwei aufeinanderfolgende Schüsse
verständigten die Ansiedler, daß sie auf dem Weg zum Fort auf Feinde stoßen
könnten; drei Schüsse hingegen verkündigten, daß das Fort belagert sei, wes-
halb die Ansiedler sich in den Wäldern verbergen müßten.
Während einer Belagerung fiel der Befehl über die im Fort versammelten
Männer demjenigen zu, welcher im Kampf mit Indianern die meisten Erfahrungen
besaß. Er wies auch jedem seine Stellung an einer bestimmten Schieß-
scharte an.
So einfach wie die ersten Behausungen, so einfach war auch ihre innere
Ausstattung. Ein Tisch, eine Bank, m.ehrere Binsenstühle und die Betten bildeten
das ganze Mobiliar. Einige eiserne Töpfe, Gabeln und Messer brachte man aus
dem Osten mit. Getrocknete Schalen von Kürbissen dienten als Schüsseln,
Teller, Becken und Wasserbehälter. Oder man schnitzte sie aus Holz, um sie
später bei Gelegenheit durch solche aus Zinn oder Steingut zu ersetzen. In den
Ecken lehnten die Äxte und Ackerbaugeräte; an den Wänden hingen an Holz-
pflöcken die Kleider, Hüte, Flinten und Pulverhörner; auf dem Bordbrett lagen
Bibel und Gesangbuch; neben dem Feuerherd stand das Spinnrad, an welchem
die Frauen in den Abendstunden sich zu beschäftigen pflegten.
— 128 —
Die Kleider fertigte man aus selbstgesponnenen derben Zeugen, dem so-
genannten „home spun"; für die Beinkleider und Jagdröcke der Männer und
Knaben verwendete man mit Vorliebe gegerbtes Wildleder, da solche Ge-
wänder für das Leben in Busch und Wald große Vorzüge besaßen.
Die allgemein getragenen losen Jagdröcke reichten bis zur Mitte der Ober-
schenkel und wurden um die Lenden durch einen Gürtel zusammengehalten.
Der häufige Verkehr mit den Indianern führte dazu, solche Gewänder nach in-
dianischer Weise mit bunten Stickereien zu schmücken. Desgleichen versah
man die Säume der Ärmel und Beinkleider mit langen Lederfransen, welche nicht
bloß als Verzierung, sondern im Notfall als Ersatz für Bindfaden dienten.
Da die Männer sich auch der äußerst bequemen, leicht herzustellenden
Mokassins bedienten und anstatt der Hüte Mützen aus Fuchsfell trugen, so ent-
behrten diese mit Büchsen, Kugeltaschen, Pulverhörnern, Jagdmessern und
Handbeilen ausgerüsteten Gestalten sicher nicht eines malerischen Anstrichs.
Manche Hinterwäldler fanden so große Vorliebe für die bequeme indianische
Tracht, daß sie alle Eigenheiten derselben nachahmten und anstatt der Hosen
die den Oberschenkel teilweise freilassenden Leggins, ferner das Breechcloth,
ein zwischen den Beinen durchgezogenes, vorn und hinten über den Gürtel
fallendes Schamtuch trugen.
Geschicklichkeit im Gebrauch der Waffen stand, wie an so bedrohten
Orten nicht anders zu erwarten, bei den deutschen Ansiedlern in höchstem An-
sehen. Bereits zwölfjährige Knaben führten Büchse, Kugeltasche und Jagd-
messer. Auch erhielten sie im Fort bestimmte Schießscharten zugewiesen, die
sie während einer Belagerung verteidigen mußten. Mit Bogen und Pfeilen
wußten sie vortrefflich umzugehen. Gleich den Männern betrieben sie auch
allerhand Leibesübungen, die ihnen in dem steten Kampf ums Dasein von
Nutzen sein konnten: Wettlaufen, Weit- und Hochspringen, Schwimmen, Klettern
und Ringen.
Von den Indianern adoptierte man die Kunst, mit Messern zu werfen und
die Handbeile zu schleudern. Man beobachtete im Walde aufs sorgfältigste die
Tierstimmen und übte sich im Unterscheiden und Nachahmen derselben, um
solche Fertigkeiten während der Jagd zum Anlocken der Tiere, im Krieg zu
Signalzwecken zu verwenden.
Aus der Geschichte der Deutschen im Mohawktal wissen wir, daß sie an
die Bewohner des Schoharietals häufig Herausforderungen zu öffentlichen Wett-
rennen und Ringkampfspielen ergehen ließen, um während derselben ihre per-
sönliche Kraft und Geschicklichkeit zu erproben. Aus allen benachbarten Aii-
siedlungen stellten sich dann Zuschauer ein, um solchen Wettkämpfen beizu-
wohnen.
Eine der beliebtesten Unterhaltungen bildeten Preisschießen. Sie wurden
veranstaltet, so oft die Vorräte an Munition dies gestatteten. In bezug auf Treff-
sicherheit waren die meisten Deutschen ihren Nachbarn irischer, schottischer
und englischer Abkunft weit überlegen, da sie fast ausschließlich Flinten mit ge-
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
UN/VERSITY
CF
131 —
zogenen Läufen, die sogenannten Rifles, führten, während ihre Nachbarn nur
solche mit glatten Läufen besaßen. Manche genossen als Meisterschützen großen
Ruf. Aus ihnen rekrutierten sich im Befreiungskriege jene „minute men", deren
Hauptaufgabe es war, die feindlichen Offiziere wegzuschießen.
Als diese aus Pennsylvanien und Maryland zusammengezogenen deut-
schen Scharfschützen sich in Fredericktown und Lancaster versammelten, setzten
sie die dortigen Bewohner durch Proben ihrer Meisterschaft in Staunen. Auf
der Brust, den Seiten und dem Rücken liegend fehlten sie ebensowenig ihr Ziel,
als im Freihandschießen und während des Laufens. Einer der Männer klemmte
ein fünf Zoll breites, mit einem weißen Stückchen Papier m Größe eines Silber-
dollars beklebtes Brettchen zwischen seine Beine, worauf ein anderer Schütze
aus einer Entfernung von 1 50 Fuß aus freier Hand acht Kugeln durch das Papier
jagte. Ein anderer
Mann hielt zwischen
seinen Fingern einen
hölzernen Ladestock,
der darauf von einem
Schützen aus der glei-
chen Entfernung Zoll
für Zoll weggeschossen
wurde. Mehrere Män-
ner waren bereit, sich
Äpfel vomKopf schießen
zu lassen. Die anwe-
senden ehrsamen Bürger
weigerten sich aber,
Zeuge so gefährlicher
Kunststücke zu sein.
Wie die Frauen beim Aufschlagen und Herrichten der Heimstätten, bei den
Feldarbeiten und der Sorge für das Vieh den Männern als treue Helferinnen zur
Seite standen, so erwiesen sie sich auch in den Stunden der Gefahr meist als
mutige Bundesgenossinnen. Bestürmten Feinde das Haus, so luden die Frauen die
Flinten und reichten sie den Männern dar, um es ihnen zu ermöglichen, rascher
zu feuern. Ging der Vorrat an Kugeln zur Neige, so gössen sie neue; in den
Augenblicken, wo das Gefecht ruhte, labten sie die Verteidiger mit Wasser und
Nahrung, pflegten die Verwundeten und beruhigten die angsterfüllten Kinder.
Ja, wenn es nottat, griffen sie gleichfalls zu den Büchsen und halfen die An-
greifer durch wohlgezielte Schüsse zurücktreiben.
Den Frauen lag auch die Verteidigung der Hütten ob, wenn die Männer
der Feldarbeit nachgingen. Dann stiegen sie oft mit ihren Büchsen zu den
zwischen den Kronen freistehender hoher Bäume angelegten Beobachtungsposten
empor, um Ausschau nach Feinden zu halten und beim Ansichtigwerden der-
selben die Männer durch Alarmschüsse zu warnen. Die aus der Pionierzeit
Eine befestigte Ansiedlung zur Winterzeit.
132
stammenden vergilbten Chroniken der Staaten New York, Pennsylvanien, Vir-
ginien, Ohio und Kentucky erzählten Dutzende von Beispielen, wo wackere
Frauen beim Ausüben ihres schweren Amtes wahre Heldentaten verrichteten.
In ihrer Lebensweise waren die deutschen Grenzv/ächter höchst genüg-
sam. Kartoffeln, Mais, Bohnen, Erbsen, Kürbisse und Kohl bildeten die Haupt-
nahrung. Dazu aß man Speck und Wildbret. Als Getränke dienten Wasser,
iMilch, selbstbereitetes Bier oder Apfelwein.
Kinderzuwachs wurde freudig begrüßt, bedeutete doch jeder neugeborene
Knabe eine künftige Hilfe für den Vater bei der Feldarbeit und Jagd; jedes Mäd-
chen eine Stütze der Mutter im Haushalt.
Eine entstehende Ansiedlung.
Große Fürsorge ließen die deutschen Ansiedler ihren Pferden und dem
Vieh angedeihen. Beide hielt man nur in beschränkter Zahl, bemühte sich aber,
ihre Leistungs- und Ertragsfähigkeit durch gute Pflege, ausreichendes Futter
und saubere Stallungen zu erhalten. Gleiche Sorgfalt beobachtete man beim
Anlegen und Instandhalten der Felder. Schon durch die Art, wie die Deutschen
den Boden klärten, unterschieden sie sich von ihren englischen, schottischen
und irischen Nachbarn. Während jene die abgehackten Stämme und das Unter-
holz an Ort und Stelle vermodern ließen, verbrannten die Deutschen alles über-
flüssige Holz, wodurch das gerodete Land schon im zweiten Jahre zur Be-
pflanzung geeignet wurde.
— 133 -
Von der Heimat her an eine sorj^^fältige Ausnutzung des Bodens gewöhnt.
bUeben die Deutschen auch stets darauf bedacht, seine Krtragsfähigkeit durch
regelmäßiges Düngen zu erhalten. Sie betrieben nie jenen unseligen Raubbau,
der die Ländereien der anglo-amerikanischen Farmer so schnell erschöpfte, daß
diese sich nach wenigen Jahren genötigt sahen, neue Gebiete aufzusuchen.
Während dadurch die Yankeefarmer zu einem unsteten Element wurden, kannten
die seßhaften, die sie nährende Scholle liebenden Deutschen keinen größeren
Wunsch, als ihre unter so schweren Mühen der Wildnis abgerungenen Heim-
stätten auf die Nachkomm.en zu vererben, damit diesen der volle Ertrag der von
den Vätern geleisteten Arbeit zugute komme. Infolge dieser Pflege liefern die von
den Deutschen bewirtschafteten Güter in Pennsylvanien und im Mohawktal noch
heute, nach nahezu 200 Jahren, ebenso große Erträgnisse, wie zu der Zeit, wo
ihr Boden zuerst gebrochen wurde.^)
Stets achteten die Deutschen darauf, daß sich neben dem Waldland auch
ein beträchtliches Stück Wiesengrund befand, wo das Vieh weiden und Obst-
bäume gepflanzt werden könnten. Die Felder waren immer durch hohe Zäune
gegen den Einbruch größerer Tiere geschützt. Diese Maßregel erstreckte sich
oft auch auf die Wälder, um jungen Bäumen Gelegenheit zum Wachstum zu
geben und dadurch den Abgang des zu verschiedenen Zwecken benötigten
Holzes zu ersetzen.
Waren die Bewohner der Wildnis in den Stunden der Gefahr aufeinander
angewiesen, so unterstützten sie einander auch bei allen schweren Verrichtungen.
Von jedem Manne erwartete man, daß er seinen Nachbarn beim Hausbau, bei
der Ernte und dem Einfahren des Holzes hilfreiche Hand biete. Die Frauen und
Mädchen kamen zusammen, um die Vorräte für den Winter herzurichten.
Im Herbst, wenn die Ernte vorüber, rüsteten die benachbarten Familien
gemeinschaftlich eine aus mehreren bewaffneten Männern und einer entsprechen-
den Anzahl von Packtieren bestehende Karawane aus, welche das im Laufe des
Jahres gesammelte Pelzwerk nach den größeren Handelsplätzen, wie Albany,
Lancaster, Hagerstown, Frederick und anderen Orten brachten, wo man es
gegen Salz, Pulver und Blei, Eisen, Vieh, Mehl, Lebensmittel oder andere not-
wendige Dinge vertauschte.
1) Ein sehr günstiges Urteil über die deutschen Bauern Pennsylvaniens lieferte der
berühmte französische Botaniker Michaud. Er schreibt in seinem Reisewerk beim Besuch
des Ligonier Tales:
„Die höhere Kultur des Ackerlandes und der bessere Zustand der Zäune, die das
Land abtrennen, beweisen zur Genüge, daß hier eine Ansiedlung Deutscher ist; denn bei
ihnen kündigt alles jenen Wohlstand an, der ein Lohn des Fleißes und der Arbeit ist.
Sie helfen einander bei der Ernte aus, heiraten untereinander, sprechen stets Deutsch und
bewahren soviel wie möglich die Sitten ihrer europäischen Vorfahren. Sie leben viel
besser, als "die"" amerikanischen Nachkommen der Engländer, Schotten und Irländer, sind
geistigen Getränken nicht so sehr ergeben und besitzen nicht einen so unsteten Geist wie
diese, der oftmals der nichtigsten Beweggründe halber sie bestimmt, mehrere hundert
Meilen weiter zu wandern, in der Hoffnung, auf fruchtbareres Land zu stoßen."
~ 134 —
Trotz der Abgeschiedenheit, in welcher diese Kulturpioniere lebten, war
ihr Dasein keineswegs eintönig. Waren die Felder bestellt oder die Ernten ein-
geheimst, so schlug man die gewaltigen Urwaldstämme nieder, oder man begab
sich auf die Jagd, um den Tisch mit Fleisch zu versorgen und Pelzwerk zu ge-
winnen. Herbst und Winter brachten mancherlei Unterhaltungen, bei denen die
deutsche Frohnatur zum Durchbruch kam. Besonders beim Gewinnen des
Ciders oder Apfelmosts.
„Un wann die Geig noch gange isch,
War'n ganse Nacht ken Ruh;
D'r Seider hol uns ufgewacht,
Die Geig die hot uns danze g'macht,
In Schtiffel oder Schuh;
Wann Schuh und Schtiffel war'n v'rranzt
Dann hen m'r in die Schtrümp gedanzt"
Und daß es auch beim Einholen der Ernten, beim Enthülsen der Mais-
kolben, dem „Welschkorn-Baschte" heiter zuging, ergibt sich aus folgendem
Verslein :
„Am Welschkorn-Baschte war's die Rule (Regel)
So bei die junge Leut:
Hot ein'r 'n roten Kolwe (Kolben) g'funne.
Dann hot'r a'h'n Schmuzer (Kuß) g'wunne
Vom Mädel bei d'r Seit;
Die rote Kolwe hen m'r g'schpaart
Vor Soome (Samen) — S'war so'n gute Art." —
Hinsichtlich ihrer Gastlichkeit standen die deutschen Grenzbewohner un-
übertroffen. „In Pennsylvanien könnte man,'' so schreibt Mittelberger, „ein
ganzes Jahr herumreisen, ohne einen Kreuzer zu verzehren, denn es ist in diesem
Lande gebräuchlich, daß, wo man samt dem Pferd an ein Haus kommt, man
den Reisenden fragt, ob er was zu essen haben wolle? Worauf man allzeit ein
Stück kalt Fleisch, welches gemeiniglich nach Tisch übrig geblieben, dem
Fremden vorlegt; dazu giebt man noch schön Brod, Butter oder Käß, nebst
Trinken genug. Will einer über Nacht bleiben, so wird er wieder sammt dem
Pferd frey gehalten. Kommt Jemand zu Essenszeit in ein Haus, so muß man
gleich zum Tisch sitzen und mitessen, wie man's trifft." Bot man so dem
Fremden alles zu seinem Behagen Nötige, so geschah dies in der Zuversicht
auf gleiches Entgegenkommen, wenn man selbst weite Reisen unternehmen
müsse.
Saßen deutsche Ansiedler in genügender Zahl beisammen, um eine Ge-
meinde bilden und einen Seelsorger unterhalten zu können, so schritten sie zu-
nächst zum Bau eines Gotteshauses. Das Äußere wie seine innere Ausstattung
entsprachen fürs erste natürlich durchaus dem rauhen Charrakter der Umgebung.
Da die Kirchen zur Aufnahme einer größeren Zahl von Menschen von vorn-
herein geeignet waren, so dienten sie bei feindlichen Überfällen oft auch als Zu-
— 135 —
fluchtsstätten. Deshalb waren sie stets aus starken Baumstämmen oder Steinen
erbaut und die Wände mit Schießscharten versehen. Der Fußboden bestand
aus festgestampftem Lehm oder war mit Planken belegt. An Stelle des teuren
Glases verklebte man die Fensteröffnungen mit Ölpapier oder sie blieben, wie
in der Kirche zu Waldoburg in New England, offen und wurden nur im Winter
durch vorgespannte Schafhäute geschlossen. Abschnitte hohler Baumstämme
vertraten bisweilen Kanzel und Taufstein. Drei bis vier schräg gegeneinander-
gestellte Bäume ersetzten den Turm, von dem die Glocke zur Andacht rief.
Ein solcher Urwaldtem.pel war die berühmte, von Pastor S t ö v e r in der
jetzigen Grafschaft Libanon in Pennsylvanien erbaute Bergkirche. Sie war in der
Eine Waldkirche.
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das einzige Gotteshaus auf hundert Meilen
in der Runde. Pastor Lochmann schrieb über sie im Jahre 1732: „Der
Hunger nach dem Wort Gottes und der Eifer für den Gottesdienst war in jener
Zeit groß, denn die Zuhörer kamen von weit und breit zusammen und ließen
sich durch keine Gefahren abschrecken. Man nahm die Flinte mit zur Kirche,
um sich unterwegs nicht nur gegen die wilden Tiere, sondern auch gegen die
noch weit wilderen Indianer zu verteidigen. So lange man Gottesdienst hielt,
standen mehrere Männer mit geladenen Gewehren vor der Kirche Schildwache,
denn man war gewarnt durch den Überfall, den eine deutsche Gemeinde durcii
die Indianer erfahren und wobei, außer einem Knaben, alle die in der Kirche
waren, schrecklich gemordet wurden.**
— 136 —
Solche urwüchsigen, dem Chrarakter der Wildnis entsprechende Kirchen-
bauten wurden mit der Zeit durch bessere ersetzt, wenn die Gegend sich be-
völkerte und Sitten und Lebensweise der Ansiedler kultivierter wurden.
Natürlich schleppten sich manche in der einsamen Lage der Ansiedlungen
begründete Unbequemlichkeiten lange hin, wie wir beispielsweise aus der fol-
genden Schilderung Mittelbergers ersehen: „Manche Leute haben zwei, drei,
vier, fünf bis zehn Stund Weges zur Kirche zu kommen; jedermann aber, männ-
lich und weiblich, reitet zur Kirche, wann man auch nur etwa eine halbe Stunde
weit dahin hätte, welches auch bey denen Hochzeiten und Begräbnissen gebräuch-
lich ist. Man kann zu Zeiten auf dem Land bey ermeldten Hochzeiten oder Leichen-
begängnissen bis 500 reitende Personen zählen. Man kann sich leicht vor-
stellen, daß hiebey so wie auch bey Communionen kein Mensch in schwarzen
Kleidern, Floren oder Mänteln erscheint. Wann jemand, sonderheitlich auf dem
Lande gestorben, wo man wegen den djirzwi sehen liegenden Plantagen und
Waldungen weitläufig von einander wohnt, so wird die bestimmte Zeit der Be-
gräbniß allzeit nur bey denen nechsten vier Nachbarn angezeigt; darnach sagt
solches jeder wieder seinen nechsten Nachbar an. Auf solche Art wird die
Leichbestellung in 24 Stunden mehr denn 50 Englische Meilen im Umkreiß be-
kannt. Es findet sich dann womöglich von jedem Hause eine, wo nicht mehr
Personen zur Leiche auf die bestimmte Zeit reitend ein. So lang sich nun die
Leute versammeln, so reicht man denen Anwesenden auf einem großen Zinn
einen in Stücke zerschnittenen guten Kuchen; nebst diesem giebt man jeder
Person in einem Kelch einen wohlgewärmten West-Indischen Rum, worunter
man Citronen, Zucker und Wachholderbeeren thut, welche darinnen kostbar ge-
halten werden. Nach diesem präsentirt man auch einen warmen und süß ge-
machten Most zum trinken. Wann nun die Leute beynahe versammelt, und
die Zeit der Begräbniß heran rücket, so trägt man den Todten auf den gewöhn-
lichen allgemeinen Begräbnißplatz oder, wo man zu weit davon abwohnet,
begräbt man solchen etwa nur auf seinem eigenen Felde. Die zuvor versammelte
Leute reiten alle in der Stille hinter dem Sarge nach, da man manchmal ein-,
zwei-, drei-, vier- bis fünfhundert reitende Personen zehlen kann. Die Todten-
Särge werden alle von schönem Wallnusholz und mit einem Glanz-Fürniss ganz
braun gemacht. Vermögende Leute lassen an demselben vier mit Messing schön
gearbeitete Handgefäße schlagen, woran man die Särge hält und zur Gruft traget.
Wenn die verstorbene Person ein Jüngling gewesen, wird solcher von vier
Jungfern, hingegen eine verstorbene Jungfer von vier ledigen Gesellen zu Grabe
getragen."
So war das Leben der Deutschen an den Grenzen der Wildnis während
des 18. Jahrhunderts ein seltsames Gemisch alter, aus der Heimat mitgebrachter
Sitten und neuer, dem Charakter der Wildnis angepaßter, vielfach direkt den
Indianern und Trappern entlehnter Gewohnheiten. Die gleiche seltsame Mischung
zeigte sich auch in den Lebensanschauungen. Von dem mittelalterlichen Glauben
an Hexen und Bezauberung, an das Besprechen der Krankheiten, an die Mög-
— 137 —
lichkeit, durch allerlei Mittel und Sprüchlein sich „kugelfest**, d. h. unverwund-
bar machen zu können, hatte man sich noch nicht losgemacht.
Die Abgeschiedenheit ihrer Wohnstätten, die Unkenntnis der englischen
Sprache nötigte die Deutschen zum Zusammenhalt, so daß sie gewissermaßen
eine einzige große Familie, ihre Kolonien förmliche Eilande bildeten, die, als
sie später von der Flut anglo-amerikanischer Ansiedler umbrandet wurden, die
deutschen Eigentümlichkeiten lange Zeit bewahrten. Am konservativsten er-
wiesen sich die deutschen Bauern der pennsylvanischen Grafschaften Berks,
Bucks, Lancaster, Libanon, York, Adams, Schuylkill, Lehigh, Union, Munroe u.a.
Diese sogenannten „Deutsch-Pennsylvanier" bedienen sich noch heute eines
Dialekts, der ein Gemisch pfälzischer, schwäbischer und schweizerischer Mund-
arten mit einem Einschlag englischer Worte und Wendungen ist und als „Penn-
sylvanisch-Dutch" eine gewisse Berühmtheit erlangte.
Im übrigen ergibt sich aus allen geschriebenen und mündlichen Quellen,
daß die an den Grenzen der Zivilisation lebenden Deutschen ehrliche, offne,
tatkräftige Menschen waren, die sich bestrebten, den von ihren Vätern empfan-
genen reinen sittlichen Lehren nach allen Richtungen hin gerecht zu werden.
Für die zu ertragenden Mühseligkeiten und Gefahren entschädigte das Gefühl
völliger Unabhängigkeit. Weder war man von Standesinteressen und Kasten-
geist beengt, noch von despotischen Behörden bevormundet. Da gab's keine
Steuereintreiber, die, falls man außerstande war, zu zahlen, den Angehörigen
mitleidslos die Betten unter den Leibern wegrissen, damit aus dem Erlös der
Landesherr die Kosten seiner Hoffeste, Jagden und Maitressen bestreiten könne.
Da gab es auch keine geistlichen Zeloten, die Andersgläubigen mit den Schreck-
bildern einer ewigen Verdammnis und Strafe in einem flammenerfüllten Höllen-
pfuhl zusetzten.
Man kannte „neither law nor gospel'*, sondern richtete sich nach den un-
geschriebenen, allgemein gültigen Menschheitsgesetzen. In vollen Zügen atmete
man die in breiten Wellen aus den jungfräulichen Wäldern und von den Ge-
birgen herniederflutende Freiheit, die um so berauschender und köstlicher
schien, weil man sich ihrer in der alten Heimat niemals erfreut hatte.
War man dort bedrückt imd auf engen Raum beschränkt gewesen, so stand
hier die weite Welt offen. Man brauchte nur zuzugreifen, um das schönste
Stück sein eigen zu nennen. Majestätische Ströme, silberne Bäche, murmelnde
Quellen traf man überall. Zwischen dichten Wäldern dehnten sich samtgrüne,
mit tausenden von Blumen durchwirkte Matten. Die Gewässer wimmelten von
Fischen aller Art, die Forste von Wild jeder Gattung. Die Lüfte wurden bis-
weilen verfinstert durch unabsehbare Züge von Wandertauben; wilde Trut-
hühner, und andere wohlschmeckende Waldvögel gab es in Menge.
Diese Reichtümer auszunutzen, die Freiheit auszukosten, war freilich nur
solchen kühnen Männern vorbehalten, die in dem Verzicht auf die Bequemlich-
keiten des zivilisierten Lebens kein Opfer erblickten, Widen\'ärtigkeiten gelassen
ertrugen und den Gefahren kühn ins Auge blickten. Die deutschen Hinter-
— 138 —
wäldler erwiesen sich als solche starke Herzen. Sie, die im alten Vaterland an
das Regiertwerden gewöhnt gewesen und vor Fürsten und Beamten in aller-
untertänigster Demut erstorben waren, verwandelten sich auf dem Boden der
Neuen Welt in kraftvolle, stolze, ihren Wert erkennende Persönlichkeiten, die
nichts Knechtisches mehr besaßen, sondern sich durch Entschlossenheit, Wage-
mut und Tatkraft auszeichneten, die Daseins- und Gleichberechtigung ihrer Mit-
menschen anerkannten und dadurch zur Gründung solcher neuer Gemeinwesen
fähig wurden, deren Losung lautete : „Einer für alle, alle für einen !*'
Die Handwerker ließen sich natürlich vorzugsweise in den Städten und
Ortschaften nieder, wo sie infolge ihrer Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit
überall lohnende Beschäftigung fanden.
Dr. Benjamin Rush, einer der her\'orragendsten Männer in Penn-
sylvanien, der im Jahre 1789 ein überaus M^ertvolles Werkchen über die Deut-
schen jenes Staates schrieb, rühmt ihnen nach, daß sie sparsam., fleißig und
pünktHch seien und es darum überraschend schnell zu gutem Auskommen und
Wohlstand brächten. Ein eigenes, schuldenfreies Haus zu besitzen, sei ihr
höchster Stolz und erstes Ziel. Er lobt ferner an ihnen, daß sie darauf bedacht
wären, neben ihren von Deutschland mitgebrachten Gewerben sich m.ancherlei
mechanische Kenntnisse anzueignen, die in einem neuen Lande nützlich und
nötig seien.
Die in den Kolonien obwaltenden Zustände, die den einsamen Ansiedler
häufig auf seine eigene Findigkeit verwiesen, zwangen auch den Handwerker
zur Vielseitigkeit. Er mußte imstande sein, in mancherlei Verrichtungen aus-
zuhelfen. So wurde er ein „Jack of all Trades", der sich überall nützlich zu
machen verstand und dem guter Lohn nicht fehlte.
Zur Verwertung der erworbenen Kenntnisse boten sich tausend Gelegen-
heiten, zumal die Ausübung der Handwerke nicht wie in Europa strengen, von
Innungen oder Zünften erlassenen Vorschriften und Beschränkungen unter-
worfen war. Solche Verbindungen von Berufsgenossen kannte man in
Amerika nicht. „Keine Profession" so schreibt der im Jahre 1750 nach Penn-
sylvanien gekommene Lehrer Gottlieb Mittelberger „oder Handtirung ist zünftig.
Jedermann kann handeln oder treiben was er will. So Jemand wollte oder könnte,
kann er zehnerlei Profession anlegen und darf demselben es niemand wehren."
Diese Freiheit des Gewerbes hatte große Vorzüge. Sie gestattete jeder-
mann, seine Neigungen und Fähigkeiten in solchen Berufen zu betätigen, die
ihm am meisten zusagten und den besten Lohn verhießen.
Die Bewohner mancher Ortschaften bevorzugten bestimmte Gewerbe. In
Germantown und Bethlehem beispielsweise die Leineweberei, die Strumpf-
wirkerei, die Herstellung von Kleiderstoffen und Töpferwaren. In Virginien und
Pennsylvanien waren Deutsche als Berg- und Hüttenleute tätig. An anderen
— 139 —
Orten widmeten sie sich der Seidengewinnung oder dem Herstellen von Hanf,
Terpentin und Teer. Bereits im Jahre 1684 berichtete William Penn von den
in Germantown wohnenden Handwerkern: „These Germans have already fallen
upon flax and hemp.**
Deutsche Handwerker waren es, welche den Grund zu manchen, heuie
hochentwickelten Industrien legten. Sie bauten die ersten Schmelzhütten, Hoch-
öfen, Papiermühlen, Öfengießereien und Gewehrfabriken.
Der im Jahre 1717 aus Hilspach bei Heidelberg eingewanderte Kaspar
W i s t a r gründete bei Salem in New Jersey die erste Glasfabrik. Eine zweite,
die sich ausschließlich mit der Herstellung von Glasflaschen beschäftigte, ent-
stand in Germantown, (Braintree) Massachusetts. Daß die Glasfabrikation fast
ausschließlich von Deutschen betrieben wurde, ergibt sich aus einem Brief des
Lord Sheffield, in dem er über die Glaswerke in Pennsylvanien und New Jersey
schreibt: „Hitherto these manufactures have been carried on there by German
workmen." —
Der deutsche Grobschmied Thomas Rutter oder Rütter aus German-
town errichtete im Jahre 1716 am Matawny-Bach in der Grafschaft Berks die erste
Eisenhütte in Pennsylvanien. Zehn Jahre später begann der Mennonite K u r t z
am Octorora-Bach in der Grafschaft Lancaster Eisen herzustellen. Diesen Bei-
spielen folgten im Jahre 1745 mehrere Pfälzer zu Tulpehocken. Sie legten die
Eisenhämmer am Oley- und Tulpehocken-Bach an. JohannHuber erbaute
im Jahre 1750 bei Brinkersville in der Grafschaft Lancaster einen Hochofen,
den er zu Ehren seiner schönen Tochter „Elisabeth-Hochofen'' taufte. Der-
selbe trug die stolze Aufschrift:
„Johann Huber ist der erste Mann,
Der das Eisenwerk vollführen kann."
Das traf zu, wenn damit die Herstellung von Gußwaren gemeint war.
Der Hochofen war erst kurze Zeit im Betrieb, als eine der interessantesten
Persönlichkeiten der damaligen Zeit auf der Bildfläche erschien: der deutsche
Baron FriedrichWilhelmvonStiegel. Derselbe stammte aus Mann-
heim. Über ein Vermögen von mehreren hunderttausend Talern verfügend,
hatte er sich aufgemacht, die Welt zu sehen. In Pennsylvanien verliebte er
sich in die schöne Tochter Hubers, heiratete diese und kaufte gleichzeitig von
seinem Schwiegervater den „Elisabeth-Hochofen". Der Baron wurde nun zum
Industriellen. In der Nähe des Hochofens gründete er den Ort Mannheim,
wo auf seine Einladung zahlreiche deutsche Schmiede und Handwerker sich
niederließen, mit deren Hilfe er großartige Gießereien und Glaswerke anlegte.
Die hier hergestellten Ofenplalten waren mit allerhand biblischen Bildern wie
„Adam und Eva", „Kain und Abel", „David und Goliat" geschmückt. Dabei
trugen sie die Inschrift:
„Baron Stigel ist der Mann,
Der die Oefen machen kann." —
— 140 —
Anfangs warfen die Unternehmungen glänzenden Gewinn ab. Stiegeis
eigner Angabe zufolge belief sich sein jährliches Einkommen auf 5000 Pfund
Sterling. Aber er führte auch eine sehr verschwenderische Lebensweise, die im
Verein mit den dem Unabhängigkeitskrieg vorausgehenden schlechten Geschäfts-
jahren seinen Zusammenbruch herbeiführten.
Unter den pennsylvanischen Eisenhüttenbesitzern der Kolonialzeit finden
wir ferner die Deutschen Stedmann, Georg Rock, Georg Ege,
Peter Grubb, Peter Dicks u. a.
Den im Jahre 1765 in der Kolonie New York auftretenden Eisenfabrikanten
PeterHasenclever kann man kühn den ersten Großindustriellen Amerikas
nennen.
Hasenclever — ein Andrew Carnegie der Koionialzeit — war im Jahre
1716 in Remscheid geboren, einem Hauptsitz der Eisenindustrie des Herzogtums
Berg. Es war ihm nicht unbekannt geblieben, daß England jährlich über 40 000
Tonnen Stangeneisen aus fremden Ländern bezog, daß aber auch die englischen
Kolonien in Nordamerika sehr reich an Eisenerzen seien und unermeßliche
Waldungen besäßen, welche die zum Schmelzen der Erze nötigen Holzkohlen
liefern könnten. Sein der englischen Regierung vorgelegter Plan, jene Eisen-
lager auszubeuten, so daß England statt des fremden Eisens solches aus den
Kolonien beziehen könne, fand Anklang. Es bildete sich eine Gesellschaft, mit
deren Unterstützung Hasenclever im Jahre 1765 nach Amerika übersiedelte, um
seine Pläne auszuführen. Nach sorgfältigen Untersuchungen entschied er sich
für den Ankauf eines bedeutende Eisenlager enthaltenden Landstrichs in der
Kolonie New York. Derselbe lag auf dem Nordufer des Mohawkflusses unweit
der Pf älzeran Siedlung German Fiats.
Mit erstaunlicher Tatkraft schritt Hasenclever dann zur Verwirklichung
seiner Ideen. Aus Deutschland ließ er 550 Bergleute und Schmiede kommen,
mit deren Hilfe er Holzkohlenbrennereien, Stampfwerke, Schmelzöfen, Schmieden
und Potaschsiedereien errichtete. Um seinen Arbeitern gute Unterkunft zu
bieten, ließ er ferner 200 Häuser erbauen. Desgleichen sorgte er durch Auf-
stauen mehrerer Bäche für billige und gleichmäßige Wasserkraft; endlich auch
durch Anlage mehrerer Brücken für gute Verkehrswege.
Bereits nach sechs Monaten war das Unternehmen imstande, das erste
Stangeneisen nach England zu liefern. An Güte übertraf dasselbe alles aus-
ländische Eisen.
Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die junge Anlage zu einer viel-
versprechenden Industriestätte, deren Zukunft in glänzendem Licht erschien.
Leider wurde das Unternehmen gerade in diesem Augenblick von einer Kata-
strophe betroffen, die ihm den Todesstoß versetzte. Die englischen Teilhaber
Hasenclevers entpuppten sich als unehrliche Leute. Durch die günstigen Ergeb-
nisse der ersten Jahre ließen sie sich zu luxuriösem Leben verleiten und belasteten
zur Bestreitung desselben, als die Einkünfte aus dem amerikanischen Unter-
nehmen nicht mehr ausreichten, das letztere mit so kolossalen Schulden, daß
— 141 —
Hasenclever trotz größter Anstrengungen nicht imstande war, den Zusammen-
bruch aufzuhalten. Um seinen guten Namen zu retten, sah er sich genötigt
nach England zu eilen, wo er der Regierung eine Rechtfertigungsschrift über-
reichte und zugleich einen Prozeß gegen seine Teilhaber anstrengte. Derselbe
zog sich zwanzig Jahre lang hin. Erst nach Hasenclevers Tode (er starb am
13. Juni 1793 in Schlesien, wo er andere industrielle Anlagen gegründet hatte)
fällten die Gerichte die Entscheidung, daß die früheren Teilhaber Hasenclevers
verurteilt seien, an seine Erben eine Million Taler als Entschädigung auszu-
zahlen.
Was aus den von Hasenclever nach Amerika gezogenen Bergleuten und
Schmieden geworden, ist unbekannt. VermutHch wandten sie sich anderen
Industriestätten zu und trugen dadurch zur Fortentwicklung derselben bei.
Ein ähnlicher Großindustrieller der Kolonialzeit war Johann Jakob
F a e s c h aus Basel. Er baute im Jahre 1772 in New Jersey die Mount Hope
Hochöfen. Außerdem kaufte er zahlreiche Eisenhütten, darunter die bedeutenden
Hibernia-Werke. Als der Krieg mit England ausbrach, lieferten diese einen
großen Teil der von den Freiheitskämpfern benötigten Kanonen und Geschosse.
General Washington besuchte einst mit seinem Stab den Meister Faesch auf
dessen Mount Hope-Werken. Als Faesch im Jahre 1799 starb, galt er als der
größte Hüttenbesitzer und zugleich als einer der reichsten und loyalsten Bürger
der Vereinigten Staaten.
Ein besonderer Industriezweig der in Pennsylvanien lebenden Deutschen
war die Herstellung von Flinten mit gezogenen Läufen. Solche Gewehre waren
gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Wien von Kaspar Zöllner erfunden worden.
Um der Kugel beim Abfeuern der Büchse eine gradere Richtung und dadurch
größere Treffsicherheit zu geben, versah Zöllner die Innenwände der Rohre mit
mehreren von der Mündung bis zum Ansatz führenden Kanälen. Diese „ge-
zogenen" Flinten wurden in der Folge erheblich verbessert, indem man statt
der geraden Kanäle spiralförmige anwandte, wodurch die Kugeln eine rotierende
Bewegung erhielten und die Stetigkeit ihrer Richtung erhöht wurde. Obendrein
war es ein wesentlicher Vorzug, daß die Pulvergase nicht wie bei glattläufigen
Flinten zum Teil verloren gingen, sondern voll ausgenutzt wurden, wodurch
auch die Tragweite der gezogenen Flinten eine erhebliche Steigerung erhielt.
Während gezogene Büchsen in den Neu-England-Kolonien beim Ausbruch der
Revolution tatsächlich noch unbekannt waren, hatten die Deutschen Penn-
sylvaniens längst mit deren Herstellung begonnen. Der erste Büchsenmacher,
von dem wir mit Bestimmtheit wissen, daß er gezogene Büchsen lieferte, war
der Deutsch-Schweizer Martin M e y 1 i n. Er eröffnete in der Grafschaft
Lancaster eine Bohrmühle. Andere waren Heinrich Albrecht, Deck-
hardt, Matthäus Roeser, Johan Vonderschmitt und
Philipp LaFevre.
Ein Hauptsitz deutscher Büchsenmacher war der Ort Lancaster. Der
berühmte französische Botaniker Michaux, welcher im Jahre 1801 diesen Ort
— 142 —
besuchte, schreibt in seiner „Voyage a l'ouest des monts AUeghany, dans les
Etats de l'Ohio, du Kentucky et du Tennessee" über Lancaster: „Die Be-
völkerung besteht aus 4 — 5000 Einwohnern, die fast sämtlich deutscher Ab-
stammung sind, jedoch verschiedenen religiösen Bekenntnissen angehören. Die
meisten Einwohner sind Büchsenschmiede, Hutmacher, Sattler und Küfer. Die
Büchsenmacher von Lancaster sind bereits seit langem berühmt, und die von
ihnen angefertigten Büchsen sind die einzigen, deren sich sowohl die Bewohner
des Innern des Landes als auch die Indianerstämme an den Grenzen des Landes
bedienen."
Und ein späterer Reisender, Herzog Bernhard zu Sachsen-Weimar-Eisenach
fügte diesem Urteil hinzu: „Lancaster steht in dem Ruf, daß hier die besten
Rifles — Kugelbüchsen — in den Vereinigten Staaten gemacht werden. Ich
kaufte eine für 11 Dollars, um sie als Kuriosität mit nach Hause zu nehmen."
Deutsche waren es auch, die sich zuerst mit dem Bau musikalischer In-
strumente beschäftigten. Die erste Kirchenorgel Amerikas wurde im Jahre 1703
von demOrgelbauer Hein rieh Neering in New York für die dortige St. Trinity-
gemeinde erbaut. Um das Jahr 1737 lebte der Orgelbauer Mathias
Zimmermann in Philadelphia. Dorthin brachte auch der deutsche Lehrer
Gottlieb Mittelberger im Jahre 1748 die erste größere, in Heilbronn
gebaute und nach Amerika ausgeführte Kirchenorgel. Sie wurde in der
lutherischen St. Michaels-Kirche zu Philadelphia aufgestellt und unter großen
Feierlichkeiten eingesegnet.
„Zu diesem Fest", so schreibt Mittelberger, „erschienen fünfzehn Lutherische
Prediger nebst dem gesammten Kirchen-Rath von allen Evangelischen Kirchen.
Die Menge der Zuhörer war unbeschreiblich groß, viele Leute kamen von
ferne aus dem Lande, solches Orgelwerk zu sehen und zu hören."
Harttafel und Klein schufen eine Orgel für die Kirche der Herrn-
huter in Bethlehem. In diesem betriebsamen Städtchen lebte auch die Famihe
Tanneberger, deren Mitgheder während der Jahre 1740 bis 1760 als
Orgelbauer florierten. Adam Geib, welcher im Jahre 1760 in New York
seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, schuf die Orgel der dortigen Gnaden-
kirche. Seine Söhne befanden sich unter den ersten Pianofabrikanten Amerikas.
In den Städten fand man schon lange vor dem Unabhängigkeitskriege
zahlreiche deutsche Kaufleute, welche Gegenstände der verschiedensten
Art, Spezereien, Schnitt- und Eisenwaren, landwirtschafdiche Geräte, musika-
lische Instrumente, Bücher, Kleider usw. feilhielten.
In Philadelphia, wo die Deutschen etwa ein Drittel der ganzen Bewohner-
schaft ausmachten und ein besonderes, im nordöstlichen Teil der Stadt gelegenes
Quartier innehatten, bestanden auch mehrere deutsche Apotheken und Gast-
häuser. Unter den letzteren genossen „Der schwarze Adler", „Das weiße
Lamm" und „Der König von Persien" großen Ruf.
Obwohl die Deutschen sich in ihrer Tracht der allgemeinen Bevölkerung
rasch anpaßten, hielten sie doch zäh an ihrer geliebten Sprache und den aus
— 143 —
der Heimat mitgebrachten Gewohnheiten fest. Für die Erhaltung der ersten sorgten
sowohl die Kirchengemeinden und Schulen, wie die an verschiedenen Orten
gegründeten deutschen Zeitungen.
Daß deutsche Drucker sich schon früh in den englischen Kolonien nieder-
ließen, daß Benjamin Franklin im Jahre 1732 in Philadelphia die erste deutsche
Zeitung in Amerika herausgab und daß Christoph Säur im Jahre 1739 mit
seinem „Hochdeutsch-Pennsylvanischen Geschichtsschreiber" folgte, wurde be-
reits in einem früheren Abschnitt erwähnt. Über die weiteren Erzeugnisse
der deutsch-amerikanischen Presse während der Kolonialzeit möge bemerkt
werden, daß im Jahre 1743 auch der Drucker Joseph Crellius in Phila-
delphia eine deutsche Zeitung gründete. Ebendaselbst ließ Johann Bö hm
im Jahre 1751 die „Fama" erscheinen. In Gemeinschaft mit Anton Arm-
brüster veröffentlichte Franklin im Jahre 1755 die „Deutsche Zeitung",
welcher sich im Jahre 1762 noch der von dem Herrnhuter Heinrich
Miller hergestellte „Staatsbote" zugesellte. In Lancaster erschien seit 1751
bei Miller und Holland die „Lancastersche Zeitung". Christoph
Säur der Jüngere veröffentlichte im Jahre 1764 in Germantown die
erste periodische Zeitschrift in Amerika, das „Geistliche Magazin".
Aus Franklins Aufzeichnungen wissen wir, daß die Deutschen außerdem
viele Bücher aus dem alten Vaterlande einführten und an dem dortigen geistigen
Leben regen Anteil nahmen.
Außer Kalendern und Zeitungen verlegten die deutschen Drucker auch
zahlreiche Bücher. Man kennt die Titel von etwa 2000 deutschen Werken, die
während des 18. Jahrhunderts in den englischen Kolonien gedruckt wurden.
Die Mehrheit besteht aus religiösen Erbauungs- und Gesangbüchern. Lehr-
bücher aller Art sind ebenfalls zahlreich.
Wissenschaftliche Bildung stand besonders bei den in den Städten leben-
den Deutschen in hohem Ansehen. Die deutschen Prediger, deren sich in dem
von 1745 bis 1770 reichenden Zeitraum über fünfzig nachweisen lassen, galten
allgemein als die gelehrtesten Männer Amerikas. Die Studenten der Havard-
Hochschule wunderten sich nicht wenig, daß jeder dieser Prediger Latein
ebensogut wie seine Muttersprache reden konnte, was diejenigen nicht über-
rascht, welche wissen, daß die Prediger ihre Bildung auf deutschen Uni-
versitäten empfingen, wohin sie auch ihre Söhne mit Vorliebe schickten.
Unter diesen Theologen finden wir auch die ersten Gelehrten Amerikas,
z. B. den hochgebildeten Peter Miller, den letzten Vorsteher des Klosters
Ephrata, welcher auf Ersuchen Jeffersons die amerikanische Unabhängigkeits-
erklärung in sieben fremde Sprachen übersetzte und das großartigste in Amerika
hergestellte Buchdruckerwerk des 18. Jahrhunderts, den berühmten „Märtyrer-
spiegel" herstellte.
Ihm reihte sich der berühmte David Rittenhausen aus German-
town an, der sich sowohl als Philosoph wie als Mathematiker, Astronom und
Landvermesser auszeichnete und während des Unabhängigkeitskrieges seine
144 —
mannigfachen Fähigkeiten in der patriotischsten Weise in den Dienst der großen
Sache stellte. Man schreibt ihm das Verdienst zu, als erster die annähernde
Entfernung der Erde von der Sonne festgestellt, sowie als erster in Amerika den
Durchgang der Venus beobachtet zu haben. Nach Franklins Tode wurde er
Vorsitzer der Philosophischen Gesellschaft von Philadelphia; auch war er der
erste Münzdirektor der Vereinigten Staaten. Die Sage erzählt, Rittenhausen
habe zusammen mit
einem andern Deutsch-
Pennsylvanier namens
Henri lange vor Fulton
ein kleines Dampfboot
verfertigt, das auf dem
Conestogafluß bis Lan-
caster gefahren sei. Ful-
ton habe damals als
Lehrling in Lancaster
gelebt und aus jenen
Versuchen der beiden
Deutsch-Pennsylvanier
die Anregung zu seinem
späteren Dampfschiff
„Clermont" empfangen.
Rittenhausen verbesserte
auch den von Thomas
Gottfried (Godfrey) be-
reits vervollkommneten
Schiffsquadranten, so
daß man die Längen-
und Breitengrade mit
Sicherheit bestimmen
konnte.
Ein Zeitgenosse
Rittenhausens war der
gleichfalls in German-
town lebende Dr.
Christoph Witt. Er beschäftigte sich mit Uhren- und Orgelbau, femer legte
er in Germantown den ersten, in Amerika existierenden botanischen Garten an.
Von anderen deutschen Gelehrten jener Zeit sind Wilhelm Craemer,
Johann Christoph Kuntze und H e 1 m u t h hervorzuheben. Der
erstgenannte erteilte während der Jahre 1753 bis 1775 am College der Stadt
Philadelphia außer lateinischem und französischem auch deutschen Unterricht.
Kuntze und Helmuth waren von Beruf Theologen, wirkten später aber gleich-
falls an dem genannten College mit großem Erfolg als Sprachlehrer.
David Rittenhausen.
— 145 —
Bis auf die Lichtgestalt des edlen P a s t o r i u s zurück, reichen auch die
ersten Anfänger einer deutsch-amerikanischen Dichtkunst. Der Patriarch von
Germantown liebte es, seine Lebensanschauungen und Erfahrungen in kurzen
Epigrammen und Sprüchen niederzulegen. Den lärmenden Nichtigkeiten des
weltlichen Lebens gegenüber pries er die Schönheit seines blumengeschmückten
Gartens, er zeigte sich als Philosoph, über dessen Seele beschaulicher Friede
ausgegossen lag.
„Ich finde in der weiten Weit
Nictits denn nur Aufruhir, Krieg und Streit;
In meinem engen Gartenfeld,
Lieb, Friede, Ruli und Einigl<eit.
Mein' Blümlein fechten nimmermehr.
Was alles ihnen auch geschieht;
Sie wissen nichts von Gegenwehr
Kein Waffen man dar jemals sieht.
Drumb' acht ich ihr Gesellschaft hoch
Und bin bei ihnen gern allein,
Gedenke oft, daß Christi Joch
Will ohne Räch' getragen sein."
Johann Kelpius und Konrad Beissel, die beiden Halb-
mönche vom Wissahickon und dem Kloster Ephrata ließen dagegen in den
Urwäldern Pennsylvaniens glaubensbrünstige Lobes- und Liebesgesänge auf
den himmlischen Bräutigam und die Himmelsbraut erschallen. So bekennt
Beissel :
„Ich bin verliebt, ich kann's nicht hehlen,
O reine, keusche Himmelsbraut!
Ich will von deiner Lieb' erzählen.
Die sich mit mir im Geist vertraut.
Denn deine Treu hat mich bewogen,
Daß ich dir gebe alles hin:
Du hast mich ganz in dich gezogen
Und hingenommen meinen Sinn."
Und weiter:
„Ruft, ihr Sterne, überlaut, daß ich liebe!
Und ihr Wasser, rufet nach, daß ich liebe!
Alles, was nur Stimmen hat, sag dem Lamme,
Viel von meiner Flamme." —
Aus fast allen Poesien dieses Mystikers klingt ungeduldige Sehnsucht
nach Zion und dem Gotteslamm.
„Wann werd' ich doch dies ein anschauen und empfinden?
Wann werd' ich ganz zerfließen und entschwinden?
Wann fällt mein Fünklein Gas in sein Lichtfeuer ein?
Wann wird mein Geist mit ihm nur eine Flamme sein?" —
Überschriften einzelner Hymnen, wie z. B. „Das paradoxe und seltsame
Vergnügen der göttlich Verliebten", „Ein verliebtes Girren der trostlosen
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. lU
— 146 —
Seele in der Morgendämmerung'' und „Bittersüße Nachts-Ode der sterbenden
jedoch sich vergnügenden Liebe" lassen erkennen, daß die religiöse Schwärmerei
dieses Einsiedlers einen bedenklich hohen Grad erreicht hatte.
Weitaus gesunder muten die Kirchenlieder an, welche von den beiden
Professoren Johann Christian Kunze und Helmuth gedichtet und in Phila-
delphia von den Druckern Säur verlegt wurden. Auch die Liederbücher
der Schwenkfelder und Herrnhuter enthalten gute Dichtungen, wenn-
gleich auch diese von dem mystisch-pietistischen Geist jener Zeit durch-
tränkt sind.
Neben solchen kirchlichen Liedern finden wir bei den Herrnhutem auch
bereits lyrische Poesien, die das rauhe Leben dieser Kulturpioniere und den
wilden Charakter ihrer Umgebung reflektieren. Die Majestät des Urwalds, der
Hinterhalt der Indianer, das Warnungssignal der Klapperschlange, die Be-
schwerlichkeit der ungebahnten Wege sind in diesen Poesien treffend gezeichnet.
Abgesehen von diesen vereinzelten lyrischen Dichtungen und manchen
zur Würze der häuslichen oder ländlichen Arbeit dienenden Liedchen atmeten
alle während der Kolonialzeit entstandenen deutschen Dichtungen den streng
religiösen Geist, der das ganze Leben der damals in Amerika wohnenden
Deutschen kennzeichnete.
Für Gesang und Instrumentalmusik bekundeten die Deutschen gleich-
falls große Neigung. Wieder waren es die in Germantown, F.phrata, Bethlehem
und an anderen Orten lebenden Sektierer, welche im m.eisterhaften Vortrag
geistlicher Lieder alle andern religiösen Gesellschaften übertrafen. Sowohl
unter den Insassen des von Kelpius gestifteten Klosters wie des von Beissel
gegründeten „Ephrata" gab es verschiedene Männer und Frauen, die Fertig-
keit in Dichtkunst und Musik besaßen und nicht bloß zahlreiche geistliche
Lieder dichteten, sondern auch Melodien zu denselben schufen.
Die „Chronik von Ephrata'' bezeichnet selbst voller Stolz den Kloster-
gesang als ein „Vorspiel der Neuen Welt und ein Wunder der Nachbarn";
ferner erwähnt sie, „daß die gantze Gegend durch den Schatz himmlischen
Lustspiels gerührt" worden sei. In der Tat wurden die in der Nachbarschaft
des Klosters gelegenen An Siedlungen von der Sangeslust angesteckt, und ihre
Bewohner ruhten nicht, bis die Klostergemeinde ihnen zwei Brüder als Ge-
sanglehrer stellte.
Die in Philadelphia und Germantown ansässigen Jünger Gutenbergs
sorgten für den Druck geistlicher Lieder, von denen die im Jahre 1730 von
Benjamin Franklin gedruckte Sammlung „Göttliches Liebes- und Lobes Ge-
thöne" sowie die von Christoph Säur veranstalteten Sammlungen „Das Paradi-
sische Wunderspiel", „Das Gesang der einsamen Turteltaube" und „Der
Zionitische Weyrauchshügel oder Myrrhen-Berg" bei fast allen damals in
Nordamerika bestehenden deutschen Gemeinden Eingang fanden.
Auch die Mährischen Brüder oder Herrnhuter pflegten geistliche Musik
und Gesang und suchten ihren Gottesdienst durch Violinen, Oboen und
— 147 —
Trompeten musikalisch auszuschmücken. Ein Posaunenquartett begründeten
sie bereits im Jahre 1752.
Die wichtigsten Mittelpunkte der Deutschen bildeten die Kirchengemein-
den, deren Gründung zu den ersten Betätigungen ihres von tiefer Religiosität
durchwehten Lebens gehörte.
Sehen wir von den rasch prosperierenden Genossenschaften der Men-
noniten und Herrnhuter ab, so war es um die deutschen Gemeinden in der
ersten Zeit allerdings herzlich schlecht bestellt, da sie sich um ihre geistliche
Wohlfahrt selber kümmern mußten. Weder die deutschen Landesregierungen
noch die dortigen Kirchenbehörden nahmen sich ihrer an oder versorgten sie
mit Predigern. Die ersteren bekundeten für die in die Fremde Auswandernden
nicht das geringste Interesse, da sie ja mit ihrem Ausscheiden aus dem Unter-
tanenverband aufhörten, dem Staat Abgaben zu entrichten und nützlich zu sein.
Die deutschen Kirchenbehörden waren durch die zwischen den einzelnen Be-
kenntnissen nie zur Ruhe kommenden Zwiste zu sehr in Anspruch genommen,
als daß sie Zeit gefunden hätten, den fernen Glaubensgenossen Aufmerksamkeit
zuzuwenden und sie mit Predigern zu versorgen. Aus diesem Grunde mußten
sowohl die in den Kolonien New York, New Jersey und Pennsylvanien leben-
den deutschen Lutheraner wie die Reformierten häufig die Dienste dort an-
sässiger holländischer und schwedischer Pfarrer in Anspruch nehmen, von
denen manche der deutschen Sprache mächtig waren.
Aber auch dieser Notbehelf hörte allmählich auf, als nach der Annexion
Neu-Niederlands und Neu-Schwedens die holländischen und schwedischen
Regierungen nicht länger imstande waren, für die Aufrechterhaltung ihrer Be-
ziehungen zu den in den annektierten Provinzen lebenden Stammesgenossen so
kräftig zu sorgen, wie dies früher geschehen war.
Zum Glück fanden sich, als das kirchliche Leben der deutschen Aus-
wanderer in Amerika in Verwahrlosung zu verfallen drohte, einige wackere
Männer, welche sich die Not ihrer deutschen, in der Fremde weilenden Lands-
leute zu Herzen nahmen. Obenan unter denselben standen die als Stifter des
Waisenhauses in Halle berühmt gewordenen Brüder August Hermann
und Gotthilf August Franke, sowie der Londoner Hofprediger
Z i e g e n h a g e n. Sie sandten mehrere tüchtige Prediger aus, die sich die
Bedienung und straffere Zusammenfassung der deutschen Gemeinden in Amerika
zur Aufgabe stellten.
Das war allerdings recht schwierig, indem diese Pastoren mehrere, weit
voneinander entfernte Gemeinden bedienen mußten. Obwohl bereits Tausende von
Lutheranern in den Tälern des Hudson und Mohawk und in dem benachbarten
New Jersey wohnten, so gab es im Jahre 1725 doch nur einen berufsmäßigen
lutherischen Prediger im ganzen Distrikt, den in New York lebenden Pastor
Wilhelm Christoph Berkenmeyer. Pennsylvanien mit einer
lutherischen Bevölkerung von 60 000 Köpfen besaß gleichfalls bloß einen
10*
— 148 —
solchen Pfarrer, so daß manche ferngelegene Gemeinden nur ein- bis zweimal
im Jahre den Besuch desselben empfangen konnten.
Von den Mühseligkeiten, unter welchen solche Seelsorger ihrem Beruf
oblagen, kann man sich heute nur schwer eine Vorstellung machen. Häufig
mußten sie 50 oder 100 Meilen weit über grundlose Pfade und steil abfallende
Hügel, durch dicke Urwälder, gefährliche Sümpfe und angeschwollene Bäche
reiten, den schlimmsten Launen des Wetters ausgesetzt. Oft fiel der Regen
in Strömen nieder; im Sommer erschlafften Roß und Reiter infolge der sengen-
den Hitze, während zur Winterszeit bittere Kälte das Blut in den Adern er-
starren machte.
Welche Anforderungen an die Körperkraft gestellt wurden, ergibt sich
aus den Aufzeichnungen des im Jahre 1742 von Halle nach Pennsylvanien
entsandten Predigers Heinrich Melchior Mühlenberg. Das
Arbeitsfeld dieses hochbegabten, unermüdlich tätigen, mit großer Herzensgüte
ausgestatteten Mannes erstreckte sich über die Kolonien Pennsylvanien, New
Jersey und New York. Außerdem besuchte er gelegentlich die Gemeinden in
Virginien, Karolina und Georgia. Während seiner weiten Reisen mußte er oft
stundenlang in stockdunkler Nacht zu Pferde zubringen, bei Sturm und Schnee,
beständig von Gefahren durch wilde Tiere und feindliche Indianer umdroht.
Keine irdische Vergütung konnte ihn für solche Beschwerden und Mühen
lohnen. Aber er fand vollkommene Befriedigung in dem Vorrecht, das Evan-
gelium einer Menge aufmerksamer Zuhörer predigen zu dürfen, von denen
viele weither kamen, um seinen Worten zu lauschen.
Mühlenberg gründete zunächst in Philadelphia eine große lutherische
Gemeinde. Von dort sandte er auch regelmäßige Berichte an die vom Waisen-
haus zu Halle herausgegebenen „Halleschen Nachrichten". Diese als Quelle
unserer Kenntnisse für die Zustände des damaligen Deutschtums in Amerika
unschätzbaren Mitteilungen bewirkten, daß sich das Interesse der kirchlich
Gesinnten in Deutschland in höherem Maß den Bedürfnissen ihrer jenseits des
Meeres lebenden Glaubensgenossen zuwandte. Dann auch, daß sich mehrere
andere Prediger zur Teilnahme an dem Wirken Mühlenbergs entschlossen und
nach Amerika übersiedelten. In Gemeinschaft mit diesen sowie einigen schwe-
dischen Pastoren gründete Mühlenberg im August 1748 die erste luthe-
rische Synode in Amerika, eine die nachdrücklichere Förderung der
Wohlfahrt der Lutheraner in der Neuen Welt anstrebende Verbindung.
Was Mühlenberg für die lutherische Kirche leistete, das verrichtete um
dieselbe Zeit der Deutsch-Schweizer Michael S c h 1 a 1 1 e r für die refor-
mierte. In seiner Vaterstadt St. Gallen hatten ihm angesehene Stellen offen-
gestanden. Er schlug dieselben aber aus, um sich der geistlichen Pflege der
nach Pennsylvanien übersiedelten reformierten Pfälzer zu widmen. In Ge-
meinschaft mit einigen anderen Geistlichen stiftete er die erste deutsche
reformierte Synode in Amerika, einen der wichtigsten Kirchenkörper,
dessen Mitglieder ihn noch heute als ihren Vater verehren.
149
Auf Schlatters Anregung kam auch der reformierte Geistliche Philipp
Wilhelm Otterbein (geboren 4. Juni 1726 in Dillenburg, Nassau) nach
Pennsylvanien. Nachdem er dort in den Orten Lancaster und Tulpehocken ge-
Heinrich Melchior Mühlenberg.
V
wirkt hatte, siedelte er nach Maryland über und gründete in Baltimore die neue
Kirchengemeinschaft der „Vereinigten Brüder in Christ o", welche
später große Ausdehnung gewann.
Die meisten dieser edlen Gottesstreiter, denen wir auch den im Jahre
1769 bei Pottstown in Pennsylvanien geborenen Jacob Albrecht, den
— 150 —
Stifter der „Evangelischen Gemeinschaft" zuzählen müssen, verfügten über
gründliche, auf deutschen Hochschulen erworbene Kenntnisse, die sie in den
in Verbindung mit den Kirchen gestifteten Schulen aufs trefflichste zum Nutzen
ihrer Landsleute verwerteten.
Berufsmäßige deutsche Lehrer waren zu Anfang des 18. Jahrhunderts in
Amerika äußerst selten. Kein Wunder, wurden doch diese Erzieher des Volkes
damals in Deutschland zu schlecht bezahlt, als daß sie von ihrem kärglichen
Lohn die beträchtlichen Kosten der Reise nach Amerika hätten erübrigen können.
Auch die Stellung der wenigen, welchen es gelang, diese Mittel aufzutreiben,
war eine höchst unsichere. Gleich den Pastoren besaßen sie weder feste Be-
soldung noch freie Amtswohnungen. Sie waren auf freiwillige Beiträge der
Gemeindemitglieder angewiesen.
Um so höhere Anerkennung schuldet das Deutschtum jenen Wackeren,
die freudigen Herzens ihr reiches Wissen den Landsleuten mitteilten und sie
dadurch für den Kampf ums Dasein befähigten. Es gab unter diesen Männern
wahrhaft leuchtende Beispiele. Daß der edle Pastorius in Germantown eine
Schule einrichtete und an derselben zwanzig Jahre lang eine Abendklasse leitete,
wurde bereits in einem früheren Abschnitt erwähnt. Er verfaßte auch das erste,
in Pennsylvanien gedruckte Schulbuch. In ähnlicher Weise machten sich die
frommen Schwärmer Kelpius und Miller verdient. Johann Thomas
Schley, derselbe, welcher in Frederick, Maryland, im Jahre 1745 das erste
Haus erbaute, wird von Schlatter, dem Gründer der Reformierten Kirche in
Amerika, als der beste Lehrer bezeichnet, den er in der Neuen Welt gefunden
habe. Er scheue weder Mühe noch Arbeit, um die Jugend zu belehren und die
Älteren in ihrem Wissen zu bereichern.
Auch die beiden Pastoren Mühlenberg und Schlatter, welche das Päda-
gogische Institut der Brüder Franke in Halle durchlaufen hatten, wirkten durch
ihre gründlichen Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugenderziehung äußerst
anregend. Weiter verdienen die Lehrer Weiß, Brehm und Stiefel rühm-
lich erwähnt zu werden. Keiner aber mehr als Christoph Dock, „der
fromme Schulmeister vom Skippack", dessen Andenken man noch heute in Penn-
sylvanien feiert.
Derselbe eröffnete im Jahre 1718 an dem genannten Bach eine Schule,
die er lange Jahre leitete, ohne regelmäßige Bezahlung zu empfangen. Im
Jahre 1738 gründete er eine zweite Schule in Salford und teilte nun seine Tätig-
keit so ein, daß er in jeder Schule wöchentlich drei Tage lang unterrichtete.
53 Jahre lang blieb Dock in seinem erzieherischen Beruf tätig. Seine Lehr-
methode war so vorzüglich, daß beide Schulen weithin berühmt wurden. Er
veranlaßte auch die Zöglinge der einen Schule, denjenigen der andern regel-
mäßige Berichte über ihre Tätigkeit und die gemachten Fortschritte zu senden,
die er dann persönlich beförderte. Der ganze Unterricht war systematisch ge-
regelt und darauf berechnet, den Ehrgeiz der Schüler zu wecken. Auf ihr Be-
tragen wirkte er durch den Erlaß von „hundert nützlichen Regeln". Sie wurden
— 151 —
im Jahre 1764 gedruckt und enthalten Anweisungen für das Verhalten der
Kinder beim Aufstehen, bei den Mahlzeiten, in der Schule, auf der Straße, in
der Kirche, beim Zubettegehen und vielen anderen Gelegenheiten. Sie sind so
mustergültig, daß sie noch heute einen Platz in jedem Schulzimmer verdienen.
Wiederholt wurde Dock, dieser deutsch-amerikanische Pestalozzi, auf-
gefordert, seine mit so großem Erfolg angewendeten Erziehungs- und Lehr-
methoden in Buchform herauszugeben. Aber er entschloß sich nur schwer
dazu, weil seine Bescheidenheit ihm verbot, ein Werk zu seinem eigenen Lob
zu schreiben. Erst nach langem Zureden seiner Vorgesetzten schritt er im
Jahre 1754 an die Abfassung seiner „Schulordnung", welche im Jahre 1770
in dem von Christoph Säur herausgegebenen „Geistlichen Magazin" abgedruckt
wurde und das erste in Amerika verfaßte Werk über Pädagogik darstellt.
Für die Schul- und Kirchen Verhältnisse der Deutschen in Pennsylvanien
ist auch folgende Erklärung bezeichnend, die in einem 1755 dort veröffent-
lichten Pamphlet enthalten ist:
„The Germans have schools and meeting-houses in almost every township
thro' the province, and have more churches and other places of worship in the
city of Philadelphia itself than those of all other persuasions added together."
Zieht man auf Grund obiger Darstellungen einen Schluß über den Kultur-
stand der in den englischen Kolonien lebenden Deutschen, so wird man den-
selben die Anerkennung nicht versagen können, daß sie fleißig, unermüdlich
vorwärtsstrebten und auf ihre geistige Fortbildung bedacht waren. Sie bil-
deten ein Bevölkerungselement, welches das von allen Gutmeinenden rückhalt-
los gespendete Lob vollauf verdiente.
^N^^^K«.v
Schluß Vignette: Die letzte Zuflucht.
Der Franzosenkrieg.
Eine seltsame Laune des Geschicks fügte es, daß viele Deutsche, welche
in der Heimat unter der Brutalität der Franzosen gelitten hatten und infolge-
dessen ausgewandert waren, sich in der Neuen Welt den gleichen Feinden aber-
mals gegenübersahen.
Bei der Aufteilung Amerikas hatten die Franzosen sich am St. Lorenz-
strom festgesetzt und von dort aus nicht bloß Canada, sondern auch die süd-
lich von den fünf großen Seen gelegenen Länder am Ohio und Mississippi er-
forscht. Diese bis zum Golf von Mexiko reichende Ländermasse erhielt zu
Ehren des Königs Louis XIV. den Namen Louisiana. Eine vom St. Lorenz-
strom bis zur Mündung des Mississippi reichende Kette von 60 Forts sollte
dieses gewaltige Kolonialreich gegen die Engländer sichern.
Die Kolonien der letzteren beschränkten sich auf den schmalen, vom fran-
zösischen Arkadien bis zum spanischen Florida reichenden Küsten streifen. Nach
dem Innern hin verliefen die Grenzen unbestimmt und waren durch kein Über-
einkommen mit den Franzosen festgelegt. Da die Engländer langsam gen
Westen, die Franzosen hingegen durch das Ohiotal gen Osten vorrückten, so
war ein Zusammenstoß der beiden um die Vorherrschaft in Amerika rivali-
sierenden Mächte auf die Dauer unvermeidlich.
Schon ehe dieser Grenzkrieg ausgefochten wurde, kam es infolge der in
Europa zwischen den Engländern und Franzosen geführten Feldzüge auch in
Kopfleiste: Indianische Kundschafter beschleichen unter Wolfsmasken ein Lager
von Ansiedlern. Nach einer Originalzeichnung von Rudolf Gronau.
— 153 —
der Neuen Welt zu blutigen Kriegen. Dieselben nahmen einen wahrhaft grau-
samen Charakter an, als beide Gegner die ihrem Einfluß zugängigen Indianer-
stämme zur Teilnahme an dem Kampf aufreizten. Auf Seite der Franzosen
fochten die Huronen, Ottowas, Aliamis, Illinois und Schaunies. Die Engländer
bemühten sich, den aus den Mohawks, Oneidas, Onondagas, Cayugas, Senecas
und Tuscaroras bestehenden Irokesenbund, ferner die Delawaren, Cherokesen
und Chikasaws auf ihre Seite zu bringen.
Alle diese Wilden feierten nicht bloß in dem Blut ihrer rothäutigen Gegner,
sondern auch der weißen Ansiedler wahre Orgien und schleppten tausende
von Kopfhäuten als schauerliche Trophäen hinweg, um damit ihre Waffen, Ge-
wänder und Wigwams zu schmücken.
Insgesamt wurden vier Kriege zwischen den Franzosen und Engländern
auf dem Boden der Neuen Welt ausgefochten. Der erste erstreckte sich über
die Jahre 1689 bis 1697. Durch die von Jakob Leisler vorgeschlagenen ge-
meinsamen Angriffe der englischen Kolonien auf Canada war er bemerkenswert.
Der zweite Krieg währte von 1702 bis 1713. Deutsche Ansiedler wurden
durch denselben nicht betroffen.
Der dritte Krieg erstreckte sich über die Jahre 1744 bis 1748. Das wich-
tigste Ereignis bildete die Eroberung der bei Kap Breton angelegten französi-
schen Festung Louisburg. Bewohner der deutschen Ansiedlung Waldoburg
nahmen daran Anteil. Im weiteren Verlauf des Feldzugs wurden die zurück-
gebliebenen Bewohner Waldoburgs am 21. Mai 1746 von canadischen Indianern
überfallen und teils niedergemacht, teils in die Gefangenschaft geschleppt.
Kaum sechs Jahre nach dem Friedensschluß entbrannte der große Ent-
scheidungskampf um die Herrschaft in Nordamerika. Von 1754 bis 1763
während, brachte er sowohl über die am Mohawk und Schoharie wohnenden
Plälzer wie auch über die am Fuß der Alleghanygebirge lebenden Ansiedler
schreckliche Heimsuchungen.
Die erbittertsten Kämpfe spielten sich in dem das Hauptstreitobjekt bil-
denden Quellgebiet des Ohio ab. Die Franzosen basierten ihre Ansprüche auf
dasselbe darauf, daß sie den Ohio entdeckt hätten, demgemäß das ganze Ge-
biet bis zu den die Wasserscheide bildenden Alleghanys zu ihrer Interessen-
sphäre gehöre. Die Engländer weigerten sich, diese Ansprüche anzuerkennen,
weil manche aus den englischen Kolonien stammende Bewohner jene Gebiete
zuerst besiedelt hätten, und weil diese außerdem Besitztum des den Engländern
verbündeten Irokesenbundes seien.
In der Tat waren verschiedene verwegene Pelzhändler vom Mohawk
und von Pennsylvanien aus in das Ohiogebiet vorgedrungen und hatten dort
Handelsstationen errichtet. Unter diesen Pionieren, die als erste verwegen
über die Alleghanys hinwegstiegen und den Blick über jene ungeheure Wildnis
hinwegschweifen ließen, durch welche die Flüsse in westwärts gerichtetem Lauf
dem sagenhaften Mississippi zueilten, befanden sich zahlreiche Deutsche.
— 154 —
Bereits vor dem Jahre 1728 errichtete der Deutsch-Pole Anton So-
d o w s k y am Südwesten de des Eriesees einen Handelsposten, an dessen Stelle
heute die Stadt Sandusky steht. Thomas Mehrlin und Johann Sal-
ling waren die ersten, die im Jahre 1740 in einem aus Büffelhäuten ange-
fertigten Kanu den Ohio hinabfuhren. Sie wurden in der unbekannten Wildnis
von Cherokesen überfallen. Mehrlin entkam; Salling aber ward als Gefangener
in die Dörfer des Stammes am oberen Tennessee gebracht und in den Stamm
aufgenommen. Drei Jahre lebte er, gleich einem Indianer bemalt und mit
Ringen durch Nase und Olirea, mit den Söhnen der Wildnis. Später geriet
er während eines Gefechtes mit den Illinoisindianern in die Gewalt der letzteren
und kam so nach dem Dorf Kaskaskia, wo eine alte Indianerin ihn als Sohn
adoptierte. Mit seinen neuen Stammesgenossen vollführte Salling Streifzüge
durch die westlichen Prärien bis zum Meerbusen von Mexiko, wo seine Adoptiv-
mutter ihn an eine spanische Handelskarawane verkaufte. Als Dolmetscher
kam er mit dieser nach Canada, von wo er später nach seinem frühern Wohnort
Williamsburg in Virginien zurückkehrte.
Ein anderer deutscher Pionier war der aus Pennsylvanien stammende
Peter D i e t e. Zusammen mit Jakob D i m m e w trieb er an den Ufern
des oberen Ohio Pelzhandel. Beide wurden aber von dem französischen Dol-
metscher Chartier mit 400 Schaunies überfallen und ihrer Boote wie der darin
befindlichen Ladung beraubt. Man verbot darauf den beiden Abenteurern unter
Androhung sofortigen Todes, je wieder den Fluß zu befahren.
Dort, wo heute die Stadt Toledo steht, baute im Jahre 1739 Martin
Hertel ein Blockhaus. Andere Deutsch-Pennsylvanier errichteten unter den
Piankeschaws, einem Zweig der Miamis, im heutigen Shelby County in Ohio
den befestigten Handelsposlen Pickawilleny.
Um die Besiedelung des Ohiogebietes zu fördern und den dortigen Pelz-
handel an sich zu ziehen, rief die englische Regierung die aus virginischen und
Londoner Kaufleuten gebildete „Ohio Gesellschaft" ins Leben. Dieselbe er-
hielt im Jahre 1748 nicht nur das Anrecht auf ein 500 000 Acker großes Gebiet
am Monongahela, dem südlichen Quellarm des Ohio, sondern auch das Mo-
nopol des Tauschhandels mit den am Ohio seßhaften Indianerstämmen. Die
Gesellschaft übernahm dagegen die Verpflichtung, auf dem ihr zugewiesenen
Landgebiet binnen sieben Jahren mindestens hundert Familien anzusiedeln und zu
deren Schutz auf eigene Kosten ein Fort zu bauen.
Bevor damit begonnen werden konnte, galt es, das nur wenigen ver-
wegenen Pelzhändlern bekannte Quellgcbiet des Ohio genauer zu erforschen.
Mit dieser gefährlichen Aufgabe betraute man einen kühnen Hinterwäldler deut-
scher Abstammung, den am Yadkin wohnenden Trapper Christoph Gist
oder Geist. Er erhielt die Weisung, zunächst einen über die Alleghany-
gebirge führenden Paß zu erm.itteln, dann die Stärke der am. Ohio wohnenden
Indianerstämme auszukundschaften, und drittens eine Karte der von ihm durch-
wanderten Länder anzufertigen.
155
Gist trat seine beschwerliche Wanderung im Oktober 1750 an, überstieg
zunächst die Blue Ridge, durchquerte dann das Tal des Shenandoah, durch-
watete die Schneewehen der Alleghanygebirge und drang endlich bis zum Ohio
vor. Die franzosenfreundlichen Ottawaindianer respektierten ihn zwar als Ab-
gesandten des Königs von England, ließen ihm sonst aber eine kühle Aufnahme
zuteil werden.
Gist wandte sich
darauf zu den am Mu-
skingum wohnenden
Wyandots. Hier traf
er zu seiner Überra-
schung einen Pennsyl-
vanier, George Grog-
han, der mit der Ab-
sicht gekommen war,
die Rothäute für eine
von den Pennsylvaniern
geplante Niederlassung
freundlich zu stimmen.
Gemeinschaftlich be-
suchten die beiden
Abenteurer ferner die
am Scioto hausenden
Delawaren, die auf bei-
den Ufern des Ohio
sitzenden Schawnes
oder Schaunies sowie
die nördlich davon
wohnenden Miamis. Es
gelang Gist, die mei-
sten dieser Indianer-
stämme zu bewegen,
Abgesandte zu einer
großen Beratung zu
schicken, die mit Ver-
tretern der Kolonie Vir-
ginien und der Ohio-
Gesellschaft in Logstown, einer heute nicht mehr nachweisbaren Pelzhandels-
station, statthaben solle. Der Hauptzweck dieser Zusammenkunft sollte in der
Anerkennung der Besitztitel der Ohio-Gesellschaft seitens der Indianer bestehen.
Die Beratung fand im Juni des Jahres 1752 an der vereinbarten Stelle
statt. Gist vertrat dabei die Ohio-Gesellschaft; Oberst Frey sowie zwei andere
Bevollmächtigte vertraten die Kolonie Virginien. Aber die um ihre Zukunrt
Ein Indianer mit den Zeichen seiner Kriegstaten geschmückt.
— 156 —
besorgten Rothäute wollten sich zur Anerkennung irgendwelcher Ansprüche
oder Besitztitel, gleichviel ob englische oder französische, nicht verstehen.
„Die Engländer beanspruchen alles Land auf dieser, die Franzosen alles
Land auf jener Seite des Ohio. Wo bleiben wir Indianer?" Mit dieser Frage
lehnten sie jede weitere Erörterung der Angelegenheit ab und setzten allen von
den Weißen vorgebrachten Überzeugungsgründen hartnäckiges Schweigen
entgegen.
Die ablehnende Flaltung der Rothäute schreckte die Leiter der Ohio-Ge-
sellschaft aber nicht von weiteren Bemühungen zur Befestigung ihrer Ansprüche
ab. Sie sandte sogar Feldmesser aus, welche die geplante Niederlassung am
Ohio vorbereiten und mit dem Bau eines Forts beginnen sollten. Als geeignetste
Stelle erkor man eine durch den Zusammenfluß des AUeghany und Monongahela
gebildete Landzunge. Dorthin schaffte man Kriegsmaterial und Waren für
den Tauschhandel mit den Indianern.
Aber die Franzosen erhielten durch ihre indianischen Verbündeten von
diesen Vorbereitungen Wind und erschienen am 11. April 1754 1000 Mann
stark mit zahlreichen Geschützen auf einer aus 60 Schiffen und 300 Kanus be-
stehenden Flotte. Dieser bedeutenden Macht räumte der mit der Verteidigung
des Platzes betraute Fähnrich Ward das Feld, worauf die Franzosen sofort mit
dem Bau des starken Forts Duquesne begannen.
Noch war kein Blut geflossen, aber die Entscheidung ließ nicht lange auf
sich warten. Als Befehlshaber einer Anzahl virginischer Provinzialtruppen be-
fand sich der junge Offizier George Washington in der Nähe des heutigen
Cumberland. Als er erfuhr, daß ein französisches Streifkorps in der Gegend
sei, rückte er demselben mit seinen Leuten entgegen und ließ beim Ansichtig-
werden der Feinde sofort das Feuer eröffnen. Damit war der Anlaß zum
offenen Krieg gegeben, zu einem Krieg, der die ganze Welt in Flammen setzte
und Europa eine Million Menschen kostete.
Der rasch entworfene Feldzugsplan der Engländer sah, soweit er den
Krieg in Nordamerika betraf, die Entsendung von vier getrennt marschierenden
Expeditionen vor, von denen die erste unter General Edward Braddock das
Fort Duquesne nehmen sollte. Die zweite Expedition unter General Shirley
erhielt Befehl, das am Ausfluß des Niagara in den Ontariosee gelegene Fort
Niagara zu erobern und in Canada einzufallen. Die dritte unter William John-
son sollte sich der französischen Befestigung Crown Point am Champlainsee
bemächtigen; während die vierte die Aufgabe hatte, die Franzosen aus Neu-
Schottland zu vertreiben.
Von diesen Unternehmungen beansprucht der Zug des Generals Braddock
insofern unser Interesse, als sein Fehlschlagen für die deutschen Grenz-
bewohner in West-Virginien und Pennsylvanien äußerst verhängnisvoll wurde,
Braddock brach mit 2000 Mann im Frühling 1755 nach den Alleghanys
auf, geriet aber am 9. Juli am Monongahela in einen Hinterhalt und erlitt eine
— 157 —
furchtbare Niederlage. Die Hälfte seiner Truppen nebst 63 Offizieren wurden
getötet oder verwundet. Nur der umsichtigen Leitung George Washingtons,
welcher sich mit seinen Milizsoldaten der Expedition als Freiwilliger ange-
schlossen hatte und den Rückzug decivte, war es zu danlcen, daß Braddocks
Armee nicht gänzlich aufgerieben wurde.
Infolge dieser Katastrophe waren die zerstreut wohnenden Ansiedler in
West-Virgin ien und Pennsylvanien den Angriffen der Franzosen und ihrer in-
dianischen Verbündeten schutzlos preisgegeben.
Eine wahrheitsgetreue Schilderung der nun hereinbrechenden Schreckens-
zeit ist nie geschrieben worden, da die einzelnen Episoden derselben sich fern
von Augenzeugen inmitten der Wildnis zutrugen. Deshalb widmen ihr auch
die meisten Geschichtswerke nur wenige Zeilen, welche sagen, daß jene
Regionen mehrere Jahre hindurch von Rothäuten und Weißen aufs furchtbarste
verwüstet wurden. Wie viele tausend Hütten dabei in Flammen aufgingen, wie
viele Ansiedler abgeschlachtet, skalpiert oder am Marterpfahl verbrannt, wie
viele Frauen geschändet, erwürgt oder in eine an scheußlichen Entehrungen
reiche Gefangenschaft geschleppt wurden, wird verschwiegen. Nur da und
dort stoßen wir in halbvergessenen Lokalchroniken auf die Schilderungen ein-
zelner Begebnisse, welche die Greuel jener Schreckenszeit mit unheimlicher
Schärfe vor Augen rücken. Wir greifen einige heraus, welche deutsche An-
siedler betrafen.
Eine halbe Meile von dem durch Herrnhuter gegründeten christlichen In-
dianerdorf Gnadenhütten entfernt lag der aus mehreren Häusern bestehende
Weiler Mahoming. Die hier wohnenden herrnhutischen Familien wurden an
einem schaurigen Novemberabend von Indianern überfallen. Drei Personen
gelang es, zu entkommen. Alle anderen, neun Männer, drei Frauen und ein
Kind, fielen unter den Beilen der Rothäute, oder kamen in den Flammen der in
Brand gesetzten Häuser um.
Im Lehigh County wurden sämtliche Angehörigen des Ansiedlers Jakob
Gerhardt abgeschlachtet. Zwei Kinder, die angsterfüllt unter ein Bett ge-
krochen waren, verbrannten, als die Indianer das Haus anzündeten.
Im Berks County bewohnte der Ansiedler Friedrich Reichels-
dorf er ein einsam gelegenes Gut. Im Bewußtsein der bedrohten Lage des-
selben brachte er seine Angehörigen nach der Ortschaft Neu-Hannover, kehrte
aber von Zeit zu Zeit zu seinem Gehöft zurück, um nach dem zurückgelassenen
Vieh und der Ernte zu sehen. Bei einem dieser Gänge war Reichelsdorfer von
seinen beiden erwachsenen Töchtern begleitet, welche helfen wollten, den
Weizen zu dreschen. Nach getaner Arbeit wurden in später Abendstunde die
beiden Mädchen von bangen Ahnungen befallen und vereinigten sich mit ihrem
Vater zu einem gemeinsamen Gebet, wobei sie den Choral sangen : „Wer weiß,
wie nahe mir mein Ende.'' Als am folgenden Morgen Reichelsdorfer mit dem
Einfangen der Pferde beschäftigt war, brachen plötzlich unter gellendem Ge-
heul einige scheußlich bemalte Indianer auf ihn herein. Von jähem Schrecken
158
befallen, ergriff er die Flucht und rannte den nächsten Wohnplätzen zu, um
bei zwei dort wohnenden deutschen Familien Schutz zu suchen. Als er aber
in die Nähe der Hütten kam, hörte er das entsetzliche Angstgeschrei ihrer Be-
wohner und sah, wie zahlreiche Indianer eben dabei waren, die Familien ab-
zuschlachten. Erst jetzt fielen ihm die eigenen Töchter ein, und er lief in Eile
zu seiner Wohnung zurück. Schon vom Walde aus sah er, daß Haus, Scheunen
und Ställe licherloh in Flammen standen, die über die höchsten Bäume empor-
züngelten. Durch das Knattern der Glut hörte er das erbärmliche Gebrüll des
verbrennenden Viehs, das scheußliche Geheul der Wilden und das Wehgeschrei
Die Abschlachtung einer Ansiedlerfamilie durch Indianer.
seiner Töchter. Von Entsetzen erfüllt, floh Reichelsdorfer nach Neu-Hannover.
Von dort brach sofort eine Anzahl beherzter Männer zu dem Schauplatz der
Tragödie auf. Aber als sie dort anlangten, waren die Indianer verschwunden.
Das ganze Besitztum lag in Asche. Von der ältesten Tochter fand man nur
wenige halbverkohlte Überreste; die jüngere, obwohl schrecklich verstümmelt
und skalpiert, lebte noch. Mit ersterbender Stimme bat sie ihren Vater, sich
zu ihr zu neigen, damit sie ihm den letzten Abschiedskuß geben könne. Wenige
Minuten später verschied sie in seinen Armen.
Ähnliche Greuelszenen, von denen jede Kunde fehlt, ereigneten sich auf
zahlreichen anderen Gehöften. Nachgewiesenermaßen wurden am Ostabhang
der Blauen Berge über 300 Pfälzer von den Indianern ermordet. Sogar an
— 159 —
größere Ortschaften wagten sich die Rothäute.') So fielen sie im November
1755 die Ansiedlungen der Pfälzer am Tulpehocken an, töteten 15 Personen
und brannten mehrere Häuser nieder.
In Tulpehocken sah es damals, wie noch erhaltene Briefe melden, ent-
setzlich aus. Der Ort war mit Flüchtlingen überfüllt. In manchen Häusern
drängten sich 50 bis 70 Menschen zusammen. Frauen beweinten den Tod
ihrer Männer, Männer ihre Weiber, Fltern die Kinder und den Verlust ihrer
ganzen Habe. Ringsum im Lande stiegen Rauchsäulen auf, welche den Unter-
gang blühender Heimstätten verkündeten.
Noch schwerer als die Deutschen in Pennsylvanien und Virginien litten
die Pfälzerkolonien im New Yorker Mohawktale. Während der ersten beiden
Kriegsjahre waren sie von den Greueln derselben verschont geblieben, da das
am Südufer des Ontariosees liegende Fort Oswego gegen den Einbruch der
Franzosen Schutz gewährte. Nichtsdestoweniger hatten die Pfälzer einen Zu-
fluchtsort für den Fall der Not angelegt, indem sie das aus Steinen erbaute
Wohnhaus des Johann Jost Herchheimer mit hohen, an den Ecken
durch Bastionen verstärkten PaHsaden umgaben. Außerhalb dieser Befesti-
gung befand sich ein tiefer Wassergraben. Hinter den Palisaden erhob sich
ein Erdwall, der es den Verteidigern ermöglichte, über die Umzäunung hinweg-
zublicken und auf die Angreifer zu feuern. Wie nötig diese Vorsichtsmaß-
regeln waren, zeigte sich, nachdem Fort Oswego den Franzosen in die Hände
gefallen war.
Am 11. November 1757 gelang es dem französischen Kapitän Belletre,
mit 300 Soldaten und Indianern durch die dicken Urwälder unbemerkt in die
Nähe der auf dem Nordufer des Mohawk gelegenen Pfälzerniederlassungen zu
schleichen. In der folgenden Nacht, drei Uhr morgens, brach er mit seiner
Horde über die im tiefsten Schlaf liegenden Ansiedler herein und metzelte alle
nieder, die nicht schnell genug die Flucht ergreifen konnten. Vom Feuerschein
') An diese Tatsache knüpft Rev. F. J. E. Schantz im 10. Band der Proceedings der
Pennsylv. German Society folgende Bemerkung; „Es war die traditionelle Politik der Re-
gierung, die Deutschen an die Grenzen zu schicken, an die Stellen der Gefahr. Laßt
der Wahrheit ihr Recht, so wie die Geschichtschreibung von heute sie berichtet. Die früheren
Geschichtschreiber rühmten, das Verfahren der Quäker den Indianern gegenüber sei so mild
und edel gewesen, daß infolgedessen nie ein Tropfen Quäkerbluts von Indianern vergossen
worden sei. Soll ich sagen warum? Weil der Gürtel der Quäkerniederlassungen in einem
Halbkreis von 50 Meilen von Philadelphia lag. Jenseits dieses Halbkreises lagen die Nieder-
lassungen der wackeren Deutschen, der Reformierten, Lutheraner, Tucker, Mennoniten und
Herrnhuter, welche es nachdrücklich verhinderten, daß die Wilden Quäkerblut vergießen
konnten. Anstatt dessen färbten sich die indianischen Kriegsbeile und Skalpiermesser mit dem
Blut der Pfälzer. Laß die geopferten Leben von mehr als 300 Männern, Frauen und Kindern
aus dem Rheinland, welche während der Jahre 1754 und 1763 in den blauen Bergen ab-
geschlachtet wurden, die wahre Antwort auf die Prahlerei der Quäker geben. Vor 1750
gab es in Ost-Pennsylvanien viele Niederlassungen, in denen keine andere als die deutsche
Sprache gehört wurde."
— 160 —
der brennenden Hütten und Ställe färbte sich der Himmel bliitigrot. Von den
flackernden Flammen grell beleuchtet, sah man allerorten kämpfende Männer,
verzweifelte Frauen und Kinder, die von unbarmherzigen Feinden nieder-
geschlagen und skalpiert wurden. Viele wurden von dem in panischem
Schrecken flüchtenden Vieh umgerannt und zertreten. Andere ertranken im
Fluß, als sie sich auf das jenseitige Ufer retten wollten. 40 Personen wurden
ermordet, 120 als Gefangene nach Canada geschleppt. Nur diejenigen ent-
rannen dem Verderben, denen es gelang, das Fort Herchheimer zu erreichen.
Dieses anzugreifen, wagten die Feinde nicht, da sie glaubten, es habe eine starke
Besatzung.
Dem noch erhaltenen von Prahlsucht strotzenden Bericht des französi-
schen Kapitäns zufolge hätte seine Truppe 1500 Pferde, 3000 Rinder und ebenso-
viele Schafe, an barem Geld und Wertgegenständen außerdem anderthalb Mil-
lionen Pfund Sterling erbeutet! Einer englischen Berechnung zufolge bewertete
sich der Verlust immerhin auf über 50 000 Dollar.
Am 30. April des folgenden Jahres wiederholte Belletre seinen Raubzug,
überfiel diesmal aber die auf der Südseite des Mohawk gelegenen Wohnstätten,
wobei wiederum 33 deutsche Ansiedler ihren Tod fanden. Als jetzt die Feinde
auch das Fort angriffen, wurden sie von der Besatzung desselben mit einem
Verlust von zahlreichen Verwundeten und 15 Toten zurückgeschlagen. In
diesem Kampf leitete der älteste Sohn Herchheimers, Nikolas, der spätere Held
von Oriskany, die Verteidigung.
Während dieser furchtbaren Kriegsstürme waren die Ansiedler fast durch-
weg auf Selbsthilfe angewiesen. Die Kolonialbehörden, besonders in dem ganz
von Quäkern beherrschten Pennsylvanien, zeigten sich in ihren Bemühungen,
den Bedrängten Beistand zu leisten, so saumselig, daß es energischer Beschwer-
den, ja förmlicher Demonstrationen bedurfte, um sie an die Erfüllung ihrer
Pflicht zu erinnern. Über eine solche Demonstration berichtet die „Phila-
delphische Zeitung" vom November 1755: „Am Dienstag, den 25., sind un-
gefähr 600 meistenteils Deutsche aus dem Lande in die Stadt friedlich und in
geziemender Ordnung gekommen, zu vernehmen, ob sie, ihre Weiber, Kinder,
Plantagen und Religion länger in Gefahr der unbarmherzigen und blutdürstigen
Wilden bleiben sollen oder Schutz vom Gouverneur erwarten können.**
Um ihre Beschwerde so eindrucksvoll als möglich zu machen, brachten
die Ansiedler mehrere schrecklich verstümmelte und skalpierte Leichen mit, und
stellten dieselben als Opfer der langsamen, kriegerischen Maßnahmen abge-
neigten Quäkerpolitik vor den Türen des Assemblyhauses zur Schau. Der
Gouverneur erklärte sich darauf zwar bereit, alles in seiner Macht Stehende zum
Schutz der Ansiedler zu tun, aber es verstrichen doch wieder Monate voller
Schrecken, ehe energische Maßregeln zur Abwehr der Feinde getroffen wurden.
Erst im Frühling des Jahres 1756 bot man bewaffnete Mannschaften zum
Schutz der bedrohten Ansiedler auf. Daß sich unter diesen Milizen viele
Deutsche befanden, ergibt sich aus folgender Notiz der „Philadelphischen Zei-
— 161 —
tung" vom 6. März 1756: „Wir haben das Vergnügen gehabt, zu sehen, daß
unsere teutschen Leute einen ansehnlichen Teil dieser Mannschaft ausgemacht
haben."
Die militärische Tüchtigkeit der deutschen Grenzbewohner war auch der
Regierung in England nicht entgangen. Denn sobald ihr die Niederlage
Braddoclfs bekannt geworden, erließ sie einen Befehl, aus deutschen und
schweizerischen Ansiedlern in Pennsylvanien und Maryland ein besonderes
Regiment zu bilden, „da diese kräftigen, ausdauernden und an das Klima ge-
wöhnten Leute für den Kampf gegen die Franzosen besonders geeignet seien".
Beim Zusammenstellen des Regiments ergab sich eine Schwierigkeit: die
eingemusterten Leute verstanden kein Englisch ! Man sah sich deshalb genötigt,
dem Regiment, welches den stolzen Namen „ T he Royal American s"
erhielt. Deutsch sprechende Offiziere zu geben. Mit dem Oberbefehl betraute
man den in Bern geborenen Heinrich Bouquet, der in verschiedenen
europäischen Heeren gedient und sich große Erfahrungen angeeignet hatte.
Die „Royal Americans" beteiligten sich zunächst an der Expedition des
Generals Joseph Forbes zur Eroberung des Forts Duquesne. Beim Zug über
die unwegsamen Gebirge bildeten sie die Vorhut und errangen den ersten Er-
folg, indem sie bei Loyal Hanna die Franzosen nach vierstündigem Gefecht
mit schweren Verlusten zurückwarfen.
Mehr noch als diese Schlappe trug ein anderes Ereignis zur Entmutigung
der Franzosen bei. Dem Herrnhuter Missionar Christian Friedrich
Post, der seit Jahren unter den Indianern am oberen Ohio wirkte, gelang es
in kritischer Stunde, durch seine glühende Beredsamkeit die in der Umgebung
des Forts Duquesne lagernden Rothäute der französischen Sache abwendig zu
machen und zur Neutralität zu bestimmen. Das war für die nun ihrer Bundes-
genossen beraubten Franzosen ein so schwerer Schlag, daß sie den Anmarsch
der feindlichen Hauptarmee nicht abwarteten. Sie sprengten am 24. November
sämtliche Befestigungen des Forts Duquesne in die Luft und flüchteten auf
ihren Booten den Ohio hinab. Bereits am folgenden Morgen zogen die Ameri-
kaner in die zerstörte Festung ein. Nachdem sie wieder aufgebaut war, wurde sie
zu Ehren des damaligen englischen Staatsmannes Pitt mit dessen Namen belegt.
Von den späteren Episoden des Franzosenkrieges blieben die deutschen
Niederlassungen in Nordamerika glücklicherweise verschont. Dagegen er-
warben sich die „Royal Americans" noch manche Lorbeeren. Ihre Bataillone
beteiligten sich an den Expeditionen gegen die am Champlainsee gelegene
Festung Crown Point und die bei Kap Breton gelegene Festung Louisburg.
Sie waren ferner bei der Einnahme des Forts Niagara; desgleichen in der ruhm-
reichen Schlacht bei Quebec, wo das Regiment sich sein stolzes Motto „celer
et audax" erwarb.
Noch hatten die Kämpfe mit den Franzosen auf dem Boden der Neuen
Welt nicht ihren Abschluß gefunden, als jenseits der Alleghanygebirge neue
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 11
— 162 —
Gewitter heraufzogen. Die an den Grenzen von Karolina und Virginien leben-
den Cherokesen erhoben mitsamt den ihnen verbündeten Stämmen von
Tennessee, Alabama und Georgia im Frühjahr 1760 die Waffen und verheerten
diejenigen Gebiete, welche von den Gräueln des Franzosenkrieges bisher ver-
schont geblieben waren. Da gab's auch für die „Royal Americans" frische
Arbeit. Im Verein mit 700 Karolina-Rangers brachen sie in die Jagdgründe
der Cherokesen ein und bekämpften die Rothäute trotz hartnäckigster Gegen-
wehr so erfolgreich, daß sie bereits im Juni 1761 um Frieden baten.
Kaum hatte sich dieser Sturm gelegt, als im Nordwesten ein noch gefähr-
licheres Unwetter losbrach, ein Indianerkrieg, der unter dem Namen „Die
Verschwörung Pontiacs" in die Geschichte übergegangen ist.
Noch ehe Frankreich im Frieden zu Paris (10. Februar 1763) seine ge-
samten, östlich vom Mississippi gelegenen Besitzungen an England abtrat,
M'aren Scharen deutscher, englischer, schottischer und irischer Ansiedler in das
Quellgebiet des Ohio eingeströmt. Gleichzeitig besetzten englische Truppen
die von den Franzosen geräumten Befestigungen.
Wie dies bei der Eröffnung jedes neuen Landes zu geschehen pflegt, so
brachte der plötzliche Wechsel aller Verhältnisse auch hier Mißstände der ver-
schiedensten Art mit sich. Sie wurden von den Urbewohnern am schlimmsten
empfunden.
Die Franzosen hatten es vortrefflich verstanden, die Indianer anzuziehen.
Beim Tauschhandel ließen sie ihnen, um ihr Vertrauen zu erhalten, volle Ge-
rechtigkeit widerfahren. Im persönlichen Verkehr behandelten sie dieselben
als ebenbürtig und trugen keinerlei Bedenken, sich mit ihnen zu ver-
mischen.
Die nun ins Land einrückenden Engländer brachten hingegen die ganze
Rücksichtslosigkeit und Selbstsucht der anglikanischen Rasse mit. Ohne die
Rechte der Urbewohner zu beachten, bemächtigten sie sich der schönsten und
wertvollsten Grundstücke, schössen das Wild zusammen und brannten die
Wälder nieder, wo diese hindernd im Wege standen. Im Tauschhandel wurden
die Rothäute von gev/issen losen, nur auf schnellen Gewinn bedachten eng-
lischen Händlern aufs fürchterlichste betrogen. Die britischen Offiziere be-
gegneten den Häuptlingen mit hochfahrender Geringschätzung und spielten
sich ihnen gegenüber als die Herren auf.
Dadurch steigerte sich die den Indianern durch die Franzosen eingeimpfte
Abneigung gegen die Engländer zu grimmigen Haß. Sämtliche südlich von
den großen Seen wohnenden, ihre Existenz bedroht sehenden Stämme schlössen
Schutz- und Trutzbündnisse miteinander. An die Spitze der Bewegung trat
Pontiac, der oberste Häuptling der Ottawas, ein Mann von hohem Mut,
scharfem Verstand, glänzender Beredsamkeit und großer Entschlossenheit.
Er plante, noch ehe die Engländer sich überall festgesetzt hätten, ihre Macht
mit einem gewaltigen Schlag zu zertrümmern. Zu diesem Zweck forderte er
— 163 —
durch Sendboten sämtliche der Verschwörung beigetretenen Stamme zu einem
gemeinsamen Schlage auf. Alle westlich von den Alleghanygebirgen liegenden
Forts und Ansiedlungen sollten an einem bestimmten Tage überrumpelt, zer-
stört, und ihre Besatzungen und Bewohner ermordet werden. Infolge der
schlauen Vorbereitungen fielen den Rothäuten die Forts Sanduslcy, Le Boeuf,
Venango, St. Joseph, Quatonon, Miami, Presqu'Isle und Michillimacicinac in
die Hände. Diejenigen Weißen, welche nicht während der Überrumplung um-
kamen, wurden ausnahmslos abgeschlachtet.
Fin gleiches Schicksal erlitten 36 Deutsch-Pennsylvanier, welche unter
dem Befehl des Hauptmanns Schlosser den mit Palisaden umgebenen Posten
St. Joseph hielten. Am Morgen des verhängnisvollen Tages erschien eine
mit Pelzen schwerbeladene Bande Pottawatomi-Indianer vor dem Fort. Sie
erhielten Finlaß, da sie vorgaben, Handel treiben zu wollen. Als derselbe in
vollem Gange war, zogen die Indianer plötzlich auf ein verabredetes Zeichen
ihre in den Pelzbündeln verborgenen Flinten und Tomahawks hervor und
metzelten die ganze Besatzung nieder, ehe die Überraschten sich zu ernstem
Widerstand sammeln konnte. Hauptmann Schlosser wurde als Gefangener
in das am Südufer des Michigansees gelegene Dorf der Pottawatomis ge-
schleppt. Durch eine ähnliche List bemächtigten sich die Indianer des von
dem Leutnant Pauly befehligten Forts Sandusky. Pauly war der einzige,
welchem man das Leben ließ. Aber man stellte ihm in Aussicht, daß er im
Lager Pontiacs zum Ergötzen der roten Krieger am Marterpfahl sterben solle.
Tatsächlich wurden die Vorbereitungen für seine Hinrichtung bereits getroffen,
als ein altes Weib, dessen Mann kurz zuvor gestorben, den Gefangenen nach
indianischer Sitte zum Gatten begehrte. In seiner Notlage fügte Pauly sich
dieser Wahl, worauf die jungen Mädchen des Dorfs ihn zunächst in einen
Indianer verwandelten, indem sie sein Haar bis auf ein Büschel in der Mitte
des Schädels ausrauften und diese Skalplocke mit Perlen und Federn schmückten.
Dann warfen sie den Weißen mehrmals in einen Fluß, „um das weiße Blut aus
Seinen Adern wegzuschwemmen'*. Zum Schluß bemalten sie sein Gesicht und
die Glieder mit bunten Farben und führten ihn nun unter dem Jubel aller
Stammesgenossen seiner mit Altersrunzeln bedeckten Gattin zu. Pauly ertrug
geduldig diese Behandlung in der Hoffnung, es möge sich eines Tages eine
Gelegenheit zur Flucht bieten. Tatsächlich glückte es ihm wenige Wochen
später, den Rothäuten zu entrinnen und das Fort Detroit zu erreichen, an dessen
Verteidigung er später lebhaften Anteil nahm.
Die Forts Detroit, Pitt und Niagara waren die einzigen, die dem Ver-
derben entgingen, da ihre Besatzungen glücklicherweise früh genug gewarnt
worden waren. Aber sie mußten monatelange Belagerungen ertragen, während
welcher die Eingeschlossenen schreckliche Entbehrungen litten. Gleichzeitig
mit den eingenommenen Befestigungen gingen Tausende von Ansiedlungen in
Flammen auf. Sämtliche Niederlassungen in Westvirginien und Westpenn-
sylvanien wurden zerstört und über 20 000 Personen zur Flucht nach dem
11*
— 164 —
Osten getrieben. Wie viele Ansiedler in jenen Schreckenstagen umkamen, ist
nie ermittelt worden.
Sowohl bei der Verteidigung der Forts wie bei der Rückeroberung der
verwüsteten Stätten hatten die Deutschen wiederum reichlichen Anteil. Manche
verrichteten dabei wahre Wunder an Tapferkeit. So leistete die nur aus zwölf
„Royal Americans" bestehende Besatzung der Station Bedford wochenlang
den weit überlegenen Feinden erfolgreichen Widerstand. Die ebenso kleine
Heinrich Bouquet.
Besatzung des Forts Le Boeuf schlug sich, als die Blockhütten durch herein-
geschleuderte Feuerbrände in Flammen aufgingen, mannhaft durch und ge-
langte glücklich nach Fort Pitt.
Dieses wurde durch den wackeren Schweizer Heinrich Bouquet entsetzt.
An der Spitze von 500 eben aus Havanna zurückgekehrten „Royal Americans"
befreite er zunächst die in Station Bedford Eingeschlossenen und rückte dann
behutsam gegen das hart belagerte Fort Pitt vor. 25 Meilen von demselben
entfernt, am Bushy Run, kamen die Deutschen am 5. August in Fühlung mit
— 165 —
den Feinden. Dieselben glaubten Bouquet ein ähnliches Schicksal wie seiner
Zeit dem englischen General Braddock bereiten zu können. Aber sie hatten
es diesmal mit Männern zu tun, welchen der Kampf in der Wildnis wohl ver-
traut war. In guter Ordnung zogen die Deutschen sich auf einen Hügel
zurück und bildeten auf dem Gipfel desselben aus Proviantwagen und Mehl-
säcken eine ringförmige Verschanzung, die zu erobern den Wilden trotz aller
Anstrengungen nicht gelingen wollte. Die erbitterten Kämpfe erstreckten sich
über zwei Tage. Am ersten währte das Gefecht sieben Stunden und nahm erst
bei Einbruch der Nacht ein Ende. Obwohl die Weißen sich der größten
Vorsicht befleißigten, zählten sie am Abend bereits 60 Tote und Verwundete.
Alle litten entsetzlich unter brennendem Durst, da die geringen Wasservorräte
bald erschöpft, Quellen auf dem Hügel aber nicht vorhanden waren. Kaum
graute der Morgen, so begann das Gefecht aufs neue. Da der Wassermangel
unerträglich wurde, so entschloß Bouquet sich zu einer verzweifelten Tat. Um
die in den Wäldern verborgenen Indianer aus ihren Verstecken zu locken und
zu einer Masse zusammenzubringen, in der das Gewehrfeuer der Amerikaner
größere Wirkung habe, ließ er zwei Kompagnien seiner Leute einen Ausfall
unternehmen und bald darauf, als ob sie entmutigt seien, eiligst den Rück-
zug nach der Wagenburg antreten. Was Bouquet erhofft hatte, trat ein. Die
Indianer stürmten den Fliehenden in gewaltigen Massen nach, wurden aber
von zwei im Wald versteckten Abteilungen im Verein mit den rasch eine
Flankenbewegung ausführenden Truppen in ein so vernichtendes Kreuzfeuer
genommen, daß der Boden sich im Nu mit Hunderten von Leichen bedeckte und
die Überlebenden von Schrecken erfüllt die Flucht ergriffen.
Nachdem die Amerikaner ihre Verwundeten gesammelt hatten, setzten
sie weiter unangefochten ihren Marsch nach Fort Pitt fort und wurden von
der fast dem Hungertod nahen Besatzung mit lautem Jubel empfangen.
Dem wackeren Bouquet war später noch die glückliche Ausführung einer
andern wichtigen Mission beschieden.
Die englische Regierung hatte die Torheit ihrer bisherigen Indianer-
politik eingesehen und ließ es nun an Bemühungen nicht fehlen, die Rothäute
zu versöhnen. Man versprach, daß fortan alle Landkäufe durch die Regierung
geschehen sollten, damit fernere Betrügereien seitens der Landsspekulanten ver-
hütet würden. Desgleichen hob man das der Ohio-Gesellschaft bewilligte
Monopol des Pelzhandels auf, damit die bisher schrecklich geprellten Wilden
wieder angemessene Preise erzielen könnten. Bouquet erhielt gleichzeitig Auf-
trag, an der Spitze einer starken Truppenabteilung gen Westen vorzurücken,
um Friedensverträge mit den Indianern abzuschließen und die Auslieferung der
in ihren Händen befindlichen weißen Gefangenen zu verlangen.
Die über das Mißlingen ihrer Erhebung enttäuschten Indianer waren
zum Entgegenkommen weit mehr geneigt, als Bouquet erwartet hatte. Bereits
am 12. November 1764 kam mit den Delawaren, Senecas und Schawnes ein
— 166 —
Friede zustande, Vv'obei 206 weiße Gefangene, 81 Männer und 125 Frauen
und Kinder, ausgeliefert wurden.
Bei der späteren Identifizierung der nach der Ansiedlung Carlisle über-
führten Befreiten ereigneten sich wahrhaft erschütternde Szenen. Aus viele
hundert Meilen weiten Entfernungen, aus Pennsylvanien, Virginien und Maryland
kamen Leute herbei, um zu sehen, ob sich unter den Geretteten Angehörige
oder Verwandte befänden, die man seit dem Ausbruch der Franzosen- und
Indianerkriege vermißte. Männer und Frauen, Eltern und Kinder, die einander
längst als Tote beklagt hatten, fanden sich nach jahrelanger Trennung wieder.
Nicht immer war die Identifizierung leicht. Manche Kinder hatten
während der langen Gefangenschaft sowohl ihre Namen wie ihre Muttersprache
vollkommen vergessen. Da war z. B. ein deutsches Mädchen, Regina Hart-
mann, die im Alter von neun Jahren von den Wilden geraubt worden war
und nun als 18 jährige Jungfrau wieder in die Zivilisation zurückkehrte. Ihre
aus Ostpennsylvania gekommene Mutter erkannte die Vermißte und rief sie
bei Namen. Aber diese gab durch kein Zeichen Kunde, daß sie sich ihrer
.Mutter erinnere. Erst als die letztere mit zitternder Stimme die Strophe einer
alten deutschen Kirchenhymne sang:
„Allein und doch nicht ganz alleine
Bin ich in meiner Einsamkeit,
Denn wenn ich ganz verlassen scheine,
Vertreibt mir Jesus selbst die Zeit.
Ich bin bei ihm und er bei mir.
So kommt mir's gar nicht einsam für" . . .
da fielen der Tochter, die so oft gemeinsam gesungenen Strophen dieses Liedes
wieder ein und sie warf sich ihrer alten Mutter weinend an den Hals.
Nicht alle Gefangenen kehrten freiwillig zu ihren Stammesgenossen zu-
rück. Manche hatten sich so an das Leben der Rothäute gewöhnt, daß sie
vorzogen, auch fernerhin bei denselben zu bleiben. Mehrere Mädchen, darunter
eine Deutsche nam.ens Elisabeth Studebecker, waren Frauen indianischer
Krieger geworden und benutzten die erste Gelegenheit, um heimlich zu ent-
fliehen und in die Wigwams ihrer roten Ehegenossen zurückzukehren.
Der wackere Oberst Bouquet wurde wegen seines tapferen Verhaltens
zum Brigadegeneral ernannt, eine Anerkennung, die in ganz Pennsylvanien
freudigsten Widerhall fand. „Sie können sich kaum vorstellen," so schrieb ein
Offizier an Bouquet von Lancaster aus, „wie dieser Ort durch die Nachricht
Ihrer Beförderung freudig erregt ist. Die Bewohner sowohl wie die deutschen
Farmer halten uns in den Straßen auf, um zu fragen, ob es wahr sei, daß der
König den Hauptmann Bouquet zum General gemacht habe. Und wenn
v/ir dies bestätigen, marschieren sie hocherfreut weiter. So sehen Sie, daß das
alte Sprichwort: ,Der Erfolgreiche werde beneidet' für diesmal nicht zutrifft.
Denn ich bin sicher, daß alle Welt durch die Nachricht Ihrer Beförderung mehr
erfreut ist, als wenn die Regierung die Stempelsteuer aufgehoben hätte."
Die Heimkehr aus indianischer Gefangenschaft.
Ol" THe \
UNIVERSITY
&F
169
Gleich nach Beendigung des Indianerkriegs in Ohio wurde Bouquet nach
Pensacola in Florida beordert, um den Befehl über die im Süden stehenden
Truppen zu übernehmen. Leider wurde der tapfere Mann bereits wenige Tage
nach seiner Ankunft in Pensacola vom Gelben Fieber befallen und von dem-
selben am 2. September 1765 hinweggerafft. Bouqets Name ist aber für immer
mit der ruhmvollen Geschichte des aus Deutschen gebildeten Regiments der
„Royal American s" verbunden.
Schlußvignette: Indianischer Tomahawk.
Gegner und Freunde der deutschen Ansiedler.
Man sollte an-
nehmen, daß sämtlichen
in den Kolonien woh-
nenden Ansiedlern eng-
lischer, schottischer und
irischer Abkunft so tat-
kräftige, fleißige und
intelligente Nachbarn
und Mitarbeiter wie die
Deutschen herzlich will-
kommen gewesen sein
müßten. In der Tat
fehlte es diesen nicht an
aufrichtigen Freunden,
welche die tüchtigen
Eigenschaften der Deut-
schen lobend anerkann-
ten und den eigenen
Stammesgenossen zur
Nacheiferung anem-
pfahlen.
Aber es gab unter
der anglo- amerikani-
schen Bevölkerung auch
viele, welche die unver-
kennbaren Fortschritte,
den wachsenden Wohl-
stand der deutschen
Ansiedler mit neidischen
Augen betrachteten und keine Gelegenheit, wo sie die Deutschen verkleinern
konnten, vorübergehen ließen. Sie glaubten, dieselben als Eindringlinge be-
trachten zu dürfen, die in den englischen Kolonien nichts zu suchen hätten.
Derartige engherzige nativistische Regungen traten zuerst zur Zeit der
Masseneinwandrung der Pfälzer zutage. Hatte deren Menge seinerzeit die
/y^^yy^PH^L /lu</-/i.
— 171 —
Behörden Londons in Bestürzung versetzt, so erregte sie nicht minder das
Staunen der Kolonialbehörden. Manche der in den Kolonien lebenden Eng-
länder fühlten sich durch den stetig wachsenden Strom förmlich beunruhigt.
Sie glaubten die Zeit nicht mehr fern, wo die Deutschen das Übergewicht über
die englische Bevölkerung erlangen könnten und dasselbe benützen würden,
um die Kolonien der englischen Krone abwendig zu machen.
„Die Deutschen kommen", so heißt es in dem Brief eines Engländers an
die Regierung, „in solcher Stärke, daß sie bald imstande sein werden, uns Ge-
setze zu geben und die Sprache obendrein."
Um dem vorzubeugen, drangen die Beunruhigten zunächst darauf, daß
sämtliche in Philadelphia landenden Pfälzern folgender Eid abgenommen
wurde: „Wir Unterzeichnete, geboren und zuletzt wohnhaft gewesen in der
Rheinpfalz, wollen Seiner Majestät dem König Georg 11. sowie seinen Nach-
folgern, den Königen von Großbritannien wahre und treue Untertanen sein.
Auch wollen wir den Eigentümern dieser Provinz Treue halten, uns friedlich
betragen und die Gesetze Englands und dieser Provinz streng beachten und
halten."
Manchen Angstmeiern genügte diese Maßregel nicht. Sie unterbreiteten
der pennsylvanischen Kolonialbehörde Gesetze zur Beschränkung der deutschen
Einwandrung, angeblich, um zu verhindern, daß aus einer englischen An-
pflanzung eine Kolonie von Fremdlingen werde. Darüber kam es aber mit
den klarblickenden Leitern der Kolonie, welche den Wert der pfälzischen Ein-
wandrung wohl erkannten, zu scharfen Auseinandersetzungen.
Bereits am 2. Januar 1738 protestierte der damalige Leutnantgouverneur
George Thomas geilen die dem Kolonialrat eingereichten Vorschläge zur Be-
schränkung der Einv.'andrung mit folgenden Worten : „Diese Provinz ist seit
vielen Jahren das Asyl für unglückliche Protestanten aus der Pfalz und anderen
Teilen Deutschlands. Und ich glaube mit vollem Recht sagen zu können, daß
der gegenwärtige blühende Zustand der Provinz zum großen Teil dem Fleiß
dieser Leute zu verdanken ist. Sollten sie durch irgend etwas entmutigt werden,
ferner hierherzukommen, so darf sicher angenommen werden, daß der Wert
Eurer Länder sinken und Euer Weg zum Wohlstand viel langsamer sein wird.
Denn es ist nicht bloß die Oüie des Bodens, sondern die Zahl und der Fleiß
des Volkes, welche die Blüte eines Landes hervorbringen."
Denselben erleuchteten Standpunkt nahm im Jahre 1755 ein anderer
Gouverneur ein, indem er einer im Kolonialrat angenommenen Vorlage zur Be-
schränkung der pfälzischen Einwandrung seine Unterschrift verweigerte, da
ein solcher Schritt mit den Interessen der Kolonie, deren blühender Zustand
in hohem Grade dieser deutschen Einwandrung zu danken sei, in schroffem
Widerspruch stehe.
Durch solche Zurechtweisungen ließen sich aber die Nativisten von
weiteren Angriffen auf die Deutschen nicht abhalten. Weil die letzteren nicht
von vornherein der englischen Sprache mächtig waren, nicht sofort englische
— 172 —
Sitten annahmen, sondern an ihren heimathchen Bräuchen hingen, wurden sie
als Halbwilde bezeichnet, die durch förmliche Missionsarbeit zu gesittetem
Leben bekehrt werden müßten.
Als im Jahre 1751 Pastor Schlatter, der Gründer der deutschen refor-
mierten Kirche in Amerika, nach Holland reiste, um dort für Deutsche, in den
englischen Kolonien zu gründende Kirchen und Schulen Geld zu sammeln,
beutete der schottische Prediger William Smith diese Gelegenheit aus, um in
London eine „Gesellschaft zur Verbreitung der Gotteserkenntnis unter den
Deutschen" zu gründen, welche zugleich ihr Augenmerk darauf richten solle,
unter den „deutschen Heiden in Amerika" englische Freischulen zu errichten,
damit dieselben rascher anglisiert würden.
In seiner 1755 in London gedruckten Schrift „A brief State of the province
of Pennsylvania" erging er sich in den frechsten Schmähungen der Deutschen.
Sie seien auf dem besten Wege, zu „wood-born savages" (waldgeborenen
Wilden) herabzusinken. Sie seien schrecklich unwissend; eine große Farm
zu besitzen, betrachteten sie als den größten Segen in der Welt. >X^enn die
Franzosen vom Ohio her näher herankämen, würden die Deutschen wahr-
scheinlich mit denselben gemeinschaftliche Sache machen und die Engländer
aus dem Lande treiben.
Besonders waren dem englischen Hetzpfaffen die freundschaftlichen Be-
ziehungen der Deutschen zu den, berufsmäßige Prediger bekanntlich nicht
kennenden Quäkern ein Dorn im Auge. „Diese Quäker" so schreibt er,
„fürchten nichts so sehr, als daß die Deutschen den ordentlichen Geistlichen
Achtung erweisen. Erfahren sie, daß ein solcher GeistHcher beim Volk wohl-
gelitten ist, so bedienen sie sich eines deutschen Druckers (hier ist Christoph
Säur in Germantown gemeint), der ehemals einer der französischen Propheten
in Deutschland war und bei scharfblickenden Leuten im Verdacht steht, ein
päpstlicher Emissär zu sein. Dieser greift nun, auf Anweisung der Quäker, in
seiner ganz in deutscher Sprache gedruckten, von allen Deutschen gelesenen
Zeitung den Charakter der Prediger an und ärgert dieselben. Dadurch bringen
die Quäker Zwiespalt in die Gemeinden und ermutigen sie, von Zeit zu Zeit
Vagabunden und vorgebliche Prediger anzustellen."
Um die Deutschen von ihrer angeblichen Zuneigung zu den Franzosen
und Quäkern zu heilen und zu zivilisierten Menschen zu machen, erhob Smith
den Vorschlag, englisch-deutsche Freischulen unter ihnen zu errichten, damit
sie durch den kostenlos erteilten Unterricht bewogen würden, ihre eignen,
mit großen Opfern aufrechterhaltenen Gemeindeschulen aufzugeben. Auf diese
Weise sollten die Deutschen nicht bloß dem englischen Einfluß unterworfen,
sondern auch für die englische Hochkirche gewonnen werden.
Smith ging noch weiter. Er drang darauf, den Deutschen das Stimm-
recht zu entziehen, bis sie hinlängliche Kenntnis der englischen Sprache und
Verfassung besäßen. „Was kann," so schrieb er, „unverständiger und un-
politischer sein, als einem Haufen aufgeblasener und halsstarriger Lümmel,
— 173 —
denen unsere Sprache, Sitten, Gesetze und Interessen fremd sind, das Recht
anzuvertrauen, fast jedes Mitghed der gesetzgebenden Körperschaft zu wählen?"
Ferner wollte der hochwürdige Herr den Druck und die Verbreitung
fremdsprachiger Zeitungen, Kalender und sonstiger periodischer Schriften ver-
boten wissen. Desgleichen sollten alle nicht in englischer Sprache geschrie-
benen Verträge und Urkunden ungültig sein.
Als Smith einen ähnlichen Schmähartikel über die Quäker veröffentlichte,
ließen diese den Hetzpastor verhaften. Trotz aller Proteste mußte Smith
wegen Beleidigung elf Wochen im Gefängnis zubringen.
Wie sehr solche Hetzereien selbst die Köpfe klardenkender Leute ver-
wirrten, ergibt sich aus der peinlich berührenden Tatsache, daß sogar Benjamin
Franklin in die Angriffe auf die Deutschen einstimmte. Er schrieb am Q. Mai
1753 an seinen Freund Peter Collinson einen Brief folgenden Inhalts:
„Ich teile vollkommen Ihre Ansicht, daß in bezug auf die Deutschen
bestimmte Maßnahmen nötig sind. Denn ich fürchte, daß durch ihre oder
unsere oder unser beider Unvorsichtigkeit eines Tages große Störungen
unter uns entstehen könnten. Die, welche hierher kommen, sind im all-
gemeinen die dümmsten ihrer Nation. Dummheit ist oft mit großer Leicht-
gläubigkeit verbunden, wenn Schelmerei sie mißbrauchen will; dagegen mit
Argwohn, wenn Ehrenhaftigkeit sie auf den rechten Pfad leiten möchte.
Nur wenige Engländer verstehen die deutsche Sprache und können darum
weder durch die Zeitungen noch von der Kanzel herab Einfluß auf sie
ausüben und solche Vorurteile beseitigen, welche sie besitzen mögen. Ihre
Pfarrer haben sehr geringen Einfluß auf dieses Volk, welches wie es scheint,
sich ein Vergnügen daraus macht, diese Pfarrer zu mißbrauchen und sehr
geringfügiger Ursachen wegen zu entlassen. An Freiheit nicht gewöhnt,
verstehen sie von derselben keinen angemessenen Gebrauch zu machen.
Sie befinden sich unter keiner kirchlichen Kontrolle; betragen sich aber,
wie zugestanden werden muß, gegenüber der bürgerlichen Regierung er-
geben genug, was hoffentlich auch ferner so bleiben möge. Ich erinnere
mich noch, wie sie es bescheiden ablehnten, sich in unsere Wahlen einzu-
mischen. Jetzt hingegen kommen sie in Haufen, um überall, außer in einer
oder zwei Grafschaften, den Sieg davonzutragen. Nur wenige ihrer auf
dem Lande lebenden Kinder verstehen Englisch. Sie beziehen viele Bücher
aus Deutschland, und von den sechs in der Provinz befindlichen Drucke-
reien sind zwei ganz deutsch, zwei halb deutsch und halb englisch und
nur zwei ganz englisch. Sie unterhalten eine deutsche Zeitung. Die
Hälfte aller deutschen Anzeigen werden, obwohl für die Allgemeinheit be-
stimmt, in Deutsch und Englisch gedruckt. Die Anzeigetafeln in den Straßen
tragen Aufschriften in beiden Sprachen, an manchen Plätzen nur in Deutsch.
In letzter Zeit beginnen sie, alle ihre Bürgschaften und anderen gesetzlichen
Dokumente in ihrer eigenen Sprache abzufassen. Dies wird, obwohl es
— 174 —
meiner Meinung nach nicht sein sollte, von den Gerichten zugelassen, wo
die deutschen Geschäfte so zunehmen, daß es nötig ist, beständig Dol-
metscher zu halten. Ich glaube, daß es in ein paar Jahren nötig sein wird,
solche Dolmetscher auch in der behördlichen Versammlung anzustellen,
um der einen Hälfte der Gesetzgeber klarzumachen, was die andere sagt.
Kurz, falls nicht, wie Sie weise vorschlagen, der Strom der Einwanderung
nach anderen Kolonien abgelenkt werden kann, so fürchte ich, daß die
Deutschen uns an Zahl bald so überlegen sein werden, daß wir trotz aller
Vorzüge nicht imstande sein werden, unsere Sprache zu erhalten. Ja,
unsere Regierung mag fraglich werden."
Es ist kaum nötig, auf die in diesem Brief enthaltenen Widersprüche
hinzuweisen. Im ersten Teil nennt der Verfasser die Deutschen unwissend,
erklärt aber bald danach, daß sie viele Bücher importieren und daß von den
sechs in Pennsylvanien bestehenden Druckereien zwei ganz und zwei zur
Hälfte deutsch seien, während es nur zwei englische gäbe. Professor Julius
Göbel, dem dieser Widerspruch gleichfalls nicht entging, mag mit seiner Ver-
mutung nicht unrecht haben, daß den Worten Franklins Brotneid des Buch-
druckers Franklin zugrunde liegen möge.
Professor M. D. Learned in Philadelphia führte in seiner vor der „Deut-
schen Gesellschaft** gehaltenen Festrede gelegentlich der am 17. Januar 1906
begangenen „Franklin-Gedächtnisfeier" aus, die Auslassungen Franklins seien
deshalb so bitter gewesen, weil er just zuvor von den Deutschen in der Wahl
geschlagen worden war.
Daß die Angriffe auf die Deutschen nicht immer den besten Beweg-
gründen entsprangen, ergibt sich auch aus folgender, in Watsons Annalen II. 275
abgedruckten Stelle: „Dieselbe Sorte von Politikern schlug im Jahre 1754,
weil sie sich nicht die Stimmen der Deutschen zu verschaffen wußten, allen
Ernstes vor, daß die Regierung den Deutschen das Recht, die Mitglieder der
gesetzgebenden Körperschaft wählen zu helfen, so lange entziehen möge, bis
sie eine vollständige Kenntnis der englischen Sprache erlangt hätten."
Natürlich empfanden die Deutschen die ihnen zugefügten Verunglimpfun-
gen nicht bloß als schwere Beleidigungen, sondern auch als Eingriffe in ihre
Rechte. Sie wollten sich weder das Recht auf den Gebrauch ihrer Sprache,
noch das der Erziehung ihrer Kinder in dieser Sprache von einer Clique eng-
herziger Fanatiker streitigm.achen lassen und setzten darum den „Zivilisierungs-
versuchen" derselben zähen Widerstand entgegen. Insbesondere bot der so
übel verleumdete Christoph Säur den ganzen Einfluß seiner Zeitung gegen die
englischen Freischulen auf, deren Hauptzweck ein politischer sei. Die tückische
Insinuation, daß die Deutschen es heimUch mit den Franzosen hielten, wies er
als eine böswillige Verleumdung zurück.
Infolgedessen führten die im Jahre 1755 in Neu-Providence, (Trappe)
Ober-Salford, Reading, Tulpehocken, Heidelberg, Vincent, Easton und Lancaster
— 175 —
errichteten Freischulen nur eine kurze Existenz. Sie verlcümmerten elend, da
die angestellten englischen Lehrer kaum Zöglinge erhielten.
Übrigens zeigt die in einem andern Kapitel erzählte Geschichte des
Franzosenkriegs klar genug, auf welcher Seite die Deutschen standen. Hatten
doch viele ihre Heimat verlassen, weil sie durch die Franzosen in Scheuß-
licher Weise verwüstet worden war.
Aus den Reihen des wahrhaft gebildeten Amerikanertums erstand später-
hin den verunglimpften Deutschen ein warmer Fürsprecher, Dr. Benjamin
R u s h in Philadelphia.
Dieser zu den bedeutendsten Persönlichkeiten Pennsylvaniens und zu den
Unterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung zählende Mann war während
des Freiheitskrieges Generalstabsarzt der Kontinental-Armee. Als solcher hatte
er Gelegenheit, das Deutschtum fast aller Kolonien gründlich kennen zu lernen.
Empört über die vielen ungerechten Angriffe auf dasselbe, schrieb er ein in
englischer Sprache gedrucktes Werkchen, das man kühn der von Tacitus ver-
faßten „Germania" zur Seite stellen darf. Es enthält überaus wertvolle Auf-
schlüsse über die Kulturzustände der deutschen Einwanderer in Pennsylvanien.
Trotzdem die meisten bei ihrer Ankunft kaum ein paar Stücke Silber- oder Gold-
geld mitbrächten, seien viele durch ihren Fleiß und ihre Intelligenz zu Wohl-
stand gekommen. Die Einrichtung einer Schule und Kirche wären ihre erste
Sorge. Höchst friedlicher Natur, seien sie im Zahlen der Steuern pünktlich.
Seit ihrer Teilnahme an der Regierung hätten viele von ihnen sich als ein-
sichtsvoll und aufgeklärt in der Wissenschaft des Gesetzes erwiesen. Deutsche
führten den Vorsitz in der gesetzgebenden Körperschaft und säßen als Vize-
präsidenten im pennsylvanischen Staatsrat. Dieselben Herren wären zu Mit-
gliedern des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten auserkoren worden.
Zum Schluß seines überaus anziehenden Werkchens sagt Rush folgendes: „Wäre
es möglich, das von den deutschen Einwandrern mitgebrachte Besitztum mit
ihrem jetzigen zu vergleichen, so würde der Gegensatz ein so riesiges Denkmal
menschlichen Fleißes und menschlicher Sparsamkeit darstellen, wie es kaum
in irgendeiner Zeit oder in irgendeinem Lande zu finden ist.
„Bürger der Vereinigten Staaten! Lernt aus diesen Mitteilungen über
die deutschen Bewohner von Pennsylvanien die Wissenschaft in Ackerbau und
Industrie wertschätzen als die Grundlage häuslicher Glückseligkeit und
nationalen Wohlstandes.
„Gesetzgeber der Vereinigten Staaten! Lernt aus dem Wohlstand und
der Unabhängigkeit der deutschen Einwohner von Pennsylvanien, wie re-
publikanische Tugenden, Industrie und Sparsamkeit gefördert werden können.
Diese sind die Hauptpfeiler, auf welchen die gegenwärtige Verfassung der
Vereinigten Staaten beruht.
„Gesetzgeber von Pennsylvanien! Erkennt aus der Geschichte unserer
deutschen Mitbürger, daß ihr an ihren Sitten, an ihrer Geschicklichkeit einen
unerschöpflichen Schatz im Herzen des Staates besitzt. Fahrt fort, ihr neu-
— 176 —
gegründetes Lehrerseminar (das Franklin College zu Lancaster) zu fördern.
Scheut keine Auslagen in der Unterstützung ihrer Freischulen. Hadert nicht
mit ihnen wegen ihres Festhaltens an ihrer Sprache. Sie ist der Kanal, durch
den das Wissen und die Erfindungen einer der weisesten Nationen Europas in
unser Land einströmen. Im Verhältnis wie sie in ihrer eignen Sprache unter-
richtet und aufgeklärt werden, werden sie auch mit der Sprache der Vereinigten
Staaten vertraut. Ladet sie ein, an der Regierung teilzunehmen. Vor allem
schützt diejenigen ihrer Sekten, welche Krieg für ungesetzlich halten. Befreit
sie von dem Druck der abgeschmackten und unnötigen Milizgesetze.
„Die Ansichten bezüglich der Negersklaven w^urden von einer dieser
christlichen Sekten entwickelt. Möglicherweise sind diejenigen deutschen Sekten
unter uns, welche sich weigern, Waffen zu tragen und Menschenblut zu ver-
gießen, von der Vorsehung als Werkzeuge ausersehen, die Nationen der Erde
zu einem ewigen Freundschafts- und Friedensvertrag zu vereinigen."
Wie aus allem hervorgeht, war Rush ein erleuchteter, seiner Zeit weit
vorausblickender Mann, der nicht nur die wahre Mission des amerikanischen
Volkes klar erkannte, sondern sich auch der durch die spätere Geschichte be-
stätigten Tatsache bewußt war, daß den in Amerika eingewanderten Deutschen
ein Hauptanteil an dem Aufbau und der Entwicklung der neuweltlichen Kultur
beschieden sein werde.
Der Anteil der Deutschen am amerikanischen
Unabhängigkeitskriege.
Der Freiheit Morgengrauen.
Bei einem Rückblick auf die ältere Geschichte der deutschen Einwand-
rung in Amerika wird sofort klar, daß es zwei Hauptbeweggründe waren,
welche die Deutschen bestimmten, ihr Vaterland zu verlassen und jenseits des
Ozeans neue Heimstätten zu suchen. In erster Linie wollten sie der durch
endlose Kriegsläufte und die maßlose Verschwendung der deutschen Fürsten
verursachten materiellen Not entrinnen. Dann auch hofften sie, die Neue Welt
werde sich in der Tat als jene Hochburg rehgiöser und politischer Freiheit er-
weisen, als welche man sie in mündlichen wie schriftlichen Berichten hatte
rühmen hören.
Aber die in Amerika bestehenden Verhältnisse entsprachen durchaus nicht
immer den Erwartungen. Manche erregten sogar den bitteren Unmut der Ein-
wandrer. Namentlich der tief religiös gesinnten Deutschen.
Wie sehr die in allen englischen Kolonien bestehende Sklaverei ihren
Empfindungen widerstrebte, wie energisch sie gegen diese allen Lehren des
Christentums hohnsprechende Einrichtung eiferten, ist in einem früheren Ab-
schnitt gezeigt worden. Der im Jahre 1688 erlassene Protest der Bewohner
von Germantown leuchtet als eine der glänzendsten Ruhmestaten der Deutschen
in Amerika durch die Jahrhunderte.
Außer der Sklaverei fand man aber noch andere Mißstände, die Anlaß
zum Grollen gaben. Die Kolonien w^aren überlaufen von Günstlingen der
englischen Regierung und bankerotten Höflingen, denen die Krone nicht nur
die fettesten Ämter, sondern auch ungeheure Strecken wertvollen Landes ver-
schrieb, damit sie Gelegenheit hätten, in den Kolonien ihre zerrütteten Finanzen
wieder aufzubessern. Llnter diesen hochfahrenden Aristokraten befanden sich
viele, die auf alle Landwirte, Handwerker und Gewerbetreibende als eine tief
unter ihnen stehende Kaste herabblickten. Gehörten solche vom Ertrag harter
Arbeit Lebenden obendrein fremden Nationen an und waren der englischen
Sprache wenig oder gar nicht mächtig, so behandelten sie solche mit ver-
letzender Geringschätzung, als Halbbarbaren. Denn nicht wenige dieser hoch-
geborenen Drohnen huldigten der Ansicht, daß Unkenntnis der englischen
Sprache gleichbedeutend mit Unwissenheit sei, und daß der wahre Mensch
erst mit dem Engländer anhebe.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 12
— 178 —
Das von den Holländern und Engländern nach den Kolonien übertragen^
Feudalsystem hatte die Kastenbildung gleichfalls mächtig gefördert, und so
standen sich, wie wir aus der Geschichte Jakob Leislers erkannten, bereits zu
Ende des 17. Jahrhunderts zwei Parteien gegenüber, die des Volks und jene
der mit den Beamten Hand in Hand gehenden, dieselben an Selbstsucht und
Überhebung noch übertreffenden Geld- und Landaristokraten.
Daß die Bürger und Ansiedler diese Zustände nicht widerstandslos auf
die Dauer ertragen würden, daß es über kurz oder lang zu ernsten Kämpfen
kommen müsse, war unschwer vorauszusehen. In einem früheren Abschnitt
betonten wir bereits, daß die stürmischen Auftritte zwischen dem Volksmann
Leisler und den Aristokraten der Kolonie New York recht eigentlich die ersten
Zusammenstöße in dem bevorstehenden Kampf des amerikanischen Volks für
seine Unabhängigkeit bedeuteten.
Einen noch ausgesprocheneren Sieg errang die Volkspartei in dem Pro-
zeß der Regierung gegen den New Yorker Drucker Peter Zenger. Dieser war im
Jahre 1710 als 13jäliriger Knabe mit den von Gouverneur Hunter nach Amerika
überführten Pfälzern
'^^ ^ nach New York ge-
kommen. Bald nach
seiner Landung trat
er bei dem Drucker
William Bradford in
Namenszug von Peter Zenger. die Lehre. Der Be-
"*'^""""- """ ruf eines Druckers war
damals mancherlei Einschränkungen unterworfen. Solange die Drucker
sich auf das Herstellen religiöser Erbauungsschriften beschränkten, legten
die Kolonialregierungen ihnen keine Hindernisse in den Weg. Kaum
wurden aber Versuche zur Herausgabe von Zeitungen unternommen, so trafen
die Behörden schleunigst Maßnahmen, um diese Mittel zur Verbreitung poli-
tischer Nachrichten und der Volksaufklärung im Keim zu ersticken. So kam
die am 25. September 1690 zu Boston von Benjamin Harris geplante Zeitung
„Public Occurences", das erste neuweltliche Unternehmen dieser Art, nicht
über die erste Nummer hinaus. In Virginien und Maryland wurde das Auf-
stellen einer Druckerpresse rundweg verboten. In Philadelphia mußte William
Bradford im Jahre 1692 seine Offizin auf höheren Befehl schließen. Er siedelte
deshalb nach New York über, wo er nach langem Petitionieren im Jahre 1725
die Erlaubnis zur Herausgabe der ,,New York Gazette" erwirkte. Allerdings
nur unter der Bedingung, daß diese Zeitung ausschließlich die Interessen der
Regierung vertrete. Bei diesem Bradford bestand Zenger eine vierjährige Lehr-
zeit, nach deren Ablauf er seines Meisters Gehilfe, später sogar sein Geschäfts-
teilhaber wurde. Im Jahre 1733 trennte Zenger sich von seinem Partner, ver-
mutlich infolge bestehender Gegensätze in den politischen Anschauungen.
Denn er gründete eine neue Druckerei und begann gleichzeitig mit der Heraus-
— 17Q -
gäbe des „Weekly Journal", welches das erklärte Organ der Volkspartei wurde
und an der korrupten Regierung scharfe Kritik übte.
Dieses Vorgehen verwickelte Zenger bald in einen Preßprozeß, den ersten
in Amerika. Die Ur-
sache war folgende :
Als im Jahre 1730 der
Gouverneur Montgome-
rie plötzlich starb, über-
nahm bis zum Eintref-
fen eines Nachfolgers
der Älteste des Kolo-
nialrates, Rip van Dam,
die i nterimistische Regie-
rung, wofür er sich das
volle Gehalt des Gou-
verneurs auszahlen ließ.
Als nach dreizehn Mo-
naten der neue Gou-
verneur Crosby aus Eng-
land eintraf, verlangte
dieser, obwohl er bisher
nicht die geringsten
Dienstleistungen getan,
daß van Dam ihm die
Hälfte des bezogenen
Gehaltes ausbezahle. Da
van Dam sich weigerte,
diesem Ansinnen zu
entsprechen, strengte der
Gouverneur eine Klage
an. Als der Oberrichter
Morris gegen ihn ent-
schied, setzte er densel-
ben ab und ernannte
neue, willfährige Rich-
ter, welche van Dam
zur Herausgabe der
Hälfte der streitigen
Gelder verurteilten.
Nun stellte Zenger sowohl dem abgesetzten Oberrichter wie auch den
Anhängern van Dams die Spalten seines Journals zur Verfügung und ver-
öffentlichte mehrere, die Handlungsweise des Gouverneurs aufs schärfste miß-
billigende Aufsätze. Der darüber ergrimmte Gouverneur ließ die betreffenden
12*
(U/ryvUMT)'}^^
— 180 —
Nummern der Zengerschen Zeitung öffentlich durch den Henker verbrennen
und Zenger wegen Verbreitung falscher, aufrührerischer Schmähschriften vor
Gericht fordern.
In dem nun anhebenden berühmtesten aller amerilcanischen Preßprozesse
v^äre Zenger zweifellos gleichfalls von den willfährigen Richtern verurteilt
worden, hätten nicht seine Anhänger ihm in dem ausgezeichneten Juristen
Andrew Hamilton von Philadelphia einen vorzüglichen Verteidiger zur Seite
gestellt. Derselbe gab die VeröffentUchung der Aufsätze durch Zenger ohne
weiteres zu, behauptete aber zugleich, daß die in denselben enthaltenen Aus-
führungen wahr seien und daß die unumwundene und unbeschränkte Meinungs-
äußerung, sofern sie als wahr bewiesen werden könne, zu den Rechten jedes
freien englischen Bürgers gehöre. Der Erklärung des Kronanwaltes, daß der
Gouverneur als direkter Vertreter des Königs unantastbar sei und nicht in ab-
fälliger Weise kritisiert werden dürfe, setzte Hamilton entgegen, daß bei der
Untersuchung gegen eine angebliche Schmähschrift das Gericht den Beweis
der Wahrheit der tatsächlichen Behauptungen zuzulassen habe, und daß die
Aufgabe der Geschworenen nicht bloß im Feststellen des Tatbestandes, son-
dern auch des Rechtes bestehe. Bei der Ausführung dieser Gesichtspunkte be-
wies Hamilton so glänzend, daß die in den fraglichen Aufsätzen der Regierung
vorgeworfenen Fehler auf Tatsachen beruhten, daß die Geschworenen den An-
geklagten unter dem tosenden Beifall der ganzen Bevölkerung, soweit sie nicht
blind für den Gouverneur Partei ergriffen hatte, als nichtschuldig erklärten.
Durch den Zengerschen Prozeß war dem amerikanischen Zeitungswesen sein
höchstes Vorrecht, die Preßfreiheit, erkämpft worden.
Das durch diesen Sieg in seinem Selbstbewußtsein mächtig gestärkte
Volk strebte nun auch nach Befreiung von dem auf ihm lastenden materiellen
Druck, der um so tiefer empfunden und um so unwilliger getragen wurde, als
er von der eignen Regierung, von den in England lebenden Kaufleuten und
Fabrikherren über die Kolonien verhängt wurde.
Kaum war nämlich die Herrschaft der mit den Engländern in scharfem
Wettbewerb stehenden Franzosen in Nordamerika niedergeworfen worden, so
erzwangen die in England wohnenden Kaufleute im Parlament Gesetze, welche
nicht etwa die Bedürfnisse und berechtigten Ansprüche der in Amerika lebenden
Ansiedler, sondern ausschließlich die Interessen der im Mutterlande verbliebenen
Kaufherren berücksichtigten. Um diesen möglichst große Einkünfte zu sichern,
wurde den Ansiedlern das Anfertigen sämtlicher industriellen Erzeugnisse so-
wie der Handel mit dem Auslande verboten. Sie sollten genötigt sein, alle Ge-
brauchsgegenstände vom Mutterland zu beziehen, dorthin auch ihre eignen
Erzeugnisse abzuführen. Keine Pflugschar, kein Wagenrad, kein Hufeisen,
kein Werkzeug, kein Hut, keine Kleiderstoffe, kein Papier sollten in Amerika
hergestellt werden dürfen. Es wurde verlangt, daß die Kolonisten die von den
englischen Krämern für solche Dinge geforderten Wucherpreise bezahlen, für
die eignen Produkte aber sich mit jenen Angeboten bescheiden sollten, die von
— 181 —
den englischen Kaiifleuten festgesetzt würden. Daß diese Angebote stets weit
unter jenen Preisen blieben, die von den Kolonisten im freien Handel mit an-
deren Völkern hätten erzielt werden können, ist selbstverständlich.
Aber damit nicht genug. Man verlangte von den Kolonisten obendrein
schwere Steuern, ohne ihnen im Parlament zu London, der gesetzgebenden
Körperschaft, eine eigne Vertretung zuzugestehen.
Nur ein jeder Manneswürde beraubtes Volk hätte sich solchen von
Selbstsucht diktierten Verordnungen auf die Dauer gefügt. Von den die freie
Luft der Wälder und Meere atmenden Amerikanern war dies nicht zu erwarten.
Am wenigsten von den Abkömmlingen fremder Völker, die keinen besondern
Anlaß hatten, den ihnen nicht durch nationale Verwandtschaft näherstehenden
englischen Königen treu zu bleiben. So sehen wir denn auch solche fremd-
gebornen Kolonisten in den vordersten Reihen jener Unzufriedenen, die gegen
die ungerechten Bedrückungen Widerspruch erhoben. Bereits im Jahre 1765
unterzeichneten zahlreiche Deutsche eine Beschwerdeschrift, in der Kaufleute
und Gewerbtreibende der Stadt Philadelphia mit dem Boykott englischer Waren
drohten, wenn die Regierung nicht die von ihr eingeführte Stempelsteuer auf-
hebe. Und bald darauf vereinigten sich solche Deutsche zu der „Patrio-
tischen Gesellschaft der Stadt und Grafschaft Phila-
delphia,*' um die Rechte und Freiheiten zu wahren, welche der Provinz in
früheren Zeiten durch bestimmte Gesetze und Freibriefe verliehen worden seien.
Sie beteiligten sich auch an jener, von 8000 Personen besuchten Versammlung,
die am 18. Juni 1774 einen „Korrespondenz-Ausschuß" erwählte, der mit den
Bewohnern der andern an der Ostküste gelegenen Kolonien gemeinschaftliche
Maßnahmen zur energischen Abwehr der englischen Übergriffe beraten sollte.
Unter den Mitgliedern dieses Ausschusses finden wir die Deutschen Peter
Hillegas, Christoph Ludwig, Paul Engel und Georg
Schlosser.
Aber auch die deutschen Bewohner der anderen Kolonien zeigten die
gleiche entschlossene Gesinnung Unter dem Vorsitz des wackern Pastors
Peter Mühlenberg faßte der aus lauter Deutschen bestehende Sicher-
heitsausschuß der virginischen Ortschaft Woodstock folgende, in englischer
Sprache geschriebene Erklärung: „Es sei beschlossen, daß wir uns bereitwillig
solchen Verordnungen der Regierung unterwerfen, wie Seine Majestät nach
den Bestimmungen des Gesetzes für die Untertanen zu erlassen das Recht hat.
Aber nur solchen allein. Es sei femer beschlossen, daß es das ererbte Recht
aller britischen Untertanen ist, nur von solchen Vertretern, die sie selbst er-
wählten, regiert uruTbesteueft zu werden. Ferner, daß wir jede vom britischen
Parlament in bezug auf die innere Verv/altung Amerikas abzielende Flandlung
als einen gefährlichen und verfassungswidrigen Eingriff in unsre Rechte und
Privilegien betrachten. Daß die gewaltsame Ausführung solcher Parlaments-
akte durch militärische Gewalt notwendigerweise einen Bürgerkrieg verur-
sachen muß, durch welchen jene Verbindung gelöst würde, die so lange
— 182 -
zwischen dem Mutterland und den Kolonien bestanden hat. Es sei endlich
beschlossen, daß wir mit unseren notleidenden Brüdern in Boston sowohl wie
in irgendwelchen anderen Teilen Nordamerikas, welche die direkten Opfer
solcher Tyrannei sind, herzlich sympathisieren und alle geeigneten Maßnahmen
befürworten, durch welche so schreckliches Unheil abgewendet, unsere Be-
schwerden beachtet und unsere gemeinschaftlichen Freiheiten gesichert werden
können."
Ob diese nicht mißzuverstehenden Erklärungen, die am 4. August in der
„Virginia Gazette" zum Abdruck kamen und großes Aufsehen erregten, den
einen Monat später in Philadelphia zusammentretenden ,, Ersten Kontinental-
Kongreß" beeinflußten, ist nicht mehr nachzuweisen. Aber auch diese Körper-
schaft faßte ähnlich lautende Beschlüsse. Obendrein ermahnte sie das Volk,
für den Notfall sich im Gebrauch der Waffen zu üben.')
Der Geist der Erhebimg ging natürlich auch unter den wackern Pfälzern
um, die am Mohawk und Schoharia saßen. Sie waren von allen Kolonisten
der englischen Regierung am wenigsten zu Dank verpflichtet.^ Denn hatte
diese Regierung sie nicht stets in selbstsüchtiger Weise ausgebeutet und oben-
drein auf die gefährlichsten Posten an die äußersten Grenzen der Zivilisation
gestellt, wo sie beständig den Anfällen der Indianer und Franzosen preis-
gegeben waren? Und hatte die Kolonialverwaltung sich etwa beeilt, in den
Stunden der Bedrängnis ihnen Hilfe zu senden?
Seit wann es unter jenen, in steten Kämpfen und Gefahren großge-
wordenen Bauern gärte, wissen wir nicht. Aber auch sie fanden sich bereits
am 27. August 1774 an den Ufern des Mohawk zu einer großen Protestver-
sammlung zusammen, die, als die englische Regierung ihre schroffen Maß-
regeln verschärfte, den Bostoner Hafen sperrte und den bedrängten Bewohnern
jener Stadt tätigen und moralischen Beistand versprach. Auch den in New
York und Albany tagenden Ausschüssen der Freiheitsfreunde ließen sie ihre
Bereitwilligkeit verkünden, sämtliche vom Kontinental-Kongreß verordneten
Maßregeln ausführen zu wollen. Diesen Vorsatz bekräftigten sie durch die
Erklärung: „Wir, die wir durch die Bande der Religion, Ehre, Gerechtigkeit
und Vaterlandsliebe aufeinander angewiesen sind, vereinen uns in dem. festen
Entschluß, nie Sklaven werden zu wollen, sondern unsre Freiheit mit Gut und
Blut zu verteidigen."
Der leitende Geist dieser Pfälzer war Nikolas Herchheimer,
der nämliche, welcher sich in den Kämpfen gegen die Franzosen bei der
Verteidigung des in den German Fiats errichteten Forts rühmlich hervor-
getan hatte. Er leitete auch die erste, auf den 2. Juni 1775 einberufene Ver-
^) Die vielbesprochene Unabhängigkeitserklärung der Bürger von Charloite im Be-
zirk Mecklenburg, Nord-Karolina, bleibt an dieser Stelle unberücksichtigt, da weder der
genaue Wortlaut ihrer am 31. Mai 1775 gefaßten Beschlüsse feststeht, noch die Namen der
unter den Unterzeichnern befindlichen Angehörigen der Familie Alexander mit Sicherheit
als diejenigen deutscher Ansiedler betrachtet werden können.
— 183 —
Sammlung: von Abgeordneten aus allen Bezirken des Mohawktals, deren
wichtigste Maßnahme im Einsetzen eines Sicherheitsausschusses bestand,
welcher die im Tal wohnenden zahlreichen Anhänger des Königtums, die so-
genannten Tories, überwachen sollte. Die Organisierung dieser aus fünf
Bataillonen Milizen, einem Bataillon Scharfschützen, drei Kompagnien Jäger
und einer Kompagnie Hilfstruppen bestehenden Macht wurde von Herch-
heimer so geschickt durchgeführt, daß die Abgeordneten der Kolonie New York
Herchheimer in Anerkennung seiner Verdienste mit dem Befehl über alle westlich
von Schenectady stehenden Milizen betrauten und ihn zum Brigadegeneral er-
nannten. Die strengen Anordnungen, welche Herchheimer nun zur Beauf-
sichtigung der Tories fraf, flößten diesen solchen Schrecken ein, daß sie ihre
Habseligkeiten packten und Hals über Kopf nach Canada flohen.
In Pennsylvanien, wo die Behörden schon längst Klage führten, daß die
früher so friedliebenden Deutschen jetz.t widerspenstig würden, sorgte die im
Jahre 1764 gegründete „Deutsche Gesellschaft" dafür, daß der Freiheits-
gedanke auch in die von zahlreichen Deutschen bewohnten wesdichen Teile
der Kolonie getragen wurde. Sie tat dies durch Verbreitung ein.er gemein-
schaftlich mit den Vorständen und Predigern der lutherischen und reformierten
Kirchen Philadelphias verfaßten Flugschrift, welche die Gründe darlegte, die
den Kontinental-Kongreß bestimmten, die Bevölkerung zum bewaffneten Wider-
stand gegen die widerrechtlichen Handlungen der Regierung aufzurufen. Die
bedeutungsvolle Flugschrift hebt mit folgenden Worten an:
„Wir haben von Zeit zu Zeit täglich mit unseren Augen gelesen, daß
das Volk in Pennsylvanien, Reiche und Arme, den Entschhiß des Congresses
apprcbiren. Sonderlich haben sich die Teutschen in Pennsylvanien nahe und
ferne von uns sehr hervorgethan und nicht allein ihre Milizen errichtet, sondern
auch auserlesene Corpos Jäger formirt, die in Bereitschaft sind zu marschiren,
wohin es gefordert wird. Diejenigen unter den Teutschen, welche selbst
nicht Dienste thun können, sind durchgehends willig nach Vermögen zum
gemeinen Besten zu contributiren."
Der von dem Drucker Heinrich Miller veröffentlichte „Staatsbote"
befürwortete die Empfehlungen der „Deutschen Gesellschaft" mit folgendem
feurigen, an alle Deutsche gerichteten Aufruf: „Gedenkt daran, wie bitter die
Knechtschaft war, die ihr in Deutschland erfahren mußtet. Gedenkt und er-
innert die Eurigen daran, daß ihr nach America gegangen seid, um der Dienst-
barkeit zu entrinnen und die Freiheit zu genießen. Gedenkt, daß die englischen
Staatsdiener und ihr Parlament America auf eben den Fuß wie Deutschland
und vielleicht ärger haben möchten."
Angeregt durch diese flammenden Worte, begannen manche deutsche
Pastoren auch von den Kanzeln herab die Sache der Freiheit zu verfechten.
Daß sie dadurch die Rache der Regierung über sich heraufbeschworen, ist
selbstverständlich. Und so mußten manche dieser Streiter als heimatlose Flücht-
linge im Lande umherirren. Unter ihnen befanden sich die Pastoren Helfen-
— 184 —
stein von Lancaster, Johann Wilhelm Schmidt von Gemiantown,
N e V e 1 1 i n g von New Jersey sowie die beiden Söhne des Pastors Peter
Mühlenberg. Nevelling hatte auf seinen Grundbesitz hohe Anleihen aufgenom-
men und das Geld dem Kontinentalkongreß überwiesen. Wo die Regierung
solcher Prediger habhaft wurde, strafte sie dieselben mit monatelanger Kerker-
haft. Solchem Geschick verfielen beispielsweise die Prediger W e y b e r g und
S c h 1 a 1 1 e r , deren Häuser obendrein durch britische Soldaten geplündert
wurden. Das Haus des in der Salzburger Niederlassung Ebenezer angestellten
Pfarrers Rabenhorst wurde sogar bis auf den Grund niedergebrannt.
Aber alle diese Maßregeln konnten das Weitergreifen des entfachten Frei-
heitsgedankens nicht aufhalten. Die prophetischen Worte, welche Andreas
Hamilton, der Verteidiger des Druckers Zenger, bereits im Jahre 1734 ge-
sprochen: „Die unterdrückte Freiheit wird sich endlich doch erheben!'' gingen
in Erfüllung. Und als der virginische Advokat Patrik Henry mit dem zündenden
Ausruf „Give me liberty or give me death!" die stolze Losung gab, da flogen
die Freunde der Freiheit allerorten zu den Waffen. Unter den ersten befanden
sich die Deutschen.
Deutsches Heldentum und deutsche Opferwilligkeit
im Freiheitskrieg.
Eine ungeheure Bewegung durchbrauste sämtliche an der Ostküste von
Nordamerika gelegenen Kolonien. Man sprach nicht länger über Handel,
Saaten, Ernten, Jagd und Fischfang. Die Arbeitsräume der Handwerker, die
Geschäftsräume der Kaufleute verödeten. Nur in den rußigen Werkstätten der
Waffenschmiede und Büchsenmacher erklangen unablässig die Hämmer, knirsch-
ten die Feilen und drehten sich die Schleifsteine. Denn, wie der Pfarrer Hel-
muth in einem an die in Deutschland erscheinenden „Hallischen Nachrichten"
schrieb: „Durch das ganze Land rüstet man sich zum Krieg. Beinahe jeder
Mann ist unter den Waffen. Der Eifer, welcher bei diesen traurigen Umständen
gezeigt wird, läßt sich nicht beschreiben. Wenn hundert Mann verlangt werden,
stellen sich sofort viel mehr und sind ärgerlich, wenn sie nicht alle genommen
werden. Quäker und Mennoniten entsagen ihren religiösen Grundsätzen und
Kopfleiste: Der Ruf zu den Waffen. Nach einem Gemälde von Chapella.
— 186 —
nehmen teil an den kriegerischen Übungen. Das ganze Land von Neu-England
bis Georgia ist eine Seele und in vollkommener Begeisterung für die Freiheit.'*
Beweise dafür, daß die Deutschen an Begeisterung hinter ihren anglo-
amerikanischen Mitbürgern nicht zurückstanden, finden sich in Hülle und Fülle.
Als in der hauptsächlich von Deutschen bewohnten pennsylvanischen Ortschaft
Reading die jungen, waffenfähigen Männer drei Kompagnien einer Bürgergarde
bildeten, ließ es den Deutschen Graubärten keine Ruhe. Sie wollten nicht zurück-
stehen, sondern vereinigten sich zu einer „Kompagnie der alten Männer". Einem
Bericht des „Pennsylvanischen Staatsboten" zufolge bestand dieselbe aus 80 Hoch-
deutschen von mehr als 40 Jahren. Viele waren bereits in Deutschland Sol-
daten gewesen. So hatte z. B. der 97 Jahre alte Hauptmann dieser Veteranen
in 40jährigem Kriegsdienst 17 große Schlachten mitgemacht. Und der 84 Jahre
zählende Trommler konnte auf eine fast ebenso bewegte Vergangenheit zurück-
blicken.
Wo die Begeisterung so hohe Wogen schlug, ist es selbtverständlich, daß
die Deutschen auch außerordentlich starke Prozentsätze zu den aus Freiwilligen
oder „Associators" gebildeten Truppenkörpern stellten, die einem vom Kon-
gresse erlassenen Aufruf zufolge überall zusammentraten. Nach einem Be-
schluß vcm 14. Juni 1775 sollten Pennsylvanien sechs, die Kolonien Maryland
und Virginien je zwei Kompagnien Scharfschützen stellen. Anstatt dessen
rüstete Pennsylvanien neun Kompagnien aus, von welchen vier ausschließlich
deutsche Offiziere besaßen. Mehrere Abteilungen derselben befanden sich bereits
drei Wochen später auf dem Hunderte von Meilen weiten Marsche nach Boston,
um zu der von George Washington befehligten amerikanischen Hauptarmee zu
stoßen. Die ersten, welche dort eintrafen, waren die von den Haupdeuten
Nagel und Daudel befehligten deutschen Scharfschützen der pennsylvanischen
Grafschaft BerkyJ herrlich gewachsene, wettergebräunte Männer, von denen jeder
dem preußischen König Friedrich dem Großen für seine Riesengarde willkommen
gewesen wäre. In ihren aus Flirschleder oder derbem „home spun" gefertigten
Jagdröcken, den fransenbesetzten Leggins, den indianischen Mokassins und
der aus einem Fuchs- oder Otterfell gefertigten Pelzmütze boten diese mit Rifle-
büchse, Tomahawk und Jagdmesser bewaffneten Gestalten unstreitig einen im-
ponierenden Eindruck dar. Und die in großen Lettern über jeder Brust zu
lesende Losung „Liberty or Death!" zeugte für die Entschlossenheit, welche
diese ernsten Männer beseelte.
Ihnen rückten bald darauf die aus anderen Teilen Pennsylvaniens sowie
die aus Maryland und Virginien kommenden Scharfschützen nach. Die Virginier
hatten den später zu großem. Ruhm gelangenden Daniel Morgan als
Hauptmann. Bevor sie sich am 17. Juni bei Schäferstown (Shepherdstown)
zum Abmarsch rüsteten, kamen sie dahin überein, daß diejenigen, welche nach
50 Jahren noch am Leben seien, sich am gleichen Datum an der gleichen Quelle,
an welcher sie sich versammelt hatten, wieder einfinden sollten. Es waren nur
vier Männer: Heinrich und Georg MichelBedinger (der erste aus
187 —
Virginien, der zweite aus Kentucky), Peter Lauck (aus Winchester) und
Gotthold Hülse (aus Wheeling), welche dieser Verabredung am 17. Juni
1825 entsprachen. Aus den echt deutschen Namen dieser Veteranen läßt
sich mit Sicherheit schließen, daß die Deutschen Virginiens einen großen
Prozentsatz zu den be-
rühmten Scharfschützen
Morgans gestellt haben
müssen.
Es war am 10
August, als Morgans
Truppe nach einem 600
Meilen weiten Marsch
bei der Belagerungs-
armee vor Boston ein-
traf. Der gerade auf ei-
nem Rekognoszierungs-
ritt befindliche Ober-
befehlshaber George
Washington erspähte
dieAnkömmhnge in der
Ferne. Im Galopp ritt
er auf sie zu und sprang,
als Morgan meldete:
„Scharfschützen vom
rechten Ufer des Poto-
mac!" vom Pferde, um
mit Freuden tränen im
Antlitz jeden einzelnen
der wackern Virginier,
von denen manche in
der Nähe seines eignen
Landgutes wohnten, mit
kräftigem Händedruck
zu begrüßen.')
Daniel Morgan, der tülner der virginischen ScharfsclUitzen.
^) Die von Kapitän Morgan geführten virginischen Scharfschützen erhielten noch vor
der Einnahme von Boston Befehl, sich der Expedition Arnolds nach Canada anzuschließen.
Unter furchtbaren Mühseligkeiten drangen sie mit den anderen Truppen jenes Zuges den
Kennebec hinauf, und unternahmen mit ihnen am Abend des 30. Dezember 1775 den
Versuch, die Zitadelle von Quebec zu erstürmen. Bekanntlich mißglückte dieser verwegene
Anschlag, während dessen Morgans Truppen so schwere Verluste erlitten, daß ihr Führer,
um seine Schar vor gänzlichem Untergang zu bewahren, es für geraten hielt, sich zu er-
geben. Morgan wurde später ausgelöst und nahm mit einer anderen Abteilung Scharf-
schlitzen an den Schlachten bei Monmouth und bei Saratoga und anderen Treffen teil.
Während der Belagerung der Stadt Boston leisteten diese Scharfschützen
insofern sehr wichtige Dienste, als sie hauptsächlich die feindlichen Offiziere
aufs Korn nahmen und dadurch die englischen Regimenter der Führung be-
raubten. Die Zahl solcher Gefallenen oder kampfunfähig Gewordenen war so
überraschend groß, daß der englische Abgeordnete Burke im Parlament be-
stürzt ausrief: „Diese Amerikaner wissen von unsrer Armee weit mehr, als wir
uns träumen lassen. Sie schließen dieselbe ein, belagern, vernichten und zer-
malmen sie. Wo unsere Offiziere ihre Nasen zeigen, da werden sie von den
amerikanischen Riflebüchsen weggefegt.''
Da nur die deutschen Grenzbewohner gezogene Riflebüchsen führten, so
müssen die schlimmen Verluste, welche die Offizierslisten der in Boston be-
lagerten Engländer erlitten, wohl in erster Linie den deutschen Scharfschützen
gutgeschrieben werden. Deren Leistungsfähigkeit scheint auch dem Kontinental-
kongreß nicht entgangen zu sein. Denn er erließ am 25. Mai 1776 den Aufruf
zur Formierung eines rein deutschen Bataillons, dessen acht Kompagnien zur
Hälfte aus Pennsylvaniern, zur Hälfte aus Deutschen der Kolonie Maryland be-
stehen sollten. Die Pennsylvanier begnügten sich aber nicht mit den ihnen
vorbehaltenen vier Kompagnien, sondern hatten bereits im Juli eine fünfte
vollzählig.
Unter seinen einander folgenden Obersten Nikolas Hau segger,
Baron Arendt und Ludwig Weltner vollbrachte dieses deutsche Ba-
taillon manche kühne Waffentat. Zunächst beteiligte es sich bei dem Überfall
der Engländer in Trenton. Später erntete es in den Schlachten bei Princeton,
am Brandywine und bei Germantown Lorbeeren. Der Brigade des Generals
Peter Mühlenberg zugeteilt, durchlebte es die schrecklichen Monate im Winter-
lager zu Valley Forge. Dann fand es als Bestandteil des Expeditionskorps des
Generals Sullivan in den Quellgebieten des Susquehanna und Mohawk Ver-
wendung, wo seine Aufgabe darin bestand, die Grenzniederlassungen gegen die
Überfälle der von Canada hereinbrechenden Engländer und Irokesen zu
schützen.
Überaus zahlreich waren die Deutschen auch in den von Pennsylvanien
gestellten regulären Regimentern, vornehmlich im zweiten, dritten, fünften,
sechsten und achten. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß ein Drittel
jener von 53 Bataillonen kommenden Abgesandten, die am 4. Juli 1776 in Lan-
caster, Pa. zusammenkamen, um über gemeinsame Angelegenheiten zu beraten,
Deutsche waren.
Zur selben Stunde, wo diese Wackeren schworen, Leib und Leben für die
Unabhängigkeit des Landes zu opfern, nahm der im Staatshause zu Phila-
delphia versammelte, aus Vertretern sämtlicher Kolonien bestehende Kongreß
die Unabhängigkeitserklärung an.^)
') Es war einer deutschen Zeitung, dem von Heinrich Miller in Philadelphia heraus-
gegebenen „Staatsboten", vorbehalten, die erste gedruckte Mitteilung über diesen hoch-
— 189 —
Auch in den südlichen Kolonien bildeten sich rein deutsche Truppen-
körper. So brachte beispielsweise der Württemberger Michael Kalteisen
in Charleston, Süd-Karolina, eine Kompagnie Füsiliere zusammen, die durch-
weg aus Deutschen bestand und im Jahre 1779 beim Sturm auf Savannah sich
auszeichnete.
Leider fehlen über die Beteiligung der Deutschen in den Kolonien Georgia,
Karolina, Virginien, Delaware, Maryland, New York, Massachusetts und Maine
sichere Angaben, da fast alle Musterrollen und sonstigen Urkunden bei einem
im Jahre 1800 im Kriegsministerium zu Washington ausgebrochenen Brande
untergingen. Sicher ist aber, daß die Deutschen auch in den von jenen Kolonien
gestellten regulären Regimentern mit stattlichen Zahlen vertreten waren.
Wollte man die Namen aller Deutschen, die sich durch tapfere Taten vor
dem Feinde auszeichneten, in einer Liste vereinen, so würde dieselbe manche
Seiten füllen. Da wären beispielsweise die zahlreichen Mitglieder der aus West-
falen nach Pennsylvanien eingewanderten Familie Heister. Mehrere dienten
als Offiziere in pennsylvanischen Regimentern. Von allen mußte Joseph Heister
die schlimmsten Erlebnisse bestehen. Während der unglücklichen Schlacht auf
Long Island wurde er gefangen und später auf der berüchtigten Fregatte „Jer-
sey" und in den Kerkern der Stadt New York furchtbaren Leiden ausgesetzt.
Nach seiner Auslösung schloß er sich den Freiheitskämpfern aufs neue an,
schwang sich durch seine Tapferkeit zum Obersten empor und füllte nach er-
folgtem Friedensschluß noch verschiedene angesehene Stellen aus. ^
Von gleichem Schlage war der Pennsylvanier K i c h 1 e i n , der als Haupt-
mann einer 100 Mann starken Kompagnie jenen Helden angehörte, die nach
der Schlacht auf Long Island den Rückzug Washingtons deckten, und von
welcher ein amerikanischer Geschichtsschreiber sagte: „Long Island war das
Thermopylae des Unabhängigkeitskrieges, und die Deutschpennsylvanier waren
seine Spartaner!" Von Kichleins Kompagnie fielen 70 Mann.
Auch der in manchen europäischen Kriegen grau gewordene Hannoveraner
Georg Gerhard von der Wieden zählt zu den Helden jener großen
Zeit. Er hatte bereits als Leutnant mit den von Heinrich Bouquet geführten
„Royal Americans" den Feldzug gegen die Franzosen im Quellgebiet des Ohio
mitgemacht. Als Oberst trat er später in das 1. virginische Regiment und
brachte es dank seiner ausgezeichneten Fähigkeiten bis zum Brigadegeneral.
In den Kämpfen am Brandywine, bei Germantown und vor Yorktown spielte
wichtigen Akt zu bringen. Die Unabhängigkeitserklärung erfolgte bekanntlich am 4. Juli 1776,
einem Donnerstag. Da der „Staatsbote" die einzige am Freitag erscheinende Zeitung
Philadelphias war, so kam sie mit ihrer Mitteilung allen in englischer Sprache gedruckten
Zeitungen voraus. Die in fetten Lettern gegebene Nachricht lautet folgendermaßen:
„Philadelphia, den 5. July. Gestern hat der achtbare Congreß dieses vesten Landes
die vereinigten Colonien freye und unabhängige Staaten erkläret. Die Declaration in
Englisch ist gesetzt in der Presse: sie ist datirt den 4ten July, 1776, und wird heut oder
morgen in Druck erscheinen."
— 190 —
dieser in amerikanischen Geschichtswerken unter dem Namen „Weedon" er-
scheinende Mann eine wichtige Roile.
^ Eine echte Soldatennatur bekundete ferner der deutsche Hauptmann
Leonhardt Helm, der mit nur zwei Gemeinen die Besatzung des westlichen
Grenzforts St. Vinciennes bildete. Diese Veste zu nehmen, zogen die Engländer
in beträchdicher Zahl heran. Daß er sich gegen die gewaltige Übermacht nicht
behaupten könne, wußte Hauptmann Helm wohl. Aber er pflanzte sich mit
brennender Zündschnur an einer der von den Wällen herabdrohenden Kanonen
auf, gebot den anrückenden Feinden Halt und fragte, ob man der Besatzung
des Forts freien Abzug mit allen Waffen und unter Beobachtung der üblichen
Kriegsehren bewillige, falls sie das Fort freiwillig übergebe. Dessen waren
die Engländer nur zu froh. Sie machten aber doch lange Gesichter, als Helm
mit seinen beiden Leuten erschien. Aber das Soldatenwort war verpfändet, und
so mußten die Briten zu ihrem großen Ärger die drei Amerikaner ungehindert
ziehen lassen.
Auch die südlichen Kolonien hatten ihren deutschen Helden. Alexander
G i 1 1 o n , ein von kurhessischen Eltern stammender Kaufmann in Charleston,
stach nn Mai 1777 mit einem wohlausgerüsteten Schiff in See, nahm drei eng-
lische Kreuzer weg, mietete dann eine französische Fregatte und kaperte mit
derselben zahlreiche englische Handelsfahrzeuge. Im Frühling des Jahres 1782
brachte er ein größeres Gesciiwader zusammen und annektierte die Bahama-
inseln.
Von besonderem Interesse ist es, daß auch die 150 Mann starke Leibwache
George Washingtons ausschließlich aus Deutschen der pennsylvanischen Graf-
schaften Berks und Lancaster bestand. Der ehemalige preußische Major Bar-
tholomäus von Heer befehligte die kleine, aber auserlesene Schar. Ihr
Hauptmann war Jakob Mey tinger; als Leutnants dienten Philipp
S t r ü b i n g und Johann N u 1 1 e r. Die Gründe, welche maßgebend dafür
waren, diese Leibwache ausschließlich aus Deutschen zusammenzustellen, sind
nicht bekannt. Die Tatsache hingegen, daß es unter den englisch sprechenden
Truppen des amerikanischen Heers von im englischen Sold stehenden Spionen
wimmelte, und daß die königstreuen Tories die verschlagensten Mittel anwen-
deten, um amerikanische Offiziere und Soldaten zum Verrat militärischer Ge-
heimnisse, ja zur Gefangennahme und Auslieferung des obersten Befehlshabers
zu verleiten, hat zu der Vermutung Anlaß gegeben, daß man die Person
Washingtons weit mehr gesichert glaubte, wenn man ihn mit einer Leibwache
umgebe, deren Soldaten der englischen Sprache wenig oder gar nicht mächtig
und darum den Verlockungen der Tories auch weniger ausgesetzt wären.
Wie immer dem sein mag, gewiß ist, daß die Deutschpennsylvanier
von jeher als zuverlässige Leute galten. Diesen guten Ruf behaupteten sie auch
in diesem Falle, denn die deutsche Leibwache schützte den Heerführer während
aller Fährnisse des sieben Jahre dauernden Krieges. Als nach dem glücklichen
Ausgang desselben das Heer sich auflöste, wurde auch die Leibwache über-
-_ 191 _
flüssig. Nur der wackere Major von Heer, der Hauptmann Meytinger, ein
Sergeant, ein Trompeter und acht Gemeine blieL^en bis zum 31. Dezember 1783
im Dienst. Ihnen fiel die Ehre zu, den obersten Kriegsherrn auf sein in Vir-
ginien gelegenes Landgut Mount Vernon zurückzugeleiten. Dort angekommen,
stellten sie sich vor der Front des stattlichen Herrensitzes vor dem Sieger in so
vielen Schlachten zur letzten Parade auf. Noch einmal erscholl der Kommando-
ruf, zum letztenmal senkten sich die funkelnden Degen. Dann, nachdem diese
militärische Ehrung erwiesen war, ritten die wackeren Soldaten schweigend
von dannen. Denn ihre Herzen waren schwer, daß sie von dem geliebten Feld-
Marie Hcis (Molly Pitcher) in der Schlacht bei Monmoiith.
Nach einem Gemälde von D. M, Carter.
herrn, den sie so viele Jahre beschirmt, dessen Leiden und Lasten sie so lange
geteilt, für immer scheiden mußten.
Außer diesen Patrioten berichtet die Geschichte von drei deutsch amerika-
nischen Heldinnen. E^ie erste war M a r i e H e i s , die Gattin eines als Kanonier
mit Washington ins Feld gezogenen Freiwilligen. Entschlossen, alle Leiden
und Freuden ihres Mannes zu teilen, hatte die Frau sich dem gleichen Regiment
angeschlossen und um das Wohl der Soldaten sich verdient gemacht, indem sie
den im Kampf Befindlichen Wasser zutrug und die Verwundeten pilegte. Da
man sie selten ohne ihren mächtigen Wasserkrug (englisch pitcher) sah, so legten
die Soldaten ihr den Spitznamen .,M o 1 1 y Pitcher" bei.
— 192 —
Es war in der Schlacht bei Monmouth, wo Molly Pitcher zu bleibendem
Ruhm gelangen sollte. Infolge der zweideutigen Haltung des Generals Lee
drohte die Schlacht einen für die Amerikaner ungünstigen Ausgang zu nehmen.
Allerwärts zeigten die Reihen der Amerikaner klaffende Lücken. Das Be-
dienungspersonal der Batterien war bereits so zusammengeschmolzen, daß in-
folge mangelnden Ersatzes die Mannschaften ihre Tätigkeit fast einstellen
mußten. Eine Katastrophe schien unvermeidlich, zumal die Briten sich ge-
rade jetzt zu einem mächtigen Vorstoß anschickten. In diesem Augenblick er-
schien „Molly Pitcher" auf dem Schauplatz. Die Gefalir erkennend, stellte sie
schleunigst ihren Krug zur Erde, griff einen Kanonenwischer und bediente
an Stelle ihres verwundet am Boden liegenden Mannes das Geschütz. Brau-
sende Beifallrufe erschollen für Molly Pitcher. Von allen Seiten eilten tapfere
Männer herbei, um die freigewordenen Plätze in den Batterien einzunehmen.
Und als die Feinde anrückten, wurden sie mit so lebhaftem Kanonenfeuer be-
grüßt, daß es den Amerikanern gelang, den Angriff abzuschlagen.
In Süd-Karolina unterzog sich die 18jährige Pflanzerstochter Emilie
Geiger der gefährlichen Aufgabe, wichtige Mitteilungen des Generals Greene
an die Generale Marion und Sumter zu überbringen, wobei sie ein weites, durch
feindliche Patrouillen höchst unsicher gemachtes Gebiet durchreiten mußte.
Obendrein mußte das Mädchen mit dem Pferde den angeschwollenen Wateree-
fluß durchschwimmen. Nachdem dies gelungen, fiel die junge Heldin am
zweiten Tage ihrer Reise feindlichen Kundschaftern in die Hände. Da diese
aber keine verdächtigen Dokumente fanden, ließ man das Mädchen frei, welches
nun seinen Ritt fortsetzte und wenige Stunden später die ihm anvertraute Bot-
schaft ausrichten konnte.
In West- Virgin ien erzählt man sich noch heute von Elisabeth Zane,
die mit ihren Brüdern eine an Stelle der heutigen Stadt Wheeling erbaute Block-
hütte bewohnte. Als Zufluchtsort bei feindlichen Anfällen hatten die wenigen
dort lebenden Ansiedler aus starken Baumstämmen einen festen Turm errichtet,
in welchen sie flüchteten, als im September 1777 eine von dem englischen Be-
fehlshaber des Forts Detroit ausgeschickte Bande von Indianern die kleine
Niederlassung überfiel. Die Belagerung zog sich bedenklich in die Länge. Die
Zahl der waffenfähigen Männer sank von 42 auf nur 12 herab. Dazu kam, daß
das Pulver ausging. Zwar lag noch ein Fäßchen in der Hütte der beiden
Brüder Zane versteckt. Um desselben habhaft zu werden, mußte man aber eine
180 Schritt weite Strecke zurücklegen, die von den Büchsen der in den Wäldern
versteckten Wilden bestrichen wurde. Trotzdem mußte man suchen, das Pulver
zu erlangen. Als Freiwillige, die es wagen wolle, das Fäßchen zu holen, trat
die siebzehnjährige Elisabeth Zane vor. Sie begründete ihren Entschluß damit, daß
das Leben der so sehr zusammengeschmolzenen männlichen Verteidiger der Be-
festigung zu wertvoll sei, um ein solches aufs Spiel zu setzen. Einwände wollte
sie nicht gelten lassen, und so öffnete man der jungen Heldin das Tor, das sie
so ruhig durchschritt, als ob es in der weiten Welt keine Indianer gebe.
— 193 -
Da die letzteren nicht wußten, um was es sich handle, so ließen sie es
ruhig geschehen, daß die Jungfrau die zwischen Turm und Blocithütte gelegene
Streciie zurücklegte und die Hütte betrat. Erst als sie, das Fäßchen in den
Armen tragend, wieder erschien, errieten die Rothäute die Bedeutung des Vor-
gangs und eröffneten von allen Seiten ein lebhaftes Feuer auf die raschen Laufs
Davoneilende. Aber keine Kugel traf. Wohlbehalten schlüpfte die junge
Heldin wieder ins Fort, worauf die Indianer, nicht länger auf den Fall der so
wacker verteidigten kleinen Feste rechnend, wutschnaubend abzogen.
Außer diesen Beispielen finden sich noch zahlreiche andere, welche die
opferfreudige Begeisterung bekunden, die in den Flerzen der deutschen Kolo-
nisten Amerikas lohte.
Wir müssen zunächst der hochherzigen Frau Margarete Greider'
geb. Arkularius gedenken, die nicht nur dem Oberbefehlshaber George
Washington die bedeutende Summe von 1500 Guineen zu beliebiger Verwen-
dung für das Heer übergab, sondern obendrein mit ihrem Manne, einem
Bäcker, die Soldaten vier Monate lang mit Brot versorgte, ohne für ihre Dienste
irgendwelche Entschädigung anzunehmen.
Jenem wackern Ehepaar stand der in Philadelphia wohnende Bäcker
Christoph Ludwig nicht nach, ein Mann, der an allen das Wohl und
Wehe des Landes angehenden Fragen stets lebhaften Anteil nahm. Bereits im
ersten Stadium der Freiheitsbewegung, als man in einer öffentlichen Versamm-
lung um freiwillige Gaben bat, um für die Bürgerwehren Flinten beschaffen zu
können, sprang er, als niemand mit einer Beisteuer den Anfang machen wollte,
auf und rief: „Herr Vorsitzender, ich bin nur ein einfacher Pfefferkuchenbäcker,
aber schreiben Sie meinen Nam.en in die Liste mit 200 Pfund."
Während des Krieges bewies Ludwig immer wieder und wieder seine
Opferwilligkeit. Seine eignen Interessen hintenan setzend, opferte er sein ganzes
Vermögen für die große Sache. Für seine Uneigennützigkeit spricht auch ein
anderes Vorkommnis. Im Jahre 1777 übertrug man ihm die Stelle des Ober-
bäckers der Armee. Seine Vorgänger im Amt hatten sich die Unerfahrenheit
der mit der Heeresverwaltung betrauten Personen zunutze gemacht und für
jeden ihnen überwiesenen Zentner Mehl auch nur 100 Pfund Brot geliefert
und den Profit eingesteckt. Ludwig klärte die Verwaltung über den unbemerkt
gebliebenen Betrug auf, indem er darauf hinwies, daß man mit 100 Pfund Mehl
und dem zum Kneten benötigten Wasser 135 Pfund Brot herstellen müsse. So-
viel werde er für jeden Zentner Mehl liefern, da er nicht das Verlangen trage,
sich durch den Krieg zu bereichern.
Als Ludwig nach Beendigung des Krieges sein Geschäft wieder aufnahm
und abermals ein stattliches Vermögen erwarb, gab er bei seinem Ableben einen
letzten Beweis seines Gemeinsinnes, indem er sein ganzes Hab und Gut wohl-
tätigen Anstalten vermachte und in erster Linie die Mittel zur Gründung einer
Freischule für arme Kinder stiftete.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 13
— 194 —
Um die Verpflegung der im Felde stehenden Truppen sowie der Verwun-
deten und Kranken machten sich auch die in Pennsylvanien wohnenden deut-
schen Sektierer, vor allen die Mennoniten, Herrnhuter und Tunker hochverdient.
Bekanntlich hielten diese es mit ihren religiösen Anschauungen als unvereinbar,
Waffen zu tragen, Kriegsdienste zu leisten und Beisteuern für kriegerische
Zwecke zu entrichten. Auf diese Satzimgen ihres Glaubens sich berufend,
reichten sie am 5. November 1775 dem Kongreß ein Bittgesuch ein, daß sie von
allen derartigen Leistungen entbunden werden möchten, sie würden sich da-
gegen verpflichten, in anderer Weise, durch Lieferung von Lebensmitteln,
Kleidern, Verbandstoffen und ähnlichen Dingen zum Gelingen der großen
Sache beizutragen. Nachdem der Kongreß ihnen diese Ausnahmsrechte zuge-
Versorgung der Soldaten im Winterlager von Valley Forge durch die Herrnhuter.
standen, kamen die Sektierer ihrem Versprechen in großartiger Weise nach und
führten von den Erträgnissen ihrer Felder und Hausindustrien dem Heeie wäh-
rend der ganzen Dauer des Feldzugs gewaltige Mengen zu. Ohne die Beihilfe
dieser Sektierer wären die im Hungerlager zu Valley Forge verweilenden Sol-
daten wahrscheinlich der Not erlegen.
Aber mehr noch. Die Sektierer erwiesen sich auch als echte barmherzige
Samariter, indem sie in ihren Wohnungen und Versammlungsplätzen zahlreiche
Verwundete und Kranke aufnahmen und denselben die sorgsamste Pflege zuteil
werden ließen. Die Gemeindehäuser zu Bethlehem, Lititz und Ephrata waren
die bedeutendsten Lazarette in den Mittelkolonien und zeitweise mit Verwun-
deten überfüllt. Nach der Schlacht am Brandywine nahm das Kloster Ephrata
über 500 Schwerver\vundete auf, von welchen 200 starben und auf dem beschei-
denen Friedhof des Klosters neben den bereits abgeschiedenen Klosterbrüdern
— 1Q5 —
und Schwestern eine Ruhestätte fanden. In der Herrnhuterstation Lititz fanden
Hunderte von Typhuskranken Unterkunft. Während der Verpflegung derselben
wurden fünf herrnhutische Brüder, der Prediger S c h m i c k und zwei herrn-
hutische Ärzte von der tückischen Krankheit weggerafft.
Noch eines deutschen Mannes müssen wir gedenken, der zwar nicht im
heißen Kampfe stand oder sich in Werken der Nächstenliebe betätigte, aber auf
einem der schwierigsten Posten stand, den der junge Bund der Vereinigten
Staaten zu besetzen hatte. Dieser iVlann war der Kaufmann Michael Hille-
gas. Ihn erkor man im Jahre 1776 zum Schatzmeister der Bundesregierung.
Als solcher diente er treu und redlich bis zum Jahre 1789, wo er endlich auf
seinen Wunsch dieses Amtes entbunden wurde, das um so sorgenvoller ge-
wesen, als die Regierung während des ganzen Krieges beständig von den
schwersten finanziellen Verlegenheiten bedrängt war.
Schlußvignette: Michael Hillegas, erster Schatzmeister der Vereinigten Staaten.
13*
Nikolas Herchheimer und die Helden von Oriskany.
Während der Stürme des Jahres 1775 waren die in den Tälern des
Schoharie und Mohawk wohnenden Pfälzer nicht müßig geblieben. Beständig
übten sie sich im Gebrauch der Waffen. Waren sie sich doch der Tatsache wohl
bewußt, daß sie einen der gefährlichsten Posten innehielten und über kurz oder
lang einen Angriff der nach Canada geflohenen königstreuen Engländer, der
Tones, erwarten mußten. Sie waren sich ferner darüber klar, daß die Tories
in ihrem Rachedurst nicht davor zurückschrecken würden, die in den Grenz-
gebieten und in Canada umherstreifenden Indianer durch reiche Geschenke und
Versprechungen auf ihre Seite zu ziehen und als Verbündete in den Kämpfen
gegen die Amerikaner zu benutzen. Gerüchte, daß englische Abgesandte sich
in den Lagern der Rothäute, vornehmlich des mächtigen Irokesenbundes, ge-
zeigt hätten, traten immer bestimimter auf. Daraus ergab sich für die Ameri-
kaner die zwingende Notwendigkeit, alle Mittel aufzubieten, diese blutdürstigen
Horden zu bewegen, sich neutral zu verhalten.
Nikolas Herchheimer, der bewährte Befehlshaber der Milizen im Mohawk-
tal, erhielt deshalb den Befehl, mit 400 Milizsoldaten das am oberen Susque-
hannah gelegene Irokesendorf Unadilla aufzusuchen, wo Thayendanegea, der
den Weißen unter dem Namen Joseph Brant bekannte Kriegshäuptling der
Kopfleiste: Herchheimers Wohn- und Sterbehaus im Mohawktal.
- !97 —
Irokesen, seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Es war im Juni 1777, als
Herchheimer dort anlangte. Aber alle Bemühungen, den gefürchteten Häupt-
ling freundlich zu stimmen, schlugen fehl. Denn die Engländer hatten ihn durch
Zuwendung glänzender Geschenke längst gewonnen und die Sache der Ameri-
kaner als gänzlich aussichtslos geschildert. Daß dem so sein werde, hatte der
kriegskundige Wilde nach einem Einblick in die Pläne der Engländer, in denen
ihm selbst eine wichtige Rolle zugedacht war, erkannt. Die Engländer hatten
nämlich beschlossen, eine mächtige Flotte von New York aus den Hudson hin-
aufzusenden und dadurch wie durch einen gleichzeitigen Vorstoß des Generals
Burgoyne mit 8000 Mann vom Georgsee aus die Neu-Englandkolonien von
den südlichen Kolonien zu trennen, um sie dann einzeln um so leichter unter-
werfen zu können. Zur selben Zeit sollte der Oberst St. Leger mit 750 Sol-
daten und 1000 unter der Führung Thayendanegeas stehenden Indianern von
Westen her in das Mohawktal eindringen, den Amerikanern in die Flanke fallen
und dadurch deren Untergang besiegeln. Da ein Mißlingen des meisterhaften
Plans fast ausgeschlossen schien, so blieben natürlich alle Bemühungen Herch-
heimers, den Irokesenhäuptling für die Sache der Amerikaner zu gewinnen, ver-
geblich.
Kaum war Herchheimer mit sei- ^^ n /^ P /
nen Truppen ins Mohawktal zurück- /C^CO^^^^ /£^7-<^/f(5^'^^ ^-^
gekehrt, so brachten befreundete Onei- Namenszug von Nikolas Herchheimer.
da-Indianer die Botschaft, daß St. Leger
sowohl wie General Burgoyne ihren Marsch bereits angetreten hätten. Gleich-
zeitig habe der Gouverneur Hamilton fünfzehn starke Indianerbanden auf die
amerikanischen Ansiedlungen losgelassen.
Ohne Zögern forderte General Herchheimer in einem am 17. Juli er-
lassenen Aufruf sämtliche Jünglinge, Männer und Greise, die imstande seien
Waffen zu tragen, auf, sich in dem an Stelle der heutigen Stadt Herkimer
gelegenen Fort Dayton zu versammeln. Ihrer 800 strömten herbei, entschlossen,
entweder zu siegen oder zu sterben. Denn jedermann wußte, daß es sich hier
um einen Kampf bis aufs Messer handle und daß, wenn man unterliege, allen
ein grauenhaftes Ende unter den Beilen und Skalpiermessern der Wilden, unter
deri Bajonetten der englischen Soldaten beschieden sei.
Der erste Angriff der unter dem Obersten St. Leger vereinigten Engländer
und Indianer mußte auf das im Quellgebiet des Mohawk gelegene, von einer
kleinen Besatzung unter dem Obersten Gansevoort verteidigte Grenzfort Stanwix
geschehen. Bereits am 4. August empfingen die Pfälzer die Meldung, daß die
Feinde vor der Befestigung angekommen seien und mit ihrer Belagerung be-
gonnen hätten. Es galt nun, nicht nur das Fort zu entsetzen, sondern den
Feinden womöglich auch eine Niederlage zuzufügen. Zu diesem Zweck sandte
Herchheimer an den Obersten Gansevoort einen Boten, um ihn von dem An-
marsch der Pfälzer zu unterrichten und zu einer gemeinsamen Aktion aufzu-
fordern. Am gleichen Morgen, wo Herchheimer den Belagerern in den Rücken
— 19S —
fallen wolle, sollten die Eingeschlossenen einen Ausfall unternehmen und die
Gegner von vorne fassen. Drei vom Fort abzugebende rasch aufeinanderfolgende
Kanonenschüsse sollten den Pfälzem anzeigen, wenn man zu dem verabredeten
Ausfall bereit sei.
Unglücklicherweise gelang es dem Boten erst am Mittag des verabredeten
Tages, durch die Linien der Belagerer in das Fort zu schleichen. Inzwischen
waren auch die Engländer durch ihre indianischen Kundschafter von dem
Anmarsch der Pfälzer unterrichtet worden. Eiligst legten sie in einer engen,
von den Pfälzern zu durchschneidenden Waldschlucht mehrere hunderte In-
%
r'\s>::^>
Ein Originalbrief des Generals Nikolas Herchheimer.
dianer und eine Abteilung Scharfschützen in den Hinterhalt, um die Anrücken-
den abzufangen.
Es war neun Uhr morgens, als die Deutschen in der Nähe der Schlucht
eintrafen. Kein Laut verriet die im Dunkel der unabsehbaren Urwälder lauernde
Gefahr. Doch kaum befanden die Deutschen sich in der Mitte der Schlucht,
als plötzlich von allen Seiten das grauenhafte Kriegsgeheul der Wilden und
krachende Salven ertönten. Und gleich darauf tauchten hinter allen Büschen,
Bäumen und Felsen scheußlich bemalte Rothäute auf, um gleich blutgierigen
Bestien die Überrumpelten zu überfallen.
Aber die im Kampf mit solchen Gegnern Geübten bewahrten die nötige
Kaltblütigkeit. Wußten sie doch, daß von ihrem Sieg oder Fall Wohl oder
Wehe ihrer daheimgebliebenen Frauen und Kinder abhingen. In fester Ent-
Bronzetafel am Schlachtendenkmal bei Oriskany.
OF TH- ^
OF
— 201 —
schlossenheit die Zähne zusammenbeißend und mit der Wut der Verzweiflung
fechtend, bemühten sie sich, den furchtbaren Anprall der Gegner abzuwehren.
Es entspann sich ein entsetzliches Handgemenge, in dem indianische Gewandt-
heit und Schläue mit deutscher, durch harte Hinterwäldlerarbeit gestählter
Kraft um die Oberhand rangen. Wer icönnte die mit blitzartiger Schnelle
wechselnden Szenen eines solchen Kampfes beschreiben, die ineinander-
verschlungenen Knäuel keuchender, blutüberströmter Menschenleiber; die
schlangenartig sich windenden, in ihrer bunten Bemalung wahrhaft teuflisch
aussehenden Gestalten der Rothäute, die grimmigen Gesichter und Icraftvollen
Körper der Hinterwäldler, die sich keinen Fuß breit Bodens abstreiten lassen
wollten. Jeder hieb, stach oder schoß. Weiße und Rote sanken, von schneller
Kugel oder blitzendem Stahl ereilt, übereinander. Hier klaffte ein durch einen
Beilhieb zerspalteter Schädel, dort troffen Ströme Bhites aus einer zerschlitzten
Kehle oder durchbohrten Brust.
Gleich beim Beginn des Gefechtes wurde Herchheimers Roß durch eine
Kugel getötet. Dasselbe Geschoß zerschlug dem General das linke Bein
unterhalb des Knies. Aber der auf den Boden Gestürzte verlor nicht die Geistes-
gegenwart. Er ließ sich während des fürchterlichen Gemetzels auf eine kleine,
die Schlachtstätte überschauende Höhe tragen, von wo er auf einem Sattel
sitzend und gegen den Stamm einer mächtigen Buche gelehnt, mit weitschallen-
der Stimme seine Milizen anfeuerte, bis sie den ersten wütenden Ansturm der
Feinde zurückgewiesen hatten.
Kaltblütig seine Pfeife in Brand setzend, die in der Nähe einschlagenden
Kugeln und das Zischen der Pfeile nicht achtend, bemühte der alte Graubart
sich dann, seine Leute zu einer systematischen Bekämpfung der Gegner an-
zuhalten. Das war um so notwendiger, als die Indianer, sobald einer der
Deutschen gefeuert hatte, zu mehreren auf denselben losstürzten und ihn
niederschlugen, ehe er Zeit fand, seine Büchse wieder zu laden. Um solchen
Überrumpelungen vorzubeugen, ließ Hcrchheimer je zwei seiner Leute hinter
jeden der mächtigen Bäume treten. Während der eine seine Flinte lud, stand
der andere schußbereit. Feuerte dieser, so legte sein Genosse sofort an, um
die in Erwartung leichten Sieges anstürmenden Feinde niederzuknallen und
inzwischen seinem Genossen Gelegenheit zu geben, die Büchse wieder zu laden.
Diese Anordnung bew^ährte sich so vorzüglich, daß nach kurzer Zeit kein
Indianer mehr wagte, die bisherige Kampfart anzuwenden.
Während so indianische List und hinterwälderische Erfahrung einander
die Wage zu halten suchten, während bald da, bald dort die Büchsen krachten
und der Todesschrei der Getroffenen die Wälder durchhalte, verstrichen Stunden.
Noch erbitterter gestalteten sich die Kämpfe, als eine vom Oberst St. Leger
schleunigst entsandte Abteilung von Königsjägern auf dem Kampfplatz erschien
und die englisch-indianische Streitmacht erheblich verstärkte. Die Mehrheit
dieser frischen Truppen bestand aus früheren königstreuen Bewohnern des
A4ohawktals, die durch die scharfen Maßnahmen des von Herchheimer be~
— 202 —
fehligteii Sicherheitsausschusses nach Canada getrieben worden waren, wo sie
sich den enghschen Regimentern anschlössen. Der bittere politische Zwiespalt,
der die einstigen Freunde und Nachbarn entfremdet hatte, lohte nun zu rasen-
dem Brand empor. Die Tories lechzten danach, für den Verlust ihrer Güter an
den Pfälzern blutige Rache zu nehmen. Diese hingegen waren entschlossen,
den verhaßten Königsknechten das Wiederkommen für allezeit zu verleiden.
Es schien, als wollten auch die Elemente an dem tobenden Aufruhr, an
dem gegenseitigen Morden und Vernichten Anteil nehmen. Die unter den
Wäldern herrschende Dämmerung verwandelte sich plötzlich in tiefe Dunkel-
heit. Ein schweres Gewitter war heraufgezogen und entlud sich über den
im Sturme rauschenden Wipfeln der Urwaldriesen in blendenden Blitzen und
betäubenden Donnerschlägen. Die gleich einer Sintflut herabströmenden
Regenmassen, die niederbrechenden Äste zwangen die Kämpfenden zum einst-
weiligen Einstellen des Gem.etzels. Aber kaum war das Unwetter vorüber-
gebraust, so hob das Schlachtgetöse aufs neue an und forderte seine
Opfer.
Mittag war bereits vorüber. Da endlich dröhnte vom Fort Stanwix her
der dumpfe Schall drei schnell einander folgender Kanonenschüsse herüber,
das von den Pfälzern längst ersehnte Zeichen, daß die Besatzung des Forts
den verabredeten Ausfall unternommen habe. Frischer Kampfesmut durch-
zuckte die Deutschen und als nun rasselnder Trommelwirbel und schmetternder
Hörnerschall den Befehl zum Vorrücken gaben, da gestaltete sich ihr Angriff
zu einem so unwiderstehlichen, daß die bereits mächtig dezimierten Rothäute
Fersengeld gaben und dadurch auch die englischen Truppen zu eiligem Rück-
zug zwangen. Als sie im Lager wieder eintrafen, erblickten sie dieses in
wildester Unordnung. Der Besatzung des Fortes Stanwix war es nämlich ge-
lungen, bei ihrem Ausfall zahlreiche Zelte zu verbrennen, einen großen Teil
des Gepäckes und fünf Fahnen zu erbeuten.
Leider waren die Pfälzer durch den stundenlangen Kampf zu sehr er-
schöpft und an Zahl aufgerieben worden, als daß sie es hätten wagen dürfen,
die Verfolgung der Feinde aufzunehmen. Über 240 Deutsche waren ge-
fallen. Die noch Lebenden hatten fast alle Wunden davongetragen. Da oben-
drein der Abend nahte, so galt es, zunächst für die rascher Hilfe Bedürftigen zu
sorgen und sie unter Dach zu bringen. Als die wenigen L^n verwundeten am
8. August mit ihrer schweren Last in den heimischen Dörfern eintrafen, erhob
sich überall jammervolles Klagen. Denn es gab im weiten Mohawktal kaum eine
Hütte, in der man nicht Tote betrauerte oder Verwundete langer Pflege be-
durften. Wie furchtbar manche Familien gelitten, ergibt sich aus der Tat-
sache, daß die Wohlhöfers und Müllers je vier, die Walrats drei, die Fuchs
fünf, die Schells sogar neun ihrer männlichen Mitglieder verloren.
Auch der wackere General Herchheimer starb an den Folgen seiner Ver-
wundung. Man hatte ihn auf einer Tragbahre in sein unterhalb der heutigen
Stadt Little Falls gelegenes Haus gebracht. Dort verfuhr aber der ihn be-
— 203 -
handelnde Wundarzt bei der notwendig gewordenen Amputation des zer-
schossenen Beines so ungeschickt, daß der tapfere Soldat am 17. August 1777
verblutete.
Trotz alledem heischte die Lage von den Pfälzern weitere schwere Opfer.
Denn die Belagerung des Forts Stanwix war noch nicht aufgehoben, der Feind
noch nicht nach Canada zurückgeworfen worden.
So scharten sich die übriggebliebenen Männer aufs neue zusammen und
zogen, durch eine stattliche Zahl inzwischen eingetroffener regulärer Truppen
unter dem Befehl des Generals Benedikt Arnold verstärkt, zum zweitenmal
aus, um Fort Stanwix zu entsetzen. Es kam aber nicht zu neuen Kämpfen.
Denn als die Belagerer durch ihre Kundschafter vom Anmarsch der Pfälzer
unterrichtet wurden, räumten sie schleunigst das Feld und zogen sich mit
Hinterlassung sämtlicher Zelte und Kanonen zurück.
Dieser Rückzug hatte das gänzliche Scheitern des vortrefflich ersonnenen
englischen Feldzugsplans zur Folge. Denn die beabsichtigte Vereinigung des
Obersten St. Leger mit General Burgoyne unterblieb. Ja, es gelang den
Amerikanern, auch dem Heer des letzteren den Weg zu verlegen und es nach
blutigen Kämpfen bei Saratoga so einzuschließen, daß es 5000 Mann
stark am 17. Oktober die Waffen strecken mußte.
Seit ihrem Eindringen in die Kolonie New York hatten die Briten mit
Einschluß der bei Oriskany und Fort Stanwix kampfunfähig Gewordenen oder
in Gefangenschaft geratenen Truppen einen Gesamtverlust von nahezu 10 000
Mann erlitten. Außerdem fielen den Amerikanern 42 Geschütze, mehrere
tausend Gewehre und bedeutende Vorräte an Munition in die Hände.
Da obendrein die Anschläge der Engländer gegen die im Hochland des
Hudson gelegenen Stellungen der Amerikaner mißlangen, so war eine der
drohendsten Gefahren des jahrelangen Feldzugs zerronnen.
Daß die wackeren Pfälzer unter Herchheimer zu dieser glücklichen Wen-
dun.g ihr redlich Teil beitrugen, erkannte der hochaufatmende Oberbefehlshaber
George Washington mit den Worten an, daß Herchheimer und seine Leute die
verhängnisvollen Aussichten des Jahres 1777 zuerst ins Gegenteil verwandelt
hätten.
In Würdigung dieser Tatsache bewilligte der Kongreß bereits im Oktober
des Jahres 1777 500 Dollar für ein zu Herchheimers Ehren bestimmtes Denkmal.
Wenngleich die furchtbaren Kriegsstürme der folgenden Jahre die Aus-
führung dieses Vorsatzes in den Hintergrund drängten, so erinnerten spätere
Geschlechter sich aber dieser Dankesschuld und errichteten zunächst auf dem
Schlachtfeld bei Oriskany einen mächtigen Obelisken, dessen Bronzetafeln
Szenen aus den dort stattgefundenen Kämpfen sowie die Namen der in der
Schlacht gefallenen Bewohner des Mohawktals verewigen. Herchheimer ist
dargestellt, wie er, verwundet auf seinem Sattel sitzend, die brennende Pfeife
in der Hand, Befehle erteilt.
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Auch das unweit seines Hauses auf einem niedrigen Hügel gelegene Grab
Herchheimers wurde im Jahre 18Q6 mit einem hochragenden Obelisken aus
weißem Marmor geschmückt. Und der Staat New York, der dieses weithin
sichtbare Denkmal setzen ließ, ehrte den Namen des darunter Ruhenden ferner
dadurch, daß er sowohl den Ort, wo Herchheimer geboren wurde, wie auch die
Grafschaft, in der er lebte und sein Leben beschloß, mit Herchheimers Namen
taufte.
Schluß Vignette: Herchheimers Grabstätte im Mohawktal.
Generalmajor Peter Mühlenberg.
Gedenkt das amerikanische Volk der Helden des Unabhängigkeitskrieges,
so darf es den Namen des Pastors Peter Mühlenberg nicht vergessen, des
gleichen Mannes, der im Jahre 1775 mit einer Anzahl gleichgesinnter Bewohner
der virginischen Ortschaft Woodstock jene aufsehenerregenden Beschlüsse ver-
faßte, über die bereits ein früherer Abschnitt berichtete und welche als der
erste öffendiche Widerspruch gegen die widerrechdiche Bedrückung der Kolonien
seitens der englischen Regierung angesehen werden können.
Aber der Anteil, den Mühlenberg an diesem papiernen Protest hatte,
genügte dem freiheitsliebenden Manne nicht. Er beschloß sein Amt nieder-
zulegen und als Soldat in das Heer der Freiheitsstreiter einzutreten. Als er
im Januar 1776 dieses Vorhaben seiner Gemeinde verkündigte und die Mit-
glieder für den folgenden Sonntag zu seiner letzten Predigt einlud, fanden sicli
in der Kirche zu Woodstock Hunderte aus w^eitem Umkreis gekommene Men-
schen zusammen, um von dem geliebten Gottesstreiter, der ihnen in Sturm
und Not so oft beratend und helfend zur Seite gestanden, Abschied zu
nehmen. Das kleine Kirchlein war bis zur äußersten Fassungskraft ge-
füllt. Desgleichen drängten sich auf dem es umgebenden Friedhof viele, die
ihren Seelsorger noch einmal von Angesicht zu Angesicht sehen und von
ihm Abschied nehmen wollten. Mühlenberg sprach in seiner Predigt über
Kopfleiste: Generalmajor Peter Mühlenberg.
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die Pflichten guter Bürger gegenüber dem Vaterlande und schloß mit den
Worten: „Alles hat seine Zeit, das Predigen und Beten, aber auch das Kämpfen.
Die Zeit des Kampfes ist jetzt gekommen!" Und damit entledigte er sich auf
der Kanzel seines Priesterornates und stand da in voller Soldatenuniform. Die
durch diesen unerwarteten Vorgang überraschten Gemeindemitglieder brachen
in tosenden Jubel aus. Und als nun draußen die Werbetrommel gerührt
wurden, da strömten Männer und Jünglinge scharenweise herbei, um sich zum
Kampf für die Freiheit zu verpflichten. Von Begeisterung fortgerissen, be-
stimmten Frauen ihre Gatten, betagte Eltern ihre Söhne, sich dem Dienst für
das Vaterland zu weihen. Und ehe der Abend kam, hatten über 300 Mann
sich bereit erklärt, den Fahnen der jungen Union zu folgen.
Mühlenberg hatte in seinen jungen Jahren einem englischen Regiment
angehört. Da er infolgedessen mit militärischen Dingen vertraut war, so über-
trug man ihm den Befehl über ein aus Deutschen bestehendes Regiment.
Mit diesem focht er ein Jahr lang in den südlichen Kolonien Georgia, den
beiden Karolinas und Virginien so erfolgreich, daß er im Jahre 1777 zum
Brigadegeneral befördert wurde.
Seine vier Regimenter zählende Brigade wurde der Hauptarmee Washing-
tons zugeteilt und deckte nach deren Niederlage am Brandy wine den Rückzug.
Wie sie hier ihren guten Ruf bewährte, so focht sie auch in den Schlachten
bei Germantown und Monmouth mit Auszeichnung.
Nach mancherlei Streifzügen im Süden bot sich Mühlenberg zuletzt noch
Gelegenheit, der in Yorktown zusammengezogenen englischen Hauptarmee den
Rückzug nach dem Süden zu verlegen und an ihrer Einschließung in York-
town teilzunehmen. Mühlenbergs Brigade glückte es während der Belagerung
durch einen kühnen Bajonettangriff eine der wichtigsten Redouten der Festung
zu nehmen und dadurch die Kapitulation zu beschleunigen. Die glänzende
Waffentat trug Mühlenberg den Rang eines Generalmajors ein.
Nach erfolgtem Friedensschluß bemühte die Gemeinde zu Woodstock sich,
ihren ehemaligen Pfarrer wieder zu gewinnen. Aber Mühlenberg hielt es für
unziemlich, dem im blutigen Kriegshandwerk rauh gewordenen Soldaten noch-
mals den Pfarrer aufzupfropfen. Er wandte sich dem öffentlichen Leben zu
und war zunächst als zweiter Vorsitzender im Staatsrat von Pennsylvanien,
später als Abgeordneter im ersten, zweiten und sechsten Bundeskongreß, und
endlich als Vertreter des Staates Pennsylvanien im Bundessenat mit ausge-
sprochenem Erfolg tätig.
Während der Jahre 1788, 1802 bis 1807 stand Mühlenberg an der Spitze
der zu Philadelphia im Jahre 1764 gestifteten „Deutschen Gesellschaft von
Pennsylvanien", die sein Andenken noch heute als das eines um das Deutschtum
hochverdienten Mannes in Ehren hält.
Der pennsylvanische Geschichtsschreiber Seidensticker zeichnete Mühlen-
bergs Charakterbild mit folgenden warmen Worten:
— 207 —
„Er war von der Natur gewissermaßen zum Soldaten geschaffen und glitt
in diese Bestimmung, sobald die Gelegenheit sich bot. Sein Mut und seine Enr-
schlossenheit paarten sich mit der ruhigen Überlegung, welche die Lage richtig zu
erfassen weiß; und so fand Washington, mit dessen Charakter der seinige
viele Ähnlichkeit hatte, in ihm nicht allein einen vortrefflichen Offizier, sondern
auch einen zuverlässigen Ratgeber. In seinem Auftreten war er offen, liebens-
würdig und anspruchslos. Soll aber ein Zug genannt werden, der sein Leben,
seine politischen Grundsätze und sein innerstes Wesen kennzeichnet, so war
es die Liebe zur Ereiheit."
Schlußvignette: Namenszug Peter Mühlenbergs.
Der Soldatenhandel deutscher Fürsten und die deutschen
Söldlinge im englischen Heer.
Als die englischen Kolonien der vom Mutterland über sie verhängten Be-
drückungen müde wurden und sich entschlossen zeigten, das englische Joch
abzuschütteln, fehlte es den Engländern an Truppen, um den Aufstand nieder-
zuwerfen. Ihre über die Kolonien verteilten Streitkräfte beliefen sich auf nur
15 000 Mann. Diese Zahl mußte um mindestens 40 000 vermehrt werden,
sollten die zum Unterdrücken des Aufstandes gemachten Anstrengungen irgend-
welche Aussicht auf Erfolg haben. Woher diese Truppen nehmen? Die Eng-
länder liebten es damals so wenig wie heute, die eigne Haut zu Markt zu tragen.
Man beschloß darum in einer Kabinettssitzung, fremde Hilfstruppen anzu-
werben und nach Am.erika zu senden. Mit Geld, das wußten die Engländer,
war alles zu haben. Folglich auch Soldaten. Zuerst wandte König Georg III.
sich an die Kaiserin Katharina von Rußland mit der Bitte, ihm gegen gute Be-
zahlung 20 000 Mann für den Dienst in Amerika abzulassen. Aber er erhielt
von der Herrscherin die verdiente Antwort, sie halte es mit ihrer kaiserlichen
Würde unvereinbar, einen solchen Handel abzuschließen. In Holland hatten
die Engländer ebensowenig Erfolg, worauf der König beschloß, in Deutsch-
Kopfleiste: Vom Herde weg in ferne Lande. Nach einer Zeichnung von F. Darley
in Lossings History of the United States.
— 209 —
land, bei den allezeit geldbedürftigen kleinen Fürsten, von denen mehrere mit
ihm durch das Haus Hannover verv/andt waren, sein Glück zu versuchen.
Deutschland war von jeher die Vorratskammer, aus der fremde Herrscher
mit Vorliebe das Menschenmaterial für ihre Heere bezogen. Schon während
des Siebenjährigen Krieges fochten deutsche Söldlinge unter Englands Fahnen.
In Stade hielt sich noch der englische Oberst William Faucitt auf, der jene Söld-
linge in den englischen Dienst eingemustert hatte. Da er die geeignete Person
schien, um Verhandlungen mit den deutschen Fürsten anzubahnen, so erhielt
er am 24. November 1775 dazu förmlichen Auftrag. Nach den damals in
Deutschland obwaltenden Staatsbegriffen betrachteten die Regenten ihre Sol-
daten als unbeschränktes Eigentum, mit dem sie nach Gutdünken schalten und
walten dürften. Besonders die Landgrafen von Hessen machten seit längerer
Zeit ein förmliches Gewerbe daraus, ihre Untertanen als Soldaten für alle mög-
lichen und unmöglichen Zwecke zu vermieten. Faucitt richtete deshalb sein
Hauptaugenmerk zunächst auf Hessen. Der Weg dahin führte von Stade über
Braunschweig, dessen Herrscher Herzog Karl I. durch seine verschwenderische
Hofhaltung dem kaum 150 000 Bewohner zählenden Ländchen eine Schulden-
last von 12 Millionen Taler aufgebürdet hatte. Alljährlich mußte es an Steuern
Dl. Millionen Taler aufbringen, die meist zum Unterhalt des Hofes, der italieni-
schen Oper, des französischen Balletts und für andere Zwecke vergeudet
wurden. Der Theaterdirektor strich jährlich 30 000 Taler ein, weniger seiner
Leistungen als seiner Kupplerdienste halber. Denn daß Karl I. geistige Leistun-
gen nicht zu würdigen verstand, geht aus der Tatsache hervor, daß der unsterb-
liche Lessing, der die Stelle eines herzoglichen Bibliothekars bekleidete, sich
mit einem Jahresgehalt von 300 Talern begnügen mußte. Neben dem ver-
schwenderischen Herzog fungierte der Erbprinz Ferdinand als Mitregent. Ohne
seine Einwilligung konnte nichts geschehen, weshalb Faucitt, der unter dem
Erbprinzen schon während des Siebenjährigen Krieges gedient hatte, zuerst bei
ihm anklopfte. Obwohl der Erbprinz mit einer Schwester des englischen Königs
vermählt war, war er doch Kaufm.ann genug, um die Gelegenheit auszunutzen.
Unter dem Vorwand, daß die Soldaten das einzige Vergnügen seines Vaters
seien, und daß dieser sich nur schwer von ihnen zu trennen vermöge, ließ er
den Obersten eine Weile zappeln. Erst als er gewiß war, sehr vorteilhafte Be-
dingungen herausschlagen zu können, versprach er, sich bei dem Herzog zu
verwenden. Dieser, längst vorbereitet, ging nach scheinbarem Zögern auf den
Handel ein und beauftragte seinen Minister Feranco mit dem Abschluß des
Vertrags. Dies geschah am Q. Januar 1776. Demzufolge übernahm der Her-
zog die Verpflichtung, den Engländern 3964 Fußsoldaten und 336 Reiter ohne
die Pferde zu liefern, wogegen England dem Herzog für jeden Soldaten ein
Handgeld von 30 Kronen oder 5U1> Talern zahlte. Außerdem wurde verein-
bart, daß für jeden Soldaten, der im Kriege falle, nochmals derselbe Betrag ent-
richtet werden müsse, und daß drei Verwundete gleich einem Toten angerechnet
werden sollten. Als Miete für die Truppen mußte England dem Herzog jähr-
Cronau, Deutsches Leben in Amerika. 14
— 210 —
lieh die Summe von 11 517 Pfund Sterling bezahlen, außerdem das Doppelte
desselben Betrags für die Dauer von zwei Jahren nach der Rückkehr der Sol-
daten in ihre Heimat. Die englische Löhnung der Truppen begann zwei Monate
vor ihrem Abmarsch.
Nachdem dieser Schacher in Menschenfleisch abgeschlossen war, be-
gab Faucitt sich nach Kassel. Dort regierte Friedrich II., ein sehr reicher
Fürst, der den Grund zu dem bei seinem Tod auf 60 Millionen Taler ge-
schätzten Vermögen hauptsächlich durch den bereits von seinen Vorfahren
schwungvoll betriebenen Soldaten handel legte. Obwohl sein Ländchen kaum
300 000 Bewohner zählte, unterhielt er doch ein stehendes Heer von 16 bis
20 000 Mann, führte in Kassel und Wilhelmshöhe zahlreiche Prachtbauten auf
und suchte es in bezug auf glänzende Hofhaltung allen andern Fürsten Deutsch-
lands zuvorzutun. Nachäfferei des Franzosentums und Maitressen Wirtschaft
waren für seine Regierung bezeichnend. Fs kostete Faucitt keine Schwierig-
keiten, für seine Vorschläge das Ohr des Landgrafen zu gewinnen. Nur mußte
er sich, da derselbe nicht wie der Braunschweiger von Geldnot bedrückt war,
zu erheblich höheren Verpflichtungen verstehen. Zunächst stellte der Landgraf
die Grundbedingung, daß eine ältere Forderung für Soldatenlieferungen, die
während des Siebenjährigen Krieges gemacht worden, im Betrag von
41 820 Pfund Sterling sofort beglichen werde. Dann verlangte er, daß außer
dem Handgeld für die zu liefernden 12 000 Soldaten die Löhnungen nicht an
die Soldaten, sondern an ihn zu entrichten seien, da ein großer Teil dieser
Gelder dann von ihm eingestrichen werden konnte. Ferner mußte sich Eng-
land verpflichten, für das Darleihen der Truppen eine Summe von 108 281 Pfund
Sterling jährlich zu zahlen, und diesen Betrag auch für das nach der Rückkehr
der Hessen in ihr Vaterland folgende Jahr zu leisten. Bezüglich der Toten
und Verwundeten traf der Landgraf keine Abmachungen, was den Vorteil hatte,
daß er jahrelang die Löhnung von Soldaten fordern konnte, die längst ge-
storben oder davongelaufen waren. Endlich behielt sich der Fürst die Beklei-
dung und Ausrüstung seiner Leute vor, wobei, da er den Betrag in Rechnung
stellen durfte, abermals ein schöner Gewinn in seine Taschen floß.
Von Kassel begab sich der englische Bevollm.ächtigte nach Hanau, wo
Wilhelm von Hessen-Hanau, ein seinen Nachbarn geistesverwandter Fürst resi-
dierte. Mit diesem schloß Faucitt einen Vertrag auf eine Lieferung von 668 Mann
ab. Darauf besuchte Faucitt den Hof des Fürsten von Waldeck, der, tief in
Schulden steckend, die Prediger seines Landes veranlaßte, von der Kanzel aus
alle waffenfähigen Männer aufzufordern, sich an dem „heiligen Krieg der Eng-
länder" zu beteiligen. Er selbst ging seinem Lande mit Opfermut voran, in-
dem er seine beiden Schloßkompagnien dem Engländer verschacherte.
Nach dem Waldecker kamen die Markgrafen Karl Alexander von Anspach-
Bayreuth und Friedrich August von Anhalt-Zerbst an die Reihe. Der erste lieferte
1225, der letzte 1152 Mann. Im ganzen stellten die vorhin genannten Fürsten
den Engländern ein Heer von 2Q 867 Mann, für welche England insgesamt die
NprficnjüHnpQltirrtfl&ufrnf^iftfninfanfme^fginieflf»
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SÖcrb'^ldRfn rinfinöcn
NB. (gäroirbouct), naAbfrOJtannfg.SKos, f in gutta ^anb föcfb gegfben.
Ein Anhalt-Zerbstsches Werbeplakat aus dem 18. Jahrhundert.
14*
— 212 —
Summe von 1 770 000 Pfund Sterling = 35 400 000 Mark an die deutschen
Fürsten bezahlte. Von diesen Truppen lieferte Hessen 16 992, Braunschweig
5723, Hanau 2422, Anspach-Bayreuth 2353, Waldeck 1225 und Anhalt-
Zerbst 1152.
Wo man nicht die eignen Soldaten zur Verfügung stellen konnte, suchten
die Landesherren die nötigen Leute durch Werber herbeizuziehen. Desgleichen
ließen sie alle wandernden Handwerksburschen, Studenten und Handlungsdiener
aufgreifen, steckten sie in die Soldaten] acke und beförderten sie mit den übrigen
auf die Schiffe. Diesem Schicksal verfiel auch der später berühmt gewordene
Dichter Johann Gottfried Seume, dem es erst nach langen Irrfahrten glückte,
wieder die deutsche Heimat zu erreichen.
Zur Ehre des deutschen Namens, der durch deutsche Fürsten in so
schmählicher Weise besudelt wurde, kann festgestellt werden, daß jener Sol-
datenhandel in Deutschland nicht ohne Widerspruch blieb. Vor allen war es
Friedrich der Große, der sich in harten Worten darüber ausließ, indem er
schrieb: „Wäre der hessische Landgraf aus meiner Schule hervorgegangen,
so würde er seine Untertanen nicht wie Vieh, das an die Schlachtbank geführt
wird, an die Engländer verkauft haben. Das ist ein unwürdiger Zug in dem
Charakter eines Fürsten. Solches Betragen ist durch nichts als schmutzige
Selbstsucht hervorgerufen."
Um seine Mißbilligung auch öffentlich auszudrücken, verbot er im Ok-
tober 1777 den für die Engländer bestimmten Truppen den Durchzug durch
preußisches Gebiet.^) Dadurch verzögerte sich der Transport der Söldlinge
so sehr, daß alle Berechnungen der dringend Nachschub benötigenden eng-
lischen Generäle in Nordamerika zuschanden wurden. Sie wagten infolge-
dessen nicht, das im Winterlager bei Valley Forge liegende, nur 5000 Mann
starke amerikanische Heer anzugreifen und ließen so den günstigsten Augen-
blick zum Unterdrücken des Aufstandes verstreichen.
Der Abscheu gegen die mit dem Blut und Leben ihrer eignen Untertanen
handeltreibenden dunklen Ehrenmänner auf Deutschlands Thronen machte sich
auch in allen anderen Teilen des Reiches geltend. Kant, Herder, Klopstock,
Arndt und Lessing eiferten gegen den Menschenschacher. Desgleichen sprach
sich Friedrich Schiller bitter gegen denselben in seinem Drama „Kabale und
Liebe'' (zweiter Akt, zweiter Aufzug) aus. Er läßt Lady Milford, die Maitresse
des in dem Drama auftretenden Fürsten, dessen Diamanten voll Verachtung und
Entsetzen zurückweisen, als sie erfährt, daß die Juwelen mit dem für die ver-
kauften Soldaten gewonnenen Geld beschafft sind. Auch in anderen Teilen
Europas wurde der Soldatenhandel lebhaft besprochen. Mirabeau schrieb einen
^) Friedrich der Große gab seiner aufrichtigen Sympathie für die Sache der ameri-
kanischen Kolonien auch noch in anderer Weise Ausdruck. Er war der erste, welcher
deren Selbständigkeit anerkannte. Und um gar keinen Zweifel über seine Stellung auf-
kommen zu lassen, schickte er dem Oberbefehlshaber der amerikanischen Armee, George
Washington, als besonderes Zeichen seiner Bewunderung einen Degen.
- 213 —
aufreizenden „Aufruf an die Hessen und andere von ihren Fürsten an England
verkaufte deutsche Stämme", durch den der Landgraf von Hessen sich so un-
angenehm getroffen fühlte, daß er alle Exemplare der Schrift, deren er habhaft
werden konnte, aufkaufen und verbrennen ließ. Zugleich ordnete er die Her-
ausgabe eines Schriftchens „Vernünftigerer Rat an die Hessen" an, in dem er
Mirabeaus Aufruf beantwortete und seine Handlungsweise mit einer Berufung
auf seine feudalen Rechte zu verteidigen suchte.
Selbst in England wurde der zwischen der Regierung und den deutschen
Fürsten betriebene Soldatenhandel scharfer Kritik unterworfen. Besonders die-
jenigen, welche die Klagen der Kolonisten über die ungerechte Bedrückung
seitens des Mutterlandes für begründet hielten, verurteilten das Verfahren, die
Kolonisten durch fremde Truppen zum. Gehorsam zurückzuführen, aufs strengste.
„Wäre ich," so rief der Abgeordnete Chatam im Parlament, „ein Amerikaner,
wie ich ein Engländer bin, und müßte zusehen, wie ein fremdes Fleer in meinem
eignen Lande erschiene, so würde ich meine Waffen niemals niederlegen —
niemals — niemals!"
Diese Worte entsprachen in der Tat der tiefen Empörung, welche alle in
Amerika lebenden Ansiedler erfaßte, als sie die Kunde erhielten, daß England
zu ihrer Unterwerfung deutsche Söldlinge aufgeboten habe. Die beklagens-
werten Opfer fürstlicher Niedertracht und Habgier hielt man für die Hinder-
nisse, die sie durch ihre unfreiwilligen Dienste der Sache der Freiheit in den
Weg legten, keineswegs verantwortlich. Man empfand für sie mehr Mitleid
als Haß und bemühte sich, sie von der Un Würdigkeit ihrer Stellung zu über-
zeugen und auf die amerikanische Seite herüberzuziehen.
Als in der Schlacht bei Trenton 1000 Hessen gefangen wurden, ließ
Washington dieselben in Philadelphia einquartieren. Zugleich ersuchte er den
dort bestehenden Sicherheitsausschuß, an die Bürger folgendes Rundschreiben
zu richten : „Der General hat uns empfohlen, geeignetes Quartier für diese Ge-
fangenen zu finden. Es ist sein emster Wunsch, daß sie gut behandelt werden
und während ihrer Gefangenschaft Erfahrungen machen, welche ihren noch im
Dienst des Königs von Großbritannien stehenden Landsleuten die Augen öffnen.
Diese armen Geschöpfe erregen unser gerechtes Mitleid. Sie hegen keine Feind-
schaft gegen uns. Nach den willkürlichen Gebräuchen despotischer deutscher
Fürsten wurden sie ihrem Vaterland entrissen und an einen fremden Monarchen
verkauft, ohne daß ihre Neigungen berücksichtigt oder sie selbst in Kenntnis
gesetzt worden wären."
Auch die in den Kolonien lebenden Deutschen, denen die schmachvolle
Stellung ihrer Landsleute besonders zu Herzen ging, ließen es an Bemühungen
nicht fehlen, die Söldlinge über die Bedeutung des amerikanischen Unabhängig-
keitskrieges aufzuklären. Sie schmuggelten allerhand in deutscher Sprache ge-
druckte und auf Tabakspakete geklebte Zettel bei den deutschen Söldnern ein.
„Ihr braucht euch," so heißt es auf einem dieser Zettel, „keine Sorge zu machen,
daß das Verlassen des hessischen Sklavendienstes Sünde sei. Nein, es ist viel-
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mehr eine Tugend, die eine der edelsten ist. Denn der, welcher sich gegen sein
Gewissen und seine Vernunft zu diesem henkermäßigen Mordhandwerk ge-
brauchen läßt, verdient wahrlich nicht, ein Mensch zu sein."
Ein im amerikanischen Heer fechtender deutscher Füsilier erließ sogar an
seine bei den Engländern dienenden Landsleute folgendes Gedicht:
„Ihr kämpfet nur für niedern Lohn,
Für Freiheit kämpft ihr nicht,
In unserm Heer ist Washington,
Der nur für Freiheit ficht.
Kommt zu uns frei von Groll und Trug,
Und eßt das Freundschaftsmahl,
Wir haben hier der Hütten g'nug
Und Länder ohne Zahl." —
Von dem patriotischen deutschen Bäcker Christoph Ludwig wird erzählt,
daß er sich als vorgeblicher Überläufer in das auf Staten Island gelegene Lager
der Hessen begeben und durch seine Schilderung des deutschpennsylvanischen
Lebens so großen Eindruck bei den Söldlingen gemacht habe, daß ihrer mehrere
Hundert bei erster Gelegenheit desertierten. Ludwig war es auch, der dem
Kongreß vorschlug, die deutschen Kriegsgefangenen bei ihren in Philadelphia
und in anderen deutschen Ansiedlungen lebenden Landsleuten unterzubringen.
„Zeigt ihnen," so schrieb er, „unsre schönen deutschen Kirchen, laßt sie unsern
Rindsbraten kosten und unsern Hausrat sehen. Dann schickt sie wieder fort
zu den Ihrigen und ihr sollt sehen, wie viele uns zulaufen werden!"
Dieser Vorschlag leuchtete dem Kongreß ein, und als derselbe obendrein
in einer vom 29. April 1778 datierten Proklamation jedem zu den Amerikanern
übergehenden Soldaten 50 Acker Land, jedem Hauptmann, der 40 Mann mit
sich bringe, 800 Acker, 4 Ochsen, 1 Bullen, 2 Kühe und 4 Schweine verhieß,
ohne daß solche Leute genötigt sein sollten, gegen die Engländer die Waffen
zu erheben, da nahm, wie die „Philadelphische Zeitung" alsbald berichten
konnte, „das Ausreißen unter den britischen Truppen außerordentlich überhand.
Die meisten, die zu uns kommen, sind Deutsche, welche bezeugen, daß die
ganze deutsche Hilfsannee herüberkommen würde, wenn sie nur Gelegenheit
dazu hätte".
Es stand solchen Überläufern vollkommen frei, entweder sofort mit dem
Bestellen der ihnen überwiesenen Güter zu beginnen, oder, falls sie sich zum
Waffendienst in der amerikanischen Armee entschlossen, irgendeinem Truppen-
teil beizutreten. Offiziere, die sich einreihen Ueßen, wurden stets um einen
Rang befördert.
Aus sprachlichen Gründen lag der Gedanke nahe, aus solchen Über-
läufern besondere, von deutschsprechenden Offizieren befehligte Abteilungen zu
bilden. Ein solches Korps war die vom preußischen Hauptmann Nikolaus
Dietrich von Ottendorf befehligte leichte Infanterie. Sie wurde später
durch die Freischärler des im Kampf gefallenen Polen Pulaski sowie des in Ge-
— 215 —
fangenschaft geratenen preußischen Hauptmanns Paul Schott verstärkt,
aber in eine Reiterabteilung verwandelt. Später dem Befehl des französischen
Marquis Armand de la Rouerie unterstellt, nahm die Abteilung an den Kämpfen
im Süden, unter andern auch an der unglücklichen Schlacht bei Camden teil.
Den im britischen Heer dienenden deutschen Söldlingen darf man die An-
erkennung nicht versagen, daß sie sich tapfer schlugen. Ihre Generäle Riedesel,
Knyphausen, Heister, Frazer und Philipps, sowie die Obersten Donop, Specht,
Rlial u. a. erwarben sich durch kühne Waffentaten sogar die Anerkennung der
amerikanischen Geschichtsschreiber. Frazer, Philipps und Donop büßten an
der Spitze ihrer Truppen das Leben ein.
Von den 29 867 deutschen Hilfstruppen sahen nur 17 313 ihr Vaterland
wieder. Von den 12 554 nicht zurückkehrenden Soldaten fielen 1200 in
Schlachten; 6354 starben an Wunden und an Krankheiten; 5000 desertierten
oder wurden gefangen genommen. Diese letzteren wurden hauptsächlich in
solchen pennsylvanischen und virginischen Ortschaften untergebracht, wo sie
mit dort wohnenden Landsleuten in stete Berührung kamen : in Lancaster,
Reading, Lebanon, Winchester und Charlottesville. Dort stellten sich in ihren
Lagern gar bald die wohlhabenden deutschen Bauern ein, um mit folgenden
Worten auf sie einzuwirken: „Eure Fürsten haben euch an die Engländer ver-
kauft und machen sich lustig mit dem empfangenen Sündengeld. Bleibt hier!
Wir nehmen euch als Ackerknechte. Und wenn ihr ein paar Jahre fleißig seid,
habt ihr Land, Vieh und Häuser wie wir. Und dann schaut euch unsere Mädels
an! Sind es nicht wackere deutsche Dirnen? Heiratet sie und gründet mit ihnen
den eignen Herd!"
Solche Überzeugungsgründe leuchteten den Gefangenen ein. Ganze
Scharen entsagten dem rauhen Kriegshandwerk, um, der werktätigen Beihilfe
ihrer Landsleute gewiß, sich als wohlbestallte Farmer unter denselben nieder-
zulassen. Mit ihren Nachkommen nahmen viele später auch an der Besiedlung
von Ohio, Kentucky und Tennessee teil, und halfen dort Ortschaften und Städte
gründen.
Von den in die Heimat zurückgekehrten deutschen Offizieren, Feldärzten
und Feldpredigern schilderten manche ihre Erlebnisse und Beobachtungen in
Büchern, von denen einige, wie z. B. jenes des beim Ansbach Bayreuthischen
Regiment angestellten f^eldschers Dr. Johann David Schöpf weite Verbreitung
fanden. Durch ihre Mitteilungen über Amerika, seine Bewohner, die deutschen
Niederlassungen und die gewaltigen Hilfsquellen des Landes trugen sie erheb-
lich dazu bei, die während des Krieges ins Stocken geratene deutsche Aus-
wandrung nach Amerika aufs neue anzuregen.
Und so erblühte den Vereinigten Staaten aus den zu ihrer Vernichtung
über das Weltmeer geschleppten deutschen Söldlingen nach den verschiedensten
Seiten hin reicher Gewinn.
Die deutschen Ansiedler im Kampf gegen die indianischen
Verbündeten der Briten.
Beging die eng-
lische Regierung eine
verächtliciie Handlungs-
weise, indem sie die
nur auf ihren Rechten
bestehenden Kolonien
mit fremden Hilfstrup-
pen bekriegte, so machte
sie sich obendrein eines
geradezu empörenden
Frevels schuldig, als
sie die ihrem Einfluß
zugängigen Indianer-
stämme zu Verbünde-
ten machte und gegen
die eignen Untertanen
in den Kampf hetzte.
Diesen Rothäuten fiel
die doppelte Aufgabe
zu, die wesdichen An-
siedlungen zu zerstören
und gleichzeitig den
Amerikanern, während
sie die von den Küsten
aus erfolgenden briti-
schen Angriffe abwehr-
ten, in den Rücken
zu fallen und dadurch
zum Zersplittern ihrer Streitkräfte zu nötigen. Man stachelte die angeborene
Mordgier der Wilden an, indem man für jede amerikanische Kopfhaut, gleich-
gültig, ob von einem Mann, Weib oder Kind stammend, eine Belohnung von
8 Dollar aussetzte. Es bedurfte nicht mehr, um die Indianer zu den kühnsten
Kopfleiste: Thayendanegea.
217 —
Anfällen auf die Kolonisten zu verfiihren. In kleineren und größeren Scharen
durchstreiften sie alle Grenzgebiete, überfielen sämtliche Niederlassungen und
richteten grauenhafte Blutbäder an.
Zum Ausführen ihres teuflischen Werks versicherten die Engländer sich
in erster Linie der Beihilfe des bereits erwähnten Thavendanega oder Joseph
Brant. Derselbe beunruhigte mit seinen Banden jahrelang die in den west-
lichen Teilen von New York und Pennsylvanien gelegenen Niederlassungen und
fugte ihnen außerordentlich schweren Schaden zu. Niedergebrannte Hütten
Scheunen, Ställe und Felder, die Leichen skalpierter Ansiedler, geschändeter
Frauen und ermordeter Kinder bezeichneten ihren Weg. Beim Verüben solcher
Verbrechen leisteten englische Soldaten und Offiziere, ehemalige königstreu ge-
bliebene Bewohner der durchzogenen Landstriche hilfreiche Hand.
Im August des
Jahres 1777 begleitete
der Häuptling mit
1000 indianischen
Kriegern den eng-
lischen Oberst St. Le-
ger auf dessen Zug
ins obere Mchawk-
tal. Die geplante Ver-
wüstung desselben
scheiterte bekanntlich
infolge des Kampfes
bei Oriskany.
Um die gleiche
Zeit, wo Thayenda-
negea gegen die von
Herchheimer befehligten Pfälzer focht, brachen andere indianische Banden in
Gemeinschaft mit dem schottischen Kapitän Mc Donald und mehreren hundert
Tories in das Tal des Schoharie. wurden aber ebenfalls zurückgeworfen.
Am 1. Juni des folgenden Jahres überfielen 700 Indianer und 400 unter
dem Befehl des Majors John Butler stehende Engländer die Ansiedlung Cobels-
viile, wobei die dortige Bürgerwehr in einen Hinterhalt geriet und niedergemacht
wurde. Von Cobelsville wandten die Rotten sich dem oberen Susquehannah
zu. Derselbe eilt durch das wunderschöne Wyomingtal. Hier lagen mehrere
Ortschaften, deren Bewohner glücklich und in Frieden lebten.
Der größte Teil der männlichen Bevölkerung befand sich in Washingtons
Armee, so daß die Ansiedlungen fast wehrlos lagen.
Als die Zurückgebliebenen die erste Kunde von dem Nahen der feind-
lichen Horden erhielten, flohen die Frauen und Kinder in die im Tal angelegten
Befestigungen. 300 Männer hingegen, unter ihnen viele Greise und Knaben,
zogen am 3. Juli mutig den Feinden entgegen, um dieselben zurückzutreiben.
Das Wyoniingtal.
— 218 —
Aber die wackeren Wyominger hatten deren Zahl arg unterschätzt. Nach
mehrstündigem heldenmütigem Kampf erlagen sie der gewaltigen Übermacht
und wurden rücksichtslos niedergemacht. Nur 140 entkamen ins Fort.
Am nächsten Morgen erschienen die grausamen Sieger vor der kleinen
Befestigung und forderten deren Übergabe. Die Nachrichten über den Verlauf
der Verhandlungen widersprechen einander. Mehreren Überlieferungen zu-
folge hätten die Insassen sich ergeben, wären aber von den Wilden samt und
sonders erbarmungslos ermordet worden. Andere Nachrichten sagen, sie seien
durch das rechtzeitige Eintreffen von Hilfstruppen vor dem Untergang bewahrt
geblieben.
Bei der Verteidigung des Wyomingtales spielte der im Tal ansässige
deutsche Friedensrichter Hollenbach eine hervorragende Rolle. Leider sind
die Nachrichten über das sogenannte „Blutbad im Wyomingtal" zu verworren,
als daß sich der Anteil des Friedensrichters mit Sicherheits feststellen ließe. Einer
in Rupps „Geschichte von Berks- und Lebanon County" enthaltenen Angabe
zufolge wäre Hollenbach der liauptheld der Verteidigung gewesen.
Nach den am Susquehannah verübten Schandtaten wandten die Rothäute
und Briten sich wieder dem Mohawktal zu, brannten dort am 1. September
63 Häuser, 57 Scheunen und 5 Mühlen der Pfälzeransiedlung Oerman Fiats
nieder, und schleppten zugleich 235 Pferde, 239 Rinder, 93 Ochsen und
269 Schafe fort. Sie wagten nicht, die durch Späher zeitig genug gewarnten
und in die Forts Herchheimer und Dayton geflohenen Pfälzer anzugreifen.
Und so kamen jene für diesmal mit einem Verlust von nur zwei Menschen-
leben davon.
Um die Grenzbewohner vor weiteren Überfällen zu schützen, sandte
Washington im Jahre 1779 den General Sullivan mit 5000 iVlann, darunter
zahlreiche deutsche Scharfschützen aus Pennsylvanien und Virginien, gegen die
Irokesen. Im Verlauf dieses überaus schwierigen Feldzugs gelang es den
Amerikanern, die Rothäute und Briten am 29. August bei Newton, in der Nähe
der heutigen Stadt Elmira, zu schlagen, 40 indianische Dörfer zu vernichten
und die Feinde über die canadische Grenze zu treiben.
Aber bereits im folgenden Jahr begannen die Raubzüge in das New Yorker
Gebiet aufs neue. Da war kaum eine Ortschaft, die nicht unter feindlichen An-
griffen zu leiden gehabt hätte. In Canajoharie brannte eine aus 500 Indianern
und Tories bestehende Bande am 2. August 63 Häuser samt Scheunen und
Ställen nieder, tötete 300 Pferde und Rinder, ermordete 16 Männer und schleppte
60 Frauen und Kinder fort. Wenige Tage später überfielen 73 India;ier und
5 Tories die vereinzelt stehenden Häuser im Schoharietal. Am 10. Oktober
brachen dort unter der Führung des früher im Mohawktal ansässig gewesenen
Sir John Johnson 1000 Indianer und Tories herein, um die von den Tal-
bewohnern eingebrachten Ernten zu rauben und alles andere zu zerstören.
Glücklicherweise waren die Talbewohner auch diesmal durch ausgestellte
Wachtposten zeitig genug gewarnt worden, und hatten sich in die Forts flüchten
~ 21Q —
können. Hier lagen 150 Mann Kontinentaltruppen und 100 Freiwillige, welche
den Angriffen der Feinde so kräftigen Widerstand entgegensetzten, daß diese
noch am gleichen Tage abzogen. Aber der Feuerschein von 300 brennenden
Häusern und Scheunen beleuchtete ihren Weg.
Vom Schoharie zog Johnson ins Mohawktal, ließ am 18. Oktober Caugh-
nawaga niederbrennen und sämtliche am Nordufer des Flusses liegende An-
siedlungen bis Stone Arabia verwüsten. Mehrere kleinere Truppenabteilungen,
die sich ihm in den Weg stellten, wurden überwältigt und niedergemacht.
Lagen die Wohnstätten der Ansiedler vereinzelt, so entgingen diese selten
dem Untergang. Denn nicht jeder war imstande, die Feinde so heldenhaft ab-
zuwehren, wie dies der wackre deutsche Bauer Johann Christian
Schell vermochte. Derselbe wohnte eine Stunde nordöstlich von German
Fiats inmitten einer einsamen Wildnis. Am 6. August 1781 wurde sein Block-
haus von 48 Indianern und 16 Engländern überfallen. Mit Mühe gelang es
dem gerade mit Feldarbeiten beschäftigten Ansiedler, sich mit seiner Frau und
vier Söhnen in das Haus zu flüchten. Zwei Söhne, welche nicht rasch genug
folgen konnten, fielen den Feinden in die Hände. Schells Blockhaus war aus
starken Baumstämmen gezimmert und besaß im untern Stockwerk keine Fenster,
sondern nur schmale Schießscharten. Den einzigen Eingang schloß eine
schwere Tür. Das obere Stockwerk ragte über das untere einen Meter weit
vor und hatte in seinem Boden Luken, durch die man Angreifer, falls sie ver-
suchten die Tür zu erbrechen oder das Haus anzuzünden, beschießen konnte.
Die Feinde versuchten mehrere Male das Haus zu stürmen, mußten sich aber
stets vor dem heftigen Feuer der Insassen zurückziehen. Während Schell und
seine vier Söhne schössen, lud die Frau die Gewehre. In den Abendstunden
suchte der Führer der Engländer das Haus mit Gfcwalt zu erstürmen und er-
griff einen Hebebaum, um die Tür zu sprengen. Dabei erhielt er aber einen
Schuß ins Bein und wurde überdies von Schell, der rasch die Tür öffnete,
in das Haus hineingezogen und gefesselt. Diese kühne Tat verblüffte die Be-
lagerer so, daß sie für eine Weile ihre Angriffe einstellten. Bald aber begannen sie
den Sturm aufs neue, um an den Ansiedlern Rache zu nehmen und ihren
Führer zu befreien. Als sie von allen Seiten gegen das Haus anrückten, stimmte
Frau Schell das Schlachtlied der Reformierten an: „Ein' feste Burg ist unser
Gott." Noch waren die ersten Verse nicht verklungen, als die Angreifer mit
mächtigen Sätzen ankamen, ihre Flinten durch die Schießscharten des untern
Stockwerkes stießen und in den Innenraum zu feuern begannen. Frau Schell
war aber mit einer Axt bei der Hand und führte auf die Flinten so wuchtige
Schläge, daß die Läufe unbrauchbar wurden. Mehrere gutgezielte Schüsse aus
den Büchsen Schells und seiner Söhne nötigten die Belagerer zum endgültigen
Abzug. Sie hatten elf Tote verloren und zählten zwölf schwer Verwundete, von
denen neun bald darauf starben. Die Feinde schleppten die beiden gefangenen
Söhne mit nach Canada, von wo sie erst nach Beendigung des Krieges zurück-
kehrten. Sie fanden ihren Vater aber nicht mehr unter den Lebenden; er war
— 220
ein Jahr nach der ersten Heimsuchung zum zweitenmal von Indianern über-
fallen und so schwer verwundet worden, daß er bald nach der glücklichen
Abweisung der Rothäute seinen Wunden erlag.
Ein anderes Beispiel echten Heldenmutes lieferten die wackeren Ver-
teidiger des virginischen Grenzforts Rice. Dasselbe bestand nur aus mehreren
Blockhütten. Es wurde im September 1782 von hundert Indianern angegriffen,
aber von seinen sechs deutschen Insassen Georg
und Jakob Leffler, Peter Eullenwei-
der, Jakob Müller, Daniel Reis und
GeorgFellbaum mit solcher Entschlossenheit
verteidigt, daß die Feinde schließlich abzogen. Fell-
baum starb an den im Kampf erhaltenen Wunden.
Als echte Heldin erwies sich auch die in
Pennsylvanien wohnende Christiana Zeller.
Während sie sich eines Tages mit ihren Kindern
allein in der Behausung befand, sah sie mehrere
Indianer versichtig heranschleichen. Rasch ver-
rammelte die Frau die schwere Holztür, stellte sich
mit einer Axt an die Kelleröffnung und beförderte
drei Rothäute, die ihre Köpfe durch die Öffnung
zwängten, um einen Zugang ins Innere auszu-
spähen, mit wuchtigen Streichen in die glücklichen
Jagdgründe.
Ein grelles Licht auf die Kriegführung jener
schrecklichen Zeit wirft das folgende Ereignis. Im
Februar 1782 fielen bei einem Kampf zwischen
Amerikanern und einer englisch - indianischen
Streiftruppe den ersten neben anderer Kriegsbeute
acht große Bündel in die Hände. Als man diese
Bündel öffnete, zeigte es sich, daß sie nicht we-
niger als 1062 getrocknete Kopfhäute enthielten,
welche die Indianer während ihrer Streifzüge
durch New York, Pennsylvanien und Neu-
England erbeutet hatten. Bei den Skalpen be-
fand sich ein von dem Engländer James Craw-
furd an den canadischen Gouverneur Haldi-
in dem der Gouverneur ersucht wurde, die
Kopfhäute im Namen der Seneca-Indianer an den König von England zu
schicken. Auf einem besonderen Zettel war eine Rede des Häuptlings Concio-
gotchie niedergeschrieben, worin er an den canadischen Gouverneur folgende
Worte richtete: „Vater, wir wünschen, daß Du diese Skalps an den großen
König sendest, damit er durch ihren Anblick erfrischt werde und die Über-
zeugung gewinne, daß seine Geschenke einem dankbaren Volk gemacht
Ein indianischer Si<alp.
mand gerichteter Brief,
— 221 —
wurden, welches seine Treue durch die Vernichtung der Feinde des Königs
beweist." Unter diesen schauerlichen, von nur einer einzigen Streiftruppe er-
oberten Siegeszeichen befanden sich zweifellos die Kopfhäute mancher deut-
schen Ansiedler, die bei der Verteidigung ihrer Hütten und Angehörigen der
Blutgier der Rothäute sowie der Barbarei der Engländer, die sich jener Wilden
zur Kriegführung bedienten, zum Opfer fielen.
Als endlich der Friede kam, waren weite Länderstrecken, die früher mit
ihren blühenden Obstgärten, wohlbestellten Feldern und schmucken Wohn-
stätten eine wahre Augenweide gewesen, in menschenleere Wüsten verwandelt.
In den deutschen Dörfern am Mohawk und Schoharie stieß man überall auf
die traurigen Ruinen niedergebrannter Häuser und Scheunen. 500 Witwen
und 300i0 Waisen beweinten den Tod ihrer Ernährer.
Während jener Zeit schwerster Gefahren und Bedrängnisse bildeten
viele der wackern, von Rachedurst erfüllten deutschen Ansiedler sich zu kühnen
Indianer Jägern aus, von denen manche geeignet gewesen wären, einem Fenimore
Cooper als Modell für seine Lederstrumpffigur zu dienen.
Im Mohawktal machte sich Johann Adam Hartmann aus Eden-
koben in der Pfalz, ein Hüne an Kraft und Gestalt, den Rothäuten gefürchtet.
In Pennsylvanien, Ohio und Indiana lebt das Andenken der Gebrüder
Weitzel, des Georg Rufner, des Daniel Bolaus, des Fried-
rich Behrle, des Peter Niesvanger, des Kaspar Mansker, des
Michel Steiner und Wilhelm Wells als berühmter Indianertöter fort.
Über mehrere dieser kühnen Männer müssen wir in einem späteren Ab-
schnitt ausführlicher berichten.
Schlußvignette: Eine zerstörte Heimstätte
/JhjJ(!kd
Generalmajor Johann von Kalb.
Es gab unter den Völkern Europas keines, welches die in den fünfziger
und sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts immer deutlicher werdenden An-
zeichen der Unzufriedenheit in den englischen Kolonien mit so fieberhafter
Erregung und Genugtuung beobachtete, wie die Franzosen. Sie hatten gute
Gründe. Denn war ihnen nicht ihre, von der Mündung des St. Lorenzstroms
bis zum Mississipi reichende vielverheißende Kolonie Neu-Frankreich, die
man in mühseligen Entdeckungsreisen, unter blutigen Kämpfen und unge-
heuren Geldopfern erschlossen hatte, von ihren alten Erbfeinden, den Briten,
entrissen worden? Den Verlust dieser gewaltigen Ländermassen und die
Schmach der dabei erlittenen Niederlagen vermochten die stolzen Franzosen
nicht zu überwinden. Die noch frischen Wunden brannten wie Feuer und
man dürstete nach einer Gelegenheit, wo man für die erlittene Schmach furcht-
bare Vergeltung üben könne.
Die Zeit der Rache schien zu kommen, als die Gegensätze zwischen den
englischen Kolonien und dem britischen Mutterlande sich immer mehr zu-
Kopflcistc: Johann von Kalb.
— 223 —
spitzten und in offenen Aufruhr auszuarten droliten. Um über die Lage Ge-
wißheit zu erlangen, schickte die französische Regierung bereits im Jahre
1767 einen Vertrauten nach Amerika, der zugleich den Auftrag hatte, die
dortige Bevölkerung im Kriegsfall der Unterstützung Frankreichs zu ver-
sichern.
Mit dieser keineswegs ungefährlichen Mission beauftragte man den
am 20. Juni 1721 in Hüttendorf bei Erlangen geborenen Deutschen Johann
V o n K a 1 b , einen Mann, der bereits in jungen Jahren in das aus Elsässern und
Lothringern zusammengesetzte französische Regiment Löwendal eingetreten war
und sich in mancherlei Kriegszügen zum Obersten emporgeschwungen hatte.
Eine reiche Heirat erlaubte es ihm später, sich in Paris den besten Gesellschafts-
kreisen anzuschließen.
Von Kalb entledigte sich seiner Aufgabe mit vollendetem Geschick. Und
als nach Ausbruch des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges der feurige
Marquis de Lafayette eine Expedition ausrüstete, um in Amerika an dem Kampf
gegen die Briten teilzunehmen, da schloß der von der französischen Regierung
zum Brigadegeneral erhobene von Kalb sich Lafayette an und trat, in Amerika
herzlichst willkommen geheißen, in die Armee der Ereiheitsreiter ein.
Dem zum Generalmajor ernannten tatendurstigen Mann bot sich schon
bald Gelegenheit, in zahlreichen Gefechten seine Fähigkeiten zu beweisen.
Aber eine recht eintönige Periode folgte, als er in den Sommermonaten der
Jahre 1778 und 1779 mit seinen Regim.entern zum Beobachten der in der
Stadt New York sitzenden Engländer abkommandiert wurde. Es gab dabei
zwar manche Scharmützel von untergeordneter Bedeutung zu bestehen; aber
es kam nicht zu einer entscheidenden Schlacht. So wenig die Amerikaner
stark genug waren, die Engländer aus ihren festen Stellungen zu werfen, so
wenig glückte es diesen, die Gegner zu vertreiben.
Der Untätigkeit längst müde, begrüßte es von Kalb mit Ereuden, als er
im Jahre 1780 den Befehl erhielt, mit 2000 Mann nach der im Süden gelegenen
Stadt Charleston zu marschieren, wo der von den Engländern eingeschlossene
General Lincoln der Hülfe dringend bedurfte. Aber schon vor dem Eintreffen
des Kalbschen Ersatzheeres mußte die Stadt kapitulieren. Da der Zweck der
Expedition hinfällig gev/orden, so zog von Kalb nach Südkarolina, um die
Bürgerwehren dieser Kolonie zu einer neuen Südarmee zu vereinigen, die dem
dort stehenden 12 000 Mann starken englischen Heer das Gegengewicht bilde.
Das Zusammenschweißen dieser Milizen erwies sich aber als eine fast
unlösbare Aufgabe. Die Befehlshaber der über die ganze Kolonie verstreuten
Truppen zogen vor, auf eigne Faust Krieg zu führen, anstatt sich einem
fremden Offizier unterzuordnen. Forderte von Kalb von den Behörden
Transportmittel, so kamen diese nie zur Stelle. Versprechungen wurden selten
erfüllt. Obendrein verursachte die Ve/p/legung der Truppen in dem verarmten
Lande fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Kurz, alle Zustände waren so
widerwärtig, daß von Kalb hoch aufatmete, als der Bundeskongreß dem
— 224 —
General Gates den Oberbefehl über sämtliche im Süden befindlichen Truppen-
körper übertrug.
Aber auch Gates vermochte nicht der trostlosen Zustände Meister zu
werden. Um die Lage durch einen verwegenen Handstreich zum Abschluß
zu bringen, faßte Gates den törichten Plan, geradeswegs auf die in Südkarolina
gelegene Stadt Cam.den zu marschieren und die dort stehenden englischen
Truppen zu überfallen.
Dieser Vorsatz war um so gewagter, als der gerade Weg nach Camden
den ödesten Teil Südkarolinas durchquerte, wo die Verpflegung eines größeren
Heerkörpers schon in guten Jahren ungeheure Schwierigkeiten verursachen
mußte. Von Kalb machte auf diesen Umstand aufmerksam und empfahl, falls
der Plan beibehalten werden solle, auf Umwegen durch fruchtbarere Gebiete
nach Camden zu marschieren. Aber General Gates ließ sich nicht zur Ände-
rung seines verhängnisvollen Entschlusses bewegen, sondern brach mit dem
von vornherein schlecht verproviantierten Heer auf.
Der wahnwitzige Marsch beanspruchte drei Wochen, während welcher
die Sonne glühendheiß herniederbrannte und den hungernden und durstenden
Soldaten fürchterlich mitspielte. Zu Dutzenden, zu Hunderten sanken sie nieder,
oder suchten ihr Heil in der Flucht. Nicht mehr fern vom Ziel war die Armee
auf nur 2000 todm.üde, abgezehrte Leute zusammengeschmolzen. Damit wollte
Gates in der Nacht des 15. August die Engländer überfallen.
Aber diese waren durch ihre Spione vom Nahen der Gegner längst
unterrichtet worden und hatten aus weitem Umkreis ihre gesamten Streitkräfte
zusammengerafft. Den Amerikanern weit überlegen, beschlossen sie, diese un-
versehens in deren eignem Lager zu überrumpeln. Zu diesem Zweck hatten
sie sich gleichfalls am Abend des 15. August auf den Weg gemacht. So traf
es sich, daß beide, gleiche Absichten verfolgenden Armeen während der Nacht
zusammenprallten. Sofort begann das Kleingewehrfeuer der auf beiden Seiten
die Vorhut bildenden Schützen. Kaum dämmerte der Morgen, so begann
der eigentliche Kampf. Aber sein Ausgang konnte keinem Zweifel unter-
liegen. Standen doch den halbverhungerten, todmüden, an keine Disziplin
gewöhnten amerikanischen Milizen eine weit überlegene Zahl vorzüglich ein-
exerzierter, seit Monaten gut verpflegter regulärer Soldaten gegenüber.
Als die ersten englischen Salven krachten, ergriffen viele der nie zuvor
an einem Gefecht beteiligt gewesenen amerikanischen Milizen das Hasenpanier.
Mit ihnen General Gates. Wie eilig er seine Flucht bewerkstelligte, beweist
die Tatsache, daß er am Abend des unglücklichen Tages in der 80 Meilen
vom Kampfplatz entfernten Stadt Charlotte zu Bette gehen konnte.
Der schnöde im Stich gelassene von Kalb, dessen Truppen das Zentrum
des amerikanischen Heeres bildete, versuchte, die Ehre des Tages zu retten.
Wiederholt gelang es ihm, die heftigen Vorstöße der Feinde abzuschlagen und
eine Anzahl Gefangener zu machen. Aber seine linke Flanke, an der die Milizen
gestanden hatten, war ungedeckt und wurde umgangen. Als die Feinde mm
— 225 —
gleichzeitig energische Front- und Rücken angriffe unternahmen, war das Schick-
sal des Tages entschieden.
In dem sich entspinnenden Handgemenge erhielt von Kalb einen Säbel-
hieb über den Kopf. Das Pferd brach tot unter ihm zusammen. Nichtsdesto-
weniger raffte der Tapfere, nachdem seine Wunde notdürftig verbunden worden,
seine mit wilder Verzweiflung kämpfenden Leute abermals zusammen und
trieb die Feinde dreimal zurück. Aber als er an der Spitze seiner schnell
schrumpfenden iMacht vordrang, streckten ihn mehrere Kugeln zu Boden. Er
würde in dem über ihn hinwegbrausenden Schlachtgetöse zertreten worden
sein, hätte sein treuer Adjutant sich nicht über den Verwundeten geworfen,
um womöglich sein Leben zu retten.
Nachdem der Kampf, in dem die Amerikaner außer 1000 Gefangenen
900 Tote und Verwundete einbüßten, beendet war, fand man den aus elf
Wunden blutenden Generalmajor inmitten eines Haufens von Leichen. Man
brachte ihn nach Camden und ließ ihm die sorgfältigste Pflege zuteil werden.
Aber alle Kunst der Wundärzte versagte. Der Tapfere verschied am dritten
Tage nach der Schlacht. Sein Tod beraubte die amerikanische Armee um
einen Führer, der es verstanden hatte, sich durch sein zuvorkommendes, offnes
Wesen in hohem Grade beliebt zu machen. Im Kriegsrat wurden seine prak-
tischen Ratschläge stets hochgeschätzt und beachtet. Die Untergebenen hingen
mit Verehrung an ihm. Deshalb wurde auch der Beschluß des Kongresses,
dem so ehrenvoll Gefallenen ein Denkmal zu errichten, überall mit Zustimmung
begrüßt. Dieses Monument erhebt sich in den schönen Anlagen der Militär-
Akademie zu Annapolis und trägt folgende Aufschrift:
„Dem Andenken des Freiherrn von Kalb, Ritters des königlichen Kriegs-
verdienstordens, Brigadiers der französischen Armee, Generalmajor im Dienste
der Vereinigten Staaten. Nachdem er mit Ehre und Ruhm drei Jahre lang
gedient hatte, gab er einen letzten und glorreichen Bew^eis seiner Hingabe für
die Freiheit der Menschheit und für die Sache Amerikas in der Schlacht bei
Camden in Süd Carolina. An der Spitze der regulären Truppen von Mary-
land und Delaware begeisterte er sie durch sein Beispiel zu Taten der Tapfer-
keit, wurde mehrfach schwer verwundet und starb am 19. August 1780 im
59 Jahre seines Lebens. Der Kongreß der Veremigten Staaten von Amerika
hat ihm in dankbarer Anerkennung seines Eifers, seiner Dienste und seines
Ruhmes dieses Denkmal errichtet."
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. \0
Generalmajor Friedrich Wilhelm von Steuben, der
Schöpfer des amerikanischen Heeres.
! Unter allen europäischen Offizieren, die beim Ausbruch des amerikanischen
Unabhängigkeitskriegs ihre Degen dem jungen Staatenbund anboten, war der
preußische Freiherr Friedrich Wilhelm von S t e u b e n zweifellos der
bedeutendste. Leistete er doch dem um seine Freiheit ringenden amerikanischen
Volk Dienste, die jene aller anderen im amerikanischen Heer kämpfenden
Generale überragen und ihn fast auf die gleiche Stufe mit dem obersten Feld-
herrn, dem edlen George Washington stellen.
Steuben war der Sprößling eines alten, im früheren Herzogtum Magde-
Kopfleiste: Friedrich Wilhelm von Steuben.
— 227 —
bürg seßhaften Geschlechts, das bereits manche tüchtige Soldaten hervorge-
bracht hatte. Aber keinem war so großer Ruhm beschieden, wie Friedrich
Wilhelm von Steuben, dem am 15. November 1730 in Magdeburg geborenen
Sohn des preußischen Ingenieurhauptmanns von Steuben.
Den Traditionen seines Geschlechtes treu, hatte auch er die militärische
Laufbahn erkoren und nach Durchlaufen der Kriegsschule in der Armee Fried-
richs des Großen die wechselvollen Stürme des Siebenjährigen Kriegs mit-
gemacht. Bald gegen die Franzosen, bald gegen die Russen oder Österreicher
kämpfend, zeichnete er sich dabei so aus, daß der König ihn zum Stabshaupt-
mann und Flügeladjutanten ernannte. Der mit dem aktiven Felddienst bereits
völlig Vertraute erhielt dadurch Gelegenheit, sich auch mit den überaus wich-
tigen Fragen zu befassen, die mit dem Herbeischaffen und Instandhalten der
Kriegsvorräte sowie der Verpflegung großer Truppenkörper in Zusammenhang
stehen. So erwarb von Steuben in allen Kriegswissenschaften eine derart um-
fassende Kenntnis, daß er allen mit kriegerischen Fragen beschäftigten als eine
Autorität ersten Ranges erscheinen mußte.
Als eine höchst begehrenswerte Kraft erkannten ihn auch der fran-
zösische Kriegsminister St. Germain und der als Vertreter des jungen ameri-
kanischen Staatenbundes in Paris weilende Benjamin Franklin, als sie im
Jahre 1777 mit dem auf einer Reise durch F'rankreich befindlichen Frei-
herrn zusammentrafen Franklin hatte den besonderen Auftrag, nach tüch-
tigen europäischen Offizieren Umschau zu halten, die der amerikanischen
Sache nützen könnten. Denn das amerikanische Heer, wenn man diese Be-
zeichnung auf die aus allen Teilen des weiten Landes gekommenen Scharen
ungeschulter Freiwilliger und an Disziplin kaum gewöhnten Bürgerwehren
anwenden will, bedurfte einer sachkundigen Organisation und Schulung
aufs dringendste. Während die an den Kampf mit Indianern gewöhnten
Hinterwäldler in allen Plänkeleien, wo sie die ihnen vertraute Fechtart an-
wenden konnten, sich glänzend bewährten, hatten sie in offnen Feldschlachten
gegen die kriegsgeübten Briten und deren deutsche Hilfstruppen fast stets ver-
sagt. Da entscheidende Erfolge aber nur durch größere Schlachten herbei-
geführt werden konnten, so war es unbedingt nötig, die amerikanischen Sol-
daten in eine solche Verfassung zu bringen, daß man mit ihnen Feldschlachten
wagen durfte. Woher sollte man solche Offiziere, die der schwierigen Aufgabe
gewachsen waren, nehmen? In Amerika gab es keine. Naturgemäß wandten
sich die Blicke nach Europa, wo es erprobte Männer in Menge gab. Vor-
nehmlich in der Armee des großen Preußenkönigs, die als bestgeschulte der
ganzen Welt galt und fast allen anderen europäischen Heeren Lehrmeister ge-
liefert hatte.
Daß Baron von Steuben alles Zeug habe, die amerikanische Armee auf
eine höhere Stufe zu bringen, wurde sowohl Franklin wie dem französischen
Kriegsminister nach kurzer Zeit klar, und beide bemühten sich eifrig, ihn für
die amerikanische Sache zu gewinnen. Zu ihrer großen Freude fanden sie, daß
15*
— 228 —
es keiner besonderen Überredungskünste bedürfe. Denn Steuben zählte zu jenen
Offizieren, die den Krieg der amerikanischen Kolonien gegen England nicht
bloß mit größter Aufmerksamkeit verfolgten, sondern auch den für ihre Unab-
hängigkeit Streitenden die herzlichste Teilnahme entgegenbrachten.
Wie tief diese Sympathien waren, zeigt am deutlichsten ein Brief, den
Steuben, nachdem er mJt Franklin alle Vorbedingungen für seinen Eintritt ins
amerikanische Heer geordnet hatte und am 1. Dezember 1777 im Hafen von
Portsmouth, New Hampshiere, gelandet war, an den Kongreß der Vereinigten
Staaten richtete.
Der Brief hat folgenden Wortlaut:
„Der einzige Beweggrund, der mich diesem Weltteil zuführt, ist der
Wunsch, einem Volk zu dienen, welches einen so edlen Kampf für seine
Rechte und Freiheit kämpft. Ich verlange Mieder Titel noch Geld. Mein
einziger Ehrgeiz besteht darin, bei Ihnen als Freiwilliger einzutreten, mir
das Vertrauen Ihres Oberbefehlshabers zu erwerben und denselben in allen
Feldzügen ebenso zu begleiten, wie ich während des Siebenjährigen Krieges
dem Könige von Preußen folgte. Ich möchte gern mit meinem Blute die
Ehre erkaufen, daß mein Name eines Tages unter den Verteidigern Ihrer
Freiheit genannt wird."
Im Kongreß erregte dieser Brief förmliche Begeisterung. Und der da-
malige Kriegsminister schrieb: „Wir alle beglückwünschen uns zu der An-
kunft eines in militärischen Dingen so erfahrenen Mannes. Seine Dienste sind
uns gerade jetzt um so wertvoller, als der Mangel an Disziplin und innerer
Ordnung in unserem Heer so schwer empfunden und tief beklagt wird."
Um die damalige Beschaffenheit des Heeres war es in der Tat äußerst
schlecht bestellt. Kaum, noch 5000 Mann zählend, aller Hilfmittel entblößt,
nicht imstande, irgendeine größere Waffentat zu v/agen, hatte es in Valley Forge
ein Winterlager bezogen. Ohne Uniformen, fast nur auf die Gaben angewiesen,
die ihnen von den Bewohnern der Umgegend zugeführt wurden, verbrachten
die Freiheitskämpfer in einer Anzahl armseliger Blockhütten die strenge
Jahreszeit.
Wie es um die Organisation und Disziplin dieses Heeres bestellt war,
erfahren wir aus den Angaben, welche Baron von Steuben im elften und zwölften
Band seiner handschriftlichen Aufzeichnungen niederlegte, die sich in den
Archiven der „New York Historical Society" befinden. Er schreibt:
„Die Armee war in Divisionen, Brigaden und Regimenter eingeteilt, die
von General-Majoren, Brigade-Generälen und Obersten kommandiert wurden.
Der Kongreß hatte die Zahl der Soldaten für jedes Regiment und jede Kom-
pagnie festgesetzt; allein die ewige Ebbe und Flut der nur auf sechs oder neun
Monate angeworbenen Leute, die täglich kamen und gingen, machten den Be-
stand eines Regimentes oder einer Kompagnie stets so schwankend, daß die
Worte: ,Kompagnie', ,Regiment', ,Brigade', oder , Division' gar nichts bedeu-
— 229 —
teten, am allerwenigsten einen Maßstab für die Berechnung der Stärke eines
Korps oder der Armee abgaben. Die Zahl ihrer Mannschaften war so un-
gleich und verschieden, daß es unmöghch war, irgendein Manöver auszuführen.
Oft war ein Regiment stärker als eine Brigade. Ich sah ein Regiment von
30 Mann und eine Kompagnie, welche nur aus einem einzigen Korporal be-
stand! Ein genaues Verzeichnis der Mannschaften eines Regimentes zu erhalten,
war sehr schwierig, oft geradezu unmöglich.
Die Stärke der Armee sollte monatlich festgestellt werden. Diese Opera-
tion geschah folgendermaßen: jeder Hauptman fertigte eine Liste seiner Kom-
pagnie an, ohne Rücksicht auf die Anwesenden oder Beurlaubten. Er beschwor
dann vor seinem Vorgesetzten, daß sein Bericht nach bestem Wissen und
Glauben in Ordnung wäre. Der Musterungsinspektor zählte die Anwesenden
und schrieb den Beurlaubten ihren Sold auf den Eid des Hauptmatms hin gut.
Ich bin weit entfernt von der Voraussetzung, daß irgendein Offizier absichtlich
Betrug verüben wollte; allein ich will den Zustand einer Kompagnie etwas ge-
nauer prüfen, woraus man dann einen Schluß auf die sogenannte Richtigkeit
eines derartigen Rapports selber ziehen kann. Die betreffende Kompagnie hatte
nur zwölf Mann zur Stelle. Ein Mann, der einem 200 Meilen entfernt postierten
Offizier als Bursche diente, war seit 18 Monaten abwesend. Ferner fehlte ein
Mann, der seit zwölf Monaten bei einem Quartiermeister als Knecht arbeitete.
Vier Mann dienten seit ebenso langer Zeit als Gehilfen in den Hospitälern.
Zwei waren als Fuhrleute, mehrere andere als Bäcker, Schmiede, Zimmerleute
und Kohlenträger beschäftigt, obwohl alle ursprünglich nur auf neun Monate
Dienste genommen hatten.
Stand ein Mann einmal auf der Kompagnieliste, so wurde er bis in alle
Ewigkeit als Glied derselben geführt, er mußte denn vor den Augen des Haupt-
manns desertiert oder gestorben sein. Auf Grund dieser Listen wurden aber
die Stärke der Armee berechnet und Löhnung und Proviant ausgeteilt. Die
Soldaten waren nach allen Richtungen hin verstreut. Man hätte die Armee als
eine Erziehungsanstalt für Bediente betrachten können, denn jeder hielt es für
sein Recht, wenigstens einen Bedienten zu haben. Wir hatten mehr Kommissare
und Quartiermeister, als alle Armeen Europas zusammengenommen. Der be-
scheidenste derselben besaß nur einen Burschen, andere verfügten über zwei,
viele sogar über drei.
Ein Ding wie militärische Disziplin existierte nicht. Kein Regiment war
regelmäßig formiert. Das eine hatte drei, andere fünf, acht oder neun Glieder;
das canadische Regim.ent besaß deren sogar einundzwanzig.
Jeder Oberst hatte sein eignes Exerziersystem bei sich eingeführt; der
eine bediente sich des englischen, der andere des französischen, der dritte des
preußischen. Nur in einem Punkt herrschte Einheit, und das war die Art des
Marschierens bei Manövern und auf dem Marsch: sie bedienten sich alle des
Reihenmarsches der Indianer.
Urlaub und Abschied wurden ohne jede Anfrage bei den höheren Vor-
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gesetzten bewilligt. Befanden sich die Truppen im Lager, so blieben die Offi-
ziere nicht bei ihnen, sondern wohnten in oft mehreren Meilen weit entfernten
Quartieren. Während des Winters gingen die Offiziere meist nach Hause. Oft
waren ihrer nicht mehr als vier beim Regiment. Sie glaubten, daß ihre einzige
Pflicht darin bestehe, auf Wache zu ziehen und sich im Kampf an die Spitze der
Soldaten zu stellen.
Der amerikanische Soldat kannte seine Waffe gar nicht, hatte deshalb kein
Vertrauen zu ihr und benutzte das Bajonett höchstens dazu, um sein Beefsteak
daran zu braten. Den Anzug der Truppen kann ich am leichtesten beschreiben,
denn sie waren im eigentlichen Sinne des Wortes fast nackend. Die wenigen
Offiziere, welche überhaupt Röcke besaßen, hatten solche von beliebiger Farbe
und jedem Schnitt. Bei einer großen Parade sah ich Offiziere in Schlafröcken,
die aus alten wollenen Decken oder Bettüberzügen gemacht waren.
Daß es etwas wie die innere Verwaltung eines Regiments gebe, war allen
unbekannt. Infolgedessen herrschte überall die denkbar größte Unordnung,
ohne daß für die aufgewendeten großen Mittel irgendwo entsprechende Ergeb-
nisse zu sehen gewesen wären.
So wenig die Offiziere über die Zahl ihrer Leute Rechenschaft ablegen
konnten, ebensowenig vermochten sie dies über deren Waffen, Munition und
Ausrüstung. Niemand führte Buch oder Rechnung, außer den die verschie-
denen Artikel herbeischaffenden Lieferanten."
Durch das Dulden solcher Zustände waren der Korruption alle Tore ge-
öffnet worden. Zumal da die Kommissare und Quartiermeister von sämtlichen
durch sie verausgabten Geldern Prozente empfingen. Um ihre Einnahmen zu
erhöhen, ordneten sie tausenderlei verschiedene Anschaffungen an, die man gar
nicht benötigte. Ferner sah man beim Erteilen der Aufträge nicht etwa darauf,
die besten und zweckmäßigsten Dinge zu erlangen, sondern man bestellte die
teuersten. Obendrein war es jedem Soldaten erlaubt, nach Ablauf seiner neun
Monate dauernden Dienstzeit sowohl die Liniform wie auch die Waffen und
anderen von ihm gebrauchten Gegenstände mit nach Hause zu nehmen. Da
die an ihre Stelle tretenden frischen Truppen neu ausgerüstet v/erden mußten,
so erwuchsen dadurch unnütze Kosten, die alljährlich viele Millionen Dollar
betrugen.
So erklären sich die fürchterlichen Geldnöte, mit denen der Kongreß
immerfort kämpfen mußte, und welchen er durch Verausgabung von Papiergeld
zu steuern suchte. Die hinterlistigen Briten benutzten aber auch diesen Um-
stand, um den Amerikanern Schwierigkeiten zu verursachen. Sie ließen die
vom Kongreß verausgabten Noten nachahmen, setzten ungeheure Mengen
dieser Fälschungen in Umlauf und brachten dadurch das Papiergeld in solchen
Mißkredit, daß jedermann sich scheute, es anzunehmen. Die so bewirkte Ent-
wertung des Papiergeldes nahm so großen Umfang an, daß 40 Papierdollar
nötig waren, um einen Silberdollar zu kaufen. Man verlangte 400 bis 600 Dollar
— 231 —
für ein Paar Stiefel, und der Monatssold eines Soldaten reichte gerade hin, um
die Kosten eines Mittagsmahls zu decken.
Wenn wir dieser Tatsachen gedenicen, so geschieht es, um zu zeigen, daß
Friedrich Wilhelm von Steubcn, der Gencralinspektor der amerikanischen Armee.
Freiherr von Steubcn, als er sich in den Dienst der Vereinigten Staaten stellte,
keineswegs ein nach Gold und Orden lüsterner Landsknecht war. Beides war
in Amerika nicht zu holen. Im Gegenteil mußten die dort obwaltenden
trübseligen Zustände jeden kalt berechnenden Glücksritter unbedingt ab-
schrecken.
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Vom Kongreß zum Generalinspektor der Armee ernannt und nach seiner
Ankunft im Lager von George Washington mit aufrichtiger Freude begrüßt,
begann Steuben sofort eine vielseitige Tätigkeit. Es galt nicht nur, die ganze
Armeeverwaltung zu ordnen, sondern auch die Mannschaften an regelmäßige
Übungen, an das Fechten und Manövrieren in größeren geschlossenen Ab-
teilungen zu gewöhnen, da man sonst weder an das Eingehen von Feld-
schlachten denken, noch auf entscheidende Siege hoffen durfte.
Es war keine geringe Aufgabe, die in völliger Freiheit großgewordenen,
bestimmten Regeln oder gar Befehlen nie unterworfen gewesenen Hinterwäldler
an Disziplin und Subordination zu gewöhnen. Solche ohne weiteres im ganzen
Heer einzuführen, war rein unmöglich. Deshalb beschränkte Steuben sich in
kluger Weise zunächst darauf, aus 120 der besten Soldaten eine Lehrabteilung
zusammenzustellen, die gleichzeitig eine Stabswache für Washington abgeben
sollte. Nachdem er dafür gesorgt, daß diese Leute gleichmäßige Uniformen
und Waffen erhalten und dadurch ein wirklich militärisches Aussehen erlangt
hatten, exerzierte Steuben sie persönlich zweimal täglich in Gegenwart sämt-
licher Offiziere ein. Von leichten Übungen schritt er allmählich zu schwierigen,
bis sie endlich mit allen jenen Bewegungen vertraut waren, die der damaligen
preußischen Armee zu so überraschenden Siegen verholfen hatten.
Für die zuschauenden Offiziere und Mannschaften bildeten diese Übungen
eine Quelle des Staunens. Sie begriffen ihre Wichtigkeit, als sie nunmehr den
Verlust mancher verlorenen Schlacht auf die Unkenntnis dieser oder jener not-
wendigen Bewegung zurückführen konnten. Und das sich ihnen darbietende
Schauspiel fesselte um so mehr, als es auch an gelegentlichen humoristischen
Begebenheiten nicht fehlte. Besonders wenn der nur gebrochen Englisch
sprechende Steuben über den schlechten Gang einer Übung in Zorn geriet und
in einem Gemisch von Englisch, Deutsch und Französisch zu fluchen begann.
Bemerkte er dann, daß die Soldaten dieses Kauderwelsch nicht verstanden, so
rief er die Hilfe seines Adjutanten Walker an: „Viens, mon ami Walker, come
and swear for me in EngHsh — je ne puis plus — I can curse them no more
— dese fellows will not do what I bid them!"
Obwohl bei solchen drolligen Szenen manche das Lachen kaum verbeißen
konnten, so bestrebten sich doch alle, die erteilten Befehle gewissenhaft zu er-
füllen. Und so wurde die Armee allgemach von einem anderen, nie zuvor ge-
kannten Geist belebt.
Wie die Offiziere Steubens Bemühungen auffaßten und beurteilten, ergibt
sich aus folgendem Brief des Generals Scammel an Sullivan: „Baron Steuben
geht uns mit einem wahrhaft edlen Beispiel voran. Er bewährt sich in allem,
von den großen Manövern an bis in die kleinsten Einzelheiten des Dienstes als
vollendeter Meister. Offiziere und Soldaten bewundern gleichmäßig einen so
ausgezeichneten Mann, der unter dem großen preußischen Monarchen eine her-
vorragende Stellung einnahm, und sich jetzt trotzdem mit einer nur ihm eignen
Würde herabläßt, selbst einen Haufen von zehn bis zwölf Mann als Exerzier-
— 233 —
meister einzuüben. Unter seiner Leitung machen Disziplin und Ordnung in
der Armee ganz außerordentlictie Fortschritte."
Diese Fortschritte nahmen ein um so lebhafteres Tempo an, als Steuben
die Soldaten seiner Lehrabteilung anderen Truppenkörpern als Exerziermeister
zuteilte. Infolge dieser Anordnung war es bald möglich, zu schwierigen
Übungen zu schreiten. Ja, man war imstande, als im Mai 1778 die Freuden-
botschaft des zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten geschlossenen
Bündnisses im Lager eintraf, das wichtige Ereignis durch ein großes Manöver
zu feiern. Es verlief so erfolgreich, daß Washington gelegentlich des am Abend
veranstalteten Festmahls darüber seine höchste Freude ausdrückte und
Steuben ein Handschreiben übergab, das dessen Ernennung zum General-
major enthielt.
War das Einüben der Truppen mit vielen Schwierigkeiten verknüpft, so
verlangte das Durchführen einer tüchtigen Verwaltung der Armee noch weit
größere Hingabe. Ganze Augiasställe der Korruption mußten gesäubert
werden, wobei man sich nicht scheuen durfte, die durch Unkenntnis oder Selbst-
sucht verursachten Mißstände rücksichtslos aufzudecken. Aber auch hier zeigte
Steuben sich als der rechte Mann, indem er für alle Zweige der Verwaltung
Vorschriften erließ, wie nur eine damit völlig vertraute Person solche zu geben
vermochte.
Um sicher zu sein, daß diese Vorschriften auch befolgt würden, inspiziene
Steuben von Zeit zu Zeit jede Abteilung der Verwaltung und jedes einzelne
Regiment. Wie sorgfältig er dabei verfuhr, ersehen wnr aus einer Mitteilung
seines Adjutanten William North, welcher nach Steubens Tode schrieb: „Ich
war eines Tages Zeuge, wie Steuben und seine Assistenten eine drei Regimenter
umfassende Brigade sieben volle Stunden lang inspizierten. Über jeden ab-
wesenden Mann wurde Auskunft verlangt. Jede Muskete wurde nachgesehen,
jede Patronentasche geöffnet und sogar die Patronen und Feuersteine gezählt.
Dann mußten die Tornister abgelegt und ihr Inhalt auf einer Decke ausgebreitet
und mit dem Verzeichnis des Notizbuches verglichen werden, um zu sehen, ob
das von den Vereinigten Staaten Gelieferte noch vorhanden sei, und wenn nicht,
wohin es gekommen. Hospitalvorräte, Laboratorien, kurz alles, mußte der In-
spektion offenstehen. Da wurde manchem Offizier bange, wenn er über Ver-
luste oder Ausgaben nicht genaue Rechenschaft ablegen konnte. Diese monat-
lich wiederkehrenden Inspektionen hatten eine wunderbare Wirkung, nicht allein
auf die Ökonomie, sondern auch auf den Wetteifer, den sie unter den verschie-
denen Korps anfachten.''
Trotz dieser im amerikanischen Heer bislang unbekannten Strenge und
Genauigkeit errang Steuben sich bald die Liebe und Zuneigung sämtlicher
Offiziere und Soldaten. Denn tagtäglich sahen sie, daß der General selbst sich
in allen Dingen der größten Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit befleißigte
und besonders darüber wachte, daß sowohl die diensttauglichen Soldaten wie
die in den Krankenhäusern befindlichen gute Pflege erhielten.
— 234 —
Der gewaltige Umschwung, der überall ersichtlich wurde, veranlaßte
Washington, an den Kongreß zu berichten: „Ich würde unrecht handeln, wollte
ich über die hohen Verdienste des Freiherrn von Steuben länger schweigen.
Seine Tüchtigkeit und Kenntnisse, der unermüdliche Eifer, den er seit seinem
Antritt entwickelte, lassen ihn als einen bedeutenden Gewinn für das Heer er-
scheinen."
Und als im Frühling das Heer zu neuen Kämpfen ausrückte, da traten
bald auch die günstigen Wirkungen der von Steuben angeordneten Übungen
hervor. Zunächst in den beiden Treffen bei Barren Füll und Stony Point. Noch
mehr in der Schlacht bei Monmouth, die ohne Steuben s Dazutun zweifellos
mit einer schweren Niederlage der Amerikaner geendet haben würde.
Der Verlauf dieser Schlacht war folgender: Die Nachricht, daß Frank-
reich eine starke Flotte abgeschickt habe, um den Vereinigten Staaten zu Hilfe
zu kommen, hatte die Briten veranlaßt, die bisher besetzt gehaltene Stadt Phila-
delphia zu räumen, um sich nach New York zurückzuziehen. 17 000 Mann
stark, überschritten sie am 18. Juni den Delaware. Um den Abziehenden mög-
lichst große Verluste zuzufügen, befahl Washington dem die Vorhut des amerika-
nischen Heeres befehligenden General Lee, den Feinden bei Monmouth in den
Rücken zu fallen und sie zu einer Schlacht zu nötigen. Lee aber, welcher schon
damals jene hochverräterischen Umtriebe im Sinne trug, wegen welcher er später
vor ein Kriegsgericht gestellt wurde, erfüllte seinen Auftrag so unbefriedigend
und langsam, daß den Briten Zeit blieb, sich nicht nur für den Kampf vorzu-
bereiten, sondern sogar zum Angriff auf die Verfolger überzugehen. Da Lee
obendrein seine Offiziere durch allerhand Befehle und Gegenbefehle in Ver-
wirrung setzte und den linken Flügel durch völlig verkehrte Maßnahmen
schwächte, so errangen die mächtig vordringenden Briten bald solche Vor-
teile, daß die Amerikaner sich zum Rückzug genötigt sahen. Derselbe drohte
in Flucht auszuarten, als Washington, durch von Lees Offizieren abgesandte
Stafettenreiter herbeigerufen, persönlich auf dem Kampfplatz erschien. Mit ihm
kam von Steuben. Washington befahl ihm, bevor er sich mit seinen eignen
Leuten ins Kampfgewühl stürzte, die zurückweichenden Scharen Lees hinter
der Schlachtlinie zu sammeln und ihm dann wieder zuzuführen. Gelang dies,
so konnte der Tag noch günstig für die Amerikaner enden.
Steuben löste die Aufgabe mit so vollendetem Geschick, daß er bald dar-
auf drei Brigaden ins Feuer senden konnte, wodurch Washington imstande war,
das Schlachtfeld zu behaupten. Als die Nacht dem Kampf ein Ende machte,
biwakierten die Amerikaner auf dem Schlachtfelde unter den Waffen. Die
Briten hingegen verließen in der Dunkelheit ihre Positionen, um den Rückzug
nach New York fortzusetzen.
Ein Augenzeuge, Oberst Alexander Hamilton, welcher Steuben beob-
achtete, als dieser die versprengten Scharen Lees sammelte, erklärte, erst bei
dieser Gelegenheit habe er die alles überwiegende Bedeutung militärischer
Disziplin und Manneszucht erkennen lernen. Hatten diese Eigenschaften den
— 235
REGULATIONS
fOR THE
Tag für die Amerikaner zweifellos gerettet, so bestand der Haupterfolg aber
darin, daß die amerikanische Armee nunmehr von dem Bewußtsein erfüllt war,
den Briten auch in der Feldschlacht gleichwertig zu sein.
Als der Winter von 1778 auf 1779 die gewohnte Ruhe in den Kämpfen
brachte, benutzte von Steuben diese Zeit zum Ausarbeiten von Vorschriften,
durch welche die Verwaltung und Disziplin des amerikanischen Heeres zum
erstenmal gleichmäßig festgestellt wurde. Selbstverständlich lagen diesem
Reglement, dem ersten, welches für eine
amerikanische Armee festgestellt wurde,
jene Vorschriften zugrunde, die im preußi-
schen Heer eingeführt waren und sich
dort bewährt hatten. Dabei war aber
auf die gänzlich anders gearteten Ver-
hältnisse Amerikas überall Rücksicht ge-
nommen.
Die 25 Abschnitte dieses im Felde
unter außerordentlichen Schwierigkeiten
entstandenen Buches bildeten die Richt-
schnur für die Zusammensetzung der
verschiedenen Truppengattungen, ihre
Bewaffnung, Exerzitien und Marsch-
weisen. Ferner gaben sie Anleitungen
über das Aufschlagen der Lager, das
Behandeln und In standhalten der Aus-
rüstung, das Aufstellen und Bedienen
der Kanonen. Desgleichen fanden der
Wachtdienst, das Signalwesen, die Ver-
waltung und Inspektion, die Veranstal-
tung von Revuen und Manövern, sowie
die Behandlung der Verwundeten und
Kranken eingehende Berücksichtigung.
Für manche Jahrzehnte blieben
die Vorschriften in Kraft. Erst als die
Verbesserung der Waffen auch gründliche Änderungen in der Kampfart herbei-
führte, setzte man an Stelle der von Steuben verfaßten Vorschriften neue, die
den veränderten Verhältnissen entsprachen.
Daß Steuben beim Verfassen seines Werkes nicht am Alten klebte oder
die Reglements der preußischen Armee kopierte, geht daraus hervor, daß er
eine in Europa bisher ganz unbekannte Truppengattung, die leichte Infanterie,
ins Leben rief. Sie war in Amerika um so mehr am Platz, als die Ansiedler in
ihren Scharmützeln mit den Indianern sich an die zerstreute Kampfweise, wo
jeder einzelne unabhängig von den andern focht, gewöhnt hatten. Sie ent-
sprach auch durchaus der Beschaffenheit des mit ungeheuren Wäldern erfüllten
ORDER AND DISCIPLINE
OF THE
TROOPS OF THE UNITED STATES,
By BARON DE STUBEN,
TO WHiCHARE PREFIXED THE
LAW^S AND REGULATIONS
FOR
GOVERNING and DISCIPLINING
The MILITIA of t h e UNITED STATES.
AND THE
LAWStorFORMINGandREGULATING
THE
MILITIA OF TBE STATE of NEW HAMPSHIRE.
PUBL16HED BV ORDER ÖF THL HOX. CfNERAL-COURT
O» Tat STATE Ol N[W-HAMPSH1»E.
PORTSMOUTH:
PaiNitD BY J. MELCHIR, miNTEK to thb state of
HE W-HAMFiHIRE, I794.
Titelblatt von Steubens „Regulations".
— 236 —
Landes, in dem freie Ebenen, auf denen, wie in Europa, große geschlossene
Truppenmassen sich bewegen konnten, zu den Seltenheiten gehörten.
Die von Steuben geschaffene leichte Infanterie, die sich allen vorkommen-
den Terrainschwierigkeiten sofort anpaßte, bewährte sich im amerikanischen
Freiheitskrieg so vorzüglich, daß sie später auch in allen europäischen Heeren
Eingang fand. Vornehmlich war es der alle Einzelheiten des Unabhängigkeits-
kampfes sorgfältig studierende Friedrich der Große, der den unbestreitbaren
Wert der leichten Infanterie erkannte, sie für sein Heer adoptierte und mit ihr
große Erfolge erzielte.
Im Kriegsrat Washingtons war Freiherr von Steuben wohl die maß-
gebendste Person. Aus seinen im Besitz der Historischen Gesellschaft zu New
York befindlichen Handschriften ist ersichtlich, daß Washington ihn vor Be-
ginn der einzelnen Feldzüge um Vorschläge ersuchte, wie nach seinem Er-
messen die Aktionen zu gestalten seien Diese Pläne brachte Steuben sorg-
fältig zu Papier und sie dienten Washington fast stets als Richtschnur.
Obwohl Steubens Tätigkeit der Hauptsache nach geistiger Art war, so
ist es verständlich, daß er den Wunsch hegte, sich auch aktiv am Feldzug
zu beteiligen und dadurch größeren Ruhm zu erwerben. Er wollte nicht bloß
der Exerziermeister der Truppen sein, sondern sie auch persönlich im Feuer
erproben. Diesem durchaus berechtigten Wunsch entsprach Washington, in-
dem er Steuben mehrmals den Befehl über größere Heerkörper übertrug. Diese
standen meist in den südlichen Kolonien. Aber es wollte dem wackeren General
nicht gelingen, den weit überlegenen und besser verpflegten feindlichen Heeren
größere Siege abzugewinnen. Manche seiner Maßnahmen wurden auch durch
die Eifersucht einzelner, von krankhaftem Ehrgeiz beseelten Generale vereitelt,
die den führende Stellen einnehmenden fremdgeborenen Offizieren gar oft die
größten Schwierigkeiten bereiteten und sie dadurch um die möglichen Erfolge
betrogen.
Im Jahre 1781 sollte Steuben aber noch einen besonderen Triumph er-
leben. Das von General Cornwallis befehligte engHsche Flauptheer hatte sich,
von allen Seiten bedrängt, in die Festung Yorktown in Virginien zurückziehen
müssen. Hier wurde es von den schnell herbeieilenden amerikanischen und
französischen Armeen eingeschlossen. In der Überzeugung, daß der seit
Jahren ersehnte Entscheidungskampf des ganzen Feldzugs hier endlich aus-
gefochten werden müsse, und von dem Wunsch getrieben, diese Entscheidung
mit herbeizuführen, suchte Steuben um ein regelrechtes Kommando nach. Ohne
Zögern übertrug Washington ihm ein solches, zumal außer Steuben kein General
des amerikanischen Heeres jemals an der Belagerung einer Festung teilgenom-
men hatte. Steuben hingegen hatte unter Friedrich dem Großen während der
Belagerung der Festung Schweidnitz wertvolle Erfahrungen gesammelt. Den
von Pennsylvanien, Maryland und Virginien gestellten Truppen vorgesetzt,
bildete von Steuben nun mit diesem Heerkörper das Zentrum der Belagerungs-
armee.
— 237 —
Man behauptet, daß Steuben auch die Pläne zu den Belagerungsarbeiten
entworfen habe. Wenngleich alle Gründe für diese Behauptung sprechen, so
läßt sich ihre Richtigkeit aber nicht mit voller Sicherheit nachweisen, da im
Jahre 1800 ein im Kriegsministerium zu Washington ausgebrochener Brand
alle den Freiheitskrieg betreffenden Urkunden verzehrte.
Geschichtliche Tatsache ist es aber, daß am 17. Oktober, dem Tage, wo
über den Wällen der Festung die weiße Flagge als Zeichen der Unterwerfung
emporstieg, Steuben den Oberbefehl über die Belagerungsarmee führte und mit
seinen Streitkräften in den am weitesten vorgeschobenen Gräben stand.
Die Verhandlungen über die Bedingungen der Übergabe waren noch
nicht geschlossen, als der ebenfalls in der amerikanischen Armee dienende Mar-
quis de Lafayette mit seinen Mannschaften kam, um von Steuben im Kom>-
mando abzulösen. Fr hoffte, daß darm ihm die Fhre zuteil werde, die Ver-
handlungen betreffs der Übergabe der Festung abzuschließen. Aber zur großen
Enttäuschung der Franzosen lehnte Steuben die Ablösung ab, indem er sich
darauf berief, daß es in allen europäischen Heeren Brauch sei, denjenigen
Offizier, der vom Feinde die Anzeige seiner Unterwerfung entgegengenommen
habe, auch bis zum Schluß der Verhandlungen auf seinem Posten zu
belassen.
Lafayette legte dagegen zwar bei Washington Verwahrung ein, dieser
aber stimmte Steuben bei. Und so fügte es sich, daß der Oberbefehlshaber
des letzten großen englischen Heeres im amerikanischen Freiheitskriege seine
Kapitulation einem Deutschen einhändigte.
Steubens Truppen zogen auch am 19. Oktober als erste in die gefallene
Festung ein. Mit ihnen kamen die das französische Hilfsheer repräsentierenden
Pfälzer des Regiments Zweibrücken. Während diese das französische Banner
hißten, entfalteten Steubens Truppen das stolze Banner der sieggekrönten Ver-
einigten Staaten von Amerika.
In seinem am folgenden Morgen verlesenen Armeebefahl hob Washington
her\'^or, daß dem wackren Steuben ein großer Anteil an dem errungenen Siege
gebühre. Ebenso gedachte er, als nach geschlossenem Frieden die Verabschie-
dung des Heeres erfolgte, in einem besonderen Handschreiben der außer-
ordentlichen Verdienste, die der General sowohl der amerikanischen Armee wie
dem Land geleistet habe.
Auch die Bürger des Landes wollten mit Beweisen ihrer Dankbarkeit
nicht zurückstehen. Die Staaten New York, New Jersey, Pennsylvanien
und Virginien verliehen ihm das Ehrenbürgerrecht und verbanden mit dieser
Auszeichnung sehr beträchtliche Landschenkungen. Jene des Staates New York
umfaßte 16 000 Acker, die man zw einem besonderen, mit Steubens Namen ge-
tauften Bezirk erhob.
Zu solchen Anerkennungen war von Steuben um so mehr berechtigt, als
er durch seine Intelligenz und rastlose Tätigkeit die amerikanische Armee erst
— 238 —
in den Stand gesetzt hatte, wirkliche Schlachten zu schlagen und Siege zu ge-
winnen. War der edle George Washington der treibende Geist, die Seele der
großen Freiheitsbewegung, so war Steuben zweifellos die Kraft, die diesem
Geist die geeigneten Mittel zum Dreinschlagen und Siegen heferte. Deshalb
zögern klarblickende Geschichtsschreiber auch nicht, Steuben als die wert-
vollste Hilfe zu bezeichnen, die den um ihre Freiheit ringenden Amerikanern
aus Europa zuteil wurde.
Der Kongreß der Vereinigten Staaten hielt Steubens Dienste für zu wich-
tig, um bei der Auflösung der Armee auch ihn zu verabschieden. Man ahnte
voraus, daß die Zukunft dem Lande noch schwere Reibungen mit England oder
anderen europäischen Reichen bringen müsse, weshalb die Errichtung eines
stehenden Heeres sowie die Gründung einer Militärakademie, wo die künftigen
Heerführer eine sorgfältige Schulung erhalten könnten, unerläßliche Notwendig-
keiten seien. Im Auftrag der Regierung arbeitete Steuben sorgfältige Vor-
schläge für beide Einrichtungen aus. Im Gegensatz zu zahlreichen hochge-
stellten Personen, die von einem stehenden Heer nichts wissen wollten, weil
diese Einrichtung den demokratischen Grundsätzen einer Republik gefährUcn
werden könne, betonte Steuben mit allem Nachdruck, daß jeder Bürger einer
Republik im Gebrauch der Waffen geübt und für die Verteidigung des Landes
bereit sein müsse. Deshalb schlug er die Bildung eines 25 000 Mann starken
stehenden Heeres vor, das aus 21 000 Milizsoldaten, 3000 Bundestruppen und
1000 Kanonieren und Pionieren zusammengesetzt werden solle.
Dieser Vorschlag fand nicht nur den Beifall Washingtons, sondern auch
die Genehmigung des Kongresses. Desgleichen stimmte man Steubens Plänen
für eine Militärschule zu. Es ist die berühmte Akademie zu Westpoint am
Hudson, die den Vereinigten Staaten bereits viele bewährte Kriegsmänner
lieferte.
Zum lebhaften Bedauern aller patriotisch gesinnten Amerikaner ließ
Steuben sich bald darauf durch ein Vorkommnis bestimmen, um seine Ent-
lassung einzukommen. Der Beweggrund war folgender: Als im Jahre 1784
der damalige Kriegsminister Lincoln abdankte, bewarb Steuben sich um dessen
Stelle, in der Hoffnung, hier dem Lande weiter nützlich sein zu können. Eine
den viel jüngeren General Knox begünstigende Gruppe von politischen Draht-
ziehern, die ihren Mann ins Amt bringen wollte, erhob aber gegen Steuben den
Einwand, derselbe sei ein „Ausländer'', und es wäre gefährlich, einem solchen
einen so wichtigen Posten anzuvertrauen.
Als auf diesen fadenscheinigen Grund hin Knox das Amt tatsächlich er-
hielt, faßte Steuben diese Bevorzugung eines im Inland Geborenen gegenüber
einem aus vollster Überzeugung zum Amerikaner Gewordenen als eine Be-
leidigung, als eine Anzweiflung seiner so oft bewiesenen Hingabe für die Inter-
essen der Republik auf. Er unterbreitete deshalb am 24. März des genannten
Jahres dem Kongreß sein Entlassungsgesuch, das am 15. April unter Verleihung
eines goldenen 'Ehrendegens genehmigt wurde.
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Leider erlebte der wackre Soldat auch an seinem Lebensabend noch
mancherlei Verdrießlichkeiten. Während der f eldzüge hatte er, da der stets
von Geldverlegenheiten bedrängte Kongreß seinen Verpflichtungen betreffs des
Steuben zugesicherten Gehaltes nur ungenügend nachkommen konnte, einen be-
deutenden Teil sowohl des eignen Unterhalts wie der Kosten seines Stabs aus
eigenen Mitteln bestritten. Steubens Guthaben an den Kongreß belief sich zu
Ende des Krieges auf 70 000 Dollar.
Ehe der Kongreß an die Erfüllung dieser Verpflichtungen schritt, ver-
strichen sieben lange Jahre. Inzwischen waren andere, mit den tatsächlichen
Verhältnissen wenig vertraute Männer ans Ruder gekommen, welche die Forde-
rungen der von ihnen begünstigten Generale vorschoben und, um Steubens
Ansprüche nicht bewilligen zu müssen, die Rechtskraft des zwischen dem früheren
Kongreß und Steuben geschlossenen Vertrags anzweifeln wollten. In heller
Entrüstung über diesen unwürdigen Versuch sprang der Abgeordnete Page
aber auf und rief: „Dieser berühmte Veteran bot uns sein Schwert unter so
großmütigen Bedingungen an und leistete uns so wesentliche Dienste, daß ich
für den Kongreß erröten würde, falls die Ansichten einzelner Mitglieder zu
Beschlüssen erhoben v/erden sollten. Es ist des Kongresses unwürdig, daß,
nachdem er solange die Vorteile dieser Dienste genossen hat, er jetzt ängst-
lich die Bedingungen untersuchen will, unter denen sie angetragen wurden.
Ich wäge sie nicht mit den vorgeschlagenen Dollars ab; ich halte sie für be-
deutender als die höchste Summe, die wir dafür geben können. Wenn es von
mir abhinge, eine Belohnung für die Opfer vorzuschlagen, die er brachte, um
nach Amerika zu kommen und unsere Schlachten zu schlagen, so würde ich,
darauf können Sie sich verlassen, eine viel größere Summe bestimmen, als
irgendeiner von Ihnen vermutet."
Erst im Juni 1790 fand die wenig erquickliche Angelegenheit ihre Erledi-
gung, indem der Kongreß Steuben eine lebenslängliche Pension von 2500 Dollar
aussetzte.
Der wackre Veteran bezog dieselbe nur vier Jahre lang. Er hatte seinen
Wohnsitz in der Stadt New York aufgeschlagen, von wo er sich, begleitet von
wenigen vertrauten Dienern, zur Sommerszeit auf sein im Herzen des Staates ge-
legenes Besitztum begab, um dort landwirtschaftlichen Arbeiten und wissen-
schaftlichen Studien zu leben und in rauschender Waldwildnis die heiße Jahreszeit
zu verbringen. Eine einfache Blockhütte diente ihm als Obdach. Hier wurde
der wackre Kämpe im Jahre 1794 von einem Schlaganfall betroffen, infolge-
dessen er am 25. November verschied.
Seiner letztwilligen Verfügung gemäß schmückte man seine Brust mit
dem unter Friedrich dem Großen erworbenen hohen Orden. Dann hüllte man
die Leiche in den Soldatenmantel, der während des Feldzugs den Körper so
oft umgeben hatte. Nachdem man den Toten dann in einen einfachen Sarg ge-
bettet, setzte man diesen unter den uralten Riesenbäumen eines auf dem höchsten
Gipfel der Grafschaft Oneida gelegenen Haines bei. Über dem Grab errichtete
~ 240 —
man aus grauen Quadern ein Denkmal, auf dem der von einem Eichenkranz
umgebene Name „Steuben" dem Wandrer verkündigt, wer hier ruht.
Seit jenen, von der ganzen Nation tiefempfundenen Trauertagen ist mehr
als ein Jahrhundert dahingeflossen, ein Zeitraum, währenddessen die einst von
Steuben bewohnte Waldwildnis sich in eine mit fruchtbaren Feldern erfüllte
blühende Landschaft verwandelte. Aber der alte Hain, in welchem Steuben
seine ewige Ruhe hält, ist geblieben. Aus der Ferne gesehen, mahnt er in seiner
Steubens Ruhestätte in der Grafschaft üneida, N. Y.
Wölbung an einen jener gewaltigen Hügel, wie sie in grauer Vorzeit in Skan-
dinavien über den Ruhestätten berühmter Helden aufgehäuft wurden. Beim
Fintritt in den Hain umfängt uns grüne Dämmerung. Die morschen Stämme
und Äste längst vom Sturm gefällter Riesenbäume liegen umher, von Moos
und Farren überwuchert. Wir befinden uns in einem Rest jenes ungeheuren
Urwaldes, der vor Ankunft der Bleichgesichter den ganzen Osten bis zum
Mississippi bedeckte. Inmitten dieses grünen Waldesdunkels ruht Steuben, der
in seinem Testament bestimmte, daß man keinen der sein Grab umgebenden
Bäume, wenn sie einst fallen sollten, hinwegräume. Sie wie die vom Sturm
gebrochenen Zweige sollten als Symbol der die ganze Natur beherrschenden Ver-
gänglichkeit gelten.
— 241 —
Vergänglichkeit! Wie allem Menschenwerk, so ist auch dem heute so
mächtigen Bund der Vereinigten Staaten von Amerika keine ewige Dauer be-
schieden. Andere Staatswesen mögen im Lauf der Jahrtausende an ihre Stelle
treten. Aber solange das amerikanische Volk bestehen wird, solange wird es
auch den Namen Steubens als das eines edlen Vorkämpfers der Freiheit in dank-
barer Erinnerung halten.
Schlußvignette: Steubens Blockhütte in der Grafschaft Oneida, N Y.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
16
Die deutschen Truppenabteilungen im französischen
Hilfsheer.
Deutsche Hilfstruppen befanden sich auch in der Armee, welche dem am
6. Februar 1778 zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich geschlossenen
Vertrag zufolge von dem letztgenannten Lande gestellt und auf einer französi-
schen Flotte nach Amerika gesendet wurde, um an dem Krieg gegen die Eng-
länder teilzunehmen. Das von dem Marquis Rochambeau befehligte 6000 Mann
starke Heer landete am 11. JuH 1780 bei New Port in Rhode Island. Seine
deutschen Teile umfaßten erstens das aus Pfälzern bestehende Regiment „Zwei-
brücken'\ das bei den Franzosen den Namen: „Regiment Royal Allemand de
deux Fonts" führte. Zweitens ein Bataillon Kur-Trierscher Grenadiere des
„Saar-Regiments" („Detachem.ent du regiment La Sarre"). Drittens mehrere
Kompagnien elsaß-lothringischer Jäger, die den Regimentern „Bourbonnais"
und „Soissonnais" zugeteilt waren. Viertens einen Teil der Reiterlegion des
Herzogs von Lauzun. Befehlshaber des Zweibrückschen Regiments waren die
beiden Prinzen Christian und Wilhelm von Zweibrücke n-
Birkenfeld. Außer ihnen befanden sich bei den deutschen und fran-
zösischen Truppenabteihmgen noch folgende höhere Offiziere mit deutschen
Namen: Major Freiherr Eberhard von Esebeck, Oberst Adam
Philipp Graf von Custine, Graf Axel von Fersen, der Stabs-
Kopfleiste: Die Kapitulation der englischen Armee bei Yorktown. Nach dem
Gemälde Trumbulls im Kapitol zu Washington, D. C.
— 243 —
chef des Oberstkommandierenden Marquis du Rochambeau, und Freiherr
Ludwig von Closen-Haydenburg, der Adjutant Rochambeaus.
Die deutschen Hilfstruppen kamen mit anderen Abteilungen des fran-
zösischen Heeres hauptsächlich im Süden zur Verwendung, wo die Generale
Steuben und Mühlenberg bemüht waren, den in Virginien eingefallenen Ver-
räter Benedict Arnold unschädlich zu machen und an seiner Vereinigung mit
dem in Nordkarolina stehenden Lord Cornwallis zu hindern.
Dieses Ziel wurde leider nicht erreicht; dagegen gewannen die im fran-
zösischen Hilfsheer stehenden deutschen Abteilungen bei der Belagerung von
Yorktown hohen Ruhm.
Dorthin hatte der englische General Cornwallis sich mit seinem aus
12 000 Engländern und Hessen bestehenden Heer im Jahre 1781 zurückgezogen,
um für seine Operationen in Virginien einen festen Stützpunkt zu haben. Dabei
geriet er aber in eine bedenkliche, von seinen Gegnern sofort erkannte Falle.
Auf verschiedenen Wegen kamen sie in Eilmärschen herbei und schlössen,
16 000 Mann stark, Yorktown auf der Landseite ein, während eine französische
Flotte gleichzeitig den Yorkfluß blockierte und die Einkreisung vollendete.
Am 6. Oktober begannen die Belagerer mit dem Auswerfen der ersten,
600 Schritt von der Festung entfernten Parallele. Die Amerikaner standen
dabei auf dem rechten, die Franzosen auf dem linken Flügel. Schon am
10. Oktober eröffneten sie das Bombardem.ent und zwar mit gutem Erfolg,
denn mehrere bei Yorktown ankernde englische Schiffe gerieten durch glühende
Kugeln in Brand und gingen in Flammen auf.
Am 11. Oktober nahm man die auf 300 Schritt gegen die feindlichen
Wälle vorgeschobene zweite Parallele in Angriff. Dabei galt es zwei feindliche
Redouten zu erstürmen. Das geschah am 14. Oktober, und zwar wurde die
eine von 400 Grenadieren und Jägern der beiden Regimenter „Zweibrücken"
und „Gatenois" unter Führung des Prinzen Wilhelm von Zweibrücken ge-
nommen, während die andere den Amerikanern in die Hände fiel.
Die durch den Prinzen angegriffene Redoute war von 100 Hessen und
30 Engländern besetzt. Die britischen Rotröcke gaben schon beim ersten An-
griff Fersengeld. Die Hessen hingegen hielten tapfer stand und fügten den
Angreifern einen Verlust von 97 Toten und Verwundeten zu. Unter den
Blessierten befand sich der Prinz, welcher eine Verletzung am Kopf davontrug.
Während dieser Kämpfe erfolgten auf beiden Seiten die Befehle in deut-
scher Sprache.^)
') Man hat wegen der großen Zahl der auf beiden Seiten kämpfenden Deutschen
die Belagerung von Yorktown „die deutsche Schlacht" genannt. Und in der Tat war die
Beteiligung der Deutschen an jenen Kämpfen ungewöhnlich stark. Fast der vierte Teil
der englischen Armee etwa 2500 Mann bestand aus Hessischen und Anspachischen
Hilfstruppen. Ebenso groß war die Zahl der im französischen Heer dienenden Deutschen.
In der amerikanischen Armee bestand die von General Steuben und den Untergenerälen
16*
— 244 -^
Mit der Eroberung der Redouten und der Vollendung der Laufgräben
war das Schicksal der Festung besiegelt. Ein am Morgen des 16. Oktober
von den Belagerten unternommener Ausfall führte keine Änderung zu ihren
Gunsten herbei.
Am Morgen des 17. Oktober befanden sich auf französischer Seite die
beiden Regimenter „Zweibrticken" und ,.Bourbonnais", auf amerikanischer Seite
die Truppen des Baron von Steuben in den Laufgräben. Ihr gegen die Festung
gerichtetes Geschützfeuer brachte die feindlichen Kanonen nach kurzer Zeit zum
Schv^eigen.
Die Fruchtlosigkeit ferneren Widerstands erkennend, entschloß sich Lord
Comwallis nach einem mißglückten Versuch, über den Yorkfluß zu entweichen,
zur Kapitulation. Nachdem die Bedingungen vereinbart waren, fiel einer
Abteilung von Grenadieren des Regiments „Zweibrücken" die Ehre zu, über
den Wällen der Festung das weiße, mit goldenen Lilien bestickte Banner
Frankreichs aufzuziehen.
Die Stärke der kapitulierenden Armee behef sich auf 7000 Soldaten,
2000 Matrosen, 1500 Tories und 1800 Neger, im ganzen über 12 000 Mann.
Außerdem fielen 8000 Musketen, 225 Geschütze und bedeutende Vorräte an
Munition und Proviant den Amerikanern in die Hände.
Bancroft erzählt, daß die im britischen Dienst stehenden hessischen und
anspachischen Regimenter beim Strecken der Waffen an dem Regiment „Zwei-
brücken" vorüberkamen. Da hätten die gefangenen Deutschen vergessen, daß
sie den Siegern in Waffen gegenübergestanden. Sie wären auf ihre Landsleute
zugelaufen und hätten dieselben mit Tränen in den Augen umarmt.
Dem tapfern Prinzen Wilhelm von Zweibrücken erteilte der Befehlshaber
des französischen Heeres den ehrenvollen Auftrag, zusammen mit dem Herzog
von Lauzun die Nachricht von dem glorreichen Sieg der verbündeten fran-
zösisch-amerikanischen Heere nach Frankreich zu bringen.
Die Übergabe von Yorktown bildete das letzte größere Ereignis des
amerikanischen Unabhängigkeitskriegs. In England erkannte man, daß die
Amerikaner nicht mit Gewalt unterjocht werden konnten. Da auch im eng-
lischen Volk eine energische Abneigung gegen die Fortführung des ungemein
kostspieligen Kriegs bemerkbar wurde, so entschloß die Regierung sich endlich
dazu, ihre Truppen zurückzuziehen und die Unabhängigkeit der Vereinigten
Staaten anzuerkennen.
An der glorreichen Gewinnung derselben haben die vielen tausend
Deutsche, welche unter den amerikanischen Fahnen fochten, unstreitig einen
Mühlenburg, Gist und Wayne befehligte 3200 Mann starke Division fast ausschließlich aus
deutschen Farmersöhnen aus Pennsylvanien und Virginien. Daß sich auch unter den übrigen
amerikanischen Regimentern viele Deutsche befanden, ist sicher. So finden wir, daß von
den 28000 Mann, welche auf beiden Seiten vor und in Yorktown fochten, fast ein Drittel
Deutsche waren, welche unter engUschen, französischen und amerikanischen Fahnen
kämpften.
— 245 —
ruhmvollen Anteil. Die unparteiische Geschichtsschreibung wird dieses Anteils
stets gedenken. Und solange das Andenken an den Unabhängigkeitskampf der
Vereinigten Staaten lebendig bleibt, solange wird man sich auch der mit
diesem größten und folgenreichsten Ereignis der neueren Geschichte unlösbar
verbundenen Namen der Helden Nikolaus Herchheimer, Peter Mühlenberg,
Johann Kalb und Friedrich Wilhelm von Steuben erinnern.
II. Teil.
Die Deutschamerikaner seit Aufrichtung
der Union.
Der Anteil der Deutschen an der Erschließung
und Besiedlung der westlich von den Alleghany's
gelegenen Gebiete.
Die deutschen Ansiedler im Stromgebiet des Ohio.
Von allen Dokumenten und großen Ereignissen der menschlichen Ge-
schichte haben keine die freiheitlichen Bestrebungen und die Zustände der Völker
so mächtig beeinflußt, wie die Unabhängigkeitserklärung und die Aufrichtung des
Bundes der Vereinigten Staaten von Amerika. Die erste bedeutete nicht bloß eine
entschlossene Lossagung von einem mächtigen Monarchen, dem man unverblümt
sein Sündenregister vorhielt, sondern zugleich einen geharnischten Protest gegen
die uralte, bisher unangefochtene Lehre vom Gottesgnadentum der Herrscher.
Gleich die zu Anfang des Schriftstückes niedergelegten Erklärungen waren,
von einer weltumwälzenden, alle früheren Anschauungen umstoßenden Be-
deutung. Sie lauteten: „Wir halten die folgenden Wahrheiten als erwiesen:
Daß alle Menschen gleich geschaffen und von ihrem Schöpfer mit gewissen
unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind. Daß zu diesen Rechten Leben,
Freiheit und das Streben nach Glück gehören ; daß zur Sicherung dieser Rechte
Kopfleiste: Die Unterzeichnung der Unabhängigkeitseri<iärung der Vereinigten
Staaten von Amerika am 4. Juli 1776. Nach dem im Kapitol zu Washington befindlichen
Gemälde von J. Trumbull.
— 250 —
Regierungen unter den Menschen eingesetzt wurden, welche ihre Befugnisse
durch die Zustimmung der Regierten empfangen; daß, wenn jemals eine Re-
gierung gegen ihren Zweck verstößt und zerstörend wirkt, das Volk das Recht
hat, die Regierung zu ändern oder abzuschaffen, eine neue Regierung einzu-
setzen, deren Grundlage auf solche Prinzipien zu legen und ihre Gewalt in
solche Formen zu kleiden, wie sie dem Volk zur Förderung seiner Sicherheit
und Wohlfahrt am zweckdienlichsten scheinen."
Gleich einem Feuerbrand wälzte sich dieser durch Thomas Jefferson in
Worte gefaßte, durch George Washington so glänzend in die Tat umgesetzte
Freiheitsgedanke über die ganze Erde. Er flackerte zuerst in Frankreich auf,
dem Land, welches den Amerikanern gegen England zur Seite gestanden hatte.
Dann trieb er die spanischen Kolonien Mittel- und Südamerikas zu ihren erfolg-
reichen Unabhängigkeitskämpfen. Er fand femer in den Freiheitsbestrebungen
der westindischen Neger, der südafrikanischen Buren, in den Verfassungs-
kämpfen fast sämtlicher europäischen Länder ein lebhaftes Echo.
In Deutschland hatte man den Verlauf der amerikanischen Unabhängig-
keitskämpfe mit äußerster Aufmerksamkeit verfolgt. Nicht bloß darum, weil
viele hunderttausend Deutsche Amerika zu ihrer neuen Heimat erkoren hatten
und zahllose Deutsche in den kämpfenden Heeren standen. Sondern weil auch
in den Herzen der in Deutschland Zurückgebliebenen eine ungestüme Sehn-
sucht nach Freiheit brannte.
Deutschlands Dichter und Philosophen feierten George Washington als
einen Helden, der den größten aller Zeiten gleichzustellen sei. Das allgemeine
Staunen wuchs, als Washington nach dem siegreich zu Ende geführten Krieg
die Regierung der jungen Republik übernahm und dieselbe unter der Beihilfe
von Männern bewährten Verstandes, unantastbaren Charakters und erprobter
Vaterlandsliebe zu einem vollendeten Erfolg machte.
Dieser Erfolg bewirkte natürlich eine starke Zunahme der Einwandrung.
Verbürgten doch die Vereinigten Staaten den Ankömmlingen volle Gleich-
stellung in sozialer, und volle Freiheit in religiöser und politischer Beziehung.
Obendrein waren durch den Krieg dem Gebiet der llnion neue gewaltige
Ländermassen hinzugefügt worden, die sich bis zum Mississippi erstreckten
und wo sich den Einwandrern tausend Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer
materiellen Lage darboten.
Über die Stärke der deutschen Einwandrung während des vom Ende
des Kriegs bis zum Jahre 1820 reichenden Zeitraums sind wir nur ungenügend
unterrichtet. Weder in Europa noch in Amerika stellte man über den Abgang
und Zuzug von Personen statistische Erhebungen an. Aber aus manchen
anderen Quellen können wir schließen, daß die deutsche Einwandrung in die
Vereinigten Staaten während der genannten Periode beträchtlich gewesen ist.
Die Neuankömmlinge ließen sich entweder in den an der Ostküste bereits be-
stehenden Ortschaften nieder oder rückten den Kolonisten nach, welche sich zum
Einmarsch in die jenseits der Alleghany Gebirge liegende Gebiete entschlossen.
— 251 —
Die furchtbaren Greueltaten, welche von den verbündeten Briten und
Indianern v^ährend des Krieges sowohl in jenen Gebieten, wie in den an-
stoßenden Teilen von New York, Pennsylvanien, Maryland und Virginien ver-
üb't worden waren, hatten den Zug der Ansiedler dorthin gänzlich zum Stocken
gebracht. Die Ländereien der „Ohio Compagnie", der „Mississippi Com-
pagnie" und anderer Kolonisationsgeselischaften lagen brach. Desgleichen die
großen Besitzungen, welche George Washington als Anerkennung für seine
während des Franzosenkriegs geleisteten Dienste zugesprochen worden waren.
Wie sich aus noch erhaltenen Briefen ergibt, hatte Washington bei der Frage
der Besiedlung seiner Besitzungen in erster Linie an deutsche Ackerbauer ge-
dacht. Im Februar 1774 schrieb er von Mount Vernon an James Tilghman in
Philadelphia : „Gewichtige Gründe fordern eine rasche, erfolgreiche und zugleich
bilHge Kolonisierung dieser Ländereien. Von allen Vorschlägen, die mir unter-
breitet wurden, versprechen keine bessere Erfolge, als die Besiedlung der Lände-
reien mit Deutschen aus der Pfalz."
Aus anderen Quellen wissen wir, daß Washington sich eifrig erkundigte,
wie dieser Plan ausgeführt werden könne und ob es ratsam sei, einen intelli-
genten Deutschen nach der Pfalz zu senden, um dort Auswandrer anzuwerben
und ihre sichere Überführung nach Amerika zu bewirken. In derselben An-
gelegenheit wandte er sich an den Reeder Henry Riddle und versprach den deut-
schen Bauern, die für ihn angeworben würden, nicht bloß die Reisekosten bis
zum Ohio zu bezahlen, sondern sie auch bis zur ersten Ernte mit allem Nötigen
zu unterstützen und ihnen für vier Jahre den Pachtzins zu erlassen. — Allen
diesen Plänen machte der Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges ein Ende.
Auch nach dem Kriege geschah die Besiedlung des Ohiogebietes nur
langsam. Die unwirtlichen, mit ihren höchsten Gipfeln 2000 m emporsteigen-
den Ketten der Appalachen- oder Alleghanygebirge bildeten einen Wall, der
dem Vordringen der Ansiedler gen Westen außerordentliche Hindernisse be-
reitete. Denn das ungeheure, vom 32. bis zum 49. Grad n. Br. reichende Ge-
birgssystem bestand nicht etwa aus einem einzigen Rücken, sondern aus zahl-
reichen parallelen Ketten, die sämtlich mit dichten, an Unterholz reichen Ur-
wäldern bewachsen waren. Diese zu durchdringen und die Ketten zu über-
schreiten, hatten bereits die ersten Erforscher dieses Gebirgssystems, die beiden
Deutschen Johann Lederer und Henry Batte, während der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts sich vergeblich bemüht. Überall waren sie auf ein Chaos von
Steinblöcken und gefallenen Baumriesen gestoßen, über und zwischen welchen
üppig wuchernde Moose, Schlingpflanzen, Rhododendronsträuche und Balsam-
tannen dem menschlichen Fuß das Vordringen wehrten, dagegen Bären, Pan-^
them, Wölfen, Füchsen und anderen Raubtieren sichere Schlupfwinkel darboten.
Erst nachdem die Gefahr blutiger Zusammenstöße mit Franzosen und
Briten geschwunden und es gelungen war, in der Gebirgsmauer einige Pässe
zu entdecken, kam die Westwärtsbewegung der Ansiedler wieder in Fluß.
Es standen für dieselben mehrere Wege offen: im Süden das berühmte
252
Cumberland Gap, ein von Nordkarolina und Virginien nach Tennessee und
Kentucky leitender Fingpaß; ferner der vom Potomac zum Monongahela
führende Saumpfad, den der englische General Braddock im Jahre 1754 zu
Cumberland Gap.
Nach einem Gemälde von W. L. Sonntag.
seinem unglücklichen Vorstoß gegen das französische Fort Duquesne benutzt
hatte. Drittens der Weg, der von Henry Bouquet im Jahre 1758 bei seiner
gegen dasselbe Fort gerichteten Expedition gebahnt worden war. Weiter im
— 253
Norden gesellte sich dazu das Mohawktal, welches in späteren Zeiten auch den
Eisenbahnen als wichtigste, zum Westen führende Pforte diente.
Die Entdeckung des Cumberlandpasses schreibt man dem Virginier
Walker zu, einem jener kühnen Männer, die sich von dem Gemeinwesen ab-
sonderten, um in das sie mächtig anziehende geheimnisvolle Innere des nord-
amerikanischen Kontinents vorzudringen und dort der Jagd auf Pelztiere ob-
zuliegen.
Der Pelzhandel bildete bekanntlich während des 17. und 18. Jahrhunderts
die wichtigste Einnahme-
quelle der europäischen
Kolonien in Nordamerika.
Mit ihm. beschäftigen sich
tausende undabertausende
Personen. Ihm verdankten
zahllose Handelsplätze
und Ortschaften Ursprung
und Dasein. Er rief auch
neue, in Europa ganz
unbekannte Menschengat-
tungen hervor: die Trap-
per, Voyageurs und Pelz-
händler.
Schwerlich gab es
jemals verwegenere Män-
ner als diese. Zu Fui3,
zu Roß oder auf schwan-
ken Rinden booten, meist
allein, manchmal zu zweit,
seltener zu mehreren ver-
eint folgten sie den na-
türlichen Wegweisern, den
Strömen, oder schmalen,
nur geübten Augen erkennbaren Wild- und Indianerpfaden. Ihr ganzes
Dasein bildete eine ununterbrochene Kette furchbarer Entbehrungen und
Gefahren. Bald mußten sie mit dem Beil mühsam Wege durch das Dickicht
bahnen, bald Moräste und Ströme überschwimmen, daneben Hunger und Durst,
im Sommer glühenden Sonnenbrand, im Winter bittere Kälte ertragen. Be-
fanden sie sich in Feindesland, so durften sie nicht wagen, die Zeit mit einem
lustigen Lied zu kürzen oder ein wärmendes Eeuer anzuzünden, um nicht die
Aufmerksamkeit ihrer gefährlichsten Feinde, der Indianer, zu erregen. Denn
die letzteren erkannten in den weißen Jägern nicht bloß Konkurrenten, die
ihnen im Ausbeuten des Jagdreviers Schaden zufügten, sondern sie trugen
ihnen auch einen unversöhnlichen Rassenhaß entgegen. Wehe dem Trapper,
Ein Trapper des 18. Jahrhunderts.
— 254 —
den das Mißgeschick in die Gewalt eines feindlichen Stammes geraten ließ. Er
entging nur dann einem grauenhaften Tode, wenn, was bisweilen geschah, eine
noch unverheiratete oder verwitwete Indianerin ihn zum Gatten begehrte, oder
wenn eine Frau, die ihre Söhne verloren, ihn adoptierte. Wo keine solche
Lösung erfolgte, da endete das Leben des Gefangenen am Marterpfahl, unter
Qualen, die an Entsetzlichkeit hinter den von den Ketzerrichtern des mittel-
alterlichen Europa ausgeklügelten Torturen nicht zurückblieben. Bestanden
sie doch in der stückweisen Zerstörung des Körpers unter Schonung der die
Lebensdauer verbürgenden edlen Teile. Sie begannen mit dem Ausreißen der
Nägel an den Zehen und Fingern, dem Ausbrechen der Zähne, dem Zermalmen
der einzelnen Glieder, dem Bloßlegen und Zerstören der einzelnen Nerven, um
sich zu immer raffinierteren Quälereien zu steigern, die manchmal tagelang
dauerten, bis der Unglückliche ihnen endlich erlag.
Unter den Verwegenen, welche solchen Mühseligkeiten und Gefahren mutig
Trotz boten und als Vorläufer der Kultur in die Wildnis am Ohio eindrangen, be-
fanden sich auch viele Deutsche. Sie kamen vom Fuß der den Staat Pennsylvanien
durchziehenden Blauen Berge; sie kamen aus Maryland, Virginien und Karolina.
Die Taten mancher dieser Wackern sind bis heute nicht vergessen. So
erzählt man noch heute von Georg Jäger, der, lange bevor der von den
Anglo-Amerikanern als „Pionier Kentuckys" gefeierte Daniel Boone dort auf-
tauchte, in der „großen Wildnis'* jagte. Im Jahre 1771 traf er am Kanawha
mit Simon Kenton, dem späteren Helden des Ohiotals, zusammen und ent-
flammte durch die Beschreibung der gesehenen Landschaften und ihrem Wild-
reichtum die Phantasie des jungen Mannes so, daß derselbe sich entschloß, mit
Jäger dorthin zu ziehen.
Michael Steiner oder S t o n e r durchstreifte bereits im Jahre 1767
Tennessee. Im Jahre 1774 ward er in Gemeinschaft mit Daniel Boone aus-
gesandt, eine Gesellschaft von Landvermessern aufzusuchen und heimzu-
geleiten, die sich in der Gegend, wo heute die Stadt Louisville steht, verirrt hatte.
Kaspar Mansker war einer der berühmten „long-hunters'' oder
„langen Jäger", die im Jahre 1769 von Nordkarolina zu einem Jagdzug in die
westlichen Regionen aufbrachen und durch deren Schönheit und Wildreichtum
so gefesselt wurden, daß sie der Heimkehr fast vergaßen. Sie traten erst nach
einem vollen Jahre den Rückmarsch an und erhielten wegen ihres langen Aus-
bleibens den obigen Spitznamen. Mansker kreuzte die westUchste Kette der
Appalachen, die Cumberlandgebirge, unzählige Male. Er war auch der erste
Weiße, welcher den Cumberlandfluß befuhr.
Ein ähnlicher Waldsohn war Michael Schuck. Seine aus Deutsch-
land eingewanderten Eltern waren samt seinen Geschwistern in Nordkarolina
von Indianern ermordet worden, worauf der allein im Wald zurückgebliebene
Knabe auf die abenteuerlichste Weise sein Leben fristete. Mit dem Instinkt eines
Panthers und dem Scharfblick eines Adlers begabt, wuchs er zum echten Trapper
heran. Außer seinem mächtigen Bau war dieser deutsche Indianer in seinen
— 255 —
späteren Tagen durch schneeweiße Haare gekennzeichnet, die weit über die
breiten Schultern herunterfielen. Beständig mit den Rothäuten kämpfend, drang
Schuck in jahrzehntelangen Streifzügen bis nach Missouri vor, in dessen un-
bekannten Wäldern er seinen Geist aushauchte.
Einen ähnlichen Lebenslauf hatte der berühmte Indianerjäger Ludwig
W e t z e 1 , ein Sohn des Pfälzers Johann Wetzet, der zu den ersten An-
siedlern von Wheeling gehörte, aber im Jahre 1787 von Indianern erschlagen
und skalpiert wurde. Seine fünf Söhne schwuren, den Tod ihres Vaters zu
rächen. Keiner erfüllte diesen Schwur in so furchtbarer Weise, wie Ludwig,
der jüngste der Brüder. Mit der Kampfweise der Indianer genau vertraut,
stellte er sich die Aufgabe, ihrer so viele als möglich umzubringen, unbekümmert
darum, daß die Regierung sich große Mühe gab, mit den Indianern Friedens-
verträge abzuschließen.
Als Wetzel fortfuhr, einen Indianer nach dem andern wegzuschießen und
infolgedessen die Unruhen kein Ende nehmen wollten, setzte der Befehlshaber
des an der Stelle der heutigen Stadt Cincinnati erbauten Forts Washington
einen Preis auf die Festnahme Wetzeis. Er wurde tatsächlich gefangen und
eingesperrt. Es gelang ihm aber zu entkommen, worauf er die Indianerjagd
mit neuem Eifer aufnahm.. Abermals gefangen, sollte er erschossen werden.
Aber nun brachen die Pioniere von beiden Seiten des Ohio in Massen auf, um
Wetzel mit Gewalt zu befreien. Sie drohten, die ganze Besatzung des Forts
zu massakrieren, wenn man Wetzel ein einziges Haar krümme. Um Blutvergießen
zu vermeiden, gab der Befehlshaber des Forts den Gefangenen frei, nachdem
derselbe sich feierlich zum Einhalten des Friedens verpflichtet hatte. Nach
mancherlei anderen Abenteuern starb Wetzel später in Texas.
Solcher Art waren die deutschen Männer, die an der Erschließung des
Ohiogebietes teilnahmen. Ihnen folgten einzelne Truppen abteilungen, welche
die von den Franzosen und Engländern erbauten Forts besetzten, an anderen
geeigneten Stellen neue Befestigungen anlegten und so überall Stützpunkte schufen,
von wo aus die Besiedlung des Ohiogebiets in gesicherter Weise erfolgen konnte.
Solche Stützpunkte waren die Forts Pitt, Campus Martins, Steuben, Wa-
shington, Defiance, Recovery, Sandusky, Detroit, St. Joseph, Adams, Wayne
und andere. Im Jahre 1803 legte der Artillerieleutnant J. Swearingen,
der Sohn eines zu Schäferstown in Virginien lebenden Deutschen, an der Mün-
dung des Chicagoflusses in den Michigansee das Fort Dearborn an, welches mehrere
Jahre später infolge der Abschlachtung seiner Bewohner durch feindliche In-
dianer eine traurige Berühmtheit erlangte.
Diese aus rohen Baumstämmen aufgeführten, mit Holztürmen und Pali-
saden versehenen Forts dienten zugleich als Stationen für den Pelzhandel wie
als Niederlagen, wo die Trapper und Ansiedler Waffen, Munition, Fallen,
Kochgeschirre, Kleider, Ackergeräte und alle anderen Notwendigkeiten gegen
die erbeuteten Pelze oder den Überschuß ihrer landwirtschaftlichen Erzeug-
nisse eintauschen konnten.
— 256 —
Nachdem auf diese Weise den dringendsten Forderungen der Sicherlieit
Reclinung getragen war, schritt die Besiedlung des Ohiogebiets rasch vorwärts.
Troiz der unbeschreibHchen Mühseligkeiten, die das Überschreiten der rauhen
Gebirgsketten mit sich brachte.
Eine im Jahr 1784 entworfene Karte Kentuckys zeigt bereits fünfzig
Forts, acht Niederlassungen und zahlreiche, aus mehreren Blockhütten be-
stehende „Stationen". Vornehmlich an den Ufern der Ströme entfaltete sich
reges Leben. Denn die meisten Einwandrer zimmerten, sobald sie die Gebirge
hinter sich hatten und an schiffbare Gewässer kamen, Flöße oder sogenannte
„Flachbocte" und „Archen", geräumige Fahrzeuge mit hüttenartigen Aufbauten,
die den Reisenden nachts und bei unfreundlichem Wetter als Unterkunft
dienten.^) Die Habseligkeiten und das mitgeführte Vieh waren im Hinterteil
Ein Fort des 18. Jahrhunderts.
des Fahrzeugs untergebracht. Zwei mächtige, auf dem Dach der Hütte be-
festigte Ruder, die „broad horns", dienten dazu, das schwimmende Farmhaus
im Fahrwasser des Stroms zu halten. So ließ man sich oft wochenlang die
Flüsse abwärtstragen, bis man an Plätze kam, die dem Geschmack der Reisenden
zusagten und durch ihre Lage und Umgebung gute Aussichten für die Zukunft
boten. Dann wurde das Fahrzeug ans Ufer gesteuert, zerlegt und zum Bau der
Hütten verwendet. Auf solche Weise entstanden am Ohio und seinen Neben-
flüssen zahlreiche Orte, deren Bevölkerung aus englischen, deutschen, schotti-
schen, irischen, französischen, holländischen und indianischen Elementen be-
stand. An vielen Orten zählten Deutsche zu den Gründern. Major Benja-
min Steitz und Mathias Denman besaßen z. B. im Jahre 1788 den
größten Teil des Bodens, auf dem Cincinnati erbaut wurde. Einem deutschen
') Der erste Flachbootschiffer auf dem Ohio war der Deutsche Jakob Joder. Er fuhr
im Jahre 1757 den Strom hinab.
257 —
Helden des Unabhängigkeitskrieges, Major David Ziegler, fiel die Ehre
zu, im Jahre 1802 als erster Bürgermeister des Dorfs gewählt zu werden.
Israel Ludlow gründete in Gemeinschaft mit einigen Amerikanern
im Jahre 1795 Dayton; EbenezerZane (Zahne) 1796 Zanesville und Neu-
Lancaster.
Die Namen der in den Staaten Ohio, Indiana, Kentucky und Tennessee
gelegenen Orte Frankfort, Potsdam, Hannover, Germantown, Berlin, Minster,
Freiburg, Glandorf, Wirtemberg, Osnaburg, Speier (Spires), Bern, Geneva,
Saxon, Oldenburg, Hermann, Ferdinand, Betzville, Baumann, Neu-Elsaß,
Ein Flachboot auf dem oberen Ohio.
Bremen, Wartburg und viele andere verraten schon durch ihren Klang die
deutsche Herkunft ihrer ersten Besiedler. Deutsche gründeten auch die Stadt
Steubenville, deren Namen an den berühmten Organisator des amerikanischen
Heeres erinnert.
In der Folge wurden die Täler des Ohio und seiner Nebenflüsse, ins-
besondere auch die vom Mohawktal nach Buffalo, Cleveland, Pittsburg und
Detroit führenden Straßen zu einem Hauptsiedlungsgebiet der Deutschen in
Nordamerika.
Es war hauptsächlich das junge unternehmungslustige Volk der östlich
von den Alleghanys bestehenden älteren Niederlassungen, das sich hier an-
siedelte, um, wie die Väter es getan, im Urbarmachen neuer schöner Land-
schaften die eigne Kraft zu proben.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
17
— 258 —
Gestärkt wurde es später durch stetig wachsende Scharen aus Deutsch-
land kommender Einwandrer. Gemeinschafthch verHehen diese Deutschen zahl-
reichen Plätzen jenes eigenartige Gepräge, das die ältere deutsche Einwandrung
manchen Teilen der Oststaaten aufgedrückt hatte. In friedlichem Wettbewerb
mit ihren Mitbürgern anglo-amerikanischer Abkunft halfen sie im Lauf der Jahr-
zehnte die ungeheure, vom Stromsystem des Ohio bewässerte Wildnis in jene
Gefilde verwandeln, die heute zu den ertragreichsten der ganzen Union gehören.
Wie die Deutschen im Osten sich vielfach als Pioniere der Industrie und
des Handels zeigten, so trugen sie auch zur industriellen Entwicklung des Ohio-
gebiets in reichstem Maße bei. Kaum war Louisiana in den Besitz der Ameri-
kaner übergegangen, so wendeten sie ihre Aufmerksamkeit derwichtigen Frage zu.
Cincinnati im Jahre 1802.
wie die weite Entfernung nach der zum Hauptstapelplatz für alle Ein- und Aus-
fuhrgüterwerdenden Stadt New Orleans am raschesten zurückgelegt werden könne.
Der Verkehr mittels der Flöße und Flachboote war äußerst langwierig.
Obendrein konnte man diese Transportmittel nur für eine einzige Reise fluß-
abwärts benutzen, da mit solchen Fahrzeugen unmöglich gegen die starke
Strömung des Mississippi angekämpft werden konnte. Zur Rückfahrt mußten
die Mannschaften stets leichte Kanus verwenden.
Auch die Rundreisen der später an Stelle jener Flachboote tretenden Kiel-
boote gestalteten sich überaus langwierig. Zwischen den beiden äußersten
Punkten, Pittsburg und New Orleans, dauerten sie gewöhnlich ein volles Jahr.
Diese lange Zeit wurde auf die Hälfte verkürzt, als der ehemalige Rheinschiffer
Heinrich Bechtle im Auftrag des in Cincinnati lebenden Kaufmanns
Martin Baum mehrere Segelbarken baute, die zur Rundreise nicht mehr als
sechs Monate benötigten.
Deutsche gaben auch die erste Anregung zur Anlage des die Ohiofälle
— 259 —
umgehenden Kanals bei Louisville. Ein Deutscher namens Bernhard
R o s e f e 1 d t baute ferner das erste Dampfschiff der westUchen Ströme. Es
erhielt den Namen der Stadt New Orleans und legte seine erste Reise dorthin
im Jahre 1811 zurück.
Die Entdeckung der unerschöpflich reichen Kohlen- und Eisenerzlager
im Ohiogebiet hatte die Übertragung der Eisenindustrie dorthin zur Folge.
Wie auf der Ostseite der AUeghanygebirge, so halfen die Deutschen auch hier
diese Industrie mächtig entwickeln. Der bei Strasburg geborene Georg
An schütz wurde durch Anlage einer Schmelze im Jahre 1792 der Pionier
der Eisenindustrie Pittsburgs. Der kluge deutsche Geschäftsmann Jakob
Meyers aus Baltimore errichtete um dieselbe Zeit am Slate Creek in Kentucky
ein Schmelzwerk, wo außerdem allerlei Bedarfsgegenstände, Werkzeuge, Öfen,
Kochtöpfe, Geschützläufe und andere Dinge hergestellt wurden. Anfangs litten
die Arbeiter freilich so sehr unter den Nachstellungen der Indianer, daß die
Hälfte der Leute stets Waffendienst verrichten mußte. Deutsche namens
Schreeve gründeten auch im Greenup County einen Hochofen mit Dampf-
gebläse, der von 1824 bis 1860 in Betrieb war.
Mit dem immer mächtiger anscl^wellenden Strom der Einwandrung ver-
breiteten die Deutschen sich über das ganze südlich von den großen Seen
liegende Gebiet. Sie befanden sich unter den ersten Bewohnern der Städte
Indianapolis, Louisville, Knoxville, Nashville, Chicago, Peoria und Milwaukee
und erwarben überall durch Fleiß, Ausdauer und Ordnungsliebe die Achtung
ihrer Mitbürger. Daß sie durch ihre Erfolge sogar den Neid minder glück-
licher Mitbewerber herausforderten, erhellt aus manchen, von Nativismus durch-
tränkten Klagen, denen man in verschiedenen anglo-amerikanischen Zeitungen
jener Periode begegnet, und wo es heißt, daß die Deutschen im Erobern des
Handels und Gewerbes unwiderstehlich seien.
Schlußvignette: Fort Washington am Ohio,
des 18. Jahrhunderts.
Nach einer Zeichnung vom Ende
17''
Die deutschen Ansiedler im Mississippital.
Der erfolgreiche Unabhängigkeitskrieg hatte den Amerikanern zwar den
Zutritt zu der großen Stroniseele des nordamerikanischen Kontinents, zum
Mississippi gebracht, aber sie besaßen nicht die volle Kontrolle über diesen
wichtigen Wasserweg. Sein Westufer sowie sein Mündungsgebiet, das ehe-
malige Louisiana, waren nach der Verdrängung der Franzosen vom nordameri-
kanischen Kontinent in den Besitz der Spanier übergegangen, die von freier
Schiffahrt auf dem „Vater der Ströme" nichts wissen wollten.
Ungehinderter Verkehr bedeutete aber für sämtliche am Ohio und auf
dem Ostufer des Mississippi gegründeten amerikanischen Niederlassungen und
Staaten eine Lebensfrage, da sie sonst ihre Erzeugnisse nicht ausführen konnten.
Die Lage war unerträglich. Denn der überaus schwierige Transport über die
Alleghanygebirge verbot sich der ungeheuren Kosten wegen.
Da, mit Anbruch des IQ. Jahrhunderts, änderten diese Zustände sich
plötzlich in einer für die Amerikaner überaus günstigen Weise. Spanien mußte
am 1 . Oktober 1 800 sein ganzes Besitztum am Mississippi an Frankreich zurück-
geben. Napoleon Bonaparte aber, der seinen bereits in der Luft liegenden
unvermeidlichen Krieg mit England voraussah, empfand den überseeischen
Besitz als eine schwere Last, da er außerstande war, Louisiana gegen einen
englischen Flottenangriff zu schützen. Er beschloß deshalb, sich jenes Riesen-
reichs in einer Weise zu entäußern, die Frankreich nicht nur materiellen Nutzen
Kopfleiste: Amerikanische Flußdampfer aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
— 261 —
bringen, sondern zugleich seinen Gegnern einen argen Strich durch die Rech-
nung machen sollte.
("npyright hy Karl Biittr H»0,^.
Die Unterzeichnung des Louisiana-Vertrags. Bildhauerarbeit von Karl Bitter in New Yori<.
„Die Engländer'*, so erklärte er seinen Ministern, „streben, die Reich-
tümer und den Handel der ganzen Welt an sich zu reißen. Um die Völker
von ihrer unerträglichen kommerziellen Tyrannei zu befreien, ist es nötig, ihren
— 262 —
Einfluß durch eine Seemacht zu balancieren, die ihnen eines Tages die Handels-
suprematie streitig machen kann. Diese Macht sind die Vereinigten Staaten.
Stärke ich deren Stellung durch Abtreten des Mississippigebiets, so erhält Eng-
land im Welthandel einen Mitbewerber, der seinen Übermut früher oder später
dämpfen wird."
Die mit den Vereinigten Staaten angeknüpften Verhandlungen kamen am
30. April 1803 zum Abschluß, wodurch Louisiana gegen eine Summe von
15 Millionen Dollar an die Vereinigten Staaten überging. Durch dieses groß-
artigste Landkaufgeschäft aller Zeiten wurden die Vereinigten Staaten um ein
Gebiet bereichert, das demjenigen von Großbritannien, Deutschland, Frank-
reich, Spanien, Portugal, Italien und der Schweiz gleichkommt und den bis-
herigen Flächeninhalt der Union verdoppelte.
Von welch unermeßlicher Bedeutung die Erwerbung Louisianas für die
Kulturentwicklung der Vereinigten Staaten werden sollte, konnte damals aller-
dings niemand voraussehen, da man weder die fabelhafte Ausdehnung des
Mississippisystems, noch die Beschaffenheit der westlich vom Hauptstrom lie-
genden Ländermassen kannte.
Vorderhand war für die Amerikaner kein Punkt so wichtig, als der
durch den Ankauf Louisianas ermöglichte freie Verkehr auf dem Mississippi.
Das war ein Gewinn, der alles andere überschattete. Denn nun war den west-
lich von den Alleghanygebirgen entstandenen Staaten die heiß ersehnte Mög-
lichkeit geboten, mit ihren Erzeugnissen auf dem Weltmarkt zu erscheinen.
Ihr dadurch bewirkter Aufschwung wurde durch die gleichzeitige Er-
findung der Dampfboote mächtig gefördert. Kaum hatte Fulton durch seine
im Jahre 1807 mit dem Dampfer „Clermont" zurückgelegte Fahrt auf dem
Hudson die Verwendbarkeit der Dampfkraft für die Schiffahrt bewiesen, so be-
gannen die Flüsse Amerikas sich mit diesen neuen Verkehrsmitteln zu bedecken.
Das erste Dampfschiff der westlichen Ströme wurde bereits im Jahre 1811 von
dem Deutschen Bernhardt Rosefeldt in Pittsburgh erbaut und auf den
Namen „New Orleans" getauft. Sein Führer war gleichfalls ein Deutscher,
Kapitän Heinrich Schreeve, derselbe, welcher eine Dampfmaschine zum
Zersägen und Entfernen der die Schiffahrt auf den westlichen Strömen so sehr
gefährdenden „snags" (losgewaschene, mit ihren Wurzeln und Ästen in den
Flußbetten verankerte Baumstämme) erfand. Sein Name ist in demjenigen der
Stadt Shreevesport in Louisiana erhalten.
Der Dampfer machte noch im Jahr seiner Erbauung die erste Reise den
Ohio und Mississippi hinab. Es war eine ereignisreiche Fahrt, während der
man unter anderem ein heftiges Erdbeben erlebte, das damals das untere
Mississippital heimsuchte.
Mit dem Aufkommen der Dampfboote und der gleichzeitigen Anlage von
Schiffskanälen öffneten sich den Einwandrern mehrere neue, bequemere Wege
zum Westen. Der eine führte von New York den Hudson hinauf bis Albany.
Dort bestiegen die Reisenden Kanalboote zur Fahrt nach Buffalo, von wo aus
— 263 —
Dampfer den Weitertransport über die großen Seen nach den im Westen ent-
standenen Ansiedlungen vermittelten.
Den von England kommenden Einwandrern bot sich ein ähnlicher Weg,
wenn sie den St. Lorenzstrom hinauf bis Toronto reisten und von dort die
Schiffe benutzten, welche die großen Binnenseen befuhren.
Eine dritte Verbindung boten jene Dampferlinien, welche von euro-
päischen und amerikanischen Häfen aus einen direkten Verkehr mit New Orleans
aufnahmen, wo bequem eingerichtete Flußdampfer die Weiterreise den Mis-
sissippi und seine Nebenflüsse hinauf ermöglichten. Infolge dieser bequemeren
Eine Eisenbahn im Mohawktal im Jahre 1835.
Nach einem gleichzeitigen Stahlstich.
und billigeren Verbindungen steigerte sich die Einwandrung in die Täler des
Ohio und Mississippi von Jahr zu Jahr.
Die Erfindung der Eisenbahnen fügte den bisher bekannten Mitteln zur
Überwindung räumlicher Entfernungen neue von größter Bedeutung hinzu.
y" Mit der gleichen Energie, welche die Amerikaner bisher beim Dienstbar-
machen der Natur, im Ausbeuten ihrer reichen Gaben bekundeten, schritten sie
nun dazu, ihr Land mit einem förmlichen Netz von Schienengleisen zu
überziehen. Bei der Anlage solcher Eisenbahnen rechneten sie nicht wie die
Europäer auf sofortigen Gewinn, sondern bauten die Bahnen oft in ganz un-
bewohnte Wildnisse hinein, um den Ansiedlern die Möglichkeit zu bieten, nach-
zurücken und ihre Erzeugnisse zu befördern.
— 264 —
Mit dieser Ära der Dampfer und Eisenbahnen hebt recht eigentlich die
große amerikanische Völkerwanderung an, eine Völkerwanderung, die sich von
derjenigen des Altertums dadurch unterscheidet, daß sich nicht wie damals
ganze, im Rücken bedrängte Völkerstämme auf schwächere warfen und sie mit
Langschwertern und Streithämmern aus ihren Wohnsitzen vertrieben. Es
waren vielmehr unzählige einzelne Personen, Familien und kleine Haufen, die
sich von den in Europa und im Osten der Vereinigten Staaten bestehenden
Gemeinwesen ablösten, um mit Axt und Spaten an der friedlichen Eroberung
der noch unkultivierten Gebiete der Neuen Welt teilzunehmen.
Die große Masse der aus Deutschland kommenden Einwandrung jener
Zeit bestand nach wie vor aus Landlenten und Handwerkern. Neben ihnen
erschienen von jetzt ab auch Angehörige der gebildeten Klassen in größerer
Zahl: Männer, die, durch die trostlosen politischen Zustände ihres Vaterlandes
bitter enttäuscht, in der Fremde günstigere Verhältnisse zu finden hofften.
Bekanntlich hatte das deutsche Volk zu Anfang des 19. Jahrhunderts
überaus schwere Kämpfe gegen Napoleon führen müssen, jenen genialen Aben-
teurer, der sich vom Konsul der französischen Republik zunächst zum Diktator,
dann zum Kaiser aufwarf und unter Ström.en Blutes ein Weltreich aufzurichten
suchte. Während der durch ihn heraufbeschworenen furchtbaren Zeit erlitt
Deutschland seinen tiefsten Fall, indem es unter die Zwangsherrschaft des
Korsen geriet.
Aber dieser Fall war notwendig, um dem deutschen Volk den Weg zu
seiner Wiedergeburt zu zeigen. In allen Schichten rang sich die Erkenntnis
durch, daß ein Zusammenfassen sämtlicher Kräfte, ein geeintes Deutschland
nötig seien, um die Fremdherrschaft abzuschütteln. Unter dem gewaltigen
Druck eiserner Notwendigkeit entwickelte sich ein früher nie gekanntes natio-
nales Gefühl, das die Herzen der deutschen Dichter und Denker wunderbar
bewegte und ihnen Töne verlieh, wie sie erhabener nie zuvor erklungen waren.
,.0h lerne fühlen, welchen Stamms du bist!
Die angebor'nen Bande knüpfe fest.
Ans Vaterland, ans teure schließ dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen,
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft!"
So mahnte Schiller in seinem „Wilhelm Teil", diesem geharnischten Protest
gegen jede Unterdrückung echter Manneswürde.
Zur selben Zeit sangen Kleist, Schenkendorf, Körner und Arndt ihre be-
geisternden Freiheitslieder; Fichte hielt seine berühmten „Reden an die deutsche
Nation"; Ludwig Jahn, der Vater der deutschen Turnerei, Freiherr Karl von
Stein, Hardenberg und viele andere sorgten für die Kräftigung und Nationali-
sierung der Jugend. Und als endlich die entscheidende Stunde schlug, da war
dank der unermüdlichen Arbeit dieser patriotischen Männer das deutsche Volk
geistig und körperlich so erstarkt, daß es vermochte, in dem großen Jahre 1813
das entehrende Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln.
— 265 —
Wohl hätte es für die dabei bewiesene Aufopferung und heldenmütige
Tapferkeit den tiefsten Dank seiner Fürsten verdient. Aber diese vermochten
nicht, sich zu gleich hohem Fluge zu erheben. Sie ließen nicht nur ihre vor
dem Krieg gemachten feierlichen Versprechungen, dem Volk eine Vertretung
bei der Regierung zu geben, unerfüllt, sondern versuchten alle freiheitlichen
Regungen des Volkes zu ersticken, v/ährend sie selbst in das widerwärtige, dem
Geist des 19. Jahrhunderts hohnsprechende Treiben ihrer Väter zurück-
veriielen.
Zum Unglück standen die deutschen Fürsten damals unter dem Bann
des österreichischen Staatskanzlers Clemens Lothar von Metternich, eines jedem
Fortschritt abgeneigten Finsterlings, dem, wie seinem vom starren Bewußtsein
absoluter Herrscherrechte erfüllten Kaiser Franz I. alle Ktmdgebungen ver-
haßt waren, die auf den nationalen Znsammenschluß des deutschen Volkes ab-
zielten. Beide ahnten, daß eine solche Einigung das Ende der österreichischen
Vorherrschaft in Deutschland zur Folge haben müsse.
Auf das Betreiben dieser beiden Männer wurden sämtliche Turnvereine
und Studentenverbindungen aufgelöst, alle deutsch-national gesinnten Pro-
fessoren der Universitäten entlassen, alle Zeitungen und Bücher einer scharfen
Zensur unterworfen. Um Personen ausfindig zu m.achen, die durch ihre An-
sichten und Lehren dem Absolutismus der Flerrscher gefährlich werden könnten,
setzte man eine „Zentral-Untersuchungskommission" ein, die sich in ihrer De-
magogenriecherei der unglaublichsten Überschreitungen schuldig machte, Hun-
derte von Studenten verhaften und von Festung zu Festung schleppen ließ, bloß
weil sie vaterländische Lieder gesungen oder die verpönten schwarz-rot-goldenen
Farben getragen hatten. Es ist bezeichnend für den Fanatismus jenes Aus-
schusses, daß derselbe sogar Männer wie Blücher, Gneisenau, York, von Stein,
Fichte und Schleiermacher als revolutionärer Bestrebungen verdächtig er-
klären durfte.
In dieser hoffnungslosen Zeit, die jeden patriotisch fühlenden und fort-
schrittlich veranlagten Mann mit Ekel erfüllen mußte, erschien in Deutschland
ein Buch, das ungeheures Aufsehen erregte. Sein Verfasser war der Arzt
Gottfried Duden, welcher im Jahre 1824 eine Reise nach Nordamerika
unternommen hatte und durch Maryland, Virgin ien und die am Ohio entstan-
denen Staaten nach Missouri gekommen war. Sechzig Meilen westlich von
St. Louis erwarb er ein Gut, das er, da er ausreichende Mittel besaß, klären
und bestellen ließ. Die Mußestunden verbrachte Duden mit der Schilderung
seiner Reisen, der amerikanischen Verhältnisse und der Jagdromantik der west-
lichen Wildnis, in der es von Hirschen, Büffeln, Hasen, Präriehühnern usw.
v/immle. Er beschrieb den neapolitanisch blauen Himmel, die reizvolle Fär-
bung der herbstlichen Wälder und tausend andere Dinge, die jeden Freund
_der Länderkunde aufs höchste interessieren mußten. In der Hauptsache getreu,
zeichneten Dudens Darstellungen sich vor allen früher erschienenen Berichten
über Amerika durch glänzende Frische und romantische Färbung aus. Ins-
— 266 —
besondere ließen sie die in Missouri herrschenden Zustände und Aussichten
im Gegensatz zu den trostlosen Deutschlands geradezu verlockend erscheinen.
Dieser, zuerst im Jahre 1829 in Bonn veröffentlichte „Bericht über eine
Reise nach den westlichen Staaten Nordamerikas" erfreute sich bei allen Ge-
bildeten einer überraschend günstigen Aufnahme. Ihnen, die in dumpfer Re-
signation unter der Willkür der Fürsten und der rückschrittlich gesinnten
Beamtenheere dahinlebten, eröffnete sich urplötzlich der AusbHck auf ein Land,
dessen jungfräuliche Erde nicht bloß tausendfältigen Lohn für die auf ihn ver-
wendete Mühe verhieß, sondern wo man sich schrankenloser Freiheit erfreuen
Einwandrer auf ihrem Zug gen Westen.
Nach einer Zeichnung von F. O. Darley.
und die eigenen Ideen über Regierung und Staatsform verwirklichen
konnte.
Vielen Familien wurde Dudens Buch zur täglichen Lektüre. Um auch
wenig Bemittelten die Anschaffung zu erleichtern, ließen Freunde und Begün-
stiger der Auswandrung zahlreiche billige Ausgaben herstellen und verbreiten.
Infolgedessen kam ein förmliches Auswandrungsfieber zum Ausbruch. Tausende
von Leuten, denen „der Duden den Kopf verrückt hatte'', schickten sich zur
weiten Reise nach Missouri an.
Es waren nicht bloß Bauern, sondern Männer, die gebildeten, ja ge-
lehrten Ständen angehörten, nun aber den Schulstaub von sich abwuschen, um
— 267 —
im frischen Tau der Urwälder neues Leben zu trinken. Mit ihnen zogen Jüng-
linge, welche die Feder, nie aber die Holzaxt geführt, Frauen, welche daheim
den Teetisch serviert, aber nie harte Handarbeiten kennen gelernt hatten.
Viele dieser Auswandrer blieben, müde der langen Reise, in den Oststaaten
oder am Ohio. Manche, bitter enttäuscht, verdarben in Elend. Viele aber
gelangten wirklich ans Ziel und ließen sich im Tal des Mississippi nieder.
Hier schufen sie, umgeben von anderen Ansiedlern, die berühmten „latei-
nischen Settlement s", die ihren Namen daher erhielten, weil ihre Be-
sitzer hochgebildete Leute waren, die Universitätsbildung genossen hatten,
Ansiedler beim Errichten ihrer Heimstätte.
Latein verstanden und das Studium der alten Klassiker dem müßigen Dispu-
tieren in den Wirtshäusern vorzogen.
Zu diesen „lateinischen Farmern'V) von denen viele tüchtige Landwirte
wurden, zählten der bayrische Appellationsrat Theodor Hilgard, der
Forstmeister Friedrich E n g e 1 m. a n n , die Rechtsgelehrten Wilhelm
Weber und Gustav Körner, die Ärzte Gustav Bunsen, Adolf
^) Da unter den , lateinischen Farmern" natürlich auch viele Personen waren, die
von der Landwirtschaft nichts verstanden und nur aus Liebe zur Unabhängigkeit diesen
mühseligen Beruf gewählt hatten, so erhielt die Bezeichnung später einen etwas spöttischen
Beigeschmack. Man fand solche lateinischen Settlements" sowohl in i Illinois, Missouri
und Wisconsin.
— 268 —
R e ti ß und Adolf Berchelmann, der Geschichtsprofessor Anton
Schott, der Prediger Michael Ruppelius, der Schuldirektor Georg
ß u n s e n und viele andere Gleichgesinnte. Die hier Genannten ließen sich
sämtlich in dem südöstlich von St. Louis gelegenen Örtchen Belleville nieder,
das sie zu einer überaus fruchtbaren deutsch-amerikanischen Bildungsstätte um-
wandelten, von wo viele berühmte Männer ausgingen.
Die Einwandrung ins Mississippital nahm von Jahr zu Jahr zu. Aus
Europa, vom Osten und Süden zogen Menschen herbei. Welche Massen sich
in Bewegung setzten, erhellt am klarsten aus der Tatsache, daß innerhalb der
Monate Januar, Februar und März 1842 in St. Louis 529 Dampfboote anlegten,
die insgesamt 30 384 Personen brachten.
Allerorten wuchsen die Ansiedlungen wie Pilze aus der Erde. St. Louis
entwickelte sich zu einem Haupthandelsplatz und Zentralpunkt für die Dampf-
schiffahrt des gewaltigen Mississippisystems. Bereits in der Mitte der vier-
ziger Jahre zählte die Stadt 40 000 Bewohner. Daß daselbst zwei tägliche
deutsche Zeitungen bestehen konnten, zeugt für die Stärke der damaligen
deutschen Bevölkerung.
Im unteren Strom.gebiet ließen sich die Deutschen hauptsächlich in Mem-
phis, Vicksburg, Natchez und New Orleans nieder. In der letztgenannten Stadt
lebten im Jahre 1841 bereits 10 000 Deutsche.
Am oberen Stromlauf wurden die Städte Altona, Quincy, Keokuk, Bur-
lington, Davenport, Dubuque, Winona, St. Paul und Minneapolis, an den
großen Binnenseen Chicago, Milwaukee und Detroit Sitze regen deutschen
Lebens. Und zugleich Ausgangspunkte neuer Niederlassungen, die an den
Nebenflüssen des Mississippi und den zahllosen Seen entstanden, die gleich
tausend blauen Augen aus den Wäldern und Grassteppen von Wisconsin,
Minnesota, Dakota, Nebraska und Iowa emporglänzen. Manche jener Nieder-
lassungen kennzeichnen sich durch ihre Namen^) und die Mundart ihrer Be-
wohner noch heute als schwäbische, fränkische, thüringische, niederdeutsche
oder schweizerische Gründungen.
Fast allen war eine ruhige, stete Entwicklung beschieden; denn mit dem
einzigen Bevölkerungselement, welches Störungen hätte verursachen können,
den Indianern, wußten die Deutschen im allgemeinen stets in Frieden aus-
zukommen.
In der Tat ereignete sich nur ein größerer Indianerüberfall auf eine
deutsche Ansiedlung : derjenige der Sioux auf N e u - U 1 m in Minnesota. Dieser
Ort ist eine Gründung unternehmungslustiger Turner aus Chicago, die im
Jahre 1856 das schöne Tal des Minnesotaflusses als neue Heimat auserkoren.
^) Solche Orte sind im Staate Missouri: Westphalia, Germantown, Hermann, Neu-
Hamburg, Dammüiler, Diehlstadt, Altenburg, Biehla, Frohne, Wittenberg, Carola u. a. In Iowa
finden wir Neu-Wien (New Vienna), Guttenberg, Minden usw. In Illinois Arenzville; in
Wisconsin Germantown, New Köln, New Holstein, Town Schleswig u. a.
~ 26Q —
^ Das hier erbaute Städtchen zählte im Soinnier 1862 bereits 1500 Be-
wohner, die friedfertig ihren Beschäftigungen nachgingen, ohne zu ahnen, daß
sie von schwerem Unheil bedroht seien.
Die mächtigen Sioux oder Dakotas beschritten nämlich, erbittert über die
von betrügerischen Regierungsagenten an ihnen verübten Gaunereien, den
Kriegspfad und fielen plötzlich über die im Tal des Minnesota liegendeii An-
siedlungen her. Sie schlachteten zunächst eine Anzahl vereinzelt wohnender
Ansiedler ab und wandten sich dann in dichten Scharen gegen das Städtchen
Neu-Ulm.
Sioux-Indianer.
Am IQ. August unternahmen sie einen wütenden Angriff auf den Ort,
dessen verstreut liegende Häuser für Verteidigungszwecke wenig geeignet
waren. Zahlreiche Wohnungen gingen in Flammen auf. Ihre Bewohner zogen
sich, beständig fechtend, in die Mitte des Ortes zurück, wo sie sich hinter
eiligst errichteten Barrikaden aus Fässern, Betten, Kisten und Ackergeräten
verschanzten. Der Kampf dauerte ohne Unterbrechung bis in die Nacht hinein.
Mancher brave Deutsche fiel dabei in der Verteidigung seiner Familie. Als
der nächste Morgen anbrach, waren die Rothäute verschwunden. Aber bereits
am 23. August erschienen sie bedeutend verstärkt aufs neue, entschlossen, Neu-
Ulm und seine Verteidiger gänzlich zu vertilgen.
Gegen 9 Uhr morgens sah man in der Feme den Rauch brennender
Hütten emporwirbeln. Bald darauf tauchten ganze Scharen berittener Indianer
— 270 —
hinter den Hügeln auf. 250 Deutsche unter der Führung des Richters Flandreau
stelhen sich ihnen außerhalb des Ortes entgegen.
Mit fliegender Eile brausten die Sioux auf ihren flinken Ponies heran, in
ihrem farbigen Aufputz, der bunten Kriegsmalerei, den flatternden Federn und
hochgeschwungenen Waffen im hellen Sonnenschein ein überaus phantastisches
Bild darbietend. Ehe sie in Schußweite gelangten, entfalteten die indianischen
Massen sich gleich einem gewaltigen Fächer und stürmten unter wahrhaft
teuflischem Geheul auf die Weißen herein.
Es zeigte sich bald, daß die von dem Richter Flandreau angeordnete
Überfall einer Auswandrerkarawane.
Aufstellung der Weißen durchaus verkehrt war, denn die Indianer breiteten
sich immer weiter aus, um die Deutschen zu umzingeln und auch im Rücken
anzugreifen. In scharfem Gefecht zogen die letzteren sich deshalb auf den Ort
zurück, um diesen zu verteidigen. Daß man es mit verschlagenen Gegnern zu
tun hatte, ergab der weitere Verlauf des Kampfes. Da der Wind vom unteren
Ende des Ortes kam, so setzten die Sioux die dort stehenden Häuser in Brand
und rückten unter dem Schutz des aufsteigenden Qualmes Schritt für Schritt
vor. Die sonst so friedliche Hochebene verwandelte sich in ein einziges Flam-
menmeer, dessen Ausbreitung die Belagerten auf ein immer kleiner werdendes
Terrain beschränkte. Zuletzt hatten sie nur noch einen mit Barrikaden um-
gebenen offenen Platz inne. Von diesem aus verteidigten sie sich während des
— 271 —
Restes des Tages und am folgenden Morgen mit solcher Hartnäckigkeit, daß
die Feinde an einem Erfolg verzweifelten und endlich abzogen.
178 Gebäude waren verbrannt, viele Familien ganz oder teilweise unter-
gegangen. Da eine nochmalige Rückkehr der Feinde zu befürchten stand, so ver-
ließen die Überlebenden am 26. August den verwüsteten Platz, um sich in eine
der nächsten Ortschaften zurückzuziehen. Der traurige Zug, auf dem man die
Frauen und Kinder sowie die 56 Verwundeten beförderte, zählte 150 Wagen.
Insgesamt kamen während der von den Sioux angerichteten Metzelei
Abgeschlachtet!
Eine Szene aus den Indianerkriegen des fernen Westens.
644 Ansiedler und 93 Soldaten ums Leben. Zudem war in weitem Umkreis
das ganze Land verwüstet.
Erst nachdem die herbeigezogenen Truppen die Rothäute vertrieben
hatten, kehrten die Bewohner von Neu-Ulm zurück, um mit dem Wiederaufbau
ihres Städtchens zu beginnen. Neue Ansiedler traten an die Stelle der Ge-
fallenen; da die Regierung auch den erlittenen Schaden vergütete, so erholte
sich die Kolonie rasch wieder und erlangte nach einigen Jahren ihr früheres
blühendes Aussehen.
— 272 —
An der ferneren Entwicklung der im Stromgebiet des Mississippi und an
den großen Seen gelegenen ungeheuren Ländermassen gebührt den Deutschen
ein Hauptanteil. Die Chroniken fast aller hier entstandenen Staaten und Städte
enthalten tausende und abertausende von Namen wackrer deutscher Männer, die
sich durch fleißige Arbeit und ernstes Streben, durch die Gründung von Schulen
und Kirchen, Turn-, Musik- und Gesangvereinen, wissenschaftlichen und wohl-
tätigen Gesellschaften um den Aufbau und die Entwicklung des kultureilen
Lebens in jenen Staaten und Gemeinwesen hochverdient machten.
' «i^ol '—■
Deutsche Pioniere des fernen Westens.
Von welcher Beschaffenheit die wesüich vom Mississippi gelegenen Ge-
biete seien, wußte zur Zeit des Ankaufs von Louisiana niemand zu sagen. Noch
hatte kein Boot die mächtigen Ströme jenes geheimnisvollen Westlandes be-
fahren, noch kein Weißer die endlosen Steppen gekreuzt oder die himmelan-
ragenden Felsengebirge erstiegen. So zeigten denn auch die Landkarten jener
Zeit zwischen dem Mississippi und Großen Ozean einen gewaltigen weißen
Fleck, wo die lakonischen Worte standen: „Die große amerikanische Wüste.
Noch unerforscht."
Die den Bürgern des jungen amerikanischen Staatenbundes innewohnende
Energie und Regsamkeit duldeten aber nicht lange diesen Zustand. Bereits im
Jahre 1803 erhielten die Kapitäne Meriwether Lewis und William Clarke den
gefahrvollen Auftrag, als Erste in jene Wildnis vorzudringen. Ihre über mehrere
Jahre sich erstreckende Reise von der Mündung des Missouri bis zu den Ge-
staden des Großen Ozeans, sowie die bald darauf folgende Forschungsreise des
Leutnants Zebuion M. Pike nach den Felsengebirgen bezeichneten den Anbruch
einer glorreichen Epoche geographischer Entdeckungen, wie glänzender und
segensreicher Amerika sie bisher nicht erlebt hatte. Erfolgte doch in diesem
bis etwa zum Jahre 1870 reichenden Zeitabschnitt die Erschließung des fernen
Westens, jenes Gebietes, das mit seinen Prärieen und Gebirgen, seinen unermeß-
Kopfleiste: Astoria im Jahre 1812.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 18
— 274 —
liehen Reichtümern an Gold, Silber und anderen wertvollen Metallen, seinen
einzig dastehenden Landschaften und Naturmerkwürdigkeiten das „Wunder-
land der Neuen Welt'* genannt zu werden verdient.
Die Schilde-
rungen der ge-
nannten drei
Reisenden, die in
warmer Begei-
sterung von den
reichen Schätzen
und Schönheiten
Oregons — so
wurden die Ge-
biete amColumbia
genannt — und
der noch unter
spanischer Herr-
schaft stehenden
FelsengebirgeCo-
lorados und Neu-
Mexikos spra-
chen, blieben auf
dieleicht entzünd-
bare Abenteuer-
lust der Amerika-
ner nicht ohne
Wirkung. Pelz-
händler und Trap-
per begannen
ihren Weg dort-
hin zu nehmen.
Sie entflammten
auch den in New
York lebenden
Deutsch-Amerika-
ner Johann
Jakob Astor
zur Gründung der
„Amerikanischen Pelzhandels-Gesellschaft" und zur Ent-
sendung zweier großartiger Expeditionen nach Oregon.
Astor, im Jahre 1763 in dem badischen Dörfchen Waldorf geboren, war
1784 nach Amerika gekommen. Während der Überfahrt hatte sein guter Stern
ihm mit einem Landsmann zusammengeführt, der im Pelzhandel ein ansehn-
— 275 —
liches Vermögen erworben hatte. Durch ihn ließ Astor sich bestimmen, das-
selbe Geschäft zu ergreifen. Er tat dies mit solchem Erfolg, daß er nach einigen
Jahren bereits eigne Handelsexpeditionen ausrüsten konnte. Mit seltenem
Scharfblick für das Erkennen günstiger Gelegenheiten und das Beurteilen aus-
wärtiger Verhältnissse begabt, wandte Astor sich hauptsächlich dem Handel
mit England und China zu. Er war der erste amerikanische Kaufmann, dessen
Fahrzeuge auf beständigen Handelsreisen den Erdball umschifften. Von New
York aus segelten dieselben mit amerikanischen Pelzwaren nach England.
Hatten sie dort ihre Ladung gelöscht, so traten sie, mit englischen Waren be-
frachtet, die lange Reise um das Vorgebirge der Guten Hoffnung nach Indien
und China an. Nachdem sie dort ihre Güter abgeliefert, nahmen sie Seide, Tee,
Gewürze und andere orientalische Kostbarkeiten an Bord, um endlich um die
Südspitze Südamerikas herum nach New York zurückzukehren. Für solche,
fabelhafte Gewinste bringende Rundreisen benötigten die Schiffe in der Regel
zwei Jahre.
Bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts galt Astor als einer der reichsten
Männer der Stadt New York. Ohne Frage war er auch einer der kühnsten
und unternehmungslustigsten. Daß ihm zuerst die große kommerzielle Be-
deutung der Westküste Amerikas vor die Seele trat, beweist sein wohldurch-
dachter Plan, in Oregon eine Pelzhandelsstation zu errichten.
Der Pelzhandel bildete bekanntlich die wichtigste Einnahmequelle Nord-
amerikas. Mit dem Übergang Canadas an England war er aber nahezu ein
A4onopol der Hudsons Bai Compagnie geworden, die über ungeheure Mittel
verfügte und ihre tyrannische Macht bis in die südlich von den großen Seen
und am oberen Mississippi und Missouri gelegenen amerikanischen Gebiete
fühlbar machte. Auch im. Mündungsgebiet des von den Amerikanern entdeckten
und zuerst befahrenen Columbia machte die Hudsons Bai Compagnie den Ame-
rikanern den Platz an der Sonne streitig.
Um diese Tyrannei zu brechen, beschloß Astor eine Kette befestigter Han-
delsstationen zu gründen, die von der Mündung des Missouri bis zu den
Quellen desselben und von da über die Felsengebirge und den Columbia ent-
lang bis zur Küste des Großen Ozeans reichen solle. Am Ausfluß des Columbia
plante Astor eine mit einem Hafen verbundene Hauptniederlage, von wo seine
Schiffe regelmäßige Reisen nach China und Alaska ausführen könnten. Diese
Station sollte den Anfang zu ähnlichen Kolonien fleißiger und energischer
Amerikaner bilden, wie sie im Osten, an den Gestaden des Atlantischen Ozeans,
bereits in so großer Zahl emporgeblüht waren.
Die Bundesregierung brachte den Plänen des Deutschamerikaners leb-
haftes Interesse entgegen. Präsident Thomas Jefferson schrieb persönlich an
Astor: „Ich betrachte die Anlage von Niederlassungen an der Nordwestküste
als einen großen öffentlichen Gewinn und sehe mit freudiger Genugtuung die
Zeit kommen, wo die Nachkommen der ersten Ansiedler sich über die ganze
Länge jener Küste ausgedehnt und sie mit freien amerikanischen Gemeinwesen
18*
— 276 —
bedeckt haben werden, welche mit uns durch die Bande des Blutes und des
gemeinschaftlichen Interesses sowohl als durch den Genuß derselben Rechte der
Selbstregierung verbunden sind."
Wohl nur um seinen Plänen größeres Gewicht zu verleihen, gründete
Astor zunächst die „Amerikanische Pelz-Handelsgesellschaft", deren hundert
Anteile zur Hälfte ihm gehörten, während die andere Hälfte unter verschiedene
mit dem Pelzhandel vertraute Personen verteilt wurden, jedoch so, daß keiner
derselben mehr als drei Anteile erhielt. Der auf die Dauer von zwanzig Jahren
geschlossene Vertrag bestimmte, daß, falls die Gesellschaft innerhalb der ersten
fünf Jahre sich auflöse, sämtliche Kosten und Verluste des Unternehmens von
Astor getragen werden sollten. Erst nach Ablauf dieser Zeit partizipierten die
übrigen Gesellschafter nach Maßgabe ihrer Anteile an Gewinn und Verlust.
Bald nach der Gründung dieser Gesellschaft rüstete Astor zwei Expedi-
tionen aus, von denen eine auf dem Seewege um Kap Hörn, die andere über
Land den Missouri und Columbia entlang bis zur Mündung des letztgenannten
Flusses vordringen sollte. Für die Seeexpedition wählte er das zehn Kanonen
führende Schiff „Tonquin". Mit Waren für den indianischen Tauschhandel,
mit Waffen, Lebensmitteln, Baumaterial und anderen Notwendigkeiten beladen,
nahm es zugleich eine Anzahl tüchtiger Handwerker und im Verkehr mit In-
dianern erfahrener Händler an Bord. Das Fahrzeug erreichte im März des
Jahres 1811 seinen Bestimmungsort, wo mit der Anlage einer befestigten Nieder-
lassung sofort begonnen wurde.
Die aus sechzig erprobten Leuten bestehende Landexpedition traf nach
Überwindung unsäglicher Schwierigkeiten und Entbehrungen einige Monate
später ein. Immerhin früh genug, um an dem Ausbau des zu Ehren des Ur-
hebers des ganzen Unternehmens „Astoria" getauften Handelspostens teil-
nehmen zu können.
Leider war diesem keine lange Dauer beschieden. Ein Schicksalsschlag
folgte dem anderen.
Zuerst kam der tragische Untergang des Schiffes „Tonquin", welches
während einer Handelsreise an der Insel Vancouver von Eingeborenen über-
fallen und, nachdem fast alle Weiße niedergemacht waren, von dem letzten
Überlebenden samt mehreren hundert siegestrunkenen Wilden in die Luft ge-
sprengt wurde.
Ein zweites nach Astoria gesandtes Schiff scheiterte an einer der
Hawaischen Inseln. Um das Unglück vollzumachen, brach im Jahre 1812 ein
Krieg zwischen England und den Vereinigten Staaten aus, währenddessen die
letzteren den weit entlegenen Handelsposten Astoria nicht zu schützen ver-
mochten.
Das Schicksal der jungen Niederlassung war besiegelt, zumal unter ihren
Beamten sich mehrere Verräter befanden. Ihr Rädelsführer war ein gewisser
Mc Dougall, ein früherer Beamter der Hudsons Bai Compagnie. Astor hatte
ihn durch Bewilligung eines großen Gehaltes an sich gezogen; aber Mc Dou-
— 277 —
gall blieb geheim im Dienst der feindlichen Gesellschaft, die ihn in kritischer
Zeit zum Verderben Astorias benutzte. Er war es nämlich, der, als im Jahre
1813 ein Angriff der Engländer zu befürchten stand, die Beamten Astorias be-
wog, in die Dienste der Hudsons Bai Compagnie überzutreten. Als im De-
zember eine englische Kriegsschaluppe erschien, ergriff die Hudsons Bai Com-
pagnie gewaltsam Besitz von Astoria, und behauptete sich im Besitz der Station
bis zum Jahre 1846, wo England seinen Ansprüchen auf das Land am Columbia
zugunsten der Vereinigten Staaten entsagen mußte.
Verlief demnach
das für Astor mit
schweren Verlusten ver-
knüpfte Unternehmen
ohne den gewünschten
Erfolg, so wird es
nichtsdestoweniger in
der Geschichte der
großartigen kaufmänni-
schen Unternehmungen
als ein glänzendes
Denkmal deutschameri-
kanischer Tatkraft für
alle Zeiten bestehen
bleiben, zumal es in
Astors berühmtem
Freund Washington Ir-
ving einen Chronisten
fand, dessen klassisch
geschriebenes Werk
„Astoria, or anecdotes
of an enterprise Deyond
the Rocky Mountains"
in aller Welt bekannt^
geworden ist.
Wurden so die Anfänge zur Zivilisation und zum Handel der fernen
Nordwestküste durch einen Deutschen eingeleitet, so ist auch unter den Pionieren
des Goldlandes Kalifornien ein Deutscher, Johann August Sutter, der
berühmteste.
Sutter wurde gleichfalls in Baden, und zwar am 28. Februar 1803 in der
Ortschaft Kandern geboren. Auf der Kadettenschule zu Thun in der Schweiz
empfing er eine militärische Erziehung; im Kanton Bern brachte er es zum
Hauptmann eines Infanteriebataillons. Der Trieb ins Weite führte ihn im Jahre
1834 nach Amerika, nach St. Louis, dem damaligen Emporium des westlichen
Pelzhandels, von wo in jedem Frühling zahlreiche Karawanen gen Westen
Johann August Sutter.
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zogen, um von Indianern und Trappern Pelze einzutauschen. Andere Kara-
wanen wandten sich nach Santa Fe, der im Jahre 1605 von den Spaniern ge-
gründeten „Stadt des heiligen Glaubens". Dieser Ort war seit langer Zeit ein
Hauptstapelplatz des amerikanischen Handels mit Mexiko, Arizona, Texas und
Kalifornien. Von den Ufern des Missouri aus führte dorthin jener 800 Meilen
lange, von blutiger Romantik umwobene Santa Fe Trail, der in der Geschichte
des fernen Westens hohe Bedeutung erlangte. Die Handelsexpeditionen, welche
diese berühmte Straße zogen, bestanden aus Hunderten von hochbeladenen Fracht-
wagen, sogenannten „Prairieschuners". Ihr Eintreffen nach monatelanger Fahrt
bedeutete für die ganze Bewohnerschaft von Santa Fe ein freudiges Ereignis.
Die an dem Warenzug beteiligten Händler hingegen atmeten hoch auf, hatten
sie doch unterwegs nicht selten blutige Kämpfe mit Indianern zu bestehen.
„Ich zweifle," so schrieb der Amerikaner Gregg in seinem Buch „The
Commerce of the Prairies", „ob die Kreuzfahrer beim ersten Anblick der Mauern
der heiligen Stadt in lauteres, rasenderes Jauchzen ausbrachen als diese Händ-
ler, wenn sie in der Ferne die Türme von Santa Fe sahen. Das Schauspiel war
des Pinsels eines Malers würdig. Selbst die Pferde schienen die Jubelstimmung
ihrer Reiter zu teilen und wurden lustiger und wilder. Und welche Erregung
befiel die Eingeborenen ! „Los Americanos ! Los carros ! La entrada de la cara-
vana!" Diese Rufe hörte man aus allen Richtungen. Frauen und Kinder drängten
sich massenweise um die Ankömmlinge, die auf ihr Äußeres besondere Sorg-
falt verwandten, da sie wußten, daß sie ein Kreuzfeuer schöner, schwarzer Glut-
augen passieren mußten."
Und nun wurden die Baumwollfabrikate, die samtnen und seidenen Ge-
wänder, die glitzernden Perlen, die schimmernden Goldgeschmeide, die Stahl-
und Eisenwaren verhandelt. Manches Millionenvermögen dankt den glänzenden
Gewinsten aus jenem Handel seinen Ursprung. Der Verkehr litt häufig unter
dem launenhaften und despotischen Vorgehen der spanischen und mexikani-
schen Behörden, welche diese Handelsgelegenheit den verhaßten Amerikanern
mißgönnten; ja, er wurde bisweilen verboten. Doch die unerschrockenen
„Gringos" kehrten allen Drohungen zum Trotz immer wieder reichbeladen
zurück, um stets gute Aufnahme und reißenden Absatz für ihre Waren zu
finden, deren strotzende Pracht und grelle Farbenbuntheit die Augen und
Herzen der feurigen Senoras bestach.
Einer der erfolgreichsten Karawanenführer war der in St. Louis lebende
Deutsche A. S p e i e r , de&en Handelszüge sich über Santa Fe hinaus bis
Chihuahua erstreckten.
Auch auf Sutter übte das mit diesen Handelszügen verbundene aben-
teuerliche Leben solchen Reiz, daß er drei Jahre lang sich an solchen Karawanen
beteiligte. Im Jahre 1838 wanderte er mit mehreren Trappern nach Oregon,
besuchte Vancouver und die Flawaiinseln, kaufte dort ein Fahrzeug und unter-
nahm eine Handelsexpedition nach dem russischen Alaska. Im Jahre 1840
segelte er nach Kalifornien, erwarb dort von der mexikanischen Regierung einen
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am Sacramentofluß gelegenen Streifen Landes und gründete an derselben Stelle,
wo heute die Stadt Sacramento steht, die Niederlassung Neu-Helvetia. Zu ihrem
Schutz baute er eine von hohen Mauern umgebene Befestigung, Fort Sutter,
für dessen Verteidigung er vierzig Geschütze beschaffte, sowie eine aus kaliforni-
schen Indianern gebildete Besatzung anwarb. Im Hinblick auf die soldatische
Erziehung Sutters kann es nicht überraschen, daß die Verwaltung von Neu-
Helvetia ganz nach militärischen Regeln geschah. Sämtliche Indianer waren
uniformiert und wurden jeden Abend von einem ehemaligen deutschen Offizier
unter den Klängen einer A4usikkapelle einexerziert.
Außer den Indianern und deren Familien standen dreißig Deutsche, Eng-
länder und Franzosen in Sutters Diensten. Je nach der Jahreszeit schwankte
Fort Sutter.
Nach einer gleichzeitigen Zeichnung.
die Bewohnerschaft von Fort Sutter zwischen 200 bis 500 Personen. Inner-
halb des Forts lagen verschiedene Werkstätten, Schmieden, Webereien, Gerbe-
reien, Mühlen und Brauereien. Auf dem Fluß schaukelten ein Zweimaster und
ein kleineres Fahrzeug.
Infolge des durch das Fort gewährten Schutzes wurde Neu-Helvetia
Mittelpunkt eines lebhaften Verkehrs. Der Hauptbesitz Sutters bestand in un-
geheuren Viehherden; daneben lieferten seine ausgedehnten Weizenfelder reiche
Erträgnisse.
Eine wichtige Rolle war Sutter in der politischen Geschichte Kaliforniens
beschieden. Kalifornien gehörte zwar zu Mexiko, aber seine Bevölkerung be-
kundete lebhaftes Unabhängigkeitsgefühl, das nicht bloß durch den Zuzug
zahlreicher amerikanischer Ansiedler, sondern im geheimen auch durch die
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Regierung der Vereinigten Staaten beständig genährt wurde. Denn die letztere
wollte verhüten, daß Kalifornien in die Hände der Engländer falle, die das Land
bereits gierigen Blickes betrachteten. Auch bedurften die Vereinigten Staaten
für ihren wachsenden Verkehr mit Ostasien, Alaska und den australischen
Inseln eines guten Hafens, der zugleich den 20 000 amerikanischen Seeleuten,
die in den arktischen Gewässern dem Walfischfang und der Robbenjagd nach-
gingen, als Zufluchtsort dienen könne.
Sutter brachte der Lage volles Verständnis entgegen. Denn als General
Fremont im Juni 1846 in Kalifornien erschien, holte er die über seinem Fort
flatternde mexikanische Flagge nieder und hißte an ihrer Stelle das Sternen-
banner empor.
Der nun ausbrechende Krieg zwischen Mexiko und der Union verlief be-
kanntlich zugunsten der letzten, worauf Kalifornien als neues Glied dem Bund
einverleibt wurde.
Um jene Zeit galt Sutter als der angesehenste und wohlhabendste Be-
wohner Kaliforniens. Da plötzlich führte eine seltsame Laune der Glücks-
göttin einen völligen Umsturz seiner Verhältnisse herbei.
Beim Bau einer Sägemühle, die Sutter an einem Gebirgsbach anlegen
ließ, entdeckte der in Sutters Diensten stehende Zimmermann James W. Mar-
schall am 19. Januar 1848 zahlreiche Körnchen gelben Metalls. Gleich einem
Blitz fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, daß dieselben Gold sein könnten.
Er sammelte eine Handvoll und ritt im Galopp zum Fort, um seine Vermutung
Sutter mitzuteilen. Sorgfältige Untersuchungen ergaben, daß die glitzernden
Körnchen in der Tat gediegenes Gold waren.
Man beschloß, den Fund geheim zu halten, aber vergebens. Der Ruf
„Gold! Gold!" erscholl und verbreitete sich gleich einem Wildfeuer über das
ganze Territorium. Die Wirkung des Zauberworts war geradezu erstaunlich.
Ein förmliches Goldfieber ergriff die ganze Bevölkerung. Wenige Wochen,
nachdem die Kunde San Franzisko und Monterey erreichte, hatten beide Städte
drei Viertel ihrer Bevölkerung eingebüßt. Sämtliche öffentliche Gebäude ver-
ödeten. Die Schiffe verloren ihre Besatzungen; die Zeitungen stellten ihr Er-
scheinen ein, da sowohl Beamte wie Redakteure sich der allgemeinen Wand-
rung nach den Goldfeldern anschlössen. Die in den Häfen liegenden Schiffe
konnten nicht auslaufen, da sämtliche Matrosen desertierten. Und auch die
Kirchen mußten geschlossen werden, da die Herren Prediger gleichfalls den
Verlockungen des Goldteufeis erlagen. Goldhungrige Personen strömten zu
Tausenden herbei und überschwärmten das ganze Land. Sutters Arbeiter ließen
ihn im Stich, um sich gleichfalls auf die Suche nach dem gleißenden Metall zu
begeben. Seine Besitztitel auf das goldführende Land wurden nicht geachtet.
Alle Prozesse, die er gegen die Eindringlinge anstrengte, welche seine Äcker
durchwühlten und ihre Pferde in seine Weizenfelder trieben, blieben vergeblich.
Sie machten nur die Advokaten reich, ihn selbst hingegen von Tag zu Tag
ärmer. Obendrein erklärte das Obergericht seine Ansprüche auf das Land für
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ungültig, weil dieselben nicht in der Hauptstadt Mexiko unterzeichnet seien.
Sutter mußte zusehen, wie die Bundesregierung sein eignes Land, das er unter
ungeheuren Mühen Iculturfähig gemacht hatte, für \\(^ Dollar pro Acker an
Goldgräber verkaufte, welche die fruchtbaren Gefilde in trostlose Wüsteneien
verwandelten.
Sutters Bemühungen, von der Bundesregierung Gerechtigkeit und für die
erlittenen Verluste eine Entschädigung zu erlangen, blieben ohne Erfolg, ob-
wohl er, um seine Ansprüche persönlich zu betreiben, nach dem Osten über-
siedelte und während siebenzehn langer Jahre regelmäßig wie ein Uhrwerk im
Kapitol erschien. Endlich, nach langem vergeblichen Harren schien Hoffnung
zu winken. Ein mit dem Prüfen seiner Ansprüche beauftragter Ausschuß er-
kannte deren Rechtmäßigkeit an und berichtete die Entschädigungsvorlage
günstig ein. Bereits hatte dieselbe glücklich das Repräsentantenhaus passiert
und lag dem Senat zur Schlußabstimmung vor. Fast alle Senatoren waren zu
ihren Gunsten. Da hielt unglücklicherweise ein nicht mehr ganz zurechnungs-
fähiger Senator es für angezeigt, die Verdienste Sutters um die Entwicklung
Kaliforniens nochmals in einer längeren Rede zu beleuchten. Dabei schwatzte
der Mann so lange, daß der Senat schließlich der Sache überdrüssig wurde und
sich vertagte, ohne daß die Angelegenheit zur Erledigung kam. Sutter wäre
zweifellos in Not und Elend gestorben, hätte nicht der Staat Kalifornien ihm
im Jahre 1865 eine Pension von 3000 Dollar jährlich auf die Dauer von sieben
Jahren zugesprochen, und zwar als Entschädigung für Steuern, die Sutter für
solche Ländereien bezahlt hatte, die ihm von der Bundesregierung genommen
worden waren. An äußeren Ehrenbezeigungen Sutters ließen kalifornische Mit-
bürger es nicht fehlen. Man stellte ihn als Gouverneurskandidaten auf, verlieh
ihm den Titel eines Generalmajors der Milizen und ließ sein lebensgroßes Bild-
nis anfertigen, um damit den Saal des Staatskapitols zu Sacramento zu
schmücken. Und als am 9. September 1854 die Mitglieder der Kalifornischen
Pionier-Gesellschaft sich versammelten, da zollte ein Amerikaner, E. J. C. Kewen,
Sutter folgenden mit ungeheurem Beifall aufgenommenen Tribut:
I „Wenn im Kreislauf kommender Jahre die Federn der Geschichtsschreiber
die Gründung und Besiedlung dieses westlichen Gemeinwesens darstellen, wenn
sie die Tugenden, die Beschwerden, die Entbehrungen, den Mut, die Un-
erschrockenheit, die alles dies zustande gebracht, schildern, wenn sie den mäch-
tigen Anstoß beschreiben, den es auf die Weiterentwicklung freier Regierungs-
formen und freier Grundsätze ausgeübt, und wenn sie die Annalen mit den
Namen der heroischen Gründer seines Ruhmes zieren werden, dann wird kein
Name mit hellerem und dauerndem Glänze leuchten, als der des unsterblichen
Sutter, des erhabenen Vorbilds kalifornischer Pioniere."
Sutter starb am 18. Juni 1888 in der Bundeshauptstadt Washington. In
ihm verlor Amerika zweifellos einen seiner merkwürdigsten Männer, dessen An-
denken in der Geschichte des Goldstaates Kalifornien für immer fortleben wird.
Glücklicher als Sutter war ein anderer deutscher Pionier, der Hamburger
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Karl Maria Weber. Er kam 1836 nach New Orleans und wanderte im
Frühjahr 1841 nach Kalifornien, wo er in Sutters Dienste trat. Später erwarb
er im Tal des San Joaquinflusses eignen Landbesitz, auf dem er große Vieh-
herden züchtete. Nachdem Kalifornien den Vereinigten Staaten einverleibt war,
gründete Weber die Ortschaft Stockton, die beim Ausbruch des Goldfiebers
Mittelpunkt des südlichen Minendistrikts wurde und rasch emporblühte. Weber
sorgte für den Bau von Kanälen und Straßen. Später schenkte er der Stadt alle
von ihm geschaffenen Anlagen, außerdem sämtliche auf dem Stadtplan zu
öffentlichen Plätzen vorgemerkten Grundstücke.
Mit Sutter kam auch der Westfale August L a u f k ö 1 1 e r nach dem
fernen Westen. Derselbe ließ sich zuerst als Apotheker in St. Louis nieder.
Als Mitglied einer von Sutter geführten Handelskarawane zog er später gleich-
falls nach Santa Fe. Dann unternahm er an der Spitze einer 26 Mann starken
Bande von Delawareindianern auf eigne Faust Handelszüge, die ihn durch das
Gebiet der Apachen bis an die Mündung des Gila in den Colorado führten.
Die Abenteuer, welche er auf diesen kühnen Reisen erlebte, die Strapazen, die
er ertragen mußte, grenzen ans Unglaubliche. Von den Apachen wurde Lauf-
kötter mehrere Wochen lang gefangen gehalten. Er entging einem grauen-
haften Martertod nur durch den Nachweis, daß er kein Amerikaner, sondern
ein Deutscher sei. Als das kalifornische Goldfieber ausbrach, befand Lauf-
kötter sich unter denjenigen, die nach dem Goldlande zogen. Als hochbetagter
Greis beschloß er sein Leben in der Stadt Sacramento.
Ein ebenso merkwürdiger Pionier des fernen Westens war der im Jahre
1810 zu Marienwerder geborene Hermann von Ehrenberg. Infolge
seiner Beteiligung an den revolutionären Bewegungen in Deutschland nach
New Orleans verschlagen, wurde er beim A^usbruch des texanischen Unabhängig-
keitskriegs mit vielen anderen Deutschen Mitglied der „New Orleans Greys'*,
einer Kompagnie Freiwilliger, die an jenen Kämpfen lebhaften Anteil nahm.
Ehrenberg zählte auch zu jenen 600 Texanern, die im Jahre 1835 unter
General Houston nach sechstägigem Gefecht 2000 Mexikaner aus San Antonio
vertrieben und im Fort Alamo zur Übergabe nötigten. Während der Kämpfe
des folgenden Jahres waren die in kleine Abteilungen aufgelösten Texaner
weniger vom Glück begünstigt. Denn eine ihrer Abteilungen wurde am
2. März 1836 bei San Patrizio, eine andere am 20. März bei Gilead nieder-
gemetzelt. Ehrenberg befand sich unter den wenigen, die jenem Blutbade ent-
kamen. Er schloß sich darauf einer neuen, 700 Mann starken Abteilung an,
die am 21. April bei San Jazinto der mexikanischen Übermacht eine so furcht-
bare Niederlage zufügten, daß die Unabhängigkeit von Texas nunmehr ge-
sichert war.
Ehrenberg beteiligte sich später als topographischer Ingenieur an der
Fesdegung der Grenze zwischen Arizona und Mexiko. In Arizona gründete
er die „Sonora Exploring and Mining Company" und erwarb ausgedehnte
Ländereien. Um die nähere Erforschung und kartographische Aufnahme
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Arizonas hat Ehrenberg große Verdienste, die von der Nachwelt anerkannt
wurden, indem eine am Colorado gegründete Ortschaft seinen Namen erhielt.
In die Reihe der Pioniere Kaliforniens ist auch der Deutsche Heinrich
Taschemacher zu stellen, welcher als Zwanzigjähriger bereits im Jahre
1842 nach San Franzisko kam und daselbst eine sehr angesehene Stellung er-
rang. In den Jahren 1859 bis 1861 war er Präsident des Stadtrats, und als
solcher der erste Beamte der städtischen Verwaltung. Als im Jahre 1862 das
Amt eines Bürgermeisters geschaffen wurde, versah Taschemacher diesen Posten
noch zwei Jahre fang.
Die Reihe solcher deutscher Kulturpioniere im fernen Westen ließe sich
leicht durch zahlreiche Namen vergrößern. Denn als die Kunde, daß weite
Strecken Kaliforniens im wahren Sinne des Wortes als Goldfelder zu betrachten
seien, die ganze Welt durchflog, da gesellten sich Tausende und aber Tausende
von Deutschen und Deutschamerikanern jenen Strömen von Auswandrern zu,
die entweder zu Schiffe um das sturmumtoste Kap Hörn, oder von den Ufern
des Mississippi und Missouri aus durch die unermeßlichen Prärieen nach dem
von einer Wunderglorie umleuchteten Kalifornien zogen.
Wer sich mit der Geschichte des fernen Westens, der dort entstandenen
Staats- und Gemeinwesen näher befaßt, stößt auf unzählige deutsche Namen,
deren Träger sich auf allen Gebieten menschlichen Könnens und Wissens be-
tätigten und dazu beitrugen, der neuweltlichen Kultur auch in jenen entlegenen
Landen Heimstätten zu bereiten. Reicht von jenen deutschen Kulturpionieren
auch keiner an die Bedeutung eines Johann Jakob Astor und Johann August
Sutter heran, so verdienten aber die merkwürdigen Schicksale mancher dieser
Deutschen aufgezeichnet und der Vergessenheit entrissen zu werden.
Deutsche Kommunistengemeinden.
Seitdem Plato den Gedanken eines Freistaates entwickelte, in welchem
nur die Gesamtheit Eigentum besitzen dürfe, und jedermann an den aus der
gemeinsamen Arbeit gew^onnenen Ergebnissen gleichen Anteil haben solle, hat
es nicht an Versuchen gefehlt, diese Idee zu verwirklichen. Sie war der Traum
zahlreicher Männer, welche beim Studium der sozialen Verhältnisse zu der
Überzeugung gelangten, daß die Ansammlung des Besitzes, Grundeigentums
und Kapitals in den Händen weniger, die damit in der Regel verbundene Aus-
beutung der Unbemittelten widernatürliche Zustände seien; daß dagegen all-
gemeines Glück und Zufriedenheit nur dann möglich wären, wenn sämtliche
Menschen außer gleichen Rechten auch gleiche Pflichten besäßen, alle Klassen-
unterschiede aufgehoben und der Besitz gemeinschaftlich seien.
In der Alten Welt führte keiner diese Versuche, solche kommunistische
Gemeinschaften zu gründen, zu einem befriedigenden Ergebnis. Die Gründe
dafür lagen teils in dem offenen oder versteckten Widerstand der Regierungen,
die in solchen Neuerungen Gefahren für die bestehenden Verhältnisse witterten,
teils in dem Umstand, daß die Verlockungen, welche von benachbarten Städten
ausgingen, auf die Mitglieder der kommunistischen Niederlassungen zu groß
waren.
Deshalb richteten die Gründer solcher Gemeinschaften ihre Blicke nach
Amerika. Hier waren die Aussichten für ein gedeihliches Entwickeln günstiger,
da die Ansiedlungen weit genug von den Städten entfernt angelegt werden
konnten und die Einmischung der Regierung nicht befürchtet zu werden
brauchte.
Diese von Europäern auf dem jungfräulichen Boden Amerikas gegrün-
deten Kommunistenkolonien gehören zu den interessantesten Erscheinungen des
neuweldichen Kulturlebens. Sie erheischen um so mehr Interesse, als die
wichtigsten Kolonien von deutschen Auswandrern ins Leben gerufen wurden.
Die Harmoniten.
Die berühmteste von allen deutschen Kommunistengemeinden war die
Gesellschaft der R a p p i s t e n oder Harmoniten. Ihr Gründer, J o -
hann Georg Rapp, am 1. November 1757 zu Iptingen in Württemberg
geboren und von Beruf Leineweber, hatte sich den damals weitverbreiteten
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Pietisten angeschlossen. Als er aber unter diesen nicht die gesuchte Befriedi-
gung fand, hielt er in Gemeinschaft mit einigen Gesinnungsgenossen in seinem
Hause Versammlungen ab. Die Teilnehmer gründeten eine zum Urchristentum
zurückstrebende Sekte, welche durch ihr rasches Wachstum sowie durch die
Weigerung, die Pfarrer als Diener Gottes anzuerkennen, das Ärgernis der
Ortsgeistlichen erregte.
Bald gerieten die Rappisten in Konflikt mit den kirchlichen und welt-
lichen Behörden. Den Verwarnungen folgten Strafen. Dieselben wurden
schärfer, je mehr die Regierung durch übertriebene Berichte in dem Verdacht
bestärkt wurde, daß die neue Sekte revolutionäre Ideen hege und bei ihrer
raschen Vermehrung gefährlich werden könne.
Müde des steten Drangsaliertwerdens wanderte Rapp im. Jahre 1803 mit
seinem Sohne Johannes und zwei Anhängern nach der religiösen Freistätte
Pennsylvanien aus. Von dort bestehenden separistischen Gemeinden unter-
stützt, kaufte er bei Pittsburg 6000 Acker Land. Dorthin folgten ihm bald
700 Anhänger und gründeten eine Niederlassung, die sie nach einer in der
Apostelgeschichte Kap. 4 Vers 32 zu findenden Stelle „Harmonie" tauften.
Um dem Urchristentum näherzukommen, schössen sie am 15. Februar
1805 ihr Vermögen zusammen und vereinten sich zu einer kommunistischen
Gemeinschaft. Zur selben Zeit faßten sie einen Beschluß, der für den späteren
Bestand der Gemeinde verhängnisvoll werden sollte. Ihren Anschauungen
nach war die Ehe zv/ar nicht verboten, aber ein unheiliger, vom wahren Lebens-
zweck ablenkender Zustand. Deshalb entschlossen sich alle, im Zölibat zu
leben. Auch die Verheirateten lösten freiwillig die ehelichen Bande, um fortan
einander nur noch als Brüder und Schwestern zu betrachten. Rapp wurde zum
geistlichen Vorstand erwählt. Ihm waren ein weltlicher Vorsteher sowie sieben
Älteste beigeordnet.
Die zur höheren Ehre Gottes und zum Besten der Gesamtheit verrichtete
Arbeit wurde von Obmännern vorgeschrieben. Dieselben lieferten sämtliche
Erträgnisse dem Vorstand ab, welcher dagegen die einzelnen Mitglieder mit
allen Bedürfnissen versorgte. Nachdem die Harmoniten den Urwald gerodet,
Wohnungen, Werkstätten und Scheunen gebaut hatten, schritten sie zur Be-
stellung der Felder. Auf ihrer von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wäh-
renden Arbeit ruhte sichtlicher Segen. Denn wenn auch der Anfang hart und
mühselig gewesen war, so begannen die auf jungfräulichem Boden angelegten
Felder doch bald reiche Ernten hervorzubringen. Nachdem dadurch für die
erste Zeit gesorgt war, wandten sich die Handwerker wieder ihren früheren
Beschäftigungen zu. Für die Weber beschaffte man Webstühle; für die Schmiede,
Schreiner und Färber geeignete Werkzeuge; für die Viehzüchter Vieh; für die
Obstbauer und Winzer Fruchtbäume und Reben. Beim Ankauf dieser Dinge
scheute man weder Kosten noch Mühe, um von allem das Beste und Voll-
kommenste zu erhalten. Aus Frankreich bezog man Mühlsteine und Jacquard-
Webstühle; aus dem bergischen Lande die stählernen Werkzeuge; aus dem
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Rheingau und vom Kap Weinreben; aus Spanien Schafe; aus England Rinder.
Alle diese Dinge bemühte man sich nun zu verbessern. Das gelang auch im
Lauf der Zeit in so hohem Grade, daß die Werkstätten und Maschinen der
Harmoniten das Staunen aller erregten, welche die Niederlassungen besuchten.
Das Ganze war eine Musterwirtschaft, wert, als Vorbild bis ins kleinste Detail
nachgeahmt zu werden. Der vorzüglichen Einrichtung der Musterwirtschaft
entsprachen ihre Erzeugnisse. Nirgendwo sah man besser gehaltene, fettere
Herden, nirgendwo fand man wohlschmeckenderes Obst und Feldfrüchte. Die
Neu-Harmonie im Jahre 1832.
gewebten Tuche, Leinen- und Seidenstoffe wurden wegen ihrer vorzüglichen
Beschaffenheit und Haltbarkeit weitberühmt. Die Kolonie litt nur an einem
Übelstand: sie lag zu entfernt von den Hauptverkehrswegen.
Als im Jahre 1815 sich eine Gelegenheit bot, die ganze Besitzung günstig
zu verkaufen, griff man mit beiden Händen zu und erstand für die gelösten
100 000 Dollar einen im Staat Indiana am Wabash gelegenen 3000 Acker großen
Streifen Land, wo man den Ort Neu-Harmonie baute. Hier blieb man
zehn Jahre. Da das Klima aber ungesund war, beschlossen die Rappisten
nach Pennsylvanien zurückzukehren. Für ihre Ortschaft fanden sie im Jahre
1824 in dem schottischen Kommunisten R. Owen einen Käufer. Mit den er-
lösten 200 000 Dollar schufen die Harmoniten ihre dritte und letzte Nieder-
lassung „Ökonomie" (englisch „E c o n o m y") in Pennsylvanien. Dieselbe
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lag 25 Meilen westlich von Pittsbiirg auf dem Nordufer des Ohio, inmitten
einer Landschaft, welche mit ihren grünen Hügeln an den Rheingau erinnert.
Es währte gar nicht lange, so hatten die Kommunisten auch diese Gegend
in ein kleines Paradies verwandelt. Durch Schilderungen der Prinzen Bernhard
von Sachsen-Weimar und Maximilian von Wied, welche auf ihren Amerika-
fahrten Ökonomie in den Jahren 1826 und 1832 besuchten, ferner durch Be-
richte der Reisenden Franz Löher und Karl von Scher2ier aus den Jahren 1847
und 1852 sind wir über die Zustände der Gemeinde während ihrer Blütezeit
gut unterrichtet. Die genannten Beobachter stellen Rapp das beste Zeugnis
Ansicht von Ökonomie lEconomyi am Ohio im Jahre 1900.
aus und rühmen seine Schöpfung als einen der bemerkenswertesten Koloni-
sation serfolge.
Prinz Bernhard von Weimar beschreibt Rapp als einen großen 70jährigen
Mann, dessen Kräfte durch die Last der Jahre nicht vermindert waren. Seine
von starken Brauen beschatteten Augen sprühten von Feuer und Leben; die
machtvolle Stimme klang ausdrucksvoll. Alles was er sagte, war durchdacht.
Löher, welcher Rapp zwanzig Jahre später sah, war überrascht, den 90jährigen
Mann einem Sechziger gleich mit starkem Geist, blitzenden Augen und raschen
Gebärden zu finden. Seine Stimme hallte wie Metall und sein Antlitz, vom
reichsten Silberglanz des Haares und Bartes umgeben, zeigte Ernst, Hoheit
und Milde. Wenn er sich aufrichtete, war er wie ein Löwe und seine Rede
floß wie ein tosender Waldstrom.
— 288 ~
Über seine Gemeinde besaß Rapp wunderbaren Einfluß; alle verehrten
ihn innig und sprachen von ihm stets als ihrem „lieben Vater'*. Seine Anord-
nungen galten gleich Gesetzen und wurden ohne Widerrede befolgt.
Bei Wahl und Einteilung der Arbeit trug man den Neigungen der ein-
zelnen Mitglieder nach Möglichkeit Rechnung. Die Frauen beschäftigten sich
mit Hausarbeiten und in den Spinnereien. Die Männer trieben Landwirtschaft,
überwachten die Maschinen und verrichteten die groben Arbeiten. Zu den
Ernten wurden alle herangezogen.
Alle Besucher des Orts staunten, wieviel vereinte, verständig geleitete
Arbeit in kurzer Zeit auszurichten vermochte. Jeder war des Lobes voll über
den wohldurchdachten Plan, nach welchem nicht nur die ganze Stadt, sondern
jedes Haus und Geschäft angelegt waren. „Alles griff', so schreibt Löher,
„wie ein kunstvolles Räderwerk ineinander. Die ganze Einrichtung verdiente
zum Muster für künftige Anlagen bis ins kleinste gezeichnet und beschrieben
zu werden."
Bei sämtlichen Arbeiten bediente man sich der sinnreichsten, durch die
Gemeindemitglieder in langen Jahren vervollkommneten Maschinen und Werk-
zeuge. Löher sah eine Dampfdreschmaschine, wie er sie nie zuvor gesehen
hatte. Dieselbe reinigte nicht nur das Korn und füllte es in unter die Maschine
aufgehängte Säcke, sondern sonderte auch Kurzstroh und Langstroh. Ein an
der Maschine angebrachter Ventilator schützte die Arbeiter vor dem Staub.
Löher beschreibt auch eine Dampfmaschine, welche Wasser vom Ohio herauf-
hob, welches in Dampf verwandelt, sowohl zum Heizen wie zum Betrieb der
Mühlen, Webereien, Farbenreiben und manchen anderen Verrichtungen diente.
Der Dampf wurde darauf wieder in Wasser verwandelt. Dieses lief mit einem
kleinen Zusatz frischen Wassers in die Kessel zurück und kam, wieder in Dampf
verwandelt, aufs neue zur Verwendung.
Durch stetes Nachdenken und Probieren fanden diese schwäbischen
Bauern überall das Beste und Praktischste heraus. Die im Jahre 1829 auf-
genommene Seidenspinnerei wurde mit solchem Geschick betrieben, daß man
blumendurchwirkte Seidenstoffe in sieben Farben herzustellen vermochte. Woll-
weberei, Branntweinbrennerei und andere Gewerbe bildete man in gleicher
Weise aus. Der Vertrieb aller überschüssigen Erzeugnisse sowie die Abwick-
lung der Handelsgeschäfte lagen der von Rapp eingerichteten kaufmännischen
Abteilung ob.
Infolge dieser stillen emsigen Arbeit stieg der Wohlstand der Gemeinde
von Jahr zu Jahr. Ihre Ansiedlung entwickelte sich zu einer wahren Muster-
wirtschaft.
Der Ort war nach einem wohldurchdachten Plan angelegt. Alle nach
schwäbischem Stil erbauten Häuser besaßen einen mit Blumen und Obstbäumen
bepflanzten Vorgarten Neben der Haustür befand sich eine schattige Ruhe-
bank. An der Sonnenseite der Häuser reiften an Spalieren köstliche Trauben
und Früchte; hinter den Häusern befanden sich die Stallungen für das Vieh.
— 289
Desgleichen die Hühnerhöfe und Taubenschläge. Alle Straßen waren breit
angelegt, gepflastert und sauber. Häufig boten sie reizende Fernblicke auf den
Ohio sowie die den Ort umkränzenden Berge. Und ringsum hörte man nur
schwäbische Laute. Man konnte wähnen, sich in einem Städtchen am Fuß der
Schwäbischen Alb zu befinden.
Die Tracht der
Männer bestand in
kurzen Jacken aus
blauerrt grobem Tuch,
und Zwillichhosen von
derselben Farbe. Dazu
kamen im Winter Filz-
hüte, im Sommer breit-
randige Strohhüte. Die
Frauen trugen die in
dunklen Farben gehal-
tene schwäbische Bäue-
rinnentracht und dunkle
Strohhauben.
Im Verkehr unter-
einander befleißigten
sich alle brüderlichen
Entgegenkommens. An
weltlichen Dingen ge-
ringen Anteil nehmend,
trugen sie stets heite-
res, zufriedenes Aus-
sehen zur Schau. Doch
klärten sich ihre Ge-
sichter auf, wenn das
Gespräch auf das Jen-
seits und die dort zu
erwartenden Seligkeiten
kam. Rapp verehrten
sie keineswegs als Pro-
pheten oder als ein
Wesen mit übernatürlichen Gaben, sondern als schlichten Christen, der durch
seinen Glauben und seine Frömmigkeit sich Gott wohlgefällig mache.
Jeden Sonntag fanden in der Kirche zwei Predigten statt, viermal wöchent-
lich abends erbauliche Unterhaltungen. Auch veranstaltete man gelegendich
Konzerte, wobei ein Frauen chor allerhand weltliche Lieder, meist die aus der
schwäbischen Heimat mitgebrachten Volksweisen zu Gehör brachte.
Der geistigen Fortbildung dienten ein Museum und eine gut zusammen-
Die Kirche der Harmoniten in Ökonomie.
Gronau, Deutsches L hen in Amerika.
19
290
gestellte Bibliothek. Eine eigene Buchdruckerei besorgte die Vervielfältigung
der von Rapp und anderen gedichteten Lieder.
In ihrem freudigen Hoffen auf das himmlische Jenseits vergaßen aber die
Harmoniten das Diesseits, die Forderungen des Lebens. Infolge der freiwilligen
Ehelosigkeit gab es im Orte keine Kinder. Da man sich nach manchen schlim-
men Erfahrungen auch gegen fremden Zuzug ablehnend verhielt, so begann es
an jungem Nachwuchs zu fehlen, der die älter werdenden Mitglieder bei ihren
Arbeiten hätte ablösen können. Man beachtete dies anscheinend nicht und
ging neugierigen Fragen, was später mit dem Besitz werden solle, mit den
Worten aus dem Wege, daß Gott zur rechten Zeit Rat schaffen werde.
In dieser Zuversicht schied am
7. August 1847 Georg Rapp, der
Gründer der Kolonie aus dem Leben.
Dieselbe Zuversicht beseelte auch
seine Nachfolger, den milden R o m e-
lius Langen becher (t 1871)
und den gelehrten Jakob H e n-
rici (t 1890). Unter diesen beiden
begann die einst so blühende Ge-
meinde, deren w^ise verwaltetes Ver-
mögen auf Millionen angewachsen
war, langsam abzusterben. Nicht
daß sie an Zucht und Ordnung ein-
gebüßt hätte, sondern weil leise und
unbemerkt über die Mitglieder das
Alter kam. Mancher einst kräftige
Arm wurde untauglich zur Arbeit;
manches Auge verlor die Sehkraft.
L^ --'^^^^_ Der Tod begann die einst 800 Köpfe
starke Gemeinde allmählich zu lich-
ten und die Mitglieder abzuberufen.
Infolgedessen mußte ein Gewerbe
nach dem anderen aufgegeben werden. Je rascher die Mitglieder mit
zunehmendem Alter vom Tod abberufen wurden, desto mehr vereinsamten die
Werkstätten, Felder und Weinberge.
Wer Ökonomie während der letzten Zeit seines Bestehens besuchte,
empfing den Eindruck, als wandle er durch die Straßen einer ausgestorbenen
Stadt. Die Türen und Fenster der meisten Häuser waren verschlossen, weil
ihre Bewohner längst zur ewigen Ruhe getragen worden waren.
Als Friedhof diente ein mit Tannen und Zypressen bepflanzter Wiesen-
grund, wo unter einfachen grasüberu^achsenen Hügeln über achthundert Har-
moniten ruhen. Georg Rapp schläft unter ihnen. Weder seine noch die Grab-
stätte eines anderen Gemeindemitgliedes ist mit einem Denkstein geschmückt.
Rapps Wohnhaus in Ökonomie.
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Wie die Lebenden keine Standesunterschiede Icannten, so wollten sie auch im
Tode einander gleich sein.
Das Ende der berühmten Kommunistengememde kam im Jahre 1Q03, wo
dieselbe auf nur fünf Mitglieder zusammengeschmolzen war. Diese, meist
hochbetagt, faßten den Beschluß, die bis dahin fortgeführte Gesellschaft auf-
zulösen und das nach Millionen zählende Vermögen an die Mitglieder zu ver-
teilen. Natürlich mußten dabei der große Landbesitz sowie die in Ökonomie
errichteten Gebäude veräußert werden. Die Mitglieder behielten sich nur das
Eigentumsrecht an die Kirche, das Gemeindehaus und den Friedhof vor. Alles
übrige wurde von Lnndspekulanten aufgekauft und zum Tummelplatz der rück-
sichtslos vorwärtsstürmenden, von Gewinnsucht, Ehrgeiz, Not und Sorge ge-
triebenen Menschen des 20. Jahrhunderts.
Wo bisher friedliche, herzerquickende Eintracht herrschte, da prallen
jetzt die beiden großen Gegensätze der Neuzeit, Kapital und Arbeit, aufein-
ander und regen manchen zu der Frage an, ob der frühere Zustand, der so
viele mit ihrem Los zufriedene, glückliche Menschen schuf und sie der Sorge
und Entbehrung entrückte, nicht auch seine Lichtseiten und Vorzüge besaß.
Die S. paratistenkolonie Zoar.
Gemeinsamkeit des Besitzes bildete auch das Band der Separatisten-
gemeinde Zoar in Ohio.
Dieselbe nahm ihren Ursprung gleichfalls in Schwaben, wo ihre Mit-
glieder gleich den Rappisten wegen mancher, von den damaligen allgemeinen
Anschauungen abweichenden Glaubenssätze beständigen Anfeindungen seitens
der Behörden ausgesetzt waren. Die wichtigsten dieser Sätze waren folgende:
,,Wir glauben an den dreieinigen Gott. Unsere Richtschnur ist einzig und
allein die Heilige Schrift. Alle kirchlichen Zeremonien sind unnötig, weshalb
wir sie unterlassen. Wir beugen uns vor Gott, erweisen aber keinem Sterb-
lichen außergewöhnliche Ehren. Wir trennen uns von allen kirchlichen Sekten
— daher der Name Separatisten — da wahres Christentum überall gleich sein
sollte und die verschiedenen Sekten nur eine Folge leerer Formen sind. Unsere
Ehen werden durch gegenseitige Zustimmung im Beisein von Zeugen abge-
schlossen, ohne daß eine kirchliche Sanktion oder Handlung nötig ist. Doch
muß die Zivilbehörde von dem Vertrag in Kenntnis gesetzt werden. Da ein
Christ selbst nicht seinen Feind ermorden soll, viel weniger seine Freunde, so
können wir dem Staat nicht als Soldaten dienen. Wir erachten jedoch die welt-
liche Regierung als durchaus notwendig, um Ordnung aufrechtzuerhalten, die
guten Bürger zu beschützen und die schlechten zu strafen. Weil wir keinen
Eid ablegen, bestätigen wir die Wahrheit durch ein einfaches ,Ja'!"
Obwohl die Separatisten so dem Kaiser gaben, was des Kaisers, und
Gott, was Gottes ist, wurden sie doch derart drangsaliert, daß sie sich im
— 292 —
Jahre 1817 unter Führung des Lehrers Joseph Michael Bäumler zur
Auswanderung nach den Vereinigten Staaten entschlossen. Im Tuscarawas
County des Staates Ohio gründeten sie ein Dörfchen, das sie Zoar nannten,
weil es ein Zufluchtsort gegen die Sünden der Welt sein sollte, wie es der
gleichnamige Ort für Lot und seine Familie nach dem Untergang Sodoms ge-
wesen war.
Ursprünglich war die Gemeinde keine kommunistische. Die Anregung
zu gemeinschaftlichem Wirken kam erst, als es manchen armen Mitgliedern
nicht möglich war, die Kaufsumme für ihre Grundstücke zur festgesetzten Zeit
zu bezahlen.
Es war am 15. April 1819, als 53 Männer und 104 Frauen den ersten,
später in manchen Punkten abgeänderten Gesellschaftsvertrag unterzeichneten.
In seinen Grundzügen v/ich derselbe von dem der Rappisten nicht wesenthch
ab. Wie dort Georg Rapp, so nahm hier Bäumler die verantwortliche Stelle
als Vorsteher der Gemeinde ein. Dieselbe erhielt in den Jahren 1831 bis 1841
Zuzug aus der Heimat, wodurch die Kopfzahl sich auf 500 steigerte. Der Ge-
meinde konnte beitreten, wer sich verpflichtete, ein Prüfungsjahr in ihr zuzu-
bringen, während dessen er für das Allgemeinwohl arbeiten mußte, dagegen
aber auch mit allem Nötigen versehen wurde. War er nach Ablauf des Probe-
jahres gesonnen, zu bleiben, so mußte er sein Privateigentum aufgeben.
Gleich den Rappisten brachten es auch die Mitglieder dieser Gemeinde
durch unermüdlichen Fleiß zu großem Wohlstand. Zur Zeit ihres Glanzes
besaß sie 7500 Acker fruchtbaren Landes, vortreffliche Viehherden, ansehnliches
Barvermögen und unbegrenzten Kredit. Man unterhielt Mühlen, Schmelz-
hütten, eine Gerberei, Ziegelbäckerei, Sägemühle und dergleichen mehr.
Solange Bäumler lebte, herrschte schönste Ordnung. Er war der leitende
Geist, der für alle dachte und die ganze Masse mit sich zog. Als aber nach
vierzigjähriger Arbeit seine Kraft erlahmte und er am 27. August 1853 aus dem
Leben schied, fand sich kein gleichwertiger Nachfolger. Die Gemeinde war
hilflos wie eine Herde, die ihren Hirten verloren.
Auf die Blütezeit folgte eine Periode des Stillstandes. Dann kam eine
Zeit, wo durch den Bau einer Eisenbahn Zoar Verbindung mit benachbarten,
wehlich gesinnten Ortschaften erhielt. Zahlreiche Fremde erschienen, um das
Wunderdorf zu besichtigen. Das ehemalige Wohnhaus Bäumlers wurde in ein
Hotel verwandelt. Dadurch traten die bisher in Abgeschiedenheit lebenden
Separatisten in Berührung mit andersdenkenden Menschen und stellten Ver-
gleiche an. Es lockerten sich die Bande. Besonders das junge Volk bekundete
Neigung, sich auf eigene Füße zu stellen und beantragte Auflösung der Ge-
meinde und Verteilung des Vermögens. Ein solcher Beschluß wurde unter
Beihilfe schlauer Advokaten am 10. März 1898 wirklich gefaßt und von 136 Mit-
gliedern unterzeichnet. Bei der Verteilung empfing jedes Mitglied Eigentum
im Wert von 12 000 Dollar.
2Q3
Die Amaniten.
Eine gleichfalls auf religiöser Grundlage beruhende deutsche Kommuni-
stenkolonie ist Amana im Staate Iowa. Ihre Mitglieder nennen sich die
„W ahren Inspirierten". Im wesentlichen stimmt ihre Lehre mit der-
jenigen der evangelischen Kirche überein. Nur bestreiten sie die Notwendigkeit
der Kirche selbst, des berufsmäßigen Priestertums, des Abendmahls und der
Taufe. Sie betrachten sich als Streiter Christi, welche durch ein Leben voller
Entsagungen und Verleugnungen das Jenseits gewinnen wollen. Als Stifter
verehrt die Sekte die beiden Männer J. F. Rock und E. L. Gruber, welche
im Jahre 1714 in Hessen auftraten. Sie lehrten, daß Gott, wie vor alters, so
auch heute noch Werkzeuge zur Verkündigung seines Willens erlese und mit
seinem Geist erfülle. Da sie im Gegensatz zu der im Buchstabendienst und
Formelwesen erstarrten Orthodoxie der damaligen Zeit einem werktätigen
Christentum voll Herzensfrömmigkeit und aufrichtiger Nächstenliebe das Wort
redeten, so fanden sie bald Anhänger in Deutschland, der Schweiz und Holland.
Aber die Kühnheit, mit welcher die Inspirierten gegen die Mißbräuche in
Kirche und Gesellschaft auftraten, zog ihnen so hartnäckige Verfolgungen zu,
daß die Gemeinden im Jahre 1843 nach Amerika übersiedelten und in der Nähe
der Stadt Buffalo im Staat New York die Kolonie Ebenezer gründeten.
Bereits in der Mitte der fünfziger Jahre wurde diese zu klein. Da Land
nur noch zu unerschwinglich hohen Preisen zu haben war, außerdem die nahe
Stadt mit ihren Vergnügungen die jüngeren Leute zu sehr anlockte, so verlegten
die Inspirierten ihre Niederlassungen nach dem fernen Iowa. Dort schufen sie
am Iowafluß den Ort Amana, dessen Namen sie dem im 4. Kapitel des Hohen-
liedes Salomonis enthaltenen Vers entlehnten: „Gehe herein, tritt von der Höhe
Amana."
Durch Zuzug neuer Mitglieder wuchs die Sekte allmähUch auf 1800 Seelen
an, die sich auf die sieben eng benachbarten Dörfer Amana, West-, Süd-,
Ost-, Mittel- und FI och- Amana und Heimstadt (Homestead)
verteilen. Ihr Besitz umfaßt 26 000 Acker guten Prärielandes, von dem 10 000
Acker bewaldet sind.
Die beiden Hauptleiter der Gemeinde waren während der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts Christian Metz und Barbara Heinemana
Landmann. Alle weltlichen Angelegenheiten werden von 13, jährlich neu
zu wählenden Vertrauensmännern geleitet, die wieder einen Präsidenten er-
küren. Jedes Dorf verwaltet sich selbst und legt der Gesamtgemeinde einmal
jährlich Rechnung ab.
Die Ehe halten sie nicht für verboten, betrachten sie aber als etwas Un-
heiliges, was vom wahren Lebenszweck ablenke. Deshalb werden Jungverhei-
ratete Eheleute in die unterste der drei Mitgliederklassen, in die der Kinder
und weltlich Gesinnten zurückversetzt. Es bedarf dann eines zweijährigen
reinen Lebenswandels, bis die Ehegatten sich wieder in eine der beiden höheren
— 294 —
Klassen, die geistlich Gesinnten und Ältesten emporarbeiten können. Da die
Sekte der Amaniten demnach durch Geburten vor dem Aussterben bewahrt ist,
so mag ihr vielleicht ein längeres Bestehen beschieden sein. Jede Familie be-
wohnt ihr eignes, von einem Garten umgebenes Wohnhaus. Die Mahlzeiten
werden aber gemeinschaftlich in besonderen Speisehäusern eingenommen, wo-
bei Männer und Frauen getrennt sitzen. Alle zum Leben erforderlichen Dinge
sucht man in der Gemeinde herzustellen. Außer landwirtschaftlichen Erzeug-
nissen bringen die Am.aniten viel Wolle auf den Markt. Ihre Tuche und ge-
druckten Kattune sind weithin berühmt. Durch Anlage großer Kattun- und
Tuchfabriken, Mehl- und Sägemühlen, Maschinen Werkstätten, Gerbereien, Sei-
fen- und Stärkefabriken erwiesen sich die Amaniten auch als Pioniere der In-
dustrie. Da sie in ihren Betrieben nur das beste Material verwenden und gründ-
liche technische Kenntnisse mit größter Sorgfalt verbinden, so erfreuen sich alle
in Amana hergestellten Erzeugnisse eines vorzüglichen Rufes. Das ganze Be-
sitztum ist nicht nur schuldenfrei, sondern man erzielte auch bedeutende Er-
sparnisse, die in verschiedener Weise nutzbringend angelegt sind.
Die Bauart und Einrichtung der Häuser sind echt deutsch. Desgleichen
die Umgangssprache, in welcher auch der Unterricht in den Schulen geführt
wird. Dabei wird die Pflege des Englischen keineswegs vernachlässigt. Be-
sonders Befähigte erhalten die Erlaubnis, anderswo höhere Schulen zu be-
suchen. Sie finden später als Lehrkräfte in den Schulen Verwendung, deren
Gesamtunterricht ganz dem Geist der Gemeinde und der Lehre der Inspirierten
angepaßt ist.
Indem man den Forderungen der Zeit in gewissem Sinne Rechnung trug,
die Verwaltung auch nicht ganz auf demokratischer Grundlage einrichtete,
sondern den Begabten größeren Spielraum zur Betätigung ihrer Individualität
ließ, befestigte man den Bestand der Gemeinden.
Erst seitdem in neuerer Zeit das Dorf Heimstadt Eisenbahnstation wurde,
zeigen sich beim jüngeren Element ähnliche Neigungen, wie sie zur Auflösung
der Separatistengemeinde Zoar führten.
B e t h e 1 und Aurora sind die Namen zweier kommunistischer Ge-
meinden, die von dem in Preußen geborenen Mystiker Keil gegründet wurden.
Bethel entstand im Jahre 1844 und liegt im Shelby County des Staates Missouri.
Einen Teil dieser Gemeinde führte Keil im Jahre 1855 nach dem fernen Oregon
und gründete in dem schönen Tal des Willamette, 29 Meilen südlich von Port-
land den Ort Aurora. Die Bevölkerung beider Gemeinden bestand aus ein-
gewanderten Deutschen und aus Deutsch-Pen nsylvaniern. Aber bald nach
Keils Tode löste sich die Kolonie Aurora auf, wobei die Mitglieder das er-
worbene Vermögen unter sich verteiUen.
— 295 —
Wie aus den obigen Darstellungen ersichtlich ist, bildete bei allen in
Amerika gegründeten deutschen Kommunistenkolonien die Gemeinsamkeit der
religiösen Anschauungen ein starkes Band, das die Mitglieder zusammenhielt.
Es scheint fast, als ob ohne dieses Bindemittel eine kommunistische Vereinigung
auf die Dauer kaum möglich wäre. Wenigstens gingen alle diejenigen Ver-
einigungen, auch die nichtdeutschen, denen dieses religiöse Band fehlte, bald
zugrunde. Daneben hängt, wie die Geschichte aller kommunistischen Nieder-
lassungen lehrt, ihre Existenz wesentlich von dem Vorhandensein einzelner
starker Leiter ab, deren Willen die Gesamtheit sich unterordnet. Solche führenden
Geister waren Beissel, Rapp, Bäumler, Metz und Keil. Ihr Wille konnte, wie
derjenige Brigham Youngs bei den Mormonen, um so bestimmter zur Geltung
kommen, als ihre Gefolgschaft aus Menschen von verhältnismäßig geringer
Bildung bestand, die fleißig und lenksam waren und in ihren Führern höher
begabte, prophetische Wesen erblickten. Fanden sich nach deren Tod keine ge-
eigneten Ersatzmänner, so trat, wie die Beispiele Ephrata, Zoar, Bethel und
Aurora zeigen, langsam aber unaufhaltsam die Auflösung ein.
Wie die von Anglo- Amerikanern gegründeten kommunistischen Gemein-
den, so blieben auch die von Deutschen in den Vereinigten Staaten gestifteten
nicht ohne Einfluß auf das amerikanische Kulturleben. Der unermüdliche Fleiß
der Mitglieder, ihre Genügsamkeit, ihr stetes Streben nach Verbesserungen
konnten jedermann zum Vorbild dienen. Die musterhaften landwirtschaftlichen
und industriellen Einrichtungen wirkten ungemein anregend auf die benach-
barte Bevölkerung. Nicht minder trug die in Harmonie, Ökonomie, Zoar,
Ebenezer und Amana geübte Fürsorge für Kranke, Arbeitsunfähige und Alters-
schwache viel dazu bei, auch im Amerikanertum jenes Gefühl der Barmherzig-
keit und Wohltätigkeit zu erwecken, das sich während des letzten halben Jahr-
hunderts in so vielen großartigen philantropischen Stiftungen betätigte.
Und so sind auch die deutschen Kommunistengemeinden, obwohl sie in
geistiger Hinsicht ein veraltetes Bauernleben mit religiös-kommunistischem
Untergrund repräsentierten, nicht ohne günstigen Einfluß auf die neuweltliche
Kultur geblieben.
Staatenpläne.
Die großen Erfolge, welche von ihren nach den Vereinigten Staaten
übersiedelten Landsleuten allerorten errungen wurden, veranlaßten manche
hochherzige Deutsche, sich kühnfliegenden Hoffnungen und Plänen betreffs der
zukünftigen Stellung des Deutschtums in Amerika hinzugeben. Es war ihnen
nicht entgangen, daß der größte Teil ihrer dorthin ausgewanderten Landsleute
mit der Zeit die Sitten und Sprache der Anglo-Amerikaner annahm. Dies war
besonders dort der Fall, wo die Deutschen beständig starken Berührungen mit
den Anglo-Amerikanern ausgesetzt waren, wie beispielsweise im Mohawktal,
dessen ursprünglich rein deutsche Niederlassungen im Laufe weniger Genera-
tionen ihr Gepräge verloren, als die Anglo-Amerikaner nach Beendigung des
Befreiungskrieges massenhaft in das Tal einströmten. Diese auch an anderen
Orten gemachten Wahrnehmungen regten bei vielen Deutschen und Deutsch-
Amerikanern die Frage an, ob es nicht möglich sei, den Fortbestand deutscher
Sprache und Siite in Amerika zu sichern, indem man den bisher ungeregelten,
über fast alle Staaten sich ergießenden Strom der deutschen Auswanderung
nach bestimmten Gegenden lenke, wo er dem Einfluß des Anglo-Amerikaners
weniger stark ausgesetzt sei.
In Deutschland waren es besonders der fortschrittliche Pfarrer Fried-
rich Münch und der Gießener Rechtsanwalt Paul Follenius, welche
den Plan, deutschem Volksleben auf dem Boden der Neuen Welt eine bleibende
Heimstätte zu schaffen, mit Wärme verfochten und zuerst auf seine Verwirk-
lichung ausgingen. Gleichfalls durch die von Gottfried Duden geschriebenen
Schilderungen mächtig beeinflußt, riefen sie im Jahre 1833 die „Gieß euer
Auswandrungsgesellschaft" ins Leben, der zahlreiche vermögende
und wissenschaftlich gebildete Leute beitraten. Viele derselben entschlossen
sich, das von Duden so verlockend geschilderte Missouri zum Schauplatz ihrer
Kolonisationspläne zu machen. An der Spitze von mehreren hundert deut-
schen Familien segelte Friedrich Münch im Frühling 1834 mit zwei Schiffen
von Bremen ab, um in Missouri einen deutschen Staat aufzurichten. Derselbe
sollte zwar ein Glied der Union bilden, jedoch eine Staatsform besitzen, welche
den Fortbestand deutscher Spraclie und Sitten verbürge und echtes, freies, volks-
tümliches Leben schaffe. Man nahm eine Glocke für die erste zu bauende Stadt
— 297 —
mit, desgleichen ein kostbares Fernrohr für die erste zu gründende Hochschule.
Die rauhe Wirklichkeit machte aber diese romantischen Träume von einem Jung-
deutschland zunichte. Sie scheiterten an dem unpraktischen Sinn der Führer
des Zuges, sowie an der Unfähigkeit der einzelnen Teilnehmer, die ungewohnten,
mit dem Urbarmachen des wilden Bodens verbundenen Beschwerden und Ent-
behrungen zu ertragen. Auch verloren die Teilnehmer bald ihren Zusammen-
halt. Es schien in der amerikanischen Luft etwas zu liegen, was jeden, der sie
einatmete, sofort selbständig und unabhängig machte.
Münch und Follenius, beide mit eisernem Willen begabt, ruhten nicht,
bis sie in Missouri angekommen waren. Dort ließen sie sich nieder und
zwangen der Wildnis durch rastlose Tätigkeit ertragreiche Felder, blühende
Obsthaine und Weinberge ab. Münch benutzte seine Mußestunden zum Ab-
fassen zahlreicher Schriften über Religion, Sittenlehre, Land- und Weinbau, von
denen manche große Verbreitung fanden. Später beschritt er auch das poli-
tische Gebiet und beteiligte sich als Redner wie Verfasser mehrerer Flugschriften
an der Bildung der republikanischen Partei, mit der er beim Ausbruch des
Sezessionskriegs den Staat Missouri für die Union erhalten half.
Was der Gießener Auswandrungsgesellschaft nicht gelang, vermochten
auch mehrere deutschamerikanische Gesellschaften nicht durchzuführen. In
Philadelphia bildete sich im Sommer 1836 eine auf Anteilscheinen begründete
deutsche Ansiedlungsgesellschaft, die im Gasconade-Bezirk des
Staates Missouri 12 000 Acker Land kaufte und im Jahre 1838 den Grund zu
der noch jetzt vorwiegend von Deutschen bewohnten und wegen ihres Wein-
baus bekannt gewordenen Stadt Hermann legte.
Eine größere Ausdehnung vermochte die Gesellschaft ihren deutschen
Kolonisationsplänen aber ebensowenig zu geben, wie die New Yorker Gesell-
schaft „Germania", die im Jahre 1839 ins Leben trat. Den Gründern
schwebte gleichfalls der Plan eines völlig deutschen Staates in Nordamerika
vor, doch waren die Meinungen darüber, wie und wo er verwirklicht werden
könne, sehr geteilt. Die einen schlugen vor, der Staat müsse zwischen dem
oberen Mississippi und den großen Seen, also im heutigen Wisconsin, gelegen
sein. Andere bevorzugten Texas oder das fern am Stillen Ozean gelegene
Oregon. Einige meinten, der deutsche Staat müsse zur Union gehören, die
andern wollten seine völlige Unabhängigkeit gewahrt wissen. Da die größere
Zahl der Mitglieder w^ohl fühlen mochte, daß der Plan, inmitten des anglo-
amerikanischen Staatenbundes einen rein deutschen Staat aufzurichten, den
Widerstand der Amerikaner wachrufen müsse, so einigte man sich endlich da-
hin, Texas zum Versuchsfelde zu machen.
Texas, ursprünglich zu Mexiko gehörend, war im Jahre 1837 aus dem
mexikanischen Staatenverband ausgeschieden und bildete eine völlig unabhängige
Republik. Unter ihren Bewohnern befanden sich bereits mehrere tausend
Deutsche. Sie hatten an den texanischen Unabhängigkeitskämpfen so lebhaften
Anteil genommen, daß der Kongreß der jungen Republik ihnen zum Dank einen
— 298 —
Freibrief für die Gründung einer deutschen Universität — die Hermanns-
Universität— gewährte und dieselbe mit einer Schenlcung von 4428 Acker
Staatsländereien dotierte. In der Grafschaft Austin hatten die Deutschen im
Jahre 1840 das erste deutsche Städtchen gegründet und demselben den bezeich-
nenden Namen Industrie veriiehen.
Nach diesem vielversprechenden Lande segelte am 2. November 1839 die
erste, von der New Yorker Gesellschaft „Germania" zusammengebrachte Ab-
teilung von 130 Ansiedlern auf der von der Gesellschaft erworbenen Brigg
„North". Sie landete wohlbehalten in Galveston, löste sich aber bereits in
Houston auf, worauf der Führer und diejenigen Mitglieder der Expedition, die
noch Geld besaßen, mißvergnügt nach New York zurückkehrten.
Der an und für sich nicht üble Plan, Texas in einen unabhängigen deut-
schen Staat umzuwandeln, wurde bald darauf von mehreren deutschen Fürsten
aufgegriffen, die gleichfalls von dem Wunsche beseelt waren, die deutsche Aus-
wandrung auf einen Punkt zu lenken, wo ihre Nutzbarkeit für das Mutterland
auf längere Zeit gesichert bleibe. Es bildete sich unter dem Vorsitz des Flerzogs
von Nassau der „M ainzer Adelsverei n", dem die Herzöge von Mei-
ningen und Koburg-Gotha, der Prinz Friedrich von Preußen, der Landgraf von
Hessen-Homburg, die Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt, Solms-Braunfels,
Neuwied, Coloredo-Mansfeld sowie verschiedene andere Grafen und Prinzen
angehörten. Sie planten, so viele deutsche Auswandrer nach Texas zu werfen, daß
die Deutschen im Laufe der Zeit das Übergewicht erlangen und die Geschicke des
Freistaats bestimmen könnten. Im Mai 1842 gingen die Grafen Joseph
von Boos-Waldeck und Viktor von Leiningen nach Texas ab,
um Ländereien für die zu gründenden Niederlassungen auszusuchen. Sie
fielen aber Schwindlern in die Hände, die ihnen neben gutem Land auch viel
schlechtes aufhingen. Im Mai 1844 reiste Prinz Karlvon Solms-Braun-
fels als Generalbevollmächtigter des Adelsvereins nach Texas ab ; ihm folgten
bald 150 deutsche Familien, die im Dezember in Lavacca, dem heutigen In-
dianola, landeten und nordöstlich von der Stadt San Antonio die Niederlassung
Neu-Braunfels gründeten. Anfangs ging hier alles gut; nach und nach
stellten sich aber Schwierigkeiten ein, besonders als die Geldmittel des Adels-
vereins sparsamer zu fließen begannen. Die Übelstände wuchsen, als der Prinz
abdankte und nach Europa zurückkehrte. Der an seine Stelle tretende Regierungs-
assessor Freiherr von Meusebach, der nördlich von Neu-Braunfels
die Niederlassung Friedrichsburg gründete, vermochte trotz größter
Sparsamkeit die finanziellen Schwierigkeiten nicht zu heben. Sie steigerten sich
ins Ungeheuerliche, als der Adelsverein im Jahre 1846 die Unklugheit beging,
den beiden Niederlassungen 2500 neue Auswandrer, aber kein Geld zuzusenden.
Als die Auswandrer in Lavacca ankamen, fanden sie an dem öden Strande
weder Unterkommen noch Nahrung. Ebensowenig Beförderungsmittel, um
die über 200 Meilen weite Reise nach Neu-Braunfels ausführen zu können. Es
brach eine so furchtbare Not unter den Unglücklichen aus, daß Hunderte an
— 299 —
Entbehrungen, Fiebern und Seuchen zugrunde gingen. Die meisten machten
sich endhch zu Fuß zur Wandrung nach Neu-Braunfels auf. Der lange Marsch
durch wüste Gegenden unter halbtropischer Sonnenglut war für viele ein Todes-
marsch. Kaum 1200 Personen erreichten den Bestimmungsort. Dort wuchsen
die Verlegenheiten von Tag zu Tag, denn bald sahen sich die deutschen Kolo-
nisten völlig auf sich selbst angewiesen, als der Adelsverein teils aus Mangel
an Geldmitteln, teils infolge der in Deutschland immer stärker hervortretenden
Revolutionsbewegungen sich auflöste. Überdies war der Freistaat Texas am
29. Dezember 1845 dem Nordamerikanischen Staatenbund beigetreten, womit
die Möglichkeit, Texas in einen unabhängigen Staat unter deutscher Schutz-
Deutsche Einwandrer auf dem Zuge nach Neu Braunfels.
Nach einem gleichzeitigen Holzschnitt.
herrschaft umzuwandeln, als gescheitert betrachtet werden mußte. Die beiden
Niederlassungen Neu-Braunfels und Friedrichsburg entwickelten sich langsam;
durch Fleiß und Ausdauer gelang es den dort wohnenden Deutschen, ihre Lage
allmählich zu verbessern. Als man im Mai 1895 das 50jährige Bestehen von
Neu-Braunfels feierte, konnten die 1800 deutschen Bewohner des Orts diese
Feier unter den befriedigendsten Verhältnissen begehen, ein Beweis dafür, daß
sie durch Ausdauer und Fleiß die zahllosen Schwierigkeiten, die ihnen entgegen-
standen, glücklich überwunden hatten.
Heute bildet das deutsche Gebiet die Perle von Texas. Seine lachenden
Auen, wohlgepflegten Farmen, freundlichen Häuser, guten Straßen und froh-
sinnige Bevölkerung sind ehrende Denkmäler für die Bestrebungen des Mainzer
Adelsvereins.
— 300 —
Der Plan, innerhalb der amerikanischen Union einen deutschen Staat zu
gründen, wurde auch später noch von den sogenannten „Achtund-
vierzigern'' besprochen, wobei man nacheinander auch Arkansas, Florida,
Michigan, Wisconsin, Minnesota und Oregon als geeignete Staaten in Vorschlag
brachte. Aber je öfter und eingehender man sich mit solchen Plänen be-
schäftigte, desto mehr gelangte man zu der Erkenntnis, daß dieselben Utopien
seien, deren Verwirklichung weder im Interesse der Deutschen selbst noch im
Interesse der Vereinigten Staaten liege.
Die politischen Flüchtlinge der deutschen
Revolutionszeit.
Verlockte das die ganze Welt ergreifende Goldfieber viele Deutsche zur
Auswandrung nach Amerika, so wurden noch weit mehr durch die geradezu
unerträglichen politischen Zustände Deutschlands über das Weltmeer getrieben.
Die von den deutschen Herrschern in den Stunden schwerster Gefahr ab-
gelegten Gelübde, dem Volk eine dem modernen Zeitgeist entsprechende Ver-
fassung und Teilnahme an der Regierung zu gewähren, waren entweder gar
nicht oder nur in dürftigster Weise gehalten worden. Nach wie vor huldigten
die Fürsten dem Grundsatz, daß nicht die Herrscher der Völker wegen, son-
dern die Völker der Herrscher wegen da seien. „Wir sind der Staat!" so
donnerten sie ihren Untertanen zu. Wer es wagte, die Gültigkeit dieses Satzes
anzuzweifeln oder gewaltsam an ihm zu rütteln, wurde als Hochverräter in
den Kerker geworfen. Erinnerten die Untertanen ihre Fürsten an die gemachten
Zusagen, so empfingen sie die schnöde Antwort, es zieme ihnen nicht, die
Herrscher an die Erfüllung ihrer Versprechungen zu mahnen; Pflicht der Unter-
tanen sei es, ruhig abzuwarten.
Aber mit leeren Vertröstungen ließen die immer stärker werdenden frei-
heitlichen Bestrebungen sich auf die Dauer nicht eindämmen, und je rücksichts-
loser die Fürsten in ihren Anstrengungen verfuhren, dieselben zu unterdrücken,
um so mehr vertieften sich im Volk der Haß und Abscheu gegen die Gewalt-
herrscher, von denen manche in das widerwärtige, dem Geist des 19. Jahr-
hunderts hohnsprechende Treiben ihrer Väter zurückgefallen waren. In Kur-
hessen führte Wilhelm II. im Verein mit seiner zur Gräfin erhobenen Maitresse
eine wahre Lotterwirtschaft; in Braunschweig verpraßte der sogenannte
Diamantenherzog mit einer Rotte sittenloser Abenteurer die Einkünfte des
Landes in schamlosester Weise. In Bayern beschwor König Ludwig I. durch
sein Verhältnis mit der berüchtigten Tänzerin Lola Montez sowie durch sein
völlig reaktionäres Regiment den Unmut des Volkes herauf. In Sachsen,
Hannover und anderen Staaten hatte man ähnliche Gründe zur Mißstimmung.
Um diesen Zündstoff zu entflammen, bedurfte es nur eines Funkens. Da kam
im Jahre 1830 die Pariser Julirevolution. Die Kunde ihres Ausbruchs durch-
zuckte die freiheitsdurstige deutsche Männerwelt gleich einem elektrischen
Schlag. In Kassel nahm das Volk eine so drohende Haltung an, daß der Kur-
fürst mit seiner Maitresse flüchtete. In Braunschweig setzte die Menge das
— 302 —
Schloß in Brand. Auch in Sachsen und Hannover kam es zu Unruhen, die den
deutschen Machthabern gleich dem Flammenzucken eines heraufziehenden Ge-
witters erscheinen mußten.
Auf dem berühmten „Hambacher Fest", das am 27. Mai 1832 auf der bei
Neustadt an der Hardt gelegenen Burgruine Hambach abgehalten wurde, er-
klangen sogar Hochrufe auf „die vereinigten Freistaaten Deutschlands und das
konföderierte republikanische Europa". Man kam sogar einer unter den
Burschenschaftlern von Heidelberg, Würzburg, Erlangen und Gießen bestehen-
den geheimen Verschwörung auf die Spur, die den tollkühnen Plan gefaßt hatte,
den in Frankfurt a. M. tagenden Bundesrat aufzuheben, und eine Revolution
sowie den Übergang Deutschlands zur republikanischen Regierungsform her-
beizuführen.
Alle diese Kundgebungen bewogen die Herrscher zu ungeheuren An-
strengungen, um den drohenden Sturm abzuwehren. Die Reaktion begann mit
Hochdruck zu arbeiten. Zahlreiche Burschenschaftler und Teilnehmer am Ham-
bacher Fest wurden zum Tode oder zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilt.
Alle Beamte und Professoren, die für Herbeiführung gerechter Zustände, für
Erlösung von Ausbeutung, Privilegienwirtschaft und Bevormundung, für die
politische Einheit und geistige Freiheit des deutschen Volkes eingetreten waren,
wurden ihrer Ämter enthoben, manche sogar des Landes verwiesen. Das
deutsche Volk erlebte eine wahrhaft jammervolle Zeit. Über allen Gauen lagerte
die Stille des Friedhofs. Kein fröhlicher Gesang, kein glückliches Lachen er-
tönte mehr in den Städten und Dörfern. In den finsteren Mienen der nieder-
gedrückten Untertanen malten sich Haß und Erbittrung gegen die Oberhäupter,
die mit harter Faust das Lebensglück tausender nach Freiheit dürstender
Menschen vernichteten.
Dem Fluch des Volks Hohn bietend, ergingen sich manche Gewalthaber
in groben Rechtsverletzungen. In Hannover wurde der Absolutismus Staats-
gesetz; in Nassau nahm Herzog Adolf alles Staatseigentum für sich in An-
spruch; in Hessen erwarb der Minister Hassenpflug, das willfährige Werkzeug
des Kurfürsten, sich den Beinamen eines „Hessenfluch".
Die Folgen dieser Vergewaltigung blieben nicht aus. Die Konservativen
verwandelten sich in Liberale, die Liberalen in Revolutionäre. Die Luft wurde
erstickend schwül. Wer konnte, suchte sich den unerträglichen Verhältnissen
durch Auswandrung zu entziehen, die in immer größerem Maßstab vor sich
ging. Während des Zeitraums von 1830 bis 1845 verließen alljährlich gegen
40 000 Deutsche ihr Vaterland, um in Amerika oder anderen Ländern ein
menschenwürdiges Dasein zu suchen. Die Zahl solcher Auswandrer schwoll
in die Hunderttausende, als es den Regierungen gelang, die während der Jahre
1848 und 1849 an vielen Orten ausgebrochenen Volksaustände niederzuschlagen,
worauf die Urheber und Teilnehmer an diesen Erhebungen aufs bitterste ver-
folgt wurden.
Aus der Tatsache, daß viele hervorragende Gelehrte sich direkt oder in-
UNIVERSITY
OK
C^UFORN^^ — 303 —
direkt an der Revolution beteiligt hatten, zog man den Schluß, daß die Wissen-
schaft an der Revolution y\nteil habe, was gev^iß nicht bestritten werden kann,
wenn man unter Wissenschaft Aufklärung versteht. Da die Machthaber durch-
weg der irrigen Ansicht huldigten, daß ein Volk mit beschränktem Untertanen-
verstand leichter zu regieren sei als ein gebildetes, so forderten sie die „Umkehr
der Wissenschaft". Dieses Schlagwort ward von den kirchlichen Dunkelmännern
aller Bekenntnisse aufgegriffen und eifrig unterstützt. Sich selbst den Regie-
rungen als die allein zuverlässigen Säulen anpreisend, auf welche die Herrscher
bauen könnten, halfen sie bei dem traurigen Werk, dem hohen Geistesflug des
deutschen Volkes neue Fesseln anzulegen.
Die nun anhebende „Reaktionszeit", die sich bis in die sechziger Jahre
erstreckte, beraubte Deutschland um 1 V^ Millionen seiner tüchtigsten Bewohner,
von denen die meisten sich den Vereinigten Staaten zuwendeten. Unter ihnen
befanden sich Männer wie KarlSchurz, Friedrich Hecker, Franz
Sigel, Gustav von Struve, Gottfried Th. Kellner, Konrad
Krez, Georg F. Seidensticker, Karl Heinzen, Gustav
Körner, Hans Kudlich, Ludwig Blenker, August Willich,
Karl Eberhard Salomo, Max Weber, Julius Stahel, Her-
mann Raster und unzählige andere, die bereits in Deutschland Führer des
Volks gewesen, oder denen später in der Neuen Welt angesehene Rollen vor-
behalten waren.
Für die Vereinigten Staaten wurde der ungeheure Verlust, der dem deut-
schen Volk aus dieser Massenauswandrung erwuchs, ein außerordentlicher Ge-
winn. Bisher hatte die deutsche Einwandrung aus Ackerbauern, Handwerkern
und Gewerbtreibenden bestanden. Jetzt aber strömte eine mächtige Flutwelle
deutscher Geistesarbeit ins Land. Unter ihnen befanden sich Politiker und
Staatsbeamte, Professoren, Doktoren und Studenten jeder Wissenschaft, Künst-
ler, Schriftsteller und Journalisten, Prediger und Lehrer, Landwirte und Forst-
leute, die als politische Flüchtlinge in den Vereinigten Staaten ein Asyl suchten
und mit warmer Teilnahme willkommen geheißen wurden.
Es konnte nicht ausbleiben, daß die ungeheure Summe von Wissen, Be-
geisterung und Idealismus, von politischer und geistiger Emanzipation, die in
diesen Männern, den sogenannten „ Achtundvierzigern' V) aufgespeichert lag,
einen gewaltigen Einfluß, insbesondere auf das Deutsch-Amerikanertum aus-
üben mußte. Bevor derselbe in wohltätiger Weise sich bemerkbar machte, ver-
^) Die Bezeichnung „Achtundvierziger" bedarf einer Erklärung. Man begreift unter
dieser Benennung alle Deutsche, die an den freiheitlichen und revolutionären Bewegungen
während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts teilnahmen. Da jene Bewegungen im
Jahre 1848 ihren Höhepunkt erreichten, so wurde diese Jahreszahl gewählt, um mit ihr
alle Träger des revolutionären Gedankens zu bezeichnen. Die Zeit der Einwandrung
solcher politischer Flüchtlinge in Amerika hat mit jener Jahreszahl nichts zu tun. Viele
der sogenannten „Achtundvierziger'' kamen bereits in den dreissiger und zu Anfang der
vierziger Jahre, die meisten erschienen erst in den Jahren 1849 bis 1851.
— 304 —
ging allerdings eine gewisse Zeit, denn den Ankömmlingen fiel es keineswegs
leicht, sich in die ihnen völlig fremden Verhältnisse, in die sie so urplötzlich
vom Schicksal hereingeschleudert wurden, einzuleben. Wohl waren die deut-
schen Flüchtlinge und die Amerikaner Träger eines imd desselben Freiheits-
gedankens. Aber es bestanden in anderen Beziehungen zwischen ihnen doch
gewaltige Unterschiede, die, bevor sie sich ausglichen, manche Reibungen her-
beiführten. Unter den deutschen Achtundvierzigern befanden sich viele radikale
Denker, die für gänzliche Umgestaltung aller sozialen Verhältnisse schwärmten,
mit allen Behörden, Kirchen und Predigern am liebsten reine Bahn gemacht
hätten und sich niemals scheuten, diesen Wünschen durch Wort oder Schrift
Ausdruck zu verleihen. Das Amerikanertum hingegen sowie auch diejenigen
Deutschamerikaner, die den zahlreichen Sektenniederlassungen entstammten,
waren von religiösem Leben tief durchdrungen. Sie hatten sich im Lauf der
Jahrhunderte daran gewöhnt, die Kirche als den Mittelpunkt des geselligen
und geistigen Lebens zu betrachten, wobei sie selbst in Sitten und Anschauungen
viel Förmliches und Puritanisches annahmen. Auch die Freierdenkenden unter
ihnen suchten, teils aus gesellschaftlichen, teils aus geschäftlichen oder politi-
schen Rücksichten, den äußern Schein möglichst zu wahren. Das Förmliche
und Zeremoniöse prägte sich natürlich auch in der Tracht und im Benehmen
dieser Amerikaner aus. Sie werden uns von einem der Achtundvierziger fol-
gendermaßen beschrieben: „Hohe Zylinderhüte, etwas nach hinten gerückt,
bedeckten den Kopf, während unbändig steife Vatermörder das glattrasierte,
völlig bartlose Gesicht umrahmten und Hals und Kopf wie in einer Zange
hielten. Ein Frack oder Schwalbenschwanz machte das Bild verkörperter Steif-
heit fertig. Frack und Zylinder legten viele selbst beim Melken, Füttern,
Pflanzen und Säen nicht ab."
Diesen steifleinenen Persönlichkeiten erschienen, wie Andrew D. White
köstlich schildert, die in Joppen, Garibaldihemden und Schlapphüten einher-
marschierenden Deutschen als rätselhafte, absonderliche Wesen. „Sie trugen
Barte, während andere Leute glattrasiert waren; sie tranken Bier, während
andere Leute Whisky genossen; sie rauchten aus bemalten Porzellanpfeifen-
köpfen, während andere Leute Tonpfeifen qualmten; sie sprachen aus freier
Kehle, während andere Leute durch die Nase sprachen. Den neuen Ankömm-
lingen war außerdem das Drama, mit oder ohne Musik, ein Bedürfnis; der da-
malige Amerikaner und Christenmensch bückte hingegen mit einem gewissen
Mißtrauen und Schrecken auf alles, was Theater hieß. Ferner fanden die Neu-
linge am Tanz Gefallen, während in den Puritanerkreisen das Tanzen als ,Unter-
grabung aller Gottgefälligkeit' verpönt war. Die Achtundvierziger brachten
auch beharrlich Bacchus und Gambrinus milde Opfer, mit dem Rebenblut vom
Rhein und von der Mosel und mit dem Gerstensaft von München, Pilsen oder
Würzburg, wobei sie unerschütterlich nüchternen Sinnes blieben, während bei
ihren auf der Scholle geborenen Mitbürgern selbst nach der Abstinenzperiode
der vierziger Jahre, als die ganze Menschheit angeblich nur Wasser trank,
— 305 —
Völlerei sehr häufig war. An Sonntagen, nachmittags nach der Kirche, er-
gingen sich wieder dieselben Deutschen mit Weib und Kind unter Gottes freiem
Himmel, und störten sich nicht im mindesten daran, daß ihre amerikanischen
Mitbürger es für eine heilige Pflicht erachteten, sich innerhalb ihrer vier Wände
zu langweilen und nach dem Montag zu sehnen."
Da viele dieser „Achtundvierziger" Freidenker waren, so bildete sich bei
den Amerikanern die Überzeugung, daß durch den Fortzug dieser an gar nichts
glaubenden „infidels" oder „Meiden" das alte Vaterland nur gewonnen habe.
Auch in den politischen Ansichten traten schroffe Gegensätze zutage.
Unter den Achtundvierzigern gab es manche Feuerköpfe, die sich in einem Zu-
stand hochgradiger revolutionärer Erregtheit befanden und mit gänzlich un-
klaren sozialistischen und kommunistischen Ideen trugen. Widerspruch er-
trugen sie nicht, nur ihre Ansichten sollten allein maßgebend sein. Nicht ge-
ring war die Zahl derer, die eines Sinnes mit dem Dr. Sorge aus Hoboken
waren, der in einer öffentlichen Versammlung feierlich erklärte : „Meine Herren,
mein Standpunkt ist einfach der: Ich bin gegen alles Bestehende!" Manche
dieser Radikalen, deren fähigster Vertreter Karl Heinzen war, gingen so
weit, die Umänderung der Bundesverfassung und die Abschaffung des Präsi-
dentenamts zu verlangen, ohne sich recht darüber klar zu sein, was an deren
Stelle treten solle. Auch eine „Republik der Arbeiter", eine Vereinigung aller
arbeitenden Klassen zum Zweck ihrer Freimachung vom Kapital, sowie manche
andere Luftgebüde wurden eifrig befürwortet. Mit der geschichtlichen und
kulturellen Entwicklung der Vereinigten Staaten, mit der Gesinnung ihrer Be-
wohner wenig oder gar nicht bekannt, trotzdem sich zu unbarmherzigen Kri-
tikern der Verhältnisse des Landes aufwerfend, waren sie auch mit der politischen
Stellung des Deutschtums in Amerika durchaus nicht zufrieden. Demselben,
so meinten sie, käme die Führung zu. Es schwebte dem Geist vieler dieser Acht-
undvierziger noch zu mächtig das Traumbild vor, das sie in Deutschland nicht
hatten verwirklichen können: das Bild eines deutschen Freistaates auf dem
Boden jener Grundsätze, die zwar noch nicht erprobt waren, für die sie aber
gekämpft und gelitten, um derentwillen sie die Heimat aufgegeben hatten. Diese
Träume sollten nun hier verwirklicht werden. Zu diesem Zweck wurde die
Vereinigung aller in Nordamerika lebenden Deutschen, die sich bisher ihrer
Überzeugung nach dieser oder jener politischen Partei angeschlossen hatten,
zu einer rein deutschen Partei angestrebt, die den Namen „Union der freien
Deutschen" tragen und natürlich unter der Führung der radikalen Achtund-
vierziger stehen sollte. Die im Jahre 1854 in Louisville, Kentucky, veröffent-
lichte Platform dieser Feuerköpfe erregte nicht bloß ungeheures Aufsehen, son-
dern durch ihre radikalen, über das Verständnis jener Zeit weit hinausgehenden
Forderungen auch große Erbittrung. Manche Achtundvierziger befürworteten
auch die Gründung rein deutscher Staaten, wobei sie nicht bedachten, daß sie
damit den Widerspruch aller derjenigen hervorrufen mußten, die in solchen
Sonderbestrebungen eine schwere Gefahr für den noch im Aufbau begriffenen
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 20
— 306 —
Staatenbund erblickten. Wollte man, so betonten die Träger des amerikanischen
Einheitsgedankens mit Recht, den Angehörigen eines bestimmten Volkes die
Gründung besonderer Staaten innerhalb der Union zugestehen, so würden über
kurz oder lang auch die Abkömmlinge anderer Völkerschaften m.it ähnlichen
Sonderbestrebungen hervortreten. Neben dem von den Deutschen geplanten
„Neu-Deutschland" würden bald ein „Neu-Irland", ein „Neu-Skandinavien",
ein „Neu-Polen", ein „Neu-Slawonien'-, ein „Neu-Italien", ein „Neu-Jrdäa*',
ja wohl gar ein „Neu-Nigritien" oder „Neu-Afrika" entstehen, was unfehlbar
den Zusammenstoß der so verschiedenen Interessen all dieser Völkereiemente
und schließlich den Zusammenbruch des ganzen Staatenbundes herbeiführen
müsse.
Aus diesen gewichtigen Gründen stemmten sich nicht nur die Ameri-
kaner, sondern auch die alteingesessenen Deutschamerikaner den radikalen
Achtundvierzigern entgegen. Solange diese sich damit begnügten, ihre mo-
dernen Weltverbesserungsideen in den von ihnen gegründeten Zeitungen zum
Ausdruck zu bringen, ließ man sie ruhig gewähren. Als sie aber begannen,
„Revolutionsvereine" zu gründen und Geld und Waffen zu sammeln, um mit
dem allgemeinen Umkrempeln des politischen und sozialen Lebens zu beginnen,
da spitzten die Dinge sicti zu dem sogenannten „Krieg der Grauen und Grünen"
zu, indem die vor 1848 emgew änderten, mit den Landesverhältnissen vertrauten
Deutschen, die „Grauen", es mit den Amerikanern hielten, um gemeinschaftlich
den „Grünen", d. h. den radikalen Achtundvierzigern, entgegenzutreten. Un-
vorsichtige Handlungen der „Grünen", wie z. B. der Erlaß des berühmten
„Louisviller Programms", steigerten die Erregung der „Grauen" und Ameri-
kaner zur Erbitterung. Blinder Nativismus flackerte überall empor, schließlich
kam es an mehreren Orten, besonders in Cincinnati und Louisville, zu blutigen
Zusammenstößen, in denen zahlreiche Menschen ihr Leben verloren.
Erst allmählich legten sich die hochgehenden Wogen wieder. Unter den
Radikalen trat Ernüchterung ein, die um so heilsamer wirkte, als sie erkannten,
daß sie über die Art und den Umfang ihrer Pläne sich selbst im größten Zwie-
spalt befanden. Mit der Zeit, mit dem Einleben in die neuen Verhältnisse sahen
auch viele ein, daß die von den „Grauen" gewandelten Wege doch die rechten
seien. Sie bemerkten ferner, daß manche Einrichtungen, die ihnen anfänglich
widerstrebten, berechtigt waren und ihrer natürlichen Entwicklung gemäß nicht
anders sein konnten. Sie lernten auch die guten Seiten des amerikanischen
Lebens würdigen imd schätzen und reihten sich damit mehr und mehr als
nutzbringende Glieder der Allgemeinheit ein, um von nun ab zur Hebung des
Deutschamerikanertums und damit auch zur Hebung der gesamten Bevölke-
rung der Vereinigten Staaten in großartiger Weise beizutragen. Sie gründeten
zahlreiche Zeitungen aller Art, riefen gemeinnützige Vereine ins Leben, beklei-
deten Lehrstellen an Schulen und Universitäten, wurden öffentliche Beamte,
trieben Literatur, Künste und Wissenschaften und wirkten durch diese Betäti-
gung ihres reichen Wissens so befruchtend auf das einseitig gebliebene Volks-
— 307 —
leben, daß dieses ein ganz anderes, freieres und fortsclirittlicheres Gepräge
erliielt.
Auch in den politischen Ansichten der meisten Achtundvierziger vollzog
sich wohltuender Wandel. Mit der Klärung und dem Reiferwerden ihres Ur-
teils wandten sie sich mehr und mehr von den fanatischen Verfechtern der
Arbeiter-Republiken, kommunistischen Niederlassungen, sozialistischen Ideal-
staaten und ähnlichen Phantasiebildern ab. Sie, die auch in Deutschland die
Einigung des Vaterlandes angestrebt hatten, lernten erkennen, daß die Wonl-
fahrt und Zukunft des ihnen zur neuen Heimat gewordenen Landes nicht etwa
durch Sonderbestrebungen, sondern nur durch vollste Beherzigung des ameri-
kanischen Wahlspruchs: *'E pluribus unum" („Aus Vielem Eins") gefördert
und gesichert werden könne. Wie tief diese Überzeugung in den Herzen der
Achtundvierziger allmählich Wurzeln schlug, zeigte sich bereits in den Jahren
1860 und 1861, als die südlichen Staaten sich vom Staatenbund trennen wollten.
In diesem kritischen Augenblick sowie in dem die Feuerprobe des Staaten-
bundes bildenden Bürgerkrieg befanden die Achtundvierziger sich mit wenigen
Ausnahmen in den Reihen jener, die mit Schwert und Feder am begeistertsten
für die Aufrechterhaltung der Union stritten.
Daß so die Achtundvierziger ein hochbedeutsamer Faktor im amerika-
nischen Volksleben wurden, ist von vielen mit der Geschichte ihres Landes ver-
trauten Amerikanern bereitwillig anerkannt worden. „Was dieses Land den
Achtundvierzigern verdankt", so schrieb Herbert N. Casson im Januarheft 1906
von Munsey's Magazine, „kann niemals in einem Aufsatz oder Buch erzählt
werden. Als sie in dieses Land flohen, hatten sie kaum die Absicht, für immer
zu bleiben. Es war ihr Vorsatz, eines Tages mit einer Armee von 100 000
gutgeschulter Soldaten nach Deutschland zurückzukehren und alle Könige,
Priester und Geldsäcke zu verjagen. Zum Glück für dieses Land kehrten jene
Washmgtons und Franklins einer gescheiterten Revolution nicht zurück. Nach
einem Dutzend von Jahren jugendlichen Überschäumens ließen sie sich ruhig
nieder und wurden die besten amerikanischen Bürger."
20*
Der Anteil der Deutschamerikaner an den Kriegen
der Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert.
Hatten die in Amerika ansässig gewordenen Deutschen im Unabiiängig-
keitskriege ihre Hingabe für die Sache der Freiheit in glänzender Weise be-
kundet, so ließen sie es auch in den Kriegen, welche die Vereinigten Staaten
während des 19. Jahrhunderts zu führen genötigt waren, an Beweisen ihrer
tiefen Ergebenheit für das Land ihrer Wahl nicht fehlen.
Als im Jahre 1S12 der zweite Krieg mJt England entbrannte und nach
der Einnahme und teilweisen Zerstörung der Bundeshauptstadt Washington
die Feinde sich anschickten, auch Baltimore zu überfallen, da spielten beim Ver-
teidigen dieser Stadt die Deutschen eine hervorragende Rolle.
Durch die Vorgänge in Washington gewarnt, hatten die Bewohner der
Stadt sich für das Erscheinen des Feindes wohl vorbereitet. Nicht nur war
das den Hafeneingang deckende Fort McHenry mit Munition reichlich versorgt,
sondern auch sämtliche Bürgerwehren standen unter den Waffen. Als die Kunde
eintraf, daß die 70 Schiffe zählende feindliche Flotte mehrere Meilen von dem
Fort entfernt, ein 7000 Mann starkes Heer Fußsoldaten und Kanoniere ans Land
gesetzt habe und deren Angriff auf die Stadt durch ein gleichzeitiges Bombar-
Kopfleiste: Auszug eines New Yorker Regiments während des Bürgerkriegs.
Nach einem Gemälde von Thomas Nast.
— 309 —
dement des Forts McHenry unterstützen wolle, rückten sofort 3000 Milizen
unter dem Befehl des im Jahre 1759 zu Frederick, Maryland, geborenen deutsch-
amerikanischen Generals Johann Stricker den Feinden entgegen. Sie
mußten zwar vor der beträchtlichen Übermacht langsam zurückweichen, ver-
hinderten die Rotröcke
aber doch, einen An-
griff auf die Stadt aus-
zuführen. Derselbe
schlug völlig fehl, als
der Befehlshaber des
englischen Heeres, Ge-
neral Roß, durch die
Kugel eines Scharf-
schützen tödlich ver-
wundet wurde und auf
dem Rücktransport zu
den Schiffen seinen
Geist aufgab.
Während diese er-
bitterten, für die Briten
sehr verlustreichen
Kämpfe vor sich gin-
gen, hatte das eng-
lische Geschwader an-
gesichts des Forts An-
ker geworfen und am
Morgen des 12. Sep-
tember eine wütende
Kanonade gegen das-
selbe begonnen. Sie
währte 36 Stunden
lang. Aber der das
Fort befehligende Ar-
tilleriemajor Georg
A r m s t a d t , ein am
10. April 1780 zu New
Market geborener Sohn des Hessen-Darmstädters Johann Armstadt, er-
widerte das entsetzliche Feuer nicht nur kräftig, sondern sandte auch die Be-
lagerer, als sie in der Nacht vom 13. auf den 14. September einen Sturm gegen
das Fort wagten, mit blutigen Köpfen zurück.
Die Verteidigung von Stadt und Fort war so standhaft, daß das feind-
liche Geschwader, nachdem es die gelandeten Truppen aufgenommen, am
16. September wieder in See ging, ohne irgendwelche Erfolge errungen zu haben.
'Johann Anton Quitmann.
— 310 —
Es war an jenen Tagen, wo Frances S. Key, durch die Heldentaten der
deutschen und amerikanischen Milizen begeistert, sein berühmtes Lied „The
Star spangled banner" dichtete, das zur Nationalhymne der Amerikaner wurde.
Auch als im Jahre 1846 der Krieg der Vereinigten Staaten mit Mexiko
ausbrach, stellten die Deutschamerikaner einen beträchtlichen Teil der ins Feld
rückenden Freiwilligen. In fast allen Großstädten des Westens bildeten sich
sofort nach dem ersten Aufruf deutsche Freischaren, von denen viele weit früher
als die amerikanischen kampfgerüstet standen.
Unter den Offizieren der nach Mexiko ziehenden Armeen befanden sich
zahlreiche Deutsche, die bereits im alten Vaterlande Felddienste verrichtet hatten,
wie z. B. August Mohr (Moor), von Gilsea, Samu,el Peter
Heinzelmann, Christian Steinwehr, Julius Raith, Hein-
rich Bohlen und Adolf von Steinwehr. Unter den Deutschameri-
kanern ragte vor allen Johann Anton Quitmann hervor, der 1798 zu
Rhinebeck, New York, geborene Sohn des aus den Rheinlanden eingewanderten
Pastors Friedrich Fleinrich Quitmann. Unser Held hatte sich bereits an den
Unabhängigkeitskämpfen der Texaner gegen Mexiko beteiligt. Präsident Polk
ernannte ihn zum Brigadegerieral. Als solcher gehörte er der 6000 Mann
starken Armee Taylors an.
Als diese im September 1846 die von 10 000 Mexikanern verteidigte Stadt
Monterey erstürmte, drang Quitmann mit seinen Truppen unter einem wahren
Kugelregen zum Marktplatz vor und pflanzte auf der Spitze einer dort stehenden
Kirche das Sternenbanner auf.
Während des Frühlings 1847 befehligte Quitmann die Landbatterien,
welche im Verein mit den Schiffen der amerikanischen Flotte die Stadt Vera
Cruz bombardierten und sie nach viertägiger, schrecklicher Kanonade zur Über-
gabe zwangen. Am 13. September folgte die Erstürmung der für uneinnehm-
bar geltenden Festung Chapuhepec durch Quitmanns Truppen. Am folgenden
Tag eröffnete Quitmann die Beschießung der Hauptstadt Mexiko, in welche
am 15. die amerikanischen Truppen ihren Einzug hielten. Zum Dank für seine
vielen hervorragenden Leistungen wurde Quitmann zum Gouverneur der Stadt
Mexiko ernannt.
Später, nachdem der Friede wieder hergestellt war, machte Quitmann
sich noch als Gouverneur des Staates Mississippi und als MitgUed des Ab-
geordnetenhauses im Bundeskongreß hochverdient.
Leider existiert bis jetzt kein Werk, welches in übersichtlicher Form
jenen ungeheuren Anteil schildert, der den Deutschen und Deutschamerikanern
an der Erhaltung der Union gebührt, als diese durch den furchtbaren Bürger-
krieg der Jahre 1861 bis 1865 in Frage gestellt wurde.
Es ist hier nicht der Raum, alle Ursachen zu erörtern, welche zu jenem,
— 311 —
die Union bis in ihre Grundfesten erschütternden Riesenkampfe führten. Wir
müssen auf Spezialwerke verweisen, welche die Vorgeschichte jenes Krieges
behandeln. Zweifellos bildeten die Sklavenfrage und die Erhaltung der Union
für hunderttausende von Deutschen die Beweggründe, sich den nordischen Fahnen
anzuschließen. Waren die Deutschen doch, wie wir aus der Geschichte dei
Mennoniten von Germantown wissen, von jeher die eifrigsten Gegner der
Sklaverei gewesen.
Karl Folien, Franz Lieber, Karl Schurz und manche
andere Führer der Deutschamerikaner hielten lange vor dem Ausbruch des
Krieges flammende Reden, in denen sie die Ungerechtigkeit der unfreiwilligen
Knechtschaft verdammten und auf die schweren Schäden hinwiesen, die durch
das Beibehalten dieser dem Geist der Neuzeit hohnsprechenden Einrichtung
dem amerikanischen Volk sowohl in moralischer, politischer und wirtschaft-
licher Hinsicht erwüchsen.
Folien, Professor an der Harvard-Universität, war einer der ersten,
welcher als Mitglied der Anti-Sklaverei-Gesellschaft in den Nordstaaten für die
Ziele derselben focht und als Abgeordneter dieser Vereinigung bereits im März
1835 vor der gesetzgebenden Körperschaft von Massachusetts erschien. Im
Süden bemühte sich der an der Universität von Südkarolina wirkende Professor
der Geschichte und Staatsphilosophie, Franz Lieber, in gleichem Sinne.
Es war in jener Zeit höchster Erregung überaus gefährlich und forderte
viel moralischen Mut, auf die Rednerbühne zu treten, für die Schwarzen Partei
zu ergreifen und jenen die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern, die sie nicht
hören wollten. Denn oft wurden solche Personen, die für die Sklavenemanzipa-
tion ihr bestes Wissen einsetzten, mit den gemeinsten Schimpfworten über-
schüttet, oder sie fielen unter den Streichen von Meuchelmördern oder als
Opfer blinder Volkswut.
Auch Folien und Lieber mußten ihr Eintreten für die Sklavenbefreiung
büßen, indem beide ihre Stellungen verloren Aber bald nach ihnen erschienen
neue begeisterte Streiter auf dem Plan, die „Achtundvierziger". Diese von
glühender Freiheitsliebe beseelten Männer forderten, daß die herrlichen, in der
amerikanischen Unabhängigkeitserklärung niedergelegten Gedanken von all-
gemeinen Menschenrechten auch auf die mißbrauchten Neger ausgedehnt werden
sollten. Und so nachdrücklich sie dafür in Schrift und Wort eintraten, so
energisch handhabten sie, als wegen dieser Frage der grimmige Kampf ent-
brannte, das Schwert.
Von den vielen Aufzeichnungen amerikanischer Zeitgenossen, die den
Enthusiasmus der Deutschen preisen, führe ich die des Oberleutnants Augustus
Choate Hamlin, des Historikers des 11. Armeekorps, an. Derselbe schreibt in
seinem bewundernswerten Buch : „The battle of Chancellorsville" : „Das Land
hallte von Jubel wider, als bekannt wurde, daß die gesamte deutsche Bevölke-
rung des Nordens ohne Zögern zum Beistand der gefährdeten Republik herbei-
eilte. Die geleistete Unterstützung war bewundernswert und verdient den
— 312 —
höchsten Dank des Landes. Ebenso bemerkenswert ist, daß alle jene Revolu-
tionäre, welche sich damals in diesem Lande befanden und unter Kossuth,
Garibaldi, Sigel und Hecker gefochten hatten, ihre Dienste den Vereinigten
Staaten anboten. Es war in der Tat ein großartiges Schauspiel, v/ie die ge-
samte Masse des deutschsprechenden und deutschgeborenen Volks wie ein
.Mann aufstand, um fest bei der Flagge der Republik zu stehen."
In der Tat gingen an vielen Orten die Deutschamerikaner ihren Mit-
bürgern anderer Abstammung mit glänzendem Beispiel voran. Bereits am
9. Januar 1861 stellte der spätere Brigadegeneral Karl Leopold Mathies
in Iowa der Bundesregierung eine auf seine Kosten ausgerüstete Kompagnie
Soldaten zur Verfügung. Ein anderes leuchtendes Beispiel hoher Bürgertugend
lieferte der berühmte Gelehrte und Staatsmann Dr. Karl Beck, Professor an
der Universität Harvard. Trotzdem er bereits 60 Jahre alt war, heß er sich
nicht abhalten, als Gemeiner in eine Kompagnie Freiwilliger einzutreten, mit
welcher er sich willig allen schweren Pflichten eines Soldaten unterzog. Als
bei der Einmusterung dieser Kompagnie die militärischen Behörden in Rück-
sicht auf sein hohes Alter sich weigerten, ihn in die Armee einzureihen, fügte
Beck sich grollend, entschädigte sich aber dadurch, daß er hundert kräftige
Leute auf seine Kosten völlig ausrüstete und zum Heer sandte.
Und als nach der Einnahme des Forts Sumter durch Truppen der Süd-
staaten Präsident Lincoln am 15. April 1861 den ersten Aufruf für 75 000 Frei-
wiHige erließ, da erhoben die Deutschen sich in Massen, um für den Schutz
der Union einzutreten.
In Cincinnati berief bereits am Morgen des 16. April ein aus hervor-
ragenden deutschen Männern gebildeter Ausschuß für denselben Abend eine
deutsche Massenversammlung in die Turnhalle ein. Diese nahm einen so be-
geisterten Verlauf, und der Zudrang zu den Einschreibelisten war so groß, daß
bereits am Abend des 18. April das erste deutsche Regiment, die später so be-
rühmt gewordenen „Neuner von Ohio'' eine vollendete Tatsache war.
Zehn Tage nach Lincolns Aufgebot stand es, 1200 Mann stark, zur Verfügung
der Staatsbehörden.
Das Deutschtum vom Ohio stellte ferner die ausschließlich aus Deutschen
und Deutschamerikanern zusammengesetzten Infanterieregimenter No. 11, 28,
37, 47, 58, 67, 74, 106, 107, 108 und 165. Ferner das 3. Kavallerieregiment
sowie drei Batterien Artillerie.
In New York war die Opferfreudigkeit der Deutschen nicht minder groß.
Zunächst entstand, gleichfalls noch im April, das aus lauter deutschen Turnern
gebildete 20. Regiment, die „United Turner R i f 1 e s". Deutsche Bürger
bestritten sämtliche Kosten ihrer Ausrüstung. Andere deutsche Regimenter
des Staates New York waren das 7. oder „Steuben-Regiment" ; das 2Q. oder
die „A s t o r R i f 1 e s'' ; das 45. oder die „G e r m a n R i f 1 e s" ; das 46. oder
„F r e m o n t - R e g i m e n t*' ; das 5., 8., 41 . und 52. Infanterieregiment.
Deutsche bildeten ferner das 54. Regiment schwarzer Jäger; das 86. Regiment
— 313 —
oder „Steubensjäger"; das 4. New Yorker Kavallerie-Regiment („Dickeis
Mounted Rifles") und die Batterie des Obersten Ludwig Blenker.
Der Staat Pennsylvanien stellte die beiden reindeutschen Infanterie-
regimenter No. 74 und 75. Außerdem waren die Deutschen im 4., 8., 9., 10.,
11., 14., 15., 16., 18., 21., 27., 48., 50., 51., 56., 65., 79., 89., 96., 97., 98.,
112., 113., 130., 131., 152., 153. und 168. Regiment stark vertreten.
Die deutsche Bevölkerung des Staates Indiana lieferte das 32, Indiana
Infanterieregiment; diejenige von Illinois das 82. und das aus „Heckers Jägern"
bestehende 24. Regiment. Die Deutschen Wisconsins sandten das 9. und
26. Regiment jenes Staates; die Deutschen Missouris das 3., 4. und 5. Regiment
Freiwilliger des Staates Missouri. Auch in den von den anderen Bundes-
staaten aufgebrachten Truppenkörpern bestanden ganze Kompagnien aus Deut-
schen und Personen deutscher Abkunft.
Leider existiert keine Statistik, aus der sich die Kopfzahl der Deutschen
und Deutschamerikaner, die am Bürgerkrieg teilnahmen, nachweisen ließe.
Auch die im Auftrag der „United States Sanitary Commission" von
Dr. A. B. Gould auf Grund der in Washington und verschiedenen Staats-
archiven gemachten Aufstellungen liefern kein genaues Bild. Aber seine „In-
vestigations in the Statistics of American Soldiers", die in Armeekreisen als die
zuverlässigste gilt, besagen, daß während des Bürgerkriegs 187 858 in Deutsch-
land geborene Männer sich als Soldaten in der Bundesarmee befanden. Zu
diesen kommen noch hunderttausende von Amerikanern, die von früheren Genera-
tionen deutsches Blut in ihren Adern hatten.')
Sicher ist, daß das Deutschtum einen größeren Prozentsatz zur Bundes-
armee stellte, als irgendeine andere Nation. Und der Wert dieses Beitrags er-
höhte sich dadurch erheblich, daß unter den in Deutschland Geborenen viele
Tausende waren, die auf deutschen Kriegsschulen und in deutschen Heeren eine
militärische Ausbildung empfangen hatten.")
^) Wie groß die Zahl solcher Deutschamerikaner gewesen sein muß, ergibt sich
aus einer Statistik, die J. G. Rosengarten in seinem bekannten Buch „The German Soidier"
von der pennsylvanischen Familie Pennypacker lieferte. Der Ahnherr dieser Familie
war Heinrich Pannebäcker, welcher bereits vor dem Jahre 1699 aus Deutschland ein-
wanderte und sich am Schippackbach niederließ. Seine Familie war im Unabhängigkeits-
krieg durch 1 Hauptmann, 1 Fähnrich, 1 Leutnant, 1 Korporal und 1 Gemeinen vertreten.
Im Krieg von 1812 hatte sie 2 Mitglieder im Feld; im Krieg mit Mexiko 3. Im Rebellions-
krieg fochten auf selten der Nordstaaten 2 Generalmajore, 1 Generaladjudant, 1 Oberst,
2 Ärzte, 2 Hauptleute, 1 Leutnant, 5 Sergeanten, 8 Korporale, 1 Musiker und 65 Gemeine.
In der südlichen Armee dienten 1 Oberstleutnant, 1 Quartiermeister, 4 Hauptleute, 5 Leutnants
und 28 Gemeine, insgesamt 128 Personen.
-) Einer neueren, von William Kaufmann gemachten Berechnung zufolge hätten die
Deutschen rund 216000 Soldaten gestellt. Franz Sigel erwähnt in einem für die „Gartenlaube"
geschriebenen Aufsatz, daß in „dem deutschen Kontingent über 5000 Offiziere aller Waffen-
gattungen dienten, ein Teil davon, besonders im Stabe, waren Amerikaner von Geburt;
außerdem waren unter den von der Nationalregierung direkt ernannten Stabsoffizieren
(Aides-de-camp, Quartier- und Proviantmeistern, Chirurgen usw.) 69 Deutsche."
— 314 —
Die Teilnahme so vieler waffenkundiger Männer war für den Norden von
um so höherer Bedeutung, als der Süden beim Ausbruch der Feindseligiieiten
eine weit größere Zahl von Offizieren besaß, die in der Militärschule zu West-
Point ihre Ausbildung empfangen hatten.
Von den in die Bundesarmee eingetretenen deutschen Offizieren stiegen
viele durch ausgezeichnete Taten zu den höchsten militärischen Rangstufen
empor. So sind die Namen der Generäle Ammen, Ludwig Blenker,
Louis von Blessing, Heinrich von Bohlen, Adolf
Buschbeck, Adolf Engelmann, Hagner, Johann Fried-
rich Hartranft, Franz Hassende übel, Friedrich Hecker,
J. H. Heinzelmann, August V. Kautz, Knobelsdorff, Jo-
hann A. Koltes, William C. Küffner, Konrad Krez, Karl
Leopold Mathies, August Mohr. Julius Raith, Prinz Felix
Salm, Karl Eberhardt Salomon, Georg von Schack,
Alexander Schimmel p fennig, Alban Schöpf, Alexander
von Schrader, Schriver, Schiras, Adolf von Steinwehr,
Louis Wa gner, Hugo Wangelin, Max Weber, August
Willich, Isaak Wister sowie diejenigen der Generalmajore Samuel
Peter Heinzelmann, August Kautz, Peter Joseph Oster-
haus, G. Pennypacker, Friedrich Salomon, Karl Schurz,
Franz Sigel, Julius Stahel und Gottfried Weitzel unlöslich
mit der Geschichte jenes großen Krieges verknüpft.
Leider ist es unmöglich, den vielen Verdiensten jener Heerführer an dieser
Stelle in vollem Umfang gerecht zu werden, da der vorliegende Abschnitt da-
durch zu einem dicken Buch anschwellen würde. Wir müssen uns darauf be-
schränken, die wichtigsten Taten einzelner Truppenabteilungen und Generäle
zu skizzieren.
Zunächst ist der Tatsache zu gedenken, daß schon am 18. April 1861,
drei Tage nach dem Bombardement des Forts Sumter durch die Südländer, die
Bundeshauptstadt Washington druch mehrere hundert Deutschamerikaner vor
der Gefahr bewahrt wurde, den Südstaaten in die Hände zu fallen. Es bestand
ein Komplott, die Stadt den Konföderierten zu überliefern, wodurch denselben
ein ungeheurer Vorteil erwachsen wäre, indem dann auch der sezessionistisch ge-
sinnte Staat Maryland mitsamt der Stadt Baltimore für den Norden verloreii
gewesen wären. Aber noch im letzten Augenblick rückten fünf zum großen
Teil aus ansässigen und eingewanderten Deutschen bestehende Kompagnien
pennsylvanischer Infanteristen und Artilleristen in Washington ein und be-
setzten das Kapitol. Damit war der Anschlag auf die Stadt vereitelt. In Balti-
more blieb der dortige deutsche Turnverein treu unionistisch und bewirkte da-
durch in hervorragendem Maß, daß auch diese Stadt dem Norden erhalten blieb.
Im fernen Westen war dem durch seine Teilnahme am Aufstand in Baden
berühmt gewordenen Achtundvierziger Franz Sigel eine wichtige Rolle
beschieden.
— 315 —
Zur Zeit des Ausbruchs des Sezessionskrieges lebte derselbe in Missouri.
Dieser Staat war den aus der Union ausgetretenen Staaten Mississippi, Florida,
Alabama, Louisiana, Texas, Virginien, Arkansas, lennessee und den beiden
Karolinas zwar noch nicht gefolgt, aber ein Handstreich des äußerst zahl-
reichen sezessionistisch gesinnten Elements stand stündlich zu befürchten.
Missouri der Union zu erhalten, war von höchster Wichtigkeit. Insbesondere
war der Besitz von St. Louis von Bedeutung, da hier ein Zeughaus bestand,
aus dem 40 000 Soldaten sofort mit allem Nötigen ausgerüstet werden konnten.
Auf dieses Zeughaus hatten die Sezessionisten ihre Blicke gerichtet. Aber
die in Eile gebildeten Freiwilligenregimenter von St. Louis, mit Ausnahme von
vier Kompagnien aus lauter Deutschen bestehend, kamen ihnen unter ihren
Befehlshabern Blair, Lyon,Sigel, Osterhaus, Schäfer und
Schüttner zuvor und nahmen obendrein am 10. Mai 1861 die in Camp
Jackson lagernden Sezessionisten gefangen. Dadurch war nicht nur Missouri
gerettet, sondern den Sezessionisten auch die Möglichkeit genommen, von hier
aus die der Union treu gebheben en Nachbarstaaten zu beunruhigen.
Sigel zog darauf mit dem deutschen 3. Regiment und zwei leichten
Batterien durch ganz Missouri und brachte den Feinden trotz bedeutender
Übermacht große Verluste bei. Später stieß er zu der Abteilung des Generals
Lyon, übernahm nach dessen Tod in der unglücklichen Schlacht am Wilsons
Creek den Oberbefehl über das Heer und führte es in guter Ordnung nach
Rolla zurück. Dafür ward er zum Brigadegeneral ernannt. In ähnlicher Weise
deckte Sigel den Rückzug des Generals Hunter aus Springfield.
Als nach zahlreichen glücklicheren Kämpfen Missouri endlich vom Feind
befreit war, rückte Sigel in Gemeinschaft mit General Curtis in den Staat
Arkansas ein. Bei Pea Ridge stieß man am 6. März 1862 auf den 20 000 Mann
starken Feind. Trotzdem Curtis und Sigel über nur 11 000 Truppen verfügten,
schritten sie zum Angriff und fügten nach drei Tage dauernden erbitterten
Kämpfen dem Gegner eine empfindliche Niederlage zu. Die Entscheidung
wurde durch Sigel herbeigeführt, indem er seine deutschen Regimenter demon-
strativ, wie zum Abbrechen des Gefechts, hinter die Linien der Artillerie in eine
gedeckte Stellung beorderte und zugleich die ungeschützten Batterien mit
blinden Kartuschen feuern ließ, als ob sie ihre Munition aufgebraucht hätten.
Als nun die Feinde siegesgewiß in geschlossenen Massen heranrückten,
wurden sie nicht nur mit Kartätschen, sondern auch mit einem vernichtenden
Schnellfeuer aus den Büchsen der rasch zwischen die Batterien einschwen-
kenden Deutschen begrüßt. Im Augenblick der Verwirrung brachen die nordi-
schen Reiter herein, um alles niederzusäbeln, was die Kugeln verschont hatten.
Für diese Waffentat zum Generalmajor befördert, wurde Sigel darauf
nach Virginien, dem wichtigsten Schauplatz des Krieges, berufen und dem von
Pope befehligten 1. Armeekorps zugeteilt. Auf dem rechten Flügel stehend,
errang Sigel am 29. August am Bull Run manche Vorteile über den ihm gegen-
über stehenden Jackson. Aber diese gingen wieder verloren, als am zweiten
316
Tage der Schlacht die Truppen Popes von der weit überlegenen Macht Jacksons
umgangen und zum Rückzug genötigt wurden. Sigel deckte mit gewohnter
Meisterschaft abermals den Rückzug.
Nach dieser Schlacht befehligte Sigel verchiedene Truppenkörper in Penn-
sylvanien, und organisierte, als der konföderierte General Lee auf seinem Sieges-
zug bis Gettysburg
vordrang, eine 10 000
Mann starke Reserve-
armee, um die in den
Kohlengebieten dro-
henden Unruhen zu
verhüten. Im Frühling
1 864 wurde er mit dem
Oberbefehl der im
Shenandoahtal stehen-
den Truppen betraut.
Als er aber bei New
Market durch den weit
überlegenen Brekkin-
ridge eine Niederlage
erlitt, wurde ihm ein
Reservekorps am obe-
ren Potamac überge-
ben, mit dem er die
wiederholten Angriffe
des konföderierten Ge-
nerals Early auf Har-
pers Ferry und die
strategisch wichtigen
Maryland Flights sieg-
reich abschlug.
Gleich allen an-
deren im amerikani-
schen Heere dienenden
Generälen fremdländi-
scher Abkunft hatte
auch Sigel unter Eifer-
süchteleien, ja Zurücksetzungen seitens seiner amerikanischen Waffengenossen
schwer zu leiden.
„West Point gestaltete," so schreibt Augustus Choate Hamlin, der
Historiker des 11. Armeekorps, mit erfrischender Offenheit, „alle Dinge seinen
Interessen und den Wünschen seiner Partei gemäß. Es mag wahrheitsgemäß
gesagt werden, daß in der Verwaltung der Armee oft Patriotismus von kaltem
Generalmajor Franz Sigel.
Reiterstatue des Generalmajors Franz Sigel in New York.
Modelliert von Karl Bitter in New York.
— 319 —
Ehrgeiz überschattet wurde, daß Fehler als Tugenden, und Voreiligkeit als
Zeichen überlegener Geistesgröße gepriesen wurden. Wenn wir den über der
Potomacarmee hängenden Schleier der Verborgenheit hinwegziehen und die
gärende Eifersucht, den versteckten Ehrgeiz, den geilen Argwohn und die Günst-
lingswirtschaft ihrer Führer untersuchen, so ist es keineswegs angenehm, ein
solches Bild zu betrachten oder darüber nachzudenken."
Auch Sigel sah sich in seinen Unternehmungen und Plänen durch solche
Ränke und Eifersüchteleien so oft gehindert, daß er im Mai 1865 sein Kom-
mando niederlegte und ins Privatleben zurückkehrte.
Ähnliche Erfahrungen machte sein gleichfalls als politischer Flüchthng
nach den Vereinigten Staaten verschlagener Landsmann Karl Schurz.
Wegen seiner hervorragenden Verdienste um die Erwählung Lincolns war
Schurz zum Gesandten in Spanien ernannt worden. Diesen Posten legte er
beim Ausbruch des Krieges nieder, um an den Kämpfen für die Erhaltung der
Union teilnehmen zu können. Er erhielt zunächst ein Kommando in der Po-
tomac-Armee. Unglücklicherweise waren die rasch wechselnden Oberbefehls-
haber derselben fast durchweg unfähige, ihren Aufgaben keineswegs gewach-
sene Personen. Fremont, Pope, McClellan, Burnside und Hooker erlitten
Niederlage auf Niederlage, unter denen die am Bull Run, bei Fredericksburg
und Chancellorsville die schwersten waren.
An der letztgenannten Schlacht am 2. Mai 1863 war auch die Schurzsche
Division beteiligt. Sie bildete mit einer von Adolf von Steinwehr und einer
von dem amerikanischen General Devens befehligten Abteilung das unter dem
Kommando von O. O. Howard stehende 11. Armeekorps und den rechten
Flügel der von General Hooker befehligten Hauptarmee. Im Lauf des Tages
entdeckten Schurz, von Steinwehr und andere Offiziere, daß die von den
genialen Generälen Lee und Jackson geführte feindliche Armee sich unter Fin-
gierung eines Rückzugs anschicke, den rechten Flügel der Bundesarmee zu
umgehen. Obwohl Schurz und Steinwehr das Hauptquartier wiederholt auf
diese verdächtigen Bewegungen aufmerksam machten und sofortige Gegen-
maßregeln empfahlen, geschah vom Hauptquartier nichts, um die bedrohte
Flanke zu schützen. Man wiegte sich in dem Glauben, daß die Rebellentruppen
sich auf der Flucht befänden. Schurz ließ nun auf eigene Verantwortung die
Regimenter seiner Division, das 26. Wisconsiner, 58. New Yorker, 82. Illinoiser,
82. Ohioer und 157. New Yorker Regiment zusammenziehen und Front gen
Westen nehmen, von wo er einen Angriff der Konföderierten befürchtete. Dieser
erfolgte kurz nach fünf Uhr nachmittags. Und zwar überrannten die plötzlich
aus den Wäldern hervorbrechenden 18 000 Mann starken Feinde zunächst die
ganz unvorbereitete Division des amerikanischen Generals Devens. Diese hielt
dem fürchterlichen Ansturm nicht stand, floh in verworrener Masse und drohte
die deutschen Regimenter mit sich zu reißen. Diese, kaum 3000 Mann stark,
bildeten die einzige kampfbereite Schlachtlinie.
Das kleine Häuflein stand fest und hinderte Jackson, im Sturm bis zu
— 320 —
dem nur zwei Meilen entfernten Hauptquartier vorzudringen. Aber bald um-
gingen die Massen des Feindes den linken Flügel der Regimenter und begannen
ihn im Rücken zu bedrohen. Nun entstand auch Unordnung in den deutschen
Reihen. Vergebens sprengte Oberst Friedrich Hecker vom 82. Illinois-
Regiment mit der Regimentsfahne vor die Front und feuerte die Seinigen zu
einem Bajonettangriff auf. Er wurde von dem allgemeinen Wirrwarr fort-
geschwemmt und stürzte bald darauf schwerverwundet vom Pferde. Erst den
verzweifelten Anstrengungen der Generäle Schurz und von Steinwehr,
des Obersten Buschbeck und des Artillerieoffiziers Hubert Dilgcr
gelang es, die Truppen wieder zum Stehen zu bringen und dem weiteren Vor-
dringen des Feindes Einhalt zu gebieten.
Da in den überrannten Divisionen viele Deutsche waren, so hielten die
dem Heer folgenden englisch-amerikanischen Zeitungsleute sich bemüßigt,
sowohl Führer wie Mannschaften dieser Abteilungen mit den gröbsten Schmä-
hungen zu überschütten. Ihre gen Osten gesandten Berichte wimmelten von
beleidigenden Ausdrücken, unter denen die Bezeichnung „Dutch cowards''
einer der gelindesten war. Das Empörendste war, daß manche solcher ano-
nymen Angriffe von Offizieren ausgingen, die sich im Hauptquartier der Armee
befanden. Keinem dieser Verleumder kam es bei, die Verantwortung für die
Niederlage dorthin zu ph-icieren, wo dieselbe infolge grober Fahrlässigkeit ver-
schuldet wurde. Vergebens verlangten die Generäle Schurz und Schimmel-
pfennig die Einsetzung eines Untersuchungsgerichts. Ihre wiederholt in drin-
gendster Form gestellten Anträge blieben seitens des Kriegsministers unbe-
rücksichtigt. Erst in späteren Jahren nahmen sich berufene Militärschrift-
steller wie Samuel P. Bates, Theodore Dodge, Generalmajor Abner Doubleday,
Oberstleutnant Augustus C. Hamlin und andere der mit Unrecht verleumdeten
deutschen Truppen an und ließen denselben in sorgfältigen Untersuchungen
über die Schlacht bei Chancellorsville volle Gerechtigkeit widerfahren. Eine
ausführliche Schilderung der Schlacht lieferte auch Schurz in seinen „Remini-
scences of a long life".
Übrigens bot sich den Divisionen Schurz und von Steinwehr, sowie
manchen anderen deutschen Regimentern noch im selben Jahre Gelegenheit, zu
zeigen, aus welchem Stoff ihre Truppen gemacht waren. Durch den Erfolg bei
Chancellorsville kühn geworden, raffte General Lee, der Oberbefehlshaber der
Konföderierten, sämtliche verfügbaren Streitkräfte zusammen und drang in zwei
Kolonnen durch das Shenandoahtal den Südostabhang der Blauen Berge ent-
lang gen Norden vor, wobei er sowohl die Flanken der von Hooker befehligten
Bundesarmee wie die Hauptstadt Washington beständig bedrohte.
Da man in Washington das Vertrauen in Hooker verloren hatte, so er-
setzte man ihn durch den entschlosseneren General Georg G. Meade. Dieser
nötigte den Feind bei Gettysburg zu einer Schlacht, die sich vom Morgen des
1 . bis zum Abend des 3. Juli erstreckte.
Während dieses gigantischen Ringens bildeten die Deutschen am zweiten
— 321 ~
und dritten Tag unter Schurz und von Steinwehr das Zentrum hinter der Fried-
hofsmauer der berühmten Cemetery Ridge, auf deren strategische Wichtigkeit
von Steinwehr zuerst aufmerlcsam gemacht hatte. Hier hielten sie auch jene
fürchterliche Kanonade aus 145 schv/eren Geschützen aus, die Lee am dritten
Schlachttage dem Sturmangriff seiner Kolonnen vorausgehen ließ.
Das war ein Feuer, wie die ältesten Soldaten ein gleiches nie zuvor erlebt
hatten. Der Friedhof war eingehüllt in den Rauch explodierender Granaten
und in den Qualm der hundert Geschütze, womit die Bundestruppen die Ka-
nonade erwiderten. Und als nach zweistündiger Dauer dieses entsetzlichen
Artillerieduells die Konföderierten 15 000 Mann stark aus den Wäldern brachen
und im Sturmschritt gegen die Bundestruppen vorrückten, da entspann sich ein
Szene aus der Schlacht bei Gettysburg.
Nach einem gleichzeitigen Holzschnitt.
rasender Kampf, Mann gegen Mann, währenddessen die Leiber der toten und
verstümmelten Menschen und Pferde sich zu förmlichen Hügeln emportürmten.
Der heftige Anprall scheiterte an dem erbitterten Widerstand der Ver-
teidiger des Friedhofs. Die Konföderierten wurden in gänzlicher Auflösung
zurückgeworfen, die Schlacht zugunsten der Bundesarmee entschieden und Lee
zum Rückzug nach Virginien genötigt. Wie mörderisch der Kampf gewesen
war, beweisen die Verluste. Die Bundesarmee büßte an Toten, Verwundeten
und Vermißten 23 000, die Konföderierten 30 000 Mann ein.
Mit hoher Auszeichnung fochten die deutschamerikanischen Generäle
und Regimenter auch, am 19. und 20. September 1863 bei Chickamauga
und am 24. und 25. November 1863 bei Chattanooga in Tennessee.
Dort errang sich vor allem General August Willich als Befehls-
haber einer aus neun Regimentern bestehenden Brigade glänzende Lor-
Cronau, Deutsches Leben in Ameril<a.
21
— 322 ~
beeren, indem er einen mitten im Ctiattanoogatal aufragenden kegelförmigen
Hügel, den Orchard Knob, von dem aus die Konföderierten zwei Monate lang
die Bundestruppen beunruhigt hatten, eroberte. Willich nahm mit seinen
Truppen auch an der Erstürmung der Missionary Ridge teil und befand sich
unter den ersten, welche diesen überaus steilen, hartnäckig verteidigten Höhen-
zug erstiegen.
An den Kämpfen um Chattanooga hatten auch die von den Generälen
Schurz, Osterhaus und von Steinwehr befehligten Truppen glorreichen Anteil.
Vornehmlich an der berühmten „Schlacht in den Wolken", auf den Abhängen
und dem Rücken des hohen Lookout Mountain, der hauptsächlich durch das
rechtzeitige Eintreffen des die Feinde im Rücken fassenden Generals Osterhaus
für die Bundestnippen gewonnen wurde.
Die Erstürmung der Missionary Ridge.
Nach einem Gemälde von Arthur Thomas in der Gedächtnishalle zu Columbus, Ohio.
Osterhaus und Schurz nahmen mit ihren Divisionen ferner an dem denk-
würdigen Zug Shermans durch Georgia nach Savannah teil und fochten ruhm-
voll in den Gefechten bei Tunnel Hill, Buzzards Roost, Dalton, Resaca, Ma-
rietta und Atlanta.
Der Pfälzer Louis Blenker, der in New York das nach ihm benannte
8. Freiwilligenregiment organisiert hatte, stand im Juli 1861 in der ersten
Schlacht bei Bull Run an der Spitze einer aus vier deutschen New Yorker
Regimentern und dem 27. Pennsylvanischen Regiment bestehenden Brigade,
die nach dem unglücklichen Ausgang jener Schlacht den Rückzug der von
General McDowell geführten Armee deckte. Und zwar so nachdrücklich, daß
die Feinde sowohl von der Verfolgung der geschlagenen Armee wie von einem
Angriff auf die Bundeshauptstadt Washington absahen. Blenkers deutscher
Brigade wurde allein die Ehre zuteil, am 23. Juli mit klingendem Spiel und
fliegenden Fahnen über die lange Potomacbrücke in Washington einzu-
— 323 —
rücken. Blenker, darauf zum Brigadegeneral ernannt, organisierte nun die
„Deutsche Division", die zuerst in dem Sumnerschen Korps Dienste tat und
später unter Fremont in der Schlacht bei Groß Keys sich auszeichnete. Durch
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einen Sturz vom Pferde verletzt, nahm Blenker Urlaub, kehrte aber nicht mehr
zur Armee zurück.
In glänzendster Weise betätigte sich während des Bürgerkrieges
auch der Ingenieur Gottfried Weitzel. Von Geburt Rheinpfälzer,
hatte er sich in Westpoint zum Offizier ausgebildet. Unter Butler diente
21 *
— 324 —
er als Oberingenieur in New Orleans, später bei Banks' unglücklicher
Red River-Expedition, als Divisionsführer endlich in Butlers Army of the James.
Beim Anlegen von Befestigungen und beim Brückenbau entwickelte Weitzel
so hervorragende Fähigkeiten, daß er zum Generalmajor ernannt wurde. Als
Führer des 25. Armeekorps zog er am 3. April 1865 in Richmond ein, wo er
am folgenden Tage den Präsidenten Lincoln empfing.
Am 28. Dezember 1863 lieferte auch der Oberst Bernhard Lai-
bold t vom 2. Missouriregiment ein Beispiel echt soldatischer Entschlossen-
heit, indem er, als er mit einem Trupp von Rekonvaleszenten einen Proviantzug
von Chattanooga nach Knoxville führte, einen Reiterangriff des verwegenen
Generals Wheeler mit so großem Geschick abschlug, daß er dafür zum Brigade-
general befördert wurde,
Mit Wheeler traf Laiboldt noch einmal am 14. August des folgenden
Jahres zusammen. Er hielt mit 480 Mann seines aus lauter Deutschen be-
stehenden 2. Missouriregiments die Bahnstation Dalton, deren Behauptung von
besonderer Wichtigkeit war. Am Nachmittag des genannten Tages umzingelte
Wheeler mit 3000 Mann Kavallerie diesen Platz und forderte die Besatzung zu
sofortiger Übergabe auf. Laiboldt beschränkte sich auf folgendes Antwort-
schreiben: „Sir! Ich wurde hierhergestellt, um diesen Platz zu verteidigen,
nicht aber, um ihn zu übergeben!"
Als Wheeler einen zweiten Parlamentär schickte, wurde Laiboldt unge-
mütlich und ließ Wheeler sagen, er habe ihm schon einmal das Fell gegerbt
und sei bereit, es auch zum zweitenmal zu besorgen.
Der sofort entbrennende Kampf währte die ganze Nacht, endete aber
mit dem Rückzug des Rebellengenerals, desen Reiter überaus schwere Verluste
erlitten.
Auch der tapferen Taten des Generalmajors August V. Kautz und
des Brevet Brigadegenerals William C. Küffner müssen wir gedenken.
Kautz, bei Pforzheim in Baden geboren, machte bereits den Krieg gegen Mexiko
mit. Während des Bürgerkrieges wurde er einer der glänzendsten Reiter-
führer und einer derjenigen, welche diese im Anfang des Krieges stark ver-
nachlässigte Truppengattung zu hoher Bedeutung brachten. Er befehligte
gegen Ende des Krieges das 24. Armeekorps und war an über hundert Ge-
fechten und Schlachten beteiligt.
Sein Landsmann Küffner, ein Mecklenburger, nahm an einhundertundzehn
Scharmützeln und Schlachten teil. Er wurde viermal verwundet, darunter
zweimal schwer bei Shiloh und Corinth. Er war einer der feurigsten und
tapfersten Deutschen des Westens und ein hochgeachtetes Mitglied der in Belle-
ville, Illinois, gegründeten „Liga deutscher Patrioten".
Mit der Schilderung ähnlicher, von deutschen Truppenabteilungen und
Offizieren im Bürgerkriege vollführten Heldentaten könnte man viele Seiten
füllen. Aber räumliche Rücksichten fordern zur Beschränkung auf.
Von den deutschgeborenen Generälen und Generalmajoren starben meh-
— 325 —
rere den Heldentod. Die glänzende Laufbahn des Generals Heinrich von
Bohlen fand am 22. August 1862 in der Schlacht am Rappahannock ihren
Abschluß, als er seine Truppen zum Angriff führte. Die Generäle Adolf
Engelmann und J u 1 i u s R a i t h fielen im April 1862 bei Shiloh ; Franz
Hassendeubel im JuH 1863, während der Belagerung von Vicksburg;
Johann K o 1 1 e s am 30. August 1862 in der Schlacht bei Bull Run ; M a x
Weber wurde am 17. September 1863 bei Antietam so schwer ven\'undet,
daß er auf eine fernere Teilnahme am Kriege verzichten mußte. Der Brigade-
general Hugo W angelin büßte bei Ringgold den linken Arm ein, trat
nach Heilung der Wunde aber wieder in die Armee ein und leistete noch in
Georgia und in Missouri vortreffliche Dienste.
Die Zahl der Obersten, Majore, Hauptleute und anderen Offiziere, die
ruhmvoll vor dem Feind fielen, beläuft sich auf viele Hunderte; diejenige der
gefallenen Soldaten auf viele lausende. Mehrere deutsche Regimenter erlitten
geradezu ungeheure Verluste. So kehrten zum Beispiel von dem im Herbst 1861
aus vier Kompagnien der Sigelschen Rifleschützen und sechs Kompagnien der
deutschen Jäger gebildeten 52. New Yorker Regiment im Oktober 1864 nur
5 Offiziere und 35 Mann unter Führung des Majors R e t z i u s zurück. Nach-
dem es neu ausgemustert und auf seine frühere Stärke von 2800 Mann gebracht
worden, zog es abermals aus, um zu Ende des Krieges nur noch 200 Köpfe
stark heimzukehren. Nicht weniger als 34 seiner Offiziere waren vor dem
Feinde gefallen oder kampfunfähig geworden.
Das aus Turnern gebildete 20. New Yorker Regiment, welches am
31. März 1861 eingeschworen und zunächst nach der Festung Monroe be-
ordert wurde, kehrte nach vielen mit Auszeichnung bestandenen Schlachten am
10. Mai 1863, von 1200 Mann auf nur 462 zusammengeschpiolzen, zurück.
So enthält auch die Geschichte des Bürgerkrieges glänzende Beweise,
daß die Deutschamerikaner gleich ihren amerikanischen Mitbürgern als echte
Patrioten Blut und Leben für die Erhaltung der Union einsetzten.
In den Reihen der Koniöderierten Armee dienten gleichfalls viele Deutsche,
die in den Südstaaten groß geworden und mit dem dortigen Leben und den
dortigen Anschauungen verwachsen waren. Von diesen zeichnete sich be-
sonders Oberst Johann Andreas Wagner bei der Verteidigung des
Fcrts Walker in Südkarolina aus. Als die Befestigung am 7. November 1861
von einer 15 000 Mann starken Armee unter General Sherman sowie der
IQ Kriegsschiffe zählenden Bundesflotte angegriffen wurde, wurde es von dem
fast aus lauter Deutschen bestehenden und von Wagner befehligten 1. Artillerie-
regiment von Südkarolina und einer Division Infanterie unter General Drayton
verteidigt. Fünf Stunden lang ergoß sich aus 300 Feuerschlünden ein ver-
heerender Hagel von Kugeln und Bomben über das Fort. Wagner gab den
— 326 —
hoffnungslosen Kampf erst auf, als seine sämtlichen Geschütze zerstört und die
Vorräte an Munition verschossen waren. Beim Rückzug, der in bester Ordnung
vonstatten ging, nahmen die Deutschen ihre Verwundeten mit sich. In An-
erkennung seiner Tapferkeit wurde Wagner zum Brigadegeneral und Platz-
kommandanten von Charleston ernannt.
Zur Verteidigung dieser Stadt ließ Wagner auf der Nordspitze der den
Hafen schützenden Morrisinsel das später nach ihm benannte Fort Wagner
aufführen. Im Juni 1863 versuchten die Unionstruppen dieses zu nehmen.
Nach einer mehrere Tage dauernden Beschießung liefen sie Sturm, wurden
aber mit einem Verlust von 1500 Mann zurückgeworfen. Erst im November,
nach längerem Bombardement, konnte Wagner zur Übergabe gezwungen werden.
Heros von Borcke ist der Name eines ehemaligen preußischen
Reiterführers, der im Jahre 1862 in die konföderierte Armee eintrat und dem
berühmten Reitergeneral Jeb Stuart als Stabschef zugeteilt wurde. Er
zeichnete sich durch Kühnheit und Tapferkeit derart aus, daß der konföderierte
Kongreß ihm ein besonderes Dankesvotum widmete. Im Gefecht bei Middle-
burg wurde von Borcke so schwer verwundet, daß er monatelang zwischen
Leben und Tod schwebte und aus dem aktiven Dienst ausscheiden mußte. Im
Winter 1864 — 1865 nahm er eine Mission der konföderierten Regierung nach
England an, doch blieb dieselbe ohne Ergebnis, da bald darauf der Zusammen-
bruch der Konföderation erfolgte. Von Borcke kehrte darauf nach Deutsch-
land zurück, wo er das vielgelesene Buch: „Zwei Jahre im Sattel und am
Feinde" schrieb. Als er zwanzig Jahre später abermals die Südstaaten be-
suchte, gestaltete sich seine Reise zu einem förmlichen Triumphzuge.
Der Hannoveraner Carl Friedrich Henningsen, ein richtiger
deutscher Landsknecht, brachte es zum Rang eines Brigadegenerals der kon-
föderierten Armee, fand aber nur wenig Gelegenheit, sich auszuzeichnen.
Es ist nötig, hier noch zweier Männer zu gedenken, die während des
Bürgerkriegs überaus verantwortliche Stellen in Staatsdiensten bekleideten,
der beiden Schatzmeister Francis E. Spinner und C h. Gustav M e m -
m i n g e r.
Der Erstgenannte war ein Sohn des im Jahre 1800 aus Tauberbischofs-
heim in die Vereinigten Staaten eingewanderten Predigers Johann P. Spin-
ner, der von 1801 bis 1848 der alten Pfälzerkirche zu Herkimer im Mohaw^k-
tal vorstand. Hier wurde am 21. Dezember 1801 sein Sohn Francis geboren.
Nachdem derselbe mehrere wichtige Ämter bekleidet und es in der Miliz zum
Generalmajor gebracht hatte, war er viele Jahre als Kassierer und Leiter der
Mohawk Valley Bank in Mohawk tätig. Im Jahre 1848 erwählte man ihn zum
Abgeordneten für den Bundeskongreß, in dem er einer der eifrigsten Befür-
worter cier Abschaffung der Sklaverei war.
327 —
Als der Bürgerkrieg ausbrach, ernannte Präsident Lincoln Spinner zum
Schatzmeister der Vereinigten Staaten. Aber die Kassen waren leer. Nichts-
destoweniger glückte es Spinner, durch weise Anordnungen den Finanzen
wieder eine so gesunde Grundlage zu geben, daß den ersten Anstürmen auf
die Kasse Rechnung getragen werden konnte. Die von ihm getroffenen Ein-
richtungen bewährten sich so, daß, trotzdem viele Millionen in Umlauf gesetzt
wurden, nicht ein einziger Dollar verloren ging. Seiner Gewissenhaftigkeit
wegen nannte der Volksmund
Spinner „The Watchdog of the
Treasury" („Den Wachthund
des Schatzamts"). Und H.
McCullogh sagt von ihm in dem
Buch „Men and conditions of a
half Century" : „Nie hat ein ver-
trauenswürdigerer, gewissen-
hafterer und aufrichtigerer Mann
ein so schwieriges Amt ver-
waltet als Francis E. Spinner.
Vom frühen Morgen bis spät in
die Nacht stand er an seinem
Pult, und er war immer der
letzte, der das Arbeitszimmer
verließ."
Während seines dritten
Amtsjahres machte Spinner den
ersten Versuch, weibliche Per-
sonen als Regierungsangestellte
zu verw^enden. Diese bewährten
sich vorzüglich, indem sie an
Pünktlichkeit, Schnelligkeit und
Ordnung nichts zu wünschen
übrig ließen. Im Auftrag der
Regierung besuchte Spinner
auch Europa, um dortige Geld-
Ch. Gustav Memminger,
Finanzminister der südstaatlichen Regierung während des
amerikanischen Biir)»erl<riegs.
leute für amerikanische Staats-
papiere zu interessieren. Er tat dies mit ausgesprochenem Erfolg. Spinner be-
kleidete seinen verantwortungsvollen Posten 15 Jahre lang. Nach seinem am
31. Dezember 1890 erfolgten Tod veranstalteten die in Dienst der Regierung
stehenden weiblichen Angestellten am 10. Januar 1891 in Washington eine
Massenversammlung, welche die Errichtung eines Standbildes Spinners be-
schloß. Dasselbe wurde am 29. Juni 1909 in der im Mohawktal gelegenen
Stadt Herkimer enthüllt.
Ch. Gustav Memminger, ein armer deutscher Waisenknabe, hatte
— 328 —
sich in Charleston zu einer sehr angesehenen Stellung emporgearbeitet. Als
der Bürgerkrieg ausbrach, berief der Präsident der Südstaaten, Jefferson Davis,
Memminger als Finanzminister in sein Kabinett. Das war allerdings kein be-
neidenswerter Posten, denn die finanziellen Hilfsmittel der südlichen Regierung
waren in noch viel schlechterer Verfassung als jene der Bundesregierung, die
während des langen Krieges mehrmals dem Bankerott nahe war. Trotz der
oft unüberbrückbar scheinenden Verlegenheiten bekleidete Memminger sein
schweres Amt bis zum Jahre 1864, w^o er, die Nutzlosigkeit des ferneren
Kampfes erkennend, seinen dornenvollen Posten niederlegte.
Manche Offiziere deutschamerikanischer Abstammung spielten auch in
den zahllosen Indianerkämpfen, welche die Vereinigten Staaten während des
19. Jahrhunderts im fernen Westen führen mußten, wichtige Rollen. Vor allen
der Oberstleutnant F e 1 1 e r m a n und der Reitergeneral George A. Güster,
der Abkömmling einer während des 18. Jahrhunderts in Pennsylvanien ein-
gewanderten hessischen Familie Namens Küster. Nach manchen Siegen
über die Gheyennen, Arrapahoes und Sioux fiel dieser kühne General nebst
261 seiner Reiter am 25. Juni 1876 am Little Big Hörn River in Montana, wo
sein tollkühner Mut ihn mitten unter weit überlegene Feinde geführt hatte. In
demselben Treffen fand sein Bruder, der Oberstleutnant Thomas Güster den
Soldatentod.
In einem der Indianerkriege fiel auch der Brigadegeneral Alexander
von Schrader, ein ehemaliger preußischer Offizier, der sich als Ingenieur
bereits während des Bürgerkriegs ausgezeichnet hatte.
Auch im Krieg des Jahres 1898, durch welchen der jahrhundertelangen
spanischen Willkürherrschaft in der Neuen Welt das längst verdiente Ende be-
reitet wurde, dienten sov/ohl im Heer wie in der Marine zahlreiche Truppen
und Offiziere deutschen Namens. Bei dem ersten blutigen Ereignis, der Ex-
plosion des Schlachtschiffs „Maine" im Hafen von Havanna, gingen 21 Deutsche
zugrunde. Auf der Verlustliste des 8. Freiwilligenregiments stehen ein Drittel
mit deutschen Namen. Von 96 Toten des 71. Regiments entstammen gleich-
falls 20 deutschen Familien.
Unter den Offizieren, welche auf Porto Rico und den Philippinen fochten,
zeichnete sich besonders Theodor Schwan aus. Als gemeiner Soldat
hatte er bereits an der Expedition gegen die Mormonen teilgenommen. Wäh-
rend des Bürgerkriegs focht er in 20 Schlachten mit, darunter jene von Ghan-
cellorsville, Gettysburg, in der Wildnis, Spottsylvania, Petersburg usw. Später
diente Schwan in vielen Indianerkriegen. Seine größte militärische Wirksam-
keit fällt aber in den spanisch-amerikanischen Krieg. Während desselben be-
— 329 —
fehligte er als Brigadegeneral auf Porto Rico die Heeresabteilung, welche von
der Westküste gegen Mayaguez vormarschierte und am 10. August 1898 bei
Hormigueros erfolgreich ein blutiges Gefecht gegen eine starke spanische Ab-
teilung bestand. Auf den Philippinen leitete Schwan die Expedtionen in der
Provinz Cavite und in Südluzon. Den Rang eines Brigadegenerals erreichte
auch Johann WalterKlaus oder Clous, der im Stab des Oberstbefehls-
habers, General Miles, den spanisch-amerikanischen Feldzug mitmachte. Ferner
der Generalarzt G e -
orge M. Stern-
berg, dem der ge-
samte Sanitätsdienst
unterstellt war.
Und unter den
Helden jenes Krieges
ragt der Nachkomme
eines deutschen Schul-
meisters hervor: Win-
field Scott
S c h 1 e y , der Sieger
von Santiago. Sein Ur-
ahne war Thomas
Schley, der im Jahre
1735 das erste Haus
der heutigen Stadt Fre-
derick in Maryland er-
baute.
Die Laufbahn we-
niger Männer ist so
reich an ehrenvollen
Taten, wie die des Ad-
mirals Schley. Am 9.
Oktober 1839 in der
Nähe des alten Fa-
miliensitzes Frederick geboren, durchlief er die Marineakademie in Annapolis.
Als junger Seeoffizier focht er im Bürgerkrieg ; später wurde er dem Geschwader
im Großen Ozean zugeteilt. Hier unterdrückte er im Jahre 1864 einen Auf-
stand chinesischer Kulis auf den Chinchiinseln. 1871 beteiligte er sich an dem
Angriff auf die Forts am Salu in Korea. Nachdem er dann fünf Jahre im
Atlantischen Geschwader gedient hatte, befehligte er die beiden Dampfer, welche
im Jahre 1884 ausgeschickt wurden, um den verschollenen Polarforscher
A. W. Greeley aufzusuchen. Fs gelang Schley, die auf sechs Mann zusammen-
geschmolzene Expedition Greeleys zu retten, wofür ihm der Kongreß eine
goldene Denkmünze stiftete. 1891 verrichtete er höchst wertvolle Dienste in
Admiral Winfield Scott Schley.
— 330 —
Chile. Die Zeit höchsten Ruhms kam für Schley aber im Jahre 1898, als eine
aus den Kreuzern „Christobal Colon", „Almirante Oquendo", „Maria Theresa",
„Vizcaya'^ und den Torpedobootzerstörern „Furor", „Terror" und „Pluton"
bestehende spanische Flotte unter dem Befehl des Admirals Cervera Europa
verließ und die amerikanische Küste bedrohte.
In Eile zog man in den Vereinigten Staaten ein „fliegendes Geschwader"
zusammen und unterstellte dasselbe dem Befehl des Commodore Schley. Dieser
richtete zunächst mittels schneller Avisos einen ausgedehnten Wachtdienst
längs der ganzen atlantischen Küste ein. Als die Nachricht eintraf, daß die
feindliche Flotte in Westindien gesichtet worden sei, galt es, Cervera daran zu
verhindern, mit seinen Schiffen Havanna, den einzig möglichen Stützpunkt, zu
erreichen. Während Admiral Sampson mit seiner starken Flotte die Haiti und
Cuba trennende Windwardpassage sperrte, eilte Schley mit seinem fliegenden
Geschwader um die Westspitze Cubas durch den Kanal von Yukatan, um auch
diesen Weg zu verlegen.
Mangel an Kohlen hatten Cervera gezwungen, den cubanischen Hafen
Santiago anzulaufen. Dort wurde seine Anwesenheit am 26. Mai durch die
schnellen Aufklärungsboote Schleys festgestellt, worauf sowohl dessen Ge-
schwader wie die Flotte Sampsons herbeieilten, um Cervera die Ausfahrt aus
seinem Zufluchtsort zu versperren. Das gelang. Da aber die nahende Regen-
und Orkanperiode eine lange Blockade sehr gefährlich machen mußte, so be-
schloß man in Washington, Cervera durch einen Landangriff aus dem Hafen
herauszutreiben und zur Schlacht zu zwingen. Es folgte die Überfahrt einer
17 000 Mann starken amerikanischen Armee unter dem Befehl des Generals
Shafter. Diese stürmte den Hügel von San Juan und schloß die Stadt Santiago
dermaßen ein, daß ihre Lage unhaltbar und Admiral Cervera zu einen Durch-
bruchsversuch genötigt wurde.
Dieser erfolgte am 3. Juli, zu einer Zeit, wo Admiral Sampson mit dem
Schlachtschiff „New York" abwesend war, und Commodore Schley den Ober-
befehl über das ganze amerikanische Geschwader führte.
Es war 9 Uhr 35 Minuten vormittags, als die spanischen Schiffe den
Hafen von Santiago plötzlich in voller Fahrt verließen. Voran das Flaggschiff
Cerveras, die „Infanta Maria Theresa"; hinter ihr in kurzen Abständen die Schiffe
„Vizcaya", „Cristobol Colon", „Almirante Oquendo" und die Torpedoboot-
zerstörer „Pluton" und „Furor".
Sofort flogen auf den amerikanischen Kriegsschiffen die Signalflaggen
empor, gleichzeitig machte man sich fertig zur Aktion. Augenscheinlich planten
die Spanier, unter Aufgebot der äußersten Geschwindigkeit den Amerikanern
zu entrinnen. Aber Schleys „Brooklyn" sowie die „Texas" erwäesen sich als
ebenbürtige Renner und blieben, aus ihren schweren Deckgeschützen ein ver-
nichtendes Feuer eröffnend, den westwärts eilenden Spaniern hartnäckig zur
Seite. Bereits nach 25 Minuten standen die von zahlreichen Granaten getroffenen
Schiffe „Maria Theresa" und „Oquendo" in hellen Flammen und mußten,
— 331 —
um den Untergang ihrer Besatzung zu verhüten, auf den Strand gesetzt
werden.
„Vizcaya" und „Cristobol Colon" flohen unter Volldampf weiter, hart
verfolgt von den Schiffen „Brooldyn", .,Texas", „lova" und „Oregon". Kurz
nach elf Uhr geriet auch die „Vizcaya" in Brand und lief bei Aserraderos auf
den Strand. Die beiden Torpedobootzerstörer „Pluton" und „Furor" erlitten
das gleiche Schicksal.
Am längsten hielt sich der von der „Brooklyn" scharf verfolgte Kreuzer
„Cristobol Colon". Es hißte erst gegen ein Uhr nachmittags die weiße Flagge
und strandete 50 Meilen westlich von Santiago.
Sämtliche Schiffe, Spaniens letzte Hoffnung, waren in wertlose, rauchende
Wracks verwandelt. 2000 Gefangene, darunter Admiral Cervera, fielen den
Amerikanern in die Hände. Während die Zahl der Toten auf spanischer Seite
über 600 betrug, hatten die Amerikaner nur einen Toten und einen Verwundeten.
Schleys glänzender Sieg entschied auch das Schicksal der Stadt Santiago, deren
am 17. Juli erfolgende Kapitulation den Amerikanern weitere 22 000 spanische
Truppen als Kriegsgefangene überlieferte.
Es ist hier nicht der Platz, auf die später angestellten häßlichen Versuche
einzugehen, um Schley den Ruhm des Siegers von Santiago zu entreißen und
dem Admiral Sampson zuzuwenden. Die Volksmeinung ist über die unerquick-
lichen Kontroversen, die sich an diese Bemühungen knüpften, hinweggegangen
und hat den Lorbeerkranz jenem Helden zuerkannt, dem er von Rechts wegen
gebührt: Winfield Scott Schiey.
Die Deutschamerikaner im politischen Leben der
Vereinigten Staaten.
Es besteht viel-
fach die Ansicht, als
hätten die in der Union
lebenden Deutschen es
nicht verstanden, in po-
litischer Hinsicht in
gleichem Grade wie auf
anderen Gebieten sich
Geltung zu verschaffen.
In der Tat entsprach
ihre Vertretung im
Bundeskongreß niemals
ihrer Zahl und Macht.
Auch sehen wir sie ver-
hältnismäßig selten
höhere politische Ämter
bekleiden, obwohl die
Deutschen ihrer allge-
meinen Bildung nach
dazu eher berufen
wären, als manche an-
dere fremdgeborenen
Elemente, die sich stets
einen großen Teil der
öffentlichen Ämter, be-
sonders in den Städten,
zu sichern wissen.
Die Erklärung für die verhältnismäßig geringe Beteiligung des Deutsch-
amerikanertums an politischen Ämtern ist in mannigfachen Umständen be-
gründet. Zunächst ist zu beachten, daß von den in den Vereinigten Staaten
einwandernden Deutschen nur wenige der englischen Sprache mächtig sind.
Diese so zu erlernen, daß sie im.stande wären, in dieser fremden Zunge parla-
Friedrich August Mühlenberg, Vorsitzender im Abgeordneten-
hause des Bundeskongresses 1789—1791 und 1793—1795.
— 333 —
mentarische Kämpfe auszufechten, gelingt nur einzelnen, wogegen dem Irländer
dies sprachliche Hindernis nicht im Wege steht. Auch ist zu beachten, daß die
in die Vereinigten Staaten einwandernden Deutschen von vornherein nicht in
der Absicht kommen, um am politischen Leben teilzunehmen. Sie kommen zu-
nächst, um sich eine bessere Existenz, als ihnen im alten Vaterland zu erringen
möglich war, zu suchen. Bei ihrer Ankunft meist nicht mit großen Geldmitteln
versehen, sind sie genötigt, ihr Auskommen in sichern Berufen zu suchen. Sind
sie hierin erfolgreich, so entschließen sie sich begreiflicherweise selten dazu, die
eroberte Stellung aufzugeben und fragliche Erfolge auf dem schwankenden
Boden der Politik zu suchen, auf dem ihnen obendrein in den Amerikanern und
Irländem so gewichtige Nebenbuhler gegenüberstehen. Berücksichtigt man,
daß auch das Deutsche Reich nur wenige berufsmäßige Politiker besitzt, so
kann die geringe Zahl deutschamerikanischer Politiker kaum überraschen, wenn
man die obigen Gründe in Erwägung zieht. Dazu kommt, daß bis heute in
Amerika die berufsmäßigen Politiker, manche verdiente Männer ausgenommen,
durchaus nicht die Achtung genießen, die in Europa den Parlamentariern, den
Vertretern des Volks, entgegengebracht wird. Man hat in Amerika soviel von
gewerbsmäßigen Beute- und Maschinenpolitikern erlebt und erlitten, daß auch
das bessere Amerikanertum lange Zeit allen Geschmack an der Politik verlor,
und dieselbe, natürlich zu noch größerem Schaden für die Allgemeinheit, den
zweifelhaftesten Persönlichkeiten überließ. Diese Abneigung gegen die Politik
ist auch bei den Deutschamerikanern in hohem Grade vorhanden ; die Mehrzahl
folgt den Schleichwegen der Politiker ohne Interesse oder voll Widerwillen. Es
mag hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, daß das Deutschamerikanertum
nur in außergewöhnlichen Fällen sich zu einem einmütigen Handeln bewegen
läßt; zudem kommt, daß es sich über ein Gebiet verteilt, welches an Ausdehnung
Deutschland siebzehnmai übertrifft und in 48 Staaten und mehrere Territorien
zerfällt, die für sich wiederum ihre besonderen Interessen und gesetzgebenden
Körperschaften besitzen. Da die in diesem ungeheuren Gebiet unter den verschieden-
artigsten Bedingungen lebenden Deutschen auch nicht wie die auf die Wieder-
aufrichtung Irlands hoffenden und durch den Katholizismus zusammen-
gehaltenen Irländer durch Sonderinteressen oder ein gemeinsames religiöses
Band aneinandergekittet sind, sondern in ihren politischen und religiösen An-
sichten weit auseinandergehen, so ist auch an die Verwirklichung einer deut-
schen Partei, welche alle in den Vereinigten Staaten lebenden Deutschen um-
fasse, nicht zu denken. So wenig ein solcher Traum, der in den Köpfen einiger
schwärmerischer Achtundvierziger entstand, in Deutschland verwirklicht werden
könnte, so wenig würde er sich hier herbeiführen lassen. Zumal er von der
großen Masse der Deutschamerikaner nicht gehegt und von den einsichtsvolleren
Deutschen nicht befürwortet wird. Versuche zu seiner Verwirklichung würden
ohne praktische Folgen bleiben.
In dieser Erkenntnis haben die mit den amerikanischen Verhältnissen ver-
trauten Deutschamerikaner den Plan einer besonderen deutschamerikanischen
— 334 —
Partei nie unterstützt Sie wollen keinen Staat im Staate bilden, sondern sich
nur als amerikanische Bürger deutscher Abstammung betrachtet wissen. Als
solche schließen sie sich je nach ihrer Überzeugung einer der bestehenden
großen Parteien an oder bleiben unabhängig, um derjenigen Partei zum Siege
zu verhelfen, die für die Durchführung berechtigter Wünsche die beste Aussicht
darbietet.
Fälle, wo große Massen des Deutschamerikanertums eine solche unab-
hängige Stellung einnahmen und durch ihre Unterstützung einer bestimmten
Partei den Sieg verschafften, waren beispielsweise die Präsidenten\vahlen der
Jahre 1860, 1892 und 1896. In dem erstgenannten Jahre stimmte fast das ge-
samte Deutschamerikanertum für Lincoln als den Gegner der Sklaverei; 1892
unterstützte es Cleveland als den Vertreter des Freihandels, während es in der
Präsidentenwahl des Jahres 1896 fast einstimmig für Gutgeld und ehrliche
Finanzwirtschaft eintrat.
Daß Lincoln seine Erwählung den Deutschen des Westens verdankte, hat
er oft genug selbst zugestanden. Bis in die Mitte der fünziger Jahre hinein
hatten die Deutschamerikaner meist demokratisch gestimmt. Dann trat aber,
durch die machtvollen Reden von Karl Schurz, des in Cincinnati wohn-
haften Juristen Johann BernhardStallo und anderer deutscher Männer
bewirkt, ein sichtlicher Umschwung ein. Im Jahre 1860 schieden die Deutschen
bereits massenhaft aus der demokratischen Partei aus und gingen zu den Repu-
blikanern über. Durch sie wurden die Staaten Indiana, Illinois, Iowa, Michi-
gan, Minnesota, Wisconsin und Ohio mit insgesamt 66 Elektoralstimmen für
Lincoln gesichert.
Die Bedeutung des deutschen Votums in der Sklavenfrage ist auch von
vielen großdenkenden Amerikanern stets anerkannt worden. So sprach Charles
Sumner am 25. Februar 1862 im Senat der Vereinigten Staaten folgende Worte:
„Unsere deutschen Mitbürger sind in dem langen Kampfe mit der Sklaverei
nicht nur ernst und treu gewesen, sondern haben die große Frage stets in
ihrer wahren Natur und Bedeutung gesehen. Ohne sie würde unsere Sache
bei der letzten Präsidentenwahl nicht gesiegt haben."
Und Andrew White äußerte sich folgendermaßen: „Die Reden, die die
deutschen Männer vor Ausbruch des Bürgerkriegs über die großen, unser Land
bewegenden Fragen hielten, waren voll hoher Gesichtspunkte, voll neuer mäch-
tiger Ideen, von denen wir alle lernten. Sie behandelten die politischen und
sozialverderblichen Einflüsse der Sklaverei auf das Land, seine Institutionen,
die Sklavenhalter und die weiße Bevölkerung. Und ihre Argumente trugen sie
mit einem Feuereifer der Überzeugung und einer Beredsamkeit vor, die alle An-
hänger der Union mit fortriß und für die Gestaltung des Kriegs und seinen
Ausgang von größter Bedeutung war."
Cleveland wurde im Jahre 1881 durch die Stimmen der Deutschen von
Buffalo zum Bürgermeister jener Stadt und im folgenden Jahre durch die
Stimmen der Deutschen des Staates zum Gouverneur von New York erwählt.
— 335 —
Und deutsche Bürger des ganzen Landes scharten sich um Clevelands Banner
in den drei Nationalwahlen, in welchen er als Präsidentschaftskandidat der
demokratischen Partei figurierte. Seinen großen Triumph im Jahre 1892, wo
er die Elektoralstimmen der republikanischen Staaten Illinois und Wisconsin,
teilweise auch von Michigan gewann, verdankte er gleichfalls der Unterstützung
seitens der Deutschen.
Zu den Verdiensten der Deutschen gehört es auch, die Reformierung der
amerikanischen Städteverwaltung angebahnt, am nachdrücklichsten für die
Tilgung veralteter Gesetze und am kräftigsten für die Erhaltung und Erweite-
rung der persönlichen Freiheit gekämpft zu haben. Sie taten dies durch Grün-
dung zahlreicher, in fast allen größeren Städten bestehenden Reformvereine,
wie z. B. die„IndependentCitizensUnionofMarylan d", deren
Programm unter anderem folgende Erklärung enthält: „Sie bezweckt zum all-
gemeinen Besten die Überwachung aller öffentlichen Angelegenheiten sowie die
Sicherung einer ehrlichen, wirksamen und sparsamen Verwaltung in Stadt und
Staat. Sie will die Befähigung und den Charakter aller Bewerber um ein Amt
feststellen, und nach ihrer Erwählung einen Rekord über ihre amdiche Tätigkeit
anfertigen. Sie will ferner die Grundsätze einer repräsentativen Regierung
sichern und die bürgerlichen und politischen Rechte ihrer Mitglieder schützen.
Endlich auch die Aufhebung veralteter und schädlicher Gesetze bewirken und
die Wohlfahrt des Volks durch alle ehrenhaften und gesetzlichen Mittel
fördern."
In vielen Städten war es solchen deutschen Reformvereinigungen beschie-
den, bei kritischen Wahlgängen die Entscheidung zugunsten solcher Parteien
und Personen herbeizuführen, deren Grundsätze und Charakter eine Besserung
der vorhandenen Zustände verbürgten.
Wie sehr die amerikanischen Politiker mit dem deutschen Votum rechnen,
zeigt die Tatsache, daß keine der beiden großen Parteien in einen Wahlkampf
eintritt, ohne vorher sich über die Stimmung und die Wünsche der Deutschen
genau vergewissert und denselben bei der Abfassung der Prinzipienerklärung
Rechnung getragen zu haben.
An hochbegabten Deutschen, die im politischen Leben Amerikas eine an-
gesehene Rolle spielten, hat es keineswegs gefehlt. Einem Deutschamerikaner,
Friedrich August Mühlenberg, einem Sohn des berühmten Geist-
lichen Heinrich Melchior Mühlenberg, fiel die hohe Ehre anheim, im Jahre
1789 in der ersten Tagung des Bundeskongresses zum Vorsitzenden des Ab-
geordnetenhauses erw.^hlt zu werden. Er bekleidete diese wichtige Stelle von
1789 bis 1791 sowie von 1793 bis 1795. Als Vertreter des Staates Pennsylvanien
gehörte er ferner dem ersten, zweiten, dritten und vierten Bundeskongreß an.
— 336 —
Sein Bruder, der berühmte General Peter Mühlenberg, war Ab-
geordneter Pennsylvaniens im ersten, zweiten und sechsten Kongreß. 1806
wurde er Bundessenator.
Als Senatoren fungierten ferner die Deutschen Jakob Schüremann
(1799 bis 1801), Michael Leib (1804 bis 1806) und Karl Schurz
(1869 bis 1875).
Von den zahlreichen deutschgeborenen Abgeordneten gehören Gustav
Schleicher, Georg Bär, Friedrich Conrad, Adam Seybert,
David Rütschi, Michael Hahn, Lorenz Brentano, Anton
Eickhoff, Leopold Maaß, Nikolaus Müller, Robert
H. Foerderer, Peter V. Deuster, Richard Günther und
Richard Barthold zu denjenigen, die durch wiederholte Wahl ausge-
zeichnet und weithin bekannt wurden.
Der bedeutende Einfluß, den die Deutschamerikaner in Pennsylvanien
zeitweise ausübten, läßt sich am besten aus der Tatsache erkennen, daß sie mit
nur einer Unterbrechung jenem Staate während des Zeitraums von 1808 bis
1839 sämtliche Gouverneure lieferten. Diese waren Simon Schnyder,
welcher die drei Termine von 1808 bis 1817 ausfüllte; Joseph Heister
oder H i e s t e r (1820 bis 1823); Johann AndreasSchulze (1823 bis
1829); Georg Wolf (1829 bis 1835) und Joseph Ritner (1835 bis
1839). Ihnen gesellten sich später noch die Deutschamerikaner Francis
Seh unk (1845 bis 1848); William Bigler (1852 bis 1855); John
F. Hartranft (1873 bis 1879); John A. Beaver (1887 bis 1891) und
Samuel W. Pennypacker (Pannebäcker) (1903 bis 1906) hinzu.
Von Gouverneuren deutscher Abstammung wurden ferner Johann
B r o u c k in New York, Adam Treutlen in Georgia, A. B. Fleming
in Westvirginia, Franz Hoffmann und Johann Altgeld in Illinois,
Michael Hahn in Louisiana, Johann Anton Quitmann in
Mississippi, Eduard Salomon in Wisconsin und Wilhelm Meyers
in Colorado weiteren Kreisen bekannt.
Außer den Genannten nahmen viele andere Deutschgeborene und Ab-
kömmlinge solcher am politischen Leben der Vereinigten Staaten in hervor-
ragender Weise teil. Beispielsweise Wilhelm Wirt, der als Generalanwalt
im Kabinett des Präsidenten Monroe saß, und diese Stellung zwölf Jahre lang,
bis zum Schluß des Amtstermins des Präsidenten Quincy Adams, bekleidete.
Ferner Gustav Körner, Vizegouverneur des Staates Illinois und Gesandter
in Spanien; Richter Johann Bernhard Stallo, Gesandter in Italien;
John Wannamaker, Generalpostmeister unter der Administration des
Präsidenten Harrison. Generalpostmeister im Kabinett des Präsidenten Roose-
velt war der in Boston geborene Georg von Lengerke-Meyer, dessen
Vorfahren aus Norddeutschland stammen. Er hatte im diplomatischen Dienst
als Botschafter in Rom und St. Petersburg bereits Verwendung gefunden. Er
bewährte sich in allen Stellen so, daß Präsident Taft bei der Bildung seines
— 337 —
Kabinetts ihn übernahm und zum Marineminister ernannte. Taft berief noch
zwei andere Amerikaner deutscher Abkunft in sein Kabinett. Dem ebenfalls im
öffentlichen Dienst durchaus erfahrenen Richard Achilles Ballinger
übertrug er das Ministerium des Innern, und dem aus Texas stammenden
Charles Nagel das bisher von dem Israeliten Oskar Straus inne-
gehabte Ministerium für Handel und Gewerbe.
Bei einer Würdigung des Einflusses der Deutschamerikaner auf das poli-
tische Leben Amerikas dürfen wir auch zweier deutscher Künstler nicht ver-
gessen, die durch ihre politischen Karikaturen und Kartons die öffentliche Mei-
nung jahrelang mächtig beeinflußten. Diese beiden waren die Zeichner
Thomas Nast und Joseph Keppler. Der erste traktierte seinerzeit
die für die Korruption der New Yorker Stadtverwaltung verantwortliche
Tammany-Gesellschaft mit fürchterlichen Geißelhieben und trug dadurch un-
geheuer zur Beseitigung des Tammanyhäuptlings Tweed und seiner Helfers-
helfer bei. Während des Bürgerkriegs war Nast als Zeichner für „Harpers
Weekly" tätig. Seine Bilder und Karikaturen wurden im Norden vom Volke
geradezu verschlungen. Im Süden hingegen gehörte Nast zu den am meisten
gehaßten und gefürchteten „Yankees". Nast starb als Generalkonsul der Ver-
einigten Staaten in Ecuador.
Keppler begründete die politisch-satirische Wochenschrift „Puck" und
veröffentlichte in dieser ungemein eindrucksvolle Bilder, von denen viele an
nachhaltiger Wirkung manche Wahlrede weit übertrafen.
Keinem von allen bisher genannten Deutschen war aber im. politischen
Leben Amerikas eine so bedeutende Rolle beschieden, wie dem Rheinländer
Karl Schurz, dem es dank seiner hervorragenden Fähigkeiten und seltenen
Charaktereigenschaften gelang, nicht bloß die höchsten, einem nicht in Amerika
geborenen Mann in der Regierung der Vereinigten Staaten zugängigen Stel-
lungen, sondern auch einen großen Einfluß auf das amerikanische Volk zu
gewinnen.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 22
Karl Schurz.
Karl Schurz wurde am 2. März 1829 in Liblar bei Köln geboren,
unweit jener Stelle, wo die Ufer des grüngoldigen Rheins ihre höchsten Reize
entfalten und sich zum sagenumwobenen, von Ruinen und Burgen gekrönten
Siebengebirge erheben.
Wessen Wiege in solcher Umgebung stand, kann kaum etwas anderes
sein und werden als ein Idealist. Und ein Idealist war Schurz sein Leben lang.
Der sonnig milde Charakter der Heimat übertrug sich auf sein Gemüt, das
neben unendlicher Milde und Güte den heiteren Frohsinn, den nie verzagenden
Optimismus des Rheinländers zeigte.
Neben diesen anmutenden Eigenschaften verlieh die gütige Natur ihm
manche andere wertvolle Gaben: einen scharfen, durchdringenden Verstand
und einen Blick von seltener Klarheit, die ihn alle Verhältnisse rasch erfassen
ließen. Dazu ein feines Gefühl für die Schönheiten der Schrift und Sprache
und — last but not least — eine wahrhaft glänzende Rednergabe. Was er
in späteren Jahren über den großen Virginier Henry Clay schrieb, derselbe
habe das echte rednerische Temperament, jene Macht nervöser Erregung be-
sessen, wo der Redner andern wie ein höheres Wesen erscheint und seine Ge-
danken, seine Leidenschaften und seinen Willen in den Geist und Sinn des Zu-
hörers hinüberfließen läßt, das galt auch von Schurz. Seine unvergleichliche
Logik, das Feuer seiner Begeisterung, seine mit einem bestrickenden Wohlklang
der Stimme verbundene glänzende Ausdrucksweise übten auf alle Höier eine
so faszinierende Wirkung, daß sie wie verzaubert an seinen Lippen hingen.
Aber nicht bloß die Umgebung, sondern auch die Verhähnisse modellieren
den Menschen. Während seiner Studienzeit auf der Universität Bonn zu den
Schülern des Kunstgelehrten und Idealisten Gottfried Kinkel gehörend, lernte
er die entwürdigende Lage des unter dem Druck rückschrittlicher Regierungen
seufzenden deutschen Volkes erkennen. Als in den vierziger Jahren die auf den
Sturz dieser Regierungen abzielenden Aufstände im Rheinland losbrachen,
nahmen Kinkel wie Schurz an denselben teil. Nach dem Mißlingen der ge-
planten Erstürmung des Zeughauses in Siegburg wandten beide sich nach
Baden. Hier zählten sie zu denjenigen, welche nach dem Abzug des ge-
schlagenen Revolutionsheeres die Festung Rastatt verteidigten, aber am 23. Juli
1848 vor einer ungeheuren Übermacht die Waffen strecken mußten.
— 339 —
Schurz war einer der wenigen, denen es glückte, sicii durch die Flucht
langjähriger Gefangenschaft zu entziehen. Seinem zu zwanzigjähriger Zucht-
hausstrafe verurteilten Lehrer Kinkel verhalf er im November 1850 durch eine
kühne Tat zur Freiheit. Beide wandten sich nach England, von wo Schurz
später, dem großen Strom der politischen Flüchtlinge folgend, sich im Sep-
tember 1852 nach Amerika einschiffte.
Als er hier eintraf, fand er die Vereinigten Staaten in schlimmer Gärung.
Norden und Süden standen betreffs der Sklavenfrage einander schroff gegen-
über. Alle Anzeichen lieikn erkennen, daß diese alte Streitfrage nunmehr zur
endlichen Entscheidung dränge. Auf welcher Seite Schurz stehen werde, konnte
keinem Zweifel unterliegen. Schon im Jahre 1858 trat er als englischer Redner
auf. Seine erste große Rede „The Irrepressible Conflict" wurde überall ver-
breitet. Noch größeren Erfolg hatte seine berühmte, im Jahre 1860 gehaltene
Rede „The Doom of Slavery''. Dieselbe fand im ganzen Lande mächtigen
Widerhall. Besonders deshalb, weil Schurz in der Sklavenfrage Gesichtspunkte
aufstellte, welche neu und weit mächtiger wirkten, als die bisher ins Feld ge-
führten rein rechtlichen und menschlichen Argumente. Schurz beleuchtete
nämlich auch die politisch und sozial verderblichen Einflüsse, welche die Dul-
dung der Sklaverei auf das Land, seine Einrichtungen und Bevölkerung aus-
üben müsse und tat dies in so überzeugender Weise und mit solcher Beredsam-
keit, daß seine Ansprachen an Wirksamkeit staatsmännischen Taten gleich-
kamen.
Es war in jenen erregten Zeiten, wo das Geschick ihn mit Abraham
Lincoln zusammenführte. Beide an großen Eigenschaften gleichen Männer er-
kannten den gegenseitigen Wert. Es bedurfte keines Schachers, um Schurz zu
bestimmen, von nun an mit der vollen Begeisterung eines an den Triumph der
allgemeinen Menschenrechte glaubenden deutschen Akademikers für die Nomina-
tion und Wahl Lincolns zum Präsidenten einzutreten.
Schurz tat dies als einer der Gründer der jungen republikanischen Partei.
Als einer der hervorragendsten Wortführer derselben bewirkte er im Verein mit
S t a 1 1 o und anderen her\'orragenden Deutschen des Westens einen so ge-
waltigen Umschwung in der Stellung der im Westen wohnenden Deutschen,
daß dieselben bei der Präsidentenwahl des Jahres 1860 massenhaft aus der
demokratischen Partei ausschieden und zu den Republikanern übergingen. Da-
durch wurden die Staaten Ohio, Indiana, Illinois, Michigan, Wisconsin, Iowa
und Minnesota für Lincoln gesichert.
In dankbarer Anerkennung dieser Unterstützung und aus persönlicher
Wertschätzung ernannte Lincoln nach seinem Amtsantritt Schurz zum Gesandten
in Spanien, ein außergewöhnliches Zeichen des Vertrauens, da gerade auf diesem
Posten ein kluger und taktvoller Mann stehen mußte, der es vermochte, die
Spanier in dem zu erwartenden Krieg zwischen Norden und Süden zum Auf-
rechterhalten der Neutralität zu bestimmen.
Sobald Schurz dieses Erfolgs gewiß war, kehrte er schleunigst nach
22*
— 340 —
Amerika zurück, um zur Befreiung der Sklaven auch mit dem Schwert beizu-
tragen. Als Führer größerer Heerkörper nahm er an den Schlachten am Bull
Run, bei Chancellorsville, Gettysburg und am Lookout Mountain teil. Er be-
wies dabei Umsicht und Tapferkeit in solchem Maß, daß er in Anerkennung
seiner Verdienste zum Generalmajor ernannt wurde.
Nachdem der Bürgerkrieg vorüber, erhielt Schurz vom Präsidenten John-
son den Auftrag, die Zustände des Südens zu studieren und ein Gutachten ab-
zugeben, welche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Union dienen könnten.
Norden und Süden waren durch den Krieg einander völlig entfremdet. Die
radikalen Elemente der republikanischen Partei, ergrimmt über die Ermordung
des Präsidenten Lincoln und die furchtbaren, durch den Krieg verursachten
Opfer, wollten an dem Süden exemplarische Vergeltung üben und ihn unfähig
machen, im inneren politischen Leben der Union je wieder eine Rolle zu spielen.
Ihrem Betreiben war es zuzuschreiben, daß die weißen Südländer aller poli-
tischen und bürgerlichen Rechte entkleidet wurden, die sie vor dem Kriege
genossen hatten. Darüber waren die stolzen Südländer, die vormals zu den
Führern und Ratgebern des Volkes gezählt hatten, mit tiefster Bitterkeit erfüllt.
Aber mehr noch durch den Umstand, daß man die freigewordenen Neger sämt-
liche Rechte genießen ließ, die man den weißen Bürgern verwehrte.
Was unter solchen Verhältnissen der beste Kurs gewesen wäre, der im
Süden hätte eingeschlagen werden sollen, dürfte vielleicht stets eine offene Frage
bleiben. Schurz erkannte die logischen Resultate des Krieges in jeder Hinsicht
an. Er empfahl die Einführung und den Schutz der freien Arbeit an Stelle der
Sklavenarbeit. Aber er wollte auch die früheren Herren der Sklaven ebenso als
Menschen behandelt wissen wie die Freigewordenen. Er befürwortete deshalb
die Aufhebung der politischen Entrechtung der weißen Südländer, drang mit
dieser Empfehlung aber nicht durch.
Während der nächsten Jahre war Schurz Redakteur verschiedener großer
Zeitungen. 186Q erfolgte seine Entsendung in den Bundessenat als Vertreter
des Staates Missouri.
Der Senat war der Boden, auf dem Schurz seine glänzenden Eigenschaften
voll entfalten konnte. Er zeigte sich nicht nur als Meister der Rede, sondern
auch der Debatte Von ihm sagte die „New York Evening Post" am 14. Mai
1906: „Er war nicht nur der wirkungsvollste Redner der republikanischen
Partei, sondern der größte Redner, der während unserer Generation im Kongreß
erschienen ist. Ungleich vielen seiner ausgezeichneten Herren Kollegen bediente
er sich niemals flacher, bombastischer Redensarten, noch jener ausgetretenen
Kunstgriffe, mit welchen Demagogen seit undenklichen Zeiten die Ohren des
Pöbels zu kitzeln suchen. Wie von ihm treffend gesagt worden ist, sprach er
immer als ein vernünftig denkender Mann zu vernünftigen Männern; stets war
er über den Gegenstand seiner Rede vorzüglich unterrichtet, und die Folge war,
daß er stets etwas vorbrachte, was der ernsten Beachtung auch jener Personen
wert war, die sich in ihren Ansichten von ihm unterschieden."
— 341 —
Karl Schurz offenbarte sich schon damals als eine der eigenartigsten Per-
sönlichkeiten unter den amerikanischen Staatsmännern : als Idealisten edelsten
Schlages, der, von tiefem Glauben an die hohe Kulturmission der Vereinigten
Staaten durchdrungen, sich selbst die höchsten Ziele steckte und dieselben zu
erreichen strebte. „Man mag mir vorwerfen", so äußerte er sich einst, „daß
meine Anschauungen phantastisch sind; daß die Geschicke, denen dieses Land
entgegengeht, weniger hehrer Art sind; daß das amerikanische Volk nicht so
groß ist, wie ich glaube, oder wie es meiner Ansicht nach sein sollte. Ich ant-
worte darauf, daß die Ideale den Sternen am Himmelszelt gleichen. Niemand
wird je imstande sein, sie mit seinen Händen zu berühren. Aber der Mensch,
der wie der Seemann auf der weiten Wüste des Weltmeeres sie zu seinen Füh-
rern nimmt, wird, wenn er ihnen nur getreulich folgt, sein Ziel sicher erreichen."
Um jene Zeit saß der während des Bürgerkriegs zu großem Ruhm ge-
langte General Grant als Präsident im Weißen Hause. Unter seiner Verwaltung
nahmen Korruption und Ämterschacher so überhand, daß Schurz, angeekelt
durch diese Zustände, sich von den radikalen Republikanern abwandte und
eine neue Partei, die der liberalen Republikaner gründen half. Dieselbe setzte
der Grantschen Administration heftigen Widerstand entgegen und stellte, als
eine neue Präsidentenwahl nötig wurde, Horace Greeley auf, der aber im Wahl-
kampf unterlag.
Größeren Erfolg hatte Schurz bei der Präsidentenwahl des Jahres 1876.
Er unterstützte dabei den Republikaner Rutherford B. Hayes, weil er diesen in
der entbrennenden Währungsfrage für den zuverlässigsten der aufgestellten
Kandidaten hielt. Nach der Einführung Hayes in sein Amt erreichte Schurz
den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn. Er wurde als Minister des Innern
in das Kabinett berufen und bekleidete diesen verantwortungsvollen Posten bis
zum Jahre 1881.
Während dieser Periode bahnte Schurz manche wichtige Neuerungen an,
deren Bedeutung erst in späteren Jahren erkannt und gewürdigt wurden. So
trat er aufs nachdrücklichste der beispiellosen Wälderverwüstung entgegen und
mahnte zum Schutz der Forsten. Wenn dafür die der Zerstörung des Wald-
reichtums schuldigen Spekulanten ihn höhnisch den „Amerikanischen Ober-
förster" tauften, so ahnten sie nicht, daß dieser Spottname eines Tages einem
Ehrentitel gleichkommen würde.
Es gelang Schurz nur schwer, das amerikanische Volk von der Bedeutung
der Wälder und der Notwendigkeit ihres Schutzes zu überzeugen. Noch
weniger war es reif für die Anschauung, daß Ehrlichkeit und gesunder Men-
schenverstand auch für die Forstverwaltung notwendig seien. Den Umschwung
in der Volksstimmung herbeigeführt zu haben, gehört zu den großen Ver-
diensten, die Karl Schurz sich um dieses Land erworben hat.
Energisch befürwortete Schurz auch die bessere Behandlung der schreck-
lich mißbrauchten Indianer. Er sorgte nicht bloß für die Abschaffung grober
Mißbräuche in der Indianerverwaltung, sondern auch für die Einhaltung der
— 342 —
mit den Stämmen geschlossenen Verträge, ferner für die Errichtung geeigneter
Schulen, in denen diese „Mündel der Nation'' zu zivilisiertem Leben heran-
gezogen werden könnten. Die berühmte Indianerschule zu Carlisle, Pa., wurde
unter seiner Verwaltung gegründet.
Schurz nahm femer Gelegenheit, die von ihm seit Jahren befürwortete
Verbesserung des Zivildienstes praktisch zu betätigen. Seitdem unter Präsident
Andrew Jackson der Grundsatz „Dem Sieger gehört die Beute" in die Politik
eingeführt worden war, hatte die Beutewirtschaft in erschreckender Weise um
sich gegriffen. Sie drohte das ganze amerikanische Staatswesen zu vergiften.
Die schwersten Schäden dieses Systems bestanden darin, daß an Stelle der von
Vaterlandsliebe und Selbstlosigkeit getragenen Helden der amerikanischen Re-
volution selbstsüchtige, grundsatzlose und käufliche Berufspolitiker traten, von
denen die frechsten sich zu „Bossen", das heißt Parteipäpsten aufwarfen, die
alle Macht an sich rissen und ihre Anhänger für die geleisteten Parteidienste
mit öffentlichen Ämtern belohnten, ohne nach Befähigung oder Ehrlichkeit zu
fragen. Es galt der Grundsatz „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch
Verstand". Diesen Verstand benutzten die Beutepolitiker aber nur dazu, um
das Volk zu plündern, während sie den öffentlichen Dienst in unzulänglichster
Weise verrichteten.
Nicht zum wenigsten waren es die Deutschamerikaner, die, von ihrer
Heimat her an ein tüchtiges und ehrliches Beamtentum gewöhnt, auf den immer
notwendiger werdenden Kampf gegen das Beutesystem hindrängten. Als er
endlich aufgenommen wurde, waren sie es, die ihn in der nachdrücklichsten
Weise führen halfen. Ihr Vorkämpfer war Schurz, der energisch für die Um-
gestaltung des Zivildienstes eintrat und mit seinen amerikanischen Gesinnungs-
genossen befürwortete, daß der bürgerliche Dienst von der Politik vollständig
getrennt werden und daß Tüchtigkeit und Unbescholtenheit die Vorbedingungen
sein sollten, um ein öffentliches Amt zu erhalten. Viele Jahre hindurch blieb
der Kampf vergeblich, denn die Beutepolitiker besaßen ungeheure Macht und
verstanden es trefflich, allerhand Gründe für ihr eigenes System ins Feld zu
führen. Sie gaben vor, daß die Zivildienstreformer die Einführung europäischer,
monarchischer Zustände beabsichtigten, welche eine zünftige Bureaukratie voll
Überhebung hervorrufen müßten, deren Glieder durch langes Verbleiben in
den Stellungen einseitig würden und nicht im Einklang stünden mit der jewei-
ligen, durch die Wahlen bekundeten politischen Richtung sowie den Vertretern
dieser Richtung in den obersten Ämtern, denen es doch bei ihrer Verantwort-
lichkeit überlassen bleiben müßte, ihre Untergebenen selbst auszusuchen. Erst
zu Anfang der achtziger Jahre, nachdem die Betrügereien, Unterschlagungen
und andere durch öffentliche Beamte hervorgerufene Skandale allzuhäufig
wurden, konnten die Zivildienstreformer sich der ersten sichtbaren Erfolge
rühmen. Seit jener Zeit hat ihre Sache so bedeutende Fortschritte gemacht,
daß nunmehr alle Bundesbeamte mit Ausnahme derer, die vom Präsidenten zu
ernennen und vom Senat zu bestätigen sind, dem Zivildienstgesetz unterstehen.
c.
— 345 —
Auch im Verwaltungsdienst vieler Staaten, Gemeinde- und Stadtverwal-
tungen fand die Zivildienstreform Eingang. Überall erkannte man die unge-
heuren Vorteile der Bewegung, durch deren Anbahnung und Ausbreitung
Schurz sich Verdienste erwarb, die ihm einen glänzenden Namen in der Ge-
schichte der Vereinigten Staaten sichern. Wie eng Schurz mit der Bewegung
verbunden war, ergibt sich daraus, daß er viele Jahre lang den Vorsitz im
Zivildienstbund führte.
Nach Ablauf der Hayesschen Administration widmete Schurz sich aufs
neue der journalistischen Tätigkeit. Er unterbrach dieselbe wieder, als die Prä-
sidentschaftskampagne des Jahres 1884 heranrückte.
Es war damals, wo Schurz eine ungeheures Aufsehen erregende Schwen-
kung unternahm. Er, bisher Republikaner, unterstützte die Wahl des demo-
kratischen Reformgouverneurs von New York, Grover Cleveland, gegen den
Republikaner Blaine. Zu diesem Schritt ließ Schurz sich durch den persön-
lichen Wert des einen und den Minderwert des anderen Kandidaten bestimmen.
Obwohl er die Notwendigkeit der Organisation zum Zweck der erfolg-
reichen Durchführung bestimmter Ziele stets anerkannte, verpflichtete er sich nie
dazu, einer bestimmten Partei anzugehören und mit derselben durch Dick und
Dünn zu marschieren. Die Losung „My party, right or wrong" („Meine Partei,
ob recht, ob unrecht!'') stieß ihn ab. Er betrachtete die Parteien nicht als
Selbstzweck, sondern nur als Mittel zum Zweck. Deshalb focht er, je nachdem
die Umstände es forderten, bald auf selten der Republikaner, bald auf selten der
Demokraten oder unabhängiger Vereinigungen.
Dies Verhalten wurde ihm von vielen zum Vorwurf gemacht. Schurz
ließ sich aber dadurch nicht beirren, sondern fuhr fort, in allen das Land
angehenden Fragen seinen eignen Grundsätzen und seiner Überzeugung getreu
zu bleiben und zu handeln. Es kann deshalb diejenigen, welche mit der Finanz-
geschichte der Vereinigten Staaten vertraut sind, nicht überraschen, daß Schurz
im Jahre 1896 als Unabhängiger für die Wahl McKinleys eintrat. Die Gründe
dafür waren folgende: Unter der Regierung Clevelands machten die westlichen
Silberminenbesitzer ungeheure Anstrengungen, den Kongreß zur Annahme von
Gesetzen zu bestimmen, durch welche die sogenannte Silberfreiprägung wieder
aufgenommen werden sollte, wonach es jedermann gestattet wäre, seine etwaigen
Vorräte an Rohsilber in Münzen der Vereinigten Staaten umprägen zu lassen.
Beim niedrigen Stand des Silberpreises hätte die Annahme eines solchen Ge-
setzes für die über kolossale Vorräte an Rohsilber verfügenden Silberleute unge-
heuren Gewinn bedeutet; das Land hingegen würde unter dem Zwang, den
Wert seiner Münzen aufrechtzuerhalten, entsetzliche Verluste erlitten haben,
wenn es nicht gar dem finanziellen Zusammenbruch zugetrieben worden wäre.
Als Cleveland dem Verlangen der Silberleute sich entgegenstemmte, kam es
nicht bloß zu einer tiefen Spaltung unter den Demokraten, sondern auch zu
einem förmlichen Bruch zwischen dem Präsidenten und dem die Freiprägung
fordernden Flügel seiner eigenen Partei. Die Silberdemokraten stellten darauf
— 346 —
im Verein mit anderen unsicheren Elementen des Westens William Bryan als
Präsidentschaftskandidaten auf, wogegen die Republikaner McKinley zu ihrem
Bannerträger erkoren. Dieser fand, als Cleveland eine Wiederwahl ablehnte,
die Unterstützung aller für ehrliche Finanz Wirtschaft eintretenden Demokraten
und Unabhängigen.
Mit dem gleichen Ernst, mit dem Schurz zur Lösung der Sklavenfrage
beigetragen hatte, beteiligte er sich nun an der Bekämpfung der schwindelhaften
Finanzpolitiker, die mittels der Silberfreiprägung sich auf Kosten des ameri-
kanischen Volkes bereichern wollten. Seine während dieses Streites gehaltenen
Reden verfehlten nicht, durch ihre Logik und überzeugende Gründlichkeit auf
das ganze Amerikanertum tiefsten Eindruck zu machen.
Mit gleichem Eifer stritt Schurz gegen die als eine Folge des spanisch-
amerikanischen Krieges zu betrachtende Expansionspolitik. Trunken von den
in jenem Krieg errungenen glorreichen Siegen, befürwortete ein großer Teil des
amerikanischen Volkes die Annexion der den Spaniern entrissenen Philippinen,
Cubas und Porto Ricos. Darin erblickte Schurz eine schwere Gefährdung jener
Grundsätze, auf denen die Republik der Vereinigten Staaten beruht. Wenn das
amerikanische Volk, so argum.entierte er, zu einer Eroberungspolitik übergehe
und seine Herrschaft gewaltsam über Völkerschaften verhänge, welche derselben
abgeneigt seien und auf eigenen Füßen stehen wollten, so verfalle es dem Im-
perialismus und gebe sowohl seine Grundsätze, wie auch seine hohe Mission,
zu der es vor allen Nationen berufen sei, preis.
Die dem Lande daraus drohenden Gefahren erschienen Schurz so groß,
daß er sich entschloß, in den Wahlkämpfen der Jahre 1899 und 1904 die Demo-
kraten Bryan und Parker gegen die Republikaner McKinley und Roosevelt zu
unterstützen.
Gewiß sind diejenigen im Unrecht, welche Schurz wegen seines häufigen
Parteiwechsels der Unkonsequenz beziehten wollen. Er kehrte einer Partei nur
dann den Rücken, wenn diese inkonsequent wurde und jene Grundsätze ver-
ließ, um derentwillen er sich ihr angeschlossen hatte. Er selbst blieb stets seiner
Überzeugung treu, daß das Wohl des Landes und die Erhaltung der Union
über alles gehe.
Mit vollem Recht wurde an seiner Bahre ausgesprochen, daß er den
wahren Geist des amerikanischen Ideals tiefer, inniger erfaßt habe und ein
reinerer, ausgeprägterer Amerikaner gewesen sei, als die meisten seiner ameri-
kanischen Mitbürger. Sein ganzes Leben war eine fortgesetzte Betätigung der
großen Lehre, ein gewissenhafter, von echtem Patriotismus erfüllter Bürger
zu sein.
Und diese Lehre ist nicht ohne Eindruck geblieben. Nach vielen Tausenden
zählen diejenigen, welche durch das von Schurz gebotene Beispiel dazu be-
geistert wurden, gleichfalls ihren Grundsätzen und Idealen treu zu bleiben und
einzutreten für alles, was sie für recht hielten.
Den gewaltigsten Einfluß übte der seltene Mann naturgemäß auf seine
— 347 —
in den Vereinigten Staaten lebenden Landsleute. Vielen galt er als nachahmens-
wertes Vorbild. Ein erhabeneres hätten sie schwerlich finden können. Denn
wie Schurz im politischen Leben aus den Reihen seiner Mitmenschen hoch
emporragte, so lag auch sein bürgerliches Leben vor aller Augen, makellos und
rein wie lauteres Gold.
Nie hat man gewagt, ihn der Bestechlichkeit oder einer Unwahrheit zu
beschuldigen. Jeder wußte, daß strengste Gewissenhaftigkeit und Wahrheits-
liebe seinen Ehrenschild bildeten, an dem alle Pfeile seiner Gegner wirkungslos
abprallen mußten.
Obwohl Schurz nicht versäumt hatte, sich alle besseren Eigenschaften des
Anglo-Amerikanertums anzueignen, so wurden deutsche Sitten, deutsche Sprache
und deutsche Ehre von keinem im Ausland lebenden Deutschen heiliger ge-
halten als von ihm. Er betonte beständig, daß der deutsche Einwandrer sich
amerikanisieren solle. Aber der für das neue Vaterland ersprießlichste Ameri-
kanisierungsprozeß bestehe für den Deutschen darin, das beste des amerika-
nischen Wesens anzunehmen und das beste des deutschen Charakters zu be-
wahren. Nur so könne er zu der Kultur des großen amerikanischen Sammel-
volkes seinen pflichtniäßigen Beitrag liefern. Von dieser Überzeugung aus-
gehend, richtete Schurz bei unzähligen Gelegenheiten an seine hier eingewan-
derten Landsleute die Mahnung, ihre Ideale und freien Lebensanschauungen,
ihren Erohsinn, ihre Liebe zu Musik, Kunst und Wissenschaft, vor allem auch
ihre herrliche Muttersprache zu bewahren und dieselben als kostbare Besitz-
tümer auf Kinder und Kindeskinder zu vererben.
Aber nicht bloß durch solche Mahnungen leistete Schurz dem Deutsch-
tum Amerikas große Dienste. Er hob auch das Ansehen der Deutschen in
diesem Lande mächtig, indem er sein Leben in echt deutscher, idealer Weise dem
Dienst der Ereiheit, des Fortschritts, der Humanität und Weltkultur weihte.
Noch in den letzten Tagen seines Daseins beteiligte er sich an einem
Aufruf zu einer Massenversammlung der deutschamerikanischen Bevölkerung
von New York, welche dem Verlangen nach einem Schiedsgerichtsvertrag
zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland Ausdruck verlieh.
So war Schurz an allen großen Eragen und Bewegungen beteiligt, die
während der letzten fünfzig Jahre dem amerikanischen Volke zur Entscheidung
vorlagen. Die Ratschläge, die er dabei erteilte, ließen stets erkennen, daß er
hoch über der Masse der amerikanischen Staatsmänner stand, daß er zu der
kleinen Gruppe Auservi^ählter gehöre, zu denen noch die späte Nachwelt voll
Dankbarkeit emporblicken wird.
Aber auch die Besten unserer Zeit zögerten nicht, ihm schon zu Leb-
zeiten die verdiente Anerkennung zu zollen. Als am 2. März 1899 die Elite
der amerikanischen Bevölkerung der Stadt New York sich zur Feier seines
70. Geburtstages zu einem glänzenden Festmahl versammelte, da widmete Ex-
präsident Grover Cleveland dem Jubilar folgende herrliche Worte: „Seine Lauf-
bahn und sein Leben erteilen uns Lehren, welche nicht zu oft und stark genug
— 348 —
betont werden können. Sie illustrieren die Größe selbstlosen öffentlichen
Dienstes und den Edelmut einer furchtlosen Befürwortung von Dingen, welche
recht und gerecht sind. Es würde eine traurige Zeit für unser Land kommen,
wenn unser Volk, im Lichte eines solchen Beispiels, sich weigern sollte, die
beste Staatskunst in unerschütterlichem Festhalten an der Überzeugung, im
Sturm sowohl als im Sonnenschein, zu erkennen. Ich glaube, daß die Zukunft
und das Fortbestehen unserer freien Einrichtungen auf der Pflege der Eigen-
schaften beruhen, welche den Mann auszeichnen, welcher heute geehrt wird."
Und am 21. November 1906, als die Besten der Nation in der Carnegie-
halle der Stadt New York zu einer Schurz-Gedächtnisfeier versammelt waren,
zollte Cleveland dem verewigten deutschamerikanischen Staatsmann einen
zweiten glänzenden Tribut, indem er unter anderem sagte: „Diejenigen unter
uns, welche sich rühnien, angestammte Amerikaner zu sein, sollten nicht ver-
gessen, daß er (Schurz), der auf solche Weise eine Besserung der politischen
Ideen und Gepflogenheiten unserer Nation schuf, von ausländischer Herkunft
war. Und laßt uns ferner mit bewundernder Würdigung gedenken, daß,
während er niemals ein liebreiches Andenken an sein Vaterland erblassen ließ,
er zu gleicher Zeit unvergängliche Lorbeeren in seinem neuen Bürgertum erwarb
und dem Patriotismus seiner Natur durch aufopfernde Ergebenheit und Treue
gegenüber seiner amerikanischen Zugehörigkeit hellen Glanz verlieh. Wenn
sein edles Beispiel und seine Verdienste einen naheliegenden Kontrast bieten,
so sollten sie ganz besonders zu besserer Pflichterfüllung und zu größerer
politischer Fürsorge diejenigen anreizen, welche auf Grund ihres Geburtsrechts
einen bevorzugten Platz in unserem Bürgertum beanspruchen. Und wir alle
sollten uns zu Herzen nehmen die große und eindrucksvolle Lehre, welche
jedem Amerikaner durch das Leben und die Laufbahn von Carl Schurz ein-
geprägt wird. Es ist die Lehre vom moralischen Mut, vom einsichtsvollen und
gewissenhaften Patriotismus, vom unabhängigen politischen Denken, von der
selbstlosen politischen Affiliation und von der beständigen politischen Wach-
samkeit."
Ein anderer Amerikaner, Herbert N. Casson faßte hingegen sein Urteil
über Schurz in folgende Worte zusammen: „Sowohl als Soldat, wie als Staats-
mann, politischer Reformer und Schriftsteller genießt Schurz internationalen
Ruf. Niemals war ein Mann unabhängiger als er und doch so mit allen Fasern
mit dem Volk seiner Zeit so eng verbunden. Sein Leben war so vielseitig wie
ein Diamant und ebeUvSo voll von Licht."
Am 14. Mai des Jahres 1906 fand die irdische Laufbahn dieses bedeu-
tendsten Mannes, den Deutschland den Vereinigten Staaten bisher geliefert hat,
ihren Abschluß.
Karl Schurz ist tot! Aber sein Andenken, seine Lehren und sein Ver-
mächtnis werden leben, solange es in den Vereinigten Staaten Bürger deutscher
Herkunft, solange es für die Ehre und Wohlfahrt ihres Landes eintretende
Amerikaner und solange es eine amerikanische Geschichte geben wird.
Die kulturellen Zustände der Deutschamerikaner
während des 19. Jahrhunderts und ihr Einfluß auf
die amerikanische Bevölkerung.
Der Einfluß der Deutschamerikaner auf die körperliche
Entwicklung der amerikanischen Bevölkerung.
Dem Scharfblick zweier amerikanischer Ärzte waren die ungewöhnhchen
Erfolge nicht entgangen, welche Friedrich Ludwig Jahn, der Vater der deutschen
Turnerei, erzielte, indem er zu Anfang des 19. Jahrhunderts Deutschlands Jugend
durch systematische körperliche Übungen zu einem Geschlecht von wehrhaften,
mit nationalem Sinn erfüllten Männern erzog, die imstande waren, in den großen
Jahren des Befreiungskrieges das Joch der napoleonischen Fremdherrschaft
abzuschütteln.
Diese Mediziner waren die in Boston lebenden Professoren John G. Coffin
und John C. Warren, von welchen der letzte an der Harvard-Universität zu
Cambridge über die Gesetze der Gesundheit las. Durch George Bancroft,
Daniel Webster und andere hervorragende Geister jener Zeit kräftig unterstützt,
befürworteten sie die Einrichtung öffentlicher Turnplätze, wo die Studenten
eine körperliche Erziehung nach deutschem Vorbild empfangen sollten. Warren
versuchte sogar „Vater Jahn, den hervorragenden Philosophen und Gymna-
Kopfleiste: Das Deutsche Haus in Indianapolis, Indiana, der Sitz des Turnlehrer-
seminars des Nordamerikanischen Turnerbundes.
— 350 —
stiker", für das Bostoner Gymnasium zu gewinnen. Dieser Plan sclieiterte
jedoch an der unerschütterlichen Weigerung desselben, sein geliebtes Vater-
land zu verlassen.
Dagegen gelang es, drei als politische Flüchtlinge nach Amerika ver-
schlagene junge Gelehrte zur Übersiedlung nach Massachusetts zu bewegen, die
Doktoren Karl Beck, Karl Folien und Franz Lieber. Alle drei
waren echte Gesinnungsgenossen Jahns und als Studenten eifrige Turner ge-
wesen. Zugleich waren sie hochgebildete, begeisterungsfähige Männer und zur
Durchführung des geplanten Werks hervorragend geeignet.
Beck wurde sofort an die von Bancroft und Cogswell gegründete Round-
Hill-Schule in Northampton, Massachusetts, berufen, wo er nach dem Vorbild
der Jahnschen Turnschulen die erste Turnanstalt in den Vereinigten Staaten
einrichtete. Folien gründete im Mai 1826 an der Harvard-Universität ein Gym-
nasium. Lieber übernahm den Turnunterricht an der Tremont-Schule in Boston,
und so begannen die drei bedeutendsten deutschen Gelehrten, die je nach
Amerika dauernd übersiedelten, ihre neuweltliche Laufbahn als aktive
Turner.
Beck gab auch dem Turnunterricht in Amerika die erste systematische
Grundlage, indem er im Jahre 1828 Jahns „Deutsche Turnkunst" ins Englische
übersetzte, um durch ihre Einführung als Leitfaden für den Turnunterricht in
Privatschulen Propaganda zu machen.
In dieser „Abhandlung über Gymnastik" äußerte Beck sich über den
Wert gymnastischer Übungen folgendermaßen : „Für eine Republik bestehen die
Vorteile gymnastischer Übungen darin, daß sie die verschiedenen Klassen ihres
Volkes in einer gemeinschaftlichen Tätigkeit vereinigen und auf diese Weise für
diejenigen, die durch ihre verschiedene Erziehung und ihre verschiedenen
Lebensstellungen voneinander weit getrennt sind, ein neues Band bilden."
Lieber fügte diesem Ausspruch in seinem berühmten Werk über „Poli-
tische Ethik" hinzu: „Wenn Turnanstalten überall nötig sind, so sind sie es
ganz besonders in diesem Lande. Das amerikanische Klima mit seinem plötz-
Hchen Wechesl von Hitze und Kälte, die Leichtigkeit des Reisens ohne körper-
liche Anstrengungen, unsre freien Institutionen, unsre Abhängigkeit von der
großen Masse des Volks zur Verteidigung des Landes verlangen gebieterisch
solche Gymnasien."
Aus zahlreichen schriftlichen und gedruckten Nachrichten jener Zeit wissen
wir, daß der Turnunterricht von der studierenden Jugend Amerikas mit Be-
geisterung aufgenommen wurde und für ihre körperliche Entwicklung die
besten Folgen hatte.
Nicht lange blieben die obengenannten Pioniere der Turnerei vereinzelt;
befanden sich doch in der mächtigen Flutwelle freiheitsliebender deutscher Ele-
mente, die in dem Zeitraum von 1825 bis 1850 die Vereinigten Staaten über-
schwemmte, tausende und abertausende von Jünglingen und Männern, die den
berühmten Turnerwahlspruch „Frisch! Fromm! Fröhlich! Frei!" im Herzen
— 351 —
trugen und der Überzeugung lebten, daß ein gesunder Körper die Vorbedingung
zu einem gesunden Geist bilde.
Bestrebt, die eigene Spannkraft zu erhalten und auf ihre Kinder zu über-
tragen, vereinten sich diese Jünglinge und Männer in allen größeren Orten zur
Pflege körperlicher und geistiger Ausbildung, so wie sie dieselbe im alten Vater-
lande von Jahn und seinen Aposteln empfangen hatten.
Der erste deutsche Turnverein auf amerikanischem Boden erstand am
21. November 1848 in Cincinnati. Und zwar auf Anregung des berühmten
badischen Freiheitsstreiters Friedrich Hecker. Eine bescheidene Bretter-
hütte diente als erste Behausung.
In demselben Monat entstand auch die New Yorker Turnge-
meinde. Ähnliche Vereine bildeten sich in rascher Folge in Philadelphia,
Boston, Newark, Baltimore, Peoria, Indianapolis, Louisville, Chicago, St. Louis,
San Francisco und zahlreichen anderen Städten.
Leicht war es allerdings nicht, der Turnerei in den Vereinigten Staaten
einen Boden zu schaffen. Außer materiellem Druck mußten blindem Fremden-
haß entsprungene Vorurteile überwunden werden. Ja, an mehreren Orten war
man gezwungen, direkte Angriffe des damals in üppiger Blüte stehenden ameri-
kanischen Rowdytums mit kräftigen Fäusten abzuwehren. Aber zähe Ausdauer
führte auch hier zum Ziel. Der jahrelange Kampf wurde siegreich zu Ende
geführt und deutschen Sitten und Gebräuchen Duldung und Anerkennung
verschafft.
Der Gedanke, zwischen den über das ganze Land verstreuten Vereinen
eine engere Verbindung herzustellen und eine Grundlage zu gemeinschaftlichem
Handeln zu gewinnen, führte im Oktober 1850 zur Gründung des „Nord-
amerikanischen Turnerbundes". Die in den verschiedensten
Städten abgehaltenen Bundes-Turnfeste desselben nahmen einen alle Erwartungen
übertreffenden günstigen Verlauf und machten auch auf das amerikanische Publi-
kum guten Eindruck.
Die bei diesen Festen an die Sieger verteilten Auszeichnungen bestanden
altgriechischem Vorbild gemäß nur aus einfachen Eichenkränzen und Diplomen;
eine Sitte, die bis heute streng eingehalten worden ist.
Den von edler Begeisterung und ungestümer Freiheitsliebe durchglühten
deutschen Flüchtlingen, welche die Turnvereine Amerikas ins Leben riefen,
schwebten aber noch höhere Ziele vor. Der Turnerbund sollte nicht bloß der
körperlichen Kräftigung der Jugend dienen, sondern auch ein Bollwerk poli-
tischer, religiöser und sozialer Freiheit werden und die Jugend für den Fort-
schritt auf allen Lebensbahnen begeistern. Zu diesem Zweck kultivierte man
durch Gründung einer vorzüglich geleiteten „ T u r n z e i t u n g ", durch Er-
richtung guter Bibliotheken, durch Veranstalten von Diskussions-, Vortrags-
und Unterhaltungsabenden das sogenannte „geistige Turnen", um den
Mitgliedern Gelegenheit zu geben, ihren Gesichtskreis zu erweitern und auf
allen Gebieten menschlichen Wissens unterrichtet zu bleiben. Bereitwilligst
— 352 —
stellten sich zahlreiche, geistig hochbegabte Männer in den Dienst dieser hohen
Sache. Ferner zog man berühmte Literaten, Naturforscher, Künstler und Welt-
reisende heran. Alfred Brehm, Robert von Schlagintweit, Ludwig Büchner,
Friedrich Bodenstedt und andere wurden auf diese Weise einem großen Teil
der deutschamerikanischen Bevölkerung bekannt. So wurden die deutsch-
amerikanischen Turnvereine zugleich Bildungsstätten, von wo reichster Segen
über das ganze Land ausströmte.
Die Zukunft des Turnerbundes berechtigte bereits zu den schönsten Hoff-
nungen, als plötzlich, zu F.nde der fünfziger Jahre, alle Errungenschaften mit
einem Schlage in Frage gestellt wurden. Und zwar durch di^ politischen
Wirren, die wie die Schwüle eines Gewitters dem Bürgerkriege vorausgingen.
Entschlossen nahmen die Turnvereine Stellung zu den großen Fragen
jener Zeit und fügten bereits auf den Versammlungen in Buffalo (1855) und
Detroit (1857) Erklärungen in ihre Grundsätze ein, in denen sie sich gegen die
Sklaverei, hauptsächlich aber gegen ihre Ausbreitung in freien Territorien er-
klärten, da die Sklaverei einer Republik unwürdig sei und freien Prinzipien
schnurstracks zuwiderlaufe. Die Turner müßten Sklaverei, Nativismus und jede
Art von Rechtsentziehung bekämpfen, welche sich auf Hautfarbe, Religion, Ge-
burtsort oder das Geschlecht beziehe und sich mit einer weitbürgerlichen An-
schauung nicht vereinigen lasse.
In derselben entschiedenen Weise erklärten die Turner sich, als die Süd-
staaten ihren Austritt aus dem Staatenbunde ankündigten, für die unbedingte
Aufrechterhaltung der Union. Sie seien bereit, sowohl die bestehende Regierung
wie die Unzertrennlichkeit der Vereinigten Staaten zu verteidigen und Gut und
Blut für sie hinzugeben.
Und als die Entscheidung näher rückte, da wurden Reck und Barren
beiseite geschoben und die Turnhallen in Kasernen und Waffenhallen verwan-
delt, wo das Exerzieren begann.
In einem anderen Kapitel ist erzählt, mit welcher Begeisterung und
Selbstverleugnung die Turner Lincolns Aufruf zu den Waffen folgten. Die
Turnplätze verödeten; zahlreiche Vereine gingen ein, weil sämtliche Mitglieder
als aktive Soldaten unter den Fahnen standen. Auch die Bundesorganisation
geriet durch den alle Interessen in Anspruch nehmenden Krieg so in Verfall,
daß sie später, im Jahre 1865, aufs neue ins Leben gerufen werden mußte.
Aber nachdem die deutsche Turnerei nun auch in Amerika ihre Bluttaufe
erhalten und die Probe glänzend bestanden hatte, nahm sie rasch wieder glän-
zenden Aufschwung und hat sich seitdem stetig weiter entwickelt.')
M Im Jahre 1908 betrug die Zahl der dem „Nordamerikanischen Turnerbund" an-
gehörigen Vereine 236 mit nahezu 40000 Mitgliedern. Der Gesamtwert des Vereins-
eigentums belief sich auf 5 160 131 Dollar und das schuldenfreie Vermögen auf 3644037 Dollar.
Außer diesen Bundesvereinen gibt es eine große Zahl unabhängiger Turnvereine.
— 353 —
Zu diesem Aufschwung trug in erster Linie das Bemühen bei, das System
der icörperlichen Ausbildung zu verbessern. Man grijndete im Jahre 1860 ein
Turnlehrer-Seminar, das bis 1907 mit dem. in Alilwaukee bestehenden
Lehrer-Seminar verbunden, dann aber nach Indianapolis verlegt wurde. Es
stellt sich die Aufgabe, sorgfältig geschulte Fachmänner heranzuziehen, die das
deutsche System in alle Schichten der amerikanischen Bevölkerung tragen und
den Tatendrang der Jugend in solche Bahnen lenken sollen, wo er Gutes und
Nützliches zu stiften vermag.
Zum Aufschwung der deutschen Turnerei trugen auch die glänzenden
Bundesfeste bei, die seit der Reorganisation des Bundes in fast allen Teilen der
Vereinigten Staaten abgehalten wurden. Mit den von tausenden von Jünglingen
und Männern ausgeführten Massenübungen, den anziehenden Darbietungen der
Kinder- und Damenklassen, den erstaunlichen Leistungen der Musterriegen ge-
stalteten sich diese Feste zu mächtigen Demonstrationen, die den Amerikanern
das Geständnis abnötigten, daß die deutsche Turnerei über der brutalen ameri-
kanischen Klopffechterei und dem einseitigen Athletentum doch himmelhoch
erhaben sei.
Durch die bei allen diesen Festen bewahrte musterhafte Ordnung und
durch das frische, freie Benehmen sämtlicher Turner und Turnerinnen wurden
auch die früheren Vorurteile der amerikanischen Bevölkerung rasch in herzliche
Teilnahme und freundliches Entgegenkommen verwandelt. Zahlreiche junge
Amerikaner traten deutschen Turngemeinden bei oder gründeten ähnliche Ver-
einigungen, wobei sie sich der Anleitung deutscher Turnlehrer versicherten.
Die Bundesregierung, welche den ungeheuren Nutzen der jeden Muskel des
Körpers gleichmäßig ausbildenden und darum jedem anderen Sport überlegenen
Turnerei anerkannte, beeilte sich, dieselbe in den Unterrichtsplan der Kriegs-
und Marine-Akademien zu West Point und Annapohs einzuführen, und zwar
mit Hilfe deutscher Fachlehrer, die sie vom Seminar des Nordamerikanischen
Turnerbundes berief.')
Seitdem folgten fast sämtliche Universitäten und Hochschulen des Landes
diesem Beispiel und erhoben das Turnen zu einem obligatorischen Unterrichts-
zweig, von dem nur Krüppel, ganz schwächliche und kranke Personen be-
freit sind.
Alle diese Erfolge berechtigen zu der Hoffnung, daß der Nordameri-
^) Das Turnlehrerseminar des Nordaraerikanischen Turnerbundes ist sowohl das
älteste wie das einzige in den Vereinigten Staaten, das sich die doppelte Aufgabe stellt,
Turnlehrer für den Turnerbund, dessen offizielle Sprache die deutsche ist, als auch Turnlehrer
für die öffentlichen Schulen, deren Hauptsprache Englisch ist, auszubilden. Im Jahre 1907
waren in 39 amerikanischen Städten 96 vom Turnerbund ausgebildete Turnlehrer tätig.
Turnunterricht wurde in den öffentlichen Schulen von 60 Städten erteilt, in denen Bundes-
vereine bestehen.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 23
— 354 —
kanische Turnerbund auch sein höchstes Ziel, die Einführung des obligatorischen
Turnens in den öffentlichen Schulunterricht, erreichen wird. Wird dann die
Pflege und Erhaltung der Turnkunst von den Staaten übernommen, so dürfen
die deutschen Turner sich schmeicheln, ein Stück Kulturarbeit verrichtet zu
haben, deren Nutzen für das amerikanische Volk sich gar nicht ab-
schätzen läßt.
Schlußvignette: Römischer Wagenlenker. Skulpturwerk von Friedrich G. Roth,
White Plains, New York.
Der Einfluß des deutschen Erziehungswesens auf die
Lehranstalten der Vereinigten Staaten.
Seit langer Zeit
genießt Deutschland
den Ruhm, das Land
der großen Denker,
Philosophen und Wis-
senschaftler zu sein.
Seine Bildungsanstal-
ten sind die Resultate
unermüdlicher, über ein
ganzes Jahrtausend
sich erstreckenden Ar-
beit, hingebender Stu-
dien und der dabei ge-
wonnenen Erkennt-
nisse. Infolgedessen
sind Gründlichkeit und
gediegene Lehrmetho-
den die Lichtseiten des
deutschen Erziehungs-
wesens.
Die dem ganzen
Volke innewohnende
Liebe zur Wissenschaft
zeichnete, wie wir in
einem früheren Ab-
schnitt dartun konnten,
auch die während der
Kolonialzeit nach Amerika gekommenen Deutschen aus, von denen manche,
wie z. B. der edle Pastorius, die Prediger Mühlenberg und Schlatter, die Lehrer
Schley, Dock und andere die im alten Vaterland genossenen Unterrichtsmethoden
auch in den von ihnen gegründeten Schulen anwendeten. Mit welchem Erfolg,
ersahen wir aus der Geschichte des Lehrers Dock, des „deutschamerikanischen
Pestalozzi".
Benjamin Franklin.
23*
— 356 —
Niemand erkannte den Wert dieser Methoden mehr als Benjamin Franklin,
der große Philosoph und Staatsmann, in dessen Druckerei die Deutschen viele
ihrer Schulbücher herstellen ließen. Franklin war es auch, der, nachdem er im
Jahre 1766 auf einer Reise durch Deutschland die vortrefflichen Einrichtungen
der Universität zu Göttingen kennen gelernt hatte, den Anstoß dazu gab, die
in Philadelphia bestehende Public Academy in eine nach dem Muster der Göt-
tinger Universität geleitete Hochschule, die heutige Universität von
Pennsylvanien umzuwandeln. Das geschah noch vor Beendigung des
Unabhängigkeitskrieges, im Jahre 1779. Daß seine frühere Abneigung gegen
die Deutschen sich in das direkte Gegenteil verwandelt hatte, beweist die Tat-
sache, daß er dem von ihm entworfenen Lehrplan eine von dem Professor
Wilhelm Craemer geleitete deutsche Abteilung einfügte und so der
deutschen Sprache Eingang unter den gebildeten Amerikanern verschaffte.
Franklin unterstützte auch lebhaft die Gründung der von den Deutschen
Pennsylvaniens geplanten „Franklin- Hochschule" zu Lancaster. Er
steuerte nicht bloß 1000 Dollar zum Bau derselben bei, sondern unternahm noch
als 81 jähriger Greis die sehr beschwerliche Reise dorthin, um der Grundstein-
legung beizuwohnen.
Außer jener Hochschule unterhielten die in Pennsylvanien lebenden
Deutschen, namentlich die rasch zu Wohlstand gelangten Mennoniten und
Herrnhuter, vortrefflich geleitete Schulen. Diejenigen zu Bethlehem und Naza-
reth bezeichnet Payne in seiner „Universal Geography vom Jahre 1798" als die
besten ganz Amerikas.
In Bethlehem bestand seit 1749 auch bereits ein Lehrerinnen-Seminar.
Wie weit voraus die Herrnhuter damit den Puritanern Neu-Englands waren,
beweist die Tatsache, daß, als im Jahre 1793 der Vorschlag gemacht wurde,
eine ähnliche Anstalt in Plymouth, Massachusetts, zu gründen, man dort das
Projekt bekämpfte, „weil in einer solchen Schule Frauen gelehrter als ihre zu-
künftigen Ehemänner werden könnten!"
Ein freierer Geist griff erst Platz, als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts zahlreiche geistig hochstehende Amerikaner „Entdeckungsreisen" nach dem
Lande der großen Denker unternahmen, um dort ihre Studien fortzusetzen oder
zu vollenden. Sie lernten dabei die Einrichtungen der deutschen Schulen und
Universitäten so schätzen und lieben, daß sie gleich Franklin für die Umge-
staltung des amerikanischen Erziehungswesens nach deutschem Muster ein-
traten.
Am nachdrücklichsten taten dies die Professoren John Griscom von New
York, Alexander D. Bache von Philadelphia und Calwin E. Stowe von Ohio.
Diese hervorragenden Pädagogen bereisten Europa zu dem speziellen Zweck,
um die dort angewandten Erziehungsmethoden kennen zu lernen. Griscom
traf während der Jahre 1818 und 1819 mit Pestalozzi zusammen und hatte
Gelegenheit, die nach dessen System geleitete Anstalt in Hofwyl bei Bern zu
studieren. Ihre Einrichtungen entzückten ihn dermaßen, daß er schrieb: „Ich
— 357 —
kann nur meine Hoffnung aussprechen, daß diese Art der Erziehung, wo land-
wirtschaftliche und mechanische Fertigkeiten mit literarischem und wissenschaft-
lichem Unterricht verbunden sind, rasch und in ausgedehntem Maß in den Ver-
einigten Staaten angenommen werde."
Seine Beobachtungen veröffentlichte Griscom später in dem zweibändigen
Werk „Two years in Europe", von welchem der berühmte amerikanische Päda-
goge Barnard sagt, daß kein Buch einen so mächtigen Einfluß auf das ameri-
kanische Erziehungswesen ausgeübt habe, als dieses. Thomas Jefferson benutzte
die darin gegebenen Winke beim Einrichten der Universität von Virginien.
Alexander Bache, erster Präsident des von Stephen Girard in Philadelphia
gestifteten „Girard College" verwertete seine während der Jahre 1837 und 1838
in Preußen gemachten Erfahrungen beim Entwurf der Regeln der von ihm ge-
leiteten hochberühmten Anstalt.
Calwin Stowe besuchte Deutschland während des Jahres 1836, und zwar
im Auftrag der Regierung des Staates Ohio. In dem Bericht, welchen er nach
seiner Rückkehr erstattete, sagt er über das preußische Schulsystem : „In der Tat,
ich halte dieses System in seinen großen Zügen für nahezu so vollkommen, als
menschlicher Scharfsinn und menschliche Geschicklichkeit es zu machen imstande
sind. Manche Einrichtungen und Einzelheiten mögen noch verbessert werden.
Natürlich sind auch Änderungen nötig, um es den Verhältnissen anderer Länder
anzupassen."
Seinem, die kleinsten Details berücksichtigenden Bericht fügte Stowe eine
Übersetzung der preußischen Schulverordnungen bei, welche bei der Neu-
gestaltung der Schulgesetze Ohios als Grundlage dienten.
Es geschah dies zur selben Zeit, wo auch in anderen Staaten aus Deutsch-
land eingewanderte Schulmänner, wie Franz Lieber, Karl Folien,
Karl Beck, Franz Joseph Grund und andere deutsche Lehrmethoden
an amerikanischen Hochschulen praktisch anwendeten. Sie wurden darin
später durch zahlreiche in Amerika geborene Gelehrte unterstützt, die in Deutsch-
land studierten und nach ihrer Heimkehr als Lehrer in amerikanische Schulen
und Universitäten eintraten, um die gesammelten Erfahrungen den amerikanischen
Studenten zu übermitteln.
Professor Ira Remsen, Präsident der berühmten, ganz nach deutschem
Muster eingerichteten John Hopkins-Universität zu Baltimore, schildert diesen
Vorgang in folgenden Worten :
„Seit einem Jahrhundert besuchen Amerikaner deutsche Universitäten, von
wo sie jenen Geist mitbrachten, der für diese Hauptsitze der Gelehrsamkeit st
bezeichnend ist. Viele der bedeutendsten Professoren an amerikanischen LJni-
versitäten und Hochschulen erhielten ihre Schulung in Deutschland und die
Hörer solcher Männer nehmen viel von dem Geist, den sie dort empfingen,
auf, um ihn weiter über alle Welt zu verbreiten. Gerade hier wünschte ich
statistische Angaben einschalten zu können. Es würde nicht nur interessant,
sondern auch nützlich sein, festzustellen, wie viele Professoren an etwa einem
— 358 —
Dutzend der leitenden Universitäten Amerilcas in Deutschland studierten. Und
ferner zu wissen, wie viele jener, die nicht dort studierten, unter solchen Per-
sonen arbeiten, die dieses Vorzugs teilhaftig wurden. Soweit ich die Lehr-
körper mehrerer der wichtigsten Universitäten persönlich kenne, weiß ich, daß
die meisten ihrer Mitglieder entweder in die eine oder die andere Kategorie
gehören. Dabei brauchen wir uns nicht auf die größeren Hochschulen zu be-
schränken. Die gleichen Zustände bestehen auch an vielen kleineren und wenig
bekannten. Sie beziehen ihre Professoren größtenteils von Universitäten der
ersten Klasse, und auf diese Weise wird deutsche Gelehrsamkeit über das ganze.
Land verbreitet.
Aber es genügt nicht, den Einfluß Deutschlands auf unser akademisches
Leben nur auf diese Weise festzustellen, da der Prozeß zu unbestimmt wäre.
Wir kommen weiter, wenn wir zeigen, wie der Einfluß Deutschlands sich in
bezug auf die Organisierung unsrer Universitäten kundgibt. — Bis zum Jahr
1876 bildete das „College" (Gymnasium) die höchste Stufe der Erziehungs-
anstalten unsres Landes. In manchen dieser Colleges befanden sich einige vor-
geschrittene Studenten, sogenannte „post graduates", für welche keine besonderen
Vorkehrungen getroffen waren. Sie standen außerhalb des Systems und ihre
Anwesenheit hatte auf das Lehrpensum der Anstalten geringe Wirkung. Falls
ein solcher Student höhere als die vom Lehrplan vorgesehenen Arbeiten zu ver-
richten wünschte, so riet man ihm stets, nach Deutschland zu gehen. Und viele
wandten sich dorthin.
Der erste ernstliche Versuch, der in Amerika angestellt wurde, um solche
vorgeschrittene Studenten zu fördern, geschah seitens der „John Hopkins-
Universität" zu Baltimore im Jahre 1876. Präsident Gilman, welcher diese
Universität organisierte, erklärte aufs bestimmteste, daß es der Wille ihrer Be-
hörden sei, eine wirkliche Universität zu besitzen, die zur Weiterbildung vor-
geschrittener Studenten geeignet wäre. Die Tatsache, daß so viele derselben
nach Deutschland zogen, hatte gezeigt, daß ein Verlangen nach höherem Studium
bestand, als wie es bisher auf den Colleges geboten wurde. Diese Tatsache be-
stimmte Präsident Gilman, seinen Plan zu fassen. Die Einzelheiten wurden
nicht von Anfang an genau ausgearbeitet. Alan wählte einen Lehrkörper, mit
dem der Präsident gemeinschaftlich das gesteckte Problem lösen könne. Drei
Mitglieder dieser Fakultät waren Engländer, die anderen Amerikaner, welche
in Deutschland studiert hatten. Auch von jenen Lehrkräften, die späterhin der
Fakultät zugefügt wurden, hatten die meisten in Deutschland studiert. In
unseren Bemühungen, den zu uns kommenden vorgeschrittenen Studenten weiter
zu helfen, fanden wir, daß wir manche der an deutschen Universitäten be-
stehenden Einrichtungen annahmen. Das kann nicht überraschen, wenn man
sich vergegenwärtigt, daß die Universitäten Englands damals so wenig wie
heute für die Bedürfnisse vorgeschrittener Studenten besonders eingerichtet
waren, und daß die deutschen Universitäten die einzigen in der Welt vorhan-
denen Vorbilder sind. Wir kamen bald dahin, auf dem Unterricht in metho-
— 359 -^
dischen Untersuchungen als einem der wichtigsten Teile der Arbeiten jedes
vorgeschrittenen Studenten zu bestehen. Und obwohl wir unsere eigenen
Regeln für die Anleitung der Kandidaten für Doktoren der Philosophie auf-
stellten, ähnelten dieselben doch im allgemeinen den Regeln der deutschen Uni-
versitäten. Über ein Vierteljahrhundert hat die „John Hopkins-Universität"
die Ideale deutscher Gelehrsamkeit hochgehalten. Sie ist nicht irgendeiner be-
sonderen Methode der deutschen Universitäten blindlings gefolgt, aber sie hat
die Wichtigkeit gründlicher Forschung aufs nachdrücklichste betont und damit
einen starken Einfluß auf die höhere Erziehung Amerikas ausgeübt. Das von
der „John Hopkins-Universität" gegebene Beispiel wurde von vielen anderen
Erziehungsanstalten dieses Landes nachgeahmt und die Methoden, welche von
den neueren Universitäten angenommen v^urden, haben vieles mit jenen der
„John Hopkins-Universität" gemeinsam. In allen tritt der Einfluß Deutschlands
klar zutage."
Dem Vorgang der „John Hopkins-Universität" folgten zunächst die im
Jahre 1890 gegründete „Universität zu Chicago" und die im Jahre 1891 ge-
stiftete „Leland Stanford-Universität" Ja San Francisco. Ihnen schlössen sich
später die älteren Schwestern Harvard in Cambridge, Yale in New Haven und
Columbia in New York an. Diesen Beispielen folgten zahlreiche andere Hoch-
schulen, seitdem Deutschland auf den Weltausstellungen zu Chicago und St.
Louis sein Unterrichts- und Erziehungswesen in umfassender Weise veranschau-
lichte und dadurch dem Studium aller amerikanischen Pädagogen zugängig
machte.
Die Größe und Bedeutung des so vom deutschen Erziehungswesen auf
die Lehranstalten in Amerika direkt und indirekt ausgeübten Einflusses lassen
sich natürlich weder statistisch noch anderweitig feststellen. Aber sicher treffen
die Worte zu, welche eine anerkannte Autorität, Andrew D. White, der ehe-
malige Präsident der „Cornell-Universität" zu Ithaka, einst sprach:
„Mehr als irgendein anderes Land hat Deutschland dazu beigetragen,
die amerikanischen Universitäten zu dem zu machen, was sie jetzt sind: zu
einem gewaltigen Faktor in der Entwicklung der amerikanischen Kultur."
Eine ebenso eigenartige wie bedeutungsvolle Neuerung im amerikanischen
Erziehungswesen wurde in der jüngsten Zeit durch Kuno Francke Pro-
fessor der deutschen Sprache und Literatur an der Harvard-Universität ein-
geleitet. Er befürwortete, daß zwischen den Universitäten Deutschlands und
der Vereinigten Staaten ein regelmäßiger Austausch von Professoren vorge-
nommen werden möge, damit durch den so bewirkten direkten Gedanken- und
Meinungsaustausch nicht nur eine innigere Verschmelzung deutscher und ameri-
kanischer Wissenschaft und eine geistige Verbrüderung zwischen dem deutschen
und amerikanischen Volke herbeigeführt, sondern zugleich der großen Masse
— 360 —
der amerikanischen Studenten das gewährt werde, was gegenwärtig nur einer
bevorzugten Minderzahl, die den Besuch ausländischer Universitäten nicht zu
scheuen brauche, zu genießen möglich sei: die persönliche Berührung mit her-
vorragenden, scharf markierten, wissenschaftlichen Persönlichkeiten, wie sie
für das deutsche Gelehrtentum so bezeichnend sind. Der deutsche Gelehrte,
so betonte Francke, setze
sich ein für seine Sache,
er gehe auf in seiner Wis-
senschaft und sei erfüllt
vom Glauben an dieselbe.
Viele besäßen eine eigen-
artige Kampfnatur, die
Selbständiges leisten
wolle, sich durch nichts
beirren lasse und nach
den höchsten Idealen
strebe. Die von solchen
Personen ausgehende An-
regung müsse sowohl auf
die Studierenden wie auf
die Lehrer der ameri-
kanischen Hochschulen
einen außerordentlich be-
lebenden Einfluß ausüben.
Dieser von Professor
Francke im Jahre 1902
erhobene Vorschlag fand
sowohl diesseits wie jen-
seits des Ozeans begei-
sterte Zustimmung. Na-
mentlich seitens Sr. Maje-
stät des Kaisers Wilhelm II.
und des Präsidenten Theo-
dore Roosevelt, welche die
Ersprießlichkeit eines en-
geren freundschaftlichen
Verhältnisses zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten längst erkannt
und, jeder nach seiner Weise, seit geraumer Zeit für ein solches gewirkt hatten. Es
kam infolgedessen im November 1904 zwischen der Universität Harvard und
dem preußischen Kultusministerium ein ganz dem Sinne des Franckeschen
Vorschlags entsprechender Vertrag zustande, demgemäß sich Professor Fran-
cis G. Peabody von der Harvard-Universität im Winter 1905 nach Berlin
begab, um an der dortigen Universität eine Reihe von Vorträgen über soziale
Kuno Francke
— 361 —
Ethik im allgemeinen und über die sozialen Probleme Amerikas im besonderen
zu absolvieren. Um die gleiche Zeit reiste der Leipziger Professor Wilhelm
O s t w a 1 d nach Cambridge, Mass., um an der Harvard-Universität im Auf-
trag der preußischen Regierung über Naturphilosophie und physikalische Chemie
Vortrag zu halten. Ihm folgte im Herbst 1906 als zweiter deutscher Austausch-
professor der Literaturhistoriker Eugen Kühnemann aus Breslau mit Vor-
trägen über das moderne deutsche Drama. An Stelle Peabodys trat hingegen
Professor Theodore W. Richards, der im Frühjahr 1907 an der Ber-
liner Universität einen Kursus über Chemie eröffnete. Diesen Leuchten der
Wissenschaft schlössen sich in der Folgezeit manche andere namhafte Ge-
lehrte an.
Ein ähnliches Kartell wurde bald darauf auch zwischen der Columbia-
Universität zu New York und dem preußischen Kultusministerium geschlossen,
aber mit dem Unterschied, daß dank der hochherzigen Stiftung eines früheren
Studenten der Columbia-Universität, des New Yorker Bankiers James Speyer,
in Berlin ein permanentes „Amerikanisches I n s t i t u t", verbunden mit
einer „R o o s e v e 1 1 - P r o f e s s u r" geschaffen wurde. In diesem Institut
sollen die bedeutendsten Denkmäler der amerikanischen Wissenschaft, Literatur
und Kunst allmählich gesamm.elt und aufbewahrt werden.
Als erster Inhaber der „Roosevelt-Professur" begann im Oktober 1906
Professor JohnW. Burgess mit Vorlesungen über die Verfassungsgeschichte
der Vereinigten Staaten. Ihm folgten später der Nationalökonom Professor
Arthur Hadley von der Yale-Universität, Felix Adler, der Gründer
der „Ethical Culture Society'* und Professor an der New Yorker Columbia-
Universität und der Geschichtsprofessor Charles Alphonse Smith von
der Universität von Nordkarolina. Die deutsche Regierung hingegen entsandte
die Professoren Hermann A. Schumacher aus Bonn (Nationalökonomie
und Staatswissenschaften), Rudolf Leonhard aus Breslau (Rechtswissen-
schaften) und Albrecht F. Penck aus Berlin (Geologie). Ähnliche Kar-
telle wurden auch seitens der Universitäten zu Chicago und Madison, Wisc,
eingeleitet.
Obwohl seit der tatsächlichen Verwirklichung des hochinteressanten Ex-
periments nur kurze Zeit verstrichen ist, liegen für seine Ersprießlichkeit doch
bereits die glänzendsten Beweise vor. Denn hüben wie drüben drängten sich
lernbegierige Studenten, Professoren, Lehrer, Journalisten, Staatsmänner und
andere im öffentlichen Leben stehende Personen zu Hunderten herbei, um die,
neuen Botschaften gleichkommenden Eröffnungen entgegenzunehmen, welche
von den beredten Lippen jener, einer befreundeten Nation entstammenden Send-
linge, flössen. Daß man in der Auswahl der letzteren auf beiden Seiten glück-
lich gewesen, zeigten die in Berlin wie in Cambridge und New York gehörten
Worte schmerzlichen Bedauerns, daß man so berufene Vertreter echter Wissen-
schaft nicht zu dem ständigen Lehrpersonal zählen dürfe.
„Unser einziges Bedauern ist nur, daß wir ihn nicht beständig hier be-
— 362 —
halten können'', so berichtete der mit der Leitimg der preußischen Universitäts-
angelegenheiten im Kultusministerium betraute Geheimrat Dr. Althoff über
Professor Peabody nach Harvard. Und dort empfand man in gleicher Weise,
daß die Besuche der Professoren Ostwald, Kühnemann und anderer Er-
eignisse waren, die auf die gesamte dortige Studentenschaft tiefe, unauslösch-
liche Eindrücke hinterließen.
Da sowohl die amerikanischen wie die deutschen Austauschprofessoren
während ihres Verweilen s in dem befreundeten Lande auch Besuchsreisen nach
anderen dort bestehenden Universitäten unternahmen und daselbst Vorträge
hielten, so blieb ihr befruchtender Einfluß nicht auf einen engeren Kreis be-
schränkt, sondern erstreckte sich über große Teile der beteiligten Nationen.
Welche Anregungen diesem fortgesetzten Austausch von Gelehrten ferner-
hin entsprießen mögen, das läßt sich zurzeit noch nicht absehen. Aber schon
jetzt darf man die im schönsten Sinne kosmopolitische Idee als einen vollen
Erfolg bezeichnen, der sowohl für Amerika wie für Deutschland von hoher Be-
deutung zu werden verspricht. „In dem Austauschgedanken," so äußerte sich
Professor Kühnemann über das Experiment, „drückt sich in einer edlen Weise
das Gefühl der Verwandtschaft zwischen dem deutschen und dem amerikanischen
Volke aus, etwas wie eine Zusammengehörigkeit, die zu dem Bedürfnis führt,
sich wahrhaft kennen zu lernen und dadurch wahrhaft näherzutreten, dadurch,
daß man die Lehrer der fremden Jugend das Wesen des eignen Volkes erklären
hört. Ja, noch mehr, man möchte beteiligt sein am Leben des anderen großen
Volkes, indem man mitarbeitet an der Seele seiner Jugend. Jeder dieser ins
Ausland gehenden Professoren — das ist gewiß — kommt zurück als ein Mittel-
punkt freundschaftlicher Gefühle für die Fremden. Ward je in gleich starker
Weise der Professor aus der Enge seiner Gelehrten stube hinausgeführt? Ward
er je stärker daran erinnert, daß auch er ein Glied ist im Dienst der öffentlichen
geschichtlichen Aufgaben seines Volks? Eine neue Klasse dieser internationalen
Professoren wird sich bilden, die sich untereinander verbunden fühlen als Mit-
arbeiter an einem gemeinsamen Werk. Der Austausch von Gelehrten ist ein
wahrhaft kosmopolitischer Gedanke — nur daß dieser Kosmopohtismus die
nationale Eigenart nicht auslöscht, sondern geradezu voraussetzt und steigert."
Und Professor Peabody fügte dem hinzu: „Der Besuch eines Professors
ist eine vorübergehende Episode eines Semesters. Was von viel größerer Wich-
tigkeit ist, als die unmittelbare Wirkung eines einzelnen Vorlesungskursus, das
ist die kumulative Wirkung dieser neuen Gelegenheit auf den Ehrgeiz und die
Wünsche der jungen Leute. Viel wirksamer, als ein Austausch von Professoren
an sich, wäre die Möglichkeit, durch den Austausch von Professoren die
Mehrung des Austausches von Studenten zu fördern und den weiterblickenden,
unternehmungslustigeren Studenten beider Länder die Erweiterung ihrer Lern-
gelegenheiten nahezulegen. Der Strom der studentischen Wandrung von den
Vereinigten Staaten nach Deutschland ist bereits bedeutend, aber er bedarf so-
wohl der weiteren Ausdehnung wie der Direktion, welche ein frisch vom Mittel-
— 363 —
punkt deutscher Wissenschaft gekommener Ratgeber geben könnte. Auf der
anderen Seite könnte eine Gegenwandrung deutscher Studenten nach den Ver-
einigten Staaten und in soziale Verhältnisse, in denen Initiative und Fortschritt
einen von Deutschland so scharf verschiedenen Lauf nehmen, lehrreich genug
sein, um eine so kühne intellektuelle Entdeckungsreise zu rechtfertigen. Für die
Veremigten Staaten wenigstens liegt hierin die größte Bedeutung des akademi-
schen Austausches. Der zunehmende Gedankenaustausch und Verkehr der
jungen Gemüter in beiden Ländern würde eine Garantie für die Zukunft und die
Bürgschaft internationaler Duldsamkeit, Freundschaft und Friedensliebe be-
deuten. In Deutschland erwarten den amerikanischen Studenten viele Lehre*.!,
die er getrost nach Hause tragen kann, ohne einen Prohibitivtarif auf den wert-
vollsten deutschen Export fürchten zu müssen. Aber bei diesem Aneignen deut-
schen Wissens kann der Amerikaner zwei tiefere Lehren erhalten, welche sein
Land noch sehr notwendig hat. Die erste dieser Lehren betrifft die Natur der
Universität als einer Schöpfung, nicht des Geldes oder lediglich aus Gebäuden
bestehend, oder aus ihrer Einrichtung, sondern groß durch die Gelehrsamkeit,
die sie fördert, durch die Liebe zur Wissenschaft, welche sie erzieht, als eine
Heimat des Idealismus, die sie darbietet. Die zweite Lehre, die sie erteilt, be-
steht in der Gelehrtennatur, in der Freude an dem selbständigen, fleißigen und
zufriedenen Suchen nach Wahrheit, in dem Freisein von Selbstsucht und Ehr-
geiz, in welchen Eigenschaften sich noch immer der schönste Typus deutschen
Gelehrtentums kennzeichnet."
Der an den Universitäten bemerkbare Einfluß deutscher Methoden strahlt
natürlich auch auf die anderen Lehranstalten und Volksschulen über, die be-
kanntlich einen großen Teil ihrer Lehrkräfte von den Universitäten beziehen.
Die ausgezeichneten Ergebnisse des gegenseitigen Professorenaustauschs
veranlaßten im Jahre 190S den Verwaltungsrat der Carnegie-Stiftung zur Förde-
rung des Unterrichtswesens mit dem preußischen Kultusministerium Verhand-
lungen betreffs eines preußisch-amerikanischen Lehreraustauschs einzuleiten.
Diese Verhandlungen kamen zum Abschluß, und es ward vereinbart, daß
Preußen einen Oberlehrer und sechs Kandidaten entsenden solle, die in New
York, Boston, New Haven, Worcester, Chicago und Exeter amtieren sollen.
Die Vereinigten Staaten sollen zwölf Lehrer nach Preußen schicken, die haupt-
sächlich in den Universitätsstädten untergebracht werden. Zweifellos dürfte
auch dieser Austausch von großem erzieherischen Wert sein.
Der Einfluß deutscher Methoden erstreckt sich selbstverständlich auch
auf die Kindergärten, jene von dem großen Menschenfreund Friedrich Fröbel
angebahnte Neuerung, die man mit Recht zu den bedeutendsten Errungen-
schaften der modernen Pädagogik zählt.
Es war Fröbel klar geworden, daß zwischen der Kinderstube, in welcher
das Kind zwanglos schalten und walten darf, und dem unerbittliche Anforde-
rungen stellenden Schulzimmer ein Übergang fehle, der dem Kind die Ange-
wöhnung an die Pflichten und Gesetze der Schule erleichtere. Gerade die besten
— 364 —
und talentvollsten Kinder, die eine Fülle von Lebenslust bekunden, empfinden
den schroffen Wechsel von dem einem zum andern am schwersten. Die Kluft
zu überbrücken, schuf Fröbel den Kindergarten, dessen Lieder, Spiele und
unterhaltende Beschäftigungen das Kind unbewußt in das ernste Leben hin-
überleiten.
Der erste Kindergarten in den Vereinigten Staaten wurde bereits im Jahre
1858 von der Hannoveranerin Karoline Louise Frankenberg, einer
Schülerin Fröbels, in Columbus, Ohio, gegründet. Fröbel selbst hatte schon
im Jahre 1836 in seiner Broschüre „Wiedererweckung zum Leben" auf die Ver-
einigten Staaten als dasjenige Land hingewiesen, welches vermöge seines frei-
heitlichen Geistes und reinen Familienlebens am besten dazu geeignet sei, um
seine Gedanken einer idealen Kindererziehung zu verwirklichen und aus der-
selben moralischen Nutzen zu ziehen. Wahrscheinlich durch diese Worte ihres
Meisters angeregt, traf Fräulein Frankenberg 1838 in den Vereinigten Staaten
ein, um die amerikanische Jugend nach den Theorien Fröbels zu erziehen. Ihre
gute Absicht fand jedoch kein Entgegenkommen und sie kehrte deshalb schon
1840 wieder nach Keilhau, dem Wohnsitz Fröbels, zurück, unterrichtete dort
zunächst zwei Jahre unter der persönlichen Leitung Fröbels, um dann ihren
Wirkungskreis nach Dresden zu verlegen, wo sie elf Jahre tätig war. Dann
wandte sie sich wieder den Vereinigten Staaten zu und gründete einen Kinder-
garten in Columbus, Ohio. Auch sie nmßte alle jene Widerwärtigkeiten und
Enttäuschungen durchmachen, die sich stets mit einem, bahnbrechenden Pionier-
leben verknüpfen. Nur mit großer Mühe gelang es ihr, einige Schüler zu er-
halten, denn die Eltern betrachteten das Anfertigen von Vögeln, Booten, Hüten
und dergleichen aus Papier, das Formen in Sand und Lehm, das Marschieren
und Singen lediglich als Spielerei, als die beste Art und Weise, den Kindern die
Zeit zu vertreiben und sie vor Unheil und Torheiten zu behüten. Daß in diesem
kindlichen Spiel ein hoher erzieherischer Sinn lag, war den wenigsten klar. In
ihrem sechzigsten Jahre ward Fräulein Frankenberg infolge eines Unfalls ge-
zwungen, ihre Schule aufzugeben und nach dem Lutherischen Waisenhaus in
Germantown, Pennsylvanien, überzusiedeln. In dieser Anstalt führte sie das
Kindergartenwesen mit großem Erfolge ein. Fräulein Elisabeth Peabody,
welche als die eigentliche Gründerin des amerikanischen Kindergartenwesens
gilt, besuchte dort Fräulein Frankenberg öfter, um sich Winke für ihren Kinder-
garten zu holen, den sie in Boston gegründet hatte.
Fräulein Frankenberg starb in Germantown im Jahre 1882.
Wir können diesen Abschnitt nicht schließen, ohne der Bestrebungen zu
gedenken, die gemacht wurden, um auch den Unterricht in deutscher Sprache,
Literatur und Kulturgeschichte in die Lehrpläne der amerikanischen Bildungs-
anstalten einzufügen.
— 365 —
Die in die Vereinigten Staaten eingewanderten Deutschen unterhalten seit
langer Zeit deutsche Schulen, einesteils in dem Wunsch, ihren Kindern und
Nachkommen die erhabenen Geistesschätze des deutschen Volkes zugängig zu
machen, dann auch aus praktischen Gründen, die der Verfasser dieses Buches
in einer im August 1903 von den „Vereinigten deutschen Gesellschaften der
Stadt New York" ausgesendeten Flugschrift in folgender Weise zusammenfaßte:
„Unsere öffentlichen Schulen sind diejenigen Anstalten, wo unsere Kinder für
ihren späteren Kampf ums Dasein ausgerüstet werden sollen. Es muß demnach
allen Eltern, welchen die Wohlfahrt und Zukunft ihrer Kinder nicht gleichgültig
ist, daran gelegen sein, daß dieselben seitens der Schulen in erster Linie mit
solchen Kenntnissen ausgestattet werden, welche die besten und sichersten Garan-
tien für ihr späteres Fortkommen darbieten. Angesichts der Tatsache, daß die
Handelsbeziehungen sämtlicher Länder Amerikas mit Deutschland in beständiger
Zunahme begriffen sind, angesichts der Tatsache, daß in den Vereinigten Staaten
allein mehrere Millionen Personen sich des Deutschen als Umgangs- und viel-
fach auch als Geschäftssprache bedienen, angesichts der von vielen amerika-
nischen Gelehrten zugestandenen Tatsache, daß die Kenntnis des Deutschen
beim Verfolgen wissenschaftlicher Studien heutzutage geradezu unentbehrlich
geworden sei, weil unzählige der wichtigsten neueren Werke aller Wissenschafteii
gerade in dieser Sprache geschrieben sind, angesichts der Tatsache endlich, daß
von allen europäischen Sprachen Deutsch, die Mutter des Englischen, nach dem
Englischen die verbreitetste ist und gegenwärtig von etwa 80 Millionen über
den ganzen Erdball zerstreuten Personen geschrieben und gesprochen wird,
geben wir unsrer Überzeugung Ausdruck, daß eine gründliche Kenntnis der
deutschen Sprache für unsere Kinder von größter Wichtigkeit ist, weil diese
Kenntnis ihre Befähigung zur späteren Teilnahme am wissenschaftlichen Leben
erhöht und ihre Aussichten auf eine gesicherte Lebensstellung wesentlich
verbessert."
Die betreffende Flugschrift erschien als ein Protest gegen von gewissen
Seiten gemachte Versuche, den deutschen Sprachunterricht durch Vorschieben
anderer, weit weniger wichtiger Fächer aus den Schulen der Stadt New York
zu verdrängen.
Daß das aufgeklärte Amerikanertum an solchen, leider nur zu häufig
wiederkehrenden Versuchen keinen Anteil hat, beweisen') nicht bloß zahlreiche
^) Professor Will H. Carpenter von der Columbia Universität zu New York äußerte
sich über die kommerzielle Wichtigkeit der Kenntnis der deutschen Sprache folgendermaßen:
„There are almost innumerable instances in America when the value of the possession of
the German language may be expressed in the most material way, in terms of actual
dollars and cents. In all our larger eitles there are opportunities in plenty in the legal
and medical profession that are not readily accorded a lawyer or physician who speaks
English only.
In teaching, since German has and is to have an important place in the school
curriculum, there are opportunities that can only be grasped by one who knows well both
German and English. In many branches of trade, a knowledge of the two languages is
— 366 —
Äußerungen hervorragender amerikanischer Professoren, die sich für den Unter-
richt in deutscher Sprache erklärten, sondern auch die Tatsache, daß der deutsche
Sprachunterricht trotz solcher Anfeindungen sich von Jahr zu Jahr mehr auf
den höheren amerikanischen Lehranstalten einbürgert. Um die Jahrhundert-
wende wurde festgestellt, daß an den Universitäten 30 000, an den Hochschulen
und Colleges 100 000, an den öffentlichen Volksschulen 300 000, an den katho-
lischen Pfarrschulen 125 000 und an Privatschulen 30 000 Zöglinge am deutschen
Unterricht teilnahmen. Da von vielen Schulen keine Angaben eingelaufen
waren, so läßt sich annehmen, daß im Jahre 1900 von etwa 15 Millionen
Schülern mindestens eine Million Deutsch erlernte.
Fast jede auf Bedeutung Anspruch erhebende Universität und Hochschule
besitzt jetzt eine besondere Abteilung, wo deutsche Sprache gelehrt und ger-
manistische Studien betrieben werden. An der Harvard-Universität, deren
deutsche Abteilung heute bereits zwölf Professoren benötigt und etwa 1500 Teil-
nehmer an vierzig germanischen Studien gewidmeten Kursen zählt, kam es sogar
dank der Anregung des Professors Kuno Francke zur Gründung eines „Ger-
manischen Museums", welches die Kulturentwicklung der germanischen Rasse
in Deutschland, Skandinavien, Dänemark, den Niederlanden, Deutsch-Öster-
reich, den deutschen Kantonen der Schweiz und dem angelsächsischen England
an charakteristischen Denkmälern der Kunst und des Gewerbes veranschaulichen
soll. Das Ziel, welches Francke sich dabei steckte, ist, dieses Museum zu einem
Hochstift deutscher Kultur zu gestalten, wo berufene Gelehrte Vorträge über
deutsche Geschichte, Literatur und Kunst halten und die studierende Jugend
Amerikas mit den Schätzen der deutschen Kultur bekannt machen sollen. Dieses
mit dem Anbruch unseres Jahrhunderts eröffnete Museum hat sich in hohem
Grade der Förderung seitens Seiner Majestät des deutschen Kaisers und mancher
deutschen Städte zu erfreuen gehabt. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß es
im Lauf der Zeit zu einem mächtigen Denkmal deutschen Geistes auf amerika-
nischem Boden anwachsen wird.
Zu Ende des Jahres 1904 entstand auch in New York eine „G e r m a n i -
necessary to a conduct of the business. This is not alone true of the great importing
houses which in special cases deal only with Germany, but it is true, also, along vastly
extended lines of export and Import, in all parts of the country where the industrial and
commercial importance of modern Germany inevitably creates German connections and
German correspondence which, again, can only be properly attended to by one who
knows both the English and German languages. This is true, furthermore, of Insurance
companies, of banks, and of many other branches of business in which bi-lingual corre-
spondence-clerks and stenographers are needed as a necessary part of equipment. These
conditions, too, are increasing, rather than diminishing in numbers and in value, and will
continue to increase with the dominance of the English and German speaking nations."
Und Präsident Gilman von der John Hopkins-Universität zu Baltimore sagte:
„Wie im Mittelalter das Lateinische, so ist heute das Deutsche die Sprache der Gelehrsam-
keit und Bildung, und kein Student kann auf letztere Bezeichnung Anspruch machen, wenn
er das Deutsche nicht vollkommen beherrscht."
— 367 —
stischeGesellschaftvon Amerik a". Sie stellt sich die Aufgabe, das
Studium und die Kenntnis deutscher Bildung in Ameriica und amerikanischer
Bildung in Deutschland zu fördern, und zwar durch Unterstützung des Uni-
versitätsunterrichts auf diesem Gebiete, durch Veranstaltung öffentlicher Vor-
träge, durch Herausgabe und Verbreitung geeigneter Schriften sowie durch
andere Mittel, die dem Gründungszweck entsprechen. Ein Zyklus von Vor-
trägen über deutsche Kulturgeschichte an der Columbia-Universität während
des Jahres 1905/06, sowie die Einladung des Dichters Ludwig Fulda und
des Assyriologen Professor Friedrich Delitzsch zu einer Reihe von
Vorträgen in verschiedenen amerikanischen Städten bildeten die ersten Taten
dieser Gesellschaft. Im Jahre 1907 folgten Vorträge der Professoren Hein-
rich Krämer von der Kunstakademie zu Düsseldorf, des Professors Otto
H ö 1 z s c h von der Akademie in Posen und von Professor W. Sombart
aus Berlin. Diesem schlössen sich in der Folge andere namhafte Gelehrte an.
Ähnliche Ziele verfolgt das in Verbindung mit der „Northwestern Uni-
versität" zu Chicago gegründete „Germanische Institut". Es will
gleichfalls in Amerika ein weiteres und tieferes Interesse für die Ergebnisse
deutscher Gelehrsamkeit und Kultur schaffen und die zwischen den Vereinigten
Staaten und Deutschland bestehenden Bande enger knüpfen. Es will ferner
zeigen, inwiefern das deutsche Element das Leben und Streben des amerika-
nischen Volkes beeinflußte und eine wie große Rolle Deutschland und die
Deutschen in der Geschichte der Entwicklung Amerikas spielten. Ähnliche
Ziele erstrebt die im Oktober 1906 in Boston gegründete „Deutsche
Gesellschaft".
Alle diese Gründungen sind nicht bloß bedeutsame Symptome für das
mächtig wachsende Interesse an deutscher Kultur, Kunst, Literatur und Wissen-
schaft, sondern auch Betätigungen des immer weitere Kreise erfassenden Glau-
bens, daß zwischen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten und derjenigen
Deutschlands nicht bloß eine Stammesverwandtschaft, sondern auch eine Wahl-
verwandtschaft besteht und daß die Zukunft der Weltkultur vorwiegend von
der geistigen Bundesgenossenschaft beider Völker abhängig sei.
Daß die Deutschamerikaner in vielen Städten eigne, ganz nach deutschem
Muster eingerichtete Schulen gründeten, wurde bereits erwähnt. Viele standen
und stehen noch unter der Leitung tüchtiger, meist in Deutschland ausgebildeter
Pädagogen, wie Rudolf Dulon, Adolf Douai, Hermann Dor-
ner, Emil Dapprich, Otto Schönrich, Hermann Schurich t,
Heinrich Scheib, Georg Adler, Julius Sachs, Maximilian
Großmann, G. A. Zimmermann, Rudolf Solger, H. H. Fick
und andere.
— 368 —
Eine dieser Erziehungsanstalten, die von Peter E n g e 1 m a n n ge-
gründete „ D e ti t s c h - F. n g 1 i s c h e Akademie'' zu Milwaukee, erhielt
eine höhere Mission durch ihre Verbindung mit dem „Deutsch-Ameri-
kanischen Lehrerseminar", dessen Stiftung von dem im Jahre 1870
entstandenen „Deutsch-Amerikanischen Lehrerbund" be-
schlossen wurde. Und zwar aus folgenden Gründen:
l.Die deutschamerikanische Jugend braucht deutschamerikanische Erzieher.
2. Die zweisprachige Schule, die Schule der Zukunft, fordert für die Vereinigten
Staaten Lehrer, die im Deutschen und Englischen gleich vollkommen aus-
gebildet sind.
Das deutschamerikanische Lehrerseminar in Milwaukee, Wisconsin.
3. Die deutsche Pädagogik, die Pädagogik der Humanität, bedarf solcher Ver-
treter, denen diese Wissenschaft, diese Kunst zu Fleisch und Blut geworden
ist. Solche Lehrer und Erzieher muß das Seminar des Lehrerbundes bilden,
wenn es seine Aufgabe richtig erfaßt hat.
Bei der Gründung des Seminars traf man folgende Bestimmungen : „Daß
der deutschamerikanische Lehrerbund den Lehrplan für das Seminar und die
Seminarschule festsetzen, und daß nur mit seiner Einwilligung derselbe ab-
geändert werden darf, sowie daß im Seminar nur Wissenschaft von ihrem je-
weiligen Standpunkte aus zu lehren ist, nicht aber Glaubenssätze, und daß
Geistliche darin nie Lehrer sein können."
— 369 —
Die Eröffnung dieses durch freiwillige Beiträge des Deutschamerikaner-
tums unterhaltenen Seminars erfolgte im Jahre 1878. Der Unterricht ist kosten-
frei. Der Lehrplan sichert den Seminaristen eine gründliche Ausbildung auf
allen Gebieten. In politischen und religiösen Fragen herrscht die weitestgehende
Toleranz. Ein einziger Gedanke leitet die Anstalt: aus ihren ZögUngen echte
Schulmänner zu machen.
In der mit dem Seminar verbundenen „Deutsch-englischen Akademie"
bietet sich den vorgeschrittenen Seminaristen Gelegenheit, sich für ihren Beruf
praktisch auszubilden. Außerdem besteht ein Abkommen mit den Schulbehörden
der Stadt Milwaukee, demzufolge die Seminaristen auch in den öffentlichen
Schulen, wo deutscher Unterricht erteilt wird, sich täglich eine Stunde lang im
Ausüben ihres künftigen Berufs betätigen können.
So ist das deutschamerikanische Lehrerseminar eine Musteranstalt, die
nicht nur dem Deutschamerikanertum zur Ehre gereicht, sondern durch die
stete Aussendung vorzüglich ausgebildeter Lehrkräfte in hohem Grade be-
fruchtend auf das Bildungs- und Erziehungswesen der Vereinigten Staaten
wirkt.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 24
Copyright by A. Thomas, N. Y.
Die deutschamerikanischen Landwirte und Forstleute
der Neuzeit.
Die überaus günstigen Urteile, welclie von berufenen Männern zu Ende
des 18. Jahrhunderts über die in Amerika ansässig gewordenen deutschen
Bauern abgegeben werden konnten, brauchten im 19. Jahrhundert nicht ge-
ändert zu werden. Der Fleiß, die Stetigkeit und Genügsamkeit, welche den deut-
schen Landwirt damals auszeichneten, sind geblieben. Zu diesen guten Eigen-
schaften gesellten sich neue, die durch die fabelhafte, auch das Landleben mäch-
tig beeinflussende Fortenwicklung der amerikanischen Kultur erzeugt wurden.
Die jeden schiffbaren Strom befahrenden Dampfer, die mit überraschender
Schnelligkeit bis. in die entlegensten Winkel des ungeheuren Landes vordrin-
genden Eisenbahnen, die in den kleinsten Ortschaften entstehenden Zeitungen
brachten den Bauer in häufigere, engere Berührung mit der Außenwelt, förderten
seinen Weitblick, seine Tatkraft, machten ihn vielseitiger und gebildeter. Die
zahllosen Wunderleistungen der landwirtschaftlichen Ingenieurkunst, die kom-
binierten Mäh-, Binde- und Dreschmaschinen erleichterten sein Dasein und er-
möglichten es ihm, einen Teil seiner Zeit auch auf seine geistige Fortbildung
zu verwenden.
Noch heute ist die „Farm" des deutschamerikanischen Landwirts höchster
Stelz. Ihrer Verbesserung gilt sein Mühen und Plagen. Da, seitdem die
Bundesregierung die Indianer auf bestimmte Reservationen beschränkte, keine
Gefahren mehr sein Haus umdrohen, so konnte er dasselbe geräumiger und
wohnlicher gestalten. Aus Holz erbaut und mit hellen Farben bemalt, leuchtet
es aus den wogenden Saaten und blumendurchwirkten Weizenfeldern her-
Kopf leiste: Die Landwirtschaft. Gemälde von Arthur Thomas in New York.
24*
— 373 —
vor. In der Nähe liegen die weiten Scheunen und die Ställe für die Pferde, das
Vieh, die Schweine und das Geflügel. Alle Gebäude sind einfach, aber stets
groß, sauber und in bestem Zustand. Der Bodenbesitz hat sich im Vergleich
mit demjenigen der Farmer des 18. Jahrhunderts beträchtlich vergrößert, was
hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben ist, daß auf den weiten Prärien der
Boden fast mühelos nutzbar gemacht werden kann, während die Pioniere des
18. Jahrhunderts beständig einen schweren Kampf gegen die schier übermäch-
tigen Urwälder führen mußten. Und wenn es dem bedeutenderen Besitz ent-
sprechend heute auch umfangreichere Strecken Landes umzuackern und größere
Ernten einzuheimsen gilt, so werden diese Arbeiten durch die ungemein leistungs-
fähigen landwirtschaftlichen Maschinen vereinfacht, die an Stelle von Pflug,
Spaten und Dreschflegel traten.
Den Hauptteil ihrer geistigen Nahrung beziehen die deutschamerikanischen
Farmer aus in deutscher Sprache gedruckten Zeitungen, die den Bedürfnissen
der ländlichen Bevölkerung mit großem Geschick angepaßt sind. Sie bringen
außer politischen und lokalen Mitteilungen zahlreiche Aufsätze, die für den
Landmann von Interesse sind. Und nicht zuletzt auch Nachrichten aus der
alten, unvergeßlichen Heimat.
An der Politik nehmen die deutschen Bauern keinen sonderlich großen
Anteil. Ohne Erregung lauschen sie den zahlreichen Wanderrednern, die zur
Wahlzeit von den einzelnen Parteien ausgeschickt werden, um für ihre Kandi-
daten Stimmung zu machen. Bei den Wahlen selbst lassen die Deutschen sich
dann meist von ihrer eignen Überzeugung leiten.
Religiöser Sinn ist bei dem deutschen Farmer auch heute noch vorhanden.
Sitzen mehrere Dutzend in einer Gegend nachbarlich zusammen, so verbinden
sie sich zu einer Gemeinde, bauen ein kleines Kirchlein und berufen einen Geist-
lichen, der sie mit Wort und Sakrament versorgt. Häufig sind Pastor und
Lehrer in einer Person vereinigt. Ist die Gemeinde stark genug geworden,
außer dem Pastor einen Lehrer unterhalten zu können, so wird auch für eine
Gemeindeschule gesorgt. An bestimmten Wochentagen findet dann der Unter-
richt statt, zu dem die zahlreichen Sprößlinge der Landwirte oft aus weiten Ent-
fernungen sich einfinden.
Gesellig sind die deutschen Farmer geblieben. Wenn sie Sonntags nach
dem Gottesdienst sich vor der Kirche versammeln, so treffen sie Verabredungen
für den Rest des Tages. Man besucht die Nachbarn, wobei es sich oft ereignet,
daß zehn bis fünfzehn Familien auf einer Farm sich zum Besuch einfinden, mit-
samt den Kindern an sechzig, siebzig Köpfe zählend. „Da würde," wie ein
unter jenen Farmern seit langen Jahren tätiger Geistlicher schilderte, „eine
deutsche Hausfrau die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und nicht
wissen, was anzufangen. Aber die Farmerfrau läßt sich nicht aus dem Gleich-
gewicht bringen. Vorrat an Fleisch und dem nötigen Zubehör ist reichlich vor-
handen, und die anderen Frauen helfen tüchtig beim Zurichten. So wird denn
fröhlich getafelt und wacker zugegriffen. Nach dem Essen schmauchen die
— 374 —
Familienväter draußen unter den schattigen Bäumen ihre kurzen Pfeifchen und
tauschen ihre Beobachtungen in Ackerbau und Viehzucht aus. Die Frauen
halten beim Kaffee ihren gemütlichen Schwatz; die Kinder spielen ihre kind-
lichen Spiele; die jungen Burschen und Mädchen lassen die alten deutschen
Volkslieder erklingen oder drehen sich im Tanz. So bietet der Sonntag-
nachmittag auf der Farm ein Bild echt deutscher Gemütlichkeit und deutschen
Familiensinns."
Am dichtesten sitzen die deutschen Farmer in Ohio, Indiana, Illinois, Michi-
gan, Wisconsin, Minnesota, den beiden Dakotas, Iowa, Nebraska, Missouri und
Kansas. Meist sind es Bauern aus Westfalen, Hannover, Schleswig-Holstein,
Brandenburg, Mecklenburg und Pommern, die dort ihren Wohnsitz auf-
geschlagen haben. Die Süddeutschen bevorzugen mehr die südlichen Staaten,
namentlich Texas. Wie sogar von Stockamerikanern rückhaltlos anerkannt
wird, trugen deutscher Fleiß und deutsche Beharrlichkeit in hervorragendem
Maß dazu bei, jenen Staaten ihre Bedeutung im Bunde der Union zu ver-
schaffen.
In Kansas ließen sich während des letzten Drittels des vorigen Jahr-
hunderts viele deutsche M e n n o n i t e n aus Rußland nieder, welche sich zur
Auswandrung entschlossen, als die Regierung die ihnen von früheren Regenten
zugestandene Befreiung vom Militärdienst aufhob. Diese Mennoniten, deren
erste um das Jahr 1873 anlangten, waren das Erstaunen aller Landagenten, so-
wohl wegen ihres soliden Reichtum.s und der baren Bezahlung ihrer bedeutenden
Landerwerbungen, als auch wegen der Sorgfalt, womit sie zur Auswahl ihrer
neuen Heimstätten schritten. Zu ihnen gesellten sich später viele aus Westfalen
und Ostpreußen stammende Glaubensgenossen, mit welchen vereint sie zahl-
reiche Kolonien schufen, von denen die meisten echt deutsche Namen tragen,
wie Johannestal, Gnadenfeld, Hoffnungsau, Blumenort,
Brudertal, Grünfeld, Germania. Diese Mennoniten, deren Zahl
sich auf 150 000 belaufen mag, sind sowohl wegen ihrer Betriebsamkeit und
Sparsamkeit, wie wegen ihrer Geschicklichkeit im Verkaufen ihrer Produkte be-
rühmt. Sie gelten allgemein als vorzügliche Bürger. Außerdem sind sie be-
kannt dafür, daß sie niemals Prozesse führen.
Wie das Deutschtum der Vereinigten Staaten in den Reihen der amerika-
nischen Großindustriellen berufene Vertreter besitzt, so auch unter den Land-
wirten. Besonders im Nordwesten gibt es zahlreiche deutsche Riesenfarmen,
deren fast militärisch organisierte Bewirtschaftung das Staunen aller europäischen
Besucher erregte. In Idaho gehören die kolossalen Weizenländereien des 1847
in Deutschland geborenen Johann P. Vollmer zu den ergiebigsten des
ganzen Staates. Sie einzuzäunen, erforderte es 250 Meilen Draht. Vollmer ist
auch der Begründer der „Vollmer-Clearvvater Grain Company", welche zu
375
Lewiston und an anderen Orten Idahos bedeutende Mühlen besitzt, die jährlich
2 Millionen Bushel Weizen zu Mehl verarbeiten.
Einen hervorragenden Anteil haben die Deutschamerikaner auch an der
Entwicklung der Obst- und Weinkultur der Vereinigten Staaten. Ein findiger
Hesse, Johann Schwerdkopf, war es, der bereits während der Kolonial-
zeit auf Long Island große Strecken unbenutzt liegenden Landes pachtete und
daselbst Erdbeeren zog Er brachte die bis dahin in Amerika wenig beachtete
Frucht zu solcher Beliebtheit, daß er seine Erdbeerplantagen von Jahr zu Jahr
vergrößern mußte. Lange Zeit hatte Schwerdkopf gleichsam das Monopol
dieser herrlichen, zu einem förmlichen Leibgericht der Amerikaner werdenden
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Ernte im fernen Westen.
Frucht, deren Anbau im 19. Jahrhundert einen geradezu fabelhaften Umfang
annahm und zu einem hochwichtigen Erwerbszweig für die amerikanischen
Farmer wurde.
Ein anderer Deutscher, dessen Einfluß auf dem Gebiet der Hortikultur
sich lange Jahre hindurch in den gesamten Vereinigten Staaten geltend machte,
war der Württemberger Georg Ell wanger. Er schuf bei Rochester im
Staat New York die als Mount Hope Nurseries bekannt gewordenen Blumen-
gärtnereien, legte großartige Baumschulen an, und machte sich auch durch
Einführen des Zwergobstes, durch verbesserte Pfropfverfahren und andere Neue-
rungen um die Landwirtschaft hochverdient. Die Stadt Rochester verdankt ihm
den schönen Highlandpark.
Deutsche waren es auch, welche zuerst im Tal des Ohio den rationellen
Weinbau einführten. Von der Mosel und vom Rhein ließen sie Reben und er-
— 376 —
fahrene Winzer kommen, um ausgedehnte Versuche anzustellen. Diese fielen
so gut aus, daß viele sich dem Weinbau zuwandten. Bereits um die Mitte des
19. Jahrhunderts zählte man im Umkreis von Cincinnati 1200 Weinberge. Der
hier erzeugte Wein war von solcher Güte, daß m.an sich sogar zum Herstellen
von Schaumwein verstieg. Hier erschien auch die von Karl Rümelin her-
ausgegebene „Deutschamerikanische Winzerzeitun g". Leider
brachten mehrere Jahre des Mißwachses im Verein mit dem ungeheuren Steigen
der Grundeigentumswerte der vielversprechenden Weinindustrie im Cincinnater
Distrikt den Untergang.
Durch ihren Weinbau ist auch die von dem deutschen Arzt Wilhelm
S c h m ö 1 e im Verein mit seinem Bruder und seinem Freunde W o 1 s i e f f e r
Ernte im fernen Westen.
gegründete Kolonie Egg Harbor City in New Jersey bekannt geworden. Dieselbe
liefert Rotweine von besondrer Güte.
Auch an die Ufer des Missouri übertrugen die Deutschen den Weinbau.
Besonders der im Jahre 1837 von der „Deutschen Ansiedlungs-
Gesellschaft zu Philadelphia" gegründete Ort Hermann ent-
wickelte sich zu einer echten, zwischen Rebhügeln eingebetteten Winzerstadt,
deren Charakter an die weinfröhlichen Orte des Rheingaus erinnerte. Michael
P ö s c h e 1 und Hermann Burkhardt waren daselbst die ersten erfolg-
reichen Rebenpflanzer. Ein anderer bedeutender Weinzüchter, der auch zahl-
reiche deutsche und englische Schriften über den Weinbau verfaßte, war der im
Jahre 1834 eingewanderte Georg Husmann, derselbe, welcher später
unter den Weinproduzenten Kaliforniens eine Rolle spielte. Von Hermann aus
breitete der Weinbau sich nach den gleichfalls in Missouri gelegenen Orten
Marthasville, Augusta und Washington aus.
— 377 -
Die Erwerbung Kaliforniens fügte den Vereinigten Staaten ein großes,
schon bewährtes Weinland hinzu. Hier war der Weinbau bereits im 17. und
18. Jahrhundert durch spanische Missionare eingeführt worden. Als die Ro-
manen den Amerikanern weichen mußten, brauchten die letzteren die schon be-
stehenden Pflanzungen nur weiter zu entwickeln. Das geschah freilich erst,
nachdem der kalifornische Goldrausch der fünfziger Jahre verflogen war. Um
jene Zeit kamen infolge der deutschen Revolution des Jahres 1848 auch zahl-
reiche Weinbeflissene aus den Rheinlanden nach Kalifornien. Viele wandten
sich der systematischen Förderung des Weinbaus zu. Unter ihnen die Brüder
Sansewein, Jakob Gundlach, Ch. Bundschu, Julius Dre-
s e 1 und J. Wi n k e 1 in Sonoma; K a r 1 K r u g , die Brüder Beringer, Wil-
helm Scheffler, Johann Thomann,j. Schramm, A. Schranz
und die Gebrüder S t a m e r in St. Helena; der obengenannte Professor Georg
Husmann in Napa; G. Grözingerin Yountville, Köhler und F r ö h -
1 i c h , J. H. R o s e und Stern, Lachmann in Los Angeles; J. E. B a 1 d -
w i n in San Gabriel ; D r e y f u ß in Anaheim ; Scholl, Langenberg,
Reißer und manche andere. Sie trugen auch in erster Linie dazu bei, durch
Anpflanzen bester deutscher Reben und durch fachmännische Pflege des ge-
wonnenen Weins die gegen denselben bestehenden Vorurteile zu bekämpfen.
Es gelang ihnen, seine Qualität auf eine so hohe Stufe zu bringen, daß er auf
den Weltausstellungen der letzten Jahrzehnte neben den besten Erzeugnissen
Europas bestehen und die höchsten Auszeichnungen erringen konnte.
Sehr viele in Kalifornien seßhaft gewordene Deutsche beteiligten sich auch
an dem so großartig entwickelten Anbau der Orangen, Zitronen, Limonen,
Granatäpfel, Pfirsiche, Aprikosen, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Feigen und
Oliven. Desgleichen an der Zubereitung von Rosinen, gedörrtem und ein-
gemachtem Obst.
Einigen der obengenannten deutschen Winzer verdankt die bei Los Angeles
gelegene, ihrer landschaftlichen Schönheiten wegen berühmte Kolonie A n a -
heim ihr Entstehen. Rings um dieselbe liegen Fruchthaine in voller Blüten-
pracht, grüne Auen, Täler und Hügel, lustig rieselnde Bäche und Bewässerungs-
kanäle, unabsehbare Weingärten und Orangenhaine. Im Hintergrund dieser
arkadischen Dekoration erheben sich die in scharfen Umrissen gegen den Hori-
zont abstehenden Gebirgskämme. Die Einzelfarmen von Anaheim, desgleichen
seine Bewässerungskanäle und Weinberge wurden unter dem Kooperativsystem
geschaffen. Die äußerst zweckmäßige Anlage des Orts diente vielen anderen
Ansiedlungen als Vorbild.
Auch an der Nutzbarmachung der w^sserlosen Wüsten des fernen
Westens, an ihrer Umwandlung in fruchtbringende Gefilde haben Deutsch-
amerikaner großen Anteil. Zu den bekanntesten Autoritäten auf diesem Gebiet
zählt beispielsweise der an der Staatsuniversität von Kalifornien angestellte Pro-
fessor H i 1 y a r d , ein Sohn des von den „Lateinischen Farmern" gegründeten
Städtchens Belleville in Illinois. Er hat sich hauptsächlich um die Bewässerung
— 378 —
und Fruchtbarmachung der dürren Gegenden in Südkalifornien und Arizona
große Verdienste erworben.
Auch unter den Viehzüchtern des fernen Westens, besonders in Texas,
Kansas und Montana, begegnen wir vielen deutscher Herkunft. In Kalifornien
gehörten die beiden Deutschen Miller und Lux zu den bedeutendsten. Sie
kamen als arme Burschen nach Amerika, traten hier im Jahre 1856 in Geschäfts-
gemeinschaft, kauften in Kalifornien Ranchos für ihre Herden und betrieben ihr
Geschäft mit seltener Umsicht und Energie. Gegenwärtig besitzt die Firma un-
geheure Strecken Weidelandes, auf denen hunderttausende von Pferden, Rindern
und Schafen grasen. Desgleichen betreibt sie die Schweinezucht in großartigem
Maßstab.
Besondere V^erdienste erwarb das Deutschamerikanertum sich um die
amerikanische Forstkultur.
Es war Karl Schurz, ein Sohn des die Wälder liebenden deutschen Volks,
welcher sowohl als Senator wie als Sekretär des Innern zum erstenmal amtlich
das amerikanische Volk darauf aufmerksam machte, welche schwere Schuld es
durch die teils in Gedankenlosigkeit, teils aus schnöder Habgier betriebene Ver-
wüstung seiner Wälder auf sich lade. Mit warnenden Worten wies er darauf
hin, wie wichtig der Wald für die Erhaltung des notwendigsten Lebenselements
der Landwirtschaft, des Wassers sei, und wie durch das Zerstören der Forste
die Vereinigten Staaten im Lauf der Zeit einem ähnlichen Schicksal wie Palästina,
Spanien und andere ihres früheren Waldreichtums beraubten Länder verfallen
müßten.
Angesichts des damals noch unerschöpflich scheinenden Holzreichtums
der Vereinigten Staaten lachte man über die Befürchtungen des „deutschen
Idealisten". Als aber im Lauf der nächsten Jahrzehnte die mächtigen Forste
der Alleghanygebirge und der die großen Binnenseen umgebenden Staaten vor
der zügellosen Gier der Holzhändler gänzlich verschwanden und die nüchterne
Statistik mit erschreckender Deutlichkeit den raschen Untergang des Waldreich-
tums verkündete, als der Wasserstand der Seen und Ströme zu sinken und die
Temperaturverhältnisse ganzer Länderstrecken in ungünstiger Weise sich zu
ändern begannen, da dämmerte auch in den Köpfen der um die Wohlfahrt ihres
Landes besorgten Amerikaner die Erkenntnis, wie begründet die Warnungen
des „deutschen Idealisten" und der mit ihm übereinstimmenden deutschamerika-
nischen Zeitungen gewesen seien.
Man begann für den Schutz der Wälder einzutreten, gründete einen
„National-Forstverein" (die „National Forestry Association") und
bewirkte durch Eingaben an die Bundes- und Staatsregierungen den Erlaß von
Gesetzen zum Schutz der bedrohten Wälder.
— 379 —
Der Staat New York war der erste, welcher solchen Forderungen ent-
sprach, indem er nicht nur eine staadiche Forstkommission einsetzte, sondern
auch eine Waldreservation einrichtete. Am 3. März 1891 entschloß sich auch
der Bundeskongreß zum Erlaß eines Gesetzes, welches den Präsidenten er-
mächtigte, Forstreservationen zu schaffen und für immer vom Verkauf an pri-
vate Personen auszuschließen. Kalifornien, Colorado, New Hampshire, Ohio,
Pennsylvanien, Minnesota, Wisconsin, Maine und viele andere Staaten folgten,
so daß das Areal der in den verschiedenen Teilen der Vereinigten Staaten ge-
legenen Waldreservationen bis November 1908 auf 167 992 208 Acres anwuchs.
Bei ihrer Auswahl achtet man darauf, daß sie die Quellgebiete großer Ströme
umfassen, um dadurch den Wasserzufluß zu regeln und Überschwemmungen
vorzubeugen.
An dem Verdienst, diese wichtige Anlegenheit in Fluß gebracht zu haben,
gebührt einigen praktischen deutschen Fachleuten ein Hauptanteil.
In erster Linie dem aus der Povinz Posen stammenden Forstmann Bern-
hard F. Fernow, einem der Gründer des „Nationalen Forst-
vereins" und Redakteur der von demselben herausgegebenen Zeitschrift
„The Foreste r". Man kann ihn getrost den Vater des amerikanischen
Forstwesens nennen. Denn seiner Rührigkeit verdankt das Land die Einrich-
tung einer mit dem Landwirtschaftsministerium verbundenen Forstabteilung,
deren Vorsteher Fernow von 1886 bis 1898 war.
Als im letztgenannten Jahre der Staat New York an der Cornell-Universität
zu Ithaka eine Forstlehrschule gründete, übernahm Fernow ihre Leitung und
führte sie bis 1903, wo eine kurzsichtige Legislatur der Anstalt die nötigen
Mittel versagte und dadurch ihren Eingang verschuldete. Gegenwärtig ist
Fernow als Leiter der an der Universität zu Toronto, Canada eingerichteten
Forstabteilung tätig.
Die Universitäten Yale und Harvard, sowie diejenige des Staates Michigan
gründeten während der Jahre 1900 und 1903 gleichfalls Abteilungen für Forst-
wesen. Jene zu Yale wird von Professor H e n r y S. G r a v e s , die zu Harvard
von Richard F. Fischer, jene in Michigan von Filibert Roth be-
kleidet. Der Schöpfer der Forstwirtschaft des Staates Pennsylvanien ist Dr. J o-
seph Rothrock, der Nachkomme eines in Pennsyfvanien eingewanderten
Deutschen. Er studierte sowohl in Berlin und München Forstwissenschaft, und
hat die dort erworbenen Kenntnisse zum großen Segen für Pennsylvanien ver-
wertet. In Südkarolina sorgte der Forstmann Dr. C. A. S c h e n c k in den
ausgedehnten Waldungen der Vanderbiltschen Besitzungen bei Biltmore für eine
regelrechte Verwaltung. Er richtete auch im Jahre 1898 dort eine Forstschule
ein, wo angehende Forstleute sowohl theoretischen wie praktischen Unterricht
empfangen.
Von großem Einfluß waren ferner die Forstabteilungen, welche seitens
der deutschen Regierung auf den Weltausstellungen zu Chicago und St. Louis
dem Studium dargeboten wurden. Durch methodische Gründlichkeit und
— 380 —
Wissenschaftlichkeit sich auszeichnend und in überaus klarer Weise den un-
geheuren, aus einer gesunden Waldwirtschaft entspringenden Nutzen ver-
anschaulichend, machten diese Abteilungen auf alle mit Nationalökonomie sich
Beschäftigenden tiefen Eindruck.
Die Gewohnheit der Deutschen, ihr Heim durch Baum- und Blumen-
anpflanzungen zu schmücken, rief die heute blühende Kunstgärtnerei ins Leben,
die sich fast ganz in deutschen Händen befindet. Auch sind viele der schönsten
Schöpfungen der Landschaftsgärtnerei in Amerika, zahllose öffentliche Parks und
Friedhofanlagen als die Werke deutscher Gärtner zu betrachten. So verdankt
beispielsweise der im Jahre 1857 begonnene Zentralpark der Stadt New York
in der Hauptsache deutschen Gärtnern sein Entstehen. A. Pieper, ein
Hannoveraner, leitete die gesamten Hoch- und Niederbauten als zweiter Ober-
ingenieur; A. Torges, ein Braunschweiger, war Leiter der südlichen, und
W o n n e b e r g , ein Hannoveraner, der nördlichen Division ; B. P i 1 a t , ein
Österreicher, hatte als Obergärtner das gesamte Agrikulturwesen unter sich;
Fischer, ein Württemberger, war zweiter Obergärtner; W. Müller, ein
Kurhesse, erster Architekt ; B i e r i n g e r , ein Bayer, leitete den Bau des Ent-
und Bewässerungssystems; H. Krause, ein Sachse, und Spangenberg,
ein Kurhesse, waren die ersten Zeichner.
Um dieselbe Zeit, im Jahre 1854, verwandelte der geniale Landschafts-
gärtner Adolf Strauch, der seine Ausbildung unter den berühmtesten
Meistern der kaiserlichen Gärten zu Schönbrunn und Laxenburg bei Wien er-
halten hatte, den Spring Grove Friedhof in Cincinnati zu einer herrlichen An-
lage, die für viele andere amerikanische Friedhöfe vorbildlich wurde.
Der Anteil der Deutschen an der Entwicklung der
amerikanischen Industrie.
Wie schon in dem Abschnitt über die kuhurellen Zustände der Deutsch-
amerikaner während der Kolonialzeit nachgewiesen wurde, gebührt ihnen an
der Einführung, dem Aufbau und der Entwicklung der großen Industrien
Amerikas ein gewaltiger Anteil. Heute gibt es in der Tat kaum einen Ge-
schäftszweig, in welchem die Deutschen nicht stark vertreten sind. Gewisse
Zweige des Großhandels und der Wareneinfuhr beherrschen sie nahezu aus-
schließlich; im Kleinhandel und Handwerk, soviel von letzterem bei den alles
aufsaugenden und monopolisierenden Bestrebungen der Trusts übriggeblieben
ist, prosperieren sie entschieden mehr als die Amerikaner und Irländer.
Es liegt in der Natur der Sache, daß die meisten in die Vereinigten
Staaten einwandernden Deutschen klein und bescheiden anfangen und sich be-
mühen, durch kluges, vorsichtiges Ausnutzen der Gelegenheiten, durch Fleiß
und Sparsamkeit größere Geschäfte aufzubauen Sie sind weniger zu gewagten
Unternehmungen geneigt, als die Amerikaner, die es lieben, durch kühne Spe-
kulationen mit einem Schlage Reichtümer zu gevN'innen. Sie bevorzugen den
langsameren, sichern Weg, wohl wissend, daß dabei ihre meist gut fundierten
Geschäfte nicht so leicht jähem Wechsel oder gar dem Zusammenbruch aus-
gesetzt sind.
Infolge solcher vorsichtigen Eührung ist die Zahl alter deutscher Firmen,
die sich in steigender Blüte auf nachfolgende Geschlechter vererbten, eine ver-
hältnismäßig große. Dabei darf man keineswegs glauben, daß es den Deutsch-
Kopfleiste-. Die erste von Johann August Roebling im Jahre 1848 zu Trenton,
New Jersey, angelegte Drahtseilfabrik.
— 382 —
amerikanern an Weitblick oder Wagemut fehle. Auch sie stellen ihren Prozent-
satz zu jenen „Kapitänen der Industrie", die im geschäftlichen Leben Amerikas
die Offiziere, den Generalstab jener Arbeiterarmeen bilden, welche die Reich-
tümer der Neuen Welt erschließen und zur Entwicklung der letzteren so un-
geheuer viel beitragen.
Daß bereits während der Kolonialzeit mehrere deutsche Großindustrielle
in Amerika existierten, wurde im ersten Teil dieses Werkes gezeigt. Ihnen
schlössen sich nach der Gründung der Vereinigten Staaten manche andere an,
wie beispielsweise Johann Jakob Astor, dessen Geschichte unter den
Pionieren des fernen Westens erzählt ist. Er war der erste Amerikaner, dessen
Fahrzeuge in regelmäßigen Reisen den Erdball umschifften. Einen bedeutenden
Teil seines im Welthandel erworbenen Vermögens legte Astor in Landkäufen
in und um New York an. darauf rechnend, daß mit dem Wachstum der Stadt
der Wert dieser Grundstücke erheblich steigen müsse. Dieser von Astors Nach-
kommen in großartigem Maßstab fortgesetzten Politik verdankt die heute weit
verzweigte Eamilie Astor ihr kaum noch zu berechnendes Vermögen.
Ein Zeitgenosse Astors war der im Jahre 1761 zu Hagenau geborene
Kaufmann Martin Baum. Sein Name ist mit der frühesten Entwicklungs-
geschichte der Stadt Cincinnati eng verbunden. War er es doch, welcher dort
die erste Zuckersiederei, die erste Eisengießerei, die erste Wollfabrik, die erste
Dampfmahlmühle errichtete. Gleichzeitig gründete er die „Miami E x p o r -
t i n g Company", die außer Geldgeschäften ein bedeutendes Transport-
geschäft betrieb und die Schiffahrt auf den wesÜichen Strömen entwickelte.
Unter den hervorragendsten Pionieren des Staates Missouri befand sich der
1810 in Bremen geborene Adolf Meier, ein Mann von seltener Tatkraft
und Unternehmungslust. Er errichtete in St. Louis die erste, westlich vom
Mississippi erbaute Spinnerei und Weberei, gründete die Bessemer Hochöfen zu
Ost-Carondolet sowie zahlreiche andere großindustrielle Anlagen. Außerdem
war er als Gründer oder Präsident an mehreren der bedeutendsten von St. Louis
ausgehenden Eisenbahnen beteiligt.
Die hervorragende Stellung, welche die Deutschamerikaner während des
18. Jahrhunderts in der Eisenindustrie einnahmen, wurde auch später von ihnen
behauptet. Dem Großindustriellen Johann Jakob Eaesch, der in New
Jersey die gewaltigen „Hibernia- und Mount Hope-Werke" be-
saß, reihten sich die Gebrüder Michael und George Ege an, die in Penn-
sylvanien zahlreiche Hüttenwerke aufführten. Ebendaselbst schuf der im Jahre
1791 aus Zweibrücken eingewanderte Clemens Rentgen verschiedene
Unternehmungen, darunter die „ P i k e 1 a n d W o r k s ", wo er sich der Stahl-
fabrikation befleißigte und für die amerikanische Marine große Lieferungskon-
trakte ausführte. Peter Grubb, David Heimbach, Wilhelm
Müller, G e o r g A n s c h ü t z , S a m u e 1 H e 1 f r i c h , W.Halde-
mann, Samuel Fahnestock, Gabriel Heister, Peter Kart-
haus,Johann Probst, Friedrich Geisse nhain er, Bernhard
— 383 —
Laiith, Johann Hammer, Konrad Piper, Detmar Basse-
müller, Martin Diibbs, Benjamin Jakobs, Philipp Ben-
ner, Georg und Peter Schönberger, Karl Liikens und J o -
hann Buch w alter sind die Namen deutscher Pioniere, die in Pennsyl-
vanien in den verschiedensten Zweigen der Eisenindustrie tätig waren. Lukens
walzte die ersten Dampfkesselplatten; Clemens Rentgen lieferte das erste Rund-
eisen ; Jakob Baumann gründete die erste, westlich von den Alleghanys gelegene
Nagelfabrik. In Kentucky wurde der aus Baltimore eingewanderte deutsche
Geschäftsmann Jakob Meyers der Vater der dortigen Eisenindustrie, indem
er im heutigen Bath County im Jahre 1791 eine Eisenschmelze und andere
Fabriken erbaute, wo alles, vom eisernen Kochtopf und Ofen bis zum schweren
Geschütz, hergestellt wurde.
Manche der von solchen deutschen Industriellen gegründeten Werke sind
noch heute in Betrieb; viele andere gingen hingegen im Lauf des 19. Jahr-
hunderts in größeren Unternehmungen auf. Dies geschah beispielsweise mit
den in Pittsburg gegründeten Fabriken der aus Trier stammenden Schmiede
Andreas und Anton Klomann. Ihre Spezialität bestand in der Her-
stellung von Achsen für Eisenbahnwagen. Beim Schmieden derselben bedienten
sie sich eines besonderen, von Andreas Klomann erfundenen Verfahrens, dessen
Vorzüge allenthalben anerkannt wurden. Zu den Abnehmern Klomanns ge-
hörte auch die „Pittsburg, Fort Wayne und Chicago Bahn", deren Einkäufer,
Thomas Miller, im Jahre 1859 einen Anteil an der Klomannschen Fabrik er-
warb. Seinem Betreiben war es zuzuschreiben, daß, als der Bürgerkrieg be-
deutende, die Errichtung größerer Anlagen nötig machende Aufträge brachte,
die Firma sich am 16. November 1861 in eine Aktiengesellschaft verwandelte,
welche den Namen „Iron City Forge Company" annahm. Da der
Preis für Wagenachsen von zwei Cents das Pfund über Nacht auf zwölf Cents
emporschnellte, so machte die Gesellschaft glänzende Geschäfte. Leider stand
es um die Einigkeit der verschiedenen Teilhaber minder gut. Anton Klomann
wurde im Jahre 1863 ausgekauft; dasselbe geschah später mit Andreas Klo-
mann, nachdem am 2. Mai 1864 Andrew Carnegie der Gesellschaft beigetreten
war. Man sagt, daß Carnegie herbeigerufen worden sei, um zwischen den
uneinigen Parteien Frieden zu stiften. Er habe dabei nach dem Muster jenes
Richters in der Fabel gehandelt, der den streitenden Parteien die Schale zuspricht
und als Lohn für seine Mühe den Kern behält. Wie dem immer sein möge, so
ist gewiß, daß die von den Brüdern Klomann gegründeten Fabriken den An-
fang jener von Carnegie geleiteten Riesenunternehmungen bildeten, die später
unter den Namen „Union Iron Mills Company", „Carnegie
Steel Company" und „United States Steel Corporation"
Weltruf gewannen.
In der neueren Geschichte dieser Körperschaft waren übrigens noch zwei
anderen Amerikaner deutsch-pennsylvanischer Abkunft leitende Rollen be-
schieden : FI e n r y C. F r i c k und Charles Schwab. Der letzte bekleidete
384 —
ctq'
ursprünglich einen sehr untergeordneten Posten in einem Stahlwerk Carnegies.
Durch Energie und unermüdliches Studium arbeitete er sich allmählich zum
Leiter der berühmten
„Homestead Werke"
empor. In den Jahren
IQÜl bis 1903 stand er
als Präsident an der
Spitze der „United
States Steel Cor-
pora t i o n". Heute ist
er Präsident der Stahl-
werke zu Bethlehem,
Pennsylvanien.
Eine ähnliche Be-
deutung erlangte der im
Jahre 1869 zu Brooklyn
geborene E. A u g u s -
tus Heinze in der
Kupferindustrie. Durch
sorgfältiges, sowohl an
amerikanischen wie deut-
schen Universitäten be-
triebenes Studium der
Bergwissenschaften vor-
trefflich ausgerüstet,
wandte er sich im Jahre
1 889 dem mineralreichen
Staate Montana zu und
gründete in der Stadt
Butte die „M o n t a n a
Ore Purchasing
C o m p a n y". Später
trat Heinze an die Spitze
der von ihm gegrün-
deten „United C o p -
p e r C o.''
Von anderen ame-
rikanischen Großindu-
striellen ist der am 23.
November 1906 verstor-
bene Heinrich Weh-
rum zu nennen, der Schöpfer der großartigen „Lackawanna Iron
& Steel Works" zu Buffalo und Seneca, New York.
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— 385 —
Die bedeutenden Drahtseilfabriken der Firma „John A. R o e b 1 i n g s
SonsCompany*'zu Trenton, New Jersey, welche sich mit dem Herstellen
von Drähten, Drahtseilen und mächtiger Kabel für Hängebrücken beschäftigen,
verdanken ihren Ursprung dem berühmten Brückenbauer Johann August
R o e b 1 i n g , dessen Lebensgeschichte in dem Abschnitt „Deutschamerikanische
Techniker und Ingenieure" ausführlich erzählt ist. Drahtseile wurden bereits
im Jahre 1820 in Deutschland erzeugt. Roebling war es, welcher diese wenig
gewürdigte Industrie nach Amerika übertrug und im Jahre 1840 in dem von.
ihm gegründeten Dorf Germania, dem späteren Saxonbury (Grafschaft Butler
in Pennsylvanien) die erste Drahtzieherei in Amerika schuf. Als Roebling im
Jahre 1848 mit seiner Familie nach Trenton, New Jersey, übersiedelte, legte er
dort sofort eine neue Drahtseilfabrik an, in der er anfangs 25 Mann beschäftigte.
Aus diesen bescheidenen Anfängen wuchsen im Lauf der Jahre die riesigen
Anlagen der obengenannten Firma hervor, welche im Jahre 1908 ein Heer von
über 6000 Arbeitern beschäftigte und den Ruf genießt, nicht allein die bedeu-
tendste, sondern auch die leistungsfähigste Drahtseilfabrik der Welt zu sein. Die
Leitung der Fabriken liegt noch heute in den Händen der Söhne Roeblings,
FerdinandW., Charles G. und Washington A. Roebling,
sowie deren Nachkommen.
Der aus Kassel stammende G. Martin Brill wandte sich dem Bau
von Straßenbahnen zu und gründete in Philadelphia die Firma J. G. Brill Si.
S o n , die sich zu einer der bedeutendsten Werkstätten Amerikas entwickelte.
Im Jahre 1887 ließ sich die Firma als die „ J. G. Brill Company" ein-
tragen, mit Martin Brill als Präsidenten. Seitdem wurden der Gesellschaft
mehrere andere große Fabriken in Amerika und England durch Ankauf ein-
verleibt, wie z. B. die ,, B r o w n i e s & American C o m p a n i e s " zu
St. Louis, die „ G. C. K u h l m a n C a r Company" in Cleveland und die
„John Stevenson Car Company" in Elisabeth, New Jersey. y\ls
Martin Brill im Jahre 1906 auf seinem Landsitz bei Philadelphia starb,
repräsentierten die vereinigten Gesellschaften einen Wert von 57 Millionen
Dollar.
J. H. K o b u s c h in St. Louis gründete im Jahre 1887 die „St. Louis
C a r C o m p a n y ". Sie liefert vollständig ausgestattete Wagen für den Eisen-
bahn- und Straßenbahndienst. An dem gleichen Ort besteht die von Peter
J. Pauly im Jahre 1856 gegründete „Pauly Jail Building Com-
pany". Der Bau und das Einrichten von Gefängnissen bildet ihre Speziali-
tät. Viele der wichtigsten Sicherheits- und Sanitätsvorkehrungen der heutigen
amerikanischen Strafanstalten wurden von den deutschen Leitern dieser Gesell-
schaft erdacht und eingeführt.
Die Westfalen Wilhelm F. und Friedrich G. Nied ringhaus
gründeten im Jahre 1857 die „St. Louis Stamping Co.", die sich mit
der Herstellung von Blech- und Zinkwaren beschäftigt. Später, als die Ge-
brüder nicht genügend Bleche aus England beziehen konnten, schufen sie groß-
Cronau, Deutsches Leben in Amerika. 25
— 386 —
artige Walzwerke und in neuerer Zeit auf der Ostseite von St. Louis die be-
deutendsten Emaillewerke der Welt. Granite City, heute eine Stadt von
10 000 Einwohnern, ist gleichfalls eine Gründung der Gebrüder Niedringhaus,
deren Unternehmen jetzt als die „National Enameling and Stam-
p i n g C o." bekannt ist. Wilhelm Niedringhaus war einer der ersten Fabri-
kanten von Zinkwaren und der erste Fabrikant von Emaillewaren in den Ver-
einigten Staaten. Er stellte auch die erste Maschine zum Pressen von Geschirr
und Stahlplatten her.
Benjamin Guggenheim, ein Sohn des aus Deutschland nach
Philadelphia übersiedelten Israeliten Meyer Guggenheim, begründete die „In-
ternational Steam Pump Company'', die sich mit dem Herstellen
aller Arten von Pumpwerken beschäftigt, von der einfachsten Handpumpe bis
zu den beim Entwässern der Bergwerke und im Dienst der städtischen Wasser-
versorgung benötigten Riesenpumpen. Die „International Steam Pump Co."
unterhält zurzeit bereits sieben bedeutende Fabrikanlagen, von welchen sich
sechs innerhalb der V^ereinigten Staaten, und zwar in Fast Cambridge, Mass.,
Holyoke, Mass., Harrison, N J., Buffalo, N. Y., Cincinnati, Ohio und Cudahy,
Wisc, befinden.
Auch der amerikanischen Zuckersiederei verliehen zwei deutsche Familien,
die H a V e m e y e r s und Spreckels, den eigentUchen Aufschwung. Die
Geschichte beider Familien liest sich fast wie ein arabisches Märchen. Diejenige
der Havemeyers beginnt mit der Einwandrung zweier armer Zuckerbäcker,
der Brüder Friedrich und Wilhelm Havemeyer, welche im Jahre
1802 ihre im Fürstentum Schaumburg-Lippe gelegene Vaterstadt Bückeburg
verließen, um jenseits des Ozeans eine neue Heimat zu suchen. Bald nach ihrer
Ankunft in New York gründeten die beiden eine kleine Zuckersiederei, deren
tägliche Produktion, obwohl die Frauen der beiden nach deutscher Art fleißig
mit Hand anlegten, anfangs selten mehr als zwei Fässer überstieg. In dem in
Vandam Street gelegenen Quartier der Familien wurde im Jahre 1807 Fre-
derick C. Flavemeyer geboren, der sechzehn Jahre später, nachdem er
im Columbia College eine gute Erziehung genossen hatte, in das inzwischen
stattlich emporgeblühte Geschäft eintrat. Alle Einzelheiten des Zuckerhandels
und der Zuckerindustrie von Grund aus studierend, verhalf er dem Geschäft zu
so mächtigem Aufschwung, daß er seinen Söhnen Theodor und Henry O. ein
Vermögen von vier Millionen Dollar hinterlassen konnte.
Henry O. Havemeyer, der im Jahre 1847 geborene jüngere der
Brüder, wurde der Schöpfer des „ Z u c k e r - T r u s t s ". Die zwischen den
amerikanischen Zuckerproduzenten häufig entbrennenden Konkurrenzkämpfe,
während welcher die Raffinerien einander sowohl beim Einkauf der Rohstoffe
wie beim Verkauf der fertigen Ware oft bis zum Zusammenbruch bekriegten,
riefen in Havemeyer den Gedanken einer Vereinigung aller Raffinerien wach.
Durch eine solche Verschmelzung ließen sich nicht bloß jene gefährlichen
Kämpfe vermeiden, sondern der Verkaufspreis des Zuckers konnte auch auf einer
— 387 —
für alle beteiligten Firmen gewinnbringenden Höhe erhalten werden. Die ersten
Schritte zur Gründung dieses Trusts reichen bis in das Jahr 1887 zurück, wo
es Havemeyer gelang, eine Vereinigung der in den Oststaaten bestehenden
Zuckerfabriken zustande zu bringen. Dieselben verbanden sich am 12. Januar
1891 unter dem Namen ,, American SugarRefineries Company".
Ihr ursprüngliches Stammkapital von 50 Millionen Dollar wurde später auf
75 Millionen erhöht. Desgleichen erhöhte sich durch den erzwungenen Ein-
tritt anderer Raffinerien die Zahl der Mitglieder. Aus dieser Vereinigung ent-
sprangen sowohl für den Trust wie für die Konsumenten bemerken sv/erte Vor-
teile. Durch Anwerben der erfahrensten Fachleute, durch stetes Verbessern der
Maschinen gelang es nicht nur, die bisher angewendeten hlerstellungsmethoden
bedeutend zu vervollkommnen, sondern auch den Raffinierprozeß von zwei
Wochen auf nur 24 Standen abzukürzen. Diese Vereinfachung und Verbilligung
der Herstellung ermöglichte sowohl die Vermehrung der Produktion wie eine
erhebliche Verbilligung des raffinierten Zuckers.
Die gewaltige Entwicklung des Zuckertrusts ergibt sich aus folgenden
Angaben: Sein Vermögen belief sich um das Jahr 1900 auf 150 000 Millionen
Dollar. Seine 20 Raffinerien verteilten sich auf die Städte New York, Brooklyn,
Jersey City, Philadelphia, St. Louis, New Orleans, San Francisco und Portland.
Die Zahl der in denselben beschäftigten Beamten und Arbeiter betrug 20 000.
Außerdem waren 10 000 Arbeiter in den der Gesellschaft gehörigen Faßfabrikeii
und Schiffen oder als Kohlenschaufler und Fuhrleute beschäftigt. Die tägliche
Produktion sämtlicher Anlagen betrug 45 000 Faß, der aus dem ganzen Unter-
nehmen entspringende Reingewinn etwa 30 Millionen Dollar pro Jahr.
Eine ähnliche Bedeutung, wie die Havemeyers sie im Osten der Vereinig-
ten Staaten erlangten, gewann im fernen Westen die aus Lamstedt in Hannover
stammende Familie Spreckels. Ihre neuweltliche Geschichte beginnt mit dem
im Jahre 1828 in Lamstedt, Hannover, geborenen Claus Spreckels,
welcher als zwanzigjähriger Jüngling in Charleston, Südkarolina, landete.
Sein ganzes Vermögen bestand aus nur drei Dollar. Die ersten Jahre seines
Weilens in Amerika unterschieden sich nicht von denen, welche von Millionen
andrer Einwandrerer durchlebt werden müssen: sie waren voll Mühen und
Arbeit. Von Charleston siedelte Spreckels nach New York über; von dort nach
Kalifornien. Aber seine finanzielle Lage hatte sich inzwischen bedeutend ver-
bessert. Der Verkauf eines in New York betriebenen Geschäfts hatte ihm
4000 Dollar eingebracht, womit er in San Francisco eine Brauerei gründete.
Aber auch diese bildete nur eine vorübergehende Etappe im Entwicklungsgang
des jungen Deutschen. San Francisco war der Einfuhrhafen für den auf Hawaii
erzeugten Zucker. Beim Studium dieses Zuckerhandels erspiihte Spreckels seine
Gelegenheit. Ehe er diese ergriff, beschloß er das Zuckergeschäft und die
Zuckerfabrikation gründlich zu lernen und trat ak Arbeiter in eine New Yorker
Zuckersiederei ein. Nachdem er hier alles Wissenswerte erlernt, reiste er nach
Deutschland, um sich mit den dort angewendeten Methoden vertraut zu
25*
— 388 —
machen. Dann kehrte er nach KaHfornien zurück und gründete in Ge-
meinschaft mit seinem Bruder im Jahre 1863 die „California Sugar
R e f i n e r y ". Diese überflügelte infolge ihrer vortrefflichen Einrichtungen
bald alle anderen kalifornischen Raffinerien. Spreckels legte diese vollends lahm,
als es ihm im Jahre 1876 gelang, die ganze Zuckerproduktion Hawaiis an sicli
zu bringen. Das geschah durch sehr geschickte Schachzüge, welche fast sämt-
liche Zuckerplantagen jener Inselgruppe in den Besitz der von Spreckels ge-
gründeten „Hawaii an Commercial Company" brachten. Die Er-
werbung dieser Plantagen war um so wichtiger, als zwischen Hawaii und den
Vereinigten Staaten kurz zuvor ein Handelsvertrag abgeschlossen worden war,
der hawaiischem Zucker zollfreie Einfuhr in die Vereinigten Staaten sicherte.
Bereits in den achtziger Jahren hatte Spreckels sich den stolzen Beinamen des
„kalifornischen Zuckerkönigs" erworben. Sein außerordentlicher Erfolg weckte
aber die Eifersucht des den Osten beherrschenden Zuckertrusts. Dieser bot
Spreckels eine ungeheure Summe für die Abtretung seiner Interessen. Als
Spreckels das Angebot ablehnte, begann der Trust den kalifornischen Zucker-
könig bitter zu befehden. Aber der zähe Norddeutsche trug den Krieg in
Feindesland, indem er mit einem Kostenaufwand von fünf Millionen Dollar bei
Philadelphia eine Zuckerraffinerie größten Maßstabes errichtete und dem Trust
so scharfen Wettbewerb bereitete, daß dieser endlich um Frieden bat. Man
traf ein Übereinkommen, wonach der Zuckertrust sich verpflichtete, sich auf
den Osten der Vereinigten Staaten zu beschränken, wogegen man Spreckels
den unbestrittenen Besitz des westlichen Marktes überließ. Nach diesem Siege
wandte Spreckels sich dem weiteren Ausbau seines immer größere Verhältnisse
annehmenden Zuckergeschäftes zu. Hauptsächlich auf seine Anregung erfolgte
der Anbau der Zuckerrübe, der den westlichen Farmern zu einer neuen Quelle
fabelhaften Reichtums wurde. Bei Watsonvilles in Kalifornien bepflanzte
Spreckels eine 1500 Acres große Farm mit Zuckerrüben, die er in einer dort
errichteten großen Siederei verarbeitete. — Als Spreckels am 26. Dezember 190S
starb, wurde sein Vermögen auf 50 bis 60 Millionen Dollar geschätzt.
Auch in der Getränke-Industrie, besonders in der Bierproduktion, nehmen
die Deutschamerikaner heute die führende Stelle ein. Bier war bereits im
17. Jahrhundert in den von den Holländern und Engländern gegründeten Nie-
derlassungen gebraut worden. Im Jahre 1810 bestanden in den Vereinigten
Staaten 147 Brauereien, die zusammen 182 690 Fässer Bier erzeugten. Bis zum
Jahre 1850 steigerte sich diese, fast ausschließlich von Amerikanern betriebene
Produktion auf 740 000 Fässer, um dann aber, als die Deutschen sich der Brau-
industrie bemächtigten, geradezu erstaunliche Verhältnisse anzunehmen. An-
statt der nach Art des englischen Ale gebrauten schweren Biere führten die
Deutschen das bedeutend leichtere, dem amerikanischen Klima mehr ent-
sprechende Lagerbier ein. Dieses verdrängte nicht nur die weit mehr Alkohol
enthaltenden englischen Biere fast vollständig, sondern tat auch dem außer-
ordentlich starken Verbrauch von Whiskey und anderen Branntweinsorten ge-
33
CQ
— 393 —
waltigen Abbruch. Welcher wachsenden Beliebtheit sich das erfrischende
deutsche Bier erfreut, erhellt aus folgenden Produktionsziffern :
1880: 12 800 900 Barrels')
1890: 26 820 953
1900: 39 330 849
1906: 54 724 553
1907: 58 622 002
Nahezu drei Viertel aller in den Vereinigten Staaten bestehenden Brauereien
befinden sich in deutschen Händen. Die bedeutendsten sind die „Anheuser-
Busch Brauerei" in St. Louis, die „ P a b s t Brauerei" und die
„Schlitz Brauerei" in Milwaukee, von denen jede zwischen 1 bis 2 Mil-
lionen Fässer Bier jährlich erzeugt.
Es ist zweifellos von großem Interesse, festzustellen, aus welchen be-
scheidenen Anfängen diese heute so gewaltigen Geschäfte emporwuchsen. Der
Anfang der Anheuser-Busch Brauerei reicht bis ins Jahr 1857 zurück, wo
Eberhard Anheuser sich genötigt sah, als Hauptgläubiger der in Kon-
kurs geratenen Firma Hammer & Urban deren Brauerei zu übernehmen.
Er verband sich im Jahre 1865 mit Adolph us Busch, und nun begann
unter der umsichtigen Leitung dieser beiden Männer das junge Geschäft einen
geradezu fabelhaften Aufschwung zu nehmen. Dasselbe wandte sich haupt-
sächlich der bis dahin kaum beachteten Flaschenbierindustrie zu und erzielte
darin ganz ungeahnte Erfolge, nachdem sie durch ein besonderes Sterilisierungs-
verfahren die Ausfuhr des Flaschenbiers auch nach tropischen Ländern ermög-
licht hatte. Jahr für Jahr mußten nun den bestehenden Bauten neue hinzu-
gefügt werden, um mit den an die Brauerei gestellten Anforderungen Schritt
halten zu können. Im Jahre 1908 bedeckten diese Bauten bereits 136 Acres.
Unter ihnen befindet sich ein Brauhaus, welches täglich 9000 Fässer Bier zu
erzeugen vermag. Ferner eine Füllanstalt, wo täglich eine Million Flaschen
gefüllt werden. Die Vorratsspeicher für Malz und Gerste vermögen 1 750 000
Bushel zu fassen. Die Lagerräume reichen aus für 600 000 Fässer. Eine Eis-
fabrik liefert täglich 650 Tonnen Eis; eine Kraftstation spendet die nötige Be-
triebskraft, die jener von 12 000 Pferden gleichkommt. Außerdem unterhält
die „Anheuser-Busch Brauerei" zwei eigne Glasfabriken zum Herstellen ihrer
Flaschen; ferner eigne Faß-, Wagen- und Maschinenfabriken sowie Reparatur-
werkstätten. Eine eigne Eisenbahn verbindet die Brauerei mit den Frachtbahn-
höfen. Die Zahl der Angestellten beläuft sich in St. Louis auf 6000 Köpfe.
Dazu kommen noch 1500 Personen, die in 42, in verschiedenen Städten der
Union bestehenden Zweiganlagen beschäftigt sind.
Der Gründer der „Pabst Brauerei" in Milwaukee war Jakob
>) 1 Barrel enthält 31 ' - Gallonen oder 117,3 Liter.
— 394 —
Best. Als er im Jahre 1844 seine Brauerei eröffnete, belief sich ihre Pro-
duktion im ersten Jahr ihres Bestehens auf nur 300 Fässer. Unter der späteren
Leitung von Philipp Best, Emil Schandein, Friedrich Pabst
und Gustav Pabst steigerte sich die Produktion auf jährlich z.wei Mil-
lionen Fässer.
Deutscher Fleiß, deutsche Ausdauer und Sparsamkeit, verbunden mit
amerikanischem Erfindungs- und Unternehmungsgeist verhalfen auch der von
Joseph Schlitz in Milwaukee gegründeten und nach dessen Tode von
seinen Neffen Gebrüder U i h 1 e i n weitergeführten „Schlitz Brauerei''
zu hoher Blüte.
Hier wie in den vorgenannten deutschamerikanischen Brauereien sieht
der Besucher sämtliche wissenschaftlichen Errungenschaften auf chemisch brau-
technischem sowohl wie pflanzenphysiologischem Gebiet verwertet. Und zu-
gleich erregen die praktischen Anlagen wie auch die allerwärts herrschende
peinliche Sauberkeit gerechte Bewunderung.
Als Joseph Schlitz im Jahre 1849 seine Brauerei eröffnete, belief sicli
deren Produktion auf nur 400 Fässer. Im Jahr.e 1880 wurde die Zahl 100 000,
im Jahre 1903 die Zahl 1 000 000, 1907 die Zahl 1 500 000 überschritten. Wie
in den „Anheuser-Busch-" und „Pabst Brauereien", so sind auch hier alle An-
lagen und technischen Einrichtungen ideale zu nennen. Großartige, von
Deutschamerikanern betriebene Brauereien bestehen auch in New York, Ro-
chester, Buffalo, Philadelphia, Pittsburgh, Baltimore, Washington, Cincinnati,
Chicago und zahlreichen anderen amerikanischen Städten.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Brauindustrie für die Vereinigten
Staaten von außerordentlicher Wichtigkeit geworden. Nicht bloß weil sie
hunderttausenden von Arbeitern lohnende Beschäftigung bietet, sondern weil
auch fast alle bei der Brauerei verwendeten Rohstoffe, wie Gerste, Malz und
Hopfen, in den Vereinigten Staaten gewonnen werden, wodurch den Farmern
ungeheure Einnahmen zufließen.
Auch in der Herstellung mancher anderen Nahrungs- und Genußmittel
beherrschen Deutschamerikaner das Feld.
Der Hannoveraner F. Schumacher wandte sich der Herrichtung des
bei den Amerikanern sehr beliebten Oatmeal zu. Seine in Akron, Ohio, ge-
legenen „ G e r m a n Mills" erzeugten an Hafermehl, Weizen- und Gersten-
graupen, Farina usw. jährlich für mehr als zwei Millionen Dollar. Als Schu-
macher sich vor wenigen Jahren als vielfacher Millionär zurückzog, verkaufte
er seine bedeutenden Anlagen an die „ A m e r i c a n C e r e a 1 C o.", die jetzige
„Quaker Oats Co."
Ebenso erfolgreich wie Schumacher war Heinrich J. Heinz, welcher
im Jahre 1869 bei Sharpsburg in Pennsylvanien ein kleines, weniger als einen
Acker großes Grundstück mit Meerrettig bepflanzte und diesen in dem Hinter-
stübchen seines bescheidenen Wohnhäuschens durcii einige Frauen verarbeiten
23
o
— 390 —
In der Konservenfabrik H. J. Heinz & Co., Fittsburgh,
Pennsylvanien.
ließ. Für das fertige
Erzeugnis fand Heinz
im nafien Pittsburgh
willige Abnehmer. Ihre
Zahl wuchs, so daß
Heinz zwei Jahre spä-
ter sein Geschäft nach
Pittsburgh verlegte, wo
es sich im Lauf der
Jahre zu einer groß-
artigen Konservenfabrik
entwickelte, die sich
mit dem Einmachen von
allerhand Gemüsen und
Früchten befaßt und
zur bedeutendsten der
Vereinigten Staaten
wurde. Heute umfaßt die „H. J. Heinz Company" 18 große und zahl-
reiche kleinere Gebäude, die eine Fläche von 160 Stadtgrundstücken einnehmen.
Gegen 30 000 Acker Landes und Obstgärten werden entweder durch Ange-
stellte der Firma bestellt oder liefern ihre Erzeugnisse auf Grund kontraktlicher
Vereinbarungen an die Firma ab. Um diese Rohmateriale in möglichst frischem
Zustand verarbeiten zu können, errichtete die Firma nicht nur in sieben ver-
schiedenen Staaten der Union, sondern auch in Canada und Spanien 69 Ein-
machstationen und 14 Fabriken. Die Zahl der ständig angestellten Personen
beträgt 4000. Zur Zeit der Ernten hingegen sind gegen 40 000 für die Zwecke
der Firma tätig.
Im Fleischhandel zählt die Firma Schwarz schild & Sulzberge r
in New York zu den ersten de;^
Landes. In der Tabakindustrie
schritt die von G. W. G a i 1 und
Christian Ax in Baltimore
gegründete Firma G a i 1 & A x
an der Spitze, bis sie im Jahre
1 891 mit der „American To-
bacco Company" verschmol-
zen wurde.
Die Entwicklung der Leder-
und Lederwarenindustrie wurde
gleichfalls durch die in den Ver-
einigten Staaten lebenden Deut-
ln der Konservenfabrik H. J. Heinz & Co.. schen mächtig gehoben. Die be-
Pittsburgh, Pennsylvanien. deutendsten Lederfabriken des
400
Landes sind entweder ihr Eigentum oder werden von Deutschamerikanern ge-
leitet. Wohl obenan stellt diejenige von Robert H. Foerderer in Frank-
ford bei Philadelphia.
Seine gegen 4000 Ar-
beiter beschäftigende
Fabrik vermag täglich
50 000 bis 75 000 fer-
tig zugerichtete Zie-
genhäute für die Schuh-
warenfabrikation zu
liefern. Die Möglich-
keit, eine so ungeheure
Menge zuzubereiten,
wurde durch die im
Jahre 1883 patentierte
Erfindung des in New
York lebenden Deut-
schen August
Schultz herbeige-
führt, welche an Stelle
des bisher üblichen,
äußerst langwierigen
und nicht immer zu-
friedenstellenden
Gerbeverfahrens mittels
vegetabilischer Stoffe
ein solches durch Säu-
ren setzte. Dieses,
einen völligen Um-
schwung in der Leder-
industrie bewirkende
Verfahren, welches von
Robert H. Foerderer
nach vielen mühseligen
und kostspieligen Ver-
suchen in verschiede-
nen Abweichungen
auch auf alle anderen
Arten von Leder aus-
gedehnt wurde, ver-
ringerte sowohl die Dauer wie die Kosten des Gerbeprozesses. Obendrein erhöhte
es die Güte und Gleichmäßigkeit des Leders. Die Folge war, daß das französische
Kidleder, welches früher den amerikanischen Markt beherrschte, aus demselben
B
tu
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o*
T1
O
T1
3*
— 401 —
vollständig verdrängt wurde. Auch in der Herstellung von bunten, matten,
Glanz- und Lack-Lederarten, ferner der feinen Ledersorten für die Handschuh-
fabrikation steht die Firma Foerderer an der Spitze. Andere deutschameri-
kanische Großgeschäfte dieser Art, von welchen mehrere sich auch mit der
Herrichtung von Sohlen- und Wagenleder befassen, sind die Firmen P f i s t e r &
V o g e 1 in Milwaukee, OscarScherer& Bros, in New York, S c h o e 1 1-
k o p f & Co. in Buffalo, Georg Stengel in New Jersey, Carl E.
Schmidt & Co. in Detroit, die „Ruepping Leder C o." in Fond du
Lac, C. M o e n c h & Co. in Boston sowie die von Deutschen betriebene
„K e y s t o n e L e a t h e r C o." und die „W oHf Process LeatherC o."
in Philadelphia.
Die Dixie-Gerbereien der Lederriemenfabrik Ciiarles A. Schieren Company New York^
zu Bristol, Tennessee.
Von welcher Bedeuttmg manche dieser Fabriken sind, kann man daraus
schließen, daß die von den drei Württembergern J. F. Schöllkopf, Guido
P f i s t e r und Friedrich Vogel im Jahre 1848 gegründete Firma P f i -
ster & Vogel Leather C o.'' in Milwaukee 3500 Personen beschäftigt
und täglich 16 000 Kalb- und Ziegenfelle, 5000 Rindvieh- und 1500 Pferde-
häute verarbeitet. Die Jahresproduktion bewertet sich auf 15 Millionen Dollar.
Die im Jahre 1868 gegründeten Fabriken des aus den Rheinlanden ein-
gewanderten Charles A. Schieren in Brooklyn, New York, befassen sich
mit dem Herstellen von Treibriemen. In ihren 25 Acker einnehmenden „D i x i e
T a n n e r i e s " zu Bristol, Tennessee, werden jährlich 100 000 schwere Häute
zu Riemen verarbeitet.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
26
— 402 —
In der Handschuhfabrikation zählen die Firmen Julius Kayser in
Brooklyn und Gebrüder Littauer in Gloversville, New York, zu den
führenden.
Daß die Deutschen auch an der Fabrikation musikalischer Instrumente
einen ungeheuren Anteil haben, kann bei ihrer ausgesprochenen Vorliebe für
Musik nicht überraschen. Aber wer die lange Liste der in den Vereinigten
Staaten bestehenden Piano- und Orgelfabriken überfliegt, wird über die große
Zahl deutscher Namen doch in Staunen geraten.
Schon im Jahre 1789 lebte in Philadelphia ein deutscher Pianobauer
Karl Albrecht, von dessen Instrumenten eins sich im Besitz der „Penn-
sylvania Historical Society" zu Philadelphia, ein zweites im „New Yorker
Museum of Art" befindet.
Die Pianofabrik der Firma William Knabe & Co. in Baltimore, Maryland.
Wesentlich verbesserte Instrumente lieferte bereits im Jahre 1833 der
Pianobauer Conrad Meyer. Er stellte die ersten sechsoktavigen Klaviere
her, die einen vollen Eisenrahmen besaßen. Diese mit Rücksicht auf die eigen-
artigen klimatischen Zustände der östlichen Vereinigten Staaten getroffene Neue-
rung bewährte sich so glänzend, daß sie allgemein, auch in Europa, Ein-
gang fand.
Der Ursprung der großen Pianofabriken Lindeman & Sons in New
York reicht gleichfalls bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Sie
wurde von Wilhelm Lindemann im Jahre 1836 gegründet.
Der aus Kreuzburg stammende Wilhelm Knabe gründete im Jahre
1837 in Baltimore eine zu großer Bedeutung gelangende Pianofabrik, die haupt-
sächlich die südlichen Staaten der Union mit vorzüglichen Instrumenten ver-
sorgte. Nach Knabes Tode im Jahre 1864 v/urde die Firma von seinen Söhnen
und Enkeln fortgeführt, aber im Jahre 1908 mit der „American Piano
Company" verschmolzen. Der Hauptsitz beider Gesellschaften befindet
— 403 —
sich in dem schönen Knabe-Gebäude an der 5. Avenue in New Yoric, welches
von der Firma Knabe errichtet wurde.
Die bedeutende, jährhch 5000 Instrumente Uefernde „Weber Piano
C o." in New York leitet ihren Ursprung auf den genialen Albert Weber
zurück, der mit der Herstellung seiner durch ungemein schönen und kräftigen
Heinrich Steinway, der Begründer der Pianofabrik Steinway & Söhne in New York.
Ton ausgezeichneten Pianos im Jahre 1852 begann. Fast um dieselbe Zeit, im
März 1853 eröffnete auch der aus Seesen, Braunschweig, eingewanderte Orgel-
bauer Heinrich Engelhard Stein weg oder Steinway im Verein
mit seinen Söhnen Karl, Heinrich, Wilhelm und Theodor in New
York eine Pianofabrik, die im Lauf der Jahrzehnte zu einer der bedeutendsten
Amerikas emporblühte. Ihre gegenwärtige Jahresproduktion beläuft sich auf
26*
— 404 —
7000 Instrumente. Kaum eine Firma trug durch so viele Erfindungen und Ver-
besserungen so erheblich zum Aufschwung der amerikanischen Pianoforte-
Baukunst bei, als diese; kaum eine erntete aber auch auf den Weltausstellungen
Die Pianofabriken der Firma Steinway & Söhne in Steinway, Long Island, New York.
der letzten Jahrzehnte so zahlreiche Triumphe. Zu den wichtigsten von den
Stein ways eingeführten Verbesserungen im Pianoforte-Bau gehört die kreuz-
förmige Anordnung der Saiten. Ferner stellten sie im Jahre 1866 die ersten
— 405 --
aufrechtstehenden Instrumente in Amerika her, welche, da sie weniger Raum
beanspruchen, die tafelfönnigen Klaviere völlig verdrängten.
Außer den bereits genannten Firmen ragen aus der Menge der deutsch-
amerikanischen Pianofabriken noch diejenigen von Kranich & Bach,
Sohmer & Co., Otto Wißner, Decker & Sohn, die Schaeffer
Piano Co., Steck & Co., Strich & Zeidler und andere in New York
hervor. Außerdem bestehen in Anburn und Buffalo, N. Y., in Newark und
Woodbury, N. J., in New Haven, Conn., in Easton, Pa., in Baltimore, Md., in
Wheeling, W. V., in Cincinnati und Masillon, O., in Jackson, Mich., in Ham-
mond, Ind., in Rockford, Steger und Chicago, 111., in Faribault, Minn., sowie in
St. Louis, San Francisco und anderen Orten des fernen Westens zahlreiche be-
Die Pianofabrik der Firma Steinway & Söhne an Park Avenue und 53. Straße in New York.
deutende Piano- und Orgelfabriken, deren Namen bekunden, daß sie von Deut-
schen gegründet und geleitet sind.
Auch mit der Fabrikation der zum Piano- und Orgelbau benötigten Eisen-
rahmen, Stahldrähte, Hämmer, Tasten, Pfeifen und Gehäuse sind viele deutsch-
amerikanische Firmen beschäftigt. Die Herstellung feinster Filze für die Piano-
Industrie wurde von dem Chemnitzer Alfred Dolge nach Amerika über-
tragen. In der auf den Höhen des Mohawktals im Staat New York gelegenen
Ortschaft Brockett's Bridge, die ihm zu Ehren den Namen D o 1 g e v i 1 1 e an-
nahm, schuf er bedeutende Anlagen zur Herstellung von Pianofilzen, Klavier-
gehäusen und Filzschuhen. Später wandte Dolge sich nach Kalifornien und
gründete in der Nähe von Los Angeles die Ortschaft New Dolgeville,
welche mit ihren rasch aufblühenden Fabriken für die rastlose Energie ihres
Begründers das glänzendste Zeugnis ablegt. Alfred Dolge war übrigens in
— 406 —
Amerika auch einer der ersten, welclie die Berechtigung der Arbeiter auf mehr
als den einfachen Lohn anerkannten. In seinen Fabriken führte er deshalb ein
seitdem von manchen anderen großen Körperschaften angenommenes System
ein, welches den Arbeitern Lebensversicherung und Pension sichert, wenn ihre
Erwerbsfähigkeit ein Ende erreicht.
Unter den zahlreichen deutschamerikanischen Kunsttischlereien und
Möbelfabriken ist die mit der Herstellung von Bureauutensilien und Bücher-
schränken beschäftigte Firma „Globe-WernickeCompany^'in Grand
Rapids, Michigan, eine der bekanntesten. Sie brachte zuerst jene aus einzelnen
Fächern zusammensetzbaren Bücherschränke in den Handel, die sich als eine
der praktischsten Neuerungen im Bibliothekswesen bewährten.
Die Spinnereien der von Stöhr, Arnold und Hirsch gegründeten Botany Worsted Mills
zu Passaic, New Jersey.
In der hochentwickelten Textilindustrie sind die Deutschamerikaner als
Inhaber oder Leiter der größten Fabriken gleichfalls ungemein zahlreich. Zu
den bedeutendsten Anlagen Amerikas gehören die von Deutschen gegründeten
Kammgarnspinnereien „Botany Worsted Mills" und die „Gera
Mills" zu Passaic, New Jersey. Die „Botany Worsted Mills" sind eine im
Jahre 1889 erfolgte Gründung des Leipziger Kommerzienrats Eduard
P. R. S t ö h r im Verein mit A r n o 1 d und Hirsch. Zunächst befaßte sich die
Fabrik mit dem Spinnen von Kammgarn. Aus kleinen Anfängen entwickelte
sie sich rasch. In den nächsten Jahren traten noch Weberei, Appretur und
Färberei dazu, so daß die Anstalt heute in der Lage ist, ihre Waren aus dem
Rohmaterial, der Wolle, selbständig herzustellen. Sie fabriziert außer Garnen
irgendwelche Waren, die von der Herren- und Damenkonfektion benötigt
werden. Die Anzahl der Arbeiter betrug im Jahre 1908 gegen 4000.
— 407 —
Die „Gera Mills" wurden von den aus Gera in Sachsen stammenden
Gebrüdern Weisflog ins Leben gerufen. Deutschen Ursprungs sind
auch die im Jahre 1902 von Paul Haberland und Ernst Pfenning
gegründeten „G a r f i e 1 d W o r s t e d M i 1 1 s" zu Passaic, New Jersey, welche
bei der Herstellung von feinen Kammgarnen 900 Arbeiter und 800 Webstühle
beschäftigen, und die „Fe r n Rock Mills" in Philadelphia.
Auch die meisten der in Amerika bestehenden Färbereien und Bleichereien
werden von Deutschen betrieben. In fast allen diesen Anlagen stellen sie auch
die bestgeschulten Arbeiter. Die Hauptsitze der deutschamerikanischen Seiden-
färbereien sind Paterson, Lodi und Philadelphia. Der Name des in der letzt-
genannten Stadt wohnenden Dr. Karl S c h 1 a 1 1 e r ist für die Färberei in
Amerika von ebenso unbestrittener Bedeutung, wie der Name „Hermsdorf" in
Deutschland in bezug auf die echte Schwarzfärberei.
Die chemische Industrie der Vereinigten Staaten verdankt ihre ungeheure
Entwicklung gleichfalls in erster Linie Deutschen und Deutschamerikanern.
Seitdem an der Universität zu Gießen im Jahre 1831 das erste öffentliche
Laboratorium der Welt gegründet wurde, wo hervorragende Chemiker wie
Liebig und Will Anleitungen zu chemischen Experimenten und Analysen er-
teilten, und seitdem die Professoren Fresenius in Wiesbaden, Bunsen in Heidel-
berg, Woehler in Göttingen die praktische Anwendung solcher Experimente
auf die verschiedenen Zweige der Industrie und Künste lehrte, strömten aus
allen Teilen der Welt Leute nach den deutschen Universitäten, um die junge,
rasch sich entwickelnde Wissenschaft zu studieren. Unter diesen Studenten
befanden sich viele Amerikaner deutscher und englischer Abstammung, die nach
ihrer Rückkehr die chemische Industrie in Amerika mächtig förderten. Einer
der Hauptsitze der chemischen Industrie wurde Baltimore. Hier traten bereits
um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Chemiker Otto Dieffenbach und
Karsten in den Dienst der „Baltimore Chrome Works". Dr.
Gustav Liebig schlug im Jahre 1860 ebendaselbst seinen Wohnsitz auf
und betätigte sich drei Jahrzehnte hindurch als einer der Pioniere auf dem
Gebiet der landwirtschaftlichen Chemie. Durch ihn wurde Baltimore einer der
Hauptherstellungsorte künstlicher Düngemittel. Dr. Wilhelm Simon,
ein Schüler des Gießener Professors Will, seit 1870 Leiter der „Chrome Werke
zu Baltimore", errichtete mit Unterstützung des „Maryland College of
Pharmacy" das erste, Lehrzwecken dienende chemische Laboratorium im
Staate Maryland. Das von ihm herausgegebene „Manual of Chemistry" erlebte
mehrere große Auflagen und ist noch jetzt eins der meist benutzten Lehrbücher.
Der Metallurgist G. W. Lehmann, ein Schüler des Professors Fresenius,
kam im Jahre 1866 nach Baltimore. Er führte als Erster in Amerika die elektro-
lytische Methode zur Analysierung des Kupfers ein und beschäftigte sich bereits
zu Anfang der siebenziger Jahre mit der Lösung des Problems, auf elektrischem
Wege die Scheidung von Silber und Gold als ein kommerzielles Unternehmen
zu betreiben.
— 408 —
Viele der in den Vereinigten Staaten einwandernden deutschen Chemilter
wandten sich auch der geschäftsmäßigen Herstellung pharmazeutischer Prä-
parate zu. Louis und Karl E. Dohme errichteten beispielsweise in Bal-
timore eine Anstalt zur Erzeugung organischer und anorganischer Präparate.
Dieselbe ist zu einer der bedeutendsten in den Vereinigten Staaten empor-
gewachsen. Ähnliche, in deutschen Händen befindliche Fabriken sind die
„Power, Weightman & Rosengarten C o." in Philadelphia, die
„Schäfer AlkaloidWorks" in Maywood, New Jersey, die „Verona
Chemical Works" in Verona, New Jersey, die „Albany Chemical
Works" in Albany, New York, CharlesPfizer&Co. und die „ H e y -
den Chemical C o." in New York, sowie Larkin & Scheffer,
Herf & Frerichs und die „Mallinckrodt Chemical Works"
in St. Louis.
Mit der Herstellung von Anilin-Farben befassen sich die Firmen
H. A. Metz & Co., Heller & Merz in New York und die „Hudson
RiverAniline&ColorWorks"in Albany, New York. Chemikalien
für technische Zwecke sind die Spezialität der Firma Maas & Waldstein
in New York. Die Fabriken der Gebrüder Fritzsche in New York
bereiten aromatische Öle ; die „International Ultramarine C o." in
New York künstliches Ultramarin; A. Klipstein & Co. Saccharin und Va-
nilin ; Marx & Ra wolle Glycerin ; und die „ R o e ß 1 e r & H a ß 1 a c h e r
Chemical Co." Chloroform, Natrium, Aceton, Zinnoxyd, Cyanid und
Farben für keramische Zwecke, die bisher in den Vereinigten Staaten nicht her-
gestellt wurden, sondern aus Europa eingeführt werden mußten.
Die deutsche Firma Battle & Renwick in New York betreibt die
Gewinnung von Salpeter und salpetersaurem Soda; W. C. Hereus in
Newark diejenige von Platin ; Chas. Lenning & Co. in Philadelphia jene
von Alaun, und F. B r e d t & Co. in New York jene von Bleizucker und
Essigsäure.
Die Herstellung von Bleistiften wurde bereits im Jahre 1849 durch Eber-
hard Faber, ein Mitglied der berühmten Nürnberger Familie Faber, nach
Amerika übertragen. Die von ihm in New York erbaute Bleistiftfabrik ent-
wickelte sich seit ihrer im Jahre 1872 erfolgten Verlegung nach Greenpoint auf
Long Island zur bedeutendsten der Vereinigten Staaten. Mit ihr wetteifert die
im Jahre 1865 von Heinrich Berolzheimer aus Fürth in New York
gegründete „Eagle Pencil Compan y".
In der Tonwaren- und Kunstziegelmdustrie sind die großartigen Fabriken
von Baltasar Kreischer & Söhnen zu Kreischersville auf Staaten
Island nicht nur die ältesten, sondern auch die bedeutendsten Amerikas.
Im Holzhandel Amerikas errang der im Jahre 1834 in Niedersaulheim,
Rheinhessen, geborene, im Jahre 1852 in die Vereinigten Staaten eingewanderte
Friedrich Weyerhäuser die Führung. Vom Besitzer einer kleinen,
zu Rock Island, Illinois, gelegenen Sägemühle schwang er sich durch kluge
— 40Q —
Maßnahmen zum Leiter der bedeutendsten Holzhandelsgesellschaften und zum
Oberhaupt des unter dem Namen Weyerhäuser Syndikat bekannten Holztrusts
empor. Derselbe, über 30 000 000 Acres YC^aldländereien verfügend, beherrscht
hauptsächlich den ungeheuren Holzhandel der südlich von den Großen
Seen und am oberen Mississippi gelegenen Staaten. Oleich den Spreckels und
Havemeyers, gleich Rockefeller und Schwab zählt Weyerhäuser zu den Giganten
des amerikanischen Geschäftslebens und kommt denselben auch in bezug auf
die erworbenen materiellen Erfolge gleich.
Der einer deutschpennsylvanischen Familie entstammende George
F. Baer wurde als Präsident bedeutender Kohlenminen- und Eisenbahngesell-
schaften bekannt.
Auch John D. R o c k e f e 1 1 e r , der Gründer und Leiter der im Petro-
leumhandel fast den Weltmarkt beherrschenden „Standard Oil Company'* hat
seine deutsche Abstammung niemals verleugnet. Im Jahre 1906 ließ er seinem
im Jahre 1735 aus Bonefeld im Fürstentum Wied mit drei Kindern nach Ger-
mantown, N. Y., eingewanderten Urahnen Johann Peter Rockefeiler
(Roggenfelder) auf dem Friedhof zu Larrison Corners, New Jersey, ein Denk-
mal setzen.
Unter den Vertretern des Kunstgewerbes und der vervielfältigenden
Künste zählen die Namen solcher Deutschamerikaner, die durch hervorragende
Leistungen ausgezeichnet sind, gleichfalls nach Hunderten. In dem durch die
neueren mechanischen Vervielfältigungsverfahren leider verdrängten Holzschnitt
leisteten Gustav K r ü 1 1 , Jüngling, Schilling, H e i n e m a n n ,
Tietze, Müller, Schladitz u. a. Bedeutendes. Unter den amerika-
nischen Lithographen stand der im Jahre 1824 in Breslau geborene Achtund-
vierziger Louis Prang obenan. Die herrlichsten Erzeugnisse seiner im
Jahre 1850 in Boston begründeten Anstalt waren Thomas Morans Aqua-
relle aus dem Yellowstone-Nationalpark, eine Serie von künstlerischen
Schlachtenbildern aus demi Bürgerkrieg, und vor allen die unübertrefflichen
Wiedergaben der kostbaren chinesischen Keramiken aus der Sammlung des
Baltimorer Millionärs W'illiam Th. Walters. Prangs Anstalt wurde zu Ende
des 19. Jahrhunderts mit der „Taber Co." in Springfield, Massachusetts, ver-
schmolzen.
Die bedeutende „American Litographic Co.", die Anstalten von Julius
B i e n , O 1 1 m a n n in New York und viele andere sind gleichfalls deutsche
Gründungen.
Nach Tausenden zählen auch die Deutschen, welche als Gründer und
Leiter bedeutender Ein- und Ausfuhrgeschäfte, Banken, Versicherungsgesell-
schaften und Kaufhäuser zu Ansehen und Einfluß gelangten.
Der eigentliche Schöpfer des modernen Warenhauses ist der der deutsch-
pennsylvanischen Familie Wannemacher entstammende John Wana-
maker, welcher im Jahre 1861 einen kleinen Laden in Philadelphia eröffnete.
Dieser entwickelte sich durch seine Reellität in so erstaunlicher Weise, daß
— 410 —
Wanamaker bald ein Warenhaus in großem Stil beginnen konnte. Heute be-
sitzt die Firma sowohl in Philadelphia wie in New York Kolossalbauten, in
denen Monatseinnahmen von mehr als öVo Millionen Dollar erzielt wurden,
während sich der Gesamtumsatz des Geschäfts seit seiner Gründung auf mehr
als 500 Millionen Dollar beziffert.
Der aus Eubigheim stamxmende Henry Siegel ist Begründer des welt-
bekannten Warenhauses „Siegel & C o o p e r" in New York.
Dem Unternehmungsgeist des im Jahre 1792 in Dornbirn, Tirol, ge-
borenen Franz Martin Drexel entsprang das hochangesehene Bank-
haus Drexel & Söhne in Philadelphia.
Zu Alzey in der Pfalz erblickte August Belmont das Licht der Welt,
der Begründer des seit dem Jahre 1837 bestehenden Bankhauses Belmont in
New York. Diesem gesellten sich später noch die von deutschen Israeliten ge-
gründeten Bankhäuser Ladenburg; Thalmann & Co.; Jakob
H. Schiff; Isaak Selig mann; James Speyer; Heidelbach,
Ikelheimer & Co. und Knauth, Nachod & Kühne hinzu, die zu
den bedeutendsten Amerikas gehören.
Für die Entwicklung der amerikanischen Industrie ist es ferner von
höchster Bedeutung, daß infolge der von der Regierung eingeführten Schutz-
zölle, welche die Einfuhr europäischer Waren außerordentlich erschwerten, zahl-
reiche europäische, auf den amerikanischen Markt angewiesene Industriegesell-
schaften veranlaßt wurden, in den Vereinigten Staaten Tochteranstalten zu er-
richten. Unter solchen deutschen Gesellschaften befinden sich die Kammgarn-
spinnereien von Wülfing in Lennep und von St Öhr in Leipzig; die
„Deutzer Gasmotorenfabrik'*; die Aktien-Gesellschaft Arthur
Koppel; die Schokoladenfabrik Gebrüder Stollwerk in Köln ; die
chemischen Fabriken K a 1 1 e & Co. und Fritz Schulz j r. ; die Bronze-
farbenwerke „Aktien-Gesellschaft, vormals Schien k" in Nürn^
berg; die Ton- und Steinwerkzeugefabrik Didier March Co. in Stettin ; die
„Kautschuk und Guttapercha Co." in Hannover ; die „Neue
Photographische Gesellschaft" in Berlin, und viele andere mehr.
So stoßen wir, wo immer wir auf dem unermeßlichen Gebiet der amerika-
nischen Handels- und Gewerbtätigkeit Umschau halten, überall auf die rühm-
lichsten Zeugenmale deutscher Intelligenz, Unternehmungslust und Tatkraft.
Der Anteil der Deutschen an der Entwicklung des
amerikanischen Verkehrswesens.
Der Segler „Deutschland" der ,,Haniburg-
Amerika-Linie".
Daß Deutsche das erste Flach-
boot, die ersten Segelbarken und den
ersten Dampfer auf den westlichen Strö-
men bauten, daß Martin Baum in Cin-
cinnati durch Gründung der „Miami
Exporting Company" die Schiffahrt auf
dem Ohio und Mississippi entwickelte,
wurde bereits in früheren Abschnitten
erwähnt. Aber auch zur Entwicklung
der Seefahrzeuge, der Eisenbahnen und
anderen Verkehrsmittel Amerikas tru-
gen die Deutschen erheblich bei.
Kaum war durch den Abfall der
Kolonien der unerträgliche Druck des
englischen Handelsmonopols beseitigt
worden, so begannen weitblickende
Kaufleute aus Bremen und Mamburg
in allen amerikanischen Seeplätzen
Handelshäuser zu gründen und für
einen Schiffsverkehr mit Deutschland
zu sorgen.
In Bremen erstand bereits im Jahre 1782 eine Aktiengesellschaft, die den
Verkehr mit den Vereinigten Staaten in die Hand nehmen wollte. Sie sandte
im Frühling 1783 ihr erstes Schiff nach Philadelphia. Hamburger Kaufleute
folgten rasch nach und entwickelten im Verein mit den Bremern eine so ener-
gische Tätigkeit, daß der Verkehr hanseatischer Schiffe mit nordamerikanischen
Häfen sich von 800 Tonnen im Jahre 1789 auf 22 000 Tonnen im Jahre 1799
steigerte.
Regelmäßige Reisen, sogenannte „Paketfahrten", wurden in den Jahren
1826 und 1828 aufgenommen und feste Linien nach New York, Philadelphia
und New Orleans eingerichtet. Der von dem Hamburger Makler Robert
Sloman im Jahre 1836 gegründeten Paketfahrt zwischen Hamburg und New
412
York folgte in den vierziger Jahren die auf Anstoß der in den Vereinigten
Staaten lebenden hanseatischen Kaufleute gegründete „Ocean Steamship
Navigation Comp an y". Diese wieder v^urde später von der im Jahre
1 847 gegründeten „Hamburg- Amerikanischen Paketfahrt-
Aktiengesellschaft" und dem im Jahre 1857 in Bremen gegründeten
„Norddeutschen Lloyd" abgelöst.
Aus sehr bescheidenen Anfängen entwickelten sich diese beiden Unter-
nehmungen sowohl hinsichtlich des Waren- wie Personentransports zu Welt-
geschäften allerersten Ranges, was nicht zum wenigsten dem Umstand zuzu-
schreiben ist, daß die weitblickenden, energischen Leiter beider Linien unab-
lässig auf die Verbesserung ihrer Schiffe bedacht waren und den Bedürfnissen
des reisenden Publikums vollste Rechnung trugen.
Die erreichten Fortschritte lassen sich am
besten veranschaulichen durch einen Vergleich der
ersten im Dienst jener Gesellschaften verwendeten
Schiffe und jener Riesendampfer, die heute unter
den Flaggen jener Gesellschaften den Ozean
kreuzen. Das erste Fahrzeug der Hamburger
Linie war der Segler „D e u t s c h 1 a n d". Er
hatte 717 Tonnen Gehalt und vermochte 20 Ka-
jüten- und 200 Zwischendeckspassagiere zu be-
fördern. Die Reise von Hamburg nach New York
dauerte durchschnittlich 42 Tage. Der Lloyd sandte
als erstes Schiff den Dampfer „B r e m e n" nach
Nev/ York. Seine Ladefähigkeit belief sich auf 1850
Tonnen. Außerdem konnte er 170 Kajütenpassa-
giere und 401 Zwischendeckler aufnehmen. Er
legte seine erste Reise in 12l{. Tagen zurück.
Diesen Fahrzeugen stehen die modernen Riesendampfer mit ihrem er-
staunlichen, bis zu 25 000 Tonnen emporsteigenden Fassungsvermögen und
Unterkunftsräumen für 2000 bis 3000 Passagieren gegenüber. Und welche
Verbesserungen weisen diese Ungetüme auf. Die Zwischendecks, früher mit
Recht gefürchtete Schrecken scrte, sind heute gut gelüftete Abteilungen, wo
jedem Auswandrer ein gesetzlich bestimmtes Maß an Raum und Luft gesichert
ist. Die Kajüten, die mit verschwenderischem Reichtum ausgestatteten Salons,
die mit den erlesensten Dingen besetzten Tafeln wetteifern mit den Darbietungen
der vorzüglichsten Gasthöfe. Und wie wurde die Länge der Reise vermindert,
seitdem der mächtige Herrscher Dampf zu Hilfe kam ! Von monatelanger Dauer
sank sie auf zwölf, zehn, neun und acht Tage herab, um sich in neuester Zeit
auf sechs, ja auf fünf Tage und wenige Stunden zu verringern.
Bei der Entv/icklung ihres fabelhaft wachsenden Verkehrs mit den Ver-
einigten Staaten wurden beide Linien durch tüchtige, in allen Hauptstädten der
Vereinigten Staaten eingerichtete Agenturen unterstützt. Ihre Leiter, namentlich
H. H. Meier,
Gründer des „Norddeutschen Lloyd".
^
— 415 —
in den Seeplätzen, sind durchweg Inhaber bedeutender, meist von hanseatischen
Kaufleuten gegründeter Handelshäuser, die für fachiiundige und energische Hand-
habung aller vorkommenden Geschäfte bürgen. In New Yoric übernahm die
u
■^
bereits seit dem Jahre 17Q8 bestehende Firma Oelrichs & Co. die Ver-
tretung des Lloyd und ist seit 1861 mit demselben verbunden geblieben. Ihr
jetziger Inhaber, Gustav H. Schwab, ist ein Enkel des wohlbekannten
416
deutschen Poeten und zugleich Nachkomme des in der Geschichte der Pfälzer
am Schoharie und Tulpehocken berühmt gewordenen Conrad Weiser. In
o
:2
Baltimore liegt die Vertretung seit 1868 in den Händen der Firma A. Schu-
macher&Co.;in Philadelphia der Firma O. G. Hempstead&Sohn;
— 417 —
in Galveston der Firma A H r e d Holt und in San Francisco der Firma
Robert Capelle. Kleinere Agenturen bestehen in vielen anderen Städten.
In ähnlicher Weise organisierte die „Ham.burg-Amerikanische Paketfahrt-
s
Gesellschaft" ihre Vertretung, übertrug dieselbe aber später auf E m i 1 L. B o a s,
der als „Generalverwalter" in New York seinen Sitz nahm.
Welchen ungeheuren Anforderungen die Vertreter der beiden Gesellschaften
gewachsen sein müssen, ergibt sich aus der Tatsache, daß allein die New Yorker
Agentur des „Norddeutschen Lloyd" in der Zeit vom 1. Januar 1873 bis 31. De-
Cronau, Deutsches Leben in Amerika.
27
— 418 —
zember 1905 3 555 862 Kajüts- und Zwischendecksreisende in Empfang nahm
resp. beförderte. Ähnliche Zahlen haben die Agenturen der „Hamburg-Amerika-
nischen Paketfahrt-Gesellschaft" aufzuweisen. Diese richtete in der neuesten Zeit
auch direkte Linien von Hamburg nach Montreal, Boston, Newport News,
Philadelphia, Baltimore und New Orleans ein. Außerdem eröffnete sie im
Jahre 1901 durch Übernahme der früher in amerikanischen Händen gewesenen
„Atlaslinie" einen regelmäßigen Dampferverkehr zwischen New York, Haiti,
Jamaica, Costa Rica, Guatemala, Colombia und Colon.
Der Lloyd unterhält regelmäßige Linien nach New York, BaUimore,
Charleston und Galveston.
Eine deutsche Gründung war auch die zwischen New York und Hamburg
verkehrende „Adler L i n i e". Von Friedrich Kühne, einem der In-
haber des großen Bankhauses Knauth, Nachod & Kühne im Jahre
1872 ins Leben gerufen, erfreute sie sich wegen ihrer ausgezeichneten Dampfer
lange Zeit großer Beliebtheit.
Gaben die Deutschen so dem transatlantischen Verkehr einen gewaltigen
Anstoß, so geschah dies auch in dem Verkehr, der sich an der pazifischen
Küste entwickelte. In San Francisco gründete nämlich Klaus Spreckels,
der „kalifornische Zuckerkönig", in Gemeinschaft mit seinen Söhnen Johann
Dietrich und Adolf Bernhard Spreckels die „Oceanic
Steamship Compan y", deren Dampfer regelmäßige Fahrten nach Hawaii,
Tahiti und anderen Teilen des Großen Ozeans unternehmen.
Im Schiffsbauwesen vermochten die Deutschen den von jeher auf das Meer
angewiesenen Amerikanern kaum etwas zu lehren. Von Interesse ist aber, daß
der Ursprung der berühmten Schiffsbauerfamilie Herreshoff auf einen deut-
schen Stammherrn, den Ingenieur Karl Friedrich Herreshoff, zu-
rückreicht. Derselbe wanderte um das Jahr 1800 in Amerika ein. In Bristol,
Rhode Island, heiratete er die Tochter des Schiffbauers John Brown und
widmete sich nun gleichfalls dem Schiffbau. Seine Nachkommen wandten sich
hauptsächlich dem Bau schnellsegelnder Jachten zu. Die den Namen
„Herreshoff Manufacturing C o." annehmende Firma lieferte wäh-
rend der letzten Jahrzehnte sämtliche Rennjachten, welche den berühmten
„Amerikabecher", jene am heißesten umstrittene Seetrophäe gegen die Eng-
länder siegreich verteidigten.
Für die amerikanische Küstenschiffahrt waren die Anregungen äußerst
wertvoll, die im Jahre 1 807 der aus Aarau stammende Mathematiker Ferdi-
nand Rudolf Hassler gab, indem er auf die Notwendigkeit einer ge-
nauen Vermessung aller Küsten der Vereinigten Staaten hinwies. Die daraus
für den Handel und die Sicherheit der Schiffahrt entspringenden Vorteile er-
schienen der Regierung wie dem Kongreß so bedeutend, daß ein besonderes
Amt, die „C o a s t S u r v e y", eingerichtet wurde, deren Leitung man Hassler
übertrug. Er bekleidete diesen Posten bis zu seinem im Jahre 1843 erfolgten
— 419 —
Tode. Der „Coast Siirvey" verdankt die Handelswelt ein auf sorgfältigen Auf-
nahmen beruhendes vorzügliches Kartenmaterial, das für die Schiffahrt von un-
schätzbarem Wert ist.
Eine Rennjacht der Hcrreshoffs im Kampf um den Amerikabecher.
Nach einer Originalzeichnung von Rudolf Gronau.
27*
— 420 —
Der in Philadelphia geborene Deutschamerikaner Thomas Leiper
gab die erste Anregung zum Bau der Eisenbahnen. Leiper war im
Jahre 1806 mit der Ausbeute von Granitsteinbrüchen beschäftigt, die am Avon-
dale in der Grafschaft Delaware in Pennsylvanien lagen. Die Entfernung von
den Brüchen bis zur Flußniederung, wo die Steine auf Boote verladen wurden,
betrug eine Meile. Um den Pferden den schwierigen Transport zu erleichtern,
erfand Leiper besondere Wagen, deren gußeiserne Räder genau auf ein eisernes
Schienengleis paßten. Da die Wagen über diese Gleise leicht hinwegglitten,
so waren die Pferde imstande, ohne Mühe doppelt so schwere Lasten als früher
fortzubewegen. Diese hochwichtige Neuerung führte später zur Erfindung der
Eisenbahnen für den Personenverkehr.
Dem Deutschen Eppel heimer verdankt man die Erfindung der
Kabelbahnen, die zuerst in San Francisco in größerem Maßstab zur Anwen-
dung kamen.
Auf die innere Entv/icklung des amerikanischen Verkehrswesens übte der
Eisenbahningenieur Albert Fink bedeutenden Einfluß, indem er in den
siebziger Jahren durch Wort und Schrift auf die Übel aufmerksam machte, die
sowohl im Eisenbahn- wie Dampfschiffverkehr durch den schrankenlosen Wett-
bewerb hervorgerufen wurden. Er empfahl, daß die konkurrierenden Gesell-
schaften ein gemeinsames System unter einer selbstgewählten gemeinschaftlichen
Oberbehörde einführen sollten, welche die Fracht- und Personentarife sowie alle
anderen Verkehrsangelegenheiten festzusetzen habe und dadurch der verderb-
lichen Unterbietung Einhalt tun möge. Er führte dabei aus, daß die Interessen
der Eisenbahnen und diejenigen des Publikums einander nicht feindlich gegen-
überstehen, sondern die gleichen sind; daß ein geordneter Tarif mit festen
Sätzen, die den Eisenbahnen einen angemessenen Gewinn lassen, für den Ver-
kehr vorteilhafter sei, als ein beständig schwankender, wie er durch die schranken-
lose Konkurrenz bedingt w^erde.
Auf Finks direkte Anregung entstand die „Southern Railway & Steamboat
Association", welcher die meisten Eisenbahnen und Dampfergesellschaften des
Südens beitraten. Im Jahre 1877 entwarf er auf Einladung der Präsidenten
der vier amerikanischen Stammlinien, der „Baltimore & Ohio-", der „Pennsyl-
vania-", der „Erie-" und der „New York Central & Hudson River Eisenbahn"
den Plan zu einer ähnlichen, noch größeren Verbindung. Die ihm angebotene
Stelle des Vorsitzenden des gemeinsamen Ausführungsausschusses nahm Fink
an, wodurch er in allen Tarifangelegenheiten die entscheidende Persönlichkeit
der mächtigsten Eisenbahnlinien der Vereinigten Staaten wurde.
Als Präsidenten wichtiger amerikanischer Eisenbahnen wurden ferner
A d o l f M e i e r in St. Louis, Karl Gustav Memminger in Charleston
und Henry Villard in New York bekannt. Memminger, einstmals der
Finanzminister der konföderierten Staaten, bekleidete nach dem Bürgerkrieg
das Amt eines Präsidenten der von Charleston nach Cincinnati führenden Bahn.
Der im Jahre 1835 zu Speier geborene Heinrich Hilgard, der
— 421 —
seinen Namen in Henry Villard umwandelte, spielte in der Entwicklungs-
geschichte des Nordwestens eine hervorragende Rolle. In den siebziger Jahren
wurde er sowohl Präsident der „Oregon & California Railroad" wie der
„Oregon Steamship Company". Später, im Jahre 1881, erlangte er die Herr-
schaft über die „Northern Pacific Bahn" und vollendete als Präsident derselben
den Bau ihrer von den Ufern des Mississippi bis zu den Gestaden des Großen
Ozeans führenden Hauptlinie. Zu der in den Sommer 1883 fallenden Er-
öffnungsfeier dieser für den Nordwesten so überaus wichtigen Verkehrslinie
hatte Villard Geistes-
heroen der ganzen
Welt eingeladen, be-
rühmte Journalisten,
Parlamentarier,
Künstler und Finan-
ziers, die er in einem
mehrere Monate
währenden Triumph-
zug durch die gan-
zen Vereinigten Staa-
ten führte.
Mitten in den
Festjubel hinein
krachte die Nachricht,
daß eine Clique ge-
wissenloser Börsen-
spekulanten, an ihrer
Spitze der verrufene
Jay Gould, die Ab-
wesenheit Villards
von New York dazu
benutzt hatten, durch
höchst verwerfliche
Machinationen einen Kurssturz in den Aktien der Villardschen Werte herbei-
zuführen, der die ganze Finanzwelt erschütterte. Obwohl Villard sofort
nach New York zurückeilte, vermochte er den Ruin nicht aufzuhalten und trat,
nachdem er sein ganzes ungeheures Vermögen geopfert, von der Leitung der
Nord-Pacificbahn zurück. Aber nur für wenige Jahre. Denn er ging nach
Berlin und begann in aller Stille Pläne zum Wiedererobern der verlorenen
Position zu schmieden. Über außerordentlich reiche, von deutschen Kapi-
talisten ihm anvertraute Mittel gebietend, kehrte er im Jahre 1886 nach New
York zurück und feierte am 21. Juni 1888 den Triumph, abermals zum Präsi-
denten der „Oregon & Transcontinental Company" erwählt zu werden. Diesen
Posten legte er mehrere Jahre später nieder, um seine ganze Kraft der Grün-
Heinrich Hilgard-Villard.
422
düng der gigantischen „Edison General Electric Light Company" widmen zu
können, welche die Ausbeutung der im Besitz des berühmten amerikanischen
Erfinders Thomas Edison befindlichen Patente für elektrisches Licht bezweckte.
Später gründete Villard noch eine zweite gewaltige Körperschaft zum Ankauf
der in allen größeren Städten der Vereinigten Staaten bestehenden Straßen-
bahnsysteme.
Unzweifelhaft war Villard einer der genialsten, weitestblickenden und tat-
kräftigsten in der Schar jener unternehmenden Männer, die man in Amerika als
„Kapitäne der Industrie" bezeichnet hat.
Zu diesen führenden Geistern zählte auch der zu Clairsville in Ohio als
Abkömmling einer deutschamerikanischen Familie geborene Präsident der
„Western Union Telegraph Company", Thomas T. Eckert. Derselbe be-
fehligte während des Bürgerkriegs als Hauptmann eine Abteilung von Armee-
telegraph isten. Später wurde er zum Brigadegeneral und Milfssekretär des
Kriegsministers befördert. Nach dem Feldzug leitete er die Verschmelzung aller
in den Vereinigten Staaten bestehenden Telegraphengeselischaften zur „Western
Union Telegraph Company", die im Jahre 1908 1 359 430 Meilen Drähte und
23 853 Stationen unterhielt. Im Jahre 1907 beförderte sie 74 804 551 Depeschen.
Schlußvignette: Der erste Lloyddampfer ^Bremen-' im Jahre 1858.
Deutschamerikanische Techniker und Ingenieure.
Die Geschichte der deutschamerikanischen Techniker und Ingenieure ist
mit der Entwicklung der Technik und des Ingenieurwesens in den Vereinigten
Staaten gewissermaßen identisch. Sie hebt an mit der Zeit, wo man sich noch
bescheidener Holzbrücken bediente, wo noch niemand jene gewaltigen Triumphe
ahnte, die gerade von der Technik und Ingenieurkunst in der Neuen Welt ge-
feiert werden sollten.
Als der Deutsche \X'ernweg im Jahre 1813 eine Holzbrücke über den
Delaware bei Trenton, New Jersey, schlug, als A 1 b e r t v c n Stein im ersten
Viertel des 19. Jahrhunderts die Wasserwerke der Städte Cincinnati, Richmond,
Lynchburg, New Orleans, Nashville und Mobile herstellte, als derselbe den
Appomatox-Kanal bei Petersburg in Virginien schuf und der Schwabe G i n -
d e 1 e den Kanal zwischen dem Michigansee und dem Mississippi anlegte, da
bewunderte man diese Werke allgemein als solche, welche der Geschicklichkeit
ihrer Urheber zur höchsten Ehre gereichten. Den Riesentunnel, mittels welchem
Gindele die Stadt Chicago mit frischem Wasser aus dem Michigansee versorgte,
zählte man sogar lange Zeit zu den Wunderdingen der Neuen Welt.
Unter den damaligen Bergbauingenieuren galt der Schwabe Hermann
G m e 1 i n als einer der bedeutendsten. Er war einer der ersten, welcher in
Kopfleiste:
Stahlstich.
Roeblings Hängebrücke über den Niagara. Nach einem gleichzeitigen
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Amerika ein Bessemer Stahlwerk einrichtete. Zu seinen Zeitgenossen gehörte
der im Jahre 1830 zu Aachen geborene Adolf S u t r o , der Schöpfer des be-
rühmten Sutro-Tunnels in den Comstockminen Nevadas.
Jene gewaltigen Silbergruben hatten seit ihrer im Jahre 1859 erfolgten
Entdeckung ungeheure Reichtümer abgeworfen. Aber der Betrieb litt unter
schweren Übelständen. Einesteils fehlten geeignete Mittel und Straßen zur Be-
förderung der gewonnenen Erze, dann auch hatten die Bergleute in den tiefen
Schachten und Stollen beständig mit giftigen Gasen, fast unerträglicher Hitze
und bedeutenden Wasserzuflüssen zu kämpfen. Manche Minen waren bereits
ertrunken und unzugängig geworden. Bei einem Besuch dieser Bergwerke kam
Sutro auf den Gedanken, die einzelnen Minen durch einen gewaltigen Tunnel
zu verbinden, der nicht bloß als Mittel zur bequemeren und billigeren Beförde-
rung der Erze, sondern auch zur Ventilation und Entwässerung der
Gruben diene.
Ehe Sutro diesen Plan ausführen konnte, mußte er geradezu unglaub-
liche Hindernisse überwinden, die seinem Vorhaben im Weg standen. Das
schlimmste war die völlige Teilnahmlosigkeit, mit der die Grubenbesitzer und
Kapitalisten seine Pläne aufnahmen. Als der Nutzen des Unternehmens aber
gar zu deutlich zutage trat, mußte Sutro sich gegen mißgünstige Rivalen
wehren, welche die Ausführung des Werkes an sich reißen wollten. Erst nach
jahrelangen Kämpfen und unsäglichen Enttäuschungen war es Sutro vergönnt,
am 19. Oktober 1869 mit dem riesigen Unternehmen zu beginnen. Er schuf
einen 4 m weiten und 3Mi m hohen Tunnel von nahezu 7000 m Länge, von
dem zahlreiche, in nördlicher und südlicher Richtung abzweigende Seiten-
tunnels zu den einzelnen Gruben hinführten. In diesen 600 m unter der Erd-
oberfläche gelegenen Tunneln legte Sutro ein vollständiges Bahnnetz mit
Stationen an. Mehrere senkrechte Schachte sorgten für Luftzufuhr. Sie ent-
hielten zugleich gewaltige Hebemaschinen, welche die gewonnenen Erze an
die Oberfläche beförderten.
Im Oktober 1878 war nach einem Kostenaufwand von 6V- Millionen
Dollar dies Wunderwerk deutschen Geistes vollendet. Da Sutro mit den
Grubenbesitzern günstige Verträge abgeschlossen hatte, so brachte das Unter-
nehmen seinem Urheber großen Gewinn. Einen bedeutenden Teil dieses Reich-
tums stellte Sutro in den Dienst werktätiger Nächstenliebe, indem er in San
Francisco Parkanlagen, öffentliche Bäder und andere philantropische Einrich-
tungen schuf.
Ein anderer hervorragender deutschamerikanischer Bergbauingenieur war
der im Jahre 1817 zu Philadelphia geborene Hermann Haupt. Der 8 km
lange Hoosactunnel in Massachusetts, dessen in die Jahre 1856 bis 1861
fallende Ausführung 16 Millionen Dollar kostete, ist sein Hauptwerk. Ihm
gebührt auch das Verdienst, die Möglichkeit dargetan zu haben, Erdöl von den
Quellen durch ein Röhrensystem auf weite Entfernungen hinzuleiten, wodurch
die Petroleumraffinerien viele Millionen Dollar an Transportkosten ersparten.
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Zu den bedeutendsten Bergbauingenieuren Amerikas zählt ferner der
1839 in Nassau geborene A n t o n F. E i 1 e r s. Er wanderte im Jahre 1859
in die Vereinigten Staaten ein und spielte hier sowohl als Metallurgist wie als
Berater und Präsident zahlreicher Bergwerksgesellschaften jahrzehntelang eine
angesehene Rolle.
Die Mittelstaaten waren das Hauptarbeitsfeld des im Jahre 1827 zu Lauter-
bach geborenen Albert Fink. Derselbe kam im Jahre 1849 nach Amerika
und fand im Bureau des im Dienst der Baltimore-Ohio Bahn stehenden Brücken-
baumeisters Benjamin H. Latrobe Beschäftigung. Rasch stieg er von Stufe zu
Stufe und wurde die rechte Hand Latrobes, des ersten Ingenieurs, welcher Eisen
beim Brückenbau verwendete. Fink führte diesen Gedanken weiter aus, indem
er das nach ihm benannte Trägersystem erfand. Es kam beim Bau der bei Fair-
mount über den Monongahela führenden Brücke im Jahre 1852 zum erstenmal
zur Anwendung. Fink bestrebte sich, durch sein System die Zahl der steinernen
Mittelpfeiler einer Strombrücke möglichst zu verringern. Gleichzeitig suchte er
unter sonst gleichen Umständen mit weniger Eisen auszukommen, als es bei
den älteren Systemen möglich war, die mehr oder weniger Nachahmungen der
Holzbausysteme von Whipple, Rider, Kellog, Bollmann u. a. darstellten. Finks
Trägerausbildung war für die damalige Zeit von großer Einfachheit und Klar-
heit. Er verwendete möglichst viele gleichgebildete Stäbe, die man gegenseitig
austauschen konnte. Dadurch wurde die Aufstellung der Brücken so erleichtert,
daß einzelne seiner nach Südam.erika verschickten Träger dort ohne Monteure
von Matrosen zusammengesetzt w^erden konnten. Das Wichtigste war, daß
kein Stab des Finkschen Tragwerks einen Wechsel von Zug und Druck zu er-
leiden hatte. Es gab nur reine Zug- und reine Druckstäbe, eine Anordnung,
die für die damaligen amerikanischen Brückenträger geringerer Weite, deren
Knoten durchweg mit Bolzen verbunden wurden, von großer Bedeutung war.
Denn der in den Stäben der älteren Konstruktionen auftretende Wechsel von
Zug und Druck führte Bewegungen und Erschütterungen der Knoten herbei,
die mit der Zeit dem Bestand der Brücken gefährlich wurden. Die größten
Fink-Träger liegen in der im Jahre 1870 vollendeten Ohio-Brücke bei
Louisville, deren Hauptöffnungen mit 113 und 122 m Weite seinerzeit die weitest-
gespannten in ganz Amerika waren. Manche der von Fink geschaffenen
Brücken, besonders zwei 80 m hohe Übergänge über die weiten Schluchten am
Cheat Mountain, galten damals als die kühnsten Bauwerke ihrer Art.
Im Jahre 1857 trat Fink als Oberingenieur in den Dienst der Louisville-
und Nashvillebahn und blieb in dieser Stellung bis 1875. Während dieses
Zeitraums vollendete er unter anderen die Brücken über den Green River und
eine über den Ohio bei Louisville. Seine bedeutenden Fähigkeiten traten am
glänzendsten während des Bürgerkriegs hervor. Die seiner Obhut anvertrauten
Bahnlinien in Kentucky und Tennessee durchschnitten eines der hauptsächlichsten
Kampfgebiete. In raschem Wechsel wurde dasselbe bald von den Truppen der
Nordstaaten, bald von jenen des Südens in Beschlag genommen, wobei die Süd-
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länder die vorgefundenen Eisenbahnen, Brücken und Viadukte regelmäßig zer-
störten. Sobald sie aber den Rückzug antraten, folgte Fink ihnen auf dem Fuße
und stellte die verwüsteten Bahnstrecken in erstaunlich kurzer Zeit wieder her
Der erfolgreichen Tätigkeit des Ingenieuroffiziers GottfriedWeitzel
als Brückenbauer und beim Anlegen von Befestigungen während des Bürger-
kriegs haben wir bereits in einem früheren Abschnitt gedacht.
In derselben Weise machte sich sein im Jahre 1824 in Baden geborener
Kollege HeinrichFlad hochverdient. Er hatte an der Universität München
Ingenieurwissenschaften studiert und als Hauptmann eines Ingenieurbataillons
am badischen Aufstand teilgenommen. Nach dem Fehlschlagen jener Bewegung
kam Flad im Jahre 1849 nach Amerika und wirkte als Ingenieur beim Bau ver-
schiedener Eisenbahnen mit. Beim Ausbruch des Bürgerkriegs trat er in das
3. Regiment Freiwilliger von Missouri ein, durchhef rasch alle Grade bis zum
Oberstleutnant und wurde im Oktober 1863 zum Hauptmann des Westlichen
Ingenieur-Regiments ernannt. Als solcher leistete er bei der Wiederherstellung
zerstörter Eisenbahnlinien wie bei der Anlage von Befestigungen Dienste, die
nur derjenige zu würdigen vermag, welcher über die außerordentliche Bedeu-
tung der Eisenbahnen für den Vorstoß und die Verpflegung einer kriegführenden
Armee unterrichtet ist.
Nach Beendigung des Kriegs entwarf Flad in Verbindung mit J. P. Kirk-
wood die Pläne für die Wasservi'erke der Stadt St. Louis und trat dann in Ver-
bindung mit dem Brückenbauer Kapitän Eads, um demselben während der Jahre
1867 bis 1874 als Oberingenieur beim Entwurf und Bau der berühmten Missis-
sippibrücke bei St. Louis behilflich zu sein. Es war bei der Ausführung dieses
gewaltigen Werks, wo Flads Meisterschaft im Lösen schwieriger technischer
Probleme, in der Anwendung wissenschaftlicher Prinzipien sich im glänzendsten
Lichte zeigte.
Nach Vollendung dieser Brücke wurde Flad zum Präsidenten des Aus-
schusses für öffentliche Verbesserungen der Stadt St. Louis erwählt. Diesen
Posten bekleidete er bis zum Frühling 1890, wo er einen vom Präsidenten
Harrison ihm angebotenen Platz in der Mississippi River Commission über-
nahm. Er füllte denselben bis zu seinem im Jahre 1898 erfolgten Tode aus.
Hermann Ulffers ist der Name eines in Westfalen geborenen außer-
ordentlich tüchtigen Ingenieurs, der sich im Stab des Generals Sherman befand.
Er geriet in Gefangenschaft und kam in das schreckliche Gefängnis Anderson-
ville. Seine Flucht aus dieser „Hölle" erregte allgemeines Aufsehen. In Lumpen
gehüllt und bis zum Skelett abgemagert, erreichte er die Vorposten der Unions-
armee wieder, in der er dann als Ingenieuroffizier noch bis zum Jahre 1870
wirkte.
Oberst Washington A. Roebling, ein Sohn des berühmten
Brückenbauers, machte sich während des Bürgerkriegs als Ingenieur im Stab
des Generals McDowell verdient. Er schlug zwei zu Armeezwecken dienende
Hängebrücken über den Rappahannock und den Shanandoah.
Adolf Bonzanos Kinzua-Brücke während ihres Baus.
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Ein vortrefflicher Brückenbauer war auch der im Jahre 1830 in Württem-
berg geborene Adolf Bonzano. Als Oberingenieur der Firma Clarke,
Rewes & Co. zu Phönixville und später als Vizepräsident der „Phönix-Bridge
Company" lieferte er zu vielen großartigen Brückenbauten die Entwürfe. Sein
interessantestes Werk war der im Jahre 1882 vollendete Eisenbahnviadukt über
das 600 m breite und 90 m tiefe Tal des Kinzua in Pennsylvanien. Derselbe
bestand aus zwanzig Türmen, von denen jeder aus vier eisernen Pfeilern zusam-
mengesetzt war. Durch entsprechende Verstrebungen und Etagen waren die
Türme nach allen Richtungen hin gegen Zerknicken oder seitliche Ausbiegung
gesichert. Oben auf den Säulenköpfen ruhten Gitterträger, welche die direkte
Unterlage für die Querschwellen unter den Eisenbahnschienen bildeten. Auf
massiven, im Felsboden des Tales fundierten Steinpfeilern fest verankert, ge-
währte dieses, einschließlich aller Bureauarbeiten in nur S\-j. Monaten aus-
geführte Werk einen überraschenden Anblick.
Zu den hervorragenden deutschamerikanischen Brückenbauern des
19. Jahrhunderts zählte ferner Karl Konrad Schneider, geboren 1843
in Apolda. Als Oberingenieur und Vizepräsident der „American Bridge Com-
pany" baute er im Jahre 1882 die Auslegerbrücke der Canadischen Pacific Eisen-
bahn über den Fraserfluß in Britisch-Columbia; ferner im Jahre 1883 die Aus-
legerbrücke über den Niagara.
Eine förmliche Revolution im Brückenbau führte um die Mitte des
19. Jahrhunderts der berühmteste aller amerikanischen Brückenbauer herbei,
der am 12. Juni 1806 zu Mühlhausen in Thüringen geborene Johann
August Roebling.
Seine Ausbildung zum Ingenieur erhielt derselbe in Erfurt und Berlin.
Darauf war er in Westfalen beim Bau einiger Militärstraßen tätig gewesen.
Als Mitglied einer in Mühlhausen gegründeten Auswandrungsgesellschaft kam
er im Jahre 1831 nach Westpennsylvanien, wo er die Vermessungen mehrerer
Kanal- und Eisenbahnbauten leitete.
Im Vergleich zu ihrer heutigen Höhe befand sich die Brückenbaukunst da-
mals noch gewissermaßen in den Anfangsstadien ihrer Entwicklung. Man kannte
bereits Hängebrücken, aber die zum Tragen des Brückenstegs verwendeten
Kabel bestanden aus mächtigen eisernen Ketten, deren einzelne Glieder trotz
ihrer Stärke und Schwere keine große Tragkraft besaßen und die Überwindung
weiter Spannungen nicht zuließen. Spannungen von 60 m galten als be-
merkenswert.
Ein Versuch, derartige Kettenkabel durch solche aus Drähten zu ersetzen,
war bereits im Jahre 1822 bei einer Hängebrücke in Genf gemacht worden.
Aber es blieb Roebling vorbehalten, dieses neue System auszubilden und zu
seiner höchsten Vollendung zu entwickeln.
Die ungeheuren Vorzüge, die mannigfaltige Verwendbarkeit der Draht-
seile hatte Roebling veranlaßt, im Jahre 1840 in dem von ihm gegründeten
Ort Germania, dem späteren Saxonburg bei Pittsburgh eine kleine Fabrik an-
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zulegen, die sich ausschließlich mit dem Herstellen solcher Drahtseile be-
schäftigte.
Deren außerordentliche Tragkraft erprobte er zuerst bei einem Aquädukt,
den er bei Pittsburgh über einen der Quellarme des Ohio führte. Dieses eigen-
artige, an Drahtseile gehängte Werk erregte großes Aufsehen und begründete
Roeblings Ruf als Ingenieur. Seine nächste Schöpfung war die prächtige Draht-
seilbrücke, die bei einer Länge von 500 m mit acht Spannungen über den
Monongahela bei Pittsburgh führt. Darauf folgten viele gleichfalls an Draht-
seilen schwebende Aquädukte über den Delaware- und Hudsonkanal.
Bestärkt durch die en'ungenen Erfolge, wandte Roeblings hochfliegender
Geist sich immer kühneren Plänen zu. Er erbot sich, die beiden Ufer des Nia-
gara unterhalb seiner berühmten Fälle durch eine Hängebrücke miteinander zu
verbinden. Als Roebling mit diesem Projekt vor die Öffentlichkeit trat, er-
klärten die bedeutendsten Ingenieure Amerikas und Europas, darunter Steven-
son, dasselbe für unausführbar und prophezeiten seinen Fehlschlag. Betrug
doch die Weite der 80 m tiefen Schlucht, welche hier von den mit rasender Eile
dahinschießenden Fluten in die Felsen gerissen ist, volle 266 m.
Aber Roebling ließ sicli von Bedenken nicht anfechten, sondern schritt im
September 1852 zur Ausführung des geplanten Werks. Schon der Versuch,
den ersten Draht über die ungeheure Kluft zu spannen, stieß auf unerwartete
Schwierigkeiten. Kein Boot war imstande, den entsetzlichen Strudeln der
Stromschnellen Trotz zu bieten; kein Schwimmer wagte, sein Leben aufs Spiel
zu setzen. Nach manchen vergeblichen Bemühungen, kam Roebling auf den
glücklichen Einfall, mittels eines Windvogels zunächst einen starken Seiden-
faden vom amerikanischen Ufer auf das kanadische zu bringen. Das gelang,
und nun wurde an demselben die erste jener Sehnen über den Strom gezogen,
aus denen die Kabel der Hängebrücke gesponnen werden sollten.
Als Träger der vier Kabel, an welche Roebling seine Brücke zu hängen
gedachte, ließ er auf jedem Ufer zwei 26 m hohe steinerne Türme erbauen,
stark genug, um das gewaltige Gewicht der Kabel und Brücke zu trajgen.
Jedes Kabel bestand aus 3640 einzelnen Drähten. Die Kabel wurden mittelst
mächtiger Ketten hinter den Türmen in Kammern verankert, die in den Felsen
eingehauen waren. Die Brücke selbst besaß zwei Stockwerke, ein unteres iür-
Wagen und Fußgänger und ein oberes für die Eisenbahnen.
Bereits im März 1855 konnte die mit einem Kostenaufwand von 400 000
Dollar erbaute Brücke dem Verkehr übergeben werden. Mehrere Jahrzehnte
hindurch bildete sie wegen der Kühnheit ihres Entwurfs und der Schönheit
ihrer Erscheinung eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Niagararegion.
Dieser glänzende Triumph über die widerstrebenden Naturgewalten be-
wirkte einen völligen Umschwung im Brückenbau, den Übergang vom Ketten-
kabel- zum Drahtseilkabelsystem. Zur raschen Annahme des letzten trug Roeb-
ling durch mehrere noch größere Werke bei. Er baute zunächst die Hänge-
brücke, welche zwischen den beiden Städten Cincinnati und Covington den
Johann August Roebling.
— 433 -
Ohio überspannt. Dieselbe ist mit iliren Anfahrten 750 m lang und wird
von zwei mächtigen Kabeln getragen, deren jedes aus 10 360 einzelnen Drähten
besteht. Die Kabel ruhen auf zwei steinernen Pfeilern von 66 m Höhe. Die
zwischen ihnen liegende Hauptspannung der Brücke beträgt nicht weniger als
351 m. Die 11 m breite Plattform schwebt 33 m über dem Stromspiegel.
Die ganzen Kosten dieser Brücke beliefen sich auf 1 800 000 Dollar.
Das letzte, größte Werk Roeblings war sein Entwurf zur Riesenbrücke
über den East River zwischen New York und Brooklyn. Das rapide Wachsen
der Bevölkerung dieser beiden Städte, das Unvermögen der Dampffähren,
den gewaltigen, schnell zunehmenden Verkehr zwischen denselben zu bewäl-
tigen, machten eine bessere Verbindung zur dringenden Notwendigkeit. Eine
Vermehrung der Fähren war ausgeschlossen, da es an Platz für neue Anlege-
stellen fehlte. Zudem kam, daß die Fähren bei nebligem Wetter, Schneegestöber
und winterlichen Eisblockaden ihren Dienst nur in unvollkommener Weise
verrichteten. In dieser Notlage begann man an einen Brückenbau zu denken.
Aber die vorliegenden Verhältnisse und Entfernungen waren derart, daß kaum
jemand den Mut faßte, an die Ausführbarkeit dieses Gedankens zu glauben.
Der Bau einer auf Pfeilern ruhenden Brücke war ausgeschlossen, da zunächst
weder der ungeheure Schiffsverkehr auf der Wasserstraße gehemmt und ge-
fährdet werden durfte, noch die Tiefe des Wassers und die Stärke seiner Strö-
mung die Anlage sicherer Fundamente möglich machten.
Gleich einem Adler höher und höher kreisend, faßte Roebling den kühnen
Entschluß, sein Flängebrückensystem, das sich bisher so glänzend bewährt
hatte, auch an dieser Stelle in Anwendung zu bringen.
Zehn Jahre beschäftigte er sich mit dem Entwurf und Durcharbeiten seines
Planes. Die ungeheuren Verhältnisse, mit denen er rechnen mußte, verlangten
die sorgfältigste Beachtung selbst der unscheinbarsten Dinge, da der kleinste,
beim Berechnen der Länge und Stärke der Kabel, Träger und Pfeiler begangene
Fehler für das glückliche Gelingen des Brückenbaues von verhängnisvoller Be-
deutung werden konnte. Fast ebenso schwierig wie die technischen Vorarbeiten
gestaltete sich die Beschaffung der Baugelder. An vielen Stellen klopfte Roeb-
ling vergeblich an; ein Teil der von der Stadt bewilligten Gelder verschwand,
da die städtischen Beamten nur für die eigene Tasche sorgten. Mehrere dieser
Diebe mußten nach kurzer Zeit ins Ausland flüchten. Schließlich gelang es
Roebling, den Geldmann W. C. Kingsley von Brooklyn für den Plan zu inter-
essieren. Derselbe gründete im Januar 1867 die „New York Bridge Com-
pany'* mit einem Grundkapital von 5 Millionen Dollar. Die Stadt New York
zeichnete einen Betrag von IV2 Millionen, Brooklyn die Summe von 300 000
Dollar.
Zu Anfang des Jahres 1869 waren die mühseligen Vorarbeiten so weit
vollendet, daß Roebling mit dem Bau beginnen konnte. Aber es war, als ob
das neidische Geschick dem großen Ingenieur seinen höchsten Triumph nicht
gönnen wolle: bei den an Ort und Stelle begonnenen Arbeiten erlitt Roebling
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 28
434
durch einen herabstürzenden Balken eine Quetschung, welche die Amputation
mehrerer Zehen notwendig machte. Die Operation verlief glücidich. Leider
stellte sich wenige läge später Starrkrampf ein, welchem Roebling am 22. Juli
1869 erlag.
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Die schwierige Aufgabe, den gewaltigen Bau zu vollenden, fiel nun dem
Sohn des Verstorbenen, Washington A, R o e b 1 i n g , zu. Dieser ließ am
3. Januar 1870 mit dem Fundamentieren der beiden 92 m hohen Brücken-
türme beginnen. Die angestellten Bohrungen hatten ergeben, daß man, um
auf geeigneten Felsgrund zu kommen, auf dem Brooklyner Ufer des Fast River
15 m, auf Manhattan Island sogar 26 m unter den Wasserspiegel gehen
und dabei mächtige Schichten von Schlamm und Geröll durchdringen müsse.
Über den betreffenden Stellen baute man zunächst zwei gewaltige Caissons,
kistenähnliche, aus schweren, einander kreuzenden und stützenden Balken ge-
zimmerte Behälter, welche 2 bis 2'1. m über ihrem unteren Rande einen
Boden besaßen, so daß der unter demselben gelegene Raum eine Kammer bil-
dete, die durch nach oben führende Schlote und Röhren Luft erhielt. Diese
Kammer war der wichtigste Teil des Caissons. Das Caisson auf der Man-
hattan-Seite ist 40 m breit und 56 m lang; jenes auf der Brooklyner-Seite
40 m breit und 39 m lang. Nachdem sie vom Stapel gelassen und
genau über den Stellen verankert worden waren, wo die Brückentürme zu
stehen kommen sollten, begann man auf der Oberfläche der Caissons mit dem
Legen der Steinfundamente, deren täglich wachsendes Gewicht die Caissons
immer tiefer ins Wasser hinabdrückten. Zu gleicher Zeit trieben mächtige
Dampfmaschinen in die unter Wasser befindlichen, taucherglockenartigen Kam-
mern komprimierte Luft hinein, die das Wasser verdrängte, den von den unteren
Rändern der Caissons eingeschlossenen Teil des Flußbettes trocken legte und
es den innerhalb der Kammern befindlichen Arbeitern ermöglichte, den unter
ihren Füßen gelegenen Schlamm und das Geröll zu beseitigen. Diese äußerst
unangenehme und obendrein kostspielige Arbeit mußte fortgeführt werden, bis
endlich die Caissons die ganze Schlammschicht durchdrungen hatten und auf
die als Fundament dienen sollenden Felsen aufstießen.
Beim Fundieren der Fast Riverbrücke arbeiteten Tag für Tag 236 Men-
schen in diesen beiden unterseeischen Arbeitskammern, die von 56 Gasflammen
erleuchtet und sogar mit Wasserleitungen versehen waren. Leider war es un-
möglich, in den komplizierten Behältern jeden Unfall zu vermeiden. Denn je
tiefer die Caissons sich unter den Wasserspiegel und in das Flußbett senkten,
desto gewaltiger wurde der Druck der sie umgebenden Wassermassen; desto
größere Mengen komprimierter Luft mußten eingepumpt werden, um den Druck
auszugleichen und die Arbeitsräume von Wasser freizuhalten.
Es kann gewiß nicht überraschen, daß der längere Aufenthalt in den
Caissons für die unter so unnatürlichen Verhältnissen arbeitenden Menschen
allerhand üble Folgen hatte. Sie wurden von der eigentümlichen „Caisson-
Krankheit'* befallen, die sich in heftigen neuralgischen Schmerzen, Schüttel-
frost, Erbrechen, Krämpfen und Lähmungen äußert.
Trotz aller Vorsichtsmaßregeln nahmen viele dieser Erkrankungsfälle
einen tödlichen Ausgang. Auch Roebling wurde von der Krankheit befallen und
hatte an ihren Nachwirkungen viele Jahre zu leiden. Auch an anderen bösen
28*
— 436 —
Vorkommnissen fehlte es nicht. Im Januar 1871 entstand in dem Brooklyner
Caisson eine Feuersbrunst, die einen Schaden von 15 000 Dollar anrichtete —
ein Brand unter den Wellen des East Rivers!
Nach Überwindung zahlreicher anderer Schwierigkeiten wurde der Bau
der beiden, den Wasserspiegel um 90 m überragenden Türme vollendet,
worauf mit dem Legen der den Brückensteg tragen sollenden Kabel begonnen
werden konnte. Neue Schwierigkeiten! Natürlich war es ein Ding der Un-
möglichkeit, die gewaltigen, tausende Kilogramm schweren Massen zu so be-
deutender Höhe emporzuheben. Und so mußte man die 5296 Stahldrähte, aus
denen jedes der vier Kabel gesponnen werden sollte, einen nach dem andern
an der ihm zugedachten Stelle befestigen.
Unvorhergesehene Hindernisse traten ferner ein, als man den ersten, auf
den Meeresgrund versenkten und mittels eines Fahrzeugs zum gegenüber-
liegenden Turm geleiteten Draht heben wollte. Der East River war nicht frei!
Da war kein Augenblick, wo nicht Dutzende von Schiffen vorüberfuhren und
das Heben des Drahtes verhinderten. Endlich, am 14. August 1876, verkündete
ein Kanonenschuß, daß für die nächsten Minuten kein Schiff zu erwarten sei,
und nun schnellte die erste Sehne in die Höhe, um welche das gewaltige Netz
der Brücke gewoben werden sollte. Zahllose Drähte wurden hin und her-
gezogen, und an diesen Drähten hingen in kleinen Käfigen die Arbeiter, um
in der schwindelnden Höhe die Tausende von Drähten zusammenzuspinnen.
Wie unendlich viel gab's noch zu erwägen, zu berücksichtigen ! Bevor man die
mathematisch genaue Lage des ersten Drahtes den Plänen der Ingenieure gemäß
richtig bestimmen konnte, mußte man wochenlang auf einen windstillen Tag
warten, da jeder Druck der über den East River brausenden Winde genügte,
die Richtung und Bahn des hängenden Drahtes zu verschieben.
Und als endlich, nach unsäglicher Mühe, die vier Kabel regelrecht hingen,
da brachen am 19. Juni 1878 die Verankerungen eines derselben, und die ge-
waltige Masse, vom eignen Gewicht über den Brückenturm hinweggerissen,
stürzte mit fürchterlichem Getöse in die Fluten des East River, wobei mehrere
Arbeiter in ein nasses Grab gerissen wurden. Aufs neue hatte das Werk zu
beginnen.
Endlich, am 24. Mai 1883, nach dreizehn Jahre langer Arbeit und einem
Kostenaufwand von 9 Millionen Dollar war die Brücke vollendet und konnte
dem Verkehr übergeben werden. Zur Feier dieses nationalen Ereignisses stellten
sich der Präsident der Vereinigten Staaten und mehr als 50 000 Fremde ein.
Alle in der Bai von New York befindlichen Schiffe prangten in reichstem
Flaggenschmuck. Das Fort Columbus und die im Hafen versammelten Kriegs-
schiffe feuerten Salutschüsse ab. Von allen Kirchtürmen erschallte Glocken-
geläut. Und am Abend beschloß ein glänzendes Feuerwerk das seltene Fest.
Das großartige Werk verleugnet in der Tat nicht die kolossalen Schwie-
rigkeiten, über die des Menschen Geist hier den mühsamen Triumph errang.
Eine Vorstellung von den alle bisherigen Brückenbauten übertreffenden Ver-
— 437 —
hältnissen dieses Verkehrsweges gibt die Angabe, daß die Gesamtlänge des
Brückenkörpers mit den Anbauten über 2500 m beträgt. Diese gewaltige
Entfernung wird durch nur drei Bogen überwunden, deren mittlerer in der
Lindenthals Eisenbahnbrücke über die Höliengasse bei New York.
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bisher unerhörten Spannung von 478 m 40 m hoch über dem Wasser
schwebt.
Das Meisterwerk Roebhngs übte auf den Verkehr zwischen New York und
Brooklyn eine ungeahnte Wirkung. Nach allen Seiten hin ausdehnungsfähig
und nunmehr mittels der Brücke in wenigen Minuten erreichbar, blühte Brook-
lyn zu einer Millionenstadt empor. Welche Massen von New Yorkern hierher
ihre Wohnsitze verlegten, ergibt sich am deutlichsten aus der Zahl der Personen,
welche während der nächsten Jahre die Brücke passierten. Im Jahre 1884
betrug dieselbe 8 823 200. Im Jahre 1890 war diese Zahl bereits auf 341/2 Mil-
lionen, bis zum Jahre 1897 auf 45yo MilUonen angeschwollen.
Im Jahre 1902 betrug der Durchschnittsverkehr pro Tag von 24 Stunden
für die Brückenbahn 1 59 637 und für die über die Brücke führende Straßenbahn
147 660 Personen. Das würde für das Jahr 1902 einen Gesamtverkehr von
112 163 405 Personen ergeben.
Das glückliche Gelingen des die Bewunderung der ganzen Welt hervor-
rufenden Roeblingschen Werkes stachelte die Ingenieure Amerikas zu noch ge-
waltigeren Leistungen an. Einer der kühnsten unter den neueren Brückenbauern
ist der im Mai 1850 zu Brunn geborene Gustav Lindenthal. Sein
größtes in der Ausführung begriffenes Werk ist eine viergleisige Eisenbahn-
brücke, welche den als „Hellgate" („Höllengasse") bekannten Teil des die Stadt
New York von Long Island trennenden East Rivers überschreitet. Eine ver-
steifte Stahlbogenbrücke und Stahlviadukte von 4,80 km Länge, wird sie das
Eisenbahnnetz der großen Pennsylvaniabahn auf Long Island mit der Haupt-
bahn von New York nach Boston auf dem Festland verbinden, und es ermög-
lichen, daß Reisende von Boston nach Philadelphia und den Südstaaten ohne
Umsteigen direkt durch New York fahren werden können, nämlich durch die
neue Pennsylvaniastation an der 32. Straße und 7. Avenue. Die Brücke über-
schreitet die Höllengasse in einem 300 m weiten und 100 m hohen Bogen, dem
größten, der bisher bei diesem Brückensystem zur Anwendung kam.
Ein anderer von Lindenthal entworfener und in der Ausführung begriffener
Riesenbau ist die doppelgleisige Eisenbahnbrücke von drei Spannweiten über
die 300 m weite und 118 m tiefe Schlucht des Kentuckyflusses im Staat Ken-
tucky. Die Brücke wird die schwerste und größte genietete Stahlkonstruktion
in der Welt sein, wird ohne Gerüst aufgestellt und von zwei Stahltürmen ge-
tragen. Sie soll die alte eingleisige eiserne Brücke ersetzen, welche als die
erste und kühnste Ausleger-(Cantilever-)Brücke im Jahre 1876 in den Vereinigten
Staaten gebaut wurde, und bei welcher der Deutschamerikaner Charles
S. S t r o b e 1 als Ingenieur tätig war. An derselben Stelle hatte Roebling eine
große Stahlhängebrücke geplant, von welcher aber nur die Steintürme zur Aus-
führung kamen, da der Bürgerkrieg der Jahre 1861 bis 1865 den Weiterbau
verhinderte.
Seit einer Reihe von Jahren beschäftigte Lindenthal sich auch mit dem
Entwurf einer Riesenbrücke, die den Hudson überschreiten und den ungeheuren
East River-
Hudson River-
Brücke
Brücke
1110 m
2202 m
279 „
550 „
480 „
930 „
81 „
198 „
105 „
255 „
251/2 „
36 „
1070 „
2040 „
2
6—14
— 439 —
Verkehr zwischen New York und dem Staate New Jersey vermitteln soll. Den
bereits vollendeten Plänen zufolge würde diese Brücke auf jedem Stromufer von
zwei 220 m hohen stählernen Türmen getragen, in denen die vier Kabel der
Brücke aufgelagert werden sollen. Die erstaunliche Großartigkeit des Entwurfs
läßt sich am besten aus nachstehendem Vergleich seiner Verhältnisse mit den-
jenigen der Roeblingschen East Riverbrücke erkennen :
Gesamtlänge der Brücke, einschließlich der Verankerungen
Länge der Landspannen
Länge der Hauptspanne
Höhe der Türme von der Hochwassermarke an ... .
Höhe der Türme von den Fundamenten an
Weite der Brückenbahn
Länge jedes Kabels
Zahl der Schienengleise
Leider gerieten die Vorarbeiten zu dieser Riesenbrücke in neuester Zeit ins
Stocken, als die einen großen Teil des Personen- und Warenverkehrs zwischen
New York und New Jersey vermittelnde Pennsylvania-Eisenbahn bei der Wahl
zwischen Brücke und einem unter dem Hudson dahinführenden Tunnel sich
für den Bau des letzteren entschied. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß die
Lindenthalsche Brücke der Vergessenheit anheimfallen wird. Denn das fabel-
hafte Wachsen des überwältigend großartigen Personen- und Güterverkehrs
zwischen New York und New Jersey bedingt immer neue, gewaltigere Verkehrs-
mittel. Und so dürfte die Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen sein, daß in
zehn bis zwanzig Jahren der Hudson gleichfalls von einem Wunderwerk der
modernen Ingenieurkunst überbrückt sein wird.
Außer den bisher Genannten boten sich vielen anderen deutschamerika-
nischen Technikern und Ingenieuren in den Vereinigten Staaten Gelegenheiten,
ihr Können zu betätigen. Sie fanden hier ein um so großartigeres und lohnen-
deres Feld, als den amerikanischen Ingenieuren, soweit sie nicht im Ausland
studiert hatten, die nötigen Kenntnisse abgingen, ein Mangel, der sich durch
das Fehlen technischer Hochschulen erklärt. Solche wurden erst nach dem
Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten gegründet und benötigten natürlich
längere Zeit zu ihrer Entwicklung.
Inzwischen drängte aber der rastlose, auf die Erschließung des weiten
Landes bedachte amerikanische Unternehmungsgeist ungestüm auf die stete
Entwicklung und Verbesserung der Verkehrsmittel und -wege, wobei er zu
großen Wagnissen und bedeutenden Opfern stets bereit war. Aus diesen
Gründen erklärt es sich, warum man deutsche und deutschamerikanische In-
genieure fast überall im Besitz solcher Stellungen findet, in denen es auf gründ-
liches Wissen und wirkliches Können ankommt. Wir finden sie im Dienst der
großen Eisenbahnen und Schiff bau Werkstätten, der städtischen Wasserwerke
und Straßenbahnen und Beleuchtungsgesellschaften.
— 440 —
Eine der eigenartigsten Persönlichkeiten unter diesen Männern ist zweifel-
los Dr. Karl Prometheus Steinmetz, der leitende Geist der „General
Electric Company", deren gewaltige Fabriken in Schenectady, New York, ihren
Sitz haben. Steinmetz wurde am 9. April 1865 zu Breslau geboren. Dort
durchlief er auch das Gymnasium und die Universität. Mathematik und Astro-
nomie bildeten seine Lieblingsbeschäftigungen, bis er eines Tages in nähere
Berührung mit einem Mitschüler kam, welcher sich dem Studium der Elektrizität
zugewendet hatte. Das Wesen dieser geheimnisvollen Kraft, die Möglichkeit
ihrer Verwendung für industrielle und Beleuchtungszwecke waren damals kaum
erkannt. Bogen- und Glühlichtlampen galten als Kuriositäten. An Motoren,
Dynamos und andere, heute allgemein gebrauchte elektrische Apparate dachte
noch kein Mensch. Aber der Einblick in das noch unerschlossene Zauberreich
bestimmten den jungen Steinmetz, sich dem Studium der Elektrizität zu widmen
und auf neue Entdeckungen auszugehen. Ob Steinmetz' Vater, als er seinem
Sohn den Namen Prometheus verlieh, geahnt haben mag, daß derselbe einst
ein Bringer und Beherrscher des Lichtes sein werde?
Schon bald nach Ablauf seiner Studentenjahre wanderte Steinmetz nach
Amerika aus und fand in den dem Deutschen Eickemeyer gehörigen Elek-
trizitätswerken in Yonkers, New York, Anstellung. Allerdings mit dem be-
scheidenen Anfangsgehalt von 12 Dollar pro Woche. Aber er verstand sein
reiches Wissen so zur Geltung zu bringen, daß er bald die rechte Hand seines
Brotherrn bildete und denselben beim Ausarbeiten neuer Erfindungen unter-
stützte. Nach wenigen Jahren war Steinmetz zum technischen Leiter der Eicke-
meyerschen Fabrik emporgerückt. Und als diese dem allgemeinen Zug der
Zeit folgte, und sich mit anderen im Osten der Union bestehenden großen An-
lagen zu der „General Electric Company" vereinigte, ward Steinmetz an die
Spitze dieser gewaltigen, über ein Heer von 14 000 Angestellten gebietenden
Unternehmung berufen. Die eignen Erfindungen und weitreichenden Ver-
besserungen, die Steinmetz herbeiführte, sind viel zu zahlreich und kompliziert,
als daß sie anderswo als in einem Fachw^erk nach Gebühr gewürdigt werden
könnten.
Ebensowenig sind wir imstande, manchen anderen Deutschamerikanern,
wie z. B. dem in Pom.mern geborenen Bernhard A. Behrend, dem
Hannoveraner Emil Berliner und anderen gerecht zu werden, deren Er-
findungen das moderne Kulturleben manche wichtige Fortschritte verdankt.
Die deutsche Presse in den Vereinigten Staaten.
Der während der Kolonialzeit erschienenen Erstlinge der deutschamerika-
nischen Presse gedachten wir bereits in früheren Abschnitten. Desgleichen des
wackeren Johann Peter Zenger, dessen Furchtlosigkeit die amerika-
nische Journalistik ihre höchste Errungenschaft, die Preßfreiheit, verdankt.
Als nach der glücklichen Beendigung des amerikanischen Unabhängig-
keitskriegs deutsche Einwandrer wieder in größerer Zahl eintrafen, stieg natür-
lich auch das Bedürfnis für in deutscher Sprache gedruckte Zeitungen. Bereits
zu Ende des 18. Jahrhunderts bestanden ihrer in Pennsylvanien nahezu ein
Dutzend. Sie verteilten sich auf die Städte Philadelphia, Germantown, Lan-
caster, Easton und Reading. Baltimore, Boston und New York besaßen gleich-
falls deutsche Zeitungen, die einmal wöchentlich erschienen.
Eine der wichtigsten Perioden in der Geschichte der deutschamerikanischen
Presse bilden die dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts,
während welcher sowohl in den Städten des Ostens wie auch in den Mittel-
staaten und am Mississippi zahlreiche deutsche Zeitungen entstanden, darunter
mehrere, die aus bescheidenen Anfängen zu großen Tageszeitungen, ja Welt-
blättern, emporwuchsen.
Den Hauptanstoß zum Em.porblühen der deutschamerikanischen Presse
gaben die „Achtundvierziger", jene hochgesinnten Freiheitsstreiter, von denen
viele bereits im alten Vaterland literarisch und journalistisch tätig gewesen
waren. Gelang es solchen politischen Flüchtlingen nicht, an einer Universität
oder sonstigen Lehranstalt unterzukommen, so übernahmen sie die Leitung be-
reits bestehender Zeitungen oder gründeten eigne Organe, für die sie in dein
starken Deutschtum willige Abnehmer fanden. Friedrich und Rudolf
Lexow, Lorenz Brentano, Friedrich Hassaurek, Wil-
helm Rapp, Karl Heinze, Gottfried Kellner, Oswald
Ottendorfer, Johann Georg Wesselhöft, Georg Hill-
gärtner, Emil Pretorius, Paul Löser, Karl Dänzer, Fried-
rich Raine, Hermann Raster, Eduard Leyh und viele andere
traten auf solche Weise in die Journalistik ein.
Diese Männer erkannten mit klarem Blick, daß die wichtigste Mission der
deutschamerikanischen Zeitungen im Erfüllen der Aufgabe bestehe, die in die
— 442 —
Vereinigten Staaten einwandernden Deutschen mit den Gesetzen, Einrichtungen,
poHtischen, wirtschaftlichen und sozialen Zuständen des Landes vertraut zu
machen, und ihnen durch Vermittlung dieser Kenntnisse die Teilnahme am
amerikanischen Leben sowie das Emporkommen in geordnete, bessere Verhält-
nisse zu ermöglichen. Aber sie fühlten auch, daß die deutschamerikanischen
Zeitungen den deutschen Einwandrern um so rascher liebe und traute Ge-
fährten sein würden, wenn sie ihnen möglichst viel von den Vorgängen in der
alten Heimat berichteten, und sie dadurch in beständiger Fühlung mit derselben
erhielten.
Ein typisches Bild der Entwicklung einer deutschamerikanischen Zeitung
bietet die„NewYorker Staatszeitun g". Als sie im Jahre 1 834 zuerst
erschien, legte sie ihr Programm in folgenden Worten dar: „Die New Yorker
Staatszeitung ist, wie ihr Name besagt, hauptsächlich eine politische Zeitung,
und wird es sich angelegen sein lassen, nach bestimmten und bewährten Prin-
zipien echt demokratisch-republikanische Ideen unter unseren Mitbürgern zu
erhalten; falsche mit allem Eifer nach den Forderungen des ewigen Vernunft-
rechts in ihrer Unhaltbarkeit und Schädlichkeit darzustellen. Obgleich nament-
lich der Wohlfahrt deutschamerikanischer Bürger geweiht und deswegen auf
deren Verhältnisse in den Vereinigten Staaten besonders ihre Aufmerksamkeit
richtend, wird sie nicht versäumen, die Erwähnung der Tagesbegebenheiten der
Alten Welt denen der Neuen anzureihen, durch Blicke auf Natur- und Kultur-
geschichte, Literatur und Kunst, Gewerbe, Ackerbau, Handel und damit zu-
sammenhängende Zweige der menschlichen Tätigkeit unter uns und anderen
Völkern, den zeitigen Standpunkt aller dieser Gebiete dem Beobachter darzu-
legen. Sie wird zu dem schönen Ziele mitzuwirken suchen, deutsche Sprache,
Sitten, Wissenschaft, Kunst und mechanische Fertigkeiten in ihrer Eigentüm-
lichkeit, so weit in Amerika die deutsche Zunge reicht, zu erhalten und zeit-
gemäß weiterzubilden. Sie wird bezwecken, unsere deutschen Mitbürger durch
politische und wissenschaftliche, möglichst nach männlicher Ruhe und Festig-
keit strebende Aufsätze zu unterhalten und zu belehren."
Diesem Programm ist die „New Yorker Staatszeitung" während der
vielen Jahrzehnte ihres Bestehens treu geblieben. Stetes von tüchtigen Männern
geleitet, alle Fortschritte im Zeitungswesen sich zunutze machend, durch Haltung
und Sprache rasch das Vertrauen und die Gunst des Deutschtums gewinnend,
konnte das ursprünglich vierseitige Wochenblatt sich bald in eine tägliche Zei-
tung verwandeln. Neben die morgens erscheinende Hauptausgabe trat später
eine Abendausgabe, von denen die erste gegenwärtig in einem Umfang von
14 bis 16, die letztere in einem Umfang von 8 Seiten erscheint. Einer jhrer
wertvollsten Bestandteile ist unstreitig das 32 Seiten umfassende Sonntagsblatt,
welches seinen Lesern eine geradezu erstaunliche Fülle von belletristischem
Unterhaltungsstoff und populär wissenschaftlichen Aufsätzen, darunter viele
Originalartikel, darbietet. Die Qualität dieser Aufsätze übertrifft diejenigen der
in den amerikanischen Zeitungen enthaltenen bei weitem, was hauptsächlich
— 443 —
dem Umstand zuzuschreiben ist, daß infolge der bis zum Sommer 1909 zwischen
den Vereinigten Staaten und Deutschland bestehenden mangelhaften Schutz-
gesetze für geistiges Eigentum die deutschamerikanischen Zeitungen in der
Lage waren, ihre Auswahl kostenlos aus dem unerschöpflichen Reichtum der
jenseits des Atlantischen Ozeans veröffentlichten Zeitungs- und Zeitschriften-
literatur treffen zu können.
Außer der „New Yorker Staatszeitung" bestehen in New York die „Groß
New Yorker Zeitun g'', der „H e r o 1 d", das „M o r g e n j o u r n a 1",
die „V o 1 k s z e i t u n g" und die „Brooklyner freie Press e". In
Philadelphia finden wir den „Demokrat" und die „ö a z e 1 1 e", in Balti-
more den „DeutschenCorrespondente n". Chicago hat vier deutsche
Tagesblätter, von denen die früher hochangesehene „Illinois Staats-
zeitung" und die „F r e i e Presse" in neuester Zeit miteinander ver-
schmolzen wurden. Außer diesen erscheinen dort die „Abendpost" und
die „A r b e i t e r z e i t u n g". Milwaukee besitzt den „H e r o 1 d" und die
„G e r m a n i a". St. Louis dominiert die „W estliche Pos t". Cincinnati
hat die „W e s 1 1 i c h e n B 1 ä 1 1 e r" und das „V o 1 k s b 1 a 1 1". In Cleveland
erscheinen „W ä c h t e r" und „Anzeiger"; in San Francisco der „Cali-
fornia Demokrat"; in Buffalo der „V o 1 k s f r e u n d" und „Demo-
krat"; in New Orleans die „N e u e d e u t s c h e Z e i t u n g" ; in St. Paul die
„V o 1 k s z e i t u n g" ; in Minneapolis die „Freie Presse" und dei
„H e r o 1 d".
Der Ton der deutschamerikanischen Presse ist echt amerikanisch. Sie ist
im allgemeinen stets eine treue Verfechterin der besten Einrichtungen des politi-
schen Systems, scharf in der Kritik seiner Fehler und eine unermüdliche
Kämpferin für die allgemeine Wohlfahrt, für Ordnung und persönliche Frei-
heit gewesen.
Zum Ruhm der deutschamerikanischen Zeitungen darf man ferner sagen,
daß sie mit sehr wenigen Ausnahmen von der ekelhaften Sensationshascherei,
durch welche viele amerikanische Zeitungen ihren Leserkreis zu vergrößern
trachten, frei sind. Die deutschen Leiter der Blätter hielten stets an der Über-
zeugung fest, daß eine Zeitung höhere Pflichten habe, als ihre Leser durch
allerlei, oft jeder Grundlage entbehrenden oder durch unwahre Zutaten aus-
geschmückten Skandalgeschichten in beständiger Erregung zu erhalten.
Zu ihren schönsten Aufgaben zählt die deutschamerikanische Presse auch
die, die guten Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland zu pflegen und
für beide Teile immer segensreicher zu gestalten. Diese Aufgabe ist keineswegs
leicht. Wird sie doch sowohl durch die auf wirtschaftlichem Gebiet bestehende
Rivalität als auch durch unaufhörliche, gehässiger Eifersucht entspringende
Hetzversuche der Londoner Presse sowie mancher direkt in englischem Solde
stehender amerikanischer Zeitungen erschwert.
Die Bedeutung der deutschamerikanischen Presse für das gesamte amerika-
nische Kulturleben läßt sich am besten daraus erkennen, daß im Jahre 1908 in
-P^
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den Vereinigten Staaten über 700 Zeitungen und Zeitsctiriften in deutscher
Sprache gedruclct wurden, darunter etwa 100 Tagesblätter, von denen mehrere
Auflagen von 25 000 bis 100 000 Exemplaren besitzen.
Unter den Zeitschritten überwiegen natürlich die gewerblichen Fach-
blätter. Die der Belletristik gewidmeten vermochten sich nach dem Auflcommen
der reich ausgestatteten und vielseitigen Sonntagsausgaben der großen Zei-
tungen nicht zu halten, zumal sie obendrein den Wettbewerb der amerikanischen
sowie der aus Deutschland eingeführten Wochen- und Monatsschriften ertragen
mußten.
An einzelnen eigenartigen Erscheinungen innerhalb der deutschamerika-
nischen Presse hat es nicht gefehlt. In erster Linie wäre das von dem Achtund-
vierziger Karl Heinzen im Jahre 1 854 in Louisville, Kentucky, gegründete
Wochenblatt, „Der Pionier'', zu erwähnen, eine Zeitschrift, die auf dem Felde
radikalen Denkens und rücksichtslosen Kämpfens gegen Dummheit und
Schlechtigkeit kaum jemals ihresgleichen hatte. Meinzen redigierte dieselbe
bis zu seinem im Jahre 1880 erfolgten Tode, worauf der „Pionier" mit dem in
Milwaukee erscheinenden, ähnliche Tendenzen verfolgenden „Freidenker", ver-
schmolzen wurde.
Außerordentlich weite Verbreitung fand seinerzeit auch der von Robert
S^e i t z e 1 in Detroit herausgegebene „Arme Teufel", eine Wochenschrift, die
es auf vierzehn Jahrgänge brachte. Sie war ungemein reich an in wahrhaft
klassischem Deutsch geschriebenen Vorträgen, Skizzen, Schilderungen und Dich-
tungen, an geistsprühenden Essays und Satiren. Nach dem Tode des gleich
Heinrich Heine die Welt von seinem Krankenlager, „Luginsland", aus beob-
achtenden Schriftstellers ging die Zeitung ein.
Es möge an dieser Stelle auch erwähnt werden, daß eine für die Entwick-
lung des Zeitungswesens in Amerika überaus wichtige Erfindung durch Deutsche
nach den Vereinigten Staaten übertragen wurde. Friedrich Gottlieb Keller und
Heinrich Voelter hatten in Deutschland die Entdeckung gemacht, daß aus zer-
malmten, in Brei verwandelten Holzfasern Papier hergestellt werden könne.
A. Pagenstecher, ein hervorragender Papierhändler in den Vereinigten
Staaten, ließ zwei der von Voelter erfundenen Holzmahlmaschinen in Curtisville
bei Stockton, Massachusetts, aufstellen. Der erste Holzbrei wurde damit im
März 1867 erzeugt. Eine nahebei gelegene Papiermühle versuchte aus diesem
Brei Papier zu bereiten. Dieser Versuch verlief so befriedigend, daß die Be-
sitzer der Mühle sofort einen Vertrag für die Lieferung alles von Pagen Stecher
erzeugten Holzbreis abschlössen. Es hielt anfangs schwer, die Papierfabri-
kanten für die neue Sache zu interessieren, da man keine Ahnung von dem
fabelhaften Aufschwung hatte, den infolge dieser Erfindung und der dadurch
ermöglichten Verbilligung der Papierpreise das Zeitungswesen nehmen würde.
— 445 —
Aber die Erkenntnis brach sich dann rasch Bahn und ermöglichte sowohl die
Verbilligung der Zeitungen wie die Herausgabe der großen täglichen Aus-
gaben, an welche niemand denken könnte, wenn man noch heute auf die alte
Art der Papierbereitung aus Lumpen angewiesen wäre.
Eine zweite, für das Zeitungswesen ebenso wichtige Erfindung verdankt
man dem am 10. Mai 1854 zu iMergentheim in Württemberg geborenen O 1 1 o -
mar Mergenthaler. Derselbe kam im Jahre 1872 nach Amerika, wo er
sich zuerst in Washington, später in Baltimore mit der Herstellung feiner elek-
trischer Instrumente und mit Entwürfen für eine Schriftsetzmaschine beschäftigte.
Die erste wurde im Jahre 1886 im Setzersaal der New Yorker „Tribüne*' auf-
gestellt, und bewährte sich als zeit- und arbeitskräftesparende Maschine so
außerordentlich, daß sie sowohl in Nordamerika wie in Europa und Austrahen
überall Eingang fand. Mit ihrer Herstellung befaßten sich in den Vereinigten
Staaten die „Mergenthaler Printing Company" und seit 1891 die „Mergenthaler
Linotype Company of New Jersey". Leider wurde dem am 28. Oktober 1899
in Baltimore verstorbenen Erfinder nicht der gebührende Lohn zuteil. Es er-
ging ihm, wie so vielen anderen, die durch das ausbeutende Kapital um den
verdienten klingenden Erfolg gebracht wurden.
Deutsche Gelehrte in den Vereinigten Staaten.
Bedürfte die „Internationalität der Wissenschaft" eines Beweises, so gibt
es keinen schlagenderen, als die überraschend große Zahl deutscher Gelehrter,
die an dem Aufbau und der Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens in den
Vereinigten Staaten beteiligt waren und noch beteiligt sind. Mit den Namen
solcher Männer, die hier in den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft tätig
waren und auf das Geistesleben des amerikanischen Volkes befruchtend wirkten,
könnte man Seiten füllen.
Den ersten in Amerika auftretenden Pionieren deutscher Wissenschaft,
Augustin Herrman, Johann Lederer, Franz Daniel
P a s t o r i u s und David Rittenhausen reihten sich im 18. und 19. Jahr-
hundert zahllose andere an, von denen viele in ihren speziellen Fächern Vortreff-
liches leisteten, ja, insofern Amerika in Betracht kommt, die Bahnbrecher waren.
Der erste Entomologe Amerikas war Friedrich Valentin Meis-
heim er (1749 bis 1814), ein lutherischer Pfarrer in Pennsylvanien. Er ver-
öffentlichte das erste Verzeichnis der im Osten der Vereinigten Staaten vorkom-
menden Insekten. Sein Bruder Friedrich Ernst Melsheimer schrieb
ein großes Werk über die Käfer Nordamerikas. Mitarbeiter an diesem Werk
Kopfleiste: Ludwig Johann Rudolf Agassiz.
— 447 —
war der Deutschpennsylvanier Samuel Haldeman, welcher sich später
durch ähnliche Werke über die Süßwassermollusken Amerikas auszeichnete.
Der erste Forscher, welcher die Fische der amerikanischen Gewässer
wissenschaftlich untersuchte, war der Regimentsarzt David S c h o e p f , der
mit den im britischen Heer dienenden deutschen Hilfstruppen nach Amerika
kam. Nach Beendigung des Kriegs blieb er noch ein Jahr im Lande, um die
in der Bai von New York vorkommenden Fische zu studieren, von welchen er
ein beschreibendes Verzeichnis lieferte.
Als erster deutschamerikanischer Botaniker gilt der lutherische Pastor
Gotthilf Heinrich Ernst Mühlenberg (1753 bis 1815). Er ver-
öffentlichte über die Flora Pennsylvaniens mehrere wichtige Werke. Der Arzt
Georg Engelmann, einer jener „lateinischen Farmer", die sich im Strom-
gebiet des Mississippi ansiedelten, beschrieb die noch unerforschte Flora des
Westens, wobei er weite Reisen durch Missouri, Arkansas, Louisiana und Texas
unternahm. Die Ergebnisse seiner mit größter Sorgfalt angestellten Studien
veröffentlichte er in zahlreichen Monographien und fachwissenschaftlichen Zeit-
schriften. Von bleibendem Wert sind seine Untersuchungen über die Struktur
der Kakteen, Euphorbien und Koniferen. Welchen Fleiß er entwickelte, ergibt
sich aus einem Verzeichnis seiner Schriften, von denen C. S. Sargent in der
„Botanical Gazette" vom. Mai 1884 nicht weniger als 112 aufzählte. Die Ge-
lehrtenwelt zollte dem verdienstvollen Forscher reiche Anerkennung. Seine
amerikanischen Fachgenossen setzten ihm ein dauerndes Denkmal, indem sie
außer mehreren neuen Pflanzengeschlechtern eine der herrlichsten Fichten der
Felsengebirge „Albis Engelm.anni" tauften.
Die Flora des Staates Texas wurde durch Ferdinand Jakob Lind-
heim er erschlossen, einen Studenten der Universität Jena, welcher vor den
Verfolgungen der reaktionären deutschen Regierungen nach Amerika geflohen
war. Er schlug seinen Wohnsitz in dem texanischen Städtchen Neu-Braunfels
auf, von wo er zahlreiche Forschungsreisen in die noch unbekannten Wildnisse
von Texas unternahm. Auch seinen Namen ehrten spätere Forscher, indem sie
ihn mehreren von Lindheimer entdeckten Pflanzen als Beinamen zufügten.
Ein Freund und Studiengenosse der beiden obengenannten, Friedrich
Adolf Wislizenus, erwarb sich große Verdienste um die Erforschung
der Flora und Geologie der Felsengebirge. Ferner machten sich die Deutsch-
amerikaner David von Schweinitz, Johann Nepomuk Neu-
mann, Wangen heim, Rafinesque, Menzel, Schott, Fried-
rich, Fendler, Salm, Römer, Creutzfeld, Bolander,
Geyer, Hilgard, Link, Kramer, Scheer, Poselger, Franser,
Berland, Hoffmannsegg, Schrank, Hopf, Heyder, Deppe,
Pfeiffer, Klotsch, Rothrock, Seubert, Hart weg, Kuhn,
Metzger, Horkel und andere als tüchtige Botaniker bekannt.
Gerhard Troost, ein Zögling der berühmten Bergschule zu Frei-
berg in Sachsen, gebührt der Ruhm, der erste Gelehrte gewesen zu sein, welcher
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in Amerika Vorlesungen über Geologie und Mineralogie hielt. Von 1810 bis
1827 wirkte er als Professor der Mineralogie am Museum zu Philadelphia. Er
war auch einer der Gründer und der erste Präsident der „Academy of Science''.
Später siedelte er nach Nashville in Tennessee über und bekleidete den Posten
eines Staatsgeologen. Er soll der Erste gewesen sein, welcher seine Wissen-
schaft praktisch verwertete, indem er auf Kap Sable in Maryland eine chemische
Fabrik, die erste in den Vereinigten Staaten, anlegte.
Sein Berufsgenosse Karl Rominger erforschte als Staatsgeologe von
Michigan in jahrelangen Wandrungen beide Halbinseln jenes Staates. Sein
vier stattliche Bände umfassender Bericht erschien in den Jahren 1873 bis 1881.
Seinem ganzen Entwicklungsgang nach gehört auch der im Jahre 1807
im schweizerischen Kanton Freiburg geborene Naturforscher Ludwig Jo-
hann Rudolf Agassiz zu den Deutschamerikanern. Erhielt er doch
seine wissenschaftliche Ausbildung auf den Universitäten Zürich, Heidelberg
und München, sowie als Schüler und Mitarbeiter der berühmten deutschen Ge-
lehrten Oken, Schelling, Döllinger, Spix und Martins. Von letzterem wurde er
mit der Beschreibung der Fische für sein großes südamerikanisches Reisewerk
betraut. Agassiz' Name hatte in der Gelehrtenwelt bereits einen guten Klang,
als er im Jahre 1846 im Auftrag des Königs von Preußen die Vereinigten
Staaten besuchte. Seine hier gehaltenen Vorträge machten so tiefen Eindruck,
daß die Harvard-Universität ihm die Professur für Zoologie und Geologie an-
bot. Er nahm dieselbe an und bekleidete sie bis 1873. Der Staat Massachusetts
unterstützte seine Bestrebungen, indem er die Mittel zur Gründung des groß-
artigen Naturgeschichtlichen Museums zu Cambridge bewilligte, welches über-
raschend schnell zum wichtigsten Amerikas emporblühte. Agassiz war un-
ermüdlich tätig. Nach zahlreichen Forschungsreisen durch Nordamerika unter-
nahm er im Jahre 1 865 eine großartige Expedition in das Gebiet des Amazonen-
stroms. Dieser folgte später eine zweite zum Golf von Mexiko und den kali-
fornischen Küstengewässern, wobei er, von zahlreichen Assistenten unterstützt,
ausgedehnte Tiefseeforschungen ausführte. Die ungemein reichen Ergebnisse
dieser Expedition veröffentlichte Agassiz in viel gelesenen Werken, von denen
mehrere, wie z. B. „A Journey in BraziF' zahlreiche Auflagen erlebten.
Eines der größten Verdienste Agassiz' besteht darin, daß er das Interesse
des Amerikanertums für naturwissenschaftliche Forschungen mächtig belebte.
Seine Darstellungsweise in Wort wie in Schrift nahm unwiderstehlich gefangen
und begeisterte Leser und Hörer zu ansehnlichen Opfern. So empfing Agassiz
die Mittel zur Anlage einer Station zur Beobachtung der Meeresfauna von einem
reichen New Yorker, der ihm zu diesem Zweck 50 000 Dollar sowie die an der
Ostküste gelegene Insel Penikese schenkte. Ein anderer Gönner stiftete für den
gleichen Zweck eine mit allen Hilfsmitteln zur Tiefseeforschung ausgerüstete Jacht.
Einen hervorragenden Mitarbeiter besaß Agassiz in dem mit ihm nach
Amerika übersiedelten Grafen Ludwig Franz von Pourtales (geb.
1823 in Neuchatel). Derselbe war, wie in einer Biographie des Grafen hervor-
— 449 —
gehoben wird, „in der Jugend Agassiz' Lieblingsschüler, während des langen
wirksamen Lebens sein treuer Freund und Genosse, und die Stütze seiner im
Alter nachlassenden Kraft."
Nach Agassiz' Tode übernahm Pourtales auch die Leitung des Natur-
historischen Museums und stand demselben bis zu seinem eigenen Ableben vor.
Pourtales' Andenken lebt in der Wissenschaft als das eines der ersten Pioniere
der Tiefseeforschung. Hauptsächlich widmete er sich der wissenschaftlichen
Begründung des Golfstroms und seines erstaunlich reichen Lebens.
Agassiz' Sohn Alexander, geboren 1835 in Neuchatel, steht dem
Zoologischen Museum zu Cambridge seit 1902 vor. Die von seinem Vater in
Südamerika begonnenen wissenschafüichen Forschungen setzte er in erfolg-
reichster Weise fort. Sein Werk „Explorations of Lake Titicaca" machte ihn in
weiten Kreisen bekannt.
Mehrere deutsche Gelehrte beteiligten sich auch an den von der ameri-
kanischen Regierung ausgesendeten Forschungsexpeditionen und bearbeiteten
die wissenschaftlichen Ergebnisse derselben. Unter ihnen finden wir den Stutt-
garter Arthur Schott, den Heidelberger Emil Bessels und andere.
Schott gehörte jener wissenschaftlichen Kommission an, welche im Jahre 1852
die Vermessung der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko
vornahm. Bessels war wissenschaftlicher Leiter der berühmten „Polaris-Expe-
dition" unter Charles Francis Hall, welche im Jahre 1871 durch den Smith
Sund und den Kennedy-Kanal in völlig unbekannte arktische Gebiete führte.
Nach dem Tode Halls und dem Untergang der „Polaris" rettete Bessels einen
Teil der Mannschaften sowie die wissenschaftlichen Aufzeichnungen auf eine
mächtige Eisscholle, von welcher die Schiffbrüchigen nach einer 196tägigen
schrecklichen Reise von dem Dampfer „Tigress" aufgenommen wurden. Eine
zweite, im Auftrag der Regierung unternommene Expedition, welcher Bessels
wiederum als wissenschaftlicher Leiter vorstand, scheiterte an der Küste von
Vancouver Island. Bessels Hauptwerk bildet das drei Bände umfassende Buch
über die Polaris-Expedition.
Die neueste Zeit konnte den Namen dieser Pioniere der Naturwissenschaft
zahlreiche andere hinzufügen, wie z. B. diejenigen des Paläontologen T i m o -
t h ä u s C o n r a d , des Biologen Georg Eugen Beyer, des Ornitologen
Franz Nehrling, der Zoologen Karl H. Eigenmann, Arnold
Ortmann, der Entomologen Georg H. Hörn, E. A. Schwarz,
Otto Lugger, Hermann von Bahr, Hermann Strecker,
A. Hagen, William Beute nmüller, Henry Ulke, der
Geologen Eugen Waldemar Hilgard, Georg Ferdinand
Becker, Karl Schuckert, Rudolf Rüde mann und George
Frederick Kunz. Der letzte lieferte in seinem Buch „Gems and precious
stones of North America" die erste Übersicht über die Edelsteine Nordamerikas.
Im Jahre 1906 schuf er in seinen, in nur 100 Exemplaren gedruckten „Investi-
gations and Studies in Jade" ein Monumentalwerk von ungewöhnlicher Kost-
Cronau, Deutsches Leben in Amerika. 29
— 450 —
barkeit. Es enthält eine mit zahlreichen Farbentafeln und Radierungen ge-
schmückte Beschreibung der herrlichen Jadeit-Sammlung, die von dem Ameri-
kaner H. Bishop in vielen Jahren zusammengebracht vv^urde und sich jetzt im
Besitz des „Naturhistorischen Museums der Stadt New York" befindet. Ein
drittes von Kunz verfaßtes, ungemein reich ausgestattetes Werk ist das im Jahre
1908 in Nev/ York erschienene „Book of the Pearl".
Auch auf den weiten Gebieten der Altertums- und Völkerkunde leisteten
deutschamerikanische Gelehrte Bedeutendes. Als Archäologen machten sich
Philipp Valentini, Karl Hermann Berendt, G'.istavBrühl
und der lange Jahre mit dem „Smithsonian Institute" zu Washington verbundene
Karl R a u bekannt.
Auch der Name des im Jahre 1840 zu Bern geborenen Adolf Franz
B a n d e 1 i e r hat einen ausgezeichneten Klang. Im Auftrag des „Archäolo-
gischen Instituts von Amerika" und des „Naturgeschichtlichen Museums zu
New York" durchforschte Bandelier jahrzehntelang Neu-Mexiko, Arizona,
Mexiko, Zentralamerika, Peru und Bolivia. Seine dabei gewonnenen Beobachtungen
und Schlüsse führten förmliche Umwälzungen in den die ältere Geschichte jener
Länder betreffenden Anschauungen herbei.
Auf dem von Bandelier mit so großem Glück bearbeiteten Gebiete ist
auch der 1856 in Dresden geborene, später an der Universität von Kalifornien
und jetzt als Direktor des Museums zu Lima, Peru, angestellte Archäologe
Friedrich MaxUhle tätig. Seinem Eifer verdankt die Wissenschaft gleich-
falls manche neue Aufschlüsse. Uhle lieferte den Text zu dem großen, in
Deutschland veröffentlichten Prachtwerk „Kultur und Industrie südamerika-
nischer Völker nach den im Besitz des Museums für Völkerkunde zu Leipzig be-
findlichen Sammlungen", Berlin 1887; desgleichen beteiligte er sich an dem Monu-
mentalwerk A. Stübels über „Die Ruinenstätte von Tiahuanaco", Breslau 1892.
Mit dem Studium der lebenden Indianer befaßten sich als erste bereits
im 18. Jahrhundert die Herrnhuter Missionäre David Zeisberger und
Johann Hecke weider. Ihre Aufzeichnungen über die Stämme im oberen
Stromgebiet des Ohio sind für den Freund der Völkerkunde wahre Fundgruben.
Dasselbe läßt sich von den Werken des katholischen Missionars Friedrich
Baraga sagen, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter den Otta-
was, Pottawatomies und Chippewas lebte und außer Lehr- und Wörterbüchern
der Sprachen jener Stämme eine wertvolle Darstellung ihrer Sitten und Ge-
bräuche hinterließ.
Dem im Jahre 1809 in Dresden geborenen, in New York verstorbenen Advo-
katen Hermann Ernst Ludewig verdankt man das großartig angelegte
bibliographische Werk „The Literature of American Aboriginal Languages". Mit
Zusätzen des Professors M. W. Turner in Washington versehen, erschien es nach
dem Tode Ludewigs 1858 in London. Das Buch enthält literarische Nachweise
über die Geschichte, Sprache, Religion und Sitten von mehr als tausend In-
dianerstämmen.
— 451 —
Die größte Anerkennung für seine Leistungen auf dem Gebiet der ameri-
kanischen Linguistik gebührt aber dem 1832 im Kanton Bern geborenen
Albert S. Gatschet, welcher viele Jahre mit dem in Washington begrün-
deten „Bureau of American Ethnology'' verbunden war und als der bedeutendste
Kenner nordamerikanischer Indianersprachen galt.
Gleichfalls auf linguistischem und ethnologischem Gebiet betätigte sich
der im Jahre 1858 in Minden geborene Franz Boas. Nachdem er sich zu-
erst durch ausgedehnte Forschungen unter den Eskimos von Baffin Land vor-
teilhaft bekannt gemacht hatte, verlieh er später als Urheber und Leiter der vom
„Naturhistorischen Museum der Stadt New York" ausgerüsteten „Jesup-Expe-
dition" seinem Namen einen Klang, der in der Geschichte der ethnographischen
Forschung nie verhallen wird. Jene, im Frühling 1897 anhebenden, eine Reihe
von Jahren hindurch fortgesetzten Expeditionen verfolgten den Zweck, die so
wichtige Frage der Beziehungen zwischen den Ureinwohnern Asiens und Ame-
rikas ihrer Lösung näherzubringen. Die außerordentlich reichen Ergebnisse
dieser von Professor Boas, Harlan Smith, James Teit, Gerhard Fowke und
Livingstone Farrand an der Nordwestküste Nordamerikas, von Waldemar
Bogoras, W. Jochelsen und L. Sternberg in Sibirien, und von Berthold Läufer
am Amur und in China ausgeführten Forschungsreisen sind in zahlreichen, vom
„Naturhistorischen Museum zu New York" veröffentlichten Monographien
niedergelegt. Insgesamt bilden diese ein stolzes Monumentalwerk, wie deren
die amerikanische Wissenschaft nur wenige aufzuweisen hat.
Von den Schülern Boas' tat sich der Deutschamerikaner Alfred
L. Kroeber durch gediegene Arbeiten über verschiedene Indianerstämme,
besonders diejenigen Kaliforniens, hervor.
William S. H o f f m a n n , ein Deutschpennsylvanier, schrieb wert-
volle Monographien über die Menomoni-Indianer und die bildlichen Darstel-
lungen der Eskimo. Beide Werke kamen in den Jahrbüchern des „Bureau of
American Ethnology" und des „Smithsonian Institute" zum Abdruck.
Als wissenschaftlicher Leiter der im Jahre 1888 von der Universität von
Pennsylvanien veranstalteten Expedition nach Babylonien, die bei der Auf-
deckung der Ruinen von Nippur so glänzende Ergebnisse erzielte, machte sich
Hermann V. Hilprecht bekannt.
Für hervorragende Leistungen auf staatswissenschaftlichem Gebiet sind
die Vereinigten Staaten in erster Linie dem am 15. März 1798 in Berlin geborenen
Franz Lieber zu tiefstem Dank verpflichtet. Dieser in jeder Beziehung un-
gewöhnliche Mann ging gleich vielen anderen jungen Gelehrten seinem Vater-
lande durch die Verfolgungen der reaktionären deutschen Regierungen verloren.
Er kam am 20. Juni 1827 in New York an, von wo er sich nach Boston wandte.
Seine erste größere literarische Arbeit bestand in der Herausgabe der „Encyclo-
paedia Americana", eines dreizehn Bände umfassenden amerikanischen Konver-
sationslexikons, dem das berühmte in Leipzig herausgegebene Brockhaussche
Konversationslexikon zugrunde lag. Die Arbeit war eine sehr umfangreiche, da
29*
— 452
viele nur den deutschen Leser interessierende Abschnitte gekürzt oder aus-
gelassen und ebenso viele amerikanische Artikel neu geschrieben und eingefügt
werden mußten. Daß dabei ein starker Hauch deutschen Geistes in dieses Werk
und durch dasselbe in das Amerikanertum hinein wehte, kann nicht be-
stritten werden.
Im Jahre 1835 erhielt Lieber einen Ruf als Professor der Geschichte und
Volkswirtschaft an die Hochschule zu Columbia in Südkarolina. Hier lehrte er
zwei Dezennien lang.
^'^^^ '"'''^ Wr • ' ^^^^ Als er wegen seiner
offen bekundeten Ab-
neigung gegen die
Sklaverei diese Stelle
verlor, folgte er im
Jahre 1857 einem Ruf
an das „Columbia Col-
lege" der Stadt New
York, wo er bis zu
seinem im Jahre 1872
erfolgenden Tode eine
Professur für Ge-
schichte, Nationalöko-
nomie und politische
Wissenschaften beklei-
dete.
Liebers große
Werke entstanden in
Südkarolina. Als erstes
erschien im Jahre 1838
das „Manual of Politi-
cal Ethics", ein Hand-
buch der politischen
Sittenlehre, welches der
berühmte Jurist Story
als die bei weitem voll-
ständigste und beste
Abhandlung bezeichnete, die je über die Formen und Zwecke einer Regierung
geschrieben worden sei.
Lieber verwirft in diesem Buch die Lehre vom Gottesgnadentum der
Herrscher als eine unchristliche und unmoralische. Sie zu verbreiten, sei posi-
tives Unrecht. Dem Menschen sei der Begriff von Recht und Unrecht von Gott
eingegeben. Es sei daher Aufgabe der reinen oder abstrakten Sittenlehre, die
Pflichten des Menschen gegen sich selbst und seinen Schöpfer sowie die daraus
entstehenden Rechte festzustellen. Wenn dies geschehen, so wäre es Aufgabe
Franz Lieber.
— 453 —
der praktischen Staatswissenschaft, zu lehren, wie diese Rechte am besten ge-
sichert werden könnten. Den Begriff „Staat" erklärt Lieber dahin, derselbe sei
eine Rechtsgemeinschaft oder Rechtsgesellschaft. Wie die Liebe das Grund-
prinzip der Familie und der Glaube das Grundprinzip der Kirche bilde, so sei
dasjenige des Staates das Recht. Die Souveränität des Staates beruhe in der
Gesellschaft. Diese stelle den Gesamtwillen und die Gesamtkraft dar. Eine
Ansiedlerkolonie auf einer Südseeinsel, abgesondert von jeder anderen mensch-
lichen Gesellschaft, besitze ebensowohl Souveränität wie irgendein anderes Volk
und könne mit demselben Recht Einrichtungen treffen und Gerichtsbarkeit aus-
üben. Die Aufgabe des Staates bestehe in der Förderung der jeweilig erlaubten
Lebenszwecke des Volkes, und zwar vom einzelnen bis zur Gesellschaft. Weiter
verbreitet sich Lieber über die ethischen und philosophischen Grundlagen des
Staates, die öffentliche Meinung, die Vereine und Gesellschaften, die poUtischen
Parteien, das Stimmrecht, die Preßfreiheit, die Stellung der Frauen, die Pflichten
der Volksvertreter, Richter und Beamten, über Patriotismus, friedliche Opposi-
tion und Revolution, Demagogie und viele andere Themata. Die Grundnote
des Buches lautet: „Kein Recht ohne Pflichten, keine Pflichten ohne Rechte!"
Liebers zweites bedeutendes Buch erschien im Jahre 1839 unter dem Titel
„Legal and Political Hermeneutics", Grundsätze zur Auslegung der bürger-
lichen und politischen Gesetze. Bei der Besprechung dieser Themata entwickelte
Lieber viele neue, überraschende Gedanken. Der Buchstabenvergötterung durch-
aus abhold, bestand er darauf, daß der einem Schriftstück, einer Urkunde inne-
wohnende wahre Sinn für die Auslegung maßgebend sein solle Nur wo es
sich um die Rechte des einzelnen gegenüber der Gesamtheit handle, wie beson-
ders in der Strafgesetzgebung, sei peinlich genaue Auslegung am Platze. Zur
Begründung seiner Ansicht gibt Lieber viele praktische, auf vorkommende
Fälle anwendbare Regeln.
Im Jahre 1853 vollendete Lieber sein drittes großes Werk: „On Civil Li-
berty and Self-Government", „Über bürgerliche Freiheit und Selbstregierung*'.
Dasselbe stellt sich die Aufgabe, durch Vergleich der in England, Frankreich und
anderen Ländern gültigen Freiheitsbegriffe nachzuweisen, welche Vorbedin-
gungen, Maßnahmen und Einrichtungen zur Erzielung und dauernden Begrün-
dung gesetzlicher bürgerlicher Freiheit notwendig seien. Lieber bezeichnet
die amerikanische Freiheit als eine Fortsetzung, zugleich aber auch als eine be-
deutende Erweiterung der englischen Freiheit. Dabei behandelt er sehr ein-
gehend die die Grundlagen der englischen und amerikanischen Freiheit bildenden
Einrichtungen, das Geschworenensystem, die repräsentative Regierung, das
Common Law, die Selbstbesteuerung, die Unterordnung der bewaffneten Macht
unter die Gesetzgebung, die republikanische Bundesordnung, die Trennung
von Staat und Kirche, die gesetzgebenden Körperschaften, die Wahl der Be-
amten, die Verfassungsurkunden, das Bürgerrecht und vieles andere mehr.
Der Einfluß, den Lieber durch diese Werke auf das gebildete und gelehrte
Amerikanertum ausübte, war ungeheuer. Besonders da viele Professoren, welche
— 454 —
an den amerikanischen Universitäten über Staats- und Rechtswissenschaft unter-
richteten, ihren Studenten die Werke Liebers als Lehrbücher verordneten. Aber
auch nach andrer Richtung hin übte Lieber nachhaltigen Einfluß auf die stu-
dierende Jugend. Der Einladung folgend, vor den Studenten der Miami-
Universität eine Ansprache zu halten, schrieb er im Jahre 1846 die kurze Ab-
handlung „The Character of the Gentleman'', ein Essay, von v^elchem Professor
Hatfield von der Northwestern University sagte, „es verdiene, mit goldenen
Buchstaben gedruckt zu werden".
Daß der rege Geist Liebers auch zu den wichtigen Fragen Stellung nahm,
die zur Zeit des Bürgerkriegs das ganze Land bewegten, bedarf kaum der Be-
tonung. Seine Flugschriften „Lincoln or McClellan"; ,,No party now, all for
our Country"; „Slavery Plantations and the Yeomanry" usw., in denen er die
unbedingte Aufrechterhaltung der Union, die kräftige Unterstützung der Bundes-
regierung sowie die Abschaffung der Sklaverei forderte, fanden durch die „Loyal
Publication Society" weite Verbreitung.
Auf Anregung des Präsidenten Lincoln verfaßte er ferner „Instructions
for the Government of Armies of the United States in the field". Dieselben
wurden vom Kriegsministerium gedruckt und als „Generalbefehl No. 100" allen
Stabsoffizieren als Richtschnur zugestellt. Sie bilden die erste Kodifizierung
des humanen Kriegsrechts. Aus ihm schöpfte Bluntschli den großen Gedanken,
das ganze moderne Völkerrecht in bestimmte Formen zu bringen. Im Jahre
1867 schrieb Lieber das derselben Idee dienende Werkchen „Nationalismus und
Intemationahsmus". Er schließt mit den Worten: „Die zivilisierten Nationen
sind dahin gekommen, eine Völkergemeinschaft zu bilden, in den Schranken
und unter dem Schutz des Vigore Divino herrschenden Völkerrechts. Sie ziehen
den Streitwagen der Zivilisation nebeneinander, wie im Altertum die Rosse den
Siegeswagen zogen "
Noch als TOjähriger Greis beschäftigte Lieber sich mit einem großen Werk
über den Ursprung und die Grundzüge der Verfassung der Vereinigten Staaten.
Es blieb unvollendet, denn am 2. Oktober 1872 wurde er mitten in dieser Arbeit
vom Tode abberufen.
Liebers hohe Bedeutung ergibt sich am klarsten aus den begeisterten Ur-
teilen seiner gleiche Bahnen wandelnden Berufs- und Zeitgenossen. Andrew
D. White, damals Präsident der Cornell-Universität zu Ithaka, nannte ihn „einen
Staatsphilosophen der edelsten Art". Englische Kritiker stellten ihn Montesquieu
zur Seite; Holtzendorff bezeichnete ihn als „einen Höhepunkt poh tischer Welt-
bildung, in welchem alle Geisteskräfte altklassischer KuHur, italienischer Kunst-
sinnigkeit, deutscher Wissenschaft, englischer Freiheitsliebe und amerikanischer
Unabhängigkeit zur Einheit verschmolzen waren". Er habe das seltene Bild
eines auf allen Stufen seines Lebens rein erhaltenen Charakters dargeboten,
dessen Wirken in der Pflege der höchsten sittlichen Interessen innerhalb der
Rechtsformen des modernen politischen Lebens bestand. Und Professor
J. T. Hatfield von der Northwestern -Universität zu Evanston, Illinois, schrieb:
— 455 ~
„Der Einfluß dieses großen Deutschen ist für mehr denn eine Generation des
jungen Amerikanertums von unschätzbarem Wert gewesen. Lieber muß als
der Begründer der politischen Wissenschaften in den Vereinigten Staaten be-
trachtet werden, als der Mann, welcher das feste Fundament legte, auf dem alle
künftigen Geschlechter sicher bauen können. Er verband tiefes philosophisches
Denken mit praktischem Sinn. Als Theoretiker war er ein Deutscher; an poli-
tischer Weisheit ein Engländer; im Herzen und im Leben aber durch und durch
Amerikaner im vollsten Sinne des Worts."
Liebers Sohn, Norman, geboren 1837 in Columbia, Südcolumbia, lebt
seit vielen Jahren als juristischer Berater des Kriegsministeriums zu Washington.
Er ist Urheber der wichtigen Werke: „The use of the army in the aid of the
civil power'^ und „Remarks on the Army Regulations", welche gewissermaßen
Fortsetzungen der von seinem Vater stammenden „Instructions" bilden.
Das von Lieber geplante Werk über die Verfassung der Vereinigten
Staaten wurde später von dem L")eutschlivländer Hermann Eduard von
Holst, einem ehemaligen Professor der Universität zu Strasburg und Frei-
burg, geschrieben. Derselbe lehrte zuerst an der Johns Hopkins -Universität
zu Baltimore, später an der Universität zu Chicago. Seine Hauptwerke sind
„Verfassung und Demokratie der Vereinigten Staaten von Nordamerika" und
„The Constitutional Law of the United States of America". Das erstgenannte
Werk erschien in englischer Übersetzung unter dem Titel „Political History of
the United States, 1750 bis 1833" (5 Bände, Chicago, 1876 bis 1885).
Einem anderen Deutschen, Karl Gustav Rümelin, verdanken wir
das bedeutende Buch „Treatise on Politics as a Science", welches im Jahre
1875 in Cincinnati erschien.
Bedeutende nationalökonomische Werke schrieben Friedrich List
(„Outlines of a new System of Political Economy", Philadelphia 1827); ferner
Johann Tellkampf („Political Economy", 1840). Im Verein mit seinem
Bruder, dem Mediziner Theodor Tellkampf, veröffentlichte Johann Teilkampf
ein wertvolles Werk („Über die Besserungsgefängnisse in Nordamerika und
England", Berlin 1844). In neuerer Zeit wirkten auf nationalökonomischem
Gebiet der in New York geborene E. R. Seligman, Professor an der
Columbia -Universität zu New York, und der in St. Louis geborene Frank
William T a u s s i g an der Harvard- Universität. Der letzte ließ die Werke
„Wages and Capital", „Tariff History of the United States" und „The Silver
Situation in the United States" erscheinen.
Unter den sehr zahlreichen Theologen deutscher Abstammung war be-
sonders ErnstLudwigHazeliusein eifriger Forscher. Er schrieb eine
vier Bände umfassende „Church History" (New York 1820 bis 1824); sowie
eine „History of the American Lutherian Church, from its commencement in
1865 to 1842" (Zanesville, Ohio, 1846), welche einen äußerst wichtigen Beitrag
zur Geschichte des Deutschtums in den Vereinigten Staaten bildet.
Philipp Schaff verfaßte die Werke : „The Principles of Protestan-
— 456 —
tism", 1845; „America, its political, social and religious character*\ 1855;
„History of Ancient Christianity'', 1860; „Slavery and the Bible" und
andere mehr.
Zu den bedeutenderen theologischen Schriftstellern zählenfernerW i 1 h e 1 m
Nast, Maximilian Örtel, S. S. Schmucker, L. F. Walther
und manche andere.
Ein sehr fruchtbarer Gelehrter war auch der Deutschösterreicher Franz
Joseph Grund, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Professor
der Mathematik an der Universität Harvard lehrte. Außer verschiedenen Lehr-
büchern schrieb er „The Americans in their social, moral and political relations'',
1837; ferner „Aristocracy in America", 1839.
Unter den in den Vereinigten Staaten wirkenden deutschen Philologen
waren zunächst GeorgAdler (geboren 1821 in Leipzig) und Alexander
Jakob Schem (geboren 1826 in Wiedenbrück, Westfalen) von Bedeutung.
Der erste war Professor der deutschen Sprache an der Universität zu New York.
Außer zahlreichen treffhchen Lehrbüchern verfaßte er ein großes Wörterbuch
der englischen und deutschen Sprache. Schem betätigte sich besonders als
Enzyklopädist. Außer vielen Beiträgen für verschiedene amerikanische Sammel-
werke verfaßte er ein „Deutsch-Amerikanisches Konversationslexikon", welches
1873 in elf großen Bänden erschien und durch seine vielen Angaben über her-
vorragende deutschamerikanische Persönlichkeiten und deren Leistungen beson-
ders für die Geschichte des deutschen Elements in den Vereinigten Staaten von
Wert ist.
Nach Hunderten zählen die hervorragenden deutschen und deutschamerika-
nischen Gelehrten, welche als Philologen, Philosophen, Mathematiker, Chemiker
oder in anderen Fächern an amerikanischen LIniversitäten wirkten und noch
wirken. Manche gewannen durch ihre Erfolge und fachwissenschaftlichen
Werke angesehene Namen. Ich nenne beispielsweise Karl Folien, Karl
Beck, Georg Blättermann, Oswald S ei den st i cker , Jo-
hann Lutz, Maximilian Schele, Johann M. Schäberle,
Isaak Nordheimer, Bernhard Rölker, Karl Günther
von Jagemann, August Friedrich Ernst, Wilhelm Baer,
Karl Raddatz, Karl Kreutzer, Louis Agricola Bauer,
H. G. Brandt, F. A. Rauch, Hermann Collitz, Albert
Faust, Oskar Bolza, Adolf Gerber, Julius Göbel,
Georg Hench, A. R. Hohlfeld, J. Hanno Deiler, Her-
mann Schönfeld, Ludwig und Bernhard Steiner, Wilhelm
Rosenstengel, Otto Heller, Heinrich Raab, Gustav
Karsten, H. K. Becker, Kuno Francke, Hugo Münsterberg
und manche andere.
Unter den von diesen Gelehrten verfaßten Werken sind Maximilian
S c h e 1 e s „Romance of American History" ; Kuno Franckes „Social
Forces in German Literature"; desselben Verfassers „History of German Litera-
— 457 —
ture" sowie Münsterbergs „American traits from ttie point of view of a
German"; „Die Amerikaner' und „Aus Deutsch-Amerika" hervorzuheben.
Eines der Hauptverdienste der in Amerika wirkenden deutschen Gelehrten
besteht unstreitig darin, daß sie in das wissenschaftliche Leben Amerikas
deutschen Ernst und deutsche Gründlichkeit einführten, zwei Dinge, die für
die wahre Wissenschaft so unendlich viel bedeuten. „Deutsche Gründlichkeit",
sa sagte Professor Ira Remsen, Präsident der John Hopkins-Universität zu
Baltimore, „ist ein oft gebrauchter Ausdruck. Für den Gelehrten bedeutet er
viel. Welche andere Eigenschaften Gelehrsamkeit immer haben mag, so zählen
sie doch wenig ohne Gründlichkeit. Fragte man mich, was amerikanische
Wissenschaft Deutschland in erster Linie verdankt, so würde ich ohne Zögern
antworten, daß es mehr als alles andere die Tugend der Gründlichkeit sei."
Ist der Anteil der in die Vereinigten Staaten eingewanderten deutschen
Gelehrten an dem Aufbau und der Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens
Amerikas zweifellos ein ungeheurer, so ist damit aber der Einfluß der deutschen
Wissenschaft auf die amerikanische bei weitem nicht erschöpft.
Die zündenden Funken aus den Schriften Fichtes, Kants, Schellings,
Goethes, Schillers, Humboldts fanden ihren Weg über den Ozean und regten
Tausende von begeisterten amerikanischen Studenten zu Reisen nach Deutschland
an, um auf den dortigen Universitäten ihre Ausbildung zu vollenden. Zu den
ersten, die sich zu solchen Studienreisen entschlossen, gehören die Historiker
George Bancroft und George Ticknor. Der erste zählte zu den Schülern
des berühmten Geschichtsprofessors Arnold Ludwig Heeren in Göttingen, der
zweite zu den Schülern Beneckes.
Zur gleichen Zeit besuchten Everett, Woolsey, Feiton, Lowell, Motley,
Longfellow deutsche Hochschulen. Die Aufsätze, welche sie über Land, Volk,
Erziehungswesen und deutsche Literatur in amerikanischen Monatsschriften ver-
öffentlichten, sowie der Charakter vieler ihrer größeren Werke bekunden, wie
tief sie aus dem Quell deutschen Geisteslebens schöpften.
Andere junge Amerikaner saßen zu Füßen der großen Gelehrten von
Guericke, Siemens, Bunsen, Liebig, Wöhler, Fresenius, Gauß, Weber, Helm-
holtz, Clausius, WoUny, Fraunhofer, Hellriegel, Ostwald, Sachs, Grimm, Werner,
von Buch, Virchow, Häckel, Röntgen und Koch, um später die dem Geist, der
Freiheit und dem Wesen der deutschen Wissenschaft entsprossenen Edelreise
in die eigene Heimat zu übertragen.^)
Welche Summe von Anregungen die amerikanische Wissenschaft durch
den Austausch und Bezug wissenschaftlicher Fachliteratur aus Deutschland
empfing, läßt sich wohl ahnen, aber nicht in irgendeiner Form feststellen.
^) Durchschnittlich belief sich die Zahl der an deutschen Universitäten studierenden
Amerikaner während der letzten Jahrzehnte auf 300 bis 500 pro Jahr.
Der Einfluß des deutschen Ärztetums auf die
amerikanische Heilkunde.
Für die Einwandrung deutscher Ärzte in Amerika lassen sich zwei
Hauptperioden unterscheiden: der Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges und
das Jahr 1848. Sämtliche Regimenter deutscher Hilfstruppen, die während
des Unabhängigkeitskriegs von den Briten und Franzosen nach Nordamerika
gebracht wurden, waren von tüchtigen deutschen Ärzten und Chirurgen
begleitet. Viele derselben lernten während ihres jahrelangen Verweilens Land
und Leute so lieben, daß sie nach Beendigung der Feldzüge entweder in das
amerikanische Heer eintraten oder sich in den Städten niederließen, wo die
meisten infolge ihrer Geschicklichkeit rasch das Vertrauen der Bevölkerung ge-
wannen. Einzelne in so hohem Grade, daß ihr Andenken sich für Generationen
erhielt. So wurde beispielsweise erst vor wenigen Jahren in Schenectady, New
York, dem Gedächtnis des deutschen Arztes von Spitzer, dem Generalarzt
bei den revolutionären Streitkräften der Kolonie New York, ein Denkmal gesetzt.
Ein anderer berühmter deutscher Arzt war der Preuße C. F. Wiesen-
t h a 1. Er soll eine Zeitlang Leibarzt Friedrichs des Großen gewesen sein. Im
Jahre 1776 stand er als Oberstabsarzt bei den Truppen von Maryland. Später
gründete er in Baltimore die „Medizinische Schule des Staates Maryland". Die-
selbe wurde von seinem Sohne Andrew fortgeführt, bis sie von der medizinischen
Fakultät der Universität von Maryland abgelöst wurde.
An der Spitze dieser Fakultät standen gleichfalls mehrere hervorragende
deutsche Gelehrte : Johann Thomas Schaaf, Jakob Schnively
und Peter Walt z. Samuel Becker war der Begründer der medizini-
schen Bibliothek, während Jakob Baer, C.H. Ohr, W. H. Kemp,
Miltenburger, Rohe, Diffenderfer, Humrickhausen und
Neuheuser oder N i h i s e r der Fakultät als Präsidenten und Vizepräsi-
denten vorstanden.
Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts genossen ferner die
deutschpennsylvanischen Familien entsprossenen Mediziner, Chirurgen und
Anatomen Joseph Leidy, William Pepper, Samuel Groß,
Kaspar Wistar, Eberle und Adam Kuhn großen Ruf. Sie be-
kleideten Professuren an den hervon-agendsten Universitäten Amerikas, machten
— 459 —
sich aber außerdem durch zahlreiche vortreffliche fachwissenschaftliche Werke
verdient.
Manche deutsche Ärzte trugen auch als Gründer gelehrter Gesellschaften
und bedeutender Hospitäler zu der glänzenden Entwicklung der Medizin und
Chirurgie in Amerika bei. Der bereits erwähnte Professor Johann Thomas
S c h a a f von der medizinischen Fakultät der Universität von Maryland rief im
Jahre 1819 die „Medical Society'' des Distrikts Columbia ins Leben. Aloys
Lützenburg war Gründer und erster Präsident der „Medical Society of
Louisiana". Desgleichen stiftete er das zu großem Ruf gelangende „Lützenburg-
Hospital" in New Orleans. Konstantin Hering schuf die „Homöo-
pathische Lehranstalt zu Allentown, Pennsylvanien.
Julius Reinhold Friedländer, geboren 1 802 in Berlin, er-
öffnete im Jahre 1834 in Philadelphia die erste Blindenanstalt, die später in eine
Staatsanstalt umgewandelt wurde und unter seiner bis zum Jahre 1840 wäh-
renden Leitung zu einer Musteranstalt für die ganzen Vereinigten Staaten
emporblühte.
In ähnlicher Weise betätigten sich zahlreiche jener medizinischen Paladine,
die infolge der verunglückten deutschen Freiheitsbewegung des Jahres 1848
nach Amerika getrieben wurden. Unter ihnen waren Ernst Krako-
witzer,von Roth, Abraham Jacobi, von Hammer, Noege-
rath, Althaus, Vogt, Roeßler, Krehbiel und Joseph
Schnetterdie bedeutendsten. Krakowitzer, einer der fähigsten Chirurgen der
Universität zu Wien, gründete mit Jacobi in New York das „Deutsche Dispen-
sary". In Gemeinschaft mit von Roth und Herczka veröffentlichte er auch die
„New Yorker medizinische Monatsschrif t", das erste in deut-
scher Sprache gedruckte Ärztefachblatt in Amerika. Ein Verein deutscher Ärzte
kam in New York bereits im Jahre 1846 durch den ausgezeichneten Chirurgen
W. Detmold zustande.
Die ebenfalls den „Achtundvierzigern" zugehörigen berühmten Ärzte
Gustav C. Weber in Cleveland, Adolf Zipperlen in Cincinnati,
Kiefer in Detroit, von Herff in San Antonio und zahlreiche an-
dere wirkten in gleicher Weise anregend. Manchen dieser Männer ver-
dankt die Heilkunde in Amerika wichtige Fortschritte. Der Chirurg
von Roth war der erste, welcher den Luftröhrenschnitt in den Ver-
einigten Staaten einführte. Gustav Weber erwarb sich als Generalarzt der
Truppen von Ohio große Verdienste um die Organisation des Medizinalwesens
im Bürgerkriege. Namentlich drängte er auf die Anstellung tüchtiger Chirurgen.
Er erfand auch eine neue Art, bei Operationen die Arterien zu schließen und
Verblutung zu verhüten. Friedrich Lange führte die antiseptische Wund-
behandlung zuerst praktisch in Amerika ein und machte auch hier die erste
Kehlkopfexstirpation .
Auf dem Gebiete der Augen- und Ohrenkrankheiten verdankt man den
hervorragenden Spezialisten Hermann Knapp, Professor an der Colum-
— 460 —
bia-Universität zu New York und Georg Reuling, Professor an der John
Hopkins -Universität zu Baltimore bedeutende Fortschritte. Auf die Entwick-
lung der Histologie übte Karl Heitzmann starken Einfluß aus. Auf dem
Gebiet der Frauenkrankheiten waren Noeggerath und Joseph
Schnetter, in bezug auf Kinderkrankheiten Abraham Jacobi
Autoritäten.
Diesen älteren reihten sich in neuerer Zeit zahlreiche andere hervorragende
deutsche Ärzte an, von denen viele als klinische Lehrer mit großem Erfolg tätig
sind. Hand in Hand mit ihnen wirken Tausende und aber Tausende Ameri-
kaner, die nach Deutschland zogen, um als Hörer und Schüler der an den
dortigen Universitäten und Kliniken lehrenden großen Chirurgen und Mediziner
ihr Wissen zu vertiefen.
Wieviel das amerikanische Ärztetum hierdurch und durch die deutsche
medizinische Literatur beeinflußt wurde, läßt sich natürlich weder statistisch
noch in irgendeiner anderen Weise feststellen. Sagen kann man aber bestimmt,
daß die amerikanische Heilkunde in den letzten fünfzig Jahren viel mehr von
Deutschland empfangen hat, als von allen übrigen Ländern zusammengenommen.
Deutschamerikanische Schriftsteller.
Gegenüber den achtunggebietenden Beiträgen, die das Deutschtum der
Vereinigten Staaten auf fast allen Gebieten menschlicher Tätigkeit zur neuwelt-
lichen Kultur lieferte, wollen seine Leistungen auf literarischem Gebiet verhält-
nismäßig gering erscheinen. Trotzdem mehr als 250 Jahre verflossen sind, seit-
dem Deutsche in die Neue Welt einzogen, kann man weder das Vorhandensein
einer bestimmt ausgeprägten deutschamerikanischen Literatur, noch das Vor-
handensein eines deutschamerikanischen Schriftstellerstandes behaupten. Lite-
rarische Größen gleich einem Gustav Freitag, Victor Scheffel, Paul Heyse, Fried-
rich Spielhagen oder Hermann Sudermann sind aus dem Deutschamerikanertum
bisher nicht hervorgegangen. Die Deutschamerikaner sind mit sehr wenigen
Ausnahmen nur Literaten aus Liebhaberei; weshalb die ihren Federn entsprun-
genen Werke auch nur vereinzelte Leistungen geblieben sind. Damit soll keines-
wegs gesagt sein, daß es den Deutschamerikanern an Begabung zu literarischem
Schaffen fehle. Die Gründe für die verhältnismäßig geringe Zahl deutsch-
amerikanischer Literaturwerke sind anderswo zu suchen.
Zunächst in dem beklagenswerten Umstand, daß die amerikanische Re-
gierung sich bis zum Jahre 1909 nicht bereitfinden ließ, den Schutz, welchen sie
jeder im Auslande gemachten technischen oder gewerblichen Erfindung, jedem
Arbeitserzeugnis gewährt, in gleichem Umfang auch auf die geistigen Erzeug-
nisse fremdländischer Schriftsteller auszudehnen.
Bis zum Jahre 1893 waren sämtliche im Auslande erscheinenden Literatur-
werke in den Vereinigten Staaten vogelfrei und konnten von jedermann nach-
gedruckt werden. Im Jahre 1893 kam ein Copyrightgesetz zustande, welches
fremdländischen Schriftstellern Schutz für ihr geistiges Eigentum zugestand, so-
fern sie gewisse Bedingungen erfüllten. Die wichtigste schrieb vor, daß das
betreffende Werk zur gleichen Zeit, wo seine Veröffentlichung im Auslande er-
folgte, auch in den Vereinigten Staaten erscheinen müsse. Und zwar gedruckt
von Typen und Platten, die in den Vereinigten Staaten hergestellt und ge-
setzt sein mußten.
Diese, lediglich die Interessen der amerikanischen Setzer und Drucker
berücksichtigende Bedingung, die seitens der ausländischen Verleger aus finan-
ziellen und technischen Gründen äußerst selten erfüllt werden konnte, machte
den scheinbar gewährten Schutz völlig illusorisch. Infolgedessen konnte nach
— 462 —
wie vor die gesamte Masse der im Auslande erzeugten Literatur seitens der
amerikanischen Verleger und Zeitungsherausgeber kostenlos ausgebeutet
werden.
Während der anglo-amerikanische Schriftsteller in seinem Erwerb Schutz
empfing, indem man die im Auslande in englischer Sprache gedruckten Bücher
mit sehr hohen Einfuhrzöllen belastete, blieb der deutschamerikanische Schrift-
steller ohne solchen Schutz. Seine Produktion wurde erstickt durch die un-
geheure Masse der in Deutschland und in anderen Reichen erzeugten Literatur,
deren Schöpfungen, mochten es Bücher oder in Zeitungen veröffentlichte Romane
und Aufsätze sein, in Amerika nachgedruckt werden konnten, ohne daß an ihre
Urheber Honorare bezahlt werden mußten.
Unter solchen Umständen war die Existenzmöglichkeit deutschamerika-
nischer Berufsschriftsteller ausgeschlossen. Da sie für ihre Werke nur selten
Verleger finden und klingende Erfolge erzielen konnten, so waren sie, um ihren
Lebensunterhalt zu gewinnen, genötigt, sich in die Tagespresse zu flüchten.
Wie viele Genies in dieser beim Erledigen der täglichen Routinegeschäfte ver-
kümmerten, wer kann's sagen?
Nur wenigen blieb Zeit, in dem sie umbrausenden, ihre ganze Auf-
merksamkeit und Kraft beanspruchenden Kampf des Lebens größere Werke zu
schaffen. Glücklicher waren einzelne Ärzte, Gelehrte und Beamte, die im
Besitz einträglicher Stellungen nicht auf Honorare zu sehen brauchten, sondern
die Erzeugnisse ihrer Muße sogar auf eigene Kosten drucken lassen konnten.
Daß die Zahl solcher Werke keine große sein kann, versteht sich von
selbst. Gegenüber der ungeheuren Menge billiger Nachdrucke der besten
deutschen Werke ist sie verschwindend klein.
Trotzdem befinden sich unter den von Deutschamerikanern geschaffenen
Werken, namentlich denjenigen geschichtlichen Charakters, manche, die wegen
ihrer Auffassung und Darstellungsweise oder wegen ihrer auf sorgfältiger
Quellenforschung beruhenden Angaben Beachtung und Verbreitung fanden.
Beispielsweise die acht Bände umfassende „Weltgeschichte", welche von
dem an den Aufständen in Baden beteiligt gewesenen Achtundvierziger Gustav
von Struve während der Jahre 1850 bis 1860 in New York veröffentlicht
wurde und wegen des streng demokratischen Standpunktes ihres Verfassers von
Interesse ist.
Von Wert sind ferner RobertClemen's „Geschichte der Inquisition'-
(Cincinnati 1849); des Theologen Philipp Schaff „Geschichte der Christ-
lichen Kirche" (Mercersburg 1851), sowie „Amerika, seine politischen, socialen
und kirchlich-religiösen Zustände" (Berlin 1854). Die zu Halle geborene,
unter dem Schriftstellernamen T a 1 o j bekannt gewordene Gattin des Professors
Eduard Robinson, eine geborene von Jakob, verfaßte während ihres lang-
jährigen Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten eine „Geschichte des Kapitän
John Smith (Leipzig 1847) und eine „Geschichte der Kolonisation von Neu-
England" (Leipzig 1847).
— 463 —
Viel gelesen wurden seinerzeit auch Friedrich Münchs „Erinne-
rungen aus Deutschlands trübster Zeit". Der Rheinpreuße Gustav Brühl,
welcher als Arzt in Cincinnati tätig war, schrieb das vorzügliche Buch „Die
Kulturvölker Alt- Amerikas". RudolfCronau lieferte in seinem zwei Bände
umfassenden Werk „Amerika" (Leipzig 1892) ein Gesamtbild der Entdeckung
und Erschließung der Neuen Welt von der ältesten bis auf die neueste Zeit.
Seine in den Bahamas und St. Domingo angestellten Forschungen über die
erste Landestelle des Columbus und dessen Begräbnisstätte werden von den
meisten Gelehrten für jene Fragen als entscheidend betrachtet.
Hermann A. Schumacher schilderte auf Grund sorgfältiger
archivalischer Studien die im Auftrag der Augsburger Kaufleute Welser während
der Jahre 1528 bis 1546 erfolgten Eroberungszüge nach Venezuela und Co-
lumbia. Franz Löher, Anton Eickhoff und Julius Goebel
lieferten allgemeine Übersichten über die Geschichte des Deutschtums der Ver-
einigten Staaten, der erstgenannte in dem Buch „Geschichte und Zustände der
Deutschen in Amerika" (Cincinnati 1847). Friedrich Kapp schrieb eine
wertvolle „Geschichte der Sklaverei" (New York 1860), ferner vortreffliche
Biographien der Generäle von Steuben (Berlin 1858) und Kalb (Stuttgart 1862);
desgleichen eine Abhandlung über den „Soldatenhandel deutscher Fürsten nach
Amerika" (Berlin 1864), sowie eine „Geschichte der deutscherL Einwandrung
in den Staat New York" (New York 1868). Alle Werke Kapps zeichnen sich
durch künstlerische Ausgestaltung des verwendeten Materials und warme Fär-
bung aus.
Oswald Seidensticker verdankt man „Bilder aus der deutsch-
pennsylvanischen Geschichte", die zum schönsten gehören, was die Geschichts-
schreibung in Amerika hervorgebracht hat. Von Wichtigkeit sind ferner seine
„Geschichte der deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien" sowie seine For-
schungen zur Geschichte des deutschen Zeitungswesens und Buchdrucks in
Amerika.
Hohen Wert besitzen auch die vorzüglichen Monographien mancher Mit-
glieder der „German Historical Society of Pennsylvania". Insbesondere die
erschöpfenden Studien von Julius Sachse, Samuel Pennypacker,
Daniel Rupp, Daniel Cassel, Oskar Kuhns, Diffenderfer,
Hartranft, Schmauk u. a. über die deutschen Einwandrer und Sektierer
in Pennsylvanien.
Der Lehrer Hermann Schuricht erforschte die Geschichte des
Deutschtums in Virginien ; Emil Klauprecht und H. A. R a 1 1 e r m a n n
diejenige der Deutschen im Ohiotal; Joseph Eiboeck schrieb die Ge-
schichte der Deutschen in Iowa; WilhelmHense und ErnstBrumken
diejenige der Deutschen in Wisconsin, und Professor Hanno Deiler jene
der Deutschen am unteren Mississippi. Gustav Körner stellte wertvolle
Notizen über „Das deutsche Element während der Periode 1818 bis 1848 • zu-
sammen (Cincinnati 1880).
— 464 —
Gert Göbel schilderte in seinem Buch „Länger als ein Menschenleben
in Missouri'' (St. Louis 1877) das Leben der deutschen Hinterwäldler; Fried-
rich Rübesamen das Grenzlerleben in Texas, Neu -Mexiko und
Arizona.
Zahlreiche Schriften vermischten Inhalts lieferte der bereits mehrfach er-
wähnte Achtundvierziger Karl H e i n z e n , ein ungestümer Feuergeist, der
in den Vereinigten Staaten Hauptführer der radikalen deutschen Demokraten
wurde. Von seinen größeren Werken verdienen die in den Jahren 1867 bis 1879
erschienenen vier Bände „Teutscher Radikalismus in Amerika" sowie die beiden
Bände „Erlebtes" (Boston 1864 und 1874) hervorgehoben zu werden.
Ebenso fruchtbar, aber durchaus andere Wege wandelnd ist Karl
K n o r t z. Er beschäftigte sich vorzugsweise mit literatur- und kulturgeschicht-
lichen Studien und veröffentlichte als Ergebnisse derselben zahlreiche kleinere
Werkchen.
Feuilletonistisch behandelte Reiseschilderungen lieferte Theodor
K i r c h h o f f in seinen vortrefflichen „Californischen Kulturbildem" und in
seinen „Reisebildern und Skizzen" (Altona 1875); denselben verwandt sind
Rudolf Gronaus „Von Wunderland zu Wunderland, Landschafts- und
Lebensbilder aus den Staaten und Territorien der Union" (Leipzig 1885); „Im
wilden Westen" (Braunschweig 1890) und „Fahrten im Lande der Sioux"
(Leipzig 1885).
Ziemlich zahlreich sind die von Deutschamerikanern verfaßten Romane,
Novellen und Erzählungen. Aber die meisten verfielen samt den Tageszeitungen,
in denen sie veröffentlicht wurden, der Vergessenheit. LJnter ihren Urhebern
befand sich der geistvolle Achtundvierziger Friedrich Hassaureck,
dem wir die vortrefflichen, auch in Buchform veröffentlichten Romane „Hier-
archie und Aristokratie" und „Das Geheim.nis der Anden" verdanken. Fried-
rich Otto Dresel schrieb den Roman „Oskar Weiden", ferner die No-
vellen „Bekenntnisse eines Advokaten", „Doppelehe oder keine Doppelehe" und
„Die Lebensversicherungs-PoHce". Friedrich Lexow verfaßte die No-
vellen „Auf dem Geierfels", „Imperia", und „Vornehm und gering". Sein
Bruder Rudolf Lexow schrieb die Novellen „Annies Prüfungen" und „Der
Rubin" ; während der geschickten Feder Karl Diltheys verschiedene No-
vellen und Erzählungen, darunter „Die schönsten Tage einer Tänzerin",
„Henriette Sonntag", „New York in alten Tagen" u. a. entflossen. ■
Der gelehrte Arzt Hermann von Bahr in San Francisco, ein Acht-
undvierziger, veröffentlichte unter dem Pseudonym Atti Cambam den Roman
„Dritte Söhne", welcher in der Kölnischen Zeitung zum Abdruck kam und aus
dieser in verschiedene deutschamerikanische Tagesblätter überging. R e i n -
hold Solger schuf in seinem „Anton in Amerika" eine Novelle von blei-
bendem Wert. D o u a i lieferte den Roman „Fata Morgana", und Willi-
bald Winkler den „Sklaven jäger". Diesen Werken reihten sich während
des letzten Vierteljahrhunderts die unter dem Pseudonym D. B. Schwerin
— 465 —
veröffentlichten Romane der Dichterin Dorothea Böttcher an: „Der
Sohn des Bankiers" und „Die Erbschleicher" ; ferner Udo Brachvogels
„King Korn" und „Adolf Schaff meyers Romane „Ein Phantom", „Auf
steiler Höhe" und „Im Wirbel der Großstadt".
Der kernige Journalist EduardLeyh schrieb die deutschamerikanische
Erzählung „Tannhäuser" ; Johann Rittig lieferte charakteristische „Feder-
zeichnungen aus dem amerikanischen Stadtleben" ; und Caspar Stüren-
burg „Klemdeutschland, Bilder aus dem New Yorker Alltagsleben". Ver-
wandte Erscheinungen sind Henry Urbans „Just zwölf"; „Der Eisberg";
„Mans Lula"; „Aus dem Dollarlande" und „Lederstrumpfs Erben". Femer
Edna Ferns „Gentleman Gordon" ; „Der Selbstherrliche und andere Ge-
schichten". G. von S k a 1 ließ die Sammlung „Im Blitzlicht" und „Das
amerikanische Volk" erscheinen. Der schlichte Kürschner Hugo Bertsch
veröffentlichte die beiden Novellen „Bob, der Sonderling" und „Die Ge-
schwister" (Stuttgart 1905), welche durch ihre drastische Darstellungsweise
auch in Deutschland Aufsehen erregten.
Unter den Deutschamerikanern, welche sich mit großem Geschick der
englischen Sprache zu bedienen lernten, steht Karl Schurz obenan. Die
gleiche glänzende Ausdrucksweise, über welche er als Redner gebot, bekundete
er auch in seinen historischen Werken. Zu diesen gehören in erster Linie die
in englischer Sprache geschriebenen Lebensschilderungen des amerikanischen
Staatsmannes Henry Clay (Boston 1887) und des Präsidenten Abraham Lin-
coln (London 1892). Ungemein fesselnd sind auch seine „Erinnerungen aus
einem langen Leben" (Berlin 1906). Dieselben erschienen zuerst in englischer
Sprache unter dem Titel „Reminiscences of a long life" (New York 1906).
In ihnen schilderte der hochbetagte, aber noch vom Feuer des Idealismus durch-
glühte Greis die Denkwürdigkeiten seines Lebens, das so reich an Arbeit,
Mühen, Kämpfen, Hoffnungen, Enttäuschungen und Erfolgen war, wie es nur
w^enigen Menschen beschieden ist. Für die Beurteilung des Aufstandes von
1848 sowie der politischen Zustände der Vereinigten Staaten in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts bilden diese Erinnerungen zweifellos ein Quellen-
werk allerersten Ranges.
Fast ebenso gewandt wie Schurz wußte der im August 1830 in West-
falen geborene Karl Nordhoff die englische Sprache zu handhaben. Die
Erfahrungen seiner ursprünglichen Seemannslaufbahn verwertete er in den
Werken „Man of War Life"; „Merchant Vessel"; „Whaling and Fishing";
„Stories of the Island World". Als Nordhoff sich später dem Journalismus
zuwandte und für die New Yorker „Evening Post" und den „Herald" tätig
war, schrieb er vielgelesene Reisewerke über Kalifornien, Oregon und die
Sandwichinseln. Sein berühmtes Buch „The Cotton States" (New York
1876) gab zu überaus heftigen Kontroversen Anlaß, da Nordhoff die nach dem
Bürgerkrieg in die Südstaaten einströmenden republikanischen Beutepolitiker
sowie die verkehrten Maßnahmen der Bundesregierung für die im Süden zutage
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 30
— 466 —
tretenden Mißstände verantwortlich machte. Eines seiner wertvollsten Bücher
beschreibt die „Communistic Societies in the United States".
Rudolf Gronau ließ zu Ende des Jahres 1908 in New York sein
erstes in englischer Sprache geschriebenes Werk unter dem Titel „Our wasteful
nation, the story of American prodigality and the abuse of our national resources"
erscheinen, das sich in energischer Weise gegen die maßlose Vergeudung und
den Mißbrauch der natürlichen Hilfsquellen Amerikas richtet. Dem als Pro-
fessor der Musik an der Harvard-Universität tätigen Komponisten Fried-
rich Louis Ritter verdanken wir eine in Boston erschienene „History of
Music in the form of lectures" sowie das Werkchen „Music in America''.
Der deutschamerikanischen Literatur darf man auch manche Werke bei-
zählen, die von deutschen Novellisten und Romanschriftstellern während ihres
längeren Verweilens in den Vereinigten Staaten geschrieben wurden.
Zu ihnen gehören in erster Linie einige Romane des am 3. März 1793 in
Seefeld, Unterösterreich geborenen Karl P o s t e 1. Ursprünglich dem Orden
der Kreuzherm zu Prag angehörend, entwich er im Jahre 1822 dem Kloster
und begab sich nach Amerika. In New York verweilte er bis 1826. In den
Jahren 1828 bis 1830 bereiste er die Südstaaten und sammelte hier das Material
zu seinem ersten großen, in englischer Sprache geschriebenen Roman „Tokeah
or the White Rose" (Philadelphia 1828). Derselbe erschien später in einer
von ihm selbst vollzogenen deutschen Bearbeitung unter dem Titel „Der
Legitime und die Republikaner" (Zürich 1833). Diesem Roman schlössen sich
„Transatlantische Reiseskizzen" (1833), „Lebensbilder aus der westlichen
Hemisphäre", „Pflanzerleben und die Farbigen", „Nathan der Squatter-Regu-
lator", „Deutschamerikanische Wahlverwandtschaften", sowie der prächtige
Roman „Virey und die Aristokraten" an. Lange Zeit gehörte dieser unter dem
Pseudonym CharlesSealsfield verborgene Autor zu den meist gelesenen
beider Erdteile. Ein genialer Beherrscher der Sprache, ein ungemein scharfer
Beobachter, begabt mit einer reichen, glühenden Phantasie, entrollte er seinen
Lesern eine neue Welt mit bisher nie geschilderten Menschen Charakteren. In
scharfen Umrissen zeichnete er den schlauen Yankee, den leichtlebigen Fran-
zosen, den bedächtigen Deutschpennsylvanier, den sinnlichen Kreolen und die
Kreolin, den kühnen Trapper und den zähen Kulturpionier des fernen Westens.
Und als Hintergründe lieferte er farbensprühende Landschaftsgemälde vom
Ohio, dem Mississippi, aus den Prärien von Texas und den grünen Gebirgen
Vermonts.
Ihm verwandt sind Otto Ruppius, Friedrich Gerstäcker
und Balduin Möllhausen, welche gleichfalls längere Zeit in den Ver-
einigten Staaten weilten. Zu den Früchten dieses Aufenthalts gehören Ruppius'
vielgelesene Romane „Der Pedlar", „Das Vermächtnis des Pedlars" und „Der
Prärieteufel". Gerstäcker veröffentlichte als literarische Ergebnisse jahrelanger
Wanderungen sein Tagebuch unter dem Titel „Streif- und Jagdzüge durch die
Vereinigten Staaten von Nordamerika" (1844). Außerdem verfaßte er die Ro-
— 467 —
mane „Die Regulatoren in Arkansas" (1845), „Die Flußpiraten des Mississippi"
(1848); femer „Mississippibilder" (1847), „Amerikanische Wald- und Strom-
bilder" (1849) und „Kalifornische Skizzen" (1856), die wegen ihrer frischen,
unterhaltenden Schilderungen weite Verbreitung fanden. — Der Aufenthalt
Möllhausens in den Vereinigten Staaten fällt in die Mitte des 19. Jahrhunderts,
wo er mit dem Herzog Karl von Württemberg und später als Topograph und
Zeichner zweier amerikanischer Expeditionen den fernen Westen, insbesondere
Neu-Mexiko und Arizona, bereiste. Diese Fahrten beschrieb er in dem „Tage-
buch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee" (1858) und in
„Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas" (1861). Außerdem verfaßte er
zahlreiche Romane, von denen die bekanntesten „Die Mandanenwaise", „Der
Reiher" und „Der Schatz von Quivira" in den von Möllhausen besuchten Teilen
der Neuen Welt spielen. Die bereits erwähnte Schriftstellerin von Jakob
(T a 1 o ]■) verfaßte während ihres Aufenthaltes in Amerika die Romane „Heloise,
or the unrevealed secret" (New York 1850) und „Die Auswanderer" (Leipzig
1852), welches Buch im folgenden Jahre unter dem Titel „The Exiles" auch in
New York erschien.
Beweise, daß es ihnen an Geschick zu literarischen Arbeiten nicht fehlt,
haben die Deutschamerikaner zur Genüge abgelegt. Nachdem im Jahre 1909
endlich eine dem modernen Zeitgeist entsprechende Verbesserung der ameri-
kanischen Copyright-Gesetze erfolgte und jene Vorschrift, daß fremdsprachliche
Werke, um den Schutz der amerikanischen Gesetze genießen zu können, in
Amerika gesetzt und gedruckt sein müssen, aufgehoben wurde, ist auch für die
deutschamerikanische Literatur eine Möglichkeit eröffnet worden, sich voller
und kräftiger zu entfalten.
30'
Die deutschamerikanische Dichtung des 19. und 20. Jahr-
hunderts.
Der schlichte, tiefreli-
giöse Sinn, der für die wäh-
rend der Kolonialzeit entstan-
denen deutschamerikanischen
Dichtungen so bezeichnend
war, wich zu Anfang des
19. Jahrhunderts mit dem Ein-
strömen einer anders gearteten
Einwandrung. Die Deutschen,
welche um jene Zeit, ange-
widert von den rückschritt-
lichen Maßregeln der deut-
schen Regierungen, ihr Vater-
land verließen, waren weder
mystische Schwärmer gleich
Kelpius und Beissel, noch
stillzufriedene beschauliche
Gelehrte wie Pastorius.
Sie repräsentierten ein
neues Geschlecht voll idealer
Begeisterung, voll Empfäng-
lichkeit für die Reize und den
Sonnenglanz dieser Welt. Sie
waren Himmelsstürmer, von
Tatendrang durchglühte Agi-
tatoren, die zum menschlichen
Fortschritt, zum Erlangen hö-
herer persönlicher und geisti-
ger Freiheit beitragen wollten. Für Frauenschönheit, für das Glück echten
Familienlebens, für die Erhabenheit der neuweltlichen Natur, für die Größe des
amerikanischen Freiheitsgedankens hatten sie ein offenes Auge und ein warmes
empfängliches Gemüt. Kein Wunder, daß die von ihren Lippen strömenden
Lieder anderen Klang besaßen. Sie sangen von Lenz und Liebe, priesen Wein,
Frauenfigur. Von Henry Linder, New York.
— 469 —
Weib und Gesang, feierten Mannskraft und Heldenmut, wenig danach fragend,
ob jemand und wer ihnen lausche.
Und zahlreich wie die einander treibenden Wellen eines Waldbachs
fluten die Namen solcher deutschamerikanischen Dichter und Dichterinnen da-
her, die inmitten des rastlosen Geschäftslebens den Sinn für das Schöne und
Ideale zu bewahren wußten. Alle aufzuführen und in Kategorien zu bringen,
wäre ein Unterfangen, das sich an dieser Stelle aus räumlichen Rücksichten ver-
bietet. Sind doch in den Sammelwerken deutschamerikanischer Dichtungen, die
bisher in den Vereinigten Staaten erschienen, ihrer mehr als 400 durch Beiträge
vertreten.
Natürlich haben die von diesen Sangesfrohen gelieferten Dichtungen sehr
verschiedenen Wert. Wie unter den gefiederten Sängern, so sind auch unter
den die Feder gebrauchenden die Nachtigallen selten. Aber auch unter den von
deutschamerikanischen Poeten geschaffenen Dichtungen gibt es manche, die der
Literatur jedes Volkes zur Ehre gereichen würden.
Einige der herrlichsten sind der deutschen Heimat gewidmet.
Wer in den Werken der deutschamerikanischen Dichter blättert, wird die
Überzeugung gewinnen, daß bei vielen dieser Männer das Heimweh das trei-
bende Motiv war, das sie zu Poeten machte und ihre Klage zu Versen formte.
Konnte es anders sein? — Die politischen Flüchtlinge, welche vor und
nach dem Jahre 1848 an die Gestade Amerikas verschlagen wurden, liebten ihr
Vaterland aus tiefster Seele. Seiner Größe und Einigung hatte ihr ganzes Sinnen
und Trachten gegolten ; ihm gehörten ihre Gedanken bei Tage wie bei Nacht ; in
seinen Schoß hofften sie zurückzukehren, in seinem heiligen Boden einst be-
graben zu werden. Daß man sie, die nur Deutschlands Herrlichkeit herbei-
führen wollten, von dort vertrieben, erfüllte sie mit Bitterkeit, hinderte sie aber
nicht, der Heimat treue Liebe zu bewahren.
Die heiße Sehnsucht nach den fernen Fluren ließ manche dieser Ge-
ächteten für ihre Lieder Töne finden, wie sie ergreifender kaum erklangen, seit-
dem die in Gefangenschaft geratenen Juden an den Wassern von Babylon des
fernen Zion gedachten. Mit solchen tiefempfundenen „Heimatklängen" könnte
man allein einen stattlichen Band füllen. Für die Echtheit der in ihnen offen-
barten Empfindung sprechen folgende Beispiele.
Da dichtete der seit dem Jahre 1854 unter dem grünen Rasen ruhende
„Achtundvierziger'* Heinrich Schnauffer:
Oh, sprich von keiner schönern Zone —
Ich hang an meinem Heimatland,
Und mir ist aller Länder Krone
Des Rheines rebengrüner Strand. ' •
Oh, sprich nicht von des Südens Palmen —
Des Schwarzwalds süße Tannennacht,
Das Tal mit Blumen und mit -Halmen —
Wo find' ich diese deutsche Pracht? —
— 470 —
Oh, sprich von keinem bessern Volke,
Als das, was meine Sprache spricht!
Der Stern bleibt Stern, auch wenn die Wolke
Verfinstert hat sein goldnes Licht;
Und jene Sprache, sanft und linde.
Klingt sie im Herzen fort und fort,
Darin die Mutter mit dem Kinde
Gekoset einst das erste Wort.
Oh, sprich von keinen froher'n Stunden,
Die hier die Zukunft bringen mag:
Die Heimat heilt die tiefsten Wunden
Und Freuden bringt sie jeden Tag.
Oh, Zeit! wo froh im Lenz als Knabe
Ich wilde Rosen suchen ging,
Und kniend auf des Vaters Grabe
Ums Kreuz die duft'gen Kränze hing!
Oh, sprich von keinem treuem Herzen
Und sprich von keinem fremden Glück,
Mild, wie der Strahl der Himmelskerzen
Ist meines deutschen Mädchens Blick.
Zum Heimatland steht mein Verlangen,
Ein müder Fremdling, such' ich Ruh',
Und wo das Licht mir aufgegangen.
Drück' man mir auch die Augen zu.
Der auf einem stillen Friedhof des Staates Illinois schlafende Pfälzer Emil
D i e t z s c h schrieb :
Ich hab' hier manches lange Jahr
Als Mann mich durchgestritten;
Ob's Sturm, ob Friedensstille war,
Ob ich frohlockt, gelitten:
Ich könnt' des Heimwehs Herzeleid
Doch niemals ganz bezwingen.
Es heilet vieles ja die Zeit,
Nicht wollt' ihr das gelingen. . .
Von Albert Wolff, der im seen- und wälderreichen Minnesota be-
graben liegt, rührt folgende Dichtung :
Wie, was ist das, du alter Kerl?
Im Auge eine Tränenperl?
Ja! ja! so ist's. Wer kann dafür?
Mein Vaterland, das bring' ich dir!
— 471 —
Die Träne ist der Diamant,
Den rein ich hielt im fremden Land;
Ich seh's, ich seh's, das Kleinod mein,
Lag tief im heil'gen Herzensschrein!
Ich hab' es selbst nicht mehr gewußt,
Daß ich es trug in meiner Brust,
Daß ich dich ganz noch mein genannt,
O heil'ge Lieb' zum Vaterland!
Wohl das ergreifendste dieser Lieder stammt von dem am 9. März 1897
in Milwaukee verstorbenen Konrad Krez. Es trägt die Übersclirift : An
mein Vaterland.
Kein Baum gehörte mir von deinen Wäldern,
Mein war kein Halm auf deinen Roggenfeldern,
Und schutzlos hast du mich hinausgetrieben.
Weil ich in meiner Jugend nicht verstand.
Dich weniger und mehr mich selbst zu lieben
Und dennoch lieb ich dich, mein Vaterland!
Wo ist ein Herz, in~ dem nicht dauernd bliebe
Der süße Traum der ersten Jugendliebe?
Doch heiliger als Liebe war das Feuer,
Das einst für dich in meiner Brust entbrannt;
Nie war die Braut dem Bräutigam so teuer,
Wie du mir warst, geliebtes Vaterland.
Hat es auch Manna nicht auf dich geregnet.
Hat doch dein Himmel reichlich dich gesegnet.
Ich sah die Wunder südlicherer Zonen,
Seit ich zuletzt auf deinem Boden stand;
Doch schöner ist als Palmen und Zitronen
Der Apfelbaum in meinem Vaterland.
Land meiner Väter! länger nicht das meine,
So heilig ist kein Boden wie der deine.
Nie wird dein Bild aus meiner Seele schwinden,
Und knüpfte mich an dich kein lebend Band,
So würden mich die Toten an dich binden,
Die deine Erde deckt, mein Vaterland!
Oh, wollten jene, die zu Hause blieben,
Wie deine Fortgewanderten dich lieben,
Bald würdest du zu einem Reiche werden,
Und deine Kinder gingen Hand in Hand,
Und machten dich zum größten Land auf Erden,
Wie du das beste bist, o Vaterland!
Wie aus der letzten Strophe hervorgeht, entstand die Dichtung lange vor
den Jahren 1870-71.
— 472 —
Daß an den die politische Einigung Deutschlands bringenden großen
Ereignissen jener Jahre die nach Amerika geflohenen „Achtundvierziger'* den
lebhaftesten Anteil nahmen, ist selbstverständlich. War doch die Einigung aller
deutschen Stämme, die Erhebung des Deutschen Reichs der Traum ihrer Jugend,
die Sehnsucht und Hoffnung ihres Alters gewesen.
Mit welcher Begeisterung und Kampfesfreude sie den Taten der deutschen
Truppen in Frankreich folgten, erhellt aus folgendem „Gruß der Deutschen in
Amerika*', den Kaspar Butz über das Meer sandte.
Wenn Wünsche Kugeln wären, wenn Blitz und Donnerschlag
Der längst Verbannten zürnen, jetzt am Entscheidungstag,
Wie würd" der Donner rollen gewaltig übers Meer,
Für Deutschland eine Salve und für sein tapfres Heer!
Vergessen ist ja alles, vergessen jede Not,
Vergessen jedes Urteil, ob es auch sprach: der Tod!
Für dich, o Muttererde, du Land der Herrlichkeit,
Auch deine fernen Söhne, sie stehen mit im Streit!
Nicht Zeit ist's mehr für Worte! Gott grüße dich mein Land!
Wie stehst du stolz im Streite, der jetzt so jäh entbrannt!
Ein Feigling, der verzweifelt nur einen Augenblick!
Hol" deine alte Größe und Ehre dir zurück!
Pflanz' auf des Wasgau's Höhen das deutsche Banner auf,
Laß weh'n die alten Fahnen von Straßburgs Domes Knauf!
Nun ist für deine Kammern, trotz des Jahrhunderts Hohn,
Endlich die Zeit gekommen, die Zeit der Reunion!...
Und bald darauf jubelte er:
O große Zeit! Wir wuchsen mit bei jedem deutschen Siege;
Wir hebten, ob der deutsche Aar das Ziel auch stolz erfliege.
Wir fühlten, daß ein Vaterland, dem wir noch nicht verloren.
Aus jenem grimmen Männerkampf für uns auch ward geboren . . .
Eines der kösthchsten Güter, welches die auswandernden Deutschen mit
in die neue Heimat nahmen, war das deutsche Lied. Unzählige in den Ver-
einigten Staaten lebende Dichter priesen seine Zaubermacht. Der aus Alzey
stammende Konrad Nies tat dies in folgenden Strophen :
Als wir entflohn aus deutschen Gauen,
Durchglüht von jungem Wanderdrang,
Um fremder Länder Pracht zu schauen,
Zu lauschen fremder Sprache Klang,
Da gab zum Segen in die Ferne,
Die Heimat uns ihr deutsches Lied,
Das nun, gleich einem guten Sterne,
Mit uns die weite Welt durchzieht.
— 473 —
Wohin auch unsere Wege führen,
Zum Steppensaum, zum Meeresport;
Wo immer wir ein Heim uns küren,
Im tiefen Süd, im hohen Nord:
Der deutschen Heimat Segensgabe
Von unsrer Schwelle nimmer flieht.
Und als des Herzens schönste Gabe,
Bleibt heilig uns das deutsche Lied.
Es klingt um hohe Urwaldtannen,
Am blauen Golf, am gelben Strom,
Fern in den Hütten der Savannen
Und ferner unterm Palmendom.
Es braust aus frohem Zecherkreise,
Es jauchzt und schluchzt mit Mann und Maid
Und klagt in heimattrauter Weise
Von deutscher Lust und deutschem Leid.
Und wo es klingt, da bricht ein Blühen
Und Leuchten auf in weiter Rund;
Wie Veilchenduft und Rosenglühen
Geht's durch des Herzens tiefsten Grund.
Was längst zerronnen und zerstoben.
Was mit der Kindheit von uns schied:
Es wird in Träumen neu gewoben.
Wenn uns umrauscht das deutsche Lied.
Wir schau'n der Heimat grüne Tale,
Der Schwalbe Nest am Vaterhaus;
Wir ziehn im Ostermorgenstrahle
Durchs, alte Tor zur Stadt hinaus;
Wir hören ferner Glocken Klingen
Und deutscher Eichenwälder Weh'n,
Wir fühlen junges Frühlingsringen
Und erster Liebe Auferstehn!
Und ob auch Früchte viel und Blüten
Die Hand auf fremder Erde zieht.
Wir wollen hegen doch und hüten
Den Frühlingssproß, das deutsche Lied,
Das uns zum Segen in die Ferne,
Die Muttererde einst beschied,
Und das, gleich einem guten Sterne,
Mit uns die weite Welt durchzieht.
Die sinnige New Yorker Dichterin Henni Hubel preist das deutsche
Lied in folgenden Worten als einen Zauberquell :
Ich kenn' einen nimmer versiegenden Quell,
Der rieselt und sprudelt gar wonnig und hell;
Und kannst du das Rauschen der Quelle verstehn,
So wird dich ein mächtiger Zauber umweh"n.
— 474 —
Verstehst du mit ganzer Seele zu lauschen,
So kündet wonnige Märchen sein Rauschen.
Beglückend umspinnt er die Menschen, die Welt,
Nichts gibt es, das nicht diesem Zauber verfällt.
Ob hoch oder niedrig — ob arm oder reich —
Er macht einen Bettler dem Könige gleich.
Das ärmlichste Kindlein auf Mütterchens Arm
Umschmeichelt der Zauber so lieblich und warm
Genau wie den Sprößling im prunkenden Schloß,
Den Reichen sowohl wie den dienenden Troß.
Mit gleicher Macht kann er Herzen bewegen,
Mit gleichem Entzücken Seelen erregen.
Wärst du in der einsamsten Wüste allein,
Der Zauber, der lullt dich in Träume wohl ein.
Statt trostloser Öde — statt sengendem Sand
Erscheint deinem Auge der heimische Strand,
Die schattigen Wälder, die Berge, das Tal —
So mildert der Zauber dir jegliche Qual.
In jauchzender Freude entzückt er dein Herz,
Und lindernd verscheucht er den nagenden Schmerz.
Er lernt dich vergessen, was schwer dich bedrückt,
Und zeigt dir, was einst und was jetzt dich beglückt.
Wißt ihr, was so mächtig durchs Weltall zieht?
Jener Zauberquell ist — das deutsche Lied.
Die gleichfalls in New York lebende Dichterin Elisabeth Mesch
weihte der deutschen Poesie folgende Strophen :
Und ob auch längst des Schicksals rauhe Hand
Entrissen mich dem alten Vaterland,
Ob Freunde nicht mir folgten in die Weite:
Das Schönste, was die Heimat mir verlieh —
Das Liebste — gab mir dennoch das Geleite;
Es ist allein die deutsche Poesie!
Wohl bot die Fremde, schön und wunderbar,
Der bunten Reize viel mir freundlich dar.
Und manches Herz erschloß sich meinem Herzen.
Doch wenn ich oft mit wehmutsvollem Sinn
Gedachte meiner Seele größter Schmerzen,
War Poesie die beste Trösterin.
Sie ist mein Glück in dieses Daseins Hast,
Das Herrlichste, was Menschengeist erfaßt.
Sie ist ein weiches, wonnevolles Sehnen,
Von göttlichen Gedanken eine Flut;
Sie ist das Edelste von allem Schonen,
Und mir ist wohl in ihrer sanften Glut.
Ein heller Stern auf wechselvoller Bahn,
So leuchte sie auch türder uns hinan.
— 475 —
Und labe süß aus ihrem Heiligtunie
Die Herzen all, bedrückt von Sorg' und Müh'!
Gepriesen sei die wunderholde Blume:
Im fremden Land die deutsche Poesie!
Es ist manchmal behauptet worden, den deutschamerikanischen Dichtern
fehle die Eigenart. Ihre Poesie sei nur das ausgewanderte Echo der vaterlän-
dischen Dichtung und variiere bis zum Überdruß das Thema vom fernen Vater-
land, anstatt sich der von der Neuen Welt in Überfülle gebotenen neuen Stoffe
zu bemächtigen.
Kein Vorwurf ist ungerechter als dieser. Er konnte nur von Personen
kommen, die weder die Mannigfaltigkeit noch den Reichtum der deutschameri-
kanischen Poesie kennen. Diese Kenntnis wird allerdings durch den beklagens-
werten Umstand erschwert, daß eigentliche Sammelstellen für die Werke der
deutschamerikanischen Dichter und Schriftsteller fehlen. Da die amerikanischen
Bibliotheken an der deutschamerikanischen Literatur nur geringes Interesse
nehmen, so sind deren Werke mehr als alle anderen der Verzettelung und dem
Vergessenwerden ausgesetzt.
Daß den deutschamerikanischen Poeten der Blick für ihre Umgebung, für
den Reichtum des sie umbrausenden Lebens nicht fehlt, könnte man durch Hun-
derte von Dichtungen beweisen. Meisterhafte Naturschilderungen lieferten Kuno
Francke, Julius Hoffmann, Johannes Hensen, Frank
Silier und viele andere.
Otto Soubron malt die düstere Einsamkeit des in Wisconsin ge-
legenen Teufelssees in folgenden Worten :
Starre Felsen ragen trotzig
Um den See, den schwarzen, stillen.
Der wie ein gebrochnes Auge —
Leblos, kalt und unergründlich —
Blickt verglast empor zum Himmel.
Still, verödet ist die Gegend,
Nur mit trägem Flügelschlage
Überm Abgrund kreist der Adler,
Und die Brut der Schlangen nistet
Unten in den Felsenspalten.
Der in Missouri geborene Priester Johannes E. Rothensteiner
schildert das Erschließen jener in den Wüsten Mexikos heimischen, nur eine
Nacht blühenden Wunderblume (cereus nycticalus), die als „Königin der Nacht'*
bekannt ist.
Den Kaktus seht im Brand der Wüste
Ein stachlichtes Gerippe nur!
Kein Tauwind, der ihn freundlich grüßte,
Den Eremiten der Natur.
— 476 —
Fest eingeklemmt in Felsenspalten,
Scheint jeder Lebenstrieb erstarrt:
Mit Staub bedeckt die Runzelfalten,
Da sehnlich er der Blüte harrt.
Doch endlich fühlt den. Saft er drängen
In seinem Innern voller Macht:
Ein Knösplein sieh die Rinde sprengen
Beim Zaiiberruf der Sommernacht.
Und voller wird's von Stund' zu Stunde;
Es kreist der Saft in hefßem Lauf.
Da geht ein Leuchten durch die Runde,
Da geht das große Wunder auf.
Viel süßer als die Südlandsrose.
Und leuchtender als Lilienpracht
Im Mondlicht blüht die makellose.
Die Königin der Wüstennacht.
Doch wirren Spiels beim Morgengrauen
Durchs Wüstenland die Dolde treibt,
Verschrumpft und trostlos anzuschauen
Das stachlichte Gerippe bleibt.
Nur duftig haftet im Gemüte
Das Märchen seiner kurzen Pracht,
Bis wieder einst die Wunderblüte
Sich öffnen mag der Sommernacht.
Dem Föhrenrauschen der kalifornischen Sierra Nevada lauschend, schrieb^
der Pfarrer Johann W. Theiß folgendes Gedicht :
Horch! — Der Föhrenwipfel Sausen;
Lauter wird's, wie Meeresbrausen;
Dann erstirbt der Wind, und leise
Säuseln sie wie Schlummerweise.
Wieder kommt der Klang gezogen,
Schwellend wie des Meeres Wogen;
Wieder klingt ihr Gruß in trauten
Wonnevollen Flüsterlauten.
Wieviel tausendmal die schöne
Reihenfolge dieser Töne
Wohl die Wipfel schon durchzogen, - -
Seit der Schöpfungstag verflogen? i^ i
Wieviel tausendmal beim Fliehen
Der Jahrhunderte wird ziehen
Dieser Laut durch Millionen
Föhrenwipfel, Nadelkronen?
— 477 —
Einer nur verniag"s zu sagen,
Der vernimmt der Schöpfung Klagen,
Der vernimmt der Schöpfung Loben
In den heil'gen Höhen droben.
Und an den Gestaden des Atlantischen Ozeans wurde Gustav Rom
m e 1 zu folgenden Versen angeregt :
Wie Aolsharfen-Säuseln
Bebt's durcTi den Lorbeerhain.
Die Azurwogen kräuseln
Sich sanft im Abendschein.
Wie Gold und Demant flimmert
In ros'ger Glut das Meer,
Im Purpurglühlicht schimmert
Der Wellen endlos Heer.
Sie wandern, rollen, wallen
Zum grünen Ufersaum;
Sie prallen an und fallen
Zurück als Silberschaum.
Bald gleicht's dem süßen Kosen
Von Bräutigam und Braut,
Bald wird's zu wildem Tosen,
Vor dem der Seele graut.
Jetzt spielend, buhlend, minnend
Wirbt fromm der Ozean,
Dann stürmt er, Unheil sinnend,
In Heeressäulen an.
So währt schon manch Jahrtausend
Krieg zwischen Strand und See,
Als gärt, am Abgrund brausend,
Uraltes Leid und Weh.
Ein uralt Lieben, Leiden,
Dem keine Werbung frommt,
Ein ewig Sehnen, Meiden,
Das nie zur Ruhe kommt.
Die überwältigende Farbenglut des amerikanischen Herbstes, des soge-
nannten „Indianersommers", besangen Ferdinand Hundt, Julius
Hoffmann und UdoBrachvogel. Der letzte wurde dieser schwierigen
Aufgabe folgendermaßen gerecht:
Den Hügel noch empor, mein wackres Tier,
Dort lichtet sich der Wald, dort halten wir —
Fühlst du den Sporn? Hinan mit flüchfgen Sätzen!
Schon schließt sich hinter uns die Tannennacht;
Frei schweift der Blick — ha, welche Farbenpracht!
Erschloß sich Scheher'zadens Märchenpracht,
Rings alles zu bestreu'n mit ihren Schätzen?
478
Der Himmel leuchtet, ein saphirner Schild;
Es strahlt an ihm die Sonne hehr und mild,
Nicht tödlich, nein, nur schmeichelnd allem Leben.
Am fernen Horizonte rollt der Fluß;
Jedwede Wog" umspielt des Mittags Kuß,
Sie bebl und zittert unter ihm, — so muß
Die Braut am Herzen des Ersehnten beben.
Und schimmernd liegt das Tal, wie Mosaik,
Wie reicher es und blendender dem Blick
Noch niemals unter Künstlers Hand entglommen.
Hin strömt es zwischen dunklem Braun und Grün
Gleich Flammen, die aus Goldtopasen sprühn.
Gleich Purpurmänteln, die um Schultern glühn
Von Königen, die von der Krönung kommen.
Der Ahorn lodert, wie im Morgenhauch
Einst Moses brennen sah den Dornenstrauch,
Gefacht von unsichtbarer Engel Chore.
Dort rankt sich's flimmernd und verzweigt sich's bunt,
Wie die Koralle auf des Meeres Grund,
Und drängt sich um das silberfarbne Rund
Des Stamms der königlichen Sykamore.
Und einsam ragt und priesterlich zumal
Die Lorbeereiche aus dem Bachanal
Von Licht und Glanz, von Farben und von Gluten.
Doch auch von ihrer dunkeln Äste Saum,
Aus ihrer Krone tropft wie Purpurflaum
Die wilde Reb'; es ist, als ob der Baum
Sein Herz geöffnet habe, zu verbluten.
Das Eichhorn springt. Es lockt mit tiefem Klang
Der Tauber seine Taube nach dem Hang,
Wo überrreich sich Beere drängt an Beere.
Die Drossel stimmt ihr schmelzend Tongedicht,
Der Falter badet sich im Sonnenlicht,
Und aus der Sumachbüsche Scharlach bricht
Das dunkle Reh, des Waldes Bajadere.
,,Und dies ist Herbst? So sterben Wald und Flur?
Wie ist dann das Erwachen der Natur,
Wenn noch ihr Tod sich hüllt in solches Leben?" —
So ringt sich's von des Reiters Lippe los, —
Da rauscht's ihm Antwort aus des Waldes Schoß —
Ein Windstoß braust heran und noch ein Stoß,
Und läßt das Meer von Blättern niederbeben.
Rings quillt es plötzlich auf, wie Schleierflug,
Schneewolken weh'n daher in dichtem Zug,
Von Norden pfeift's, und trübe wird's und trüber.
— 479 —
Der Taube Ruf verstummt: ein Büchsenknall,
Im Blute liegt das Reh, und in dem Fall
Der Blätter rauscht's wie leiser Seufzerhall:
Noch eine Nacht, und alles ist vorüber!
Der Reiter fröstelt in des Nordwinds Hauch,
Er ruft: ,,Und dennoch ist dies Tod, ob auch
Gleich Hochzeitskleidern prangt sein Leichenlinnen.
So stirbt ein Tag im reichsten Abendrot,
So küßt die Lippen einer Braut der Tod,
So fühlt ein Jüngling, rings vom Feind bedroht,
Aus Wunden tausendfach sein Herzblut rinnen!" —
Den majestätischen Niagara priesen Franz Lieber, Kaspar Butz,
Heinrich Ficl^, Frank Silier und Mathias Rohr. Michael
Lochemes schloß sich mit folgenden Versen an :
Es rasen die Wasser dahin mit Macht,
Sich bäumend wie Rosse bei nahender Schlacht,
Wo über der Felsen granitnem Wall
Hinab sie tosen in jähem Fall. —
Und Wogen auf Wogen jagen heran,
Ziehn schäumend und zischend die wallende Bahn;
Doch alle nach kurz vollendetem Lauf
Nimmt gähnend die dunkle Tiefe auf.
Und sendet in Wolken, so weiß wie Schnee,
Die sprühenden Tropfen zurück zur Höh'. —
Mit verhaltenem Atem der Wandrer lauscht,
Wie der mächt'ge Choral in den Tiefen rauscht.
Der, seit die Welt aus dem Nichts entsprang.
Zu Gottes Preis durch die Wildnis klang
Und, bis die Welt in Trümmer geht,
Fortklingt in gewalt'ger Majestät.
Echte Urwaldspoesie durchweht die Lieder und Skizzen von Wilhelm
Dilg, Karl de Haas, Georg Giegold und Joseph Grahamer.
Eduard Dorsch, einer der gemütvollsten deutschamerikanischen Dichter,
entwarf das folgende Gemälde :
Der Menschen Hütten liegen hinter mir,
Die winz'gen Plätze, wo die Axt gelichtet;
Vor mir der Wald in seiner vollen Zier
Und Stamm an Stamm zum Himmel aufgerichtet.
Kein Sonnenstrahl ist kräftig da genug.
Daß er durch diese Nacht von Blättern dränge.
Noch ist geschmiedet nicht der starke Pflug,
Der dieser Bäume Lebenskraft bezwänge.
— 480 —
Kein abgestorbner Baum fällt hier zum Grund,
Ihn stützen, immer rüstig, die Genossen;
Sein Tod wird selbst den Nachbarn oft nicht Ivund,
Denn ihn ersetzen seine kräft'gen Sprossen.
Die wilde Rebe schlingt die Ranken noch.
Die weitverschlungnen, um die morsche Leiche,
Und die Trompetenblume blühet doch,
Ist auch vom Blitz zerschellt ihr Stab, die Eiche.
Von Schilf und Silberweiden eingefaßt
Schlingt sich durchs Dickicht dort des Baches Faden,
Der Kranich ist sein oftgeseh'ner Gast,
Von reicher Beute allezeit geladen.
Brüllfrosch und Unke lassen abendlich
Ihr Lied ertönen aus des Wassers Schöße,
Und oben auf der Fläche tummeln sich
Die wilde Ente und die Wasserrose.
Wie friedlich rings und wie unendlich reich
An mannigfaltig wechselnden Gestalten!
Was kommt an Schönheit dir, Natur, wohl gleich,
Wenn du vor'm Menschenaug' dich willst entfalten!
Wie klingt es lieblich, wenn die Melodien
Von tausend Vögeln durch die Lüfte schallen.
Wie liegt das Herz andächtig auf den Knien,
Wenn hoch im Blau der Bäume Wipfel wallen!
Urwald, oh, nimm mich auf in deinen Schoß,
Laß, wie ein Kind, mich Schmetterlinge haschen.
Und dein Getier, auf deinem Bett von Moos
Mit neubegier'gen Augen überraschen.
Die Träne fächle mir vom Angesicht,
Die manchmal ich vergangner Zeit noch weine,
Und, ist mein Auge wieder klar und licht.
Dann leih' zu einem Haus mir Holz und Steine.
Wenn der Orkan dann durch die Bäume fegt,
Geheime Zwiesprach' mit der Welt zu halten.
Wenn donnernd hier die Eiche niederschlägt,
Und dort die Erde klafft in weiten Spalten:
Einstimmen will ich dann in gleichem Ton,
Will die_ Natur in meine Reime zwingen.
Ein grimmes Lied der Revolution ' • ■
Und einen Hymnus auf die Freiheit singen!
Das tragische Geschick, dem die roten Urbewohner Amerikas verfielen,
:timmte Rudolf Puchner zu folgendem Gesang :
Goldne Blüten schwanken lässig wie im Traume
Langsam hin und her am flachen Ufersaume,
Und im Westen in der Sonne heil'gen Gluten
V/iil des Abends Seele langsam sich verbluten.
— 481 —
Fernhin auf des Wassers rotbemaltem Spiegel
Ziehen Möwen; wer hält dort am scharfen Zügel
Wohl sein Roß? Vom stolzen Stamm der Chippewäer
Ist's der Krieger einer, einer ihrer Späher.
Sieht er aus nach einem seiner frühern Feinde,
Die sein Blick oft mit dem finstern Tod vereinte,
Wenn er, dem der Haß in seinem Herzen brannte,
Seine Pfeile in die Brust des Feindes sandte?
Fern im Westen ist die Sonne jetzt gesunken,
Deren Strahlen kaum die Erde noch getrunken;
So versank auch dir im dunklen Reich der Sagen
Alles, was du einst in deiner Hand getragen.
Sieh, so weit hier westwärts unsre Blicke reichen,
Fernhin, alles trug einst deines Stammes Zeichen;
Und wenn du den Streit nach fernen Gauen führtest,
Dein war alles, alles, was du nur berührtest!
Leise, wie die Winde durch die trocknen Halme gehen,
Fühltest alles, was dich schmückte, du verwehen.
Wie die Sonne dort, vom hellen Purpur trunken,
Ist dein Glück, dein Stolz — ist deine Macht versunken.
Der gleichfalls zu den „Achtundvierzigern" zählende Rheinpreuße
Gustav Brühl, der als Arzt und Gelehrter in Cincinnati lebte, behandelte
mit Vorliebe geschichtliche Stoffe in seinen Dichtungen. So machte er beispiels-
weise das von dem edlen Pastorius entworfene, den Wein, Lein und Webeschrein
zeigende Ortssiegel von Germantown zum Gegenstand folgender Dichtung :
Sie sind nicht tot — nach weisem Rat
Schickt Gott zuweilen noch Propheten,
Zu zeigen ihrem Volk den Pfad,
Den es zum Heile soll betreten.
Nur wer des Volkes Tiefen kennt,
Erfreut sich dieser Wundergabe,
Daß er sein künftig Los ihm nennt,
Als schuf er's mit dem Zauberstabe.
So war es jenes Lichtes Blick,
Der Germantown ersann sein Siegel,
Der ihm verkündet sein Geschick
Und hell erschloß der Zukunft Spiegel.
Doch nicht der deutschen Stadt allein,
Der ersten, die einst hier erstanden —
Es sollte Prophezeiung sein
Dem ganzen Deutschtum dieser Landen.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 31
— 482 —
Wie sinnig „Wein, Lein, Webeschrein".
Ja, Frohsinn, Ackerbau, Gewerbe,
Das soll der Deutschen Banner sein.
Das ihr Symbol, ihr stolzes Erbe!
Sie sollen ihre heitre Lust
Ins starre Yankeeleben tragen.
Froh soll ihr Herz in freier Brust
Nach echter deutscher Weise schlagen.
Mit Reben soll der Hände Fleiß
Die waldumkränzten Hügel krönen,
Und, kosten sie der Traube Preis,
Ihr Lied das stille Tal durchtönen.
Die Axt, der Spaten und der Pflug,
Sie seien ihre Lieblingswaffen,
Den Urwald, drin der Wilde schlug
Sein Zelt, in Gärten umzuschaffen.
Auch in der Werkstatt soll die Hand,
Die ems'ge, sich geschäftig rühren,
Und, an die Arbeit festgebannt,
Den Hammer und die Spule führen;
Soll leiten der Paläste Bau,
Der Brücken, die das Dampfroß tragen,
Der Dome, die ins Atherblau
Mit ihren stolzen Türmen ragen!
So ist's geschehn — ihr edles Ziel
Verhieß den Deutschen jenes Wappen,
Im heitern und im ernsten Spiel
Fand sie das Leben treu als Knappen.
Sie haben redlich mitgebaut
Am Landeswohl, an seinem Glücke,
Wie's klar der Führer einst erschaut
Mit gottbegabtem Seherblicke.
Wilhelm Müller schildert das mühsame, des großen Zuges aber
nicht entbehrende Dasein des deutschen Ansiedlers.
Ich sah dich im Regen und Sonnenbrand,
Im Kampf mit der Wildnis Gewalten,
Die Steppen des Westens mit schwieliger Hand
Zum blühenden Garten gestalten.
Wo jagend der Yuma durchstreifte das Moor,
Da sproßte dir goldener Weizen empor.
Ich hörte, vom laub'gen Dach überspannt.
Dich reden von heiligen Rechten,
— 483 —
Und was du als lautere Wahrheit erkannt,
Mit kernigen Worten verfechten;
Und wenn deine Rede des Glanzes entbehrt,
Nie fehlte ihr Kraft und der innere Wert.
Oft hast du im ärmlichen Werktagskleid
Den Frevler am Frieden gerichtet;
Und redlichen Sinnes durch klugen Entscheid
Den Hader der Nachbarn geschlichtet;
Und war auch der Römer Gesetz nicht zur Hand,
Dir sagte was Rechtens, dein klarer Verstand.
Und wie seine Brut der erzürnte Aar
Befreit vom verfolgenden Schwärme,
So hast du gerettet aus Not und Gefahr
Die Deinen mit schützendem Arme.
Und wenn es die Rothaut zu züchtigen galt,
Erlag deiner Büchse die Axt von Basalt.
Oft fragte ich staunend: ,,Ist dies der Mann,
Den Armut zum Westen getrieben?
Der zagend des Elends erdrückendem Bann
Entflohn mit den weinenden Lieben?
Der Mann, der hier schaltet mit Wort und mit Tat,
Im Kampfe ein Held und ein Weiser im Rat?"
Wohl bist du derselbe, doch stolz, wie der Baum
Zum Himmel erhebt seine Krone,
Wenn man ihn verpflanzt in sonnigen Raum
Aus rauher, unwirtlicher Zone,
So reifte der Freiheit erwärmender Schein,
Was menschlich in dir und was edel und rein. —
Die Bekanntschaft eines echt modernen deutschen Kulturpioniers vermittelt
uns Konrad Nies in seiner fonnvollendeten Dichtung „Unter texanischer
Sonne".
Texanischer Frühling durchs Bergland ging.
Ein Weben und Wogen den Wald umfing.
. . . Dem deutschen Siedler ritt ich zur Seit'
Durch die weite, blühende Einsamkeit.
Er hatte einst drüben das Schwert geführt,
Eh' texanischen Grund sein Fuß berührt.
Noch hatte das Tagwerk des Rangers nicht
Den Adel geraubt dem Rassengesicht.
In seinem Auge, das blau und tief.
Ein Abglanz versunkener Sonnen schlief;
Aus Stirn und Nacken, gebräunt und breit.
Sprach unverwüstliche Vornehmheit.
31*
— 484 —
Seit zwei Jahrzehnten, der Freiheit Sohn,
Hatt' er die Wildnis gezwungen zur Fron,
Und hatte sein Feld wie die andern bestellt.
. . . Doch abseits von ihrer lag seine Welt. —
. . . Die Pferde hielten ... am Waldesrand
Erschimmerte saatgrünes Ackerland,
Das, frisch gerodet, entbrochen dem Hag,
Inmitten der wuchernden Buschwelt lag.
. . . ,,Mein letztes Werk," — er lächelte fein
Und wies in die keimende Saat hinein.
,, — Vor wenig Monden . . . drei oder vier . . .
War alles noch Urwald und Wildnis hier!
Das lockte zur Axt — und manchen Tag
Gab's schwere Arbeit, doch Schlag auf Schlag
Wich Baum um Baum, und Busch und Dorn.
. . . Nun keimt schon fröhlich das erste Korn.
... Es ist ja nichts Großes, was man getan.
Ich rechne mir sicher nicht hoch es an . . .
. . . Und dennoch, es ist — wie dem auch sei —
Ein Stückchen Schöpferfreude dabei . . ."
Und plötzlich über die Stirne ihm schoß
Ein leichter Schatten, als leise er schloß:
„. . . So macht man der Zukunft die Wege klar,
Und lernt vergessen, was einmal war."
... Er spornte sein Tier ... In leichtem Trab
Wir ritten den steinigen Weg hinab
Und sahen den wandernden Wolken nach,
Als plötzlich von — Friedrich Nietzsche er sprach.
Er hatte des Umwerters Wahn erschaut
Und eigene Werte sich aufgebaut.
— Und was er davon mir offenbart
War, wie das Land rings von großer Art.
Und wie er so ritt durch das Sonnenlicht,
So stolz und stark, so rauh und schlicht.
War mir's, als wehe um Baum und Strauch
Vom echten Übermenschen ein Hauch.
. . . Und lächelnd dacht ich der faselnden Schar
Mit rollendem Aug' und fliegendem Haar,
Die hinterm Ofen weltwichtig krähn.
Und übermenschelnd in Sprüchen sich blähn.
— Wie anders reift, als in Sprüchen und Buch,
Das Leben bei Axthieb und Erdgeruch!
. . . Und tief im texanischen Sonnenschein,
Sprengten wir beide wegfröhlich landein.
— 485 —
Dem bittern Unmut über die von ruchloser Habgier verschuldete Ver-
wüstung der amerikanischen Wälder verlieh Nies in seiner berühmten Dichtung
„Die Rache der Wälder" energischen Ausdruck,
Des Nachts, wenn die Sonne im Meer entschwand
Und die Wolken im Sturme jagen,
Da geht in den Lüften ein Brausen durchs Land,
Wie geächteter Rechte Klagen.
Aus den Catskills kommt's, wo die Eichen weh'n,
Aus Pennsylvaniens Gebreiten,
Von den Tannen an Minnesotas Seen,
Aus Texas' waldigen Weiten,
Aus den Föhren und Fichten bricht es hervor
In Colorados Gesteinen,
Aus den Rotholzriesen am Goldenen Tor,
Aus den Zedern in Floridas Hainen.
Aus Ost und West, aus Süd und Nord,
Durch Klüfte und Felsen und Felder
Erschwillt er im donnernden Sturmakkord —
Der Racheruf der Wälder!
Wir wuchsen und wachten viel tausend Jahr'
Bei der Wildnis rotem Sohne;
Wir boten ihm Obdach und Waffe dar,
Und Liebe ward uns zum Lohne.
Wir sproßten in Frieden, wir grünten in Ehr',
Wir schützten und schirmten die Lande.
Da brachen die Bleichen waldein übers Meer
Und lösten die heiligen Bande.
Sie danken uns Heimat, sie danken uns Herd,
Die Bleichen, die Feigen, die Feinen,
Doch danklos verwüsten, von Habgier verzehrt.
Das Mark sie von Wäldern und Hainen!
Uns Hüter des Hochlands, uns Wächter der Seen,
Der Vorzeit heilspendende Erben,
Sie fällen uns herzlos, in frevlem Vergehn,
Um Haufen von Gold zu erwerben;
Doch eh' wir zerbrochen, als lebloses Gut,
Der Habsucht uns fügen zum Dache,
Hört, Sturm, uns, und Erde und Feuer und Flut,
Euch rufen herbei wir zur Rache!
Ihr seid uns Genossen seit ewiger Zeit;
Die Urkraft, euch lieh sie die Waffen,
Drum sollt ihr Vergeltung im rächenden Streit
Am Werke der Menschen uns schaffen.
Was immer gezimmert aus unserm Gebein,
Der Städte Getürm und Gemäuer,
Reiß es ein. du, o Sturm, reiß es ein. reiß es ein!
Verzehre in Flammen es, Feuer!
Die Brücken der Ströme, die Schiffe im Meer,
Mit unserem Herzblut errichtet.
— 486 —
Verschling sie, o Flut, bis Welle und Wehr
Verstrudelt, verstrandet, vernichtet!
Verschütte, o Erde, du Mine und Schacht,
Die unserem Schöße entragen! . . .
Auf! auf! Ihr Genossen der Nacht, zur Schlacht,
Bis die Werke der Menschen zerschlagen! . . .
So hallt es und schallt es im nächtlichen Chor
Durch Klüfte und Felsen und Felder,
Vom Hudson landein bis zum Goldenen Tor:
Der Schrei der geächteten Wälder. —
Und täglich und stündlich erstarrt uns das Blut,
Wenn neu uns die Kunden umwogen.
Daß Sturmwind und Erde, daß Feuer und Flut
Die Rache der Wälder vollzogen.
Aber auch Töne tiefster Herzinnigkeit standen deutschamerikanischen
Dichtern zu Gebote, wenn es galt, häusliches Glück, die behagliche Wärme des
eignen Herdes, den Wert echter Weiblichkeit zu preisen. Heinrich A. Biel-
f e 1 d , der im „Deutschamerikanischen Athen", in Milwaukee, lebte und starb,
weihte der Mutterliebe folgende Strophen:
Mutterliebe dauert immer,
Sie ist rein, von echtem Gold,
Ohne Prunk und ohne Schimmer,
Stilles Blümchen Wunderhold.
Oh, der süßen Mutterliebe!
Wenn mir je ein Lied gelang,
Das aus innerm Herzensdrang,
Das nicht bloß dem Hirn entsprang,
Sei's ein Lied der Mutterliebe.
Mutterliebe, zart und innig.
Ohne Rast und ohne Ruh,
Immer tätig, immer sinnig.
Nie die Herzenskammer zu.
Oh, der süßen Mutterliebe!
Gibt es einen Erdenpreis?
Ein unsterblich Lorbeerreis?
Vater, Gatte, Sohn und Greis,
Reichet es der Mutterliebe!
Mutterliebe! Heil'ger Frieden,
Hohe Wonne, sel'ge Lust!
Was an Glück uns hier bescliieden.
Wohnet in der Mutterbrust.
Oh, der süßen Mutterliebe,
Die da stets dieselbe ist.
Doch sich selber stets vergißt.
Wo der Mann, der dich ermißt,
Reine, süße Mutterliebe?
— 487 —
Mutterliebe, Mutterplage!
Mutterfreude. Mutterschmerz !
Heil dem Kind, das keine Klage
Dir entrissen, Mutterherz!
Oh, der süßen Mutterliebe,
Die an deiner Wiege wacht,
Mit dir weinet, mit dir lacht,
Für dich sorget Tag und Nacht! —
Sei uns heilig, Mutterliebe!
Seiner das Grau des Alltagslebens veredelnden Genossin weihte der in
weltabgeschiedener Pfarrei wohnende Alfred Walter Hildebrandt
folgenden Lobgesang:
Du schrittest über meine Schwelle,
Die Diele war geflickt und rauh;
Doch Stub' und Herz ward licht und helle
Als du erschienst, geliebte Frau.
Die Heimchen, die verstummt am Herd gesessen,
Sie grüßten uns mit frohem Zirpereim,
Und als zusammen wir das Mahl gegessen,
Ward mir das Haus verwandelt in ein Heim.
Du weißt doch noch? Wir schritten beide
Erregt durchs überschneite Land.
In süßer Lieb und herbem Leide
Sich willig Hand und Lippe fand.
Wohl war's ein Kämpfen und ein Streiten,
Bergauf, bergab ging unser Pfad;
Doch immer war's ein Vorwärtsschreiten
Mit Dir, mein guter Kamerad.
In breiten Straßen und in engen Gassen
Bliebst Du an meiner Seite treu und dicht.
Und fühlt ich mich von aller Welt verlassen.
Von dir verlassen fühlt' ich doch mich nicht.
Das dank ich Dir! Du hast gegeben
Nicht nur den Sinnen flücht'gen Rausch,
Du gabst Dein Herz zum Liebesleben,
Ich gab Dir meins in sel'gem Tausch.
Verlodert ist uns nicht der Liebe Feuer,
Der heiligen, ob auch die Jugend schied;
Am trauten Herd sing' ich in ewig neuer
Verehrung Dir, mein Weib, ein Liebeslied.
Und die geistreiche Dichterin Edna Fern (Frau Fernande
Richter) in St. Louis gewährt einen Einblick in die Seligkeit der Liebe in
folgenden schönen Versen:
— 488 —
In dein Augenblick der größten Wonne
Hielt ich meine Augen fest geschlossen;
Und da war es mir, als ob die Sonne
Golden hätt' dein Angesicht umflossen;
War es mir, als ob ein Kranz von Blüten
Das geliebte Haupt dir hätt' umgeben;
War's, als ob sich zarte Hände mühten,
Uns ins Grenzenlose aufzuheben.
In der weiten Ferne, fast verloren,
Wundersüße Melodei ertönte:
Ewigkeit war's, die uns selige Toren
Unter Sonnenschein mit Blüten krönte.
Und der freudige Stolz über das eigene Kind kann schwerlich schöner
zum Ausdruck kommen als in Hermann H u ß' „Sigelind".
Was blitzt dort fern auf hohem Pfad
U'nd naht sich pfeilgeschwind?
Ich wett" den Kopf, es kommt zu Rad
Nach Hause Sigelind.
Ein flinker Punkt, ein Zitt^^trahl
Erschien es nur vorhin;
Jetzt saust es jäh herab ins Tal,
Als Roß und Reiterin.
Sie ist's! Ich seh's am weißen Hut
Und himmelblauen Kleid,
Noch mehr am frischen Wagemut
In Wegesfährlichkeit.
Jetzt schwindet sie im Grund dem Blick,
Jetzt taucht sie wieder auf,
Fährt jede Kurve mit Geschick
Bei ungehemmtem Lauf.
Im Nu ist sie der Brücke nah.
Jetzt fliegt sie um den See,
Noch ein Moment und sie ist da, —
Dort bringt sie die Allee.
Im Takte hebt sich Knie um Knie,
Und emsig kreist der Fuß,
Mit straffen Armen steuert sie
Den vogelschnellen Schuß.
Wie frei das Amazönchen sitzt,
Wie leicht und schnurgerad!
Wie hell ihr Auge strahlt und blitzt,
Nun jubelnd sie mir naht!
— 489 —
Ein Lichtgebild! Ihr reiches Haar
Weht sonnengoldig im Wind
Ein Diadem nur fehlt, fürwahr,
Prinzeßchen Sigelind.
Ein Augentrost, ein Sonnenstrahl!
Lust, Freude, Jugendglück,
Wie perlender Wein im Goldpokal,
Erglüht in ihrem Blick.
Noch in Bewegung, springt gewandt
Und sicher sie zur Erd;
Und wie sie schiebt zum Straßenrand
Das blinkende Gefährt:
,,Papa, da bin ich," ruft sie hell,
,,lch, deine Sigelind!"
Ich aber flieg' und nehme schnell
Ans Herz mein liebes Kind.
Georg Asmus, dem Verfasser des berühmten „Amerikanischen
Skizzebüchelche", verdankt man die beiden folgenden, in hessischer Mundart
gehaltenen Dichtungen „Mainacht" und „Im Dörfche".
In dunkelfeuchter Maienacht,
Leuchtkäferche nur glüht;
Verstohle noch manch Herzche wacht;
Was blühe kann, das blüht.
Und 's Mädche unnerm Flieder,
Da drin ein Hänftling baut.
Drückt sich die Hand ans Mieder
Und seufzt enaus halblaut:
,,Ach, wer heint en Schatz hätf!"
Armselig Dörfche, was biste so arm,
Die Häuscher, die Scheuern, daß Gott sich erbarm!
Die Kühcher, die Geise wie mager und klein.
An de Bäum da, das müsse Holzäppel sein.
So dacht ich und strich durch das Dörfche geschwind.
Da guckt aus em Fenster e wundersam Kind;
Es wäre die Haare aus Gold ihr gemacht.
Die Zähncher von Perle unschätzbarer Pracht;
Die Haut war von Samniet, die Lippe Rubin,
Und all um ihr Köppche Demantelicht schien.
Ei, dacht ich, arm Dörfche, was biste so reich,
Is das e Verschwendung, sin das vor Gebrauch!
Und wie ich am Zaun e Blümche mir brach,
Warf blaue Juwele ihr Blick mir noch nach.
— 490 —
„Die rote Blume" nannte der hochbegabte George Sylvester
Viereck in New York einen Sang, der für seine Dichtkunst besonders be-
zeichnend ist.
Es war in den Tagen, den Tagen der Rosen,
Da küßtest von Kummer das Herz du mir frei!
Jetzt blühen im Garten die Herbstzeitlosen,
Und Herbstzeitlosen bekränzen uns zwei:
Gestorben die Liebe, das Glück und der Mai,
Und kalt ist und trostlos ein jeglicher Ort,
Die Tage der Rosen sind längst vorbei:
Und die rote Blume ist längst verdorrt.
Einst wollte allewig die Lippen ich küssen,
Die rot wie der Mantel der Königin sind;
Einst glaubt' ich allewig dich lieben zu müssen.
Mein traumschönes, braunes, liebreizendes Kind.
In den Kronen der Bäume, da raschelt der Wind,
Er trägt in die Ferne die Blätter hinfort.
Die Liebe erstirbt und der Sommer verrinnt:
Und die rote Blume ist längst verdorrt.
Wir haben vom Honig der Liebe gegessen,
Wir haben getrunken den Sonnenschein,
Wir haben den Schlüssel zum Garten besessen,
Wo blühet die Blume so rot wie Wein.
Da stahl ihn ein goldiges Vögelein,
Es blieb unsrer Liebe nicht Zuflucht noch Hort,
Es herbstelt da drinnen wie draußen im Hain:
Und die rote Blume ist längst verdorrt.
Es ändert das Schicksal nicht Elfe, noch Fei;
Ich finde nie mehr das erlösende Wort;
Nichts zaubert Vergangnes wieder herbei:
Und die rote Blume ist längst verdorrt.
Für den Philosophen und Fabeldichter Hermann R o s e n t h a 1 ist die
folgende Dichtung charakteristisch:
Der Esel sprach zur Nachtigall:
,, Schon lange hör' ich überall
Von deiner Kunst die rühmlichsten Geschichten!
Doch trau' ich nicht den täglichen Berichten.
Laß hören deiner Stimme Klang
Und deinen wunderlichen Sang,
Dann will ich selber richten!"
Die Nachtigall begann alsbald
Ein Lied aus tiefster Seele.
Es drang aus voller Kehle
In tausend Trillern durch den Wald.
— 491 —
Die Vöglein in den Zweigen
Verharrten still in Schweigen;
Der Schäfer am Waldessaume
Stand lange wie im Traume. —
Und als der Sang zu Ende war
Der Esel sprach: ,,J — a, das ist klar,
Daß dir's nicht mangelt an Talent,
Daß man mit Recht dich Säng'rin nennt, —
Und daß du in der Form gewandt bist.
Doch tut's mir leid,
Daß du mit unsrem Hahn nicht bekannt bist!
Du könntest mit der Zeit,
Hört'st öfter du den Meister singen,
Zur Sängerin des Hofs es bringen." —
Der in New York dem Lehrfach obHegende Deutsch-Österreicher Joseph
Winter widmete dem Andenken des Dichters Platen folgende Ode :
Nächtlich in dem stillen Landhaus liegt der edle Dichter Platen,
Ferne von der deutschen Heimat, fern den heimischen Penaten.
Und die bleichen Lippen lispeln, und es klingt wie Sterbelieder,
Aus der fast verklärten Seele tönen seine Geister wieder.
Und der Gastfreund Landolina sendet nach dem frommen Pater;
Um den Kranken zu versöhnen, kam der geistliche Berater.
Doch der Sänger will nicht beichten; er verlangt nur nach dem Kreuze;
Küssen will er den Erlöser sehnsuchtsvoll im Glaubensreize.
,,Ich bin Protestant, Hochwürden!" gab dem Priester er zu wissen,
,,Doch ich möchte, eh' ich sterbe, einmal noch den Heiland küssen."
Und mit tiefgeiührtem Schweigen wird erfüllt die letzte Bitte,
Denn der Dichter ist kein Ketzer, trennt sie auch des Glaubens Sitte.
Bald drauf eilt durch Syrakus die ernste Trauerkunde
Von dem Tod des deutschen Sängers und von seiner Sterbestunde.
Unter Lorbeern, tief beschattet, ruht der Dichter auf der Bahre,
In der Hand sein .,Buch der Oden", einen Kranz um seine Haare.
Und die Stadt des Theokritos gibt dem Toten das Geleite,
Als der Trauerzug, der fromme, sich in dumpfem Schweigen reihte.
Doch, wer harret vor dem Dome? — Hundert Priester im Talare,
An der Spitze ihren Fürsten, folgen sie der schlichten Bahre.
Ja, es folgt der ganze Klerus mit dem greisen Kardinale,
Orgelton und Chorgesänge dringen aus der Kathedrale.
Und sie knien vor dem Grabe bei den düsteren Zypressen,
Jeder Unterschied des Glaubens ist in dieser Stund" vergessen.
Nur das Dogma könnt' sie trennen! Doch den Dichter muß man ehren!
Und des Glaubens Schranken fallen, wenn es gilt, den Ruhm zu mehren,
,, Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder",
Und am stillen Dichtergrabe schallt die Antwort leise wieder:
— 492 —
„Ruhe sanft, du edler Sänger, vielgeschniäht und ohne Habe,
Deutschlands Söhne halten Wache an des toten Barden Grabe.
Deiner Oden Feuerklänge, der Sonette Reimesheere,
Deiner Lieder Tönewellen rauschen fort von Meer zu Meere!"
Der sinnige Newarker Karl K n i e p zeigt uns die wesenlosen Schatten
der Vorzeit :
Es ist ein langer, bunter Zug,
Bald farbenreich, bald düster,
Bald Wahrheit folgend, bald dem Trug,
Bald Schöpfer, bald Verwüster;
Bald blasen lieblich die Schalmein;
Bald donnern die Kanonen drein.
Hier hörst du einen lust'gen Häuf
Dem Bachus Lieder singen;
Und blutbesudelt schaust du drauf
Die andern Schwerter schwingen;
Hier beten sie zum Heben Gott,
Dort schlagen sie einander tot.
Schaust du ihm nach, in weiter Fern'
Im Nebel er verschwindet;
Dort leuchtet schwach noch mancher Stern,
Und auf dem Weg man findet
Noch manchen Rest verschwundner Pracht,
Und Tote, die einst froh gelacht.
Doch von dem Zug, ganz weit vorauf.
Kannst nichts du unterscheiden;
Es hat der langen Zeiten Lauf
Verwischet Freud' wie Leiden
Von jener allerersten Schar,
Die dieses Zuges Anfang war.
im Meere der Unendlichkeit
Sind längst sie aufgegangen.
Und von der fern verflossnen Zeit
Könnt' nichts zu uns gelangen.
Was sie auch auf den Weg gestreut,
Kein Stäubchen blieb davon für heut!
So zogen sie manch tausend Jahr',
Und keine Spur blieb haften;
Und dürftig auch der Fund nur war
Von dem, was Spätre schafften.
Treu wird ein Bild der Zeit uns nie,
Hier zeichnet nur die Phantasie.
Sie sinnt und zeichnet emsig fort
Und will uns Einsicht geben,
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Mutmaßend nach geschriebnem Wort
Von längst verschollnem Leben.
Es bleibt ein Schattenbildnis nur,
Das man entwirft nach schwacher Spur.
Echte Zukunftspoesie durchzuckt hingegen Friedrich Michels
„Weltausstellungslied", zu dem er auf der Weltausstellung zu St. Louis beim
Durchschreiten des Gebäudes für Elektrizität angeregt wurde :
Allüberall flutet
Es taghell und glutet;
Und Funken, die sprühen,
Und Lampen, die glühen.
Geknister, Geknatter,
Hier stärker, dort matter.
Welch magische Schöne!
Welch seltsame Töne!
Und Räder, die surren
Und treiben und schnurren
So rasend geschwinde
Wie sausende Winde;
Elektrische Wunder
Herauf und hinunter.
Herüber, hinüber.
So schießt ihr vorüber
Am Aug', das geblendet
Und staunend sich wendet.
Ich aber beginne
Zu träumen und sinne
Vom kommenden Lichte
Der Menschheitsgeschichte,
Vom Fortschritt der Zeiten,
Vom endlichen Scheiden
Der finsteren Mächte
Der Herren und Knechte.
Schon seh' ich umfluten
Die goldenen Gluten
Der Freiheit die Erde. —
Sprich Menschheit: Es werde!
Der Größe und Herrlichkeit der neuen Heimat sangen deutschameri-
kanische Poeten gleichfalls begeisterte Lieder. Theodor Kirchhoff, der
„Poet vom Goldenen Tore", widmete dem Staat Kalifornien folgende Hymne, die
erhebendste, die je zum Preise dieses Wunderlandes gedichtet wurde:
Warum du mir lieb bist, du Land meiner Wahl? —
Dich liebt ja der warme Sonnenstrahl,
Der aus .^therstiefe, azurrein
Deine Fluren küßt mit goldenem Schein!
Dich liebt ja des Südens balsamische Luft,
Die im Winter dir schenket den Blütenduft,
— 494 —
Deine Felder schmückt mit smaragdenem Kleid,
Wenn's friert im Osten und stürmet und schneit!
Dich liebt ja das Meer, das ,, Stille" genannt,
Das mit Silber umsäumt dein grünes Gewand,
Das dich schützend umarmt, mit schwellender Lust
Dich wonniglich preßt an die wogende Brust! —
!Wie dein Meer, wie der Lüfte Balsamhauch,
Wie die Sonne dich liebt, so lieb' ich dich auch.
Deine Söhne zumal, — ihr rasches Blut,
Pulsierend in frohem Lebensmut,
Deine Töchter mit Wangen frisch und gesund,
Die Seele im Auge, zum Küssen der Mund,
Warum du mir lieb bist? — Nicht ist es dein Gold,
Du Land, wo die westliche Woge rollt.
Ich wählte zur Heimat diesen Strand,
Weil ich offne, warme Herzen hier fand.
Weil fremd hier der niedrige, kleinliche Sinn,
Der nur .strebt und trachtet nach kargem Gewinn,
Weil die eigene Kraft hier den Mann erprobt,
Nicht ererbtes Gut den Besitzer lobt.
Eine Welt für sich, voll Schönheit, trennt
Dich die hohe Sierra vom Kontinent;
Doch schlugst du mit eiserner Brücke den Pfad
Über wolkentragender Berge Grat,
Und täglich vernimmst du am goldenen Port
Von den fernsten Gestaden der Völker Wort.
Du bewahrtest das Feuer der Jugend dir,
Den Geist, dem Arbeit des Lebens Zier,
Der wagt und ringet und nie verzagt.
Und wo es sich zeiget, das Glück erjagt.
Ja! ich iiebe dich, blühendes, westliches Land,
Wo die neue, die schöne Heimat ich fand.
Wer trüge wohl noch, der dich Herrliche sah,
Warum du mir lieb, California!
In nicht minder schwungvollen Versen sangen Friedrich Grill,
Heinrich Fick und viele andere das Lob Columbias. Dem „Gruß
an Amerika" von Dorothea Böttcher entnehmen wir folgende
Strophen :
Amerika, o neues Heimatland!
Du Land der Freiheit, Land voll Licht und Wonne!
Sei uns gegrüßt, du gastlich holder Strand,
Sei uns gegrüßt, du goldne Freiheitssonne!
Du Rieseninsel, die sich aus dem Beit
Gezeuget in Poseidons Riesenbette,
Erhoben, in sich selber eine Welt,
Der Menschheit schönste, letzte Zufluchtsstätte!
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O gottbegnadet Land,, wie reich, wie schön!
Mit deinen Seen, üppigen Prärien,
Fruchtbaren Tälern, waidunikränzten Höh'n,
Und deinen süßen Freiheitsmelodeien!
Heil dir, Columbia, herrlich, groß und kühn!
Das Auge von Millionen ruht verwundert,
Auf dir, Erhabne, deren Staaten blühn,
Frei, reich und unabhängig, ein Jahrhundert.
Dein glorreich Haupt, umstrahlt vom Freiheitsschein,
Die Herrscherin der Welt wirst du erstehen!
Die Zukunft wie die Gegenwart sind dein.
Und siegreich wird dein Sternenbanner wehen!
Ziel unsrer Wünsche, aller Hoffnung Strand,
Wird hier die Not, der Schmerz, die Sehnsucht schwinden?
Das uns verheißne, das gelobte Land —
O Gott im Himmel, laß es hier uns finden!
In die Gattung dieser Poesien gehört aucii Friedrich Albert
Schmitts feuriges Freiheitslied „Sterne und Streifen", das zweifellos zu den
besten in Amerika entstandenen patriotischen Dichtungen gehört:
Im Morgenwind in der Sonne Gold
Der Freiheit heiliges Banner rollt;
Sein Rauschen tönet wie Adlerflug
Um Alpenhäupter im Siegeszug.
Es klingt wie das Rauschen im Urwaldsdom,
Es klingt wie das Brausen im Felsenstrom,
Es klingt wie die Brandung am Klippenstrand,
Von See zu See und von Land zu Land:
Freiheit! Freiheit!
Wie die ewigen Sterne vom Himmelszelt
Herniedergrüßen zur träumenden Welt,
Wie im blauen Äther ihr Licht erglüht.
Erfreuend, erhebend das Menschengemüt,
So grüßen die Sterne des Banners, wenn hold
Es den staunenden Blicken der Völker entrollt,
So kündet ihr Anblick vom heiligen Hort
Dem Lande der Freien das herrliche Wort:
Freiheit! Freiheit!
So zog es voran einst der Väter Heer,
Als die Knechtschaft dräute und Fesseln schwer;
So hat es ermutigt die Kämpfer im Streit,
So hat CS die Waffen der Krieger gefeit.
So hat es die heilige Liebe geschürt,
So hat es zum herrlichen Sieg sie geführt.
So hat es gewährt ihnen k()stlichen Lohn,
So hat es geheiliget der Union
Freiheit! Freiheit!
— 496 —
Ihr Sterne so hehr und ihr Streifen so hold,
Oh, rauschet zum Feste, oh rauschet und rollt
Und kündet den Kindern und Enkeln es an.
Was einst um die Freiheit die Väter getan!
Oh, rollet und rauschet ein ewiges Lied,
Daß tief in den Herzen es woget und glüht,
Oh, rollet und rauschet, dem Segen geweiht,
üb dem Lande der Freien in Ewigkeit!
Freiheit! Freiheit!
Doch genug der Proben deutschamerikanischer Dichtkunst. Es gebricht
an Raum, allen im Bereich der Union erstandenen deutschen Poeten gerecht zu
werden, von denen der gemütvolle Friedrich Castelhun, der Richter
Max Eberhardt, der geistvolle Kuno Francke und sein Kollege
Hugo Münsterberg, der Wandervogel Wilhelm Benignus, der
sarkastische Witzbold Karl Hauser, der feurige Martin Drescher,
die Dichterinnen Marie Raible, Johanna Nicolai, Martha
T o e p 1 i t z und viele hundert andere verdienen, genannt zu w^erden. Aber
die mitgeteilten Proben dürften beweisen, daß die Göttin Poesie auch unter den
Deutschen Amerikas ebenso begeisterte wie berufene Priester besitzt, die im-
stande sind, durch ihrer Sprache Zauberklang Tausende und aber Tausende zu
erfreuen und zu erheben. Möge es ewig rauschen und brausen im deutsch-
amerikanischen Dichterwald.
Auch auf dem Gebiet der Bühnendichtung schufen Deutschamerikaner
manches Bemerkenswerte.
Mit besonderer Vorliebe behandelten sie historische Stoffe. Der lodernder
Begeisterung fähige Kaspar Butz schrieb das mit großem Erfolg in
St. Louis aufgeführte Drama „Florian Geyer" ; Ernst Anton Zündt die
Trauerspiele „Jugurta", „Rienzi" und „GaUlei"; P. J. Reuß unter dem
Pseudonym Otto Weiden „Karl XII.", „Arria", „Die Zerstörung Jerusalems"
und „Tippo Saib" ; Karl HeinrichSchnauffer das Trauerspiel „Crom-
well" ; Hugo Schlag „Thomas Münzer" ; Emil Schneider „Ulfila".
Ernst Henrici bekundete sich in den Dramen „Nausikaa", „Hero-
stratos", „Bretius" und „Charlotte Corday" als feinfühlender Dichter.
Friedrich Schnake behandelte in den Trauerspielen „Montezuma",
„Quatemozin" und „Maximilians letzte Tage" erschütternde Vorgänge aus der
mexikanischen Geschichte.
Victor Precht machte den wackeren Gouverneur Jakob Leisler zur
Hauptfigur eines gleichnamigen Trauerspiels, das zuerst im Jahre 1877 in New
York große Begeisterung erregte. Karl Lorenz und Bertrand Hoff-
acker entnahmen die Vorwürfe zu ihren Tragödien „Das Schandmal" und
„Enthüllungen, oder Rot, Weiß und Schwarz" hingegen dem modernen Leben.
— 497 —
Unter den Schauspieldichtern steht Wilhelm Müller mit den be-
liebten Volksstücken „Im gelobten Land" und „Ein lateinischer Bauer" obenan.
Der vielseitige Karl Heinzen schrieb das Lustspiel „Dr. Nebel, oder Ge-
lehrsamkeit und Leben". Glückliche Griffe ins amerikanische Volksleben taten
Heinrich Börnstein mit seinem „Einwandrer", Max C o h n -
heim mit „Herz und Dollar", Georg Hermann mit „Strategie der Liebe"
und W. L. Rosenberg mit den Stücken „Crumbleton" und „Die Moral-
wage".
Erwähnenswert sind ferner K a t z e r s „Kampf der Gegenwart", B e r n -
hardBettmanns „Zigeunerrache", Karl Diltheys „Küraß und Kutte",
Friedrich H. Ernsts „Peter Mühlenberg oder Bibel und Schwert".
Zur seichteren Ware zählen die von Adolf Philipp geschriebenen
Lustspiele „Der Corner Grocer aus der Avenue A", „Der Pawnbroker", der
„Brauer" und andere, die aber in dem von Philipp geleiteten Germaniatheater
zu New York zahllose Aufführungen erlebten.
August L. Wolle nweber behandelte in den Schauspielen „Gila,
das Indianerniädchen" und „Die Lateiner am Schuylkill Kanal" Episoden aus
dem Leben deutscher Ansiedler in Amerika. —
Unter den epischen Dichtungen sind Theodor Kirchhoffs „Her-
mann", Ferdinand Schreibers „Amanda", Gustav Brühls „Char-
lotte", Julius Brucks „Ahasver", H e n r i c i s „Aztekenblume", Rudolf
Puchners „Aglaja", Wilhelm Müllers „Schabiade" und Rudolf
Thomanns „Leben und Taten des Hannes Schaute" hervorzuheben.
Auch an Festspieldichtungen ist kein Mangel. Von diesen kamen beson-
ders die von Konrad Nies verfaßten, in edler Sprache gehaltenen „Deut-
schen Gaben" und „Rosen im Schnee" wiederholt in deutschamerikanischen
Vereinigungen zur Aufführung. Ihnen reiht sich die ebenbürtige Leistung „Ar-
minius' Brautfahrt" an, die von E: m i 1 Roller gedichtet, in reizvoller Weise
das Werben eines deutschen Recken um die in Jugendschönheit strahlende Braut
Columbia schildert.
Überblickt man die lange Reihe der deutschen Männer und Frauen, denen
inmitten der keuchenden, atemlos hetzenden Arbeitsatmosphäre Amerikas die
Dichtkunst eine liebe Gefährtin blieb, so kann man sich eines Gefühls tiefer Ehr-
furcht nicht erv/ehren.
Ruhm und klingender Lohn war diesen Priestern und Priesterinnen der
Poesie selten beschieden. Nie wurden ihre Namen den breiten Volksmassen ver-
traut. Ihre Werke verfielen, kaum daß sie geboren, der Vergessenheit. Aber
dennoch nährten und behüteten diese Deutschen die heilige Flamme, die ihr
Inneres erwärmte und ihnen als Führerin auf den verworrenen Wegen des Lebens
voranleuchtete.
Gronau, Deutsches Leben In Amerika. 32
Deutsches Lied und deutscher Sang in Amerika.
Ich dachte dein, du trautes Heimatstal,
So oft ich träumend in die Ferne schaute;
Ich dachte dein, als ich zum erstenmal
In fremdem Lande hört' der Heimat Laute. —
Die Töne fernher zu mir drangen,
Ein wundersam ergreifender Gesang;
Wie nehmen sie das ganze Herz gefangen,
Oh, diese Lieder — dieser Töne Klang!
Da kam es über mich wie Zuversicht;
Und als der Töne letzter Hauch zerstoben,
Erhob ich frei mein Haupt zum Sternenlicht
Und lenkte dankerfüllt den Blick nach oben. —
Ob in der Heimat, ob an fremdem Ort
Der wackre Sohn des deutschen Landes lebt.
Oh, deutsches Lied, stets wirst du hier wie dort
Das Herz erfreu'n, das stilles Glück umwebt!
Adolf Hachtmann.')
Wo in Amerika das erste deutsche Lied erklang? Ob an den Ufern des
südamerikanischen Silberstroms, ob unter den Palmen Venezuelas, ob auf den
Hochebenen von Bogota und Mexiko, ob an den Gestaden des Hudson? Nie-
mand vermag es zu sagen. Wir wissen nur, daß das deutsche Lied zu den
kostbarsten Schätzen gehörte, die von den aus dem alten Vaterlande Aus-
wandernden mit in die Neue Welt hinübergenommen wurden.
Bereits in früheren Abschnitten zeigten wir, daß die deutschen Sektierer,
die sich zu Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts in Pennsylvanien
niederließen, große Neigung für Gesang und geistliche Musik bekundeten und
damit ihren Gottesdienst auszuschmücken pflegten. Daß diese Sektierer in
der Pflege des Gesanges unter den Deutschen nicht vereinzelt standen, ergibt
sich aus dem Zeugnis des oft erwähnten Dr. Benjamin Rush, welcher in seiner
Darstellung der Sitten und Lebensweise der deutschen Einwohner von Penn-
sylvanien denselben nachrühmte, daß sie im Psalmensingen alle anderen reli-
giösen Gesellschaften im Staate übertroffen hätten.
^) Die obigen Verse wurden in der von Faßbender bewirkten Vertonung bei der
Feier des fünfzigjährigen Bestehens des „Nordöstlichen Sängerbundes" am 5. Juli 1900 als
Preislied von den um den Kaiserpreis wetteifernden Vereinen gesungen.
— 499 —
Zur Gründung eines weltlichen Gesangvereins kam es erst am 15. De-
zember 1835, an welchem Tage unter der Leitung des tüchtigen Musikers
Philipp Mathias Wolsiefer der noch heute bestehende ,,M ä n n e r -
chor von Philadelphia" gestiftet wurde. Diesem reihten sich bald
darauf in anderen Städten ähnliche Vereine an. So entstanden im Jahre 1836
der „L i e d e r k r a n z" in Baltimore ; 1 838 der „Deutsche Gesang-
verein" in Cincinnati; 1847 der „Deutsche Liederkranz" in New
York; 1848 der „Deutsche Lied er kränz" in Louisville usw. Bald
besaß jede Stadt mit deutscher Bevölkerung einen oder mehrere deutsche Ge-
sangvereine. In Baltimore wurde zur selben Zeit, im Jahre 1838, durch Ver-
schmelzung des Damenchors der Zionskirche mit dem „Liederkranz" der erste
gemischte deutsche Chor Amerikas gegründet.
Das Gedeihen aller dieser Vereine wurde durch die Einwandrung der
aus Deutschland kommenden politischen Flüchtlinge der dreißiger und vierziger
Jahre mächtig gefördert. Dieselben brachten die begeisternden Freiheitslieder
Hoffmanns von Fallersleben, Flerweghs, Freiligraths, die Lieder Uhlands,
Heines, Lenaus u. a. mit und bereicherten obendrein die deutschamerikanische
Literatur durch zahllose eigene Dichtungen.
Gelegentliche Besuche, wie sie beispielsweise im Jahre 1837 vom „Lieder-
kranz" der Stadt Baltimore, dem „Männerchor" von Philadelphia, und vom
„Liederkranz" zu Louisville der „Liedertafel" in Cincinnati abgestattet wurden,
gaben die Anregung zu gemeinschaftlichen Sängerfesten wie zu den Sänger-
bünden.
Als das erste deutsche Gesangfest in Amerika darf jenes gelten, welches
am 1. und 2. Juni 1849 von den vereinigten Sängern von Louisville, Madison
und Cincinnati in der letztgenannten Stadt abgehalten wurde. Das Programm
des am 1. Juni abgehaltenen Hauptkonzerts war folgendes:
Erster Teil.
1. Chor der drei hiesigen Vereine:
Sängergruß -. „Seid gegrüßt in froher Stunde" Zöllner
2. Allgemeiner Chor:
„Herbei, herbei, du trauter Sängerkreis" Mozart
3. Chor der Cincinnatier Liedertafel:
Das Vaterland: „Dir möcht' ich diese Lieder weihen" . . . Kreutzer
4. Chor des „Louisville Liederkranz":
„Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust" Volkslied
5. Chor des „Gesang- und Bildungsvereins" von Cincinnati:
„Macht der Töne" Frech
6. Chor des „Schweizervereins" von Cincinnati:
„Das Alpenhorn" Proch
7. Allgemeiner Chor:
Die Kapelle: „Was schimmert dort auf dem Berge so schön" Kreutzer
32*
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Zweiter Teil.
8. Allgemeiner Chor:
„Was ist des Deutschen Vaterland" Reichardt
9. Chor des „Schweizervereins":
„Der Morgen" Baumann
10. Chor des „Gesang- und Bildungsvereins":
„Soldaten-Trinklied" Abt
11. Chor des „Liederkranzes":
„Wir kommen, uns in dir zu baden" F. Silcher
12. Chor der „Liedertafel":
„Das ist der Tag des Herrn" Kreutzer
13. Allgemeiner Chor:
„Ein Leben wie im Paradies" Zöllner
Alle Nummern wurden gut, manche sogar so vorzüglich durchgeführt,
daß die Begeisterung der Zuhörer kaum übertroffen werden konnte. In der
am folgenden Morgen, dem 2. Juni, abgehaltenen Generalversammlung der be-
teiligten Vereine beschlossen dieselben, die freundschaftliche Verbindung nicht
nur aufrechtzuerhalten, sondern auch auf andere deutsche Gesangvereine aus-
zudehnen. So entstand der „Deutsche Sängerbund von Nord-
a m e r i k a", dessen Geburt am dritten Festtag, einem herrlichen Sonntag ge-
feiert wurde. Sämtliche Festteilnehmer, über tausend an der Zahl, fuhren in
aller Morgenfrühe auf reichgeschmückten Dampfern den Ohio hinauf bis zu
dem sechs Meilen entfernten, romantisch gelegenen Bald Hill, von dessen be-
waldetem Gipfel sich ein entzückender Ausblick auf die Täler des Ohio und
Miami darbot. Unter fröhlichen Gesängen verstrich der Vormittag; dann ver-
einigten sich die Teilnehmer zu einem durch treffliche Reden gewürzten Mahl,
an welches sich später ein echtes deutsches Volksfest anreihte.
Der herzerhebende Verlauf dieses ersten deutschen Gesangfestes in Amerika
war für die amerikanische Presse eine Quelle des Staunens. „The music on
the high hill, in the midst of a pleasant grove, by nearly two hundred singers,
was grand beyond our power of description." So schrieb die „Gazette", wobei
sie einflocht, daß die Amerikaner, die sich viel zu wenig Erholungen gönnten,
häufiger an derartigen Vergnügungen teilnehmen möchten.
Daß in der puritanischen Presse auch einzelne absprechende Stimmen
laut wurden, war nicht anders zu erwarten. Zumal die Deutschen gewagt
hatten, ihr Volksfest an einem Sonntag zu begehen. Eine dieser Zeitungen
machte die Sänger sogar für das Erscheinen der Cholera in Cincinnati ver-
antwortlich, behauptend : „These Dutch singers with their intemperate jubilee,
drinking the sour wine, have brought the cholera upon us."
Hatte so das deutsche Lied an den Ufern des Ohio eine Heimstätte ge-
funden, so blieb man auch im Osten nicht müßig. Wohl in der Erkenntnis,
daß die ungeheuren räumlichen Entfernungen des Landes den östlichen Vereinen
— 501 —
die Beteiligung an den Sängerfesten der westlichen Vereine unmöglich machen
würden, gründete man im Jahre 1850 in Philadelphia den „Allgemeinen öst-
lichen Sängerbund", der als Vorläufer des heutigen „Nordöstlichen
Sängerbundes" anzusehen ist. Während der „Nordamerikanische Sänger-
bund" sich auf die zwischen den Alleghanygebirgen und dem Mississippi be-
stehenden Vereine beschränkte, sammelte dieser die östlich von den Alleghanys
entstandenen Vereine um sich. In den Jahren 1852 und 1855 reihten sich diesen
Bünden noch der „Deutsch-Texanische" und der „Nordwest-
licheSängerbun d", an, von denen der letzte die in Wisconsin, Minnesota
und westlich vom Mississippi emporgeblühten Vereine umfaßt.
Den mächtigen Anstrengungen dieser Bünde ist es zu danken, daß das
deutsche Lied in überraschend kurzer Zeit einen wahren Siegeszug durch ganz
Amerika vollenden konnte.
Auch die Amerikaner gelangten zu der Einsicht, daß es töricht sei, den
Blick ausschließlich aufs Jenseits gerichtet zu halten. Sie begannen nicht nur
ihre Häuser dem deutschen Musiklehrer zu öffnen, sondern deutschen Gesang-
vereinen beizutreten und sogar eigene ins Leben zu rufen. Schon bei dem
vierten, im Juni 1853 zu Philadelphia abgehaltenen Sängerfest befand sich
unter den am Preissingen teilnehmenden Vereinen ein anglo-amerikanischer, der
sich kurz zuvor dem Nordöstlichen Sängerbunde angeschlossen hatte und von
diesem zur Mitwirkung an gemeinsamer Kulturarbeit freudig aufgenommen
worden war.
Die Folge hat gelehrt, daß die bei den Amerikanern erweckte Liebe zur
Musik und zum Gesang keine vorübergehende Neigung war; sie befestigte sich
für alle Zeiten, als hervorragende Dirigenten an die Spitze der Gesangvereine,
Konzert- und Opernunternehmungen traten und die Amerikaner mit den groß-
artigsten Schöpfungen der deutschen Gesangskunst bekannt machten; als so
gottbegnadete Sänger und Sängerinnen wie TheodorWachtel, Albert
Niemann, Pauline Lucca, Lilli Lehmann, Henriette
Sontag, Amalie Materna, Etelka Gerster, Johanna
Gadsky, Ernestine Schumann- Heink und viele andere die Neue
Welt besuchten und die Amerikaner mit den herrlichsten Schöpfungen der deut-
schen Gesangskunst, den wunderbaren Arien der deutschen Oper und Oratorien
vertraut machten. Von der Zaubermacht solcher Schöpfungen bezwungen,
scharten die Amerikaner sich gleichfalls zu Gesangvereinen zusammen, die in
dem Bestreben, in der Wiedergabe der Schöpfungen und Oratorien deutscher
Meister die höchste Vollkommenheit zu erringen, mit den deutschamerikanischen
Vereinen wetteifern.
Wenn es, wie in der Geschichte aller Vereinigungen, auch bei den großen
deutschamerikanischen Sängerbünden Zeiten der Lauheit gab, so können aber
im allgemeinen diese Verbände mit gerechtem Stolz auf die vollbrachte Kultur-
arbeit zurückblicken. Ihre Bedeutung und ihr Einfluß sind noch heute beständig
im Wachsen. Das ergibt sich am schlagendsten aus den Sängerfesten des
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„Nordöstlichen Bundes", die nach einem im Jahre 1871 gefaßten Beschluß nicht
mehr jährlich, sondern nur alle drei Jahre stattfinden. Von Fall zu Fall haben
sich diese Feste bedeutungsvoller, großartiger gestaltet. Das im Lande der
Riesenströme, Riesenbäume, Riesenschluchten, Riesenbrücken und Riesenbauten
überall wahrnehmbare Streben nach Gigantischem, Massigem, teilte sich näm-
lich auch diesen Sängerfesten mit und ließ sie zu Ereignissen werden, wie sie
in gleich großem Maßstabe in Deutschland nie gefeiert wurden. Bei dem in
Brooklyn abgehaltenen vierzehnten Sängerfest waren 2200 Sänger versammelt.
An dem fünfzehnten Feste in Baltimore nahmen 3000, am sechzehnten in Newark
400, am siebzehnten in New York 5000, am 18. in Philadelphia 5300 aktive
Sänger teil.
Während dieser Feste stellte es sich heraus, daß die Vereinigung so ge-
waltiger Sängerscharen zu gigantischen Massenchören zwar große Reize, aber
auch Schwierigkeiten und Gefahren für das allseitig befriedigende Gelingen der
Feste besitzt. Das trat in sehr anschaulicher Weise bereits bei dem im Jahre 1894
in New York abgehaltenen siebzehnten Sängerfest zutage, wo man, um die volle
Entfaltung der Massenchöre sicherzustellen, genötigt war, als Festhalle den
„Madison Square Garden", das größte, 15 000 Personen fassende Versamm-
lungslokal New Yorks, zu wählen. Kamen daselbst die vieltausendstimmigen
Massenchöre in geradezu überwältigender Weise zur Geltung, so ergab sich
aber auch, daß die Lungenkraft der mitwirkenden SoUsten nicht ausreichte, so
ungeheure Räume zu beherrschen und gegenüber dem niagaraartigen Brausen
der Chöre zu entsprechender Wirkung zu gelangen.
Mit Recht erhoben deshalb maßgebende Kritiker die Warnung, nicht
in das undeutsche Streben nach dem Massenhaften, Mammutartigen zu ver-
fallen, sondern die Ziele anstatt in Monstrefesten in alljährlich wiederkehrenden
kleineren Sängerfesten der Gauverbände zu erstreben.
Diese Empfehlung konnte bei dem im Juli 1900 abgehaltenen neunzehnten
Sängerfeste zu Brooklyn nicht ganz beherzigt werden. Verschiedene Umstände
bewirkten vielmehr, daß dasselbe eine noch größere Ausdehnung als seine Vor-
gänger annahm. Es beteiligten sich an demselben nämlich 174 Vereine mit
über 6000 Sängern!
Zu diesem Massenzuzug trug einmal der Umstand bei, daß der „Nord-
östliche Sängerbund" die Feier seines fünfzigjährigen Bestehens beging; dann
auch war aus Anlaß dieses Ereignisses für die in der edlen Sangeskunst wett-
eifernden Vereine eine große Zahl sehr wertvoller Preise ausgesetzt, darunter
ein von Sr. Majestät Kaiser Wilhelm II. gewidmeter, dessen Stiftung in den
Herzen aller Deutschamerikaner begeisterte Freude erweckte und dem Jubelfeste
eine ungewöhnliche Anziehungskraft verlieh.
Die Gabe bestand in der auf einem Untersatz aus Bronze stehenden 40 cm
hohem Silberstatuette eines Minnesängers des 12. Jahrhunderts. Es wurde
beschlossen, dieses kostbare Kunstwerk jenem Verein endgültig als Eigentum
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zuzusprechen, der ihn zweimal unbestritten gewann. Da diese Bedingung
bisher kein Verein erfüllte, so muß bis auf weiteres dem Programm jedes Sänger-
festes ein Kaiser-Preislied zugefügt werden.
Vom künstlerischen
Standpunkt aus betrachtet,
ist dieser Umstand mit
Freuden zu begrüßen, da
es sich herausgestellt hat,
daß das Kaiserpreissingen
bei allen Festen nicht nur
eine ungeheure Anzie-
hungskraft ausübte, son-
dern daß in diesem edlen,
mit allen Aufregungen
und dem Nervenkitzel
eines wirklichen Kampfes
verbundenen Wettstreit
auch die allervoUendet-
sten Darbietungen zu Ge-
hör gebracht wurden.
Beim Kaiserpreis-
singen des Jahres 1900
erzielten der „A r i o n"
von Brooklyn und der
„Junge Männerchor"
von Philadelphia die
gleiche Punktzahl. Da
sonach keiner der beiden
Vereine einen unbestritte-
nen Sieg davontrug, so
entschied die Bundeslei-
tung, daß jeder der bei-
den Vereine den Preis 18
Monate lang bis zum
nächsten Sängerfest in Be-
sitz nehmen solle. Beim
Sängerfest des Jahres 1903
in Baltimore gewann der
„Junge Männerchor" von Philadelphia den alleinigen Sieg. Beim
Sängerfest des Jahres 1906 in Newark trug die „Concordia" von Wilkes-
barre, Pennsylvanien, den Preis davon. Beim Sängerfest des Jahres 1909 in
New York erzielten wiederum zwei Vereine — der „Kreutzer Quartett-
Klub" von New York und der „Junge M ä n n e r c h o r" von Philadelphia
Die von Sr. Maj. Kaiser Wilhelm"!!, dem Nordöstlichen
Sängerbund gestiftete Silberstatuette.
— 504 —
die gleiche Punktzahl. So muß nun mindestens noch einmal, im Jahre 1912,
um den endgültigen Besitz des kostbaren Preises gekämpft werden.
Fast alle in den Vereinigten Staaten abgehaltenen großen Sängerfeste
gestalteten sich sowohl in bezug auf die hohen Kunstleistungen wie auf die
Menge der Teilnehmer zu förmlichen Triumphen. Und durch das allgemeine,
auch seitens des Anglo-Amerikanertums bewiesene Interesse erhielten sie den
Charakter amerikanischer Nationalfeste.
Erwähne ich noch, daß die allgemeine Lage der Nordamerikanischen
Sängerbünde recht befriedigend ist und daß nach dem Beispiel der östlichen
Städte sich auch in den fernsten westlichen Ortschaften mit deutschamerika-
nischer Bevölkerung allenthalben Gesangvereine bilden, so kann man dem deut-
schen Lied in Amerika getrost eine glänzende fernere Zukunft voraussagen. Und
zwar um so sichrer, je mehr in den Herzen der Deutschen sowohl wie der
Amerikaner die Erkenntnis um sich greift, daß die Gesangvereine in der Tat
eine Kulturaufgabe erfüllen und in hohem Grade zur Bildung, Erhebung und
Veredlung der ganzen Nation beitragen.
Deutsche Einflüsse im Musikleben Amerikas.
Den frommen Sektierern zu Ephrata und Bethlehem, welche unter den
in Amerika eingewanderten Deutschen die ersten waren, die sich die Pflege
des Gesanges angelegen sein ließen, gebührt auch der Ruhm, die ersten ge-
wesen zu sein, welche der Musik liebevolles Interesse zuwandten. Vornehmlich
waren es die Herrnhuter oder Mährischen Brüder, welche ihren Gottesdienst
mit Orgelgetön, Posaunenschall und Zimbelklang eindrucksvoller zu machen
suchten. Schon im Jahre 1780 schlössen die musikliebenden Brüder der Ge-
meinde Bethlehem sich zu einem Orchester zusammen, um die Wiedergabe
der von Haydn, Händel, Bach, Mozart und anderen deutschen Meistern ge-
schaffenen geistlichen Tonwerke zu versuchen. An tiefem Ernst und hoher
Begeisterung ließen sie es nicht fehlen und so kam es, daß die in der alten
Kirche zu Bethlehem abgehaltenen Musikfeste bald großen Ruf erlangten und
Besucher aus weitem Umkreise anzogen.
Nicht lange blieben die Herrnhuter im Kultus dieser ernsten Musik ver-
einzelt. Händeis „Messias'* und Haydns „Schöpfung" waren auch in England
als die höchsten Leistungen auf dem Gebiet der geistlichen Musik anerkannt
Kopfleiste: Die alte Herrnhuter Kirche zu Bethlehem in Pennsylvanien.
— 506 —
worden. Sie fanden auch ihren Weg nach den Neu-England-Staaten. Bruch-
stücke der großartigen Ton werke wurden bereits am 10. Januar 1786 durch
die in Boston bestehende „Musical Society" zu Gehör gebracht. Desgleichen
am 27. Oktober 1789 zu Ehren der Anwesenheit des Präsidenten George
Washington.
Die erhabenen Werke machten auf die Puritaner so mächtigen Eindruck,
daß an verschiedenen Orten Amateure und berufsmäßige Musiker sich zu
„Händel und Haydn Societies" vereinigten. Eine solche entstand im Jahre
1786 zu Stoughton, Massachusetts. Ihr schloß sich im Jahre 1815 diejenige zu
Boston an, welche im Kunstleben Amerikas zu höchstem Ansehen gelangte.
Als Gründer darf man wohl den Komponisten Gottlieb Graupner
betrachten. Derselbe war Oboist in einem Hannoverschen Regiment gewesen
und im Jahre 1798 nach Boston gekommen. Hier schuf er im Jahre 1810
im Verein mit mehreren Amateuren das erste Orchester in Neu-England, die
„Philharmonie Societ y", welche bis 1824 bestand. Die „Händel
and Haydn Society'' zu Boston veranstaltete ihr erstes öffentliches Konzert am
Weihnachtsabend 1815, wobei sie sowohl Haydns „Schöpfung" wie auch Hän-
deis „Messias" zur Aufführung brachte.
In New York pflegten die im Jahre 1799 gegründete „Euterpean
Society", die 1823 entstandene „Sacred Music Society", die
„C h o r a 1 S o c i e t y" und die „H a r m o n i c S o c i e t y" die Oratorienmusik.
Noch größere Bedeutung als diese während der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts wieder erlöschenden Vereinigungen erlangte die „Philharmonie
Society". Ihr Ursprung reicht bis in das Jahr 1839 zurück, wo eine An-
zahl tüchtiger Künstler für die Hinterbliebenen eines verstorbenen Kollegen am
25. Juni ein Benefizkonzert veranstalteten und dabei mit der vortrefflich ge-
lungenen Wiedergabe der „Freischütz-Ouvertüre" ungeahnten Erfolg erzielten.
Das gab den Anstoß zur Gründung der aus lauter Berufskünstlern bestehenden
„Philharmonischen Gesellschaft". Ihre Mitglieder, der Mehr-
heit nach Deutsche, hatten nicht etwa schnöden Gelderwerb im Auge, sondern
steckten sich das Ziel, in ihrer hehren Kunst das Vollkommenste zu leisten,
unbekümmert darum, ob sie dabei pekuniäre Opfer bringen müßten.
Die Eintragung der Gesellschaft erfolgte im April 1842. Als Dirigenten
wechselten anfangs U. C. Hill, GeorgLoder,H. C. Timm, Theodor
Eisfeld und Karl Bergmann miteinander ab. Hill, ein ausgezeichneter
Violinist, der in Kassel bei Spohr studiert hatte, erschien während der ersten
Jahre am häufigsten am Dirigentenpult. Von 1865 ab bis 1876 leitete Bergmann
ausschließlich die Konzerte.
Der Philharmonischen Gesellschaft zu New York folgten im Jahre 1851
das aus Amateuren bestehende „H ay dn -Or ch e st er" in Baltimore; 1862
die „Philharmonische Gesellschaft" in Brooklyn; 1881 das
„Symphonie-Orchester" in Boston; 1885 das „Philharmo-
nische Orchester" in Cleveland; 1891 das „Sy m ph on i e-O r-
— 507 —
ehester" in Chicago und 1 895 das „Symphonie-Orchester" in
Cincinnati. Die Gesellschaften in Brooklyn und Baltimore lösten sich während
der achtziger Jahre auf, als das zu hoher Bedeutung gelangende „B o s t o n e r
Symphonie-Orchester" regelmäßige Kunstreisen durch den Osten
der Vereinigten Staaten unternahm und mit seinen vollendeten Leistungen jene
Gesellschaften überflügelte.
Mit der Geschichte der genannten Vereinigungen aufs engste verknüpft
sind die Namen mancher, von echtem Künstlergeist beseelten Männer, welche
als Apostel deutscher Musik für die Entwicklung des Kunstsinns in Amerika
von höchster Bedeutung wurden : Karl Bergmann, Theodor Tho-
mas, Karl Zerrahn, Georg Henschel, Wilhelm Gericke,
Leopold und Walter Damrosch, Anton Seidl, Emil Paur,
Frankvan derStucken u. a.
Karl Bergmann, ein wahres Dirigentengenie, kam im Jahre 1848 als Mit-
glied des aus etwa 50 politischen deutschen Flüchtlingen bestehenden „Ger-
mania-Orchesters" nach Amerika. Dieses veranstaltete in verschiedenen
Städten Konzerte, mit denen man zwar große künstlerische, aber nur geringe
finanzielle Erfolge erzielte. Trotzdem bestand es unter der Leitung Bergmanns
und später unter Karl Zerrahn bis 1854.
In den Jahren 1852 bis 1854 war Bergmann Dirigent der „Händel
und Haydn Society" in Boston. Zu Ende der fünfziger Jahre siedelte
er nach New York über und führte als erster ständiger Leiter der „Philharmo-
nischen Gesellschaft" diese Vereinigung während der Jahre 1865 bis 1876 zu
stolzer Höhe empor.
An seine Stelle trat im Winter 1876/77 der in Posen geborene Leopold
Damrosch, ein hochbegabter Musiker, der alle Eigenschaften eines aus-
gezeichneten Violinisten, Komponisten und Dirigenten in sich vereinigte. Er
kam auf Einladung des Männergesangvereins „A r i o n" nach New York, um
dessen Leitung zu übernehmen. Aber sein hochstrebender Geist betätigte sich
bald auch nach anderen Richtungen hin. So rief er im Jahre 1873 die
„O r a t o r i o S o c i e t y" ins Leben, die sich der Wiedergabe der Werke der
großen Tondichter befleißigte. Um die Orchestermusik zu kultivieren, gründete
Damrosch im Jahre 1877 die „S y m p h o n y S o c i e t y", welche gelegentlich
mit der „Oratorio Society" gemeinschaftlich wirkte. So z. B. bei dem großen
Musikfest, welches am 3. bis 7. Mai 1881 in der Waffenhalle des 7. New Yorker
Regiments abgehalten wurde. Das war ein musikalisches Ereignis allerersten
Ranges. Der Chor bestand aus 1200 Stimmen, da zu jenen der „Oratorio
Society" bewährte Sänger aus anderen Städten zugezogen waren. Außerdem
diente ein aus 1000 jungen Damen der New Yorker Hochschulen und 250
Knaben der Kirchenchöre gebildeter Hilfschor als Unterstützung. Das Or-
chester zählte 250 Instrumente. Händeis „Messias" und „Te Deum", Rubin-
steins „Turmbau zu Babel", Berlioz' „Totenmesse" und Beethovens „9. Sym-
phonie" waren die bedeutendsten der zu Gehör gebrachten Werke. Das Fest
508 —
gestaltete sich sowohl in künstlerischer wie finanzieller Hinsicht zu einem groß-
artigen Erfolg.
Später bereiste Damrosch mit einem eigenen Orchester den Westen der
Vereinigten Staaten und übernahm dann im Jahre 1884 die Leitung der Deut-
schen Oper im „New Yorker Metropolitan Opernhause". Die 57 Vorstellungen
umfassende Saison
nahm in künstlerischer
Hinsicht einen über-
aus glänzenden Ver-
lauf, brachte aber für
Damrosch so außer-
ordendiche Anstren-
gungen mit sich, daß
der überbürdete Mann
zur selben Zeit, wo
ganz New York seines
Ruhmes voll war, am
10. Februar 1885 sei-
nen Lasten erlag.
Der große per-
sönliche Magnetismus,
der von Damrosch aus-
strömte, die Gabe, seine
Ideen sofort dem Or-
chester mitzuteilen, ver-
erbten sich in hohem
Grade auf seinen Sohn
Walter, der nach
dem Tode seines Va-
ters auch die Leitung
der von demselben ge-
gründeten Oratorien-
und Symphonie-Gesell-
schaften, übernahm, im
Jahre 1903 das „New
Yorker Symphonie-
Orchester" gründete
der ersten Stellen ein-
Leopold Damrosch.
modernen Kunstleben Amerikas eine
und im
nimmt.
Aufs engste mit der Geschichte der „Philharmonischen Gesellschaft" zu
New York verknüpft ist ferner der Name des in dem kleinen ostfriesischen
Städtchen Esens geborenen Theodor Thomas. Derselbe kam als zehn-
jähriger Knabe im Jahre 1845 nach Amerika und mußte seinem streng musika-
— 509 —
lischen Vater, einem Violinisten, schon frühzeitig helfen, Geld zu verdienen.
Wie ernst es ihm um die Kunst war, beweist die Tatsache, daß er, kaum zwanzig
Jahre alt, in New York bereits eine Kam.mermusikvereinigung gründete. Kurze
Unterbrechungen abgerechnet, unterhielt Thomas während des Zeitraumes 1864
bis 1891 auch ein eige-
nes Orchester, mit wel-
chem er ausgedehnte
Konzertreisen unter-
nahm. Dieselben mach-
ten zwar seinen Namen
zu einem der berühm-
testen in ganz Amerika,
waren aber nur selten
von großen finanziellen
Erfolgen begleitet. Da-
gegen war ihr er-
zieherischer Wert un-
geheuer. Der Musik-
kritiker John Cornelius
Griggs äußert sich in
seinen „Studien über
die Musik in Amerika"
folgendermaßen: „Vie-
len Leuten erschien das
Thomas-Orchester als
die erste wundervolle
Offenbarung der Macht
der Instrumentalmusik.
Ich werde niemals den
Blick in eine neue Welt
vergessen, die sich mir
beim ersten Hören eines
Thomas-Symphonie-
Konzertes erschloß. Der
Reichtum und die Tiefe
des Tons der zwölf
ersten Violinen, die
wunderbare Bestimmt-
heit, die Einheit der Wirkung, welche der ganzen lebenden, immer wechselnden
Fülle der Töne den Anschein gaben, als ginge sie von dieser einen,
ruhigen, würdevollen Person aus — , dies und noch viel mehr brachten
die Konzertreisen von Theodor Thomas zuerst Tausenden zur Kenntnis und
zum Genuß."
Theodor Thomas.
— 510 —
Mit seinem auf 150 Musiker verstärkten Orchester und einem Chor von
400 Sängern gab Thomas im April 1884 im „Metropolitan-Opernhause" zu
New York sechs Wagnerkonzerte, wobei unter den Solisten Berühmtheiten wie
Amalie Materna, Winkelmann und S c a r i a mitwirkten. Die Kon-
zerte der „Philharmonischen Gesellschaft" zu New York leitete Thomas wäh-
rend des Zeitraumes 1877 bis 1891. In der Geschichte jener Vereinigung ist
diese Periode zweifellos eine der glänzendsten.
Im Jahre 1891 erhielt Thomas von Chicago aus den Antrag, an die Spitze
eines dort zu gründenden Symphonieorchesters zu treten. Da das Unternehmen
durch die Freigebigkeit kunstsinniger Männer gesichert wurde, so nahm Thomas
den Ruf an und blieb bis zu seinem am 4. Januar 1905 erfolgten Tode mit jenem
Orchester verbunden.
Seinen hohen künstlerischen Idealen unentwegt nachstrebend, die Schöpf-
ungen der großen Tonkünstler gewissenhaft interpretierend und stets bemüht,
die Massen des Volkes emporzuführen, anstatt selbst zum Niveau der Tages-
mode herabzusteigen, gehört Thomas zu den hervorragendsten Pionieren der
Musik in Amerika. Und deshalb hat sein Name in der Geschichte des ameri-
kanischen Musiklebens dauernden Bestand. —
Als Thomas nach Chicago übersiedelte, trat in New York an seine
Stelle der 1850 in Pest geborene Anton Seidl, ein früherer Zög-
ling des Leipziger Konservatoriums. Nach der Absolvierung dieser berühmten
Musikschule hatte Seidl mehrere Jahre in der nächsten Umgebung Richard
Wagners in Bayreuth verlebt und dessen letzte Werke mit herstellen helfen.
Wagner war es auch, der ihn als Kapellmeister an das Leipziger Stadttheater
brachte. Später füHte Seidl ähnliche Stellen in Prag und Bremen aus, von wo
er im Jahre 1885 nach dem lode Damroschs nach New York berufen wurde.
Hier leitete er das „Metropolitan-Opernhausorchester", die „Philharmonische
Gesellschaft" und die „Seidl-Gesellschaft" in Brooklyn. Was Seidl an der Spitze
dieser ausgewählten Künstlerscharen, insbesondere als Apostel seines geliebten
Meisters Wagner leistete, wird in der Musikgeschichte New Yorks unvergeßlich
bleiben. Er stand auf dem Gipfel seines Ruhmes, als er am 28. März 1898 einer
Ptomainvergiftung erlag. —
Was Bergmann, Damrosch, Thomas und Seidl für das Kunstleben New
Yorks bedeuteten, das waren Karl Zerrahn, Georg Henschel und
Wilhelm Gericke für Boston. Zerrahn, ein Mecklenburger, war in dem
bereits erwähnten, aus flüchtigen deutschen Musikern bestehenden „Germania-
Orchester" Flötist und später Dirigent. Als das Orchester im Jahre 1854 sich
auflöste, übernahm er die Leitung des Bostoner „Philharmonischen Orchesters".
Ferner leitete er mehrere Jahrzehnte hindurch die „Händel and Haydn Society",
desgleichen die von der „Harvard Musical Association" während der Jahre
1866 bis 1882 veranstaUeten Symphoniekonzerte, die Konzerte der „Oratorio
Society" zu Salem, sowie die in der Stadt Worcester, Massachusetts abgehaltenen
„Worcester Festivals", die für den Nordosten der Vereinigten Staaten die gleiche
— 511 —
Bedeutung besitzen, wie die „Rheinisclien Musikfeste" für das nordwestliche
Deutschland. Welch ungeheuren Einfluß Zerrahn auf das Musildeben der Neu-
Englandstaaten ausübte, geht aus folgender Stelle des von L. Elton ver-
faßten Werkes „National Music of America" hervor: „Zerrahn was the
bridge, by which New England travelled to its modern goal in classical
music." —
Der Breslauer
GeorgHenschel,
ein Zögling der Kon-
servatorien zu Leipzig
und Berlin, leitete das
durch die Freigebig-
keit des musikliebenden
Privatmannes Higgin-
son möglich gewor-
dene „Symphonie-Or-
chester" der Stadt
Boston während des
Zeitraums 1881—1884.
In seine Stelle rückte
später Wilhelm
G e r i c k e ein, der
frühere Dirigent der
Wiener Hofoper und
Gesellschaftskonzerte.
Als diesen im Jahre
1889 Gesundheitsrück-
sichten nötigten, nach
Europa zu gehen, füll-
ten bis zu seiner Rück-
kehr im Jahre 18Q8
der geniale Arthur
N i k i s c h und
Emil P a u r seinen
Platz aus. Beide wuß-
ten das Boston - Or-
chester nicht nur auf der von Gericke erzielten imposanten Höhe zu er-
halten, sondern seinen Ruhm durch regelmäßige Konzertreisen auch über den
ganzen Osten zu verbreiten. Wie hoch seine künstlerischen Leistungen stehen,
geht aus einem Urteil des berühmten Dirigenten Felix Weingartner aus München
hervor, der während einer Besuchsreise in Amerika das Orchester hörte und es
in einem für die Berliner Zeitschrift „Die Musik" geschriebenen Aufsatz „einen
Tonkörper allerersten Ranges" nennt. Der Klang seines starkbesetzten Streicher-
Karl Zerrahn.
— 512 —
chors sei prächtig, die Feinheit der Bläser bezaubernd und die Gesamtwirkung
von glänzender Schönheit. —
Emil Paur übernahm im Jahre 1898 die Leitung der „Philharmonischen
Gesellschaft" zu New York, im Jahre 1904 diejenige des von Victor Herbert
gegründeten Orchesters zu Pittsburg.
Das im Jahre 1895 entstandene „Symphonie-Orchester" zu Cincinnati
steht unter Leitung des am 15. Oktober 1858 in der deutschen Ansiedlung
Fredericksburg in Texas geborenen Frank van der Stucken, eines un-
ermüdlichen Pioniers der hohen Musik in Amerika. Seine künstlerische Bil-
dung erhielt derselbe in Antwerpen und Leipzig. Nach manchen Wanderjahren
finden wir ihn im Jahre 1881 als Kapellmeister des Stadttheaters in Breslau,
1883 in der Umgebung Liszts in Weimar, 1884 als Dirigenten des ausgezeichneten
Männergesangvereins „Arion" zu New York. Mit diesem unternahm er im
Jahre 1892 eine einzig dastehende Sängerfahrt durch Deutschland und Öster-
reich, während welcher die deutschamerikanischen Sänger durch ihre vollendeten
Leistungen bewiesen, daß sie den besten Gesangvereinen der Alten Welt eben-
bürtig seien.
Neue Triumphe erntete van der Stucken als Leiter mehrerer großer Musik-
und Sängerfeste. Im Jahre 1895 übernahm er das neugegründete „Symphonie-
Orchester" in Cincinnati und hat dieses seitdem zu zahlreichen Siegen geführt.
Zu den deutschen Pionieren der abstrakten Mtisik zählt auch der im Jahre
1859 in Breslau geborene älteste Sohn Leopold Damroschs, Frank H. Dam-
r o s c h , welcher gleich seinem Bruder Walter auf eine reiche Tätigkeit zurück-
blicken kann. So leitete er den „Chorus Club" der Stadt Denver, Colorado, die
„Harmonie Society" zu Newark, New Jersey, den „Orpheus Club" zu Phila-
delphia, sowie den „Choral Club", die „Oratorio Society" und das „Symphonie-
Orchester" zu New York.
Ferner ist der Dresdener FranzXaverArens zu erwähnen, welcher
in den Jahren 1885 bis 1888 das „Philharmonische Orchester" zu Cleveland
leitete und seit 1898 an der Spitze der „Manuscript Society" zu New York steht.
Hier eröffnete er auch im Jahre 1900 die rasch zu großer Beliebtheit gelangen-
den „Volkssymphoniekonzerte" („Peoples Symphony Concerts"), welche durch
ihre gut ausgewählten Programme und sehr geringen Eintrittspreise zur Hebung
des Kunstsinnes unter den großen Massen beträchtlich beitragen, da vorwiegend
Geschäftsangestellte, Studierende, wenig bemittelte Bürger und Arbeiter zu den
Besuchern dieser Konzerte gehören.
Die fortschrittliche Gesinnung für symphonische Konzerte zeigt sich auch
in vielen anderen Städten, in Philadelphia, Brooklyn, Washington, Portland
(Maine), New Flaven (Conn.), St. Louis, Milwaukee, Louisville, Cleveland usw.,
wo überall Bestrebungen zur Gründung von Orchestervereinigungen zutage
treten. Nach weiteren zehn Jahren dürfte kaum eine größere Stadt der Union
mehr ohne eigenes Orchester sein.
— 513 —
Neben den Symphonieorchestern entstanden da und dort auch Kammer-
musikvereinigungen, deren Mitglieder sich bestrebten, die schwierigsten Ton-
dichtungen berühmter Meister in vollendeter Weise wiederzugeben. Auch auf
diesem Felde war Theodor Thomas der Pionier, indem er 1855 mit den beiden
Geigern Georg Matzka und Joseph Mosenthal, dem Cellisten
Karl Bergmann und dem Pianisten William Mason eine Kammer-
musikvereinigung gründete, die ihre Missionstätigkeit zehn Jahre lang fort-
setzte, trotzdem sie niemals nennenswerte Einnahmen erzielte.
Unter den später entstandenen Genossenschaften steht obenan das von
dem Konzertmeister des „Boston Symphonie-Orchesters" Franz Kneisel
gegründete „Kneisel-String-Quartett", welches in seinen Darbietungen nach dem
Urteil der berufensten Musikkenner den allerbedeutendsten Kammermusikver-
einigungen der Alten Welt vollkommen ebenbürtig ist. Nach Überwinden
zahlloser Schwierigkeiten und Enttäuschungen erreichte diese Genossenschaft
es endlich, daß ihre im Musikleben Amerikas die erste Stelle einnehmenden
Konzerte in allen Städten nur noch vor ausverkauften Sälen stattfinden.
Zweifellos zählt sie in musikalischer Hinsicht zu den wichtigsten Kulturfaktoren
Amerikas, da sie außerordentlich viel dazu beitrug, die Kammermusik auch in
vielen Privathäusern heimisch zu machen.
In Boston besteht ferner der von dem Amerikaner Thomas Ryan
gegründete „Mendelssohn Quintett-Club", dessen Mitglieder mit alleiniger Aus-
nahme Ryans Deutsche sind.
New York besitzt eine ähnliche Vereinigung, den „Philharmonie Club",
welche von dem über dreißig Jahre als Konzertmeister mit der Philharmonischen
Gesellschaft verbundenen Violinisten Richard Arnold gegründet wurde.
Diesen hohen Vorbildern folgen zahlreiche ähnliche Vereinigungen, die
in anderen amerikanischen Städten zusammentraten, um ihr Teil an dem großen
Kulturwerk beizutragen. Zur Fortführung desselben wurden sie nicht wenig
durch jene großen Virtuosen und Dirigenten angespornt, die der Einladung
solcher Vereinigungen folgten und sich zu Besuchsreisen durch die Vereinigten
Staaten entschlossen.
Unter diesen Gastdirigenten befanden sich Max Bruch, Hans
von Bülow, Felix Weingartner, Gustav Kogel, Richard
Strauß, Carl Panzner, Fiedler, Kunwald, Karl Muck und
Gustav Mahler; unter den Violinvirtuosen August Wilhelm],
Fritz Kreisler und Hugo Heermann; unter den Pianisten Anton
Rubinstein, Rafael Joseffy, Thalberg, Xaver Schar-
wenka, Louis Maas, Emil Liebling, Eugen d'Albert,
Emil Sauer, Joseph Hofmann, Stavenhagen, Reisenauer,
Moritz Rosenthal sowie die Damen Marie Krebs, Anna
Mehlig, Alide Topp, Adele aus der Che, Fanny Bloom-
field-Zeisler u. a.
Die hohen Leistungen solcher Künstler und Künstlerinnen regten zur
Gronau, Deutsches Lerien in Amerika. 33
— 514 -
Gründung von Musikschulen an, aus denen bereits manche hochbegabte Zög-
linge hervorgingen, deren Namen heute guten Klang besitzen.
Von Jahr zu Jahr mehrt sich die Zahl solcher Schulen und Vereinigungen.
Da neuerdings auch die Universitäten beginnen, der Kenntnis der Tonkunst
großen Wert beizulegen und „Musikalische Abteilungen" gründen, so wird
die Musik, die holdeste, gewinnendste und erhebendste unter den Musen, ihre
hohe Kulturmission auch in Amerika erfüllen.
Unter den deutschen Musikern, welche der Tonkunst in Amerika neue
Heimstätten bereiteten, befanden sich viele, die sich nicht damit begnügten, die
von anderen Meistern geschaffenen Werke zu Gehör zu bringen, sondern sich
auch in eigenen Schöpfungen zu betätigen suchten.
Konrad Beissel sowie verschiedene unter den Herrnhutern lebende
Musikfreunde sind auch auf diesem Gebiet als Pioniere zu betrachten, da sie
zu vielen in Ephrata, Bethlehem, Nazareth und anderen Orten gedichteten
geistlichen Liedern die Melodien komponierten.
Zu Ausgang des 18. Jahrhunderts lebten auch in Boston und Phila-
delphia einzelne professionelle deutsche Musiker, die sich der Tonsatzkunst
befleißigten. Die bedeutendsten waren Hans Gram und G o 1 1 1 i e b
Graupner. Gram war Organist der Brattle-Kirche in Boston. Zusammen
mit Oliver Holden und Samuel Holyoke gab er im Jahre 1795 den „Massachu-
setts Compiler" heraus, eine der frühesten musikalischen Zeitschriften der Ver-
einigten Staaten. Gram verdankt man außer anderen Kompositionen auch die
im Jahre 1793 veröffentlichten „Sacred Lines for Thanksgiving Day".
Seinen Landsmann Gottlieb Graupner lernten wir bereits als Begründer
des ersten Orchesters sowie der berühmten „Händel and Haydn Society" zu
Boston kenneri. Von ihm erhielten sich gleichfalls mehrere Kompositionen,
deren Titel und Erscheinungsjahre in Sonnecks „Bibliography of early secular
American Music" aufgezählt sind. Dasselbe Werk nennt auch die Namen sowie
einzelne Werke der um die gleiche Zeit in Boston lebenden Violinvirtuosen
und Komponisten Peter Albrecht von Hagen (Vater und Sohn) ; ferner
des Franz Schaffer oder Schäfer, dessen Werke auf Bostoner Musik-
programmen vom Ende des 18. Jahrhunderts erscheinen.
In Philadelphia lebte um jene Zeit Philipp Roth, ehemals Kapell-
meister eines englischen Füsilierregiments. In ihm vermutet man den Kom-
ponisten des Präsidentenmarsches „Hail Columbia".
Philadelphia war ferner der Wohnsitz des Komponisten Johann
Heinrich Schmidt, welcher im Jahre 1788 dort Vorträge über Musik
hielt und diese durch eingestreute Gesang- und Musikstücke illustrierte. Daß
all diese wackeren, im Dienst der edlen Musika stehenden Männer einen harten
Kampf ums Dasein zu fechten hatten, darf man daraus schließen, daß sie neben
— 515 —
musikalischem Unterricht auch Musikalienhandel betrieben, um mit den Erträg-
nissen desselben einen Teil ihres Lebensunterhalts zu decken.
Das während des 19. Jahrhunderts sich zeigende Erwachen musikalischen
Lebens in Amerika bekundete sich auch in der raschen Zunahme der zur Ver-
öffentlichung gelangenden Kompositionen. Sangesweisen für geistliche und
weltliche Lieder, besonders für Männerchöre entstanden in großer Zahl. Dem
genialen Leopold Damrosch verdankt die Welt zahlreiche Violinstücke, darunter
das biblische Idyll „Sulamith"; ferner eine Festouvertüre. Frank van der Stucken
zeigte sein Können in den symphonischen Dichtungen „Pax triumphans" und
„Ratcliff', ferner in einer „Bundeshymne" und vielen anderen Werken, die,
durch wundervolle Orchestration und glänzendes Kolorit ausgezeichnet, auch
in Europa zahlreiche Aufführungen erlebten.
Ferner bereicherten die deutschamerikanischen Komponisten F. X.
Ahrens, Johann n A. Beck, Friedrich Brandeis, Wilhelm
Heinrich Beerwald, Arthur Claasen, E. G. Dossert,
J. Eichberg, Alexander von Fielitz, Adolf Förster,
R. Goldbeck, Louis Gottschalk, Simon Hassler,
R. Hoff man, Bruno Oskar Klein, Adolf Killing,
Mathias Keller, E. R. Kroger, E. Liebling, Julius Lorenz,
M. Merz, Eduard Mollenhauer, Walter Petzet, Friedrich
Louis Ritter, Louis Saar, H. Schön feld, W. C. Seeböck,
Otto Singer, Hermann Spielter, Max Spicker, Arthur
Vel ten u. a. die Welt um zahllose köstliche Darbietungen, von denen manche
bleibenden Wert besitzen. In vielen dieser Tondichtungen offenbaren sich echt
deutsches Gemüt und jenes tiefe Empfinden, daß die Natur dem Deutschen zu-
gleich mit seiner Sangesfreude ins Herz gesenkt hat.
Deutsche Einflüsse zeigen sich auch in den Werken zahlreicher amerika-
nischer Komponisten, besonders derjenigen welche gleich vielen amerikanischen
Gelehrten, Medizinern, Chemikern, Ingenieuren und Baumeistern die Grund-
lagen für ihr Können an deutschen Lehranstalten legten oder ihr Wissen in
Deutschland vervollständigten. Zu diesen von der deutschen Kunst beein-
flußten Amerikanern zählen beispielsweise die berühmten Komponisten Paine,
MacDowell, Kelley und Chadwick.
Der 1839 in Portland, Maine, geborene John Knowles Paine
pilgerte im Alter von 19 Jahren nach Berlin, wo er unter Haupt, Wieprecht
und Teschner Orgel, Komposition und Gesang studierte. Nach seiner Rück-
kehr lehrte er im Jahre 1862 als Privatdozent an der Harvard Universität.
Diese Stellung wurde 1875 zu einer Professur für Musik erhoben, — die erste
derartige an irgendeiner amerikanischen Hochschule. Die anfangs geringe Zahl
der dort Musik Studierenden v/ächst von Jahr zu Jahr. Sie beträgt gegen-
wärtig bereits über 200, so daß Paine die Hilfe mehrerer Assistenten benötigte.
Die deutsche Schulung Paines zeigt sich selbstverständlich am stärksten
in seinen frühesten Kompositionen; der Einfluß Händeis beispielsweise in
33*
— 516 —
dem Oratorium „St. Peter'', welches, im Jahre 1874 von der „Händel- und
Haydn-Society" in Boston zuerst gesungen, als das beste aller in Amerilta
geschaffenen Oratorien gilt.
Der 1861 in New York geborene, im Jahre 1907 verstorbene Komponist
Edward MacDowell studierte in Stuttgart und Frankfurt ; in der
letztgenannten Stadt unter Carl Heymann an dem von Raff geleiteten
Konservatorium. Später v/irkte er als erster Klavierlehrer am Konser-
vatorium zu Darmstadt, verlebte dann mehrere Jahre in Weimar, Frankfurt
und Wiesbaden und kehrte 1889 nach den Vereinigten Staaten zurück, wo er
im Jahre 1896 die eben an der Columbia-Universität zu New York geschaffene
Professur für Musik übernahm. Während seine frühesten Lieder und Klavier-
stücke entschieden nach deutschen Vorbildern geschaffen sind, entwickelte
Mac Dowell in seinen späteren Schöpfungen eine Eigenart, die ihn im Musik-
leben Amerikas zu einer der bemerkenswertesten Persönlichkeiten werden ließ.
Edgar Stillman Kelley, 1857 in Wisconsin geboren, ist gleich-
falls ein ehemaliger Zögling des Stuttgarter Konservatoriums. George
W. Chadwick, gegenwärtig Direktor des New England-Konservatoriums
in Boston, verdankt seine vorzügliche Schulung den Professoren Judassohn
und Reinecke in Leipzig, sowie Rheinberger in München. Den Unterricht des
letzten genoß übrigens auch Horatio Parker, der seit zwei Jahrzehnten
die Musikprofessur an der Yale-Universität bekleidet.
Es wäre nicht schwer, den mächtigen Einfluß der deutschen Tonkunst
auf die amerikanische noch an vielen anderen Beispielen festzustellen. Aber
die hier angeführten genügen vollkommen, um die reiche Befruchtung, die das
Musikleben der Neuen Welt aus Deutschland empfing, erkennen zu lassen.
Das deutsche Theater in Amerika.
Fast um dieselbe Zeit, wo die großen Schöpfungen der deutschen Ton-
dichter ihren Einzug in die Vereinigten Staaten hielten, begannen auch die
Werke deutscher Bühnenautoren ihren Weg dorthin zu finden. Und zwar über
London, wo die Dramen Kotzebues, Schillers, Zschokkes und Halms in eng-
lischen Übersetzungen über die weltbedeutenden Bretter gingen und stets volle
Häuser brachten.
Schillers „Räuber" erlebten, gleichfalls in englischer Übersetzung, bereits
im Jahre 1795 in New York, Philadelphia und Baltimore ihre amerikanische
Erstaufführung. „Wilhelm Teil", „Don Carlos" sowie „Kabale und Liebe"
folgten wenige Jahre später. Desgleichen gehörten Zschokkes „Abellino, der
große Bandit" und Halms „Sohn der Wildnis" zu den gern gesehenen Stücken.
Seit jener Zeit haben unzählige Werke der späteren und neueren deutschen
Dramatiker in englischen Umarbeitungen in den Vereinigten Staaten Auf-
führungen erlebt, z. B. Heyses „Maria Magdalena" (unter dem Titel „Mary
of Magdala"); Försters „Alt Heidelberg"; Fuldas „Paradies" und „Talisman";
Blumenthal-Kadelburgs „Im weißen Rößl" („In the White Horse Tavern");
Sudermanns „Es lebe das Leben", „Heimat" und „Die Ehre"; ferner die besten
Werke von Gustav von Moser und Roderich Benedix. Daß alle diese hervor-
ragenden Stücke auf die amerikanischen Bühnenschriftsteller und Darsteller
großen Einfluß ausübten, dürfte von niemandem angezweifelt werden.
Dem Verlangen der deutschamerikanischen Bevölkerung nach Vorstellun-
gen in deutscher Sprache suchten zuerst die in zahlreichen geselligen Ver-
einen gegründeten Liebhabertruppen zu entsprechen. Erst im zweiten Drittel
des 19. Jahrhunderts brachten Friedrich Schwan in New York und
von Adlerberg in Indianapolis kleine Truppen berufsmäßiger Schau-
spieler zusammen. Die Lokalitäten, in denen diese ihre Aufführungen darboten,
waren allerdings recht bescheiden und stellten mit ihren an die Bühnen Shake-
speares erinnernden primitiven Einrichtungen an die Phantasie der Zuschauer
große Anforderungen.
Der höhere Ansprüche stellenden Einwandrung der Achtundvierziger ist die
Gründung wirklicher deutscher Theater in den Vereinigten Staaten zu danken.
In New York schuf der an den Hoftheatern zu Dresden und Darmstadt be-
schäftigt gewesene Heldendarsteller Otto von Hoym in Gemeinschaft
mit Eduard Hamann im Jahre 1853 an der Bowery das deutsche
— 518 —
„Stadttheater''. Hoym war der künstlerische Leiter desselben. Dieser erste
deutsche Theaterdirektor in Amerika besaß manche Eigenschaften, die ihn rasch
zu einer der beliebtesten Persönlichkeiten des damaligen New York machten.
Ein wahrer Adonis an Gestalt, zugleich über ein prächtiges Organ und ein
ausgezeichnetes Darstellertalent gebietend, war er der ideale Vertreter eines von
allen Schönen angeschmachteten jugendlichen Helden. Seine eheliche Ver-
bindung mit der vom Darm Städter Hoftheater stammenden tragischen Lieb-
haberin Elise Hehl gestaltete sich zu einem Ereignis, an dem das ganze
New Yorker Deutschtum lebhaften Anteil nahm. Das von Hoym beim Aus-
bruch des Bürgerkriegs bei der Organisierung des 42. Regiments New Yorker
Freiwilliger wacker mitwirkte und als Hauptmann in dasselbe eintrat, trug
ungeheuer zu seiner Beliebtheit bei. Seine Gefangennahme in Virginien nach
siebentägigem Gefecht, seine Einkerkerung in dem berüchtigten Libby-Gefängnis
zu Richmond erhöhten die ihn umgebende Romantik. Kein Wunder, daß, als
Hoym später ausgetauscht wurde, sein Wiederauftreten in New York zu den
stürmischsten Ovationen Anlaß gab.
Da im Stadttheater ausschließlich berufsmäßige Künstler auftraten und
man auf gute Inszenierung hielt, so gestaltete der Besuch sich so gut, daß die
beiden Direktoren nach mehreren Jahren zum Bau eines 3500 Personen fassen-
den „Neuen Stadttheaters" schreiten konnten. In diesem gleichfalls an der
Bowery gelegenen, am 6. September 1864 eröffneten Hause pflegte man sowohl
das Schau- und Lustspiel als auch Operette und Oper. Unter den hier auf-
tretenden Künstlern befanden sich zahlreiche aus Deutschland zu Gastspielen
eingeladene Größen wie PaulineLucca, Magda Irschick, Daniel
Bandmann, Eugenie Schmitz, L'Arronge, Bogumil Da-
vison, Friedrich FI aase u. a. Ihre Gastspiele gestalteten sich zu
förmlichen Triumphen und brachten sowohl den Darstellern wie den Direktoren
Gold und Ehren ein. Als von Hoym wegen eines Augenleidens im Jahre 1867 die
Leitung des Stadttheaters niederlegte und nach Deutschland zurückkehrte, zeigte
es sich, in wie hohem Grade die Erfolge des Theaters seiner Beliebtheit zuzu-
schreiben waren. Denn seinem bisherigen Teilhaber wollte es nicht glücken,
sich in der Gunst der Theaterbesucher zu behaupten. Trotzdem er es an An-
strengungen nicht fehlen ließ, mußte das Stadttheater im Jahre 1872 seine
Pforten schließen.
Aber bereits in demselben Jahre gründete Adolf Neuendorf das
„Germania-Theater". Diesem gesellte sich im Jahre 1879 das zuerst von der
Soubrette Matilde Cotrelly, später von den Direktoren Hermann,
Gustav Amberg und Heinrich Conried geleitete „Thalia-Theater"
zu. Und nun erlebte die deutsche Kunst in New York eine wahre Glanzperiode.
Was Deutschland an Bühnenberühmtheiten aufzuweisen hatte, wurde von
jenen wagemutigen Direktoren zu Gastspielen eingeladen. Außer verschiedenen
bereits obengenannten Künstlern, die sich zu abermaligem Besuch der Vereinigten
Staaten entschlossen, kamen Franziska Ellmenreich, Georgine
— 519 —
von Januschowsky, Maria Barkany, Kathi Schratt, Lina
Mayr, Marie Seebach, I^anny Janauscheck, Hedwig Nie-
mann-Raabe, Gertrude Giers, Agnes Sorma, Marie Gei-
stinger, Karl Sontag, Ernst Possart, Ludwig Barnay,
Junkermann, Adalbert Matkowsky, Joseph Kainz,
Friedrich Mitterwurzer, Adolf Sonne nthal, die Komiker
Wilhelm Knaak, Franz Tewele und viele andere.
„Beginnt man," so urteilte im Jahre 1905 ein berufener Kritiker, „über
jene Zeit zu schreiben, so fällt es schwer, sich solcher Sprache zu bedienen, daß
man nicht in den Verdacht der Überschwenglichkeit kommt. Man macht sich
in unserer nüchternen Zeit keinen Begriff, welcher Kunsttaumel damals New
York — nicht nur das deutsche New York, sondern das ganze New York —
ergriffen hatte."
Besonders die zu den ständigen Gästen zählenden Leiter und darstellen-
den Mitglieder der anglo-amerikanischen Bühnen kamen aus dem Staunen gar
nicht heraus. Bildete doch jede einzelne der von den genannten Künstlern
verkörperten Figuren eine Studie, die an Reiz, Vollendung und innerer Wahr-
heit kaum übertroffen werden konnte. Possart, Barnay und die Ellmenreich
erschütterten durch ihre großartigen Darstellungen geschichtlicher Persönlich-
keiten; Knaak und Tewele wurden infolge ihrer unausgesetzten Wirkung auf
die Lachmuskeln der Zuschauer fast lebensgefährlich. Und nun vollends die
göttliche, ewig junge Marie Geistinger! Die „Begeistingerung" kannte keine
Grenzen. Man ging einfach jeden Abend ins Theater, denn jeden Abend konnte
man diese geniale Künstlerin in einer anderen Rolle bewundern. Heute er-
schien sie in einer übermütigen Posse, morgen in einem tiefernsten Drama,
übermorgen in einer Operette und dann wieder in einem zwergfellerschütternden
Lustspiel. Bald brillierte sie als „Großherzogin von Gerolstein", „Bocaccio"
oder „Schöne Helena", um am folgenden Abend mit vollendetem Geschick die
Königin Elisabeth in Schillers „Maria Stuart", die „Therese Krones", die
„Cameliendame" oder „Donna Diana" zu spielen.
Wieviel die englische Bühne in den Vereinigten Staaten durch das Auf-
treten so bedeutender deutscher Künstler und Künsderinnen profitierte, läßt sich
natürlich nicht feststellen. Aber ein Beweis, welch ungeheures Interesse die
amerikanischen Bühnenleiter und Darsteller den deutschen Künstlern entgegen-
brachten, ist gewiß darin zu finden, daß Edwin Booth, hingerissen von dem
Spiel Bogumil Davisons, an diesen die Einladung ergehen ließ, in dem von
Booth geleiteten „Winter Garden" den „Othello" zu spielen, während er die
Rolle des „Jago" übernehmen wolle. In dieser Mustervorstellung, die im
Januar 1867 zustande kam, wirkte überdies die deutsche Schauspielerin Frau
Methua-Scheller als „Desdemona" mit, wobei sie in ihren Szenen mit
Booth Englisch, mit Davison hingegen Deutsch sprach.
In demselben Jahre folgte auch Fanny Janauscheck einer Einladung
Booths, in seiner in Boston gastierenden englischen Gesellschaft dreimal als
— 520 —
„Lady Macbeth" aufzutreten. Obwohl sie sich dabei der deutschen Sprache
bediente, erweclcte sie durch ihr Spiel solche Begeisterung und solchen Zulauf,
daß Booth der Künstlerin die Summe von 11 000 Dollar als Honorar aus-
händigen konnte.
Durch solche auf englischen Bühnen errungenen Triumphe ließen sich
manche deutsche Schauspieler und Schauspielerinnen bestimmen, ganz zur
englischen Bühne überzugehen. Danmter Fanny Janauscheck, welche zuerst
in der „Academy of Music" zu New York englisch sprechend auftrat und später
mit einer eigenen englischen Gesellschaft die Vereinigten Staaten bereiste.
Einen noch gewaltigeren und nachhaltigeren Einfluß als solche Einzel-
darsteller übten die Gastspielreisen mehrerer, die Vereinigten Staaten besuchen-
den deutschen Truppen, besonders der „M ü n c h e n e r", „S c h 1 i e r s e e r"
und eines Teiles der berühmten „M e i n i n g e r" auf die amerikanische Bühne
aus. Die letzteren standen unter der Leitung des vorzüglichen Charakter-
darstellers Ludwig Barnay. Sie überraschte zunächst durch die bis auf
die kleinsten Einzelheiten der Kostüme, Waffen und Gerätschaften ausgedehnte
historische Treue der Ausstattung, dann aber auch durch ihr wunderbares,
in solcher Vollendung nie zuvor gesehenes Zusammenspiel. Hier wirkte alles
echt. Solchen Darstellungen gegenüber verlor man jedes Bewußtsein, daß man
sich in einer Welt des Scheins, im Theater befinde und daß die hier auftretenden
Könige und Helden gewöhnliche Sterbliche seien, nachdem sie ihre Purpur-
mäntel und Waffenröcke abgelegt hätten.
Die Münchener Truppe unter Leitung des tüchtigen Max Hofpaur
frappierte gleich den Schlierseern durch die ungeschminkte, derbe Natürlich-
keit und Frische, mit der sie ihre oberbayrischen Volksstücke wiedergaben.
Derartige Vorführungen wirkten nicht bloß auf die theaterbesuchenden Fein-
schmecker, sondern auch auf die amerikanischen Bühnenleiter und Darsteller
gleich großen Offenbarungen. Und von dieser Zeit datiert auch ihr Bestreben,
jenen glänzenden Vorbildern nachzuahmen.
Ein Künstler, der wohl am meisten während jener theatralischen Glanz-
periode lernte und profitierte, war Hein roh Conried. Selbst ein tüchtiger
Darsteller, hatte er bereits unter den Direktionen Cotrelly und Amberg die
artistische Leitung der Vorstellungen in Händen gehabt und ihre großen Erfolge
ermöglicht. Am 1. Mai 1893 übernahm er das im Besitz Ambergs gewesene
„Irving Place Theater" und leitete damit eine dritte Glanzepoche ein, in deren
einzelnen Abschnitten er dem New Yorker Publikum fast alle neueren Be-
rühmtheiten der deutschländischen Bühne zuführte. Die bedeutendsten Gast-
spiele unter seiner Leitung waren diejenigen von Adolf Sonnenthal,
Georg Engels, Felix Schweighofer, Rudolf Christians,
Ferdinand Bonn, Harry Waiden, Agnes Sorma, Helene
Odilon,AnnieDierkens,AgatheBarsescu und MiaWerber.
Als Conried im Jahre 1903 an die Metropolitan Operngesellschaft berufen
wurde, legte er die Leitung des Irving Place-Theater nieder. An seine Stelle
— 521 —
trat der Schriftsteller M. B a u m f e 1 d , unter dem das deutsche Theater zwar
manche glanzvolle Darbietungen, leider aber auch in der Saison 1908 bis 1909
seinen durch allerhand Intriguen herbeigeführten Zusammenbruch erlebte.
Andere amerikanische Städte, welche deutsche Theater unterhalten oder
vorübergehend unterhielten, sind Philadelphia, Baltimore, Buffalo, Cincinnati,
Cleveland, Indianapohs, Detroit, Chicago, St. Louis, Milwaukee, Davenport,
Dubuque, La Crosse, St. Paul, New Orleans, Denver und San Francisco. Mit
der Geschichte der deutschen Bühne in Chicago, Milwaukee und St. Louis sind
die Namen der Direktoren Leon Wachs n er und Ferdinand Weib,
mit derjenigen des Theaters zu San Francisco der Name der Direktorin
Ottilie Genee unlöslich verbunden.
Viele der außerhalb der Stadt New York bestehenden deutschen Musen-
tempel wurden von den Wandertruppen besucht, die von den Leitern der deut-
schen Theater in New York ausgesendet wurden. Mit solchen Truppen unter-
nahmen auch Haase, Barnay, Josephine Gallmeyer, Marie Geistinger, die
Schlierseer und andere ausgedehnte Kunstreisen durch den fernen Westen,
dessen Bevölkerung dadurch gleichfalls Gelegenheit erhielt, sich an den hohen
künstlerischen Darbietungen so seltener Gäste zu erfreuen und zu begeistern.
Die deutsche Oper in Amerika.
Die Mitte des 19. Jahr-
hunderts war die Zeit, wo
im Deutschamerikanertum
der Sinn für die tönende
Kunst mächtig erwachte.
Allerorten erstanden Ge-
sang- und Musilfvereine,
Symphonie-, Orchester- und
Oratoriengesellschaften,
welche sich die Pflege der
Musik in ihren verschiede-
nen Zweigen zur Aufgabe
machten. Viele dieser Ver-
einigungen brachten in ihren
Konzerten Ouvertüren und
andere Abschnitte aus deut-
schen Opern zu Gehör und
erweckten dadurch das Ver-
langen, jene Bühnenwerke
vollständig kennen zu lernen.
Dieser Wunsch trat um so
lebhafter hervor, als man
sich an dem süßlichen, un-
wahren und auf die Dauer
schrecklich monoton wirkenden Singsang der italienischen Oper, die neben
der englischen bisher in den Vereinigten Staaten das Feld beherrschte,
gründlich den Magen verdorben hatte. Man verlangte nach Kräftigerem, Voll-
blütigerem. Das schienen die deutschen Opern, namentlich die eben ihre Rund-
reise über Deutschlands Bühnen antretenden Opern Wagners zu verheißen.
Und unternehmende Bühnenleiter säumten nicht, dem geheimen Sehnen des
Publikums Rechnung zu tragen.
Der Ruhm, die ersten Opern in deutscher Sprache in Amerika aufgeführt
zu haben, gebührt Julius Unger. Derselbe veranstaltete im Jahre 1855
Anton .Seidl.
— 523 —
in „Niblos Garden" zu New York eine zwölf Abende umfassende Saison,
während welcher unter anderen der „Freischütz", „Martha" und „Czar und
Zimmermann" gegeben wurden.
Ihm folgten Max M a r e t z e k sowie Karl Bergmann, der ge-
niale Leiter der „Philharmonischen Gesellschaft". Bergmann eröffnete seine
Saison am 4. April 1859 im alten „Stadttheater" mit Wagners „Tannhäuser",
unterstützt von dem Gesangverein „Arion", dessen Mitglieder den Chor stellten.
Bergmanns Darbietungen fanden so warme Aufnahme, daß durch dieselbe er-
mutigt, im September 1862 auch Karl Anschütz eine deutsche Opern-
saison eröffnete, während welcher das New Yorker Publikum mit der „Zauber-
flöte", der „Entführung aus dem Serail", „Joseph in Ägypten", „Stradella",
„Don Juan" und anderen Opern bekannt wurde.
Dieser Saison schlössen sich zu Ende der sechziger und zu Anfang der
siebziger Jahre mehrere andere unter verschiedenen Direktoren und unter der
künstlerischen Leitung von AdolfNeuendorffan. „Lohengrin" und „Der
Fliegende Holländer" erlebten in dieser Zeit ihre amerikanischen Erstaufführun-
gen. „Rienzi" bekamen die Amerikaner im Jahre 1878 zum erstenmal zu
hören. Unter den großen Gesangskünstlern, welche damals reiche Lorbeeren
ernteten, befanden sich Eugenie Pappenheim, Ines Lichtmay,
die einzige Pauline Lucca, Theodor Habelmann, Wilhelm
Formes, Theodor Wachtel und andere.
Im Jahre 1884 wußte Leopold Damrosch die Direktoren des
„Metropolitan Opernhauses" zu bestimmen, an Stelle der italienischen Oper,
die in dem neuerbauten Hause schweres finanzielles Fiasko erlitten hatte, eine
deutsche Saison zu veranstalten. Sie umfaßte nicht weniger als 57 Aufführun-
gen, in denen „Tannhäuser", „Fidelio", „Die Hugenotten", „Freischütz",
„Wilhelm Teil", „Lohengrin", „Don Juan", „Der Prophet", „Die Stumme von
Portici", „Rigoletto", „Die Jüdin" und „Die Walküre" gegeben wurden.
Amalie Materna, Marianne Brandt, Frau Marie Schröder-
Hanf s t ä n g 1 , Frau Auguste Seidl-Kraus, Josef Staudigl,
Adolf Robinson und Anton Schott ragten dabei als Solisten her-
vor. Beim Zusammenstellen seiner Künstlerschar brach Damrosch mit
dem in Amerika üblichen Starsystem, wo einer Hauptzugkraft in der
Regel ein sehr minderwertiges Personal als Folie dient. Er legte viel-
mehr Gewicht auf ein abgerundetes Zusammenspiel. Zugleich wandte
er volle Aufmerksamkeit auf die bisher gänzlich vernachlässigte Aus-
stattung und auf das Herausarbeiten der dramatischen Wirkung. Der
künstlerische Eindruck, den diese deutsche Saison hinterließ, war ein
so tiefgehender, daß die Direktoren des „Metropolitan-Opernhauses" sich
entschlossen, derselben sofort eine zweite folgen zu lassen. Aber Dam-
rosch war vom Tode abberufen worden. Deshalb begaben sich Edmund
Stanton, der langjährige Sekretär der „Metropolitan-Opernhausgesellschaft"
und Damroschs Sohn Walter nach Deutschland und schlössen dort mit Anton
— 524 —
S e i d 1 einen Vertrag ab, durch welchen dieser sich verpfhchtete, die deutsche
Opemsaison 1885 — 1886 zu leiten. Die unvergleichliche Lilli Lehmann,
ferner Marianne Brandt, Frau Seidl-Kraus, Emil Fischer,
Albert Stritt, Gudehus, Robinson und andere Künstler wurden
als Solisten gewonnen. Wagners „Meistersinger" und Goldmarks „Königin
von Saba" bildeten die Neuheiten des Repertoirs.
Schon die Eröffnungsvorstellung am 23. November bedeutete eine ge-
wonnene Schlacht. Man gab den „Lohengrin" und entfesselte damit eine Be-
geisterung, wie sie beim New Yorker Publikum selten erlebt worden war. Die-
selbe erfaßte auch die mit hochgespannten Erv/artungen gekommenen Musik-
referenten. Einer der bekanntesten, H. E. Krehbiel, schrieb über den Abend
folgendermaßen : „Die Aufführung war jedenfalls die allerkün stierischste, die
Wagners bewundertes Werk jemals in Amerika erfahren hat, eine Tatsache, für
die vor allem Anton Seidls herrliche musikalische Leitung verantwortlich ist.
Auch wenn die Leute auf der Bühne sich mit weniger anerkennenswerter Ge-
wissenhaftigkeit der Aufgabe entledigt hätten, die ihnen die Partitur stellte,
würde Herrn Seidls Einfluß dennoch den ganzen Abend hindurch allen sensi-
tiven Zuhörern offenbar geworden sein. Aber nicht die unübertreffliche tech-
nische Präzision, der sich alle, auf der Bühne und im Orchester, bei der Wieder-
gabe des Werkes befleißigten, ja, nicht einmal deren bewundernswertes Resultat
war das Anerkennenswerteste an Seidls Leistung. Durch seine sorgsame Tempo-
nahme, durch seinen geläuterten Geschmack in der Hervorbringung delikater
Ausdrucksnuancen, durch seine Gewandtheit, den Instrumentalisten und Sängern
seine Wünsche zu vermitteln, durch sein Geschick, von ihnen ohne Verzug das
Verlangte zu erhalten, und durch die offenbare Vertrautheit mit Buchstaben und
Geist des Werkes wurde es ihm möglich, dem „Lohengrin" eine Interpretation
zu geben, die beinahe neu war und die, trotz der Bekanntheit der Oper, gar
manche poetische Schönheit erschloß, die bis dahin verborgen geblieben war.'*
Man hatte manche Schöpfungen Wagners schon früher in Amerika gehört.
Aber zur Erkenntnis ihrer reichen Poesie und vollen Gewalt gelangte man doch
erst, als Seidl und die mit ihm verbundenen Künstler diese Werke interpretierten.
Die zweite, von Seidl dirigierte Saison im Winter 1886 — 1887 brachte den
als Sänger und Darsteller gleich großartigen Albert Niemann nach den
Vereinigten Staaten. Mit ihm gelangte unter ungeheurem Beifall am 1. De-
zember „Tristan und Isolde" zur ersten Aufführung in Amerika. Die drei noch
unbekannten Teile der Nibelungen, „Rheingold", „Siegfried" und „Götterdäm-
merung" kamen in den folgenden Jahren an die Reihe, wobei die New Yorker
neben den bisherigen Bühnenstemen auch den rasch zum Liebling aller wer-
denden Max Alvary (Achenbach), einen idealen Darsteller „Jung-Sieg-
frieds", kennen lernten, und zugleich eine der bedeutendsten Sängerinnen
Deutschlands, Fanny Moran-Olden. Da Niemann und Fischer, die
Lehmann, Brandt und Seidl-Kraus gleichfalls mitwirkten, so stieg der Wagner-
Enthusiasmus auch beim amerikanischen Publikum aufs höchste. Es geschah
— 525 —
das Unerhörte, daß die trocknen Börsenmenschen der Weltstadt „wagnertoll''
wurden und nachmittags nicht schnell genug ihre Geschäftsbücher zuklappen
konnten, um sich in die mystischen Geheimnisse der gennanischen Götter- und
Heroenwelt zu versenken. Kein Wunder, daß, als am 21. März 1891 die letzte
deutsche Vorstellung unter Seidl gegeben wurde, dieselbe sich zu einer sowohl
dem Dirigenten wie den Sängern dargebrachten überwältigenden Ovation ge-
staltete. —
Es trat nun in der deutschen Oper eine mehrjährige Pause ein. Erst im
Februar 1895 veranstaltete Walter Damrosch auf eigene Faust im „Me-
tropolitan-Opernhause" eine dreiwöchentliche Saison Wagnerscher Opern, die
sowohl in künstlerischer wie finanzieller Hinsicht ungemein erfolgreich verlief.
Neben Alvary und Fischer erschienen als neue Solisten Rosa Sucher, die
berühmteste „Isolde" Deutschlands, ferner die jugendliche Johanna
Gadsky, Marie Brema, die Kutsch era, sowie die Sänger R o t h -
m ü h 1 und Konrad Behrens. Der überraschend große finanzielle Erfolg
dieser Unternehmung bestimmte die Pächter des Metropolitan-Opernhauses,
Abbey & Grau, ihrem in der Regel nur italienische und französische Opern um-
fassenden Spielplan fortan auch deutsche Opern aufführungen einzuverleiben
und mit der Leitung derselben deutsche Dirigenten zu beauftragen. Das war
ein Schritt, der den Bedürfnissen und W^ünschen der Bevölkerung des kosmo-
politischen New York durchaus entsprach.
Seidl, Schalk, Paur, Walter Damrosch und Alfred Hertz wirkten als
Dirigenten dieser Aufführungen, zu deren Gelingen außer manchen der von
früher her bekannten Künstler Ernest van Dyck, Anton van Rooy,
Andreas Dippel,OttoGoritz, Jean und Eduard deReczke,
Marcella Sembrich, Milka Ternina, pTau Ritter-Götze,
Ernestine Schumann-Heinck und Fritzi Scheff beitrugen. —
Während die deutsche Oper so in New York Triumphe über Triumphe
feierte, hatte sie auch bereits an anderen Orten der Union Fuß gefaßt. Während
der sechziger, siebenziger und achtziger Jahre verbanden sich nämlich manche
Künsder und Künstlerinnen zu selbständigen Truppen und unternahmen aus-
gedehnte Rundreisen durch die amerikanischen Großstädte. Mitglieder solcher
Gesellschaften waren Formes, Habelmann, Wachtel, Bernhardt, Bischoff, sowie
die bedeutende Frau Ines Fabri-Lichtmay.
Die letztere eröffnete im Winter 1875 — 1876 in Gemeinschaft mit dem Diri-
genten GustavHinrichsin San Francisco eine Saison, während welcher in
sechs Monaten dreißig verschiedene Opern in deutscher Sprache zur Aufführung
gelangten. Gemeinschaftlich mit Theodor Thomas dirigierte Hinrichs später
die amerikanische Oper in der „Academy of Music" zu New York, die unter
ihren Mitwirkenden gleichfalls viele deutsche Künstler und Künstlerinnen zählte,
darunter Wilhelm Candidus, Emma Juch, Aman de Fabris
und Frau H a s t r e i t e r. Zu Ende der achtziger Jahre organisierte Hinrichs
in Philadelphia eine eigene Operngesellschaft, womit er zehn Saisons erledigte
— 526 —
und zahlreiche Gastreisen nach anderen Großstädten ausführte. Bei den in
deutscher Sprache gegebenen Opern wirkten unter anderen A m a 1 i e M a -
t e r n a und MinnieHauck, Fischer und andere berühmte Künstler mit.
Mit eigenen Truppen bereisten auch Frau Pappenheim (1878) und
Emma Juch (1889—1891) den Kontinent. Eine vorwiegend deutsche Be-
rühmtheiten umfassende Gesellschaft war ferner „Kelloggs-Opera-Company'-,
welche im Jahre 1876 Wagnersche Opern aufführte.
Eine neue glorreiche Epoche der deutschen Oper in Amerika hob an, als
im Jahre 1903 an Stelle des bisherigen Direktors der Großen Oper in New York,
Maurice Grau, der Direktor des Deutschen Irving Place-Theaters, Heinrich
C o n r i e d trat. Wie unter ihm das Deutsche Theater in New York eine gründ-
liche Umgestaltung erfahren hatte, so reorganisierte er nun auch die
Große Oper.
In erster Linie wurde die bis dahin benutzte Bühne in eine drehbare nach
dem von Karl Lautenschläger in München erfundenen System verwandelt. Die
wichtige, hier zuerst in Amerika eingeführte Neuerung ermöglichte es den Büh-
nenmeistern, ihre szenischen Vorbereitungen so zu treffen, daß die früher un-
vermeidlichen, durch ihre Länge oft schrecklich ermüdenden Zwischenpausen
fast ganz in Wegfall kamen und notwendige Verwandlungsszenen mit geradezu
verblüffender Schnelligkeit vollzogen werden können.
Die erlesensten künstlerischen Kräfte seines Vorgängers an sich fesselnd,
fügte Conrled denselben sodann eine Reihe neuer hinzu, von denen in erster
Linie die deutschen Sänger Alois Burgstaller, Albert Reis,
Robert Blaß, Adolf Mühlmann, Heinrich Knote, Franz
Steiner und Karl Burrian, sowie die Sängerinnen Josephine
Jacoby, Paula Ralph, Marie Mattfeld, Katharina Flei-
scher-Edel, Marie Rappold und Johanna Poehlmann ge-
nannt zu werden verdienen. Auf die Mitwirkung solcher Künstlerscharen gestützt,
durfte Conried es wagen, schon bald nach der Übernahme der Leitung die Welt
durch die Ankündigung zu überraschen, daß er Wagners letztes Werk, dasBühnen-
weihfestspiel „Parsifal" zur Aufführung zu bringen gedenke. Damit erregte er
um so gewaltigeres Aufsehen, als „Parsifal'* — abgesehen von einer einzigen
Privataufführung in München vor König Ludwig von Bayern — noch nirgend-
wo außerhalb Bayreuths gegeben worden war, da die Witwe Wagners, um
diese letzte Offenbarung des großen Meisters ausschließlich für das Bayreuther
Festspielhaus zu reservieren, die Bewerbungen aller anderen europäischen
Bühnen rundweg abgelehnt hatte. Tatsächlich wandte sie auch alle erdenk-
lichen gerichtlichen und außergerichtlichen Mittel an, um die Aufführung des
„Parsifal" in New York zu verhindern. Conried ließ sich aber nicht beirren,
sondern brachte seiner Ankündigung getreu das bedeutende Werk am Weih-
nachtsabend 1903 zur Aufführung. Die Titelrolle lag in den Händen des be-
währten Alois Burgstaller, der in seiner großen Szene mit Kundry noch erheb-
lich über die hohe Leistung, die man von ihm erwartet hatte, hinauswuchs.
— 527 —
MilkaTemina verrichtete alsKundry das Wunder, diesen rätselhaftesten Charakter,
den je ein Dichterhirn geschaffen, menschlich-sympathisch erscheinen zu lassen.
Gleich vortreffliche Darbietungen lieferten Blaß, von Rooy, Goritz und Journat
als „Gurnemanz'', „Amfortas", „KHngsor" und „Titurel". Die Chöre der
Ritter, Knaben und Blumenmädchen überraschten durch ihre Leistungen nicht
minder als die Künstler, welche die szenische Ausstattung des Festspiels ge-
schaffen hatten, die in manchen Dingen, z. B. dem Zaubergarten und der Früh-
lingslandschaft, die Bayreuther Vorbilder weit übertraf.
Und das Publikum? — Zu Tausenden erschienen, nahm es in andachts-
voller Stimmung die letzte Botschaft des großen deutschen Meisters entgegen,
und gar manchem Mann, der sich sonst wohl gar auf seinen Zynismus etwas
zugute tat, wurden beim Karfreitagszauber die Augen feucht. „In seinem zwan-
zigjährigen Bestehen'*, so schrieb der Referent der „New Yorker Staatszeitung",
„hat das Metropolitan-Opernhaus noch keine Vorstellung dargeboten, die mit
einem solchen Aufwand von Fleiß und eindringendem Verständnis vorbereitet
worden wäre; niemals ist dort dem Gelingen des Ganzen und aller seiner Ein-
zelheiten ein solches Arbeitsopfer dargebracht worden. Die Parsivalvorstellung
hat uns einen neuen Maßstab für unsere Opemvorstellungen im allgemeinen ge-
geben, einen Maßstab, den das Publikum im Gedächtnis behalten wird. Und
dann muß die Aufführung selbst, sowie die andachtsvolle Teilnahme des Publi-
kums den Gedankenträgern einmal wieder zum Bewußtsein gebracht haben,
daß es die deutsche Kunst ist, die das Höchste gewährt, die vor anderen im-
stande ist, den Menschen gar gegen seinen Willen über das Alltägliche zu er-
heben. Über das Werk selbst mögen die Ansichten weit auseinandergehen; über
die Wirkung, die es ausübte, kann kein Zweifel aufkommen. Niemand wird
leugnen wollen, daß der Eindruck ein tiefer und veredelnder gewesen. Unsere
Musikhistoriker aber werden den 24. Dezember 1903 als einzigartig zu ver-
merken haben; war es doch das erstemal, daß die gesamte europäische Kunst-
welt ihr Augenmerk auf ein New Yorker musikalisches Ereignis richtete! Will
diese europäische Welt nun ehrliche Kritik üben, dann wird sie ohne Einschrän-
kung zugeben, daß New York die Probe mit Ehren bestanden hat."
Zu den weiteren Großtaten des Conriedschen Regimes gehören die wieder-
holten Aufführungen des vollständigen Nibeluiigenrings mit durchaus neuer
Ausstattung; der „Meistersinger" und der Mozartschen Opern „Die Hochzeit
des Figaro" und „Don Juan".
In überaus glänzender Ausstattung brachte Conried auch die von Richard
Strauß komponierte Oper „Salome" zur Aufführung, mußte dieselbe aber trotz
ihres unbestrittenen künstlerischen und über alle Erwartung großen finanziellen
Erfolges auf Geheiß des Direktorenrats nach ihrer ersten Aufführung vom Spiel-
plan wieder streichen.
Conried vermittelte dem New Yorker Publikum ferner die Bekanntschaft
mit der bisher in Amerika nicht gesehenen deutschen Oper „Hansel und Grethel"
von Humperdinck.
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Die wiederholten Gastreisen, welctie die Truppen der Großen Oper unter
der bewährten Fuhrung von Ernst Görlitz nach Philadelphia, Baltimore,
Washington, Boston, Pittsburg, Chicago, St. Louis, Kansas City und San
Francisco ausführten, trugen in höchstem Grade dazu bei, auch dort die Liebe
und das Verständnis für die wunderbaren Schöpfungen der deutschen Kunst
zu erwecken. Die Rundreise der Saison 1906 kam freilich am 18. April in
San Francisco zu einem jähen Abschluß, da an jenem Tage sämtliche Szenerien
und Garderobeausstattungen zu neunzehn Opern durch die dem Erdbeben fol-
gende Feuersbrunst vernichtet wurden. Bewertete die dadurch erlittene Ein-
buße sich auf eine Viertelmillion Dollar, so hatte die Truppe aber glücklicher-
weise den Verlust keines ihrer Mitglieder zu beklagen.
Von schwerer Krankheit befallen, legte Conried im Jahre 1908 die Leitung
der Großen Oper nieder und begab sich nach Europa, um Genesung zu suchen.
Dort starb er aber am 25. April 1909. Nach Conrieds Rücktritt erhielt die Große
Oper der Stadt New York eine Doppelleitung. Und zwar dirigierte der Italiener
Gatti Casazza die italienischen und französischen, der seit mehreren Jahren mit
dem Institut verbundene Tenorist Andreas D i p p e 1 hingegen die deut-
schen Opern.
Wie Dippel über die gegenwärtige Stellung der Metropolitan-Oper denkt,
geht aus einem für das „New Yorker Journal" vom 20. Juni 1909 geschriebenen
Aufsatz hervor, in dem er die Ansicht vertritt, daß keine andere Stadt der Welt
solche Vorstellungen von Opern jeder Schule biete, als das Metropolitan-Opern-
haus. Auch in der Qualität seiner Darstellung habe dieses Institut eine höhere
Stufe erreicht als irgendein anderes, das neben ihm genannt werden könnte.
Es sei durchaus wahr, daß die Interpretationen der Wagnerschen Opern im
New Yorker Opernhause weit vollendeter als in den Floftheatern Deutschlands
seien, oder selbst in den Sondervorstellungen, wie sie in Bayreuth veranstaltet
würden.
Die großen, durch Conried erzielten Erfolge veranlaßten den New Yorker
Oscar Hammerstein ein zweites Opern unternehmen, das Manhattan-
Opernhaus, ins Leben zu rufen, in welchem, allerdings nur französische und
italienische Opern zur Aufführung gelangen. Nachdem die „Salome" vom
Spielplan der Metropolitan-Operngesellschaft gestrichen worden, nahm Ham-
merstein dieselbe auf und erzielte damit mehr als ein Dutzend übervolle Häuser.
Wir würden uns einer Unterlassungssünde schuldig machen, wollten wir
nicht erwähnen, daß auch aus dem eingeborenen Deutschamerikanertum zahl-
reiche Bühnenkünstler und Künstlerinnen, Sänger und Sängerinnen hervor-
gingen, von denen manche sich der amerikanischen Bühne zuwandten und
auf derselben, meist unter angenommenen englischen Namen, bedeutende Er-
folge erzielten.
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Eine geschätzte Sängerin war beispielsweise die im Jahre 1852 in New
York geborene M i n n i e H a u c k , die erste und zugleich eine der vorzüg-
lichsten Darstellerinnen der „Carmen'^ Die in Louisville geborene Helene
H a s t r e i t e r sowie die unter dem Namen Marie Litta auftretende New
Yorkerin Marie von Ellsner gehörten gleichfalls im letzten Viertel des
19. Jahrhunderts zu den Gefeierten. Desgleichen die in Iowa geborene Ope-
rettensängerin Helene Louise Leonard, welche unter ihrem Bühnen-
namen Lilian Russell auch in der Alten Welt bekannt wurde. Unter den
deutschen Sängerinnen, die sich der amerikanischen Bühne zuwandten, ist
FritziScheffzu erwähnen, die während der letzten Jahre als „Mademoiselle
Modiste'* große Triumphe feierte.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika 34
< 1.
^Hi
Deutschamerikanische Maler, Bildhauer und Baumeister.
Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts lassen sich die Spuren deutscher
Kunst in Amerika verfolgen. Sie führen uns wiederum in die Herrnhuter Nieder-
lassung Bethlehem, deren Mitglieder, trotzdem sie in der Hauptsache gott-
gefälligen Werken lebten und ihre Blicke auf das Jenseits richteten, sich doch
den Sinn für das Schöne in der Natur, für Gesang, Musik und Malerei be-
wahrten. Ihnen schloß sich im Jahre 1754 ein Künstler an, der in Rom,
Florenz, Paris und London studiert hatte, irgendwie und irgendwo aber mit
den Herrnhutern in Berührung gekommen und durch ihr tiefinnerliches Leben
so angezogen worden war, daß er der Sekte beitrat und nach Bethlehem über-
siedelte. Es war der im Jahre 1700 in Danzig geborene JohannValentin
H a i d t. Seiner fleißigen Hand entsprangen in Bethlehem zahlreiche Gemälde,
deren Vorwürfe er der Bibel entlehnte. Daneben schuf er viele Bildnisse, von
denen manche noch heute im Archiv der Herrnhuter Gemeinde zu sehen sind.
Als Haidt im Jahre 1780 aus dem Leben schied, wurde er auch auf dem stillen
Friedhof der Herrnhuter begraben.
Einen Berufsgenossen hatte Haidt in dem 1776 in Lancaster, Pennsyl-
vanien geborenen JakobEichholz, welcher sich zu Ausgang des 18. Jahr-
hunderts in Philadelphia niederließ und als geschickter Porträtmaler die Züge
mancher dort wohnenden Notabilitäten auf die Leinwand bannte. Mehrere
dieser Bildnisse befinden sich jetzt in den Sammlungen der Kunstgenossenschaft
zu Philadelphia.
Im allgemeinen waren zu Anfang des 19. Jahrhunderts der Sinn und das
Verständnis für die schönen Künste in den jungen Vereinigten Staaten sehr
wenig entwickelt. Berufskünstler gab es nur einzelne und auch diese waren
genötigt, ihr Auskommen im Porträtfach zu suchen. Erst um die Mitte des
Jahrhunderts begann es sich zu regen. Und nun sehen wir auch an den ver-
Kopfleiste: Malerei, Architektur und Poesie. Nach einem Relief von Henry Linder.
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— 533 —
schiedensten Orten deutsche Maler und Bildhauer auftreten, von denen einige
sogar zu großem Ruhm gelangten. Die bedeutendsten waren Emanuel
Leutze (geboren 1816 in Schwäbisch-Hall) ; Karl Ferdinand Wei-
mer (geboren 1828 in Siegburg) und Albert Bierstadt (geboren 1830
in Solingen). Alle drei kamen in ihrer Jugend nach Amerika, wo sie auch die
ersten Anregungen und Anweisungen für ihren späteren Beruf empfingen.
Später zogen alle drei nach Düsseldorf, um in dieser berühmten Künstlerstadt
ihre Ausbildung zu vollenden. Leutze erschien dort im Jahre 1841. Weimer
folgte 1852. Um dieselbe Zeit kam Bierstadt.
Es kann kaum überraschen, daß die Gemälde der in beständigen Umgang
mit den damaligen Größen jener Kunststadt lebenden Deutschamerikaner sich
sowohl durch ihre Komposition, wie durch ihre Technik und Farbengebung
als Werke der damaligen Düsseldorfer Schule kennzeichnen. Nur durch die
ihnen zugrunde gelegten Vorwürfe unterscheiden sie sich von denselben. An-
statt der zu jener Zeit so beliebten Szenen trauten Familienglücks und roman-
tischer Ritterherrlichkeit, anstatt der zahmen Landschaften vom Rhein, der
Schweiz und Italiens, zeigen sie die Natur und Menschen einer fremden wilden
Welt, die man bisher nur aus den Beschreibungen einzelner kühner Reisenden
und den vielgelesenen Romanen eines Cooper, Sealsfield und Gerstäcker hatte
kennen lernen. Sie veranschaulichten Szenen aus dem Leben der großen Ent-
decker und Eroberer, das Dasein der Indianer und Waldläufer, oder Vorgänge
aus den jahrelangen Kämpfen, durch welche die Amerikaner ihre Unabhängig-
keit erstritten.
Es ist eine eigentümliche Tatsache, daß die genannten drei deutsch-
amerikanischen Künstler sich in bezug auf die Wahl ihrer Motive als weit
bessere Amerikaner en\äesen, als ihre damaligen, im Lande geborenen amerika-
nischen Berufsgenossen. Ihre Herzen waren voll Begeisterung für die Helden,
die sich die Bewunderung der ganzen zivilisierten Welt errungen hatten. Sie
standen staunend vor der ihren Blicken sich darbietenden großartigen Natur.
Und sie fühlten sich angezogen durch die von wilder Romantik umkleideten
Gestalten, die im fernen Westen die eingeborene rote Rasse repräsentierten oder
die Vorhut der weißen bildeten.
Emanuel Leutze beschäftigte sich in der ersten Zeit seines Düsseldorfer
Aufenthahes häufig mit der ihn mächtig interessierenden Gestalt des Columbus.
Er stellte ihn dar, wie er dem hohen Rat der Stadt Salamanca seine kühnen
Pläne auseinandersetzt; in Audienz mit seiner hohen Gönnerin, der Königin
Isabella; seinen Einzug in Sevilla nach der Rückkehr von der erfolgreichen Ent-
deckungsreise; und endlich auch den so schmählich mißbrauchten Mann im
Kerker, mit Ketten belastet. Diesem in Brüssel mit der goldenen Medaille
ausgezeichneten Gemälde schloß sich bald darauf ein anderes geschichtliches
Bild an: die Landung des Normannen Leif in Finland.
War Leutzes Name bereits durch diese Kunstwerke auf beiden Erdhälften
bekannt geworden, so sollte er aber durch sein ebenfalls in Düsseldorf ent-
— 534 —
standenes Gemälde „Washingtons Übergang über den Delaware" zu noch
weit höherem Glanz gelangen. Das jetzt im Kunstmuseum der Stadt New York
aufgestellte mächtige Bild mit seinen lebensgroßen Figuren versetzt uns in die
frühen Morgenstunden eines frostigen Wintertags. Noch leuchtet der letzte
Stern am Himmel, gegen dessen Graublau die malerischen Gestalten der Frei-
heitskämpfer sich in scharfen Umrissen abheben. Auf Ruderbooten arbeiten
die Männer sich durch die mit Eisschollen bedeckten Fluten des Delaware. Im
ersten Boot steht der Held jener großen, die Herzen aller Männer prüfenden
Zeit, George Washington, mit seinem klaren Adlerblick in die ungewisse Feme
hinausspähend.
Welch tiefen Eindruck dies Gemälde in Deutschland hinterließ, beweist
die Tatsache, daß die preußische Regierung dem Künstler die große Medaille
für Kunst und Wissenschaft verlieh. In Amerika aber fand es, durch Stein-
druck, Stahl- und Kupferstich vervielfältigt, Eingang in viele hunderttausend
Hütten und Paläste. Und so wurde das an Größe der Auffassung bisher von
keinem anderen in Amerika entstandenen historischen Gemälde übertroffene
Werk ein wirkliches Nationalgut des amerikanischen Volkes.
Außer zahlreichen anderen, meist in Privatgalerien übergegangenen Bil-
dern schuf Leutze im Auftrag der Bundesregierung noch ein gewaltiges Wand-
gemälde im Kapitol zu Washington. Es zeigt eine Karawane jener Westfahrer,
die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, durch die kalifornischen Goldfunde
angezogen, von den Ufern des Mississippi aufbrachen, um an den Gestaden
des Stillen Ozeans neue Heimstätten zu gründen und neue Staaten aufzubauen.
Eben haben die vom monatelangen Marsch über die endlosen Prärien Er-
schöpften einen Paß in der Kette der Felsengebirge erstiegen und lassen nun
die entzückten Blicke über die westlichen Länder schweifen, die, ein zweites
Kanaan, in weiter Ferne mit dem vom Abendglanz überfluteten Himmel ver-
schwimmen.
In der sehr geringen Zahl amerikanischer Historienmaler des 19. Jahr-
hunderts gebührt Leutze zweifellos der erste Platz. Das erkennt auch ein neuerer
Kunstkritiker an, indem er schrieb: „Er war ein groß angelegter, hoher Be-
geisterung fähiger, mit echter Hingabe für dies Land, seine Geschichte und den
Geist seiner Einrichtungen erfüllter Mann, der stets nach den höchsten Idealen
strebte. Obwohl seiner Kunst gewisse Mängel anhafteten, so können wir uns
angesichts seiner Werke des Eindrucks nicht erwehren, daß sie die Produkte
eines gewaltigen Geistes sind, dem anscheinend Quellen von unerschöpflicher
Inspiration zu Gebote standen, Im Ungestüm seines Genius, in der rauhen
UnVollständigkeit seines Stils, in seiner herrlichen Leidenschaft, in seiner Phan-
tasie, in der epischen Größe, Energie und Kühnheit seiner Schöpfungen erinnert
Leutze an Byron. Ihm verdanken wir unzweifelhaft das Beste unsrer historischen
Malerei bis zum Jahre 1860."
Infolge eines Schlaganfalls verschied Leutze am 17. Juli 1863 in
Washington.
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— 537 —
Wie sehr die Umgebung und äußeren Eindrücke die Entwicklung des
Menschen bestimmen, zeigt auch der Werdegang Karl Ferdinand
Weimers. Er kam als 15 jähriger Knabe im Jahre 1844 mit seinen aus
Deutschland ausgewanderten Eltern nach St. Louis. Damals war die heutige
Großstadt ein kleiner Grenzort, der aber insofern Bedeutung hatte, als sich
hier eine Hauptstation der Amerikanischen Pelzhandelsgesellschaft befand.
Gleichzeitig bildete St. Louis den Ausrüstungsplatz für jene Karawanen von
Händlern und Ansiedlern, die nach New Mexiko, Kalifornien und dem fernen
Oregon zogen. Hierher brachten auch die auf den Prärien und an den Ufern
des Missouri und Mississippi jagenden Indianer und Trapper die erbeuteten
Felle, um sie gegen Proviant und Schießmaterial einzutauschen. Und so traf
man in den Straßen und Kaufläden des Orts beständig jene malerischen Ge-
stalten, die den an der sogenannten „Indianergrenze" entstehenden Nieder-
lassungen ein so eigenartiges, phantastisches Gepräge verliehen. Weimer, der
bei einem Haus- und Schiffsanstreicher in die Lehre gekommen war, wurde
durch dieses Getriebe mächtig angezogen, und er bemühte sich, die herrlich
gebauten Figuren dieser Indianer und Trapper zu zeichnen. Mehrere Fahrten,
die er als Anstreicher auf einem Flußdampfer in die Regionen am oberen
Missouri mitmachte, bestärkten ihn in seinem Vorsatz, Künstler zu werden
und die ihn so lebhaft interessierende westliche Welt in Gemälden festzuhalten.
Und als ihm eines Tages eine kleine Erbschaft zufiel, reiste er damit im Jahre
1852 nach Düsseldorf, um sich dort zum wirklichen Maler auszubilden. Er
wurde zunächst Schüler von Joseph Fay, einem Schwager von Oswald Achen-
bach. Später stellte er sich unter die Leitung Emanuel Leutzes, der damals
gerade seine bedeutendsten Werke schuf. Unter ihm lieferte Weimer mehrere
vortreffliche Bilder, von welchen „Das gefangene Schlachtroß", das von Indianern
fortgeführte Reittier eines im Handgemenge erschlagenen amerikanischen Offi-
ziers als das beste gilt.
Nachdem Weimer sich alle technischen Fertigkeiten seines Berufs ange-
eignet hatte, kehrte er im Jahre 1856 nach St. Louis zurück, nahm an mehreren
Expeditionen der Amerikanischen Pelzhandelsgesellschaft zum obern Missouri
teil und schuf in der Folgezeit unter anderen zwei herrliche Gemälde, welche
indianische Büffeljagden darstellen. Eines befindet sich jetzt im Museum zu
St. Louis, das zweite im Besitz von Charles Reymerhoffer in Galveston, Texas.
Zu Anfang der sechziger Jahre begann Weimer die Kuppel des Gerichtsgebäudes
in St. Louis auszuschmücken. Eben hatte der reichbegabte Künstler diese,
zwölf Gemälde umfassende Arbeit vollendet, so fiel er im Jahre 1862 der
Schwindsucht zum Opfer, die er sich auf einer seiner Reisen zugezogen hatte.
Seinen Vorsatz, der Nachwelt eine möglichst getreue und vollständige
Darstellung vom Leben der Indianer Nordamerikas zu überliefem, konnte
Weimer nur zum kleinsten Teil erfüllen. Aber es bleibt ihm das Verdienst,
die Möglichkeit, den roten Urbewohner Amerikas als einen höchst dankbaren
Vorwurf für die Malerei zu verwerten, zuerst erkannt und ausgenutzt zu haben.
— 538 —
Weimer war der Vorläufer eines Frederick Remington, Schreyvogel, Bush,
Demming und anderer, die in neuerer Zeit mit ihren Darstellungen des wild-
westlichen Lebens so große Erfolge erziehen.
Waren Leutze auf dem Gebiet der geschichtlichen und Weimer auf dem
der ethnographischen Malerei Bahnbrecher, so erschloß der Rheinländer
Albert Bierstadt den Amerikanern zuerst die überwältigende Majestät
der jungfräulichen Landschaften des fernen Westens. Wohl hatte man erfahren,
daß es jenseits der endlosen Prärien, im Herzen der wolkenhohen Felsen-
gebirge an großartigen Szenerien nicht mangle. Aber noch hatte sich kein
Künstler dorthin gewagt, um den Bewohnern des Ostens jene herrlichen Land-
schaften zu veranschaulichen. Als Bierstadt zu Anfang der sechziger Jahre als
Früchte einer mit dem General Lander in die Rocky Mountains unternommenen
Expedition mehrere mächtig wirkende Gemälde ausstellte, welche die schnee-
bepanzerten Gipfel jener Hochgebirge, die erhabenen Granitdome und Felsen-
kathedralen der Sierra Nevada und des Yosemitetals veranschaulichten, da
wirkten diese Gemälde wie Offenbarungen. Das waren keine nüchternen, photo-
graphisch getreuen Abschreibungen der Natur, sondern Kunstwerke, in denen
ihr Urheber mit großem Glück die Seele, die Stimmung der Landschaft erfaßt
und auf die Leinwand gezaubert hatte. Nicht umsonst war Bierstadt bei den
großen Düsseldorfer Meistern Schirmer, Lessing und Achenbach in die Schule
gegangen. Die Art der heroisch machtvollen oder poetisch durchgeistigten
Darstellung, welche die Gemälde jener Künstler auszeichnet, war auch ihm
zu eigen geworden. Und so zählen viele seiner Bilder, wie „Mount Corcoran",
„Landers Peak", ein „Sturm in den Felsengebirgen", die „Goldene Gasse bei
San Francisco", ein „Abend am Mount Tacoma" und das im Kunstmuseum der
Stadt New York aufgestellte „Indianerlager am Fuß der Felsengebirge" mit
Recht zu den Perlen der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts.
Es ist angesichts dieser Schöpfungen erklärlich, daß Bierstadt, der „Ent-
decker des malerischen Westens", in vielen amerikanischen Künstlern Nachfolger
fand. Zu ihnen zählen vor allen Thomas Moran, Thomas Hill und Julian Rix.
Den namhaften deutschamerikanischen Landschaftern der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts gehören ferner Gottfried Frankenstein, Wil-
helm Sonntag, Hermann Füchsel und Heinrich Vianden an.
Frankensteins Niagarabilder erfreuten sich auch in Europa großer An-
erkennung.
Unter den Figurenmalern jener Periode wären in erster Linie noch der 1824
im Elsaß geborene ChristianSchüssele und der 1840 zu Landau (Pfalz)
geborene ThomasNastzu nennen. Von Schussele haben sich nur wenige
Werke erhalten. Das bedeutendste ist zweifellos ein jetzt im Besitz der Herrn-
hutergemeinde zu Bethlehem in Pennsylvanien befindliches Gemälde, welches
den ganz von seinem hohen Beruf erfüllten Missionar David Zeisberger zeigt,
wie er den am nächtlichen Lagerfeuer versammelten Urbewohnern Amerikas
die Lehren des Christentums verkündigt. Das durch scharfe Charakteristik der
03
— 541 —
Figuren ausgezeichnete Bild wurde 1862 in Philadelphia gemalt. Dort lebte
der Künstler als Leiter der Kunstschule bis zu seinem im Jahre 1879 erfolgen-
den Tod.
Der Name Thomas Nasts wurde hauptsächlich als der eines sehr ge-
schickten Kariicaturenzeichners gefürchtet und berühmt. Aber auch die beiden
großen Gemälde „Der Ausmarsch des 7. New Yorker Regiments am 19. April
186r* und „Lincolns Einzug in Richmond" sind Leistungen, die sich weit über
das Alltägliche erheben. Das erstgenannte Bild schmückt die Waffenhalle des
noch heute bestehenden 7. Regiments.
Mount Corcoran.
Nach einem Gemälde von Albert Bierstadt.
Nasts Berufsgenosse Theodor Kaufmann, ein aus der Provinz
Hannover eingewanderter ,. Achtundvierziger", befaßte sich gleichfalls mit künst-
lerischen Darstellungen aus dem Bürgerkriege. Seine Gemälde „General Sher-
man am Wachtfeuer" und „Farragut" fanden in verschiedenen Nachbildungen
weite Verbreitung. Ferner wählte der Künstler die tragische Ermordung des
Präsidenten Lincoln zum Vorwurf eines figurenreichen Gemäldes.
Der Deutschpennsylvanier Peter Rothermel veranschaulichte die
Schlacht von Gettysburg. Den Indianerkämpfen und dem Soldatenleben des
fernen Westens entlehnte hingegen der im Jahre 1861 in New York geborene
Charles Schreyvogel Szenen, deren überaus lebendige Darstellung
den Namen des Kimstiers rasch in allen Teilen Amerikas bekannt machte.
— 542 —
Bereits das erste Bild „My Bunkie" erregte allgemeine Aufmerksamkeit. Es
zeigt einen im Galopp dahinspringenden Reiter, der mitten im Gefecht einen
seines Rosses verlustig gewordenen Kameraden zu sich in den Sattel empor-
hebt. Von dramatischer Wirkung ist auch desselben Meisters Bild „How Cola".
Eine kleine Abteilung Kavalleristen hat eine Truppe Indianer in die Elucht
geschlagen. Wild stürmen die Bleichgesichter nach. Im Vordergrund setzt ein
Gaul über einen mit seinem Pferde gestürzten Indianer hinweg. Schon hebt der
Reiter den Revolver, um dem am Boden liegenden den Gnadenschuß zu ver-
setzen. Da erkennt der Wilde in dem ihn Bedrohenden einen ehemaligen
Ereund, mit dem er manchmal am Lagerfeuer zusammengesessen. Ein lautes
„How Cola!" „Gut Freund!" erschallt von seinen Lippen, worauf die ver-
hängnisvolle Mündung des Revolvers sich nach oben richtet und der Reiter
weitersprengt. —
Ein fast noch ergreifenderes Gemälde Schreyvogels versetzt uns ins Innere
eines von wenigen Soldaten verteidigten Eorts. Überall Pulverdampf, überall
leidenschaftlicher Kampf. Schon schicken die in der Übermacht befindlichen
Rothäute sich an, die Palisaden zu übersteigen und die Besatzung des Forts
durch herabgeschleuderte Bündel brennenden Reisigs zu vertreiben. Da raffen
sich die tapferen Verteidiger zu einem letzten Verzweiflungskampf auf, um die
blutdürstigen Feinde womöglich noch einmal abzuschlagen.
Ein viertes Bild nennt sich „Der Kampf ums Wasser". Inmitten einer
von der untergehenden Sonne mit magischem Licht beleuchteten Wüste liegt
in einer kleinen Vertiefung eine Quelle. Ihr Besitz bedeutet Leben oder
Tod, denn in der fürchterlichen Sonnengut sind Menschen und Tiere
nahezu verschmachtet. Eine auf dem Kriegspfad befindliche Truppe Indianer
hält die Quelle besetzt. Auf die sich tapfer Verteidigenden stürmt eine kleine
Abteilung Kavallerie mit ganz außergewöhnlicher Wucht herein. Fast kerzen-
gerade steigt das Pferd des amerikanischen Offiziers empor. Auf dem Boden
liegen bereits mehrere erschossene Rothäute neben ihren Gäulen; andere setzen
sich noch zur Wehr.
Außer diesen durch die überaus bewegte Handlung, wie durch vortreff-
liche Zeichnung und klare Farbengebung hei*vorragenden Gemälden schuf der
Künsder zahlreiche andere, von welchen „Der Depeschenträger", „Der Durch-
bruch", „Ein sichrer Schuß" genannt sein mögen. Vortreffliche Nachbildun-
gen der Gemälde Schreyvogels wurden im Herbst 1909 in dem Prachtwerk
„My Bunkie and others" (Verlag von Moffart, Yard & Co., New York) vereinigt.
Der Deutschamerikaner V. N e h 1 i g schuf ein Kolossalgemälde, das die
Rettung des als Gründer der Kolonie Virginien bekannten Kapitän John Smith
durch die schöne HäupÜingstochter Pocahontas veranschaulicht.
Ein überaus feinsinniger und vielversprechender Künstler war der im
Jahre 1867 in Cincinnati geborene, bereits 1904 verstorbene Robert
F. B 1 u m. Seitdem eine Reise ihn nach Japan führte, entnahm er die Motive
zu seinen Bildern mit Vorliebe dem japanischen Volksleben. Wer das Kunst-
545
museum der Stadt New York besucht, kann dort eins der trefflichsten Gemälde
Blums, ein Meisterwerk an Carakteristik und sonniger Farbengebung be-
Ein sichrer Schuß.
Nach einem Gemälde von Charles Schreyvogel
Copyri';ht U'02 by Ch. Sehr^ vcgcl.
wundern. Es stellt einen von naschhaftem jungen Volk belagerten japanischen
Zuckerwarenhändler dar.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
35
— 546 —
Ein vortrefflicher Genremaler war ferner der 1858 in New York geborene
Charles F. Ulrich. Von ihm besitzt die Corcoran Kunstgalerie zu
Washington ein Gemälde, welches das Getriebe in Castle Garden, der früheren
Landestelle der in New York ankommenden Einwandrer zeigt. Das Kunst-
museum der Stadt New York zählt unter seinen Schätzen ein zweites Bild
Ulrichs, „Die Glasbläser in Burano".
Der aus Hannover stammende Friedrich Dielmann, seit 1899
Präsident der „National Academy of Design" in New York, betätigte sich vor-
nehmlich in Wandmalereien. Sowohl die Kongreßbibliothek zu Washington,
die Sparbank zu Albany, das Gebäude des „Washington Evening Star" und
andere Bauten sind mit Werken seiner Hand geschmückt.
Der gleichen Spezialität wandte sich auch der in New York lebende
ArthurThomaszu. Er zierte die Hallen und Wandelgänge des Gerichts-
gebäudes der Stadt South Bend, Indiana; ferner das Rathaus zu St. Louis, die
Gedächtnishalle zu Columbus, Ohio, und viele andere öffentliche und Privat-
gebäude mit geschichtlichen und allegorischen Gemälden, die sich durch klaren
Entwurf, solide Zeichnung und feines Kolorit auszeichnen. Der vornehmlich
als Porträtmaler bekannte Karl Gutherz fertigte für die Kongreßbibliothek
zu Washington die Allegorie „Das Licht der Zivilisation".
Von den neueren deutschamerikanischen Künstlern, die figürliche und
landschaftliche Darstellungen zu verbinden lieben, ist Rudolf Gronau,
(geboren 1855 zu Solingen), zu nennen. Seitdem er zu Anfang der achtziger
Jahre als Spezialzeichner der „Gartenlaube" Amerika bereiste, wandte auch er
sich vorwiegend der malerischen Darstellung des fernen Westens zu. Von
seinen größeren Gemälden vergegenwärtigt „Ein Renkontre in den Felsen-
gebirgen" den Zusammenstoß zweier wandernden Indianerhorden, die an dem
durch seme phantastischen Felsformationen bekannten Green River, einem Quell-
arm des Colorado, lagerten. „Sonnenuntergang der roten Rasse" nennt sich
ein zweites Gemälde. Es zeigt einen am Fuß der Grabgerüste seiner toten
Stammesgenossen sitzenden Dakota-Indianer, der wehmütigen Blickes das unter
ihm liegende, von der Abendsonne vergoldete Flußtal überschaut, wo eben mit
schrillem Pfiff eine Eisenbahn, das Symbol der dem roten Mann den Untergang
bringenden Zivilisation, dahineilt.
Zu den neueren hervorragenden deutschamerikanischen Landschaftern
zählen ferner John Henry Tw achtmann und der in Chicago geborene
Alexander Schilling. Der New Yorker Albert Groll wählte die
durch ihre Farbenpracht ausgezeichneten Wüsten Arizonas als Studienfeld.
Als Porträtmaler taten sich AdolfMüller-Ury, JohannGerke,
Emil Fuchs, Paul Selinger, Karl L. Brandt, W. J. Baer und
Wilhelm Funk hervor. Von anderen innerhalb der Vereinigten Staaten
lebenden Künstlern deutscher Abkunft verdienen A. B. Wenzell, Edward
Potthast, John Ehninger, jMax A. Friederang, John
Ewers, R. Launitz, Alfred Kappes, Edward Kuntze,
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Keller, B. F. Reinhardt, Albert Wuest, Alfred Stieglitz
und Louis Kronberg Erwähnung.
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Ein Tiermaler ersten Ranges ist Karl R u n g i u s in New York. Die
mächtigen Wapiti der Felsengebirge, die zierlichen Antilopen der Prärien, wie
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die gewaltigen Moosetiere der nordischen Wälder finden in ihm einen unüber-
trefflichen Darsteller. Die Spezialität der beiden Künstler Edmund H. Ost-
hau s in Toledo und A r n o l d in New York bildet der Hund. Mit welchem
Geschick der erstgenannte Künstler die schwierigen Aufgaben, welche er sich
— 551
zu stellen liebt, zu lösen weiß, beweist die unserem Buch einverleibte Wieder-
gabe eines seiner besten Gemälde.
„Losgelassen/
Gemälde von Edmund H. Osthaus.
Copyright 1901 by E. H. Osthaus.
Sehr zahlreich ist die Liste solcher Deutschamerikaner, die als Illustra-
toren Hervorragendes leisten. Unter ihnen finden wir Frank und Frede-
rickSchell,RudolfCronau,JuliusLoeb, Max F. Klepper,
— 552 —
Copyright 1908 by C. Rungius.
Ein Monarch der amerikanischen Wildnis.
Nach einem Gemälde von Carl Rungius.
Joseph Leyendecker, Erich Pape, B 1 u m e n s c h e i n , Nahl,
K e p p 1 e r und andere.
Manche in Amerilta geborene Künstler deutscher Abkunft zogen aus ver-
schiedenen Gründen vor, ihre Werkstätten in den europäischen Kunstzentren
553
Copyright 1907 by C. Rungius.
Ein König der Felsengebirge.
Nach einem Gemälde von Carl Rungius.
aufzuschlagen. Einer dieser Wandervögel ist der im Jahre 1841 in New York
'borene Henry Mosler, von dessen unzähligen köstlichen Genrebildern
die im Museum seiner Vaterstadt befindliche „Hochzeit in der Bretagne'* hervor-
zuheben ist. Die Corcoran-Galerie zu Washington besitzt das schöne Gemälde
— 554 —
„The Dawn of our Flag". Wie der Titel verrät, ist es eine symbolische Ver-
herrlichung der amerikanischen Flagge. Eine nackte Frauengestalt schwebt über
der noch im Abendschein erglänzenden Landschaft zum dunkelnden Nachthimmel,
an dem bereits die Sterne zu funkeln beginnen, empor. Im Schweben hält sie
das flatternde Banner, das in dem sternenbesäten Himmel zu zerfließen scheint.
Die Auflösung des Sternenbanners im Nachthimmel ist vortrefflich gelungen,
und die Wiedergabe der tief drunten liegenden Abendlandschaft zeigt, daß
Mosler zu den Künstlern der alten Schule gehört, welche moderne Technik in
Anwendung bringen können, wenn es ihnen angebracht erscheint. Eines seiner
A\it Genehmigung der Photographisehen Gesellschaft in Berlin.
Ahasver.
Nach einem Gemälde von Karl Marr. Im Besitz des Metropolitan-Kunstmuseums der Stadt New York.
neueren Werke „The Forging of the Gross" zeichnet sich durch eine so kräftige
Behandlung der von dem glühenden Eisen ausgehenden Lichteffekte aus, daß
man unwillkürlich an Menzel erinnert wird, obgleich Mosler, wenn man Ver-
gleiche ziehen will, im allgemeinen eher an Knaus erinnert.
In München finden wir den im Jahre 1848 in New Haven, Connecticut,
geborenen Toby Rosenthal, dessen mannigfaltige, oft von köstlichem
Humor durchwehte Genrebilder ihm einen hochangesehenen Namen machten.
Als Professor an der Münchener Akademie wirkt der 1858 in Milwaukee ge-
borene Karl Marr, einer der bedeutendsten Künstler, die Amerika hervor-
gebracht hat. Seine Ausbildung verdankt er Deutschland, das er auch zu
seinem dauernden Wohnsitz erkor. Eines seiner ersten, dort entstandenen Ge-
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Copyright 1908 by Gari Melchers.
Copyright 1908 by Detroit Publishing Co.
Die beiden Schwestern.
Nach einem Gemälde von Gari Melchers, im Besitz des Herrn Hugo Reisinger, New York.
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— 55Q —
mälde veranschaulicht „Ahasver", den vom Tod gemiedenen „ewigen Juden",
wie er in düstrer Versunl^enheit über dem von den Wellen an den Strand ge-
spülten Leichnam eines Mädchens grübelt. Diesem jetzt im Kunstmuseum zu
New York befindlichen Gemälde folgten die „Spinnerin" und mehrere Szenen
aus der deutschen Geschichte. Dann kam das gewaltige aufsehenerregende Bild
„Die Flagellanten"; 7 m lang und 4,40 m hoch, zeigt es einen Zug jener von
religiösem Wahnsinn befallenen Sektierer, die zu den seltsamsten Erscheinungen
des christlichen Mittelalters gehörten. Da nahen die halbnackten, sich geißeln-
den jungen und alten Männer, blutüberströmt, in ihrer leidenschaftlichen Raserei
schreckenerregend. In der Mitte des unheimlichen Zuges tragen vermummte
Gestalten das Bild des Heilands. Dahinter folgen Büßer, die betend die Arme
zum Himmel strecken. So mögen sie einhergezogen sein, die Flagellanten,
deren frommer Wahnsinn ganze Städte, ganze Länder erfaßte. Das Bild
trug Marr die goldene Medaille ein. Nachdem es die Runde durch Europa
gemacht, fand es einen dauernden Platz im Museum der Vaterstadt des Künst-
lers, Milwaukee. Diesem ergreifenden Bilde schlössen sich Genrebilder, Alle-
gorien, historische Gemälde und Porträts an. Alle bekunden die außergewöhn-
liche Begabung ihres Urhebers und sein unermüdliches Ringen nach Vollkom-
menheit.
Gleiches läßt sich von den Werken des 1 360 in Detroit geborenen G a r i
M e 1 c h e r s sagen, der ebenfalls in Deutschland seinen Studien oblag, von
Liebermann, Uhde, Leibl und anderen mächtig beeinflußt wurde, aber doch
seine eignen Wege ging. Seine mit Vorliebe dem holländischen Fischerleben
entnommenen Motive sind mit überzeugender Wahrheit und un-
gewöhnlicher Kraft ausgeführt. Die „Predigt", das „Abendmahl in Emmaus",
die „Bootbauer", „Zwischen den Dünen", die im Besitz der Nationalgalerie zu
Berlin befindHche „Holländische Familie", die in der Kunstgalerie zu Phila-
delphia hängenden „Schlittschuhläufer", „Die beiden Schwestern" in der Galerie
von Hugo Reisinger in New York sind sowohl in Auffassung, Technik und
Farbengebung Meisterwerke ersten Ranges.
Hermann Hart wich und Walter Gay zählen gleichfalls zu den
in Europa lebenden deutschamerikanischen Malern, die sich durch ihre vor-
züglichen Leistungen Ruhm und Auszeichnungen aller Art errangen.
War zu Anfang des IQ. Jahrhunderts das Verständnis des jungen, meist
mit Daseinsfragen beschäftigten amerikanischen Volkes für die Werke der Malerei
wenig entwickelt, so bekundete es für die Schöpfungen der Bildhauerkunst fast
noch geringeres Interesse. Die seltenen Aufträge, die man den in den Ver-
einigten Staaten lebenden Meistern des Meißels zuteil werden ließ, beschränkten
sich fast ausschließlich auf Grabmonumente, wozu nach Beendigung des Bürger-
kriegs da und dort Kriegerdenkmale kamen.
— 560 —
Einer der ersten der mit solcher Ungunst der Verhältnisse kämpfenden
Pioniere deutscher Kunst war der Dresdener Ferdinand Pettrich, ein
Schüler Thorwaldsens. Im Jahre 1835 nach Philadelphia verschlagen, fand er
dort Gelegenheit, mehrere Monumente herzustellen, die durch ihre Schönheit
allgemeine Aufmerksamkeit erregten. Einige sind noch heute auf dem Laurel
Hill-Friedhof erhalten. Die Figuren eines „besiegten Amor", eines „Mephisto-
pheles'' und „Fischermädchens" fanden gleichfalls große Anerkennung und be-
wogen den damaligen Präsidenten Tyler, Pettrich mit der Ausführung von vier
Reliefs für den Sockel der von Greenough geschaffenen großen Washington-
Statue zu beauftragen. Die umfangreichen, Szenen aus der Geschichte der Ver-
einigten Staaten darstellenden Reliefs wurden zwar von dem Künstler in Ton
modelliert, aber ihre Ausführung unterblieb, da der Kongreß nicht das dazu
nötige Geld bewilligte. Als auch manclie andere großen Pläne des Künstlers
scheiterten, wandte derselbe enttäuscht Amerika den Rücken und kehrte im
Jahre 1845 nach Europa zurück.
Unter ähnlichen Schwierigkeiten arbeiteten Franz Meinen in Phila-
delphia, Franz Xaver Dengler in Boston, Christoph Paulus,
Heinrich Baerer, Georg Hesse und Caspar Buberl in New
York, sowie Ephraim Kaiser in Cincinnati. Gezwungen ihr Auskommen
im Herstellen solcher Grabmonumente und gelegentlicher Büsten zu suchen, bot
sich ihnen nicht allzuhäufig Gelegenheit, ihr Können im Ausführen größerer
Werke zu zeigen.
Eine dieser seltenen Gelegenheiten ermöglichte es Buberl, für das Gar-
field-Denkmal in Cleveland fünf gewaltige Reliefplatten anzufertigen. Dieselben
enthalten mehr als hundert lebensgroße Figuren und zeigen den Märtyrer-
präsidenten als Dorfschullehrer, als Depeschenträger im Bürgerkrieg, als Volks-
redner, als Präsident und als Dulder auf seinem Schmerzenslager.
Das Patentamt der Bundeshauptstadt Washington schmückte derselbe
Künstler mit den allegorischen Darstellungen „Elektrizität und Magnetismus";
„Feuer und Wasser"; „Erfindung und Industrie"; „Eandwirtschaft und Berg-
bau". Vor dem Nationalmuseum in Washington fand noch ein anderes be-
deutendes Werk Buberls Aufstellung, die Kolossalgruppe „Columbia als Pro-
tektorin der Wissenschaft, Kunst und Industrie".
Die Arbeiten Heinrich Baerers blieben meist in New York. Im Central-
Park sowie im Prospekt-Park zu Brooklyn finden sich Kolossalbüsten Beet-
hovens. Auch über der Fassade des dem New Yorker Gesangverein „Arion"
gehörenden schönen Gebäudes lenkt eine von Baerer geschaffene Kolossal-
gruppe die Blicke auf sich. Ferner schuf Baerer Büsten des Poeten John
Howard Payne und des Brückenbauers Johann August Roebling; desgleichen
Standbilder der Generäle Warren und Fowler; ein Schubertdenkmal und eine
Kolossalbüste Schillers, die bei der Gedächtnisfeier der hundertjährigen Wieder-
kehr des Todestages Schillers in New York Verwendung fand.
Joseph Sibbel, der gleichfalls New York als Wirkungskreis erkor,
— 561 —
lieferte für zahlreiche katholische Kirchen Amerikas den Figurenschmuck: Ma-
donnen, Märtyrer, Heilige und Apostel. Einzelne seiner durch harmonischen
Aufbau und Innigkeit des Ausdrucks ausgezeichneten Gruppen, gehören zum
besten, was auf dem Gebiet der Kirchenkunst in der Neuen Welt je geschaffen
wurde. Nach dem im Jahre 1908 erfolgten Tode Sibbels führte sein lang-
jähriger bewährter Mitarbeiter Joseph Lohniüller das künstlerische Werk
des Verstorbenen ganz im Sinne desselben fort. —
Eine günstigere Epoche brach für die Meister des Meißels mit den
Weltausstellungen zu Chicago, Omaha, Buffalo, St. Louis und Portland an.
Die heilige Familie.
Skulptur von Joseph Sibbel und Joseph Lohmüller.
Die dort geplanten Riesenpaläste, gewaltigen Festplätze und Ehrenhöfe, die
endlosen Säulengänge mußten, um ihre ermüdende Eintönigkeit zu heben, mit
Standbildern und allegorischen Gruppen geschmückt werden, wie man dies
auf den Weltausstellungen Europas zu sehen gewöhnt war. Da gab's endlich
auch für die deutschamerikanischen Bildhauer Arbeit in Fülle. Gelegentlich
der Weltausstellung zu Buffalo und St. Louis fiel dem aus Wien nach New York
übersiedelten Karl Bitter sogar die Oberleitung sämtlicher Bildhauer-
arbeiten zu. Die Anwartschaft für diesen schwierigen Posten hatte Bitter
sich bereits durch seine mustergültigen Skulpturen für das Verwaltungsgebäude
der Weltausstellung zu Chicago erworben. Für den Festplatz zu Buffalo lieferte
er zwei mächtige, auf bäumenden Rossen sitzende Standartenträger. Für
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
36
— 562 —
Copyright 19()7 by J. Sibbel.
„Unsere Frau der immerwährenden Hilfe."
Skulptur von Joseph Sibbel in der St. Francis Xavier-Kirche zu St. Louis, Missouri.
St. Louis schuf er das zur Erinnerung an den Ankauf Louisianas von Frankreich
dienende „Louisiana Purchase Monument'', eine hochragende mächtige Rund-
säule, die eine Friedensgöttin trug. Den Sockel des mächtigen Denkmals zierten
— 563 —
äußerst lebendige allegorische Gruppen sowie die auf Seite 261 unseres Buches
abgebildete Darstellung der im Jahre 1803 vollzogenen Unterzeichnung des
Louisiana-Kaufaktes.
In neuerer Zeit schuf
Bitter außer mehreren zum
Schmuck öffentlicher Gebäude
dienenden Friese und Sta-
tuen für die Stadt New York
ein Reiterstandbild des Gene-
rals Franz Sigel und eine
Statue von Karl Schurz.
Die Weltausstellungen
zu Buffalo und St. Louis er-
öffneten auch dem Wiener
I s i d o r K o n t i die er-
wünschte Gelegeriheit, seine
üppige Phantasie und große
Begabung zu zeigen. In
der Mississippimetropole
schmückte er die Umgebung
der großen Kaskade mit
mehr denn zwanzig Grup-
pen, die sich aus Wasser-
göttern, Nymphen und fabel
haften Seeungetümen zu-
sammensetzten.
Einen grundverschie-
denen Ton schlug Konti in
einer „Das despotische Zeit-
alter" benannten Gruppe an.
Keuchende, mit Ketten be-
lastete, unter furchtbaren An-
strengungen fast zusammen-
sinkende Sklaven ziehen
einen schweren Triumph-
wagen dahin, auf dem ein
brutal vierschrötiger Despot
thront. Hart blicken seine
mitleidlosen Augen, während
ein neben dem Wagen dahinschreitendes furienhaftes Weib mit wuchtiger Geißel
das menschliche Gespann zur äußersten Kraftanstrengung anpeitscht.
Eine Tragödie des Lebens verkörperte auch der New Yorker Adolf
Alexander Wein man in seiner für die Weltausstellung zu St. Louis
36*
Der kreuztragende Christus und Maria.
Skulptur von Joseph Lohmüller.
— 564 —
geschaffenen Gruppe, „Das Schicksal der roten Rasse'^ Sie symbolisiert den
unvermeidlichen Untergang der Indianer. Da ihr Dasein in erster Linie von
der Existenz des sie mit allen Lebensnotwendigkeiten versorgenden Büffels
abhing, so stellte der KünsUer einen dieser der Ausrottung zuerst verfallenden
Wiederkäuer an die Spitze des melancholisch stimmenden Zugs. Ein Häupt-
ling, ein Medizinmann, zwei Krieger und ein von Kindern umgebenes Weib
Copyright 1903 by A. A. Weinman.
Das Schicksal der roten Rasse.
Skulptur von Adolf Alexander Weinman auf der Weltausstellung zu St. Louis, Missouri.
bilden denselben. Mit ihnen entschwebt Manitu, der gute Geist und Welten-
schöpfer, auf welchen die roten Männer einst ihr ganzes, vergebliches Hoffen
setzten.
Max Manch, Henry August Lukemann, A. Schaff,
Bruno Louis Zimm, Carl Heber, F. W. Ruckstuhl, F. E.
Triebel, Henry Linder und Albert Jägers sind deutschameri-
kanische Bildhauer, die gleichfalls mit Werken auf den erwähnten Weltaus-
Denkmal des Generalmajors Friedrich Wilhelm von Steuben in Washington.
Von Albert Jägers.
OF THE
UNIVERSITY
OF
— 567 —
Stellungen vertreten waren. Manch lieferte ein Standbild Gobelins, des Ur-
hebers der Gobelin-Weberei. Ferner die Gruppe „Der Fortschritt, die Theorie
und Praxis bewillkommend".
General Grant.
Reiterstandbild von Charles Niehaus.
Ruckstuhl war auch bei der Ausschmückung der K-ongreßbibliothek zu
Washington beteiligt. Fr fertigte die Statuen Solons, Macauleys, Franklins
und Goethes. Theodor Baur meißelte die Allegorie „Religion"; und
— 568 —
Philipp Martiny die Darstellungen der Erdteile Amerika, Europa, Asien
und Afrika.
Charles Niehaus, ein in Cincinnati geborener Künstler deutscher
Abkunft, von dem die Kongreßbibliothek die Standbilder „Moses" und „Gibbon''
besitzt, zählt unstreitig zu den fruchtbarsten Bildhauern, die Amerika bisher
hervorbrachte. Die Grundlage zu seinem Können legte er in München. Als
Wohnsitz wählte er nach seiner Rückkehr Nev^ York. Hier fertigte er äußerst
charakteristische Standbilder des Präsidenten Garfield sowie der Staatsmänner
Allen und Morton für das Kapitol zu Washington. In der Bundeshauptstadt
finden wir ferner sein Denkmal des berühmten Homöopathen Hahnemann. Für
die Stadt Indianapolis modellierte er ein Standbild des Präsidenten Harrison;
für Canton ein solches von McKinley; für Museegon, Michigan, die Denkmäler
Lincolns und Farraguts. Zu den Hauptwerken des Künstlers gehört unstreitig
die für die Weltausstellung zu St. Louis gefertigte Apotheose Ludwigs IX.
Königs von Frankreich, nach welchem das frühere französische Kolonialreich
Louisiana einst seinen Namen empfing. Die gewaltige Reiterstatue wurde nach
Schluß der Weltausstellung in Bronze gegossen und bildet nun eine bleibende
Erinnerung an die mit der Gedenkfeier der Erwerbung Louisianas verbunden
gewesenen Festtage.
Der im Jahre 1868 in Elberfeld geborene Albert Jägers, der für
die Weltausstellung zu St. Louis die Statuen „Arkansas" und „Pestalozzi",
und für das Zollgebäude in New York die Figur der „Germania" schuf, trug
bei einem von der Bundesregierung erlassenen Wettbewerb um ein in der Stadt
Washington zu errichtendes Denkmal des Generalmajors Friedrich Wilhelm
von Steuben den Sieg davon. In seinem Entwurf stellte er den General dar,
wie er im Winterlager zu Valley Forge mit dem Einexerzieren der Soldaten
beschäftigt ist. Seine Haltung ist die eines scharf beobachtenden Offiziers.
Eine Figurengruppe am Sockel des Denkmals deutet sinnig an, was Steuben
für das amerikanische Heer getan. Sie stellt einen erfahrenen Krieger dar,
der einen Jüngling im Gebrauch der W^affen unterweist. Eine zweite Gruppe
repräsentiert die „Amerika", welche eine Jungfrau dazu anhält, zur Erinnerung
an Steuben einen Lorbeerzweig auf den Ruhmesbaum der Vereinigten Staaten
zu pfropfen.
Während der New Yorker Henry Linder vorzugsweise entzückend
schöne Entwürfe für kunstgewerbliche Gegenstände aller Art schuf, ließ der in
White Plains wohnende Friedrich C. Roth seiner Vorliebe für Tier-
Darstellungen freien Lauf. Eine seiner lebendigsten Gruppen ist die eines
römischen Wagenlenkers, der seine dahinstürmenden Rosse zu rasender Eile
antreibt. (S. Seite 354.)
— 569 —
Auch unter den hervorragenden Baumeistern Amerikas sind die Deutsch-
amerikaner vortrefflich vertreten. Von den verhältnismäßig wenigen amerika-
nischen Bauten, die Anspruch auf die Bezeichnung „schön" erheben dürfen,
wurden einige der schönsten von Deutschen entworfen.
An erster Stelle sei die herrliche Kongreßbibliothek der Bundeshaupt-
stadt Washington genannt. Ihre Urheber sind in allererster Linie der im Jahre
1841 zu Seitendorf in Schlesien geborene Paul Johannes Pelz und ferner
der Wiener Johann L. Schmitmeyer (Smithmeyer). Beide kamen bereits in
früher Jugend nach Amerika. Pelz genoß für eine Reihe von Jahren den Unterricht
des aus Holstein stammenden und in New York ansässig gewordenen Bau-
meisters Detlef Lienau. Nachdem er in Berlin und Paris seine architekto-
Copyright I8w9 by Howard Gray Douglas.
Die Kongreßbibliothek zu Washington, D. C.
Entworfen von Paul J. Pelz und Johann L. Schmitmeyer.
nischen Studien vollendet, zog er nach Washington, wo er für die Bundes-
regierung zahlreiche Entwürfe zu Leuchttürmen anfertigte, deren künstlerische
Eigenart dem amerikanischen Leuchthausanit auf der Wiener Weltausstellung
des Jahres 1873 den ersten Preis einbrachte.
Um diese Zeit vereinigte Pelz sich mit dem gleichfalls in Washington
heimisch gewordenen Architekten Johann L. Schmitmeyer und beide beteiligten
sich an dem Wettbewerb, den der Bundeskongreß im Jahre 1873 für den Ent-
wurf eines Prachtgebäudes ausschrieb, welches die ungemein rasch anwachsende
Kongreßbibliothek aufnehmen sollte. Von achtundzwanzig Entwürfen, unter
denen sich solche der bedeutendsten Baumeister beider Erdhälften befanden, er-
wiesen sich die von Schmitmeyer und Pelz eingelieferten als die schönsten und
zweckmäßigsten. Sie behaupteten auch den ersten Platz, als der Bibliothekaus-
— 570 —
Schuß im Jahre 1874 ein weiteres Ausschreiben erließ, wodurch die Zahl der
eingelieferten Entwürfe sich auf vierzig steigerte.
Nachdem den beiden der endgültige Sieg zuericannt worden, blieben sie
dreizehn Jahre lang mit der weiteren Durchbildung ihrer Pläne beschäftigt und
unternahmen zu diesem Zweck auch längere Studienreisen nach Europa, um die
Anlage und Einrichtungen der dort bestehenden großen Bibliotheken zu
571
studieren und deren Vorzüge beim Verbessern der eigenen Pläne zu berück-
sichtigen. So entstand durch die Vereinigung jahrhundertelanger Erfahrungen
Copyright 1899 by Howard Gray Douglas.
Treppenaufgang in der Kongreßbibliothek zu Washington, D. C.
und praktischer zeitgemäßer Neuerungen jene herrliche Bibliothek, die sowohl
in bezug auf zweckmäßige Aufstellung der Bücherschätze wie auch hinsieht-
— 572 —
lieh der Beleuchtung, Heizung und Feuersicherheit unter allen ähnlichen
Zwecken dienenden Bauwerken der Welt fraglos an erster Stelle steht.
Copyright 1899 by Howard Gray Douglas.
Die Lesehalle der Krongreßbibliothek zu Washington, D. C.
Zweifellos gebührt dieser Bibliothek auch in architektonischer Hinsicht
unter allen öffentlichen Gebäuden Amerikas der erste Platz. Obwohl das ge-
- 573 —
waltige Kapitol in unmittelbarer Nachbarschaft steht, wird der Bau keines-
wegs von diesem erdrückt, sondern bildet seine harmonische Ergänzung. Ver-
tieft man sich gar in das Studium der herrlichen, im italienischen Renaissance-
stil gehaltenen Fassade, der imposanten Treppenaufgänge, Korridore, Säle,
Versammlungsräume, und der mächtigen, als Lesesaal dienenden Rotunde, so
wird auch der verwöhnteste Reisende anerkennen müssen, nirgendwo ein Archi-
tekturwerk gesehen zu haben, wo feiner künstlerischer Geschmack und ver-
schwenderische Prachtentfaltung so vollkommene Triumphe feierten. An An-
strengungen, solche zu erzielen, ließ man es aber auch nicht fehlen. Um in der
40 m hohen und 33 m weiten Rotunde den dort herrschenden, aus Goldbraun,
Malachitgrün und anderen abgetönten Farben entstandenen harmonischen Ein-
klang zu erzielen, holte man die kostbarsten Steinarten aus drei Erdteilen herbei.
Der magische Eindruck wird bei Tage noch erhöht durch acht, die Wappen
der Bundesstaaten zeigende Oberlichtfenster von je 10 m Breite. Abends hin-
gegen flutet von einer den Mittelpunkt der Kuppel bildenden elektrischen
Sonne mildes Licht in den weiten F^aum hernieder, wo an kreisförmig geord-
neten Lesetischen 300 Leser Platz haben. Die Sitze des Oberbibliothekars und
seines Stabes befinden sich auf einer in der Mitte der Rotunde angebrachten
Tribüne, die einen Überblick über den ganzen Leseraum gewährt.
Angesichts der Tatsache, daß die Urheber des herrlichen Bauwerkes die
besten Jahre ihres Lebens, ihr ganzes Wissen und Können einsetzten und sich
bemühten, die Bibliothek in allen Dingen so vollkommen als möglich zu ge-
stalten, ist es um so tiefer zu bedauern, daß ihnen für ihre Mühe weder die
verdiente materielle Entschädigung noch die in weit höherem Grade verdiente
künstlerische Anerkennung zuteil wurde. Ehe man den beiden Architekten die
Ausführung des Baus übertrug, stellte der sogenannte Bibliothekausschuß des
Kongresses an sie das Verlangen, ihre bisherige Geschäftsverbindung zu lösen.
Nachdem dieser seltsamen Forderung entsprochen worden, machte man
Schmitmeyer zum ersten, Pelz zum zweiten Architekten. Bereits im Jahre
1888 beseitigte man Schmitmeyer und setzte an seine Stelle den Chef des
Ingenieurkorps, General T. L. Casey. Wohl nur weil dieser militärisch aus-
gebildete Mann unfähig war, die künstlerische Leitung des Baus zu überwachen,
beließ man Pelz für einige Zeit länger auf seinem Posten. Erst nachdem Pelz
sämtliche Entwürfe für die innere Ausschmückung des Gebäudes geliefert hatte,
entließ man auch ihn und übertrug die künstlerische Leitung des Baus dem
25iährigen Sohn Caseys, welcher in Paris einige Zeit architektonische Studien
betrieben hatte. Obwohl dieser noch durch keine einzige selbständige
Leistung sein Können bewiesen hatte, bewilligte der Bibliothekausschuß ihm
einen doppelt so großen Gehalt als man Pelz bezahlt hatte. Und Casey jr.
bezog denselben, bis im Jahre 1897 der Bau vollendet war.
Um diesen unsauberen Machenschaften die Krone aufzusetzen, fügte man
über dem Eingang der Bibliothek eine Marmortafel ein, welche folgende In-
schrift trägt:
— 574 —
Erected under the Acts of Congress of April 15, 1866, October2,
1888 and March 2, 1889 by
Brig. Gen. Thos. Lincoln Casey, Chief of Engineers, U. S. A.
Bernard R. Green, Supt. and Engineer.
John L. Smithmeyer, Architect.
Paul J. Pelz, Architect.
Edward Pearce Casey, Architect.
Und so wurde vor den Augen der Welt der Oberingenieur der amerika-
nischen Armee T. L. Casey zum eigentlichen Urheber der Bibliothek gestempelt.
Die Architekten Schmitm.eyer und Pelz sollten sich mit der dritten und vierten
Stelle begnügen und ihre künstlerischen Ansprüche obendrein mit einem jungen,
noch unerprobten Manne teilen, der kaum etwas zur künstlerischen Gestaltung
des Bauwerks beigetragen hatte. Die eigentlichen Urheber erhoben gegen diese
an ihnen begangene Benachteiligung Einspruch, aber derselbe fand keine Be-
achtung. Die Tafel wurde eingesetzt und dort befindet sie sich noch heute,
ein steinernes Denkmal der im amerikanischen Kongreß möglichen Machen-
schaften.
Wie diese von den Berufsgenossen der um ihren künstlerischen Lohn
gebrachten eigentlichen Urheber des Baus beurteilt werden, ergibt sich aus
folgender, vom Versitzenden und Schriftführer des „American Institute of
Architects" erlassenen Erklärung:
„We are familiär with this building, from the beginning to the present
time, and feel that no one can, with propriety or honesty, be entitled to the
credit as architects of this building except J. L. Smithm.eyer and Paul J. Pelz.
They have devoted the best years of their lives, from 1873 to 1893, in perfecting
the plan and in designing the exterior and interior of that building."
Die Zeitschrift „Architecture and Buildings" bemerkte in ihrer Nummer
vom 3. April 1897 dazu: -.
„It looks queer to professional men that the names of the paymaster who
drew the money for the building out of the Treasury on his signature and the
Clerk of the works or Superintendent, with the supernumerary and superfluous
title of engineer (as if there had been anything to „engineer" in the building,
save the appropriations in Congress) appear above those of the architects, who
created it in their minds and who are in truth the fathers of the structure. Why
does there appear a line of demarcation below the Chief of Engineers, putting
the architect ,below the salt' as it were? — It must be remembered here that the
advent of General Casey wat at a time, when Messrs. Smithmeyer & Pelz had,
like Columbus, already discovered America; their plans were complete and
ready to be proceeded with."
— 575
Auch ein großer Teil des materiellen Lohns wurde den beiden Baumeistern
vorenthalten. Denn bis zum Jahre 1909 hatte der Bundeskongreß ihre
105 500 Dollar betragenden Forderungen noch nicht beglichen.
Das Waldorf Astoria Hotel in New York.
Entworfen von Henry J. Hardenbergh.
Deutschamerikanische Archtitekten lieferten auch zu anderen hervorragen-
den öffentlichen und privaten Bauten die Entwürfe. Dem New Yorker Hörn-
— 576 —
b o s t e 1 verdankt man jene zu der von Andrew Carnegie gestifteten Tech-
nischen Hochschule zu Pittsburg. Alfred C. Clas erbaute die Bibliotheken
Das Gebäude der „Times- in New York.
Entworfen von Otto Eidlitz.
der Städte Milwaukee und Madison, Wisconsin. H. C. Koch entwarf das
schöne Rathaus „Deutsch-Athens" am Michigansee; Schmidt jenes der Stadt
Cleveland in Ohio. Ernst Helfenstein führte das prächtige Gebäude
— 577 —
des Liederkranzklubs in St. Louis auf. Die deutschen Inhaber der Firma
Delemos&Cordes schufen das schöne Heim des deutschen Gesangvereins
„Arion'* in New Yorlc. Die Gebrüder H e r t e 1 sind die Urheber des vor-
nehmen, in Braunsandstein ausgeführten Doppelpalastes der Vanderbilts in
New York. Der gleichfalls deutscher Herkunft sich rühmende New Yorker
Architekt Henry J. Hardenberg h zeichnete die Pläne für die gewaltigen
New Yorker Hotels „ Waldorf- Astoria", „Manhattan", „Dakota", „Plaza" und
„Martinique", deren kostbare Einrichtungen die Bewunderung aller Fremden
erregen. Und Otto E i d 1 i t z verstand es, im Entwurf des an der Kreuzung
des Broadway und der 42. Straße errichteten Zeitungspalastes der „New York
Times" die ungemein schwierige Aufgabe zu lösen, den wegen ihres nüchternen
Aussehens berechtigten amerikanischen „Wolkenkratzern" architektonische
Schönheit zu verleihen.
Der vorstehende, das Wirken der deutschamerikanischen Maler, Bildhauer
und Baumeister berücksichtigende Abschnitt kann selbstverständlich keinen An-
spruch auf Vollständigkeit erheben. Der Raum eines starken Buches würde
nicht ausreichen, um dem Schaffen der genannten Meister und jener, deren
Namen und Wirkungskreis dem Verfasser bisher nicht bekannt wurden, gerecht
zu werden. Aber die hier aufgeführten Beispiele beweisen unstreitig, daß
Amerika auf jenen künstlerischen Gebieten, die zu den höchsten Stufen der
menschlichen Kultur zählen, den Deutschamerikanern vieles verdankt. Denn
unter den von ihnen geschaffenen Werken befinden sich gar manche, die durch
ihre edle Auffassung, ihren Gedankenreichtum und ihre echt künstlerische Aus-
führung unter den in der Neuen Welt entstandenen Kunst- und Architektur-
werken Ehrenplätze verdienen.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 37
Ehrendenkmäler des Deutschamerikanertums.
Während die in den Vereinigten Staaten lebenden Deutschen und ihre
Nachkommen eine schier überwältigende Menge physischer und geistiger
Leistungen zum kulturellen Fortschritt Amerikas beitrugen, riefen sie auch zahl-
reiche Einrichtungen ins Leben, die für ihre Nächstenliebe wie für ihren Wohl-
tätigkeits- und Gerechtigkeitssinn glänzendes Zeugnis ablegen.
Der Ursprung mancher dieser Ehrendenkmäler reicht bis ins 18. Jahr-
hundert zurück, wo am zweiten Weihnachtstag 1764/65 deutsche Bürger der
Stadt Philadelphia sich im lutherischen Schulhause versammelten, um die
„Deutsche Gesellschaft von Pennsylvanien" zu gründen.
Diese stellte sich das Ziel, deutsche Einwandrer sowie deren Nachkommen
gegen Unterdrückung, Beraubung und Betrug in Schutz zu nehmen, ihnen im
Fall der Not beizustehen und mit Rat und Tat zum Fortkommen behilflich
zu sein. Wie nötig eine solche Vereinigung war, ergibt sich aus jenen mit
der damaligen Einwandrung verbundenen wahrhaft scheußlichen Mißständen,
wie wir sie in dem Abschnitt „Die Käuflinge oder Redemptionisten" schilderten.
Der schamlos betriebene Menschenhandel und die fürchterlichen Übervorteilun-
gen, denen die unglücklichen Auswandrer schutzlos preisgegeben waren, ent-
Kopfleiste: Das Mary Drexel-Heim in Philadelphia.
B. Lankenau zum Andenken an seine Gattin Mary Drexel.
Gestiftet von Johann
— 579 —
flammten schließlich den Unmut der in den Kolonien ansässigen Deutschen
derart, daß sie, empört über die ihren Landsleuten zuteil werdende Behandlung
sich zu Gesellschaften verbanden, um jene Mißstände zu beseitigen. Nach dem
Vorbild der „Deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien" entstand im Jahre
1765 eine ähnliche Vereinigung in Charleston, Südcarolina. Im August 1784
folgte die Gründung der „DeutschenGesellschaftderStadtNew
York". Während des 19. Jahrhunderts bildeten sich ferner Schwestergesell-
schaften zu Baltimore, Boston, Cincinnati, Birmingham, Ala., Allentown,
Hartford, New Haven, Rochester, Petersburg, Pittsburg, Chicago, Milwaukee,
St. Paul, St. Louis, Kansas City, New Orleans, San Francisco, Portland, Seattle
und Toronto.
Von diesen deutschen Gesellschaften erzwangen die älteren nach jahr-
zehntelangen Kämpfen, durch rücksichtsloses Aufdecken der Übeltaten und Ver-
folgen der Schuldigen, durch unermüdliches Befürworten und Unterstützen ge-
eigneter Gesetzesvorschläge nicht nur die Abschaffung des fluchwürdigen Käuf-
lingssystems, sondern führten auch die menschenwürdigere Behandlung der
Äuswandrer auf den Schiffen und in den Hafenorten herbei. Mit vollem Recht
darf man sie als die Urheber der heutigen Einwandrungsgesetzgebung bezeichnen,
welche dem von der Heimat sich Loslösenden eine menschenwürdige Behand-
lung vom Abfahrtshafen bis zu seinem in der Neuen Welt gelegenen Ziele
sichert.
Den Deutschen Gesellschaften gebührt ferner das Verdienst, dem nichts-
würdigen Treiben jener Runner oder Makler entgegengetreten zu sein, die, im
Sold fragwürdiger Wirte, Geldwechsler, Schiffs- und Eisenbahngesellschaften
stehend, sich unter allerhand Vorwänden an die Einwandrer herandrängten, um
deren Unerfahrenheit und Vertrauen aufs gemeinste zu mißbrauchen.
Je mehr die von den „Deutschen Gesellschaften" gemachten Vorschläge
in bezug auf die Einwandrung von den Regierungen anerkannt und gesetzlich
durchgeführt wurden, desto mehr sahen die Gesellschaften sich entlastet. Um
so kräftiger konnten sie nun ihre Tätigkeit auch auf solche Hilfeleistungen er-
strecken, die außerhalb des Bereichs der Behörden lagen. Sie fanden genug zu
tun, denn je mächtiger der Strom der deutschen Einwandrung anschwoll,
desto schwierigere Probleme boten sich den Beamten der „Deutschen Gesell-
schaften" dar. In den Protokollen fast aller kehrt die stete Klage wieder, daß
man in Verlegenheit sei, welche Mittel ergriffen werden sollten, um den täglich
sich steigernden Anforderungen zu genügen.
Um ein Bild des vielseitigen und segensreichen Wirkens der heutigen
„Deutschen Gesellschaften" zu geben, bietet sich kein besseres Beispiel als das
der „Deutschen Gesellschaft der Stadt New York". Am 23. August 1784 von
dreizehn Männern gegründet, zählt sie heute etwa 1200 Mitglieder, die sich zu
freiwilligen Beiträgen von mindestens 10 Dollars jährlich verpflichteten. Je
mehr im Lauf des 19. Jahrhunderts New York das Haupteingangstor der deut-
schen Einwandrung in Amerika wurde, desto größere Ausdehnung nahm auch
37*
— 580 —
das Arbeitsfeld dieser Gesellschaft an. In erster Linie ließ sie sich natürlich
die Armen- und Krankenpflege angelegen sein. Trotz ihrer beschränkten Mittel
gewährt die „Deutsche Gesellschaft'' notleidenden Einwandrern oder deren
Nachkommen Bargeldunterstützungen und bezahlt bedeutende Summen für an
Arme verabreichte Kohlen, Mahlzeiten aus den Suppenanstalten, Medikamente
und Stimulantien. Die im Dienst und Sold der Gesellschaft stehenden Ärzte
behandeln jährlich Tausende von Familien, machen unentgeltlich ärztliche Be-
suche und verschreiben von der Gesellschaft bezahlte Rezepte.
Eine nicht minder wichtige und segensreiche Abteilung der „Deutschen
Gesellschaft der Stadt New York" ist das von ihr unterhaltene Arbeits-
nachweisbureau, welches den Beschäftigung suchenden Einwandrern
unentgeltlich Gelegenheiten zur Arbeit nachweist. In der Zeit vom 1. Juli 1875
bis 1908 verschaffte dieses Bureau mehreren hunderttausend Personen Stellen,
in denen sie ihren Unterhalt erwerben konnten. In einzelnen Jahren betrug die
Zahl der vermittehen Stellen über 12 000. Zu den Einrichtungen der „Deut-
schen Gesellschaft" gehört ferner ein Auskunftsbureau. Es erteilt den
Einwandrern praktische Ratschläge und gibt über ihre Ziele und Unterneh-
mungen geeignete Auskunft. Wie umfangreich die Tätigkeit auch dieser Ab-
teilung sich gestaltet hat, ergibt sich daraus, daß außer den mündlichen jährlich
auch Tausende von brieflichen Anfragen empfangen und beantwortet werden.
Femer übermittelt das Bureau Briefe an Neueingewanderte und solche, die es
trotz längeren Aufenthalts in den Vereinigten Staaten noch nicht zu einem stän-
digen Wohnsitz brachten.
In ihrer seit dem Jahr 1868 bestehenden Bankabteilung bietet die
„Deutsche Gesellschaft der Stadt New York" Deutschen einen zuverlässigen und
billigen Weg zur Besorgung der verschiedensten Geldgeschäfte, von Reise-
billetts von Europa hierher und umgekehrt, sowie nach allen Plätzen im Innern
der Vereinigten Staaten. Desgleichen befördert sie Pakete, vollführt notarielle
Geschäfte, kassiert Gelder und Erbschaften und verwaltet liegendes und be-
wegliches Eigentum. Für ihre Leistungen berechnet die Bankabteilung nur
so viel, als erforderlich ist, um die entstandenen Unkosten zu decken. Der ge-
samte, durch die Bankabteilung erzielte Reingewinn sowie die Zinsen eines bis
zum Jahre 1885 aus dem Reingewinn angesammelten Reservefonds von 50 000
Dollar fließen dem Fonds für Wohltätigkeitszwecke zu. So erklärt es sich, daß
die Gesellschaft seit einer Reihe von Jahren 1000 bis 2000 Dollar jährlich mehr
für Unterstützung hilfsbedürftiger Deutscher ausgeben konnte, als die in den
Beiträgen ihrer Mitglieder bestehenden Einnahmen betrugen. Die Unkosten
des Arbeitsnachweisungsbureaus und die Gesamtkosten für die Verwaltung
werden gleichfalls aus den Einnahmen der Bankabteilung gedeckt, ohne daß
der geringste Teil der Beiträge der Mitglieder für diese Zwecke in Anspruch
.genommen wird.
Auf die Anregung der „Deutschen Gesellschaft" ist ferner die vor einer
Reihe von Jahren erfolgte Gründung der „Deutschen S p a r b a n k" zu-
— 581 —
rückzuführen; desgleichen des im Jahre 1861 inkorporierten „Deutschen
Hospitals" und des im Jahre 1876 gebildeten „Deutschen Rechts-
schutzverein s".
Die Gründung des letzteren erfolgte, um deutsche Einwandrer vor Über-
vorteilungen jeder Art zu bewahren. Es gab so viele Fallen, die ihrem ein-
fachen Sinn und ihrer Treuherzigkeit gestellt wurden, daß die der Sprache und
der Schliche Unkundigen nur zu oft betrogen wurden. Wohin sich um Hilfe
wenden, wo Recht suchen? war die Frage. Naturgemäß wandten sich die Opfer
an die „Deutsche Gesellschaft der Stadt New York''. Soweit diese irgend Ab-
hilfe schaffen konnte, geschah dies. Aber die Schliche der „Emigranten-
Runners" und Personen gleichen Gelichters wurden so spitzfindig und die Ver-
leugnung des Rechts den Emigranten gegenüber so brutal, daß in vielen Fällen
Hilfe nur bei den Gerichten gesucht werden konnte. Man schickte daher die oft
aller Mittel entblößten Hilfesuchenden an Rechtsanwälte, die in selbstloser,
edler Weise sich bereit erklärten, in solchen Fällen unentgeltlich zu dienen.
Der Andrang Hilfesuchender überstieg jedoch schließlich die Kräfte ein-
zelner. In manchen Fällen war wohl auch der erste Enthusiasmus bald ver-
raucht. Kurz, es mußte Abhilfe geschaffen werden, wenn nicht das gute Werk
ganz einschlafen sollte. Es wurde daher im März 1876 beschlossen, einen Ver-
ein zu gründen, welcher unter Mithilfe des gesamten Deutschtums ein Bureau
mit einem besoldeten, beständig anwesenden Rechtsanwalt einrichten solle, der
die Klagen mittelloser Landsleute anhöre, untersuche und mit Hilfe der Gerichte
in passenden Fällen zum Austrag bringe. So entstand der „Deutsche Rechts-
schutzverein".
Er begann seine Tätigkeit im Jahre 1876 mit 52 Mitgliedern und enga-
gierte den Anwalt Charles K. Lexow mit einem Jahresgehalt von 1000
Dollar.
Im ersten Jahre seines Bestehens wandten sich 212 Hilfesuchende an den
Verein. Seine Verfassung schrieb vor, daß die Hilfe des Vereins nur Personen
deutscher Geburt, die zu arm seien, sich anderwärts Recht zu verschaffen, ge-
leistet werden sollte. Es zeigte sich aber im Lauf der Jahre, daß diese Bestim-
mung aus mancherlei Gründen nicht aufrechterhalten werden könne. Leute
anderer Nationalität, denen bitteres Unrecht geschehen und die sich hilfe-
suchend nahten, konnten unmöglich abgewiesen werden. Man beschloß des-
halb im Jahre 1890, den Beistand des Rechtsschutzvereins allen zuteil werden
zu lassen, die in seinen Armen Schutz suchten. Da diese weitgehende Unter-
stützung die Mittel des Vereins bald erschöpfte, so suchte man auch das ein-
geborene Amerikanertum zur Hilfeleistung heranzuziehen und wandelte des-
halb den Namen des Vereins in „Legal Aid Society" um, damit dadurch
der allgemein nützliche Charakter der Gesellschaft angezeigt werde.
Wie umfangreich deren Geschäfte sich gestaltet haben, ergibt sich daraus,
daß im Jahre 1Q08 31 036 Personen die Dienste der „Legal Aid Society" in
Anspruch nahmen. Davon waren 10 315 in Amerika geboren; 4341 waren
— 582 —
Russen und russische Juden; 4558 Deutsche, 4455 Engländer, 3168 aus Öster-
reich-Ungarn, 1397 Skandinavier, 1114 Italiener.
Insgesamt erledigten der „Deutsche Rechtsschutzverein" und die „Legal
Aid Society" während des 33 Jahre umfassenden Zeitraums 1876 bis 1908
nicht weniger als 287 526 Fälle. Sie verausgabten dafür 332 402 Dollar, konnten
dagegen 1 431 437 Dollar an diejenigen abführen, welche ihre Hilfe in An-
spruch nahmen.^)
Zu den Einrichtungen der „Legal Aid Society" gehört eine Abteilung, die
sich mit dem Rechtsschutz der Seeleute befaßt, die infolge ihres unbeständigen
Aufenthaltortes von Reedern und Kapitänen gar oft gröblich mißbraucht wer-
den. Neuerdings ist auch eine Kriminalabteilung geplant, die armen und hilf-
losen Angeklagten in Kriminalfällen Beistand leisten, dem schamlosen Treiben
unwürdiger Anwälte steuern und die Richter in ihren Bemühungen, die Krimi-
nalgesetze für Arm und Reich in unparteiischer, gerechter Weise durchzuführen,
unterstützen will.
So ist die „Deutsche Gesellschaft der Stadt New York" ihrem Zweck:
„deutsche Einwandrer zu unterstützen, sowie notleidenden Deutschen und
deren Nachkommen Hilfe zu leisten" allezeit in der edelsten Weise gerecht ge-
worden. Sie ist in den vielen Jahrzehnten ihres Bestehens ungezählten Tau-
senden ein treuer Führer und Berater, in den Stunden banger Not ein Helfer
gewesen. Sie sowohl wie auch ihre in den anderen amerikanischen Städten
bestehenden, die gleichen Ziele verfolgenden Schwesteranstalten verdienen es
deshalb in höchstem Maße, in ihrer segensreichen Tätigkeit von allen Edel-
denkenden durch Beiträge, Schenkungen und Vermächtnisse unterstützt zu
werden. Denn wie die menschliche Not auf Erden in absehbarer Zeit kein Ende
nehmen wird, so ist auch keine Aussicht dafür vorhanden, daß die „Deutschen
Gesellschaften" mit gutem Gewissen auf die weitere Ausübung ihres wohl-
tätigen Wirkens verzichten dürften.
Zu den Ehrendenkmälern des Deutschamerikanertums zählen ferner die
zahlreichen Krankenhäuser, Greisenheime, Waisenanstalten und Unterstützungs-
gesellschaften, die in fast allen Städten mit einer größeren deutschen Bevölke-
rung eingerichtet wurden. Manche dieser Anstalten erregten durch ihre Aus-
dehnung, schöne Architektur, herrliche Lage und musterhaften Einrichtungen
das Staunen aller europäischen Fachleute, die zum Studium solcher Institute
nach Amerika kamen.
^) Nach dem Vorbild der New Yorker „Legal Aid Society" entstanden während
der letzten Jahre ähnliche Gesellschaften in Boston, Philadelphia, Washington, Newark,
AUeghany City, Cincinnati, Chicago und San Francisco. Ferner in London, Edinburg,
Kopenhagen und zahlreichen Städten des europäischen Festlandes.
— 583 —
Unter den Deutschen, welche solche Anstalten in hochherziger Weise mit
Stiftungen bedachten, verdienen die Frauen Anna Ottendorfer und
Anna Woerishoffer in New York, Lauretta Gibson geb. B o d -
m a n in Cincinnati, Eleonore Ruppert in Washington, die Herren
Johann B. Lankenau und Peter Sehern in Philadelphia, Edward
Uhl, Henry Villard, Georg H. F. Schrader und H. O. Have-
ln e y e r in New York, Johann August Roebling, F. A. Poth,
Georg Ellwanger und andere ehrenvoll erwähnt zu werden.
Das Isabella-Heini in New York.
Gestiftet von Frau Anna Ottendorfer.
Von dem Wunsch getrieben, der Stadt New York eine öffentliche Wohl-
tat zu erweisen und zur Förderung nützlicher Kenntnisse beizutragen, stiftete
Johann Jakob Astor die nach ihm benannte und am 1 . Februar 1854
eröffnete „Astor-Bibliothek". Von seinen Nachkommen zu verschiedenen Zeiten
durch bedeutende Summen unterstützt, wuchs diese Büchersammlung rasch zu
einer der bedeutendsten Amerikas heran und wurde durch ihre reichen Schätze
für viele Millionen Menschen ein nie versiegender Quell des Wissens und der
Belehrung.
Oswald Ottendorfer stiftete im Jahre 1899 der New Yorker Uni-
— 584 —
versität eine sehr reichhaltige Germanistische Bibliothek, die dazu bestimmt ist,
die Studierenden mit den herrlichen Erzeugnissen der älteren und neueren deut-
schen Literatur vertraut zu machen.
Von der Freigebigkeit der deutschen Brauer in Milwaukee zeugen das von
Friedrich Pabst der Stadt geschenkte „Deutsche Theater'' und der von
Joseph Schlitz gestiftete „Schlitz-Park". Dem Gemeinsinn Adolf
S u t r o ' s verdanken die Bewohner der Stadt San Francisco einen herrlichen
Park und großartige öffentliche Badeanstalten. Claus Spreckels, der
kalifornische Zuckerkönig, ließ ebendaselbst eine kostbare jMusikhalle erbauen.
Der Brauer Stiefel schenkte der Stadt St. Louis ein kostbares Schiller- und
Goethe-Monument. Charles Schwab, der Präsident der „United States
Steel Corporation", gründete in Homestead, Pennsylvanien, die dortige In-
dustrieschule. Zur Erinnerung an den Deutschen Johann Kraus, der sich
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Syracuse, N. Y., niederließ und einer
der bedeutendsten Großhändler wurde, ließen seine Nachkommen das mit der
dortigen Universität verbunden „Crouse Building", ein dem Musikunterricht
dienendes Gebäude von seltener Schönheit errichten. Ähnliche, dem Gemein-
sinn der Deutschamerikaner zur Ehre gereichende Stiftungen findet man in zahl-
reichen anderen amerikanischen Städten.
Bei der Betätigung ihres Wohltätigkeitssinnes vergaßen manche zu Reich-
tum gekommene Deutschamerikaner auch nicht ihrer alten Fleimat.
Die Familie Astor stiftete in dem Geburtsort ihres berühmten Ahnen
Johann Jakob Astor, dem badischen Dörfchen Waldorf, ein Armenhaus und
eine Erziehungsanstalt für arme Kinder. Die Stadt Zwittau in Mähren ver-
dankt dem dort geborenen Oswald Ottendorfer gleichfalls ein Armen- und
Waisenhaus sowie eine vorzüglich eingerichtete öffentliche Bibliothek. Henry
Villard gründete in seiner Vaterstadt Speier ein Hospital und eine Schule für
Krankenpflegerinnen. Desgleichen wendete er der dort bestehenden pfälzischen
Industrieschule bedeutende Summen zu und sicherte sich dadurch auch in seinem
Vaterlande ein ehrenvolles Andenken.
Die neueste Zeit.
Der amerikanische Bürgerkrieg übte auf die Einwaiiürung in die Ver-
einigten Staaten naturgemäß eine einschränkende Wirkung. Die Zahl der
deutschen Ankömmhnge, die 1854 nicht weniger als 215 000 betragen hatte,
sank bis zum Jahre 1862 auf 27 000 herab. Sobald aber die Aussicht, daß die
Sache des Nordens siege, zur Gewißheit wurde, begann auch der Zustrom der
Kopfleiste: Der Bannerträger. Skulptur von Karl Bitter auf der Weltausstellung
zu Buffalo, New York.
— 586 —
Deutschen wieder zu steigen, denn im Jahre 1864 kamen bereits wieder 67 000
und im darauffolgenden Jahre 83 000 Deutsche in den Häfen der Union an.
Einen großen Anstoß erhielt die deutsche Einwandrung dadurch, daß die
„Hamburg-Amerika Paketfahrt-Actienges ellschaft" so-
wie der „Norddeutsche Lloyd" regelmäßige Fahrten nach den Ver-
einigten Staaten ausführten und durch ihre über ganz L^eutschland verteilten
Agenturen sehr anregend auf die Auswandrungslustigen einwirkten. Infolge-
dessen stieg die Zahl der nach Amerika ziehenden Deutschen von Jahr zu Jahr,
bis sie im Jahre 1882 mit 250 630 Köpfen ihren Höhepunkt erreichte.
Blicken wir auf die deutsche Einwandrung seit 1820 zurück, so finden
wir, daß nach den mit jenem Jahre anhebenden, allerdings nicht sehr zuver-
lässigen offiziellen Aufnahmen während des Zeitraums von 1820 bis 1860, also
innerhalb 40 Jahren, 1 545 508 Deutsche sich in der Union niederließen. Nahezu
ebenso viele kamen während des nur 20 Jahre umfassenden Zeitraums von 1861
bis 1880; das Jahrzehnt 1881 bis 1890 hingegen reicht mit 1 452 970 Köpfen
an die früheren, doppelt und viermal so großen Zeiträume heran. Während der
Jahre 1891 bis 1900 trafen 505 152 Deutsche in den Häfen der Vereinigten
Staaten ein.
Über die deutsche Einwandrung vor 1820 liegen keine verläßlichen An-
gaben vor, man wird aber nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß Deutsch-
land bis heute insgesamt gegen 6 bis 7 Millionen Personen an die Vereinigten
Staaten abgegeben hat, wobei die über Canada sowie die aus Österreich, der
Schweiz, aus Luxemburg, Belgien, Holland, England, Rußland und anderen
Teilen der Welt gekommenen Deutschen nicht mitgerechnet sind.
In einem von Emil Mannhardt im Juliheft 1903 der „Deutsch-
amerikanischen Geschichtsblätter" veröffentlichten Aufsatz kommt derselbe zu
dem Schluß, daß im Jahre 1900 in den Vereinigten Staaten 13 437 061 Personen
mit deutschem Blute vorhanden waren, die 17,68 Prozent der Gesamtbevölke-
rung ausmachten. Diese waren indessen nur aus der Einwandrung während
des 19. Jahrhunderts hervorgegangen, und zu ihnen müssen noch die Nach-
kommen der früheren Einwandrer gezählt werden. Mannhardt berechnet
die Nachkommen der deutschen Einwandrer in Pennsylvanien auf etwas mehr
als vier Millionen, was nicht zu hoch ist, denn der vortreffliche Forscher
OskarKuhns vertritt in seinem Buche „The German and Swiss Settlements
in Colonial Pennsylvania" die Ansicht, daß sie vier bis fünf Millionen stark sind.
Die Schätzung, daß im Jahre 1800 ein Fünftel der Bevölkerung der Vereinigten
Staaten deutsch war, erscheint berechtigt; ebenso der Schluß, daß dieser Teil des
Volkes sich jetzt auf rund 13 Millionen vermehrt hat. Berücksichtigt man, daß
ein verhältnismäßig großer Teil der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Ein-
wandrung sich sehr lange deutsch erhalten hat, stellenweise sogar bis auf den
heutigen Tag, und beachtet man ferner die Spuren deutschen Blutes, welche sich
allenthalben in reinen oder verstümmelten deutschen Namen finden lassen, so
muß man Mannhardt beistimmen, wenn er zu der Annahme gelangt, daß
— 587 —
gegenwärtig in mehr als einem Drittel des amerikanischen Volkes deutsches
Blut fließt.
Am stärksten war das deutsche Element zu Anbruch des 20. Jahrhunderts
im mittleren Westen vertreten, in Wisconsin, Minnesota, Iowa, Nebraska, Illi-
nois, Dakota und Kansas. Auch in den Industriestaaten des Ostens bildete es
einen ungemein starken Bestandteil der Bevölkerung. Weniger zahlreich war
es in den Südstaaten. Etwa 50 Prozent der in Deutschland geborenen Deut-
schen lebten in den Städten, von denen manche es hinsichtlich ihrer deutschen
Bevölkerung kühn mit den bedeutendsten Städten Deutschlands aufnehmen
können. Groß-New York käme z. B. mit etwa 900 000 deutschsprechenden
Personen direkt hinter Berlin und Hamburg. Chicago steht mit etwa 500000 Deut-
schen München gleich. Philadelphia hat mehr Deutsche als die Stadt Düssel-
dorf; St. Louis ebenso viele wie Danzig; Milwaukee ebenso viele wie
Straßburg.
Daß ein so zahlreich vertretenes und dazu so kraftvolles Volkselement
einen bedeutenden Einfluß auf das Kulturleben Amerikas ausüben muß, ist
selbstverständlich. Dieser Einfluß zeigt sich nicht bloß im Erwerbsleben, son-
dern auch in der Kulturentwicklung der Am.erikaner, von denen viele Gebildete,
die sich einen offenen Blick bewahrten, bereitwilligst den großen Anteil des
Deutschtums an dem Aufschwung Amerikas in materieller und kultureller Hin-
sicht anerkennen. Sie geben zu, daß, wenn die Einwandrung nach Nordamerika
eine ausschließlich englische geblieben wäre, der von den ersten Ansiedlern mit-
gebrachte und im vorigen Jahrhundert sich immer weiter ausbreitende streng
puritanische Geist unausbleiblich zu Einseitigkeit und Erstarrung hätte führen
müssen. Sie erkennen an, daß der Einfluß des lebensfreudiger veranlagten
Deutschtums das Amerikanertum dieser Gefahr sowie der noch größeren des
Versinkens in der immer dichter zu werden drohenden „Almighty-Dollar"-
Atmosphäre entrückte.
Wo nämlich deutsche Einwandrer sich niederließen, da regten sie durch
ihre freiere Lebensauffassung zur Geselligkeit und zum Frohsinn an. Sie
pflegten Gymnastik, Musik, Gesang, Schauspielkunst und Rezitation, veranstal-
teten gemeinschaftliche Ausflüge und fröhliche Eeste, bei denen alle Teilnehmer
sich herrlich vergnügten, ohne daß jemals Klagen über Ausschreitungen be-
kannt geworden wären. Die Deutschen zeigten ihren amerikanischen Mit-
bürgern, wie man freie Lebensanschauungen besitzen und dabei doch stets
maßhalten und Ordnung bewahren kann.
Eine geradezu erstaunliche Entwicklung nahm das deutsche Vereins-
wesen. Besonders infolge der starken Anregungen, die von den „Achtund-
vierzigern" ausgingen. Zwar schleppten sich in zahlreichen Vereinen nocn
Überbleibsel der alten deutschen Sonderbündlerei hin, aber der mächtige Ein-
fluß der Ereignisse der siebenziger Jahre und der überall wahrnehmbare Zug
zur Zentralisation werden diese Nachklänge einer glücklicherweise versunkenen
Zeit mehr und mehr verwischen.
— 588 —
Die besten Anzeichen dafür sind nicht bloß in dem raschen Wachsen des
„Deutschamerilcanischen Nationalbunde s'', sondern auch in
dem zunehmenden Bestreben zu erblicken, dem deutschen Vereinsleben in den
sogenannten „Deutschen Häusern" Zentralstellen zu schaffen. Solche,
von vielen Vereinen gemeinsam benützten Gebäude, die sowohl dem einzelnen
Besucher behagliche Räume darbieten wie auch Säle für größere Zusammen-
künfte und Festlichkeiten enthalten, bestehen bereits in manchen Städten. Eines
der schönsten und ausgedehntesten ist das „Deutsche Haus in In-
diana p o 1 i s", welches mit seinen Sälen, Versammlungs- und Beratungs-
zimmern vorbildlich dienen könnte.
Die große Opferwilligkeit der Deutschamerikaner in bezug auf ihr Ver-
ein swesen bekundet sich auch in zahlreichen, oft glänzend ausgestatteten Klub-
häusern. Heimstätten, wie die Mitglieder des „Deutschen Liedes-
kranzes" und des „A r i o n" zu New York, des „Germaniaklubs" zu
Brooklyn, Baltimore und Chicago solche schufen, stehen in nur sehr wenigen
deutschen Großstädten einer geselligen Vereinigung ausschließlich zu Gebote.
Daß das hier sich entfaltende Vereinsleben die häufig als Gäste erscheinenden
Amerikaner zur Gründung ähnlicher Klub- und Gesellschaftshäuser anregte,
kann keinem Zweifel unterliegen.
Die Neigung zu engerem Zusammenschluß, zur ZentraHsation, bekundete
sich auch im kirchlichen Leben der Deutschamerikaner, auf welches wir hier
einen flüchtigen Blick werfen wollen.
Als älteste deutsche religiöse Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten
dürfte die DeutschelutherischeKirche zu betrachten sein. Deutsche
Lutheraner kamen bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Neu-
Niederland und Neu-Schweden, wo sie sich den dort bestehenden holländischen
und schwedischen Gemeinden anschlössen oder eigene gründeten. Eine von
dem sächsischen Prediger Justus Ealkner gestiftete bestand bereits im
Jahre 1703 in Ealkners Swamp in Pennsylvanien. Im Lauf des 18. Jahrhunderts
schlössen die lutherischen Gemeinden verschiedener Landesteile sich zu Synoden
zusammen, die wiederum in der am 22. Oktober 1820 gegründeten General-
Synode ein Einheitsband gewannen. Es umfaßte im Jahre 1Q08 25 Synoden
mit 1734 Gemeinden, 265 469 Kommunikanten und 1322 Predigern. Von dieser
General-Synode lösten sich im Jahre 1866 mehrere Synoden ab und bildeten
das General-Konzil, das im Jahre 1908 437 788 Mitglieder zählte und 2195
Kirchen mit 1433 Geistlichen unterhielt.
Außerdem besteht die von dem Sachsen KarlFerdinandWilhelm
W a 1 1 h e r im Jahre 1 847 gegründete Synodal-Konferenz mit 643 599 Mit-
gliedern, 3101 Kirchen und 244 Predigern. Andere, fast rein deutsche luthe-
rische Körperschaften sind die Ohio-, Iowa-, Texas- und Buffalo-Synoden mit
zusammen etwa 220 000 Mitgliedern.
Die Deutsche reformierte Kirche in den Vereinigten Staaten,
die den im Jahre 1746 gelandeten Michael Seh latter als Gründer ver-
— 589 —
ehrt, besitzt gleichfalls mehrere Synoden, die im Jahre 1863 sich zur General-
synode verbanden. Im Jahre 1908 hatte sie 1754 Gemeinden mit 1164 Pastoren
und 284 073 Kommunikanten. Die im Jahre 1877 gegründete Deutsche
evangelische Synode entsprang dem in Missouri entstandenen Deut-
schen Evangelischen Kirchenverein des Westens, dem
sich später andere evangelische Gemeinden anschlössen. Die Synode hatte im
Jahre 1908 237 321 Mitgheder, 1262 Kirchen und 974 GeistHche.
Um dieselbe Zeit zählten die Deutschen evangelischen Pro-
testanten 20 000 Mitgheder, 155 Kirchen und 100 Geistliche.
Die von dem Schwaben Wilhelm Nast gestiftete Deutsche Me-
Ihodistenkirche der Vereinigten Staaten hat etwa 1 00 000
Mitglieder. Auch die deutschen Baptisten und Presbyterianer
unterhalten mehrere hundert Gemeinden, außerdem, gleich allen anderen be-
reits genannten religiösen Genossenschaften, eigene Seminare, Akademien,
Missionshäuser und Zeitschriften.
Der Nassauer Philipp Otterbein stiftete im Jahre 1805 in Balti-
more die „Gemeinschaft der Vereinigten Brüder in
Christ o'\ die im Jahre 1908 291 758 Mitglieder mit 4378 Kirchen und 2160
Predigern umfaßte.
Die in den Vereinigten Staaten lebenden deutschen Katholiken ge-
wannen in dem am 15. April 1855 in Baltimore gegründeten Deutschen
römisch-katholischen Zentralverein einen Mittelpunkt, dessen
Bedeutung beständig im Steigen begriffen ist.
Im Gegensatz zu den anglo-amerikanischen Kirchengemeinden, die sich
noch heute durch das von den Puritanern ererbte starre Festhalten am Buch-
stabenglauben, an strengster Sonntagsruhe und gänzlicher Enthaltung aller
geistigen Getränke kennzeichnen, hegen die deutschamerikanischen Gemeinden
einen freieren Geist, der menschlicher Freude nicht grundsätzlich abhold ist,
sondern die Pflege heiterer, durch Musik und Gesänge verschönten Geselligkeit
die gebührende Beachtung zuteil werden läßt.
Dem Einfluß dieses liberaler gesinnten Deutschtums ist die Umgestaltung
der amerikanischen Sonntagsfeier zu danken. Solchen Europäern, die vor
einem Vierteljahrhundert die Vereinigten Staaten besuchten und den „ameri-
kanischen Sonntag" kennen lernten, steht derselbe als ein Tag drückendster
Langerweile in Erinnerung. In vielen Staaten war es infolge des ein-
gestellten Eisenbahn- und Schiffsverkehrs nicht möglich, einen Ausflug
zu unternehmen. Sämtliche Museen, Bibliotheken, Theater und Konzert-
hallen blieben geschlossen. Öffentliche Vergnügungen waren ebenso ver-
pönt, als daheim nichtgeistliche Gesänge und Musikstücke erklingen zu
lassen. Kein Ton der Freude, kein frohes Lachen erhellte die Gesichter. Der
Glanz der Sonne, das Zwitschern und Singen der Vögel, die Pracht der Natur
blieben ohne Eindruck auf die Gemüter, die von dem Irrwahn befangen waren,
daß dieses Leben nur als eine Vorbereitung für das Jenseits zu gelten habe. Es
— 590 —
bedurfte jahrelanger Kämpfe, um so düstere, sich und andere um jede Lebens-
freude betrügende Anschauungen zu besiegen.
Aber schrittweise gelang es den Deutschen, auch auf diesem Gebiet Er-
mngen zu machen und zeitgemäße Änderungen herbeizuführen. Auf ihr
Betreiben wurden die Museen, Bibliotheken und Lesehallen auch Sonntags ge-
öffnet und dadurch den während der Woche beschäftigten Arbeitern und Ge-
scnäftsleuten zugängig. Die Eisenbahnen und Schiffe nahmen einen beschränk-
ten Verkehr auf und ermöglichten es den Erholungsbedürftigen, die Pracht ufid
den Frieden der Wälder, die erquickende Frische der Seeluft zu genießen.
Deutsche Gesangvereine veranstalteten in den öffentlichen Parkanlagen freie
Konzerte und bahnten dadurch an, daß solche heute in vielen Städten während
der Sommermonate zu den stehenden Einrichtungen gehören. Welch eine
Quelle des Genusses, der Erhebung und Bildung dieselben für die Bevölkerung
sind, ist für jeden ersichtlich, der in den gewaltigen Parks der Stadt New York
Tausenden von sonntäglich gekleideten Menschen, die Damen in duftigen Toi-
letten, lustwandelnd oder auf Felsen und im grünen Grase lagernd den Klängen
der Musik lauschen sieht.
Andere Teile der Parks wurden dem Ball- undLawn-Tennisspiel freigegeben,
und so hat der wegen seiner Öde verrufene amerikanische Sabbat begonnen, sich
mehr und mehr in einen wahrhaft idealen Feiertag zu verwandeln, an dem auch
die Erholungsbedürftigen und die Jugend zu ihrem Rechte kommen.
Daß mit solchen Neuerungen der richtige Pfad betreten wurde, auf dem
weitergeschritten werden sollte, haben viele aufgeklärte Amerikaner bereit-
willigst anerkannt. Noch vor kurzem schrieb H. M. Ferren, ein an der Hoch-
schule zu Alleghany, Pa., angestellter Lehrer: „True enjoyment is a matter of
grave importance. The truth will dawn upon you, that the Germans, in promo-
ting music and song in this country, contributed infinitely more towards the
suppression of vice than all our law and order societies ever did or ever will
do. Brutality and excess of every kind come rushing in like a replenishing ether
wherever a social vacuum occurs. To djsplace them effectively, we must secure
a richer content for our inner national life. Our temperance and Sunday
questions, along with many others of a similar nature, will sink into insigni-
iicance the moment we learn to provide for the masses the proper forms of
enjoyment, because a heart overflowing with genuine joy has no room for
wickedness. Let us hope that this nation may soon proclaim a second declara-
tion of independence, that it may bid a friendly but final farewell to British
insularity. Long enough we have tarried in the narrow English Channel. Let
US lift our anchors and hoist our sail ! Tis time to put to sea — in quest of our
lost birthright, the golden fleece of the worlds best thought."
Von den Deutschen wurde auch die erhebende Weihnachtsfeier nach
Amerika übertragen. Mancherlei Nachklänge des altgermanischen Sonnen-
wendfestes waren zwar schon mit den ersten holländischen und englischen Kolo-
nisten nach der Neuen Welt gekommen. Aber man beschränkte sich darauf,
CQ
— 593 —
die Kinder mit Zuckenverk zu besclienken, die Fenster mit Kränzen zu
schmücken und unter die Decke des Zimmers einen Mistelzweig zu hängen.
Der in mildem Kerzenschein und flimmerndem Schmuck strahlende Tannen-
baum fehlte hingegen. Er wurde erst von den Deutschen eingeführt und damit
zugleich dem höchsten Fest der Christenheit jene Weihe gegeben, die es zu
einem Fest heiligster Freude für alle macht, welche sich im Glück der Jugend
sonnen und beim Leuchten seliger Kinderaugen die unvergeßlichen Wonnen
der eigenen Jugend wiedererleben.
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich die Weihnachtsfeier nicht
nur in unzähligen deutschamerikanischen geselligen Vereinigungen und Kirchen-
gemeinden, sondern auch in vielen anglo-amerikanischen Familien eingebürgert.
Der von Jahr zu Jahr steigende Bedarf an Tannenbäumen, der im Osten der
Vereinigten Staaten bereits mehrere Millionen Exemplare erheischt und einen
einträglichen Handel ins Leben rief, beweist, wie sehr das schöne Fest dem Sinn
der Amerikaner entspricht.
Zum Einbürgern der Weihnachtsfeier nach deutschem Muster trugen nicht
wenig die Bemühungen zweier Frauen bei, der als Professorin am Wellesley
College tätig gewesenen Fräulein Carla Wenckebach und der in New
Britain, Connecticut, lebenden Frau Elise Traut. Beide Damen schrieben
reizend ausgestattete Werkchen, in denen sie sowohl über den Ursprung des
Weihnachtsfestes und seine Bedeutung, wie über die schönste Art, es zu feiern,
Aufschluß gaben. ^)
Auch eine andere Neuerung, die im Leben der amerikanischen Großstädte
Eingang fand, ist auf deutsche Anregung zurückzuführen: Die sogenannten
„Roof Gardens" oder „Dachgärten". Der erste wurde von der Hand eines
deutschen Kunstgärtners auf dem Dach eines von A n t o n F a u s t in St. Louis
betriebenen Restaurants angelegt. Er übte auf die Gäste so große Anziehungs-
kraft, daß man an Sommerabenden, wenn man ein wenig spät kam, jedes
Plätzchen besetzt fand. Von der Pariser Weltausstellung des Jahres 1878 brachte
Faust einen elektrischen Beleuchtungsapparat mit, den ersten seiner Art in
Amerika, und von der Zeit an zeichnete sich die sogenannte „Terrasse" neben
allem anderen auch durch eine glänzende Beleuchtung aus.
In den an freien Vergnügungsplätzen und Sommergärten armen Städten
Chicago und New York wurde diese Neuerung begierig aufgegriffen und weiter
entwickelt. Man verlegte dabei die Dachgärten auf die flachen Dächer der zehn,
zwanzig und mehr Stockwerke zählenden Häuserkolosse, wo allabendlich eine
erquickende Seebrise breit und mächtig einherflutet und die drunten so schmerz-
lich vermißte Kühlung gewährt. Um in diese luftigen Höhen zu gelangen,
bedient man sich der bequemen Fahrstühle. Droben angelangt, findet man in
') Das von Frl. Wenckebach ver()ff entlichte Büchlein trägt den Titel .A Christmas
Book. Origin of the Christmas tree, the mistletoe, the Yule log and St. Nicholas". (Wellesley
College 1898.) „Christmas in Heart and Home" lautet der Titel des von Frau Elise Traut
im Jahre 1901 zu New York herausgegebenen Büchleins.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 38
— 594 —
den Raum für Tausende bietenden, mit prachtvollen Blattpflanzen und Palmen
ausgestatteten und in einem Meer buntfarbigen Lichtes schwimmenden Zauber-
gärten musikalische und theatralische Darbietungen aller Art. Zu den geistigen
und leiblichen Genüssen gesellt sich der Ausblick auf die von Millionen Lichtern
erstrahlenden Riesenstädte und auf stolze, von unzähligen Schiffen durchfurchte
Seen und Wasserstraßen. Kein Wunder, daß die Dachgärten, v^o zu dem ge-
botenen Guten noch der Reiz des Phantastischen und Ungewöhnlichen sich
hinzugesellte, die Gunst des Publikums im Fluge sich eroberten. Der größte
und zweifellos schönste aller Dachgärten Amerikas wurde im Juni 1905 in New
York auf dem von den Deutschamerikanern William C. und Frederick
A. M u s c h e n h e i m geleiteten Hotel Astor eröffnet. Im Jahre 1909 an Größe
verdoppelt, bedeckt er jetzt eine Fläche von 5580 Quadratmeter. Ein einziger
Rundgang auf geradestem Wege beträgt % km. Durch acht Aufzüge erreich-
bar, zählt er mit seinen im italienischen Stil gehaltenen Laubengängen, Rosen-
hainen, Palmen gruppen, plätschernden Springbrunnen und murmelnden Was-
serfällen, mit seinem überwältigenden Ausblick über das lichtüberflutete, im
Westen vom Hudson umschlossene Häusermeer der Weltstadt, mit dem Fern-
blick auf die Klippenmauer der Palisaden unstreitig zu den überraschendsten
Sehenswürdigkeiten der Beherrscherin der westlichen Erdhälfte.
Es bleibt uns noch übrig, verschiedene Vorgänge zu erwähnen, die wäh-
rend der zweiten Hälfte des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts das
Deutschamerikanertum betrafen.
Bei der fast allgegenwärtigen Verbreitung der Deutschen in den Ver-
einigten Staaten ist es selbstverständlich, daß bei den großen Katastrophen, von
welchen mehrere Städte Amerikas heimgesucht wurden, — dem Brande Chica-
gos, der Überschwemmung Johnstowns, dem Wirbelsturm zu St. Louis, dem
Erdbeben zu San Francisco — auch sie tief in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Außerdem stehen der 30. Juni 1900 und der 15. Juni 1904 als Tage schweren
Unheils in der Chronik des Deutschamerikanertums verzeichnet.
An dem erstgenannten Tage brach 4 Uhr nachmittags auf den in Hoboken
gelegenen Piers des „Norddeutschen Lloyd" Feuer aus, welches sich mit so
rasender Geschwindigkeit über die ganzen Anlagen jener Schiffsgesellschaft
verbreitete, daß dieselben in wenigen Minuten ein wogendes Flammenmeer
bildeten. Mehrere Schiffe des Lloyd, die „Saale", „Bremen", „Main" und
„Kaiser Wilhelm der Große" lagen an den Piers vor Anker. Es glückte, den
letztgenannten Dampfer abzuschleppen. Die drei anderen Fahrzeuge wurden
hingegen vom Feuer ergriffen und trieben in brennendem Zustande den Hudson
hinab, um bald darauf als wertlose Wracks ihren Untergang zu finden. Leider
war es den auf den Schiffen beschäftigten Mannschaften infolge des raschen
— 595 —
Umsichgreifens des Feuers nicht möglich, das Ufer zu gewinnen. Auf den
brennenden Schiffen stromabwärts treibend, Itamen viele in den Flammen um
oder fanden in den Fluten ihr Grab. Unter den Verunglückten befand sich auch
der Kapitän der „Saale", J. Mirow. Insgesamt gingen bei dieser Katastrophe
gegen 300 Menschenleben verloren. Der materielle Schaden belief sich auf
5 Millionen Dollar.
Ein zweites, noch weitaus schrecklicheres Unglück, traf am 15. Juni 1904
die lutherische „St. M a r k u s - G e m e i n d e" zu New York, deren Mit-
glieder mit ihren Angehörigen und Freunden einen Ausflug auf dem Ver-
gnügungsdampfer „General Slocum" geplant hatten. Schon bald nachdem der
mit 1290 fröhlichen Menschen belastete Dampfer seine Anlegestelle verlassen
hatte, brach in einem Öl und Farben enthaltenden Vorratsraum Feuer aus. Aber
weder der Kapitän noch die gänzlich ungeübte Bemannung ergriffen Maßregeln,
den Brand zu ersticken. Unbekümmert setzten sie die Reise fort, als ob keine
Gefahr bestehe. Das Feuer machte rasche Fortschritte. Aus dem dichter
werdenden Rauch züngelten rote Flammen empor. In der Nähe befindliche
Dampfer ließen Alarmsignale ertönen. Doch als nun endlich der verbrecherisch
leichtfertige Kapitän seine Leute an die Spritzen befahl, zeigte es sich, daß die
im Lauf langer Jahre vermürbten, nie erneuten Schläuche kein Wasser zu halten
vermochten. Sie barsten gleich den morsch gewordenen Rettungsgürteln, zu
denen die an Bord des Unglücksschiffes Befindlichen in Todesangst griffen, um
im Augenblick äußerster Not ins Wasser zu springen. Diejenigen, welche der
Tragkraft der Gürtel vertrauten, versanken in den quirlenden Wassern wie Blei.
Angesichts dieser Zustände brach unter den Passagieren eine fürchterliche
Panik aus, deren Schrecken noch dadurch vermehrt wurde, daß der Kapitän,
anstatt das Fahrzeug zum nächsten Ufer zu dirigieren, einem zwei Meilen ent-
fernten Landeplatz zuhielt. Ehe das Schiff diesen erreichte, stand es lichterloh
in Flammen, so daß den an Bord befindlichen Unglücklichen nur die Wahl blieb
zu verbrennen oder über Bord zu springen. Szenen von beispielloser Schreck-
lichkeit folgten, denn die Mehrzahl der Passagiere bestand aus hilflosen Frauen
und Kindern, welche angesichts des sie umgebenden Entsetzens die Geistes-
gegenwart verloren. Was hätte solche auch nützen können, als urplötzlich alle
drei Decke des Bootes sich in eine brausende Hölle verwandelten und bei
ihrem Einsturz alle Lebende hinabrissen und unter sich begruben. Ganze
Familien wurden mit einem Schlage ausgelöscht. Die Familie Di eck hoff
beklagte fünf, die Familie G r e s s sechs, die Familie Weiss zehn, die Familie
Rheinfrank sogar den Verlust von elf Mitgliedern. Der von 51 Zöglingen
besucht gewesene Kindergarten der „St. Markusgemeinde" besaß deren nach
dem schrecklichen Vorfall nur noch 12!
Insgesamt fanden 924 Personen in der grauenhaften Katastrophe, der
schaurigsten, die sich jemals auf einem Schiff ereignete, ihren Untergang. Sie
wurden Opfer jener verbrecherischen, schnöder Gewinnsucht entspringenden
Fahrlässigkeit, die so mancher amerikanischen Geschäftsunternehmung anhaftet.
38*
— 596 —
Obwohl grobe Fahrlässigkeit bei den späteren gerichtlichen Unter-
suchungen sowohl den Eigentümern, dem Kapitän van Schaik und der Be-
mannung des „Slocum", wie auch den New Yorker Schiffsinspektoren auf
Schritt und Tritt nachgewiesen wurde, ließ man mit Ausnahme des Kapitäns
sämtliche Schuldigen der verdienten Bestrafung entrinnen und setzte damit der
korrupten amerikanischen Rechtspflege ein weiteres Denkmal.
Einen Monat nach dieser die ganze zivilisierte Welt in Erregung ver-
setzenden Katastrophe richteten die „Vereinigten Deutschen Gesellschaften von
New York^' eine öffentliche Trauerfeier aus, wie die Stadt sie ergreifender nie
zuvor gesehen hatte. Das auf dem lutherischen Friedhof zu Middle Village auf
Long Island befindliche Massengrab, welches die Reste der nicht mehr erkenn-
baren Verunglückten aufnahm, erhielt ein würdiges Denkmal, dessen Weihe
man am 15. Juni 1906 vollzog.
An den großen Freuden- und Festtagen der amerikanischen Nation be-
teiligte sich das Deutschtum der Vereinigten Staaten stets in erhebender Weise.
Die hundertste Feier des Geburtstags George Washingtons, Benjamin Franklins
und Abraham Lincolns, die Hundertjahrfeier der Unabhängigkeitserklärung,
die Heimkehr der Armeen aus dem Bürgerkrieg und dem Krieg mit Spanien, die
Hudson-Fultonfeier im Oktober 1909, alle diese Ereignisse wurden mit herz-
licher Begeisterung gefeiert.
Daß die Deutschamerikaner aber auch das Andenken der dem deutschen
Volke entsprungenen Geisteshelden ehren, bekundeten die großartigen Gedenk-
feierlichkeiten, welche seitens vieler Gesellschaften zur Erinnerung an Gutten-
berg, Humboldt, Goethe, Schiller, Mozart, Beethoven, Haydn, Abt, Wagner,
Fichte, Bismarck und andere begangen wurden.
Manche dieser Feierlichkeiten gestalteten sich zu großartigen Ovationen.
Der Impuls, welcher von der Schillerfeier des Jahres 1859 ausging, war so
mächtig, daß die Schillerliteratur in Amerika nahezu unübersehbare Dimen-
sionen annahm. Auch die in das Jahr 1905 fallende Feier zum Gedächtnis an
Schillers Tod gestaltete sich an vielen Orten zu einem höchst eindrucksvollen
Ereignis. Um so mehr, als in manchen Städten die dort bestehenden Univer-
sitäten sich an der Feier beteiligten. Den glänzendsten Verlauf nahm dieselbe
unstreitig in New York, wo am 6. Mai die „Vereinigung alter deutscher Stu-
denten," am 7. Mai die „Vereinigten Sänger'', am S. Mai die „Vereinigten
deutschen Gesellschaften" und am 9. Mai die „Columbia-Universität" den
Manen Schillers ergreifende Huldigungen darbrachten.
Die meisten seiner obengenannten Geistesheroen hat das Deutsch-
amerikanertum durch prächtige Denkmäler geehrt. Aber auch wenn es
galt, einen hervorragenden lebenden deutschen Dichter zu ehren, oder zu einem
Liebeswerk beizusteuern, versagte das Deutschamerikanertum selten.
- 597 —
Natürlich fanden die gewaltigen Ereignisse des Jahres 1870 — 1871,
welche das geliebte alte Vaterland endlich auf den ihm gebührenden Platz
unter den Weltmächten erhoben, in den Herzen aller Deutschamerikaner einen
ergreifenden Widerhall. Tausende in den Vereinigten Staaten lebende Deutsche,
die bisher nicht das amerikanische Bürgerrecht erworben hatten, eilten in die
Heimat, um sich in die deutschen Armeen einreihen zu lassen. Ihre zurück-
bleibenden Stammesgenossen aber gründeten „Patriotische Hilfsvereine", die
sich die Aufgabe stellten, Geld zur Unterstützung der Witwen und Weisen ge-
fallener deutscher Soldaten, sowie zur Pflege der Verwundeten aufzubringen.
Um dieses Liebeswerk systematisch zu betreiben, organisierten aus allen Teilen
der Union kommende Abgeordnete am 18. August 1870 in Chicago den
„Deutschen patriotischen Hilfsverein der Vereinigten
Staaten". Dabei wurde der New Yorker Verein zu dessen Oeneralagentur
ernannt, um die gesammelten Gelder, deren Höhe über drei Millionen Mark
betrug, dem Zentralausschuß in Berlin zuzuführen. Daß die deutschamerika-
nischen Frauen zu diesem Liebeswerk durch Veranstaltung von Sammlungen,
Basaren und Konzerten nach Kräften beitrugen, braucht kaum betont zu werden.
Natürlich wurden die überraschend großen Siege der deutschen Truppen
und die Einnahme von Paris in gebührender Weise gefeiert. Besonders ge-
stalteten sich die zur Feier des Friedensschlusses anberaumten Festlichkeiten zu
überwältigend großartigen Demonstrationen, wie man solche in den amerika-
iHschen Weltstädten nie zuvor gesehen hatte. Als die glanzvollsten sind die-
jenigen zu Cincinnati am 4. Februar, zu St. Louis am 6. bis 15. März, zu
San Francisco am 22. März, zu New York am 9. bis 11. April, zu Philadelphia
am 15. Mai und zu Chicago am 29. Mai 1871 hervorzuheben. Zum erstenmal
erschien dabei das Deutschtum der Vereinigten Staaten den Anglo-Amerikanern
in der ganzen Ebenbürtigkeit seiner Nationalität.
Trugen so die Siege der deutschen Waffen in großartiger Weise dazu bei,
das Ansehen des gesamten Deutschtums zu heben, so vertiefte sich dieser Ein-
druck durch die beispiellosen Triumphe, welche deutsche Gewerbtätigkeit,
Kunst und Wissenschaft auf den Weltausstellungen zu Chicago, Buffalo und
St. Louis feierten. Die deutsche Regierung hatte mit richtigem Blick erkannt,
daß namentlich Chicago der Platz sein werde, wo die Völker der Erde um die
Heri Schaft auf dem Gebiet des Welthandels streiten würden. Sie bot deshalb
alle Kräfte auf, um der Welt zu zeigen, was die deutsche Nation auch in den
Werken und Künsten des Friedens zu leisten vermöge. Bei der Auswahl und
und Veranschaulichung des Dargebotenen verfuhr sie mit solchem Geschick,
daß das Ergebnis alle Erwartungen übertraf und für den deutschen Handel die
scliönsten Früchte zeitigte.
Einen äußerst befriedigenden Verlauf nahm auch die Ausstellung deut-
scher Kunstwerke, die in den Monaten Januar, Februar, März und April des
Jahres 1909 in New York, Boston und Chicago dem amerikanischen Publikum
dargeboten wurde. Ihr Zustandekommen war in erster Linie das Werk des
— 598 —
New Yorker Großkaufmanns Hugo Reisinge r. Selber ein begeisterter
Kunstfreund und Sammler, wollte er die Am.erikaner nicht nur mit den Perlen
der deutschen Malerei bekannt machen, sondern auch der von ihm hochge-
schätzten deutschen Kunst, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts das Kunst-
leben der Neuen Welt mächtig beeinflußt hatte, das verloren gegangene Terrain
zurückerobern.
Mit opferwilligem Idealismus unterzog Reisinger sich dem Erledigen der
mit diesem Unternehmen verbundenen Arbeiten und brachte mit Unterstützung
der deutschen Regierung eine 214 Kunstgegenstände umfassende Sammlung
der besten neueren deutschen Meister zusammen. Die den hohen Wert dieser
Veranstaltung erkennende Verwaltung des Metropolitan-Kunst-Museums zu New
York trug dem Plan die größten Sympathien entgegen und bot der Sammlung
in ihren eignen Hallen die würdigste Unterkunftsstätte.
Das rege Interesse des kunstliebenden Publikums dokumentierte sich in
dem geradezu überraschenden Besuch, dessen diese Ausstellung sich zu er-
freuen hatte. Noch nie zuvor war das Museum innerhalb eines gleich langen
Zeitraums von so vielen Personen besucht worden. Am letzten Sonntag, wo
die Ausstellung zugänglich war, betrug die Zahl der Besucher nahezu 14 000!
Zweifellos hinterließ die Ausstellung bei den amerikanischen Künstlern und
Kunstkennern einen tiefen, nachhaltigen Eindruck.
Es ist einer der Hauptzüge in der neueren Geschichte der in den Ver-
einigten Staaten lebenden Deutschen, daß sie stets strebten, dazu beizutragen,
das internationale Verhältnis zwischen ihrer neuen Heimat und dem geliebten
alten Vaterland zu einem möglichst freundschaftlichen, herzlichen zu gestalten.
Sie taten dies in der richtigen Erkenntnis, daß kaum zwei Völker soviel
voneinander lernen und durch engere Freundschaft einander so viel nützen
können, als das amerikanische und das deutsche. Aus diesem Grunde begrüßten
die Deutschamerikaner im Jahre 1897 die Ernennung eines von der gleichen
Überzeugung beseelten, bewährten Freundes des deutschen Volkes, Andrew
D. White, zum Botschafter in Berlin mit besonderer Genugtuung und ver-
anstalteten zu Ehren des Botschafters vor dessen Scheiden am 22. Mai 1897 in
der prächtigen Festhalle des „Deutschen Liederkranz" in New York ein Bankett,
das infolge seines erhebenden Verlaufs bei allen Teilnehmern noch in schönster
Erinnerung steht.
Aus den gleichen Gründen bewillkommte das Deutschamerikanertum die
Ernennung der deutschen Botschafter von Holleben und Speck von
Sternburg zu Ehrendoktoren amerikanischer Universitäten, die Entsendung
amerikanischer Kriegsschiffe nach deutschen Häfen, die allgemeine Teilnahme
des Anglo-Amerikanertums an der Feier des 70. Geburtstages von Karl
— 599 —
Schurz mit aufrichtiger Freude. Und ganz besonders auch den in die
Monate Februar und März des Jahres 1902 fallenden Besuch des Prinzen
Heinrich von Preußen. Der Prinz erschien als Vertreter seines kaiser-
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liehen Bruders und wurde als solcher von der ganzen amerikanischen Nation
mit beispielloser Herzlichkeit aufgenommen. Seine Ausflüge nach Washington
und Mount Vernon, dem Grab des Begründers der Republik, seine Reisen nach
— 600 —
Pittsburg, Cincinnati, Indianapolis, Chicago, Nashville, Louisville, St. Louis,
Milwaukee, Buffalo, Boston, Albany und Philadelphia gestalteten sich zu förm-
lichen Triumphzügen, an welchen das Amerikanertum nur das auszusetzen
hatte, daß der Besuch des hohen Gastes viel zu kurz bemessen war.
In das Jahr 1883 fällt ein Ereignis, welches für das Deutschtum der Ver-
einigten Staaten von größter Bedeutung werden sollte. In Philadelphia feierte
man am 6. Oktober den hundertsten Jahrestag der Landung der Gründer von
Germantown.
Diese erhebende Feier regte zwei wackere Männer, die um die deutsch-
amerikanische Geschichtsforschung hochverdienten Doktoren Oswald S e i -
densticker und Gottfried T. Kellner zu dem Vorschlag an, das
Andenken an die Landung jener deutschen Pilgerväter alljährlich am 6. Oktober
zu feiern und diesen Tag zu einem vom gesamten Deutschamerikanertum be-
gangenen Fest, dem „Deutschen Tag e", zu erheben. Mit diesem Vor-
schlag erwarben die beiden sich ein Verdienst, das nicht hoch genug gewürdigt
werden kann. Sie erweckten dadurch im Deutschamerikanertum nicht bloß
das Interesse an seiner Geschichte, sondern stärkten es auch in seinem Selbst-
bewußtsein und ließen es über den eigenen Wert klarer werden. Sie gaben
den über unendlich weite Strecken verteilten, nur durch die losen Bande der
Sprache und gemeinsamen Abstammung zusanmiengehaltenen Deutschamerikanern
einen gemeinsamen Nationalfeiertag, der ganz dazu geeignet
ist, sie fester miteinander zu verbinden. In vielen größeren Städten der Ver-
einigten Staaten begehen die Deutschen diesen „Deutschen Tag" alljährlich
durch Veranstaltung von Freudenmahlen, verbunden mit Reden, in denen die
großen Züge der deutschamerikanischen Geschichte gewürdigt werden.
In überaus großartiger Weise geschah dies in Chicago und St. Louis ge-
legentlich der dort abgehaltenen Weltausstellungen. Hier erhieken die Feier-
lichkeiten ein besonders erhebendes Gepräge durch die Gegenwart zahlreicher
Deutschen, die sich zum Besuch jener Wehausstellungen aus allen Gauen des
alten Vaterlandes eingefunden hatten. Um diesen die Teilnahme an dem Fest
zu ermöglichen, hatte man in Chicago die Feier des Deutschen Tages auf den
15. Juni 1893 verlegt. Vormittags bewegte sich ein Festzug durch die Straßen
der Stadt, an dem sich 30 000 Menschen zu Fuß, zu Roß oder zu Wagen be-
teiligten. Fr wurde durch eine aus hundert Reitern bestehende Ehrenwache
eröffnet. Dieser schlössen sich in buntem Wechsel unzählige Turn-, Gesang-,
Krieger-, Schützen-, Krankenunterstützungs- und Frauenvereine an. Darauf
folgten die verschiedensten Orden und Logen, Schillerklubs, GrüÜibündler,
Druiden, Hermannssöhne, Schwabenvereine, Plattdeutsche Gesellschaften und
Hunderte anderer Vereinigungen, deren Bestehen ein sprechendes Zeugnis dafür
601
ablegte, wie reich und mannigfaltig entwickelt das Vereinsleben der Deutscti-
amerikaner ist. Erhielt der großartige Festzug schon durch die Tausende von
vvi^ -t-
Die Feier des Deutschen Tages auf der Weltausstellung zu Chicago am 15. Juni 1893.
Nach einer für die „Cjarienlaubc" aufgenommenen Originalzeichnung von Rudolf Gronau.
flatternden Vereinsfahnen und Bannern ein buntes Gepräge, so erregten die mit-
geführten Schauwagen ganz besonderes Interesse. Viele dieser Wagen ge-
— 602 —
währten einen prunkvollen Anblick, besonders wenn die Darstellung in den
Händen deutschamerikanischer Frauen und Jungfrauen lag. Von den Schönen
Chicagos hatten die Schönsten sich freudig zur Verfügung gestellt, um Gruppen
wie „Columbia, von den dreizehn Staaten umgeben'' und „Germania im Kreise
der Musen" so wirkungsvoll als möglich zu gestalten. Unter den historischen
Gruppen befanden sich „Die Teutoburger Schlacht", „Columbus auf der Santa
Maria", „Nach der Schlacht bei Rezonville" und vieles andere mehr. Durchweg
trug der imposante Festzug, dessen Vorbeimarsch zwei und eine halbe Stunden
erforderte, ein echt deutsches Gepräge, und überall wurde er von der nach Hun-
derttausenden zählenden schaulustigen Menge mit brausendem Jubel begrüßt.
Nach seiner Auflösung begann 3 Uhr nachmittags die offizielle Feier auf
dem Weltausstellungsplatz vor dem von der deutschen Regierung erbauten
„Deutschen Hause", dessen hochragender, bunte Malereien tragender Giebel
im Schmuck lustig flatternder Wimpel prangte. Auf einer mächtigen, mit Eichen-
laub umkränzten Tribüne nahmen die geladenen Ehrengäste, 2000 an der Zahl,
Platz. Ihnen gegenüber auf einer zweiten Tribüne die deutschamerikanischen
Weltausstellungschöre und das Bülow-Orchester. Ein Teil der mitwirkenden
Damen erschien in roten, ein anderer in weißen Gewändern. Entsprechend
gruppiert, bildeten sie im Verein mit den schwarzgekleideten Herren eine riesige
deutsche Flagge, welcher der blaue Michigansee als herrlicher Hintergrund
diente.
Webers Jubelouvertüre eröffnete die erhebende Feier; dann folgte ein von
dem Chicagoer Großkaufmann Harry Rubens gesprochener „Gruß des
Deutschtums von Amerika an Deutschlands Vertreter". Die nachfolgenden
Reden bewegten sich ausnahmslos um den Preis des alten Vaterlandes, der neuen
Heimat und des zwischen den beiden bestehenden Freundschaftsbandes. „Wir
blicken zurück", so erklärte Karl Schurz, der Hauptfestredner, „auf jene
dunklen Tage des Rebellionskrieges, wo die Union am Rande des Untergangs
zu taumeln schien; als unsere Heere Niederlage auf Niederlage erlitten; als nicht
nur unsere Feinde und Neider, sondern auch unsere schwachherzigen Freunde
in der Alten Welt den Zerfall der großen Republik prophezeiten ; als der Kredit
unserer Republik auf den niedrigsten Punkt sank; als die Hoffnung auch der
Mutigsten ins Wanken kam. Mit freudiger Genugtuung erinnern wir uns, daß
von allen Völkern der Erde das deutsche Volk allein nicht das Vertrauen auf den
endlichen Sieg unserer guten Sache und auf die Zukunft Amerikas verlor; daß
es unbedenklich seine Ersparnisse zu Millionen und Millionen unserer schwer-
geprüften Republik herlieh und ihr so in dem verzweifelten Kampf neue Kraft
gab. Das war der Freund in der Not, der dem bedrängten Freund vertrauens-
voll beistand; und reichlich, wie es verdiente, wurde dieses Vertrauen voll be-
lohnt. Diese Völkerfreundschaft zwischen dem alten und dem neuen Vaterlande
ewig stark zu erhalten, das ist der Wunsch, den der Deutschamerikaner warm
im Herzen trägt, und den er gewiß im Flerzen eines jeden edelgesinnten, patrioti-
schen Amerikaners wiederfindet."
— 603 —
Dann wies Schurz auf jenen herrlichen Wahlspruch hin, der hoch über
seinem Haupte an der Stirnseite des Deutschen Hauses prangte:
..Nährhaft und wehrhaft,
Voll Korn und voll Wein,
Voll Kraft und Eisen,
Klangreich und gedankenreich,
Ich will dich preisen
Vaterland mein!"
In meisterhaften Worten stellte er dann die deutsche Ausstellung in Chi-
cago in Vergleich zu der Ausstellung des Jahres 1876 in Philadelphia. „Die
Politik des Unterbietens im P r e i s e — das war Deutschland in Philadelphia —
ein nachschleichender Schatten des Deutschlands der alten Zeit, der Zeit der Zer-
rissenheit, der Ohnmacht, der Kleinlichkeit, des Zweifels an der eigenen Kraft.
Die Politik des Überbietens im Wert — das ist Deutschland in der weißen
Stadt zu Chicago — das Deutschland der neuen Zeit, des mächtigen Reichs, des
gehobenen Nationalgefühls, der Selbstachtung, der großen Inspirationen, des
gewaltigen Könnens und des hohen Wollens, groß in seinem Kriegsruhm und
nicht weniger groß in den W^erken des Friedens. Diesem Deutschland bringen
wir heute unseren Gruß. Mit stolzem Bewußtsein des Vollbrachten kann
Deutschland hier den Völkern der Erde zurufen: ,Kommt her und seht!' In
diesen Räumen zeigt sich nur das treffliche Produkt, hier weht der Geist der
Nation. Nach den deutschen Siegen im französischen Kriege sagte man: ,Das
war nicht bloße brutale Kraft, das hat der deutsche Schulmeister getan !' Das-
selbe Wort gilt hier, wenn man dem deutschen Schulmeistertum die deutsche
Universität zuzählt. In keinem Lande der Welt wird soviel wie in Deutschland
die Wissenschaft um ihrer selbst wegen, das ist, um der Erkenntnis wegen ge-
pflegt, und doch hat sie in keinem Lande der Welt dem praktischen Schaffen
größere Dienste getan. Das Beispiel steht vor uns. Was ist hier nicht alles —
von dem Nürnberger Spielzeug bis zu dem riesigen Ungeheuer der Kruppschen
Kanone, bis zu den Wundern der Schmiedekunst und des Berliner und Meißener
Porzellans, bis zu den modernsten Erzeugnissen auf dem Gebiet des Maschinen-
baus, des Bergbaus, des Eisenbahnwesens, der Chemie, der elektrischen Trieb-
kraft und des elektrischen Lichtes, bis zu den Herrlichkeiten der heutigen Textil-
industrie, bis zu den glänzenden Schöpfungen der Neuzeit in Malerei und Skulp-
tur, von den einfachsten Lettern des gewöhnlichen Buchdrucks bis zu dem blen-
dendsten Prachtwerk in Buchstaben und Bildern, von der Handfibel der deut-
schen Volksschule bis zu dem Apparat höchster Wissenschaft. Alles dies und
viel mehr, wie es auf deutschem Boden gewachsen ist, das Nützliche und Schöne
vereint in einer Mannigfaltigkeit, Fülle und Pracht, und von jener Anmut durch-
webt, wie sie nur einem in vielhundertjähriger Geschichte gebildeten Kulturvolke
eigen sein kann, — hier ist dies alles, so erstaunlich und doch so unleugbar und
überzeugend, daß die Kritik ohne Kampf der Bewunderung weicht und selbst
die Mißgunst und Eifersucht stumm werden."
— 604 —
Ein herrliches Konzert, ein großartiges Freiturnen und abends eine von
blendendem Feuerwerk begleitete allgemeine Beleuchtung des ganzen Welt-
ausstellungsplatzes beendeten den ohne Mißton verlaufenen „Deutschen Tag",
der in der Geschichte des Deutschtums der Vereinigten Staaten einzig dasteht.
Einen ähnlichen erhebenden Verlauf nahm die Feier des deutschen Tages
auf der Weltausstellung zu St. Louis. Dort kam noch ein Germanistenkongreß
hinzu, an dem sich hervorragende Gelehrte der Alten wie der Neuen Welt be-
teiligten.
Alle diese Ereignisse trugen mächtig dazu bei, das Einheitsgefühl der
Deutschamerikaner zu heben. Und diesem Gefühl entsprang mit dem Anbruch
des 20. Jahrhunderts der „Deutschamerikanische National-
b u n d", dessen Zwecke und Ziele in dem folgenden Abschnitt unseres
Werkes geschildert werden sollen.
Der deutschamerikanische Nationalbund.
Der Anbruch des 20.- Jahrhunderts bedeutete für das Deutschtum der
Vereinigten Staaten zugleich den Beginn einer neuen verheißungsvollen Zeit.
In Philadelphia, der alten Hochburg des Deutschtums, wurde nämlich zur För-
derung aller würdigen Interessen desselben der „Deutschameri-
kanische Nationalbund" gegründet.
Der Gedanke, das bisher nur durch die lockeren Bande der gemeinsamen
Sprache und Erinnerungen an das alte Vaterland zusammengehaltene Deutsch-
tum der Vereinigten Staaten fester zusammenzuschweißen, damit die ihm inne-
wohnende gewaltige Kraft nachdrücklicher als bisher zu seinem eignen Besten
wie zum Wohl der neuen Heimat verwertet werden könne, war nicht neu. Er
bewegte schon in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Herzen und
Köpfe vieler Deutschen, denen es klar wurde, daß weder sie selbst noch ihre
früher hierher gekommenen Landsleute die Anerkennung fanden, zu welcher
sie wegen ihrer Bildung, Strebsamkeit und unbestreitbaren Verdienste um die
kulturelle Entwicklung des Landes berechtigt gewesen wären.
Kopfleiste: Das Gebäude der .Deutschen Gesellschaft" zu Philadelphia, die Ge-
burtsstätte des Deutschamerikanischen Nationalbundes.
- 606 —
Aber die in den Jahren 1837, 1838, 1839 und 1841 auf Anregung mehrerer
patriotischer Bürger der Stadt Pittsburg dort abgehaltenen Zusammenkünfte von
Abgeordneten deutscher Vereine führten, obwohl manche tüchtige Männer sich
an denselben beteiligten, zu keinem dauernden Ergebnis. Nicht einmal das
unter großen Mühen gegründete deutsche Lehrerseminar zu Phillipsburg in
Pennsylvanien konnte aufrechterhalten werden, da es sowohl an Mitteln wie an
Schülern gebrach.
Es fehlte der damaligen Zeit noch das erhebende Bild eines geeinigten
Deutschland; es fehlte der großen Masse des Deutschamerikanertums noch die
Erkenntnis, daß, um wahrhaft große Dinge zu erringen, ein enger Zusammen-
schluß sowohl der Individuen und Berufsgenossen wie der verwandten Völker-
stämme nötig ist. Jene Erkenntnis brach sich erst Bahn, seitdem man die Eini-
gung Deutschlands, Italiens und der australischen Kolonien, die Gründung der
Zoll- und Münzverbände, der „Alliance frangaise" und des „Israelitischen Bun-
des", der Verschmelzung zahlloser kleiner (jeschäftsbetriebe zu ungemein kapi-
talkräftigen Körperschaften, den Zusammenschluß sowohl der Industriellen wie
der Arbeiter zu mächtigen Verbänden erlebte.
Besonders die Verwirklichung des Einheitsgedankens in Deutschland übte
auf die deutschen Bewohner der Vereinigten Staaten nachhaltige Wirkung. Die
vorher scharf getrennten Landsmannschaften begannen sich mehr und mehr zu
vermischen. Man erinnerte sich dessen, was die Deutschen während der zwei
Jahrhunderte ihres Verweilens in Amerika geleistet und welche Wunder sie durch
ihren Fleiß und ihre Intelligenz verrichtet hatten. Das Jahr 1883 mit seiner
erhebenden Gedächtnisfeier zur Erinnerung an die Landung der deutschen
Pilgerväter, die immer weitere Verbreitung findende Feier des „Deutschen
Tages*' vertieften das Einheitsgefühl. Auch fehlte es nicht an äußeren Gründen,
die auf einen engeren Zusammenschluß hindrängten. An vielen Orten hatten
deutsche Vereine berechtigte Ursache, sich über direkte Eingriffe in ihr Haus-
recht zu beklagen, indem man ihnen den Genuß geistiger Getränke in den eignen
Hallen verwehren wollte. An anderen Orten bestrebten sich kurzsichtige Nati-
visten, die fernere Einwandrung zu erschweren und sowohl den Turn- wie den
deutschen Sprachunterricht aus den öffentlichen Schulen zu verdrängen.
Alle diese Ereignisse sowie das Verlangen, dem Deutschtum in den Ver-
einigten Staaten die ihm gebührende Achtung zu sichern, bestimmten im Juni 1900
eine Anzahl Männer, einen „Deutschamerikanischen Nationalbund" zu gründen.
Die erste konstituierende Versammlung wurde auf den „Deutschen Tag''
des folgenden Jahres, den 6. Oktober 1901, einberufen. Als dieser Zeitpunkt
kam, versammelten sich in der festlich geschmückten Halle der ehrwürdigen,
bereits seit dem Jahre 1764 zu Nutz und Frommen deutscher Einwandrer
wirkenden „Deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien" zahlreiche, aus allen
Teilen der Union gekommene Abgeordnete größerer deutscher Vereinigungen.
Da waren kernige Gestalten, die den fast un vermischt gebliebenen Typus der
früheren deutschen Einwandrung zeigten, echte Deutschpennsylvanier. Da
— 607 —
waren wackere Männer aus dem sonnigen Maryland und dem herrlichen Vir-
ginien, aus dem Distrikt Columbia, aus New York, New Jersey, Ohio und Mis-
souri. Sogar die fern entlegenen, von deutschen Einwandrern seit langer Zeit
bevorzugten Staaten Wisconsin, Minnesota, Idaho und Kalifornien hatten Ab-
geordnete entsendet. Auch der Deutschamerikanische Lehrerbund, sowie das
Lehrerseminar zu Milwaukee waren durch Mitglieder vertreten.
Nachdem am Abend des 5. Oktober diese Repräsentanten des Deutsch-
amerikanertums in Gemeinschaft mit der deutschen Bevölkerung Philadelphias
den „Deutschen Tag" gefeiert hatten, begannen sie am 6. Oktober ihr Werk. Nach
längeren Beratungen einigten sie sich über folgende Grundsätze:
„Der Bund erstrebt das Einheitsgefühl in der Bevölkerung deutschen Ur-
sprungs in Amerika zu wecken und zu fördern, zu nützlicher, gesunder Ent-
wicklung der, wenn zentralisiert, ihr innewohnenden Macht, zum gemeinsamen
energischen Schutz solcher berechtigter Wünsche und Interessen, die dem Ge-
meinwohle des Landes und den Rechten und Pflichten guter Bürger nicht zu-
wider sind; zur Abwehr nativistischer Übergriffe; zur Pflege und Sicherung
guter, freundschaftlicher Beziehungen Amerikas zu dem alten deutschen Vater-
lande. Was die deutsche Einwandrung zur Förderung der geistigen und wirt-
schaftlichen Entwicklung dieses Landes beigetragen und ferner beizutragen be-
rufen ist, wie sie allzeit in Freud und Leid treu zu ihm stand, das beweist und
lehrt seine Geschichte. Der Bund fordert deshalb volle, ehrliche Anerkennung
dieser Verdienste und bekämpft jedweden Versuch zur Schmälerung derselben.
Allzeit treu dem Adoptivvaterlande, stets bereit, das Flöchste einzusetzen für
dessen Wohlfahrt, aufrichtig und selbstlos in der Ausübung der Bürgerpflichten,
den Gesetzen Untertan — bleibt auch ferner die Losung! Er beabsichtigt keine
Senderinteressen, keine Gründung eines Staates im Staate, erblickt aber in der
Zentralisierung der Bevölkerung deutschen Ursprungs den kürzesten Weg und
die beste Gewähr für die Erreichung seiner in dieser Verfassung klargelegten
Ziele; er fordert deshalb alle deutschen Vereinigungen auf — als die organi-
sierten Vertreter des Deutschtums — für seine gesunde, kräftige Entwicklung
mitzuwirken und befürwortet deshalb ferner die Bildung von Vereinigungen zur
Wahrung der Interessen der Deutschamerikaner in allen Staaten der Union, zu
schließlicher Zentralisierung derselben zu einem großen Deutschamerikanischen
Bunde, und macht es allen deutschen Vereinigungen zur Ehrenpflicht, der Or-
ganisation in ihrem Staate beizutreten. Der Bund verpflichtet sich, mit allen
verfügbaren gesetzlichen Mitteln unentwegt und jederzeit einzutreten für die
Erhaltung und Verbreitung seiner Prinzipien, zu ihrer kräftigen Verteidigung,
wo und wann immer in Gefahr; er stellt zunächst die folgende Plattform auf:
1. Der Bund als solcher enthält sich der Einmischung in die Parteipolitik,
jedoch unbeschadet des Rechts und der Pflicht zur Verteidigung seiner Grund-
sätze auch auf dem politischen Gebiete, sollten dieselben durch politische An-
griffe oder Maßregeln behelligt oder gefährdet werden.
2. Fragen und Sachen der Religion sind strengstens ausgeschlossen.
— 608 —
3. Er empfiehlt die Einführung des Unterrichts der deutschen Sprache in
öffentHchen Schulen auf der folgenden breiten Grundlage: Neben der englischen
bildet die deutsche Zunge die Weltsprache; in den entferntesten Winkeln der
Erde, wohin die Pioniere der Zivilisation, des Handels und Verkehrs gedrungen,
finden wir die Völker beider Zungen vertreten ; wo allgemeinere, eigene Kenntnis
herrscht, bildet sich leichter selbständiges, klares und vorurteilfreies Verständnis
und fördert so wechselseitige, freundschaftliche Beziehungen.
4. Wir leben in dem Zeitalter des Fortschritts und der Erfindungen ; rasch
ist das Tempo dieser Zeit, unerbittlich die Ansprüche, die es den einzelnen
stellt; die damit verbundene körperliche Anspannung steigert die Ansprüche an
die körperliche Kraft; ein gesunder Geist sollte in einem gesunden Körper
wohnen! Auf dieser Grundlage erstrebt der Bund die Einführung eines syste-
matischen und zweckdienlichen Turnunterrichts in den öffentlichen Schulen.
5. Er erklärt sich ferner für die Befreiung der Schule von der Politik,
denn nur ein von politischen Einflüssen freies Erziehungswesen kann dem
Volke wahre Lehranstalten bieten.
6. Er fordert alle Deutschen auf, das Bürgerrecht zu erwerben, sobald sie
gesetzlich dazu berechtigt, sich rege am öffentlichen Leben zu beteiligen und
ihre Bürgerpflicht an der Wahlurne furchtlos und nach eigenem Ermessen
auszuüben.
7. Er empfiehlt eine liberale, zeitgemäße Mandhabung oder die Tilgung
solcher Gesetze, welche die Erwerbung des Bürgerrechts unnütz erschweren
und häufig ganz verhindern. Guter Ruf, unbescholtener, rechtschaffener Lebens-
wandel, Gesetzesliebe sollten entscheiden, nicht aber die Beantwortung oder
Nichtbeantwortung beliebig herausgegriffener, den Ansuchenden leicht ver-
wirrender, politischer oder geschichtlicher Fragen.
8. Er nimmt Stellung gegen jedwede Beschränkung der Einwandrung
gesunder Menschen aus Europa, mit Ausschluß überführter Verbrecher und
Anarchisten.
9. Er befürwortet die Löschung solcher veralteter, dem Zeitgeist nicht
länger entsprechender Gesetze, welche den freien Verkehr hemmen und die
persönliche Freiheit des Bürgers beschränken.
10. Er empfiehlt die Gründung von Fortbildungsvereinen als Pflege-
stätten der deutschen Sprache und Literatur, zur Weiterbildung Lernbegieriger,
Abhaltung von Vorlesungen über Kunst und Wissenschaft und Fragen von all-
gemeinem Interesse.
11. Er empfiehlt eine systematische Forschung der deutschen Mithilfe
an der Entwicklung des Adoptivvaterlandes in Krieg und Frieden auf allen
Gebieten deatschamerikanischen Wirkens, von den frühesten Tagen an, zur
Gründung und Weiterführung einer deutschamerikanischen Geschichte.
12. Er behält sich das Recht vor, diese Plattform zu erweitern oder zu
ergänzen, wenn neue Ereignisse im Rahmen seiner Zeit und Zwecke es wün-
schenswert oder erforderlich machen.'*
609
Der Nationalbund hatte das Glück, in Dr. Charles John Hex-
amer, dem im Jahre 1862 zu Philadelphia geborenen Sohn eines „Achtund-
vierzigers", einen ebenso begeisterten wie klarblickenden, zielbewußten und zäh
ausdauernden Führer zu finden, der die große Bewegung in das richtige Fahr-
wasser zu leiten und in demselben zu erhalten verstand.
Im September 1903
fand in Baltimore der
zweite, im Oktober
1905 in Indianapolis
der dritte, im Oktober
1907 in New York der
vierte und im Oktober
1909 in Cincinnati der
fünfte Konvent des
Deutschamerikanischen
Nationalbundes statt
Aus den dort verlesenen
Berichten ergab sich
die erfreuliche Tat-
sache, daß der Eini-
gungsgedanke im
Deutschtum der gan-
zen Union Wurzel ge-
schlagen hat.
Im Jahre 1909 er-
streckte sich der Bund
bereits über 42 Staaten.
Die Mitgliederzahl der
ihm angehörigen Vei-
einigungen belief sich
auf D4 bis 2 Mil-
lionen.
Die Konvente zu
Baltimore, Indianapolis und New^ York bildeten in ihrem Verlauf würdige
Fortsetzungen des ersten, und es konnte ein um so größeres Pensum be-
wältigt werden, als während der vergangenen Jahre die Ansichten über die
anzustrebenden Ziele und einzuschlagenden Wege klarer, bestimmter ge-
worden waren. Obenan unter den zahlreichen Beschlüssen, die zur Annahme
gelangten, stand eine politische Unabhängigkeitserklärung, die den Krebs-
schaden des politischen Lebens Amerikas, die Ämterjägerei, aufs nachdrücklichste
verurteilt und es allen Bürgern und Parteien ans Herz legt, dahin zu wirken, daß
bei den Wahlen nicht wie bisher Beeinflussungen durch Geld und Versprech-
Dr. Charles John Hexamer.
Gronau, Deutsches Leben in Amerika.
39
— 610 —
ungen, sondern wirkliche Befähigung und ehrliches Wollen den Ausschlag
geben sollen. Das Stimmrecht sei das höchste Recht des Bürgers und müsse
unverfälscht zum Ausdruck gelangen. Es sei daher die Pflicht der Behörden,
darüber zu wachen, daß das System der Beeinflussung durch Begünstigungen
irgendwelcher Art aufhöre und bestraft werde. Die Ämterjägerei müsse einer
Gleichberechtigung aller guten Bürger, Ämter zu bekleiden oder in die Ge-
meinde- und gesetzgebenden Körperschaften gewählt zu werden, Platz machen.
Dieses Ziel zu erreichen, sollten alle politischen Parteien behilflich sein, denn
nichts sei ehrender für eine solche, als wenn sie den Willen des Volkes in der
lautersten Weise zum Ausdruck bringe. Sollten die Parteien es unterlassen
oder sich weigern, dies zu tun, so sei es Pflicht jedes Deutschamerikaners, sich
von seiner Partei loszusagen.
Um jeden Verdacht zu ersticken, daß der Nationalbund jemals eine selbst-
süchtige Politik, etwa im Interesse seiner eigenen Mitglieder, ausüben werde,
wurde ferner beschlossen, daß kein Beamter des Nationalbundes oder eines
Zweiges desselben sich um ein wählbares öffentliches Amt bewerben darf. Be-
absichtigt er dies zu tun, so muß er seinen Ehrenposten zuvor niederlegen.
Bekundete so der Bund seinen Entschluß, in durchaus neutraler Weise
zum besten des ganzen Landes wirken zu wollen, so bekräftigte er dies durch
Annahme des Antrags, auch Frauenvereinigungen aufzunehmen, da die Frau
und Mutter von überaus wichtigem Einfluß auf die Heranbildung der Jugend sei.
Es wurde ferner beschlossen, für Franz Pastorius und die Gründer von
Germantown ein würdiges Denkmal zu errichten, das deutschamerikanische
Lehrerseminar sowie das an der Harvard-Universität gegründete Germanische
Museum zu unterstützen und alle Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung
der natürlichen Hilfsmittel Amerikas, insbesondere seiner Wälder, zu fördern.
Aus alledem ist ersichtlich, daß das Programm des „Deutschamerikani-
schen Nationalbundes'' ein großes ist. Im Ausführen desselben hat der Bund
trotz seiner Jugend, trotz mancher Hindernisse schon vieles erreicht. Und diese
Erfolge werden sich steigern, je mehr man auch in solchen Kreisen, die anfäng-
lich hinter den Zielen des Bundes „deutschpolitische Bestrebungen" witterten,
erkennen lernt, daß es amerikanischer Patrioten würdig ist, das Selbstvertrauen
der Deutschen Amerikas zu wecken, um all das Schöne, Edle, Gute und Große,
das im deutschen Volkscharakter enthalten ist, der erst im Werden begriffenen
amerikanischen Nation einzuimpfen.
Wir sind mit unserer Geschichte des Deutschtums in den Vereinigten
Staaten zu Ende. Wo immer wir die Blätter dieser Geschichte aufschlagen,
strahlt uns stiller, erwärmender Glanz entgegen. Zur Ehre des Deutschameri-
kanertums darf es betont werden, daß diese Geschichte nirgendwo
— 611 —
ein Blatt enthält, dessen es sich schämen müßte, das ihm
zur Unzierde gereicht.
Und deshalb darf sie von allen Deutschamerikanern als ihr wert-
vollstes Besitztum, als die kostbarste Hinterlassen-
schaft ihrer Väter betrachtet werden, als ein Dokument,
auf welches sie sich allezeit wie auf ihren Bürgerbrief
beruf en kön n en. Sie ist ihr Ehrenschild, wenn selbstsüchtiger Nativis-
mus versuchen will, den Deutschen das Recht auf den Mitbesitz Amerikas streitig
zu machen. Mit nichts können derartige Angriffe so nachdrücklich abgeführt
werden, als mit den Worten : „Blickt hin auf unsere Vergangenheit und beurteilt
offen und ehrhch, ob wir Deutschamerikaner nicht ebensoviel und ebenso Wert-
volles zur Entwicklung der Union beitrugen und beitragen, wie irgendein
Volksstamm, der an ihrem Aufbau beteiligt ist!^'
Aus seiner glorreichen Geschichte soll das Deutscham erikanertum aber
auch selber Lehren ziehen. Es muß sich bewußt sein, daß auch auf diese Ge-
schichte das Dichterwort Anwendung hat: „Was du ererbt von deinen Vätern
hast, erwirb es, um es zu besitzen !"
Die gegenwärtigen wie die kommenden Geschlechter müssen sich ihrer
Väter wert erweisen, indem sie fortfahren, durch ehrliche Arbeit und unermüd-
lichen Fleiß ihr volles Anrecht auf den von ihren Vorfahren überkommenen
Boden täglich neu zu verdienen. Sie müssen sich der Tatsache bewußt bleiben,
daß sie ihre Pflicht der Union gegenüber am treuesten erfüllen, wenn sie das
hochhalten, was ihre Väter auszeichnete: Ehrenhaftigkeit, Beständigkeit, echtes
Familienleben und einen empfänglichen Sinn für alles Gute und Schöne. An
ihrer eigenen Veredelung arbeitend, müssen sie die besten Züge des deutschen
Charakters der in den Vereinigten Staaten entstehenden neuen Nation einzuver-
leiben suchen, damit dieselbe befähigt werde, die hohe Aufgabe zu erfüllen,
zu der sie berufen ist.
Das Amerikanertum der Zukunft wird nicht, wie manche die Welt glauben
machen möchten, ein Zweig des englischen Volkes sein, sondern eine aus Be-
standteilen aller Völker hervorgegangene neue Nation,
wie sie eigenartiger die Welt bisher nie gesehen hat. Wir
befinden uns mitten innerhalb dieses Verschmelzungsprozesses, dessen Ende
noch gar nicht abzusehen ist. Was das schließliche Ergebnis dieser in
gleicher Großartigkeit noch nicht erlebten Völker- und Rassenmischung sein und
wodurch der Nationalcharakter des amerikanischen Volkes sich einst kenn-
zeichnen wird, wenn er seine bestimmtere Ausprägung erhalten hat, kann man
wohl ahnen, aber nicht mit Sicherheit voraussagen. Das Amerikanertum der
Zukunft wird einen neuen Menschenschlag darstellen, dessen Bestimmung es
ist, die von der Alten Welt übernommene Kultur auf dem Boden der Neuen
Welt in großartiger und eigentümlicher Weise weiter zu entwickeln, was wieder-
um nicht ohne die segensreichste Rückwirkung auf die Kultur der Alten Welt, der
ganzen Menschheit bleiben kann.
39*
— 612 —
Keinem Volke war es bisher vergönnt, an die Erfüllung seiner Mission
unter so günstigen Verhältnissen heranzutreten, wie den Amerikanern. Über
einen mit schier unerschöpflichen Reichtümern ausgestatteten ungeheuren Tum-
melplatz gebietend, nicht bedroht von feindlichen Nachbarn, frei von beengen-
den Traditionen, nicht der Willkür eines Monarchen oder der Soldatenherr-
schaft Untertan, kann und sollte dies Land zu einem Hort geistiger und körper-
licher Freiheit, zu einer Heimstätte edler Menschlichkeit werden, zu dem die
Völker der ganzen Erde allezeit mit der gleichen Hoffnungsfreudigkeit empor-
blicken, wie in den Tagen George Washingtons, als die hier aufgehende Sonne
der Freiheit die Welt mit ihrem Glänze erhellte.
Will Amerika diese große Bestimmung erfüllen, so kann es die idealen
Züge des deutschen Charakters nicht entbehren. Je inniger und nachhaltiger
dieselben das Amerikanertum durchdringen und sich mit demselben vermählen,
um so bestimmter wird das letztere seiner Sendung gerecht werden können. Und
deshalb ist es für die Deutschamerikaner eine Pflicht, festzuhalten an allem, was
am deutschen Volke gut und lobenswert ist. Zugleich aber sollen sie auch das-
jenige in sich aufnehmen, was am Anglo-Amerikanertum groß und bewunderns-
wert erscheint. Bewahren sie so, was sie besitzen und nehmen an, was andere
ziert, so arbeiten sie nicht bloß an der eigenen Veredelung, sondern vererben
auf ihre Nachkommen diejenigen Eigenschaften, die den Erfolg ihrer Sendung
gewährleisten.
Die Quellen zur Geschichte des deutschen
Elements in den Vereinigten Staaten.
Um Freunden der deutschamerikanischen Geschichte, welche diesen oder
jenen Abschnitt derselben tiefer zu ergründen wünschen, die Quellen zum
Weiterforschen nachzuweisen, sind
hier die wichtigsten jener Werke
aufgezählt, die beim Abfassen der
vorliegenden Geschichte zu Rate
gezogen wurden. Selbstverständ-
lich erhebt die Liste keinen An-
spruch auf Vollständigkeit. Die in
neuester Zeit von verschiedenen
Seiten gemachten Versuche, Ver-
zeichnisse solcher Werke zusam-
menzustellen, welche die Ge-
schichte des deutschen Elements
in den Vereinigten Staaten betrei-
fen, förderten eine erstaunlich große
Zahl von Titeln zutage. Im Jahre
1904 ließ A. P. Griff in die-
jenigen der in der Kongreßbiblio-
thek zu Washington vorhandenen
einschlägigen Werke drucken und
zwar unter dem
Titel: „A list of
works relating to
the Germans in the
United States; Wa-
shington, 1904." Sie
wird dem Forscher
stets ein guter Weg-
weiser sein.
Eine umfassende Bibliographie von Deutsch-Amerikana hat Richard
E. H e 1 b i g , Hilfsbibliothekar der Stadtbibliothek von New York, in Bearbei-
tung. Dieselbe soll die Titel aller das deutsche Element in den Vereinigten
Die Freiheitsstatue im Hafen von New York.
— 614 —
Staaten betreffenden Werke, ferner die Titel aller von deutschamerikanischen
Schriftstellern in deutscher oder englischer Sprache veröffentlichten Bücher,
außerdem die Titel deutscher Werke über die Vereinigten Staaten und alles
über die verschiedenen Wechselbeziehungen zwischen diesen und Deutschland
enthalten. Bis zum Herbst 190Q hatte Heibig bereits über 10 000 Titel solcher
Bücher und Einzelaufsätze zusammengebracht.
Allg-emeine Werke zur Geschichte des Deutschtums in den Ver-
einigten Staaten. Der erste Versuch zu einer Gesamtdarstellung der Ge-
schichte des deutschen Elements in den Vereinigten Staaten wurde bereits in
der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von Franz Löher unternommen.
•Beim Fehlen fast aller Quellenwerke in damaliger Zeit kann es nicht überraschen,
daß seine „Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika" (Cincinnati
und Leipzig 1847) klaffende Lücken enthält. Ist der historische Teil des Buches
demnach unvollkommen und längst veraltet, so werden aber Löhers Aufzeich-
nungen über die damalige Stellung der Deutschen in den Vereinigten Staaten
stets von großem Wert bleiben.
Anton Eickhoffs Buch: „In der neuen Heimat'', New York 1884,
kann nur als eine Aneinanderreihung geschichtlicher, von verschiedenen Ur-
hebern stammenden, nach Staaten geordneter Mitteilungen über die deutschen
Einwandrer gelten. Sein wertvollster Bestandteil ist zweifellos die den Anhang
bildende Geschichte der „Deutschen Gesellschaft zu New York".
Julius Göbels Schriftchen „Das Deutschtum in den Vereinigten
Staaten", München 1904, soll den in Deutschland Lebenden einen kurzen Ab-
riß der Geschichte ihrer Stammesgenossen in den Vereinigten Staaten geben.
Es erfüllt diesen Zweck in vortrefflicher Weise, wenn auch die scharfen Urteile
des Verfassers über manche Vorgänge, Zustände und Personen keineswegs als
gerecht und auf gründlichen Studien beruhend gelten können.
Unter den Zeitschriften, welche sich die Aufgabe stellten, Material zur
Geschichte der Deutschen in Amerika zu sammeln, ist in erster Linie „Der
Deutsche Pionier" zu nennen, welcher in den Jahren 1869 bis 1887 in Cincinnati
unter der Redaktion von G. Brühl, E. H. Mack, K. Rümelin,
K. Knortz, H. A. Ratter mann und H. H e n s e 1 herausgegeben wurde.
Ihm folgte das gleichfalls von Rattermann geleitete „Deutschamerikanische Ma-
gazin", welches aber auf nur einen Jahrgang, 1886 bis 1887, beschränkt blieb.
Ein ähnliches Sammelwerk wurde im Jahre 1901 von der „Deutschen histo-
rischen Gesellschaft von Illinois" unter dem Titel „Deutschamerikanische Ge-
schichtsblätter" begründet und vonEmilMannhardtin Chicago redigiert.
In Philadelphia veröffentlichte Professor M. D. Learned von 1897 bis
1902 die „American-Germanica", welche in dem letztgenannten Jahre den Titel
„German-American Annais" annahmen und zugleich das Organ des „Deutsch-
amerikanischen Nationalbundes" sowie der von demselben gegründeten
„Deutschamerikanischen historischen Gesellschaft" wurden.
Alle diese Sammelwerke zeichnen sich durch eine Fülle wertvoller Auf-
— 615 —
Sätze aus. Zu ihnen gesellen sich die von mehreren historischen Gesellschaften
veröffentlichten Monographien und Jahresberichte. Unter ihnen stehen die
seit 1891 in Lancaster, Pennsylvanien, erscheinenden „Proceedings and addresses
of the Pennsylvania German Society" wegen ihrer gediegenen Darstellungen
sowie reichen bildlichen Ausstattung obenan. Für den regen historischen Sinn
der deutschen Bevölkerung Pennsylvaniens spricht ferner das Bestehen der seit
dem Jahre 1899 zu Lebanon, Pennsylvanien erscheinenden Monatsschrift „The
Pennsylvania German", welche gleichfalls viel geschichtliches Material ver-
öffentlicht.
In Baltimore hat die im Jahre 1886 gegründete „Society for the History
of the Gemians in Maryland" ihren Sitz. In Washington und Chicago traten
in neuerer Zeit gleichfalls historische Gesellschaften ins Leben, welche sich die
Erforschung der deutschamerilcanischen Geschichte angelegen sein lassen.
Zu wünschen wäre, daß diese Vorbilder auch in allen anderen Staaten
der Union Nachahmung fänden, damit das vorhandene geschichtliche Material
gesammelt und der Forschung zugängig gemacht wurde.
Die ersten in Deutsehland g-edruckten Flug-blätter über Amerika
sind in folgenden Werlcen aufgeführt: H. Harrisse: „Bibliotheca Americana
vetustissima. Description of works relating to America, publ. between 1492
and 1551," New York 1860 bis 1872. — J. F. Sachse: „The Fatherland;
showing the part it bore in the discovery, exploration and development of the
western continent." Philadelphia 1897. — Rudolf Cronau's „Amerika,
die Geschichte seiner Entdeckung", Leipzig 1892, enthält im 1. Bande, Seite
350 bis 357 eine Darlegung über Waldseemüller und die Benennung der
Neuen Welt.
Die deutsehen Gouverneure von Neu-Nlederland und Neu Schweden.
Nachrichten über Peter Minnewit finden sich in Friedrich Kapp's: „Die
Deutschen im Staate New York", New York 1868. — Eine ältere Abhandlung
ist in den „Proceedings der New York Historical Society" vom Jahre 1849
enthalten. — Die „Historical Society of Delaware" veröffenüichte im Jahre 1881
in Wilmington Delaware eine Arbeit von J. Mickley: „Some accounts of
Wm. Usselinx and Peter Minuit." — Femer erschien in Delaware ein Bericht
über „Memorial Services in honor of Peter Minnewit, celebrated by the General
Assembly of Delaware 1895." — Über die Quellen zur Geschichte der deutschen
Gouverneure von Neu-Schweden finden sich die erforderlichen Angaben in dem
die Kolonien Neu-Schweden behandelnden Abschnitt des IV. Bandes der von
J. W i n s o r herausgegebenen „Narrative and critical History of America." —
Von großem Wert sind femer J. A c r e 1 i u s : „History of New Sweden ; vol. XI
of the Memoirs of the Historical Society of Pennsylvania", Philadelphia 1874. —
Gh. D. E b e 1 i n g: „Erdbeschreibung und Geschichte von Amerika", Hamburg
1799, vol. V.
Jakob Leisler. Die wichtigsten Quellen für die Geschichte des un-
glücklichen Gouverneurs Jakob Leisler sind die vom Staat New York ver-
— 616 —
öffentlichten großartigen Urkunden Sammlungen : „Documents relative to the
Colonial History of the State of New York, procured in Holland, England and
France, collected by J. R. Broadhead", Albany 1856 bis 1861; und „The
documentary history of the State of New York, collected by E. B. O ' C a 1 -
laghan," Albany 1849 bis 1852. Hauptsächhch auf Grund dieser Samm-
lungen bearbeitete Friedrich Kapp den seiner „Geschichte der Deutschen im
Staate New York" einverleibten Abschnitt über Jakob Leisler. — Außerdem
enthalten die „New York Historical Society Collections" wertvolle, von Kapp
nicht benützte Dokumente.
Aug-ust Heprman und Johann Ledeper. Die Geschichte des Landver-
messers Augustin Herrman ist in den Jahresberichten der „Society for the
History of the Germans in Maryland'^ niedergelegt. Den spärlichen
Nachrichten über Johann Lederer konnte neuerdings Gh. Strack einige
neue hinzufügen, die in den Berichten der „Deutschen historischen Gesell-
schaft für den Distrikt Columbia", Washington D. C. 1906 zum Abdruck
gelangten.
Die deutschen Sektennlederlassung-en. Die Geschichte der in Penn-
sylvanien eingewanderten deutschen Sektierer wurde in musterhafter Weise er-
forscht. In höchst anziehender Form schilderte Oswald Seidensticker
die Ankunft der Krefelder Mennoniten und die Gründung Germantowns sowohl
im „Deutschen Pionier" wie in dem Werkchen „Bilder aus der deutschpenn-
sylvanischen Geschichte", New York 1885. Den gleichen Stoff behandelten
S. Pennypacker in dem Buch „The Settlement of Germantown" Phila-
delphia 1880, und J eilet in „Germantown, its founders and what we owe
them". Ferner erschienen die Bücher: D. K. Gas sei: „Geschichte der
Mennoniten", Philadelphia 1890. — F. Sachse: „Letters relating to the
settlement of Germantown" Philiadelphia 1903. — Ein höchst verdienstvolles
Werk ist ferner Marion D. Learneds Buch „The Life of Francis Daniel
Pastorius", Philadelphia 1908.
Über die Labadisten besitzen wir die von B. J. Bartlett geschrie-
bene Abhandlung „The Labadist Colony in Maryland", No. 6 of Series of
John Hopkins University Studies, Baltimore 1899. Ferner finden sich wertvolle
Angaben in den „Annual Reports of the Society for the History of the Germans
in Maryland", vol. III., 5. V. 76; desgleichen in den „Memoirs of the Long Is-
land Historical Society" vol. I.; endlich in Johnstons: „History of Cecil
County in Maryland" sowie in den von M c M a h o n und Scharf verfaßten
„Histories of Maryland". — Den Mystikern oder Rosenkreuzern, die sich
mit Kelpius am Wissahickon niederließen, widmete Julius Sachse die
vorzügliche Monographie: „The German Pietists of Provincial Pennsylvania",
Philadelphia 1895. — Desgleichen schildert Oswald Seidensticker ihr
Leben und Treiben in seinen bereits genannten „Bildern aus der deutsch-
pennsylvanischen Geschichte". — Dasselbe Werk enthält eine Geschichte des
Klosters Ephrata, dessen Insassen übrigens in dem umfangreichen „Chronicon
— 617 —
Ephratense", Ephrata 1786, die Hauptquelle zur Beurteilung ihres Schaffens
lieferten. — Neuerdings wurde die Geschichte des Klosters Ephrata von
Julius Sachse behandelt in : „The German sectarians of Pennsylvania, a
critical and legendary history of the Ephrata cloister and the Dunkards", Phila-
delphia 1899—1900. — Über die „Tunker" oder „Deutschen Baptisten"
schrieb Falkenstein die Abhandlung „The German Baptist Brethren or
Dunkers'*, in „Proceedings of the Pennsylvanian German Society", vol. 10;
femer Moritz Busch in seinen „Wanderungen zwischen Hudson und Mis-
sissippi", Band 1, S. 126; desgleichen Lloyd in dem Aufsatz: „Among the
Dunkers", „Scribners Magazine", Nov. 1901. — Über die Geschichte und die
Zustände der Schwenkfeldep unterrichteten folgende Werke: „Erläuterung für
Herrn Caspar Schwenkfeld und die Zugethanen seiner Lehre", Summytown,
Pa. 1830. — „Kaspar von Schwenkfeld und die Schwenkfelder", Lauban 1860.
— Berclay: „Religious Societies of the Commonwealth", London 1876. —
C. Heydrich: „Genealogical Record of the Descendants of the Schwenk-
felders", Manayunk, Pa., 1879. — H. M. Jenkins: „The Schwenkfelders"
in „Friends Quarterly Examiner", London 1896. — Prof. Ch. D. Hartranft
veröffentlichte im Jahre 1906 den Prospectus eines auf 16 Bände berechneten
Monumentalwerkes „Corpus Schwenkfeldianorum", welches sämtliche Schriften
Schwenkfelds sowie eine umfassende Geschichte seiner Sekte enthalten soll. —
Die Geschicke der Salzburg-er in Georgia sind beschrieben in einem: „Extract
of the Journals of Mr. Commissary Von Reck, who conducted the first trans-
port of Salzburgers to Georgia", London 1734. — Über die späteren Schick-
sale der Salzburger unterrichten vor allen folgende Werke : Samuel Urls-
pergers: 1. „AusführHche Nachrichten von den Saltzburgischen Emigranten,
die sich in Amerika niedergelassen haben: Von dem Transport derselben, die
Reise-Diaria des k. Großbrit. Commissarii und der beiden Saltzburg. Prediger,
wie auch eine Beschreibung von Georgien, etc." Halle 1738 — 1752. — 2. „Zu-
verlässiges Sendschreiben von den geist- und leiblichen Umständen der Saltz-
burgischen Emigranten, die sich in America niedergelassen haben, bis den Isten
Sept. 1735 u. von den Predigern in Eben Ezer etc. nach Teutschland über-
schrieben worden." Halle 1736. — 3. „Americanisches Ackerwerk Gottes, oder
zuverlässige Nachrichten, den Zustand der americanisch englischen und von salz-
burgischen Emigranten erbauten Pflanzstadt Ebenezer in Georgien betreffend,
aus dorther eingeschickten glaubwürdigen Diarien genommen und mit Briefen
der dasigen Prediger noch weiter bestätigt", Augsburg 1754 — 1760. — Diesen
Darstellungen schließen sich an A. S t r o b e 1 : „The Salzburgers and their
descendants", Baltimore 1856; sowie J. Hursts: „The Salzburger Exiles in
Georgia", „Harpers Monthly Magazine", vol. 85, p. 392. — Gleich den Kloster-
brüdern zu Ephrata sorgten auch die betriebsamen Herrnhutep oder Mäh-
rischen Brüder für historische Darstellungen ihrer Tätigkeit. Edmund
von Schweinitz, ein Mitglied der Sekte, schrieb das „Moravian Manual,
containing an account of the Moravian Church or Unitas Fratrum", Bethlehem
— 618 —
186Q. Denselben Zwecken dienen die „Transactions of the Moravian Histori-
cal Society'', in denen sich unter anderen L. T. R e i c h e 1 s „Early History of
Moravians in North America'', Nazareth, Pa. 1888, befindet. Von demselben
Verfasser stammt das Werk: „Moravians in North Carolina", Salem, N. C. 1857.
— E. H. R e i c h e 1 lieferte eine „Historical Sketch of church and mission of
the Moravians", Bethlehem 1848. — J. H. Martin schrieb eine „Historical
Sketch of Bethlehem", Philadelphia 1872. — J. T. H am il t on ist Verfasser
des Abschnitts „The Moravian Church", in vol. VIII der „American Church
History". — Die segensreiche Missionstätigkeit der Herrnhuter beschreibt
G. H. L o s k i e l's „Geschichte der Mission unter den Indianern Nordamerikas",
Barbey 1789. Eine enghsche Übersetzung, hergestellt von Ch. La Trebe,
erschien 1794 in London. — Der Bischof J. M. Levering schrieb „A History
of Bethlehem from 1741 — 1892", welche im Jahre 1903 zu Bethlehem gedruckt
wurde. — Das Leben des Missionars David Zeisberger behandeln die Bücher:
E. de Schweinitz: „The life and times of David Zeisberger, the westem
Pioneer and aposde of the Indians", Philadelphia 1870. — J. J. H e i m: „David
Zeisberger, der Apostel der Indianer", Bielefeld 1849. — Zeisberger selbst führte
ein Tagebuch, welches als „Zeisbergers Diary" in zwei Bänden in Bethlehem
gedruckt wurde. Der Herrnhuter Edw. Rondthaler verfaßte das Buch
„Life of John Heckewelder", Philadelphia 1847. — Auch die „Ohio Annais",
herausgegeben von C. H. Mitchener, Dayton 1876, befaßten sich mit den
Erlebnissen der herrnhutischen Missionare. Friedrich Kapp erzählt in
seiner „Geschichte der Deutschen im Staate New York", New York 1868, die
schlimmen Erfahrungen der Herrnhuter am Schekomeko.
Die Pfälzer: Außergewöhnlich reich fließen die Quellen über die Ein-
wandrung und die Ansiedlung der Pfälzer in Amerika. Wir nennen zunächst:
F. R. Diffenderfer: „The German exodus to England in 1709", vol. VII
of the „Proceedings of the Pennsylvania German Society"; ferner S. H. C o b b:
„The Story of the Palatines", New York 1897. — Beiträge zur Geschichte der
Pfälzer im Staat New York enthalten die Werke : E. B. O'C a 1 1 a g h a n : „Docu-
mentary History of the State of New York", Albany 1848—1851. — N. S. B e n -
ton: „Herkimer County and Upper Mohawk Valley", Albany 1856. —
F. Kapp: „Die Deutschen im Staate New York", New York 1867. — Earl:
„The Palatines in the Mohawk Valley". — „Papers of the Herkimer County
Historical Society", Herkimer and Ilion, N. Y. 1899. — J. M. Brown: „A
brief sketch of the first settlement of the county of Schoharie by the Germans",
Schoharie, N. Y. 1823. — J. R. Simms: „History of Schoharie County", Al-
bany 1845. — N. S. B e n t o n : „A History of Herkimer County", Albany 1856.
— I. Ellison: „The Germans of Buffalo", in „Publications of the Buffalo
Historical Society", Buffalo 1880. — Den Auszug der Pfälzer von Schoharie nach
Pennsylvanien und ihre Schicksale dort schildern die Werke von M. H.
Richards: „The German emigration from New York into Pennsylvania",
vol. IX of „Proceedings of the German Historical Society of Pennsylvania". —
— 619 —
F. R. Dif f en derf er: „German immigration into Pennsylvania 1700 bis
1775'*, Lancaster, Pa., 1900. — Kuhns: „German and Swiss settlement oi
Colonial Pennsylvania", New York 1901. — J. D. Rupp: „History of
Berks County, Pennsylvania", Lancaster 1844 und „The early history oi
Western Pennsylvania", Pittsburgh 1876. — W. Beidelman: „The story
of the Pennsylvania Germans", Easton, Pa., 1898. — Über Conrad Weiser be-
sitzen wir das Werk C. Z. W e i s e r s: „Life of Conrad Weiser", Reading 1876;
femer F. R. Diffenderfer: „Conrad Weiser", 1877. — J. H. Wal ton:
„Conrad Weiser and the Indian policy of Colonial Pennsylvania", Phila-
delphia 1900. — Die durch den französischen Finanzschwindler Law nach
Louisiana gelockten Pfälzer und Elsässer fanden einen vortrefflichen Histori-
graphen in Hanno Deiler. Derselbe ließ folgende Schriften erscheinen :
„Geschichte der Deutschen am unteren Mississippi", New Orleans 1901;
ferner: „Geschichte der ersten Deutschen am unteren Mississippi und die Creolen
deutscher Abstammung", New Orleans 1904. — Auch Alexander Franz
schilderte die Schicksale der Pfälzer in seinem Werk: „Die Kolonisation des Mis-
sissippitals bis zum Ausgang der französischen Herrschaft", Leipzig 1906. —
Über die deutschen Niederlassungen in den Neu-Englandstaaten unterrichten
die im „Deutschen Pionier" veröffentlichten Aufsätze H. A. Rattermanns:
„Geschichte des deutschen Elements im Staate Maine". Andere Quellenwerke
sind die „Maine Historical Collections", vols V und VI. — J. W. Jordan:
„Moravian Mission at Broad Bay, Maine", Bethlehem 1891 . — W i 1 1 i a m s o n :
„History of Maine", Hallowell 1832. — Pattee: „History of Braintree in
Massachusetts", Quincy 1878. — Holmes: „American Annais", Cambridge
1805. — J. G. Holland: „History of Western Massachusetts", Springfield
1855. — J. W. Starman: „Some accounts of the German settlement in Waldo-
borough" in „Collections of the Maine Historical Society", Portland 1857.
— H. Pohlman: „The German Colony and the Lutherian Church in Maine",
Gettysburg 1869. — Den Einfluß der Pfälzer auf die Kultur Amerikas heben
folgende Schriften hervor: F. R. Diffenderfer: „The Palatine and
Quaker as Commonwealth builders", Lancaster, Pa., 1899. — Greene: „The
Palatines as founders and patriots". — Eine neuere, zusammenfassende Dar-
stellung der Pfälzerkolonien lieferte Daniel Häberle in dem Buch : „Aus-
wandrung und Koloniegründungen der Pfälzer im 18. Jahrhundert", Kaisers-
lautern 1909.
Die Käufling-e. — Unbedingt die wertvollste Arbeit über die Käuflinge
oder Redemptionisten ist F. R. Dif f en d erf e r s: ,,The German immigra-
tion into Pennsylvania", vol. X of the „Proceedings of the Pennsylvania German
Society", Philadelphia 1900. — Den gleichen Gegenstand behandelte O. Sei-
densticker in seiner „Geschichte der deutschen Gesellschaft von Penn-
sylvanien", Philadelphia 1876; sowie L. F. Bittinger in dem Buch: „Ger-
mans in Colonial times", Philadelphia 1901. — Außerdem liegt vor: K. F.
Geiser: „Redemptioners and indentured servants in Pennsylvania", New
— 620 —
Haven, Conn., 1901. — Die „Reports of the German Historical Society of
Maryland" enthalten das Material über das Käuflingssystem jener Kolonie. —
H. D e i 1 e r verdanken wir das interessante Werkchen „Das Redemptionssystem
im Staat Louisiana", New Orleans 1901.
Die kulturellen Zustände der Deutsehamerikaner während der
Kolonialzeit. — Das erste Werkchen, welches uns über diese Zustände Auf-
schlüsse gibt, ist das des Patriarchen Franz Daniel Pastorius: „Um-
ständige Geographische Beschreibung der Provinz Pennsylvania", Frankfurt und
Leipzig 1700. — Von unschätzbarem Wert ist ferner die vorzügliche Schrift des
Dr. Benjamin Rush: „An account of the Manners of the German Inhabi-
tants in Pennsylvania", Philadelphia 1789. — Eine deutsche Übersetzung ist im
7. Jahrgang des „Deutschen Pionier" zu finden. — Hochinteressant ist auch
des Lehrers Gottlieb Mittelberger: „Reise nach Pennsylvanien 1750",
Frankfurt und Leipzig 1756. Ferner enthalten folgende Bücher reiches Material:
L. F. Bittinger: „The Germans in Colonial Times", Philadelphia 1901. —
O. Kuhns: „The German and Swiss Settlements of Colonial Pennsylvania",
New York 1901. — Über das Leben der deutschen Pioniere an den Grenzen
der Wildnis enthalten die Lokalchroniken unzähliger Ortschaften Mitteilungen.
Außerdem seien genannt: C. Z. Weiser: „Life of Conrad Weiser",
Reading 1876. — Britts: „Border Warfare", Abingdon, Va., 1849. —
„Frontier Forts of Pennsylvania", Printed by the State, 1896. — C. F. Post:
„Journals". Reprinted in Rupp's: „History of Western Pennsylvania", Pitts-
burgh and Harrisburg 1846. Posts „Journals" wurden neuerdings auch in der
gegen 25 Bände umfassenden Serie „Early western travels" abgedruckt. —
F r. K a p p : „Die Deutschen im Staat New York", New York 1868. — S i m m s :
„Frontiersmen of New York", Albany 1882. — W. W. Campbell: „Annais
of Tryon Co., N. Y.", New York 1831. — Speed: „The Wilderness Road",
Louisville 1886. — C. B. H a r 1 1 e y : „Life of Lewis Wetzel; also of Kenton and
other heroes of the West", Philadelphia 1860. — A. L. M a s o n: „The Pioneer
History of America", Cincinnati 1884. — W. W. Fowler: „Woman on the
American Frontier", Hartford 1877. — J. Doddridge: „Notes on the Settle-
ments and Indian Wars of the western parts of Virgmia and Pennsylvania",
Wellsburgh, Va., 1824; reprinted Albany 1876. — S i m m s: „Trappers of New
York or Biography of Nicolas Stoner and Nathaniel Foster", Albany 1871. —
S i m m s : „Border wars of New York". — C u r t i s s : „Life and adventures of
Nat. Foster, Trapper of the Adirondacks", Utica 1897. — Th. Roosevelt:
„The winning of the West". — Den deutschen Landwirten des 18. Jahrhunderts
ist ein Aufsatz in dem 10. Bande der „Proceedings of the Pennsylvania German
Society" gewidmet. — Das religiöse Leben der Deutschen während der Kolonial-
zeit schildert Lucy F. B i 1 1 i n g e r's: „German Religious Life in Colonial
Times", Philadelphia 1906. — Den kulturellen Zuständen der deutschen An-
siedler in der Kolonie New York widmete Friedrich Kapp in seiner „Ge-
schichte der Deutschen im Staat New York", New York 1868, einen längeren
— 621 —
Abschnitt. — Über die Deutsctien New Jerseys berichtet T. F. Chambers:
„Early Germans in New Jersey", Dover, N. J., 1895. — Über die Verhältnisse
der Deutschen in Pennsylvanien unterrichten die Werke: G. F. Baer: „The
Pennsylvania Germans", Reading 1876. — Mrs. E. Gibbons: „The Penn-
sylvania Dutch", Philadelphia 1872. — D r. B. R u s h : „Manners of the German
inhabitants of Pennsylvania". Edited by J. D. Rupp, Philadelphia 1875. —
J. D. Rupp: „Thirty thousand names of German immigrants", Harrisburg
1856. — L. A. Wollen weber: „Gemälde aus dem Pennsylvanischen Volks-
leben", Philadelphia 1869. — Kulturgeschichtliche Nachrichten über das
Deutschtum in Maryland finden sich verstreut in den „Reports of the
Society for History of Germans in Maryland". — Ferner in Scharfs:
„History of Maryland", Baltimore 1879. — E. T. Schultz: „First setÜement
of Germans in Maryland", Frederick, Md., 1896. — Quellen zur Kuhurgeschichte
der Deutschen in V i r g i n i e n sind unter anderen : FL Schuricht: „History
of the German dement in Virginia", Baltimore 1898. — Waddell: „Annais
of Augusta County", Richmond 1886. — B u r k: „History of Virginia", Peters-
burg, Va., 1804—1816. — Jefferson: „Notes on State of Virginia", Boston
1802. — Fiske: „Old Virginia and her neighbors", Boston 1897. — R. A.
Brook: „Official letters of Governor Alexander Spotswood", Richmond 1882
bis 1885. — J. C. Stöver: „Kurze Nachricht von einer Evangelisch-Luthe-
rischen Deutschen Gemeinde in Virginien", Hannover 1737. — Kercheval:
„History of the Valley of Virginia", Winchester 1833. — J. W. Wayland:
„The German dement of the Shenandoah Valley of Virginia", Charlottesville
1907. — Material zur Kulturgeschichte des Deutschtums in den beiden Caro-
linas und in Georgia findet sich in folgenden Schriften : Allen: „Ger-
man Palatines in North Carolina". — Bernheim: „History of German Settle-
ments and of the Lutheran Church in North and South Carolina", Philadelphia
1872. — „Memorial of Jean Pierre Pury in behalf of the colonisation of South
Carolina", London 1724; reprinted Augusta, Georgia 1880. — Stevens:
„History of Georgia", New York, 1847—1859. — Hewett: „Historical Ac-
count of Colonies of South Carolina and Georgia", London 1779. — Historical
Collections of South Carolina", New York 1836. — Dalcho: „History
of Episcopal Church in South Carolina", Charleston 1820. — H o we: „History
of Presbyterian Church in South Carolina", Columbia 1870. — E. L. Whit-
ney: „Government of Colony of South Carolina", John Hopkins University
Studies, Baltimore 1895. — W. G. S i m s: „History of South Carolina", Charle-
ston 1842. — Jones: „Dead towns of Georgia", in „Georgia Historical Col-
lections", vol. IV, Savannah 1878. — William son: History of North Caro-
lina", Philadelphia 1812. — Ramsey: „History of South Carolina", Charle-
ston 1809. — J. H. Wheeler: „Historical Sketches of North Carolina",
Philaddphia 1851. — W. H. F o o t e: „Sketches of North Carolina", New York
1846. — C. L. H u n t e r: „Skdches of Western North Carolina", Raldgh 1877.
— D. Schenk: „North Carolina 1780—1781", Raldgh 1889. - Hawk,
— 622 ~
Swain and Graham: „Revolutionary History of North Carolina", Raleigh
1843. — Über den Industriellen Peter Hasenclever enthält der „Deutsche
Pionier" vom Jahre 1883 ausführliche Nachrichten.
Oswald Seiden sticker behandelte die Geschichte der deutschen
Zeitungen und des deutschamerikanischen Buchdrucks im „Deutschamerika-
nischen Magazin"; ferner lieferte er das Werk: „The first Century of German
printing in America, 1728 — 1830", Philadelphia 1893. — Den gleichen Gegen-
stand behandeln die Bücher: F. Kapp: „Der deutschamerikanische Buchdruck
und Buchhandel im vorigen Jahrhundert," Leipzig 1878. — G. T. W a t k i n s:
„Bibliography of printing in America. Books, pamphlets, and some articles
in Magazines relating to the history of printing in the Nev^ World", Boston
1906. — Eine Lebensgeschichte des Schullehrers Dock ist S. P e n n y p a c k e r's
„Historical and Biographical Sketches", Philadelphia 1883 einverleibt. Außer-
dem veröffentlichte Martin G. Brumbaugh eine Abhandlung über „Das
Leben und die Werke von Christoph Dock, Amerikas Pionier-Schriftstellers
über Erziehung", Philadelphia 1908. Docks hundert Regeln kamen 1764 in Saurs
„Geistlichem Magazin" und im 10. Bande der „Proceedings of the Penn-
sylvania German Society" zum Abdruck.
Dep Fpanzosenkrieg". Das Material über den Anteil der deutschen An-
siedler an den Franzosen- und Indianerkriegen des 18. Jahrhunderts ist in
zahllosen Lokalchroniken enthalten, von denen die wichtigsten bereits unter den
Quellen über die kulturellen Zustände der deutschen Ansiedler genannt wurden.
Eine Geschichte des „Royal American Regiments" Heferte N. W. WaUace in
dem Buch : „A Regimental Chronicle and List of Officers of the Sixtieth, or the
King's Royal Rifle Corps, formerly the Sixty-second, or the Royal American
Regiment of Foot", London 1879.
Die Deut*-ehen im amerikanischen Unabhäng-lg-keltskrieg-e. Zur Fest-
stellung des Anteils der Deutschen am Unabhängigkeitskriege wurden unter
anderen folgende Werke benutzt: G. W. Greene: „The German dement in
the war of American independence", New York 1876. — Pfis.ter: „Die
amerikanische Revolution 1775, unter Hervorhebung des deutschen Anteils",
Stuttgart und Berlin 1904. — L i n n & E g 1 e : „Pennsylvania in the Revolution",
Philadelphia 1890—1895. — „Deutscher Pionier", 8. Jahrgang, „Die Beteili-
gung der Deutschen am Unabhängigkeitskrieg". — Die wichtigsten Quellen
über Nikolas Herchheimer und die Schlacht von Oriskany sind vor allem die
„Papers of the Herkimer County Historical Society", Herkimer and Ilion 1899.
— „Proceedings of Oneida Historical Society." — Jones: „History of Oneida
County." — S i m m s : „History of Schoharie County." — B e n t o n : „History
of Herkimer County." — Ferner F. Kapp: „Geschichte der Deutschen im
Staate New York," New York 1868. — H. A. Mühlenberg, ein Nach-
komme des berühmten Generalmajors, veröffentlichte das Buch : „Life of Major
General Peter Mühlenberg," Philadelphia 1849. — Auch im „Deutschen Pionier"
der Jahre 1869—1872 findet sich ein längerer Aufsatz „Peter Mühlenberg und
— 623 --
seine deutschen Soldaten". — Sehr umfangreich ist die Literatur über die
deutschen Hilfstruppen im englischen Heere. Wohl die erste aktenmäßige Dar-
legung des von mehreren degenerierten deutschen Fürsten betriebenen Schachers
mit ihren Untertanen ist Friedrich Kapp's; „Der Soldatenhandel deut-
scher Fürsten nach Amerika", Berlin 1864. Derselbe Stoff wurde in neuester
Zeit von E. J. L o w e 1 1 in dem Buch : „The Hessian and the other German
auxiliaries of Great Britain in the Revolutionary War", New York 1884 be-
handelt. Ferner von Max von Eelking in: „Die deutschen Hilfstruppen
im nordamerikanischen Befreiungskrieg." Eine englische abgekürzte Über-
setzung dieses Buches wurde von J. G. Rosengarten unter dem Titel : „The
German Allied Troops in Albany", New York 1893, herausgegeben. Den gleichen
Gegenstand behandeln ferner: C. Pres er: „Der Soldatenhandel in Hessen",
Marburg 1900. — Clark: „The Hessians." — Mellik: „The Hessians in
New Jersey; just a little in their favor." — Slafter: „The landing of the
Hessians." — Wert her: „Hessische Flilfstruppen." — Manche Tagebücher
und Aufzeichnungen der die deutschen Hilfstruppen begleitenden Offiziere,
Ärzte und Feldprediger kamen in den Sammelwerken : „Der deutsche Pionier",
„Americana Germanica" und „German American Annais" zum Abdruck. Zahl-
reiche von George Bancroft gesammelte Abschriften von Dokumenten und
Manuskripten zur Geschichte der deutschen Hilfstruppen befinden sich unter
den Handschriften der New Yorker Bibliothek. M. von Eelking verfaßte:
„Das Leben und Wirken des braunschweigischen Generalleutnants F.
A. von Riedesel", Leipzig 1856. — Wertvolle Aufzeichnungen enthält auch
General Riedesels „Berufsreise nach America. Briefe auf der Reise und während
ihres 6jährigen Aufenthalts in America zur Zeit des Krieges in den Jahren
1776 — 1783 nach Deutschland geschrieben", Berlin 1800. — Diesen Aufzeich-
nungen schheßen sich an S ton es: „Memoirs of General Riedesel", Albany.
Der Regimentsarzt J. D. Schöpf veröffentlichte: ,,Eine Reise durch einige
der mittleren und südlichen Staaten", Erlangen 1788. — Dem verdienten
Friedrich Kapp verdanken wir auch „Das Leben des amerikanischen
Generals Kalb", Stuttgart 1862, engl. New York 1870. — Über Kalb existiert
ferner ein : „Memoir of the Baron de Kalb," read at the meeting of the Maryland
Historical Society 7. Jan. 1858 by J. S. Smith. — Weitere Nachrichten enthält
T h. Wilson: „The Biography of the Principal American Military and
Naval heroes", New York 1817. — Headley: „American Generals."
Ein Gegenstück zu Kapp's Biographie über General Kalb ist desselben
Verfassers Buch: „Das Leben des amerikanischen Generals Friedrich Wilhelm
von Steuben", New York 1850, Berlin 1858. — Ein ähnliches Werk ist:
„N. Schmitt: „Leben und Wirken von F. W. von Steuben", Philadelphia
1859. — Auch William North, der Adjutant Steubens, schrieb dessen
Biographie. Sie findet sich im 8. Band des „Magazine of American History",
Weitere Nachrichten über Steuben sind in Thatchers: „Military Journal", ,
517 — 531; in Ebelings: „Amerikanisches Magazin", 1797; in Sparks:
— 624 —
„American Biographies'', vol. IX, p. 1—88; in Headley s: „Washington and
his Generals" und im „Magazine of Western History", 1886 enthalten. Die
ausführlichste Arbeit über die deutschen Truppen im französischen Hilfsheer
erschien im „Deutschen Pionier". Derselben ist ein ziemlich umfangreicher
Nachweis über die benutzten Quellen angehängt.
Die deutschen Ansiedler im Stpomg-ebiet des Ohio. Die wichtigsten,
für diesen Abschnitt benutzten Quellen werke sind: E. Klauprecht:
„Deutsche Chronik in der Geschichte des Ohiothaies, Cincinnati, 1864. —
H. K e p h a r t : „Pennsylvanias part in the winning of the West", St. Louis
1902. — Th. Roosevelt: The winning of the West, New York 1895. —
J. Carr: „Early times in Tennessee", Nashville 1859. — W. A. Fritzsch:
„Zur Geschichte des Deutschtums in Indiana", New York 1900. — D i e t z s c h :
„Geschichte der Deutschamerikaner in Chicago", Chicago 1881. — H. A.
Rattermann: „Germany. Die erste deutsche Niederlassung im Miami-
thale." 1878. — L. Stierlein: „Der Staat Kentucky und die Stadt Louis-
ville mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Elements", Louisville 1873.
— Th. Stempfei: „Fünfzig Jahre deutschen Strebens in Indianapohs",
Indianapolis 1898. — E. Seeger: „Chicago, die Geschichte einer Wunder-
stadt", Chicago 1892.
Die deutschen Ansiedler Im Mississippital. Die wichtigsten Werke,
welche den Anteil der Deutschen an der Besiedlung jenes großartigen Strom-
tales berücksichtigen, sind: G. Duden: „Bericht über eine Reise nach den
westlichen Staaten Nordamerikas", Bonn 1829. — G. Goebel: „Länger als
ein Menschenleben in Missouri", St. Louis 1877. — Lunz: „Reise nach St.
Louis." — Thümmel: „Die Natur und das Leben in den Vereinigten
Staaten", Erlangen 1848. — V. Nolte: „Fünfzig Jahre in den beiden He-
missphären", Hamburg 1854. — Karg au: „Missouris German Immi-
gration." — „St. Louis in früheren Jahren", St. Louis 1905. — „Geschichte des
Deutschtums von St. Joseph, Mo." — F. M ü n c h : „Der Staat Missouri",
New York und St. Louis 1859. — Über die Lateinischen Settlements und die
Lateinischen Farmer enthalten die Werke von Gustav Körner: „Das
deutsche Element in den Vereinigten Staaten 1818—1848", Cincinnati 1880,
sowie Wagner & Scherzer: „Reisen in Nordamerika", Leipzig 1857 aus-
führliche Mitteilungen. — J. Eiboeck schrieb das treffliche Werk: „Die
Deutschen von Iowa und ihre Errungenschaften", Des Moines 1900. —
Jensen und Bruncken verfaßten das Buch : „Wisconsins Deutsch-
Amerikaner", Milwaukee 1902. — Ferner ist zu erwähnen K. Levi: „How
Wisconsin came by its large German dement", Madison, Wis., 1892.
Ziemlich zahlreich sind die Werke, welche den Indianeraufstand des Jahres
1862 und die Belagerung der Stadt Neu-UIm schildern. Wir nennen folgende:
T. Heard: „History of the Sioux War and Massacres of 1862 and 1863,"
New York 1865. — A. Berghold: „Indianer-Rache, oder die Schreckens-
tage von Neu-ulm im Jahre 1862", New Ulm 1876. — R. Leonhart: „Er-
— 625 —
innerungen aus Neu-Ulm", Pittburg 1880. — J. H. Strasser: „Chronologie
der Stadt Neu-Ulm, Minn.", New Ulm 1899. — A. Berghold: „Geschichte
von Neu-Ulm''. 8. Jahrgang des „Deutschen Pionier". — „Die Gartenlaube",
Leipzig 1862.
Deutsehe Pioniere im fernen Westen. Dem wagemutigen Johann
Jakob Astor und seiner Gründung Astoria setzte Washington Irving
in seinem klassischen Werk : „Astoria, or anecdotes of an enterprise beyond the
Rocky Mountains", Philadelphia 1826, ein bleibendes Denkmal. Demselben
Kulturpionier widmete W. I. von Hörn die Biographie: „Johann Jakob
Astor", New York 1868. — Friedrich Kapp fügte seiner „Geschichte
der Deutschen im Staate New York" gleichfalls ein die Unternehmungen Astors
verherrlichendes Kapitel ein. — Die Schicksale Johann August Sutters sind im
„Deutschen Pionier" und in zahllosen anderen, die kalifornischen Goldfunde
berücksichtigende Werken erzählt. Ziemlich eingehend wurden sie auch von
J. B i d w e 1 1 in dem Aufsatz : „Life in California before the Gold discovery"
im „Century Magazine" des Jahres 1890 erörtert. — H. von Ehrenberg
beschrieb seine Erlebnisse in den Büchern: „Fahrten und Schicksale eines
Deutschen in Texas", Leipzig 1845; und: „Texas und die Revolution", Leipzig
1843. — F. Römer's: „Texas", Bonn 1849; und A. Schütze's: „Jahr-
buch für Texas", Austin, Tex., 1882 — 1884 enthalten gleichfalls Angaben über
Ehrenberg und andere Pioniere. — Über die seltsamen Irrfahrten August Lauf-
kötters berichtet A. Eickhoffs: „In der neuen Heimat", New York 1884.
Deutsche Kommunisten-Gemeinden. Die seltsamen Einrichtungen der
deutschen kommunistischen Gemeinden in den Vereinigten Staaten riefen eine
ziemlich reiche Literatur hervor. Wir erwähnen zunächst C h. N o r d -
h o f f s : „Communistic Societies of the United States", New York. Ihm
schließen sich an W. A. Hinds: „American communities", Chicago 1902.
— Über die von Rapp gegründeten Niederlassungen finden sich interessante
Angaben in Wagner und Scherzers: „Reisen in Nordamerika", Leipzig
1857; ferner in Moritz Buschs: „Zwischen Hudson und Mississippi."
Desgleichen in F. L ö h e r s : „Über Land und Leute in der Alten und Neuen
Welt", Göttingen 1855. Endlich in den Reisewerken der Prinzen
Maximilian zu Wied, Bernhard von Sachsen-Weimar
und Paul von Württemberg. Zu diesen Mitteilungen kommen die
Werke: A. Williams: „The Harmony Society of Economy", Pittsburg 1866
und J. A. Bole: „The Harmony Society", Philadelphia 1904. — Die Ge-
schichte der Gemeinde Zoar fand in Georg B. Landis ihren Darsteller,
dessen Untersuchungen: „The Separatists of Zoar" dem „Annual Report of
the American Historical Association 1898" einverleibt wurden. Zur Ergänzung
derselben dürften das 1856 in Zoar gedruckte Werk: „Die wahre Separation,
oder die Wiedergeburt, dargestellt in geistlichen und erbaulichen Versamm-
lungsreden und Betrachtungen, gehalten in der Gemeinde in Zoar im Jahre
1832" und E. O. Rand all: „History of the Zoar society", Columbus, Ohio
Gronau, Deutsches Leben in Amerika. 40
— 626 —
1900 dienen. — Die deutschen Kommunistengemeinden in Iowa beschrieb
Eiboeclc in seiner „Geschichte der Deutschen von Iowa"; ferner Karl
K n o r t z in dem Heftchen „Die wahre Inspirationsgemeinde in lowa"^
Leipzig 1896.
Staatenpläne: Über die Pläne zur Gründung deutscher Staaten im
Westen der Union orientieren die Schriften „Festausgabe zum 50jährigen Ju-
biläum der deutschen Kolonie Friedrichsburg", Fredericksburg, Texas, 1896.
— „Kritik der Geschichte des Vereins zum Schutz der deutschen Auswandrer
nach Texas", Austin 1894. — J. Meusebach: „Answer to Interrogatories
in case No. 396", Austin 1894. — Penniger: „Geschichte des Mainzer
Adelsvereins". — Die Geschichte der deutschen Ansiedlungsgesellschaft von
Philadelphia wurde von Gustav Körner in: „Das deutsche Element in
den Vereinigten Staaten 1818—1848" besprochen.
Die politischen Flüchtlinge der deutschen Revolutionszelt. Eine Ge-
schichte der „Achtundvierziger" in den Vereinigten Staaten ist leider noch nicht
geschrieben worden. Wertvolles Material zu einer solchen lieferte aber
Gustav Körner in dem Buch : „Das deutsche Element in den Vereinigten
Staaten 1818—1848", Cincinnati 1879. — Auch Jakob Müllers: „Erinne-
rungen eines Achtundvierzigers", Cleveland, O., 1896; PhilippWagners:
„Ein Achtundvierziger", Brooklyn 1882; H. A. Rattermanns: „Gustav
Körner", Cincinnati 1902, sind reich an verwertbarem Material. Dasselbe gilt
von F. Kapps: „Aus und über Amerika", Berlin 1876, und Brunckens:
„German Political refugees in the United States during the period from 1815
bis 1860", Chicago 1904. — Endlich verdient noch erwähnt zu werden:
C. H e X a m e r : „A study of the causes of the great wave of German immigra-
tion of 1848 to 1852 and its results on German American poetry".
Der Anteil der Deutschamerikaner an den Kriegen der Vereinigten
Staaten Im 19. Jahrhundert. — Hier sind wir vor allem auf die offiziellen
Armeeberichte angewiesen. Über die heldenmütige Verteidigung des Forts
McHenry im Kriege 1812 — 1814 berichten ferner die Lokalgeschichten der Stadt
Baltimore. Desgleichen B. J. Lossings: „Pictorial field book of the war of
1812", New York 1868. — Ein Lebensabriß des Generals Johann A. Quitman,
eines der Helden des Mexikanischen Krieges, findet sich im „Deutschen Pionier"
des Jahres 1874. Ferner sind über denselben in folgenden Werken Notizen ent-
halten :Ch. Petersen: „The military heroes of the war with Mexico", Phila-
delphia 1858. — G. W. Kendall: „The war between the United States and
Mexico", New York 1851. — J. B. Thorpe: „Cur army at Monterey", Phila-
delphia 1847. — C. V. G r o n e: „Briefe über Nordamerika und Mexico und den
zwischen beiden geführten Krieg", Braunschweig 1850. — „Battles of Mexico,
containing an authentic account of all battles fought in that republic, until the
capture of Mexico, with a list of the killed and wounded", New York 1847. —
Über die Taten deutschamerikanischer Heerführer und Truppen während des
Bürgerkrieges enthält J. G. Rosengartens: „The German Soldier in the
— 627 —
Wars of the United States", Philadelphia 1890, zahlreiche, leider wenig geord-
nete Mitteilungen. — Eine gleichfalls nur einzelne Episoden des Bürgerkrieges
berücksichtigende Schrift ist W m. Voeke's: „Der deutsche Soldat im ameri-
kanischen Bürgerkriege", Chicago 1895, englisch 1899. — Über die Unruhen
in Missouri berichten : D. H e r 1 1 e : „Die Deutschen in Nordamerika und der
Freiheitskampf in Missouri", Chicago 1865. — A. Krüer: „Der Aufstand in
Missouri 1862". — Biographien der Generäle von Steinwehr, Moor, Osterhaus,
Sigel, Stahel, Schurz, Weber, Weitzel, Wangelin, Bohlen, Schimmelpfennig u. a.
finden sich in verschiedenen Jahrgängen des „Deutschen Pionier", der „Deutsch-
amerikanischen Geschichtsblätter" und des von R ü t e n i k geschriebenen Buches
„Berühmte deutsche Vorkämpfer für Fortschritt, Freiheit und Friede in Nord-
Amerika", Cleveland, O., 1888. — Generalmajor Franz Sigel veröffent-
lichte in dem von ihm während der neunziger Jahre herausgegebenen „New
York Monthly" Denkwürdigkeiten, die später auch in Buchform erschienen.
Das wichtigste Quellenwerk für die Lebensgeschichte von Karl Schurz sind
natürlich seine „Reminiscences of a long life", welche zuerst im Jahre 1906 in
dem in New York erscheinenden „McClures Magazine", später auch in Buch-
form herausgegeben wurden. Eine deutsche Ausgabe erschien in Berlin. —
Von hohem Wert für die Geschichte der Deutschamerikaner im Bürgerkrieg sind
auch folgende Regimentsgeschichten: G. Struve: „Das 8. Regiment New
Yorker Freiwilliger und Prinz Felix Salm-Salm", Washington 1862. —
C. Grebner: „Die Neuner. Eine Schilderung der Kriegsjahre des 9. Regi-
ments Ohio Vol. Infanterie", Cincinnati 1897. — Ferner die nachstehenden, von
Teilnehmern am Kriege verfaßten Bücher; Fr. Annecke: „Der zweite Frei-
heitskampf", Frankfurt a. M. 1861 . — Otto Heusinger: „Amerikanische
Kriegsbilder. Aufzeichnungen aus den Jahren 1861—1865", Leipzig 1869. —
B. Domschke: „Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft", Milwaukee 1865.
— J. Scheibert: „Sieben Monate in den Rebellen Staaten", Stettin 1868. —
F. Mangold: „Der Feldzug in Nord-Virginien im August 1862", Hannover
1881. — R. Aschmann: „Drei Jahre in der Potomac- Armee oder eine
Schweizer Schützen-Kompagnie im nordamerikanischen Kriege", Richtersweil
1865. — A. Conrad: „Schatten und Lichtblicke aus dem amerikanischen
Leben während des Secessions-Krieges", Hannover 1879. — Über die viel-
besprochene Schlacht bei Chancellorsville besitzen wir außer den Dar-
stellungen, die Schurz in seinen „Reminiscences" lieferte, die äußerst wert-
volle Untersuchung des Oberstleutnant A. Ch. Hamlin, Historikers des
11. Armeekorps: „The Battle of Chancellorsville", Bangor, Maine, 1896. —
Über dieselbe Schlacht schreibt auch H. A. R a 1 1 e r m a n n im „Deutschen
Pionier" in einer Biographie des Generals von Steinwehr. — Dem ehemaligen
preußischen Reiterführer Heros von Borcke, der seinen Degen der kon-
föderierten Regierung angeboten hatte, verdankt man das wertvolle Buch:
„Zwei Jahre im Sattel und am Feinde". Es gibt ein überaus anschauliches
Bild von dem Leben und Treiben im südstaatlichen Heere. — Über die schwie-
40*
— 628 —
rige Lage Memmingers, des Schatzministers der südstaatlichen Regierung,
unterrichtet das von H. C a p e r s geschriebene Buch : „Life and Times of Mem-
minger", Richmond 1893. — Den Anteil des Admirals W. S. Schley an der See-
schlacht bei Santiago würdigt M. W i 1 c o x in seiner „Short history of the war
with Spain''. New York 1898. — Derselbe ist ferner im „Century Magazine" des
gleichen Jahres geschildert.
Der Einfluß der Deutschamerikaner auf die physische Entwicklung-
der amerikanischen Bevölkerung. Für die Geschichte der deutschen Tur-
nerei sind H. Metzners: „Geschichte des Nordamerikanischen Tumerbundes
1850 — 1873" und „Jahrbücher der Deutsch-Amerikanischen Turnerei", New
York 1891 — 1894, von bleibendem Wert. — Außerdem enthalten die schier zahl-
losen Festschriften, welche bei Jubiläen und Bundesturnfesten erschienen, eine
Fülle lokalgeschichtlicher Angaben. — Aufsätze über die turnerische Tätigkeit
der deutschen Professoren Karl Beck, Karl Folien und Franz Lieber finden sich
im 2. Heft der „American Physical Education Review" und im „Circular 5 des
National Education Bureau in Washington D. C". — Wichtige Angaben sind
femer in folgenden Schriften enthalten : E. M. Hartwell: „Physical Training",
Boston 1897. — Bureau of Education: „Physical Training in American Col-
leges", Washington 1883.
Der Einfluß des deutschen Erziehungswesens auf die Lehranstalten
der Vereinig-ten Staaten. Von den zahlreichen Werken über diesen Gegen-
stand seien genannt: R. Boone: „Education in the United States", New York
1890. — N. M. Butler: „Education in the United States". — H. Schön-
feld: „Quellen zur Geschichte der Erziehung in den Vereinigten Staaten",
Pädagogisches Archiv, 38. Jahrgang, Heft 9. — R. D u 1 o n : „Aus Amerika
über Schule, deutsche Schule, amerikanische Schule und deutsch-amerikanische
Schule", Leipzig und Heidelberg 1 866. — L. Viereck: „German instruction
in American schools", Chapt. XIV of the Report of the Commissioner of Edu-
cation for 1900—1901. Washington 1902. — H. Schurich t: „Geschichte
der deutschen Schulbestrebungen in Amerika", Leipzig 1884. — H. A. Rat-
te r m a n n : „Die deutsche Sprache in der amerikanischen Schule", „Deutscher
Pionier", 13. Jahrgang, Heft 5. — K. Francke: „Deutsche Cultur in den Ver.
Staaten und das Germanische Museum der Harvard Universität", in „Deutsche
Rundschau" 1902. — Über die amerikanischen Kindergärten berichtete Dr. Bar-
nard während der Jahre 1856 bis 1858 in seinem „American Journal of Edu-
cation". — KateWiggins verfaßte das Buch : „The Republic of Childhood".
— Felix Adler: „The moral Instruction of Children". — E. A. E. Shi-
r e e f f : „Moral training". — FriedrichFröbel: „The education of Man".
Der Anteil der Deutschen an der Entwicklung der amerikanischen
Industrie. Die meisten in jenem Abschnitt enthaltenen Angaben gründen sich
auf persönlich eingezogene Erkundigungen. An Quellenwerken seien außer-
dem genannt: J. L. Bishop: „History of American Manufactures, from
1608—1860", Philadelphia 1864. — T h. Lemke: „Geschichte des Deutsch-
— 62Q —
tums von New York von 1848 bis 1892", New York. — R ü t e n i k: „Berühmte
deutsche Vorkämpfer in Nord-Amerika", Cleveland 1888. — G. Körner:
„Das deutsche Element in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika« 1818 bis
1848", Cincinnati 1880. t
Der Anteil der DeutUehen an der Entwicklung- des amerikanischen
Verkehrswesens. Für die Geschichte des „Norddeutschen Lloyd" in Amerika
ist folgendes Schriftchen von Interesse: „Caspar Meier and his Successors",
printed for private circulation, New York 1890. — Ferner F. v. Halle:
„Amerika, seine Bedeutung für die Weltwirtschaft", Hamburg 1905. — Über
Hassler berichtete der „Deutsche Pionier".
Deutschamerikanische Techniker und Ingenieure. Geschichtliches
Material über dieselben findet sich hauptsächlich in den fachwissenschaftlichen
Zeitschriften des 19. Jahrhunderts. — Über Adolf Sutro schrieb Charles
I n g o m a r im Jahrgang 1879 des „Deutschen Pionier". Ferner C h. H. S h i n e
in: "The story of the mine", New York 1897. — Mitteilungen über Albert Fink
enthalten die „Transactions of the American Society of Civil Fngineers", femer
die Zeitschriften „Bridges", 1899 und„Stahl und Eisen", Düsseldorf 1899. — Der
Lebenslauf Henry Flads ist ebenfalls im Jahrgang 1899 der „Transactions of the
American Society of Civil Engineers" geschildert. — Über Johann August
Roebling sind außer in den bereits genannten Fachschriften Aufsätze im „Deut-
schen Pionier" und in biographischen Nachschlagewerken zu finden. Seine
reichen Erfahrungen im Brückenbau überlieferte Roebling der Nachwelt in
einem äußerst gediegenen Werke: „Long and Short Span Bridges". Es erschien
im Jahre 1869 in New York, bald nach dem Tode seines Urhebers.
Die deutsche Presse in den Vereinigten Staaten. Über das deutsch-
amerikanische Zeitungswesen schrieb U. Brachvogel einen Beitrag für das
Sammelwerk A. Tenners: „Amerika, der heutige Standpunkt seiner Kultur",
Berlin und New York 1886. — Angaben über Zahl und Charakter der einzelnen
deutschamerikanischen Zeitungen sind in den von Ayer & Son heraus-
gegebenen „American Newspaper Annais" zu finden.
Deutsche Gelehrte. Das Quellenmaterial über die deutschamerikanischen
Gelehrten ist nicht nur dürftig, sondern auch sehr verstreut. Über diejenigen
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden sich einzelne Nachrichten im
„Deutschen Pionier". Rattermann schrieb für denselben eine Biographie
des Botanikers G. Engelmann. A. Siemering lieferte eine ähnliche über
Lindheimer. — Nachrichten über Agassiz sind in verschiedenen biographischen
Lexika enthalten. Dem Andenken des Grafen Pourtales widmete Alexander
Agassiz das Buch : „Biographical Sketch of Louis Frangois de Pourtales".
— Frau E. C. Folien veranstaltete nicht nur eine Sammlung von Werken
ihres Gatten, sondern verfaßte auch dessen Lebensgeschichte, die unter dem
Titel: „Life of Charles Folien" 1846 in Boston erschien. — Mit dem Wirken
Franz Liebers beschäftigen sich die Schriften : „F. W. H o 1 1 s : „Franz Lieber,
sein Leben und seine Werke", No. 9 der vom „Deutschen gesellig-wissenschaft-
— 630 —
liehen Verein zu New York" herausgegebenen Vorträge, 1884. — L. R. Har-
ley: „Sketch of Francis Lieber", „Populär Science Monthly''. — F. von
Holtzendorff: „Franz Lieber, aus den Denkwürdigkeiten eines Deutsch-
Amerikaners", Berlin und Stuttgart 1885. — M. R. Thayer: „Life, Character
and Francis Lieber. A discourse delivered before the Historical Society of
Pennsylvania", Philadelphia 1873.
Die deutschamerikanische Dichtung- Im 19. und 20. Jahrhundert.
Sammlungen deutschamerikanischer Dichtungen existieren mehrere. Die erste
veranstaltete ConradMarxhausenin Detroit bereits im Jahre 1856 unter
dem Titel: „Deutsch-amerikanischer .Dichterwald". Ihr folgten im Jahre 1859
das in Philadelphia gedruckte „Schiller Album" und die 1870 und 1871 in New
York verlegten „Heimatsgrüße aus Amerika" und „Dornrosen". — Den ersten
Versuch zu einer chronologisch geordneten Übersicht unternahm G. A. Zim-
mermann in der vom „Germania Männerchor" zu Chicago herausgegebenen
Sammlung: „Deutsch in Amerika", Chicago 1892. In derselben sind über 160
deutschamerikanische Dichter des 17., 18. und 19. Jahrhunderts vertreten, viele
mit mehreren Beiträgen. Eine im Jahre 1905 von Gotthold A. Neeff ver-
anstaltete Sammlung : „Vom Lande des Sternenbanners" fügt den in den älteren
Sammlungen vertretenen Dichtern die Namen vieler neueren hinzu.
Deutsches Lied und deutscher Sang" in Amerika. Das Material zur
Geschichte der deutschamerikanischen Gesangvereine und Sängerbünde liegt in
zahllosen Festschriften verborgen, die gelegentlich der von solchen Vereinen
und Bünden gefeierten Jubiläen und Sängerfeste das Licht der Welt erblickten.
Manche dieser Festschriften sind von großem Wert. Die Geschichte des „Ersten
deutschen Sängerbundes von Nordamerika" schrieb H. A. Rattermann für
den „Deutschen Pionier". Der verdienstvolle J.F.Sachse machte das Musik-
leben des Klosters Ephrata zum Gegenstand eingehender Forschungen. Ihm
verdanken wir die Abhandlung: „The music of the Ephrata Cloister and Conrad
Beissels treatise on Music", in den „Proceedings of the Pennsylvania German
Society", vol. 12. — Über die Musik der Herrnhuter oder Mährischen Brüder
belehren die Sammlungen : „Moravian Tune Book", collected by C h. T. L a
Trobe, London 1867, sowie die „Official Tune Books and Hymn Tunes",
die in Gnadau und Bethlehem gedruckt wurden. Die Namen mancher deutsch-
amerikanischer Komponisten vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhun-
derts sowie Titel ihrer Werke sind in O. G. S o n n e c k s : „Bibliography of
early secular American Music", Washington 1905, genannt. Als Quellenwerke
zur Geschichte der neueren deutschen Musik in Amerika können folgende
Bücher gelten: L. F. Ritter: „Music in America", New York 1900. — W. L.
B. Matthews: „Hundred years of Music in America", Chicago 1889. —
J. C. Griggs: „Studien über die Musik in Amerika", Leipzig 1894. — „Die
Musik", Berlin und Leipzig, IV. Jahrgang, 1904/05. — H. E. K r eh b i 1: „The
Philharmonie Society of New York", New York 1892. — Manche dieser Werke
enthalten auch Material zur Geschichte des deutschen Theaters und der deut-
— 631 —
sehen Oper. Über letztere besitzen wir femer: H. C. Lahee: „Grand Opera
in America", Boston 1902, sowie H. E. Krehbils: „Chapters of Opera",
New York 1Q08.
Deutschamepikanische Künstler, Bildhauer und Architekten. Ein
Versuch, die Tätigkeit der in den Vereinigten Staaten ansässig gewordenen oder
geborenen Künstler deutscher Abstammung zu schildern, wurde bisher nie
unternommen. Der Forscher ist auf dürftige, in allerhand Magazinen verstreute
Angaben angewiesen. Kurze Biographien Emanuel Leutzes, Weimers und
Albert Bierstadts brachten der „Deutsche Pionier" und H. T u c k er m an n's:
„Book of the Artist", New York 1867. Über Weimer ist außerdem ein von
William R. Hodges verfaßter Aufsatz im 2. Band der „American Art Review"
zu finden. Dieser Aufsatz wurde im Jahre 1908 durch Charles Rey-
mershoffer in Galveston, Texas, in Buchform und mit zahlreichen An-
merkungen und mehreren Illustrationen versehen, herausgegeben. Die „Ameri-
can Art Review" bringt in den Nummern 13 und 14 des Jahrgangs 1880 einen
Aufsatz von McLaughlin über mehrere Cincinnatier Künstler der Münchener
Schule. — Die in München erscheinende „Kunst unserer Zeit" würdigte das
Schaffen des in Milwaukee geborenen Karl Marr. Über den Maler Peter Roth-
ermel finden sich Angaben im Jahrgang 1904 des „Pennsylvania German". —
Über die Erbauer der Kongreßbibliothek zu Washington berichten: „Die
deutsche Bauzeitung", XXXIl. Jahrgang, Berlin 1898. — „Architecture and
Building", vol. XXVI 1897, New York and Chicago. — H. S m a 1 1: „Handbook
of the New Library of Congress in Washington", Boston 1897.
Ehrendenkmäler des Deutschamerikanertums. Das Material für die
Geschichte der in den Vereinigten Staaten bestehenden „Deutschen Gesell-
schaften zum Schutz der Einwandrer" ist in den Jahresberichten derselben ent-
halten. Sehr eingehend behandelte Oswald Seidensticker die Ge-
schichte der „Deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien" in einer 1876 in
Philadelphia erschienenen Festschrift. Eine ähnliche umfassende Arbeit über die
„Deutsche Gesellschaft der Stadt New York" lieferte Anton E i c k h o f f als
Anhang zu seinem Buch: „In der neuen Heimat", New York 1884. — Eine
Geschichte der „Deutschen Gesellschaft von New Orleans" hat den Professor
Hanno Deiler zum Verfasser.
Der Deutschamerikanische Nationalbund. Der Ursprung und die Ent-
wicklung des Deutschamerikanischen Nationalbundes wurden nach persön-
lichen Aufzeichnungen des Verfassers und den vom Bunde herausgegebenen
Jahresberichten dargestellt.
Außer den genannten Quellen wurden unzählige, in den verschiedensten
Tages- und Monatsschriften enthaltene Aufsätze und Nachrichten sowie per-
sönlich eingezogene Auskünfte benutzt.
Register.
Adler, Felix 361.
— Georg 367, 456.
von Adlerberg 517.
Agassiz, Alexander 449.
— Ludwig Johann Rudolf 448.
Ahrens, F. X. 515.
Albany Chemical Works 408.
d'Albert, Eugen 513.
Albrecht, Heinrich 141.
— Jacob 149.
— Karl 402.
Altgeld, Johann 336.
Althaus 459.
Alvary (Achenbach), Max 524.
Amberg, Gustav 518.
Amman, Jacob 75.
Ammen 314.
Anheuser, Eberhard 393.
Anschütz, Georg 259, 382.
— Karl 523.
Arendt, Baron 188.
Arens, Franz Xaver 512.
Arensburg, Karl Friedrich von
112.
Arets, Lenert 52.
Armstadt, Georg 309.
— Johann 309.
Armbrüster, Anton 143.
Arnold, Richard 513.
— (Fabrikant) 406.
— (Violinist) 550.
Asmus, Georg 489.
Astor, Johann Jakob 274, 382,
583, 584.
aus der Ohe, Adele 513.
Ax, Christian 399.
de la Badie 70.
von Bahr, Hermann 449, 564.
Bär, Georg 336.
Baer, George F. 409.
— Jakob 458.
— Wilhelm 456.
— W. J. 546.
Baerer, Henry 560.
Baldwin, J. E. 377.
Ballinger, Richard Achilles
337.
Bandelier, Adolf Franz 450.
Bandmann, Daniel 518.
Baraga, Friedrich 450.
Barkany, Marie 519.
Barnay, Ludwig 519, 520.
Barsescu, Agathe 520.
Barthold, Richard 336.
Bassemüller, Detmar 383.
Battle & Renwick 408.
Bauer, Louis Agricola 456.
Baum, Martin 258, 382.
Baumfeld, M. 521.
Baur, Theodor 567.
Beaver, John A. 336.
Bechtle, Heinrich 258.
Beck, Johann A. 515.
— Dr. Karl 312, 350, 357, 456.
Becker, Georg Ferdinand 449.
— H. K. 456.
— Samuel 458.
Bedinger, Heinrich u. Georg
Michel 186.
van der Beck, Paulus 42.
Beerwald, Heinrich 515.
Behrend, Bernhard A. 440.
Behrens, Konrad 525.
Behrle, Friedrich 22L
Beissel, Konrad 76, 145, 514.
Belmont, August 410.
Benignus, Wilhelm 496.
Benner, Phillipp 383.
Berchelmann, Adolf 268.
Berendt, Karl Hermann 450.
Bergmann, Karl 506, 507,513,
523.
Beringer 377.
Berkenmeyer, Wilhelm
Christoph 147.
Berland 447.
Berliner, Emil 440.
Bernhardt 525.
Berolzheimer, Heinrich 408.
Bertsch, Hugo 465.
Bessels, Emil 449.
Best, Jakob 394.
— Philipp 394.
Bettmann, Bernhard 497.
Beutenmüller, William 449.
Beyer, Georg Eugen 449.
Bien, Julius 409.
Bielfeld, Heinrich A. 486.
Bieringer 380.
Bierstadt, Albert 533, 538.
Bigler, William 336.
Bischoff 525.
Bitter, Karl 561.
Blättermann, Georg 456.
Blair 215.
Blass, Robert 526.
Bleickers, Johann 52.
Blenker, Ludwig 313, 314, 322.
von Blessing, Louis 314.
Bloomfield-Zeisler,Fanny 513,
Blum, Robert F. 542.
Blumenschein 552.
Boas, Emil L. 417.
— Franz 451.
Böhm, Anton 143.
Börnstein, Heinrich 497.
633 -^
Böttcher, Dorothea 465, 494.
Bohlen, Heinrich 310, 314,
325.
Bolander 447.
Bolaus, Daniel 221.
Bolza, Oskar 456.
Bolzius, Johann Martin 83.
Bonn, Ferdinand 520.
Bonzano, Adolf 429.
von Borcke, Heros 326.
Bouquet, Heinrich 161, 164.
Brachvogel, Udo 465, 477.
Brandeis, Friedrich 515.
Brandt, H. G. 456.
— Karl L. 546.
— Marianne 523, 524.
Bredt, F., & Co. 408.
Brehm 150.
Brema, Marie 525.
Brentano, Lorenz 336, 441.
Brill, G. Martin 385.
Brouck, Johann 336.
Bruch, Max 513.
Brück, Julius 497.
Brühl, Gustav 450, 463, 481,
497.
Brumken, Ernst 463.
Buberl, Caspar 560.
Buchwalter, Johann 383.
von Bülow, Hans 513.
Büttner 90.
Bundschu, Jakob 377.
Bunsen, Georg 268.
— Gustav 267.
Burgeß, John W. 361.
Burgstaller, Alois 526.
Burkhardt, Hermann 376.
Burrian, Karl 526.
Busch, Adolphus 393.
Buschbeck, Adolf 314, 320.
Butz, Kaspar 472, 479, 496.
Candidus, Wilhelm 525.
Capelle, Robert 417.
Cassel, Daniel 463.
Castelhun, Friedrich 496.
Chadwick, George W. 515,516.
Christians, Rudolf 520.
Christiansen, Hendrik 11.
Claasen, Arthur 515.
das, Alfred C. 576.
Clemens, Robert 462.
von Closen - Haydenburg,
Ludwig 243.
Cohnheim, Max 497.
Collitz, Hermann 456.
Columbus, Christoph 3.
Conrad, Friedrich 336.
— Timothäus 449.
Conried, Heinrich 518, 520.
Cotrelly, Matilde 518.
Craemer, Wilhelm 144, 356.
Crcllius, Joseph 143.
Creutzfeld 447.
Cromberger, Johann 41.
Gronau, Rudolf 463, 464, 466,
546, 551.
Güster (Küster), George A.
328.
von Gustine, Adam Philipp,
Graf 242.
Dänzer, Karl 441.
Damrosch, Frank H. 512.
— Leopold 507, 523.
— Walter 507, 508, 525.
Dapprich, Emil 367.
Davison, Bogumil 518.
Decker & Sohn 405.
Deckhardt 141.
Deiler, J. Hanno 456, 463.
Delemos & Cordes 577.
Delitzsch, Friedrich 367.
Dengler, Franz Xaver 560.
Denman, Mathias 256.
Deppe 447.
Deuster, Peter V. 336.
Deutzer Gasmotorenfabrik
410.
Dicks, Peter 140.
Didier March Co. 410.
Dieckhoff 595.
DiePFenbach, Otto 407.
Dielmann, Friedrich 546.
Dierkens, Annie 520.
Diete, Peter 154.
Dietzsch, Emil 470.
Diffenderfer 458, 463.
Dilg, William 479.
Dilger, Hubert 320.
Dilthey, Karl 464.
Dimmew, Jakob 154.
van Dinklage, Dr. Lubbertus
42.
Dippel, Andreas 525, 528.
Dock, Christoph 150, 355.
Dohme, Louis und Karl
840.
Dolge, Alfred 405.
Dorner, Hermann 367.
Dorsch, Eduard 479.
Dossert, E. G. 515.
Douai, Adolf 367, 464.
Drescher, Martin 496.
Dresel, Friedrich Otto]^464.
— Julius 377.
Drexel, Franz Martin 410.
Dreyfuß 377.
Dubbs, Martin 383.
Duden, Gottfried 265.
Dulon, Rudolf 367.
Dyck, Ernest 525.
Ebbing, Hieronimus 42.
Eberhardt, Max 496.
Eberle 458.
Eckert, Thomas T. 422.
Ege, Georg 140, 382.
— Michael 382.
Engel, Paul 181.
Engelmann, Adolf 314, 325.
— Friedrich 267.
— Georg 447.
— Peter 368.
Engels, Georg 520.
Ehninger, John 546.
von Ehrenberg, Hermann
282.
Ellmenreich, Franziska 518.
von Ellsner, Marie 529.
Ellwanger, Georg 375, 583.
Eiboeck, Joseph 463.
Eichberg, J. 515.
Eichholz, Jakob 530.
Eickemeyer 440.
EickhofF, Anton 336, 463.
Eidlitz, Otto 577.
Eigenmann, Karl H. 449.
Eilers, Anton F. 425.
Eisfeld, Theodor 506.
Eppelheimer 420.
Ernst, August Friedrich 456.
— Friedrich H. 497.
von Esebeck, Eberhard 242.
Ettwein, Johann 94.
Ewers, John 546.
— 634
Faber, Eberhard 408.
Fabricius, Jakob 42.
Fabris, Amande 525.
Faesch, Johann Jakob 141, 382.
Fahnestock, Samuel 382.
Falkner, Justus 588.
Faust, Albert 456.
— Anton 593.
Federmann, Nikolaus 9.
Fellbaum, Georg 220.
Fendler 447.
Fern, Edna (Fernande Richter)
465, 487.
Fernow, Bernhard E. 379.
von Fersen, Axel, Graf 242.
Fetterman 328.
Fick, Heinrich 367, 479, 494.
Fiedler 513.
von Fielitz, Alexander 51 5.
Fink, Albert 420, 425.
Fischer (Gärtner) 380.
— Emil 524, 526.
— Richard P. 379.
Flad, Heinrich 426.
Fleischer-Edel, Katharina 528.
Fleming, A. B. 336.
Foerderer, Robert H. 336, 400.
Förster, Adolf 515.
Folien, Karl 31 1, 350, 357, 456.
Formes, Wilhelm 523, 525.
Francke, Kuno 359, 456, 475.
Franke, Gotthilf August 147.
Frankenberg, Karoline Louise
364.
Frankenstein, Gottfried 538.
Franklin, Benjamin 355.
Franser 447.
Frick, Henry C. 383.
Friederang, Max A. 546.
Friedländer, Julius Reinhold
459.
Friedrich 447.
Fritzsche, Gebr. 403.
Fröhlich 377.
Fuchs, Emil 546.
Füchsel, Hermann 538.
Fulda, Ludwig 367.
Fullenweider, Peter 220.
Funk, Wilhelm 546.
Gadsky, Johanna 501, 525.
Gail, G. W. 399.
Gatschet, Albert S. 451.
Gay, Walter 559.
Geib, Adam 142.
Geiger, Emilie 192.
Geißenhainer 382.
Geistinger, Marie 519.
Genee, Ottilie 521.
Gerber, Adolf 456.
Gericke, Wilhelm 507, 510,
511.
Gerke, Johann 546.
Gerstäcker, Friedrich 466.
Gerster, Etelka 501.
Geyer 447.
Gibson, Lauretta 583.
Giegold, Georg 479.
Giers, Gertrude 519.
Gillon, Alexander 190.
von Gilsea 310.
Gindele 423.
Gist (Geist), Christoph 154.
Gmelin 423.
Göbel, Gert 464.
— Julius 456, 463.
Görlitz 528.
Goldbeck, R. 515.
Goritz, Otto 525.
Gottschalk, Louis 515.
op den Graeff, Abraham und
Dirk 52.
von Graffenried, Christoph
101.
Grahamer, Joseph 479.
Gram, Hans 514.
Graupner, Gottlieb 506, 514.
Graves, Henry S. 379,
Greider, Margarethe 193.
Greß 595.
Grill, Friedrich 494.
Grözinger, G. 377.
Groll, Albert 546.
Gronau, Israel Christian 83.
Groß, Samuel 458.
Großmann, Maximilian 367.
Grubb, Peter 140, 382.
Grund, Franz Joseph 357, 456.
Gudehus 524.
Günther, Richard 336.
Guggenheim, Benjamin 386.
Gundlach, Jakob 377.
Gutherz, Karl 546.
Gutwasser, Johann Ernst 42.
de Haas, Karl 479.
Haase, Friedrich 518.
Habelmann, Theodor 523,
525.
Haberland, Paul 407.
Hadley, Arthur 361.
Hager, Johann Heinrich 101.
Hagner 314.
Hagen, A. 449.
— Peter Albrecht 514.
Hahn, Michael 336.
Haidt, Johann Valentin 530.
Haldeman, Samuel 447.
— W. 382.
Hamann, Eduard 517.
Hamburg- Amerikanische
Paketfahrt-Aktiengesell-
schaft 412.
von Hammer 459.
Hammer, Johann 383.
Hammerstein, Oskar 528.
Hardenbergh, Henry J. 577.
Hartmann, Johann Adam 221.
Hartranft 463.
— Johann Friedrich 314, 336.
Harttafel 142.
Hartweg 447.
Hartwich, Hermann 559.
Hasenclever, Petir 140.
Hassaurek, Friedrich 441,464.
Hassendeubel, Franz 314, 325.
Hassler, Ferdinand Rudolf
419.
— Simon 515.
Hastreiter, Helene 525, 529.
Hauck, Minnie 526, 529.
Haupt, Hermann 424.
Hausegger, Nikolaus 188.
Hauser, Karl 496.
Havemeyer, Familie 386.
— H. O. 583.
Hazelius, Ernst Ludwig 455.
Heber, Carl 564.
Hecker, Friedrich 314, 320,
351.
Heckewelder, Johann 94, 450.
von Heer, Bartholomäus 190.
Heermann, Hugo 513.
Hehl, Elise 518.
Heidelbach 410.
Heimbach, David 382.
Heinemann 409.
— 635
Heinrich von Preußen, Prinz
599.
Heinz, Heinrich J. 394.
Heinze, F. Augustus 385.
— Karl 441.
Heinzelmann, Samuel Peter
310, 314.
Heinzen, Karl 305, 444, 464,
497.
Heis, Marie 191.
Heister, Familie 189.
— Gabriel 382.
— (Hiester), Joseph 336.
Heitzmann 460.
Helfenstein, Ernst (Architekt)
576.
— (Pastor) 183.
Helfrich, Samuel 382.
Heller, Otto 456.
— & Merz 408.
Helm, Leonhardt 190.
Helmuth 144, 185.
Hempstead, O. G., & Sohn
416.
Hench, Georg 456.
Henningsen, Carl Friedrich
326.
Henrici, Ernst 496.
Henschel, Georg 507, 510,
511.
Hense, Wilhelm 463.
Hensen, Johannes 475.
Hercheimer, Johann Jost 159.
— Nikolas 182, 196.
Hereus, W. C. 408.
Herf & Frerichs 408.
von Herff 459.
Hering, Konstantin 459.
Hermann, August 147.
— Familie 52.
— Georg 497.
— (Theaterdirektor) 518.
Herreshof, Karl Friedrich 419.
H( rrman, Augustin 42, 446.
Hertel, Gebr. 577.
— Martin 154.
Hertz, Alfred 525.
Hesse, Georg 560.
Hexamer, Dr. Charles John
609.
Heyden Chemical Works 408.
Heyder 447.
Hildebrandt, Alfred Walter
487.
Hilgard (Botaniker) 447.
— Eugen Waldemar 449.
— Theodor 267.
Hill, U. C. 506.
Hillegas, Michael 195.
— Peter 181.
Hillgärtner, Georg 441.
Hilprecht, Hermann V. 451.
Hilyard 377.
Hinrichs, Gustav 525.
Hirsch 406.
Hopf 447.
Hötzsch, Otto 367.
HofFacker, Bertrand 496.
Hoffmann, Franz 336.
— Julius 475, 477.
— R. 515.
— William S. 451.
Hoffmannsegg 447.
Hofmann, Joseph 513.
Hofpaur, Max 520.
Hohlfeld, A. R. 456.
Holland 143.
von Holleben 598.
Hollenbach 218.
Hüllender, Peter 22.
von Holst, Hermann Eduard
455.
Holt, Alfred 417.
Holtzklau, Johann 102.
Horkel 447.
Hörn, Georg H. 449.
Hornbostel 575.
von Hoym, Otto 517.
Hubel, Henni 473.
Huber, Johann 139.
Hudson River Aniline&Color
Works 408.
Hülse, Gotthoid 187.
Humrickhausen 458.
Hundt, Ferdinand 477.
Husman, Georg 376, 377.
Huß, Hermann 48S.
von Hütten, Philipp 9.
Huygen, Johann 42.
Ikelheimer & Co. 410.
International Ultramarine Co.
408.
Irschick, Magda 518.
Jacobi, Abraham 459, 460.
Jacoby, Josephine 526.
Jäger, Georg 254.
Jägers, Albert 564, 568.
von Jagemann, Karl Günther
456.
Jakobs, Benjamin 383.
Janauscheck, Fanny 519.
von Januschowsky, Georgine
519.
Juch, Emma 525, 526.
Jüngling 409.
Jungmann, Johann Georg 94.
Junkermann 519.
Joseffy, Rafael 513.
Kainz, Joseph 519.
Kaiser, Ephraim 560.
von Kalb, Johann 222.
Kalteisen, Michael 189.
Kalle & Co 410.
Kapp, Friedrich 463.
Kappes, Alfred 546.
Karsten 407, 456.
Karthaus, Peter 382.
Kaufmann, Theodor 541.
Kautz, August V. 314, 324.
Kayser, Julius 402.
Keller, Mathias (Komponist)
515.
— (Maler) 549.
Kelley, Edgar Stillman 515,
516.
Kellner, Gottfried T. 441,600.
Kelpius, Johann 71, 145.
Kemp, W. H. 458.
Keppler, Joseph 337, 552.
Keurlis, Peter 52.
Kichlein 189.
Kiefer 459.
Kierstede, Hans 42.
Killing, Adolf 515.
Kirchhoff, Theodor 464, 493,
497.
Klauprecht, Emil 463.
Klaus (Clous), Johann Walter
329.
Klein, Bruno Oscar (Kom-
ponist) 515.
— (Orgelbauer) 142.
Klepper, Max F. 551.
Klipstein, A., & Co. 408.
— 636 —
Klomann, Andreas u. Anton
383.
Klotsch 447.
Knaak, Wilhelm 519.
Knabe, Wilhelm 402.
Knapp, Hermann 459.
Knauth, Nachod & Kühne
210, 419.
Kneisel, Franz 513.
Kniep, Karl 492.
Knobelsdorff 314.
Knortz, Karl 464.
Knote, Heinrich 526.
Kobusch, J. H. 385.
Koch, H. C. 576.
Kocherthal, Josua von 99.
Köhler 377.
Körner, Gustav 267, 336, 463.
Kogel, Gustav 513.
Koltes, Johann A. 314, 325.
Konti, Isidor 563.
Koppel, Arthur 410.
Krämer, Heinrich 367.
Krakowitzer, Ernst 459.
Kramer 447.
Kranich & Bach 405.
Kraus (Crouse), Johann 584.
Krause, H. 380.
Krebs, Marie 513.
Krehbiel 459.
Kreischer, Balthasar 408.
Kreisler, Fritz 513.
Kreutzer, Karl 456.
Krez, Konrad 314, 471.
Kroeber, Alfred L. 451.
Kroger, E. R. 515.
Kronberg. Louis 549.
Krüll, Gustav 409.
Krug, Karl 377.
Küffner, William C. 314,
324.
Kühne, Friedrich 419.
Kühnemann, Eugen 361.
Kuhn (Botaniker) 447.
— Adam (Mediziner) 458.
Kuhns, Oskar 463, 586.
Kuirlis, Peter 52.
Kunders, Tünes 52.
Kuntze, Edward 546.
— Johann Christoph 144.
Kunwald 513.
Kunz, George Frederick 449.
Kurtz 139.
Kutschera 525.
Lachmann 377.
Ladenburg 410.
La Fevre, Philipp 141.
Laiboldt, Bernhard 324.
Lange, Friedrich 459.
Langenberg 377.
Lankenau, Johann B. 583.
Larkin & Scheffer 408.
L'Arronge 518.
Lauck, Peter 187.
Laufkötter, August 282.
Launitz, R. 546.
Lauth, Bernhard 382.
Lederer, Johann 43, 446.
Leffler, Georg u. Jakob 220.
Lehmann, G. W. 407.
— Lilli 501, 524.
Leidy, Joseph 458.
Leiper, Thomas 420.
Leisler, Jakob 27.
von Lengerke-Meyer, Georg
336.
Lenning, Chas., & Co. 408.
Lensen, Jan 52.
Leonard, Helene Louise 529.
— Rudolf 361.
Leutze, Emanuel 533.
Lexow, Charles K. 581.
— Friedrich und Rudolf 441,
464.
Leyendecker, Joseph 552.
Leyh, Eduard 441, 465.
Lieber, Franz 311, 350, 357,
451, 479.
— Norman 455.
Liebig, Gustav 407.
Liebling, Emil 513, 515.
Lichtmay, Ines 523, 525.
Lienau, Detlef 569.
Lindemann, Wilhelm 402.
Linder, Henry 564, 568.
Lindenthal, Gustav 438.
Lindheimer, Ferdinand Jakob
447.
Link 447.
List, Friedrich 455.
Littauer, Gebr. 402.
Lochemes, Michael 479.
Lochmann, Pastor 135.
Loeb, Julius 551.
Löher, Franz 463.
Löser, Paul 441.
Lohmüller, Joseph 561.
Lorenz, Julius 515.
— Karl 496.
Lucca, Pauline 501, 218, 523,
Ludewig, Hermann Ernst 450.
Ludlow, Israel 257.
Ludwig, Christoph 181, 193,.
214.
Luken, Jan 52.
Lützenburg, Aloys 459.
Lugger, Otto 449.
Lukemann, Henry August 564,
Lukens, Karl 383.
Lutz, Johann 456.
Lux 378. ,-.^- Mv?.
Luyken, Jan 52. J . '
Lyon 315.
Maaß, Leopold 336.
— Louis 513.
Mac Dowell, Edward 515, 516,
Mack 90.
Mahler, Gustav 513.
Mallinckrodt Chemical Works
408.
Mannhardt, Emil 586.
Mansker, Kaspar 221, 254,
Maretzek, Max 523.
Martiny, Philipp 568.
Martyr, Peter 3.
Marx & Rawolle 408.
Mason, William 513.
Materna, Amalie 501, 510,^
523, 526.
Mathies, Karl Leopold 312^
314.
Matkowsky, Adalbert 519.
Mattfeld, Marie 526.
Matzka, Georg 513.
Manch, Max 564.
Mayr, Lina 519.
Mehrlin, Thomas 154.
Mehlig, Anna 513.
Meier, Adolf 382, 420.
Meinen, Franz 560.
Melchers, Gari 559.
Melsheimer, Friedrich Valen-
tin und Friedrich Ernst
446.
— 637 —
Memminger, Karl Gustav 420.
— Gustav Gh. 326.
Menzel 447.
Mergenthaler, Ottomar 445.
Merz, M. 515.
Mesch, Elisabeth 474.
Methua-Scheller 519.
Metz, H. A. & Go. 408.
Metzger 447.
de Meyer, Nikolaus 42,
Meyer, Conrad 402.
Meyers, Jakob 259.
— Wilhelm 336.
Meylin, Martin 141.
Meytinger, Jakob 190.
Michel, Franz Ludwig 101.
Michels, Friedrich 493.
Miller (Viehzüchter) 378.
— Heinrich, 143, 183.
— Peter 143.
Milteaburger 458.
Minnewit, Peter 12.
Mittelberger, Gottlieb 1 18, 142.
Mitterwurzer, Friedrich 519.
Möllhausen, Balduin 466.
Moench, C. 400.
Mohr (Moor), August 310,
314.
Mollenhauer, Eduard 515.
Moran-Olden, Fanny 524.
Morgan, Daniel 186
Mosenthal, Joseph 513.
Mosler, Henry 553.
Muck, Karl 513.
Mühlenberg, Friedrich August
332, 335.
— Gotthilf Heinrich Ernst
447
— Heinrich Mechior 148.
— Peter 181, 205, 336
Mühlmann, Adolf 526.
Müller (Holzschneider) 409.
— Jakob (Siedler), 220.
— Nikolaus (Abgeordneter)
336.
— W. (Architekt) 380
— Wilhelm (Dichter) 482,497.
— Wilhelm (Fabrikant) 382.
Müller-Ury, Adolf 546.
Münch, Friedrich 463.
Münsterberg, Hugo 456, 457,
496.
Muschenheim, William G. u.
Frederick A. 594.
Nagel, Charles 337.
Nahl 552.
Nast, Thomas 337, 538.
— Wilhelm 456, 589.
Neering, Heinrich 142.
Nehlig, V. 542.
Nehrling, Franz 449.
Neue Photographische Gesell-
schaft 410.
Neuendorf, Adolf 518, 523.
Neuheuser (Nihiser) 458.
Neumann, Johann Nepomuk
447.
Nicolai, Johanna 496,
Niedringhaus, Wilhelm F. u.
Friedrich G. 385.
Niehaus, Charles 568.
Niemann, Albert 501, 524.
— -Raabe, Hedwig 519.
Nies, Konrad 472, 483, 497.
Niesvanger, Peter 221.
Nikisch, Arthur 511.
Nitschmann, David 86.
Noegerath 459, 460.
Norddeutscher Lloyd 412.
Nordheimer, Isaak 456.
Nordhoff, Karl 465.
Nutter, Johann 190.
Ocean Steamship Navigation
Company 412.
Odilon, Helene 520.
Oelrichs & Co. 415.
Ohr, C. H. 458.
Opdyck, Gysbert 42.
Ortel, Maximilian 456.
Ortmann, Arnold 449.
Osterhaus, Peter Joseph 314,
315.
Osthaus, Edmund H. 550.
Ostwald, Wilhelm 361.
Ottendorfer, Anna 583.
— Oswald 441, 583
Otterbein, Philipp Wilhelm
149, 589.
Ottmann 409.
Pabst, Friedrich 394, 584.
— Gustav 394.
Pagenstecher, A. 444.
Paine, John Knowles 515.
Pannebäcker s. Pennypacker.
Panzner, Carl 513.
Pape, Erich 552.
Pappenheim, Eugenie 523,526.
Parker, Horatio 516,
Pastorius, Franz Daniel 51,
446.
Paulus, Christoph 560.
Pauly, Peter J. 385.
Paur, Emil 507, 511.
Peabody, Francis G. 360.
Pelz, Paul Johannes 569.
Penck, Albrecht F. 361.
Penn, William 50.
Pennypacker (Pannebäcker),
Familie 313.
— G. 314.
— Samuel W. 336, 463.
Pepper, William 458.
Petersen Bielefeld, Peter 42,
Pettrich, Ferdinand 560.
Petzet, Walter 515.
Pfeiffer 447.
Pfenning, Ernst 407.
Pfister, Guido 400.
Pfizer, Charles & Go. 408.
Pieper, A. 380.
Philipp, Adolf 497.
Pilat, B. 380.
Piper, Konrad 383.
Pitcher, Molly 191.
Poehlmann, Johanna 526,
Pöschel, Michael 376,
Poselger 447,
Possart, Ernst 519.
Post, Christian Friedrich 161.
Posiel, Karl (Charles Seals-
field) 466.
Poth, F. A. 583.
Potthast, Edward 546.
von Pourtales, Ludwig Franz
448.
Power, Weightmann & Rosen-
garten Co. 408.
Prang, Louis 409.
Precht, Viktor 496.
Pretorius, Emil 441,
Printz von Buchau, Johann 23.
Probst, Johann 382.
Puchner, Rudolf 480, 497.
— 638 —
Quitmann, Johann Anton 310,
336.
Raab, Heinrich 456.
Rabenhorst 184.
Raddatz, Karl 456.
Rafinesque 447.
Raible, Marie 496.
Raine, Friedrich 441.
Raith, Julius 310, 314, 325.
Ralph, Paula 526.
Rapp, Johann Georg 284.
— Wilhelm 441.
Rappold, Marie 526.
Raster, Hermann 441.
Rattermann, H. A. 463.
Rau, Karl 450.
Rauch, Christian Heinrich 89.
— F. A. 456.
de Reczke,Jean u. Eduard 525.
Reichelsdorfer, Friedrich 157.
Reinhardt, B. F. 549.
Reis, Albert 526.
— Daniel 220.
Reisenauer 513.
Reisinger, Hugo 598.
Reisser 377.
Rentgen, Clemens 382, 383.
Retzius 325.
Reuling, Georg 460.
Reuss, Adolf 268.
— P. J. 496.
Rheinfrank 595.
Richards, Theodore W. 361.
Rising, Johann 24.
Ritner, Joseph 336.
Rittig, Johann 465.
Rittenhausen, David 143, 446.
Ritter, Friedrich Louis 466, 51 5.
Ritter-Götze 525.
Robinson, Adolf 523, 524.
Rock, Georg 140.
Rockefeller,Johann Peter409,
— John D. 409.
Roebüng, Johann August 385,
429, 583.
— Washington, A. 426, 435.
Rölker, Bernhard 456.
Römer 447.
Roeser, Matthaeus 141.
Roeßler 459.
— & Haßlacher 408.
Rohe 458.
Rohr, Mathias 479.
Roller, Emil 497.
Rominger, Karl 448.
Rommel, Gustav 477.
van Rooy, Anton 525.
Rose, J. H. 377.
Rosefeld, Bernhard 259, 262.
Rosenberg, W. L. 497.
Rosenstenge!, Wilhelm 456.
Rosenthal, Hermann 490.
— Moritz 513.
— Toby 554.
von Roth 459.
Roth, Filibert 379.
— Johannes 94.
Rothensteiner, Johannes E.
475.
Rothermel, Peter 541.
Rothmühl 525.
Rothrock, Dr. Joseph 379,447.
Royal Americans, The 161.
Rubens, Harry 602.
Rubinstein, Anton 513.
Ruckstuhl, F. W. 564.
Rübesamen, Friedrich 464.
Rüdemann, Rudolf 449.
Rümelin, Karl 376.
— Karl Gustav 455.
Ruepping 398.
Rütschi, David 336.
Rufner, Georg 221.
Rungius, Karl 549.
Rupp, Daniel 463.
Ruppelius, Michael 268.
Ruppert, Eleonore 583.
Ruppius, Otto 466.
Rush, Dr. Benjamin 138, 170,
175, 498.
Russell, Lilian 529.
Rutter, Thomas 139.
Ryan, Thomas 513.
Saar, Louis 515.
Sachs, Julius 367.
Sachse, Julius 463.
Salling, Johann 154.
Salm 447.
Salomon, Friedrich 314.
— Eduard 336.
— Karl Eberhard 314.
Sansewein 377.
Sauer, Emil 513.
Säur, Christoph 63, 146, 174.
— — der Jüngere 143.
Scaria 510.
Schaaf, Johann Thomas 458,
459.
von Schack, Georg 314.
Schäberle, Johann M. 456.
Schäfer 315.
— Alkaloid Works 408.
— Piano Co. 405.
Schaff, A. 564.
— Philipp 455, 462.
Schaffer (Schäfer), Franz 514.
Schaffmeyer, Adolf 465.
Schandein, Emil 394.
Scharwenka, Xaver 513.
Scheer 447.
Scheff, Fritzi 525, 529.
— Wilhelm 106.
Scheffler, Wilhelm 377.
Scheib, Heinrich 367.
Schele, Maximilian 456.
Schell, Franz und Frederick
551.
— Johann Christian 219,
Sehern, Alexander Jakob 456»
— Peter 583.
Schenck, Dr. C. A. 379.
Scherer, Oscar 400.
Schieren, Charles A. 401.
Schiff, Jakob H. 410.
Schilling, Alexander 409, 546»
Schimmelpfennig, Alexander
314.
Schiras 314.
Schladitz 409.
Schlag, Hugo 496.
Schlatter, Dr. Karl 407.
— Michael 148, 184.
Schleicher, Gustav 336.
Schlenk 410.
Schley, Johann Thomas U5^
150, 329.
— Winfield Scott 329.
Schlitz, Joseph 394, 584.
Schlosser, Georg 181.
Schmauk 463.
Seh m ick 195.
Schmidel, Ulrich 9.
Schmidt (Architekt) 576.
— Carl E. (Fabrikant) 401.
— 639
Schmidt, Johann Heinrich
(Komponist) 514.
— Johann Wilhelm (Pastor)
184.
Schmitmeyer (Smithmeyer),
Johann L. 569.
Schmitt, Friedrich Albert 495.
Schmitz, Eugenie 518.
Schmöle, Wilhelm 376.
Schmucker, S. S. 456.
Schnake, Friedrich 496.
Schnauffer, Karl Heinrich 469,
496.
Schneider, Emil 496.
— Karl Konrad 429.
Schnetter, Joseph 459.
Schnively, Jakob 458.
Schnyder, Simon 336.
Schöllkopf, J. F. 401.
Schönberger, Georg u. Peter
383.
Schönfeld, Hermann (Gelehr-
ter) 456.
— H. (Komponist) 515.
Schönrich, Otto 367.
Schöpf, Alban 314.
Scholl 377.
Schott (Botaniker) 447.
— Anton 523.
— Arthur 449.
— Paul 215.
von Schrader, Alexander 314,
328.
Schrader, Georg H. F. 583.
Schramm, J. 377.
Schrank 447.
Schranz, A. 377.
Schratt, Kathi 519.
Schreewe 259, 262.
Schreiber, Ferdinand 497.
Schreyvogel, Charles 541.
Schriek, Paul 42.
Schriver 314.
Schröder-Hanfstängel 523.
Schuck, Michael 254.
Schuckert, Karl 449.
Schussele, Christian 538.
Schüttner 315.
Schultz, August 400.
— Fritz 410.
Schulze, Johann Andreas 336.
Schumacher, A , & Co. 416.
Schumacher, F. 394.
— Hermann A. 361, 463.
Schumann-Heink, Ernestine
501, 525.
Schunk, Francis 336.
Schuricht, Hermann 367, 463.
Schurz, Karl 311, 314, 319,
334, 337, 338, 378, 465, 599,
602.
Schwab, Charles 383, 584.
— Gustav H. 415.
Schwan, Friedrich 517.
— Theodor 328.
Schwarz, E. A. 449.
Schwarzschild 399.
Schweighofer, Felix 520.
von Schweinitz, David 447.
Schwerdkopf, Johann 375.
Schwerin, D. B. 464.
Seebach, Marie 519.
Seeböck, W. C. 515.
Seidensticker, Oswald 456,
463, 600.
Seidl, Anton 507, 510, 522, 524.
Seidl-Kraus, Auguste 523,
524.
Seligmann, E. R. <55.
— Isaak 410.
Selinger, Paul 546.
Sembrich, Marcella 525.
Seubert 447.
Seybert, Adam 336.
Sibbel, Joseph 560.
Siegel, Henry 410.
Sigel, Franz 314.
Silier, Frank 475, 479.
Singer, Otto 515.
Simens, Jan 52.
Simon, Menno 49.
— Dr. Wilhelm 407.
von Skal, G. 465.
Sloman, Robert 411.
Sodowsky, Anton 154.
Sohmer & Co. 405.
Solger, Reinhold 464.
— Rudolf 367.
Sombart, W. 367.
Sonnenthal, Adolf 519, 520.
Sonntag, Wilhelm 538.
Sontag, Henriette 501.
— Karl 519.
Sorma, Agnes 519, 520.
Spangenberg (Zeichner) 380.
— A. G. 86.
Speck von Sternburg 598.
Speier, A. 278.
Speyer, James 410.
Spicker, Max 515.
Spielter, Hermann 515.
Spinner, Francis E. 326.
— Johann P. 326.
von Spitzer 568.
Spreckels, Claus 387, 419, 584.
Stade, Hans 9.
Stahel, Julius 314.
Stallo, Johann Bernard 334,
336, 339.
Stamer 377.
Staudigl, Josef 523.
Stavenhagen 513.
Steck & Co. 405.
Stedmann 140.
von Stein, Albert 423.
Steiner, Franz 526.
— Ludwig u. Bernhard 456.
— Michael 221, 254.
Steinweg (Steinway), Heinrich
Engelhard 403.
von Steinwehr, Adolf 310,
314, 320.
Steinwehr, Christian 310.
Steinmetz, Dr. Karl Prome-
theus 440-
Steitz, Benjamin 256.
Steitzel, Robert 444.
Stengel, Georg 401.
Stern 377.
Sternberg, George M. 329.
Steuben, Friedrich Wilhelm
von 226.
Stiefel (Brauer) 584.
— (Lehrer) 150.
Stiege!, Friedrich Wilhelm
von 139.
Stieglitz, Alfred 549.
Stöhr, Eduard P. R. 406, 410.
Stöver 135.
Stollwerk, Gebr. 410.
Strauch, Adolf 380.
Straus, Oskar 337.
Strauß, Richard 513.
Strecker, Hermann 449.
Strepers, Wilhelm 52.
Strich & Zeidler 405.
640
Stricker, Johann 309.
Stritt, Albert 524.
Strobel, Charles S. 438.
Strübing, Philipp 190.
von Struve, Gustav 462.
van der Stucken, Frank 507,
512.
Sturenburg, Caspar 465.
Sucher, Rosa 525.
Sulzberger 399.
Sutro, Adolf 424, 584.
Sutter, Johann August 277.
Swearingen, J. 255.
Taloj (v. Jakob) 462, 467.
Tanneberger 142.
Taschemacher, Heinrich 283.
Taussig, Frank William 455.
Teilkampf, Johann 455.
Ternina, Milka 525.
Tewele, Franz 519.
Thalberg 513.
Thalmann & Co. 410.
Theiß, Johann W. 476.
Theissen, Reinert 52.
Thomann, Johann 377.
— Rudolf 497.
Thomas, Arthur 546.
— Theodor 507, 508.
Tietze 409.
Timm, H. C. 506.
Tisen, Reinert 52.
Toeplitz, Martha 496.
Topp, Alide 513.
Torges, A. 380.
Traut, Elise 593.
Treutlen, Adam 336.
Triebel, F. E. 564
Troost, Gerhard 447.
Trophagen, Wilhelm 42.
Tünes, Abraham 52.
Twachtmann, John Henry
546.
Uhl, Edward 583.
Uhle, Friedrich Max 450.
Uihlein, Gebrüder 394.
Ulffers, Hermann 426.
Ulke, Henry 449.
Ulrich, Charles F. 546.
Unger, Julius 522.
Urban, Henry 465.
Valentini, Philipp 450.
Veiten, Arthur 515.
Verona Chemical Works 408.
Vespucci, Amerigo 5.
Vianden, Heinrich 538.
Viereck, George Sylvester490.
Villard, Henry 420, 583, 584.
van Vleck, Tielmann 42.
Vogel, Friedrich 400.
Vogt 459.
Vollmer, Johann P. 374.
Vonderschmitt, Johan 141.
Wachsner, Leon 521.
Wachtel,Theodor501, 523,525.
Wagner, Johann Andreas 325.
— Louis 314.
Waiden, Harry 520.
Waldo, Samuel 113.
Waldseemüller, Martin 6.
Wallrat, Wilhelm 106.
Walther, Karl Ferdinand 588.
— L. F. 456.
Waltz, Peter 458.
Wanamaker (Wannemacher),
John 336, 409.
Wangelin, Hugo 314, 325.
Wangenheim 447.
Weber, Albert 403.
— Gustav C. 459.
— Karl Maria 282.
— Max 314, 325.
— Wilhelm 267.
Wehrum, Heinrich 385.
Weimer, Karl Ferdinand 533,
537.
Weingartner, Felix 513.
Weinmann, Adolf Alexander
563.
Weiser, Johann Konrad 106.
— Konrad 109.
Weisflog, Gebr. 407.
Weiß, Familie 595.
— (Lehrer) 150.
— Ludwig (Rechtsgelehrter)
122.
Weitzel, Gebrüder 221.
— Gottfried 314, 323, 426.
Weib, Ferdinand 521.
Wells, Wilhelm 221.
Weltner, Ludwig 188.
Wenckebach, Carla 593.
Wenzell, A. B. 546.
Werber, Mia 520.
Wernweg 423.
Wesselhöft,Johann Georg 441.
Wetzel, Johann 255.
— Ludwig 255.
Weyberg 184.
Weyerhäuser, Friedrich 408.
White, Andrew D. 598.
von der Wieden, Georg Ger-
hard 189.
Wiesenthal, C. F. 458.
Wilhelmj, August 513.
Willich, August 314, 320.
Winkel, J. 377.
Winkelmann 510.
Winkler, Willibald 464.
Winter, Joseph 491.
Wirt, Wilhelm 336.
Wislizenus, Adolf 447.
Wissner, Otto 405.
Wistar, Kaspar(Fabrikant) 139.
(Mediziner) 458.
Wister, Isaak 314.
Woerishoffer, Anna 583.
Wolf, Georg 336.
Wolff, Albert 470.
Wolsiefer, Mathias (Musiker)
499.
Wolsieffer (Weinbauer) 376.
Wonneberg 380.
Wülfing 410.
Wuest, Albert 549.
Zane (Zahne), Ebenezer 257.
— Elisabeth 192.
Zeisberger, David 93, 450.
Zeller, Christiana 220.
Zenger, Peter 178, 441.
Zerrahn, Karl 507, 510.
Ziegenhagen 147.
Ziegler, David 257.
Zimm, Bruno Louis 564.
Zimmermann, G. A. 367.
— Mathias 142.
von Zinzendorf, Graf Nikolaus
Ludwig 85.
Zipperlen, Adolf 459.
Zuberbühler, Sebastian 113.
Zundt, Ernst Anton 496.
Zweibrücken - Birkenfeld,
Christian u. Wilhelm 242.
DEUTSCHE BANK
BERLIN W.
Zentrale: Behrenstraße 9 — 13.
Zentralleitung der Depositenkassen : Mauerstraße 28.
AKtienkapital . . . 200000 000 Mark.
Reserven 103 699 000 MarK.
Im letzten Jahrzehnt (1899—1908) verteilte Dividenden: 11, 11, 11, 11, 11,
12, 12, 12, 12, 12^/0.
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Depositenkasse in Meißen,
FRANKFURT a. M.: Deutsche Bank Filiale Frankfurt, Kaiserstr. 16,
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KONSTANTINOPEL: Deutsche Bank Filiale Konstantinopel, Stambul, Basmadjian Han,
LEIPZIG: Deutsche Bank Filiale Leipzig, Rathausring 2,
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Eröffnung von laufenden Rechnungen. Depositen- und Scheckverkehr.
An- und Verkauf von Wechseln und Schecks auf alle bedeutenderen Plätze des
In- und Auslandes.
Akkreditierungen, briefliche und telegraphische Auszahlungen nach allen größeren
Plätzen Europas und der überseeischen Länder unter Benutzung direkter Verbindungen.
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etwa 1800 Stellen.
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von irgendwelcher Bedeutung.
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Bevorschussung von Warenverschiffungen.
Vermittelung von Börsengeschäften an in- und ausländischen Börsen, sowie Gewährung
von Vorschüssen gegen Unterlagen.
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Aufbewahrung und Verwaltung von Wertpapieren.
Die Deutsche Bank ist mit ihren sämtlichen Zweigniederlassungen und Depositen-
kassen amtliche Annahmestelle von Zahlungen für Inhaber von Scheck-Konten bei
dem kaiserl. königl. Österreichischen Postsparkassenamte in Wien.
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN) IN BERLIN SW48
Therese Prinzessin von Bayern, Dr. ph. h. c: Reisestudien
aus dem westlichen Südamerika, zwei Prachtbände von etwa
750 Seiten 8°, mit 6 Tafeln, 25 Vollbildern, 136 Textabbildungen und 6 Karten.
Elegant gebunden M. 20. — .
„. . . Vorangestellt ist dem Reisebericht aus Kolumbien ebenso wie jenem aus Ecuador, Peru, Bolivia und
Chile eine allgemeine Charakieristik des Landes, welche ebenso von Vertrautheit mit der einschlägigen Literatur
wie von der eigenen Beobachtung der hohen Verfasserin Zeugnis gibt. Besonders die ethnographischen
Schilderungen sind durch selbständige Darstellung und vorzügliche Abbildungen ausgezeichnet. Geradezu
erstaunlich ist die Gelehrsamkeit und Literaturkenntnis der Verfasserin in allem, was die biologischen Ver-
hältnisse betrifft; in diesen Abschnitten erhebt sich das Werk zum Charakter eines wissenschaftlichen Hand-
buches. Doch sind diese streng gelehrten Untersuchungen derart in den Reisebericht und die landschaft-
lichen Schilderungen verflochten, daß die Lektüre keineswegs ermüdend wirkt. Wahre Perlen landschaftlicher
Charakteristik, an Humboldts berühmte Naiurgemälde erinnernd, sind die Beschreibungen der Llanos, des
ecuadorianischen Urwaldes, der Atacamawüste u. a. . . ."
(Münchener Allgemeine Zeitung.) Prof. E. Oberliummer.
Von derselben Verfasserin ist früher erschienen:
Meine Reise in den brasilianischen Tropen. Ein Prachtband
von etwa 540 Seiten 8**, mit 2 Karten, 4 Tafeln, 18 Vollbildern und 60 Textabbildungen.
Elegant gebunden M. 14. — .
Prof. Dr. Hans Meyer: In den Hochlanden von Ecuador,
ChimboraZO, CotOpaxi usw. Reisen und Studien. 566 Seiten groß-8",
mit 3 farbigen Karten, 138 Abbildungen und 37 Tafeln. Elegant gebunden M. 15. — .
Hierzu: Bilder- Atlas. 24 farbige und 2 Lichtdruck- Großquarttafeln in eleganter
Leinwandmappe M. 75. -. Beide Werke zusammen bezogen M. 80.—.
„Seinem schönen Werke über den Kilimandjaro, den auf drei Reisen von ihm untersuchten und bestiegenen,
von Eis gekrönten Riesenvulkan ^6010 m) des tropischen Afrika (Dietrich Reimer [Ernst Vohsen], Berlin löOO:
Prof. Dr. Hans Meyer, Der Kilimandjaro. Reisen und Studien. Mit 4 Tafeln in Farbendruck, 16 Tafeln in
Lichtdruck, 20 Tafeln in Buchdruck, 2 farbigen Originalkarten und 103 Textbildern. Elegant gebunden
M. 25.—), hat Hans Meyer soeben ein nach Form und Inhalt monumentales Werk über die Schnee- und Eis-
regionen des ecuadorianischen Hochgebirges im tropischen Südamerika folgen lassen. Es ist die Frucht
einer im Sommer 1903 ausgeführten fieise, für welche der Münchener Maler Rudolf Reschreiter als Begleiter
gewonnen war. In den schönsten, regenärmsten und kühlsten Monaten des ecuadorianischen Hochlands,
Juni, Juli und August, dem sogenannten Verano, welcher von zwei wärmeren und regenreichen Perioden ein-
geschlossen ist, haben die Reisenden von den gewaltigen Vulkanen Ecuadors, die teilweise über 6O0O m
emporragen, den Chimborazo, Carihuairazo, Cerro Altar, Cotopaxi, Quinlindana und Antisana bef;angen und
untersucht, den Chimborazo (6310 m) sogar zweimal. Das ist eine sehr bemerkenswerte Leistung, welche
von der frischen Energie, von der das Unternehmen getragen war, Kunde gibt. Daß es sich dabei nicht um
flüchtige, rein sportliche Wanderungen handelte, lehrt die Fülle der mitgeteilten Beobachtungen und die
gleichzeitige Darbietung eines Anschauungsmaterials von ungewöhnlichem Reichtum."
(Süddeutsche Monatshefte.) Prof. Dr. Ericfi von Drygalski.
"rot. Dr. H. brdmann, Direktor des Anorganisch -chemischen Instituts der
Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin: Alaska, ein Beitrag zur Ge-
schichte nordischer Kolonisation. Bericht, dem Herrn Minister der geistlichen,
Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten erstattet. Mit 68 Voll- und Textbildern
und einer großen Karte von Alaska, Elegant gebunden M. 8.—.
,. . . Es ist ein Bericht des Direktors des Chemischen Institutes der Berliner Technischen Hochschule an
den preußischen Kultusminister, aber ein Bericht, der sich bei aller Wissenschaftlichkeit und bei aller Tat-
sachenfülle fast wie ein fesselnder Roman liest. Gäbe es doch mehr solcher amtlicher Berichte, und würden
doch ihrer mehr veröffentlicht! Erdmann hat auf früheren großen Reisen die Goldwäschereien und -berg-
werke im Ural, im Altai und in Ostsibirien, in der Nordmongolei, Mandschurei, Japan usw. kennen gelernt
und überall mitgearbeitet beim Aufbereiten der Erze und beim Waschen. Diese riesige Erfahrung zieht er
bei der Betrachtung und Schilderung der Alaska-Goldfelder überall zu Rat, was dem Buch einen großen Wert
und der Darstellung einen besonderen Reiz gibt. Nicht nur der Bergmann, Industrielle und Geolog, sondern
auch der Geograph, Nationalökonom und Politiker wird das Buch mit viel Gewinn und Genuß lesen."
(Tägliche Rundschau.) Prof. Hans Meyer.
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN) IN BERLIN SW 48
Max Josef von Vacano: Buntes Allerlei aus Argentinien.
Streiflichter auf ein Zukunftsland. Mit 36 Textbildern und einer großen Karte.
Elegant gebunden M. 10. — .
„. . . Was Vacano uns gibt, ist zwar , Buntes Allerlei', aber es hat den schwerwiegenden Vorzug, aus ur-
eigenster Anschauung des Verfassers zu entspringen, der mit offenem Auge einen großen Teil des mittleren
und nördlichen Argentinien bereist hat. Dieser Quelle seiner Kenntnisse über Argentinien entspricht auch
die Methode. An der Hand seiner Reisen führt uns der Verfasser Land und Leute vor. Gern folgen wir
dem kundigen Führer, der so anschaulich und lebendig zu schildern weiß . . ."
(Geographische Zeitschrift.)
Max Josef von Vacano und Hans Mattis: Bolivien in Wort
und Dlld. Aus seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Mit 113 Ab-
bildungen und einer Karte. Elegant gebunden M. 10.—.
„Die im vorliegenden Vi'erk behandelten Gegenden Südamerikas gehören zu denen, welche europäischen
Leserkreisen wenig bekannt sind; und doch ist Bolivien ein Gebiet, dessen erstaunliche mineralische Boden-
schätze, reiche PHanzenwelt und fast allen Kulturpflanzen der Erde günstiges, unendlich vielseitiges Klima
die Aufmerksamkeit weiterer Kreise in Deutschland vollauf verdienen. Beide Verfasser sind seit längerer
Zeit im Lande ansässig... Das Buch zerfällt in drei Teile: einen historischen Rückblick, elfKapitel
aus der Gegenwart Boliviens und Streiflichter auf die Zukunft des Landes. Der zweite Teil
ist der umfangreichste und gibt eine Übersicht über sämtliche Departements. Die Hotte Schilderung
orientiert im Fluge, ohne zu ermüden, und nimmt gelegentlich, wo eigene Erlebnisse in den Vordergrund
treten, eine novellistische Färbung an. Ausführlicher veiweilen die Verfasser bei den für Bolivien charak-
teristischen Industrien, der G u m m i gc wi n n u ng und dem Bergbau (Goldwäschereien, Silber-, Kupfer-
und Zinnminen), sowie bei den Überresten aus prähistorischer Zeit. Zum Schluß werden die
Verke h rs verh äl t n i sse und zurzeit bestehenden Bahnprojekte erörtert und daran anknüpfend zur
Kolonisation aufgefordert, die nach Ansicht der Verfasser, wenn sorgfältig vorbereitet und mit Unter-
stützung kapitalkräftiger Gesellschaften eingeleitet, außerordentliche Erfolge verspricht. (Weser-Zeitung.)
Albert Perl: Durch die Urwälder Südamerikas. Mit eo Illustrationen
im Text und einer Übersichtskarte. Elegant gebunden M. 8. — .
Die »Neue Freie Presse" in Wien nennt das vorliegende, reich illustrierte Werk das erste populäre Buch
über die großartigen Naturschönheiten und die gegenwärtigen Kulturzustände im Innern des südamerikanischen
Kontinents, dessen Inhalt ebenso belehrend wie anziehend und spannend ist.
Dr. Max Schmidt, Direktorial- Assistent am Kgl. Museum für Völkerkunde, Berlin:
Indianerstudien in Zentralbrasilien. Erlebnisse und ethnologische
Ergebnisse einer Reise in den Jahren 1900 bis 1901. 456 Seiten Lexikon-8". Mit
12 Lichtdrucktafeln und einer Karte. Gebunden M. 12. — , geheftet M. 10. — .
„. . . Jedenfalls hat er sich auch in den schlimmsten Lagen als trefflicher Beobachter bewährt. Vor allem
gelang es ihm, über die Soziologie, Familien- und Rechtsverhältnisse der besuchten Stämme überaus wichtige
Ermittelungen anzustellen und damit geradezu vorbildlich zu werden. Auch über industrielle Einzelheiten
der Technik läßt er sich eingehend aus. Für die Linguistik ist eine Darstellung der Guatosprache von
höchster Bedeutung . . . Die Ausstattung des Buches ist vortrefflich. Dankenswert sind besonders die zahl-
reichen schematischen Abbildungen zur Erläuterung technischer Einzelheiten."
(Petermanns Mitteilungen.)
Booker T.Washington: Vom Sklaven empor. Eine Selbstbiographie.
Autorisierte deutsche Übersetzung von Estelle du Bois-Reymond. Mit einem Vor-
wort von Ernst Vohsen. Geheftet M. 3. — .
Die Frage: Was können die Neger? und: Was können die Neger werden? ist eine Frage der Menschheit.
Daß sie Deutschland nahe angeht, liegt auf der Hand, schon weil es in Afrika gegen zwölf Millionen Neger
in seinen Schutzgebieten als Untertanen zählt; aber Deutschland hat schon zu Herders Zeit das tiefste und
wärmste Interesse für alle Humanitätsfragen gehegt, und die Zeit der Weltwirtschaft und der Weltpolitik kann
dieses Interesse nur vertieft haben. Hier liegt ein kleines Buch vor uns, worin ein Neger sein Aufsteigen
vom Sklavenkind zu einem der geistigen Führer seines Volkes erzählt. Es ist ein Buch, das hoffentlich viele
Leser findet. Wir wünschen ihm das nicht als äußeren Erfolg, sondern vor allem, weil wir uns freuen, daß
endlich in den langen Auseinandersetzungen über die Neger ein Mann dieser Rasse selbst das Wort ergreift;
das ist zwar schon früher dagewesen, aber sehr selten. (Die Grenzboten.)
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN) IN BERLIN SW 48
Dr. Wilhelm Lacmann: Ritte und Rasttage in Südbrasilien.
Reisebilder und Studien aus dem Leben der deutschen Siedelungen. Mit 12 Ab-
bildungen. Elegant gebunden M. 5. — .
„Wer sich über die Natur und Wirtschaftsverhältnisse der deutschen Kolonialgebiete Südbrasiliens zu unter-
richten wünscht, wird in den anschaulichen Schilderungen des Verfassers reiche Belehrung finden, zumal
sich seine Beobachtungen nicht nur auf die schon oft beschriebenen östlichen Kolonien von St. Catharina
und Rio Grande do Sul, sondern auch auf die neuen im Westen dieses Staates bei Cruz Alta und am oberen
Uruguay belegenen, namentlich die Hermann Meyerschen Privatkolonien Neu-Würitemberg und Xingu be-
ziehen, die durch rationelle Anlage und gute Leitung heute besondere Beachtung verdienen . . ."
(Petermanns Mitteilungen.)
M. Alemann; Am Rio NegrO. Drei Reisen nach dem argentinischen Rio
Negro-Territorium. Mit 90 Illustrationen, 2 Karten und einem Situationsplan. Elegant
gebunden M. 4.50, geheftet M. 3. — .
„In No. 316 schrieben wir, das Argentinien vorab nur für kapitalkräftige Gesellschaften in Betracht käme, die
den Schutz des Mutterlandes hinter sich hätten. Wir wiesen dabei auf die Engländer hin, die alle Dampf-
bahnen des Landes an sich gebracht haben. Unsere Ansicht haben wir inzwischen bestätigt gefunden in dem
Buch eines der besten Kenner Argentiniens, eines der Herausgeber des deutschen , Argentinischen
Tageblattes", der schon 33 Jahre in Argentinien lebt... Das Buch ist in heiterem Plauderton abgefaßt,
bringt viele humoristische Episoden und bietet damit eine anregende Lektüre. Mit einer
großen Anzahl bisher unveröffentlichter Originalaufnahmen bildet es eine Zierde jeder Bibliothek und
darf als eine Quelle reichhaltiger Belehrung empfohlen werden. Besondere Sorgfalt ist der
beigelegten Spezialkarte gewidmet worden, welche die allerneuesten Eisenbahn- und Kanalbauten, sowie ein
HöhenproHl des Talgeländes bringt, woraus das starke Gefälle des Schwarzen Stromes (Rio Negro) ersichtlich ist."
(Kölnische Zeitung, 14. April 1907.)
Dr. Wilhelm Schieß: Quer durch Mexico, vom Atlantischen zum
Stillen Ozean. Mit 55 Illustrationen und 16 Lichtdrucktafeln. Gebunden M. 8. — .
Caecilie Seier: Auf alten Wegen in Mexico und Guatemala.
Reiseerinnerungen und Eindrücke aus den Jahren 1895 bis 1897. Mit 65 Lichtdruck-
tafeln, 260 Textbildern und einer Karte. Groß-8". Gebunden M. 20.—.
Prof. Dr. Ed. Seier: Die alten Ansiedlungen von Chacula im
Distrikte Nenton des Departements Huchuetenang und
der Republik Guatemala. Mit 50 Uchtdrucktafeln, 282 Abbildungen
und Plänen im Text und einer Karte. (Wissenschaftliche Ergebnisse einer auf Kosten
Sr. Exzellenz des Herzogs von Loubat in den Jahren 1895—1897 ausgeführten Reise
durch Mexico und Guatemala). Gr.-4^ Geheftet M. 32.—, gebunden M. 36.—.
Prof. Dr. Karl von den Steinen: Unter den Naturvölkern
AentralDraSiiienS. Relseschilderung und Ergebnisse der zweiten Schingü-
Expedition 1887-1888. Zweite Auflage als Volksausgabe. Mit 11 Tafeln und
153 Abbildungen nach den Photographien der Expedition, nach den Originalaufnahmen
von Wilhelm von den Steinen und nach Zeichnungen von Johannes Gehrts, nebst
3 Routenkarten. Lex.-8o. Kartoniert M. 5.50, gebunden M. 7.50.
Herrosfe & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg.
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Universi^
Betkeley
f^
197780
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