Skip to main content

Full text of "Drei jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika; eine Geschichte der deutschen in den Vereinigten Staaten"

See other formats


m 


atutsdiem  Lebens 


miiiimmMi 


RUDOLF  GRONAU 

DREI  JAHRHUNDERTE  DEUTSCHEN  LEBENS 
IN  AMERIKA 


Frühere  Werke  von  RUDOLF  GRONAU 

GESCHICHTE  DER  SOLINGER  KLINGENINDUSTRIE. 
Mit  Illustrationen.     Stuttgart   1885. 

VON  WUNDERLAND  ZU  WUNDERLAND.  Landschafts- 
und Lebensbilder  aus  den  Staaten  und  Territorien  der  Union. 
Mit  50  Lichtdruckbildern  nach  Originalzeichnungen  des 
Herausgebers.     2  Bände  Großfolio.     Leipzig  1885  und  1886. 

UNTER'M  STERNENBANNER.  Landschafts-  und  Lebens- 
bilder aus  den  Staaten  und  Territorien  der  Union.  Mit 
50  Lichtdruckbildern  nach  Originalzeichnungen  des  Heraus- 
gebers.    2  Bände  Großfolio.     Leipzig   1887. 

FAHRTEN  IM  LANDE  DER  SIOUX-INDIANER.    Leipzig  1886. 

DAS  BUCH  DER  REKLAME.  Geschichte,  Wesen  und  Praxis 
der  Reklame.     Mit  150  Abbildungen.    Ulm  und  Leipzig  1887. 

IM  WILDEN  WESTEN.  Eine  Künstlerfahrt  durch  die  Prärien 
und  Felsengebirgc  der  Union.  Mit  vielen  Abbildungen. 
Braunschweig    1890. 

AMERIKA,  DIE  GESCHICHTE  SEINER  ENTDECKUNG 
VON  DER  ÄLTESTEN  BIS  AUF  DIE  NEUESTE  ZEIT. 
Eine  Festschrift  zur  400jährigen  Jubelfeier  der  Entdeckung 
Amerikas  durch  Christoph  Columbus.  2  Bände  mit 
545   Bildern   und  37   Karten.     Leipzig   1890—1892. 

OUR  WASTEFUL  NATION.  A  story  of  American  prodigality 
and  the  abuse  of  our  national  resources.  With  illustrations. 
New  York    1908. 


DREI  JAHRHUNDERTE 

DEUTSCHEN  LEBENS 

IN  AMERIKA 


EINE  GESCHICHTE  DER   DEUTSCHEN  IN  DEN 
VEREINIGTEN  STAATEN 


VON 


RUDOLF  GRONAU 


MIT  210  ILLUSTRATIONEN 


Of    TH€  A 

UNIVERSITY    I  mmm^\ 


B 


BERLIN   1909 
DIETRICH  REIMER  (ERNST  VOHSEN) 


SV 


.RtG^'.'J 


Alle  Rechte,  auch  das  der  Übersetzung 
in      fremde      Sprachen,     vorbehalten. 

Da  zahlreiche  der  in  diesem  Buch  ent- 
haltenen Abbildungen  und  Abschnitte 
gesetzlich  geschützt  sind  (in  den  Ver- 
einigten Staaten  durch  Copyright),  so 
wird  vor  unbefugter  Benützung  der- 
::       selben  ausdrücklich  gewarnt.       :: 


Vorwort. 

Seit  drei  Jahrhunderten  wälzt  sich  au$  D^tschlands  Gauen  ein  Strom 
von  Auswandrern  nach  der  Neuen  Welt,  je  nach*  den' im  alten  Vaterland  ob- 
waltenden politischen  oder  wirtschaftlichen  Verhältnissen  bald  gleichmäßig 
fließend,  bald  nachlassend,  um  dann  plötzlich  wieder  mächtig  anzuschwellen 
und  den  Charakter  einer  wahren  Völkerwandrung  anzunehmen. 

Fragte  man  die  in  der  Heimat  Zurückgebliebenen,  was  aus  ihren  nach 
Millionen  zählenden  ausgewanderten  Landsleuten  in  der  Fremde  geworden, 
so  vermöchten  gewiß  nur  sehr  wenige  eine  befriedigende  Auskunft  zu  geben. 
Man  verhielt  sich  in  Deutschland  gegenüber  dem  Schicksal  seiner  ausgewan- 
derten Söhne  bisher  recht  gleichgültig,  indem  man  sich  an  die  durchaus  falsche 
Vorstellung  gewöhnte,  daß  dieselben  für  ihr  Vaterland  wie  für  das  deutsche 
Volkstum  verloren  seien.  Man  betrachtete  sie  als  Faktoren,  mit  welchen  man 
nicht  länger  rechnen  dürfe.  Man  weiß  nicht,  was  sie  da  draußen  erlebten  und 
verrichteten,  ob  sie  im  Elend  verkamen  oder  es  verstanden,  eine  achtung- 
gebietende Stellung  zu  erringen. 

Und  die  Ausgewanderten  selbst?  —  Obwohl  sie  die  Erfolge  vieler  ihrer 
Brüder  vor  Augen  sehen,  so  sind  auch  sie  über  das,  was  die  Gesamtmasse 
der  Deutschen  in  Amerika  leistete,  doch  nur  oberflächlich  unterrichtet.  Weder 
sie,  noch  die  neben  ihnen  wirkenden  Amerikaner  anderer  Abstammung  wissen, 
wie  ungeheuer  viel  die  großartig  entwickelten  V^ereinigten  Staaten  von  Amerika 
der  rastlosen  Arbeit,  dem  unermüdlichen  Fleiß  und  der  Intelligenz  der  Deut- 
schen verdanken.  — 

An  Geschichtswerken,  welche  die  Vergangenheit  Amerikas,  den  Ursprung 
und  die  Entwicklung  der  Vereinigten  Staaten  behandeln,  ist  zwar  kein  Mangel. 
Aber  gegen  diese  Werke  ist  von  vielen  klarblickenden,  nach  historischer  Wahr- 
heit strebenden  Forschern  mit  vollem  Recht  der  Einwand  erhoben  worden,  daß 
sie  die  Geschichte  nur  eines  Teiles  des  amerikanischen  Volkes,  und  zwar  des 
aus  England  eingewanderten  berücksichtigen,  während  auf  die  Vergangenheit 
und  Leistungen  der  anderen  Völkerelemente,  die  zum  Aufbau  der  amerikanischen 
Nation  beitrugen,  entweder  gar  nicht  oder  nur  sehr  oberflächlich  einge- 
gangen sei.  — 

Beim  Prüfen  dieser  Angelegenheit  kann  der  mit  der  Entwicklungsge- 
schichte Amerikas  Vertraute  sich   der  Erkenntnis  nicht  entziehen,  daß  jener 


—     VI     — 

Einwand  durchaus  zutrifft.  Fast  alle  in  den  vorhandenen  Geschichtswerken 
geschilderten  Ereignisse  sind  vom  Gesichtswinkel  des  Anglo-Amerikaners, 
speziell  des  Neu-Engländers  aus  gesehen  und  beschrieben.  Was  andere  Völker- 
elemente zur  amerikanischen  Kultur,  zum  Aufbau  der  Nation  beitrugen,  welche 
hervorragenden  Männer  sie  lieferten,  welche  Taten  dieselben  verrichteten,  was 
sie  an  Großem,  Bleibendem  schufen,  blieb  entweder  unberücksichtigt  oder 
wurde  nur  mit  flüchtigen  Strichen  angedeutet,  oft  sogar  absichtlich  entstellt. 
Infolgedessen  bildet  sich  bei  den  Lesern  solcher  Werke  die  irrige  Anschauung, 
als  ob  die  Anwesenheit  der  zahlreichen,  nicht  angelsächsischen  Stämme  auf 
amerikanischem  Boden  für  die  dort  entstandene  Kultur  gar  nichts  bedeutet  habe, 
und  den  Angelsachsen  allein  das  Verdienst  gebühre,  das  Material  zum 
Aufbau  der  amerikanischen  Nation  geliefert  und  die  Kultur  derselben  geschaffen 
zu  haben. 

So  wenig  aber  eine  Schilderung  des  Mississippi  Anspruch  auf  Voll- 
ständigkeit erheben  dürfte,  die  es  unterließe,  auch  seine  Hauptarme,  den 
Missouri  und  Ohio  zu  beschreiben  und  ihre  Bedeutung  für  die  Größe  und  den 
Charakter  des  ganzen  Strom  Systems  darzulegen,  ebensowenig  können  so  ein- 
seitig aufgefaßte  Geschichtswerke  wie  die  bezeichneten  Anspruch  auf  den  Titel 
einer  „Geschichte  des  amerikanischen  Volkes"  erheben. 

Diese  muß  noch  geschrieben  werden.  Und  zwar  unter  gerechter  Be- 
rücksichtigung aller  verschiedenen  Rassen-  und  Völkerelemente,  aus  denen  sich 
das  Volk  der  Vereinigten  Staaten  zusammensetzt  und  die  in  irgendeiner  be- 
sonderen Weise  zur  amerikanischen  Kultur  beitrugen. 

Das  kann  erst  geschehen,  wenn  das  erforderliche  historische  Material  in 
Spezialwerken  niedergelegt  ist,  die  den  Anteil  der  Deutschen,  Iren,  Schotten, 
Holländer  und  Skandinavier,  der  romanischen  und  slavischen  Völker,  der  Is- 
realiten,  der  indianischen,  afrikanischen  und  mongolischen  Rassen  feststellen. 
Durch  ausgedehnten  Gebrauch  solcher  Spezialwerke  kann  die  zu  schreibende 
Geschichte  der  amerikanischen  Nation  an  Interesse,  Mannigfaltigkeit  und  Farben- 
reiz nur  ungemein  gewinnen.  — 

Wie  zu  dem  in  der  Bundeshauptstadt  Washington  gen  Himmel  ragenden 
Monument  zu  Ehren  des  Begründers  der  Union,  George  Washington,  fast  alle 
Nationen  des  Erdballs  Bausteine  beitrugen,  so  mögen  die  in  den  Vereinigten 
Staaten  ansässig  gewordenen  Vertreter  solcher  Nationen  dies  auch  tun  zu  dem 
erhabenen  Ruhmestempel  der  amerikanischen  Geschichte.  — 

Der  Verfasser  dieses  Buches  bietet  einen  solchen  Baustein,  in  der  Über- 
zeugung, daß  die  nach  Millionen  zählenden  Abkömmlinge  des  deutschen  Volkes, 
welche  seit  frühen  Tagen  in  das  Gebiet  der  heutigen  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika  einströmten,  in  jeder  Beziehung  ein  gewaltiger  Faktor  waren,  der  nicht 
übersehen  werden  sollte. 

Berlin,  im  Sommer  1909. 

Rudolf  Gronau. 


Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

Vorwort V 

Verzeichnis  der  Abbildungen IX 

I.  Teil:    Die  Deutschen  während  der  Kolonialzeit. 

Die   ersten   deutschen    Flugblätter   über  Amerika   und   die  Vorläufer 

der  deutschen  Auswanderung  dorthin 3 

Die  ersten  Deutschen  in  den  nordamerikanischen  Kolonien. 

Die  deutschen  Gouverneure  von  Neu-Niederland  und  Neu-Schweden   ....      11 
Jakob  Leisler.    Die  stürmischste  Periode  in  der  Geschichte  der  Kolonie  New  York      26 
Augustin  Herrman,   der  erste  deutsche  Kartograph;  Johann  Lederer,  der  erste 
deutsche  Forschungsreisende  in  Nordamerika 41 

Die  deutschen  Sektenniederlassungen   des   17.  und  18.  Jahrhunderts. 

Die  Ursachen  der  Sektenauswanderung 46 

Die  Mennoniten  und  die  Gründung  Germantowns 49 

Die  Labadisten  und  Rosenkreuzer 70 

Die  Tunker  und  das  Kloster  Ephrata 75 

Die  Salzburger  in  Georgia 81 

Die  Mährischen  Brüder  oder  Herrnhuter 85 

Die  Masseneinwanderung  der  Pfälzer  im   18.  Jahrhundert 97 

Die  Pfälzer  in  Karolina  und  Virginien.  —  Die  Pfälzer  in  der  Kolonie  New  York. 
—  Die  Niederlassungen  der  Pfälzer  und  Elsaß-Lothringer  in  Louisiana.  — 
Die  Pfälzerniederlassungen  in  Neu-England. 

Die  Käuflinge  oder  Redemptionisten  und  das  Entstehen  der  „Deutschen 

Gesellschaften" 116 

Die    kulturellen     Zustände     der     Deutschamerikaner    während     der 

Kolonialzeit       124 

Der  Franzosenkrieg      152 

Gegner  und  Freunde  der  deutschen  Ansiedler 170 

Der  Anteil  der  Deutschen  am  amerikanischen  Unabhängigkeitskriege. 

Der  Freiheit  Morgengrauen 177 

Deutsches  Heldentum  und  deutsche  Opferwilligkeit  im  Freiheitskrieg  ....     185 

Nikolas  Herchheimer  und  die  deutschen  Helden  von  Oriskany \96 

Generalmajor  Peter  Mühlenberg 205 

Der  Soldatenhandel  deutscher  Fürsten  und  die  deutschen  Söldlinge  im  eng- 
lischen Heer 208 


—     VIII     — 

Seite 

Die  deutschen  Ansiedler  im  Kampf  mit  den  indianischen  Verbündeten  der  Briten  216 

Generalmajor  Johann  von  Kalb 222 

Generalmajor  Friedrich  Wilhelm  von  Steuben,  der  Schöpfer  des  amerikanischen 

Heeres       226 

Die  deutschen  Truppenabteilungen  im  französischen  Hilfsheer     ......  242 

II.  Teil:    Die  Deutschamerikaner  seit  Aufrichtung  der  Union. 

Der  Anteil  der  Deutschen   an   der  Erschließung  und  Besiedlung  der 
westlich  von  den  Alleghany's  gelegenen  Gebiete. 

Die  deutschen  Ansiedler  im  Stromgebiet  des  Ohio 249 

Die  deutschen  Ansiedler  im  Mississippital 260 

Deutsche  Pioniere  des  fernen  Westens 273 

Deutsche  Kommunistengemeinden 285 

Staatenpläne 296 

Die  politischen  Flüchtlinge  der  deutschen  Revolutionszeit 301 

Der  Anteil  der  Deutschamerikaner  an    den  Kriegen  der  Vereinigten 

Staaten  im   19.  Jahrhundert       308 

Die  Deutschamerikaner  im  politischen  Leben  der  Vereinigten  Staaten  332 

Karl  Schurz 338 

Die   kulturellen   Bestrebungen   der   Deutschamerikaner  während   des 
19.  Jahrhunderts    und    ihr    Einfluß   auf  die   amerikanische   Be- 
völkerung. 
Die  Gründung  der  deutschen  Turnvereine  und  ihr  Einfluß  auf  die  körperliche 

Entwicklung  der  amerikanischen  Bevölkerung 349 

Der  Einfluß  des  deutschen  Erziehungswesens  auf  die  Lehranstalten  der  Ver- 
einigten Staaten 355 

Die  deutschamerikanischen  Landwirte  und  Forstleute  der  Neuzeit 370 

Der  Anteil  der  Deutschen  an  der  Entwicklung  der  amerikanischen  Industrie    .  381 
Der  Anteil  der  Deutschen  an  der  Entwicklung  des  amerikanischen   Verkehrs- 
wesens        411 

Deutschamerikanische  Techniker  und  Ingenieure 423 

Die  deutsche  Presse  in  den  Vereinigten  Staaten 441 

Deutsche  Gelehrte  in  den  Vereinigten  Staaten 446 

Der  Einfluß  des  deutschen  Ärztetums  auf  die  amerikanische  Heilkunde    .     .     .  458 

Deutschamerikanische  Schriftsteller 461 

Die  deutschamerikanische  Dichtung  des  19.  und  20.  Jahrhunderts 468 

Deutsches  Lied  und  deutscher  Sang  in  Amerika 498 

Deutsche  Einflüsse  im  Musikleben  Amerikas 505 

Das  deutsche  Theater  in  Amerika 517 

Die  deutsche  Oper  in  Amerika 522 

Deutschamerikanische  Maler,  Bildhauer  und  Baumeister 530 

Ehrendenkmäler  des  Deutschamerikanertums 578 

Die  neueste  Zeit 585 

Der  deutschamerikanische  Nationalbund 605 

Die  Quellen   zur  Geschichte   des   deutschen    Elements   in    den  Ver- 
einigten Staaten 613 

Register 632 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 


I.  Teil. 

Seite 

Titelblatt  des  im  Jahre  1497  zu  Straßburg  gedruckten  ersten  deutschen  Flugblattes, 

welches  die  Entdeckungen  des  Columbus  meldet 3 

Titelblatt  der  ersten  deutschen  Ausgabe  von  Amerigo  Vespuccis  Reisebeschreibungen  4 

Titelblatt  der  zweiten  deutschen  Ausgabe  von  Vespuccis  Reisebeschreibungen  ...  5 
Stelle  aus  Waldseemüllers  „Cosmographiae  introductio",  wo  vorgeschlagen  wird,  die 

Neue  Welt  „Amerika"  zu  nennen 6 

Titelblatt  des  als  „Neue  Zeitung  aus  Jucalan"  bekannten  deutschen  Flugblattes      .    .  7 

Neu-Amsterdam  zur  Zeit  Minnewits      .     . 11 

Peter  Minnewit  ersteht  von  den  Indianern  die  Insel  Manhattan 15 

Das  Siegel  der  Kolonie  Neu  Niederland  oder  Neu-Belgien 18 

Titelblatt  der  Argonautica  Gustaviana,    der   ersten    in    deutscher  Sprache  gedruckten 

Auswanderungs-Flugschrift       19 

Unterschriften  der  deutschen  Gouverneure  von  Neu-Niederland  und  Neu-Schweden   .  24 

Das  Fort  Dreifaltigkeit 25 

Leislers  Wohnhaus  in  Alt  New  York 26 

Neu-Amsterdam  zu  Leislers  Zeit  .         31 

Das  Stadthaus  zu  New  York,  in  dem  Leisler  prozessiert  wurde 37 

Leislers  Grabstätte   auf   dem    ehemaligen  Friedhof   der   holländischen  Gemeinde   zu 

New  York       39 

Leislers  Siegel  und  Unterschrift 40 

Porträt  Augustin  Herrmans 41 

Namenszug  Augustin  Herrmans 43 

Indianer  aus  Virginien       ...         45 

Plünderung  eines  Dorfs  im  Dreißigjährigen  Krieg 46 

William  Penn       49 

Namenszug  von  William  Penn 50 

Namenszug  von  Pastorius 51 

Pastorius'  Gruß  an  die  Nachkommenschaft 55 

Der  Protest  der  Deutschen  von  Germantown  gegen  die  Sklaverei 58  59 

Altes  Haus  in  Germantown,    in    dem    der  Protect   gegen    die  Sklaverei  verfaßt  und 

geschrieben  wurde          62 

Titelblatt  der  ersten  mit  deutschen  Lettern  in  Amerika  gedruckten  Zeitung    ....  66 

Titelblatt  der  ersten  in  Amerika  gedruckten  deutschen  Bibel 67 

Christoph  Saurs  Wohnhaus  und  Druckerei •  68 

Das  Siegel  von  Germantown    .         "^ 

70 

Johannes  Kelpius '" 

Kelpius'  Höhle '^^ 


—    X    — 

Seite 

Konrad  Beissel     .             75 

Ein  Liebesmahl  der  Tunker      76 

Eine  Klosterschwester  von  Ephrata 77 

Die  Handpresse  des  Klosters  Ephrata 78 

Titelblatt  des  in  Ephrata  gedruckten  Märtyrerspiegels 79 

Pastor  Johann  Martin  Bolzius 81 

Graf  Nikolaus  Ludwig  von  Zinzendorf 85 

Ansicht  von  Bethlehem  im  Jahre  1830 87 

Das  Schwesternhaus  der  Herrnhuter  in  Bethlehem,  Pennsylvanien 88 

Herrnhuter  Missionare  unter  den  Indianern 91 

Johann  Heckewelder 95 

Der  Friedhof  der  Herrnhuter  zu  Bethlehem 96 

Der  Brand  der  Stadt  Worms 97 

Greueltaten  französischer  Soldaten  im  17.  Jahrhundert 98 

Ein  Häuptling  der  Mohawk-Indianer 105 

Ein  Pfälzer  des  Mohawktals  im  18.  Jahrhundert 108 

Beim  Bau  der  Heimstätte 124 

Eine  befestigte  Niederlassung  -des  18.  Jahrhunderts 125 

Angriff  auf  eine  befestigte  Ansiedlung .  126 

Die  Verteidigung  einer  verpalisadierten  Ansiedlung  im  18.  Jahrhundert 129 

Eine  befestigte  Ansiedlung  zur  Winterszeit 131 

Eine  entstehende  Ansiedlung    . 132 

Eine  Waldkirche       135 

David  Rittenhausen       144 

Heinrich  Melchior  Mühlenberg 149 

Die  letzte  Zuflucht 151 

Indianische  Kundschafter  beschleichen  unter  Wolfsmasken  ein  Lager  von  Ansiedlern  152 

Ein  Indianer  mit  den  Zeichen  seiner  Kriegstaten  geschmückt 155 

Die  Abschlachtung  einer  Ansiedlerfamilie  durch  Indianer 158 

Heinrich  Bouquet 164 

Die  Heimkehr  aus  indianischer  Gefangenschaft 167 

Indianischer  Tomahawk 169 

Benjamin  Rush 170 

Namenszug  von  Peter  Zenger 178 

A.  Hamilton     .     .              179 

Der  Ruf  zu  den  Waffen 185 

Daniel  Morgan,  der  Führer  der  virginischen  Scharfschützen 187 

Marie  Heis  (Molly  Pitcheri  in  der  Schlacht  bei  Monmouth 191 

Versorgung  der  Soldaten  im  Winterlager  von  Valley  Forge  durch  die  Herrnhuter  .     .  194 

Michael  Hillegas,  erster  Schatzmeister  der  Vereinigten  Staaten 195 

Herchheimers  Wohn-  und  Sterbehaus  im  Mohawktal 196 

Namenszug  von  Nikolas  Herchheimer 197 

Ein  Originalbrief  des  Generals  Nikolas  Herchheimer 198 

Bronzetafel  am  Schlachtendenkmal  bei  Oriskany 199 

Herchheimers  Grabstätte  im  Mohawktal 204 

Generalmajor  Peter  Mühlenberg 205 

Namenszug  Peter  Mühlenbergs 207 

Vom  Herde  weg  in  ferne  Lande 208 

Ein  Anhalt-Zerbstsches  Werbeplakat  aus  dem  18.  Jahrhundert 211 

Thayendanegea 216 

Das  Wyomingtal 217 


—    XI     — 

Seite 

Ein  indianischer  SI<alp 220 

Eine  zerstörte  Heimstätte 221 

Johann  von  Kalb 222 

Friedrich  Wilhelm  von  Steuben 226 

Friedrich  Wilhelm  von  Steuben,  der  Generalinspektor  der  amerikanischen  Armee  231 

Titelblatt  von  Steubens  „Regulations" 235 

Steubens  Ruhestätte  in  der  Grafschaft  Oneida,  N.  Y 240 

Steubens  Blockhütte  in  der  Grafschaft  Oneida,  N.  Y 241 

Die  Kapitulation  der  englischen  Armee  bei  Yorktown 242 

IL  Teil. 

Die  Unterzeichnung  der  Unabhängigkeitserklärung  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 

am  4.  Juli  1776       249 

Cumberland  Gap 252 

Ein  Trapper  des  18.  Jahrhunderts 253 

Ein  Fort  des  18.  Jahrhunderts      256 

Ein  Flachboot  auf  dem  oberen  Ohio 257 

Cincinnati  im  Jahre  1802 258 

Fort  Washington  am  Ohio 259 

Amerikanische  Flußdampfer  aus  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 260 

Die  Unterzeichnung  des  Louisiana-Vertrags 261 

Eine  Eisenbahn  im  Mohawktal  im  Jahre  1835 263 

Einwandrer  auf  ihrem  Zug  gen  Westen 266 

Ansiedler  beim  Errichten  ihrer  Heimstätte 267 

Sioux-Indianer 269 

Überfall  einer  Auswandrerkarawane 270 

Abgeschlachtet! 271 

Astoria  im  Jahre  1812 273 

Johann  Jacob  Astor 274 

Johann  August  Sutter 277 

Fort  Sutter 279 

Neu.Harmonie  im  Jahre  1832 286 

Ansicht  von  Ökonomie  (Economy)  am  Ohio  im  Jahre  1900 287 

Die  Kirche  der  Harmoniten  in  Ökonomie .    .    • 289 

Rapps  Wohnhaus  in  Ökonomie 290 

Deutsche  Einwanderer  auf  dem  Zuge  nach  Neu-Braunfels 299 

Auszug  eines  New  Yorker  Regiments  während  des  Bürgerkriegs 308 

Johann  Anton  Quitmann 309 

Generalmajor  Franz  Sigel         316 

Reiterstatue  des  Generalmajors  Franz  Sigel  in  New  York     .         317 

Szene  aus  der  Schlacht  bei  Gettysburg 321 

Die  Erstürmung  der  Missionary  Ridge 322 

Die  Erstürmung  des  Lookout  Mountain 323 

Ch.  Gustav  Memminger,  Finanzminister  der  südstaatlichen  Regierung 327 

Admiral  Winfield  Scott  Schley 329 

Friedrich  August  Mühlenberg,  Vorsitzender  im  Abgeordnetenhause  des  Bundeskongresses  332 

Karl  Schurz 343 

Das  Deutsche  Haus   in  Indianopolis,  Indiana,  der  Sitz  des  Turnlehrerseminars  des 

Nordamerikanischen  Turnerbundes •    •  349 

Römischer  Wagenlenker 354 


—    XII    — 

Seite 

Benjamin  Franklin 355 

Kuno  Franci<e      .  360 

Das  deutschamerikanische  Lehrerseminar  in  Milwaukee,  Wisconsin 368 

Die  Landwirtschaft 370 

Westliche  Farmer  bei  der  Mais-  und  Kürbisernte 371 

Ernte  im  fernen  Westen 375 

Ernte  im  fernen  Westen  . 376 

Die  erste  von  Johann  August  Roebling  im  Jahre  1848  zu  Trenton,  New  Jersey,  angelegte 

Drahtseilfabrik    .     .  381 

Die  heutigen  Drahtseilfabriken  der  Firma  John  A.  Roeblings  Sons  Company  zu  Trenton, 

New  Jersey    .         384 

Die  Anheuser-Busch  Brauerei  zu  St   Louis,  Missouri 389 

Die  Pabst  Brauerei  in  Milwaukee,  Wisconsin 391 

Die  Joseph  Schlitz  Brauerei  in  Milwaukee,  Wisconsin 395 

Die  Konservenfabriken  der  Firma  H.  J   Heinz  Company  in  Pittsburgh,  Pennsylvanien  397 

In  der  Konservenfabrik  H.  J    Heinz  &  Co.,  Pittsburgh,  Pennsylvanien 399 

Die  Lederfabriken  der  Firma  Robert  H.  Foerderer,  Philadelphia,  Pennsylvanien     .     .  400 
Die  Dixie-Gerbereien  der  Lederriemenfabrik  Charles  A.  Schieren  Company  (New  York) 

zu  Bristol,  Tennessee 401 

De  Pianofabrik  der  Firma  William  Knabe  &  Co.  in  Baltimore,  Maryland  .     .     .  402 

Heinrich  Steinway,  der  Begründer  der  Pianofabrik  Steinway  &  Söhne  in  New  York  403 

Die  Pianofabriken  der  Firma  Steinway  &  Söhne  in  Steinway,  Long  Island,  New  York  404 

Die  Pianofabrik  der  Firma  Steinway  &  Söhne  an  Park  Avenue  u  53.  Straße  in  New  York  405 
Die  Spinnereien  der  von  Stöhr,  Arnold  und  Hirsch  gegründeten  Botany  Worsted  Mills 

zu  Passaic,  New  Jersey 406 

Der  Segler  „Deutschland"  der  „Hamburg-Amerika-Linie" 411 

H.  H.  Meier,  Gründer  des  „Norddeut  chen  Lloyd" 412 

Lloyddampfer  Kaiser  Wilhelm  II  ..... 413 

„Kronprinzessin  Cecilie",  ein  moderner  Dampfer  des  Norddeutschen  Lloyd  ....  415 

Die  Pieranlagen  des  Norddeutschen  Lloyd  in  Hoboken     ...         416 

Die  Pieranlagen  der  Hamburg-Amerika-Linie  in  Hoboken,  New  Jersey 417 

Eme  Rennjacht  der  Herreshoffs  im  Kampf  um  den  Amerikabecher 419 

Heinrich  Hilgard-Villard 421 

Der  erste  Lloyddampfer  „Bremen"  im  Jahre  1858 •     .  422 

Roeblings  Hängebrücke  über  den  Niagara         423 

Adolf  Bonzanos  Kinzua-Brücke  während  ihres  Baus 427 

Johann  August  Roebling 431 

Roeblings  Hängebiücke  über  den  East  River  zwischen  New  York  und  Brooklyn    .     .  434 

Lindenthals  Eisenbahnbrücke  über  die  Höllengasse  bei  New  York 437 

Ludwig  Johann  Rudolf  Agassiz     ...     .    ...     .     . •     •  446 

Franz  Lieber 452 

Frauenfigur     Von  Henry  Linder,  New  York  468 

Die  von  Sr.  Maj.  Kaiser  Wilhelm  II.  dem  Nordöstlichen  Sängerbund  gestiftete  Silber- 
statuette    .  503 

Die  alte  Herrnhuter  Kirche  zu  Bethlehem  in  Pennsylvanien 505 

Leopold  Damrosch 508 

Theodor  Thomas 509 

Karl  Zerrahn 511 

Anton  Seidl 522 

Malerei,  Architektur  und  Poesie        530 

Washingtons  Übergang  über  den  Delaware.     ...,..,... 531 


—     XIII     — 

Seito 

Die  Westfahrer .535 

Büffeljagd 539 

Mount  Corcoran 541 

Der  Kampf  um  die  Palisaden 543 

Ein  sichrer  Schuß 545 

Der  französische  Entdecker  La  Salle  schließt  einen  Vertrag  mit  den  Miami-Indianern  547 

Ein  Renkontre  in  den  Felsengebirgen 549 

Sonnenuntergang  der  roten  Rasse 550 

Losgelassen 551 

Ein  Monarch  der  amerikanischen  Wildnis 552 

Ein  König  der  Felsengebirge • 553 

Ahasver 554 

Hochzeit  in  der  Bretagne 555 

Die  beiden  Schwestern 557 

Die  heilige  Familie 561 

Unsere  Frau  der  immerwährenden  Hilfe 562 

Der  kreuztragende  Christus  und  Maria 563 

Das  Schicksal  der  roten  Rasse 564 

Denkmal  des  Generalmajors  Friedrich  Wilhelm  von  Steuben  in  Washington      .     .    .  565 

General  Grant 567 

Die  Kongreßbibliothek  zu  Washington,  D.  C 569 

Korridor  in  der  Kongreßbibliothek  zu  Washington,  D.  C 570 

Treppenaufgang  in  der  Kongreßbibliothek  zu  Washington,  D.  C 571 

Die  Lesehalle  der  Kongreßbibliothek  zu  Washington,  D.  C 572 

Das  Waldorf  Astoria  Hotel  in  New  York 575 

Das  Gebäude  der  „Times"  in  New  York 576 

Das  Mary  Drexel-Heim  in  Philadelphia 578 

Das  Isabella-Heim  in  New  York 583 

Der  Bannerträger 585 

Blick  auf  den  Dachgarten  des  Hotels  Astor  in  New  York 591 

Die  Einfahrt  des  Prinzen  Heinrich  von  Preußen  an  Bord  des  Lloyddampfors  „Kronprinz 

Wilhelm"  in  den  Hafen  von  New  York  am  23.  Februar  1902 599 

Die  Feier  des  Deutschen  Tages  auf  der  Weltausstellung  zu  Chicago  am  15.  Juni  1893  601 
Das  Gebäude  der   „Deutschen  Gesellschaft"  zu  Philadelphia,    die  Geburtsstätte   des 

Deutschamerikanischen  Nationalbundes    .    .    .    • 605 

Dr.  Charles  John  Hexamer 609 

Die  Freiheitsstatue  im  Hafen  von  New  York 613 


Register 632 


I.  Teil. 

Die  Deutschen  während  der  Kolonialzeit. 


^m  fc^on  ^abfc^lcfcn  vonctUc^crt  inßlen 

Tie  ^do  m  ^urtsen  5pten  futiöen  fynö  ^urcß'^c 
r  ümg  von  ^ifpama*viit>  fagr  vö  ßro^eti  wuti 


Die    ersten    deutschen    Flugblätter   über   Amerika 
und  die  Vorläufer   der  deutschen  Auswanderung 

dorthin. 

Die  glückliche  Heimlcehr  des  Genuesen  Christoph  Columbus  von 
seiner  ersten  großen  Entdeckungsreise  war  ein  Ereignis,  dessen  Bedeutung  von 
allen  Kulturvölkern  der  damaligen  Zeit  sofort  empfunden  v^urde.  Man  erkannte 
instinktiv,  daß  die  gelungene  Fahrt  für  die  ganze  Menschheit  von  höchster  Wich- 
tigkeit sei  und  gewaltige  Umwälzungen  zur  Folge  haben  müsse.  Welch  tiefen 
Eindruck  die  Kunde  in  der  Gelehrtenwelt  erregte,  kann  man  am  besten  aus  fol- 
gendem Brief  des  spanischen  Geschichtschreibers  Peter  Martyr  an  seinen 
Freund  Pomponius  Laetus  ermessen:  „Du  schreibst,  mein  lieber  Pomponius, 
daß  Du  beim  Eintreffen  meiner  die  Entdeckung  der  entgegengesetzten  Welt 
betreffenden  Nachricht  vor  Entzücken  aufgesprungen  seiest  und  Dich  der 
Freudentränen  nicht  hättest  erwehren  können.  Das  zeigt,  daß  Du  als  Gelehrter 
die  Größe  und  Tragweite  der  neuen  Entdeckung  wohl  zu  würdigen  weißt.  In 
der  Tat,  auch  ich  kenne  keine  Speise,  die  erhabenen  und  genialen  Geistern  will- 
kommener sein  könnte,  als  diese.  Ich  fühle  eine  wunderbare  geistige  Erregung 
in  mir,  wenn  ich  mit  den  aus  jenen  Gegenden  zurückgekehrten  Männern  rede. 
Es  ist,  als  ob  ein  Armer  plötzlich  zu  Reichtum  gelange.     Unsere   durch    die 

Kopfleiste:  Titelblatt  des  im  Jahre  1497  zu  Straßburg  gedruckten  ersten  deutschen 
Flugblattes,  welches  die  Entdeckungen  des  Columbus  meldet.  Nach  dem  Exemplar  der 
New  Yorker  Stadtbibliothek. 


Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika. 


1' 


4     — 


kleinen  täglichen  Sorgen  und  gesellschaftlichen  Pflichten  herabgezogenen  Ge- 
danken werden  erhoben  und  geläutert  durch  das  Nachsinnen  über  so  herrliche 
Ereignisse.'' 

Selbst  in  dem  nüchternen  England  wurde  die  Tat  des  Columbus  als  etwas 
Unerhörtes,    Göttliches  gepriesen.     Schrieb  doch  Giovanni  Caboto  (Johann 
Cabot),  der  von  England  aus  im  Jahre  1497  eine  Fahrt  nach  dem  Westen  unter- 
nahm und  dabei  das  FesÜand  von  Nordamerika  entdeckte:   „Als  die  Nachricht 
^^  ^^  eintraf,  daß  Christoph  Co- 

X>0UQtrtttaSnatAnt|f>t9l0ltbifttt(|iI  lumbus,  der  Genuese,  die 
rtnJ^)fhgmmtm4gtw^cn/^m•c^^majlfioilK^Wmg  Küsten  Indiens  entdeckt 
ronpoitigal/irwtlxtftnljd) afimX>m,  h^be  —  wovon  im  ganzen 

Reich  des  damals  regieren- 
den Königs  Heinrich  VIT. 
gesprochen  wurde,  indem 
alle  voll  größter  Bewun- 
derung erklärten,  es  sei 
mehr  ein  göttliches  als 
menschliches  Wagnis,  auf 
nie  zuvor  befahrenen  We- 
gen vom  Westen  aus  nach 
den  im  Osten  gelegenen 
Gewürzländern  zu  segeln, 
—  da  entbrannte  in  mei- 
nem Herzen  ein  heißes 
Verlangen,  gleichfalls  eine 
große  Tat  zu  verrichten." 
Auch  in  Frankreich 
und  Deutschland  erkannte 
man  die  Bedeutung  des 
Ereignisses.  Deutschland 
war  schon  damals  das 
Land  der  Denker  und  Ge- 
lehrten. Martin  Behaim, 
Schöner,  Reisch,  Münster, 
Pirckheimer  u.  a.  verfolg- 
ten mJt  scharfen  Blicken 
die  in  Afrika  und  Asien 
gemachten  geographischen  Entdeckungen  und  trugen  dieselben  auf  ihre  Welt- 
karten und  Erdkugeln  ein. 

Der  Brief,  den  Columbus  am  3.  März  1493  nach  seiner  Ankunft  in  Lissa- 
bon an  Raphael  Sanchez,  den  Schatzmeister  des  spanischen  Königspaares,  ge- 
sandt hatte,  fand  in  lateinischen  und  italienischen  Ausgaben  Verbreitung  und 
wurde  auch  in  deutscher  Übersetzung  in  Straßburg,  wahrscheinlich  auch  an 


Titelblatt   der   ersten  deutschen  Ausgabe   von  Amerigo 
Vespuccis  Reisebeschreibungen. 

Nach  dem   Exemplar  der  New  Yorker  Stadtbibliothek. 


5     — 


fulr  unD  (fliiöf  n  fa  ym  härRlirtim 

crfunben  fvnr  *^urc^  ^en  Tkuntcj  Von  potm^ÄÖT. 


andern  Orten  gedruckt.  Alan  kennt  bis  jetzt  siebzehn  verschiedene  Ausgaben 
dieses  Columbusbriefes  in  spanischer,  lateinischer,  itaUenischer  und  deutscher 
Sprache.  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  außerdem  manche  andere  gedruckt 
wurden,  von  denen  wir  keine  Kunde  mehr  besitzen. 

Noch  größeres  Aufsehen  erregten  die  Reisebeschreibungen  des  A  m  e  r  i  g  o 
V  e  s  p  u  c  c  i.  Sie  versetzten  ganz  Europa  in  Erregung,  da  sie  im  Gegensatz 
zu  dem  Brief  des  Colum- 
bus,  der  nur  die  Entdeck- 
ung einiger  Inseln  gemel- 
det hatte,  die  Entdeckung 
einer  „neu  gefunden  Re- 
gion"  verkündigten,  „die 
wohl  eine  Welt  genannt 
mag  werden".  Dazu  war 
in  Vespuccis  Schilderun- 
gen das  Interessante  her- 
vorgehoben und  in  pi- 
kanter Weise  ausgemalt; 
die  Beschreibungen  des 
Völker-,  Tier-  und  Pflan- 
zenlebens waren  neu  und 
fesselten  um  so  mehr,  als 
man  außer  dem  mageren 
Brief  des  Columbus  noch 
nichts  über  die  Neue 
Welt  erfahren  hatte.  Co- 
lumbus, um  das  Geheim- 
nis des  neuen  Seeweges 
nach  Indien  zu  bewahren, 
vermied  absichtlich  jede 
weitere  Mitteilung  über 
seine  Entdeckungen.  Da- 
durch, wie  auch  durch 
den  Umstand,  daß  Ves- 
puccius  fälschlich  angab, 
die  erste  seiner  angeb- 
lich vier  Reisen  im  Jahre 
14Q7  vollführt  zu  haben, 

wobei  er  konsequent  die  Namen  der  Befehlshaber  verschwieg,  an  deren 
Forschungsreisen  er  sich  beteiligte,  gelangten  die  den  Unternehmungen  fem- 
stehenden italienischen,  deutschen  und  französischen  Geschichtschreiber  jener 
Zeit  zu  der  irrtümlichen  Anschauung,  Vespuccius  sei  der  Leiter  jener  Expedi- 
tionen gewesen  und  habe  das  Festland  der  neuen  Welt  entdeckt.    Unter  diesem 


Titelblatt  der  zweiten  deutschen  Ausgabe  von  Vespuccis 
Reisebeschreibungen. 

Nach  dem  Exemplar  der  New  Yorker  Stadtbibliothek. 


—     6     — 

Eindruck  stand  auch  der  um  das  Jahr  1481  in  Freiburg  in  Baden  geborene  Ge- 
lehrte Martin  Waldseemüller,  der  in  der  lothringischen  Stadt  St.  Die 
lebte  und  an  dem  vom  Herzog  Rene  II.  errichteten  „Vogesischen  Gymnasium" 
Geographie  und  Naturwissenschaft  lehrte. 

Waldseemüller  war  zugleich  mit  einer  Neuausgabe  des  Atlas  von 
Ptolemäus  beschäftigt,  in  welcher  alle  in  der  Neuen  Welt  gemachten  Entdeckungen 
berücksichtigt  werden  sollten.  Ferner  schrieb  Waldseemüller  einen  Leitfaden 
für  den  Unterricht  in  der  Erd-  und  Himmelskunde. 

Während  er  mit  diesen  Arbeiten  beschäftigt  war,  erhielt  der  Herzog  ein 
Exemplar  der  Vespuccischen  Reisebesdireibungen.  Dieselben  erfüllten  Wald- 
seemüller mit  solcher  Begeisterung,  daß  er  die  Reisen  Vespuccis  in  seinem  am 
25.  April  1507  gedruckten  Lehrbuch  „Cosmographiae  introductio"  ausführlich 
besprach  und  im  neunten  Abschnitt  den  Vorschlag  ausbrachte,  die  bis  dahin 
noch  namenlose  Welt  zu  Ehren  ihres  Entdeckers,  Amerigo  Vespucci,  „Amerika" 
zu  nennen.     Der  betreffende  Satz  lautet  verdeutscht:   „Nun  wahrlich,  da  diese 

ivT-.of  r      ,    .     .  ^  «-       Regionen        weiter 

Niic,?o&:hfpartcsfuntlatmsJuftraw/&:aIä    durchforscht      sind, 

quarta  pars  per  Ammcuyefputmcvtmfequenti    „„^  da  ein  anderer 

J^DUs  audietur  )inuenta  eit/qua  non  Video  cur  quis     tt  jj.  ■^  a 

«.  ,    -        .     .     ^         r       ■   .         ...    Erdteil  von  Ameri- 

Jiure  vetet  ab  Amenco  inuentore  lagacis  ingenij  VI 

AmcriV  roAmcriPcnquafiAmerici  terra /uue Amencam     ,    ,,         , 

ca  dicendätc!  &:  Europa  &:  Afia  a  mulieribus  fua  for    ^'^^  '^"'^''  Z'^  T' 

titarmtnomina.Eiusrim&gentis  mores  ex  bis  bi     ^^"    nachstehenden 

nis  Americi  nauigationibus  quae  fequunt  liquide    ^^^^*^"  ersehen  wer- 

intelligidatun  <^e"  "^^g'  so  kenne 

ich  keinen  Grund, 
Stelle  aus  Waldseemüllers  „Cosmographiae  introductio",  wo  vor-  .  ,  , 

geschlagen  wird,  die  Neue  Welt  „Amerika"  zu  nennen.  warum  er  nicnt  ge- 

rechterweise Ameri- 
gen  genannt  werden  sollte,  das  ist  das  Land  des  Amerigus,  oder  America,  nach 
seinem  Entdecker  Americus,  einem  Manne  von  scharfem  Verstände;  haben  doch 
Europa  und  Asien  beide  ihre  Namen  nach  Weibern  erhalten." 

Waldseemüllers  Vorschlag  fand  bei  vielen  Geographen  der  damaligen  Zeit 
Anklang.  Da  Columbus  bereits  im  Jahre  1506  gestorben  war,  und  niemand 
auftrat,  um  den  wissenschaftlichen  Irrtum  zu  berichtigen,  so  fand  der  von  dem 
deutschen  Gelehrten  vorgeschlagene  Name  rasch  Annahme.  Schon  1510  konnte 
der  dem  „Vogesischen  Gymnasium"  angehörende  Walter  Lud  in  seiner 
„Grammatica  Figurata"  mit  Stolz  erklären,  „daß  St.  Die  jetzt  eine  in  der  ganzen 
Welt  bekannte  Stadt  sei,  weil  sie  America  den  Namen  gegeben  habe". 

Es  war  die  einzige  Großtat,  durch  die  das  Gymnasium  bekannt  wurde, 
denn  als  Herzog  Rene  starb,  löste  sich  die  kleine  Gelehrtengemeinde  auf.  Wald- 
seemüller zog  nach  Straßburg,  wo  er  bei  Jean  Grüninger  die  fünfte  Ausgabe 
seiner  „Cosmographiae  introductio"  drucken  ließ.  Nachdem  der  Straßburger 
Jean  Schott  die  Druckerpresse  und  den  Typenvorrat  des  „Vogesischen 
Gymnasiums"  erworben  hatte,  gab  Waldseemüller  hier  auch  im  Jahre  1513  die 


—    7     — 

von  jenem  Gymnasium  geplante  Neuausgabe  des  Atlas  des  Ptolemäus  heraus. 
Inzwischen  hatte  er  seinen  Irrtum  bezüglich  des  Entdeckers  der  Neuen  Welt  er- 
kannt, denn  er  trug  auf  die  schöne,  dem  Atlas  beigegebene  Karte  von  Amerika 

^mt  Jtittung.Don  btralanbt.basWt 

epomcrfUnöen ^aDm ymi  fzutere genant >crtt4ii. 


Titelblatt  des  als  „Neue  Zeitung  aus  Jucatan"  bekannten  deutschen  Flugblattes. 

Nach  dem   Exemplar  der  New  Yorker  Stadtbibliothek. 

an  der  Stelle,  wo  Columbus  zuerst  seinen  Fuß  auf  das  Festland  der  Neuen  Welt 
gesetzt  hatte,  folgenden  Satz  ein:  „Hec  terra  adjacentibus  insulis  inventa  est 
per  Columbu  ianuensem  ex  mandato  Regis  Castelle",  „Dies  Land  imd  die  be- 
nachbarten Inseln  wurden  durch  Columbus  unter  der  Regierung  des  Königs  von 


Kastilien  entdeckt''.  Über  die  Reisen  des  Vespucci  findet  sich  im  ganzen  Atlas 
kein  Wort.  Aber  der  frühere  Irrtum  konnte  nicht  wieder  gutgemacht  werden. 
Der  Name  Amerika  hatte  sich  bereits  so  eingebürgert,  daß  er  trotz  aller  Be- 
mühungen, ihn  durch  die  passendere  Bezeichnung  „Columbia"  zu  ersetzen,  der 
Neuen  Welt  bis  heute  verblieb. 

Den  Reisebeschreibungen  Vespuccis  folgten  zahlreiche  „Newe  Zeitungen", 
welche  die  Entdeckungen  der  Portugiesen  in  Südamerika,  die  kühnen  Erobe- 
rungszüge der  Spanier  in  Yucatan,  Mexiko  und  Peru  schilderten.  Sie  umfaßten 
meist  nur  wenige  Seiten. 

Von  solchen,  aus  leicht  erklärlichen  Gründen,  der  Verzettelung  unter- 
worfenen Flugblättern  haben  sich  leider  nur  wenige  erhalten.  Von  diesen  nenne 
ich  die  wahrscheinlich  im  Jahre  1520  gedruckte  „Copia  der  Newen  Zeytung 
auß  Presillg  Landt"  (Brasilien);  die  „Nev/e  Zeittung  von  dem  Lande,  das  die 
Spanier  funden  haben  im  1521  jare,  genannt  Yucatan".  Von  den  mexikanischen 
Eroberungszügen  erzählen  Flugschriften,  die  im  Jahre  1520  bei  „Friyderichen 
Peypus  in  Nürmberg",  1522  in  Augsburg,  1534  bei  Georg  Ulricher  in  Straß- 
burg und  1550  bei  Philipp  Ulhart  in  Augsburg  erschienen.  Über  den  Raubzug 
Pizarros  berichtet  ein  1535  gedruckter  Brief,  der  mit  den  Worten  anhebt:  „Item 
es  ist  vor  etlichen  Jaren  durch  Kay.  May.  beuelch  (auf  Befehl  Sr.  Majestät  des 
Kaisers)  außgefaren  auß  Hispania  ein  hispanischer  Her  Francisco  de 
Pysaria  .  .  ."  usw. 

Im  Verein  mit  den  von  den  Geographen  und  Geschichtsschreibern  in  um- 
fangreichen Erdbeschreibungen  niedergelegten  Nachrichten  übten  diese  neuen 
Zeitungen  einen  ungeheuren  Eindruck  auf  das  deutsche  Volk.  Man  verschlang 
die  Beschreibungen  der  mit  goldenen  Schätzen  und  seltsamen  Götzenbildern 
gefüllten  Tempel  und  Paläste  der  Inkas  und  Montezumas;  staunend  las  man 
von  den  volkreichen  Städten  Tenochtitlan,  Cholula,  Tlaskala  und  Cuzko,  von 
ihren  großen  Märkten  und  Festen.  Man  hörte  von  der  Fahrt  des  Ritters  Ponce 
de  Leon  nach  Bimini,  wo  eine  Quelle  existiere,  deren  Wasser  ewige  Jugend  ver- 
leihe. Man  vernahm  vom  Eldorado,  einem  indianischen  König,  dessen  Körper 
tagtäglich  derart  mit  Goldstaub  bedeckt  werde,  daß  er  einer  Goldfigur 
gleiche. 

Es  bedurfte  nicht  mehr,  um  das  Wunderfieber  und  die  Lust  zu  Abenteuern 
bei  den  Deutschen  zu  erregen.  Diese  beiden  Neigungen  steckten  ihnen  von 
jeher  im  Blute.  Seit  den  frühesten  Tagen  des  Mittelalters  zogen  fahrende  Ritter, 
Reisige  und  Minnesänger  von  Burg  zu  Burg,  von  Hof  zu  Hof,  um  Speere  zu 
verstechen  oder  beim  Klang  der  Saiten  die  Gunst  hoher  Herren  und  schöner 
Frauen  zu  gewinnen.  Neben  ihnen  gab  es  viel  anderes  ruheloses  Volk:  fahrende 
Gaukler,  Spielleute,  Schüler  und  Fräulein,  fahrende  Ärzte  und  Quacksalber,  und 
nicht  zuletzt  der  unabsehbare  Troß  der  Landsknechte,  die  ihre  Dienste  bald 
diesem,  bald  jenem  Herrn  verkauften.  Deutsche  Landsknechte  fochten  in  fast 
allen  europäischen  Kriegen.  Wenn  einer  dieser  rauhen  Söldlinge,  Nikolaus 
Schmid  von  Regensburg,  der  für  Philipp  II.  von  Spanien  in  Marokko  focht, 


—     9     — 

in    seiner    poetisclien    Beschreibung    der    Kriege    in    selbstbewußtem    Tone 
singt: 

Uns  Deutsche  braucht  man  zu  dem  Spiel 
Wan  man  einen  Krieg  will  fangen  an. 
Ohn  uns  wird  nichts  gerichtet  außj 
Wo  wir  nicht  sein  dabei  im  Strauß  . .  . 

SO  bezeichnete  er  die  damalige  Zeit  in  der  zutreffendsten  Weise. 

Es  konnte  nicht  ausbleiben,  daß  diese  allzeit  abenteuerlustigen  Lands- 
knechte durch  die  Nachrichten  über  die  neuentdeckte  Welt  und  deren  Schätze 
mächtig  angezogen  wurden.  Besonders  diejenigen,  welche  unter  den  Fahnen 
des  zum  Erben  des  spanischen  Thrones,  und  im  Jahre  1519  auch  zum  deutschen 
Kaiser  ausgerufenen  Karls  V.  gen  Spanien  zogen.  Dort  kamen  sie  in  Berührung 
mit  jenen  Abenteurern,  die  für  diesen  Herrscher  die  Länder  der  Neuen  Welt  er- 
oberten. Mit  Sicherheit  dürfen  wir  annehmen,  daß  viele  dieser  deutschen  Lands- 
knechte sich  für  die  Eroberungszüge  in  Amerika  anwerben  ließen.  Leider 
wissen  wir  nur  wenig  über  die  Beteiligung  solcher  Deutschen.  Daß  sie  aber 
keineswegs  gering  veranschlagt  werden  darf,  geht  daraus  hervor,  daß  unter 
den  3000  Soldaten  des  Pedro  de  Mendoza,  der  im  Jahre  1534  nach  dem  süd- 
amerikanischen „Silberstrom",  dem  L.a  Plata,  zog,  sich  150  Deutsche  befanden. 
Einer  derselben  war  Ulrich  Schmidel  aus  Straubing.  Er  verweilte 
19  Jahre  lang  am  La  Plata  und  nahm  an  fast  allen  von  Mendoza  unternommenen 
Eroberungszügen  teil.  Als  er  nach  zahllosen  Abenteuern  endlich  wieder  in  die 
Heimat  zurückkehrte,  schrieb  er  seine:  „Warhafftige  Historien  Einer  Wunder- 
baren Schiffart,  welche  Ulrich  Schmidel  von  Straubing  von  Anno  1534  biß 
Anno  1554  in  Americam  oder  Neuwewelt,  bey  Brasilia  und  Rio  della  Plata 
getan.  Was  er  in  diesen  neuntzehn  Jahren  außgestanden,  und  was  für  selt- 
zame  Wunderbare  Länder  und  Leut  er  gesehen"  usw. 

Noch  absonderlichere  Erlebnisse  bestand  der  aus  Homburg  in  Hessen 
stammende  HansStade.  In  Brasilien  geriet  er  in  die  Gefangenschaft  „der 
wilden,  nacketen,  grimmigen  Menschenfresser  Leuthen",  deren  Sitten  er  in  einem 
1556  zu  Frankfurt  a.  M.  gedruckten  Büchlein  höchst  anschaulich  beschrieb. 

Sicher  befanden  sich  auch  viele  deutsche  Landsknechte  bei  jenen  Expedi- 
tionen, die  in  den  Jahren  1528  bis  1546  von  den  Augsburger  Kaufherren  Welser 
ausgesandt  wurden,  um  Venezuela  zu  erobern.  Diese  Expeditionen,  von  denen 
die  erste  50  Bergleute  aus  dem  Erzgebirge  mit  sich  führte,  wurden  sämtlich  von 
deutschen  Rittern  befehligt.  Von  der  am  Karabischen  Meere  gelegenen  Ortschaft 
Coro  aus  drangen  sie  in  überaus  waghalsigen  Entdeckerzügen  durch  die  tropi- 
schen Niederungen  des  Zuliagebietes  bis  auf  die  kalten  Hochebenen  Kolumbiens, 
in  südlicher  Richtung  bis  zu  den  oberen  Nebenflüssen  des  Orinoco.  Niko- 
laus Federmann  schrieb  über  diese  oft  mehrere  Jahre  währenden  Fahrten 
seine  berühmte  „Indianische  Historia".  Der  Junker  Philipp  von  Hütten 
sandte  gleichfalls  hochinteressante  Reisebriefe  an  seine  in  der  Heimat  zurück- 
gebliebenen Angehörigen. 


—     10     — 

Alle  diese  Flugblätter,  Zeitungen  und  Reiseschilderungen,  zu  denen  sich 
noch  viele  in  Erdbeschreibungen  enthaltene  umfangreiche  Mitteilungen  gesellten, 
erregten  im  deutschen  Vollce  das  lebhafteste  Interesse  für  die  Neue  Welt.  Die 
Folge  war,  daß  im  17.  und  18.  Jahrhundert  die  auswanderungslustigen  Deut- 
schen sich  nicht  mehr  atisschließlich  nach  Ungarn,  Siebenbürgen,  Polen  und 
Rußland  wendeten,  sondern  sich  auch  an  der  Besiedelung  der  Neuen  Welt  be- 
teiligten. 


"^'  Tort  nieuw   tAtnßerdanL  av  icMMwatans 


Die  ersten  Deutschen  in  den  amerikanischen 

Kolonien. 

Die  deutschen  Gouverneure  von  Neu-Niederland  und 

Neu-Schweden. 

Wie  deutsche  Soldaten,  Seefahrer,  Handwerker  und  Kaufleute  in  der  Ge- 
folgschaft der  Spanier  und  Portugiesen  nach  den  neuweltlichen  Kolonien  der- 
selben verschlagen  wurden,  so  kamen  auch  zahlreiche  Deutsche  im  Dienst  der 
Holländer  und  Schweden  nach  der  Ostküste  von  Nordamerika. 

Es  war  im  Jahre  1609,  als  der  im  Sold  der  „Niederländisch  Ostindischen 
Compagnie"  stehende  Seefahrer  Henry  Hudson  jenen  herrlichen  Strom  ent- 
deckte, der  späterhin  mit  seinem  Namen  belegt  wurde.  Diesen  Strom  genauer 
zu  erforschen,  war  aber  nicht  dem  berühmten  englischen  Kapitän,  sondern  dem 
aus  Kleve  gebürtigen  Hendrik  Christiansen  beschieden.  Auf  einer 
Handelsreise  nach  Westindien  hatte  dieser  Deutsche  die  Mündung  des  majestäti- 
schen Stroms  gesehen  und  war  von  dem  Anblick  so  eingenommen  worden,  daß 
er  wieder  und  wieder  zurückkehrte  und  insgesamt  elf  Fahrten  dorthin  vollführte. 

Die  erste  dieser  Reisen  machte  er  in  Gemeinschaft  mit  dem  Kapitän  Adrian 
Block.  Sie  diente  hauptsächlich  Erkundigungszwecken.  Aber  die  Bedeutung 
der  Gegend  für  den  Pelzhandel  scheint  beiden  sofort  aufgegangen  zu  sein. 


Kopfleiste:    Neu-Amsterdam    zur    Zeit    Minnewits. 
Kupferstich. 


Nach    einem    gleichzeitigen 


—     12     — 

Denn  nach  ihrer  Rückkehr  bildete  sich  in  Amsterdam  und  Hörn  eine  Kaufmanns- 
gesellschaft, die  im  Jahre  1614  eine  kleine  Flotte  ausrüstete,  um  am  Hudson  den 
Grund  zu  einem  Kolonialreich  zu  legen,  das  den  Namen  „Neu-Nieder- 
1  a  n  d^'  empfangen  sollte. 

Zwei  der  jener  Flotte  angehörenden  Schiffe  wurden  von  Christiansen  und 
Block  befehligt.    Der  erste  führte  die  „Fortuna",  Block  den  „Tiger". 

Christiansen  erkannte  bald  die  Notwendigkeit  und  die  Vorteile  eines  stän- 
digen Stützpunktes  für  den  Tauschhandel  mit  den  Urbewohnern  und  legte  auf  der 
Südspitze  der  von  den  Manhattanindianern  bewohnten,  13  engl.  Meilen  langen 
Manhattaninsel  einen  aus  mehreren  Blockhütten  bestehenden  Handelsposten  an. 

Später  richtete  er  sein  Augenmerk  auch  auf  die  Gegend,  wo  der  Mohawk- 
fluß  sich  mit  dem  Hudson  verbindet  und  gründete  auf  einer  unweit  dieser 
Stelle  gelegenen  Insel  eine  zweite,  befestigte  Station,  die  er  Fort  Nassau  taufte. 
Zur  Verteidigung  dieses  m.it  Gräben  und  Palisaden  umgebenen,  aus  Wohn- 
stätten und  Lagerhaus  bestehenden  Postens  dienten  zwei  Kanonen  und  elf 
Drehbrassen.  Der  häufigen  Überschwemmungen  wegen  wurde  diese  Station 
später  auf  das  westliche  Stromufer  verlegt  und  bildete  als  „Fort  Oranien"  den 
Keim  der  heutigen  Stadt  Albany. 

Leider  sind  wir  über  die  weitere  Tätigkeit  Christiansens,  des  ersten  in  der 
Kolonialgeschichte  der  heutigen  Vereinigten  Staaten  genannten  Deutschen,  nur 
wenig  unterrichtet.  Wir  wissen  nur,  daß  er  dem  Pelzhandel,  der  Haupteinnahme- 
quelle  der  Kolonie  Neu-Niederland,  die  Wege  ebnete,  indem  er  die  an  beiden 
Ufern  des  Hudson  und  am  Ausfluß  des  Mohawk  wohnenden  Indianer  besuchte 
und  in  regelmäßige  geschäftliche  Beziehungen  zu  ihnen  trat.  Daß  die  Holländer 
selbst  Christiansen  als  den  eigentlichen  Erforscher  der  Hudsongegenden  be- 
tracheteten,  geht  aus  folgender  Stelle  der  von  dem  zeitgenössischen  Lehrer 
Nikolas  Jean  de  Wassenaer  stammenden  „Geschichte  der  denkwürdigsten  Er- 
eignisse" hervor:  „Dieses  Land  (Neu-Niederland)  wurde  zuerst  von  dem  ehren- 
werten Hendrik  Christiansen  von  Kleve  befahren  .  .  .  Hudson,  der  berühmte 
englische  Seefahrer,  w^ar  auch  dort  gewesen." 

Leider  fand  Christiansen  einen  vorzeitigen  Tod.  Und  zwar  durch  die 
Hand  eines  jungen  Indianers,  den  er  einst  mit  nach  Holland  genommen  hatte. 
Die  Beweggründe  zu  der  Tat  sind  nicht  bekannt,  daß  es  sich  aber  um  einen 
Mord  handelte,  dürfte  daraus  zu  schließen  sein,  daß  der  Indianer  von  den  Leuten 
Christiansens  standrechtlich  erschossen  wurde. 

Als  im  Jahre  1623  die  „Niederländisch-Westindische  Gesellschaft"  einen 
Freibrief  für  Neu-Niederland  erhielt,  ernannte  sie,  nachdem  ihre  Interessen  von 
den  beiden  Holländern  Cornelius  May  und  Willem  Verhulst  mit  wenig  Glück 
vertreten  worden  waren,  im  Jahre  1626  den  aus  Wesel  gebürtigen  Peter 
M  i  n  n  e  w  i  t  zum  Direktor  der  jungen  Kolonie. 

Leider  wissen  wir  über  das  Vorleben  dieses  bedeutenden  Mannes  nur,  daß 
er  in  seiner  Vaterstadt  Diakon  der  reformierten  Kirche  gewesen  war.  Von 
Wesel  hatte  Minnewit   sich   nach   den  Niederlanden   gewendet,   als   die   Stadt 


—     13     — 

während  des  klevischen  Erbfolgekrieges  von  den  Spaniern  eingenommen  wurde. 
Von  Holland  aus  unternahm  Minnewit  im  Dienst  hervorragender  Handelshäuser 
Reisen  nach  Ostindien  und  Südamerika.  Auf  diesen  erwarb  er  sich  den  Ruf 
eines  so  tüchtigen  Beamten,  daß  die  vorsichtigen  Leiter  der  Niederländisch-West- 
indischen Gesellschaft  ihn  für  den  schwierigen  Posten  erkoren,  der  von  seinem 
Inhaber  so  mannigfache  Fähigkeiten  erheischte. 

Bereits  die  erste  Maßregel,  die  Minnewit  nach  seiner  am  4.  Mai  1626  er- 
folgten Ankunft  in  seinem  Verwahungsbereich  traf,  stellt  seiner  Umsicht  das 
beste  Zeugnis  aus.  Obgleich  die  Niederländer  kraft  der  in  ihrem  Auftrag  ge- 
schehenen Entdeckung  und  Besiedelung  alles  Land  am  Hudson  beanspruchten, 
so  waren  doch  Gerüchte  im  Umlauf,  daß  die  Engländer  auf  Grund  der  im 
Jahre  1497  von  John  Cabot  gemachten  Entdeckungen  Anspruch  auf  die  ganze 
Ostküste  Nordamerikas  von  Neufundland  bis  Florida  erhöben.  Es  galt  nun, 
solchen  vagen  Ansprüchen  einen  einwandfreien  Besitztitel  gegenüberzustellen. 
Aus  diesem  Grunde,  und  um  in  der  Ausdehnung  des  Handelspostens  unbe- 
schränkt zu  sein,  schloß  Minnewit  mit  den  die  Insel  bewohnenden  Indianern 
einen  Vertrag,  durch  welchen  die  Insel  in  den  Besitz  der  Niederländisch-West- 
indischen Gesellschaft  überging. 

Die  einzige,  auf  unsere  läge  gekommene  Urkunde,  welche  über  diese 
hochinteressante  Episode  in  der  Kolonialgeschichte  Amerikas  berichtet,  besteht 
in  einem  Brief,  der  von  dem  Stadtschreiber  der  Stadt  Amsterdam  an  die  im  Haag 
residierenden  Herren  der  Generalstaaten  gerichtet  ist.  Derselbe  lautet  verdeutscht : 

Hochmächtigste  Herren ! 
Hier  ist  gestern  das  Schiff  „das  Wappen  von  Amsterdam"  angekommen, 
welches  von  Neu-Niederland  aus  dem  Muritius  Fluß  am  23.  September  ab- 
gesegelt ist.  Es  berichtet,  daß  unser  Volk  daselbst  guten  Mutes  ist  und  in 
Frieden  lebt.  Die  Frauen  haben  auch  Kinder  daselbst  geboren;  man 
hat  die  Insel  Manhattes  von  den  Wilden  für  einen  Wert 
von  60  Gulden  gekauft;  sie  ist  1 1  000  iVl  o  r  g  e  n  groß.  Sie 
säten  all  ihr  Korn  um  die  Mitte  des  Mai  und  ernteten  es  Mitte  August.  Wir 
haben  Proben  des  Sommer-Getreides,  wie  Weizen,  Roggen,  Gerste,  Hafer, 
Buchweizen,  Canarisamen,  Böhnchen  und  Flachs.  Die  Ladung  des  ge- 
nannten Schiffes  besteht  aus  7246  Biberfellen;  178il.  Otterfellen;  675  Otter- 
fellen; 48  Minkfellen;  36  Wildkatzenfellen;  33  Minkfellen;.  34  Rattenfellen. 
Viele  Stämme  von  Eichen  und  Nußbaum.  Hiermit  mögen  Eure  hochmächtigen 
Herren  der  Gnade  des  Allmächtigen  empfohlen  sein. 

In  Amsterdam,  den  5.  November  1626. 

Euer  Hochm.  Dienstwilligster 
V.  Schaaben. 

Nachdem  Minnewit  so  den  Ansprüchen  der  Niederländer  eine  feste  Grund- 
lage gegeben,  traf  er  Vorkehrungen  zum  Schutz  der  Insel,  indem  er  auf  ihrer 
Südspitze  ein  Fort  aufführen  ließ.     Die  Lage  war  glücklich  gewählt.     Denn 


—     14     — 

auf  seiner  Westseite  wurde  das  Fort  vom  Hudson,  auf  der  Ostseite  vom 
Mauritiusfluß,  dem  heutigen  East  River  bespült.  Gegen  Norden  konnte  es 
durch  einen  befestigten  Graben  leicht  verteidigt  werden.  Die  Angaben  über 
die  Bauart  des  Forts  widersprechen  einander.  Einige  besagen,  es  sei  von 
hohen,  mit  Palisaden  besetzten  Erdwällen  umgeben  gewesen,  während  andere 
Nachrichten  von  Steinmauern  reden.  Das  aus  Stein  aufgeführte  „Kontor"  oder 
Geschäftshaus  der  Gesellschaft  lag  in  der  Mitte  des  Forts.  Ein  Teil  dieses 
Hauses  diente  gleichzeitig  als  Lagerraum  und  Kaufladen.  Die  Holzhütten  der 
Ansiedler  und  Bediensteten,  etwa  dreißig  an  der  Zahl,  lagen  am  Ufer  des  East 
Rivers.  Der  ganze  Handelsposten  führte  den  Namen  Neu- Amsterdam.  Der 
übrige  Teil  der  Insel  Manhattan  war  mit  dichten  Wäldern  bedeckt,  in  deren 
Dunkel  Hirsche,  Panther  und  Bären  hausten.  Zwischen  den  Felsgraten  dehnten 
sich  zahlreiche  Sümpfe,  ferner  ein  kleiner  See,  an  dessen  malerischem  Strand 
die  Wigwams  der  Rothäute  lagen.  Ohne  Zweifel  muß  der  damalige  Anblick 
der  herrlich  grünen  Insel  inmitten  der  von  indianischen  Kanus  belebten  Bai 
eines  der  großartigsten  Landschaftsbilder  gewesen  sein,  welche  die  Neue  Welt 
zu  bieten  vermochte. 

Unter  der  umsichtigen  Leitung  Minnewits,  der  es  sich  angelegen  sein  ließ, 
mit  den  Indianern  in  Frieden  auszukommen,  entwickelte  sich  der  Handel  von 
Neu- Amsterdam  so  rasch,  daß  die  Ausfuhr  an  Pelzen,  die  im  Jahre  1624  einen 
Wert  von  nur  25  000  Gulden  besaß,  im  Jahre  1631  bereits  auf  130  000  Gulden 
stieg.  Minnewit  war  aber  auch  darauf  bedacht,  alle  Flilfsquellen  der  jungen 
Kolonie  zu  entwickeln.  Jede  Bucht,  jeder  Strom  wurden  gründlich  erforscht. 
Und  zwar  erstreckten  sich  diese  Streifzüge  über  Long  Island  hinaus  bis  zur 
Narragansett  Bai. 

Nordöstlich  der  letzteren  lag  die  im  Jahre  1 620  gegründete  englische  Kolonie 
New  Plymouth,  deren  Bewohner  gleichfalls  mit  den  Indianern  der  Narragansett 
Bai  Handel  trieben. 

Minnewit  gab  sich  große  Mühe,  mit  jenen  englischen  Nachbarn  freund- 
schafdichen  Verkehr  zu  gewinnen.  Er  sandte  mehrere  von  Geschenken  be- 
gleitete Briefe  an  den  Gouverneur  Bradford,  in  welchen  er  ihm  Grüße  über- 
mittelte und  einen  Warenaustausch  vorschlug.  Der  Engländer  erwiderte  zwar 
diese  Höflichkeiten,  benutzte  aber  gleichzeitig  die  Gelegenheit,  das  Recht  der 
Niederländer,  mit  den  Indianern  der  Narragansett  Bai  Handel  zu  treiben,  an- 
zuzweifeln. Ja,  er  ließ  wissen,  daß  die  englischen  Schiffe  vom  König  Befelil 
erhalten  hätten,  alle  fremden  Fahrzeuge,  die  an  den  bis  zum  40.  Breitengrad 
reichenden  Küsten  angetroffen  würden,  aufzugreifen  und  ihre  Insassen  ge- 
fangen zu  nehmen.  Da  Neu-Niederland  nördlich  vom  40.  Breitengrad  lag, 
so  ließ  die  Mitteilung  sich  nicht  anders  auslegen,  als  daß  England  die  An- 
sprüche der  Niederländer  auf  das  Hudsongebiet  nicht  anerkenne. 

Minnewits  Antwort  lautete  höflich  aber  bestimmt:  „As  the  English  claim 
authority  under  the  King  of  England,  so  we  derive  ours  from  the  States  of 
Holland  and  will  defend  it." 


^i-.f  wr>;4\b-< 


—     17    — 

Obgleich  die  Versicherungen  gegenseitigen  Wohlwollens  zwischen  den 
beiden  Gouverneuren  fortgesetzt  wurden,  hielt  Minnewit  es  doch  für  geraten, 
die  niederländische  Regierung  um  Verstärkung  seiner  Garnison  zu  bitten,  damit 
er  etwaige  feindliche  Angriffe  zurückweisen  könne.  Ehe  sein  Gesuch  in  Holland 
eintraf,  hatten  die  Niederlande  aber  bereits  mit  Karl  1.  von  England  ein  Über- 
einkommen geschlossen,  wonach  sämtliche  Häfen  des  Königreiches  wie  der 
englischen  Kolonien  holländischen  Schiffen  offenstehen  sollten. 

War  dadurch  den  drohenden  Verwicklungen  einstweilen  vorgebeugt,  so 
bereiteten  hingegen  andere  von  den  Direktoren  der  Niederländisch-West- 
indischen Gesellschaft  getroifene  Maßregeln  Minnewit  neue  Verlegenheiten. 
Obwohl  Neu-Niederland  von  Jahr  zu  Jahr  Fortschritte  machte,  so  war  es 
noch  nicht  imstande,  sich  selbst  zu  erhalten.  Die  Einnahmen  deckten  nictit 
die  Ausgaben. 

Besonders  die  landwirtschaftlichen  Zustände  ließen  viel  zu  wünschen  übrig. 
Das  war  darauf  zurückzuführen,  daß  die  Westindische  Gesellschaft  weit  inten- 
siver die  Interessen  des  Handels  als  die  der  Besiedlung  betrieb.  Überdies 
konnten  wirkliche  Ackerbauer  nur  schwer  dazu  bewogen  werden,  ein  sicheres 
Auskommen  im  gesegneten  Holland  gegen  ein  ungewisses  Dasein  in  einem 
unbekannten,  von  Wilden  bewohnten  Lande  zu  vertauschen. 

Um  nun  die  Besiedlung  Neu-Niederlandes  zu  fördern  und  auch  die  Privat- 
spekulationen zu  ermuntern,  nahmen  die  Direktoren  der  Gesellschaft  am  7.  Juni 
1628  einen  Freibrief  an,  in  welchem  allen  denjenigen,  die  sich  zur  Gründung 
von  Ansiedlungen  in  Neu-Niederland  entschlössen,  die  weitestgehenden  Ver- 
günstigungen zugesichert  wurden. 

Wer  eine  Niederlassung  mit  wenigstens  50  erwachsenen  Personen  gründe, 
solle  berechtigt  sein,  innerhalb  der  Kolonie  am  Ufer  irgendeines  schiff- 
baren Stromes  einen  Streifen  Landes  von  16  Meilen  Länge  auszusuchen, 
wenn  das  gewählte  Stück  auf  einer  Seite  des  Stromes  lag.  Aber  man  durfte 
auch  zwei,  auf  beiden  Ufern  gelegene  Streifen  von  je  acht  Meilen  Länge  be- 
setzen. Nach  dem  Innern  hin  war  die  Ausdehnung  unbegrenzt.  Wer  mehr 
als  50  Ansiedler  brachte,  dessen  Ansprüche  auf  Land  erhöhten  sich  der  Kopfzahl 
der  Personen  entsprechend.  Auf  solchen  ,.Patronaten",  die  als  unumschränktes 
erbliches  Eigentum  zuerkannt  wurden,  standen  den  Besitzern  alle  Jagd-  und 
Fischereigerechtsame,  sowie  die  Gerichtsbarkeit  über  sämtliche  dort  wohnende 
Kolonisten  zu.  Entstand  auf  einem  Patronat  eine  Stadt,  so  hatte  der  Patron 
das  Recht,  ihre  Behörden  zu  ernennen  und  einzusetzen. 

Da  obendrein  den  Patronen  für  zehn  Jahre  lang  alle  Abgaben  und  Steuern 
erlassen  wurden,  so  beeilten  sich  natürlich  viele,  deren  Mittel  zum  Erfüllen  der 
Bedingung  ausreichten,  von  so  verlockenden  Vergünstigungen  Gebrauch  zu 
machen.  Die  ersten  v/aren  mehrere  Direktoren  der  Gesellschaft.  Schon  als 
der  Freibrief  in  Beratung  war,  belegten  sie  die  schönsten  und  wertvollsten 
Landstriche  für  sich.  Der  Diamantenhändler  Kilian  van  Rensselaer  sicherte 
sich  am  Hudson  ein  Gebiet,  welches  die  späteren  Grafschaften  Albany  und 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  2. 


—     18    — 


Rensselaer  umfaßte.  Michael  Paiiw  belegte  Staten  Island  und  einen  Streifen 
der  New  Jersey  Küste.  Andere  Direktoren  setzten  sich  am  untern  Hudson 
und  nördlich  von  der  Insel  Manhattan  fest.  Natürlich  führte  diese  Handlungs- 
weise zu  Eifersucht  und  Streit  innerhalb  der  Gesellschaft.  Das  Verhältnis 
wurde  noch  gespannter,  als  die  Herren  der  neugeschaffenen  Besitzungen  ent- 
gegen der  ausdrücklichen  Bestimmung,  daß  der  Pelzhandel  Reservatrecht  der 
Gesellschaft  bleiben  solle,  auf  eigene  Faust  mit  den  Indianern  Pelzhandel  zu 
betreiben  begannen,  was  einen  bedeutenden  Rückgang  in  den  Einnahmen  des 
Gesellschaftpostens  Neu-Amsterdam  zur  Folge  hatte. 

Wie  das  bei  solchen  Vorgängen  zu  geschehen  pflegt,  so  erhoben  die- 
jenigen, welche  ihre  Besitztümer  nicht  so  ergiebig  oder  wertvoll  wie  jene  der 
andern  wähnten,  gegen  Gouverneur  Minnewit  die  durchaus  ungerechte  Be- 
schuldigung, daß  er  bei  der  Verteilung  der  Besitzungen  andere  Patronatsherren 

bevorzugt  habe.  Das  Gezänk  wurde  schließ- 
lich so  unerquicklich,  daß  Minnewit  froh  war, 
als  im  August  des  Jahres  1631  seine  Ab- 
berufung erfolgte. 

Sowohl  für  Neu-Niederland  wie  für  die 
spätere  Kolonie  New  York  hatten  die  Bestim- 
mungen des  Freibriefes  viele  üble  Folgen.  Es 
wurde  auf  dem  Boden  der  Neuen  Welt  ein 
Feudaladel  geschaffen,  der  für  das  Aufblühen 
eines  kräftigen  Bürgertums  überaus  hinderlich 
war  und  durch  seine  Anmaßungen  schwere 
Kämpfe  mit  den  wirklichen  Kolonisten  ver- 

Das  Siegel   der  Kolonie  Neu-Nieder-^  .       v.      .  .... 

laad  oder  Neu-Belgien.  War  Peter  Minnewit  dem  verhängnis- 

vollen Fehler  der  Niederländisch-Westindi- 
schen Gesellschaft  zum  Opfer  gefallen,  so  war  aber  seine  Rolle  auf  dem  Boden 
der  Neuen  Welt  noch  nicht  abgeschlossen.  Er  trat  in  die  Dienste  der  schwedi- 
schen Regierung,  die  sich  gleichfalls  mit  Kolonisationsplänen  trug. 

Die  Anregung  hierzu  hatte  Willem  Usselinx,  einer  der  Gründer  der 
Niederländisch-Westindischen  Gesellschaft  gegeben.  Demselben  schwebte  der 
Aufbau  eines  großen  niederländischen  Kolonialreiches  vor,  welches  demjenigen 
der  Spanier  die  Spitze  bieten  und  sein  Handelsmonopol  brechen  sollte.  Als  er  aber 
mit  seinen  kühnen  Plänen  im  Direktorenrat  nicht  durchzudringen  vermochte, 
wandte  er  sich  an  den  hochstrebenden  König  Gustav  Adolf  von  Schweden. 
Dieser  griff  die  Pläne  Usselinx'  begierig  auf  und  gründete  am  10.  November  1624 
die  „Australische  Gesellschaft".  Um  den  Handel  Schwedens  mit  außereuropä- 
ischen Ländern  zu  fördern,  erteilte  er  derselben  die  wertvollsten  Vergünstigungen. 
Als  er  sich  selbst  mit  400  000  Reichstalern  an  die  Spitze  stellte,  erwachte  in 
Schweden  ein  förmliches  Kolonisationsfieber.  Die  vornehmsten  Edelleute, 
Offiziere,   Bischöfe  und  Gelehrte  beeilten   sich,   ihren    Namen   in   die  Listen 


—     10    — 


der  Gesellschaft  einzutragen.     Dieselbe  änderte  ihren 
Seilschaft"  um  und  nahm  ihren  Sitz  in  Gothenburg. 
ganz   im   Sinne   Usse- 


Titel  bald  in  „Süd-Ge- 
Dort  reiften  ihre  Pläne 


linx'  zu  einer  der  eigen- 
artigsten Kolonialunter- 
nehmungen aller  Zei- 
ten aus.  Man  wollte 
alle  germanischen  Völ- 
ker für  dieselbe  gewin- 
nen. VornehmUch  die 
Deutschen,  mit  denen 
man  die  herzlichsten 
Beziehungen  unterhielt. 
Von  vornherein  wur- 
den zu  diesem  Zweck 
alle  Veröffentlichungen 
der  „Süd-Gesellschaft" 
auch  in  deutscher 
Sprache  gedruckt.  Zu- 
nächst die  in  den 
Jahren  1624  und  1626 
in  Stockholm  durch 
„Christoffer  Reusner' 
gedruckten  Vertrags- 
briefe. 

Zwar  geriet  das 
Unternehmen  durch 
den  Kriegszug  Gustav 
Adolfs  nach  Deutsch- 
land etwas  ins  Stocken, 
aber  der  König  be- 
schäftigte sich  unaus- 
gesetzt mit  den  großen 
Plänen.  So  ordnete  er 
den  Erlaß  eines  Auf- 
rufs an  die  Deutschen 
zur  Beteihgung  an. 
Dieses  vom  Kanzler 
Oxenstierna       verfaßte 


ARGONAVTICA     GVSTAVIANAj 

Ion  t)eir  W^mtn  ^ctf0t  mt> 

@o  i>on  t>m  ^rtlanbt  2(IIfrt>urc^kucl^«jjftrn/©ro|]m4cf* 

tigf^m  mi  ©Ugtfidbfftcti  ^ürfJen  onnD  ^rrm  /  i)mn  G  v  s  T  A  V  O 

ADOLPHO  MAGNO,  Co-  etljwbfn  /  ©othftt  cnBlCfnCfti  Ädnig  /  ©roß; 

gOrflfti  in  ginnlanCt  /  Xitr^oqtn  ju  (thtfitn  vrtt)  ^rtkn  /  i^rnn  jit  ^ngfr* 

r;anl<u;6c,'tf .  3lB<tglcnciir6igpni  ®«(igfftii  3lnBmcf tn»/ 

Curd}  jnncljtungrinrt 

^enerafganöei  c  o  M  p  A  G  N  IE, 

Socicrcto&fr®<ffllf(:f)a|ff/ 

SnbrroiXeic^  t?nb  iantxm  ^utcxfdbmfontctba^xm^ufff 

nehmen  onD  ^for/au^  t)of)f  m  Vnfiant>t  mt^'^at^/  vor  twnia  ^^tm 

JU  fliffunangffoiigtii: 

^iit  tm Ktiigcn it5eld}e  \id)in  @  K.  "iTi. SreunDfcfeaffi  /  dcvotion ,  otxr  Vtv» 

lün\>m%b<<^(bn\ I  vnb  rirf?Ci:(fcB^roffni90ort^fit9/  frfpfoflatelKljfrÖflfgfn^fit/gfbraudjcn 

«0Ucn/iu»nfrmt6li<l«'n'?!ui|ent!3n)mm(n/au^5^ni9li(l){r5Jiiler9f<ji/jun(i3un9»nftön«6</' 

mili<it)<li(tnotitn.wbrnu  b<mfitti(rltitPtnrcc:miiitlt  inieini  vttUi\)unit<f 

Matiäiflcni fow^tfc?« vnbviUi^  tu QD<uf  j<rict«( 

retr&tnfcU 

!Öarau0  itnn  ein  UbW(t)er  tlarett/  grün  Dlicben/  vmb  )iu  frinr  m  '^tf)ufffatfam(tt 

©mcfjtcnB'IBiflVnfcfjafft&iVf«i3ofbtt>idjtigcn'nJfrfft<cinnfbmfn/cnön>icD,»IT<lt><nicf>tijU 

(Wianri<fiftll'(if«nNrn()u(l)Di<f(Scri5B/(S6rlftl(<li/()orbrüf)mli*/D!(*miiJ(yi|5»nch(>cf)nüiilicI)/ 
aii<fei>riuiuurli(tenC«^gr9{^digi<.ulicicofip  |urgDll9ri>crrtib<nliiii/ 

Äalxp  aucfj  juglf id) txrnünfff ia craf^lcn xmnt) crmf ffoi  rtwg :  Ob  )bnu  rnP Tf n  ff mi^f n ' »ff 

C5tjo><»cb«tCondiiioDrrpiim«rf«Bfiliicit<r/tii<ffBbiCTili(tiiuiin<((it>t«fc«oOOTlMt(oii'  inifatt:>ufimtr,ot<mi  jo 
(KtKS  löf ll'lxl^"o''lBia>»«l  Tltro«  Jä^fsEaflt/ imrA  (infrtrfituBgfcintB  TIgitune  onC  f m(t  ^(irli'di  polt 

crica^n  atibxümocbtt 

Sa«föbfrfä'•«ün■f)an^t^3rten•^rf)l«en1f(3cf)rtffrfn/Wr^fBacf)f6ffrfffcnDf/ 

aU()i<rfc<i;famcneortan&<n,foicI)(8rcir6ci(ni(l)|7fcl5tnD<  <5<iic«i3<ii. 
I.  Regum  9. 
tönt)  (Salomo  ma4tc  2(uc^  ©d)iff<iu(f!ton(*5<b<r/6i(l)ti)^ict()(^iamCOf(r6tft®(l)i(ff. 
SRftr«  im  iantK  etr  (E^eml«r :  COnB  JOixam  Kr  Äini^  ju  ?r)ro  fantr<  f<int  Äntdj«  rm 

»n»famm9<n£)pl^ir/  »nt  fiol<tcnMfri6|l  ^icrtjunetrisnCjTOaniiig  (immer  0«l£i<«/ »oft 


(Bebrucf  t  ^ii  ;?röncf  furf  am  5>5?ar>n/acpCafpar  5?6btf  In/ 

3m>(>''^r(>nrri  I  Ä  }  j.  Mcnfcjunio. 
97?«  bB  fcw  9Hlfa::mZ-:  .':'■'. 

Titelblatt  der  Argonautica  Gustaviana,  der  ersten  in  deutscher 
Sprache  gedruckten  Auswanderungs-Flugschrift. 


Schriftstück  lag  im  No- 
vember 1632  zur  Unterzeichnung  durch  den  König  bereit.  Unglück- 
licherweise wurde  aber  dem  Leben  des  letzteren  in  der  am  16.  November  1632 
stattfindenden  Schlacht  bei  Lützen  ein  vorzeitiges  Ziel  gesetzt.  — 


—    20     — 

Sobald  die  dadurch  verursachte  Verwirrung  sich  gelegt  hatte,  ließ  Oxeii- 
stierna  im  April  1633  bei  „Christoph  Krausen  zu  Heilbrunn"  mehrere  Flug- 
schriften und  im  Juni  bei  „Caspar  Rödteln  zu  Frankfurt  am  Mayn"  den  Auf- 
ruf erscheinen.  Wohl  in  der  Voraussetzung,  daß  man  den  Deutschen  mit  nichts 
so  sehr  imponieren  könne  als  Gründlichkeit,  ließ  Oxenstierna  seiner  120  Folio- 
seiten umfassenden  Schrift  einen  Titel  voransetzen,  dessen  ungeheure  Länge  ge- 
wiß auch  in  jenem,  an  Weitschweifigkeiten  gewöhnten  Zeitalter  manchem  Leser 
den  Atem  benommen  haben  mag.  Zur  Erheiterung  unseres  Kürze  des  Aus- 
drucks liebenden  Geschlechts  möge  hier  der  Titel  m  einer  verkleinerten  Fak- 
similiewiedergabe  eine  Stelle  finden. 

Die  von  Friedrich  Kapp  treffend  als  „das  erste  in  deutscher  Sprache  er- 
schienene „Auswanderungspamphlet"  bezeichnete  Schrift  war  eine  Sammlung 
aller  das  Unternehmen  der  „Süd-Gesellschaft"  betreffenden  Veröffentlichungen. 
Sie  legte  in  klarer  Weise  sämtliche  Vorteile  dar,  welche  solchen  erwachsen 
müßten,  die  sich  mit  ihrem  Geld  an  dem  Unternehmen  beteiligen  wollten. 

Es  wird  ausgeführt; 

I.  „Daß  Schweden  und  Teutschland  so  gut  Fug  vnd  Recht  für  Gott  vnd 
aller  Welt,  auch  so  viele  gute  vnd  bequeme,  allerhand  behörliche  Mittel  habe, 
eine  solche  Seefahrt  vnd  Handelsgesellschaft  anzurichten,  als  einig  andter  Landt 
in  Europa :  Vnd  nichts  mehr  mangele,  als  daß  man  sich  nur  selbst  recht  erkennt, 
vnd  die  von  Gott  verliehenen  vnd  gewiesenen  Mittel  vernünftig  vnd  mit  gutem 
Willen  und  Ernst  gebrauche." 

II.  „Daß  Sothane  Compagny  nicht  allein  vor  allen  andern  Nationen  in 
Europa,  sondern  auch  vor  alle  andere  Particulier  Handlungen  in  Schweden 
vnd  Teutschlandt  vielfältige  vnd  vberaus  große  Vorteile,  vnter  andern  auch  in 
Zöllen,  haben  werde:  —  so  daß  solches  respectiue  20.  30.  50  bis  100  pro  cento 
außträgt." 

III.  „Daß  männiglich  so  theil  mit  daran  zu  haben  begehret,  bey  dem 
Gelde  so  er  in  diese  Gesellschaft  leget,  sich  viel  weniger  Gefahr  zu  besorgen 
habe,  als  wenn  er  es  an  andern  Handlungen,  Landgütern,  Häusern,  u.  s.  w. 
anleget,  oder  auff  Zinsen,  Wechsel,  v.  s.  w.  außßgethan  hätte:  Ja  daz  es  ihme 
besser  versichert  sey,  als  wenn  er  es  baar  oder  an  Kleinodien  in  seynem  Beutel 
und  Kasten  hette." 

IV.  „Daß  er  aber  unter  dessen  vielfältig  mehr  Gewerb  und  Gewinn  davon 
gewarten  als  in  einiger  andern  Handthierung;  so  auch  das,  wohlbedachter  Weise 
davon  zu  reden,  von  einem  Thaler  in  dieser  Compagny  mehr  Gewinn  ver- 
hoffenlich  vnd  ordinaire  zu  erlangen  seyn  wirdt,  als  von  10  Thalern  in  andern 
Handlungen,  vnd  20  Thalern  an  Landtgütern." 

V.  „Daß  niemandt  so  Lust  hiezu  trägt,  deßwegen  sich  auff  koufman- 
schafften  verstehen,  Reyßen  auff  sich  nehmen,  oder  das  geringste  seinem  Beruff 
zuwider,  er  sei  wes  Standts  oder  Condition  er  auch  jmmer  wolle,  handeln  dürfe; 
Sondern  seines  ordentlichen  Wesens  einen  Weg  wie  den  andern  abwarten, 
dieses  als  eine  Zweckmühle  betrachten  könne." 


—     21     — 

Als  weiterer,  aus  dem  Unternehmen  entspringender  „Haubtnutz"  sei  die 
„Fortpflanzung  des  heiligen  Evangelij"  und  die  „Wohlfahrt  aller  Europeischen 
Landen"  anzusehen.  „In  deme  viel  mehr  Europeische  Waaren  verführet  (ver- 
schifft) werden  könne  als  jetzo."  Zuletzt  wird  nicht  unterlassen,  darauf  hin- 
zuweisen, daß  „eine  sehr  große  Wohlthat  widerfahre  den  Leuten,  die  wegen 
der  großen  Verfolgung  und  Verwüstung,  die  in  Teutschland  vnd  andern  Orten 
in  diesen  Jahren  entstanden,  und  deß  großen  Krieges,  so  vber  gantz  Europam, 
mit  dem  eußersten  Vntcrgang  und  Verderben  vieler  Ländter  vnd  Städte,  sich 
außbreitet,  nicht  wissen,  wohin  sie  sich  wenden  sollen,  damit  sie  noch  jhres 
Lebens,  vnd  der  wenigen  Mittel,  so  jhnen  etwa  vberblieben,  vnd  jhrer  Töchter 
und  Weiber  Ehr,  für  Gewalt  versichert  seyn   mögen."  — 

Der  Aufruf  bewirkte,  daß  zunächst  die  vier  oberdeutschen  Kreise  sich  am 
12.  Dezember  1634  in  Frankfurt  zur  Unterstützung  des  Unternehmens  bereit 
erklärten.  Desgleichen  sandten  die  Städte  Emden,  Stettin  und  Stralsund,  ferner 
der  Herzog  von  Pommern  sowie  Livland  zustimmende  Antworten.  Aber  die 
gerade  jetzt  mit  vernichtender  Gewalt  einherbrausenden  Stürme  des  Dreißig- 
jährigen Krieges  verhinderten,  daß  die  große  Masse  des  deutschen  Volkes  dem 
Vorhaben  die  erforderliche  Aufmerksamkeit  schenken  konnte.  Auch  in  Schweden 
machte  das  Unternehmen  infolge  des  Krieges  nur  langsame  Fortschritte.  Willem 
Usselinx  war  am  1.  Mai  1633  vom  Kanzler  Oxenstierna  zum  Generaldirektor 
der  „Süd-Gesellschaft"  ernannt  und  obendrein  im  Jahre  1635  zum  schwedischen 
Minister  erhoben  worden.  Als  solcher  bemühte  er  sich,  auch  in  Holland  und 
England  Stimmung  für  seine  Pläne  zu  machen,  hatte  aber  nur  wenig  Erfolg. 
Erst  als  einer  seiner  Agenten,  Peter  Spiering,  in  Amsterdam  mit  Peter  Minnewit, 
dem  früheren  Gouverneur  von  Neu-Niederland,  zusam.mentraf,  begannen  die  seit 
zwölf  Jahren  genährten  Hoffnungen  sich  zu  verwirklichen.  Minnewit  bot  in 
einem  vom  15.  Juni  1636  datierten,  von  Spiering  nach  Schweden  gebrachten 
Brief  der  dortigen  Regierung  seine  Dienste  an  und  erklärte  sich  bereit,  eine  Reise 
nach  „gewissen,  bei  Virginien  und  Neu-Niederland  gelegenen  Gegenden  zu 
machen,  die  ihm  wohl  bekannt  seien,  ein  sehr  gutes  Klima  besäßen  und  Nova 
Suedia  genannt  werden  möchten".  Für  diese  Expedition  sei  ein  mit  zwölf 
Kanonen,  genügender  Munition  und  20  bis  25  Mann  versehenes  Schiff  erforder- 
lich. Als  Ladung  könne  es  für  10  bis  12  000  Gulden  Beile,  Äxte,  Decken  und 
andere  Tauschgegenstände  mit  sich  nehmen,  wogegen  es  4500  bis  6000  Biber- 
felle heimbringen  werde.  Die  durch  diesen  Brief  eingeleiteten  Unterhandlungen 
führten  zu  einem  Vertrag,  wonach  Minnewit  und  seine  niederländischen  Freunde 
die  Kosten  der  Expedition  zur  Hälfte  bestritten,  während  die  schwedische 
Regierung  die  andere  Flälfte  trug.  Die  Expedition  wurde  aber  in  einem  größeren 
als  dem  von  Minnewit  vorgeschlagenen  Umfang  ausgerüstet.  Ihre  Kosten  be- 
liefen sich  auf  36  000  Gulden;  zugleich  stellte  man  zwei  Schiffe  sowie  eine 
größere  Zahl  von  Personen  zur  Verfügung. 

Es  war  im  Herbst  1637,  als  Minnewit  mit  dem  „Kalmar Nyckel"  („Schlüssel 
von  Kalmar")  und  dem  „Gripen"  („Greif")  von  Gothenburg  absegelte.     Im 


—     22     — 

März  1638  liefen  die  beiden  Fahrzeuge  in  den  Delaware  ein,  fuhren  diesen  Fluß 
eine  Strecke  aufwärts  und  gingen  an  der  Mündung  des  Minquas  Creek  vor 
Anker.  Hier  erw^arb  Minnewit  am  29.  März  an  der  Stelle,  wo  heute  die  Stadt 
Wilmington  liegt,  von  den  Häuptlingen  der  Minquaindianer  gegen  mehrere 
Decken,  kupferne  Kessel  und  andere  Kleinigkeiten  das  ganze,  zwischen  Bomtiens 
Udden  und  dem  Einfluß  des  Schuylkillflusses  gelegene  Westufer  des  Delaware. 
Dem  Innern  zu  blieb  die  Ausdehnung  des  Landes  unbegrenzt.  Zwar  erhoben 
die  Neu-Niederländer,  als  sie  von  dem  Handel  erfuhren,  Einspruch  gegen  die 
Besitznahme;  Minnewit  aber  schlug  den  Protest  mit  dem  Hinweis  darauf,  daß 
das  Land  unbewohnt  sei,  in  den  Wind  und  baute  ein  Fort,  das  er  zu  Ehren  der 
jungen  schwedischen  Königin  Christina  nannte. 

Durch  reiche  Geschenke  an  die  Indianer  zog  Minnewit  den  Pelzhandel  so 
an  sich,  daß  die  am  Delaware  Handel  treibenden  Niederländer  den  Abgang 
bald  empfindlich  bemerkten.  Zornentbrannt  sandte  William  Kieft,  der  damalige 
Gouverneur  in  Neu-Amsterdam  am  26.  Mai  1638  einen  Brief  an  Peter  Minnewit, 
worin  er  ihn  darauf  aufmerksam  machte,  daß  man  den  Delaware  oder  Südfluß 
seit  vielen  Jahren  als  zu  Neu-Niederland  gehörig  betrachtete  und  entschlossen 
sei,  dieses  Gebiet  zu  verteidigen.  Minnewit,  der  die  Schwäche  seiner  Nachbarn 
nur  zu  gut  kannte,  ließ  auch  diesen  Protest  unbeachtet.  Ja,  er  trat,  um  die 
Sicherheit  des  Fortes  Christiha  unbesorgt,  mit  seinen  beiden  Schiffen  eine  Reise 
nach  Westindien  an,  um  Tabak  einzukaufen.  Auf  dieser  Fahrt  kam  Minnewit 
aber  während  eines  Orkanes  ums  Leben. 

Unter  den  hervorragenden  Personen,  welche  der  Kolonialgeschichte  Nord- 
amerikas so  hohen  Glanz  verleihen,  war  Peter  Minnewit  zweifellos  eine  der  be- 
deutendsten. Er  war  kein  Abenteurer  oder  Phantast,  sondern  ein  umsichtiger, 
praktisch  denkender  und  handelnder  Mann,  der  seinen  schwierigen  Posten  mit 
Geschick  ausfüllte  und  unermüdlich  tätig  war.  Wo  es  nottat,  zeigte  er  Ent- 
schlossenheit und  Festigkeit  des  Charakters.  Im  Verkehr  mit  den  Urbewohnern 
verstand  er  es  in  hohem  Grade  ihr  Vertrauen  zu  gewinnen.  Anstatt  sie  ge- 
waltsam zu  vertreiben,  behandelte  er  sie  als  Menschen,  die  auf  den  von  ihnen 
bewohnten  Boden  Anrecht  besäßen.  Aus  diesem  Grunde  suchte  er  die  be- 
gehrten Landstriche  auf  gütlichem  Wege  durch  gegenseitiges  Übereinkommen 
zu  erwerben.  Deshalb  blieben  auch  Neu-Niederland  sowohl  wie  Neu-Schweden 
unter  seiner  Verwaltung  von  Indianerunruhen  verschont. 

Die  beiden  Schiffe,  mit  welchen  Minnewit  nach  Westindien  gesegelt  war 
und  die  dem  Orkan  glücklich  entrannen,  kehrten  reichbeladen  nach  Schweden 
zurück.  Dort  ernannte  man  zum  Nachfolger  Minnewits  den  Leutnant  Peter 
H  o  1 1  e  n  d  e  r. 

Dieser  traf  im  April  1640  in  Fort  Christiana  ein.  Aber  er  vermochte  nicht, 
sich  gleich  seinem  Vorgänger  bei  den  nördlichen  Nachbarn  Respekt  zu  ver- 
schaffen, denn  bald  begannen  die  Niederländer,  in  Neu-Schweden  einzudringen. 
Auch  englische  Kolonisten  von  New  Haven  kamen  den  Delaware  hinauf,  trieben 
mit  den  Indianern  Handel  und  schlössen  mit  ihnen  Landkäufe  über  Gebiete  ab, 


—     23     — 

die  lange  zuvor  auf  die  gleiche  Art  von  den  Schweden  erworben  waren.  Ob- 
wohl Hollender  die  Eindringlinge  prompt  entfernte,  so  hielt  man  es  in  Schweden 
doch  für  geraten,  eine  kraftvollere  Person  an  seine  Stelle  zu  setzen.  Die  Wahl 
fiel  auf  den  deutschen  Edelmann  Johann  Printz  von  Buchau,  einen 
Oberstleutnant  der  West-Oothischen  Reiter.  Das  war  ein  Mann  von  festem 
Charakter  und  gewaltigem  Körperbau.  Sein  Gewicht  belief  sich  auf  350  Pfund; 
an  Trinkfestigkeit  übertraf  ihn  keiner. 

Die  erteilten  Weisungen  empfahlen  ihm,  mit  seinen  holländischen  Nach- 
barn wennmöglich  gutes  Einvernehmen  zu  unterhalten,  feindliche  Angriffe  da- 
gegen mit  Gewalt  zurückzuweisen.  Johann  Printz  (mit  diesem  Namen  unter- 
zeichnete sich  der  neue  Gouverneur)  traf  am  15.  Februar  1643  im  Eort  Christina 
ein,  begleitet  von  zahlreichen  Personen,  unter  denen  sich  viele  Deutsche,  meist 
Pommern  und  Westpreußen,  befanden.  Seine  Residenz  „Printzhof"  schlug  er 
auf  einer  mehrere  Meilen  nördlich  von  Christina,  im  Delaware  gelegenen  Insel 
auf,  die  er  obendrein  durch  das  aus  schweren  fiolzstämmen  erbaute  Fort  Neu- 
Gothenburg  befestigte.  Die  Ansiedler  trieben  Ackerbau  und  pflanzten  Tabak. 
Im  Tauschhandel  mit  den  Indianern  zeigten  sie  sich  so  erfolgreich,  daß  die 
Holländer  klagten,  die  Schweden  verdürben  den  ganzen  Handel.  Nichtsdesto- 
weniger blieb  das  Verhältnis  zwischen  den  beiden  Gouverneuren  erträglich ;  ja, 
man  wechselte  Briefe  miteinander  und  tauschte  die  von  Europa  kommenden 
Nachrichten  aus. 

Als  Johann  Printz  im  Jahre  1647  seinen  dritten  Bericht  nach  der  Heimat 
sandte,  konnte  er  die  Lage  der  Kolonie  als  vorzüglich  bezeichnen.  Den  früheren 
Befestigungen  hatte  er  die  Forts  Elfsborg  und  Neu-Korsholm  hinzugefügt. 

Um  die  gleiche  Zeit,  wo  dieser  Bericht  in  Schweden  eintraf,  vollzog  sich 
aber  in  der  Verwaltung  von  Neu-Niederland  ein  bedeutungsvoller  Wechsel:  an 
Stelle  des  friedliebenden  Gouverneurs  Kieft  trat  im  Mai  1647  der  rücksichtslose, 
kriegerisch  gesinnte  Peter  Stuyvesant,  welcher  sofort  nach  seiner  Ankunft  alles 
zwischen  den  Vorgebirgen  Henlopen  und  Cod  gelegene  Land  als  holländisches 
Gebiet  reklamierte.  Im  Mai  1651  sandte  er  sogar  ein  bewaffnetes  Schiff  nach 
dem  Delaware.  Er  selbst  zog  mit  120  Mann  über  Land  nach  dem  von  den 
Holländern  an  der  Nordgrenze  von  Neu-Schweden  erbauten  Fort  Nassau,  fuhr 
von  dort  mit  vier  stark  ausgerüsteten  Fahrzeugen  den  Delaware  hinab  und  legte 
auf  dem  Westufer,  zwischen  den  beiden  schwedischen  Forts  Christina  und  Elfs- 
borg die  kleine  Festung  Casimir  an.  Zugleich  ließ  er  die  schwedischen  Grenz- 
pfähle niederschlagen  und  von  allen  in  den  Fluß  einfahrenden  Schiffen  Zölle 
erheben.  Gouverneur  Printz  fühlte  sich  mit  seiner  Handvoll  Soldaten  nicht  im- 
stande, diese  Gewaltakte  abzuwehren.  Auf  das  gute  Einvernehmen  zwischen 
dem  schwedischen  Königshause  und  den  Generalstaaten  hinweisend,  lud  er  Stuy- 
vesant zu  einer  Besprechung  ein.  Das  Ergebnis  bestand  in  dem  Übereinkommen, 
fortan  freundschaftliche  Beziehungen  miteinander  unterhalten  zu  wollen. 

Printz  erstattete  über  die  Vorfälle  Bericht  nach  Schweden  und  ersuchte,  um 
Wiederholungen  vorbeugen  zu  können,  um  Zusendung  von  Soldaten  und  Waffen. 


24     — 


vM^r  JjtrKiuyiz  (^i/rec^ teZy^' 


Auch  betonte  er  die  Notwendigkeit  stärlceren  Nachschubes  an  Einwanderern. 
Gleichzeitig  bat  er  um  seine  Ersetzung  durch  eine  jüngere  Kraft,  da  er  alt  und 
schwach  geworden  sei  und  nach  dreißigjährigem  Dienst  sich  nach  Ruhe  sehne. 
Mehrere  Jahre  verstrichen,  ohne  daß  auf  diesen  Bericht  eine  Antwort  ein- 
traf. In  der  Befürchtung,  von  der  Heimat  vergessen  zu  sein,  beschloß  Printz 
endlich,  sich  persönlich  nach  dem  Stand  der  Dinge  umzusehen.  Er  begab  sich 
auf  einem  holländischen  Schiff  nach  Europa  und  traf  im  April  1654  in  Schweden 
ein.  Dort  erfuhr  er  zu  seinem  Staunen,  daß  bereits  im  Jahre  1649  ein  Schiff 
mit  400  Auswandrern,  19  Kanonen  und  vielen  Vorräten  nach  Neu-Schweden 

abgegangen  sei.  Es  hatte 
aber  an  der  Küste  von  Porto 
Rico  Schiffbruch  gelitten  und 
war  von  den  Spaniern  ge- 
plündert worden.  Von  sei- 
ner Besatzung  kehrten  nur 
wenige  Personen  erst  nach 
Jahren  nach  Schweden  zu- 
rück. Eine  Ersatzexpedition 
unter  dem  Befehl  des  Handels- 
kammersekretärs Johann 
R  i  s  i  n  g  aus  Elbing  war 
kurz  vor  dem  Eintreffen  des 
Gouverneurs  nach  Amerika 
abgegangen.  Sie  zählte  mehr 
als  100  Familien  und  traf 
am  21.  Mai  1654  an  der 
Mündung  des  Delaware  ein. 
Da  das  von  den  Holländern 
errichtete  Fort  Casimir  von  nur  einem  Dutzend  Soldaten  besetzt  war,  so  forderte 
Rising  dieselben  zur  Übergabe  auf.  Diesem  Befehl  kam  die  Besatzung  nach, 
worauf  die  Schweden  ihre  Flagge  aufzogen  und  das  Fort  zum  Andenken  an 
den  Tag  seiner  Eroberung  Trefaldighets  Fort  (Dreifaltigkeitsfeste)  nannten. 

Dieser  Akt  entflammte  den  Zorn  der  Neu-Niederländer.  Der  grimme 
Stuyvesant  schwur,  die  Unbill  bitter  zu  rächen.  Als  am  12.  September  das  von 
Schweden  kommende  Schiff  „Gyllene  Hajen"  irrtümlicherweise  in  die  Mündung 
des  Hudson  anstatt  in  den  Delaware  einlief,  bemächtigte  der  alte  Haudegen  sich 
des  Fahrzeugs  und  ließ  es  samt  der  Ladung  verkaufen.  Gleichzeitig  traf  er 
Vorbereitungen,  Neu-Schweden  zu  überfallen.  Hierfür  stellten  ihm  die  Direk- 
toren der  „Westindischen  Gesellschaft"  das  mit  36  Kanonen  und  200  Mann  aus- 
gerüstete Kriegsschiff  „De  Waag''  („Die  Wage'')  zur  Verfügung.  Er  selbst 
rüstete  außerdem  sechs  Fahrzeuge  mit  zusammen  24  Kanonen  und  700  Mann 
Besatzung  aus  und  erschien  mit  dieser  ansehnlichen  Macht  am  27.  August  1665 
im  Delaware.     Das  nur  von  47  Mann  verteidigte  Dreifaltigkeitsfort  zwang  er 


Unterschriften   der  deutschen  Gouverneure  von  Neu- 
Niederland  und  Neu-Schweden. 


25 


rasch  zur  Kapitulation.  Dann  umzingelte  man  das  Fort  Christina,  wo  Rising 
und  30  Soldaten  sich  aufhielten.  Da  zwischen  den  Königreichen  Schweden  und 
den  Niederlanden  fortgesetzt  freundliche  Beziehungen  bestanden,  so  wollten  so- 
wohl Stuyvesant  wie  Rising  Blutvergießen  vermeiden.  Man  verlegte  sich  aufs 
Parlamentieren.  Als  Rising  nach  zwölftägiger  Belagerung  nicht  nachgab,  stellte 
Stuyvesant  das  Ultimatum,  Fort  Christina  sofort  zu  räumen,  widrigenfalls  er  es 
bombardieren  werde.  Die  Nutzlosigkeit  weiteren  Widerstandes  erkennend  und 
hoffend,  daß  die  Ansprüche  auf  das  Land  am  Delaware  am  besten  zwischen  den 
Regierungen  der  Mutterländer  geregelt  werden  würden,  unterzeichnete  Rising 
am  15.  September  einen  Vertrag,  der  ihm  freie  Rückfahrt  nach  Europa,  der  schwe- 
dischen Regierung  das  Eigentumsrecht  auf  sämtliche  Waffen,  den  schwedischen 
Ansiedlern  das  Verbleiben  auf  ihren  Gütern  sicherte.  Den  Soldaten  ließ  man 
die  Wahl,  entweder  in  Amerika  zu  bleiben  oder  nach  Europa  zurückzukehren. 

Von  seinen  Beamten  begleitet,  traf  Rising  im  April  1656  in  Schweden  ein, 
um  über  den  Verlust  der  Kolonie  zu  berichten.  An  diplomatischen  Bemühungen, 
die  Niederlande  zur  Herausgabe  derselben  zu  veranlassen,  ließ  König  Karl  X. 
es  nicht  fehlen.  Aber  er  war  zu  sehr  in  kriegerische  Unternehmungen  gegen 
Polen  und  Dänemark  verstrickt,  als  daß  er  seinen  Reklamationen  den  nötigen 
Nachdruck  hätte  verleihen  können.  Die  Unterhandlungen  schleppten  sich  jahre- 
lang hin  und  wurden  endlich,  als  Neu-Niederland  mitsamt  Neu-Schweden  im 
Jahre  1664  von  den  Engländern  genommen  wurden,  ganz  fallen  gelassen. 

Ob  Stuyvesant,  als  am  28.  August  jenes  Jahres  die  Eeuerschlünde  der  vor 
Neu-Amsterdam  erschienenen  englischen  Fregatten  sein  Fort  bedrohten,  und  er 
zur  Übergabe  aufgefordert  wurde,  sich  seines  ehemaligen  Nachbarn  Rising 
erinnert     haben  i — — ,    bequemen,    die 


mag,  dem  er 
neun  Jahre  zu- 
vor in  gleicher 

Weise  mit- 
gespielt hatte? 
Möglich  ist's, 
denn  seine  Lage 
warjenerRisings 
verzweifelt  ähn- 
lich. Was  half's. 
Er   mußte   sich 


weiße  Flagge 
aufziehen  zu  las- 
sen. Als  er  da- 
zu das  Zeichen 
gab,  knirschte 
er     in      seinen 

grauen  Bart: 
„Lieber      hätte 
ich     mich     be- 
graben lassen." 


Schlußvignette:    Das  Fort  Dreifaltigkeit. 
„Neu-Schweden". 


Nach   einer  Abbildung   in   Campanius' 


Jacob  Leisler;  die  stürmischste  Periode  in  der  Geschichte 
der  Kolonie  New  York. 

Es  war  am  27.  April  des  Jahres  1660.  Die  Bäume  und  das  Unterholz 
der  mächtigen  Wälder,  welche  die  Ufer  der  herrlichen  Bai  von  New  York  um- 
gürteten, begannen  eben,  sich  mit  smaragdnem  Frühlingsgrün  zu  schmücken. 
Ein  wunderbar  weicher  Südwind,  von  den  Küsten  Karolinas  und  Virginiens 
kommend,  schwellte  die  Segel  eines  holländischen  Fahrzeuges,  das  nach  langer, 
stürmischer  Seereise  nunmehr  seinem  Ziel  nahe  war  und  ihm  geräuschlos  wie 
ein  gewaltiger  Schwan  entgegenglitt. 

Mit  derselben  hoffnungsfrohen  Erwartung,  mit  welcher  noch  heute 
tausende  und  abertausende  Einwandrer  dem  aus  den  Fluten  emportauchenden 
Häusermeer  von  Groß-New  York  entgegenblicken,  so  hafteten  die  Augen  der 
damals  Kommenden  auf  dem  majestätischen  Bild  der  waldumsäumten,  durch 
den  Zusammenfluß  des  Nord-  oder  Hudsonstroms  mit  dem  Ostfluß  gebildeten 
Bai,  in  deren  stillen  Buchten  Scharen  von  Wildenten  und  anderen  Wasserge- 
flügels sich  tummelten.  Da  und  dort  kräuselten  blaue  Rauchwölkchen  am  Strande 
empor.  Bei  schärferem  Zusehen  vermochte  man  leichtgebaute  Hütten  aus  Baum- 
rinde zu  entdecken,  vor  denen  braunrote,  mJt  Fellen  und  bunten  Wolldecken 
bekleidete  Menschen  lagen.  Flinke  überaus  zierliche  Boote  glitten  vorüber. 
In  ihnen  saßen  dieselben  braunroten  Menschen,  die  ihre  Köpfe  mit  Adlerfedern 
geschmückt  hatten  und  als  Waffen  Bogen  und  Pfeile,  Keulen  und  Speere 
führten. 


Kopfleiste:    Leislers  Wohnhaus  in  Alt  New  York. 


—     27     — 

Im  Hintergrund  der  Bai  wurde  jetzt  eine  schmale,  langgestreckte  Insel 
sichtbar.  Auf  ihrer  Siidspitze  lagerten  mehrere  hundert  Holzhäuser  um  eine  mit 
hohen  steinernen  Wällen  umgebene  Befestigung,  über  welcher  die  Flagge  der 
„Niederländisch-Westindischen  Gesellschaft"  wehte. 

Im  Dienst  dieser  Gesellschaft  stand  auch  ein  junger,  in  das  malerische 
Gewand  damaliger  Soldateska  gekleideter  Kriegsmann,  der  vom  Bug  des  Schiffes 
aus  seine  strahlenden  Blicke  über  die  fremde,  vom  Schimmer  wilder  Romantik 
überflutete  Landschaft  schweifen  ließ.  Ein  Deutscher  war's,  ein  Sprößling  der 
alten  Handelsstadt  Frankfurt  a.  M.,  den  die  Lust  zu  Abenteuern  in  die  Fremde 
getrieben  hatte.  Jetzt  öffnete  sich  vor  ihm  die  „Neue  Welt",  von  deren  Schätzen, 
seltsamen  Menschen  und  Tieren  er  soviel  hatte  erzählen  hören. 

Wie  lange  Jakob  Leisler  —  das  war  der  Name  des  Frankfurters  — 
nach  seiner  Ankunft  in  Neu-Amsterdam  im  Sold  der  „Niederländisch-West- 
indischen Gesellschaft"  blieb,  wissen  wir  nicht.  Vermutlich  nahm  der  Dienst 
ein  Ende,  als  vier  Jahre  nach  Leislers  Ankunft  eines  Morgens  mehrere  englische 
Kriegsschiffe  in  der  Bai  erschienen,  Neu-Amsterdam  samt  Neu-Niederland  mit 
Waffengewalt  dem  englischen  Reiche  einverleibten  und  Stadt  wie  Land  dem  Her- 
zog York  zu  Ehren  New  York  tauften. 

Über  Leislers  Lebenslauf  während  der  nächsten  zwanzig  Jahre  wissen  wir, 
daß  er  sich  dem  Handel  v/idmete  und  zu  Wohlstand  kam.  Sein  Vermögen  wuchs 
durch  einen  Ehebund  mit  Elsie,  der  Witwe  des  Kaufherrn  van  der  Veen.  Als 
Mann  von  generöser  Veranlagung  zeigte  er  sich  häufig;  so  erkaufte  er  eines 
Tages  die  Freiheit  einer  Hugenottenfamilie,  die  nicht  imstande  gewesen  war, 
das  Geld  für  ihre  Seereise  aufzubringen,  und  damaliger  Sitte  gemäß  dasselbe 
durch  langjährige  Dienstbarkeit  hätte  abtragen  müssen.  Unzweifelhaft  gehörte 
Leisler  zu  den  beliebtesten  Persönlichkeiten  der  Stadt.  Das  ergibt  sich  daraus, 
daß,  als  er  während  einer  im  Jahre  1678  unternommenen  Handelsreise  nach 
Europa  maurischen  Seeräubern  in  die  Hände  fiel,  der  damalige  Gouverneur  von 
New  York  eine  Sammlung  durch  die  ganze  Kolonie  eröffnete,  um  Leisler  los- 
zukaufen, was  glücklich  gelang. 

Seiner  soldatischen  Neigung  hatte  Leisler  nicht  entsagt.  Er  war  in  die 
sechs  Kompagnien  zählende  Bürgerv/ehr  eingetreten  und  im  Jahre  1684  ihr 
Seniorkapitän.  Daß  er  als  solcher  die  Achtung  des  größten  Teiles  der  Mit- 
bürger genoß,  zeigte  sich,  als  im  Jahre  1689  ein  Ereignis  eintrat,  das  sämtliche 
Kolonien  in  die  heftigste  Erregung  versetzte.  Der  furchtbare  Streit  über  reli- 
giöse Glaubensfragen,  der  damals  ganz  Europa  erschütterte,  stellte  auch  in 
England  alle  Verhältnisse  auf  den  Kopf.  Die  Mehrheit  des  englischen  Volkes 
hatte  sich  dem  Protestantismus  angeschlossen;  König  Karl  II.  aber  und  sein 
Nachfolger,  James  IL,  blieben  Katholiken,  welche  mit  aller  Macht  die  Wieder- 
herstellung der  römischen  Kirche  in  England  anstrebten.  Die  dadurch  ent- 
stehenden scharfen  Reibungen  zwischen  Volk  und  Regierung  führten  schließlich 
zur  Revolution.  Als  auf  Bitten  der  englischen  Edelleute  Wilhelm  der  Oranier 
den  Protestanten  zu  Hilfe  eilte  und  mit  einem  starken  Heer  in  England  landete, 


—     28     — 

floh  James  11.  nach  Frankreich.    Er  wurde  vom  Parlament  seines  Thrones  ver- 
lustig erklärt  und  der  Oranier  als  Wilhelm  III.  zum  König  ausgerufen. 

In  jenen  Tagen  langwieriger  Schiffahrt  drang  die  Kunde  selbst  so  wich- 
tiger Ereignisse  nur  langsam  nach  Amerika.  Sie  kam  anfangs  in  Form  unver- 
bürgter Gerüchte,  die  von  den  Beamten,  die  ihre  Stellen  dem  entthronten  König 
verdankten,  schleunigst  unterdrückt  wurden.  Die  an  Geschäftsleute  gerichteten 
Mitteilungen  wurden  unterschlagen,  um  „Ruhestörung  durch  Verbreitung  so 
seltsamer  Neuigkeiten  zu  verhüten". 

Gründe  zur  Befürchtung  von  Ruhestörungen  waren  allerdings  in  den 
Kolonien  genug  vorhanden.  Die  Mehrheit  der  Bevölkerung  bestand  aus  Puri- 
tanern und  protestantischen  Sektenanhängern,  von  denen  viele  wegen  ihres 
Glaubens  die  Heimat  verlassen  hatten.  Die  den  Kolonien  vorstehenden  Be- 
amten hingegen  waren  meist  katholisch;  die  religiösen  Streitigkeiten  waren  da- 
durch törichterweise  auch  auf  den  Boden  der  Neuen  Welt  übertragen  worden. 
Dazu  kam,  daß  manche  Beamten  sich  durch  ihren  Despotismus  verhaßt  ge- 
macht hatten. 

Als  in  den  Monaten  März  und  April  168Q  endlich  verbürgte  Nachrichten 
über  den  Regierungswechsel  nach  Boston  drangen,  entstand  dort  ein  Aufruhr, 
währenddessen  das  Volk  den  Gouverneur  Andros  gefangennahm  und  ihn  so- 
wohl wie  50  seiner  Anhänger  nach  Europa  sandte.  Als  Nicholson,  Andros' 
Stellvertreter  in  New  York,  davon  hörte,  flüchtete  er  mit  den  öffentlichen  Kassen 
in  das  Fort. 

In  New  York  gestaltete  sich  jetzt  die  Lage  zu  einer  höchst  eigentümlichen. 
Die  von  der  „Niederländisch-Westindischen  Gesellschaft"  eingesetzten  Groß- 
grundbesitzer hatten  sich  während  der  letzten  60  Jahre  zu  einer  förmlichen  Kaste 
von  Aristokraten  zusammengeschlossen.  Sie  herrschten  nicht  bloß  auf  ihren 
ausgedehnten  Besitztümern,  den  „Manors"  im  Feudalstil,  sondern  betrachteten 
auch  die  Besetzung  höherer  Ämter  in  den  Kolonien  mit  Personen  ihres  Kreises 
als  ein  ihnen  zukommendes  Vorrecht.  Sie  bildeten  einen  förmlichen  Ring,  der 
stets  bemüht  war,  Einfluß  auf  den  jeweiligen  Gouverneur  zu  gewinnen  und  ihn 
sowie  das  übrige  Beamtentum  den  Interessen  des  nach  weiteren  Vergünstigungen 
und  Landschenkungen  lüsternen  Ringes  geneigt  zu  machen.  Das  war  um  so 
leichter,  als  die  meisten  Gouverneure  infolge  des  in  England  geführten  ver- 
schwenderischen Lebens  bankerott  waren,  und  die  ihnen  anvertrauten  Posten  in 
den  Kolonien  als  günstige  Gelegenheiten  zum  Aufbessern  der  zerrütteten  Ver- 
mögensverhältnisse betrachteten.  Für  das  gewöhnliche  Volk,  den  sogenannten 
„rabble",  bekundeten  die  dem  Gouverneur  schweifwedelnden  Aristokraten  natür- 
lich unbegrenzte  Verachtung.  Sie  hielten  es  nur  mit  der  Regierung,  von  der 
allein  ja  weitere  Vergünstigungen  als  Belohnung  für  die  erwiesene  Loyalität  zu 
erwarten  standen. 

Das  bedrückte,  seiner  unwürdigen  Stellung  bewußte  Volk  brachte  sowohl 
der  Regierung,  ihren  hochmütigen  Vertretern  wie  den  Aristokraten  mühsam  ver- 
haltenen Haß  entgegen.    Wären  der  Regierungswechsel  in  England  und  die  Vor- 


—    29    — 

gänge  in  Boston  allein  hinreichend  gewesen,  um  die  Explosion  zu  erzeugen,  so 
ward  dieselbe  durch  verschiedene  andere  Gerüchte  noch  beschleunigt.  Man 
munkelte,  der  Vizegouverneur  wolle  die  Kolonie  für  James  II.  behaupten  und 
zu  diesem  Zweck  aus  Canada  Franzosen  herbeiziehen.  Eine  französische  Flotte 
sei  bereits  von  Europa  unterwegs;  sämtliche  Protestanten  in  New  York  sollten 
in  einer  erneuten  Bartholomäusnacht  ausgerottet  und  die  Stadt  an  allen  vier 
Ecken  angezündet  werden.  Da  in  jenen  Zeiten  grausamster  Religionsverfol- 
gungen und  überraschender  Staatsstreiche  solche  Anschläge  keineswegs  zu  den 
Unmöglichkeiten  gehörten,  so  entschlossen  sich  die  beunruhigten  Bürger,  den- 
selben zuvorzukommen  und  Stadt  und  Provinz  für  den  Oranier  zu  bewahren. 

Zum  Durchführen  dieses  Plans  bedurfte  man  eines  entschlossenen  Leiters. 
Als  die  Bürger  Umschau  hielten,  erschien  niemand  so  geeignet,  als  der  Senior- 
kapitän der  Bürgerwehr:  Jakob  Leisler.  Sobald  sein  Name  in  der  am  31.  Mai 
1689  statthabenden  Bürgerversammlung  in  Vorschlag  gebracht  wurde,  erscholl 
aus  hundert  Kehlen  der  Ruf:  „Zu  Leisler!  Zu  Leisler!"  und  unter  Trommel- 
schlag zog  die  Menge  nach  dessen  Haus,  um  ihm  ihren  Willen  kundzugeben. 
Leislers  Haus,  das  erste  aus  Ziegeln  aufgeführte  Wohngebäude  der  Stadt,  lag 
östlich  vom  Fort.  Leisler  war  daheim,  als  die  Menge  sich  heranwälzte  und 
stürmisch  verlangte,  daß  er  die  Stadt  schütze  und  m.it  seiner  Bürgerwehr  das 
Fort  besetze.  Leisler,  die  Bedeutung  eines  solchen  Schrittes  klar  erkennend, 
lehnte  die  Forderung  ab  und  ermahnte  die  Bürger,  die  Entwicklung  der  Dinge 
abzuwarten.  Davon  wollte  aber  die  erregte  Menge  nichts  wissen;  sie  teilte  sich 
in  zwei  Haufen,  von  dener  einer  vor  das  Stadthaus  zog  und  dem  gerade  mit 
seinem  Anhang  beratenden  Vizegouverneur  Nicholson  die  Schlüssel  des  Forts 
abverlangte.  Der  zweite  Haufe  marschierte  inzwischen  ins  Fort  und  besetzte 
es,  ohne  daß  die  dort  befindlichen  Soldaten  Widerstand  leisteten. 

Nachdem  so  die  Würfel  ins  Rollen  gekommen,  machte  die  Notwendigkeit, 
daß  eine  tüchtige,  für  die  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  bürgende  Person  an 
die  Spitze  der  Bewegung  trete,  sich  um  so  dringender  geltend.  Als  der  Ruf 
nach  Leisler  aufs  neue  ertönte,  glaubte  dieser  das  Verlangen  seiner  Mitbürger 
nicht  länger  ablehnen  zu  dürfen.  Er  erklärte  sich  in  einer  öffentlichen  An- 
sprache zur  Übernahme  der  provisorischen  Regierung  bereit  und  versprach. 
Fort  wie  Stadt  für  Wilhelm  den  Oranier  zu  halten  und  gegen  alle  Anschläge 
der  früheren  Regierung  zu  schützen.  Bei  Übernahme  seines  Amts  mag  Leisler 
von  der  Hoffnnug  geleitet  worden  sein,  daß  er,  der  durch  seine  Heirat  mit  Elsie 
van  der  Veen  zu  den  Aristokratenfamilien,  den  van  Cortlandts,  Bayards,  Phi- 
lipses  u.  a.  in  verwandtschaftliche  Beziehungen  getreten  war,  ein  Vermittler 
zwischen  den  beiden  feindlichen  Parteien  werden  könne. 

Diese  Hoffnung  erwies  sich  als  trügerisch.  Denn  mit  dem  Augenblick, 
wo  Leisler  sein  Amt  antrat,  begannen  die  Aristokraten  ihn  als  einen  Demagogen 
zu  hassen  und  zu  bekämpfen.  Das  Glück  schien  Leisler  zu  begünstigen,  denn 
als  er  am  3.  Juni  die  Leitung  der  öffentlichen  Angelegenheiten  tatsächlich  über- 
nahm, floh  Vizegouverneur  Nicholson  auf  ein  im  Hafen  liegendes  Schiff  und 


—    30    — 

verließ  die  Kolonien  auf  Nimmerwiedersehen.  Seine  Anhänger  zogen  sich  nach 
Albany  zurück,  um  von  dort  aus  einen  wütenden  Intriguenkrieg  wider  Leisler 
und  die  Volkspartei  zu  eröffnen. 

Als  in  New  York  die  offizielle  Nachricht  von  der  Thronbesteigung  Wil- 
helms eintraf,  sandten  Leisler  und  die  Bürger  eine  Ergebenheitsadresse  nach 
England.  Gleichzeitig  veranstalteten  sie  eine  öffentliche  Huldigungsfeier.  Es 
spricht  in  hohem  Grade  für  die  Friedliebe  und  das  Rechtsgefühl  Leislers,  dal> 
er  den  Bürgermeister  Stephanus  van  Cortlandt  sowie  den  Stadtrat,  lauter  der 
Aristokratenpartei  angehörige  Personen,  einlud,  an  der  Feier  teilzunehmen.  Den 
Bürgermeister  ersuchte  er  sogar,  die  Huldigungsschrift  zu  verlesen.  Aber  die 
hohen  Herren  hielten  sich  fern.  Sie  veranstalteten  auf  eigene  Faust  eine  Feier 
in  Albany,  gelegentlich  welcher  sie  „die  meuterischen  Vorgänge  in  New  York"' 
aufs  heftigste  mißbilligten.  Im  Aufleben  der  Volkspartei  das  Ende  ihrer  Will- 
kürherrschaft ahnend,  entschlossen  sie  sich  zur  äußersten  Kraftanstrengung,  um 
ihre  Vorzugsstellung  zu  behaupten.  Was  sie  dabei  nicht  durch  Gewalt  er- 
zwingen konnten,  suchten  sie  durch  Verdächtigungen  herbeizuführen.  Man 
beschuldigte  in  Briefen  und  Vorstellungen  an  die  Regierung  in  England  die  in 
New  York  aufgerichtete  Volksverwaltung  der  verwerfhchsten  Absichten,  nannte 
Leisler  einen  „fremdländischen  Plebejer"  und  „Volksaufwiegler",  der  eine 
Meuterei  angezettelt  habe,  um  während  seiner  Amtszeit  für  die  auf  seinen 
Schiffen  ankommenden  Waren  keine  Einfuhrzölle  bezahlen  zu  müssen.  Die 
Wut  wuchs,  als  Leisler  am  16.  August  durch  einen  über  400  L'nterschriften 
tragenden  Beschluß  des  Sicherheitsausschusses  auch  zum  provisorischen  Be- 
fehlshaber der  Provinz  New  York  ernannt  wurde,  und  nun,  durch  die  Opposi- 
tion seiner  Gegner  erbittert,  die  bisherigen  Stadtbehörden  ihres  Amtes  entsetzte 
und  Neuwahlen  anordnete,  in  denen  ausschließlich  Männer  des  Volkes  mit  der 
Leitung  der  öffentlichen  Geschäfte  betraut  wurden.  Während  die  Vorstände 
der  benachbarten  Kolonien  die  Neuordnung  anerkannten  und  mit  Leisler  offiziell 
in  Verkehr  traten,  fuhren  die  in  Albany  versammelten  Aristokraten  fort,  die  „aus 
hergelaufenem  Gesindel"  bestehende  Leislersche  Regierung  anzuschwärzen.  Sie 
gehe  nur  darauf  aus,  die  öffentlichen  Kassen  zu  bestehlen  und  die  Regierung  urn 
die  Zölle  zu  betrügen.  Selbstredend  weigerten  die  Aristokraten  sich,  Leisler 
und  die  Beamten  der  Volkspartei  anzuerkennen.  Desgleichen  erklärten  sie  die 
Absetzung  der  bisherigen  Beamten  als  eine  unrechtmäßige  Maßnahme.  Oben- 
drein forderten  sie  die  Bewohner  der  Kolonie  auf,  Leisler  sowie  den  Männern 
seiner  Regierung  als  Usurpatoren  den  Gehorsam  zu  verweigern. 

Der  so  Herausgeforderte  glaubte,  die  ihm  gebührende  Anerkennung  seiner 
provisorischen  Herrschaft  erzwingen  zu  müssen.  Zu  diesem  Zweck  sandte  er 
seinen  Schwiegersohn,  Major  Jakob  Milborne,  mit  einer  Anzahl  Soldaten  nach 
Albany,  damit  er  das  dort  von  seinen  Gegnern  gehaltene  Fort  besetze  und  die 
Unbotmäßigen  unterwerfe.  Leider  war  die  ausgeschickte  Macht  für  einen  solchen 
Handstreich  viel  zu  gering.  Die  Aristokraten  waren  auf  der  Hut  und  vertei- 
digten Fort  und  Stadt  so  erfolgreich,  daß  Milborne  un  verrieb  teter  Dinge  zurück- 


—    31 


kehren  mußte.    Die  Folge  war,  daß  die  Aristokraten  um  so  kühner  wurden  und 
der  Leislerschen  Regierung  überall  Hindernisse  in  den  Weg  legten. 


Bereits  war  der  Monat  Dezember  gekommen,  als  in  Boston  ein  Brief  des 
Königs  Wilhelm  mit  der  Aufschrift  eintraf:  „An  Francis  Nicholson  oder  den- 
jenigen, welcher  zurzeit  in  Sr.  Majestät  Provinz  New  York  für  die  Aufrecht- 
erhaltung des  Friedens  und  die  Beobachtung  der  Gesetze  Sorge  trägt." 


N 


—    32     — 

Durch  ihre  in  Boston  unterhaltenen  Kundschafter  erfuhren  die  Aristokraten 
von  Albany  zuerst  von  der  Ankunft  des  Briefes  und  setzten  Himmel  und  Erde 
in  Bewegung,  um  in  seinen  Besitz  zu  kommen,  hoffend,  daß  der  Brief  manche 
ihnen  nützliche  Nachrichten  enthalte.  Ihrer  drei  schlichen  sich  heimlich  nach 
New  York,  um  den  von  Boston  kommenden  Boten  abzufangen  und  zur  Heraus- 
gabe des  wichtigen  Schriftstückes  zu  bewegen.  Aber  Leislers  Anhänger  waren 
gewarnt  und  führten  den  Boten  sofort  ins  Fort,  wo  Leisler  das  Schriftstück  ent- 
gegennahm. Durch  dasselbe  wurde  Nicholson  oder  derjenige  Mann,  welcher 
an  seiner  Stelle  stehe,  ermächtigt,  den  Oberbefehl  über  die  Provinz  zu  über- 
nehmen und  mehrere  Räte  zu  ernennen,  die  ihm  beim  Führen  der  Geschäfte  zur 
Hand  gehen  sollten.  Leisler  entsprach  dieser  Vorschrift,  indem  er  am  11.  De- 
zember 1689  den  Titel  eines  Vizegouverneurs  annahm  und  einen  aus  neun  Per- 
sonen bestehenden  Rat  einsetzte. 

Dieser  Schritt  entflammte  die  Wut  der  Aristokraten  aufs  höchste.  Sie 
zettelten  mit  Hilfe  ihrer  in  New  York  wohnenden  Genossen  einen  öffentlichen 
Tumult  an  und  suchten  sich  während  desselben  der  Person  Leislers  zu  be- 
mächtigen. 

Aber  der  kühne  Anschlag  mißlang.  Die  beiden  Hauptanstifter,  der  frühere 
Stadtrat  Bayard,  sowie  der  Aristokrat  Nicholson  wurden  gefangen  und  vom  Ge- 
richtshof wegen  Angriffs  auf  die  der  Provinz  vorgesetzte  Behörde  zum  Tod 
verurteilt.  Leisler  ließ  sich  durch  die  in  erbärmlicher  Feigheit  gegebene  Ver- 
sicherung der  beiden,  daß  sie  in  törichter  Verblendung  gegen  ihn  aufgetreten 
seien  und  in  Zukunft  sich  aller  Feindseligkeiten  enthalten  wollten,  bestimmen, 
das  Todesurteil  aufzuheben.  Er  gab  aber  Befehl,  die  Gefangenen  bis  zum  Ein- 
treffen des  vom  König  ernannten  Gouverneurs  in  Gewahrsam  zu  halten. 

Der  deutsch-amerikanische  Geschichtschreiber  Friedrich  Kapp  rügt  diesen 
Gnadenakt  Leislers  als  dessen  größten  politischen  Fehler,  da  er  eine  der  Ur- 
sachen seines  Unterganges  geworden  sei.  Leisler  habe  dem  Gefühl  die  Ober- 
herrschaft über  den  Verstand  eingeräumt  und  schwächliches  Mitleid  über  poli- 
tische Logik  gesetzt.  Er  hätte  rücksichtslos  durchgreifen  und  die  Verfolgung 
seiner  Gegner  bis  zu  ihrer  völligen  Vernichtung  fortsetzen  müssen.  Dieser  An- 
schauung kann  man  entgegensetzen,  daß  es  Leisler  zu  einem  solchen  Krieg  gegen 
die  über  die  ganze  Provinz  und  auch  in  den  benachbarten  Kolonien  stark  ver- 
breitete Aristokratenpartei  doch  an  Machtmitteln  fehlte.  Zudem  hätte  er  durch 
Heraufbeschwören  solcher  Kämpfe  zweifellos  den  Verdacht  auf  sich  geladen,  ein 
Gewahherrscher,  ein  Usurpator  zu  sein.  Diesen  Verdacht  wollte  und  mußte  er 
vermeiden  und  darum  die  Bestrafung  der  Schuldigen,  hochangesehener  Per- 
sonen, der  Regierung  des  Mutterlandes  überlassen. 

Übrigens  zeigte  es  sich  bereits  im  Januar  1690,  daß  die  Besorgnis  der  New 
Yorker,  der  verjagte  König  James  IL  möge  mit  Hilfe  der  Franzosen  die  Wieder- 
herstellung seiner  Herrschaft  versuchen,  nicht  unbegründet  gewesen  sei.  In  Europa 
mußte  Wilhelm  einen  heftigen  Krieg  gegen  die  Heere  des  französischen  Königs 
Ludwig  XIV.  führen.     Von  Kanada   aus    unternahmen    die  Franzosen    unter 


—     33     — 

Frontenac  drei  Vorstöße  gegen  die  Kolonien,  wobei  sie  mit  mehreren  hundeil 
Indianern  bis  nach  Shenectady  vordrangen,  diesen  Ort  niederbrannten  und  den 
größten  Teil  seiner  Bewohner  töteten. 

Leisler  fiel  die  schwierige  Aufgabe  zu,  die  Franzosen  zurückzuwerfen. 
Er  raffte  sofort  alle  verfügbaren  Soldaten  zusammen  und  sandte  dieselben  nach 
Albany,  dessen  Fort  ihnen  nun  bereitwilligst  eingeräumt  wurde.  Ferner  er- 
richtete er,  um  einem  neuen  Überfall  vorzubeugen,  fünfzig  Meilen  von  dem  Ort 
entfernt  einen  starken  Außenposten  und  lud  endlich  Vertreter  sämtlicher  von  den 
Franzosen  bedrohten  Neu-Englandstaaten  nach  New  York  ein,  um  über  gemein- 
same Schritte  zur  Züchtigung  der  Feinde  zu  beraten.  Diese  am  1.  Mai  1690 
abgehaltene  Versammlung  war  insofern  von  hoher  Bedeutung,  als  die  Kolonien 
sich  zum  erstenmal  zu  gemeinsamem  Handeln,  zur  Ausrüstung  eines  Heeres  und 
einer  Flotte  entschlossen. 

Die  Kolonien  New  York.  Connecticut,  Plyniouth,  Massachusetts  und  Mary- 
land verpflichteten  sich,  zusammen  850  Mann  aufzubringen.  Im  Verein  mit 
1600  Mohawkindianern  sollten  dieselben  über  Land  nach  Canada  vordringen. 
Gleichzeitig  sollte  eine  32  Schiffe  zählende  Flotte  den  St.  Lorenzstrom  hinauf- 
fahren und  Quebek  angreifen.  Dieser  groß  angelegte  Plan,  das  erste  von  den 
Kolonien  auf  eigene  Kosten  und  Verantwortung  ins  Werk  gesetzte  gemein- 
schaftliche Unternehmen,  kam  tatsächlich  zur  Aufführung.  Leider  erwiesen  sich 
aber  die  mit  der  Führung  von  Heer  und  Flotte  betrauten  Personen,  Winthrop 
und  Philipps,  so  wenig  als  tatkräftige  Männer,  daß  der  Zweck  der  Expedition 
fast  vollständig  verloren  ging.  Nur  Leisler  hatte  einigen  Erfolg,  indem  er  sechs 
französische  Schiffe,  die  sich  bis  vor  den  Flafen  von  New  York  wagten,  kaperte. 
Trotz  dieses  Erfolgs  säumten  die  Gegner  Leislers  nicht,  ihn  allein  für  das  Miß- 
lingen des  Unternehmens,  welches  den  Kolonien  bedeutende  Kosten  verursacht 
hatte,  verantwortlich  zu  machen.  War  dasselbe  doch  auf  seine  Anregung  zu- 
rückzuführen! Desgleichen  benützten  sie  jede  andere  Gelegenheit,  um  das  An- 
sehen Leislers  zu  untergraben  und  die  Zahl  seiner  Anhänger  durch  Ver- 
sprechungen und  Bestechung  zu  vermindern. 

So  kam  das  Jahr  1691  heran.  Es  war  gegen  Ende  Januar,  als  ein  von 
England  kommendes  Schiff  die  Nachricht  brachte,  daß  Oberst  Henry  Sloughtei 
vom  König  zum  Gouverneur  von  New  York  ernannt  worden  sei.  Derselbe 
befinde  sich  mit  mehreren  Fahrzeugen  und  zahlreichen  Truppen  unterwegs,  um 
die  Regierung  der  Provinz  zu  übernehmien.  Ein  schwerer  Sturm  hatte  die  kleine 
Flotte  zerstreut  und  Sloughter  genötigt,  mit  seinem  Fahrzeug  den  Schutz  der 
Bermudas  aufzusuchen.  Überbringer  dieser  Botschaft  war  Major  Richard 
Ingoldsby,  der  Befehlshaber  der  auf  den  Schiffen  befindlichen  Truppen. 

Kaum  war  die  Ankunft  dieses  Mannes  bekannt  geworden,  als  die  Feinde 
Leislers  ihn  an  Bord  des  Schiffes  besuchten  und  mit  Höflichkeiten  überschütteten. 
Natürlich  versäumten  sie  nicht,  die  augenblickliche  Lage  in  New  York  und  die 
Volksregierung  in  den  schwärzesten  Farben  zu  schildern.  Infolgedessen  wurde 
Ingoldsby  so  gegen  Leisler  eingenommen,  daß  er  dessen  Einladung,  in  seinem 

Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika.  3 


—     34     — 

Hause  Quartier  zu  nehmen,  barsch  abschlug  und  die  sofortige  Übergabe  der 
Stadt  und  des  Forts  verlangte.  Zum  Erfüllen  dieses  Verlangens  konnte  Leisler 
sich  aus  guten  Gründen  nicht  entschließen.  Als  er  nämlich  Ingoldsby  um  dessen 
Legitimationen  und  Vollmachten  ersuchte,  vermochte  dieser  nichts  weiter  als 
sem  Offizierspatent  vorzuzeigen.  Daraufhin  das  Fort  auszuliefern,  fühlte  Leisler 
sich  nicht  berechtigt,  zum.al  die  Möglichkeit  eines  Betrugs  keineswegs  ausge- 
schlossen war.  In  der  Uniform  des  englischen  Majors  konnte  sich  sehr  wohl 
ein  Anhänger  des  vertriebenen  Königs  James  IL  verstecken.  Indem  Leisler  sich 
weigerte,  dem  Offizier  das  Fort  zu  überliefern,  folgte  er  nur  dem  Gebot  der 
Klugheit.  Aber  Ingoldsby,  ein  hochfahrender,  von  seiner  Würde  sehr  einge- 
nommener Mann,  fühlte  sich  in  seiner  Soldatenehre  arg  verletzt.  Von  den 
Aristokraten  überdies  aufgehetzt,  beschloß  er,  die  Übergabe  des  Forts  mit 
Waffengewalt  zu  erzwingen. 

Die  jetzt  in  hellen  Haufen  nach  New  York  zurückkehrenden  Feinde  Leislers 
schürten  das  Feuer.  Dazu  hatten  sie  reiche  Gelegenheit,  als  Ingoldsby  bei 
einem  der  Ihrigen,  Frederick  Philipse,  Wohnung  nahm. 

Die  ersten  Schritte  Ingoldsbys  bestanden  in  der  Besetzung  des  Stadt- 
hauses und  dem  Erlaß  eines  öffentlichen  Aufrufs  an  das  Volk,  seine  Treue  zur 
königlichen  Regierung  dadurch  zu  bekunden,  daß  es  ihn  beim  Begründen  einer 
geordneten  Verwaltung  unterstütze.  Diejenigen,  welche  ihm  Hindernisse  in 
den  Weg  legten,  hätten  zu  gewärtigen,  als  Rebellen  betrachtet  und  behandelt 
zu  werden. 

Diesen  Aufruf  beantwortete  Leisler  am  3.  Februar  mit  einem  öffentlichen 
Protest,  in  welchem  er  erklärte,  daß  man  wohl  Nachrichten  über  die  Ernennung 
des  Hauptmanns  Henry  Sloughter  zum  Gouverneur  besitze,  daß  derselbe  aber 
bisher  niemandem  Befehle  oder  Weisungen  betreffs  der  Regierung  von  New  York 
erteilt  habe.  Nichtsdestoweniger  maße  Ingoldsby,  aufgereizt  durch  gewisse 
Gentlemen,  sich  allerlei  Rechte  an,  gegen  die  im  Namen  des  Königs  Widerspruch 
erhoben  werden  müsse.  Für  jeden  Gewaltstreich  und  etwa  dadurch  hervor- 
gerufenes Blutvergießen  sei  Ingoldsby  verantwortlich. 

Dieser  Protest  hielt  die  rasche  Entwicklung  der  Dinge  nicht  auf.  Im 
Gegenteil,  dieselben  nahmen  eine  Gestaltung  an,  wie  New  York  sie  nie  vordem 
erlebte  und  wohl  niemals  wieder  erleben  wird.  Zwei  Parteien,  jede  auf  ihre 
Königstreue  pochend,  standen  auf  einem  sehr  engen  Räume  einander  feindlich 
gegenüber,  nicht  geneigt,  in  ihren  vermeintlichen  Rechten  das  Geringste  nach- 
zugeben. Zwischen  den  beiden  Parteien  befanden  sich  die  irregemachten  Bürger, 
nicht  wissend,  wie  sie  sich  verhalten  und  wem  sie  sich  anschließen  sollten. 

Wäre  Gouverneur  Sloughter  in  diesem  kritischen  Augenblick  eingetroffen, 
so  hätte  die  Lage  sich  vielleicht  noch  zum  Guten  gewendet.  Aber  leider  ver- 
strichen Wochen,  ohne  daß  das  von  Leisler  sehnsüchtig  erwartete  Schiff  des 
Gouverneurs  auftauchte.  Unterdessen  spitzten  sich  die  Dinge  im.mer  mehr  zu. 
Aufgestachelt  von  den  Aristokraten  und  dreist  gemacht  durch  Leislers  passives 
Verhalten,  begann  Ingoldsby  das  von  jenem  gehaltene  Fort  förmlich  zu  be- 


--    35     — 

lagern.  Er  ließ  alle  dorthin  führenden  Straßen  sperren,  verbot  jedermann, 
Nahrungsmittel  nach  dem  Fort  zu  bringen  und  befahl  die  Beschießung  sämt- 
licher Boote,  die  dem  Fort  sich  nähern  oder  von  dort  abfahren  würden. 
Leisler  beantwortete  diese  brutalen  Feindseligkeiten  damit,  daß  er  einige  Sol- 
daten, die  dem  Fort  herausfordernd  sich  näherten  und  die  Posten  ver- 
höhnten, aufgreifen  und  einsperren  ließ.  In  blinder  Wut  befahl  Ingoldsby  nun 
die  Erstürmung  zweier  nahegelegener  Blockhäuser  sowie  die  Beschießung  des 
Forts.  Acht  grobe  Geschütze  wurden  aufgepflanzt  und  die  kleine  Festung 
mit  Kugeln  überschüttet.  Ob  die  Insassen  des  Forts  Verluste  erlitten,  ist  aus 
den  vorhandenen  Zeugenaussagen  (dieselben  finden  sich  in  der  von  der 
New  York  Historical  Society  im  Jahre  1868  veranstalteten  Sammlung  Leislerschen 
Dokumente)  nicht  ersichtlich.  Aus  einer  geht  aber  hervor,  daß  durch  einen 
Unfall  beim  Abfeuern  der  Geschütze  drei  Soldaten  Ingoldsbys  umkamen  und 
fünf  Verwundungen  erlitten.  Außerdem  wurde  ein  Mann  durch  einen  Schuß 
getötet,  von  dem  nicht  festgestellt  werden  konnte,  ob  er  von  Ingoldsbys  Soldaten 
oder  aus  dem  Fort  abgefeuert  war. 

Obwohl  nach  den  gleichen  Zeugenaussagen  Leisler  in  wenigen  Augen- 
blicken die  ganze  Stadt  hätte  in  Trümmer  schießen  können,  so  enthielt  sich 
dieser  doch  solcher  Maßnahmen.  Er  sandte  vielmehr  am  12.  März  einen  Brief 
an  Gouverneur  Sloughter  nach  Bermuda,  in  welchem  er  schrieb,  daß  infolge 
seiner  Abwesenheit  und  infolge  der  Ausschreitungen  Ingoldsbys  die  Dinge  so 
in  Unordnung  geraten  seien,  daß  er  zu  Gott  flehe,  seine  Exzellenz  baldigst 
in  New  York  erscheinen  zu  lassen. 

Ob  dieser  Brief  in  den  Besitz  des  Gouverneurs  gelangte,  ist  ungewiß. 
Der  letzte  traf  endlich  am  19.  März  16Q1  auf  dem  Admiralschiff  „Archangel" 
im  Hafen  ein.  Natürlich  wurde  er  von  dem  auf  der  Lauer  liegenden  Ingoldsby 
und  den  Häuptern  der  Aristokratenpartei  sofort  eingeholt,  im  Triumph  nach  der 
Stadt  geleitet  und  gleichfalls  im  Hause  eines  Aristokraten  einquartiert.  Sloughter, 
ein  Mann  von  schwachem.,  unselbständigem  und  leichtfertigem  Charakter, 
Schmeicheleien  sehr  zugängig,  durch  verschwenderische  Lebensweise  finanziell 
und  moralisch  heruntergekommen,  und  gleich  allen  Standespersonen  jener  Zeit 
geneigt,  das  Volk  als  rechtlos  und  nur  für  die  Zwecke  der  Aristokratie  existierend 
zu  betrachten,  wurde  das  willenlose  Werkzeug  der  Aristokraten.  Diese  über- 
schütteten ihn  so  mit  Klagen  über  die  durch  den  Despoten  Leisler  erduldeteji 
Vergewaltigungen,  daß  er  noch  am.  Abend  seiner  Ankunft  Leisler  und  seine 
Räte  für  abgesetzt  erklärte.  Gleichzeitig  bildete  er  aus  den  Häuptern  der 
Aristokraten  einen  neuen  Rat,  in  welchem  die  noch  im  Fort  gefangengehaltenen 
Bayard  und  NichoUs  Ehrenämter  erhielten.  Damit  war  der  LIntergang  Leislers 
besiegelt. 

Leisler  hatte  dem  Gouverneur  gleich  nach  seiner  Ankunft  durch  mehrere 
Abgesandte  seine  Hochachtung  entbieten  lassen  und  ihn  ersucht,  Bestimmungen 
zur  ordnungsmäßigen  Übergabe  des  Forts  zu  treffen.  Wie  sehr  Sloughter  aber 
bereits  von  den  Feinden  Leislers  beeinflußt  war,  ergibt  sich  daraus,  daß  er 


—     36     — 

dessen  Abgesandte  verhaften  ließ  und  dem  Major  Ingoldsby  nachstehenden 
schrifthchen  Befehl  ausfertigte: 

„Sir!  Ich  befehle  Ihnen  hierdurch,  mit  Ihrer  Kompagnie  Fußsoldaten 
vor  das  Fort  dieser  Stadt  zu  marschieren  und  abermals  dessen  sofortige 
Übergabe  zu  verlangen.  Sollten,  nachdem  Sie  im  Besitz  desselben  sind, 
Kapitän  Leisler  und  diejenigen  Personen,  welche  man  seine  Räte  nennt,  sich 
nicht  ergeben,  so  verhaften  Sie  dieselben  im  Namen  Sr.  Majestät  und  bringen 
sie  alle  vor  mich  und  meinen  Rat. 

Ihr  Freund 

H.  Sloughter." 
New  York,  20.  März  1691. 

Dieser  Befehl  gab  dem  erbitterten  Ingoldsby  erwünschte  Gelegenheit,  sich 
an  Leisler  zu  rächen.  Sobald  Leisler  ihn  und  sei]ie  Soldaten  in  das  Fort  ein- 
gelassen, erklärte  er  Leisler  und  dessen  Räte  für  verhaftet  und  schleppte  sie  vor 
den  Gouverneur  ins  Stadthaus. 

Aus  einem  Brief,  der  gleichfalls  in  der  von  der  New  York  Historical  Society 
herausgegebenen  Sammlung  abgedruckt  ist,  geht  hervor,  welch  schmachvoller 
Behandlung  Leisler  seitens  der  Aristokraten  in  Gegenwart  des  Gouverneurs  aus- 
gesetzt wurde. 

„Nachdem  Se.  Exzellenz  nur  wenige  Worte  an  ihn  gerichtet  hatte,  ließ 
sie  es  ruhig  geschehen,  daß  man  Leisler  ins  Gesicht  spuckte,  ihm  Perücke, 
Schwert,  Gürtel  und  einen  Teil  der  Kleider  abriß.  Sie  behandelten  ihn  gleich 
wütenden  Furien,  legten  ihn  in  Ketten  und  warfen  ihn  in  ein  schmutziges,  mit 
Gestank  erfülltes  unterirdisches  Loch." 

Leisler  hatte  seine  Verhaftung  widerstandslos  geschehen  lassen  in  der 
festen  Zuversicht,  der  Gouverneur  wie  die  Regierung  in  England  würden  sein 
durchaus  korrektes  Verhalten  aus  den  Gerichtsverhandlungen  erkeimen  und 
ihm  volle  Genugtuung  geben.  Aber  er  unterschätzte  den  fanatischen  Haß  seiner 
Gegner,  die  nur  noch  ein  Ziel,  die  gänzliche  Vernichtung  Leislers  kannten.  Sie 
schlugen  Sloughter  vor,  die  Prozessierung  ihres  Feindes  einem  Spezialgerichts- 
hof  zu  überweisen.  Diesem  Vorschlag  kam  der  Gouverneur  um  so  be- 
reitwilliger nach,  als  er  dadurch  der  Verantwortung  für  den  Schieds- 
spruch enthoben  wurde.  Natürlich  war  dieser  Gerichtshof  aus  lauter  Feinden 
Leislers  zusammengesetzt.  Obwohl  dieser  die  Kompetenz  desselben  bestritt 
und  in  England  prozessiert  zu  werden  verlangte,  so  wurde  das  Verfahren 
gegen  ihn  dennoch  „wegen  gewaltsamer  Auflösung  des  Rates  des  früheren 
Vizegouverneurs  Nicholson,  wegen  unrechtmäßiger  Aneignung  der  höchsten 
Macht,  wegen  unbefugter  Erhebung  der  Steuern,  wegen  Rebellion  gegen  den 
König"  usw.  eingeleitet. 

In  der  obenerwähnten  Dokumentensammlung  befindet  sich  ein  Blatt,  auf 
dem  eine  ungenannte  Person,  unzweifelhaft  Leisler  selbst,  Bemerkungen  in 
holländischer  Sprache  über  eine  Gerichtssitzung  niedergeschrieben  hat.     Dies 


37 


Blatt  gewährt  Einblick  in  die  geradezu  frivole  Behandlung,  der  Leisler  unter- 
worfen wurde.     Es  möge  hier  eine  Stelle  finden. 

„Was  geschehen  ist,  als  ich  vor  Gericht  erschien.  Ein  Schriftstück  wurde 
mir  vorgelesen.  Ich  antwortete,  daß  ich  dasselbe  nicht  verstehe  und  bat  um 
einen  Dolmetscher.  Stephanus  van  Cortlandt,  der  von  der  Volkspartei  abge- 
setzte Bürgermeister  von  New  York,  erklärte,  daß  ich  des  A.ufruhrs  beschuldigt 
sei.  Ich  brauche  nur  zu  sagen,  ob  ich  mich  schuldig  bekenne  oder  nicht. 
Sie  alle  suchten  mich  zu  der  ersten  Erklärung  zu  bereden.    Ich  antwortete,  daß 


Das  Stadthaus  zu  New  York,  in  dem  Leisler  prozessiert  wurde. 


Nach  einem  alten  Stich. 


ich  mich  nicht  schuldig  bekennen  könne  in  einem  Fall,  in  dem  ich  vom  König 
und  seinem  Gerichtshof  sicher  freigesprochen  würde.  Sie  schrien  mich  unter 
größtem  Lärm  an,  ich  solle  englisch  reden  und  jeder  beschimpfte  mich.  Ich 
ersuchte  aufs  neue  um  einen  Dolmetscher  und  fragte,  wem  ich  Rede  zu  stehen 
habe;  ich  sei  bereit,  ihnen  allen  zu  antworten.  Desgleichen,  daß  sie  sich 
schämen  sollten,  einen  Spott  aus  ihrem  Gerichtshof  zu  machen;  es  scheine  für 
sie  einem  Sport  gleichzukommen,  einen  Mann  abzuurteilen  oder  ihn  zu  töten. 
Der  Richter  fragte,  was  ich  gesagt  habe.  Aber  Cortlandt  übersetzte  das 
Gesagte  in  einer  sehr  nachteiligen,  falschen  und  verkehrten  Weise. 


—     38     — 

Sie  sagten,  ich  solle  mich  der  Gnade  des  Gerichtes  unterwerfen,  worauf 
ich  entgegnete,  daß  ich  keine  Gnade  suche,  da  ich  wohl  wisse,  dieselbe  hier 
nicht  finden  zu  können,  wo  jeder  ,kreuziget  ihn,  kreuziget  ihn!'  rufe. 

Der  Gerichtsbeamte  packte  mich  darauf  gewalttätig  an,  ergriff  sein  Schwert 
und  drohte,  mich  zu  erstechen.  Ich  entblößte  meine  Brust  und  sagte,  er  sei  ein 
Feigling  und  wage  nicht,  das  zu  tun.  Ein  Kinderspielzeug  passe  ihm  besser 
als  das  Schwert  .  .  ." 

Hier  brechen  die  Aufzeichnungen  ab.  Daß  von  einem  Gerichtshof  wie 
dem  hier  geschilderten  v/eder  Gerechtigkeit  noch  Gnade  zu  erwarten  seien, 
war  gewiß.  Und  in  der  Tat  verhängte  derselbe  am  15.  April  über  Leisler,  seinen 
Schwiegersohn  Milborne  sowie  sechs  Mitglieder  des  von  Leisler  eingesetzten 
Rats  wegen  Hochverrates  das  Todesurteil.  Zugleich  wurde  die  Einziehung 
ihres  Vermögens  verfügt.  — 

Unter  allen  nicht  zur  aristokratischen  Partei  gehörenden  Bewohnern  der 
Kolonie  New  York  erregte  der  ungerechte  Spruch  Erbitterung  und  Bestürzung. 
Man  bestürmte  den  Gouverneur  durch  Bittschriften,  die  Verurteilten  zu  be- 
gnadigen. Aber  die  Feinde  Leislers  wußten  es  einzurichten,  daß  die  Bittgesuche 
gar  nicht  in  die  Hände  des  Gouverneurs  gelangten.  Nur  zu  einem  Zugeständnis, 
zur  Begnadigung  der  sechs  Räte  ließen  sie  sich  herbei.  Der  Tatsache  vergessend, 
daß  Leisler  in  hochherziger  Weise  zwei  der  Ihrigen,  Bayard  und  Nicholls,  ge- 
schont, drängten  sie  angesichts  der  von  Tag  zu  Tag  im  Volke  wachsenden 
Gärung  auf  schnelle  Vollstreckung  des  Urteils,  damit  der  Sieg  ihnen  nicht  im 
letzten  Augenblick  entschlüpfe.  Um  den  Schein  zu  wahren,  veranlaßten  sie 
die  anfangs  Mai  in  New  York  zusammentretende,  fast  nur  aus  Mitgliedern  der 
Aristokratenpartei  bestehende  gesetzgebende  Körperschaft  der  Provinz  zur  Ab- 
gabe eines  Beschlusses,  durch  welchen  Gouverneur  Sloughter  zur  Bestätigung 
des  „von  allen  loyalen  Bürgern  gebilligten''  Todesurteils  aufgefordert  wurde, 
da  „das  Urteil  zur  Unterdrückung  des  in  der  Provinz  umgehenden  revolutio- 
nären Geistes  wesentlich  beitragen  werde". 

Trotzdem  zögerte  Sloughter,  der  die  ganze  Haltlosigkeit  des  Prozesses, 
den  fanatischen  Haß  sowie  die  Selbstsucht  der  Feinde  Leislers  durchschaute, 
das  Todesurteil  zu  unterzeichnen.  Er  erklärte,  vorher  nach  England  über  den 
Fall  berichten  zu  wollen.  Das  mußten  die  Aristokraten  unter  allen  Umständen 
verhüten,  da  dann  eine  Aufdeckung  ihres  schandbaren  Treibens  zu  befürchten 
stand.  Sie  machten  deshalb  den  Gouverneur  während  eines  großen  Gelages 
sinnlos  betrunken  und  ließen  ihn  so  unter  Versprechen  einer  großen  Summe 
Geldes  das  Todesurteil  Leislers  und  Milbornes  unterzeichnen. 

Als  den  beiden  das  Lirteil  verkündigt  wurde,  protestierten  sie  gegen  die 
Vollstreckung,  bis  der  Entscheid  des  Königs  gehört  worden  sei.  Aber  ihr 
Protest  blieb  unbeachtet.  Noch  ehe  der  Gouverneur  seinen  Rausch  ausge- 
schlafen hatte,  wurden  in  der  Frühe  des  16.  Mai  1691  Leisler  und  Milborne  auf 
den  Richtplatz  geschleppt  und  am  Galgen  gehängt.  Die  Leichen  wurden  über- 
dies noch  geköpft.    Von  welch  grauenhafter  Rachgier  Leislers  Feinde  besessen 


—    39 


waren,  ergibt  sich  aus  den  Zeugenaussagen  einer  Frau  Latham.  Sie  erklärte, 
daß  der  Henker,  nachdem  er  die  Leiche  Leislers  geköpft  hatte,  dieselbe  öffnete, 
um  das  Herz  herauszunehmen,  für  welches  ihm  eine  den  Aristokraten  ange- 
hörende Dame  eine  hohe  Belohnung  versprochen  habe.  An  dieser  Freveltat 
wurde  der  Henker  nur  durch  den  Einwand  eines  iMannes  verhindert. 

Die  Leichen  der  Gerichteten  begrub  man  auf  einem  dem  Galgen  gegen- 
übergelegenen Grundstück  der  Familie  Leislers,  wo  heute  Park  Row  und 
Spruce  Street  zusammentreffen. 

Die  Aristokraten  schwelgten  in  Freude  über  ihren  Sieg.  Am  Herzen  des 
Gouverneurs  aber  nagte  das  Gewissen,  daß  er  bei  dem  zwiefachen  Justizmord 
mitgeholfen.  In  einem 
Berichte  der  Ältesten  der 
holländischen  Kirche  zu 
New  York  an  die  Regie- 
rung heißt  es,  daß  er  keine 
ruhige  Stunde  mehr  ge- 
habt habe  und  in  Trüb- 
sinn verfallen  sei. 

Die  Magistratsper- 
sonen suchten  diesen  Trüb- 
sinn zu  zerstreuen,  indem 
sie  den  Gouverneur  häufig 
total  betfunken  machten. 
Aber  sobald  der  Rausch 
ausgeschlafen  war,  be- 
mächtigten Reue  und  Ver- 
zweiflung sich  seiner  aufs 
neue.  Von  seinen  Ge- 
nossen keinen  bessern 
Trost  in  seinen  Klagen 
empfangend,     als     Judas 

von  den  Hohenpriestern  empfing,  stürzte  er  von  einer  leidenschaftlichen 
Zerstreuung  zur  andern,  bis  er  plötzlich  an  einer  Herzkrankheit  starb. 

Wie  die  Wahrheit  stets  zum  Durchbruch  kommt,  so  sollte  auch  dem 
Andenken  Leislers  Gerechtigkeit  werden.  Angesehene  Männer,  darunter  der 
spätere  Gouverneur  Lord  Bellemont,  der  die  grenzenlose  Selbstsucht  der  Aristo- 
kraten erkannte,  unterstützten  die  von  den  Hinterbliebenen  der  Ermordeten  beim 
König  erhobenen  Beschwerden  über  das  L^rteil,  sowie  die  Gesuche  um  Rückgabe 
der  eingezogenen  Besitztümer.-  Allerdings  bedurfte  es  jahrelanger  Kämpfe, 
bis  Leislers  Sohn  in  sein  väterliches  Erbe  eingesetzt  wurde  und  vom  englischen 
Parlament  das  Erkenntnis  erwirkte,  daß  das  über  Leisler  und  Milborne  gefällte 
Urteil  für  ungültig  und  beider  Verhalten  als  gesetzmäßig  und  loyal  anzu- 
erkennen sei. 


Leislers  Grabstätte  auf  dem   ehemaligen   Friedhof  der 
holländischen  Gemeinde  zu  New  York. 


—     40     — 

Dieses  Erkenntnis  erregte  bei  den  Bürgern  von  New  York  hohe  Be- 
friedigung. Sie  beschlossen,  der  Ehrenerklärung  der  Gerichteten  durch  feier- 
liche Überführung  ihrer  Überreste  zum  Friedhof  der  holländischen  Gemeinde 
auf  sichtbare  Weise  Ausdruck  zu  verleihen.  Diese  Feierlichkeit  erfolgte  am 
20.  Oktober  1698  unter  Teilnahme  von  1500  Personen,  die  sich  trotz  eines 
starken  Schneesturmes  vcm  diesem  Akt  der  Pietät  nicht  abhalten  ließen.  — 

Aus  den  Gräbern  der  Gemordeten  aber  stieg  der  Geist  der  Vergeltung 
empor.  Er  lebte  fort  in  der  Volkspartei,  die  sich  ihrem  gesunkenen  Führer 
zu  Ehren  fortan  die  „Leislersche  Partei^'  nannte  und  stetig  an  Boden  gewann. 
Bei  den  Wahlen  des  Jahres  1699  gaben  die  I.eislerianer  bereits  455,  ihre 
Gegner  nur  177  Stimmen  ab;  in  der  gesetzgebenden  Körperschaft,  der  Assembly, 
eroberten  sie  von  21  Sitzen  deren  16.  Schärfer  und  schärfer  wurde  ihr  Wider- 
stand gegen  die  Aristokraten  und  deren  angemaßte  V^orrechte.  Von  New  York 
aus  verpflanzte  sich  die  Bewegung  während  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts über  alle  anderen,  ähnlichen  Bedrückungen  ausgesetzten  englischen 
Kolonien  der  Ostküste  Nordamerikas  und  führte  endlich  zu  jenem  großartigen 
Freiheitskriege,  aus  welchem  der  Bund  der  Vereinigten  Staaten  hervorging. 
Jakob  Leisler,  der  Frankfurter,  darf  mit  vollem  Recht  als  der  erste  Märtyrer 
dieses  gewaltigen,  zu  seinen  Lebzeiten  anhebenden  Freiheitskampfes  gelten. 

Leislers  Verdienst  ist  es  ferner,  bei  den  Bewohnern  der  Kolonien  zuerst 
das  Bewußtsein  der  Interessengemeinschaft  erweckt  zu  haben,  indem  er  Ver- 
treter sämtlicher  Kolonien  nach  New  York  berief,  um  sie  zu  gemeinsamen  Maß- 
regeln gegen  die  Franzosen  zu  veranlassen. 

Die  am  1.  Mai  1690  unter  seinem  Vorsitz  in  New  York  abgehaltene  Zu- 
sammenkunft von  Vertretern  mehrerer  Kolonien  war  der  Vorläufer  jenes  großen 
Kongresses,  welchem  86  Jahre  später  das  bedeutsamste  und  folgenreichste 
Dokument  der  Menschheit,  die  LInabhängigkeitserklärung  der  Vereinigten  Staaten 
von  Nordamerika  entsprang. 


C^i 


Schlußvignette:   Leislers  Siegel  und  Unterschrift. 


Augustin  Herrman,  der  erste  deutsche  Kartograph; 
Johann  Lederer,   der   erste   deutsche  Forschungsreisende 

in  Nordamerika. 

Neben  deutschen  Soldaten  kamen  auch  deutsche  Handwerker  schon  früh- 
zeitig nach  der  Neuen  Welt.  Wegen  ihres,  in  langen  Dienstjahren  erworbenen 
gründlichen  Könnens  wurden  sie  überall  so  geschätzt,  daß  sie  mit  Sicherheit 
darauf  rechnen  konnten,  auch  in  der  Fremde  gutes  Auskommen  zu  finden. 

Meist  kamen  die  deutschen  Handwerker  über  holländische,  englische  oder 
spanische  Häfen.  Zu  den  über  Spanien  Auswandernden  gehörte  der  Buch- 
drucker Johann  Crom  berger,  der  bereits  im  Jahre  1538  in  der  Stadt 
Mexiko  eine  Druckerei  gründete  und  die  dort  hergestellten  Werke  mit  dem 
Zusatz  versah :  „Impressa  en  la  gran  ciudad  de  Mexico  en  casa  de  Juam  Crom- 
berger."  — 

Im  ersten  Kapitel  seiner  „History  of  the  German  Element  in  Virginia" 
führt  Hermann  Schuriclit  zahlreiche  Beweise  dafür  an,  daß  auch  in  Jamestown, 
der  ersten  englischen  Ansiedlung  von  Virginien,  manche  deutsche  Handwerker 
lebten.  Dieselben  mögen  auf  Grund  jener  Empfehlung  dorthin  gebracht  worden 
sein,  welche  Kapitän  John  Smith,  der  Deutschland  durch  Augenschein  kannte, 
an  den  Rat  der  Kolonie  richtete :  „to  send  to  Germany  and  Poland  for  laborers." 

Deutsche  Handwerker  zur  Auswanderung  nach  Nordamerika  zu  bewegen, 
fiel  nicht  schwer.  Die  politischen  und  wirtschaftlichen  Zustände  Deutschlands 
waren  durch  den  Dreißigjährigen  Krieg  so  traurig  geworden,  daß  Tausende  ins 
Ausland  flüchteten.     Die  meisten  wandten  sich  nach  den  Niederlanden  oder 


Kopfleiste:    Porträt  Augustin  Herrmans. 


—     42     — 

England,  wo  die  Erwerbsmöglichkeiten  am  günstigsten  lagen.  Besonders  die 
in  Amsterdam  und  London  bestehenden  Kolonisationsgesellschaften  waren  stets 
bereit,  tüchtige  Handwerker  anzuwerben  und  nach  den  in  der  Neuen  Welt  ge- 
gründeten Niederlassungen  zu  schicken. 

Neben  solchen  Handwerkern  begannen  auch  bereits  den  gebildeten  Klassea 
angehörende  Deutsche  in  den  Kolonien  aufzutauchen.  Johann  Huygen 
aus  Wesel,  der  Schwager  Peter  Minnewits,  des  Generaldirektors  von  Neu- 
Niederland,  hatte  den  wichtigen  Posten  eines  Eagerverwalters  in  Neu-Amster- 
dam  inne.  Peter  Petersen  Bielefeld,  offenbar  auch  ein  Deutscher, 
war  der  erste  Beirat.  Dr.  Lubbertusvan  Dinklage,  einer  der  fähigsten 
Beamten  der  „Niederländisch-Westindischen  Gesellschaft'^  brachte  es  zum  Vize- 
direktor. Als  Notar  amtete  um  das  Jahr  1650  Tielman  van  Vleck  aus 
Bremen  in  Neu-Amsterdam.  Erster  lutherischer  Pfarrer  war  Johann  Ernst 
Gutwasser.  Ihm  folgte  im  Jahre  1669  der  Schlesier  Jakob  Eabricius. 
Paulus  van  der  Beek  aus  Bremen,  Wilhelm  T  r  o  p  h  a  g  e  n  aus  dem 
Detmoldischen  und  Hans  Kierstede  aus  Magdeburg  waren  als  Ärzte  in 
Neu-Amsterdam  tätig.  Unter  den  Handeltreibenden  erfreuten  sich  Paul 
Schrick  aus  Nürnberg,  Gysbert  Opdyck  aus  Wesel,  Hieronimus 
E  b  b  i  n  g  aus  Hamburg  und  vor  allem  der  Hamburger  NikolausdeMeyer 
großen  Ansehens.  Meyer  besaß  eine  Brauerei,  eine  Windmühle  und  eine  ganze 
Anzahl  Bauerngüter.  Nachdem  er  mehrere  städtische  Ämter  bekleidet  hatte, 
wurde  er  1676  Bürgermeister. 

Über  umfassende  Bildung  verfügte  auch  der  Landvermesser  A  u  g  u  s  t  i  n 
H  e  r  r  m  a  n.  Von  protestantischen  Eltern  in  Prag  geboren,  hatte  er  an  der 
dortigen  Hochschule  studiert  und  später  an  den  Kriegszügen  Gustav  Adolfs 
teilgenommen.  Um  das  Jahr  1630  kam  er  nach  Virginien,  von  wo  er  später 
nach  Neu-Amsterdam  übersiedelte,  um  dort  seine  reichen  Kenntnisse  in  den  ver- 
schiedensten Richtungen  zu  verwerten.  Gouverneur  Stuyvesant  ernante  ihn  im 
Jahre  1647  zu  einem  der  neun  mit  der  Verwaltung  der  Kolonie  betrauten  Räte. 
Wichtige  Dienste  leistete  Herrman  ferner  als  Landvermesser.  Wahrscheinlich 
entstammen  die  in  Van  der  Donks  „Beschreyvings  van  Niew  Nederland"  (ge- 
druckt 1655  in  Amsterdam)  enthaltene  Karte  von  Neu-Niederland  sowie  die  in 
demselben  Buch  enthaltene  älteste  Ansicht  von  Neu-7\msterdam  seiner  Hand, 

Schon  im  Jahre  1659  befürwortete  Herrman  die  kartographische  Auf- 
nahme Neu-Niederlands  und  der  englischen  Grenzgebiete. 

Stuyvesant  bestimmte  ihn  neben  Waldron  zum  Spezialkommissar,  um  in 
dem  Grenzstreit  zwischen  Neu-Niederland  und  der  südlich  davon  entstandenen 
englischen  Kolonie  Maryland  die  Ansprüche  der  Niederländer  zu  verteidigen. 
Herrman  stellte  sich  dabei  auf  den  Standpunkt,  daß  das  Patent  des  Lord  Balti- 
more denselben  nur  zum  Besetzen  solcher  Landstriche  berechtige,  die  nie  zuvor 
von  Europäern  bewohnt  worden  seien.  Diese  Auslegung  sagte  aber  den  Be- 
hörden Marylands  so  wenig  zu,  daß  sie  vorschlugen,  die  Entscheidung  den 
Regierungen  der  beiden  Mutterländer  zu  überlassen. 


Of     THE 

UNIVERSITY 

GF 


—     43 


Vor  seiner  Rückkehr  nach  Neu-Amsterdani  besuchte  Herrman  verschie- 
dene Teile  der  englischen  Kolonien  Maryland  und  Virginien.  Die  Schönheit 
Marylands  entzückte  ihn  so,  daß  er  im  Jahre  1660  dem  Lord  Baltimore  anbot, 
eine  genaue  Karte  der  Kolonie  anfertigen  zu  wollen,  wenn  man  ihm  als  Ent- 
schädigung hierfür  ein  gewisses,  in  Maryland  gelegenes  Stück  Land  abtrete.  Da 
zwischen  Maryland  und  Virginien  gleichfalls  Grenzstreitigkeiten  bestanden,  die 
nur  auf  Grund  guter  Karten  entschieden  werden  konnten,  so  kam  das  Angebot 
Herrmans  sehr  gelegen.  Herrman  siedelte  nach  Maryland  über  und  erlangte  im 
Jahre  1666  durch  einen  Beschluß  der  dortigen  Legislatur  samt  seinen  Kindern 
das  Bürgerrecht. 

Die  von  ihm  angefertigte  Karte  wurde  in  England  von  dem  berühmten 
Kupferstecher  William  Frithorne  gestochen.  Sie  war  so  vorzüglich,  daß  der 
König  sie  als  die  beste  bezeichnete,  die  er  je  gesehen  habe.  Sie  trägt  auch  das 
Porträt  ihres  Urhebers  mit  der  Unterschrift:  „Augustine  Herrman,  Bohemian". 
Ferner  eine  mit  den  Figuren  eines  Indianers  und  einer  Indianerin  geschmückte 
Vignette  mit  der  lateinischen  Inschrift:  „Virginien  und  Maryland,  wie  sie  an- 
gepflanzt und  bewohnt  waren  im  Jahre  1670.  Vermessen  und  gezeichnet  von 
Augustin  Herrman  aus  Böhmen. '^ 

Das  Land,  welches  Herrman  als  Entschädigung  für  seine  Arbeit  erhielt, 
maß  5000  Acres  und  lag  am  Elk  River  in  der  heutigen  Grafschaft  Cecil.  Durch 
Ankauf  anderer  Grundstücke  vergrößerte  Herrman  dieses  Besitztum  später  um 
weitere  15000  Acker  und  teilte  das  Ganze  in  die  Güter:  „Bohemia  Manor",  „St. 
Augustine  Manor",  „Little  Bohemia  Manor"  und  „The  three  Bohemian  Sisters". 

Wichtige  Dienste  leistete  Herrman  später  bei  der  Festlegung  der  Grenze 
zwischen  Maryland  und  Pennsylvanien.  Er  starb  n.ach  dem  Jahre  1684  und 
wurde  im  Garten  seiner  Besitzung  Bohemia  Manor  begraben. 


Namenszug  Augustin  Herrmans. 

Um  dieselbe  Zeit,  wo  Herrman  in  Maryland  tätig  war,  beschäftigte  sich 
ein  anderer  junger  deutscher  Gelehrter,  Johann  L  e  d  e  r  e  r  ,  mit  der  Er- 
forschung Virginiens.    Er  war  im  Jahre  1668  nach  Jamestown  gekommen  und 


—     44     — 

dort  mit  dem  Gouverneur  Berkly  bekannt  geworden.  Dieser  betraute  ihn  mit 
der  Aufgabe,  die  im  Westen  von  Virgin ien  aufragenden  unbekannten  Gebirge 
zu  erforschen  und  zu  sehen,  ob  sie  einen  Paß  besäßen,  durch  den  man  nach 
dem  Indischen  Ozean  gelangen  könne. 

Columbus  war  bekanntlich  in  dem  Glauben  gestorben,  daß  die  von  ihm 
entdeckten  Länder  Teile  Asiens  und  der  ostindischen  Inselwelt  seien.  Erst  all- 
mählich drängte  sich  seinen  Nachfolgern  die  Überzeugung  auf,  daß  man  einen 
neuen  Erdteil  vor  sich  habe,  der  den  ganzen,  zwischen  der  arktischen  und  der 
antarktischen  Zone  gelegenen  ungeheuren  Raum  ausfülle  und  gleich  einem  Wall 
den  Weg  nach  Indien  versperre. 

War  das  Staunen  über  diese  „Neue  Welt"  begreiflicherweise  groß,  so  hoffte 
man  aber,  daß  der  gewaltige  Erdteil  irgendwo  einen  Durchlaß  besitze,  durcli 
den  man  nach  Indien  kommen  könne.  Das  Auffinden  einer  solchen  Wasser- 
straße war  der  Traum  eines  Baiboa  und  Cortes,  der  beiden  Cabots,  eines  Verra- 
zano,  Cartier,  Hudson  und  zahlreicher  anderer  Entdecker.  Aber  keinem  hatte 
sich  dieser  Traum  erfüllt.  Nichtsdestoweniger  blieb  der  Glaube  an  die  Existenz 
einer  Durchfahrt  bis  ins  17.  Jahrhundert  lebendig.  Gouverneur  Berkley  nahm 
an,  daß  der  Indische  Ozean  sich  bis  an  die  Westseite  der  Virginien  durchziehen- 
den Gebirge  erstrecke.  Bestätigte  sich  diese  Annahme,  so  m.ußte  Virginien  die 
Durchgangsstation  für  den  Mandel  zwischen  Europa  und  Asien  werden. 

Von  dem  heißen  Wunsch  beseelt,  über  diesen  Punkt  Klarheit  zu  schaffen, 
drang  Lederer  während  der  Jahre  1669  und  1670  dreimal  bis  in  die  Appalachen- 
gebirge  vor.  Seine  in  lateinischer  Sprache  niedergeschriebenen,  von  dem  Gou- 
verneur Talbot  von  Maryland  im_  Jahre  1671  ins  Englische  übertragenen  Reise- 
schilderungen kamen  im  Jahre  1672  in  London  zum  Druck.  Sie  enthalten  höchst 
anschauliche  Beschreibungen  der  durchquerten  Wildnis  und  gewaltigen  Ge- 
birge. Zugleich  wertvolle  Beobachtungen  über  die  unterwegs  angetroffenen 
Indianer  und  Tiere. 

Trotz  aller  Anstrengungen  war  es  Lederer  aber  nicht  beschieden,  die  vielen 
parallel  laufenden  Gebirgsketten  der  Appalachen  zu  überschreiten.  Hatte  er 
eine  glücklich  erklommen,  so  sah  er  dahinter  andere,  noch  höhere  aufragen,  die 
er  nicht  zu  übersteigen  verm.ochte,  da  ihm  Proviant  und  Ausrüstung  fehlten. 

Nach  Beendigung  seiner  überaus  mühevollen  Wanderungen  zog  Lederet" 
folgenden  Schluß:  „Diejenigen  befinden  sich  in  großem  Irrtum,  welche  an- 
nehmen, daß  der  Erdteil  Nordamerika  zwischen  dem  Atlantischen  und  dem  In- 
dischen Ozean  nur  acht  bis  zehn  Tagereisen  breit  sei.'' 

Aus  mancherlei  y\ndeutungen  der  Indianer  glaubte  er  aber  schließen  zu 
dürfen,  daß  sich  nordwestlich  von  den  Appalachen  große  Wasser  befänden: 
„Vielleicht  ein  Arm  des  Indischen  Ozeans  oder  die  Bai  von  Kalifornien."  —  Es 
waren  unbestimmte  Nachrichten  über  die  fünf  großen  Binnenseen,  die  um  die- 
selbe Zeit  von  französischen  Pelzhändlern  zuerst  erforscht  wurden. 

Durch  Lederers  Entdeckungen  angeregt,  sandte  Gouverneur  Berkley  später 
noch  den  deutschen  Kapitän  Henry  Batte  auf  eine  Forschungsreise  in  die  west- 


—    45     — 


liehen  Gebirge.  Aber  auch  diesem  glückte  es  nicht,  die  wilden  Ketten  zu  über- 
steigen, zumal  die  indianischen  Führer  aus  Furcht  vor  den  westlich  wohnenden 
Stämmen  sich  weigerten,  weiter  zu  gehen.  Die  Expedition  kehrte  zurück,  ohne 
den  Berichten  Lederers  etwas  Neues  hinzufügen  zu  können. 

Lederer  erwuchs  aus  seinen  mühevollen  Wagnissen  kein  Dank.  Seine 
Begleiter,  die  ihn  auf  seiner  zweiten  Expedition  schmählich  im  Stich  gelassen 
hatten,  verbreiteten,  um  ihre  eigene  Feigheit  zu  bemänteln,  allerlei  ungünstige 
Nachrichten  über  ihn.  Obendrein  hetzten  sie  die  Bewohner  Virginiens  durch 
die  erlogene  Behauptung  auf,  die  Kosten  der  zwecklosen  Reisen  müßten  von 


Indianer  aus  Virginien. 

Nach  einem  Kupferstich  des  17.  Jahrhunderts. 

den  Kolonisten  bestritten  werden.  Infolgedessen  nahmen  die  letzteren  eine  so 
drohende  Haltung  gegen  Lederer  an,  daß  er  nach  Maryland  floh,  wo  er  in  dem 
Gouverneur  Talbot  einen  neuen  Beschützer  fand. 

Aus  in  den  Archiven  von  Maryland  entdeckten  Aufzeichnungen  wissen 
wir,  daß  Lederer  in  der  alten  Hansastadt  Hamburg  geboren  war.  Im  Jahre 
1671  lebte  er  im  Calvert  County  der  Kolonie  Maryland.  Er  hatte  dort  das 
Bürgerrecht  und  von  den  Behörden  die  auf  14  Jahre  ausgedehnte  Erlaubnis  er- 
worben, mit  den  im  Südwesten  der  Kolonie  hausenden,  von  ihm  entdeckten  In- 
dianerstämmen Pelzhandel  treiben  zu  dürfen. 

Über  die  weiteren  Schicksale  dieses  ersten  deutschen  Forschungsreisenden 
in  Nordamerika  ist  leider  nichts  bekannt. 


Aus  Stike  „Deutsche  Geschichte  ' 


Die  deutschen  Sektenniederlassungen  des  17.  und 

18.  Jahrhunderts. 

Die  Ursachen  der  Sektenauswanderung. 

Kein  Land  der  Erde  erlitt  jemals  schrecklichere  Heimsuchungen,  als 
Deutschland  während  des  17.  Jahrhunderts.  Gleich  einem  verheerenden  Sturm- 
wind brauste  zunächst  der  durch  religiösen  Zwiespalt  heraufbeschworene 
Dreißigjährige  Krieg  durch  alle  Gauen,  und  ließ  sie  in  einem  solchen  Zustande 
gänzlicher  Zerrüttung  zurück,  daß  Deutschland  im  wahren  Sinne  des  Wortes 
einer  großen  Wüste  mit  einigen  Kulturoasen  darinnen  glich.  In  Württemberg 
gingen  in  den  Jahren  1634  bis  1641  über  345  000  Menschen  zugrunde.  In 
Sachsen  wurden  innerhalb  der  beiden  Jahre  1631  und  1632  943  000  Personen 
erschlagen  oder  durch  Seuchen  weggerafft.  Die  blühende  Pfalz,  welche  vor 
dem  Krieg  500  000  Bewohner  besaß,  zählte  zur  Zeit  des  Friedensschlusses  nur 
noch  43  000,  darunter  bloß  200  Bauern.  Im  preußischen  Henneberg  vernichtete 
der  furchtbare  Glaubenskrieg  68,  im  Eisenacher  Oberland  90  "/..  aller  Bewohner. 
In  Meiningen  waren  in  19  Dörfern  von  1773  Famihen  nur  noch  316  übrig.  Im 
Nassauischen  gab  es  Orte,  die  bis  auf  eine  oder  zwei  Familien  ausgestorben 
waren.  Man  nimmt  an,  daß  Deutschlands  Bevölkerung  in  jener  Zeit  sich  von 
17  auf  nur  4  Millionen  verminderte. 

Dieser  entsetzlichen  Einbuße  an  Menschenleben  entsprach  der  Verlust  an 
Eigentum.  Nach  Hunderten  zählten  die  zerstörten  Ortschaften.  In  Württem- 
berg lagen  8  Städte,  45  Dörfer,  158  Schulhäuser  und  Pfarrhäuser,  65  Kirchen 

Kopfleiste:  Plünderung  eines  Dorfs  im  dreißigjährigen  Krieg.  Nach  einer  gleich- 
zeitigen Radierung. 


—    47     — 

und  36  000  Wohnhäuser  in  Asche.  80"/,,  aller  Pferde,  Rinder,  Schafe  und 
Ziegen  waren  zugrunde  gegangen.  Bedeutende  Teile  des  Reiches,  die  sich 
früher  des  blühendsten  Wohlstandes  erfreuten,  blieben  unbebaut,  weil  es  an 
Saaten,  Zugtieren  und  Werkzeugen  fehlte,  um  die  Felder  zu  bestellen.  Die 
ganze  Landwirtschaft  war  so  zugrunde  gerichtet,  daß  die  Bevölkerung,  trotz- 
dem sie  so  schrecklich  zusammengeschmolzen  war,  sich  kaum  zu  ernähren  ver- 
mochte. 

Als  Schleppenträgerinnen  der  Kriegsfurie  folgten  Hungersnot  und  Pesti- 
lenz. Von  wahnsinniger  Verzweiflung  ergriffen  mordeten  Eltern  ihre  eigenen 
Kinder,  um  deren  Fleisch  zur  Sättigung  zu  benutzen.  In  Hessen  und  Sachsen, 
im  Elsaß  und  an  andern  Orten  hörte  man  von  Menschenfressern,  die  Jagd  auf 
Lebende  machten,  um  sie  zu  verzehren. 

In  der  Schrift  „Excidium  Germaniae"  heißt  es:  „Man  wandert  bei  zehn 
Meilen  und  sieht  nicht  einen  Menschen,  nicht  ein  Vieh.  In  allen  Dörfern  sind 
die  Häuser  voll  toter  Leichname  und  Äser  gelegen;  Mann,  Weib,  Kinder  und 
Gesinde,  Pferde,  Schweine,  Ochsen  und  Kühe  neben-  und  untereinander,  von 
Pest  und  Hunger  erwürget,  von  Wölfen,  Hunden,  Krähen  und  Raben  gefressen, 
weil  niemand  gewesen,  der  sie  begraben." 

Manche  der  Überlebenden,  obdachlos  und  ohne  Existenzmittel,  scharten 
sich  zu  Räuberbanden  zusammen,  zogen  sengend  und  plündernd  von  Hof  zu 
Hof,  nahmen  den  Bewohnern  das  letzte  und  boten  den  ohnmächtigen  Regie- 
rungen Trotz. 

Noch  waren  diese  furchtbaren  Leiden,  welche  der  große  Krieg  den  deut- 
schen Landen  geschlagen  hatte,  nicht  verwunden,  so  kamen  die  Kriege  gegen 
die  Polen,  Schweden,  Türken  und  Franzosen.  Nebenher  gab  es  endlose  Streitig- 
keiten der  Reichsstände  untereinander.  Um  das  Elend  voll  zu  machen,  be- 
gingen die  an  verschwenderische  Hofhaltung,  glänzende  Gelage  und  große 
Jagden  gewöhnten  großen  und  kleinen  Landesherren  an  dem  gewöhnlichen 
Volke  die  ärgsten  Bedrückungen.  Auf  ihr  Gottesgnadentum  pochend  und  ihre 
Länder  als  persönliches  Eigentum  betrachtend,  zwangen  sie  ihre  Untertanen  in 
ein  entwürdigendes,  von  völliger  Leibeigenschaft  kaum  noch  zu  unterscheidendes 
Knechtschaftsverhältnis. 

In  dieser  langen  Zeit  des  Leidens  und  des  materiellen  Elends  schwand 
einem  großen  Teil  des  deutsclien  Volkes  eine  seiner  edelsten  Eigenschaften :  der 
unternehmende  kühne  Mannesmut,  der  es  seit  den  Tagen,  wo  es  zum  ersten 
Male  in  den  Bereich  der  (jeschichte  trat,  in  so  hoher  Weise  ausgezeichnet  hatte. 
Aus  dem  freien  deutschen  Manne  wurde  ein  ängstlicher,  in  sein  Schicksal  er- 
gebener Spießbürger,  der  kaum  noch  Verständnis  für  das  Entwürdigende  seiner 
Lage  besaß,  sondern  Trost  für  seine  Leiden  tatenlos  in  der  Religion  suchte. 
Aber  auch  das  war  ihm  häufig  erschwert.  Nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege 
war€n  in  Deutschland  drei  Bekenntnisse,  das  katholische,  lutherische  und  refor- 
mierte, anerkannt  worden.  Aber  ihre  Anhänger  und  Priester  befehdeten  auch 
nach  dem  Kriege  einander  fort  und  fort.     Besonders  die  an  den  zahlreichen 


—     48     — 

Fürstenhöfen  angestellten  Hcfgeistliclien  und  Beichtväter  suchten  auf  die  Landes- 
herren Einfluß  zu  gewinnen  und  sie  zu  veranlassen,  das  von  ihnen  vertretene 
Bekenntnis  zur  Staatsreligion  zu  machen.  Dies  gelang  in  manchen  Ländern, 
und  so  kam  es,  daß  in  Gegenden,  deren  Herrscher  katholisch  geblieben  waren, 
die  Lutheraner  und  Reformierten  in  der  Ausübung  ihrer  Andachten  behindert 
wurden;  in  Ländern  hingegen,  wo  die  Lutheraner  oder  Reformierten  Ober- 
wasser besaßen,  waren  die  Katholiken  und  Reformierten  oder  die  Katholiken 
und  Lutheraner  allerlei  Bedrängnissen  ausgesetzt. 

In  verschiedenen  Teilen  Deutschlands  hatten  sich  aber  auch  Sekten  ge- 
bildet, die  sich  sowohl  von  den  Katholiken  wie  von  den  Reformierten  und  Luthe- 
ranern absonderten  und  darum  sowohl  von  den  Geistlichen  wie  von  der  Regie- 
rung verfolgt  wurden,  da  man  der  immer  größer  werdenden  religiösen  Zer- 
splitterung vorbeugen  wollte. 

Diese  Sekten  waren  die  Mennoniten,  Labadisten,  Pietisten,  Herrnhuter, 
Schwenkfeldianer,  Tunker  und  andere  mehr.  Sie  strebten  meist  eine  Wieder- 
herstellung des  schlichten,  innigen  Gemeindelebens  an,  wie  es  die  ersten  Christen 
geführt  hatten.  Da  sie  von  berufsmäßigen  Predigern  nicht  viel  hielten  und 
auch  die  Beständigkeit  der  Kirche  als  Organisation  nicht  anerkannten,  so  zogen 
sie  sich  natürlich  den  Zorn  der  Geistlichkeit  zu.  Den  Regierungen  erschienen 
sie  verdächtig,  weil  sie  Neigungen  bekundeten,  die  man  als  gefährlich  für  die 
bestehenden  Staatsformen  betrachtete.  Namentlich  war  es  der  von  einigen 
Sekten  vertretene  kommunistische  Gedanke  der  gemeinsam  füreinander  arbeiten- 
den Brüder  und  Schwestern,  den  man  nicht  dulden  zu  dürfen  glaubte.  Da  die 
Sektierer  sich  obendrein  weigerten,  Kriegsdienste  und  Kriegssteuern  zu  leisten, 
weil  Christus  das  Führen  des  Schwertes  und  das  Töten  von  Menschen  verboten 
habe,  so  wandte  sich  der  Groll  der  ausschließlich  auf  militärischer  Gewalt  be- 
ruhenden Regierungen  gegen  sie. 

Die  Verfolgungen,  denen  die  Sektierer  sich  infolgedessen  ausgesetzt  sahen, 
nahmen  in  manchen  Ländern  so  grausame  Formen  an,  daß  viele,  um  der  Ein- 
kerkerung oder  den  drohenden  Leibes-  und  Lebensstrafen  zu  entgehen,  sich  zur 
Auswanderung  entschlossen. 

Die  Anregung  dazu  kam  durch  englische  und  holländische  Puritaner  und 
Quäker,  von  denen  viele  gleicher  Bedrängnisse  wegen  nach  der  Neuen  Welt  ge- 
zogen waren.  Von  ihnen,  mit  denen  man  Fühlung  hielt,  erfuhr  man,  daß 
Amerika,  insbesondere  Pennsylvanien,  ein  duldsames  Land  sei,  wo  jedermann 
seinen  religiösen  Anschauungen  ungehindert  leben  könne  und  auch  der  Bauer 
darauf  rechnen  dürfe,  des  Lohnes  für  seine  Arbeit  teilhaftig  zu  werden. 


Die  Mennoniten  und  die  Gründung  Germantowns. 


Die  ersten  deut- 
schen Sektierer,  welche 
sich  von  der  Scholle 
lösten,  um  in  der  Fremde 
ungehindert  ihren  reli- 
giösen Anschauungen 
leben  zu  können,  waren 
Mennoniten,  Anhänger 
des  um  das  Jahr  1492 
in  dem  friesländischen 
Dorfe  Witmarsum  ge- 
borenen Menno  Si- 
mon. Derselbe  wai  ur- 
sprünglich Priester  der 
katholischen  Kirche, 
hatte  sich  aber  von  der- 
selben losgesagt  und 
predigte  in  reformato- 
rischem Sinne.  Seinen 
Anhängern  empfahl  er 
Sittlichkeit,  Herzens- 
milde und  Reinheit ;  sich 
der  Verfolgung  Anders- 
gläubiger, des  Tragens 
und  Gebrauchens  von 
Waffen,  ja,  jeder  Gegen- 
wehr zu  enthalten ;  auch 
das  Klagen  vor  weltlichen  Gerichten,  das  Schwören  von  Eiden,  die  Teilnahme 
an  weltlicher  Regierung  und  unnötigen  Aufwand  in  Kleidung  und  Lebensweise 
zu  unterlassen.  Hinsichtlich  der  Auffassung  der  Gottheit  Christi  stimmte  er 
mit  den  Wiedertäufern  überein,  beobachtete  die  Fußwaschung  als  religiöse 
Zeremonie  und  erteilte  die  Taufe  nur  als  bloßes  Symbol  innerer  Sinnesänderung. 
Seine  Anhänger,  die  Mennoniten,  bildeten  diese  Grundsätze  noch  weiter 
aus.     Das  irdische  Leben  lediglich  als  eine  Vorbereitung  für  das  Jenseits  be- 

Cronaii,   Deutsches   Leben   in  Amerika.  4 


William  Penn. 


—    50    — 

trachtend,  sonderten  sie  sich,  um  den  Versuchungen  dieser  Welt  zu  entgehen, 
soviel  als  möglich  von  den  Gemeinwesen  ab.  In  ihren  Ehebündnissen  be- 
schränkten sie  sich  ausschheßlich  auf  Mitglieder  der  eignen  Kreise. 

Da  von  allen  Sektierern  die  Mennoniten  den  unchristlichen  Charakter  der 
Kirchen,  wie  des  nur  auf  militärischer  Gewalt  beruhenden  Staatswesens  am 
schärfsten  kritisierten  und  obendrein  sich  weigerten,  Kriegsdienste  und  Kriegs- 
steuern zu  leisten,  so  wurden  sie  auch  mit  der  größten  Erbitterung  verfolgt. 

Schon  der  Gründer  der  Sekte,  Menno  Simon,  wurde  für  vogelfrei  erklärt. 
Wer  seinen  Kopf  einliefre,  sollte  als  Belohnung  einen  Karlsgulden  und  außer- 
dem, welche  Verbrechen  er  immer  begangen  habe,  völlige  Straflosigkeit  erhalten. 
Unter  diesem  Bann  floh  Menno  Simon  von  Ort  zu  Ort,  vom  Rhein  bis  zu  den 
Ostseeländern,  bis  endlich  im  Jahre  1561  der  Tod  ihn  seinen  Verfolgern  ent- 
rückte. Seine  Anhänger  aber  mußten  den  furchtbaren  Haß  derselben  vollauf 
verspüren.  In  den  Niederlanden  marterten  die  fanatischen  Spanier  ihrer  6000 
zu  Tode;  in  Süddeutschland  und  in  der  Schweiz  hauchten  über  3000  unter  den 
Richtschwertern  oder  auf  den  Scheiterhaufen  ihre  letzten  Seufzer  aus.  Die  ent- 
setzlichen Leiden  dieser  Märtyrer  wurden  von  Tieleman  Jans  van  Braght  In 

einem  dickleibigen  Folianten  „Het  Bloedig 
Toneel  cf  Martelaars  Spiegel",  „Der 
blutige  Schauplatz  oder  Märtyrer-Spie- 
gel" beschrieben. 

.,  ,.,.,,.      n  Erst  nach  157Q  ließen  die  wüte^i- 

Namenszug  von  William  Penn. 

den  Verfolgungen  in  Holland  und  Nord- 
deutschland nach;  in  andern  Ländern  hingegen  wurde  den  Mennoniten  bis  ins 
18.  Jahrhundert  hinein  zugesetzt.  Die  Anzeige  eines  Mennoniten  wurde  mit 
fünf  Gulden  belohnt;  die  Sektierer  selber  bedrohte  man  mit  Einziehung  ihres 
Vermögens,  körperlicher  Züchtigung  und  Gefängnisstrafe.  Trotzdem  bildeten 
sich  in  Lübeck,  Emden,  Frankfurt  a.  M.,  Krefeld  und  Krisheim  bei  Worms 
Mennonitengemeinden,  die  mit  den  nach  ähnlichen  Glaubenssatzungen  lebenden 
Quäkern  in  Holland  und  England  nicht  nur  geheimen  Verkehr  unterhielten, 
sondern  bisweilen  auch  den  Besuch  von  Predigern  derselben  empfingen.  Einer 
jener  englischen  Quäkermissionare,  welche  Deutschland  bereisten,  warW  i  1 1  i  a  m 
Penn.  Auf  seinen  in  den  Jahren  1671  und  1677  unternommenen  Missions- 
reisen kam  er  auch  nach  Krefeld,  Frankfurt  a.  M.  und  Krisheim,  wo  er  vor  den 
dortigen  Mennonitengemeinden  predigte  und  bei  all  seinen  Hörern  einen  tiefen, 
nachhaltigen  Eindruck  hinterließ. 

Penns  Vater,  ein  Admiral  in  englischen  Diensten,  hatte  seinem  Sohne  eine 
auf  16  000  Pfund  Sterling  lautende  Forderung  an  die  Regierung  hinterlassen. 
William  entschloß  sich,  an  Stelle  baren  Geldes  eine  bedeutende  Strecke  Landes 
anzunehmen,  die  in  Nordamerika,  westlich  vom  Delaware,  lag.  Zum  Gedächt- 
nis an  seinen  Vater  und  im  Hinblick  auf  den  ungeheuren  Waldreichtum  des 
Landes  nannte  William  Penn  sein  Besitztum  Pennsylvanien. 


—    51     - 

Der  Verfolgungen  seiner  Glaubensgenossen  gedenkend,  beschloß  er,  dieses 
Besitztum  zu  einem  Zufluchtsort  für  alle  zu  machen,  die  in  Europa  wegen  ihres 
Glaubens  bedrängt  wurden.  Nachdem  er  durch  seinen  berühmten  Vertrag  mit 
den  Indianern  bei  Schackamoxon  Pennsylvanien  zu  einer  wirklichen  Stätte  des 
Friedens  gemacht  hatte,  veröffentlichte  er  eine  in  englischer,  deutscher  und 
holländischer  Sprache  gedruckte  Beschreibung  von  Pennsylvanien.  Die  deut- 
schen Ausgaben  erschienen  in  Amsterdam  und  Frankfurt  unter  dem  Titel :  „Eine 
nachricht  wegen  der  Landschaft  Pennsylvania  in  America:  welche  jüngstens 
unter  dem  Großen  Siegel  in  Engelland  an  William  Penn  Sambt  den  Freiheilen 
und  der  Macht  so  zu  behörigen  guten  Regierung  derselben  nötig,  übergebeii 
worden.'* 

Diese  Schrift  enthielt  zugleich  die  Einladung  an  alle  wegen  ihrer  religiösen 
Anschauungen  Verfolgten,  nach  der  jenseits  des  Ozeans  errichteten  Freistätte 
zu  kommen.  Die  Emladung  wurde  von  den  Mennoniten  in  Frankfurt,  Krefeld 
und  Krisheim  freudig  aufgenommen,  zumal  die  Bedingungen,  unter  welchen 
Penn  Grundstücke  zum  Kauf  anbot,  äußerst  günstig  waren.  Er  verkaufte  je 
5000  Acker  für  100  Pfund  Sterling  und  100  Acker  für  40  Schilling  neben  Zahlung 
einer  Erbpacht  von 
1    Schilling  für   100  ^^^  /)  r^^ 

.^n  w^,  ^  ^=^^^A^a^^  9a/^rU, 

bis     zu     200     Acker 
Land  für  einen  jährli- 
chen Zins  von  IPenny  Namenszug  von  Pastorius. 
den    Acker    pachten. 

Mehrere  Mitglieder  der  Frankfurter  Gemeinde  traten  zu  der  sogenannten 
„Frankfurter  Gesellschaft"  zusammen  und  erwarben  25  000  Acker.  Die  Kre- 
felder Gemeinde  sicherte  sich  18  000  Acker.  Beim  Abschluß  des  Kaufvertrages 
bedienten  die  Frankfurter  sich  eines  jungen  Rechisgelehrten,  namens  Franz 
Daniel  Pastorius.  Derselbe  war  am  26.  September  1651  zu  Sommer- 
hausen in  Franken  geboren.  Nach  Beendigung  seiner  Studien  auf  den  Uni- 
versitäten Straßburg,  Basel  und  Jena  hatte  er  eine  längere  Reise  durch  Deutsch- 
land, Holland,  England,  Frankreich  und  die  Schweiz  gemacht  und  war  im  No- 
vember 1682  nach  Frankfurt  gekommen,  wo  er  in  Beziehungen  mit  der  dortigen 
Pietistengemeinde  trat. 

„Weilen  ich  nun,"  so  erzählt  Pastorius  in  seinen  Aufzeichnungen,  „alldar 
von  meinen  Bekannten  Pennsylvanien  zum  öfteren  sehr  rühmen  hörte  und  ver- 
schiedene Relationsschreiben  davon  zu  lesen  bekam,  auch  einige  Gott  fürchtende 
Menschen  sich  bereits  dorthin  zu  transportieren  entschlossen  und  allschon  zu- 
sammengepackt hatten,  entstund  eine  nicht  geringe  Begierde  bey  mir,  in  ihrer 
Gesellschaft  mit  über  zu  segeln  und  daselbst  nach  überdrüssig  gesehenen  und 
gekosteten  europäischen  Eitelkeiten  nebenst  ihnen  ein  still  und  christlich  Leben 
zu  führen.    Verehrte  und  schickte  derowegen  meine  Bücher  u.  s.  w.  an  meinen 

4* 


—    52    — 

Bruder  Joh.  Samuel  und  erlangte  endlich  nach  mehrmaliger  Briefwechselung 
meines  verehrten  Vatters  Vervvilligung  sammt  250  Reichsthalern,  worauf  ich  dann 
nach  Krisheim  reisete  und  mich  sofort  ganz  reisefertig  machte." 

Am  2.  April  fuhr  Pastorius  von  Frankfurt  den  Rhein  hinab,  verweilte 
kurze  Zeit  in  Köln  und  begab  sich  dann  nach  Krefeld,  wo  er  mit  mehreren  Mit- 
gliedern der  dortigen  Mennonitengemeinde  Unterredungen  hatte  und  von  den- 
selben erfuhr,  daß  sie  gleichfalls  bereit  seien,  nach  Pennsylvanien  überzusiedein. 
Pastorius  versprach,  für  ihre  Ankunft  alles  vorzubereiten  und  begab  sich  über 
Rotterdam  und  London  nach  Oravesend,  von  wo  er  am  6.  Juni  mit  dem  Schiff 
„America"  nach  Philadelphia  segelte.  Als  er  dort  am  20.  August  landete,  be- 
stand dieser  „Ort  der  Bruderliebe"  erst  aus  wenigen  notdürftig  hergerichteten 
Blockhütten. 

„Das  Übrige  war  Wald  und  Gestrüpp,  worin  ich  mich  mehrere  Male  ver- 
lor. Was  für  einen  Eindruck  solch  eine  Stadt  auf  mich  machte,  der  ich  eben 
London,  Paris,  Amsterdam  und  Gent  besucht  hatte,  brauche  ich  nicht  zu  be- 
schreiben." 

Dem  Beispiel  der  Bewohner  dieser  Ansiedlung  folgend,  erbaute  Pastorius 
sich  ein  bescheidenes,  für  die  erste  Unterkunft  genügendes  Häuschen,  dessen 
Fensteröffnungen  er,  da  Glas  nicht  zu  haben  war,  mit  ölgetränktem  Papier  ver- 
klebte. Altem  deutschem  Brauch  folgend,  setzte  er  über  die  Haustür  den  von 
ihm  ersonnenen  Spruch: 

„Parva  domus  sed  amica  bonis,  procul  este  profani." 
„Klein  ist  mein  Haus,  doch  Gute  sieht  es  gern, 
Wer  gottlos  ist,  der  bleibe  fern."  — 

Mit  William  Penn  häufig  verkehrend  und  von  diesem  hochgeschätzt,  er- 
wartete Pastorius  in  seinem  kleinen  Nothause  die  Ankunft  der  Krefelder  Ein- 
wanderer. 

Von  der  Krefelder  Gemeinde  hatten  sich  zunächst  13  Familien  zur  Über- 
siedlung nach  Pennsylvanien  entschlossen.  Es  waren  die  Familien  von  H  e  r  - 
mann,AbrahamundDirk(Dietrich)opdenGraeff,Lenert 

(Leonhard)  Arets,  Tünes  (Anton)  Kunders,  Reinert  (Rein- 
hard) Tisen  oder  Theißen,  Wilhelm  Strepers,  Jan  (Jo- 
hann) Lensen,  Peter  Keurlis  oder  Kuirlis,  Jan  Simens, 
Johann  Bleickers,  Abraham  Tünes  oder  Tünies  und  Jan 
Luken  oderLuyken.  Zusammen  bildeten  diese  Personen  eine  Schar  von 
33  Köpfen. 

Am  18.  Juni  befanden  sich  die  Auswanderer  in  Rotterdam,  gingen  von 
dort  nach  England  und  schifften  sich  am  24.  Juli  1683  auf  der  „Concord"  in 
Gravesend  zur  Überfahrt  nach  Amerika  ein.  Entlang  der  Küste  Englands  ging 
die  Fahrt  äußerst  langsam  von  statten,  denn  man  behielt  dieselbe  drei  Wochen 
lang  in  Sicht.  Nach  weiteren  49  Tagen  erblickten  die  Reisenden  die  Gestade 
der  Neuen  Welt  und  betraten  am  6  Oktober  (dem  16.  Oktober  gegenwäriiger 
Zeitrechnung)  den  Boden  derselben. 


—     53     - 

Von  Pastorius  und  Penn  freudig  betT^rüßt,  schritten  die  deutschen  Pilger 
nach  iiurzem  Verweilen  zur  Auswahl  eines  geeigneten  Platzes  für  die  zu  grün- 
dende Niederlassung.  Man  entschied  sich  für  einen  zwei  Stunden  von  Phila- 
delphia in  der  Nähe  des  Schuylkillflusses  gelegenen  Landstreifen,  auf  dem 
William  Penn  „am  24.  Octobris  durch  Ihomas  Fairman  14  Lose  oder  Erbe  ab- 
messen ließ,  umb  welche  oberwähnte  13  Familien  am  25.  dito  durch  Zettel  das 
Los  zogen  und  sofort  anfingen,  Keller  und  Hütten  zu  machen,  worinnen  sie 
den  Winter  nicht  sonder  große  Beschwerlichkeiten  zubrachten.  Den  Ort  nannten 
wir  Germantown,  welches  der  Teutschen-Statt  bedeutete.  Etliche  gaben  ihm 
den  Beynamen  Armentown,  sindemahl  viel  der  vorgedachten  Beginner  sich 
nicht  auf  etliche  Wochen,  zu  geschweigen  Monaten,  provisioniren  kunnten.  Und 
mag  weder  genug  beschrieben  noch  von  denen  vermöglicheren  Nachkömmlingen 
geglaubt  werden,  in  was  Mangel  und  Armuth,  anbey  mit  welch  einer  Christ- 
lichen Vergnüglichkeit  und  unermüdetem  Fleiß  diese  Germantownship  be- 
gunnen  sey." 

Zunächst  hatten  die  deutschen  Ansiedler  einen  schweren  Kampf  gegen 
die  schier  unbezwinghche  Wildnis  zu  führen,  die  sich  dicht  an  ihre  Hütten 
drängte,  und  deren  Ende  gen  Westen  hin  noch  kein  Weißer  erreicht  hatte.  „Man 
wende  sich,"  so  schrieb  Pastor ius  an  seine  in  Deutschland  zurückgebliebenen 
Angehörigen,  „hin,  wo  man  wolle,  da  heißet  es:  ,ltur  in  antiquam  sylvam',  und 
ist  alles  mit  Holtz  überwachsen,  also  daß  ich  mir  offt  ein  paar  Dutzet  starke 
Tyroler  gewünschet,  welche  die  dicke  Aychen-Bäume  darnieder  geworffen 
hätten."  In  diesem  Kampf  mit  der  Wildnis  bedurfte  es,  wie  Pastorius  an  einer 
anderen  Stelle  gesteht,  „gedachten  William  Penns  offtmaliger  dringender  Assi- 
stenz, zumal  wir  wegen  ermangelnder  sattsamer  Experienz  in  solcherlei  Sachen 
vieles  gethan  haben,  was  wir  hernach  theils  selbst  ändern,  theils  der  klügeren 
Nachfahren  Verbesserung  anbefehlen  müssen." 

Mit  der  Zeit  wurde  das  Aussehen  der  Ortschaft  doch  ein  wohnliches.  Sie 
war  durch  eine  breite,  von  mehreren  Querstraßen  durchschnittene  und  auf  beiden 
Seiten  mit  Pfirsichbäumen  besetzte  Straße  in  zwei  Hälften  geteilt.  Ein  kleines 
hölzernes  Kirchlein  erstand  1686.  Die  Wohnhäuser  lagen  inmitten  großer 
Blumen-  und  Gemüsegärten,  deren  fruchtbarer  Boden  die  auf  ihn  gewendete 
Mühe  so  reich  lohnte,  daß  man  mit  den  gewonnenen  Erzeugnissen  sowohl  den 
Bedarf  der  Bewohner  decken  wie  auch  den  Markt  von  Philadelphia  versorgen 
konnte.  Ja,  nach  mehreren  Jahren  konnte  man  den  Überfluß  an  Getreide  und 
Vieh  nach  Barbados  verhandeln  „umb  Brandwein,  Syrup,  Zucker  und  Salz". 

Mit  den  Eingeborenen,  die  Pastorius  als  „starke,  hurtige  und  gelenke 
Leute"  schildert,  die  „sich  einer  aufrichtigen  Redlichkeit  befleißigen,  genau  über 
ihren  Versprechen  hielten  und  Niemanden  betrogen  oder  beleidigten",  kam  man 
gut  aus.  Man  unterhielt  sogar  mit  ihnen  einen  einträglichen  Handel.  „Der 
wilden  Leute  ihre  Kaufmannschaften,"  so  erzählt  Pastorius  weiter,  „ist  von 
Fischen,  Vögeln,  Hirschhäuten  und  allerlei  Pelzwerk  von  Bibern,  Ottern, 
Füchsen,  u.  s.  w.     Bißweilen  vertauschen  sie's  gegen  Getränk,  bißweilen  ver- 


—     54     — 

kauffen  sie's  umb  ihr  Landgeld,  welches  nur  langlichte  an  Faden  angeschnürte 
Corallen  aus  Meer-Muscheln  geschliffen  (Wampumperlen)  theils  weis,  theils 
braunlecht."  Das  im  Handel  mit  den  Indianern  erworbene  Pelzwerk  verschiffte 
man  nach  England. 

Fleiß,  Sparsamkeit  und  Genügsamkeit  bildeten  die  Tugenden,  durch  welche 
die  Ansiedler  vcn  Germantown  sich  auszeichneten  und  die  Achtung  aller  Um- 
wohner erwarben.  Besondere  Sorgfalt  wendeten  sie  auf  den  Anbau  von  Flachs 
und  Wein,  die  hoch  in  Ehren  gehalten  wurden.  Der  Flachs  hatte  Bedeutung, 
weil  die  Krefelder  Leineweberei  betrieben.  Dies  Gewerbe  setzten  sie  in  der 
Neuen  Welt  fort  und  stellten  allerlei  Zeuge  her,  die  wegen  ihrer  Güte  und  Halt- 
barkeit überall  willige  Abnehmer  fanden.  Als  Rheinländer  waren  sie  Freunde 
des  Frohsinns  und  wußten  den  Wein  als  Quelle  desselben  zu  schätzen.  So 
währte  es  nicht  lange,  daß  sich  um  die  Fenster  und  Türen  ihrer  Hütten  schwer- 
tragende Reben  rankten,  andere  sich  zu  schattigen  Lauben  verbanden.  Gewiß 
war  es  ein  sinniger  Gedanke,  daß  Pastorius  beim  Entwurf  eines  Ortssiegels  in 
dasselbe  ein  Kleeblatt  zeichnete,  dessen  drei  Blätter  den  Weinstock,  den  Flachs 
und  die  Weberei  darstellen  sollten,  was  durch  die  Umschrift:  „Vinum,  Linum 
et  Textrinum"  („Wein,  Lein  und  Webeschrein'')  Ausdruck  fand.  Dadurch 
wurde  zugleich  die  Mission  der  Deutschen  in  Amerika,  die  Förderung  des  Acker- 
baues, des  Gewerbes  und  des  heiteren  Lebensgenusses  in  der  glücklichsten 
Weise  angedeutet. 

Welch  glückliche  Stunden  mögen  die  Väter  der  deutschen  Auswanderung 
in  Germantown  verlebt  haben,  wenn  sie  abends  nach  vollbrachter  Arbeit  auf 
den  nach  heimischer  Art  zu  beiden  Seiten  der  Haustür  angebrachten  Bänken 
saßen,  von  Bienen  umsummt,  von  Tauben  umflattert  und  vom  Wohlgeruch  der 
Blumen  umwallt,  die  den  aus  Deutschland  mitgebrachten  Sämereien  entsprossen ! 
Wie  oft  mögen  sie  da  der  fernen  Heimat  gedacht  haben,  in  der  sie  nur  Kümmer- 
nisse und  Verfolgung  erlebt  hatten,  die  ihnen  aber  trotzdem  heilig  und  teuer 
blieb!  Die  Anhänglichkeit  an  dieselbe  bekundeten  sie,  indem  sie  drei  neue  Ort- 
schaften, die  der  Zuwachs  später  notwendig  machte,  Krefeld,  Krisheim  und 
Sommerhausen  tauften. 

Unter  den  alltäglichen  Arbeiten  vergaßen  die  Bewohner  der  deutschen 
Stadt  nicht  die  Pflege  des  Geisteslebens.  Den  Mittelpunkt  desselben  bildete 
Pastorius,  der  die  Errichtung  einer  Schule  durchsetzte  und  persönlich  eine 
Abendklasse  leitete,  in  der  er  den  reichen  Born  seines  Wissens  allen  erschloß, 
die  auf  Vertiefung  ihrer  Kenntnisse  bedacht  waren.  Der  in  jeder  Beziehung 
merkwürdige  Mann  fand  neben  der  Erledigung  seiner  Berufspflichten  auch  noch 
Zeit,  schriftstellerisch  tätig  zu  sein.  Von  seiner  Vielseitigkeit  und  Gemütstiefe 
zeugt  gewiß  die  Tatsache,  daß  er  nicht  weniger  als  43  Bände  mit  Aufsätzen 
über  Rechtskunde,  Naturwissenschaft,  Geschichte,  Landwirtschaft,  Theologie, 
Gedichten,  Sinnsprüchen  und  philosophischen  Betrachtungen  fülle.  Wie  warm 
in  seinem  Herzen  echte  Liebe  für  das  Vaterland  und  für.  seine  Landsleute  glühte, 
geht  aus  seinem  berühmten,  in  lateinischer  Sprache  geschriebenen  „Gruß  an  die 


4 

^    st 

•r  5 


.6  ^   '^-i' 


rs  ^ 


—    56     - 

Nachkommen"  hervor,  mit  dem  er  das  Grundbuch  von  Germantov^n  eröffnete. 
Der  um  die  deutsch-pennsylvanische  Geschichte  hochverdiente  Oswald  Seiden- 
sticker,  dessen  Hauptwerk  „Die  Gründung  von  Germantown",  eine  Perle  echter, 
gemütstiefer  Geschichtsschreibung  ist,  um  die  jedes  Volk  das  Deutschamerikaner- 
tum  beneiden  dürfte,  übersetzte  denselben  folgendermaßen :  „Sei  gegrüßt,  Nach- 
kommenschaft! Nachkommenschaft  in  Germanopolis !  Und  erfahre  zuvörderst 
aus  dem  Inhalt  der  folgenden  Seite,  daß  deine  Eltern  und  Vorfahren  Deutsch- 
land, das  holde  Land,  das  sie  geboren  und  genährt,  in  freiwilliger  Verbannung 
verlassen  haben  —  oh,  ihr  heimischen  Herde!  —  um  in  diesem  waldreichen 
Pennsylvanien,  in  der  öden  Einsamkeit  minder  sorgenvoll  den  Rest  ihres  Lebens 
in  deutscher  Weise,  d.  h.  wie  Brüder,  zu  verbringen.  Erfahre  auch  ferner,  wie 
mühselig  es  war,  nach  IJberschiffung  des  Atlantischen  Meeres  in  diesem  Striche 
Nordamerikas  den  deutschen  Stamm  zu  gründen.  Und  du,  geliebte  Reihe  der 
Enkel,  wo  wir  ein  Muster  des  Rechten  waren,  ahme  unser  Beispiel  nach;  wo 
wir  aber  von  dem  so  schwierigen  Pfade  abwichen,  was  reumütig  anerkannt 
wird,  vergib  uns;  mögen  die  Gefahren,  die  andere  liefen,  dich  vorsichtig  machen. 
Heil  dir,  Nachkommenschaft!  Heil  dir,  deutsches  Brudervolk!  Heil  dir  auf 
immer!'") 

Bereits  im  Jahre  16Q1  erhielt  Germantown  städtische  Gerechtsame.  Daß 
die  Bewohner  Pastorius  zum  Bürgermeister  erwählten,  war  der  Ausdruck  der 
von  allen  gegen  ihn  empfundenen  Dankbarkeit.  Zugleich  bekleidete  er  das  Amt 
eines  Friedensrichters.  Als  er  am  2.  Juni  ein  Ratsbuch  beschaffte,  eröffnete  er 
dasselbe  mit  einigen  seinen  Gerechtigkeitssinn  kennzeichnenden  Sprüchen. 

„Lasset  die  Forcht  des  Herrn  bey  Euch  seyn  und  nehmet  nicht  Geschenke. 
Beleidigt  keine  Wittib  noch  Waisen.  Schaffet  dem  Armen  Recht  und  helffet  dem 
Elenden  und  Dörftigen.  Richtet  recht  zwischen  Jedermann;  sehet  keine  Person 
an,  sondern  höret  den  Kleinen  wie  den  Großen.  In  euren  Wahltagen  setzet  zu 
Häuptern  übers  Volk  redliche,  weise,  erfahrene  und  verständige  Leute,  die  wahr- 
hafftig  und  dem  Geitze  feind  sind.'^ 

Wie  wohl  würde  es  um  die  amerikanische  Nation  stehen,  wenn  alle 
Richter  sich  bestrebten,  gleich  einem  Pastorius  solchen  Grundsätzen  gerecht 
zu  werden. 

')  Der  lateinische  Originaltext  lautet: 

Salve  Posteritas! 
Posteritas  Germanopolitana! 
A  ex  argumento  in  sequentis  paginae  primibus  observa,  Parentes  ae  Majores  Tuos  Alemaniam 
Solum  quod  eos  genuerat,  alueratque  diu,  voluntario  exilio  deseruisse,  (oh!  Patrios 
Focos!)  ut  in  Silvosa  hac  Pennsylvania,  deserta  Solitudine,  minus  soliciti  residuum  Aetatis 
Germane,  h.  e.  instar  Fratrum,  transigerent.  Porro  etiam  inde  addiscas,  quantae  molis  erat, 
exant  lato  jani  mari  Atlantico,  in  Septentrionali  isthoc  Americae  tractu,  Germanam  condere 
gentem.  Tuque  Series  dilecta  Nepotum!  ubi  fuimus  exemplar  honesti,  nostrum  imitare 
exemplum;  Sin  autem  a  semita  tarn  difficili  aberravimus,  quod  poenitenter  agnoscitur,  ignosce; 
Et  sie  te  faciant  aliena  pericula  cautam.    Vale  Posteritas!    Vale  Gernianitas!    Aeternum  Valc! 


—     57     — 

Als  Richter  hatte  Pastorius  kaum  etwas  zu  tun.  Mitunter  vergingen 
Monate,  ehe  er  Anlaß  fand,  einen  Bewohner  von  Germantown  in  eine  gelinde 
Geldstrafe  zu  nehmen.  Seiden  sticker,  welcher  die  Gerichtsakten  von  German- 
town einer  Durchsicht  unterzog,  nennt  dieselben  trocken  und  langweilig,  fügt 
aber  hinzu:  „Glücklich  die  Gemeinde,  deren  Gerichts-Annalen  langweilig  sind!" 

Unzweifelhaft  ist  auch  eine  Großtat  der  ersten  deutschen  Ansiedler  in 
Amerika  auf  den  hochherzigen  Pastorius  zurückzuführen:  der  erste  in  der 
zivilisiertenWelt  erhobene  Protest  widerdieSklaverei, 
die  unfreiwillige  Knechtschaft.  Die  Einfuhr  von  Negersklaven 
in  die  an  der  Ostküste  von  Nordamerika  gelegenen  holländischen  und  eng- 
lischen Kolonien  wurde  bereits  seit  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  betrieben,  ohne 
daß  die  für  allgemeine  Menschenrechte  eintretenden  Puritaner  und  Quäker  den 
Menschenhandel  als  eine  Ungerechtigkeit  empfanden.  Erst  als  William  Penn 
für  seine  Provinz  den  ,, Frame  of  Government"  entw^arf,  und  das  Dokument 
seinem  Freunde  Benjamin  Furley,  einem  in  Rotterdam  geborenen  Quäker,  der 
zugleich  Agent  der  Frankfurter  Gesellschaft  war,  zur  Begutachtung  vorlegte, 
hatte  dieser  ihm  den  Vorschlag  unterbreitet:  „Faßt  keine  Schwarze  direkt  ein- 
geführt werden.  Und  wenn  solche  aus  Virginien,  Maryland  oder  sonst  woher 
mit  Familien  kommen,  welche  dieselben  früher  irgendwo  kauften,  so  laßt  die- 
selben (wie  nach  der  Verfassung  von  West  Jersey)  nach  acht  Jahren  frei 
erklären." 

Aber  die  Handelsgesellschaft,  welcher  Penn  angehörte,  und  die  gleich 
allen  anderen  Kolonisten  englischer  und  holländischer  Abkunft  Sklaven  hieU, 
wollte  diesem  Vorschlag  Furleys  nur  so  weit  entgegenkommen,  daß  sie  in  eine 
Freilassung  ihrer  Sklaven  nach  14jähriger  Dienstzeit  derselben  willige,  wenn 
dieselben  sich  verpflichteten,  nach  erfolgter  Freilassung  zwei  Drittel  aller  Er- 
zeugnisse des  ihnen  zugewiesenen  Landes  an  das  Warenhaus  der  Gesellschaft 
abzuliefern,  anderenfalls  sie  in  dienendem  Verhältnis  bleiben  müßten. 

Den  Deutschen,  welche  in  ihrer  eigenen  Heimat  den  Druck  der  Obrigkeit 
schwer  empfunden  hatten,  schien  die  Sklaverei  höchst  ungerecht,  indem  sie  gegen 
die  Lehren  der  christlichen  Religion  verstoße.  Deshalb  beschäftigten  sie  sich 
sehr  lebhaft  mit  dieser  Frage  und  ließen  ihren  von  Pastorius  in  englischer  Sprache 
niedergeschriebenen  Protest  im  Februar  1688  der  Monatsversammlung  der 
Quäker  verlesen.  Das  denkwürdige  Schriftstück  hat  verdeutscht  folgenden 
Wortlaut: 

„An  die  Versammlung  bei  Richard  Worrells. 

Hier  folgen  die  Gründe,  warum  wir  gegen  den  Handel  in  Menschen- 
leibern sind.  Ist  irgend  jemand,  der  in  gleicher  Weise  behandelt,  das  heißt  ver- 
kauft und  zeidebens  als  Sklave  gehalten  werden  möchte?  —  Wie  zaghaft  und 
schwachherzig  gebärden  sich  viele  auf  See,  wenn  ihnen  ein  fremdes  Schiff  be- 
gegnet, —  fürchtend,  es  möge  ein  türkisches  sein,  und  sie  möchten  gefangen- 
genommen und  in  der  Türkei  als  Sklaven  verkauft  werden.    Wohlan,  ist  Euer 


■■/■       :/      f  '^•'j'-<   "^       - 

JO   ^>ye^  JAt    ?('*  'V#»a, -'i''^ 


~0r^'   -kAf/oflf  ^    -ßi^Jn^a.r/4i     "-rt^    M^H^     <?a'V</<       tMjT^-j/^        ^^-     ^     /J^^j 


.'     Jy^;v     J/L^'  !^ri-fu     Are-       .^V^^        Ä«'      />»,,    /»,'/    iti1rt.tc<^Jitci-iz.-   e':f    »Mf^-e^    ^/f^rff. 


•     ^rrj'J    ^/i-B     y^/i^u    Are-      t^ativ        uk     o' n  Ai'r    't^i it.tt<^^  (f^t^rti.-  e.f  »nr-riL^    f^Oi'rft^       > 


T 


;?{1,  x-^«y  .'-^^  ^Cp/.'   M<^  mIi/^  -}rJ^ yr.c^  l'^'i  j:^^ t^/i<'    <5^ 


7. 


^      C 


■'i7fft<f4^r<f .       /^5>x-    ÄX     ifm.-iyt'   nJn.A.4*'ry  jit  ^/Uf-r 


^7 


r.v 


■'ri 


mc<j 


'    ■^ /fHt /if     A'-L      '"^  -fürt    ^/^      e^c^f>(r ^<^H.  .'Tt'^ 


(^VJi^ 


Der  Protest  der  Deutschen  von 

Nach  der  in  der  Gesellschaft  der  „Freunde* 


T~^T-'T^^ 


,/. 


•/7^ 


-7  i  '.^     /^         ./- 


-^j' 


l£fi<^.    /c    Ä>-0  .'^      (5V    /Ui/^  ^'^'c^  >fff*^   /*/'/'<•  Mty^^  rt^f^~ttj^ 


j:^ 


R- 


J  ^ 


1  yC4      -fiC  iiOi.  t.i'f 


^^y^4^,^^  ..-o. 


^/fO^ 


/  ^'^"Trt^^^^:^::;5S^j^^^^ 


.L 


r^^ 


üermantown  gegen  die  Sklaverei. 

zu   Philadelphia  aufbewahrten  OriRin:ilhandschrift. 


ff  ,,      °'  '^'^^ 


—     60     — 

Verfahren  besser  als  das  der  Türken?  Im  Gegenteil,  es  steht  denen  weit  übler 
an,  welche  vorgeben,  Christen  zu  sein.  Denn  wir  hören,  daß  die  meisten  Neger 
gegen  ihren  Willen  und  gegen  ihre  Zustimmung  hierhergebracht  werden,  und 
daß  viele  von  ihnen  gestohlen  wurden.  Nun,  obgleich  sie  schwarz  sind,  können 
wir  doch  nicht  einsehen,  daß  dieser  Umstand  irgendwelche  größere  Berechti- 
gung verleiht,  sie  als  Sklaven  zu  halten,  als  wenn  man  es  mit  weißen  Menschen 
zu  tun  hätte.  Man  sagt,  wir  sollten  allen  Menschen  ohne  Unterschied  des  Ge- 
schlechts, der  Rasse  oder  Hautfarbe,  so  begegnen,  wie  man  selbst  behandelt  zu 
werden  wünscht.  Doch  sind  die,  welche  Menschen  rauben  und  jene,  welche 
sie  kaufen  und  verkaufen,  nicht  alle  gleich?  —  Hier  herrscht  Freiheit  des 
Glaubens,  was  recht  und  vernünftig  ist.  Aber  hier  sollte  auch  Freiheit  des 
Körpers  herrschen,  ausgenommen  für  Übeltäter,  was  ein  andrer  Fall  ist.  Aber 
wir  protestieren  dagegen,  Leute  wider  ihren  Willen  herzubringen.  In  Europa 
sind  viele  ihres  Glaubens  wegen  unterdrückt.  Hier  dagegen  sind  die,  welche 
wegen  ihrer  schwarzen  Farbe  unterdrückt  werden. 

Wir  wissen,  daß  die  Menschen  keinen  Ehebruch  begehen  sollen.  Aber 
manche  machen  sich  dieser  schweren  Sünde  in  andrer  Form  schuldig,  indem 
sie  Frauen  von  ihren  Männern  trennen  und  anderen  überliefern.  Manche  ver- 
handeln obendrein  die  Kinder  dieser  armen  Geschöpfe  an  andere  Leute.  Oh,  die 
Ihr  solche  Dinge  tut,  überlegt,  ob  Ihr  in  der  gleichen  Weise  behandelt  werden 
möchtet,  und  ob  es  sich  mit  wahrem  Christentum  verträgt.  Ihr  überbietet 
Holland  und  Deutschland  in  solchen  Dingen.  Es  bringt  Euch  in  allen  europä- 
ischen Ländern  in  Verruf,  wenn  sie  dort  hören,  daß  die  Quäker  hier  Menschen 
in  der  gleichen  Weise  wie  das  Vieh  verkaufen.  Aus  diesem  Grunde  zeigen 
manche  keine  Neigung,  hierherzukommen.  Denn  wer  könnte  solches  Tun  ver- 
teidigen oder  befürworten?  Wir  können  es  nicht;  es  sei  denn,  daß  Ihr  uns  über- 
zeugt, daß  Christen  ein  Recht  haben,  so  zu  handeln.  Sagt,  was  könnte  uns 
Schlimmeres  widerfahren,  als  wenn  Menschen  uns  rauben  oder  stehlen  wollten, 
um  uns  von  unseren  Angehörigen  zu  trennen  und  als  Sklaven  in  fremde  Länder 
zu  verkaufen?  Einsehend,  daß  dies  nicht  die  Art  ist,  in  der  wir  mit  uns  ver- 
fahren sehen  möchten,  protestieren  wir  gegen  diesen  Menschenschacher.  Und 
wir,  die  wir  bekennen,  daß  es  ungesetzlich  ist,  zu  stehlen,  müssen  es  gleichfalls 
unterlassen,  Dinge  zu  kaufen,  von  denen  wir  wissen,  daß  sie  gestohlen  wurden. 
Wir  sollten  dagegen  helfen,  daß  dieser  Raub  und  Diebstahl  unterdrückt  werden. 
Die  Sklaven  aber  sollten  aus  den  Händen  ihrer  Räuber  erlöst  und  in  gleicher 
Weise  freigegeben  werden,  wie  in  Europa.  Dann  wird  Pennsylvanien  einen 
guten  Ruf  erlangen,  wohingegen  es  jetzt  dieser  Ursache  wegen  in  anderen 
Ländern  berüchtigt  ist.  Wir  sollten  dies  um  so  mehr  tun,  als  die  Europäer  be- 
gierig sind,  zu  erfahren,  in  welcher  Weise  die  Quäker  ihre  Provinz  regieren. 
Viele  dieser  Europäer  beneiden  uns.  Wenn  dies  aber  wohlgetan  ist,  was  wäre 
dann  vom  Übel? 

Falls  es  diesen  als  dumm  und  hinterlistig  verschrienen  Sklaven  einmal  in 
den  Sinn  käme,  sich  zu  vereinigen  und  für  ihre  Freiheit  zu  kämpfen  und  dann 


-    61    - 

ihre  Herren  und  Herrinnen  in  der  gleichen  Weise  zu  behandeln,  wie  diese  sie 
behandelten,  werden  dann  diese  Herren  und  Herrinnen  zum  Schwert  greifen 
und  diese  armen  Sklaven  bekämpfen?  Manche  würden,  wie  wir  glauben,  nicht 
zögern,  dies  zu  tun.  Aber  hätten  diese  Neger  nicht  ebensogut  das  Recht,  für 
ihre  Freiheit  zu  kämpfen,  als  wie  Ihr  das  Recht  zu  haben  glaubt,  sie  als  Sklaven 
zu  halten? 

Nun  erwägt  diese  Angelegenheit  wohl,  ob  sie  gut  oder  böse  ist.  Falls 
Ihr  es  für  recht  befindet,  die  Schwarzen  in  solcher  Weise  zu  behandeln,  so  bitten 
und  ersuchen  wir  Euch  hiermit  liebevoll,  uns  darin  zu  belehren,  was  bis  heute 
nie  zuvor  getan  wurde,  nämlich,  daß  es  Christen  ziemt,  so  zu  verfahren.  Einst- 
weilen werden  wir  uns  über  diese  Angelegenheit  zufriedengeben,  und  gleich- 
falls unsere  guten  Freunde  und  Bekannte  in  der  Heimat  beruhigen,  für  welche 
es  ein  Schrecken  und  Abscheu  ist,  daß  Menschen  derart  in  Pennsylvanien  be- 
handelt werden. 

Dies  ist  von  unsrer  Versammlung  in  Germantown,  abgehalten  am  18.  des 
2.  Monats  1688.  Zu  übergeben  an  die  Monatsversammlung  bei  Richard  Worrells. 
Garret  Hendericks.     Derick  up  de  Graeff.     Francis  Daniell  Pastorius. 
Abraham  up  den  Graeff." 

Die  Monatsversammlung  der  Quäker  fand  das  Dokument  zu  wichtig,  als 
daß  sie  sich  für  zuständig  hielt,  einen  Beschluß  zu  fassen.  Sie  überwies  das 
Schriftstück  der  „Vierteljahrsversammlung',  die  dasselbe  aus  den  gleichen 
Gründen  am  4.  April  an  die  „Jahresversammlung"  weitergab.  Diese  drückte 
sich  am  5.  Juli  mit  der  Erklärung  um  die  heikle  Frage  herum:  „Es  wurde  hier 
eine  von  mehreren  deutschen  Freunden  verfaßte  Schrift  eingereicht,  welche  die 
Frage  der  Gesetzlichkeit  oder  Ungesetzlichkeit  des  Kaufs  und  Haltens  von  Negern 
betrifft.  Man  kam  dahin  überein,  daß  es  dieser  Versammlung  nicht  zustehe,  ein 
positives  Urteil  über  diese  so  viele  andere  Dinge  berührende  Frage  abzugeben. 
Aus  diesem  Grunde  unterließ  man  es,  auf  die  Angelegenheit  einzugehen." 

Damit  wurde  das  denkwürdige  Schriftstück  zu  den  Akten  gelegt.  Erst 
volle  1 55  Jahre  später  wurde  es  von  dem  Geschichtsforscher  Nathan  Kite  wieder 
aufgefunden  und  am  13.  Januar  1844  in  der  Quäkerwochenschrift  „Friend"  zum 
Abdruck  gebracht.  Das  Original,  ein  stark  verwitterter  Bogen  in  Folioformat, 
befindet  sich  noch  heute  im  Besitz  der  Quäkergesellschaft  der  Friends  in  Phila- 
delphia. 

Wenngleich  der  menschenfreundliche  Pastorius  die  Abschaffung  der 
Sklaverei  nicht  erlebte,  so  durfte  er  sich  doch  versichert  halten,  daß  seine  An- 
regung einst  Früchte  tragen  werde.  Bereits  im  Jahre  1711  kam  in  Pennsylvanien 
ein  Gesetz  zur  Annahme:  „An  act  to  prevent  the  Importation  of  Negroes  and 
Indians  into  the  province."  Es  wurde  zwar  von  der  englischen  Regierung  so- 
fort für  ungültig  erklärt,  aber  schon  1715  begannen  die  Quäker  ernstlich  sich 
gegen  den  überseeischen  Sklavenhandel  auszusprechen.  1730  gingen  sie  schon 
so  weit,  das  Kaufen  importierter  Sklaven  zu  mißbilligen. 


—    62    — 

Unterdessen  war,  was  an  dem  edlen  Pastorius  sterblich,  längst  zu  Staub 
zerfallen.  Er  schied  gegen  Ende  des  Jahres  1719  aus  dem  Leben  und  wurde 
auf  dem  alten  Quäkerfriedhof  von  Germantown  begraben.  Kein  Nachweis  ist 
vorhanden,  an  welcher  Stelle  die  Gebeine  des  edlen  Mannes  ruhen,  von  dem  sein 
berühmter,  ihm  im  Tode  vorausgegangener  Zeitgenosse  und  Freund  William 
Penn  einst  sagte:     „Vir  sobrius,  probus,  prudens  et  pius,  spectatae  inter  in- 


Altes  Haus  in   Germantown,  in   dem   der  Protest  gegen   die  Sklaverei   verfaßt  und 

geschrieben  wurde. 

Nach    einer   alten  Zeichnung. 

culpataeque  famae'*;  „Nüchtern,  rechtschaffen,  weise  und  fromm,  ein  Mann  von 
allgemein  geachtetem  und  unbescholtenem  Namen". 

Auch  nach  Pastorius'  Tode  flössen  die  Jahre  in  Frieden  über  die  deutsche 
Stadt  hinweg.  Keine  Indianerkämpfe,  Religionsstreitigkeiten  oder  Parteifehden 
wurden  hier  ausgefochten.  Mit  den  benachbarten  Quäkern,  denen  sich  viele 
Mennoniten  von  Germantown  förmlich  anschlössen,  unterhielt  man  die  beste 
Fühlung.    Zuwanderung  aus  Deutschland  und  den  benachbarten  Kolonien  ließ 


—    63    — 

das  Städtchen  Germantovvn  rasch  emporblühen.  Von  diesem  Zuwachs  erwies 
sich  keiner  so  wertvoll  wie  die  Einwanderung  eines  aus  Laasphe  in  Westfalen 
stammenden  Mannes,  C  h  r  i  s  t  o  p  h  S  a  u  r  ,  der  im  Jahre  1727  in  Germantown 
anlangte. 

Nicht  an  Gelehrsamkeit,  sicher  aber  an  Vielseitigkeit  war  er  dem  edlen 
Pastorius  über.  Sagt  doch  eine  handschrifthche  Notiz  von  ihm:  „Er  ist  ein 
sehr  ingenieuser  Mann,  ein  Separist,  der  auf  die  30  Handwerke  ohne  Lehrmeister 
erlernet.  Denn  als  ein  Schneider  ist  er  dahin  nach  Amerika  gereiset  und  nun 
ein  Buchdrucker,  Apotheker,  Chirurgus,  Botanicus,  groß  und  klein  Uhrmacher, 
Schreiner,  Buchbinder,  Concipient  der  Zeitungen,  der  sich  alle  seine  Buch- 
druckerwerkzeuge selbst  verfertigt;  ziehet  auch  Bley  und  Drat,  ist  ein  Papier- 
müller, u.  s.  W." 

In  keiner  seiner  vielen  Beschäftigungen  erzielte  Christoph  Säur  so  große 
und  nachhaltige  Erfolge  wie  in  der  Druckerei. 

Die  nach  Pennsylvanien  gekommenen  deutschen  Sektierer  verfaßten  zahl- 
reiche religiöse  Erbauungsschriften,  die  sie  in  Philadelphia  bei  Andreas  Brad- 
ford,  Samuel  Keimer  und  Benjamin  Franklin  drucken  ließen.  Sie  mußten  es 
sich  allerdings  gefallen  lassen,  daß  ihre  Andachtsbücher  mit  lateinischen  Lettern 
gedruckt  wurden,  da  gotische  Typen  bisher  nicht  nacli  Amerika  gebracht  waren. 
Seidensticker  zählt  in  seiner  Monographie:  „German  printing  in  America" 
eine  ganze  Reihe  solcher  mit  römischen  Typen  gedruckten  Bücher  auf.  Welchen 
Wert  die  amerikanischen  Drucker  auf  die  Kundschaft  der  Deutschen  legten,  geht 
daraus  hervor,  daß  Bradford  im  Jahre  1730  einen  deutschen  Kalender  erscheinen 
ließ  unter  dem  Titel:  „Der  Teutsche  Pilgrim,  mitbringend  seinen  sitten  Ca- 
lender.  Auf  das  Jahr  nach  der  gnadenreichen  Geburt  unseres  Herrn  und  Hey- 
iands  Jesu  Christ  MDCXXXI." 

Benjamin  Franklin  wagte  sich  sogar  an  die  Herausgabe  einer  deutschen 
Ausgabe  seiner  „Pennsylvania  Gazette".  Er  kündigte  dieselbe  am  U.  Juli  1732 
mit  folgenden  Worten  an:  „Am  nächsten  Samstag  wird  die  Philadelphische 
Zeitung,  ein  Blatt  in  Hochdeutsch,  herausgegeben  werden.  Dieselbe  wird  alle 
vierzehn  Tage  Samstags  erscheinen.  Auf  dem  Lande  wohnende  Subskribenten 
können  sie  um  zehn  Uhr  in  Empfang  nehmen.  Anzeigen  werden  vom  Drucker 
der  Zeitung  wie  auch  von  Herrn  Louis  Timothee,  Sprachlehrer  angenommen, 
welcher  dieselben  übersetzt. 

Diese  Zeitung  war  mit  römischen  Lettern  gedruckt.  Eine  Kopie  der 
zweiten  Nummer  vom  24.  Juni  1732  befindet  sich  in  den  Sammlungen  der 
Historical  Society  of  Pennsylvania.  Gleich  an  der  Spitze  dieser  Zeitung  läßt 
Franklin  sich  folgendermaßen  vernehmen:  „Wiewohl  ich  geglaubt  hätte,  daß 
sich  unter  denen  teutschen  Einv/ohnern  dieses  Landes  mehr  Liebhaber  sollten 
gefunden  haben,  die  dieses  zumahl  vor  junge  Personen  so  nützliche  Werk,  die 
Ausgabe  der  Zeitungen  nehmlich,  befördern,  und  dazu  mit  anstehen  würden; 
so  erstreckte  sich  doch  die  Anzahl  derer,  die  sich  dazu  unterschrieben  haben,  vor 
jetzt  nicht  über  50.     Nichtsdestoweniger  habe  ich  auf  meiner  seilen  nicht  er- 


—    64    — 

mangeln  wollen,  damit  einen  Anfang  zu  machen,  der  Hoffnung  lebend,  daß  sich 
noch  mehrere  einfinden  werden,  selbiges  zu  befördern,  sonsten  ich  mich  ge- 
nöthigt  sehen  würde,  bald  wieder  damit  aufzuhören." 

Da  diese  Ermunterung  ohne  Wirkung  blieb,  so  stellte  Franklin  den  Druck 
der  „Philadelphischen  Zeitung"  wieder  ein.  Die  geringe  Teilnahme  der  deut- 
schen Bevölkerung  an  diesem  Unternehmen  erklärt  sich  dadurch,  daß  Franklin 
wiederholt  Äußerungen  getan  hatte,  aus  denen  starke  Abneigung  gegen 
alles  Deutsche  hervorleuchtete. 

Dem  scharfen  Blick  Christoph  Saurs  entging  es  nicht,  daß  er  sich  eine 
lohnende  Existenz  gründen  könne,  wenn  er  in  Germantown  eine  Druckerei  er- 
öffne und  bei  der  Vervielfältigung  der  von  seinen  Landsleuten  verfaßten  Schriften 
gotische  Lettern  verwende,  die  aus  alter  Gewohnheit  von  den  Deutschen  bevor- 
zugt wurden.  Wie  richtig  er  rechnete,  beweist  die  Tatsache,  daß  fortan  fast 
alle  Werke  der  deutschen  Sektierer  in  und  um  Germantown  bei  ihm  verlegt 
wurden. 

Die  Frage,  ob  Säur  auch  die  ersten  deutschen  Lettern  nach  Amerika 
brachte,  ist  noch  offen.  Die  Ansicht  Seidenstickers,  dies  sei  der  Fall  gewesen, 
wurde  neuerdings  durch  den  Fund  eines  im  Besitz  des  Herrn  JuHus  Sachse  in 
Philadelphia  befindlichen,  nut  gotischen  Lettern  gedruckten  Büchleins  hinfällig, 
das  die  Jahreszahl  1728  trägt. 

Seidensticker  erwähnt  in  einem  für  den  „Deutschen  Pionier"  geschriebenen 
Aufsatz  über  „Deutsch-amerikanische  Inkunabeln"  mehrere  Überlieferungen,  wie 
es  in  Germantown  zur  Einrichtung  einer  deutschen  Druckerei  gekommen  sei. 
Nach  einer  derselben  hätten  die  aus  Westfalen  stammenden  Tunker  eine  Drucker- 
presse nebst  Lettern  von  ihren  in  der  Heimat  zurückgebliebenen  Glaubens- 
genossen zugeschickt  erhalten.  Einer  anderen  Überlieferung  zufolge  habe  der 
Tunker  Jacob  Gaus  Presse  und  Lettern  mitgebracht,  um  für  die  deutschen 
Sekten  in  Pennsylvanien  religiöse  Schriften  zu  drucken.  Da  er  dazu  nicht  ge- 
schickt genug  gewesen  sei,  habe  er  den  Apparat  müßig  stehen  lassen,  der  später 
von  Christoph  Säur  erworben  worden  wäre. 

Unzweifelhaft  nahm  die  deutsche  Druckerei  in  Nordamerika  erst  mit  Säur 
ihren  Aufschwung.  Er  ergriff  den  neuen  Beruf  mit  förmlicher  Begeisterung, 
überzeugt,  durch  die  Gründung  einer  deutschen  Druckerei  ein  gottgefälhges 
Werk  zu  verrichten.  So  schrieb  er  in  einem  vom  17.  November  1738  datierten 
Brief:  „Womit  finde  ich  Worte,  den  guten  Gott  zu  loben?  Ich  bin  ihm  hoch 
verpflichtet!  Mein  Alles  sey  zu  seinem  Dienst  und  Verherrlichung  seines  Namens! 
Dieses  war  in  Schwachheit  meine  Begierde  und  Verlangen  vor  das  viele  Gute, 
so  mir  die  Zeit  meines  Hierseyns  und  meines  gantzen  Lebens  wiederfahren. 
Darum  habe  ich  auch  gewünschet,  eine  deutsche  Druckerei  im  Lande  mir  anzu- 
legen, die  mir  .  .  .  gekauft  und  hierher  befördert.  Nun  könnte  man  kein  be- 
quemer Vehiculum  finden,  solches  durchs  ganze  Land  bekannt  zu  machen,  als 
zuerst  einen  Calender  zu  drucken." 


—    65    — 

Dieser  Kalender  erschien  unter  dem  Titel : 

Der  Hoch-Deutsch 

Amerikanische  Calender 

auf  das  Jahr 

nach  der  gnadenreichen  Geburt  unseres 

Herrn  und 

Heylands  Jesu  Christi 

1739. 

Er  enthielt  neben  den  üblichen  Mitteilungen  allerhand  nützliche  Be- 
lehrungen über  Pflanzenkunde,  Gesundheits-  und  Krankheitspflege,  Geschichte, 
Länder-  und  Völkerkunde  und  dergleichen  mehr.  Dem  Kalender  folgte  noch  im 
selben  Jahre  ein  von  den  Klosterbrüdern  zu  Ephrata  zusammengestelltes, 
792  Seiten  umfassendes  Gesangbuch.  Dasselbe  war  „allen  in  der  Wüsten 
girrenden  und  einsamen  Turteltäublein"  gewidmet  und  trug  den  wunderlichen 
Titil:  „Zionitischer  Weyrauchs-Hügel  oder  Myrrhen-berg,  worinnen  allerley 
liebliches  und  wohlriechendes,  nach  Apotheker-Kunst  zubereitetes  Rauch-Werk 
zu  finden." 

Es  bezeugt  gewiß  den  Wagemut  Saurs,  daß  er,  nachdem  dieses  Werk 
kaum  fertig  war,  schon  zur  Herausgabe  einer  deutschen  Zeitung  schritt.  Die- 
selbe erschien  am  20.  August  1739,  hatte  vier  doppelspaltige  Seiten  von  13  Zoll 
Höhe  und  9  Zoll  Breite  und  trug  den  Titel :  „Der  Hoch-Deutsch  Pennsylvanische 
Geschichtsschreiber  oder  Sammlung  wichtiger  Nachrichten  aus  dem  Natur-  und 
Kirchenreich." 

Dieser  Erstling  der  deutsch-amerikanischen  Zeitungspresse  sollte  dem 
ursprünglichen  Plan  des  Herausgebers  zufolge  viermal  im  Jahre  erscheinen. 
Die  Zeitung  schlug  aber  gleich  mit  ihrer  ersten  Nummer  so  gut  ein,  daß  Säur 
sich  entschloß,  sie  jeden  Monat  erscheinen  zu  lassen.  Im  Jahre  1748  konnte  sie 
bereits  halbmonatlich  erscheinen.  Drei  Jahre  später  belief  sich  die  Auflage 
bereits  auf  4000  Exemplare,  die  über  das  ganze  östliche  Pennsylvanien  Ver- 
breitung fanden. 

Es  bedarf  kaum  der  Erwähnung,  daß  Säur  seine  Zeitung  nicht  nur  druckte, 
sondern  auch  selbst  zusammenstellte.  Er  befleißigte  sich  dabei  der  größten  Ge- 
wissenhaftigkeit. Nichts  war  ihm  so  peinlich,  als  wenn  in  seine  Zeitung  Nach- 
richten hineingerieten,  die  sich  später  als  falsch  erwiesen. 

Für  die  Uneigennützigkeit  Saurs  im  Verkehr  mit  seinen  Abnehmern  zeugt 
die  Tatsache,  daß  er,  obwohl  dieselben  statt  der  ursprünglich  angekündigten 
vier  Nummern  jährlich  zwölf  erhielten,  den  Subskriptionspreis  von  3  Schillingen 
(40  Cents)  unverändert  beibehielt.  Daran  wurde  auch  nicht  gerüttelt,  als  später 
das  Blatt  halbmonatlich  und  endlich  als  „Germantowner  Zeitung"  wöchentlich 
herauskam.  Als  Grund  hierfür  gab  Säur  die  Erklärung,  daß  den  größeren  Aus- 
lagen für  Zusammenstellen,  Druck  und  Papier  auch  größere  Einnahmen  aus 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  0 


—    66    — 


den  Anzeigen  gegenüberständen  und  daß  ein  ehrlicher  Mann  sich  nicht  doppelt 
bezahlt  machen  dürfe. 

Im  Jahre  1742  schritt  Säur  zu  dem  in  Anbetracht  damaliger  Verhältnisse 
erstaunlichen  Unternehmen,  eine  deutsche  Bibel  zu  drucken,  wozu  er  neue  Typen 
aus  Frankfurt  a.  M.  bestellte.    Bereits  im  Sommer  1743  konnte  der  1272  Seiten 

fnfj)(Domf#c 

ff(|i(pM(preißer, 

ammfung 


/irr|"t(?ef  ^i\xd  2lUgufl  zo/  »7^9. 


)^t«ranbfm21f)göttmi,  fernen bie 
grobe  unfe  fubtille  '^dt  bcr  foge'- 
Tianfen  (JbnjUn  Menft,  i[l  nicfjt 

c^xiöi  unb  ^egierbe  ^mxe  offH  rfoä  neueö 

audf)  i\x  (^a,tx\..  :J)iefem  2t(^?tiiennfcf)ca 
(^cifl  nun  ein  ^pffer  ju  bringen  mit  2(ust* 
gebunßdiffer  ^<^mm(ung/  iftmaagani? 
nirf)tmi[Un^,  n-ofbrceniöer,  firf)  fclbfl  bamrt 
auSjubreiUn/  ober  ÜCuljm.  unb  iXtu^enju 
fticben,  fonömi  nxnl  man  e^mabfen  wxi 
fprpfl^en,  Mc  nütjlu^ftpunö  nricfittgfTe  @c< 
ffbirf^feu.  '3?Sf^<^'^bf'''?n  betont  .uiTnarffjfa, 
unö  (pxihi  mnt  6enc!müröigc  Gcfrfpif^'^f/ 
wannfieDert^DJcnff^en  juObrcnunb  (5Je* 
fiffjtf  fomnieri,bffter«  tifffern^irtörucf  uni^ 
OTacl^ömcfm  megm  .  afs^  ^inge  Me  ba 
topdcb  Poi'fDminm;  fo  roßHe  riioa  bann. 
hirrm\t  fiiun. Anfang  mocbiTi,  n-uf  folr^en 
^?i fl5)P n  t5Lf|"fr  3^11  fo  j-n  bieffinurib  aabeta 


bm.  ta-jö Öffnung  es!  n)erb(>ntcl?t  of)ne  eihi# 
gen  ?f?a(jm,  -memgft  bev  2lufn?ech.ing  unJ> 
bei  ^^u.f[fcfxiuenä  bek7  emtgen,  bieejffeffn 
fcbaffen.  2lud)  motzten  n)ol;[  fünfftiö  ^l* 
ntgcanm^rcfungen  unb  ber^eit  bienliff)« 
•fragen  er  nf tli  rben©e:Ti  iit  b  em  junT92atl)|im 
ncn,  (sber  aurf?  mobleinige aufricf^tige 5ini 
tt>ort  t)arauf|useben/\n  bergleicbcnSam'/ 
lung  ^»erQU&gegeben  lüer^cn  beriefet 
IcbcrDol)[/unb  braiicl?  es  ivif  erfod 

l>or rrmi^  5ci[)ren  hörte  vi\o.n,  baJ5  ^er 
perfianer  unb  bcr^rürftegröfCenilTicg 
bfl((en ;  faumibftfte(i>erP(nrfianermif'6nn 
(rürcFen5t:ie>C/  fo  battrcr  mit  imigrPß 
lIT^ösel  njicgegmwQthg  itrieg>  unbber 
2^^inifcb^^ayferbattefaum©ti([flan6 

TnilbemÄonujoon.^f*'"'^^'"^"^?'  f''3'^^3 


er  fainlinof-jajj. gegen  ^lecTurcfen. 
fang:?  wcforifirten  biß  :^T^fc pwiter  an 
t)en  ^Jurc^en  ;  ba(b  lucn öpfe ful?  (W  ^[^^^^ 
uin,  un^fifgtmöie'cJürfEmMc^öc^neye'" 
funoc^  bey^erfcit^  mitfinancSeiju  ^l(ic 
älfoau(^()piÄavpr  ;mt  ^em'Cur^m 


en 


■codi 


Titelblatt  der  ersten  mit  deutschen  Lettern  in  Amerika  gedruckten  Zeitung. 

starke  Quartband  den  Subskribenten  ausgeliefert  werden,  wobei  Säur  das  Exem- 
plar um  zwei  Schillinge  billiger  als  den  ursprünglich  auf  14  Schillinge  festge- 
setzten Preis  abgab.  „Für  Arme  und  Bedürfftige'',  so  kündigte  er  ip  seiner 
Zeitung  an,  „ist  kein  Preis". 

Für  die  Geschichte  der  Buchdruckerkunst  in  Amerika  ist  die  Saursche  Bibel 
insofern  von  besonderer  Wichtigkeit,  als  sie  die  erste  in  europäischer  Sprache 


BIBLIA, 


iüe0  unt)  üeue0 


tUvunU, 


.  Sarnn  ^ucßer«/ 

^it    itM    Sapitef^    tnt^tn    (Summarien  ^    au* 

Mfl  einem  mf)mQ 

Se^  dritten  unb  Werten  Sdnd^i  (£frd  un5  beg 

brimn   ^ud)^   ber   501accab(Jer, 


^ermantorDn: 

©ebrucft  kn  |5briftop&  ^aur^  1743. 

Titelblatt  der  ersten  in  Amerika  gedruckten  deutschen  Bibel 


—    68    — 

auf  der  westlichen  Erdhälfte  hervorgebrachte  Bibel  ist.  Ihr  ging  nur  eine  im 
Jahre  1663  in  der  Sprache  der  Massachusettsindianer  gedruckte  Bibel  voraus, 
welche  von  dem  Missionär  Eliot  hergestellt  war.  Eine  englische  Bibelausgabe 
erschien  in  Amerika  erst  40  Jahre  nach  der  deutschen. 

In  den  Jahren  1763  und  1776  veranstalteten  die  Söhne  Saurs  noch  zwei 
Neuauflagen  der  Bibel.  Der  Gesamtverlag  umfaßte,  bevor  im  Revolutions- 
krieg schweres  Unglück  über  die  Saursche  Familie  hereinbrach,  150  Werke  des 
verschiedensten  Inhalts.  Saurs  Druckerei  befand  sich  in  einem  höchst  beschei- 
denen Hintergebäude  seines  in  Germantown  gelegenen  Wohnhauses.     Leider 


Christoph  Saurs  Wohnhaus  und  Druckerei. 

mußten  beide  Gebäude  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  einem  Neubau 
weichen.  Dem  eifrigen  Betreiben  des  wackem  Druckers  Christoph  Säur  ist 
die  Errichtung  der  Germantown  Academy  zu  danken,  die  im  Jahre  1761  er- 
öffnet wurde  und  noch  heute  besteht.  Ihr  Lehrpersonal  bestand  zunächst  aus 
einem  deutschen  und  einem  englischen  Lehrer,  sowie  einem  Hilfslehrer. 

Daß  im  Jahre  1690  in  Germantown  auch  die  erste  Papierfabrik  in  Amerika 
errichtet  wurde,  möge  nebenbei  bemerkt  sein. 

So  knüpfen  sich  an  den  Namen  Germantown  mancherlei  Vorgänge,  die 
nicht  bloß  für  die  Geschichte  des  Deutschtums  in  Amerika,  sondern  überhaupt 
für  die  Kulturgeschichte  der  Neuen  Welt  von  hervorragender  Bedeutung  sind. 
Kein   Historiker,    der    es    unternehmen    wollte,    die    kulturelle   Entwicklung 


—     69     — 

Amerikas,  insbesondere  der  großen  transatlantischen  Republik,  zu  schildern, 
dürfte  versäumen,  Germantowns  und  seiner  Gründer  zu  gedenken. 

Germantown  blieb  nicht  die  einzige  Mennonitenniederlassung  der  Neuen 
Welt.  Durch  den  Erfolg  ihrer  Glaubensgenossen  angeregt,  kamen  bald  andere 
Mennoniten  aus  Deutschland,  England  und  der  Schweiz.  Besonders  stark  war 
ihr  Zuzug  während  der  Jahre  1709,  1717  und  1726.  Ihr  Hauptsitz  wurde  der 
pennsylvanische  Kreis  Lancaster,  von  wo  die  Mennoniten  sich  später  über  andere 
Teile  Pennsylvaniens  sowie  über  West-Virginien,  Virginien,  Ohio,  Tennessee, 
Indiana  und  Illinois  ausbreiteten. 

Nach  1730  erhielt  die  Sekte  wenig  Zufluß  aus  Europa.  Erst  in  den  Jahren 
1873  bis  1878  schnellte  ihre  bereits  60  000  betragende  Kopfzahl  um  nahezu 
100  000  empor.  Dieser  gewaltige  Zuwachs  bestand  aus  Mennoniten,  die  im 
18.  Jahrhundert  nach  Westpreußen  und  später,  um  der  Militärpflicht  zu  ent- 
gehen, nach  Rußland  ausgewandert  waren,  wo  man  ihnen  nicht  nur  volle 
Glaubensfreiheit,  sondern  auch  Befreiung  vom  Militärdienst  und  Kriegssteuern 
zugesichert  hatte.  Als  die  russische  Regierung  im  Jahre  1871  diese  Freiheiten 
aufhob,  verkauften  die  Sektierer  ihre  blühenden  Wohnsitze,  um  nicht  genötigt 
zu  sein,  durch  das  Tragen  von  Mordwaffen  gegen  ihr  Gewissen  handeln  zu 
müssen.  Sie  wandten  sich  nach  den  noch  wenig  besiedelten,  in  ihrem  land- 
wirtschaftlichen Charakter  den  südrussischen  Steppen  ähnlichen  Staaten  Kansas, 
Nebraska,  Minnesota,  Dakota  und  Kanada,  wo  sie,  deutsches  Wesen  und 
deutsche  Sprache  treu  bewahrend,  durch  Fleiß,  rechtschaffenes  Leben  sowie 
durch  ihre  Erfolge  die  Achtung  aller  Amerikaner  erwarben. 


Schlußvignette:    Das  Siegel  von  Germantown. 


Die  Labadisten  und  Rosenkreuzer. 


Das  von  den  Kre- 
felder Mennoniten  ge- 
gebene Beispiel  veranlaßte 
viele  der  in  Deutschland 
schweren  Bedrängnissen 
ausgesetzten  Sekten  zur 
Nachfolge.  Noch  war  kein 
Jahr  seit  der  Landung 
der  Krefelder  in  Phila- 
delphia verstrichen,  als  in 
Friesland  die  Labadisten 
sich  zur  Übersiedlung 
nach  Amerika  anschickten. 
Sie  waren  Anhänger  des 
im  Jahre  1610  geborenen 
französischen  Jesuiten  d  e 
1  a  B  a  d  i  e  ,  der  nach 
seinem  Übertritt  zum  Pro- 
testantismus in  Frankreich, 
der  Schweiz,  den  Nieder- 
landen, in  Norddeutsch- 
land und  Holstein  mehrere 
Gemeinden  gegründet 
hatte.  Eine  in  dem  friesi- 
schen Städtchen  Wieward 
bestehende  Labadistenge- 
meinde  sandte  bereits  im 
Jahre  1679  zwei  erprobte 
Männer,  Petrus  Schlü- 
ter oder  Sluyter,  und 
Jaspar  Dankers,  nach 
Amerika,  um  dort  einen 
Landstreifen  anzukaufen,  der  sich  für  eine  Niederlassung  eigne.  Die  beiden 
entschieden  sich  für  ein  3750  Acker  großes  Grundstück  an  dem  in  Maryland  ge- 
legenen Bohemiafluß,  welches  zum  Besitz  des  in  einem  früheren  Abschnitt  er- 
wähnten Landvermessers  Augustin  Herrman  gehörte. 


Johannes  Kelpius. 

Nach  einer  alten  Malerei  im  Besitz  der  Historical  Society  of  Pennsylvania 


Der  Kaufakt  wurde  am  11.  August  1684  vollzogen.  Als  bald  darauf 
die  100  Köpfe  starke  Hauptschar  der  Labadisten  eintraf,  begann  dieselbe  sofort 
mit  dem  Bau  eines  Klosters.  Seine  Insassen  entschlossen  sich,  in  Gütergemein- 
schaft zu  leben.  Niemand  durfte  —  auch  im  Fall  seines  Austritts  —  etwas 
vom  Gesamtvermögen  beanspruchen. 

Da  Trennung  der  Geschlechter  und  strenge  Enthaltsamkeit  zu  den  Grund- 
sätzen der  Labadisten  gehörte,  so  wurden  der  Sektierer  im  Lauf  der  Jahre  immer 
weniger.  Bereits  um  das  Jahr  1724  war  die  ganze  Kolonie  ausgestorben,  ohne 
irgendwelchen  Einfluß  auf  die  Kultur  Amerikas  ausgeübt  zu  haben. 

Ebenso  unfruchtbar  blieb  der  Zuzug  einer  anderen  Schar  von  Sektierern, 
die  am  23.  Juni  1694,  40  Personen  stark  in  Philadelphia  anlangte  und  großes 
Aufsehen  erregte.  Ein  Teil  der  Ankömmlinge  war  in  grobe  Pilgergewänder 
gekleidet;  andere  trugen  die  Talare  der  deutschen  Gelehrten  und  Studenten 
oder  die  bunte  Tracht  mitteldeutscher  Landbewohner.  Nicht  minder  erregte 
es  Befremden,  als  bei  Anbruch  der  Dunkelheit  die  seltsamen  Gäste  hinauszogen 
und  auf  einem  Hügel  unter  geheimnisvollen  Zeremonien  ein  St.  Johannis-  oder 
Sonnewendfeuer  entzündeten,  wohl  das  erste,  welches  auf  der  westlichen  Erd- 
hälfte emporflammte. 

Die  seltsamen  Gäste  waren  sogenannte  „Rosenkreuzer",  die  in  den  Wild- 
nissen Amerikas  eine  theosophische  Gemeinde  gründen  wollten.  Ihr  Führer 
war  Johann  Kelpius,  „Dokter  der  Freien  Künste  und  Weltweisheit". 

In  der  Stadt  der  Bruderliebe  bewies  man  den  Fremdlingen  großes  Ent- 
gegenkommen. Ein  Bürger,  Thomas  Fairman,  schenkte  ihnen  sogar  ein 
175  Acker  großes  Grundstück,  das  in  der  wildromantischen  Einöde  am 
Wissahickonbach  lag.  Dorthin  siedelten  die  Mystiker  über  und  bauten  auf  dem 
höchsten  Punkt  des  Landes  ein  großes  Blockhaus,  dessen  Seiten  genau  nach 
den  vier  Hauptpunkten  des  Kompasses  gerichtet  v/aren. 

Es  umschloß  einen  für  die  gemeinschaftlichen  reli.giösen  Übungen  be- 
stimmten Saal  sowie  eine  Anzahl  zellenartiger  Kammern,  die  den  Theosophen 
als  Wohnung  dienten.  Auf  dem  Dach  erhob  sich  ein  Observatorium,  wo  die 
frommen  Brüder  mit  einem  Fernrohr  beständig  Ausschau  hielten,  ob  am  Firma- 
ment gewisse  Zeichen  das  Nahen  des  sehnsüchtig  erwarteten  himmlischen  Bräuti- 
gams und  den  Anbruch  des  tausendjährigen  Reiches  verkünden  möchten.  Da 
diese  Ereignisse  ihrer  Meinung  nach  jederzeit  eintreten  konnten,  so  sollte  der 
himmlische  Bräutigam  sie  nicht  unvorbereitet  finden.  Außer  dem  Observatorium 
besaß  das  Tabernakel  —  so  nannten  die  Einsiedler  ihr  Blockhaus  —  noch  eine 
Besonderheit :  das  hoch  an  einer  Stange  aufgerichtete  Zeichen  der  Rosenkreuzer, 
ein  in  einem  Kreise  stehendes  Kreuz,  das  uralte  Symbol  des  Sonnenjahres. 

Nachdem  die  Theosophen  für  ihr  Haus  gesorgt,  begannen  sie  das  um- 
liegende Land  zu  bestellen.  Außer  Getreide  und  Gemüse  zogen  sie  allerhand 
Heilkräuter,  deren  Samen  sie  aus  Deutschland  mitgebracht  hatten. 

Den  größten  Teil  ihrer  Zeit  verbrachten  die  Rosenkreuzer  mit  frommen 
Betrachtungen.     Zu  stiller  Einkehr,  zum  Grübeln  über  die  Rätsel  des  Lebens 


—     72     — 

und  die  Geheimnisse  des  Jenseits  waren  die  Wälder  am  rauschenden  Wissaliickon 
allerdings  wie  geschaffen.  Z.wischen  ragendem  Geklipp  und  unter  tausend- 
jährigen Eichen,  Buchen  und  Fichten  gab  es  überall  Plätze,  die  durch  ihre 
Weltentrücktheit  und  Stille  zu  philosophischen  Betrachtungen  einluden.  Höchst 
selten  wurden  die  frommen  Einsiedler  durch  Besucher  gestört,  denn  die  Be- 
wohner der  Umgegend  hielten  sich  in  scheuer  Ehrfurcht  fern,  zumal  sie  glaubten, 
daß  die  Einsiedler  im  Besitz  geheimnisvoller  Kräfte  seien,  die  „weiße  Magie" 
verstünden,  Umgang  mit  unsichtbaren  Geistern  hielten  und  ihre  Seele  nach 
Wunsch  vom  Körper  loszulösen  vermöchten. 

In  der  Tat  gab  es  bei  den  Rosenkreuzern  manches,  was  befremden  konnte. 
Schon  der  Name,  den  die  Theosophengemeinde  sich  zugelegt  hatte,  war  seltsam 
genug.  Er  war  den  Versen  1  und  6  des  12.  Kapitels  der  Offenbarung  Johannis 
entlehnt,  wo  es  heißt:  „Es  erschien  ein  großes  Zeichen  am  Himmel:  ein  Weib 
mit  der  Sonne  bekleidet,  und  der  Mond  unter  ihren  Füßen.  Auf  ihrem  Haupt 
trug  es  eine  Krone  von  zwölf  Sternen."  Und  weiter:  „Dies  Weib  entfloh  in 
die  Wüste,  wo  es  eine  von  Gott  hergerichtete  Stätte  hatte,  daß  sie  daselbst 
ernähret  würde  tausend  zweihundert  und  sechzig  Tage."  Nach  diesen  Versen 
nannten  die  Theosophen  sich  ,.Das  Weib  in  der  Wüste".  Sie  verstanden  unter 
diesem  Namen  eine  Gemeinschaft  von  Auserwählten  inmitten  der  Wüste  der  vom 
wahren  Glauben  abgewichenen  Christen. 

In  dieser  Wüste  warteten  sie  der  Wiederkunft  Christi.  Mit  welch  heißer 
Inbrunst  Kelpius  diesem  Ereignis  entgegensah,  bekundet  folgende  seiner  noch 
erhaltenen  Dichtungen : 

„O  quälende  Liebe!    O  süßeste  Plag! 
Verlege,  verschiebe  nicht  länger  den  Tag! 
Verkürze  die  Zeiten,  laß  kommen  die  Stund! 
Denk  an  den  getreuen,  gnädigen  Bund! 
Und  mache  denselben  für  alle  Welt  kund!"  .  . 

Aber  Jahr  auf  Jahr  rollte  dahin,  ohne  daß  der  Seelenbräutigam  erschien. 
Verzagend  ließen  manche  Brüder  in  ihrem  frommen  Eifer  nach  und  zogen  nacli 
Germantown,  um  wieder  am  bürgerlichen  Leben  teilzunehmen. 

Auch  die  Zurückgebliebenen  wurden  lässiger  in  ihren  religiösen  Übungen. 
Ja,  sogar  das  Observatorium,  auf  dem  man  so  lange  Wacht  gehalten,  verein- 
samte. Nur  Kelpius  harrte  mit  wenigen  Gestählten  aus,  obwohl  ihre  Ungeduld 
sich  häufig  zu  förmlicher  Seelenqual  steigerte.  Einzelne  seiner  Gesänge  legen 
davon  Zeugnis  ab.    Tief  niedergeschlagen  brach  er  in  die  Worte  aus: 

„So  manches  kummervolle  Jahr 

Hab  ich  nun  dein  geharret, 

Doch  ach!  umsonst,  ich  furcht'  fürwahr, 

Ich  werd'  doch  eingescharret, 

Eh  ich  dich  seh'. 

Eh  denn  ich  steh' 

Geschmückt  zu  deiner  Rechten 

Gekrönt  mit  den  Gerechten." 


—     73     — 

In  dem  Wahn,  in  seiner  Selbstlcasteiung  noch  nicht  genug  getan  zu  haben, 
Heß  Kelpius  in  der  Nähe  einer  noch  heute  seinen  Namen  tragenden  Quelle  eine 
künstliche  Höhle  herrichten,  in  die  er  sich  mit  seinen  Büchern  und  wissenschaft- 
lichen Apparaten  zurückzog,  um  völlig  ungestört  seinen  Gedanken  nachhängen 
zu  können.  Aber  infolge  des  langen  Verweilens  in  diesem  halbunterirdischen 
feuchten  Raum  zog  der  dürftig  gebaute,  durch  frugales  Leben  geschwächte 
Gelehrte  sich  eine  starke  Erkältung  zu,  die  in  Schwindsucht  überging. 

Kelpius  hatte  gehofft,  daß  er  nicht  dem  Tode  verfallen,  sondern  von  Gott 
„überschattet"  und  gleich  Elias  zum  Himmel  emporgetragen  werde.  Die  drei 
letzten  Tage  vor  seinem  Tode  verbrachte  er  mit  inbrünstigen  Gebeten  und  unter 
Anrufung  des  Herrn.  Als  aber  kein  Zeichen  ankündigte,  daß  sein  Sehnen 
erfüllt  werde,  brach  er  in  tiefe  Klagen  aus,  daß  ihm  nicht  beschieden 
sei,  was  er  so  inbrünstig  erstrebt  habe.  „Nichts  bin  ich  als  irdischer  Staub; 
und  zum  Staube  werde  ich  zurückkehren.  Es  ist  bestimmt,  daß  ich  sterben 
soll  gleich  allen  andern  Adamskindern!" 

Kurz  vor  seiner  Auflösung  berief  er,  wie  in  den  an  allen  religiösen  Vor- 
gängen Amerikas  Anteil  nehmenden  „Hallischen  Nachrichten"  (p.  1265)  aus- 
führlich erzählt  ist,  seinen  Diener  und  Freund  Daniel  an  sein  Lager  und  über- 
gab ihm  eine  versiegelte  Schachtel  mit  dem  Befehl,  dieselbe  unverzüglich  in 
den  Schuylkillfluß  zu  werfen.  Daniel  aber  dachte,  daß  die  Schachtel  einen 
Schatz  enthalte,  der  ihm  von  Nutzen  sein  könne.  Deshalb  habe  er  den  Befehl 
nicht  erfüllt,  sondern  die  Schachtel  am  Ufer  versteckt.  Als  er  zu  dem  Sterbenden 
zurückkam,  habe  dieser  ihm  scharf  in  die  Augen  geschaut  und  ihm  die  Nicht- 
erfüllung des  Befehls  vorgehalten,  worauf  Daniel  tief  erschrocken  über  die 
Allwissenheit  seines  Herrn  schleunigst  an  den  Fluß  zurückkehrte  und  die 
Schachtel  ins  Wasser  warf.  Kaum  kam  sie  mit  demselben  in  Berührung,  als  sie 
unter  Blitz  und  Donner  zersprang.  Als  Daniel  an  das  Bett  des  Sterbenden 
zurückkehrte,  rief  dieser  „Es  ist  vollbracht!"  Gleich  darauf,  im  April  170S, 
hauchte  Kelpius,  kaum  35  Jahre  alt,  seine  Seele  aus.  Die  wenigen  Über- 
lebenden seiner  Gemeinde  begruben  ihn  unter  geheimnisvollen  Zeremonien  bei 
Sonnenuntergang.  Als  die  letzten  Strahlen  über  das  Gelände  glitten,  ließen 
sie  den  einfachen  Sarg  unter  den  feierlichen  Klängen  des  „De  Profundis"  in 
die  Gruft  hernieder,  aus  der  im  selben  Augenblick  eine  bereitgehaltene  weiße 
Taube  sich  himmelwärts  in  die  Lüfte  schwang.  Mit  gefalteten  Händen  sahen 
die  Trauernden  ihr  nach,  dreimal  die  Worte  rufend:  „Gott  gebe  ihm  eine 
selige  Auferstehung!" 

Nach  Kelpius  Tode  ließ  die  Auflösung  der  Theosophengemeinde  sich 
nicht  länger  verhüten.  Ein  Glied  nach  dem  andern  fiel  ab.  Manche  gerieten, 
wie  die  Chronik  des  benachbarten  Klosters  Ephrata  berichtete,  „ans  Weib", 
andere  schlössen  sich  den  um  jene  Zeit  ins  Land  einwandernden  Mährischen 
Brüdern  oder  Herrnhutern  an  oder  zogen  mit  Conrad  Beissel,  dem  merkwür- 
digen Begründer  der  Sekte  der  „Erweckten"  nach  den  Wildnissen  am  Conestoga. 

Der  letzte  Rosenkreuzer  hieß  Conrad  Matthäi.    Man  sah  ihn  nur  selten; 


—    74    — 


dann  aber  verfehlte  seine  Erscheinung  nicht,  auf  alle  tiefen  Eindruck  zu  machen. 
Er  trug  stets  ein  aus  grobem  ungefärbtem  Zeug  hergestelltes  Pilgerge- 
wand, das  bis  auf  die  mit  Sandalen  bekleideten  Füße  reichte.  In  den  Händen 
trug  er  einen  langen  Pilgerstab,  auf  den  von  weißen  Locken  und  einem  wallenden 
Bart  umgebenen  Haupt  einen  breitkrämpigen  Hut,  an  dessen  Vorderseite  eine 
Pilgermuschel  befestigt  war.  Die  Augen  des  ehrwürdigen  Eremiten  leuchteten 
stets  in  eigentümlichem  überirdischem  Feuer;  über  der  ganzen  Erscheinung 
ruhte  der  Hauch  des  Weltentrückten. 

Im  August  des  Jahres  1748  erlag  auch  dieser  letzte  Theosoph  dem  All- 
bezwinger Tod.  Sein  Wunsch,  zu  Füßen  seines  Meisters  Kelpius  begraben  zu 
werden,  wurde  von  der  zionitischen  Brüderschaft  Ephratas  erfüllt. 

So  ruhten  nan  alle  im  Schatten  ihres  zerfallenen  Tabernakels,  die  Brüder 
einer  Gemeinde,  in  deren  Herzen  das  heilige  Feuer  m-ittelalterlicher  Schwärmerei 
noch  einmal  in  hellen  Flammen  emporgeflackert  war.  Durchdrungen  von  der 
Überzeugung,  daß  die  Verheißung  der  Bibel  in  Erfüllung  gehen  und  eines  Tages 
das  tausendjährige  Reich  anbrechen  werde,  hatten  sie  in  den  Wildnissen 
Amerikas  ein  an  Mühseligkeiten  und  Entbehrungen  reiches  Leben  geführt.  Sich 
als  Fremdlinge  auf  dieser  Erde  betrachtend,  schlummerten  sie,  an  ihrem  Glauben 
unverrückt  festhaltend,  in  die  Ewigkeit  hinüber. 


.r^.' 


Schlußvignette:    Kelpius'  Höhle. 


Die  Tunker  und  das  Kloster  Ephrata. 


Fast  gleichzeitig  mit  den  Mennoniten  er- 
schienen in  Pennsylvanien  die  Tunlcer  oder  Dunker, 
die  ihren  Namen  davon  erhielten,  daß  sie  die  Taufe 
durch  dreimaliges  Untertauchen  oder  Tunken  des 
ganzen  Körpers  vollziehen  und  diese  Handlung  als 
die  allein  richtige  Taufe  betrachten.  In  ihren 
sonstigen  Ansichten  sind  sie  den  Mennoniten  eng 
verwandt.  Die  Sekte  nahm  im  Jahre  1708  in 
Schwarzenau  bei  Berleburg  ihren  Ursprung.  Es 
fanden  sich  daselbst  acht  Personen  im  Hause  des 
Alexander  Mack  zusammen,  um  in  sorgfältigem 
Studium  der  Bibel  den  wahren  Glauben  zu  suchen, 
den  ihrer  Meinung  nach  die  Kirchen  nicht  zu  er- 
fassen vermocht  hatten.  Eine  Zweiggemeinde  ent- 
stand in  Marienborn;  beide  Gemeinden  aber  zogen, 
als  die  Regierung  die  in  den  Flüssen  vorgenom- 
menen Taufakte  nicht  länger  gestatten  wollte,  in 
den  Jahren  1719  und  1729  nach  Pennsylvanien, 
in  die  Nähe  von  Germantown.  Zweigniederlassun- 
gen entstanden  später  in  Maryland,  Virginien,  Ohio, 
Indiana,  Kansas,  Missouri  und  Texas.  Im  Jahre  1896  zogen  2500  Tunker  nach 
Norddakota,  um  neue  Kolonien  zu  gründen.  Die  Gesamtzahl  der  Tunker,  die 
in  Deutschland  völlig  ausgestorben  sind,  beläuft  sich  in  den  Vereinigen  Staaten 
auf  über  100  000.  Sie  unterhalten  1100  Kirchen,  10  Colleges  und  über 
2500  Pfarrer. 

In  Tracht  und  Lebensweise  nahmen  sie  seit  ihrem  Verweilen  in  Amerika 
mancherlei  EigentümHchkeiten  an.  Stoff,  Farbe  und  Schnitt  der  Kleidung,  die 
Tracht  des  Haares  und  Bartes  werden  auf  den  Jahresversammlungen  genau 
bestimmt.  Diese  Vorschriften  erstrecken  sich  auf  die  geringfügigsten  Kleinig- 
keiten, ob  z.  B.  die  Kleider  durch  Knöpfe  oder  Haken  zu  schließen  und  wie 
die  Haare  zu  scheiteln  sind.  Die  Erörterung  solcher  Fragen  führte  bisweilen 
zu  Disputen,  ja  zur  Absonderung  einzelner  Gemeinden,  die  dann  für  sich  neue 
Sekten  bildeten.  So  zweigte  sich  die  nach  ihrem  Führer  Jacob  Amman 
genannte  Amisch  Sekte  ab,  welche  wiederum  in  mehrere  Gruppen  zerfällt. 


Konrad  Beissel. 

Nach  einer  gleichzeitigen  Silhouette. 


—     76     — 

Schon  bald  nach  der  Ankunft  der  Tunker  in  Pennsylvanien  trennte  sich 
von  ihnen  eine  kleine  Schar  von  Mystikern,  die  gleich  den  Labadisten  und  Rosen- 
kreuzern streng  religiöses  Leben  auf  die  Spitze  trieben.  Ihr  Oberhaupt  war 
der  Pfälzer  Konrad  Beissel  aus  Ebersbach  (geb.  im  März  1696).  Sie 
zogen  sich  in  die  Einsamkeit  am  Cocalicofluß  zurück  und  bauten  dort  im 
Jahre  1735  ein  Kloster,  das  unter  dem  Namen  Ephrata  weithin  bekannt  wurde. 
Es  bestand  aus  einem  großen  Versammlungshause,  dem  Brüderhaus  Bethanien 
und  dem  Schwesternhaus  Saron.  Die  Gebäude  standen  im  Dreieck  zueinander. 
Das  Zölibat  war  den  Insassen  des  Klosters,  deren  Zahl  sich  auf  etwa  300  belief, 
nicht  streng  vorgeschrieben,  aber  sehr  bevorzugt.    Sämtliche  Angehörigen,  aucli 


Ein  Liebesmahl  der  Tunker. 


die  verheirateten  Familien,  die  sich  in  eigenen  Hütten  in  der  Nähe  des  Klosters 
ansässig  machten,  verpfHchteten  sich  zur  Gemeinsamkeit  alles  Eigentums,  trugen 
im  Sommer  weißleinene,  im  Winter  weißwollene  Ordensgewänder,  lebten  von 
Pflanzenkost  und  Quellwasser  und  schliefen  in  engen  Zellen  auf  Bretterbänken 
mit  einem  Holzklotz  als  Kopfkissen.  Ein  Schrank  und  ein  Stundenglas  vollen- 
deten das  Mobilar.  Nächtliche  Gebetversammlungen,  Liebesmähler  und  Fuß- 
waschungen waren  für  ihren  Gottesdienst  bezeichnend.  Der  Samstag  wurde  als 
Sabath  streng  gefeiert,  wohingegen  man  am  Sonntag  gewöhnliche  Arbeiten  ver- 
richtete, Vom  Volk  wurden  sie  daher  die  „Siebentäger"  genannt.  Unter  den 
Brüdern  gab  es  verschiedene  Männer  und  Frauen,  die  große  Kenntnisse  sowie 
Fertigkeit  in  Musik  und  Dichtkunst  besaßen.    Mit  ihnen  gründete  Beissel  einen 


77    — 


Chor,  dessen  Leistungen  von  allen  Zeitgenossen,  die  das  Kloster  besuchten, 
sehr  gerühmt  wurde.  Man  bemühte  sich  in  dem  Gesang  das  Wehen  und 
Klingen  der  damals  sehr  beliebten  Äolsharfen  nachzuahmen.  Ein  Engländer, 
der  das  Kloster  besuchte,  schreibt  •  „Die  Schwestern  saßen  da  mit  zurückgelegten 
Häuptern.  Die  Mienen  der  infolge  des  strengen  Lebenswandels  bleichen  und 
abgezehrten  Gesichter  waren  feierlich  und  klagend.  Die  Kleidung  war  schnee- 
weiß  und  sehr  male-     ,^____ 

risch.   Der  Gesang  der     -    -  '       ■"-■    '    '     ■ l>ii 

Schwestern  schien  von 
Instrumenten  zu  kom- 
men; die  Lippen  wur- 
den kaum  geöffnet,  aber 
die  süßen  sanften  Töne 
klangen  so,  daß  sie 
bis  in  die  tiefste  Seele 
drangen.  Dabei  war 
der  Gesang  von  einem 
bewundernswertenAus- 
druck,  einer  seltenen 
Bestimmtheit  in  Zeit- 
maß und  Betonung. 
Ich  war  nahe  daran, 
mich  in  einer  Geister- 
welt zu  glauben."  Alle 
von  diesem  Chor  ge- 
sungenen Lieder  waren 
von  Beissel  oder  ande- 
ren Mitgliedern  des 
Ordens  gedichtet  und 
in  Musik  gesetzt. 

Um  das  Jahr  1740 
schaffte     das    Kloster 

auch  eine  Drucker- 
presse an,  auf  welcher 

zahlreiche  religiöse 
Bücher     in     deutscher 

und  englischer  Sprache  hergestellt  wurden.  Man  hatte  diese  Erbauungsbücher 
früher  bei  William  Bradford  und  Benjamin  Franklin  in  Philadelphia,  später  bei 
Christoph  Säur  in  Germantown  drucken  lassen.  Als  Beissel  aber  mit  letzterem 
wegen  religiöser  Fragen  in  Meinungsverschiedenheiten  geriet,  erbauten  die 
Ephratenser  nicht  nur  eine  eigne  Papiermühle,  sondern  schafften  auch  eine  Presse 
an,  die  noch  jetzt  im  Museum  der  Flistorischen  Gesellschaft  zu  Philadelphia 
aufbewahrt  wird. 


Eine  Klosterschwester  von  Ephrata. 

Aus   einer   im    Kloster   angefertigten    Handschrift. 


—     78 


Aus  dieser  Presse  gingen  viele  mit.  absonderlichen  Titeln  versehene  Bücher 
hervor,  wie  z.  B.  die  Liedersammlungen :  „Das  Gesang  der  einsamen  und  ver- 
lassenen Turteltaube,  nämlich  der  Christlichen  Kirche.  Von  einem  friedsamen 
und  nach  der  stillen  Ew^igkeit  wallenden  Pilger'*;  „Ein  angenehmer  Geruch  der 
Rosen  und  Lilien,  die  im  Thale  der  Demuth  unter  den  Dornen  hervorwachsen  — 
geistliche  Lieder  der  Schwestern";  ferner  „Das  Paradisische  Wunderspiel*'  u.  a.  m. 
Das  bedeutendste  Erzeugnis  der  Presse  zu  Ephrata  war  ein  mächtiger 
Großfolioband  von  1514  Seiten,  eine  Übersetzung  des  im  Jahre  1660  von  Tile- 
mann  Jans  vom  Braght  in  Holland  geschriebenen  „Märtyrerspiegels".  Dieses 
Buch  galt  den  Mennoniten  als  besonders  wertvoll,  weil  es  die  Leidensgeschichte 
vieler  Glaubensgenossen  enthielt,  die  in  den  Niederlanden,  der  Schweiz  und  in 

Süddeutschland  den  Märtyrer- 
tod auf  flammenden  Scheiter- 
haufen oder  durch  das  Richt- 
schwert erlitten  hatten. 

Das  Werk  wurde  in 
Ephrata  zunächst  von  dem 
Bruder  Peter  Miller  aus  dem 
Holländischen  ins  Deutsche 
übersetzt.  Über  seine  tech- 
nische Herstel- 
lung berichtet  die 

„Chronik  von 
Ephrata"  folgen- 
dermaßen : 

„Nach  geen- 
detem Mühlenbau 
wurde  der  Druck 
des  Marterbuchs 
vor     die     Hand 

genommen,  zu  welcher  wichtigen  /Xrbeit  fünfzehn  Brüder  ausgesetzt  wurden, 
davon  neun  ihre  Arbeit  in  der  Druckerei  hatten,  nämlich  ein  Corrector, 
welcher  auch  Übersetzer  war,  vier  Setzer  und  vier  Preßleute ;  die  übrigen  fanden 
ihre  Arbeit  in  der  Papiermühle.  Mit  diesem  Buche  hat  man  drey  Jahre  zu- 
gebracht, doch  nicht  anhaltend,  weilen  es  oft  an  Papier  gebrach.  Und  weilen 
während  der  Zeit  sonst  wenig  Geschäfte  im  Lager  (im  Kloster)  war,  so  ist 
darüber  der  Brüder  Haushaltung  tief  in  Schulden  geraten,  welche  aber  durch 
den  starken  Abgang  des  Buches  bald  getilgt  wurden.  Das  Buch  wurde  in 
groß  Folio  gedruckt,  enthielt  sechzehn  Buch  Papier  und  war  die  Auflag 
1300  Stück.  In  einem  mit  den  Mennoniten  gehaltenen  Rat  war  der  Preiß  auf 
20  Schilling  auf  ein  Exemplar  gesetzt,  welches  sie  kann  überzeugen,  daß  man 
zu  desselben  Druck  gantz  andere  Ursachen  als  Gewinnsucht  gehabt."  — 

Ein  Teil  der  Auflage  dieses  Märtyrerspiegels  verfiel  übrigens  während  des 


Die  Handpresse  des  Klosters  Ephrata. 

Jetzt  im  Besitz  der  Historischen  Gesellschaft  zu   Pennsylvanien 


—    79     — 

Unabhängigkeitskrieges  einem  seltsamen  Schicksal.  Er  wurde  von  den  amerika- 
nischen Soldaten  beschlagnahmt  und  zu  Papierpfropfen  für  die  Gewehre  ver- 
arbeitet. 

Auch  die  mittel- 
alterliche Miniatur- 
malerei lebte  in  Eph- 
rata  wieder  auf.  Vor- 
nehmlich unter  den 
Ordensschwestern  gab 
es  manche  vorzügliche 
Kalligraphen,die  pracht- 
voll ausgeführte  Manu- 
skripte für  das  Kloster 
anfertigten  und  die 
Wände  des  Versamm- 
lungssaales mit  großen 

Erakturschriften  und 
allegorischen     Bildern 
verzierten. 

Nach  dem  am 
6.  Juli  1768  erfolgten 
Tode  Beissels  fiel  die 
Leitung  des  Klosters 
an  Peter  Miller, 
ehemaligen  Doktor  der 
Theologie  an  der  Uni- 
versität zu  Heidelberg. 
Er  stand  bis  zu  seinem 
1796  eintretenden  Tode 
dem  Kloster  vor,  daß 

dann  aber  verfiel 
und  im  Jahre  1814 
ganz  einging.  Ein  bei 
Waynesboro  gegründe- 
tes Zweigkloster  erhielt 
sich  bis  in  die  neueste 
Zeit,  besaß  aber  im 
Jahre  1890  nur  noch  drei  hochbetagte  Insassen.  Von  der  Sekte  der  Sieben- 
täger  sind  in  Pennsylvanien  noch  geringe  Reste  in  den  Grafschaften  Franklin 
und  Lancaster  vorhanden. 

Gleich  den  bisher  beschriebenen  Sekten  fanden  auch  die  nach  dem 
schlesischen  Edelmann  Kaspar  Schwenkfeld  von  Ossing  (geb.  1490,  gest.  1561) 
benannten  Schwenkfelder  in  Pennsylvanien  eine  Zuflucht.   Schwenkfeld  hatte  in 


ober 

eprlßfen  Iprijten/ 


1/ 

©ic  um  M  Seu^nug  3^/u  ihxß  ee(i3inac()er^  mtn 

gelttten  mmmb  feynb  gcro&rft  mxUni  Don  SCbrifri  Beiran 
51^  auf  i)a0  3al)r  i66o. 

Ift  unb  in  <pollänbirc<)fr  ©prad;  heraus  gegeben        ^'"Sjnuiim  geianu 

üon  T.  J.  V.  BRACH  T. 

<niin  ahn  forflfältigff  inö  ^ocbieutfctje  übenXjt  unb  aum  fmenmaf  anö  C^t  gebrockt, 


EPHRATAinPenfylvanien, 

^rugjinb  ^erlagg  Der  ^rui)frfct)affr.    Anno  MDCCXLVm. 

Titelblatt  des  in  Ephrata  gedruckten  Märtyrerspiegels. 


—     80     — 

Köln  den  Titel  eines  Doktors  der  Rechtswissenschaften  und  Philosophie  er- 
worben. Seine  Ansichten  über  die  Lehre  vom  Abendmahl  wichen  von  den- 
jenigen Luthers  ab;  so  lehrte  er,  daß  der  Körper  Christi  ebenfalls  göttlicher 
Natur  sei.  Dieser  und  einiger  andern  Besonderheiten  wegen  wurden  er  und 
seine  Anhänger  sowohl  von  den  Lutheranern  wie  von  den  Katholiken  verfolgt; 
ja,  Kaiser  Karl  VI.  forderte  im  Jahre  1725  die  Schwenkfelder  unter  harten  Straf- 
androhungen auf,  in  den  Schoß  der  katholischen  Kirche  zurückzukehren.  Die 
Sektierer  aber  zogen  vor,  nach  der  Neuen  Welt  überzusiedeln,  wo  sie,  184  Köpfe 
stark,  am  22.  September  1734  eintrafen.  Ihre  Niederlassungen  befinden  sich 
noch  jetzt  in  den  pennsylvanischen  Grafschaften  Berks,  Montgomery  und  Lehigh. 
Wegen  ihres  Fleißes  und  ihrer  Sparsamkeit  sind  die  Schwenkfelder  be- 
kannt. Schönere  Farmen  als  die  ihrigen  gibt  es  im  ganzen  Lande  nicht.  Ihr 
Eigentum  vererbt  sich  von  Generation  auf  Generation.  Niemals  wird  es  zu- 
gelassen, daß  ein  Schwenkfelder  bettelt  oder  gar  in  ein  Armenhaus  geht.  Um 
dies  zu  verhüten,  legten  sie  einen  Armenfonds  an,  der  aber  selten  in  Anspruch 
genommen  wird.  Schon  lange,  ehe  im  Staate  Pennsylvania  das  Volksschul- 
system eingeführt  wurde,  besaßen  sie  auch  einen  Schulfonds,  aus  welchem  sie 
die  Kosten  der  Erziehung  ihrer  Kinder  bestritten. 


Die  Salzburger  in  Georgia. 


Zu  den  religiösen 
Flüchtlingen  zählten 
auch  die  protestanti- 
schen Salzburger, 
welche  im  Jahre  1734 
nach  Georgia  kamen. 
Sie  waren  Nachkom- 
men der  im  13.  Jahr- 
hundert in  Südfrank- 
reich entstandenen  Sekte 
der  Waldenser,  welche 
dort  bekanntlich  äußerst 
harten  Verfolgungen 
ausgesetzt  gewesen  und 
endlich  zur  Aufgabe 
ihrer  schönen  Heimat 
Savoyen  gezwungen 
worden  war.    Ein  Teil 

dieser  Flüchtlinge 
wandte  sich  nach  den 
Tiroler  und  Salzburger 
Alpen,  wo  sie  deutsche 
Sprache  und  Sitten  an- 
nahmen, tüchtige  luthe- 
rische Prediger  erhielten 
und  Luthers  Bibel  und 
Schriften  lasen.  Durch 
Fleiß  und  Genügsam- 
keit brachten  sie  es  zu 
großem  Wohlstand. 
Ein  dauerndes  Asyl  war  ihnen  aber  auch  dort  nicht  beschieden.  Die 
religiösen  Verfolgungen  begannen  aufs  neue.  Ihre  Prediger  wurden  vertrieben 
oder  ins  Gefängnis  geworfen,  einer  sogar  enthauptet.  Im  Jahre  1684  erließ 
der  Erzbischof  von  Salzburg  den  Befehl,  sämtliche  Protestanten,  die  sich  wei- 
gerten, in   den   Schoß   der  alleinseligmachenden   Kirche  zurückzukehren,   des 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  6 


Pastor  Johann  Martin  Bolzius. 


^    82    — 

Landes  zu  verweisen.  Es  bedurfte  der  Vorstellungen  aller  protestantischen 
Fürsten  Deutschlands,  daß  jene  Verfügung  den  Beschlüssen  des  Westfälischen 
Friedens  zuwiderlaufe,  um  den  Widerruf  jener  Maßregel  zu  veranlassen. 

Dieselbe  lebte  aber  in  voller  Härte  wieder  auf,  als  im  Jahre  1727  Graf 
Leopold  von  Firmian  Frzbischof  von  Salzburg  wurde.  Die  Wiederherstellung 
der  früheren  Glaubenseinheit  seines  Erzbistums  betrachtete  er  als  sein  höchstes 
Ziel.  Wer  nicht  freiwillig  dem  Protestantismus  entsagte  und  keine  feste  Wohn- 
stätte besaß,  mußte  innerhalb  einer  Woche  das  Land  verlassen.  Den  Haus- 
besitzern und  Landwirten  gewährte  man  eine  Frist  von  einem  bis  drei  Monaten. 
Hatten  sie  innerhalb  dieser  Zeit  nicht  ihre  Rückkehr  zur  römischen  Kirche  an- 
gekündigt, so  sollten  sie  aller  Bürgerrechte  verlustig  sein  und  der  Acht  verfallen. 

Die  Proteste  und  Drohungen  der  reformierten  Fürsten  Deutschlands 
blieben  diesmal  ohne  Wirkung  und  so  begann  im  Dezember  1731  der  Auszug 
der  Protestanten  aus  Salzburg.  Ihrer  30  000  verließen  die  ihnen  so  liebge- 
wordenen Gebirge,  ohne  zu  wissen,  wo  sie  neue  Heimstätten  finden  würden. 

Aber  es  öffneten  sich  an  anderen  Orten  Deutschlands,  in  Schwaben, 
Franken  und  Preußen,  wohin  die  Kunde  von  dem  Schicksal  und  guten  Ruf 
der  Auswandrer  gedrungen  war,  tausend  Arme,  um  sie  gasthch  aufzunehmen. 

Ihre  Wanderung  nahm  den  Charakter  eines  Triumphzuges  an.  Näherten 
sie  sich  einer  protestantischen  Stadt,  so  zogen  die  Prediger  und  Behörden  an 
der  Spitze  der  Einwohnerschaft  den  Fremdlingen  entgegen  und  geleiteten  sie 
unter  dem  feierlichen  Geläute  der  Glocken  in  den  Ort.  Hier  bewirtete  man  die 
Wandrer  und  erbaute  sie  durch  zu  ihren  Ehren  veranstaltete  Kirchenfeierlich- 
keiten. Man  stritt  sich  darum,  wer  sie  beherbergen  dürfe.  Zum  Andenken  an 
ihren  Durchzug  prägte  man  silberne  Denkmünzen.  Mehrere  protestantische 
Fürsten,  vor  allen  der  edle  König  Friedrich  Wilhelm  I.  von  Preußen,  boten 
ihnen  Ländereien  an. 

Eine  in  warmen  Worten  gehaltene  Einladung  zur  Übersiedelung  nach 
Amerika  kam  auch  aus  der  südlich  von  Virginien  und  Karolina  gegründeten 
englischen  Kolonie  Georgia.  Die  Leiter  derselben  hatten  im  Juni  des 
Jahres  1732  von  der  englischen  Regierung  die  Genehmigung  zur  Organisierung 
der  Kolonie  unter  der  Bedmgung  empfangen,  daß  man  daselbst  „den  armen 
Bewohnern  Englands  wie  auch  den  bekümmerten  Salzburgern  und  andern 
Protestanten  eine  Zuflucht  eröffne".  . 

Man  hatte  in  England  von  dem  traurigen  Schicksal  der  Salzburger  durch 
den  Augsburger  Pfarrer  Samuel  Urlsperger  Kunde  erhalten,  und  an  demselben 
herzlichen  Anteil  genomen.  Als  man  den  Salzburgern  sogar  Schiffe  zur  freien 
Überfahrt  zur  Verfügung  stellte  und  die  „Society  for  the  Propagation  of 
Christianity"  in  London  die  Reisekosten  der  Auswandrer  bis  Rotterdam  zu 
tragen  übernahm,  entschlossen  sich  zunächst  50,  insgesamt  91  Köpfe  zählende 
Familien,  der  Einladung  zu  folgen.  Sie  versammelten  sich  in  Berchtesgaden, 
und  begaben  sich  dann  unter  der  Führung  des  Freiherrn  von  Reck  zunächst 
nach  Rotterdam,  wo  sie  am  27.  November  1733  eintrafen.    Hier  gesellten  sich 


-    83    — 

die  vom  Waisenhaus  in  Halle  entsandten  Pastoren  Johann  Martin 
Bolzius  und  Israel  Christian  Gronau  zu  ihnen,  um  der  kleinen 
Gemeinde  fortan  als  geistliche  Berater  zu  dienen. 

Die  Ankunft  der  Salzburger  in  Georgia  am  12.  März  1734  gestaltete  sich 
zu  einen  förmlichen  Festtag.  Die  Neulinge  wurden  mit  Kanonensalven  begrüßt 
und  aufs  herzlichste  bewillkommt.  Sie  fanden  unter  den  Bewohnern  der  ein 
Jahr  zuvor  angelegten  Stadt  Savannah  auch  bereits  einige  Deutsche.  Der 
menschenfreundliche  Leiter  der  Kolonie,  General  Oglethorpe,  stellte  den  Salz- 
burgern anheim,  ein  ihnen  zusagendes  Stück  Land  zur  Anlage  einer  Ortschaft  aus- 
zuwählen. Sie  entschieden  sich  für  einen  24  englische  Meilen  von  Savannah 
entfernten  Platz,  der  an  einem  Nebenfluß  des  Savannah  inmitten  ungeheurer 
Fichtenwälder  lag. 

Dort  schlug  man  Zelte  und  Blockhütten  auf  und  nannte  diese  Ansiedlung 
Ebenezer,  „bis  hierher  hat  der  Herr  geholfen". 

Leider  machte  der  ungesunde  Charakter  der  Gegend  bald  eine  Verlegung 
der  Ansiedlung  an  eine  günstigere  Stelle  nötig.  Diese  fand  sich  direkt  am 
Ufer  des  Savannah,  wo  nun  die  Niederlassung  Neu-Ebenezer  entstand.  Die 
Entwicklung  dieser  Ortschaft  hat  mit  derjenigen  von  Germantown  viel  Gemein- 
sames. Auch  hier  gab  es  manches  Ungemach,  aber  die  an  harte  Arbeit  Ge- 
wöhnten ertrugen  dasselbe  mit  christlicher  Geduld  und  in  der  Zuversicht,  daß 
ihrem  Fleiß,  ihrer  Ausdauer  der  Lohn  nicht  fehlen  könne. 

Bald  stellte  sich  Verstärkung  ein;  75  andere  Salzburger  langten  im 
Jahre  1735  an,  denen  sich  später  noch  mehrere  kleine  Nachschübe  zugesellten. 
Im  Jahre  1741  betrug  die  Bevölkerung  von  Ebenezer  bereits  1200  Köpfe. 

Das  Leben  in  Ebenezer  war  von  arkadischer  Einfachheit.  Neben  dem  Acker- 
bau trieb  man  Viehzucht;  als  besondere  Spezialität  auch  Seidengewinnung. 
Letztere  war  durch  den  Piemontesen  Nicolas  Amatis  im  Jahre  1739  nach  Georgia 
übertragen  worden.  Pastor  Bolzius  bewog  die  Salzburger,  die  Seidenkultur 
aufzunehmen.  Er  sorgte  für  die  Anpflanzung  von  Maulbeerbäumen  und  be- 
gründete dadurch  in  Ebenezer  eine  gewinnbringende  Industrie,  die  um  so 
lohnender  wurde,  als  die  englischen  Kolonisten  nach  mehreren  Mißerfolgen  die 
Seidenkultur  aufgaben.  Bereits  im  Jahre  1751  sandten  die  Bewohner  von 
Ebenezer  1000  Pfund  Kokons  und  74  Pfund  Rohseide  nach  England,  wofür  sie 
110  Pfund  Sterling  erzielten.  Um  diese  Industrie  zu  fördern,  schenkten  die 
Behörden  jeder  derselben  sich  zuwendenden  Frau  eine  Haspelmaschine.  Ferner 
bewilligten  sie  zwei  Pfund  Sterling  zum  Ankauf  von  Seiden würmern  und  An- 
pflanzen von  Maulbeerbäumen.  Auch  der  Anbau  von  Indigo  wurde  von  den 
Salzburgern  betrieben. 

Die  beiden  Pastoren  Bolzius  und  Gronau  erwiesen  sich  als  echte  Väter 
ihrer  Gemeinde.  Sich  nicht  bloß  auf  die  geistliche  Fürsorge  beschränkend, 
nahmen  sie  an  allen  weltlichen  Angelegenheiten  lebhaften  Anteil.  Sie  sorgten 
für  den  Bau  einer  Kirche,  einer  Schule  und  eines  Waisenhauses.  Das  letzte 
richteten  sie  so  vorzüglich  ein,  daß  es  den  berühmten  englischen  Methodisten 

6* 


—    84    — 

George  Whitfield  geradezu  begeisterte  und  ihm  als  Vorbild  für  seine  Waisen- 
anstalt Bethesda  diente. 

Der  wackere  Bolzius  diente  seiner  Gemeinde  32  Jahre.  Mit  der  Heimat, 
insbesondere  mit  dem  in  Augsburg  wohnenden  Prediger  Samuel  Urlsperger 
unterhielt  er  regelmäßigen  schriftlichen  Verkehr.  Urlsperger  redigierte  seine 
Berichte  über  das  tägliche  Leben  in  Ebenezer  mit  großer  Sorgfalt  und  gab  sie 
unter  dem  Titel  „Ausführliche  Nachrichten  von  der  königlich  Großbritannischen 
Kolonie  der  Saltzburgischen  Emigranten  in  America"  in  Buchform  heraus.  Sie 
bildeten  die  wichtigste  Quelle  zur  Geschichte  der  Salzburger  in  Georgia. 

Aus  ihr  ist  zu  ersehen,  daß  auch  die  Salzburger  Anstoß  an  der  Einfuhr 
von  Negersklaven  in  die  englischen  Kolonien  nahmen.  Wenn  sie  auch  nicht, 
wie  die  Bewohner  von  Germantown  gegen  die  Sklaverei  öffentlichen  Protest 
erhoben,  so  gaben  sie  ihre  Abneigung  doch  so  deutlich  zu  erkennen,  daß  sie 
die  Opposition  ihrer  anglo-amerikanischen  Nachbarn  erregten.  Um  ihr  Ge- 
wissen zu  beruhigen,  riefen  sie  die  Meinung  ihres  Beraters  Urlsperger  in  Augs- 
burg an.  Dieser  erwiderte  folgendes:  „Wenn  ihr  Sklaven  nehmt  als  Christen 
und  in  der  Absicht,  sie  als  Christen  zu  erziehen,  so  wird  diese  Handlung  kehie 
Sünde  sein,  sondern  mag  euch  Segen  bringen." 

Die  Kolonie  der  Salzburger  erhielt  sich  bis  ins  19.  Jahrhundert.  Ihre  Be- 
wohner kennzeichneten  sich  durch  Fleiß,  Eintracht,  Redlichkeit  und  freundUches 
Wesen.  Man  sah  unter  ihnen  weder  Trunkenbolde  noch  Müßiggänger.  Bis 
zum  Jahre  1824  wurde  in  Ebenezer  deutsch  gepredigt.  Als  kein  Zuzug  mehr 
aus  Deutschland  erfolgte,  ging  die  Kolonie  allmählich  im  Amerikanertum  auf. 
Aber  noch  heute  verraten  die  Namen  und  Gesichtszüge  zahlreicher  in  Ebenezer, 
Savannah  und  benachbarten  Orten  lebender  Familien  ihren  echt  deutschen 
Ursprung. 


Die  Mährischen  Brüder  oder  Herrnhuter. 


Im  Gegensatz  zu  den  bisher  genannten  Sekten,  die  als  Verfolgte  nach 
Nordamerika  kamen,  erschienen  im  Jahre  1735  Angehörige  der  großen 
Missionssekte  der  Mährischen  Brüder  oder  Herrnhuter  als  freiwillige  Send- 
boten. Die  aus  den  hussitischen  Bewegungen  in  Böhmen  und  Mähren  hervor- 
gegangenen Mährischen  Brüder  strebten  gleich  ihrem  am  6.  Juli  1415  zu  Kon- 
stanz dem  Flammentod  verfallenen  Stifter  Johann  Hus  die  Wiederherstellung 
der  ursprünglichen  Einfachheit  und  Reinheit  der  Apostolischen  Kirche  an. 

Während  der  ganzen  Dauer  des  17.  Jahrhunderts  aufs  fürchterlichste  ver- 
folgt, fanden  sie  zusammen  mit  Angehörigen  der  Böhmischen  Brüder  und  der 
Sekte  der  Schwenkfelder  endlich  im  Jahre  1723  eine  Zufluchtsstätte  auf  den  Be- 
sitzungen des  berühmten  Pietisten  Graf  NikolausLudwigvonZinzen- 
d  o  r  f.  Derselbe  gründete  im  Jahre  1727  in  Sachsen  das  Dorf  Herrnhut,  welches 
als  Stammgemeinde  der  Herrnhuter  weltbekannt  wurde. 


Kopfleiste:    Graf  Nikolaus  Ludwig  von  Zinzendorf. 


—     86     — 

Die  Herrnhuter  verbanden  gewisse  klösterliche  Einrichtungen  mit  christ- 
hchem  Familienleben.  Daneben  faßten  sie  den  Entschuß,  durch  eifrige  Missions- 
tätigkeit unter  heidnischen  Völkern  für  die  Ausbreitung  des  Reiches  Gottes  zu 
wirken. 

In  dieser  Absicht  begaben  sich  bereits  im  Jahre  1732  zwei  Brüder  nach 
Westindien,  um  auf  der  Insel  St.  Thomas  die  dorthin  verkauften  Negersklaven 
zum  Christentum  zu  bekehren.  Im  Frühling  1735  kamen  zehn  andere  Herrn- 
huter unter  der  Führung  des  Professors  A.G.  Spangenberg  nach  Georgia, 
um  ihr  Leben  der  Rekehrung  der  dortigen  Schwarzen  und  Indianer  zu  weihen. 
Sie  ließen  sich  in  der  Nähe  der  von  den  Salzburgern  gegründeten  Ortschaft 
Ebenezer  nieder,  bauten  am  Ogeghenfiuß  eine  Schule  und  begannen  sofort  mit 
ihrer  Missionstätigkeit.  In  dieser  wurden  sie  bereits  im  folgenden  Jahre  durch 
25  andere  Brüder  unterstützt,  die  unter  Leitung  des  Bischofs  DavidNitsch- 
m  a  n  n  aus  Herrnhut  kamen. 

Aber  ihre  christliche  Aufopferung  fand  keineswegs  den  Beifall  der  nicht- 
deutschen weißen  Ansiedler.  Diesen  war  an  der  Bekehrung  und  Aufklärung 
der  Neger  und  Rothäute,  die  man  kaum  als  Menschen  betrachtete,  aus  sozialen 
und  wirtschaftlichen  Gründen  nichts  gelegen.  Ebensowenig  hatte  für  sie  das 
Gelübde  der  Sektierer,  niemals  Waffen  zu  tragen,  eine  Bedeutung. 

Als  nun  zwischen  den  Kolonisten  von  Georgia  und  den  in  Florida  an- 
sässigen Spaniern  ein  Krieg  ausbrach  und  die  Herrnhuter  sich  weigerten,  an 
demselben  teilzunehmen,  sahen  sie  sich  solchen  Mißhelligkeiten  ausgesetzt,  daß 
sie  die  Kolonie  verließen  und  nach  Pennsylvanien  zogen.  Hier  bauten  sie  am 
Ufer  des  Lehighflusses  eine  bescheidene  Blockhütte,  in  der  die  Brüder  im  Jahre 
1741  gemeinsam  die  Feier  des  Weihnachtsfestes  begingen.  Bei  ihnen  befand 
:  sich  Graf  Zinzendorf  selbst,  der  aus  Deutschland  herübergekommen  war,  um 
'  an  der  Gründung  neuer  Missionen  mitzuwirken.  Er  war  es  auch,  der  an  jenem 
durch  fromme  Gesänge  verschönten  Abend  den  Ort,  wo  die  neue  Niederlassung 
entstehen  sollte,  Bethlehem  taufte. 

In  der  Folgezeit  wurde  Bethlehem  nicht  bloß  der  Hauptsitz  der  Herrn- 
huter, sondern  auch  der  .\usgangspunkt  ihrer  ganzen  Missionstätigkeit  in 
Amerika.  Schon  innerhalb  der  nächsten  20  Jahre  kamen  über  700  Herrnhuter 
hierher,  um  an  den  frommen  Werken  mitzuhelfen.  Die  erste  Verstärkung  langte 
im  Juni  1742  unter  Bischof  Spangenberg  an.  In  den  Annalen  der  Gemeinde 
wird  von  ihr  als  der  „First  Sea  Congregation"  gesprochen.  Ihr  folgte  im  No- 
vember 1743  die  zweite  Kongregation,  darunter  30  junge  Ehepaare,  welche 
kurz  vor  ihrer  Abreise  in  Herrnhut  den  Bund  fürs  Leben  geschlossen  hatten. 
Ein  Teil  dieser  Neulinge  wurde  in  der  benachbarten  Niederlassung  Nazareth 
untergebracht,  die  man  von  dem  Engländer  Whitefield  kaufte.  Ein  dichter  Ur- 
wald trennte  die  beiden  Ortschaften.  Aber  die  Männer  schlugen  mit  der  Axt 
einen  Pfad  durch  die  Wildnis  und  begannen  dann  an  beiden  Orten  mit  dem 
Aufbau  fester  Wohnstätten  und  Bethäuser.  In  ihrer  Tätigkeit  strebten  die  Herrn- 
huter, sich  von  der  Außenwelt  möglichst  unabhängig  zu  machen.   Sie  strichen 


87 


eigenhändig  die  zum  Hausbau  benötigten  Ziegel,  brannten  Kall«  und  bereiteten 
den  Mörtel.  Außer  Getreide  und  Obst  zogen  sie  Hanf  und  Flachs,  züchteten 
Vieh  und  fertigten  aus  der  gewonnenen  Wolle  ihre  eigenen  Kleider.  Sie  gerbten 
die  Häute  der  geschlachteten  Tiere  und  verarbeiteten  dieselben  zu  Schuhen  und 
Stiefeln.  Sie  brauten  ihr  eigenes  Bier,  machten  Stärke  und  Mehl,  richteten  Färbe- 
reien, Bleichereien,  Baumwollspinnereien  ein,  desgleichen  Werkstätten,  in  denen 
sie  sämtliche  beim  Landbau  und  zum  Ausüben  der  verschiedenen  Industrien 
nötigen  Werkzeuge  und  Maschinen  herstellten.  Die  gröberen  Arbeiten  und 
das  Bestellen  der  Felder  lagen  den  Brüdern  ob.  Die  Schwestern  besorgten  den 
Haushalt  und  das  Anfertigen  der  Kleider.    Unermüdlich  regten  sich  die  fleißigen 


Jtk^kkiÄ. . 

jL^-:t:-ÄÜ 

■         ■  .  ■' 

.  ■  ■■■'            i 

jAiätmi^^^^K.WKi 

j                                           ;                                '. 

.  ■'"'i&i*.    »-^ 

^^■.f-. 

Ansicht  von  Bethlehem  im  Jahre  1830. 

Hände.  Das  Surren  der  Spinnräder  verstummte  nur  an  solchen  Tagen,  wo  die 
Glocke  zur  Andacht  oder  zu  einem  gemeinschaftlichen  Liebesmahl  rief. 

Innerhalb  weniger  Jahre  entwickelte  sich  Bethlehem  zu  einer  Musternieder- 
lassung. An  Stelle  der  ursprünglichen  Blockhütten  traten  bequeme  Steinhäuser 
von  einfacher  aber  malerischer  Bauart.  Die  breiten  Straßen  wurden  peinlich 
sauber  gehalten.  Rmgs  um  die  Ortschaft  dehnten  sich  lachende  Felder,  deren 
Saaten  reiche  Ernten  ergaben.  Das  ganze  Leben  der  Herrnhuter  entsprach  der 
biblischen  Mahnung:  „Betet  und  arbeitet,  damit  ihr  nicht  in  Anfechtung  fallet!" 

Um  der  letzteren  vorzubeugen,  unterlag  der  Verkehr  der  Geschlechter 
strengen  Regeln.  Sowohl  die  Knaben  und  Mädchen  wie  auch  die  unverheirateten 
Jünglinge  und  Jungfrauen  wohnten  in  abgesonderten  Häusern,  wo  sie  den  von 
den  Ältesten  der  Gemeinde  erlassenen  Vorschriften  unterstanden.     Die  Jung- 


frauen  durften  nicht  an  der  Behausung  der  Junggesellen,  diese  wieder  nicht  an 
der  Wohnung  der  „Schwestern''  vorübergehen.  Begegneten  sie  einander  auf 
der  Straße,  so  war  es  nicht  erlaubt,  einander  anzusehen.  Die  Schwestern  durften 
den  Namen  keines  Bruders  erwähnen,  und  so  wuchsen  beide  Geschlechter  auf  in 
völliger  Unkenntnis  voneinander.  Erreichten  Jünglinge  und  Mädchen  das 
heiratsfähige  Alter,  so  sorgten  die  Gemeindevorsteher  dafür,  daß  geeignete  Paare 
sich  ehelich  verbanden.  Die  solchen  Bündnissen  entspringenden  Kinder  blieben 
bis  zum  vollendeten  zweiten  Jahre  unter  der  Obhut  der  Eltern,  mußten  dann 
aber  der  Gemeinde  übergeben  werden,  welche  die  weitere  Erziehung  übernahm. 


Das  Schwesternhaus  der  Herrnhuter  in  Bethlehem,  Pennsylvanien. 

Durch  Bezug  der  besten  Erzeugnisse  der  deutschen  Literatur  hielt  man 
mit  dem  Vaterlande  Fühlung.  Mit  besonderer  Vorliebe  pflegte  man  Musik,  be- 
schränkte sich  aber  nicht  auf  die  Wiedergabe  der  herrlichen  Reformationslieder, 
sondern  bemühte  sich,  auch  die  schwierigen  Werke  hervorragender  Tonkünstiei 
in  mustergültiger  Weise  aufzuführen.  Die  Liebe  zu  Musik  und  Gesang  lebte 
so  kräftig  in  aller  Brust,  daß  Bischof  Spangenberg  eines  Tages  schrieb:  „Nie- 
mals, seitdem  die  Welt  geschaffen,  wurden  so  liebhche  und  fromme  Lieder  für 
Hirten,  Ackerleute,  Schnitter,  Drescher,  Spinnerinnen,  Näherinnen,  Wäsche- 
rinnen und  andere  Arbeiter  erfunden  und  gesungen  als  hier.  Man  könnte  aus 
solchen  Gesängen  ein  ganzes  Buch  zusammenstellen." 


—     89     — 

Während  so  ein  Teil  der  Brüder  und  Sciiwestern  der  Gemeinde  dauernde 
Heimstätten  schufen,  zogen  andere  hinaus  in  die  völlig  unbekannte  Wildnis,  um 
unter  den  Ureinwohnern  das  schwierige  Missionswerk  zu  beginnen.  Es  er- 
heischte seitens  derjenigen,  die  sich  ihm  unterziehen  wollten,  hervorragende 
Eigenschaften:  Mut,  Ausdauer,  Geduld,  Vorsicht  und  beispiellose  Hingabe. 
Schon  die  Reise  und  der  lange  Aufenthalt  in  der  Wildnis  stellten  an  die  Körper- 
kraft die  größten  Anforderungen.  Daneben  mußten  Entbehrungen  aller  Art  und 
zahllose  unbekannte  Gefahren  ertragen  werden.  Ferner  galt  es,  die  Feindschaft 
und  Abneigung  der  den  Bleichgesichtern  voll  Argwohn  gegenüberstehenden 
Indianer  zu  überwinden  und  ihr  Vertrauen  zu  gewinnen,  was  nur  in  engem 
Verkehr  mit  ihnen  geschehen  konnte,  indem  man  in  ihren  Dörfern  lebte,  ihre 
Gewohnheiten  annahm  und  ihre  Sprache  erlernte.  War  das  gelungen,  so  galt 
es  die  noch  schwierigere  Aufgabe  zu  lösen,  die  Jahrtausende  alten  religiösen  An- 
schauungen der  Indianer  durch  die  ihnen  kaum  verständlichen  Lehren  des 
Christentums  zu  ersetzen. 

Zu  diesen  Schwierigkeiten  gesellten  sich  andere,  die  niemand  vorausgesehen 
hatte:  der  geheime  oder  offne  Widerstand  gewisenloser  weißer  Händler,  welche 
die  Indianer  mit  Branntwein  versorgten  und  dieses  gewinnbringende  Geschäft 
durch  die  zur  Nüchternheit  mahnenden  Missionare  gefährdet  glaubten.  Zu 
alledem  kam  endlich  noch  die  Eifersucht  der  englischen  Landeskirche,  welcher 
die  Missionsarbeit  der  Herrnhuter  ein  Dorn  im  Auge  war. 

Will  man  ein  treues  Bild  all  dieser  von  den  Herrnhutern  zu  überwindenden 
Widerwärtigkeiten  gewinnen,  so  braucht  man  nur  Loskiels  „Geschichte  der 
A^ission  der  Evangelischen  Brüder  unter  den  Indianern  in  Nordamerika"  (Barby 
1789),  zu  lesen.  Sic  enthält  unter  anderem  die  Erlebnisse  jener  Herrnhuter, 
welche  die  in  dem  Dorf  Schekomeko  lebenden  Mohikaner  bekehrten. 

Schekomeko  lag  in  der  Kolonie  New  York,  östlich  vom  Hudson.  Der 
Herrnhuter  ChristianHeinrichRauch  war  der  erste,  welcher  sich  unter 
den  hier  wohnenden  Wilden  niederließ.  Als  er  ihnen  das  Wesen  Gottes  zu 
erklären  suchte,  lachten  sie  ihm  ins  Gesicht  und  verspotteten  ihn.  Erst  nach 
wochenlangen  Bemühungen  gelang  es,  zwei  Mohikaner,  die  mit  den  Weißen 
bereits  häufiger  in  Berührung  gekommen  waren,  für  die  christlichen  Lehren 
empfänglich  zu  machen.  Das  erbitterte  die  anderen  so,  daß  sie  drohten,  den  Mis- 
sionar zu  ermorden.  Aber  dieser  blieb  nicht  nur  standhaft,  sondern  suchte  durch 
die  beiden  Bekehrten  auf  deren  Stammesgenossen  noch  kräftiger  einzuwirken. 

Vornehmlich  Tschup,  der  ältere  Mohikaner,  zeigte  sich  darin  sehr  ge- 
schickt. Wollte  er  seinen  Stammesgenossen  etwas  recht  deutlich  machen,  so 
bediente  er  sich  der  Bilderschrift.  So  zeichnete  er  beispielsweise  auf  ein  Stück 
Baumrinde  ein  Herz,  aus  welchem  auf  allen  Seiten  Zacken  und  Stacheln  hervor- 
gingen und  sagte:  „Seht,  so  ist  ein  Herz,  in  dem  der  böse  Geist  wohnt;  alles 
Böse  kommt  von  innen  heraus."  Mit  solchen  Darstellungen  machte  Tschup 
einen  stärkeren  Eindruck,  als  der  Missionar  mit  seinen  Reden. 

Allmählich  gelang  es,  unter  den  Mohikanern  Anhänger  für  den  Christ- 


—     90     — 

liehen  Glauben  zu  gewinnen.  Es  entstand  der  Keim  zu  einer  kleinen  Gemeinde, 
die  im  August  1742  den  Besuch  des  Grafen  Zinzendorf  empfing  sowie  den  Bei- 
stand zweier  andrer  Brüder,  der  Missionare  Büttner  und  M  a  c  k  erhielt. 

Je  mehr  die  Zahl  der  Bekehrten  wuchs,  desto  häufiger  v/urden  aber  auch 
die  Zeichen  der  Mißgunst,  womit  die  in  den  benachbarten  An  Siedlungen  wohnen- 
den Weißen  die  Bemühungen  der  Herrnhuter  beobachteten.  Die  Brüder  er- 
fuhren durch  die  Indianer,  daß  man  ihnen  eine  Menge  Rum  versprochen  habe, 
wenn  sie  die  Missionare  totschlagen  wollten.  Gleichzeitig  hörten  sie  von  aller- 
hand in  den  Ansiedlungen  umlaufenden  Verdächtigungen.  Die  Herrnhuter 
seien  verkappte  Papisten  und  französische  Spione,  welche  das  Land  auskund- 
schaften und  mit  Hilfe  der  Indianer  bei  der  ersten  passenden  Gelegenheit  den 
Franzosen  in  die  Hände  spielen  wollten. 

Diese  absurden  Behauptungen  wurden  mit  solcher  Bestimmtheit  verbreitet, 
daß  die  Behörden  der  Kolonie  sich  beunruhigt  fühlten.  Sie  luden  die  Missionare 
unzählige  Male  zum  Verhör  vor,  schleppten  sie  von  einem  Richter  zum  andern, 
endlich  sogar  vor  den  Gouverneur.  Der  Umstand,  daß  die  Herrnhuter,  den 
Satzungen  ihrer  Gemeinschaft  entsprechend,  sich  weigerten,  den  ihnen  abge- 
forderten Treueid  gegen  das  englische  Königshaus  zu  schwören,  wurde  von 
ihren  Widersachern  in  der  schlimmsten  Weise  ausgebeutet.  Sie  erwirkten  bei 
der  gesetzgebenden  Körperschaft  der  Kolonie  eine  Verordnung,  wonach  alle 
Personen,  die  aus  irgendeinem  Grunde  sich  weigerten,  den  Eid  der  Treue  zu 
leisten,  des  Landes  verwiesen  werden  sollten.  Durch  eine  zweite  Verordnung 
wurde  den  Herrnhutern  als  verdächtigen  Personen  verboten,  ihr  Bekehrungs- 
werk fortzusetzen. 

Müde  dieser  Belästigungen,^)  während  welcher  einer  der  Brüder  sieben 


^)  Welch  engherziger  Geist  die  Behörden  erfüllte,  ergibt  sich  aus  folgender  Recht- 
fertigung, welche  der  damalige  Gouverneur  der  Kolonie  New  York  als  Antwort  auf  eine 
vom  Grafen  Zinzendorf  bei  der  Regierung  in  London  eingereichten  Beschwerde  im  Mai  1746 
einsandte.  Dieselbe  lautet:  „Seit  einiger  Zeit  wird  die  Kolonie  von  verdächtigen  Subjekten 
und  strolchenden  Predigern  heimgesucht,  welche  das  Volk  verführen  und  sich  für  besser 
als  andere  halten.  Sie  stehen  sogar  im  Verdacht,  päpstliche  Emissäre  zu  sein  und  Auf- 
stände unter  Seiner  Majestät  getreuen  Untertanen  zu  beabsichtigen.  Sie  wollen  die 
Indianer  und  Neger  bekehren;  als  ob  man  Menschen  trauen  könnte,  die  sich  mit  Schwarzen 
abgeben.  Diese  Mährischen  Brüder  haben  sich  vor  allem  in  Pennsylvanien  festgesetzt,  wo 
das  Übergewicht  der  Deutschen  bereits  so  groß  ist,  daß  sie  bald  die  englische  Bevölkerung 
verdrängen  werden.  Sie  machen  jetzt  auch  in  unserem  Staat  Proselyten,  sind  dabei  ehr- 
geizige, eitle  Menschen,  welche,  statt  bei  dem  erlernten  Handwerk  zu  bleiben,  den  Pfarrer 
spielen  und  mit  ihren  unverständlichen  Lehren  die  Massen  bethören.  Vor  ihnen  muß  man 
sich  ganz  besonders  hüten.  In  Schekomeko  ließen  sich  einzelne  Herrnhuter  dauernd  nieder, 
heirateten  Indianerinnen  und  erregten  dadurch  den  Argwohn  sowie  die  Eifersucht  der  be- 
nachbarten Weißen.  Wir  fürchten  um  so  mehr,  daß  sie  die  Indianer  verführen  möchten, 
als  sie  ohne  Erlaubniß  der  Behörde  ins  Land  kamen  und  dem  König  den  Treueid  nicht 
leisten  wollen.  Daraus  geht  hervor,  daß  sie  Böses  im  Schilde  führen,  daß  sie  verkappte 
Papisten  sind  und  daß  ihnen  recht  geschehen  ist  auf  Grund  des  königlichen  Befehls,  wo- 
nach kein  Weißer  unter  dem  Vorwand  der  Bekehrung  der  Indianer  unter  diesen  wohnen 
darf."    (Documentary  History  of  the  State  of  New  York,  1022-1027.) 


o 


a 


T3 

o  = 

^  J 

•^  e 

cj  5 

N  a 

1) 


—    93    - 

Wochen  lang  in  Haft  gehalten  wurde,  entschlossen  sich  die  Hermhuter  endlich, 
mit  den  bekehrten  Indianern  nach  Pennsylvanien  überzusiedeln.  In  der  Nähe 
von  Bethlehem  legten  sie  im  Jahre  1746  das  Indianerdorf  Onadenhütten  an,  wo 
die  Rothäute  unter  der  Leitung  der  Herrnhuter  sich  dem  Ackerbau  widmeten. 
Für  religiöse  Zwecke  diente  ein  aus  Baumrinde  gezimmertes  Kirchlein.  Auch 
baute  man  zwei  Schulen,  in  denen  die  indianische  Jugend  je  nach  ihrem  Ge- 
schlecht von  herrnhutischen  Brüdern  und  Schwestern  Unterricht  empfing.  Im 
Jahre  1749  zählte  Onadenhütten  bereits  500  Bewohner. 

Ähnliche  Mißhelligkeiten  wie  die  Brüder  in  Schekomeko  erlebte  der 
Missionar  David  Zeisberger  unter  den  Delawaren  und  Irokesen.  Er 
hatte  bei  denselben  freundliche  Aufnahme  gefunden,  wurde  aber  im  Jahre  175Ö 
von  einem  weißen  Schnapshändler  bei  den  Onandagas  schrecklich  mißhandelt. 

Im  Jahre  1772  drang  Zeisberger  als  einer  der  ersten  Weißen  in  das  heutige 
Ohio  vor,  und  gründete  am  Tuscarawasfluß  das  große  Indianerdorf  Schönbrunn. 

Von  hohem  Interesse  sind  die  Verordnungen,  welche  dieser  ersten  christ- 
lichen Niederlassung  in  Ohio  gegeben  wurden.     Sie  lauten: 

1.  Wir  erkennen  und  verehren  keinen  anderen  Gott  als  ihn,  der  uns  er- 
schaffen und  mit  seinem  kostbaren  Blut  erlöset  hat. 

2.  Der  Sonntag  ist  der  Ruhe  nach  der  Arbeit  und  dem  Gottesdienst 
geweiht. 

3.  Wir  wollen  Vater  und  Mutter  ehren  und  in  Alter  und  Not  unterstützen. 

4.  Ohne  Erlaubnis  unsrer  Lehrer  ist  niemandem  die  Niederlassung  unter 
uns  gestattet. 

5.  Diebe,  Mörder,  Trunkenbolde,  Ehebrecher  und  Wüstlinge  werden  nicht 
unter  uns  geduldet. 

6.  Wer  an  Tänzen,  heidnischen  Opfern  und  Festen  teilnimmt,  ist  von 
unsrer  Gemeinde  ausgeschlossen. 

7.  Ebenso,  wer  bei  der  Jagd  heidnische  Zaubersprüche  anwendet. 

8.  Alle  Gaukelkünste,  Lügen  und  Tücken  Satans  seien  verbannt. 

9.  Unseren  Lehrern  wollen  wir  Gehorsam  erzeigen,  ebenso  den  National- 
helfern (so  wurden  solche  Indianer  geheißen,  die  sich  durch  gesitteten  Lebens- 
wandel besonders  auszeichneten),  die  ernannt  sind,  Ordnung  in-  und  außerhalb 
der  Stadt  aufrecht  zu  halten. 

10.  Trägheit,  Verleumdung  und  Gewalttätigkeiten  seien  aus  unserer  Mitte 
verbannt.  —  Wir  wollen  in  Frieden  und  Eintracht  wohnen. 

1 1 .  Wer  eines  anderen  Herde,  Güter  oder  Effekten  schädigt,  soll  Schaden- 
ersatz leisten. 

12.  Ein  Mann  soll  nur  ein  Weib  haben,  es  lieben  und  für  es  und  ihre 
Kinder  sorgen.  Zugleichen  soll  ein  Weib  nur  einen  Mann  haben  und  ihm  ge- 
horchen.   Es  soll  für  die  Kinder  Sorge  tragen  und  reinlich  sein  in  allen  Dingen. 

13.  Rum  oder  geistige  Getränke  dürfen  nicht  nach  unserer  Stadt  gebracht 
werden.     Kommen  Fremde  oder  Händler  mit  solchen  an,  so  sollen  die  Helfer 


-    04    - 

diese  Dinge  in  Besitz  nehmen,  sorgfältig  aufbewahren  und  sie  ihnen  erst  bei 
der  Abreise  wieder  zustellen. 

14.  Kein  Einwohner  soll  bei  Händlern  Schulden  machen  oder  Güter  in 
Kommission  nehmen  für  Händler  ohne  Zustimmung  der  Nationalhelfer. 

15.  Ohne  Erlaubnis  des  Kirchenvorstandes  oder  der  städtischen  Verwalter 
darf  niemand  sich  auf  Reisen  oder  einen  langen  Jagdzug  begeben. 

16.  Ohne  Erlaubnis  und  den  guten  Rat  ihrer  Eltern  dürfen  junge  Leute 
sich  nicht  verheiraten. 

17.  Wenn  die  städtischen  Helfer  oder  Verwalter  die  Hilfe  der  Einwohner 
zu  öffentlichen  Bauten  und  Arbeiten,  wie  Versammlungsorte  und  Schulen,  für 
Klären  und  Einzäunen  von  Land  und  dergleichen  fordern,  so  sollen  sie  Gehor- 
sam finden. 

18.  Alle  für  das  Gesamtwohl  notwendigen  Beiträge  sollen  freudig  ge- 
leistet werden. 

Diesen  Verordnungen  wurden  später  noch  die  folgenden  hinzugefügt : 

19.  Wer  in  den  Krieg  gehen,  das  heißt  Menschenblut  vergießen  will,  kann 
fürder  nicht  unter  uns  wohnen. 

20.  Wer  von  Kriegern  Kriegsartikel  kauft  mit  dem  Vorwissen,  daß  die- 
selben gestohlen  oder  erplündert,  muß  uns  verlassen.  Denn  es  ist  dieses  nicht 
anders,  als  eine  Ermutigung  zu  Mord  und  Diebstahl. 

Diese  Verordnungen,  die  alljährlich  in  öffentlicher  Versammlung  verlesen 
wurden,  weckten  in  den  Bewohnern  jenes  Gefühl  der  Solidarität,  das  später  auch 
für  die  Ansiedlungen  der  Weißen  in  jenen  Gegenden  bezeichnend  und  für  die 
kulturelle  Entwicklung  der  Vereinigten  Staaten  von  so  außerordentlicher  Be- 
deutung werden  sollte. 

Das  tägliche  Leben  in  den  christlichen  Indianerdörfern  glich,  wie  nicht 
anders  zu  erA^arten,  dem  der  Herrnhuter  in  Bethlehem.  Die  im  Ackerbau  und 
in  Handwerken  unterrichteten  Indianer  erwiesen  sich  meist  als  sehr  gelehrige 
Schüler.    Auch  für  Musik  und  Künste  zeigten  sie  sich  empfänglich. 

In  Gemeinschaft  mit  Zeisberger  wirkten  die  Missionare  JohannGeorg 
Jungmann,  Johann  Ettwein,  Johann  Heckewelder,  Jo- 
hann e  s  R  o  t  h  u.  a.  Sie  gründeten  später  in  dem  fruchtbaren  Tal  des  Muskin- 
gum  die  christlichen  Indianerdörfer  Gnadenhütten,  Salem  und  Lichtenau.  In 
diesen  von  Mohikanern  und  Delawaren  bewohnten  Stätten  wurden  die  ersten 
weißen  Kinder  in  Ohio  geboren,  in  Gnadenhütten  am  4.  Juli  1773  dem  Missionar 
Roth  ein  Sohn,  am  16.  April  1781  in  Schönbrunn  dem  Missionar  Heckewelder 
eine  Tochter. 

Später  entstanden  noch  die  Missionen  Friedenshütten,  Gnadental  und 
Scham  okin-Gnadenhütten. 

Gnadenhütten  erlangte  während  des  Unabhängigkeitskrieges  eine  traurige 
Berühmtheit.    Es  wurde  Schauplatz  wahrhaft  barbarischer  Greuehaten,  die  von 


05    - 


weißen  Grenzbewohnern  hier  verübt  wurden.  Böswillige  Menschen  hatten  aus- 
gesprengt, die  christlichen  Indianer  seien  an  einigen  von  den  Wyandots  ver- 
übten Mordtaten  beteiligt  gewesen.  Ohne  diesen  Verleumdungen  auf  den 
Grund  zu  gehen,  überfiel  eine  unter  der  Führung  des  Obersten  David  Williamson 
stehende  Bande  von  Mordbrennern  den  Ort  Gnadenhütten,  und  schlachtete  da- 
selbst am  5.  März  1782  93  indianische  Bewohner  ab,  darunter  zahlreiche  Frauen 
und  Kinder.  Mit  den  Skalpen  der  Getöteten  zogen  die  Mörder  triumphierend 
in  Pittsburg  ein,  ohne  daß  einer  der  Barbaren  wegen  der  verübten  Greuel  von 
den  Behörden  zur  Rechenschaft  gezogen  worden  wäre. 

Zeisberger  flüchtete  mit  einer  kleinen,  dem  Blutbad  entronnenen  Schar 
von  Indianern  nach  Michi- 
gan.   Hier  gründete  er  am 
St.  Clairsee  das  Dorf  Neu- 

Gnadenhütten.  Später, 
nachdem  die  Zeiten  ruhiger 
geworden  und  der  Bundes- 
kongreß den  christlichen 
Indianern  als  Sühne  für 
die  an  ihnen  begangenen 
Schandtaten  10  000  Acker 
Landes  geschenkt  hatte, 
kehrte  Zeisberger  an  den 
Muskingum  zurück  und 
gründete  auf  den  den  Indi- 
anern angewiesenen  Lände- 
reien das  Dorf  Goschen. 
Zeisberger  starb  hier  am 
7.  November  1908  im  Alter 
von  87  Jahren,  von  denen 
er  60  unter  den  Urbe- 
wohnern  Amerikas  zuge- 
bracht hatte. 

Er  sowohl  wie  Heckewelder  hinterließen  zahlreiche  literarische  Werke, 
darunter  Lehr-  und  Wörterbücher  der  Sprache  der  Onondagas,  Delawaren  und 
Mohikaner.  Desgleichen  höchst  anschauliche  Schilderungen  ihrer  eigenen  Er- 
lebnisse, die  wegen  der  in  ihnen  niedergelegten  Beobachtungen  wahre  Fund- 
gruben für  den  Freund  der  Völkerkunde  bilden. 


W^---'Wf^  k 


Johann  Heckewelder 


Die  Einwanderung  der  deutschen  Sektierer  hatte  für  die  amerikanischen 
Kolonien,  insbesondere  für  Pennsylvanien,  zur  Folge,  daß  sie  sich  weit  kräftiger 
als  alle  anderen  entwickelten.    Pennsylvanien  verlor  dadurch  auch  am  raschesten 


—    96 


den  streng  puritanischen  Charakter,  der  den  Neu-Englandkolonien  solange  an- 
haftete. An  Stelle  der  dort  herrschenden  Unduldsamkeit  und  Strenge  waltete 
bei  den  deutschen  Sektierern  weitgehende,  freundlich  geübte  Toleranz.  Für 
ihre  freiere,  freudigere  Lebensauffassung  zeugte  namentlich  die  Pflege,  welche 
sie  der  Musik,  dem  Gesang  und  der  Geselligkeit  zuteil  werden  ließen. 

Im  großen  Ganzen  kann  man  die  schönen  Worte,  welche  der  berühmte 
Historiker  Bancroft  auf  die  nach  Georgia  eingewanderten  Salzburger  anwendete, 
mit  vollem  Recht  auf  alle  während  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  nach  Amerika 
gekommenen  deutschen  Sektierer  ausdehnen: 

„Sie  waren  ein  edles  Heer  von  Märtyrern,  die  in  der  Kraft  Gottes  aus- 
zogen und  im  Glauben  an  das  Evangelium  unter  den  größten  Schwierigkeiten 
und  heftigsten  Verfolgungen  triumphierten.  Sie  scharten  sich  um  kein  anderes 
Panier  als  um  das  des  Kreuzes,  und  keine  anderen  Führer  schritten  ihnen  voran, 
als  ihre  geistlichen  Lehrer  und  der  Herzog  ihrer  Seligkeit.'' 


Schlußvignette:   Der  Friedhof  der  Herrnhuter  zu  Bethlehem. 


Die  Masseneinwanderung  der  Pfälzer  im  18.  Jahr- 
hundert. 

Der  anfangs  dünne  Strom  Deutscher,  die  nicht  aus  reHgiösen  Gründen, 
sondern  in  dem  Verlangen,  ihre  Lage  zu  verbessern,  nach  Nordamerika  aus- 
wanderten, gewann  in  dem  gleichen  Grade  an  Stärke,  in  welchem  die  politischen 
und  wirtschaftlichen  Zustände  ihrer  Heimat  sich  verschlechterten. 

Wie  entsetzlich  Deutschland  durch  den  Dreißigjährigen  Krieg  gelitten 
hatte,  schilderten  wir  in  einem  früheren  Abschnitt.  Alle  Schrecken  jener  grauen- 
haften Zeit  wiederholten  sich  während  der  Kriege,  die  Deutschland  zu  Ende  des 
17.  und  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  mit  Ludwig  XIV.  von  Frankreich  führen 
mußte.  Der  Streit  über  die  Erbfolge  in  der  Pfalz  bildete  die  Hauptveranlassung 
zu  diesen  Kriegen.  y\ußerdem  war  der  Gallier  darüber  ergrimmt,  daß  die  aus 
Frankreich  vertriebenen  Hugenotten  bei  den  Pfälzern  Aufnahme  gefunden  hatten. 

Der  Durst  nach  Rache  wie  das  Verlangen,  den  Deutschen  einen  Angriff 
auf  Frankreich  von  der  Pfalz  aus  zu  erschweren,  veranlaßte  Ludwig,  seinen 
Generälen  den  Befehl  zu  geben,  die  Pfalz  in  eine  Wüste  zu  verwandeln. 

Diesem  unerhörten  Auftrag  folgend,  brachen  die  französischen  Heere  im 
Jahre  1688  ohne  vorhergegangene  Kriegserklärung  in  das  Land  ein.  Unzählige 
blühende  Dörfer  gingen  in  Flammen  auf.  Heidelberg,  Mannheim,  Speier, 
Worms,  Alzey,  Oppenheim,  Kreuznach,  Gernsheim,  Ladenburg  und  viele  andere 
Orte  sanken  in  Asche.  Die  Kaisergräber  im  Dom  zu  Speier  wurden  aufgerissen 
und  geplündert.  Mit  Blut  und  Flammen  schrieben  die  französischen  Mord- 
brenner Melac,  Turenne  und  de  Lorges  in  das  Buch  der  Geschichte  ihre  Namen 
ein,  Namen,  an  die  der  Fluch  von  Tausenden  sich  heftete. 

Der  Überfall  erfolgte  mitten  im  Winter.  Tiefer  Schnee  erschwerte  die 
Flucht  der  unglücklichen  Pfälzer,  von  denen  viele,  die  den  Mordbrennern  ent- 
kamen, erfroren  oder  infolge  der  furchtbaren  Entbehrungen  zugrunde  gingen. 

Zu  den  Schrecken,  welche  die  Pfälzer  in  jener  Zeit  erlebten,  gesellten  sich 
obendrein  Bedrückungen  und  religiöse  Verfolgungen  durch  die  eigenen  Landes- 


Kopf leiste:    Der  Brand  der  Stadt  Worms.    Nach  einem  gleichzeitigen  Stich. 


Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika. 


—     98     — 

Herren.  Bereits  viermal  hatten  sie  während  der  letzten  hundert  Jahre  mit  dem 
viermal  eintretenden  Fürsten  Wechsel  ihren  Glauben  wechseln  müssen.  Denn 
„cujus  regio,  ejus  religio"  erklärten  die  Fürsten  und  zwangen  ihre  Untertanen 
zur  Annahme  jener  Glaubensform,  der  sie  selber  anhingen.  Diesem  Zwang  nach- 
gebend, waren  die  Pfälzer  zuerst  vom  Katholizismus  zum  Luthertum  überge- 
treten, dann  wurden  sie  reformiert,  wieder  lutherisch  und  zuletzt  noch  einmal 
reformiert.  Im  Jahre  1600  kam  Kurfürst  Johann  Wilhelm  ans  Regiment,  der, 
selbst  Katholik,  nunmehr  die  Pfälzer  gewaltsam  wieder  katholisch  machen  wollte. 
Genußsucht,  Veschwendung,  Ausbeutung  des  Bürger-  und  Bauernstandes  waren 


Aus  Stake,   Deutsche  Geschichte. 

Greueltaten  französischer  Soldaten  im   17.  Jahrhundert. 

Nach  einem  gleichzeitigen  Stich. 


für  diesen  in  Düsseldorf  hofhaltenden  Schwachkopf  bezeichnend.  Er  äffte  in 
seiner  Leben  weise  und  Prachtentfaltung  nicht  nur  Deutschlands  größten  Feind, 
Louis  XIV.,  nach,  sondern  setzte  sich  gleich  diesem  bei  Lebzeiten  sein  eignes 
Denkmal,  das  noch  jetzt  auf  dem  Marktplatz  zu  Düsseldorf  zu  sehen  ist. 

Die  Inschrift  sagt,  die  „grata  civitas"  habe  dem  Fürsten  dies  Denkmal  ge- 
setzt. Wie  wenig  Ursache  aber  seine  Untertanen  zur  Dankbarkeit  hatten,  geht 
daraus  hervor,  daß  um  das  Jahr  1708  Tausende  von  armen  Pfälzern,  die  nicht 
vermochten,  die  ewig  leeren  Kassen  des  Verschwenders  zu  füllen,  den  Entschluß 
faßten,  nach  Amerika  überzusiedeln.  In  diesem  Vorsatz  wurden  sie  nicht  nur 
durch  die  beständig  drohende  Franzosengefahr  bestärkt,  sondern  auch  durch 


—     99     — 

ihre  bereits  jenseits  des  Weltmeeres  wohnenden  Landsleute  ermutigt.  Zudem 
machte  ein  massenhaft  unter  den  Pfälzern  verteiltes  Werkchen,  das  sogenannte 
„Goldene  Buch",  dessen  mit  dem  Bilde  der  Königin  Anna  von  England  ge- 
schmücktes Titelblatt  in  Gold  gedruckt  war,  durch  seine  verlockenden  Schilde- 
rungen der  englischen  Kolonien  Nordamerikas  tiefen  Eindruck  auf  die  armen 
Menschen. 

Die  erste  Pfälzerschar,  die  zum  Wanderstabe  griff,  stand  unter  der  Eührung 
des  lutherischen  Pfarrers  josuavon  Kocherthal.  Zehn  Familien  mit 
21  Kindern  umfassend,  zog  sie  im  Jahre  1708  über  Holland  nach  London.  Die 
englische  Regierung,  auf  die  Besiedelung  ihrer  überseeischen  Besitzungen  be- 
dacht, beschloß  die  um  Unterstützung  bittenden  Pfälzer  an  den  Ufern  des  Hud- 
son anzusiedeln,  wo  sie,  wie  es  in  den  offiziellen  Dokumenten  heißt,  „beim  Er- 
zeugen der  Bedarfsgegenstände  für  die  Flotte  und  als  Grenzwächter  gegen  die 
Franzosen  und  Indianer  verwendet  werden  können". 

Da  Kocherthal  sich  bereit  erklärte,  als  Seelsorger  bei  seiner  kleinen  Herde 
zu  bleiben,  so  bewilligte  die  Regierung  ihm  eine  Unterstützung  sowie  500  Acker 
Landes. 

Die  Überführung  der  durch  verschiedene  Nachzügler  auf  55  Köpfe  an- 
gewachsenen Schar  geschah  auf  einem  Kriegsschiff,  das  gleichzeitig  den  neu- 
ernannten Gouverneur  der  Kolonie,  Lord  Lovelac,  nach  New  York  brachte. 
Dieser  wies  den  Pfälzern  einen  an  der  Mündung  des  Quassaickbaches  am  West- 
ufer des  Hudson  gelegenen  Landstrich  an,  der  durch  seine  wunderschöne,  an 
die  herrlichsten  Strecken  des  Rheines  erinnernde  Umgebung  das  besondere  Wohl- 
wollen der  Pfälzer  erregte.  Hier  gründeten  sie  eine  Niederlassung,  die  sie  in 
Erinnerung  an  den  Stammsitz  des  damals  über  die  Pfalz  regierenden  Fürsten- 
geschlechts Neuburg  hießen. 

Wenngleich  diese  Ansiedlung  infolge  der  bitteren  Armut  der  Pfälzer  nicht 
recht  gedieh,  so  rief  die  Kunde  von  der  freundlichen  Aufnahme  und  Unter- 
stützung, die  den  Pfälzern  von  der  englischen  Regierung  gewährt  worden  war, 
in  der  Pfalz  große  Erregung  hervor.  Diese  wurde  von  englischen  Spekulanten 
benutzt,  die  Auswanderungslust  noch  mehr  anzufachen,  wozu  obendrein  der 
furchtbar  kalte  Winter  von  1708  bis  1709,  währenddessen  alle  Feldfrüchte  und 
Reben  der  Vernichtung  anheimfielen,  und  der  Wein  in  den  Fässern  gefror,  nicht 
wenig  beitrug. 

Es  war  im  Frühling  1709,  als  der  Rheinstrom  Schauplatz  einer  außer- 
ordentlichen Begebenheit  wurde.  Ganze  Flotten  von  Flößen,  Kähnen  und 
Booten  glitten  den  schönen  Strom  hinab,  alle  beladen  mit  unglücklichen 
Menschen,  die  das  Geringe,  was  ihnen  geblieben,  in  Bündeln,  Kisten  und  Kasten 
mit  sich  führten.  Vom  Oberrhein  schifften  die  Auswandrer  nach  Holland,  setzten 
von  da  nach  England  über  und  zogen  nach  London,  um  von  der  englischen 
Regierung  die  Weiterbeförderung  nach  Nordamerika  zu  erflehen. 

In  London  erschrak  man  über  die  Menge  der  Ankömmlinge,  auf  die  man 
in  keiner  Weise  vorbereitet  war,  und  die  man  bald  nicht  mehr  unterzubringen 


—     100     — 

vermochte.  Nachdem  sämtHche  leerstehende  Wohnungen  mit  solchen  Hilfe- 
suchenden gefüllt  waren,  mußte  man  1400  in  einem  Warenlager  einquartieren. 
Mehreren  Tausend  anderen  verschaffte  man  in  einem  auf  der  schwarzen  Heide 
(Black  heath)  aus  1000  Armeezelten  errichteten  Notlager  Unterl^unft. 

Ein  damals  in  London  gedrucktes  Flugblatt  gibt  über  das  Leben  der  hier 
Versammelten  folgende  Mitteilungen:  „Ihre  Zeit  verbringen  sie  mit  Arbeit  und 
Gottesdienst.  Sie  haben  morgens  und  abends  Gebete  mit  Psalmengesang,  und 
jeden  Sonntag  eine  Predigt,  wobei  alt  und  jung  sehr  ernst  und  ergeben  zu  sein 
scheinen.  Einige  beschäftigen  sich  mit  dem  Anfertigen  billiger  Spielsachen, 
welche  sie  der  täglich  sie  besuchenden  Menge  für  ein  Geringes  ablassen.  Sie 
geben  sich  mit  sehr  gewöhnlicher  Nahrung  zufrieden.  Ihr  Brot  ist  braun,  und 
das  von  ihnen  genossene  Fleisch  von  der  m.inderwertigsten  Sorte.  Aber  sie 
verzehren  dasselbe  unter  Zugabe  einiger  Wurzeln  und  Kräuter  in  Frohsinn  und 
Dankbarkeit.  Viele  von  ihnen  wandern  Sonntags  zu  ihrer  Kirche  in  Savoy,  um 
dort  durch  ihre  eignen  Priester  die  Sakramente  zu  empfangen.  Manche  der 
jüngeren  treten  in  den  Bund  der  Ehe  ein,  wobei  die  Frauen  Rosmarin,  die 
Männer  Lorbeer  in  den  Haaren  tragen.  Ehebruch  und  Unzucht  werden  sehr 
verabscheut.  Bei  einem  Begräbnis  schreiten  alle  singend  hinter  dem  Sarge,  und 
wenn  sie  am  Grabe  stehen,  wird  der  Sarg  nochmals  geöffnet,  damit  jeder  nocii 
einen  letzten  Blick  auf  den  Toten  werfen  kann.  Nachdem,  man  diesen  beigesetzt, 
gehen  alle  unter  Seufzen  davon.  Die  Leichen  erwachsener  Personen  werden 
auf  einer  Bahre,  diejenigen  von  Kindern  auf  dem  Kopf  getragen.  Im  ganzen 
erweisen  sie  sich  unschuldig,  arbeitsam,  friedfertig,  gesund  und  klug,  so  daß 
sie  eher  ein  Segen  als  eine  Bürde  für  jenes  Land  sein  dürften,  in  dem  sie  an- 
gesiedelt werden  sollen.'' 

Insgesamt  waren  im.  Oktober  1709  gegen  14  000  Pfälzer  in  London  ver- 
sammelt. Unter  den  Männern  befanden  sich  1838  Landwirte  und  Winzer, 
78  Bäcker,  477  Maurer,  124  Zimmerleute,  68  Schuhmacher,  99  Schneider, 
29  Metzger,  45  Müller,  14  Gerber,  7  Strumpfwirker,  13  Sattler,  2  Glasbläser, 
3  Hutmacher,  8  Kalkbrenner,  IS  Schullehrer,  2  Graveure,  3  Ziegeidecker,  2  Silber- 
schmiede, 35  Schmiede,  3  Hirten,  48  Grobschmiede,  3  Töpfer,  6  Türmer,  1  Bar- 
bier und  2  Ärzte. 

Die  Anwesenheit  so  vieler,  meist  mittelloser  Menschen  gestaltete  sich  für 
das  damalige  London  zu  einer  ernsten  Sache.  Man  besaß  nicht  Schiffe  genug, 
um  eine  so  große  Menge  zu  befördern.  Die  anfangs  glänzend  eintretende  Wohl- 
tätigkeit erlahmte  allgemach,  so  daß  bei  Einbruch  des  Winters  die  Not  immer 
größer  wurde  und  infolge  derselben  gegen  tausend  Personen  starben.  Da  dem 
Zustande  ein  Ende  bereitet  werden  mußte,  so  schaffte  die  Regierung  mehrere 
Tausend  der  Unglücklichen  nach  Holland  und  Deutschland  zurück;  3800  brachte 
man  nach  Irland,  um  die  dortigen  Webereien  zu  heben;  600  sandte  man  nach 
Karolina  und  Virginien,  und  mehr  als  3000  zu  Anfang  des  Jahres  1710  mit  dem 
an  Stelle  des  verstorbenen  Lord  Lovelac  neu  ernannten  Gouverneur  Hunter  nach 
New  York. 


—     101     — 

Der  besseren  Übersicht  wegen  wollen  wir  die  Schicksale  der  nach  Amerika 
beförderten  Pfälzer  in  besonderen  Abschnitten  schildern. 

Die  Pfälzer  in  Karolina  und  Virginien. 

Zur  selben  Zeit,  wo  die  Pfälzer  ihre  verwüstete  Heimat  verließen,  sandte 
eine  im  Kanton  Bern  in  der  Schweiz  bestehende  kleine  Mennonitengemeinde 
zwei  Bevollmächtigte  nach  London,  den  Freiherrn  Christoph  von 
Graffenried  und  F  r  a  n  z  L  u  d  w  i  g  M  i  c  h  e  1.  Sie  hatten  den  Auftrag, 
von  einer  dort  bestehenden  Kolonialgesellschaft  ein  Stück  Land  in  Amerika 
zu  erwerben,  wohin  die  Mennoniten  übersiedeln  könnten.  Die  beiden  Männer 
kauften  von  der  „Karolina-Gesellschaft"  einen  10  000  Acker  großen  Landstrich 
zwischen  Kap  Fear  und  dem  Neusefluß,  überdies  sicherten  sie  sich  das  Anrecht 
auf  weitere  100  000  Acker. 

Um  für  diese  ausgedehnten  Besitzungen  Ansiedler  zu  gewinnen,  machte 
Graffenried  der  englischen  Regierung  den  Vorschlag,  mehrere  Hundert  der  in 
London  weilenden  Pfälzer  dorthin  überzuschiffen.  Die  Regierung  ergriff  in 
ihrer  Notlage  freudig  das  Angebot  und  stellte,  nachdem  die  künftigen  Beziehun- 
gen der  Pfälzer  zu  Graffenried  genau  geregelt  waren,  zwei  Schiffe  zur  Ver- 
fügung, auf  denen  im  Oktober  1709  650  Pfälzer  nach  Nordkarolina  segelten. 
Dort  gründeten  sie  am  Zusammenfluß  der  Neuse  mit  der  Trent  die  Ansiedlung 
Neu-Bern. 

Graffenried  hielt  aber  nicht  die  gemachten  Versprechungen.  Als  seine 
Erwartungen  in  bezug  auf  die  zu  gewinnenden  Reichtümer  sich  nicht  rasch 
genug  erfüllten,  wandte  er  der  Niederlassung  den  Rücken  und  kehrte  nach 
Europa  zurück.  Sein  Besitztum  verpfändete  er  an  den  Engländer  Thomas 
Pollock.  So  kam  es,  daß  die  Pfälzer  die  Besitztitel  für  die  ihnen  versprochenen 
Ländereien  erst  mehrere  Jahre  später  erhielten. 

Während  der  im  Jahre  1711  zwischen  der  Kolonie  Karolina  und  den 
Tuscarora  Indianern  entbrannten  Streitigkeiten  litten  die  Pfälzer  schwer  durch 
einen  indianischen  Überfall,  währenddessen  112  der  Ihrigen  niedergemacht 
wurden.  Dieses  Ereignis  bewog  manche  der  Überlebenden,  Karolina  zu  ver- 
lassen und  einer  vom  Gouverneur  Alexander  Spotswood  erlassenen  Einladung 
folgend,  nach  Virginien  zu  ziehen. 

Mit  diesen  Deutschen  gründete  Gouverneur  Spotswood  auf  einer  vom 
Rapidanfluß  gebildeten  Halbinsel  die  Niederlassung  Germanna.  Es  scheint  aber 
nicht,  daß  der  Gouverneur  die  Förderung  derselben  sich  sehr  angelegen  sein 
ließ,  denn  sie  befand  sich  noch  mehrere  Jahre  nach  ihrer  Gründung  in  ziemlich 
verwahrlostem  Zustande.  Das  erhellt  aus  einer  drastischen  Beschreibung,  die 
von  John  Fontaine  und  John  Clayton,  zwei  Bürgern  der  Ortschaft  Williams- 
burg, im  Jahre  1714  geliefert  wurde.  Auf  einer  Reise  begriffen,  stiegen  sie  in 
Germanna  bei  dem  deutschen  Pastor  Johann  Heinrich  Hager  ab. 
Derselbe  war  kurz  zuvor  mit  vierzig  deutschen  Bergleuten  angekommen,  die 


—     102     — 

Freiherr  von  Graffenried  für  den  Gouverneur  Spotswood  angeworben  hatte,  da- 
mit sie  für  denselben  in  Virginien  Bergwerke  und  Eisenschmelzhütten  anlegen 
sollten.  Die  beiden  Reisenden  schrieben  über  ihren  Besuch  folgendermaßen: 
„Wir  begaben  uns  zunächst  zur  Wohnung  des  deutschen  Pastors,  fanden  dort 
aber  nichts  zu  essen  und  lebten  deshalb  von  unseren  eignen  Vorräten.  Da  unser 
Lager  nur  aus  einer  Schütte  Stroh  bestand,  und  keineswegs  bequem  war,  so 
erhoben  wir  uns  bereits  bei  Tagesanbruch  und  wanderten  trotz  starken  Regens 
durch  den  Ort,  welcher  ringsum  mit  dicken,  für  eine  Fhntenkugel  undurch- 
dringUchen,  eng  aneinander  in  die  Erde  eingerammten  Pfählen  verpalisadiert  ist. 
Es  halten  sich  hier  nur  neun  Familien  auf.  Ihre  neun  Hütten  bilden  eine  Reihe. 
Vor  jedem  Hause,  20  Fuß  entfernt,  liegen  die  Ställe  für  die  Hühner  und  Schweine, 
so  daß  der  Raum  zwischen  diesen  Ställen  und  den  Häusern  eine  Straße  bildet.  In 
der  Mitte  des  von  den  Palisaden  umschlossenen  fünfseitigen  Raums  steht  ein 
fünfeckiges  Blockhaus,  dessen  fünf  Seiten  mit  jenen  der  Palisaden  Umfassung 
korrespondieren.  Die  Wände  des  Blockhauses  enthalten  Schießscharten,  von 
denen  aus  man  die  ganze  Gegend  überschauen  kann.  Diese  Hütte  dient  als 
Zufluchtsort  für  den  Fall,  daß  die  Palisaden  nicht  länger  gegen  die  Indianer 
verteidigt  werden  könnten.  Sie  dient  zugleich  auch  kirchlichen  Zwecken.  Ein- 
mal täglich  gehen  die  Bewohner  zum  Gebet,  zweimal  Sonntags  zur  Predigt. 
Wir  wohnten  dem  in  deutscher  Sprache  abgehaltenen  Gottesdienst  bei.  Ob- 
wohl wir  die  Predigt  nicht  verstanden,  bemerkten  wir  doch,  daß  alle  sehr 
ergeben  waren  und  ihre  Psalmen  vortrefflich  sangen.  Die  Ansiedlung  liegt 
30  Meilen  von  jeder  andern  menschlichen  Wohnstätte  entfernt.  Ihre  Bewohner 
leben  in  recht  kümmerlichen  Verhältnissen.  Infolge  mangelnder  Lebensmittel 
waren  wir  genötigt  weiterzuziehen.'* 

Aus  dieser  Schilderung  ergibt  sich,  daß  die  Ansiedler  von  Germanna 
wenig  Ursache  hatten,  dem  Gouverneur  Spotswood  für  zuteil  gewordene  Förde- 
rung dankbar  zu  sein. 

Aus  anderen  Quellen  wissen  wir,  daß  er  ihnen  für  die  in  seinen  Plantagen 
und  Bergwerken  geleisteten  Dienste  große  Summen  schuldig  blieb  und  ihnen 
als  Entschädigung  Landstücke  am  Robertson,  einem  Nebenfluß  des  Rapidan, 
übertrug. 

Die  meisten  Deutschen  verließen  im  Jahre  1718  nebst  ihrem  Pastor  und 
dem  Lehrer  Johann  Holtzklau  Germanna  und  gründeten  im  Fauquier 
County  die  Niederlassung  Germantown.  Hier  erbauten  sie  eine  Kirche,  welcher 
Hager  bis  zu  seinem  im  Jahre  1737  erfolgten  Tode  vorstand. 

Germanna  existierte  noch  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  aber  es 
bestand  damals  nur  noch  aus  dem  Wohnhaus  des  Gouverneurs  und  anderthalb 
Dutzend  halbverfallenen  Hütten,  in  denen  vormals  Deutsche  gelebt  hatten. 

Die  von  deutschen  Bergleuten  angelegten  Eisen minen  und  Schmelzhütten 
lagen  einige  Meilen  von  Germanna  entfernt,  in  der  sogenannten  „Wildnis". 
Sie  waren  die  ersten  ihrer  Art  in  Nordamerika  und  werden  noch  heute  von  der 
„Wilderniß  Mining  Co."  ausgebeutet. 


—     103     — 

Die  Pfälzer  in  der  Kolonie  New  York. 

Schon  bald  nach  seiner  Ankunft  in  New  York,  im  Mai  des  Jahres  1709, 
war  Gouverneur  Lovelac,  der  Protektor  der  unter  Leitung  des  Pfarrers  Josua 
von  Kocherthal  am  Hudson  gegründeten  Pfälzerkolonie  Neuburg,  gestorben. 
Zu  seinem  Nachfolger  wurde  der  Oberst  Robert  Hunter  erwählt.  Dieser  erhielt 
den  Auftrag,  3000  der  noch  in  London  weilenden  Pfälzer  nach  New  York  mit- 
zunehmen und  gleichfalls  am  Hudson  anzusiedeln. 

Die  Einschiffung  erfolgte  im  April  1710.  Man  brachte  die  Pfälzer  auf 
zehn  Schiffen  unter,  um  deren  Einrichtung  und  Verproviantierung  es  aber  so 
jämmerlich  bestellt  war,  daß  während  der  Überfahrt  470  Personen  starben. 
Da  man  in  New  York  die  Einschleppung  einer  ansteckenden  Seuche  befürchtete, 
so  hielt  man  die  Einwanderer  wochenlang  in  einem  auf  Gouverneurs  Island 
errichteten  Notlager  zurück.  Hier  starben  noch  250  Personen,  so  daß  der 
Gesamtverlust  sich  auf  720  belief. 

Als  endlich  die  entsetzliche  Quarantäne  aufgehoben  wurde,  glaubten  die 
Pfälzer  das  Schlimmste  überstanden  zu  haben.  Aber  der  ihnen  beschiedene 
Leidenskelch  war  noch  lange  nicht  leer,  denn  nachdem  Gouverneur  Hunter  sie 
endlich  südöstlich  von  den  Catskillgebirgen  in  zwei  zu  beiden  Seiten  des 
Hudson  gelegenen  Lagern,  dem  East-  und  West  Camp  untergebracht  hatte,  be- 
gann für  die  Ärmsten  eine  mehrere  Jahre  währende  Zeit  schwerer  Bedrückung. 
Anstatt  daß  man  sie  die  Rechte  heutiger  Einwandrer  hätte  genießen  lassen, 
behandelte  man  sie  als  eine  Art  von  Kronbauern,  die  verpflichtet  seien,  die 
ihnen  gewährten  Unterstützungen  sowie  die  Kosten  der  Überfahrt  und  Ver- 
pflegung durch  ihre  Arbeit  auf  Heller  und  Pfennig  abzutragen.  Sie  wurden 
angehalten,  Teer  zu  bereiten  und  Hanf  zu  bauen,  damit  die  englische  Regierung 
nicht  länger  genötigt  sei,  diese  für  die  Marine  unentbehrlichen  Gegenstände  aus 
dem  Ausland  zu  beziehen. 

Das  East  Camp  lag  im  Besitztum  des  Schotten  Robert  Livingston,  eines 
Abenteurers  schlimmster  Sorte,  wie  es  deren  in  den  Kolonien  nicht  wenige  gab. 
Als  Indianeragent,  Steuerbeamter  und  Armeelieferant  hatte  Livingston  durch 
zahllose  Betrügereien  sich  ein  großes  Vermögen  erworben  und  dieses  zum 
Ankauf  eines  16  englische  Meilen  langen  und  24  Meilen  breiten,  am  Hudson 
liegenden  Besitztums  verwendet.  Es  war  mit  allen  Rechten  einer  jener  von 
den  Holländern  geschaffenen  Baronien  ausgestattet.  Dieses  „Manor"  besiedelte 
Livingston  mit  Leuten,  die  zu  arm  waren,  um  mit  eigenen  Mitteln  ein  Heim  zu 
schaffen.  Durch  rücksichtsloses  Ausbeuten  ihrer  Arbeitskraft  suchte  er  sein 
Besitztum  zu  verbessern  und  dessen  Wert  zu  erhöhen. 

Livingston  gehörte  auch  zu  jenen  Schurken,  die  im  Jahre  1691  den 
wackeren  Jakob  Leisler  an  den  Galgen  gebracht  halten.  Nach  der  Beseitigung 
dieses  Volksmannes  war  es  ihm  gelungen,  Mitglied  des  Kolonialrats  zu  werden. 
Aber  -seine  Unternehmungen  waren  meist  so  schmutziger  Art,  daß  der  Vize- 
gouverneur Naufan  ihn  im  Jahre  1702  seines  Postens  enthob  und  sogar  die 


—     104     — 

Beschlagnahme  seines  Vermögens  anordnete.  y\ber  der  schlaue  Fuchs  ver- 
stand es,  sich  bei  der  Londoner  Regierung  weißzuwaschen  und  bei  den  Nach- 
folgern des  ihm  unbequemen  Beamten  in  Gunst  zu  setzen. 

Obwohl  dieser  Mann  bei  allen  bessergesinnten  Bewohnern  der  Kolonie 
New  York  im  schlechtesten  Ruf  stand,  übertrug  man  ihm  die  Verpflegung  der 
am  Hudson  angesiedelten  Pfälzer.  Dieselben  hätten  in  keine  schlimmeren  Hände 
geraten  können.  Denn  Livingston  hatte  sich  um  die  für  jene  Kolonisten  be- 
stimmten Lieferungen  nur  beworben,  um  daraus  neue  Reichtümer  zu  gewinnen. 
Daß  es  sich  dabei  um  keine  geringen  Summen  handelte,  ergibt  sich  aus  ver- 
schiedenen noch  vorhandenen  Rechnungen,  welche  Livingston  bei  der  Kolonial- 
regierung einreichte.  Aus  denselben  veranschlagte  Samuel  Cobb  in  seiner 
„Story  of  the  Palatines",  daß  Livingston  während  des  vom  10.  November  1710 
bis  zum  September  1712  reichenden  Zeitraumes  für  die  Verpflegung  der  Pfälzer 
über  26  000  Pfund  Sterling  erhielt!  Daß  der  größte  Teil  dieser  Summe  als 
reiner  Gewinn  in  die  Taschen  des  Gauners  floß,  ist  selbstverständlich. 

Liest  man  die  in  der  dokumentarischen  Geschichte  des  Staates  New  York 
abgedruckten  Beschwerden,  die  sowohl  von  den  Pfälzern  wie  von  den  ihnen  vor- 
gesetzten Aufsehern  gegen  Livingston  vorgebracht  wurden,  so  erfaßt  einen  noch 
heute  tiefer  Grimm  über  die  von  ihm  begangenen  Schuftereien. 

Nicht  bloß  waren  sämtliche  durch  ihn  gelieferten  Nahrungsmittel  von 
der  allerschlechtesten  Beschaffenheit,  sondern  auch  hinsichtlich  der  zu  liefernden 
Menge  wurden  die  gemeinsten  Betrügereien  verübt.  Die  Fässer,  welche  das 
Mehl  enthielten,  wogen  an  Holz  stets  vier  bis  fünf  Pfund  mehr  als  auf  den 
Rechnungen  angegeben  stand.  Selbstverständlich  enthielten  sie  ebenso  viele 
Pfund  Mehl  weniger.  Dem  Pökelfleisch  war  so  viel  Salz  beigemengt,  daß 
dasselbe  ein  Achtel  des  ganzen  Inhalts  der  Fässer  betrug  und  das  Fleisch 
ungenießbar  machte. 

In  dem  „Verzeichnis  der  Beschwerden",  welches  von  den  Pfälzern  der 
Regierung  eingereicht  wurde  (abgedruckt  in  der  Documentary  History  of  New 
York,  III.  423)  heißt  es  über  den  Winter  des  Jahres  1712:  „Der  Winter  war 
äußerst  streng.  Wir  besaßen  weder  Lebensmittel  noch  Kleider.  Infolgedessen 
herrschte  überall  die  größte  Bestürzung.  Von  allen  Seiten,  besonders  von 
den  Lippen  der  Frauen  und  Kinder  ertönten  die  jämmerlichsten  und  herz- 
brechendsten Klagen,  die  jemals  von  unter  den  kümmerlichsten  Verhältnissen 
und  den  unglücklichsten  Zuständen  lebenden  Personen  vernommen  wurden. 
Zuletzt,  gegen  ihren  Willen,  sahen  sich  diese  Leute  der  bitteren  Notwendigkeü 
ausgesetzt,  die  Hilfe  der  Indianer  anzurufen." 

So  war  die  Lage  der  Unglücklichen,  denen  man  vor  ihrer  Überführung 
nach  den  Gestaden  der  Neuen  Welt  versprochen  hatte,  daß  sie  daselbst  auf 
eigene  Füße  gestellt  und  mit  allem  Nötigen  zur  Begründung  blühender  An- 
siedlung  versorgt  v/erden  sollten. 

Es  konnte  natürlich  nicht  ausbleiben,  daß  die  Ärmsten  der  Bedrückungen 
müde  wurden  und  sich  weigerten,  weiterzuarbeiten. 


—     105     — 

Als  darauf  Gouverneur  Hunter  sie  durch  Soldaten  zur  Wiederaufnahme 
der  Arbeit  zwingen  wollte,  faßten  sie  den  Entschluß  zu  fliehen.  Im  Tal  des 
Schcharie  lebten  mehrere  Indianerhäuptlinge,  die  während  eines  Besuchs  in 
London  die  Pfälzer  in  ihrem  Notlager  gesehen  und  ihnen,  als  sie  vernahmen, 
daß  dieselben  keine  Heimstätten  besaßen,  Land  zum  Geschenk  angeboten  hatten. 
Jetzt  erinnerte  man  sich  dieses  Geschenkes  und  bat  durch  Abgesandte  die 


Ein  Häuptling  der  Mohawk-Indianer. 

Indianerhäuptlinge  um  die  Erlaubnis,  sich  auf  deren  Gebiet  ansiedeln  zu  dürfen. 
Als  die  Häuptlinge  die  Schenkung  nochmals  ausdrücklich  wiederholten,  machten 
die  Pfälzer  sich  trotz  aller  Einsprüche  des  englischen  Gouverneurs,  der  die 
Ärmsten  weiter  auszubeuten  dachte,  im  März  1713  auf  den  Weg  nach  dem 
Schoharietal.  Vierzehn  Tage  nahm  die  Wanderung  in  Anspruch.  Sie  wurde 
dadurch  erschwert,  daß  man  kein  einziges  Zugtier,  keinen  Wagen  besaß,  um 
das  Gepäck,  die  Frauen,  Kinder  und  Kranken  fortzuschaffen.    Alle  Gegenstände 


—     106     — 

mußten  auf  dem  Rücken  getragen  werden.  Dazu  lag  weit  und  breit  tiefer 
Schnee,  der  das  Vorwärtskommen  fast  unmöglich  machte.  Als  endlich  die 
armen  Wanderer  in  dem  schönen  Tale  ankamen,  besaßen  sie  nichts,  wovon  sie 
hätten  leben  können.  Zweifellos  wären  sie  verhungert,  wenn  die  Indianer 
sich  ihrer  nicht  erbarmt  und  sie  zum  Frühjahr  mit  Wildbret  versorgt 
hätten. 

Kaum  wurden  jemals  Niederlassungen  unter  schwierigeren  Verhältnissen 
begonnen,  als  diese  pfälzischen  im  Schoharietal.  Da  man  keine  Pflüge  besaß, 
so  riß  man  die  Erde  mit  Sicheln  auf  und  säte  in  diese  rohen  Furchen  den 
Scheffel  Weizen,  den  man  mit  dem  letzten  Gelde  in  dem  20  Meilen  entfernten 
Örtchen  Schenectady  kaufte.  Die  Häuser  baute  man  aus  rohen  Baumstämmen. 
Die  Kleider  und  Mützen  fertigte  man  aus  den  Fellen  erlegter  Tiere.  So  schleppten 
sich  die  Ärmsten  hin  bis  zum  Herbst,  wo  die  erste  Ernte  83  Scheffel  ergab. 
Dies  gewonnene  Getreide  zerstampfte  man  in  Ermanglung  einer  Mühle  auf 
Steinen.  Bereits  im  nächsten  Sommer  begannen  aber  die  Ansiedlungen  einen 
wohnlicheren  Ausdruck  zu  gewinnen.  Sieben  kleine,  nach  den  Führern  der 
Pfälzer  benannte  Dörfchen  entstanden:  Weisersdorf,  Hartmannsdorf,  Brunnen- 
dorf, Schmidtsdorf,  Fuchsdorf,  Gerlachsdorf  und  Kneiskerndorf.  Von  diesen 
bestehen  das  letztgenannte,  sowie  Hartmannsdorf  noch  heute. 

Die  Erbauer  dieser  Dörfer  begannen  eben  voll  neuer  Hoffnung  der  Zu- 
kunft entgegenzusehen,  als  plötzlich  die  Nachricht  eintraf,  daß  Gouverneur 
Hunter  das  Land  am  Schoharie  mehreren  Spekulanten  übertragen  habe,  mit  denen 
die  Pfälzer  sich  auf  die  eine  oder  andere  Weise  abfinden  müßten.  Unter  diesen 
Spekulanten  befand  sich  der  berüchtigte  Livingston.  Die  Kunde  traf  die 
Pfälzer  gleich  einem  Donnerschlag;  bedeutete  sie  doch  eine  Kriegserklärung  des 
über  das  Fehlschlagen  seiner  Pläne  ergrimmten  Gouverneurs,  der  an  den 
Pfälzeransiedlungen  am  Hudson  finanziell  stark  beteiligt  gewesen  war  und  nun 
fürchtete,  durch  den  Wegzug  der  Deutschen  den  größten  Teil  seines  Vermögens 
einzubüßen.  Daß  die  Pfälzer  das  Land  am  Schoharie  von  den  Indianern  ge- 
schenkt erhalten  und  nach  dem  Kolonialrecht,  daß  dem  ersten  Ansiedler  den 
Besitz  sicherte,  Anspruch  auf  dasselbe  hatten,  darum  kümmerte  sich  Hunter 
nicht.  Er  fuhr  fort,  die  Pfälzer  durch  allerlei  Nichtswürdigkeiten  so  zu  peinigen, 
daß  dieselben  in  ihrer  Not  beschlossen,  drei  zuverlässige  Männer  nach  London 
zu  senden,  um  ihre  Beschwerden  direkt  dem  König  zu  unterbreiten.  Die  Wahl 
fiel  auf  Johann  Konrad  Weiser,  Wilhelm  Scheff  und  Wilhelm 
W  a  1 1  r  a  t.  Da  Hunter  ihre  Abreise  zweifellos  verhindert  haben  würde,  so 
begaben  die  drei  sich  heimlich  nach  Philadelphia  und  schifften  sich  dort  ein. 
Erst  nach  mancherlei  Abenteuern  trafen  sie  in  London  ein,  ohne  jegliche 
Mittel,  da  ihr  Fahrzeug  unterv/egs  von  Seeräubern  überfallen  worden  war,  die 
sämtliche  Insassen  ausplünderten. 

In  London  machten  die  Abgesandten  die  übelsten  Erfahrungen.  Man 
gebot  ihnen,  ihre  Klagen  auf  dem  üblichen  Wege  durch  Vermittlung  des 
Kolonialministeriums  vorzubringen.     Darüber  verstrichen    Monate,   während 


—     107     — 

welcher  die  ohne  Geld  und  Freunde  dastehenden  Männer  nicht  bloß  die  bittersten 
Qualen   der  Ungewißheit,  sondern   Not  und   Entbehrungen   erlitten. 

Wallrat  starb  an  Heimweh.  Die  beiden  andern  wurden  sogar,  da  sie 
Schulden  gemacht  hatten,  ins  Gefängnis  geworfen.  Sie  wurden  aus  demselben 
erst  nach  einjähriger  Haft  erlöst,  nachdem  die  im  Schoharietal  zurückgebliebenen 
Landsleute  70  Pfund  Sterling  zur  Deckung  ihrer  Schulden  aufgebracht  hatten. 

Während  Scheff  nach  Am.erika  zurückkehrte,  blieb  Weiser  noch  zwei 
Jahre  lang  in  London,  in  der  Hoffnung,  bei  der  Regierung  Gehör  zu  finden. 
Aber  diese  Hoffnung  scheiterte,  als  Gouverneur  Hunter  nach  England  zurück- 
kehrte und  die  Pfälzer  als  Aufwiegler  bezeichnete,  welche  sich  widerrechtlich 
auf  dem  Eigentum  anderer  niedergelassen  hätten. 

Die  Kolonialminister  nahmen  sich  nicht  die  Mühe,  die  wirkliche  Sachlage 
zu  untersuchen.  Sie  schenkten  den  Darstellungen  des  Beamten  größeren  Glauben 
und  wiesen  den  Pfälzer  mit  seinen  Beschwerden  ab. 

Als  derselbe  nach  fünfjähriger  Abwesenheit  im  Jahre  1723  nach  dem 
Schoharietal  zurückkehrte,  hatte  sich  die  Lage  seiner  Landsleute  keineswegs  ge- 
bessert. Ja,  manche  waren  in  Albany  ins  Gefängnis  geworfen  worden,  weil  sie 
einen  Bevollmächtigten  der  Spekulanten  mit  Prügeln  heimgeschickt  hatten,  als 
derselbe  kam,  um  für  die  von  den  Pfälzern  bewohnten  Ländereien  Pacht  zu 
erheben. 

Diese  Vorkommnisse,  sowie  Weisers  Heimkehr  von  seiner  fruchtlosen 
Reise  stellten  die  Pfälzer  vor  die  Notwendigkeit,  neue  Entschlüsse  zu  fassen. 
300  Personen  entschieden  sich,  im  Schoharietal  zu  bleiben.  Sie  wollten,  anstatt 
ihre  Familien  nochmals  den  Gefahren  einer  langen  Wanderung  durch  die 
Wildnis  auszusetzen,  lieber  den  Spekulanten  die  verlangte  Pacht  oder  das  Kauf- 
geld  für  die  Ländereien  bezahlen.  Die  anderen  hingegen,  welche  sich  dazu  nicht 
verstehen  konnten,  bildeten  zwei  Abteilungen,  von  denen  eine  nach  Penn- 
sylvanien  zog,  während  die  andere  sich  dem  Mohawk  zuwandte,  in  dessen  Tal 
die  Mohawk  Indianer  einen  24  englische  Meilen  langen  Landstrich  ohne  jede 
Gegenleistung  zur  Verfügung  stellten,  damit  sie  sich  dort  neue  Wohnsitze 
gründen  könnten. 

Das  Tal  des  Mohawk  zählt  zu  den  lieblichsten  Landschaften  des  mit 
Naturschönheiten  reich  gesegneten  Staates  New  York.  Es  verdankt  seinen 
Ursprung  den  überschüssigen  Wassern  der  fünf  großen  Binnenseen,  die  vor 
Millionen  von  Jahren  durch  diese  Rinne  ihren  Hauptabfluß  zum  Meere  hatten. 
Infolge  irgendwelcher  geologischer  Ereignisse  wandten  sich  diese  Fluten  später 
dem  St.  Lorenzstrom  zu.  Das  von  ihnen  ausgewaschene  weite  Tal  ist  aber 
geblieben  und  wird  heute  von  dem  in  weiten  Schlangenwindungen  dahinziehen- 
den Mohawk  durcheilt.  Nur  an  einer  Stelle  stemmen  sich  dem  Fluß  trotzige 
Felswände,  Überreste  eines  Gebirgszugs  entgegen,  als  wollten  sie  ihm  den 
Durchgang  wehren.  Aber  der  Fluß  bricht,  zahlreiche  Wasserfälle  bildend,  durch 
die  dunklen  Gassen,  um  in  dem  bald  darauf  sich  wieder  erweiternden  Tal  die 
Reise  zum  Hudson  fortzusetzen. 


—     108 


Als  die  Deutschen  am  Mohawk  erschienen,  bildete  seine  Umgebung  eine 
noch  unberührte  Wildnis.  Sie  gehörte  zu  den  gewaltigen  Jagdgründen  des 
mächtigen  Irokesenbundes,  dem  die  Mohawkindianer  anhingen.  Der  Jagd  und 
dem  Fischfang  nachgehend,  bewohnten  sie  zahlreiche,  auf  den  Ufern  des  Flusses 
liegende  Dörfer. 

In  diesem  Tal,  das  damals  durchaus  nicht  den  lieblichen  Anblick  darbot, 
den  es  heute  mit  seinen  saftigen  Wiesen,  reichen  Feldern,  blühenden  Obstgärten 
und  den  behäbigen  Wohlstand  verkündenden  Ortschaften  gewährt,  ließ  sich  ein 
Teil  der  vom  Schoharie  fortziehenden  Pfälzer  nieder. 

Der  an  Stelle  des  ab- 
berufenen Gouverneurs  Hun- 
ter tretende  Gouverneur  Bur- 
net begünstigte  ihre  Über- 
siedlung, weil  dadurch  nicht 
nur  die  Grenze  der  Kolonit 
New  York  um  40  Meilen 
weiter  gen  Westen  vorge- 
schoben wurde,  sondern  die 
deutschen  Ansiedlungen  auch 
als  Vorposten  und  Stütz- 
punkte bei  etwaigen  feind- 
lichen Einfällen  der  in  Ca- 
nada  sitzenden  Franzosen 
gute  Dienste  leisten  konnten. 
Diejenigen  Familien,wel- 
che  sich  entschlossen,  nach 

Pennsylvanien  zu  ziehen, 
bahnten  sich  unter  Führung 
einiger  befreundeter  Indianer 
einen  Weg  durch  den  unge- 
heuren Urwald,  der  ohne  jede 
Lichtung  sich  vom  Schoharie 
bis  zum  oberen  Susquehanna  erstreckte.  Dort  fällten  sie  hohe  Tannen  und 
fügten  sie  zu  Flößen  zusammen.  Diese  beluden  sie  mit  ihrer  Habe,  den  Frauen 
und  Kindern  und  schwammen  nun,  von  der  Strömung  getragen,  den  Fluß  hinab. 
Die  Pferde  und  das  Vieh  wurden  von  einigen  Männern  am  Ufer  entlang  getrieben. 
Unbelästigt  von  Indianern  kamen  die  Auswanderer  nach  mehreren  Wochen  an 
die  Mündung  des  Swatara.  Diesen  Fluß  fuhren  sie  aufwärts  bis  sie  in  das 
liebliche  Tal  eines  Baches  gelangten,  den  die  hier  wohnenden  Delaware-In- 
diander  Tulpe  wihaki  „Der  Ort  der  Schildkröten"  nannten.  Hier  ließen  die  der 
langen  Reise  müden  Pfälzer  sich  nieder  und  gründeten  mehrere  neue  Gemein- 
wesen. Dieselben  blühten  durch  den  unermüdlichen  Fleiß  ihrer  Bewohner 
überraschend  schnell  auf  und  übten,  nachdem  durch  Verträge  mit  den  Indianern 


-^ 


Ein  Pfälzer  des  Mohawktals  im  18.  Jahrhundert. 


—     109     — 

und  den  Behörden  der  Kolonie  Pennsylvanien  die  Reciite  der  Pfälzer  auf  das  von 
ihnen  bewohnte  Land  bestätigt  waren,  eine  wahrhaft  magnetische  Anziehungs- 
kraft auf  die  in  anderen  Teilen  Amerikas  lebenden  Pfälzer,  sowie  spätere  An- 
kömmlinge aus.  Kaum  zwanzig  Jahre  nach  Gründung  der  Kolonien  am  Tulpe- 
hocken') betrug  die  Zahl  ihrer  Bewohner  bereits  50  000!  Die  Namen  von 
über  30  000  sind  in  einer  noch  heute  im  Staatsarchiv  zu  Harrisburg  aufbe- 
wahrten Liste  enthalten. 

Da  die  Kunde  von  den  üblen  Erfahrungen,  welche  die  Pfälzer  in  New  York 
erlitten  hatten,  nach  Deutschland  gelangte,  so  mieden  die  von  dort  kommenden 
Einwanderer  jene  Kolonie  so  viel  wie  möglich.  Die  Werke  des  schwedischen 
Naturforschers  Peter  Kalm,  welcher  um  jene  Zeit  Amerika  bereiste,  enthalten 
darüber  folgende  interessante  Stelle:  „Die  Deutschen  schrieben  an  ihre  An- 
verwandte und  Freunde  in  Deutschland  und  gaben  ihnen  den  Rat:  daß,  wenn 
sie  nach  Amerika  hinüber  gedächten,  sie  sich  durchaus  nicht  in  New  York  nieder- 
lassen sollten,  wo  die  Regierung  sich  so  gehässig  gegen  sie  gezeigt  hätte. 
Diese  Vorstellungen  hatten  den  Nachdruck,  daß  die  Deutschen,  welche  nachher 
in  erstaunlicher  Menge  nach  Amerika  sich  begaben,  New  York  beständig  flohen, 
und  Pennsylvanien  zum  Aufenthalt  wählten.  Bisweilen  trug  es  sich  zu,  daß 
sie  genötigt  waren,  auf  Schiffen  herüberzureisen,  die  nach  New  York  fuhren. 
Sie  traten  aber  kaum  ans  Land,  da  sie  schon  vor  den  Augen  der  Einwohner 
von  New  York  weiter  nach  Pennsylvanien  eilten." 

Wie  sehr  die  Deutschen  Pennsylvanien  bevorzugten,  ergibt  sich  auch 
aus  andern  Angaben.  Im  Jahre  1749  landeten  in  Philadelphia  allein  25  Schiffe 
mit  7049  Deutschen.  Während  der  Zeit  von  1750  bis  1752  sollen  über  18  000 
angekommen  sein.  Besonders  stark  war  der  Zufluß  im  Jahre  1759,  wo  an- 
geblich gegen  22  000  Pfälzer,  Badenser  und  Württemberger  in  Philadelphia 
den  Boden  der  Neuen  Welt  betraten. 

Wir  können  von  den  Pfälzern  am  Schoharie  und  Tulpehocken  nicht 
scheiden,  ohne  eines  Mannes  zu  gedenken,  dem  das  Schicksal  einen  außer- 
gewöhnlichen Wirkungskreis  zuwies :   Konrad  Weiser. 

Derselbe  war  ein  Sohn  des  bereits  erwähnten  Johann  Konrad  Weiser, 
welcher  in  seinem  schwäbischen  Heimatsort  Astädt  das  Amt  eines  Dorfvor- 
stehers innegehabt  hatte.  Auch  während  der  Reise  nach  der  Neuen  Welt  wie 
in  den  Hungerlagern  am  Hudson  und  Schoharie,  diente  Weiser  seinen  Lands- 
leuten stets  als  Wortführer  und  treuer  Berater.  Sein  noch  in  Deutschland 
geborener  Sohn  Konrad  hatte  am  Schoharie  in  häufigem  Verkehr  mit  den  In- 
dianern so  große  Vorliebe  für  das  Leben  in  der  Wildnis  und  die  Söhne  des 
Urwalds  gefaßt,  daß  er  der  Einladung  eines  MohawkhäupÜings,  sein  Wigwam 
zu  teilen,  folgte  und  mit  Zustimmung  seines  Vaters  in  das  Lager  der  Rothäute 
übersiedelte.  Im  engen  Verkehr  mit  denselben  erwarb  sich  der  junge  Weiser 
eine  vorzügliche  Kenntnis  der  Mohawksprache,  so  daß  er  imstande  war,  bei 


^)  So  wurde  die  indianische  Bezeichnung  umgebildet. 


—     110     — 

allen  Verhandlungen  seiner  Landsleute  mit  den  Rothäuten  als  Dolmetscher  zu 
dienen.  Später  erlernte  Weiser  noch  die  Sprachen  verschiedener  anderer  In- 
dianerstämme und  wurde  wegen  dieser  Kenntnisse  von  den  Behörden  der 
Kolonien  New  Yorks  und  Pennsylvanien  bei  ihren  Beratungen  und  Vertrags- 
schlüssen mit  den  Indianern  häufig  als  amtlicher  Dolmetscher  zugezogen. 
Infolge  seiner  strengen  Unparteilichkeit  setzten  die  Indianer  so  unbegrenztes 
Vertrauen  in  ihn,  daß  sie  wiederholt  seine  Vermittlung  in  Streitfragen  mit  den 
Kolonialregierungen  anriefen  und  es  ablehnten,  an  Beratungen  teilzunehmen, 
wo  Weiser  nicht  als  Dolmetscher  fungiere. 

Die  ersten  größeren  Erfolge  errang  Weiser  nach  seiner  im  Jahre  1729  er- 
folgten Übersiedlung  nach  Tulpehocken.  Von  dort  aus  trat  er  im  Jahre  1737 
auf  Wunsch  der  Gouverneure  von  Pennsylvanien  und  Virginien  eine  höchst 
gefahrvolle  Reise  zum  Onondaga  See  im  Westen  des  heutigen  Staates  New  York 
an,  um  die  dort  versammelten  Häuptlinge  des  mächtigen  Irokesenbundes  zu 
einem  Friedensschluß  mit  ihren  alten  Erbfeinden,  den  in  Westpennsylvanien  und 
Westvirginien  hausenden  Cherokesen  und  Catawbas  zu  bewegen.  Das  glück- 
liche Gelingen  dieses  Auftrages  hatte  zur  Folge,  daß  die  bisher  als  Kriegs- 
schauplatz zwischen  den  feindlichen  Nationen  dienenden  Gebiete  sich  nunmehr 
in  Ruhe  und  Frieden  entwickeln  konnten. 

Im  Jahre  1742  nahm  Weiser  an  höchst  wichtigen  Verhandlungen  teil, 
die  vom  Gouverneur  von  Pennsylvanien  mit  70  großen  Häuptlingen  anberaumt 
waren,  um  den  Irokesenbund  wegen  der  Mäderrechtlichen  Besitznahme  einiger 
ihm  gehörenden  Ländereien  zu  beschwichtigen  und  obendrein  seinen  Beistand 
in  dem  drohenden  Krieg  gegen  die  Franzosen  zu  gewinnen.  Der  glückliche 
Ausgang  dieser  Zusammenkunft  wird  von  allen  gleichzeitigen  Berichten  aus- 
schließlich dem  geschickten  Vorgehen  Weisers  zugeschrieben. 

Die  wichtigsten  Dienste  leistete  Weiser  aber  in  den  Jahren  1745,  1748 
und  1754,  wo  die  Franzosen  alle  erdenklichen  Mittel  aufboten,  den  Irokesenbund 
zu  sich  hinüberzuziehen.  Obwohl  die  indianischen  Lager  von  französischen 
Emissären  schwärmten,  machten  Weisers  Reden  doch  so  tiefen  Eindruck,  daß 
ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  zwischen  dem  Irokesenbund  und  den  englischen 
Kolonien  gegen  die  Franzosen  zustande  kam.  Weiser  war  damals  viele  Monate 
unterwegs.  Bald  reiste  er  zu  Fuß  oder  zu  Pferde  auf  einsamen  Indianerpfaden 
durch  die  majestätische  Wildnis;  bald  glitt  er  auf  schwankendem  Kanu  die  rau- 
schenden Ströme  hinab,  zahllosen  Entbehrungen  und  Gefahren  mutig  Trotz 
bietend.  Dies  alles  tat  er  lediglich  in  der  Hoffnung,  zwischen  den  Weißen 
und  Eingeborenen  friedliche  Beziehungen  herzustellen,  damit  die  Ansiedler 
unbehelligt  ihren  Arbeiten  nachgehen  könnten.  Beim  Ausbruch  des  Franzosen- 
kriegs wurde  Weiser  zum  Hauptmann  ernannt.  Als  solcher  leitete  er  die  Her- 
stellung der  Befestigungen,  die  auf  den  Höhen  der  „Blauen  Berge"  in  Penn- 
sylvanien angelegt  wurden,  um  verfolgten  Ansiedlern  in  Stunden  der  Gefahr 
als  Zufluchtsort  zu  dienen.  Tätigen  Anteil  an  dem  Franzosenkrieg  zu  nehmen 
war  ihm  nicht  beschieden.     Die  jahrelangen  Reisen,  die  damit  verknüpften  un- 


—    111    — 

säglichen  Strapazen  hatten  seine  Kräfte  vor  der  Zeit  erschöpft.  Aber  er  erlebte 
noch  die  Schlacht  bei  Quebec,  die  den  Untergang  der  französischen  Herrschaft 
in  Nordamerika  bedeutete.  Der  Jubel  über  dieses  Ereignis  vergoldete  den 
Abend  seines  Lebens,  das  am  13.  Juli  1760  seinen  Abschluß  fand. 

Konrad  Weiser  war  unstreitig  einer  der  interessantesten  Männer  seiner 
Zeit.  Obwohl  er  nie  regelmäßig  Schulunterricht  genossen  hatte,  gebot  er 
doch  über  reiche  Kenntnisse.  Zugleich  besaß  er  einen  scharfen  Blick,  der  ihn 
die  jeweilige  Lage  und  die  einzuschlagenden  Schritte  rasch  erkennen  ließ.  Die 
Urbewohner  des  Landes  hatten  an  ihm  einen  ebenso  warmen  Freund,  wie  die 
gewissenlosen  Schnapshändler  einen  erbitterten  Feind.  Er  war  zu  oft  Zeuge  der 
schrecklichen  Verheerungen  gewesen,  welche  diese  Leute  anrichteten,  indem  sie 
den  Eingeborenen  gegen  schweres  Geld  gemeinen  Fusel  zuführten  und  damit 
ihr  Dasein  vergifteten.  Weiser  war  auch  der  erste,  welcher  sich  in  energischer 
Weise  dafür  aussprach,  daß  diese  Übeltäter,  wo  man  sie  bei  ihrem  nichts- 
würdigen Gewerbe  erwische,  auf  dem  Fleck  gehängt  werden  sollten. 


Die  Niederlassungen  der  Pfälzer  und  Elsaß-Lothringer  in  Luisiana. 

So  schwere  Drangsale  die  Pfälzer  am  Hudson  und  Schoharie  erdulden 
mußten,  so  waren  sie  doch  noch  glücklich  zu  preisen  im  Vergleich  mit  jenen,  die 
zusammen  mit  Elsässern  und  Lothringern  von  dem  berüchtigten  französischen 
Finanzminister  John  Law  verlockt  wurden,  nach  seinen  Besitzungen  in  Louisiana 
zu  ziehen. 

John  Law,  von  Geburt  Schotte,  war  ein  kühner  Abenteurer,  der  nach  dem 
mi  Jahre  1715  erfolgten  Tod  des  Königs  Ludwigs  XIV.  von  Frankreich  dem 
mit  der  Regentschaft  betrauten  Herzog  von  Orleans  seine  Dienste  anbot.  Seine 
Vorschläge  zur  Deckung  der  von  dem  verstorbenen  König  dem  Lande  aufge- 
bürdeten Schuldenlast  von  drei  Milliarden  Francs  fanden  Gehör.  Ein  Teil  dieser 
Vorschläge  bestand  in  der  Ausbeutung  des  von  dem  Entdecker  La  Salle  am 
Mississippi  gegründeten  Kolonialreichs  Lousiana. 

Zu  diesem  Zweck  rief  Law  die  mit  außerordentlichen  Privilegien  aus- 
gestattete „Westliche"  oder  „Indianische  Compagnie"  ins  Leben,  deren  Teil- 
habern man  bedeutende  Strecken  Landes  unter  der  Bedingung  bewilligte,  daß 
sie  dieselben  mit  Ackerbauern  und  Bergleuten  besiedeln  müßten. 

Law,  der  Direktor  der  Gesellschaft,  behielt  sich  selbst  ein  am  unteren 
Arkansas  gelegenes  Gebiet  von  zwölf  Meilen  im  Geviert  vor.  Da  man  mit 
französischen  Ansiedlern  schlechte  Erfahrungen  machte,  so  beschloß  er,  sein 
Besitztum  mit  Deutschen  aus  Elsaß-Lothringen  und  der  Pfalz  zu  besetzen.  Um 
solche  anzulocken,  ließ  er  die  Reklametrommel  mächtig  rühren  und  in  den 
betreffenden  Landschaften  allerhand  überschwengliche  Flugschriften  verbreiten. 

Eine  derselben  erschien  im  Jahre  1720  in  Leipzig  unter  dem  Titel:  „Be- 
schreibung des  an  dem  großen  Flusse  Mississippi  in  Nordamerika  gelegenen 


—     112     — 

herrlichen  Landes  Louisiana."  Sie  schildert  Boden  und  Klima  als  „ungemein 
angenehm".  Man  könne  sich  den  Überfluß  des  vier  Ernten  im  Jahre  ermög- 
lichenden Landes  nicht  groß  genug  einbilden.  Wild  sei  in  erstaunlichen  Massen 
vorhanden  und  der  Pelzhandel  äußerst  gewinnbringend.  Die  Hauptsache  wären 
aber  die  Gold-,  Silber-,  Kupfer-  und  Bleibergwerke.-  Ferner  fände  man  dort 
„Heilmittel  für  die  allergef ährlichsten  Blessuren,  auch  untrügliche  vor  die  Früchte 
der  Liebe".  (!) 

Da  die  Rentabilität  von  Kapitalanlagen  in  der  verlockendsten  Weise  ge- 
schildert wurde,  so  erwachte  ein  ähnliches  Spekulationsfieber,  wie  man  es  im 
19.  Jahrhundert  bei  der  Entdeckung  der  Goldfelder  Kaliforniens  und  Alaskas 
erlebte.  Tausende  rüsteten  sich  zur  Reise  nach  dem  gelobten  Lande.  Da  aber 
die  wenigen  in  den  französischen  Häfen  vorhandenen  Schiffe  nicht  ausreichten, 
so  blieben  viele  der  Auswanderer  in  jenen  Hafenorten  zuriick.  Viele  Hundert 
gingen  während  der  langwierigen  und  an  Entbehrungen  reichen  Reise  zugrunde. 
Sicher  ist  aber,  daß  wenigstens  3000  Deutsche  nach  Louisiana  gelangten,  wo 
sie  mit  allerhand  zweifelhaftem,  aus  Bettlern,  Sträflingen  und  Prostituierten  be- 
stehenden Gesindel  zusammentrafen,  mit  dem  die  Konzessionäre  ihre  Lände- 
reien zu  bevölkern  gedachten. 

Sämtliche  hierher  Geschleppten  erlebten  in  dem  „herrlichen  Lande  Loui- 
siana" schreckliche  Enttäuschungen.  Denn  als  im  Jahre  1720  der  hohle  Bau 
der  „Indischen  Gesellschaft"  zusammenbrach  und  die  wilde  Spekulation  mit 
einem  der  schlimmsten  Krache  endigte,  derer  die  Weltgeschichte  gedenkt,  kamen 
über  die  Ausgewanderten  Zeiten  geradezu  entsetzlichen  Elends.  Kein  Mensch 
kümmerte  sich  um  sie.  Viele  verhungerten.  Die  auf  Laws  Ländereien  versam- 
melten Deutschen  schifften  auf  Kähnen  nach  der  noch  im  Anfangsstadium  be- 
findlichen Niederlassung  New  Orleans,  wo  sie  von  dem  damaligen  Gouverneur 
Bienville  verlangten,  daß  er  sie  nach  Europa  zurückschaffe.  Dieser,  um  die 
Kolonie  vor  gänzlichem  Untergang  zu  retten,  bot  alles  auf,  um  die  Enttäuschten 
zum  Bleiben  zu  bewegen.  Er  wies  ihnen  20  Meilen  oberhalb  von  New  Orleans 
ein  30  Meilen  auf  beiden  Seiten  des  Mississippi  sich  hinziehendes  Alluvialland 
an,  unterstützte  sie  mit  Ackergeräten,  Vieh  und  Vorschüssen  und  ernannte  einen 
früher  als  Offizier  in  schwedischen  Diensten  gewesenen  Deutschen,  Karl 
Friedrich  von  Arensburg,  zum  Amtsrichter  und  Milizoberhaupt  der 
neuen  deutschen  Ansiedlung.  Diese  erscheint  fortan  in  den  offiziellen  Berichten 
unter  dem  Namen  „La  Cote  des  Allemands",  kurzweg  „aux  Allemands". 

„Was  es  heißt,"  so  schreibt  Hanno  Deiler  in  seiner  kleinen  Monographie 
„Die  ersten  Deutschen  am  unteren  Mississippi",  ,.dort  eine  Wildnis  zu  lichten, 
das  kann  nur  der  ahnen,  der  den  südlichen  Urwald  kennt;  den  Urwald  auf 
mannstiefem,  schwarzem.  Alluvialgrund,  den  jede  Überschwemmung  des  Missis- 
sippi mit  neuem  reichen  Schlamm  bedeckt.  Millionenfaches  Keimen  weckt  da 
die  südliche  Sonne  in  jedem  Fußbreit  Boden.  Riesige  Lebenseichen  mit  langen 
Moosbärten  stehen  wie  seit  Ewigkeiten  und  spotten  der  Axt.  Dazwischen 
dichtes  Gehölz,  Gebüsch  und  Gesträuch  und  ein  wahrer  Filz  von  kriechenden, 


—     113    — 

sich  windenden,  schlingenden  und  emporkletternden  Pflanzen,  unter  deren  Schutz 
eine  Welt  von  menschenfeindlichem  Getier  und  Gewürme  haust.  Sengende 
Hitze,  Leoparden,  Bären,  Panther,  wilde  Katzen,  Schlangen,  Alligatoren  und 
die  Miasmen  der  mit  dem  Pflug  geöffneten  jungfräulichen  Erde  verbanden  sich 
mit  den  das  Menschenwerk  hassenden  Fluten  des  Mississippi  zum  Kampf  gegen 
die  deutschen  Kolonisten." 

Auch  die  Indianer  waren  eine  Quelle  beständiger  Sorge.  Besonders  in 
den  Jahren  1729  und  1748,  als  die  Natchez  und  Choctaws  mit  den  Franzosen 
in  Fehde  gerieten.  Aber  der  unermüdliche  Fleiß  und  die  beispiellose  Ausdauer 
der  deutschen  Bauern  triumphierten  mit  der  Zeit  auch  hier  über  alle  Schwierig- 
keiten und  ließen  auf  beiden  Ufern  des  gewaltigen  Stromes  zahlreiche  schmucke 
Hütten  und  Häuser  erstehen,  die  sich  gleich  endlosen  Perlenschnüren  anein- 
anderreihten. Da  und  dort  erhoben  sich  zwischen  diesen  Wohnstätten  freund- 
liche Kirchlein,  weithin  sichtbare  Fandmarken,  zu  denen  Sonntags  sämtliche 
Bewohner  pilgerten.  Für  ihre  aus  Korn,  Reis,  Gemüse,  Tabak  und  Indigo  be- 
stehenden Erzeugnisse  fanden  die  Deutschen  in  dem  durch  Ruderboote  leicht 
erreichbaren  New  Orleans  Absatz. 

Die  steten  Berührungen  mit  der  vorwiegend  französischen  Bevölkerung 
jener  rasch  wachsenden  Stadt  führten  im  Laufe  der  Jahrhunderte  zur  Ver- 
mischung mit  dem  französischen  Element.  Und  so  bildete  sich,  zumal  die  Deut- 
schen ohne  Zuzug  aus  der  Heimat  blieben  und  weder  deutsche  Lehrer  noch 
Seelsorger  empfingen,  allmählich  ein  eigenartiges,  deutsch-französisches  Kreolen- 
tum,  das,  wie  Deiler  hervorhebt,  sich  eines  ganz  wunderbaren  Kindersegens  er- 
freute. Besonders  in  den  beiden  am  Mississippiufer  gelegenen  Kirchspielen  St. 
Charles  aux  Allemands  und  St.  Jean  Baptiste  aux  Allemands  sitzen  diese 
deutsch-französischen  Kreolen  zahlreich  beisammen.  Sie  haben  zwar  ihre 
deutsche  Sprache  verloren,  aber  man  findet  unter  ihnen  noch  urgermanische  Ge- 
stalten mit  kräftigem  Körperbau,  blauen  Augen  und  blonden  Haaren.  Auch  ge- 
denken sie  ihrer  deutschen  Abstammung  noch  gern  und  sagen  dabei  voll  Stolz : 
„Wir  sind  die  Nachkommen  jener  Deutschen,  die  aus  der  Wildnis  hier  ein  Para- 
dies geschaffen,  wie  Louisiana  kein  zweites  besaß." 

Die  Prälzerniederlassiingen  in  Neu-England. 

Außer  den  bisher  geschilderten  Pfälzerkolonien  entstand  noch  eine  solche 
in  Neu-England,  an  der  Küste  des  heutigen  Staates  Maine.  Dorthin  kamen  im 
Jahre  1740  auf  Einladung  des  einem  schwedisch-germanischen  Adelsgeschlecht 
entsprossenen  Kaufmanns  Samuel  Waldo  40  deutsche  Familien,  um  am 
Ufer  des  Medomackflusses  die  Ansiedlung  Waldoburg,  das  heutige  Waldoboro, 
anzulegen.  Durch  die  Bemühungen  des  als  Agenten  Waldos  fungierenden 
Schweizers  Sebastian  Zuberbühler  erhielten  sie  im  folgenden  Jahr 
Zuzug  aus  der  Pfalz  und  Württemberg.  Aber  die  Hoffnungen,  welche  man  auf 
die  neue  Heimat  setzte,  erfüllten  sich  nicht,  da  Waldo  die  Einwandrer  wahrhaft 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  <> 


—     114     — 

sträflich  vernachlässigte  und  die  Behörden  der  Kolonie  ihre  Klagen  nicht  be- 
achteten. 

Für  die  Betrogenen,  denen  es  vielfach  am  Nötigsten  fehlte,  kamen  harte 
Tage.  Strenge  Winter  setzten  ein,  mit  Leiden  aller  Art  im  Gefolge.  Dazu  lebte 
man  in  beständiger  Furcht  vor  einem  Überfall  der  Franzosen  und  kanadischen 
Indianer.  Es  herrschte  nämlich  zwischen  den  Bewohnern  der  englischen 
Kolonien  und  den  Franzosen  einer  jener  in  der  Kolonialgeschichte  Amerikas  so 
häufigen  Grenzkriege,  die  um  so  grausamer  verliefen,  als  die  Indianer  in  diese 
Kämpfe  mit  hineingezogen  wurden. 

In  der  allgemeinen  Not  erinnerte  man  sich  der  so  schändlich  vernach- 
lässigten Pfälzer  und  zwang  die  Männer,  an  der  Belagerung  der  bei  Kap  Breton 
angelegten  französischen  Festung  Louisburg  teilzunehmen.  Nachdem  diese  er- 
obert worden,  ließen  sich  manche  Deutsche  mit  ihren  Famihen  dort  nieder.  Sie 
entgingen  dadurch  einem  von  mehreren  Banden  canadischer  Indianer  nach 
Massachusetts  unternommenen  Rachezug,  dem  die  in  Waldoburg  Zurückge- 
bliebenen zum  Opfer  fielen.  Diese  wurden  am  Morgen  des  21.  Mai  1746  über- 
rascht, teils  niedergemacht  und  skalpiert,  teils  in  die  Gefangenschaft  geschleppt. 
Nur  wenigen  gelang  es,  nach  Louisburg  zu  fliehen,  wo  sie  bis  zum  Ende  des 
Feldzugs  blieben. 

Nach  hergestellter  Ruhe  kehrten  einzelne  Deutsche  nach  Waldoburg  zu- 
rück. Neuen  Zuwachs  erhielt  der  Ort  durch  20  bis  30  Familien,  die  mit  vielen 
andern  durch  einen  von  der  Provinzialverwaltung  von  Massachusetts  nach 
Deutschland  entsandten  Agenten  namens  Grell  zur  Auswanderung  nach  Neu- 
England  bewogen  wurden.  Manche  dieser  Neulinge  gründeten  in  Maine  die 
Ansiedlung  Frankfurt,  welche  später  in  dem  Ort  Dresden  aufging.  Andere 
zogen  im  Frühling  1753  in  die  westlichen  Gebiete  der  Provinz  und  gründeten 
dort  eine  Niederlassung,  die  sie  in  Erinnerung  an  die  auf  langer  Seereise  und 
in  Massachusetts  erlittenen  Trübsale  Leydensdprf  tauften.  Manche  ließen  sich 
auch  in  der  Nähe  des  Forts  Massachusetts  und  bei  Braintree  nieder,  einer  un- 
weit von  Boston  entstandenen  Ortschaft,  die  später  den  Namen  Neu-German- 
town  annahm.  Am  Saco  River,  angesichts  der  schönen  White  Mountains,  ent- 
stand ferner  unter  Leitung  des  Schweizers  Joseph  Frey  die  noch  heute  bestehende 
Stadt  Freyburg. 

Die  meisten  dieser  Ansiedlungen  fristeten  für  lange  Zeit  ein  kümmerliches 
Dasein.  Nicht  weil  es  den  Bewohnern  an  Fleiß  und  Intelligenz  gebrach,  son- 
dern weil  sie  von  gewissenlosen  Spekulanten  vielfach  mißbraucht  und  ausge- 
beutet, und  von  den  Behörden  in  Stunden  der  Not  schmählich  im  Stich  gelassen 
wurden.  Besonders  war  die  Art,  wie  man  die  Ansprüche  der  Deutschen  auf 
die  von  ihnen  bewohnten  Ländereien  handhabte,  geradezu  empörend.  Kaum 
hatten  sie  die  angeblichen  Eigentümer  abgefunden,  so  tauchten  andere  mit  neuen 
Ansprüchen  auf,  die  befriedigt  werden  mußten,  um  Ruhe  zu  finden.  Manche 
Bev/ohner  von  Waldoburg  mußten  denselben  Grund  und  Boden  zwei-  bis  drei- 
mal bezahlen,  bevor  sie  denselben  wirklich  ihr  eigen  nennen  konnten.     Müde 


—     115     — 

solcher  Widerwärtigkeiten  zogen  viele  in  den  Neu-Englandkolonien  lebenden 
Deutschen  nach  Nord-Karolina,  wo  am  Buffalo  Creek  im  heutigen  Cabarros 
County,  sowie  in  der  Hermhuter  Kolonie  Salem  ein  friedlicheres  Dasein  winkte. 
Manche  wandten  sich  nach  Pennsylvanien,  dessen  Behörden  im  Verkehr  mit  den 
Einwanderern  stets  Ehrlichkeit  bewiesen  hatten,  wodurch  diese  Kolonie  zum 
Hauptziel  der  deutschen  Einwanderung  wurde. 

Obwohl  seit  der  Einwandrung  der  Pfälzer  nahezu  zwei  Jahrhunderte 
verstrichen  sind,  lassen  ihre  Spuren  sich  noch  heute  an  vielen  Orten  feststellen. 
Besonders  durch  die  Namen  der  von  ihnen  gegründeten  Niederlassungen. 

Im  heutigen  Staat  New  York  erinnern  die  Namen  folgender  Orte  an  die 
Pfälzer:  Newburgh  -~  Neuburg;  New  Paltz  Landing  —  Neu-Pfälzer  Landung; 
Rhinebeck  ~  Rheinbach;  Rhinecliff  -^  Rheinfels;  West  Camp  —  West  Lager; 
Palatine  Camp  ^  Pfälzer  Lager;  Germantown;  Palatine  Bridge  =  Pfälzer  Brücke; 
Neu-Durlach;  Palatine  Church  =  Pfälzerkirche ;  Mannheim;  Oppenheim;  Ger- 
man  Etats;  Erankfort;  Herkimer  --  Elerchheimer  u.  a. 

In  Pennsylvanien  finden  wir  die  Ortsnamen  Heidelberg,  Womelsdorf, 
Wernersville,  Meyerstown,  Stougsburg,  Straustown,  Rehrersbury,  Millersbury 
und  andere.  Sie  bildeten  einen  weiten,  gen  Westen  vorgeschobenen  Halbkreis, 
der  die  von  Penn  gegründeten  Quäkerniederlassungen  gegen  die  Einfälle  der 
Indianer  schützte. 

Zur  selben  Zeit,  w^o  die  Pfälzer  so  an  den  verschiedenen  Punkten  des 
nordamerikanischen  Kontinents  blühende  Gemeinwesen  schufen,  waren  aus 
anderen  Teilen  Deutschlands  gekommene  Ansiedler  nicht  weniger  eifrig  im 
Aufbau  neuer  Orte. 

In  den  beiden  Carolinas  besiedelten  sie  hauptsächlich  die  den  Gebirgen 
vorgelagerten  Hochländer.  Namentlich  die  Orte  Orangeburg,  Amalia,  Sachsen- 
Gotha  und  Eredericksburg  besaßen  eine  starke,  vorwiegend  protestantische 
deutsche  Bevölkerung.  In  Sachsen-Gotha  betrieb  dieselbe  hauptsächlich  Wein- 
bau und  die  Zucht  von  Seidenraupen.  Die  Stadt  Purrysburg  am  Savannali 
wurde  1732  von  dem  aus  Neuenburg  in  der  Schweiz  stammenden  Johann 
Peter  Purry  angelegt. 

In  Virginien  gründeten  die  Deutschen  Staufferstadt,  das  spätere  Strasburg; 
Schäferstadt,  das  spätere  Sheperdstown ;  Müllerstown,  das  spätere  Woodstock; 
Martensburg;  Amsterdam;  Salem;  Frankfurt;  Peterstown;  Kieselstadt,  das 
spätere  Keisletown  und  manche  andere,  deren  deutsche  Namen  von  nachfolgen- 
den Geschlechtern  bis  zur  LInkenntlichkeit  entstellt  wurden. 

Das  erste  Haus  der  zu  Maryland  gehörigen  Stadt  Eredericksburg  erbaute 
ein  deutscher  Schullehrer,  ThomasSchley,der  Ahnherr  eines  Geschlechts, 
dessen  Name  durch  zahlreiche  tüchtige  Leute,  vor  allen  den  Admiral  Winfield 
Scott  Schley,  den  Helden  der  Seeschlacht  bei  Santiago  de  Cuba,  berühmt  wurde. 


Die    Käuflinge   oder   Redemptionisten   und   das 
Entstehen  der  „Deutschen  Gesellschaften". 

Es  konnte  nicht  ausbleiben,  daß  die  schnell  anwachsende  Auswandrung 
nach  Amerika  Mißstände  aller  Art  erzeugte.  Die  damaligen  Verkehrs  Verhält- 
nisse entsprachen  durchaus  nicht  den  an  sie  gestellten  Anforderungen.  DieZahl  der 
für  den  Massentransport  von  Menschen  eingerichteten  Schiffe  war  sehr  gering 
und  ihre  innere  Einrichtung  ließ  nahezu  alles  zu  wünschen  übrig.  Auswan- 
derungsbehörden, die  sich  um  die  sichere  Beförderung  und  geeignete  Ver- 
pflegung der  Auswandrer  bekümmert  hätten,  kannte  man  nicht.  Die  ganze 
Sorge  um  die  letztern  lag  ausschließlich  in  den  Händen  der  holländischen  und 
englischen  Schiffsreeder,  die  niemand  Verantwortung  schuldeten. 

Wer  waren  diese  Reeder?  Viele  derselben  hatten  ihre  Reichtümer  aus 
dem  Handel  mit  Negersklaven  gewonnen,  die  sie  durch  Raub  oder  Tausch  an 
den  Küsten  Afrikas  erwarben,  und  nach  den  in  Amerika  angelegten  europäischen 
Kolonien  brachten.  Wo  die  Gelegenheit  sich  bot,  scheuten  diese  Reeder  und 
ihre  Kapitäne  durchaus  nicht,  Seeräuberei  zu  treiben.  Um  die  moralischen 
Grundsätze  dieser  Herren  stand  es  demnach  entschieden  schlecht.  Es  kann 
deshalb  nicht  sonderlich  überraschen,  wenn  wir  diese  Händler  mit  schwarzem 
Menschenfleisch  allmählich  dazu  übergehen  sehen,  auch  einen  Handel  mit 
weißem  Menschenfleisch  einzurichten.  Dazu  bot  die  zunehmende  Auswand- 
rungssucht  die  herrlichste  Gelegenheit.  Verstand  man,  dieselbe  auszunutzen,  so 
brauchte  man  nicht  die  lange  Reise  nach  Guinea  zu  machen,  um  dort  unter 
Einsatz  des  eignen  Lebens  die  Sklaven  gewaltsam  zu  rauben.  Denn  die  weißen 
Sklaven  liefen  den  Menschenhändlern  freiwillig  ins  Garn.  Als  Lockspeise 
diente  ein  Mittel,  das  nicht  bloß  unverfänglich  schien,  sondern  obendrein  den 
Stempel  gütigen  Entgegenkommens,  edelgesinnter  Beihilfe  an  der  Stirn  trug. 
Unter  dem  Vorwand,  solchen  auswandrungslustigen  Personen,  deren  Mittel 
zum  sofortigen  Bezahlen  der  Überfahrt  nicht  ausreichten,  behilflich  zu  sein, 
erboten  sich  die  Reeder,  anstatt  der  Barzahlung  Schuldscheine  anzunehmen,  die 
durch  in  Amerika  zu  leistende  Arbeit  abgetragen  werden  könnten. 

Diese  Art,  Personen  zur  Auswandrung  zu  verlocken,  kam  bereits  in  der 
ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  in  Anwendung,  wie  aus  einem  im  Jahre 
1728  geschriebenen  Brief  hervorgeht,  in  dem  es  heißt:  „Nun  hat  uns  aber  Peter 
Siegfried  zum  zweiten  Mal  aus  Amsterdam  geschrieben,  daß  er  einen  Kauf- 
mann in  Amsterdam  habe,  der  die  Leit  nach  Benselfania  (Pennsylvania)  führen 


—     117     — 

wil,  wenn  sie  schon  die  Fractit  nicht  haben;  wenn  sie  nur  durcheinander  die 
halbe  Fracht  ausmachen  können.  Wenn  auch  Leit  seien,  die  nichts  haben, 
wenn  sie  nur  im  stant  seien,  daß  sie  arbeiten  können,  werden  auch  mitge- 
nommen; missen  darvor  arbeiten,  bis  sie  T^ij  Bischtolen  abverdient  haben." 

Solche  mit  den  Auswandrern  geschlossene  Verträge  brachten  den 
Reedern  so  reichen  Gewinn,  daß  sie  alles  aufboten,  die  Auswandrung  noch 
mehr  in  Fluß  zu  bringen.  Nicht  nur  verbreiteten  sie  die  übertriebensten 
Schiiderungen  der  Vorzüge  Amerikas,  sondern  sandten  auch  Werber  in  die- 
jenigen Länder,  die  vorzugsweise  Auswandrer  lieferten.  Hierzu  wählte  man 
Leute,  die  bereits  in  Amerika  gewesen  und  imstande  waren,  denjenigen,  die  ihr 
Glück  dort  versuchen  wollten,  Auskunft  zu  geben.  Sie  stellten  natürlich  alle 
in  der  Neuen  Welt  herrschenden  Zustände  im  rosigsten  Licht  dar:  jeder  Knecht 
sei  daselbst  ein  Herr,  jede  Magd  eine  gnädige  Frau,  der  Bauer  ein  Edelmann,  der 
Bürger  ein  Graf.  Das  Geld  werde  haufenweise  verdient;  die  Gesetze,  sowie  die 
Obrigkeit  mache  man  sich  nach  Gutdünken.  Durch  dergleichen  Reden  gelang 
es  den  vornehm  gekleideten,  mit  goldenen  Ketten,  Uhren  und  Ringen  prah- 
lenden und  in  stolzen  Karossen  von  Flecken  zu  Flecken,  von  Stadt  zu  Stadt 
fahrenden  Schleppern,  die  bei  den  armen  Bewohnern  vorhandene  Neigung,  die 
obwaltenden  elenden  Verhältnisse  mit  besseren,  ja  glänzenden  zu  vertauschen, 
noch  mehr  anzufachen.  Die  einfachen  Leute  glaubten  den  feinen  Herren,  die 
so  wohl  zu  sprechen  verstanden,  einfach  alles;  sie  glaubten,  daß  jedermann  in 
Amerika  sein  eigner  Herr  sei,  Land  in  Fülle  erhalte  und  es  in  kurzer  Zeit  bei 
nur  geringem  Fleiß  zu  einem  Dasein  bringen  müsse,  wie  es  in  Deutschland  nur 
dem  Edelmann  zu  führen  vergönnt  sei.  Vermochten  sie  nicht  sofort  die  Über- 
fahrt zu  bezahlen,  so  sollte  das,  so  versicherten  die  Schlepper,  kein  Hindernis 
sein.  Der  Schiffsherr  werde  alles  bezahlen,  ja  er  sei  obendrein  bereit,  die  Kosten 
der  Verpflegung  sowie  andere  notwendig  werdende  Vorschüsse  zu  leisten. 
Durch  solche  Vorspiegelungen  ließen  sich  Tausende  und  aber  Tausende  armer, 
betörter  Menschen  zum  Unterzeichnen  der  von  den  Werbern  vorgelegten  Ver- 
träge verleiten,  um  später  zu  entdecken,  daß  sie  gewissenlosen  Schurken  zum 
Opfer  gefallen  waren  und  das  Empfangene  mit  einem  unsinnig  hohen  Gegen- 
wert, mit  den  besten  Jahren  ihres  Lebens  bezahlen  mußten. 

Die  ersten  Enttäuschungen  harrten  ihrer  schon  in  den  Hafenplätzen,  wo 
der  Aufenthalt  unter  allerhand  Vorwänden  in  die  Länge  gezogen  wurde,  bis 
diejenigen  Auswandrer,  die  Mittel  besaßen,  den  größten  Teil  derselben  in  den 
mit  den  Reedern  im  Bunde  stehenden  Absteigeherbergen  verzehrt  hatten.  Dann 
gab  es  für  die  Unglücklichen  keinen  Ausweg  als  die  den  Reedern  gegebene 
Verpflichtung,  alle  Kosten,  die  während  der  Überfahrt  durch  die  Verpflegung 
entstehen  möchten,  durch  Arbeit  abzutragen.  War  der  Vertrag  geschlossen,  so 
ging  es  endlich  aufs  Schiff,  in  das  mit  Menschen  vollgepfropfte  Zwischendeck, 
von  dessen  grauenhafter  Beschaffenheit  die  heute  nach  Amerika  fahrenden  Aus- 
wandrer sich  kaum  eine  Vorstellung  machen  können.  Aus  allen  auf  uns 
gekommenen  Schilderungen  jener  Zeit  ertönt  die  Klage,  daß  die  Auswandrer 


—     118     — 

„so  grausam  dicht  gepackt  wurden,  daß  ein  Kranker  des  andern  Atem  hat 
holen  müssen,  und  von  dem  Gestank,  Unreinigkeit  und  Mangel  an  Lebensmitteln 
Scharbock,  Gelbfieber,  Ruhr  und  andere  ansteckende  Krankheiten  entstanden 
seien." 

In  welch  entsetzlicher  Weise  die  holländischen  Kapitäne  ihre  Schiffe  mit 
Menschen  vollpfropften,  zeigt  ein  Beispiel,  das  unter  dem  Kapitän  de  Groot 
stehende  Schiff  „April'',  welches  im  Jahre  1818  mit  Auswandrern  nach  Amerika 
segelte.  Obwohl  es  nur  Raum  für  400  Personen  besaß,  hatte  es  1200  aufge- 
nommen. Von  diesen  starben  115  bereits  im  Hafen  von  Amsterdam,  während 
300  ins  Hospital  geschafft  werden  mußten. 

Stets  war  die  Seefahrt  nach  unsern  heutigen  Begriffen  außerordentlich 
lang.  Sie  dauerte  ebenso  viele  Wochen  wie  heute  Tage.  Mitunter  benötigten 
Schiffe  mehrere  Monate  zur  Überfahrt.  So  befand  sich  im  Jahre  1752  ein 
Schiff  17,  ein  anderes  24  Wochen  auf  See.  Die  Verpflegung  war  so  schlecht 
wie  möglich.  Manchm.al  ließen  die  Kapitäne  unter  dem  Vorwand,  einer 
Hungersnot  vorbeugen  zu  müssen,  vom  Tag  der  Abfahrt  an  nur  halbe  Rationen 
austeilen,  die  dazu  von  der  grauenhaftesten  Beschaffenheit  waren.  Es  gab  meist 
nur  Brot  und  Salzfleisch.  Der  Lehrer  Gottlieb  Mittelberger,  der  im 
Jahre  1750  nach  Pennsylvanien  fuhr  und  über  seine  Reise  eine  im  Jahre  1756 
zu  Frankfurt  a.  M.  gedruckte  Reisebeschreibung  verfaßte,  sagt  darin:  „Man 
kann  solches  Essen  fast  nicht  genießen.  Das  Wasser  so  man  verteilet,  ist  viel- 
mals sehr  schwarz,  dick  und  voller  Würmer,  daß  man  es  ohne  Grauen  auch 
bei  größtem  Durst  fast  nicht  trinken  kann.  Den  Zwieback  oder  das  Schiff s- 
brod  hat  man  essen  müssen,  obgleich  an  einem  ganzen  Stück  kaum  eines 
Thalers  groß  gut  gewesen,  das  nicht  voller  roter  Würmlein  und  Spinnennester 
gesteckt  hätte." 

Infolge  der  Überfüllung  der  Schiffe  und  der  schlechten  Beköstigung  war 
die  Sterblichkeit  stets  erschreckend  groß.  Kinder  unter  sieben  Jahren  über- 
standen die  Reise  fast  nie.  Im  Jahre  1775  kam  ein  Schiff  in  Philadelphia  an, 
von  dessen  400  Passagieren  nur  50  am  Leben  geblieben  waren.  Heinrich 
Keppeles,  nachmals  der  erste  Präsident  der  Deutschen  Gesellschaft  von  Penn- 
sylvanien, erzählt  in  seinem  Tagebuch,  daß  von  312  Reisegefährten  250  um- 
kamen. Der  Menschen  Verlust,  der  im  Jahre  1758  mehrere  nach  Philadelphia 
kommende  Schiffe  betroffen  hatte,  wurde  auf  2000  Personen  veranschlagt. 

Und  welchen  Roheiten  seitens  der  Schiffsbemannung  und  des  Kapitäns 
waren  die  Reisenden  mitunter  ausgesetzt!  Ein  holländischer  Kapitän  lief  Eng- 
land an  und  verkaufte  40  kräftige  Burschen  als  Rekruten  an  englische  Werbe- 
offiziere. Ein  anderer  brachte  seine  Passagiere  anstatt  nach  Philadelphia  nach 
dem  Sklaven  Staate  Delaware  und  verkaufte  sie  dort  als  Sklaven.  Starben 
Reisende  während  der  Fahrt,  so  eigneten  die  Kapitäne  und  Matrosen  sich  ihre 
Hinterlassenschaft  an.  Alle  von  den  Reisenden  beanspruchten  ärztlichen  und 
anderen  Dienstleistungen  berechnete  man  zu  unerhörten  Preisen,  so  daß  am 
Ende  der  Fahrt  fast  alle  Reisenden  tief  in  Schulden  steckten.     Für  die  Über- 


—     119     — 

fahrt  verlangte  man  anfangs  6  bis  10,  später  14  bis  17  Louisdor.  Je  nach  der 
Höhe  der  Schulden  und  nach  der  icörperlichen  Beschaffenheit  des  Reisenden 
richtete  sich  die  Dauer  der  Dienstzeit,  zu  der  er  sich  verpflichten  mußte.  Wie 
gering  dabei  der  Wert  seiner  Arbeit  veranschlagt  wurde,  geht  daraus  hervor,  daß 
die  Dienstzeit  mindestens  drei  Jahre,  häufig  auch  fünf  bis  acht  Jahre  brtrug.  Für 
Verluste,  die  den  Reedern  durch  den  Abgang  verstorbener  Passagiere  erwuchsen, 
mußten  deren  Angehörige,  oder  wenn  solche  nicht  vorhanden,  die  ganze  Reise- 
gesellschaft derart  aufkommen,  daß  die  Arbeitszeit,  die  von  den  Verstorbenen 
hätte  erfüllt  werden  müssen,  von  den  Überlebenden  mit  übernommen  wurde. 
Kinder  mußten  so  für  ihre  Eltern,  Eltern  für  ihre  Kinder,  Reisende  für  ihre 
Mitreisenden  eintreten.  Welche  Verlängerung  der  Arbeitsjahre  solche  Ab- 
machungen bedeuteten,  mag  man  daraus  schließen,  daß  im  Jahre  1752  50  Per- 
sonen, die  in  einem  holländischen  Schiff  nach  Philadelphia  kamen,  so  lange  ins 
Gefängnis  gesperrt  wurden,  bis  sie  sich  bereit  erklärten,  die  Dienstzeit  von  mehr 
als  hundert  Mitreisenden,  die  unterwegs  an  Hunger  und  Schiffskolik  starben, 
mitzuerfüllen. 

Es  bereitete  den  Kapitänen  keine  Schwierigkeiten,  die  mit  solchen  „Re- 
demptionisten'*  oder  Käuflingen  geschlossenen  Verträge  und  Schuldscheine  in 
Amerika  in  bares  Geld  umzusetzen.  Denn  die  Käuflinge  waren  so  außerordent- 
lich billige  Arbeitskräfte,  daß  die  Kolonisten  sich  nach  ihrem  Besitz  drängten. 

War  ein  mit  Einwandrern  befrachtetes  Schiff  in  den  Hafen  eingelaufen, 
so  erließ  der  Kapitän  in  den  Zeitungen  eine  Anzeige   in  folgender  Eorm: 

„Deutsche  Redemptionisten ! 

Das  holländische  Schiff  Jungfrau  Johanna,  Kapitän  H.  H.  Bleeker,  ist 
von  Amsterdam  angekommen,  mit  einer  Anzahl  von  Ackerbauern,  Tagelöhnern 
und  Handwerkern,  deren  bedungene  Zeit  verkauft  werden  soll.  Es  sind  sowohl 
Manns-  wie  Weibspersonen,  auch  einige  hübsche  Knaben  und  Mädchen.  Die- 
jenigen, welche  sich  mit  guten  Dienstleuten  versehen  wollen,  werden  ersucht, 
sich  bei  dem  Schiffsmeister  oder  Kapitän  zu  melden/' 

Unter  den  Käuflingen  befanden  sich  nicht  bloß  Ackerbauer,  Handwerker 
und  Dienstmägde,  sondern  häufig  auch  Studenten,  Apotheker,  Schullehrer  und 
Prediger.  Der  Lehrer  Friedrich  Schock,  der  1793  nach  Pennsylvanien  kam, 
mußte  drei  Jahre  vier  Monate  lang  die  Jugend  der  lutherischen  und  reformierten 
Gemeinden  zu  Hamburg  in  Pennsylvanien,  die  ihn  ausgelöst  hatten,  unterrichten, 
bevor  er  Lohn  und  die  vom  Gesetz  vorgeschriebene  „Freiheitskleidung"  erhielt. 

Kamen  die  Käufer  an  Bord,  so  war  es  den  Einwandrern  nicht  etwa  ge- 
stattet, sich  ihre  Herren  auszusuchen  oder  Wünsche  betreffs  der  zu  verrichtenden 
Arbeit  geltend  zu  machen.  Auch  durften  die  Angehörigen  einer  Familie  nichts 
gegen  eine  Trennung  voneinander  einwenden,  wobei  es  sich  sehr  oft  ereignete, 
daß  der  Mann  von  der  Frau,  die  Kinder  von  den  Eltern  für  Jahre,  manchmal 
für  immer  geschieden  wurden.  Hatte  der  Ersteher  eines  Käuflings  dessen 
Schulden  beim  Kapitän  bezahlt,  so  mußte  der  Gekaufte  seinem  neuen  Herrn 


—     120     — 

folgen  und  ihm  bis  zum  Ablauf  der  Dienstzeit  gleich  einem  Leibeigenen  ge- 
horchen. Wurde  der  Herr  seiner  überdrüssig  oder  benötigte  ihn  aus  irgend- 
einem Grunde  nicht  länger,  so  konnte  er  den  Käufling  anderweitig  vermieten 
oder  verkaufen.  Dies  geschah  entweder  durch  Anzeigen  in  den  Zeitungen  oder 
auf  der  „Vendu",  der  Stelle,  wo  Sklaven,  Vieh  und  andere  Gegenstände  feil- 
geboten wurden.  Der  „Pennsylvanische  Staatsbote''  vom  10.  Februar  1754 
enthält  eine  Anzeige,  worin  Rosina  Kost,  geborene  Kaufmann,  aus  Waidenburg 
im  lichenlohischen,  ihren  Schwager  davon  unterrichtet,  daß  sie  „auf  der  Vendu 
verkauft  worden  sei,  wie  daselbst  dies  Jahr  andere  mehr  pflegten  verkauft  zu 
werden."  Dieselbe  Zeitung  vom  4.  August  1766  hat  eine  andere  Anzeige:  „Zu 
verkaufen  einer  deutschen  verbundenen  (zum  Dienst  verpflichteten)  Magd  Dienst- 
zeit. Sie  ist  ein  starkes,  frisch  und  gesundes  Mensch.  Hat  noch  fünf  Jahre  zu 
stehen.''  Unterm  14.  Dezember  1773  steht:  „Zu  verkaufen  ein  Junge,  der 
noch  5  Jahre  3  Monate  zu  dienen  hat.  Er  hat  das  Schneiderhandwerk  gelernt 
und  arbeitet  gut."  Bei  solchen  Weiterverkäufen  empfingen  die  Verkauften 
keine  Abschriften  ihrer  früheren  Verträge.  Da  keine  gerichtlichen  Eintragungen 
erfolgten,  so  befanden  die  Betroffenen  sich  vollkommen  in  den  Händen  ihrer 
neuen  Besitzer,  die  es  in  der  Gewalt  hatten,  die  Dienstzeit  des  Käuflings  über 
den  eigentlichen  Termin  hinaus  auszudehnen.  Wenn  im  Fall  Meinungsver- 
schiedenheiten über  jenen  Zeitpunkt  entstanden,  stand  der  Käufling  mit  dem 
Negersklaven  an  Rechtlosigkeit  auf  gleicher  Stufe.  Ohne  Einwilligung  seines 
Herrn  durfte  er  weder  etwas  kaufen  noch  verkaufen.  Wurde  er  ohne  schrift- 
liche Erlaubnis  von  der  Wohnung  seines  Besitzers  entfernt  angetroffen,  so  galt 
dies  als  Fluchtversuch  und  er  verfiel  schwerer  körperlicher  Züchtigung.  Per- 
sonen, welche  flüchtige  Käuflinge  verbargen  oder  ihnen  zur  Flucht  behilflich 
waren,  mußten  für  je  24  Stunden  des  gewährten  Obdachs  eine  Strafe  von 
500  Pfund  Tabak  entrichten;  waren  sie  dazu  nicht  imstande,  so  drohte  Prügel- 
strafe. Wer  einen  flüchtigen  Käufling  einfing,  empfing  eine  Belohnung  von 
200  Pfund  Tabak,  später  Geldsummen  bis  zu  50  Dollar.  Eine  solche  Belohnung 
ist  im  „Baltimore  American"  des  11.  April  1817  auf  die  Ergreifung  des  30  Jahre 
alten  Moritz  Schumacher  ausgesetzt,  von  dem  es  in  der  Personenbeschreibung 
heißt:  „Er  ist  ein  guter  Lehrer,  versteht  Französich  und  Latein;  ein  ausge- 
zeichneter Arbeiter;  spricht  Englisch  unvollkommen."  Wiedereingefangenen 
Kauf  fingen  wurden  nicht  nur  für  jeden  Tag  ihrer  Abwesenheit  zehn  volle  Tage 
zu  ihrer  Dienstzeit  zugezählt,  sondern  sie  wurden  nicht  selten  auch  furchtbar 
mißhandelt.  Hatten  ihre  Besitzer  doch  das  Recht,  jedes  Versehen  mit  Peitschen- 
hieben zu  bestrafen.  Von  diesem  Recht  machten  manche  Sklavenhalter  so  aus- 
giebigen Gebrauch,  daß  ein  Gesetz  erlassen  werden  mußte,  wonach  für  jedes 
Vergehen  nicht  mehr  als  zehn  Peitschenhiebe  verabfolgt  werden  sollten. 

Je  nach  der  Verschiedenheit  der  Menschennaturen  gestaltete  sich  auch 
das  Dasein  der  Käuflinge  während  ihrer  Dienstzeit.  Manche  trafen  es  gut, 
manche  außerordentlich  schlecht.  Besonders  wenn  sie  in  die  Hände  von  Leuten 
fielen,  die  aus  niedrigster  Selbstsucht  die  Kräfte  des  Käuflings  so  sehr  als  mög- 


—     121     — 

lieh  auszunutzen  trachteten.  Dann  wurde  er  bis  zur  äußersten  Erschöpfung 
mit  Arbeiten  belastet,  während  man  die  im  gleichen  Dienst  stehenden  Neger 
schonte,  da  sie  ja  ihr  ganzes  Leben  dienstpflichtig  waren  und  arbeitsfähig  er- 
halten werden  mußten. 

Weiblichen  Käuflingen  gegenüber  ließen  die  Sklavenhalter  sich  nicht  selten 
scheußliche  Gewalttaten  zuschulden  kommen.  Dazu  forderten  die  Gesetze 
mancher  Kolonien  förmlich  heraus.  In  Maryland  hatte  man  beispielsweise  im 
Jahre  1663  ein  Gesetz  angenommen,  wonach  weiße  Mädchen  und  Frauen,  die 
mit  Negern  oder  Mischlingen  Ehebündnisse  schlössen,  samt  den  aus  solchen 
Ehen  hervorgehenden  Kindern  den  Besitzern  der  betreffenden  Neger  und  Misch- 
linge als  Eigentum  zufielen.  Das  Gesetz  wollte  weiße  Frauen  davon  ab- 
schrecken, mit  farbigen  Personen  Ehen  einzugehen.  Dieses  Gesetz  machten 
sich  nichtswürdige  Sklavenbesitzer  zunutze;  indem  sie  weiße  weibliche  Käuf- 
linge,  deren  Dienstzeit  sie  erworben  hatten,  durch  Drohungen,  List  oder  Gewalt 
zwangen,  sich  Negern  hinzugeben;  denn  wenn  solchen  Vereinigungen  Kinder 
entsprangen,  so  erlangte  der  Sklavenhalter  volles  Besitzrecht  über  das  weiße 
Opfer  sowohl  wie  über  die  Kinder.  Die  Aufhebung  dieses  Gesetzes  wurde 
erst  durch  ein  außergewöhnliches  Vorkommnis  herbeigeführt.  Lord  Baltimore, 
der  Gründer  von  Maryland,  hatte,  als  er  im  Jahre  1681  diese  Kolonie  besuchte, 
unter  seiner  Dienerschaft  ein  Mädchen,  Nellie,  das  sich  verpflichtete,  die  Kosten 
ihrer  Seefahrt  durch  Dienstleistungen  abzutragen.  Bevor  die  vereinbarte  Zeit 
abgelaufen  war,  kehrte  Lord  Baltimore  nach  England  zurück,  verkaufte  aber 
vorher  den  Rest  der  Dienstzeit  Nellies  an  einen  in  der  Kolonie  ansässigen  Lands- 
mann. Dieser  tat  nach  zwei  Monaten  Nellie  mit  einem  seiner  Negersklaven 
zusammen  und  erlangte  dadurch  auch  über  das  Mädchen  dauerndes  Besitzrecht. 
Als  Lord  Baltimore  die  Begebenheit  erfuhr,  erwirkte  er  zwar  die  Aufhebung  des 
Gesetzes  vom  Jahre  1663,  aber  er  vermochte  nicht  seiner  ehemaligen  Dienerin, 
sowie  den  beiden  von  ihr  geborenen  Kindern  die  Freiheit  zu  verschaffen.  Lange 
Zeit  bemühten  sich  die  Gerichte  mit  diesem  Fall,  entschieden  aber  im  Jahre  1721, 
daß  Nellie  und  ihre  Kinder  Sklaven  bleiben  müßten,  da  die  Verheiratung  Nellies 
und  die  Geburt  der  Kinder  vor  der  Aufhebung  des  Gesetzes  vom  Jahre  1663 
erfolgten. 

Ein  noch  empörenderer  Fall  spielte  sich  in  Louisiana  ab.  Schon  während 
Louisiana  französisch  war,  hatte  das  Käuflingssystem  auch  dort  Eingang  ge- 
funden. Aber  die  Dienstzeit  war  durch  eine  am  16.  November  1716  vom 
Königlichen  Rat  erlassene  Verfügung  auf  drei  Jahre  beschränkt.  Erst  als  im 
Jahre  1803  Louisiana  durch  die  Amerikaner  käuflich  erworben  wurde,  ver- 
pflanzten sich  die  Mißbräuche  des  Käuflingssystems  auch  nach  diesem  Gebiet. 

Dorthin  wanderte  im  Jahre  1818  eine  aus  Mann,  Frau,  zwei  Mädchen 
und  zwei  Knaben  bestehende  Familie,  namens  Müller  aus  Langensulzbach  aus. 
Unglücklicherweise  starb  die  Frau  während  der  Seereise.  Um  die  noch  un- 
gedeckten Kosten  der  Reise  abzuarbeiten,  wurde  der  Mann  in  New  Orleans  an 
den  Pflanzer  Fitz  John  Miller  in  Attakapas  verkauft.     Da  er  sich  nicht  von 


—     122     — 

seinen  vier  Kindern  trennen  wollte,  nahm  er  diese  mit  sich.  Wenige  Wochen 
nach  seiner  Ankunft  in  Attakapas  erlag  der  wackere  Deutsche  dem  Fieber. 
Von  da  ab  blieben  alle  Nachforschungen,  welche  von  den  in  New  Orleans 
wohnenden  Verwandten  der  Famiüe  nach  dem  Verbleib  der  Kinder  angestellt 
wurden,  erfolglos.  Selbst  mehrere  zu  diesem  Zweck  unternommene  Reisen 
führten  zu  keinem  Ergebnis.  Erst  24  Jahre  später  wurde  eines  der  Mädchen, 
Salome  oder  Sally,  zufällig  in  New  Orleans  aufgefunden,  wohin  sie  von  Fitz 
John  Miller  im  Jahre  1838  an  den  Kaffeehausbesitzer  Louis  Belmont  verkauft 
worden  war. 

Die  von  den  Verwandten  des  Mädchens  eingeleiteten  Schritte  zur  Be- 
freiung des  Mädchens  hatten  zunächst  zur  Folge,  daß  Fitz  John  Miller  mehrere 
gefälschte  Dokumente  vorbrachte,  durch  welche  er  beweisen  wollte,  daß  er  das 
Mädchen  im  Jahre  1822  als  die  Mulattensklavin  Mary  (Bridget)  von  einem  ge- 
wissen Anthony  Williams  in  Mobile  zum  Verkauf  erhalten  und  dem  Williams 
eine  Abschlagszahlung  von  100  Dollar  gegeben  habe;  daß  er  im  Februar 
1823  die  Mulattin  für  53  Dollar  an  seine  Mutter  verkaufte,  sie  im  Jahre  1835 
aber  um  denselben  Preis  zurückerstand,  und  zwar  nebst  drei  Kindern,  die  in- 
zwischen von  ihr  mit  einem  Neger  erzeugt  worden  waren. 

Die  Bemühungen  zur  Befreiung  der  weißen  Sklavin,  deren  Identität  mit 
Salome  Müller  über  jeden  Zweifel  festgestellt  wurde,  führten  zu  einem  lang- 
wierigen, großes  Aufsehen  erregenden  Prozeß.  Derselbe  wurde  am  21.  Juni 
1845  vom  Obersten  Gerichtshof  von  Louisiana  dahin  entschieden,  daß  die 
Sklavin  Sally  Müller  von  europäischen  Eltern  geboren  und  darum  zur  Freiheit 
berechtigt  sei. 

Wie  viele  ähnliche  Fälle,  die  nicht  vor  den  Richterstuhl  gelangten,  sich  er- 
eignet haben  mögen,  entzieht  sich  jeder  Berechnung.  Sie  entflammten  aber 
schließlich  den  Unmut  der  in  den  englischen  Kolonien  ansässigen  Deutschen 
derart,  daß  sie,  empört  über  die  Behandlung,  die  ihren  Landsleuten  zuteil  wurde, 
sich  zu  Gesellschaften  verbanden,  deren  Ziel  in  der  Abschaffung  des  furchtbaren 
Menschenhandels  bestand.  Die  erste  dieser  „Deutschen  Gesellschaften'*  bildete 
sich  am  zweiten  Weihnachtstag  des  Jahres  1764  in  Philadelphia. 

Nachdem  L  u  d  w  i  g  W  e  i  ß  ,  ein  deutscher  Rechtsgelehrter,  eine  eindring- 
liche Ansprache  gehalten,  schritt  man  zum  Entwurf  einer  Verfassungsurkunde, 
deren  Anfang  folgendermaßen  lautete:  „In  nomine  Domini  nostri  Jesu  Christi. 
Amen.  Wir,  Seiner  Königlichen  Majestät  von  Großbritannien  Teutsche  Unter- 
thanen  in  Pennsylvanien,  sind  bei  Gelegenheit  der  mitleidswürdigen  Umstände 
vieler  unserer  Landsleute,  die  in  den  letzten  Schiffen  von  Europa  in  dem  Hafen 
von  Philadelphia  angekommen  sind,  bewogen  worden,  auf  Mittel  zu  denken, 
um  diesen  Fremdlingen  einige  Erleichterung  zu  verschaffen,  und  haben  mit 
unserem  Versprechen  und  einem  geringen  Beitrage  in  Geld  manchen  Neu- 
kommern  ihre  Noth  etwas  erträglich  gemacht.  Dies  hat  uns  zum  Schluß  ge- 
bracht, so,  wie  wir  zusammen  gekommen  sind,  eine  Gesellschaft  zur  Hülfe  und 
Beistand  der  armen  Fremdlinge  Teutscher  Nation  in  Pennsylvanien  zu  errichten, 


—     123     — 

und  einige  Regeln  festzusetzen,  wie  dieselbe  Gesellschaft  von  Zeit  zu  Zeit  sich 
vermehren  und  ihre  Gutthätigkeit  weiter  und  weiter  ausbreiten  möge." 

Die  erste  Errungenschaft  dieser  „Deutschen  Gesellschaft"  bestand  in 
einem  am  18.  Mai  1765  in  Kraft  tretenden  Gesetz,  wonach  den  Einwanderern 
auf  den  Schiffen  mehr  Raum  gesichert  und  den  schamlosen  Betrügereien  der 
Proviantmeister  vorgebeugt  wurde.  Ferner  wurde  bestimmt,  daß  jedes  Schiff 
einen  Arzt  und  die  nötigen  Arzneien  mit  sich  führen,  sowie  zu  bestimmten 
Zeiten  gesäubert  und  geräuchert  werden  müsse.  Auch  wurde  verfügt,  daß  den 
Beamten,  welche  die  Schiffe  bei  ihrer  Ankunft  zu  besichtigen  hatten,  vereidigte 
Dolmetscher  zur  Seite  gestellt  wurden. 

Die  zweite  „Deutsche  Gesellschaft"  trat  im  Jahre  1765  in  Charleston  ins 
Leben;  dann  folgten  New  York  im  Jahre  1784  und  endlich  Baltimore  im  Jahre 
1817.  Man  kann  diese  heute  noch  bestehenden  Gesellschaften  sehr  wohl  die 
Urheber  der  heutigen  Einwandrergesetzgebung  nennen,  denn  sie  waren  es,  die 
nicht  nur  die  Abschaffung  des  Käuflingswesens,  sondern  auch  die  menschen- 
würdige Behandlung  der  Auswandrer  auf  den  Schiffen  und  in  den  Hafenorten 
herbeiführten.  Ihnen,  wie  ihren  später  entstandenen  Tochteranstalten  in  Cin- 
cinnati,  Allentown,  Chicago,  Milwaukee,  Boston,  Pittsburgh,  Rochester,  St. 
Louis,  New  Orleans,  Kansas  City,  San  Francisco,  Portland  und  Seattle  gebührt 
darum  der  volle  Dank  jener  vielen  Millionen  von  Menschen,  denen  die  Früchte 
ihrer  mühseligen  Bestrebungen  zugute  gekommen  sind. 


Die  kulturellen  Zustände  der  Deutschamerikaner 
während  der  Kolonialzeit. 

Wie  aus  allen  früheren  Abschnitten  unserer  Geschichte  hervorleuchtet,  be- 
stand das  große  Heer  der  während  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  in  die  eng- 
lischen Kolonien  einwandernden  Deutschen  aus  Ackerbauern  und  Handwerkern. 
Unter  ihnen  bildeten  die  Landwirte  die  Mehrheit.  Das  Leben,  welches  ihrer  in 
dem  neuen  Weltteil  wartete,  war  keineswegs  leicht  und  behaglich,  sondern  voller 
Mühseligkeiten  und  Entbehrungen.  Galt  es  doch  zunächst,  einen  förmlichen 
Kampf  gegen  die  das  ganze  Land  bedeckenden  Urwälder  zu  führen,  ehe  man 
Raum  für  Hütten  und  Felder  gewann.  Denn  meist  drängten  sich  die  dichten 
Wälder  bis  hart  an  die,  die  bequemsten  Verkehrswege  darstellenden  Ströme  und 
Seen,  deren  Ufer  aus  mancherlei  Gründen  zur  Anlage  von  Niederlassungen  be- 
vorzugt wurden.  Die  Klagen  der  Ansiedler  von  Germantown  über  die  „grau- 
sam dicken  Wälder''  ertönten  auch  von  den  Lippen  aller  späteren  Nachkömm- 
linge, welche  in  dem  östlich  vom  Mississippi  gelegenen  Gebiet  neue  Heimsitze 
schufen. 

Nebenher  gab  es  Gefahren  der  verschiedensten  Art  zu  bestehen.  Außer 
Angriffen  seitens  wilder  Tiere  drohten  solche  seitens  der  Urbewohner  des 
Landes,  die  das  Vordringen  der  Bleichgesichter  keineswegs  mit  freundlichen 
Blicken  beobachteten. 

Diese  Indianer  erwäesen  sich  ebenso  kühn  und  verschlagen  in  der  Art 
ihrer  Kriegsführung,  als  grausam  in  der  Behandlung  ihrer  Gefangenen.  Das 
waren  für  die  Ansiedler  Gründe  genug,  um  auf  ihre  Sicherheit  bedacht  zu  sein. 
Deshalb  bildeten  ihre  Hütten  stets  kleine,  mit  großem  Scharfsinn  für  die  Ver- 
teidigung hergerichtete  Festungen. 

Wenn  möglich,  erbaute  man  sie  auf  den  Rücken  abgeholzter  Hügel,  von 
wo  Feinde  schnell  bemerkt  und  ihre  Annäherung  verhindert  werden  konnte. 
Fanden  sich  keine  zum  Bau  verwendbaren  Steine  in  der  Nähe,  so  glätteten  die 
Ansiedler  die  Stämme  einiger  gefällter  Bäume  und  fügten  dieselben,  einen  Stamm 


Kopfleiste:   Beim  Bau  der  Heimstätte. 


—     125     — 

über  den  arideren  legend,  in  sinnreicher  Weise  zu  äußerst  festen  Hütten  zu- 
sammen. Die  Tür-  und  Fensteröffnungen  wurden  später  ausgehauen,  der  fest- 
gestampfte Fußboden  bisweilen  mit  Dielen  bedeckt  und  die  Feuerstelle  ausge- 
mauert oder  mit  Lehm  verschmiert,  um  das  Übergreifen  der  Flammen  auf  die 
Holzwände  zu  verhüten.  Besaß  das  Blockhaus  ein  oberes  Stockwerk,  so  hatte 
das  Erdgeschoß  außer  dem  durch  eine  schwere  Tür  verschlossenen  Eingang 
keine  Fenster,  sondern  nur  schmale  Schießscharten.  Im  Innern  des  Hauses  führte 
eine  emporziehbare  Leiter  durch  eine  Falltür  in  das  obere  Stockwerk,  welches  auf 
allen  Seiten  mehrere  Fuß  über  das  Erdgeschoß  vorragte.  Im  Boden  dieses  vor- 
springenden Teils  befanden  sich  kleine  Luken,  durch  welche  man  die  Feinde  von 


Eine  befestigte  Niederlassung  des  18.  Jahrhunderts. 

oben  herab  beschießen  oder  mit  kochendem  Wasser  übergießen  konnte,  wenn 
sie  versuchten,  die  Türe  einzustoßen  oder  das  Haus  anzuzünden. 

Um  zu  verhüten,  daß  das  Dach  durch  feurige  Pfeile  in  Brand  gesetzt 
werde,  bedeckte  man  es  häufig  mit  einer  dicken  Lehmschicht,  durch  welche  das 
Feuer  sich  nicht  durchfressen  konnte.  Obendrein  standen  im  Innern  des  Ge- 
bäudes überall  Behälter  mit  Wasser  zum  Löschen  bereit.  Ein  Brunnen  befand 
sich  entweder  in  einer  Ecke  des  Hauses  oder  in  direkter  Nähe  desselben,  damit 
während  einer  Belagerung  den  Eingeschlossenen  niemals  das  unentbehrliche 
Wasser  fehle.  Bisweilen  lagen  unter  dem  Boden  des  Blockhauses  geheime  Keller, 
welche  in  Augenblicken  größter  Not  als  letzte  Zuflucht  dienten. 

Da  die  um  jene  Zeit  benutzten  Kugeln  die  Wände  eines  solchen  Block- 
hauses nicht  zu  durchschlagen  vermochten,  so  entsprachen  diese  einfachen  Be- 
festigungen ihrem  Zweck  vollkommen,  besonders  wenn  sie  von  heldenmütigen 


—     126     — 


miiilin,  '/y^^  '^  '■  "&'  ii(/f,i  1 111,1    , 


Männern  verteidigt 
wurden.  Wohl  das 
glänzendste  Beispiel 
einer  solchen  Ver- 
teidigung ist  die  in 
einem  anderen  Ab- 
schnitt erzählte  des 
Pfälzers  Christian 
Scheil,  dessen  im 
Mohawl(tal  gelegene 
Hütte  im  Jahre  1780 
von  48  Indianern  und 
16  Engländern  be- 
lagert wurde. 
Wo  man  häufig  von  solchen  feindlichen  Überfällen  bedroht  war,  rücl^ten 
die  Ansiedler  ihre  Behausungen  so  zusammen,  daß  sie  ein  Parallelogramm,  ein 
Vier-  oder  Fünfeck  bildeten,  wie  beispielsweise  die  Ansiedlung  Germanna  in 
VJrginien  oder  das  von  dem  Trapper  Daniel  Boone  in  Kentucky  angelegte 
Boonesborough.  Dann  stießen  die  einzelnen  Hütten  mit  ihren  Schmalseiten 
derart  aneinander,  daß  die  mit  Türen  und  Fenstern  versehenen  Vorderseiten  ge- 


Angriff auf  eine  befestigte  Ansiedlung. 


—     127     — 

meirischaftlich  einen  Hof  bildeten,  während  die  zehn  bis  zwölf  Fuß  hohen,  nur 
mit  Schießscharten  versehenen  Rückwände  die  Außenseite  der  Befestigungen  dar- 
stellten. Häufig  waren  solche  Bollwerke  obendrein  mit  Palisaden  und  Wasser- 
gräben umzogen.  An  den  Ecken  der  Pahsadeneinfassung  erhoben  sich  turm- 
artige Blockhäuser,  von  denen  aus  das  vor  der  Niederlassung  liegende  Land 
sowie  die  Palisaden  bestrichen  werden  konnten.  Bisweilen  stand  ein  besonders 
starker  Hclzturm  im  Mittelpunkt  der  Ansiedlung,  um,  wenn  alle  anderen  Ge- 
bäude den  Feinden  in  die  Hände  gefallen  waren,  als  letzte  Zuflucht 
zu  dienen. 

Die  beständige  Unsicherheit  an  der  sogenannten  Indianergrenze  nötigte 
die  Ansiedler  zu  unablässigem  Kundschafter-  und  Wachtdienst.  Zur  Teilnahme 
an  demselben  war  jeder  waffenfähige  Mann  verpflichtet.  Obwohl  betreffs  solcher 
militärischen  Leistungen  keine  bestimmten  Gesetze  bestanden,  so  erwartete  man 
doch  von  jedem,  daß  er  der  Allgemeinheit  gegenüber  seine  volle  Schuldig- 
keit tue. 

Da  die  Sicherheit  aller  auf  der  Schlagfertigkeit  jedes  einzelnen  beruhte,  so 
galten  Mängel  in  der  Ausrüstung,  das  Fehlen  eines  Ladestocks  oder  Feuersteins, 
Knappheit  an  Munition  als  äußerst  schimpflich.  Wer  sich  gar  ohne  triftige  Ent- 
schuldigung um  den  Wacht-  oder  Kundschafterdienst  herumdrückte,  erfuhr  nicht 
nur  die  scharfe  Verurteilung  aller  anderen,  sondern  fand  sich  auch  in  sämtlichen 
Gefahren  und  Arbeitsverrichtungen  allein  und  wurde  aus  der  Gegend  förmlich 
herausgeekelt. 

Bemerkten  die  »Kundschafter  oder  Wachtposten  das  Nahen  einer  Gefahr, 
so  gaben  sie  sofort  Warnungssignale.  Ihre  Art  wurde  stets  genau  verabredet. 
So  bedeutete  im  Schoharietal  ein  vom  Fort  aus  abgefeuerter  Kanonenschuß, 
daß  die  Ansiedler  dorthin  zu  flüchten  hätten.  Zwei  aufeinanderfolgende  Schüsse 
verständigten  die  Ansiedler,  daß  sie  auf  dem  Weg  zum  Fort  auf  Feinde  stoßen 
könnten;  drei  Schüsse  hingegen  verkündigten,  daß  das  Fort  belagert  sei,  wes- 
halb die  Ansiedler  sich  in  den  Wäldern  verbergen  müßten. 

Während  einer  Belagerung  fiel  der  Befehl  über  die  im  Fort  versammelten 
Männer  demjenigen  zu,  welcher  im  Kampf  mit  Indianern  die  meisten  Erfahrungen 
besaß.  Er  wies  auch  jedem  seine  Stellung  an  einer  bestimmten  Schieß- 
scharte an. 

So  einfach  wie  die  ersten  Behausungen,  so  einfach  war  auch  ihre  innere 
Ausstattung.  Ein  Tisch,  eine  Bank,  m.ehrere  Binsenstühle  und  die  Betten  bildeten 
das  ganze  Mobiliar.  Einige  eiserne  Töpfe,  Gabeln  und  Messer  brachte  man  aus 
dem  Osten  mit.  Getrocknete  Schalen  von  Kürbissen  dienten  als  Schüsseln, 
Teller,  Becken  und  Wasserbehälter.  Oder  man  schnitzte  sie  aus  Holz,  um  sie 
später  bei  Gelegenheit  durch  solche  aus  Zinn  oder  Steingut  zu  ersetzen.  In  den 
Ecken  lehnten  die  Äxte  und  Ackerbaugeräte;  an  den  Wänden  hingen  an  Holz- 
pflöcken die  Kleider,  Hüte,  Flinten  und  Pulverhörner;  auf  dem  Bordbrett  lagen 
Bibel  und  Gesangbuch;  neben  dem  Feuerherd  stand  das  Spinnrad,  an  welchem 
die  Frauen  in  den  Abendstunden  sich  zu  beschäftigen  pflegten. 


—     128     — 

Die  Kleider  fertigte  man  aus  selbstgesponnenen  derben  Zeugen,  dem  so- 
genannten „home  spun";  für  die  Beinkleider  und  Jagdröcke  der  Männer  und 
Knaben  verwendete  man  mit  Vorliebe  gegerbtes  Wildleder,  da  solche  Ge- 
wänder für  das  Leben  in  Busch  und  Wald  große  Vorzüge  besaßen. 

Die  allgemein  getragenen  losen  Jagdröcke  reichten  bis  zur  Mitte  der  Ober- 
schenkel und  wurden  um  die  Lenden  durch  einen  Gürtel  zusammengehalten. 
Der  häufige  Verkehr  mit  den  Indianern  führte  dazu,  solche  Gewänder  nach  in- 
dianischer Weise  mit  bunten  Stickereien  zu  schmücken.  Desgleichen  versah 
man  die  Säume  der  Ärmel  und  Beinkleider  mit  langen  Lederfransen,  welche  nicht 
bloß  als  Verzierung,  sondern  im  Notfall  als  Ersatz  für  Bindfaden  dienten. 

Da  die  Männer  sich  auch  der  äußerst  bequemen,  leicht  herzustellenden 
Mokassins  bedienten  und  anstatt  der  Hüte  Mützen  aus  Fuchsfell  trugen,  so  ent- 
behrten diese  mit  Büchsen,  Kugeltaschen,  Pulverhörnern,  Jagdmessern  und 
Handbeilen  ausgerüsteten  Gestalten  sicher  nicht  eines  malerischen  Anstrichs. 
Manche  Hinterwäldler  fanden  so  große  Vorliebe  für  die  bequeme  indianische 
Tracht,  daß  sie  alle  Eigenheiten  derselben  nachahmten  und  anstatt  der  Hosen 
die  den  Oberschenkel  teilweise  freilassenden  Leggins,  ferner  das  Breechcloth, 
ein  zwischen  den  Beinen  durchgezogenes,  vorn  und  hinten  über  den  Gürtel 
fallendes  Schamtuch  trugen. 

Geschicklichkeit  im  Gebrauch  der  Waffen  stand,  wie  an  so  bedrohten 
Orten  nicht  anders  zu  erwarten,  bei  den  deutschen  Ansiedlern  in  höchstem  An- 
sehen. Bereits  zwölfjährige  Knaben  führten  Büchse,  Kugeltasche  und  Jagd- 
messer. Auch  erhielten  sie  im  Fort  bestimmte  Schießscharten  zugewiesen,  die 
sie  während  einer  Belagerung  verteidigen  mußten.  Mit  Bogen  und  Pfeilen 
wußten  sie  vortrefflich  umzugehen.  Gleich  den  Männern  betrieben  sie  auch 
allerhand  Leibesübungen,  die  ihnen  in  dem  steten  Kampf  ums  Dasein  von 
Nutzen  sein  konnten:  Wettlaufen,  Weit-  und  Hochspringen,  Schwimmen,  Klettern 
und  Ringen. 

Von  den  Indianern  adoptierte  man  die  Kunst,  mit  Messern  zu  werfen  und 
die  Handbeile  zu  schleudern.  Man  beobachtete  im  Walde  aufs  sorgfältigste  die 
Tierstimmen  und  übte  sich  im  Unterscheiden  und  Nachahmen  derselben,  um 
solche  Fertigkeiten  während  der  Jagd  zum  Anlocken  der  Tiere,  im  Krieg  zu 
Signalzwecken  zu  verwenden. 

Aus  der  Geschichte  der  Deutschen  im  Mohawktal  wissen  wir,  daß  sie  an 
die  Bewohner  des  Schoharietals  häufig  Herausforderungen  zu  öffentlichen  Wett- 
rennen und  Ringkampfspielen  ergehen  ließen,  um  während  derselben  ihre  per- 
sönliche Kraft  und  Geschicklichkeit  zu  erproben.  Aus  allen  benachbarten  Aii- 
siedlungen  stellten  sich  dann  Zuschauer  ein,  um  solchen  Wettkämpfen  beizu- 
wohnen. 

Eine  der  beliebtesten  Unterhaltungen  bildeten  Preisschießen.  Sie  wurden 
veranstaltet,  so  oft  die  Vorräte  an  Munition  dies  gestatteten.  In  bezug  auf  Treff- 
sicherheit waren  die  meisten  Deutschen  ihren  Nachbarn  irischer,  schottischer 
und  englischer  Abkunft  weit  überlegen,  da  sie  fast  ausschließlich  Flinten  mit  ge- 


Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika. 


UN/VERSITY 

CF 


131     — 


zogenen  Läufen,  die  sogenannten  Rifles,  führten,  während  ihre  Nachbarn  nur 
solche  mit  glatten  Läufen  besaßen.  Manche  genossen  als  Meisterschützen  großen 
Ruf.  Aus  ihnen  rekrutierten  sich  im  Befreiungskriege  jene  „minute  men",  deren 
Hauptaufgabe  es  war,  die  feindlichen  Offiziere  wegzuschießen. 

Als  diese  aus  Pennsylvanien  und  Maryland  zusammengezogenen  deut- 
schen Scharfschützen  sich  in  Fredericktown  und  Lancaster  versammelten,  setzten 
sie  die  dortigen  Bewohner  durch  Proben  ihrer  Meisterschaft  in  Staunen.  Auf 
der  Brust,  den  Seiten  und  dem  Rücken  liegend  fehlten  sie  ebensowenig  ihr  Ziel, 
als  im  Freihandschießen  und  während  des  Laufens.  Einer  der  Männer  klemmte 
ein  fünf  Zoll  breites,  mit  einem  weißen  Stückchen  Papier  m  Größe  eines  Silber- 
dollars beklebtes  Brettchen  zwischen  seine  Beine,  worauf  ein  anderer  Schütze 
aus  einer  Entfernung  von  1 50  Fuß  aus  freier  Hand  acht  Kugeln  durch  das  Papier 
jagte.  Ein  anderer 
Mann  hielt  zwischen 
seinen  Fingern  einen 
hölzernen  Ladestock, 
der  darauf  von  einem 
Schützen  aus  der  glei- 
chen Entfernung  Zoll 
für  Zoll  weggeschossen 
wurde.  Mehrere  Män- 
ner waren  bereit,  sich 
Äpfel  vomKopf  schießen 
zu  lassen.  Die  anwe- 
senden ehrsamen  Bürger 
weigerten  sich  aber, 
Zeuge  so  gefährlicher 
Kunststücke    zu    sein. 

Wie  die  Frauen  beim  Aufschlagen  und  Herrichten  der  Heimstätten,  bei  den 
Feldarbeiten  und  der  Sorge  für  das  Vieh  den  Männern  als  treue  Helferinnen  zur 
Seite  standen,  so  erwiesen  sie  sich  auch  in  den  Stunden  der  Gefahr  meist  als 
mutige  Bundesgenossinnen.  Bestürmten  Feinde  das  Haus,  so  luden  die  Frauen  die 
Flinten  und  reichten  sie  den  Männern  dar,  um  es  ihnen  zu  ermöglichen,  rascher 
zu  feuern.  Ging  der  Vorrat  an  Kugeln  zur  Neige,  so  gössen  sie  neue;  in  den 
Augenblicken,  wo  das  Gefecht  ruhte,  labten  sie  die  Verteidiger  mit  Wasser  und 
Nahrung,  pflegten  die  Verwundeten  und  beruhigten  die  angsterfüllten  Kinder. 
Ja,  wenn  es  nottat,  griffen  sie  gleichfalls  zu  den  Büchsen  und  halfen  die  An- 
greifer durch  wohlgezielte  Schüsse  zurücktreiben. 

Den  Frauen  lag  auch  die  Verteidigung  der  Hütten  ob,  wenn  die  Männer 
der  Feldarbeit  nachgingen.  Dann  stiegen  sie  oft  mit  ihren  Büchsen  zu  den 
zwischen  den  Kronen  freistehender  hoher  Bäume  angelegten  Beobachtungsposten 
empor,  um  Ausschau  nach  Feinden  zu  halten  und  beim  Ansichtigwerden  der- 
selben die  Männer  durch  Alarmschüsse  zu  warnen.     Die  aus  der  Pionierzeit 


Eine  befestigte  Ansiedlung  zur  Winterzeit. 


132 


stammenden  vergilbten  Chroniken  der  Staaten  New  York,  Pennsylvanien,  Vir- 
ginien,  Ohio  und  Kentucky  erzählten  Dutzende  von  Beispielen,  wo  wackere 
Frauen  beim  Ausüben  ihres  schweren  Amtes  wahre  Heldentaten  verrichteten. 

In  ihrer  Lebensweise  waren  die  deutschen  Grenzv/ächter  höchst  genüg- 
sam. Kartoffeln,  Mais,  Bohnen,  Erbsen,  Kürbisse  und  Kohl  bildeten  die  Haupt- 
nahrung. Dazu  aß  man  Speck  und  Wildbret.  Als  Getränke  dienten  Wasser, 
iMilch,  selbstbereitetes  Bier  oder  Apfelwein. 

Kinderzuwachs  wurde  freudig  begrüßt,  bedeutete  doch  jeder  neugeborene 
Knabe  eine  künftige  Hilfe  für  den  Vater  bei  der  Feldarbeit  und  Jagd;  jedes  Mäd- 
chen eine  Stütze  der  Mutter  im  Haushalt. 


Eine  entstehende  Ansiedlung. 


Große  Fürsorge  ließen  die  deutschen  Ansiedler  ihren  Pferden  und  dem 
Vieh  angedeihen.  Beide  hielt  man  nur  in  beschränkter  Zahl,  bemühte  sich  aber, 
ihre  Leistungs-  und  Ertragsfähigkeit  durch  gute  Pflege,  ausreichendes  Futter 
und  saubere  Stallungen  zu  erhalten.  Gleiche  Sorgfalt  beobachtete  man  beim 
Anlegen  und  Instandhalten  der  Felder.  Schon  durch  die  Art,  wie  die  Deutschen 
den  Boden  klärten,  unterschieden  sie  sich  von  ihren  englischen,  schottischen 
und  irischen  Nachbarn.  Während  jene  die  abgehackten  Stämme  und  das  Unter- 
holz an  Ort  und  Stelle  vermodern  ließen,  verbrannten  die  Deutschen  alles  über- 
flüssige Holz,  wodurch  das  gerodete  Land  schon  im  zweiten  Jahre  zur  Be- 
pflanzung  geeignet  wurde. 


—     133     - 

Von  der  Heimat  her  an  eine  sorj^^fältige  Ausnutzung  des  Bodens  gewöhnt. 
bUeben  die  Deutschen  auch  stets  darauf  bedacht,  seine  Krtragsfähigkeit  durch 
regelmäßiges  Düngen  zu  erhalten.  Sie  betrieben  nie  jenen  unseligen  Raubbau, 
der  die  Ländereien  der  anglo-amerikanischen  Farmer  so  schnell  erschöpfte,  daß 
diese  sich  nach  wenigen  Jahren  genötigt  sahen,  neue  Gebiete  aufzusuchen. 
Während  dadurch  die  Yankeefarmer  zu  einem  unsteten  Element  wurden,  kannten 
die  seßhaften,  die  sie  nährende  Scholle  liebenden  Deutschen  keinen  größeren 
Wunsch,  als  ihre  unter  so  schweren  Mühen  der  Wildnis  abgerungenen  Heim- 
stätten auf  die  Nachkomm.en  zu  vererben,  damit  diesen  der  volle  Ertrag  der  von 
den  Vätern  geleisteten  Arbeit  zugute  komme.  Infolge  dieser  Pflege  liefern  die  von 
den  Deutschen  bewirtschafteten  Güter  in  Pennsylvanien  und  im  Mohawktal  noch 
heute,  nach  nahezu  200  Jahren,  ebenso  große  Erträgnisse,  wie  zu  der  Zeit,  wo 
ihr  Boden  zuerst  gebrochen  wurde.^) 

Stets  achteten  die  Deutschen  darauf,  daß  sich  neben  dem  Waldland  auch 
ein  beträchtliches  Stück  Wiesengrund  befand,  wo  das  Vieh  weiden  und  Obst- 
bäume gepflanzt  werden  könnten.  Die  Felder  waren  immer  durch  hohe  Zäune 
gegen  den  Einbruch  größerer  Tiere  geschützt.  Diese  Maßregel  erstreckte  sich 
oft  auch  auf  die  Wälder,  um  jungen  Bäumen  Gelegenheit  zum  Wachstum  zu 
geben  und  dadurch  den  Abgang  des  zu  verschiedenen  Zwecken  benötigten 
Holzes  zu  ersetzen. 

Waren  die  Bewohner  der  Wildnis  in  den  Stunden  der  Gefahr  aufeinander 
angewiesen,  so  unterstützten  sie  einander  auch  bei  allen  schweren  Verrichtungen. 
Von  jedem  Manne  erwartete  man,  daß  er  seinen  Nachbarn  beim  Hausbau,  bei 
der  Ernte  und  dem  Einfahren  des  Holzes  hilfreiche  Hand  biete.  Die  Frauen  und 
Mädchen  kamen  zusammen,  um  die  Vorräte  für  den  Winter  herzurichten. 

Im  Herbst,  wenn  die  Ernte  vorüber,  rüsteten  die  benachbarten  Familien 
gemeinschaftlich  eine  aus  mehreren  bewaffneten  Männern  und  einer  entsprechen- 
den Anzahl  von  Packtieren  bestehende  Karawane  aus,  welche  das  im  Laufe  des 
Jahres  gesammelte  Pelzwerk  nach  den  größeren  Handelsplätzen,  wie  Albany, 
Lancaster,  Hagerstown,  Frederick  und  anderen  Orten  brachten,  wo  man  es 
gegen  Salz,  Pulver  und  Blei,  Eisen,  Vieh,  Mehl,  Lebensmittel  oder  andere  not- 
wendige Dinge  vertauschte. 


1)  Ein  sehr  günstiges  Urteil  über  die  deutschen  Bauern  Pennsylvaniens  lieferte  der 
berühmte  französische  Botaniker  Michaud.  Er  schreibt  in  seinem  Reisewerk  beim  Besuch 
des  Ligonier  Tales: 

„Die  höhere  Kultur  des  Ackerlandes  und  der  bessere  Zustand  der  Zäune,  die  das 
Land  abtrennen,  beweisen  zur  Genüge,  daß  hier  eine  Ansiedlung  Deutscher  ist;  denn  bei 
ihnen  kündigt  alles  jenen  Wohlstand  an,  der  ein  Lohn  des  Fleißes  und  der  Arbeit  ist. 
Sie  helfen  einander  bei  der  Ernte  aus,  heiraten  untereinander,  sprechen  stets  Deutsch  und 
bewahren  soviel  wie  möglich  die  Sitten  ihrer  europäischen  Vorfahren.  Sie  leben  viel 
besser,  als  "die""  amerikanischen  Nachkommen  der  Engländer,  Schotten  und  Irländer,  sind 
geistigen  Getränken  nicht  so  sehr  ergeben  und  besitzen  nicht  einen  so  unsteten  Geist  wie 
diese,  der  oftmals  der  nichtigsten  Beweggründe  halber  sie  bestimmt,  mehrere  hundert 
Meilen  weiter  zu  wandern,  in  der  Hoffnung,  auf  fruchtbareres  Land  zu  stoßen." 


~     134     — 

Trotz  der  Abgeschiedenheit,  in  welcher  diese  Kulturpioniere  lebten,  war 
ihr  Dasein  keineswegs  eintönig.  Waren  die  Felder  bestellt  oder  die  Ernten  ein- 
geheimst, so  schlug  man  die  gewaltigen  Urwaldstämme  nieder,  oder  man  begab 
sich  auf  die  Jagd,  um  den  Tisch  mit  Fleisch  zu  versorgen  und  Pelzwerk  zu  ge- 
winnen. Herbst  und  Winter  brachten  mancherlei  Unterhaltungen,  bei  denen  die 
deutsche  Frohnatur  zum  Durchbruch  kam.  Besonders  beim  Gewinnen  des 
Ciders  oder  Apfelmosts. 

„Un  wann  die  Geig  noch  gange  isch, 

War'n  ganse  Nacht  ken  Ruh; 

D'r  Seider  hol  uns  ufgewacht, 

Die  Geig  die  hot  uns  danze  g'macht, 

In  Schtiffel  oder  Schuh; 

Wann  Schuh  und  Schtiffel  war'n  v'rranzt 

Dann  hen  m'r  in  die  Schtrümp  gedanzt" 

Und  daß  es  auch  beim  Einholen  der  Ernten,  beim  Enthülsen  der  Mais- 
kolben, dem  „Welschkorn-Baschte"  heiter  zuging,  ergibt  sich  aus  folgendem 
Verslein : 

„Am  Welschkorn-Baschte  war's  die  Rule  (Regel) 

So  bei  die  junge  Leut: 

Hot  ein'r  'n  roten  Kolwe  (Kolben)  g'funne. 

Dann  hot'r  a'h'n  Schmuzer  (Kuß)  g'wunne 

Vom  Mädel  bei  d'r  Seit; 

Die  rote  Kolwe  hen  m'r  g'schpaart 

Vor  Soome  (Samen)  —  S'war  so'n  gute  Art."  — 

Hinsichtlich  ihrer  Gastlichkeit  standen  die  deutschen  Grenzbewohner  un- 
übertroffen. „In  Pennsylvanien  könnte  man,''  so  schreibt  Mittelberger,  „ein 
ganzes  Jahr  herumreisen,  ohne  einen  Kreuzer  zu  verzehren,  denn  es  ist  in  diesem 
Lande  gebräuchlich,  daß,  wo  man  samt  dem  Pferd  an  ein  Haus  kommt,  man 
den  Reisenden  fragt,  ob  er  was  zu  essen  haben  wolle?  Worauf  man  allzeit  ein 
Stück  kalt  Fleisch,  welches  gemeiniglich  nach  Tisch  übrig  geblieben,  dem 
Fremden  vorlegt;  dazu  giebt  man  noch  schön  Brod,  Butter  oder  Käß,  nebst 
Trinken  genug.  Will  einer  über  Nacht  bleiben,  so  wird  er  wieder  sammt  dem 
Pferd  frey  gehalten.  Kommt  Jemand  zu  Essenszeit  in  ein  Haus,  so  muß  man 
gleich  zum  Tisch  sitzen  und  mitessen,  wie  man's  trifft."  Bot  man  so  dem 
Fremden  alles  zu  seinem  Behagen  Nötige,  so  geschah  dies  in  der  Zuversicht 
auf  gleiches  Entgegenkommen,  wenn  man  selbst  weite  Reisen  unternehmen 
müsse. 

Saßen  deutsche  Ansiedler  in  genügender  Zahl  beisammen,  um  eine  Ge- 
meinde bilden  und  einen  Seelsorger  unterhalten  zu  können,  so  schritten  sie  zu- 
nächst zum  Bau  eines  Gotteshauses.  Das  Äußere  wie  seine  innere  Ausstattung 
entsprachen  fürs  erste  natürlich  durchaus  dem  rauhen  Charrakter  der  Umgebung. 
Da  die  Kirchen  zur  Aufnahme  einer  größeren  Zahl  von  Menschen  von  vorn- 
herein geeignet  waren,  so  dienten  sie  bei  feindlichen  Überfällen  oft  auch  als  Zu- 


—     135     — 

fluchtsstätten.  Deshalb  waren  sie  stets  aus  starken  Baumstämmen  oder  Steinen 
erbaut  und  die  Wände  mit  Schießscharten  versehen.  Der  Fußboden  bestand 
aus  festgestampftem  Lehm  oder  war  mit  Planken  belegt.  An  Stelle  des  teuren 
Glases  verklebte  man  die  Fensteröffnungen  mit  Ölpapier  oder  sie  blieben,  wie 
in  der  Kirche  zu  Waldoburg  in  New  England,  offen  und  wurden  nur  im  Winter 
durch  vorgespannte  Schafhäute  geschlossen.  Abschnitte  hohler  Baumstämme 
vertraten  bisweilen  Kanzel  und  Taufstein.  Drei  bis  vier  schräg  gegeneinander- 
gestellte  Bäume  ersetzten  den  Turm,  von  dem  die  Glocke  zur  Andacht  rief. 

Ein  solcher  Urwaldtem.pel  war  die  berühmte,  von  Pastor  S  t  ö  v  e  r  in  der 
jetzigen  Grafschaft  Libanon  in  Pennsylvanien  erbaute  Bergkirche.  Sie  war  in  der 


Eine  Waldkirche. 


ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  das  einzige  Gotteshaus  auf  hundert  Meilen 
in  der  Runde.  Pastor  Lochmann  schrieb  über  sie  im  Jahre  1732:  „Der 
Hunger  nach  dem  Wort  Gottes  und  der  Eifer  für  den  Gottesdienst  war  in  jener 
Zeit  groß,  denn  die  Zuhörer  kamen  von  weit  und  breit  zusammen  und  ließen 
sich  durch  keine  Gefahren  abschrecken.  Man  nahm  die  Flinte  mit  zur  Kirche, 
um  sich  unterwegs  nicht  nur  gegen  die  wilden  Tiere,  sondern  auch  gegen  die 
noch  weit  wilderen  Indianer  zu  verteidigen.  So  lange  man  Gottesdienst  hielt, 
standen  mehrere  Männer  mit  geladenen  Gewehren  vor  der  Kirche  Schildwache, 
denn  man  war  gewarnt  durch  den  Überfall,  den  eine  deutsche  Gemeinde  durcii 
die  Indianer  erfahren  und  wobei,  außer  einem  Knaben,  alle  die  in  der  Kirche 
waren,  schrecklich  gemordet  wurden.** 


—     136    — 

Solche  urwüchsigen,  dem  Chrarakter  der  Wildnis  entsprechende  Kirchen- 
bauten wurden  mit  der  Zeit  durch  bessere  ersetzt,  wenn  die  Gegend  sich  be- 
völkerte und  Sitten  und  Lebensweise  der  Ansiedler  kultivierter  wurden. 

Natürlich  schleppten  sich  manche  in  der  einsamen  Lage  der  Ansiedlungen 
begründete  Unbequemlichkeiten  lange  hin,  wie  wir  beispielsweise  aus  der  fol- 
genden Schilderung  Mittelbergers  ersehen:  „Manche  Leute  haben  zwei,  drei, 
vier,  fünf  bis  zehn  Stund  Weges  zur  Kirche  zu  kommen;  jedermann  aber,  männ- 
lich und  weiblich,  reitet  zur  Kirche,  wann  man  auch  nur  etwa  eine  halbe  Stunde 
weit  dahin  hätte,  welches  auch  bey  denen  Hochzeiten  und  Begräbnissen  gebräuch- 
lich ist.  Man  kann  zu  Zeiten  auf  dem  Land  bey  ermeldten  Hochzeiten  oder  Leichen- 
begängnissen bis  500  reitende  Personen  zählen.  Man  kann  sich  leicht  vor- 
stellen, daß  hiebey  so  wie  auch  bey  Communionen  kein  Mensch  in  schwarzen 
Kleidern,  Floren  oder  Mänteln  erscheint.  Wann  jemand,  sonderheitlich  auf  dem 
Lande  gestorben,  wo  man  wegen  den  djirzwi sehen  liegenden  Plantagen  und 
Waldungen  weitläufig  von  einander  wohnt,  so  wird  die  bestimmte  Zeit  der  Be- 
gräbniß  allzeit  nur  bey  denen  nechsten  vier  Nachbarn  angezeigt;  darnach  sagt 
solches  jeder  wieder  seinen  nechsten  Nachbar  an.  Auf  solche  Art  wird  die 
Leichbestellung  in  24  Stunden  mehr  denn  50  Englische  Meilen  im  Umkreiß  be- 
kannt. Es  findet  sich  dann  womöglich  von  jedem  Hause  eine,  wo  nicht  mehr 
Personen  zur  Leiche  auf  die  bestimmte  Zeit  reitend  ein.  So  lang  sich  nun  die 
Leute  versammeln,  so  reicht  man  denen  Anwesenden  auf  einem  großen  Zinn 
einen  in  Stücke  zerschnittenen  guten  Kuchen;  nebst  diesem  giebt  man  jeder 
Person  in  einem  Kelch  einen  wohlgewärmten  West-Indischen  Rum,  worunter 
man  Citronen,  Zucker  und  Wachholderbeeren  thut,  welche  darinnen  kostbar  ge- 
halten werden.  Nach  diesem  präsentirt  man  auch  einen  warmen  und  süß  ge- 
machten Most  zum  trinken.  Wann  nun  die  Leute  beynahe  versammelt,  und 
die  Zeit  der  Begräbniß  heran  rücket,  so  trägt  man  den  Todten  auf  den  gewöhn- 
lichen allgemeinen  Begräbnißplatz  oder,  wo  man  zu  weit  davon  abwohnet, 
begräbt  man  solchen  etwa  nur  auf  seinem  eigenen  Felde.  Die  zuvor  versammelte 
Leute  reiten  alle  in  der  Stille  hinter  dem  Sarge  nach,  da  man  manchmal  ein-, 
zwei-,  drei-,  vier-  bis  fünfhundert  reitende  Personen  zehlen  kann.  Die  Todten- 
Särge  werden  alle  von  schönem  Wallnusholz  und  mit  einem  Glanz-Fürniss  ganz 
braun  gemacht.  Vermögende  Leute  lassen  an  demselben  vier  mit  Messing  schön 
gearbeitete  Handgefäße  schlagen,  woran  man  die  Särge  hält  und  zur  Gruft  traget. 
Wenn  die  verstorbene  Person  ein  Jüngling  gewesen,  wird  solcher  von  vier 
Jungfern,  hingegen  eine  verstorbene  Jungfer  von  vier  ledigen  Gesellen  zu  Grabe 
getragen." 

So  war  das  Leben  der  Deutschen  an  den  Grenzen  der  Wildnis  während 
des  18.  Jahrhunderts  ein  seltsames  Gemisch  alter,  aus  der  Heimat  mitgebrachter 
Sitten  und  neuer,  dem  Charakter  der  Wildnis  angepaßter,  vielfach  direkt  den 
Indianern  und  Trappern  entlehnter  Gewohnheiten.  Die  gleiche  seltsame  Mischung 
zeigte  sich  auch  in  den  Lebensanschauungen.  Von  dem  mittelalterlichen  Glauben 
an  Hexen  und  Bezauberung,  an  das  Besprechen  der  Krankheiten,  an  die  Mög- 


—     137     — 

lichkeit,  durch  allerlei  Mittel  und  Sprüchlein  sich  „kugelfest**,  d.  h.  unverwund- 
bar machen  zu  können,  hatte  man  sich  noch  nicht  losgemacht. 

Die  Abgeschiedenheit  ihrer  Wohnstätten,  die  Unkenntnis  der  englischen 
Sprache  nötigte  die  Deutschen  zum  Zusammenhalt,  so  daß  sie  gewissermaßen 
eine  einzige  große  Familie,  ihre  Kolonien  förmliche  Eilande  bildeten,  die,  als 
sie  später  von  der  Flut  anglo-amerikanischer  Ansiedler  umbrandet  wurden,  die 
deutschen  Eigentümlichkeiten  lange  Zeit  bewahrten.  Am  konservativsten  er- 
wiesen sich  die  deutschen  Bauern  der  pennsylvanischen  Grafschaften  Berks, 
Bucks,  Lancaster,  Libanon,  York,  Adams,  Schuylkill,  Lehigh,  Union,  Munroe  u.a. 
Diese  sogenannten  „Deutsch-Pennsylvanier"  bedienen  sich  noch  heute  eines 
Dialekts,  der  ein  Gemisch  pfälzischer,  schwäbischer  und  schweizerischer  Mund- 
arten mit  einem  Einschlag  englischer  Worte  und  Wendungen  ist  und  als  „Penn- 
sylvanisch-Dutch"  eine  gewisse  Berühmtheit  erlangte. 

Im  übrigen  ergibt  sich  aus  allen  geschriebenen  und  mündlichen  Quellen, 
daß  die  an  den  Grenzen  der  Zivilisation  lebenden  Deutschen  ehrliche,  offne, 
tatkräftige  Menschen  waren,  die  sich  bestrebten,  den  von  ihren  Vätern  empfan- 
genen reinen  sittlichen  Lehren  nach  allen  Richtungen  hin  gerecht  zu  werden. 
Für  die  zu  ertragenden  Mühseligkeiten  und  Gefahren  entschädigte  das  Gefühl 
völliger  Unabhängigkeit.  Weder  war  man  von  Standesinteressen  und  Kasten- 
geist beengt,  noch  von  despotischen  Behörden  bevormundet.  Da  gab's  keine 
Steuereintreiber,  die,  falls  man  außerstande  war,  zu  zahlen,  den  Angehörigen 
mitleidslos  die  Betten  unter  den  Leibern  wegrissen,  damit  aus  dem  Erlös  der 
Landesherr  die  Kosten  seiner  Hoffeste,  Jagden  und  Maitressen  bestreiten  könne. 
Da  gab  es  auch  keine  geistlichen  Zeloten,  die  Andersgläubigen  mit  den  Schreck- 
bildern einer  ewigen  Verdammnis  und  Strafe  in  einem  flammenerfüllten  Höllen- 
pfuhl zusetzten. 

Man  kannte  „neither  law  nor  gospel'*,  sondern  richtete  sich  nach  den  un- 
geschriebenen, allgemein  gültigen  Menschheitsgesetzen.  In  vollen  Zügen  atmete 
man  die  in  breiten  Wellen  aus  den  jungfräulichen  Wäldern  und  von  den  Ge- 
birgen herniederflutende  Freiheit,  die  um  so  berauschender  und  köstlicher 
schien,  weil  man  sich  ihrer  in  der  alten  Heimat  niemals  erfreut  hatte. 

War  man  dort  bedrückt  imd  auf  engen  Raum  beschränkt  gewesen,  so  stand 
hier  die  weite  Welt  offen.  Man  brauchte  nur  zuzugreifen,  um  das  schönste 
Stück  sein  eigen  zu  nennen.  Majestätische  Ströme,  silberne  Bäche,  murmelnde 
Quellen  traf  man  überall.  Zwischen  dichten  Wäldern  dehnten  sich  samtgrüne, 
mit  tausenden  von  Blumen  durchwirkte  Matten.  Die  Gewässer  wimmelten  von 
Fischen  aller  Art,  die  Forste  von  Wild  jeder  Gattung.  Die  Lüfte  wurden  bis- 
weilen verfinstert  durch  unabsehbare  Züge  von  Wandertauben;  wilde  Trut- 
hühner, und  andere  wohlschmeckende  Waldvögel  gab  es  in  Menge. 

Diese  Reichtümer  auszunutzen,  die  Freiheit  auszukosten,  war  freilich  nur 
solchen  kühnen  Männern  vorbehalten,  die  in  dem  Verzicht  auf  die  Bequemlich- 
keiten des  zivilisierten  Lebens  kein  Opfer  erblickten,  Widen\'ärtigkeiten  gelassen 
ertrugen  und  den  Gefahren  kühn  ins  Auge  blickten.     Die    deutschen    Hinter- 


—     138    — 

wäldler  erwiesen  sich  als  solche  starke  Herzen.  Sie,  die  im  alten  Vaterland  an 
das  Regiertwerden  gewöhnt  gewesen  und  vor  Fürsten  und  Beamten  in  aller- 
untertänigster  Demut  erstorben  waren,  verwandelten  sich  auf  dem  Boden  der 
Neuen  Welt  in  kraftvolle,  stolze,  ihren  Wert  erkennende  Persönlichkeiten,  die 
nichts  Knechtisches  mehr  besaßen,  sondern  sich  durch  Entschlossenheit,  Wage- 
mut und  Tatkraft  auszeichneten,  die  Daseins-  und  Gleichberechtigung  ihrer  Mit- 
menschen anerkannten  und  dadurch  zur  Gründung  solcher  neuer  Gemeinwesen 
fähig  wurden,  deren  Losung  lautete :   „Einer  für  alle,  alle  für  einen  !*' 


Die  Handwerker  ließen  sich  natürlich  vorzugsweise  in  den  Städten  und 
Ortschaften  nieder,  wo  sie  infolge  ihrer  Geschicklichkeit  und  Zuverlässigkeit 
überall  lohnende  Beschäftigung  fanden. 

Dr.  Benjamin  Rush,  einer  der  her\'orragendsten  Männer  in  Penn- 
sylvanien,  der  im  Jahre  1789  ein  überaus  M^ertvolles  Werkchen  über  die  Deut- 
schen jenes  Staates  schrieb,  rühmt  ihnen  nach,  daß  sie  sparsam.,  fleißig  und 
pünktHch  seien  und  es  darum  überraschend  schnell  zu  gutem  Auskommen  und 
Wohlstand  brächten.  Ein  eigenes,  schuldenfreies  Haus  zu  besitzen,  sei  ihr 
höchster  Stolz  und  erstes  Ziel.  Er  lobt  ferner  an  ihnen,  daß  sie  darauf  bedacht 
wären,  neben  ihren  von  Deutschland  mitgebrachten  Gewerben  sich  m.ancherlei 
mechanische  Kenntnisse  anzueignen,  die  in  einem  neuen  Lande  nützlich  und 
nötig  seien. 

Die  in  den  Kolonien  obwaltenden  Zustände,  die  den  einsamen  Ansiedler 
häufig  auf  seine  eigene  Findigkeit  verwiesen,  zwangen  auch  den  Handwerker 
zur  Vielseitigkeit.  Er  mußte  imstande  sein,  in  mancherlei  Verrichtungen  aus- 
zuhelfen. So  wurde  er  ein  „Jack  of  all  Trades",  der  sich  überall  nützlich  zu 
machen  verstand  und  dem  guter  Lohn  nicht  fehlte. 

Zur  Verwertung  der  erworbenen  Kenntnisse  boten  sich  tausend  Gelegen- 
heiten, zumal  die  Ausübung  der  Handwerke  nicht  wie  in  Europa  strengen,  von 
Innungen  oder  Zünften  erlassenen  Vorschriften  und  Beschränkungen  unter- 
worfen war.  Solche  Verbindungen  von  Berufsgenossen  kannte  man  in 
Amerika  nicht.  „Keine  Profession"  so  schreibt  der  im  Jahre  1750  nach  Penn- 
sylvanien  gekommene  Lehrer  Gottlieb  Mittelberger  „oder  Handtirung  ist  zünftig. 
Jedermann  kann  handeln  oder  treiben  was  er  will.  So  Jemand  wollte  oder  könnte, 
kann  er  zehnerlei  Profession  anlegen  und  darf  demselben  es  niemand  wehren." 
Diese  Freiheit  des  Gewerbes  hatte  große  Vorzüge.  Sie  gestattete  jeder- 
mann, seine  Neigungen  und  Fähigkeiten  in  solchen  Berufen  zu  betätigen,  die 
ihm  am  meisten  zusagten  und  den  besten  Lohn  verhießen. 

Die  Bewohner  mancher  Ortschaften  bevorzugten  bestimmte  Gewerbe.  In 
Germantown  und  Bethlehem  beispielsweise  die  Leineweberei,  die  Strumpf- 
wirkerei, die  Herstellung  von  Kleiderstoffen  und  Töpferwaren.  In  Virginien  und 
Pennsylvanien  waren  Deutsche  als  Berg-  und  Hüttenleute  tätig.     An  anderen 


—     139     — 

Orten  widmeten  sie  sich  der  Seidengewinnung  oder  dem  Herstellen  von  Hanf, 
Terpentin  und  Teer.  Bereits  im  Jahre  1684  berichtete  William  Penn  von  den 
in  Germantown  wohnenden  Handwerkern:  „These  Germans  have  already  fallen 
upon  flax  and  hemp.** 

Deutsche  Handwerker  waren  es,  welche  den  Grund  zu  manchen,  heuie 
hochentwickelten  Industrien  legten.  Sie  bauten  die  ersten  Schmelzhütten,  Hoch- 
öfen, Papiermühlen,  Öfengießereien  und  Gewehrfabriken. 

Der  im  Jahre  1717  aus  Hilspach  bei  Heidelberg  eingewanderte  Kaspar 
W  i  s  t  a  r  gründete  bei  Salem  in  New  Jersey  die  erste  Glasfabrik.  Eine  zweite, 
die  sich  ausschließlich  mit  der  Herstellung  von  Glasflaschen  beschäftigte,  ent- 
stand in  Germantown,  (Braintree)  Massachusetts.  Daß  die  Glasfabrikation  fast 
ausschließlich  von  Deutschen  betrieben  wurde,  ergibt  sich  aus  einem  Brief  des 
Lord  Sheffield,  in  dem  er  über  die  Glaswerke  in  Pennsylvanien  und  New  Jersey 
schreibt:  „Hitherto  these  manufactures  have  been  carried  on  there  by  German 
workmen."  — 

Der  deutsche  Grobschmied  Thomas  Rutter  oder  Rütter  aus  German- 
town errichtete  im  Jahre  1716  am  Matawny-Bach  in  der  Grafschaft  Berks  die  erste 
Eisenhütte  in  Pennsylvanien.  Zehn  Jahre  später  begann  der  Mennonite  K  u  r  t  z 
am  Octorora-Bach  in  der  Grafschaft  Lancaster  Eisen  herzustellen.  Diesen  Bei- 
spielen folgten  im  Jahre  1745  mehrere  Pfälzer  zu  Tulpehocken.  Sie  legten  die 
Eisenhämmer  am  Oley-  und  Tulpehocken-Bach  an.  JohannHuber  erbaute 
im  Jahre  1750  bei  Brinkersville  in  der  Grafschaft  Lancaster  einen  Hochofen, 
den  er  zu  Ehren  seiner  schönen  Tochter  „Elisabeth-Hochofen''  taufte.  Der- 
selbe trug  die  stolze  Aufschrift: 

„Johann  Huber  ist  der  erste  Mann, 
Der  das  Eisenwerk  vollführen  kann." 

Das  traf  zu,  wenn  damit  die  Herstellung  von  Gußwaren  gemeint  war. 

Der  Hochofen  war  erst  kurze  Zeit  im  Betrieb,  als  eine  der  interessantesten 
Persönlichkeiten  der  damaligen  Zeit  auf  der  Bildfläche  erschien:  der  deutsche 
Baron  FriedrichWilhelmvonStiegel.  Derselbe  stammte  aus  Mann- 
heim. Über  ein  Vermögen  von  mehreren  hunderttausend  Talern  verfügend, 
hatte  er  sich  aufgemacht,  die  Welt  zu  sehen.  In  Pennsylvanien  verliebte  er 
sich  in  die  schöne  Tochter  Hubers,  heiratete  diese  und  kaufte  gleichzeitig  von 
seinem  Schwiegervater  den  „Elisabeth-Hochofen".  Der  Baron  wurde  nun  zum 
Industriellen.  In  der  Nähe  des  Hochofens  gründete  er  den  Ort  Mannheim, 
wo  auf  seine  Einladung  zahlreiche  deutsche  Schmiede  und  Handwerker  sich 
niederließen,  mit  deren  Hilfe  er  großartige  Gießereien  und  Glaswerke  anlegte. 
Die  hier  hergestellten  Ofenplalten  waren  mit  allerhand  biblischen  Bildern  wie 
„Adam  und  Eva",  „Kain  und  Abel",  „David  und  Goliat"  geschmückt.  Dabei 
trugen  sie  die  Inschrift: 

„Baron  Stigel  ist  der  Mann, 
Der  die  Oefen  machen  kann."  — 


—     140     — 

Anfangs  warfen  die  Unternehmungen  glänzenden  Gewinn  ab.  Stiegeis 
eigner  Angabe  zufolge  belief  sich  sein  jährliches  Einkommen  auf  5000  Pfund 
Sterling.  Aber  er  führte  auch  eine  sehr  verschwenderische  Lebensweise,  die  im 
Verein  mit  den  dem  Unabhängigkeitskrieg  vorausgehenden  schlechten  Geschäfts- 
jahren seinen  Zusammenbruch  herbeiführten. 

Unter  den  pennsylvanischen  Eisenhüttenbesitzern  der  Kolonialzeit  finden 
wir  ferner  die  Deutschen  Stedmann,  Georg  Rock,  Georg  Ege, 
Peter  Grubb,  Peter  Dicks  u.  a. 

Den  im  Jahre  1765  in  der  Kolonie  New  York  auftretenden  Eisenfabrikanten 
PeterHasenclever  kann  man  kühn  den  ersten  Großindustriellen  Amerikas 
nennen. 

Hasenclever  —  ein  Andrew  Carnegie  der  Koionialzeit  —  war  im  Jahre 
1716  in  Remscheid  geboren,  einem  Hauptsitz  der  Eisenindustrie  des  Herzogtums 
Berg.  Es  war  ihm  nicht  unbekannt  geblieben,  daß  England  jährlich  über  40  000 
Tonnen  Stangeneisen  aus  fremden  Ländern  bezog,  daß  aber  auch  die  englischen 
Kolonien  in  Nordamerika  sehr  reich  an  Eisenerzen  seien  und  unermeßliche 
Waldungen  besäßen,  welche  die  zum  Schmelzen  der  Erze  nötigen  Holzkohlen 
liefern  könnten.  Sein  der  englischen  Regierung  vorgelegter  Plan,  jene  Eisen- 
lager auszubeuten,  so  daß  England  statt  des  fremden  Eisens  solches  aus  den 
Kolonien  beziehen  könne,  fand  Anklang.  Es  bildete  sich  eine  Gesellschaft,  mit 
deren  Unterstützung  Hasenclever  im  Jahre  1765  nach  Amerika  übersiedelte,  um 
seine  Pläne  auszuführen.  Nach  sorgfältigen  Untersuchungen  entschied  er  sich 
für  den  Ankauf  eines  bedeutende  Eisenlager  enthaltenden  Landstrichs  in  der 
Kolonie  New  York.  Derselbe  lag  auf  dem  Nordufer  des  Mohawkflusses  unweit 
der  Pf älzeran Siedlung  German  Fiats. 

Mit  erstaunlicher  Tatkraft  schritt  Hasenclever  dann  zur  Verwirklichung 
seiner  Ideen.  Aus  Deutschland  ließ  er  550  Bergleute  und  Schmiede  kommen, 
mit  deren  Hilfe  er  Holzkohlenbrennereien,  Stampfwerke,  Schmelzöfen,  Schmieden 
und  Potaschsiedereien  errichtete.  Um  seinen  Arbeitern  gute  Unterkunft  zu 
bieten,  ließ  er  ferner  200  Häuser  erbauen.  Desgleichen  sorgte  er  durch  Auf- 
stauen mehrerer  Bäche  für  billige  und  gleichmäßige  Wasserkraft;  endlich  auch 
durch  Anlage  mehrerer  Brücken  für  gute  Verkehrswege. 

Bereits  nach  sechs  Monaten  war  das  Unternehmen  imstande,  das  erste 
Stangeneisen  nach  England  zu  liefern.  An  Güte  übertraf  dasselbe  alles  aus- 
ländische Eisen. 

Innerhalb  weniger  Jahre  entwickelte  sich  die  junge  Anlage  zu  einer  viel- 
versprechenden Industriestätte,  deren  Zukunft  in  glänzendem  Licht  erschien. 
Leider  wurde  das  Unternehmen  gerade  in  diesem  Augenblick  von  einer  Kata- 
strophe betroffen,  die  ihm  den  Todesstoß  versetzte.  Die  englischen  Teilhaber 
Hasenclevers  entpuppten  sich  als  unehrliche  Leute.  Durch  die  günstigen  Ergeb- 
nisse der  ersten  Jahre  ließen  sie  sich  zu  luxuriösem  Leben  verleiten  und  belasteten 
zur  Bestreitung  desselben,  als  die  Einkünfte  aus  dem  amerikanischen  Unter- 
nehmen nicht  mehr  ausreichten,  das  letztere  mit  so  kolossalen  Schulden,  daß 


—     141     — 

Hasenclever  trotz  größter  Anstrengungen  nicht  imstande  war,  den  Zusammen- 
bruch aufzuhalten.  Um  seinen  guten  Namen  zu  retten,  sah  er  sich  genötigt 
nach  England  zu  eilen,  wo  er  der  Regierung  eine  Rechtfertigungsschrift  über- 
reichte und  zugleich  einen  Prozeß  gegen  seine  Teilhaber  anstrengte.  Derselbe 
zog  sich  zwanzig  Jahre  lang  hin.  Erst  nach  Hasenclevers  Tode  (er  starb  am 
13.  Juni  1793  in  Schlesien,  wo  er  andere  industrielle  Anlagen  gegründet  hatte) 
fällten  die  Gerichte  die  Entscheidung,  daß  die  früheren  Teilhaber  Hasenclevers 
verurteilt  seien,  an  seine  Erben  eine  Million  Taler  als  Entschädigung  auszu- 
zahlen. 

Was  aus  den  von  Hasenclever  nach  Amerika  gezogenen  Bergleuten  und 
Schmieden  geworden,  ist  unbekannt.  VermutHch  wandten  sie  sich  anderen 
Industriestätten  zu  und  trugen  dadurch  zur  Fortentwicklung  derselben  bei. 

Ein  ähnlicher  Großindustrieller  der  Kolonialzeit  war  Johann  Jakob 
F  a  e  s  c  h  aus  Basel.  Er  baute  im  Jahre  1772  in  New  Jersey  die  Mount  Hope 
Hochöfen.  Außerdem  kaufte  er  zahlreiche  Eisenhütten,  darunter  die  bedeutenden 
Hibernia-Werke.  Als  der  Krieg  mit  England  ausbrach,  lieferten  diese  einen 
großen  Teil  der  von  den  Freiheitskämpfern  benötigten  Kanonen  und  Geschosse. 
General  Washington  besuchte  einst  mit  seinem  Stab  den  Meister  Faesch  auf 
dessen  Mount  Hope-Werken.  Als  Faesch  im  Jahre  1799  starb,  galt  er  als  der 
größte  Hüttenbesitzer  und  zugleich  als  einer  der  reichsten  und  loyalsten  Bürger 
der  Vereinigten  Staaten. 

Ein  besonderer  Industriezweig  der  in  Pennsylvanien  lebenden  Deutschen 
war  die  Herstellung  von  Flinten  mit  gezogenen  Läufen.  Solche  Gewehre  waren 
gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  in  Wien  von  Kaspar  Zöllner  erfunden  worden. 
Um  der  Kugel  beim  Abfeuern  der  Büchse  eine  gradere  Richtung  und  dadurch 
größere  Treffsicherheit  zu  geben,  versah  Zöllner  die  Innenwände  der  Rohre  mit 
mehreren  von  der  Mündung  bis  zum  Ansatz  führenden  Kanälen.  Diese  „ge- 
zogenen" Flinten  wurden  in  der  Folge  erheblich  verbessert,  indem  man  statt 
der  geraden  Kanäle  spiralförmige  anwandte,  wodurch  die  Kugeln  eine  rotierende 
Bewegung  erhielten  und  die  Stetigkeit  ihrer  Richtung  erhöht  wurde.  Obendrein 
war  es  ein  wesentlicher  Vorzug,  daß  die  Pulvergase  nicht  wie  bei  glattläufigen 
Flinten  zum  Teil  verloren  gingen,  sondern  voll  ausgenutzt  wurden,  wodurch 
auch  die  Tragweite  der  gezogenen  Flinten  eine  erhebliche  Steigerung  erhielt. 
Während  gezogene  Büchsen  in  den  Neu-England-Kolonien  beim  Ausbruch  der 
Revolution  tatsächlich  noch  unbekannt  waren,  hatten  die  Deutschen  Penn- 
sylvaniens  längst  mit  deren  Herstellung  begonnen.  Der  erste  Büchsenmacher, 
von  dem  wir  mit  Bestimmtheit  wissen,  daß  er  gezogene  Büchsen  lieferte,  war 
der  Deutsch-Schweizer  Martin  M  e  y  1  i  n.  Er  eröffnete  in  der  Grafschaft 
Lancaster  eine  Bohrmühle.  Andere  waren  Heinrich  Albrecht,  Deck- 
hardt,  Matthäus  Roeser,  Johan  Vonderschmitt  und 
Philipp   LaFevre. 

Ein  Hauptsitz  deutscher  Büchsenmacher  war  der  Ort  Lancaster.  Der 
berühmte  französische  Botaniker  Michaux,  welcher  im  Jahre  1801  diesen  Ort 


—     142     — 

besuchte,  schreibt  in  seiner  „Voyage  a  l'ouest  des  monts  AUeghany,  dans  les 
Etats  de  l'Ohio,  du  Kentucky  et  du  Tennessee"  über  Lancaster:  „Die  Be- 
völkerung besteht  aus  4 — 5000  Einwohnern,  die  fast  sämtlich  deutscher  Ab- 
stammung sind,  jedoch  verschiedenen  religiösen  Bekenntnissen  angehören.  Die 
meisten  Einwohner  sind  Büchsenschmiede,  Hutmacher,  Sattler  und  Küfer.  Die 
Büchsenmacher  von  Lancaster  sind  bereits  seit  langem  berühmt,  und  die  von 
ihnen  angefertigten  Büchsen  sind  die  einzigen,  deren  sich  sowohl  die  Bewohner 
des  Innern  des  Landes  als  auch  die  Indianerstämme  an  den  Grenzen  des  Landes 
bedienen." 

Und  ein  späterer  Reisender,  Herzog  Bernhard  zu  Sachsen-Weimar-Eisenach 
fügte  diesem  Urteil  hinzu:  „Lancaster  steht  in  dem  Ruf,  daß  hier  die  besten 
Rifles  —  Kugelbüchsen  —  in  den  Vereinigten  Staaten  gemacht  werden.  Ich 
kaufte  eine  für  11  Dollars,  um  sie  als  Kuriosität  mit  nach  Hause  zu  nehmen." 

Deutsche  waren  es  auch,  die  sich  zuerst  mit  dem  Bau  musikalischer  In- 
strumente beschäftigten.  Die  erste  Kirchenorgel  Amerikas  wurde  im  Jahre  1703 
von  demOrgelbauer  Hein  rieh  Neering  in  New  York  für  die  dortige  St.  Trinity- 
gemeinde  erbaut.  Um  das  Jahr  1737  lebte  der  Orgelbauer  Mathias 
Zimmermann  in  Philadelphia.  Dorthin  brachte  auch  der  deutsche  Lehrer 
Gottlieb  Mittelberger  im  Jahre  1748  die  erste  größere,  in  Heilbronn 
gebaute  und  nach  Amerika  ausgeführte  Kirchenorgel.  Sie  wurde  in  der 
lutherischen  St.  Michaels-Kirche  zu  Philadelphia  aufgestellt  und  unter  großen 
Feierlichkeiten  eingesegnet. 

„Zu  diesem  Fest",  so  schreibt  Mittelberger,  „erschienen  fünfzehn  Lutherische 
Prediger  nebst  dem  gesammten  Kirchen-Rath  von  allen  Evangelischen  Kirchen. 
Die  Menge  der  Zuhörer  war  unbeschreiblich  groß,  viele  Leute  kamen  von 
ferne  aus  dem  Lande,  solches  Orgelwerk  zu  sehen  und  zu  hören." 

Harttafel  und  Klein  schufen  eine  Orgel  für  die  Kirche  der  Herrn- 
huter  in  Bethlehem.  In  diesem  betriebsamen  Städtchen  lebte  auch  die  Famihe 
Tanneberger,  deren  Mitgheder  während  der  Jahre  1740  bis  1760  als 
Orgelbauer  florierten.  Adam  Geib,  welcher  im  Jahre  1760  in  New  York 
seinen  Wohnsitz  aufgeschlagen  hatte,  schuf  die  Orgel  der  dortigen  Gnaden- 
kirche.   Seine  Söhne  befanden  sich  unter  den  ersten  Pianofabrikanten  Amerikas. 

In  den  Städten  fand  man  schon  lange  vor  dem  Unabhängigkeitskriege 
zahlreiche  deutsche  Kaufleute,  welche  Gegenstände  der  verschiedensten 
Art,  Spezereien,  Schnitt-  und  Eisenwaren,  landwirtschafdiche  Geräte,  musika- 
lische Instrumente,  Bücher,  Kleider  usw.  feilhielten. 

In  Philadelphia,  wo  die  Deutschen  etwa  ein  Drittel  der  ganzen  Bewohner- 
schaft ausmachten  und  ein  besonderes,  im  nordöstlichen  Teil  der  Stadt  gelegenes 
Quartier  innehatten,  bestanden  auch  mehrere  deutsche  Apotheken  und  Gast- 
häuser. Unter  den  letzteren  genossen  „Der  schwarze  Adler",  „Das  weiße 
Lamm"  und  „Der  König  von  Persien"  großen  Ruf. 

Obwohl  die  Deutschen  sich  in  ihrer  Tracht  der  allgemeinen  Bevölkerung 
rasch  anpaßten,  hielten  sie  doch  zäh  an  ihrer  geliebten  Sprache  und  den  aus 


—     143     — 

der  Heimat  mitgebrachten  Gewohnheiten  fest.  Für  die  Erhaltung  der  ersten  sorgten 
sowohl  die  Kirchengemeinden  und  Schulen,  wie  die  an  verschiedenen  Orten 
gegründeten  deutschen  Zeitungen. 

Daß  deutsche  Drucker  sich  schon  früh  in  den  englischen  Kolonien  nieder- 
ließen, daß  Benjamin  Franklin  im  Jahre  1732  in  Philadelphia  die  erste  deutsche 
Zeitung  in  Amerika  herausgab  und  daß  Christoph  Säur  im  Jahre  1739  mit 
seinem  „Hochdeutsch-Pennsylvanischen  Geschichtsschreiber"  folgte,  wurde  be- 
reits in  einem  früheren  Abschnitt  erwähnt.  Über  die  weiteren  Erzeugnisse 
der  deutsch-amerikanischen  Presse  während  der  Kolonialzeit  möge  bemerkt 
werden,  daß  im  Jahre  1743  auch  der  Drucker  Joseph  Crellius  in  Phila- 
delphia eine  deutsche  Zeitung  gründete.  Ebendaselbst  ließ  Johann  Bö  hm 
im  Jahre  1751  die  „Fama"  erscheinen.  In  Gemeinschaft  mit  Anton  Arm- 
brüster veröffentlichte  Franklin  im  Jahre  1755  die  „Deutsche  Zeitung", 
welcher  sich  im  Jahre  1762  noch  der  von  dem  Herrnhuter  Heinrich 
Miller  hergestellte  „Staatsbote"  zugesellte.  In  Lancaster  erschien  seit  1751 
bei  Miller  und  Holland  die  „Lancastersche  Zeitung".  Christoph 
Säur  der  Jüngere  veröffentlichte  im  Jahre  1764  in  Germantown  die 
erste  periodische  Zeitschrift  in  Amerika,  das  „Geistliche  Magazin". 

Aus  Franklins  Aufzeichnungen  wissen  wir,  daß  die  Deutschen  außerdem 
viele  Bücher  aus  dem  alten  Vaterlande  einführten  und  an  dem  dortigen  geistigen 
Leben  regen  Anteil  nahmen. 

Außer  Kalendern  und  Zeitungen  verlegten  die  deutschen  Drucker  auch 
zahlreiche  Bücher.  Man  kennt  die  Titel  von  etwa  2000  deutschen  Werken,  die 
während  des  18.  Jahrhunderts  in  den  englischen  Kolonien  gedruckt  wurden. 
Die  Mehrheit  besteht  aus  religiösen  Erbauungs-  und  Gesangbüchern.  Lehr- 
bücher aller  Art  sind  ebenfalls  zahlreich. 

Wissenschaftliche  Bildung  stand  besonders  bei  den  in  den  Städten  leben- 
den Deutschen  in  hohem  Ansehen.  Die  deutschen  Prediger,  deren  sich  in  dem 
von  1745  bis  1770  reichenden  Zeitraum  über  fünfzig  nachweisen  lassen,  galten 
allgemein  als  die  gelehrtesten  Männer  Amerikas.  Die  Studenten  der  Havard- 
Hochschule  wunderten  sich  nicht  wenig,  daß  jeder  dieser  Prediger  Latein 
ebensogut  wie  seine  Muttersprache  reden  konnte,  was  diejenigen  nicht  über- 
rascht, welche  wissen,  daß  die  Prediger  ihre  Bildung  auf  deutschen  Uni- 
versitäten empfingen,  wohin  sie  auch  ihre  Söhne  mit  Vorliebe  schickten. 

Unter  diesen  Theologen  finden  wir  auch  die  ersten  Gelehrten  Amerikas, 
z.  B.  den  hochgebildeten  Peter  Miller,  den  letzten  Vorsteher  des  Klosters 
Ephrata,  welcher  auf  Ersuchen  Jeffersons  die  amerikanische  Unabhängigkeits- 
erklärung in  sieben  fremde  Sprachen  übersetzte  und  das  großartigste  in  Amerika 
hergestellte  Buchdruckerwerk  des  18.  Jahrhunderts,  den  berühmten  „Märtyrer- 
spiegel" herstellte. 

Ihm  reihte  sich  der  berühmte  David  Rittenhausen  aus  German- 
town an,  der  sich  sowohl  als  Philosoph  wie  als  Mathematiker,  Astronom  und 
Landvermesser  auszeichnete  und  während  des   Unabhängigkeitskrieges   seine 


144     — 


mannigfachen  Fähigkeiten  in  der  patriotischsten  Weise  in  den  Dienst  der  großen 
Sache  stellte.  Man  schreibt  ihm  das  Verdienst  zu,  als  erster  die  annähernde 
Entfernung  der  Erde  von  der  Sonne  festgestellt,  sowie  als  erster  in  Amerika  den 
Durchgang  der  Venus  beobachtet  zu  haben.  Nach  Franklins  Tode  wurde  er 
Vorsitzer  der  Philosophischen  Gesellschaft  von  Philadelphia;  auch  war  er  der 
erste  Münzdirektor  der  Vereinigten  Staaten.     Die  Sage  erzählt,  Rittenhausen 

habe  zusammen  mit 
einem  andern  Deutsch- 
Pennsylvanier  namens 
Henri  lange  vor  Fulton 
ein  kleines  Dampfboot 
verfertigt,  das  auf  dem 
Conestogafluß  bis  Lan- 
caster  gefahren  sei.  Ful- 
ton habe  damals  als 
Lehrling  in  Lancaster 
gelebt  und  aus  jenen 
Versuchen  der  beiden 
Deutsch-Pennsylvanier 
die  Anregung  zu  seinem 
späteren  Dampfschiff 
„Clermont"  empfangen. 
Rittenhausen  verbesserte 
auch  den  von  Thomas 
Gottfried  (Godfrey)  be- 
reits vervollkommneten 
Schiffsquadranten,  so 
daß  man  die  Längen- 
und  Breitengrade  mit 
Sicherheit  bestimmen 
konnte. 

Ein  Zeitgenosse 
Rittenhausens  war  der 
gleichfalls  in  German- 
town  lebende  Dr. 
Christoph  Witt.  Er  beschäftigte  sich  mit  Uhren-  und  Orgelbau,  femer  legte 
er  in  Germantown  den  ersten,  in  Amerika  existierenden  botanischen  Garten  an. 
Von  anderen  deutschen  Gelehrten  jener  Zeit  sind  Wilhelm  Craemer, 
Johann  Christoph  Kuntze  und  H  e  1  m  u  t  h  hervorzuheben.  Der 
erstgenannte  erteilte  während  der  Jahre  1753  bis  1775  am  College  der  Stadt 
Philadelphia  außer  lateinischem  und  französischem  auch  deutschen  Unterricht. 
Kuntze  und  Helmuth  waren  von  Beruf  Theologen,  wirkten  später  aber  gleich- 
falls an  dem  genannten  College  mit  großem  Erfolg  als  Sprachlehrer. 


David  Rittenhausen. 


—     145     — 

Bis  auf  die  Lichtgestalt  des  edlen  P  a  s  t  o  r  i  u  s  zurück,  reichen  auch  die 
ersten  Anfänger  einer  deutsch-amerikanischen  Dichtkunst.  Der  Patriarch  von 
Germantown  liebte  es,  seine  Lebensanschauungen  und  Erfahrungen  in  kurzen 
Epigrammen  und  Sprüchen  niederzulegen.  Den  lärmenden  Nichtigkeiten  des 
weltlichen  Lebens  gegenüber  pries  er  die  Schönheit  seines  blumengeschmückten 
Gartens,  er  zeigte  sich  als  Philosoph,  über  dessen  Seele  beschaulicher  Friede 
ausgegossen  lag. 

„Ich  finde  in  der  weiten  Weit 
Nictits  denn  nur  Aufruhir,  Krieg  und  Streit; 
In  meinem  engen  Gartenfeld, 
Lieb,  Friede,  Ruli  und  Einigl<eit. 
Mein'  Blümlein  fechten  nimmermehr. 
Was  alles  ihnen  auch  geschieht; 
Sie  wissen  nichts  von  Gegenwehr 
Kein  Waffen  man  dar  jemals  sieht. 
Drumb'  acht  ich  ihr  Gesellschaft  hoch 
Und  bin  bei  ihnen  gern  allein, 
Gedenke  oft,  daß  Christi  Joch 
Will  ohne  Räch'  getragen  sein." 

Johann  Kelpius  und  Konrad  Beissel,  die  beiden  Halb- 
mönche vom  Wissahickon  und  dem  Kloster  Ephrata  ließen  dagegen  in  den 
Urwäldern  Pennsylvaniens  glaubensbrünstige  Lobes-  und  Liebesgesänge  auf 
den  himmlischen  Bräutigam  und  die  Himmelsbraut  erschallen.  So  bekennt 
Beissel : 

„Ich  bin  verliebt,  ich  kann's  nicht  hehlen, 

O  reine,  keusche  Himmelsbraut! 

Ich  will  von  deiner  Lieb'  erzählen. 

Die  sich  mit  mir  im  Geist  vertraut. 

Denn  deine  Treu  hat  mich  bewogen, 

Daß  ich  dir  gebe  alles  hin: 

Du  hast  mich  ganz  in  dich  gezogen 

Und  hingenommen  meinen  Sinn." 

Und  weiter: 

„Ruft,  ihr  Sterne,  überlaut,  daß  ich  liebe! 
Und  ihr  Wasser,  rufet  nach,  daß  ich  liebe! 
Alles,  was  nur  Stimmen  hat,  sag  dem  Lamme, 
Viel  von  meiner  Flamme."  — 

Aus  fast  allen  Poesien  dieses  Mystikers  klingt  ungeduldige  Sehnsucht 
nach  Zion  und  dem  Gotteslamm. 

„Wann  werd'  ich  doch  dies  ein  anschauen  und  empfinden? 
Wann  werd'  ich  ganz  zerfließen  und  entschwinden? 
Wann  fällt  mein  Fünklein  Gas  in  sein  Lichtfeuer  ein? 
Wann  wird  mein  Geist  mit  ihm  nur  eine  Flamme  sein?"  — 

Überschriften  einzelner  Hymnen,  wie  z.  B.  „Das  paradoxe  und  seltsame 
Vergnügen   der   göttlich   Verliebten",   „Ein   verliebtes   Girren   der   trostlosen 

Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika.  lU 


—     146     — 

Seele  in  der  Morgendämmerung''  und  „Bittersüße  Nachts-Ode  der  sterbenden 
jedoch  sich  vergnügenden  Liebe"  lassen  erkennen,  daß  die  religiöse  Schwärmerei 
dieses  Einsiedlers  einen  bedenklich  hohen  Grad  erreicht  hatte. 

Weitaus  gesunder  muten  die  Kirchenlieder  an,  welche  von  den  beiden 
Professoren  Johann  Christian  Kunze  und  Helmuth  gedichtet  und  in  Phila- 
delphia von  den  Druckern  Säur  verlegt  wurden.  Auch  die  Liederbücher 
der  Schwenkfelder  und  Herrnhuter  enthalten  gute  Dichtungen,  wenn- 
gleich auch  diese  von  dem  mystisch-pietistischen  Geist  jener  Zeit  durch- 
tränkt sind. 

Neben  solchen  kirchlichen  Liedern  finden  wir  bei  den  Herrnhutem  auch 
bereits  lyrische  Poesien,  die  das  rauhe  Leben  dieser  Kulturpioniere  und  den 
wilden  Charakter  ihrer  Umgebung  reflektieren.  Die  Majestät  des  Urwalds,  der 
Hinterhalt  der  Indianer,  das  Warnungssignal  der  Klapperschlange,  die  Be- 
schwerlichkeit der  ungebahnten  Wege  sind  in  diesen  Poesien  treffend  gezeichnet. 

Abgesehen  von  diesen  vereinzelten  lyrischen  Dichtungen  und  manchen 
zur  Würze  der  häuslichen  oder  ländlichen  Arbeit  dienenden  Liedchen  atmeten 
alle  während  der  Kolonialzeit  entstandenen  deutschen  Dichtungen  den  streng 
religiösen  Geist,  der  das  ganze  Leben  der  damals  in  Amerika  wohnenden 
Deutschen  kennzeichnete. 

Für  Gesang  und  Instrumentalmusik  bekundeten  die  Deutschen  gleich- 
falls große  Neigung.  Wieder  waren  es  die  in  Germantown,  F.phrata,  Bethlehem 
und  an  anderen  Orten  lebenden  Sektierer,  welche  im  m.eisterhaften  Vortrag 
geistlicher  Lieder  alle  andern  religiösen  Gesellschaften  übertrafen.  Sowohl 
unter  den  Insassen  des  von  Kelpius  gestifteten  Klosters  wie  des  von  Beissel 
gegründeten  „Ephrata"  gab  es  verschiedene  Männer  und  Frauen,  die  Fertig- 
keit in  Dichtkunst  und  Musik  besaßen  und  nicht  bloß  zahlreiche  geistliche 
Lieder  dichteten,  sondern  auch  Melodien  zu  denselben  schufen. 

Die  „Chronik  von  Ephrata''  bezeichnet  selbst  voller  Stolz  den  Kloster- 
gesang als  ein  „Vorspiel  der  Neuen  Welt  und  ein  Wunder  der  Nachbarn"; 
ferner  erwähnt  sie,  „daß  die  gantze  Gegend  durch  den  Schatz  himmlischen 
Lustspiels  gerührt"  worden  sei.  In  der  Tat  wurden  die  in  der  Nachbarschaft 
des  Klosters  gelegenen  An  Siedlungen  von  der  Sangeslust  angesteckt,  und  ihre 
Bewohner  ruhten  nicht,  bis  die  Klostergemeinde  ihnen  zwei  Brüder  als  Ge- 
sanglehrer stellte. 

Die  in  Philadelphia  und  Germantown  ansässigen  Jünger  Gutenbergs 
sorgten  für  den  Druck  geistlicher  Lieder,  von  denen  die  im  Jahre  1730  von 
Benjamin  Franklin  gedruckte  Sammlung  „Göttliches  Liebes-  und  Lobes  Ge- 
thöne"  sowie  die  von  Christoph  Säur  veranstalteten  Sammlungen  „Das  Paradi- 
sische  Wunderspiel",  „Das  Gesang  der  einsamen  Turteltaube"  und  „Der 
Zionitische  Weyrauchshügel  oder  Myrrhen-Berg"  bei  fast  allen  damals  in 
Nordamerika  bestehenden  deutschen  Gemeinden   Eingang  fanden. 

Auch  die  Mährischen  Brüder  oder  Herrnhuter  pflegten  geistliche  Musik 
und   Gesang   und   suchten   ihren   Gottesdienst   durch   Violinen,   Oboen   und 


—     147     — 

Trompeten  musikalisch  auszuschmücken.     Ein  Posaunenquartett  begründeten 
sie  bereits  im  Jahre  1752. 

Die  wichtigsten  Mittelpunkte  der  Deutschen  bildeten  die  Kirchengemein- 
den, deren  Gründung  zu  den  ersten  Betätigungen  ihres  von  tiefer  Religiosität 
durchwehten  Lebens  gehörte. 

Sehen  wir  von  den  rasch  prosperierenden  Genossenschaften  der  Men- 
noniten  und  Herrnhuter  ab,  so  war  es  um  die  deutschen  Gemeinden  in  der 
ersten  Zeit  allerdings  herzlich  schlecht  bestellt,  da  sie  sich  um  ihre  geistliche 
Wohlfahrt  selber  kümmern  mußten.  Weder  die  deutschen  Landesregierungen 
noch  die  dortigen  Kirchenbehörden  nahmen  sich  ihrer  an  oder  versorgten  sie 
mit  Predigern.  Die  ersteren  bekundeten  für  die  in  die  Fremde  Auswandernden 
nicht  das  geringste  Interesse,  da  sie  ja  mit  ihrem  Ausscheiden  aus  dem  Unter- 
tanenverband aufhörten,  dem  Staat  Abgaben  zu  entrichten  und  nützlich  zu  sein. 
Die  deutschen  Kirchenbehörden  waren  durch  die  zwischen  den  einzelnen  Be- 
kenntnissen nie  zur  Ruhe  kommenden  Zwiste  zu  sehr  in  Anspruch  genommen, 
als  daß  sie  Zeit  gefunden  hätten,  den  fernen  Glaubensgenossen  Aufmerksamkeit 
zuzuwenden  und  sie  mit  Predigern  zu  versorgen.  Aus  diesem  Grunde  mußten 
sowohl  die  in  den  Kolonien  New  York,  New  Jersey  und  Pennsylvanien  leben- 
den deutschen  Lutheraner  wie  die  Reformierten  häufig  die  Dienste  dort  an- 
sässiger holländischer  und  schwedischer  Pfarrer  in  Anspruch  nehmen,  von 
denen  manche  der  deutschen  Sprache  mächtig  waren. 

Aber  auch  dieser  Notbehelf  hörte  allmählich  auf,  als  nach  der  Annexion 
Neu-Niederlands  und  Neu-Schwedens  die  holländischen  und  schwedischen 
Regierungen  nicht  länger  imstande  waren,  für  die  Aufrechterhaltung  ihrer  Be- 
ziehungen zu  den  in  den  annektierten  Provinzen  lebenden  Stammesgenossen  so 
kräftig  zu  sorgen,  wie  dies  früher  geschehen  war. 

Zum  Glück  fanden  sich,  als  das  kirchliche  Leben  der  deutschen  Aus- 
wanderer in  Amerika  in  Verwahrlosung  zu  verfallen  drohte,  einige  wackere 
Männer,  welche  sich  die  Not  ihrer  deutschen,  in  der  Fremde  weilenden  Lands- 
leute zu  Herzen  nahmen.  Obenan  unter  denselben  standen  die  als  Stifter  des 
Waisenhauses  in  Halle  berühmt  gewordenen  Brüder  August  Hermann 
und  Gotthilf  August  Franke,  sowie  der  Londoner  Hofprediger 
Z  i  e  g  e  n  h  a  g  e  n.  Sie  sandten  mehrere  tüchtige  Prediger  aus,  die  sich  die 
Bedienung  und  straffere  Zusammenfassung  der  deutschen  Gemeinden  in  Amerika 
zur  Aufgabe  stellten. 

Das  war  allerdings  recht  schwierig,  indem  diese  Pastoren  mehrere,  weit 
voneinander  entfernte  Gemeinden  bedienen  mußten.  Obwohl  bereits  Tausende  von 
Lutheranern  in  den  Tälern  des  Hudson  und  Mohawk  und  in  dem  benachbarten 
New  Jersey  wohnten,  so  gab  es  im  Jahre  1725  doch  nur  einen  berufsmäßigen 
lutherischen  Prediger  im  ganzen  Distrikt,  den  in  New  York  lebenden  Pastor 
Wilhelm  Christoph  Berkenmeyer.  Pennsylvanien  mit  einer 
lutherischen   Bevölkerung   von   60  000   Köpfen   besaß   gleichfalls   bloß   einen 

10* 


—     148     — 

solchen  Pfarrer,  so  daß  manche  ferngelegene  Gemeinden  nur  ein-  bis  zweimal 
im  Jahre  den  Besuch  desselben  empfangen  konnten. 

Von  den  Mühseligkeiten,  unter  welchen  solche  Seelsorger  ihrem  Beruf 
oblagen,  kann  man  sich  heute  nur  schwer  eine  Vorstellung  machen.  Häufig 
mußten  sie  50  oder  100  Meilen  weit  über  grundlose  Pfade  und  steil  abfallende 
Hügel,  durch  dicke  Urwälder,  gefährliche  Sümpfe  und  angeschwollene  Bäche 
reiten,  den  schlimmsten  Launen  des  Wetters  ausgesetzt.  Oft  fiel  der  Regen 
in  Strömen  nieder;  im  Sommer  erschlafften  Roß  und  Reiter  infolge  der  sengen- 
den Hitze,  während  zur  Winterszeit  bittere  Kälte  das  Blut  in  den  Adern  er- 
starren machte. 

Welche  Anforderungen  an  die  Körperkraft  gestellt  wurden,  ergibt  sich 
aus  den  Aufzeichnungen  des  im  Jahre  1742  von  Halle  nach  Pennsylvanien 
entsandten  Predigers  Heinrich  Melchior  Mühlenberg.  Das 
Arbeitsfeld  dieses  hochbegabten,  unermüdlich  tätigen,  mit  großer  Herzensgüte 
ausgestatteten  Mannes  erstreckte  sich  über  die  Kolonien  Pennsylvanien,  New 
Jersey  und  New  York.  Außerdem  besuchte  er  gelegentlich  die  Gemeinden  in 
Virginien,  Karolina  und  Georgia.  Während  seiner  weiten  Reisen  mußte  er  oft 
stundenlang  in  stockdunkler  Nacht  zu  Pferde  zubringen,  bei  Sturm  und  Schnee, 
beständig  von  Gefahren  durch  wilde  Tiere  und  feindliche  Indianer  umdroht. 
Keine  irdische  Vergütung  konnte  ihn  für  solche  Beschwerden  und  Mühen 
lohnen.  Aber  er  fand  vollkommene  Befriedigung  in  dem  Vorrecht,  das  Evan- 
gelium einer  Menge  aufmerksamer  Zuhörer  predigen  zu  dürfen,  von  denen 
viele  weither  kamen,  um  seinen  Worten  zu  lauschen. 

Mühlenberg  gründete  zunächst  in  Philadelphia  eine  große  lutherische 
Gemeinde.  Von  dort  sandte  er  auch  regelmäßige  Berichte  an  die  vom  Waisen- 
haus zu  Halle  herausgegebenen  „Halleschen  Nachrichten".  Diese  als  Quelle 
unserer  Kenntnisse  für  die  Zustände  des  damaligen  Deutschtums  in  Amerika 
unschätzbaren  Mitteilungen  bewirkten,  daß  sich  das  Interesse  der  kirchlich 
Gesinnten  in  Deutschland  in  höherem  Maß  den  Bedürfnissen  ihrer  jenseits  des 
Meeres  lebenden  Glaubensgenossen  zuwandte.  Dann  auch,  daß  sich  mehrere 
andere  Prediger  zur  Teilnahme  an  dem  Wirken  Mühlenbergs  entschlossen  und 
nach  Amerika  übersiedelten.  In  Gemeinschaft  mit  diesen  sowie  einigen  schwe- 
dischen Pastoren  gründete  Mühlenberg  im  August  1748  die  erste  luthe- 
rische Synode  in  Amerika,  eine  die  nachdrücklichere  Förderung  der 
Wohlfahrt  der  Lutheraner  in  der  Neuen  Welt  anstrebende  Verbindung. 

Was  Mühlenberg  für  die  lutherische  Kirche  leistete,  das  verrichtete  um 
dieselbe  Zeit  der  Deutsch-Schweizer  Michael  S  c  h  1  a  1 1  e  r  für  die  refor- 
mierte. In  seiner  Vaterstadt  St.  Gallen  hatten  ihm  angesehene  Stellen  offen- 
gestanden. Er  schlug  dieselben  aber  aus,  um  sich  der  geistlichen  Pflege  der 
nach  Pennsylvanien  übersiedelten  reformierten  Pfälzer  zu  widmen.  In  Ge- 
meinschaft mit  einigen  anderen  Geistlichen  stiftete  er  die  erste  deutsche 
reformierte  Synode  in  Amerika,  einen  der  wichtigsten  Kirchenkörper, 
dessen  Mitglieder  ihn  noch  heute  als  ihren  Vater  verehren. 


149 


Auf  Schlatters  Anregung  kam  auch  der  reformierte  Geistliche  Philipp 
Wilhelm  Otterbein  (geboren  4.  Juni  1726  in  Dillenburg,  Nassau)  nach 
Pennsylvanien.    Nachdem  er  dort  in  den  Orten  Lancaster  und  Tulpehocken  ge- 


Heinrich  Melchior  Mühlenberg. 


V 


wirkt  hatte,  siedelte  er  nach  Maryland  über  und  gründete  in  Baltimore  die  neue 
Kirchengemeinschaft  der  „Vereinigten  Brüder  in  Christ  o",  welche 
später  große  Ausdehnung  gewann. 

Die  meisten  dieser  edlen  Gottesstreiter,  denen  wir  auch  den  im  Jahre 
1769  bei  Pottstown  in  Pennsylvanien  geborenen  Jacob  Albrecht,  den 


—    150    — 

Stifter  der  „Evangelischen  Gemeinschaft"  zuzählen  müssen,  verfügten  über 
gründliche,  auf  deutschen  Hochschulen  erworbene  Kenntnisse,  die  sie  in  den 
in  Verbindung  mit  den  Kirchen  gestifteten  Schulen  aufs  trefflichste  zum  Nutzen 
ihrer  Landsleute  verwerteten. 

Berufsmäßige  deutsche  Lehrer  waren  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  in 
Amerika  äußerst  selten.  Kein  Wunder,  wurden  doch  diese  Erzieher  des  Volkes 
damals  in  Deutschland  zu  schlecht  bezahlt,  als  daß  sie  von  ihrem  kärglichen 
Lohn  die  beträchtlichen  Kosten  der  Reise  nach  Amerika  hätten  erübrigen  können. 
Auch  die  Stellung  der  wenigen,  welchen  es  gelang,  diese  Mittel  aufzutreiben, 
war  eine  höchst  unsichere.  Gleich  den  Pastoren  besaßen  sie  weder  feste  Be- 
soldung noch  freie  Amtswohnungen.  Sie  waren  auf  freiwillige  Beiträge  der 
Gemeindemitglieder  angewiesen. 

Um  so  höhere  Anerkennung  schuldet  das  Deutschtum  jenen  Wackeren, 
die  freudigen  Herzens  ihr  reiches  Wissen  den  Landsleuten  mitteilten  und  sie 
dadurch  für  den  Kampf  ums  Dasein  befähigten.  Es  gab  unter  diesen  Männern 
wahrhaft  leuchtende  Beispiele.  Daß  der  edle  Pastorius  in  Germantown  eine 
Schule  einrichtete  und  an  derselben  zwanzig  Jahre  lang  eine  Abendklasse  leitete, 
wurde  bereits  in  einem  früheren  Abschnitt  erwähnt.  Er  verfaßte  auch  das  erste, 
in  Pennsylvanien  gedruckte  Schulbuch.  In  ähnlicher  Weise  machten  sich  die 
frommen  Schwärmer  Kelpius  und  Miller  verdient.  Johann  Thomas 
Schley,  derselbe,  welcher  in  Frederick,  Maryland,  im  Jahre  1745  das  erste 
Haus  erbaute,  wird  von  Schlatter,  dem  Gründer  der  Reformierten  Kirche  in 
Amerika,  als  der  beste  Lehrer  bezeichnet,  den  er  in  der  Neuen  Welt  gefunden 
habe.  Er  scheue  weder  Mühe  noch  Arbeit,  um  die  Jugend  zu  belehren  und  die 
Älteren  in  ihrem  Wissen  zu  bereichern. 

Auch  die  beiden  Pastoren  Mühlenberg  und  Schlatter,  welche  das  Päda- 
gogische Institut  der  Brüder  Franke  in  Halle  durchlaufen  hatten,  wirkten  durch 
ihre  gründlichen  Bestrebungen  auf  dem  Gebiet  der  Jugenderziehung  äußerst 
anregend.  Weiter  verdienen  die  Lehrer  Weiß,  Brehm  und  Stiefel  rühm- 
lich erwähnt  zu  werden.  Keiner  aber  mehr  als  Christoph  Dock,  „der 
fromme  Schulmeister  vom  Skippack",  dessen  Andenken  man  noch  heute  in  Penn- 
sylvanien feiert. 

Derselbe  eröffnete  im  Jahre  1718  an  dem  genannten  Bach  eine  Schule, 
die  er  lange  Jahre  leitete,  ohne  regelmäßige  Bezahlung  zu  empfangen.  Im 
Jahre  1738  gründete  er  eine  zweite  Schule  in  Salford  und  teilte  nun  seine  Tätig- 
keit so  ein,  daß  er  in  jeder  Schule  wöchentlich  drei  Tage  lang  unterrichtete. 
53  Jahre  lang  blieb  Dock  in  seinem  erzieherischen  Beruf  tätig.  Seine  Lehr- 
methode war  so  vorzüglich,  daß  beide  Schulen  weithin  berühmt  wurden.  Er 
veranlaßte  auch  die  Zöglinge  der  einen  Schule,  denjenigen  der  andern  regel- 
mäßige Berichte  über  ihre  Tätigkeit  und  die  gemachten  Fortschritte  zu  senden, 
die  er  dann  persönlich  beförderte.  Der  ganze  Unterricht  war  systematisch  ge- 
regelt und  darauf  berechnet,  den  Ehrgeiz  der  Schüler  zu  wecken.  Auf  ihr  Be- 
tragen wirkte  er  durch  den  Erlaß  von  „hundert  nützlichen  Regeln".   Sie  wurden 


—     151     — 

im  Jahre  1764  gedruckt  und  enthalten  Anweisungen  für  das  Verhalten  der 
Kinder  beim  Aufstehen,  bei  den  Mahlzeiten,  in  der  Schule,  auf  der  Straße,  in 
der  Kirche,  beim  Zubettegehen  und  vielen  anderen  Gelegenheiten.  Sie  sind  so 
mustergültig,  daß  sie  noch  heute  einen  Platz  in  jedem  Schulzimmer  verdienen. 

Wiederholt  wurde  Dock,  dieser  deutsch-amerikanische  Pestalozzi,  auf- 
gefordert, seine  mit  so  großem  Erfolg  angewendeten  Erziehungs-  und  Lehr- 
methoden in  Buchform  herauszugeben.  Aber  er  entschloß  sich  nur  schwer 
dazu,  weil  seine  Bescheidenheit  ihm  verbot,  ein  Werk  zu  seinem  eigenen  Lob 
zu  schreiben.  Erst  nach  langem  Zureden  seiner  Vorgesetzten  schritt  er  im 
Jahre  1754  an  die  Abfassung  seiner  „Schulordnung",  welche  im  Jahre  1770 
in  dem  von  Christoph  Säur  herausgegebenen  „Geistlichen  Magazin"  abgedruckt 
wurde  und  das  erste  in  Amerika  verfaßte  Werk  über  Pädagogik  darstellt. 

Für  die  Schul-  und  Kirchen  Verhältnisse  der  Deutschen  in  Pennsylvanien 
ist  auch  folgende  Erklärung  bezeichnend,  die  in  einem  1755  dort  veröffent- 
lichten Pamphlet  enthalten  ist: 

„The  Germans  have  schools  and  meeting-houses  in  almost  every  township 
thro'  the  province,  and  have  more  churches  and  other  places  of  worship  in  the 
city  of  Philadelphia  itself  than  those  of  all  other  persuasions  added  together." 

Zieht  man  auf  Grund  obiger  Darstellungen  einen  Schluß  über  den  Kultur- 
stand der  in  den  englischen  Kolonien  lebenden  Deutschen,  so  wird  man  den- 
selben die  Anerkennung  nicht  versagen  können,  daß  sie  fleißig,  unermüdlich 
vorwärtsstrebten  und  auf  ihre  geistige  Fortbildung  bedacht  waren.  Sie  bil- 
deten ein  Bevölkerungselement,  welches  das  von  allen  Gutmeinenden  rückhalt- 
los gespendete  Lob  vollauf  verdiente. 


^N^^^K«.v 


Schluß  Vignette:  Die  letzte  Zuflucht. 


Der  Franzosenkrieg. 


Eine  seltsame  Laune  des  Geschicks  fügte  es,  daß  viele  Deutsche,  welche 
in  der  Heimat  unter  der  Brutalität  der  Franzosen  gelitten  hatten  und  infolge- 
dessen ausgewandert  waren,  sich  in  der  Neuen  Welt  den  gleichen  Feinden  aber- 
mals gegenübersahen. 

Bei  der  Aufteilung  Amerikas  hatten  die  Franzosen  sich  am  St.  Lorenz- 
strom festgesetzt  und  von  dort  aus  nicht  bloß  Canada,  sondern  auch  die  süd- 
lich von  den  fünf  großen  Seen  gelegenen  Länder  am  Ohio  und  Mississippi  er- 
forscht. Diese  bis  zum  Golf  von  Mexiko  reichende  Ländermasse  erhielt  zu 
Ehren  des  Königs  Louis  XIV.  den  Namen  Louisiana.  Eine  vom  St.  Lorenz- 
strom bis  zur  Mündung  des  Mississippi  reichende  Kette  von  60  Forts  sollte 
dieses  gewaltige  Kolonialreich  gegen  die  Engländer  sichern. 

Die  Kolonien  der  letzteren  beschränkten  sich  auf  den  schmalen,  vom  fran- 
zösischen Arkadien  bis  zum  spanischen  Florida  reichenden  Küsten  streifen.  Nach 
dem  Innern  hin  verliefen  die  Grenzen  unbestimmt  und  waren  durch  kein  Über- 
einkommen mit  den  Franzosen  festgelegt.  Da  die  Engländer  langsam  gen 
Westen,  die  Franzosen  hingegen  durch  das  Ohiotal  gen  Osten  vorrückten,  so 
war  ein  Zusammenstoß  der  beiden  um  die  Vorherrschaft  in  Amerika  rivali- 
sierenden Mächte  auf  die  Dauer  unvermeidlich. 

Schon  ehe  dieser  Grenzkrieg  ausgefochten  wurde,  kam  es  infolge  der  in 
Europa  zwischen  den  Engländern  und  Franzosen  geführten  Feldzüge  auch  in 

Kopfleiste:  Indianische  Kundschafter  beschleichen  unter  Wolfsmasken  ein  Lager 
von  Ansiedlern.    Nach  einer  Originalzeichnung  von  Rudolf  Gronau. 


—     153    — 

der  Neuen  Welt  zu  blutigen  Kriegen.  Dieselben  nahmen  einen  wahrhaft  grau- 
samen Charakter  an,  als  beide  Gegner  die  ihrem  Einfluß  zugängigen  Indianer- 
stämme zur  Teilnahme  an  dem  Kampf  aufreizten.  Auf  Seite  der  Franzosen 
fochten  die  Huronen,  Ottowas,  Aliamis,  Illinois  und  Schaunies.  Die  Engländer 
bemühten  sich,  den  aus  den  Mohawks,  Oneidas,  Onondagas,  Cayugas,  Senecas 
und  Tuscaroras  bestehenden  Irokesenbund,  ferner  die  Delawaren,  Cherokesen 
und  Chikasaws  auf  ihre  Seite  zu  bringen. 

Alle  diese  Wilden  feierten  nicht  bloß  in  dem  Blut  ihrer  rothäutigen  Gegner, 
sondern  auch  der  weißen  Ansiedler  wahre  Orgien  und  schleppten  tausende 
von  Kopfhäuten  als  schauerliche  Trophäen  hinweg,  um  damit  ihre  Waffen,  Ge- 
wänder und  Wigwams  zu  schmücken. 

Insgesamt  wurden  vier  Kriege  zwischen  den  Franzosen  und  Engländern 
auf  dem  Boden  der  Neuen  Welt  ausgefochten.  Der  erste  erstreckte  sich  über 
die  Jahre  1689  bis  1697.  Durch  die  von  Jakob  Leisler  vorgeschlagenen  ge- 
meinsamen Angriffe  der  englischen  Kolonien  auf  Canada  war  er  bemerkenswert. 

Der  zweite  Krieg  währte  von  1702  bis  1713.  Deutsche  Ansiedler  wurden 
durch  denselben  nicht  betroffen. 

Der  dritte  Krieg  erstreckte  sich  über  die  Jahre  1744  bis  1748.  Das  wich- 
tigste Ereignis  bildete  die  Eroberung  der  bei  Kap  Breton  angelegten  französi- 
schen Festung  Louisburg.  Bewohner  der  deutschen  Ansiedlung  Waldoburg 
nahmen  daran  Anteil.  Im  weiteren  Verlauf  des  Feldzugs  wurden  die  zurück- 
gebliebenen Bewohner  Waldoburgs  am  21.  Mai  1746  von  canadischen  Indianern 
überfallen  und  teils  niedergemacht,  teils  in  die  Gefangenschaft  geschleppt. 

Kaum  sechs  Jahre  nach  dem  Friedensschluß  entbrannte  der  große  Ent- 
scheidungskampf um  die  Herrschaft  in  Nordamerika.  Von  1754  bis  1763 
während,  brachte  er  sowohl  über  die  am  Mohawk  und  Schoharie  wohnenden 
Plälzer  wie  auch  über  die  am  Fuß  der  Alleghanygebirge  lebenden  Ansiedler 
schreckliche  Heimsuchungen. 

Die  erbittertsten  Kämpfe  spielten  sich  in  dem  das  Hauptstreitobjekt  bil- 
denden Quellgebiet  des  Ohio  ab.  Die  Franzosen  basierten  ihre  Ansprüche  auf 
dasselbe  darauf,  daß  sie  den  Ohio  entdeckt  hätten,  demgemäß  das  ganze  Ge- 
biet bis  zu  den  die  Wasserscheide  bildenden  Alleghanys  zu  ihrer  Interessen- 
sphäre gehöre.  Die  Engländer  weigerten  sich,  diese  Ansprüche  anzuerkennen, 
weil  manche  aus  den  englischen  Kolonien  stammende  Bewohner  jene  Gebiete 
zuerst  besiedelt  hätten,  und  weil  diese  außerdem  Besitztum  des  den  Engländern 
verbündeten  Irokesenbundes  seien. 

In  der  Tat  waren  verschiedene  verwegene  Pelzhändler  vom  Mohawk 
und  von  Pennsylvanien  aus  in  das  Ohiogebiet  vorgedrungen  und  hatten  dort 
Handelsstationen  errichtet.  Unter  diesen  Pionieren,  die  als  erste  verwegen 
über  die  Alleghanys  hinwegstiegen  und  den  Blick  über  jene  ungeheure  Wildnis 
hinwegschweifen  ließen,  durch  welche  die  Flüsse  in  westwärts  gerichtetem  Lauf 
dem  sagenhaften  Mississippi  zueilten,  befanden  sich  zahlreiche  Deutsche. 


—     154     — 

Bereits  vor  dem  Jahre  1728  errichtete  der  Deutsch-Pole  Anton  So- 
d  o  w  s  k  y  am  Südwesten  de  des  Eriesees  einen  Handelsposten,  an  dessen  Stelle 
heute  die  Stadt  Sandusky  steht.  Thomas  Mehrlin  und  Johann  Sal- 
ling  waren  die  ersten,  die  im  Jahre  1740  in  einem  aus  Büffelhäuten  ange- 
fertigten Kanu  den  Ohio  hinabfuhren.  Sie  wurden  in  der  unbekannten  Wildnis 
von  Cherokesen  überfallen.  Mehrlin  entkam;  Salling  aber  ward  als  Gefangener 
in  die  Dörfer  des  Stammes  am  oberen  Tennessee  gebracht  und  in  den  Stamm 
aufgenommen.  Drei  Jahre  lebte  er,  gleich  einem  Indianer  bemalt  und  mit 
Ringen  durch  Nase  und  Olirea,  mit  den  Söhnen  der  Wildnis.  Später  geriet 
er  während  eines  Gefechtes  mit  den  Illinoisindianern  in  die  Gewalt  der  letzteren 
und  kam  so  nach  dem  Dorf  Kaskaskia,  wo  eine  alte  Indianerin  ihn  als  Sohn 
adoptierte.  Mit  seinen  neuen  Stammesgenossen  vollführte  Salling  Streifzüge 
durch  die  westlichen  Prärien  bis  zum  Meerbusen  von  Mexiko,  wo  seine  Adoptiv- 
mutter ihn  an  eine  spanische  Handelskarawane  verkaufte.  Als  Dolmetscher 
kam  er  mit  dieser  nach  Canada,  von  wo  er  später  nach  seinem  frühern  Wohnort 
Williamsburg  in  Virginien  zurückkehrte. 

Ein  anderer  deutscher  Pionier  war  der  aus  Pennsylvanien  stammende 
Peter  D  i  e  t  e.  Zusammen  mit  Jakob  D  i  m  m  e  w  trieb  er  an  den  Ufern 
des  oberen  Ohio  Pelzhandel.  Beide  wurden  aber  von  dem  französischen  Dol- 
metscher Chartier  mit  400  Schaunies  überfallen  und  ihrer  Boote  wie  der  darin 
befindlichen  Ladung  beraubt.  Man  verbot  darauf  den  beiden  Abenteurern  unter 
Androhung  sofortigen  Todes,  je  wieder  den  Fluß  zu  befahren. 

Dort,  wo  heute  die  Stadt  Toledo  steht,  baute  im  Jahre  1739  Martin 
Hertel  ein  Blockhaus.  Andere  Deutsch-Pennsylvanier  errichteten  unter  den 
Piankeschaws,  einem  Zweig  der  Miamis,  im  heutigen  Shelby  County  in  Ohio 
den  befestigten  Handelsposlen  Pickawilleny. 

Um  die  Besiedelung  des  Ohiogebietes  zu  fördern  und  den  dortigen  Pelz- 
handel an  sich  zu  ziehen,  rief  die  englische  Regierung  die  aus  virginischen  und 
Londoner  Kaufleuten  gebildete  „Ohio  Gesellschaft"  ins  Leben.  Dieselbe  er- 
hielt im  Jahre  1748  nicht  nur  das  Anrecht  auf  ein  500  000  Acker  großes  Gebiet 
am  Monongahela,  dem  südlichen  Quellarm  des  Ohio,  sondern  auch  das  Mo- 
nopol des  Tauschhandels  mit  den  am  Ohio  seßhaften  Indianerstämmen.  Die 
Gesellschaft  übernahm  dagegen  die  Verpflichtung,  auf  dem  ihr  zugewiesenen 
Landgebiet  binnen  sieben  Jahren  mindestens  hundert  Familien  anzusiedeln  und  zu 
deren  Schutz  auf  eigene  Kosten  ein  Fort  zu  bauen. 

Bevor  damit  begonnen  werden  konnte,  galt  es,  das  nur  wenigen  ver- 
wegenen Pelzhändlern  bekannte  Quellgcbiet  des  Ohio  genauer  zu  erforschen. 
Mit  dieser  gefährlichen  Aufgabe  betraute  man  einen  kühnen  Hinterwäldler  deut- 
scher Abstammung,  den  am  Yadkin  wohnenden  Trapper  Christoph  Gist 
oder  Geist.  Er  erhielt  die  Weisung,  zunächst  einen  über  die  Alleghany- 
gebirge  führenden  Paß  zu  erm.itteln,  dann  die  Stärke  der  am.  Ohio  wohnenden 
Indianerstämme  auszukundschaften,  und  drittens  eine  Karte  der  von  ihm  durch- 
wanderten Länder  anzufertigen. 


155 


Gist  trat  seine  beschwerliche  Wanderung  im  Oktober  1750  an,  überstieg 
zunächst  die  Blue  Ridge,  durchquerte  dann  das  Tal  des  Shenandoah,  durch- 
watete die  Schneewehen  der  Alleghanygebirge  und  drang  endlich  bis  zum  Ohio 
vor.  Die  franzosenfreundlichen  Ottawaindianer  respektierten  ihn  zwar  als  Ab- 
gesandten des  Königs  von  England,  ließen  ihm  sonst  aber  eine  kühle  Aufnahme 
zuteil  werden. 

Gist    wandte  sich 
darauf  zu  den  am  Mu- 

skingum  wohnenden 
Wyandots.  Hier  traf 
er  zu  seiner  Überra- 
schung einen  Pennsyl- 
vanier,  George  Grog- 
han, der  mit  der  Ab- 
sicht gekommen  war, 
die  Rothäute  für  eine 
von  den  Pennsylvaniern 
geplante  Niederlassung 
freundlich  zu  stimmen. 

Gemeinschaftlich  be- 
suchten die  beiden 
Abenteurer  ferner  die 
am  Scioto  hausenden 
Delawaren,  die  auf  bei- 
den  Ufern    des   Ohio 

sitzenden  Schawnes 
oder  Schaunies  sowie 
die  nördlich  davon 
wohnenden  Miamis.  Es 
gelang  Gist,  die  mei- 
sten dieser  Indianer- 
stämme zu  bewegen, 
Abgesandte  zu  einer 
großen  Beratung  zu 
schicken,  die  mit  Ver- 
tretern der  Kolonie  Vir- 
ginien  und  der  Ohio- 
Gesellschaft  in  Logstown,  einer  heute  nicht  mehr  nachweisbaren  Pelzhandels- 
station, statthaben  solle.  Der  Hauptzweck  dieser  Zusammenkunft  sollte  in  der 
Anerkennung  der  Besitztitel  der  Ohio-Gesellschaft  seitens  der  Indianer  bestehen. 
Die  Beratung  fand  im  Juni  des  Jahres  1752  an  der  vereinbarten  Stelle 
statt.  Gist  vertrat  dabei  die  Ohio-Gesellschaft;  Oberst  Frey  sowie  zwei  andere 
Bevollmächtigte  vertraten  die  Kolonie  Virginien.     Aber  die  um  ihre  Zukunrt 


Ein  Indianer  mit  den  Zeichen  seiner  Kriegstaten  geschmückt. 


—     156    — 

besorgten  Rothäute  wollten  sich  zur  Anerkennung  irgendwelcher  Ansprüche 
oder  Besitztitel,  gleichviel  ob  englische  oder  französische,  nicht  verstehen. 

„Die  Engländer  beanspruchen  alles  Land  auf  dieser,  die  Franzosen  alles 
Land  auf  jener  Seite  des  Ohio.  Wo  bleiben  wir  Indianer?"  Mit  dieser  Frage 
lehnten  sie  jede  weitere  Erörterung  der  Angelegenheit  ab  und  setzten  allen  von 
den  Weißen  vorgebrachten  Überzeugungsgründen  hartnäckiges  Schweigen 
entgegen. 

Die  ablehnende  Flaltung  der  Rothäute  schreckte  die  Leiter  der  Ohio-Ge- 
sellschaft aber  nicht  von  weiteren  Bemühungen  zur  Befestigung  ihrer  Ansprüche 
ab.  Sie  sandte  sogar  Feldmesser  aus,  welche  die  geplante  Niederlassung  am 
Ohio  vorbereiten  und  mit  dem  Bau  eines  Forts  beginnen  sollten.  Als  geeignetste 
Stelle  erkor  man  eine  durch  den  Zusammenfluß  des  AUeghany  und  Monongahela 
gebildete  Landzunge.  Dorthin  schaffte  man  Kriegsmaterial  und  Waren  für 
den  Tauschhandel  mit  den  Indianern. 

Aber  die  Franzosen  erhielten  durch  ihre  indianischen  Verbündeten  von 
diesen  Vorbereitungen  Wind  und  erschienen  am  11.  April  1754  1000  Mann 
stark  mit  zahlreichen  Geschützen  auf  einer  aus  60  Schiffen  und  300  Kanus  be- 
stehenden Flotte.  Dieser  bedeutenden  Macht  räumte  der  mit  der  Verteidigung 
des  Platzes  betraute  Fähnrich  Ward  das  Feld,  worauf  die  Franzosen  sofort  mit 
dem  Bau  des  starken  Forts  Duquesne  begannen. 

Noch  war  kein  Blut  geflossen,  aber  die  Entscheidung  ließ  nicht  lange  auf 
sich  warten.  Als  Befehlshaber  einer  Anzahl  virginischer  Provinzialtruppen  be- 
fand sich  der  junge  Offizier  George  Washington  in  der  Nähe  des  heutigen 
Cumberland.  Als  er  erfuhr,  daß  ein  französisches  Streifkorps  in  der  Gegend 
sei,  rückte  er  demselben  mit  seinen  Leuten  entgegen  und  ließ  beim  Ansichtig- 
werden  der  Feinde  sofort  das  Feuer  eröffnen.  Damit  war  der  Anlaß  zum 
offenen  Krieg  gegeben,  zu  einem  Krieg,  der  die  ganze  Welt  in  Flammen  setzte 
und  Europa  eine  Million  Menschen  kostete. 

Der  rasch  entworfene  Feldzugsplan  der  Engländer  sah,  soweit  er  den 
Krieg  in  Nordamerika  betraf,  die  Entsendung  von  vier  getrennt  marschierenden 
Expeditionen  vor,  von  denen  die  erste  unter  General  Edward  Braddock  das 
Fort  Duquesne  nehmen  sollte.  Die  zweite  Expedition  unter  General  Shirley 
erhielt  Befehl,  das  am  Ausfluß  des  Niagara  in  den  Ontariosee  gelegene  Fort 
Niagara  zu  erobern  und  in  Canada  einzufallen.  Die  dritte  unter  William  John- 
son sollte  sich  der  französischen  Befestigung  Crown  Point  am  Champlainsee 
bemächtigen;  während  die  vierte  die  Aufgabe  hatte,  die  Franzosen  aus  Neu- 
Schottland  zu  vertreiben. 

Von  diesen  Unternehmungen  beansprucht  der  Zug  des  Generals  Braddock 
insofern  unser  Interesse,  als  sein  Fehlschlagen  für  die  deutschen  Grenz- 
bewohner in  West-Virginien  und  Pennsylvanien  äußerst  verhängnisvoll  wurde, 
Braddock  brach  mit  2000  Mann  im  Frühling  1755  nach  den  Alleghanys 
auf,  geriet  aber  am  9.  Juli  am  Monongahela  in  einen  Hinterhalt  und  erlitt  eine 


—     157     — 

furchtbare  Niederlage.  Die  Hälfte  seiner  Truppen  nebst  63  Offizieren  wurden 
getötet  oder  verwundet.  Nur  der  umsichtigen  Leitung  George  Washingtons, 
welcher  sich  mit  seinen  Milizsoldaten  der  Expedition  als  Freiwilliger  ange- 
schlossen hatte  und  den  Rückzug  decivte,  war  es  zu  danlcen,  daß  Braddocks 
Armee  nicht  gänzlich  aufgerieben  wurde. 

Infolge  dieser  Katastrophe  waren  die  zerstreut  wohnenden  Ansiedler  in 
West-Virgin ien  und  Pennsylvanien  den  Angriffen  der  Franzosen  und  ihrer  in- 
dianischen Verbündeten  schutzlos  preisgegeben. 

Eine  wahrheitsgetreue  Schilderung  der  nun  hereinbrechenden  Schreckens- 
zeit ist  nie  geschrieben  worden,  da  die  einzelnen  Episoden  derselben  sich  fern 
von  Augenzeugen  inmitten  der  Wildnis  zutrugen.  Deshalb  widmen  ihr  auch 
die  meisten  Geschichtswerke  nur  wenige  Zeilen,  welche  sagen,  daß  jene 
Regionen  mehrere  Jahre  hindurch  von  Rothäuten  und  Weißen  aufs  furchtbarste 
verwüstet  wurden.  Wie  viele  tausend  Hütten  dabei  in  Flammen  aufgingen,  wie 
viele  Ansiedler  abgeschlachtet,  skalpiert  oder  am  Marterpfahl  verbrannt,  wie 
viele  Frauen  geschändet,  erwürgt  oder  in  eine  an  scheußlichen  Entehrungen 
reiche  Gefangenschaft  geschleppt  wurden,  wird  verschwiegen.  Nur  da  und 
dort  stoßen  wir  in  halbvergessenen  Lokalchroniken  auf  die  Schilderungen  ein- 
zelner Begebnisse,  welche  die  Greuel  jener  Schreckenszeit  mit  unheimlicher 
Schärfe  vor  Augen  rücken.  Wir  greifen  einige  heraus,  welche  deutsche  An- 
siedler betrafen. 

Eine  halbe  Meile  von  dem  durch  Herrnhuter  gegründeten  christlichen  In- 
dianerdorf Gnadenhütten  entfernt  lag  der  aus  mehreren  Häusern  bestehende 
Weiler  Mahoming.  Die  hier  wohnenden  herrnhutischen  Familien  wurden  an 
einem  schaurigen  Novemberabend  von  Indianern  überfallen.  Drei  Personen 
gelang  es,  zu  entkommen.  Alle  anderen,  neun  Männer,  drei  Frauen  und  ein 
Kind,  fielen  unter  den  Beilen  der  Rothäute,  oder  kamen  in  den  Flammen  der  in 
Brand  gesetzten  Häuser  um. 

Im  Lehigh  County  wurden  sämtliche  Angehörigen  des  Ansiedlers  Jakob 
Gerhardt  abgeschlachtet.  Zwei  Kinder,  die  angsterfüllt  unter  ein  Bett  ge- 
krochen waren,  verbrannten,  als  die  Indianer  das  Haus  anzündeten. 

Im  Berks  County  bewohnte  der  Ansiedler  Friedrich  Reichels- 
dorf er  ein  einsam  gelegenes  Gut.  Im  Bewußtsein  der  bedrohten  Lage  des- 
selben brachte  er  seine  Angehörigen  nach  der  Ortschaft  Neu-Hannover,  kehrte 
aber  von  Zeit  zu  Zeit  zu  seinem  Gehöft  zurück,  um  nach  dem  zurückgelassenen 
Vieh  und  der  Ernte  zu  sehen.  Bei  einem  dieser  Gänge  war  Reichelsdorfer  von 
seinen  beiden  erwachsenen  Töchtern  begleitet,  welche  helfen  wollten,  den 
Weizen  zu  dreschen.  Nach  getaner  Arbeit  wurden  in  später  Abendstunde  die 
beiden  Mädchen  von  bangen  Ahnungen  befallen  und  vereinigten  sich  mit  ihrem 
Vater  zu  einem  gemeinsamen  Gebet,  wobei  sie  den  Choral  sangen :  „Wer  weiß, 
wie  nahe  mir  mein  Ende.''  Als  am  folgenden  Morgen  Reichelsdorfer  mit  dem 
Einfangen  der  Pferde  beschäftigt  war,  brachen  plötzlich  unter  gellendem  Ge- 
heul einige  scheußlich  bemalte  Indianer  auf  ihn  herein.    Von  jähem  Schrecken 


158 


befallen,  ergriff  er  die  Flucht  und  rannte  den  nächsten  Wohnplätzen  zu,  um 
bei  zwei  dort  wohnenden  deutschen  Familien  Schutz  zu  suchen.  Als  er  aber 
in  die  Nähe  der  Hütten  kam,  hörte  er  das  entsetzliche  Angstgeschrei  ihrer  Be- 
wohner und  sah,  wie  zahlreiche  Indianer  eben  dabei  waren,  die  Familien  ab- 
zuschlachten. Erst  jetzt  fielen  ihm  die  eigenen  Töchter  ein,  und  er  lief  in  Eile 
zu  seiner  Wohnung  zurück.  Schon  vom  Walde  aus  sah  er,  daß  Haus,  Scheunen 
und  Ställe  licherloh  in  Flammen  standen,  die  über  die  höchsten  Bäume  empor- 
züngelten. Durch  das  Knattern  der  Glut  hörte  er  das  erbärmliche  Gebrüll  des 
verbrennenden  Viehs,  das  scheußliche  Geheul  der  Wilden  und  das  Wehgeschrei 


Die  Abschlachtung  einer  Ansiedlerfamilie  durch  Indianer. 


seiner  Töchter.  Von  Entsetzen  erfüllt,  floh  Reichelsdorfer  nach  Neu-Hannover. 
Von  dort  brach  sofort  eine  Anzahl  beherzter  Männer  zu  dem  Schauplatz  der 
Tragödie  auf.  Aber  als  sie  dort  anlangten,  waren  die  Indianer  verschwunden. 
Das  ganze  Besitztum  lag  in  Asche.  Von  der  ältesten  Tochter  fand  man  nur 
wenige  halbverkohlte  Überreste;  die  jüngere,  obwohl  schrecklich  verstümmelt 
und  skalpiert,  lebte  noch.  Mit  ersterbender  Stimme  bat  sie  ihren  Vater,  sich 
zu  ihr  zu  neigen,  damit  sie  ihm  den  letzten  Abschiedskuß  geben  könne.  Wenige 
Minuten  später  verschied  sie  in  seinen  Armen. 

Ähnliche  Greuelszenen,  von  denen  jede  Kunde  fehlt,  ereigneten  sich  auf 
zahlreichen  anderen  Gehöften.  Nachgewiesenermaßen  wurden  am  Ostabhang 
der  Blauen  Berge  über  300  Pfälzer  von  den  Indianern  ermordet.     Sogar  an 


—     159     — 

größere  Ortschaften  wagten  sich  die  Rothäute.')  So  fielen  sie  im  November 
1755  die  Ansiedlungen  der  Pfälzer  am  Tulpehocken  an,  töteten  15  Personen 
und  brannten  mehrere  Häuser  nieder. 

In  Tulpehocken  sah  es  damals,  wie  noch  erhaltene  Briefe  melden,  ent- 
setzlich aus.  Der  Ort  war  mit  Flüchtlingen  überfüllt.  In  manchen  Häusern 
drängten  sich  50  bis  70  Menschen  zusammen.  Frauen  beweinten  den  Tod 
ihrer  Männer,  Männer  ihre  Weiber,  Fltern  die  Kinder  und  den  Verlust  ihrer 
ganzen  Habe.  Ringsum  im  Lande  stiegen  Rauchsäulen  auf,  welche  den  Unter- 
gang blühender  Heimstätten  verkündeten. 

Noch  schwerer  als  die  Deutschen  in  Pennsylvanien  und  Virginien  litten 
die  Pfälzerkolonien  im  New  Yorker  Mohawktale.  Während  der  ersten  beiden 
Kriegsjahre  waren  sie  von  den  Greueln  derselben  verschont  geblieben,  da  das 
am  Südufer  des  Ontariosees  liegende  Fort  Oswego  gegen  den  Einbruch  der 
Franzosen  Schutz  gewährte.  Nichtsdestoweniger  hatten  die  Pfälzer  einen  Zu- 
fluchtsort für  den  Fall  der  Not  angelegt,  indem  sie  das  aus  Steinen  erbaute 
Wohnhaus  des  Johann  Jost  Herchheimer  mit  hohen,  an  den  Ecken 
durch  Bastionen  verstärkten  PaHsaden  umgaben.  Außerhalb  dieser  Befesti- 
gung befand  sich  ein  tiefer  Wassergraben.  Hinter  den  Palisaden  erhob  sich 
ein  Erdwall,  der  es  den  Verteidigern  ermöglichte,  über  die  Umzäunung  hinweg- 
zublicken und  auf  die  Angreifer  zu  feuern.  Wie  nötig  diese  Vorsichtsmaß- 
regeln waren,  zeigte  sich,  nachdem  Fort  Oswego  den  Franzosen  in  die  Hände 
gefallen  war. 

Am  11.  November  1757  gelang  es  dem  französischen  Kapitän  Belletre, 
mit  300  Soldaten  und  Indianern  durch  die  dicken  Urwälder  unbemerkt  in  die 
Nähe  der  auf  dem  Nordufer  des  Mohawk  gelegenen  Pfälzerniederlassungen  zu 
schleichen.  In  der  folgenden  Nacht,  drei  Uhr  morgens,  brach  er  mit  seiner 
Horde  über  die  im  tiefsten  Schlaf  liegenden  Ansiedler  herein  und  metzelte  alle 
nieder,  die  nicht  schnell  genug  die  Flucht  ergreifen  konnten.    Vom  Feuerschein 


')  An  diese  Tatsache  knüpft  Rev.  F.  J.  E.  Schantz  im  10.  Band  der  Proceedings  der 
Pennsylv.  German  Society  folgende  Bemerkung;  „Es  war  die  traditionelle  Politik  der  Re- 
gierung, die  Deutschen  an  die  Grenzen  zu  schicken,  an  die  Stellen  der  Gefahr.  Laßt 
der  Wahrheit  ihr  Recht,  so  wie  die  Geschichtschreibung  von  heute  sie  berichtet.  Die  früheren 
Geschichtschreiber  rühmten,  das  Verfahren  der  Quäker  den  Indianern  gegenüber  sei  so  mild 
und  edel  gewesen,  daß  infolgedessen  nie  ein  Tropfen  Quäkerbluts  von  Indianern  vergossen 
worden  sei.  Soll  ich  sagen  warum?  Weil  der  Gürtel  der  Quäkerniederlassungen  in  einem 
Halbkreis  von  50  Meilen  von  Philadelphia  lag.  Jenseits  dieses  Halbkreises  lagen  die  Nieder- 
lassungen der  wackeren  Deutschen,  der  Reformierten,  Lutheraner,  Tucker,  Mennoniten  und 
Herrnhuter,  welche  es  nachdrücklich  verhinderten,  daß  die  Wilden  Quäkerblut  vergießen 
konnten.  Anstatt  dessen  färbten  sich  die  indianischen  Kriegsbeile  und  Skalpiermesser  mit  dem 
Blut  der  Pfälzer.  Laß  die  geopferten  Leben  von  mehr  als  300  Männern,  Frauen  und  Kindern 
aus  dem  Rheinland,  welche  während  der  Jahre  1754  und  1763  in  den  blauen  Bergen  ab- 
geschlachtet wurden,  die  wahre  Antwort  auf  die  Prahlerei  der  Quäker  geben.  Vor  1750 
gab  es  in  Ost-Pennsylvanien  viele  Niederlassungen,  in  denen  keine  andere  als  die  deutsche 
Sprache  gehört  wurde." 


—     160    — 

der  brennenden  Hütten  und  Ställe  färbte  sich  der  Himmel  bliitigrot.  Von  den 
flackernden  Flammen  grell  beleuchtet,  sah  man  allerorten  kämpfende  Männer, 
verzweifelte  Frauen  und  Kinder,  die  von  unbarmherzigen  Feinden  nieder- 
geschlagen und  skalpiert  wurden.  Viele  wurden  von  dem  in  panischem 
Schrecken  flüchtenden  Vieh  umgerannt  und  zertreten.  Andere  ertranken  im 
Fluß,  als  sie  sich  auf  das  jenseitige  Ufer  retten  wollten.  40  Personen  wurden 
ermordet,  120  als  Gefangene  nach  Canada  geschleppt.  Nur  diejenigen  ent- 
rannen dem  Verderben,  denen  es  gelang,  das  Fort  Herchheimer  zu  erreichen. 
Dieses  anzugreifen,  wagten  die  Feinde  nicht,  da  sie  glaubten,  es  habe  eine  starke 
Besatzung. 

Dem  noch  erhaltenen  von  Prahlsucht  strotzenden  Bericht  des  französi- 
schen Kapitäns  zufolge  hätte  seine  Truppe  1500  Pferde,  3000  Rinder  und  ebenso- 
viele  Schafe,  an  barem  Geld  und  Wertgegenständen  außerdem  anderthalb  Mil- 
lionen Pfund  Sterling  erbeutet!  Einer  englischen  Berechnung  zufolge  bewertete 
sich  der  Verlust  immerhin  auf  über  50  000  Dollar. 

Am  30.  April  des  folgenden  Jahres  wiederholte  Belletre  seinen  Raubzug, 
überfiel  diesmal  aber  die  auf  der  Südseite  des  Mohawk  gelegenen  Wohnstätten, 
wobei  wiederum  33  deutsche  Ansiedler  ihren  Tod  fanden.  Als  jetzt  die  Feinde 
auch  das  Fort  angriffen,  wurden  sie  von  der  Besatzung  desselben  mit  einem 
Verlust  von  zahlreichen  Verwundeten  und  15  Toten  zurückgeschlagen.  In 
diesem  Kampf  leitete  der  älteste  Sohn  Herchheimers,  Nikolas,  der  spätere  Held 
von  Oriskany,  die  Verteidigung. 

Während  dieser  furchtbaren  Kriegsstürme  waren  die  Ansiedler  fast  durch- 
weg auf  Selbsthilfe  angewiesen.  Die  Kolonialbehörden,  besonders  in  dem  ganz 
von  Quäkern  beherrschten  Pennsylvanien,  zeigten  sich  in  ihren  Bemühungen, 
den  Bedrängten  Beistand  zu  leisten,  so  saumselig,  daß  es  energischer  Beschwer- 
den, ja  förmlicher  Demonstrationen  bedurfte,  um  sie  an  die  Erfüllung  ihrer 
Pflicht  zu  erinnern.  Über  eine  solche  Demonstration  berichtet  die  „Phila- 
delphische  Zeitung"  vom  November  1755:  „Am  Dienstag,  den  25.,  sind  un- 
gefähr 600  meistenteils  Deutsche  aus  dem  Lande  in  die  Stadt  friedlich  und  in 
geziemender  Ordnung  gekommen,  zu  vernehmen,  ob  sie,  ihre  Weiber,  Kinder, 
Plantagen  und  Religion  länger  in  Gefahr  der  unbarmherzigen  und  blutdürstigen 
Wilden  bleiben  sollen  oder  Schutz  vom  Gouverneur  erwarten  können.** 

Um  ihre  Beschwerde  so  eindrucksvoll  als  möglich  zu  machen,  brachten 
die  Ansiedler  mehrere  schrecklich  verstümmelte  und  skalpierte  Leichen  mit,  und 
stellten  dieselben  als  Opfer  der  langsamen,  kriegerischen  Maßnahmen  abge- 
neigten Quäkerpolitik  vor  den  Türen  des  Assemblyhauses  zur  Schau.  Der 
Gouverneur  erklärte  sich  darauf  zwar  bereit,  alles  in  seiner  Macht  Stehende  zum 
Schutz  der  Ansiedler  zu  tun,  aber  es  verstrichen  doch  wieder  Monate  voller 
Schrecken,  ehe  energische  Maßregeln  zur  Abwehr  der  Feinde  getroffen  wurden. 
Erst  im  Frühling  des  Jahres  1756  bot  man  bewaffnete  Mannschaften  zum 
Schutz  der  bedrohten  Ansiedler  auf.  Daß  sich  unter  diesen  Milizen  viele 
Deutsche  befanden,  ergibt  sich  aus  folgender  Notiz  der  „Philadelphischen  Zei- 


—    161     — 

tung"  vom  6.  März  1756:  „Wir  haben  das  Vergnügen  gehabt,  zu  sehen,  daß 
unsere  teutschen  Leute  einen  ansehnlichen  Teil  dieser  Mannschaft  ausgemacht 
haben." 

Die  militärische  Tüchtigkeit  der  deutschen  Grenzbewohner  war  auch  der 
Regierung  in  England  nicht  entgangen.  Denn  sobald  ihr  die  Niederlage 
Braddoclfs  bekannt  geworden,  erließ  sie  einen  Befehl,  aus  deutschen  und 
schweizerischen  Ansiedlern  in  Pennsylvanien  und  Maryland  ein  besonderes 
Regiment  zu  bilden,  „da  diese  kräftigen,  ausdauernden  und  an  das  Klima  ge- 
wöhnten Leute  für  den  Kampf  gegen  die  Franzosen  besonders  geeignet  seien". 

Beim  Zusammenstellen  des  Regiments  ergab  sich  eine  Schwierigkeit:  die 
eingemusterten  Leute  verstanden  kein  Englisch !  Man  sah  sich  deshalb  genötigt, 
dem  Regiment,  welches  den  stolzen  Namen  „  T  he  Royal  American  s" 
erhielt.  Deutsch  sprechende  Offiziere  zu  geben.  Mit  dem  Oberbefehl  betraute 
man  den  in  Bern  geborenen  Heinrich  Bouquet,  der  in  verschiedenen 
europäischen  Heeren  gedient  und  sich  große  Erfahrungen  angeeignet  hatte. 

Die  „Royal  Americans"  beteiligten  sich  zunächst  an  der  Expedition  des 
Generals  Joseph  Forbes  zur  Eroberung  des  Forts  Duquesne.  Beim  Zug  über 
die  unwegsamen  Gebirge  bildeten  sie  die  Vorhut  und  errangen  den  ersten  Er- 
folg, indem  sie  bei  Loyal  Hanna  die  Franzosen  nach  vierstündigem  Gefecht 
mit  schweren  Verlusten  zurückwarfen. 

Mehr  noch  als  diese  Schlappe  trug  ein  anderes  Ereignis  zur  Entmutigung 
der  Franzosen  bei.  Dem  Herrnhuter  Missionar  Christian  Friedrich 
Post,  der  seit  Jahren  unter  den  Indianern  am  oberen  Ohio  wirkte,  gelang  es 
in  kritischer  Stunde,  durch  seine  glühende  Beredsamkeit  die  in  der  Umgebung 
des  Forts  Duquesne  lagernden  Rothäute  der  französischen  Sache  abwendig  zu 
machen  und  zur  Neutralität  zu  bestimmen.  Das  war  für  die  nun  ihrer  Bundes- 
genossen beraubten  Franzosen  ein  so  schwerer  Schlag,  daß  sie  den  Anmarsch 
der  feindlichen  Hauptarmee  nicht  abwarteten.  Sie  sprengten  am  24.  November 
sämtliche  Befestigungen  des  Forts  Duquesne  in  die  Luft  und  flüchteten  auf 
ihren  Booten  den  Ohio  hinab.  Bereits  am  folgenden  Morgen  zogen  die  Ameri- 
kaner in  die  zerstörte  Festung  ein.  Nachdem  sie  wieder  aufgebaut  war,  wurde  sie 
zu  Ehren  des  damaligen  englischen  Staatsmannes  Pitt  mit  dessen  Namen  belegt. 

Von  den  späteren  Episoden  des  Franzosenkrieges  blieben  die  deutschen 
Niederlassungen  in  Nordamerika  glücklicherweise  verschont.  Dagegen  er- 
warben sich  die  „Royal  Americans"  noch  manche  Lorbeeren.  Ihre  Bataillone 
beteiligten  sich  an  den  Expeditionen  gegen  die  am  Champlainsee  gelegene 
Festung  Crown  Point  und  die  bei  Kap  Breton  gelegene  Festung  Louisburg. 
Sie  waren  ferner  bei  der  Einnahme  des  Forts  Niagara;  desgleichen  in  der  ruhm- 
reichen Schlacht  bei  Quebec,  wo  das  Regiment  sich  sein  stolzes  Motto  „celer 
et  audax"  erwarb. 

Noch  hatten  die  Kämpfe  mit  den  Franzosen  auf  dem  Boden  der  Neuen 
Welt  nicht  ihren  Abschluß  gefunden,  als  jenseits  der  Alleghanygebirge  neue 

Gronau,   Deutsches   Leben  in  Amerika.  11 


—     162     — 

Gewitter  heraufzogen.  Die  an  den  Grenzen  von  Karolina  und  Virginien  leben- 
den Cherokesen  erhoben  mitsamt  den  ihnen  verbündeten  Stämmen  von 
Tennessee,  Alabama  und  Georgia  im  Frühjahr  1760  die  Waffen  und  verheerten 
diejenigen  Gebiete,  welche  von  den  Gräueln  des  Franzosenkrieges  bisher  ver- 
schont geblieben  waren.  Da  gab's  auch  für  die  „Royal  Americans"  frische 
Arbeit.  Im  Verein  mit  700  Karolina-Rangers  brachen  sie  in  die  Jagdgründe 
der  Cherokesen  ein  und  bekämpften  die  Rothäute  trotz  hartnäckigster  Gegen- 
wehr so  erfolgreich,  daß  sie  bereits  im  Juni  1761  um  Frieden  baten. 

Kaum  hatte  sich  dieser  Sturm  gelegt,  als  im  Nordwesten  ein  noch  gefähr- 
licheres Unwetter  losbrach,  ein  Indianerkrieg,  der  unter  dem  Namen  „Die 
Verschwörung  Pontiacs"  in  die  Geschichte  übergegangen  ist. 

Noch  ehe  Frankreich  im  Frieden  zu  Paris  (10.  Februar  1763)  seine  ge- 
samten, östlich  vom  Mississippi  gelegenen  Besitzungen  an  England  abtrat, 
M'aren  Scharen  deutscher,  englischer,  schottischer  und  irischer  Ansiedler  in  das 
Quellgebiet  des  Ohio  eingeströmt.  Gleichzeitig  besetzten  englische  Truppen 
die  von  den  Franzosen  geräumten  Befestigungen. 

Wie  dies  bei  der  Eröffnung  jedes  neuen  Landes  zu  geschehen  pflegt,  so 
brachte  der  plötzliche  Wechsel  aller  Verhältnisse  auch  hier  Mißstände  der  ver- 
schiedensten Art  mit  sich.  Sie  wurden  von  den  Urbewohnern  am  schlimmsten 
empfunden. 

Die  Franzosen  hatten  es  vortrefflich  verstanden,  die  Indianer  anzuziehen. 
Beim  Tauschhandel  ließen  sie  ihnen,  um  ihr  Vertrauen  zu  erhalten,  volle  Ge- 
rechtigkeit widerfahren.  Im  persönlichen  Verkehr  behandelten  sie  dieselben 
als  ebenbürtig  und  trugen  keinerlei  Bedenken,  sich  mit  ihnen  zu  ver- 
mischen. 

Die  nun  ins  Land  einrückenden  Engländer  brachten  hingegen  die  ganze 
Rücksichtslosigkeit  und  Selbstsucht  der  anglikanischen  Rasse  mit.  Ohne  die 
Rechte  der  Urbewohner  zu  beachten,  bemächtigten  sie  sich  der  schönsten  und 
wertvollsten  Grundstücke,  schössen  das  Wild  zusammen  und  brannten  die 
Wälder  nieder,  wo  diese  hindernd  im  Wege  standen.  Im  Tauschhandel  wurden 
die  Rothäute  von  gev/issen losen,  nur  auf  schnellen  Gewinn  bedachten  eng- 
lischen Händlern  aufs  fürchterlichste  betrogen.  Die  britischen  Offiziere  be- 
gegneten den  Häuptlingen  mit  hochfahrender  Geringschätzung  und  spielten 
sich  ihnen  gegenüber  als  die  Herren  auf. 

Dadurch  steigerte  sich  die  den  Indianern  durch  die  Franzosen  eingeimpfte 
Abneigung  gegen  die  Engländer  zu  grimmigen  Haß.  Sämtliche  südlich  von 
den  großen  Seen  wohnenden,  ihre  Existenz  bedroht  sehenden  Stämme  schlössen 
Schutz-  und  Trutzbündnisse  miteinander.  An  die  Spitze  der  Bewegung  trat 
Pontiac,  der  oberste  Häuptling  der  Ottawas,  ein  Mann  von  hohem  Mut, 
scharfem  Verstand,  glänzender  Beredsamkeit  und  großer  Entschlossenheit. 
Er  plante,  noch  ehe  die  Engländer  sich  überall  festgesetzt  hätten,  ihre  Macht 
mit  einem  gewaltigen  Schlag  zu  zertrümmern.     Zu  diesem  Zweck  forderte  er 


—     163     — 

durch  Sendboten  sämtliche  der  Verschwörung  beigetretenen  Stamme  zu  einem 
gemeinsamen  Schlage  auf.  Alle  westlich  von  den  Alleghanygebirgen  liegenden 
Forts  und  Ansiedlungen  sollten  an  einem  bestimmten  Tage  überrumpelt,  zer- 
stört, und  ihre  Besatzungen  und  Bewohner  ermordet  werden.  Infolge  der 
schlauen  Vorbereitungen  fielen  den  Rothäuten  die  Forts  Sanduslcy,  Le  Boeuf, 
Venango,  St.  Joseph,  Quatonon,  Miami,  Presqu'Isle  und  Michillimacicinac  in 
die  Hände.  Diejenigen  Weißen,  welche  nicht  während  der  Überrumplung  um- 
kamen, wurden  ausnahmslos  abgeschlachtet. 

Fin  gleiches  Schicksal  erlitten  36  Deutsch-Pennsylvanier,  welche  unter 
dem  Befehl  des  Hauptmanns  Schlosser  den  mit  Palisaden  umgebenen  Posten 
St.  Joseph  hielten.  Am  Morgen  des  verhängnisvollen  Tages  erschien  eine 
mit  Pelzen  schwerbeladene  Bande  Pottawatomi-Indianer  vor  dem  Fort.  Sie 
erhielten  Finlaß,  da  sie  vorgaben,  Handel  treiben  zu  wollen.  Als  derselbe  in 
vollem  Gange  war,  zogen  die  Indianer  plötzlich  auf  ein  verabredetes  Zeichen 
ihre  in  den  Pelzbündeln  verborgenen  Flinten  und  Tomahawks  hervor  und 
metzelten  die  ganze  Besatzung  nieder,  ehe  die  Überraschten  sich  zu  ernstem 
Widerstand  sammeln  konnte.  Hauptmann  Schlosser  wurde  als  Gefangener 
in  das  am  Südufer  des  Michigansees  gelegene  Dorf  der  Pottawatomis  ge- 
schleppt. Durch  eine  ähnliche  List  bemächtigten  sich  die  Indianer  des  von 
dem  Leutnant  Pauly  befehligten  Forts  Sandusky.  Pauly  war  der  einzige, 
welchem  man  das  Leben  ließ.  Aber  man  stellte  ihm  in  Aussicht,  daß  er  im 
Lager  Pontiacs  zum  Ergötzen  der  roten  Krieger  am  Marterpfahl  sterben  solle. 
Tatsächlich  wurden  die  Vorbereitungen  für  seine  Hinrichtung  bereits  getroffen, 
als  ein  altes  Weib,  dessen  Mann  kurz  zuvor  gestorben,  den  Gefangenen  nach 
indianischer  Sitte  zum  Gatten  begehrte.  In  seiner  Notlage  fügte  Pauly  sich 
dieser  Wahl,  worauf  die  jungen  Mädchen  des  Dorfs  ihn  zunächst  in  einen 
Indianer  verwandelten,  indem  sie  sein  Haar  bis  auf  ein  Büschel  in  der  Mitte 
des  Schädels  ausrauften  und  diese  Skalplocke  mit  Perlen  und  Federn  schmückten. 
Dann  warfen  sie  den  Weißen  mehrmals  in  einen  Fluß,  „um  das  weiße  Blut  aus 
Seinen  Adern  wegzuschwemmen'*.  Zum  Schluß  bemalten  sie  sein  Gesicht  und 
die  Glieder  mit  bunten  Farben  und  führten  ihn  nun  unter  dem  Jubel  aller 
Stammesgenossen  seiner  mit  Altersrunzeln  bedeckten  Gattin  zu.  Pauly  ertrug 
geduldig  diese  Behandlung  in  der  Hoffnung,  es  möge  sich  eines  Tages  eine 
Gelegenheit  zur  Flucht  bieten.  Tatsächlich  glückte  es  ihm  wenige  Wochen 
später,  den  Rothäuten  zu  entrinnen  und  das  Fort  Detroit  zu  erreichen,  an  dessen 
Verteidigung  er  später  lebhaften  Anteil  nahm. 

Die  Forts  Detroit,  Pitt  und  Niagara  waren  die  einzigen,  die  dem  Ver- 
derben entgingen,  da  ihre  Besatzungen  glücklicherweise  früh  genug  gewarnt 
worden  waren.  Aber  sie  mußten  monatelange  Belagerungen  ertragen,  während 
welcher  die  Eingeschlossenen  schreckliche  Entbehrungen  litten.  Gleichzeitig 
mit  den  eingenommenen  Befestigungen  gingen  Tausende  von  Ansiedlungen  in 
Flammen  auf.  Sämtliche  Niederlassungen  in  Westvirginien  und  Westpenn- 
sylvanien  wurden  zerstört  und  über  20  000  Personen  zur  Flucht  nach  dem 

11* 


—     164     — 

Osten  getrieben.     Wie  viele  Ansiedler  in  jenen  Schreckenstagen  umkamen,  ist 
nie  ermittelt  worden. 

Sowohl  bei  der  Verteidigung  der  Forts  wie  bei  der  Rückeroberung  der 
verwüsteten  Stätten  hatten  die  Deutschen  wiederum  reichlichen  Anteil.  Manche 
verrichteten  dabei  wahre  Wunder  an  Tapferkeit.  So  leistete  die  nur  aus  zwölf 
„Royal  Americans"  bestehende  Besatzung  der  Station  Bedford  wochenlang 
den  weit  überlegenen  Feinden  erfolgreichen  Widerstand.     Die  ebenso  kleine 


Heinrich  Bouquet. 


Besatzung  des  Forts  Le  Boeuf  schlug  sich,  als  die  Blockhütten  durch  herein- 
geschleuderte Feuerbrände  in  Flammen  aufgingen,  mannhaft  durch  und  ge- 
langte glücklich  nach  Fort  Pitt. 

Dieses  wurde  durch  den  wackeren  Schweizer  Heinrich  Bouquet  entsetzt. 
An  der  Spitze  von  500  eben  aus  Havanna  zurückgekehrten  „Royal  Americans" 
befreite  er  zunächst  die  in  Station  Bedford  Eingeschlossenen  und  rückte  dann 
behutsam  gegen  das  hart  belagerte  Fort  Pitt  vor.  25  Meilen  von  demselben 
entfernt,  am  Bushy  Run,  kamen  die  Deutschen  am  5.  August  in  Fühlung  mit 


—     165     — 

den  Feinden.  Dieselben  glaubten  Bouquet  ein  ähnliches  Schicksal  wie  seiner 
Zeit  dem  englischen  General  Braddock  bereiten  zu  können.  Aber  sie  hatten 
es  diesmal  mit  Männern  zu  tun,  welchen  der  Kampf  in  der  Wildnis  wohl  ver- 
traut war.  In  guter  Ordnung  zogen  die  Deutschen  sich  auf  einen  Hügel 
zurück  und  bildeten  auf  dem  Gipfel  desselben  aus  Proviantwagen  und  Mehl- 
säcken eine  ringförmige  Verschanzung,  die  zu  erobern  den  Wilden  trotz  aller 
Anstrengungen  nicht  gelingen  wollte.  Die  erbitterten  Kämpfe  erstreckten  sich 
über  zwei  Tage.  Am  ersten  währte  das  Gefecht  sieben  Stunden  und  nahm  erst 
bei  Einbruch  der  Nacht  ein  Ende.  Obwohl  die  Weißen  sich  der  größten 
Vorsicht  befleißigten,  zählten  sie  am  Abend  bereits  60  Tote  und  Verwundete. 
Alle  litten  entsetzlich  unter  brennendem  Durst,  da  die  geringen  Wasservorräte 
bald  erschöpft,  Quellen  auf  dem  Hügel  aber  nicht  vorhanden  waren.  Kaum 
graute  der  Morgen,  so  begann  das  Gefecht  aufs  neue.  Da  der  Wassermangel 
unerträglich  wurde,  so  entschloß  Bouquet  sich  zu  einer  verzweifelten  Tat.  Um 
die  in  den  Wäldern  verborgenen  Indianer  aus  ihren  Verstecken  zu  locken  und 
zu  einer  Masse  zusammenzubringen,  in  der  das  Gewehrfeuer  der  Amerikaner 
größere  Wirkung  habe,  ließ  er  zwei  Kompagnien  seiner  Leute  einen  Ausfall 
unternehmen  und  bald  darauf,  als  ob  sie  entmutigt  seien,  eiligst  den  Rück- 
zug nach  der  Wagenburg  antreten.  Was  Bouquet  erhofft  hatte,  trat  ein.  Die 
Indianer  stürmten  den  Fliehenden  in  gewaltigen  Massen  nach,  wurden  aber 
von  zwei  im  Wald  versteckten  Abteilungen  im  Verein  mit  den  rasch  eine 
Flankenbewegung  ausführenden  Truppen  in  ein  so  vernichtendes  Kreuzfeuer 
genommen,  daß  der  Boden  sich  im  Nu  mit  Hunderten  von  Leichen  bedeckte  und 
die  Überlebenden  von  Schrecken  erfüllt  die  Flucht  ergriffen. 

Nachdem  die  Amerikaner  ihre  Verwundeten  gesammelt  hatten,  setzten 
sie  weiter  unangefochten  ihren  Marsch  nach  Fort  Pitt  fort  und  wurden  von 
der  fast  dem  Hungertod  nahen  Besatzung  mit  lautem  Jubel  empfangen. 

Dem  wackeren  Bouquet  war  später  noch  die  glückliche  Ausführung  einer 
andern  wichtigen  Mission  beschieden. 

Die  englische  Regierung  hatte  die  Torheit  ihrer  bisherigen  Indianer- 
politik eingesehen  und  ließ  es  nun  an  Bemühungen  nicht  fehlen,  die  Rothäute 
zu  versöhnen.  Man  versprach,  daß  fortan  alle  Landkäufe  durch  die  Regierung 
geschehen  sollten,  damit  fernere  Betrügereien  seitens  der  Landsspekulanten  ver- 
hütet würden.  Desgleichen  hob  man  das  der  Ohio-Gesellschaft  bewilligte 
Monopol  des  Pelzhandels  auf,  damit  die  bisher  schrecklich  geprellten  Wilden 
wieder  angemessene  Preise  erzielen  könnten.  Bouquet  erhielt  gleichzeitig  Auf- 
trag, an  der  Spitze  einer  starken  Truppenabteilung  gen  Westen  vorzurücken, 
um  Friedensverträge  mit  den  Indianern  abzuschließen  und  die  Auslieferung  der 
in  ihren  Händen  befindlichen  weißen  Gefangenen  zu  verlangen. 

Die  über  das  Mißlingen  ihrer  Erhebung  enttäuschten  Indianer  waren 
zum  Entgegenkommen  weit  mehr  geneigt,  als  Bouquet  erwartet  hatte.  Bereits 
am  12.  November  1764  kam  mit  den  Delawaren,  Senecas  und  Schawnes  ein 


—     166    — 

Friede  zustande,  Vv'obei  206  weiße  Gefangene,  81  Männer  und  125  Frauen 
und  Kinder,  ausgeliefert  wurden. 

Bei  der  späteren  Identifizierung  der  nach  der  Ansiedlung  Carlisle  über- 
führten Befreiten  ereigneten  sich  wahrhaft  erschütternde  Szenen.  Aus  viele 
hundert  Meilen  weiten  Entfernungen,  aus  Pennsylvanien,  Virginien  und  Maryland 
kamen  Leute  herbei,  um  zu  sehen,  ob  sich  unter  den  Geretteten  Angehörige 
oder  Verwandte  befänden,  die  man  seit  dem  Ausbruch  der  Franzosen-  und 
Indianerkriege  vermißte.  Männer  und  Frauen,  Eltern  und  Kinder,  die  einander 
längst  als  Tote  beklagt  hatten,  fanden  sich  nach  jahrelanger  Trennung  wieder. 

Nicht  immer  war  die  Identifizierung  leicht.  Manche  Kinder  hatten 
während  der  langen  Gefangenschaft  sowohl  ihre  Namen  wie  ihre  Muttersprache 
vollkommen  vergessen.  Da  war  z.  B.  ein  deutsches  Mädchen,  Regina  Hart- 
mann,  die  im  Alter  von  neun  Jahren  von  den  Wilden  geraubt  worden  war 
und  nun  als  18  jährige  Jungfrau  wieder  in  die  Zivilisation  zurückkehrte.  Ihre 
aus  Ostpennsylvania  gekommene  Mutter  erkannte  die  Vermißte  und  rief  sie 
bei  Namen.  Aber  diese  gab  durch  kein  Zeichen  Kunde,  daß  sie  sich  ihrer 
.Mutter  erinnere.  Erst  als  die  letztere  mit  zitternder  Stimme  die  Strophe  einer 
alten  deutschen  Kirchenhymne  sang: 

„Allein  und  doch  nicht  ganz  alleine 

Bin  ich  in  meiner  Einsamkeit, 

Denn  wenn  ich  ganz  verlassen  scheine, 

Vertreibt  mir  Jesus  selbst  die  Zeit. 

Ich  bin  bei  ihm  und  er  bei  mir. 

So  kommt  mir's  gar  nicht  einsam  für"  .  .  . 

da  fielen  der  Tochter,  die  so  oft  gemeinsam  gesungenen  Strophen  dieses  Liedes 
wieder  ein  und  sie  warf  sich  ihrer  alten  Mutter  weinend  an  den  Hals. 

Nicht  alle  Gefangenen  kehrten  freiwillig  zu  ihren  Stammesgenossen  zu- 
rück. Manche  hatten  sich  so  an  das  Leben  der  Rothäute  gewöhnt,  daß  sie 
vorzogen,  auch  fernerhin  bei  denselben  zu  bleiben.  Mehrere  Mädchen,  darunter 
eine  Deutsche  nam.ens  Elisabeth  Studebecker,  waren  Frauen  indianischer 
Krieger  geworden  und  benutzten  die  erste  Gelegenheit,  um  heimlich  zu  ent- 
fliehen und  in  die  Wigwams  ihrer  roten  Ehegenossen  zurückzukehren. 

Der  wackere  Oberst  Bouquet  wurde  wegen  seines  tapferen  Verhaltens 
zum  Brigadegeneral  ernannt,  eine  Anerkennung,  die  in  ganz  Pennsylvanien 
freudigsten  Widerhall  fand.  „Sie  können  sich  kaum  vorstellen,"  so  schrieb  ein 
Offizier  an  Bouquet  von  Lancaster  aus,  „wie  dieser  Ort  durch  die  Nachricht 
Ihrer  Beförderung  freudig  erregt  ist.  Die  Bewohner  sowohl  wie  die  deutschen 
Farmer  halten  uns  in  den  Straßen  auf,  um  zu  fragen,  ob  es  wahr  sei,  daß  der 
König  den  Hauptmann  Bouquet  zum  General  gemacht  habe.  Und  wenn 
v/ir  dies  bestätigen,  marschieren  sie  hocherfreut  weiter.  So  sehen  Sie,  daß  das 
alte  Sprichwort:  ,Der  Erfolgreiche  werde  beneidet'  für  diesmal  nicht  zutrifft. 
Denn  ich  bin  sicher,  daß  alle  Welt  durch  die  Nachricht  Ihrer  Beförderung  mehr 
erfreut  ist,  als  wenn  die  Regierung  die  Stempelsteuer  aufgehoben  hätte." 


Die  Heimkehr  aus  indianischer  Gefangenschaft. 


Ol"   THe  \ 

UNIVERSITY 

&F 


169 


Gleich  nach  Beendigung  des  Indianerkriegs  in  Ohio  wurde  Bouquet  nach 
Pensacola  in  Florida  beordert,  um  den  Befehl  über  die  im  Süden  stehenden 
Truppen  zu  übernehmen.  Leider  wurde  der  tapfere  Mann  bereits  wenige  Tage 
nach  seiner  Ankunft  in  Pensacola  vom  Gelben  Fieber  befallen  und  von  dem- 
selben am  2.  September  1765  hinweggerafft.  Bouqets  Name  ist  aber  für  immer 
mit  der  ruhmvollen  Geschichte  des  aus  Deutschen  gebildeten  Regiments  der 
„Royal  American s"  verbunden. 


Schlußvignette:  Indianischer  Tomahawk. 


Gegner  und  Freunde  der  deutschen  Ansiedler. 


Man  sollte  an- 
nehmen, daß  sämtlichen 
in  den  Kolonien  woh- 
nenden Ansiedlern  eng- 
lischer, schottischer  und 
irischer  Abkunft  so  tat- 
kräftige, fleißige  und 
intelligente  Nachbarn 
und  Mitarbeiter  wie  die 
Deutschen  herzlich  will- 
kommen gewesen  sein 
müßten.  In  der  Tat 
fehlte  es  diesen  nicht  an 
aufrichtigen  Freunden, 
welche  die  tüchtigen 
Eigenschaften  der  Deut- 
schen lobend  anerkann- 
ten und  den  eigenen 
Stammesgenossen  zur 
Nacheiferung  anem- 
pfahlen. 

Aber  es  gab  unter 
der      anglo- amerikani- 
schen Bevölkerung  auch 
viele,  welche  die  unver- 
kennbaren Fortschritte, 
den  wachsenden  Wohl- 
stand    der     deutschen 
Ansiedler  mit  neidischen 
Augen  betrachteten  und  keine  Gelegenheit,  wo  sie  die  Deutschen  verkleinern 
konnten,  vorübergehen  ließen.     Sie  glaubten,  dieselben  als  Eindringlinge  be- 
trachten zu  dürfen,  die  in  den  englischen  Kolonien  nichts  zu  suchen  hätten. 

Derartige  engherzige  nativistische  Regungen  traten  zuerst  zur  Zeit  der 
Masseneinwandrung  der  Pfälzer  zutage.     Hatte  deren   Menge  seinerzeit  die 


/y^^yy^PH^L  /lu</-/i. 


—     171     — 

Behörden  Londons  in  Bestürzung  versetzt,  so  erregte  sie  nicht  minder  das 
Staunen  der  Kolonialbehörden.  Manche  der  in  den  Kolonien  lebenden  Eng- 
länder fühlten  sich  durch  den  stetig  wachsenden  Strom  förmlich  beunruhigt. 
Sie  glaubten  die  Zeit  nicht  mehr  fern,  wo  die  Deutschen  das  Übergewicht  über 
die  englische  Bevölkerung  erlangen  könnten  und  dasselbe  benützen  würden, 
um  die  Kolonien  der  englischen  Krone  abwendig  zu  machen. 

„Die  Deutschen  kommen",  so  heißt  es  in  dem  Brief  eines  Engländers  an 
die  Regierung,  „in  solcher  Stärke,  daß  sie  bald  imstande  sein  werden,  uns  Ge- 
setze zu  geben  und  die  Sprache  obendrein." 

Um  dem  vorzubeugen,  drangen  die  Beunruhigten  zunächst  darauf,  daß 
sämtliche  in  Philadelphia  landenden  Pfälzern  folgender  Eid  abgenommen 
wurde:  „Wir  Unterzeichnete,  geboren  und  zuletzt  wohnhaft  gewesen  in  der 
Rheinpfalz,  wollen  Seiner  Majestät  dem  König  Georg  11.  sowie  seinen  Nach- 
folgern, den  Königen  von  Großbritannien  wahre  und  treue  Untertanen  sein. 
Auch  wollen  wir  den  Eigentümern  dieser  Provinz  Treue  halten,  uns  friedlich 
betragen  und  die  Gesetze  Englands  und  dieser  Provinz  streng  beachten  und 
halten." 

Manchen  Angstmeiern  genügte  diese  Maßregel  nicht.  Sie  unterbreiteten 
der  pennsylvanischen  Kolonialbehörde  Gesetze  zur  Beschränkung  der  deutschen 
Einwandrung,  angeblich,  um  zu  verhindern,  daß  aus  einer  englischen  An- 
pflanzung eine  Kolonie  von  Fremdlingen  werde.  Darüber  kam  es  aber  mit 
den  klarblickenden  Leitern  der  Kolonie,  welche  den  Wert  der  pfälzischen  Ein- 
wandrung wohl  erkannten,  zu  scharfen  Auseinandersetzungen. 

Bereits  am  2.  Januar  1738  protestierte  der  damalige  Leutnantgouverneur 
George  Thomas  geilen  die  dem  Kolonialrat  eingereichten  Vorschläge  zur  Be- 
schränkung der  Einv.'andrung  mit  folgenden  Worten :  „Diese  Provinz  ist  seit 
vielen  Jahren  das  Asyl  für  unglückliche  Protestanten  aus  der  Pfalz  und  anderen 
Teilen  Deutschlands.  Und  ich  glaube  mit  vollem  Recht  sagen  zu  können,  daß 
der  gegenwärtige  blühende  Zustand  der  Provinz  zum  großen  Teil  dem  Fleiß 
dieser  Leute  zu  verdanken  ist.  Sollten  sie  durch  irgend  etwas  entmutigt  werden, 
ferner  hierherzukommen,  so  darf  sicher  angenommen  werden,  daß  der  Wert 
Eurer  Länder  sinken  und  Euer  Weg  zum  Wohlstand  viel  langsamer  sein  wird. 
Denn  es  ist  nicht  bloß  die  Oüie  des  Bodens,  sondern  die  Zahl  und  der  Fleiß 
des  Volkes,  welche  die  Blüte  eines  Landes  hervorbringen." 

Denselben  erleuchteten  Standpunkt  nahm  im  Jahre  1755  ein  anderer 
Gouverneur  ein,  indem  er  einer  im  Kolonialrat  angenommenen  Vorlage  zur  Be- 
schränkung der  pfälzischen  Einwandrung  seine  Unterschrift  verweigerte,  da 
ein  solcher  Schritt  mit  den  Interessen  der  Kolonie,  deren  blühender  Zustand 
in  hohem  Grade  dieser  deutschen  Einwandrung  zu  danken  sei,  in  schroffem 
Widerspruch  stehe. 

Durch  solche  Zurechtweisungen  ließen  sich  aber  die  Nativisten  von 
weiteren  Angriffen  auf  die  Deutschen  nicht  abhalten.  Weil  die  letzteren  nicht 
von  vornherein  der  englischen  Sprache  mächtig  waren,  nicht  sofort  englische 


—     172     — 

Sitten  annahmen,  sondern  an  ihren  heimathchen  Bräuchen  hingen,  wurden  sie 
als  Halbwilde  bezeichnet,  die  durch  förmliche  Missionsarbeit  zu  gesittetem 
Leben  bekehrt  werden  müßten. 

Als  im  Jahre  1751  Pastor  Schlatter,  der  Gründer  der  deutschen  refor- 
mierten Kirche  in  Amerika,  nach  Holland  reiste,  um  dort  für  Deutsche,  in  den 
englischen  Kolonien  zu  gründende  Kirchen  und  Schulen  Geld  zu  sammeln, 
beutete  der  schottische  Prediger  William  Smith  diese  Gelegenheit  aus,  um  in 
London  eine  „Gesellschaft  zur  Verbreitung  der  Gotteserkenntnis  unter  den 
Deutschen"  zu  gründen,  welche  zugleich  ihr  Augenmerk  darauf  richten  solle, 
unter  den  „deutschen  Heiden  in  Amerika"  englische  Freischulen  zu  errichten, 
damit  dieselben  rascher  anglisiert  würden. 

In  seiner  1755  in  London  gedruckten  Schrift  „A  brief  State  of  the  province 
of  Pennsylvania"  erging  er  sich  in  den  frechsten  Schmähungen  der  Deutschen. 
Sie  seien  auf  dem  besten  Wege,  zu  „wood-born  savages"  (waldgeborenen 
Wilden)  herabzusinken.  Sie  seien  schrecklich  unwissend;  eine  große  Farm 
zu  besitzen,  betrachteten  sie  als  den  größten  Segen  in  der  Welt.  >X^enn  die 
Franzosen  vom  Ohio  her  näher  herankämen,  würden  die  Deutschen  wahr- 
scheinlich mit  denselben  gemeinschaftliche  Sache  machen  und  die  Engländer 
aus  dem  Lande  treiben. 

Besonders  waren  dem  englischen  Hetzpfaffen  die  freundschaftlichen  Be- 
ziehungen der  Deutschen  zu  den,  berufsmäßige  Prediger  bekanntlich  nicht 
kennenden  Quäkern  ein  Dorn  im  Auge.  „Diese  Quäker"  so  schreibt  er, 
„fürchten  nichts  so  sehr,  als  daß  die  Deutschen  den  ordentlichen  Geistlichen 
Achtung  erweisen.  Erfahren  sie,  daß  ein  solcher  GeistHcher  beim  Volk  wohl- 
gelitten ist,  so  bedienen  sie  sich  eines  deutschen  Druckers  (hier  ist  Christoph 
Säur  in  Germantown  gemeint),  der  ehemals  einer  der  französischen  Propheten 
in  Deutschland  war  und  bei  scharfblickenden  Leuten  im  Verdacht  steht,  ein 
päpstlicher  Emissär  zu  sein.  Dieser  greift  nun,  auf  Anweisung  der  Quäker,  in 
seiner  ganz  in  deutscher  Sprache  gedruckten,  von  allen  Deutschen  gelesenen 
Zeitung  den  Charakter  der  Prediger  an  und  ärgert  dieselben.  Dadurch  bringen 
die  Quäker  Zwiespalt  in  die  Gemeinden  und  ermutigen  sie,  von  Zeit  zu  Zeit 
Vagabunden  und  vorgebliche  Prediger  anzustellen." 

Um  die  Deutschen  von  ihrer  angeblichen  Zuneigung  zu  den  Franzosen 
und  Quäkern  zu  heilen  und  zu  zivilisierten  Menschen  zu  machen,  erhob  Smith 
den  Vorschlag,  englisch-deutsche  Freischulen  unter  ihnen  zu  errichten,  damit 
sie  durch  den  kostenlos  erteilten  Unterricht  bewogen  würden,  ihre  eignen, 
mit  großen  Opfern  aufrechterhaltenen  Gemeindeschulen  aufzugeben.  Auf  diese 
Weise  sollten  die  Deutschen  nicht  bloß  dem  englischen  Einfluß  unterworfen, 
sondern  auch  für  die  englische  Hochkirche  gewonnen  werden. 

Smith  ging  noch  weiter.  Er  drang  darauf,  den  Deutschen  das  Stimm- 
recht zu  entziehen,  bis  sie  hinlängliche  Kenntnis  der  englischen  Sprache  und 
Verfassung  besäßen.  „Was  kann,"  so  schrieb  er,  „unverständiger  und  un- 
politischer sein,  als  einem  Haufen  aufgeblasener  und  halsstarriger  Lümmel, 


—     173     — 

denen  unsere  Sprache,  Sitten,  Gesetze  und  Interessen  fremd  sind,  das  Recht 
anzuvertrauen,  fast  jedes  Mitghed  der  gesetzgebenden  Körperschaft  zu  wählen?" 

Ferner  wollte  der  hochwürdige  Herr  den  Druck  und  die  Verbreitung 
fremdsprachiger  Zeitungen,  Kalender  und  sonstiger  periodischer  Schriften  ver- 
boten wissen.  Desgleichen  sollten  alle  nicht  in  englischer  Sprache  geschrie- 
benen Verträge  und  Urkunden  ungültig  sein. 

Als  Smith  einen  ähnlichen  Schmähartikel  über  die  Quäker  veröffentlichte, 
ließen  diese  den  Hetzpastor  verhaften.  Trotz  aller  Proteste  mußte  Smith 
wegen  Beleidigung  elf  Wochen  im  Gefängnis  zubringen. 

Wie  sehr  solche  Hetzereien  selbst  die  Köpfe  klardenkender  Leute  ver- 
wirrten, ergibt  sich  aus  der  peinlich  berührenden  Tatsache,  daß  sogar  Benjamin 
Franklin  in  die  Angriffe  auf  die  Deutschen  einstimmte.  Er  schrieb  am  Q.  Mai 
1753  an  seinen  Freund  Peter  Collinson  einen  Brief  folgenden  Inhalts: 

„Ich  teile  vollkommen  Ihre  Ansicht,  daß  in  bezug  auf  die  Deutschen 
bestimmte  Maßnahmen  nötig  sind.  Denn  ich  fürchte,  daß  durch  ihre  oder 
unsere  oder  unser  beider  Unvorsichtigkeit  eines  Tages  große  Störungen 
unter  uns  entstehen  könnten.  Die,  welche  hierher  kommen,  sind  im  all- 
gemeinen die  dümmsten  ihrer  Nation.  Dummheit  ist  oft  mit  großer  Leicht- 
gläubigkeit verbunden,  wenn  Schelmerei  sie  mißbrauchen  will;  dagegen  mit 
Argwohn,  wenn  Ehrenhaftigkeit  sie  auf  den  rechten  Pfad  leiten  möchte. 
Nur  wenige  Engländer  verstehen  die  deutsche  Sprache  und  können  darum 
weder  durch  die  Zeitungen  noch  von  der  Kanzel  herab  Einfluß  auf  sie 
ausüben  und  solche  Vorurteile  beseitigen,  welche  sie  besitzen  mögen.  Ihre 
Pfarrer  haben  sehr  geringen  Einfluß  auf  dieses  Volk,  welches  wie  es  scheint, 
sich  ein  Vergnügen  daraus  macht,  diese  Pfarrer  zu  mißbrauchen  und  sehr 
geringfügiger  Ursachen  wegen  zu  entlassen.  An  Freiheit  nicht  gewöhnt, 
verstehen  sie  von  derselben  keinen  angemessenen  Gebrauch  zu  machen. 
Sie  befinden  sich  unter  keiner  kirchlichen  Kontrolle;  betragen  sich  aber, 
wie  zugestanden  werden  muß,  gegenüber  der  bürgerlichen  Regierung  er- 
geben genug,  was  hoffentlich  auch  ferner  so  bleiben  möge.  Ich  erinnere 
mich  noch,  wie  sie  es  bescheiden  ablehnten,  sich  in  unsere  Wahlen  einzu- 
mischen. Jetzt  hingegen  kommen  sie  in  Haufen,  um  überall,  außer  in  einer 
oder  zwei  Grafschaften,  den  Sieg  davonzutragen.  Nur  wenige  ihrer  auf 
dem  Lande  lebenden  Kinder  verstehen  Englisch.  Sie  beziehen  viele  Bücher 
aus  Deutschland,  und  von  den  sechs  in  der  Provinz  befindlichen  Drucke- 
reien sind  zwei  ganz  deutsch,  zwei  halb  deutsch  und  halb  englisch  und 
nur  zwei  ganz  englisch.  Sie  unterhalten  eine  deutsche  Zeitung.  Die 
Hälfte  aller  deutschen  Anzeigen  werden,  obwohl  für  die  Allgemeinheit  be- 
stimmt, in  Deutsch  und  Englisch  gedruckt.  Die  Anzeigetafeln  in  den  Straßen 
tragen  Aufschriften  in  beiden  Sprachen,  an  manchen  Plätzen  nur  in  Deutsch. 
In  letzter  Zeit  beginnen  sie,  alle  ihre  Bürgschaften  und  anderen  gesetzlichen 
Dokumente  in  ihrer  eigenen  Sprache  abzufassen.     Dies  wird,  obwohl  es 


—     174     — 

meiner  Meinung  nach  nicht  sein  sollte,  von  den  Gerichten  zugelassen,  wo 
die  deutschen  Geschäfte  so  zunehmen,  daß  es  nötig  ist,  beständig  Dol- 
metscher zu  halten.  Ich  glaube,  daß  es  in  ein  paar  Jahren  nötig  sein  wird, 
solche  Dolmetscher  auch  in  der  behördlichen  Versammlung  anzustellen, 
um  der  einen  Hälfte  der  Gesetzgeber  klarzumachen,  was  die  andere  sagt. 
Kurz,  falls  nicht,  wie  Sie  weise  vorschlagen,  der  Strom  der  Einwanderung 
nach  anderen  Kolonien  abgelenkt  werden  kann,  so  fürchte  ich,  daß  die 
Deutschen  uns  an  Zahl  bald  so  überlegen  sein  werden,  daß  wir  trotz  aller 
Vorzüge  nicht  imstande  sein  werden,  unsere  Sprache  zu  erhalten.  Ja, 
unsere  Regierung  mag  fraglich  werden." 

Es  ist  kaum  nötig,  auf  die  in  diesem  Brief  enthaltenen  Widersprüche 
hinzuweisen.  Im  ersten  Teil  nennt  der  Verfasser  die  Deutschen  unwissend, 
erklärt  aber  bald  danach,  daß  sie  viele  Bücher  importieren  und  daß  von  den 
sechs  in  Pennsylvanien  bestehenden  Druckereien  zwei  ganz  und  zwei  zur 
Hälfte  deutsch  seien,  während  es  nur  zwei  englische  gäbe.  Professor  Julius 
Göbel,  dem  dieser  Widerspruch  gleichfalls  nicht  entging,  mag  mit  seiner  Ver- 
mutung nicht  unrecht  haben,  daß  den  Worten  Franklins  Brotneid  des  Buch- 
druckers Franklin  zugrunde  liegen  möge. 

Professor  M.  D.  Learned  in  Philadelphia  führte  in  seiner  vor  der  „Deut- 
schen Gesellschaft**  gehaltenen  Festrede  gelegentlich  der  am  17.  Januar  1906 
begangenen  „Franklin-Gedächtnisfeier"  aus,  die  Auslassungen  Franklins  seien 
deshalb  so  bitter  gewesen,  weil  er  just  zuvor  von  den  Deutschen  in  der  Wahl 
geschlagen  worden  war. 

Daß  die  Angriffe  auf  die  Deutschen  nicht  immer  den  besten  Beweg- 
gründen entsprangen,  ergibt  sich  auch  aus  folgender,  in  Watsons  Annalen  II.  275 
abgedruckten  Stelle:  „Dieselbe  Sorte  von  Politikern  schlug  im  Jahre  1754, 
weil  sie  sich  nicht  die  Stimmen  der  Deutschen  zu  verschaffen  wußten,  allen 
Ernstes  vor,  daß  die  Regierung  den  Deutschen  das  Recht,  die  Mitglieder  der 
gesetzgebenden  Körperschaft  wählen  zu  helfen,  so  lange  entziehen  möge,  bis 
sie  eine  vollständige  Kenntnis  der  englischen  Sprache  erlangt  hätten." 

Natürlich  empfanden  die  Deutschen  die  ihnen  zugefügten  Verunglimpfun- 
gen nicht  bloß  als  schwere  Beleidigungen,  sondern  auch  als  Eingriffe  in  ihre 
Rechte.  Sie  wollten  sich  weder  das  Recht  auf  den  Gebrauch  ihrer  Sprache, 
noch  das  der  Erziehung  ihrer  Kinder  in  dieser  Sprache  von  einer  Clique  eng- 
herziger Fanatiker  streitigm.achen  lassen  und  setzten  darum  den  „Zivilisierungs- 
versuchen"  derselben  zähen  Widerstand  entgegen.  Insbesondere  bot  der  so 
übel  verleumdete  Christoph  Säur  den  ganzen  Einfluß  seiner  Zeitung  gegen  die 
englischen  Freischulen  auf,  deren  Hauptzweck  ein  politischer  sei.  Die  tückische 
Insinuation,  daß  die  Deutschen  es  heimUch  mit  den  Franzosen  hielten,  wies  er 
als  eine  böswillige  Verleumdung  zurück. 

Infolgedessen  führten  die  im  Jahre  1755  in  Neu-Providence,  (Trappe) 
Ober-Salford,  Reading,  Tulpehocken,  Heidelberg,  Vincent,  Easton  und  Lancaster 


—     175     — 

errichteten  Freischulen  nur  eine  kurze  Existenz.  Sie  verlcümmerten  elend,  da 
die  angestellten  englischen  Lehrer  kaum  Zöglinge  erhielten. 

Übrigens  zeigt  die  in  einem  andern  Kapitel  erzählte  Geschichte  des 
Franzosenkriegs  klar  genug,  auf  welcher  Seite  die  Deutschen  standen.  Hatten 
doch  viele  ihre  Heimat  verlassen,  weil  sie  durch  die  Franzosen  in  Scheuß- 
licher  Weise  verwüstet  worden  war. 

Aus  den  Reihen  des  wahrhaft  gebildeten  Amerikanertums  erstand  später- 
hin den  verunglimpften  Deutschen  ein  warmer  Fürsprecher,  Dr.  Benjamin 
R  u  s  h  in  Philadelphia. 

Dieser  zu  den  bedeutendsten  Persönlichkeiten  Pennsylvaniens  und  zu  den 
Unterzeichnern  der  Unabhängigkeitserklärung  zählende  Mann  war  während 
des  Freiheitskrieges  Generalstabsarzt  der  Kontinental-Armee.  Als  solcher  hatte 
er  Gelegenheit,  das  Deutschtum  fast  aller  Kolonien  gründlich  kennen  zu  lernen. 
Empört  über  die  vielen  ungerechten  Angriffe  auf  dasselbe,  schrieb  er  ein  in 
englischer  Sprache  gedrucktes  Werkchen,  das  man  kühn  der  von  Tacitus  ver- 
faßten „Germania"  zur  Seite  stellen  darf.  Es  enthält  überaus  wertvolle  Auf- 
schlüsse über  die  Kulturzustände  der  deutschen  Einwanderer  in  Pennsylvanien. 
Trotzdem  die  meisten  bei  ihrer  Ankunft  kaum  ein  paar  Stücke  Silber-  oder  Gold- 
geld mitbrächten,  seien  viele  durch  ihren  Fleiß  und  ihre  Intelligenz  zu  Wohl- 
stand gekommen.  Die  Einrichtung  einer  Schule  und  Kirche  wären  ihre  erste 
Sorge.  Höchst  friedlicher  Natur,  seien  sie  im  Zahlen  der  Steuern  pünktlich. 
Seit  ihrer  Teilnahme  an  der  Regierung  hätten  viele  von  ihnen  sich  als  ein- 
sichtsvoll und  aufgeklärt  in  der  Wissenschaft  des  Gesetzes  erwiesen.  Deutsche 
führten  den  Vorsitz  in  der  gesetzgebenden  Körperschaft  und  säßen  als  Vize- 
präsidenten im  pennsylvanischen  Staatsrat.  Dieselben  Herren  wären  zu  Mit- 
gliedern des  Repräsentantenhauses  der  Vereinigten  Staaten  auserkoren  worden. 
Zum  Schluß  seines  überaus  anziehenden  Werkchens  sagt  Rush  folgendes:  „Wäre 
es  möglich,  das  von  den  deutschen  Einwandrern  mitgebrachte  Besitztum  mit 
ihrem  jetzigen  zu  vergleichen,  so  würde  der  Gegensatz  ein  so  riesiges  Denkmal 
menschlichen  Fleißes  und  menschlicher  Sparsamkeit  darstellen,  wie  es  kaum 
in  irgendeiner  Zeit  oder  in  irgendeinem  Lande  zu  finden  ist. 

„Bürger  der  Vereinigten  Staaten!  Lernt  aus  diesen  Mitteilungen  über 
die  deutschen  Bewohner  von  Pennsylvanien  die  Wissenschaft  in  Ackerbau  und 
Industrie  wertschätzen  als  die  Grundlage  häuslicher  Glückseligkeit  und 
nationalen  Wohlstandes. 

„Gesetzgeber  der  Vereinigten  Staaten!  Lernt  aus  dem  Wohlstand  und 
der  Unabhängigkeit  der  deutschen  Einwohner  von  Pennsylvanien,  wie  re- 
publikanische Tugenden,  Industrie  und  Sparsamkeit  gefördert  werden  können. 
Diese  sind  die  Hauptpfeiler,  auf  welchen  die  gegenwärtige  Verfassung  der 
Vereinigten  Staaten  beruht. 

„Gesetzgeber  von  Pennsylvanien!  Erkennt  aus  der  Geschichte  unserer 
deutschen  Mitbürger,  daß  ihr  an  ihren  Sitten,  an  ihrer  Geschicklichkeit  einen 
unerschöpflichen  Schatz  im  Herzen  des  Staates  besitzt.     Fahrt  fort,  ihr  neu- 


—     176     — 

gegründetes  Lehrerseminar  (das  Franklin  College  zu  Lancaster)  zu  fördern. 
Scheut  keine  Auslagen  in  der  Unterstützung  ihrer  Freischulen.  Hadert  nicht 
mit  ihnen  wegen  ihres  Festhaltens  an  ihrer  Sprache.  Sie  ist  der  Kanal,  durch 
den  das  Wissen  und  die  Erfindungen  einer  der  weisesten  Nationen  Europas  in 
unser  Land  einströmen.  Im  Verhältnis  wie  sie  in  ihrer  eignen  Sprache  unter- 
richtet und  aufgeklärt  werden,  werden  sie  auch  mit  der  Sprache  der  Vereinigten 
Staaten  vertraut.  Ladet  sie  ein,  an  der  Regierung  teilzunehmen.  Vor  allem 
schützt  diejenigen  ihrer  Sekten,  welche  Krieg  für  ungesetzlich  halten.  Befreit 
sie  von  dem  Druck  der  abgeschmackten  und  unnötigen  Milizgesetze. 

„Die  Ansichten  bezüglich  der  Negersklaven  w^urden  von  einer  dieser 
christlichen  Sekten  entwickelt.  Möglicherweise  sind  diejenigen  deutschen  Sekten 
unter  uns,  welche  sich  weigern,  Waffen  zu  tragen  und  Menschenblut  zu  ver- 
gießen, von  der  Vorsehung  als  Werkzeuge  ausersehen,  die  Nationen  der  Erde 
zu  einem  ewigen  Freundschafts-  und  Friedensvertrag  zu  vereinigen." 

Wie  aus  allem  hervorgeht,  war  Rush  ein  erleuchteter,  seiner  Zeit  weit 
vorausblickender  Mann,  der  nicht  nur  die  wahre  Mission  des  amerikanischen 
Volkes  klar  erkannte,  sondern  sich  auch  der  durch  die  spätere  Geschichte  be- 
stätigten Tatsache  bewußt  war,  daß  den  in  Amerika  eingewanderten  Deutschen 
ein  Hauptanteil  an  dem  Aufbau  und  der  Entwicklung  der  neuweltlichen  Kultur 
beschieden  sein  werde. 


Der  Anteil  der  Deutschen  am  amerikanischen 
Unabhängigkeitskriege. 

Der   Freiheit   Morgengrauen. 

Bei  einem  Rückblick  auf  die  ältere  Geschichte  der  deutschen  Einwand- 
rung  in  Amerika  wird  sofort  klar,  daß  es  zwei  Hauptbeweggründe  waren, 
welche  die  Deutschen  bestimmten,  ihr  Vaterland  zu  verlassen  und  jenseits  des 
Ozeans  neue  Heimstätten  zu  suchen.  In  erster  Linie  wollten  sie  der  durch 
endlose  Kriegsläufte  und  die  maßlose  Verschwendung  der  deutschen  Fürsten 
verursachten  materiellen  Not  entrinnen.  Dann  auch  hofften  sie,  die  Neue  Welt 
werde  sich  in  der  Tat  als  jene  Hochburg  rehgiöser  und  politischer  Freiheit  er- 
weisen, als  welche  man  sie  in  mündlichen  wie  schriftlichen  Berichten  hatte 
rühmen  hören. 

Aber  die  in  Amerika  bestehenden  Verhältnisse  entsprachen  durchaus  nicht 
immer  den  Erwartungen.  Manche  erregten  sogar  den  bitteren  Unmut  der  Ein- 
wandrer.   Namentlich  der  tief  religiös  gesinnten  Deutschen. 

Wie  sehr  die  in  allen  englischen  Kolonien  bestehende  Sklaverei  ihren 
Empfindungen  widerstrebte,  wie  energisch  sie  gegen  diese  allen  Lehren  des 
Christentums  hohnsprechende  Einrichtung  eiferten,  ist  in  einem  früheren  Ab- 
schnitt gezeigt  worden.  Der  im  Jahre  1688  erlassene  Protest  der  Bewohner 
von  Germantown  leuchtet  als  eine  der  glänzendsten  Ruhmestaten  der  Deutschen 
in  Amerika  durch  die  Jahrhunderte. 

Außer  der  Sklaverei  fand  man  aber  noch  andere  Mißstände,  die  Anlaß 
zum  Grollen  gaben.  Die  Kolonien  w^aren  überlaufen  von  Günstlingen  der 
englischen  Regierung  und  bankerotten  Höflingen,  denen  die  Krone  nicht  nur 
die  fettesten  Ämter,  sondern  auch  ungeheure  Strecken  wertvollen  Landes  ver- 
schrieb, damit  sie  Gelegenheit  hätten,  in  den  Kolonien  ihre  zerrütteten  Finanzen 
wieder  aufzubessern.  Llnter  diesen  hochfahrenden  Aristokraten  befanden  sich 
viele,  die  auf  alle  Landwirte,  Handwerker  und  Gewerbetreibende  als  eine  tief 
unter  ihnen  stehende  Kaste  herabblickten.  Gehörten  solche  vom  Ertrag  harter 
Arbeit  Lebenden  obendrein  fremden  Nationen  an  und  waren  der  englischen 
Sprache  wenig  oder  gar  nicht  mächtig,  so  behandelten  sie  solche  mit  ver- 
letzender Geringschätzung,  als  Halbbarbaren.  Denn  nicht  wenige  dieser  hoch- 
geborenen Drohnen  huldigten  der  Ansicht,  daß  Unkenntnis  der  englischen 
Sprache  gleichbedeutend  mit  Unwissenheit  sei,  und  daß  der  wahre  Mensch 
erst  mit  dem  Engländer  anhebe. 

Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika.  12 


—     178     — 

Das  von  den  Holländern  und  Engländern  nach  den  Kolonien  übertragen^ 
Feudalsystem  hatte  die  Kastenbildung  gleichfalls  mächtig  gefördert,  und  so 
standen  sich,  wie  wir  aus  der  Geschichte  Jakob  Leislers  erkannten,  bereits  zu 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  zwei  Parteien  gegenüber,  die  des  Volks  und  jene 
der  mit  den  Beamten  Hand  in  Hand  gehenden,  dieselben  an  Selbstsucht  und 
Überhebung  noch  übertreffenden  Geld-  und  Landaristokraten. 

Daß  die  Bürger  und  Ansiedler  diese  Zustände  nicht  widerstandslos  auf 
die  Dauer  ertragen  würden,  daß  es  über  kurz  oder  lang  zu  ernsten  Kämpfen 
kommen  müsse,  war  unschwer  vorauszusehen.  In  einem  früheren  Abschnitt 
betonten  wir  bereits,  daß  die  stürmischen  Auftritte  zwischen  dem  Volksmann 
Leisler  und  den  Aristokraten  der  Kolonie  New  York  recht  eigentlich  die  ersten 
Zusammenstöße  in  dem  bevorstehenden  Kampf  des  amerikanischen  Volks  für 
seine  Unabhängigkeit  bedeuteten. 

Einen  noch  ausgesprocheneren  Sieg  errang  die  Volkspartei  in  dem  Pro- 
zeß der  Regierung  gegen  den  New  Yorker  Drucker  Peter  Zenger.  Dieser  war  im 
Jahre  1710  als  13jäliriger  Knabe  mit  den  von  Gouverneur  Hunter  nach  Amerika 

überführten      Pfälzern 
'^^  ^  nach    New    York    ge- 

kommen. Bald  nach 
seiner  Landung  trat 
er  bei  dem  Drucker 
William  Bradford  in 
Namenszug  von  Peter  Zenger.  die     Lehre.      Der    Be- 

"*'^""""-  """  ruf  eines  Druckers  war 

damals  mancherlei  Einschränkungen  unterworfen.  Solange  die  Drucker 
sich  auf  das  Herstellen  religiöser  Erbauungsschriften  beschränkten,  legten 
die  Kolonialregierungen  ihnen  keine  Hindernisse  in  den  Weg.  Kaum 
wurden  aber  Versuche  zur  Herausgabe  von  Zeitungen  unternommen,  so  trafen 
die  Behörden  schleunigst  Maßnahmen,  um  diese  Mittel  zur  Verbreitung  poli- 
tischer Nachrichten  und  der  Volksaufklärung  im  Keim  zu  ersticken.  So  kam 
die  am  25.  September  1690  zu  Boston  von  Benjamin  Harris  geplante  Zeitung 
„Public  Occurences",  das  erste  neuweltliche  Unternehmen  dieser  Art,  nicht 
über  die  erste  Nummer  hinaus.  In  Virginien  und  Maryland  wurde  das  Auf- 
stellen einer  Druckerpresse  rundweg  verboten.  In  Philadelphia  mußte  William 
Bradford  im  Jahre  1692  seine  Offizin  auf  höheren  Befehl  schließen.  Er  siedelte 
deshalb  nach  New  York  über,  wo  er  nach  langem  Petitionieren  im  Jahre  1725 
die  Erlaubnis  zur  Herausgabe  der  ,,New  York  Gazette"  erwirkte.  Allerdings 
nur  unter  der  Bedingung,  daß  diese  Zeitung  ausschließlich  die  Interessen  der 
Regierung  vertrete.  Bei  diesem  Bradford  bestand  Zenger  eine  vierjährige  Lehr- 
zeit, nach  deren  Ablauf  er  seines  Meisters  Gehilfe,  später  sogar  sein  Geschäfts- 
teilhaber wurde.  Im  Jahre  1733  trennte  Zenger  sich  von  seinem  Partner,  ver- 
mutlich infolge  bestehender  Gegensätze  in  den  politischen  Anschauungen. 
Denn  er  gründete  eine  neue  Druckerei  und  begann  gleichzeitig  mit  der  Heraus- 


—     17Q     - 


gäbe  des  „Weekly  Journal",  welches  das  erklärte  Organ  der  Volkspartei  wurde 
und  an  der  korrupten  Regierung  scharfe  Kritik  übte. 

Dieses  Vorgehen  verwickelte  Zenger  bald  in  einen  Preßprozeß,  den  ersten 
in  Amerika.  Die  Ur- 
sache war  folgende : 
Als  im  Jahre  1730  der 
Gouverneur  Montgome- 
rie  plötzlich  starb,  über- 
nahm bis  zum  Eintref- 
fen eines  Nachfolgers 
der  Älteste  des  Kolo- 
nialrates, Rip  van  Dam, 
die  i  nterimistische  Regie- 
rung, wofür  er  sich  das 
volle  Gehalt  des  Gou- 
verneurs auszahlen  ließ. 
Als  nach  dreizehn  Mo- 
naten der  neue  Gou- 
verneur Crosby  aus  Eng- 
land eintraf,  verlangte 
dieser,  obwohl  er  bisher 
nicht  die  geringsten 
Dienstleistungen  getan, 
daß  van  Dam  ihm  die 
Hälfte  des  bezogenen 
Gehaltes  ausbezahle.  Da 
van  Dam  sich  weigerte, 
diesem  Ansinnen  zu 
entsprechen,  strengte  der 
Gouverneur  eine  Klage 
an.  Als  der  Oberrichter 
Morris  gegen  ihn  ent- 
schied, setzte  er  densel- 
ben ab  und  ernannte 
neue,  willfährige  Rich- 
ter, welche  van  Dam 
zur  Herausgabe  der 
Hälfte  der  streitigen 
Gelder  verurteilten. 

Nun  stellte  Zenger  sowohl  dem  abgesetzten  Oberrichter  wie  auch  den 
Anhängern  van  Dams  die  Spalten  seines  Journals  zur  Verfügung  und  ver- 
öffentlichte mehrere,  die  Handlungsweise  des  Gouverneurs  aufs  schärfste  miß- 
billigende Aufsätze.     Der  darüber  ergrimmte  Gouverneur  ließ  die  betreffenden 

12* 


(U/ryvUMT)'}^^ 


—    180    — 

Nummern  der  Zengerschen  Zeitung  öffentlich  durch  den  Henker  verbrennen 
und  Zenger  wegen  Verbreitung  falscher,  aufrührerischer  Schmähschriften  vor 
Gericht  fordern. 

In  dem  nun  anhebenden  berühmtesten  aller  amerilcanischen  Preßprozesse 
v^äre  Zenger  zweifellos  gleichfalls  von  den  willfährigen  Richtern  verurteilt 
worden,  hätten  nicht  seine  Anhänger  ihm  in  dem  ausgezeichneten  Juristen 
Andrew  Hamilton  von  Philadelphia  einen  vorzüglichen  Verteidiger  zur  Seite 
gestellt.  Derselbe  gab  die  VeröffentUchung  der  Aufsätze  durch  Zenger  ohne 
weiteres  zu,  behauptete  aber  zugleich,  daß  die  in  denselben  enthaltenen  Aus- 
führungen wahr  seien  und  daß  die  unumwundene  und  unbeschränkte  Meinungs- 
äußerung, sofern  sie  als  wahr  bewiesen  werden  könne,  zu  den  Rechten  jedes 
freien  englischen  Bürgers  gehöre.  Der  Erklärung  des  Kronanwaltes,  daß  der 
Gouverneur  als  direkter  Vertreter  des  Königs  unantastbar  sei  und  nicht  in  ab- 
fälliger Weise  kritisiert  werden  dürfe,  setzte  Hamilton  entgegen,  daß  bei  der 
Untersuchung  gegen  eine  angebliche  Schmähschrift  das  Gericht  den  Beweis 
der  Wahrheit  der  tatsächlichen  Behauptungen  zuzulassen  habe,  und  daß  die 
Aufgabe  der  Geschworenen  nicht  bloß  im  Feststellen  des  Tatbestandes,  son- 
dern auch  des  Rechtes  bestehe.  Bei  der  Ausführung  dieser  Gesichtspunkte  be- 
wies Hamilton  so  glänzend,  daß  die  in  den  fraglichen  Aufsätzen  der  Regierung 
vorgeworfenen  Fehler  auf  Tatsachen  beruhten,  daß  die  Geschworenen  den  An- 
geklagten unter  dem  tosenden  Beifall  der  ganzen  Bevölkerung,  soweit  sie  nicht 
blind  für  den  Gouverneur  Partei  ergriffen  hatte,  als  nichtschuldig  erklärten. 
Durch  den  Zengerschen  Prozeß  war  dem  amerikanischen  Zeitungswesen  sein 
höchstes  Vorrecht,  die  Preßfreiheit,  erkämpft  worden. 

Das  durch  diesen  Sieg  in  seinem  Selbstbewußtsein  mächtig  gestärkte 
Volk  strebte  nun  auch  nach  Befreiung  von  dem  auf  ihm  lastenden  materiellen 
Druck,  der  um  so  tiefer  empfunden  und  um  so  unwilliger  getragen  wurde,  als 
er  von  der  eignen  Regierung,  von  den  in  England  lebenden  Kaufleuten  und 
Fabrikherren  über  die  Kolonien  verhängt  wurde. 

Kaum  war  nämlich  die  Herrschaft  der  mit  den  Engländern  in  scharfem 
Wettbewerb  stehenden  Franzosen  in  Nordamerika  niedergeworfen  worden,  so 
erzwangen  die  in  England  wohnenden  Kaufleute  im  Parlament  Gesetze,  welche 
nicht  etwa  die  Bedürfnisse  und  berechtigten  Ansprüche  der  in  Amerika  lebenden 
Ansiedler,  sondern  ausschließlich  die  Interessen  der  im  Mutterlande  verbliebenen 
Kaufherren  berücksichtigten.  Um  diesen  möglichst  große  Einkünfte  zu  sichern, 
wurde  den  Ansiedlern  das  Anfertigen  sämtlicher  industriellen  Erzeugnisse  so- 
wie der  Handel  mit  dem  Auslande  verboten.  Sie  sollten  genötigt  sein,  alle  Ge- 
brauchsgegenstände vom  Mutterland  zu  beziehen,  dorthin  auch  ihre  eignen 
Erzeugnisse  abzuführen.  Keine  Pflugschar,  kein  Wagenrad,  kein  Hufeisen, 
kein  Werkzeug,  kein  Hut,  keine  Kleiderstoffe,  kein  Papier  sollten  in  Amerika 
hergestellt  werden  dürfen.  Es  wurde  verlangt,  daß  die  Kolonisten  die  von  den 
englischen  Krämern  für  solche  Dinge  geforderten  Wucherpreise  bezahlen,  für 
die  eignen  Produkte  aber  sich  mit  jenen  Angeboten  bescheiden  sollten,  die  von 


—     181     — 

den  englischen  Kaiifleuten  festgesetzt  würden.  Daß  diese  Angebote  stets  weit 
unter  jenen  Preisen  blieben,  die  von  den  Kolonisten  im  freien  Handel  mit  an- 
deren Völkern  hätten  erzielt  werden  können,  ist  selbstverständlich. 

Aber  damit  nicht  genug.  Man  verlangte  von  den  Kolonisten  obendrein 
schwere  Steuern,  ohne  ihnen  im  Parlament  zu  London,  der  gesetzgebenden 
Körperschaft,  eine  eigne  Vertretung  zuzugestehen. 

Nur  ein  jeder  Manneswürde  beraubtes  Volk  hätte  sich  solchen  von 
Selbstsucht  diktierten  Verordnungen  auf  die  Dauer  gefügt.  Von  den  die  freie 
Luft  der  Wälder  und  Meere  atmenden  Amerikanern  war  dies  nicht  zu  erwarten. 
Am  wenigsten  von  den  Abkömmlingen  fremder  Völker,  die  keinen  besondern 
Anlaß  hatten,  den  ihnen  nicht  durch  nationale  Verwandtschaft  näherstehenden 
englischen  Königen  treu  zu  bleiben.  So  sehen  wir  denn  auch  solche  fremd- 
gebornen  Kolonisten  in  den  vordersten  Reihen  jener  Unzufriedenen,  die  gegen 
die  ungerechten  Bedrückungen  Widerspruch  erhoben.  Bereits  im  Jahre  1765 
unterzeichneten  zahlreiche  Deutsche  eine  Beschwerdeschrift,  in  der  Kaufleute 
und  Gewerbtreibende  der  Stadt  Philadelphia  mit  dem  Boykott  englischer  Waren 
drohten,  wenn  die  Regierung  nicht  die  von  ihr  eingeführte  Stempelsteuer  auf- 
hebe. Und  bald  darauf  vereinigten  sich  solche  Deutsche  zu  der  „Patrio- 
tischen Gesellschaft  der  Stadt  und  Grafschaft  Phila- 
delphia,*' um  die  Rechte  und  Freiheiten  zu  wahren,  welche  der  Provinz  in 
früheren  Zeiten  durch  bestimmte  Gesetze  und  Freibriefe  verliehen  worden  seien. 
Sie  beteiligten  sich  auch  an  jener,  von  8000  Personen  besuchten  Versammlung, 
die  am  18.  Juni  1774  einen  „Korrespondenz-Ausschuß"  erwählte,  der  mit  den 
Bewohnern  der  andern  an  der  Ostküste  gelegenen  Kolonien  gemeinschaftliche 
Maßnahmen  zur  energischen  Abwehr  der  englischen  Übergriffe  beraten  sollte. 
Unter  den  Mitgliedern  dieses  Ausschusses  finden  wir  die  Deutschen  Peter 
Hillegas,  Christoph  Ludwig,  Paul  Engel  und  Georg 
Schlosser. 

Aber  auch  die  deutschen  Bewohner  der  anderen  Kolonien  zeigten  die 
gleiche  entschlossene  Gesinnung  Unter  dem  Vorsitz  des  wackern  Pastors 
Peter  Mühlenberg  faßte  der  aus  lauter  Deutschen  bestehende  Sicher- 
heitsausschuß der  virginischen  Ortschaft  Woodstock  folgende,  in  englischer 
Sprache  geschriebene  Erklärung:  „Es  sei  beschlossen,  daß  wir  uns  bereitwillig 
solchen  Verordnungen  der  Regierung  unterwerfen,  wie  Seine  Majestät  nach 
den  Bestimmungen  des  Gesetzes  für  die  Untertanen  zu  erlassen  das  Recht  hat. 
Aber  nur  solchen  allein.  Es  sei  femer  beschlossen,  daß  es  das  ererbte  Recht 
aller  britischen  Untertanen  ist,  nur  von  solchen  Vertretern,  die  sie  selbst  er- 
wählten, regiert  uruTbesteueft  zu  werden.  Ferner,  daß  wir  jede  vom  britischen 
Parlament  in  bezug  auf  die  innere  Verv/altung  Amerikas  abzielende  Flandlung 
als  einen  gefährlichen  und  verfassungswidrigen  Eingriff  in  unsre  Rechte  und 
Privilegien  betrachten.  Daß  die  gewaltsame  Ausführung  solcher  Parlaments- 
akte durch  militärische  Gewalt  notwendigerweise  einen  Bürgerkrieg  verur- 
sachen  muß,   durch   welchen   jene  Verbindung  gelöst   würde,   die  so   lange 


—     182     - 

zwischen  dem  Mutterland  und  den  Kolonien  bestanden  hat.  Es  sei  endlich 
beschlossen,  daß  wir  mit  unseren  notleidenden  Brüdern  in  Boston  sowohl  wie 
in  irgendwelchen  anderen  Teilen  Nordamerikas,  welche  die  direkten  Opfer 
solcher  Tyrannei  sind,  herzlich  sympathisieren  und  alle  geeigneten  Maßnahmen 
befürworten,  durch  welche  so  schreckliches  Unheil  abgewendet,  unsere  Be- 
schwerden beachtet  und  unsere  gemeinschaftlichen  Freiheiten  gesichert  werden 
können." 

Ob  diese  nicht  mißzuverstehenden  Erklärungen,  die  am  4.  August  in  der 
„Virginia  Gazette"  zum  Abdruck  kamen  und  großes  Aufsehen  erregten,  den 
einen  Monat  später  in  Philadelphia  zusammentretenden  ,, Ersten  Kontinental- 
Kongreß"  beeinflußten,  ist  nicht  mehr  nachzuweisen.  Aber  auch  diese  Körper- 
schaft faßte  ähnlich  lautende  Beschlüsse.  Obendrein  ermahnte  sie  das  Volk, 
für  den  Notfall  sich  im  Gebrauch  der  Waffen  zu  üben.') 

Der  Geist  der  Erhebimg  ging  natürlich  auch  unter  den  wackern  Pfälzern 
um,  die  am  Mohawk  und  Schoharia  saßen.  Sie  waren  von  allen  Kolonisten 
der  englischen  Regierung  am  wenigsten  zu  Dank  verpflichtet.^  Denn  hatte 
diese  Regierung  sie  nicht  stets  in  selbstsüchtiger  Weise  ausgebeutet  und  oben- 
drein auf  die  gefährlichsten  Posten  an  die  äußersten  Grenzen  der  Zivilisation 
gestellt,  wo  sie  beständig  den  Anfällen  der  Indianer  und  Franzosen  preis- 
gegeben waren?  Und  hatte  die  Kolonialverwaltung  sich  etwa  beeilt,  in  den 
Stunden  der  Bedrängnis  ihnen  Hilfe  zu  senden? 

Seit  wann  es  unter  jenen,  in  steten  Kämpfen  und  Gefahren  großge- 
wordenen Bauern  gärte,  wissen  wir  nicht.  Aber  auch  sie  fanden  sich  bereits 
am  27.  August  1774  an  den  Ufern  des  Mohawk  zu  einer  großen  Protestver- 
sammlung zusammen,  die,  als  die  englische  Regierung  ihre  schroffen  Maß- 
regeln verschärfte,  den  Bostoner  Hafen  sperrte  und  den  bedrängten  Bewohnern 
jener  Stadt  tätigen  und  moralischen  Beistand  versprach.  Auch  den  in  New 
York  und  Albany  tagenden  Ausschüssen  der  Freiheitsfreunde  ließen  sie  ihre 
Bereitwilligkeit  verkünden,  sämtliche  vom  Kontinental-Kongreß  verordneten 
Maßregeln  ausführen  zu  wollen.  Diesen  Vorsatz  bekräftigten  sie  durch  die 
Erklärung:  „Wir,  die  wir  durch  die  Bande  der  Religion,  Ehre,  Gerechtigkeit 
und  Vaterlandsliebe  aufeinander  angewiesen  sind,  vereinen  uns  in  dem.  festen 
Entschluß,  nie  Sklaven  werden  zu  wollen,  sondern  unsre  Freiheit  mit  Gut  und 
Blut  zu  verteidigen." 

Der  leitende  Geist  dieser  Pfälzer  war  Nikolas  Herchheimer, 
der  nämliche,  welcher  sich  in  den  Kämpfen  gegen  die  Franzosen  bei  der 
Verteidigung  des  in  den  German  Fiats  errichteten  Forts  rühmlich  hervor- 
getan hatte.     Er  leitete  auch  die  erste,  auf  den  2.  Juni  1775  einberufene  Ver- 

^)  Die  vielbesprochene  Unabhängigkeitserklärung  der  Bürger  von  Charloite  im  Be- 
zirk Mecklenburg,  Nord-Karolina,  bleibt  an  dieser  Stelle  unberücksichtigt,  da  weder  der 
genaue  Wortlaut  ihrer  am  31.  Mai  1775  gefaßten  Beschlüsse  feststeht,  noch  die  Namen  der 
unter  den  Unterzeichnern  befindlichen  Angehörigen  der  Familie  Alexander  mit  Sicherheit 
als  diejenigen  deutscher  Ansiedler  betrachtet  werden  können. 


—     183    — 

Sammlung:  von  Abgeordneten  aus  allen  Bezirken  des  Mohawktals,  deren 
wichtigste  Maßnahme  im  Einsetzen  eines  Sicherheitsausschusses  bestand, 
welcher  die  im  Tal  wohnenden  zahlreichen  Anhänger  des  Königtums,  die  so- 
genannten Tories,  überwachen  sollte.  Die  Organisierung  dieser  aus  fünf 
Bataillonen  Milizen,  einem  Bataillon  Scharfschützen,  drei  Kompagnien  Jäger 
und  einer  Kompagnie  Hilfstruppen  bestehenden  Macht  wurde  von  Herch- 
heimer  so  geschickt  durchgeführt,  daß  die  Abgeordneten  der  Kolonie  New  York 
Herchheimer  in  Anerkennung  seiner  Verdienste  mit  dem  Befehl  über  alle  westlich 
von  Schenectady  stehenden  Milizen  betrauten  und  ihn  zum  Brigadegeneral  er- 
nannten. Die  strengen  Anordnungen,  welche  Herchheimer  nun  zur  Beauf- 
sichtigung der  Tories  fraf,  flößten  diesen  solchen  Schrecken  ein,  daß  sie  ihre 
Habseligkeiten  packten  und  Hals  über  Kopf  nach  Canada  flohen. 

In  Pennsylvanien,  wo  die  Behörden  schon  längst  Klage  führten,  daß  die 
früher  so  friedliebenden  Deutschen  jetz.t  widerspenstig  würden,  sorgte  die  im 
Jahre  1764  gegründete  „Deutsche  Gesellschaft"  dafür,  daß  der  Freiheits- 
gedanke auch  in  die  von  zahlreichen  Deutschen  bewohnten  wesdichen  Teile 
der  Kolonie  getragen  wurde.  Sie  tat  dies  durch  Verbreitung  ein.er  gemein- 
schaftlich mit  den  Vorständen  und  Predigern  der  lutherischen  und  reformierten 
Kirchen  Philadelphias  verfaßten  Flugschrift,  welche  die  Gründe  darlegte,  die 
den  Kontinental-Kongreß  bestimmten,  die  Bevölkerung  zum  bewaffneten  Wider- 
stand gegen  die  widerrechtlichen  Handlungen  der  Regierung  aufzurufen.  Die 
bedeutungsvolle  Flugschrift  hebt  mit  folgenden  Worten  an: 

„Wir  haben  von  Zeit  zu  Zeit  täglich  mit  unseren  Augen  gelesen,  daß 
das  Volk  in  Pennsylvanien,  Reiche  und  Arme,  den  Entschhiß  des  Congresses 
apprcbiren.  Sonderlich  haben  sich  die  Teutschen  in  Pennsylvanien  nahe  und 
ferne  von  uns  sehr  hervorgethan  und  nicht  allein  ihre  Milizen  errichtet,  sondern 
auch  auserlesene  Corpos  Jäger  formirt,  die  in  Bereitschaft  sind  zu  marschiren, 
wohin  es  gefordert  wird.  Diejenigen  unter  den  Teutschen,  welche  selbst 
nicht  Dienste  thun  können,  sind  durchgehends  willig  nach  Vermögen  zum 
gemeinen  Besten  zu  contributiren." 

Der  von  dem  Drucker  Heinrich  Miller  veröffentlichte  „Staatsbote" 
befürwortete  die  Empfehlungen  der  „Deutschen  Gesellschaft"  mit  folgendem 
feurigen,  an  alle  Deutsche  gerichteten  Aufruf:  „Gedenkt  daran,  wie  bitter  die 
Knechtschaft  war,  die  ihr  in  Deutschland  erfahren  mußtet.  Gedenkt  und  er- 
innert die  Eurigen  daran,  daß  ihr  nach  America  gegangen  seid,  um  der  Dienst- 
barkeit zu  entrinnen  und  die  Freiheit  zu  genießen.  Gedenkt,  daß  die  englischen 
Staatsdiener  und  ihr  Parlament  America  auf  eben  den  Fuß  wie  Deutschland 
und  vielleicht  ärger  haben  möchten." 

Angeregt  durch  diese  flammenden  Worte,  begannen  manche  deutsche 
Pastoren  auch  von  den  Kanzeln  herab  die  Sache  der  Freiheit  zu  verfechten. 
Daß  sie  dadurch  die  Rache  der  Regierung  über  sich  heraufbeschworen,  ist 
selbstverständlich.  Und  so  mußten  manche  dieser  Streiter  als  heimatlose  Flücht- 
linge im  Lande  umherirren.    Unter  ihnen  befanden  sich  die  Pastoren  Helfen- 


—     184     — 

stein  von  Lancaster,  Johann  Wilhelm  Schmidt  von  Gemiantown, 
N  e  V  e  1 1  i  n  g  von  New  Jersey  sowie  die  beiden  Söhne  des  Pastors  Peter 
Mühlenberg.  Nevelling  hatte  auf  seinen  Grundbesitz  hohe  Anleihen  aufgenom- 
men und  das  Geld  dem  Kontinentalkongreß  überwiesen.  Wo  die  Regierung 
solcher  Prediger  habhaft  wurde,  strafte  sie  dieselben  mit  monatelanger  Kerker- 
haft. Solchem  Geschick  verfielen  beispielsweise  die  Prediger  W  e  y  b  e  r  g  und 
S  c  h  1  a  1 1  e  r  ,  deren  Häuser  obendrein  durch  britische  Soldaten  geplündert 
wurden.  Das  Haus  des  in  der  Salzburger  Niederlassung  Ebenezer  angestellten 
Pfarrers  Rabenhorst  wurde  sogar  bis  auf  den  Grund  niedergebrannt. 

Aber  alle  diese  Maßregeln  konnten  das  Weitergreifen  des  entfachten  Frei- 
heitsgedankens nicht  aufhalten.  Die  prophetischen  Worte,  welche  Andreas 
Hamilton,  der  Verteidiger  des  Druckers  Zenger,  bereits  im  Jahre  1734  ge- 
sprochen: „Die  unterdrückte  Freiheit  wird  sich  endlich  doch  erheben!''  gingen 
in  Erfüllung.  Und  als  der  virginische  Advokat  Patrik  Henry  mit  dem  zündenden 
Ausruf  „Give  me  liberty  or  give  me  death!"  die  stolze  Losung  gab,  da  flogen 
die  Freunde  der  Freiheit  allerorten  zu  den  Waffen.  Unter  den  ersten  befanden 
sich  die  Deutschen. 


Deutsches  Heldentum  und  deutsche  Opferwilligkeit 
im  Freiheitskrieg. 

Eine  ungeheure  Bewegung  durchbrauste  sämtliche  an  der  Ostküste  von 
Nordamerika  gelegenen  Kolonien.  Man  sprach  nicht  länger  über  Handel, 
Saaten,  Ernten,  Jagd  und  Fischfang.  Die  Arbeitsräume  der  Handwerker,  die 
Geschäftsräume  der  Kaufleute  verödeten.  Nur  in  den  rußigen  Werkstätten  der 
Waffenschmiede  und  Büchsenmacher  erklangen  unablässig  die  Hämmer,  knirsch- 
ten die  Feilen  und  drehten  sich  die  Schleifsteine.  Denn,  wie  der  Pfarrer  Hel- 
muth  in  einem  an  die  in  Deutschland  erscheinenden  „Hallischen  Nachrichten" 
schrieb:  „Durch  das  ganze  Land  rüstet  man  sich  zum  Krieg.  Beinahe  jeder 
Mann  ist  unter  den  Waffen.  Der  Eifer,  welcher  bei  diesen  traurigen  Umständen 
gezeigt  wird,  läßt  sich  nicht  beschreiben.  Wenn  hundert  Mann  verlangt  werden, 
stellen  sich  sofort  viel  mehr  und  sind  ärgerlich,  wenn  sie  nicht  alle  genommen 
werden.    Quäker  und  Mennoniten  entsagen  ihren  religiösen  Grundsätzen  und 


Kopfleiste:   Der  Ruf  zu  den  Waffen.    Nach  einem  Gemälde  von  Chapella. 


—     186     — 

nehmen  teil  an  den  kriegerischen  Übungen.  Das  ganze  Land  von  Neu-England 
bis  Georgia  ist  eine  Seele  und  in  vollkommener  Begeisterung  für  die  Freiheit.'* 

Beweise  dafür,  daß  die  Deutschen  an  Begeisterung  hinter  ihren  anglo- 
amerikanischen  Mitbürgern  nicht  zurückstanden,  finden  sich  in  Hülle  und  Fülle. 
Als  in  der  hauptsächlich  von  Deutschen  bewohnten  pennsylvanischen  Ortschaft 
Reading  die  jungen,  waffenfähigen  Männer  drei  Kompagnien  einer  Bürgergarde 
bildeten,  ließ  es  den  Deutschen  Graubärten  keine  Ruhe.  Sie  wollten  nicht  zurück- 
stehen, sondern  vereinigten  sich  zu  einer  „Kompagnie  der  alten  Männer".  Einem 
Bericht  des  „Pennsylvanischen  Staatsboten"  zufolge  bestand  dieselbe  aus  80  Hoch- 
deutschen von  mehr  als  40  Jahren.  Viele  waren  bereits  in  Deutschland  Sol- 
daten gewesen.  So  hatte  z.  B.  der  97  Jahre  alte  Hauptmann  dieser  Veteranen 
in  40jährigem  Kriegsdienst  17  große  Schlachten  mitgemacht.  Und  der  84  Jahre 
zählende  Trommler  konnte  auf  eine  fast  ebenso  bewegte  Vergangenheit  zurück- 
blicken. 

Wo  die  Begeisterung  so  hohe  Wogen  schlug,  ist  es  selbtverständlich,  daß 
die  Deutschen  auch  außerordentlich  starke  Prozentsätze  zu  den  aus  Freiwilligen 
oder  „Associators"  gebildeten  Truppenkörpern  stellten,  die  einem  vom  Kon- 
gresse erlassenen  Aufruf  zufolge  überall  zusammentraten.  Nach  einem  Be- 
schluß vcm  14.  Juni  1775  sollten  Pennsylvanien  sechs,  die  Kolonien  Maryland 
und  Virginien  je  zwei  Kompagnien  Scharfschützen  stellen.  Anstatt  dessen 
rüstete  Pennsylvanien  neun  Kompagnien  aus,  von  welchen  vier  ausschließlich 
deutsche  Offiziere  besaßen.  Mehrere  Abteilungen  derselben  befanden  sich  bereits 
drei  Wochen  später  auf  dem  Hunderte  von  Meilen  weiten  Marsche  nach  Boston, 
um  zu  der  von  George  Washington  befehligten  amerikanischen  Hauptarmee  zu 
stoßen.  Die  ersten,  welche  dort  eintrafen,  waren  die  von  den  Haupdeuten 
Nagel  und  Daudel  befehligten  deutschen  Scharfschützen  der  pennsylvanischen 
Grafschaft  BerkyJ  herrlich  gewachsene,  wettergebräunte  Männer,  von  denen  jeder 
dem  preußischen  König  Friedrich  dem  Großen  für  seine  Riesengarde  willkommen 
gewesen  wäre.  In  ihren  aus  Flirschleder  oder  derbem  „home  spun"  gefertigten 
Jagdröcken,  den  fransenbesetzten  Leggins,  den  indianischen  Mokassins  und 
der  aus  einem  Fuchs-  oder  Otterfell  gefertigten  Pelzmütze  boten  diese  mit  Rifle- 
büchse,  Tomahawk  und  Jagdmesser  bewaffneten  Gestalten  unstreitig  einen  im- 
ponierenden Eindruck  dar.  Und  die  in  großen  Lettern  über  jeder  Brust  zu 
lesende  Losung  „Liberty  or  Death!"  zeugte  für  die  Entschlossenheit,  welche 
diese  ernsten  Männer  beseelte. 

Ihnen  rückten  bald  darauf  die  aus  anderen  Teilen  Pennsylvaniens  sowie 
die  aus  Maryland  und  Virginien  kommenden  Scharfschützen  nach.  Die  Virginier 
hatten  den  später  zu  großem.  Ruhm  gelangenden  Daniel  Morgan  als 
Hauptmann.  Bevor  sie  sich  am  17.  Juni  bei  Schäferstown  (Shepherdstown) 
zum  Abmarsch  rüsteten,  kamen  sie  dahin  überein,  daß  diejenigen,  welche  nach 
50  Jahren  noch  am  Leben  seien,  sich  am  gleichen  Datum  an  der  gleichen  Quelle, 
an  welcher  sie  sich  versammelt  hatten,  wieder  einfinden  sollten.  Es  waren  nur 
vier  Männer:  Heinrich  und  Georg  MichelBedinger  (der  erste  aus 


187     — 


Virginien,  der  zweite  aus  Kentucky),  Peter  Lauck  (aus  Winchester)  und 
Gotthold  Hülse  (aus  Wheeling),  welche  dieser  Verabredung  am  17.  Juni 
1825  entsprachen.  Aus  den  echt  deutschen  Namen  dieser  Veteranen  läßt 
sich  mit  Sicherheit  schließen,  daß  die  Deutschen  Virginiens  einen  großen 
Prozentsatz  zu  den  be- 
rühmten Scharfschützen 
Morgans  gestellt  haben 
müssen. 

Es  war  am  10 
August,  als  Morgans 
Truppe  nach  einem  600 
Meilen  weiten  Marsch 
bei  der  Belagerungs- 
armee  vor  Boston  ein- 
traf. Der  gerade  auf  ei- 
nem Rekognoszierungs- 
ritt befindliche  Ober- 
befehlshaber George 
Washington  erspähte 
dieAnkömmhnge  in  der 
Ferne.  Im  Galopp  ritt 
er  auf  sie  zu  und  sprang, 
als  Morgan  meldete: 
„Scharfschützen  vom 
rechten  Ufer  des  Poto- 
mac!"  vom  Pferde,  um 
mit  Freuden  tränen  im 
Antlitz  jeden  einzelnen 
der  wackern  Virginier, 
von  denen  manche  in 
der  Nähe  seines  eignen 
Landgutes  wohnten,  mit 
kräftigem    Händedruck 


zu  begrüßen.') 


Daniel  Morgan,  der  tülner  der  virginischen  ScharfsclUitzen. 


^)  Die  von  Kapitän  Morgan  geführten  virginischen  Scharfschützen  erhielten  noch  vor 
der  Einnahme  von  Boston  Befehl,  sich  der  Expedition  Arnolds  nach  Canada  anzuschließen. 
Unter  furchtbaren  Mühseligkeiten  drangen  sie  mit  den  anderen  Truppen  jenes  Zuges  den 
Kennebec  hinauf,  und  unternahmen  mit  ihnen  am  Abend  des  30.  Dezember  1775  den 
Versuch,  die  Zitadelle  von  Quebec  zu  erstürmen.  Bekanntlich  mißglückte  dieser  verwegene 
Anschlag,  während  dessen  Morgans  Truppen  so  schwere  Verluste  erlitten,  daß  ihr  Führer, 
um  seine  Schar  vor  gänzlichem  Untergang  zu  bewahren,  es  für  geraten  hielt,  sich  zu  er- 
geben. Morgan  wurde  später  ausgelöst  und  nahm  mit  einer  anderen  Abteilung  Scharf- 
schlitzen an  den  Schlachten  bei  Monmouth  und  bei  Saratoga  und  anderen  Treffen  teil. 


Während  der  Belagerung  der  Stadt  Boston  leisteten  diese  Scharfschützen 
insofern  sehr  wichtige  Dienste,  als  sie  hauptsächlich  die  feindlichen  Offiziere 
aufs  Korn  nahmen  und  dadurch  die  englischen  Regimenter  der  Führung  be- 
raubten. Die  Zahl  solcher  Gefallenen  oder  kampfunfähig  Gewordenen  war  so 
überraschend  groß,  daß  der  englische  Abgeordnete  Burke  im  Parlament  be- 
stürzt ausrief:  „Diese  Amerikaner  wissen  von  unsrer  Armee  weit  mehr,  als  wir 
uns  träumen  lassen.  Sie  schließen  dieselbe  ein,  belagern,  vernichten  und  zer- 
malmen sie.  Wo  unsere  Offiziere  ihre  Nasen  zeigen,  da  werden  sie  von  den 
amerikanischen  Riflebüchsen  weggefegt.'' 

Da  nur  die  deutschen  Grenzbewohner  gezogene  Riflebüchsen  führten,  so 
müssen  die  schlimmen  Verluste,  welche  die  Offizierslisten  der  in  Boston  be- 
lagerten Engländer  erlitten,  wohl  in  erster  Linie  den  deutschen  Scharfschützen 
gutgeschrieben  werden.  Deren  Leistungsfähigkeit  scheint  auch  dem  Kontinental- 
kongreß nicht  entgangen  zu  sein.  Denn  er  erließ  am  25.  Mai  1776  den  Aufruf 
zur  Formierung  eines  rein  deutschen  Bataillons,  dessen  acht  Kompagnien  zur 
Hälfte  aus  Pennsylvaniern,  zur  Hälfte  aus  Deutschen  der  Kolonie  Maryland  be- 
stehen sollten.  Die  Pennsylvanier  begnügten  sich  aber  nicht  mit  den  ihnen 
vorbehaltenen  vier  Kompagnien,  sondern  hatten  bereits  im  Juli  eine  fünfte 
vollzählig. 

Unter  seinen  einander  folgenden  Obersten  Nikolas  Hau  segger, 
Baron  Arendt  und  Ludwig  Weltner  vollbrachte  dieses  deutsche  Ba- 
taillon manche  kühne  Waffentat.  Zunächst  beteiligte  es  sich  bei  dem  Überfall 
der  Engländer  in  Trenton.  Später  erntete  es  in  den  Schlachten  bei  Princeton, 
am  Brandywine  und  bei  Germantown  Lorbeeren.  Der  Brigade  des  Generals 
Peter  Mühlenberg  zugeteilt,  durchlebte  es  die  schrecklichen  Monate  im  Winter- 
lager zu  Valley  Forge.  Dann  fand  es  als  Bestandteil  des  Expeditionskorps  des 
Generals  Sullivan  in  den  Quellgebieten  des  Susquehanna  und  Mohawk  Ver- 
wendung, wo  seine  Aufgabe  darin  bestand,  die  Grenzniederlassungen  gegen  die 
Überfälle  der  von  Canada  hereinbrechenden  Engländer  und  Irokesen  zu 
schützen. 

Überaus  zahlreich  waren  die  Deutschen  auch  in  den  von  Pennsylvanien 
gestellten  regulären  Regimentern,  vornehmlich  im  zweiten,  dritten,  fünften, 
sechsten  und  achten.  Das  ergibt  sich  schon  aus  der  Tatsache,  daß  ein  Drittel 
jener  von  53  Bataillonen  kommenden  Abgesandten,  die  am  4.  Juli  1776  in  Lan- 
caster,  Pa.  zusammenkamen,  um  über  gemeinsame  Angelegenheiten  zu  beraten, 
Deutsche  waren. 

Zur  selben  Stunde,  wo  diese  Wackeren  schworen,  Leib  und  Leben  für  die 
Unabhängigkeit  des  Landes  zu  opfern,  nahm  der  im  Staatshause  zu  Phila- 
delphia versammelte,  aus  Vertretern  sämtlicher  Kolonien  bestehende  Kongreß 
die  Unabhängigkeitserklärung  an.^) 


')  Es  war  einer  deutschen  Zeitung,  dem  von  Heinrich  Miller  in  Philadelphia  heraus- 
gegebenen „Staatsboten",  vorbehalten,   die  erste  gedruckte  Mitteilung  über  diesen  hoch- 


—     189     — 

Auch  in  den  südlichen  Kolonien  bildeten  sich  rein  deutsche  Truppen- 
körper. So  brachte  beispielsweise  der  Württemberger  Michael  Kalteisen 
in  Charleston,  Süd-Karolina,  eine  Kompagnie  Füsiliere  zusammen,  die  durch- 
weg aus  Deutschen  bestand  und  im  Jahre  1779  beim  Sturm  auf  Savannah  sich 
auszeichnete. 

Leider  fehlen  über  die  Beteiligung  der  Deutschen  in  den  Kolonien  Georgia, 
Karolina,  Virginien,  Delaware,  Maryland,  New  York,  Massachusetts  und  Maine 
sichere  Angaben,  da  fast  alle  Musterrollen  und  sonstigen  Urkunden  bei  einem 
im  Jahre  1800  im  Kriegsministerium  zu  Washington  ausgebrochenen  Brande 
untergingen.  Sicher  ist  aber,  daß  die  Deutschen  auch  in  den  von  jenen  Kolonien 
gestellten  regulären  Regimentern  mit  stattlichen  Zahlen  vertreten  waren. 

Wollte  man  die  Namen  aller  Deutschen,  die  sich  durch  tapfere  Taten  vor 
dem  Feinde  auszeichneten,  in  einer  Liste  vereinen,  so  würde  dieselbe  manche 
Seiten  füllen.  Da  wären  beispielsweise  die  zahlreichen  Mitglieder  der  aus  West- 
falen nach  Pennsylvanien  eingewanderten  Familie  Heister.  Mehrere  dienten 
als  Offiziere  in  pennsylvanischen  Regimentern.  Von  allen  mußte  Joseph  Heister 
die  schlimmsten  Erlebnisse  bestehen.  Während  der  unglücklichen  Schlacht  auf 
Long  Island  wurde  er  gefangen  und  später  auf  der  berüchtigten  Fregatte  „Jer- 
sey" und  in  den  Kerkern  der  Stadt  New  York  furchtbaren  Leiden  ausgesetzt. 
Nach  seiner  Auslösung  schloß  er  sich  den  Freiheitskämpfern  aufs  neue  an, 
schwang  sich  durch  seine  Tapferkeit  zum  Obersten  empor  und  füllte  nach  er- 
folgtem Friedensschluß  noch  verschiedene  angesehene  Stellen  aus.  ^ 

Von  gleichem  Schlage  war  der  Pennsylvanier  K  i  c  h  1  e  i  n  ,  der  als  Haupt- 
mann einer  100  Mann  starken  Kompagnie  jenen  Helden  angehörte,  die  nach 
der  Schlacht  auf  Long  Island  den  Rückzug  Washingtons  deckten,  und  von 
welcher  ein  amerikanischer  Geschichtsschreiber  sagte:  „Long  Island  war  das 
Thermopylae  des  Unabhängigkeitskrieges,  und  die  Deutschpennsylvanier  waren 
seine  Spartaner!"   Von  Kichleins  Kompagnie  fielen  70  Mann. 

Auch  der  in  manchen  europäischen  Kriegen  grau  gewordene  Hannoveraner 
Georg  Gerhard  von  der  Wieden  zählt  zu  den  Helden  jener  großen 
Zeit.  Er  hatte  bereits  als  Leutnant  mit  den  von  Heinrich  Bouquet  geführten 
„Royal  Americans"  den  Feldzug  gegen  die  Franzosen  im  Quellgebiet  des  Ohio 
mitgemacht.  Als  Oberst  trat  er  später  in  das  1.  virginische  Regiment  und 
brachte  es  dank  seiner  ausgezeichneten  Fähigkeiten  bis  zum  Brigadegeneral. 
In  den  Kämpfen  am  Brandywine,  bei  Germantown  und  vor  Yorktown  spielte 


wichtigen  Akt  zu  bringen.  Die  Unabhängigkeitserklärung  erfolgte  bekanntlich  am  4.  Juli  1776, 
einem  Donnerstag.  Da  der  „Staatsbote"  die  einzige  am  Freitag  erscheinende  Zeitung 
Philadelphias  war,  so  kam  sie  mit  ihrer  Mitteilung  allen  in  englischer  Sprache  gedruckten 
Zeitungen  voraus.    Die  in  fetten  Lettern  gegebene  Nachricht  lautet  folgendermaßen: 

„Philadelphia,  den  5.  July.  Gestern  hat  der  achtbare  Congreß  dieses  vesten  Landes 
die  vereinigten  Colonien  freye  und  unabhängige  Staaten  erkläret.  Die  Declaration  in 
Englisch  ist  gesetzt  in  der  Presse:  sie  ist  datirt  den  4ten  July,  1776,  und  wird  heut  oder 
morgen  in  Druck  erscheinen." 


—     190     — 

dieser  in  amerikanischen  Geschichtswerken  unter  dem  Namen  „Weedon"  er- 
scheinende Mann  eine  wichtige  Roile. 

^  Eine  echte  Soldatennatur  bekundete  ferner  der  deutsche  Hauptmann 
Leonhardt  Helm,  der  mit  nur  zwei  Gemeinen  die  Besatzung  des  westlichen 
Grenzforts  St.  Vinciennes  bildete.  Diese  Veste  zu  nehmen,  zogen  die  Engländer 
in  beträchdicher  Zahl  heran.  Daß  er  sich  gegen  die  gewaltige  Übermacht  nicht 
behaupten  könne,  wußte  Hauptmann  Helm  wohl.  Aber  er  pflanzte  sich  mit 
brennender  Zündschnur  an  einer  der  von  den  Wällen  herabdrohenden  Kanonen 
auf,  gebot  den  anrückenden  Feinden  Halt  und  fragte,  ob  man  der  Besatzung 
des  Forts  freien  Abzug  mit  allen  Waffen  und  unter  Beobachtung  der  üblichen 
Kriegsehren  bewillige,  falls  sie  das  Fort  freiwillig  übergebe.  Dessen  waren 
die  Engländer  nur  zu  froh.  Sie  machten  aber  doch  lange  Gesichter,  als  Helm 
mit  seinen  beiden  Leuten  erschien.  Aber  das  Soldatenwort  war  verpfändet,  und 
so  mußten  die  Briten  zu  ihrem  großen  Ärger  die  drei  Amerikaner  ungehindert 
ziehen  lassen. 

Auch  die  südlichen  Kolonien  hatten  ihren  deutschen  Helden.  Alexander 
G  i  1 1  o  n  ,  ein  von  kurhessischen  Eltern  stammender  Kaufmann  in  Charleston, 
stach  nn  Mai  1777  mit  einem  wohlausgerüsteten  Schiff  in  See,  nahm  drei  eng- 
lische Kreuzer  weg,  mietete  dann  eine  französische  Fregatte  und  kaperte  mit 
derselben  zahlreiche  englische  Handelsfahrzeuge.  Im  Frühling  des  Jahres  1782 
brachte  er  ein  größeres  Gesciiwader  zusammen  und  annektierte  die  Bahama- 
inseln. 

Von  besonderem  Interesse  ist  es,  daß  auch  die  150  Mann  starke  Leibwache 
George  Washingtons  ausschließlich  aus  Deutschen  der  pennsylvanischen  Graf- 
schaften Berks  und  Lancaster  bestand.  Der  ehemalige  preußische  Major  Bar- 
tholomäus von  Heer  befehligte  die  kleine,  aber  auserlesene  Schar.  Ihr 
Hauptmann  war  Jakob  Mey  tinger;  als  Leutnants  dienten  Philipp 
S  t  r  ü  b  i  n  g  und  Johann  N  u  1 1  e  r.  Die  Gründe,  welche  maßgebend  dafür 
waren,  diese  Leibwache  ausschließlich  aus  Deutschen  zusammenzustellen,  sind 
nicht  bekannt.  Die  Tatsache  hingegen,  daß  es  unter  den  englisch  sprechenden 
Truppen  des  amerikanischen  Heers  von  im  englischen  Sold  stehenden  Spionen 
wimmelte,  und  daß  die  königstreuen  Tories  die  verschlagensten  Mittel  anwen- 
deten, um  amerikanische  Offiziere  und  Soldaten  zum  Verrat  militärischer  Ge- 
heimnisse, ja  zur  Gefangennahme  und  Auslieferung  des  obersten  Befehlshabers 
zu  verleiten,  hat  zu  der  Vermutung  Anlaß  gegeben,  daß  man  die  Person 
Washingtons  weit  mehr  gesichert  glaubte,  wenn  man  ihn  mit  einer  Leibwache 
umgebe,  deren  Soldaten  der  englischen  Sprache  wenig  oder  gar  nicht  mächtig 
und  darum  den  Verlockungen  der  Tories  auch  weniger  ausgesetzt  wären. 

Wie  immer  dem  sein  mag,  gewiß  ist,  daß  die  Deutschpennsylvanier 
von  jeher  als  zuverlässige  Leute  galten.  Diesen  guten  Ruf  behaupteten  sie  auch 
in  diesem  Falle,  denn  die  deutsche  Leibwache  schützte  den  Heerführer  während 
aller  Fährnisse  des  sieben  Jahre  dauernden  Krieges.  Als  nach  dem  glücklichen 
Ausgang  desselben  das  Heer  sich  auflöste,  wurde  auch  die  Leibwache  über- 


-_     191     _ 

flüssig.  Nur  der  wackere  Major  von  Heer,  der  Hauptmann  Meytinger,  ein 
Sergeant,  ein  Trompeter  und  acht  Gemeine  blieL^en  bis  zum  31.  Dezember  1783 
im  Dienst.  Ihnen  fiel  die  Ehre  zu,  den  obersten  Kriegsherrn  auf  sein  in  Vir- 
ginien  gelegenes  Landgut  Mount  Vernon  zurückzugeleiten.  Dort  angekommen, 
stellten  sie  sich  vor  der  Front  des  stattlichen  Herrensitzes  vor  dem  Sieger  in  so 
vielen  Schlachten  zur  letzten  Parade  auf.  Noch  einmal  erscholl  der  Kommando- 
ruf, zum  letztenmal  senkten  sich  die  funkelnden  Degen.  Dann,  nachdem  diese 
militärische  Ehrung  erwiesen  war,  ritten  die  wackeren  Soldaten  schweigend 
von  dannen.    Denn  ihre  Herzen  waren  schwer,  daß  sie  von  dem  geliebten  Feld- 


Marie  Hcis  (Molly  Pitcher)  in  der  Schlacht  bei  Monmoiith. 

Nach  einem  Gemälde  von   D.  M,   Carter. 


herrn,  den  sie  so  viele  Jahre  beschirmt,  dessen  Leiden  und  Lasten  sie  so  lange 
geteilt,  für  immer  scheiden  mußten. 

Außer  diesen  Patrioten  berichtet  die  Geschichte  von  drei  deutsch  amerika- 
nischen Heldinnen.  E^ie  erste  war  M  a  r  i  e  H  e  i  s  ,  die  Gattin  eines  als  Kanonier 
mit  Washington  ins  Feld  gezogenen  Freiwilligen.  Entschlossen,  alle  Leiden 
und  Freuden  ihres  Mannes  zu  teilen,  hatte  die  Frau  sich  dem  gleichen  Regiment 
angeschlossen  und  um  das  Wohl  der  Soldaten  sich  verdient  gemacht,  indem  sie 
den  im  Kampf  Befindlichen  Wasser  zutrug  und  die  Verwundeten  pilegte.  Da 
man  sie  selten  ohne  ihren  mächtigen  Wasserkrug  (englisch  pitcher)  sah,  so  legten 
die  Soldaten  ihr  den  Spitznamen  .,M  o  1 1  y  Pitcher"  bei. 


—     192     — 

Es  war  in  der  Schlacht  bei  Monmouth,  wo  Molly  Pitcher  zu  bleibendem 
Ruhm  gelangen  sollte.  Infolge  der  zweideutigen  Haltung  des  Generals  Lee 
drohte  die  Schlacht  einen  für  die  Amerikaner  ungünstigen  Ausgang  zu  nehmen. 
Allerwärts  zeigten  die  Reihen  der  Amerikaner  klaffende  Lücken.  Das  Be- 
dienungspersonal der  Batterien  war  bereits  so  zusammengeschmolzen,  daß  in- 
folge mangelnden  Ersatzes  die  Mannschaften  ihre  Tätigkeit  fast  einstellen 
mußten.  Eine  Katastrophe  schien  unvermeidlich,  zumal  die  Briten  sich  ge- 
rade jetzt  zu  einem  mächtigen  Vorstoß  anschickten.  In  diesem  Augenblick  er- 
schien „Molly  Pitcher"  auf  dem  Schauplatz.  Die  Gefalir  erkennend,  stellte  sie 
schleunigst  ihren  Krug  zur  Erde,  griff  einen  Kanonenwischer  und  bediente 
an  Stelle  ihres  verwundet  am  Boden  liegenden  Mannes  das  Geschütz.  Brau- 
sende Beifallrufe  erschollen  für  Molly  Pitcher.  Von  allen  Seiten  eilten  tapfere 
Männer  herbei,  um  die  freigewordenen  Plätze  in  den  Batterien  einzunehmen. 
Und  als  die  Feinde  anrückten,  wurden  sie  mit  so  lebhaftem  Kanonenfeuer  be- 
grüßt, daß  es  den  Amerikanern  gelang,  den  Angriff  abzuschlagen. 

In  Süd-Karolina  unterzog  sich  die  18jährige  Pflanzerstochter  Emilie 
Geiger  der  gefährlichen  Aufgabe,  wichtige  Mitteilungen  des  Generals  Greene 
an  die  Generale  Marion  und  Sumter  zu  überbringen,  wobei  sie  ein  weites,  durch 
feindliche  Patrouillen  höchst  unsicher  gemachtes  Gebiet  durchreiten  mußte. 
Obendrein  mußte  das  Mädchen  mit  dem  Pferde  den  angeschwollenen  Wateree- 
fluß  durchschwimmen.  Nachdem  dies  gelungen,  fiel  die  junge  Heldin  am 
zweiten  Tage  ihrer  Reise  feindlichen  Kundschaftern  in  die  Hände.  Da  diese 
aber  keine  verdächtigen  Dokumente  fanden,  ließ  man  das  Mädchen  frei,  welches 
nun  seinen  Ritt  fortsetzte  und  wenige  Stunden  später  die  ihm  anvertraute  Bot- 
schaft ausrichten  konnte. 

In  West- Virgin  ien  erzählt  man  sich  noch  heute  von  Elisabeth  Zane, 
die  mit  ihren  Brüdern  eine  an  Stelle  der  heutigen  Stadt  Wheeling  erbaute  Block- 
hütte bewohnte.  Als  Zufluchtsort  bei  feindlichen  Anfällen  hatten  die  wenigen 
dort  lebenden  Ansiedler  aus  starken  Baumstämmen  einen  festen  Turm  errichtet, 
in  welchen  sie  flüchteten,  als  im  September  1777  eine  von  dem  englischen  Be- 
fehlshaber des  Forts  Detroit  ausgeschickte  Bande  von  Indianern  die  kleine 
Niederlassung  überfiel.  Die  Belagerung  zog  sich  bedenklich  in  die  Länge.  Die 
Zahl  der  waffenfähigen  Männer  sank  von  42  auf  nur  12  herab.  Dazu  kam,  daß 
das  Pulver  ausging.  Zwar  lag  noch  ein  Fäßchen  in  der  Hütte  der  beiden 
Brüder  Zane  versteckt.  Um  desselben  habhaft  zu  werden,  mußte  man  aber  eine 
180  Schritt  weite  Strecke  zurücklegen,  die  von  den  Büchsen  der  in  den  Wäldern 
versteckten  Wilden  bestrichen  wurde.  Trotzdem  mußte  man  suchen,  das  Pulver 
zu  erlangen.  Als  Freiwillige,  die  es  wagen  wolle,  das  Fäßchen  zu  holen,  trat 
die  siebzehnjährige  Elisabeth  Zane  vor.  Sie  begründete  ihren  Entschluß  damit,  daß 
das  Leben  der  so  sehr  zusammengeschmolzenen  männlichen  Verteidiger  der  Be- 
festigung zu  wertvoll  sei,  um  ein  solches  aufs  Spiel  zu  setzen.  Einwände  wollte 
sie  nicht  gelten  lassen,  und  so  öffnete  man  der  jungen  Heldin  das  Tor,  das  sie 
so  ruhig  durchschritt,  als  ob  es  in  der  weiten  Welt  keine  Indianer  gebe. 


—     193     - 

Da  die  letzteren  nicht  wußten,  um  was  es  sich  handle,  so  ließen  sie  es 
ruhig  geschehen,  daß  die  Jungfrau  die  zwischen  Turm  und  Blocithütte  gelegene 
Streciie  zurücklegte  und  die  Hütte  betrat.  Erst  als  sie,  das  Fäßchen  in  den 
Armen  tragend,  wieder  erschien,  errieten  die  Rothäute  die  Bedeutung  des  Vor- 
gangs und  eröffneten  von  allen  Seiten  ein  lebhaftes  Feuer  auf  die  raschen  Laufs 
Davoneilende.  Aber  keine  Kugel  traf.  Wohlbehalten  schlüpfte  die  junge 
Heldin  wieder  ins  Fort,  worauf  die  Indianer,  nicht  länger  auf  den  Fall  der  so 
wacker  verteidigten  kleinen  Feste  rechnend,  wutschnaubend  abzogen. 

Außer  diesen  Beispielen  finden  sich  noch  zahlreiche  andere,  welche  die 
opferfreudige  Begeisterung  bekunden,  die  in  den  Flerzen  der  deutschen  Kolo- 
nisten Amerikas  lohte. 

Wir  müssen  zunächst  der  hochherzigen  Frau  Margarete  Greider' 
geb.  Arkularius  gedenken,  die  nicht  nur  dem  Oberbefehlshaber  George 
Washington  die  bedeutende  Summe  von  1500  Guineen  zu  beliebiger  Verwen- 
dung für  das  Heer  übergab,  sondern  obendrein  mit  ihrem  Manne,  einem 
Bäcker,  die  Soldaten  vier  Monate  lang  mit  Brot  versorgte,  ohne  für  ihre  Dienste 
irgendwelche  Entschädigung  anzunehmen. 

Jenem  wackern  Ehepaar  stand  der  in  Philadelphia  wohnende  Bäcker 
Christoph  Ludwig  nicht  nach,  ein  Mann,  der  an  allen  das  Wohl  und 
Wehe  des  Landes  angehenden  Fragen  stets  lebhaften  Anteil  nahm.  Bereits  im 
ersten  Stadium  der  Freiheitsbewegung,  als  man  in  einer  öffentlichen  Versamm- 
lung um  freiwillige  Gaben  bat,  um  für  die  Bürgerwehren  Flinten  beschaffen  zu 
können,  sprang  er,  als  niemand  mit  einer  Beisteuer  den  Anfang  machen  wollte, 
auf  und  rief:  „Herr  Vorsitzender,  ich  bin  nur  ein  einfacher  Pfefferkuchenbäcker, 
aber  schreiben  Sie  meinen  Nam.en  in  die  Liste  mit  200  Pfund." 

Während  des  Krieges  bewies  Ludwig  immer  wieder  und  wieder  seine 
Opferwilligkeit.  Seine  eignen  Interessen  hintenan  setzend,  opferte  er  sein  ganzes 
Vermögen  für  die  große  Sache.  Für  seine  Uneigennützigkeit  spricht  auch  ein 
anderes  Vorkommnis.  Im  Jahre  1777  übertrug  man  ihm  die  Stelle  des  Ober- 
bäckers der  Armee.  Seine  Vorgänger  im  Amt  hatten  sich  die  Unerfahrenheit 
der  mit  der  Heeresverwaltung  betrauten  Personen  zunutze  gemacht  und  für 
jeden  ihnen  überwiesenen  Zentner  Mehl  auch  nur  100  Pfund  Brot  geliefert 
und  den  Profit  eingesteckt.  Ludwig  klärte  die  Verwaltung  über  den  unbemerkt 
gebliebenen  Betrug  auf,  indem  er  darauf  hinwies,  daß  man  mit  100  Pfund  Mehl 
und  dem  zum  Kneten  benötigten  Wasser  135  Pfund  Brot  herstellen  müsse.  So- 
viel werde  er  für  jeden  Zentner  Mehl  liefern,  da  er  nicht  das  Verlangen  trage, 
sich  durch  den  Krieg  zu  bereichern. 

Als  Ludwig  nach  Beendigung  des  Krieges  sein  Geschäft  wieder  aufnahm 
und  abermals  ein  stattliches  Vermögen  erwarb,  gab  er  bei  seinem  Ableben  einen 
letzten  Beweis  seines  Gemeinsinnes,  indem  er  sein  ganzes  Hab  und  Gut  wohl- 
tätigen Anstalten  vermachte  und  in  erster  Linie  die  Mittel  zur  Gründung  einer 
Freischule  für  arme  Kinder  stiftete. 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  13 


—     194     — 

Um  die  Verpflegung  der  im  Felde  stehenden  Truppen  sowie  der  Verwun- 
deten und  Kranken  machten  sich  auch  die  in  Pennsylvanien  wohnenden  deut- 
schen Sektierer,  vor  allen  die  Mennoniten,  Herrnhuter  und  Tunker  hochverdient. 
Bekanntlich  hielten  diese  es  mit  ihren  religiösen  Anschauungen  als  unvereinbar, 
Waffen  zu  tragen,  Kriegsdienste  zu  leisten  und  Beisteuern  für  kriegerische 
Zwecke  zu  entrichten.  Auf  diese  Satzimgen  ihres  Glaubens  sich  berufend, 
reichten  sie  am  5.  November  1775  dem  Kongreß  ein  Bittgesuch  ein,  daß  sie  von 
allen  derartigen  Leistungen  entbunden  werden  möchten,  sie  würden  sich  da- 
gegen verpflichten,  in  anderer  Weise,  durch  Lieferung  von  Lebensmitteln, 
Kleidern,  Verbandstoffen  und  ähnlichen  Dingen  zum  Gelingen  der  großen 
Sache  beizutragen.    Nachdem  der  Kongreß  ihnen  diese  Ausnahmsrechte  zuge- 


Versorgung  der  Soldaten  im  Winterlager  von  Valley  Forge  durch  die  Herrnhuter. 

standen,  kamen  die  Sektierer  ihrem  Versprechen  in  großartiger  Weise  nach  und 
führten  von  den  Erträgnissen  ihrer  Felder  und  Hausindustrien  dem  Heeie  wäh- 
rend der  ganzen  Dauer  des  Feldzugs  gewaltige  Mengen  zu.  Ohne  die  Beihilfe 
dieser  Sektierer  wären  die  im  Hungerlager  zu  Valley  Forge  verweilenden  Sol- 
daten wahrscheinlich  der  Not  erlegen. 

Aber  mehr  noch.  Die  Sektierer  erwiesen  sich  auch  als  echte  barmherzige 
Samariter,  indem  sie  in  ihren  Wohnungen  und  Versammlungsplätzen  zahlreiche 
Verwundete  und  Kranke  aufnahmen  und  denselben  die  sorgsamste  Pflege  zuteil 
werden  ließen.  Die  Gemeindehäuser  zu  Bethlehem,  Lititz  und  Ephrata  waren 
die  bedeutendsten  Lazarette  in  den  Mittelkolonien  und  zeitweise  mit  Verwun- 
deten überfüllt.  Nach  der  Schlacht  am  Brandywine  nahm  das  Kloster  Ephrata 
über  500  Schwerver\vundete  auf,  von  welchen  200  starben  und  auf  dem  beschei- 
denen Friedhof  des  Klosters  neben  den  bereits  abgeschiedenen  Klosterbrüdern 


—     1Q5     — 

und  Schwestern  eine  Ruhestätte  fanden.  In  der  Herrnhuterstation  Lititz  fanden 
Hunderte  von  Typhuskranken  Unterkunft.  Während  der  Verpflegung  derselben 
wurden  fünf  herrnhutische  Brüder,  der  Prediger  S  c  h  m  i  c  k  und  zwei  herrn- 
hutische  Ärzte  von  der  tückischen  Krankheit  weggerafft. 

Noch  eines  deutschen  Mannes  müssen  wir  gedenken,  der  zwar  nicht  im 
heißen  Kampfe  stand  oder  sich  in  Werken  der  Nächstenliebe  betätigte,  aber  auf 
einem  der  schwierigsten  Posten  stand,  den  der  junge  Bund  der  Vereinigten 
Staaten  zu  besetzen  hatte.  Dieser  iVlann  war  der  Kaufmann  Michael  Hille- 
gas.  Ihn  erkor  man  im  Jahre  1776  zum  Schatzmeister  der  Bundesregierung. 
Als  solcher  diente  er  treu  und  redlich  bis  zum  Jahre  1789,  wo  er  endlich  auf 
seinen  Wunsch  dieses  Amtes  entbunden  wurde,  das  um  so  sorgenvoller  ge- 
wesen, als  die  Regierung  während  des  ganzen  Krieges  beständig  von  den 
schwersten  finanziellen  Verlegenheiten  bedrängt  war. 


Schlußvignette:  Michael  Hillegas,  erster  Schatzmeister  der  Vereinigten  Staaten. 

13* 


Nikolas  Herchheimer  und  die  Helden  von  Oriskany. 


Während  der  Stürme  des  Jahres  1775  waren  die  in  den  Tälern  des 
Schoharie  und  Mohawk  wohnenden  Pfälzer  nicht  müßig  geblieben.  Beständig 
übten  sie  sich  im  Gebrauch  der  Waffen.  Waren  sie  sich  doch  der  Tatsache  wohl 
bewußt,  daß  sie  einen  der  gefährlichsten  Posten  innehielten  und  über  kurz  oder 
lang  einen  Angriff  der  nach  Canada  geflohenen  königstreuen  Engländer,  der 
Tones,  erwarten  mußten.  Sie  waren  sich  ferner  darüber  klar,  daß  die  Tories 
in  ihrem  Rachedurst  nicht  davor  zurückschrecken  würden,  die  in  den  Grenz- 
gebieten und  in  Canada  umherstreifenden  Indianer  durch  reiche  Geschenke  und 
Versprechungen  auf  ihre  Seite  zu  ziehen  und  als  Verbündete  in  den  Kämpfen 
gegen  die  Amerikaner  zu  benutzen.  Gerüchte,  daß  englische  Abgesandte  sich 
in  den  Lagern  der  Rothäute,  vornehmlich  des  mächtigen  Irokesenbundes,  ge- 
zeigt hätten,  traten  immer  bestimimter  auf.  Daraus  ergab  sich  für  die  Ameri- 
kaner die  zwingende  Notwendigkeit,  alle  Mittel  aufzubieten,  diese  blutdürstigen 
Horden  zu  bewegen,  sich  neutral  zu  verhalten. 

Nikolas  Herchheimer,  der  bewährte  Befehlshaber  der  Milizen  im  Mohawk- 
tal,  erhielt  deshalb  den  Befehl,  mit  400  Milizsoldaten  das  am  oberen  Susque- 
hannah  gelegene  Irokesendorf  Unadilla  aufzusuchen,  wo  Thayendanegea,  der 
den  Weißen  unter  dem  Namen  Joseph  Brant  bekannte  Kriegshäuptling  der 


Kopfleiste:    Herchheimers  Wohn-  und  Sterbehaus  im  Mohawktal. 


-     !97     — 

Irokesen,  seinen  Wohnsitz  aufgeschlagen  hatte.  Es  war  im  Juni  1777,  als 
Herchheimer  dort  anlangte.  Aber  alle  Bemühungen,  den  gefürchteten  Häupt- 
ling freundlich  zu  stimmen,  schlugen  fehl.  Denn  die  Engländer  hatten  ihn  durch 
Zuwendung  glänzender  Geschenke  längst  gewonnen  und  die  Sache  der  Ameri- 
kaner als  gänzlich  aussichtslos  geschildert.  Daß  dem  so  sein  werde,  hatte  der 
kriegskundige  Wilde  nach  einem  Einblick  in  die  Pläne  der  Engländer,  in  denen 
ihm  selbst  eine  wichtige  Rolle  zugedacht  war,  erkannt.  Die  Engländer  hatten 
nämlich  beschlossen,  eine  mächtige  Flotte  von  New  York  aus  den  Hudson  hin- 
aufzusenden und  dadurch  wie  durch  einen  gleichzeitigen  Vorstoß  des  Generals 
Burgoyne  mit  8000  Mann  vom  Georgsee  aus  die  Neu-Englandkolonien  von 
den  südlichen  Kolonien  zu  trennen,  um  sie  dann  einzeln  um  so  leichter  unter- 
werfen zu  können.  Zur  selben  Zeit  sollte  der  Oberst  St.  Leger  mit  750  Sol- 
daten und  1000  unter  der  Führung  Thayendanegeas  stehenden  Indianern  von 
Westen  her  in  das  Mohawktal  eindringen,  den  Amerikanern  in  die  Flanke  fallen 
und  dadurch  deren  Untergang  besiegeln.  Da  ein  Mißlingen  des  meisterhaften 
Plans  fast  ausgeschlossen  schien,  so  blieben  natürlich  alle  Bemühungen  Herch- 
heimers,  den  Irokesenhäuptling  für  die  Sache  der  Amerikaner  zu  gewinnen,  ver- 
geblich. 

Kaum  war  Herchheimer  mit  sei-      ^^  n  /^        P  / 

nen  Truppen  ins  Mohawktal  zurück-       /C^CO^^^^   /£^7-<^/f(5^'^^  ^-^ 
gekehrt,  so  brachten  befreundete  Onei-         Namenszug  von  Nikolas  Herchheimer. 
da-Indianer  die  Botschaft,  daß  St.  Leger 

sowohl  wie  General  Burgoyne  ihren  Marsch  bereits  angetreten  hätten.  Gleich- 
zeitig habe  der  Gouverneur  Hamilton  fünfzehn  starke  Indianerbanden  auf  die 
amerikanischen   Ansiedlungen   losgelassen. 

Ohne  Zögern  forderte  General  Herchheimer  in  einem  am  17.  Juli  er- 
lassenen Aufruf  sämtliche  Jünglinge,  Männer  und  Greise,  die  imstande  seien 
Waffen  zu  tragen,  auf,  sich  in  dem  an  Stelle  der  heutigen  Stadt  Herkimer 
gelegenen  Fort  Dayton  zu  versammeln.  Ihrer  800  strömten  herbei,  entschlossen, 
entweder  zu  siegen  oder  zu  sterben.  Denn  jedermann  wußte,  daß  es  sich  hier 
um  einen  Kampf  bis  aufs  Messer  handle  und  daß,  wenn  man  unterliege,  allen 
ein  grauenhaftes  Ende  unter  den  Beilen  und  Skalpiermessern  der  Wilden,  unter 
deri  Bajonetten  der  englischen  Soldaten  beschieden  sei. 

Der  erste  Angriff  der  unter  dem  Obersten  St.  Leger  vereinigten  Engländer 
und  Indianer  mußte  auf  das  im  Quellgebiet  des  Mohawk  gelegene,  von  einer 
kleinen  Besatzung  unter  dem  Obersten  Gansevoort  verteidigte  Grenzfort  Stanwix 
geschehen.  Bereits  am  4.  August  empfingen  die  Pfälzer  die  Meldung,  daß  die 
Feinde  vor  der  Befestigung  angekommen  seien  und  mit  ihrer  Belagerung  be- 
gonnen hätten.  Es  galt  nun,  nicht  nur  das  Fort  zu  entsetzen,  sondern  den 
Feinden  womöglich  auch  eine  Niederlage  zuzufügen.  Zu  diesem  Zweck  sandte 
Herchheimer  an  den  Obersten  Gansevoort  einen  Boten,  um  ihn  von  dem  An- 
marsch der  Pfälzer  zu  unterrichten  und  zu  einer  gemeinsamen  Aktion  aufzu- 
fordern.   Am  gleichen  Morgen,  wo  Herchheimer  den  Belagerern  in  den  Rücken 


—     19S     — 

fallen  wolle,  sollten  die  Eingeschlossenen  einen  Ausfall  unternehmen  und  die 
Gegner  von  vorne  fassen.  Drei  vom  Fort  abzugebende  rasch  aufeinanderfolgende 
Kanonenschüsse  sollten  den  Pfälzem  anzeigen,  wenn  man  zu  dem  verabredeten 
Ausfall  bereit  sei. 

Unglücklicherweise  gelang  es  dem  Boten  erst  am  Mittag  des  verabredeten 
Tages,  durch  die  Linien  der  Belagerer  in  das  Fort  zu  schleichen.  Inzwischen 
waren  auch  die  Engländer  durch  ihre  indianischen  Kundschafter  von  dem 
Anmarsch  der  Pfälzer  unterrichtet  worden.  Eiligst  legten  sie  in  einer  engen, 
von  den  Pfälzern  zu  durchschneidenden  Waldschlucht  mehrere  hunderte  In- 


% 


r'\s>::^> 


Ein  Originalbrief  des  Generals  Nikolas  Herchheimer. 


dianer  und  eine  Abteilung  Scharfschützen  in  den  Hinterhalt,  um  die  Anrücken- 
den abzufangen. 

Es  war  neun  Uhr  morgens,  als  die  Deutschen  in  der  Nähe  der  Schlucht 
eintrafen.  Kein  Laut  verriet  die  im  Dunkel  der  unabsehbaren  Urwälder  lauernde 
Gefahr.  Doch  kaum  befanden  die  Deutschen  sich  in  der  Mitte  der  Schlucht, 
als  plötzlich  von  allen  Seiten  das  grauenhafte  Kriegsgeheul  der  Wilden  und 
krachende  Salven  ertönten.  Und  gleich  darauf  tauchten  hinter  allen  Büschen, 
Bäumen  und  Felsen  scheußlich  bemalte  Rothäute  auf,  um  gleich  blutgierigen 
Bestien  die  Überrumpelten  zu  überfallen. 

Aber  die  im  Kampf  mit  solchen  Gegnern  Geübten  bewahrten  die  nötige 
Kaltblütigkeit.  Wußten  sie  doch,  daß  von  ihrem  Sieg  oder  Fall  Wohl  oder 
Wehe  ihrer  daheimgebliebenen  Frauen  und  Kinder  abhingen.     In  fester  Ent- 


Bronzetafel  am  Schlachtendenkmal  bei  Oriskany. 


OF    TH-  ^ 

OF 


—     201     — 

schlossenheit  die  Zähne  zusammenbeißend  und  mit  der  Wut  der  Verzweiflung 
fechtend,  bemühten  sie  sich,  den  furchtbaren  Anprall  der  Gegner  abzuwehren. 
Es  entspann  sich  ein  entsetzliches  Handgemenge,  in  dem  indianische  Gewandt- 
heit und  Schläue  mit  deutscher,  durch  harte  Hinterwäldlerarbeit  gestählter 
Kraft  um  die  Oberhand  rangen.  Wer  icönnte  die  mit  blitzartiger  Schnelle 
wechselnden  Szenen  eines  solchen  Kampfes  beschreiben,  die  ineinander- 
verschlungenen  Knäuel  keuchender,  blutüberströmter  Menschenleiber;  die 
schlangenartig  sich  windenden,  in  ihrer  bunten  Bemalung  wahrhaft  teuflisch 
aussehenden  Gestalten  der  Rothäute,  die  grimmigen  Gesichter  und  Icraftvollen 
Körper  der  Hinterwäldler,  die  sich  keinen  Fuß  breit  Bodens  abstreiten  lassen 
wollten.  Jeder  hieb,  stach  oder  schoß.  Weiße  und  Rote  sanken,  von  schneller 
Kugel  oder  blitzendem  Stahl  ereilt,  übereinander.  Hier  klaffte  ein  durch  einen 
Beilhieb  zerspalteter  Schädel,  dort  troffen  Ströme  Bhites  aus  einer  zerschlitzten 
Kehle  oder  durchbohrten  Brust. 

Gleich  beim  Beginn  des  Gefechtes  wurde  Herchheimers  Roß  durch  eine 
Kugel  getötet.  Dasselbe  Geschoß  zerschlug  dem  General  das  linke  Bein 
unterhalb  des  Knies.  Aber  der  auf  den  Boden  Gestürzte  verlor  nicht  die  Geistes- 
gegenwart. Er  ließ  sich  während  des  fürchterlichen  Gemetzels  auf  eine  kleine, 
die  Schlachtstätte  überschauende  Höhe  tragen,  von  wo  er  auf  einem  Sattel 
sitzend  und  gegen  den  Stamm  einer  mächtigen  Buche  gelehnt,  mit  weitschallen- 
der Stimme  seine  Milizen  anfeuerte,  bis  sie  den  ersten  wütenden  Ansturm  der 
Feinde  zurückgewiesen  hatten. 

Kaltblütig  seine  Pfeife  in  Brand  setzend,  die  in  der  Nähe  einschlagenden 
Kugeln  und  das  Zischen  der  Pfeile  nicht  achtend,  bemühte  der  alte  Graubart 
sich  dann,  seine  Leute  zu  einer  systematischen  Bekämpfung  der  Gegner  an- 
zuhalten. Das  war  um  so  notwendiger,  als  die  Indianer,  sobald  einer  der 
Deutschen  gefeuert  hatte,  zu  mehreren  auf  denselben  losstürzten  und  ihn 
niederschlugen,  ehe  er  Zeit  fand,  seine  Büchse  wieder  zu  laden.  Um  solchen 
Überrumpelungen  vorzubeugen,  ließ  Hcrchheimer  je  zwei  seiner  Leute  hinter 
jeden  der  mächtigen  Bäume  treten.  Während  der  eine  seine  Flinte  lud,  stand 
der  andere  schußbereit.  Feuerte  dieser,  so  legte  sein  Genosse  sofort  an,  um 
die  in  Erwartung  leichten  Sieges  anstürmenden  Feinde  niederzuknallen  und 
inzwischen  seinem  Genossen  Gelegenheit  zu  geben,  die  Büchse  wieder  zu  laden. 
Diese  Anordnung  bew^ährte  sich  so  vorzüglich,  daß  nach  kurzer  Zeit  kein 
Indianer  mehr  wagte,  die  bisherige  Kampfart  anzuwenden. 

Während  so  indianische  List  und  hinterwälderische  Erfahrung  einander 
die  Wage  zu  halten  suchten,  während  bald  da,  bald  dort  die  Büchsen  krachten 
und  der  Todesschrei  der  Getroffenen  die  Wälder  durchhalte,  verstrichen  Stunden. 
Noch  erbitterter  gestalteten  sich  die  Kämpfe,  als  eine  vom  Oberst  St.  Leger 
schleunigst  entsandte  Abteilung  von  Königsjägern  auf  dem  Kampfplatz  erschien 
und  die  englisch-indianische  Streitmacht  erheblich  verstärkte.  Die  Mehrheit 
dieser  frischen  Truppen  bestand  aus  früheren  königstreuen  Bewohnern  des 
A4ohawktals,  die  durch   die  scharfen   Maßnahmen  des  von   Herchheimer  be~ 


—     202     — 

fehligteii  Sicherheitsausschusses  nach  Canada  getrieben  worden  waren,  wo  sie 
sich  den  enghschen  Regimentern  anschlössen.  Der  bittere  politische  Zwiespalt, 
der  die  einstigen  Freunde  und  Nachbarn  entfremdet  hatte,  lohte  nun  zu  rasen- 
dem Brand  empor.  Die  Tories  lechzten  danach,  für  den  Verlust  ihrer  Güter  an 
den  Pfälzern  blutige  Rache  zu  nehmen.  Diese  hingegen  waren  entschlossen, 
den  verhaßten  Königsknechten  das  Wiederkommen  für  allezeit  zu  verleiden. 

Es  schien,  als  wollten  auch  die  Elemente  an  dem  tobenden  Aufruhr,  an 
dem  gegenseitigen  Morden  und  Vernichten  Anteil  nehmen.  Die  unter  den 
Wäldern  herrschende  Dämmerung  verwandelte  sich  plötzlich  in  tiefe  Dunkel- 
heit. Ein  schweres  Gewitter  war  heraufgezogen  und  entlud  sich  über  den 
im  Sturme  rauschenden  Wipfeln  der  Urwaldriesen  in  blendenden  Blitzen  und 
betäubenden  Donnerschlägen.  Die  gleich  einer  Sintflut  herabströmenden 
Regenmassen,  die  niederbrechenden  Äste  zwangen  die  Kämpfenden  zum  einst- 
weiligen Einstellen  des  Gem.etzels.  Aber  kaum  war  das  Unwetter  vorüber- 
gebraust, so  hob  das  Schlachtgetöse  aufs  neue  an  und  forderte  seine 
Opfer. 

Mittag  war  bereits  vorüber.  Da  endlich  dröhnte  vom  Fort  Stanwix  her 
der  dumpfe  Schall  drei  schnell  einander  folgender  Kanonenschüsse  herüber, 
das  von  den  Pfälzern  längst  ersehnte  Zeichen,  daß  die  Besatzung  des  Forts 
den  verabredeten  Ausfall  unternommen  habe.  Frischer  Kampfesmut  durch- 
zuckte die  Deutschen  und  als  nun  rasselnder  Trommelwirbel  und  schmetternder 
Hörnerschall  den  Befehl  zum  Vorrücken  gaben,  da  gestaltete  sich  ihr  Angriff 
zu  einem  so  unwiderstehlichen,  daß  die  bereits  mächtig  dezimierten  Rothäute 
Fersengeld  gaben  und  dadurch  auch  die  englischen  Truppen  zu  eiligem  Rück- 
zug zwangen.  Als  sie  im  Lager  wieder  eintrafen,  erblickten  sie  dieses  in 
wildester  Unordnung.  Der  Besatzung  des  Fortes  Stanwix  war  es  nämlich  ge- 
lungen, bei  ihrem  Ausfall  zahlreiche  Zelte  zu  verbrennen,  einen  großen  Teil 
des  Gepäckes  und  fünf  Fahnen  zu  erbeuten. 

Leider  waren  die  Pfälzer  durch  den  stundenlangen  Kampf  zu  sehr  er- 
schöpft und  an  Zahl  aufgerieben  worden,  als  daß  sie  es  hätten  wagen  dürfen, 
die  Verfolgung  der  Feinde  aufzunehmen.  Über  240  Deutsche  waren  ge- 
fallen. Die  noch  Lebenden  hatten  fast  alle  Wunden  davongetragen.  Da  oben- 
drein der  Abend  nahte,  so  galt  es,  zunächst  für  die  rascher  Hilfe  Bedürftigen  zu 
sorgen  und  sie  unter  Dach  zu  bringen.  Als  die  wenigen  L^n verwundeten  am 
8.  August  mit  ihrer  schweren  Last  in  den  heimischen  Dörfern  eintrafen,  erhob 
sich  überall  jammervolles  Klagen.  Denn  es  gab  im  weiten  Mohawktal  kaum  eine 
Hütte,  in  der  man  nicht  Tote  betrauerte  oder  Verwundete  langer  Pflege  be- 
durften. Wie  furchtbar  manche  Familien  gelitten,  ergibt  sich  aus  der  Tat- 
sache, daß  die  Wohlhöfers  und  Müllers  je  vier,  die  Walrats  drei,  die  Fuchs 
fünf,  die  Schells  sogar  neun  ihrer  männlichen  Mitglieder  verloren. 

Auch  der  wackere  General  Herchheimer  starb  an  den  Folgen  seiner  Ver- 
wundung. Man  hatte  ihn  auf  einer  Tragbahre  in  sein  unterhalb  der  heutigen 
Stadt  Little  Falls  gelegenes  Haus  gebracht.     Dort  verfuhr  aber  der  ihn  be- 


—     203     - 

handelnde  Wundarzt  bei  der  notwendig  gewordenen  Amputation  des  zer- 
schossenen Beines  so  ungeschickt,  daß  der  tapfere  Soldat  am  17.  August  1777 
verblutete. 

Trotz  alledem  heischte  die  Lage  von  den  Pfälzern  weitere  schwere  Opfer. 
Denn  die  Belagerung  des  Forts  Stanwix  war  noch  nicht  aufgehoben,  der  Feind 
noch  nicht  nach  Canada  zurückgeworfen  worden. 

So  scharten  sich  die  übriggebliebenen  Männer  aufs  neue  zusammen  und 
zogen,  durch  eine  stattliche  Zahl  inzwischen  eingetroffener  regulärer  Truppen 
unter  dem  Befehl  des  Generals  Benedikt  Arnold  verstärkt,  zum  zweitenmal 
aus,  um  Fort  Stanwix  zu  entsetzen.  Es  kam  aber  nicht  zu  neuen  Kämpfen. 
Denn  als  die  Belagerer  durch  ihre  Kundschafter  vom  Anmarsch  der  Pfälzer 
unterrichtet  wurden,  räumten  sie  schleunigst  das  Feld  und  zogen  sich  mit 
Hinterlassung  sämtlicher  Zelte  und  Kanonen  zurück. 

Dieser  Rückzug  hatte  das  gänzliche  Scheitern  des  vortrefflich  ersonnenen 
englischen  Feldzugsplans  zur  Folge.  Denn  die  beabsichtigte  Vereinigung  des 
Obersten  St.  Leger  mit  General  Burgoyne  unterblieb.  Ja,  es  gelang  den 
Amerikanern,  auch  dem  Heer  des  letzteren  den  Weg  zu  verlegen  und  es  nach 
blutigen  Kämpfen  bei  Saratoga  so  einzuschließen,  daß  es  5000  Mann 
stark  am  17.  Oktober  die  Waffen  strecken  mußte. 

Seit  ihrem  Eindringen  in  die  Kolonie  New  York  hatten  die  Briten  mit 
Einschluß  der  bei  Oriskany  und  Fort  Stanwix  kampfunfähig  Gewordenen  oder 
in  Gefangenschaft  geratenen  Truppen  einen  Gesamtverlust  von  nahezu  10  000 
Mann  erlitten.  Außerdem  fielen  den  Amerikanern  42  Geschütze,  mehrere 
tausend  Gewehre  und  bedeutende  Vorräte  an  Munition  in  die  Hände. 

Da  obendrein  die  Anschläge  der  Engländer  gegen  die  im  Hochland  des 
Hudson  gelegenen  Stellungen  der  Amerikaner  mißlangen,  so  war  eine  der 
drohendsten  Gefahren  des  jahrelangen  Feldzugs  zerronnen. 

Daß  die  wackeren  Pfälzer  unter  Herchheimer  zu  dieser  glücklichen  Wen- 
dun.g  ihr  redlich  Teil  beitrugen,  erkannte  der  hochaufatmende  Oberbefehlshaber 
George  Washington  mit  den  Worten  an,  daß  Herchheimer  und  seine  Leute  die 
verhängnisvollen  Aussichten  des  Jahres  1777  zuerst  ins  Gegenteil  verwandelt 
hätten. 

In  Würdigung  dieser  Tatsache  bewilligte  der  Kongreß  bereits  im  Oktober 
des  Jahres  1777  500  Dollar  für  ein  zu  Herchheimers  Ehren  bestimmtes  Denkmal. 
Wenngleich  die  furchtbaren  Kriegsstürme  der  folgenden  Jahre  die  Aus- 
führung dieses  Vorsatzes  in  den  Hintergrund  drängten,  so  erinnerten  spätere 
Geschlechter  sich  aber  dieser  Dankesschuld  und  errichteten  zunächst  auf  dem 
Schlachtfeld  bei  Oriskany  einen  mächtigen  Obelisken,  dessen  Bronzetafeln 
Szenen  aus  den  dort  stattgefundenen  Kämpfen  sowie  die  Namen  der  in  der 
Schlacht  gefallenen  Bewohner  des  Mohawktals  verewigen.  Herchheimer  ist 
dargestellt,  wie  er,  verwundet  auf  seinem  Sattel  sitzend,  die  brennende  Pfeife 
in  der  Hand,  Befehle  erteilt. 


—     204     — 

Auch  das  unweit  seines  Hauses  auf  einem  niedrigen  Hügel  gelegene  Grab 
Herchheimers  wurde  im  Jahre  18Q6  mit  einem  hochragenden  Obelisken  aus 
weißem  Marmor  geschmückt.  Und  der  Staat  New  York,  der  dieses  weithin 
sichtbare  Denkmal  setzen  ließ,  ehrte  den  Namen  des  darunter  Ruhenden  ferner 
dadurch,  daß  er  sowohl  den  Ort,  wo  Herchheimer  geboren  wurde,  wie  auch  die 
Grafschaft,  in  der  er  lebte  und  sein  Leben  beschloß,  mit  Herchheimers  Namen 
taufte. 


Schluß  Vignette:   Herchheimers  Grabstätte  im  Mohawktal. 


Generalmajor  Peter  Mühlenberg. 

Gedenkt  das  amerikanische  Volk  der  Helden  des  Unabhängigkeitskrieges, 
so  darf  es  den  Namen  des  Pastors  Peter  Mühlenberg  nicht  vergessen,  des 
gleichen  Mannes,  der  im  Jahre  1775  mit  einer  Anzahl  gleichgesinnter  Bewohner 
der  virginischen  Ortschaft  Woodstock  jene  aufsehenerregenden  Beschlüsse  ver- 
faßte, über  die  bereits  ein  früherer  Abschnitt  berichtete  und  welche  als  der 
erste  öffendiche  Widerspruch  gegen  die  widerrechdiche  Bedrückung  der  Kolonien 
seitens  der  englischen   Regierung   angesehen   werden   können. 

Aber  der  Anteil,  den  Mühlenberg  an  diesem  papiernen  Protest  hatte, 
genügte  dem  freiheitsliebenden  Manne  nicht.  Er  beschloß  sein  Amt  nieder- 
zulegen und  als  Soldat  in  das  Heer  der  Freiheitsstreiter  einzutreten.  Als  er 
im  Januar  1776  dieses  Vorhaben  seiner  Gemeinde  verkündigte  und  die  Mit- 
glieder für  den  folgenden  Sonntag  zu  seiner  letzten  Predigt  einlud,  fanden  sicli 
in  der  Kirche  zu  Woodstock  Hunderte  aus  w^eitem  Umkreis  gekommene  Men- 
schen zusammen,  um  von  dem  geliebten  Gottesstreiter,  der  ihnen  in  Sturm 
und  Not  so  oft  beratend  und  helfend  zur  Seite  gestanden,  Abschied  zu 
nehmen.  Das  kleine  Kirchlein  war  bis  zur  äußersten  Fassungskraft  ge- 
füllt. Desgleichen  drängten  sich  auf  dem  es  umgebenden  Friedhof  viele,  die 
ihren  Seelsorger  noch  einmal  von  Angesicht  zu  Angesicht  sehen  und  von 
ihm  Abschied  nehmen  wollten.     Mühlenberg  sprach  in   seiner  Predigt  über 


Kopfleiste:   Generalmajor  Peter  Mühlenberg. 


—     206     — 

die  Pflichten  guter  Bürger  gegenüber  dem  Vaterlande  und  schloß  mit  den 
Worten:  „Alles  hat  seine  Zeit,  das  Predigen  und  Beten,  aber  auch  das  Kämpfen. 
Die  Zeit  des  Kampfes  ist  jetzt  gekommen!"  Und  damit  entledigte  er  sich  auf 
der  Kanzel  seines  Priesterornates  und  stand  da  in  voller  Soldatenuniform.  Die 
durch  diesen  unerwarteten  Vorgang  überraschten  Gemeindemitglieder  brachen 
in  tosenden  Jubel  aus.  Und  als  nun  draußen  die  Werbetrommel  gerührt 
wurden,  da  strömten  Männer  und  Jünglinge  scharenweise  herbei,  um  sich  zum 
Kampf  für  die  Freiheit  zu  verpflichten.  Von  Begeisterung  fortgerissen,  be- 
stimmten Frauen  ihre  Gatten,  betagte  Eltern  ihre  Söhne,  sich  dem  Dienst  für 
das  Vaterland  zu  weihen.  Und  ehe  der  Abend  kam,  hatten  über  300  Mann 
sich  bereit  erklärt,  den  Fahnen  der  jungen  Union  zu  folgen. 

Mühlenberg  hatte  in  seinen  jungen  Jahren  einem  englischen  Regiment 
angehört.  Da  er  infolgedessen  mit  militärischen  Dingen  vertraut  war,  so  über- 
trug man  ihm  den  Befehl  über  ein  aus  Deutschen  bestehendes  Regiment. 
Mit  diesem  focht  er  ein  Jahr  lang  in  den  südlichen  Kolonien  Georgia,  den 
beiden  Karolinas  und  Virginien  so  erfolgreich,  daß  er  im  Jahre  1777  zum 
Brigadegeneral  befördert  wurde. 

Seine  vier  Regimenter  zählende  Brigade  wurde  der  Hauptarmee  Washing- 
tons zugeteilt  und  deckte  nach  deren  Niederlage  am  Brandy wine  den  Rückzug. 
Wie  sie  hier  ihren  guten  Ruf  bewährte,  so  focht  sie  auch  in  den  Schlachten 
bei   Germantown   und   Monmouth   mit   Auszeichnung. 

Nach  mancherlei  Streifzügen  im  Süden  bot  sich  Mühlenberg  zuletzt  noch 
Gelegenheit,  der  in  Yorktown  zusammengezogenen  englischen  Hauptarmee  den 
Rückzug  nach  dem  Süden  zu  verlegen  und  an  ihrer  Einschließung  in  York- 
town teilzunehmen.  Mühlenbergs  Brigade  glückte  es  während  der  Belagerung 
durch  einen  kühnen  Bajonettangriff  eine  der  wichtigsten  Redouten  der  Festung 
zu  nehmen  und  dadurch  die  Kapitulation  zu  beschleunigen.  Die  glänzende 
Waffentat  trug  Mühlenberg  den  Rang  eines  Generalmajors  ein. 

Nach  erfolgtem  Friedensschluß  bemühte  die  Gemeinde  zu  Woodstock  sich, 
ihren  ehemaligen  Pfarrer  wieder  zu  gewinnen.  Aber  Mühlenberg  hielt  es  für 
unziemlich,  dem  im  blutigen  Kriegshandwerk  rauh  gewordenen  Soldaten  noch- 
mals den  Pfarrer  aufzupfropfen.  Er  wandte  sich  dem  öffentlichen  Leben  zu 
und  war  zunächst  als  zweiter  Vorsitzender  im  Staatsrat  von  Pennsylvanien, 
später  als  Abgeordneter  im  ersten,  zweiten  und  sechsten  Bundeskongreß,  und 
endlich  als  Vertreter  des  Staates  Pennsylvanien  im  Bundessenat  mit  ausge- 
sprochenem Erfolg  tätig. 

Während  der  Jahre  1788,  1802  bis  1807  stand  Mühlenberg  an  der  Spitze 
der  zu  Philadelphia  im  Jahre  1764  gestifteten  „Deutschen  Gesellschaft  von 
Pennsylvanien",  die  sein  Andenken  noch  heute  als  das  eines  um  das  Deutschtum 
hochverdienten  Mannes  in  Ehren  hält. 

Der  pennsylvanische  Geschichtsschreiber  Seidensticker  zeichnete  Mühlen- 
bergs Charakterbild  mit  folgenden  warmen  Worten: 


—     207     — 

„Er  war  von  der  Natur  gewissermaßen  zum  Soldaten  geschaffen  und  glitt 
in  diese  Bestimmung,  sobald  die  Gelegenheit  sich  bot.  Sein  Mut  und  seine  Enr- 
schlossenheit  paarten  sich  mit  der  ruhigen  Überlegung,  welche  die  Lage  richtig  zu 
erfassen  weiß;  und  so  fand  Washington,  mit  dessen  Charakter  der  seinige 
viele  Ähnlichkeit  hatte,  in  ihm  nicht  allein  einen  vortrefflichen  Offizier,  sondern 
auch  einen  zuverlässigen  Ratgeber.  In  seinem  Auftreten  war  er  offen,  liebens- 
würdig und  anspruchslos.  Soll  aber  ein  Zug  genannt  werden,  der  sein  Leben, 
seine  politischen  Grundsätze  und  sein  innerstes  Wesen  kennzeichnet,  so  war 
es  die  Liebe  zur  Ereiheit." 


Schlußvignette:    Namenszug  Peter  Mühlenbergs. 


Der  Soldatenhandel  deutscher  Fürsten  und  die  deutschen 
Söldlinge  im  englischen  Heer. 

Als  die  englischen  Kolonien  der  vom  Mutterland  über  sie  verhängten  Be- 
drückungen müde  wurden  und  sich  entschlossen  zeigten,  das  englische  Joch 
abzuschütteln,  fehlte  es  den  Engländern  an  Truppen,  um  den  Aufstand  nieder- 
zuwerfen. Ihre  über  die  Kolonien  verteilten  Streitkräfte  beliefen  sich  auf  nur 
15  000  Mann.  Diese  Zahl  mußte  um  mindestens  40  000  vermehrt  werden, 
sollten  die  zum  Unterdrücken  des  Aufstandes  gemachten  Anstrengungen  irgend- 
welche Aussicht  auf  Erfolg  haben.  Woher  diese  Truppen  nehmen?  Die  Eng- 
länder liebten  es  damals  so  wenig  wie  heute,  die  eigne  Haut  zu  Markt  zu  tragen. 
Man  beschloß  darum  in  einer  Kabinettssitzung,  fremde  Hilfstruppen  anzu- 
werben und  nach  Am.erika  zu  senden.  Mit  Geld,  das  wußten  die  Engländer, 
war  alles  zu  haben.  Folglich  auch  Soldaten.  Zuerst  wandte  König  Georg  III. 
sich  an  die  Kaiserin  Katharina  von  Rußland  mit  der  Bitte,  ihm  gegen  gute  Be- 
zahlung 20  000  Mann  für  den  Dienst  in  Amerika  abzulassen.  Aber  er  erhielt 
von  der  Herrscherin  die  verdiente  Antwort,  sie  halte  es  mit  ihrer  kaiserlichen 
Würde  unvereinbar,  einen  solchen  Handel  abzuschließen.  In  Holland  hatten 
die  Engländer  ebensowenig  Erfolg,  worauf  der  König  beschloß,  in   Deutsch- 


Kopfleiste:   Vom  Herde  weg  in  ferne  Lande.    Nach  einer  Zeichnung  von  F.  Darley 
in  Lossings  History  of  the  United  States. 


—     209     — 

land,  bei  den  allezeit  geldbedürftigen  kleinen  Fürsten,  von  denen  mehrere  mit 
ihm  durch  das  Haus  Hannover  verv/andt  waren,  sein  Glück  zu  versuchen. 

Deutschland  war  von  jeher  die  Vorratskammer,  aus  der  fremde  Herrscher 
mit  Vorliebe  das  Menschenmaterial  für  ihre  Heere  bezogen.  Schon  während 
des  Siebenjährigen  Krieges  fochten  deutsche  Söldlinge  unter  Englands  Fahnen. 
In  Stade  hielt  sich  noch  der  englische  Oberst  William  Faucitt  auf,  der  jene  Söld- 
linge in  den  englischen  Dienst  eingemustert  hatte.  Da  er  die  geeignete  Person 
schien,  um  Verhandlungen  mit  den  deutschen  Fürsten  anzubahnen,  so  erhielt 
er  am  24.  November  1775  dazu  förmlichen  Auftrag.  Nach  den  damals  in 
Deutschland  obwaltenden  Staatsbegriffen  betrachteten  die  Regenten  ihre  Sol- 
daten als  unbeschränktes  Eigentum,  mit  dem  sie  nach  Gutdünken  schalten  und 
walten  dürften.  Besonders  die  Landgrafen  von  Hessen  machten  seit  längerer 
Zeit  ein  förmliches  Gewerbe  daraus,  ihre  Untertanen  als  Soldaten  für  alle  mög- 
lichen und  unmöglichen  Zwecke  zu  vermieten.  Faucitt  richtete  deshalb  sein 
Hauptaugenmerk  zunächst  auf  Hessen.  Der  Weg  dahin  führte  von  Stade  über 
Braunschweig,  dessen  Herrscher  Herzog  Karl  I.  durch  seine  verschwenderische 
Hofhaltung  dem  kaum  150  000  Bewohner  zählenden  Ländchen  eine  Schulden- 
last von  12  Millionen  Taler  aufgebürdet  hatte.  Alljährlich  mußte  es  an  Steuern 
Dl.  Millionen  Taler  aufbringen,  die  meist  zum  Unterhalt  des  Hofes,  der  italieni- 
schen Oper,  des  französischen  Balletts  und  für  andere  Zwecke  vergeudet 
wurden.  Der  Theaterdirektor  strich  jährlich  30  000  Taler  ein,  weniger  seiner 
Leistungen  als  seiner  Kupplerdienste  halber.  Denn  daß  Karl  I.  geistige  Leistun- 
gen nicht  zu  würdigen  verstand,  geht  aus  der  Tatsache  hervor,  daß  der  unsterb- 
liche Lessing,  der  die  Stelle  eines  herzoglichen  Bibliothekars  bekleidete,  sich 
mit  einem  Jahresgehalt  von  300  Talern  begnügen  mußte.  Neben  dem  ver- 
schwenderischen Herzog  fungierte  der  Erbprinz  Ferdinand  als  Mitregent.  Ohne 
seine  Einwilligung  konnte  nichts  geschehen,  weshalb  Faucitt,  der  unter  dem 
Erbprinzen  schon  während  des  Siebenjährigen  Krieges  gedient  hatte,  zuerst  bei 
ihm  anklopfte.  Obwohl  der  Erbprinz  mit  einer  Schwester  des  englischen  Königs 
vermählt  war,  war  er  doch  Kaufm.ann  genug,  um  die  Gelegenheit  auszunutzen. 
Unter  dem  Vorwand,  daß  die  Soldaten  das  einzige  Vergnügen  seines  Vaters 
seien,  und  daß  dieser  sich  nur  schwer  von  ihnen  zu  trennen  vermöge,  ließ  er 
den  Obersten  eine  Weile  zappeln.  Erst  als  er  gewiß  war,  sehr  vorteilhafte  Be- 
dingungen herausschlagen  zu  können,  versprach  er,  sich  bei  dem  Herzog  zu 
verwenden.  Dieser,  längst  vorbereitet,  ging  nach  scheinbarem  Zögern  auf  den 
Handel  ein  und  beauftragte  seinen  Minister  Feranco  mit  dem  Abschluß  des 
Vertrags.  Dies  geschah  am  Q.  Januar  1776.  Demzufolge  übernahm  der  Her- 
zog die  Verpflichtung,  den  Engländern  3964  Fußsoldaten  und  336  Reiter  ohne 
die  Pferde  zu  liefern,  wogegen  England  dem  Herzog  für  jeden  Soldaten  ein 
Handgeld  von  30  Kronen  oder  5U1>  Talern  zahlte.  Außerdem  wurde  verein- 
bart, daß  für  jeden  Soldaten,  der  im  Kriege  falle,  nochmals  derselbe  Betrag  ent- 
richtet werden  müsse,  und  daß  drei  Verwundete  gleich  einem  Toten  angerechnet 
werden  sollten.    Als  Miete  für  die  Truppen  mußte  England  dem  Herzog  jähr- 

Cronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika.  14 


—    210    — 

lieh  die  Summe  von  11  517  Pfund  Sterling  bezahlen,  außerdem  das  Doppelte 
desselben  Betrags  für  die  Dauer  von  zwei  Jahren  nach  der  Rückkehr  der  Sol- 
daten in  ihre  Heimat.  Die  englische  Löhnung  der  Truppen  begann  zwei  Monate 
vor  ihrem  Abmarsch. 

Nachdem  dieser  Schacher  in  Menschenfleisch  abgeschlossen  war,  be- 
gab Faucitt  sich  nach  Kassel.  Dort  regierte  Friedrich  II.,  ein  sehr  reicher 
Fürst,  der  den  Grund  zu  dem  bei  seinem  Tod  auf  60  Millionen  Taler  ge- 
schätzten Vermögen  hauptsächlich  durch  den  bereits  von  seinen  Vorfahren 
schwungvoll  betriebenen  Soldaten handel  legte.  Obwohl  sein  Ländchen  kaum 
300  000  Bewohner  zählte,  unterhielt  er  doch  ein  stehendes  Heer  von  16  bis 
20  000  Mann,  führte  in  Kassel  und  Wilhelmshöhe  zahlreiche  Prachtbauten  auf 
und  suchte  es  in  bezug  auf  glänzende  Hofhaltung  allen  andern  Fürsten  Deutsch- 
lands zuvorzutun.  Nachäfferei  des  Franzosentums  und  Maitressen  Wirtschaft 
waren  für  seine  Regierung  bezeichnend.  Fs  kostete  Faucitt  keine  Schwierig- 
keiten, für  seine  Vorschläge  das  Ohr  des  Landgrafen  zu  gewinnen.  Nur  mußte 
er  sich,  da  derselbe  nicht  wie  der  Braunschweiger  von  Geldnot  bedrückt  war, 
zu  erheblich  höheren  Verpflichtungen  verstehen.  Zunächst  stellte  der  Landgraf 
die  Grundbedingung,  daß  eine  ältere  Forderung  für  Soldatenlieferungen,  die 
während  des  Siebenjährigen  Krieges  gemacht  worden,  im  Betrag  von 
41  820  Pfund  Sterling  sofort  beglichen  werde.  Dann  verlangte  er,  daß  außer 
dem  Handgeld  für  die  zu  liefernden  12  000  Soldaten  die  Löhnungen  nicht  an 
die  Soldaten,  sondern  an  ihn  zu  entrichten  seien,  da  ein  großer  Teil  dieser 
Gelder  dann  von  ihm  eingestrichen  werden  konnte.  Ferner  mußte  sich  Eng- 
land verpflichten,  für  das  Darleihen  der  Truppen  eine  Summe  von  108  281  Pfund 
Sterling  jährlich  zu  zahlen,  und  diesen  Betrag  auch  für  das  nach  der  Rückkehr 
der  Hessen  in  ihr  Vaterland  folgende  Jahr  zu  leisten.  Bezüglich  der  Toten 
und  Verwundeten  traf  der  Landgraf  keine  Abmachungen,  was  den  Vorteil  hatte, 
daß  er  jahrelang  die  Löhnung  von  Soldaten  fordern  konnte,  die  längst  ge- 
storben oder  davongelaufen  waren.  Endlich  behielt  sich  der  Fürst  die  Beklei- 
dung und  Ausrüstung  seiner  Leute  vor,  wobei,  da  er  den  Betrag  in  Rechnung 
stellen  durfte,  abermals  ein  schöner  Gewinn  in  seine  Taschen  floß. 

Von  Kassel  begab  sich  der  englische  Bevollm.ächtigte  nach  Hanau,  wo 
Wilhelm  von  Hessen-Hanau,  ein  seinen  Nachbarn  geistesverwandter  Fürst  resi- 
dierte. Mit  diesem  schloß  Faucitt  einen  Vertrag  auf  eine  Lieferung  von  668  Mann 
ab.  Darauf  besuchte  Faucitt  den  Hof  des  Fürsten  von  Waldeck,  der,  tief  in 
Schulden  steckend,  die  Prediger  seines  Landes  veranlaßte,  von  der  Kanzel  aus 
alle  waffenfähigen  Männer  aufzufordern,  sich  an  dem  „heiligen  Krieg  der  Eng- 
länder" zu  beteiligen.  Er  selbst  ging  seinem  Lande  mit  Opfermut  voran,  in- 
dem er  seine  beiden  Schloßkompagnien  dem  Engländer  verschacherte. 

Nach  dem  Waldecker  kamen  die  Markgrafen  Karl  Alexander  von  Anspach- 
Bayreuth  und  Friedrich  August  von  Anhalt-Zerbst  an  die  Reihe.  Der  erste  lieferte 
1225,  der  letzte  1152  Mann.  Im  ganzen  stellten  die  vorhin  genannten  Fürsten 
den  Engländern  ein  Heer  von  2Q  867  Mann,  für  welche  England  insgesamt  die 


NprficnjüHnpQltirrtfl&ufrnf^iftfninfanfme^fginieflf» 


h  roirb  jebermaiTn  funb  unb^u  roijlfn  gef^an,  bo^  iDer  Suli  unbSelifben  [}ar 

r  unter  hai  |)od)löbl.  Jurtll.  anbalt' 3frbftifd)f  Snfflnfmf  SKrgimfnt,  ©ifnjlf  ju  nfl)men, 
fönnm  jiö)  tm  SRfid),  air^  aiug^biirg,  Or tfingen,,  SD^cmmingm,  unD  0rt)n)dbi[(f)<^all  auf  bmcn 
SÖcrb'^ldRfn  rinfinöcn 

NB.  (gäroirbouct),  naAbfrOJtannfg.SKos,  f in  gutta  ^anb  föcfb  gegfben. 

Ein  Anhalt-Zerbstsches  Werbeplakat  aus  dem  18.  Jahrhundert. 


14* 


—     212     — 

Summe  von  1  770  000  Pfund  Sterling  =  35  400  000  Mark  an  die  deutschen 
Fürsten  bezahlte.  Von  diesen  Truppen  lieferte  Hessen  16  992,  Braunschweig 
5723,  Hanau  2422,  Anspach-Bayreuth  2353,  Waldeck  1225  und  Anhalt- 
Zerbst  1152. 

Wo  man  nicht  die  eignen  Soldaten  zur  Verfügung  stellen  konnte,  suchten 
die  Landesherren  die  nötigen  Leute  durch  Werber  herbeizuziehen.  Desgleichen 
ließen  sie  alle  wandernden  Handwerksburschen,  Studenten  und  Handlungsdiener 
aufgreifen,  steckten  sie  in  die  Soldaten] acke  und  beförderten  sie  mit  den  übrigen 
auf  die  Schiffe.  Diesem  Schicksal  verfiel  auch  der  später  berühmt  gewordene 
Dichter  Johann  Gottfried  Seume,  dem  es  erst  nach  langen  Irrfahrten  glückte, 
wieder  die  deutsche  Heimat  zu  erreichen. 

Zur  Ehre  des  deutschen  Namens,  der  durch  deutsche  Fürsten  in  so 
schmählicher  Weise  besudelt  wurde,  kann  festgestellt  werden,  daß  jener  Sol- 
datenhandel in  Deutschland  nicht  ohne  Widerspruch  blieb.  Vor  allen  war  es 
Friedrich  der  Große,  der  sich  in  harten  Worten  darüber  ausließ,  indem  er 
schrieb:  „Wäre  der  hessische  Landgraf  aus  meiner  Schule  hervorgegangen, 
so  würde  er  seine  Untertanen  nicht  wie  Vieh,  das  an  die  Schlachtbank  geführt 
wird,  an  die  Engländer  verkauft  haben.  Das  ist  ein  unwürdiger  Zug  in  dem 
Charakter  eines  Fürsten.  Solches  Betragen  ist  durch  nichts  als  schmutzige 
Selbstsucht  hervorgerufen." 

Um  seine  Mißbilligung  auch  öffentlich  auszudrücken,  verbot  er  im  Ok- 
tober 1777  den  für  die  Engländer  bestimmten  Truppen  den  Durchzug  durch 
preußisches  Gebiet.^)  Dadurch  verzögerte  sich  der  Transport  der  Söldlinge 
so  sehr,  daß  alle  Berechnungen  der  dringend  Nachschub  benötigenden  eng- 
lischen Generäle  in  Nordamerika  zuschanden  wurden.  Sie  wagten  infolge- 
dessen nicht,  das  im  Winterlager  bei  Valley  Forge  liegende,  nur  5000  Mann 
starke  amerikanische  Heer  anzugreifen  und  ließen  so  den  günstigsten  Augen- 
blick zum  Unterdrücken  des  Aufstandes  verstreichen. 

Der  Abscheu  gegen  die  mit  dem  Blut  und  Leben  ihrer  eignen  Untertanen 
handeltreibenden  dunklen  Ehrenmänner  auf  Deutschlands  Thronen  machte  sich 
auch  in  allen  anderen  Teilen  des  Reiches  geltend.  Kant,  Herder,  Klopstock, 
Arndt  und  Lessing  eiferten  gegen  den  Menschenschacher.  Desgleichen  sprach 
sich  Friedrich  Schiller  bitter  gegen  denselben  in  seinem  Drama  „Kabale  und 
Liebe''  (zweiter  Akt,  zweiter  Aufzug)  aus.  Er  läßt  Lady  Milford,  die  Maitresse 
des  in  dem  Drama  auftretenden  Fürsten,  dessen  Diamanten  voll  Verachtung  und 
Entsetzen  zurückweisen,  als  sie  erfährt,  daß  die  Juwelen  mit  dem  für  die  ver- 
kauften Soldaten  gewonnenen  Geld  beschafft  sind.  Auch  in  anderen  Teilen 
Europas  wurde  der  Soldatenhandel  lebhaft  besprochen.  Mirabeau  schrieb  einen 


^)  Friedrich  der  Große  gab  seiner  aufrichtigen  Sympathie  für  die  Sache  der  ameri- 
kanischen Kolonien  auch  noch  in  anderer  Weise  Ausdruck.  Er  war  der  erste,  welcher 
deren  Selbständigkeit  anerkannte.  Und  um  gar  keinen  Zweifel  über  seine  Stellung  auf- 
kommen zu  lassen,  schickte  er  dem  Oberbefehlshaber  der  amerikanischen  Armee,  George 
Washington,  als  besonderes  Zeichen  seiner  Bewunderung  einen  Degen. 


-    213     — 

aufreizenden  „Aufruf  an  die  Hessen  und  andere  von  ihren  Fürsten  an  England 
verkaufte  deutsche  Stämme",  durch  den  der  Landgraf  von  Hessen  sich  so  un- 
angenehm getroffen  fühlte,  daß  er  alle  Exemplare  der  Schrift,  deren  er  habhaft 
werden  konnte,  aufkaufen  und  verbrennen  ließ.  Zugleich  ordnete  er  die  Her- 
ausgabe eines  Schriftchens  „Vernünftigerer  Rat  an  die  Hessen"  an,  in  dem  er 
Mirabeaus  Aufruf  beantwortete  und  seine  Handlungsweise  mit  einer  Berufung 
auf  seine  feudalen  Rechte  zu  verteidigen  suchte. 

Selbst  in  England  wurde  der  zwischen  der  Regierung  und  den  deutschen 
Fürsten  betriebene  Soldatenhandel  scharfer  Kritik  unterworfen.  Besonders  die- 
jenigen, welche  die  Klagen  der  Kolonisten  über  die  ungerechte  Bedrückung 
seitens  des  Mutterlandes  für  begründet  hielten,  verurteilten  das  Verfahren,  die 
Kolonisten  durch  fremde  Truppen  zum. Gehorsam  zurückzuführen,  aufs  strengste. 
„Wäre  ich,"  so  rief  der  Abgeordnete  Chatam  im  Parlament,  „ein  Amerikaner, 
wie  ich  ein  Engländer  bin,  und  müßte  zusehen,  wie  ein  fremdes  Fleer  in  meinem 
eignen  Lande  erschiene,  so  würde  ich  meine  Waffen  niemals  niederlegen  — 
niemals  —  niemals!" 

Diese  Worte  entsprachen  in  der  Tat  der  tiefen  Empörung,  welche  alle  in 
Amerika  lebenden  Ansiedler  erfaßte,  als  sie  die  Kunde  erhielten,  daß  England 
zu  ihrer  Unterwerfung  deutsche  Söldlinge  aufgeboten  habe.  Die  beklagens- 
werten Opfer  fürstlicher  Niedertracht  und  Habgier  hielt  man  für  die  Hinder- 
nisse, die  sie  durch  ihre  unfreiwilligen  Dienste  der  Sache  der  Freiheit  in  den 
Weg  legten,  keineswegs  verantwortlich.  Man  empfand  für  sie  mehr  Mitleid 
als  Haß  und  bemühte  sich,  sie  von  der  Un Würdigkeit  ihrer  Stellung  zu  über- 
zeugen und  auf  die  amerikanische  Seite  herüberzuziehen. 

Als  in  der  Schlacht  bei  Trenton  1000  Hessen  gefangen  wurden,  ließ 
Washington  dieselben  in  Philadelphia  einquartieren.  Zugleich  ersuchte  er  den 
dort  bestehenden  Sicherheitsausschuß,  an  die  Bürger  folgendes  Rundschreiben 
zu  richten :  „Der  General  hat  uns  empfohlen,  geeignetes  Quartier  für  diese  Ge- 
fangenen zu  finden.  Es  ist  sein  emster  Wunsch,  daß  sie  gut  behandelt  werden 
und  während  ihrer  Gefangenschaft  Erfahrungen  machen,  welche  ihren  noch  im 
Dienst  des  Königs  von  Großbritannien  stehenden  Landsleuten  die  Augen  öffnen. 
Diese  armen  Geschöpfe  erregen  unser  gerechtes  Mitleid.  Sie  hegen  keine  Feind- 
schaft gegen  uns.  Nach  den  willkürlichen  Gebräuchen  despotischer  deutscher 
Fürsten  wurden  sie  ihrem  Vaterland  entrissen  und  an  einen  fremden  Monarchen 
verkauft,  ohne  daß  ihre  Neigungen  berücksichtigt  oder  sie  selbst  in  Kenntnis 
gesetzt  worden  wären." 

Auch  die  in  den  Kolonien  lebenden  Deutschen,  denen  die  schmachvolle 
Stellung  ihrer  Landsleute  besonders  zu  Herzen  ging,  ließen  es  an  Bemühungen 
nicht  fehlen,  die  Söldlinge  über  die  Bedeutung  des  amerikanischen  Unabhängig- 
keitskrieges aufzuklären.  Sie  schmuggelten  allerhand  in  deutscher  Sprache  ge- 
druckte und  auf  Tabakspakete  geklebte  Zettel  bei  den  deutschen  Söldnern  ein. 
„Ihr  braucht  euch,"  so  heißt  es  auf  einem  dieser  Zettel,  „keine  Sorge  zu  machen, 
daß  das  Verlassen  des  hessischen  Sklavendienstes  Sünde  sei.    Nein,  es  ist  viel- 


—     214     - 

mehr  eine  Tugend,  die  eine  der  edelsten  ist.  Denn  der,  welcher  sich  gegen  sein 
Gewissen  und  seine  Vernunft  zu  diesem  henkermäßigen  Mordhandwerk  ge- 
brauchen läßt,  verdient  wahrlich  nicht,  ein  Mensch  zu  sein." 

Ein  im  amerikanischen  Heer  fechtender  deutscher  Füsilier  erließ  sogar  an 
seine  bei  den  Engländern  dienenden  Landsleute  folgendes  Gedicht: 

„Ihr  kämpfet  nur  für  niedern  Lohn, 

Für  Freiheit  kämpft  ihr  nicht, 

In  unserm  Heer  ist  Washington, 

Der  nur  für  Freiheit  ficht. 

Kommt  zu  uns  frei  von  Groll  und  Trug, 

Und  eßt  das  Freundschaftsmahl, 

Wir  haben  hier  der  Hütten  g'nug 

Und  Länder  ohne  Zahl."  — 

Von  dem  patriotischen  deutschen  Bäcker  Christoph  Ludwig  wird  erzählt, 
daß  er  sich  als  vorgeblicher  Überläufer  in  das  auf  Staten  Island  gelegene  Lager 
der  Hessen  begeben  und  durch  seine  Schilderung  des  deutschpennsylvanischen 
Lebens  so  großen  Eindruck  bei  den  Söldlingen  gemacht  habe,  daß  ihrer  mehrere 
Hundert  bei  erster  Gelegenheit  desertierten.  Ludwig  war  es  auch,  der  dem 
Kongreß  vorschlug,  die  deutschen  Kriegsgefangenen  bei  ihren  in  Philadelphia 
und  in  anderen  deutschen  Ansiedlungen  lebenden  Landsleuten  unterzubringen. 
„Zeigt  ihnen,"  so  schrieb  er,  „unsre  schönen  deutschen  Kirchen,  laßt  sie  unsern 
Rindsbraten  kosten  und  unsern  Hausrat  sehen.  Dann  schickt  sie  wieder  fort 
zu  den  Ihrigen  und  ihr  sollt  sehen,  wie  viele  uns  zulaufen  werden!" 

Dieser  Vorschlag  leuchtete  dem  Kongreß  ein,  und  als  derselbe  obendrein 
in  einer  vom  29.  April  1778  datierten  Proklamation  jedem  zu  den  Amerikanern 
übergehenden  Soldaten  50  Acker  Land,  jedem  Hauptmann,  der  40  Mann  mit 
sich  bringe,  800  Acker,  4  Ochsen,  1  Bullen,  2  Kühe  und  4  Schweine  verhieß, 
ohne  daß  solche  Leute  genötigt  sein  sollten,  gegen  die  Engländer  die  Waffen 
zu  erheben,  da  nahm,  wie  die  „Philadelphische  Zeitung"  alsbald  berichten 
konnte,  „das  Ausreißen  unter  den  britischen  Truppen  außerordentlich  überhand. 
Die  meisten,  die  zu  uns  kommen,  sind  Deutsche,  welche  bezeugen,  daß  die 
ganze  deutsche  Hilfsannee  herüberkommen  würde,  wenn  sie  nur  Gelegenheit 
dazu  hätte". 

Es  stand  solchen  Überläufern  vollkommen  frei,  entweder  sofort  mit  dem 
Bestellen  der  ihnen  überwiesenen  Güter  zu  beginnen,  oder,  falls  sie  sich  zum 
Waffendienst  in  der  amerikanischen  Armee  entschlossen,  irgendeinem  Truppen- 
teil beizutreten.  Offiziere,  die  sich  einreihen  Ueßen,  wurden  stets  um  einen 
Rang  befördert. 

Aus  sprachlichen  Gründen  lag  der  Gedanke  nahe,  aus  solchen  Über- 
läufern besondere,  von  deutschsprechenden  Offizieren  befehligte  Abteilungen  zu 
bilden.  Ein  solches  Korps  war  die  vom  preußischen  Hauptmann  Nikolaus 
Dietrich  von  Ottendorf  befehligte  leichte  Infanterie.  Sie  wurde  später 
durch  die  Freischärler  des  im  Kampf  gefallenen  Polen  Pulaski  sowie  des  in  Ge- 


—     215     — 

fangenschaft  geratenen  preußischen  Hauptmanns  Paul  Schott  verstärkt, 
aber  in  eine  Reiterabteilung  verwandelt.  Später  dem  Befehl  des  französischen 
Marquis  Armand  de  la  Rouerie  unterstellt,  nahm  die  Abteilung  an  den  Kämpfen 
im  Süden,  unter  andern  auch  an  der  unglücklichen  Schlacht  bei  Camden  teil. 

Den  im  britischen  Heer  dienenden  deutschen  Söldlingen  darf  man  die  An- 
erkennung nicht  versagen,  daß  sie  sich  tapfer  schlugen.  Ihre  Generäle  Riedesel, 
Knyphausen,  Heister,  Frazer  und  Philipps,  sowie  die  Obersten  Donop,  Specht, 
Rlial  u.  a.  erwarben  sich  durch  kühne  Waffentaten  sogar  die  Anerkennung  der 
amerikanischen  Geschichtsschreiber.  Frazer,  Philipps  und  Donop  büßten  an 
der  Spitze  ihrer  Truppen  das  Leben  ein. 

Von  den  29  867  deutschen  Hilfstruppen  sahen  nur  17  313  ihr  Vaterland 
wieder.  Von  den  12  554  nicht  zurückkehrenden  Soldaten  fielen  1200  in 
Schlachten;  6354  starben  an  Wunden  und  an  Krankheiten;  5000  desertierten 
oder  wurden  gefangen  genommen.  Diese  letzteren  wurden  hauptsächlich  in 
solchen  pennsylvanischen  und  virginischen  Ortschaften  untergebracht,  wo  sie 
mit  dort  wohnenden  Landsleuten  in  stete  Berührung  kamen :  in  Lancaster, 
Reading,  Lebanon,  Winchester  und  Charlottesville.  Dort  stellten  sich  in  ihren 
Lagern  gar  bald  die  wohlhabenden  deutschen  Bauern  ein,  um  mit  folgenden 
Worten  auf  sie  einzuwirken:  „Eure  Fürsten  haben  euch  an  die  Engländer  ver- 
kauft und  machen  sich  lustig  mit  dem  empfangenen  Sündengeld.  Bleibt  hier! 
Wir  nehmen  euch  als  Ackerknechte.  Und  wenn  ihr  ein  paar  Jahre  fleißig  seid, 
habt  ihr  Land,  Vieh  und  Häuser  wie  wir.  Und  dann  schaut  euch  unsere  Mädels 
an!  Sind  es  nicht  wackere  deutsche  Dirnen?  Heiratet  sie  und  gründet  mit  ihnen 
den  eignen  Herd!" 

Solche  Überzeugungsgründe  leuchteten  den  Gefangenen  ein.  Ganze 
Scharen  entsagten  dem  rauhen  Kriegshandwerk,  um,  der  werktätigen  Beihilfe 
ihrer  Landsleute  gewiß,  sich  als  wohlbestallte  Farmer  unter  denselben  nieder- 
zulassen. Mit  ihren  Nachkommen  nahmen  viele  später  auch  an  der  Besiedlung 
von  Ohio,  Kentucky  und  Tennessee  teil,  und  halfen  dort  Ortschaften  und  Städte 
gründen. 

Von  den  in  die  Heimat  zurückgekehrten  deutschen  Offizieren,  Feldärzten 
und  Feldpredigern  schilderten  manche  ihre  Erlebnisse  und  Beobachtungen  in 
Büchern,  von  denen  einige,  wie  z.  B.  jenes  des  beim  Ansbach  Bayreuthischen 
Regiment  angestellten  f^eldschers  Dr.  Johann  David  Schöpf  weite  Verbreitung 
fanden.  Durch  ihre  Mitteilungen  über  Amerika,  seine  Bewohner,  die  deutschen 
Niederlassungen  und  die  gewaltigen  Hilfsquellen  des  Landes  trugen  sie  erheb- 
lich dazu  bei,  die  während  des  Krieges  ins  Stocken  geratene  deutsche  Aus- 
wandrung  nach  Amerika  aufs  neue  anzuregen. 

Und  so  erblühte  den  Vereinigten  Staaten  aus  den  zu  ihrer  Vernichtung 
über  das  Weltmeer  geschleppten  deutschen  Söldlingen  nach  den  verschiedensten 
Seiten  hin  reicher  Gewinn. 


Die  deutschen  Ansiedler  im  Kampf  gegen  die  indianischen 
Verbündeten  der  Briten. 


Beging  die  eng- 
lische Regierung  eine 
verächtliciie  Handlungs- 
weise, indem  sie  die 
nur  auf  ihren  Rechten 
bestehenden  Kolonien 
mit  fremden  Hilfstrup- 
pen bekriegte,  so  machte 
sie  sich  obendrein  eines 
geradezu  empörenden 
Frevels  schuldig,  als 
sie  die  ihrem  Einfluß 
zugängigen  Indianer- 
stämme zu  Verbünde- 
ten machte  und  gegen 
die  eignen  Untertanen 
in  den  Kampf  hetzte. 
Diesen  Rothäuten  fiel 
die  doppelte  Aufgabe 
zu,  die  wesdichen  An- 
siedlungen  zu  zerstören 
und  gleichzeitig  den 
Amerikanern,  während 
sie  die  von  den  Küsten 
aus  erfolgenden  briti- 
schen Angriffe  abwehr- 
ten, in  den  Rücken 
zu  fallen  und  dadurch 
zum  Zersplittern  ihrer  Streitkräfte  zu  nötigen.  Man  stachelte  die  angeborene 
Mordgier  der  Wilden  an,  indem  man  für  jede  amerikanische  Kopfhaut,  gleich- 
gültig, ob  von  einem  Mann,  Weib  oder  Kind  stammend,  eine  Belohnung  von 
8  Dollar  aussetzte.    Es  bedurfte  nicht  mehr,  um  die  Indianer  zu  den  kühnsten 


Kopfleiste:   Thayendanegea. 


217     — 


Anfällen  auf  die  Kolonisten  zu  verfiihren.  In  kleineren  und  größeren  Scharen 
durchstreiften  sie  alle  Grenzgebiete,  überfielen  sämtliche  Niederlassungen  und 
richteten  grauenhafte  Blutbäder  an. 

Zum  Ausführen  ihres  teuflischen  Werks  versicherten  die  Engländer  sich 
in  erster  Linie  der  Beihilfe  des  bereits  erwähnten  Thavendanega  oder  Joseph 
Brant.  Derselbe  beunruhigte  mit  seinen  Banden  jahrelang  die  in  den  west- 
lichen Teilen  von  New  York  und  Pennsylvanien  gelegenen  Niederlassungen  und 
fugte  ihnen  außerordentlich  schweren  Schaden  zu.  Niedergebrannte  Hütten 
Scheunen,  Ställe  und  Felder,  die  Leichen  skalpierter  Ansiedler,  geschändeter 
Frauen  und  ermordeter  Kinder  bezeichneten  ihren  Weg.  Beim  Verüben  solcher 
Verbrechen  leisteten  englische  Soldaten  und  Offiziere,  ehemalige  königstreu  ge- 
bliebene Bewohner  der  durchzogenen  Landstriche  hilfreiche  Hand. 

Im  August  des 
Jahres  1777  begleitete 
der     Häuptling     mit 

1000  indianischen 
Kriegern  den  eng- 
lischen Oberst  St.  Le- 
ger auf  dessen  Zug 
ins  obere  Mchawk- 
tal.  Die  geplante  Ver- 
wüstung desselben 
scheiterte  bekanntlich 
infolge  des  Kampfes 
bei  Oriskany. 

Um  die  gleiche 
Zeit,  wo  Thayenda- 
negea  gegen  die  von 

Herchheimer  befehligten  Pfälzer  focht,  brachen  andere  indianische  Banden  in 
Gemeinschaft  mit  dem  schottischen  Kapitän  Mc  Donald  und  mehreren  hundert 
Tories  in  das  Tal  des  Schoharie.  wurden  aber  ebenfalls  zurückgeworfen. 

Am  1.  Juni  des  folgenden  Jahres  überfielen  700  Indianer  und  400  unter 
dem  Befehl  des  Majors  John  Butler  stehende  Engländer  die  Ansiedlung  Cobels- 
viile,  wobei  die  dortige  Bürgerwehr  in  einen  Hinterhalt  geriet  und  niedergemacht 
wurde.  Von  Cobelsville  wandten  die  Rotten  sich  dem  oberen  Susquehannah 
zu.  Derselbe  eilt  durch  das  wunderschöne  Wyomingtal.  Hier  lagen  mehrere 
Ortschaften,  deren  Bewohner  glücklich  und  in  Frieden  lebten. 

Der  größte  Teil  der  männlichen  Bevölkerung  befand  sich  in  Washingtons 
Armee,  so  daß  die  Ansiedlungen  fast  wehrlos  lagen. 

Als  die  Zurückgebliebenen  die  erste  Kunde  von  dem  Nahen  der  feind- 
lichen Horden  erhielten,  flohen  die  Frauen  und  Kinder  in  die  im  Tal  angelegten 
Befestigungen.  300  Männer  hingegen,  unter  ihnen  viele  Greise  und  Knaben, 
zogen  am  3.  Juli  mutig  den  Feinden  entgegen,  um  dieselben  zurückzutreiben. 


Das  Wyoniingtal. 


—     218     — 

Aber  die  wackeren  Wyominger  hatten  deren  Zahl  arg  unterschätzt.  Nach 
mehrstündigem  heldenmütigem  Kampf  erlagen  sie  der  gewaltigen  Übermacht 
und  wurden  rücksichtslos  niedergemacht.     Nur  140  entkamen  ins  Fort. 

Am  nächsten  Morgen  erschienen  die  grausamen  Sieger  vor  der  kleinen 
Befestigung  und  forderten  deren  Übergabe.  Die  Nachrichten  über  den  Verlauf 
der  Verhandlungen  widersprechen  einander.  Mehreren  Überlieferungen  zu- 
folge hätten  die  Insassen  sich  ergeben,  wären  aber  von  den  Wilden  samt  und 
sonders  erbarmungslos  ermordet  worden.  Andere  Nachrichten  sagen,  sie  seien 
durch  das  rechtzeitige  Eintreffen  von  Hilfstruppen  vor  dem  Untergang  bewahrt 
geblieben. 

Bei  der  Verteidigung  des  Wyomingtales  spielte  der  im  Tal  ansässige 
deutsche  Friedensrichter  Hollenbach  eine  hervorragende  Rolle.  Leider  sind 
die  Nachrichten  über  das  sogenannte  „Blutbad  im  Wyomingtal"  zu  verworren, 
als  daß  sich  der  Anteil  des  Friedensrichters  mit  Sicherheits  feststellen  ließe.  Einer 
in  Rupps  „Geschichte  von  Berks-  und  Lebanon  County"  enthaltenen  Angabe 
zufolge  wäre  Hollenbach  der  liauptheld  der  Verteidigung  gewesen. 

Nach  den  am  Susquehannah  verübten  Schandtaten  wandten  die  Rothäute 
und  Briten  sich  wieder  dem  Mohawktal  zu,  brannten  dort  am  1.  September 
63  Häuser,  57  Scheunen  und  5  Mühlen  der  Pfälzeransiedlung  Oerman  Fiats 
nieder,  und  schleppten  zugleich  235  Pferde,  239  Rinder,  93  Ochsen  und 
269  Schafe  fort.  Sie  wagten  nicht,  die  durch  Späher  zeitig  genug  gewarnten 
und  in  die  Forts  Herchheimer  und  Dayton  geflohenen  Pfälzer  anzugreifen. 
Und  so  kamen  jene  für  diesmal  mit  einem  Verlust  von  nur  zwei  Menschen- 
leben davon. 

Um  die  Grenzbewohner  vor  weiteren  Überfällen  zu  schützen,  sandte 
Washington  im  Jahre  1779  den  General  Sullivan  mit  5000  iVlann,  darunter 
zahlreiche  deutsche  Scharfschützen  aus  Pennsylvanien  und  Virginien,  gegen  die 
Irokesen.  Im  Verlauf  dieses  überaus  schwierigen  Feldzugs  gelang  es  den 
Amerikanern,  die  Rothäute  und  Briten  am  29.  August  bei  Newton,  in  der  Nähe 
der  heutigen  Stadt  Elmira,  zu  schlagen,  40  indianische  Dörfer  zu  vernichten 
und  die  Feinde  über  die  canadische  Grenze  zu  treiben. 

Aber  bereits  im  folgenden  Jahr  begannen  die  Raubzüge  in  das  New  Yorker 
Gebiet  aufs  neue.  Da  war  kaum  eine  Ortschaft,  die  nicht  unter  feindlichen  An- 
griffen zu  leiden  gehabt  hätte.  In  Canajoharie  brannte  eine  aus  500  Indianern 
und  Tories  bestehende  Bande  am  2.  August  63  Häuser  samt  Scheunen  und 
Ställen  nieder,  tötete  300  Pferde  und  Rinder,  ermordete  16  Männer  und  schleppte 
60  Frauen  und  Kinder  fort.  Wenige  Tage  später  überfielen  73  India;ier  und 
5  Tories  die  vereinzelt  stehenden  Häuser  im  Schoharietal.  Am  10.  Oktober 
brachen  dort  unter  der  Führung  des  früher  im  Mohawktal  ansässig  gewesenen 
Sir  John  Johnson  1000  Indianer  und  Tories  herein,  um  die  von  den  Tal- 
bewohnern eingebrachten  Ernten  zu  rauben  und  alles  andere  zu  zerstören. 

Glücklicherweise  waren  die  Talbewohner  auch  diesmal  durch  ausgestellte 
Wachtposten  zeitig  genug  gewarnt  worden,  und  hatten  sich  in  die  Forts  flüchten 


~     21Q     — 

können.  Hier  lagen  150  Mann  Kontinentaltruppen  und  100  Freiwillige,  welche 
den  Angriffen  der  Feinde  so  kräftigen  Widerstand  entgegensetzten,  daß  diese 
noch  am  gleichen  Tage  abzogen.  Aber  der  Feuerschein  von  300  brennenden 
Häusern  und  Scheunen  beleuchtete  ihren  Weg. 

Vom  Schoharie  zog  Johnson  ins  Mohawktal,  ließ  am  18.  Oktober  Caugh- 
nawaga  niederbrennen  und  sämtliche  am  Nordufer  des  Flusses  liegende  An- 
siedlungen  bis  Stone  Arabia  verwüsten.  Mehrere  kleinere  Truppenabteilungen, 
die  sich  ihm  in  den  Weg  stellten,  wurden  überwältigt  und  niedergemacht. 

Lagen  die  Wohnstätten  der  Ansiedler  vereinzelt,  so  entgingen  diese  selten 
dem  Untergang.  Denn  nicht  jeder  war  imstande,  die  Feinde  so  heldenhaft  ab- 
zuwehren, wie  dies  der  wackre  deutsche  Bauer  Johann  Christian 
Schell  vermochte.  Derselbe  wohnte  eine  Stunde  nordöstlich  von  German 
Fiats  inmitten  einer  einsamen  Wildnis.  Am  6.  August  1781  wurde  sein  Block- 
haus von  48  Indianern  und  16  Engländern  überfallen.  Mit  Mühe  gelang  es 
dem  gerade  mit  Feldarbeiten  beschäftigten  Ansiedler,  sich  mit  seiner  Frau  und 
vier  Söhnen  in  das  Haus  zu  flüchten.  Zwei  Söhne,  welche  nicht  rasch  genug 
folgen  konnten,  fielen  den  Feinden  in  die  Hände.  Schells  Blockhaus  war  aus 
starken  Baumstämmen  gezimmert  und  besaß  im  untern  Stockwerk  keine  Fenster, 
sondern  nur  schmale  Schießscharten.  Den  einzigen  Eingang  schloß  eine 
schwere  Tür.  Das  obere  Stockwerk  ragte  über  das  untere  einen  Meter  weit 
vor  und  hatte  in  seinem  Boden  Luken,  durch  die  man  Angreifer,  falls  sie  ver- 
suchten die  Tür  zu  erbrechen  oder  das  Haus  anzuzünden,  beschießen  konnte. 
Die  Feinde  versuchten  mehrere  Male  das  Haus  zu  stürmen,  mußten  sich  aber 
stets  vor  dem  heftigen  Feuer  der  Insassen  zurückziehen.  Während  Schell  und 
seine  vier  Söhne  schössen,  lud  die  Frau  die  Gewehre.  In  den  Abendstunden 
suchte  der  Führer  der  Engländer  das  Haus  mit  Gfcwalt  zu  erstürmen  und  er- 
griff einen  Hebebaum,  um  die  Tür  zu  sprengen.  Dabei  erhielt  er  aber  einen 
Schuß  ins  Bein  und  wurde  überdies  von  Schell,  der  rasch  die  Tür  öffnete, 
in  das  Haus  hineingezogen  und  gefesselt.  Diese  kühne  Tat  verblüffte  die  Be- 
lagerer so,  daß  sie  für  eine  Weile  ihre  Angriffe  einstellten.  Bald  aber  begannen  sie 
den  Sturm  aufs  neue,  um  an  den  Ansiedlern  Rache  zu  nehmen  und  ihren 
Führer  zu  befreien.  Als  sie  von  allen  Seiten  gegen  das  Haus  anrückten,  stimmte 
Frau  Schell  das  Schlachtlied  der  Reformierten  an:  „Ein'  feste  Burg  ist  unser 
Gott."  Noch  waren  die  ersten  Verse  nicht  verklungen,  als  die  Angreifer  mit 
mächtigen  Sätzen  ankamen,  ihre  Flinten  durch  die  Schießscharten  des  untern 
Stockwerkes  stießen  und  in  den  Innenraum  zu  feuern  begannen.  Frau  Schell 
war  aber  mit  einer  Axt  bei  der  Hand  und  führte  auf  die  Flinten  so  wuchtige 
Schläge,  daß  die  Läufe  unbrauchbar  wurden.  Mehrere  gutgezielte  Schüsse  aus 
den  Büchsen  Schells  und  seiner  Söhne  nötigten  die  Belagerer  zum  endgültigen 
Abzug.  Sie  hatten  elf  Tote  verloren  und  zählten  zwölf  schwer  Verwundete,  von 
denen  neun  bald  darauf  starben.  Die  Feinde  schleppten  die  beiden  gefangenen 
Söhne  mit  nach  Canada,  von  wo  sie  erst  nach  Beendigung  des  Krieges  zurück- 
kehrten.    Sie  fanden  ihren  Vater  aber  nicht  mehr  unter  den  Lebenden;  er  war 


—     220 


ein  Jahr  nach  der  ersten  Heimsuchung  zum  zweitenmal  von  Indianern  über- 
fallen und  so  schwer  verwundet  worden,  daß  er  bald  nach  der  glücklichen 
Abweisung  der  Rothäute  seinen  Wunden  erlag. 

Ein  anderes  Beispiel  echten  Heldenmutes  lieferten  die  wackeren  Ver- 
teidiger des  virginischen  Grenzforts  Rice.  Dasselbe  bestand  nur  aus  mehreren 
Blockhütten.    Es  wurde  im  September  1782  von  hundert  Indianern  angegriffen, 

aber  von  seinen  sechs  deutschen  Insassen  Georg 
und  Jakob  Leffler,  Peter  Eullenwei- 
der,  Jakob  Müller,  Daniel  Reis  und 
GeorgFellbaum  mit  solcher  Entschlossenheit 
verteidigt,  daß  die  Feinde  schließlich  abzogen.  Fell- 
baum starb  an  den  im  Kampf  erhaltenen  Wunden. 
Als  echte  Heldin  erwies  sich  auch  die  in 
Pennsylvanien  wohnende  Christiana  Zeller. 
Während  sie  sich  eines  Tages  mit  ihren  Kindern 
allein  in  der  Behausung  befand,  sah  sie  mehrere 
Indianer  versichtig  heranschleichen.  Rasch  ver- 
rammelte die  Frau  die  schwere  Holztür,  stellte  sich 
mit  einer  Axt  an  die  Kelleröffnung  und  beförderte 
drei  Rothäute,  die  ihre  Köpfe  durch  die  Öffnung 
zwängten,  um  einen  Zugang  ins  Innere  auszu- 
spähen, mit  wuchtigen  Streichen  in  die  glücklichen 
Jagdgründe. 

Ein  grelles  Licht  auf  die  Kriegführung  jener 
schrecklichen  Zeit  wirft  das  folgende  Ereignis.  Im 
Februar  1782  fielen  bei  einem  Kampf  zwischen 
Amerikanern  und  einer  englisch  -  indianischen 
Streiftruppe  den  ersten  neben  anderer  Kriegsbeute 
acht  große  Bündel  in  die  Hände.  Als  man  diese 
Bündel  öffnete,  zeigte  es  sich,  daß  sie  nicht  we- 
niger als  1062  getrocknete  Kopfhäute  enthielten, 
welche  die  Indianer  während  ihrer  Streifzüge 
durch  New  York,  Pennsylvanien  und  Neu- 
England  erbeutet  hatten.  Bei  den  Skalpen  be- 
fand sich  ein  von  dem  Engländer  James  Craw- 
furd  an  den  canadischen  Gouverneur  Haldi- 
in  dem  der  Gouverneur  ersucht  wurde,  die 
Kopfhäute  im  Namen  der  Seneca-Indianer  an  den  König  von  England  zu 
schicken.  Auf  einem  besonderen  Zettel  war  eine  Rede  des  Häuptlings  Concio- 
gotchie  niedergeschrieben,  worin  er  an  den  canadischen  Gouverneur  folgende 
Worte  richtete:  „Vater,  wir  wünschen,  daß  Du  diese  Skalps  an  den  großen 
König  sendest,  damit  er  durch  ihren  Anblick  erfrischt  werde  und  die  Über- 
zeugung   gewinne,    daß    seine  Geschenke    einem    dankbaren  Volk    gemacht 


Ein  indianischer  Si<alp. 
mand    gerichteter    Brief, 


—     221     — 

wurden,  welches  seine  Treue  durch  die  Vernichtung  der  Feinde  des  Königs 
beweist."  Unter  diesen  schauerlichen,  von  nur  einer  einzigen  Streiftruppe  er- 
oberten Siegeszeichen  befanden  sich  zweifellos  die  Kopfhäute  mancher  deut- 
schen Ansiedler,  die  bei  der  Verteidigung  ihrer  Hütten  und  Angehörigen  der 
Blutgier  der  Rothäute  sowie  der  Barbarei  der  Engländer,  die  sich  jener  Wilden 
zur  Kriegführung  bedienten,  zum  Opfer  fielen. 

Als  endlich  der  Friede  kam,  waren  weite  Länderstrecken,  die  früher  mit 
ihren  blühenden  Obstgärten,  wohlbestellten  Feldern  und  schmucken  Wohn- 
stätten eine  wahre  Augenweide  gewesen,  in  menschenleere  Wüsten  verwandelt. 
In  den  deutschen  Dörfern  am  Mohawk  und  Schoharie  stieß  man  überall  auf 
die  traurigen  Ruinen  niedergebrannter  Häuser  und  Scheunen.  500  Witwen 
und  300i0  Waisen  beweinten  den  Tod  ihrer  Ernährer. 

Während  jener  Zeit  schwerster  Gefahren  und  Bedrängnisse  bildeten 
viele  der  wackern,  von  Rachedurst  erfüllten  deutschen  Ansiedler  sich  zu  kühnen 
Indianer  Jägern  aus,  von  denen  manche  geeignet  gewesen  wären,  einem  Fenimore 
Cooper  als  Modell  für  seine  Lederstrumpffigur  zu  dienen. 

Im  Mohawktal  machte  sich  Johann  Adam  Hartmann  aus  Eden- 
koben in  der  Pfalz,  ein  Hüne  an  Kraft  und  Gestalt,  den  Rothäuten  gefürchtet. 
In  Pennsylvanien,  Ohio  und  Indiana  lebt  das  Andenken  der  Gebrüder 
Weitzel,  des  Georg  Rufner,  des  Daniel  Bolaus,  des  Fried- 
rich Behrle,  des  Peter  Niesvanger,  des  Kaspar  Mansker,  des 
Michel  Steiner  und  Wilhelm  Wells  als  berühmter  Indianertöter  fort. 

Über  mehrere  dieser  kühnen  Männer  müssen  wir  in  einem  späteren  Ab- 
schnitt ausführlicher  berichten. 


Schlußvignette:    Eine  zerstörte  Heimstätte 


/JhjJ(!kd 


Generalmajor  Johann  von  Kalb. 

Es  gab  unter  den  Völkern  Europas  keines,  welches  die  in  den  fünfziger 
und  sechziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  immer  deutlicher  werdenden  An- 
zeichen der  Unzufriedenheit  in  den  englischen  Kolonien  mit  so  fieberhafter 
Erregung  und  Genugtuung  beobachtete,  wie  die  Franzosen.  Sie  hatten  gute 
Gründe.  Denn  war  ihnen  nicht  ihre,  von  der  Mündung  des  St.  Lorenzstroms 
bis  zum  Mississipi  reichende  vielverheißende  Kolonie  Neu-Frankreich,  die 
man  in  mühseligen  Entdeckungsreisen,  unter  blutigen  Kämpfen  und  unge- 
heuren Geldopfern  erschlossen  hatte,  von  ihren  alten  Erbfeinden,  den  Briten, 
entrissen  worden?  Den  Verlust  dieser  gewaltigen  Ländermassen  und  die 
Schmach  der  dabei  erlittenen  Niederlagen  vermochten  die  stolzen  Franzosen 
nicht  zu  überwinden.  Die  noch  frischen  Wunden  brannten  wie  Feuer  und 
man  dürstete  nach  einer  Gelegenheit,  wo  man  für  die  erlittene  Schmach  furcht- 
bare Vergeltung  üben  könne. 

Die  Zeit  der  Rache  schien  zu  kommen,  als  die  Gegensätze  zwischen  den 
englischen  Kolonien  und  dem   britischen   Mutterlande  sich  immer  mehr  zu- 


Kopflcistc:    Johann  von  Kalb. 


—     223     — 

spitzten  und  in  offenen  Aufruhr  auszuarten  droliten.  Um  über  die  Lage  Ge- 
wißheit zu  erlangen,  schickte  die  französische  Regierung  bereits  im  Jahre 
1767  einen  Vertrauten  nach  Amerika,  der  zugleich  den  Auftrag  hatte,  die 
dortige  Bevölkerung  im  Kriegsfall  der  Unterstützung  Frankreichs  zu  ver- 
sichern. 

Mit  dieser  keineswegs  ungefährlichen  Mission  beauftragte  man  den 
am  20.  Juni  1721  in  Hüttendorf  bei  Erlangen  geborenen  Deutschen  Johann 
V  o  n  K  a  1  b  ,  einen  Mann,  der  bereits  in  jungen  Jahren  in  das  aus  Elsässern  und 
Lothringern  zusammengesetzte  französische  Regiment  Löwendal  eingetreten  war 
und  sich  in  mancherlei  Kriegszügen  zum  Obersten  emporgeschwungen  hatte. 
Eine  reiche  Heirat  erlaubte  es  ihm  später,  sich  in  Paris  den  besten  Gesellschafts- 
kreisen anzuschließen. 

Von  Kalb  entledigte  sich  seiner  Aufgabe  mit  vollendetem  Geschick.  Und 
als  nach  Ausbruch  des  amerikanischen  Unabhängigkeitskrieges  der  feurige 
Marquis  de  Lafayette  eine  Expedition  ausrüstete,  um  in  Amerika  an  dem  Kampf 
gegen  die  Briten  teilzunehmen,  da  schloß  der  von  der  französischen  Regierung 
zum  Brigadegeneral  erhobene  von  Kalb  sich  Lafayette  an  und  trat,  in  Amerika 
herzlichst  willkommen  geheißen,  in  die  Armee  der  Ereiheitsreiter  ein. 

Dem  zum  Generalmajor  ernannten  tatendurstigen  Mann  bot  sich  schon 
bald  Gelegenheit,  in  zahlreichen  Gefechten  seine  Fähigkeiten  zu  beweisen. 
Aber  eine  recht  eintönige  Periode  folgte,  als  er  in  den  Sommermonaten  der 
Jahre  1778  und  1779  mit  seinen  Regim.entern  zum  Beobachten  der  in  der 
Stadt  New  York  sitzenden  Engländer  abkommandiert  wurde.  Es  gab  dabei 
zwar  manche  Scharmützel  von  untergeordneter  Bedeutung  zu  bestehen;  aber 
es  kam  nicht  zu  einer  entscheidenden  Schlacht.  So  wenig  die  Amerikaner 
stark  genug  waren,  die  Engländer  aus  ihren  festen  Stellungen  zu  werfen,  so 
wenig  glückte  es  diesen,  die  Gegner  zu  vertreiben. 

Der  Untätigkeit  längst  müde,  begrüßte  es  von  Kalb  mit  Ereuden,  als  er 
im  Jahre  1780  den  Befehl  erhielt,  mit  2000  Mann  nach  der  im  Süden  gelegenen 
Stadt  Charleston  zu  marschieren,  wo  der  von  den  Engländern  eingeschlossene 
General  Lincoln  der  Hülfe  dringend  bedurfte.  Aber  schon  vor  dem  Eintreffen 
des  Kalbschen  Ersatzheeres  mußte  die  Stadt  kapitulieren.  Da  der  Zweck  der 
Expedition  hinfällig  gev/orden,  so  zog  von  Kalb  nach  Südkarolina,  um  die 
Bürgerwehren  dieser  Kolonie  zu  einer  neuen  Südarmee  zu  vereinigen,  die  dem 
dort  stehenden  12  000  Mann  starken  englischen  Heer  das  Gegengewicht  bilde. 

Das  Zusammenschweißen  dieser  Milizen  erwies  sich  aber  als  eine  fast 
unlösbare  Aufgabe.  Die  Befehlshaber  der  über  die  ganze  Kolonie  verstreuten 
Truppen  zogen  vor,  auf  eigne  Faust  Krieg  zu  führen,  anstatt  sich  einem 
fremden  Offizier  unterzuordnen.  Forderte  von  Kalb  von  den  Behörden 
Transportmittel,  so  kamen  diese  nie  zur  Stelle.  Versprechungen  wurden  selten 
erfüllt.  Obendrein  verursachte  die  Ve/p/legung  der  Truppen  in  dem  verarmten 
Lande  fast  unüberwindliche  Schwierigkeiten.  Kurz,  alle  Zustände  waren  so 
widerwärtig,   daß   von    Kalb   hoch   aufatmete,   als   der   Bundeskongreß   dem 


—     224     — 

General  Gates  den  Oberbefehl  über  sämtliche  im  Süden  befindlichen  Truppen- 
körper übertrug. 

Aber  auch  Gates  vermochte  nicht  der  trostlosen  Zustände  Meister  zu 
werden.  Um  die  Lage  durch  einen  verwegenen  Handstreich  zum  Abschluß 
zu  bringen,  faßte  Gates  den  törichten  Plan,  geradeswegs  auf  die  in  Südkarolina 
gelegene  Stadt  Cam.den  zu  marschieren  und  die  dort  stehenden  englischen 
Truppen  zu  überfallen. 

Dieser  Vorsatz  war  um  so  gewagter,  als  der  gerade  Weg  nach  Camden 
den  ödesten  Teil  Südkarolinas  durchquerte,  wo  die  Verpflegung  eines  größeren 
Heerkörpers  schon  in  guten  Jahren  ungeheure  Schwierigkeiten  verursachen 
mußte.  Von  Kalb  machte  auf  diesen  Umstand  aufmerksam  und  empfahl,  falls 
der  Plan  beibehalten  werden  solle,  auf  Umwegen  durch  fruchtbarere  Gebiete 
nach  Camden  zu  marschieren.  Aber  General  Gates  ließ  sich  nicht  zur  Ände- 
rung seines  verhängnisvollen  Entschlusses  bewegen,  sondern  brach  mit  dem 
von  vornherein  schlecht  verproviantierten  Heer  auf. 

Der  wahnwitzige  Marsch  beanspruchte  drei  Wochen,  während  welcher 
die  Sonne  glühendheiß  herniederbrannte  und  den  hungernden  und  durstenden 
Soldaten  fürchterlich  mitspielte.  Zu  Dutzenden,  zu  Hunderten  sanken  sie  nieder, 
oder  suchten  ihr  Heil  in  der  Flucht.  Nicht  mehr  fern  vom  Ziel  war  die  Armee 
auf  nur  2000  todm.üde,  abgezehrte  Leute  zusammengeschmolzen.  Damit  wollte 
Gates  in  der  Nacht  des  15.  August  die  Engländer  überfallen. 

Aber  diese  waren  durch  ihre  Spione  vom  Nahen  der  Gegner  längst 
unterrichtet  worden  und  hatten  aus  weitem  Umkreis  ihre  gesamten  Streitkräfte 
zusammengerafft.  Den  Amerikanern  weit  überlegen,  beschlossen  sie,  diese  un- 
versehens in  deren  eignem  Lager  zu  überrumpeln.  Zu  diesem  Zweck  hatten 
sie  sich  gleichfalls  am  Abend  des  15.  August  auf  den  Weg  gemacht.  So  traf 
es  sich,  daß  beide,  gleiche  Absichten  verfolgenden  Armeen  während  der  Nacht 
zusammenprallten.  Sofort  begann  das  Kleingewehrfeuer  der  auf  beiden  Seiten 
die  Vorhut  bildenden  Schützen.  Kaum  dämmerte  der  Morgen,  so  begann 
der  eigentliche  Kampf.  Aber  sein  Ausgang  konnte  keinem  Zweifel  unter- 
liegen. Standen  doch  den  halbverhungerten,  todmüden,  an  keine  Disziplin 
gewöhnten  amerikanischen  Milizen  eine  weit  überlegene  Zahl  vorzüglich  ein- 
exerzierter, seit  Monaten  gut  verpflegter  regulärer  Soldaten  gegenüber. 

Als  die  ersten  englischen  Salven  krachten,  ergriffen  viele  der  nie  zuvor 
an  einem  Gefecht  beteiligt  gewesenen  amerikanischen  Milizen  das  Hasenpanier. 
Mit  ihnen  General  Gates.  Wie  eilig  er  seine  Flucht  bewerkstelligte,  beweist 
die  Tatsache,  daß  er  am  Abend  des  unglücklichen  Tages  in  der  80  Meilen 
vom  Kampfplatz  entfernten  Stadt  Charlotte  zu  Bette  gehen  konnte. 

Der  schnöde  im  Stich  gelassene  von  Kalb,  dessen  Truppen  das  Zentrum 
des  amerikanischen  Heeres  bildete,  versuchte,  die  Ehre  des  Tages  zu  retten. 
Wiederholt  gelang  es  ihm,  die  heftigen  Vorstöße  der  Feinde  abzuschlagen  und 
eine  Anzahl  Gefangener  zu  machen.  Aber  seine  linke  Flanke,  an  der  die  Milizen 
gestanden  hatten,  war  ungedeckt  und  wurde  umgangen.     Als  die  Feinde  mm 


—     225     — 

gleichzeitig  energische  Front-  und  Rücken  angriffe  unternahmen,  war  das  Schick- 
sal des  Tages  entschieden. 

In  dem  sich  entspinnenden  Handgemenge  erhielt  von  Kalb  einen  Säbel- 
hieb über  den  Kopf.  Das  Pferd  brach  tot  unter  ihm  zusammen.  Nichtsdesto- 
weniger raffte  der  Tapfere,  nachdem  seine  Wunde  notdürftig  verbunden  worden, 
seine  mit  wilder  Verzweiflung  kämpfenden  Leute  abermals  zusammen  und 
trieb  die  Feinde  dreimal  zurück.  Aber  als  er  an  der  Spitze  seiner  schnell 
schrumpfenden  iMacht  vordrang,  streckten  ihn  mehrere  Kugeln  zu  Boden.  Er 
würde  in  dem  über  ihn  hinwegbrausenden  Schlachtgetöse  zertreten  worden 
sein,  hätte  sein  treuer  Adjutant  sich  nicht  über  den  Verwundeten  geworfen, 
um  womöglich  sein  Leben  zu  retten. 

Nachdem  der  Kampf,  in  dem  die  Amerikaner  außer  1000  Gefangenen 
900  Tote  und  Verwundete  einbüßten,  beendet  war,  fand  man  den  aus  elf 
Wunden  blutenden  Generalmajor  inmitten  eines  Haufens  von  Leichen.  Man 
brachte  ihn  nach  Camden  und  ließ  ihm  die  sorgfältigste  Pflege  zuteil  werden. 
Aber  alle  Kunst  der  Wundärzte  versagte.  Der  Tapfere  verschied  am  dritten 
Tage  nach  der  Schlacht.  Sein  Tod  beraubte  die  amerikanische  Armee  um 
einen  Führer,  der  es  verstanden  hatte,  sich  durch  sein  zuvorkommendes,  offnes 
Wesen  in  hohem  Grade  beliebt  zu  machen.  Im  Kriegsrat  wurden  seine  prak- 
tischen Ratschläge  stets  hochgeschätzt  und  beachtet.  Die  Untergebenen  hingen 
mit  Verehrung  an  ihm.  Deshalb  wurde  auch  der  Beschluß  des  Kongresses, 
dem  so  ehrenvoll  Gefallenen  ein  Denkmal  zu  errichten,  überall  mit  Zustimmung 
begrüßt.  Dieses  Monument  erhebt  sich  in  den  schönen  Anlagen  der  Militär- 
Akademie  zu  Annapolis  und  trägt  folgende  Aufschrift: 

„Dem  Andenken  des  Freiherrn  von  Kalb,  Ritters  des  königlichen  Kriegs- 
verdienstordens, Brigadiers  der  französischen  Armee,  Generalmajor  im  Dienste 
der  Vereinigten  Staaten.  Nachdem  er  mit  Ehre  und  Ruhm  drei  Jahre  lang 
gedient  hatte,  gab  er  einen  letzten  und  glorreichen  Bew^eis  seiner  Hingabe  für 
die  Freiheit  der  Menschheit  und  für  die  Sache  Amerikas  in  der  Schlacht  bei 
Camden  in  Süd  Carolina.  An  der  Spitze  der  regulären  Truppen  von  Mary- 
land und  Delaware  begeisterte  er  sie  durch  sein  Beispiel  zu  Taten  der  Tapfer- 
keit, wurde  mehrfach  schwer  verwundet  und  starb  am  19.  August  1780  im 
59  Jahre  seines  Lebens.  Der  Kongreß  der  Veremigten  Staaten  von  Amerika 
hat  ihm  in  dankbarer  Anerkennung  seines  Eifers,  seiner  Dienste  und  seines 
Ruhmes  dieses  Denkmal  errichtet." 


Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  \0 


Generalmajor  Friedrich  Wilhelm  von  Steuben,  der 
Schöpfer  des  amerikanischen  Heeres. 

!  Unter  allen  europäischen  Offizieren,  die  beim  Ausbruch  des  amerikanischen 

Unabhängigkeitskriegs  ihre  Degen  dem  jungen  Staatenbund  anboten,  war  der 
preußische  Freiherr  Friedrich  Wilhelm  von  S  t  e  u  b  e  n  zweifellos  der 
bedeutendste.  Leistete  er  doch  dem  um  seine  Freiheit  ringenden  amerikanischen 
Volk  Dienste,  die  jene  aller  anderen  im  amerikanischen  Heer  kämpfenden 
Generale  überragen  und  ihn  fast  auf  die  gleiche  Stufe  mit  dem  obersten  Feld- 
herrn, dem  edlen  George  Washington  stellen. 

Steuben  war  der  Sprößling  eines  alten,  im  früheren  Herzogtum  Magde- 


Kopfleiste:   Friedrich  Wilhelm  von  Steuben. 


—     227     — 

bürg  seßhaften  Geschlechts,  das  bereits  manche  tüchtige  Soldaten  hervorge- 
bracht hatte.  Aber  keinem  war  so  großer  Ruhm  beschieden,  wie  Friedrich 
Wilhelm  von  Steuben,  dem  am  15.  November  1730  in  Magdeburg  geborenen 
Sohn  des  preußischen  Ingenieurhauptmanns  von  Steuben. 

Den  Traditionen  seines  Geschlechtes  treu,  hatte  auch  er  die  militärische 
Laufbahn  erkoren  und  nach  Durchlaufen  der  Kriegsschule  in  der  Armee  Fried- 
richs des  Großen  die  wechselvollen  Stürme  des  Siebenjährigen  Kriegs  mit- 
gemacht. Bald  gegen  die  Franzosen,  bald  gegen  die  Russen  oder  Österreicher 
kämpfend,  zeichnete  er  sich  dabei  so  aus,  daß  der  König  ihn  zum  Stabshaupt- 
mann und  Flügeladjutanten  ernannte.  Der  mit  dem  aktiven  Felddienst  bereits 
völlig  Vertraute  erhielt  dadurch  Gelegenheit,  sich  auch  mit  den  überaus  wich- 
tigen Fragen  zu  befassen,  die  mit  dem  Herbeischaffen  und  Instandhalten  der 
Kriegsvorräte  sowie  der  Verpflegung  großer  Truppenkörper  in  Zusammenhang 
stehen.  So  erwarb  von  Steuben  in  allen  Kriegswissenschaften  eine  derart  um- 
fassende Kenntnis,  daß  er  allen  mit  kriegerischen  Fragen  beschäftigten  als  eine 
Autorität  ersten  Ranges  erscheinen  mußte. 

Als  eine  höchst  begehrenswerte  Kraft  erkannten  ihn  auch  der  fran- 
zösische Kriegsminister  St.  Germain  und  der  als  Vertreter  des  jungen  ameri- 
kanischen Staatenbundes  in  Paris  weilende  Benjamin  Franklin,  als  sie  im 
Jahre  1777  mit  dem  auf  einer  Reise  durch  F'rankreich  befindlichen  Frei- 
herrn zusammentrafen  Franklin  hatte  den  besonderen  Auftrag,  nach  tüch- 
tigen europäischen  Offizieren  Umschau  zu  halten,  die  der  amerikanischen 
Sache  nützen  könnten.  Denn  das  amerikanische  Heer,  wenn  man  diese  Be- 
zeichnung auf  die  aus  allen  Teilen  des  weiten  Landes  gekommenen  Scharen 
ungeschulter  Freiwilliger  und  an  Disziplin  kaum  gewöhnten  Bürgerwehren 
anwenden  will,  bedurfte  einer  sachkundigen  Organisation  und  Schulung 
aufs  dringendste.  Während  die  an  den  Kampf  mit  Indianern  gewöhnten 
Hinterwäldler  in  allen  Plänkeleien,  wo  sie  die  ihnen  vertraute  Fechtart  an- 
wenden konnten,  sich  glänzend  bewährten,  hatten  sie  in  offnen  Feldschlachten 
gegen  die  kriegsgeübten  Briten  und  deren  deutsche  Hilfstruppen  fast  stets  ver- 
sagt. Da  entscheidende  Erfolge  aber  nur  durch  größere  Schlachten  herbei- 
geführt werden  konnten,  so  war  es  unbedingt  nötig,  die  amerikanischen  Sol- 
daten in  eine  solche  Verfassung  zu  bringen,  daß  man  mit  ihnen  Feldschlachten 
wagen  durfte.  Woher  sollte  man  solche  Offiziere,  die  der  schwierigen  Aufgabe 
gewachsen  waren,  nehmen?  In  Amerika  gab  es  keine.  Naturgemäß  wandten 
sich  die  Blicke  nach  Europa,  wo  es  erprobte  Männer  in  Menge  gab.  Vor- 
nehmlich in  der  Armee  des  großen  Preußenkönigs,  die  als  bestgeschulte  der 
ganzen  Welt  galt  und  fast  allen  anderen  europäischen  Heeren  Lehrmeister  ge- 
liefert hatte. 

Daß  Baron  von  Steuben  alles  Zeug  habe,  die  amerikanische  Armee  auf 
eine  höhere  Stufe  zu  bringen,  wurde  sowohl  Franklin  wie  dem  französischen 
Kriegsminister  nach  kurzer  Zeit  klar,  und  beide  bemühten  sich  eifrig,  ihn  für 
die  amerikanische  Sache  zu  gewinnen.    Zu  ihrer  großen  Freude  fanden  sie,  daß 

15* 


—     228     — 

es  keiner  besonderen  Überredungskünste  bedürfe.  Denn  Steuben  zählte  zu  jenen 
Offizieren,  die  den  Krieg  der  amerikanischen  Kolonien  gegen  England  nicht 
bloß  mit  größter  Aufmerksamkeit  verfolgten,  sondern  auch  den  für  ihre  Unab- 
hängigkeit Streitenden  die  herzlichste  Teilnahme  entgegenbrachten. 

Wie  tief  diese  Sympathien  waren,  zeigt  am  deutlichsten  ein  Brief,  den 
Steuben,  nachdem  er  mJt  Franklin  alle  Vorbedingungen  für  seinen  Eintritt  ins 
amerikanische  Heer  geordnet  hatte  und  am  1.  Dezember  1777  im  Hafen  von 
Portsmouth,  New  Hampshiere,  gelandet  war,  an  den  Kongreß  der  Vereinigten 
Staaten  richtete. 

Der  Brief  hat  folgenden  Wortlaut: 

„Der  einzige  Beweggrund,  der  mich  diesem  Weltteil  zuführt,  ist  der 
Wunsch,  einem  Volk  zu  dienen,  welches  einen  so  edlen  Kampf  für  seine 
Rechte  und  Freiheit  kämpft.  Ich  verlange  Mieder  Titel  noch  Geld.  Mein 
einziger  Ehrgeiz  besteht  darin,  bei  Ihnen  als  Freiwilliger  einzutreten,  mir 
das  Vertrauen  Ihres  Oberbefehlshabers  zu  erwerben  und  denselben  in  allen 
Feldzügen  ebenso  zu  begleiten,  wie  ich  während  des  Siebenjährigen  Krieges 
dem  Könige  von  Preußen  folgte.  Ich  möchte  gern  mit  meinem  Blute  die 
Ehre  erkaufen,  daß  mein  Name  eines  Tages  unter  den  Verteidigern  Ihrer 
Freiheit  genannt  wird." 

Im  Kongreß  erregte  dieser  Brief  förmliche  Begeisterung.  Und  der  da- 
malige Kriegsminister  schrieb:  „Wir  alle  beglückwünschen  uns  zu  der  An- 
kunft eines  in  militärischen  Dingen  so  erfahrenen  Mannes.  Seine  Dienste  sind 
uns  gerade  jetzt  um  so  wertvoller,  als  der  Mangel  an  Disziplin  und  innerer 
Ordnung  in  unserem  Heer  so  schwer  empfunden  und  tief  beklagt  wird." 

Um  die  damalige  Beschaffenheit  des  Heeres  war  es  in  der  Tat  äußerst 
schlecht  bestellt.  Kaum,  noch  5000  Mann  zählend,  aller  Hilfmittel  entblößt, 
nicht  imstande,  irgendeine  größere  Waffentat  zu  v/agen,  hatte  es  in  Valley  Forge 
ein  Winterlager  bezogen.  Ohne  Uniformen,  fast  nur  auf  die  Gaben  angewiesen, 
die  ihnen  von  den  Bewohnern  der  Umgegend  zugeführt  wurden,  verbrachten 
die  Freiheitskämpfer  in  einer  Anzahl  armseliger  Blockhütten  die  strenge 
Jahreszeit. 

Wie  es  um  die  Organisation  und  Disziplin  dieses  Heeres  bestellt  war, 
erfahren  wir  aus  den  Angaben,  welche  Baron  von  Steuben  im  elften  und  zwölften 
Band  seiner  handschriftlichen  Aufzeichnungen  niederlegte,  die  sich  in  den 
Archiven  der  „New  York  Historical  Society"  befinden.     Er  schreibt: 

„Die  Armee  war  in  Divisionen,  Brigaden  und  Regimenter  eingeteilt,  die 
von  General-Majoren,  Brigade-Generälen  und  Obersten  kommandiert  wurden. 
Der  Kongreß  hatte  die  Zahl  der  Soldaten  für  jedes  Regiment  und  jede  Kom- 
pagnie festgesetzt;  allein  die  ewige  Ebbe  und  Flut  der  nur  auf  sechs  oder  neun 
Monate  angeworbenen  Leute,  die  täglich  kamen  und  gingen,  machten  den  Be- 
stand eines  Regimentes  oder  einer  Kompagnie  stets  so  schwankend,  daß  die 
Worte:    ,Kompagnie',  ,Regiment',  ,Brigade',  oder  , Division'  gar  nichts  bedeu- 


—     229     — 

teten,  am  allerwenigsten  einen  Maßstab  für  die  Berechnung  der  Stärke  eines 
Korps  oder  der  Armee  abgaben.  Die  Zahl  ihrer  Mannschaften  war  so  un- 
gleich und  verschieden,  daß  es  unmöghch  war,  irgendein  Manöver  auszuführen. 
Oft  war  ein  Regiment  stärker  als  eine  Brigade.  Ich  sah  ein  Regiment  von 
30  Mann  und  eine  Kompagnie,  welche  nur  aus  einem  einzigen  Korporal  be- 
stand! Ein  genaues  Verzeichnis  der  Mannschaften  eines  Regimentes  zu  erhalten, 
war  sehr  schwierig,  oft  geradezu  unmöglich. 

Die  Stärke  der  Armee  sollte  monatlich  festgestellt  werden.  Diese  Opera- 
tion geschah  folgendermaßen:  jeder  Hauptman  fertigte  eine  Liste  seiner  Kom- 
pagnie an,  ohne  Rücksicht  auf  die  Anwesenden  oder  Beurlaubten.  Er  beschwor 
dann  vor  seinem  Vorgesetzten,  daß  sein  Bericht  nach  bestem  Wissen  und 
Glauben  in  Ordnung  wäre.  Der  Musterungsinspektor  zählte  die  Anwesenden 
und  schrieb  den  Beurlaubten  ihren  Sold  auf  den  Eid  des  Hauptmatms  hin  gut. 
Ich  bin  weit  entfernt  von  der  Voraussetzung,  daß  irgendein  Offizier  absichtlich 
Betrug  verüben  wollte;  allein  ich  will  den  Zustand  einer  Kompagnie  etwas  ge- 
nauer prüfen,  woraus  man  dann  einen  Schluß  auf  die  sogenannte  Richtigkeit 
eines  derartigen  Rapports  selber  ziehen  kann.  Die  betreffende  Kompagnie  hatte 
nur  zwölf  Mann  zur  Stelle.  Ein  Mann,  der  einem  200  Meilen  entfernt  postierten 
Offizier  als  Bursche  diente,  war  seit  18  Monaten  abwesend.  Ferner  fehlte  ein 
Mann,  der  seit  zwölf  Monaten  bei  einem  Quartiermeister  als  Knecht  arbeitete. 
Vier  Mann  dienten  seit  ebenso  langer  Zeit  als  Gehilfen  in  den  Hospitälern. 
Zwei  waren  als  Fuhrleute,  mehrere  andere  als  Bäcker,  Schmiede,  Zimmerleute 
und  Kohlenträger  beschäftigt,  obwohl  alle  ursprünglich  nur  auf  neun  Monate 
Dienste  genommen  hatten. 

Stand  ein  Mann  einmal  auf  der  Kompagnieliste,  so  wurde  er  bis  in  alle 
Ewigkeit  als  Glied  derselben  geführt,  er  mußte  denn  vor  den  Augen  des  Haupt- 
manns desertiert  oder  gestorben  sein.  Auf  Grund  dieser  Listen  wurden  aber 
die  Stärke  der  Armee  berechnet  und  Löhnung  und  Proviant  ausgeteilt.  Die 
Soldaten  waren  nach  allen  Richtungen  hin  verstreut.  Man  hätte  die  Armee  als 
eine  Erziehungsanstalt  für  Bediente  betrachten  können,  denn  jeder  hielt  es  für 
sein  Recht,  wenigstens  einen  Bedienten  zu  haben.  Wir  hatten  mehr  Kommissare 
und  Quartiermeister,  als  alle  Armeen  Europas  zusammengenommen.  Der  be- 
scheidenste derselben  besaß  nur  einen  Burschen,  andere  verfügten  über  zwei, 
viele  sogar  über  drei. 

Ein  Ding  wie  militärische  Disziplin  existierte  nicht.  Kein  Regiment  war 
regelmäßig  formiert.  Das  eine  hatte  drei,  andere  fünf,  acht  oder  neun  Glieder; 
das  canadische  Regim.ent  besaß  deren  sogar  einundzwanzig. 

Jeder  Oberst  hatte  sein  eignes  Exerziersystem  bei  sich  eingeführt;  der 
eine  bediente  sich  des  englischen,  der  andere  des  französischen,  der  dritte  des 
preußischen.  Nur  in  einem  Punkt  herrschte  Einheit,  und  das  war  die  Art  des 
Marschierens  bei  Manövern  und  auf  dem  Marsch:  sie  bedienten  sich  alle  des 
Reihenmarsches  der  Indianer. 

Urlaub  und  Abschied  wurden  ohne  jede  Anfrage  bei  den  höheren  Vor- 


—     230     — 

gesetzten  bewilligt.  Befanden  sich  die  Truppen  im  Lager,  so  blieben  die  Offi- 
ziere nicht  bei  ihnen,  sondern  wohnten  in  oft  mehreren  Meilen  weit  entfernten 
Quartieren.  Während  des  Winters  gingen  die  Offiziere  meist  nach  Hause.  Oft 
waren  ihrer  nicht  mehr  als  vier  beim  Regiment.  Sie  glaubten,  daß  ihre  einzige 
Pflicht  darin  bestehe,  auf  Wache  zu  ziehen  und  sich  im  Kampf  an  die  Spitze  der 
Soldaten  zu  stellen. 

Der  amerikanische  Soldat  kannte  seine  Waffe  gar  nicht,  hatte  deshalb  kein 
Vertrauen  zu  ihr  und  benutzte  das  Bajonett  höchstens  dazu,  um  sein  Beefsteak 
daran  zu  braten.  Den  Anzug  der  Truppen  kann  ich  am  leichtesten  beschreiben, 
denn  sie  waren  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  fast  nackend.  Die  wenigen 
Offiziere,  welche  überhaupt  Röcke  besaßen,  hatten  solche  von  beliebiger  Farbe 
und  jedem  Schnitt.  Bei  einer  großen  Parade  sah  ich  Offiziere  in  Schlafröcken, 
die  aus  alten  wollenen  Decken  oder  Bettüberzügen  gemacht  waren. 

Daß  es  etwas  wie  die  innere  Verwaltung  eines  Regiments  gebe,  war  allen 
unbekannt.  Infolgedessen  herrschte  überall  die  denkbar  größte  Unordnung, 
ohne  daß  für  die  aufgewendeten  großen  Mittel  irgendwo  entsprechende  Ergeb- 
nisse zu  sehen  gewesen  wären. 

So  wenig  die  Offiziere  über  die  Zahl  ihrer  Leute  Rechenschaft  ablegen 
konnten,  ebensowenig  vermochten  sie  dies  über  deren  Waffen,  Munition  und 
Ausrüstung.  Niemand  führte  Buch  oder  Rechnung,  außer  den  die  verschie- 
denen Artikel  herbeischaffenden  Lieferanten." 

Durch  das  Dulden  solcher  Zustände  waren  der  Korruption  alle  Tore  ge- 
öffnet worden.  Zumal  da  die  Kommissare  und  Quartiermeister  von  sämtlichen 
durch  sie  verausgabten  Geldern  Prozente  empfingen.  Um  ihre  Einnahmen  zu 
erhöhen,  ordneten  sie  tausenderlei  verschiedene  Anschaffungen  an,  die  man  gar 
nicht  benötigte.  Ferner  sah  man  beim  Erteilen  der  Aufträge  nicht  etwa  darauf, 
die  besten  und  zweckmäßigsten  Dinge  zu  erlangen,  sondern  man  bestellte  die 
teuersten.  Obendrein  war  es  jedem  Soldaten  erlaubt,  nach  Ablauf  seiner  neun 
Monate  dauernden  Dienstzeit  sowohl  die  Liniform  wie  auch  die  Waffen  und 
anderen  von  ihm  gebrauchten  Gegenstände  mit  nach  Hause  zu  nehmen.  Da 
die  an  ihre  Stelle  tretenden  frischen  Truppen  neu  ausgerüstet  v/erden  mußten, 
so  erwuchsen  dadurch  unnütze  Kosten,  die  alljährlich  viele  Millionen  Dollar 
betrugen. 

So  erklären  sich  die  fürchterlichen  Geldnöte,  mit  denen  der  Kongreß 
immerfort  kämpfen  mußte,  und  welchen  er  durch  Verausgabung  von  Papiergeld 
zu  steuern  suchte.  Die  hinterlistigen  Briten  benutzten  aber  auch  diesen  Um- 
stand, um  den  Amerikanern  Schwierigkeiten  zu  verursachen.  Sie  ließen  die 
vom  Kongreß  verausgabten  Noten  nachahmen,  setzten  ungeheure  Mengen 
dieser  Fälschungen  in  Umlauf  und  brachten  dadurch  das  Papiergeld  in  solchen 
Mißkredit,  daß  jedermann  sich  scheute,  es  anzunehmen.  Die  so  bewirkte  Ent- 
wertung des  Papiergeldes  nahm  so  großen  Umfang  an,  daß  40  Papierdollar 
nötig  waren,  um  einen  Silberdollar  zu  kaufen.  Man  verlangte  400  bis  600  Dollar 


—    231     — 

für  ein  Paar  Stiefel,  und  der  Monatssold  eines  Soldaten  reichte  gerade  hin,  um 
die  Kosten  eines  Mittagsmahls  zu  decken. 

Wenn  wir  dieser  Tatsachen  gedenicen,  so  geschieht  es,  um  zu  zeigen,  daß 


Friedrich  Wilhelm  von  Steubcn,  der  Gencralinspektor  der  amerikanischen  Armee. 

Freiherr  von  Steubcn,  als  er  sich  in  den  Dienst  der  Vereinigten  Staaten  stellte, 
keineswegs  ein  nach  Gold  und  Orden  lüsterner  Landsknecht  war.  Beides  war 
in  Amerika  nicht  zu  holen.  Im  Gegenteil  mußten  die  dort  obwaltenden 
trübseligen  Zustände  jeden  kalt  berechnenden  Glücksritter  unbedingt  ab- 
schrecken. 


—     232     — 

Vom  Kongreß  zum  Generalinspektor  der  Armee  ernannt  und  nach  seiner 
Ankunft  im  Lager  von  George  Washington  mit  aufrichtiger  Freude  begrüßt, 
begann  Steuben  sofort  eine  vielseitige  Tätigkeit.  Es  galt  nicht  nur,  die  ganze 
Armeeverwaltung  zu  ordnen,  sondern  auch  die  Mannschaften  an  regelmäßige 
Übungen,  an  das  Fechten  und  Manövrieren  in  größeren  geschlossenen  Ab- 
teilungen zu  gewöhnen,  da  man  sonst  weder  an  das  Eingehen  von  Feld- 
schlachten denken,  noch  auf  entscheidende  Siege  hoffen  durfte. 

Es  war  keine  geringe  Aufgabe,  die  in  völliger  Freiheit  großgewordenen, 
bestimmten  Regeln  oder  gar  Befehlen  nie  unterworfen  gewesenen  Hinterwäldler 
an  Disziplin  und  Subordination  zu  gewöhnen.  Solche  ohne  weiteres  im  ganzen 
Heer  einzuführen,  war  rein  unmöglich.  Deshalb  beschränkte  Steuben  sich  in 
kluger  Weise  zunächst  darauf,  aus  120  der  besten  Soldaten  eine  Lehrabteilung 
zusammenzustellen,  die  gleichzeitig  eine  Stabswache  für  Washington  abgeben 
sollte.  Nachdem  er  dafür  gesorgt,  daß  diese  Leute  gleichmäßige  Uniformen 
und  Waffen  erhalten  und  dadurch  ein  wirklich  militärisches  Aussehen  erlangt 
hatten,  exerzierte  Steuben  sie  persönlich  zweimal  täglich  in  Gegenwart  sämt- 
licher Offiziere  ein.  Von  leichten  Übungen  schritt  er  allmählich  zu  schwierigen, 
bis  sie  endlich  mit  allen  jenen  Bewegungen  vertraut  waren,  die  der  damaligen 
preußischen  Armee  zu  so  überraschenden  Siegen  verholfen  hatten. 

Für  die  zuschauenden  Offiziere  und  Mannschaften  bildeten  diese  Übungen 
eine  Quelle  des  Staunens.  Sie  begriffen  ihre  Wichtigkeit,  als  sie  nunmehr  den 
Verlust  mancher  verlorenen  Schlacht  auf  die  Unkenntnis  dieser  oder  jener  not- 
wendigen Bewegung  zurückführen  konnten.  Und  das  sich  ihnen  darbietende 
Schauspiel  fesselte  um  so  mehr,  als  es  auch  an  gelegentlichen  humoristischen 
Begebenheiten  nicht  fehlte.  Besonders  wenn  der  nur  gebrochen  Englisch 
sprechende  Steuben  über  den  schlechten  Gang  einer  Übung  in  Zorn  geriet  und 
in  einem  Gemisch  von  Englisch,  Deutsch  und  Französisch  zu  fluchen  begann. 
Bemerkte  er  dann,  daß  die  Soldaten  dieses  Kauderwelsch  nicht  verstanden,  so 
rief  er  die  Hilfe  seines  Adjutanten  Walker  an:  „Viens,  mon  ami  Walker,  come 
and  swear  for  me  in  EngHsh  —  je  ne  puis  plus  —  I  can  curse  them  no  more 
—  dese  fellows  will  not  do  what  I  bid  them!" 

Obwohl  bei  solchen  drolligen  Szenen  manche  das  Lachen  kaum  verbeißen 
konnten,  so  bestrebten  sich  doch  alle,  die  erteilten  Befehle  gewissenhaft  zu  er- 
füllen. Und  so  wurde  die  Armee  allgemach  von  einem  anderen,  nie  zuvor  ge- 
kannten Geist  belebt. 

Wie  die  Offiziere  Steubens  Bemühungen  auffaßten  und  beurteilten,  ergibt 
sich  aus  folgendem  Brief  des  Generals  Scammel  an  Sullivan:  „Baron  Steuben 
geht  uns  mit  einem  wahrhaft  edlen  Beispiel  voran.  Er  bewährt  sich  in  allem, 
von  den  großen  Manövern  an  bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten  des  Dienstes  als 
vollendeter  Meister.  Offiziere  und  Soldaten  bewundern  gleichmäßig  einen  so 
ausgezeichneten  Mann,  der  unter  dem  großen  preußischen  Monarchen  eine  her- 
vorragende Stellung  einnahm,  und  sich  jetzt  trotzdem  mit  einer  nur  ihm  eignen 
Würde  herabläßt,  selbst  einen  Haufen  von  zehn  bis  zwölf  Mann  als  Exerzier- 


—     233     — 

meister  einzuüben.     Unter  seiner  Leitung  machen  Disziplin  und  Ordnung  in 
der  Armee  ganz  außerordentlictie  Fortschritte." 

Diese  Fortschritte  nahmen  ein  um  so  lebhafteres  Tempo  an,  als  Steuben 
die  Soldaten  seiner  Lehrabteilung  anderen  Truppenkörpern  als  Exerziermeister 
zuteilte.  Infolge  dieser  Anordnung  war  es  bald  möglich,  zu  schwierigen 
Übungen  zu  schreiten.  Ja,  man  war  imstande,  als  im  Mai  1778  die  Freuden- 
botschaft des  zwischen  Frankreich  und  den  Vereinigten  Staaten  geschlossenen 
Bündnisses  im  Lager  eintraf,  das  wichtige  Ereignis  durch  ein  großes  Manöver 
zu  feiern.  Es  verlief  so  erfolgreich,  daß  Washington  gelegentlich  des  am  Abend 
veranstalteten  Festmahls  darüber  seine  höchste  Freude  ausdrückte  und 
Steuben  ein  Handschreiben  übergab,  das  dessen  Ernennung  zum  General- 
major enthielt. 

War  das  Einüben  der  Truppen  mit  vielen  Schwierigkeiten  verknüpft,  so 
verlangte  das  Durchführen  einer  tüchtigen  Verwaltung  der  Armee  noch  weit 
größere  Hingabe.  Ganze  Augiasställe  der  Korruption  mußten  gesäubert 
werden,  wobei  man  sich  nicht  scheuen  durfte,  die  durch  Unkenntnis  oder  Selbst- 
sucht verursachten  Mißstände  rücksichtslos  aufzudecken.  Aber  auch  hier  zeigte 
Steuben  sich  als  der  rechte  Mann,  indem  er  für  alle  Zweige  der  Verwaltung 
Vorschriften  erließ,  wie  nur  eine  damit  völlig  vertraute  Person  solche  zu  geben 
vermochte. 

Um  sicher  zu  sein,  daß  diese  Vorschriften  auch  befolgt  würden,  inspiziene 
Steuben  von  Zeit  zu  Zeit  jede  Abteilung  der  Verwaltung  und  jedes  einzelne 
Regiment.  Wie  sorgfältig  er  dabei  verfuhr,  ersehen  wnr  aus  einer  Mitteilung 
seines  Adjutanten  William  North,  welcher  nach  Steubens  Tode  schrieb:  „Ich 
war  eines  Tages  Zeuge,  wie  Steuben  und  seine  Assistenten  eine  drei  Regimenter 
umfassende  Brigade  sieben  volle  Stunden  lang  inspizierten.  Über  jeden  ab- 
wesenden Mann  wurde  Auskunft  verlangt.  Jede  Muskete  wurde  nachgesehen, 
jede  Patronentasche  geöffnet  und  sogar  die  Patronen  und  Feuersteine  gezählt. 
Dann  mußten  die  Tornister  abgelegt  und  ihr  Inhalt  auf  einer  Decke  ausgebreitet 
und  mit  dem  Verzeichnis  des  Notizbuches  verglichen  werden,  um  zu  sehen,  ob 
das  von  den  Vereinigten  Staaten  Gelieferte  noch  vorhanden  sei,  und  wenn  nicht, 
wohin  es  gekommen.  Hospitalvorräte,  Laboratorien,  kurz  alles,  mußte  der  In- 
spektion offenstehen.  Da  wurde  manchem  Offizier  bange,  wenn  er  über  Ver- 
luste oder  Ausgaben  nicht  genaue  Rechenschaft  ablegen  konnte.  Diese  monat- 
lich wiederkehrenden  Inspektionen  hatten  eine  wunderbare  Wirkung,  nicht  allein 
auf  die  Ökonomie,  sondern  auch  auf  den  Wetteifer,  den  sie  unter  den  verschie- 
denen Korps  anfachten.'' 

Trotz  dieser  im  amerikanischen  Heer  bislang  unbekannten  Strenge  und 
Genauigkeit  errang  Steuben  sich  bald  die  Liebe  und  Zuneigung  sämtlicher 
Offiziere  und  Soldaten.  Denn  tagtäglich  sahen  sie,  daß  der  General  selbst  sich 
in  allen  Dingen  der  größten  Gewissenhaftigkeit  und  Pünktlichkeit  befleißigte 
und  besonders  darüber  wachte,  daß  sowohl  die  diensttauglichen  Soldaten  wie 
die  in  den  Krankenhäusern  befindlichen  gute  Pflege  erhielten. 


—     234     — 

Der  gewaltige  Umschwung,  der  überall  ersichtlich  wurde,  veranlaßte 
Washington,  an  den  Kongreß  zu  berichten:  „Ich  würde  unrecht  handeln,  wollte 
ich  über  die  hohen  Verdienste  des  Freiherrn  von  Steuben  länger  schweigen. 
Seine  Tüchtigkeit  und  Kenntnisse,  der  unermüdliche  Eifer,  den  er  seit  seinem 
Antritt  entwickelte,  lassen  ihn  als  einen  bedeutenden  Gewinn  für  das  Heer  er- 
scheinen." 

Und  als  im  Frühling  das  Heer  zu  neuen  Kämpfen  ausrückte,  da  traten 
bald  auch  die  günstigen  Wirkungen  der  von  Steuben  angeordneten  Übungen 
hervor.  Zunächst  in  den  beiden  Treffen  bei  Barren  Füll  und  Stony  Point.  Noch 
mehr  in  der  Schlacht  bei  Monmouth,  die  ohne  Steuben  s  Dazutun  zweifellos 
mit  einer  schweren  Niederlage  der  Amerikaner  geendet  haben  würde. 

Der  Verlauf  dieser  Schlacht  war  folgender:  Die  Nachricht,  daß  Frank- 
reich eine  starke  Flotte  abgeschickt  habe,  um  den  Vereinigten  Staaten  zu  Hilfe 
zu  kommen,  hatte  die  Briten  veranlaßt,  die  bisher  besetzt  gehaltene  Stadt  Phila- 
delphia zu  räumen,  um  sich  nach  New  York  zurückzuziehen.  17  000  Mann 
stark,  überschritten  sie  am  18.  Juni  den  Delaware.  Um  den  Abziehenden  mög- 
lichst große  Verluste  zuzufügen,  befahl  Washington  dem  die  Vorhut  des  amerika- 
nischen Heeres  befehligenden  General  Lee,  den  Feinden  bei  Monmouth  in  den 
Rücken  zu  fallen  und  sie  zu  einer  Schlacht  zu  nötigen.  Lee  aber,  welcher  schon 
damals  jene  hochverräterischen  Umtriebe  im  Sinne  trug,  wegen  welcher  er  später 
vor  ein  Kriegsgericht  gestellt  wurde,  erfüllte  seinen  Auftrag  so  unbefriedigend 
und  langsam,  daß  den  Briten  Zeit  blieb,  sich  nicht  nur  für  den  Kampf  vorzu- 
bereiten, sondern  sogar  zum  Angriff  auf  die  Verfolger  überzugehen.  Da  Lee 
obendrein  seine  Offiziere  durch  allerhand  Befehle  und  Gegenbefehle  in  Ver- 
wirrung setzte  und  den  linken  Flügel  durch  völlig  verkehrte  Maßnahmen 
schwächte,  so  errangen  die  mächtig  vordringenden  Briten  bald  solche  Vor- 
teile, daß  die  Amerikaner  sich  zum  Rückzug  genötigt  sahen.  Derselbe  drohte 
in  Flucht  auszuarten,  als  Washington,  durch  von  Lees  Offizieren  abgesandte 
Stafettenreiter  herbeigerufen,  persönlich  auf  dem  Kampfplatz  erschien.  Mit  ihm 
kam  von  Steuben.  Washington  befahl  ihm,  bevor  er  sich  mit  seinen  eignen 
Leuten  ins  Kampfgewühl  stürzte,  die  zurückweichenden  Scharen  Lees  hinter 
der  Schlachtlinie  zu  sammeln  und  ihm  dann  wieder  zuzuführen.  Gelang  dies, 
so  konnte  der  Tag  noch  günstig  für  die  Amerikaner  enden. 

Steuben  löste  die  Aufgabe  mit  so  vollendetem  Geschick,  daß  er  bald  dar- 
auf drei  Brigaden  ins  Feuer  senden  konnte,  wodurch  Washington  imstande  war, 
das  Schlachtfeld  zu  behaupten.  Als  die  Nacht  dem  Kampf  ein  Ende  machte, 
biwakierten  die  Amerikaner  auf  dem  Schlachtfelde  unter  den  Waffen.  Die 
Briten  hingegen  verließen  in  der  Dunkelheit  ihre  Positionen,  um  den  Rückzug 
nach  New  York  fortzusetzen. 

Ein  Augenzeuge,  Oberst  Alexander  Hamilton,  welcher  Steuben  beob- 
achtete, als  dieser  die  versprengten  Scharen  Lees  sammelte,  erklärte,  erst  bei 
dieser  Gelegenheit  habe  er  die  alles  überwiegende  Bedeutung  militärischer 
Disziplin  und  Manneszucht  erkennen  lernen.     Hatten  diese  Eigenschaften  den 


—    235 


REGULATIONS 


fOR  THE 


Tag  für  die  Amerikaner  zweifellos  gerettet,  so  bestand  der  Haupterfolg  aber 
darin,  daß  die  amerikanische  Armee  nunmehr  von  dem  Bewußtsein  erfüllt  war, 
den  Briten  auch  in  der  Feldschlacht  gleichwertig  zu  sein. 

Als  der  Winter  von  1778  auf  1779  die  gewohnte  Ruhe  in  den  Kämpfen 
brachte,  benutzte  von  Steuben  diese  Zeit  zum  Ausarbeiten  von  Vorschriften, 
durch  welche  die  Verwaltung  und  Disziplin  des  amerikanischen  Heeres  zum 
erstenmal  gleichmäßig  festgestellt  wurde.  Selbstverständlich  lagen  diesem 
Reglement,  dem  ersten, welches  für  eine 
amerikanische  Armee  festgestellt  wurde, 
jene  Vorschriften  zugrunde,  die  im  preußi- 
schen Heer  eingeführt  waren  und  sich 
dort  bewährt  hatten.  Dabei  war  aber 
auf  die  gänzlich  anders  gearteten  Ver- 
hältnisse Amerikas  überall  Rücksicht  ge- 
nommen. 

Die  25  Abschnitte  dieses  im  Felde 
unter  außerordentlichen  Schwierigkeiten 
entstandenen  Buches  bildeten  die  Richt- 
schnur für  die  Zusammensetzung  der 
verschiedenen  Truppengattungen,  ihre 
Bewaffnung,  Exerzitien  und  Marsch- 
weisen. Ferner  gaben  sie  Anleitungen 
über  das  Aufschlagen  der  Lager,  das 
Behandeln  und  In  standhalten  der  Aus- 
rüstung, das  Aufstellen  und  Bedienen 
der  Kanonen.  Desgleichen  fanden  der 
Wachtdienst,  das  Signalwesen,  die  Ver- 
waltung und  Inspektion,  die  Veranstal- 
tung von  Revuen  und  Manövern,  sowie 
die  Behandlung  der  Verwundeten  und 
Kranken  eingehende  Berücksichtigung. 
Für  manche  Jahrzehnte  blieben 
die  Vorschriften  in  Kraft.  Erst  als  die 
Verbesserung  der  Waffen  auch  gründliche  Änderungen  in  der  Kampfart  herbei- 
führte, setzte  man  an  Stelle  der  von  Steuben  verfaßten  Vorschriften  neue,  die 
den  veränderten  Verhältnissen  entsprachen. 

Daß  Steuben  beim  Verfassen  seines  Werkes  nicht  am  Alten  klebte  oder 
die  Reglements  der  preußischen  Armee  kopierte,  geht  daraus  hervor,  daß  er 
eine  in  Europa  bisher  ganz  unbekannte  Truppengattung,  die  leichte  Infanterie, 
ins  Leben  rief.  Sie  war  in  Amerika  um  so  mehr  am  Platz,  als  die  Ansiedler  in 
ihren  Scharmützeln  mit  den  Indianern  sich  an  die  zerstreute  Kampfweise,  wo 
jeder  einzelne  unabhängig  von  den  andern  focht,  gewöhnt  hatten.  Sie  ent- 
sprach auch  durchaus  der  Beschaffenheit  des  mit  ungeheuren  Wäldern  erfüllten 


ORDER   AND  DISCIPLINE 

OF  THE 

TROOPS  OF  THE  UNITED  STATES, 

By  BARON    DE   STUBEN, 

TO  WHiCHARE  PREFIXED  THE 

LAW^S  AND  REGULATIONS 

FOR 

GOVERNING  and  DISCIPLINING 
The  MILITIA  of  t  h  e  UNITED  STATES. 

AND  THE 

LAWStorFORMINGandREGULATING 

THE 
MILITIA  OF  TBE  STATE  of  NEW  HAMPSHIRE. 


PUBL16HED   BV    ORDER     ÖF    THL    HOX.    CfNERAL-COURT 
O»    Tat    STATE     Ol     N[W-HAMPSH1»E. 


PORTSMOUTH: 
PaiNitD  BY  J.  MELCHIR,  miNTEK  to  thb  state  of 

HE  W-HAMFiHIRE,   I794. 

Titelblatt  von  Steubens  „Regulations". 


—     236     — 

Landes,  in  dem  freie  Ebenen,  auf  denen,  wie  in  Europa,  große  geschlossene 
Truppenmassen  sich  bewegen  konnten,  zu  den  Seltenheiten  gehörten. 

Die  von  Steuben  geschaffene  leichte  Infanterie,  die  sich  allen  vorkommen- 
den Terrainschwierigkeiten  sofort  anpaßte,  bewährte  sich  im  amerikanischen 
Freiheitskrieg  so  vorzüglich,  daß  sie  später  auch  in  allen  europäischen  Heeren 
Eingang  fand.  Vornehmlich  war  es  der  alle  Einzelheiten  des  Unabhängigkeits- 
kampfes sorgfältig  studierende  Friedrich  der  Große,  der  den  unbestreitbaren 
Wert  der  leichten  Infanterie  erkannte,  sie  für  sein  Heer  adoptierte  und  mit  ihr 
große  Erfolge  erzielte. 

Im  Kriegsrat  Washingtons  war  Freiherr  von  Steuben  wohl  die  maß- 
gebendste Person.  Aus  seinen  im  Besitz  der  Historischen  Gesellschaft  zu  New 
York  befindlichen  Handschriften  ist  ersichtlich,  daß  Washington  ihn  vor  Be- 
ginn der  einzelnen  Feldzüge  um  Vorschläge  ersuchte,  wie  nach  seinem  Er- 
messen die  Aktionen  zu  gestalten  seien  Diese  Pläne  brachte  Steuben  sorg- 
fältig zu  Papier  und  sie  dienten  Washington  fast  stets  als  Richtschnur. 

Obwohl  Steubens  Tätigkeit  der  Hauptsache  nach  geistiger  Art  war,  so 
ist  es  verständlich,  daß  er  den  Wunsch  hegte,  sich  auch  aktiv  am  Feldzug 
zu  beteiligen  und  dadurch  größeren  Ruhm  zu  erwerben.  Er  wollte  nicht  bloß 
der  Exerziermeister  der  Truppen  sein,  sondern  sie  auch  persönlich  im  Feuer 
erproben.  Diesem  durchaus  berechtigten  Wunsch  entsprach  Washington,  in- 
dem er  Steuben  mehrmals  den  Befehl  über  größere  Heerkörper  übertrug.  Diese 
standen  meist  in  den  südlichen  Kolonien.  Aber  es  wollte  dem  wackeren  General 
nicht  gelingen,  den  weit  überlegenen  und  besser  verpflegten  feindlichen  Heeren 
größere  Siege  abzugewinnen.  Manche  seiner  Maßnahmen  wurden  auch  durch 
die  Eifersucht  einzelner,  von  krankhaftem  Ehrgeiz  beseelten  Generale  vereitelt, 
die  den  führende  Stellen  einnehmenden  fremdgeborenen  Offizieren  gar  oft  die 
größten  Schwierigkeiten  bereiteten  und  sie  dadurch  um  die  möglichen  Erfolge 
betrogen. 

Im  Jahre  1781  sollte  Steuben  aber  noch  einen  besonderen  Triumph  er- 
leben. Das  von  General  Cornwallis  befehligte  engHsche  Flauptheer  hatte  sich, 
von  allen  Seiten  bedrängt,  in  die  Festung  Yorktown  in  Virginien  zurückziehen 
müssen.  Hier  wurde  es  von  den  schnell  herbeieilenden  amerikanischen  und 
französischen  Armeen  eingeschlossen.  In  der  Überzeugung,  daß  der  seit 
Jahren  ersehnte  Entscheidungskampf  des  ganzen  Feldzugs  hier  endlich  aus- 
gefochten  werden  müsse,  und  von  dem  Wunsch  getrieben,  diese  Entscheidung 
mit  herbeizuführen,  suchte  Steuben  um  ein  regelrechtes  Kommando  nach.  Ohne 
Zögern  übertrug  Washington  ihm  ein  solches,  zumal  außer  Steuben  kein  General 
des  amerikanischen  Heeres  jemals  an  der  Belagerung  einer  Festung  teilgenom- 
men hatte.  Steuben  hingegen  hatte  unter  Friedrich  dem  Großen  während  der 
Belagerung  der  Festung  Schweidnitz  wertvolle  Erfahrungen  gesammelt.  Den 
von  Pennsylvanien,  Maryland  und  Virginien  gestellten  Truppen  vorgesetzt, 
bildete  von  Steuben  nun  mit  diesem  Heerkörper  das  Zentrum  der  Belagerungs- 
armee. 


—     237     — 

Man  behauptet,  daß  Steuben  auch  die  Pläne  zu  den  Belagerungsarbeiten 
entworfen  habe.  Wenngleich  alle  Gründe  für  diese  Behauptung  sprechen,  so 
läßt  sich  ihre  Richtigkeit  aber  nicht  mit  voller  Sicherheit  nachweisen,  da  im 
Jahre  1800  ein  im  Kriegsministerium  zu  Washington  ausgebrochener  Brand 
alle  den  Freiheitskrieg  betreffenden  Urkunden  verzehrte. 

Geschichtliche  Tatsache  ist  es  aber,  daß  am  17.  Oktober,  dem  Tage,  wo 
über  den  Wällen  der  Festung  die  weiße  Flagge  als  Zeichen  der  Unterwerfung 
emporstieg,  Steuben  den  Oberbefehl  über  die  Belagerungsarmee  führte  und  mit 
seinen  Streitkräften  in  den  am  weitesten  vorgeschobenen  Gräben  stand. 

Die  Verhandlungen  über  die  Bedingungen  der  Übergabe  waren  noch 
nicht  geschlossen,  als  der  ebenfalls  in  der  amerikanischen  Armee  dienende  Mar- 
quis de  Lafayette  mit  seinen  Mannschaften  kam,  um  von  Steuben  im  Kom>- 
mando  abzulösen.  Fr  hoffte,  daß  darm  ihm  die  Fhre  zuteil  werde,  die  Ver- 
handlungen betreffs  der  Übergabe  der  Festung  abzuschließen.  Aber  zur  großen 
Enttäuschung  der  Franzosen  lehnte  Steuben  die  Ablösung  ab,  indem  er  sich 
darauf  berief,  daß  es  in  allen  europäischen  Heeren  Brauch  sei,  denjenigen 
Offizier,  der  vom  Feinde  die  Anzeige  seiner  Unterwerfung  entgegengenommen 
habe,  auch  bis  zum  Schluß  der  Verhandlungen  auf  seinem  Posten  zu 
belassen. 

Lafayette  legte  dagegen  zwar  bei  Washington  Verwahrung  ein,  dieser 
aber  stimmte  Steuben  bei.  Und  so  fügte  es  sich,  daß  der  Oberbefehlshaber 
des  letzten  großen  englischen  Heeres  im  amerikanischen  Freiheitskriege  seine 
Kapitulation  einem  Deutschen  einhändigte. 

Steubens  Truppen  zogen  auch  am  19.  Oktober  als  erste  in  die  gefallene 
Festung  ein.  Mit  ihnen  kamen  die  das  französische  Hilfsheer  repräsentierenden 
Pfälzer  des  Regiments  Zweibrücken.  Während  diese  das  französische  Banner 
hißten,  entfalteten  Steubens  Truppen  das  stolze  Banner  der  sieggekrönten  Ver- 
einigten Staaten  von  Amerika. 

In  seinem  am  folgenden  Morgen  verlesenen  Armeebefahl  hob  Washington 
her\'^or,  daß  dem  wackren  Steuben  ein  großer  Anteil  an  dem  errungenen  Siege 
gebühre.  Ebenso  gedachte  er,  als  nach  geschlossenem  Frieden  die  Verabschie- 
dung des  Heeres  erfolgte,  in  einem  besonderen  Handschreiben  der  außer- 
ordentlichen Verdienste,  die  der  General  sowohl  der  amerikanischen  Armee  wie 
dem  Land  geleistet  habe. 

Auch  die  Bürger  des  Landes  wollten  mit  Beweisen  ihrer  Dankbarkeit 
nicht  zurückstehen.  Die  Staaten  New  York,  New  Jersey,  Pennsylvanien 
und  Virginien  verliehen  ihm  das  Ehrenbürgerrecht  und  verbanden  mit  dieser 
Auszeichnung  sehr  beträchtliche  Landschenkungen.  Jene  des  Staates  New  York 
umfaßte  16  000  Acker,  die  man  zw  einem  besonderen,  mit  Steubens  Namen  ge- 
tauften Bezirk  erhob. 

Zu  solchen  Anerkennungen  war  von  Steuben  um  so  mehr  berechtigt,  als 
er  durch  seine  Intelligenz  und  rastlose  Tätigkeit  die  amerikanische  Armee  erst 


—     238     — 

in  den  Stand  gesetzt  hatte,  wirkliche  Schlachten  zu  schlagen  und  Siege  zu  ge- 
winnen. War  der  edle  George  Washington  der  treibende  Geist,  die  Seele  der 
großen  Freiheitsbewegung,  so  war  Steuben  zweifellos  die  Kraft,  die  diesem 
Geist  die  geeigneten  Mittel  zum  Dreinschlagen  und  Siegen  heferte.  Deshalb 
zögern  klarblickende  Geschichtsschreiber  auch  nicht,  Steuben  als  die  wert- 
vollste Hilfe  zu  bezeichnen,  die  den  um  ihre  Freiheit  ringenden  Amerikanern 
aus  Europa  zuteil  wurde. 

Der  Kongreß  der  Vereinigten  Staaten  hielt  Steubens  Dienste  für  zu  wich- 
tig, um  bei  der  Auflösung  der  Armee  auch  ihn  zu  verabschieden.  Man  ahnte 
voraus,  daß  die  Zukunft  dem  Lande  noch  schwere  Reibungen  mit  England  oder 
anderen  europäischen  Reichen  bringen  müsse,  weshalb  die  Errichtung  eines 
stehenden  Heeres  sowie  die  Gründung  einer  Militärakademie,  wo  die  künftigen 
Heerführer  eine  sorgfältige  Schulung  erhalten  könnten,  unerläßliche  Notwendig- 
keiten seien.  Im  Auftrag  der  Regierung  arbeitete  Steuben  sorgfältige  Vor- 
schläge für  beide  Einrichtungen  aus.  Im  Gegensatz  zu  zahlreichen  hochge- 
stellten Personen,  die  von  einem  stehenden  Heer  nichts  wissen  wollten,  weil 
diese  Einrichtung  den  demokratischen  Grundsätzen  einer  Republik  gefährUcn 
werden  könne,  betonte  Steuben  mit  allem  Nachdruck,  daß  jeder  Bürger  einer 
Republik  im  Gebrauch  der  Waffen  geübt  und  für  die  Verteidigung  des  Landes 
bereit  sein  müsse.  Deshalb  schlug  er  die  Bildung  eines  25  000  Mann  starken 
stehenden  Heeres  vor,  das  aus  21  000  Milizsoldaten,  3000  Bundestruppen  und 
1000  Kanonieren  und  Pionieren  zusammengesetzt  werden  solle. 

Dieser  Vorschlag  fand  nicht  nur  den  Beifall  Washingtons,  sondern  auch 
die  Genehmigung  des  Kongresses.  Desgleichen  stimmte  man  Steubens  Plänen 
für  eine  Militärschule  zu.  Es  ist  die  berühmte  Akademie  zu  Westpoint  am 
Hudson,  die  den  Vereinigten  Staaten  bereits  viele  bewährte  Kriegsmänner 
lieferte. 

Zum  lebhaften  Bedauern  aller  patriotisch  gesinnten  Amerikaner  ließ 
Steuben  sich  bald  darauf  durch  ein  Vorkommnis  bestimmen,  um  seine  Ent- 
lassung einzukommen.  Der  Beweggrund  war  folgender:  Als  im  Jahre  1784 
der  damalige  Kriegsminister  Lincoln  abdankte,  bewarb  Steuben  sich  um  dessen 
Stelle,  in  der  Hoffnung,  hier  dem  Lande  weiter  nützlich  sein  zu  können.  Eine 
den  viel  jüngeren  General  Knox  begünstigende  Gruppe  von  politischen  Draht- 
ziehern, die  ihren  Mann  ins  Amt  bringen  wollte,  erhob  aber  gegen  Steuben  den 
Einwand,  derselbe  sei  ein  „Ausländer'',  und  es  wäre  gefährlich,  einem  solchen 
einen  so  wichtigen  Posten  anzuvertrauen. 

Als  auf  diesen  fadenscheinigen  Grund  hin  Knox  das  Amt  tatsächlich  er- 
hielt, faßte  Steuben  diese  Bevorzugung  eines  im  Inland  Geborenen  gegenüber 
einem  aus  vollster  Überzeugung  zum  Amerikaner  Gewordenen  als  eine  Be- 
leidigung, als  eine  Anzweiflung  seiner  so  oft  bewiesenen  Hingabe  für  die  Inter- 
essen der  Republik  auf.  Er  unterbreitete  deshalb  am  24.  März  des  genannten 
Jahres  dem  Kongreß  sein  Entlassungsgesuch,  das  am  15.  April  unter  Verleihung 
eines  goldenen  'Ehrendegens  genehmigt  wurde. 


—    239     — 

Leider  erlebte  der  wackre  Soldat  auch  an  seinem  Lebensabend  noch 
mancherlei  Verdrießlichkeiten.  Während  der  f  eldzüge  hatte  er,  da  der  stets 
von  Geldverlegenheiten  bedrängte  Kongreß  seinen  Verpflichtungen  betreffs  des 
Steuben  zugesicherten  Gehaltes  nur  ungenügend  nachkommen  konnte,  einen  be- 
deutenden Teil  sowohl  des  eignen  Unterhalts  wie  der  Kosten  seines  Stabs  aus 
eigenen  Mitteln  bestritten.  Steubens  Guthaben  an  den  Kongreß  belief  sich  zu 
Ende  des  Krieges  auf  70  000  Dollar. 

Ehe  der  Kongreß  an  die  Erfüllung  dieser  Verpflichtungen  schritt,  ver- 
strichen sieben  lange  Jahre.  Inzwischen  waren  andere,  mit  den  tatsächlichen 
Verhältnissen  wenig  vertraute  Männer  ans  Ruder  gekommen,  welche  die  Forde- 
rungen der  von  ihnen  begünstigten  Generale  vorschoben  und,  um  Steubens 
Ansprüche  nicht  bewilligen  zu  müssen,  die  Rechtskraft  des  zwischen  dem  früheren 
Kongreß  und  Steuben  geschlossenen  Vertrags  anzweifeln  wollten.  In  heller 
Entrüstung  über  diesen  unwürdigen  Versuch  sprang  der  Abgeordnete  Page 
aber  auf  und  rief:  „Dieser  berühmte  Veteran  bot  uns  sein  Schwert  unter  so 
großmütigen  Bedingungen  an  und  leistete  uns  so  wesentliche  Dienste,  daß  ich 
für  den  Kongreß  erröten  würde,  falls  die  Ansichten  einzelner  Mitglieder  zu 
Beschlüssen  erhoben  v/erden  sollten.  Es  ist  des  Kongresses  unwürdig,  daß, 
nachdem  er  solange  die  Vorteile  dieser  Dienste  genossen  hat,  er  jetzt  ängst- 
lich die  Bedingungen  untersuchen  will,  unter  denen  sie  angetragen  wurden. 
Ich  wäge  sie  nicht  mit  den  vorgeschlagenen  Dollars  ab;  ich  halte  sie  für  be- 
deutender als  die  höchste  Summe,  die  wir  dafür  geben  können.  Wenn  es  von 
mir  abhinge,  eine  Belohnung  für  die  Opfer  vorzuschlagen,  die  er  brachte,  um 
nach  Amerika  zu  kommen  und  unsere  Schlachten  zu  schlagen,  so  würde  ich, 
darauf  können  Sie  sich  verlassen,  eine  viel  größere  Summe  bestimmen,  als 
irgendeiner  von  Ihnen  vermutet." 

Erst  im  Juni  1790  fand  die  wenig  erquickliche  Angelegenheit  ihre  Erledi- 
gung, indem  der  Kongreß  Steuben  eine  lebenslängliche  Pension  von  2500  Dollar 
aussetzte. 

Der  wackre  Veteran  bezog  dieselbe  nur  vier  Jahre  lang.  Er  hatte  seinen 
Wohnsitz  in  der  Stadt  New  York  aufgeschlagen,  von  wo  er  sich,  begleitet  von 
wenigen  vertrauten  Dienern,  zur  Sommerszeit  auf  sein  im  Herzen  des  Staates  ge- 
legenes Besitztum  begab,  um  dort  landwirtschaftlichen  Arbeiten  und  wissen- 
schaftlichen Studien  zu  leben  und  in  rauschender  Waldwildnis  die  heiße  Jahreszeit 
zu  verbringen.  Eine  einfache  Blockhütte  diente  ihm  als  Obdach.  Hier  wurde 
der  wackre  Kämpe  im  Jahre  1794  von  einem  Schlaganfall  betroffen,  infolge- 
dessen er  am  25.  November  verschied. 

Seiner  letztwilligen  Verfügung  gemäß  schmückte  man  seine  Brust  mit 
dem  unter  Friedrich  dem  Großen  erworbenen  hohen  Orden.  Dann  hüllte  man 
die  Leiche  in  den  Soldatenmantel,  der  während  des  Feldzugs  den  Körper  so 
oft  umgeben  hatte.  Nachdem  man  den  Toten  dann  in  einen  einfachen  Sarg  ge- 
bettet, setzte  man  diesen  unter  den  uralten  Riesenbäumen  eines  auf  dem  höchsten 
Gipfel  der  Grafschaft  Oneida  gelegenen  Haines  bei.     Über  dem  Grab  errichtete 


~     240     — 

man  aus  grauen  Quadern  ein  Denkmal,  auf  dem  der  von  einem  Eichenkranz 
umgebene  Name  „Steuben"  dem  Wandrer  verkündigt,  wer  hier  ruht. 

Seit  jenen,  von  der  ganzen  Nation  tiefempfundenen  Trauertagen  ist  mehr 
als  ein  Jahrhundert  dahingeflossen,  ein  Zeitraum,  währenddessen  die  einst  von 
Steuben  bewohnte  Waldwildnis  sich  in  eine  mit  fruchtbaren  Feldern  erfüllte 
blühende  Landschaft  verwandelte.  Aber  der  alte  Hain,  in  welchem  Steuben 
seine  ewige  Ruhe  hält,  ist  geblieben.  Aus  der  Ferne  gesehen,  mahnt  er  in  seiner 


Steubens  Ruhestätte  in  der  Grafschaft  üneida,  N.  Y. 


Wölbung  an  einen  jener  gewaltigen  Hügel,  wie  sie  in  grauer  Vorzeit  in  Skan- 
dinavien über  den  Ruhestätten  berühmter  Helden  aufgehäuft  wurden.  Beim 
Fintritt  in  den  Hain  umfängt  uns  grüne  Dämmerung.  Die  morschen  Stämme 
und  Äste  längst  vom  Sturm  gefällter  Riesenbäume  liegen  umher,  von  Moos 
und  Farren  überwuchert.  Wir  befinden  uns  in  einem  Rest  jenes  ungeheuren 
Urwaldes,  der  vor  Ankunft  der  Bleichgesichter  den  ganzen  Osten  bis  zum 
Mississippi  bedeckte.  Inmitten  dieses  grünen  Waldesdunkels  ruht  Steuben,  der 
in  seinem  Testament  bestimmte,  daß  man  keinen  der  sein  Grab  umgebenden 
Bäume,  wenn  sie  einst  fallen  sollten,  hinwegräume.  Sie  wie  die  vom  Sturm 
gebrochenen  Zweige  sollten  als  Symbol  der  die  ganze  Natur  beherrschenden  Ver- 
gänglichkeit gelten. 


—    241     — 

Vergänglichkeit!  Wie  allem  Menschenwerk,  so  ist  auch  dem  heute  so 
mächtigen  Bund  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  keine  ewige  Dauer  be- 
schieden. Andere  Staatswesen  mögen  im  Lauf  der  Jahrtausende  an  ihre  Stelle 
treten.  Aber  solange  das  amerikanische  Volk  bestehen  wird,  solange  wird  es 
auch  den  Namen  Steubens  als  das  eines  edlen  Vorkämpfers  der  Freiheit  in  dank- 
barer Erinnerung  halten. 


Schlußvignette:    Steubens  Blockhütte  in  der  Grafschaft  Oneida,  N  Y. 


Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika. 


16 


Die  deutschen  Truppenabteilungen  im  französischen 

Hilfsheer. 

Deutsche  Hilfstruppen  befanden  sich  auch  in  der  Armee,  welche  dem  am 
6.  Februar  1778  zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und  Frankreich  geschlossenen 
Vertrag  zufolge  von  dem  letztgenannten  Lande  gestellt  und  auf  einer  französi- 
schen Flotte  nach  Amerika  gesendet  wurde,  um  an  dem  Krieg  gegen  die  Eng- 
länder teilzunehmen.  Das  von  dem  Marquis  Rochambeau  befehligte  6000  Mann 
starke  Heer  landete  am  11.  JuH  1780  bei  New  Port  in  Rhode  Island.  Seine 
deutschen  Teile  umfaßten  erstens  das  aus  Pfälzern  bestehende  Regiment  „Zwei- 
brücken'\  das  bei  den  Franzosen  den  Namen:  „Regiment  Royal  Allemand  de 
deux  Fonts"  führte.  Zweitens  ein  Bataillon  Kur-Trierscher  Grenadiere  des 
„Saar-Regiments"  („Detachem.ent  du  regiment  La  Sarre").  Drittens  mehrere 
Kompagnien  elsaß-lothringischer  Jäger,  die  den  Regimentern  „Bourbonnais" 
und  „Soissonnais"  zugeteilt  waren.  Viertens  einen  Teil  der  Reiterlegion  des 
Herzogs  von  Lauzun.  Befehlshaber  des  Zweibrückschen  Regiments  waren  die 
beiden  Prinzen  Christian  und  Wilhelm  von  Zweibrücke n- 
Birkenfeld.  Außer  ihnen  befanden  sich  bei  den  deutschen  und  fran- 
zösischen Truppenabteihmgen  noch  folgende  höhere  Offiziere  mit  deutschen 
Namen:  Major  Freiherr  Eberhard  von  Esebeck,  Oberst  Adam 
Philipp  Graf  von  Custine,  Graf  Axel  von  Fersen,  der  Stabs- 

Kopfleiste:  Die  Kapitulation  der  englischen  Armee  bei  Yorktown.  Nach  dem 
Gemälde  Trumbulls  im  Kapitol  zu  Washington,  D.  C. 


—     243     — 

chef  des  Oberstkommandierenden  Marquis  du  Rochambeau,  und  Freiherr 
Ludwig   von   Closen-Haydenburg,   der   Adjutant   Rochambeaus. 

Die  deutschen  Hilfstruppen  kamen  mit  anderen  Abteilungen  des  fran- 
zösischen Heeres  hauptsächlich  im  Süden  zur  Verwendung,  wo  die  Generale 
Steuben  und  Mühlenberg  bemüht  waren,  den  in  Virginien  eingefallenen  Ver- 
räter Benedict  Arnold  unschädlich  zu  machen  und  an  seiner  Vereinigung  mit 
dem  in  Nordkarolina  stehenden  Lord  Cornwallis  zu  hindern. 

Dieses  Ziel  wurde  leider  nicht  erreicht;  dagegen  gewannen  die  im  fran- 
zösischen Hilfsheer  stehenden  deutschen  Abteilungen  bei  der  Belagerung  von 
Yorktown  hohen  Ruhm. 

Dorthin  hatte  der  englische  General  Cornwallis  sich  mit  seinem  aus 
12  000  Engländern  und  Hessen  bestehenden  Heer  im  Jahre  1781  zurückgezogen, 
um  für  seine  Operationen  in  Virginien  einen  festen  Stützpunkt  zu  haben.  Dabei 
geriet  er  aber  in  eine  bedenkliche,  von  seinen  Gegnern  sofort  erkannte  Falle. 
Auf  verschiedenen  Wegen  kamen  sie  in  Eilmärschen  herbei  und  schlössen, 
16  000  Mann  stark,  Yorktown  auf  der  Landseite  ein,  während  eine  französische 
Flotte  gleichzeitig  den  Yorkfluß  blockierte  und  die  Einkreisung  vollendete. 

Am  6.  Oktober  begannen  die  Belagerer  mit  dem  Auswerfen  der  ersten, 
600  Schritt  von  der  Festung  entfernten  Parallele.  Die  Amerikaner  standen 
dabei  auf  dem  rechten,  die  Franzosen  auf  dem  linken  Flügel.  Schon  am 
10.  Oktober  eröffneten  sie  das  Bombardem.ent  und  zwar  mit  gutem  Erfolg, 
denn  mehrere  bei  Yorktown  ankernde  englische  Schiffe  gerieten  durch  glühende 
Kugeln  in  Brand  und  gingen  in  Flammen  auf. 

Am  11.  Oktober  nahm  man  die  auf  300  Schritt  gegen  die  feindlichen 
Wälle  vorgeschobene  zweite  Parallele  in  Angriff.  Dabei  galt  es  zwei  feindliche 
Redouten  zu  erstürmen.  Das  geschah  am  14.  Oktober,  und  zwar  wurde  die 
eine  von  400  Grenadieren  und  Jägern  der  beiden  Regimenter  „Zweibrücken" 
und  „Gatenois"  unter  Führung  des  Prinzen  Wilhelm  von  Zweibrücken  ge- 
nommen, während  die  andere  den  Amerikanern  in  die  Hände  fiel. 

Die  durch  den  Prinzen  angegriffene  Redoute  war  von  100  Hessen  und 
30  Engländern  besetzt.  Die  britischen  Rotröcke  gaben  schon  beim  ersten  An- 
griff Fersengeld.  Die  Hessen  hingegen  hielten  tapfer  stand  und  fügten  den 
Angreifern  einen  Verlust  von  97  Toten  und  Verwundeten  zu.  Unter  den 
Blessierten  befand  sich  der  Prinz,  welcher  eine  Verletzung  am  Kopf  davontrug. 

Während  dieser  Kämpfe  erfolgten  auf  beiden  Seiten  die  Befehle  in  deut- 
scher Sprache.^) 


')  Man  hat  wegen  der  großen  Zahl  der  auf  beiden  Seiten  kämpfenden  Deutschen 
die  Belagerung  von  Yorktown  „die  deutsche  Schlacht"  genannt.  Und  in  der  Tat  war  die 
Beteiligung  der  Deutschen  an  jenen  Kämpfen  ungewöhnlich  stark.  Fast  der  vierte  Teil 
der  englischen  Armee  etwa  2500  Mann  bestand  aus  Hessischen  und  Anspachischen 
Hilfstruppen.  Ebenso  groß  war  die  Zahl  der  im  französischen  Heer  dienenden  Deutschen. 
In  der  amerikanischen  Armee   bestand   die  von  General  Steuben   und  den  Untergenerälen 

16* 


—     244     -^ 

Mit  der  Eroberung  der  Redouten  und  der  Vollendung  der  Laufgräben 
war  das  Schicksal  der  Festung  besiegelt.  Ein  am  Morgen  des  16.  Oktober 
von  den  Belagerten  unternommener  Ausfall  führte  keine  Änderung  zu  ihren 
Gunsten  herbei. 

Am  Morgen  des  17.  Oktober  befanden  sich  auf  französischer  Seite  die 
beiden  Regimenter  „Zweibrticken"  und  ,.Bourbonnais",  auf  amerikanischer  Seite 
die  Truppen  des  Baron  von  Steuben  in  den  Laufgräben.  Ihr  gegen  die  Festung 
gerichtetes  Geschützfeuer  brachte  die  feindlichen  Kanonen  nach  kurzer  Zeit  zum 
Schv^eigen. 

Die  Fruchtlosigkeit  ferneren  Widerstands  erkennend,  entschloß  sich  Lord 
Comwallis  nach  einem  mißglückten  Versuch,  über  den  Yorkfluß  zu  entweichen, 
zur  Kapitulation.  Nachdem  die  Bedingungen  vereinbart  waren,  fiel  einer 
Abteilung  von  Grenadieren  des  Regiments  „Zweibrücken"  die  Ehre  zu,  über 
den  Wällen  der  Festung  das  weiße,  mit  goldenen  Lilien  bestickte  Banner 
Frankreichs  aufzuziehen. 

Die  Stärke  der  kapitulierenden  Armee  behef  sich  auf  7000  Soldaten, 
2000  Matrosen,  1500  Tories  und  1800  Neger,  im  ganzen  über  12  000  Mann. 
Außerdem  fielen  8000  Musketen,  225  Geschütze  und  bedeutende  Vorräte  an 
Munition  und  Proviant  den  Amerikanern  in  die  Hände. 

Bancroft  erzählt,  daß  die  im  britischen  Dienst  stehenden  hessischen  und 
anspachischen  Regimenter  beim  Strecken  der  Waffen  an  dem  Regiment  „Zwei- 
brücken" vorüberkamen.  Da  hätten  die  gefangenen  Deutschen  vergessen,  daß 
sie  den  Siegern  in  Waffen  gegenübergestanden.  Sie  wären  auf  ihre  Landsleute 
zugelaufen  und  hätten  dieselben  mit  Tränen  in  den  Augen  umarmt. 

Dem  tapfern  Prinzen  Wilhelm  von  Zweibrücken  erteilte  der  Befehlshaber 
des  französischen  Heeres  den  ehrenvollen  Auftrag,  zusammen  mit  dem  Herzog 
von  Lauzun  die  Nachricht  von  dem  glorreichen  Sieg  der  verbündeten  fran- 
zösisch-amerikanischen Heere  nach  Frankreich  zu  bringen. 

Die  Übergabe  von  Yorktown  bildete  das  letzte  größere  Ereignis  des 
amerikanischen  Unabhängigkeitskriegs.  In  England  erkannte  man,  daß  die 
Amerikaner  nicht  mit  Gewalt  unterjocht  werden  konnten.  Da  auch  im  eng- 
lischen Volk  eine  energische  Abneigung  gegen  die  Fortführung  des  ungemein 
kostspieligen  Kriegs  bemerkbar  wurde,  so  entschloß  die  Regierung  sich  endlich 
dazu,  ihre  Truppen  zurückzuziehen  und  die  Unabhängigkeit  der  Vereinigten 
Staaten  anzuerkennen. 

An  der  glorreichen  Gewinnung  derselben  haben  die  vielen  tausend 
Deutsche,  welche  unter  den  amerikanischen  Fahnen  fochten,  unstreitig  einen 


Mühlenburg,  Gist  und  Wayne  befehligte  3200  Mann  starke  Division  fast  ausschließlich  aus 
deutschen  Farmersöhnen  aus  Pennsylvanien  und  Virginien.  Daß  sich  auch  unter  den  übrigen 
amerikanischen  Regimentern  viele  Deutsche  befanden,  ist  sicher.  So  finden  wir,  daß  von 
den  28000  Mann,  welche  auf  beiden  Seiten  vor  und  in  Yorktown  fochten,  fast  ein  Drittel 
Deutsche  waren,  welche  unter  engUschen,  französischen  und  amerikanischen  Fahnen 
kämpften. 


—    245     — 

ruhmvollen  Anteil.  Die  unparteiische  Geschichtsschreibung  wird  dieses  Anteils 
stets  gedenken.  Und  solange  das  Andenken  an  den  Unabhängigkeitskampf  der 
Vereinigten  Staaten  lebendig  bleibt,  solange  wird  man  sich  auch  der  mit 
diesem  größten  und  folgenreichsten  Ereignis  der  neueren  Geschichte  unlösbar 
verbundenen  Namen  der  Helden  Nikolaus  Herchheimer,  Peter  Mühlenberg, 
Johann  Kalb  und  Friedrich  Wilhelm  von  Steuben  erinnern. 


II.  Teil. 


Die  Deutschamerikaner  seit  Aufrichtung 

der  Union. 


Der   Anteil   der   Deutschen   an   der   Erschließung 
und  Besiedlung  der  westlich  von  den  Alleghany's 

gelegenen  Gebiete. 

Die  deutschen  Ansiedler  im  Stromgebiet  des  Ohio. 

Von  allen  Dokumenten  und  großen  Ereignissen  der  menschlichen  Ge- 
schichte haben  keine  die  freiheitlichen  Bestrebungen  und  die  Zustände  der  Völker 
so  mächtig  beeinflußt,  wie  die  Unabhängigkeitserklärung  und  die  Aufrichtung  des 
Bundes  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  Die  erste  bedeutete  nicht  bloß  eine 
entschlossene  Lossagung  von  einem  mächtigen  Monarchen,  dem  man  unverblümt 
sein  Sündenregister  vorhielt,  sondern  zugleich  einen  geharnischten  Protest  gegen 
die  uralte,  bisher  unangefochtene  Lehre  vom  Gottesgnadentum  der  Herrscher. 

Gleich  die  zu  Anfang  des  Schriftstückes  niedergelegten  Erklärungen  waren, 
von  einer  weltumwälzenden,  alle  früheren  Anschauungen  umstoßenden  Be- 
deutung. Sie  lauteten:  „Wir  halten  die  folgenden  Wahrheiten  als  erwiesen: 
Daß  alle  Menschen  gleich  geschaffen  und  von  ihrem  Schöpfer  mit  gewissen 
unveräußerlichen  Rechten  ausgestattet  sind.  Daß  zu  diesen  Rechten  Leben, 
Freiheit  und  das  Streben  nach  Glück  gehören ;  daß  zur  Sicherung  dieser  Rechte 

Kopfleiste:  Die  Unterzeichnung  der  Unabhängigkeitseri<iärung  der  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  am  4.  Juli  1776.  Nach  dem  im  Kapitol  zu  Washington  befindlichen 
Gemälde  von  J.  Trumbull. 


—     250     — 

Regierungen  unter  den  Menschen  eingesetzt  wurden,  welche  ihre  Befugnisse 
durch  die  Zustimmung  der  Regierten  empfangen;  daß,  wenn  jemals  eine  Re- 
gierung gegen  ihren  Zweck  verstößt  und  zerstörend  wirkt,  das  Volk  das  Recht 
hat,  die  Regierung  zu  ändern  oder  abzuschaffen,  eine  neue  Regierung  einzu- 
setzen, deren  Grundlage  auf  solche  Prinzipien  zu  legen  und  ihre  Gewalt  in 
solche  Formen  zu  kleiden,  wie  sie  dem  Volk  zur  Förderung  seiner  Sicherheit 
und  Wohlfahrt  am  zweckdienlichsten  scheinen." 

Gleich  einem  Feuerbrand  wälzte  sich  dieser  durch  Thomas  Jefferson  in 
Worte  gefaßte,  durch  George  Washington  so  glänzend  in  die  Tat  umgesetzte 
Freiheitsgedanke  über  die  ganze  Erde.  Er  flackerte  zuerst  in  Frankreich  auf, 
dem  Land,  welches  den  Amerikanern  gegen  England  zur  Seite  gestanden  hatte. 
Dann  trieb  er  die  spanischen  Kolonien  Mittel-  und  Südamerikas  zu  ihren  erfolg- 
reichen Unabhängigkeitskämpfen.  Er  fand  femer  in  den  Freiheitsbestrebungen 
der  westindischen  Neger,  der  südafrikanischen  Buren,  in  den  Verfassungs- 
kämpfen fast  sämtlicher  europäischen  Länder  ein  lebhaftes  Echo. 

In  Deutschland  hatte  man  den  Verlauf  der  amerikanischen  Unabhängig- 
keitskämpfe mit  äußerster  Aufmerksamkeit  verfolgt.  Nicht  bloß  darum,  weil 
viele  hunderttausend  Deutsche  Amerika  zu  ihrer  neuen  Heimat  erkoren  hatten 
und  zahllose  Deutsche  in  den  kämpfenden  Heeren  standen.  Sondern  weil  auch 
in  den  Herzen  der  in  Deutschland  Zurückgebliebenen  eine  ungestüme  Sehn- 
sucht nach  Freiheit  brannte. 

Deutschlands  Dichter  und  Philosophen  feierten  George  Washington  als 
einen  Helden,  der  den  größten  aller  Zeiten  gleichzustellen  sei.  Das  allgemeine 
Staunen  wuchs,  als  Washington  nach  dem  siegreich  zu  Ende  geführten  Krieg 
die  Regierung  der  jungen  Republik  übernahm  und  dieselbe  unter  der  Beihilfe 
von  Männern  bewährten  Verstandes,  unantastbaren  Charakters  und  erprobter 
Vaterlandsliebe  zu  einem  vollendeten  Erfolg  machte. 

Dieser  Erfolg  bewirkte  natürlich  eine  starke  Zunahme  der  Einwandrung. 
Verbürgten  doch  die  Vereinigten  Staaten  den  Ankömmlingen  volle  Gleich- 
stellung in  sozialer,  und  volle  Freiheit  in  religiöser  und  politischer  Beziehung. 
Obendrein  waren  durch  den  Krieg  dem  Gebiet  der  llnion  neue  gewaltige 
Ländermassen  hinzugefügt  worden,  die  sich  bis  zum  Mississippi  erstreckten 
und  wo  sich  den  Einwandrern  tausend  Möglichkeiten  zur  Verbesserung  ihrer 
materiellen  Lage  darboten. 

Über  die  Stärke  der  deutschen  Einwandrung  während  des  vom  Ende 
des  Kriegs  bis  zum  Jahre  1820  reichenden  Zeitraums  sind  wir  nur  ungenügend 
unterrichtet.  Weder  in  Europa  noch  in  Amerika  stellte  man  über  den  Abgang 
und  Zuzug  von  Personen  statistische  Erhebungen  an.  Aber  aus  manchen 
anderen  Quellen  können  wir  schließen,  daß  die  deutsche  Einwandrung  in  die 
Vereinigten  Staaten  während  der  genannten  Periode  beträchtlich  gewesen  ist. 

Die  Neuankömmlinge  ließen  sich  entweder  in  den  an  der  Ostküste  bereits  be- 
stehenden Ortschaften  nieder  oder  rückten  den  Kolonisten  nach,  welche  sich  zum 
Einmarsch  in  die  jenseits  der  Alleghany  Gebirge  liegende  Gebiete  entschlossen. 


—    251     — 

Die  furchtbaren  Greueltaten,  welche  von  den  verbündeten  Briten  und 
Indianern  v^ährend  des  Krieges  sowohl  in  jenen  Gebieten,  wie  in  den  an- 
stoßenden Teilen  von  New  York,  Pennsylvanien,  Maryland  und  Virginien  ver- 
üb't  worden  waren,  hatten  den  Zug  der  Ansiedler  dorthin  gänzlich  zum  Stocken 
gebracht.  Die  Ländereien  der  „Ohio  Compagnie",  der  „Mississippi  Com- 
pagnie"  und  anderer  Kolonisationsgeselischaften  lagen  brach.  Desgleichen  die 
großen  Besitzungen,  welche  George  Washington  als  Anerkennung  für  seine 
während  des  Franzosenkriegs  geleisteten  Dienste  zugesprochen  worden  waren. 
Wie  sich  aus  noch  erhaltenen  Briefen  ergibt,  hatte  Washington  bei  der  Frage 
der  Besiedlung  seiner  Besitzungen  in  erster  Linie  an  deutsche  Ackerbauer  ge- 
dacht. Im  Februar  1774  schrieb  er  von  Mount  Vernon  an  James  Tilghman  in 
Philadelphia :  „Gewichtige  Gründe  fordern  eine  rasche,  erfolgreiche  und  zugleich 
bilHge  Kolonisierung  dieser  Ländereien.  Von  allen  Vorschlägen,  die  mir  unter- 
breitet wurden,  versprechen  keine  bessere  Erfolge,  als  die  Besiedlung  der  Lände- 
reien mit  Deutschen  aus  der  Pfalz." 

Aus  anderen  Quellen  wissen  wir,  daß  Washington  sich  eifrig  erkundigte, 
wie  dieser  Plan  ausgeführt  werden  könne  und  ob  es  ratsam  sei,  einen  intelli- 
genten Deutschen  nach  der  Pfalz  zu  senden,  um  dort  Auswandrer  anzuwerben 
und  ihre  sichere  Überführung  nach  Amerika  zu  bewirken.  In  derselben  An- 
gelegenheit wandte  er  sich  an  den  Reeder  Henry  Riddle  und  versprach  den  deut- 
schen Bauern,  die  für  ihn  angeworben  würden,  nicht  bloß  die  Reisekosten  bis 
zum  Ohio  zu  bezahlen,  sondern  sie  auch  bis  zur  ersten  Ernte  mit  allem  Nötigen 
zu  unterstützen  und  ihnen  für  vier  Jahre  den  Pachtzins  zu  erlassen.  —  Allen 
diesen  Plänen  machte  der  Ausbruch  des  Unabhängigkeitskrieges  ein  Ende. 

Auch  nach  dem  Kriege  geschah  die  Besiedlung  des  Ohiogebietes  nur 
langsam.  Die  unwirtlichen,  mit  ihren  höchsten  Gipfeln  2000  m  emporsteigen- 
den Ketten  der  Appalachen-  oder  Alleghanygebirge  bildeten  einen  Wall,  der 
dem  Vordringen  der  Ansiedler  gen  Westen  außerordentliche  Hindernisse  be- 
reitete. Denn  das  ungeheure,  vom  32.  bis  zum  49.  Grad  n.  Br.  reichende  Ge- 
birgssystem  bestand  nicht  etwa  aus  einem  einzigen  Rücken,  sondern  aus  zahl- 
reichen parallelen  Ketten,  die  sämtlich  mit  dichten,  an  Unterholz  reichen  Ur- 
wäldern bewachsen  waren.  Diese  zu  durchdringen  und  die  Ketten  zu  über- 
schreiten, hatten  bereits  die  ersten  Erforscher  dieses  Gebirgssystems,  die  beiden 
Deutschen  Johann  Lederer  und  Henry  Batte,  während  der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  sich  vergeblich  bemüht.  Überall  waren  sie  auf  ein  Chaos  von 
Steinblöcken  und  gefallenen  Baumriesen  gestoßen,  über  und  zwischen  welchen 
üppig  wuchernde  Moose,  Schlingpflanzen,  Rhododendronsträuche  und  Balsam- 
tannen dem  menschlichen  Fuß  das  Vordringen  wehrten,  dagegen  Bären,  Pan-^ 
them,  Wölfen,  Füchsen  und  anderen  Raubtieren  sichere  Schlupfwinkel  darboten. 

Erst  nachdem  die  Gefahr  blutiger  Zusammenstöße  mit  Franzosen  und 
Briten  geschwunden  und  es  gelungen  war,  in  der  Gebirgsmauer  einige  Pässe 
zu  entdecken,  kam  die  Westwärtsbewegung  der  Ansiedler  wieder  in  Fluß. 

Es  standen  für  dieselben  mehrere  Wege  offen:    im  Süden  das  berühmte 


252 


Cumberland  Gap,  ein  von  Nordkarolina  und  Virginien  nach  Tennessee  und 
Kentucky  leitender  Fingpaß;  ferner  der  vom  Potomac  zum  Monongahela 
führende  Saumpfad,  den  der  englische  General  Braddock  im  Jahre  1754  zu 


Cumberland  Gap. 

Nach  einem  Gemälde  von  W.  L.  Sonntag. 

seinem  unglücklichen  Vorstoß  gegen  das  französische  Fort  Duquesne  benutzt 
hatte.  Drittens  der  Weg,  der  von  Henry  Bouquet  im  Jahre  1758  bei  seiner 
gegen  dasselbe  Fort  gerichteten  Expedition  gebahnt  worden  war.     Weiter  im 


—     253 


Norden  gesellte  sich  dazu  das  Mohawktal,  welches  in  späteren  Zeiten  auch  den 
Eisenbahnen  als  wichtigste,  zum  Westen  führende  Pforte  diente. 

Die  Entdeckung  des  Cumberlandpasses  schreibt  man  dem  Virginier 
Walker  zu,  einem  jener  kühnen  Männer,  die  sich  von  dem  Gemeinwesen  ab- 
sonderten, um  in  das  sie  mächtig  anziehende  geheimnisvolle  Innere  des  nord- 
amerikanischen Kontinents  vorzudringen  und  dort  der  Jagd  auf  Pelztiere  ob- 
zuliegen. 

Der  Pelzhandel  bildete  bekanntlich  während  des  17.  und  18.  Jahrhunderts 
die  wichtigste  Einnahme- 
quelle der  europäischen 
Kolonien  in  Nordamerika. 
Mit  ihm.  beschäftigen  sich 
tausende  undabertausende 
Personen.  Ihm  verdankten 

zahllose  Handelsplätze 
und  Ortschaften  Ursprung 
und  Dasein.  Er  rief  auch 
neue,  in  Europa  ganz 
unbekannte  Menschengat- 
tungen hervor:  die  Trap- 
per, Voyageurs  und  Pelz- 
händler. 

Schwerlich  gab  es 
jemals  verwegenere  Män- 
ner als  diese.  Zu  Fui3, 
zu  Roß  oder  auf  schwan- 
ken Rinden  booten,  meist 
allein,  manchmal  zu  zweit, 
seltener  zu  mehreren  ver- 
eint folgten  sie  den  na- 
türlichen Wegweisern,  den 
Strömen,  oder  schmalen, 
nur  geübten  Augen  erkennbaren  Wild-  und  Indianerpfaden.  Ihr  ganzes 
Dasein  bildete  eine  ununterbrochene  Kette  furchbarer  Entbehrungen  und 
Gefahren.  Bald  mußten  sie  mit  dem  Beil  mühsam  Wege  durch  das  Dickicht 
bahnen,  bald  Moräste  und  Ströme  überschwimmen,  daneben  Hunger  und  Durst, 
im  Sommer  glühenden  Sonnenbrand,  im  Winter  bittere  Kälte  ertragen.  Be- 
fanden sie  sich  in  Feindesland,  so  durften  sie  nicht  wagen,  die  Zeit  mit  einem 
lustigen  Lied  zu  kürzen  oder  ein  wärmendes  Eeuer  anzuzünden,  um  nicht  die 
Aufmerksamkeit  ihrer  gefährlichsten  Feinde,  der  Indianer,  zu  erregen.  Denn 
die  letzteren  erkannten  in  den  weißen  Jägern  nicht  bloß  Konkurrenten,  die 
ihnen  im  Ausbeuten  des  Jagdreviers  Schaden  zufügten,  sondern  sie  trugen 
ihnen  auch  einen  unversöhnlichen  Rassenhaß  entgegen.     Wehe  dem  Trapper, 


Ein  Trapper  des  18.  Jahrhunderts. 


—     254     — 

den  das  Mißgeschick  in  die  Gewalt  eines  feindlichen  Stammes  geraten  ließ.  Er 
entging  nur  dann  einem  grauenhaften  Tode,  wenn,  was  bisweilen  geschah,  eine 
noch  unverheiratete  oder  verwitwete  Indianerin  ihn  zum  Gatten  begehrte,  oder 
wenn  eine  Frau,  die  ihre  Söhne  verloren,  ihn  adoptierte.  Wo  keine  solche 
Lösung  erfolgte,  da  endete  das  Leben  des  Gefangenen  am  Marterpfahl,  unter 
Qualen,  die  an  Entsetzlichkeit  hinter  den  von  den  Ketzerrichtern  des  mittel- 
alterlichen Europa  ausgeklügelten  Torturen  nicht  zurückblieben.  Bestanden 
sie  doch  in  der  stückweisen  Zerstörung  des  Körpers  unter  Schonung  der  die 
Lebensdauer  verbürgenden  edlen  Teile.  Sie  begannen  mit  dem  Ausreißen  der 
Nägel  an  den  Zehen  und  Fingern,  dem  Ausbrechen  der  Zähne,  dem  Zermalmen 
der  einzelnen  Glieder,  dem  Bloßlegen  und  Zerstören  der  einzelnen  Nerven,  um 
sich  zu  immer  raffinierteren  Quälereien  zu  steigern,  die  manchmal  tagelang 
dauerten,  bis  der  Unglückliche  ihnen  endlich  erlag. 

Unter  den  Verwegenen,  welche  solchen  Mühseligkeiten  und  Gefahren  mutig 
Trotz  boten  und  als  Vorläufer  der  Kultur  in  die  Wildnis  am  Ohio  eindrangen,  be- 
fanden sich  auch  viele  Deutsche.  Sie  kamen  vom  Fuß  der  den  Staat  Pennsylvanien 
durchziehenden  Blauen  Berge;  sie  kamen  aus  Maryland,  Virginien  und  Karolina. 

Die  Taten  mancher  dieser  Wackern  sind  bis  heute  nicht  vergessen.  So 
erzählt  man  noch  heute  von  Georg  Jäger,  der,  lange  bevor  der  von  den 
Anglo-Amerikanern  als  „Pionier  Kentuckys"  gefeierte  Daniel  Boone  dort  auf- 
tauchte, in  der  „großen  Wildnis'*  jagte.  Im  Jahre  1771  traf  er  am  Kanawha 
mit  Simon  Kenton,  dem  späteren  Helden  des  Ohiotals,  zusammen  und  ent- 
flammte durch  die  Beschreibung  der  gesehenen  Landschaften  und  ihrem  Wild- 
reichtum die  Phantasie  des  jungen  Mannes  so,  daß  derselbe  sich  entschloß,  mit 
Jäger  dorthin  zu  ziehen. 

Michael  Steiner  oder  S  t  o  n  e  r  durchstreifte  bereits  im  Jahre  1767 
Tennessee.  Im  Jahre  1774  ward  er  in  Gemeinschaft  mit  Daniel  Boone  aus- 
gesandt, eine  Gesellschaft  von  Landvermessern  aufzusuchen  und  heimzu- 
geleiten, die  sich  in  der  Gegend,  wo  heute  die  Stadt  Louisville  steht,  verirrt  hatte. 

Kaspar  Mansker  war  einer  der  berühmten  „long-hunters''  oder 
„langen  Jäger",  die  im  Jahre  1769  von  Nordkarolina  zu  einem  Jagdzug  in  die 
westlichen  Regionen  aufbrachen  und  durch  deren  Schönheit  und  Wildreichtum 
so  gefesselt  wurden,  daß  sie  der  Heimkehr  fast  vergaßen.  Sie  traten  erst  nach 
einem  vollen  Jahre  den  Rückmarsch  an  und  erhielten  wegen  ihres  langen  Aus- 
bleibens den  obigen  Spitznamen.  Mansker  kreuzte  die  westUchste  Kette  der 
Appalachen,  die  Cumberlandgebirge,  unzählige  Male.  Er  war  auch  der  erste 
Weiße,  welcher  den  Cumberlandfluß  befuhr. 

Ein  ähnlicher  Waldsohn  war  Michael  Schuck.  Seine  aus  Deutsch- 
land eingewanderten  Eltern  waren  samt  seinen  Geschwistern  in  Nordkarolina 
von  Indianern  ermordet  worden,  worauf  der  allein  im  Wald  zurückgebliebene 
Knabe  auf  die  abenteuerlichste  Weise  sein  Leben  fristete.  Mit  dem  Instinkt  eines 
Panthers  und  dem  Scharfblick  eines  Adlers  begabt,  wuchs  er  zum  echten  Trapper 
heran.     Außer  seinem  mächtigen  Bau  war  dieser  deutsche  Indianer  in  seinen 


—     255     — 

späteren  Tagen  durch  schneeweiße  Haare  gekennzeichnet,  die  weit  über  die 
breiten  Schultern  herunterfielen.  Beständig  mit  den  Rothäuten  kämpfend,  drang 
Schuck  in  jahrzehntelangen  Streifzügen  bis  nach  Missouri  vor,  in  dessen  un- 
bekannten Wäldern  er  seinen  Geist  aushauchte. 

Einen  ähnlichen  Lebenslauf  hatte  der  berühmte  Indianerjäger  Ludwig 
W  e  t  z  e  1 ,  ein  Sohn  des  Pfälzers  Johann  Wetzet,  der  zu  den  ersten  An- 
siedlern von  Wheeling  gehörte,  aber  im  Jahre  1787  von  Indianern  erschlagen 
und  skalpiert  wurde.  Seine  fünf  Söhne  schwuren,  den  Tod  ihres  Vaters  zu 
rächen.  Keiner  erfüllte  diesen  Schwur  in  so  furchtbarer  Weise,  wie  Ludwig, 
der  jüngste  der  Brüder.  Mit  der  Kampfweise  der  Indianer  genau  vertraut, 
stellte  er  sich  die  Aufgabe,  ihrer  so  viele  als  möglich  umzubringen,  unbekümmert 
darum,  daß  die  Regierung  sich  große  Mühe  gab,  mit  den  Indianern  Friedens- 
verträge abzuschließen. 

Als  Wetzel  fortfuhr,  einen  Indianer  nach  dem  andern  wegzuschießen  und 
infolgedessen  die  Unruhen  kein  Ende  nehmen  wollten,  setzte  der  Befehlshaber 
des  an  der  Stelle  der  heutigen  Stadt  Cincinnati  erbauten  Forts  Washington 
einen  Preis  auf  die  Festnahme  Wetzeis.  Er  wurde  tatsächlich  gefangen  und 
eingesperrt.  Es  gelang  ihm  aber  zu  entkommen,  worauf  er  die  Indianerjagd 
mit  neuem  Eifer  aufnahm..  Abermals  gefangen,  sollte  er  erschossen  werden. 
Aber  nun  brachen  die  Pioniere  von  beiden  Seiten  des  Ohio  in  Massen  auf,  um 
Wetzel  mit  Gewalt  zu  befreien.  Sie  drohten,  die  ganze  Besatzung  des  Forts 
zu  massakrieren,  wenn  man  Wetzel  ein  einziges  Haar  krümme.  Um  Blutvergießen 
zu  vermeiden,  gab  der  Befehlshaber  des  Forts  den  Gefangenen  frei,  nachdem 
derselbe  sich  feierlich  zum  Einhalten  des  Friedens  verpflichtet  hatte.  Nach 
mancherlei  anderen  Abenteuern  starb  Wetzel  später  in  Texas. 

Solcher  Art  waren  die  deutschen  Männer,  die  an  der  Erschließung  des 
Ohiogebietes  teilnahmen.  Ihnen  folgten  einzelne  Truppen abteilungen,  welche 
die  von  den  Franzosen  und  Engländern  erbauten  Forts  besetzten,  an  anderen 
geeigneten  Stellen  neue  Befestigungen  anlegten  und  so  überall  Stützpunkte  schufen, 
von  wo  aus  die  Besiedlung  des  Ohiogebiets  in  gesicherter  Weise  erfolgen  konnte. 

Solche  Stützpunkte  waren  die  Forts  Pitt,  Campus  Martins,  Steuben,  Wa- 
shington, Defiance,  Recovery,  Sandusky,  Detroit,  St.  Joseph,  Adams,  Wayne 
und  andere.  Im  Jahre  1803  legte  der  Artillerieleutnant  J.  Swearingen, 
der  Sohn  eines  zu  Schäferstown  in  Virginien  lebenden  Deutschen,  an  der  Mün- 
dung des  Chicagoflusses  in  den  Michigansee  das  Fort  Dearborn  an,  welches  mehrere 
Jahre  später  infolge  der  Abschlachtung  seiner  Bewohner  durch  feindliche  In- 
dianer eine  traurige  Berühmtheit  erlangte. 

Diese  aus  rohen  Baumstämmen  aufgeführten,  mit  Holztürmen  und  Pali- 
saden versehenen  Forts  dienten  zugleich  als  Stationen  für  den  Pelzhandel  wie 
als  Niederlagen,  wo  die  Trapper  und  Ansiedler  Waffen,  Munition,  Fallen, 
Kochgeschirre,  Kleider,  Ackergeräte  und  alle  anderen  Notwendigkeiten  gegen 
die  erbeuteten  Pelze  oder  den  Überschuß  ihrer  landwirtschaftlichen  Erzeug- 
nisse eintauschen  konnten. 


—     256     — 

Nachdem  auf  diese  Weise  den  dringendsten  Forderungen  der  Sicherlieit 
Reclinung  getragen  war,  schritt  die  Besiedlung  des  Ohiogebiets  rasch  vorwärts. 
Troiz  der  unbeschreibHchen  Mühseligkeiten,  die  das  Überschreiten  der  rauhen 
Gebirgsketten  mit  sich  brachte. 

Eine  im  Jahr  1784  entworfene  Karte  Kentuckys  zeigt  bereits  fünfzig 
Forts,  acht  Niederlassungen  und  zahlreiche,  aus  mehreren  Blockhütten  be- 
stehende „Stationen".  Vornehmlich  an  den  Ufern  der  Ströme  entfaltete  sich 
reges  Leben.  Denn  die  meisten  Einwandrer  zimmerten,  sobald  sie  die  Gebirge 
hinter  sich  hatten  und  an  schiffbare  Gewässer  kamen,  Flöße  oder  sogenannte 
„Flachbocte"  und  „Archen",  geräumige  Fahrzeuge  mit  hüttenartigen  Aufbauten, 
die  den  Reisenden  nachts  und  bei  unfreundlichem  Wetter  als  Unterkunft 
dienten.^)     Die  Habseligkeiten  und  das  mitgeführte  Vieh  waren  im  Hinterteil 


Ein  Fort  des  18.  Jahrhunderts. 


des  Fahrzeugs  untergebracht.  Zwei  mächtige,  auf  dem  Dach  der  Hütte  be- 
festigte Ruder,  die  „broad  horns",  dienten  dazu,  das  schwimmende  Farmhaus 
im  Fahrwasser  des  Stroms  zu  halten.  So  ließ  man  sich  oft  wochenlang  die 
Flüsse  abwärtstragen,  bis  man  an  Plätze  kam,  die  dem  Geschmack  der  Reisenden 
zusagten  und  durch  ihre  Lage  und  Umgebung  gute  Aussichten  für  die  Zukunft 
boten.  Dann  wurde  das  Fahrzeug  ans  Ufer  gesteuert,  zerlegt  und  zum  Bau  der 
Hütten  verwendet.  Auf  solche  Weise  entstanden  am  Ohio  und  seinen  Neben- 
flüssen zahlreiche  Orte,  deren  Bevölkerung  aus  englischen,  deutschen,  schotti- 
schen, irischen,  französischen,  holländischen  und  indianischen  Elementen  be- 
stand. An  vielen  Orten  zählten  Deutsche  zu  den  Gründern.  Major  Benja- 
min Steitz  und  Mathias  Denman  besaßen  z.  B.  im  Jahre  1788  den 
größten  Teil  des  Bodens,  auf  dem  Cincinnati  erbaut  wurde.     Einem  deutschen 


')  Der  erste  Flachbootschiffer  auf  dem  Ohio  war  der  Deutsche  Jakob  Joder.   Er  fuhr 
im  Jahre  1757  den  Strom  hinab. 


257     — 


Helden  des  Unabhängigkeitskrieges,  Major  David  Ziegler,  fiel  die  Ehre 
zu,  im  Jahre  1802  als  erster  Bürgermeister  des  Dorfs  gewählt  zu  werden. 

Israel  Ludlow  gründete  in  Gemeinschaft  mit  einigen  Amerikanern 
im  Jahre  1795  Dayton;  EbenezerZane  (Zahne)  1796  Zanesville  und  Neu- 
Lancaster. 

Die  Namen  der  in  den  Staaten  Ohio,  Indiana,  Kentucky  und  Tennessee 
gelegenen  Orte  Frankfort,  Potsdam,  Hannover,  Germantown,  Berlin,  Minster, 
Freiburg,  Glandorf,  Wirtemberg,  Osnaburg,  Speier  (Spires),  Bern,  Geneva, 
Saxon,    Oldenburg,    Hermann,    Ferdinand,    Betzville,    Baumann,    Neu-Elsaß, 


Ein  Flachboot  auf  dem  oberen  Ohio. 

Bremen,  Wartburg  und  viele  andere  verraten  schon  durch  ihren  Klang  die 
deutsche  Herkunft  ihrer  ersten  Besiedler.  Deutsche  gründeten  auch  die  Stadt 
Steubenville,  deren  Namen  an  den  berühmten  Organisator  des  amerikanischen 
Heeres  erinnert. 

In  der  Folge  wurden  die  Täler  des  Ohio  und  seiner  Nebenflüsse,  ins- 
besondere auch  die  vom  Mohawktal  nach  Buffalo,  Cleveland,  Pittsburg  und 
Detroit  führenden  Straßen  zu  einem  Hauptsiedlungsgebiet  der  Deutschen  in 
Nordamerika. 

Es  war  hauptsächlich  das  junge  unternehmungslustige  Volk  der  östlich 
von  den  Alleghanys  bestehenden  älteren  Niederlassungen,  das  sich  hier  an- 
siedelte, um,  wie  die  Väter  es  getan,  im  Urbarmachen  neuer  schöner  Land- 
schaften die  eigne  Kraft  zu  proben. 


Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika. 


17 


—     258     — 

Gestärkt  wurde  es  später  durch  stetig  wachsende  Scharen  aus  Deutsch- 
land kommender  Einwandrer.  Gemeinschafthch  verHehen  diese  Deutschen  zahl- 
reichen Plätzen  jenes  eigenartige  Gepräge,  das  die  ältere  deutsche  Einwandrung 
manchen  Teilen  der  Oststaaten  aufgedrückt  hatte.  In  friedlichem  Wettbewerb 
mit  ihren  Mitbürgern  anglo-amerikanischer  Abkunft  halfen  sie  im  Lauf  der  Jahr- 
zehnte die  ungeheure,  vom  Stromsystem  des  Ohio  bewässerte  Wildnis  in  jene 
Gefilde  verwandeln,  die  heute  zu  den  ertragreichsten  der  ganzen  Union  gehören. 

Wie  die  Deutschen  im  Osten  sich  vielfach  als  Pioniere  der  Industrie  und 
des  Handels  zeigten,  so  trugen  sie  auch  zur  industriellen  Entwicklung  des  Ohio- 
gebiets in  reichstem  Maße  bei.  Kaum  war  Louisiana  in  den  Besitz  der  Ameri- 
kaner übergegangen,  so  wendeten  sie  ihre  Aufmerksamkeit  derwichtigen  Frage  zu. 


Cincinnati  im  Jahre  1802. 

wie  die  weite  Entfernung  nach  der  zum  Hauptstapelplatz  für  alle  Ein-  und  Aus- 
fuhrgüterwerdenden Stadt  New  Orleans  am  raschesten  zurückgelegt  werden  könne. 

Der  Verkehr  mittels  der  Flöße  und  Flachboote  war  äußerst  langwierig. 
Obendrein  konnte  man  diese  Transportmittel  nur  für  eine  einzige  Reise  fluß- 
abwärts benutzen,  da  mit  solchen  Fahrzeugen  unmöglich  gegen  die  starke 
Strömung  des  Mississippi  angekämpft  werden  konnte.  Zur  Rückfahrt  mußten 
die  Mannschaften  stets  leichte  Kanus  verwenden. 

Auch  die  Rundreisen  der  später  an  Stelle  jener  Flachboote  tretenden  Kiel- 
boote gestalteten  sich  überaus  langwierig.  Zwischen  den  beiden  äußersten 
Punkten,  Pittsburg  und  New  Orleans,  dauerten  sie  gewöhnlich  ein  volles  Jahr. 
Diese  lange  Zeit  wurde  auf  die  Hälfte  verkürzt,  als  der  ehemalige  Rheinschiffer 
Heinrich  Bechtle  im  Auftrag  des  in  Cincinnati  lebenden  Kaufmanns 
Martin  Baum  mehrere  Segelbarken  baute,  die  zur  Rundreise  nicht  mehr  als 
sechs  Monate  benötigten. 

Deutsche  gaben  auch  die  erste  Anregung  zur  Anlage  des  die  Ohiofälle 


—     259     — 

umgehenden  Kanals  bei  Louisville.  Ein  Deutscher  namens  Bernhard 
R  o  s  e  f  e  1  d  t  baute  ferner  das  erste  Dampfschiff  der  westUchen  Ströme.  Es 
erhielt  den  Namen  der  Stadt  New  Orleans  und  legte  seine  erste  Reise  dorthin 
im  Jahre  1811  zurück. 

Die  Entdeckung  der  unerschöpflich  reichen  Kohlen-  und  Eisenerzlager 
im  Ohiogebiet  hatte  die  Übertragung  der  Eisenindustrie  dorthin  zur  Folge. 
Wie  auf  der  Ostseite  der  AUeghanygebirge,  so  halfen  die  Deutschen  auch  hier 
diese  Industrie  mächtig  entwickeln.  Der  bei  Strasburg  geborene  Georg 
An  schütz  wurde  durch  Anlage  einer  Schmelze  im  Jahre  1792  der  Pionier 
der  Eisenindustrie  Pittsburgs.  Der  kluge  deutsche  Geschäftsmann  Jakob 
Meyers  aus  Baltimore  errichtete  um  dieselbe  Zeit  am  Slate  Creek  in  Kentucky 
ein  Schmelzwerk,  wo  außerdem  allerlei  Bedarfsgegenstände,  Werkzeuge,  Öfen, 
Kochtöpfe,  Geschützläufe  und  andere  Dinge  hergestellt  wurden.  Anfangs  litten 
die  Arbeiter  freilich  so  sehr  unter  den  Nachstellungen  der  Indianer,  daß  die 
Hälfte  der  Leute  stets  Waffendienst  verrichten  mußte.  Deutsche  namens 
Schreeve  gründeten  auch  im  Greenup  County  einen  Hochofen  mit  Dampf- 
gebläse, der  von  1824  bis  1860  in  Betrieb  war. 

Mit  dem  immer  mächtiger  anscl^wellenden  Strom  der  Einwandrung  ver- 
breiteten die  Deutschen  sich  über  das  ganze  südlich  von  den  großen  Seen 
liegende  Gebiet.  Sie  befanden  sich  unter  den  ersten  Bewohnern  der  Städte 
Indianapolis,  Louisville,  Knoxville,  Nashville,  Chicago,  Peoria  und  Milwaukee 
und  erwarben  überall  durch  Fleiß,  Ausdauer  und  Ordnungsliebe  die  Achtung 
ihrer  Mitbürger.  Daß  sie  durch  ihre  Erfolge  sogar  den  Neid  minder  glück- 
licher Mitbewerber  herausforderten,  erhellt  aus  manchen,  von  Nativismus  durch- 
tränkten Klagen,  denen  man  in  verschiedenen  anglo-amerikanischen  Zeitungen 
jener  Periode  begegnet,  und  wo  es  heißt,  daß  die  Deutschen  im  Erobern  des 
Handels  und  Gewerbes  unwiderstehlich  seien. 


Schlußvignette:  Fort  Washington  am  Ohio, 
des  18.  Jahrhunderts. 


Nach  einer  Zeichnung  vom  Ende 


17'' 


Die  deutschen  Ansiedler  im  Mississippital. 

Der  erfolgreiche  Unabhängigkeitskrieg  hatte  den  Amerikanern  zwar  den 
Zutritt  zu  der  großen  Stroniseele  des  nordamerikanischen  Kontinents,  zum 
Mississippi  gebracht,  aber  sie  besaßen  nicht  die  volle  Kontrolle  über  diesen 
wichtigen  Wasserweg.  Sein  Westufer  sowie  sein  Mündungsgebiet,  das  ehe- 
malige Louisiana,  waren  nach  der  Verdrängung  der  Franzosen  vom  nordameri- 
kanischen Kontinent  in  den  Besitz  der  Spanier  übergegangen,  die  von  freier 
Schiffahrt  auf  dem  „Vater  der  Ströme"  nichts  wissen  wollten. 

Ungehinderter  Verkehr  bedeutete  aber  für  sämtliche  am  Ohio  und  auf 
dem  Ostufer  des  Mississippi  gegründeten  amerikanischen  Niederlassungen  und 
Staaten  eine  Lebensfrage,  da  sie  sonst  ihre  Erzeugnisse  nicht  ausführen  konnten. 
Die  Lage  war  unerträglich.  Denn  der  überaus  schwierige  Transport  über  die 
Alleghanygebirge  verbot  sich  der  ungeheuren  Kosten  wegen. 

Da,  mit  Anbruch  des  IQ.  Jahrhunderts,  änderten  diese  Zustände  sich 
plötzlich  in  einer  für  die  Amerikaner  überaus  günstigen  Weise.  Spanien  mußte 
am  1 .  Oktober  1 800  sein  ganzes  Besitztum  am  Mississippi  an  Frankreich  zurück- 
geben. Napoleon  Bonaparte  aber,  der  seinen  bereits  in  der  Luft  liegenden 
unvermeidlichen  Krieg  mit  England  voraussah,  empfand  den  überseeischen 
Besitz  als  eine  schwere  Last,  da  er  außerstande  war,  Louisiana  gegen  einen 
englischen  Flottenangriff  zu  schützen.  Er  beschloß  deshalb,  sich  jenes  Riesen- 
reichs in  einer  Weise  zu  entäußern,  die  Frankreich  nicht  nur  materiellen  Nutzen 


Kopfleiste:   Amerikanische  Flußdampfer  aus  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 


—     261     — 

bringen,  sondern  zugleich  seinen  Gegnern  einen  argen  Strich  durch  die  Rech- 
nung machen  sollte. 


("npyright  hy    Karl    Biittr   H»0,^. 


Die  Unterzeichnung  des  Louisiana-Vertrags.     Bildhauerarbeit  von  Karl  Bitter  in  New  Yori<. 


„Die  Engländer'*,  so  erklärte  er  seinen  Ministern,  „streben,  die  Reich- 
tümer und  den  Handel  der  ganzen  Welt  an  sich  zu  reißen.  Um  die  Völker 
von  ihrer  unerträglichen  kommerziellen  Tyrannei  zu  befreien,  ist  es  nötig,  ihren 


—     262     — 

Einfluß  durch  eine  Seemacht  zu  balancieren,  die  ihnen  eines  Tages  die  Handels- 
suprematie streitig  machen  kann.  Diese  Macht  sind  die  Vereinigten  Staaten. 
Stärke  ich  deren  Stellung  durch  Abtreten  des  Mississippigebiets,  so  erhält  Eng- 
land im  Welthandel  einen  Mitbewerber,  der  seinen  Übermut  früher  oder  später 
dämpfen  wird." 

Die  mit  den  Vereinigten  Staaten  angeknüpften  Verhandlungen  kamen  am 
30.  April  1803  zum  Abschluß,  wodurch  Louisiana  gegen  eine  Summe  von 
15  Millionen  Dollar  an  die  Vereinigten  Staaten  überging.  Durch  dieses  groß- 
artigste Landkaufgeschäft  aller  Zeiten  wurden  die  Vereinigten  Staaten  um  ein 
Gebiet  bereichert,  das  demjenigen  von  Großbritannien,  Deutschland,  Frank- 
reich, Spanien,  Portugal,  Italien  und  der  Schweiz  gleichkommt  und  den  bis- 
herigen Flächeninhalt  der  Union  verdoppelte. 

Von  welch  unermeßlicher  Bedeutung  die  Erwerbung  Louisianas  für  die 
Kulturentwicklung  der  Vereinigten  Staaten  werden  sollte,  konnte  damals  aller- 
dings niemand  voraussehen,  da  man  weder  die  fabelhafte  Ausdehnung  des 
Mississippisystems,  noch  die  Beschaffenheit  der  westlich  vom  Hauptstrom  lie- 
genden Ländermassen  kannte. 

Vorderhand  war  für  die  Amerikaner  kein  Punkt  so  wichtig,  als  der 
durch  den  Ankauf  Louisianas  ermöglichte  freie  Verkehr  auf  dem  Mississippi. 
Das  war  ein  Gewinn,  der  alles  andere  überschattete.  Denn  nun  war  den  west- 
lich von  den  Alleghanygebirgen  entstandenen  Staaten  die  heiß  ersehnte  Mög- 
lichkeit geboten,  mit  ihren   Erzeugnissen  auf  dem  Weltmarkt  zu  erscheinen. 

Ihr  dadurch  bewirkter  Aufschwung  wurde  durch  die  gleichzeitige  Er- 
findung der  Dampfboote  mächtig  gefördert.  Kaum  hatte  Fulton  durch  seine 
im  Jahre  1807  mit  dem  Dampfer  „Clermont"  zurückgelegte  Fahrt  auf  dem 
Hudson  die  Verwendbarkeit  der  Dampfkraft  für  die  Schiffahrt  bewiesen,  so  be- 
gannen die  Flüsse  Amerikas  sich  mit  diesen  neuen  Verkehrsmitteln  zu  bedecken. 
Das  erste  Dampfschiff  der  westlichen  Ströme  wurde  bereits  im  Jahre  1811  von 
dem  Deutschen  Bernhardt  Rosefeldt  in  Pittsburgh  erbaut  und  auf  den 
Namen  „New  Orleans"  getauft.  Sein  Führer  war  gleichfalls  ein  Deutscher, 
Kapitän  Heinrich  Schreeve,  derselbe,  welcher  eine  Dampfmaschine  zum 
Zersägen  und  Entfernen  der  die  Schiffahrt  auf  den  westlichen  Strömen  so  sehr 
gefährdenden  „snags"  (losgewaschene,  mit  ihren  Wurzeln  und  Ästen  in  den 
Flußbetten  verankerte  Baumstämme)  erfand.  Sein  Name  ist  in  demjenigen  der 
Stadt  Shreevesport  in  Louisiana  erhalten. 

Der  Dampfer  machte  noch  im  Jahr  seiner  Erbauung  die  erste  Reise  den 
Ohio  und  Mississippi  hinab.  Es  war  eine  ereignisreiche  Fahrt,  während  der 
man  unter  anderem  ein  heftiges  Erdbeben  erlebte,  das  damals  das  untere 
Mississippital  heimsuchte. 

Mit  dem  Aufkommen  der  Dampfboote  und  der  gleichzeitigen  Anlage  von 
Schiffskanälen  öffneten  sich  den  Einwandrern  mehrere  neue,  bequemere  Wege 
zum  Westen.  Der  eine  führte  von  New  York  den  Hudson  hinauf  bis  Albany. 
Dort  bestiegen  die  Reisenden  Kanalboote  zur  Fahrt  nach  Buffalo,  von  wo  aus 


—     263     — 

Dampfer  den  Weitertransport  über  die  großen  Seen  nach  den  im  Westen  ent- 
standenen Ansiedlungen  vermittelten. 

Den  von  England  kommenden  Einwandrern  bot  sich  ein  ähnlicher  Weg, 
wenn  sie  den  St.  Lorenzstrom  hinauf  bis  Toronto  reisten  und  von  dort  die 
Schiffe  benutzten,  welche  die  großen  Binnenseen  befuhren. 

Eine  dritte  Verbindung  boten  jene  Dampferlinien,  welche  von  euro- 
päischen und  amerikanischen  Häfen  aus  einen  direkten  Verkehr  mit  New  Orleans 
aufnahmen,  wo  bequem  eingerichtete  Flußdampfer  die  Weiterreise  den  Mis- 
sissippi und  seine  Nebenflüsse  hinauf  ermöglichten.    Infolge  dieser  bequemeren 


Eine  Eisenbahn  im  Mohawktal  im  Jahre  1835. 

Nach  einem  gleichzeitigen  Stahlstich. 


und  billigeren  Verbindungen  steigerte  sich  die  Einwandrung  in  die  Täler  des 
Ohio  und  Mississippi  von  Jahr  zu  Jahr. 

Die  Erfindung  der  Eisenbahnen  fügte  den  bisher  bekannten  Mitteln  zur 
Überwindung  räumlicher  Entfernungen  neue  von  größter  Bedeutung  hinzu. 
y"  Mit  der  gleichen  Energie,  welche  die  Amerikaner  bisher  beim  Dienstbar- 
machen der  Natur,  im  Ausbeuten  ihrer  reichen  Gaben  bekundeten,  schritten  sie 
nun  dazu,  ihr  Land  mit  einem  förmlichen  Netz  von  Schienengleisen  zu 
überziehen.  Bei  der  Anlage  solcher  Eisenbahnen  rechneten  sie  nicht  wie  die 
Europäer  auf  sofortigen  Gewinn,  sondern  bauten  die  Bahnen  oft  in  ganz  un- 
bewohnte Wildnisse  hinein,  um  den  Ansiedlern  die  Möglichkeit  zu  bieten,  nach- 
zurücken und  ihre  Erzeugnisse  zu  befördern. 


—     264     — 

Mit  dieser  Ära  der  Dampfer  und  Eisenbahnen  hebt  recht  eigentlich  die 
große  amerikanische  Völkerwanderung  an,  eine  Völkerwanderung,  die  sich  von 
derjenigen  des  Altertums  dadurch  unterscheidet,  daß  sich  nicht  wie  damals 
ganze,  im  Rücken  bedrängte  Völkerstämme  auf  schwächere  warfen  und  sie  mit 
Langschwertern  und  Streithämmern  aus  ihren  Wohnsitzen  vertrieben.  Es 
waren  vielmehr  unzählige  einzelne  Personen,  Familien  und  kleine  Haufen,  die 
sich  von  den  in  Europa  und  im  Osten  der  Vereinigten  Staaten  bestehenden 
Gemeinwesen  ablösten,  um  mit  Axt  und  Spaten  an  der  friedlichen  Eroberung 
der  noch  unkultivierten  Gebiete  der  Neuen  Welt  teilzunehmen. 

Die  große  Masse  der  aus  Deutschland  kommenden  Einwandrung  jener 
Zeit  bestand  nach  wie  vor  aus  Landlenten  und  Handwerkern.  Neben  ihnen 
erschienen  von  jetzt  ab  auch  Angehörige  der  gebildeten  Klassen  in  größerer 
Zahl:  Männer,  die,  durch  die  trostlosen  politischen  Zustände  ihres  Vaterlandes 
bitter  enttäuscht,  in   der  Fremde   günstigere  Verhältnisse   zu  finden   hofften. 

Bekanntlich  hatte  das  deutsche  Volk  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
überaus  schwere  Kämpfe  gegen  Napoleon  führen  müssen,  jenen  genialen  Aben- 
teurer, der  sich  vom  Konsul  der  französischen  Republik  zunächst  zum  Diktator, 
dann  zum  Kaiser  aufwarf  und  unter  Ström.en  Blutes  ein  Weltreich  aufzurichten 
suchte.  Während  der  durch  ihn  heraufbeschworenen  furchtbaren  Zeit  erlitt 
Deutschland  seinen  tiefsten  Fall,  indem  es  unter  die  Zwangsherrschaft  des 
Korsen  geriet. 

Aber  dieser  Fall  war  notwendig,  um  dem  deutschen  Volk  den  Weg  zu 
seiner  Wiedergeburt  zu  zeigen.  In  allen  Schichten  rang  sich  die  Erkenntnis 
durch,  daß  ein  Zusammenfassen  sämtlicher  Kräfte,  ein  geeintes  Deutschland 
nötig  seien,  um  die  Fremdherrschaft  abzuschütteln.  Unter  dem  gewaltigen 
Druck  eiserner  Notwendigkeit  entwickelte  sich  ein  früher  nie  gekanntes  natio- 
nales Gefühl,  das  die  Herzen  der  deutschen  Dichter  und  Denker  wunderbar 
bewegte  und  ihnen  Töne  verlieh,  wie  sie  erhabener  nie  zuvor  erklungen  waren. 

,.0h  lerne  fühlen,  welchen  Stamms  du  bist! 
Die  angebor'nen  Bande  knüpfe  fest. 
Ans  Vaterland,  ans  teure  schließ  dich  an, 
Das  halte  fest  mit  deinem  ganzen  Herzen, 
Hier  sind  die  starken  Wurzeln  deiner  Kraft!" 

So  mahnte  Schiller  in  seinem  „Wilhelm  Teil",  diesem  geharnischten  Protest 
gegen  jede  Unterdrückung  echter  Manneswürde. 

Zur  selben  Zeit  sangen  Kleist,  Schenkendorf,  Körner  und  Arndt  ihre  be- 
geisternden Freiheitslieder;  Fichte  hielt  seine  berühmten  „Reden  an  die  deutsche 
Nation";  Ludwig  Jahn,  der  Vater  der  deutschen  Turnerei,  Freiherr  Karl  von 
Stein,  Hardenberg  und  viele  andere  sorgten  für  die  Kräftigung  und  Nationali- 
sierung der  Jugend.  Und  als  endlich  die  entscheidende  Stunde  schlug,  da  war 
dank  der  unermüdlichen  Arbeit  dieser  patriotischen  Männer  das  deutsche  Volk 
geistig  und  körperlich  so  erstarkt,  daß  es  vermochte,  in  dem  großen  Jahre  1813 
das  entehrende  Joch  der  Fremdherrschaft  abzuschütteln. 


—     265     — 

Wohl  hätte  es  für  die  dabei  bewiesene  Aufopferung  und  heldenmütige 
Tapferkeit  den  tiefsten  Dank  seiner  Fürsten  verdient.  Aber  diese  vermochten 
nicht,  sich  zu  gleich  hohem  Fluge  zu  erheben.  Sie  ließen  nicht  nur  ihre  vor 
dem  Krieg  gemachten  feierlichen  Versprechungen,  dem  Volk  eine  Vertretung 
bei  der  Regierung  zu  geben,  unerfüllt,  sondern  versuchten  alle  freiheitlichen 
Regungen  des  Volkes  zu  ersticken,  v/ährend  sie  selbst  in  das  widerwärtige,  dem 
Geist  des  19.  Jahrhunderts  hohnsprechende  Treiben  ihrer  Väter  zurück- 
veriielen. 

Zum  Unglück  standen  die  deutschen  Fürsten  damals  unter  dem  Bann 
des  österreichischen  Staatskanzlers  Clemens  Lothar  von  Metternich,  eines  jedem 
Fortschritt  abgeneigten  Finsterlings,  dem,  wie  seinem  vom  starren  Bewußtsein 
absoluter  Herrscherrechte  erfüllten  Kaiser  Franz  I.  alle  Ktmdgebungen  ver- 
haßt waren,  die  auf  den  nationalen  Znsammenschluß  des  deutschen  Volkes  ab- 
zielten. Beide  ahnten,  daß  eine  solche  Einigung  das  Ende  der  österreichischen 
Vorherrschaft  in  Deutschland  zur  Folge  haben  müsse. 

Auf  das  Betreiben  dieser  beiden  Männer  wurden  sämtliche  Turnvereine 
und  Studentenverbindungen  aufgelöst,  alle  deutsch-national  gesinnten  Pro- 
fessoren der  Universitäten  entlassen,  alle  Zeitungen  und  Bücher  einer  scharfen 
Zensur  unterworfen.  Um  Personen  ausfindig  zu  m.achen,  die  durch  ihre  An- 
sichten und  Lehren  dem  Absolutismus  der  Flerrscher  gefährlich  werden  könnten, 
setzte  man  eine  „Zentral-Untersuchungskommission"  ein,  die  sich  in  ihrer  De- 
magogenriecherei  der  unglaublichsten  Überschreitungen  schuldig  machte,  Hun- 
derte von  Studenten  verhaften  und  von  Festung  zu  Festung  schleppen  ließ,  bloß 
weil  sie  vaterländische  Lieder  gesungen  oder  die  verpönten  schwarz-rot-goldenen 
Farben  getragen  hatten.  Es  ist  bezeichnend  für  den  Fanatismus  jenes  Aus- 
schusses, daß  derselbe  sogar  Männer  wie  Blücher,  Gneisenau,  York,  von  Stein, 
Fichte  und  Schleiermacher  als  revolutionärer  Bestrebungen  verdächtig  er- 
klären durfte. 

In  dieser  hoffnungslosen  Zeit,  die  jeden  patriotisch  fühlenden  und  fort- 
schrittlich veranlagten  Mann  mit  Ekel  erfüllen  mußte,  erschien  in  Deutschland 
ein  Buch,  das  ungeheures  Aufsehen  erregte.  Sein  Verfasser  war  der  Arzt 
Gottfried  Duden,  welcher  im  Jahre  1824  eine  Reise  nach  Nordamerika 
unternommen  hatte  und  durch  Maryland,  Virgin ien  und  die  am  Ohio  entstan- 
denen Staaten  nach  Missouri  gekommen  war.  Sechzig  Meilen  westlich  von 
St.  Louis  erwarb  er  ein  Gut,  das  er,  da  er  ausreichende  Mittel  besaß,  klären 
und  bestellen  ließ.  Die  Mußestunden  verbrachte  Duden  mit  der  Schilderung 
seiner  Reisen,  der  amerikanischen  Verhältnisse  und  der  Jagdromantik  der  west- 
lichen Wildnis,  in  der  es  von  Hirschen,  Büffeln,  Hasen,  Präriehühnern  usw. 
v/immle.  Er  beschrieb  den  neapolitanisch  blauen  Himmel,  die  reizvolle  Fär- 
bung der  herbstlichen  Wälder  und  tausend  andere  Dinge,  die  jeden  Freund 
_der  Länderkunde  aufs  höchste  interessieren  mußten.  In  der  Hauptsache  getreu, 
zeichneten  Dudens  Darstellungen  sich  vor  allen  früher  erschienenen  Berichten 
über  Amerika  durch  glänzende  Frische  und  romantische  Färbung  aus.     Ins- 


—     266     — 

besondere  ließen  sie  die  in  Missouri  herrschenden  Zustände  und  Aussichten 
im  Gegensatz  zu  den  trostlosen  Deutschlands  geradezu  verlockend  erscheinen. 
Dieser,  zuerst  im  Jahre  1829  in  Bonn  veröffentlichte  „Bericht  über  eine 
Reise  nach  den  westlichen  Staaten  Nordamerikas"  erfreute  sich  bei  allen  Ge- 
bildeten einer  überraschend  günstigen  Aufnahme.  Ihnen,  die  in  dumpfer  Re- 
signation unter  der  Willkür  der  Fürsten  und  der  rückschrittlich  gesinnten 
Beamtenheere  dahinlebten,  eröffnete  sich  urplötzlich  der  AusbHck  auf  ein  Land, 
dessen  jungfräuliche  Erde  nicht  bloß  tausendfältigen  Lohn  für  die  auf  ihn  ver- 
wendete Mühe  verhieß,  sondern  wo  man  sich  schrankenloser  Freiheit  erfreuen 


Einwandrer  auf  ihrem  Zug  gen  Westen. 

Nach  einer  Zeichnung  von   F.  O.  Darley. 


und  die  eigenen  Ideen  über  Regierung  und  Staatsform  verwirklichen 
konnte. 

Vielen  Familien  wurde  Dudens  Buch  zur  täglichen  Lektüre.  Um  auch 
wenig  Bemittelten  die  Anschaffung  zu  erleichtern,  ließen  Freunde  und  Begün- 
stiger der  Auswandrung  zahlreiche  billige  Ausgaben  herstellen  und  verbreiten. 
Infolgedessen  kam  ein  förmliches  Auswandrungsfieber  zum  Ausbruch.  Tausende 
von  Leuten,  denen  „der  Duden  den  Kopf  verrückt  hatte'',  schickten  sich  zur 
weiten  Reise  nach  Missouri  an. 

Es  waren  nicht  bloß  Bauern,  sondern  Männer,  die  gebildeten,  ja  ge- 
lehrten Ständen  angehörten,  nun  aber  den  Schulstaub  von  sich  abwuschen,  um 


—     267     — 

im  frischen  Tau  der  Urwälder  neues  Leben  zu  trinken.  Mit  ihnen  zogen  Jüng- 
linge, welche  die  Feder,  nie  aber  die  Holzaxt  geführt,  Frauen,  welche  daheim 
den  Teetisch  serviert,  aber  nie  harte  Handarbeiten  kennen  gelernt  hatten. 

Viele  dieser  Auswandrer  blieben,  müde  der  langen  Reise,  in  den  Oststaaten 
oder  am  Ohio.  Manche,  bitter  enttäuscht,  verdarben  in  Elend.  Viele  aber 
gelangten  wirklich  ans  Ziel  und  ließen  sich  im  Tal  des  Mississippi  nieder. 
Hier  schufen  sie,  umgeben  von  anderen  Ansiedlern,  die  berühmten  „latei- 
nischen Settlement  s",  die  ihren  Namen  daher  erhielten,  weil  ihre  Be- 
sitzer  hochgebildete   Leute   waren,   die   Universitätsbildung   genossen    hatten, 


Ansiedler  beim  Errichten  ihrer  Heimstätte. 


Latein  verstanden  und  das  Studium  der  alten  Klassiker  dem  müßigen  Dispu- 
tieren in  den  Wirtshäusern  vorzogen. 

Zu  diesen  „lateinischen  Farmern'V)  von  denen  viele  tüchtige  Landwirte 
wurden,  zählten  der  bayrische  Appellationsrat  Theodor  Hilgard,  der 
Forstmeister  Friedrich  E  n  g  e  1  m.  a  n  n  ,  die  Rechtsgelehrten  Wilhelm 
Weber  und  Gustav  Körner,  die  Ärzte  Gustav  Bunsen,  Adolf 


^)  Da  unter  den  , lateinischen  Farmern"  natürlich  auch  viele  Personen  waren,  die 
von  der  Landwirtschaft  nichts  verstanden  und  nur  aus  Liebe  zur  Unabhängigkeit  diesen 
mühseligen  Beruf  gewählt  hatten,  so  erhielt  die  Bezeichnung  später  einen  etwas  spöttischen 
Beigeschmack.  Man  fand  solche  lateinischen  Settlements"  sowohl  in  i  Illinois,  Missouri 
und  Wisconsin. 


—     268     — 

R  e  ti  ß  und  Adolf  Berchelmann,  der  Geschichtsprofessor  Anton 
Schott,  der  Prediger  Michael  Ruppelius,  der  Schuldirektor  Georg 
ß  u  n  s  e  n  und  viele  andere  Gleichgesinnte.  Die  hier  Genannten  ließen  sich 
sämtlich  in  dem  südöstlich  von  St.  Louis  gelegenen  Örtchen  Belleville  nieder, 
das  sie  zu  einer  überaus  fruchtbaren  deutsch-amerikanischen  Bildungsstätte  um- 
wandelten, von  wo  viele  berühmte  Männer  ausgingen. 

Die  Einwandrung  ins  Mississippital  nahm  von  Jahr  zu  Jahr  zu.  Aus 
Europa,  vom  Osten  und  Süden  zogen  Menschen  herbei.  Welche  Massen  sich 
in  Bewegung  setzten,  erhellt  am  klarsten  aus  der  Tatsache,  daß  innerhalb  der 
Monate  Januar,  Februar  und  März  1842  in  St.  Louis  529  Dampfboote  anlegten, 
die  insgesamt  30  384  Personen  brachten. 

Allerorten  wuchsen  die  Ansiedlungen  wie  Pilze  aus  der  Erde.  St.  Louis 
entwickelte  sich  zu  einem  Haupthandelsplatz  und  Zentralpunkt  für  die  Dampf- 
schiffahrt des  gewaltigen  Mississippisystems.  Bereits  in  der  Mitte  der  vier- 
ziger Jahre  zählte  die  Stadt  40  000  Bewohner.  Daß  daselbst  zwei  tägliche 
deutsche  Zeitungen  bestehen  konnten,  zeugt  für  die  Stärke  der  damaligen 
deutschen  Bevölkerung. 

Im  unteren  Strom.gebiet  ließen  sich  die  Deutschen  hauptsächlich  in  Mem- 
phis, Vicksburg,  Natchez  und  New  Orleans  nieder.  In  der  letztgenannten  Stadt 
lebten  im  Jahre  1841  bereits  10  000  Deutsche. 

Am  oberen  Stromlauf  wurden  die  Städte  Altona,  Quincy,  Keokuk,  Bur- 
lington, Davenport,  Dubuque,  Winona,  St.  Paul  und  Minneapolis,  an  den 
großen  Binnenseen  Chicago,  Milwaukee  und  Detroit  Sitze  regen  deutschen 
Lebens.  Und  zugleich  Ausgangspunkte  neuer  Niederlassungen,  die  an  den 
Nebenflüssen  des  Mississippi  und  den  zahllosen  Seen  entstanden,  die  gleich 
tausend  blauen  Augen  aus  den  Wäldern  und  Grassteppen  von  Wisconsin, 
Minnesota,  Dakota,  Nebraska  und  Iowa  emporglänzen.  Manche  jener  Nieder- 
lassungen kennzeichnen  sich  durch  ihre  Namen^)  und  die  Mundart  ihrer  Be- 
wohner noch  heute  als  schwäbische,  fränkische,  thüringische,  niederdeutsche 
oder  schweizerische  Gründungen. 

Fast  allen  war  eine  ruhige,  stete  Entwicklung  beschieden;  denn  mit  dem 
einzigen  Bevölkerungselement,  welches  Störungen  hätte  verursachen  können, 
den  Indianern,  wußten  die  Deutschen  im  allgemeinen  stets  in  Frieden  aus- 
zukommen. 

In  der  Tat  ereignete  sich  nur  ein  größerer  Indianerüberfall  auf  eine 
deutsche  Ansiedlung :  derjenige  der  Sioux  auf  N  e  u  -  U  1  m  in  Minnesota.  Dieser 
Ort  ist  eine  Gründung  unternehmungslustiger  Turner  aus  Chicago,  die  im 
Jahre  1856  das  schöne  Tal  des  Minnesotaflusses  als  neue  Heimat  auserkoren. 


^)  Solche  Orte  sind  im  Staate  Missouri:  Westphalia,  Germantown,  Hermann,  Neu- 
Hamburg,  Dammüiler,  Diehlstadt,  Altenburg,  Biehla,  Frohne,  Wittenberg,  Carola  u.  a.  In  Iowa 
finden  wir  Neu-Wien  (New  Vienna),  Guttenberg,  Minden  usw.  In  Illinois  Arenzville;  in 
Wisconsin  Germantown,  New  Köln,  New  Holstein,  Town  Schleswig  u.  a. 


~    26Q     — 

^  Das  hier  erbaute  Städtchen  zählte  im  Soinnier  1862  bereits  1500  Be- 
wohner, die  friedfertig  ihren  Beschäftigungen  nachgingen,  ohne  zu  ahnen,  daß 
sie  von  schwerem  Unheil  bedroht  seien. 

Die  mächtigen  Sioux  oder  Dakotas  beschritten  nämlich,  erbittert  über  die 
von  betrügerischen  Regierungsagenten  an  ihnen  verübten  Gaunereien,  den 
Kriegspfad  und  fielen  plötzlich  über  die  im  Tal  des  Minnesota  liegendeii  An- 
siedlungen  her.  Sie  schlachteten  zunächst  eine  Anzahl  vereinzelt  wohnender 
Ansiedler  ab  und  wandten  sich  dann  in  dichten  Scharen  gegen  das  Städtchen 
Neu-Ulm. 


Sioux-Indianer. 


Am  IQ.  August  unternahmen  sie  einen  wütenden  Angriff  auf  den  Ort, 
dessen  verstreut  liegende  Häuser  für  Verteidigungszwecke  wenig  geeignet 
waren.  Zahlreiche  Wohnungen  gingen  in  Flammen  auf.  Ihre  Bewohner  zogen 
sich,  beständig  fechtend,  in  die  Mitte  des  Ortes  zurück,  wo  sie  sich  hinter 
eiligst  errichteten  Barrikaden  aus  Fässern,  Betten,  Kisten  und  Ackergeräten 
verschanzten.  Der  Kampf  dauerte  ohne  Unterbrechung  bis  in  die  Nacht  hinein. 
Mancher  brave  Deutsche  fiel  dabei  in  der  Verteidigung  seiner  Familie.  Als 
der  nächste  Morgen  anbrach,  waren  die  Rothäute  verschwunden.  Aber  bereits 
am  23.  August  erschienen  sie  bedeutend  verstärkt  aufs  neue,  entschlossen,  Neu- 
Ulm  und  seine  Verteidiger  gänzlich  zu  vertilgen. 

Gegen  9  Uhr  morgens  sah  man  in  der  Feme  den  Rauch  brennender 
Hütten  emporwirbeln.    Bald  darauf  tauchten  ganze  Scharen  berittener  Indianer 


—     270     — 

hinter  den  Hügeln  auf.  250  Deutsche  unter  der  Führung  des  Richters  Flandreau 
stelhen  sich  ihnen  außerhalb  des  Ortes  entgegen. 

Mit  fliegender  Eile  brausten  die  Sioux  auf  ihren  flinken  Ponies  heran,  in 
ihrem  farbigen  Aufputz,  der  bunten  Kriegsmalerei,  den  flatternden  Federn  und 
hochgeschwungenen  Waffen  im  hellen  Sonnenschein  ein  überaus  phantastisches 
Bild  darbietend.  Ehe  sie  in  Schußweite  gelangten,  entfalteten  die  indianischen 
Massen  sich  gleich  einem  gewaltigen  Fächer  und  stürmten  unter  wahrhaft 
teuflischem  Geheul  auf  die  Weißen  herein. 

Es  zeigte  sich  bald,  daß  die  von  dem  Richter  Flandreau  angeordnete 


Überfall  einer  Auswandrerkarawane. 


Aufstellung  der  Weißen  durchaus  verkehrt  war,  denn  die  Indianer  breiteten 
sich  immer  weiter  aus,  um  die  Deutschen  zu  umzingeln  und  auch  im  Rücken 
anzugreifen.  In  scharfem  Gefecht  zogen  die  letzteren  sich  deshalb  auf  den  Ort 
zurück,  um  diesen  zu  verteidigen.  Daß  man  es  mit  verschlagenen  Gegnern  zu 
tun  hatte,  ergab  der  weitere  Verlauf  des  Kampfes.  Da  der  Wind  vom  unteren 
Ende  des  Ortes  kam,  so  setzten  die  Sioux  die  dort  stehenden  Häuser  in  Brand 
und  rückten  unter  dem  Schutz  des  aufsteigenden  Qualmes  Schritt  für  Schritt 
vor.  Die  sonst  so  friedliche  Hochebene  verwandelte  sich  in  ein  einziges  Flam- 
menmeer, dessen  Ausbreitung  die  Belagerten  auf  ein  immer  kleiner  werdendes 
Terrain  beschränkte.  Zuletzt  hatten  sie  nur  noch  einen  mit  Barrikaden  um- 
gebenen offenen  Platz  inne.    Von  diesem  aus  verteidigten  sie  sich  während  des 


—     271     — 

Restes  des  Tages  und  am  folgenden  Morgen  mit  solcher  Hartnäckigkeit,  daß 
die  Feinde  an  einem  Erfolg  verzweifelten  und  endlich  abzogen. 

178  Gebäude  waren  verbrannt,  viele  Familien  ganz  oder  teilweise  unter- 
gegangen. Da  eine  nochmalige  Rückkehr  der  Feinde  zu  befürchten  stand,  so  ver- 
ließen die  Überlebenden  am  26.  August  den  verwüsteten  Platz,  um  sich  in  eine 
der  nächsten  Ortschaften  zurückzuziehen.  Der  traurige  Zug,  auf  dem  man  die 
Frauen  und  Kinder  sowie  die  56  Verwundeten  beförderte,  zählte  150  Wagen. 

Insgesamt  kamen  während  der  von   den   Sioux  angerichteten   Metzelei 


Abgeschlachtet! 

Eine  Szene  aus  den  Indianerkriegen  des  fernen  Westens. 

644  Ansiedler  und  93  Soldaten  ums  Leben.     Zudem  war  in  weitem  Umkreis 
das  ganze  Land  verwüstet. 

Erst  nachdem  die  herbeigezogenen  Truppen  die  Rothäute  vertrieben 
hatten,  kehrten  die  Bewohner  von  Neu-Ulm  zurück,  um  mit  dem  Wiederaufbau 
ihres  Städtchens  zu  beginnen.  Neue  Ansiedler  traten  an  die  Stelle  der  Ge- 
fallenen; da  die  Regierung  auch  den  erlittenen  Schaden  vergütete,  so  erholte 
sich  die  Kolonie  rasch  wieder  und  erlangte  nach  einigen  Jahren  ihr  früheres 
blühendes  Aussehen. 


—     272     — 

An  der  ferneren  Entwicklung  der  im  Stromgebiet  des  Mississippi  und  an 
den  großen  Seen  gelegenen  ungeheuren  Ländermassen  gebührt  den  Deutschen 
ein  Hauptanteil.  Die  Chroniken  fast  aller  hier  entstandenen  Staaten  und  Städte 
enthalten  tausende  und  abertausende  von  Namen  wackrer  deutscher  Männer,  die 
sich  durch  fleißige  Arbeit  und  ernstes  Streben,  durch  die  Gründung  von  Schulen 
und  Kirchen,  Turn-,  Musik-  und  Gesangvereinen,  wissenschaftlichen  und  wohl- 
tätigen Gesellschaften  um  den  Aufbau  und  die  Entwicklung  des  kultureilen 
Lebens  in  jenen  Staaten  und  Gemeinwesen  hochverdient  machten. 


'  «i^ol   '—■ 


Deutsche  Pioniere  des  fernen  Westens. 


Von  welcher  Beschaffenheit  die  wesüich  vom  Mississippi  gelegenen  Ge- 
biete seien,  wußte  zur  Zeit  des  Ankaufs  von  Louisiana  niemand  zu  sagen.  Noch 
hatte  kein  Boot  die  mächtigen  Ströme  jenes  geheimnisvollen  Westlandes  be- 
fahren, noch  kein  Weißer  die  endlosen  Steppen  gekreuzt  oder  die  himmelan- 
ragenden Felsengebirge  erstiegen.  So  zeigten  denn  auch  die  Landkarten  jener 
Zeit  zwischen  dem  Mississippi  und  Großen  Ozean  einen  gewaltigen  weißen 
Fleck,  wo  die  lakonischen  Worte  standen:  „Die  große  amerikanische  Wüste. 
Noch  unerforscht." 

Die  den  Bürgern  des  jungen  amerikanischen  Staatenbundes  innewohnende 
Energie  und  Regsamkeit  duldeten  aber  nicht  lange  diesen  Zustand.  Bereits  im 
Jahre  1803  erhielten  die  Kapitäne  Meriwether  Lewis  und  William  Clarke  den 
gefahrvollen  Auftrag,  als  Erste  in  jene  Wildnis  vorzudringen.  Ihre  über  mehrere 
Jahre  sich  erstreckende  Reise  von  der  Mündung  des  Missouri  bis  zu  den  Ge- 
staden des  Großen  Ozeans,  sowie  die  bald  darauf  folgende  Forschungsreise  des 
Leutnants  Zebuion  M.  Pike  nach  den  Felsengebirgen  bezeichneten  den  Anbruch 
einer  glorreichen  Epoche  geographischer  Entdeckungen,  wie  glänzender  und 
segensreicher  Amerika  sie  bisher  nicht  erlebt  hatte.  Erfolgte  doch  in  diesem 
bis  etwa  zum  Jahre  1870  reichenden  Zeitabschnitt  die  Erschließung  des  fernen 
Westens,  jenes  Gebietes,  das  mit  seinen  Prärieen  und  Gebirgen,  seinen  unermeß- 

Kopfleiste:    Astoria  im  Jahre  1812. 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  18 


—    274     — 


liehen  Reichtümern  an  Gold,  Silber  und  anderen  wertvollen  Metallen,  seinen 
einzig  dastehenden  Landschaften  und  Naturmerkwürdigkeiten  das  „Wunder- 
land der  Neuen  Welt'*  genannt  zu  werden  verdient. 

Die  Schilde- 
rungen der  ge- 
nannten drei 
Reisenden,  die  in 
warmer  Begei- 
sterung von  den 
reichen  Schätzen 
und  Schönheiten 
Oregons  —  so 
wurden  die  Ge- 
biete amColumbia 
genannt  —  und 
der  noch  unter 
spanischer  Herr- 
schaft stehenden 
FelsengebirgeCo- 
lorados  und  Neu- 

Mexikos  spra- 
chen, blieben  auf 
dieleicht  entzünd- 
bare    Abenteuer- 
lust der  Amerika- 
ner   nicht    ohne 
Wirkung.      Pelz- 
händler und  Trap- 
per begannen 
ihren  Weg   dort- 
hin   zu   nehmen. 
Sie    entflammten 
auch  den  in  New 
York  lebenden 
Deutsch-Amerika- 
ner Johann 
Jakob  Astor 
zur  Gründung  der 
„Amerikanischen  Pelzhandels-Gesellschaft"  und  zur  Ent- 
sendung zweier  großartiger  Expeditionen  nach  Oregon. 

Astor,  im  Jahre  1763  in  dem  badischen  Dörfchen  Waldorf  geboren,  war 
1784  nach  Amerika  gekommen.  Während  der  Überfahrt  hatte  sein  guter  Stern 
ihm  mit  einem  Landsmann  zusammengeführt,  der  im  Pelzhandel  ein  ansehn- 


—     275     — 

liches  Vermögen  erworben  hatte.  Durch  ihn  ließ  Astor  sich  bestimmen,  das- 
selbe Geschäft  zu  ergreifen.  Er  tat  dies  mit  solchem  Erfolg,  daß  er  nach  einigen 
Jahren  bereits  eigne  Handelsexpeditionen  ausrüsten  konnte.  Mit  seltenem 
Scharfblick  für  das  Erkennen  günstiger  Gelegenheiten  und  das  Beurteilen  aus- 
wärtiger Verhältnissse  begabt,  wandte  Astor  sich  hauptsächlich  dem  Handel 
mit  England  und  China  zu.  Er  war  der  erste  amerikanische  Kaufmann,  dessen 
Fahrzeuge  auf  beständigen  Handelsreisen  den  Erdball  umschifften.  Von  New 
York  aus  segelten  dieselben  mit  amerikanischen  Pelzwaren  nach  England. 
Hatten  sie  dort  ihre  Ladung  gelöscht,  so  traten  sie,  mit  englischen  Waren  be- 
frachtet, die  lange  Reise  um  das  Vorgebirge  der  Guten  Hoffnung  nach  Indien 
und  China  an.  Nachdem  sie  dort  ihre  Güter  abgeliefert,  nahmen  sie  Seide,  Tee, 
Gewürze  und  andere  orientalische  Kostbarkeiten  an  Bord,  um  endlich  um  die 
Südspitze  Südamerikas  herum  nach  New  York  zurückzukehren.  Für  solche, 
fabelhafte  Gewinste  bringende  Rundreisen  benötigten  die  Schiffe  in  der  Regel 
zwei  Jahre. 

Bereits  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  galt  Astor  als  einer  der  reichsten 
Männer  der  Stadt  New  York.  Ohne  Frage  war  er  auch  einer  der  kühnsten 
und  unternehmungslustigsten.  Daß  ihm  zuerst  die  große  kommerzielle  Be- 
deutung der  Westküste  Amerikas  vor  die  Seele  trat,  beweist  sein  wohldurch- 
dachter Plan,  in  Oregon  eine  Pelzhandelsstation  zu  errichten. 

Der  Pelzhandel  bildete  bekanntlich  die  wichtigste  Einnahmequelle  Nord- 
amerikas. Mit  dem  Übergang  Canadas  an  England  war  er  aber  nahezu  ein 
A4onopol  der  Hudsons  Bai  Compagnie  geworden,  die  über  ungeheure  Mittel 
verfügte  und  ihre  tyrannische  Macht  bis  in  die  südlich  von  den  großen  Seen 
und  am  oberen  Mississippi  und  Missouri  gelegenen  amerikanischen  Gebiete 
fühlbar  machte.  Auch  im.  Mündungsgebiet  des  von  den  Amerikanern  entdeckten 
und  zuerst  befahrenen  Columbia  machte  die  Hudsons  Bai  Compagnie  den  Ame- 
rikanern den  Platz  an  der  Sonne  streitig. 

Um  diese  Tyrannei  zu  brechen,  beschloß  Astor  eine  Kette  befestigter  Han- 
delsstationen zu  gründen,  die  von  der  Mündung  des  Missouri  bis  zu  den 
Quellen  desselben  und  von  da  über  die  Felsengebirge  und  den  Columbia  ent- 
lang bis  zur  Küste  des  Großen  Ozeans  reichen  solle.  Am  Ausfluß  des  Columbia 
plante  Astor  eine  mit  einem  Hafen  verbundene  Hauptniederlage,  von  wo  seine 
Schiffe  regelmäßige  Reisen  nach  China  und  Alaska  ausführen  könnten.  Diese 
Station  sollte  den  Anfang  zu  ähnlichen  Kolonien  fleißiger  und  energischer 
Amerikaner  bilden,  wie  sie  im  Osten,  an  den  Gestaden  des  Atlantischen  Ozeans, 
bereits  in  so  großer  Zahl  emporgeblüht  waren. 

Die  Bundesregierung  brachte  den  Plänen  des  Deutschamerikaners  leb- 
haftes Interesse  entgegen.  Präsident  Thomas  Jefferson  schrieb  persönlich  an 
Astor:  „Ich  betrachte  die  Anlage  von  Niederlassungen  an  der  Nordwestküste 
als  einen  großen  öffentlichen  Gewinn  und  sehe  mit  freudiger  Genugtuung  die 
Zeit  kommen,  wo  die  Nachkommen  der  ersten  Ansiedler  sich  über  die  ganze 
Länge  jener  Küste  ausgedehnt  und  sie  mit  freien  amerikanischen  Gemeinwesen 

18* 


—     276     — 

bedeckt  haben  werden,  welche  mit  uns  durch  die  Bande  des  Blutes  und  des 
gemeinschaftlichen  Interesses  sowohl  als  durch  den  Genuß  derselben  Rechte  der 
Selbstregierung  verbunden  sind." 

Wohl  nur  um  seinen  Plänen  größeres  Gewicht  zu  verleihen,  gründete 
Astor  zunächst  die  „Amerikanische  Pelz-Handelsgesellschaft",  deren  hundert 
Anteile  zur  Hälfte  ihm  gehörten,  während  die  andere  Hälfte  unter  verschiedene 
mit  dem  Pelzhandel  vertraute  Personen  verteilt  wurden,  jedoch  so,  daß  keiner 
derselben  mehr  als  drei  Anteile  erhielt.  Der  auf  die  Dauer  von  zwanzig  Jahren 
geschlossene  Vertrag  bestimmte,  daß,  falls  die  Gesellschaft  innerhalb  der  ersten 
fünf  Jahre  sich  auflöse,  sämtliche  Kosten  und  Verluste  des  Unternehmens  von 
Astor  getragen  werden  sollten.  Erst  nach  Ablauf  dieser  Zeit  partizipierten  die 
übrigen  Gesellschafter  nach  Maßgabe  ihrer  Anteile  an  Gewinn  und  Verlust. 

Bald  nach  der  Gründung  dieser  Gesellschaft  rüstete  Astor  zwei  Expedi- 
tionen aus,  von  denen  eine  auf  dem  Seewege  um  Kap  Hörn,  die  andere  über 
Land  den  Missouri  und  Columbia  entlang  bis  zur  Mündung  des  letztgenannten 
Flusses  vordringen  sollte.  Für  die  Seeexpedition  wählte  er  das  zehn  Kanonen 
führende  Schiff  „Tonquin".  Mit  Waren  für  den  indianischen  Tauschhandel, 
mit  Waffen,  Lebensmitteln,  Baumaterial  und  anderen  Notwendigkeiten  beladen, 
nahm  es  zugleich  eine  Anzahl  tüchtiger  Handwerker  und  im  Verkehr  mit  In- 
dianern erfahrener  Händler  an  Bord.  Das  Fahrzeug  erreichte  im  März  des 
Jahres  1811  seinen  Bestimmungsort,  wo  mit  der  Anlage  einer  befestigten  Nieder- 
lassung sofort  begonnen  wurde. 

Die  aus  sechzig  erprobten  Leuten  bestehende  Landexpedition  traf  nach 
Überwindung  unsäglicher  Schwierigkeiten  und  Entbehrungen  einige  Monate 
später  ein.  Immerhin  früh  genug,  um  an  dem  Ausbau  des  zu  Ehren  des  Ur- 
hebers des  ganzen  Unternehmens  „Astoria"  getauften  Handelspostens  teil- 
nehmen zu  können. 

Leider  war  diesem  keine  lange  Dauer  beschieden.  Ein  Schicksalsschlag 
folgte  dem  anderen. 

Zuerst  kam  der  tragische  Untergang  des  Schiffes  „Tonquin",  welches 
während  einer  Handelsreise  an  der  Insel  Vancouver  von  Eingeborenen  über- 
fallen und,  nachdem  fast  alle  Weiße  niedergemacht  waren,  von  dem  letzten 
Überlebenden  samt  mehreren  hundert  siegestrunkenen  Wilden  in  die  Luft  ge- 
sprengt wurde. 

Ein  zweites  nach  Astoria  gesandtes  Schiff  scheiterte  an  einer  der 
Hawaischen  Inseln.  Um  das  Unglück  vollzumachen,  brach  im  Jahre  1812  ein 
Krieg  zwischen  England  und  den  Vereinigten  Staaten  aus,  währenddessen  die 
letzteren  den  weit  entlegenen  Handelsposten  Astoria  nicht  zu  schützen  ver- 
mochten. 

Das  Schicksal  der  jungen  Niederlassung  war  besiegelt,  zumal  unter  ihren 
Beamten  sich  mehrere  Verräter  befanden.  Ihr  Rädelsführer  war  ein  gewisser 
Mc  Dougall,  ein  früherer  Beamter  der  Hudsons  Bai  Compagnie.  Astor  hatte 
ihn  durch  Bewilligung  eines  großen  Gehaltes  an  sich  gezogen;  aber  Mc  Dou- 


—     277     — 


gall  blieb  geheim  im  Dienst  der  feindlichen  Gesellschaft,  die  ihn  in  kritischer 
Zeit  zum  Verderben  Astorias  benutzte.  Er  war  es  nämlich,  der,  als  im  Jahre 
1813  ein  Angriff  der  Engländer  zu  befürchten  stand,  die  Beamten  Astorias  be- 
wog,  in  die  Dienste  der  Hudsons  Bai  Compagnie  überzutreten.  Als  im  De- 
zember eine  englische  Kriegsschaluppe  erschien,  ergriff  die  Hudsons  Bai  Com- 
pagnie gewaltsam  Besitz  von  Astoria,  und  behauptete  sich  im  Besitz  der  Station 
bis  zum  Jahre  1846,  wo  England  seinen  Ansprüchen  auf  das  Land  am  Columbia 
zugunsten  der  Vereinigten  Staaten  entsagen  mußte. 

Verlief  demnach 
das  für  Astor  mit 
schweren  Verlusten  ver- 
knüpfte Unternehmen 
ohne  den  gewünschten 
Erfolg,  so  wird  es 
nichtsdestoweniger    in 

der  Geschichte  der 
großartigen  kaufmänni- 
schen Unternehmungen 

als  ein  glänzendes 
Denkmal  deutschameri- 
kanischer Tatkraft   für 

alle  Zeiten  bestehen 
bleiben,    zumal    es  in 

Astors  berühmtem 
Freund  Washington  Ir- 
ving  einen  Chronisten 
fand,   dessen   klassisch 

geschriebenes  Werk 
„Astoria,   or  anecdotes 
of  an  enterprise  Deyond 
the  Rocky  Mountains" 
in  aller  Welt  bekannt^ 
geworden  ist. 

Wurden  so  die  Anfänge  zur  Zivilisation  und  zum  Handel  der  fernen 
Nordwestküste  durch  einen  Deutschen  eingeleitet,  so  ist  auch  unter  den  Pionieren 
des  Goldlandes  Kalifornien  ein  Deutscher,  Johann  August  Sutter,  der 
berühmteste. 

Sutter  wurde  gleichfalls  in  Baden,  und  zwar  am  28.  Februar  1803  in  der 
Ortschaft  Kandern  geboren.  Auf  der  Kadettenschule  zu  Thun  in  der  Schweiz 
empfing  er  eine  militärische  Erziehung;  im  Kanton  Bern  brachte  er  es  zum 
Hauptmann  eines  Infanteriebataillons.  Der  Trieb  ins  Weite  führte  ihn  im  Jahre 
1834  nach  Amerika,  nach  St.  Louis,  dem  damaligen  Emporium  des  westlichen 
Pelzhandels,  von  wo  in  jedem  Frühling  zahlreiche  Karawanen  gen   Westen 


Johann  August  Sutter. 


—     278     — 

zogen,  um  von  Indianern  und  Trappern  Pelze  einzutauschen.  Andere  Kara- 
wanen wandten  sich  nach  Santa  Fe,  der  im  Jahre  1605  von  den  Spaniern  ge- 
gründeten „Stadt  des  heiligen  Glaubens".  Dieser  Ort  war  seit  langer  Zeit  ein 
Hauptstapelplatz  des  amerikanischen  Handels  mit  Mexiko,  Arizona,  Texas  und 
Kalifornien.  Von  den  Ufern  des  Missouri  aus  führte  dorthin  jener  800  Meilen 
lange,  von  blutiger  Romantik  umwobene  Santa  Fe  Trail,  der  in  der  Geschichte 
des  fernen  Westens  hohe  Bedeutung  erlangte.  Die  Handelsexpeditionen,  welche 
diese  berühmte  Straße  zogen,  bestanden  aus  Hunderten  von  hochbeladenen  Fracht- 
wagen, sogenannten  „Prairieschuners".  Ihr  Eintreffen  nach  monatelanger  Fahrt 
bedeutete  für  die  ganze  Bewohnerschaft  von  Santa  Fe  ein  freudiges  Ereignis. 
Die  an  dem  Warenzug  beteiligten  Händler  hingegen  atmeten  hoch  auf,  hatten 
sie  doch  unterwegs  nicht  selten  blutige  Kämpfe  mit  Indianern  zu  bestehen. 

„Ich  zweifle,"  so  schrieb  der  Amerikaner  Gregg  in  seinem  Buch  „The 
Commerce  of  the  Prairies",  „ob  die  Kreuzfahrer  beim  ersten  Anblick  der  Mauern 
der  heiligen  Stadt  in  lauteres,  rasenderes  Jauchzen  ausbrachen  als  diese  Händ- 
ler, wenn  sie  in  der  Ferne  die  Türme  von  Santa  Fe  sahen.  Das  Schauspiel  war 
des  Pinsels  eines  Malers  würdig.  Selbst  die  Pferde  schienen  die  Jubelstimmung 
ihrer  Reiter  zu  teilen  und  wurden  lustiger  und  wilder.  Und  welche  Erregung 
befiel  die  Eingeborenen !  „Los  Americanos !  Los  carros !  La  entrada  de  la  cara- 
vana!"  Diese  Rufe  hörte  man  aus  allen  Richtungen.  Frauen  und  Kinder  drängten 
sich  massenweise  um  die  Ankömmlinge,  die  auf  ihr  Äußeres  besondere  Sorg- 
falt verwandten,  da  sie  wußten,  daß  sie  ein  Kreuzfeuer  schöner,  schwarzer  Glut- 
augen passieren  mußten." 

Und  nun  wurden  die  Baumwollfabrikate,  die  samtnen  und  seidenen  Ge- 
wänder, die  glitzernden  Perlen,  die  schimmernden  Goldgeschmeide,  die  Stahl- 
und  Eisenwaren  verhandelt.  Manches  Millionenvermögen  dankt  den  glänzenden 
Gewinsten  aus  jenem  Handel  seinen  Ursprung.  Der  Verkehr  litt  häufig  unter 
dem  launenhaften  und  despotischen  Vorgehen  der  spanischen  und  mexikani- 
schen Behörden,  welche  diese  Handelsgelegenheit  den  verhaßten  Amerikanern 
mißgönnten;  ja,  er  wurde  bisweilen  verboten.  Doch  die  unerschrockenen 
„Gringos"  kehrten  allen  Drohungen  zum  Trotz  immer  wieder  reichbeladen 
zurück,  um  stets  gute  Aufnahme  und  reißenden  Absatz  für  ihre  Waren  zu 
finden,  deren  strotzende  Pracht  und  grelle  Farbenbuntheit  die  Augen  und 
Herzen  der  feurigen  Senoras  bestach. 

Einer  der  erfolgreichsten  Karawanenführer  war  der  in  St.  Louis  lebende 
Deutsche  A.  S  p  e  i  e  r ,  de&en  Handelszüge  sich  über  Santa  Fe  hinaus  bis 
Chihuahua  erstreckten. 

Auch  auf  Sutter  übte  das  mit  diesen  Handelszügen  verbundene  aben- 
teuerliche Leben  solchen  Reiz,  daß  er  drei  Jahre  lang  sich  an  solchen  Karawanen 
beteiligte.  Im  Jahre  1838  wanderte  er  mit  mehreren  Trappern  nach  Oregon, 
besuchte  Vancouver  und  die  Flawaiinseln,  kaufte  dort  ein  Fahrzeug  und  unter- 
nahm eine  Handelsexpedition  nach  dem  russischen  Alaska.  Im  Jahre  1840 
segelte  er  nach  Kalifornien,  erwarb  dort  von  der  mexikanischen  Regierung  einen 


—     27Q     — 

am  Sacramentofluß  gelegenen  Streifen  Landes  und  gründete  an  derselben  Stelle, 
wo  heute  die  Stadt  Sacramento  steht,  die  Niederlassung  Neu-Helvetia.  Zu  ihrem 
Schutz  baute  er  eine  von  hohen  Mauern  umgebene  Befestigung,  Fort  Sutter, 
für  dessen  Verteidigung  er  vierzig  Geschütze  beschaffte,  sowie  eine  aus  kaliforni- 
schen Indianern  gebildete  Besatzung  anwarb.  Im  Hinblick  auf  die  soldatische 
Erziehung  Sutters  kann  es  nicht  überraschen,  daß  die  Verwaltung  von  Neu- 
Helvetia  ganz  nach  militärischen  Regeln  geschah.  Sämtliche  Indianer  waren 
uniformiert  und  wurden  jeden  Abend  von  einem  ehemaligen  deutschen  Offizier 
unter  den  Klängen  einer  A4usikkapelle  einexerziert. 

Außer  den  Indianern  und  deren  Familien  standen  dreißig  Deutsche,  Eng- 
länder und  Franzosen  in  Sutters  Diensten.    Je  nach  der  Jahreszeit  schwankte 


Fort  Sutter. 

Nach  einer  gleichzeitigen  Zeichnung. 


die  Bewohnerschaft  von  Fort  Sutter  zwischen  200  bis  500  Personen.  Inner- 
halb des  Forts  lagen  verschiedene  Werkstätten,  Schmieden,  Webereien,  Gerbe- 
reien, Mühlen  und  Brauereien.  Auf  dem  Fluß  schaukelten  ein  Zweimaster  und 
ein  kleineres  Fahrzeug. 

Infolge  des  durch  das  Fort  gewährten  Schutzes  wurde  Neu-Helvetia 
Mittelpunkt  eines  lebhaften  Verkehrs.  Der  Hauptbesitz  Sutters  bestand  in  un- 
geheuren Viehherden;  daneben  lieferten  seine  ausgedehnten  Weizenfelder  reiche 
Erträgnisse. 

Eine  wichtige  Rolle  war  Sutter  in  der  politischen  Geschichte  Kaliforniens 
beschieden.  Kalifornien  gehörte  zwar  zu  Mexiko,  aber  seine  Bevölkerung  be- 
kundete lebhaftes  Unabhängigkeitsgefühl,  das  nicht  bloß  durch  den  Zuzug 
zahlreicher    amerikanischer    Ansiedler,    sondern  im  geheimen  auch  durch  die 


—     280     — 

Regierung  der  Vereinigten  Staaten  beständig  genährt  wurde.  Denn  die  letztere 
wollte  verhüten,  daß  Kalifornien  in  die  Hände  der  Engländer  falle,  die  das  Land 
bereits  gierigen  Blickes  betrachteten.  Auch  bedurften  die  Vereinigten  Staaten 
für  ihren  wachsenden  Verkehr  mit  Ostasien,  Alaska  und  den  australischen 
Inseln  eines  guten  Hafens,  der  zugleich  den  20  000  amerikanischen  Seeleuten, 
die  in  den  arktischen  Gewässern  dem  Walfischfang  und  der  Robbenjagd  nach- 
gingen, als  Zufluchtsort  dienen  könne. 

Sutter  brachte  der  Lage  volles  Verständnis  entgegen.  Denn  als  General 
Fremont  im  Juni  1846  in  Kalifornien  erschien,  holte  er  die  über  seinem  Fort 
flatternde  mexikanische  Flagge  nieder  und  hißte  an  ihrer  Stelle  das  Sternen- 
banner empor. 

Der  nun  ausbrechende  Krieg  zwischen  Mexiko  und  der  Union  verlief  be- 
kanntlich zugunsten  der  letzten,  worauf  Kalifornien  als  neues  Glied  dem  Bund 
einverleibt  wurde. 

Um  jene  Zeit  galt  Sutter  als  der  angesehenste  und  wohlhabendste  Be- 
wohner Kaliforniens.  Da  plötzlich  führte  eine  seltsame  Laune  der  Glücks- 
göttin einen  völligen  Umsturz  seiner  Verhältnisse  herbei. 

Beim  Bau  einer  Sägemühle,  die  Sutter  an  einem  Gebirgsbach  anlegen 
ließ,  entdeckte  der  in  Sutters  Diensten  stehende  Zimmermann  James  W.  Mar- 
schall am  19.  Januar  1848  zahlreiche  Körnchen  gelben  Metalls.  Gleich  einem 
Blitz  fuhr  ihm  der  Gedanke  durch  den  Kopf,  daß  dieselben  Gold  sein  könnten. 
Er  sammelte  eine  Handvoll  und  ritt  im  Galopp  zum  Fort,  um  seine  Vermutung 
Sutter  mitzuteilen.  Sorgfältige  Untersuchungen  ergaben,  daß  die  glitzernden 
Körnchen  in  der  Tat  gediegenes  Gold  waren. 

Man  beschloß,  den  Fund  geheim  zu  halten,  aber  vergebens.  Der  Ruf 
„Gold!  Gold!"  erscholl  und  verbreitete  sich  gleich  einem  Wildfeuer  über  das 
ganze  Territorium.  Die  Wirkung  des  Zauberworts  war  geradezu  erstaunlich. 
Ein  förmliches  Goldfieber  ergriff  die  ganze  Bevölkerung.  Wenige  Wochen, 
nachdem  die  Kunde  San  Franzisko  und  Monterey  erreichte,  hatten  beide  Städte 
drei  Viertel  ihrer  Bevölkerung  eingebüßt.  Sämtliche  öffentliche  Gebäude  ver- 
ödeten. Die  Schiffe  verloren  ihre  Besatzungen;  die  Zeitungen  stellten  ihr  Er- 
scheinen ein,  da  sowohl  Beamte  wie  Redakteure  sich  der  allgemeinen  Wand- 
rung  nach  den  Goldfeldern  anschlössen.  Die  in  den  Häfen  liegenden  Schiffe 
konnten  nicht  auslaufen,  da  sämtliche  Matrosen  desertierten.  Und  auch  die 
Kirchen  mußten  geschlossen  werden,  da  die  Herren  Prediger  gleichfalls  den 
Verlockungen  des  Goldteufeis  erlagen.  Goldhungrige  Personen  strömten  zu 
Tausenden  herbei  und  überschwärmten  das  ganze  Land.  Sutters  Arbeiter  ließen 
ihn  im  Stich,  um  sich  gleichfalls  auf  die  Suche  nach  dem  gleißenden  Metall  zu 
begeben.  Seine  Besitztitel  auf  das  goldführende  Land  wurden  nicht  geachtet. 
Alle  Prozesse,  die  er  gegen  die  Eindringlinge  anstrengte,  welche  seine  Äcker 
durchwühlten  und  ihre  Pferde  in  seine  Weizenfelder  trieben,  blieben  vergeblich. 
Sie  machten  nur  die  Advokaten  reich,  ihn  selbst  hingegen  von  Tag  zu  Tag 
ärmer.    Obendrein  erklärte  das  Obergericht  seine  Ansprüche  auf  das  Land  für 


—     281     — 

ungültig,  weil  dieselben  nicht  in  der  Hauptstadt  Mexiko  unterzeichnet  seien. 
Sutter  mußte  zusehen,  wie  die  Bundesregierung  sein  eignes  Land,  das  er  unter 
ungeheuren  Mühen  Iculturfähig  gemacht  hatte,  für  \\(^  Dollar  pro  Acker  an 
Goldgräber  verkaufte,  welche  die  fruchtbaren  Gefilde  in  trostlose  Wüsteneien 
verwandelten. 

Sutters  Bemühungen,  von  der  Bundesregierung  Gerechtigkeit  und  für  die 
erlittenen  Verluste  eine  Entschädigung  zu  erlangen,  blieben  ohne  Erfolg,  ob- 
wohl er,  um  seine  Ansprüche  persönlich  zu  betreiben,  nach  dem  Osten  über- 
siedelte und  während  siebenzehn  langer  Jahre  regelmäßig  wie  ein  Uhrwerk  im 
Kapitol  erschien.  Endlich,  nach  langem  vergeblichen  Harren  schien  Hoffnung 
zu  winken.  Ein  mit  dem  Prüfen  seiner  Ansprüche  beauftragter  Ausschuß  er- 
kannte deren  Rechtmäßigkeit  an  und  berichtete  die  Entschädigungsvorlage 
günstig  ein.  Bereits  hatte  dieselbe  glücklich  das  Repräsentantenhaus  passiert 
und  lag  dem  Senat  zur  Schlußabstimmung  vor.  Fast  alle  Senatoren  waren  zu 
ihren  Gunsten.  Da  hielt  unglücklicherweise  ein  nicht  mehr  ganz  zurechnungs- 
fähiger Senator  es  für  angezeigt,  die  Verdienste  Sutters  um  die  Entwicklung 
Kaliforniens  nochmals  in  einer  längeren  Rede  zu  beleuchten.  Dabei  schwatzte 
der  Mann  so  lange,  daß  der  Senat  schließlich  der  Sache  überdrüssig  wurde  und 
sich  vertagte,  ohne  daß  die  Angelegenheit  zur  Erledigung  kam.  Sutter  wäre 
zweifellos  in  Not  und  Elend  gestorben,  hätte  nicht  der  Staat  Kalifornien  ihm 
im  Jahre  1865  eine  Pension  von  3000  Dollar  jährlich  auf  die  Dauer  von  sieben 
Jahren  zugesprochen,  und  zwar  als  Entschädigung  für  Steuern,  die  Sutter  für 
solche  Ländereien  bezahlt  hatte,  die  ihm  von  der  Bundesregierung  genommen 
worden  waren.  An  äußeren  Ehrenbezeigungen  Sutters  ließen  kalifornische  Mit- 
bürger es  nicht  fehlen.  Man  stellte  ihn  als  Gouverneurskandidaten  auf,  verlieh 
ihm  den  Titel  eines  Generalmajors  der  Milizen  und  ließ  sein  lebensgroßes  Bild- 
nis anfertigen,  um  damit  den  Saal  des  Staatskapitols  zu  Sacramento  zu 
schmücken.  Und  als  am  9.  September  1854  die  Mitglieder  der  Kalifornischen 
Pionier-Gesellschaft  sich  versammelten,  da  zollte  ein  Amerikaner,  E.  J.  C.  Kewen, 
Sutter  folgenden  mit  ungeheurem  Beifall  aufgenommenen  Tribut: 

I  „Wenn  im  Kreislauf  kommender  Jahre  die  Federn  der  Geschichtsschreiber 
die  Gründung  und  Besiedlung  dieses  westlichen  Gemeinwesens  darstellen,  wenn 
sie  die  Tugenden,  die  Beschwerden,  die  Entbehrungen,  den  Mut,  die  Un- 
erschrockenheit,  die  alles  dies  zustande  gebracht,  schildern,  wenn  sie  den  mäch- 
tigen Anstoß  beschreiben,  den  es  auf  die  Weiterentwicklung  freier  Regierungs- 
formen und  freier  Grundsätze  ausgeübt,  und  wenn  sie  die  Annalen  mit  den 
Namen  der  heroischen  Gründer  seines  Ruhmes  zieren  werden,  dann  wird  kein 
Name  mit  hellerem  und  dauerndem  Glänze  leuchten,  als  der  des  unsterblichen 
Sutter,  des  erhabenen  Vorbilds  kalifornischer  Pioniere." 

Sutter  starb  am  18.  Juni  1888  in  der  Bundeshauptstadt  Washington.  In 
ihm  verlor  Amerika  zweifellos  einen  seiner  merkwürdigsten  Männer,  dessen  An- 
denken in  der  Geschichte  des  Goldstaates  Kalifornien  für  immer  fortleben  wird. 

Glücklicher  als  Sutter  war  ein  anderer  deutscher  Pionier,  der  Hamburger 


—     282     — 

Karl  Maria  Weber.  Er  kam  1836  nach  New  Orleans  und  wanderte  im 
Frühjahr  1841  nach  Kalifornien,  wo  er  in  Sutters  Dienste  trat.  Später  erwarb 
er  im  Tal  des  San  Joaquinflusses  eignen  Landbesitz,  auf  dem  er  große  Vieh- 
herden züchtete.  Nachdem  Kalifornien  den  Vereinigten  Staaten  einverleibt  war, 
gründete  Weber  die  Ortschaft  Stockton,  die  beim  Ausbruch  des  Goldfiebers 
Mittelpunkt  des  südlichen  Minendistrikts  wurde  und  rasch  emporblühte.  Weber 
sorgte  für  den  Bau  von  Kanälen  und  Straßen.  Später  schenkte  er  der  Stadt  alle 
von  ihm  geschaffenen  Anlagen,  außerdem  sämtliche  auf  dem  Stadtplan  zu 
öffentlichen  Plätzen  vorgemerkten  Grundstücke. 

Mit  Sutter  kam  auch  der  Westfale  August  L  a  u  f  k  ö  1 1  e  r  nach  dem 
fernen  Westen.  Derselbe  ließ  sich  zuerst  als  Apotheker  in  St.  Louis  nieder. 
Als  Mitglied  einer  von  Sutter  geführten  Handelskarawane  zog  er  später  gleich- 
falls nach  Santa  Fe.  Dann  unternahm  er  an  der  Spitze  einer  26  Mann  starken 
Bande  von  Delawareindianern  auf  eigne  Faust  Handelszüge,  die  ihn  durch  das 
Gebiet  der  Apachen  bis  an  die  Mündung  des  Gila  in  den  Colorado  führten. 
Die  Abenteuer,  welche  er  auf  diesen  kühnen  Reisen  erlebte,  die  Strapazen,  die 
er  ertragen  mußte,  grenzen  ans  Unglaubliche.  Von  den  Apachen  wurde  Lauf- 
kötter  mehrere  Wochen  lang  gefangen  gehalten.  Er  entging  einem  grauen- 
haften Martertod  nur  durch  den  Nachweis,  daß  er  kein  Amerikaner,  sondern 
ein  Deutscher  sei.  Als  das  kalifornische  Goldfieber  ausbrach,  befand  Lauf- 
kötter  sich  unter  denjenigen,  die  nach  dem  Goldlande  zogen.  Als  hochbetagter 
Greis  beschloß  er  sein  Leben  in  der  Stadt  Sacramento. 

Ein  ebenso  merkwürdiger  Pionier  des  fernen  Westens  war  der  im  Jahre 
1810  zu  Marienwerder  geborene  Hermann  von  Ehrenberg.  Infolge 
seiner  Beteiligung  an  den  revolutionären  Bewegungen  in  Deutschland  nach 
New  Orleans  verschlagen,  wurde  er  beim  A^usbruch  des  texanischen  Unabhängig- 
keitskriegs mit  vielen  anderen  Deutschen  Mitglied  der  „New  Orleans  Greys'*, 
einer  Kompagnie  Freiwilliger,  die  an  jenen  Kämpfen  lebhaften  Anteil  nahm. 

Ehrenberg  zählte  auch  zu  jenen  600  Texanern,  die  im  Jahre  1835  unter 
General  Houston  nach  sechstägigem  Gefecht  2000  Mexikaner  aus  San  Antonio 
vertrieben  und  im  Fort  Alamo  zur  Übergabe  nötigten.  Während  der  Kämpfe 
des  folgenden  Jahres  waren  die  in  kleine  Abteilungen  aufgelösten  Texaner 
weniger  vom  Glück  begünstigt.  Denn  eine  ihrer  Abteilungen  wurde  am 
2.  März  1836  bei  San  Patrizio,  eine  andere  am  20.  März  bei  Gilead  nieder- 
gemetzelt. Ehrenberg  befand  sich  unter  den  wenigen,  die  jenem  Blutbade  ent- 
kamen. Er  schloß  sich  darauf  einer  neuen,  700  Mann  starken  Abteilung  an, 
die  am  21.  April  bei  San  Jazinto  der  mexikanischen  Übermacht  eine  so  furcht- 
bare Niederlage  zufügten,  daß  die  Unabhängigkeit  von  Texas  nunmehr  ge- 
sichert war. 

Ehrenberg  beteiligte  sich  später  als  topographischer  Ingenieur  an  der 
Fesdegung  der  Grenze  zwischen  Arizona  und  Mexiko.  In  Arizona  gründete 
er  die  „Sonora  Exploring  and  Mining  Company"  und  erwarb  ausgedehnte 
Ländereien.     Um    die   nähere    Erforschung    und    kartographische    Aufnahme 


—     283     — 

Arizonas  hat  Ehrenberg  große  Verdienste,  die  von  der  Nachwelt  anerkannt 
wurden,  indem  eine  am  Colorado  gegründete  Ortschaft  seinen  Namen  erhielt. 

In  die  Reihe  der  Pioniere  Kaliforniens  ist  auch  der  Deutsche  Heinrich 
Taschemacher  zu  stellen,  welcher  als  Zwanzigjähriger  bereits  im  Jahre 
1842  nach  San  Franzisko  kam  und  daselbst  eine  sehr  angesehene  Stellung  er- 
rang. In  den  Jahren  1859  bis  1861  war  er  Präsident  des  Stadtrats,  und  als 
solcher  der  erste  Beamte  der  städtischen  Verwaltung.  Als  im  Jahre  1862  das 
Amt  eines  Bürgermeisters  geschaffen  wurde,  versah  Taschemacher  diesen  Posten 
noch  zwei  Jahre  fang. 

Die  Reihe  solcher  deutscher  Kulturpioniere  im  fernen  Westen  ließe  sich 
leicht  durch  zahlreiche  Namen  vergrößern.  Denn  als  die  Kunde,  daß  weite 
Strecken  Kaliforniens  im  wahren  Sinne  des  Wortes  als  Goldfelder  zu  betrachten 
seien,  die  ganze  Welt  durchflog,  da  gesellten  sich  Tausende  und  aber  Tausende 
von  Deutschen  und  Deutschamerikanern  jenen  Strömen  von  Auswandrern  zu, 
die  entweder  zu  Schiffe  um  das  sturmumtoste  Kap  Hörn,  oder  von  den  Ufern 
des  Mississippi  und  Missouri  aus  durch  die  unermeßlichen  Prärieen  nach  dem 
von  einer  Wunderglorie  umleuchteten  Kalifornien  zogen. 

Wer  sich  mit  der  Geschichte  des  fernen  Westens,  der  dort  entstandenen 
Staats-  und  Gemeinwesen  näher  befaßt,  stößt  auf  unzählige  deutsche  Namen, 
deren  Träger  sich  auf  allen  Gebieten  menschlichen  Könnens  und  Wissens  be- 
tätigten und  dazu  beitrugen,  der  neuweltlichen  Kultur  auch  in  jenen  entlegenen 
Landen  Heimstätten  zu  bereiten.  Reicht  von  jenen  deutschen  Kulturpionieren 
auch  keiner  an  die  Bedeutung  eines  Johann  Jakob  Astor  und  Johann  August 
Sutter  heran,  so  verdienten  aber  die  merkwürdigen  Schicksale  mancher  dieser 
Deutschen  aufgezeichnet  und  der  Vergessenheit  entrissen  zu  werden. 


Deutsche  Kommunistengemeinden. 

Seitdem  Plato  den  Gedanken  eines  Freistaates  entwickelte,  in  welchem 
nur  die  Gesamtheit  Eigentum  besitzen  dürfe,  und  jedermann  an  den  aus  der 
gemeinsamen  Arbeit  gew^onnenen  Ergebnissen  gleichen  Anteil  haben  solle,  hat 
es  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  diese  Idee  zu  verwirklichen.  Sie  war  der  Traum 
zahlreicher  Männer,  welche  beim  Studium  der  sozialen  Verhältnisse  zu  der 
Überzeugung  gelangten,  daß  die  Ansammlung  des  Besitzes,  Grundeigentums 
und  Kapitals  in  den  Händen  weniger,  die  damit  in  der  Regel  verbundene  Aus- 
beutung der  Unbemittelten  widernatürliche  Zustände  seien;  daß  dagegen  all- 
gemeines Glück  und  Zufriedenheit  nur  dann  möglich  wären,  wenn  sämtliche 
Menschen  außer  gleichen  Rechten  auch  gleiche  Pflichten  besäßen,  alle  Klassen- 
unterschiede aufgehoben  und  der  Besitz  gemeinschaftlich  seien. 

In  der  Alten  Welt  führte  keiner  diese  Versuche,  solche  kommunistische 
Gemeinschaften  zu  gründen,  zu  einem  befriedigenden  Ergebnis.  Die  Gründe 
dafür  lagen  teils  in  dem  offenen  oder  versteckten  Widerstand  der  Regierungen, 
die  in  solchen  Neuerungen  Gefahren  für  die  bestehenden  Verhältnisse  witterten, 
teils  in  dem  Umstand,  daß  die  Verlockungen,  welche  von  benachbarten  Städten 
ausgingen,  auf  die  Mitglieder  der  kommunistischen  Niederlassungen  zu  groß 
waren. 

Deshalb  richteten  die  Gründer  solcher  Gemeinschaften  ihre  Blicke  nach 
Amerika.  Hier  waren  die  Aussichten  für  ein  gedeihliches  Entwickeln  günstiger, 
da  die  Ansiedlungen  weit  genug  von  den  Städten  entfernt  angelegt  werden 
konnten  und  die  Einmischung  der  Regierung  nicht  befürchtet  zu  werden 
brauchte. 

Diese  von  Europäern  auf  dem  jungfräulichen  Boden  Amerikas  gegrün- 
deten Kommunistenkolonien  gehören  zu  den  interessantesten  Erscheinungen  des 
neuweldichen  Kulturlebens.  Sie  erheischen  um  so  mehr  Interesse,  als  die 
wichtigsten  Kolonien  von  deutschen  Auswandrern  ins  Leben  gerufen  wurden. 

Die  Harmoniten. 

Die  berühmteste  von  allen  deutschen  Kommunistengemeinden  war  die 
Gesellschaft  der  R  a  p  p  i  s  t  e  n  oder  Harmoniten.  Ihr  Gründer,  J  o  - 
hann  Georg  Rapp,  am  1.  November  1757  zu  Iptingen  in  Württemberg 
geboren  und  von  Beruf  Leineweber,    hatte  sich  den  damals  weitverbreiteten 


—     285     — 

Pietisten  angeschlossen.  Als  er  aber  unter  diesen  nicht  die  gesuchte  Befriedi- 
gung fand,  hielt  er  in  Gemeinschaft  mit  einigen  Gesinnungsgenossen  in  seinem 
Hause  Versammlungen  ab.  Die  Teilnehmer  gründeten  eine  zum  Urchristentum 
zurückstrebende  Sekte,  welche  durch  ihr  rasches  Wachstum  sowie  durch  die 
Weigerung,  die  Pfarrer  als  Diener  Gottes  anzuerkennen,  das  Ärgernis  der 
Ortsgeistlichen  erregte. 

Bald  gerieten  die  Rappisten  in  Konflikt  mit  den  kirchlichen  und  welt- 
lichen Behörden.  Den  Verwarnungen  folgten  Strafen.  Dieselben  wurden 
schärfer,  je  mehr  die  Regierung  durch  übertriebene  Berichte  in  dem  Verdacht 
bestärkt  wurde,  daß  die  neue  Sekte  revolutionäre  Ideen  hege  und  bei  ihrer 
raschen  Vermehrung  gefährlich  werden  könne. 

Müde  des  steten  Drangsaliertwerdens  wanderte  Rapp  im.  Jahre  1803  mit 
seinem  Sohne  Johannes  und  zwei  Anhängern  nach  der  religiösen  Freistätte 
Pennsylvanien  aus.  Von  dort  bestehenden  separistischen  Gemeinden  unter- 
stützt, kaufte  er  bei  Pittsburg  6000  Acker  Land.  Dorthin  folgten  ihm  bald 
700  Anhänger  und  gründeten  eine  Niederlassung,  die  sie  nach  einer  in  der 
Apostelgeschichte  Kap.  4  Vers  32  zu  findenden  Stelle  „Harmonie"  tauften. 

Um  dem  Urchristentum  näherzukommen,  schössen  sie  am  15.  Februar 
1805  ihr  Vermögen  zusammen  und  vereinten  sich  zu  einer  kommunistischen 
Gemeinschaft.  Zur  selben  Zeit  faßten  sie  einen  Beschluß,  der  für  den  späteren 
Bestand  der  Gemeinde  verhängnisvoll  werden  sollte.  Ihren  Anschauungen 
nach  war  die  Ehe  zv/ar  nicht  verboten,  aber  ein  unheiliger,  vom  wahren  Lebens- 
zweck ablenkender  Zustand.  Deshalb  entschlossen  sich  alle,  im  Zölibat  zu 
leben.  Auch  die  Verheirateten  lösten  freiwillig  die  ehelichen  Bande,  um  fortan 
einander  nur  noch  als  Brüder  und  Schwestern  zu  betrachten.  Rapp  wurde  zum 
geistlichen  Vorstand  erwählt.  Ihm  waren  ein  weltlicher  Vorsteher  sowie  sieben 
Älteste  beigeordnet. 

Die  zur  höheren  Ehre  Gottes  und  zum  Besten  der  Gesamtheit  verrichtete 
Arbeit  wurde  von  Obmännern  vorgeschrieben.  Dieselben  lieferten  sämtliche 
Erträgnisse  dem  Vorstand  ab,  welcher  dagegen  die  einzelnen  Mitglieder  mit 
allen  Bedürfnissen  versorgte.  Nachdem  die  Harmoniten  den  Urwald  gerodet, 
Wohnungen,  Werkstätten  und  Scheunen  gebaut  hatten,  schritten  sie  zur  Be- 
stellung der  Felder.  Auf  ihrer  von  Sonnenaufgang  bis  Sonnenuntergang  wäh- 
renden Arbeit  ruhte  sichtlicher  Segen.  Denn  wenn  auch  der  Anfang  hart  und 
mühselig  gewesen  war,  so  begannen  die  auf  jungfräulichem  Boden  angelegten 
Felder  doch  bald  reiche  Ernten  hervorzubringen.  Nachdem  dadurch  für  die 
erste  Zeit  gesorgt  war,  wandten  sich  die  Handwerker  wieder  ihren  früheren 
Beschäftigungen  zu.  Für  die  Weber  beschaffte  man  Webstühle;  für  die  Schmiede, 
Schreiner  und  Färber  geeignete  Werkzeuge;  für  die  Viehzüchter  Vieh;  für  die 
Obstbauer  und  Winzer  Fruchtbäume  und  Reben.  Beim  Ankauf  dieser  Dinge 
scheute  man  weder  Kosten  noch  Mühe,  um  von  allem  das  Beste  und  Voll- 
kommenste zu  erhalten.  Aus  Frankreich  bezog  man  Mühlsteine  und  Jacquard- 
Webstühle;  aus  dem  bergischen   Lande  die  stählernen  Werkzeuge;  aus  dem 


—     286     — 

Rheingau  und  vom  Kap  Weinreben;  aus  Spanien  Schafe;  aus  England  Rinder. 
Alle  diese  Dinge  bemühte  man  sich  nun  zu  verbessern.  Das  gelang  auch  im 
Lauf  der  Zeit  in  so  hohem  Grade,  daß  die  Werkstätten  und  Maschinen  der 
Harmoniten  das  Staunen  aller  erregten,  welche  die  Niederlassungen  besuchten. 
Das  Ganze  war  eine  Musterwirtschaft,  wert,  als  Vorbild  bis  ins  kleinste  Detail 
nachgeahmt  zu  werden.  Der  vorzüglichen  Einrichtung  der  Musterwirtschaft 
entsprachen  ihre  Erzeugnisse.  Nirgendwo  sah  man  besser  gehaltene,  fettere 
Herden,  nirgendwo  fand  man  wohlschmeckenderes  Obst  und  Feldfrüchte.    Die 


Neu-Harmonie  im  Jahre  1832. 


gewebten  Tuche,  Leinen-  und  Seidenstoffe  wurden  wegen  ihrer  vorzüglichen 
Beschaffenheit  und  Haltbarkeit  weitberühmt.  Die  Kolonie  litt  nur  an  einem 
Übelstand:  sie  lag  zu  entfernt  von  den  Hauptverkehrswegen. 

Als  im  Jahre  1815  sich  eine  Gelegenheit  bot,  die  ganze  Besitzung  günstig 
zu  verkaufen,  griff  man  mit  beiden  Händen  zu  und  erstand  für  die  gelösten 
100  000  Dollar  einen  im  Staat  Indiana  am  Wabash  gelegenen  3000  Acker  großen 
Streifen  Land,  wo  man  den  Ort  Neu-Harmonie  baute.  Hier  blieb  man 
zehn  Jahre.  Da  das  Klima  aber  ungesund  war,  beschlossen  die  Rappisten 
nach  Pennsylvanien  zurückzukehren.  Für  ihre  Ortschaft  fanden  sie  im  Jahre 
1824  in  dem  schottischen  Kommunisten  R.  Owen  einen  Käufer.  Mit  den  er- 
lösten 200  000  Dollar  schufen  die  Harmoniten  ihre  dritte  und  letzte  Nieder- 
lassung „Ökonomie"  (englisch  „E  c  o  n  o  m  y")  in  Pennsylvanien.     Dieselbe 


—     287     — 

lag  25  Meilen  westlich  von  Pittsbiirg  auf  dem  Nordufer  des  Ohio,  inmitten 
einer  Landschaft,  welche  mit  ihren  grünen  Hügeln  an  den  Rheingau  erinnert. 
Es  währte  gar  nicht  lange,  so  hatten  die  Kommunisten  auch  diese  Gegend 
in  ein  kleines  Paradies  verwandelt.  Durch  Schilderungen  der  Prinzen  Bernhard 
von  Sachsen-Weimar  und  Maximilian  von  Wied,  welche  auf  ihren  Amerika- 
fahrten Ökonomie  in  den  Jahren  1826  und  1832  besuchten,  ferner  durch  Be- 
richte der  Reisenden  Franz  Löher  und  Karl  von  Scher2ier  aus  den  Jahren  1847 
und  1852  sind  wir  über  die  Zustände  der  Gemeinde  während  ihrer  Blütezeit 
gut  unterrichtet.     Die  genannten  Beobachter  stellen  Rapp  das  beste  Zeugnis 


Ansicht  von  Ökonomie  lEconomyi  am  Ohio  im  Jahre  1900. 


aus  und  rühmen  seine  Schöpfung  als  einen  der  bemerkenswertesten  Koloni- 
sation serfolge. 

Prinz  Bernhard  von  Weimar  beschreibt  Rapp  als  einen  großen  70jährigen 
Mann,  dessen  Kräfte  durch  die  Last  der  Jahre  nicht  vermindert  waren.  Seine 
von  starken  Brauen  beschatteten  Augen  sprühten  von  Feuer  und  Leben;  die 
machtvolle  Stimme  klang  ausdrucksvoll.  Alles  was  er  sagte,  war  durchdacht. 
Löher,  welcher  Rapp  zwanzig  Jahre  später  sah,  war  überrascht,  den  90jährigen 
Mann  einem  Sechziger  gleich  mit  starkem  Geist,  blitzenden  Augen  und  raschen 
Gebärden  zu  finden.  Seine  Stimme  hallte  wie  Metall  und  sein  Antlitz,  vom 
reichsten  Silberglanz  des  Haares  und  Bartes  umgeben,  zeigte  Ernst,  Hoheit 
und  Milde.  Wenn  er  sich  aufrichtete,  war  er  wie  ein  Löwe  und  seine  Rede 
floß  wie  ein  tosender  Waldstrom. 


—     288     ~ 

Über  seine  Gemeinde  besaß  Rapp  wunderbaren  Einfluß;  alle  verehrten 
ihn  innig  und  sprachen  von  ihm  stets  als  ihrem  „lieben  Vater'*.  Seine  Anord- 
nungen galten  gleich  Gesetzen  und  wurden  ohne  Widerrede  befolgt. 

Bei  Wahl  und  Einteilung  der  Arbeit  trug  man  den  Neigungen  der  ein- 
zelnen Mitglieder  nach  Möglichkeit  Rechnung.  Die  Frauen  beschäftigten  sich 
mit  Hausarbeiten  und  in  den  Spinnereien.  Die  Männer  trieben  Landwirtschaft, 
überwachten  die  Maschinen  und  verrichteten  die  groben  Arbeiten.  Zu  den 
Ernten  wurden  alle  herangezogen. 

Alle  Besucher  des  Orts  staunten,  wieviel  vereinte,  verständig  geleitete 
Arbeit  in  kurzer  Zeit  auszurichten  vermochte.  Jeder  war  des  Lobes  voll  über 
den  wohldurchdachten  Plan,  nach  welchem  nicht  nur  die  ganze  Stadt,  sondern 
jedes  Haus  und  Geschäft  angelegt  waren.  „Alles  griff',  so  schreibt  Löher, 
„wie  ein  kunstvolles  Räderwerk  ineinander.  Die  ganze  Einrichtung  verdiente 
zum  Muster  für  künftige  Anlagen  bis  ins  kleinste  gezeichnet  und  beschrieben 
zu  werden." 

Bei  sämtlichen  Arbeiten  bediente  man  sich  der  sinnreichsten,  durch  die 
Gemeindemitglieder  in  langen  Jahren  vervollkommneten  Maschinen  und  Werk- 
zeuge. Löher  sah  eine  Dampfdreschmaschine,  wie  er  sie  nie  zuvor  gesehen 
hatte.  Dieselbe  reinigte  nicht  nur  das  Korn  und  füllte  es  in  unter  die  Maschine 
aufgehängte  Säcke,  sondern  sonderte  auch  Kurzstroh  und  Langstroh.  Ein  an 
der  Maschine  angebrachter  Ventilator  schützte  die  Arbeiter  vor  dem  Staub. 
Löher  beschreibt  auch  eine  Dampfmaschine,  welche  Wasser  vom  Ohio  herauf- 
hob, welches  in  Dampf  verwandelt,  sowohl  zum  Heizen  wie  zum  Betrieb  der 
Mühlen,  Webereien,  Farbenreiben  und  manchen  anderen  Verrichtungen  diente. 
Der  Dampf  wurde  darauf  wieder  in  Wasser  verwandelt.  Dieses  lief  mit  einem 
kleinen  Zusatz  frischen  Wassers  in  die  Kessel  zurück  und  kam,  wieder  in  Dampf 
verwandelt,  aufs  neue  zur  Verwendung. 

Durch  stetes  Nachdenken  und  Probieren  fanden  diese  schwäbischen 
Bauern  überall  das  Beste  und  Praktischste  heraus.  Die  im  Jahre  1829  auf- 
genommene Seidenspinnerei  wurde  mit  solchem  Geschick  betrieben,  daß  man 
blumendurchwirkte  Seidenstoffe  in  sieben  Farben  herzustellen  vermochte.  Woll- 
weberei, Branntweinbrennerei  und  andere  Gewerbe  bildete  man  in  gleicher 
Weise  aus.  Der  Vertrieb  aller  überschüssigen  Erzeugnisse  sowie  die  Abwick- 
lung der  Handelsgeschäfte  lagen  der  von  Rapp  eingerichteten  kaufmännischen 
Abteilung  ob. 

Infolge  dieser  stillen  emsigen  Arbeit  stieg  der  Wohlstand  der  Gemeinde 
von  Jahr  zu  Jahr.  Ihre  Ansiedlung  entwickelte  sich  zu  einer  wahren  Muster- 
wirtschaft. 

Der  Ort  war  nach  einem  wohldurchdachten  Plan  angelegt.  Alle  nach 
schwäbischem  Stil  erbauten  Häuser  besaßen  einen  mit  Blumen  und  Obstbäumen 
bepflanzten  Vorgarten  Neben  der  Haustür  befand  sich  eine  schattige  Ruhe- 
bank. An  der  Sonnenseite  der  Häuser  reiften  an  Spalieren  köstliche  Trauben 
und  Früchte;  hinter  den  Häusern  befanden  sich  die  Stallungen  für  das  Vieh. 


—    289 


Desgleichen  die  Hühnerhöfe  und  Taubenschläge.  Alle  Straßen  waren  breit 
angelegt,  gepflastert  und  sauber.  Häufig  boten  sie  reizende  Fernblicke  auf  den 
Ohio  sowie  die  den  Ort  umkränzenden  Berge.  Und  ringsum  hörte  man  nur 
schwäbische  Laute.  Man  konnte  wähnen,  sich  in  einem  Städtchen  am  Fuß  der 
Schwäbischen  Alb  zu  befinden. 

Die  Tracht  der 
Männer  bestand  in 
kurzen  Jacken  aus 
blauerrt  grobem  Tuch, 
und  Zwillichhosen  von 
derselben  Farbe.  Dazu 
kamen  im  Winter  Filz- 
hüte, im  Sommer  breit- 
randige Strohhüte.  Die 
Frauen  trugen  die  in 
dunklen  Farben  gehal- 
tene schwäbische  Bäue- 
rinnentracht und  dunkle 
Strohhauben. 

Im  Verkehr  unter- 
einander befleißigten 
sich  alle  brüderlichen 
Entgegenkommens.  An 
weltlichen  Dingen  ge- 
ringen Anteil  nehmend, 
trugen  sie  stets  heite- 
res, zufriedenes  Aus- 
sehen zur  Schau.  Doch 
klärten  sich  ihre  Ge- 
sichter auf,  wenn  das 
Gespräch  auf  das  Jen- 
seits und  die  dort  zu 
erwartenden  Seligkeiten 
kam.  Rapp  verehrten 
sie  keineswegs  als  Pro- 
pheten   oder    als    ein 

Wesen  mit  übernatürlichen  Gaben,  sondern  als  schlichten  Christen,  der  durch 
seinen  Glauben  und  seine  Frömmigkeit  sich  Gott  wohlgefällig  mache. 

Jeden  Sonntag  fanden  in  der  Kirche  zwei  Predigten  statt,  viermal  wöchent- 
lich abends  erbauliche  Unterhaltungen.  Auch  veranstaltete  man  gelegendich 
Konzerte,  wobei  ein  Frauen chor  allerhand  weltliche  Lieder,  meist  die  aus  der 
schwäbischen  Heimat  mitgebrachten  Volksweisen  zu  Gehör  brachte. 

Der  geistigen  Fortbildung  dienten  ein  Museum  und  eine  gut  zusammen- 


Die  Kirche  der  Harmoniten  in  Ökonomie. 


Gronau,   Deutsches  L  hen  in  Amerika. 


19 


290 


gestellte  Bibliothek.     Eine  eigene  Buchdruckerei  besorgte  die  Vervielfältigung 
der  von  Rapp  und  anderen  gedichteten  Lieder. 

In  ihrem  freudigen  Hoffen  auf  das  himmlische  Jenseits  vergaßen  aber  die 
Harmoniten  das  Diesseits,  die  Forderungen  des  Lebens.  Infolge  der  freiwilligen 
Ehelosigkeit  gab  es  im  Orte  keine  Kinder.  Da  man  sich  nach  manchen  schlim- 
men Erfahrungen  auch  gegen  fremden  Zuzug  ablehnend  verhielt,  so  begann  es 
an  jungem  Nachwuchs  zu  fehlen,  der  die  älter  werdenden  Mitglieder  bei  ihren 
Arbeiten  hätte  ablösen  können.  Man  beachtete  dies  anscheinend  nicht  und 
ging  neugierigen  Fragen,  was  später  mit  dem  Besitz  werden  solle,  mit  den 
Worten  aus  dem  Wege,  daß  Gott  zur  rechten  Zeit  Rat  schaffen  werde. 

In  dieser  Zuversicht  schied  am 


7.  August  1847  Georg  Rapp,  der 
Gründer  der  Kolonie  aus  dem  Leben. 
Dieselbe  Zuversicht  beseelte  auch 
seine  Nachfolger,  den  milden  R  o  m  e- 
lius  Langen  becher  (t  1871) 
und  den  gelehrten  Jakob  H  e  n- 
rici  (t  1890).  Unter  diesen  beiden 
begann  die  einst  so  blühende  Ge- 
meinde, deren  w^ise  verwaltetes  Ver- 
mögen auf  Millionen  angewachsen 
war,  langsam  abzusterben.  Nicht 
daß  sie  an  Zucht  und  Ordnung  ein- 
gebüßt hätte,  sondern  weil  leise  und 
unbemerkt  über  die  Mitglieder  das 
Alter  kam.  Mancher  einst  kräftige 
Arm  wurde  untauglich  zur  Arbeit; 
manches  Auge  verlor  die  Sehkraft. 

L^  --'^^^^_  Der  Tod  begann  die  einst  800  Köpfe 
starke  Gemeinde  allmählich  zu  lich- 
ten und  die  Mitglieder  abzuberufen. 
Infolgedessen  mußte  ein  Gewerbe 
nach  dem  anderen  aufgegeben  werden.  Je  rascher  die  Mitglieder  mit 
zunehmendem  Alter  vom  Tod  abberufen  wurden,  desto  mehr  vereinsamten  die 
Werkstätten,  Felder  und  Weinberge. 

Wer  Ökonomie  während  der  letzten  Zeit  seines  Bestehens  besuchte, 
empfing  den  Eindruck,  als  wandle  er  durch  die  Straßen  einer  ausgestorbenen 
Stadt.  Die  Türen  und  Fenster  der  meisten  Häuser  waren  verschlossen,  weil 
ihre  Bewohner  längst  zur  ewigen  Ruhe  getragen  worden  waren. 

Als  Friedhof  diente  ein  mit  Tannen  und  Zypressen  bepflanzter  Wiesen- 
grund, wo  unter  einfachen  grasüberu^achsenen  Hügeln  über  achthundert  Har- 
moniten ruhen.  Georg  Rapp  schläft  unter  ihnen.  Weder  seine  noch  die  Grab- 
stätte eines  anderen  Gemeindemitgliedes  ist  mit  einem  Denkstein  geschmückt. 


Rapps  Wohnhaus  in  Ökonomie. 


—    291     — 

Wie  die  Lebenden  keine  Standesunterschiede  Icannten,  so  wollten  sie  auch  im 
Tode  einander  gleich  sein. 

Das  Ende  der  berühmten  Kommunistengememde  kam  im  Jahre  1Q03,  wo 
dieselbe  auf  nur  fünf  Mitglieder  zusammengeschmolzen  war.  Diese,  meist 
hochbetagt,  faßten  den  Beschluß,  die  bis  dahin  fortgeführte  Gesellschaft  auf- 
zulösen und  das  nach  Millionen  zählende  Vermögen  an  die  Mitglieder  zu  ver- 
teilen. Natürlich  mußten  dabei  der  große  Landbesitz  sowie  die  in  Ökonomie 
errichteten  Gebäude  veräußert  werden.  Die  Mitglieder  behielten  sich  nur  das 
Eigentumsrecht  an  die  Kirche,  das  Gemeindehaus  und  den  Friedhof  vor.  Alles 
übrige  wurde  von  Lnndspekulanten  aufgekauft  und  zum  Tummelplatz  der  rück- 
sichtslos vorwärtsstürmenden,  von  Gewinnsucht,  Ehrgeiz,  Not  und  Sorge  ge- 
triebenen Menschen  des  20.  Jahrhunderts. 

Wo  bisher  friedliche,  herzerquickende  Eintracht  herrschte,  da  prallen 
jetzt  die  beiden  großen  Gegensätze  der  Neuzeit,  Kapital  und  Arbeit,  aufein- 
ander und  regen  manchen  zu  der  Frage  an,  ob  der  frühere  Zustand,  der  so 
viele  mit  ihrem  Los  zufriedene,  glückliche  Menschen  schuf  und  sie  der  Sorge 
und  Entbehrung  entrückte,  nicht  auch  seine  Lichtseiten  und  Vorzüge  besaß. 


Die  S.  paratistenkolonie  Zoar. 

Gemeinsamkeit  des  Besitzes  bildete  auch  das  Band  der  Separatisten- 
gemeinde Zoar  in  Ohio. 

Dieselbe  nahm  ihren  Ursprung  gleichfalls  in  Schwaben,  wo  ihre  Mit- 
glieder gleich  den  Rappisten  wegen  mancher,  von  den  damaligen  allgemeinen 
Anschauungen  abweichenden  Glaubenssätze  beständigen  Anfeindungen  seitens 
der  Behörden  ausgesetzt  waren.  Die  wichtigsten  dieser  Sätze  waren  folgende: 
,,Wir  glauben  an  den  dreieinigen  Gott.  Unsere  Richtschnur  ist  einzig  und 
allein  die  Heilige  Schrift.  Alle  kirchlichen  Zeremonien  sind  unnötig,  weshalb 
wir  sie  unterlassen.  Wir  beugen  uns  vor  Gott,  erweisen  aber  keinem  Sterb- 
lichen außergewöhnliche  Ehren.  Wir  trennen  uns  von  allen  kirchlichen  Sekten 
—  daher  der  Name  Separatisten  —  da  wahres  Christentum  überall  gleich  sein 
sollte  und  die  verschiedenen  Sekten  nur  eine  Folge  leerer  Formen  sind.  Unsere 
Ehen  werden  durch  gegenseitige  Zustimmung  im  Beisein  von  Zeugen  abge- 
schlossen, ohne  daß  eine  kirchliche  Sanktion  oder  Handlung  nötig  ist.  Doch 
muß  die  Zivilbehörde  von  dem  Vertrag  in  Kenntnis  gesetzt  werden.  Da  ein 
Christ  selbst  nicht  seinen  Feind  ermorden  soll,  viel  weniger  seine  Freunde,  so 
können  wir  dem  Staat  nicht  als  Soldaten  dienen.  Wir  erachten  jedoch  die  welt- 
liche Regierung  als  durchaus  notwendig,  um  Ordnung  aufrechtzuerhalten,  die 
guten  Bürger  zu  beschützen  und  die  schlechten  zu  strafen.  Weil  wir  keinen 
Eid  ablegen,  bestätigen  wir  die  Wahrheit  durch  ein  einfaches  ,Ja'!" 

Obwohl  die  Separatisten  so  dem  Kaiser  gaben,  was  des  Kaisers,  und 
Gott,  was  Gottes  ist,  wurden  sie  doch  derart  drangsaliert,  daß  sie  sich  im 


—    292     — 

Jahre  1817  unter  Führung  des  Lehrers  Joseph  Michael  Bäumler  zur 
Auswanderung  nach  den  Vereinigten  Staaten  entschlossen.  Im  Tuscarawas 
County  des  Staates  Ohio  gründeten  sie  ein  Dörfchen,  das  sie  Zoar  nannten, 
weil  es  ein  Zufluchtsort  gegen  die  Sünden  der  Welt  sein  sollte,  wie  es  der 
gleichnamige  Ort  für  Lot  und  seine  Familie  nach  dem  Untergang  Sodoms  ge- 
wesen war. 

Ursprünglich  war  die  Gemeinde  keine  kommunistische.  Die  Anregung 
zu  gemeinschaftlichem  Wirken  kam  erst,  als  es  manchen  armen  Mitgliedern 
nicht  möglich  war,  die  Kaufsumme  für  ihre  Grundstücke  zur  festgesetzten  Zeit 
zu  bezahlen. 

Es  war  am  15.  April  1819,  als  53  Männer  und  104  Frauen  den  ersten, 
später  in  manchen  Punkten  abgeänderten  Gesellschaftsvertrag  unterzeichneten. 
In  seinen  Grundzügen  v/ich  derselbe  von  dem  der  Rappisten  nicht  wesenthch 
ab.  Wie  dort  Georg  Rapp,  so  nahm  hier  Bäumler  die  verantwortliche  Stelle 
als  Vorsteher  der  Gemeinde  ein.  Dieselbe  erhielt  in  den  Jahren  1831  bis  1841 
Zuzug  aus  der  Heimat,  wodurch  die  Kopfzahl  sich  auf  500  steigerte.  Der  Ge- 
meinde konnte  beitreten,  wer  sich  verpflichtete,  ein  Prüfungsjahr  in  ihr  zuzu- 
bringen, während  dessen  er  für  das  Allgemeinwohl  arbeiten  mußte,  dagegen 
aber  auch  mit  allem  Nötigen  versehen  wurde.  War  er  nach  Ablauf  des  Probe- 
jahres gesonnen,  zu  bleiben,  so  mußte  er  sein  Privateigentum  aufgeben. 

Gleich  den  Rappisten  brachten  es  auch  die  Mitglieder  dieser  Gemeinde 
durch  unermüdlichen  Fleiß  zu  großem  Wohlstand.  Zur  Zeit  ihres  Glanzes 
besaß  sie  7500  Acker  fruchtbaren  Landes,  vortreffliche  Viehherden,  ansehnliches 
Barvermögen  und  unbegrenzten  Kredit.  Man  unterhielt  Mühlen,  Schmelz- 
hütten, eine  Gerberei,  Ziegelbäckerei,  Sägemühle  und  dergleichen  mehr. 

Solange  Bäumler  lebte,  herrschte  schönste  Ordnung.  Er  war  der  leitende 
Geist,  der  für  alle  dachte  und  die  ganze  Masse  mit  sich  zog.  Als  aber  nach 
vierzigjähriger  Arbeit  seine  Kraft  erlahmte  und  er  am  27.  August  1853  aus  dem 
Leben  schied,  fand  sich  kein  gleichwertiger  Nachfolger.  Die  Gemeinde  war 
hilflos  wie  eine  Herde,  die  ihren  Hirten  verloren. 

Auf  die  Blütezeit  folgte  eine  Periode  des  Stillstandes.  Dann  kam  eine 
Zeit,  wo  durch  den  Bau  einer  Eisenbahn  Zoar  Verbindung  mit  benachbarten, 
wehlich  gesinnten  Ortschaften  erhielt.  Zahlreiche  Fremde  erschienen,  um  das 
Wunderdorf  zu  besichtigen.  Das  ehemalige  Wohnhaus  Bäumlers  wurde  in  ein 
Hotel  verwandelt.  Dadurch  traten  die  bisher  in  Abgeschiedenheit  lebenden 
Separatisten  in  Berührung  mit  andersdenkenden  Menschen  und  stellten  Ver- 
gleiche an.  Es  lockerten  sich  die  Bande.  Besonders  das  junge  Volk  bekundete 
Neigung,  sich  auf  eigene  Füße  zu  stellen  und  beantragte  Auflösung  der  Ge- 
meinde und  Verteilung  des  Vermögens.  Ein  solcher  Beschluß  wurde  unter 
Beihilfe  schlauer  Advokaten  am  10.  März  1898  wirklich  gefaßt  und  von  136  Mit- 
gliedern unterzeichnet.  Bei  der  Verteilung  empfing  jedes  Mitglied  Eigentum 
im  Wert  von  12  000  Dollar. 


2Q3 


Die  Amaniten. 

Eine  gleichfalls  auf  religiöser  Grundlage  beruhende  deutsche  Kommuni- 
stenkolonie ist  Amana  im  Staate  Iowa.  Ihre  Mitglieder  nennen  sich  die 
„W  ahren  Inspirierten".  Im  wesentlichen  stimmt  ihre  Lehre  mit  der- 
jenigen der  evangelischen  Kirche  überein.  Nur  bestreiten  sie  die  Notwendigkeit 
der  Kirche  selbst,  des  berufsmäßigen  Priestertums,  des  Abendmahls  und  der 
Taufe.  Sie  betrachten  sich  als  Streiter  Christi,  welche  durch  ein  Leben  voller 
Entsagungen  und  Verleugnungen  das  Jenseits  gewinnen  wollen.  Als  Stifter 
verehrt  die  Sekte  die  beiden  Männer  J.  F.  Rock  und  E.  L.  Gruber,  welche 
im  Jahre  1714  in  Hessen  auftraten.  Sie  lehrten,  daß  Gott,  wie  vor  alters,  so 
auch  heute  noch  Werkzeuge  zur  Verkündigung  seines  Willens  erlese  und  mit 
seinem  Geist  erfülle.  Da  sie  im  Gegensatz  zu  der  im  Buchstabendienst  und 
Formelwesen  erstarrten  Orthodoxie  der  damaligen  Zeit  einem  werktätigen 
Christentum  voll  Herzensfrömmigkeit  und  aufrichtiger  Nächstenliebe  das  Wort 
redeten,  so  fanden  sie  bald  Anhänger  in  Deutschland,  der  Schweiz  und  Holland. 
Aber  die  Kühnheit,  mit  welcher  die  Inspirierten  gegen  die  Mißbräuche  in 
Kirche  und  Gesellschaft  auftraten,  zog  ihnen  so  hartnäckige  Verfolgungen  zu, 
daß  die  Gemeinden  im  Jahre  1843  nach  Amerika  übersiedelten  und  in  der  Nähe 
der  Stadt  Buffalo  im  Staat  New  York  die  Kolonie  Ebenezer  gründeten. 

Bereits  in  der  Mitte  der  fünfziger  Jahre  wurde  diese  zu  klein.  Da  Land 
nur  noch  zu  unerschwinglich  hohen  Preisen  zu  haben  war,  außerdem  die  nahe 
Stadt  mit  ihren  Vergnügungen  die  jüngeren  Leute  zu  sehr  anlockte,  so  verlegten 
die  Inspirierten  ihre  Niederlassungen  nach  dem  fernen  Iowa.  Dort  schufen  sie 
am  Iowafluß  den  Ort  Amana,  dessen  Namen  sie  dem  im  4.  Kapitel  des  Hohen- 
liedes Salomonis  enthaltenen  Vers  entlehnten:  „Gehe  herein,  tritt  von  der  Höhe 
Amana." 

Durch  Zuzug  neuer  Mitglieder  wuchs  die  Sekte  allmähUch  auf  1800  Seelen 
an,  die  sich  auf  die  sieben  eng  benachbarten  Dörfer  Amana,  West-,  Süd-, 
Ost-,  Mittel-  und  FI  och- Amana  und  Heimstadt  (Homestead) 
verteilen.  Ihr  Besitz  umfaßt  26  000  Acker  guten  Prärielandes,  von  dem  10  000 
Acker  bewaldet  sind. 

Die  beiden  Hauptleiter  der  Gemeinde  waren  während  der  zweiten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  Christian  Metz  und  Barbara  Heinemana 
Landmann.  Alle  weltlichen  Angelegenheiten  werden  von  13,  jährlich  neu 
zu  wählenden  Vertrauensmännern  geleitet,  die  wieder  einen  Präsidenten  er- 
küren. Jedes  Dorf  verwaltet  sich  selbst  und  legt  der  Gesamtgemeinde  einmal 
jährlich  Rechnung  ab. 

Die  Ehe  halten  sie  nicht  für  verboten,  betrachten  sie  aber  als  etwas  Un- 
heiliges, was  vom  wahren  Lebenszweck  ablenke.  Deshalb  werden  Jungverhei- 
ratete Eheleute  in  die  unterste  der  drei  Mitgliederklassen,  in  die  der  Kinder 
und  weltlich  Gesinnten  zurückversetzt.  Es  bedarf  dann  eines  zweijährigen 
reinen  Lebenswandels,  bis  die  Ehegatten  sich  wieder  in  eine  der  beiden  höheren 


—     294     — 

Klassen,  die  geistlich  Gesinnten  und  Ältesten  emporarbeiten  können.  Da  die 
Sekte  der  Amaniten  demnach  durch  Geburten  vor  dem  Aussterben  bewahrt  ist, 
so  mag  ihr  vielleicht  ein  längeres  Bestehen  beschieden  sein.  Jede  Familie  be- 
wohnt ihr  eignes,  von  einem  Garten  umgebenes  Wohnhaus.  Die  Mahlzeiten 
werden  aber  gemeinschaftlich  in  besonderen  Speisehäusern  eingenommen,  wo- 
bei Männer  und  Frauen  getrennt  sitzen.  Alle  zum  Leben  erforderlichen  Dinge 
sucht  man  in  der  Gemeinde  herzustellen.  Außer  landwirtschaftlichen  Erzeug- 
nissen bringen  die  Am.aniten  viel  Wolle  auf  den  Markt.  Ihre  Tuche  und  ge- 
druckten Kattune  sind  weithin  berühmt.  Durch  Anlage  großer  Kattun-  und 
Tuchfabriken,  Mehl-  und  Sägemühlen,  Maschinen  Werkstätten,  Gerbereien,  Sei- 
fen- und  Stärkefabriken  erwiesen  sich  die  Amaniten  auch  als  Pioniere  der  In- 
dustrie. Da  sie  in  ihren  Betrieben  nur  das  beste  Material  verwenden  und  gründ- 
liche technische  Kenntnisse  mit  größter  Sorgfalt  verbinden,  so  erfreuen  sich  alle 
in  Amana  hergestellten  Erzeugnisse  eines  vorzüglichen  Rufes.  Das  ganze  Be- 
sitztum ist  nicht  nur  schuldenfrei,  sondern  man  erzielte  auch  bedeutende  Er- 
sparnisse, die  in  verschiedener  Weise  nutzbringend  angelegt  sind. 

Die  Bauart  und  Einrichtung  der  Häuser  sind  echt  deutsch.  Desgleichen 
die  Umgangssprache,  in  welcher  auch  der  Unterricht  in  den  Schulen  geführt 
wird.  Dabei  wird  die  Pflege  des  Englischen  keineswegs  vernachlässigt.  Be- 
sonders Befähigte  erhalten  die  Erlaubnis,  anderswo  höhere  Schulen  zu  be- 
suchen. Sie  finden  später  als  Lehrkräfte  in  den  Schulen  Verwendung,  deren 
Gesamtunterricht  ganz  dem  Geist  der  Gemeinde  und  der  Lehre  der  Inspirierten 
angepaßt  ist. 

Indem  man  den  Forderungen  der  Zeit  in  gewissem  Sinne  Rechnung  trug, 
die  Verwaltung  auch  nicht  ganz  auf  demokratischer  Grundlage  einrichtete, 
sondern  den  Begabten  größeren  Spielraum  zur  Betätigung  ihrer  Individualität 
ließ,  befestigte  man  den  Bestand  der  Gemeinden. 

Erst  seitdem  in  neuerer  Zeit  das  Dorf  Heimstadt  Eisenbahnstation  wurde, 
zeigen  sich  beim  jüngeren  Element  ähnliche  Neigungen,  wie  sie  zur  Auflösung 
der  Separatistengemeinde  Zoar  führten. 


B  e  t  h  e  1  und  Aurora  sind  die  Namen  zweier  kommunistischer  Ge- 
meinden, die  von  dem  in  Preußen  geborenen  Mystiker  Keil  gegründet  wurden. 
Bethel  entstand  im  Jahre  1844  und  liegt  im  Shelby  County  des  Staates  Missouri. 
Einen  Teil  dieser  Gemeinde  führte  Keil  im  Jahre  1855  nach  dem  fernen  Oregon 
und  gründete  in  dem  schönen  Tal  des  Willamette,  29  Meilen  südlich  von  Port- 
land den  Ort  Aurora.  Die  Bevölkerung  beider  Gemeinden  bestand  aus  ein- 
gewanderten Deutschen  und  aus  Deutsch-Pen nsylvaniern.  Aber  bald  nach 
Keils  Tode  löste  sich  die  Kolonie  Aurora  auf,  wobei  die  Mitglieder  das  er- 
worbene Vermögen  unter  sich  verteiUen. 


—     295     — 

Wie  aus  den  obigen  Darstellungen  ersichtlich  ist,  bildete  bei  allen  in 
Amerika  gegründeten  deutschen  Kommunistenkolonien  die  Gemeinsamkeit  der 
religiösen  Anschauungen  ein  starkes  Band,  das  die  Mitglieder  zusammenhielt. 
Es  scheint  fast,  als  ob  ohne  dieses  Bindemittel  eine  kommunistische  Vereinigung 
auf  die  Dauer  kaum  möglich  wäre.  Wenigstens  gingen  alle  diejenigen  Ver- 
einigungen, auch  die  nichtdeutschen,  denen  dieses  religiöse  Band  fehlte,  bald 
zugrunde.  Daneben  hängt,  wie  die  Geschichte  aller  kommunistischen  Nieder- 
lassungen lehrt,  ihre  Existenz  wesentlich  von  dem  Vorhandensein  einzelner 
starker  Leiter  ab,  deren  Willen  die  Gesamtheit  sich  unterordnet.  Solche  führenden 
Geister  waren  Beissel,  Rapp,  Bäumler,  Metz  und  Keil.  Ihr  Wille  konnte,  wie 
derjenige  Brigham  Youngs  bei  den  Mormonen,  um  so  bestimmter  zur  Geltung 
kommen,  als  ihre  Gefolgschaft  aus  Menschen  von  verhältnismäßig  geringer 
Bildung  bestand,  die  fleißig  und  lenksam  waren  und  in  ihren  Führern  höher 
begabte,  prophetische  Wesen  erblickten.  Fanden  sich  nach  deren  Tod  keine  ge- 
eigneten Ersatzmänner,  so  trat,  wie  die  Beispiele  Ephrata,  Zoar,  Bethel  und 
Aurora  zeigen,  langsam  aber  unaufhaltsam  die  Auflösung  ein. 

Wie  die  von  Anglo- Amerikanern  gegründeten  kommunistischen  Gemein- 
den, so  blieben  auch  die  von  Deutschen  in  den  Vereinigten  Staaten  gestifteten 
nicht  ohne  Einfluß  auf  das  amerikanische  Kulturleben.  Der  unermüdliche  Fleiß 
der  Mitglieder,  ihre  Genügsamkeit,  ihr  stetes  Streben  nach  Verbesserungen 
konnten  jedermann  zum  Vorbild  dienen.  Die  musterhaften  landwirtschaftlichen 
und  industriellen  Einrichtungen  wirkten  ungemein  anregend  auf  die  benach- 
barte Bevölkerung.  Nicht  minder  trug  die  in  Harmonie,  Ökonomie,  Zoar, 
Ebenezer  und  Amana  geübte  Fürsorge  für  Kranke,  Arbeitsunfähige  und  Alters- 
schwache viel  dazu  bei,  auch  im  Amerikanertum  jenes  Gefühl  der  Barmherzig- 
keit und  Wohltätigkeit  zu  erwecken,  das  sich  während  des  letzten  halben  Jahr- 
hunderts in  so  vielen  großartigen  philantropischen  Stiftungen  betätigte. 

Und  so  sind  auch  die  deutschen  Kommunistengemeinden,  obwohl  sie  in 
geistiger  Hinsicht  ein  veraltetes  Bauernleben  mit  religiös-kommunistischem 
Untergrund  repräsentierten,  nicht  ohne  günstigen  Einfluß  auf  die  neuweltliche 
Kultur  geblieben. 


Staatenpläne. 

Die  großen  Erfolge,  welche  von  ihren  nach  den  Vereinigten  Staaten 
übersiedelten  Landsleuten  allerorten  errungen  wurden,  veranlaßten  manche 
hochherzige  Deutsche,  sich  kühnfliegenden  Hoffnungen  und  Plänen  betreffs  der 
zukünftigen  Stellung  des  Deutschtums  in  Amerika  hinzugeben.  Es  war  ihnen 
nicht  entgangen,  daß  der  größte  Teil  ihrer  dorthin  ausgewanderten  Landsleute 
mit  der  Zeit  die  Sitten  und  Sprache  der  Anglo-Amerikaner  annahm.  Dies  war 
besonders  dort  der  Fall,  wo  die  Deutschen  beständig  starken  Berührungen  mit 
den  Anglo-Amerikanern  ausgesetzt  waren,  wie  beispielsweise  im  Mohawktal, 
dessen  ursprünglich  rein  deutsche  Niederlassungen  im  Laufe  weniger  Genera- 
tionen ihr  Gepräge  verloren,  als  die  Anglo-Amerikaner  nach  Beendigung  des 
Befreiungskrieges  massenhaft  in  das  Tal  einströmten.  Diese  auch  an  anderen 
Orten  gemachten  Wahrnehmungen  regten  bei  vielen  Deutschen  und  Deutsch- 
Amerikanern  die  Frage  an,  ob  es  nicht  möglich  sei,  den  Fortbestand  deutscher 
Sprache  und  Siite  in  Amerika  zu  sichern,  indem  man  den  bisher  ungeregelten, 
über  fast  alle  Staaten  sich  ergießenden  Strom  der  deutschen  Auswanderung 
nach  bestimmten  Gegenden  lenke,  wo  er  dem  Einfluß  des  Anglo-Amerikaners 
weniger  stark  ausgesetzt  sei. 

In  Deutschland  waren  es  besonders  der  fortschrittliche  Pfarrer  Fried- 
rich Münch  und  der  Gießener  Rechtsanwalt  Paul  Follenius,  welche 
den  Plan,  deutschem  Volksleben  auf  dem  Boden  der  Neuen  Welt  eine  bleibende 
Heimstätte  zu  schaffen,  mit  Wärme  verfochten  und  zuerst  auf  seine  Verwirk- 
lichung ausgingen.  Gleichfalls  durch  die  von  Gottfried  Duden  geschriebenen 
Schilderungen  mächtig  beeinflußt,  riefen  sie  im  Jahre  1833  die  „Gieß  euer 
Auswandrungsgesellschaft"  ins  Leben,  der  zahlreiche  vermögende 
und  wissenschaftlich  gebildete  Leute  beitraten.  Viele  derselben  entschlossen 
sich,  das  von  Duden  so  verlockend  geschilderte  Missouri  zum  Schauplatz  ihrer 
Kolonisationspläne  zu  machen.  An  der  Spitze  von  mehreren  hundert  deut- 
schen Familien  segelte  Friedrich  Münch  im  Frühling  1834  mit  zwei  Schiffen 
von  Bremen  ab,  um  in  Missouri  einen  deutschen  Staat  aufzurichten.  Derselbe 
sollte  zwar  ein  Glied  der  Union  bilden,  jedoch  eine  Staatsform  besitzen,  welche 
den  Fortbestand  deutscher  Spraclie  und  Sitten  verbürge  und  echtes,  freies,  volks- 
tümliches Leben  schaffe.    Man  nahm  eine  Glocke  für  die  erste  zu  bauende  Stadt 


—    297     — 

mit,  desgleichen  ein  kostbares  Fernrohr  für  die  erste  zu  gründende  Hochschule. 
Die  rauhe  Wirklichkeit  machte  aber  diese  romantischen  Träume  von  einem  Jung- 
deutschland zunichte.  Sie  scheiterten  an  dem  unpraktischen  Sinn  der  Führer 
des  Zuges,  sowie  an  der  Unfähigkeit  der  einzelnen  Teilnehmer,  die  ungewohnten, 
mit  dem  Urbarmachen  des  wilden  Bodens  verbundenen  Beschwerden  und  Ent- 
behrungen zu  ertragen.  Auch  verloren  die  Teilnehmer  bald  ihren  Zusammen- 
halt. Es  schien  in  der  amerikanischen  Luft  etwas  zu  liegen,  was  jeden,  der  sie 
einatmete,  sofort  selbständig  und  unabhängig  machte. 

Münch  und  Follenius,  beide  mit  eisernem  Willen  begabt,  ruhten  nicht, 
bis  sie  in  Missouri  angekommen  waren.  Dort  ließen  sie  sich  nieder  und 
zwangen  der  Wildnis  durch  rastlose  Tätigkeit  ertragreiche  Felder,  blühende 
Obsthaine  und  Weinberge  ab.  Münch  benutzte  seine  Mußestunden  zum  Ab- 
fassen zahlreicher  Schriften  über  Religion,  Sittenlehre,  Land-  und  Weinbau,  von 
denen  manche  große  Verbreitung  fanden.  Später  beschritt  er  auch  das  poli- 
tische Gebiet  und  beteiligte  sich  als  Redner  wie  Verfasser  mehrerer  Flugschriften 
an  der  Bildung  der  republikanischen  Partei,  mit  der  er  beim  Ausbruch  des 
Sezessionskriegs  den  Staat  Missouri  für  die  Union  erhalten  half. 

Was  der  Gießener  Auswandrungsgesellschaft  nicht  gelang,  vermochten 
auch  mehrere  deutschamerikanische  Gesellschaften  nicht  durchzuführen.  In 
Philadelphia  bildete  sich  im  Sommer  1836  eine  auf  Anteilscheinen  begründete 
deutsche  Ansiedlungsgesellschaft,  die  im  Gasconade-Bezirk  des 
Staates  Missouri  12  000  Acker  Land  kaufte  und  im  Jahre  1838  den  Grund  zu 
der  noch  jetzt  vorwiegend  von  Deutschen  bewohnten  und  wegen  ihres  Wein- 
baus bekannt  gewordenen  Stadt  Hermann  legte. 

Eine  größere  Ausdehnung  vermochte  die  Gesellschaft  ihren  deutschen 
Kolonisationsplänen  aber  ebensowenig  zu  geben,  wie  die  New  Yorker  Gesell- 
schaft „Germania",  die  im  Jahre  1839  ins  Leben  trat.  Den  Gründern 
schwebte  gleichfalls  der  Plan  eines  völlig  deutschen  Staates  in  Nordamerika 
vor,  doch  waren  die  Meinungen  darüber,  wie  und  wo  er  verwirklicht  werden 
könne,  sehr  geteilt.  Die  einen  schlugen  vor,  der  Staat  müsse  zwischen  dem 
oberen  Mississippi  und  den  großen  Seen,  also  im  heutigen  Wisconsin,  gelegen 
sein.  Andere  bevorzugten  Texas  oder  das  fern  am  Stillen  Ozean  gelegene 
Oregon.  Einige  meinten,  der  deutsche  Staat  müsse  zur  Union  gehören,  die 
andern  wollten  seine  völlige  Unabhängigkeit  gewahrt  wissen.  Da  die  größere 
Zahl  der  Mitglieder  w^ohl  fühlen  mochte,  daß  der  Plan,  inmitten  des  anglo- 
amerikanischen  Staatenbundes  einen  rein  deutschen  Staat  aufzurichten,  den 
Widerstand  der  Amerikaner  wachrufen  müsse,  so  einigte  man  sich  endlich  da- 
hin, Texas  zum  Versuchsfelde  zu  machen. 

Texas,  ursprünglich  zu  Mexiko  gehörend,  war  im  Jahre  1837  aus  dem 
mexikanischen  Staatenverband  ausgeschieden  und  bildete  eine  völlig  unabhängige 
Republik.  Unter  ihren  Bewohnern  befanden  sich  bereits  mehrere  tausend 
Deutsche.  Sie  hatten  an  den  texanischen  Unabhängigkeitskämpfen  so  lebhaften 
Anteil  genommen,  daß  der  Kongreß  der  jungen  Republik  ihnen  zum  Dank  einen 


—     298     — 

Freibrief  für  die  Gründung  einer  deutschen  Universität  —  die  Hermanns- 
Universität—  gewährte  und  dieselbe  mit  einer  Schenlcung  von  4428  Acker 
Staatsländereien  dotierte.  In  der  Grafschaft  Austin  hatten  die  Deutschen  im 
Jahre  1840  das  erste  deutsche  Städtchen  gegründet  und  demselben  den  bezeich- 
nenden Namen  Industrie  veriiehen. 

Nach  diesem  vielversprechenden  Lande  segelte  am  2.  November  1839  die 
erste,  von  der  New  Yorker  Gesellschaft  „Germania"  zusammengebrachte  Ab- 
teilung von  130  Ansiedlern  auf  der  von  der  Gesellschaft  erworbenen  Brigg 
„North".  Sie  landete  wohlbehalten  in  Galveston,  löste  sich  aber  bereits  in 
Houston  auf,  worauf  der  Führer  und  diejenigen  Mitglieder  der  Expedition,  die 
noch  Geld  besaßen,  mißvergnügt  nach  New  York  zurückkehrten. 

Der  an  und  für  sich  nicht  üble  Plan,  Texas  in  einen  unabhängigen  deut- 
schen Staat  umzuwandeln,  wurde  bald  darauf  von  mehreren  deutschen  Fürsten 
aufgegriffen,  die  gleichfalls  von  dem  Wunsche  beseelt  waren,  die  deutsche  Aus- 
wandrung  auf  einen  Punkt  zu  lenken,  wo  ihre  Nutzbarkeit  für  das  Mutterland 
auf  längere  Zeit  gesichert  bleibe.  Es  bildete  sich  unter  dem  Vorsitz  des  Flerzogs 
von  Nassau  der  „M  ainzer  Adelsverei  n",  dem  die  Herzöge  von  Mei- 
ningen und  Koburg-Gotha,  der  Prinz  Friedrich  von  Preußen,  der  Landgraf  von 
Hessen-Homburg,  die  Fürsten  von  Schwarzburg-Rudolstadt,  Solms-Braunfels, 
Neuwied,  Coloredo-Mansfeld  sowie  verschiedene  andere  Grafen  und  Prinzen 
angehörten.  Sie  planten,  so  viele  deutsche  Auswandrer  nach  Texas  zu  werfen,  daß 
die  Deutschen  im  Laufe  der  Zeit  das  Übergewicht  erlangen  und  die  Geschicke  des 
Freistaats  bestimmen  könnten.  Im  Mai  1842  gingen  die  Grafen  Joseph 
von  Boos-Waldeck  und  Viktor  von  Leiningen  nach  Texas  ab, 
um  Ländereien  für  die  zu  gründenden  Niederlassungen  auszusuchen.  Sie 
fielen  aber  Schwindlern  in  die  Hände,  die  ihnen  neben  gutem  Land  auch  viel 
schlechtes  aufhingen.  Im  Mai  1844  reiste  Prinz  Karlvon  Solms-Braun- 
fels als  Generalbevollmächtigter  des  Adelsvereins  nach  Texas  ab ;  ihm  folgten 
bald  150  deutsche  Familien,  die  im  Dezember  in  Lavacca,  dem  heutigen  In- 
dianola,  landeten  und  nordöstlich  von  der  Stadt  San  Antonio  die  Niederlassung 
Neu-Braunfels  gründeten.  Anfangs  ging  hier  alles  gut;  nach  und  nach 
stellten  sich  aber  Schwierigkeiten  ein,  besonders  als  die  Geldmittel  des  Adels- 
vereins sparsamer  zu  fließen  begannen.  Die  Übelstände  wuchsen,  als  der  Prinz 
abdankte  und  nach  Europa  zurückkehrte.  Der  an  seine  Stelle  tretende  Regierungs- 
assessor Freiherr  von  Meusebach,  der  nördlich  von  Neu-Braunfels 
die  Niederlassung  Friedrichsburg  gründete,  vermochte  trotz  größter 
Sparsamkeit  die  finanziellen  Schwierigkeiten  nicht  zu  heben.  Sie  steigerten  sich 
ins  Ungeheuerliche,  als  der  Adelsverein  im  Jahre  1846  die  Unklugheit  beging, 
den  beiden  Niederlassungen  2500  neue  Auswandrer,  aber  kein  Geld  zuzusenden. 
Als  die  Auswandrer  in  Lavacca  ankamen,  fanden  sie  an  dem  öden  Strande 
weder  Unterkommen  noch  Nahrung.  Ebensowenig  Beförderungsmittel,  um 
die  über  200  Meilen  weite  Reise  nach  Neu-Braunfels  ausführen  zu  können.  Es 
brach  eine  so  furchtbare  Not  unter  den  Unglücklichen  aus,  daß  Hunderte  an 


—     299     — 

Entbehrungen,  Fiebern  und  Seuchen  zugrunde  gingen.  Die  meisten  machten 
sich  endhch  zu  Fuß  zur  Wandrung  nach  Neu-Braunfels  auf.  Der  lange  Marsch 
durch  wüste  Gegenden  unter  halbtropischer  Sonnenglut  war  für  viele  ein  Todes- 
marsch. Kaum  1200  Personen  erreichten  den  Bestimmungsort.  Dort  wuchsen 
die  Verlegenheiten  von  Tag  zu  Tag,  denn  bald  sahen  sich  die  deutschen  Kolo- 
nisten völlig  auf  sich  selbst  angewiesen,  als  der  Adelsverein  teils  aus  Mangel 
an  Geldmitteln,  teils  infolge  der  in  Deutschland  immer  stärker  hervortretenden 
Revolutionsbewegungen  sich  auflöste.  Überdies  war  der  Freistaat  Texas  am 
29.  Dezember  1845  dem  Nordamerikanischen  Staatenbund  beigetreten,  womit 
die  Möglichkeit,  Texas  in  einen  unabhängigen  Staat  unter  deutscher  Schutz- 


Deutsche  Einwandrer  auf  dem  Zuge  nach  Neu  Braunfels. 

Nach  einem  gleichzeitigen  Holzschnitt. 


herrschaft  umzuwandeln,  als  gescheitert  betrachtet  werden  mußte.  Die  beiden 
Niederlassungen  Neu-Braunfels  und  Friedrichsburg  entwickelten  sich  langsam; 
durch  Fleiß  und  Ausdauer  gelang  es  den  dort  wohnenden  Deutschen,  ihre  Lage 
allmählich  zu  verbessern.  Als  man  im  Mai  1895  das  50jährige  Bestehen  von 
Neu-Braunfels  feierte,  konnten  die  1800  deutschen  Bewohner  des  Orts  diese 
Feier  unter  den  befriedigendsten  Verhältnissen  begehen,  ein  Beweis  dafür,  daß 
sie  durch  Ausdauer  und  Fleiß  die  zahllosen  Schwierigkeiten,  die  ihnen  entgegen- 
standen, glücklich  überwunden  hatten. 

Heute  bildet  das  deutsche  Gebiet  die  Perle  von  Texas.  Seine  lachenden 
Auen,  wohlgepflegten  Farmen,  freundlichen  Häuser,  guten  Straßen  und  froh- 
sinnige Bevölkerung  sind  ehrende  Denkmäler  für  die  Bestrebungen  des  Mainzer 
Adelsvereins. 


—     300     — 

Der  Plan,  innerhalb  der  amerikanischen  Union  einen  deutschen  Staat  zu 
gründen,  wurde  auch  später  noch  von  den  sogenannten  „Achtund- 
vierzigern'' besprochen,  wobei  man  nacheinander  auch  Arkansas,  Florida, 
Michigan,  Wisconsin,  Minnesota  und  Oregon  als  geeignete  Staaten  in  Vorschlag 
brachte.  Aber  je  öfter  und  eingehender  man  sich  mit  solchen  Plänen  be- 
schäftigte, desto  mehr  gelangte  man  zu  der  Erkenntnis,  daß  dieselben  Utopien 
seien,  deren  Verwirklichung  weder  im  Interesse  der  Deutschen  selbst  noch  im 
Interesse  der  Vereinigten  Staaten  liege. 


Die  politischen  Flüchtlinge  der  deutschen 
Revolutionszeit. 

Verlockte  das  die  ganze  Welt  ergreifende  Goldfieber  viele  Deutsche  zur 
Auswandrung  nach  Amerika,  so  wurden  noch  weit  mehr  durch  die  geradezu 
unerträglichen  politischen  Zustände  Deutschlands  über  das  Weltmeer  getrieben. 

Die  von  den  deutschen  Herrschern  in  den  Stunden  schwerster  Gefahr  ab- 
gelegten Gelübde,  dem  Volk  eine  dem  modernen  Zeitgeist  entsprechende  Ver- 
fassung und  Teilnahme  an  der  Regierung  zu  gewähren,  waren  entweder  gar 
nicht  oder  nur  in  dürftigster  Weise  gehalten  worden.  Nach  wie  vor  huldigten 
die  Fürsten  dem  Grundsatz,  daß  nicht  die  Herrscher  der  Völker  wegen,  son- 
dern die  Völker  der  Herrscher  wegen  da  seien.  „Wir  sind  der  Staat!"  so 
donnerten  sie  ihren  Untertanen  zu.  Wer  es  wagte,  die  Gültigkeit  dieses  Satzes 
anzuzweifeln  oder  gewaltsam  an  ihm  zu  rütteln,  wurde  als  Hochverräter  in 
den  Kerker  geworfen.  Erinnerten  die  Untertanen  ihre  Fürsten  an  die  gemachten 
Zusagen,  so  empfingen  sie  die  schnöde  Antwort,  es  zieme  ihnen  nicht,  die 
Herrscher  an  die  Erfüllung  ihrer  Versprechungen  zu  mahnen;  Pflicht  der  Unter- 
tanen sei  es,  ruhig  abzuwarten. 

Aber  mit  leeren  Vertröstungen  ließen  die  immer  stärker  werdenden  frei- 
heitlichen Bestrebungen  sich  auf  die  Dauer  nicht  eindämmen,  und  je  rücksichts- 
loser die  Fürsten  in  ihren  Anstrengungen  verfuhren,  dieselben  zu  unterdrücken, 
um  so  mehr  vertieften  sich  im  Volk  der  Haß  und  Abscheu  gegen  die  Gewalt- 
herrscher, von  denen  manche  in  das  widerwärtige,  dem  Geist  des  19.  Jahr- 
hunderts hohnsprechende  Treiben  ihrer  Väter  zurückgefallen  waren.  In  Kur- 
hessen führte  Wilhelm  II.  im  Verein  mit  seiner  zur  Gräfin  erhobenen  Maitresse 
eine  wahre  Lotterwirtschaft;  in  Braunschweig  verpraßte  der  sogenannte 
Diamantenherzog  mit  einer  Rotte  sittenloser  Abenteurer  die  Einkünfte  des 
Landes  in  schamlosester  Weise.  In  Bayern  beschwor  König  Ludwig  I.  durch 
sein  Verhältnis  mit  der  berüchtigten  Tänzerin  Lola  Montez  sowie  durch  sein 
völlig  reaktionäres  Regiment  den  Unmut  des  Volkes  herauf.  In  Sachsen, 
Hannover  und  anderen  Staaten  hatte  man  ähnliche  Gründe  zur  Mißstimmung. 
Um  diesen  Zündstoff  zu  entflammen,  bedurfte  es  nur  eines  Funkens.  Da  kam 
im  Jahre  1830  die  Pariser  Julirevolution.  Die  Kunde  ihres  Ausbruchs  durch- 
zuckte die  freiheitsdurstige  deutsche  Männerwelt  gleich  einem  elektrischen 
Schlag.  In  Kassel  nahm  das  Volk  eine  so  drohende  Haltung  an,  daß  der  Kur- 
fürst mit  seiner  Maitresse  flüchtete.     In  Braunschweig  setzte  die  Menge  das 


—     302     — 

Schloß  in  Brand.  Auch  in  Sachsen  und  Hannover  kam  es  zu  Unruhen,  die  den 
deutschen  Machthabern  gleich  dem  Flammenzucken  eines  heraufziehenden  Ge- 
witters erscheinen  mußten. 

Auf  dem  berühmten  „Hambacher  Fest",  das  am  27.  Mai  1832  auf  der  bei 
Neustadt  an  der  Hardt  gelegenen  Burgruine  Hambach  abgehalten  wurde,  er- 
klangen sogar  Hochrufe  auf  „die  vereinigten  Freistaaten  Deutschlands  und  das 
konföderierte  republikanische  Europa".  Man  kam  sogar  einer  unter  den 
Burschenschaftlern  von  Heidelberg,  Würzburg,  Erlangen  und  Gießen  bestehen- 
den geheimen  Verschwörung  auf  die  Spur,  die  den  tollkühnen  Plan  gefaßt  hatte, 
den  in  Frankfurt  a.  M.  tagenden  Bundesrat  aufzuheben,  und  eine  Revolution 
sowie  den  Übergang  Deutschlands  zur  republikanischen  Regierungsform  her- 
beizuführen. 

Alle  diese  Kundgebungen  bewogen  die  Herrscher  zu  ungeheuren  An- 
strengungen, um  den  drohenden  Sturm  abzuwehren.  Die  Reaktion  begann  mit 
Hochdruck  zu  arbeiten.  Zahlreiche  Burschenschaftler  und  Teilnehmer  am  Ham- 
bacher Fest  wurden  zum  Tode  oder  zu  lebenslänglicher  Festungshaft  verurteilt. 
Alle  Beamte  und  Professoren,  die  für  Herbeiführung  gerechter  Zustände,  für 
Erlösung  von  Ausbeutung,  Privilegienwirtschaft  und  Bevormundung,  für  die 
politische  Einheit  und  geistige  Freiheit  des  deutschen  Volkes  eingetreten  waren, 
wurden  ihrer  Ämter  enthoben,  manche  sogar  des  Landes  verwiesen.  Das 
deutsche  Volk  erlebte  eine  wahrhaft  jammervolle  Zeit.  Über  allen  Gauen  lagerte 
die  Stille  des  Friedhofs.  Kein  fröhlicher  Gesang,  kein  glückliches  Lachen  er- 
tönte mehr  in  den  Städten  und  Dörfern.  In  den  finsteren  Mienen  der  nieder- 
gedrückten Untertanen  malten  sich  Haß  und  Erbittrung  gegen  die  Oberhäupter, 
die  mit  harter  Faust  das  Lebensglück  tausender  nach  Freiheit  dürstender 
Menschen  vernichteten. 

Dem  Fluch  des  Volks  Hohn  bietend,  ergingen  sich  manche  Gewalthaber 
in  groben  Rechtsverletzungen.  In  Hannover  wurde  der  Absolutismus  Staats- 
gesetz; in  Nassau  nahm  Herzog  Adolf  alles  Staatseigentum  für  sich  in  An- 
spruch; in  Hessen  erwarb  der  Minister  Hassenpflug,  das  willfährige  Werkzeug 
des  Kurfürsten,  sich  den  Beinamen  eines  „Hessenfluch". 

Die  Folgen  dieser  Vergewaltigung  blieben  nicht  aus.  Die  Konservativen 
verwandelten  sich  in  Liberale,  die  Liberalen  in  Revolutionäre.  Die  Luft  wurde 
erstickend  schwül.  Wer  konnte,  suchte  sich  den  unerträglichen  Verhältnissen 
durch  Auswandrung  zu  entziehen,  die  in  immer  größerem  Maßstab  vor  sich 
ging.  Während  des  Zeitraums  von  1830  bis  1845  verließen  alljährlich  gegen 
40  000  Deutsche  ihr  Vaterland,  um  in  Amerika  oder  anderen  Ländern  ein 
menschenwürdiges  Dasein  zu  suchen.  Die  Zahl  solcher  Auswandrer  schwoll 
in  die  Hunderttausende,  als  es  den  Regierungen  gelang,  die  während  der  Jahre 
1848  und  1849  an  vielen  Orten  ausgebrochenen  Volksaustände  niederzuschlagen, 
worauf  die  Urheber  und  Teilnehmer  an  diesen  Erhebungen  aufs  bitterste  ver- 
folgt wurden. 

Aus  der  Tatsache,  daß  viele  hervorragende  Gelehrte  sich  direkt  oder  in- 


UNIVERSITY 

OK 

C^UFORN^^  —      303      — 

direkt  an  der  Revolution  beteiligt  hatten,  zog  man  den  Schluß,  daß  die  Wissen- 
schaft an  der  Revolution  y\nteil  habe,  was  gev^iß  nicht  bestritten  werden  kann, 
wenn  man  unter  Wissenschaft  Aufklärung  versteht.  Da  die  Machthaber  durch- 
weg der  irrigen  Ansicht  huldigten,  daß  ein  Volk  mit  beschränktem  Untertanen- 
verstand leichter  zu  regieren  sei  als  ein  gebildetes,  so  forderten  sie  die  „Umkehr 
der  Wissenschaft".  Dieses  Schlagwort  ward  von  den  kirchlichen  Dunkelmännern 
aller  Bekenntnisse  aufgegriffen  und  eifrig  unterstützt.  Sich  selbst  den  Regie- 
rungen als  die  allein  zuverlässigen  Säulen  anpreisend,  auf  welche  die  Herrscher 
bauen  könnten,  halfen  sie  bei  dem  traurigen  Werk,  dem  hohen  Geistesflug  des 
deutschen  Volkes  neue  Fesseln  anzulegen. 

Die  nun  anhebende  „Reaktionszeit",  die  sich  bis  in  die  sechziger  Jahre 
erstreckte,  beraubte  Deutschland  um  1 V^  Millionen  seiner  tüchtigsten  Bewohner, 
von  denen  die  meisten  sich  den  Vereinigten  Staaten  zuwendeten.  Unter  ihnen 
befanden  sich  Männer  wie  KarlSchurz,  Friedrich  Hecker,  Franz 
Sigel,  Gustav  von  Struve,  Gottfried  Th.  Kellner,  Konrad 
Krez,  Georg  F.  Seidensticker,  Karl  Heinzen,  Gustav 
Körner,  Hans  Kudlich,  Ludwig  Blenker,  August  Willich, 
Karl  Eberhard  Salomo,  Max  Weber,  Julius  Stahel,  Her- 
mann Raster  und  unzählige  andere,  die  bereits  in  Deutschland  Führer  des 
Volks  gewesen,  oder  denen  später  in  der  Neuen  Welt  angesehene  Rollen  vor- 
behalten waren. 

Für  die  Vereinigten  Staaten  wurde  der  ungeheure  Verlust,  der  dem  deut- 
schen Volk  aus  dieser  Massenauswandrung  erwuchs,  ein  außerordentlicher  Ge- 
winn. Bisher  hatte  die  deutsche  Einwandrung  aus  Ackerbauern,  Handwerkern 
und  Gewerbtreibenden  bestanden.  Jetzt  aber  strömte  eine  mächtige  Flutwelle 
deutscher  Geistesarbeit  ins  Land.  Unter  ihnen  befanden  sich  Politiker  und 
Staatsbeamte,  Professoren,  Doktoren  und  Studenten  jeder  Wissenschaft,  Künst- 
ler, Schriftsteller  und  Journalisten,  Prediger  und  Lehrer,  Landwirte  und  Forst- 
leute, die  als  politische  Flüchtlinge  in  den  Vereinigten  Staaten  ein  Asyl  suchten 
und  mit  warmer  Teilnahme  willkommen  geheißen  wurden. 

Es  konnte  nicht  ausbleiben,  daß  die  ungeheure  Summe  von  Wissen,  Be- 
geisterung und  Idealismus,  von  politischer  und  geistiger  Emanzipation,  die  in 
diesen  Männern,  den  sogenannten  „ Achtundvierzigern' V)  aufgespeichert  lag, 
einen  gewaltigen  Einfluß,  insbesondere  auf  das  Deutsch-Amerikanertum  aus- 
üben mußte.    Bevor  derselbe  in  wohltätiger  Weise  sich  bemerkbar  machte,  ver- 


^)  Die  Bezeichnung  „Achtundvierziger"  bedarf  einer  Erklärung.  Man  begreift  unter 
dieser  Benennung  alle  Deutsche,  die  an  den  freiheitlichen  und  revolutionären  Bewegungen 
während  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  teilnahmen.  Da  jene  Bewegungen  im 
Jahre  1848  ihren  Höhepunkt  erreichten,  so  wurde  diese  Jahreszahl  gewählt,  um  mit  ihr 
alle  Träger  des  revolutionären  Gedankens  zu  bezeichnen.  Die  Zeit  der  Einwandrung 
solcher  politischer  Flüchtlinge  in  Amerika  hat  mit  jener  Jahreszahl  nichts  zu  tun.  Viele 
der  sogenannten  „Achtundvierziger''  kamen  bereits  in  den  dreissiger  und  zu  Anfang  der 
vierziger  Jahre,  die  meisten  erschienen  erst  in  den  Jahren  1849  bis  1851. 


—     304     — 

ging  allerdings  eine  gewisse  Zeit,  denn  den  Ankömmlingen  fiel  es  keineswegs 
leicht,  sich  in  die  ihnen  völlig  fremden  Verhältnisse,  in  die  sie  so  urplötzlich 
vom  Schicksal  hereingeschleudert  wurden,  einzuleben.  Wohl  waren  die  deut- 
schen Flüchtlinge  und  die  Amerikaner  Träger  eines  imd  desselben  Freiheits- 
gedankens. Aber  es  bestanden  in  anderen  Beziehungen  zwischen  ihnen  doch 
gewaltige  Unterschiede,  die,  bevor  sie  sich  ausglichen,  manche  Reibungen  her- 
beiführten. Unter  den  deutschen  Achtundvierzigern  befanden  sich  viele  radikale 
Denker,  die  für  gänzliche  Umgestaltung  aller  sozialen  Verhältnisse  schwärmten, 
mit  allen  Behörden,  Kirchen  und  Predigern  am  liebsten  reine  Bahn  gemacht 
hätten  und  sich  niemals  scheuten,  diesen  Wünschen  durch  Wort  oder  Schrift 
Ausdruck  zu  verleihen.  Das  Amerikanertum  hingegen  sowie  auch  diejenigen 
Deutschamerikaner,  die  den  zahlreichen  Sektenniederlassungen  entstammten, 
waren  von  religiösem  Leben  tief  durchdrungen.  Sie  hatten  sich  im  Lauf  der 
Jahrhunderte  daran  gewöhnt,  die  Kirche  als  den  Mittelpunkt  des  geselligen 
und  geistigen  Lebens  zu  betrachten,  wobei  sie  selbst  in  Sitten  und  Anschauungen 
viel  Förmliches  und  Puritanisches  annahmen.  Auch  die  Freierdenkenden  unter 
ihnen  suchten,  teils  aus  gesellschaftlichen,  teils  aus  geschäftlichen  oder  politi- 
schen Rücksichten,  den  äußern  Schein  möglichst  zu  wahren.  Das  Förmliche 
und  Zeremoniöse  prägte  sich  natürlich  auch  in  der  Tracht  und  im  Benehmen 
dieser  Amerikaner  aus.  Sie  werden  uns  von  einem  der  Achtundvierziger  fol- 
gendermaßen beschrieben:  „Hohe  Zylinderhüte,  etwas  nach  hinten  gerückt, 
bedeckten  den  Kopf,  während  unbändig  steife  Vatermörder  das  glattrasierte, 
völlig  bartlose  Gesicht  umrahmten  und  Hals  und  Kopf  wie  in  einer  Zange 
hielten.  Ein  Frack  oder  Schwalbenschwanz  machte  das  Bild  verkörperter  Steif- 
heit fertig.  Frack  und  Zylinder  legten  viele  selbst  beim  Melken,  Füttern, 
Pflanzen  und  Säen  nicht  ab." 

Diesen  steifleinenen  Persönlichkeiten  erschienen,  wie  Andrew  D.  White 
köstlich  schildert,  die  in  Joppen,  Garibaldihemden  und  Schlapphüten  einher- 
marschierenden  Deutschen  als  rätselhafte,  absonderliche  Wesen.  „Sie  trugen 
Barte,  während  andere  Leute  glattrasiert  waren;  sie  tranken  Bier,  während 
andere  Leute  Whisky  genossen;  sie  rauchten  aus  bemalten  Porzellanpfeifen- 
köpfen, während  andere  Leute  Tonpfeifen  qualmten;  sie  sprachen  aus  freier 
Kehle,  während  andere  Leute  durch  die  Nase  sprachen.  Den  neuen  Ankömm- 
lingen war  außerdem  das  Drama,  mit  oder  ohne  Musik,  ein  Bedürfnis;  der  da- 
malige Amerikaner  und  Christenmensch  bückte  hingegen  mit  einem  gewissen 
Mißtrauen  und  Schrecken  auf  alles,  was  Theater  hieß.  Ferner  fanden  die  Neu- 
linge am  Tanz  Gefallen,  während  in  den  Puritanerkreisen  das  Tanzen  als  ,Unter- 
grabung  aller  Gottgefälligkeit'  verpönt  war.  Die  Achtundvierziger  brachten 
auch  beharrlich  Bacchus  und  Gambrinus  milde  Opfer,  mit  dem  Rebenblut  vom 
Rhein  und  von  der  Mosel  und  mit  dem  Gerstensaft  von  München,  Pilsen  oder 
Würzburg,  wobei  sie  unerschütterlich  nüchternen  Sinnes  blieben,  während  bei 
ihren  auf  der  Scholle  geborenen  Mitbürgern  selbst  nach  der  Abstinenzperiode 
der  vierziger  Jahre,  als  die  ganze  Menschheit  angeblich   nur  Wasser  trank, 


—     305     — 

Völlerei  sehr  häufig  war.  An  Sonntagen,  nachmittags  nach  der  Kirche,  er- 
gingen sich  wieder  dieselben  Deutschen  mit  Weib  und  Kind  unter  Gottes  freiem 
Himmel,  und  störten  sich  nicht  im  mindesten  daran,  daß  ihre  amerikanischen 
Mitbürger  es  für  eine  heilige  Pflicht  erachteten,  sich  innerhalb  ihrer  vier  Wände 
zu  langweilen  und  nach  dem  Montag  zu  sehnen." 

Da  viele  dieser  „Achtundvierziger"  Freidenker  waren,  so  bildete  sich  bei 
den  Amerikanern  die  Überzeugung,  daß  durch  den  Fortzug  dieser  an  gar  nichts 
glaubenden  „infidels"  oder  „Meiden"  das  alte  Vaterland  nur  gewonnen  habe. 

Auch  in  den  politischen  Ansichten  traten  schroffe  Gegensätze  zutage. 
Unter  den  Achtundvierzigern  gab  es  manche  Feuerköpfe,  die  sich  in  einem  Zu- 
stand hochgradiger  revolutionärer  Erregtheit  befanden  und  mit  gänzlich  un- 
klaren sozialistischen  und  kommunistischen  Ideen  trugen.  Widerspruch  er- 
trugen sie  nicht,  nur  ihre  Ansichten  sollten  allein  maßgebend  sein.  Nicht  ge- 
ring war  die  Zahl  derer,  die  eines  Sinnes  mit  dem  Dr.  Sorge  aus  Hoboken 
waren,  der  in  einer  öffentlichen  Versammlung  feierlich  erklärte :  „Meine  Herren, 
mein  Standpunkt  ist  einfach  der:  Ich  bin  gegen  alles  Bestehende!"  Manche 
dieser  Radikalen,  deren  fähigster  Vertreter  Karl  Heinzen  war,  gingen  so 
weit,  die  Umänderung  der  Bundesverfassung  und  die  Abschaffung  des  Präsi- 
dentenamts zu  verlangen,  ohne  sich  recht  darüber  klar  zu  sein,  was  an  deren 
Stelle  treten  solle.  Auch  eine  „Republik  der  Arbeiter",  eine  Vereinigung  aller 
arbeitenden  Klassen  zum  Zweck  ihrer  Freimachung  vom  Kapital,  sowie  manche 
andere  Luftgebüde  wurden  eifrig  befürwortet.  Mit  der  geschichtlichen  und 
kulturellen  Entwicklung  der  Vereinigten  Staaten,  mit  der  Gesinnung  ihrer  Be- 
wohner wenig  oder  gar  nicht  bekannt,  trotzdem  sich  zu  unbarmherzigen  Kri- 
tikern der  Verhältnisse  des  Landes  aufwerfend,  waren  sie  auch  mit  der  politischen 
Stellung  des  Deutschtums  in  Amerika  durchaus  nicht  zufrieden.  Demselben, 
so  meinten  sie,  käme  die  Führung  zu.  Es  schwebte  dem  Geist  vieler  dieser  Acht- 
undvierziger noch  zu  mächtig  das  Traumbild  vor,  das  sie  in  Deutschland  nicht 
hatten  verwirklichen  können:  das  Bild  eines  deutschen  Freistaates  auf  dem 
Boden  jener  Grundsätze,  die  zwar  noch  nicht  erprobt  waren,  für  die  sie  aber 
gekämpft  und  gelitten,  um  derentwillen  sie  die  Heimat  aufgegeben  hatten.  Diese 
Träume  sollten  nun  hier  verwirklicht  werden.  Zu  diesem  Zweck  wurde  die 
Vereinigung  aller  in  Nordamerika  lebenden  Deutschen,  die  sich  bisher  ihrer 
Überzeugung  nach  dieser  oder  jener  politischen  Partei  angeschlossen  hatten, 
zu  einer  rein  deutschen  Partei  angestrebt,  die  den  Namen  „Union  der  freien 
Deutschen"  tragen  und  natürlich  unter  der  Führung  der  radikalen  Achtund- 
vierziger stehen  sollte.  Die  im  Jahre  1854  in  Louisville,  Kentucky,  veröffent- 
lichte Platform  dieser  Feuerköpfe  erregte  nicht  bloß  ungeheures  Aufsehen,  son- 
dern durch  ihre  radikalen,  über  das  Verständnis  jener  Zeit  weit  hinausgehenden 
Forderungen  auch  große  Erbittrung.  Manche  Achtundvierziger  befürworteten 
auch  die  Gründung  rein  deutscher  Staaten,  wobei  sie  nicht  bedachten,  daß  sie 
damit  den  Widerspruch  aller  derjenigen  hervorrufen  mußten,  die  in  solchen 
Sonderbestrebungen  eine  schwere  Gefahr  für  den  noch  im  Aufbau  begriffenen 

Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika.  20 


—     306     — 

Staatenbund  erblickten.  Wollte  man,  so  betonten  die  Träger  des  amerikanischen 
Einheitsgedankens  mit  Recht,  den  Angehörigen  eines  bestimmten  Volkes  die 
Gründung  besonderer  Staaten  innerhalb  der  Union  zugestehen,  so  würden  über 
kurz  oder  lang  auch  die  Abkömmlinge  anderer  Völkerschaften  m.it  ähnlichen 
Sonderbestrebungen  hervortreten.  Neben  dem  von  den  Deutschen  geplanten 
„Neu-Deutschland"  würden  bald  ein  „Neu-Irland",  ein  „Neu-Skandinavien", 
ein  „Neu-Polen",  ein  „Neu-Slawonien'-,  ein  „Neu-Italien",  ein  „Neu-Jrdäa*', 
ja  wohl  gar  ein  „Neu-Nigritien"  oder  „Neu-Afrika"  entstehen,  was  unfehlbar 
den  Zusammenstoß  der  so  verschiedenen  Interessen  all  dieser  Völkereiemente 
und  schließlich  den  Zusammenbruch  des  ganzen  Staatenbundes  herbeiführen 
müsse. 

Aus  diesen  gewichtigen  Gründen  stemmten  sich  nicht  nur  die  Ameri- 
kaner, sondern  auch  die  alteingesessenen  Deutschamerikaner  den  radikalen 
Achtundvierzigern  entgegen.  Solange  diese  sich  damit  begnügten,  ihre  mo- 
dernen Weltverbesserungsideen  in  den  von  ihnen  gegründeten  Zeitungen  zum 
Ausdruck  zu  bringen,  ließ  man  sie  ruhig  gewähren.  Als  sie  aber  begannen, 
„Revolutionsvereine"  zu  gründen  und  Geld  und  Waffen  zu  sammeln,  um  mit 
dem  allgemeinen  Umkrempeln  des  politischen  und  sozialen  Lebens  zu  beginnen, 
da  spitzten  die  Dinge  sicti  zu  dem  sogenannten  „Krieg  der  Grauen  und  Grünen" 
zu,  indem  die  vor  1848  emgew änderten,  mit  den  Landesverhältnissen  vertrauten 
Deutschen,  die  „Grauen",  es  mit  den  Amerikanern  hielten,  um  gemeinschaftlich 
den  „Grünen",  d.  h.  den  radikalen  Achtundvierzigern,  entgegenzutreten.  Un- 
vorsichtige Handlungen  der  „Grünen",  wie  z.  B.  der  Erlaß  des  berühmten 
„Louisviller  Programms",  steigerten  die  Erregung  der  „Grauen"  und  Ameri- 
kaner zur  Erbitterung.  Blinder  Nativismus  flackerte  überall  empor,  schließlich 
kam  es  an  mehreren  Orten,  besonders  in  Cincinnati  und  Louisville,  zu  blutigen 
Zusammenstößen,  in  denen  zahlreiche  Menschen  ihr  Leben  verloren. 

Erst  allmählich  legten  sich  die  hochgehenden  Wogen  wieder.  Unter  den 
Radikalen  trat  Ernüchterung  ein,  die  um  so  heilsamer  wirkte,  als  sie  erkannten, 
daß  sie  über  die  Art  und  den  Umfang  ihrer  Pläne  sich  selbst  im  größten  Zwie- 
spalt befanden.  Mit  der  Zeit,  mit  dem  Einleben  in  die  neuen  Verhältnisse  sahen 
auch  viele  ein,  daß  die  von  den  „Grauen"  gewandelten  Wege  doch  die  rechten 
seien.  Sie  bemerkten  ferner,  daß  manche  Einrichtungen,  die  ihnen  anfänglich 
widerstrebten,  berechtigt  waren  und  ihrer  natürlichen  Entwicklung  gemäß  nicht 
anders  sein  konnten.  Sie  lernten  auch  die  guten  Seiten  des  amerikanischen 
Lebens  würdigen  imd  schätzen  und  reihten  sich  damit  mehr  und  mehr  als 
nutzbringende  Glieder  der  Allgemeinheit  ein,  um  von  nun  ab  zur  Hebung  des 
Deutschamerikanertums  und  damit  auch  zur  Hebung  der  gesamten  Bevölke- 
rung der  Vereinigten  Staaten  in  großartiger  Weise  beizutragen.  Sie  gründeten 
zahlreiche  Zeitungen  aller  Art,  riefen  gemeinnützige  Vereine  ins  Leben,  beklei- 
deten Lehrstellen  an  Schulen  und  Universitäten,  wurden  öffentliche  Beamte, 
trieben  Literatur,  Künste  und  Wissenschaften  und  wirkten  durch  diese  Betäti- 
gung ihres  reichen  Wissens  so  befruchtend  auf  das  einseitig  gebliebene  Volks- 


—     307     — 

leben,  daß  dieses  ein  ganz  anderes,  freieres  und  fortsclirittlicheres  Gepräge 
erliielt. 

Auch  in  den  politischen  Ansichten  der  meisten  Achtundvierziger  vollzog 
sich  wohltuender  Wandel.  Mit  der  Klärung  und  dem  Reiferwerden  ihres  Ur- 
teils wandten  sie  sich  mehr  und  mehr  von  den  fanatischen  Verfechtern  der 
Arbeiter-Republiken,  kommunistischen  Niederlassungen,  sozialistischen  Ideal- 
staaten und  ähnlichen  Phantasiebildern  ab.  Sie,  die  auch  in  Deutschland  die 
Einigung  des  Vaterlandes  angestrebt  hatten,  lernten  erkennen,  daß  die  Wonl- 
fahrt  und  Zukunft  des  ihnen  zur  neuen  Heimat  gewordenen  Landes  nicht  etwa 
durch  Sonderbestrebungen,  sondern  nur  durch  vollste  Beherzigung  des  ameri- 
kanischen Wahlspruchs:  *'E  pluribus  unum"  („Aus  Vielem  Eins")  gefördert 
und  gesichert  werden  könne.  Wie  tief  diese  Überzeugung  in  den  Herzen  der 
Achtundvierziger  allmählich  Wurzeln  schlug,  zeigte  sich  bereits  in  den  Jahren 
1860  und  1861,  als  die  südlichen  Staaten  sich  vom  Staatenbund  trennen  wollten. 
In  diesem  kritischen  Augenblick  sowie  in  dem  die  Feuerprobe  des  Staaten- 
bundes bildenden  Bürgerkrieg  befanden  die  Achtundvierziger  sich  mit  wenigen 
Ausnahmen  in  den  Reihen  jener,  die  mit  Schwert  und  Feder  am  begeistertsten 
für  die  Aufrechterhaltung  der  Union  stritten. 

Daß  so  die  Achtundvierziger  ein  hochbedeutsamer  Faktor  im  amerika- 
nischen Volksleben  wurden,  ist  von  vielen  mit  der  Geschichte  ihres  Landes  ver- 
trauten Amerikanern  bereitwillig  anerkannt  worden.  „Was  dieses  Land  den 
Achtundvierzigern  verdankt",  so  schrieb  Herbert  N.  Casson  im  Januarheft  1906 
von  Munsey's  Magazine,  „kann  niemals  in  einem  Aufsatz  oder  Buch  erzählt 
werden.  Als  sie  in  dieses  Land  flohen,  hatten  sie  kaum  die  Absicht,  für  immer 
zu  bleiben.  Es  war  ihr  Vorsatz,  eines  Tages  mit  einer  Armee  von  100  000 
gutgeschulter  Soldaten  nach  Deutschland  zurückzukehren  und  alle  Könige, 
Priester  und  Geldsäcke  zu  verjagen.  Zum  Glück  für  dieses  Land  kehrten  jene 
Washmgtons  und  Franklins  einer  gescheiterten  Revolution  nicht  zurück.  Nach 
einem  Dutzend  von  Jahren  jugendlichen  Überschäumens  ließen  sie  sich  ruhig 
nieder  und  wurden  die  besten  amerikanischen  Bürger." 


20* 


Der  Anteil  der  Deutschamerikaner  an  den  Kriegen 
der  Vereinigten  Staaten  im  19.  Jahrhundert. 

Hatten  die  in  Amerika  ansässig  gewordenen  Deutschen  im  Unabiiängig- 
keitskriege  ihre  Hingabe  für  die  Sache  der  Freiheit  in  glänzender  Weise  be- 
kundet, so  ließen  sie  es  auch  in  den  Kriegen,  welche  die  Vereinigten  Staaten 
während  des  19.  Jahrhunderts  zu  führen  genötigt  waren,  an  Beweisen  ihrer 
tiefen  Ergebenheit  für  das  Land  ihrer  Wahl  nicht  fehlen. 

Als  im  Jahre  1S12  der  zweite  Krieg  mJt  England  entbrannte  und  nach 
der  Einnahme  und  teilweisen  Zerstörung  der  Bundeshauptstadt  Washington 
die  Feinde  sich  anschickten,  auch  Baltimore  zu  überfallen,  da  spielten  beim  Ver- 
teidigen dieser  Stadt  die  Deutschen  eine  hervorragende  Rolle. 

Durch  die  Vorgänge  in  Washington  gewarnt,  hatten  die  Bewohner  der 
Stadt  sich  für  das  Erscheinen  des  Feindes  wohl  vorbereitet.  Nicht  nur  war 
das  den  Hafeneingang  deckende  Fort  McHenry  mit  Munition  reichlich  versorgt, 
sondern  auch  sämtliche  Bürgerwehren  standen  unter  den  Waffen.  Als  die  Kunde 
eintraf,  daß  die  70  Schiffe  zählende  feindliche  Flotte  mehrere  Meilen  von  dem 
Fort  entfernt,  ein  7000  Mann  starkes  Heer  Fußsoldaten  und  Kanoniere  ans  Land 
gesetzt  habe  und  deren  Angriff  auf  die  Stadt  durch  ein  gleichzeitiges  Bombar- 


Kopfleiste:    Auszug    eines   New   Yorker   Regiments    während   des   Bürgerkriegs. 
Nach  einem  Gemälde  von  Thomas  Nast. 


—     309     — 


dement  des  Forts  McHenry  unterstützen  wolle,  rückten  sofort  3000  Milizen 
unter  dem  Befehl  des  im  Jahre  1759  zu  Frederick,  Maryland,  geborenen  deutsch- 
amerikanischen Generals  Johann  Stricker  den  Feinden  entgegen.  Sie 
mußten  zwar  vor  der  beträchtlichen  Übermacht  langsam  zurückweichen,  ver- 
hinderten die  Rotröcke 
aber  doch,  einen  An- 
griff auf  die  Stadt  aus- 
zuführen. Derselbe 
schlug  völlig  fehl,  als 
der  Befehlshaber  des 
englischen  Heeres,  Ge- 
neral Roß,  durch  die 
Kugel  eines  Scharf- 
schützen tödlich  ver- 
wundet wurde  und  auf 
dem  Rücktransport  zu 
den  Schiffen  seinen 
Geist  aufgab. 

Während  diese  er- 
bitterten, für  die  Briten 

sehr  verlustreichen 
Kämpfe  vor  sich  gin- 
gen, hatte  das  eng- 
lische Geschwader  an- 
gesichts des  Forts  An- 
ker geworfen  und  am 
Morgen  des  12.  Sep- 
tember eine  wütende 
Kanonade  gegen  das- 
selbe   begonnen.      Sie 

währte  36  Stunden 
lang.  Aber  der  das 
Fort  befehligende  Ar- 
tilleriemajor Georg 
A  r  m  s  t  a  d  t ,  ein  am 
10.  April  1780  zu  New 

Market  geborener  Sohn  des  Hessen-Darmstädters  Johann  Armstadt,  er- 
widerte das  entsetzliche  Feuer  nicht  nur  kräftig,  sondern  sandte  auch  die  Be- 
lagerer, als  sie  in  der  Nacht  vom  13.  auf  den  14.  September  einen  Sturm  gegen 
das  Fort  wagten,  mit  blutigen  Köpfen  zurück. 

Die  Verteidigung  von  Stadt  und  Fort  war  so  standhaft,  daß  das  feind- 
liche Geschwader,  nachdem  es  die  gelandeten  Truppen  aufgenommen,  am 
16.  September  wieder  in  See  ging,  ohne  irgendwelche  Erfolge  errungen  zu  haben. 


'Johann  Anton  Quitmann. 


—    310     — 

Es  war  an  jenen  Tagen,  wo  Frances  S.  Key,  durch  die  Heldentaten  der 
deutschen  und  amerikanischen  Milizen  begeistert,  sein  berühmtes  Lied  „The 
Star  spangled  banner"  dichtete,  das  zur  Nationalhymne  der  Amerikaner  wurde. 

Auch  als  im  Jahre  1846  der  Krieg  der  Vereinigten  Staaten  mit  Mexiko 
ausbrach,  stellten  die  Deutschamerikaner  einen  beträchtlichen  Teil  der  ins  Feld 
rückenden  Freiwilligen.  In  fast  allen  Großstädten  des  Westens  bildeten  sich 
sofort  nach  dem  ersten  Aufruf  deutsche  Freischaren,  von  denen  viele  weit  früher 
als  die  amerikanischen  kampfgerüstet  standen. 

Unter  den  Offizieren  der  nach  Mexiko  ziehenden  Armeen  befanden  sich 
zahlreiche  Deutsche,  die  bereits  im  alten  Vaterlande  Felddienste  verrichtet  hatten, 
wie  z.  B.  August  Mohr  (Moor),  von  Gilsea,  Samu,el  Peter 
Heinzelmann,  Christian  Steinwehr,  Julius  Raith,  Hein- 
rich Bohlen  und  Adolf  von  Steinwehr.  Unter  den  Deutschameri- 
kanern ragte  vor  allen  Johann  Anton  Quitmann  hervor,  der  1798  zu 
Rhinebeck,  New  York,  geborene  Sohn  des  aus  den  Rheinlanden  eingewanderten 
Pastors  Friedrich  Fleinrich  Quitmann.  Unser  Held  hatte  sich  bereits  an  den 
Unabhängigkeitskämpfen  der  Texaner  gegen  Mexiko  beteiligt.  Präsident  Polk 
ernannte  ihn  zum  Brigadegerieral.  Als  solcher  gehörte  er  der  6000  Mann 
starken  Armee  Taylors  an. 

Als  diese  im  September  1846  die  von  10  000  Mexikanern  verteidigte  Stadt 
Monterey  erstürmte,  drang  Quitmann  mit  seinen  Truppen  unter  einem  wahren 
Kugelregen  zum  Marktplatz  vor  und  pflanzte  auf  der  Spitze  einer  dort  stehenden 
Kirche  das  Sternenbanner  auf. 

Während  des  Frühlings  1847  befehligte  Quitmann  die  Landbatterien, 
welche  im  Verein  mit  den  Schiffen  der  amerikanischen  Flotte  die  Stadt  Vera 
Cruz  bombardierten  und  sie  nach  viertägiger,  schrecklicher  Kanonade  zur  Über- 
gabe zwangen.  Am  13.  September  folgte  die  Erstürmung  der  für  uneinnehm- 
bar geltenden  Festung  Chapuhepec  durch  Quitmanns  Truppen.  Am  folgenden 
Tag  eröffnete  Quitmann  die  Beschießung  der  Hauptstadt  Mexiko,  in  welche 
am  15.  die  amerikanischen  Truppen  ihren  Einzug  hielten.  Zum  Dank  für  seine 
vielen  hervorragenden  Leistungen  wurde  Quitmann  zum  Gouverneur  der  Stadt 
Mexiko  ernannt. 

Später,  nachdem  der  Friede  wieder  hergestellt  war,  machte  Quitmann 
sich  noch  als  Gouverneur  des  Staates  Mississippi  und  als  MitgUed  des  Ab- 
geordnetenhauses im  Bundeskongreß  hochverdient. 


Leider  existiert  bis  jetzt  kein  Werk,  welches  in  übersichtlicher  Form 
jenen  ungeheuren  Anteil  schildert,  der  den  Deutschen  und  Deutschamerikanern 
an  der  Erhaltung  der  Union  gebührt,  als  diese  durch  den  furchtbaren  Bürger- 
krieg der  Jahre  1861  bis  1865  in  Frage  gestellt  wurde. 

Es  ist  hier  nicht  der  Raum,  alle  Ursachen  zu  erörtern,  welche  zu  jenem, 


—    311     — 

die  Union  bis  in  ihre  Grundfesten  erschütternden  Riesenkampfe  führten.  Wir 
müssen  auf  Spezialwerke  verweisen,  welche  die  Vorgeschichte  jenes  Krieges 
behandeln.  Zweifellos  bildeten  die  Sklavenfrage  und  die  Erhaltung  der  Union 
für  hunderttausende  von  Deutschen  die  Beweggründe,  sich  den  nordischen  Fahnen 
anzuschließen.  Waren  die  Deutschen  doch,  wie  wir  aus  der  Geschichte  dei 
Mennoniten  von  Germantown  wissen,  von  jeher  die  eifrigsten  Gegner  der 
Sklaverei  gewesen. 

Karl  Folien,  Franz  Lieber,  Karl  Schurz  und  manche 
andere  Führer  der  Deutschamerikaner  hielten  lange  vor  dem  Ausbruch  des 
Krieges  flammende  Reden,  in  denen  sie  die  Ungerechtigkeit  der  unfreiwilligen 
Knechtschaft  verdammten  und  auf  die  schweren  Schäden  hinwiesen,  die  durch 
das  Beibehalten  dieser  dem  Geist  der  Neuzeit  hohnsprechenden  Einrichtung 
dem  amerikanischen  Volk  sowohl  in  moralischer,  politischer  und  wirtschaft- 
licher Hinsicht  erwüchsen. 

Folien,  Professor  an  der  Harvard-Universität,  war  einer  der  ersten, 
welcher  als  Mitglied  der  Anti-Sklaverei-Gesellschaft  in  den  Nordstaaten  für  die 
Ziele  derselben  focht  und  als  Abgeordneter  dieser  Vereinigung  bereits  im  März 
1835  vor  der  gesetzgebenden  Körperschaft  von  Massachusetts  erschien.  Im 
Süden  bemühte  sich  der  an  der  Universität  von  Südkarolina  wirkende  Professor 
der  Geschichte  und  Staatsphilosophie,  Franz  Lieber,  in  gleichem  Sinne. 

Es  war  in  jener  Zeit  höchster  Erregung  überaus  gefährlich  und  forderte 
viel  moralischen  Mut,  auf  die  Rednerbühne  zu  treten,  für  die  Schwarzen  Partei 
zu  ergreifen  und  jenen  die  Wahrheit  ins  Gesicht  zu  schleudern,  die  sie  nicht 
hören  wollten.  Denn  oft  wurden  solche  Personen,  die  für  die  Sklavenemanzipa- 
tion ihr  bestes  Wissen  einsetzten,  mit  den  gemeinsten  Schimpfworten  über- 
schüttet, oder  sie  fielen  unter  den  Streichen  von  Meuchelmördern  oder  als 
Opfer  blinder  Volkswut. 

Auch  Folien  und  Lieber  mußten  ihr  Eintreten  für  die  Sklavenbefreiung 
büßen,  indem  beide  ihre  Stellungen  verloren  Aber  bald  nach  ihnen  erschienen 
neue  begeisterte  Streiter  auf  dem  Plan,  die  „Achtundvierziger".  Diese  von 
glühender  Freiheitsliebe  beseelten  Männer  forderten,  daß  die  herrlichen,  in  der 
amerikanischen  Unabhängigkeitserklärung  niedergelegten  Gedanken  von  all- 
gemeinen Menschenrechten  auch  auf  die  mißbrauchten  Neger  ausgedehnt  werden 
sollten.  Und  so  nachdrücklich  sie  dafür  in  Schrift  und  Wort  eintraten,  so 
energisch  handhabten  sie,  als  wegen  dieser  Frage  der  grimmige  Kampf  ent- 
brannte, das  Schwert. 

Von  den  vielen  Aufzeichnungen  amerikanischer  Zeitgenossen,  die  den 
Enthusiasmus  der  Deutschen  preisen,  führe  ich  die  des  Oberleutnants  Augustus 
Choate  Hamlin,  des  Historikers  des  11.  Armeekorps,  an.  Derselbe  schreibt  in 
seinem  bewundernswerten  Buch :  „The  battle  of  Chancellorsville" :  „Das  Land 
hallte  von  Jubel  wider,  als  bekannt  wurde,  daß  die  gesamte  deutsche  Bevölke- 
rung des  Nordens  ohne  Zögern  zum  Beistand  der  gefährdeten  Republik  herbei- 
eilte.    Die  geleistete   Unterstützung   war  bewundernswert   und   verdient   den 


—    312    — 

höchsten  Dank  des  Landes.  Ebenso  bemerkenswert  ist,  daß  alle  jene  Revolu- 
tionäre, welche  sich  damals  in  diesem  Lande  befanden  und  unter  Kossuth, 
Garibaldi,  Sigel  und  Hecker  gefochten  hatten,  ihre  Dienste  den  Vereinigten 
Staaten  anboten.  Es  war  in  der  Tat  ein  großartiges  Schauspiel,  v/ie  die  ge- 
samte Masse  des  deutschsprechenden  und  deutschgeborenen  Volks  wie  ein 
.Mann  aufstand,  um  fest  bei  der  Flagge  der  Republik  zu  stehen." 

In  der  Tat  gingen  an  vielen  Orten  die  Deutschamerikaner  ihren  Mit- 
bürgern anderer  Abstammung  mit  glänzendem  Beispiel  voran.  Bereits  am 
9.  Januar  1861  stellte  der  spätere  Brigadegeneral  Karl  Leopold  Mathies 
in  Iowa  der  Bundesregierung  eine  auf  seine  Kosten  ausgerüstete  Kompagnie 
Soldaten  zur  Verfügung.  Ein  anderes  leuchtendes  Beispiel  hoher  Bürgertugend 
lieferte  der  berühmte  Gelehrte  und  Staatsmann  Dr.  Karl  Beck,  Professor  an 
der  Universität  Harvard.  Trotzdem  er  bereits  60  Jahre  alt  war,  heß  er  sich 
nicht  abhalten,  als  Gemeiner  in  eine  Kompagnie  Freiwilliger  einzutreten,  mit 
welcher  er  sich  willig  allen  schweren  Pflichten  eines  Soldaten  unterzog.  Als 
bei  der  Einmusterung  dieser  Kompagnie  die  militärischen  Behörden  in  Rück- 
sicht auf  sein  hohes  Alter  sich  weigerten,  ihn  in  die  Armee  einzureihen,  fügte 
Beck  sich  grollend,  entschädigte  sich  aber  dadurch,  daß  er  hundert  kräftige 
Leute  auf  seine  Kosten  völlig  ausrüstete  und  zum  Heer  sandte. 

Und  als  nach  der  Einnahme  des  Forts  Sumter  durch  Truppen  der  Süd- 
staaten Präsident  Lincoln  am  15.  April  1861  den  ersten  Aufruf  für  75  000  Frei- 
wiHige  erließ,  da  erhoben  die  Deutschen  sich  in  Massen,  um  für  den  Schutz 
der  Union  einzutreten. 

In  Cincinnati  berief  bereits  am  Morgen  des  16.  April  ein  aus  hervor- 
ragenden deutschen  Männern  gebildeter  Ausschuß  für  denselben  Abend  eine 
deutsche  Massenversammlung  in  die  Turnhalle  ein.  Diese  nahm  einen  so  be- 
geisterten Verlauf,  und  der  Zudrang  zu  den  Einschreibelisten  war  so  groß,  daß 
bereits  am  Abend  des  18.  April  das  erste  deutsche  Regiment,  die  später  so  be- 
rühmt gewordenen  „Neuner  von  Ohio''  eine  vollendete  Tatsache  war. 
Zehn  Tage  nach  Lincolns  Aufgebot  stand  es,  1200  Mann  stark,  zur  Verfügung 
der  Staatsbehörden. 

Das  Deutschtum  vom  Ohio  stellte  ferner  die  ausschließlich  aus  Deutschen 
und  Deutschamerikanern  zusammengesetzten  Infanterieregimenter  No.  11,  28, 
37,  47,  58,  67,  74,  106,  107,  108  und  165.  Ferner  das  3.  Kavallerieregiment 
sowie  drei  Batterien  Artillerie. 

In  New  York  war  die  Opferfreudigkeit  der  Deutschen  nicht  minder  groß. 
Zunächst  entstand,  gleichfalls  noch  im  April,  das  aus  lauter  deutschen  Turnern 
gebildete  20.  Regiment,  die  „United  Turner  R  i  f  1  e  s".  Deutsche  Bürger 
bestritten  sämtliche  Kosten  ihrer  Ausrüstung.  Andere  deutsche  Regimenter 
des  Staates  New  York  waren  das  7.  oder  „Steuben-Regiment" ;  das  2Q.  oder 
die  „A  s  t  o  r  R  i  f  1  e  s'' ;  das  45.  oder  die  „G  e  r  m  a  n  R  i  f  1  e  s" ;  das  46.  oder 
„F  r  e  m  o  n  t  -  R  e  g  i  m  e  n  t*' ;  das  5.,  8.,  41 .  und  52.  Infanterieregiment. 
Deutsche  bildeten  ferner  das  54.  Regiment  schwarzer  Jäger;  das  86.  Regiment 


—     313     — 

oder  „Steubensjäger";  das  4.  New  Yorker  Kavallerie-Regiment  („Dickeis 
Mounted  Rifles")  und  die  Batterie  des  Obersten  Ludwig  Blenker. 

Der  Staat  Pennsylvanien  stellte  die  beiden  reindeutschen  Infanterie- 
regimenter No.  74  und  75.  Außerdem  waren  die  Deutschen  im  4.,  8.,  9.,  10., 
11.,  14.,  15.,  16.,  18.,  21.,  27.,  48.,  50.,  51.,  56.,  65.,  79.,  89.,  96.,  97.,  98., 
112.,  113.,  130.,  131.,  152.,  153.  und  168.  Regiment  stark  vertreten. 

Die  deutsche  Bevölkerung  des  Staates  Indiana  lieferte  das  32,  Indiana 
Infanterieregiment;  diejenige  von  Illinois  das  82.  und  das  aus  „Heckers  Jägern" 
bestehende  24.  Regiment.  Die  Deutschen  Wisconsins  sandten  das  9.  und 
26.  Regiment  jenes  Staates;  die  Deutschen  Missouris  das  3.,  4.  und  5.  Regiment 
Freiwilliger  des  Staates  Missouri.  Auch  in  den  von  den  anderen  Bundes- 
staaten aufgebrachten  Truppenkörpern  bestanden  ganze  Kompagnien  aus  Deut- 
schen und  Personen  deutscher  Abkunft. 

Leider  existiert  keine  Statistik,  aus  der  sich  die  Kopfzahl  der  Deutschen 
und  Deutschamerikaner,  die  am  Bürgerkrieg  teilnahmen,  nachweisen  ließe. 
Auch  die  im  Auftrag  der  „United  States  Sanitary  Commission"  von 
Dr.  A.  B.  Gould  auf  Grund  der  in  Washington  und  verschiedenen  Staats- 
archiven gemachten  Aufstellungen  liefern  kein  genaues  Bild.  Aber  seine  „In- 
vestigations  in  the  Statistics  of  American  Soldiers",  die  in  Armeekreisen  als  die 
zuverlässigste  gilt,  besagen,  daß  während  des  Bürgerkriegs  187  858  in  Deutsch- 
land geborene  Männer  sich  als  Soldaten  in  der  Bundesarmee  befanden.  Zu 
diesen  kommen  noch  hunderttausende  von  Amerikanern,  die  von  früheren  Genera- 
tionen deutsches  Blut  in  ihren  Adern  hatten.') 

Sicher  ist,  daß  das  Deutschtum  einen  größeren  Prozentsatz  zur  Bundes- 
armee stellte,  als  irgendeine  andere  Nation.  Und  der  Wert  dieses  Beitrags  er- 
höhte sich  dadurch  erheblich,  daß  unter  den  in  Deutschland  Geborenen  viele 
Tausende  waren,  die  auf  deutschen  Kriegsschulen  und  in  deutschen  Heeren  eine 
militärische  Ausbildung  empfangen  hatten.") 


^)  Wie  groß  die  Zahl  solcher  Deutschamerikaner  gewesen  sein  muß,  ergibt  sich 
aus  einer  Statistik,  die  J.  G.  Rosengarten  in  seinem  bekannten  Buch  „The  German  Soidier" 
von  der  pennsylvanischen  Familie  Pennypacker  lieferte.  Der  Ahnherr  dieser  Familie 
war  Heinrich  Pannebäcker,  welcher  bereits  vor  dem  Jahre  1699  aus  Deutschland  ein- 
wanderte und  sich  am  Schippackbach  niederließ.  Seine  Familie  war  im  Unabhängigkeits- 
krieg durch  1  Hauptmann,  1  Fähnrich,  1  Leutnant,  1  Korporal  und  1  Gemeinen  vertreten. 
Im  Krieg  von  1812  hatte  sie  2  Mitglieder  im  Feld;  im  Krieg  mit  Mexiko  3.  Im  Rebellions- 
krieg fochten  auf  selten  der  Nordstaaten  2  Generalmajore,  1  Generaladjudant,  1  Oberst, 
2  Ärzte,  2  Hauptleute,  1  Leutnant,  5  Sergeanten,  8  Korporale,  1  Musiker  und  65  Gemeine. 
In  der  südlichen  Armee  dienten  1  Oberstleutnant,  1  Quartiermeister,  4  Hauptleute,  5  Leutnants 
und  28  Gemeine,  insgesamt  128  Personen. 

-)  Einer  neueren,  von  William  Kaufmann  gemachten  Berechnung  zufolge  hätten  die 
Deutschen  rund  216000  Soldaten  gestellt.  Franz  Sigel  erwähnt  in  einem  für  die  „Gartenlaube" 
geschriebenen  Aufsatz,  daß  in  „dem  deutschen  Kontingent  über  5000  Offiziere  aller  Waffen- 
gattungen dienten,  ein  Teil  davon,  besonders  im  Stabe,  waren  Amerikaner  von  Geburt; 
außerdem  waren  unter  den  von  der  Nationalregierung  direkt  ernannten  Stabsoffizieren 
(Aides-de-camp,  Quartier-  und  Proviantmeistern,  Chirurgen  usw.)  69  Deutsche." 


—    314     — 

Die  Teilnahme  so  vieler  waffenkundiger  Männer  war  für  den  Norden  von 
um  so  höherer  Bedeutung,  als  der  Süden  beim  Ausbruch  der  Feindseligiieiten 
eine  weit  größere  Zahl  von  Offizieren  besaß,  die  in  der  Militärschule  zu  West- 
Point  ihre  Ausbildung  empfangen  hatten. 

Von  den  in  die  Bundesarmee  eingetretenen  deutschen  Offizieren  stiegen 
viele  durch  ausgezeichnete  Taten  zu  den  höchsten  militärischen  Rangstufen 
empor.  So  sind  die  Namen  der  Generäle  Ammen,  Ludwig  Blenker, 
Louis  von  Blessing,  Heinrich  von  Bohlen,  Adolf 
Buschbeck,  Adolf  Engelmann,  Hagner,  Johann  Fried- 
rich Hartranft,  Franz  Hassende  übel,  Friedrich  Hecker, 
J.  H.  Heinzelmann,  August  V.  Kautz,  Knobelsdorff,  Jo- 
hann A.  Koltes,  William  C.  Küffner,  Konrad  Krez,  Karl 
Leopold  Mathies,  August  Mohr.  Julius  Raith,  Prinz  Felix 
Salm,  Karl  Eberhardt  Salomon,  Georg  von  Schack, 
Alexander  Schimmel  p  fennig,  Alban  Schöpf,  Alexander 
von  Schrader,  Schriver,  Schiras,  Adolf  von  Steinwehr, 
Louis  Wa gner,  Hugo  Wangelin,  Max  Weber,  August 
Willich,  Isaak  Wister  sowie  diejenigen  der  Generalmajore  Samuel 
Peter  Heinzelmann,  August  Kautz,  Peter  Joseph  Oster- 
haus,  G.  Pennypacker,  Friedrich  Salomon,  Karl  Schurz, 
Franz  Sigel,  Julius  Stahel  und  Gottfried  Weitzel  unlöslich 
mit  der  Geschichte  jenes  großen  Krieges  verknüpft. 

Leider  ist  es  unmöglich,  den  vielen  Verdiensten  jener  Heerführer  an  dieser 
Stelle  in  vollem  Umfang  gerecht  zu  werden,  da  der  vorliegende  Abschnitt  da- 
durch zu  einem  dicken  Buch  anschwellen  würde.  Wir  müssen  uns  darauf  be- 
schränken, die  wichtigsten  Taten  einzelner  Truppenabteilungen  und  Generäle 
zu  skizzieren. 

Zunächst  ist  der  Tatsache  zu  gedenken,  daß  schon  am  18.  April  1861, 
drei  Tage  nach  dem  Bombardement  des  Forts  Sumter  durch  die  Südländer,  die 
Bundeshauptstadt  Washington  druch  mehrere  hundert  Deutschamerikaner  vor 
der  Gefahr  bewahrt  wurde,  den  Südstaaten  in  die  Hände  zu  fallen.  Es  bestand 
ein  Komplott,  die  Stadt  den  Konföderierten  zu  überliefern,  wodurch  denselben 
ein  ungeheurer  Vorteil  erwachsen  wäre,  indem  dann  auch  der  sezessionistisch  ge- 
sinnte Staat  Maryland  mitsamt  der  Stadt  Baltimore  für  den  Norden  verloreii 
gewesen  wären.  Aber  noch  im  letzten  Augenblick  rückten  fünf  zum  großen 
Teil  aus  ansässigen  und  eingewanderten  Deutschen  bestehende  Kompagnien 
pennsylvanischer  Infanteristen  und  Artilleristen  in  Washington  ein  und  be- 
setzten das  Kapitol.  Damit  war  der  Anschlag  auf  die  Stadt  vereitelt.  In  Balti- 
more blieb  der  dortige  deutsche  Turnverein  treu  unionistisch  und  bewirkte  da- 
durch in  hervorragendem  Maß,  daß  auch  diese  Stadt  dem  Norden  erhalten  blieb. 

Im  fernen  Westen  war  dem  durch  seine  Teilnahme  am  Aufstand  in  Baden 
berühmt  gewordenen  Achtundvierziger  Franz  Sigel  eine  wichtige  Rolle 
beschieden. 


—    315     — 

Zur  Zeit  des  Ausbruchs  des  Sezessionskrieges  lebte  derselbe  in  Missouri. 
Dieser  Staat  war  den  aus  der  Union  ausgetretenen  Staaten  Mississippi,  Florida, 
Alabama,  Louisiana,  Texas,  Virginien,  Arkansas,  lennessee  und  den  beiden 
Karolinas  zwar  noch  nicht  gefolgt,  aber  ein  Handstreich  des  äußerst  zahl- 
reichen sezessionistisch  gesinnten  Elements  stand  stündlich  zu  befürchten. 
Missouri  der  Union  zu  erhalten,  war  von  höchster  Wichtigkeit.  Insbesondere 
war  der  Besitz  von  St.  Louis  von  Bedeutung,  da  hier  ein  Zeughaus  bestand, 
aus  dem  40  000  Soldaten  sofort  mit  allem  Nötigen  ausgerüstet  werden  konnten. 

Auf  dieses  Zeughaus  hatten  die  Sezessionisten  ihre  Blicke  gerichtet.  Aber 
die  in  Eile  gebildeten  Freiwilligenregimenter  von  St.  Louis,  mit  Ausnahme  von 
vier  Kompagnien  aus  lauter  Deutschen  bestehend,  kamen  ihnen  unter  ihren 
Befehlshabern  Blair,  Lyon,Sigel,  Osterhaus,  Schäfer  und 
Schüttner  zuvor  und  nahmen  obendrein  am  10.  Mai  1861  die  in  Camp 
Jackson  lagernden  Sezessionisten  gefangen.  Dadurch  war  nicht  nur  Missouri 
gerettet,  sondern  den  Sezessionisten  auch  die  Möglichkeit  genommen,  von  hier 
aus  die  der  Union  treu  gebheben en  Nachbarstaaten  zu  beunruhigen. 

Sigel  zog  darauf  mit  dem  deutschen  3.  Regiment  und  zwei  leichten 
Batterien  durch  ganz  Missouri  und  brachte  den  Feinden  trotz  bedeutender 
Übermacht  große  Verluste  bei.  Später  stieß  er  zu  der  Abteilung  des  Generals 
Lyon,  übernahm  nach  dessen  Tod  in  der  unglücklichen  Schlacht  am  Wilsons 
Creek  den  Oberbefehl  über  das  Heer  und  führte  es  in  guter  Ordnung  nach 
Rolla  zurück.  Dafür  ward  er  zum  Brigadegeneral  ernannt.  In  ähnlicher  Weise 
deckte  Sigel  den  Rückzug  des  Generals  Hunter  aus  Springfield. 

Als  nach  zahlreichen  glücklicheren  Kämpfen  Missouri  endlich  vom  Feind 
befreit  war,  rückte  Sigel  in  Gemeinschaft  mit  General  Curtis  in  den  Staat 
Arkansas  ein.  Bei  Pea  Ridge  stieß  man  am  6.  März  1862  auf  den  20  000  Mann 
starken  Feind.  Trotzdem  Curtis  und  Sigel  über  nur  11  000  Truppen  verfügten, 
schritten  sie  zum  Angriff  und  fügten  nach  drei  Tage  dauernden  erbitterten 
Kämpfen  dem  Gegner  eine  empfindliche  Niederlage  zu.  Die  Entscheidung 
wurde  durch  Sigel  herbeigeführt,  indem  er  seine  deutschen  Regimenter  demon- 
strativ, wie  zum  Abbrechen  des  Gefechts,  hinter  die  Linien  der  Artillerie  in  eine 
gedeckte  Stellung  beorderte  und  zugleich  die  ungeschützten  Batterien  mit 
blinden  Kartuschen  feuern  ließ,  als  ob  sie  ihre  Munition  aufgebraucht  hätten. 

Als  nun  die  Feinde  siegesgewiß  in  geschlossenen  Massen  heranrückten, 
wurden  sie  nicht  nur  mit  Kartätschen,  sondern  auch  mit  einem  vernichtenden 
Schnellfeuer  aus  den  Büchsen  der  rasch  zwischen  die  Batterien  einschwen- 
kenden Deutschen  begrüßt.  Im  Augenblick  der  Verwirrung  brachen  die  nordi- 
schen Reiter  herein,  um  alles  niederzusäbeln,  was  die  Kugeln  verschont  hatten. 

Für  diese  Waffentat  zum  Generalmajor  befördert,  wurde  Sigel  darauf 
nach  Virginien,  dem  wichtigsten  Schauplatz  des  Krieges,  berufen  und  dem  von 
Pope  befehligten  1.  Armeekorps  zugeteilt.  Auf  dem  rechten  Flügel  stehend, 
errang  Sigel  am  29.  August  am  Bull  Run  manche  Vorteile  über  den  ihm  gegen- 
über stehenden  Jackson.     Aber  diese  gingen  wieder  verloren,  als  am  zweiten 


316 


Tage  der  Schlacht  die  Truppen  Popes  von  der  weit  überlegenen  Macht  Jacksons 
umgangen  und  zum  Rückzug  genötigt  wurden.  Sigel  deckte  mit  gewohnter 
Meisterschaft  abermals  den  Rückzug. 

Nach  dieser  Schlacht  befehligte  Sigel  verchiedene  Truppenkörper  in  Penn- 
sylvanien,  und  organisierte,  als  der  konföderierte  General  Lee  auf  seinem  Sieges- 
zug bis  Gettysburg 
vordrang,  eine  10  000 
Mann  starke  Reserve- 
armee, um  die  in  den 
Kohlengebieten  dro- 
henden Unruhen  zu 
verhüten.  Im  Frühling 
1 864  wurde  er  mit  dem 
Oberbefehl  der  im 
Shenandoahtal  stehen- 
den Truppen  betraut. 
Als  er  aber  bei  New 
Market  durch  den  weit 
überlegenen  Brekkin- 
ridge  eine  Niederlage 
erlitt,  wurde  ihm  ein 
Reservekorps  am  obe- 
ren Potamac  überge- 
ben, mit  dem  er  die 
wiederholten  Angriffe 
des  konföderierten  Ge- 
nerals Early  auf  Har- 
pers  Ferry  und  die 
strategisch  wichtigen 
Maryland  Flights  sieg- 
reich abschlug. 

Gleich  allen  an- 
deren im  amerikani- 
schen Heere  dienenden 
Generälen  fremdländi- 
scher Abkunft  hatte 
auch  Sigel  unter  Eifer- 
süchteleien, ja  Zurücksetzungen  seitens  seiner  amerikanischen  Waffengenossen 
schwer  zu  leiden. 

„West  Point  gestaltete,"  so  schreibt  Augustus  Choate  Hamlin,  der 
Historiker  des  11.  Armeekorps,  mit  erfrischender  Offenheit,  „alle  Dinge  seinen 
Interessen  und  den  Wünschen  seiner  Partei  gemäß.  Es  mag  wahrheitsgemäß 
gesagt  werden,  daß  in  der  Verwaltung  der  Armee  oft  Patriotismus  von  kaltem 


Generalmajor  Franz  Sigel. 


Reiterstatue  des  Generalmajors  Franz  Sigel  in  New  York. 

Modelliert  von  Karl  Bitter  in  New  York. 


—     319     — 

Ehrgeiz  überschattet  wurde,  daß  Fehler  als  Tugenden,  und  Voreiligkeit  als 
Zeichen  überlegener  Geistesgröße  gepriesen  wurden.  Wenn  wir  den  über  der 
Potomacarmee  hängenden  Schleier  der  Verborgenheit  hinwegziehen  und  die 
gärende  Eifersucht,  den  versteckten  Ehrgeiz,  den  geilen  Argwohn  und  die  Günst- 
lingswirtschaft ihrer  Führer  untersuchen,  so  ist  es  keineswegs  angenehm,  ein 
solches  Bild  zu  betrachten  oder  darüber  nachzudenken." 

Auch  Sigel  sah  sich  in  seinen  Unternehmungen  und  Plänen  durch  solche 
Ränke  und  Eifersüchteleien  so  oft  gehindert,  daß  er  im  Mai  1865  sein  Kom- 
mando niederlegte  und  ins  Privatleben  zurückkehrte. 

Ähnliche  Erfahrungen  machte  sein  gleichfalls  als  politischer  Flüchthng 
nach  den  Vereinigten  Staaten  verschlagener  Landsmann  Karl  Schurz. 
Wegen  seiner  hervorragenden  Verdienste  um  die  Erwählung  Lincolns  war 
Schurz  zum  Gesandten  in  Spanien  ernannt  worden.  Diesen  Posten  legte  er 
beim  Ausbruch  des  Krieges  nieder,  um  an  den  Kämpfen  für  die  Erhaltung  der 
Union  teilnehmen  zu  können.  Er  erhielt  zunächst  ein  Kommando  in  der  Po- 
tomac-Armee.  Unglücklicherweise  waren  die  rasch  wechselnden  Oberbefehls- 
haber derselben  fast  durchweg  unfähige,  ihren  Aufgaben  keineswegs  gewach- 
sene Personen.  Fremont,  Pope,  McClellan,  Burnside  und  Hooker  erlitten 
Niederlage  auf  Niederlage,  unter  denen  die  am  Bull  Run,  bei  Fredericksburg 
und  Chancellorsville  die  schwersten  waren. 

An  der  letztgenannten  Schlacht  am  2.  Mai  1863  war  auch  die  Schurzsche 
Division  beteiligt.  Sie  bildete  mit  einer  von  Adolf  von  Steinwehr  und  einer 
von  dem  amerikanischen  General  Devens  befehligten  Abteilung  das  unter  dem 
Kommando  von  O.  O.  Howard  stehende  11.  Armeekorps  und  den  rechten 
Flügel  der  von  General  Hooker  befehligten  Hauptarmee.  Im  Lauf  des  Tages 
entdeckten  Schurz,  von  Steinwehr  und  andere  Offiziere,  daß  die  von  den 
genialen  Generälen  Lee  und  Jackson  geführte  feindliche  Armee  sich  unter  Fin- 
gierung eines  Rückzugs  anschicke,  den  rechten  Flügel  der  Bundesarmee  zu 
umgehen.  Obwohl  Schurz  und  Steinwehr  das  Hauptquartier  wiederholt  auf 
diese  verdächtigen  Bewegungen  aufmerksam  machten  und  sofortige  Gegen- 
maßregeln empfahlen,  geschah  vom  Hauptquartier  nichts,  um  die  bedrohte 
Flanke  zu  schützen.  Man  wiegte  sich  in  dem  Glauben,  daß  die  Rebellentruppen 
sich  auf  der  Flucht  befänden.  Schurz  ließ  nun  auf  eigene  Verantwortung  die 
Regimenter  seiner  Division,  das  26.  Wisconsiner,  58.  New  Yorker,  82.  Illinoiser, 
82.  Ohioer  und  157.  New  Yorker  Regiment  zusammenziehen  und  Front  gen 
Westen  nehmen,  von  wo  er  einen  Angriff  der  Konföderierten  befürchtete.  Dieser 
erfolgte  kurz  nach  fünf  Uhr  nachmittags.  Und  zwar  überrannten  die  plötzlich 
aus  den  Wäldern  hervorbrechenden  18  000  Mann  starken  Feinde  zunächst  die 
ganz  unvorbereitete  Division  des  amerikanischen  Generals  Devens.  Diese  hielt 
dem  fürchterlichen  Ansturm  nicht  stand,  floh  in  verworrener  Masse  und  drohte 
die  deutschen  Regimenter  mit  sich  zu  reißen.  Diese,  kaum  3000  Mann  stark, 
bildeten  die  einzige  kampfbereite  Schlachtlinie. 

Das  kleine  Häuflein  stand  fest  und  hinderte  Jackson,  im  Sturm  bis  zu 


—     320     — 

dem  nur  zwei  Meilen  entfernten  Hauptquartier  vorzudringen.  Aber  bald  um- 
gingen die  Massen  des  Feindes  den  linken  Flügel  der  Regimenter  und  begannen 
ihn  im  Rücken  zu  bedrohen.  Nun  entstand  auch  Unordnung  in  den  deutschen 
Reihen.  Vergebens  sprengte  Oberst  Friedrich  Hecker  vom  82.  Illinois- 
Regiment  mit  der  Regimentsfahne  vor  die  Front  und  feuerte  die  Seinigen  zu 
einem  Bajonettangriff  auf.  Er  wurde  von  dem  allgemeinen  Wirrwarr  fort- 
geschwemmt und  stürzte  bald  darauf  schwerverwundet  vom  Pferde.  Erst  den 
verzweifelten  Anstrengungen  der  Generäle  Schurz  und  von  Steinwehr, 
des  Obersten  Buschbeck  und  des  Artillerieoffiziers  Hubert  Dilgcr 
gelang  es,  die  Truppen  wieder  zum  Stehen  zu  bringen  und  dem  weiteren  Vor- 
dringen des  Feindes  Einhalt  zu  gebieten. 

Da  in  den  überrannten  Divisionen  viele  Deutsche  waren,  so  hielten  die 
dem  Heer  folgenden  englisch-amerikanischen  Zeitungsleute  sich  bemüßigt, 
sowohl  Führer  wie  Mannschaften  dieser  Abteilungen  mit  den  gröbsten  Schmä- 
hungen zu  überschütten.  Ihre  gen  Osten  gesandten  Berichte  wimmelten  von 
beleidigenden  Ausdrücken,  unter  denen  die  Bezeichnung  „Dutch  cowards'' 
einer  der  gelindesten  war.  Das  Empörendste  war,  daß  manche  solcher  ano- 
nymen Angriffe  von  Offizieren  ausgingen,  die  sich  im  Hauptquartier  der  Armee 
befanden.  Keinem  dieser  Verleumder  kam  es  bei,  die  Verantwortung  für  die 
Niederlage  dorthin  zu  ph-icieren,  wo  dieselbe  infolge  grober  Fahrlässigkeit  ver- 
schuldet wurde.  Vergebens  verlangten  die  Generäle  Schurz  und  Schimmel- 
pfennig die  Einsetzung  eines  Untersuchungsgerichts.  Ihre  wiederholt  in  drin- 
gendster Form  gestellten  Anträge  blieben  seitens  des  Kriegsministers  unbe- 
rücksichtigt. Erst  in  späteren  Jahren  nahmen  sich  berufene  Militärschrift- 
steller wie  Samuel  P.  Bates,  Theodore  Dodge,  Generalmajor  Abner  Doubleday, 
Oberstleutnant  Augustus  C.  Hamlin  und  andere  der  mit  Unrecht  verleumdeten 
deutschen  Truppen  an  und  ließen  denselben  in  sorgfältigen  Untersuchungen 
über  die  Schlacht  bei  Chancellorsville  volle  Gerechtigkeit  widerfahren.  Eine 
ausführliche  Schilderung  der  Schlacht  lieferte  auch  Schurz  in  seinen  „Remini- 
scences  of  a  long  life". 

Übrigens  bot  sich  den  Divisionen  Schurz  und  von  Steinwehr,  sowie 
manchen  anderen  deutschen  Regimentern  noch  im  selben  Jahre  Gelegenheit,  zu 
zeigen,  aus  welchem  Stoff  ihre  Truppen  gemacht  waren.  Durch  den  Erfolg  bei 
Chancellorsville  kühn  geworden,  raffte  General  Lee,  der  Oberbefehlshaber  der 
Konföderierten,  sämtliche  verfügbaren  Streitkräfte  zusammen  und  drang  in  zwei 
Kolonnen  durch  das  Shenandoahtal  den  Südostabhang  der  Blauen  Berge  ent- 
lang gen  Norden  vor,  wobei  er  sowohl  die  Flanken  der  von  Hooker  befehligten 
Bundesarmee  wie  die  Hauptstadt  Washington  beständig  bedrohte. 

Da  man  in  Washington  das  Vertrauen  in  Hooker  verloren  hatte,  so  er- 
setzte man  ihn  durch  den  entschlosseneren  General  Georg  G.  Meade.  Dieser 
nötigte  den  Feind  bei  Gettysburg  zu  einer  Schlacht,  die  sich  vom  Morgen  des 
1 .  bis  zum  Abend  des  3.  Juli  erstreckte. 

Während  dieses  gigantischen  Ringens  bildeten  die  Deutschen  am  zweiten 


—    321     ~ 

und  dritten  Tag  unter  Schurz  und  von  Steinwehr  das  Zentrum  hinter  der  Fried- 
hofsmauer der  berühmten  Cemetery  Ridge,  auf  deren  strategische  Wichtigkeit 
von  Steinwehr  zuerst  aufmerlcsam  gemacht  hatte.  Hier  hielten  sie  auch  jene 
fürchterliche  Kanonade  aus  145  schv/eren  Geschützen  aus,  die  Lee  am  dritten 
Schlachttage  dem  Sturmangriff  seiner  Kolonnen  vorausgehen  ließ. 

Das  war  ein  Feuer,  wie  die  ältesten  Soldaten  ein  gleiches  nie  zuvor  erlebt 
hatten.  Der  Friedhof  war  eingehüllt  in  den  Rauch  explodierender  Granaten 
und  in  den  Qualm  der  hundert  Geschütze,  womit  die  Bundestruppen  die  Ka- 
nonade erwiderten.  Und  als  nach  zweistündiger  Dauer  dieses  entsetzlichen 
Artillerieduells  die  Konföderierten  15  000  Mann  stark  aus  den  Wäldern  brachen 
und  im  Sturmschritt  gegen  die  Bundestruppen  vorrückten,  da  entspann  sich  ein 


Szene  aus  der  Schlacht  bei  Gettysburg. 

Nach  einem  gleichzeitigen  Holzschnitt. 

rasender  Kampf,  Mann  gegen  Mann,  währenddessen  die  Leiber  der  toten  und 
verstümmelten  Menschen  und  Pferde  sich  zu  förmlichen  Hügeln  emportürmten. 

Der  heftige  Anprall  scheiterte  an  dem  erbitterten  Widerstand  der  Ver- 
teidiger des  Friedhofs.  Die  Konföderierten  wurden  in  gänzlicher  Auflösung 
zurückgeworfen,  die  Schlacht  zugunsten  der  Bundesarmee  entschieden  und  Lee 
zum  Rückzug  nach  Virginien  genötigt.  Wie  mörderisch  der  Kampf  gewesen 
war,  beweisen  die  Verluste.  Die  Bundesarmee  büßte  an  Toten,  Verwundeten 
und  Vermißten  23  000,  die  Konföderierten  30  000  Mann  ein. 

Mit  hoher  Auszeichnung  fochten  die  deutschamerikanischen  Generäle 
und  Regimenter  auch,  am  19.  und  20.  September  1863  bei  Chickamauga 
und  am  24.  und  25.  November  1863  bei  Chattanooga  in  Tennessee. 
Dort  errang  sich  vor  allem  General  August  Willich  als  Befehls- 
haber   einer    aus    neun    Regimentern    bestehenden    Brigade    glänzende    Lor- 


Cronau,  Deutsches  Leben  in  Ameril<a. 


21 


—     322     ~ 

beeren,  indem  er  einen  mitten  im  Ctiattanoogatal  aufragenden  kegelförmigen 
Hügel,  den  Orchard  Knob,  von  dem  aus  die  Konföderierten  zwei  Monate  lang 
die  Bundestruppen  beunruhigt  hatten,  eroberte.  Willich  nahm  mit  seinen 
Truppen  auch  an  der  Erstürmung  der  Missionary  Ridge  teil  und  befand  sich 
unter  den  ersten,  welche  diesen  überaus  steilen,  hartnäckig  verteidigten  Höhen- 
zug erstiegen. 

An  den  Kämpfen  um  Chattanooga  hatten  auch  die  von  den  Generälen 
Schurz,  Osterhaus  und  von  Steinwehr  befehligten  Truppen  glorreichen  Anteil. 
Vornehmlich  an  der  berühmten  „Schlacht  in  den  Wolken",  auf  den  Abhängen 
und  dem  Rücken  des  hohen  Lookout  Mountain,  der  hauptsächlich  durch  das 
rechtzeitige  Eintreffen  des  die  Feinde  im  Rücken  fassenden  Generals  Osterhaus 
für  die  Bundestnippen  gewonnen  wurde. 


Die  Erstürmung  der  Missionary  Ridge. 

Nach  einem  Gemälde  von  Arthur  Thomas  in  der  Gedächtnishalle  zu  Columbus,  Ohio. 

Osterhaus  und  Schurz  nahmen  mit  ihren  Divisionen  ferner  an  dem  denk- 
würdigen Zug  Shermans  durch  Georgia  nach  Savannah  teil  und  fochten  ruhm- 
voll in  den  Gefechten  bei  Tunnel  Hill,  Buzzards  Roost,  Dalton,  Resaca,  Ma- 
rietta  und  Atlanta. 

Der  Pfälzer  Louis  Blenker,  der  in  New  York  das  nach  ihm  benannte 
8.  Freiwilligenregiment  organisiert  hatte,  stand  im  Juli  1861  in  der  ersten 
Schlacht  bei  Bull  Run  an  der  Spitze  einer  aus  vier  deutschen  New  Yorker 
Regimentern  und  dem  27.  Pennsylvanischen  Regiment  bestehenden  Brigade, 
die  nach  dem  unglücklichen  Ausgang  jener  Schlacht  den  Rückzug  der  von 
General  McDowell  geführten  Armee  deckte.  Und  zwar  so  nachdrücklich,  daß 
die  Feinde  sowohl  von  der  Verfolgung  der  geschlagenen  Armee  wie  von  einem 
Angriff  auf  die  Bundeshauptstadt  Washington  absahen.  Blenkers  deutscher 
Brigade  wurde  allein  die  Ehre  zuteil,  am  23.  Juli  mit  klingendem  Spiel  und 
fliegenden    Fahnen    über    die    lange    Potomacbrücke    in    Washington    einzu- 


—     323     — 

rücken.  Blenker,  darauf  zum  Brigadegeneral  ernannt,  organisierte  nun  die 
„Deutsche  Division",  die  zuerst  in  dem  Sumnerschen  Korps  Dienste  tat  und 
später  unter  Fremont  in  der  Schlacht  bei  Groß  Keys  sich  auszeichnete.    Durch 


o  z 


^     H 


5   s 


w 


Q 


einen  Sturz  vom  Pferde  verletzt,  nahm  Blenker  Urlaub,  kehrte  aber  nicht  mehr 
zur  Armee  zurück. 

In  glänzendster  Weise  betätigte  sich  während  des  Bürgerkrieges 
auch  der  Ingenieur  Gottfried  Weitzel.  Von  Geburt  Rheinpfälzer, 
hatte  er  sich   in   Westpoint   zum   Offizier  ausgebildet.     Unter   Butler  diente 

21  * 


—     324     — 

er  als  Oberingenieur  in  New  Orleans,  später  bei  Banks'  unglücklicher 
Red  River-Expedition,  als  Divisionsführer  endlich  in  Butlers  Army  of  the  James. 
Beim  Anlegen  von  Befestigungen  und  beim  Brückenbau  entwickelte  Weitzel 
so  hervorragende  Fähigkeiten,  daß  er  zum  Generalmajor  ernannt  wurde.  Als 
Führer  des  25.  Armeekorps  zog  er  am  3.  April  1865  in  Richmond  ein,  wo  er 
am  folgenden  Tage  den  Präsidenten  Lincoln  empfing. 

Am  28.  Dezember  1863  lieferte  auch  der  Oberst  Bernhard  Lai- 
bold t  vom  2.  Missouriregiment  ein  Beispiel  echt  soldatischer  Entschlossen- 
heit, indem  er,  als  er  mit  einem  Trupp  von  Rekonvaleszenten  einen  Proviantzug 
von  Chattanooga  nach  Knoxville  führte,  einen  Reiterangriff  des  verwegenen 
Generals  Wheeler  mit  so  großem  Geschick  abschlug,  daß  er  dafür  zum  Brigade- 
general befördert  wurde, 

Mit  Wheeler  traf  Laiboldt  noch  einmal  am  14.  August  des  folgenden 
Jahres  zusammen.  Er  hielt  mit  480  Mann  seines  aus  lauter  Deutschen  be- 
stehenden 2.  Missouriregiments  die  Bahnstation  Dalton,  deren  Behauptung  von 
besonderer  Wichtigkeit  war.  Am  Nachmittag  des  genannten  Tages  umzingelte 
Wheeler  mit  3000  Mann  Kavallerie  diesen  Platz  und  forderte  die  Besatzung  zu 
sofortiger  Übergabe  auf.  Laiboldt  beschränkte  sich  auf  folgendes  Antwort- 
schreiben: „Sir!  Ich  wurde  hierhergestellt,  um  diesen  Platz  zu  verteidigen, 
nicht  aber,  um  ihn  zu  übergeben!" 

Als  Wheeler  einen  zweiten  Parlamentär  schickte,  wurde  Laiboldt  unge- 
mütlich und  ließ  Wheeler  sagen,  er  habe  ihm  schon  einmal  das  Fell  gegerbt 
und  sei  bereit,  es  auch  zum  zweitenmal  zu  besorgen. 

Der  sofort  entbrennende  Kampf  währte  die  ganze  Nacht,  endete  aber 
mit  dem  Rückzug  des  Rebellengenerals,  desen  Reiter  überaus  schwere  Verluste 
erlitten. 

Auch  der  tapferen  Taten  des  Generalmajors  August  V.  Kautz  und 
des  Brevet  Brigadegenerals  William  C.  Küffner  müssen  wir  gedenken. 
Kautz,  bei  Pforzheim  in  Baden  geboren,  machte  bereits  den  Krieg  gegen  Mexiko 
mit.  Während  des  Bürgerkrieges  wurde  er  einer  der  glänzendsten  Reiter- 
führer und  einer  derjenigen,  welche  diese  im  Anfang  des  Krieges  stark  ver- 
nachlässigte Truppengattung  zu  hoher  Bedeutung  brachten.  Er  befehligte 
gegen  Ende  des  Krieges  das  24.  Armeekorps  und  war  an  über  hundert  Ge- 
fechten und  Schlachten  beteiligt. 

Sein  Landsmann  Küffner,  ein  Mecklenburger,  nahm  an  einhundertundzehn 
Scharmützeln  und  Schlachten  teil.  Er  wurde  viermal  verwundet,  darunter 
zweimal  schwer  bei  Shiloh  und  Corinth.  Er  war  einer  der  feurigsten  und 
tapfersten  Deutschen  des  Westens  und  ein  hochgeachtetes  Mitglied  der  in  Belle- 
ville,  Illinois,  gegründeten  „Liga  deutscher  Patrioten". 

Mit  der  Schilderung  ähnlicher,  von  deutschen  Truppenabteilungen  und 
Offizieren  im  Bürgerkriege  vollführten  Heldentaten  könnte  man  viele  Seiten 
füllen.     Aber  räumliche  Rücksichten  fordern  zur  Beschränkung  auf. 

Von  den  deutschgeborenen  Generälen  und  Generalmajoren  starben  meh- 


—     325     — 

rere  den  Heldentod.  Die  glänzende  Laufbahn  des  Generals  Heinrich  von 
Bohlen  fand  am  22.  August  1862  in  der  Schlacht  am  Rappahannock  ihren 
Abschluß,  als  er  seine  Truppen  zum  Angriff  führte.  Die  Generäle  Adolf 
Engelmann  und  J  u  1  i  u  s  R  a  i  t  h  fielen  im  April  1862  bei  Shiloh ;  Franz 
Hassendeubel  im  JuH  1863,  während  der  Belagerung  von  Vicksburg; 
Johann  K  o  1 1  e  s  am  30.  August  1862  in  der  Schlacht  bei  Bull  Run ;  M  a  x 
Weber  wurde  am  17.  September  1863  bei  Antietam  so  schwer  ven\'undet, 
daß  er  auf  eine  fernere  Teilnahme  am  Kriege  verzichten  mußte.  Der  Brigade- 
general Hugo  W  angelin  büßte  bei  Ringgold  den  linken  Arm  ein,  trat 
nach  Heilung  der  Wunde  aber  wieder  in  die  Armee  ein  und  leistete  noch  in 
Georgia  und  in  Missouri  vortreffliche  Dienste. 

Die  Zahl  der  Obersten,  Majore,  Hauptleute  und  anderen  Offiziere,  die 
ruhmvoll  vor  dem  Feind  fielen,  beläuft  sich  auf  viele  Hunderte;  diejenige  der 
gefallenen  Soldaten  auf  viele  lausende.  Mehrere  deutsche  Regimenter  erlitten 
geradezu  ungeheure  Verluste.  So  kehrten  zum  Beispiel  von  dem  im  Herbst  1861 
aus  vier  Kompagnien  der  Sigelschen  Rifleschützen  und  sechs  Kompagnien  der 
deutschen  Jäger  gebildeten  52.  New  Yorker  Regiment  im  Oktober  1864  nur 
5  Offiziere  und  35  Mann  unter  Führung  des  Majors  R  e  t  z  i  u  s  zurück.  Nach- 
dem es  neu  ausgemustert  und  auf  seine  frühere  Stärke  von  2800  Mann  gebracht 
worden,  zog  es  abermals  aus,  um  zu  Ende  des  Krieges  nur  noch  200  Köpfe 
stark  heimzukehren.  Nicht  weniger  als  34  seiner  Offiziere  waren  vor  dem 
Feinde  gefallen  oder  kampfunfähig  geworden. 

Das  aus  Turnern  gebildete  20.  New  Yorker  Regiment,  welches  am 
31.  März  1861  eingeschworen  und  zunächst  nach  der  Festung  Monroe  be- 
ordert wurde,  kehrte  nach  vielen  mit  Auszeichnung  bestandenen  Schlachten  am 
10.  Mai  1863,  von  1200  Mann  auf  nur  462  zusammengeschpiolzen,  zurück. 

So  enthält  auch  die  Geschichte  des  Bürgerkrieges  glänzende  Beweise, 
daß  die  Deutschamerikaner  gleich  ihren  amerikanischen  Mitbürgern  als  echte 
Patrioten  Blut  und  Leben  für  die  Erhaltung  der  Union  einsetzten. 


In  den  Reihen  der  Koniöderierten  Armee  dienten  gleichfalls  viele  Deutsche, 
die  in  den  Südstaaten  groß  geworden  und  mit  dem  dortigen  Leben  und  den 
dortigen  Anschauungen  verwachsen  waren.  Von  diesen  zeichnete  sich  be- 
sonders Oberst  Johann  Andreas  Wagner  bei  der  Verteidigung  des 
Fcrts  Walker  in  Südkarolina  aus.  Als  die  Befestigung  am  7.  November  1861 
von  einer  15  000  Mann  starken  Armee  unter  General  Sherman  sowie  der 
IQ  Kriegsschiffe  zählenden  Bundesflotte  angegriffen  wurde,  wurde  es  von  dem 
fast  aus  lauter  Deutschen  bestehenden  und  von  Wagner  befehligten  1.  Artillerie- 
regiment von  Südkarolina  und  einer  Division  Infanterie  unter  General  Drayton 
verteidigt.  Fünf  Stunden  lang  ergoß  sich  aus  300  Feuerschlünden  ein  ver- 
heerender Hagel  von  Kugeln  und  Bomben  über  das  Fort.     Wagner  gab  den 


—     326     — 

hoffnungslosen  Kampf  erst  auf,  als  seine  sämtlichen  Geschütze  zerstört  und  die 
Vorräte  an  Munition  verschossen  waren.  Beim  Rückzug,  der  in  bester  Ordnung 
vonstatten  ging,  nahmen  die  Deutschen  ihre  Verwundeten  mit  sich.  In  An- 
erkennung seiner  Tapferkeit  wurde  Wagner  zum  Brigadegeneral  und  Platz- 
kommandanten von  Charleston  ernannt. 

Zur  Verteidigung  dieser  Stadt  ließ  Wagner  auf  der  Nordspitze  der  den 
Hafen  schützenden  Morrisinsel  das  später  nach  ihm  benannte  Fort  Wagner 
aufführen.  Im  Juni  1863  versuchten  die  Unionstruppen  dieses  zu  nehmen. 
Nach  einer  mehrere  Tage  dauernden  Beschießung  liefen  sie  Sturm,  wurden 
aber  mit  einem  Verlust  von  1500  Mann  zurückgeworfen.  Erst  im  November, 
nach  längerem  Bombardement,  konnte  Wagner  zur  Übergabe  gezwungen  werden. 

Heros  von  Borcke  ist  der  Name  eines  ehemaligen  preußischen 
Reiterführers,  der  im  Jahre  1862  in  die  konföderierte  Armee  eintrat  und  dem 
berühmten  Reitergeneral  Jeb  Stuart  als  Stabschef  zugeteilt  wurde.  Er 
zeichnete  sich  durch  Kühnheit  und  Tapferkeit  derart  aus,  daß  der  konföderierte 
Kongreß  ihm  ein  besonderes  Dankesvotum  widmete.  Im  Gefecht  bei  Middle- 
burg  wurde  von  Borcke  so  schwer  verwundet,  daß  er  monatelang  zwischen 
Leben  und  Tod  schwebte  und  aus  dem  aktiven  Dienst  ausscheiden  mußte.  Im 
Winter  1864 — 1865  nahm  er  eine  Mission  der  konföderierten  Regierung  nach 
England  an,  doch  blieb  dieselbe  ohne  Ergebnis,  da  bald  darauf  der  Zusammen- 
bruch der  Konföderation  erfolgte.  Von  Borcke  kehrte  darauf  nach  Deutsch- 
land zurück,  wo  er  das  vielgelesene  Buch:  „Zwei  Jahre  im  Sattel  und  am 
Feinde"  schrieb.  Als  er  zwanzig  Jahre  später  abermals  die  Südstaaten  be- 
suchte, gestaltete  sich  seine  Reise  zu  einem  förmlichen  Triumphzuge. 

Der  Hannoveraner  Carl  Friedrich  Henningsen,  ein  richtiger 
deutscher  Landsknecht,  brachte  es  zum  Rang  eines  Brigadegenerals  der  kon- 
föderierten Armee,  fand  aber  nur  wenig  Gelegenheit,  sich  auszuzeichnen. 


Es  ist  nötig,  hier  noch  zweier  Männer  zu  gedenken,  die  während  des 
Bürgerkriegs  überaus  verantwortliche  Stellen  in  Staatsdiensten  bekleideten, 
der  beiden  Schatzmeister  Francis  E.  Spinner  und  C  h.  Gustav  M  e  m  - 
m  i  n  g  e  r. 

Der  Erstgenannte  war  ein  Sohn  des  im  Jahre  1800  aus  Tauberbischofs- 
heim in  die  Vereinigten  Staaten  eingewanderten  Predigers  Johann  P.  Spin- 
ner, der  von  1801  bis  1848  der  alten  Pfälzerkirche  zu  Herkimer  im  Mohaw^k- 
tal  vorstand.  Hier  wurde  am  21.  Dezember  1801  sein  Sohn  Francis  geboren. 
Nachdem  derselbe  mehrere  wichtige  Ämter  bekleidet  und  es  in  der  Miliz  zum 
Generalmajor  gebracht  hatte,  war  er  viele  Jahre  als  Kassierer  und  Leiter  der 
Mohawk  Valley  Bank  in  Mohawk  tätig.  Im  Jahre  1848  erwählte  man  ihn  zum 
Abgeordneten  für  den  Bundeskongreß,  in  dem  er  einer  der  eifrigsten  Befür- 
worter cier  Abschaffung  der  Sklaverei  war. 


327     — 


Als  der  Bürgerkrieg  ausbrach,  ernannte  Präsident  Lincoln  Spinner  zum 
Schatzmeister  der  Vereinigten  Staaten.  Aber  die  Kassen  waren  leer.  Nichts- 
destoweniger glückte  es  Spinner,  durch  weise  Anordnungen  den  Finanzen 
wieder  eine  so  gesunde  Grundlage  zu  geben,  daß  den  ersten  Anstürmen  auf 
die  Kasse  Rechnung  getragen  werden  konnte.  Die  von  ihm  getroffenen  Ein- 
richtungen bewährten  sich  so,  daß,  trotzdem  viele  Millionen  in  Umlauf  gesetzt 
wurden,  nicht  ein  einziger  Dollar  verloren  ging.  Seiner  Gewissenhaftigkeit 
wegen  nannte  der  Volksmund 
Spinner  „The  Watchdog  of  the 
Treasury"  („Den  Wachthund 
des  Schatzamts").  Und  H. 
McCullogh  sagt  von  ihm  in  dem 
Buch  „Men  and  conditions  of  a 
half  Century" :  „Nie  hat  ein  ver- 
trauenswürdigerer, gewissen- 
hafterer und  aufrichtigerer  Mann 
ein  so  schwieriges  Amt  ver- 
waltet als  Francis  E.  Spinner. 
Vom  frühen  Morgen  bis  spät  in 
die  Nacht  stand  er  an  seinem 
Pult,  und  er  war  immer  der 
letzte,  der  das  Arbeitszimmer 
verließ." 

Während  seines  dritten 
Amtsjahres  machte  Spinner  den 
ersten  Versuch,  weibliche  Per- 
sonen als  Regierungsangestellte 
zu  verw^enden.  Diese  bewährten 
sich  vorzüglich,  indem  sie  an 
Pünktlichkeit,  Schnelligkeit  und 
Ordnung  nichts  zu  wünschen 
übrig  ließen.  Im  Auftrag  der 
Regierung  besuchte  Spinner 
auch  Europa,  um  dortige  Geld- 


Ch.  Gustav  Memminger, 

Finanzminister  der  südstaatlichen   Regierung  während  des 
amerikanischen   Biir)»erl<riegs. 

leute  für  amerikanische  Staats- 
papiere zu  interessieren.  Er  tat  dies  mit  ausgesprochenem  Erfolg.  Spinner  be- 
kleidete seinen  verantwortungsvollen  Posten  15  Jahre  lang.  Nach  seinem  am 
31.  Dezember  1890  erfolgten  Tod  veranstalteten  die  in  Dienst  der  Regierung 
stehenden  weiblichen  Angestellten  am  10.  Januar  1891  in  Washington  eine 
Massenversammlung,  welche  die  Errichtung  eines  Standbildes  Spinners  be- 
schloß. Dasselbe  wurde  am  29.  Juni  1909  in  der  im  Mohawktal  gelegenen 
Stadt  Herkimer  enthüllt. 

Ch.  Gustav  Memminger,  ein  armer  deutscher  Waisenknabe,  hatte 


—     328     — 

sich  in  Charleston  zu  einer  sehr  angesehenen  Stellung  emporgearbeitet.  Als 
der  Bürgerkrieg  ausbrach,  berief  der  Präsident  der  Südstaaten,  Jefferson  Davis, 
Memminger  als  Finanzminister  in  sein  Kabinett.  Das  war  allerdings  kein  be- 
neidenswerter Posten,  denn  die  finanziellen  Hilfsmittel  der  südlichen  Regierung 
waren  in  noch  viel  schlechterer  Verfassung  als  jene  der  Bundesregierung,  die 
während  des  langen  Krieges  mehrmals  dem  Bankerott  nahe  war.  Trotz  der 
oft  unüberbrückbar  scheinenden  Verlegenheiten  bekleidete  Memminger  sein 
schweres  Amt  bis  zum  Jahre  1864,  w^o  er,  die  Nutzlosigkeit  des  ferneren 
Kampfes  erkennend,  seinen  dornenvollen  Posten  niederlegte. 


Manche  Offiziere  deutschamerikanischer  Abstammung  spielten  auch  in 
den  zahllosen  Indianerkämpfen,  welche  die  Vereinigten  Staaten  während  des 
19.  Jahrhunderts  im  fernen  Westen  führen  mußten,  wichtige  Rollen.  Vor  allen 
der  Oberstleutnant  F  e  1 1  e  r  m  a  n  und  der  Reitergeneral  George  A.  Güster, 
der  Abkömmling  einer  während  des  18.  Jahrhunderts  in  Pennsylvanien  ein- 
gewanderten hessischen  Familie  Namens  Küster.  Nach  manchen  Siegen 
über  die  Gheyennen,  Arrapahoes  und  Sioux  fiel  dieser  kühne  General  nebst 
261  seiner  Reiter  am  25.  Juni  1876  am  Little  Big  Hörn  River  in  Montana,  wo 
sein  tollkühner  Mut  ihn  mitten  unter  weit  überlegene  Feinde  geführt  hatte.  In 
demselben  Treffen  fand  sein  Bruder,  der  Oberstleutnant  Thomas  Güster  den 
Soldatentod. 

In  einem  der  Indianerkriege  fiel  auch  der  Brigadegeneral  Alexander 
von  Schrader,  ein  ehemaliger  preußischer  Offizier,  der  sich  als  Ingenieur 
bereits  während  des  Bürgerkriegs  ausgezeichnet  hatte. 


Auch  im  Krieg  des  Jahres  1898,  durch  welchen  der  jahrhundertelangen 
spanischen  Willkürherrschaft  in  der  Neuen  Welt  das  längst  verdiente  Ende  be- 
reitet wurde,  dienten  sov/ohl  im  Heer  wie  in  der  Marine  zahlreiche  Truppen 
und  Offiziere  deutschen  Namens.  Bei  dem  ersten  blutigen  Ereignis,  der  Ex- 
plosion des  Schlachtschiffs  „Maine"  im  Hafen  von  Havanna,  gingen  21  Deutsche 
zugrunde.  Auf  der  Verlustliste  des  8.  Freiwilligenregiments  stehen  ein  Drittel 
mit  deutschen  Namen.  Von  96  Toten  des  71.  Regiments  entstammen  gleich- 
falls 20  deutschen  Familien. 

Unter  den  Offizieren,  welche  auf  Porto  Rico  und  den  Philippinen  fochten, 
zeichnete  sich  besonders  Theodor  Schwan  aus.  Als  gemeiner  Soldat 
hatte  er  bereits  an  der  Expedition  gegen  die  Mormonen  teilgenommen.  Wäh- 
rend des  Bürgerkriegs  focht  er  in  20  Schlachten  mit,  darunter  jene  von  Ghan- 
cellorsville,  Gettysburg,  in  der  Wildnis,  Spottsylvania,  Petersburg  usw.  Später 
diente  Schwan  in  vielen  Indianerkriegen.  Seine  größte  militärische  Wirksam- 
keit fällt  aber  in  den  spanisch-amerikanischen  Krieg.     Während  desselben  be- 


—    329     — 


fehligte  er  als  Brigadegeneral  auf  Porto  Rico  die  Heeresabteilung,  welche  von 
der  Westküste  gegen  Mayaguez  vormarschierte  und  am  10.  August  1898  bei 
Hormigueros  erfolgreich  ein  blutiges  Gefecht  gegen  eine  starke  spanische  Ab- 
teilung bestand.  Auf  den  Philippinen  leitete  Schwan  die  Expedtionen  in  der 
Provinz  Cavite  und  in  Südluzon.  Den  Rang  eines  Brigadegenerals  erreichte 
auch  Johann  WalterKlaus  oder  Clous,  der  im  Stab  des  Oberstbefehls- 
habers, General  Miles,  den  spanisch-amerikanischen  Feldzug  mitmachte.  Ferner 
der  Generalarzt  G  e  - 
orge  M.  Stern- 
berg, dem  der  ge- 
samte Sanitätsdienst 
unterstellt  war. 

Und  unter  den 
Helden  jenes  Krieges 
ragt  der  Nachkomme 
eines  deutschen  Schul- 
meisters hervor:  Win- 

field  Scott 
S  c  h  1  e  y  ,  der  Sieger 
von  Santiago.  Sein  Ur- 
ahne war  Thomas 
Schley,  der  im  Jahre 
1735  das  erste  Haus 
der  heutigen  Stadt  Fre- 
derick in  Maryland  er- 
baute. 

Die  Laufbahn  we- 
niger Männer  ist  so 
reich  an  ehrenvollen 
Taten,  wie  die  des  Ad- 
mirals  Schley.  Am  9. 
Oktober  1839  in  der 
Nähe  des  alten  Fa- 
miliensitzes Frederick  geboren,  durchlief  er  die  Marineakademie  in  Annapolis. 
Als  junger  Seeoffizier  focht  er  im  Bürgerkrieg ;  später  wurde  er  dem  Geschwader 
im  Großen  Ozean  zugeteilt.  Hier  unterdrückte  er  im  Jahre  1864  einen  Auf- 
stand chinesischer  Kulis  auf  den  Chinchiinseln.  1871  beteiligte  er  sich  an  dem 
Angriff  auf  die  Forts  am  Salu  in  Korea.  Nachdem  er  dann  fünf  Jahre  im 
Atlantischen  Geschwader  gedient  hatte,  befehligte  er  die  beiden  Dampfer,  welche 
im  Jahre  1884  ausgeschickt  wurden,  um  den  verschollenen  Polarforscher 
A.  W.  Greeley  aufzusuchen.  Fs  gelang  Schley,  die  auf  sechs  Mann  zusammen- 
geschmolzene Expedition  Greeleys  zu  retten,  wofür  ihm  der  Kongreß  eine 
goldene  Denkmünze  stiftete.     1891   verrichtete  er  höchst  wertvolle  Dienste  in 


Admiral  Winfield  Scott  Schley. 


—     330     — 

Chile.  Die  Zeit  höchsten  Ruhms  kam  für  Schley  aber  im  Jahre  1898,  als  eine 
aus  den  Kreuzern  „Christobal  Colon",  „Almirante  Oquendo",  „Maria  Theresa", 
„Vizcaya'^  und  den  Torpedobootzerstörern  „Furor",  „Terror"  und  „Pluton" 
bestehende  spanische  Flotte  unter  dem  Befehl  des  Admirals  Cervera  Europa 
verließ  und  die  amerikanische  Küste  bedrohte. 

In  Eile  zog  man  in  den  Vereinigten  Staaten  ein  „fliegendes  Geschwader" 
zusammen  und  unterstellte  dasselbe  dem  Befehl  des  Commodore  Schley.  Dieser 
richtete  zunächst  mittels  schneller  Avisos  einen  ausgedehnten  Wachtdienst 
längs  der  ganzen  atlantischen  Küste  ein.  Als  die  Nachricht  eintraf,  daß  die 
feindliche  Flotte  in  Westindien  gesichtet  worden  sei,  galt  es,  Cervera  daran  zu 
verhindern,  mit  seinen  Schiffen  Havanna,  den  einzig  möglichen  Stützpunkt,  zu 
erreichen.  Während  Admiral  Sampson  mit  seiner  starken  Flotte  die  Haiti  und 
Cuba  trennende  Windwardpassage  sperrte,  eilte  Schley  mit  seinem  fliegenden 
Geschwader  um  die  Westspitze  Cubas  durch  den  Kanal  von  Yukatan,  um  auch 
diesen  Weg  zu  verlegen. 

Mangel  an  Kohlen  hatten  Cervera  gezwungen,  den  cubanischen  Hafen 
Santiago  anzulaufen.  Dort  wurde  seine  Anwesenheit  am  26.  Mai  durch  die 
schnellen  Aufklärungsboote  Schleys  festgestellt,  worauf  sowohl  dessen  Ge- 
schwader wie  die  Flotte  Sampsons  herbeieilten,  um  Cervera  die  Ausfahrt  aus 
seinem  Zufluchtsort  zu  versperren.  Das  gelang.  Da  aber  die  nahende  Regen- 
und  Orkanperiode  eine  lange  Blockade  sehr  gefährlich  machen  mußte,  so  be- 
schloß man  in  Washington,  Cervera  durch  einen  Landangriff  aus  dem  Hafen 
herauszutreiben  und  zur  Schlacht  zu  zwingen.  Es  folgte  die  Überfahrt  einer 
17  000  Mann  starken  amerikanischen  Armee  unter  dem  Befehl  des  Generals 
Shafter.  Diese  stürmte  den  Hügel  von  San  Juan  und  schloß  die  Stadt  Santiago 
dermaßen  ein,  daß  ihre  Lage  unhaltbar  und  Admiral  Cervera  zu  einen  Durch- 
bruchsversuch genötigt  wurde. 

Dieser  erfolgte  am  3.  Juli,  zu  einer  Zeit,  wo  Admiral  Sampson  mit  dem 
Schlachtschiff  „New  York"  abwesend  war,  und  Commodore  Schley  den  Ober- 
befehl über  das  ganze  amerikanische  Geschwader  führte. 

Es  war  9  Uhr  35  Minuten  vormittags,  als  die  spanischen  Schiffe  den 
Hafen  von  Santiago  plötzlich  in  voller  Fahrt  verließen.  Voran  das  Flaggschiff 
Cerveras,  die  „Infanta  Maria  Theresa";  hinter  ihr  in  kurzen  Abständen  die  Schiffe 
„Vizcaya",  „Cristobol  Colon",  „Almirante  Oquendo"  und  die  Torpedoboot- 
zerstörer „Pluton"  und  „Furor". 

Sofort  flogen  auf  den  amerikanischen  Kriegsschiffen  die  Signalflaggen 
empor,  gleichzeitig  machte  man  sich  fertig  zur  Aktion.  Augenscheinlich  planten 
die  Spanier,  unter  Aufgebot  der  äußersten  Geschwindigkeit  den  Amerikanern 
zu  entrinnen.  Aber  Schleys  „Brooklyn"  sowie  die  „Texas"  erwäesen  sich  als 
ebenbürtige  Renner  und  blieben,  aus  ihren  schweren  Deckgeschützen  ein  ver- 
nichtendes Feuer  eröffnend,  den  westwärts  eilenden  Spaniern  hartnäckig  zur 
Seite.  Bereits  nach  25  Minuten  standen  die  von  zahlreichen  Granaten  getroffenen 
Schiffe   „Maria  Theresa"   und   „Oquendo"   in   hellen   Flammen   und  mußten, 


—    331     — 

um  den  Untergang  ihrer  Besatzung  zu  verhüten,  auf  den  Strand  gesetzt 
werden. 

„Vizcaya"  und  „Cristobol  Colon"  flohen  unter  Volldampf  weiter,  hart 
verfolgt  von  den  Schiffen  „Brooldyn",  .,Texas",  „lova"  und  „Oregon".  Kurz 
nach  elf  Uhr  geriet  auch  die  „Vizcaya"  in  Brand  und  lief  bei  Aserraderos  auf 
den  Strand.  Die  beiden  Torpedobootzerstörer  „Pluton"  und  „Furor"  erlitten 
das  gleiche  Schicksal. 

Am  längsten  hielt  sich  der  von  der  „Brooklyn"  scharf  verfolgte  Kreuzer 
„Cristobol  Colon".  Es  hißte  erst  gegen  ein  Uhr  nachmittags  die  weiße  Flagge 
und  strandete  50  Meilen  westlich  von  Santiago. 

Sämtliche  Schiffe,  Spaniens  letzte  Hoffnung,  waren  in  wertlose,  rauchende 
Wracks  verwandelt.  2000  Gefangene,  darunter  Admiral  Cervera,  fielen  den 
Amerikanern  in  die  Hände.  Während  die  Zahl  der  Toten  auf  spanischer  Seite 
über  600  betrug,  hatten  die  Amerikaner  nur  einen  Toten  und  einen  Verwundeten. 
Schleys  glänzender  Sieg  entschied  auch  das  Schicksal  der  Stadt  Santiago,  deren 
am  17.  Juli  erfolgende  Kapitulation  den  Amerikanern  weitere  22  000  spanische 
Truppen  als  Kriegsgefangene  überlieferte. 

Es  ist  hier  nicht  der  Platz,  auf  die  später  angestellten  häßlichen  Versuche 
einzugehen,  um  Schley  den  Ruhm  des  Siegers  von  Santiago  zu  entreißen  und 
dem  Admiral  Sampson  zuzuwenden.  Die  Volksmeinung  ist  über  die  unerquick- 
lichen Kontroversen,  die  sich  an  diese  Bemühungen  knüpften,  hinweggegangen 
und  hat  den  Lorbeerkranz  jenem  Helden  zuerkannt,  dem  er  von  Rechts  wegen 
gebührt:   Winfield  Scott  Schiey. 


Die  Deutschamerikaner  im   politischen  Leben  der 
Vereinigten  Staaten. 


Es  besteht  viel- 
fach die  Ansicht,  als 
hätten  die  in  der  Union 
lebenden  Deutschen  es 
nicht  verstanden,  in  po- 
litischer Hinsicht  in 
gleichem  Grade  wie  auf 
anderen  Gebieten  sich 
Geltung  zu  verschaffen. 
In  der  Tat  entsprach 
ihre  Vertretung  im 
Bundeskongreß  niemals 
ihrer  Zahl  und  Macht. 
Auch  sehen  wir  sie  ver- 
hältnismäßig selten 
höhere  politische  Ämter 
bekleiden,  obwohl  die 
Deutschen  ihrer  allge- 
meinen Bildung  nach 
dazu  eher  berufen 
wären,  als  manche  an- 
dere fremdgeborenen 
Elemente,  die  sich  stets 
einen  großen  Teil  der 
öffentlichen  Ämter,  be- 
sonders in  den  Städten, 
zu  sichern  wissen. 
Die  Erklärung  für  die  verhältnismäßig  geringe  Beteiligung  des  Deutsch- 
amerikanertums  an  politischen  Ämtern  ist  in  mannigfachen  Umständen  be- 
gründet. Zunächst  ist  zu  beachten,  daß  von  den  in  den  Vereinigten  Staaten 
einwandernden  Deutschen  nur  wenige  der  englischen  Sprache  mächtig  sind. 
Diese  so  zu  erlernen,  daß  sie  im.stande  wären,  in  dieser  fremden  Zunge  parla- 


Friedrich  August  Mühlenberg,  Vorsitzender  im  Abgeordneten- 
hause des  Bundeskongresses  1789—1791  und  1793—1795. 


—     333     — 

mentarische  Kämpfe  auszufechten,  gelingt  nur  einzelnen,  wogegen  dem  Irländer 
dies  sprachliche  Hindernis  nicht  im  Wege  steht.  Auch  ist  zu  beachten,  daß  die 
in  die  Vereinigten  Staaten  einwandernden  Deutschen  von  vornherein  nicht  in 
der  Absicht  kommen,  um  am  politischen  Leben  teilzunehmen.  Sie  kommen  zu- 
nächst, um  sich  eine  bessere  Existenz,  als  ihnen  im  alten  Vaterland  zu  erringen 
möglich  war,  zu  suchen.  Bei  ihrer  Ankunft  meist  nicht  mit  großen  Geldmitteln 
versehen,  sind  sie  genötigt,  ihr  Auskommen  in  sichern  Berufen  zu  suchen.  Sind 
sie  hierin  erfolgreich,  so  entschließen  sie  sich  begreiflicherweise  selten  dazu,  die 
eroberte  Stellung  aufzugeben  und  fragliche  Erfolge  auf  dem  schwankenden 
Boden  der  Politik  zu  suchen,  auf  dem  ihnen  obendrein  in  den  Amerikanern  und 
Irländem  so  gewichtige  Nebenbuhler  gegenüberstehen.  Berücksichtigt  man, 
daß  auch  das  Deutsche  Reich  nur  wenige  berufsmäßige  Politiker  besitzt,  so 
kann  die  geringe  Zahl  deutschamerikanischer  Politiker  kaum  überraschen,  wenn 
man  die  obigen  Gründe  in  Erwägung  zieht.  Dazu  kommt,  daß  bis  heute  in 
Amerika  die  berufsmäßigen  Politiker,  manche  verdiente  Männer  ausgenommen, 
durchaus  nicht  die  Achtung  genießen,  die  in  Europa  den  Parlamentariern,  den 
Vertretern  des  Volks,  entgegengebracht  wird.  Man  hat  in  Amerika  soviel  von 
gewerbsmäßigen  Beute-  und  Maschinenpolitikern  erlebt  und  erlitten,  daß  auch 
das  bessere  Amerikanertum  lange  Zeit  allen  Geschmack  an  der  Politik  verlor, 
und  dieselbe,  natürlich  zu  noch  größerem  Schaden  für  die  Allgemeinheit,  den 
zweifelhaftesten  Persönlichkeiten  überließ.  Diese  Abneigung  gegen  die  Politik 
ist  auch  bei  den  Deutschamerikanern  in  hohem  Grade  vorhanden ;  die  Mehrzahl 
folgt  den  Schleichwegen  der  Politiker  ohne  Interesse  oder  voll  Widerwillen.  Es 
mag  hauptsächlich  darauf  zurückzuführen  sein,  daß  das  Deutschamerikanertum 
nur  in  außergewöhnlichen  Fällen  sich  zu  einem  einmütigen  Handeln  bewegen 
läßt;  zudem  kommt,  daß  es  sich  über  ein  Gebiet  verteilt,  welches  an  Ausdehnung 
Deutschland  siebzehnmai  übertrifft  und  in  48  Staaten  und  mehrere  Territorien 
zerfällt,  die  für  sich  wiederum  ihre  besonderen  Interessen  und  gesetzgebenden 
Körperschaften  besitzen.  Da  die  in  diesem  ungeheuren  Gebiet  unter  den  verschieden- 
artigsten Bedingungen  lebenden  Deutschen  auch  nicht  wie  die  auf  die  Wieder- 
aufrichtung Irlands  hoffenden  und  durch  den  Katholizismus  zusammen- 
gehaltenen Irländer  durch  Sonderinteressen  oder  ein  gemeinsames  religiöses 
Band  aneinandergekittet  sind,  sondern  in  ihren  politischen  und  religiösen  An- 
sichten weit  auseinandergehen,  so  ist  auch  an  die  Verwirklichung  einer  deut- 
schen Partei,  welche  alle  in  den  Vereinigten  Staaten  lebenden  Deutschen  um- 
fasse, nicht  zu  denken.  So  wenig  ein  solcher  Traum,  der  in  den  Köpfen  einiger 
schwärmerischer  Achtundvierziger  entstand,  in  Deutschland  verwirklicht  werden 
könnte,  so  wenig  würde  er  sich  hier  herbeiführen  lassen.  Zumal  er  von  der 
großen  Masse  der  Deutschamerikaner  nicht  gehegt  und  von  den  einsichtsvolleren 
Deutschen  nicht  befürwortet  wird.  Versuche  zu  seiner  Verwirklichung  würden 
ohne  praktische  Folgen  bleiben. 

In  dieser  Erkenntnis  haben  die  mit  den  amerikanischen  Verhältnissen  ver- 
trauten Deutschamerikaner  den  Plan  einer  besonderen  deutschamerikanischen 


—     334     — 

Partei  nie  unterstützt  Sie  wollen  keinen  Staat  im  Staate  bilden,  sondern  sich 
nur  als  amerikanische  Bürger  deutscher  Abstammung  betrachtet  wissen.  Als 
solche  schließen  sie  sich  je  nach  ihrer  Überzeugung  einer  der  bestehenden 
großen  Parteien  an  oder  bleiben  unabhängig,  um  derjenigen  Partei  zum  Siege 
zu  verhelfen,  die  für  die  Durchführung  berechtigter  Wünsche  die  beste  Aussicht 
darbietet. 

Fälle,  wo  große  Massen  des  Deutschamerikanertums  eine  solche  unab- 
hängige Stellung  einnahmen  und  durch  ihre  Unterstützung  einer  bestimmten 
Partei  den  Sieg  verschafften,  waren  beispielsweise  die  Präsidenten\vahlen  der 
Jahre  1860,  1892  und  1896.  In  dem  erstgenannten  Jahre  stimmte  fast  das  ge- 
samte Deutschamerikanertum  für  Lincoln  als  den  Gegner  der  Sklaverei;  1892 
unterstützte  es  Cleveland  als  den  Vertreter  des  Freihandels,  während  es  in  der 
Präsidentenwahl  des  Jahres  1896  fast  einstimmig  für  Gutgeld  und  ehrliche 
Finanzwirtschaft  eintrat. 

Daß  Lincoln  seine  Erwählung  den  Deutschen  des  Westens  verdankte,  hat 
er  oft  genug  selbst  zugestanden.  Bis  in  die  Mitte  der  fünziger  Jahre  hinein 
hatten  die  Deutschamerikaner  meist  demokratisch  gestimmt.  Dann  trat  aber, 
durch  die  machtvollen  Reden  von  Karl  Schurz,  des  in  Cincinnati  wohn- 
haften Juristen  Johann  BernhardStallo  und  anderer  deutscher  Männer 
bewirkt,  ein  sichtlicher  Umschwung  ein.  Im  Jahre  1860  schieden  die  Deutschen 
bereits  massenhaft  aus  der  demokratischen  Partei  aus  und  gingen  zu  den  Repu- 
blikanern über.  Durch  sie  wurden  die  Staaten  Indiana,  Illinois,  Iowa,  Michi- 
gan, Minnesota,  Wisconsin  und  Ohio  mit  insgesamt  66  Elektoralstimmen  für 
Lincoln  gesichert. 

Die  Bedeutung  des  deutschen  Votums  in  der  Sklavenfrage  ist  auch  von 
vielen  großdenkenden  Amerikanern  stets  anerkannt  worden.  So  sprach  Charles 
Sumner  am  25.  Februar  1862  im  Senat  der  Vereinigten  Staaten  folgende  Worte: 
„Unsere  deutschen  Mitbürger  sind  in  dem  langen  Kampfe  mit  der  Sklaverei 
nicht  nur  ernst  und  treu  gewesen,  sondern  haben  die  große  Frage  stets  in 
ihrer  wahren  Natur  und  Bedeutung  gesehen.  Ohne  sie  würde  unsere  Sache 
bei  der  letzten  Präsidentenwahl  nicht  gesiegt  haben." 

Und  Andrew  White  äußerte  sich  folgendermaßen:  „Die  Reden,  die  die 
deutschen  Männer  vor  Ausbruch  des  Bürgerkriegs  über  die  großen,  unser  Land 
bewegenden  Fragen  hielten,  waren  voll  hoher  Gesichtspunkte,  voll  neuer  mäch- 
tiger Ideen,  von  denen  wir  alle  lernten.  Sie  behandelten  die  politischen  und 
sozialverderblichen  Einflüsse  der  Sklaverei  auf  das  Land,  seine  Institutionen, 
die  Sklavenhalter  und  die  weiße  Bevölkerung.  Und  ihre  Argumente  trugen  sie 
mit  einem  Feuereifer  der  Überzeugung  und  einer  Beredsamkeit  vor,  die  alle  An- 
hänger der  Union  mit  fortriß  und  für  die  Gestaltung  des  Kriegs  und  seinen 
Ausgang  von  größter  Bedeutung  war." 

Cleveland  wurde  im  Jahre  1881  durch  die  Stimmen  der  Deutschen  von 
Buffalo  zum  Bürgermeister  jener  Stadt  und  im  folgenden  Jahre  durch  die 
Stimmen  der  Deutschen  des  Staates  zum  Gouverneur  von  New  York  erwählt. 


—     335     — 

Und  deutsche  Bürger  des  ganzen  Landes  scharten  sich  um  Clevelands  Banner 
in  den  drei  Nationalwahlen,  in  welchen  er  als  Präsidentschaftskandidat  der 
demokratischen  Partei  figurierte.  Seinen  großen  Triumph  im  Jahre  1892,  wo 
er  die  Elektoralstimmen  der  republikanischen  Staaten  Illinois  und  Wisconsin, 
teilweise  auch  von  Michigan  gewann,  verdankte  er  gleichfalls  der  Unterstützung 
seitens  der  Deutschen. 

Zu  den  Verdiensten  der  Deutschen  gehört  es  auch,  die  Reformierung  der 
amerikanischen  Städteverwaltung  angebahnt,  am  nachdrücklichsten  für  die 
Tilgung  veralteter  Gesetze  und  am  kräftigsten  für  die  Erhaltung  und  Erweite- 
rung der  persönlichen  Freiheit  gekämpft  zu  haben.  Sie  taten  dies  durch  Grün- 
dung zahlreicher,  in  fast  allen  größeren  Städten  bestehenden  Reformvereine, 
wie  z.  B.  die„IndependentCitizensUnionofMarylan  d",  deren 
Programm  unter  anderem  folgende  Erklärung  enthält:  „Sie  bezweckt  zum  all- 
gemeinen Besten  die  Überwachung  aller  öffentlichen  Angelegenheiten  sowie  die 
Sicherung  einer  ehrlichen,  wirksamen  und  sparsamen  Verwaltung  in  Stadt  und 
Staat.  Sie  will  die  Befähigung  und  den  Charakter  aller  Bewerber  um  ein  Amt 
feststellen,  und  nach  ihrer  Erwählung  einen  Rekord  über  ihre  amdiche  Tätigkeit 
anfertigen.  Sie  will  ferner  die  Grundsätze  einer  repräsentativen  Regierung 
sichern  und  die  bürgerlichen  und  politischen  Rechte  ihrer  Mitglieder  schützen. 
Endlich  auch  die  Aufhebung  veralteter  und  schädlicher  Gesetze  bewirken  und 
die  Wohlfahrt  des  Volks  durch  alle  ehrenhaften  und  gesetzlichen  Mittel 
fördern." 

In  vielen  Städten  war  es  solchen  deutschen  Reformvereinigungen  beschie- 
den, bei  kritischen  Wahlgängen  die  Entscheidung  zugunsten  solcher  Parteien 
und  Personen  herbeizuführen,  deren  Grundsätze  und  Charakter  eine  Besserung 
der  vorhandenen  Zustände  verbürgten. 

Wie  sehr  die  amerikanischen  Politiker  mit  dem  deutschen  Votum  rechnen, 
zeigt  die  Tatsache,  daß  keine  der  beiden  großen  Parteien  in  einen  Wahlkampf 
eintritt,  ohne  vorher  sich  über  die  Stimmung  und  die  Wünsche  der  Deutschen 
genau  vergewissert  und  denselben  bei  der  Abfassung  der  Prinzipienerklärung 
Rechnung  getragen  zu  haben. 


An  hochbegabten  Deutschen,  die  im  politischen  Leben  Amerikas  eine  an- 
gesehene Rolle  spielten,  hat  es  keineswegs  gefehlt.  Einem  Deutschamerikaner, 
Friedrich  August  Mühlenberg,  einem  Sohn  des  berühmten  Geist- 
lichen Heinrich  Melchior  Mühlenberg,  fiel  die  hohe  Ehre  anheim,  im  Jahre 
1789  in  der  ersten  Tagung  des  Bundeskongresses  zum  Vorsitzenden  des  Ab- 
geordnetenhauses erw.^hlt  zu  werden.  Er  bekleidete  diese  wichtige  Stelle  von 
1789  bis  1791  sowie  von  1793  bis  1795.  Als  Vertreter  des  Staates  Pennsylvanien 
gehörte  er  ferner  dem  ersten,  zweiten,  dritten  und  vierten  Bundeskongreß  an. 


—     336     — 

Sein  Bruder,  der  berühmte  General  Peter  Mühlenberg,  war  Ab- 
geordneter Pennsylvaniens  im  ersten,  zweiten  und  sechsten  Kongreß.  1806 
wurde  er  Bundessenator. 

Als  Senatoren  fungierten  ferner  die  Deutschen  Jakob  Schüremann 
(1799  bis  1801),  Michael  Leib  (1804  bis  1806)  und  Karl  Schurz 
(1869  bis  1875). 

Von  den  zahlreichen  deutschgeborenen  Abgeordneten  gehören  Gustav 
Schleicher,  Georg  Bär,  Friedrich  Conrad,  Adam  Seybert, 
David  Rütschi,  Michael  Hahn,  Lorenz  Brentano,  Anton 
Eickhoff,  Leopold  Maaß,  Nikolaus  Müller,  Robert 
H.  Foerderer,  Peter  V.  Deuster,  Richard  Günther  und 
Richard  Barthold  zu  denjenigen,  die  durch  wiederholte  Wahl  ausge- 
zeichnet und  weithin  bekannt  wurden. 

Der  bedeutende  Einfluß,  den  die  Deutschamerikaner  in  Pennsylvanien 
zeitweise  ausübten,  läßt  sich  am  besten  aus  der  Tatsache  erkennen,  daß  sie  mit 
nur  einer  Unterbrechung  jenem  Staate  während  des  Zeitraums  von  1808  bis 
1839  sämtliche  Gouverneure  lieferten.  Diese  waren  Simon  Schnyder, 
welcher  die  drei  Termine  von  1808  bis  1817  ausfüllte;  Joseph  Heister 
oder  H  i  e  s  t  e  r  (1820  bis  1823);  Johann  AndreasSchulze  (1823  bis 
1829);  Georg  Wolf  (1829  bis  1835)  und  Joseph  Ritner  (1835  bis 
1839).  Ihnen  gesellten  sich  später  noch  die  Deutschamerikaner  Francis 
Seh  unk  (1845  bis  1848);  William  Bigler  (1852  bis  1855);  John 
F.  Hartranft  (1873  bis  1879);  John  A.  Beaver  (1887  bis  1891)  und 
Samuel  W.  Pennypacker  (Pannebäcker)  (1903  bis  1906)  hinzu. 

Von  Gouverneuren  deutscher  Abstammung  wurden  ferner  Johann 
B  r  o  u  c  k  in  New  York,  Adam  Treutlen  in  Georgia,  A.  B.  Fleming 
in  Westvirginia,  Franz  Hoffmann  und  Johann  Altgeld  in  Illinois, 
Michael  Hahn  in  Louisiana,  Johann  Anton  Quitmann  in 
Mississippi,  Eduard  Salomon  in  Wisconsin  und  Wilhelm  Meyers 
in  Colorado  weiteren  Kreisen  bekannt. 

Außer  den  Genannten  nahmen  viele  andere  Deutschgeborene  und  Ab- 
kömmlinge solcher  am  politischen  Leben  der  Vereinigten  Staaten  in  hervor- 
ragender Weise  teil.  Beispielsweise  Wilhelm  Wirt,  der  als  Generalanwalt 
im  Kabinett  des  Präsidenten  Monroe  saß,  und  diese  Stellung  zwölf  Jahre  lang, 
bis  zum  Schluß  des  Amtstermins  des  Präsidenten  Quincy  Adams,  bekleidete. 
Ferner  Gustav  Körner,  Vizegouverneur  des  Staates  Illinois  und  Gesandter 
in  Spanien;  Richter  Johann  Bernhard  Stallo,  Gesandter  in  Italien; 
John  Wannamaker,  Generalpostmeister  unter  der  Administration  des 
Präsidenten  Harrison.  Generalpostmeister  im  Kabinett  des  Präsidenten  Roose- 
velt  war  der  in  Boston  geborene  Georg  von  Lengerke-Meyer,  dessen 
Vorfahren  aus  Norddeutschland  stammen.  Er  hatte  im  diplomatischen  Dienst 
als  Botschafter  in  Rom  und  St.  Petersburg  bereits  Verwendung  gefunden.  Er 
bewährte  sich  in  allen  Stellen  so,  daß  Präsident  Taft  bei  der  Bildung  seines 


—     337     — 

Kabinetts  ihn  übernahm  und  zum  Marineminister  ernannte.  Taft  berief  noch 
zwei  andere  Amerikaner  deutscher  Abkunft  in  sein  Kabinett.  Dem  ebenfalls  im 
öffentlichen  Dienst  durchaus  erfahrenen  Richard  Achilles  Ballinger 
übertrug  er  das  Ministerium  des  Innern,  und  dem  aus  Texas  stammenden 
Charles  Nagel  das  bisher  von  dem  Israeliten  Oskar  Straus  inne- 
gehabte Ministerium  für  Handel  und  Gewerbe. 

Bei  einer  Würdigung  des  Einflusses  der  Deutschamerikaner  auf  das  poli- 
tische Leben  Amerikas  dürfen  wir  auch  zweier  deutscher  Künstler  nicht  ver- 
gessen, die  durch  ihre  politischen  Karikaturen  und  Kartons  die  öffentliche  Mei- 
nung jahrelang  mächtig  beeinflußten.  Diese  beiden  waren  die  Zeichner 
Thomas  Nast  und  Joseph  Keppler.  Der  erste  traktierte  seinerzeit 
die  für  die  Korruption  der  New  Yorker  Stadtverwaltung  verantwortliche 
Tammany-Gesellschaft  mit  fürchterlichen  Geißelhieben  und  trug  dadurch  un- 
geheuer zur  Beseitigung  des  Tammanyhäuptlings  Tweed  und  seiner  Helfers- 
helfer bei.  Während  des  Bürgerkriegs  war  Nast  als  Zeichner  für  „Harpers 
Weekly"  tätig.  Seine  Bilder  und  Karikaturen  wurden  im  Norden  vom  Volke 
geradezu  verschlungen.  Im  Süden  hingegen  gehörte  Nast  zu  den  am  meisten 
gehaßten  und  gefürchteten  „Yankees".  Nast  starb  als  Generalkonsul  der  Ver- 
einigten Staaten  in  Ecuador. 

Keppler  begründete  die  politisch-satirische  Wochenschrift  „Puck"  und 
veröffentlichte  in  dieser  ungemein  eindrucksvolle  Bilder,  von  denen  viele  an 
nachhaltiger  Wirkung  manche  Wahlrede  weit  übertrafen. 

Keinem  von  allen  bisher  genannten  Deutschen  war  aber  im.  politischen 
Leben  Amerikas  eine  so  bedeutende  Rolle  beschieden,  wie  dem  Rheinländer 
Karl  Schurz,  dem  es  dank  seiner  hervorragenden  Fähigkeiten  und  seltenen 
Charaktereigenschaften  gelang,  nicht  bloß  die  höchsten,  einem  nicht  in  Amerika 
geborenen  Mann  in  der  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  zugängigen  Stel- 
lungen, sondern  auch  einen  großen  Einfluß  auf  das  amerikanische  Volk  zu 
gewinnen. 


Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  22 


Karl  Schurz. 

Karl  Schurz  wurde  am  2.  März  1829  in  Liblar  bei  Köln  geboren, 
unweit  jener  Stelle,  wo  die  Ufer  des  grüngoldigen  Rheins  ihre  höchsten  Reize 
entfalten  und  sich  zum  sagenumwobenen,  von  Ruinen  und  Burgen  gekrönten 
Siebengebirge  erheben. 

Wessen  Wiege  in  solcher  Umgebung  stand,  kann  kaum  etwas  anderes 
sein  und  werden  als  ein  Idealist.  Und  ein  Idealist  war  Schurz  sein  Leben  lang. 
Der  sonnig  milde  Charakter  der  Heimat  übertrug  sich  auf  sein  Gemüt,  das 
neben  unendlicher  Milde  und  Güte  den  heiteren  Frohsinn,  den  nie  verzagenden 
Optimismus  des  Rheinländers  zeigte. 

Neben  diesen  anmutenden  Eigenschaften  verlieh  die  gütige  Natur  ihm 
manche  andere  wertvolle  Gaben:  einen  scharfen,  durchdringenden  Verstand 
und  einen  Blick  von  seltener  Klarheit,  die  ihn  alle  Verhältnisse  rasch  erfassen 
ließen.  Dazu  ein  feines  Gefühl  für  die  Schönheiten  der  Schrift  und  Sprache 
und  —  last  but  not  least  —  eine  wahrhaft  glänzende  Rednergabe.  Was  er 
in  späteren  Jahren  über  den  großen  Virginier  Henry  Clay  schrieb,  derselbe 
habe  das  echte  rednerische  Temperament,  jene  Macht  nervöser  Erregung  be- 
sessen, wo  der  Redner  andern  wie  ein  höheres  Wesen  erscheint  und  seine  Ge- 
danken, seine  Leidenschaften  und  seinen  Willen  in  den  Geist  und  Sinn  des  Zu- 
hörers hinüberfließen  läßt,  das  galt  auch  von  Schurz.  Seine  unvergleichliche 
Logik,  das  Feuer  seiner  Begeisterung,  seine  mit  einem  bestrickenden  Wohlklang 
der  Stimme  verbundene  glänzende  Ausdrucksweise  übten  auf  alle  Höier  eine 
so  faszinierende  Wirkung,  daß  sie  wie  verzaubert  an  seinen  Lippen  hingen. 

Aber  nicht  bloß  die  Umgebung,  sondern  auch  die  Verhähnisse  modellieren 
den  Menschen.  Während  seiner  Studienzeit  auf  der  Universität  Bonn  zu  den 
Schülern  des  Kunstgelehrten  und  Idealisten  Gottfried  Kinkel  gehörend,  lernte 
er  die  entwürdigende  Lage  des  unter  dem  Druck  rückschrittlicher  Regierungen 
seufzenden  deutschen  Volkes  erkennen.  Als  in  den  vierziger  Jahren  die  auf  den 
Sturz  dieser  Regierungen  abzielenden  Aufstände  im  Rheinland  losbrachen, 
nahmen  Kinkel  wie  Schurz  an  denselben  teil.  Nach  dem  Mißlingen  der  ge- 
planten Erstürmung  des  Zeughauses  in  Siegburg  wandten  beide  sich  nach 
Baden.  Hier  zählten  sie  zu  denjenigen,  welche  nach  dem  Abzug  des  ge- 
schlagenen Revolutionsheeres  die  Festung  Rastatt  verteidigten,  aber  am  23.  Juli 
1848  vor  einer  ungeheuren  Übermacht  die  Waffen  strecken  mußten. 


—     339     — 

Schurz  war  einer  der  wenigen,  denen  es  glückte,  sicii  durch  die  Flucht 
langjähriger  Gefangenschaft  zu  entziehen.  Seinem  zu  zwanzigjähriger  Zucht- 
hausstrafe verurteilten  Lehrer  Kinkel  verhalf  er  im  November  1850  durch  eine 
kühne  Tat  zur  Freiheit.  Beide  wandten  sich  nach  England,  von  wo  Schurz 
später,  dem  großen  Strom  der  politischen  Flüchtlinge  folgend,  sich  im  Sep- 
tember 1852  nach  Amerika  einschiffte. 

Als  er  hier  eintraf,  fand  er  die  Vereinigten  Staaten  in  schlimmer  Gärung. 
Norden  und  Süden  standen  betreffs  der  Sklavenfrage  einander  schroff  gegen- 
über. Alle  Anzeichen  lieikn  erkennen,  daß  diese  alte  Streitfrage  nunmehr  zur 
endlichen  Entscheidung  dränge.  Auf  welcher  Seite  Schurz  stehen  werde,  konnte 
keinem  Zweifel  unterliegen.  Schon  im  Jahre  1858  trat  er  als  englischer  Redner 
auf.  Seine  erste  große  Rede  „The  Irrepressible  Conflict"  wurde  überall  ver- 
breitet. Noch  größeren  Erfolg  hatte  seine  berühmte,  im  Jahre  1860  gehaltene 
Rede  „The  Doom  of  Slavery''.  Dieselbe  fand  im  ganzen  Lande  mächtigen 
Widerhall.  Besonders  deshalb,  weil  Schurz  in  der  Sklavenfrage  Gesichtspunkte 
aufstellte,  welche  neu  und  weit  mächtiger  wirkten,  als  die  bisher  ins  Feld  ge- 
führten rein  rechtlichen  und  menschlichen  Argumente.  Schurz  beleuchtete 
nämlich  auch  die  politisch  und  sozial  verderblichen  Einflüsse,  welche  die  Dul- 
dung der  Sklaverei  auf  das  Land,  seine  Einrichtungen  und  Bevölkerung  aus- 
üben müsse  und  tat  dies  in  so  überzeugender  Weise  und  mit  solcher  Beredsam- 
keit, daß  seine  Ansprachen  an  Wirksamkeit  staatsmännischen  Taten  gleich- 
kamen. 

Es  war  in  jenen  erregten  Zeiten,  wo  das  Geschick  ihn  mit  Abraham 
Lincoln  zusammenführte.  Beide  an  großen  Eigenschaften  gleichen  Männer  er- 
kannten den  gegenseitigen  Wert.  Es  bedurfte  keines  Schachers,  um  Schurz  zu 
bestimmen,  von  nun  an  mit  der  vollen  Begeisterung  eines  an  den  Triumph  der 
allgemeinen  Menschenrechte  glaubenden  deutschen  Akademikers  für  die  Nomina- 
tion  und  Wahl  Lincolns  zum  Präsidenten  einzutreten. 

Schurz  tat  dies  als  einer  der  Gründer  der  jungen  republikanischen  Partei. 
Als  einer  der  hervorragendsten  Wortführer  derselben  bewirkte  er  im  Verein  mit 
S  t  a  1 1  o  und  anderen  her\'orragenden  Deutschen  des  Westens  einen  so  ge- 
waltigen Umschwung  in  der  Stellung  der  im  Westen  wohnenden  Deutschen, 
daß  dieselben  bei  der  Präsidentenwahl  des  Jahres  1860  massenhaft  aus  der 
demokratischen  Partei  ausschieden  und  zu  den  Republikanern  übergingen.  Da- 
durch wurden  die  Staaten  Ohio,  Indiana,  Illinois,  Michigan,  Wisconsin,  Iowa 
und  Minnesota  für  Lincoln  gesichert. 

In  dankbarer  Anerkennung  dieser  Unterstützung  und  aus  persönlicher 
Wertschätzung  ernannte  Lincoln  nach  seinem  Amtsantritt  Schurz  zum  Gesandten 
in  Spanien,  ein  außergewöhnliches  Zeichen  des  Vertrauens,  da  gerade  auf  diesem 
Posten  ein  kluger  und  taktvoller  Mann  stehen  mußte,  der  es  vermochte,  die 
Spanier  in  dem  zu  erwartenden  Krieg  zwischen  Norden  und  Süden  zum  Auf- 
rechterhalten der  Neutralität  zu  bestimmen. 

Sobald  Schurz  dieses   Erfolgs  gewiß  war,  kehrte  er  schleunigst  nach 

22* 


—     340     — 

Amerika  zurück,  um  zur  Befreiung  der  Sklaven  auch  mit  dem  Schwert  beizu- 
tragen. Als  Führer  größerer  Heerkörper  nahm  er  an  den  Schlachten  am  Bull 
Run,  bei  Chancellorsville,  Gettysburg  und  am  Lookout  Mountain  teil.  Er  be- 
wies dabei  Umsicht  und  Tapferkeit  in  solchem  Maß,  daß  er  in  Anerkennung 
seiner  Verdienste  zum  Generalmajor  ernannt  wurde. 

Nachdem  der  Bürgerkrieg  vorüber,  erhielt  Schurz  vom  Präsidenten  John- 
son den  Auftrag,  die  Zustände  des  Südens  zu  studieren  und  ein  Gutachten  ab- 
zugeben, welche  Maßnahmen  zur  Wiederherstellung  der  Union  dienen  könnten. 
Norden  und  Süden  waren  durch  den  Krieg  einander  völlig  entfremdet.  Die 
radikalen  Elemente  der  republikanischen  Partei,  ergrimmt  über  die  Ermordung 
des  Präsidenten  Lincoln  und  die  furchtbaren,  durch  den  Krieg  verursachten 
Opfer,  wollten  an  dem  Süden  exemplarische  Vergeltung  üben  und  ihn  unfähig 
machen,  im  inneren  politischen  Leben  der  Union  je  wieder  eine  Rolle  zu  spielen. 
Ihrem  Betreiben  war  es  zuzuschreiben,  daß  die  weißen  Südländer  aller  poli- 
tischen und  bürgerlichen  Rechte  entkleidet  wurden,  die  sie  vor  dem  Kriege 
genossen  hatten.  Darüber  waren  die  stolzen  Südländer,  die  vormals  zu  den 
Führern  und  Ratgebern  des  Volkes  gezählt  hatten,  mit  tiefster  Bitterkeit  erfüllt. 
Aber  mehr  noch  durch  den  Umstand,  daß  man  die  freigewordenen  Neger  sämt- 
liche Rechte  genießen  ließ,  die  man  den  weißen  Bürgern  verwehrte. 

Was  unter  solchen  Verhältnissen  der  beste  Kurs  gewesen  wäre,  der  im 
Süden  hätte  eingeschlagen  werden  sollen,  dürfte  vielleicht  stets  eine  offene  Frage 
bleiben.  Schurz  erkannte  die  logischen  Resultate  des  Krieges  in  jeder  Hinsicht 
an.  Er  empfahl  die  Einführung  und  den  Schutz  der  freien  Arbeit  an  Stelle  der 
Sklavenarbeit.  Aber  er  wollte  auch  die  früheren  Herren  der  Sklaven  ebenso  als 
Menschen  behandelt  wissen  wie  die  Freigewordenen.  Er  befürwortete  deshalb 
die  Aufhebung  der  politischen  Entrechtung  der  weißen  Südländer,  drang  mit 
dieser  Empfehlung  aber  nicht  durch. 

Während  der  nächsten  Jahre  war  Schurz  Redakteur  verschiedener  großer 
Zeitungen.  186Q  erfolgte  seine  Entsendung  in  den  Bundessenat  als  Vertreter 
des  Staates  Missouri. 

Der  Senat  war  der  Boden,  auf  dem  Schurz  seine  glänzenden  Eigenschaften 
voll  entfalten  konnte.  Er  zeigte  sich  nicht  nur  als  Meister  der  Rede,  sondern 
auch  der  Debatte  Von  ihm  sagte  die  „New  York  Evening  Post"  am  14.  Mai 
1906:  „Er  war  nicht  nur  der  wirkungsvollste  Redner  der  republikanischen 
Partei,  sondern  der  größte  Redner,  der  während  unserer  Generation  im  Kongreß 
erschienen  ist.  Ungleich  vielen  seiner  ausgezeichneten  Herren  Kollegen  bediente 
er  sich  niemals  flacher,  bombastischer  Redensarten,  noch  jener  ausgetretenen 
Kunstgriffe,  mit  welchen  Demagogen  seit  undenklichen  Zeiten  die  Ohren  des 
Pöbels  zu  kitzeln  suchen.  Wie  von  ihm  treffend  gesagt  worden  ist,  sprach  er 
immer  als  ein  vernünftig  denkender  Mann  zu  vernünftigen  Männern;  stets  war 
er  über  den  Gegenstand  seiner  Rede  vorzüglich  unterrichtet,  und  die  Folge  war, 
daß  er  stets  etwas  vorbrachte,  was  der  ernsten  Beachtung  auch  jener  Personen 
wert  war,  die  sich  in  ihren  Ansichten  von  ihm  unterschieden." 


—     341     — 

Karl  Schurz  offenbarte  sich  schon  damals  als  eine  der  eigenartigsten  Per- 
sönlichkeiten unter  den  amerikanischen  Staatsmännern :  als  Idealisten  edelsten 
Schlages,  der,  von  tiefem  Glauben  an  die  hohe  Kulturmission  der  Vereinigten 
Staaten  durchdrungen,  sich  selbst  die  höchsten  Ziele  steckte  und  dieselben  zu 
erreichen  strebte.  „Man  mag  mir  vorwerfen",  so  äußerte  er  sich  einst,  „daß 
meine  Anschauungen  phantastisch  sind;  daß  die  Geschicke,  denen  dieses  Land 
entgegengeht,  weniger  hehrer  Art  sind;  daß  das  amerikanische  Volk  nicht  so 
groß  ist,  wie  ich  glaube,  oder  wie  es  meiner  Ansicht  nach  sein  sollte.  Ich  ant- 
worte darauf,  daß  die  Ideale  den  Sternen  am  Himmelszelt  gleichen.  Niemand 
wird  je  imstande  sein,  sie  mit  seinen  Händen  zu  berühren.  Aber  der  Mensch, 
der  wie  der  Seemann  auf  der  weiten  Wüste  des  Weltmeeres  sie  zu  seinen  Füh- 
rern nimmt,  wird,  wenn  er  ihnen  nur  getreulich  folgt,  sein  Ziel  sicher  erreichen." 

Um  jene  Zeit  saß  der  während  des  Bürgerkriegs  zu  großem  Ruhm  ge- 
langte General  Grant  als  Präsident  im  Weißen  Hause.  Unter  seiner  Verwaltung 
nahmen  Korruption  und  Ämterschacher  so  überhand,  daß  Schurz,  angeekelt 
durch  diese  Zustände,  sich  von  den  radikalen  Republikanern  abwandte  und 
eine  neue  Partei,  die  der  liberalen  Republikaner  gründen  half.  Dieselbe  setzte 
der  Grantschen  Administration  heftigen  Widerstand  entgegen  und  stellte,  als 
eine  neue  Präsidentenwahl  nötig  wurde,  Horace  Greeley  auf,  der  aber  im  Wahl- 
kampf unterlag. 

Größeren  Erfolg  hatte  Schurz  bei  der  Präsidentenwahl  des  Jahres  1876. 
Er  unterstützte  dabei  den  Republikaner  Rutherford  B.  Hayes,  weil  er  diesen  in 
der  entbrennenden  Währungsfrage  für  den  zuverlässigsten  der  aufgestellten 
Kandidaten  hielt.  Nach  der  Einführung  Hayes  in  sein  Amt  erreichte  Schurz 
den  Höhepunkt  seiner  politischen  Laufbahn.  Er  wurde  als  Minister  des  Innern 
in  das  Kabinett  berufen  und  bekleidete  diesen  verantwortungsvollen  Posten  bis 
zum  Jahre  1881. 

Während  dieser  Periode  bahnte  Schurz  manche  wichtige  Neuerungen  an, 
deren  Bedeutung  erst  in  späteren  Jahren  erkannt  und  gewürdigt  wurden.  So 
trat  er  aufs  nachdrücklichste  der  beispiellosen  Wälderverwüstung  entgegen  und 
mahnte  zum  Schutz  der  Forsten.  Wenn  dafür  die  der  Zerstörung  des  Wald- 
reichtums schuldigen  Spekulanten  ihn  höhnisch  den  „Amerikanischen  Ober- 
förster" tauften,  so  ahnten  sie  nicht,  daß  dieser  Spottname  eines  Tages  einem 
Ehrentitel  gleichkommen  würde. 

Es  gelang  Schurz  nur  schwer,  das  amerikanische  Volk  von  der  Bedeutung 
der  Wälder  und  der  Notwendigkeit  ihres  Schutzes  zu  überzeugen.  Noch 
weniger  war  es  reif  für  die  Anschauung,  daß  Ehrlichkeit  und  gesunder  Men- 
schenverstand auch  für  die  Forstverwaltung  notwendig  seien.  Den  Umschwung 
in  der  Volksstimmung  herbeigeführt  zu  haben,  gehört  zu  den  großen  Ver- 
diensten, die  Karl  Schurz  sich  um  dieses  Land  erworben  hat. 

Energisch  befürwortete  Schurz  auch  die  bessere  Behandlung  der  schreck- 
lich mißbrauchten  Indianer.  Er  sorgte  nicht  bloß  für  die  Abschaffung  grober 
Mißbräuche  in  der  Indianerverwaltung,  sondern  auch  für  die  Einhaltung  der 


—     342     — 

mit  den  Stämmen  geschlossenen  Verträge,  ferner  für  die  Errichtung  geeigneter 
Schulen,  in  denen  diese  „Mündel  der  Nation''  zu  zivilisiertem  Leben  heran- 
gezogen werden  könnten.  Die  berühmte  Indianerschule  zu  Carlisle,  Pa.,  wurde 
unter  seiner  Verwaltung  gegründet. 

Schurz  nahm  femer  Gelegenheit,  die  von  ihm  seit  Jahren  befürwortete 
Verbesserung  des  Zivildienstes  praktisch  zu  betätigen.  Seitdem  unter  Präsident 
Andrew  Jackson  der  Grundsatz  „Dem  Sieger  gehört  die  Beute"  in  die  Politik 
eingeführt  worden  war,  hatte  die  Beutewirtschaft  in  erschreckender  Weise  um 
sich  gegriffen.  Sie  drohte  das  ganze  amerikanische  Staatswesen  zu  vergiften. 
Die  schwersten  Schäden  dieses  Systems  bestanden  darin,  daß  an  Stelle  der  von 
Vaterlandsliebe  und  Selbstlosigkeit  getragenen  Helden  der  amerikanischen  Re- 
volution selbstsüchtige,  grundsatzlose  und  käufliche  Berufspolitiker  traten,  von 
denen  die  frechsten  sich  zu  „Bossen",  das  heißt  Parteipäpsten  aufwarfen,  die 
alle  Macht  an  sich  rissen  und  ihre  Anhänger  für  die  geleisteten  Parteidienste 
mit  öffentlichen  Ämtern  belohnten,  ohne  nach  Befähigung  oder  Ehrlichkeit  zu 
fragen.  Es  galt  der  Grundsatz  „Wem  Gott  ein  Amt  gibt,  dem  gibt  er  auch 
Verstand".  Diesen  Verstand  benutzten  die  Beutepolitiker  aber  nur  dazu,  um 
das  Volk  zu  plündern,  während  sie  den  öffentlichen  Dienst  in  unzulänglichster 
Weise  verrichteten. 

Nicht  zum  wenigsten  waren  es  die  Deutschamerikaner,  die,  von  ihrer 
Heimat  her  an  ein  tüchtiges  und  ehrliches  Beamtentum  gewöhnt,  auf  den  immer 
notwendiger  werdenden  Kampf  gegen  das  Beutesystem  hindrängten.  Als  er 
endlich  aufgenommen  wurde,  waren  sie  es,  die  ihn  in  der  nachdrücklichsten 
Weise  führen  halfen.  Ihr  Vorkämpfer  war  Schurz,  der  energisch  für  die  Um- 
gestaltung des  Zivildienstes  eintrat  und  mit  seinen  amerikanischen  Gesinnungs- 
genossen befürwortete,  daß  der  bürgerliche  Dienst  von  der  Politik  vollständig 
getrennt  werden  und  daß  Tüchtigkeit  und  Unbescholtenheit  die  Vorbedingungen 
sein  sollten,  um  ein  öffentliches  Amt  zu  erhalten.  Viele  Jahre  hindurch  blieb 
der  Kampf  vergeblich,  denn  die  Beutepolitiker  besaßen  ungeheure  Macht  und 
verstanden  es  trefflich,  allerhand  Gründe  für  ihr  eigenes  System  ins  Feld  zu 
führen.  Sie  gaben  vor,  daß  die  Zivildienstreformer  die  Einführung  europäischer, 
monarchischer  Zustände  beabsichtigten,  welche  eine  zünftige  Bureaukratie  voll 
Überhebung  hervorrufen  müßten,  deren  Glieder  durch  langes  Verbleiben  in 
den  Stellungen  einseitig  würden  und  nicht  im  Einklang  stünden  mit  der  jewei- 
ligen, durch  die  Wahlen  bekundeten  politischen  Richtung  sowie  den  Vertretern 
dieser  Richtung  in  den  obersten  Ämtern,  denen  es  doch  bei  ihrer  Verantwort- 
lichkeit überlassen  bleiben  müßte,  ihre  Untergebenen  selbst  auszusuchen.  Erst 
zu  Anfang  der  achtziger  Jahre,  nachdem  die  Betrügereien,  Unterschlagungen 
und  andere  durch  öffentliche  Beamte  hervorgerufene  Skandale  allzuhäufig 
wurden,  konnten  die  Zivildienstreformer  sich  der  ersten  sichtbaren  Erfolge 
rühmen.  Seit  jener  Zeit  hat  ihre  Sache  so  bedeutende  Fortschritte  gemacht, 
daß  nunmehr  alle  Bundesbeamte  mit  Ausnahme  derer,  die  vom  Präsidenten  zu 
ernennen  und  vom  Senat  zu  bestätigen  sind,  dem  Zivildienstgesetz  unterstehen. 


c. 


—     345     — 

Auch  im  Verwaltungsdienst  vieler  Staaten,  Gemeinde-  und  Stadtverwal- 
tungen fand  die  Zivildienstreform  Eingang.  Überall  erkannte  man  die  unge- 
heuren Vorteile  der  Bewegung,  durch  deren  Anbahnung  und  Ausbreitung 
Schurz  sich  Verdienste  erwarb,  die  ihm  einen  glänzenden  Namen  in  der  Ge- 
schichte der  Vereinigten  Staaten  sichern.  Wie  eng  Schurz  mit  der  Bewegung 
verbunden  war,  ergibt  sich  daraus,  daß  er  viele  Jahre  lang  den  Vorsitz  im 
Zivildienstbund  führte. 

Nach  Ablauf  der  Hayesschen  Administration  widmete  Schurz  sich  aufs 
neue  der  journalistischen  Tätigkeit.  Er  unterbrach  dieselbe  wieder,  als  die  Prä- 
sidentschaftskampagne des  Jahres  1884  heranrückte. 

Es  war  damals,  wo  Schurz  eine  ungeheures  Aufsehen  erregende  Schwen- 
kung unternahm.  Er,  bisher  Republikaner,  unterstützte  die  Wahl  des  demo- 
kratischen Reformgouverneurs  von  New  York,  Grover  Cleveland,  gegen  den 
Republikaner  Blaine.  Zu  diesem  Schritt  ließ  Schurz  sich  durch  den  persön- 
lichen Wert  des  einen  und  den  Minderwert  des  anderen  Kandidaten  bestimmen. 

Obwohl  er  die  Notwendigkeit  der  Organisation  zum  Zweck  der  erfolg- 
reichen Durchführung  bestimmter  Ziele  stets  anerkannte,  verpflichtete  er  sich  nie 
dazu,  einer  bestimmten  Partei  anzugehören  und  mit  derselben  durch  Dick  und 
Dünn  zu  marschieren.  Die  Losung  „My  party,  right  or  wrong"  („Meine  Partei, 
ob  recht,  ob  unrecht!'')  stieß  ihn  ab.  Er  betrachtete  die  Parteien  nicht  als 
Selbstzweck,  sondern  nur  als  Mittel  zum  Zweck.  Deshalb  focht  er,  je  nachdem 
die  Umstände  es  forderten,  bald  auf  selten  der  Republikaner,  bald  auf  selten  der 
Demokraten  oder  unabhängiger  Vereinigungen. 

Dies  Verhalten  wurde  ihm  von  vielen  zum  Vorwurf  gemacht.  Schurz 
ließ  sich  aber  dadurch  nicht  beirren,  sondern  fuhr  fort,  in  allen  das  Land 
angehenden  Fragen  seinen  eignen  Grundsätzen  und  seiner  Überzeugung  getreu 
zu  bleiben  und  zu  handeln.  Es  kann  deshalb  diejenigen,  welche  mit  der  Finanz- 
geschichte der  Vereinigten  Staaten  vertraut  sind,  nicht  überraschen,  daß  Schurz 
im  Jahre  1896  als  Unabhängiger  für  die  Wahl  McKinleys  eintrat.  Die  Gründe 
dafür  waren  folgende:  Unter  der  Regierung  Clevelands  machten  die  westlichen 
Silberminenbesitzer  ungeheure  Anstrengungen,  den  Kongreß  zur  Annahme  von 
Gesetzen  zu  bestimmen,  durch  welche  die  sogenannte  Silberfreiprägung  wieder 
aufgenommen  werden  sollte,  wonach  es  jedermann  gestattet  wäre,  seine  etwaigen 
Vorräte  an  Rohsilber  in  Münzen  der  Vereinigten  Staaten  umprägen  zu  lassen. 
Beim  niedrigen  Stand  des  Silberpreises  hätte  die  Annahme  eines  solchen  Ge- 
setzes für  die  über  kolossale  Vorräte  an  Rohsilber  verfügenden  Silberleute  unge- 
heuren Gewinn  bedeutet;  das  Land  hingegen  würde  unter  dem  Zwang,  den 
Wert  seiner  Münzen  aufrechtzuerhalten,  entsetzliche  Verluste  erlitten  haben, 
wenn  es  nicht  gar  dem  finanziellen  Zusammenbruch  zugetrieben  worden  wäre. 
Als  Cleveland  dem  Verlangen  der  Silberleute  sich  entgegenstemmte,  kam  es 
nicht  bloß  zu  einer  tiefen  Spaltung  unter  den  Demokraten,  sondern  auch  zu 
einem  förmlichen  Bruch  zwischen  dem  Präsidenten  und  dem  die  Freiprägung 
fordernden  Flügel  seiner  eigenen  Partei.     Die  Silberdemokraten  stellten  darauf 


—     346     — 

im  Verein  mit  anderen  unsicheren  Elementen  des  Westens  William  Bryan  als 
Präsidentschaftskandidaten  auf,  wogegen  die  Republikaner  McKinley  zu  ihrem 
Bannerträger  erkoren.  Dieser  fand,  als  Cleveland  eine  Wiederwahl  ablehnte, 
die  Unterstützung  aller  für  ehrliche  Finanz  Wirtschaft  eintretenden  Demokraten 
und  Unabhängigen. 

Mit  dem  gleichen  Ernst,  mit  dem  Schurz  zur  Lösung  der  Sklavenfrage 
beigetragen  hatte,  beteiligte  er  sich  nun  an  der  Bekämpfung  der  schwindelhaften 
Finanzpolitiker,  die  mittels  der  Silberfreiprägung  sich  auf  Kosten  des  ameri- 
kanischen Volkes  bereichern  wollten.  Seine  während  dieses  Streites  gehaltenen 
Reden  verfehlten  nicht,  durch  ihre  Logik  und  überzeugende  Gründlichkeit  auf 
das  ganze  Amerikanertum  tiefsten  Eindruck  zu  machen. 

Mit  gleichem  Eifer  stritt  Schurz  gegen  die  als  eine  Folge  des  spanisch- 
amerikanischen Krieges  zu  betrachtende  Expansionspolitik.  Trunken  von  den 
in  jenem  Krieg  errungenen  glorreichen  Siegen,  befürwortete  ein  großer  Teil  des 
amerikanischen  Volkes  die  Annexion  der  den  Spaniern  entrissenen  Philippinen, 
Cubas  und  Porto  Ricos.  Darin  erblickte  Schurz  eine  schwere  Gefährdung  jener 
Grundsätze,  auf  denen  die  Republik  der  Vereinigten  Staaten  beruht.  Wenn  das 
amerikanische  Volk,  so  argum.entierte  er,  zu  einer  Eroberungspolitik  übergehe 
und  seine  Herrschaft  gewaltsam  über  Völkerschaften  verhänge,  welche  derselben 
abgeneigt  seien  und  auf  eigenen  Füßen  stehen  wollten,  so  verfalle  es  dem  Im- 
perialismus und  gebe  sowohl  seine  Grundsätze,  wie  auch  seine  hohe  Mission, 
zu  der  es  vor  allen  Nationen  berufen  sei,  preis. 

Die  dem  Lande  daraus  drohenden  Gefahren  erschienen  Schurz  so  groß, 
daß  er  sich  entschloß,  in  den  Wahlkämpfen  der  Jahre  1899  und  1904  die  Demo- 
kraten Bryan  und  Parker  gegen  die  Republikaner  McKinley  und  Roosevelt  zu 
unterstützen. 

Gewiß  sind  diejenigen  im  Unrecht,  welche  Schurz  wegen  seines  häufigen 
Parteiwechsels  der  Unkonsequenz  beziehten  wollen.  Er  kehrte  einer  Partei  nur 
dann  den  Rücken,  wenn  diese  inkonsequent  wurde  und  jene  Grundsätze  ver- 
ließ, um  derentwillen  er  sich  ihr  angeschlossen  hatte.  Er  selbst  blieb  stets  seiner 
Überzeugung  treu,  daß  das  Wohl  des  Landes  und  die  Erhaltung  der  Union 
über  alles  gehe. 

Mit  vollem  Recht  wurde  an  seiner  Bahre  ausgesprochen,  daß  er  den 
wahren  Geist  des  amerikanischen  Ideals  tiefer,  inniger  erfaßt  habe  und  ein 
reinerer,  ausgeprägterer  Amerikaner  gewesen  sei,  als  die  meisten  seiner  ameri- 
kanischen Mitbürger.  Sein  ganzes  Leben  war  eine  fortgesetzte  Betätigung  der 
großen  Lehre,  ein  gewissenhafter,  von  echtem  Patriotismus  erfüllter  Bürger 
zu  sein. 

Und  diese  Lehre  ist  nicht  ohne  Eindruck  geblieben.  Nach  vielen  Tausenden 
zählen  diejenigen,  welche  durch  das  von  Schurz  gebotene  Beispiel  dazu  be- 
geistert wurden,  gleichfalls  ihren  Grundsätzen  und  Idealen  treu  zu  bleiben  und 
einzutreten  für  alles,  was  sie  für  recht  hielten. 

Den  gewaltigsten  Einfluß  übte  der  seltene  Mann  naturgemäß  auf  seine 


—     347     — 

in  den  Vereinigten  Staaten  lebenden  Landsleute.  Vielen  galt  er  als  nachahmens- 
wertes Vorbild.  Ein  erhabeneres  hätten  sie  schwerlich  finden  können.  Denn 
wie  Schurz  im  politischen  Leben  aus  den  Reihen  seiner  Mitmenschen  hoch 
emporragte,  so  lag  auch  sein  bürgerliches  Leben  vor  aller  Augen,  makellos  und 
rein  wie  lauteres  Gold. 

Nie  hat  man  gewagt,  ihn  der  Bestechlichkeit  oder  einer  Unwahrheit  zu 
beschuldigen.  Jeder  wußte,  daß  strengste  Gewissenhaftigkeit  und  Wahrheits- 
liebe seinen  Ehrenschild  bildeten,  an  dem  alle  Pfeile  seiner  Gegner  wirkungslos 
abprallen  mußten. 

Obwohl  Schurz  nicht  versäumt  hatte,  sich  alle  besseren  Eigenschaften  des 
Anglo-Amerikanertums  anzueignen,  so  wurden  deutsche  Sitten,  deutsche  Sprache 
und  deutsche  Ehre  von  keinem  im  Ausland  lebenden  Deutschen  heiliger  ge- 
halten als  von  ihm.  Er  betonte  beständig,  daß  der  deutsche  Einwandrer  sich 
amerikanisieren  solle.  Aber  der  für  das  neue  Vaterland  ersprießlichste  Ameri- 
kanisierungsprozeß  bestehe  für  den  Deutschen  darin,  das  beste  des  amerika- 
nischen Wesens  anzunehmen  und  das  beste  des  deutschen  Charakters  zu  be- 
wahren. Nur  so  könne  er  zu  der  Kultur  des  großen  amerikanischen  Sammel- 
volkes seinen  pflichtniäßigen  Beitrag  liefern.  Von  dieser  Überzeugung  aus- 
gehend, richtete  Schurz  bei  unzähligen  Gelegenheiten  an  seine  hier  eingewan- 
derten Landsleute  die  Mahnung,  ihre  Ideale  und  freien  Lebensanschauungen, 
ihren  Erohsinn,  ihre  Liebe  zu  Musik,  Kunst  und  Wissenschaft,  vor  allem  auch 
ihre  herrliche  Muttersprache  zu  bewahren  und  dieselben  als  kostbare  Besitz- 
tümer auf  Kinder  und  Kindeskinder  zu  vererben. 

Aber  nicht  bloß  durch  solche  Mahnungen  leistete  Schurz  dem  Deutsch- 
tum Amerikas  große  Dienste.  Er  hob  auch  das  Ansehen  der  Deutschen  in 
diesem  Lande  mächtig,  indem  er  sein  Leben  in  echt  deutscher,  idealer  Weise  dem 
Dienst  der  Ereiheit,  des  Fortschritts,  der  Humanität  und  Weltkultur  weihte. 

Noch  in  den  letzten  Tagen  seines  Daseins  beteiligte  er  sich  an  einem 
Aufruf  zu  einer  Massenversammlung  der  deutschamerikanischen  Bevölkerung 
von  New  York,  welche  dem  Verlangen  nach  einem  Schiedsgerichtsvertrag 
zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und  Deutschland  Ausdruck  verlieh. 

So  war  Schurz  an  allen  großen  Eragen  und  Bewegungen  beteiligt,  die 
während  der  letzten  fünfzig  Jahre  dem  amerikanischen  Volke  zur  Entscheidung 
vorlagen.  Die  Ratschläge,  die  er  dabei  erteilte,  ließen  stets  erkennen,  daß  er 
hoch  über  der  Masse  der  amerikanischen  Staatsmänner  stand,  daß  er  zu  der 
kleinen  Gruppe  Auservi^ählter  gehöre,  zu  denen  noch  die  späte  Nachwelt  voll 
Dankbarkeit  emporblicken  wird. 

Aber  auch  die  Besten  unserer  Zeit  zögerten  nicht,  ihm  schon  zu  Leb- 
zeiten die  verdiente  Anerkennung  zu  zollen.  Als  am  2.  März  1899  die  Elite 
der  amerikanischen  Bevölkerung  der  Stadt  New  York  sich  zur  Feier  seines 
70.  Geburtstages  zu  einem  glänzenden  Festmahl  versammelte,  da  widmete  Ex- 
präsident  Grover  Cleveland  dem  Jubilar  folgende  herrliche  Worte:  „Seine  Lauf- 
bahn und  sein  Leben  erteilen  uns  Lehren,  welche  nicht  zu  oft  und  stark  genug 


—     348     — 

betont  werden  können.  Sie  illustrieren  die  Größe  selbstlosen  öffentlichen 
Dienstes  und  den  Edelmut  einer  furchtlosen  Befürwortung  von  Dingen,  welche 
recht  und  gerecht  sind.  Es  würde  eine  traurige  Zeit  für  unser  Land  kommen, 
wenn  unser  Volk,  im  Lichte  eines  solchen  Beispiels,  sich  weigern  sollte,  die 
beste  Staatskunst  in  unerschütterlichem  Festhalten  an  der  Überzeugung,  im 
Sturm  sowohl  als  im  Sonnenschein,  zu  erkennen.  Ich  glaube,  daß  die  Zukunft 
und  das  Fortbestehen  unserer  freien  Einrichtungen  auf  der  Pflege  der  Eigen- 
schaften beruhen,  welche  den  Mann  auszeichnen,  welcher  heute  geehrt  wird." 

Und  am  21.  November  1906,  als  die  Besten  der  Nation  in  der  Carnegie- 
halle der  Stadt  New  York  zu  einer  Schurz-Gedächtnisfeier  versammelt  waren, 
zollte  Cleveland  dem  verewigten  deutschamerikanischen  Staatsmann  einen 
zweiten  glänzenden  Tribut,  indem  er  unter  anderem  sagte:  „Diejenigen  unter 
uns,  welche  sich  rühnien,  angestammte  Amerikaner  zu  sein,  sollten  nicht  ver- 
gessen, daß  er  (Schurz),  der  auf  solche  Weise  eine  Besserung  der  politischen 
Ideen  und  Gepflogenheiten  unserer  Nation  schuf,  von  ausländischer  Herkunft 
war.  Und  laßt  uns  ferner  mit  bewundernder  Würdigung  gedenken,  daß, 
während  er  niemals  ein  liebreiches  Andenken  an  sein  Vaterland  erblassen  ließ, 
er  zu  gleicher  Zeit  unvergängliche  Lorbeeren  in  seinem  neuen  Bürgertum  erwarb 
und  dem  Patriotismus  seiner  Natur  durch  aufopfernde  Ergebenheit  und  Treue 
gegenüber  seiner  amerikanischen  Zugehörigkeit  hellen  Glanz  verlieh.  Wenn 
sein  edles  Beispiel  und  seine  Verdienste  einen  naheliegenden  Kontrast  bieten, 
so  sollten  sie  ganz  besonders  zu  besserer  Pflichterfüllung  und  zu  größerer 
politischer  Fürsorge  diejenigen  anreizen,  welche  auf  Grund  ihres  Geburtsrechts 
einen  bevorzugten  Platz  in  unserem  Bürgertum  beanspruchen.  Und  wir  alle 
sollten  uns  zu  Herzen  nehmen  die  große  und  eindrucksvolle  Lehre,  welche 
jedem  Amerikaner  durch  das  Leben  und  die  Laufbahn  von  Carl  Schurz  ein- 
geprägt wird.  Es  ist  die  Lehre  vom  moralischen  Mut,  vom  einsichtsvollen  und 
gewissenhaften  Patriotismus,  vom  unabhängigen  politischen  Denken,  von  der 
selbstlosen  politischen  Affiliation  und  von  der  beständigen  politischen  Wach- 
samkeit." 

Ein  anderer  Amerikaner,  Herbert  N.  Casson  faßte  hingegen  sein  Urteil 
über  Schurz  in  folgende  Worte  zusammen:  „Sowohl  als  Soldat,  wie  als  Staats- 
mann, politischer  Reformer  und  Schriftsteller  genießt  Schurz  internationalen 
Ruf.  Niemals  war  ein  Mann  unabhängiger  als  er  und  doch  so  mit  allen  Fasern 
mit  dem  Volk  seiner  Zeit  so  eng  verbunden.  Sein  Leben  war  so  vielseitig  wie 
ein  Diamant  und  ebeUvSo  voll  von  Licht." 

Am  14.  Mai  des  Jahres  1906  fand  die  irdische  Laufbahn  dieses  bedeu- 
tendsten Mannes,  den  Deutschland  den  Vereinigten  Staaten  bisher  geliefert  hat, 
ihren  Abschluß. 

Karl  Schurz  ist  tot!  Aber  sein  Andenken,  seine  Lehren  und  sein  Ver- 
mächtnis werden  leben,  solange  es  in  den  Vereinigten  Staaten  Bürger  deutscher 
Herkunft,  solange  es  für  die  Ehre  und  Wohlfahrt  ihres  Landes  eintretende 
Amerikaner  und  solange  es  eine  amerikanische  Geschichte  geben  wird. 


Die  kulturellen  Zustände  der  Deutschamerikaner 

während  des  19.  Jahrhunderts  und  ihr  Einfluß  auf 

die  amerikanische  Bevölkerung. 

Der  Einfluß  der  Deutschamerikaner   auf  die  körperliche 
Entwicklung  der  amerikanischen  Bevölkerung. 

Dem  Scharfblick  zweier  amerikanischer  Ärzte  waren  die  ungewöhnhchen 
Erfolge  nicht  entgangen,  welche  Friedrich  Ludwig  Jahn,  der  Vater  der  deutschen 
Turnerei,  erzielte,  indem  er  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  Deutschlands  Jugend 
durch  systematische  körperliche  Übungen  zu  einem  Geschlecht  von  wehrhaften, 
mit  nationalem  Sinn  erfüllten  Männern  erzog,  die  imstande  waren,  in  den  großen 
Jahren  des  Befreiungskrieges  das  Joch  der  napoleonischen  Fremdherrschaft 
abzuschütteln. 

Diese  Mediziner  waren  die  in  Boston  lebenden  Professoren  John  G.  Coffin 
und  John  C.  Warren,  von  welchen  der  letzte  an  der  Harvard-Universität  zu 
Cambridge  über  die  Gesetze  der  Gesundheit  las.  Durch  George  Bancroft, 
Daniel  Webster  und  andere  hervorragende  Geister  jener  Zeit  kräftig  unterstützt, 
befürworteten  sie  die  Einrichtung  öffentlicher  Turnplätze,  wo  die  Studenten 
eine  körperliche  Erziehung  nach  deutschem  Vorbild  empfangen  sollten.  Warren 
versuchte  sogar  „Vater  Jahn,  den  hervorragenden  Philosophen  und  Gymna- 


Kopfleiste:  Das  Deutsche  Haus  in  Indianapolis,  Indiana,  der  Sitz  des  Turnlehrer- 
seminars des  Nordamerikanischen  Turnerbundes. 


—    350    — 

stiker",  für  das  Bostoner  Gymnasium  zu  gewinnen.  Dieser  Plan  sclieiterte 
jedoch  an  der  unerschütterlichen  Weigerung  desselben,  sein  geliebtes  Vater- 
land zu  verlassen. 

Dagegen  gelang  es,  drei  als  politische  Flüchtlinge  nach  Amerika  ver- 
schlagene junge  Gelehrte  zur  Übersiedlung  nach  Massachusetts  zu  bewegen,  die 
Doktoren  Karl  Beck,  Karl  Folien  und  Franz  Lieber.  Alle  drei 
waren  echte  Gesinnungsgenossen  Jahns  und  als  Studenten  eifrige  Turner  ge- 
wesen. Zugleich  waren  sie  hochgebildete,  begeisterungsfähige  Männer  und  zur 
Durchführung  des  geplanten  Werks  hervorragend  geeignet. 

Beck  wurde  sofort  an  die  von  Bancroft  und  Cogswell  gegründete  Round- 
Hill-Schule  in  Northampton,  Massachusetts,  berufen,  wo  er  nach  dem  Vorbild 
der  Jahnschen  Turnschulen  die  erste  Turnanstalt  in  den  Vereinigten  Staaten 
einrichtete.  Folien  gründete  im  Mai  1826  an  der  Harvard-Universität  ein  Gym- 
nasium. Lieber  übernahm  den  Turnunterricht  an  der  Tremont-Schule  in  Boston, 
und  so  begannen  die  drei  bedeutendsten  deutschen  Gelehrten,  die  je  nach 
Amerika  dauernd  übersiedelten,  ihre  neuweltliche  Laufbahn  als  aktive 
Turner. 

Beck  gab  auch  dem  Turnunterricht  in  Amerika  die  erste  systematische 
Grundlage,  indem  er  im  Jahre  1828  Jahns  „Deutsche  Turnkunst"  ins  Englische 
übersetzte,  um  durch  ihre  Einführung  als  Leitfaden  für  den  Turnunterricht  in 
Privatschulen  Propaganda  zu  machen. 

In  dieser  „Abhandlung  über  Gymnastik"  äußerte  Beck  sich  über  den 
Wert  gymnastischer  Übungen  folgendermaßen :  „Für  eine  Republik  bestehen  die 
Vorteile  gymnastischer  Übungen  darin,  daß  sie  die  verschiedenen  Klassen  ihres 
Volkes  in  einer  gemeinschaftlichen  Tätigkeit  vereinigen  und  auf  diese  Weise  für 
diejenigen,  die  durch  ihre  verschiedene  Erziehung  und  ihre  verschiedenen 
Lebensstellungen  voneinander  weit  getrennt  sind,  ein  neues  Band  bilden." 

Lieber  fügte  diesem  Ausspruch  in  seinem  berühmten  Werk  über  „Poli- 
tische Ethik"  hinzu:  „Wenn  Turnanstalten  überall  nötig  sind,  so  sind  sie  es 
ganz  besonders  in  diesem  Lande.  Das  amerikanische  Klima  mit  seinem  plötz- 
Hchen  Wechesl  von  Hitze  und  Kälte,  die  Leichtigkeit  des  Reisens  ohne  körper- 
liche Anstrengungen,  unsre  freien  Institutionen,  unsre  Abhängigkeit  von  der 
großen  Masse  des  Volks  zur  Verteidigung  des  Landes  verlangen  gebieterisch 
solche  Gymnasien." 

Aus  zahlreichen  schriftlichen  und  gedruckten  Nachrichten  jener  Zeit  wissen 
wir,  daß  der  Turnunterricht  von  der  studierenden  Jugend  Amerikas  mit  Be- 
geisterung aufgenommen  wurde  und  für  ihre  körperliche  Entwicklung  die 
besten  Folgen  hatte. 

Nicht  lange  blieben  die  obengenannten  Pioniere  der  Turnerei  vereinzelt; 
befanden  sich  doch  in  der  mächtigen  Flutwelle  freiheitsliebender  deutscher  Ele- 
mente, die  in  dem  Zeitraum  von  1825  bis  1850  die  Vereinigten  Staaten  über- 
schwemmte, tausende  und  abertausende  von  Jünglingen  und  Männern,  die  den 
berühmten  Turnerwahlspruch  „Frisch!  Fromm!  Fröhlich!   Frei!"   im  Herzen 


—     351     — 

trugen  und  der  Überzeugung  lebten,  daß  ein  gesunder  Körper  die  Vorbedingung 
zu  einem  gesunden  Geist  bilde. 

Bestrebt,  die  eigene  Spannkraft  zu  erhalten  und  auf  ihre  Kinder  zu  über- 
tragen, vereinten  sich  diese  Jünglinge  und  Männer  in  allen  größeren  Orten  zur 
Pflege  körperlicher  und  geistiger  Ausbildung,  so  wie  sie  dieselbe  im  alten  Vater- 
lande von  Jahn  und  seinen  Aposteln  empfangen  hatten. 

Der  erste  deutsche  Turnverein  auf  amerikanischem  Boden  erstand  am 
21.  November  1848  in  Cincinnati.  Und  zwar  auf  Anregung  des  berühmten 
badischen  Freiheitsstreiters  Friedrich  Hecker.  Eine  bescheidene  Bretter- 
hütte diente  als  erste  Behausung. 

In  demselben  Monat  entstand  auch  die  New  Yorker  Turnge- 
meinde. Ähnliche  Vereine  bildeten  sich  in  rascher  Folge  in  Philadelphia, 
Boston,  Newark,  Baltimore,  Peoria,  Indianapolis,  Louisville,  Chicago,  St.  Louis, 
San  Francisco  und  zahlreichen  anderen  Städten. 

Leicht  war  es  allerdings  nicht,  der  Turnerei  in  den  Vereinigten  Staaten 
einen  Boden  zu  schaffen.  Außer  materiellem  Druck  mußten  blindem  Fremden- 
haß entsprungene  Vorurteile  überwunden  werden.  Ja,  an  mehreren  Orten  war 
man  gezwungen,  direkte  Angriffe  des  damals  in  üppiger  Blüte  stehenden  ameri- 
kanischen Rowdytums  mit  kräftigen  Fäusten  abzuwehren.  Aber  zähe  Ausdauer 
führte  auch  hier  zum  Ziel.  Der  jahrelange  Kampf  wurde  siegreich  zu  Ende 
geführt  und  deutschen  Sitten  und  Gebräuchen  Duldung  und  Anerkennung 
verschafft. 

Der  Gedanke,  zwischen  den  über  das  ganze  Land  verstreuten  Vereinen 
eine  engere  Verbindung  herzustellen  und  eine  Grundlage  zu  gemeinschaftlichem 
Handeln  zu  gewinnen,  führte  im  Oktober  1850  zur  Gründung  des  „Nord- 
amerikanischen Turnerbundes".  Die  in  den  verschiedensten 
Städten  abgehaltenen  Bundes-Turnfeste  desselben  nahmen  einen  alle  Erwartungen 
übertreffenden  günstigen  Verlauf  und  machten  auch  auf  das  amerikanische  Publi- 
kum guten  Eindruck. 

Die  bei  diesen  Festen  an  die  Sieger  verteilten  Auszeichnungen  bestanden 
altgriechischem  Vorbild  gemäß  nur  aus  einfachen  Eichenkränzen  und  Diplomen; 
eine  Sitte,  die  bis  heute  streng  eingehalten  worden  ist. 

Den  von  edler  Begeisterung  und  ungestümer  Freiheitsliebe  durchglühten 
deutschen  Flüchtlingen,  welche  die  Turnvereine  Amerikas  ins  Leben  riefen, 
schwebten  aber  noch  höhere  Ziele  vor.  Der  Turnerbund  sollte  nicht  bloß  der 
körperlichen  Kräftigung  der  Jugend  dienen,  sondern  auch  ein  Bollwerk  poli- 
tischer, religiöser  und  sozialer  Freiheit  werden  und  die  Jugend  für  den  Fort- 
schritt auf  allen  Lebensbahnen  begeistern.  Zu  diesem  Zweck  kultivierte  man 
durch  Gründung  einer  vorzüglich  geleiteten  „  T  u  r  n  z  e  i  t  u  n  g  ",  durch  Er- 
richtung guter  Bibliotheken,  durch  Veranstalten  von  Diskussions-,  Vortrags- 
und Unterhaltungsabenden  das  sogenannte  „geistige  Turnen",  um  den 
Mitgliedern  Gelegenheit  zu  geben,  ihren  Gesichtskreis  zu  erweitern  und  auf 
allen  Gebieten  menschlichen   Wissens  unterrichtet  zu  bleiben.     Bereitwilligst 


—     352     — 

stellten  sich  zahlreiche,  geistig  hochbegabte  Männer  in  den  Dienst  dieser  hohen 
Sache.  Ferner  zog  man  berühmte  Literaten,  Naturforscher,  Künstler  und  Welt- 
reisende heran.  Alfred  Brehm,  Robert  von  Schlagintweit,  Ludwig  Büchner, 
Friedrich  Bodenstedt  und  andere  wurden  auf  diese  Weise  einem  großen  Teil 
der  deutschamerikanischen  Bevölkerung  bekannt.  So  wurden  die  deutsch- 
amerikanischen Turnvereine  zugleich  Bildungsstätten,  von  wo  reichster  Segen 
über  das  ganze  Land  ausströmte. 

Die  Zukunft  des  Turnerbundes  berechtigte  bereits  zu  den  schönsten  Hoff- 
nungen, als  plötzlich,  zu  F.nde  der  fünfziger  Jahre,  alle  Errungenschaften  mit 
einem  Schlage  in  Frage  gestellt  wurden.  Und  zwar  durch  di^  politischen 
Wirren,  die  wie  die  Schwüle  eines  Gewitters  dem  Bürgerkriege  vorausgingen. 

Entschlossen  nahmen  die  Turnvereine  Stellung  zu  den  großen  Fragen 
jener  Zeit  und  fügten  bereits  auf  den  Versammlungen  in  Buffalo  (1855)  und 
Detroit  (1857)  Erklärungen  in  ihre  Grundsätze  ein,  in  denen  sie  sich  gegen  die 
Sklaverei,  hauptsächlich  aber  gegen  ihre  Ausbreitung  in  freien  Territorien  er- 
klärten, da  die  Sklaverei  einer  Republik  unwürdig  sei  und  freien  Prinzipien 
schnurstracks  zuwiderlaufe.  Die  Turner  müßten  Sklaverei,  Nativismus  und  jede 
Art  von  Rechtsentziehung  bekämpfen,  welche  sich  auf  Hautfarbe,  Religion,  Ge- 
burtsort oder  das  Geschlecht  beziehe  und  sich  mit  einer  weitbürgerlichen  An- 
schauung nicht  vereinigen  lasse. 

In  derselben  entschiedenen  Weise  erklärten  die  Turner  sich,  als  die  Süd- 
staaten ihren  Austritt  aus  dem  Staatenbunde  ankündigten,  für  die  unbedingte 
Aufrechterhaltung  der  Union.  Sie  seien  bereit,  sowohl  die  bestehende  Regierung 
wie  die  Unzertrennlichkeit  der  Vereinigten  Staaten  zu  verteidigen  und  Gut  und 
Blut  für  sie  hinzugeben. 

Und  als  die  Entscheidung  näher  rückte,  da  wurden  Reck  und  Barren 
beiseite  geschoben  und  die  Turnhallen  in  Kasernen  und  Waffenhallen  verwan- 
delt, wo  das  Exerzieren  begann. 

In  einem  anderen  Kapitel  ist  erzählt,  mit  welcher  Begeisterung  und 
Selbstverleugnung  die  Turner  Lincolns  Aufruf  zu  den  Waffen  folgten.  Die 
Turnplätze  verödeten;  zahlreiche  Vereine  gingen  ein,  weil  sämtliche  Mitglieder 
als  aktive  Soldaten  unter  den  Fahnen  standen.  Auch  die  Bundesorganisation 
geriet  durch  den  alle  Interessen  in  Anspruch  nehmenden  Krieg  so  in  Verfall, 
daß  sie  später,  im  Jahre  1865,  aufs  neue  ins  Leben  gerufen  werden  mußte. 

Aber  nachdem  die  deutsche  Turnerei  nun  auch  in  Amerika  ihre  Bluttaufe 
erhalten  und  die  Probe  glänzend  bestanden  hatte,  nahm  sie  rasch  wieder  glän- 
zenden Aufschwung  und  hat  sich  seitdem  stetig  weiter  entwickelt.') 


M  Im  Jahre  1908  betrug  die  Zahl  der  dem  „Nordamerikanischen  Turnerbund"  an- 
gehörigen  Vereine  236  mit  nahezu  40000  Mitgliedern.  Der  Gesamtwert  des  Vereins- 
eigentums belief  sich  auf  5 160 131  Dollar  und  das  schuldenfreie  Vermögen  auf  3644037  Dollar. 

Außer  diesen  Bundesvereinen  gibt  es  eine  große  Zahl  unabhängiger  Turnvereine. 


—    353    — 

Zu  diesem  Aufschwung  trug  in  erster  Linie  das  Bemühen  bei,  das  System 
der  icörperlichen  Ausbildung  zu  verbessern.  Man  grijndete  im  Jahre  1860  ein 
Turnlehrer-Seminar,  das  bis  1907  mit  dem.  in  Alilwaukee  bestehenden 
Lehrer-Seminar  verbunden,  dann  aber  nach  Indianapolis  verlegt  wurde.  Es 
stellt  sich  die  Aufgabe,  sorgfältig  geschulte  Fachmänner  heranzuziehen,  die  das 
deutsche  System  in  alle  Schichten  der  amerikanischen  Bevölkerung  tragen  und 
den  Tatendrang  der  Jugend  in  solche  Bahnen  lenken  sollen,  wo  er  Gutes  und 
Nützliches  zu  stiften  vermag. 

Zum  Aufschwung  der  deutschen  Turnerei  trugen  auch  die  glänzenden 
Bundesfeste  bei,  die  seit  der  Reorganisation  des  Bundes  in  fast  allen  Teilen  der 
Vereinigten  Staaten  abgehalten  wurden.  Mit  den  von  tausenden  von  Jünglingen 
und  Männern  ausgeführten  Massenübungen,  den  anziehenden  Darbietungen  der 
Kinder-  und  Damenklassen,  den  erstaunlichen  Leistungen  der  Musterriegen  ge- 
stalteten sich  diese  Feste  zu  mächtigen  Demonstrationen,  die  den  Amerikanern 
das  Geständnis  abnötigten,  daß  die  deutsche  Turnerei  über  der  brutalen  ameri- 
kanischen Klopffechterei  und  dem  einseitigen  Athletentum  doch  himmelhoch 
erhaben  sei. 

Durch  die  bei  allen  diesen  Festen  bewahrte  musterhafte  Ordnung  und 
durch  das  frische,  freie  Benehmen  sämtlicher  Turner  und  Turnerinnen  wurden 
auch  die  früheren  Vorurteile  der  amerikanischen  Bevölkerung  rasch  in  herzliche 
Teilnahme  und  freundliches  Entgegenkommen  verwandelt.  Zahlreiche  junge 
Amerikaner  traten  deutschen  Turngemeinden  bei  oder  gründeten  ähnliche  Ver- 
einigungen, wobei  sie  sich  der  Anleitung  deutscher  Turnlehrer  versicherten. 
Die  Bundesregierung,  welche  den  ungeheuren  Nutzen  der  jeden  Muskel  des 
Körpers  gleichmäßig  ausbildenden  und  darum  jedem  anderen  Sport  überlegenen 
Turnerei  anerkannte,  beeilte  sich,  dieselbe  in  den  Unterrichtsplan  der  Kriegs- 
und Marine-Akademien  zu  West  Point  und  Annapohs  einzuführen,  und  zwar 
mit  Hilfe  deutscher  Fachlehrer,  die  sie  vom  Seminar  des  Nordamerikanischen 
Turnerbundes  berief.') 

Seitdem  folgten  fast  sämtliche  Universitäten  und  Hochschulen  des  Landes 
diesem  Beispiel  und  erhoben  das  Turnen  zu  einem  obligatorischen  Unterrichts- 
zweig, von  dem  nur  Krüppel,  ganz  schwächliche  und  kranke  Personen  be- 
freit sind. 

Alle  diese  Erfolge  berechtigen  zu  der  Hoffnung,  daß  der  Nordameri- 


^)  Das  Turnlehrerseminar  des  Nordaraerikanischen  Turnerbundes  ist  sowohl  das 
älteste  wie  das  einzige  in  den  Vereinigten  Staaten,  das  sich  die  doppelte  Aufgabe  stellt, 
Turnlehrer  für  den  Turnerbund,  dessen  offizielle  Sprache  die  deutsche  ist,  als  auch  Turnlehrer 
für  die  öffentlichen  Schulen,  deren  Hauptsprache  Englisch  ist,  auszubilden.  Im  Jahre  1907 
waren  in  39  amerikanischen  Städten  96  vom  Turnerbund  ausgebildete  Turnlehrer  tätig. 
Turnunterricht  wurde  in  den  öffentlichen  Schulen  von  60  Städten  erteilt,  in  denen  Bundes- 
vereine bestehen. 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  23 


—     354     — 

kanische  Turnerbund  auch  sein  höchstes  Ziel,  die  Einführung  des  obligatorischen 
Turnens  in  den  öffentlichen  Schulunterricht,  erreichen  wird.  Wird  dann  die 
Pflege  und  Erhaltung  der  Turnkunst  von  den  Staaten  übernommen,  so  dürfen 
die  deutschen  Turner  sich  schmeicheln,  ein  Stück  Kulturarbeit  verrichtet  zu 
haben,  deren  Nutzen  für  das  amerikanische  Volk  sich  gar  nicht  ab- 
schätzen  läßt. 


Schlußvignette:  Römischer  Wagenlenker.    Skulpturwerk  von  Friedrich  G.  Roth, 
White  Plains,  New  York. 


Der  Einfluß  des  deutschen   Erziehungswesens  auf  die 
Lehranstalten  der  Vereinigten  Staaten. 


Seit  langer  Zeit 
genießt  Deutschland 
den  Ruhm,  das  Land 
der  großen  Denker, 
Philosophen  und  Wis- 
senschaftler zu  sein. 
Seine  Bildungsanstal- 
ten sind  die  Resultate 
unermüdlicher, über  ein 
ganzes  Jahrtausend 
sich  erstreckenden  Ar- 
beit, hingebender  Stu- 
dien und  der  dabei  ge- 
wonnenen Erkennt- 
nisse. Infolgedessen 
sind  Gründlichkeit  und 
gediegene  Lehrmetho- 
den die  Lichtseiten  des 
deutschen  Erziehungs- 
wesens. 

Die  dem  ganzen 
Volke  innewohnende 
Liebe  zur  Wissenschaft 
zeichnete,  wie  wir  in 
einem  früheren  Ab- 
schnitt dartun  konnten, 
auch  die  während  der 
Kolonialzeit  nach  Amerika  gekommenen  Deutschen  aus,  von  denen  manche, 
wie  z.  B.  der  edle  Pastorius,  die  Prediger  Mühlenberg  und  Schlatter,  die  Lehrer 
Schley,  Dock  und  andere  die  im  alten  Vaterland  genossenen  Unterrichtsmethoden 
auch  in  den  von  ihnen  gegründeten  Schulen  anwendeten.  Mit  welchem  Erfolg, 
ersahen  wir  aus  der  Geschichte  des  Lehrers  Dock,  des  „deutschamerikanischen 
Pestalozzi". 


Benjamin  Franklin. 


23* 


—     356     — 

Niemand  erkannte  den  Wert  dieser  Methoden  mehr  als  Benjamin  Franklin, 
der  große  Philosoph  und  Staatsmann,  in  dessen  Druckerei  die  Deutschen  viele 
ihrer  Schulbücher  herstellen  ließen.  Franklin  war  es  auch,  der,  nachdem  er  im 
Jahre  1766  auf  einer  Reise  durch  Deutschland  die  vortrefflichen  Einrichtungen 
der  Universität  zu  Göttingen  kennen  gelernt  hatte,  den  Anstoß  dazu  gab,  die 
in  Philadelphia  bestehende  Public  Academy  in  eine  nach  dem  Muster  der  Göt- 
tinger Universität  geleitete  Hochschule,  die  heutige  Universität  von 
Pennsylvanien  umzuwandeln.  Das  geschah  noch  vor  Beendigung  des 
Unabhängigkeitskrieges,  im  Jahre  1779.  Daß  seine  frühere  Abneigung  gegen 
die  Deutschen  sich  in  das  direkte  Gegenteil  verwandelt  hatte,  beweist  die  Tat- 
sache, daß  er  dem  von  ihm  entworfenen  Lehrplan  eine  von  dem  Professor 
Wilhelm  Craemer  geleitete  deutsche  Abteilung  einfügte  und  so  der 
deutschen  Sprache  Eingang  unter  den  gebildeten  Amerikanern  verschaffte. 

Franklin  unterstützte  auch  lebhaft  die  Gründung  der  von  den  Deutschen 
Pennsylvaniens  geplanten  „Franklin- Hochschule"  zu  Lancaster.  Er 
steuerte  nicht  bloß  1000  Dollar  zum  Bau  derselben  bei,  sondern  unternahm  noch 
als  81  jähriger  Greis  die  sehr  beschwerliche  Reise  dorthin,  um  der  Grundstein- 
legung beizuwohnen. 

Außer  jener  Hochschule  unterhielten  die  in  Pennsylvanien  lebenden 
Deutschen,  namentlich  die  rasch  zu  Wohlstand  gelangten  Mennoniten  und 
Herrnhuter,  vortrefflich  geleitete  Schulen.  Diejenigen  zu  Bethlehem  und  Naza- 
reth  bezeichnet  Payne  in  seiner  „Universal  Geography  vom  Jahre  1798"  als  die 
besten  ganz  Amerikas. 

In  Bethlehem  bestand  seit  1749  auch  bereits  ein  Lehrerinnen-Seminar. 
Wie  weit  voraus  die  Herrnhuter  damit  den  Puritanern  Neu-Englands  waren, 
beweist  die  Tatsache,  daß,  als  im  Jahre  1793  der  Vorschlag  gemacht  wurde, 
eine  ähnliche  Anstalt  in  Plymouth,  Massachusetts,  zu  gründen,  man  dort  das 
Projekt  bekämpfte,  „weil  in  einer  solchen  Schule  Frauen  gelehrter  als  ihre  zu- 
künftigen Ehemänner  werden  könnten!" 

Ein  freierer  Geist  griff  erst  Platz,  als  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhun- 
derts zahlreiche  geistig  hochstehende  Amerikaner  „Entdeckungsreisen"  nach  dem 
Lande  der  großen  Denker  unternahmen,  um  dort  ihre  Studien  fortzusetzen  oder 
zu  vollenden.  Sie  lernten  dabei  die  Einrichtungen  der  deutschen  Schulen  und 
Universitäten  so  schätzen  und  lieben,  daß  sie  gleich  Franklin  für  die  Umge- 
staltung des  amerikanischen  Erziehungswesens  nach  deutschem  Muster  ein- 
traten. 

Am  nachdrücklichsten  taten  dies  die  Professoren  John  Griscom  von  New 
York,  Alexander  D.  Bache  von  Philadelphia  und  Calwin  E.  Stowe  von  Ohio. 
Diese  hervorragenden  Pädagogen  bereisten  Europa  zu  dem  speziellen  Zweck, 
um  die  dort  angewandten  Erziehungsmethoden  kennen  zu  lernen.  Griscom 
traf  während  der  Jahre  1818  und  1819  mit  Pestalozzi  zusammen  und  hatte 
Gelegenheit,  die  nach  dessen  System  geleitete  Anstalt  in  Hofwyl  bei  Bern  zu 
studieren.     Ihre  Einrichtungen  entzückten  ihn  dermaßen,  daß  er  schrieb:  „Ich 


—     357     — 

kann  nur  meine  Hoffnung  aussprechen,  daß  diese  Art  der  Erziehung,  wo  land- 
wirtschaftliche und  mechanische  Fertigkeiten  mit  literarischem  und  wissenschaft- 
lichem Unterricht  verbunden  sind,  rasch  und  in  ausgedehntem  Maß  in  den  Ver- 
einigten Staaten  angenommen  werde." 

Seine  Beobachtungen  veröffentlichte  Griscom  später  in  dem  zweibändigen 
Werk  „Two  years  in  Europe",  von  welchem  der  berühmte  amerikanische  Päda- 
goge Barnard  sagt,  daß  kein  Buch  einen  so  mächtigen  Einfluß  auf  das  ameri- 
kanische Erziehungswesen  ausgeübt  habe,  als  dieses.  Thomas  Jefferson  benutzte 
die  darin  gegebenen  Winke  beim  Einrichten  der  Universität  von  Virginien. 

Alexander  Bache,  erster  Präsident  des  von  Stephen  Girard  in  Philadelphia 
gestifteten  „Girard  College"  verwertete  seine  während  der  Jahre  1837  und  1838 
in  Preußen  gemachten  Erfahrungen  beim  Entwurf  der  Regeln  der  von  ihm  ge- 
leiteten hochberühmten  Anstalt. 

Calwin  Stowe  besuchte  Deutschland  während  des  Jahres  1836,  und  zwar 
im  Auftrag  der  Regierung  des  Staates  Ohio.  In  dem  Bericht,  welchen  er  nach 
seiner  Rückkehr  erstattete,  sagt  er  über  das  preußische  Schulsystem :  „In  der  Tat, 
ich  halte  dieses  System  in  seinen  großen  Zügen  für  nahezu  so  vollkommen,  als 
menschlicher  Scharfsinn  und  menschliche  Geschicklichkeit  es  zu  machen  imstande 
sind.  Manche  Einrichtungen  und  Einzelheiten  mögen  noch  verbessert  werden. 
Natürlich  sind  auch  Änderungen  nötig,  um  es  den  Verhältnissen  anderer  Länder 
anzupassen." 

Seinem,  die  kleinsten  Details  berücksichtigenden  Bericht  fügte  Stowe  eine 
Übersetzung  der  preußischen  Schulverordnungen  bei,  welche  bei  der  Neu- 
gestaltung der  Schulgesetze  Ohios  als  Grundlage  dienten. 

Es  geschah  dies  zur  selben  Zeit,  wo  auch  in  anderen  Staaten  aus  Deutsch- 
land eingewanderte  Schulmänner,  wie  Franz  Lieber,  Karl  Folien, 
Karl  Beck,  Franz  Joseph  Grund  und  andere  deutsche  Lehrmethoden 
an  amerikanischen  Hochschulen  praktisch  anwendeten.  Sie  wurden  darin 
später  durch  zahlreiche  in  Amerika  geborene  Gelehrte  unterstützt,  die  in  Deutsch- 
land studierten  und  nach  ihrer  Heimkehr  als  Lehrer  in  amerikanische  Schulen 
und  Universitäten  eintraten,  um  die  gesammelten  Erfahrungen  den  amerikanischen 
Studenten  zu  übermitteln. 

Professor  Ira  Remsen,  Präsident  der  berühmten,  ganz  nach  deutschem 
Muster  eingerichteten  John  Hopkins-Universität  zu  Baltimore,  schildert  diesen 
Vorgang  in  folgenden  Worten : 

„Seit  einem  Jahrhundert  besuchen  Amerikaner  deutsche  Universitäten,  von 
wo  sie  jenen  Geist  mitbrachten,  der  für  diese  Hauptsitze  der  Gelehrsamkeit  st 
bezeichnend  ist.  Viele  der  bedeutendsten  Professoren  an  amerikanischen  LJni- 
versitäten  und  Hochschulen  erhielten  ihre  Schulung  in  Deutschland  und  die 
Hörer  solcher  Männer  nehmen  viel  von  dem  Geist,  den  sie  dort  empfingen, 
auf,  um  ihn  weiter  über  alle  Welt  zu  verbreiten.  Gerade  hier  wünschte  ich 
statistische  Angaben  einschalten  zu  können.  Es  würde  nicht  nur  interessant, 
sondern  auch  nützlich  sein,  festzustellen,  wie  viele  Professoren  an  etwa  einem 


—     358     — 

Dutzend  der  leitenden  Universitäten  Amerilcas  in  Deutschland  studierten.  Und 
ferner  zu  wissen,  wie  viele  jener,  die  nicht  dort  studierten,  unter  solchen  Per- 
sonen arbeiten,  die  dieses  Vorzugs  teilhaftig  wurden.  Soweit  ich  die  Lehr- 
körper mehrerer  der  wichtigsten  Universitäten  persönlich  kenne,  weiß  ich,  daß 
die  meisten  ihrer  Mitglieder  entweder  in  die  eine  oder  die  andere  Kategorie 
gehören.  Dabei  brauchen  wir  uns  nicht  auf  die  größeren  Hochschulen  zu  be- 
schränken. Die  gleichen  Zustände  bestehen  auch  an  vielen  kleineren  und  wenig 
bekannten.  Sie  beziehen  ihre  Professoren  größtenteils  von  Universitäten  der 
ersten  Klasse,  und  auf  diese  Weise  wird  deutsche  Gelehrsamkeit  über  das  ganze. 
Land  verbreitet. 

Aber  es  genügt  nicht,  den  Einfluß  Deutschlands  auf  unser  akademisches 
Leben  nur  auf  diese  Weise  festzustellen,  da  der  Prozeß  zu  unbestimmt  wäre. 
Wir  kommen  weiter,  wenn  wir  zeigen,  wie  der  Einfluß  Deutschlands  sich  in 
bezug  auf  die  Organisierung  unsrer  Universitäten  kundgibt.  —  Bis  zum  Jahr 
1876  bildete  das  „College"  (Gymnasium)  die  höchste  Stufe  der  Erziehungs- 
anstalten unsres  Landes.  In  manchen  dieser  Colleges  befanden  sich  einige  vor- 
geschrittene Studenten,  sogenannte  „post  graduates",  für  welche  keine  besonderen 
Vorkehrungen  getroffen  waren.  Sie  standen  außerhalb  des  Systems  und  ihre 
Anwesenheit  hatte  auf  das  Lehrpensum  der  Anstalten  geringe  Wirkung.  Falls 
ein  solcher  Student  höhere  als  die  vom  Lehrplan  vorgesehenen  Arbeiten  zu  ver- 
richten wünschte,  so  riet  man  ihm  stets,  nach  Deutschland  zu  gehen.  Und  viele 
wandten  sich  dorthin. 

Der  erste  ernstliche  Versuch,  der  in  Amerika  angestellt  wurde,  um  solche 
vorgeschrittene  Studenten  zu  fördern,  geschah  seitens  der  „John  Hopkins- 
Universität"  zu  Baltimore  im  Jahre  1876.  Präsident  Gilman,  welcher  diese 
Universität  organisierte,  erklärte  aufs  bestimmteste,  daß  es  der  Wille  ihrer  Be- 
hörden sei,  eine  wirkliche  Universität  zu  besitzen,  die  zur  Weiterbildung  vor- 
geschrittener Studenten  geeignet  wäre.  Die  Tatsache,  daß  so  viele  derselben 
nach  Deutschland  zogen,  hatte  gezeigt,  daß  ein  Verlangen  nach  höherem  Studium 
bestand,  als  wie  es  bisher  auf  den  Colleges  geboten  wurde.  Diese  Tatsache  be- 
stimmte Präsident  Gilman,  seinen  Plan  zu  fassen.  Die  Einzelheiten  wurden 
nicht  von  Anfang  an  genau  ausgearbeitet.  Alan  wählte  einen  Lehrkörper,  mit 
dem  der  Präsident  gemeinschaftlich  das  gesteckte  Problem  lösen  könne.  Drei 
Mitglieder  dieser  Fakultät  waren  Engländer,  die  anderen  Amerikaner,  welche 
in  Deutschland  studiert  hatten.  Auch  von  jenen  Lehrkräften,  die  späterhin  der 
Fakultät  zugefügt  wurden,  hatten  die  meisten  in  Deutschland  studiert.  In 
unseren  Bemühungen,  den  zu  uns  kommenden  vorgeschrittenen  Studenten  weiter 
zu  helfen,  fanden  wir,  daß  wir  manche  der  an  deutschen  Universitäten  be- 
stehenden Einrichtungen  annahmen.  Das  kann  nicht  überraschen,  wenn  man 
sich  vergegenwärtigt,  daß  die  Universitäten  Englands  damals  so  wenig  wie 
heute  für  die  Bedürfnisse  vorgeschrittener  Studenten  besonders  eingerichtet 
waren,  und  daß  die  deutschen  Universitäten  die  einzigen  in  der  Welt  vorhan- 
denen Vorbilder  sind.    Wir  kamen  bald  dahin,  auf  dem  Unterricht  in  metho- 


—    359    -^ 

dischen  Untersuchungen  als  einem  der  wichtigsten  Teile  der  Arbeiten  jedes 
vorgeschrittenen  Studenten  zu  bestehen.  Und  obwohl  wir  unsere  eigenen 
Regeln  für  die  Anleitung  der  Kandidaten  für  Doktoren  der  Philosophie  auf- 
stellten, ähnelten  dieselben  doch  im  allgemeinen  den  Regeln  der  deutschen  Uni- 
versitäten. Über  ein  Vierteljahrhundert  hat  die  „John  Hopkins-Universität" 
die  Ideale  deutscher  Gelehrsamkeit  hochgehalten.  Sie  ist  nicht  irgendeiner  be- 
sonderen Methode  der  deutschen  Universitäten  blindlings  gefolgt,  aber  sie  hat 
die  Wichtigkeit  gründlicher  Forschung  aufs  nachdrücklichste  betont  und  damit 
einen  starken  Einfluß  auf  die  höhere  Erziehung  Amerikas  ausgeübt.  Das  von 
der  „John  Hopkins-Universität"  gegebene  Beispiel  wurde  von  vielen  anderen 
Erziehungsanstalten  dieses  Landes  nachgeahmt  und  die  Methoden,  welche  von 
den  neueren  Universitäten  angenommen  v^urden,  haben  vieles  mit  jenen  der 
„John  Hopkins-Universität"  gemeinsam.  In  allen  tritt  der  Einfluß  Deutschlands 
klar  zutage." 

Dem  Vorgang  der  „John  Hopkins-Universität"  folgten  zunächst  die  im 
Jahre  1890  gegründete  „Universität  zu  Chicago"  und  die  im  Jahre  1891  ge- 
stiftete „Leland  Stanford-Universität"  Ja  San  Francisco.  Ihnen  schlössen  sich 
später  die  älteren  Schwestern  Harvard  in  Cambridge,  Yale  in  New  Haven  und 
Columbia  in  New  York  an.  Diesen  Beispielen  folgten  zahlreiche  andere  Hoch- 
schulen, seitdem  Deutschland  auf  den  Weltausstellungen  zu  Chicago  und  St. 
Louis  sein  Unterrichts-  und  Erziehungswesen  in  umfassender  Weise  veranschau- 
lichte und  dadurch  dem  Studium  aller  amerikanischen  Pädagogen  zugängig 
machte. 

Die  Größe  und  Bedeutung  des  so  vom  deutschen  Erziehungswesen  auf 
die  Lehranstalten  in  Amerika  direkt  und  indirekt  ausgeübten  Einflusses  lassen 
sich  natürlich  weder  statistisch  noch  anderweitig  feststellen.  Aber  sicher  treffen 
die  Worte  zu,  welche  eine  anerkannte  Autorität,  Andrew  D.  White,  der  ehe- 
malige Präsident  der  „Cornell-Universität"  zu  Ithaka,  einst  sprach: 

„Mehr  als  irgendein  anderes  Land  hat  Deutschland  dazu  beigetragen, 
die  amerikanischen  Universitäten  zu  dem  zu  machen,  was  sie  jetzt  sind:  zu 
einem  gewaltigen  Faktor  in  der  Entwicklung  der  amerikanischen  Kultur." 


Eine  ebenso  eigenartige  wie  bedeutungsvolle  Neuerung  im  amerikanischen 
Erziehungswesen  wurde  in  der  jüngsten  Zeit  durch  Kuno  Francke  Pro- 
fessor der  deutschen  Sprache  und  Literatur  an  der  Harvard-Universität  ein- 
geleitet. Er  befürwortete,  daß  zwischen  den  Universitäten  Deutschlands  und 
der  Vereinigten  Staaten  ein  regelmäßiger  Austausch  von  Professoren  vorge- 
nommen werden  möge,  damit  durch  den  so  bewirkten  direkten  Gedanken-  und 
Meinungsaustausch  nicht  nur  eine  innigere  Verschmelzung  deutscher  und  ameri- 
kanischer Wissenschaft  und  eine  geistige  Verbrüderung  zwischen  dem  deutschen 
und  amerikanischen  Volke  herbeigeführt,  sondern  zugleich  der  großen  Masse 


—     360     — 


der  amerikanischen  Studenten  das  gewährt  werde,  was  gegenwärtig  nur  einer 
bevorzugten  Minderzahl,  die  den  Besuch  ausländischer  Universitäten  nicht  zu 
scheuen  brauche,  zu  genießen  möglich  sei:  die  persönliche  Berührung  mit  her- 
vorragenden, scharf  markierten,  wissenschaftlichen  Persönlichkeiten,  wie  sie 
für  das  deutsche  Gelehrtentum  so  bezeichnend  sind.     Der  deutsche  Gelehrte, 

so  betonte  Francke,  setze 
sich  ein  für  seine  Sache, 
er  gehe  auf  in  seiner  Wis- 
senschaft und  sei  erfüllt 
vom  Glauben  an  dieselbe. 
Viele  besäßen  eine  eigen- 
artige    Kampfnatur,     die 

Selbständiges  leisten 
wolle,  sich  durch  nichts 
beirren  lasse  und  nach 
den  höchsten  Idealen 
strebe.  Die  von  solchen 
Personen  ausgehende  An- 
regung müsse  sowohl  auf 
die  Studierenden  wie  auf 
die  Lehrer  der  ameri- 
kanischen Hochschulen 
einen  außerordentlich  be- 
lebenden Einfluß  ausüben. 
Dieser  von  Professor 
Francke  im  Jahre  1902 
erhobene  Vorschlag  fand 
sowohl  diesseits  wie  jen- 
seits des  Ozeans  begei- 
sterte Zustimmung.  Na- 
mentlich seitens  Sr.  Maje- 
stät des  Kaisers  Wilhelm  II. 
und  des  Präsidenten  Theo- 
dore Roosevelt,  welche  die 
Ersprießlichkeit  eines  en- 
geren freundschaftlichen 
Verhältnisses  zwischen  Deutschland  und  den  Vereinigten  Staaten  längst  erkannt 
und,  jeder  nach  seiner  Weise,  seit  geraumer  Zeit  für  ein  solches  gewirkt  hatten.  Es 
kam  infolgedessen  im  November  1904  zwischen  der  Universität  Harvard  und 
dem  preußischen  Kultusministerium  ein  ganz  dem  Sinne  des  Franckeschen 
Vorschlags  entsprechender  Vertrag  zustande,  demgemäß  sich  Professor  Fran- 
cis G.  Peabody  von  der  Harvard-Universität  im  Winter  1905  nach  Berlin 
begab,  um  an  der  dortigen  Universität  eine  Reihe  von  Vorträgen  über  soziale 


Kuno  Francke 


—     361     — 

Ethik  im  allgemeinen  und  über  die  sozialen  Probleme  Amerikas  im  besonderen 
zu  absolvieren.  Um  die  gleiche  Zeit  reiste  der  Leipziger  Professor  Wilhelm 
O  s  t  w  a  1  d  nach  Cambridge,  Mass.,  um  an  der  Harvard-Universität  im  Auf- 
trag der  preußischen  Regierung  über  Naturphilosophie  und  physikalische  Chemie 
Vortrag  zu  halten.  Ihm  folgte  im  Herbst  1906  als  zweiter  deutscher  Austausch- 
professor der  Literaturhistoriker  Eugen  Kühnemann  aus  Breslau  mit  Vor- 
trägen über  das  moderne  deutsche  Drama.  An  Stelle  Peabodys  trat  hingegen 
Professor  Theodore  W.  Richards,  der  im  Frühjahr  1907  an  der  Ber- 
liner Universität  einen  Kursus  über  Chemie  eröffnete.  Diesen  Leuchten  der 
Wissenschaft  schlössen  sich  in  der  Folgezeit  manche  andere  namhafte  Ge- 
lehrte an. 

Ein  ähnliches  Kartell  wurde  bald  darauf  auch  zwischen  der  Columbia- 
Universität  zu  New  York  und  dem  preußischen  Kultusministerium  geschlossen, 
aber  mit  dem  Unterschied,  daß  dank  der  hochherzigen  Stiftung  eines  früheren 
Studenten  der  Columbia-Universität,  des  New  Yorker  Bankiers  James  Speyer, 
in  Berlin  ein  permanentes  „Amerikanisches  I  n  s  t  i  t  u  t",  verbunden  mit 
einer  „R  o  o  s  e  v  e  1 1  -  P  r  o  f  e  s  s  u  r"  geschaffen  wurde.  In  diesem  Institut 
sollen  die  bedeutendsten  Denkmäler  der  amerikanischen  Wissenschaft,  Literatur 
und  Kunst  allmählich  gesamm.elt  und  aufbewahrt  werden. 

Als  erster  Inhaber  der  „Roosevelt-Professur"  begann  im  Oktober  1906 
Professor  JohnW.  Burgess  mit  Vorlesungen  über  die  Verfassungsgeschichte 
der  Vereinigten  Staaten.  Ihm  folgten  später  der  Nationalökonom  Professor 
Arthur  Hadley  von  der  Yale-Universität,  Felix  Adler,  der  Gründer 
der  „Ethical  Culture  Society'*  und  Professor  an  der  New  Yorker  Columbia- 
Universität  und  der  Geschichtsprofessor  Charles  Alphonse  Smith  von 
der  Universität  von  Nordkarolina.  Die  deutsche  Regierung  hingegen  entsandte 
die  Professoren  Hermann  A.  Schumacher  aus  Bonn  (Nationalökonomie 
und  Staatswissenschaften),  Rudolf  Leonhard  aus  Breslau  (Rechtswissen- 
schaften) und  Albrecht  F.  Penck  aus  Berlin  (Geologie).  Ähnliche  Kar- 
telle wurden  auch  seitens  der  Universitäten  zu  Chicago  und  Madison,  Wisc, 
eingeleitet. 

Obwohl  seit  der  tatsächlichen  Verwirklichung  des  hochinteressanten  Ex- 
periments nur  kurze  Zeit  verstrichen  ist,  liegen  für  seine  Ersprießlichkeit  doch 
bereits  die  glänzendsten  Beweise  vor.  Denn  hüben  wie  drüben  drängten  sich 
lernbegierige  Studenten,  Professoren,  Lehrer,  Journalisten,  Staatsmänner  und 
andere  im  öffentlichen  Leben  stehende  Personen  zu  Hunderten  herbei,  um  die, 
neuen  Botschaften  gleichkommenden  Eröffnungen  entgegenzunehmen,  welche 
von  den  beredten  Lippen  jener,  einer  befreundeten  Nation  entstammenden  Send- 
linge,  flössen.  Daß  man  in  der  Auswahl  der  letzteren  auf  beiden  Seiten  glück- 
lich gewesen,  zeigten  die  in  Berlin  wie  in  Cambridge  und  New  York  gehörten 
Worte  schmerzlichen  Bedauerns,  daß  man  so  berufene  Vertreter  echter  Wissen- 
schaft nicht  zu  dem  ständigen  Lehrpersonal  zählen  dürfe. 

„Unser  einziges  Bedauern  ist  nur,  daß  wir  ihn  nicht  beständig  hier  be- 


—     362     — 

halten  können'',  so  berichtete  der  mit  der  Leitimg  der  preußischen  Universitäts- 
angelegenheiten im  Kultusministerium  betraute  Geheimrat  Dr.  Althoff  über 
Professor  Peabody  nach  Harvard.  Und  dort  empfand  man  in  gleicher  Weise, 
daß  die  Besuche  der  Professoren  Ostwald,  Kühnemann  und  anderer  Er- 
eignisse waren,  die  auf  die  gesamte  dortige  Studentenschaft  tiefe,  unauslösch- 
liche Eindrücke  hinterließen. 

Da  sowohl  die  amerikanischen  wie  die  deutschen  Austauschprofessoren 
während  ihres  Verweilen s  in  dem  befreundeten  Lande  auch  Besuchsreisen  nach 
anderen  dort  bestehenden  Universitäten  unternahmen  und  daselbst  Vorträge 
hielten,  so  blieb  ihr  befruchtender  Einfluß  nicht  auf  einen  engeren  Kreis  be- 
schränkt, sondern  erstreckte  sich  über  große  Teile  der  beteiligten  Nationen. 

Welche  Anregungen  diesem  fortgesetzten  Austausch  von  Gelehrten  ferner- 
hin entsprießen  mögen,  das  läßt  sich  zurzeit  noch  nicht  absehen.  Aber  schon 
jetzt  darf  man  die  im  schönsten  Sinne  kosmopolitische  Idee  als  einen  vollen 
Erfolg  bezeichnen,  der  sowohl  für  Amerika  wie  für  Deutschland  von  hoher  Be- 
deutung zu  werden  verspricht.  „In  dem  Austauschgedanken,"  so  äußerte  sich 
Professor  Kühnemann  über  das  Experiment,  „drückt  sich  in  einer  edlen  Weise 
das  Gefühl  der  Verwandtschaft  zwischen  dem  deutschen  und  dem  amerikanischen 
Volke  aus,  etwas  wie  eine  Zusammengehörigkeit,  die  zu  dem  Bedürfnis  führt, 
sich  wahrhaft  kennen  zu  lernen  und  dadurch  wahrhaft  näherzutreten,  dadurch, 
daß  man  die  Lehrer  der  fremden  Jugend  das  Wesen  des  eignen  Volkes  erklären 
hört.  Ja,  noch  mehr,  man  möchte  beteiligt  sein  am  Leben  des  anderen  großen 
Volkes,  indem  man  mitarbeitet  an  der  Seele  seiner  Jugend.  Jeder  dieser  ins 
Ausland  gehenden  Professoren  —  das  ist  gewiß  —  kommt  zurück  als  ein  Mittel- 
punkt freundschaftlicher  Gefühle  für  die  Fremden.  Ward  je  in  gleich  starker 
Weise  der  Professor  aus  der  Enge  seiner  Gelehrten stube  hinausgeführt?  Ward 
er  je  stärker  daran  erinnert,  daß  auch  er  ein  Glied  ist  im  Dienst  der  öffentlichen 
geschichtlichen  Aufgaben  seines  Volks?  Eine  neue  Klasse  dieser  internationalen 
Professoren  wird  sich  bilden,  die  sich  untereinander  verbunden  fühlen  als  Mit- 
arbeiter an  einem  gemeinsamen  Werk.  Der  Austausch  von  Gelehrten  ist  ein 
wahrhaft  kosmopolitischer  Gedanke  —  nur  daß  dieser  Kosmopohtismus  die 
nationale  Eigenart  nicht  auslöscht,  sondern  geradezu  voraussetzt  und  steigert." 

Und  Professor  Peabody  fügte  dem  hinzu:  „Der  Besuch  eines  Professors 
ist  eine  vorübergehende  Episode  eines  Semesters.  Was  von  viel  größerer  Wich- 
tigkeit ist,  als  die  unmittelbare  Wirkung  eines  einzelnen  Vorlesungskursus,  das 
ist  die  kumulative  Wirkung  dieser  neuen  Gelegenheit  auf  den  Ehrgeiz  und  die 
Wünsche  der  jungen  Leute.  Viel  wirksamer,  als  ein  Austausch  von  Professoren 
an  sich,  wäre  die  Möglichkeit,  durch  den  Austausch  von  Professoren  die 
Mehrung  des  Austausches  von  Studenten  zu  fördern  und  den  weiterblickenden, 
unternehmungslustigeren  Studenten  beider  Länder  die  Erweiterung  ihrer  Lern- 
gelegenheiten nahezulegen.  Der  Strom  der  studentischen  Wandrung  von  den 
Vereinigten  Staaten  nach  Deutschland  ist  bereits  bedeutend,  aber  er  bedarf  so- 
wohl der  weiteren  Ausdehnung  wie  der  Direktion,  welche  ein  frisch  vom  Mittel- 


—    363     — 

punkt  deutscher  Wissenschaft  gekommener  Ratgeber  geben  könnte.  Auf  der 
anderen  Seite  könnte  eine  Gegenwandrung  deutscher  Studenten  nach  den  Ver- 
einigten Staaten  und  in  soziale  Verhältnisse,  in  denen  Initiative  und  Fortschritt 
einen  von  Deutschland  so  scharf  verschiedenen  Lauf  nehmen,  lehrreich  genug 
sein,  um  eine  so  kühne  intellektuelle  Entdeckungsreise  zu  rechtfertigen.  Für  die 
Veremigten  Staaten  wenigstens  liegt  hierin  die  größte  Bedeutung  des  akademi- 
schen Austausches.  Der  zunehmende  Gedankenaustausch  und  Verkehr  der 
jungen  Gemüter  in  beiden  Ländern  würde  eine  Garantie  für  die  Zukunft  und  die 
Bürgschaft  internationaler  Duldsamkeit,  Freundschaft  und  Friedensliebe  be- 
deuten. In  Deutschland  erwarten  den  amerikanischen  Studenten  viele  Lehre*.!, 
die  er  getrost  nach  Hause  tragen  kann,  ohne  einen  Prohibitivtarif  auf  den  wert- 
vollsten deutschen  Export  fürchten  zu  müssen.  Aber  bei  diesem  Aneignen  deut- 
schen Wissens  kann  der  Amerikaner  zwei  tiefere  Lehren  erhalten,  welche  sein 
Land  noch  sehr  notwendig  hat.  Die  erste  dieser  Lehren  betrifft  die  Natur  der 
Universität  als  einer  Schöpfung,  nicht  des  Geldes  oder  lediglich  aus  Gebäuden 
bestehend,  oder  aus  ihrer  Einrichtung,  sondern  groß  durch  die  Gelehrsamkeit, 
die  sie  fördert,  durch  die  Liebe  zur  Wissenschaft,  welche  sie  erzieht,  als  eine 
Heimat  des  Idealismus,  die  sie  darbietet.  Die  zweite  Lehre,  die  sie  erteilt,  be- 
steht in  der  Gelehrtennatur,  in  der  Freude  an  dem  selbständigen,  fleißigen  und 
zufriedenen  Suchen  nach  Wahrheit,  in  dem  Freisein  von  Selbstsucht  und  Ehr- 
geiz, in  welchen  Eigenschaften  sich  noch  immer  der  schönste  Typus  deutschen 
Gelehrtentums  kennzeichnet." 

Der  an  den  Universitäten  bemerkbare  Einfluß  deutscher  Methoden  strahlt 
natürlich  auch  auf  die  anderen  Lehranstalten  und  Volksschulen  über,  die  be- 
kanntlich einen  großen  Teil  ihrer  Lehrkräfte  von  den  Universitäten  beziehen. 

Die  ausgezeichneten  Ergebnisse  des  gegenseitigen  Professorenaustauschs 
veranlaßten  im  Jahre  190S  den  Verwaltungsrat  der  Carnegie-Stiftung  zur  Förde- 
rung des  Unterrichtswesens  mit  dem  preußischen  Kultusministerium  Verhand- 
lungen betreffs  eines  preußisch-amerikanischen  Lehreraustauschs  einzuleiten. 
Diese  Verhandlungen  kamen  zum  Abschluß,  und  es  ward  vereinbart,  daß 
Preußen  einen  Oberlehrer  und  sechs  Kandidaten  entsenden  solle,  die  in  New 
York,  Boston,  New  Haven,  Worcester,  Chicago  und  Exeter  amtieren  sollen. 
Die  Vereinigten  Staaten  sollen  zwölf  Lehrer  nach  Preußen  schicken,  die  haupt- 
sächlich in  den  Universitätsstädten  untergebracht  werden.  Zweifellos  dürfte 
auch  dieser  Austausch  von  großem  erzieherischen  Wert  sein. 

Der  Einfluß  deutscher  Methoden  erstreckt  sich  selbstverständlich  auch 
auf  die  Kindergärten,  jene  von  dem  großen  Menschenfreund  Friedrich  Fröbel 
angebahnte  Neuerung,  die  man  mit  Recht  zu  den  bedeutendsten  Errungen- 
schaften der  modernen  Pädagogik  zählt. 

Es  war  Fröbel  klar  geworden,  daß  zwischen  der  Kinderstube,  in  welcher 
das  Kind  zwanglos  schalten  und  walten  darf,  und  dem  unerbittliche  Anforde- 
rungen stellenden  Schulzimmer  ein  Übergang  fehle,  der  dem  Kind  die  Ange- 
wöhnung an  die  Pflichten  und  Gesetze  der  Schule  erleichtere.    Gerade  die  besten 


—    364     — 

und  talentvollsten  Kinder,  die  eine  Fülle  von  Lebenslust  bekunden,  empfinden 
den  schroffen  Wechsel  von  dem  einem  zum  andern  am  schwersten.  Die  Kluft 
zu  überbrücken,  schuf  Fröbel  den  Kindergarten,  dessen  Lieder,  Spiele  und 
unterhaltende  Beschäftigungen  das  Kind  unbewußt  in  das  ernste  Leben  hin- 
überleiten. 

Der  erste  Kindergarten  in  den  Vereinigten  Staaten  wurde  bereits  im  Jahre 
1858  von  der  Hannoveranerin  Karoline  Louise  Frankenberg,  einer 
Schülerin  Fröbels,  in  Columbus,  Ohio,  gegründet.  Fröbel  selbst  hatte  schon 
im  Jahre  1836  in  seiner  Broschüre  „Wiedererweckung  zum  Leben"  auf  die  Ver- 
einigten Staaten  als  dasjenige  Land  hingewiesen,  welches  vermöge  seines  frei- 
heitlichen Geistes  und  reinen  Familienlebens  am  besten  dazu  geeignet  sei,  um 
seine  Gedanken  einer  idealen  Kindererziehung  zu  verwirklichen  und  aus  der- 
selben moralischen  Nutzen  zu  ziehen.  Wahrscheinlich  durch  diese  Worte  ihres 
Meisters  angeregt,  traf  Fräulein  Frankenberg  1838  in  den  Vereinigten  Staaten 
ein,  um  die  amerikanische  Jugend  nach  den  Theorien  Fröbels  zu  erziehen.  Ihre 
gute  Absicht  fand  jedoch  kein  Entgegenkommen  und  sie  kehrte  deshalb  schon 
1840  wieder  nach  Keilhau,  dem  Wohnsitz  Fröbels,  zurück,  unterrichtete  dort 
zunächst  zwei  Jahre  unter  der  persönlichen  Leitung  Fröbels,  um  dann  ihren 
Wirkungskreis  nach  Dresden  zu  verlegen,  wo  sie  elf  Jahre  tätig  war.  Dann 
wandte  sie  sich  wieder  den  Vereinigten  Staaten  zu  und  gründete  einen  Kinder- 
garten in  Columbus,  Ohio.  Auch  sie  nmßte  alle  jene  Widerwärtigkeiten  und 
Enttäuschungen  durchmachen,  die  sich  stets  mit  einem,  bahnbrechenden  Pionier- 
leben verknüpfen.  Nur  mit  großer  Mühe  gelang  es  ihr,  einige  Schüler  zu  er- 
halten, denn  die  Eltern  betrachteten  das  Anfertigen  von  Vögeln,  Booten,  Hüten 
und  dergleichen  aus  Papier,  das  Formen  in  Sand  und  Lehm,  das  Marschieren 
und  Singen  lediglich  als  Spielerei,  als  die  beste  Art  und  Weise,  den  Kindern  die 
Zeit  zu  vertreiben  und  sie  vor  Unheil  und  Torheiten  zu  behüten.  Daß  in  diesem 
kindlichen  Spiel  ein  hoher  erzieherischer  Sinn  lag,  war  den  wenigsten  klar.  In 
ihrem  sechzigsten  Jahre  ward  Fräulein  Frankenberg  infolge  eines  Unfalls  ge- 
zwungen, ihre  Schule  aufzugeben  und  nach  dem  Lutherischen  Waisenhaus  in 
Germantown,  Pennsylvanien,  überzusiedeln.  In  dieser  Anstalt  führte  sie  das 
Kindergartenwesen  mit  großem  Erfolge  ein.  Fräulein  Elisabeth  Peabody, 
welche  als  die  eigentliche  Gründerin  des  amerikanischen  Kindergartenwesens 
gilt,  besuchte  dort  Fräulein  Frankenberg  öfter,  um  sich  Winke  für  ihren  Kinder- 
garten zu  holen,  den  sie  in  Boston  gegründet  hatte. 

Fräulein  Frankenberg  starb    in  Germantown  im  Jahre  1882. 


Wir  können  diesen  Abschnitt  nicht  schließen,  ohne  der  Bestrebungen  zu 
gedenken,  die  gemacht  wurden,  um  auch  den  Unterricht  in  deutscher  Sprache, 
Literatur  und  Kulturgeschichte  in  die  Lehrpläne  der  amerikanischen  Bildungs- 
anstalten einzufügen. 


—     365     — 

Die  in  die  Vereinigten  Staaten  eingewanderten  Deutschen  unterhalten  seit 
langer  Zeit  deutsche  Schulen,  einesteils  in  dem  Wunsch,  ihren  Kindern  und 
Nachkommen  die  erhabenen  Geistesschätze  des  deutschen  Volkes  zugängig  zu 
machen,  dann  auch  aus  praktischen  Gründen,  die  der  Verfasser  dieses  Buches 
in  einer  im  August  1903  von  den  „Vereinigten  deutschen  Gesellschaften  der 
Stadt  New  York"  ausgesendeten  Flugschrift  in  folgender  Weise  zusammenfaßte: 
„Unsere  öffentlichen  Schulen  sind  diejenigen  Anstalten,  wo  unsere  Kinder  für 
ihren  späteren  Kampf  ums  Dasein  ausgerüstet  werden  sollen.  Es  muß  demnach 
allen  Eltern,  welchen  die  Wohlfahrt  und  Zukunft  ihrer  Kinder  nicht  gleichgültig 
ist,  daran  gelegen  sein,  daß  dieselben  seitens  der  Schulen  in  erster  Linie  mit 
solchen  Kenntnissen  ausgestattet  werden,  welche  die  besten  und  sichersten  Garan- 
tien für  ihr  späteres  Fortkommen  darbieten.  Angesichts  der  Tatsache,  daß  die 
Handelsbeziehungen  sämtlicher  Länder  Amerikas  mit  Deutschland  in  beständiger 
Zunahme  begriffen  sind,  angesichts  der  Tatsache,  daß  in  den  Vereinigten  Staaten 
allein  mehrere  Millionen  Personen  sich  des  Deutschen  als  Umgangs-  und  viel- 
fach auch  als  Geschäftssprache  bedienen,  angesichts  der  von  vielen  amerika- 
nischen Gelehrten  zugestandenen  Tatsache,  daß  die  Kenntnis  des  Deutschen 
beim  Verfolgen  wissenschaftlicher  Studien  heutzutage  geradezu  unentbehrlich 
geworden  sei,  weil  unzählige  der  wichtigsten  neueren  Werke  aller  Wissenschafteii 
gerade  in  dieser  Sprache  geschrieben  sind,  angesichts  der  Tatsache  endlich,  daß 
von  allen  europäischen  Sprachen  Deutsch,  die  Mutter  des  Englischen,  nach  dem 
Englischen  die  verbreitetste  ist  und  gegenwärtig  von  etwa  80  Millionen  über 
den  ganzen  Erdball  zerstreuten  Personen  geschrieben  und  gesprochen  wird, 
geben  wir  unsrer  Überzeugung  Ausdruck,  daß  eine  gründliche  Kenntnis  der 
deutschen  Sprache  für  unsere  Kinder  von  größter  Wichtigkeit  ist,  weil  diese 
Kenntnis  ihre  Befähigung  zur  späteren  Teilnahme  am  wissenschaftlichen  Leben 
erhöht  und  ihre  Aussichten  auf  eine  gesicherte  Lebensstellung  wesentlich 
verbessert." 

Die  betreffende  Flugschrift  erschien  als  ein  Protest  gegen  von  gewissen 
Seiten  gemachte  Versuche,  den  deutschen  Sprachunterricht  durch  Vorschieben 
anderer,  weit  weniger  wichtiger  Fächer  aus  den  Schulen  der  Stadt  New  York 
zu  verdrängen. 

Daß  das  aufgeklärte  Amerikanertum  an  solchen,  leider  nur  zu  häufig 
wiederkehrenden  Versuchen  keinen  Anteil  hat,  beweisen')  nicht  bloß  zahlreiche 


^)  Professor  Will  H.  Carpenter  von  der  Columbia  Universität  zu  New  York  äußerte 
sich  über  die  kommerzielle  Wichtigkeit  der  Kenntnis  der  deutschen  Sprache  folgendermaßen: 
„There  are  almost  innumerable  instances  in  America  when  the  value  of  the  possession  of 
the  German  language  may  be  expressed  in  the  most  material  way,  in  terms  of  actual 
dollars  and  cents.  In  all  our  larger  eitles  there  are  opportunities  in  plenty  in  the  legal 
and  medical  profession  that  are  not  readily  accorded  a  lawyer  or  physician  who  speaks 
English  only. 

In  teaching,  since  German  has  and  is  to  have  an  important  place  in  the  school 
curriculum,  there  are  opportunities  that  can  only  be  grasped  by  one  who  knows  well  both 
German  and  English.    In  many  branches  of  trade,  a  knowledge  of  the  two  languages  is 


—     366     — 

Äußerungen  hervorragender  amerikanischer  Professoren,  die  sich  für  den  Unter- 
richt in  deutscher  Sprache  erklärten,  sondern  auch  die  Tatsache,  daß  der  deutsche 
Sprachunterricht  trotz  solcher  Anfeindungen  sich  von  Jahr  zu  Jahr  mehr  auf 
den  höheren  amerikanischen  Lehranstalten  einbürgert.  Um  die  Jahrhundert- 
wende wurde  festgestellt,  daß  an  den  Universitäten  30  000,  an  den  Hochschulen 
und  Colleges  100  000,  an  den  öffentlichen  Volksschulen  300  000,  an  den  katho- 
lischen Pfarrschulen  125  000  und  an  Privatschulen  30  000  Zöglinge  am  deutschen 
Unterricht  teilnahmen.  Da  von  vielen  Schulen  keine  Angaben  eingelaufen 
waren,  so  läßt  sich  annehmen,  daß  im  Jahre  1900  von  etwa  15  Millionen 
Schülern  mindestens  eine  Million  Deutsch  erlernte. 

Fast  jede  auf  Bedeutung  Anspruch  erhebende  Universität  und  Hochschule 
besitzt  jetzt  eine  besondere  Abteilung,  wo  deutsche  Sprache  gelehrt  und  ger- 
manistische Studien  betrieben  werden.  An  der  Harvard-Universität,  deren 
deutsche  Abteilung  heute  bereits  zwölf  Professoren  benötigt  und  etwa  1500  Teil- 
nehmer an  vierzig  germanischen  Studien  gewidmeten  Kursen  zählt,  kam  es  sogar 
dank  der  Anregung  des  Professors  Kuno  Francke  zur  Gründung  eines  „Ger- 
manischen Museums",  welches  die  Kulturentwicklung  der  germanischen  Rasse 
in  Deutschland,  Skandinavien,  Dänemark,  den  Niederlanden,  Deutsch-Öster- 
reich, den  deutschen  Kantonen  der  Schweiz  und  dem  angelsächsischen  England 
an  charakteristischen  Denkmälern  der  Kunst  und  des  Gewerbes  veranschaulichen 
soll.  Das  Ziel,  welches  Francke  sich  dabei  steckte,  ist,  dieses  Museum  zu  einem 
Hochstift  deutscher  Kultur  zu  gestalten,  wo  berufene  Gelehrte  Vorträge  über 
deutsche  Geschichte,  Literatur  und  Kunst  halten  und  die  studierende  Jugend 
Amerikas  mit  den  Schätzen  der  deutschen  Kultur  bekannt  machen  sollen.  Dieses 
mit  dem  Anbruch  unseres  Jahrhunderts  eröffnete  Museum  hat  sich  in  hohem 
Grade  der  Förderung  seitens  Seiner  Majestät  des  deutschen  Kaisers  und  mancher 
deutschen  Städte  zu  erfreuen  gehabt.  Alle  Anzeichen  deuten  darauf  hin,  daß  es 
im  Lauf  der  Zeit  zu  einem  mächtigen  Denkmal  deutschen  Geistes  auf  amerika- 
nischem Boden  anwachsen  wird. 

Zu  Ende  des  Jahres  1904  entstand  auch  in  New  York  eine  „G  e  r  m  a  n  i  - 


necessary  to  a  conduct  of  the  business.  This  is  not  alone  true  of  the  great  importing 
houses  which  in  special  cases  deal  only  with  Germany,  but  it  is  true,  also,  along  vastly 
extended  lines  of  export  and  Import,  in  all  parts  of  the  country  where  the  industrial  and 
commercial  importance  of  modern  Germany  inevitably  creates  German  connections  and 
German  correspondence  which,  again,  can  only  be  properly  attended  to  by  one  who 
knows  both  the  English  and  German  languages.  This  is  true,  furthermore,  of  Insurance 
companies,  of  banks,  and  of  many  other  branches  of  business  in  which  bi-lingual  corre- 
spondence-clerks  and  stenographers  are  needed  as  a  necessary  part  of  equipment.  These 
conditions,  too,  are  increasing,  rather  than  diminishing  in  numbers  and  in  value,  and  will 
continue  to  increase  with  the  dominance  of  the  English  and  German  speaking  nations." 

Und  Präsident  Gilman  von  der  John  Hopkins-Universität  zu  Baltimore  sagte: 
„Wie  im  Mittelalter  das  Lateinische,  so  ist  heute  das  Deutsche  die  Sprache  der  Gelehrsam- 
keit und  Bildung,  und  kein  Student  kann  auf  letztere  Bezeichnung  Anspruch  machen,  wenn 
er  das  Deutsche  nicht  vollkommen  beherrscht." 


—     367     — 

stischeGesellschaftvon  Amerik  a".  Sie  stellt  sich  die  Aufgabe,  das 
Studium  und  die  Kenntnis  deutscher  Bildung  in  Ameriica  und  amerikanischer 
Bildung  in  Deutschland  zu  fördern,  und  zwar  durch  Unterstützung  des  Uni- 
versitätsunterrichts auf  diesem  Gebiete,  durch  Veranstaltung  öffentlicher  Vor- 
träge, durch  Herausgabe  und  Verbreitung  geeigneter  Schriften  sowie  durch 
andere  Mittel,  die  dem  Gründungszweck  entsprechen.  Ein  Zyklus  von  Vor- 
trägen über  deutsche  Kulturgeschichte  an  der  Columbia-Universität  während 
des  Jahres  1905/06,  sowie  die  Einladung  des  Dichters  Ludwig  Fulda  und 
des  Assyriologen  Professor  Friedrich  Delitzsch  zu  einer  Reihe  von 
Vorträgen  in  verschiedenen  amerikanischen  Städten  bildeten  die  ersten  Taten 
dieser  Gesellschaft.  Im  Jahre  1907  folgten  Vorträge  der  Professoren  Hein- 
rich Krämer  von  der  Kunstakademie  zu  Düsseldorf,  des  Professors  Otto 
H  ö  1  z  s  c  h  von  der  Akademie  in  Posen  und  von  Professor  W.  Sombart 
aus  Berlin.     Diesem  schlössen  sich  in  der  Folge  andere  namhafte  Gelehrte  an. 

Ähnliche  Ziele  verfolgt  das  in  Verbindung  mit  der  „Northwestern  Uni- 
versität" zu  Chicago  gegründete  „Germanische  Institut".  Es  will 
gleichfalls  in  Amerika  ein  weiteres  und  tieferes  Interesse  für  die  Ergebnisse 
deutscher  Gelehrsamkeit  und  Kultur  schaffen  und  die  zwischen  den  Vereinigten 
Staaten  und  Deutschland  bestehenden  Bande  enger  knüpfen.  Es  will  ferner 
zeigen,  inwiefern  das  deutsche  Element  das  Leben  und  Streben  des  amerika- 
nischen Volkes  beeinflußte  und  eine  wie  große  Rolle  Deutschland  und  die 
Deutschen  in  der  Geschichte  der  Entwicklung  Amerikas  spielten.  Ähnliche 
Ziele  erstrebt  die  im  Oktober  1906  in  Boston  gegründete  „Deutsche 
Gesellschaft". 

Alle  diese  Gründungen  sind  nicht  bloß  bedeutsame  Symptome  für  das 
mächtig  wachsende  Interesse  an  deutscher  Kultur,  Kunst,  Literatur  und  Wissen- 
schaft, sondern  auch  Betätigungen  des  immer  weitere  Kreise  erfassenden  Glau- 
bens, daß  zwischen  der  Bevölkerung  der  Vereinigten  Staaten  und  derjenigen 
Deutschlands  nicht  bloß  eine  Stammesverwandtschaft,  sondern  auch  eine  Wahl- 
verwandtschaft besteht  und  daß  die  Zukunft  der  Weltkultur  vorwiegend  von 
der  geistigen  Bundesgenossenschaft  beider  Völker  abhängig  sei. 


Daß  die  Deutschamerikaner  in  vielen  Städten  eigne,  ganz  nach  deutschem 
Muster  eingerichtete  Schulen  gründeten,  wurde  bereits  erwähnt.  Viele  standen 
und  stehen  noch  unter  der  Leitung  tüchtiger,  meist  in  Deutschland  ausgebildeter 
Pädagogen,  wie  Rudolf  Dulon,  Adolf  Douai,  Hermann  Dor- 
ner, Emil  Dapprich,  Otto  Schönrich,  Hermann  Schurich  t, 
Heinrich  Scheib,  Georg  Adler,  Julius  Sachs,  Maximilian 
Großmann,  G.  A.  Zimmermann,  Rudolf  Solger,  H.  H.  Fick 
und  andere. 


—     368     — 

Eine  dieser  Erziehungsanstalten,   die  von   Peter  E  n  g  e  1  m  a  n  n  ge- 
gründete „  D  e  ti  t  s  c  h  -  F.  n  g  1  i  s  c  h  e  Akademie''  zu  Milwaukee,  erhielt 
eine  höhere  Mission  durch  ihre  Verbindung  mit  dem  „Deutsch-Ameri- 
kanischen Lehrerseminar",  dessen  Stiftung  von  dem  im  Jahre  1870 
entstandenen     „Deutsch-Amerikanischen     Lehrerbund"     be- 
schlossen wurde.     Und  zwar  aus  folgenden  Gründen: 
l.Die  deutschamerikanische  Jugend  braucht  deutschamerikanische   Erzieher. 
2.  Die  zweisprachige  Schule,  die  Schule  der  Zukunft,  fordert  für  die  Vereinigten 
Staaten  Lehrer,  die  im  Deutschen  und  Englischen  gleich  vollkommen  aus- 
gebildet sind. 


Das  deutschamerikanische  Lehrerseminar  in  Milwaukee,  Wisconsin. 

3.  Die  deutsche  Pädagogik,  die  Pädagogik  der  Humanität,  bedarf  solcher  Ver- 
treter, denen  diese  Wissenschaft,  diese  Kunst  zu  Fleisch  und  Blut  geworden 
ist.  Solche  Lehrer  und  Erzieher  muß  das  Seminar  des  Lehrerbundes  bilden, 
wenn  es  seine  Aufgabe  richtig  erfaßt  hat. 

Bei  der  Gründung  des  Seminars  traf  man  folgende  Bestimmungen :  „Daß 
der  deutschamerikanische  Lehrerbund  den  Lehrplan  für  das  Seminar  und  die 
Seminarschule  festsetzen,  und  daß  nur  mit  seiner  Einwilligung  derselbe  ab- 
geändert werden  darf,  sowie  daß  im  Seminar  nur  Wissenschaft  von  ihrem  je- 
weiligen Standpunkte  aus  zu  lehren  ist,  nicht  aber  Glaubenssätze,  und  daß 
Geistliche  darin  nie  Lehrer  sein  können." 


—    369     — 

Die  Eröffnung  dieses  durch  freiwillige  Beiträge  des  Deutschamerikaner- 
tums  unterhaltenen  Seminars  erfolgte  im  Jahre  1878.  Der  Unterricht  ist  kosten- 
frei. Der  Lehrplan  sichert  den  Seminaristen  eine  gründliche  Ausbildung  auf 
allen  Gebieten.  In  politischen  und  religiösen  Fragen  herrscht  die  weitestgehende 
Toleranz.  Ein  einziger  Gedanke  leitet  die  Anstalt:  aus  ihren  ZögUngen  echte 
Schulmänner  zu  machen. 

In  der  mit  dem  Seminar  verbundenen  „Deutsch-englischen  Akademie" 
bietet  sich  den  vorgeschrittenen  Seminaristen  Gelegenheit,  sich  für  ihren  Beruf 
praktisch  auszubilden.  Außerdem  besteht  ein  Abkommen  mit  den  Schulbehörden 
der  Stadt  Milwaukee,  demzufolge  die  Seminaristen  auch  in  den  öffentlichen 
Schulen,  wo  deutscher  Unterricht  erteilt  wird,  sich  täglich  eine  Stunde  lang  im 
Ausüben  ihres  künftigen  Berufs  betätigen  können. 

So  ist  das  deutschamerikanische  Lehrerseminar  eine  Musteranstalt,  die 
nicht  nur  dem  Deutschamerikanertum  zur  Ehre  gereicht,  sondern  durch  die 
stete  Aussendung  vorzüglich  ausgebildeter  Lehrkräfte  in  hohem  Grade  be- 
fruchtend auf  das  Bildungs-  und  Erziehungswesen  der  Vereinigten  Staaten 
wirkt. 


Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  24 


Copyright  by  A.  Thomas,  N.  Y. 


Die  deutschamerikanischen  Landwirte  und  Forstleute 

der  Neuzeit. 

Die  überaus  günstigen  Urteile,  welclie  von  berufenen  Männern  zu  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  über  die  in  Amerika  ansässig  gewordenen  deutschen 
Bauern  abgegeben  werden  konnten,  brauchten  im  19.  Jahrhundert  nicht  ge- 
ändert zu  werden.  Der  Fleiß,  die  Stetigkeit  und  Genügsamkeit,  welche  den  deut- 
schen Landwirt  damals  auszeichneten,  sind  geblieben.  Zu  diesen  guten  Eigen- 
schaften gesellten  sich  neue,  die  durch  die  fabelhafte,  auch  das  Landleben  mäch- 
tig beeinflussende  Fortenwicklung  der  amerikanischen  Kultur  erzeugt  wurden. 

Die  jeden  schiffbaren  Strom  befahrenden  Dampfer,  die  mit  überraschender 
Schnelligkeit  bis.  in  die  entlegensten  Winkel  des  ungeheuren  Landes  vordrin- 
genden Eisenbahnen,  die  in  den  kleinsten  Ortschaften  entstehenden  Zeitungen 
brachten  den  Bauer  in  häufigere,  engere  Berührung  mit  der  Außenwelt,  förderten 
seinen  Weitblick,  seine  Tatkraft,  machten  ihn  vielseitiger  und  gebildeter.  Die 
zahllosen  Wunderleistungen  der  landwirtschaftlichen  Ingenieurkunst,  die  kom- 
binierten Mäh-,  Binde-  und  Dreschmaschinen  erleichterten  sein  Dasein  und  er- 
möglichten es  ihm,  einen  Teil  seiner  Zeit  auch  auf  seine  geistige  Fortbildung 
zu  verwenden. 

Noch  heute  ist  die  „Farm"  des  deutschamerikanischen  Landwirts  höchster 
Stelz.  Ihrer  Verbesserung  gilt  sein  Mühen  und  Plagen.  Da,  seitdem  die 
Bundesregierung  die  Indianer  auf  bestimmte  Reservationen  beschränkte,  keine 
Gefahren  mehr  sein  Haus  umdrohen,  so  konnte  er  dasselbe  geräumiger  und 
wohnlicher  gestalten.  Aus  Holz  erbaut  und  mit  hellen  Farben  bemalt,  leuchtet 
es  aus   den   wogenden   Saaten   und   blumendurchwirkten   Weizenfeldern   her- 


Kopf leiste:  Die  Landwirtschaft.    Gemälde  von  Arthur  Thomas  in  New  York. 


24* 


—     373     — 

vor.  In  der  Nähe  liegen  die  weiten  Scheunen  und  die  Ställe  für  die  Pferde,  das 
Vieh,  die  Schweine  und  das  Geflügel.  Alle  Gebäude  sind  einfach,  aber  stets 
groß,  sauber  und  in  bestem  Zustand.  Der  Bodenbesitz  hat  sich  im  Vergleich 
mit  demjenigen  der  Farmer  des  18.  Jahrhunderts  beträchtlich  vergrößert,  was 
hauptsächlich  dem  Umstand  zuzuschreiben  ist,  daß  auf  den  weiten  Prärien  der 
Boden  fast  mühelos  nutzbar  gemacht  werden  kann,  während  die  Pioniere  des 
18.  Jahrhunderts  beständig  einen  schweren  Kampf  gegen  die  schier  übermäch- 
tigen Urwälder  führen  mußten.  Und  wenn  es  dem  bedeutenderen  Besitz  ent- 
sprechend heute  auch  umfangreichere  Strecken  Landes  umzuackern  und  größere 
Ernten  einzuheimsen  gilt,  so  werden  diese  Arbeiten  durch  die  ungemein  leistungs- 
fähigen landwirtschaftlichen  Maschinen  vereinfacht,  die  an  Stelle  von  Pflug, 
Spaten  und  Dreschflegel  traten. 

Den  Hauptteil  ihrer  geistigen  Nahrung  beziehen  die  deutschamerikanischen 
Farmer  aus  in  deutscher  Sprache  gedruckten  Zeitungen,  die  den  Bedürfnissen 
der  ländlichen  Bevölkerung  mit  großem  Geschick  angepaßt  sind.  Sie  bringen 
außer  politischen  und  lokalen  Mitteilungen  zahlreiche  Aufsätze,  die  für  den 
Landmann  von  Interesse  sind.  Und  nicht  zuletzt  auch  Nachrichten  aus  der 
alten,  unvergeßlichen  Heimat. 

An  der  Politik  nehmen  die  deutschen  Bauern  keinen  sonderlich  großen 
Anteil.  Ohne  Erregung  lauschen  sie  den  zahlreichen  Wanderrednern,  die  zur 
Wahlzeit  von  den  einzelnen  Parteien  ausgeschickt  werden,  um  für  ihre  Kandi- 
daten Stimmung  zu  machen.  Bei  den  Wahlen  selbst  lassen  die  Deutschen  sich 
dann  meist  von  ihrer  eignen  Überzeugung  leiten. 

Religiöser  Sinn  ist  bei  dem  deutschen  Farmer  auch  heute  noch  vorhanden. 
Sitzen  mehrere  Dutzend  in  einer  Gegend  nachbarlich  zusammen,  so  verbinden 
sie  sich  zu  einer  Gemeinde,  bauen  ein  kleines  Kirchlein  und  berufen  einen  Geist- 
lichen, der  sie  mit  Wort  und  Sakrament  versorgt.  Häufig  sind  Pastor  und 
Lehrer  in  einer  Person  vereinigt.  Ist  die  Gemeinde  stark  genug  geworden, 
außer  dem  Pastor  einen  Lehrer  unterhalten  zu  können,  so  wird  auch  für  eine 
Gemeindeschule  gesorgt.  An  bestimmten  Wochentagen  findet  dann  der  Unter- 
richt statt,  zu  dem  die  zahlreichen  Sprößlinge  der  Landwirte  oft  aus  weiten  Ent- 
fernungen sich  einfinden. 

Gesellig  sind  die  deutschen  Farmer  geblieben.  Wenn  sie  Sonntags  nach 
dem  Gottesdienst  sich  vor  der  Kirche  versammeln,  so  treffen  sie  Verabredungen 
für  den  Rest  des  Tages.  Man  besucht  die  Nachbarn,  wobei  es  sich  oft  ereignet, 
daß  zehn  bis  fünfzehn  Familien  auf  einer  Farm  sich  zum  Besuch  einfinden,  mit- 
samt den  Kindern  an  sechzig,  siebzig  Köpfe  zählend.  „Da  würde,"  wie  ein 
unter  jenen  Farmern  seit  langen  Jahren  tätiger  Geistlicher  schilderte,  „eine 
deutsche  Hausfrau  die  Hände  über  dem  Kopf  zusammenschlagen  und  nicht 
wissen,  was  anzufangen.  Aber  die  Farmerfrau  läßt  sich  nicht  aus  dem  Gleich- 
gewicht bringen.  Vorrat  an  Fleisch  und  dem  nötigen  Zubehör  ist  reichlich  vor- 
handen, und  die  anderen  Frauen  helfen  tüchtig  beim  Zurichten.  So  wird  denn 
fröhlich  getafelt  und  wacker  zugegriffen.     Nach  dem  Essen  schmauchen  die 


—     374     — 

Familienväter  draußen  unter  den  schattigen  Bäumen  ihre  kurzen  Pfeifchen  und 
tauschen  ihre  Beobachtungen  in  Ackerbau  und  Viehzucht  aus.  Die  Frauen 
halten  beim  Kaffee  ihren  gemütlichen  Schwatz;  die  Kinder  spielen  ihre  kind- 
lichen Spiele;  die  jungen  Burschen  und  Mädchen  lassen  die  alten  deutschen 
Volkslieder  erklingen  oder  drehen  sich  im  Tanz.  So  bietet  der  Sonntag- 
nachmittag auf  der  Farm  ein  Bild  echt  deutscher  Gemütlichkeit  und  deutschen 
Familiensinns." 

Am  dichtesten  sitzen  die  deutschen  Farmer  in  Ohio,  Indiana,  Illinois,  Michi- 
gan, Wisconsin,  Minnesota,  den  beiden  Dakotas,  Iowa,  Nebraska,  Missouri  und 
Kansas.  Meist  sind  es  Bauern  aus  Westfalen,  Hannover,  Schleswig-Holstein, 
Brandenburg,  Mecklenburg  und  Pommern,  die  dort  ihren  Wohnsitz  auf- 
geschlagen haben.  Die  Süddeutschen  bevorzugen  mehr  die  südlichen  Staaten, 
namentlich  Texas.  Wie  sogar  von  Stockamerikanern  rückhaltlos  anerkannt 
wird,  trugen  deutscher  Fleiß  und  deutsche  Beharrlichkeit  in  hervorragendem 
Maß  dazu  bei,  jenen  Staaten  ihre  Bedeutung  im  Bunde  der  Union  zu  ver- 
schaffen. 

In  Kansas  ließen  sich  während  des  letzten  Drittels  des  vorigen  Jahr- 
hunderts viele  deutsche  M  e  n  n  o  n  i  t  e  n  aus  Rußland  nieder,  welche  sich  zur 
Auswandrung  entschlossen,  als  die  Regierung  die  ihnen  von  früheren  Regenten 
zugestandene  Befreiung  vom  Militärdienst  aufhob.  Diese  Mennoniten,  deren 
erste  um  das  Jahr  1873  anlangten,  waren  das  Erstaunen  aller  Landagenten,  so- 
wohl wegen  ihres  soliden  Reichtum.s  und  der  baren  Bezahlung  ihrer  bedeutenden 
Landerwerbungen,  als  auch  wegen  der  Sorgfalt,  womit  sie  zur  Auswahl  ihrer 
neuen  Heimstätten  schritten.  Zu  ihnen  gesellten  sich  später  viele  aus  Westfalen 
und  Ostpreußen  stammende  Glaubensgenossen,  mit  welchen  vereint  sie  zahl- 
reiche Kolonien  schufen,  von  denen  die  meisten  echt  deutsche  Namen  tragen, 
wie  Johannestal,  Gnadenfeld,  Hoffnungsau,  Blumenort, 
Brudertal,  Grünfeld,  Germania.  Diese  Mennoniten,  deren  Zahl 
sich  auf  150  000  belaufen  mag,  sind  sowohl  wegen  ihrer  Betriebsamkeit  und 
Sparsamkeit,  wie  wegen  ihrer  Geschicklichkeit  im  Verkaufen  ihrer  Produkte  be- 
rühmt. Sie  gelten  allgemein  als  vorzügliche  Bürger.  Außerdem  sind  sie  be- 
kannt dafür,  daß  sie  niemals  Prozesse  führen. 


Wie  das  Deutschtum  der  Vereinigten  Staaten  in  den  Reihen  der  amerika- 
nischen Großindustriellen  berufene  Vertreter  besitzt,  so  auch  unter  den  Land- 
wirten. Besonders  im  Nordwesten  gibt  es  zahlreiche  deutsche  Riesenfarmen, 
deren  fast  militärisch  organisierte  Bewirtschaftung  das  Staunen  aller  europäischen 
Besucher  erregte.  In  Idaho  gehören  die  kolossalen  Weizenländereien  des  1847 
in  Deutschland  geborenen  Johann  P.  Vollmer  zu  den  ergiebigsten  des 
ganzen  Staates.  Sie  einzuzäunen,  erforderte  es  250  Meilen  Draht.  Vollmer  ist 
auch   der   Begründer   der   „Vollmer-Clearvvater  Grain  Company",   welche   zu 


375 


Lewiston  und  an  anderen  Orten  Idahos  bedeutende  Mühlen  besitzt,  die  jährlich 
2  Millionen  Bushel  Weizen  zu  Mehl  verarbeiten. 

Einen  hervorragenden  Anteil  haben  die  Deutschamerikaner  auch  an  der 
Entwicklung  der  Obst-  und  Weinkultur  der  Vereinigten  Staaten.  Ein  findiger 
Hesse,  Johann  Schwerdkopf,  war  es,  der  bereits  während  der  Kolonial- 
zeit auf  Long  Island  große  Strecken  unbenutzt  liegenden  Landes  pachtete  und 
daselbst  Erdbeeren  zog  Er  brachte  die  bis  dahin  in  Amerika  wenig  beachtete 
Frucht  zu  solcher  Beliebtheit,  daß  er  seine  Erdbeerplantagen  von  Jahr  zu  Jahr 
vergrößern  mußte.  Lange  Zeit  hatte  Schwerdkopf  gleichsam  das  Monopol 
dieser  herrlichen,  zu  einem  förmlichen  Leibgericht  der  Amerikaner  werdenden 


j^r   MJ 

1 

i 

E 

JflSmtäM 

K :  ^t 

''"^^mi^ 

■llf  >  j 

.i»: 

•'■^'"1. 

- 

^^^^^B^Bfe '■'?:'"  ""-'r-'.''JiE^?'<.?'fy->'"'''.*i 

JHH^y,;. 

Ernte  im  fernen  Westen. 


Frucht,  deren  Anbau  im  19.  Jahrhundert  einen  geradezu  fabelhaften  Umfang 
annahm  und  zu  einem  hochwichtigen  Erwerbszweig  für  die  amerikanischen 
Farmer  wurde. 

Ein  anderer  Deutscher,  dessen  Einfluß  auf  dem  Gebiet  der  Hortikultur 
sich  lange  Jahre  hindurch  in  den  gesamten  Vereinigten  Staaten  geltend  machte, 
war  der  Württemberger  Georg  Ell  wanger.  Er  schuf  bei  Rochester  im 
Staat  New  York  die  als  Mount  Hope  Nurseries  bekannt  gewordenen  Blumen- 
gärtnereien, legte  großartige  Baumschulen  an,  und  machte  sich  auch  durch 
Einführen  des  Zwergobstes,  durch  verbesserte  Pfropfverfahren  und  andere  Neue- 
rungen um  die  Landwirtschaft  hochverdient.  Die  Stadt  Rochester  verdankt  ihm 
den  schönen  Highlandpark. 

Deutsche  waren  es  auch,  welche  zuerst  im  Tal  des  Ohio  den  rationellen 
Weinbau  einführten.    Von  der  Mosel  und  vom  Rhein  ließen  sie  Reben  und  er- 


—    376    — 

fahrene  Winzer  kommen,  um  ausgedehnte  Versuche  anzustellen.  Diese  fielen 
so  gut  aus,  daß  viele  sich  dem  Weinbau  zuwandten.  Bereits  um  die  Mitte  des 
19.  Jahrhunderts  zählte  man  im  Umkreis  von  Cincinnati  1200  Weinberge.  Der 
hier  erzeugte  Wein  war  von  solcher  Güte,  daß  m.an  sich  sogar  zum  Herstellen 
von  Schaumwein  verstieg.  Hier  erschien  auch  die  von  Karl  Rümelin  her- 
ausgegebene „Deutschamerikanische  Winzerzeitun  g".  Leider 
brachten  mehrere  Jahre  des  Mißwachses  im  Verein  mit  dem  ungeheuren  Steigen 
der  Grundeigentumswerte  der  vielversprechenden  Weinindustrie  im  Cincinnater 
Distrikt  den  Untergang. 

Durch  ihren  Weinbau  ist  auch  die  von  dem  deutschen  Arzt  Wilhelm 
S  c  h  m  ö  1  e  im  Verein  mit  seinem  Bruder  und  seinem  Freunde  W  o  1  s  i  e  f  f  e  r 


Ernte  im  fernen  Westen. 


gegründete  Kolonie  Egg  Harbor  City  in  New  Jersey  bekannt  geworden.  Dieselbe 
liefert  Rotweine  von  besondrer  Güte. 

Auch  an  die  Ufer  des  Missouri  übertrugen  die  Deutschen  den  Weinbau. 
Besonders  der  im  Jahre  1837  von  der  „Deutschen  Ansiedlungs- 
Gesellschaft  zu  Philadelphia"  gegründete  Ort  Hermann  ent- 
wickelte sich  zu  einer  echten,  zwischen  Rebhügeln  eingebetteten  Winzerstadt, 
deren  Charakter  an  die  weinfröhlichen  Orte  des  Rheingaus  erinnerte.  Michael 
P  ö  s  c  h  e  1  und  Hermann  Burkhardt  waren  daselbst  die  ersten  erfolg- 
reichen Rebenpflanzer.  Ein  anderer  bedeutender  Weinzüchter,  der  auch  zahl- 
reiche deutsche  und  englische  Schriften  über  den  Weinbau  verfaßte,  war  der  im 
Jahre  1834  eingewanderte  Georg  Husmann,  derselbe,  welcher  später 
unter  den  Weinproduzenten  Kaliforniens  eine  Rolle  spielte.  Von  Hermann  aus 
breitete  der  Weinbau  sich  nach  den  gleichfalls  in  Missouri  gelegenen  Orten 
Marthasville,  Augusta  und  Washington  aus. 


—     377     - 

Die  Erwerbung  Kaliforniens  fügte  den  Vereinigten  Staaten  ein  großes, 
schon  bewährtes  Weinland  hinzu.  Hier  war  der  Weinbau  bereits  im  17.  und 
18.  Jahrhundert  durch  spanische  Missionare  eingeführt  worden.  Als  die  Ro- 
manen den  Amerikanern  weichen  mußten,  brauchten  die  letzteren  die  schon  be- 
stehenden Pflanzungen  nur  weiter  zu  entwickeln.  Das  geschah  freilich  erst, 
nachdem  der  kalifornische  Goldrausch  der  fünfziger  Jahre  verflogen  war.  Um 
jene  Zeit  kamen  infolge  der  deutschen  Revolution  des  Jahres  1848  auch  zahl- 
reiche Weinbeflissene  aus  den  Rheinlanden  nach  Kalifornien.  Viele  wandten 
sich  der  systematischen  Förderung  des  Weinbaus  zu.  Unter  ihnen  die  Brüder 
Sansewein,  Jakob  Gundlach,  Ch.  Bundschu,  Julius  Dre- 
s  e  1  und  J.  Wi  n  k  e  1  in  Sonoma;  K  a  r  1  K  r  u  g  ,  die  Brüder  Beringer, Wil- 
helm Scheffler,  Johann  Thomann,j.  Schramm,  A.  Schranz 
und  die  Gebrüder  S  t  a  m  e  r  in  St.  Helena;  der  obengenannte  Professor  Georg 
Husmann  in  Napa;  G.  Grözingerin  Yountville,  Köhler  und  F  r  ö  h  - 
1  i  c  h  ,  J.  H.  R  o  s  e  und  Stern,  Lachmann  in  Los  Angeles;  J.  E.  B  a  1  d  - 
w  i  n  in  San  Gabriel ;  D  r  e  y  f  u  ß  in  Anaheim ;  Scholl,  Langenberg, 
Reißer  und  manche  andere.  Sie  trugen  auch  in  erster  Linie  dazu  bei,  durch 
Anpflanzen  bester  deutscher  Reben  und  durch  fachmännische  Pflege  des  ge- 
wonnenen Weins  die  gegen  denselben  bestehenden  Vorurteile  zu  bekämpfen. 
Es  gelang  ihnen,  seine  Qualität  auf  eine  so  hohe  Stufe  zu  bringen,  daß  er  auf 
den  Weltausstellungen  der  letzten  Jahrzehnte  neben  den  besten  Erzeugnissen 
Europas  bestehen  und  die  höchsten  Auszeichnungen  erringen  konnte. 

Sehr  viele  in  Kalifornien  seßhaft  gewordene  Deutsche  beteiligten  sich  auch 
an  dem  so  großartig  entwickelten  Anbau  der  Orangen,  Zitronen,  Limonen, 
Granatäpfel,  Pfirsiche,  Aprikosen,  Birnen,  Pflaumen,  Kirschen,  Feigen  und 
Oliven.  Desgleichen  an  der  Zubereitung  von  Rosinen,  gedörrtem  und  ein- 
gemachtem Obst. 

Einigen  der  obengenannten  deutschen  Winzer  verdankt  die  bei  Los  Angeles 
gelegene,  ihrer  landschaftlichen  Schönheiten  wegen  berühmte  Kolonie  A  n  a  - 
heim  ihr  Entstehen.  Rings  um  dieselbe  liegen  Fruchthaine  in  voller  Blüten- 
pracht, grüne  Auen,  Täler  und  Hügel,  lustig  rieselnde  Bäche  und  Bewässerungs- 
kanäle, unabsehbare  Weingärten  und  Orangenhaine.  Im  Hintergrund  dieser 
arkadischen  Dekoration  erheben  sich  die  in  scharfen  Umrissen  gegen  den  Hori- 
zont abstehenden  Gebirgskämme.  Die  Einzelfarmen  von  Anaheim,  desgleichen 
seine  Bewässerungskanäle  und  Weinberge  wurden  unter  dem  Kooperativsystem 
geschaffen.  Die  äußerst  zweckmäßige  Anlage  des  Orts  diente  vielen  anderen 
Ansiedlungen  als  Vorbild. 

Auch  an  der  Nutzbarmachung  der  w^sserlosen  Wüsten  des  fernen 
Westens,  an  ihrer  Umwandlung  in  fruchtbringende  Gefilde  haben  Deutsch- 
amerikaner großen  Anteil.  Zu  den  bekanntesten  Autoritäten  auf  diesem  Gebiet 
zählt  beispielsweise  der  an  der  Staatsuniversität  von  Kalifornien  angestellte  Pro- 
fessor H  i  1  y  a  r  d  ,  ein  Sohn  des  von  den  „Lateinischen  Farmern"  gegründeten 
Städtchens  Belleville  in  Illinois.    Er  hat  sich  hauptsächlich  um  die  Bewässerung 


—     378     — 

und  Fruchtbarmachung  der  dürren  Gegenden  in  Südkalifornien  und  Arizona 
große  Verdienste  erworben. 

Auch  unter  den  Viehzüchtern  des  fernen  Westens,  besonders  in  Texas, 
Kansas  und  Montana,  begegnen  wir  vielen  deutscher  Herkunft.  In  Kalifornien 
gehörten  die  beiden  Deutschen  Miller  und  Lux  zu  den  bedeutendsten.  Sie 
kamen  als  arme  Burschen  nach  Amerika,  traten  hier  im  Jahre  1856  in  Geschäfts- 
gemeinschaft, kauften  in  Kalifornien  Ranchos  für  ihre  Herden  und  betrieben  ihr 
Geschäft  mit  seltener  Umsicht  und  Energie.  Gegenwärtig  besitzt  die  Firma  un- 
geheure Strecken  Weidelandes,  auf  denen  hunderttausende  von  Pferden,  Rindern 
und  Schafen  grasen.  Desgleichen  betreibt  sie  die  Schweinezucht  in  großartigem 
Maßstab. 


Besondere  V^erdienste  erwarb  das  Deutschamerikanertum  sich  um  die 
amerikanische  Forstkultur. 

Es  war  Karl  Schurz,  ein  Sohn  des  die  Wälder  liebenden  deutschen  Volks, 
welcher  sowohl  als  Senator  wie  als  Sekretär  des  Innern  zum  erstenmal  amtlich 
das  amerikanische  Volk  darauf  aufmerksam  machte,  welche  schwere  Schuld  es 
durch  die  teils  in  Gedankenlosigkeit,  teils  aus  schnöder  Habgier  betriebene  Ver- 
wüstung seiner  Wälder  auf  sich  lade.  Mit  warnenden  Worten  wies  er  darauf 
hin,  wie  wichtig  der  Wald  für  die  Erhaltung  des  notwendigsten  Lebenselements 
der  Landwirtschaft,  des  Wassers  sei,  und  wie  durch  das  Zerstören  der  Forste 
die  Vereinigten  Staaten  im  Lauf  der  Zeit  einem  ähnlichen  Schicksal  wie  Palästina, 
Spanien  und  andere  ihres  früheren  Waldreichtums  beraubten  Länder  verfallen 
müßten. 

Angesichts  des  damals  noch  unerschöpflich  scheinenden  Holzreichtums 
der  Vereinigten  Staaten  lachte  man  über  die  Befürchtungen  des  „deutschen 
Idealisten".  Als  aber  im  Lauf  der  nächsten  Jahrzehnte  die  mächtigen  Forste 
der  Alleghanygebirge  und  der  die  großen  Binnenseen  umgebenden  Staaten  vor 
der  zügellosen  Gier  der  Holzhändler  gänzlich  verschwanden  und  die  nüchterne 
Statistik  mit  erschreckender  Deutlichkeit  den  raschen  Untergang  des  Waldreich- 
tums verkündete,  als  der  Wasserstand  der  Seen  und  Ströme  zu  sinken  und  die 
Temperaturverhältnisse  ganzer  Länderstrecken  in  ungünstiger  Weise  sich  zu 
ändern  begannen,  da  dämmerte  auch  in  den  Köpfen  der  um  die  Wohlfahrt  ihres 
Landes  besorgten  Amerikaner  die  Erkenntnis,  wie  begründet  die  Warnungen 
des  „deutschen  Idealisten"  und  der  mit  ihm  übereinstimmenden  deutschamerika- 
nischen Zeitungen  gewesen  seien. 

Man  begann  für  den  Schutz  der  Wälder  einzutreten,  gründete  einen 
„National-Forstverein"  (die  „National  Forestry  Association")  und 
bewirkte  durch  Eingaben  an  die  Bundes-  und  Staatsregierungen  den  Erlaß  von 
Gesetzen  zum  Schutz  der  bedrohten  Wälder. 


—    379     — 

Der  Staat  New  York  war  der  erste,  welcher  solchen  Forderungen  ent- 
sprach, indem  er  nicht  nur  eine  staadiche  Forstkommission  einsetzte,  sondern 
auch  eine  Waldreservation  einrichtete.  Am  3.  März  1891  entschloß  sich  auch 
der  Bundeskongreß  zum  Erlaß  eines  Gesetzes,  welches  den  Präsidenten  er- 
mächtigte, Forstreservationen  zu  schaffen  und  für  immer  vom  Verkauf  an  pri- 
vate Personen  auszuschließen.  Kalifornien,  Colorado,  New  Hampshire,  Ohio, 
Pennsylvanien,  Minnesota,  Wisconsin,  Maine  und  viele  andere  Staaten  folgten, 
so  daß  das  Areal  der  in  den  verschiedenen  Teilen  der  Vereinigten  Staaten  ge- 
legenen Waldreservationen  bis  November  1908  auf  167  992  208  Acres  anwuchs. 
Bei  ihrer  Auswahl  achtet  man  darauf,  daß  sie  die  Quellgebiete  großer  Ströme 
umfassen,  um  dadurch  den  Wasserzufluß  zu  regeln  und  Überschwemmungen 
vorzubeugen. 

An  dem  Verdienst,  diese  wichtige  Anlegenheit  in  Fluß  gebracht  zu  haben, 
gebührt  einigen  praktischen  deutschen  Fachleuten  ein  Hauptanteil. 

In  erster  Linie  dem  aus  der  Povinz  Posen  stammenden  Forstmann  Bern- 
hard F.  Fernow,  einem  der  Gründer  des  „Nationalen  Forst- 
vereins" und  Redakteur  der  von  demselben  herausgegebenen  Zeitschrift 
„The  Foreste r".  Man  kann  ihn  getrost  den  Vater  des  amerikanischen 
Forstwesens  nennen.  Denn  seiner  Rührigkeit  verdankt  das  Land  die  Einrich- 
tung einer  mit  dem  Landwirtschaftsministerium  verbundenen  Forstabteilung, 
deren  Vorsteher  Fernow  von  1886  bis  1898  war. 

Als  im  letztgenannten  Jahre  der  Staat  New  York  an  der  Cornell-Universität 
zu  Ithaka  eine  Forstlehrschule  gründete,  übernahm  Fernow  ihre  Leitung  und 
führte  sie  bis  1903,  wo  eine  kurzsichtige  Legislatur  der  Anstalt  die  nötigen 
Mittel  versagte  und  dadurch  ihren  Eingang  verschuldete.  Gegenwärtig  ist 
Fernow  als  Leiter  der  an  der  Universität  zu  Toronto,  Canada  eingerichteten 
Forstabteilung  tätig. 

Die  Universitäten  Yale  und  Harvard,  sowie  diejenige  des  Staates  Michigan 
gründeten  während  der  Jahre  1900  und  1903  gleichfalls  Abteilungen  für  Forst- 
wesen. Jene  zu  Yale  wird  von  Professor  H  e  n  r  y  S.  G  r  a  v  e  s  ,  die  zu  Harvard 
von  Richard  F.  Fischer,  jene  in  Michigan  von  Filibert  Roth  be- 
kleidet. Der  Schöpfer  der  Forstwirtschaft  des  Staates  Pennsylvanien  ist  Dr.  J  o- 
seph  Rothrock,  der  Nachkomme  eines  in  Pennsyfvanien  eingewanderten 
Deutschen.  Er  studierte  sowohl  in  Berlin  und  München  Forstwissenschaft,  und 
hat  die  dort  erworbenen  Kenntnisse  zum  großen  Segen  für  Pennsylvanien  ver- 
wertet. In  Südkarolina  sorgte  der  Forstmann  Dr.  C.  A.  S  c  h  e  n  c  k  in  den 
ausgedehnten  Waldungen  der  Vanderbiltschen  Besitzungen  bei  Biltmore  für  eine 
regelrechte  Verwaltung.  Er  richtete  auch  im  Jahre  1898  dort  eine  Forstschule 
ein,  wo  angehende  Forstleute  sowohl  theoretischen  wie  praktischen  Unterricht 
empfangen. 

Von  großem  Einfluß  waren  ferner  die  Forstabteilungen,  welche  seitens 
der  deutschen  Regierung  auf  den  Weltausstellungen  zu  Chicago  und  St.  Louis 
dem    Studium    dargeboten    wurden.     Durch  methodische  Gründlichkeit  und 


—     380     — 

Wissenschaftlichkeit  sich  auszeichnend  und  in  überaus  klarer  Weise  den  un- 
geheuren, aus  einer  gesunden  Waldwirtschaft  entspringenden  Nutzen  ver- 
anschaulichend, machten  diese  Abteilungen  auf  alle  mit  Nationalökonomie  sich 
Beschäftigenden  tiefen  Eindruck. 

Die  Gewohnheit  der  Deutschen,  ihr  Heim  durch  Baum-  und  Blumen- 
anpflanzungen zu  schmücken,  rief  die  heute  blühende  Kunstgärtnerei  ins  Leben, 
die  sich  fast  ganz  in  deutschen  Händen  befindet.  Auch  sind  viele  der  schönsten 
Schöpfungen  der  Landschaftsgärtnerei  in  Amerika,  zahllose  öffentliche  Parks  und 
Friedhofanlagen  als  die  Werke  deutscher  Gärtner  zu  betrachten.  So  verdankt 
beispielsweise  der  im  Jahre  1857  begonnene  Zentralpark  der  Stadt  New  York 
in  der  Hauptsache  deutschen  Gärtnern  sein  Entstehen.  A.  Pieper,  ein 
Hannoveraner,  leitete  die  gesamten  Hoch-  und  Niederbauten  als  zweiter  Ober- 
ingenieur; A.  Torges,  ein  Braunschweiger,  war  Leiter  der  südlichen,  und 
W  o  n  n  e  b  e  r  g  ,  ein  Hannoveraner,  der  nördlichen  Division ;  B.  P  i  1  a  t ,  ein 
Österreicher,  hatte  als  Obergärtner  das  gesamte  Agrikulturwesen  unter  sich; 
Fischer,  ein  Württemberger,  war  zweiter  Obergärtner;  W.  Müller,  ein 
Kurhesse,  erster  Architekt ;  B  i  e  r  i  n  g  e  r  ,  ein  Bayer,  leitete  den  Bau  des  Ent- 
und  Bewässerungssystems;  H.  Krause,  ein  Sachse,  und  Spangenberg, 
ein  Kurhesse,  waren  die  ersten  Zeichner. 

Um  dieselbe  Zeit,  im  Jahre  1854,  verwandelte  der  geniale  Landschafts- 
gärtner Adolf  Strauch,  der  seine  Ausbildung  unter  den  berühmtesten 
Meistern  der  kaiserlichen  Gärten  zu  Schönbrunn  und  Laxenburg  bei  Wien  er- 
halten hatte,  den  Spring  Grove  Friedhof  in  Cincinnati  zu  einer  herrlichen  An- 
lage, die  für  viele  andere  amerikanische  Friedhöfe  vorbildlich  wurde. 


Der  Anteil  der  Deutschen  an  der  Entwicklung  der 
amerikanischen  Industrie. 

Wie  schon  in  dem  Abschnitt  über  die  kuhurellen  Zustände  der  Deutsch- 
amerikaner während  der  Kolonialzeit  nachgewiesen  wurde,  gebührt  ihnen  an 
der  Einführung,  dem  Aufbau  und  der  Entwicklung  der  großen  Industrien 
Amerikas  ein  gewaltiger  Anteil.  Heute  gibt  es  in  der  Tat  kaum  einen  Ge- 
schäftszweig, in  welchem  die  Deutschen  nicht  stark  vertreten  sind.  Gewisse 
Zweige  des  Großhandels  und  der  Wareneinfuhr  beherrschen  sie  nahezu  aus- 
schließlich; im  Kleinhandel  und  Handwerk,  soviel  von  letzterem  bei  den  alles 
aufsaugenden  und  monopolisierenden  Bestrebungen  der  Trusts  übriggeblieben 
ist,  prosperieren  sie  entschieden  mehr  als  die  Amerikaner  und  Irländer. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß  die  meisten  in  die  Vereinigten 
Staaten  einwandernden  Deutschen  klein  und  bescheiden  anfangen  und  sich  be- 
mühen, durch  kluges,  vorsichtiges  Ausnutzen  der  Gelegenheiten,  durch  Fleiß 
und  Sparsamkeit  größere  Geschäfte  aufzubauen  Sie  sind  weniger  zu  gewagten 
Unternehmungen  geneigt,  als  die  Amerikaner,  die  es  lieben,  durch  kühne  Spe- 
kulationen mit  einem  Schlage  Reichtümer  zu  gevN'innen.  Sie  bevorzugen  den 
langsameren,  sichern  Weg,  wohl  wissend,  daß  dabei  ihre  meist  gut  fundierten 
Geschäfte  nicht  so  leicht  jähem  Wechsel  oder  gar  dem  Zusammenbruch  aus- 
gesetzt sind. 

Infolge  solcher  vorsichtigen  Eührung  ist  die  Zahl  alter  deutscher  Firmen, 
die  sich  in  steigender  Blüte  auf  nachfolgende  Geschlechter  vererbten,  eine  ver- 
hältnismäßig große.     Dabei  darf  man  keineswegs  glauben,  daß  es  den  Deutsch- 


Kopfleiste-.    Die   erste  von  Johann  August  Roebling   im  Jahre   1848   zu  Trenton, 
New  Jersey,  angelegte  Drahtseilfabrik. 


—     382     — 

amerikanern  an  Weitblick  oder  Wagemut  fehle.  Auch  sie  stellen  ihren  Prozent- 
satz zu  jenen  „Kapitänen  der  Industrie",  die  im  geschäftlichen  Leben  Amerikas 
die  Offiziere,  den  Generalstab  jener  Arbeiterarmeen  bilden,  welche  die  Reich- 
tümer der  Neuen  Welt  erschließen  und  zur  Entwicklung  der  letzteren  so  un- 
geheuer viel  beitragen. 

Daß  bereits  während  der  Kolonialzeit  mehrere  deutsche  Großindustrielle 
in  Amerika  existierten,  wurde  im  ersten  Teil  dieses  Werkes  gezeigt.  Ihnen 
schlössen  sich  nach  der  Gründung  der  Vereinigten  Staaten  manche  andere  an, 
wie  beispielsweise  Johann  Jakob  Astor,  dessen  Geschichte  unter  den 
Pionieren  des  fernen  Westens  erzählt  ist.  Er  war  der  erste  Amerikaner,  dessen 
Fahrzeuge  in  regelmäßigen  Reisen  den  Erdball  umschifften.  Einen  bedeutenden 
Teil  seines  im  Welthandel  erworbenen  Vermögens  legte  Astor  in  Landkäufen 
in  und  um  New  York  an.  darauf  rechnend,  daß  mit  dem  Wachstum  der  Stadt 
der  Wert  dieser  Grundstücke  erheblich  steigen  müsse.  Dieser  von  Astors  Nach- 
kommen in  großartigem  Maßstab  fortgesetzten  Politik  verdankt  die  heute  weit 
verzweigte  Eamilie  Astor  ihr  kaum  noch  zu  berechnendes  Vermögen. 

Ein  Zeitgenosse  Astors  war  der  im  Jahre  1761  zu  Hagenau  geborene 
Kaufmann  Martin  Baum.  Sein  Name  ist  mit  der  frühesten  Entwicklungs- 
geschichte der  Stadt  Cincinnati  eng  verbunden.  War  er  es  doch,  welcher  dort 
die  erste  Zuckersiederei,  die  erste  Eisengießerei,  die  erste  Wollfabrik,  die  erste 
Dampfmahlmühle  errichtete.  Gleichzeitig  gründete  er  die  „Miami  E  x  p  o  r  - 
t  i  n  g  Company",  die  außer  Geldgeschäften  ein  bedeutendes  Transport- 
geschäft betrieb  und  die  Schiffahrt  auf  den  wesÜichen  Strömen  entwickelte. 

Unter  den  hervorragendsten  Pionieren  des  Staates  Missouri  befand  sich  der 
1810  in  Bremen  geborene  Adolf  Meier,  ein  Mann  von  seltener  Tatkraft 
und  Unternehmungslust.  Er  errichtete  in  St.  Louis  die  erste,  westlich  vom 
Mississippi  erbaute  Spinnerei  und  Weberei,  gründete  die  Bessemer  Hochöfen  zu 
Ost-Carondolet  sowie  zahlreiche  andere  großindustrielle  Anlagen.  Außerdem 
war  er  als  Gründer  oder  Präsident  an  mehreren  der  bedeutendsten  von  St.  Louis 
ausgehenden  Eisenbahnen  beteiligt. 

Die  hervorragende  Stellung,  welche  die  Deutschamerikaner  während  des 
18.  Jahrhunderts  in  der  Eisenindustrie  einnahmen,  wurde  auch  später  von  ihnen 
behauptet.  Dem  Großindustriellen  Johann  Jakob  Eaesch,  der  in  New 
Jersey  die  gewaltigen  „Hibernia-  und  Mount  Hope-Werke"  be- 
saß, reihten  sich  die  Gebrüder  Michael  und  George  Ege  an,  die  in  Penn- 
sylvanien  zahlreiche  Hüttenwerke  aufführten.  Ebendaselbst  schuf  der  im  Jahre 
1791  aus  Zweibrücken  eingewanderte  Clemens  Rentgen  verschiedene 
Unternehmungen,  darunter  die  „  P  i  k  e  1  a  n  d  W  o  r  k  s  ",  wo  er  sich  der  Stahl- 
fabrikation befleißigte  und  für  die  amerikanische  Marine  große  Lieferungskon- 
trakte ausführte.  Peter  Grubb,  David  Heimbach,  Wilhelm 
Müller,  G  e  o  r  g  A  n  s  c  h  ü  t  z  ,  S  a  m  u  e  1  H  e  1  f  r  i  c  h  ,  W.Halde- 
mann,  Samuel  Fahnestock,  Gabriel  Heister,  Peter  Kart- 
haus,Johann  Probst, Friedrich  Geisse  nhain  er, Bernhard 


—     383     — 

Laiith,  Johann  Hammer,  Konrad  Piper,  Detmar  Basse- 
müller,  Martin  Diibbs,  Benjamin  Jakobs,  Philipp  Ben- 
ner, Georg  und  Peter  Schönberger,  Karl  Liikens  und  J  o  - 
hann  Buch  w  alter  sind  die  Namen  deutscher  Pioniere,  die  in  Pennsyl- 
vanien  in  den  verschiedensten  Zweigen  der  Eisenindustrie  tätig  waren.  Lukens 
walzte  die  ersten  Dampfkesselplatten;  Clemens  Rentgen  lieferte  das  erste  Rund- 
eisen ;  Jakob  Baumann  gründete  die  erste,  westlich  von  den  Alleghanys  gelegene 
Nagelfabrik.  In  Kentucky  wurde  der  aus  Baltimore  eingewanderte  deutsche 
Geschäftsmann  Jakob  Meyers  der  Vater  der  dortigen  Eisenindustrie,  indem 
er  im  heutigen  Bath  County  im  Jahre  1791  eine  Eisenschmelze  und  andere 
Fabriken  erbaute,  wo  alles,  vom  eisernen  Kochtopf  und  Ofen  bis  zum  schweren 
Geschütz,  hergestellt  wurde. 

Manche  der  von  solchen  deutschen  Industriellen  gegründeten  Werke  sind 
noch  heute  in  Betrieb;  viele  andere  gingen  hingegen  im  Lauf  des  19.  Jahr- 
hunderts in  größeren  Unternehmungen  auf.  Dies  geschah  beispielsweise  mit 
den  in  Pittsburg  gegründeten  Fabriken  der  aus  Trier  stammenden  Schmiede 
Andreas  und  Anton  Klomann.  Ihre  Spezialität  bestand  in  der  Her- 
stellung von  Achsen  für  Eisenbahnwagen.  Beim  Schmieden  derselben  bedienten 
sie  sich  eines  besonderen,  von  Andreas  Klomann  erfundenen  Verfahrens,  dessen 
Vorzüge  allenthalben  anerkannt  wurden.  Zu  den  Abnehmern  Klomanns  ge- 
hörte auch  die  „Pittsburg,  Fort  Wayne  und  Chicago  Bahn",  deren  Einkäufer, 
Thomas  Miller,  im  Jahre  1859  einen  Anteil  an  der  Klomannschen  Fabrik  er- 
warb. Seinem  Betreiben  war  es  zuzuschreiben,  daß,  als  der  Bürgerkrieg  be- 
deutende, die  Errichtung  größerer  Anlagen  nötig  machende  Aufträge  brachte, 
die  Firma  sich  am  16.  November  1861  in  eine  Aktiengesellschaft  verwandelte, 
welche  den  Namen  „Iron  City  Forge  Company"  annahm.  Da  der 
Preis  für  Wagenachsen  von  zwei  Cents  das  Pfund  über  Nacht  auf  zwölf  Cents 
emporschnellte,  so  machte  die  Gesellschaft  glänzende  Geschäfte.  Leider  stand 
es  um  die  Einigkeit  der  verschiedenen  Teilhaber  minder  gut.  Anton  Klomann 
wurde  im  Jahre  1863  ausgekauft;  dasselbe  geschah  später  mit  Andreas  Klo- 
mann, nachdem  am  2.  Mai  1864  Andrew  Carnegie  der  Gesellschaft  beigetreten 
war.  Man  sagt,  daß  Carnegie  herbeigerufen  worden  sei,  um  zwischen  den 
uneinigen  Parteien  Frieden  zu  stiften.  Er  habe  dabei  nach  dem  Muster  jenes 
Richters  in  der  Fabel  gehandelt,  der  den  streitenden  Parteien  die  Schale  zuspricht 
und  als  Lohn  für  seine  Mühe  den  Kern  behält.  Wie  dem  immer  sein  möge,  so 
ist  gewiß,  daß  die  von  den  Brüdern  Klomann  gegründeten  Fabriken  den  An- 
fang jener  von  Carnegie  geleiteten  Riesenunternehmungen  bildeten,  die  später 
unter  den  Namen  „Union  Iron  Mills  Company",  „Carnegie 
Steel  Company"  und  „United  States  Steel  Corporation" 
Weltruf  gewannen. 

In  der  neueren  Geschichte  dieser  Körperschaft  waren  übrigens  noch  zwei 
anderen  Amerikaner  deutsch-pennsylvanischer  Abkunft  leitende  Rollen  be- 
schieden :  FI  e  n  r  y  C.  F  r  i  c  k  und  Charles  Schwab.     Der  letzte  bekleidete 


384     — 


ctq' 


ursprünglich  einen  sehr  untergeordneten  Posten  in  einem  Stahlwerk  Carnegies. 
Durch  Energie  und  unermüdliches  Studium  arbeitete  er  sich  allmählich  zum 

Leiter  der  berühmten 
„Homestead  Werke" 
empor.  In  den  Jahren 
IQÜl  bis  1903  stand  er 
als  Präsident  an  der 
Spitze  der  „United 
States  Steel  Cor- 
pora t  i  o  n".  Heute  ist 
er  Präsident  der  Stahl- 
werke zu  Bethlehem, 
Pennsylvanien. 

Eine  ähnliche  Be- 
deutung erlangte  der  im 
Jahre  1869  zu  Brooklyn 
geborene  E.  A  u  g  u  s  - 
tus  Heinze  in  der 
Kupferindustrie.  Durch 
sorgfältiges,  sowohl  an 
amerikanischen  wie  deut- 
schen Universitäten  be- 
triebenes Studium  der 
Bergwissenschaften  vor- 
trefflich ausgerüstet, 
wandte  er  sich  im  Jahre 
1 889  dem  mineralreichen 
Staate  Montana  zu  und 
gründete  in  der  Stadt 
Butte  die  „M  o  n  t  a  n  a 
Ore  Purchasing 
C  o  m  p  a  n  y".  Später 
trat  Heinze  an  die  Spitze 
der  von  ihm  gegrün- 
deten „United  C  o  p  - 
p  e  r  C  o.'' 

Von  anderen  ame- 
rikanischen Großindu- 
striellen ist  der  am  23. 
November  1906  verstor- 
bene  Heinrich  Weh- 
rum zu  nennen,  der  Schöpfer  der  großartigen  „Lackawanna  Iron 
&  Steel  Works"  zu  Buffalo  und  Seneca,  New  York. 


X3 
o 


C/3 

o 


n 

o 
3 


H 


—     385     — 

Die  bedeutenden  Drahtseilfabriken  der  Firma  „John  A.  R  o  e  b  1  i  n  g  s 
SonsCompany*'zu  Trenton,  New  Jersey,  welche  sich  mit  dem  Herstellen 
von  Drähten,  Drahtseilen  und  mächtiger  Kabel  für  Hängebrücken  beschäftigen, 
verdanken  ihren  Ursprung  dem  berühmten  Brückenbauer  Johann  August 
R  o  e  b  1  i  n  g  ,  dessen  Lebensgeschichte  in  dem  Abschnitt  „Deutschamerikanische 
Techniker  und  Ingenieure"  ausführlich  erzählt  ist.  Drahtseile  wurden  bereits 
im  Jahre  1820  in  Deutschland  erzeugt.  Roebling  war  es,  welcher  diese  wenig 
gewürdigte  Industrie  nach  Amerika  übertrug  und  im  Jahre  1840  in  dem  von. 
ihm  gegründeten  Dorf  Germania,  dem  späteren  Saxonbury  (Grafschaft  Butler 
in  Pennsylvanien)  die  erste  Drahtzieherei  in  Amerika  schuf.  Als  Roebling  im 
Jahre  1848  mit  seiner  Familie  nach  Trenton,  New  Jersey,  übersiedelte,  legte  er 
dort  sofort  eine  neue  Drahtseilfabrik  an,  in  der  er  anfangs  25  Mann  beschäftigte. 
Aus  diesen  bescheidenen  Anfängen  wuchsen  im  Lauf  der  Jahre  die  riesigen 
Anlagen  der  obengenannten  Firma  hervor,  welche  im  Jahre  1908  ein  Heer  von 
über  6000  Arbeitern  beschäftigte  und  den  Ruf  genießt,  nicht  allein  die  bedeu- 
tendste, sondern  auch  die  leistungsfähigste  Drahtseilfabrik  der  Welt  zu  sein.  Die 
Leitung  der  Fabriken  liegt  noch  heute  in  den  Händen  der  Söhne  Roeblings, 
FerdinandW.,  Charles  G.  und  Washington  A.  Roebling, 
sowie  deren  Nachkommen. 

Der  aus  Kassel  stammende  G.  Martin  Brill  wandte  sich  dem  Bau 
von  Straßenbahnen  zu  und  gründete  in  Philadelphia  die  Firma  J.  G.  Brill  Si. 
S  o  n  ,  die  sich  zu  einer  der  bedeutendsten  Werkstätten  Amerikas  entwickelte. 
Im  Jahre  1887  ließ  sich  die  Firma  als  die  „  J.  G.  Brill  Company"  ein- 
tragen, mit  Martin  Brill  als  Präsidenten.  Seitdem  wurden  der  Gesellschaft 
mehrere  andere  große  Fabriken  in  Amerika  und  England  durch  Ankauf  ein- 
verleibt, wie  z.  B.  die  ,,  B  r  o  w  n  i  e  s  &  American  C  o  m  p  a  n  i  e  s  "  zu 
St.  Louis,  die  „  G.  C.  K  u  h  l  m  a  n  C  a  r  Company"  in  Cleveland  und  die 
„John  Stevenson  Car  Company"  in  Elisabeth,  New  Jersey.  y\ls 
Martin  Brill  im  Jahre  1906  auf  seinem  Landsitz  bei  Philadelphia  starb, 
repräsentierten  die  vereinigten  Gesellschaften  einen  Wert  von  57  Millionen 
Dollar. 

J.  H.  K  o  b  u  s  c  h  in  St.  Louis  gründete  im  Jahre  1887  die  „St.  Louis 
C  a  r  C  o  m  p  a  n  y  ".  Sie  liefert  vollständig  ausgestattete  Wagen  für  den  Eisen- 
bahn- und  Straßenbahndienst.  An  dem  gleichen  Ort  besteht  die  von  Peter 
J.  Pauly  im  Jahre  1856  gegründete  „Pauly  Jail  Building  Com- 
pany". Der  Bau  und  das  Einrichten  von  Gefängnissen  bildet  ihre  Speziali- 
tät. Viele  der  wichtigsten  Sicherheits-  und  Sanitätsvorkehrungen  der  heutigen 
amerikanischen  Strafanstalten  wurden  von  den  deutschen  Leitern  dieser  Gesell- 
schaft erdacht  und  eingeführt. 

Die  Westfalen  Wilhelm  F.  und  Friedrich  G.  Nied  ringhaus 
gründeten  im  Jahre  1857  die  „St.  Louis  Stamping  Co.",  die  sich  mit 
der  Herstellung  von  Blech-  und  Zinkwaren  beschäftigt.  Später,  als  die  Ge- 
brüder nicht  genügend  Bleche  aus  England  beziehen  konnten,  schufen  sie  groß- 

Cronau,   Deutsches   Leben  in  Amerika.  25 


—     386     — 

artige  Walzwerke  und  in  neuerer  Zeit  auf  der  Ostseite  von  St.  Louis  die  be- 
deutendsten Emaillewerke  der  Welt.  Granite  City,  heute  eine  Stadt  von 
10  000  Einwohnern,  ist  gleichfalls  eine  Gründung  der  Gebrüder  Niedringhaus, 
deren  Unternehmen  jetzt  als  die  „National  Enameling  and  Stam- 
p  i  n  g  C  o."  bekannt  ist.  Wilhelm  Niedringhaus  war  einer  der  ersten  Fabri- 
kanten von  Zinkwaren  und  der  erste  Fabrikant  von  Emaillewaren  in  den  Ver- 
einigten Staaten.  Er  stellte  auch  die  erste  Maschine  zum  Pressen  von  Geschirr 
und  Stahlplatten  her. 

Benjamin  Guggenheim,  ein  Sohn  des  aus  Deutschland  nach 
Philadelphia  übersiedelten  Israeliten  Meyer  Guggenheim,  begründete  die  „In- 
ternational Steam  Pump  Company'',  die  sich  mit  dem  Herstellen 
aller  Arten  von  Pumpwerken  beschäftigt,  von  der  einfachsten  Handpumpe  bis 
zu  den  beim  Entwässern  der  Bergwerke  und  im  Dienst  der  städtischen  Wasser- 
versorgung benötigten  Riesenpumpen.  Die  „International  Steam  Pump  Co." 
unterhält  zurzeit  bereits  sieben  bedeutende  Fabrikanlagen,  von  welchen  sich 
sechs  innerhalb  der  V^ereinigten  Staaten,  und  zwar  in  Fast  Cambridge,  Mass., 
Holyoke,  Mass.,  Harrison,  N  J.,  Buffalo,  N.  Y.,  Cincinnati,  Ohio  und  Cudahy, 
Wisc,  befinden. 

Auch  der  amerikanischen  Zuckersiederei  verliehen  zwei  deutsche  Familien, 
die  H  a  V  e  m  e  y  e  r  s  und  Spreckels,  den  eigentUchen  Aufschwung.  Die 
Geschichte  beider  Familien  liest  sich  fast  wie  ein  arabisches  Märchen.  Diejenige 
der  Havemeyers  beginnt  mit  der  Einwandrung  zweier  armer  Zuckerbäcker, 
der  Brüder  Friedrich  und  Wilhelm  Havemeyer,  welche  im  Jahre 
1802  ihre  im  Fürstentum  Schaumburg-Lippe  gelegene  Vaterstadt  Bückeburg 
verließen,  um  jenseits  des  Ozeans  eine  neue  Heimat  zu  suchen.  Bald  nach  ihrer 
Ankunft  in  New  York  gründeten  die  beiden  eine  kleine  Zuckersiederei,  deren 
tägliche  Produktion,  obwohl  die  Frauen  der  beiden  nach  deutscher  Art  fleißig 
mit  Hand  anlegten,  anfangs  selten  mehr  als  zwei  Fässer  überstieg.  In  dem  in 
Vandam  Street  gelegenen  Quartier  der  Familien  wurde  im  Jahre  1807  Fre- 
derick C.  Flavemeyer  geboren,  der  sechzehn  Jahre  später,  nachdem  er 
im  Columbia  College  eine  gute  Erziehung  genossen  hatte,  in  das  inzwischen 
stattlich  emporgeblühte  Geschäft  eintrat.  Alle  Einzelheiten  des  Zuckerhandels 
und  der  Zuckerindustrie  von  Grund  aus  studierend,  verhalf  er  dem  Geschäft  zu 
so  mächtigem  Aufschwung,  daß  er  seinen  Söhnen  Theodor  und  Henry  O.  ein 
Vermögen  von  vier  Millionen  Dollar  hinterlassen  konnte. 

Henry  O.  Havemeyer,  der  im  Jahre  1847  geborene  jüngere  der 
Brüder,  wurde  der  Schöpfer  des  „  Z  u  c  k  e  r  -  T  r  u  s  t  s  ".  Die  zwischen  den 
amerikanischen  Zuckerproduzenten  häufig  entbrennenden  Konkurrenzkämpfe, 
während  welcher  die  Raffinerien  einander  sowohl  beim  Einkauf  der  Rohstoffe 
wie  beim  Verkauf  der  fertigen  Ware  oft  bis  zum  Zusammenbruch  bekriegten, 
riefen  in  Havemeyer  den  Gedanken  einer  Vereinigung  aller  Raffinerien  wach. 
Durch  eine  solche  Verschmelzung  ließen  sich  nicht  bloß  jene  gefährlichen 
Kämpfe  vermeiden,  sondern  der  Verkaufspreis  des  Zuckers  konnte  auch  auf  einer 


—     387     — 

für  alle  beteiligten  Firmen  gewinnbringenden  Höhe  erhalten  werden.  Die  ersten 
Schritte  zur  Gründung  dieses  Trusts  reichen  bis  in  das  Jahr  1887  zurück,  wo 
es  Havemeyer  gelang,  eine  Vereinigung  der  in  den  Oststaaten  bestehenden 
Zuckerfabriken  zustande  zu  bringen.  Dieselben  verbanden  sich  am  12.  Januar 
1891  unter  dem  Namen  ,,  American  SugarRefineries  Company". 
Ihr  ursprüngliches  Stammkapital  von  50  Millionen  Dollar  wurde  später  auf 
75  Millionen  erhöht.  Desgleichen  erhöhte  sich  durch  den  erzwungenen  Ein- 
tritt anderer  Raffinerien  die  Zahl  der  Mitglieder.  Aus  dieser  Vereinigung  ent- 
sprangen sowohl  für  den  Trust  wie  für  die  Konsumenten  bemerken sv/erte  Vor- 
teile. Durch  Anwerben  der  erfahrensten  Fachleute,  durch  stetes  Verbessern  der 
Maschinen  gelang  es  nicht  nur,  die  bisher  angewendeten  hlerstellungsmethoden 
bedeutend  zu  vervollkommnen,  sondern  auch  den  Raffinierprozeß  von  zwei 
Wochen  auf  nur  24  Standen  abzukürzen.  Diese  Vereinfachung  und  Verbilligung 
der  Herstellung  ermöglichte  sowohl  die  Vermehrung  der  Produktion  wie  eine 
erhebliche  Verbilligung  des  raffinierten  Zuckers. 

Die  gewaltige  Entwicklung  des  Zuckertrusts  ergibt  sich  aus  folgenden 
Angaben:  Sein  Vermögen  belief  sich  um  das  Jahr  1900  auf  150  000  Millionen 
Dollar.  Seine  20  Raffinerien  verteilten  sich  auf  die  Städte  New  York,  Brooklyn, 
Jersey  City,  Philadelphia,  St.  Louis,  New  Orleans,  San  Francisco  und  Portland. 
Die  Zahl  der  in  denselben  beschäftigten  Beamten  und  Arbeiter  betrug  20  000. 
Außerdem  waren  10  000  Arbeiter  in  den  der  Gesellschaft  gehörigen  Faßfabrikeii 
und  Schiffen  oder  als  Kohlenschaufler  und  Fuhrleute  beschäftigt.  Die  tägliche 
Produktion  sämtlicher  Anlagen  betrug  45  000  Faß,  der  aus  dem  ganzen  Unter- 
nehmen entspringende  Reingewinn  etwa  30  Millionen  Dollar  pro  Jahr. 

Eine  ähnliche  Bedeutung,  wie  die  Havemeyers  sie  im  Osten  der  Vereinig- 
ten Staaten  erlangten,  gewann  im  fernen  Westen  die  aus  Lamstedt  in  Hannover 
stammende  Familie  Spreckels.  Ihre  neuweltliche  Geschichte  beginnt  mit  dem 
im  Jahre  1828  in  Lamstedt,  Hannover,  geborenen  Claus  Spreckels, 
welcher  als  zwanzigjähriger  Jüngling  in  Charleston,  Südkarolina,  landete. 
Sein  ganzes  Vermögen  bestand  aus  nur  drei  Dollar.  Die  ersten  Jahre  seines 
Weilens  in  Amerika  unterschieden  sich  nicht  von  denen,  welche  von  Millionen 
andrer  Einwandrerer  durchlebt  werden  müssen:  sie  waren  voll  Mühen  und 
Arbeit.  Von  Charleston  siedelte  Spreckels  nach  New  York  über;  von  dort  nach 
Kalifornien.  Aber  seine  finanzielle  Lage  hatte  sich  inzwischen  bedeutend  ver- 
bessert. Der  Verkauf  eines  in  New  York  betriebenen  Geschäfts  hatte  ihm 
4000  Dollar  eingebracht,  womit  er  in  San  Francisco  eine  Brauerei  gründete. 
Aber  auch  diese  bildete  nur  eine  vorübergehende  Etappe  im  Entwicklungsgang 
des  jungen  Deutschen.  San  Francisco  war  der  Einfuhrhafen  für  den  auf  Hawaii 
erzeugten  Zucker.  Beim  Studium  dieses  Zuckerhandels  erspiihte  Spreckels  seine 
Gelegenheit.  Ehe  er  diese  ergriff,  beschloß  er  das  Zuckergeschäft  und  die 
Zuckerfabrikation  gründlich  zu  lernen  und  trat  ak  Arbeiter  in  eine  New  Yorker 
Zuckersiederei  ein.  Nachdem  er  hier  alles  Wissenswerte  erlernt,  reiste  er  nach 
Deutschland,    um    sich    mit   den    dort   angewendeten    Methoden    vertraut    zu 

25* 


—     388     — 

machen.  Dann  kehrte  er  nach  KaHfornien  zurück  und  gründete  in  Ge- 
meinschaft mit  seinem  Bruder  im  Jahre  1863  die  „California  Sugar 
R  e  f  i  n  e  r  y  ".  Diese  überflügelte  infolge  ihrer  vortrefflichen  Einrichtungen 
bald  alle  anderen  kalifornischen  Raffinerien.  Spreckels  legte  diese  vollends  lahm, 
als  es  ihm  im  Jahre  1876  gelang,  die  ganze  Zuckerproduktion  Hawaiis  an  sicli 
zu  bringen.  Das  geschah  durch  sehr  geschickte  Schachzüge,  welche  fast  sämt- 
liche Zuckerplantagen  jener  Inselgruppe  in  den  Besitz  der  von  Spreckels  ge- 
gründeten „Hawaii  an  Commercial  Company"  brachten.  Die  Er- 
werbung dieser  Plantagen  war  um  so  wichtiger,  als  zwischen  Hawaii  und  den 
Vereinigten  Staaten  kurz  zuvor  ein  Handelsvertrag  abgeschlossen  worden  war, 
der  hawaiischem  Zucker  zollfreie  Einfuhr  in  die  Vereinigten  Staaten  sicherte. 
Bereits  in  den  achtziger  Jahren  hatte  Spreckels  sich  den  stolzen  Beinamen  des 
„kalifornischen  Zuckerkönigs"  erworben.  Sein  außerordentlicher  Erfolg  weckte 
aber  die  Eifersucht  des  den  Osten  beherrschenden  Zuckertrusts.  Dieser  bot 
Spreckels  eine  ungeheure  Summe  für  die  Abtretung  seiner  Interessen.  Als 
Spreckels  das  Angebot  ablehnte,  begann  der  Trust  den  kalifornischen  Zucker- 
könig bitter  zu  befehden.  Aber  der  zähe  Norddeutsche  trug  den  Krieg  in 
Feindesland,  indem  er  mit  einem  Kostenaufwand  von  fünf  Millionen  Dollar  bei 
Philadelphia  eine  Zuckerraffinerie  größten  Maßstabes  errichtete  und  dem  Trust 
so  scharfen  Wettbewerb  bereitete,  daß  dieser  endlich  um  Frieden  bat.  Man 
traf  ein  Übereinkommen,  wonach  der  Zuckertrust  sich  verpflichtete,  sich  auf 
den  Osten  der  Vereinigten  Staaten  zu  beschränken,  wogegen  man  Spreckels 
den  unbestrittenen  Besitz  des  westlichen  Marktes  überließ.  Nach  diesem  Siege 
wandte  Spreckels  sich  dem  weiteren  Ausbau  seines  immer  größere  Verhältnisse 
annehmenden  Zuckergeschäftes  zu.  Hauptsächlich  auf  seine  Anregung  erfolgte 
der  Anbau  der  Zuckerrübe,  der  den  westlichen  Farmern  zu  einer  neuen  Quelle 
fabelhaften  Reichtums  wurde.  Bei  Watsonvilles  in  Kalifornien  bepflanzte 
Spreckels  eine  1500  Acres  große  Farm  mit  Zuckerrüben,  die  er  in  einer  dort 
errichteten  großen  Siederei  verarbeitete.  —  Als  Spreckels  am  26.  Dezember  190S 
starb,  wurde  sein  Vermögen  auf  50  bis  60  Millionen  Dollar  geschätzt. 

Auch  in  der  Getränke-Industrie,  besonders  in  der  Bierproduktion,  nehmen 
die  Deutschamerikaner  heute  die  führende  Stelle  ein.  Bier  war  bereits  im 
17.  Jahrhundert  in  den  von  den  Holländern  und  Engländern  gegründeten  Nie- 
derlassungen gebraut  worden.  Im  Jahre  1810  bestanden  in  den  Vereinigten 
Staaten  147  Brauereien,  die  zusammen  182  690  Fässer  Bier  erzeugten.  Bis  zum 
Jahre  1850  steigerte  sich  diese,  fast  ausschließlich  von  Amerikanern  betriebene 
Produktion  auf  740  000  Fässer,  um  dann  aber,  als  die  Deutschen  sich  der  Brau- 
industrie bemächtigten,  geradezu  erstaunliche  Verhältnisse  anzunehmen.  An- 
statt der  nach  Art  des  englischen  Ale  gebrauten  schweren  Biere  führten  die 
Deutschen  das  bedeutend  leichtere,  dem  amerikanischen  Klima  mehr  ent- 
sprechende Lagerbier  ein.  Dieses  verdrängte  nicht  nur  die  weit  mehr  Alkohol 
enthaltenden  englischen  Biere  fast  vollständig,  sondern  tat  auch  dem  außer- 
ordentlich starken  Verbrauch  von  Whiskey  und  anderen  Branntweinsorten  ge- 


33 


CQ 


—     393     — 

waltigen  Abbruch.  Welcher  wachsenden  Beliebtheit  sich  das  erfrischende 
deutsche  Bier  erfreut,  erhellt  aus  folgenden  Produktionsziffern : 

1880:  12  800  900  Barrels') 
1890:  26  820  953 
1900:  39  330  849 
1906:  54  724  553 
1907:  58  622  002 

Nahezu  drei  Viertel  aller  in  den  Vereinigten  Staaten  bestehenden  Brauereien 
befinden  sich  in  deutschen  Händen.  Die  bedeutendsten  sind  die  „Anheuser- 
Busch  Brauerei"  in  St.  Louis,  die  „  P  a  b  s  t  Brauerei"  und  die 
„Schlitz  Brauerei"  in  Milwaukee,  von  denen  jede  zwischen  1  bis  2  Mil- 
lionen Fässer  Bier  jährlich  erzeugt. 

Es  ist  zweifellos  von  großem  Interesse,  festzustellen,  aus  welchen  be- 
scheidenen Anfängen  diese  heute  so  gewaltigen  Geschäfte  emporwuchsen.  Der 
Anfang  der  Anheuser-Busch  Brauerei  reicht  bis  ins  Jahr  1857  zurück,  wo 
Eberhard  Anheuser  sich  genötigt  sah,  als  Hauptgläubiger  der  in  Kon- 
kurs geratenen  Firma  Hammer  &  Urban  deren  Brauerei  zu  übernehmen. 
Er  verband  sich  im  Jahre  1865  mit  Adolph  us  Busch,  und  nun  begann 
unter  der  umsichtigen  Leitung  dieser  beiden  Männer  das  junge  Geschäft  einen 
geradezu  fabelhaften  Aufschwung  zu  nehmen.  Dasselbe  wandte  sich  haupt- 
sächlich der  bis  dahin  kaum  beachteten  Flaschenbierindustrie  zu  und  erzielte 
darin  ganz  ungeahnte  Erfolge,  nachdem  sie  durch  ein  besonderes  Sterilisierungs- 
verfahren  die  Ausfuhr  des  Flaschenbiers  auch  nach  tropischen  Ländern  ermög- 
licht hatte.  Jahr  für  Jahr  mußten  nun  den  bestehenden  Bauten  neue  hinzu- 
gefügt werden,  um  mit  den  an  die  Brauerei  gestellten  Anforderungen  Schritt 
halten  zu  können.  Im  Jahre  1908  bedeckten  diese  Bauten  bereits  136  Acres. 
Unter  ihnen  befindet  sich  ein  Brauhaus,  welches  täglich  9000  Fässer  Bier  zu 
erzeugen  vermag.  Ferner  eine  Füllanstalt,  wo  täglich  eine  Million  Flaschen 
gefüllt  werden.  Die  Vorratsspeicher  für  Malz  und  Gerste  vermögen  1  750  000 
Bushel  zu  fassen.  Die  Lagerräume  reichen  aus  für  600  000  Fässer.  Eine  Eis- 
fabrik liefert  täglich  650  Tonnen  Eis;  eine  Kraftstation  spendet  die  nötige  Be- 
triebskraft, die  jener  von  12  000  Pferden  gleichkommt.  Außerdem  unterhält 
die  „Anheuser-Busch  Brauerei"  zwei  eigne  Glasfabriken  zum  Herstellen  ihrer 
Flaschen;  ferner  eigne  Faß-,  Wagen-  und  Maschinenfabriken  sowie  Reparatur- 
werkstätten. Eine  eigne  Eisenbahn  verbindet  die  Brauerei  mit  den  Frachtbahn- 
höfen. Die  Zahl  der  Angestellten  beläuft  sich  in  St.  Louis  auf  6000  Köpfe. 
Dazu  kommen  noch  1500  Personen,  die  in  42,  in  verschiedenen  Städten  der 
Union  bestehenden  Zweiganlagen  beschäftigt  sind. 

Der  Gründer  der  „Pabst  Brauerei"  in  Milwaukee  war  Jakob 


>)  1  Barrel  enthält  31 '  -  Gallonen  oder  117,3  Liter. 


—     394     — 

Best.  Als  er  im  Jahre  1844  seine  Brauerei  eröffnete,  belief  sich  ihre  Pro- 
duktion im  ersten  Jahr  ihres  Bestehens  auf  nur  300  Fässer.  Unter  der  späteren 
Leitung  von  Philipp  Best,  Emil  Schandein,  Friedrich  Pabst 
und  Gustav  Pabst  steigerte  sich  die  Produktion  auf  jährlich  z.wei  Mil- 
lionen Fässer. 

Deutscher  Fleiß,  deutsche  Ausdauer  und  Sparsamkeit,  verbunden  mit 
amerikanischem  Erfindungs-  und  Unternehmungsgeist  verhalfen  auch  der  von 
Joseph  Schlitz  in  Milwaukee  gegründeten  und  nach  dessen  Tode  von 
seinen  Neffen  Gebrüder  U  i  h  1  e  i  n  weitergeführten  „Schlitz  Brauerei'' 
zu  hoher  Blüte. 

Hier  wie  in  den  vorgenannten  deutschamerikanischen  Brauereien  sieht 
der  Besucher  sämtliche  wissenschaftlichen  Errungenschaften  auf  chemisch  brau- 
technischem sowohl  wie  pflanzenphysiologischem  Gebiet  verwertet.  Und  zu- 
gleich erregen  die  praktischen  Anlagen  wie  auch  die  allerwärts  herrschende 
peinliche  Sauberkeit  gerechte  Bewunderung. 

Als  Joseph  Schlitz  im  Jahre  1849  seine  Brauerei  eröffnete,  belief  sicli 
deren  Produktion  auf  nur  400  Fässer.  Im  Jahr.e  1880  wurde  die  Zahl  100  000, 
im  Jahre  1903  die  Zahl  1  000  000,  1907  die  Zahl  1  500  000  überschritten.  Wie 
in  den  „Anheuser-Busch-"  und  „Pabst  Brauereien",  so  sind  auch  hier  alle  An- 
lagen und  technischen  Einrichtungen  ideale  zu  nennen.  Großartige,  von 
Deutschamerikanern  betriebene  Brauereien  bestehen  auch  in  New  York,  Ro- 
chester, Buffalo,  Philadelphia,  Pittsburgh,  Baltimore,  Washington,  Cincinnati, 
Chicago  und  zahlreichen  anderen  amerikanischen  Städten. 

In  wirtschaftlicher  Hinsicht  ist  die  Brauindustrie  für  die  Vereinigten 
Staaten  von  außerordentlicher  Wichtigkeit  geworden.  Nicht  bloß  weil  sie 
hunderttausenden  von  Arbeitern  lohnende  Beschäftigung  bietet,  sondern  weil 
auch  fast  alle  bei  der  Brauerei  verwendeten  Rohstoffe,  wie  Gerste,  Malz  und 
Hopfen,  in  den  Vereinigten  Staaten  gewonnen  werden,  wodurch  den  Farmern 
ungeheure  Einnahmen  zufließen. 

Auch  in  der  Herstellung  mancher  anderen  Nahrungs-  und  Genußmittel 
beherrschen  Deutschamerikaner  das  Feld. 

Der  Hannoveraner  F.  Schumacher  wandte  sich  der  Herrichtung  des 
bei  den  Amerikanern  sehr  beliebten  Oatmeal  zu.  Seine  in  Akron,  Ohio,  ge- 
legenen „  G  e  r  m  a  n  Mills"  erzeugten  an  Hafermehl,  Weizen-  und  Gersten- 
graupen, Farina  usw.  jährlich  für  mehr  als  zwei  Millionen  Dollar.  Als  Schu- 
macher sich  vor  wenigen  Jahren  als  vielfacher  Millionär  zurückzog,  verkaufte 
er  seine  bedeutenden  Anlagen  an  die  „  A  m  e  r  i  c  a  n  C  e  r  e  a  1  C  o.",  die  jetzige 
„Quaker   Oats    Co." 

Ebenso  erfolgreich  wie  Schumacher  war  Heinrich  J.  Heinz,  welcher 
im  Jahre  1869  bei  Sharpsburg  in  Pennsylvanien  ein  kleines,  weniger  als  einen 
Acker  großes  Grundstück  mit  Meerrettig  bepflanzte  und  diesen  in  dem  Hinter- 
stübchen  seines  bescheidenen  Wohnhäuschens  durcii  einige  Frauen  verarbeiten 


23 


o 


—     390     — 


In  der  Konservenfabrik  H.  J.  Heinz  &  Co.,  Fittsburgh, 
Pennsylvanien. 


ließ.  Für  das  fertige 
Erzeugnis  fand  Heinz 
im  nafien  Pittsburgh 
willige  Abnehmer.  Ihre 
Zahl  wuchs,  so  daß 
Heinz  zwei  Jahre  spä- 
ter sein  Geschäft  nach 
Pittsburgh  verlegte,  wo 
es  sich  im  Lauf  der 
Jahre  zu  einer  groß- 
artigen Konservenfabrik 
entwickelte,  die  sich 
mit  dem  Einmachen  von 
allerhand  Gemüsen  und 
Früchten  befaßt  und 
zur  bedeutendsten  der 
Vereinigten    Staaten 

wurde.  Heute  umfaßt  die  „H.  J.  Heinz  Company"  18  große  und  zahl- 
reiche kleinere  Gebäude,  die  eine  Fläche  von  160  Stadtgrundstücken  einnehmen. 
Gegen  30  000  Acker  Landes  und  Obstgärten  werden  entweder  durch  Ange- 
stellte der  Firma  bestellt  oder  liefern  ihre  Erzeugnisse  auf  Grund  kontraktlicher 
Vereinbarungen  an  die  Firma  ab.  Um  diese  Rohmateriale  in  möglichst  frischem 
Zustand  verarbeiten  zu  können,  errichtete  die  Firma  nicht  nur  in  sieben  ver- 
schiedenen Staaten  der  Union,  sondern  auch  in  Canada  und  Spanien  69  Ein- 
machstationen und  14  Fabriken.  Die  Zahl  der  ständig  angestellten  Personen 
beträgt  4000.  Zur  Zeit  der  Ernten  hingegen  sind  gegen  40  000  für  die  Zwecke 
der  Firma  tätig. 

Im  Fleischhandel  zählt  die  Firma  Schwarz  schild  &  Sulzberge  r 

in  New  York  zu  den  ersten  de;^ 
Landes.  In  der  Tabakindustrie 
schritt  die  von  G.  W.  G  a  i  1  und 
Christian  Ax  in  Baltimore 
gegründete  Firma  G  a  i  1  &  A  x 
an  der  Spitze,  bis  sie  im  Jahre 
1 891  mit  der  „American  To- 
bacco Company"  verschmol- 
zen wurde. 

Die  Entwicklung  der  Leder- 
und    Lederwarenindustrie    wurde 
gleichfalls  durch  die  in  den  Ver- 
einigten   Staaten    lebenden    Deut- 
ln der  Konservenfabrik  H.  J.  Heinz  &  Co..         schen  mächtig  gehoben.     Die  be- 
Pittsburgh,  Pennsylvanien.  deutendsten      Lederfabriken     des 


400 


Landes  sind  entweder  ihr  Eigentum  oder  werden  von  Deutschamerikanern  ge- 
leitet. Wohl  obenan  stellt  diejenige  von  Robert  H.  Foerderer  in  Frank- 
ford bei  Philadelphia. 
Seine  gegen  4000  Ar- 
beiter beschäftigende 
Fabrik  vermag  täglich 
50  000  bis  75  000  fer- 
tig zugerichtete  Zie- 
genhäute für  die  Schuh- 
warenfabrikation zu 
liefern.  Die  Möglich- 
keit, eine  so  ungeheure 
Menge  zuzubereiten, 
wurde  durch  die  im 
Jahre  1883  patentierte 
Erfindung  des  in  New 
York  lebenden  Deut- 
schen August 
Schultz  herbeige- 
führt, welche  an  Stelle 
des  bisher  üblichen, 
äußerst  langwierigen 
und  nicht  immer  zu- 
friedenstellenden 
Gerbeverfahrens  mittels 
vegetabilischer  Stoffe 
ein  solches  durch  Säu- 
ren setzte.  Dieses, 
einen  völligen  Um- 
schwung in  der  Leder- 
industrie bewirkende 
Verfahren,  welches  von 
Robert  H.  Foerderer 
nach  vielen  mühseligen 
und  kostspieligen  Ver- 
suchen in  verschiede- 
nen Abweichungen 
auch  auf  alle  anderen 
Arten  von  Leder  aus- 
gedehnt wurde,  ver- 
ringerte sowohl  die  Dauer  wie  die  Kosten  des  Gerbeprozesses.  Obendrein  erhöhte 
es  die  Güte  und  Gleichmäßigkeit  des  Leders.  Die  Folge  war,  daß  das  französische 
Kidleder,  welches  früher  den  amerikanischen  Markt  beherrschte,  aus  demselben 


B 
tu 

;c 
o 
o* 


T1 
O 


T1 


3* 


—     401     — 

vollständig  verdrängt  wurde.  Auch  in  der  Herstellung  von  bunten,  matten, 
Glanz-  und  Lack-Lederarten,  ferner  der  feinen  Ledersorten  für  die  Handschuh- 
fabrikation steht  die  Firma  Foerderer  an  der  Spitze.  Andere  deutschameri- 
kanische Großgeschäfte  dieser  Art,  von  welchen  mehrere  sich  auch  mit  der 
Herrichtung  von  Sohlen-  und  Wagenleder  befassen,  sind  die  Firmen  P  f  i  s  t  e  r  & 
V  o  g  e  1  in  Milwaukee,  OscarScherer&  Bros,  in  New  York,  S  c  h  o  e  1 1- 
k  o  p  f  &  Co.  in  Buffalo,  Georg  Stengel  in  New  Jersey,  Carl  E. 
Schmidt  &  Co.  in  Detroit,  die  „Ruepping  Leder  C  o."  in  Fond  du 
Lac,  C.  M  o  e  n  c  h  &  Co.  in  Boston  sowie  die  von  Deutschen  betriebene 
„K  e  y  s  t  o  n  e  L  e  a  t  h  e  r  C  o."  und  die  „W  oHf  Process  LeatherC  o." 
in  Philadelphia. 


Die  Dixie-Gerbereien  der  Lederriemenfabrik  Ciiarles  A.  Schieren  Company    New  York^ 

zu  Bristol,  Tennessee. 


Von  welcher  Bedeuttmg  manche  dieser  Fabriken  sind,  kann  man  daraus 
schließen,  daß  die  von  den  drei  Württembergern  J.  F.  Schöllkopf, Guido 
P  f  i  s  t  e  r  und  Friedrich  Vogel  im  Jahre  1848  gegründete  Firma  P  f  i  - 
ster  &  Vogel  Leather  C  o.''  in  Milwaukee  3500  Personen  beschäftigt 
und  täglich  16  000  Kalb-  und  Ziegenfelle,  5000  Rindvieh-  und  1500  Pferde- 
häute verarbeitet.    Die  Jahresproduktion  bewertet  sich  auf  15  Millionen  Dollar. 

Die  im  Jahre  1868  gegründeten  Fabriken  des  aus  den  Rheinlanden  ein- 
gewanderten Charles  A.  Schieren  in  Brooklyn,  New  York,  befassen  sich 
mit  dem  Herstellen  von  Treibriemen.  In  ihren  25  Acker  einnehmenden  „D  i  x  i  e 
T  a  n  n  e  r  i  e  s  "  zu  Bristol,  Tennessee,  werden  jährlich  100  000  schwere  Häute 
zu  Riemen  verarbeitet. 


Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika. 


26 


—     402     — 

In  der  Handschuhfabrikation  zählen  die  Firmen  Julius  Kayser  in 
Brooklyn  und  Gebrüder  Littauer  in  Gloversville,  New  York,  zu  den 
führenden. 

Daß  die  Deutschen  auch  an  der  Fabrikation  musikalischer  Instrumente 
einen  ungeheuren  Anteil  haben,  kann  bei  ihrer  ausgesprochenen  Vorliebe  für 
Musik  nicht  überraschen.  Aber  wer  die  lange  Liste  der  in  den  Vereinigten 
Staaten  bestehenden  Piano-  und  Orgelfabriken  überfliegt,  wird  über  die  große 
Zahl  deutscher  Namen  doch  in  Staunen  geraten. 

Schon  im  Jahre  1789  lebte  in  Philadelphia  ein  deutscher  Pianobauer 
Karl  Albrecht,  von  dessen  Instrumenten  eins  sich  im  Besitz  der  „Penn- 
sylvania Historical  Society"  zu  Philadelphia,  ein  zweites  im  „New  Yorker 
Museum  of  Art"  befindet. 


Die  Pianofabrik  der  Firma  William  Knabe  &  Co.  in  Baltimore,  Maryland. 

Wesentlich  verbesserte  Instrumente  lieferte  bereits  im  Jahre  1833  der 
Pianobauer  Conrad  Meyer.  Er  stellte  die  ersten  sechsoktavigen  Klaviere 
her,  die  einen  vollen  Eisenrahmen  besaßen.  Diese  mit  Rücksicht  auf  die  eigen- 
artigen klimatischen  Zustände  der  östlichen  Vereinigten  Staaten  getroffene  Neue- 
rung bewährte  sich  so  glänzend,  daß  sie  allgemein,  auch  in  Europa,  Ein- 
gang fand. 

Der  Ursprung  der  großen  Pianofabriken  Lindeman  &  Sons  in  New 
York  reicht  gleichfalls  bis  in  die  erste  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  zurück.  Sie 
wurde  von  Wilhelm  Lindemann  im  Jahre  1836  gegründet. 

Der  aus  Kreuzburg  stammende  Wilhelm  Knabe  gründete  im  Jahre 
1837  in  Baltimore  eine  zu  großer  Bedeutung  gelangende  Pianofabrik,  die  haupt- 
sächlich die  südlichen  Staaten  der  Union  mit  vorzüglichen  Instrumenten  ver- 
sorgte. Nach  Knabes  Tode  im  Jahre  1864  v/urde  die  Firma  von  seinen  Söhnen 
und  Enkeln  fortgeführt,  aber  im  Jahre  1908  mit  der  „American  Piano 
Company"   verschmolzen.      Der   Hauptsitz   beider   Gesellschaften    befindet 


—    403     — 

sich  in  dem  schönen  Knabe-Gebäude  an  der  5.  Avenue  in  New  Yoric,  welches 
von  der  Firma  Knabe  errichtet  wurde. 

Die  bedeutende,  jährhch  5000  Instrumente  Uefernde  „Weber  Piano 
C  o."  in  New  York  leitet  ihren  Ursprung  auf  den  genialen  Albert  Weber 
zurück,  der  mit  der  Herstellung  seiner  durch  ungemein  schönen  und  kräftigen 


Heinrich  Steinway,  der  Begründer  der  Pianofabrik  Steinway  &  Söhne  in  New  York. 


Ton  ausgezeichneten  Pianos  im  Jahre  1852  begann.  Fast  um  dieselbe  Zeit,  im 
März  1853  eröffnete  auch  der  aus  Seesen,  Braunschweig,  eingewanderte  Orgel- 
bauer Heinrich  Engelhard  Stein  weg  oder  Steinway  im  Verein 
mit  seinen  Söhnen  Karl,  Heinrich,  Wilhelm  und  Theodor  in  New 
York  eine  Pianofabrik,  die  im  Lauf  der  Jahrzehnte  zu  einer  der  bedeutendsten 
Amerikas  emporblühte.     Ihre  gegenwärtige  Jahresproduktion  beläuft  sich  auf 

26* 


—     404     — 

7000  Instrumente.  Kaum  eine  Firma  trug  durch  so  viele  Erfindungen  und  Ver- 
besserungen so  erheblich  zum  Aufschwung  der  amerikanischen  Pianoforte- 
Baukunst  bei,  als  diese;  kaum  eine  erntete  aber  auch  auf  den  Weltausstellungen 


Die  Pianofabriken  der  Firma  Steinway  &  Söhne  in  Steinway,  Long  Island,  New  York. 


der  letzten  Jahrzehnte  so  zahlreiche  Triumphe.  Zu  den  wichtigsten  von  den 
Stein ways  eingeführten  Verbesserungen  im  Pianoforte-Bau  gehört  die  kreuz- 
förmige Anordnung  der  Saiten.     Ferner  stellten  sie  im  Jahre  1866  die  ersten 


—     405     -- 

aufrechtstehenden  Instrumente  in  Amerika  her,  welche,  da  sie  weniger  Raum 
beanspruchen,  die  tafelfönnigen  Klaviere  völlig  verdrängten. 

Außer  den  bereits  genannten  Firmen  ragen  aus  der  Menge  der  deutsch- 
amerikanischen Pianofabriken  noch  diejenigen  von  Kranich  &  Bach, 
Sohmer  &  Co.,  Otto  Wißner,  Decker  &  Sohn,  die  Schaeffer 
Piano  Co.,  Steck  &  Co.,  Strich  &  Zeidler  und  andere  in  New  York 
hervor.  Außerdem  bestehen  in  Anburn  und  Buffalo,  N.  Y.,  in  Newark  und 
Woodbury,  N.  J.,  in  New  Haven,  Conn.,  in  Easton,  Pa.,  in  Baltimore,  Md.,  in 
Wheeling,  W.  V.,  in  Cincinnati  und  Masillon,  O.,  in  Jackson,  Mich.,  in  Ham- 
mond,  Ind.,  in  Rockford,  Steger  und  Chicago,  111.,  in  Faribault,  Minn.,  sowie  in 
St.  Louis,  San  Francisco  und  anderen  Orten  des  fernen  Westens  zahlreiche  be- 


Die  Pianofabrik  der  Firma  Steinway  &  Söhne  an  Park  Avenue  und  53.  Straße  in  New  York. 


deutende  Piano-  und  Orgelfabriken,  deren  Namen  bekunden,  daß  sie  von  Deut- 
schen gegründet  und  geleitet  sind. 

Auch  mit  der  Fabrikation  der  zum  Piano-  und  Orgelbau  benötigten  Eisen- 
rahmen, Stahldrähte,  Hämmer,  Tasten,  Pfeifen  und  Gehäuse  sind  viele  deutsch- 
amerikanische Firmen  beschäftigt.  Die  Herstellung  feinster  Filze  für  die  Piano- 
Industrie  wurde  von  dem  Chemnitzer  Alfred  Dolge  nach  Amerika  über- 
tragen. In  der  auf  den  Höhen  des  Mohawktals  im  Staat  New  York  gelegenen 
Ortschaft  Brockett's  Bridge,  die  ihm  zu  Ehren  den  Namen  D  o  1  g  e  v  i  1 1  e  an- 
nahm, schuf  er  bedeutende  Anlagen  zur  Herstellung  von  Pianofilzen,  Klavier- 
gehäusen und  Filzschuhen.  Später  wandte  Dolge  sich  nach  Kalifornien  und 
gründete  in  der  Nähe  von  Los  Angeles  die  Ortschaft  New  Dolgeville, 
welche  mit  ihren  rasch  aufblühenden  Fabriken  für  die  rastlose  Energie  ihres 
Begründers  das  glänzendste  Zeugnis  ablegt.     Alfred  Dolge  war  übrigens  in 


—     406     — 

Amerika  auch  einer  der  ersten,  welclie  die  Berechtigung  der  Arbeiter  auf  mehr 
als  den  einfachen  Lohn  anerkannten.  In  seinen  Fabriken  führte  er  deshalb  ein 
seitdem  von  manchen  anderen  großen  Körperschaften  angenommenes  System 
ein,  welches  den  Arbeitern  Lebensversicherung  und  Pension  sichert,  wenn  ihre 
Erwerbsfähigkeit  ein  Ende  erreicht. 

Unter  den  zahlreichen  deutschamerikanischen  Kunsttischlereien  und 
Möbelfabriken  ist  die  mit  der  Herstellung  von  Bureauutensilien  und  Bücher- 
schränken beschäftigte  Firma  „Globe-WernickeCompany^'in  Grand 
Rapids,  Michigan,  eine  der  bekanntesten.  Sie  brachte  zuerst  jene  aus  einzelnen 
Fächern  zusammensetzbaren  Bücherschränke  in  den  Handel,  die  sich  als  eine 
der  praktischsten  Neuerungen  im  Bibliothekswesen  bewährten. 


Die  Spinnereien  der  von  Stöhr,  Arnold  und  Hirsch  gegründeten  Botany  Worsted  Mills 

zu  Passaic,  New  Jersey. 

In  der  hochentwickelten  Textilindustrie  sind  die  Deutschamerikaner  als 
Inhaber  oder  Leiter  der  größten  Fabriken  gleichfalls  ungemein  zahlreich.  Zu 
den  bedeutendsten  Anlagen  Amerikas  gehören  die  von  Deutschen  gegründeten 
Kammgarnspinnereien  „Botany  Worsted  Mills"  und  die  „Gera 
Mills"  zu  Passaic,  New  Jersey.  Die  „Botany  Worsted  Mills"  sind  eine  im 
Jahre  1889  erfolgte  Gründung  des  Leipziger  Kommerzienrats  Eduard 
P.  R.  S  t  ö  h  r  im  Verein  mit  A  r  n  o  1  d  und  Hirsch.  Zunächst  befaßte  sich  die 
Fabrik  mit  dem  Spinnen  von  Kammgarn.  Aus  kleinen  Anfängen  entwickelte 
sie  sich  rasch.  In  den  nächsten  Jahren  traten  noch  Weberei,  Appretur  und 
Färberei  dazu,  so  daß  die  Anstalt  heute  in  der  Lage  ist,  ihre  Waren  aus  dem 
Rohmaterial,  der  Wolle,  selbständig  herzustellen.  Sie  fabriziert  außer  Garnen 
irgendwelche  Waren,  die  von  der  Herren-  und  Damenkonfektion  benötigt 
werden.    Die  Anzahl  der  Arbeiter  betrug  im  Jahre  1908  gegen  4000. 


—     407     — 


Die  „Gera  Mills"  wurden  von  den  aus  Gera  in  Sachsen  stammenden 
Gebrüdern  Weisflog  ins  Leben  gerufen.  Deutschen  Ursprungs  sind 
auch  die  im  Jahre  1902  von  Paul  Haberland  und  Ernst  Pfenning 
gegründeten  „G  a  r  f  i  e  1  d  W  o  r  s  t  e  d  M  i  1 1  s"  zu  Passaic,  New  Jersey,  welche 
bei  der  Herstellung  von  feinen  Kammgarnen  900  Arbeiter  und  800  Webstühle 
beschäftigen,  und  die  „Fe  r  n  Rock  Mills"  in  Philadelphia. 

Auch  die  meisten  der  in  Amerika  bestehenden  Färbereien  und  Bleichereien 
werden  von  Deutschen  betrieben.  In  fast  allen  diesen  Anlagen  stellen  sie  auch 
die  bestgeschulten  Arbeiter.  Die  Hauptsitze  der  deutschamerikanischen  Seiden- 
färbereien sind  Paterson,  Lodi  und  Philadelphia.  Der  Name  des  in  der  letzt- 
genannten Stadt  wohnenden  Dr.  Karl  S  c  h  1  a  1 1  e  r  ist  für  die  Färberei  in 
Amerika  von  ebenso  unbestrittener  Bedeutung,  wie  der  Name  „Hermsdorf"  in 
Deutschland  in  bezug  auf  die  echte  Schwarzfärberei. 

Die  chemische  Industrie  der  Vereinigten  Staaten  verdankt  ihre  ungeheure 
Entwicklung  gleichfalls   in   erster  Linie   Deutschen   und    Deutschamerikanern. 

Seitdem  an  der  Universität  zu  Gießen  im  Jahre  1831  das  erste  öffentliche 
Laboratorium  der  Welt  gegründet  wurde,  wo  hervorragende  Chemiker  wie 
Liebig  und  Will  Anleitungen  zu  chemischen  Experimenten  und  Analysen  er- 
teilten, und  seitdem  die  Professoren  Fresenius  in  Wiesbaden,  Bunsen  in  Heidel- 
berg, Woehler  in  Göttingen  die  praktische  Anwendung  solcher  Experimente 
auf  die  verschiedenen  Zweige  der  Industrie  und  Künste  lehrte,  strömten  aus 
allen  Teilen  der  Welt  Leute  nach  den  deutschen  Universitäten,  um  die  junge, 
rasch  sich  entwickelnde  Wissenschaft  zu  studieren.  Unter  diesen  Studenten 
befanden  sich  viele  Amerikaner  deutscher  und  englischer  Abstammung,  die  nach 
ihrer  Rückkehr  die  chemische  Industrie  in  Amerika  mächtig  förderten.  Einer 
der  Hauptsitze  der  chemischen  Industrie  wurde  Baltimore.  Hier  traten  bereits 
um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  die  Chemiker  Otto  Dieffenbach  und 
Karsten  in  den  Dienst  der  „Baltimore  Chrome  Works".  Dr. 
Gustav  Liebig  schlug  im  Jahre  1860  ebendaselbst  seinen  Wohnsitz  auf 
und  betätigte  sich  drei  Jahrzehnte  hindurch  als  einer  der  Pioniere  auf  dem 
Gebiet  der  landwirtschaftlichen  Chemie.  Durch  ihn  wurde  Baltimore  einer  der 
Hauptherstellungsorte  künstlicher  Düngemittel.  Dr.  Wilhelm  Simon, 
ein  Schüler  des  Gießener  Professors  Will,  seit  1870  Leiter  der  „Chrome  Werke 
zu  Baltimore",  errichtete  mit  Unterstützung  des  „Maryland  College  of 
Pharmacy"  das  erste,  Lehrzwecken  dienende  chemische  Laboratorium  im 
Staate  Maryland.  Das  von  ihm  herausgegebene  „Manual  of  Chemistry"  erlebte 
mehrere  große  Auflagen  und  ist  noch  jetzt  eins  der  meist  benutzten  Lehrbücher. 
Der  Metallurgist  G.  W.  Lehmann,  ein  Schüler  des  Professors  Fresenius, 
kam  im  Jahre  1866  nach  Baltimore.  Er  führte  als  Erster  in  Amerika  die  elektro- 
lytische Methode  zur  Analysierung  des  Kupfers  ein  und  beschäftigte  sich  bereits 
zu  Anfang  der  siebenziger  Jahre  mit  der  Lösung  des  Problems,  auf  elektrischem 
Wege  die  Scheidung  von  Silber  und  Gold  als  ein  kommerzielles  Unternehmen 
zu  betreiben. 


—     408     — 

Viele  der  in  den  Vereinigten  Staaten  einwandernden  deutschen  Chemilter 
wandten  sich  auch  der  geschäftsmäßigen  Herstellung  pharmazeutischer  Prä- 
parate zu.  Louis  und  Karl  E.  Dohme  errichteten  beispielsweise  in  Bal- 
timore eine  Anstalt  zur  Erzeugung  organischer  und  anorganischer  Präparate. 
Dieselbe  ist  zu  einer  der  bedeutendsten  in  den  Vereinigten  Staaten  empor- 
gewachsen. Ähnliche,  in  deutschen  Händen  befindliche  Fabriken  sind  die 
„Power,  Weightman  &  Rosengarten  C  o."  in  Philadelphia,  die 
„Schäfer  AlkaloidWorks"  in  Maywood,  New  Jersey,  die  „Verona 
Chemical  Works"  in  Verona,  New  Jersey,  die  „Albany  Chemical 
Works"  in  Albany,  New  York,  CharlesPfizer&Co.  und  die  „  H  e  y  - 
den  Chemical  C  o."  in  New  York,  sowie  Larkin  &  Scheffer, 
Herf  &  Frerichs  und  die  „Mallinckrodt  Chemical  Works" 
in  St.  Louis. 

Mit  der  Herstellung  von  Anilin-Farben  befassen  sich  die  Firmen 
H.  A.  Metz  &  Co.,  Heller  &  Merz  in  New  York  und  die  „Hudson 
RiverAniline&ColorWorks"in  Albany,  New  York.  Chemikalien 
für  technische  Zwecke  sind  die  Spezialität  der  Firma  Maas  &  Waldstein 
in  New  York.  Die  Fabriken  der  Gebrüder  Fritzsche  in  New  York 
bereiten  aromatische  Öle ;  die  „International  Ultramarine  C  o."  in 
New  York  künstliches  Ultramarin;  A.  Klipstein  &  Co.  Saccharin  und  Va- 
nilin ;  Marx  &  Ra  wolle  Glycerin ;  und  die  „  R  o  e  ß  1  e  r  &  H  a  ß  1  a  c  h  e  r 
Chemical  Co."  Chloroform,  Natrium,  Aceton,  Zinnoxyd,  Cyanid  und 
Farben  für  keramische  Zwecke,  die  bisher  in  den  Vereinigten  Staaten  nicht  her- 
gestellt wurden,  sondern  aus  Europa  eingeführt  werden  mußten. 

Die  deutsche  Firma  Battle  &  Renwick  in  New  York  betreibt  die 
Gewinnung  von  Salpeter  und  salpetersaurem  Soda;  W.  C.  Hereus  in 
Newark  diejenige  von  Platin ;  Chas.  Lenning  &  Co.  in  Philadelphia  jene 
von  Alaun,  und  F.  B  r  e  d  t  &  Co.  in  New  York  jene  von  Bleizucker  und 
Essigsäure. 

Die  Herstellung  von  Bleistiften  wurde  bereits  im  Jahre  1849  durch  Eber- 
hard Faber,  ein  Mitglied  der  berühmten  Nürnberger  Familie  Faber,  nach 
Amerika  übertragen.  Die  von  ihm  in  New  York  erbaute  Bleistiftfabrik  ent- 
wickelte sich  seit  ihrer  im  Jahre  1872  erfolgten  Verlegung  nach  Greenpoint  auf 
Long  Island  zur  bedeutendsten  der  Vereinigten  Staaten.  Mit  ihr  wetteifert  die 
im  Jahre  1865  von  Heinrich  Berolzheimer  aus  Fürth  in  New  York 
gegründete  „Eagle  Pencil  Compan  y". 

In  der  Tonwaren-  und  Kunstziegelmdustrie  sind  die  großartigen  Fabriken 
von  Baltasar  Kreischer  &  Söhnen  zu  Kreischersville  auf  Staaten 
Island  nicht  nur  die  ältesten,  sondern  auch  die  bedeutendsten  Amerikas. 

Im  Holzhandel  Amerikas  errang  der  im  Jahre  1834  in  Niedersaulheim, 
Rheinhessen,  geborene,  im  Jahre  1852  in  die  Vereinigten  Staaten  eingewanderte 
Friedrich  Weyerhäuser  die  Führung.  Vom  Besitzer  einer  kleinen, 
zu  Rock  Island,  Illinois,  gelegenen  Sägemühle  schwang  er  sich  durch  kluge 


—    40Q     — 

Maßnahmen  zum  Leiter  der  bedeutendsten  Holzhandelsgesellschaften  und  zum 
Oberhaupt  des  unter  dem  Namen  Weyerhäuser  Syndikat  bekannten  Holztrusts 
empor.  Derselbe,  über  30  000  000  Acres  YC^aldländereien  verfügend,  beherrscht 
hauptsächlich  den  ungeheuren  Holzhandel  der  südlich  von  den  Großen 
Seen  und  am  oberen  Mississippi  gelegenen  Staaten.  Oleich  den  Spreckels  und 
Havemeyers,  gleich  Rockefeller  und  Schwab  zählt  Weyerhäuser  zu  den  Giganten 
des  amerikanischen  Geschäftslebens  und  kommt  denselben  auch  in  bezug  auf 
die  erworbenen  materiellen  Erfolge  gleich. 

Der  einer  deutschpennsylvanischen  Familie  entstammende  George 
F.  Baer  wurde  als  Präsident  bedeutender  Kohlenminen-  und  Eisenbahngesell- 
schaften bekannt. 

Auch  John  D.  R  o  c  k  e  f  e  1 1  e  r  ,  der  Gründer  und  Leiter  der  im  Petro- 
leumhandel fast  den  Weltmarkt  beherrschenden  „Standard  Oil  Company'*  hat 
seine  deutsche  Abstammung  niemals  verleugnet.  Im  Jahre  1906  ließ  er  seinem 
im  Jahre  1735  aus  Bonefeld  im  Fürstentum  Wied  mit  drei  Kindern  nach  Ger- 
mantown,  N.  Y.,  eingewanderten  Urahnen  Johann  Peter  Rockefeiler 
(Roggenfelder)  auf  dem  Friedhof  zu  Larrison  Corners,  New  Jersey,  ein  Denk- 
mal setzen. 

Unter  den  Vertretern  des  Kunstgewerbes  und  der  vervielfältigenden 
Künste  zählen  die  Namen  solcher  Deutschamerikaner,  die  durch  hervorragende 
Leistungen  ausgezeichnet  sind,  gleichfalls  nach  Hunderten.  In  dem  durch  die 
neueren  mechanischen  Vervielfältigungsverfahren  leider  verdrängten  Holzschnitt 
leisteten  Gustav  K  r  ü  1 1 ,  Jüngling,  Schilling,  H  e  i  n  e  m  a  n  n  , 
Tietze,  Müller,  Schladitz  u.  a.  Bedeutendes.  Unter  den  amerika- 
nischen Lithographen  stand  der  im  Jahre  1824  in  Breslau  geborene  Achtund- 
vierziger Louis  Prang  obenan.  Die  herrlichsten  Erzeugnisse  seiner  im 
Jahre  1850  in  Boston  begründeten  Anstalt  waren  Thomas  Morans  Aqua- 
relle aus  dem  Yellowstone-Nationalpark,  eine  Serie  von  künstlerischen 
Schlachtenbildern  aus  demi  Bürgerkrieg,  und  vor  allen  die  unübertrefflichen 
Wiedergaben  der  kostbaren  chinesischen  Keramiken  aus  der  Sammlung  des 
Baltimorer  Millionärs  W'illiam  Th.  Walters.  Prangs  Anstalt  wurde  zu  Ende 
des  19.  Jahrhunderts  mit  der  „Taber  Co."  in  Springfield,  Massachusetts,  ver- 
schmolzen. 

Die  bedeutende  „American  Litographic  Co.",  die  Anstalten  von  Julius 
B  i  e  n  ,  O  1 1  m  a  n  n  in  New  York  und  viele  andere  sind  gleichfalls  deutsche 
Gründungen. 

Nach  Tausenden  zählen  auch  die  Deutschen,  welche  als  Gründer  und 
Leiter  bedeutender  Ein-  und  Ausfuhrgeschäfte,  Banken,  Versicherungsgesell- 
schaften und  Kaufhäuser  zu  Ansehen  und  Einfluß  gelangten. 

Der  eigentliche  Schöpfer  des  modernen  Warenhauses  ist  der  der  deutsch- 
pennsylvanischen Familie  Wannemacher  entstammende  John  Wana- 
maker,  welcher  im  Jahre  1861  einen  kleinen  Laden  in  Philadelphia  eröffnete. 
Dieser   entwickelte   sich    durch    seine  Reellität  in  so  erstaunlicher  Weise,   daß 


—     410     — 

Wanamaker  bald  ein  Warenhaus  in  großem  Stil  beginnen  konnte.  Heute  be- 
sitzt die  Firma  sowohl  in  Philadelphia  wie  in  New  York  Kolossalbauten,  in 
denen  Monatseinnahmen  von  mehr  als  öVo  Millionen  Dollar  erzielt  wurden, 
während  sich  der  Gesamtumsatz  des  Geschäfts  seit  seiner  Gründung  auf  mehr 
als  500  Millionen  Dollar  beziffert. 

Der  aus  Eubigheim  stamxmende  Henry  Siegel  ist  Begründer  des  welt- 
bekannten Warenhauses  „Siegel  &  C  o  o  p  e  r"  in  New  York. 

Dem  Unternehmungsgeist  des  im  Jahre  1792  in  Dornbirn,  Tirol,  ge- 
borenen Franz  Martin  Drexel  entsprang  das  hochangesehene  Bank- 
haus Drexel  &  Söhne  in  Philadelphia. 

Zu  Alzey  in  der  Pfalz  erblickte  August  Belmont  das  Licht  der  Welt, 
der  Begründer  des  seit  dem  Jahre  1837  bestehenden  Bankhauses  Belmont  in 
New  York.  Diesem  gesellten  sich  später  noch  die  von  deutschen  Israeliten  ge- 
gründeten Bankhäuser  Ladenburg;  Thalmann  &  Co.;  Jakob 
H.  Schiff;  Isaak  Selig  mann;  James  Speyer;  Heidelbach, 
Ikelheimer  &  Co.  und  Knauth,  Nachod  &  Kühne  hinzu,  die  zu 
den  bedeutendsten  Amerikas  gehören. 

Für  die  Entwicklung  der  amerikanischen  Industrie  ist  es  ferner  von 
höchster  Bedeutung,  daß  infolge  der  von  der  Regierung  eingeführten  Schutz- 
zölle, welche  die  Einfuhr  europäischer  Waren  außerordentlich  erschwerten,  zahl- 
reiche europäische,  auf  den  amerikanischen  Markt  angewiesene  Industriegesell- 
schaften veranlaßt  wurden,  in  den  Vereinigten  Staaten  Tochteranstalten  zu  er- 
richten. Unter  solchen  deutschen  Gesellschaften  befinden  sich  die  Kammgarn- 
spinnereien von  Wülfing  in  Lennep  und  von  St  Öhr  in  Leipzig;  die 
„Deutzer  Gasmotorenfabrik'*;  die  Aktien-Gesellschaft  Arthur 
Koppel;  die  Schokoladenfabrik  Gebrüder  Stollwerk  in  Köln ;  die 
chemischen  Fabriken  K  a  1 1  e  &  Co.  und  Fritz  Schulz  j  r. ;  die  Bronze- 
farbenwerke „Aktien-Gesellschaft,  vormals  Schien  k"  in  Nürn^ 
berg;  die  Ton-  und  Steinwerkzeugefabrik  Didier  March  Co.  in  Stettin ;  die 
„Kautschuk  und  Guttapercha  Co."  in  Hannover ;  die  „Neue 
Photographische  Gesellschaft"  in  Berlin,  und  viele  andere  mehr. 

So  stoßen  wir,  wo  immer  wir  auf  dem  unermeßlichen  Gebiet  der  amerika- 
nischen Handels-  und  Gewerbtätigkeit  Umschau  halten,  überall  auf  die  rühm- 
lichsten Zeugenmale  deutscher  Intelligenz,  Unternehmungslust  und  Tatkraft. 


Der  Anteil  der  Deutschen  an  der  Entwicklung  des 
amerikanischen  Verkehrswesens. 


Der  Segler  „Deutschland"  der  ,,Haniburg- 
Amerika-Linie". 


Daß  Deutsche  das  erste  Flach- 
boot, die  ersten  Segelbarken  und  den 
ersten  Dampfer  auf  den  westlichen  Strö- 
men bauten,  daß  Martin  Baum  in  Cin- 
cinnati  durch  Gründung  der  „Miami 
Exporting  Company"  die  Schiffahrt  auf 
dem  Ohio  und  Mississippi  entwickelte, 
wurde  bereits  in  früheren  Abschnitten 
erwähnt.  Aber  auch  zur  Entwicklung 
der  Seefahrzeuge,  der  Eisenbahnen  und 
anderen  Verkehrsmittel  Amerikas  tru- 
gen die  Deutschen  erheblich  bei. 

Kaum  war  durch  den  Abfall  der 
Kolonien  der  unerträgliche  Druck  des 
englischen  Handelsmonopols  beseitigt 
worden,  so  begannen  weitblickende 
Kaufleute  aus  Bremen  und  Mamburg 
in  allen  amerikanischen  Seeplätzen 
Handelshäuser  zu  gründen  und  für 
einen    Schiffsverkehr    mit    Deutschland 


zu  sorgen. 

In  Bremen  erstand  bereits  im  Jahre  1782  eine  Aktiengesellschaft,  die  den 
Verkehr  mit  den  Vereinigten  Staaten  in  die  Hand  nehmen  wollte.  Sie  sandte 
im  Frühling  1783  ihr  erstes  Schiff  nach  Philadelphia.  Hamburger  Kaufleute 
folgten  rasch  nach  und  entwickelten  im  Verein  mit  den  Bremern  eine  so  ener- 
gische Tätigkeit,  daß  der  Verkehr  hanseatischer  Schiffe  mit  nordamerikanischen 
Häfen  sich  von  800  Tonnen  im  Jahre  1789  auf  22  000  Tonnen  im  Jahre  1799 
steigerte. 

Regelmäßige  Reisen,  sogenannte  „Paketfahrten",  wurden  in  den  Jahren 
1826  und  1828  aufgenommen  und  feste  Linien  nach  New  York,  Philadelphia 
und  New  Orleans  eingerichtet.  Der  von  dem  Hamburger  Makler  Robert 
Sloman  im  Jahre  1836  gegründeten  Paketfahrt  zwischen  Hamburg  und  New 


412 


York  folgte  in  den  vierziger  Jahren  die  auf  Anstoß  der  in  den  Vereinigten 
Staaten  lebenden  hanseatischen  Kaufleute  gegründete  „Ocean  Steamship 
Navigation  Comp  an  y".  Diese  wieder  v^urde  später  von  der  im  Jahre 
1 847  gegründeten  „Hamburg- Amerikanischen  Paketfahrt- 
Aktiengesellschaft"  und  dem  im  Jahre  1857  in  Bremen  gegründeten 
„Norddeutschen  Lloyd"  abgelöst. 

Aus  sehr  bescheidenen  Anfängen  entwickelten  sich  diese  beiden  Unter- 
nehmungen sowohl  hinsichtlich  des  Waren-  wie  Personentransports  zu  Welt- 
geschäften allerersten  Ranges,  was  nicht  zum  wenigsten  dem  Umstand  zuzu- 
schreiben ist,  daß  die  weitblickenden,  energischen  Leiter  beider  Linien  unab- 
lässig auf  die  Verbesserung  ihrer  Schiffe  bedacht  waren  und  den  Bedürfnissen 
des  reisenden  Publikums  vollste  Rechnung  trugen. 

Die  erreichten  Fortschritte  lassen  sich  am 
besten  veranschaulichen  durch  einen  Vergleich  der 
ersten  im  Dienst  jener  Gesellschaften  verwendeten 
Schiffe  und  jener  Riesendampfer,  die  heute  unter 
den  Flaggen  jener  Gesellschaften  den  Ozean 
kreuzen.  Das  erste  Fahrzeug  der  Hamburger 
Linie  war  der  Segler  „D  e  u  t  s  c  h  1  a  n  d".  Er 
hatte  717  Tonnen  Gehalt  und  vermochte  20  Ka- 
jüten- und  200  Zwischendeckspassagiere  zu  be- 
fördern. Die  Reise  von  Hamburg  nach  New  York 
dauerte  durchschnittlich  42  Tage.  Der  Lloyd  sandte 
als  erstes  Schiff  den  Dampfer  „B  r  e  m  e  n"  nach 
Nev/ York.  Seine  Ladefähigkeit  belief  sich  auf  1850 
Tonnen.  Außerdem  konnte  er  170  Kajütenpassa- 
giere und  401  Zwischendeckler  aufnehmen.  Er 
legte  seine  erste  Reise  in  12l{.  Tagen  zurück. 
Diesen  Fahrzeugen  stehen  die  modernen  Riesendampfer  mit  ihrem  er- 
staunlichen, bis  zu  25  000  Tonnen  emporsteigenden  Fassungsvermögen  und 
Unterkunftsräumen  für  2000  bis  3000  Passagieren  gegenüber.  Und  welche 
Verbesserungen  weisen  diese  Ungetüme  auf.  Die  Zwischendecks,  früher  mit 
Recht  gefürchtete  Schrecken scrte,  sind  heute  gut  gelüftete  Abteilungen,  wo 
jedem  Auswandrer  ein  gesetzlich  bestimmtes  Maß  an  Raum  und  Luft  gesichert 
ist.  Die  Kajüten,  die  mit  verschwenderischem  Reichtum  ausgestatteten  Salons, 
die  mit  den  erlesensten  Dingen  besetzten  Tafeln  wetteifern  mit  den  Darbietungen 
der  vorzüglichsten  Gasthöfe.  Und  wie  wurde  die  Länge  der  Reise  vermindert, 
seitdem  der  mächtige  Herrscher  Dampf  zu  Hilfe  kam !  Von  monatelanger  Dauer 
sank  sie  auf  zwölf,  zehn,  neun  und  acht  Tage  herab,  um  sich  in  neuester  Zeit 
auf  sechs,  ja  auf  fünf  Tage  und  wenige  Stunden  zu  verringern. 

Bei  der  Entv/icklung  ihres  fabelhaft  wachsenden  Verkehrs  mit  den  Ver- 
einigten Staaten  wurden  beide  Linien  durch  tüchtige,  in  allen  Hauptstädten  der 
Vereinigten  Staaten  eingerichtete  Agenturen  unterstützt.    Ihre  Leiter,  namentlich 


H.  H.  Meier, 

Gründer  des  „Norddeutschen   Lloyd". 


^ 


—     415     — 

in  den  Seeplätzen,  sind  durchweg  Inhaber  bedeutender,  meist  von  hanseatischen 
Kaufleuten  gegründeter  Handelshäuser,  die  für  fachiiundige  und  energische  Hand- 
habung aller  vorkommenden  Geschäfte  bürgen.     In  New  Yoric  übernahm  die 


u 


■^ 


bereits  seit  dem  Jahre  17Q8  bestehende  Firma  Oelrichs  &  Co.  die  Ver- 
tretung des  Lloyd  und  ist  seit  1861  mit  demselben  verbunden  geblieben.  Ihr 
jetziger  Inhaber,  Gustav  H.  Schwab,  ist  ein  Enkel  des  wohlbekannten 


416 


deutschen  Poeten  und  zugleich  Nachkomme  des  in  der  Geschichte  der  Pfälzer 
am   Schoharie  und  Tulpehocken   berühmt  gewordenen   Conrad   Weiser.     In 


o 


:2 


Baltimore  liegt  die  Vertretung  seit  1868  in  den  Händen  der  Firma  A.  Schu- 
macher&Co.;in  Philadelphia  der  Firma  O.  G.  Hempstead&Sohn; 


—    417     — 


in  Galveston  der  Firma  A  H  r  e  d  Holt  und  in  San  Francisco  der  Firma 

Robert  Capelle.   Kleinere  Agenturen  bestehen  in  vielen  anderen  Städten. 

In  ähnlicher  Weise  organisierte  die  „Ham.burg-Amerikanische  Paketfahrt- 


s 


Gesellschaft"  ihre  Vertretung,  übertrug  dieselbe  aber  später  auf  E  m  i  1  L.  B  o  a  s, 
der  als  „Generalverwalter"  in  New  York  seinen  Sitz  nahm. 

Welchen  ungeheuren  Anforderungen  die  Vertreter  der  beiden  Gesellschaften 
gewachsen  sein  müssen,  ergibt  sich  aus  der  Tatsache,  daß  allein  die  New  Yorker 
Agentur  des  „Norddeutschen  Lloyd"  in  der  Zeit  vom  1.  Januar  1873  bis  31.  De- 


Cronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika. 


27 


—     418     — 

zember  1905  3  555  862  Kajüts-  und  Zwischendecksreisende  in  Empfang  nahm 
resp.  beförderte.  Ähnliche  Zahlen  haben  die  Agenturen  der  „Hamburg-Amerika- 
nischen Paketfahrt-Gesellschaft"  aufzuweisen.  Diese  richtete  in  der  neuesten  Zeit 
auch  direkte  Linien  von  Hamburg  nach  Montreal,  Boston,  Newport  News, 
Philadelphia,  Baltimore  und  New  Orleans  ein.  Außerdem  eröffnete  sie  im 
Jahre  1901  durch  Übernahme  der  früher  in  amerikanischen  Händen  gewesenen 
„Atlaslinie"  einen  regelmäßigen  Dampferverkehr  zwischen  New  York,  Haiti, 
Jamaica,  Costa  Rica,  Guatemala,  Colombia  und  Colon. 

Der  Lloyd  unterhält  regelmäßige  Linien  nach  New  York,  BaUimore, 
Charleston  und  Galveston. 

Eine  deutsche  Gründung  war  auch  die  zwischen  New  York  und  Hamburg 
verkehrende  „Adler  L  i  n  i  e".  Von  Friedrich  Kühne,  einem  der  In- 
haber des  großen  Bankhauses  Knauth,  Nachod  &  Kühne  im  Jahre 
1872  ins  Leben  gerufen,  erfreute  sie  sich  wegen  ihrer  ausgezeichneten  Dampfer 
lange  Zeit  großer  Beliebtheit. 

Gaben  die  Deutschen  so  dem  transatlantischen  Verkehr  einen  gewaltigen 
Anstoß,  so  geschah  dies  auch  in  dem  Verkehr,  der  sich  an  der  pazifischen 
Küste  entwickelte.  In  San  Francisco  gründete  nämlich  Klaus  Spreckels, 
der  „kalifornische  Zuckerkönig",  in  Gemeinschaft  mit  seinen  Söhnen  Johann 
Dietrich  und  Adolf  Bernhard  Spreckels  die  „Oceanic 
Steamship  Compan  y",  deren  Dampfer  regelmäßige  Fahrten  nach  Hawaii, 
Tahiti  und  anderen  Teilen  des  Großen  Ozeans  unternehmen. 

Im  Schiffsbauwesen  vermochten  die  Deutschen  den  von  jeher  auf  das  Meer 
angewiesenen  Amerikanern  kaum  etwas  zu  lehren.  Von  Interesse  ist  aber,  daß 
der  Ursprung  der  berühmten  Schiffsbauerfamilie  Herreshoff  auf  einen  deut- 
schen Stammherrn,  den  Ingenieur  Karl  Friedrich  Herreshoff,  zu- 
rückreicht. Derselbe  wanderte  um  das  Jahr  1800  in  Amerika  ein.  In  Bristol, 
Rhode  Island,  heiratete  er  die  Tochter  des  Schiffbauers  John  Brown  und 
widmete  sich  nun  gleichfalls  dem  Schiffbau.  Seine  Nachkommen  wandten  sich 
hauptsächlich  dem  Bau  schnellsegelnder  Jachten  zu.  Die  den  Namen 
„Herreshoff  Manufacturing  C  o."  annehmende  Firma  lieferte  wäh- 
rend der  letzten  Jahrzehnte  sämtliche  Rennjachten,  welche  den  berühmten 
„Amerikabecher",  jene  am  heißesten  umstrittene  Seetrophäe  gegen  die  Eng- 
länder siegreich  verteidigten. 

Für  die  amerikanische  Küstenschiffahrt  waren  die  Anregungen  äußerst 
wertvoll,  die  im  Jahre  1 807  der  aus  Aarau  stammende  Mathematiker  Ferdi- 
nand Rudolf  Hassler  gab,  indem  er  auf  die  Notwendigkeit  einer  ge- 
nauen Vermessung  aller  Küsten  der  Vereinigten  Staaten  hinwies.  Die  daraus 
für  den  Handel  und  die  Sicherheit  der  Schiffahrt  entspringenden  Vorteile  er- 
schienen der  Regierung  wie  dem  Kongreß  so  bedeutend,  daß  ein  besonderes 
Amt,  die  „C  o  a  s  t  S  u  r  v  e  y",  eingerichtet  wurde,  deren  Leitung  man  Hassler 
übertrug.     Er  bekleidete  diesen  Posten  bis  zu  seinem  im  Jahre  1843  erfolgten 


—    419     — 

Tode.  Der  „Coast  Siirvey"  verdankt  die  Handelswelt  ein  auf  sorgfältigen  Auf- 
nahmen beruhendes  vorzügliches  Kartenmaterial,  das  für  die  Schiffahrt  von  un- 
schätzbarem Wert  ist. 


Eine  Rennjacht  der  Hcrreshoffs  im  Kampf  um  den  Amerikabecher. 

Nach  einer  Originalzeichnung  von  Rudolf  Gronau. 

27* 


—     420     — 

Der  in  Philadelphia  geborene  Deutschamerikaner  Thomas  Leiper 
gab  die  erste  Anregung  zum  Bau  der  Eisenbahnen.  Leiper  war  im 
Jahre  1806  mit  der  Ausbeute  von  Granitsteinbrüchen  beschäftigt,  die  am  Avon- 
dale  in  der  Grafschaft  Delaware  in  Pennsylvanien  lagen.  Die  Entfernung  von 
den  Brüchen  bis  zur  Flußniederung,  wo  die  Steine  auf  Boote  verladen  wurden, 
betrug  eine  Meile.  Um  den  Pferden  den  schwierigen  Transport  zu  erleichtern, 
erfand  Leiper  besondere  Wagen,  deren  gußeiserne  Räder  genau  auf  ein  eisernes 
Schienengleis  paßten.  Da  die  Wagen  über  diese  Gleise  leicht  hinwegglitten, 
so  waren  die  Pferde  imstande,  ohne  Mühe  doppelt  so  schwere  Lasten  als  früher 
fortzubewegen.  Diese  hochwichtige  Neuerung  führte  später  zur  Erfindung  der 
Eisenbahnen  für  den  Personenverkehr. 

Dem  Deutschen  Eppel heimer  verdankt  man  die  Erfindung  der 
Kabelbahnen,  die  zuerst  in  San  Francisco  in  größerem  Maßstab  zur  Anwen- 
dung kamen. 

Auf  die  innere  Entv/icklung  des  amerikanischen  Verkehrswesens  übte  der 
Eisenbahningenieur  Albert  Fink  bedeutenden  Einfluß,  indem  er  in  den 
siebziger  Jahren  durch  Wort  und  Schrift  auf  die  Übel  aufmerksam  machte,  die 
sowohl  im  Eisenbahn-  wie  Dampfschiffverkehr  durch  den  schrankenlosen  Wett- 
bewerb hervorgerufen  wurden.  Er  empfahl,  daß  die  konkurrierenden  Gesell- 
schaften ein  gemeinsames  System  unter  einer  selbstgewählten  gemeinschaftlichen 
Oberbehörde  einführen  sollten,  welche  die  Fracht-  und  Personentarife  sowie  alle 
anderen  Verkehrsangelegenheiten  festzusetzen  habe  und  dadurch  der  verderb- 
lichen Unterbietung  Einhalt  tun  möge.  Er  führte  dabei  aus,  daß  die  Interessen 
der  Eisenbahnen  und  diejenigen  des  Publikums  einander  nicht  feindlich  gegen- 
überstehen, sondern  die  gleichen  sind;  daß  ein  geordneter  Tarif  mit  festen 
Sätzen,  die  den  Eisenbahnen  einen  angemessenen  Gewinn  lassen,  für  den  Ver- 
kehr vorteilhafter  sei,  als  ein  beständig  schwankender,  wie  er  durch  die  schranken- 
lose Konkurrenz  bedingt  w^erde. 

Auf  Finks  direkte  Anregung  entstand  die  „Southern  Railway  &  Steamboat 
Association",  welcher  die  meisten  Eisenbahnen  und  Dampfergesellschaften  des 
Südens  beitraten.  Im  Jahre  1877  entwarf  er  auf  Einladung  der  Präsidenten 
der  vier  amerikanischen  Stammlinien,  der  „Baltimore  &  Ohio-",  der  „Pennsyl- 
vania-", der  „Erie-"  und  der  „New  York  Central  &  Hudson  River  Eisenbahn" 
den  Plan  zu  einer  ähnlichen,  noch  größeren  Verbindung.  Die  ihm  angebotene 
Stelle  des  Vorsitzenden  des  gemeinsamen  Ausführungsausschusses  nahm  Fink 
an,  wodurch  er  in  allen  Tarifangelegenheiten  die  entscheidende  Persönlichkeit 
der  mächtigsten  Eisenbahnlinien  der  Vereinigten  Staaten  wurde. 

Als  Präsidenten  wichtiger  amerikanischer  Eisenbahnen  wurden  ferner 
A  d  o  l  f  M  e  i  e  r  in  St.  Louis,  Karl  Gustav  Memminger  in  Charleston 
und  Henry  Villard  in  New  York  bekannt.  Memminger,  einstmals  der 
Finanzminister  der  konföderierten  Staaten,  bekleidete  nach  dem  Bürgerkrieg 
das  Amt  eines  Präsidenten  der  von  Charleston  nach  Cincinnati  führenden  Bahn. 

Der  im  Jahre  1835  zu  Speier  geborene  Heinrich   Hilgard,  der 


—    421     — 


seinen  Namen  in  Henry  Villard  umwandelte,  spielte  in  der  Entwicklungs- 
geschichte des  Nordwestens  eine  hervorragende  Rolle.  In  den  siebziger  Jahren 
wurde  er  sowohl  Präsident  der  „Oregon  &  California  Railroad"  wie  der 
„Oregon  Steamship  Company".  Später,  im  Jahre  1881,  erlangte  er  die  Herr- 
schaft über  die  „Northern  Pacific  Bahn"  und  vollendete  als  Präsident  derselben 
den  Bau  ihrer  von  den  Ufern  des  Mississippi  bis  zu  den  Gestaden  des  Großen 
Ozeans  führenden  Hauptlinie.  Zu  der  in  den  Sommer  1883  fallenden  Er- 
öffnungsfeier dieser  für  den  Nordwesten  so  überaus  wichtigen  Verkehrslinie 
hatte  Villard  Geistes- 
heroen der  ganzen 
Welt  eingeladen,  be- 
rühmte Journalisten, 

Parlamentarier, 
Künstler  und  Finan- 
ziers, die  er  in  einem 

mehrere  Monate 
währenden  Triumph- 
zug durch   die  gan- 
zen Vereinigten  Staa- 
ten führte. 

Mitten  in  den 
Festjubel  hinein 
krachte  die  Nachricht, 
daß  eine  Clique  ge- 
wissenloser Börsen- 
spekulanten, an  ihrer 
Spitze  der  verrufene 
Jay  Gould,  die  Ab- 
wesenheit Villards 
von  New  York  dazu 
benutzt  hatten,  durch 
höchst     verwerfliche 

Machinationen  einen  Kurssturz  in  den  Aktien  der  Villardschen  Werte  herbei- 
zuführen, der  die  ganze  Finanzwelt  erschütterte.  Obwohl  Villard  sofort 
nach  New  York  zurückeilte,  vermochte  er  den  Ruin  nicht  aufzuhalten  und  trat, 
nachdem  er  sein  ganzes  ungeheures  Vermögen  geopfert,  von  der  Leitung  der 
Nord-Pacificbahn  zurück.  Aber  nur  für  wenige  Jahre.  Denn  er  ging  nach 
Berlin  und  begann  in  aller  Stille  Pläne  zum  Wiedererobern  der  verlorenen 
Position  zu  schmieden.  Über  außerordentlich  reiche,  von  deutschen  Kapi- 
talisten ihm  anvertraute  Mittel  gebietend,  kehrte  er  im  Jahre  1886  nach  New 
York  zurück  und  feierte  am  21.  Juni  1888  den  Triumph,  abermals  zum  Präsi- 
denten der  „Oregon  &  Transcontinental  Company"  erwählt  zu  werden.  Diesen 
Posten  legte  er  mehrere  Jahre  später  nieder,  um  seine  ganze  Kraft  der  Grün- 


Heinrich  Hilgard-Villard. 


422 


düng  der  gigantischen  „Edison  General  Electric  Light  Company"  widmen  zu 
können,  welche  die  Ausbeutung  der  im  Besitz  des  berühmten  amerikanischen 
Erfinders  Thomas  Edison  befindlichen  Patente  für  elektrisches  Licht  bezweckte. 
Später  gründete  Villard  noch  eine  zweite  gewaltige  Körperschaft  zum  Ankauf 
der  in  allen  größeren  Städten  der  Vereinigten  Staaten  bestehenden  Straßen- 
bahnsysteme. 

Unzweifelhaft  war  Villard  einer  der  genialsten,  weitestblickenden  und  tat- 
kräftigsten in  der  Schar  jener  unternehmenden  Männer,  die  man  in  Amerika  als 
„Kapitäne  der  Industrie"  bezeichnet  hat. 

Zu  diesen  führenden  Geistern  zählte  auch  der  zu  Clairsville  in  Ohio  als 
Abkömmling  einer  deutschamerikanischen  Familie  geborene  Präsident  der 
„Western  Union  Telegraph  Company",  Thomas  T.  Eckert.  Derselbe  be- 
fehligte während  des  Bürgerkriegs  als  Hauptmann  eine  Abteilung  von  Armee- 
telegraph isten.  Später  wurde  er  zum  Brigadegeneral  und  Milfssekretär  des 
Kriegsministers  befördert.  Nach  dem  Feldzug  leitete  er  die  Verschmelzung  aller 
in  den  Vereinigten  Staaten  bestehenden  Telegraphengeselischaften  zur  „Western 
Union  Telegraph  Company",  die  im  Jahre  1908  1  359  430  Meilen  Drähte  und 
23  853  Stationen  unterhielt.  Im  Jahre  1907  beförderte  sie  74  804  551  Depeschen. 


Schlußvignette:  Der  erste  Lloyddampfer  ^Bremen-'  im  Jahre  1858. 


Deutschamerikanische  Techniker  und  Ingenieure. 


Die  Geschichte  der  deutschamerikanischen  Techniker  und  Ingenieure  ist 
mit  der  Entwicklung  der  Technik  und  des  Ingenieurwesens  in  den  Vereinigten 
Staaten  gewissermaßen  identisch.  Sie  hebt  an  mit  der  Zeit,  wo  man  sich  noch 
bescheidener  Holzbrücken  bediente,  wo  noch  niemand  jene  gewaltigen  Triumphe 
ahnte,  die  gerade  von  der  Technik  und  Ingenieurkunst  in  der  Neuen  Welt  ge- 
feiert werden  sollten. 

Als  der  Deutsche  \X'ernweg  im  Jahre  1813  eine  Holzbrücke  über  den 
Delaware  bei  Trenton,  New  Jersey,  schlug,  als  A  1  b  e  r  t  v  c  n  Stein  im  ersten 
Viertel  des  19.  Jahrhunderts  die  Wasserwerke  der  Städte  Cincinnati,  Richmond, 
Lynchburg,  New  Orleans,  Nashville  und  Mobile  herstellte,  als  derselbe  den 
Appomatox-Kanal  bei  Petersburg  in  Virginien  schuf  und  der  Schwabe  G  i  n  - 
d  e  1  e  den  Kanal  zwischen  dem  Michigansee  und  dem  Mississippi  anlegte,  da 
bewunderte  man  diese  Werke  allgemein  als  solche,  welche  der  Geschicklichkeit 
ihrer  Urheber  zur  höchsten  Ehre  gereichten.  Den  Riesentunnel,  mittels  welchem 
Gindele  die  Stadt  Chicago  mit  frischem  Wasser  aus  dem  Michigansee  versorgte, 
zählte  man  sogar  lange  Zeit  zu  den  Wunderdingen  der  Neuen  Welt. 

Unter  den  damaligen  Bergbauingenieuren  galt  der  Schwabe  Hermann 
G  m  e  1  i  n  als  einer  der  bedeutendsten.     Er  war  einer  der  ersten,  welcher  in 


Kopfleiste: 
Stahlstich. 


Roeblings  Hängebrücke  über  den  Niagara.     Nach  einem  gleichzeitigen 


—     424     — 

Amerika  ein  Bessemer  Stahlwerk  einrichtete.  Zu  seinen  Zeitgenossen  gehörte 
der  im  Jahre  1830  zu  Aachen  geborene  Adolf  S  u  t  r  o  ,  der  Schöpfer  des  be- 
rühmten Sutro-Tunnels  in  den  Comstockminen  Nevadas. 

Jene  gewaltigen  Silbergruben  hatten  seit  ihrer  im  Jahre  1859  erfolgten 
Entdeckung  ungeheure  Reichtümer  abgeworfen.  Aber  der  Betrieb  litt  unter 
schweren  Übelständen.  Einesteils  fehlten  geeignete  Mittel  und  Straßen  zur  Be- 
förderung der  gewonnenen  Erze,  dann  auch  hatten  die  Bergleute  in  den  tiefen 
Schachten  und  Stollen  beständig  mit  giftigen  Gasen,  fast  unerträglicher  Hitze 
und  bedeutenden  Wasserzuflüssen  zu  kämpfen.  Manche  Minen  waren  bereits 
ertrunken  und  unzugängig  geworden.  Bei  einem  Besuch  dieser  Bergwerke  kam 
Sutro  auf  den  Gedanken,  die  einzelnen  Minen  durch  einen  gewaltigen  Tunnel 
zu  verbinden,  der  nicht  bloß  als  Mittel  zur  bequemeren  und  billigeren  Beförde- 
rung der  Erze,  sondern  auch  zur  Ventilation  und  Entwässerung  der 
Gruben  diene. 

Ehe  Sutro  diesen  Plan  ausführen  konnte,  mußte  er  geradezu  unglaub- 
liche Hindernisse  überwinden,  die  seinem  Vorhaben  im  Weg  standen.  Das 
schlimmste  war  die  völlige  Teilnahmlosigkeit,  mit  der  die  Grubenbesitzer  und 
Kapitalisten  seine  Pläne  aufnahmen.  Als  der  Nutzen  des  Unternehmens  aber 
gar  zu  deutlich  zutage  trat,  mußte  Sutro  sich  gegen  mißgünstige  Rivalen 
wehren,  welche  die  Ausführung  des  Werkes  an  sich  reißen  wollten.  Erst  nach 
jahrelangen  Kämpfen  und  unsäglichen  Enttäuschungen  war  es  Sutro  vergönnt, 
am  19.  Oktober  1869  mit  dem  riesigen  Unternehmen  zu  beginnen.  Er  schuf 
einen  4  m  weiten  und  3Mi  m  hohen  Tunnel  von  nahezu  7000  m  Länge,  von 
dem  zahlreiche,  in  nördlicher  und  südlicher  Richtung  abzweigende  Seiten- 
tunnels zu  den  einzelnen  Gruben  hinführten.  In  diesen  600  m  unter  der  Erd- 
oberfläche gelegenen  Tunneln  legte  Sutro  ein  vollständiges  Bahnnetz  mit 
Stationen  an.  Mehrere  senkrechte  Schachte  sorgten  für  Luftzufuhr.  Sie  ent- 
hielten zugleich  gewaltige  Hebemaschinen,  welche  die  gewonnenen  Erze  an 
die  Oberfläche  beförderten. 

Im  Oktober  1878  war  nach  einem  Kostenaufwand  von  6V-  Millionen 
Dollar  dies  Wunderwerk  deutschen  Geistes  vollendet.  Da  Sutro  mit  den 
Grubenbesitzern  günstige  Verträge  abgeschlossen  hatte,  so  brachte  das  Unter- 
nehmen seinem  Urheber  großen  Gewinn.  Einen  bedeutenden  Teil  dieses  Reich- 
tums stellte  Sutro  in  den  Dienst  werktätiger  Nächstenliebe,  indem  er  in  San 
Francisco  Parkanlagen,  öffentliche  Bäder  und  andere  philantropische  Einrich- 
tungen schuf. 

Ein  anderer  hervorragender  deutschamerikanischer  Bergbauingenieur  war 
der  im  Jahre  1817  zu  Philadelphia  geborene  Hermann  Haupt.  Der  8 km 
lange  Hoosactunnel  in  Massachusetts,  dessen  in  die  Jahre  1856  bis  1861 
fallende  Ausführung  16  Millionen  Dollar  kostete,  ist  sein  Hauptwerk.  Ihm 
gebührt  auch  das  Verdienst,  die  Möglichkeit  dargetan  zu  haben,  Erdöl  von  den 
Quellen  durch  ein  Röhrensystem  auf  weite  Entfernungen  hinzuleiten,  wodurch 
die  Petroleumraffinerien  viele  Millionen  Dollar  an  Transportkosten  ersparten. 


—    425     — 

Zu  den  bedeutendsten  Bergbauingenieuren  Amerikas  zählt  ferner  der 
1839  in  Nassau  geborene  A  n  t  o  n  F.  E  i  1  e  r  s.  Er  wanderte  im  Jahre  1859 
in  die  Vereinigten  Staaten  ein  und  spielte  hier  sowohl  als  Metallurgist  wie  als 
Berater  und  Präsident  zahlreicher  Bergwerksgesellschaften  jahrzehntelang  eine 
angesehene  Rolle. 

Die  Mittelstaaten  waren  das  Hauptarbeitsfeld  des  im  Jahre  1827  zu  Lauter- 
bach geborenen  Albert  Fink.  Derselbe  kam  im  Jahre  1849  nach  Amerika 
und  fand  im  Bureau  des  im  Dienst  der  Baltimore-Ohio  Bahn  stehenden  Brücken- 
baumeisters Benjamin  H.  Latrobe  Beschäftigung.  Rasch  stieg  er  von  Stufe  zu 
Stufe  und  wurde  die  rechte  Hand  Latrobes,  des  ersten  Ingenieurs,  welcher  Eisen 
beim  Brückenbau  verwendete.  Fink  führte  diesen  Gedanken  weiter  aus,  indem 
er  das  nach  ihm  benannte  Trägersystem  erfand.  Es  kam  beim  Bau  der  bei  Fair- 
mount  über  den  Monongahela  führenden  Brücke  im  Jahre  1852  zum  erstenmal 
zur  Anwendung.  Fink  bestrebte  sich,  durch  sein  System  die  Zahl  der  steinernen 
Mittelpfeiler  einer  Strombrücke  möglichst  zu  verringern.  Gleichzeitig  suchte  er 
unter  sonst  gleichen  Umständen  mit  weniger  Eisen  auszukommen,  als  es  bei 
den  älteren  Systemen  möglich  war,  die  mehr  oder  weniger  Nachahmungen  der 
Holzbausysteme  von  Whipple,  Rider,  Kellog,  Bollmann  u.  a.  darstellten.  Finks 
Trägerausbildung  war  für  die  damalige  Zeit  von  großer  Einfachheit  und  Klar- 
heit. Er  verwendete  möglichst  viele  gleichgebildete  Stäbe,  die  man  gegenseitig 
austauschen  konnte.  Dadurch  wurde  die  Aufstellung  der  Brücken  so  erleichtert, 
daß  einzelne  seiner  nach  Südam.erika  verschickten  Träger  dort  ohne  Monteure 
von  Matrosen  zusammengesetzt  w^erden  konnten.  Das  Wichtigste  war,  daß 
kein  Stab  des  Finkschen  Tragwerks  einen  Wechsel  von  Zug  und  Druck  zu  er- 
leiden hatte.  Es  gab  nur  reine  Zug-  und  reine  Druckstäbe,  eine  Anordnung, 
die  für  die  damaligen  amerikanischen  Brückenträger  geringerer  Weite,  deren 
Knoten  durchweg  mit  Bolzen  verbunden  wurden,  von  großer  Bedeutung  war. 
Denn  der  in  den  Stäben  der  älteren  Konstruktionen  auftretende  Wechsel  von 
Zug  und  Druck  führte  Bewegungen  und  Erschütterungen  der  Knoten  herbei, 
die  mit  der  Zeit  dem  Bestand  der  Brücken  gefährlich  wurden.  Die  größten 
Fink-Träger  liegen  in  der  im  Jahre  1870  vollendeten  Ohio-Brücke  bei 
Louisville,  deren  Hauptöffnungen  mit  113  und  122  m  Weite  seinerzeit  die  weitest- 
gespannten  in  ganz  Amerika  waren.  Manche  der  von  Fink  geschaffenen 
Brücken,  besonders  zwei  80  m  hohe  Übergänge  über  die  weiten  Schluchten  am 
Cheat  Mountain,  galten  damals  als  die  kühnsten  Bauwerke  ihrer  Art. 

Im  Jahre  1857  trat  Fink  als  Oberingenieur  in  den  Dienst  der  Louisville- 
und  Nashvillebahn  und  blieb  in  dieser  Stellung  bis  1875.  Während  dieses 
Zeitraums  vollendete  er  unter  anderen  die  Brücken  über  den  Green  River  und 
eine  über  den  Ohio  bei  Louisville.  Seine  bedeutenden  Fähigkeiten  traten  am 
glänzendsten  während  des  Bürgerkriegs  hervor.  Die  seiner  Obhut  anvertrauten 
Bahnlinien  in  Kentucky  und  Tennessee  durchschnitten  eines  der  hauptsächlichsten 
Kampfgebiete.  In  raschem  Wechsel  wurde  dasselbe  bald  von  den  Truppen  der 
Nordstaaten,  bald  von  jenen  des  Südens  in  Beschlag  genommen,  wobei  die  Süd- 


—     426     — 

länder  die  vorgefundenen  Eisenbahnen,  Brücken  und  Viadukte  regelmäßig  zer- 
störten. Sobald  sie  aber  den  Rückzug  antraten,  folgte  Fink  ihnen  auf  dem  Fuße 
und  stellte  die  verwüsteten  Bahnstrecken  in  erstaunlich  kurzer  Zeit  wieder  her 

Der  erfolgreichen  Tätigkeit  des  Ingenieuroffiziers  GottfriedWeitzel 
als  Brückenbauer  und  beim  Anlegen  von  Befestigungen  während  des  Bürger- 
kriegs haben  wir  bereits  in  einem  früheren  Abschnitt  gedacht. 

In  derselben  Weise  machte  sich  sein  im  Jahre  1824  in  Baden  geborener 
Kollege  HeinrichFlad  hochverdient.  Er  hatte  an  der  Universität  München 
Ingenieurwissenschaften  studiert  und  als  Hauptmann  eines  Ingenieurbataillons 
am  badischen  Aufstand  teilgenommen.  Nach  dem  Fehlschlagen  jener  Bewegung 
kam  Flad  im  Jahre  1849  nach  Amerika  und  wirkte  als  Ingenieur  beim  Bau  ver- 
schiedener Eisenbahnen  mit.  Beim  Ausbruch  des  Bürgerkriegs  trat  er  in  das 
3.  Regiment  Freiwilliger  von  Missouri  ein,  durchhef  rasch  alle  Grade  bis  zum 
Oberstleutnant  und  wurde  im  Oktober  1863  zum  Hauptmann  des  Westlichen 
Ingenieur-Regiments  ernannt.  Als  solcher  leistete  er  bei  der  Wiederherstellung 
zerstörter  Eisenbahnlinien  wie  bei  der  Anlage  von  Befestigungen  Dienste,  die 
nur  derjenige  zu  würdigen  vermag,  welcher  über  die  außerordentliche  Bedeu- 
tung der  Eisenbahnen  für  den  Vorstoß  und  die  Verpflegung  einer  kriegführenden 
Armee  unterrichtet  ist. 

Nach  Beendigung  des  Kriegs  entwarf  Flad  in  Verbindung  mit  J.  P.  Kirk- 
wood  die  Pläne  für  die  Wasservi'erke  der  Stadt  St.  Louis  und  trat  dann  in  Ver- 
bindung mit  dem  Brückenbauer  Kapitän  Eads,  um  demselben  während  der  Jahre 
1867  bis  1874  als  Oberingenieur  beim  Entwurf  und  Bau  der  berühmten  Missis- 
sippibrücke bei  St.  Louis  behilflich  zu  sein.  Es  war  bei  der  Ausführung  dieses 
gewaltigen  Werks,  wo  Flads  Meisterschaft  im  Lösen  schwieriger  technischer 
Probleme,  in  der  Anwendung  wissenschaftlicher  Prinzipien  sich  im  glänzendsten 
Lichte  zeigte. 

Nach  Vollendung  dieser  Brücke  wurde  Flad  zum  Präsidenten  des  Aus- 
schusses für  öffentliche  Verbesserungen  der  Stadt  St.  Louis  erwählt.  Diesen 
Posten  bekleidete  er  bis  zum  Frühling  1890,  wo  er  einen  vom  Präsidenten 
Harrison  ihm  angebotenen  Platz  in  der  Mississippi  River  Commission  über- 
nahm.    Er  füllte  denselben  bis  zu  seinem  im  Jahre  1898  erfolgten  Tode  aus. 

Hermann  Ulffers  ist  der  Name  eines  in  Westfalen  geborenen  außer- 
ordentlich tüchtigen  Ingenieurs,  der  sich  im  Stab  des  Generals  Sherman  befand. 
Er  geriet  in  Gefangenschaft  und  kam  in  das  schreckliche  Gefängnis  Anderson- 
ville.  Seine  Flucht  aus  dieser  „Hölle"  erregte  allgemeines  Aufsehen.  In  Lumpen 
gehüllt  und  bis  zum  Skelett  abgemagert,  erreichte  er  die  Vorposten  der  Unions- 
armee wieder,  in  der  er  dann  als  Ingenieuroffizier  noch  bis  zum  Jahre  1870 
wirkte. 

Oberst  Washington  A.  Roebling,  ein  Sohn  des  berühmten 
Brückenbauers,  machte  sich  während  des  Bürgerkriegs  als  Ingenieur  im  Stab 
des  Generals  McDowell  verdient.  Er  schlug  zwei  zu  Armeezwecken  dienende 
Hängebrücken  über  den  Rappahannock  und  den  Shanandoah. 


Adolf  Bonzanos  Kinzua-Brücke  während  ihres  Baus. 


—    429     — 

Ein  vortrefflicher  Brückenbauer  war  auch  der  im  Jahre  1830  in  Württem- 
berg geborene  Adolf  Bonzano.  Als  Oberingenieur  der  Firma  Clarke, 
Rewes  &  Co.  zu  Phönixville  und  später  als  Vizepräsident  der  „Phönix-Bridge 
Company"  lieferte  er  zu  vielen  großartigen  Brückenbauten  die  Entwürfe.  Sein 
interessantestes  Werk  war  der  im  Jahre  1882  vollendete  Eisenbahnviadukt  über 
das  600  m  breite  und  90  m  tiefe  Tal  des  Kinzua  in  Pennsylvanien.  Derselbe 
bestand  aus  zwanzig  Türmen,  von  denen  jeder  aus  vier  eisernen  Pfeilern  zusam- 
mengesetzt war.  Durch  entsprechende  Verstrebungen  und  Etagen  waren  die 
Türme  nach  allen  Richtungen  hin  gegen  Zerknicken  oder  seitliche  Ausbiegung 
gesichert.  Oben  auf  den  Säulenköpfen  ruhten  Gitterträger,  welche  die  direkte 
Unterlage  für  die  Querschwellen  unter  den  Eisenbahnschienen  bildeten.  Auf 
massiven,  im  Felsboden  des  Tales  fundierten  Steinpfeilern  fest  verankert,  ge- 
währte dieses,  einschließlich  aller  Bureauarbeiten  in  nur  S\-j.  Monaten  aus- 
geführte Werk  einen  überraschenden  Anblick. 

Zu  den  hervorragenden  deutschamerikanischen  Brückenbauern  des 
19.  Jahrhunderts  zählte  ferner  Karl  Konrad  Schneider,  geboren  1843 
in  Apolda.  Als  Oberingenieur  und  Vizepräsident  der  „American  Bridge  Com- 
pany" baute  er  im  Jahre  1882  die  Auslegerbrücke  der  Canadischen  Pacific  Eisen- 
bahn über  den  Fraserfluß  in  Britisch-Columbia;  ferner  im  Jahre  1883  die  Aus- 
legerbrücke über  den  Niagara. 

Eine  förmliche  Revolution  im  Brückenbau  führte  um  die  Mitte  des 
19.  Jahrhunderts  der  berühmteste  aller  amerikanischen  Brückenbauer  herbei, 
der  am  12.  Juni  1806  zu  Mühlhausen  in  Thüringen  geborene  Johann 
August   Roebling. 

Seine  Ausbildung  zum  Ingenieur  erhielt  derselbe  in  Erfurt  und  Berlin. 
Darauf  war  er  in  Westfalen  beim  Bau  einiger  Militärstraßen  tätig  gewesen. 
Als  Mitglied  einer  in  Mühlhausen  gegründeten  Auswandrungsgesellschaft  kam 
er  im  Jahre  1831  nach  Westpennsylvanien,  wo  er  die  Vermessungen  mehrerer 
Kanal-  und  Eisenbahnbauten  leitete. 

Im  Vergleich  zu  ihrer  heutigen  Höhe  befand  sich  die  Brückenbaukunst  da- 
mals noch  gewissermaßen  in  den  Anfangsstadien  ihrer  Entwicklung.  Man  kannte 
bereits  Hängebrücken,  aber  die  zum  Tragen  des  Brückenstegs  verwendeten 
Kabel  bestanden  aus  mächtigen  eisernen  Ketten,  deren  einzelne  Glieder  trotz 
ihrer  Stärke  und  Schwere  keine  große  Tragkraft  besaßen  und  die  Überwindung 
weiter  Spannungen  nicht  zuließen.  Spannungen  von  60  m  galten  als  be- 
merkenswert. 

Ein  Versuch,  derartige  Kettenkabel  durch  solche  aus  Drähten  zu  ersetzen, 
war  bereits  im  Jahre  1822  bei  einer  Hängebrücke  in  Genf  gemacht  worden. 
Aber  es  blieb  Roebling  vorbehalten,  dieses  neue  System  auszubilden  und  zu 
seiner  höchsten  Vollendung  zu  entwickeln. 

Die  ungeheuren  Vorzüge,  die  mannigfaltige  Verwendbarkeit  der  Draht- 
seile hatte  Roebling  veranlaßt,  im  Jahre  1840  in  dem  von  ihm  gegründeten 
Ort  Germania,  dem  späteren  Saxonburg  bei  Pittsburgh  eine  kleine  Fabrik  an- 


—    430     — 

zulegen,   die  sich   ausschließlich   mit   dem   Herstellen   solcher   Drahtseile   be- 
schäftigte. 

Deren  außerordentliche  Tragkraft  erprobte  er  zuerst  bei  einem  Aquädukt, 
den  er  bei  Pittsburgh  über  einen  der  Quellarme  des  Ohio  führte.  Dieses  eigen- 
artige, an  Drahtseile  gehängte  Werk  erregte  großes  Aufsehen  und  begründete 
Roeblings  Ruf  als  Ingenieur.  Seine  nächste  Schöpfung  war  die  prächtige  Draht- 
seilbrücke, die  bei  einer  Länge  von  500  m  mit  acht  Spannungen  über  den 
Monongahela  bei  Pittsburgh  führt.  Darauf  folgten  viele  gleichfalls  an  Draht- 
seilen schwebende  Aquädukte  über  den  Delaware-  und  Hudsonkanal. 

Bestärkt  durch  die  en'ungenen  Erfolge,  wandte  Roeblings  hochfliegender 
Geist  sich  immer  kühneren  Plänen  zu.  Er  erbot  sich,  die  beiden  Ufer  des  Nia- 
gara unterhalb  seiner  berühmten  Fälle  durch  eine  Hängebrücke  miteinander  zu 
verbinden.  Als  Roebling  mit  diesem  Projekt  vor  die  Öffentlichkeit  trat,  er- 
klärten die  bedeutendsten  Ingenieure  Amerikas  und  Europas,  darunter  Steven- 
son, dasselbe  für  unausführbar  und  prophezeiten  seinen  Fehlschlag.  Betrug 
doch  die  Weite  der  80  m  tiefen  Schlucht,  welche  hier  von  den  mit  rasender  Eile 
dahinschießenden  Fluten  in  die  Felsen  gerissen  ist,  volle  266  m. 

Aber  Roebling  ließ  sicli  von  Bedenken  nicht  anfechten,  sondern  schritt  im 
September  1852  zur  Ausführung  des  geplanten  Werks.  Schon  der  Versuch, 
den  ersten  Draht  über  die  ungeheure  Kluft  zu  spannen,  stieß  auf  unerwartete 
Schwierigkeiten.  Kein  Boot  war  imstande,  den  entsetzlichen  Strudeln  der 
Stromschnellen  Trotz  zu  bieten;  kein  Schwimmer  wagte,  sein  Leben  aufs  Spiel 
zu  setzen.  Nach  manchen  vergeblichen  Bemühungen,  kam  Roebling  auf  den 
glücklichen  Einfall,  mittels  eines  Windvogels  zunächst  einen  starken  Seiden- 
faden vom  amerikanischen  Ufer  auf  das  kanadische  zu  bringen.  Das  gelang, 
und  nun  wurde  an  demselben  die  erste  jener  Sehnen  über  den  Strom  gezogen, 
aus  denen  die  Kabel  der  Hängebrücke  gesponnen  werden  sollten. 

Als  Träger  der  vier  Kabel,  an  welche  Roebling  seine  Brücke  zu  hängen 
gedachte,  ließ  er  auf  jedem  Ufer  zwei  26  m  hohe  steinerne  Türme  erbauen, 
stark  genug,  um  das  gewaltige  Gewicht  der  Kabel  und  Brücke  zu  trajgen. 
Jedes  Kabel  bestand  aus  3640  einzelnen  Drähten.  Die  Kabel  wurden  mittelst 
mächtiger  Ketten  hinter  den  Türmen  in  Kammern  verankert,  die  in  den  Felsen 
eingehauen  waren.  Die  Brücke  selbst  besaß  zwei  Stockwerke,  ein  unteres  iür- 
Wagen  und  Fußgänger  und  ein  oberes  für  die  Eisenbahnen. 

Bereits  im  März  1855  konnte  die  mit  einem  Kostenaufwand  von  400  000 
Dollar  erbaute  Brücke  dem  Verkehr  übergeben  werden.  Mehrere  Jahrzehnte 
hindurch  bildete  sie  wegen  der  Kühnheit  ihres  Entwurfs  und  der  Schönheit 
ihrer  Erscheinung  eine  der  Hauptsehenswürdigkeiten  der  Niagararegion. 

Dieser  glänzende  Triumph  über  die  widerstrebenden  Naturgewalten  be- 
wirkte einen  völligen  Umschwung  im  Brückenbau,  den  Übergang  vom  Ketten- 
kabel- zum  Drahtseilkabelsystem.  Zur  raschen  Annahme  des  letzten  trug  Roeb- 
ling durch  mehrere  noch  größere  Werke  bei.  Er  baute  zunächst  die  Hänge- 
brücke, welche  zwischen  den  beiden  Städten  Cincinnati  und  Covington  den 


Johann  August  Roebling. 


—     433     - 

Ohio  überspannt.  Dieselbe  ist  mit  iliren  Anfahrten  750  m  lang  und  wird 
von  zwei  mächtigen  Kabeln  getragen,  deren  jedes  aus  10  360  einzelnen  Drähten 
besteht.  Die  Kabel  ruhen  auf  zwei  steinernen  Pfeilern  von  66  m  Höhe.  Die 
zwischen  ihnen  liegende  Hauptspannung  der  Brücke  beträgt  nicht  weniger  als 
351  m.  Die  11  m  breite  Plattform  schwebt  33  m  über  dem  Stromspiegel. 
Die  ganzen  Kosten  dieser  Brücke  beliefen  sich  auf  1  800  000  Dollar. 

Das  letzte,  größte  Werk  Roeblings  war  sein  Entwurf  zur  Riesenbrücke 
über  den  East  River  zwischen  New  York  und  Brooklyn.  Das  rapide  Wachsen 
der  Bevölkerung  dieser  beiden  Städte,  das  Unvermögen  der  Dampffähren, 
den  gewaltigen,  schnell  zunehmenden  Verkehr  zwischen  denselben  zu  bewäl- 
tigen, machten  eine  bessere  Verbindung  zur  dringenden  Notwendigkeit.  Eine 
Vermehrung  der  Fähren  war  ausgeschlossen,  da  es  an  Platz  für  neue  Anlege- 
stellen fehlte.  Zudem  kam,  daß  die  Fähren  bei  nebligem  Wetter,  Schneegestöber 
und  winterlichen  Eisblockaden  ihren  Dienst  nur  in  unvollkommener  Weise 
verrichteten.  In  dieser  Notlage  begann  man  an  einen  Brückenbau  zu  denken. 
Aber  die  vorliegenden  Verhältnisse  und  Entfernungen  waren  derart,  daß  kaum 
jemand  den  Mut  faßte,  an  die  Ausführbarkeit  dieses  Gedankens  zu  glauben. 
Der  Bau  einer  auf  Pfeilern  ruhenden  Brücke  war  ausgeschlossen,  da  zunächst 
weder  der  ungeheure  Schiffsverkehr  auf  der  Wasserstraße  gehemmt  und  ge- 
fährdet werden  durfte,  noch  die  Tiefe  des  Wassers  und  die  Stärke  seiner  Strö- 
mung die  Anlage  sicherer  Fundamente  möglich  machten. 

Gleich  einem  Adler  höher  und  höher  kreisend,  faßte  Roebling  den  kühnen 
Entschluß,  sein  Flängebrückensystem,  das  sich  bisher  so  glänzend  bewährt 
hatte,  auch  an  dieser  Stelle  in  Anwendung  zu  bringen. 

Zehn  Jahre  beschäftigte  er  sich  mit  dem  Entwurf  und  Durcharbeiten  seines 
Planes.  Die  ungeheuren  Verhältnisse,  mit  denen  er  rechnen  mußte,  verlangten 
die  sorgfältigste  Beachtung  selbst  der  unscheinbarsten  Dinge,  da  der  kleinste, 
beim  Berechnen  der  Länge  und  Stärke  der  Kabel,  Träger  und  Pfeiler  begangene 
Fehler  für  das  glückliche  Gelingen  des  Brückenbaues  von  verhängnisvoller  Be- 
deutung werden  konnte.  Fast  ebenso  schwierig  wie  die  technischen  Vorarbeiten 
gestaltete  sich  die  Beschaffung  der  Baugelder.  An  vielen  Stellen  klopfte  Roeb- 
ling vergeblich  an;  ein  Teil  der  von  der  Stadt  bewilligten  Gelder  verschwand, 
da  die  städtischen  Beamten  nur  für  die  eigene  Tasche  sorgten.  Mehrere  dieser 
Diebe  mußten  nach  kurzer  Zeit  ins  Ausland  flüchten.  Schließlich  gelang  es 
Roebling,  den  Geldmann  W.  C.  Kingsley  von  Brooklyn  für  den  Plan  zu  inter- 
essieren. Derselbe  gründete  im  Januar  1867  die  „New  York  Bridge  Com- 
pany'* mit  einem  Grundkapital  von  5  Millionen  Dollar.  Die  Stadt  New  York 
zeichnete  einen  Betrag  von  IV2  Millionen,  Brooklyn  die  Summe  von  300  000 
Dollar. 

Zu  Anfang  des  Jahres  1869  waren  die  mühseligen  Vorarbeiten  so  weit 
vollendet,  daß  Roebling  mit  dem  Bau  beginnen  konnte.  Aber  es  war,  als  ob 
das  neidische  Geschick  dem  großen  Ingenieur  seinen  höchsten  Triumph  nicht 
gönnen  wolle:  bei  den  an  Ort  und  Stelle  begonnenen  Arbeiten  erlitt  Roebling 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  28 


434 


durch  einen  herabstürzenden  Balken  eine  Quetschung,  welche  die  Amputation 
mehrerer  Zehen  notwendig  machte.     Die  Operation  verlief  glücidich.     Leider 


stellte  sich  wenige  läge  später  Starrkrampf  ein,  welchem  Roebling  am  22.  Juli 
1869  erlag. 


—     435     — 

Die  schwierige  Aufgabe,  den  gewaltigen  Bau  zu  vollenden,  fiel  nun  dem 
Sohn  des  Verstorbenen,  Washington  A,  R  o  e  b  1  i  n  g  ,  zu.  Dieser  ließ  am 
3.  Januar  1870  mit  dem  Fundamentieren  der  beiden  92  m  hohen  Brücken- 
türme beginnen.  Die  angestellten  Bohrungen  hatten  ergeben,  daß  man,  um 
auf  geeigneten  Felsgrund  zu  kommen,  auf  dem  Brooklyner  Ufer  des  Fast  River 
15  m,  auf  Manhattan  Island  sogar  26  m  unter  den  Wasserspiegel  gehen 
und  dabei  mächtige  Schichten  von  Schlamm  und  Geröll  durchdringen  müsse. 
Über  den  betreffenden  Stellen  baute  man  zunächst  zwei  gewaltige  Caissons, 
kistenähnliche,  aus  schweren,  einander  kreuzenden  und  stützenden  Balken  ge- 
zimmerte Behälter,  welche  2  bis  2'1.  m  über  ihrem  unteren  Rande  einen 
Boden  besaßen,  so  daß  der  unter  demselben  gelegene  Raum  eine  Kammer  bil- 
dete, die  durch  nach  oben  führende  Schlote  und  Röhren  Luft  erhielt.  Diese 
Kammer  war  der  wichtigste  Teil  des  Caissons.  Das  Caisson  auf  der  Man- 
hattan-Seite ist  40  m  breit  und  56  m  lang;  jenes  auf  der  Brooklyner-Seite 
40  m  breit  und  39  m  lang.  Nachdem  sie  vom  Stapel  gelassen  und 
genau  über  den  Stellen  verankert  worden  waren,  wo  die  Brückentürme  zu 
stehen  kommen  sollten,  begann  man  auf  der  Oberfläche  der  Caissons  mit  dem 
Legen  der  Steinfundamente,  deren  täglich  wachsendes  Gewicht  die  Caissons 
immer  tiefer  ins  Wasser  hinabdrückten.  Zu  gleicher  Zeit  trieben  mächtige 
Dampfmaschinen  in  die  unter  Wasser  befindlichen,  taucherglockenartigen  Kam- 
mern komprimierte  Luft  hinein,  die  das  Wasser  verdrängte,  den  von  den  unteren 
Rändern  der  Caissons  eingeschlossenen  Teil  des  Flußbettes  trocken  legte  und 
es  den  innerhalb  der  Kammern  befindlichen  Arbeitern  ermöglichte,  den  unter 
ihren  Füßen  gelegenen  Schlamm  und  das  Geröll  zu  beseitigen.  Diese  äußerst 
unangenehme  und  obendrein  kostspielige  Arbeit  mußte  fortgeführt  werden,  bis 
endlich  die  Caissons  die  ganze  Schlammschicht  durchdrungen  hatten  und  auf 
die  als  Fundament  dienen  sollenden  Felsen  aufstießen. 

Beim  Fundieren  der  Fast  Riverbrücke  arbeiteten  Tag  für  Tag  236  Men- 
schen in  diesen  beiden  unterseeischen  Arbeitskammern,  die  von  56  Gasflammen 
erleuchtet  und  sogar  mit  Wasserleitungen  versehen  waren.  Leider  war  es  un- 
möglich, in  den  komplizierten  Behältern  jeden  Unfall  zu  vermeiden.  Denn  je 
tiefer  die  Caissons  sich  unter  den  Wasserspiegel  und  in  das  Flußbett  senkten, 
desto  gewaltiger  wurde  der  Druck  der  sie  umgebenden  Wassermassen;  desto 
größere  Mengen  komprimierter  Luft  mußten  eingepumpt  werden,  um  den  Druck 
auszugleichen  und  die  Arbeitsräume  von  Wasser  freizuhalten. 

Es  kann  gewiß  nicht  überraschen,  daß  der  längere  Aufenthalt  in  den 
Caissons  für  die  unter  so  unnatürlichen  Verhältnissen  arbeitenden  Menschen 
allerhand  üble  Folgen  hatte.  Sie  wurden  von  der  eigentümlichen  „Caisson- 
Krankheit'*  befallen,  die  sich  in  heftigen  neuralgischen  Schmerzen,  Schüttel- 
frost, Erbrechen,  Krämpfen  und  Lähmungen  äußert. 

Trotz  aller  Vorsichtsmaßregeln  nahmen  viele  dieser  Erkrankungsfälle 
einen  tödlichen  Ausgang.  Auch  Roebling  wurde  von  der  Krankheit  befallen  und 
hatte  an  ihren  Nachwirkungen  viele  Jahre  zu  leiden.    Auch  an  anderen  bösen 

28* 


—     436     — 

Vorkommnissen  fehlte  es  nicht.  Im  Januar  1871  entstand  in  dem  Brooklyner 
Caisson  eine  Feuersbrunst,  die  einen  Schaden  von  15  000  Dollar  anrichtete  — 
ein  Brand  unter  den  Wellen  des  East  Rivers! 

Nach  Überwindung  zahlreicher  anderer  Schwierigkeiten  wurde  der  Bau 
der  beiden,  den  Wasserspiegel  um  90  m  überragenden  Türme  vollendet, 
worauf  mit  dem  Legen  der  den  Brückensteg  tragen  sollenden  Kabel  begonnen 
werden  konnte.  Neue  Schwierigkeiten!  Natürlich  war  es  ein  Ding  der  Un- 
möglichkeit, die  gewaltigen,  tausende  Kilogramm  schweren  Massen  zu  so  be- 
deutender Höhe  emporzuheben.  Und  so  mußte  man  die  5296  Stahldrähte,  aus 
denen  jedes  der  vier  Kabel  gesponnen  werden  sollte,  einen  nach  dem  andern 
an  der  ihm  zugedachten  Stelle  befestigen. 

Unvorhergesehene  Hindernisse  traten  ferner  ein,  als  man  den  ersten,  auf 
den  Meeresgrund  versenkten  und  mittels  eines  Fahrzeugs  zum  gegenüber- 
liegenden Turm  geleiteten  Draht  heben  wollte.  Der  East  River  war  nicht  frei! 
Da  war  kein  Augenblick,  wo  nicht  Dutzende  von  Schiffen  vorüberfuhren  und 
das  Heben  des  Drahtes  verhinderten.  Endlich,  am  14.  August  1876,  verkündete 
ein  Kanonenschuß,  daß  für  die  nächsten  Minuten  kein  Schiff  zu  erwarten  sei, 
und  nun  schnellte  die  erste  Sehne  in  die  Höhe,  um  welche  das  gewaltige  Netz 
der  Brücke  gewoben  werden  sollte.  Zahllose  Drähte  wurden  hin  und  her- 
gezogen, und  an  diesen  Drähten  hingen  in  kleinen  Käfigen  die  Arbeiter,  um 
in  der  schwindelnden  Höhe  die  Tausende  von  Drähten  zusammenzuspinnen. 
Wie  unendlich  viel  gab's  noch  zu  erwägen,  zu  berücksichtigen !  Bevor  man  die 
mathematisch  genaue  Lage  des  ersten  Drahtes  den  Plänen  der  Ingenieure  gemäß 
richtig  bestimmen  konnte,  mußte  man  wochenlang  auf  einen  windstillen  Tag 
warten,  da  jeder  Druck  der  über  den  East  River  brausenden  Winde  genügte, 
die  Richtung  und  Bahn  des  hängenden  Drahtes  zu  verschieben. 

Und  als  endlich,  nach  unsäglicher  Mühe,  die  vier  Kabel  regelrecht  hingen, 
da  brachen  am  19.  Juni  1878  die  Verankerungen  eines  derselben,  und  die  ge- 
waltige Masse,  vom  eignen  Gewicht  über  den  Brückenturm  hinweggerissen, 
stürzte  mit  fürchterlichem  Getöse  in  die  Fluten  des  East  River,  wobei  mehrere 
Arbeiter  in  ein  nasses  Grab  gerissen  wurden.  Aufs  neue  hatte  das  Werk  zu 
beginnen. 

Endlich,  am  24.  Mai  1883,  nach  dreizehn  Jahre  langer  Arbeit  und  einem 
Kostenaufwand  von  9  Millionen  Dollar  war  die  Brücke  vollendet  und  konnte 
dem  Verkehr  übergeben  werden.  Zur  Feier  dieses  nationalen  Ereignisses  stellten 
sich  der  Präsident  der  Vereinigten  Staaten  und  mehr  als  50  000  Fremde  ein. 
Alle  in  der  Bai  von  New  York  befindlichen  Schiffe  prangten  in  reichstem 
Flaggenschmuck.  Das  Fort  Columbus  und  die  im  Hafen  versammelten  Kriegs- 
schiffe feuerten  Salutschüsse  ab.  Von  allen  Kirchtürmen  erschallte  Glocken- 
geläut.   Und  am  Abend  beschloß  ein  glänzendes  Feuerwerk  das  seltene  Fest. 

Das  großartige  Werk  verleugnet  in  der  Tat  nicht  die  kolossalen  Schwie- 
rigkeiten, über  die  des  Menschen  Geist  hier  den  mühsamen  Triumph  errang. 
Eine  Vorstellung  von  den  alle  bisherigen  Brückenbauten  übertreffenden  Ver- 


—     437     — 

hältnissen  dieses  Verkehrsweges  gibt  die  Angabe,  daß  die  Gesamtlänge  des 
Brückenkörpers  mit  den  Anbauten  über  2500  m  beträgt.  Diese  gewaltige 
Entfernung  wird  durch  nur  drei  Bogen  überwunden,  deren  mittlerer  in  der 


Lindenthals  Eisenbahnbrücke  über  die  Höliengasse  bei  New  York. 


—     438     — 

bisher  unerhörten  Spannung  von  478  m  40  m  hoch  über  dem  Wasser 
schwebt. 

Das  Meisterwerk  Roebhngs  übte  auf  den  Verkehr  zwischen  New  York  und 
Brooklyn  eine  ungeahnte  Wirkung.  Nach  allen  Seiten  hin  ausdehnungsfähig 
und  nunmehr  mittels  der  Brücke  in  wenigen  Minuten  erreichbar,  blühte  Brook- 
lyn zu  einer  Millionenstadt  empor.  Welche  Massen  von  New  Yorkern  hierher 
ihre  Wohnsitze  verlegten,  ergibt  sich  am  deutlichsten  aus  der  Zahl  der  Personen, 
welche  während  der  nächsten  Jahre  die  Brücke  passierten.  Im  Jahre  1884 
betrug  dieselbe  8  823  200.  Im  Jahre  1890  war  diese  Zahl  bereits  auf  341/2  Mil- 
lionen, bis  zum  Jahre  1897  auf  45yo  MilUonen  angeschwollen. 

Im  Jahre  1902  betrug  der  Durchschnittsverkehr  pro  Tag  von  24  Stunden 
für  die  Brückenbahn  1 59  637  und  für  die  über  die  Brücke  führende  Straßenbahn 
147  660  Personen.  Das  würde  für  das  Jahr  1902  einen  Gesamtverkehr  von 
112  163  405  Personen  ergeben. 

Das  glückliche  Gelingen  des  die  Bewunderung  der  ganzen  Welt  hervor- 
rufenden Roeblingschen  Werkes  stachelte  die  Ingenieure  Amerikas  zu  noch  ge- 
waltigeren Leistungen  an.  Einer  der  kühnsten  unter  den  neueren  Brückenbauern 
ist  der  im  Mai  1850  zu  Brunn  geborene  Gustav  Lindenthal.  Sein 
größtes  in  der  Ausführung  begriffenes  Werk  ist  eine  viergleisige  Eisenbahn- 
brücke, welche  den  als  „Hellgate"  („Höllengasse")  bekannten  Teil  des  die  Stadt 
New  York  von  Long  Island  trennenden  East  Rivers  überschreitet.  Eine  ver- 
steifte Stahlbogenbrücke  und  Stahlviadukte  von  4,80  km  Länge,  wird  sie  das 
Eisenbahnnetz  der  großen  Pennsylvaniabahn  auf  Long  Island  mit  der  Haupt- 
bahn von  New  York  nach  Boston  auf  dem  Festland  verbinden,  und  es  ermög- 
lichen, daß  Reisende  von  Boston  nach  Philadelphia  und  den  Südstaaten  ohne 
Umsteigen  direkt  durch  New  York  fahren  werden  können,  nämlich  durch  die 
neue  Pennsylvaniastation  an  der  32.  Straße  und  7.  Avenue.  Die  Brücke  über- 
schreitet die  Höllengasse  in  einem  300  m  weiten  und  100  m  hohen  Bogen,  dem 
größten,  der  bisher  bei  diesem  Brückensystem  zur  Anwendung  kam. 

Ein  anderer  von  Lindenthal  entworfener  und  in  der  Ausführung  begriffener 
Riesenbau  ist  die  doppelgleisige  Eisenbahnbrücke  von  drei  Spannweiten  über 
die  300  m  weite  und  118  m  tiefe  Schlucht  des  Kentuckyflusses  im  Staat  Ken- 
tucky. Die  Brücke  wird  die  schwerste  und  größte  genietete  Stahlkonstruktion 
in  der  Welt  sein,  wird  ohne  Gerüst  aufgestellt  und  von  zwei  Stahltürmen  ge- 
tragen. Sie  soll  die  alte  eingleisige  eiserne  Brücke  ersetzen,  welche  als  die 
erste  und  kühnste  Ausleger-(Cantilever-)Brücke  im  Jahre  1876  in  den  Vereinigten 
Staaten  gebaut  wurde,  und  bei  welcher  der  Deutschamerikaner  Charles 
S.  S  t  r  o  b  e  1  als  Ingenieur  tätig  war.  An  derselben  Stelle  hatte  Roebling  eine 
große  Stahlhängebrücke  geplant,  von  welcher  aber  nur  die  Steintürme  zur  Aus- 
führung kamen,  da  der  Bürgerkrieg  der  Jahre  1861  bis  1865  den  Weiterbau 
verhinderte. 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  beschäftigte  Lindenthal  sich  auch  mit  dem 
Entwurf  einer  Riesenbrücke,  die  den  Hudson  überschreiten  und  den  ungeheuren 


East  River- 

Hudson  River- 

Brücke 

Brücke 

1110     m 

2202    m 

279     „ 

550   „ 

480     „ 

930   „ 

81      „ 

198   „ 

105      „ 

255   „ 

251/2  „ 

36   „ 

1070     „ 

2040    „ 

2 

6—14 

—    439     — 

Verkehr  zwischen  New  York  und  dem  Staate  New  Jersey  vermitteln  soll.  Den 
bereits  vollendeten  Plänen  zufolge  würde  diese  Brücke  auf  jedem  Stromufer  von 
zwei  220  m  hohen  stählernen  Türmen  getragen,  in  denen  die  vier  Kabel  der 
Brücke  aufgelagert  werden  sollen.  Die  erstaunliche  Großartigkeit  des  Entwurfs 
läßt  sich  am  besten  aus  nachstehendem  Vergleich  seiner  Verhältnisse  mit  den- 
jenigen der  Roeblingschen  East  Riverbrücke  erkennen : 


Gesamtlänge  der  Brücke,  einschließlich  der  Verankerungen 

Länge  der  Landspannen  

Länge  der  Hauptspanne  

Höhe  der  Türme  von  der  Hochwassermarke  an   ...    . 

Höhe  der  Türme  von  den  Fundamenten  an 

Weite  der  Brückenbahn 

Länge  jedes  Kabels 

Zahl  der  Schienengleise 

Leider  gerieten  die  Vorarbeiten  zu  dieser  Riesenbrücke  in  neuester  Zeit  ins 
Stocken,  als  die  einen  großen  Teil  des  Personen-  und  Warenverkehrs  zwischen 
New  York  und  New  Jersey  vermittelnde  Pennsylvania-Eisenbahn  bei  der  Wahl 
zwischen  Brücke  und  einem  unter  dem  Hudson  dahinführenden  Tunnel  sich 
für  den  Bau  des  letzteren  entschied.  Damit  ist  aber  keineswegs  gesagt,  daß  die 
Lindenthalsche  Brücke  der  Vergessenheit  anheimfallen  wird.  Denn  das  fabel- 
hafte Wachsen  des  überwältigend  großartigen  Personen-  und  Güterverkehrs 
zwischen  New  York  und  New  Jersey  bedingt  immer  neue,  gewaltigere  Verkehrs- 
mittel. Und  so  dürfte  die  Wahrscheinlichkeit  nicht  ausgeschlossen  sein,  daß  in 
zehn  bis  zwanzig  Jahren  der  Hudson  gleichfalls  von  einem  Wunderwerk  der 
modernen  Ingenieurkunst  überbrückt  sein  wird. 

Außer  den  bisher  Genannten  boten  sich  vielen  anderen  deutschamerika- 
nischen Technikern  und  Ingenieuren  in  den  Vereinigten  Staaten  Gelegenheiten, 
ihr  Können  zu  betätigen.  Sie  fanden  hier  ein  um  so  großartigeres  und  lohnen- 
deres Feld,  als  den  amerikanischen  Ingenieuren,  soweit  sie  nicht  im  Ausland 
studiert  hatten,  die  nötigen  Kenntnisse  abgingen,  ein  Mangel,  der  sich  durch 
das  Fehlen  technischer  Hochschulen  erklärt.  Solche  wurden  erst  nach  dem 
Bürgerkrieg  in  den  Vereinigten  Staaten  gegründet  und  benötigten  natürlich 
längere  Zeit  zu  ihrer  Entwicklung. 

Inzwischen  drängte  aber  der  rastlose,  auf  die  Erschließung  des  weiten 
Landes  bedachte  amerikanische  Unternehmungsgeist  ungestüm  auf  die  stete 
Entwicklung  und  Verbesserung  der  Verkehrsmittel  und  -wege,  wobei  er  zu 
großen  Wagnissen  und  bedeutenden  Opfern  stets  bereit  war.  Aus  diesen 
Gründen  erklärt  es  sich,  warum  man  deutsche  und  deutschamerikanische  In- 
genieure fast  überall  im  Besitz  solcher  Stellungen  findet,  in  denen  es  auf  gründ- 
liches Wissen  und  wirkliches  Können  ankommt.  Wir  finden  sie  im  Dienst  der 
großen  Eisenbahnen  und  Schiff  bau  Werkstätten,  der  städtischen  Wasserwerke 
und  Straßenbahnen  und  Beleuchtungsgesellschaften. 


—     440     — 

Eine  der  eigenartigsten  Persönlichkeiten  unter  diesen  Männern  ist  zweifel- 
los Dr.  Karl  Prometheus  Steinmetz,  der  leitende  Geist  der  „General 
Electric  Company",  deren  gewaltige  Fabriken  in  Schenectady,  New  York,  ihren 
Sitz  haben.  Steinmetz  wurde  am  9.  April  1865  zu  Breslau  geboren.  Dort 
durchlief  er  auch  das  Gymnasium  und  die  Universität.  Mathematik  und  Astro- 
nomie bildeten  seine  Lieblingsbeschäftigungen,  bis  er  eines  Tages  in  nähere 
Berührung  mit  einem  Mitschüler  kam,  welcher  sich  dem  Studium  der  Elektrizität 
zugewendet  hatte.  Das  Wesen  dieser  geheimnisvollen  Kraft,  die  Möglichkeit 
ihrer  Verwendung  für  industrielle  und  Beleuchtungszwecke  waren  damals  kaum 
erkannt.  Bogen-  und  Glühlichtlampen  galten  als  Kuriositäten.  An  Motoren, 
Dynamos  und  andere,  heute  allgemein  gebrauchte  elektrische  Apparate  dachte 
noch  kein  Mensch.  Aber  der  Einblick  in  das  noch  unerschlossene  Zauberreich 
bestimmten  den  jungen  Steinmetz,  sich  dem  Studium  der  Elektrizität  zu  widmen 
und  auf  neue  Entdeckungen  auszugehen.  Ob  Steinmetz'  Vater,  als  er  seinem 
Sohn  den  Namen  Prometheus  verlieh,  geahnt  haben  mag,  daß  derselbe  einst 
ein  Bringer  und  Beherrscher  des  Lichtes  sein  werde? 

Schon  bald  nach  Ablauf  seiner  Studentenjahre  wanderte  Steinmetz  nach 
Amerika  aus  und  fand  in  den  dem  Deutschen  Eickemeyer  gehörigen  Elek- 
trizitätswerken in  Yonkers,  New  York,  Anstellung.  Allerdings  mit  dem  be- 
scheidenen Anfangsgehalt  von  12  Dollar  pro  Woche.  Aber  er  verstand  sein 
reiches  Wissen  so  zur  Geltung  zu  bringen,  daß  er  bald  die  rechte  Hand  seines 
Brotherrn  bildete  und  denselben  beim  Ausarbeiten  neuer  Erfindungen  unter- 
stützte. Nach  wenigen  Jahren  war  Steinmetz  zum  technischen  Leiter  der  Eicke- 
meyerschen  Fabrik  emporgerückt.  Und  als  diese  dem  allgemeinen  Zug  der 
Zeit  folgte,  und  sich  mit  anderen  im  Osten  der  Union  bestehenden  großen  An- 
lagen zu  der  „General  Electric  Company"  vereinigte,  ward  Steinmetz  an  die 
Spitze  dieser  gewaltigen,  über  ein  Heer  von  14  000  Angestellten  gebietenden 
Unternehmung  berufen.  Die  eignen  Erfindungen  und  weitreichenden  Ver- 
besserungen, die  Steinmetz  herbeiführte,  sind  viel  zu  zahlreich  und  kompliziert, 
als  daß  sie  anderswo  als  in  einem  Fachw^erk  nach  Gebühr  gewürdigt  werden 
könnten. 

Ebensowenig  sind  wir  imstande,  manchen  anderen  Deutschamerikanern, 
wie  z.  B.  dem  in  Pom.mern  geborenen  Bernhard  A.  Behrend,  dem 
Hannoveraner  Emil  Berliner  und  anderen  gerecht  zu  werden,  deren  Er- 
findungen das  moderne  Kulturleben  manche  wichtige  Fortschritte  verdankt. 


Die  deutsche  Presse  in  den  Vereinigten  Staaten. 

Der  während  der  Kolonialzeit  erschienenen  Erstlinge  der  deutschamerika- 
nischen Presse  gedachten  wir  bereits  in  früheren  Abschnitten.  Desgleichen  des 
wackeren  Johann  Peter  Zenger,  dessen  Furchtlosigkeit  die  amerika- 
nische Journalistik  ihre  höchste  Errungenschaft,  die  Preßfreiheit,  verdankt. 

Als  nach  der  glücklichen  Beendigung  des  amerikanischen  Unabhängig- 
keitskriegs deutsche  Einwandrer  wieder  in  größerer  Zahl  eintrafen,  stieg  natür- 
lich auch  das  Bedürfnis  für  in  deutscher  Sprache  gedruckte  Zeitungen.  Bereits 
zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bestanden  ihrer  in  Pennsylvanien  nahezu  ein 
Dutzend.  Sie  verteilten  sich  auf  die  Städte  Philadelphia,  Germantown,  Lan- 
caster,  Easton  und  Reading.  Baltimore,  Boston  und  New  York  besaßen  gleich- 
falls deutsche  Zeitungen,  die  einmal  wöchentlich  erschienen. 

Eine  der  wichtigsten  Perioden  in  der  Geschichte  der  deutschamerikanischen 
Presse  bilden  die  dreißiger,  vierziger  und  fünfziger  Jahre  des  19.  Jahrhunderts, 
während  welcher  sowohl  in  den  Städten  des  Ostens  wie  auch  in  den  Mittel- 
staaten und  am  Mississippi  zahlreiche  deutsche  Zeitungen  entstanden,  darunter 
mehrere,  die  aus  bescheidenen  Anfängen  zu  großen  Tageszeitungen,  ja  Welt- 
blättern, emporwuchsen. 

Den  Hauptanstoß  zum  Em.porblühen  der  deutschamerikanischen  Presse 
gaben  die  „Achtundvierziger",  jene  hochgesinnten  Freiheitsstreiter,  von  denen 
viele  bereits  im  alten  Vaterland  literarisch  und  journalistisch  tätig  gewesen 
waren.  Gelang  es  solchen  politischen  Flüchtlingen  nicht,  an  einer  Universität 
oder  sonstigen  Lehranstalt  unterzukommen,  so  übernahmen  sie  die  Leitung  be- 
reits bestehender  Zeitungen  oder  gründeten  eigne  Organe,  für  die  sie  in  dein 
starken  Deutschtum  willige  Abnehmer  fanden.  Friedrich  und  Rudolf 
Lexow,  Lorenz  Brentano,  Friedrich  Hassaurek,  Wil- 
helm Rapp,  Karl  Heinze,  Gottfried  Kellner,  Oswald 
Ottendorfer,  Johann  Georg  Wesselhöft,  Georg  Hill- 
gärtner, Emil  Pretorius,  Paul  Löser,  Karl  Dänzer,  Fried- 
rich Raine,  Hermann  Raster,  Eduard  Leyh  und  viele  andere 
traten  auf  solche  Weise  in  die  Journalistik  ein. 

Diese  Männer  erkannten  mit  klarem  Blick,  daß  die  wichtigste  Mission  der 
deutschamerikanischen  Zeitungen  im  Erfüllen  der  Aufgabe  bestehe,  die  in  die 


—     442     — 

Vereinigten  Staaten  einwandernden  Deutschen  mit  den  Gesetzen,  Einrichtungen, 
poHtischen,  wirtschaftlichen  und  sozialen  Zuständen  des  Landes  vertraut  zu 
machen,  und  ihnen  durch  Vermittlung  dieser  Kenntnisse  die  Teilnahme  am 
amerikanischen  Leben  sowie  das  Emporkommen  in  geordnete,  bessere  Verhält- 
nisse zu  ermöglichen.  Aber  sie  fühlten  auch,  daß  die  deutschamerikanischen 
Zeitungen  den  deutschen  Einwandrern  um  so  rascher  liebe  und  traute  Ge- 
fährten sein  würden,  wenn  sie  ihnen  möglichst  viel  von  den  Vorgängen  in  der 
alten  Heimat  berichteten,  und  sie  dadurch  in  beständiger  Fühlung  mit  derselben 
erhielten. 

Ein  typisches  Bild  der  Entwicklung  einer  deutschamerikanischen  Zeitung 
bietet  die„NewYorker  Staatszeitun  g".  Als  sie  im  Jahre  1 834  zuerst 
erschien,  legte  sie  ihr  Programm  in  folgenden  Worten  dar:  „Die  New  Yorker 
Staatszeitung  ist,  wie  ihr  Name  besagt,  hauptsächlich  eine  politische  Zeitung, 
und  wird  es  sich  angelegen  sein  lassen,  nach  bestimmten  und  bewährten  Prin- 
zipien echt  demokratisch-republikanische  Ideen  unter  unseren  Mitbürgern  zu 
erhalten;  falsche  mit  allem  Eifer  nach  den  Forderungen  des  ewigen  Vernunft- 
rechts in  ihrer  Unhaltbarkeit  und  Schädlichkeit  darzustellen.  Obgleich  nament- 
lich der  Wohlfahrt  deutschamerikanischer  Bürger  geweiht  und  deswegen  auf 
deren  Verhältnisse  in  den  Vereinigten  Staaten  besonders  ihre  Aufmerksamkeit 
richtend,  wird  sie  nicht  versäumen,  die  Erwähnung  der  Tagesbegebenheiten  der 
Alten  Welt  denen  der  Neuen  anzureihen,  durch  Blicke  auf  Natur-  und  Kultur- 
geschichte, Literatur  und  Kunst,  Gewerbe,  Ackerbau,  Handel  und  damit  zu- 
sammenhängende Zweige  der  menschlichen  Tätigkeit  unter  uns  und  anderen 
Völkern,  den  zeitigen  Standpunkt  aller  dieser  Gebiete  dem  Beobachter  darzu- 
legen. Sie  wird  zu  dem  schönen  Ziele  mitzuwirken  suchen,  deutsche  Sprache, 
Sitten,  Wissenschaft,  Kunst  und  mechanische  Fertigkeiten  in  ihrer  Eigentüm- 
lichkeit, so  weit  in  Amerika  die  deutsche  Zunge  reicht,  zu  erhalten  und  zeit- 
gemäß weiterzubilden.  Sie  wird  bezwecken,  unsere  deutschen  Mitbürger  durch 
politische  und  wissenschaftliche,  möglichst  nach  männlicher  Ruhe  und  Festig- 
keit strebende  Aufsätze  zu  unterhalten  und  zu  belehren." 

Diesem  Programm  ist  die  „New  Yorker  Staatszeitung"  während  der 
vielen  Jahrzehnte  ihres  Bestehens  treu  geblieben.  Stetes  von  tüchtigen  Männern 
geleitet,  alle  Fortschritte  im  Zeitungswesen  sich  zunutze  machend,  durch  Haltung 
und  Sprache  rasch  das  Vertrauen  und  die  Gunst  des  Deutschtums  gewinnend, 
konnte  das  ursprünglich  vierseitige  Wochenblatt  sich  bald  in  eine  tägliche  Zei- 
tung verwandeln.  Neben  die  morgens  erscheinende  Hauptausgabe  trat  später 
eine  Abendausgabe,  von  denen  die  erste  gegenwärtig  in  einem  Umfang  von 
14  bis  16,  die  letztere  in  einem  Umfang  von  8  Seiten  erscheint.  Einer  jhrer 
wertvollsten  Bestandteile  ist  unstreitig  das  32  Seiten  umfassende  Sonntagsblatt, 
welches  seinen  Lesern  eine  geradezu  erstaunliche  Fülle  von  belletristischem 
Unterhaltungsstoff  und  populär  wissenschaftlichen  Aufsätzen,  darunter  viele 
Originalartikel,  darbietet.  Die  Qualität  dieser  Aufsätze  übertrifft  diejenigen  der 
in  den  amerikanischen  Zeitungen  enthaltenen  bei  weitem,  was  hauptsächlich 


—     443     — 

dem  Umstand  zuzuschreiben  ist,  daß  infolge  der  bis  zum  Sommer  1909  zwischen 
den  Vereinigten  Staaten  und  Deutschland  bestehenden  mangelhaften  Schutz- 
gesetze für  geistiges  Eigentum  die  deutschamerikanischen  Zeitungen  in  der 
Lage  waren,  ihre  Auswahl  kostenlos  aus  dem  unerschöpflichen  Reichtum  der 
jenseits  des  Atlantischen  Ozeans  veröffentlichten  Zeitungs-  und  Zeitschriften- 
literatur treffen  zu  können. 

Außer  der  „New  Yorker  Staatszeitung"  bestehen  in  New  York  die  „Groß 
New  Yorker  Zeitun  g'',  der  „H  e  r  o  1  d",  das  „M  o  r  g  e  n  j  o  u  r  n  a  1", 
die  „V  o  1  k  s  z  e  i  t  u  n  g"  und  die  „Brooklyner  freie  Press  e".  In 
Philadelphia  finden  wir  den  „Demokrat"  und  die  „ö  a  z  e  1 1  e",  in  Balti- 
more den  „DeutschenCorrespondente  n".  Chicago  hat  vier  deutsche 
Tagesblätter,  von  denen  die  früher  hochangesehene  „Illinois  Staats- 
zeitung" und  die  „F  r  e  i  e  Presse"  in  neuester  Zeit  miteinander  ver- 
schmolzen wurden.  Außer  diesen  erscheinen  dort  die  „Abendpost"  und 
die  „A  r  b  e  i  t  e  r  z  e  i  t  u  n  g".  Milwaukee  besitzt  den  „H  e  r  o  1  d"  und  die 
„G  e  r  m  a  n  i  a".  St.  Louis  dominiert  die  „W  estliche  Pos  t".  Cincinnati 
hat  die  „W  e  s  1 1  i  c  h  e  n  B  1  ä  1 1  e  r"  und  das  „V  o  1  k  s  b  1  a  1 1".  In  Cleveland 
erscheinen  „W  ä  c  h  t  e  r"  und  „Anzeiger";  in  San  Francisco  der  „Cali- 
fornia Demokrat";  in  Buffalo  der  „V  o  1  k  s  f  r  e  u  n  d"  und  „Demo- 
krat"; in  New  Orleans  die  „N  e  u  e  d  e  u  t  s  c  h  e  Z  e  i  t  u  n  g" ;  in  St.  Paul  die 
„V  o  1  k  s  z  e  i  t  u  n  g" ;  in  Minneapolis  die  „Freie  Presse"  und  dei 
„H  e  r  o  1  d". 

Der  Ton  der  deutschamerikanischen  Presse  ist  echt  amerikanisch.  Sie  ist 
im  allgemeinen  stets  eine  treue  Verfechterin  der  besten  Einrichtungen  des  politi- 
schen Systems,  scharf  in  der  Kritik  seiner  Fehler  und  eine  unermüdliche 
Kämpferin  für  die  allgemeine  Wohlfahrt,  für  Ordnung  und  persönliche  Frei- 
heit gewesen. 

Zum  Ruhm  der  deutschamerikanischen  Zeitungen  darf  man  ferner  sagen, 
daß  sie  mit  sehr  wenigen  Ausnahmen  von  der  ekelhaften  Sensationshascherei, 
durch  welche  viele  amerikanische  Zeitungen  ihren  Leserkreis  zu  vergrößern 
trachten,  frei  sind.  Die  deutschen  Leiter  der  Blätter  hielten  stets  an  der  Über- 
zeugung fest,  daß  eine  Zeitung  höhere  Pflichten  habe,  als  ihre  Leser  durch 
allerlei,  oft  jeder  Grundlage  entbehrenden  oder  durch  unwahre  Zutaten  aus- 
geschmückten Skandalgeschichten  in  beständiger  Erregung  zu  erhalten. 

Zu  ihren  schönsten  Aufgaben  zählt  die  deutschamerikanische  Presse  auch 
die,  die  guten  Beziehungen  zwischen  Amerika  und  Deutschland  zu  pflegen  und 
für  beide  Teile  immer  segensreicher  zu  gestalten.  Diese  Aufgabe  ist  keineswegs 
leicht.  Wird  sie  doch  sowohl  durch  die  auf  wirtschaftlichem  Gebiet  bestehende 
Rivalität  als  auch  durch  unaufhörliche,  gehässiger  Eifersucht  entspringende 
Hetzversuche  der  Londoner  Presse  sowie  mancher  direkt  in  englischem  Solde 
stehender  amerikanischer  Zeitungen  erschwert. 

Die  Bedeutung  der  deutschamerikanischen  Presse  für  das  gesamte  amerika- 
nische Kulturleben  läßt  sich  am  besten  daraus  erkennen,  daß  im  Jahre  1908  in 


-P^ 


—     444     — 

den  Vereinigten  Staaten  über  700  Zeitungen  und  Zeitsctiriften  in  deutscher 
Sprache  gedruclct  wurden,  darunter  etwa  100  Tagesblätter,  von  denen  mehrere 
Auflagen  von  25  000  bis  100  000  Exemplaren  besitzen. 

Unter  den  Zeitschritten  überwiegen  natürlich  die  gewerblichen  Fach- 
blätter. Die  der  Belletristik  gewidmeten  vermochten  sich  nach  dem  Auflcommen 
der  reich  ausgestatteten  und  vielseitigen  Sonntagsausgaben  der  großen  Zei- 
tungen nicht  zu  halten,  zumal  sie  obendrein  den  Wettbewerb  der  amerikanischen 
sowie  der  aus  Deutschland  eingeführten  Wochen-  und  Monatsschriften  ertragen 
mußten. 

An  einzelnen  eigenartigen  Erscheinungen  innerhalb  der  deutschamerika- 
nischen Presse  hat  es  nicht  gefehlt.  In  erster  Linie  wäre  das  von  dem  Achtund- 
vierziger Karl  Heinzen  im  Jahre  1 854  in  Louisville,  Kentucky,  gegründete 
Wochenblatt,  „Der  Pionier'',  zu  erwähnen,  eine  Zeitschrift,  die  auf  dem  Felde 
radikalen  Denkens  und  rücksichtslosen  Kämpfens  gegen  Dummheit  und 
Schlechtigkeit  kaum  jemals  ihresgleichen  hatte.  Meinzen  redigierte  dieselbe 
bis  zu  seinem  im  Jahre  1880  erfolgten  Tode,  worauf  der  „Pionier"  mit  dem  in 
Milwaukee  erscheinenden,  ähnliche  Tendenzen  verfolgenden  „Freidenker",  ver- 
schmolzen wurde. 

Außerordentlich  weite  Verbreitung  fand  seinerzeit  auch  der  von  Robert 
S^e  i  t  z  e  1  in  Detroit  herausgegebene  „Arme  Teufel",  eine  Wochenschrift,  die 
es  auf  vierzehn  Jahrgänge  brachte.  Sie  war  ungemein  reich  an  in  wahrhaft 
klassischem  Deutsch  geschriebenen  Vorträgen,  Skizzen,  Schilderungen  und  Dich- 
tungen, an  geistsprühenden  Essays  und  Satiren.  Nach  dem  Tode  des  gleich 
Heinrich  Heine  die  Welt  von  seinem  Krankenlager,  „Luginsland",  aus  beob- 
achtenden Schriftstellers  ging  die  Zeitung  ein. 


Es  möge  an  dieser  Stelle  auch  erwähnt  werden,  daß  eine  für  die  Entwick- 
lung des  Zeitungswesens  in  Amerika  überaus  wichtige  Erfindung  durch  Deutsche 
nach  den  Vereinigten  Staaten  übertragen  wurde.  Friedrich  Gottlieb  Keller  und 
Heinrich  Voelter  hatten  in  Deutschland  die  Entdeckung  gemacht,  daß  aus  zer- 
malmten, in  Brei  verwandelten  Holzfasern  Papier  hergestellt  werden  könne. 
A.  Pagenstecher,  ein  hervorragender  Papierhändler  in  den  Vereinigten 
Staaten,  ließ  zwei  der  von  Voelter  erfundenen  Holzmahlmaschinen  in  Curtisville 
bei  Stockton,  Massachusetts,  aufstellen.  Der  erste  Holzbrei  wurde  damit  im 
März  1867  erzeugt.  Eine  nahebei  gelegene  Papiermühle  versuchte  aus  diesem 
Brei  Papier  zu  bereiten.  Dieser  Versuch  verlief  so  befriedigend,  daß  die  Be- 
sitzer der  Mühle  sofort  einen  Vertrag  für  die  Lieferung  alles  von  Pagen  Stecher 
erzeugten  Holzbreis  abschlössen.  Es  hielt  anfangs  schwer,  die  Papierfabri- 
kanten für  die  neue  Sache  zu  interessieren,  da  man  keine  Ahnung  von  dem 
fabelhaften  Aufschwung  hatte,  den  infolge  dieser  Erfindung  und  der  dadurch 
ermöglichten  Verbilligung  der  Papierpreise  das  Zeitungswesen  nehmen  würde. 


—     445     — 

Aber  die  Erkenntnis  brach  sich  dann  rasch  Bahn  und  ermöglichte  sowohl  die 
Verbilligung  der  Zeitungen  wie  die  Herausgabe  der  großen  täglichen  Aus- 
gaben, an  welche  niemand  denken  könnte,  wenn  man  noch  heute  auf  die  alte 
Art  der  Papierbereitung  aus  Lumpen  angewiesen  wäre. 

Eine  zweite,  für  das  Zeitungswesen  ebenso  wichtige  Erfindung  verdankt 
man  dem  am  10.  Mai  1854  zu  iMergentheim  in  Württemberg  geborenen  O  1 1  o  - 
mar  Mergenthaler.  Derselbe  kam  im  Jahre  1872  nach  Amerika,  wo  er 
sich  zuerst  in  Washington,  später  in  Baltimore  mit  der  Herstellung  feiner  elek- 
trischer Instrumente  und  mit  Entwürfen  für  eine  Schriftsetzmaschine  beschäftigte. 
Die  erste  wurde  im  Jahre  1886  im  Setzersaal  der  New  Yorker  „Tribüne*'  auf- 
gestellt, und  bewährte  sich  als  zeit-  und  arbeitskräftesparende  Maschine  so 
außerordentlich,  daß  sie  sowohl  in  Nordamerika  wie  in  Europa  und  Austrahen 
überall  Eingang  fand.  Mit  ihrer  Herstellung  befaßten  sich  in  den  Vereinigten 
Staaten  die  „Mergenthaler  Printing  Company"  und  seit  1891  die  „Mergenthaler 
Linotype  Company  of  New  Jersey".  Leider  wurde  dem  am  28.  Oktober  1899 
in  Baltimore  verstorbenen  Erfinder  nicht  der  gebührende  Lohn  zuteil.  Es  er- 
ging ihm,  wie  so  vielen  anderen,  die  durch  das  ausbeutende  Kapital  um  den 
verdienten  klingenden  Erfolg  gebracht  wurden. 


Deutsche  Gelehrte  in  den  Vereinigten  Staaten. 

Bedürfte  die  „Internationalität  der  Wissenschaft"  eines  Beweises,  so  gibt 
es  keinen  schlagenderen,  als  die  überraschend  große  Zahl  deutscher  Gelehrter, 
die  an  dem  Aufbau  und  der  Entwicklung  des  wissenschaftlichen  Lebens  in  den 
Vereinigten  Staaten  beteiligt  waren  und  noch  beteiligt  sind.  Mit  den  Namen 
solcher  Männer,  die  hier  in  den  verschiedenen  Zweigen  der  Wissenschaft  tätig 
waren  und  auf  das  Geistesleben  des  amerikanischen  Volkes  befruchtend  wirkten, 
könnte  man  Seiten  füllen. 

Den  ersten  in  Amerika  auftretenden  Pionieren  deutscher  Wissenschaft, 
Augustin  Herrman,  Johann  Lederer,  Franz  Daniel 
P  a  s  t  o  r  i  u  s  und  David  Rittenhausen  reihten  sich  im  18.  und  19.  Jahr- 
hundert zahllose  andere  an,  von  denen  viele  in  ihren  speziellen  Fächern  Vortreff- 
liches leisteten,  ja,  insofern  Amerika  in  Betracht  kommt,  die  Bahnbrecher  waren. 

Der  erste  Entomologe  Amerikas  war  Friedrich  Valentin  Meis- 
heim er  (1749  bis  1814),  ein  lutherischer  Pfarrer  in  Pennsylvanien.  Er  ver- 
öffentlichte das  erste  Verzeichnis  der  im  Osten  der  Vereinigten  Staaten  vorkom- 
menden Insekten.  Sein  Bruder  Friedrich  Ernst  Melsheimer  schrieb 
ein  großes  Werk  über  die  Käfer  Nordamerikas.     Mitarbeiter  an  diesem  Werk 


Kopfleiste:    Ludwig  Johann  Rudolf  Agassiz. 


—     447     — 

war  der  Deutschpennsylvanier  Samuel  Haldeman,  welcher  sich  später 
durch  ähnliche  Werke  über  die  Süßwassermollusken  Amerikas  auszeichnete. 

Der  erste  Forscher,  welcher  die  Fische  der  amerikanischen  Gewässer 
wissenschaftlich  untersuchte,  war  der  Regimentsarzt  David  S  c  h  o  e  p  f ,  der 
mit  den  im  britischen  Heer  dienenden  deutschen  Hilfstruppen  nach  Amerika 
kam.  Nach  Beendigung  des  Kriegs  blieb  er  noch  ein  Jahr  im  Lande,  um  die 
in  der  Bai  von  New  York  vorkommenden  Fische  zu  studieren,  von  welchen  er 
ein  beschreibendes  Verzeichnis  lieferte. 

Als  erster  deutschamerikanischer  Botaniker  gilt  der  lutherische  Pastor 
Gotthilf  Heinrich  Ernst  Mühlenberg  (1753  bis  1815).  Er  ver- 
öffentlichte über  die  Flora  Pennsylvaniens  mehrere  wichtige  Werke.  Der  Arzt 
Georg  Engelmann,  einer  jener  „lateinischen  Farmer",  die  sich  im  Strom- 
gebiet des  Mississippi  ansiedelten,  beschrieb  die  noch  unerforschte  Flora  des 
Westens,  wobei  er  weite  Reisen  durch  Missouri,  Arkansas,  Louisiana  und  Texas 
unternahm.  Die  Ergebnisse  seiner  mit  größter  Sorgfalt  angestellten  Studien 
veröffentlichte  er  in  zahlreichen  Monographien  und  fachwissenschaftlichen  Zeit- 
schriften. Von  bleibendem  Wert  sind  seine  Untersuchungen  über  die  Struktur 
der  Kakteen,  Euphorbien  und  Koniferen.  Welchen  Fleiß  er  entwickelte,  ergibt 
sich  aus  einem  Verzeichnis  seiner  Schriften,  von  denen  C.  S.  Sargent  in  der 
„Botanical  Gazette"  vom.  Mai  1884  nicht  weniger  als  112  aufzählte.  Die  Ge- 
lehrtenwelt zollte  dem  verdienstvollen  Forscher  reiche  Anerkennung.  Seine 
amerikanischen  Fachgenossen  setzten  ihm  ein  dauerndes  Denkmal,  indem  sie 
außer  mehreren  neuen  Pflanzengeschlechtern  eine  der  herrlichsten  Fichten  der 
Felsengebirge  „Albis  Engelm.anni"  tauften. 

Die  Flora  des  Staates  Texas  wurde  durch  Ferdinand  Jakob  Lind- 
heim er  erschlossen,  einen  Studenten  der  Universität  Jena,  welcher  vor  den 
Verfolgungen  der  reaktionären  deutschen  Regierungen  nach  Amerika  geflohen 
war.  Er  schlug  seinen  Wohnsitz  in  dem  texanischen  Städtchen  Neu-Braunfels 
auf,  von  wo  er  zahlreiche  Forschungsreisen  in  die  noch  unbekannten  Wildnisse 
von  Texas  unternahm.  Auch  seinen  Namen  ehrten  spätere  Forscher,  indem  sie 
ihn  mehreren  von  Lindheimer  entdeckten  Pflanzen  als  Beinamen  zufügten. 

Ein  Freund  und  Studiengenosse  der  beiden  obengenannten,  Friedrich 
Adolf  Wislizenus,  erwarb  sich  große  Verdienste  um  die  Erforschung 
der  Flora  und  Geologie  der  Felsengebirge.  Ferner  machten  sich  die  Deutsch- 
amerikaner David  von  Schweinitz,  Johann  Nepomuk  Neu- 
mann, Wangen  heim,  Rafinesque,  Menzel,  Schott,  Fried- 
rich, Fendler,  Salm,  Römer,  Creutzfeld,  Bolander, 
Geyer,  Hilgard,  Link,  Kramer,  Scheer,  Poselger,  Franser, 
Berland,  Hoffmannsegg,  Schrank,  Hopf,  Heyder,  Deppe, 
Pfeiffer,  Klotsch,  Rothrock,  Seubert,  Hart  weg,  Kuhn, 
Metzger,  Horkel  und  andere  als  tüchtige  Botaniker  bekannt. 

Gerhard  Troost,  ein  Zögling  der  berühmten  Bergschule  zu  Frei- 
berg in  Sachsen,  gebührt  der  Ruhm,  der  erste  Gelehrte  gewesen  zu  sein,  welcher 


—     448     — 

in  Amerika  Vorlesungen  über  Geologie  und  Mineralogie  hielt.  Von  1810  bis 
1827  wirkte  er  als  Professor  der  Mineralogie  am  Museum  zu  Philadelphia.  Er 
war  auch  einer  der  Gründer  und  der  erste  Präsident  der  „Academy  of  Science''. 
Später  siedelte  er  nach  Nashville  in  Tennessee  über  und  bekleidete  den  Posten 
eines  Staatsgeologen.  Er  soll  der  Erste  gewesen  sein,  welcher  seine  Wissen- 
schaft praktisch  verwertete,  indem  er  auf  Kap  Sable  in  Maryland  eine  chemische 
Fabrik,  die  erste  in  den  Vereinigten  Staaten,  anlegte. 

Sein  Berufsgenosse  Karl  Rominger  erforschte  als  Staatsgeologe  von 
Michigan  in  jahrelangen  Wandrungen  beide  Halbinseln  jenes  Staates.  Sein 
vier  stattliche  Bände  umfassender  Bericht  erschien  in  den  Jahren  1873  bis  1881. 

Seinem  ganzen  Entwicklungsgang  nach  gehört  auch  der  im  Jahre  1807 
im  schweizerischen  Kanton  Freiburg  geborene  Naturforscher  Ludwig  Jo- 
hann Rudolf  Agassiz  zu  den  Deutschamerikanern.  Erhielt  er  doch 
seine  wissenschaftliche  Ausbildung  auf  den  Universitäten  Zürich,  Heidelberg 
und  München,  sowie  als  Schüler  und  Mitarbeiter  der  berühmten  deutschen  Ge- 
lehrten Oken,  Schelling,  Döllinger,  Spix  und  Martins.  Von  letzterem  wurde  er 
mit  der  Beschreibung  der  Fische  für  sein  großes  südamerikanisches  Reisewerk 
betraut.  Agassiz'  Name  hatte  in  der  Gelehrtenwelt  bereits  einen  guten  Klang, 
als  er  im  Jahre  1846  im  Auftrag  des  Königs  von  Preußen  die  Vereinigten 
Staaten  besuchte.  Seine  hier  gehaltenen  Vorträge  machten  so  tiefen  Eindruck, 
daß  die  Harvard-Universität  ihm  die  Professur  für  Zoologie  und  Geologie  an- 
bot. Er  nahm  dieselbe  an  und  bekleidete  sie  bis  1873.  Der  Staat  Massachusetts 
unterstützte  seine  Bestrebungen,  indem  er  die  Mittel  zur  Gründung  des  groß- 
artigen Naturgeschichtlichen  Museums  zu  Cambridge  bewilligte,  welches  über- 
raschend schnell  zum  wichtigsten  Amerikas  emporblühte.  Agassiz  war  un- 
ermüdlich tätig.  Nach  zahlreichen  Forschungsreisen  durch  Nordamerika  unter- 
nahm er  im  Jahre  1 865  eine  großartige  Expedition  in  das  Gebiet  des  Amazonen- 
stroms. Dieser  folgte  später  eine  zweite  zum  Golf  von  Mexiko  und  den  kali- 
fornischen Küstengewässern,  wobei  er,  von  zahlreichen  Assistenten  unterstützt, 
ausgedehnte  Tiefseeforschungen  ausführte.  Die  ungemein  reichen  Ergebnisse 
dieser  Expedition  veröffentlichte  Agassiz  in  viel  gelesenen  Werken,  von  denen 
mehrere,  wie  z.  B.  „A  Journey  in  BraziF'  zahlreiche  Auflagen  erlebten. 

Eines  der  größten  Verdienste  Agassiz'  besteht  darin,  daß  er  das  Interesse 
des  Amerikanertums  für  naturwissenschaftliche  Forschungen  mächtig  belebte. 
Seine  Darstellungsweise  in  Wort  wie  in  Schrift  nahm  unwiderstehlich  gefangen 
und  begeisterte  Leser  und  Hörer  zu  ansehnlichen  Opfern.  So  empfing  Agassiz 
die  Mittel  zur  Anlage  einer  Station  zur  Beobachtung  der  Meeresfauna  von  einem 
reichen  New  Yorker,  der  ihm  zu  diesem  Zweck  50  000  Dollar  sowie  die  an  der 
Ostküste  gelegene  Insel  Penikese  schenkte.  Ein  anderer  Gönner  stiftete  für  den 
gleichen  Zweck  eine  mit  allen  Hilfsmitteln  zur  Tiefseeforschung  ausgerüstete  Jacht. 

Einen  hervorragenden  Mitarbeiter  besaß  Agassiz  in  dem  mit  ihm  nach 
Amerika  übersiedelten  Grafen  Ludwig  Franz  von  Pourtales  (geb. 
1823  in  Neuchatel).    Derselbe  war,  wie  in  einer  Biographie  des  Grafen  hervor- 


—    449     — 

gehoben  wird,  „in  der  Jugend  Agassiz'  Lieblingsschüler,  während  des  langen 
wirksamen  Lebens  sein  treuer  Freund  und  Genosse,  und  die  Stütze  seiner  im 
Alter  nachlassenden  Kraft." 

Nach  Agassiz'  Tode  übernahm  Pourtales  auch  die  Leitung  des  Natur- 
historischen Museums  und  stand  demselben  bis  zu  seinem  eigenen  Ableben  vor. 
Pourtales'  Andenken  lebt  in  der  Wissenschaft  als  das  eines  der  ersten  Pioniere 
der  Tiefseeforschung.  Hauptsächlich  widmete  er  sich  der  wissenschaftlichen 
Begründung  des  Golfstroms  und  seines  erstaunlich  reichen  Lebens. 

Agassiz'  Sohn  Alexander,  geboren  1835  in  Neuchatel,  steht  dem 
Zoologischen  Museum  zu  Cambridge  seit  1902  vor.  Die  von  seinem  Vater  in 
Südamerika  begonnenen  wissenschafüichen  Forschungen  setzte  er  in  erfolg- 
reichster Weise  fort.  Sein  Werk  „Explorations  of  Lake  Titicaca"  machte  ihn  in 
weiten  Kreisen  bekannt. 

Mehrere  deutsche  Gelehrte  beteiligten  sich  auch  an  den  von  der  ameri- 
kanischen Regierung  ausgesendeten  Forschungsexpeditionen  und  bearbeiteten 
die  wissenschaftlichen  Ergebnisse  derselben.  Unter  ihnen  finden  wir  den  Stutt- 
garter Arthur  Schott,  den  Heidelberger  Emil  Bessels  und  andere. 
Schott  gehörte  jener  wissenschaftlichen  Kommission  an,  welche  im  Jahre  1852 
die  Vermessung  der  Grenze  zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und  Mexiko 
vornahm.  Bessels  war  wissenschaftlicher  Leiter  der  berühmten  „Polaris-Expe- 
dition"  unter  Charles  Francis  Hall,  welche  im  Jahre  1871  durch  den  Smith 
Sund  und  den  Kennedy-Kanal  in  völlig  unbekannte  arktische  Gebiete  führte. 
Nach  dem  Tode  Halls  und  dem  Untergang  der  „Polaris"  rettete  Bessels  einen 
Teil  der  Mannschaften  sowie  die  wissenschaftlichen  Aufzeichnungen  auf  eine 
mächtige  Eisscholle,  von  welcher  die  Schiffbrüchigen  nach  einer  196tägigen 
schrecklichen  Reise  von  dem  Dampfer  „Tigress"  aufgenommen  wurden.  Eine 
zweite,  im  Auftrag  der  Regierung  unternommene  Expedition,  welcher  Bessels 
wiederum  als  wissenschaftlicher  Leiter  vorstand,  scheiterte  an  der  Küste  von 
Vancouver  Island.  Bessels  Hauptwerk  bildet  das  drei  Bände  umfassende  Buch 
über  die  Polaris-Expedition. 

Die  neueste  Zeit  konnte  den  Namen  dieser  Pioniere  der  Naturwissenschaft 
zahlreiche  andere  hinzufügen,  wie  z.  B.  diejenigen  des  Paläontologen  T  i  m  o  - 
t  h  ä  u  s  C  o  n  r  a  d  ,  des  Biologen  Georg  Eugen  Beyer,  des  Ornitologen 
Franz  Nehrling,  der  Zoologen  Karl  H.  Eigenmann,  Arnold 
Ortmann,  der  Entomologen  Georg  H.  Hörn,  E.  A.  Schwarz, 
Otto  Lugger,  Hermann  von  Bahr,  Hermann  Strecker, 
A.  Hagen,  William  Beute  nmüller,  Henry  Ulke,  der 
Geologen  Eugen  Waldemar  Hilgard,  Georg  Ferdinand 
Becker,  Karl  Schuckert,  Rudolf  Rüde  mann  und  George 
Frederick  Kunz.  Der  letzte  lieferte  in  seinem  Buch  „Gems  and  precious 
stones  of  North  America"  die  erste  Übersicht  über  die  Edelsteine  Nordamerikas. 
Im  Jahre  1906  schuf  er  in  seinen,  in  nur  100  Exemplaren  gedruckten  „Investi- 
gations  and  Studies  in  Jade"  ein  Monumentalwerk  von  ungewöhnlicher  Kost- 

Cronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  29 


—     450     — 

barkeit.  Es  enthält  eine  mit  zahlreichen  Farbentafeln  und  Radierungen  ge- 
schmückte Beschreibung  der  herrlichen  Jadeit-Sammlung,  die  von  dem  Ameri- 
kaner H.  Bishop  in  vielen  Jahren  zusammengebracht  vv^urde  und  sich  jetzt  im 
Besitz  des  „Naturhistorischen  Museums  der  Stadt  New  York"  befindet.  Ein 
drittes  von  Kunz  verfaßtes,  ungemein  reich  ausgestattetes  Werk  ist  das  im  Jahre 
1908  in  Nev/  York  erschienene  „Book  of  the  Pearl". 

Auch  auf  den  weiten  Gebieten  der  Altertums-  und  Völkerkunde  leisteten 
deutschamerikanische  Gelehrte  Bedeutendes.  Als  Archäologen  machten  sich 
Philipp  Valentini,  Karl  Hermann  Berendt,  G'.istavBrühl 
und  der  lange  Jahre  mit  dem  „Smithsonian  Institute"  zu  Washington  verbundene 
Karl  R  a  u  bekannt. 

Auch  der  Name  des  im  Jahre  1840  zu  Bern  geborenen  Adolf  Franz 
B  a  n  d  e  1  i  e  r  hat  einen  ausgezeichneten  Klang.  Im  Auftrag  des  „Archäolo- 
gischen Instituts  von  Amerika"  und  des  „Naturgeschichtlichen  Museums  zu 
New  York"  durchforschte  Bandelier  jahrzehntelang  Neu-Mexiko,  Arizona, 
Mexiko,  Zentralamerika,  Peru  und  Bolivia.  Seine  dabei  gewonnenen  Beobachtungen 
und  Schlüsse  führten  förmliche  Umwälzungen  in  den  die  ältere  Geschichte  jener 
Länder  betreffenden  Anschauungen  herbei. 

Auf  dem  von  Bandelier  mit  so  großem  Glück  bearbeiteten  Gebiete  ist 
auch  der  1856  in  Dresden  geborene,  später  an  der  Universität  von  Kalifornien 
und  jetzt  als  Direktor  des  Museums  zu  Lima,  Peru,  angestellte  Archäologe 
Friedrich  MaxUhle  tätig.  Seinem  Eifer  verdankt  die  Wissenschaft  gleich- 
falls manche  neue  Aufschlüsse.  Uhle  lieferte  den  Text  zu  dem  großen,  in 
Deutschland  veröffentlichten  Prachtwerk  „Kultur  und  Industrie  südamerika- 
nischer Völker  nach  den  im  Besitz  des  Museums  für  Völkerkunde  zu  Leipzig  be- 
findlichen Sammlungen",  Berlin  1887;  desgleichen  beteiligte  er  sich  an  dem  Monu- 
mentalwerk A.  Stübels  über  „Die  Ruinenstätte  von  Tiahuanaco",  Breslau  1892. 

Mit  dem  Studium  der  lebenden  Indianer  befaßten  sich  als  erste  bereits 
im  18.  Jahrhundert  die  Herrnhuter  Missionäre  David  Zeisberger  und 
Johann  Hecke  weider.  Ihre  Aufzeichnungen  über  die  Stämme  im  oberen 
Stromgebiet  des  Ohio  sind  für  den  Freund  der  Völkerkunde  wahre  Fundgruben. 
Dasselbe  läßt  sich  von  den  Werken  des  katholischen  Missionars  Friedrich 
Baraga  sagen,  der  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  unter  den  Otta- 
was, Pottawatomies  und  Chippewas  lebte  und  außer  Lehr-  und  Wörterbüchern 
der  Sprachen  jener  Stämme  eine  wertvolle  Darstellung  ihrer  Sitten  und  Ge- 
bräuche hinterließ. 

Dem  im  Jahre  1809  in  Dresden  geborenen,  in  New  York  verstorbenen  Advo- 
katen Hermann  Ernst  Ludewig  verdankt  man  das  großartig  angelegte 
bibliographische  Werk  „The  Literature  of  American  Aboriginal  Languages".  Mit 
Zusätzen  des  Professors  M.  W.  Turner  in  Washington  versehen,  erschien  es  nach 
dem  Tode  Ludewigs  1858  in  London.  Das  Buch  enthält  literarische  Nachweise 
über  die  Geschichte,  Sprache,  Religion  und  Sitten  von  mehr  als  tausend  In- 
dianerstämmen. 


—     451     — 

Die  größte  Anerkennung  für  seine  Leistungen  auf  dem  Gebiet  der  ameri- 
kanischen Linguistik  gebührt  aber  dem  1832  im  Kanton  Bern  geborenen 
Albert  S.  Gatschet,  welcher  viele  Jahre  mit  dem  in  Washington  begrün- 
deten „Bureau  of  American  Ethnology''  verbunden  war  und  als  der  bedeutendste 
Kenner  nordamerikanischer  Indianersprachen  galt. 

Gleichfalls  auf  linguistischem  und  ethnologischem  Gebiet  betätigte  sich 
der  im  Jahre  1858  in  Minden  geborene  Franz  Boas.  Nachdem  er  sich  zu- 
erst durch  ausgedehnte  Forschungen  unter  den  Eskimos  von  Baffin  Land  vor- 
teilhaft bekannt  gemacht  hatte,  verlieh  er  später  als  Urheber  und  Leiter  der  vom 
„Naturhistorischen  Museum  der  Stadt  New  York"  ausgerüsteten  „Jesup-Expe- 
dition"  seinem  Namen  einen  Klang,  der  in  der  Geschichte  der  ethnographischen 
Forschung  nie  verhallen  wird.  Jene,  im  Frühling  1897  anhebenden,  eine  Reihe 
von  Jahren  hindurch  fortgesetzten  Expeditionen  verfolgten  den  Zweck,  die  so 
wichtige  Frage  der  Beziehungen  zwischen  den  Ureinwohnern  Asiens  und  Ame- 
rikas ihrer  Lösung  näherzubringen.  Die  außerordentlich  reichen  Ergebnisse 
dieser  von  Professor  Boas,  Harlan  Smith,  James  Teit,  Gerhard  Fowke  und 
Livingstone  Farrand  an  der  Nordwestküste  Nordamerikas,  von  Waldemar 
Bogoras,  W.  Jochelsen  und  L.  Sternberg  in  Sibirien,  und  von  Berthold  Läufer 
am  Amur  und  in  China  ausgeführten  Forschungsreisen  sind  in  zahlreichen,  vom 
„Naturhistorischen  Museum  zu  New  York"  veröffentlichten  Monographien 
niedergelegt.  Insgesamt  bilden  diese  ein  stolzes  Monumentalwerk,  wie  deren 
die  amerikanische  Wissenschaft  nur  wenige  aufzuweisen  hat. 

Von  den  Schülern  Boas'  tat  sich  der  Deutschamerikaner  Alfred 
L.  Kroeber  durch  gediegene  Arbeiten  über  verschiedene  Indianerstämme, 
besonders  diejenigen  Kaliforniens,  hervor. 

William  S.  H  o  f  f  m  a  n  n  ,  ein  Deutschpennsylvanier,  schrieb  wert- 
volle Monographien  über  die  Menomoni-Indianer  und  die  bildlichen  Darstel- 
lungen der  Eskimo.  Beide  Werke  kamen  in  den  Jahrbüchern  des  „Bureau  of 
American  Ethnology"  und  des  „Smithsonian  Institute"  zum  Abdruck. 

Als  wissenschaftlicher  Leiter  der  im  Jahre  1888  von  der  Universität  von 
Pennsylvanien  veranstalteten  Expedition  nach  Babylonien,  die  bei  der  Auf- 
deckung der  Ruinen  von  Nippur  so  glänzende  Ergebnisse  erzielte,  machte  sich 
Hermann  V.  Hilprecht  bekannt. 

Für  hervorragende  Leistungen  auf  staatswissenschaftlichem  Gebiet  sind 
die  Vereinigten  Staaten  in  erster  Linie  dem  am  15.  März  1798  in  Berlin  geborenen 
Franz  Lieber  zu  tiefstem  Dank  verpflichtet.  Dieser  in  jeder  Beziehung  un- 
gewöhnliche Mann  ging  gleich  vielen  anderen  jungen  Gelehrten  seinem  Vater- 
lande durch  die  Verfolgungen  der  reaktionären  deutschen  Regierungen  verloren. 
Er  kam  am  20.  Juni  1827  in  New  York  an,  von  wo  er  sich  nach  Boston  wandte. 
Seine  erste  größere  literarische  Arbeit  bestand  in  der  Herausgabe  der  „Encyclo- 
paedia  Americana",  eines  dreizehn  Bände  umfassenden  amerikanischen  Konver- 
sationslexikons, dem  das  berühmte  in  Leipzig  herausgegebene  Brockhaussche 
Konversationslexikon  zugrunde  lag.   Die  Arbeit  war  eine  sehr  umfangreiche,  da 

29* 


—    452 


viele  nur  den  deutschen  Leser  interessierende  Abschnitte  gekürzt  oder  aus- 
gelassen und  ebenso  viele  amerikanische  Artikel  neu  geschrieben  und  eingefügt 
werden  mußten.  Daß  dabei  ein  starker  Hauch  deutschen  Geistes  in  dieses  Werk 
und  durch  dasselbe  in  das  Amerikanertum  hinein  wehte,  kann  nicht  be- 
stritten werden. 

Im  Jahre  1835  erhielt  Lieber  einen  Ruf  als  Professor  der  Geschichte  und 
Volkswirtschaft  an  die  Hochschule  zu  Columbia  in  Südkarolina.    Hier  lehrte  er 

zwei   Dezennien   lang. 
^'^^^  '"'''^  Wr  •  '  ^^^^      Als    er    wegen    seiner 

offen  bekundeten  Ab- 
neigung gegen  die 
Sklaverei  diese  Stelle 
verlor,  folgte  er  im 
Jahre  1857  einem  Ruf 
an  das  „Columbia  Col- 
lege" der  Stadt  New 
York,  wo  er  bis  zu 
seinem  im  Jahre  1872 
erfolgenden  Tode  eine 
Professur  für  Ge- 
schichte, Nationalöko- 
nomie und  politische 
Wissenschaften  beklei- 
dete. 

Liebers  große 
Werke  entstanden  in 
Südkarolina.  Als  erstes 
erschien  im  Jahre  1838 
das  „Manual  of  Politi- 
cal  Ethics",  ein  Hand- 
buch der  politischen 
Sittenlehre,  welches  der 
berühmte  Jurist  Story 
als  die  bei  weitem  voll- 
ständigste und  beste 
Abhandlung  bezeichnete,  die  je  über  die  Formen  und  Zwecke  einer  Regierung 
geschrieben  worden  sei. 

Lieber  verwirft  in  diesem  Buch  die  Lehre  vom  Gottesgnadentum  der 
Herrscher  als  eine  unchristliche  und  unmoralische.  Sie  zu  verbreiten,  sei  posi- 
tives Unrecht.  Dem  Menschen  sei  der  Begriff  von  Recht  und  Unrecht  von  Gott 
eingegeben.  Es  sei  daher  Aufgabe  der  reinen  oder  abstrakten  Sittenlehre,  die 
Pflichten  des  Menschen  gegen  sich  selbst  und  seinen  Schöpfer  sowie  die  daraus 
entstehenden  Rechte  festzustellen.    Wenn  dies  geschehen,  so  wäre  es  Aufgabe 


Franz  Lieber. 


—     453     — 

der  praktischen  Staatswissenschaft,  zu  lehren,  wie  diese  Rechte  am  besten  ge- 
sichert werden  könnten.  Den  Begriff  „Staat"  erklärt  Lieber  dahin,  derselbe  sei 
eine  Rechtsgemeinschaft  oder  Rechtsgesellschaft.  Wie  die  Liebe  das  Grund- 
prinzip der  Familie  und  der  Glaube  das  Grundprinzip  der  Kirche  bilde,  so  sei 
dasjenige  des  Staates  das  Recht.  Die  Souveränität  des  Staates  beruhe  in  der 
Gesellschaft.  Diese  stelle  den  Gesamtwillen  und  die  Gesamtkraft  dar.  Eine 
Ansiedlerkolonie  auf  einer  Südseeinsel,  abgesondert  von  jeder  anderen  mensch- 
lichen Gesellschaft,  besitze  ebensowohl  Souveränität  wie  irgendein  anderes  Volk 
und  könne  mit  demselben  Recht  Einrichtungen  treffen  und  Gerichtsbarkeit  aus- 
üben. Die  Aufgabe  des  Staates  bestehe  in  der  Förderung  der  jeweilig  erlaubten 
Lebenszwecke  des  Volkes,  und  zwar  vom  einzelnen  bis  zur  Gesellschaft.  Weiter 
verbreitet  sich  Lieber  über  die  ethischen  und  philosophischen  Grundlagen  des 
Staates,  die  öffentliche  Meinung,  die  Vereine  und  Gesellschaften,  die  poUtischen 
Parteien,  das  Stimmrecht,  die  Preßfreiheit,  die  Stellung  der  Frauen,  die  Pflichten 
der  Volksvertreter,  Richter  und  Beamten,  über  Patriotismus,  friedliche  Opposi- 
tion und  Revolution,  Demagogie  und  viele  andere  Themata.  Die  Grundnote 
des  Buches  lautet:   „Kein  Recht  ohne  Pflichten,  keine  Pflichten  ohne  Rechte!" 

Liebers  zweites  bedeutendes  Buch  erschien  im  Jahre  1839  unter  dem  Titel 
„Legal  and  Political  Hermeneutics",  Grundsätze  zur  Auslegung  der  bürger- 
lichen und  politischen  Gesetze.  Bei  der  Besprechung  dieser  Themata  entwickelte 
Lieber  viele  neue,  überraschende  Gedanken.  Der  Buchstabenvergötterung  durch- 
aus abhold,  bestand  er  darauf,  daß  der  einem  Schriftstück,  einer  Urkunde  inne- 
wohnende wahre  Sinn  für  die  Auslegung  maßgebend  sein  solle  Nur  wo  es 
sich  um  die  Rechte  des  einzelnen  gegenüber  der  Gesamtheit  handle,  wie  beson- 
ders in  der  Strafgesetzgebung,  sei  peinlich  genaue  Auslegung  am  Platze.  Zur 
Begründung  seiner  Ansicht  gibt  Lieber  viele  praktische,  auf  vorkommende 
Fälle  anwendbare  Regeln. 

Im  Jahre  1853  vollendete  Lieber  sein  drittes  großes  Werk:  „On  Civil  Li- 
berty and  Self-Government",  „Über  bürgerliche  Freiheit  und  Selbstregierung*'. 
Dasselbe  stellt  sich  die  Aufgabe,  durch  Vergleich  der  in  England,  Frankreich  und 
anderen  Ländern  gültigen  Freiheitsbegriffe  nachzuweisen,  welche  Vorbedin- 
gungen, Maßnahmen  und  Einrichtungen  zur  Erzielung  und  dauernden  Begrün- 
dung gesetzlicher  bürgerlicher  Freiheit  notwendig  seien.  Lieber  bezeichnet 
die  amerikanische  Freiheit  als  eine  Fortsetzung,  zugleich  aber  auch  als  eine  be- 
deutende Erweiterung  der  englischen  Freiheit.  Dabei  behandelt  er  sehr  ein- 
gehend die  die  Grundlagen  der  englischen  und  amerikanischen  Freiheit  bildenden 
Einrichtungen,  das  Geschworenensystem,  die  repräsentative  Regierung,  das 
Common  Law,  die  Selbstbesteuerung,  die  Unterordnung  der  bewaffneten  Macht 
unter  die  Gesetzgebung,  die  republikanische  Bundesordnung,  die  Trennung 
von  Staat  und  Kirche,  die  gesetzgebenden  Körperschaften,  die  Wahl  der  Be- 
amten, die  Verfassungsurkunden,  das  Bürgerrecht  und  vieles  andere  mehr. 

Der  Einfluß,  den  Lieber  durch  diese  Werke  auf  das  gebildete  und  gelehrte 
Amerikanertum  ausübte,  war  ungeheuer.  Besonders  da  viele  Professoren,  welche 


—     454     — 

an  den  amerikanischen  Universitäten  über  Staats-  und  Rechtswissenschaft  unter- 
richteten, ihren  Studenten  die  Werke  Liebers  als  Lehrbücher  verordneten.  Aber 
auch  nach  andrer  Richtung  hin  übte  Lieber  nachhaltigen  Einfluß  auf  die  stu- 
dierende Jugend.  Der  Einladung  folgend,  vor  den  Studenten  der  Miami- 
Universität  eine  Ansprache  zu  halten,  schrieb  er  im  Jahre  1846  die  kurze  Ab- 
handlung „The  Character  of  the  Gentleman'',  ein  Essay,  von  v^elchem  Professor 
Hatfield  von  der  Northwestern  University  sagte,  „es  verdiene,  mit  goldenen 
Buchstaben  gedruckt  zu  werden". 

Daß  der  rege  Geist  Liebers  auch  zu  den  wichtigen  Fragen  Stellung  nahm, 
die  zur  Zeit  des  Bürgerkriegs  das  ganze  Land  bewegten,  bedarf  kaum  der  Be- 
tonung. Seine  Flugschriften  „Lincoln  or  McClellan";  ,,No  party  now,  all  for 
our  Country";  „Slavery  Plantations  and  the  Yeomanry"  usw.,  in  denen  er  die 
unbedingte  Aufrechterhaltung  der  Union,  die  kräftige  Unterstützung  der  Bundes- 
regierung sowie  die  Abschaffung  der  Sklaverei  forderte,  fanden  durch  die  „Loyal 
Publication  Society"  weite  Verbreitung. 

Auf  Anregung  des  Präsidenten  Lincoln  verfaßte  er  ferner  „Instructions 
for  the  Government  of  Armies  of  the  United  States  in  the  field".  Dieselben 
wurden  vom  Kriegsministerium  gedruckt  und  als  „Generalbefehl  No.  100"  allen 
Stabsoffizieren  als  Richtschnur  zugestellt.  Sie  bilden  die  erste  Kodifizierung 
des  humanen  Kriegsrechts.  Aus  ihm  schöpfte  Bluntschli  den  großen  Gedanken, 
das  ganze  moderne  Völkerrecht  in  bestimmte  Formen  zu  bringen.  Im  Jahre 
1867  schrieb  Lieber  das  derselben  Idee  dienende  Werkchen  „Nationalismus  und 
Intemationahsmus".  Er  schließt  mit  den  Worten:  „Die  zivilisierten  Nationen 
sind  dahin  gekommen,  eine  Völkergemeinschaft  zu  bilden,  in  den  Schranken 
und  unter  dem  Schutz  des  Vigore  Divino  herrschenden  Völkerrechts.  Sie  ziehen 
den  Streitwagen  der  Zivilisation  nebeneinander,  wie  im  Altertum  die  Rosse  den 
Siegeswagen  zogen  " 

Noch  als  TOjähriger  Greis  beschäftigte  Lieber  sich  mit  einem  großen  Werk 
über  den  Ursprung  und  die  Grundzüge  der  Verfassung  der  Vereinigten  Staaten. 
Es  blieb  unvollendet,  denn  am  2.  Oktober  1872  wurde  er  mitten  in  dieser  Arbeit 
vom  Tode  abberufen. 

Liebers  hohe  Bedeutung  ergibt  sich  am  klarsten  aus  den  begeisterten  Ur- 
teilen seiner  gleiche  Bahnen  wandelnden  Berufs-  und  Zeitgenossen.  Andrew 
D.  White,  damals  Präsident  der  Cornell-Universität  zu  Ithaka,  nannte  ihn  „einen 
Staatsphilosophen  der  edelsten  Art".  Englische  Kritiker  stellten  ihn  Montesquieu 
zur  Seite;  Holtzendorff  bezeichnete  ihn  als  „einen  Höhepunkt  poh tischer  Welt- 
bildung, in  welchem  alle  Geisteskräfte  altklassischer  KuHur,  italienischer  Kunst- 
sinnigkeit, deutscher  Wissenschaft,  englischer  Freiheitsliebe  und  amerikanischer 
Unabhängigkeit  zur  Einheit  verschmolzen  waren".  Er  habe  das  seltene  Bild 
eines  auf  allen  Stufen  seines  Lebens  rein  erhaltenen  Charakters  dargeboten, 
dessen  Wirken  in  der  Pflege  der  höchsten  sittlichen  Interessen  innerhalb  der 
Rechtsformen  des  modernen  politischen  Lebens  bestand.  Und  Professor 
J.  T.  Hatfield  von  der  Northwestern -Universität  zu  Evanston,  Illinois,  schrieb: 


—    455     ~ 

„Der  Einfluß  dieses  großen  Deutschen  ist  für  mehr  denn  eine  Generation  des 
jungen  Amerikanertums  von  unschätzbarem  Wert  gewesen.  Lieber  muß  als 
der  Begründer  der  politischen  Wissenschaften  in  den  Vereinigten  Staaten  be- 
trachtet werden,  als  der  Mann,  welcher  das  feste  Fundament  legte,  auf  dem  alle 
künftigen  Geschlechter  sicher  bauen  können.  Er  verband  tiefes  philosophisches 
Denken  mit  praktischem  Sinn.  Als  Theoretiker  war  er  ein  Deutscher;  an  poli- 
tischer Weisheit  ein  Engländer;  im  Herzen  und  im  Leben  aber  durch  und  durch 
Amerikaner  im  vollsten  Sinne  des  Worts." 

Liebers  Sohn,  Norman,  geboren  1837  in  Columbia,  Südcolumbia,  lebt 
seit  vielen  Jahren  als  juristischer  Berater  des  Kriegsministeriums  zu  Washington. 
Er  ist  Urheber  der  wichtigen  Werke:  „The  use  of  the  army  in  the  aid  of  the 
civil  power'^  und  „Remarks  on  the  Army  Regulations",  welche  gewissermaßen 
Fortsetzungen  der  von  seinem  Vater  stammenden  „Instructions"  bilden. 

Das  von  Lieber  geplante  Werk  über  die  Verfassung  der  Vereinigten 
Staaten  wurde  später  von  dem  L")eutschlivländer  Hermann  Eduard  von 
Holst,  einem  ehemaligen  Professor  der  Universität  zu  Strasburg  und  Frei- 
burg, geschrieben.  Derselbe  lehrte  zuerst  an  der  Johns  Hopkins -Universität 
zu  Baltimore,  später  an  der  Universität  zu  Chicago.  Seine  Hauptwerke  sind 
„Verfassung  und  Demokratie  der  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika"  und 
„The  Constitutional  Law  of  the  United  States  of  America".  Das  erstgenannte 
Werk  erschien  in  englischer  Übersetzung  unter  dem  Titel  „Political  History  of 
the  United  States,  1750  bis  1833"  (5  Bände,  Chicago,  1876  bis  1885). 

Einem  anderen  Deutschen,  Karl  Gustav  Rümelin,  verdanken  wir 
das  bedeutende  Buch  „Treatise  on  Politics  as  a  Science",  welches  im  Jahre 
1875  in  Cincinnati  erschien. 

Bedeutende  nationalökonomische  Werke  schrieben  Friedrich  List 
(„Outlines  of  a  new  System  of  Political  Economy",  Philadelphia  1827);  ferner 
Johann  Tellkampf  („Political  Economy",  1840).  Im  Verein  mit  seinem 
Bruder,  dem  Mediziner  Theodor  Tellkampf,  veröffentlichte  Johann  Teilkampf 
ein  wertvolles  Werk  („Über  die  Besserungsgefängnisse  in  Nordamerika  und 
England",  Berlin  1844).  In  neuerer  Zeit  wirkten  auf  nationalökonomischem 
Gebiet  der  in  New  York  geborene  E.  R.  Seligman,  Professor  an  der 
Columbia -Universität  zu  New  York,  und  der  in  St.  Louis  geborene  Frank 
William  T  a  u  s  s  i  g  an  der  Harvard- Universität.  Der  letzte  ließ  die  Werke 
„Wages  and  Capital",  „Tariff  History  of  the  United  States"  und  „The  Silver 
Situation  in  the  United  States"  erscheinen. 

Unter  den  sehr  zahlreichen  Theologen  deutscher  Abstammung  war  be- 
sonders ErnstLudwigHazeliusein  eifriger  Forscher.  Er  schrieb  eine 
vier  Bände  umfassende  „Church  History"  (New  York  1820  bis  1824);  sowie 
eine  „History  of  the  American  Lutherian  Church,  from  its  commencement  in 
1865  to  1842"  (Zanesville,  Ohio,  1846),  welche  einen  äußerst  wichtigen  Beitrag 
zur  Geschichte  des  Deutschtums  in  den  Vereinigten  Staaten  bildet. 

Philipp  Schaff  verfaßte  die  Werke :    „The  Principles  of  Protestan- 


—     456     — 

tism",  1845;  „America,  its  political,  social  and  religious  character*\  1855; 
„History  of  Ancient  Christianity'',  1860;  „Slavery  and  the  Bible"  und 
andere  mehr. 

Zu  den  bedeutenderen  theologischen  Schriftstellern  zählenfernerW  i  1  h  e  1  m 
Nast,  Maximilian  Örtel,  S.  S.  Schmucker,  L.  F.  Walther 
und  manche  andere. 

Ein  sehr  fruchtbarer  Gelehrter  war  auch  der  Deutschösterreicher  Franz 
Joseph  Grund,  der  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  als  Professor 
der  Mathematik  an  der  Universität  Harvard  lehrte.  Außer  verschiedenen  Lehr- 
büchern schrieb  er  „The  Americans  in  their  social,  moral  and  political  relations'', 
1837;  ferner  „Aristocracy  in  America",  1839. 

Unter  den  in  den  Vereinigten  Staaten  wirkenden  deutschen  Philologen 
waren  zunächst  GeorgAdler  (geboren  1821  in  Leipzig)  und  Alexander 
Jakob  Schem  (geboren  1826  in  Wiedenbrück,  Westfalen)  von  Bedeutung. 
Der  erste  war  Professor  der  deutschen  Sprache  an  der  Universität  zu  New  York. 
Außer  zahlreichen  treffhchen  Lehrbüchern  verfaßte  er  ein  großes  Wörterbuch 
der  englischen  und  deutschen  Sprache.  Schem  betätigte  sich  besonders  als 
Enzyklopädist.  Außer  vielen  Beiträgen  für  verschiedene  amerikanische  Sammel- 
werke verfaßte  er  ein  „Deutsch-Amerikanisches  Konversationslexikon",  welches 
1873  in  elf  großen  Bänden  erschien  und  durch  seine  vielen  Angaben  über  her- 
vorragende deutschamerikanische  Persönlichkeiten  und  deren  Leistungen  beson- 
ders für  die  Geschichte  des  deutschen  Elements  in  den  Vereinigten  Staaten  von 
Wert  ist. 

Nach  Hunderten  zählen  die  hervorragenden  deutschen  und  deutschamerika- 
nischen Gelehrten,  welche  als  Philologen,  Philosophen,  Mathematiker,  Chemiker 
oder  in  anderen  Fächern  an  amerikanischen  LIniversitäten  wirkten  und  noch 
wirken.  Manche  gewannen  durch  ihre  Erfolge  und  fachwissenschaftlichen 
Werke  angesehene  Namen.  Ich  nenne  beispielsweise  Karl  Folien,  Karl 
Beck,  Georg  Blättermann,  Oswald  S  ei  den  st  i  cker  ,  Jo- 
hann Lutz,  Maximilian  Schele,  Johann  M.  Schäberle, 
Isaak  Nordheimer,  Bernhard  Rölker,  Karl  Günther 
von  Jagemann,  August  Friedrich  Ernst,  Wilhelm  Baer, 
Karl  Raddatz,  Karl  Kreutzer,  Louis  Agricola  Bauer, 
H.  G.  Brandt,  F.  A.  Rauch,  Hermann  Collitz,  Albert 
Faust,  Oskar  Bolza,  Adolf  Gerber,  Julius  Göbel, 
Georg  Hench,  A.  R.  Hohlfeld,  J.  Hanno  Deiler,  Her- 
mann Schönfeld,  Ludwig  und  Bernhard  Steiner,  Wilhelm 
Rosenstengel,  Otto  Heller,  Heinrich  Raab,  Gustav 
Karsten,  H.  K.  Becker,  Kuno  Francke,  Hugo  Münsterberg 
und  manche  andere. 

Unter  den  von  diesen  Gelehrten  verfaßten  Werken  sind  Maximilian 
S  c  h  e  1  e  s  „Romance  of  American  History" ;  Kuno  Franckes  „Social 
Forces  in  German  Literature";  desselben  Verfassers  „History  of  German  Litera- 


—     457     — 

ture"  sowie  Münsterbergs  „American  traits  from  ttie  point  of  view  of  a 
German";  „Die  Amerikaner'  und  „Aus  Deutsch-Amerika"  hervorzuheben. 

Eines  der  Hauptverdienste  der  in  Amerika  wirkenden  deutschen  Gelehrten 
besteht  unstreitig  darin,  daß  sie  in  das  wissenschaftliche  Leben  Amerikas 
deutschen  Ernst  und  deutsche  Gründlichkeit  einführten,  zwei  Dinge,  die  für 
die  wahre  Wissenschaft  so  unendlich  viel  bedeuten.  „Deutsche  Gründlichkeit", 
sa  sagte  Professor  Ira  Remsen,  Präsident  der  John  Hopkins-Universität  zu 
Baltimore,  „ist  ein  oft  gebrauchter  Ausdruck.  Für  den  Gelehrten  bedeutet  er 
viel.  Welche  andere  Eigenschaften  Gelehrsamkeit  immer  haben  mag,  so  zählen 
sie  doch  wenig  ohne  Gründlichkeit.  Fragte  man  mich,  was  amerikanische 
Wissenschaft  Deutschland  in  erster  Linie  verdankt,  so  würde  ich  ohne  Zögern 
antworten,  daß  es  mehr  als  alles  andere  die  Tugend  der  Gründlichkeit  sei." 


Ist  der  Anteil  der  in  die  Vereinigten  Staaten  eingewanderten  deutschen 
Gelehrten  an  dem  Aufbau  und  der  Entwicklung  des  wissenschaftlichen  Lebens 
Amerikas  zweifellos  ein  ungeheurer,  so  ist  damit  aber  der  Einfluß  der  deutschen 
Wissenschaft  auf  die  amerikanische  bei  weitem  nicht  erschöpft. 

Die  zündenden  Funken  aus  den  Schriften  Fichtes,  Kants,  Schellings, 
Goethes,  Schillers,  Humboldts  fanden  ihren  Weg  über  den  Ozean  und  regten 
Tausende  von  begeisterten  amerikanischen  Studenten  zu  Reisen  nach  Deutschland 
an,  um  auf  den  dortigen  Universitäten  ihre  Ausbildung  zu  vollenden.  Zu  den 
ersten,  die  sich  zu  solchen  Studienreisen  entschlossen,  gehören  die  Historiker 
George  Bancroft  und  George  Ticknor.  Der  erste  zählte  zu  den  Schülern 
des  berühmten  Geschichtsprofessors  Arnold  Ludwig  Heeren  in  Göttingen,  der 
zweite  zu  den  Schülern  Beneckes. 

Zur  gleichen  Zeit  besuchten  Everett,  Woolsey,  Feiton,  Lowell,  Motley, 
Longfellow  deutsche  Hochschulen.  Die  Aufsätze,  welche  sie  über  Land,  Volk, 
Erziehungswesen  und  deutsche  Literatur  in  amerikanischen  Monatsschriften  ver- 
öffentlichten, sowie  der  Charakter  vieler  ihrer  größeren  Werke  bekunden,  wie 
tief  sie  aus  dem  Quell  deutschen  Geisteslebens  schöpften. 

Andere  junge  Amerikaner  saßen  zu  Füßen  der  großen  Gelehrten  von 
Guericke,  Siemens,  Bunsen,  Liebig,  Wöhler,  Fresenius,  Gauß,  Weber,  Helm- 
holtz,  Clausius,  WoUny,  Fraunhofer,  Hellriegel,  Ostwald,  Sachs,  Grimm,  Werner, 
von  Buch,  Virchow,  Häckel,  Röntgen  und  Koch,  um  später  die  dem  Geist,  der 
Freiheit  und  dem  Wesen  der  deutschen  Wissenschaft  entsprossenen  Edelreise 
in  die  eigene  Heimat  zu  übertragen.^) 

Welche  Summe  von  Anregungen  die  amerikanische  Wissenschaft  durch 
den  Austausch  und  Bezug  wissenschaftlicher  Fachliteratur  aus  Deutschland 
empfing,  läßt  sich  wohl  ahnen,  aber  nicht  in  irgendeiner  Form  feststellen. 


^)  Durchschnittlich  belief  sich  die  Zahl  der  an  deutschen  Universitäten  studierenden 
Amerikaner  während  der  letzten  Jahrzehnte  auf  300  bis  500  pro  Jahr. 


Der  Einfluß  des  deutschen  Ärztetums   auf  die 
amerikanische  Heilkunde. 

Für  die  Einwandrung  deutscher  Ärzte  in  Amerika  lassen  sich  zwei 
Hauptperioden  unterscheiden:  der  Ausbruch  des  Unabhängigkeitskrieges  und 
das  Jahr  1848.  Sämtliche  Regimenter  deutscher  Hilfstruppen,  die  während 
des  Unabhängigkeitskriegs  von  den  Briten  und  Franzosen  nach  Nordamerika 
gebracht  wurden,  waren  von  tüchtigen  deutschen  Ärzten  und  Chirurgen 
begleitet.  Viele  derselben  lernten  während  ihres  jahrelangen  Verweilens  Land 
und  Leute  so  lieben,  daß  sie  nach  Beendigung  der  Feldzüge  entweder  in  das 
amerikanische  Heer  eintraten  oder  sich  in  den  Städten  niederließen,  wo  die 
meisten  infolge  ihrer  Geschicklichkeit  rasch  das  Vertrauen  der  Bevölkerung  ge- 
wannen. Einzelne  in  so  hohem  Grade,  daß  ihr  Andenken  sich  für  Generationen 
erhielt.  So  wurde  beispielsweise  erst  vor  wenigen  Jahren  in  Schenectady,  New 
York,  dem  Gedächtnis  des  deutschen  Arztes  von  Spitzer,  dem  Generalarzt 
bei  den  revolutionären  Streitkräften  der  Kolonie  New  York,  ein  Denkmal  gesetzt. 

Ein  anderer  berühmter  deutscher  Arzt  war  der  Preuße  C.  F.  Wiesen- 
t  h  a  1.  Er  soll  eine  Zeitlang  Leibarzt  Friedrichs  des  Großen  gewesen  sein.  Im 
Jahre  1776  stand  er  als  Oberstabsarzt  bei  den  Truppen  von  Maryland.  Später 
gründete  er  in  Baltimore  die  „Medizinische  Schule  des  Staates  Maryland".  Die- 
selbe wurde  von  seinem  Sohne  Andrew  fortgeführt,  bis  sie  von  der  medizinischen 
Fakultät  der  Universität  von  Maryland  abgelöst  wurde. 

An  der  Spitze  dieser  Fakultät  standen  gleichfalls  mehrere  hervorragende 
deutsche  Gelehrte :  Johann  Thomas  Schaaf,  Jakob  Schnively 
und  Peter  Walt  z.  Samuel  Becker  war  der  Begründer  der  medizini- 
schen Bibliothek,  während  Jakob  Baer,  C.H.  Ohr,  W.  H.  Kemp, 
Miltenburger,  Rohe,  Diffenderfer,  Humrickhausen  und 
Neuheuser  oder  N  i  h  i  s  e  r  der  Fakultät  als  Präsidenten  und  Vizepräsi- 
denten vorstanden. 

Während  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  genossen  ferner  die 
deutschpennsylvanischen  Familien  entsprossenen  Mediziner,  Chirurgen  und 
Anatomen  Joseph  Leidy,  William  Pepper,  Samuel  Groß, 
Kaspar  Wistar,  Eberle  und  Adam  Kuhn  großen  Ruf.  Sie  be- 
kleideten Professuren  an  den  hervon-agendsten  Universitäten  Amerikas,  machten 


—     459     — 

sich  aber  außerdem  durch  zahlreiche  vortreffliche  fachwissenschaftliche  Werke 
verdient. 

Manche  deutsche  Ärzte  trugen  auch  als  Gründer  gelehrter  Gesellschaften 
und  bedeutender  Hospitäler  zu  der  glänzenden  Entwicklung  der  Medizin  und 
Chirurgie  in  Amerika  bei.  Der  bereits  erwähnte  Professor  Johann  Thomas 
S  c  h  a  a  f  von  der  medizinischen  Fakultät  der  Universität  von  Maryland  rief  im 
Jahre  1819  die  „Medical  Society''  des  Distrikts  Columbia  ins  Leben.  Aloys 
Lützenburg  war  Gründer  und  erster  Präsident  der  „Medical  Society  of 
Louisiana".  Desgleichen  stiftete  er  das  zu  großem  Ruf  gelangende  „Lützenburg- 
Hospital"  in  New  Orleans.  Konstantin  Hering  schuf  die  „Homöo- 
pathische Lehranstalt  zu  Allentown,  Pennsylvanien. 

Julius  Reinhold  Friedländer,  geboren  1 802  in  Berlin,  er- 
öffnete im  Jahre  1834  in  Philadelphia  die  erste  Blindenanstalt,  die  später  in  eine 
Staatsanstalt  umgewandelt  wurde  und  unter  seiner  bis  zum  Jahre  1840  wäh- 
renden Leitung  zu  einer  Musteranstalt  für  die  ganzen  Vereinigten  Staaten 
emporblühte. 

In  ähnlicher  Weise  betätigten  sich  zahlreiche  jener  medizinischen  Paladine, 
die  infolge  der  verunglückten  deutschen  Freiheitsbewegung  des  Jahres  1848 
nach  Amerika  getrieben  wurden.  Unter  ihnen  waren  Ernst  Krako- 
witzer,von  Roth,  Abraham  Jacobi,  von  Hammer,  Noege- 
rath,  Althaus,  Vogt,  Roeßler,  Krehbiel  und  Joseph 
Schnetterdie  bedeutendsten.  Krakowitzer,  einer  der  fähigsten  Chirurgen  der 
Universität  zu  Wien,  gründete  mit  Jacobi  in  New  York  das  „Deutsche  Dispen- 
sary".  In  Gemeinschaft  mit  von  Roth  und  Herczka  veröffentlichte  er  auch  die 
„New  Yorker  medizinische  Monatsschrif t",  das  erste  in  deut- 
scher Sprache  gedruckte  Ärztefachblatt  in  Amerika.  Ein  Verein  deutscher  Ärzte 
kam  in  New  York  bereits  im  Jahre  1846  durch  den  ausgezeichneten  Chirurgen 
W.  Detmold  zustande. 

Die  ebenfalls  den  „Achtundvierzigern"  zugehörigen  berühmten  Ärzte 
Gustav  C.  Weber  in  Cleveland,  Adolf  Zipperlen  in  Cincinnati, 
Kiefer  in  Detroit,  von  Herff  in  San  Antonio  und  zahlreiche  an- 
dere wirkten  in  gleicher  Weise  anregend.  Manchen  dieser  Männer  ver- 
dankt die  Heilkunde  in  Amerika  wichtige  Fortschritte.  Der  Chirurg 
von  Roth  war  der  erste,  welcher  den  Luftröhrenschnitt  in  den  Ver- 
einigten Staaten  einführte.  Gustav  Weber  erwarb  sich  als  Generalarzt  der 
Truppen  von  Ohio  große  Verdienste  um  die  Organisation  des  Medizinalwesens 
im  Bürgerkriege.  Namentlich  drängte  er  auf  die  Anstellung  tüchtiger  Chirurgen. 
Er  erfand  auch  eine  neue  Art,  bei  Operationen  die  Arterien  zu  schließen  und 
Verblutung  zu  verhüten.  Friedrich  Lange  führte  die  antiseptische  Wund- 
behandlung zuerst  praktisch  in  Amerika  ein  und  machte  auch  hier  die  erste 
Kehlkopfexstirpation . 

Auf  dem  Gebiete  der  Augen-  und  Ohrenkrankheiten  verdankt  man  den 
hervorragenden  Spezialisten  Hermann  Knapp,  Professor  an  der  Colum- 


—     460     — 

bia-Universität  zu  New  York  und  Georg  Reuling,  Professor  an  der  John 
Hopkins -Universität  zu  Baltimore  bedeutende  Fortschritte.  Auf  die  Entwick- 
lung der  Histologie  übte  Karl  Heitzmann  starken  Einfluß  aus.  Auf  dem 
Gebiet  der  Frauenkrankheiten  waren  Noeggerath  und  Joseph 
Schnetter,  in  bezug  auf  Kinderkrankheiten  Abraham  Jacobi 
Autoritäten. 

Diesen  älteren  reihten  sich  in  neuerer  Zeit  zahlreiche  andere  hervorragende 
deutsche  Ärzte  an,  von  denen  viele  als  klinische  Lehrer  mit  großem  Erfolg  tätig 
sind.  Hand  in  Hand  mit  ihnen  wirken  Tausende  und  aber  Tausende  Ameri- 
kaner, die  nach  Deutschland  zogen,  um  als  Hörer  und  Schüler  der  an  den 
dortigen  Universitäten  und  Kliniken  lehrenden  großen  Chirurgen  und  Mediziner 
ihr  Wissen  zu  vertiefen. 

Wieviel  das  amerikanische  Ärztetum  hierdurch  und  durch  die  deutsche 
medizinische  Literatur  beeinflußt  wurde,  läßt  sich  natürlich  weder  statistisch 
noch  in  irgendeiner  anderen  Weise  feststellen.  Sagen  kann  man  aber  bestimmt, 
daß  die  amerikanische  Heilkunde  in  den  letzten  fünfzig  Jahren  viel  mehr  von 
Deutschland  empfangen  hat,  als  von  allen  übrigen  Ländern  zusammengenommen. 


Deutschamerikanische  Schriftsteller. 

Gegenüber  den  achtunggebietenden  Beiträgen,  die  das  Deutschtum  der 
Vereinigten  Staaten  auf  fast  allen  Gebieten  menschlicher  Tätigkeit  zur  neuwelt- 
lichen Kultur  lieferte,  wollen  seine  Leistungen  auf  literarischem  Gebiet  verhält- 
nismäßig gering  erscheinen.  Trotzdem  mehr  als  250  Jahre  verflossen  sind,  seit- 
dem Deutsche  in  die  Neue  Welt  einzogen,  kann  man  weder  das  Vorhandensein 
einer  bestimmt  ausgeprägten  deutschamerikanischen  Literatur,  noch  das  Vor- 
handensein eines  deutschamerikanischen  Schriftstellerstandes  behaupten.  Lite- 
rarische Größen  gleich  einem  Gustav  Freitag,  Victor  Scheffel,  Paul  Heyse,  Fried- 
rich Spielhagen  oder  Hermann  Sudermann  sind  aus  dem  Deutschamerikanertum 
bisher  nicht  hervorgegangen.  Die  Deutschamerikaner  sind  mit  sehr  wenigen 
Ausnahmen  nur  Literaten  aus  Liebhaberei;  weshalb  die  ihren  Federn  entsprun- 
genen Werke  auch  nur  vereinzelte  Leistungen  geblieben  sind.  Damit  soll  keines- 
wegs gesagt  sein,  daß  es  den  Deutschamerikanern  an  Begabung  zu  literarischem 
Schaffen  fehle.  Die  Gründe  für  die  verhältnismäßig  geringe  Zahl  deutsch- 
amerikanischer Literaturwerke  sind  anderswo  zu  suchen. 

Zunächst  in  dem  beklagenswerten  Umstand,  daß  die  amerikanische  Re- 
gierung sich  bis  zum  Jahre  1909  nicht  bereitfinden  ließ,  den  Schutz,  welchen  sie 
jeder  im  Auslande  gemachten  technischen  oder  gewerblichen  Erfindung,  jedem 
Arbeitserzeugnis  gewährt,  in  gleichem  Umfang  auch  auf  die  geistigen  Erzeug- 
nisse fremdländischer  Schriftsteller  auszudehnen. 

Bis  zum  Jahre  1893  waren  sämtliche  im  Auslande  erscheinenden  Literatur- 
werke in  den  Vereinigten  Staaten  vogelfrei  und  konnten  von  jedermann  nach- 
gedruckt werden.  Im  Jahre  1893  kam  ein  Copyrightgesetz  zustande,  welches 
fremdländischen  Schriftstellern  Schutz  für  ihr  geistiges  Eigentum  zugestand,  so- 
fern sie  gewisse  Bedingungen  erfüllten.  Die  wichtigste  schrieb  vor,  daß  das 
betreffende  Werk  zur  gleichen  Zeit,  wo  seine  Veröffentlichung  im  Auslande  er- 
folgte, auch  in  den  Vereinigten  Staaten  erscheinen  müsse.  Und  zwar  gedruckt 
von  Typen  und  Platten,  die  in  den  Vereinigten  Staaten  hergestellt  und  ge- 
setzt sein  mußten. 

Diese,  lediglich  die  Interessen  der  amerikanischen  Setzer  und  Drucker 
berücksichtigende  Bedingung,  die  seitens  der  ausländischen  Verleger  aus  finan- 
ziellen und  technischen  Gründen  äußerst  selten  erfüllt  werden  konnte,  machte 
den  scheinbar  gewährten  Schutz  völlig  illusorisch.     Infolgedessen  konnte  nach 


—    462     — 

wie  vor  die  gesamte  Masse  der  im  Auslande  erzeugten  Literatur  seitens  der 
amerikanischen  Verleger  und  Zeitungsherausgeber  kostenlos  ausgebeutet 
werden. 

Während  der  anglo-amerikanische  Schriftsteller  in  seinem  Erwerb  Schutz 
empfing,  indem  man  die  im  Auslande  in  englischer  Sprache  gedruckten  Bücher 
mit  sehr  hohen  Einfuhrzöllen  belastete,  blieb  der  deutschamerikanische  Schrift- 
steller ohne  solchen  Schutz.  Seine  Produktion  wurde  erstickt  durch  die  un- 
geheure Masse  der  in  Deutschland  und  in  anderen  Reichen  erzeugten  Literatur, 
deren  Schöpfungen,  mochten  es  Bücher  oder  in  Zeitungen  veröffentlichte  Romane 
und  Aufsätze  sein,  in  Amerika  nachgedruckt  werden  konnten,  ohne  daß  an  ihre 
Urheber  Honorare  bezahlt  werden  mußten. 

Unter  solchen  Umständen  war  die  Existenzmöglichkeit  deutschamerika- 
nischer Berufsschriftsteller  ausgeschlossen.  Da  sie  für  ihre  Werke  nur  selten 
Verleger  finden  und  klingende  Erfolge  erzielen  konnten,  so  waren  sie,  um  ihren 
Lebensunterhalt  zu  gewinnen,  genötigt,  sich  in  die  Tagespresse  zu  flüchten. 
Wie  viele  Genies  in  dieser  beim  Erledigen  der  täglichen  Routinegeschäfte  ver- 
kümmerten, wer  kann's  sagen? 

Nur  wenigen  blieb  Zeit,  in  dem  sie  umbrausenden,  ihre  ganze  Auf- 
merksamkeit und  Kraft  beanspruchenden  Kampf  des  Lebens  größere  Werke  zu 
schaffen.  Glücklicher  waren  einzelne  Ärzte,  Gelehrte  und  Beamte,  die  im 
Besitz  einträglicher  Stellungen  nicht  auf  Honorare  zu  sehen  brauchten,  sondern 
die  Erzeugnisse  ihrer  Muße  sogar  auf  eigene  Kosten  drucken  lassen  konnten. 

Daß  die  Zahl  solcher  Werke  keine  große  sein  kann,  versteht  sich  von 
selbst.  Gegenüber  der  ungeheuren  Menge  billiger  Nachdrucke  der  besten 
deutschen  Werke  ist  sie  verschwindend  klein. 

Trotzdem  befinden  sich  unter  den  von  Deutschamerikanern  geschaffenen 
Werken,  namentlich  denjenigen  geschichtlichen  Charakters,  manche,  die  wegen 
ihrer  Auffassung  und  Darstellungsweise  oder  wegen  ihrer  auf  sorgfältiger 
Quellenforschung  beruhenden  Angaben  Beachtung  und  Verbreitung  fanden. 

Beispielsweise  die  acht  Bände  umfassende  „Weltgeschichte",  welche  von 
dem  an  den  Aufständen  in  Baden  beteiligt  gewesenen  Achtundvierziger  Gustav 
von  Struve  während  der  Jahre  1850  bis  1860  in  New  York  veröffentlicht 
wurde  und  wegen  des  streng  demokratischen  Standpunktes  ihres  Verfassers  von 
Interesse  ist. 

Von  Wert  sind  ferner  RobertClemen's  „Geschichte  der  Inquisition'- 
(Cincinnati  1849);  des  Theologen  Philipp  Schaff  „Geschichte  der  Christ- 
lichen Kirche"  (Mercersburg  1851),  sowie  „Amerika,  seine  politischen,  socialen 
und  kirchlich-religiösen  Zustände"  (Berlin  1854).  Die  zu  Halle  geborene, 
unter  dem  Schriftstellernamen  T  a  1  o  j  bekannt  gewordene  Gattin  des  Professors 
Eduard  Robinson,  eine  geborene  von  Jakob,  verfaßte  während  ihres  lang- 
jährigen Aufenthaltes  in  den  Vereinigten  Staaten  eine  „Geschichte  des  Kapitän 
John  Smith  (Leipzig  1847)  und  eine  „Geschichte  der  Kolonisation  von  Neu- 
England"  (Leipzig  1847). 


—     463     — 

Viel  gelesen  wurden  seinerzeit  auch  Friedrich  Münchs  „Erinne- 
rungen aus  Deutschlands  trübster  Zeit".  Der  Rheinpreuße  Gustav  Brühl, 
welcher  als  Arzt  in  Cincinnati  tätig  war,  schrieb  das  vorzügliche  Buch  „Die 
Kulturvölker  Alt- Amerikas".  RudolfCronau  lieferte  in  seinem  zwei  Bände 
umfassenden  Werk  „Amerika"  (Leipzig  1892)  ein  Gesamtbild  der  Entdeckung 
und  Erschließung  der  Neuen  Welt  von  der  ältesten  bis  auf  die  neueste  Zeit. 
Seine  in  den  Bahamas  und  St.  Domingo  angestellten  Forschungen  über  die 
erste  Landestelle  des  Columbus  und  dessen  Begräbnisstätte  werden  von  den 
meisten  Gelehrten  für  jene  Fragen  als  entscheidend  betrachtet. 

Hermann  A.  Schumacher  schilderte  auf  Grund  sorgfältiger 
archivalischer  Studien  die  im  Auftrag  der  Augsburger  Kaufleute  Welser  während 
der  Jahre  1528  bis  1546  erfolgten  Eroberungszüge  nach  Venezuela  und  Co- 
lumbia. Franz  Löher,  Anton  Eickhoff  und  Julius  Goebel 
lieferten  allgemeine  Übersichten  über  die  Geschichte  des  Deutschtums  der  Ver- 
einigten Staaten,  der  erstgenannte  in  dem  Buch  „Geschichte  und  Zustände  der 
Deutschen  in  Amerika"  (Cincinnati  1847).  Friedrich  Kapp  schrieb  eine 
wertvolle  „Geschichte  der  Sklaverei"  (New  York  1860),  ferner  vortreffliche 
Biographien  der  Generäle  von  Steuben  (Berlin  1858)  und  Kalb  (Stuttgart  1862); 
desgleichen  eine  Abhandlung  über  den  „Soldatenhandel  deutscher  Fürsten  nach 
Amerika"  (Berlin  1864),  sowie  eine  „Geschichte  der  deutscherL  Einwandrung 
in  den  Staat  New  York"  (New  York  1868).  Alle  Werke  Kapps  zeichnen  sich 
durch  künstlerische  Ausgestaltung  des  verwendeten  Materials  und  warme  Fär- 
bung aus. 

Oswald  Seidensticker  verdankt  man  „Bilder  aus  der  deutsch- 
pennsylvanischen  Geschichte",  die  zum  schönsten  gehören,  was  die  Geschichts- 
schreibung in  Amerika  hervorgebracht  hat.  Von  Wichtigkeit  sind  ferner  seine 
„Geschichte  der  deutschen  Gesellschaft  von  Pennsylvanien"  sowie  seine  For- 
schungen zur  Geschichte  des  deutschen  Zeitungswesens  und  Buchdrucks  in 
Amerika. 

Hohen  Wert  besitzen  auch  die  vorzüglichen  Monographien  mancher  Mit- 
glieder der  „German  Historical  Society  of  Pennsylvania".  Insbesondere  die 
erschöpfenden  Studien  von  Julius  Sachse,  Samuel  Pennypacker, 
Daniel  Rupp,  Daniel  Cassel, Oskar  Kuhns,  Diffenderfer, 
Hartranft,  Schmauk  u.  a.  über  die  deutschen  Einwandrer  und  Sektierer 
in  Pennsylvanien. 

Der  Lehrer  Hermann  Schuricht  erforschte  die  Geschichte  des 
Deutschtums  in  Virginien ;  Emil  Klauprecht  und  H.  A.  R  a  1 1  e  r  m  a  n  n 
diejenige  der  Deutschen  im  Ohiotal;  Joseph  Eiboeck  schrieb  die  Ge- 
schichte der  Deutschen  in  Iowa;  WilhelmHense  und  ErnstBrumken 
diejenige  der  Deutschen  in  Wisconsin,  und  Professor  Hanno  Deiler  jene 
der  Deutschen  am  unteren  Mississippi.  Gustav  Körner  stellte  wertvolle 
Notizen  über  „Das  deutsche  Element  während  der  Periode  1818  bis  1848  •  zu- 
sammen (Cincinnati  1880). 


—     464     — 

Gert  Göbel  schilderte  in  seinem  Buch  „Länger  als  ein  Menschenleben 
in  Missouri''  (St.  Louis  1877)  das  Leben  der  deutschen  Hinterwäldler;  Fried- 
rich Rübesamen  das  Grenzlerleben  in  Texas,  Neu -Mexiko  und 
Arizona. 

Zahlreiche  Schriften  vermischten  Inhalts  lieferte  der  bereits  mehrfach  er- 
wähnte Achtundvierziger  Karl  H  e  i  n  z  e  n  ,  ein  ungestümer  Feuergeist,  der 
in  den  Vereinigten  Staaten  Hauptführer  der  radikalen  deutschen  Demokraten 
wurde.  Von  seinen  größeren  Werken  verdienen  die  in  den  Jahren  1867  bis  1879 
erschienenen  vier  Bände  „Teutscher  Radikalismus  in  Amerika"  sowie  die  beiden 
Bände  „Erlebtes"  (Boston  1864  und  1874)  hervorgehoben  zu  werden. 

Ebenso  fruchtbar,  aber  durchaus  andere  Wege  wandelnd  ist  Karl 
K  n  o  r  t  z.  Er  beschäftigte  sich  vorzugsweise  mit  literatur-  und  kulturgeschicht- 
lichen Studien  und  veröffentlichte  als  Ergebnisse  derselben  zahlreiche  kleinere 
Werkchen. 

Feuilletonistisch  behandelte  Reiseschilderungen  lieferte  Theodor 
K  i  r  c  h  h  o  f  f  in  seinen  vortrefflichen  „Californischen  Kulturbildem"  und  in 
seinen  „Reisebildern  und  Skizzen"  (Altona  1875);  denselben  verwandt  sind 
Rudolf  Gronaus  „Von  Wunderland  zu  Wunderland,  Landschafts-  und 
Lebensbilder  aus  den  Staaten  und  Territorien  der  Union"  (Leipzig  1885);  „Im 
wilden  Westen"  (Braunschweig  1890)  und  „Fahrten  im  Lande  der  Sioux" 
(Leipzig  1885). 

Ziemlich  zahlreich  sind  die  von  Deutschamerikanern  verfaßten  Romane, 
Novellen  und  Erzählungen.  Aber  die  meisten  verfielen  samt  den  Tageszeitungen, 
in  denen  sie  veröffentlicht  wurden,  der  Vergessenheit.  LJnter  ihren  Urhebern 
befand  sich  der  geistvolle  Achtundvierziger  Friedrich  Hassaureck, 
dem  wir  die  vortrefflichen,  auch  in  Buchform  veröffentlichten  Romane  „Hier- 
archie und  Aristokratie"  und  „Das  Geheim.nis  der  Anden"  verdanken.  Fried- 
rich Otto  Dresel  schrieb  den  Roman  „Oskar  Weiden",  ferner  die  No- 
vellen „Bekenntnisse  eines  Advokaten",  „Doppelehe  oder  keine  Doppelehe"  und 
„Die  Lebensversicherungs-PoHce".  Friedrich  Lexow  verfaßte  die  No- 
vellen „Auf  dem  Geierfels",  „Imperia",  und  „Vornehm  und  gering".  Sein 
Bruder  Rudolf  Lexow  schrieb  die  Novellen  „Annies  Prüfungen"  und  „Der 
Rubin" ;  während  der  geschickten  Feder  Karl  Diltheys  verschiedene  No- 
vellen und  Erzählungen,  darunter  „Die  schönsten  Tage  einer  Tänzerin", 
„Henriette  Sonntag",  „New  York  in  alten  Tagen"  u.  a.  entflossen.  ■ 

Der  gelehrte  Arzt  Hermann  von  Bahr  in  San  Francisco,  ein  Acht- 
undvierziger, veröffentlichte  unter  dem  Pseudonym  Atti  Cambam  den  Roman 
„Dritte  Söhne",  welcher  in  der  Kölnischen  Zeitung  zum  Abdruck  kam  und  aus 
dieser  in  verschiedene  deutschamerikanische  Tagesblätter  überging.  R  e  i  n  - 
hold  Solger  schuf  in  seinem  „Anton  in  Amerika"  eine  Novelle  von  blei- 
bendem Wert.  D  o  u  a  i  lieferte  den  Roman  „Fata  Morgana",  und  Willi- 
bald Winkler  den  „Sklaven jäger".  Diesen  Werken  reihten  sich  während 
des  letzten  Vierteljahrhunderts  die  unter  dem  Pseudonym  D.  B.  Schwerin 


—    465     — 

veröffentlichten  Romane  der  Dichterin  Dorothea  Böttcher  an:  „Der 
Sohn  des  Bankiers"  und  „Die  Erbschleicher" ;  ferner  Udo  Brachvogels 
„King  Korn"  und  „Adolf  Schaff meyers  Romane  „Ein  Phantom",  „Auf 
steiler  Höhe"  und  „Im  Wirbel  der  Großstadt". 

Der  kernige  Journalist  EduardLeyh  schrieb  die  deutschamerikanische 
Erzählung  „Tannhäuser" ;  Johann  Rittig  lieferte  charakteristische  „Feder- 
zeichnungen aus  dem  amerikanischen  Stadtleben" ;  und  Caspar  Stüren- 
burg  „Klemdeutschland,  Bilder  aus  dem  New  Yorker  Alltagsleben".  Ver- 
wandte Erscheinungen  sind  Henry  Urbans  „Just  zwölf";  „Der  Eisberg"; 
„Mans  Lula";  „Aus  dem  Dollarlande"  und  „Lederstrumpfs  Erben".  Femer 
Edna  Ferns  „Gentleman  Gordon" ;  „Der  Selbstherrliche  und  andere  Ge- 
schichten". G.  von  S  k  a  1  ließ  die  Sammlung  „Im  Blitzlicht"  und  „Das 
amerikanische  Volk"  erscheinen.  Der  schlichte  Kürschner  Hugo  Bertsch 
veröffentlichte  die  beiden  Novellen  „Bob,  der  Sonderling"  und  „Die  Ge- 
schwister" (Stuttgart  1905),  welche  durch  ihre  drastische  Darstellungsweise 
auch  in  Deutschland  Aufsehen  erregten. 

Unter  den  Deutschamerikanern,  welche  sich  mit  großem  Geschick  der 
englischen  Sprache  zu  bedienen  lernten,  steht  Karl  Schurz  obenan.  Die 
gleiche  glänzende  Ausdrucksweise,  über  welche  er  als  Redner  gebot,  bekundete 
er  auch  in  seinen  historischen  Werken.  Zu  diesen  gehören  in  erster  Linie  die 
in  englischer  Sprache  geschriebenen  Lebensschilderungen  des  amerikanischen 
Staatsmannes  Henry  Clay  (Boston  1887)  und  des  Präsidenten  Abraham  Lin- 
coln (London  1892).  Ungemein  fesselnd  sind  auch  seine  „Erinnerungen  aus 
einem  langen  Leben"  (Berlin  1906).  Dieselben  erschienen  zuerst  in  englischer 
Sprache  unter  dem  Titel  „Reminiscences  of  a  long  life"  (New  York  1906). 
In  ihnen  schilderte  der  hochbetagte,  aber  noch  vom  Feuer  des  Idealismus  durch- 
glühte Greis  die  Denkwürdigkeiten  seines  Lebens,  das  so  reich  an  Arbeit, 
Mühen,  Kämpfen,  Hoffnungen,  Enttäuschungen  und  Erfolgen  war,  wie  es  nur 
w^enigen  Menschen  beschieden  ist.  Für  die  Beurteilung  des  Aufstandes  von 
1848  sowie  der  politischen  Zustände  der  Vereinigten  Staaten  in  der  zweiten 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  bilden  diese  Erinnerungen  zweifellos  ein  Quellen- 
werk allerersten  Ranges. 

Fast  ebenso  gewandt  wie  Schurz  wußte  der  im  August  1830  in  West- 
falen geborene  Karl  Nordhoff  die  englische  Sprache  zu  handhaben.  Die 
Erfahrungen  seiner  ursprünglichen  Seemannslaufbahn  verwertete  er  in  den 
Werken  „Man  of  War  Life";  „Merchant  Vessel";  „Whaling  and  Fishing"; 
„Stories  of  the  Island  World".  Als  Nordhoff  sich  später  dem  Journalismus 
zuwandte  und  für  die  New  Yorker  „Evening  Post"  und  den  „Herald"  tätig 
war,  schrieb  er  vielgelesene  Reisewerke  über  Kalifornien,  Oregon  und  die 
Sandwichinseln.  Sein  berühmtes  Buch  „The  Cotton  States"  (New  York 
1876)  gab  zu  überaus  heftigen  Kontroversen  Anlaß,  da  Nordhoff  die  nach  dem 
Bürgerkrieg  in  die  Südstaaten  einströmenden  republikanischen  Beutepolitiker 
sowie  die  verkehrten  Maßnahmen  der  Bundesregierung  für  die  im  Süden  zutage 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  30 


—     466     — 

tretenden  Mißstände  verantwortlich  machte.  Eines  seiner  wertvollsten  Bücher 
beschreibt  die  „Communistic  Societies  in  the  United  States". 

Rudolf  Gronau  ließ  zu  Ende  des  Jahres  1908  in  New  York  sein 
erstes  in  englischer  Sprache  geschriebenes  Werk  unter  dem  Titel  „Our  wasteful 
nation,  the  story  of  American  prodigality  and  the  abuse  of  our  national  resources" 
erscheinen,  das  sich  in  energischer  Weise  gegen  die  maßlose  Vergeudung  und 
den  Mißbrauch  der  natürlichen  Hilfsquellen  Amerikas  richtet.  Dem  als  Pro- 
fessor der  Musik  an  der  Harvard-Universität  tätigen  Komponisten  Fried- 
rich Louis  Ritter  verdanken  wir  eine  in  Boston  erschienene  „History  of 
Music  in  the  form  of  lectures"  sowie  das  Werkchen  „Music  in  America''. 

Der  deutschamerikanischen  Literatur  darf  man  auch  manche  Werke  bei- 
zählen, die  von  deutschen  Novellisten  und  Romanschriftstellern  während  ihres 
längeren  Verweilens  in  den  Vereinigten  Staaten  geschrieben  wurden. 

Zu  ihnen  gehören  in  erster  Linie  einige  Romane  des  am  3.  März  1793  in 
Seefeld,  Unterösterreich  geborenen  Karl  P  o  s  t  e  1.  Ursprünglich  dem  Orden 
der  Kreuzherm  zu  Prag  angehörend,  entwich  er  im  Jahre  1822  dem  Kloster 
und  begab  sich  nach  Amerika.  In  New  York  verweilte  er  bis  1826.  In  den 
Jahren  1828  bis  1830  bereiste  er  die  Südstaaten  und  sammelte  hier  das  Material 
zu  seinem  ersten  großen,  in  englischer  Sprache  geschriebenen  Roman  „Tokeah 
or  the  White  Rose"  (Philadelphia  1828).  Derselbe  erschien  später  in  einer 
von  ihm  selbst  vollzogenen  deutschen  Bearbeitung  unter  dem  Titel  „Der 
Legitime  und  die  Republikaner"  (Zürich  1833).  Diesem  Roman  schlössen  sich 
„Transatlantische  Reiseskizzen"  (1833),  „Lebensbilder  aus  der  westlichen 
Hemisphäre",  „Pflanzerleben  und  die  Farbigen",  „Nathan  der  Squatter-Regu- 
lator",  „Deutschamerikanische  Wahlverwandtschaften",  sowie  der  prächtige 
Roman  „Virey  und  die  Aristokraten"  an.  Lange  Zeit  gehörte  dieser  unter  dem 
Pseudonym  CharlesSealsfield  verborgene  Autor  zu  den  meist  gelesenen 
beider  Erdteile.  Ein  genialer  Beherrscher  der  Sprache,  ein  ungemein  scharfer 
Beobachter,  begabt  mit  einer  reichen,  glühenden  Phantasie,  entrollte  er  seinen 
Lesern  eine  neue  Welt  mit  bisher  nie  geschilderten  Menschen  Charakteren.  In 
scharfen  Umrissen  zeichnete  er  den  schlauen  Yankee,  den  leichtlebigen  Fran- 
zosen, den  bedächtigen  Deutschpennsylvanier,  den  sinnlichen  Kreolen  und  die 
Kreolin,  den  kühnen  Trapper  und  den  zähen  Kulturpionier  des  fernen  Westens. 
Und  als  Hintergründe  lieferte  er  farbensprühende  Landschaftsgemälde  vom 
Ohio,  dem  Mississippi,  aus  den  Prärien  von  Texas  und  den  grünen  Gebirgen 
Vermonts. 

Ihm  verwandt  sind  Otto  Ruppius,  Friedrich  Gerstäcker 
und  Balduin  Möllhausen,  welche  gleichfalls  längere  Zeit  in  den  Ver- 
einigten Staaten  weilten.  Zu  den  Früchten  dieses  Aufenthalts  gehören  Ruppius' 
vielgelesene  Romane  „Der  Pedlar",  „Das  Vermächtnis  des  Pedlars"  und  „Der 
Prärieteufel".  Gerstäcker  veröffentlichte  als  literarische  Ergebnisse  jahrelanger 
Wanderungen  sein  Tagebuch  unter  dem  Titel  „Streif-  und  Jagdzüge  durch  die 
Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika"  (1844).    Außerdem  verfaßte  er  die  Ro- 


—     467     — 

mane  „Die  Regulatoren  in  Arkansas"  (1845),  „Die  Flußpiraten  des  Mississippi" 
(1848);  femer  „Mississippibilder"  (1847),  „Amerikanische  Wald-  und  Strom- 
bilder" (1849)  und  „Kalifornische  Skizzen"  (1856),  die  wegen  ihrer  frischen, 
unterhaltenden  Schilderungen  weite  Verbreitung  fanden.  —  Der  Aufenthalt 
Möllhausens  in  den  Vereinigten  Staaten  fällt  in  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts, 
wo  er  mit  dem  Herzog  Karl  von  Württemberg  und  später  als  Topograph  und 
Zeichner  zweier  amerikanischer  Expeditionen  den  fernen  Westen,  insbesondere 
Neu-Mexiko  und  Arizona,  bereiste.  Diese  Fahrten  beschrieb  er  in  dem  „Tage- 
buch einer  Reise  vom  Mississippi  nach  den  Küsten  der  Südsee"  (1858)  und  in 
„Reisen  in  die  Felsengebirge  Nordamerikas"  (1861).  Außerdem  verfaßte  er 
zahlreiche  Romane,  von  denen  die  bekanntesten  „Die  Mandanenwaise",  „Der 
Reiher"  und  „Der  Schatz  von  Quivira"  in  den  von  Möllhausen  besuchten  Teilen 
der  Neuen  Welt  spielen.  Die  bereits  erwähnte  Schriftstellerin  von  Jakob 
(T  a  1  o  ]■)  verfaßte  während  ihres  Aufenthaltes  in  Amerika  die  Romane  „Heloise, 
or  the  unrevealed  secret"  (New  York  1850)  und  „Die  Auswanderer"  (Leipzig 
1852),  welches  Buch  im  folgenden  Jahre  unter  dem  Titel  „The  Exiles"  auch  in 
New  York  erschien. 


Beweise,  daß  es  ihnen  an  Geschick  zu  literarischen  Arbeiten  nicht  fehlt, 
haben  die  Deutschamerikaner  zur  Genüge  abgelegt.  Nachdem  im  Jahre  1909 
endlich  eine  dem  modernen  Zeitgeist  entsprechende  Verbesserung  der  ameri- 
kanischen Copyright-Gesetze  erfolgte  und  jene  Vorschrift,  daß  fremdsprachliche 
Werke,  um  den  Schutz  der  amerikanischen  Gesetze  genießen  zu  können,  in 
Amerika  gesetzt  und  gedruckt  sein  müssen,  aufgehoben  wurde,  ist  auch  für  die 
deutschamerikanische  Literatur  eine  Möglichkeit  eröffnet  worden,  sich  voller 
und  kräftiger  zu  entfalten. 


30' 


Die  deutschamerikanische  Dichtung  des  19.  und  20.  Jahr- 
hunderts. 


Der  schlichte,  tiefreli- 
giöse Sinn,  der  für  die  wäh- 
rend der  Kolonialzeit  entstan- 
denen deutschamerikanischen 
Dichtungen  so  bezeichnend 
war,  wich  zu  Anfang  des 
19.  Jahrhunderts  mit  dem  Ein- 
strömen einer  anders  gearteten 
Einwandrung.  Die  Deutschen, 
welche  um  jene  Zeit,  ange- 
widert von  den  rückschritt- 
lichen Maßregeln  der  deut- 
schen Regierungen,  ihr  Vater- 
land verließen,  waren  weder 
mystische  Schwärmer  gleich 
Kelpius  und  Beissel,  noch 
stillzufriedene  beschauliche 
Gelehrte  wie  Pastorius. 

Sie  repräsentierten  ein 
neues  Geschlecht  voll  idealer 
Begeisterung,  voll  Empfäng- 
lichkeit für  die  Reize  und  den 
Sonnenglanz  dieser  Welt.  Sie 
waren  Himmelsstürmer,  von 
Tatendrang  durchglühte  Agi- 
tatoren, die  zum  menschlichen 
Fortschritt,  zum  Erlangen  hö- 
herer persönlicher  und  geisti- 
ger Freiheit  beitragen  wollten.  Für  Frauenschönheit,  für  das  Glück  echten 
Familienlebens,  für  die  Erhabenheit  der  neuweltlichen  Natur,  für  die  Größe  des 
amerikanischen  Freiheitsgedankens  hatten  sie  ein  offenes  Auge  und  ein  warmes 
empfängliches  Gemüt.  Kein  Wunder,  daß  die  von  ihren  Lippen  strömenden 
Lieder  anderen  Klang  besaßen.    Sie  sangen  von  Lenz  und  Liebe,  priesen  Wein, 


Frauenfigur.    Von  Henry  Linder,  New  York. 


—    469    — 

Weib  und  Gesang,  feierten  Mannskraft  und  Heldenmut,  wenig  danach  fragend, 
ob  jemand  und  wer  ihnen  lausche. 

Und  zahlreich  wie  die  einander  treibenden  Wellen  eines  Waldbachs 
fluten  die  Namen  solcher  deutschamerikanischen  Dichter  und  Dichterinnen  da- 
her, die  inmitten  des  rastlosen  Geschäftslebens  den  Sinn  für  das  Schöne  und 
Ideale  zu  bewahren  wußten.  Alle  aufzuführen  und  in  Kategorien  zu  bringen, 
wäre  ein  Unterfangen,  das  sich  an  dieser  Stelle  aus  räumlichen  Rücksichten  ver- 
bietet. Sind  doch  in  den  Sammelwerken  deutschamerikanischer  Dichtungen,  die 
bisher  in  den  Vereinigten  Staaten  erschienen,  ihrer  mehr  als  400  durch  Beiträge 
vertreten. 

Natürlich  haben  die  von  diesen  Sangesfrohen  gelieferten  Dichtungen  sehr 
verschiedenen  Wert.  Wie  unter  den  gefiederten  Sängern,  so  sind  auch  unter 
den  die  Feder  gebrauchenden  die  Nachtigallen  selten.  Aber  auch  unter  den  von 
deutschamerikanischen  Poeten  geschaffenen  Dichtungen  gibt  es  manche,  die  der 
Literatur  jedes  Volkes  zur  Ehre  gereichen  würden. 

Einige  der  herrlichsten  sind  der  deutschen  Heimat  gewidmet. 

Wer  in  den  Werken  der  deutschamerikanischen  Dichter  blättert,  wird  die 
Überzeugung  gewinnen,  daß  bei  vielen  dieser  Männer  das  Heimweh  das  trei- 
bende Motiv  war,  das  sie  zu  Poeten  machte  und  ihre  Klage  zu  Versen  formte. 

Konnte  es  anders  sein?  —  Die  politischen  Flüchtlinge,  welche  vor  und 
nach  dem  Jahre  1848  an  die  Gestade  Amerikas  verschlagen  wurden,  liebten  ihr 
Vaterland  aus  tiefster  Seele.  Seiner  Größe  und  Einigung  hatte  ihr  ganzes  Sinnen 
und  Trachten  gegolten ;  ihm  gehörten  ihre  Gedanken  bei  Tage  wie  bei  Nacht ;  in 
seinen  Schoß  hofften  sie  zurückzukehren,  in  seinem  heiligen  Boden  einst  be- 
graben zu  werden.  Daß  man  sie,  die  nur  Deutschlands  Herrlichkeit  herbei- 
führen wollten,  von  dort  vertrieben,  erfüllte  sie  mit  Bitterkeit,  hinderte  sie  aber 
nicht,  der  Heimat  treue  Liebe  zu  bewahren. 

Die  heiße  Sehnsucht  nach  den  fernen  Fluren  ließ  manche  dieser  Ge- 
ächteten für  ihre  Lieder  Töne  finden,  wie  sie  ergreifender  kaum  erklangen,  seit- 
dem die  in  Gefangenschaft  geratenen  Juden  an  den  Wassern  von  Babylon  des 
fernen  Zion  gedachten.  Mit  solchen  tiefempfundenen  „Heimatklängen"  könnte 
man  allein  einen  stattlichen  Band  füllen.  Für  die  Echtheit  der  in  ihnen  offen- 
barten Empfindung  sprechen  folgende  Beispiele. 

Da  dichtete  der  seit  dem  Jahre  1854  unter  dem  grünen  Rasen  ruhende 
„Achtundvierziger'*  Heinrich  Schnauffer: 

Oh,  sprich  von  keiner  schönern  Zone  — 

Ich  hang  an  meinem  Heimatland, 

Und  mir  ist  aller  Länder  Krone 

Des  Rheines  rebengrüner  Strand.  '         • 

Oh,  sprich  nicht  von  des  Südens  Palmen  — 
Des  Schwarzwalds  süße  Tannennacht, 
Das  Tal  mit  Blumen  und  mit -Halmen  — 
Wo  find'  ich  diese  deutsche  Pracht?  — 


—     470     — 

Oh,  sprich  von  keinem  bessern  Volke, 
Als  das,  was  meine  Sprache  spricht! 
Der  Stern  bleibt  Stern,  auch  wenn  die  Wolke 
Verfinstert  hat  sein  goldnes  Licht; 

Und  jene  Sprache,  sanft  und  linde. 
Klingt  sie  im  Herzen  fort  und  fort, 
Darin  die  Mutter  mit  dem  Kinde 
Gekoset  einst  das  erste  Wort. 

Oh,  sprich  von  keinen  froher'n  Stunden, 
Die  hier  die  Zukunft  bringen  mag: 
Die  Heimat  heilt  die  tiefsten  Wunden 
Und  Freuden  bringt  sie  jeden  Tag. 

Oh,  Zeit!    wo  froh  im  Lenz  als  Knabe 
Ich  wilde  Rosen  suchen  ging, 
Und  kniend  auf  des  Vaters  Grabe 
Ums  Kreuz  die  duft'gen  Kränze  hing! 

Oh,  sprich  von  keinem  treuem  Herzen 
Und  sprich  von  keinem  fremden  Glück, 
Mild,  wie  der  Strahl  der  Himmelskerzen 
Ist  meines  deutschen  Mädchens  Blick. 

Zum  Heimatland  steht  mein  Verlangen, 
Ein  müder  Fremdling,  such'  ich  Ruh', 
Und  wo  das  Licht  mir  aufgegangen. 
Drück'  man  mir  auch  die  Augen  zu. 

Der  auf  einem  stillen  Friedhof  des  Staates  Illinois  schlafende  Pfälzer  Emil 
D  i  e  t  z  s  c  h  schrieb : 

Ich  hab'  hier  manches  lange  Jahr 
Als  Mann  mich   durchgestritten; 
Ob's  Sturm,  ob  Friedensstille  war, 
Ob  ich  frohlockt,  gelitten: 
Ich  könnt'  des  Heimwehs  Herzeleid 
Doch  niemals  ganz  bezwingen. 
Es  heilet  vieles  ja  die  Zeit, 
Nicht  wollt'  ihr  das  gelingen.  . . 

Von  Albert  Wolff,  der  im  seen-  und  wälderreichen  Minnesota  be- 
graben liegt,  rührt  folgende  Dichtung : 

Wie,  was  ist  das,  du  alter  Kerl? 
Im  Auge  eine  Tränenperl? 
Ja!    ja!    so  ist's.     Wer  kann  dafür? 
Mein  Vaterland,  das  bring'  ich  dir! 


—    471     — 

Die  Träne   ist  der  Diamant, 
Den  rein  ich  hielt  im  fremden  Land; 
Ich  seh's,  ich  seh's,  das  Kleinod  mein, 
Lag  tief  im  heil'gen  Herzensschrein! 

Ich  hab'  es  selbst  nicht  mehr  gewußt, 
Daß  ich  es  trug  in  meiner  Brust, 
Daß  ich  dich  ganz  noch  mein  genannt, 
O  heil'ge  Lieb'  zum  Vaterland! 

Wohl  das  ergreifendste  dieser  Lieder  stammt  von  dem  am  9.  März  1897 
in  Milwaukee  verstorbenen  Konrad  Krez.  Es  trägt  die  Übersclirift :  An 
mein  Vaterland. 

Kein  Baum  gehörte  mir  von  deinen  Wäldern, 
Mein  war  kein  Halm  auf  deinen  Roggenfeldern, 
Und   schutzlos   hast  du  mich   hinausgetrieben. 
Weil  ich  in  meiner  Jugend  nicht  verstand. 
Dich  weniger  und  mehr  mich  selbst  zu  lieben 
Und  dennoch  lieb  ich  dich,  mein  Vaterland! 

Wo  ist  ein  Herz,  in~  dem  nicht  dauernd  bliebe 
Der  süße  Traum  der  ersten  Jugendliebe? 
Doch  heiliger  als  Liebe  war  das  Feuer, 
Das  einst  für  dich  in  meiner  Brust  entbrannt; 
Nie  war  die  Braut  dem  Bräutigam  so  teuer, 
Wie  du  mir  warst,  geliebtes  Vaterland. 

Hat  es  auch  Manna  nicht  auf  dich  geregnet. 
Hat  doch  dein  Himmel  reichlich  dich  gesegnet. 
Ich  sah  die  Wunder  südlicherer  Zonen, 
Seit  ich  zuletzt  auf  deinem  Boden  stand; 
Doch  schöner  ist  als  Palmen  und  Zitronen 
Der  Apfelbaum  in  meinem  Vaterland. 

Land  meiner  Väter!    länger  nicht  das  meine, 

So  heilig  ist  kein  Boden  wie  der  deine. 

Nie  wird    dein  Bild    aus   meiner   Seele   schwinden, 

Und  knüpfte  mich  an  dich  kein  lebend  Band, 

So  würden  mich  die  Toten  an  dich  binden, 

Die  deine  Erde  deckt,  mein  Vaterland! 

Oh,  wollten  jene,  die  zu  Hause  blieben, 

Wie  deine  Fortgewanderten  dich  lieben, 

Bald  würdest  du  zu  einem  Reiche  werden, 

Und  deine  Kinder  gingen  Hand  in  Hand, 

Und  machten  dich  zum  größten  Land  auf  Erden, 

Wie  du  das  beste  bist,  o  Vaterland! 

Wie  aus  der  letzten  Strophe  hervorgeht,  entstand  die  Dichtung  lange  vor 
den  Jahren  1870-71. 


—     472     — 

Daß  an  den  die  politische  Einigung  Deutschlands  bringenden  großen 
Ereignissen  jener  Jahre  die  nach  Amerika  geflohenen  „Achtundvierziger'*  den 
lebhaftesten  Anteil  nahmen,  ist  selbstverständlich.  War  doch  die  Einigung  aller 
deutschen  Stämme,  die  Erhebung  des  Deutschen  Reichs  der  Traum  ihrer  Jugend, 
die  Sehnsucht  und  Hoffnung  ihres  Alters  gewesen. 

Mit  welcher  Begeisterung  und  Kampfesfreude  sie  den  Taten  der  deutschen 
Truppen  in  Frankreich  folgten,  erhellt  aus  folgendem  „Gruß  der  Deutschen  in 
Amerika*',  den  Kaspar  Butz  über  das  Meer  sandte. 

Wenn  Wünsche  Kugeln  wären,  wenn  Blitz  und  Donnerschlag 
Der  längst  Verbannten  zürnen,  jetzt  am  Entscheidungstag, 
Wie  würd"  der  Donner  rollen  gewaltig  übers  Meer, 
Für  Deutschland  eine  Salve  und  für  sein  tapfres  Heer! 

Vergessen  ist  ja  alles,  vergessen  jede  Not, 

Vergessen  jedes  Urteil,  ob  es  auch  sprach:  der  Tod! 

Für  dich,  o  Muttererde,  du  Land  der  Herrlichkeit, 

Auch  deine  fernen  Söhne,  sie  stehen  mit  im  Streit! 

Nicht  Zeit  ist's  mehr  für  Worte!    Gott  grüße  dich  mein  Land! 

Wie  stehst  du  stolz  im  Streite,  der  jetzt  so  jäh  entbrannt! 

Ein  Feigling,  der  verzweifelt  nur  einen  Augenblick! 

Hol"  deine  alte  Größe  und  Ehre  dir  zurück! 

Pflanz'  auf  des  Wasgau's  Höhen  das  deutsche  Banner  auf, 

Laß  weh'n  die  alten  Fahnen  von  Straßburgs  Domes  Knauf! 

Nun  ist  für  deine  Kammern,  trotz  des  Jahrhunderts  Hohn, 

Endlich  die  Zeit  gekommen,  die  Zeit  der  Reunion!... 

Und  bald  darauf  jubelte  er: 

O  große  Zeit!    Wir  wuchsen  mit  bei  jedem  deutschen  Siege; 
Wir  hebten,  ob  der  deutsche  Aar  das  Ziel  auch  stolz  erfliege. 
Wir  fühlten,  daß  ein  Vaterland,  dem  wir  noch  nicht  verloren. 
Aus  jenem  grimmen  Männerkampf  für  uns  auch  ward  geboren  .  . . 

Eines  der  kösthchsten  Güter,  welches  die  auswandernden  Deutschen  mit 
in  die  neue  Heimat  nahmen,  war  das  deutsche  Lied.  Unzählige  in  den  Ver- 
einigten Staaten  lebende  Dichter  priesen  seine  Zaubermacht.  Der  aus  Alzey 
stammende  Konrad  Nies  tat  dies  in  folgenden  Strophen : 

Als  wir  entflohn  aus   deutschen   Gauen, 
Durchglüht  von  jungem  Wanderdrang, 
Um  fremder  Länder  Pracht  zu  schauen, 
Zu  lauschen  fremder  Sprache  Klang, 
Da  gab  zum  Segen  in  die  Ferne, 
Die  Heimat  uns  ihr  deutsches  Lied, 
Das  nun,  gleich  einem  guten  Sterne, 
Mit  uns  die  weite  Welt  durchzieht. 


—    473     — 

Wohin   auch    unsere   Wege  führen, 
Zum   Steppensaum,  zum  Meeresport; 
Wo  immer  wir  ein  Heim  uns  küren, 
Im  tiefen  Süd,  im  hohen  Nord: 
Der  deutschen  Heimat  Segensgabe 
Von  unsrer  Schwelle  nimmer  flieht. 
Und  als  des  Herzens  schönste  Gabe, 
Bleibt  heilig  uns  das  deutsche  Lied. 

Es  klingt  um  hohe  Urwaldtannen, 

Am  blauen  Golf,  am  gelben  Strom, 

Fern  in  den  Hütten  der  Savannen 

Und  ferner  unterm  Palmendom. 

Es  braust  aus  frohem   Zecherkreise, 

Es  jauchzt  und  schluchzt  mit  Mann  und  Maid 

Und  klagt  in  heimattrauter  Weise 

Von  deutscher  Lust  und  deutschem  Leid. 

Und  wo   es  klingt,  da  bricht  ein  Blühen 
Und  Leuchten  auf  in  weiter  Rund; 
Wie  Veilchenduft  und  Rosenglühen 
Geht's  durch  des  Herzens  tiefsten  Grund. 
Was  längst  zerronnen  und  zerstoben. 
Was  mit  der  Kindheit  von  uns  schied: 
Es  wird  in  Träumen  neu  gewoben. 
Wenn  uns  umrauscht  das  deutsche  Lied. 

Wir  schau'n  der  Heimat  grüne  Tale, 
Der  Schwalbe  Nest  am  Vaterhaus; 
Wir  ziehn  im   Ostermorgenstrahle 
Durchs,  alte  Tor  zur  Stadt  hinaus; 
Wir  hören  ferner  Glocken  Klingen 
Und  deutscher  Eichenwälder  Weh'n, 
Wir  fühlen  junges  Frühlingsringen 
Und  erster  Liebe  Auferstehn! 

Und  ob  auch  Früchte  viel   und  Blüten 
Die  Hand  auf  fremder  Erde  zieht. 
Wir  wollen  hegen  doch   und  hüten 
Den  Frühlingssproß,  das  deutsche  Lied, 
Das  uns  zum  Segen  in  die  Ferne, 
Die  Muttererde  einst  beschied, 
Und  das,  gleich  einem  guten  Sterne, 
Mit  uns  die  weite  Welt  durchzieht. 

Die  sinnige  New  Yorker  Dichterin  Henni  Hubel  preist  das  deutsche 
Lied  in  folgenden  Worten  als  einen  Zauberquell : 

Ich  kenn'    einen   nimmer  versiegenden  Quell, 
Der  rieselt  und  sprudelt  gar  wonnig  und  hell; 
Und  kannst  du  das  Rauschen  der  Quelle  verstehn, 
So  wird  dich  ein  mächtiger  Zauber  umweh"n. 


—    474     — 

Verstehst  du  mit  ganzer  Seele  zu  lauschen, 

So  kündet  wonnige  Märchen  sein  Rauschen. 

Beglückend  umspinnt  er  die  Menschen,  die  Welt, 

Nichts  gibt  es,  das  nicht  diesem  Zauber  verfällt. 

Ob  hoch  oder  niedrig  —  ob  arm  oder  reich  — 

Er  macht  einen  Bettler  dem  Könige  gleich. 

Das  ärmlichste  Kindlein  auf  Mütterchens  Arm 

Umschmeichelt  der  Zauber  so  lieblich  und  warm 

Genau  wie  den  Sprößling  im  prunkenden  Schloß, 

Den  Reichen  sowohl  wie  den  dienenden  Troß. 

Mit  gleicher  Macht  kann  er  Herzen  bewegen, 

Mit  gleichem  Entzücken  Seelen  erregen. 

Wärst  du  in  der  einsamsten  Wüste  allein, 

Der  Zauber,  der  lullt  dich  in  Träume  wohl  ein. 

Statt  trostloser  Öde  —  statt  sengendem  Sand 

Erscheint  deinem  Auge  der  heimische  Strand, 

Die  schattigen  Wälder,  die  Berge,  das  Tal  — 

So  mildert  der  Zauber  dir  jegliche  Qual. 

In  jauchzender  Freude  entzückt  er  dein  Herz, 

Und  lindernd  verscheucht  er  den  nagenden  Schmerz. 

Er  lernt  dich  vergessen,  was  schwer  dich  bedrückt, 

Und  zeigt  dir,  was  einst  und  was  jetzt  dich  beglückt. 

Wißt  ihr,  was  so  mächtig  durchs  Weltall  zieht? 

Jener  Zauberquell  ist  —  das  deutsche  Lied. 

Die  gleichfalls  in  New  York  lebende  Dichterin  Elisabeth  Mesch 
weihte  der  deutschen  Poesie  folgende  Strophen : 

Und  ob  auch  längst  des  Schicksals  rauhe  Hand 
Entrissen  mich  dem  alten  Vaterland, 
Ob  Freunde  nicht  mir  folgten  in  die  Weite: 
Das  Schönste,  was  die  Heimat  mir  verlieh  — 
Das  Liebste  —  gab  mir  dennoch  das  Geleite; 
Es  ist  allein  die  deutsche  Poesie! 

Wohl   bot  die  Fremde,  schön  und  wunderbar, 
Der  bunten  Reize  viel  mir  freundlich  dar. 
Und  manches  Herz  erschloß  sich  meinem  Herzen. 
Doch  wenn  ich  oft  mit  wehmutsvollem  Sinn 
Gedachte  meiner  Seele  größter  Schmerzen, 
War  Poesie  die  beste  Trösterin. 

Sie  ist  mein  Glück  in  dieses  Daseins  Hast, 
Das  Herrlichste,  was  Menschengeist  erfaßt. 
Sie  ist  ein  weiches,  wonnevolles  Sehnen, 
Von  göttlichen  Gedanken  eine  Flut; 
Sie  ist  das  Edelste  von  allem  Schonen, 
Und  mir  ist  wohl  in  ihrer  sanften  Glut. 

Ein  heller  Stern  auf  wechselvoller  Bahn, 
So  leuchte  sie  auch  türder  uns  hinan. 


—     475     — 

Und  labe  süß  aus  ihrem  Heiligtunie 

Die  Herzen  all,  bedrückt  von  Sorg'  und  Müh'! 

Gepriesen  sei  die  wunderholde  Blume: 

Im  fremden  Land   die  deutsche  Poesie! 

Es  ist  manchmal  behauptet  worden,  den  deutschamerikanischen  Dichtern 
fehle  die  Eigenart.  Ihre  Poesie  sei  nur  das  ausgewanderte  Echo  der  vaterlän- 
dischen Dichtung  und  variiere  bis  zum  Überdruß  das  Thema  vom  fernen  Vater- 
land, anstatt  sich  der  von  der  Neuen  Welt  in  Überfülle  gebotenen  neuen  Stoffe 
zu  bemächtigen. 

Kein  Vorwurf  ist  ungerechter  als  dieser.  Er  konnte  nur  von  Personen 
kommen,  die  weder  die  Mannigfaltigkeit  noch  den  Reichtum  der  deutschameri- 
kanischen Poesie  kennen.  Diese  Kenntnis  wird  allerdings  durch  den  beklagens- 
werten Umstand  erschwert,  daß  eigentliche  Sammelstellen  für  die  Werke  der 
deutschamerikanischen  Dichter  und  Schriftsteller  fehlen.  Da  die  amerikanischen 
Bibliotheken  an  der  deutschamerikanischen  Literatur  nur  geringes  Interesse 
nehmen,  so  sind  deren  Werke  mehr  als  alle  anderen  der  Verzettelung  und  dem 
Vergessenwerden  ausgesetzt. 

Daß  den  deutschamerikanischen  Poeten  der  Blick  für  ihre  Umgebung,  für 
den  Reichtum  des  sie  umbrausenden  Lebens  nicht  fehlt,  könnte  man  durch  Hun- 
derte von  Dichtungen  beweisen.  Meisterhafte  Naturschilderungen  lieferten  Kuno 
Francke,  Julius  Hoffmann,  Johannes  Hensen,  Frank 
Silier  und  viele  andere. 

Otto  Soubron  malt  die  düstere  Einsamkeit  des  in  Wisconsin  ge- 
legenen Teufelssees  in  folgenden  Worten : 

Starre  Felsen  ragen  trotzig 
Um  den  See,  den  schwarzen,  stillen. 
Der  wie  ein  gebrochnes  Auge  — 
Leblos,   kalt  und   unergründlich  — 
Blickt  verglast  empor  zum  Himmel. 

Still,  verödet   ist  die  Gegend, 
Nur  mit  trägem  Flügelschlage 
Überm  Abgrund   kreist  der  Adler, 
Und  die  Brut  der  Schlangen  nistet 
Unten  in  den  Felsenspalten. 

Der  in  Missouri  geborene  Priester  Johannes  E.  Rothensteiner 
schildert  das  Erschließen  jener  in  den  Wüsten  Mexikos  heimischen,  nur  eine 
Nacht  blühenden  Wunderblume  (cereus  nycticalus),  die  als  „Königin  der  Nacht'* 
bekannt  ist. 

Den  Kaktus  seht  im  Brand  der  Wüste 
Ein  stachlichtes  Gerippe  nur! 
Kein  Tauwind,  der   ihn   freundlich  grüßte, 
Den  Eremiten  der  Natur. 


—    476     — 

Fest  eingeklemmt  in  Felsenspalten, 
Scheint  jeder  Lebenstrieb  erstarrt: 
Mit  Staub  bedeckt  die  Runzelfalten, 
Da  sehnlich  er  der  Blüte  harrt. 

Doch  endlich  fühlt  den.  Saft  er  drängen 
In  seinem  Innern  voller  Macht: 
Ein  Knösplein  sieh  die  Rinde  sprengen 
Beim  Zaiiberruf  der  Sommernacht. 

Und  voller  wird's  von  Stund'  zu  Stunde; 
Es  kreist  der  Saft  in  hefßem  Lauf. 
Da  geht  ein  Leuchten  durch  die  Runde, 
Da  geht  das  große  Wunder  auf. 

Viel  süßer  als  die  Südlandsrose. 
Und  leuchtender  als  Lilienpracht 
Im  Mondlicht  blüht  die  makellose. 
Die  Königin  der  Wüstennacht. 

Doch  wirren  Spiels  beim  Morgengrauen 
Durchs  Wüstenland  die  Dolde  treibt, 
Verschrumpft  und  trostlos  anzuschauen 
Das  stachlichte  Gerippe  bleibt. 

Nur  duftig  haftet  im  Gemüte 
Das  Märchen  seiner  kurzen  Pracht, 
Bis  wieder  einst  die  Wunderblüte 
Sich   öffnen  mag  der   Sommernacht. 

Dem  Föhrenrauschen  der  kalifornischen  Sierra  Nevada  lauschend,  schrieb^ 
der  Pfarrer  Johann  W.  Theiß  folgendes  Gedicht : 

Horch!  —  Der  Föhrenwipfel  Sausen; 
Lauter  wird's,  wie  Meeresbrausen; 
Dann  erstirbt  der  Wind,  und  leise 
Säuseln  sie  wie  Schlummerweise. 

Wieder  kommt  der  Klang  gezogen, 
Schwellend  wie  des  Meeres  Wogen; 
Wieder    klingt    ihr    Gruß    in    trauten 
Wonnevollen  Flüsterlauten. 

Wieviel   tausendmal   die  schöne 

Reihenfolge  dieser  Töne 

Wohl   die  Wipfel  schon  durchzogen,  -       - 

Seit  der  Schöpfungstag  verflogen?  i^  i 

Wieviel   tausendmal   beim  Fliehen 
Der  Jahrhunderte  wird  ziehen 
Dieser  Laut  durch  Millionen 
Föhrenwipfel,   Nadelkronen? 


—     477     — 

Einer  nur  verniag"s  zu  sagen, 
Der  vernimmt  der  Schöpfung  Klagen, 
Der  vernimmt  der  Schöpfung  Loben 
In  den  heil'gen  Höhen  droben. 

Und  an  den  Gestaden  des  Atlantischen  Ozeans  wurde  Gustav  Rom 
m  e  1  zu  folgenden  Versen  angeregt : 

Wie  Aolsharfen-Säuseln 
Bebt's  durcTi  den  Lorbeerhain. 
Die  Azurwogen  kräuseln 
Sich  sanft  im  Abendschein. 
Wie  Gold  und  Demant  flimmert 
In  ros'ger  Glut  das  Meer, 
Im  Purpurglühlicht  schimmert 
Der  Wellen  endlos  Heer. 
Sie  wandern,  rollen,  wallen 
Zum  grünen  Ufersaum; 
Sie  prallen  an  und  fallen 
Zurück  als  Silberschaum. 
Bald  gleicht's  dem  süßen  Kosen 
Von  Bräutigam  und  Braut, 
Bald  wird's  zu  wildem  Tosen, 
Vor  dem  der  Seele  graut. 
Jetzt  spielend,   buhlend,  minnend 
Wirbt  fromm  der  Ozean, 
Dann  stürmt  er,  Unheil  sinnend, 
In  Heeressäulen  an. 


So    währt    schon    manch    Jahrtausend 
Krieg  zwischen   Strand   und   See, 
Als  gärt,  am  Abgrund  brausend, 
Uraltes  Leid  und  Weh. 
Ein  uralt  Lieben,  Leiden, 
Dem  keine  Werbung  frommt, 
Ein  ewig  Sehnen,  Meiden, 
Das  nie  zur  Ruhe  kommt. 

Die  überwältigende  Farbenglut  des  amerikanischen  Herbstes,  des  soge- 
nannten „Indianersommers",  besangen  Ferdinand  Hundt,  Julius 
Hoffmann  und  UdoBrachvogel.  Der  letzte  wurde  dieser  schwierigen 
Aufgabe  folgendermaßen  gerecht: 

Den  Hügel  noch  empor,  mein  wackres  Tier, 
Dort  lichtet  sich  der  Wald,  dort  halten  wir  — 
Fühlst  du  den  Sporn?    Hinan  mit  flüchfgen  Sätzen! 
Schon  schließt  sich  hinter  uns  die  Tannennacht; 
Frei  schweift  der  Blick  —  ha,  welche  Farbenpracht! 
Erschloß  sich  Scheher'zadens  Märchenpracht, 
Rings  alles  zu  bestreu'n  mit  ihren  Schätzen? 


478 


Der  Himmel  leuchtet,  ein  saphirner  Schild; 

Es  strahlt  an  ihm  die  Sonne  hehr  und  mild, 

Nicht  tödlich,  nein,  nur  schmeichelnd  allem  Leben. 

Am  fernen  Horizonte  rollt  der  Fluß; 

Jedwede  Wog"  umspielt  des  Mittags  Kuß, 

Sie  bebl  und  zittert  unter  ihm,  —  so  muß 

Die  Braut  am  Herzen  des  Ersehnten  beben. 

Und  schimmernd  liegt  das  Tal,  wie  Mosaik, 
Wie  reicher  es  und  blendender  dem  Blick 
Noch  niemals  unter  Künstlers  Hand  entglommen. 
Hin  strömt  es  zwischen  dunklem  Braun  und  Grün 
Gleich  Flammen,  die  aus  Goldtopasen  sprühn. 
Gleich  Purpurmänteln,  die  um  Schultern  glühn 
Von  Königen,  die  von  der  Krönung  kommen. 

Der  Ahorn  lodert,  wie  im  Morgenhauch 

Einst  Moses  brennen  sah  den  Dornenstrauch, 

Gefacht  von  unsichtbarer  Engel  Chore. 

Dort  rankt  sich's  flimmernd  und   verzweigt  sich's   bunt, 

Wie  die  Koralle  auf  des  Meeres  Grund, 

Und  drängt  sich  um  das  silberfarbne  Rund 

Des  Stamms  der  königlichen  Sykamore. 

Und  einsam  ragt  und  priesterlich  zumal 

Die  Lorbeereiche  aus  dem  Bachanal 

Von  Licht  und  Glanz,  von  Farben  und  von  Gluten. 

Doch  auch  von  ihrer  dunkeln  Äste  Saum, 

Aus  ihrer  Krone  tropft  wie  Purpurflaum 

Die  wilde  Reb';  es  ist,  als  ob  der  Baum 

Sein  Herz  geöffnet  habe,  zu  verbluten. 

Das  Eichhorn  springt.     Es  lockt  mit  tiefem  Klang 

Der  Tauber  seine  Taube  nach  dem  Hang, 

Wo  überrreich  sich  Beere  drängt  an  Beere. 

Die  Drossel  stimmt  ihr  schmelzend  Tongedicht, 

Der  Falter  badet  sich  im  Sonnenlicht, 

Und  aus  der  Sumachbüsche  Scharlach  bricht 

Das  dunkle  Reh,  des  Waldes  Bajadere. 

,,Und  dies  ist  Herbst?    So  sterben  Wald  und  Flur? 

Wie  ist  dann  das  Erwachen  der  Natur, 

Wenn  noch  ihr  Tod  sich  hüllt  in  solches  Leben?"  — 

So  ringt  sich's  von  des  Reiters  Lippe  los,  — 

Da  rauscht's  ihm  Antwort  aus  des  Waldes  Schoß  — 

Ein  Windstoß  braust  heran  und  noch  ein  Stoß, 

Und  läßt  das  Meer  von  Blättern  niederbeben. 

Rings  quillt  es  plötzlich  auf,  wie  Schleierflug, 
Schneewolken  weh'n  daher  in  dichtem  Zug, 
Von  Norden  pfeift's,  und  trübe  wird's  und  trüber. 


—     479     — 

Der  Taube  Ruf  verstummt:   ein   Büchsenknall, 
Im  Blute  liegt  das  Reh,  und  in  dem  Fall 
Der  Blätter  rauscht's  wie  leiser  Seufzerhall: 
Noch  eine  Nacht,  und  alles  ist  vorüber! 

Der  Reiter  fröstelt  in  des  Nordwinds  Hauch, 

Er  ruft:    ,,Und  dennoch  ist  dies  Tod,  ob  auch 

Gleich  Hochzeitskleidern  prangt  sein  Leichenlinnen. 

So  stirbt  ein  Tag  im  reichsten  Abendrot, 

So  küßt  die  Lippen  einer  Braut  der  Tod, 

So  fühlt  ein  Jüngling,  rings  vom  Feind  bedroht, 

Aus  Wunden  tausendfach  sein  Herzblut  rinnen!"  — 

Den  majestätischen  Niagara  priesen  Franz  Lieber,  Kaspar  Butz, 
Heinrich  Ficl^,  Frank  Silier  und  Mathias  Rohr.  Michael 
Lochemes  schloß  sich  mit  folgenden  Versen  an : 

Es  rasen  die  Wasser  dahin  mit  Macht, 

Sich  bäumend  wie  Rosse  bei  nahender  Schlacht, 

Wo  über  der  Felsen  granitnem  Wall 

Hinab  sie  tosen  in  jähem  Fall.  — 

Und  Wogen  auf  Wogen  jagen  heran, 

Ziehn  schäumend  und  zischend  die  wallende  Bahn; 

Doch  alle  nach  kurz  vollendetem  Lauf 

Nimmt  gähnend  die  dunkle  Tiefe  auf. 

Und  sendet  in  Wolken,  so  weiß  wie  Schnee, 

Die  sprühenden  Tropfen  zurück  zur  Höh'.  — 

Mit  verhaltenem  Atem  der  Wandrer  lauscht, 
Wie  der  mächt'ge  Choral  in  den  Tiefen  rauscht. 
Der,  seit  die  Welt  aus  dem  Nichts  entsprang. 
Zu  Gottes  Preis  durch  die  Wildnis  klang 
Und,  bis  die  Welt  in  Trümmer  geht, 
Fortklingt  in  gewalt'ger  Majestät. 

Echte  Urwaldspoesie  durchweht  die  Lieder  und  Skizzen  von  Wilhelm 
Dilg,  Karl  de  Haas,  Georg  Giegold  und  Joseph  Grahamer. 
Eduard  Dorsch,  einer  der  gemütvollsten  deutschamerikanischen  Dichter, 
entwarf  das  folgende  Gemälde : 

Der  Menschen  Hütten  liegen  hinter  mir, 

Die  winz'gen  Plätze,  wo  die  Axt  gelichtet; 

Vor  mir  der  Wald  in  seiner  vollen  Zier 

Und  Stamm  an  Stamm  zum  Himmel  aufgerichtet. 

Kein  Sonnenstrahl  ist  kräftig  da  genug. 

Daß  er  durch  diese  Nacht  von  Blättern  dränge. 

Noch  ist  geschmiedet  nicht  der  starke  Pflug, 

Der  dieser  Bäume  Lebenskraft  bezwänge. 


—     480     — 

Kein  abgestorbner  Baum  fällt  hier  zum   Grund, 

Ihn  stützen,  immer  rüstig,  die  Genossen; 

Sein  Tod  wird  selbst  den  Nachbarn  oft  nicht  Ivund, 

Denn  ihn  ersetzen  seine  kräft'gen  Sprossen. 

Die  wilde  Rebe  schlingt  die  Ranken  noch. 

Die  weitverschlungnen,  um  die  morsche  Leiche, 

Und  die  Trompetenblume  blühet  doch, 

Ist  auch  vom  Blitz  zerschellt  ihr  Stab,  die  Eiche. 

Von  Schilf  und  Silberweiden  eingefaßt 

Schlingt  sich  durchs  Dickicht  dort  des  Baches  Faden, 

Der  Kranich  ist  sein  oftgeseh'ner  Gast, 

Von  reicher  Beute  allezeit  geladen. 

Brüllfrosch  und  Unke  lassen  abendlich 

Ihr  Lied  ertönen  aus  des  Wassers  Schöße, 

Und  oben  auf  der  Fläche  tummeln  sich 

Die  wilde  Ente  und  die  Wasserrose. 

Wie  friedlich  rings  und  wie  unendlich  reich 
An  mannigfaltig  wechselnden  Gestalten! 
Was  kommt  an  Schönheit  dir,  Natur,  wohl  gleich, 
Wenn  du  vor'm  Menschenaug'  dich  willst  entfalten! 
Wie  klingt  es  lieblich,  wenn  die  Melodien 
Von  tausend  Vögeln  durch  die  Lüfte  schallen. 
Wie  liegt  das  Herz  andächtig  auf  den  Knien, 
Wenn  hoch  im  Blau  der  Bäume  Wipfel  wallen! 

Urwald,  oh,  nimm  mich  auf  in  deinen  Schoß, 
Laß,  wie  ein  Kind,  mich  Schmetterlinge  haschen. 
Und  dein  Getier,  auf  deinem  Bett  von  Moos 
Mit  neubegier'gen  Augen  überraschen. 
Die  Träne  fächle  mir  vom  Angesicht, 
Die  manchmal  ich  vergangner  Zeit  noch  weine, 
Und,  ist  mein  Auge  wieder  klar  und  licht. 
Dann  leih'  zu  einem  Haus  mir  Holz  und  Steine. 

Wenn  der  Orkan  dann  durch  die  Bäume  fegt, 

Geheime  Zwiesprach'  mit  der  Welt  zu  halten. 

Wenn  donnernd  hier  die  Eiche  niederschlägt, 

Und  dort  die  Erde  klafft  in  weiten  Spalten: 

Einstimmen  will  ich  dann  in  gleichem  Ton, 

Will  die_  Natur  in  meine  Reime  zwingen. 

Ein  grimmes  Lied  der  Revolution  '    •    ■ 

Und  einen  Hymnus  auf  die  Freiheit  singen! 

Das  tragische  Geschick,  dem  die  roten  Urbewohner  Amerikas  verfielen, 
:timmte  Rudolf  Puchner  zu  folgendem  Gesang : 

Goldne  Blüten  schwanken  lässig  wie  im  Traume 
Langsam  hin  und  her  am  flachen  Ufersaume, 
Und  im  Westen  in  der  Sonne  heil'gen  Gluten 
V/iil  des  Abends  Seele  langsam  sich  verbluten. 


—     481     — 

Fernhin  auf  des  Wassers  rotbemaltem  Spiegel 
Ziehen  Möwen;  wer  hält  dort  am  scharfen  Zügel 
Wohl  sein  Roß?    Vom  stolzen  Stamm  der  Chippewäer 
Ist's  der  Krieger  einer,  einer  ihrer  Späher. 
Sieht  er  aus  nach  einem  seiner  frühern  Feinde, 
Die  sein  Blick  oft  mit  dem  finstern  Tod  vereinte, 
Wenn  er,  dem  der  Haß  in  seinem  Herzen  brannte, 
Seine  Pfeile  in  die  Brust  des  Feindes  sandte? 

Fern  im  Westen  ist  die  Sonne  jetzt  gesunken, 
Deren  Strahlen  kaum  die  Erde  noch  getrunken; 
So  versank  auch  dir  im  dunklen  Reich  der  Sagen 
Alles,  was  du  einst  in  deiner  Hand  getragen. 

Sieh,  so  weit  hier  westwärts  unsre  Blicke  reichen, 
Fernhin,  alles  trug  einst  deines  Stammes  Zeichen; 
Und  wenn  du  den  Streit  nach  fernen  Gauen  führtest, 
Dein  war  alles,  alles,  was  du  nur  berührtest! 

Leise,  wie  die  Winde  durch  die  trocknen  Halme  gehen, 
Fühltest  alles,  was  dich  schmückte,  du  verwehen. 
Wie  die  Sonne  dort,  vom  hellen  Purpur  trunken, 
Ist  dein  Glück,  dein  Stolz  —  ist  deine  Macht  versunken. 

Der  gleichfalls  zu  den  „Achtundvierzigern"  zählende  Rheinpreuße 
Gustav  Brühl,  der  als  Arzt  und  Gelehrter  in  Cincinnati  lebte,  behandelte 
mit  Vorliebe  geschichtliche  Stoffe  in  seinen  Dichtungen.  So  machte  er  beispiels- 
weise das  von  dem  edlen  Pastorius  entworfene,  den  Wein,  Lein  und  Webeschrein 
zeigende  Ortssiegel  von  Germantown  zum  Gegenstand  folgender  Dichtung : 

Sie  sind  nicht  tot  —  nach  weisem  Rat 
Schickt  Gott  zuweilen  noch  Propheten, 
Zu  zeigen  ihrem  Volk  den  Pfad, 
Den  es  zum  Heile  soll  betreten. 

Nur  wer  des  Volkes  Tiefen  kennt, 
Erfreut  sich  dieser  Wundergabe, 
Daß  er  sein  künftig  Los  ihm  nennt, 
Als  schuf  er's  mit  dem  Zauberstabe. 

So  war  es  jenes  Lichtes  Blick, 
Der  Germantown  ersann  sein  Siegel, 
Der  ihm  verkündet  sein  Geschick 
Und  hell  erschloß  der  Zukunft  Spiegel. 

Doch  nicht  der  deutschen  Stadt  allein, 
Der  ersten,  die  einst  hier  erstanden  — 
Es  sollte  Prophezeiung  sein 
Dem  ganzen  Deutschtum  dieser  Landen. 

Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika.  31 


—    482    — 

Wie  sinnig  „Wein,  Lein,  Webeschrein". 
Ja,  Frohsinn,  Ackerbau,  Gewerbe, 
Das  soll  der  Deutschen  Banner  sein. 
Das  ihr  Symbol,  ihr  stolzes  Erbe! 

Sie  sollen  ihre  heitre  Lust 
Ins  starre  Yankeeleben  tragen. 
Froh  soll  ihr  Herz  in  freier  Brust 
Nach  echter  deutscher  Weise  schlagen. 

Mit  Reben  soll  der  Hände  Fleiß 
Die  waldumkränzten  Hügel  krönen, 
Und,  kosten  sie  der  Traube  Preis, 
Ihr  Lied  das  stille  Tal  durchtönen. 

Die  Axt,  der  Spaten  und  der  Pflug, 
Sie  seien  ihre  Lieblingswaffen, 
Den  Urwald,  drin  der  Wilde  schlug 
Sein  Zelt,  in  Gärten  umzuschaffen. 

Auch  in  der  Werkstatt  soll  die  Hand, 
Die  ems'ge,  sich  geschäftig  rühren, 
Und,  an  die  Arbeit  festgebannt, 
Den  Hammer  und  die  Spule  führen; 

Soll  leiten  der  Paläste  Bau, 

Der  Brücken,  die  das  Dampfroß  tragen, 

Der  Dome,  die  ins  Atherblau 

Mit  ihren  stolzen  Türmen  ragen! 

So  ist's  geschehn  —  ihr  edles  Ziel 
Verhieß  den  Deutschen  jenes  Wappen, 
Im  heitern  und  im  ernsten  Spiel 
Fand  sie  das  Leben  treu  als  Knappen. 

Sie  haben  redlich  mitgebaut 
Am  Landeswohl,  an  seinem  Glücke, 
Wie's  klar  der  Führer  einst  erschaut 
Mit  gottbegabtem  Seherblicke. 

Wilhelm  Müller  schildert  das  mühsame,  des  großen  Zuges  aber 
nicht  entbehrende  Dasein  des  deutschen  Ansiedlers. 

Ich  sah  dich  im  Regen  und  Sonnenbrand, 

Im  Kampf  mit  der  Wildnis  Gewalten, 

Die  Steppen  des  Westens  mit  schwieliger  Hand 

Zum  blühenden  Garten  gestalten. 

Wo  jagend  der  Yuma  durchstreifte  das  Moor, 

Da  sproßte  dir  goldener  Weizen  empor. 

Ich  hörte,  vom  laub'gen  Dach  überspannt. 
Dich  reden  von  heiligen  Rechten, 


—     483     — 

Und  was  du  als  lautere  Wahrheit  erkannt, 
Mit  kernigen  Worten  verfechten; 
Und  wenn  deine  Rede  des  Glanzes  entbehrt, 
Nie  fehlte  ihr  Kraft  und  der  innere  Wert. 

Oft  hast  du  im  ärmlichen  Werktagskleid 

Den  Frevler  am  Frieden  gerichtet; 

Und  redlichen  Sinnes  durch  klugen  Entscheid 

Den  Hader  der  Nachbarn  geschlichtet; 

Und  war  auch  der  Römer  Gesetz  nicht  zur  Hand, 

Dir  sagte  was  Rechtens,  dein  klarer  Verstand. 

Und  wie  seine  Brut  der  erzürnte  Aar 

Befreit  vom  verfolgenden  Schwärme, 

So  hast  du  gerettet  aus  Not  und  Gefahr 

Die  Deinen  mit  schützendem  Arme. 

Und  wenn  es  die  Rothaut  zu  züchtigen  galt, 

Erlag  deiner  Büchse  die  Axt  von  Basalt. 

Oft  fragte  ich  staunend:    ,,Ist  dies  der  Mann, 

Den  Armut  zum  Westen  getrieben? 

Der  zagend  des  Elends  erdrückendem  Bann 

Entflohn  mit  den  weinenden  Lieben? 

Der  Mann,  der  hier  schaltet  mit  Wort  und  mit  Tat, 

Im  Kampfe  ein  Held  und  ein  Weiser  im  Rat?" 

Wohl  bist  du  derselbe,  doch  stolz,  wie  der  Baum 

Zum  Himmel  erhebt  seine  Krone, 

Wenn  man  ihn  verpflanzt  in  sonnigen  Raum 

Aus  rauher,  unwirtlicher  Zone, 

So  reifte  der  Freiheit  erwärmender  Schein, 

Was  menschlich  in  dir  und  was  edel  und  rein.  — 

Die  Bekanntschaft  eines  echt  modernen  deutschen  Kulturpioniers  vermittelt 
uns  Konrad  Nies  in  seiner  fonnvollendeten  Dichtung  „Unter  texanischer 
Sonne". 

Texanischer  Frühling  durchs  Bergland  ging. 
Ein  Weben  und  Wogen  den  Wald  umfing. 
.  .  .  Dem  deutschen  Siedler  ritt  ich  zur  Seit' 
Durch  die  weite,  blühende  Einsamkeit. 

Er  hatte  einst  drüben  das  Schwert  geführt, 
Eh'  texanischen  Grund  sein  Fuß  berührt. 
Noch  hatte  das  Tagwerk  des  Rangers  nicht 
Den  Adel  geraubt  dem  Rassengesicht. 

In  seinem  Auge,  das  blau  und  tief. 
Ein  Abglanz  versunkener  Sonnen  schlief; 
Aus  Stirn  und  Nacken,  gebräunt  und  breit. 
Sprach  unverwüstliche  Vornehmheit. 

31* 


—     484    — 

Seit  zwei  Jahrzehnten,  der  Freiheit  Sohn, 
Hatt'  er  die  Wildnis  gezwungen  zur  Fron, 
Und  hatte  sein  Feld  wie  die  andern  bestellt. 
.  .  .  Doch  abseits  von  ihrer  lag  seine  Welt.  — 

. . .  Die  Pferde  hielten  ...  am  Waldesrand 
Erschimmerte  saatgrünes  Ackerland, 
Das,  frisch  gerodet,  entbrochen  dem  Hag, 
Inmitten  der  wuchernden  Buschwelt  lag. 

. .  .  ,,Mein  letztes  Werk,"  —  er  lächelte  fein 
Und  wies  in  die  keimende  Saat  hinein. 
,, —  Vor  wenig  Monden  . . .  drei  oder  vier  .  .  . 
War  alles  noch  Urwald  und  Wildnis  hier! 

Das  lockte  zur  Axt  —  und  manchen  Tag 
Gab's  schwere  Arbeit,  doch  Schlag  auf  Schlag 
Wich  Baum  um  Baum,  und  Busch  und  Dorn. 
.  .  .  Nun  keimt  schon  fröhlich  das  erste  Korn. 

...  Es  ist  ja  nichts  Großes,  was  man  getan. 
Ich  rechne  mir  sicher  nicht  hoch  es  an  .  .  . 
. . .  Und  dennoch,  es  ist  —  wie  dem  auch  sei  — 
Ein  Stückchen  Schöpferfreude  dabei  .  .  ." 

Und  plötzlich  über  die  Stirne  ihm  schoß 

Ein  leichter  Schatten,  als  leise  er  schloß: 

„.  .  .  So  macht  man  der  Zukunft  die  Wege  klar, 

Und  lernt  vergessen,  was  einmal  war." 

...  Er  spornte  sein  Tier ...  In  leichtem  Trab 

Wir  ritten  den  steinigen  Weg  hinab 

Und  sahen  den  wandernden  Wolken  nach, 

Als  plötzlich  von  —  Friedrich  Nietzsche  er  sprach. 

Er  hatte  des  Umwerters  Wahn  erschaut 
Und  eigene  Werte  sich  aufgebaut. 

—  Und  was  er  davon  mir  offenbart 
War,  wie  das  Land  rings  von  großer  Art. 

Und  wie  er  so  ritt  durch  das  Sonnenlicht, 
So  stolz  und  stark,  so  rauh  und  schlicht. 
War  mir's,  als  wehe  um  Baum  und  Strauch 
Vom  echten  Übermenschen  ein  Hauch. 

. .  .  Und  lächelnd  dacht  ich  der  faselnden  Schar 
Mit  rollendem  Aug'   und  fliegendem   Haar, 
Die  hinterm  Ofen  weltwichtig  krähn. 
Und  übermenschelnd  in  Sprüchen  sich  blähn. 

—  Wie  anders  reift,  als  in  Sprüchen  und  Buch, 
Das  Leben  bei  Axthieb  und  Erdgeruch! 

. . .  Und  tief  im  texanischen  Sonnenschein, 
Sprengten  wir  beide  wegfröhlich  landein. 


—     485     — 

Dem  bittern  Unmut  über  die  von  ruchloser  Habgier  verschuldete  Ver- 
wüstung der  amerikanischen  Wälder  verlieh  Nies  in  seiner  berühmten  Dichtung 
„Die  Rache  der  Wälder"  energischen  Ausdruck, 

Des  Nachts,  wenn  die  Sonne  im  Meer  entschwand 

Und  die  Wolken  im  Sturme  jagen, 

Da  geht  in  den  Lüften  ein  Brausen  durchs  Land, 

Wie  geächteter  Rechte  Klagen. 

Aus  den  Catskills  kommt's,  wo  die  Eichen  weh'n, 

Aus  Pennsylvaniens  Gebreiten, 

Von  den  Tannen  an  Minnesotas  Seen, 

Aus  Texas'  waldigen  Weiten, 

Aus  den  Föhren  und  Fichten  bricht  es  hervor 

In  Colorados  Gesteinen, 

Aus  den  Rotholzriesen  am  Goldenen  Tor, 

Aus  den  Zedern  in  Floridas  Hainen. 

Aus  Ost  und  West,  aus  Süd  und  Nord, 

Durch  Klüfte  und  Felsen  und  Felder 

Erschwillt  er  im  donnernden  Sturmakkord  — 

Der  Racheruf  der  Wälder! 

Wir  wuchsen  und  wachten  viel   tausend  Jahr' 

Bei  der  Wildnis  rotem  Sohne; 

Wir  boten  ihm  Obdach  und  Waffe  dar, 

Und  Liebe  ward  uns  zum  Lohne. 

Wir  sproßten  in  Frieden,  wir  grünten  in  Ehr', 

Wir  schützten  und  schirmten  die  Lande. 

Da  brachen  die  Bleichen  waldein  übers  Meer 

Und  lösten  die  heiligen  Bande. 

Sie  danken  uns  Heimat,  sie  danken  uns  Herd, 

Die  Bleichen,  die  Feigen,  die  Feinen, 

Doch  danklos  verwüsten,  von  Habgier  verzehrt. 

Das  Mark  sie  von  Wäldern  und  Hainen! 

Uns  Hüter  des  Hochlands,  uns  Wächter  der  Seen, 

Der  Vorzeit  heilspendende  Erben, 

Sie  fällen  uns  herzlos,  in  frevlem  Vergehn, 

Um  Haufen  von  Gold  zu  erwerben; 

Doch  eh'  wir  zerbrochen,  als  lebloses  Gut, 

Der  Habsucht  uns  fügen  zum  Dache, 

Hört,  Sturm,  uns,  und  Erde  und  Feuer  und  Flut, 

Euch  rufen  herbei  wir  zur  Rache! 

Ihr  seid  uns  Genossen  seit  ewiger  Zeit; 

Die  Urkraft,  euch  lieh  sie  die  Waffen, 

Drum  sollt  ihr  Vergeltung  im  rächenden  Streit 

Am  Werke  der  Menschen  uns  schaffen. 

Was  immer  gezimmert  aus  unserm  Gebein, 

Der  Städte  Getürm  und  Gemäuer, 

Reiß  es  ein.  du,  o  Sturm,  reiß  es  ein.  reiß  es  ein! 

Verzehre  in  Flammen  es,  Feuer! 

Die  Brücken  der  Ströme,  die  Schiffe  im  Meer, 

Mit  unserem  Herzblut  errichtet. 


—    486    — 

Verschling  sie,  o  Flut,  bis  Welle  und  Wehr 

Verstrudelt,  verstrandet,  vernichtet! 

Verschütte,  o  Erde,  du  Mine  und  Schacht, 

Die  unserem  Schöße  entragen!  .  .  . 

Auf!  auf!    Ihr  Genossen  der  Nacht,  zur  Schlacht, 

Bis  die  Werke  der  Menschen  zerschlagen!  .  .  . 

So  hallt  es  und  schallt  es  im  nächtlichen  Chor 

Durch  Klüfte  und  Felsen  und  Felder, 

Vom  Hudson  landein  bis  zum  Goldenen  Tor: 

Der  Schrei  der  geächteten  Wälder.  — 

Und  täglich  und  stündlich  erstarrt  uns  das  Blut, 

Wenn  neu  uns  die  Kunden  umwogen. 

Daß  Sturmwind  und  Erde,  daß  Feuer  und  Flut 

Die  Rache  der  Wälder  vollzogen. 

Aber  auch  Töne  tiefster  Herzinnigkeit  standen  deutschamerikanischen 
Dichtern  zu  Gebote,  wenn  es  galt,  häusliches  Glück,  die  behagliche  Wärme  des 
eignen  Herdes,  den  Wert  echter  Weiblichkeit  zu  preisen.  Heinrich  A.  Biel- 
f  e  1  d ,  der  im  „Deutschamerikanischen  Athen",  in  Milwaukee,  lebte  und  starb, 
weihte  der  Mutterliebe  folgende  Strophen: 

Mutterliebe  dauert  immer, 
Sie  ist  rein,  von  echtem  Gold, 
Ohne  Prunk  und  ohne  Schimmer, 
Stilles  Blümchen  Wunderhold. 
Oh,  der  süßen  Mutterliebe! 

Wenn  mir  je  ein  Lied  gelang, 

Das  aus  innerm  Herzensdrang, 

Das  nicht  bloß  dem  Hirn  entsprang, 
Sei's  ein  Lied  der  Mutterliebe. 

Mutterliebe,  zart  und  innig. 
Ohne  Rast  und  ohne  Ruh, 
Immer  tätig,  immer  sinnig. 
Nie  die  Herzenskammer  zu. 
Oh,  der  süßen  Mutterliebe! 

Gibt  es  einen  Erdenpreis? 

Ein  unsterblich  Lorbeerreis? 

Vater,  Gatte,  Sohn  und  Greis, 
Reichet  es  der  Mutterliebe! 

Mutterliebe!    Heil'ger  Frieden, 

Hohe  Wonne,  sel'ge  Lust! 

Was  an  Glück  uns  hier  bescliieden. 

Wohnet  in  der  Mutterbrust. 

Oh,  der  süßen  Mutterliebe, 

Die  da  stets  dieselbe  ist. 

Doch  sich  selber  stets  vergißt. 

Wo  der  Mann,  der  dich  ermißt, 
Reine,  süße  Mutterliebe? 


—     487     — 

Mutterliebe,  Mutterplage! 

Mutterfreude.  Mutterschmerz ! 

Heil  dem  Kind,  das  keine  Klage 

Dir  entrissen,  Mutterherz! 

Oh,  der  süßen  Mutterliebe, 

Die  an  deiner  Wiege  wacht, 

Mit  dir  weinet,  mit  dir  lacht, 

Für  dich  sorget  Tag  und  Nacht!  — 

Sei   uns  heilig,  Mutterliebe! 

Seiner  das  Grau  des  Alltagslebens  veredelnden  Genossin  weihte  der  in 
weltabgeschiedener  Pfarrei  wohnende  Alfred  Walter  Hildebrandt 
folgenden  Lobgesang: 

Du  schrittest  über  meine  Schwelle, 

Die  Diele  war  geflickt  und  rauh; 

Doch  Stub'  und  Herz  ward  licht  und  helle 

Als  du  erschienst,  geliebte  Frau. 

Die  Heimchen,  die  verstummt  am  Herd  gesessen, 
Sie  grüßten  uns  mit  frohem  Zirpereim, 
Und  als  zusammen  wir  das  Mahl  gegessen, 
Ward  mir  das  Haus  verwandelt  in  ein  Heim. 

Du  weißt  doch  noch?    Wir  schritten  beide 
Erregt  durchs  überschneite  Land. 
In  süßer  Lieb  und  herbem  Leide 
Sich  willig  Hand  und  Lippe  fand. 

Wohl  war's  ein  Kämpfen  und  ein  Streiten, 
Bergauf,   bergab  ging  unser  Pfad; 
Doch  immer  war's  ein  Vorwärtsschreiten 
Mit  Dir,  mein  guter  Kamerad. 

In  breiten  Straßen  und  in  engen  Gassen 
Bliebst  Du  an  meiner  Seite  treu  und  dicht. 
Und  fühlt  ich  mich  von  aller  Welt  verlassen. 
Von  dir  verlassen  fühlt'  ich  doch  mich  nicht. 

Das  dank  ich  Dir!     Du  hast  gegeben 
Nicht  nur  den  Sinnen  flücht'gen  Rausch, 
Du  gabst  Dein  Herz  zum  Liebesleben, 
Ich  gab  Dir  meins  in  sel'gem  Tausch. 

Verlodert  ist  uns  nicht  der  Liebe  Feuer, 
Der  heiligen,  ob  auch  die  Jugend  schied; 
Am  trauten  Herd  sing'  ich  in  ewig  neuer 
Verehrung  Dir,  mein  Weib,  ein  Liebeslied. 

Und  die  geistreiche  Dichterin  Edna  Fern  (Frau  Fernande 
Richter)  in  St.  Louis  gewährt  einen  Einblick  in  die  Seligkeit  der  Liebe  in 
folgenden  schönen  Versen: 


—    488     — 

In  dein  Augenblick  der  größten  Wonne 
Hielt  ich  meine  Augen  fest  geschlossen; 
Und  da  war  es  mir,  als  ob  die  Sonne 
Golden  hätt'  dein  Angesicht  umflossen; 

War  es  mir,  als  ob  ein  Kranz  von  Blüten 
Das  geliebte  Haupt  dir  hätt'  umgeben; 
War's,  als  ob  sich  zarte  Hände  mühten, 
Uns  ins  Grenzenlose  aufzuheben. 

In  der  weiten  Ferne,  fast  verloren, 
Wundersüße  Melodei  ertönte: 
Ewigkeit  war's,  die  uns  selige  Toren 
Unter  Sonnenschein  mit  Blüten  krönte. 

Und  der  freudige  Stolz  über  das  eigene  Kind  kann  schwerlich  schöner 
zum  Ausdruck  kommen  als  in  Hermann  H  u  ß'  „Sigelind". 

Was  blitzt  dort  fern  auf  hohem  Pfad 
U'nd  naht  sich  pfeilgeschwind? 
Ich  wett"  den  Kopf,  es  kommt  zu  Rad 
Nach  Hause  Sigelind. 

Ein  flinker  Punkt,  ein  Zitt^^trahl 
Erschien  es  nur  vorhin; 
Jetzt  saust  es  jäh  herab  ins  Tal, 
Als  Roß  und  Reiterin. 

Sie  ist's!     Ich  seh's  am  weißen  Hut 
Und  himmelblauen  Kleid, 
Noch  mehr  am  frischen  Wagemut 
In  Wegesfährlichkeit. 

Jetzt  schwindet  sie  im  Grund  dem  Blick, 
Jetzt  taucht  sie  wieder  auf, 
Fährt  jede  Kurve  mit  Geschick 
Bei  ungehemmtem  Lauf. 

Im  Nu  ist  sie  der  Brücke  nah. 
Jetzt  fliegt  sie  um  den  See, 
Noch  ein  Moment  und  sie  ist  da,  — 
Dort  bringt  sie  die  Allee. 

Im  Takte  hebt  sich  Knie  um  Knie, 
Und  emsig  kreist  der  Fuß, 
Mit  straffen  Armen  steuert  sie 
Den  vogelschnellen  Schuß. 

Wie  frei  das  Amazönchen  sitzt, 
Wie  leicht  und  schnurgerad! 
Wie  hell  ihr  Auge  strahlt  und  blitzt, 
Nun  jubelnd  sie  mir  naht! 


—     489     — 

Ein  Lichtgebild!     Ihr  reiches  Haar 
Weht  sonnengoldig  im  Wind 
Ein  Diadem  nur  fehlt,  fürwahr, 
Prinzeßchen  Sigelind. 

Ein  Augentrost,  ein  Sonnenstrahl! 
Lust,  Freude,  Jugendglück, 
Wie  perlender  Wein  im  Goldpokal, 
Erglüht  in  ihrem  Blick. 

Noch  in  Bewegung,  springt  gewandt 
Und  sicher  sie  zur  Erd; 
Und  wie  sie  schiebt  zum  Straßenrand 
Das  blinkende  Gefährt: 

,,Papa,  da  bin  ich,"  ruft  sie  hell, 
,,lch,  deine  Sigelind!" 
Ich  aber  flieg'  und  nehme  schnell 
Ans  Herz  mein  liebes  Kind. 

Georg  Asmus,  dem  Verfasser  des  berühmten  „Amerikanischen 
Skizzebüchelche",  verdankt  man  die  beiden  folgenden,  in  hessischer  Mundart 
gehaltenen  Dichtungen  „Mainacht"  und  „Im  Dörfche". 

In  dunkelfeuchter  Maienacht, 

Leuchtkäferche  nur  glüht; 

Verstohle  noch  manch  Herzche  wacht; 

Was  blühe  kann,  das  blüht. 

Und  's  Mädche  unnerm  Flieder, 

Da  drin  ein  Hänftling  baut. 

Drückt  sich  die  Hand  ans  Mieder 

Und  seufzt  enaus  halblaut: 

,,Ach,   wer   heint  en   Schatz   hätf!" 


Armselig  Dörfche,  was  biste  so  arm, 

Die  Häuscher,  die  Scheuern,  daß  Gott  sich  erbarm! 

Die  Kühcher,  die  Geise  wie  mager  und  klein. 

An  de  Bäum  da,  das  müsse  Holzäppel  sein. 

So  dacht  ich  und  strich  durch  das  Dörfche  geschwind. 

Da  guckt  aus  em  Fenster  e  wundersam  Kind; 

Es  wäre  die  Haare  aus  Gold  ihr  gemacht. 

Die  Zähncher  von  Perle  unschätzbarer  Pracht; 

Die  Haut  war  von  Samniet,  die  Lippe  Rubin, 

Und  all  um  ihr  Köppche  Demantelicht  schien. 

Ei,  dacht  ich,  arm  Dörfche,  was  biste  so  reich, 

Is  das  e  Verschwendung,  sin  das  vor  Gebrauch! 

Und  wie  ich  am  Zaun  e  Blümche  mir  brach, 

Warf  blaue  Juwele  ihr  Blick  mir  noch  nach. 


—    490    — 

„Die  rote  Blume"  nannte  der  hochbegabte  George  Sylvester 
Viereck  in  New  York  einen  Sang,  der  für  seine  Dichtkunst  besonders  be- 
zeichnend ist. 

Es  war  in  den  Tagen,  den  Tagen  der  Rosen, 
Da  küßtest  von  Kummer  das  Herz  du  mir  frei! 
Jetzt  blühen  im  Garten  die  Herbstzeitlosen, 
Und  Herbstzeitlosen  bekränzen  uns  zwei: 
Gestorben  die  Liebe,  das  Glück  und  der  Mai, 
Und  kalt  ist  und  trostlos  ein  jeglicher  Ort, 
Die  Tage  der  Rosen  sind  längst  vorbei: 
Und  die  rote  Blume  ist  längst  verdorrt. 

Einst  wollte  allewig  die  Lippen  ich  küssen, 
Die  rot  wie  der  Mantel  der  Königin  sind; 
Einst  glaubt'  ich  allewig  dich  lieben  zu  müssen. 
Mein  traumschönes,  braunes,  liebreizendes  Kind. 
In  den  Kronen  der  Bäume,  da  raschelt  der  Wind, 
Er  trägt  in  die  Ferne  die  Blätter  hinfort. 
Die  Liebe  erstirbt  und  der  Sommer  verrinnt: 
Und  die  rote  Blume  ist  längst  verdorrt. 

Wir  haben  vom  Honig  der  Liebe  gegessen, 

Wir  haben  getrunken  den  Sonnenschein, 

Wir  haben  den  Schlüssel  zum  Garten  besessen, 

Wo  blühet  die  Blume  so  rot  wie  Wein. 

Da  stahl  ihn  ein  goldiges  Vögelein, 

Es  blieb  unsrer  Liebe  nicht  Zuflucht  noch  Hort, 

Es  herbstelt  da  drinnen  wie  draußen  im  Hain: 

Und  die  rote  Blume  ist  längst  verdorrt. 

Es  ändert  das  Schicksal  nicht  Elfe,  noch  Fei; 
Ich  finde  nie  mehr  das  erlösende  Wort; 
Nichts  zaubert  Vergangnes  wieder  herbei: 
Und  die  rote  Blume  ist  längst  verdorrt. 

Für  den  Philosophen  und  Fabeldichter  Hermann  R  o  s  e  n  t  h  a  1  ist  die 
folgende  Dichtung  charakteristisch: 

Der  Esel  sprach  zur  Nachtigall: 

,, Schon  lange  hör'  ich  überall 

Von  deiner  Kunst  die  rühmlichsten  Geschichten! 

Doch  trau'  ich  nicht  den  täglichen  Berichten. 

Laß  hören  deiner  Stimme  Klang 

Und  deinen  wunderlichen  Sang, 

Dann  will  ich  selber  richten!" 

Die  Nachtigall  begann  alsbald 

Ein  Lied  aus  tiefster  Seele. 

Es  drang  aus  voller  Kehle 

In  tausend  Trillern  durch  den  Wald. 


—    491     — 

Die  Vöglein  in  den  Zweigen 

Verharrten  still  in  Schweigen; 

Der  Schäfer  am  Waldessaume 

Stand  lange  wie  im  Traume.  — 

Und  als  der  Sang  zu  Ende  war 

Der  Esel  sprach:  ,,J — a,  das  ist  klar, 

Daß  dir's  nicht  mangelt  an  Talent, 

Daß  man  mit  Recht  dich  Säng'rin  nennt,  — 

Und  daß  du  in  der  Form  gewandt  bist. 

Doch  tut's  mir  leid, 

Daß  du  mit  unsrem  Hahn  nicht  bekannt  bist! 

Du  könntest  mit  der  Zeit, 

Hört'st  öfter  du  den  Meister  singen, 

Zur  Sängerin  des  Hofs  es  bringen."  — 

Der  in  New  York  dem  Lehrfach  obHegende  Deutsch-Österreicher  Joseph 
Winter  widmete  dem  Andenken  des  Dichters  Platen  folgende  Ode : 

Nächtlich  in  dem  stillen  Landhaus  liegt  der  edle  Dichter  Platen, 
Ferne  von  der  deutschen  Heimat,  fern  den  heimischen  Penaten. 
Und  die  bleichen  Lippen  lispeln,  und  es  klingt  wie  Sterbelieder, 
Aus  der  fast  verklärten  Seele  tönen  seine  Geister  wieder. 
Und  der  Gastfreund  Landolina  sendet  nach  dem  frommen  Pater; 
Um  den  Kranken  zu  versöhnen,  kam  der  geistliche  Berater. 

Doch  der  Sänger  will  nicht  beichten;  er  verlangt  nur  nach  dem  Kreuze; 

Küssen  will  er  den  Erlöser  sehnsuchtsvoll  im  Glaubensreize. 

,,Ich  bin  Protestant,  Hochwürden!"    gab  dem  Priester  er  zu  wissen, 

,,Doch  ich  möchte,  eh'  ich  sterbe,  einmal  noch  den  Heiland  küssen." 

Und  mit  tiefgeiührtem  Schweigen  wird  erfüllt  die  letzte  Bitte, 

Denn  der  Dichter  ist  kein  Ketzer,  trennt  sie  auch  des  Glaubens  Sitte. 

Bald  drauf  eilt  durch  Syrakus  die  ernste  Trauerkunde 

Von  dem  Tod  des  deutschen  Sängers  und  von  seiner  Sterbestunde. 

Unter  Lorbeern,  tief  beschattet,  ruht  der  Dichter  auf  der  Bahre, 

In  der  Hand  sein  .,Buch  der  Oden",  einen  Kranz  um  seine  Haare. 

Und  die  Stadt  des  Theokritos  gibt  dem  Toten  das  Geleite, 

Als  der  Trauerzug,  der  fromme,  sich  in  dumpfem  Schweigen  reihte. 

Doch,  wer  harret  vor  dem  Dome?  —  Hundert  Priester  im  Talare, 
An  der  Spitze  ihren  Fürsten,  folgen  sie  der  schlichten  Bahre. 
Ja,  es  folgt  der  ganze  Klerus  mit  dem  greisen  Kardinale, 
Orgelton  und  Chorgesänge  dringen  aus  der  Kathedrale. 
Und  sie  knien  vor  dem  Grabe  bei  den  düsteren  Zypressen, 
Jeder  Unterschied  des  Glaubens  ist  in  dieser  Stund"  vergessen. 

Nur  das  Dogma  könnt'  sie  trennen!     Doch  den  Dichter  muß  man  ehren! 
Und  des  Glaubens  Schranken  fallen,  wenn  es  gilt,  den  Ruhm  zu  mehren, 

,, Nächtlich  am  Busento  lispeln  bei  Cosenza  dumpfe  Lieder", 
Und  am  stillen  Dichtergrabe  schallt  die  Antwort  leise  wieder: 


—    492     — 

„Ruhe  sanft,  du  edler  Sänger,  vielgeschniäht  und  ohne  Habe, 
Deutschlands  Söhne  halten  Wache  an  des  toten  Barden  Grabe. 
Deiner  Oden  Feuerklänge,  der  Sonette  Reimesheere, 
Deiner  Lieder  Tönewellen  rauschen  fort  von  Meer  zu  Meere!" 

Der  sinnige  Newarker  Karl  K  n  i  e  p  zeigt  uns  die  wesenlosen  Schatten 
der  Vorzeit : 

Es  ist  ein  langer,  bunter  Zug, 

Bald  farbenreich,  bald  düster, 

Bald   Wahrheit  folgend,    bald   dem   Trug, 

Bald  Schöpfer,  bald  Verwüster; 

Bald  blasen  lieblich  die  Schalmein; 

Bald  donnern  die  Kanonen  drein. 

Hier  hörst  du  einen  lust'gen  Häuf 
Dem  Bachus  Lieder  singen; 
Und  blutbesudelt  schaust  du  drauf 
Die  andern  Schwerter  schwingen; 
Hier  beten  sie  zum  Heben  Gott, 
Dort  schlagen  sie  einander  tot. 

Schaust  du  ihm  nach,  in  weiter  Fern' 

Im  Nebel  er  verschwindet; 

Dort  leuchtet  schwach  noch  mancher  Stern, 

Und  auf  dem  Weg  man  findet 

Noch  manchen  Rest  verschwundner  Pracht, 

Und  Tote,  die  einst  froh  gelacht. 

Doch  von  dem  Zug,  ganz  weit  vorauf. 
Kannst  nichts  du  unterscheiden; 
Es  hat  der  langen  Zeiten  Lauf 
Verwischet  Freud'  wie  Leiden 
Von  jener  allerersten  Schar, 
Die  dieses  Zuges  Anfang  war. 

im  Meere  der  Unendlichkeit 

Sind  längst  sie  aufgegangen. 

Und  von  der  fern  verflossnen  Zeit 

Könnt'  nichts  zu  uns  gelangen. 

Was  sie  auch  auf  den  Weg  gestreut, 

Kein  Stäubchen  blieb  davon  für  heut! 

So  zogen  sie  manch  tausend  Jahr', 
Und  keine  Spur  blieb  haften; 
Und  dürftig  auch  der  Fund  nur  war 
Von  dem,  was  Spätre  schafften. 
Treu  wird  ein  Bild  der  Zeit  uns  nie, 
Hier  zeichnet  nur  die  Phantasie. 

Sie  sinnt  und  zeichnet  emsig  fort 
Und  will  uns  Einsicht  geben, 


—    493     - 

Mutmaßend  nach  geschriebnem  Wort 
Von  längst  verschollnem  Leben. 
Es  bleibt  ein  Schattenbildnis  nur, 
Das  man  entwirft  nach  schwacher  Spur. 

Echte  Zukunftspoesie  durchzuckt  hingegen  Friedrich  Michels 
„Weltausstellungslied",  zu  dem  er  auf  der  Weltausstellung  zu  St.  Louis  beim 
Durchschreiten  des  Gebäudes  für  Elektrizität  angeregt  wurde : 

Allüberall  flutet 

Es  taghell  und  glutet; 

Und  Funken,  die  sprühen, 

Und  Lampen,  die  glühen. 

Geknister,  Geknatter, 

Hier  stärker,  dort  matter. 

Welch  magische  Schöne! 

Welch  seltsame  Töne! 

Und  Räder,  die  surren 

Und  treiben  und  schnurren 

So  rasend  geschwinde 

Wie  sausende  Winde; 

Elektrische  Wunder 

Herauf  und  hinunter. 

Herüber,  hinüber. 

So  schießt  ihr  vorüber 

Am  Aug',  das  geblendet 

Und  staunend  sich  wendet. 

Ich  aber  beginne 

Zu  träumen  und  sinne 

Vom  kommenden  Lichte 

Der  Menschheitsgeschichte, 

Vom   Fortschritt   der   Zeiten, 

Vom  endlichen  Scheiden 

Der  finsteren  Mächte 

Der  Herren  und  Knechte. 

Schon  seh'  ich  umfluten 

Die  goldenen  Gluten 

Der  Freiheit  die  Erde.  — 

Sprich  Menschheit:   Es  werde! 

Der  Größe  und  Herrlichkeit  der  neuen  Heimat  sangen  deutschameri- 
kanische Poeten  gleichfalls  begeisterte  Lieder.  Theodor  Kirchhoff,  der 
„Poet  vom  Goldenen  Tore",  widmete  dem  Staat  Kalifornien  folgende  Hymne,  die 
erhebendste,  die  je  zum  Preise  dieses  Wunderlandes  gedichtet  wurde: 

Warum  du  mir  lieb  bist,  du  Land  meiner  Wahl?  — 

Dich  liebt  ja  der  warme  Sonnenstrahl, 

Der  aus  .^therstiefe,  azurrein 

Deine  Fluren  küßt  mit  goldenem  Schein! 

Dich  liebt  ja  des  Südens  balsamische  Luft, 

Die  im  Winter  dir  schenket  den  Blütenduft, 


—    494    — 

Deine  Felder  schmückt  mit  smaragdenem  Kleid, 
Wenn's  friert  im  Osten  und  stürmet  und  schneit! 
Dich  liebt  ja  das  Meer,  das  ,, Stille"  genannt, 
Das  mit  Silber  umsäumt  dein  grünes  Gewand, 
Das  dich  schützend  umarmt,  mit  schwellender  Lust 
Dich  wonniglich  preßt  an  die  wogende  Brust!  — 
!Wie  dein  Meer,  wie  der  Lüfte  Balsamhauch, 
Wie  die  Sonne  dich  liebt,  so  lieb'  ich  dich  auch. 
Deine  Söhne  zumal,  —  ihr  rasches  Blut, 
Pulsierend  in  frohem  Lebensmut, 
Deine  Töchter  mit  Wangen  frisch  und  gesund, 
Die  Seele  im  Auge,  zum  Küssen  der  Mund, 

Warum  du  mir  lieb  bist?  —  Nicht  ist  es  dein  Gold, 

Du  Land,  wo  die  westliche  Woge  rollt. 

Ich  wählte  zur  Heimat  diesen  Strand, 

Weil  ich  offne,  warme  Herzen  hier  fand. 

Weil  fremd  hier  der  niedrige,  kleinliche  Sinn, 

Der  nur  .strebt  und  trachtet  nach  kargem  Gewinn, 

Weil  die  eigene  Kraft  hier  den  Mann  erprobt, 

Nicht  ererbtes  Gut  den  Besitzer  lobt. 

Eine  Welt  für  sich,  voll  Schönheit,  trennt 

Dich  die  hohe  Sierra  vom  Kontinent; 

Doch  schlugst  du  mit  eiserner  Brücke  den  Pfad 

Über  wolkentragender  Berge  Grat, 

Und  täglich  vernimmst  du  am  goldenen  Port 

Von  den  fernsten  Gestaden  der  Völker  Wort. 

Du  bewahrtest  das  Feuer  der  Jugend  dir, 

Den  Geist,  dem  Arbeit  des  Lebens  Zier, 

Der  wagt  und  ringet  und  nie  verzagt. 

Und  wo  es  sich  zeiget,  das  Glück  erjagt. 

Ja!  ich  iiebe  dich,  blühendes,  westliches  Land, 

Wo  die  neue,  die  schöne  Heimat  ich  fand. 

Wer  trüge  wohl  noch,  der  dich  Herrliche  sah, 

Warum  du  mir  lieb,  California! 

In  nicht  minder  schwungvollen  Versen  sangen  Friedrich  Grill, 
Heinrich  Fick  und  viele  andere  das  Lob  Columbias.  Dem  „Gruß 
an  Amerika"  von  Dorothea  Böttcher  entnehmen  wir  folgende 
Strophen : 

Amerika,  o  neues  Heimatland! 

Du  Land  der  Freiheit,  Land  voll  Licht  und  Wonne! 

Sei  uns  gegrüßt,  du  gastlich  holder  Strand, 

Sei  uns  gegrüßt,  du  goldne  Freiheitssonne! 

Du  Rieseninsel,  die  sich  aus  dem  Beit 
Gezeuget  in  Poseidons  Riesenbette, 
Erhoben,  in  sich  selber  eine  Welt, 
Der  Menschheit  schönste,  letzte  Zufluchtsstätte! 


—     495     — 

O  gottbegnadet  Land,,  wie  reich,  wie  schön! 
Mit  deinen  Seen,  üppigen  Prärien, 
Fruchtbaren  Tälern,  waidunikränzten  Höh'n, 
Und  deinen  süßen  Freiheitsmelodeien! 

Heil  dir,  Columbia,  herrlich,  groß  und  kühn! 
Das  Auge  von  Millionen  ruht  verwundert, 
Auf  dir,  Erhabne,  deren  Staaten  blühn, 
Frei,  reich  und  unabhängig,  ein  Jahrhundert. 

Dein   glorreich    Haupt,   umstrahlt   vom    Freiheitsschein, 
Die  Herrscherin  der  Welt  wirst  du  erstehen! 
Die  Zukunft  wie  die  Gegenwart  sind  dein. 
Und  siegreich  wird  dein  Sternenbanner  wehen! 

Ziel  unsrer  Wünsche,  aller  Hoffnung  Strand, 

Wird  hier  die  Not,  der  Schmerz,  die  Sehnsucht  schwinden? 

Das  uns  verheißne,  das  gelobte  Land  — 

O  Gott  im  Himmel,  laß  es  hier  uns  finden! 

In  die  Gattung  dieser  Poesien  gehört  aucii  Friedrich  Albert 
Schmitts  feuriges  Freiheitslied  „Sterne  und  Streifen",  das  zweifellos  zu  den 
besten  in  Amerika  entstandenen  patriotischen  Dichtungen  gehört: 

Im  Morgenwind  in  der  Sonne  Gold 
Der  Freiheit  heiliges  Banner  rollt; 
Sein  Rauschen  tönet  wie  Adlerflug 
Um  Alpenhäupter  im  Siegeszug. 
Es  klingt  wie  das  Rauschen  im  Urwaldsdom, 
Es  klingt  wie  das  Brausen  im  Felsenstrom, 
Es  klingt  wie  die  Brandung  am  Klippenstrand, 
Von  See  zu  See  und  von  Land  zu  Land: 
Freiheit!      Freiheit! 

Wie  die  ewigen  Sterne  vom  Himmelszelt 
Herniedergrüßen  zur  träumenden  Welt, 
Wie  im  blauen  Äther  ihr  Licht  erglüht. 
Erfreuend,  erhebend  das  Menschengemüt, 
So  grüßen  die  Sterne  des  Banners,  wenn  hold 
Es  den  staunenden  Blicken  der  Völker  entrollt, 
So  kündet  ihr  Anblick  vom  heiligen  Hort 
Dem  Lande  der  Freien  das  herrliche  Wort: 
Freiheit!      Freiheit! 

So  zog  es  voran  einst  der  Väter  Heer, 

Als  die  Knechtschaft  dräute  und  Fesseln  schwer; 

So  hat  es  ermutigt  die  Kämpfer  im  Streit, 

So  hat  CS  die  Waffen  der  Krieger  gefeit. 

So  hat  es  die  heilige  Liebe  geschürt, 

So  hat  es  zum  herrlichen  Sieg  sie  geführt. 

So  hat  es  gewährt  ihnen  k()stlichen  Lohn, 

So  hat  es  geheiliget  der  Union 

Freiheit!      Freiheit! 


—    496    — 

Ihr  Sterne  so  hehr  und  ihr  Streifen  so  hold, 
Oh,  rauschet  zum  Feste,  oh  rauschet  und  rollt 
Und  kündet  den  Kindern  und  Enkeln  es  an. 
Was  einst  um  die  Freiheit  die  Väter  getan! 
Oh,  rollet  und  rauschet  ein  ewiges  Lied, 
Daß  tief  in  den  Herzen  es  woget  und  glüht, 
Oh,  rollet  und  rauschet,  dem  Segen  geweiht, 
üb  dem  Lande  der  Freien  in  Ewigkeit! 
Freiheit!      Freiheit! 

Doch  genug  der  Proben  deutschamerikanischer  Dichtkunst.  Es  gebricht 
an  Raum,  allen  im  Bereich  der  Union  erstandenen  deutschen  Poeten  gerecht  zu 
werden,  von  denen  der  gemütvolle  Friedrich  Castelhun,  der  Richter 
Max  Eberhardt,  der  geistvolle  Kuno  Francke  und  sein  Kollege 
Hugo  Münsterberg,  der  Wandervogel  Wilhelm  Benignus,  der 
sarkastische  Witzbold  Karl  Hauser,  der  feurige  Martin  Drescher, 
die  Dichterinnen  Marie  Raible,  Johanna  Nicolai,  Martha 
T  o  e  p  1  i  t  z  und  viele  hundert  andere  verdienen,  genannt  zu  w^erden.  Aber 
die  mitgeteilten  Proben  dürften  beweisen,  daß  die  Göttin  Poesie  auch  unter  den 
Deutschen  Amerikas  ebenso  begeisterte  wie  berufene  Priester  besitzt,  die  im- 
stande sind,  durch  ihrer  Sprache  Zauberklang  Tausende  und  aber  Tausende  zu 
erfreuen  und  zu  erheben.  Möge  es  ewig  rauschen  und  brausen  im  deutsch- 
amerikanischen Dichterwald. 


Auch  auf  dem  Gebiet  der  Bühnendichtung  schufen  Deutschamerikaner 
manches  Bemerkenswerte. 

Mit  besonderer  Vorliebe  behandelten  sie  historische  Stoffe.  Der  lodernder 
Begeisterung  fähige  Kaspar  Butz  schrieb  das  mit  großem  Erfolg  in 
St.  Louis  aufgeführte  Drama  „Florian  Geyer" ;  Ernst  Anton  Zündt  die 
Trauerspiele  „Jugurta",  „Rienzi"  und  „GaUlei";  P.  J.  Reuß  unter  dem 
Pseudonym  Otto  Weiden  „Karl  XII.",  „Arria",  „Die  Zerstörung  Jerusalems" 
und  „Tippo  Saib" ;  Karl  HeinrichSchnauffer  das  Trauerspiel  „Crom- 
well" ;  Hugo  Schlag  „Thomas  Münzer" ;  Emil  Schneider  „Ulfila". 

Ernst  Henrici  bekundete  sich  in  den  Dramen  „Nausikaa",  „Hero- 
stratos", „Bretius"  und  „Charlotte  Corday"  als  feinfühlender  Dichter. 

Friedrich  Schnake  behandelte  in  den  Trauerspielen  „Montezuma", 
„Quatemozin"  und  „Maximilians  letzte  Tage"  erschütternde  Vorgänge  aus  der 
mexikanischen  Geschichte. 

Victor  Precht  machte  den  wackeren  Gouverneur  Jakob  Leisler  zur 
Hauptfigur  eines  gleichnamigen  Trauerspiels,  das  zuerst  im  Jahre  1877  in  New 
York  große  Begeisterung  erregte.  Karl  Lorenz  und  Bertrand  Hoff- 
acker entnahmen  die  Vorwürfe  zu  ihren  Tragödien  „Das  Schandmal"  und 
„Enthüllungen,  oder  Rot,  Weiß  und  Schwarz"  hingegen  dem  modernen  Leben. 


—    497    — 


Unter  den  Schauspieldichtern  steht  Wilhelm  Müller  mit  den  be- 
liebten Volksstücken  „Im  gelobten  Land"  und  „Ein  lateinischer  Bauer"  obenan. 
Der  vielseitige  Karl  Heinzen  schrieb  das  Lustspiel  „Dr.  Nebel,  oder  Ge- 
lehrsamkeit und  Leben".  Glückliche  Griffe  ins  amerikanische  Volksleben  taten 
Heinrich  Börnstein  mit  seinem  „Einwandrer",  Max  C  o  h  n  - 
heim  mit  „Herz  und  Dollar",  Georg  Hermann  mit  „Strategie  der  Liebe" 
und  W.  L.  Rosenberg  mit  den  Stücken  „Crumbleton"  und  „Die  Moral- 
wage". 

Erwähnenswert  sind  ferner  K  a  t  z  e  r  s  „Kampf  der  Gegenwart",  B  e  r  n  - 
hardBettmanns  „Zigeunerrache",  Karl  Diltheys  „Küraß  und  Kutte", 
Friedrich  H.  Ernsts  „Peter  Mühlenberg  oder  Bibel  und  Schwert". 

Zur  seichteren  Ware  zählen  die  von  Adolf  Philipp  geschriebenen 
Lustspiele  „Der  Corner  Grocer  aus  der  Avenue  A",  „Der  Pawnbroker",  der 
„Brauer"  und  andere,  die  aber  in  dem  von  Philipp  geleiteten  Germaniatheater 
zu  New  York  zahllose  Aufführungen  erlebten. 

August  L.  Wolle  nweber  behandelte  in  den  Schauspielen  „Gila, 
das  Indianerniädchen"  und  „Die  Lateiner  am  Schuylkill  Kanal"  Episoden  aus 
dem  Leben  deutscher  Ansiedler  in  Amerika.  — 

Unter  den  epischen  Dichtungen  sind  Theodor  Kirchhoffs  „Her- 
mann", Ferdinand  Schreibers  „Amanda",  Gustav  Brühls  „Char- 
lotte", Julius  Brucks  „Ahasver",  H  e  n  r  i  c  i  s  „Aztekenblume",  Rudolf 
Puchners  „Aglaja",  Wilhelm  Müllers  „Schabiade"  und  Rudolf 
Thomanns  „Leben  und  Taten  des  Hannes  Schaute"  hervorzuheben. 

Auch  an  Festspieldichtungen  ist  kein  Mangel.  Von  diesen  kamen  beson- 
ders die  von  Konrad  Nies  verfaßten,  in  edler  Sprache  gehaltenen  „Deut- 
schen Gaben"  und  „Rosen  im  Schnee"  wiederholt  in  deutschamerikanischen 
Vereinigungen  zur  Aufführung.  Ihnen  reiht  sich  die  ebenbürtige  Leistung  „Ar- 
minius'  Brautfahrt"  an,  die  von  E:  m  i  1  Roller  gedichtet,  in  reizvoller  Weise 
das  Werben  eines  deutschen  Recken  um  die  in  Jugendschönheit  strahlende  Braut 
Columbia  schildert. 

Überblickt  man  die  lange  Reihe  der  deutschen  Männer  und  Frauen,  denen 
inmitten  der  keuchenden,  atemlos  hetzenden  Arbeitsatmosphäre  Amerikas  die 
Dichtkunst  eine  liebe  Gefährtin  blieb,  so  kann  man  sich  eines  Gefühls  tiefer  Ehr- 
furcht nicht  erv/ehren. 

Ruhm  und  klingender  Lohn  war  diesen  Priestern  und  Priesterinnen  der 
Poesie  selten  beschieden.  Nie  wurden  ihre  Namen  den  breiten  Volksmassen  ver- 
traut. Ihre  Werke  verfielen,  kaum  daß  sie  geboren,  der  Vergessenheit.  Aber 
dennoch  nährten  und  behüteten  diese  Deutschen  die  heilige  Flamme,  die  ihr 
Inneres  erwärmte  und  ihnen  als  Führerin  auf  den  verworrenen  Wegen  des  Lebens 
voranleuchtete. 


Gronau,  Deutsches  Leben   In  Amerika.  32 


Deutsches  Lied  und  deutscher  Sang  in  Amerika. 

Ich  dachte  dein,  du  trautes  Heimatstal, 

So  oft  ich  träumend  in  die  Ferne  schaute; 

Ich  dachte  dein,  als  ich  zum  erstenmal 

In  fremdem  Lande  hört'  der  Heimat  Laute.  — 

Die  Töne  fernher  zu  mir  drangen, 

Ein  wundersam  ergreifender  Gesang; 

Wie  nehmen  sie  das  ganze  Herz  gefangen, 

Oh,  diese  Lieder  —  dieser  Töne  Klang! 

Da  kam  es  über  mich  wie  Zuversicht; 
Und  als  der  Töne  letzter  Hauch  zerstoben, 
Erhob  ich  frei  mein  Haupt  zum  Sternenlicht 
Und  lenkte  dankerfüllt  den  Blick  nach  oben.  — 
Ob  in  der  Heimat,  ob  an  fremdem  Ort 
Der  wackre  Sohn  des  deutschen  Landes  lebt. 
Oh,  deutsches  Lied,  stets  wirst  du  hier  wie  dort 
Das  Herz  erfreu'n,  das  stilles  Glück  umwebt! 

Adolf  Hachtmann.') 

Wo  in  Amerika  das  erste  deutsche  Lied  erklang?  Ob  an  den  Ufern  des 
südamerikanischen  Silberstroms,  ob  unter  den  Palmen  Venezuelas,  ob  auf  den 
Hochebenen  von  Bogota  und  Mexiko,  ob  an  den  Gestaden  des  Hudson?  Nie- 
mand vermag  es  zu  sagen.  Wir  wissen  nur,  daß  das  deutsche  Lied  zu  den 
kostbarsten  Schätzen  gehörte,  die  von  den  aus  dem  alten  Vaterlande  Aus- 
wandernden mit  in  die  Neue  Welt  hinübergenommen  wurden. 

Bereits  in  früheren  Abschnitten  zeigten  wir,  daß  die  deutschen  Sektierer, 
die  sich  zu  Ende  des  17.  und  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  in  Pennsylvanien 
niederließen,  große  Neigung  für  Gesang  und  geistliche  Musik  bekundeten  und 
damit  ihren  Gottesdienst  auszuschmücken  pflegten.  Daß  diese  Sektierer  in 
der  Pflege  des  Gesanges  unter  den  Deutschen  nicht  vereinzelt  standen,  ergibt 
sich  aus  dem  Zeugnis  des  oft  erwähnten  Dr.  Benjamin  Rush,  welcher  in  seiner 
Darstellung  der  Sitten  und  Lebensweise  der  deutschen  Einwohner  von  Penn- 
sylvanien denselben  nachrühmte,  daß  sie  im  Psalmensingen  alle  anderen  reli- 
giösen Gesellschaften  im  Staate  übertroffen  hätten. 


^)  Die  obigen  Verse  wurden  in  der  von  Faßbender  bewirkten  Vertonung  bei  der 
Feier  des  fünfzigjährigen  Bestehens  des  „Nordöstlichen  Sängerbundes"  am  5.  Juli  1900  als 
Preislied  von  den  um  den  Kaiserpreis  wetteifernden  Vereinen  gesungen. 


—    499     — 

Zur  Gründung  eines  weltlichen  Gesangvereins  kam  es  erst  am  15.  De- 
zember 1835,  an  welchem  Tage  unter  der  Leitung  des  tüchtigen  Musikers 
Philipp  Mathias  Wolsiefer  der  noch  heute  bestehende  ,,M  ä  n  n  e  r  - 
chor  von  Philadelphia"  gestiftet  wurde.  Diesem  reihten  sich  bald 
darauf  in  anderen  Städten  ähnliche  Vereine  an.  So  entstanden  im  Jahre  1836 
der  „L  i  e  d  e  r  k  r  a  n  z"  in  Baltimore ;  1 838  der  „Deutsche  Gesang- 
verein" in  Cincinnati;  1847  der  „Deutsche  Liederkranz"  in  New 
York;  1848  der  „Deutsche  Lied  er  kränz"  in  Louisville  usw.  Bald 
besaß  jede  Stadt  mit  deutscher  Bevölkerung  einen  oder  mehrere  deutsche  Ge- 
sangvereine. In  Baltimore  wurde  zur  selben  Zeit,  im  Jahre  1838,  durch  Ver- 
schmelzung des  Damenchors  der  Zionskirche  mit  dem  „Liederkranz"  der  erste 
gemischte  deutsche  Chor  Amerikas  gegründet. 

Das  Gedeihen  aller  dieser  Vereine  wurde  durch  die  Einwandrung  der 
aus  Deutschland  kommenden  politischen  Flüchtlinge  der  dreißiger  und  vierziger 
Jahre  mächtig  gefördert.  Dieselben  brachten  die  begeisternden  Freiheitslieder 
Hoffmanns  von  Fallersleben,  Flerweghs,  Freiligraths,  die  Lieder  Uhlands, 
Heines,  Lenaus  u.  a.  mit  und  bereicherten  obendrein  die  deutschamerikanische 
Literatur  durch  zahllose  eigene  Dichtungen. 

Gelegentliche  Besuche,  wie  sie  beispielsweise  im  Jahre  1837  vom  „Lieder- 
kranz" der  Stadt  Baltimore,  dem  „Männerchor"  von  Philadelphia,  und  vom 
„Liederkranz"  zu  Louisville  der  „Liedertafel"  in  Cincinnati  abgestattet  wurden, 
gaben  die  Anregung  zu  gemeinschaftlichen  Sängerfesten  wie  zu  den  Sänger- 
bünden. 

Als  das  erste  deutsche  Gesangfest  in  Amerika  darf  jenes  gelten,  welches 
am  1.  und  2.  Juni  1849  von  den  vereinigten  Sängern  von  Louisville,  Madison 
und  Cincinnati  in  der  letztgenannten  Stadt  abgehalten  wurde.  Das  Programm 
des  am  1.  Juni  abgehaltenen  Hauptkonzerts  war  folgendes: 

Erster  Teil. 

1.  Chor  der  drei  hiesigen  Vereine: 

Sängergruß  -.  „Seid  gegrüßt  in  froher  Stunde" Zöllner 

2.  Allgemeiner  Chor: 

„Herbei,  herbei,  du  trauter  Sängerkreis" Mozart 

3.  Chor  der  Cincinnatier  Liedertafel: 

Das  Vaterland:  „Dir  möcht'  ich  diese  Lieder  weihen"    .    .     .    Kreutzer 

4.  Chor  des  „Louisville  Liederkranz": 

„Mein  Lebenslauf  ist  Lieb  und  Lust" Volkslied 

5.  Chor  des  „Gesang-  und  Bildungsvereins"  von  Cincinnati: 

„Macht  der  Töne" Frech 

6.  Chor  des  „Schweizervereins"  von  Cincinnati: 

„Das  Alpenhorn"      Proch 

7.  Allgemeiner  Chor: 

Die  Kapelle:  „Was  schimmert  dort  auf  dem  Berge  so  schön"    Kreutzer 

32* 


—    500    — 

Zweiter  Teil. 

8.  Allgemeiner  Chor: 

„Was  ist  des  Deutschen  Vaterland"       Reichardt 

9.  Chor  des  „Schweizervereins": 

„Der  Morgen"       Baumann 

10.  Chor  des  „Gesang-  und  Bildungsvereins": 

„Soldaten-Trinklied" Abt 

11.  Chor  des  „Liederkranzes": 

„Wir  kommen,  uns  in  dir  zu  baden" F.  Silcher 

12.  Chor  der  „Liedertafel": 

„Das  ist  der  Tag  des  Herrn" Kreutzer 

13.  Allgemeiner  Chor: 

„Ein  Leben  wie  im  Paradies" Zöllner 

Alle  Nummern  wurden  gut,  manche  sogar  so  vorzüglich  durchgeführt, 
daß  die  Begeisterung  der  Zuhörer  kaum  übertroffen  werden  konnte.  In  der 
am  folgenden  Morgen,  dem  2.  Juni,  abgehaltenen  Generalversammlung  der  be- 
teiligten Vereine  beschlossen  dieselben,  die  freundschaftliche  Verbindung  nicht 
nur  aufrechtzuerhalten,  sondern  auch  auf  andere  deutsche  Gesangvereine  aus- 
zudehnen. So  entstand  der  „Deutsche  Sängerbund  von  Nord- 
a  m  e  r  i  k  a",  dessen  Geburt  am  dritten  Festtag,  einem  herrlichen  Sonntag  ge- 
feiert wurde.  Sämtliche  Festteilnehmer,  über  tausend  an  der  Zahl,  fuhren  in 
aller  Morgenfrühe  auf  reichgeschmückten  Dampfern  den  Ohio  hinauf  bis  zu 
dem  sechs  Meilen  entfernten,  romantisch  gelegenen  Bald  Hill,  von  dessen  be- 
waldetem Gipfel  sich  ein  entzückender  Ausblick  auf  die  Täler  des  Ohio  und 
Miami  darbot.  Unter  fröhlichen  Gesängen  verstrich  der  Vormittag;  dann  ver- 
einigten sich  die  Teilnehmer  zu  einem  durch  treffliche  Reden  gewürzten  Mahl, 
an  welches  sich  später  ein  echtes  deutsches  Volksfest  anreihte. 

Der  herzerhebende  Verlauf  dieses  ersten  deutschen  Gesangfestes  in  Amerika 
war  für  die  amerikanische  Presse  eine  Quelle  des  Staunens.  „The  music  on 
the  high  hill,  in  the  midst  of  a  pleasant  grove,  by  nearly  two  hundred  singers, 
was  grand  beyond  our  power  of  description."  So  schrieb  die  „Gazette",  wobei 
sie  einflocht,  daß  die  Amerikaner,  die  sich  viel  zu  wenig  Erholungen  gönnten, 
häufiger  an  derartigen  Vergnügungen  teilnehmen  möchten. 

Daß  in  der  puritanischen  Presse  auch  einzelne  absprechende  Stimmen 
laut  wurden,  war  nicht  anders  zu  erwarten.  Zumal  die  Deutschen  gewagt 
hatten,  ihr  Volksfest  an  einem  Sonntag  zu  begehen.  Eine  dieser  Zeitungen 
machte  die  Sänger  sogar  für  das  Erscheinen  der  Cholera  in  Cincinnati  ver- 
antwortlich, behauptend :  „These  Dutch  singers  with  their  intemperate  jubilee, 
drinking  the  sour  wine,  have  brought  the  cholera  upon  us." 

Hatte  so  das  deutsche  Lied  an  den  Ufern  des  Ohio  eine  Heimstätte  ge- 
funden, so  blieb  man  auch  im  Osten  nicht  müßig.  Wohl  in  der  Erkenntnis, 
daß  die  ungeheuren  räumlichen  Entfernungen  des  Landes  den  östlichen  Vereinen 


—     501     — 

die  Beteiligung  an  den  Sängerfesten  der  westlichen  Vereine  unmöglich  machen 
würden,  gründete  man  im  Jahre  1850  in  Philadelphia  den  „Allgemeinen  öst- 
lichen Sängerbund",  der  als  Vorläufer  des  heutigen  „Nordöstlichen 
Sängerbundes"  anzusehen  ist.  Während  der  „Nordamerikanische  Sänger- 
bund" sich  auf  die  zwischen  den  Alleghanygebirgen  und  dem  Mississippi  be- 
stehenden Vereine  beschränkte,  sammelte  dieser  die  östlich  von  den  Alleghanys 
entstandenen  Vereine  um  sich.  In  den  Jahren  1852  und  1855  reihten  sich  diesen 
Bünden  noch  der  „Deutsch-Texanische"  und  der  „Nordwest- 
licheSängerbun  d",  an,  von  denen  der  letzte  die  in  Wisconsin,  Minnesota 
und  westlich  vom  Mississippi  emporgeblühten  Vereine  umfaßt. 

Den  mächtigen  Anstrengungen  dieser  Bünde  ist  es  zu  danken,  daß  das 
deutsche  Lied  in  überraschend  kurzer  Zeit  einen  wahren  Siegeszug  durch  ganz 
Amerika  vollenden  konnte. 

Auch  die  Amerikaner  gelangten  zu  der  Einsicht,  daß  es  töricht  sei,  den 
Blick  ausschließlich  aufs  Jenseits  gerichtet  zu  halten.  Sie  begannen  nicht  nur 
ihre  Häuser  dem  deutschen  Musiklehrer  zu  öffnen,  sondern  deutschen  Gesang- 
vereinen beizutreten  und  sogar  eigene  ins  Leben  zu  rufen.  Schon  bei  dem 
vierten,  im  Juni  1853  zu  Philadelphia  abgehaltenen  Sängerfest  befand  sich 
unter  den  am  Preissingen  teilnehmenden  Vereinen  ein  anglo-amerikanischer,  der 
sich  kurz  zuvor  dem  Nordöstlichen  Sängerbunde  angeschlossen  hatte  und  von 
diesem  zur  Mitwirkung  an  gemeinsamer  Kulturarbeit  freudig  aufgenommen 
worden  war. 

Die  Folge  hat  gelehrt,  daß  die  bei  den  Amerikanern  erweckte  Liebe  zur 
Musik  und  zum  Gesang  keine  vorübergehende  Neigung  war;  sie  befestigte  sich 
für  alle  Zeiten,  als  hervorragende  Dirigenten  an  die  Spitze  der  Gesangvereine, 
Konzert-  und  Opernunternehmungen  traten  und  die  Amerikaner  mit  den  groß- 
artigsten Schöpfungen  der  deutschen  Gesangskunst  bekannt  machten;  als  so 
gottbegnadete  Sänger  und  Sängerinnen  wie  TheodorWachtel,  Albert 
Niemann,  Pauline  Lucca,  Lilli  Lehmann,  Henriette 
Sontag,  Amalie  Materna,  Etelka  Gerster,  Johanna 
Gadsky,  Ernestine  Schumann- Heink  und  viele  andere  die  Neue 
Welt  besuchten  und  die  Amerikaner  mit  den  herrlichsten  Schöpfungen  der  deut- 
schen Gesangskunst,  den  wunderbaren  Arien  der  deutschen  Oper  und  Oratorien 
vertraut  machten.  Von  der  Zaubermacht  solcher  Schöpfungen  bezwungen, 
scharten  die  Amerikaner  sich  gleichfalls  zu  Gesangvereinen  zusammen,  die  in 
dem  Bestreben,  in  der  Wiedergabe  der  Schöpfungen  und  Oratorien  deutscher 
Meister  die  höchste  Vollkommenheit  zu  erringen,  mit  den  deutschamerikanischen 
Vereinen  wetteifern. 

Wenn  es,  wie  in  der  Geschichte  aller  Vereinigungen,  auch  bei  den  großen 
deutschamerikanischen  Sängerbünden  Zeiten  der  Lauheit  gab,  so  können  aber 
im  allgemeinen  diese  Verbände  mit  gerechtem  Stolz  auf  die  vollbrachte  Kultur- 
arbeit zurückblicken.  Ihre  Bedeutung  und  ihr  Einfluß  sind  noch  heute  beständig 
im  Wachsen.     Das  ergibt  sich  am  schlagendsten  aus  den  Sängerfesten  des 


—     502     — 

„Nordöstlichen  Bundes",  die  nach  einem  im  Jahre  1871  gefaßten  Beschluß  nicht 
mehr  jährlich,  sondern  nur  alle  drei  Jahre  stattfinden.  Von  Fall  zu  Fall  haben 
sich  diese  Feste  bedeutungsvoller,  großartiger  gestaltet.  Das  im  Lande  der 
Riesenströme,  Riesenbäume,  Riesenschluchten,  Riesenbrücken  und  Riesenbauten 
überall  wahrnehmbare  Streben  nach  Gigantischem,  Massigem,  teilte  sich  näm- 
lich auch  diesen  Sängerfesten  mit  und  ließ  sie  zu  Ereignissen  werden,  wie  sie 
in  gleich  großem  Maßstabe  in  Deutschland  nie  gefeiert  wurden.  Bei  dem  in 
Brooklyn  abgehaltenen  vierzehnten  Sängerfest  waren  2200  Sänger  versammelt. 
An  dem  fünfzehnten  Feste  in  Baltimore  nahmen  3000,  am  sechzehnten  in  Newark 
400,  am  siebzehnten  in  New  York  5000,  am  18.  in  Philadelphia  5300  aktive 
Sänger  teil. 

Während  dieser  Feste  stellte  es  sich  heraus,  daß  die  Vereinigung  so  ge- 
waltiger Sängerscharen  zu  gigantischen  Massenchören  zwar  große  Reize,  aber 
auch  Schwierigkeiten  und  Gefahren  für  das  allseitig  befriedigende  Gelingen  der 
Feste  besitzt.  Das  trat  in  sehr  anschaulicher  Weise  bereits  bei  dem  im  Jahre  1894 
in  New  York  abgehaltenen  siebzehnten  Sängerfest  zutage,  wo  man,  um  die  volle 
Entfaltung  der  Massenchöre  sicherzustellen,  genötigt  war,  als  Festhalle  den 
„Madison  Square  Garden",  das  größte,  15  000  Personen  fassende  Versamm- 
lungslokal New  Yorks,  zu  wählen.  Kamen  daselbst  die  vieltausendstimmigen 
Massenchöre  in  geradezu  überwältigender  Weise  zur  Geltung,  so  ergab  sich 
aber  auch,  daß  die  Lungenkraft  der  mitwirkenden  SoUsten  nicht  ausreichte,  so 
ungeheure  Räume  zu  beherrschen  und  gegenüber  dem  niagaraartigen  Brausen 
der  Chöre  zu  entsprechender  Wirkung  zu  gelangen. 

Mit  Recht  erhoben  deshalb  maßgebende  Kritiker  die  Warnung,  nicht 
in  das  undeutsche  Streben  nach  dem  Massenhaften,  Mammutartigen  zu  ver- 
fallen, sondern  die  Ziele  anstatt  in  Monstrefesten  in  alljährlich  wiederkehrenden 
kleineren  Sängerfesten  der  Gauverbände  zu  erstreben. 

Diese  Empfehlung  konnte  bei  dem  im  Juli  1900  abgehaltenen  neunzehnten 
Sängerfeste  zu  Brooklyn  nicht  ganz  beherzigt  werden.  Verschiedene  Umstände 
bewirkten  vielmehr,  daß  dasselbe  eine  noch  größere  Ausdehnung  als  seine  Vor- 
gänger annahm.  Es  beteiligten  sich  an  demselben  nämlich  174  Vereine  mit 
über  6000  Sängern! 

Zu  diesem  Massenzuzug  trug  einmal  der  Umstand  bei,  daß  der  „Nord- 
östliche Sängerbund"  die  Feier  seines  fünfzigjährigen  Bestehens  beging;  dann 
auch  war  aus  Anlaß  dieses  Ereignisses  für  die  in  der  edlen  Sangeskunst  wett- 
eifernden Vereine  eine  große  Zahl  sehr  wertvoller  Preise  ausgesetzt,  darunter 
ein  von  Sr.  Majestät  Kaiser  Wilhelm  II.  gewidmeter,  dessen  Stiftung  in  den 
Herzen  aller  Deutschamerikaner  begeisterte  Freude  erweckte  und  dem  Jubelfeste 
eine  ungewöhnliche  Anziehungskraft  verlieh. 

Die  Gabe  bestand  in  der  auf  einem  Untersatz  aus  Bronze  stehenden  40  cm 
hohem  Silberstatuette  eines  Minnesängers  des  12.  Jahrhunderts.  Es  wurde 
beschlossen,  dieses  kostbare  Kunstwerk  jenem  Verein  endgültig  als  Eigentum 


503 


zuzusprechen,  der  ihn  zweimal  unbestritten  gewann.  Da  diese  Bedingung 
bisher  kein  Verein  erfüllte,  so  muß  bis  auf  weiteres  dem  Programm  jedes  Sänger- 
festes ein  Kaiser-Preislied  zugefügt  werden. 

Vom  künstlerischen 
Standpunkt  aus  betrachtet, 
ist  dieser  Umstand  mit 
Freuden  zu  begrüßen,  da 
es  sich  herausgestellt  hat, 
daß  das  Kaiserpreissingen 
bei  allen  Festen  nicht  nur 
eine  ungeheure  Anzie- 
hungskraft ausübte,  son- 
dern daß  in  diesem  edlen, 
mit  allen  Aufregungen 
und  dem  Nervenkitzel 
eines  wirklichen  Kampfes 
verbundenen  Wettstreit 
auch  die  allervoUendet- 
sten  Darbietungen  zu  Ge- 
hör gebracht  wurden. 

Beim  Kaiserpreis- 
singen des  Jahres  1900 
erzielten  der  „A  r  i  o  n" 
von  Brooklyn  und  der 
„Junge  Männerchor" 
von  Philadelphia  die 
gleiche  Punktzahl.  Da 
sonach  keiner  der  beiden 
Vereine  einen  unbestritte- 
nen Sieg  davontrug,  so 
entschied  die  Bundeslei- 
tung, daß  jeder  der  bei- 
den Vereine  den  Preis  18 
Monate  lang  bis  zum 
nächsten  Sängerfest  in  Be- 
sitz nehmen  solle.  Beim 
Sängerfest  des  Jahres  1903 
in  Baltimore  gewann  der 

„Junge  Männerchor"  von  Philadelphia  den  alleinigen  Sieg.  Beim 
Sängerfest  des  Jahres  1906  in  Newark  trug  die  „Concordia"  von  Wilkes- 
barre,  Pennsylvanien,  den  Preis  davon.  Beim  Sängerfest  des  Jahres  1909  in 
New  York  erzielten  wiederum  zwei  Vereine  —  der  „Kreutzer  Quartett- 
Klub"  von  New  York  und  der  „Junge  M  ä  n  n  e  r  c  h  o  r"  von  Philadelphia 


Die  von  Sr.  Maj.  Kaiser  Wilhelm"!!,   dem  Nordöstlichen 
Sängerbund  gestiftete  Silberstatuette. 


—     504     — 

die  gleiche  Punktzahl.  So  muß  nun  mindestens  noch  einmal,  im  Jahre  1912, 
um  den  endgültigen  Besitz  des  kostbaren  Preises  gekämpft  werden. 

Fast  alle  in  den  Vereinigten  Staaten  abgehaltenen  großen  Sängerfeste 
gestalteten  sich  sowohl  in  bezug  auf  die  hohen  Kunstleistungen  wie  auf  die 
Menge  der  Teilnehmer  zu  förmlichen  Triumphen.  Und  durch  das  allgemeine, 
auch  seitens  des  Anglo-Amerikanertums  bewiesene  Interesse  erhielten  sie  den 
Charakter  amerikanischer  Nationalfeste. 

Erwähne  ich  noch,  daß  die  allgemeine  Lage  der  Nordamerikanischen 
Sängerbünde  recht  befriedigend  ist  und  daß  nach  dem  Beispiel  der  östlichen 
Städte  sich  auch  in  den  fernsten  westlichen  Ortschaften  mit  deutschamerika- 
nischer Bevölkerung  allenthalben  Gesangvereine  bilden,  so  kann  man  dem  deut- 
schen Lied  in  Amerika  getrost  eine  glänzende  fernere  Zukunft  voraussagen.  Und 
zwar  um  so  sichrer,  je  mehr  in  den  Herzen  der  Deutschen  sowohl  wie  der 
Amerikaner  die  Erkenntnis  um  sich  greift,  daß  die  Gesangvereine  in  der  Tat 
eine  Kulturaufgabe  erfüllen  und  in  hohem  Grade  zur  Bildung,  Erhebung  und 
Veredlung  der  ganzen  Nation  beitragen. 


Deutsche  Einflüsse  im  Musikleben  Amerikas. 

Den  frommen  Sektierern  zu  Ephrata  und  Bethlehem,  welche  unter  den 
in  Amerika  eingewanderten  Deutschen  die  ersten  waren,  die  sich  die  Pflege 
des  Gesanges  angelegen  sein  ließen,  gebührt  auch  der  Ruhm,  die  ersten  ge- 
wesen zu  sein,  welche  der  Musik  liebevolles  Interesse  zuwandten.  Vornehmlich 
waren  es  die  Herrnhuter  oder  Mährischen  Brüder,  welche  ihren  Gottesdienst 
mit  Orgelgetön,  Posaunenschall  und  Zimbelklang  eindrucksvoller  zu  machen 
suchten.  Schon  im  Jahre  1780  schlössen  die  musikliebenden  Brüder  der  Ge- 
meinde Bethlehem  sich  zu  einem  Orchester  zusammen,  um  die  Wiedergabe 
der  von  Haydn,  Händel,  Bach,  Mozart  und  anderen  deutschen  Meistern  ge- 
schaffenen geistlichen  Tonwerke  zu  versuchen.  An  tiefem  Ernst  und  hoher 
Begeisterung  ließen  sie  es  nicht  fehlen  und  so  kam  es,  daß  die  in  der  alten 
Kirche  zu  Bethlehem  abgehaltenen  Musikfeste  bald  großen  Ruf  erlangten  und 
Besucher  aus  weitem  Umkreise  anzogen. 

Nicht  lange  blieben  die  Herrnhuter  im  Kultus  dieser  ernsten  Musik  ver- 
einzelt. Händeis  „Messias'*  und  Haydns  „Schöpfung"  waren  auch  in  England 
als  die  höchsten  Leistungen  auf  dem  Gebiet  der  geistlichen  Musik  anerkannt 


Kopfleiste:    Die  alte  Herrnhuter  Kirche  zu  Bethlehem  in  Pennsylvanien. 


—     506     — 

worden.  Sie  fanden  auch  ihren  Weg  nach  den  Neu-England-Staaten.  Bruch- 
stücke der  großartigen  Ton  werke  wurden  bereits  am  10.  Januar  1786  durch 
die  in  Boston  bestehende  „Musical  Society"  zu  Gehör  gebracht.  Desgleichen 
am  27.  Oktober  1789  zu  Ehren  der  Anwesenheit  des  Präsidenten  George 
Washington. 

Die  erhabenen  Werke  machten  auf  die  Puritaner  so  mächtigen  Eindruck, 
daß  an  verschiedenen  Orten  Amateure  und  berufsmäßige  Musiker  sich  zu 
„Händel  und  Haydn  Societies"  vereinigten.  Eine  solche  entstand  im  Jahre 
1786  zu  Stoughton,  Massachusetts.  Ihr  schloß  sich  im  Jahre  1815  diejenige  zu 
Boston  an,  welche  im  Kunstleben  Amerikas  zu  höchstem  Ansehen  gelangte. 
Als  Gründer  darf  man  wohl  den  Komponisten  Gottlieb  Graupner 
betrachten.  Derselbe  war  Oboist  in  einem  Hannoverschen  Regiment  gewesen 
und  im  Jahre  1798  nach  Boston  gekommen.  Hier  schuf  er  im  Jahre  1810 
im  Verein  mit  mehreren  Amateuren  das  erste  Orchester  in  Neu-England,  die 
„Philharmonie  Societ y",  welche  bis  1824  bestand.  Die  „Händel 
and  Haydn  Society''  zu  Boston  veranstaltete  ihr  erstes  öffentliches  Konzert  am 
Weihnachtsabend  1815,  wobei  sie  sowohl  Haydns  „Schöpfung"  wie  auch  Hän- 
deis „Messias"  zur  Aufführung  brachte. 

In  New  York  pflegten  die  im  Jahre  1799  gegründete  „Euterpean 
Society",  die  1823  entstandene  „Sacred  Music  Society",  die 
„C  h  o  r  a  1  S  o  c  i  e  t  y"  und  die  „H  a  r  m  o  n  i  c  S  o  c  i  e  t  y"  die  Oratorienmusik. 

Noch  größere  Bedeutung  als  diese  während  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts wieder  erlöschenden  Vereinigungen  erlangte  die  „Philharmonie 
Society".  Ihr  Ursprung  reicht  bis  in  das  Jahr  1839  zurück,  wo  eine  An- 
zahl tüchtiger  Künstler  für  die  Hinterbliebenen  eines  verstorbenen  Kollegen  am 
25.  Juni  ein  Benefizkonzert  veranstalteten  und  dabei  mit  der  vortrefflich  ge- 
lungenen Wiedergabe  der  „Freischütz-Ouvertüre"  ungeahnten  Erfolg  erzielten. 
Das  gab  den  Anstoß  zur  Gründung  der  aus  lauter  Berufskünstlern  bestehenden 
„Philharmonischen  Gesellschaft".  Ihre  Mitglieder,  der  Mehr- 
heit nach  Deutsche,  hatten  nicht  etwa  schnöden  Gelderwerb  im  Auge,  sondern 
steckten  sich  das  Ziel,  in  ihrer  hehren  Kunst  das  Vollkommenste  zu  leisten, 
unbekümmert  darum,  ob  sie  dabei  pekuniäre  Opfer  bringen  müßten. 

Die  Eintragung  der  Gesellschaft  erfolgte  im  April  1842.  Als  Dirigenten 
wechselten  anfangs  U.  C.  Hill,  GeorgLoder,H.  C.  Timm,  Theodor 
Eisfeld  und  Karl  Bergmann  miteinander  ab.  Hill,  ein  ausgezeichneter 
Violinist,  der  in  Kassel  bei  Spohr  studiert  hatte,  erschien  während  der  ersten 
Jahre  am  häufigsten  am  Dirigentenpult.  Von  1865  ab  bis  1876  leitete  Bergmann 
ausschließlich  die  Konzerte. 

Der  Philharmonischen  Gesellschaft  zu  New  York  folgten  im  Jahre  1851 
das  aus  Amateuren  bestehende  „H  ay  dn -Or  ch  e  st  er"  in  Baltimore;  1862 
die  „Philharmonische  Gesellschaft"  in  Brooklyn;  1881  das 
„Symphonie-Orchester"  in  Boston;  1885  das  „Philharmo- 
nische   Orchester"    in    Cleveland;    1891    das    „Sy  m  ph  on  i  e-O  r- 


—     507     — 

ehester"  in  Chicago  und  1 895  das  „Symphonie-Orchester"  in 
Cincinnati.  Die  Gesellschaften  in  Brooklyn  und  Baltimore  lösten  sich  während 
der  achtziger  Jahre  auf,  als  das  zu  hoher  Bedeutung  gelangende  „B  o  s  t  o  n  e  r 
Symphonie-Orchester"  regelmäßige  Kunstreisen  durch  den  Osten 
der  Vereinigten  Staaten  unternahm  und  mit  seinen  vollendeten  Leistungen  jene 
Gesellschaften  überflügelte. 

Mit  der  Geschichte  der  genannten  Vereinigungen  aufs  engste  verknüpft 
sind  die  Namen  mancher,  von  echtem  Künstlergeist  beseelten  Männer,  welche 
als  Apostel  deutscher  Musik  für  die  Entwicklung  des  Kunstsinns  in  Amerika 
von  höchster  Bedeutung  wurden :  Karl  Bergmann,  Theodor  Tho- 
mas, Karl  Zerrahn,  Georg  Henschel,  Wilhelm  Gericke, 
Leopold  und  Walter  Damrosch,  Anton  Seidl,  Emil  Paur, 
Frankvan  derStucken  u.  a. 

Karl  Bergmann,  ein  wahres  Dirigentengenie,  kam  im  Jahre  1848  als  Mit- 
glied des  aus  etwa  50  politischen  deutschen  Flüchtlingen  bestehenden  „Ger- 
mania-Orchesters" nach  Amerika.  Dieses  veranstaltete  in  verschiedenen 
Städten  Konzerte,  mit  denen  man  zwar  große  künstlerische,  aber  nur  geringe 
finanzielle  Erfolge  erzielte.  Trotzdem  bestand  es  unter  der  Leitung  Bergmanns 
und  später  unter  Karl  Zerrahn  bis  1854. 

In  den  Jahren  1852  bis  1854  war  Bergmann  Dirigent  der  „Händel 
und  Haydn  Society"  in  Boston.  Zu  Ende  der  fünfziger  Jahre  siedelte 
er  nach  New  York  über  und  führte  als  erster  ständiger  Leiter  der  „Philharmo- 
nischen Gesellschaft"  diese  Vereinigung  während  der  Jahre  1865  bis  1876  zu 
stolzer  Höhe  empor. 

An  seine  Stelle  trat  im  Winter  1876/77  der  in  Posen  geborene  Leopold 
Damrosch,  ein  hochbegabter  Musiker,  der  alle  Eigenschaften  eines  aus- 
gezeichneten Violinisten,  Komponisten  und  Dirigenten  in  sich  vereinigte.  Er 
kam  auf  Einladung  des  Männergesangvereins  „A  r  i  o  n"  nach  New  York,  um 
dessen  Leitung  zu  übernehmen.  Aber  sein  hochstrebender  Geist  betätigte  sich 
bald  auch  nach  anderen  Richtungen  hin.  So  rief  er  im  Jahre  1873  die 
„O  r  a  t  o  r  i  o  S  o  c  i  e  t  y"  ins  Leben,  die  sich  der  Wiedergabe  der  Werke  der 
großen  Tondichter  befleißigte.  Um  die  Orchestermusik  zu  kultivieren,  gründete 
Damrosch  im  Jahre  1877  die  „S  y  m  p  h  o  n  y  S  o  c  i  e  t  y",  welche  gelegentlich 
mit  der  „Oratorio  Society"  gemeinschaftlich  wirkte.  So  z.  B.  bei  dem  großen 
Musikfest,  welches  am  3.  bis  7.  Mai  1881  in  der  Waffenhalle  des  7.  New  Yorker 
Regiments  abgehalten  wurde.  Das  war  ein  musikalisches  Ereignis  allerersten 
Ranges.  Der  Chor  bestand  aus  1200  Stimmen,  da  zu  jenen  der  „Oratorio 
Society"  bewährte  Sänger  aus  anderen  Städten  zugezogen  waren.  Außerdem 
diente  ein  aus  1000  jungen  Damen  der  New  Yorker  Hochschulen  und  250 
Knaben  der  Kirchenchöre  gebildeter  Hilfschor  als  Unterstützung.  Das  Or- 
chester zählte  250  Instrumente.  Händeis  „Messias"  und  „Te  Deum",  Rubin- 
steins „Turmbau  zu  Babel",  Berlioz'  „Totenmesse"  und  Beethovens  „9.  Sym- 
phonie" waren  die  bedeutendsten  der  zu  Gehör  gebrachten  Werke.     Das  Fest 


508     — 


gestaltete  sich  sowohl  in  künstlerischer  wie  finanzieller  Hinsicht  zu  einem  groß- 
artigen Erfolg. 

Später  bereiste  Damrosch  mit  einem  eigenen  Orchester  den  Westen  der 
Vereinigten  Staaten  und  übernahm  dann  im  Jahre  1884  die  Leitung  der  Deut- 
schen Oper  im  „New  Yorker  Metropolitan  Opernhause".    Die  57  Vorstellungen 

umfassende  Saison 
nahm  in  künstlerischer 
Hinsicht  einen  über- 
aus glänzenden  Ver- 
lauf, brachte  aber  für 
Damrosch  so  außer- 
ordendiche  Anstren- 
gungen mit  sich,  daß 
der  überbürdete  Mann 
zur  selben  Zeit,  wo 
ganz  New  York  seines 
Ruhmes  voll  war,  am 
10.  Februar  1885  sei- 
nen Lasten  erlag. 

Der  große  per- 
sönliche Magnetismus, 
der  von  Damrosch  aus- 
strömte, die  Gabe,  seine 
Ideen  sofort  dem  Or- 
chester mitzuteilen,  ver- 
erbten sich  in  hohem 
Grade  auf  seinen  Sohn 
Walter,  der  nach 
dem  Tode  seines  Va- 
ters auch  die  Leitung 
der  von  demselben  ge- 
gründeten Oratorien- 
und  Symphonie-Gesell- 
schaften, übernahm,  im 
Jahre  1903  das  „New 
Yorker  Symphonie- 
Orchester"  gründete 
der    ersten     Stellen     ein- 


Leopold Damrosch. 
modernen    Kunstleben    Amerikas    eine 


und    im 
nimmt. 

Aufs  engste  mit  der  Geschichte  der  „Philharmonischen  Gesellschaft"  zu 
New  York  verknüpft  ist  ferner  der  Name  des  in  dem  kleinen  ostfriesischen 
Städtchen  Esens  geborenen  Theodor  Thomas.  Derselbe  kam  als  zehn- 
jähriger Knabe  im  Jahre  1845  nach  Amerika  und  mußte  seinem  streng  musika- 


—    509     — 


lischen  Vater,  einem  Violinisten,  schon  frühzeitig  helfen,  Geld  zu  verdienen. 
Wie  ernst  es  ihm  um  die  Kunst  war,  beweist  die  Tatsache,  daß  er,  kaum  zwanzig 
Jahre  alt,  in  New  York  bereits  eine  Kam.mermusikvereinigung  gründete.  Kurze 
Unterbrechungen  abgerechnet,  unterhielt  Thomas  während  des  Zeitraumes  1864 
bis  1891  auch  ein  eige- 
nes Orchester,  mit  wel- 
chem er  ausgedehnte 
Konzertreisen  unter- 
nahm. Dieselben  mach- 
ten zwar  seinen  Namen 
zu  einem  der  berühm- 
testen in  ganz  Amerika, 
waren  aber  nur  selten 
von  großen  finanziellen 
Erfolgen  begleitet.  Da- 
gegen war  ihr  er- 
zieherischer Wert  un- 
geheuer. Der  Musik- 
kritiker John  Cornelius 
Griggs  äußert  sich  in 
seinen  „Studien  über 
die  Musik  in  Amerika" 
folgendermaßen:  „Vie- 
len Leuten  erschien  das 
Thomas-Orchester  als 
die  erste  wundervolle 
Offenbarung  der  Macht 
der  Instrumentalmusik. 
Ich  werde  niemals  den 
Blick  in  eine  neue  Welt 
vergessen,  die  sich  mir 
beim  ersten  Hören  eines 

Thomas-Symphonie- 
Konzertes  erschloß.  Der 
Reichtum  und  die  Tiefe 
des  Tons  der  zwölf 
ersten  Violinen,  die 
wunderbare  Bestimmt- 
heit, die  Einheit  der  Wirkung,  welche  der  ganzen  lebenden,  immer  wechselnden 
Fülle  der  Töne  den  Anschein  gaben,  als  ginge  sie  von  dieser  einen, 
ruhigen,  würdevollen  Person  aus  — ,  dies  und  noch  viel  mehr  brachten 
die  Konzertreisen  von  Theodor  Thomas  zuerst  Tausenden  zur  Kenntnis  und 
zum  Genuß." 


Theodor  Thomas. 


—     510     — 

Mit  seinem  auf  150  Musiker  verstärkten  Orchester  und  einem  Chor  von 
400  Sängern  gab  Thomas  im  April  1884  im  „Metropolitan-Opernhause"  zu 
New  York  sechs  Wagnerkonzerte,  wobei  unter  den  Solisten  Berühmtheiten  wie 
Amalie  Materna,  Winkelmann  und  S  c  a  r  i  a  mitwirkten.  Die  Kon- 
zerte der  „Philharmonischen  Gesellschaft"  zu  New  York  leitete  Thomas  wäh- 
rend des  Zeitraumes  1877  bis  1891.  In  der  Geschichte  jener  Vereinigung  ist 
diese  Periode  zweifellos  eine  der  glänzendsten. 

Im  Jahre  1891  erhielt  Thomas  von  Chicago  aus  den  Antrag,  an  die  Spitze 
eines  dort  zu  gründenden  Symphonieorchesters  zu  treten.  Da  das  Unternehmen 
durch  die  Freigebigkeit  kunstsinniger  Männer  gesichert  wurde,  so  nahm  Thomas 
den  Ruf  an  und  blieb  bis  zu  seinem  am  4.  Januar  1905  erfolgten  Tode  mit  jenem 
Orchester  verbunden. 

Seinen  hohen  künstlerischen  Idealen  unentwegt  nachstrebend,  die  Schöpf- 
ungen der  großen  Tonkünstler  gewissenhaft  interpretierend  und  stets  bemüht, 
die  Massen  des  Volkes  emporzuführen,  anstatt  selbst  zum  Niveau  der  Tages- 
mode herabzusteigen,  gehört  Thomas  zu  den  hervorragendsten  Pionieren  der 
Musik  in  Amerika.  Und  deshalb  hat  sein  Name  in  der  Geschichte  des  ameri- 
kanischen Musiklebens  dauernden  Bestand.  — 

Als  Thomas  nach  Chicago  übersiedelte,  trat  in  New  York  an  seine 
Stelle  der  1850  in  Pest  geborene  Anton  Seidl,  ein  früherer  Zög- 
ling des  Leipziger  Konservatoriums.  Nach  der  Absolvierung  dieser  berühmten 
Musikschule  hatte  Seidl  mehrere  Jahre  in  der  nächsten  Umgebung  Richard 
Wagners  in  Bayreuth  verlebt  und  dessen  letzte  Werke  mit  herstellen  helfen. 
Wagner  war  es  auch,  der  ihn  als  Kapellmeister  an  das  Leipziger  Stadttheater 
brachte.  Später  füHte  Seidl  ähnliche  Stellen  in  Prag  und  Bremen  aus,  von  wo 
er  im  Jahre  1885  nach  dem  lode  Damroschs  nach  New  York  berufen  wurde. 
Hier  leitete  er  das  „Metropolitan-Opernhausorchester",  die  „Philharmonische 
Gesellschaft"  und  die  „Seidl-Gesellschaft"  in  Brooklyn.  Was  Seidl  an  der  Spitze 
dieser  ausgewählten  Künstlerscharen,  insbesondere  als  Apostel  seines  geliebten 
Meisters  Wagner  leistete,  wird  in  der  Musikgeschichte  New  Yorks  unvergeßlich 
bleiben.  Er  stand  auf  dem  Gipfel  seines  Ruhmes,  als  er  am  28.  März  1898  einer 
Ptomainvergiftung  erlag.  — 

Was  Bergmann,  Damrosch,  Thomas  und  Seidl  für  das  Kunstleben  New 
Yorks  bedeuteten,  das  waren  Karl  Zerrahn,  Georg  Henschel  und 
Wilhelm  Gericke  für  Boston.  Zerrahn,  ein  Mecklenburger,  war  in  dem 
bereits  erwähnten,  aus  flüchtigen  deutschen  Musikern  bestehenden  „Germania- 
Orchester"  Flötist  und  später  Dirigent.  Als  das  Orchester  im  Jahre  1854  sich 
auflöste,  übernahm  er  die  Leitung  des  Bostoner  „Philharmonischen  Orchesters". 
Ferner  leitete  er  mehrere  Jahrzehnte  hindurch  die  „Händel  and  Haydn  Society", 
desgleichen  die  von  der  „Harvard  Musical  Association"  während  der  Jahre 
1866  bis  1882  veranstaUeten  Symphoniekonzerte,  die  Konzerte  der  „Oratorio 
Society"  zu  Salem,  sowie  die  in  der  Stadt  Worcester,  Massachusetts  abgehaltenen 
„Worcester  Festivals",  die  für  den  Nordosten  der  Vereinigten  Staaten  die  gleiche 


—     511     — 


Bedeutung  besitzen,  wie  die  „Rheinisclien  Musikfeste"  für  das  nordwestliche 
Deutschland.  Welch  ungeheuren  Einfluß  Zerrahn  auf  das  Musildeben  der  Neu- 
Englandstaaten  ausübte,  geht  aus  folgender  Stelle  des  von  L.  Elton  ver- 
faßten Werkes  „National  Music  of  America"  hervor:  „Zerrahn  was  the 
bridge,  by  which  New  England  travelled  to  its  modern  goal  in  classical 
music."  — 

Der  Breslauer 
GeorgHenschel, 
ein  Zögling  der  Kon- 
servatorien zu  Leipzig 
und  Berlin,  leitete  das 
durch  die  Freigebig- 
keit des  musikliebenden 
Privatmannes  Higgin- 
son  möglich  gewor- 
dene „Symphonie-Or- 
chester" der  Stadt 
Boston  während  des 
Zeitraums  1881—1884. 
In    seine  Stelle    rückte 

später  Wilhelm 
G  e  r  i  c  k  e  ein,  der 
frühere  Dirigent  der 
Wiener  Hofoper  und 
Gesellschaftskonzerte. 
Als  diesen  im  Jahre 
1889  Gesundheitsrück- 
sichten nötigten,  nach 
Europa  zu  gehen,  füll- 
ten bis  zu  seiner  Rück- 
kehr im  Jahre  18Q8 
der  geniale  Arthur 

N  i  k  i  s  c  h  und 
Emil  P  a  u  r  seinen 
Platz  aus.  Beide  wuß- 
ten das  Boston  -  Or- 
chester nicht  nur  auf  der  von  Gericke  erzielten  imposanten  Höhe  zu  er- 
halten, sondern  seinen  Ruhm  durch  regelmäßige  Konzertreisen  auch  über  den 
ganzen  Osten  zu  verbreiten.  Wie  hoch  seine  künstlerischen  Leistungen  stehen, 
geht  aus  einem  Urteil  des  berühmten  Dirigenten  Felix  Weingartner  aus  München 
hervor,  der  während  einer  Besuchsreise  in  Amerika  das  Orchester  hörte  und  es 
in  einem  für  die  Berliner  Zeitschrift  „Die  Musik"  geschriebenen  Aufsatz  „einen 
Tonkörper  allerersten  Ranges"  nennt.   Der  Klang  seines  starkbesetzten  Streicher- 


Karl  Zerrahn. 


—     512     — 

chors  sei  prächtig,  die  Feinheit  der  Bläser  bezaubernd  und  die  Gesamtwirkung 
von  glänzender  Schönheit.  — 

Emil  Paur  übernahm  im  Jahre  1898  die  Leitung  der  „Philharmonischen 
Gesellschaft"  zu  New  York,  im  Jahre  1904  diejenige  des  von  Victor  Herbert 
gegründeten  Orchesters  zu  Pittsburg. 

Das  im  Jahre  1895  entstandene  „Symphonie-Orchester"  zu  Cincinnati 
steht  unter  Leitung  des  am  15.  Oktober  1858  in  der  deutschen  Ansiedlung 
Fredericksburg  in  Texas  geborenen  Frank  van  der  Stucken,  eines  un- 
ermüdlichen Pioniers  der  hohen  Musik  in  Amerika.  Seine  künstlerische  Bil- 
dung erhielt  derselbe  in  Antwerpen  und  Leipzig.  Nach  manchen  Wanderjahren 
finden  wir  ihn  im  Jahre  1881  als  Kapellmeister  des  Stadttheaters  in  Breslau, 
1883  in  der  Umgebung  Liszts  in  Weimar,  1884  als  Dirigenten  des  ausgezeichneten 
Männergesangvereins  „Arion"  zu  New  York.  Mit  diesem  unternahm  er  im 
Jahre  1892  eine  einzig  dastehende  Sängerfahrt  durch  Deutschland  und  Öster- 
reich, während  welcher  die  deutschamerikanischen  Sänger  durch  ihre  vollendeten 
Leistungen  bewiesen,  daß  sie  den  besten  Gesangvereinen  der  Alten  Welt  eben- 
bürtig seien. 

Neue  Triumphe  erntete  van  der  Stucken  als  Leiter  mehrerer  großer  Musik- 
und  Sängerfeste.  Im  Jahre  1895  übernahm  er  das  neugegründete  „Symphonie- 
Orchester"  in  Cincinnati  und  hat  dieses  seitdem  zu  zahlreichen  Siegen  geführt. 

Zu  den  deutschen  Pionieren  der  abstrakten  Mtisik  zählt  auch  der  im  Jahre 
1859  in  Breslau  geborene  älteste  Sohn  Leopold  Damroschs,  Frank  H.  Dam- 
r  o  s  c  h  ,  welcher  gleich  seinem  Bruder  Walter  auf  eine  reiche  Tätigkeit  zurück- 
blicken kann.  So  leitete  er  den  „Chorus  Club"  der  Stadt  Denver,  Colorado,  die 
„Harmonie  Society"  zu  Newark,  New  Jersey,  den  „Orpheus  Club"  zu  Phila- 
delphia, sowie  den  „Choral  Club",  die  „Oratorio  Society"  und  das  „Symphonie- 
Orchester"  zu  New  York. 

Ferner  ist  der  Dresdener  FranzXaverArens  zu  erwähnen,  welcher 
in  den  Jahren  1885  bis  1888  das  „Philharmonische  Orchester"  zu  Cleveland 
leitete  und  seit  1898  an  der  Spitze  der  „Manuscript  Society"  zu  New  York  steht. 
Hier  eröffnete  er  auch  im  Jahre  1900  die  rasch  zu  großer  Beliebtheit  gelangen- 
den „Volkssymphoniekonzerte"  („Peoples  Symphony  Concerts"),  welche  durch 
ihre  gut  ausgewählten  Programme  und  sehr  geringen  Eintrittspreise  zur  Hebung 
des  Kunstsinnes  unter  den  großen  Massen  beträchtlich  beitragen,  da  vorwiegend 
Geschäftsangestellte,  Studierende,  wenig  bemittelte  Bürger  und  Arbeiter  zu  den 
Besuchern  dieser  Konzerte  gehören. 

Die  fortschrittliche  Gesinnung  für  symphonische  Konzerte  zeigt  sich  auch 
in  vielen  anderen  Städten,  in  Philadelphia,  Brooklyn,  Washington,  Portland 
(Maine),  New  Flaven  (Conn.),  St.  Louis,  Milwaukee,  Louisville,  Cleveland  usw., 
wo  überall  Bestrebungen  zur  Gründung  von  Orchestervereinigungen  zutage 
treten.  Nach  weiteren  zehn  Jahren  dürfte  kaum  eine  größere  Stadt  der  Union 
mehr  ohne  eigenes  Orchester  sein. 


—     513     — 

Neben  den  Symphonieorchestern  entstanden  da  und  dort  auch  Kammer- 
musikvereinigungen,  deren  Mitglieder  sich  bestrebten,  die  schwierigsten  Ton- 
dichtungen berühmter  Meister  in  vollendeter  Weise  wiederzugeben.  Auch  auf 
diesem  Felde  war  Theodor  Thomas  der  Pionier,  indem  er  1855  mit  den  beiden 
Geigern  Georg  Matzka  und  Joseph  Mosenthal,  dem  Cellisten 
Karl  Bergmann  und  dem  Pianisten  William  Mason  eine  Kammer- 
musikvereinigung gründete,  die  ihre  Missionstätigkeit  zehn  Jahre  lang  fort- 
setzte, trotzdem  sie  niemals  nennenswerte  Einnahmen  erzielte. 

Unter  den  später  entstandenen  Genossenschaften  steht  obenan  das  von 
dem  Konzertmeister  des  „Boston  Symphonie-Orchesters"  Franz  Kneisel 
gegründete  „Kneisel-String-Quartett",  welches  in  seinen  Darbietungen  nach  dem 
Urteil  der  berufensten  Musikkenner  den  allerbedeutendsten  Kammermusikver- 
einigungen der  Alten  Welt  vollkommen  ebenbürtig  ist.  Nach  Überwinden 
zahlloser  Schwierigkeiten  und  Enttäuschungen  erreichte  diese  Genossenschaft 
es  endlich,  daß  ihre  im  Musikleben  Amerikas  die  erste  Stelle  einnehmenden 
Konzerte  in  allen  Städten  nur  noch  vor  ausverkauften  Sälen  stattfinden. 
Zweifellos  zählt  sie  in  musikalischer  Hinsicht  zu  den  wichtigsten  Kulturfaktoren 
Amerikas,  da  sie  außerordentlich  viel  dazu  beitrug,  die  Kammermusik  auch  in 
vielen  Privathäusern  heimisch  zu  machen. 

In  Boston  besteht  ferner  der  von  dem  Amerikaner  Thomas  Ryan 
gegründete  „Mendelssohn  Quintett-Club",  dessen  Mitglieder  mit  alleiniger  Aus- 
nahme Ryans  Deutsche  sind. 

New  York  besitzt  eine  ähnliche  Vereinigung,  den  „Philharmonie  Club", 
welche  von  dem  über  dreißig  Jahre  als  Konzertmeister  mit  der  Philharmonischen 
Gesellschaft  verbundenen  Violinisten  Richard  Arnold  gegründet  wurde. 

Diesen  hohen  Vorbildern  folgen  zahlreiche  ähnliche  Vereinigungen,  die 
in  anderen  amerikanischen  Städten  zusammentraten,  um  ihr  Teil  an  dem  großen 
Kulturwerk  beizutragen.  Zur  Fortführung  desselben  wurden  sie  nicht  wenig 
durch  jene  großen  Virtuosen  und  Dirigenten  angespornt,  die  der  Einladung 
solcher  Vereinigungen  folgten  und  sich  zu  Besuchsreisen  durch  die  Vereinigten 
Staaten  entschlossen. 

Unter  diesen  Gastdirigenten  befanden  sich  Max  Bruch,  Hans 
von  Bülow,  Felix  Weingartner,  Gustav  Kogel,  Richard 
Strauß,  Carl  Panzner,  Fiedler,  Kunwald,  Karl  Muck  und 
Gustav  Mahler;  unter  den  Violinvirtuosen  August  Wilhelm], 
Fritz  Kreisler  und  Hugo  Heermann;  unter  den  Pianisten  Anton 
Rubinstein,  Rafael  Joseffy,  Thalberg,  Xaver  Schar- 
wenka,  Louis  Maas,  Emil  Liebling,  Eugen  d'Albert, 
Emil  Sauer,  Joseph  Hofmann,  Stavenhagen,  Reisenauer, 
Moritz  Rosenthal  sowie  die  Damen  Marie  Krebs,  Anna 
Mehlig,  Alide  Topp,  Adele  aus  der  Che,  Fanny  Bloom- 
field-Zeisler  u.  a. 

Die  hohen  Leistungen  solcher  Künstler  und  Künstlerinnen  regten   zur 

Gronau,   Deutsches   Lerien   in  Amerika.  33 


—     514     - 

Gründung  von  Musikschulen  an,  aus  denen  bereits  manche  hochbegabte  Zög- 
linge hervorgingen,  deren  Namen  heute  guten  Klang  besitzen. 

Von  Jahr  zu  Jahr  mehrt  sich  die  Zahl  solcher  Schulen  und  Vereinigungen. 
Da  neuerdings  auch  die  Universitäten  beginnen,  der  Kenntnis  der  Tonkunst 
großen  Wert  beizulegen  und  „Musikalische  Abteilungen"  gründen,  so  wird 
die  Musik,  die  holdeste,  gewinnendste  und  erhebendste  unter  den  Musen,  ihre 
hohe  Kulturmission  auch  in  Amerika  erfüllen. 


Unter  den  deutschen  Musikern,  welche  der  Tonkunst  in  Amerika  neue 
Heimstätten  bereiteten,  befanden  sich  viele,  die  sich  nicht  damit  begnügten,  die 
von  anderen  Meistern  geschaffenen  Werke  zu  Gehör  zu  bringen,  sondern  sich 
auch  in  eigenen  Schöpfungen  zu  betätigen  suchten. 

Konrad  Beissel  sowie  verschiedene  unter  den  Herrnhutern  lebende 
Musikfreunde  sind  auch  auf  diesem  Gebiet  als  Pioniere  zu  betrachten,  da  sie 
zu  vielen  in  Ephrata,  Bethlehem,  Nazareth  und  anderen  Orten  gedichteten 
geistlichen  Liedern  die  Melodien  komponierten. 

Zu  Ausgang  des  18.  Jahrhunderts  lebten  auch  in  Boston  und  Phila- 
delphia einzelne  professionelle  deutsche  Musiker,  die  sich  der  Tonsatzkunst 
befleißigten.  Die  bedeutendsten  waren  Hans  Gram  und  G  o  1 1 1  i  e  b 
Graupner.  Gram  war  Organist  der  Brattle-Kirche  in  Boston.  Zusammen 
mit  Oliver  Holden  und  Samuel  Holyoke  gab  er  im  Jahre  1795  den  „Massachu- 
setts Compiler"  heraus,  eine  der  frühesten  musikalischen  Zeitschriften  der  Ver- 
einigten Staaten.  Gram  verdankt  man  außer  anderen  Kompositionen  auch  die 
im  Jahre  1793  veröffentlichten  „Sacred  Lines  for  Thanksgiving  Day". 

Seinen  Landsmann  Gottlieb  Graupner  lernten  wir  bereits  als  Begründer 
des  ersten  Orchesters  sowie  der  berühmten  „Händel  and  Haydn  Society"  zu 
Boston  kenneri.  Von  ihm  erhielten  sich  gleichfalls  mehrere  Kompositionen, 
deren  Titel  und  Erscheinungsjahre  in  Sonnecks  „Bibliography  of  early  secular 
American  Music"  aufgezählt  sind.  Dasselbe  Werk  nennt  auch  die  Namen  sowie 
einzelne  Werke  der  um  die  gleiche  Zeit  in  Boston  lebenden  Violinvirtuosen 
und  Komponisten  Peter  Albrecht  von  Hagen  (Vater  und  Sohn) ;  ferner 
des  Franz  Schaffer  oder  Schäfer,  dessen  Werke  auf  Bostoner  Musik- 
programmen vom  Ende  des  18.  Jahrhunderts  erscheinen. 

In  Philadelphia  lebte  um  jene  Zeit  Philipp  Roth,  ehemals  Kapell- 
meister eines  englischen  Füsilierregiments.  In  ihm  vermutet  man  den  Kom- 
ponisten des  Präsidentenmarsches  „Hail  Columbia". 

Philadelphia  war  ferner  der  Wohnsitz  des  Komponisten  Johann 
Heinrich  Schmidt,  welcher  im  Jahre  1788  dort  Vorträge  über  Musik 
hielt  und  diese  durch  eingestreute  Gesang-  und  Musikstücke  illustrierte.  Daß 
all  diese  wackeren,  im  Dienst  der  edlen  Musika  stehenden  Männer  einen  harten 
Kampf  ums  Dasein  zu  fechten  hatten,  darf  man  daraus  schließen,  daß  sie  neben 


—     515     — 

musikalischem  Unterricht  auch  Musikalienhandel  betrieben,  um  mit  den  Erträg- 
nissen desselben  einen  Teil  ihres  Lebensunterhalts  zu  decken. 

Das  während  des  19.  Jahrhunderts  sich  zeigende  Erwachen  musikalischen 
Lebens  in  Amerika  bekundete  sich  auch  in  der  raschen  Zunahme  der  zur  Ver- 
öffentlichung gelangenden  Kompositionen.  Sangesweisen  für  geistliche  und 
weltliche  Lieder,  besonders  für  Männerchöre  entstanden  in  großer  Zahl.  Dem 
genialen  Leopold  Damrosch  verdankt  die  Welt  zahlreiche  Violinstücke,  darunter 
das  biblische  Idyll  „Sulamith";  ferner  eine  Festouvertüre.  Frank  van  der  Stucken 
zeigte  sein  Können  in  den  symphonischen  Dichtungen  „Pax  triumphans"  und 
„Ratcliff',  ferner  in  einer  „Bundeshymne"  und  vielen  anderen  Werken,  die, 
durch  wundervolle  Orchestration  und  glänzendes  Kolorit  ausgezeichnet,  auch 
in  Europa  zahlreiche  Aufführungen  erlebten. 

Ferner  bereicherten  die  deutschamerikanischen  Komponisten  F.  X. 
Ahrens,  Johann  n  A.  Beck,  Friedrich  Brandeis,  Wilhelm 
Heinrich  Beerwald,  Arthur  Claasen,  E.  G.  Dossert, 
J.  Eichberg,  Alexander  von  Fielitz,  Adolf  Förster, 
R.  Goldbeck,  Louis  Gottschalk,  Simon  Hassler, 
R.  Hoff  man,  Bruno  Oskar  Klein,  Adolf  Killing, 
Mathias  Keller,  E.  R.  Kroger,  E.  Liebling,  Julius  Lorenz, 
M.  Merz,  Eduard  Mollenhauer,  Walter  Petzet,  Friedrich 
Louis  Ritter,  Louis  Saar,  H.  Schön  feld,  W.  C.  Seeböck, 
Otto  Singer,  Hermann  Spielter,  Max  Spicker,  Arthur 
Vel  ten  u.  a.  die  Welt  um  zahllose  köstliche  Darbietungen,  von  denen  manche 
bleibenden  Wert  besitzen.  In  vielen  dieser  Tondichtungen  offenbaren  sich  echt 
deutsches  Gemüt  und  jenes  tiefe  Empfinden,  daß  die  Natur  dem  Deutschen  zu- 
gleich mit  seiner  Sangesfreude  ins  Herz  gesenkt  hat. 

Deutsche  Einflüsse  zeigen  sich  auch  in  den  Werken  zahlreicher  amerika- 
nischer Komponisten,  besonders  derjenigen  welche  gleich  vielen  amerikanischen 
Gelehrten,  Medizinern,  Chemikern,  Ingenieuren  und  Baumeistern  die  Grund- 
lagen für  ihr  Können  an  deutschen  Lehranstalten  legten  oder  ihr  Wissen  in 
Deutschland  vervollständigten.  Zu  diesen  von  der  deutschen  Kunst  beein- 
flußten Amerikanern  zählen  beispielsweise  die  berühmten  Komponisten  Paine, 
MacDowell,  Kelley  und  Chadwick. 

Der  1839  in  Portland,  Maine,  geborene  John  Knowles  Paine 
pilgerte  im  Alter  von  19  Jahren  nach  Berlin,  wo  er  unter  Haupt,  Wieprecht 
und  Teschner  Orgel,  Komposition  und  Gesang  studierte.  Nach  seiner  Rück- 
kehr lehrte  er  im  Jahre  1862  als  Privatdozent  an  der  Harvard  Universität. 
Diese  Stellung  wurde  1875  zu  einer  Professur  für  Musik  erhoben,  —  die  erste 
derartige  an  irgendeiner  amerikanischen  Hochschule.  Die  anfangs  geringe  Zahl 
der  dort  Musik  Studierenden  v/ächst  von  Jahr  zu  Jahr.  Sie  beträgt  gegen- 
wärtig bereits  über  200,  so  daß  Paine  die  Hilfe  mehrerer  Assistenten  benötigte. 

Die  deutsche  Schulung  Paines  zeigt  sich  selbstverständlich  am  stärksten 
in   seinen   frühesten    Kompositionen;   der   Einfluß   Händeis   beispielsweise   in 

33* 


—     516     — 

dem  Oratorium  „St.  Peter'',  welches,  im  Jahre  1874  von  der  „Händel-  und 
Haydn-Society"  in  Boston  zuerst  gesungen,  als  das  beste  aller  in  Amerilta 
geschaffenen  Oratorien  gilt. 

Der  1861  in  New  York  geborene,  im  Jahre  1907  verstorbene  Komponist 
Edward  MacDowell  studierte  in  Stuttgart  und  Frankfurt ;  in  der 
letztgenannten  Stadt  unter  Carl  Heymann  an  dem  von  Raff  geleiteten 
Konservatorium.  Später  v/irkte  er  als  erster  Klavierlehrer  am  Konser- 
vatorium zu  Darmstadt,  verlebte  dann  mehrere  Jahre  in  Weimar,  Frankfurt 
und  Wiesbaden  und  kehrte  1889  nach  den  Vereinigten  Staaten  zurück,  wo  er 
im  Jahre  1896  die  eben  an  der  Columbia-Universität  zu  New  York  geschaffene 
Professur  für  Musik  übernahm.  Während  seine  frühesten  Lieder  und  Klavier- 
stücke entschieden  nach  deutschen  Vorbildern  geschaffen  sind,  entwickelte 
Mac  Dowell  in  seinen  späteren  Schöpfungen  eine  Eigenart,  die  ihn  im  Musik- 
leben Amerikas  zu  einer  der  bemerkenswertesten  Persönlichkeiten  werden  ließ. 

Edgar  Stillman  Kelley,  1857  in  Wisconsin  geboren,  ist  gleich- 
falls ein  ehemaliger  Zögling  des  Stuttgarter  Konservatoriums.  George 
W.  Chadwick,  gegenwärtig  Direktor  des  New  England-Konservatoriums 
in  Boston,  verdankt  seine  vorzügliche  Schulung  den  Professoren  Judassohn 
und  Reinecke  in  Leipzig,  sowie  Rheinberger  in  München.  Den  Unterricht  des 
letzten  genoß  übrigens  auch  Horatio  Parker,  der  seit  zwei  Jahrzehnten 
die  Musikprofessur  an  der  Yale-Universität  bekleidet. 

Es  wäre  nicht  schwer,  den  mächtigen  Einfluß  der  deutschen  Tonkunst 
auf  die  amerikanische  noch  an  vielen  anderen  Beispielen  festzustellen.  Aber 
die  hier  angeführten  genügen  vollkommen,  um  die  reiche  Befruchtung,  die  das 
Musikleben  der  Neuen  Welt  aus  Deutschland  empfing,  erkennen  zu  lassen. 


Das  deutsche  Theater  in  Amerika. 

Fast  um  dieselbe  Zeit,  wo  die  großen  Schöpfungen  der  deutschen  Ton- 
dichter ihren  Einzug  in  die  Vereinigten  Staaten  hielten,  begannen  auch  die 
Werke  deutscher  Bühnenautoren  ihren  Weg  dorthin  zu  finden.  Und  zwar  über 
London,  wo  die  Dramen  Kotzebues,  Schillers,  Zschokkes  und  Halms  in  eng- 
lischen Übersetzungen  über  die  weltbedeutenden  Bretter  gingen  und  stets  volle 
Häuser  brachten. 

Schillers  „Räuber"  erlebten,  gleichfalls  in  englischer  Übersetzung,  bereits 
im  Jahre  1795  in  New  York,  Philadelphia  und  Baltimore  ihre  amerikanische 
Erstaufführung.  „Wilhelm  Teil",  „Don  Carlos"  sowie  „Kabale  und  Liebe" 
folgten  wenige  Jahre  später.  Desgleichen  gehörten  Zschokkes  „Abellino,  der 
große  Bandit"  und  Halms  „Sohn  der  Wildnis"  zu  den  gern  gesehenen  Stücken. 

Seit  jener  Zeit  haben  unzählige  Werke  der  späteren  und  neueren  deutschen 
Dramatiker  in  englischen  Umarbeitungen  in  den  Vereinigten  Staaten  Auf- 
führungen erlebt,  z.  B.  Heyses  „Maria  Magdalena"  (unter  dem  Titel  „Mary 
of  Magdala");  Försters  „Alt  Heidelberg";  Fuldas  „Paradies"  und  „Talisman"; 
Blumenthal-Kadelburgs  „Im  weißen  Rößl"  („In  the  White  Horse  Tavern"); 
Sudermanns  „Es  lebe  das  Leben",  „Heimat"  und  „Die  Ehre";  ferner  die  besten 
Werke  von  Gustav  von  Moser  und  Roderich  Benedix.  Daß  alle  diese  hervor- 
ragenden Stücke  auf  die  amerikanischen  Bühnenschriftsteller  und  Darsteller 
großen  Einfluß  ausübten,  dürfte  von  niemandem  angezweifelt  werden. 

Dem  Verlangen  der  deutschamerikanischen  Bevölkerung  nach  Vorstellun- 
gen in  deutscher  Sprache  suchten  zuerst  die  in  zahlreichen  geselligen  Ver- 
einen gegründeten  Liebhabertruppen  zu  entsprechen.  Erst  im  zweiten  Drittel 
des  19.  Jahrhunderts  brachten  Friedrich  Schwan  in  New  York  und 
von  Adlerberg  in  Indianapolis  kleine  Truppen  berufsmäßiger  Schau- 
spieler zusammen.  Die  Lokalitäten,  in  denen  diese  ihre  Aufführungen  darboten, 
waren  allerdings  recht  bescheiden  und  stellten  mit  ihren  an  die  Bühnen  Shake- 
speares erinnernden  primitiven  Einrichtungen  an  die  Phantasie  der  Zuschauer 
große  Anforderungen. 

Der  höhere  Ansprüche  stellenden  Einwandrung  der  Achtundvierziger  ist  die 
Gründung  wirklicher  deutscher  Theater  in  den  Vereinigten  Staaten  zu  danken. 
In  New  York  schuf  der  an  den  Hoftheatern  zu  Dresden  und  Darmstadt  be- 
schäftigt gewesene  Heldendarsteller  Otto  von  Hoym  in  Gemeinschaft 
mit   Eduard   Hamann    im    Jahre    1853    an    der    Bowery   das    deutsche 


—     518     — 

„Stadttheater''.  Hoym  war  der  künstlerische  Leiter  desselben.  Dieser  erste 
deutsche  Theaterdirektor  in  Amerika  besaß  manche  Eigenschaften,  die  ihn  rasch 
zu  einer  der  beliebtesten  Persönlichkeiten  des  damaligen  New  York  machten. 
Ein  wahrer  Adonis  an  Gestalt,  zugleich  über  ein  prächtiges  Organ  und  ein 
ausgezeichnetes  Darstellertalent  gebietend,  war  er  der  ideale  Vertreter  eines  von 
allen  Schönen  angeschmachteten  jugendlichen  Helden.  Seine  eheliche  Ver- 
bindung mit  der  vom  Darm  Städter  Hoftheater  stammenden  tragischen  Lieb- 
haberin Elise  Hehl  gestaltete  sich  zu  einem  Ereignis,  an  dem  das  ganze 
New  Yorker  Deutschtum  lebhaften  Anteil  nahm.  Das  von  Hoym  beim  Aus- 
bruch des  Bürgerkriegs  bei  der  Organisierung  des  42.  Regiments  New  Yorker 
Freiwilliger  wacker  mitwirkte  und  als  Hauptmann  in  dasselbe  eintrat,  trug 
ungeheuer  zu  seiner  Beliebtheit  bei.  Seine  Gefangennahme  in  Virginien  nach 
siebentägigem  Gefecht,  seine  Einkerkerung  in  dem  berüchtigten  Libby-Gefängnis 
zu  Richmond  erhöhten  die  ihn  umgebende  Romantik.  Kein  Wunder,  daß,  als 
Hoym  später  ausgetauscht  wurde,  sein  Wiederauftreten  in  New  York  zu  den 
stürmischsten  Ovationen  Anlaß  gab. 

Da  im  Stadttheater  ausschließlich  berufsmäßige  Künstler  auftraten  und 
man  auf  gute  Inszenierung  hielt,  so  gestaltete  der  Besuch  sich  so  gut,  daß  die 
beiden  Direktoren  nach  mehreren  Jahren  zum  Bau  eines  3500  Personen  fassen- 
den „Neuen  Stadttheaters"  schreiten  konnten.  In  diesem  gleichfalls  an  der 
Bowery  gelegenen,  am  6.  September  1864  eröffneten  Hause  pflegte  man  sowohl 
das  Schau-  und  Lustspiel  als  auch  Operette  und  Oper.  Unter  den  hier  auf- 
tretenden Künstlern  befanden  sich  zahlreiche  aus  Deutschland  zu  Gastspielen 
eingeladene  Größen  wie  PaulineLucca,  Magda  Irschick,  Daniel 
Bandmann,  Eugenie  Schmitz,  L'Arronge,  Bogumil  Da- 
vison,  Friedrich  FI  aase  u.  a.  Ihre  Gastspiele  gestalteten  sich  zu 
förmlichen  Triumphen  und  brachten  sowohl  den  Darstellern  wie  den  Direktoren 
Gold  und  Ehren  ein.  Als  von  Hoym  wegen  eines  Augenleidens  im  Jahre  1867  die 
Leitung  des  Stadttheaters  niederlegte  und  nach  Deutschland  zurückkehrte,  zeigte 
es  sich,  in  wie  hohem  Grade  die  Erfolge  des  Theaters  seiner  Beliebtheit  zuzu- 
schreiben waren.  Denn  seinem  bisherigen  Teilhaber  wollte  es  nicht  glücken, 
sich  in  der  Gunst  der  Theaterbesucher  zu  behaupten.  Trotzdem  er  es  an  An- 
strengungen nicht  fehlen  ließ,  mußte  das  Stadttheater  im  Jahre  1872  seine 
Pforten  schließen. 

Aber  bereits  in  demselben  Jahre  gründete  Adolf  Neuendorf  das 
„Germania-Theater".  Diesem  gesellte  sich  im  Jahre  1879  das  zuerst  von  der 
Soubrette  Matilde  Cotrelly,  später  von  den  Direktoren  Hermann, 
Gustav  Amberg  und  Heinrich  Conried  geleitete  „Thalia-Theater" 
zu.    Und  nun  erlebte  die  deutsche  Kunst  in  New  York  eine  wahre  Glanzperiode. 

Was  Deutschland  an  Bühnenberühmtheiten  aufzuweisen  hatte,  wurde  von 
jenen  wagemutigen  Direktoren  zu  Gastspielen  eingeladen.  Außer  verschiedenen 
bereits  obengenannten  Künstlern,  die  sich  zu  abermaligem  Besuch  der  Vereinigten 
Staaten   entschlossen,  kamen    Franziska   Ellmenreich,   Georgine 


—    519    — 

von  Januschowsky,  Maria  Barkany,  Kathi  Schratt,  Lina 
Mayr,  Marie  Seebach,  I^anny  Janauscheck,  Hedwig  Nie- 
mann-Raabe,  Gertrude  Giers,  Agnes  Sorma,  Marie  Gei- 
stinger,  Karl  Sontag,  Ernst  Possart,  Ludwig  Barnay, 
Junkermann,  Adalbert  Matkowsky,  Joseph  Kainz, 
Friedrich  Mitterwurzer,  Adolf  Sonne  nthal,  die  Komiker 
Wilhelm  Knaak,  Franz  Tewele  und  viele  andere. 

„Beginnt  man,"  so  urteilte  im  Jahre  1905  ein  berufener  Kritiker,  „über 
jene  Zeit  zu  schreiben,  so  fällt  es  schwer,  sich  solcher  Sprache  zu  bedienen,  daß 
man  nicht  in  den  Verdacht  der  Überschwenglichkeit  kommt.  Man  macht  sich 
in  unserer  nüchternen  Zeit  keinen  Begriff,  welcher  Kunsttaumel  damals  New 
York  —  nicht  nur  das  deutsche  New  York,  sondern  das  ganze  New  York  — 
ergriffen  hatte." 

Besonders  die  zu  den  ständigen  Gästen  zählenden  Leiter  und  darstellen- 
den Mitglieder  der  anglo-amerikanischen  Bühnen  kamen  aus  dem  Staunen  gar 
nicht  heraus.  Bildete  doch  jede  einzelne  der  von  den  genannten  Künstlern 
verkörperten  Figuren  eine  Studie,  die  an  Reiz,  Vollendung  und  innerer  Wahr- 
heit kaum  übertroffen  werden  konnte.  Possart,  Barnay  und  die  Ellmenreich 
erschütterten  durch  ihre  großartigen  Darstellungen  geschichtlicher  Persönlich- 
keiten; Knaak  und  Tewele  wurden  infolge  ihrer  unausgesetzten  Wirkung  auf 
die  Lachmuskeln  der  Zuschauer  fast  lebensgefährlich.  Und  nun  vollends  die 
göttliche,  ewig  junge  Marie  Geistinger!  Die  „Begeistingerung"  kannte  keine 
Grenzen.  Man  ging  einfach  jeden  Abend  ins  Theater,  denn  jeden  Abend  konnte 
man  diese  geniale  Künstlerin  in  einer  anderen  Rolle  bewundern.  Heute  er- 
schien sie  in  einer  übermütigen  Posse,  morgen  in  einem  tiefernsten  Drama, 
übermorgen  in  einer  Operette  und  dann  wieder  in  einem  zwergfellerschütternden 
Lustspiel.  Bald  brillierte  sie  als  „Großherzogin  von  Gerolstein",  „Bocaccio" 
oder  „Schöne  Helena",  um  am  folgenden  Abend  mit  vollendetem  Geschick  die 
Königin  Elisabeth  in  Schillers  „Maria  Stuart",  die  „Therese  Krones",  die 
„Cameliendame"  oder  „Donna  Diana"  zu  spielen. 

Wieviel  die  englische  Bühne  in  den  Vereinigten  Staaten  durch  das  Auf- 
treten so  bedeutender  deutscher  Künstler  und  Künsderinnen  profitierte,  läßt  sich 
natürlich  nicht  feststellen.  Aber  ein  Beweis,  welch  ungeheures  Interesse  die 
amerikanischen  Bühnenleiter  und  Darsteller  den  deutschen  Künstlern  entgegen- 
brachten, ist  gewiß  darin  zu  finden,  daß  Edwin  Booth,  hingerissen  von  dem 
Spiel  Bogumil  Davisons,  an  diesen  die  Einladung  ergehen  ließ,  in  dem  von 
Booth  geleiteten  „Winter  Garden"  den  „Othello"  zu  spielen,  während  er  die 
Rolle  des  „Jago"  übernehmen  wolle.  In  dieser  Mustervorstellung,  die  im 
Januar  1867  zustande  kam,  wirkte  überdies  die  deutsche  Schauspielerin  Frau 
Methua-Scheller  als  „Desdemona"  mit,  wobei  sie  in  ihren  Szenen  mit 
Booth  Englisch,  mit  Davison  hingegen  Deutsch  sprach. 

In  demselben  Jahre  folgte  auch  Fanny  Janauscheck  einer  Einladung 
Booths,  in  seiner  in  Boston  gastierenden  englischen  Gesellschaft  dreimal  als 


—     520     — 

„Lady  Macbeth"  aufzutreten.  Obwohl  sie  sich  dabei  der  deutschen  Sprache 
bediente,  erweclcte  sie  durch  ihr  Spiel  solche  Begeisterung  und  solchen  Zulauf, 
daß  Booth  der  Künstlerin  die  Summe  von  11  000  Dollar  als  Honorar  aus- 
händigen konnte. 

Durch  solche  auf  englischen  Bühnen  errungenen  Triumphe  ließen  sich 
manche  deutsche  Schauspieler  und  Schauspielerinnen  bestimmen,  ganz  zur 
englischen  Bühne  überzugehen.  Danmter  Fanny  Janauscheck,  welche  zuerst 
in  der  „Academy  of  Music"  zu  New  York  englisch  sprechend  auftrat  und  später 
mit  einer  eigenen  englischen  Gesellschaft  die  Vereinigten  Staaten  bereiste. 

Einen  noch  gewaltigeren  und  nachhaltigeren  Einfluß  als  solche  Einzel- 
darsteller übten  die  Gastspielreisen  mehrerer,  die  Vereinigten  Staaten  besuchen- 
den deutschen  Truppen,  besonders  der  „M  ü  n  c  h  e  n  e  r",  „S  c  h  1  i  e  r  s  e  e  r" 
und  eines  Teiles  der  berühmten  „M  e  i  n  i  n  g  e  r"  auf  die  amerikanische  Bühne 
aus.  Die  letzteren  standen  unter  der  Leitung  des  vorzüglichen  Charakter- 
darstellers Ludwig  Barnay.  Sie  überraschte  zunächst  durch  die  bis  auf 
die  kleinsten  Einzelheiten  der  Kostüme,  Waffen  und  Gerätschaften  ausgedehnte 
historische  Treue  der  Ausstattung,  dann  aber  auch  durch  ihr  wunderbares, 
in  solcher  Vollendung  nie  zuvor  gesehenes  Zusammenspiel.  Hier  wirkte  alles 
echt.  Solchen  Darstellungen  gegenüber  verlor  man  jedes  Bewußtsein,  daß  man 
sich  in  einer  Welt  des  Scheins,  im  Theater  befinde  und  daß  die  hier  auftretenden 
Könige  und  Helden  gewöhnliche  Sterbliche  seien,  nachdem  sie  ihre  Purpur- 
mäntel und  Waffenröcke  abgelegt  hätten. 

Die  Münchener  Truppe  unter  Leitung  des  tüchtigen  Max  Hofpaur 
frappierte  gleich  den  Schlierseern  durch  die  ungeschminkte,  derbe  Natürlich- 
keit und  Frische,  mit  der  sie  ihre  oberbayrischen  Volksstücke  wiedergaben. 
Derartige  Vorführungen  wirkten  nicht  bloß  auf  die  theaterbesuchenden  Fein- 
schmecker, sondern  auch  auf  die  amerikanischen  Bühnenleiter  und  Darsteller 
gleich  großen  Offenbarungen.  Und  von  dieser  Zeit  datiert  auch  ihr  Bestreben, 
jenen  glänzenden  Vorbildern  nachzuahmen. 

Ein  Künstler,  der  wohl  am  meisten  während  jener  theatralischen  Glanz- 
periode lernte  und  profitierte,  war  Hein  roh  Conried.  Selbst  ein  tüchtiger 
Darsteller,  hatte  er  bereits  unter  den  Direktionen  Cotrelly  und  Amberg  die 
artistische  Leitung  der  Vorstellungen  in  Händen  gehabt  und  ihre  großen  Erfolge 
ermöglicht.  Am  1.  Mai  1893  übernahm  er  das  im  Besitz  Ambergs  gewesene 
„Irving  Place  Theater"  und  leitete  damit  eine  dritte  Glanzepoche  ein,  in  deren 
einzelnen  Abschnitten  er  dem  New  Yorker  Publikum  fast  alle  neueren  Be- 
rühmtheiten der  deutschländischen  Bühne  zuführte.  Die  bedeutendsten  Gast- 
spiele unter  seiner  Leitung  waren  diejenigen  von  Adolf  Sonnenthal, 
Georg  Engels,  Felix  Schweighofer,  Rudolf  Christians, 
Ferdinand  Bonn,  Harry  Waiden,  Agnes  Sorma,  Helene 
Odilon,AnnieDierkens,AgatheBarsescu  und  MiaWerber. 

Als  Conried  im  Jahre  1903  an  die  Metropolitan  Operngesellschaft  berufen 
wurde,  legte  er  die  Leitung  des  Irving  Place-Theater  nieder.     An  seine  Stelle 


—     521     — 

trat  der  Schriftsteller  M.  B  a  u  m  f  e  1  d  ,  unter  dem  das  deutsche  Theater  zwar 
manche  glanzvolle  Darbietungen,  leider  aber  auch  in  der  Saison  1908  bis  1909 
seinen  durch  allerhand  Intriguen  herbeigeführten  Zusammenbruch  erlebte. 

Andere  amerikanische  Städte,  welche  deutsche  Theater  unterhalten  oder 
vorübergehend  unterhielten,  sind  Philadelphia,  Baltimore,  Buffalo,  Cincinnati, 
Cleveland,  Indianapohs,  Detroit,  Chicago,  St.  Louis,  Milwaukee,  Davenport, 
Dubuque,  La  Crosse,  St.  Paul,  New  Orleans,  Denver  und  San  Francisco.  Mit 
der  Geschichte  der  deutschen  Bühne  in  Chicago,  Milwaukee  und  St.  Louis  sind 
die  Namen  der  Direktoren  Leon  Wachs  n  er  und  Ferdinand  Weib, 
mit  derjenigen  des  Theaters  zu  San  Francisco  der  Name  der  Direktorin 
Ottilie  Genee  unlöslich  verbunden. 

Viele  der  außerhalb  der  Stadt  New  York  bestehenden  deutschen  Musen- 
tempel wurden  von  den  Wandertruppen  besucht,  die  von  den  Leitern  der  deut- 
schen Theater  in  New  York  ausgesendet  wurden.  Mit  solchen  Truppen  unter- 
nahmen auch  Haase,  Barnay,  Josephine  Gallmeyer,  Marie  Geistinger,  die 
Schlierseer  und  andere  ausgedehnte  Kunstreisen  durch  den  fernen  Westen, 
dessen  Bevölkerung  dadurch  gleichfalls  Gelegenheit  erhielt,  sich  an  den  hohen 
künstlerischen  Darbietungen  so  seltener  Gäste  zu  erfreuen  und  zu  begeistern. 


Die  deutsche  Oper  in  Amerika. 


Die  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts war  die  Zeit,  wo 
im  Deutschamerikanertum 
der  Sinn  für  die  tönende 
Kunst  mächtig  erwachte. 
Allerorten  erstanden  Ge- 
sang- und  Musilfvereine, 
Symphonie-,  Orchester-  und 

Oratoriengesellschaften, 
welche  sich  die  Pflege  der 
Musik  in  ihren  verschiede- 
nen Zweigen  zur  Aufgabe 
machten.  Viele  dieser  Ver- 
einigungen brachten  in  ihren 
Konzerten  Ouvertüren  und 
andere  Abschnitte  aus  deut- 
schen Opern  zu  Gehör  und 
erweckten  dadurch  das  Ver- 
langen, jene  Bühnenwerke 
vollständig  kennen  zu  lernen. 
Dieser  Wunsch  trat  um  so 
lebhafter  hervor,  als  man 
sich  an  dem  süßlichen,  un- 
wahren und  auf  die  Dauer 
schrecklich  monoton  wirkenden  Singsang  der  italienischen  Oper,  die  neben 
der  englischen  bisher  in  den  Vereinigten  Staaten  das  Feld  beherrschte, 
gründlich  den  Magen  verdorben  hatte.  Man  verlangte  nach  Kräftigerem,  Voll- 
blütigerem. Das  schienen  die  deutschen  Opern,  namentlich  die  eben  ihre  Rund- 
reise über  Deutschlands  Bühnen  antretenden  Opern  Wagners  zu  verheißen. 
Und  unternehmende  Bühnenleiter  säumten  nicht,  dem  geheimen  Sehnen  des 
Publikums  Rechnung  zu  tragen. 

Der  Ruhm,  die  ersten  Opern  in  deutscher  Sprache  in  Amerika  aufgeführt 
zu  haben,  gebührt  Julius  Unger.     Derselbe  veranstaltete  im  Jahre  1855 


Anton  .Seidl. 


—     523     — 

in  „Niblos  Garden"  zu  New  York  eine  zwölf  Abende  umfassende  Saison, 
während  welcher  unter  anderen  der  „Freischütz",  „Martha"  und  „Czar  und 
Zimmermann"  gegeben  wurden. 

Ihm  folgten  Max  M  a  r  e  t  z  e  k  sowie  Karl  Bergmann,  der  ge- 
niale Leiter  der  „Philharmonischen  Gesellschaft".  Bergmann  eröffnete  seine 
Saison  am  4.  April  1859  im  alten  „Stadttheater"  mit  Wagners  „Tannhäuser", 
unterstützt  von  dem  Gesangverein  „Arion",  dessen  Mitglieder  den  Chor  stellten. 
Bergmanns  Darbietungen  fanden  so  warme  Aufnahme,  daß  durch  dieselbe  er- 
mutigt, im  September  1862  auch  Karl  Anschütz  eine  deutsche  Opern- 
saison eröffnete,  während  welcher  das  New  Yorker  Publikum  mit  der  „Zauber- 
flöte", der  „Entführung  aus  dem  Serail",  „Joseph  in  Ägypten",  „Stradella", 
„Don  Juan"  und  anderen  Opern  bekannt  wurde. 

Dieser  Saison  schlössen  sich  zu  Ende  der  sechziger  und  zu  Anfang  der 
siebziger  Jahre  mehrere  andere  unter  verschiedenen  Direktoren  und  unter  der 
künstlerischen  Leitung  von  AdolfNeuendorffan.  „Lohengrin"  und  „Der 
Fliegende  Holländer"  erlebten  in  dieser  Zeit  ihre  amerikanischen  Erstaufführun- 
gen. „Rienzi"  bekamen  die  Amerikaner  im  Jahre  1878  zum  erstenmal  zu 
hören.  Unter  den  großen  Gesangskünstlern,  welche  damals  reiche  Lorbeeren 
ernteten,  befanden  sich  Eugenie  Pappenheim,  Ines  Lichtmay, 
die  einzige  Pauline  Lucca,  Theodor  Habelmann,  Wilhelm 
Formes,  Theodor  Wachtel  und  andere. 

Im  Jahre  1884  wußte  Leopold  Damrosch  die  Direktoren  des 
„Metropolitan  Opernhauses"  zu  bestimmen,  an  Stelle  der  italienischen  Oper, 
die  in  dem  neuerbauten  Hause  schweres  finanzielles  Fiasko  erlitten  hatte,  eine 
deutsche  Saison  zu  veranstalten.  Sie  umfaßte  nicht  weniger  als  57  Aufführun- 
gen, in  denen  „Tannhäuser",  „Fidelio",  „Die  Hugenotten",  „Freischütz", 
„Wilhelm  Teil",  „Lohengrin",  „Don  Juan",  „Der  Prophet",  „Die  Stumme  von 
Portici",  „Rigoletto",  „Die  Jüdin"  und  „Die  Walküre"  gegeben  wurden. 
Amalie  Materna,  Marianne  Brandt,  Frau  Marie  Schröder- 
Hanf  s  t  ä  n  g  1 ,  Frau  Auguste  Seidl-Kraus,  Josef  Staudigl, 
Adolf  Robinson  und  Anton  Schott  ragten  dabei  als  Solisten  her- 
vor. Beim  Zusammenstellen  seiner  Künstlerschar  brach  Damrosch  mit 
dem  in  Amerika  üblichen  Starsystem,  wo  einer  Hauptzugkraft  in  der 
Regel  ein  sehr  minderwertiges  Personal  als  Folie  dient.  Er  legte  viel- 
mehr Gewicht  auf  ein  abgerundetes  Zusammenspiel.  Zugleich  wandte 
er  volle  Aufmerksamkeit  auf  die  bisher  gänzlich  vernachlässigte  Aus- 
stattung und  auf  das  Herausarbeiten  der  dramatischen  Wirkung.  Der 
künstlerische  Eindruck,  den  diese  deutsche  Saison  hinterließ,  war  ein 
so  tiefgehender,  daß  die  Direktoren  des  „Metropolitan-Opernhauses"  sich 
entschlossen,  derselben  sofort  eine  zweite  folgen  zu  lassen.  Aber  Dam- 
rosch war  vom  Tode  abberufen  worden.  Deshalb  begaben  sich  Edmund 
Stanton,  der  langjährige  Sekretär  der  „Metropolitan-Opernhausgesellschaft" 
und  Damroschs  Sohn  Walter  nach  Deutschland  und  schlössen  dort  mit  Anton 


—     524     — 

S  e  i  d  1  einen  Vertrag  ab,  durch  welchen  dieser  sich  verpfhchtete,  die  deutsche 
Opemsaison  1885 — 1886  zu  leiten.  Die  unvergleichliche  Lilli  Lehmann, 
ferner  Marianne  Brandt,  Frau  Seidl-Kraus,  Emil  Fischer, 
Albert  Stritt,  Gudehus,  Robinson  und  andere  Künstler  wurden 
als  Solisten  gewonnen.  Wagners  „Meistersinger"  und  Goldmarks  „Königin 
von  Saba"  bildeten  die  Neuheiten  des  Repertoirs. 

Schon  die  Eröffnungsvorstellung  am  23.  November  bedeutete  eine  ge- 
wonnene Schlacht.  Man  gab  den  „Lohengrin"  und  entfesselte  damit  eine  Be- 
geisterung, wie  sie  beim  New  Yorker  Publikum  selten  erlebt  worden  war.  Die- 
selbe erfaßte  auch  die  mit  hochgespannten  Erv/artungen  gekommenen  Musik- 
referenten. Einer  der  bekanntesten,  H.  E.  Krehbiel,  schrieb  über  den  Abend 
folgendermaßen :  „Die  Aufführung  war  jedenfalls  die  allerkün stierischste,  die 
Wagners  bewundertes  Werk  jemals  in  Amerika  erfahren  hat,  eine  Tatsache,  für 
die  vor  allem  Anton  Seidls  herrliche  musikalische  Leitung  verantwortlich  ist. 
Auch  wenn  die  Leute  auf  der  Bühne  sich  mit  weniger  anerkennenswerter  Ge- 
wissenhaftigkeit der  Aufgabe  entledigt  hätten,  die  ihnen  die  Partitur  stellte, 
würde  Herrn  Seidls  Einfluß  dennoch  den  ganzen  Abend  hindurch  allen  sensi- 
tiven Zuhörern  offenbar  geworden  sein.  Aber  nicht  die  unübertreffliche  tech- 
nische Präzision,  der  sich  alle,  auf  der  Bühne  und  im  Orchester,  bei  der  Wieder- 
gabe des  Werkes  befleißigten,  ja,  nicht  einmal  deren  bewundernswertes  Resultat 
war  das  Anerkennenswerteste  an  Seidls  Leistung.  Durch  seine  sorgsame  Tempo- 
nahme,  durch  seinen  geläuterten  Geschmack  in  der  Hervorbringung  delikater 
Ausdrucksnuancen,  durch  seine  Gewandtheit,  den  Instrumentalisten  und  Sängern 
seine  Wünsche  zu  vermitteln,  durch  sein  Geschick,  von  ihnen  ohne  Verzug  das 
Verlangte  zu  erhalten,  und  durch  die  offenbare  Vertrautheit  mit  Buchstaben  und 
Geist  des  Werkes  wurde  es  ihm  möglich,  dem  „Lohengrin"  eine  Interpretation 
zu  geben,  die  beinahe  neu  war  und  die,  trotz  der  Bekanntheit  der  Oper,  gar 
manche  poetische  Schönheit  erschloß,  die  bis  dahin  verborgen  geblieben  war.'* 

Man  hatte  manche  Schöpfungen  Wagners  schon  früher  in  Amerika  gehört. 
Aber  zur  Erkenntnis  ihrer  reichen  Poesie  und  vollen  Gewalt  gelangte  man  doch 
erst,  als  Seidl  und  die  mit  ihm  verbundenen  Künstler  diese  Werke  interpretierten. 

Die  zweite,  von  Seidl  dirigierte  Saison  im  Winter  1886 — 1887  brachte  den 
als  Sänger  und  Darsteller  gleich  großartigen  Albert  Niemann  nach  den 
Vereinigten  Staaten.  Mit  ihm  gelangte  unter  ungeheurem  Beifall  am  1.  De- 
zember „Tristan  und  Isolde"  zur  ersten  Aufführung  in  Amerika.  Die  drei  noch 
unbekannten  Teile  der  Nibelungen,  „Rheingold",  „Siegfried"  und  „Götterdäm- 
merung" kamen  in  den  folgenden  Jahren  an  die  Reihe,  wobei  die  New  Yorker 
neben  den  bisherigen  Bühnenstemen  auch  den  rasch  zum  Liebling  aller  wer- 
denden Max  Alvary  (Achenbach),  einen  idealen  Darsteller  „Jung-Sieg- 
frieds",  kennen  lernten,  und  zugleich  eine  der  bedeutendsten  Sängerinnen 
Deutschlands,  Fanny  Moran-Olden.  Da  Niemann  und  Fischer,  die 
Lehmann,  Brandt  und  Seidl-Kraus  gleichfalls  mitwirkten,  so  stieg  der  Wagner- 
Enthusiasmus  auch  beim  amerikanischen  Publikum  aufs  höchste.     Es  geschah 


—     525     — 

das  Unerhörte,  daß  die  trocknen  Börsenmenschen  der  Weltstadt  „wagnertoll'' 
wurden  und  nachmittags  nicht  schnell  genug  ihre  Geschäftsbücher  zuklappen 
konnten,  um  sich  in  die  mystischen  Geheimnisse  der  gennanischen  Götter-  und 
Heroenwelt  zu  versenken.  Kein  Wunder,  daß,  als  am  21.  März  1891  die  letzte 
deutsche  Vorstellung  unter  Seidl  gegeben  wurde,  dieselbe  sich  zu  einer  sowohl 
dem  Dirigenten  wie  den  Sängern  dargebrachten  überwältigenden  Ovation  ge- 
staltete. — 

Es  trat  nun  in  der  deutschen  Oper  eine  mehrjährige  Pause  ein.  Erst  im 
Februar  1895  veranstaltete  Walter  Damrosch  auf  eigene  Faust  im  „Me- 
tropolitan-Opernhause"  eine  dreiwöchentliche  Saison  Wagnerscher  Opern,  die 
sowohl  in  künstlerischer  wie  finanzieller  Hinsicht  ungemein  erfolgreich  verlief. 
Neben  Alvary  und  Fischer  erschienen  als  neue  Solisten  Rosa  Sucher,  die 
berühmteste  „Isolde"  Deutschlands,  ferner  die  jugendliche  Johanna 
Gadsky,  Marie  Brema,  die  Kutsch  era,  sowie  die  Sänger  R  o  t  h  - 
m  ü  h  1  und  Konrad  Behrens.  Der  überraschend  große  finanzielle  Erfolg 
dieser  Unternehmung  bestimmte  die  Pächter  des  Metropolitan-Opernhauses, 
Abbey  &  Grau,  ihrem  in  der  Regel  nur  italienische  und  französische  Opern  um- 
fassenden Spielplan  fortan  auch  deutsche  Opern aufführungen  einzuverleiben 
und  mit  der  Leitung  derselben  deutsche  Dirigenten  zu  beauftragen.  Das  war 
ein  Schritt,  der  den  Bedürfnissen  und  W^ünschen  der  Bevölkerung  des  kosmo- 
politischen New  York  durchaus  entsprach. 

Seidl,  Schalk,  Paur,  Walter  Damrosch  und  Alfred  Hertz  wirkten  als 
Dirigenten  dieser  Aufführungen,  zu  deren  Gelingen  außer  manchen  der  von 
früher  her  bekannten  Künstler  Ernest  van  Dyck,  Anton  van  Rooy, 
Andreas  Dippel,OttoGoritz,  Jean  und  Eduard  deReczke, 
Marcella  Sembrich,  Milka  Ternina,  pTau  Ritter-Götze, 
Ernestine  Schumann-Heinck  und  Fritzi  Scheff  beitrugen.  — 

Während  die  deutsche  Oper  so  in  New  York  Triumphe  über  Triumphe 
feierte,  hatte  sie  auch  bereits  an  anderen  Orten  der  Union  Fuß  gefaßt.  Während 
der  sechziger,  siebenziger  und  achtziger  Jahre  verbanden  sich  nämlich  manche 
Künsder  und  Künstlerinnen  zu  selbständigen  Truppen  und  unternahmen  aus- 
gedehnte Rundreisen  durch  die  amerikanischen  Großstädte.  Mitglieder  solcher 
Gesellschaften  waren  Formes,  Habelmann,  Wachtel,  Bernhardt,  Bischoff,  sowie 
die  bedeutende  Frau  Ines  Fabri-Lichtmay. 

Die  letztere  eröffnete  im  Winter  1875 — 1876  in  Gemeinschaft  mit  dem  Diri- 
genten GustavHinrichsin  San  Francisco  eine  Saison,  während  welcher  in 
sechs  Monaten  dreißig  verschiedene  Opern  in  deutscher  Sprache  zur  Aufführung 
gelangten.  Gemeinschaftlich  mit  Theodor  Thomas  dirigierte  Hinrichs  später 
die  amerikanische  Oper  in  der  „Academy  of  Music"  zu  New  York,  die  unter 
ihren  Mitwirkenden  gleichfalls  viele  deutsche  Künstler  und  Künstlerinnen  zählte, 
darunter  Wilhelm  Candidus,  Emma  Juch,  Aman  de  Fabris 
und  Frau  H  a  s  t  r  e  i  t  e  r.  Zu  Ende  der  achtziger  Jahre  organisierte  Hinrichs 
in  Philadelphia  eine  eigene  Operngesellschaft,  womit  er  zehn  Saisons  erledigte 


—     526     — 

und  zahlreiche  Gastreisen  nach  anderen  Großstädten  ausführte.  Bei  den  in 
deutscher  Sprache  gegebenen  Opern  wirkten  unter  anderen  A  m  a  1  i  e  M  a  - 
t  e  r  n  a  und  MinnieHauck, Fischer  und  andere  berühmte  Künstler  mit. 

Mit  eigenen  Truppen  bereisten  auch  Frau  Pappenheim  (1878)  und 
Emma  Juch  (1889—1891)  den  Kontinent.  Eine  vorwiegend  deutsche  Be- 
rühmtheiten umfassende  Gesellschaft  war  ferner  „Kelloggs-Opera-Company'-, 
welche  im  Jahre  1876  Wagnersche  Opern  aufführte. 

Eine  neue  glorreiche  Epoche  der  deutschen  Oper  in  Amerika  hob  an,  als 
im  Jahre  1903  an  Stelle  des  bisherigen  Direktors  der  Großen  Oper  in  New  York, 
Maurice  Grau,  der  Direktor  des  Deutschen  Irving  Place-Theaters,  Heinrich 
C  o  n  r  i  e  d  trat.  Wie  unter  ihm  das  Deutsche  Theater  in  New  York  eine  gründ- 
liche Umgestaltung  erfahren  hatte,  so  reorganisierte  er  nun  auch  die 
Große  Oper. 

In  erster  Linie  wurde  die  bis  dahin  benutzte  Bühne  in  eine  drehbare  nach 
dem  von  Karl  Lautenschläger  in  München  erfundenen  System  verwandelt.  Die 
wichtige,  hier  zuerst  in  Amerika  eingeführte  Neuerung  ermöglichte  es  den  Büh- 
nenmeistern, ihre  szenischen  Vorbereitungen  so  zu  treffen,  daß  die  früher  un- 
vermeidlichen, durch  ihre  Länge  oft  schrecklich  ermüdenden  Zwischenpausen 
fast  ganz  in  Wegfall  kamen  und  notwendige  Verwandlungsszenen  mit  geradezu 
verblüffender  Schnelligkeit  vollzogen  werden  können. 

Die  erlesensten  künstlerischen  Kräfte  seines  Vorgängers  an  sich  fesselnd, 
fügte  Conrled  denselben  sodann  eine  Reihe  neuer  hinzu,  von  denen  in  erster 
Linie  die  deutschen  Sänger  Alois  Burgstaller,  Albert  Reis, 
Robert  Blaß,  Adolf  Mühlmann,  Heinrich  Knote,  Franz 
Steiner  und  Karl  Burrian,  sowie  die  Sängerinnen  Josephine 
Jacoby,  Paula  Ralph,  Marie  Mattfeld,  Katharina  Flei- 
scher-Edel, Marie  Rappold  und  Johanna  Poehlmann  ge- 
nannt zu  werden  verdienen.  Auf  die  Mitwirkung  solcher  Künstlerscharen  gestützt, 
durfte  Conried  es  wagen,  schon  bald  nach  der  Übernahme  der  Leitung  die  Welt 
durch  die  Ankündigung  zu  überraschen,  daß  er  Wagners  letztes  Werk,  dasBühnen- 
weihfestspiel  „Parsifal"  zur  Aufführung  zu  bringen  gedenke.  Damit  erregte  er 
um  so  gewaltigeres  Aufsehen,  als  „Parsifal'*  —  abgesehen  von  einer  einzigen 
Privataufführung  in  München  vor  König  Ludwig  von  Bayern  —  noch  nirgend- 
wo außerhalb  Bayreuths  gegeben  worden  war,  da  die  Witwe  Wagners,  um 
diese  letzte  Offenbarung  des  großen  Meisters  ausschließlich  für  das  Bayreuther 
Festspielhaus  zu  reservieren,  die  Bewerbungen  aller  anderen  europäischen 
Bühnen  rundweg  abgelehnt  hatte.  Tatsächlich  wandte  sie  auch  alle  erdenk- 
lichen gerichtlichen  und  außergerichtlichen  Mittel  an,  um  die  Aufführung  des 
„Parsifal"  in  New  York  zu  verhindern.  Conried  ließ  sich  aber  nicht  beirren, 
sondern  brachte  seiner  Ankündigung  getreu  das  bedeutende  Werk  am  Weih- 
nachtsabend 1903  zur  Aufführung.  Die  Titelrolle  lag  in  den  Händen  des  be- 
währten Alois  Burgstaller,  der  in  seiner  großen  Szene  mit  Kundry  noch  erheb- 
lich über  die  hohe  Leistung,  die  man  von  ihm  erwartet  hatte,  hinauswuchs. 


—     527     — 

MilkaTemina  verrichtete  alsKundry  das  Wunder,  diesen  rätselhaftesten  Charakter, 
den  je  ein  Dichterhirn  geschaffen,  menschlich-sympathisch  erscheinen  zu  lassen. 
Gleich  vortreffliche  Darbietungen  lieferten  Blaß,  von  Rooy,  Goritz  und  Journat 
als  „Gurnemanz'',  „Amfortas",  „KHngsor"  und  „Titurel".  Die  Chöre  der 
Ritter,  Knaben  und  Blumenmädchen  überraschten  durch  ihre  Leistungen  nicht 
minder  als  die  Künstler,  welche  die  szenische  Ausstattung  des  Festspiels  ge- 
schaffen hatten,  die  in  manchen  Dingen,  z.  B.  dem  Zaubergarten  und  der  Früh- 
lingslandschaft, die  Bayreuther  Vorbilder  weit  übertraf. 

Und  das  Publikum?  —  Zu  Tausenden  erschienen,  nahm  es  in  andachts- 
voller Stimmung  die  letzte  Botschaft  des  großen  deutschen  Meisters  entgegen, 
und  gar  manchem  Mann,  der  sich  sonst  wohl  gar  auf  seinen  Zynismus  etwas 
zugute  tat,  wurden  beim  Karfreitagszauber  die  Augen  feucht.  „In  seinem  zwan- 
zigjährigen Bestehen'*,  so  schrieb  der  Referent  der  „New  Yorker  Staatszeitung", 
„hat  das  Metropolitan-Opernhaus  noch  keine  Vorstellung  dargeboten,  die  mit 
einem  solchen  Aufwand  von  Fleiß  und  eindringendem  Verständnis  vorbereitet 
worden  wäre;  niemals  ist  dort  dem  Gelingen  des  Ganzen  und  aller  seiner  Ein- 
zelheiten ein  solches  Arbeitsopfer  dargebracht  worden.  Die  Parsivalvorstellung 
hat  uns  einen  neuen  Maßstab  für  unsere  Opemvorstellungen  im  allgemeinen  ge- 
geben, einen  Maßstab,  den  das  Publikum  im  Gedächtnis  behalten  wird.  Und 
dann  muß  die  Aufführung  selbst,  sowie  die  andachtsvolle  Teilnahme  des  Publi- 
kums den  Gedankenträgern  einmal  wieder  zum  Bewußtsein  gebracht  haben, 
daß  es  die  deutsche  Kunst  ist,  die  das  Höchste  gewährt,  die  vor  anderen  im- 
stande ist,  den  Menschen  gar  gegen  seinen  Willen  über  das  Alltägliche  zu  er- 
heben. Über  das  Werk  selbst  mögen  die  Ansichten  weit  auseinandergehen;  über 
die  Wirkung,  die  es  ausübte,  kann  kein  Zweifel  aufkommen.  Niemand  wird 
leugnen  wollen,  daß  der  Eindruck  ein  tiefer  und  veredelnder  gewesen.  Unsere 
Musikhistoriker  aber  werden  den  24.  Dezember  1903  als  einzigartig  zu  ver- 
merken haben;  war  es  doch  das  erstemal,  daß  die  gesamte  europäische  Kunst- 
welt ihr  Augenmerk  auf  ein  New  Yorker  musikalisches  Ereignis  richtete!  Will 
diese  europäische  Welt  nun  ehrliche  Kritik  üben,  dann  wird  sie  ohne  Einschrän- 
kung zugeben,  daß  New  York  die  Probe  mit  Ehren  bestanden  hat." 

Zu  den  weiteren  Großtaten  des  Conriedschen  Regimes  gehören  die  wieder- 
holten Aufführungen  des  vollständigen  Nibeluiigenrings  mit  durchaus  neuer 
Ausstattung;  der  „Meistersinger"  und  der  Mozartschen  Opern  „Die  Hochzeit 
des  Figaro"  und  „Don  Juan". 

In  überaus  glänzender  Ausstattung  brachte  Conried  auch  die  von  Richard 
Strauß  komponierte  Oper  „Salome"  zur  Aufführung,  mußte  dieselbe  aber  trotz 
ihres  unbestrittenen  künstlerischen  und  über  alle  Erwartung  großen  finanziellen 
Erfolges  auf  Geheiß  des  Direktorenrats  nach  ihrer  ersten  Aufführung  vom  Spiel- 
plan wieder  streichen. 

Conried  vermittelte  dem  New  Yorker  Publikum  ferner  die  Bekanntschaft 
mit  der  bisher  in  Amerika  nicht  gesehenen  deutschen  Oper  „Hansel  und  Grethel" 
von  Humperdinck. 


—     528     — 

Die  wiederholten  Gastreisen,  welctie  die  Truppen  der  Großen  Oper  unter 
der  bewährten  Fuhrung  von  Ernst  Görlitz  nach  Philadelphia,  Baltimore, 
Washington,  Boston,  Pittsburg,  Chicago,  St.  Louis,  Kansas  City  und  San 
Francisco  ausführten,  trugen  in  höchstem  Grade  dazu  bei,  auch  dort  die  Liebe 
und  das  Verständnis  für  die  wunderbaren  Schöpfungen  der  deutschen  Kunst 
zu  erwecken.  Die  Rundreise  der  Saison  1906  kam  freilich  am  18.  April  in 
San  Francisco  zu  einem  jähen  Abschluß,  da  an  jenem  Tage  sämtliche  Szenerien 
und  Garderobeausstattungen  zu  neunzehn  Opern  durch  die  dem  Erdbeben  fol- 
gende Feuersbrunst  vernichtet  wurden.  Bewertete  die  dadurch  erlittene  Ein- 
buße sich  auf  eine  Viertelmillion  Dollar,  so  hatte  die  Truppe  aber  glücklicher- 
weise den  Verlust  keines  ihrer  Mitglieder  zu  beklagen. 

Von  schwerer  Krankheit  befallen,  legte  Conried  im  Jahre  1908  die  Leitung 
der  Großen  Oper  nieder  und  begab  sich  nach  Europa,  um  Genesung  zu  suchen. 
Dort  starb  er  aber  am  25.  April  1909.  Nach  Conrieds  Rücktritt  erhielt  die  Große 
Oper  der  Stadt  New  York  eine  Doppelleitung.  Und  zwar  dirigierte  der  Italiener 
Gatti  Casazza  die  italienischen  und  französischen,  der  seit  mehreren  Jahren  mit 
dem  Institut  verbundene  Tenorist  Andreas  D  i  p  p  e  1  hingegen  die  deut- 
schen Opern. 

Wie  Dippel  über  die  gegenwärtige  Stellung  der  Metropolitan-Oper  denkt, 
geht  aus  einem  für  das  „New  Yorker  Journal"  vom  20.  Juni  1909  geschriebenen 
Aufsatz  hervor,  in  dem  er  die  Ansicht  vertritt,  daß  keine  andere  Stadt  der  Welt 
solche  Vorstellungen  von  Opern  jeder  Schule  biete,  als  das  Metropolitan-Opern- 
haus.  Auch  in  der  Qualität  seiner  Darstellung  habe  dieses  Institut  eine  höhere 
Stufe  erreicht  als  irgendein  anderes,  das  neben  ihm  genannt  werden  könnte. 
Es  sei  durchaus  wahr,  daß  die  Interpretationen  der  Wagnerschen  Opern  im 
New  Yorker  Opernhause  weit  vollendeter  als  in  den  Floftheatern  Deutschlands 
seien,  oder  selbst  in  den  Sondervorstellungen,  wie  sie  in  Bayreuth  veranstaltet 
würden. 

Die  großen,  durch  Conried  erzielten  Erfolge  veranlaßten  den  New  Yorker 
Oscar  Hammerstein  ein  zweites  Opern  unternehmen,  das  Manhattan- 
Opernhaus,  ins  Leben  zu  rufen,  in  welchem,  allerdings  nur  französische  und 
italienische  Opern  zur  Aufführung  gelangen.  Nachdem  die  „Salome"  vom 
Spielplan  der  Metropolitan-Operngesellschaft  gestrichen  worden,  nahm  Ham- 
merstein dieselbe  auf  und  erzielte  damit  mehr  als  ein  Dutzend  übervolle  Häuser. 


Wir  würden  uns  einer  Unterlassungssünde  schuldig  machen,  wollten  wir 
nicht  erwähnen,  daß  auch  aus  dem  eingeborenen  Deutschamerikanertum  zahl- 
reiche Bühnenkünstler  und  Künstlerinnen,  Sänger  und  Sängerinnen  hervor- 
gingen, von  denen  manche  sich  der  amerikanischen  Bühne  zuwandten  und 
auf  derselben,  meist  unter  angenommenen  englischen  Namen,  bedeutende  Er- 
folge erzielten. 


—     529     — 

Eine  geschätzte  Sängerin  war  beispielsweise  die  im  Jahre  1852  in  New 
York  geborene  M  i  n  n  i  e  H  a  u  c  k  ,  die  erste  und  zugleich  eine  der  vorzüg- 
lichsten Darstellerinnen  der  „Carmen'^  Die  in  Louisville  geborene  Helene 
H  a  s  t  r  e  i  t  e  r  sowie  die  unter  dem  Namen  Marie  Litta  auftretende  New 
Yorkerin  Marie  von  Ellsner  gehörten  gleichfalls  im  letzten  Viertel  des 
19.  Jahrhunderts  zu  den  Gefeierten.  Desgleichen  die  in  Iowa  geborene  Ope- 
rettensängerin Helene  Louise  Leonard,  welche  unter  ihrem  Bühnen- 
namen Lilian  Russell  auch  in  der  Alten  Welt  bekannt  wurde.  Unter  den 
deutschen  Sängerinnen,  die  sich  der  amerikanischen  Bühne  zuwandten,  ist 
FritziScheffzu  erwähnen,  die  während  der  letzten  Jahre  als  „Mademoiselle 
Modiste'*  große  Triumphe  feierte. 


Gronau,    Deutsches  Leben  in  Amerika  34 


<   1. 


^Hi 


Deutschamerikanische   Maler,    Bildhauer  und   Baumeister. 

Bis  in  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  lassen  sich  die  Spuren  deutscher 
Kunst  in  Amerika  verfolgen.  Sie  führen  uns  wiederum  in  die  Herrnhuter  Nieder- 
lassung Bethlehem,  deren  Mitglieder,  trotzdem  sie  in  der  Hauptsache  gott- 
gefälligen Werken  lebten  und  ihre  Blicke  auf  das  Jenseits  richteten,  sich  doch 
den  Sinn  für  das  Schöne  in  der  Natur,  für  Gesang,  Musik  und  Malerei  be- 
wahrten. Ihnen  schloß  sich  im  Jahre  1754  ein  Künstler  an,  der  in  Rom, 
Florenz,  Paris  und  London  studiert  hatte,  irgendwie  und  irgendwo  aber  mit 
den  Herrnhutern  in  Berührung  gekommen  und  durch  ihr  tiefinnerliches  Leben 
so  angezogen  worden  war,  daß  er  der  Sekte  beitrat  und  nach  Bethlehem  über- 
siedelte. Es  war  der  im  Jahre  1700  in  Danzig  geborene  JohannValentin 
H  a  i  d  t.  Seiner  fleißigen  Hand  entsprangen  in  Bethlehem  zahlreiche  Gemälde, 
deren  Vorwürfe  er  der  Bibel  entlehnte.  Daneben  schuf  er  viele  Bildnisse,  von 
denen  manche  noch  heute  im  Archiv  der  Herrnhuter  Gemeinde  zu  sehen  sind. 
Als  Haidt  im  Jahre  1780  aus  dem  Leben  schied,  wurde  er  auch  auf  dem  stillen 
Friedhof  der  Herrnhuter  begraben. 

Einen  Berufsgenossen  hatte  Haidt  in  dem  1776  in  Lancaster,  Pennsyl- 
vanien  geborenen  JakobEichholz,  welcher  sich  zu  Ausgang  des  18.  Jahr- 
hunderts in  Philadelphia  niederließ  und  als  geschickter  Porträtmaler  die  Züge 
mancher  dort  wohnenden  Notabilitäten  auf  die  Leinwand  bannte.  Mehrere 
dieser  Bildnisse  befinden  sich  jetzt  in  den  Sammlungen  der  Kunstgenossenschaft 
zu  Philadelphia. 

Im  allgemeinen  waren  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  der  Sinn  und  das 
Verständnis  für  die  schönen  Künste  in  den  jungen  Vereinigten  Staaten  sehr 
wenig  entwickelt.  Berufskünstler  gab  es  nur  einzelne  und  auch  diese  waren 
genötigt,  ihr  Auskommen  im  Porträtfach  zu  suchen.  Erst  um  die  Mitte  des 
Jahrhunderts  begann  es  sich  zu  regen.    Und  nun  sehen  wir  auch  an  den  ver- 


Kopfleiste:   Malerei,  Architektur  und  Poesie.    Nach  einem  Relief  von  Henry  Linder. 


>  u 

"O  03 

•O  'S 

^  >• 

c  ^ 

•—  3 


2  I 


34  = 


—    533    — 

schiedensten  Orten  deutsche  Maler  und  Bildhauer  auftreten,  von  denen  einige 
sogar  zu  großem  Ruhm  gelangten.  Die  bedeutendsten  waren  Emanuel 
Leutze  (geboren  1816  in  Schwäbisch-Hall) ;  Karl  Ferdinand  Wei- 
mer (geboren  1828  in  Siegburg)  und  Albert  Bierstadt  (geboren  1830 
in  Solingen).  Alle  drei  kamen  in  ihrer  Jugend  nach  Amerika,  wo  sie  auch  die 
ersten  Anregungen  und  Anweisungen  für  ihren  späteren  Beruf  empfingen. 
Später  zogen  alle  drei  nach  Düsseldorf,  um  in  dieser  berühmten  Künstlerstadt 
ihre  Ausbildung  zu  vollenden.  Leutze  erschien  dort  im  Jahre  1841.  Weimer 
folgte  1852.    Um  dieselbe  Zeit  kam  Bierstadt. 

Es  kann  kaum  überraschen,  daß  die  Gemälde  der  in  beständigen  Umgang 
mit  den  damaligen  Größen  jener  Kunststadt  lebenden  Deutschamerikaner  sich 
sowohl  durch  ihre  Komposition,  wie  durch  ihre  Technik  und  Farbengebung 
als  Werke  der  damaligen  Düsseldorfer  Schule  kennzeichnen.  Nur  durch  die 
ihnen  zugrunde  gelegten  Vorwürfe  unterscheiden  sie  sich  von  denselben.  An- 
statt der  zu  jener  Zeit  so  beliebten  Szenen  trauten  Familienglücks  und  roman- 
tischer Ritterherrlichkeit,  anstatt  der  zahmen  Landschaften  vom  Rhein,  der 
Schweiz  und  Italiens,  zeigen  sie  die  Natur  und  Menschen  einer  fremden  wilden 
Welt,  die  man  bisher  nur  aus  den  Beschreibungen  einzelner  kühner  Reisenden 
und  den  vielgelesenen  Romanen  eines  Cooper,  Sealsfield  und  Gerstäcker  hatte 
kennen  lernen.  Sie  veranschaulichten  Szenen  aus  dem  Leben  der  großen  Ent- 
decker und  Eroberer,  das  Dasein  der  Indianer  und  Waldläufer,  oder  Vorgänge 
aus  den  jahrelangen  Kämpfen,  durch  welche  die  Amerikaner  ihre  Unabhängig- 
keit erstritten. 

Es  ist  eine  eigentümliche  Tatsache,  daß  die  genannten  drei  deutsch- 
amerikanischen Künstler  sich  in  bezug  auf  die  Wahl  ihrer  Motive  als  weit 
bessere  Amerikaner  en\äesen,  als  ihre  damaligen,  im  Lande  geborenen  amerika- 
nischen Berufsgenossen.  Ihre  Herzen  waren  voll  Begeisterung  für  die  Helden, 
die  sich  die  Bewunderung  der  ganzen  zivilisierten  Welt  errungen  hatten.  Sie 
standen  staunend  vor  der  ihren  Blicken  sich  darbietenden  großartigen  Natur. 
Und  sie  fühlten  sich  angezogen  durch  die  von  wilder  Romantik  umkleideten 
Gestalten,  die  im  fernen  Westen  die  eingeborene  rote  Rasse  repräsentierten  oder 
die  Vorhut  der  weißen  bildeten. 

Emanuel  Leutze  beschäftigte  sich  in  der  ersten  Zeit  seines  Düsseldorfer 
Aufenthahes  häufig  mit  der  ihn  mächtig  interessierenden  Gestalt  des  Columbus. 
Er  stellte  ihn  dar,  wie  er  dem  hohen  Rat  der  Stadt  Salamanca  seine  kühnen 
Pläne  auseinandersetzt;  in  Audienz  mit  seiner  hohen  Gönnerin,  der  Königin 
Isabella;  seinen  Einzug  in  Sevilla  nach  der  Rückkehr  von  der  erfolgreichen  Ent- 
deckungsreise; und  endlich  auch  den  so  schmählich  mißbrauchten  Mann  im 
Kerker,  mit  Ketten  belastet.  Diesem  in  Brüssel  mit  der  goldenen  Medaille 
ausgezeichneten  Gemälde  schloß  sich  bald  darauf  ein  anderes  geschichtliches 
Bild  an:  die  Landung  des  Normannen  Leif  in  Finland. 

War  Leutzes  Name  bereits  durch  diese  Kunstwerke  auf  beiden  Erdhälften 
bekannt  geworden,  so  sollte  er  aber  durch  sein  ebenfalls  in  Düsseldorf  ent- 


—     534     — 

standenes  Gemälde  „Washingtons  Übergang  über  den  Delaware"  zu  noch 
weit  höherem  Glanz  gelangen.  Das  jetzt  im  Kunstmuseum  der  Stadt  New  York 
aufgestellte  mächtige  Bild  mit  seinen  lebensgroßen  Figuren  versetzt  uns  in  die 
frühen  Morgenstunden  eines  frostigen  Wintertags.  Noch  leuchtet  der  letzte 
Stern  am  Himmel,  gegen  dessen  Graublau  die  malerischen  Gestalten  der  Frei- 
heitskämpfer sich  in  scharfen  Umrissen  abheben.  Auf  Ruderbooten  arbeiten 
die  Männer  sich  durch  die  mit  Eisschollen  bedeckten  Fluten  des  Delaware.  Im 
ersten  Boot  steht  der  Held  jener  großen,  die  Herzen  aller  Männer  prüfenden 
Zeit,  George  Washington,  mit  seinem  klaren  Adlerblick  in  die  ungewisse  Feme 
hinausspähend. 

Welch  tiefen  Eindruck  dies  Gemälde  in  Deutschland  hinterließ,  beweist 
die  Tatsache,  daß  die  preußische  Regierung  dem  Künstler  die  große  Medaille 
für  Kunst  und  Wissenschaft  verlieh.  In  Amerika  aber  fand  es,  durch  Stein- 
druck, Stahl-  und  Kupferstich  vervielfältigt,  Eingang  in  viele  hunderttausend 
Hütten  und  Paläste.  Und  so  wurde  das  an  Größe  der  Auffassung  bisher  von 
keinem  anderen  in  Amerika  entstandenen  historischen  Gemälde  übertroffene 
Werk  ein  wirkliches  Nationalgut  des  amerikanischen  Volkes. 

Außer  zahlreichen  anderen,  meist  in  Privatgalerien  übergegangenen  Bil- 
dern schuf  Leutze  im  Auftrag  der  Bundesregierung  noch  ein  gewaltiges  Wand- 
gemälde im  Kapitol  zu  Washington.  Es  zeigt  eine  Karawane  jener  Westfahrer, 
die  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts,  durch  die  kalifornischen  Goldfunde 
angezogen,  von  den  Ufern  des  Mississippi  aufbrachen,  um  an  den  Gestaden 
des  Stillen  Ozeans  neue  Heimstätten  zu  gründen  und  neue  Staaten  aufzubauen. 
Eben  haben  die  vom  monatelangen  Marsch  über  die  endlosen  Prärien  Er- 
schöpften einen  Paß  in  der  Kette  der  Felsengebirge  erstiegen  und  lassen  nun 
die  entzückten  Blicke  über  die  westlichen  Länder  schweifen,  die,  ein  zweites 
Kanaan,  in  weiter  Ferne  mit  dem  vom  Abendglanz  überfluteten  Himmel  ver- 
schwimmen. 

In  der  sehr  geringen  Zahl  amerikanischer  Historienmaler  des  19.  Jahr- 
hunderts gebührt  Leutze  zweifellos  der  erste  Platz.  Das  erkennt  auch  ein  neuerer 
Kunstkritiker  an,  indem  er  schrieb:  „Er  war  ein  groß  angelegter,  hoher  Be- 
geisterung fähiger,  mit  echter  Hingabe  für  dies  Land,  seine  Geschichte  und  den 
Geist  seiner  Einrichtungen  erfüllter  Mann,  der  stets  nach  den  höchsten  Idealen 
strebte.  Obwohl  seiner  Kunst  gewisse  Mängel  anhafteten,  so  können  wir  uns 
angesichts  seiner  Werke  des  Eindrucks  nicht  erwehren,  daß  sie  die  Produkte 
eines  gewaltigen  Geistes  sind,  dem  anscheinend  Quellen  von  unerschöpflicher 
Inspiration  zu  Gebote  standen,  Im  Ungestüm  seines  Genius,  in  der  rauhen 
UnVollständigkeit  seines  Stils,  in  seiner  herrlichen  Leidenschaft,  in  seiner  Phan- 
tasie, in  der  epischen  Größe,  Energie  und  Kühnheit  seiner  Schöpfungen  erinnert 
Leutze  an  Byron.  Ihm  verdanken  wir  unzweifelhaft  das  Beste  unsrer  historischen 
Malerei  bis  zum  Jahre  1860." 

Infolge  eines  Schlaganfalls  verschied  Leutze  am  17.  Juli  1863  in 
Washington. 


.2     E 


—     537     — 

Wie  sehr  die  Umgebung  und  äußeren  Eindrücke  die  Entwicklung  des 
Menschen  bestimmen,  zeigt  auch  der  Werdegang  Karl  Ferdinand 
Weimers.  Er  kam  als  15  jähriger  Knabe  im  Jahre  1844  mit  seinen  aus 
Deutschland  ausgewanderten  Eltern  nach  St.  Louis.  Damals  war  die  heutige 
Großstadt  ein  kleiner  Grenzort,  der  aber  insofern  Bedeutung  hatte,  als  sich 
hier  eine  Hauptstation  der  Amerikanischen  Pelzhandelsgesellschaft  befand. 
Gleichzeitig  bildete  St.  Louis  den  Ausrüstungsplatz  für  jene  Karawanen  von 
Händlern  und  Ansiedlern,  die  nach  New  Mexiko,  Kalifornien  und  dem  fernen 
Oregon  zogen.  Hierher  brachten  auch  die  auf  den  Prärien  und  an  den  Ufern 
des  Missouri  und  Mississippi  jagenden  Indianer  und  Trapper  die  erbeuteten 
Felle,  um  sie  gegen  Proviant  und  Schießmaterial  einzutauschen.  Und  so  traf 
man  in  den  Straßen  und  Kaufläden  des  Orts  beständig  jene  malerischen  Ge- 
stalten, die  den  an  der  sogenannten  „Indianergrenze"  entstehenden  Nieder- 
lassungen ein  so  eigenartiges,  phantastisches  Gepräge  verliehen.  Weimer,  der 
bei  einem  Haus-  und  Schiffsanstreicher  in  die  Lehre  gekommen  war,  wurde 
durch  dieses  Getriebe  mächtig  angezogen,  und  er  bemühte  sich,  die  herrlich 
gebauten  Figuren  dieser  Indianer  und  Trapper  zu  zeichnen.  Mehrere  Fahrten, 
die  er  als  Anstreicher  auf  einem  Flußdampfer  in  die  Regionen  am  oberen 
Missouri  mitmachte,  bestärkten  ihn  in  seinem  Vorsatz,  Künstler  zu  werden 
und  die  ihn  so  lebhaft  interessierende  westliche  Welt  in  Gemälden  festzuhalten. 
Und  als  ihm  eines  Tages  eine  kleine  Erbschaft  zufiel,  reiste  er  damit  im  Jahre 
1852  nach  Düsseldorf,  um  sich  dort  zum  wirklichen  Maler  auszubilden.  Er 
wurde  zunächst  Schüler  von  Joseph  Fay,  einem  Schwager  von  Oswald  Achen- 
bach.  Später  stellte  er  sich  unter  die  Leitung  Emanuel  Leutzes,  der  damals 
gerade  seine  bedeutendsten  Werke  schuf.  Unter  ihm  lieferte  Weimer  mehrere 
vortreffliche  Bilder,  von  welchen  „Das  gefangene  Schlachtroß",  das  von  Indianern 
fortgeführte  Reittier  eines  im  Handgemenge  erschlagenen  amerikanischen  Offi- 
ziers als  das  beste  gilt. 

Nachdem  Weimer  sich  alle  technischen  Fertigkeiten  seines  Berufs  ange- 
eignet hatte,  kehrte  er  im  Jahre  1856  nach  St.  Louis  zurück,  nahm  an  mehreren 
Expeditionen  der  Amerikanischen  Pelzhandelsgesellschaft  zum  obern  Missouri 
teil  und  schuf  in  der  Folgezeit  unter  anderen  zwei  herrliche  Gemälde,  welche 
indianische  Büffeljagden  darstellen.  Eines  befindet  sich  jetzt  im  Museum  zu 
St.  Louis,  das  zweite  im  Besitz  von  Charles  Reymerhoffer  in  Galveston,  Texas. 
Zu  Anfang  der  sechziger  Jahre  begann  Weimer  die  Kuppel  des  Gerichtsgebäudes 
in  St.  Louis  auszuschmücken.  Eben  hatte  der  reichbegabte  Künstler  diese, 
zwölf  Gemälde  umfassende  Arbeit  vollendet,  so  fiel  er  im  Jahre  1862  der 
Schwindsucht  zum  Opfer,  die  er  sich  auf  einer  seiner  Reisen  zugezogen  hatte. 

Seinen  Vorsatz,  der  Nachwelt  eine  möglichst  getreue  und  vollständige 
Darstellung  vom  Leben  der  Indianer  Nordamerikas  zu  überliefem,  konnte 
Weimer  nur  zum  kleinsten  Teil  erfüllen.  Aber  es  bleibt  ihm  das  Verdienst, 
die  Möglichkeit,  den  roten  Urbewohner  Amerikas  als  einen  höchst  dankbaren 
Vorwurf  für  die  Malerei  zu  verwerten,  zuerst  erkannt  und  ausgenutzt  zu  haben. 


—     538     — 

Weimer  war  der  Vorläufer  eines  Frederick  Remington,  Schreyvogel,  Bush, 
Demming  und  anderer,  die  in  neuerer  Zeit  mit  ihren  Darstellungen  des  wild- 
westlichen Lebens  so  große  Erfolge  erziehen. 

Waren  Leutze  auf  dem  Gebiet  der  geschichtlichen  und  Weimer  auf  dem 
der  ethnographischen  Malerei  Bahnbrecher,  so  erschloß  der  Rheinländer 
Albert  Bierstadt  den  Amerikanern  zuerst  die  überwältigende  Majestät 
der  jungfräulichen  Landschaften  des  fernen  Westens.  Wohl  hatte  man  erfahren, 
daß  es  jenseits  der  endlosen  Prärien,  im  Herzen  der  wolkenhohen  Felsen- 
gebirge an  großartigen  Szenerien  nicht  mangle.  Aber  noch  hatte  sich  kein 
Künstler  dorthin  gewagt,  um  den  Bewohnern  des  Ostens  jene  herrlichen  Land- 
schaften zu  veranschaulichen.  Als  Bierstadt  zu  Anfang  der  sechziger  Jahre  als 
Früchte  einer  mit  dem  General  Lander  in  die  Rocky  Mountains  unternommenen 
Expedition  mehrere  mächtig  wirkende  Gemälde  ausstellte,  welche  die  schnee- 
bepanzerten  Gipfel  jener  Hochgebirge,  die  erhabenen  Granitdome  und  Felsen- 
kathedralen der  Sierra  Nevada  und  des  Yosemitetals  veranschaulichten,  da 
wirkten  diese  Gemälde  wie  Offenbarungen.  Das  waren  keine  nüchternen,  photo- 
graphisch getreuen  Abschreibungen  der  Natur,  sondern  Kunstwerke,  in  denen 
ihr  Urheber  mit  großem  Glück  die  Seele,  die  Stimmung  der  Landschaft  erfaßt 
und  auf  die  Leinwand  gezaubert  hatte.  Nicht  umsonst  war  Bierstadt  bei  den 
großen  Düsseldorfer  Meistern  Schirmer,  Lessing  und  Achenbach  in  die  Schule 
gegangen.  Die  Art  der  heroisch  machtvollen  oder  poetisch  durchgeistigten 
Darstellung,  welche  die  Gemälde  jener  Künstler  auszeichnet,  war  auch  ihm 
zu  eigen  geworden.  Und  so  zählen  viele  seiner  Bilder,  wie  „Mount  Corcoran", 
„Landers  Peak",  ein  „Sturm  in  den  Felsengebirgen",  die  „Goldene  Gasse  bei 
San  Francisco",  ein  „Abend  am  Mount  Tacoma"  und  das  im  Kunstmuseum  der 
Stadt  New  York  aufgestellte  „Indianerlager  am  Fuß  der  Felsengebirge"  mit 
Recht  zu  den  Perlen  der  Landschaftsmalerei  des  19.  Jahrhunderts. 

Es  ist  angesichts  dieser  Schöpfungen  erklärlich,  daß  Bierstadt,  der  „Ent- 
decker des  malerischen  Westens",  in  vielen  amerikanischen  Künstlern  Nachfolger 
fand.    Zu  ihnen  zählen  vor  allen  Thomas  Moran,  Thomas  Hill  und  Julian  Rix. 

Den  namhaften  deutschamerikanischen  Landschaftern  der  zweiten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  gehören  ferner  Gottfried  Frankenstein,  Wil- 
helm Sonntag,  Hermann  Füchsel  und  Heinrich  Vianden  an. 
Frankensteins  Niagarabilder  erfreuten  sich  auch  in  Europa  großer  An- 
erkennung. 

Unter  den  Figurenmalern  jener  Periode  wären  in  erster  Linie  noch  der  1824 
im  Elsaß  geborene  ChristianSchüssele  und  der  1840  zu  Landau  (Pfalz) 
geborene  ThomasNastzu  nennen.  Von  Schussele  haben  sich  nur  wenige 
Werke  erhalten.  Das  bedeutendste  ist  zweifellos  ein  jetzt  im  Besitz  der  Herrn- 
hutergemeinde  zu  Bethlehem  in  Pennsylvanien  befindliches  Gemälde,  welches 
den  ganz  von  seinem  hohen  Beruf  erfüllten  Missionar  David  Zeisberger  zeigt, 
wie  er  den  am  nächtlichen  Lagerfeuer  versammelten  Urbewohnern  Amerikas 
die  Lehren  des  Christentums  verkündigt.    Das  durch  scharfe  Charakteristik  der 


03 


—     541     — 

Figuren  ausgezeichnete  Bild  wurde  1862  in  Philadelphia  gemalt.  Dort  lebte 
der  Künstler  als  Leiter  der  Kunstschule  bis  zu  seinem  im  Jahre  1879  erfolgen- 
den Tod. 

Der  Name  Thomas  Nasts  wurde  hauptsächlich  als  der  eines  sehr  ge- 
schickten Kariicaturenzeichners  gefürchtet  und  berühmt.  Aber  auch  die  beiden 
großen  Gemälde  „Der  Ausmarsch  des  7.  New  Yorker  Regiments  am  19.  April 
186r*  und  „Lincolns  Einzug  in  Richmond"  sind  Leistungen,  die  sich  weit  über 
das  Alltägliche  erheben.  Das  erstgenannte  Bild  schmückt  die  Waffenhalle  des 
noch  heute  bestehenden  7.  Regiments. 


Mount  Corcoran. 

Nach  einem  Gemälde  von  Albert  Bierstadt. 


Nasts  Berufsgenosse  Theodor  Kaufmann,  ein  aus  der  Provinz 
Hannover  eingewanderter  ,. Achtundvierziger",  befaßte  sich  gleichfalls  mit  künst- 
lerischen Darstellungen  aus  dem  Bürgerkriege.  Seine  Gemälde  „General  Sher- 
man  am  Wachtfeuer"  und  „Farragut"  fanden  in  verschiedenen  Nachbildungen 
weite  Verbreitung.  Ferner  wählte  der  Künstler  die  tragische  Ermordung  des 
Präsidenten  Lincoln  zum  Vorwurf  eines  figurenreichen  Gemäldes. 

Der  Deutschpennsylvanier  Peter  Rothermel  veranschaulichte  die 
Schlacht  von  Gettysburg.  Den  Indianerkämpfen  und  dem  Soldatenleben  des 
fernen  Westens  entlehnte  hingegen  der  im  Jahre  1861  in  New  York  geborene 
Charles  Schreyvogel  Szenen,  deren  überaus  lebendige  Darstellung 
den  Namen  des  Kimstiers  rasch  in   allen  Teilen   Amerikas  bekannt  machte. 


—     542     — 

Bereits  das  erste  Bild  „My  Bunkie"  erregte  allgemeine  Aufmerksamkeit.  Es 
zeigt  einen  im  Galopp  dahinspringenden  Reiter,  der  mitten  im  Gefecht  einen 
seines  Rosses  verlustig  gewordenen  Kameraden  zu  sich  in  den  Sattel  empor- 
hebt. Von  dramatischer  Wirkung  ist  auch  desselben  Meisters  Bild  „How  Cola". 
Eine  kleine  Abteilung  Kavalleristen  hat  eine  Truppe  Indianer  in  die  Elucht 
geschlagen.  Wild  stürmen  die  Bleichgesichter  nach.  Im  Vordergrund  setzt  ein 
Gaul  über  einen  mit  seinem  Pferde  gestürzten  Indianer  hinweg.  Schon  hebt  der 
Reiter  den  Revolver,  um  dem  am  Boden  liegenden  den  Gnadenschuß  zu  ver- 
setzen. Da  erkennt  der  Wilde  in  dem  ihn  Bedrohenden  einen  ehemaligen 
Ereund,  mit  dem  er  manchmal  am  Lagerfeuer  zusammengesessen.  Ein  lautes 
„How  Cola!"  „Gut  Freund!"  erschallt  von  seinen  Lippen,  worauf  die  ver- 
hängnisvolle Mündung  des  Revolvers  sich  nach  oben  richtet  und  der  Reiter 
weitersprengt.  — 

Ein  fast  noch  ergreifenderes  Gemälde  Schreyvogels  versetzt  uns  ins  Innere 
eines  von  wenigen  Soldaten  verteidigten  Eorts.  Überall  Pulverdampf,  überall 
leidenschaftlicher  Kampf.  Schon  schicken  die  in  der  Übermacht  befindlichen 
Rothäute  sich  an,  die  Palisaden  zu  übersteigen  und  die  Besatzung  des  Forts 
durch  herabgeschleuderte  Bündel  brennenden  Reisigs  zu  vertreiben.  Da  raffen 
sich  die  tapferen  Verteidiger  zu  einem  letzten  Verzweiflungskampf  auf,  um  die 
blutdürstigen  Feinde  womöglich  noch  einmal  abzuschlagen. 

Ein  viertes  Bild  nennt  sich  „Der  Kampf  ums  Wasser".  Inmitten  einer 
von  der  untergehenden  Sonne  mit  magischem  Licht  beleuchteten  Wüste  liegt 
in  einer  kleinen  Vertiefung  eine  Quelle.  Ihr  Besitz  bedeutet  Leben  oder 
Tod,  denn  in  der  fürchterlichen  Sonnengut  sind  Menschen  und  Tiere 
nahezu  verschmachtet.  Eine  auf  dem  Kriegspfad  befindliche  Truppe  Indianer 
hält  die  Quelle  besetzt.  Auf  die  sich  tapfer  Verteidigenden  stürmt  eine  kleine 
Abteilung  Kavallerie  mit  ganz  außergewöhnlicher  Wucht  herein.  Fast  kerzen- 
gerade steigt  das  Pferd  des  amerikanischen  Offiziers  empor.  Auf  dem  Boden 
liegen  bereits  mehrere  erschossene  Rothäute  neben  ihren  Gäulen;  andere  setzen 
sich  noch  zur  Wehr. 

Außer  diesen  durch  die  überaus  bewegte  Handlung,  wie  durch  vortreff- 
liche Zeichnung  und  klare  Farbengebung  hei*vorragenden  Gemälden  schuf  der 
Künsder  zahlreiche  andere,  von  welchen  „Der  Depeschenträger",  „Der  Durch- 
bruch", „Ein  sichrer  Schuß"  genannt  sein  mögen.  Vortreffliche  Nachbildun- 
gen der  Gemälde  Schreyvogels  wurden  im  Herbst  1909  in  dem  Prachtwerk 
„My  Bunkie  and  others"  (Verlag  von  Moffart,  Yard  &  Co.,  New  York)  vereinigt. 

Der  Deutschamerikaner  V.  N  e  h  1  i  g  schuf  ein  Kolossalgemälde,  das  die 
Rettung  des  als  Gründer  der  Kolonie  Virginien  bekannten  Kapitän  John  Smith 
durch  die  schöne  HäupÜingstochter  Pocahontas  veranschaulicht. 

Ein  überaus  feinsinniger  und  vielversprechender  Künstler  war  der  im 
Jahre  1867  in  Cincinnati  geborene,  bereits  1904  verstorbene  Robert 
F.  B  1  u  m.  Seitdem  eine  Reise  ihn  nach  Japan  führte,  entnahm  er  die  Motive 
zu  seinen  Bildern  mit  Vorliebe  dem  japanischen  Volksleben.     Wer  das  Kunst- 


545 


museum  der  Stadt  New  York  besucht,  kann  dort  eins  der  trefflichsten  Gemälde 
Blums,     ein   Meisterwerk   an   Carakteristik   und   sonniger   Farbengebung   be- 


Ein  sichrer  Schuß. 

Nach  einem  Gemälde  von  Charles  Schreyvogel 


Copyri';ht  U'02  by  Ch.  Sehr^  vcgcl. 


wundern.    Es  stellt  einen  von  naschhaftem  jungen  Volk  belagerten  japanischen 
Zuckerwarenhändler  dar. 


Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika. 


35 


—     546     — 

Ein  vortrefflicher  Genremaler  war  ferner  der  1858  in  New  York  geborene 
Charles  F.  Ulrich.  Von  ihm  besitzt  die  Corcoran  Kunstgalerie  zu 
Washington  ein  Gemälde,  welches  das  Getriebe  in  Castle  Garden,  der  früheren 
Landestelle  der  in  New  York  ankommenden  Einwandrer  zeigt.  Das  Kunst- 
museum der  Stadt  New  York  zählt  unter  seinen  Schätzen  ein  zweites  Bild 
Ulrichs,  „Die  Glasbläser  in  Burano". 

Der  aus  Hannover  stammende  Friedrich  Dielmann,  seit  1899 
Präsident  der  „National  Academy  of  Design"  in  New  York,  betätigte  sich  vor- 
nehmlich in  Wandmalereien.  Sowohl  die  Kongreßbibliothek  zu  Washington, 
die  Sparbank  zu  Albany,  das  Gebäude  des  „Washington  Evening  Star"  und 
andere  Bauten  sind  mit  Werken  seiner  Hand  geschmückt. 

Der  gleichen  Spezialität  wandte  sich  auch  der  in  New  York  lebende 
ArthurThomaszu.  Er  zierte  die  Hallen  und  Wandelgänge  des  Gerichts- 
gebäudes der  Stadt  South  Bend,  Indiana;  ferner  das  Rathaus  zu  St.  Louis,  die 
Gedächtnishalle  zu  Columbus,  Ohio,  und  viele  andere  öffentliche  und  Privat- 
gebäude mit  geschichtlichen  und  allegorischen  Gemälden,  die  sich  durch  klaren 
Entwurf,  solide  Zeichnung  und  feines  Kolorit  auszeichnen.  Der  vornehmlich 
als  Porträtmaler  bekannte  Karl  Gutherz  fertigte  für  die  Kongreßbibliothek 
zu  Washington  die  Allegorie  „Das  Licht  der  Zivilisation". 

Von  den  neueren  deutschamerikanischen  Künstlern,  die  figürliche  und 
landschaftliche  Darstellungen  zu  verbinden  lieben,  ist  Rudolf  Gronau, 
(geboren  1855  zu  Solingen),  zu  nennen.  Seitdem  er  zu  Anfang  der  achtziger 
Jahre  als  Spezialzeichner  der  „Gartenlaube"  Amerika  bereiste,  wandte  auch  er 
sich  vorwiegend  der  malerischen  Darstellung  des  fernen  Westens  zu.  Von 
seinen  größeren  Gemälden  vergegenwärtigt  „Ein  Renkontre  in  den  Felsen- 
gebirgen" den  Zusammenstoß  zweier  wandernden  Indianerhorden,  die  an  dem 
durch  seme  phantastischen  Felsformationen  bekannten  Green  River,  einem  Quell- 
arm des  Colorado,  lagerten.  „Sonnenuntergang  der  roten  Rasse"  nennt  sich 
ein  zweites  Gemälde.  Es  zeigt  einen  am  Fuß  der  Grabgerüste  seiner  toten 
Stammesgenossen  sitzenden  Dakota-Indianer,  der  wehmütigen  Blickes  das  unter 
ihm  liegende,  von  der  Abendsonne  vergoldete  Flußtal  überschaut,  wo  eben  mit 
schrillem  Pfiff  eine  Eisenbahn,  das  Symbol  der  dem  roten  Mann  den  Untergang 
bringenden  Zivilisation,  dahineilt. 

Zu  den  neueren  hervorragenden  deutschamerikanischen  Landschaftern 
zählen  ferner  John  Henry  Tw  achtmann  und  der  in  Chicago  geborene 
Alexander  Schilling.  Der  New  Yorker  Albert  Groll  wählte  die 
durch  ihre  Farbenpracht  ausgezeichneten  Wüsten  Arizonas  als  Studienfeld. 

Als  Porträtmaler  taten  sich  AdolfMüller-Ury,  JohannGerke, 
Emil  Fuchs,  Paul  Selinger,  Karl  L.  Brandt,  W.  J.  Baer  und 
Wilhelm  Funk  hervor.  Von  anderen  innerhalb  der  Vereinigten  Staaten 
lebenden  Künstlern  deutscher  Abkunft  verdienen  A.  B.  Wenzell,  Edward 
Potthast,  John  Ehninger,  jMax  A.  Friederang,  John 
Ewers,    R.    Launitz,    Alfred    Kappes,    Edward    Kuntze, 


i 

; 

:                c 

:                ^ 

:                cj 

:               c 

: 

:               rt 

: 

1             '"5 

:               — 

z               .X 

•                 c 

:                 ^ 

j                i 

c 

rt 

s               c 

■5 

:                <^ 

c 

:             "o 

~ 

t                                     -4—» 

-a                  ;; 

c                     ;; 

i          E 

ffl 

i          M 

j: 

:                 ra 

t; 

:                u. 

o 

CO 

:               <u 

:              > 

3 

:               c 

M 

;               oj 

3 

:               _c 

s 

:               '^ 

a 

• 

CC 

E 

t                  02 

:               <i> 

1              S 

« 

E 

o               : 

:              ^ 

H 

3 

;              CS 
1             c/) 

< 

c 

!              >- 

o 

;              <y 

> 

t             -^ 

QJ 

:              <-> 

T3 

:               <u 

:              T3 

1 

:                c 

CkjC 

:               U 

c 

:                <u 

^ 

J                o 

: 

1                — 

; 

1                tö 

1 

1                    :0 

; 

j                  c 

\ 

:               <^ 

'■ 

*              t^- 

: 

:               V. 

1 

:               <u 

: 

i             Q 

: 

j 

i 

35" 


—     549     — 


Keller,  B.  F.  Reinhardt,  Albert  Wuest,  Alfred  Stieglitz 
und  Louis  Kronberg  Erwähnung. 


M  = 

X)   2 
c  ^ 

OJ     o 

JJO     T3 


•s  1 


a: 


ÜJ 


Ein  Tiermaler  ersten  Ranges  ist  Karl  R  u  n  g  i  u  s  in  New  York.     Die 
mächtigen  Wapiti  der  Felsengebirge,  die  zierlichen  Antilopen  der  Prärien,  wie 


—    5:o 


die  gewaltigen  Moosetiere  der  nordischen  Wälder  finden  in  ihm  einen  unüber- 
trefflichen Darsteller.    Die  Spezialität  der  beiden  Künstler  Edmund  H.  Ost- 


hau s  in  Toledo  und  A  r  n  o  l  d  in  New  York  bildet  der  Hund.    Mit  welchem 
Geschick  der  erstgenannte  Künstler  die  schwierigen  Aufgaben,  welche  er  sich 


—     551 


zu  stellen  liebt,  zu  lösen  weiß,  beweist  die  unserem  Buch  einverleibte  Wieder- 
gabe eines  seiner  besten  Gemälde. 


„Losgelassen/ 

Gemälde  von  Edmund   H.  Osthaus. 


Copyright   1901   by  E.  H.  Osthaus. 


Sehr  zahlreich  ist  die  Liste  solcher  Deutschamerikaner,  die  als  Illustra- 
toren Hervorragendes  leisten.  Unter  ihnen  finden  wir  Frank  und  Frede- 
rickSchell,RudolfCronau,JuliusLoeb,  Max  F.  Klepper, 


—     552     — 


Copyright  1908  by  C.  Rungius. 

Ein  Monarch  der  amerikanischen  Wildnis. 

Nach  einem  Gemälde  von  Carl  Rungius. 


Joseph  Leyendecker,  Erich  Pape,  B  1  u  m  e  n  s  c  h  e  i  n  ,  Nahl, 
K  e  p  p  1  e  r  und  andere. 

Manche  in  Amerilta  geborene  Künstler  deutscher  Abkunft  zogen  aus  ver- 
schiedenen Gründen  vor,  ihre  Werkstätten  in  den  europäischen  Kunstzentren 


553 


Copyright  1907  by  C.  Rungius. 


Ein  König  der  Felsengebirge. 

Nach  einem  Gemälde  von  Carl  Rungius. 


aufzuschlagen.    Einer  dieser  Wandervögel  ist  der  im  Jahre  1841  in  New  York 
'borene  Henry  Mosler,  von  dessen  unzähligen  köstlichen  Genrebildern 
die  im  Museum  seiner  Vaterstadt  befindliche  „Hochzeit  in  der  Bretagne'*  hervor- 
zuheben ist.     Die  Corcoran-Galerie  zu  Washington  besitzt  das  schöne  Gemälde 


—     554     — 

„The  Dawn  of  our  Flag".  Wie  der  Titel  verrät,  ist  es  eine  symbolische  Ver- 
herrlichung der  amerikanischen  Flagge.  Eine  nackte  Frauengestalt  schwebt  über 
der  noch  im  Abendschein  erglänzenden  Landschaft  zum  dunkelnden  Nachthimmel, 
an  dem  bereits  die  Sterne  zu  funkeln  beginnen,  empor.  Im  Schweben  hält  sie 
das  flatternde  Banner,  das  in  dem  sternenbesäten  Himmel  zu  zerfließen  scheint. 
Die  Auflösung  des  Sternenbanners  im  Nachthimmel  ist  vortrefflich  gelungen, 
und  die  Wiedergabe  der  tief  drunten  liegenden  Abendlandschaft  zeigt,  daß 
Mosler  zu  den  Künstlern  der  alten  Schule  gehört,  welche  moderne  Technik  in 
Anwendung  bringen  können,  wenn  es  ihnen  angebracht  erscheint.  Eines  seiner 


A\it  Genehmigung  der  Photographisehen  Gesellschaft  in   Berlin. 

Ahasver. 

Nach  einem  Gemälde  von  Karl   Marr.     Im  Besitz  des  Metropolitan-Kunstmuseums  der  Stadt  New  York. 

neueren  Werke  „The  Forging  of  the  Gross"  zeichnet  sich  durch  eine  so  kräftige 
Behandlung  der  von  dem  glühenden  Eisen  ausgehenden  Lichteffekte  aus,  daß 
man  unwillkürlich  an  Menzel  erinnert  wird,  obgleich  Mosler,  wenn  man  Ver- 
gleiche ziehen  will,  im  allgemeinen  eher  an  Knaus  erinnert. 

In  München  finden  wir  den  im  Jahre  1848  in  New  Haven,  Connecticut, 
geborenen  Toby  Rosenthal,  dessen  mannigfaltige,  oft  von  köstlichem 
Humor  durchwehte  Genrebilder  ihm  einen  hochangesehenen  Namen  machten. 
Als  Professor  an  der  Münchener  Akademie  wirkt  der  1858  in  Milwaukee  ge- 
borene Karl  Marr,  einer  der  bedeutendsten  Künstler,  die  Amerika  hervor- 
gebracht hat.  Seine  Ausbildung  verdankt  er  Deutschland,  das  er  auch  zu 
seinem  dauernden  Wohnsitz  erkor.     Eines  seiner  ersten,  dort  entstandenen  Ge- 


bp  ~ 


tli 


o 


Copyright  1908  by  Gari   Melchers. 
Copyright  1908  by  Detroit  Publishing  Co. 

Die  beiden  Schwestern. 

Nach  einem  Gemälde  von  Gari  Melchers,  im   Besitz  des  Herrn  Hugo  Reisinger,  New  York. 


M 


'*'^: 


«^.« 


—     55Q     — 

mälde  veranschaulicht  „Ahasver",  den  vom  Tod  gemiedenen  „ewigen  Juden", 
wie  er  in  düstrer  Versunl^enheit  über  dem  von  den  Wellen  an  den  Strand  ge- 
spülten Leichnam  eines  Mädchens  grübelt.  Diesem  jetzt  im  Kunstmuseum  zu 
New  York  befindlichen  Gemälde  folgten  die  „Spinnerin"  und  mehrere  Szenen 
aus  der  deutschen  Geschichte.  Dann  kam  das  gewaltige  aufsehenerregende  Bild 
„Die  Flagellanten";  7  m  lang  und  4,40  m  hoch,  zeigt  es  einen  Zug  jener  von 
religiösem  Wahnsinn  befallenen  Sektierer,  die  zu  den  seltsamsten  Erscheinungen 
des  christlichen  Mittelalters  gehörten.  Da  nahen  die  halbnackten,  sich  geißeln- 
den jungen  und  alten  Männer,  blutüberströmt,  in  ihrer  leidenschaftlichen  Raserei 
schreckenerregend.  In  der  Mitte  des  unheimlichen  Zuges  tragen  vermummte 
Gestalten  das  Bild  des  Heilands.  Dahinter  folgen  Büßer,  die  betend  die  Arme 
zum  Himmel  strecken.  So  mögen  sie  einhergezogen  sein,  die  Flagellanten, 
deren  frommer  Wahnsinn  ganze  Städte,  ganze  Länder  erfaßte.  Das  Bild 
trug  Marr  die  goldene  Medaille  ein.  Nachdem  es  die  Runde  durch  Europa 
gemacht,  fand  es  einen  dauernden  Platz  im  Museum  der  Vaterstadt  des  Künst- 
lers, Milwaukee.  Diesem  ergreifenden  Bilde  schlössen  sich  Genrebilder,  Alle- 
gorien, historische  Gemälde  und  Porträts  an.  Alle  bekunden  die  außergewöhn- 
liche Begabung  ihres  Urhebers  und  sein  unermüdliches  Ringen  nach  Vollkom- 
menheit. 

Gleiches  läßt  sich  von  den  Werken  des  1 360  in  Detroit  geborenen  G  a  r  i 
M  e  1  c  h  e  r  s  sagen,  der  ebenfalls  in  Deutschland  seinen  Studien  oblag,  von 
Liebermann,  Uhde,  Leibl  und  anderen  mächtig  beeinflußt  wurde,  aber  doch 
seine  eignen  Wege  ging.  Seine  mit  Vorliebe  dem  holländischen  Fischerleben 
entnommenen  Motive  sind  mit  überzeugender  Wahrheit  und  un- 
gewöhnlicher Kraft  ausgeführt.  Die  „Predigt",  das  „Abendmahl  in  Emmaus", 
die  „Bootbauer",  „Zwischen  den  Dünen",  die  im  Besitz  der  Nationalgalerie  zu 
Berlin  befindHche  „Holländische  Familie",  die  in  der  Kunstgalerie  zu  Phila- 
delphia hängenden  „Schlittschuhläufer",  „Die  beiden  Schwestern"  in  der  Galerie 
von  Hugo  Reisinger  in  New  York  sind  sowohl  in  Auffassung,  Technik  und 
Farbengebung  Meisterwerke  ersten  Ranges. 

Hermann  Hart  wich  und  Walter  Gay  zählen  gleichfalls  zu  den 
in  Europa  lebenden  deutschamerikanischen  Malern,  die  sich  durch  ihre  vor- 
züglichen Leistungen  Ruhm  und  Auszeichnungen  aller  Art  errangen. 


War  zu  Anfang  des  IQ.  Jahrhunderts  das  Verständnis  des  jungen,  meist 
mit  Daseinsfragen  beschäftigten  amerikanischen  Volkes  für  die  Werke  der  Malerei 
wenig  entwickelt,  so  bekundete  es  für  die  Schöpfungen  der  Bildhauerkunst  fast 
noch  geringeres  Interesse.  Die  seltenen  Aufträge,  die  man  den  in  den  Ver- 
einigten Staaten  lebenden  Meistern  des  Meißels  zuteil  werden  ließ,  beschränkten 
sich  fast  ausschließlich  auf  Grabmonumente,  wozu  nach  Beendigung  des  Bürger- 
kriegs da  und  dort  Kriegerdenkmale  kamen. 


—     560     — 

Einer  der  ersten  der  mit  solcher  Ungunst  der  Verhältnisse  kämpfenden 
Pioniere  deutscher  Kunst  war  der  Dresdener  Ferdinand  Pettrich,  ein 
Schüler  Thorwaldsens.  Im  Jahre  1835  nach  Philadelphia  verschlagen,  fand  er 
dort  Gelegenheit,  mehrere  Monumente  herzustellen,  die  durch  ihre  Schönheit 
allgemeine  Aufmerksamkeit  erregten.  Einige  sind  noch  heute  auf  dem  Laurel 
Hill-Friedhof  erhalten.  Die  Figuren  eines  „besiegten  Amor",  eines  „Mephisto- 
pheles''  und  „Fischermädchens"  fanden  gleichfalls  große  Anerkennung  und  be- 
wogen den  damaligen  Präsidenten  Tyler,  Pettrich  mit  der  Ausführung  von  vier 
Reliefs  für  den  Sockel  der  von  Greenough  geschaffenen  großen  Washington- 
Statue  zu  beauftragen.  Die  umfangreichen,  Szenen  aus  der  Geschichte  der  Ver- 
einigten Staaten  darstellenden  Reliefs  wurden  zwar  von  dem  Künstler  in  Ton 
modelliert,  aber  ihre  Ausführung  unterblieb,  da  der  Kongreß  nicht  das  dazu 
nötige  Geld  bewilligte.  Als  auch  manclie  andere  großen  Pläne  des  Künstlers 
scheiterten,  wandte  derselbe  enttäuscht  Amerika  den  Rücken  und  kehrte  im 
Jahre  1845  nach  Europa  zurück. 

Unter  ähnlichen  Schwierigkeiten  arbeiteten  Franz  Meinen  in  Phila- 
delphia, Franz  Xaver  Dengler  in  Boston,  Christoph  Paulus, 
Heinrich  Baerer,  Georg  Hesse  und  Caspar  Buberl  in  New 
York,  sowie  Ephraim  Kaiser  in  Cincinnati.  Gezwungen  ihr  Auskommen 
im  Herstellen  solcher  Grabmonumente  und  gelegentlicher  Büsten  zu  suchen,  bot 
sich  ihnen  nicht  allzuhäufig  Gelegenheit,  ihr  Können  im  Ausführen  größerer 
Werke  zu  zeigen. 

Eine  dieser  seltenen  Gelegenheiten  ermöglichte  es  Buberl,  für  das  Gar- 
field-Denkmal  in  Cleveland  fünf  gewaltige  Reliefplatten  anzufertigen.  Dieselben 
enthalten  mehr  als  hundert  lebensgroße  Figuren  und  zeigen  den  Märtyrer- 
präsidenten als  Dorfschullehrer,  als  Depeschenträger  im  Bürgerkrieg,  als  Volks- 
redner, als  Präsident  und  als  Dulder  auf  seinem  Schmerzenslager. 

Das  Patentamt  der  Bundeshauptstadt  Washington  schmückte  derselbe 
Künstler  mit  den  allegorischen  Darstellungen  „Elektrizität  und  Magnetismus"; 
„Feuer  und  Wasser";  „Erfindung  und  Industrie";  „Eandwirtschaft  und  Berg- 
bau". Vor  dem  Nationalmuseum  in  Washington  fand  noch  ein  anderes  be- 
deutendes Werk  Buberls  Aufstellung,  die  Kolossalgruppe  „Columbia  als  Pro- 
tektorin der  Wissenschaft,  Kunst  und  Industrie". 

Die  Arbeiten  Heinrich  Baerers  blieben  meist  in  New  York.  Im  Central- 
Park  sowie  im  Prospekt-Park  zu  Brooklyn  finden  sich  Kolossalbüsten  Beet- 
hovens. Auch  über  der  Fassade  des  dem  New  Yorker  Gesangverein  „Arion" 
gehörenden  schönen  Gebäudes  lenkt  eine  von  Baerer  geschaffene  Kolossal- 
gruppe die  Blicke  auf  sich.  Ferner  schuf  Baerer  Büsten  des  Poeten  John 
Howard  Payne  und  des  Brückenbauers  Johann  August  Roebling;  desgleichen 
Standbilder  der  Generäle  Warren  und  Fowler;  ein  Schubertdenkmal  und  eine 
Kolossalbüste  Schillers,  die  bei  der  Gedächtnisfeier  der  hundertjährigen  Wieder- 
kehr des  Todestages  Schillers  in  New  York  Verwendung  fand. 

Joseph  Sibbel,  der  gleichfalls  New  York  als  Wirkungskreis  erkor, 


—    561     — 

lieferte  für  zahlreiche  katholische  Kirchen  Amerikas  den  Figurenschmuck:  Ma- 
donnen, Märtyrer,  Heilige  und  Apostel.  Einzelne  seiner  durch  harmonischen 
Aufbau  und  Innigkeit  des  Ausdrucks  ausgezeichneten  Gruppen,  gehören  zum 
besten,  was  auf  dem  Gebiet  der  Kirchenkunst  in  der  Neuen  Welt  je  geschaffen 
wurde.  Nach  dem  im  Jahre  1908  erfolgten  Tode  Sibbels  führte  sein  lang- 
jähriger bewährter  Mitarbeiter  Joseph  Lohniüller  das  künstlerische  Werk 
des  Verstorbenen  ganz  im  Sinne  desselben  fort.  — 

Eine   günstigere  Epoche  brach   für  die   Meister  des   Meißels   mit   den 
Weltausstellungen  zu  Chicago,  Omaha,  Buffalo,  St.  Louis  und  Portland  an. 


Die  heilige  Familie. 

Skulptur  von  Joseph  Sibbel  und  Joseph   Lohmüller. 


Die  dort  geplanten  Riesenpaläste,  gewaltigen  Festplätze  und  Ehrenhöfe,  die 
endlosen  Säulengänge  mußten,  um  ihre  ermüdende  Eintönigkeit  zu  heben,  mit 
Standbildern  und  allegorischen  Gruppen  geschmückt  werden,  wie  man  dies 
auf  den  Weltausstellungen  Europas  zu  sehen  gewöhnt  war.  Da  gab's  endlich 
auch  für  die  deutschamerikanischen  Bildhauer  Arbeit  in  Fülle.  Gelegentlich 
der  Weltausstellung  zu  Buffalo  und  St.  Louis  fiel  dem  aus  Wien  nach  New  York 
übersiedelten  Karl  Bitter  sogar  die  Oberleitung  sämtlicher  Bildhauer- 
arbeiten zu.  Die  Anwartschaft  für  diesen  schwierigen  Posten  hatte  Bitter 
sich  bereits  durch  seine  mustergültigen  Skulpturen  für  das  Verwaltungsgebäude 
der  Weltausstellung  zu  Chicago  erworben.  Für  den  Festplatz  zu  Buffalo  lieferte 
er   zwei   mächtige,   auf   bäumenden    Rossen    sitzende    Standartenträger.     Für 


Gronau,   Deutsches  Leben   in  Amerika. 


36 


—     562     — 


Copyright  19()7  by  J.  Sibbel. 

„Unsere  Frau  der  immerwährenden  Hilfe." 

Skulptur  von  Joseph  Sibbel  in  der  St.  Francis  Xavier-Kirche  zu  St.  Louis,  Missouri. 


St.  Louis  schuf  er  das  zur  Erinnerung  an  den  Ankauf  Louisianas  von  Frankreich 
dienende  „Louisiana  Purchase  Monument'',  eine  hochragende  mächtige  Rund- 
säule, die  eine  Friedensgöttin  trug.    Den  Sockel  des  mächtigen  Denkmals  zierten 


—     563     — 


äußerst  lebendige  allegorische  Gruppen  sowie  die  auf  Seite  261  unseres  Buches 
abgebildete  Darstellung  der  im  Jahre  1803  vollzogenen  Unterzeichnung  des 
Louisiana-Kaufaktes. 

In  neuerer  Zeit  schuf 
Bitter  außer  mehreren  zum 
Schmuck  öffentlicher  Gebäude 
dienenden  Friese  und  Sta- 
tuen für  die  Stadt  New  York 
ein  Reiterstandbild  des  Gene- 
rals Franz  Sigel  und  eine 
Statue  von  Karl  Schurz. 

Die  Weltausstellungen 
zu  Buffalo  und  St.  Louis  er- 
öffneten auch  dem  Wiener 
I  s  i  d  o  r  K  o  n  t  i  die  er- 
wünschte Gelegeriheit,  seine 
üppige  Phantasie  und  große 
Begabung    zu    zeigen.      In 

der  Mississippimetropole 
schmückte  er  die  Umgebung 
der  großen  Kaskade  mit 
mehr  denn  zwanzig  Grup- 
pen, die  sich  aus  Wasser- 
göttern, Nymphen  und  fabel 
haften  Seeungetümen  zu- 
sammensetzten. 

Einen  grundverschie- 
denen Ton  schlug  Konti  in 
einer  „Das  despotische  Zeit- 
alter" benannten  Gruppe  an. 
Keuchende,  mit  Ketten  be- 
lastete, unter  furchtbaren  An- 
strengungen fast  zusammen- 
sinkende Sklaven  ziehen 
einen  schweren  Triumph- 
wagen dahin,  auf  dem  ein 
brutal  vierschrötiger  Despot 
thront.  Hart  blicken  seine 
mitleidlosen  Augen,  während 

ein  neben  dem  Wagen  dahinschreitendes  furienhaftes  Weib  mit  wuchtiger  Geißel 
das  menschliche  Gespann  zur  äußersten  Kraftanstrengung  anpeitscht. 

Eine  Tragödie  des  Lebens  verkörperte  auch  der  New  Yorker  Adolf 
Alexander  Wein  man  in  seiner  für  die  Weltausstellung  zu  St.   Louis 

36* 


Der  kreuztragende  Christus  und  Maria. 

Skulptur  von  Joseph   Lohmüller. 


—     564     — 

geschaffenen  Gruppe,  „Das  Schicksal  der  roten  Rasse'^  Sie  symbolisiert  den 
unvermeidlichen  Untergang  der  Indianer.  Da  ihr  Dasein  in  erster  Linie  von 
der  Existenz  des  sie  mit  allen  Lebensnotwendigkeiten  versorgenden  Büffels 
abhing,  so  stellte  der  KünsUer  einen  dieser  der  Ausrottung  zuerst  verfallenden 
Wiederkäuer  an  die  Spitze  des  melancholisch  stimmenden  Zugs.  Ein  Häupt- 
ling, ein  Medizinmann,  zwei  Krieger  und  ein  von  Kindern  umgebenes  Weib 


Copyright  1903  by  A.  A.  Weinman. 

Das  Schicksal  der  roten  Rasse. 

Skulptur  von  Adolf  Alexander  Weinman  auf  der  Weltausstellung  zu  St.  Louis,  Missouri. 

bilden  denselben.  Mit  ihnen  entschwebt  Manitu,  der  gute  Geist  und  Welten- 
schöpfer, auf  welchen  die  roten  Männer  einst  ihr  ganzes,  vergebliches  Hoffen 
setzten. 

Max  Manch,  Henry  August  Lukemann,  A.  Schaff, 
Bruno  Louis  Zimm,  Carl  Heber,  F.  W.  Ruckstuhl,  F.  E. 
Triebel,  Henry  Linder  und  Albert  Jägers  sind  deutschameri- 
kanische Bildhauer,  die  gleichfalls  mit  Werken  auf  den   erwähnten   Weltaus- 


Denkmal  des  Generalmajors  Friedrich  Wilhelm  von  Steuben  in  Washington. 


Von  Albert  Jägers. 


OF    THE 

UNIVERSITY 

OF 


—     567     — 

Stellungen  vertreten  waren.  Manch  lieferte  ein  Standbild  Gobelins,  des  Ur- 
hebers der  Gobelin-Weberei.  Ferner  die  Gruppe  „Der  Fortschritt,  die  Theorie 
und  Praxis  bewillkommend". 


General  Grant. 

Reiterstandbild  von  Charles  Niehaus. 


Ruckstuhl  war  auch  bei  der  Ausschmückung  der  K-ongreßbibliothek  zu 
Washington  beteiligt.  Fr  fertigte  die  Statuen  Solons,  Macauleys,  Franklins 
und  Goethes.     Theodor  Baur  meißelte  die   Allegorie   „Religion";   und 


—     568     — 

Philipp  Martiny  die  Darstellungen  der  Erdteile  Amerika,  Europa,  Asien 
und  Afrika. 

Charles  Niehaus,  ein  in  Cincinnati  geborener  Künstler  deutscher 
Abkunft,  von  dem  die  Kongreßbibliothek  die  Standbilder  „Moses"  und  „Gibbon'' 
besitzt,  zählt  unstreitig  zu  den  fruchtbarsten  Bildhauern,  die  Amerika  bisher 
hervorbrachte.  Die  Grundlage  zu  seinem  Können  legte  er  in  München.  Als 
Wohnsitz  wählte  er  nach  seiner  Rückkehr  Nev^  York.  Hier  fertigte  er  äußerst 
charakteristische  Standbilder  des  Präsidenten  Garfield  sowie  der  Staatsmänner 
Allen  und  Morton  für  das  Kapitol  zu  Washington.  In  der  Bundeshauptstadt 
finden  wir  ferner  sein  Denkmal  des  berühmten  Homöopathen  Hahnemann.  Für 
die  Stadt  Indianapolis  modellierte  er  ein  Standbild  des  Präsidenten  Harrison; 
für  Canton  ein  solches  von  McKinley;  für  Museegon,  Michigan,  die  Denkmäler 
Lincolns  und  Farraguts.  Zu  den  Hauptwerken  des  Künstlers  gehört  unstreitig 
die  für  die  Weltausstellung  zu  St.  Louis  gefertigte  Apotheose  Ludwigs  IX. 
Königs  von  Frankreich,  nach  welchem  das  frühere  französische  Kolonialreich 
Louisiana  einst  seinen  Namen  empfing.  Die  gewaltige  Reiterstatue  wurde  nach 
Schluß  der  Weltausstellung  in  Bronze  gegossen  und  bildet  nun  eine  bleibende 
Erinnerung  an  die  mit  der  Gedenkfeier  der  Erwerbung  Louisianas  verbunden 
gewesenen  Festtage. 

Der  im  Jahre  1868  in  Elberfeld  geborene  Albert  Jägers,  der  für 
die  Weltausstellung  zu  St.  Louis  die  Statuen  „Arkansas"  und  „Pestalozzi", 
und  für  das  Zollgebäude  in  New  York  die  Figur  der  „Germania"  schuf,  trug 
bei  einem  von  der  Bundesregierung  erlassenen  Wettbewerb  um  ein  in  der  Stadt 
Washington  zu  errichtendes  Denkmal  des  Generalmajors  Friedrich  Wilhelm 
von  Steuben  den  Sieg  davon.  In  seinem  Entwurf  stellte  er  den  General  dar, 
wie  er  im  Winterlager  zu  Valley  Forge  mit  dem  Einexerzieren  der  Soldaten 
beschäftigt  ist.  Seine  Haltung  ist  die  eines  scharf  beobachtenden  Offiziers. 
Eine  Figurengruppe  am  Sockel  des  Denkmals  deutet  sinnig  an,  was  Steuben 
für  das  amerikanische  Heer  getan.  Sie  stellt  einen  erfahrenen  Krieger  dar, 
der  einen  Jüngling  im  Gebrauch  der  W^affen  unterweist.  Eine  zweite  Gruppe 
repräsentiert  die  „Amerika",  welche  eine  Jungfrau  dazu  anhält,  zur  Erinnerung 
an  Steuben  einen  Lorbeerzweig  auf  den  Ruhmesbaum  der  Vereinigten  Staaten 
zu  pfropfen. 

Während  der  New  Yorker  Henry  Linder  vorzugsweise  entzückend 
schöne  Entwürfe  für  kunstgewerbliche  Gegenstände  aller  Art  schuf,  ließ  der  in 
White  Plains  wohnende  Friedrich  C.  Roth  seiner  Vorliebe  für  Tier- 
Darstellungen  freien  Lauf.  Eine  seiner  lebendigsten  Gruppen  ist  die  eines 
römischen  Wagenlenkers,  der  seine  dahinstürmenden  Rosse  zu  rasender  Eile 
antreibt.    (S.  Seite  354.) 


—     569     — 

Auch  unter  den  hervorragenden  Baumeistern  Amerikas  sind  die  Deutsch- 
amerikaner vortrefflich  vertreten.  Von  den  verhältnismäßig  wenigen  amerika- 
nischen Bauten,  die  Anspruch  auf  die  Bezeichnung  „schön"  erheben  dürfen, 
wurden  einige  der  schönsten  von   Deutschen  entworfen. 

An  erster  Stelle  sei  die  herrliche  Kongreßbibliothek  der  Bundeshaupt- 
stadt Washington  genannt.  Ihre  Urheber  sind  in  allererster  Linie  der  im  Jahre 
1841  zu  Seitendorf  in  Schlesien  geborene  Paul  Johannes  Pelz  und  ferner 
der  Wiener  Johann  L.  Schmitmeyer  (Smithmeyer).  Beide  kamen  bereits  in 
früher  Jugend  nach  Amerika.  Pelz  genoß  für  eine  Reihe  von  Jahren  den  Unterricht 
des  aus  Holstein  stammenden  und  in  New  York  ansässig  gewordenen  Bau- 
meisters Detlef  Lienau.    Nachdem  er  in  Berlin  und  Paris  seine  architekto- 


Copyright   I8w9  by  Howard  Gray   Douglas. 


Die  Kongreßbibliothek  zu  Washington,  D.  C. 

Entworfen  von   Paul  J.  Pelz  und  Johann   L.  Schmitmeyer. 


nischen  Studien  vollendet,  zog  er  nach  Washington,  wo  er  für  die  Bundes- 
regierung zahlreiche  Entwürfe  zu  Leuchttürmen  anfertigte,  deren  künstlerische 
Eigenart  dem  amerikanischen  Leuchthausanit  auf  der  Wiener  Weltausstellung 
des  Jahres  1873  den  ersten  Preis  einbrachte. 

Um  diese  Zeit  vereinigte  Pelz  sich  mit  dem  gleichfalls  in  Washington 
heimisch  gewordenen  Architekten  Johann  L.  Schmitmeyer  und  beide  beteiligten 
sich  an  dem  Wettbewerb,  den  der  Bundeskongreß  im  Jahre  1873  für  den  Ent- 
wurf eines  Prachtgebäudes  ausschrieb,  welches  die  ungemein  rasch  anwachsende 
Kongreßbibliothek  aufnehmen  sollte.  Von  achtundzwanzig  Entwürfen,  unter 
denen  sich  solche  der  bedeutendsten  Baumeister  beider  Erdhälften  befanden,  er- 
wiesen sich  die  von  Schmitmeyer  und  Pelz  eingelieferten  als  die  schönsten  und 
zweckmäßigsten.   Sie  behaupteten  auch  den  ersten  Platz,  als  der  Bibliothekaus- 


—     570     — 

Schuß  im  Jahre  1874  ein  weiteres  Ausschreiben  erließ,  wodurch  die  Zahl  der 
eingelieferten  Entwürfe  sich  auf  vierzig  steigerte. 


Nachdem  den  beiden  der  endgültige  Sieg  zuericannt  worden,  blieben  sie 
dreizehn  Jahre  lang  mit  der  weiteren  Durchbildung  ihrer  Pläne  beschäftigt  und 
unternahmen  zu  diesem  Zweck  auch  längere  Studienreisen  nach  Europa,  um  die 
Anlage   und    Einrichtungen    der   dort   bestehenden    großen    Bibliotheken    zu 


571 


studieren  und  deren  Vorzüge  beim  Verbessern  der  eigenen  Pläne  zu  berück- 
sichtigen.   So  entstand  durch  die  Vereinigung  jahrhundertelanger  Erfahrungen 


Copyright  1899  by  Howard  Gray   Douglas. 

Treppenaufgang  in  der  Kongreßbibliothek  zu  Washington,  D.  C. 

und  praktischer  zeitgemäßer  Neuerungen  jene  herrliche  Bibliothek,  die  sowohl 
in  bezug  auf  zweckmäßige  Aufstellung  der  Bücherschätze  wie  auch  hinsieht- 


—     572     — 

lieh    der   Beleuchtung,   Heizung    und    Feuersicherheit    unter   allen    ähnlichen 
Zwecken  dienenden  Bauwerken  der  Welt  fraglos  an  erster  Stelle  steht. 


Copyright  1899  by  Howard  Gray  Douglas. 

Die  Lesehalle  der  Krongreßbibliothek  zu  Washington,  D.  C. 

Zweifellos  gebührt  dieser  Bibliothek  auch  in  architektonischer  Hinsicht 
unter  allen  öffentlichen  Gebäuden  Amerikas  der  erste  Platz.    Obwohl  das  ge- 


-      573     — 

waltige  Kapitol  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  steht,  wird  der  Bau  keines- 
wegs von  diesem  erdrückt,  sondern  bildet  seine  harmonische  Ergänzung.  Ver- 
tieft man  sich  gar  in  das  Studium  der  herrlichen,  im  italienischen  Renaissance- 
stil gehaltenen  Fassade,  der  imposanten  Treppenaufgänge,  Korridore,  Säle, 
Versammlungsräume,  und  der  mächtigen,  als  Lesesaal  dienenden  Rotunde,  so 
wird  auch  der  verwöhnteste  Reisende  anerkennen  müssen,  nirgendwo  ein  Archi- 
tekturwerk gesehen  zu  haben,  wo  feiner  künstlerischer  Geschmack  und  ver- 
schwenderische Prachtentfaltung  so  vollkommene  Triumphe  feierten.  An  An- 
strengungen, solche  zu  erzielen,  ließ  man  es  aber  auch  nicht  fehlen.  Um  in  der 
40  m  hohen  und  33  m  weiten  Rotunde  den  dort  herrschenden,  aus  Goldbraun, 
Malachitgrün  und  anderen  abgetönten  Farben  entstandenen  harmonischen  Ein- 
klang zu  erzielen,  holte  man  die  kostbarsten  Steinarten  aus  drei  Erdteilen  herbei. 
Der  magische  Eindruck  wird  bei  Tage  noch  erhöht  durch  acht,  die  Wappen 
der  Bundesstaaten  zeigende  Oberlichtfenster  von  je  10  m  Breite.  Abends  hin- 
gegen flutet  von  einer  den  Mittelpunkt  der  Kuppel  bildenden  elektrischen 
Sonne  mildes  Licht  in  den  weiten  F^aum  hernieder,  wo  an  kreisförmig  geord- 
neten Lesetischen  300  Leser  Platz  haben.  Die  Sitze  des  Oberbibliothekars  und 
seines  Stabes  befinden  sich  auf  einer  in  der  Mitte  der  Rotunde  angebrachten 
Tribüne,  die  einen  Überblick  über  den  ganzen  Leseraum  gewährt. 

Angesichts  der  Tatsache,  daß  die  Urheber  des  herrlichen  Bauwerkes  die 
besten  Jahre  ihres  Lebens,  ihr  ganzes  Wissen  und  Können  einsetzten  und  sich 
bemühten,  die  Bibliothek  in  allen  Dingen  so  vollkommen  als  möglich  zu  ge- 
stalten, ist  es  um  so  tiefer  zu  bedauern,  daß  ihnen  für  ihre  Mühe  weder  die 
verdiente  materielle  Entschädigung  noch  die  in  weit  höherem  Grade  verdiente 
künstlerische  Anerkennung  zuteil  wurde.  Ehe  man  den  beiden  Architekten  die 
Ausführung  des  Baus  übertrug,  stellte  der  sogenannte  Bibliothekausschuß  des 
Kongresses  an  sie  das  Verlangen,  ihre  bisherige  Geschäftsverbindung  zu  lösen. 
Nachdem  dieser  seltsamen  Forderung  entsprochen  worden,  machte  man 
Schmitmeyer  zum  ersten,  Pelz  zum  zweiten  Architekten.  Bereits  im  Jahre 
1888  beseitigte  man  Schmitmeyer  und  setzte  an  seine  Stelle  den  Chef  des 
Ingenieurkorps,  General  T.  L.  Casey.  Wohl  nur  weil  dieser  militärisch  aus- 
gebildete Mann  unfähig  war,  die  künstlerische  Leitung  des  Baus  zu  überwachen, 
beließ  man  Pelz  für  einige  Zeit  länger  auf  seinem  Posten.  Erst  nachdem  Pelz 
sämtliche  Entwürfe  für  die  innere  Ausschmückung  des  Gebäudes  geliefert  hatte, 
entließ  man  auch  ihn  und  übertrug  die  künstlerische  Leitung  des  Baus  dem 
25iährigen  Sohn  Caseys,  welcher  in  Paris  einige  Zeit  architektonische  Studien 
betrieben  hatte.  Obwohl  dieser  noch  durch  keine  einzige  selbständige 
Leistung  sein  Können  bewiesen  hatte,  bewilligte  der  Bibliothekausschuß  ihm 
einen  doppelt  so  großen  Gehalt  als  man  Pelz  bezahlt  hatte.  Und  Casey  jr. 
bezog  denselben,  bis  im  Jahre  1897  der  Bau  vollendet  war. 

Um  diesen  unsauberen  Machenschaften  die  Krone  aufzusetzen,  fügte  man 
über  dem  Eingang  der  Bibliothek  eine  Marmortafel  ein,  welche  folgende  In- 
schrift trägt: 


—     574     — 


Erected  under  the  Acts  of  Congress  of  April  15,  1866,  October2, 

1888  and  March  2,  1889  by 
Brig.  Gen.  Thos.  Lincoln   Casey,   Chief  of  Engineers,   U.  S.  A. 

Bernard  R.  Green,  Supt.  and  Engineer. 

John  L.  Smithmeyer,  Architect. 

Paul  J.  Pelz,  Architect. 

Edward  Pearce  Casey,  Architect. 


Und  so  wurde  vor  den  Augen  der  Welt  der  Oberingenieur  der  amerika- 
nischen Armee  T.  L.  Casey  zum  eigentlichen  Urheber  der  Bibliothek  gestempelt. 
Die  Architekten  Schmitm.eyer  und  Pelz  sollten  sich  mit  der  dritten  und  vierten 
Stelle  begnügen  und  ihre  künstlerischen  Ansprüche  obendrein  mit  einem  jungen, 
noch  unerprobten  Manne  teilen,  der  kaum  etwas  zur  künstlerischen  Gestaltung 
des  Bauwerks  beigetragen  hatte.  Die  eigentlichen  Urheber  erhoben  gegen  diese 
an  ihnen  begangene  Benachteiligung  Einspruch,  aber  derselbe  fand  keine  Be- 
achtung. Die  Tafel  wurde  eingesetzt  und  dort  befindet  sie  sich  noch  heute, 
ein  steinernes  Denkmal  der  im  amerikanischen  Kongreß  möglichen  Machen- 
schaften. 

Wie  diese  von  den  Berufsgenossen  der  um  ihren  künstlerischen  Lohn 
gebrachten  eigentlichen  Urheber  des  Baus  beurteilt  werden,  ergibt  sich  aus 
folgender,  vom  Versitzenden  und  Schriftführer  des  „American  Institute  of 
Architects"  erlassenen   Erklärung: 

„We  are  familiär  with  this  building,  from  the  beginning  to  the  present 
time,  and  feel  that  no  one  can,  with  propriety  or  honesty,  be  entitled  to  the 
credit  as  architects  of  this  building  except  J.  L.  Smithm.eyer  and  Paul  J.  Pelz. 
They  have  devoted  the  best  years  of  their  lives,  from  1873  to  1893,  in  perfecting 
the  plan  and  in  designing  the  exterior  and  interior  of  that  building." 

Die  Zeitschrift  „Architecture  and  Buildings"  bemerkte  in  ihrer  Nummer 
vom  3.  April  1897  dazu:      -. 

„It  looks  queer  to  professional  men  that  the  names  of  the  paymaster  who 
drew  the  money  for  the  building  out  of  the  Treasury  on  his  signature  and  the 
Clerk  of  the  works  or  Superintendent,  with  the  supernumerary  and  superfluous 
title  of  engineer  (as  if  there  had  been  anything  to  „engineer"  in  the  building, 
save  the  appropriations  in  Congress)  appear  above  those  of  the  architects,  who 
created  it  in  their  minds  and  who  are  in  truth  the  fathers  of  the  structure.  Why 
does  there  appear  a  line  of  demarcation  below  the  Chief  of  Engineers,  putting 
the  architect  ,below  the  salt'  as  it  were?  —  It  must  be  remembered  here  that  the 
advent  of  General  Casey  wat  at  a  time,  when  Messrs.  Smithmeyer  &  Pelz  had, 
like  Columbus,  already  discovered  America;  their  plans  were  complete  and 
ready  to  be  proceeded  with." 


—     575 


Auch  ein  großer  Teil  des  materiellen  Lohns  wurde  den  beiden  Baumeistern 
vorenthalten.  Denn  bis  zum  Jahre  1909  hatte  der  Bundeskongreß  ihre 
105  500  Dollar  betragenden  Forderungen  noch  nicht  beglichen. 


Das  Waldorf  Astoria  Hotel  in  New  York. 

Entworfen  von  Henry  J.  Hardenbergh. 


Deutschamerikanische  Archtitekten  lieferten  auch  zu  anderen  hervorragen- 
den öffentlichen  und  privaten  Bauten  die  Entwürfe.    Dem  New  Yorker  Hörn- 


—    576    — 

b  o  s  t  e  1  verdankt  man  jene  zu  der  von  Andrew  Carnegie  gestifteten  Tech- 
nischen Hochschule  zu  Pittsburg.    Alfred  C.  Clas  erbaute  die  Bibliotheken 


Das  Gebäude  der  „Times-  in  New  York. 

Entworfen  von  Otto  Eidlitz. 

der  Städte  Milwaukee  und  Madison,  Wisconsin.  H.  C.  Koch  entwarf  das 
schöne  Rathaus  „Deutsch-Athens"  am  Michigansee;  Schmidt  jenes  der  Stadt 
Cleveland  in  Ohio.     Ernst  Helfenstein  führte  das  prächtige  Gebäude 


—     577     — 

des  Liederkranzklubs  in  St.  Louis  auf.  Die  deutschen  Inhaber  der  Firma 
Delemos&Cordes  schufen  das  schöne  Heim  des  deutschen  Gesangvereins 
„Arion'*  in  New  Yorlc.  Die  Gebrüder  H  e  r  t  e  1  sind  die  Urheber  des  vor- 
nehmen, in  Braunsandstein  ausgeführten  Doppelpalastes  der  Vanderbilts  in 
New  York.  Der  gleichfalls  deutscher  Herkunft  sich  rühmende  New  Yorker 
Architekt  Henry  J.  Hardenberg h  zeichnete  die  Pläne  für  die  gewaltigen 
New  Yorker  Hotels  „ Waldorf- Astoria",  „Manhattan",  „Dakota",  „Plaza"  und 
„Martinique",  deren  kostbare  Einrichtungen  die  Bewunderung  aller  Fremden 
erregen.  Und  Otto  E  i  d  1  i  t  z  verstand  es,  im  Entwurf  des  an  der  Kreuzung 
des  Broadway  und  der  42.  Straße  errichteten  Zeitungspalastes  der  „New  York 
Times"  die  ungemein  schwierige  Aufgabe  zu  lösen,  den  wegen  ihres  nüchternen 
Aussehens  berechtigten  amerikanischen  „Wolkenkratzern"  architektonische 
Schönheit  zu  verleihen. 


Der  vorstehende,  das  Wirken  der  deutschamerikanischen  Maler,  Bildhauer 
und  Baumeister  berücksichtigende  Abschnitt  kann  selbstverständlich  keinen  An- 
spruch auf  Vollständigkeit  erheben.  Der  Raum  eines  starken  Buches  würde 
nicht  ausreichen,  um  dem  Schaffen  der  genannten  Meister  und  jener,  deren 
Namen  und  Wirkungskreis  dem  Verfasser  bisher  nicht  bekannt  wurden,  gerecht 
zu  werden.  Aber  die  hier  aufgeführten  Beispiele  beweisen  unstreitig,  daß 
Amerika  auf  jenen  künstlerischen  Gebieten,  die  zu  den  höchsten  Stufen  der 
menschlichen  Kultur  zählen,  den  Deutschamerikanern  vieles  verdankt.  Denn 
unter  den  von  ihnen  geschaffenen  Werken  befinden  sich  gar  manche,  die  durch 
ihre  edle  Auffassung,  ihren  Gedankenreichtum  und  ihre  echt  künstlerische  Aus- 
führung unter  den  in  der  Neuen  Welt  entstandenen  Kunst-  und  Architektur- 
werken Ehrenplätze  verdienen. 


Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika.  37 


Ehrendenkmäler  des  Deutschamerikanertums. 


Während  die  in  den  Vereinigten  Staaten  lebenden  Deutschen  und  ihre 
Nachkommen  eine  schier  überwältigende  Menge  physischer  und  geistiger 
Leistungen  zum  kulturellen  Fortschritt  Amerikas  beitrugen,  riefen  sie  auch  zahl- 
reiche Einrichtungen  ins  Leben,  die  für  ihre  Nächstenliebe  wie  für  ihren  Wohl- 
tätigkeits-  und  Gerechtigkeitssinn  glänzendes  Zeugnis  ablegen. 

Der  Ursprung  mancher  dieser  Ehrendenkmäler  reicht  bis  ins  18.  Jahr- 
hundert zurück,  wo  am  zweiten  Weihnachtstag  1764/65  deutsche  Bürger  der 
Stadt  Philadelphia  sich  im  lutherischen  Schulhause  versammelten,  um  die 
„Deutsche  Gesellschaft  von  Pennsylvanien"  zu  gründen. 
Diese  stellte  sich  das  Ziel,  deutsche  Einwandrer  sowie  deren  Nachkommen 
gegen  Unterdrückung,  Beraubung  und  Betrug  in  Schutz  zu  nehmen,  ihnen  im 
Fall  der  Not  beizustehen  und  mit  Rat  und  Tat  zum  Fortkommen  behilflich 
zu  sein.  Wie  nötig  eine  solche  Vereinigung  war,  ergibt  sich  aus  jenen  mit 
der  damaligen  Einwandrung  verbundenen  wahrhaft  scheußlichen  Mißständen, 
wie  wir  sie  in  dem  Abschnitt  „Die  Käuflinge  oder  Redemptionisten"  schilderten. 
Der  schamlos  betriebene  Menschenhandel  und  die  fürchterlichen  Übervorteilun- 
gen, denen  die  unglücklichen  Auswandrer  schutzlos  preisgegeben  waren,  ent- 


Kopfleiste:   Das    Mary    Drexel-Heim    in    Philadelphia. 
B.  Lankenau  zum  Andenken  an  seine  Gattin  Mary  Drexel. 


Gestiftet    von    Johann 


—     579     — 

flammten  schließlich  den  Unmut  der  in  den  Kolonien  ansässigen  Deutschen 
derart,  daß  sie,  empört  über  die  ihren  Landsleuten  zuteil  werdende  Behandlung 
sich  zu  Gesellschaften  verbanden,  um  jene  Mißstände  zu  beseitigen.  Nach  dem 
Vorbild  der  „Deutschen  Gesellschaft  von  Pennsylvanien"  entstand  im  Jahre 
1765  eine  ähnliche  Vereinigung  in  Charleston,  Südcarolina.  Im  August  1784 
folgte  die  Gründung  der  „DeutschenGesellschaftderStadtNew 
York".  Während  des  19.  Jahrhunderts  bildeten  sich  ferner  Schwestergesell- 
schaften zu  Baltimore,  Boston,  Cincinnati,  Birmingham,  Ala.,  Allentown, 
Hartford,  New  Haven,  Rochester,  Petersburg,  Pittsburg,  Chicago,  Milwaukee, 
St.  Paul,  St.  Louis,  Kansas  City,  New  Orleans,  San  Francisco,  Portland,  Seattle 
und  Toronto. 

Von  diesen  deutschen  Gesellschaften  erzwangen  die  älteren  nach  jahr- 
zehntelangen Kämpfen,  durch  rücksichtsloses  Aufdecken  der  Übeltaten  und  Ver- 
folgen der  Schuldigen,  durch  unermüdliches  Befürworten  und  Unterstützen  ge- 
eigneter Gesetzesvorschläge  nicht  nur  die  Abschaffung  des  fluchwürdigen  Käuf- 
lingssystems,  sondern  führten  auch  die  menschenwürdigere  Behandlung  der 
Äuswandrer  auf  den  Schiffen  und  in  den  Hafenorten  herbei.  Mit  vollem  Recht 
darf  man  sie  als  die  Urheber  der  heutigen  Einwandrungsgesetzgebung  bezeichnen, 
welche  dem  von  der  Heimat  sich  Loslösenden  eine  menschenwürdige  Behand- 
lung vom  Abfahrtshafen  bis  zu  seinem  in  der  Neuen  Welt  gelegenen  Ziele 
sichert. 

Den  Deutschen  Gesellschaften  gebührt  ferner  das  Verdienst,  dem  nichts- 
würdigen Treiben  jener  Runner  oder  Makler  entgegengetreten  zu  sein,  die,  im 
Sold  fragwürdiger  Wirte,  Geldwechsler,  Schiffs-  und  Eisenbahngesellschaften 
stehend,  sich  unter  allerhand  Vorwänden  an  die  Einwandrer  herandrängten,  um 
deren  Unerfahrenheit  und  Vertrauen  aufs  gemeinste  zu  mißbrauchen. 

Je  mehr  die  von  den  „Deutschen  Gesellschaften"  gemachten  Vorschläge 
in  bezug  auf  die  Einwandrung  von  den  Regierungen  anerkannt  und  gesetzlich 
durchgeführt  wurden,  desto  mehr  sahen  die  Gesellschaften  sich  entlastet.  Um 
so  kräftiger  konnten  sie  nun  ihre  Tätigkeit  auch  auf  solche  Hilfeleistungen  er- 
strecken, die  außerhalb  des  Bereichs  der  Behörden  lagen.  Sie  fanden  genug  zu 
tun,  denn  je  mächtiger  der  Strom  der  deutschen  Einwandrung  anschwoll, 
desto  schwierigere  Probleme  boten  sich  den  Beamten  der  „Deutschen  Gesell- 
schaften" dar.  In  den  Protokollen  fast  aller  kehrt  die  stete  Klage  wieder,  daß 
man  in  Verlegenheit  sei,  welche  Mittel  ergriffen  werden  sollten,  um  den  täglich 
sich  steigernden  Anforderungen  zu  genügen. 

Um  ein  Bild  des  vielseitigen  und  segensreichen  Wirkens  der  heutigen 
„Deutschen  Gesellschaften"  zu  geben,  bietet  sich  kein  besseres  Beispiel  als  das 
der  „Deutschen  Gesellschaft  der  Stadt  New  York".  Am  23.  August  1784  von 
dreizehn  Männern  gegründet,  zählt  sie  heute  etwa  1200  Mitglieder,  die  sich  zu 
freiwilligen  Beiträgen  von  mindestens  10  Dollars  jährlich  verpflichteten.  Je 
mehr  im  Lauf  des  19.  Jahrhunderts  New  York  das  Haupteingangstor  der  deut- 
schen Einwandrung  in  Amerika  wurde,  desto  größere  Ausdehnung  nahm  auch 

37* 


—     580     — 

das  Arbeitsfeld  dieser  Gesellschaft  an.  In  erster  Linie  ließ  sie  sich  natürlich 
die  Armen-  und  Krankenpflege  angelegen  sein.  Trotz  ihrer  beschränkten  Mittel 
gewährt  die  „Deutsche  Gesellschaft''  notleidenden  Einwandrern  oder  deren 
Nachkommen  Bargeldunterstützungen  und  bezahlt  bedeutende  Summen  für  an 
Arme  verabreichte  Kohlen,  Mahlzeiten  aus  den  Suppenanstalten,  Medikamente 
und  Stimulantien.  Die  im  Dienst  und  Sold  der  Gesellschaft  stehenden  Ärzte 
behandeln  jährlich  Tausende  von  Familien,  machen  unentgeltlich  ärztliche  Be- 
suche und  verschreiben  von  der  Gesellschaft  bezahlte  Rezepte. 

Eine  nicht  minder  wichtige  und  segensreiche  Abteilung  der  „Deutschen 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York"  ist  das  von  ihr  unterhaltene  Arbeits- 
nachweisbureau,  welches  den  Beschäftigung  suchenden  Einwandrern 
unentgeltlich  Gelegenheiten  zur  Arbeit  nachweist.  In  der  Zeit  vom  1.  Juli  1875 
bis  1908  verschaffte  dieses  Bureau  mehreren  hunderttausend  Personen  Stellen, 
in  denen  sie  ihren  Unterhalt  erwerben  konnten.  In  einzelnen  Jahren  betrug  die 
Zahl  der  vermittehen  Stellen  über  12  000.  Zu  den  Einrichtungen  der  „Deut- 
schen Gesellschaft"  gehört  ferner  ein  Auskunftsbureau.  Es  erteilt  den 
Einwandrern  praktische  Ratschläge  und  gibt  über  ihre  Ziele  und  Unterneh- 
mungen geeignete  Auskunft.  Wie  umfangreich  die  Tätigkeit  auch  dieser  Ab- 
teilung sich  gestaltet  hat,  ergibt  sich  daraus,  daß  außer  den  mündlichen  jährlich 
auch  Tausende  von  brieflichen  Anfragen  empfangen  und  beantwortet  werden. 
Femer  übermittelt  das  Bureau  Briefe  an  Neueingewanderte  und  solche,  die  es 
trotz  längeren  Aufenthalts  in  den  Vereinigten  Staaten  noch  nicht  zu  einem  stän- 
digen Wohnsitz  brachten. 

In  ihrer  seit  dem  Jahr  1868  bestehenden  Bankabteilung  bietet  die 
„Deutsche  Gesellschaft  der  Stadt  New  York"  Deutschen  einen  zuverlässigen  und 
billigen  Weg  zur  Besorgung  der  verschiedensten  Geldgeschäfte,  von  Reise- 
billetts von  Europa  hierher  und  umgekehrt,  sowie  nach  allen  Plätzen  im  Innern 
der  Vereinigten  Staaten.  Desgleichen  befördert  sie  Pakete,  vollführt  notarielle 
Geschäfte,  kassiert  Gelder  und  Erbschaften  und  verwaltet  liegendes  und  be- 
wegliches Eigentum.  Für  ihre  Leistungen  berechnet  die  Bankabteilung  nur 
so  viel,  als  erforderlich  ist,  um  die  entstandenen  Unkosten  zu  decken.  Der  ge- 
samte, durch  die  Bankabteilung  erzielte  Reingewinn  sowie  die  Zinsen  eines  bis 
zum  Jahre  1885  aus  dem  Reingewinn  angesammelten  Reservefonds  von  50  000 
Dollar  fließen  dem  Fonds  für  Wohltätigkeitszwecke  zu.  So  erklärt  es  sich,  daß 
die  Gesellschaft  seit  einer  Reihe  von  Jahren  1000  bis  2000  Dollar  jährlich  mehr 
für  Unterstützung  hilfsbedürftiger  Deutscher  ausgeben  konnte,  als  die  in  den 
Beiträgen  ihrer  Mitglieder  bestehenden  Einnahmen  betrugen.  Die  Unkosten 
des  Arbeitsnachweisungsbureaus  und  die  Gesamtkosten  für  die  Verwaltung 
werden  gleichfalls  aus  den  Einnahmen  der  Bankabteilung  gedeckt,  ohne  daß 
der  geringste  Teil  der  Beiträge  der  Mitglieder  für  diese  Zwecke  in  Anspruch 
.genommen  wird. 

Auf  die  Anregung  der  „Deutschen  Gesellschaft"  ist  ferner  die  vor  einer 
Reihe  von  Jahren  erfolgte  Gründung  der  „Deutschen  S  p  a  r  b  a  n  k"  zu- 


—     581     — 

rückzuführen;  desgleichen  des  im  Jahre  1861  inkorporierten  „Deutschen 
Hospitals"  und  des  im  Jahre  1876  gebildeten  „Deutschen  Rechts- 
schutzverein s". 

Die  Gründung  des  letzteren  erfolgte,  um  deutsche  Einwandrer  vor  Über- 
vorteilungen jeder  Art  zu  bewahren.  Es  gab  so  viele  Fallen,  die  ihrem  ein- 
fachen Sinn  und  ihrer  Treuherzigkeit  gestellt  wurden,  daß  die  der  Sprache  und 
der  Schliche  Unkundigen  nur  zu  oft  betrogen  wurden.  Wohin  sich  um  Hilfe 
wenden,  wo  Recht  suchen?  war  die  Frage.  Naturgemäß  wandten  sich  die  Opfer 
an  die  „Deutsche  Gesellschaft  der  Stadt  New  York''.  Soweit  diese  irgend  Ab- 
hilfe schaffen  konnte,  geschah  dies.  Aber  die  Schliche  der  „Emigranten- 
Runners"  und  Personen  gleichen  Gelichters  wurden  so  spitzfindig  und  die  Ver- 
leugnung des  Rechts  den  Emigranten  gegenüber  so  brutal,  daß  in  vielen  Fällen 
Hilfe  nur  bei  den  Gerichten  gesucht  werden  konnte.  Man  schickte  daher  die  oft 
aller  Mittel  entblößten  Hilfesuchenden  an  Rechtsanwälte,  die  in  selbstloser, 
edler  Weise  sich  bereit  erklärten,  in  solchen  Fällen  unentgeltlich  zu  dienen. 

Der  Andrang  Hilfesuchender  überstieg  jedoch  schließlich  die  Kräfte  ein- 
zelner. In  manchen  Fällen  war  wohl  auch  der  erste  Enthusiasmus  bald  ver- 
raucht. Kurz,  es  mußte  Abhilfe  geschaffen  werden,  wenn  nicht  das  gute  Werk 
ganz  einschlafen  sollte.  Es  wurde  daher  im  März  1876  beschlossen,  einen  Ver- 
ein zu  gründen,  welcher  unter  Mithilfe  des  gesamten  Deutschtums  ein  Bureau 
mit  einem  besoldeten,  beständig  anwesenden  Rechtsanwalt  einrichten  solle,  der 
die  Klagen  mittelloser  Landsleute  anhöre,  untersuche  und  mit  Hilfe  der  Gerichte 
in  passenden  Fällen  zum  Austrag  bringe.  So  entstand  der  „Deutsche  Rechts- 
schutzverein". 

Er  begann  seine  Tätigkeit  im  Jahre  1876  mit  52  Mitgliedern  und  enga- 
gierte den  Anwalt  Charles  K.  Lexow  mit  einem  Jahresgehalt  von  1000 
Dollar. 

Im  ersten  Jahre  seines  Bestehens  wandten  sich  212  Hilfesuchende  an  den 
Verein.  Seine  Verfassung  schrieb  vor,  daß  die  Hilfe  des  Vereins  nur  Personen 
deutscher  Geburt,  die  zu  arm  seien,  sich  anderwärts  Recht  zu  verschaffen,  ge- 
leistet werden  sollte.  Es  zeigte  sich  aber  im  Lauf  der  Jahre,  daß  diese  Bestim- 
mung aus  mancherlei  Gründen  nicht  aufrechterhalten  werden  könne.  Leute 
anderer  Nationalität,  denen  bitteres  Unrecht  geschehen  und  die  sich  hilfe- 
suchend nahten,  konnten  unmöglich  abgewiesen  werden.  Man  beschloß  des- 
halb im  Jahre  1890,  den  Beistand  des  Rechtsschutzvereins  allen  zuteil  werden 
zu  lassen,  die  in  seinen  Armen  Schutz  suchten.  Da  diese  weitgehende  Unter- 
stützung die  Mittel  des  Vereins  bald  erschöpfte,  so  suchte  man  auch  das  ein- 
geborene Amerikanertum  zur  Hilfeleistung  heranzuziehen  und  wandelte  des- 
halb den  Namen  des  Vereins  in  „Legal  Aid  Society"  um,  damit  dadurch 
der  allgemein  nützliche  Charakter  der  Gesellschaft  angezeigt  werde. 

Wie  umfangreich  deren  Geschäfte  sich  gestaltet  haben,  ergibt  sich  daraus, 
daß  im  Jahre  1Q08  31  036  Personen  die  Dienste  der  „Legal  Aid  Society"  in 
Anspruch  nahmen.     Davon  waren  10  315  in  Amerika  geboren;  4341   waren 


—     582     — 

Russen  und  russische  Juden;  4558  Deutsche,  4455  Engländer,  3168  aus  Öster- 
reich-Ungarn, 1397  Skandinavier,  1114  Italiener. 

Insgesamt  erledigten  der  „Deutsche  Rechtsschutzverein"  und  die  „Legal 
Aid  Society"  während  des  33  Jahre  umfassenden  Zeitraums  1876  bis  1908 
nicht  weniger  als  287  526  Fälle.  Sie  verausgabten  dafür  332  402  Dollar,  konnten 
dagegen  1  431  437  Dollar  an  diejenigen  abführen,  welche  ihre  Hilfe  in  An- 
spruch nahmen.^) 

Zu  den  Einrichtungen  der  „Legal  Aid  Society"  gehört  eine  Abteilung,  die 
sich  mit  dem  Rechtsschutz  der  Seeleute  befaßt,  die  infolge  ihres  unbeständigen 
Aufenthaltortes  von  Reedern  und  Kapitänen  gar  oft  gröblich  mißbraucht  wer- 
den. Neuerdings  ist  auch  eine  Kriminalabteilung  geplant,  die  armen  und  hilf- 
losen Angeklagten  in  Kriminalfällen  Beistand  leisten,  dem  schamlosen  Treiben 
unwürdiger  Anwälte  steuern  und  die  Richter  in  ihren  Bemühungen,  die  Krimi- 
nalgesetze für  Arm  und  Reich  in  unparteiischer,  gerechter  Weise  durchzuführen, 
unterstützen  will. 

So  ist  die  „Deutsche  Gesellschaft  der  Stadt  New  York"  ihrem  Zweck: 
„deutsche  Einwandrer  zu  unterstützen,  sowie  notleidenden  Deutschen  und 
deren  Nachkommen  Hilfe  zu  leisten"  allezeit  in  der  edelsten  Weise  gerecht  ge- 
worden. Sie  ist  in  den  vielen  Jahrzehnten  ihres  Bestehens  ungezählten  Tau- 
senden ein  treuer  Führer  und  Berater,  in  den  Stunden  banger  Not  ein  Helfer 
gewesen.  Sie  sowohl  wie  auch  ihre  in  den  anderen  amerikanischen  Städten 
bestehenden,  die  gleichen  Ziele  verfolgenden  Schwesteranstalten  verdienen  es 
deshalb  in  höchstem  Maße,  in  ihrer  segensreichen  Tätigkeit  von  allen  Edel- 
denkenden  durch  Beiträge,  Schenkungen  und  Vermächtnisse  unterstützt  zu 
werden.  Denn  wie  die  menschliche  Not  auf  Erden  in  absehbarer  Zeit  kein  Ende 
nehmen  wird,  so  ist  auch  keine  Aussicht  dafür  vorhanden,  daß  die  „Deutschen 
Gesellschaften"  mit  gutem  Gewissen  auf  die  weitere  Ausübung  ihres  wohl- 
tätigen Wirkens  verzichten  dürften. 


Zu  den  Ehrendenkmälern  des  Deutschamerikanertums  zählen  ferner  die 
zahlreichen  Krankenhäuser,  Greisenheime,  Waisenanstalten  und  Unterstützungs- 
gesellschaften, die  in  fast  allen  Städten  mit  einer  größeren  deutschen  Bevölke- 
rung eingerichtet  wurden.  Manche  dieser  Anstalten  erregten  durch  ihre  Aus- 
dehnung, schöne  Architektur,  herrliche  Lage  und  musterhaften  Einrichtungen 
das  Staunen  aller  europäischen  Fachleute,  die  zum  Studium  solcher  Institute 
nach  Amerika  kamen. 


^)  Nach  dem  Vorbild  der  New  Yorker  „Legal  Aid  Society"  entstanden  während 
der  letzten  Jahre  ähnliche  Gesellschaften  in  Boston,  Philadelphia,  Washington,  Newark, 
AUeghany  City,  Cincinnati,  Chicago  und  San  Francisco.  Ferner  in  London,  Edinburg, 
Kopenhagen  und  zahlreichen  Städten  des  europäischen  Festlandes. 


—     583     — 

Unter  den  Deutschen,  welche  solche  Anstalten  in  hochherziger  Weise  mit 
Stiftungen  bedachten,  verdienen  die  Frauen  Anna  Ottendorfer  und 
Anna  Woerishoffer  in  New  York,  Lauretta  Gibson  geb.  B  o  d  - 
m  a  n  in  Cincinnati,  Eleonore  Ruppert  in  Washington,  die  Herren 
Johann  B.  Lankenau  und  Peter  Sehern  in  Philadelphia,  Edward 
Uhl,  Henry  Villard,  Georg  H.  F.  Schrader  und  H.  O.  Have- 
ln e  y  e  r  in  New  York,  Johann  August  Roebling,  F.  A.  Poth, 
Georg  Ellwanger  und  andere  ehrenvoll  erwähnt  zu  werden. 


Das  Isabella-Heini  in  New  York. 

Gestiftet  von  Frau  Anna  Ottendorfer. 


Von  dem  Wunsch  getrieben,  der  Stadt  New  York  eine  öffentliche  Wohl- 
tat zu  erweisen  und  zur  Förderung  nützlicher  Kenntnisse  beizutragen,  stiftete 
Johann  Jakob  Astor  die  nach  ihm  benannte  und  am  1 .  Februar  1854 
eröffnete  „Astor-Bibliothek".  Von  seinen  Nachkommen  zu  verschiedenen  Zeiten 
durch  bedeutende  Summen  unterstützt,  wuchs  diese  Büchersammlung  rasch  zu 
einer  der  bedeutendsten  Amerikas  heran  und  wurde  durch  ihre  reichen  Schätze 
für  viele  Millionen  Menschen  ein  nie  versiegender  Quell  des  Wissens  und  der 
Belehrung. 

Oswald  Ottendorfer  stiftete  im  Jahre  1899  der  New  Yorker  Uni- 


—     584     — 

versität  eine  sehr  reichhaltige  Germanistische  Bibliothek,  die  dazu  bestimmt  ist, 
die  Studierenden  mit  den  herrlichen  Erzeugnissen  der  älteren  und  neueren  deut- 
schen Literatur  vertraut  zu  machen. 

Von  der  Freigebigkeit  der  deutschen  Brauer  in  Milwaukee  zeugen  das  von 
Friedrich  Pabst  der  Stadt  geschenkte  „Deutsche  Theater''  und  der  von 
Joseph  Schlitz  gestiftete  „Schlitz-Park".  Dem  Gemeinsinn  Adolf 
S  u  t  r  o  '  s  verdanken  die  Bewohner  der  Stadt  San  Francisco  einen  herrlichen 
Park  und  großartige  öffentliche  Badeanstalten.  Claus  Spreckels,  der 
kalifornische  Zuckerkönig,  ließ  ebendaselbst  eine  kostbare  jMusikhalle  erbauen. 
Der  Brauer  Stiefel  schenkte  der  Stadt  St.  Louis  ein  kostbares  Schiller-  und 
Goethe-Monument.  Charles  Schwab,  der  Präsident  der  „United  States 
Steel  Corporation",  gründete  in  Homestead,  Pennsylvanien,  die  dortige  In- 
dustrieschule. Zur  Erinnerung  an  den  Deutschen  Johann  Kraus,  der  sich 
um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  in  Syracuse,  N.  Y.,  niederließ  und  einer 
der  bedeutendsten  Großhändler  wurde,  ließen  seine  Nachkommen  das  mit  der 
dortigen  Universität  verbunden  „Crouse  Building",  ein  dem  Musikunterricht 
dienendes  Gebäude  von  seltener  Schönheit  errichten.  Ähnliche,  dem  Gemein- 
sinn der  Deutschamerikaner  zur  Ehre  gereichende  Stiftungen  findet  man  in  zahl- 
reichen anderen  amerikanischen  Städten. 

Bei  der  Betätigung  ihres  Wohltätigkeitssinnes  vergaßen  manche  zu  Reich- 
tum gekommene  Deutschamerikaner  auch  nicht  ihrer  alten  Fleimat. 

Die  Familie  Astor  stiftete  in  dem  Geburtsort  ihres  berühmten  Ahnen 
Johann  Jakob  Astor,  dem  badischen  Dörfchen  Waldorf,  ein  Armenhaus  und 
eine  Erziehungsanstalt  für  arme  Kinder.  Die  Stadt  Zwittau  in  Mähren  ver- 
dankt dem  dort  geborenen  Oswald  Ottendorfer  gleichfalls  ein  Armen-  und 
Waisenhaus  sowie  eine  vorzüglich  eingerichtete  öffentliche  Bibliothek.  Henry 
Villard  gründete  in  seiner  Vaterstadt  Speier  ein  Hospital  und  eine  Schule  für 
Krankenpflegerinnen.  Desgleichen  wendete  er  der  dort  bestehenden  pfälzischen 
Industrieschule  bedeutende  Summen  zu  und  sicherte  sich  dadurch  auch  in  seinem 
Vaterlande  ein  ehrenvolles  Andenken. 


Die  neueste  Zeit. 


Der  amerikanische  Bürgerkrieg  übte  auf  die  Einwaiiürung  in  die  Ver- 
einigten Staaten  naturgemäß  eine  einschränkende  Wirkung.  Die  Zahl  der 
deutschen  Ankömmhnge,  die  1854  nicht  weniger  als  215  000  betragen  hatte, 
sank  bis  zum  Jahre  1862  auf  27  000  herab.  Sobald  aber  die  Aussicht,  daß  die 
Sache  des  Nordens  siege,  zur  Gewißheit  wurde,  begann  auch  der  Zustrom  der 

Kopfleiste:  Der  Bannerträger.  Skulptur  von  Karl  Bitter  auf  der  Weltausstellung 
zu  Buffalo,  New  York. 


—     586     — 

Deutschen  wieder  zu  steigen,  denn  im  Jahre  1864  kamen  bereits  wieder  67  000 
und  im  darauffolgenden  Jahre  83  000  Deutsche  in  den  Häfen  der  Union  an. 

Einen  großen  Anstoß  erhielt  die  deutsche  Einwandrung  dadurch,  daß  die 
„Hamburg-Amerika  Paketfahrt-Actienges  ellschaft"  so- 
wie der  „Norddeutsche  Lloyd"  regelmäßige  Fahrten  nach  den  Ver- 
einigten Staaten  ausführten  und  durch  ihre  über  ganz  L^eutschland  verteilten 
Agenturen  sehr  anregend  auf  die  Auswandrungslustigen  einwirkten.  Infolge- 
dessen stieg  die  Zahl  der  nach  Amerika  ziehenden  Deutschen  von  Jahr  zu  Jahr, 
bis  sie  im  Jahre  1882  mit  250  630  Köpfen  ihren  Höhepunkt  erreichte. 

Blicken  wir  auf  die  deutsche  Einwandrung  seit  1820  zurück,  so  finden 
wir,  daß  nach  den  mit  jenem  Jahre  anhebenden,  allerdings  nicht  sehr  zuver- 
lässigen offiziellen  Aufnahmen  während  des  Zeitraums  von  1820  bis  1860,  also 
innerhalb  40  Jahren,  1  545  508  Deutsche  sich  in  der  Union  niederließen.  Nahezu 
ebenso  viele  kamen  während  des  nur  20  Jahre  umfassenden  Zeitraums  von  1861 
bis  1880;  das  Jahrzehnt  1881  bis  1890  hingegen  reicht  mit  1  452  970  Köpfen 
an  die  früheren,  doppelt  und  viermal  so  großen  Zeiträume  heran.  Während  der 
Jahre  1891  bis  1900  trafen  505  152  Deutsche  in  den  Häfen  der  Vereinigten 
Staaten  ein. 

Über  die  deutsche  Einwandrung  vor  1820  liegen  keine  verläßlichen  An- 
gaben vor,  man  wird  aber  nicht  fehlgehen,  wenn  man  annimmt,  daß  Deutsch- 
land bis  heute  insgesamt  gegen  6  bis  7  Millionen  Personen  an  die  Vereinigten 
Staaten  abgegeben  hat,  wobei  die  über  Canada  sowie  die  aus  Österreich,  der 
Schweiz,  aus  Luxemburg,  Belgien,  Holland,  England,  Rußland  und  anderen 
Teilen  der  Welt  gekommenen  Deutschen  nicht  mitgerechnet  sind. 

In  einem  von  Emil  Mannhardt  im  Juliheft  1903  der  „Deutsch- 
amerikanischen Geschichtsblätter"  veröffentlichten  Aufsatz  kommt  derselbe  zu 
dem  Schluß,  daß  im  Jahre  1900  in  den  Vereinigten  Staaten  13  437  061  Personen 
mit  deutschem  Blute  vorhanden  waren,  die  17,68  Prozent  der  Gesamtbevölke- 
rung ausmachten.  Diese  waren  indessen  nur  aus  der  Einwandrung  während 
des  19.  Jahrhunderts  hervorgegangen,  und  zu  ihnen  müssen  noch  die  Nach- 
kommen der  früheren  Einwandrer  gezählt  werden.  Mannhardt  berechnet 
die  Nachkommen  der  deutschen  Einwandrer  in  Pennsylvanien  auf  etwas  mehr 
als  vier  Millionen,  was  nicht  zu  hoch  ist,  denn  der  vortreffliche  Forscher 
OskarKuhns  vertritt  in  seinem  Buche  „The  German  and  Swiss  Settlements 
in  Colonial  Pennsylvania"  die  Ansicht,  daß  sie  vier  bis  fünf  Millionen  stark  sind. 
Die  Schätzung,  daß  im  Jahre  1800  ein  Fünftel  der  Bevölkerung  der  Vereinigten 
Staaten  deutsch  war,  erscheint  berechtigt;  ebenso  der  Schluß,  daß  dieser  Teil  des 
Volkes  sich  jetzt  auf  rund  13  Millionen  vermehrt  hat.  Berücksichtigt  man,  daß 
ein  verhältnismäßig  großer  Teil  der  aus  dem  18.  Jahrhundert  stammenden  Ein- 
wandrung sich  sehr  lange  deutsch  erhalten  hat,  stellenweise  sogar  bis  auf  den 
heutigen  Tag,  und  beachtet  man  ferner  die  Spuren  deutschen  Blutes,  welche  sich 
allenthalben  in  reinen  oder  verstümmelten  deutschen  Namen  finden  lassen,  so 
muß  man   Mannhardt  beistimmen,  wenn   er  zu   der  Annahme  gelangt,  daß 


—     587     — 

gegenwärtig  in  mehr  als  einem  Drittel  des  amerikanischen  Volkes  deutsches 
Blut  fließt. 

Am  stärksten  war  das  deutsche  Element  zu  Anbruch  des  20.  Jahrhunderts 
im  mittleren  Westen  vertreten,  in  Wisconsin,  Minnesota,  Iowa,  Nebraska,  Illi- 
nois, Dakota  und  Kansas.  Auch  in  den  Industriestaaten  des  Ostens  bildete  es 
einen  ungemein  starken  Bestandteil  der  Bevölkerung.  Weniger  zahlreich  war 
es  in  den  Südstaaten.  Etwa  50  Prozent  der  in  Deutschland  geborenen  Deut- 
schen lebten  in  den  Städten,  von  denen  manche  es  hinsichtlich  ihrer  deutschen 
Bevölkerung  kühn  mit  den  bedeutendsten  Städten  Deutschlands  aufnehmen 
können.  Groß-New  York  käme  z.  B.  mit  etwa  900  000  deutschsprechenden 
Personen  direkt  hinter  Berlin  und  Hamburg.  Chicago  steht  mit  etwa  500000  Deut- 
schen München  gleich.  Philadelphia  hat  mehr  Deutsche  als  die  Stadt  Düssel- 
dorf; St.  Louis  ebenso  viele  wie  Danzig;  Milwaukee  ebenso  viele  wie 
Straßburg. 

Daß  ein  so  zahlreich  vertretenes  und  dazu  so  kraftvolles  Volkselement 
einen  bedeutenden  Einfluß  auf  das  Kulturleben  Amerikas  ausüben  muß,  ist 
selbstverständlich.  Dieser  Einfluß  zeigt  sich  nicht  bloß  im  Erwerbsleben,  son- 
dern auch  in  der  Kulturentwicklung  der  Am.erikaner,  von  denen  viele  Gebildete, 
die  sich  einen  offenen  Blick  bewahrten,  bereitwilligst  den  großen  Anteil  des 
Deutschtums  an  dem  Aufschwung  Amerikas  in  materieller  und  kultureller  Hin- 
sicht anerkennen.  Sie  geben  zu,  daß,  wenn  die  Einwandrung  nach  Nordamerika 
eine  ausschließlich  englische  geblieben  wäre,  der  von  den  ersten  Ansiedlern  mit- 
gebrachte und  im  vorigen  Jahrhundert  sich  immer  weiter  ausbreitende  streng 
puritanische  Geist  unausbleiblich  zu  Einseitigkeit  und  Erstarrung  hätte  führen 
müssen.  Sie  erkennen  an,  daß  der  Einfluß  des  lebensfreudiger  veranlagten 
Deutschtums  das  Amerikanertum  dieser  Gefahr  sowie  der  noch  größeren  des 
Versinkens  in  der  immer  dichter  zu  werden  drohenden  „Almighty-Dollar"- 
Atmosphäre  entrückte. 

Wo  nämlich  deutsche  Einwandrer  sich  niederließen,  da  regten  sie  durch 
ihre  freiere  Lebensauffassung  zur  Geselligkeit  und  zum  Frohsinn  an.  Sie 
pflegten  Gymnastik,  Musik,  Gesang,  Schauspielkunst  und  Rezitation,  veranstal- 
teten gemeinschaftliche  Ausflüge  und  fröhliche  Eeste,  bei  denen  alle  Teilnehmer 
sich  herrlich  vergnügten,  ohne  daß  jemals  Klagen  über  Ausschreitungen  be- 
kannt geworden  wären.  Die  Deutschen  zeigten  ihren  amerikanischen  Mit- 
bürgern, wie  man  freie  Lebensanschauungen  besitzen  und  dabei  doch  stets 
maßhalten  und  Ordnung  bewahren  kann. 

Eine  geradezu  erstaunliche  Entwicklung  nahm  das  deutsche  Vereins- 
wesen. Besonders  infolge  der  starken  Anregungen,  die  von  den  „Achtund- 
vierzigern" ausgingen.  Zwar  schleppten  sich  in  zahlreichen  Vereinen  nocn 
Überbleibsel  der  alten  deutschen  Sonderbündlerei  hin,  aber  der  mächtige  Ein- 
fluß der  Ereignisse  der  siebenziger  Jahre  und  der  überall  wahrnehmbare  Zug 
zur  Zentralisation  werden  diese  Nachklänge  einer  glücklicherweise  versunkenen 
Zeit  mehr  und  mehr  verwischen. 


—     588     — 

Die  besten  Anzeichen  dafür  sind  nicht  bloß  in  dem  raschen  Wachsen  des 
„Deutschamerilcanischen  Nationalbunde  s'',  sondern  auch  in 
dem  zunehmenden  Bestreben  zu  erblicken,  dem  deutschen  Vereinsleben  in  den 
sogenannten  „Deutschen  Häusern"  Zentralstellen  zu  schaffen.  Solche, 
von  vielen  Vereinen  gemeinsam  benützten  Gebäude,  die  sowohl  dem  einzelnen 
Besucher  behagliche  Räume  darbieten  wie  auch  Säle  für  größere  Zusammen- 
künfte und  Festlichkeiten  enthalten,  bestehen  bereits  in  manchen  Städten.  Eines 
der  schönsten  und  ausgedehntesten  ist  das  „Deutsche  Haus  in  In- 
diana p  o  1  i  s",  welches  mit  seinen  Sälen,  Versammlungs-  und  Beratungs- 
zimmern vorbildlich  dienen  könnte. 

Die  große  Opferwilligkeit  der  Deutschamerikaner  in  bezug  auf  ihr  Ver- 
ein swesen  bekundet  sich  auch  in  zahlreichen,  oft  glänzend  ausgestatteten  Klub- 
häusern. Heimstätten,  wie  die  Mitglieder  des  „Deutschen  Liedes- 
kranzes" und  des  „A  r  i  o  n"  zu  New  York,  des  „Germaniaklubs"  zu 
Brooklyn,  Baltimore  und  Chicago  solche  schufen,  stehen  in  nur  sehr  wenigen 
deutschen  Großstädten  einer  geselligen  Vereinigung  ausschließlich  zu  Gebote. 
Daß  das  hier  sich  entfaltende  Vereinsleben  die  häufig  als  Gäste  erscheinenden 
Amerikaner  zur  Gründung  ähnlicher  Klub-  und  Gesellschaftshäuser  anregte, 
kann  keinem  Zweifel  unterliegen. 

Die  Neigung  zu  engerem  Zusammenschluß,  zur  ZentraHsation,  bekundete 
sich  auch  im  kirchlichen  Leben  der  Deutschamerikaner,  auf  welches  wir  hier 
einen  flüchtigen  Blick  werfen  wollen. 

Als  älteste  deutsche  religiöse  Gemeinschaft  in  den  Vereinigten  Staaten 
dürfte  die  DeutschelutherischeKirche  zu  betrachten  sein.  Deutsche 
Lutheraner  kamen  bereits  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  nach  Neu- 
Niederland  und  Neu-Schweden,  wo  sie  sich  den  dort  bestehenden  holländischen 
und  schwedischen  Gemeinden  anschlössen  oder  eigene  gründeten.  Eine  von 
dem  sächsischen  Prediger  Justus  Ealkner  gestiftete  bestand  bereits  im 
Jahre  1703  in  Ealkners  Swamp  in  Pennsylvanien.  Im  Lauf  des  18.  Jahrhunderts 
schlössen  die  lutherischen  Gemeinden  verschiedener  Landesteile  sich  zu  Synoden 
zusammen,  die  wiederum  in  der  am  22.  Oktober  1820  gegründeten  General- 
Synode  ein  Einheitsband  gewannen.  Es  umfaßte  im  Jahre  1Q08  25  Synoden 
mit  1734  Gemeinden,  265  469  Kommunikanten  und  1322  Predigern.  Von  dieser 
General-Synode  lösten  sich  im  Jahre  1866  mehrere  Synoden  ab  und  bildeten 
das  General-Konzil,  das  im  Jahre  1908  437  788  Mitglieder  zählte  und  2195 
Kirchen  mit  1433  Geistlichen  unterhielt. 

Außerdem  besteht  die  von  dem  Sachsen  KarlFerdinandWilhelm 
W  a  1 1  h  e  r  im  Jahre  1 847  gegründete  Synodal-Konferenz  mit  643  599  Mit- 
gliedern, 3101  Kirchen  und  244  Predigern.  Andere,  fast  rein  deutsche  luthe- 
rische Körperschaften  sind  die  Ohio-,  Iowa-,  Texas-  und  Buffalo-Synoden  mit 
zusammen  etwa  220  000  Mitgliedern. 

Die  Deutsche  reformierte  Kirche  in  den  Vereinigten  Staaten, 
die  den  im  Jahre  1746  gelandeten  Michael  Seh  latter  als  Gründer  ver- 


—     589     — 

ehrt,  besitzt  gleichfalls  mehrere  Synoden,  die  im  Jahre  1863  sich  zur  General- 
synode verbanden.  Im  Jahre  1908  hatte  sie  1754  Gemeinden  mit  1164  Pastoren 
und  284  073  Kommunikanten.  Die  im  Jahre  1877  gegründete  Deutsche 
evangelische  Synode  entsprang  dem  in  Missouri  entstandenen  Deut- 
schen Evangelischen  Kirchenverein  des  Westens,  dem 
sich  später  andere  evangelische  Gemeinden  anschlössen.  Die  Synode  hatte  im 
Jahre  1908  237  321  Mitgheder,  1262  Kirchen  und  974  GeistHche. 

Um  dieselbe  Zeit  zählten  die  Deutschen  evangelischen  Pro- 
testanten 20  000  Mitgheder,  155  Kirchen  und  100  Geistliche. 

Die  von  dem  Schwaben  Wilhelm  Nast  gestiftete  Deutsche  Me- 
Ihodistenkirche  der  Vereinigten  Staaten  hat  etwa  1 00 000 
Mitglieder.  Auch  die  deutschen  Baptisten  und  Presbyterianer 
unterhalten  mehrere  hundert  Gemeinden,  außerdem,  gleich  allen  anderen  be- 
reits genannten  religiösen  Genossenschaften,  eigene  Seminare,  Akademien, 
Missionshäuser  und  Zeitschriften. 

Der  Nassauer  Philipp  Otterbein  stiftete  im  Jahre  1805  in  Balti- 
more die  „Gemeinschaft  der  Vereinigten  Brüder  in 
Christ  o'\  die  im  Jahre  1908  291  758  Mitglieder  mit  4378  Kirchen  und  2160 
Predigern  umfaßte. 

Die  in  den  Vereinigten  Staaten  lebenden  deutschen  Katholiken  ge- 
wannen in  dem  am  15.  April  1855  in  Baltimore  gegründeten  Deutschen 
römisch-katholischen  Zentralverein  einen  Mittelpunkt,  dessen 
Bedeutung  beständig  im  Steigen  begriffen  ist. 

Im  Gegensatz  zu  den  anglo-amerikanischen  Kirchengemeinden,  die  sich 
noch  heute  durch  das  von  den  Puritanern  ererbte  starre  Festhalten  am  Buch- 
stabenglauben, an  strengster  Sonntagsruhe  und  gänzlicher  Enthaltung  aller 
geistigen  Getränke  kennzeichnen,  hegen  die  deutschamerikanischen  Gemeinden 
einen  freieren  Geist,  der  menschlicher  Freude  nicht  grundsätzlich  abhold  ist, 
sondern  die  Pflege  heiterer,  durch  Musik  und  Gesänge  verschönten  Geselligkeit 
die  gebührende  Beachtung  zuteil  werden  läßt. 

Dem  Einfluß  dieses  liberaler  gesinnten  Deutschtums  ist  die  Umgestaltung 
der  amerikanischen  Sonntagsfeier  zu  danken.  Solchen  Europäern,  die  vor 
einem  Vierteljahrhundert  die  Vereinigten  Staaten  besuchten  und  den  „ameri- 
kanischen Sonntag"  kennen  lernten,  steht  derselbe  als  ein  Tag  drückendster 
Langerweile  in  Erinnerung.  In  vielen  Staaten  war  es  infolge  des  ein- 
gestellten Eisenbahn-  und  Schiffsverkehrs  nicht  möglich,  einen  Ausflug 
zu  unternehmen.  Sämtliche  Museen,  Bibliotheken,  Theater  und  Konzert- 
hallen blieben  geschlossen.  Öffentliche  Vergnügungen  waren  ebenso  ver- 
pönt, als  daheim  nichtgeistliche  Gesänge  und  Musikstücke  erklingen  zu 
lassen.  Kein  Ton  der  Freude,  kein  frohes  Lachen  erhellte  die  Gesichter.  Der 
Glanz  der  Sonne,  das  Zwitschern  und  Singen  der  Vögel,  die  Pracht  der  Natur 
blieben  ohne  Eindruck  auf  die  Gemüter,  die  von  dem  Irrwahn  befangen  waren, 
daß  dieses  Leben  nur  als  eine  Vorbereitung  für  das  Jenseits  zu  gelten  habe.   Es 


—     590     — 

bedurfte  jahrelanger  Kämpfe,  um  so  düstere,  sich  und  andere  um  jede  Lebens- 
freude betrügende  Anschauungen  zu  besiegen. 

Aber  schrittweise  gelang  es  den  Deutschen,  auch  auf  diesem  Gebiet  Er- 
mngen  zu  machen  und  zeitgemäße  Änderungen  herbeizuführen.  Auf  ihr 
Betreiben  wurden  die  Museen,  Bibliotheken  und  Lesehallen  auch  Sonntags  ge- 
öffnet und  dadurch  den  während  der  Woche  beschäftigten  Arbeitern  und  Ge- 
scnäftsleuten  zugängig.  Die  Eisenbahnen  und  Schiffe  nahmen  einen  beschränk- 
ten Verkehr  auf  und  ermöglichten  es  den  Erholungsbedürftigen,  die  Pracht  ufid 
den  Frieden  der  Wälder,  die  erquickende  Frische  der  Seeluft  zu  genießen. 
Deutsche  Gesangvereine  veranstalteten  in  den  öffentlichen  Parkanlagen  freie 
Konzerte  und  bahnten  dadurch  an,  daß  solche  heute  in  vielen  Städten  während 
der  Sommermonate  zu  den  stehenden  Einrichtungen  gehören.  Welch  eine 
Quelle  des  Genusses,  der  Erhebung  und  Bildung  dieselben  für  die  Bevölkerung 
sind,  ist  für  jeden  ersichtlich,  der  in  den  gewaltigen  Parks  der  Stadt  New  York 
Tausenden  von  sonntäglich  gekleideten  Menschen,  die  Damen  in  duftigen  Toi- 
letten, lustwandelnd  oder  auf  Felsen  und  im  grünen  Grase  lagernd  den  Klängen 
der  Musik  lauschen  sieht. 

Andere  Teile  der  Parks  wurden  dem  Ball-  undLawn-Tennisspiel  freigegeben, 
und  so  hat  der  wegen  seiner  Öde  verrufene  amerikanische  Sabbat  begonnen,  sich 
mehr  und  mehr  in  einen  wahrhaft  idealen  Feiertag  zu  verwandeln,  an  dem  auch 
die  Erholungsbedürftigen  und  die  Jugend  zu  ihrem  Rechte  kommen. 

Daß  mit  solchen  Neuerungen  der  richtige  Pfad  betreten  wurde,  auf  dem 
weitergeschritten  werden  sollte,  haben  viele  aufgeklärte  Amerikaner  bereit- 
willigst anerkannt.  Noch  vor  kurzem  schrieb  H.  M.  Ferren,  ein  an  der  Hoch- 
schule zu  Alleghany,  Pa.,  angestellter  Lehrer:  „True  enjoyment  is  a  matter  of 
grave  importance.  The  truth  will  dawn  upon  you,  that  the  Germans,  in  promo- 
ting  music  and  song  in  this  country,  contributed  infinitely  more  towards  the 
suppression  of  vice  than  all  our  law  and  order  societies  ever  did  or  ever  will 
do.  Brutality  and  excess  of  every  kind  come  rushing  in  like  a  replenishing  ether 
wherever  a  social  vacuum  occurs.  To  djsplace  them  effectively,  we  must  secure 
a  richer  content  for  our  inner  national  life.  Our  temperance  and  Sunday 
questions,  along  with  many  others  of  a  similar  nature,  will  sink  into  insigni- 
iicance  the  moment  we  learn  to  provide  for  the  masses  the  proper  forms  of 
enjoyment,  because  a  heart  overflowing  with  genuine  joy  has  no  room  for 
wickedness.  Let  us  hope  that  this  nation  may  soon  proclaim  a  second  declara- 
tion  of  independence,  that  it  may  bid  a  friendly  but  final  farewell  to  British 
insularity.  Long  enough  we  have  tarried  in  the  narrow  English  Channel.  Let 
US  lift  our  anchors  and  hoist  our  sail !  Tis  time  to  put  to  sea  —  in  quest  of  our 
lost  birthright,  the  golden  fleece  of  the  worlds  best  thought." 

Von  den  Deutschen  wurde  auch  die  erhebende  Weihnachtsfeier  nach 
Amerika  übertragen.  Mancherlei  Nachklänge  des  altgermanischen  Sonnen- 
wendfestes waren  zwar  schon  mit  den  ersten  holländischen  und  englischen  Kolo- 
nisten nach  der  Neuen  Welt  gekommen.     Aber  man  beschränkte  sich  darauf, 


CQ 


—     593     — 

die  Kinder  mit  Zuckenverk  zu  besclienken,  die  Fenster  mit  Kränzen  zu 
schmücken  und  unter  die  Decke  des  Zimmers  einen  Mistelzweig  zu  hängen. 
Der  in  mildem  Kerzenschein  und  flimmerndem  Schmuck  strahlende  Tannen- 
baum fehlte  hingegen.  Er  wurde  erst  von  den  Deutschen  eingeführt  und  damit 
zugleich  dem  höchsten  Fest  der  Christenheit  jene  Weihe  gegeben,  die  es  zu 
einem  Fest  heiligster  Freude  für  alle  macht,  welche  sich  im  Glück  der  Jugend 
sonnen  und  beim  Leuchten  seliger  Kinderaugen  die  unvergeßlichen  Wonnen 
der  eigenen  Jugend  wiedererleben. 

Seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  hat  sich  die  Weihnachtsfeier  nicht 
nur  in  unzähligen  deutschamerikanischen  geselligen  Vereinigungen  und  Kirchen- 
gemeinden, sondern  auch  in  vielen  anglo-amerikanischen  Familien  eingebürgert. 
Der  von  Jahr  zu  Jahr  steigende  Bedarf  an  Tannenbäumen,  der  im  Osten  der 
Vereinigten  Staaten  bereits  mehrere  Millionen  Exemplare  erheischt  und  einen 
einträglichen  Handel  ins  Leben  rief,  beweist,  wie  sehr  das  schöne  Fest  dem  Sinn 
der  Amerikaner  entspricht. 

Zum  Einbürgern  der  Weihnachtsfeier  nach  deutschem  Muster  trugen  nicht 
wenig  die  Bemühungen  zweier  Frauen  bei,  der  als  Professorin  am  Wellesley 
College  tätig  gewesenen  Fräulein  Carla  Wenckebach  und  der  in  New 
Britain,  Connecticut,  lebenden  Frau  Elise  Traut.  Beide  Damen  schrieben 
reizend  ausgestattete  Werkchen,  in  denen  sie  sowohl  über  den  Ursprung  des 
Weihnachtsfestes  und  seine  Bedeutung,  wie  über  die  schönste  Art,  es  zu  feiern, 
Aufschluß  gaben. ^) 

Auch  eine  andere  Neuerung,  die  im  Leben  der  amerikanischen  Großstädte 
Eingang  fand,  ist  auf  deutsche  Anregung  zurückzuführen:  Die  sogenannten 
„Roof  Gardens"  oder  „Dachgärten".  Der  erste  wurde  von  der  Hand  eines 
deutschen  Kunstgärtners  auf  dem  Dach  eines  von  A  n  t  o  n  F  a  u  s  t  in  St.  Louis 
betriebenen  Restaurants  angelegt.  Er  übte  auf  die  Gäste  so  große  Anziehungs- 
kraft, daß  man  an  Sommerabenden,  wenn  man  ein  wenig  spät  kam,  jedes 
Plätzchen  besetzt  fand.  Von  der  Pariser  Weltausstellung  des  Jahres  1878  brachte 
Faust  einen  elektrischen  Beleuchtungsapparat  mit,  den  ersten  seiner  Art  in 
Amerika,  und  von  der  Zeit  an  zeichnete  sich  die  sogenannte  „Terrasse"  neben 
allem  anderen  auch  durch  eine  glänzende  Beleuchtung  aus. 

In  den  an  freien  Vergnügungsplätzen  und  Sommergärten  armen  Städten 
Chicago  und  New  York  wurde  diese  Neuerung  begierig  aufgegriffen  und  weiter 
entwickelt.  Man  verlegte  dabei  die  Dachgärten  auf  die  flachen  Dächer  der  zehn, 
zwanzig  und  mehr  Stockwerke  zählenden  Häuserkolosse,  wo  allabendlich  eine 
erquickende  Seebrise  breit  und  mächtig  einherflutet  und  die  drunten  so  schmerz- 
lich vermißte  Kühlung  gewährt.  Um  in  diese  luftigen  Höhen  zu  gelangen, 
bedient  man  sich  der  bequemen  Fahrstühle.     Droben  angelangt,  findet  man  in 

')  Das  von  Frl.  Wenckebach  ver()ff entlichte  Büchlein  trägt  den  Titel  .A  Christmas 
Book.  Origin  of  the  Christmas  tree,  the  mistletoe,  the  Yule  log  and  St.  Nicholas".  (Wellesley 
College  1898.)  „Christmas  in  Heart  and  Home"  lautet  der  Titel  des  von  Frau  Elise  Traut 
im  Jahre  1901  zu  New  York  herausgegebenen  Büchleins. 

Gronau,   Deutsches  Leben  in  Amerika.  38 


—     594     — 

den  Raum  für  Tausende  bietenden,  mit  prachtvollen  Blattpflanzen  und  Palmen 
ausgestatteten  und  in  einem  Meer  buntfarbigen  Lichtes  schwimmenden  Zauber- 
gärten musikalische  und  theatralische  Darbietungen  aller  Art.  Zu  den  geistigen 
und  leiblichen  Genüssen  gesellt  sich  der  Ausblick  auf  die  von  Millionen  Lichtern 
erstrahlenden  Riesenstädte  und  auf  stolze,  von  unzähligen  Schiffen  durchfurchte 
Seen  und  Wasserstraßen.  Kein  Wunder,  daß  die  Dachgärten,  v^o  zu  dem  ge- 
botenen Guten  noch  der  Reiz  des  Phantastischen  und  Ungewöhnlichen  sich 
hinzugesellte,  die  Gunst  des  Publikums  im  Fluge  sich  eroberten.  Der  größte 
und  zweifellos  schönste  aller  Dachgärten  Amerikas  wurde  im  Juni  1905  in  New 
York  auf  dem  von  den  Deutschamerikanern  William  C.  und  Frederick 
A.  M  u  s  c  h  e  n  h  e  i  m  geleiteten  Hotel  Astor  eröffnet.  Im  Jahre  1909  an  Größe 
verdoppelt,  bedeckt  er  jetzt  eine  Fläche  von  5580  Quadratmeter.  Ein  einziger 
Rundgang  auf  geradestem  Wege  beträgt  %  km.  Durch  acht  Aufzüge  erreich- 
bar, zählt  er  mit  seinen  im  italienischen  Stil  gehaltenen  Laubengängen,  Rosen- 
hainen, Palmen gruppen,  plätschernden  Springbrunnen  und  murmelnden  Was- 
serfällen, mit  seinem  überwältigenden  Ausblick  über  das  lichtüberflutete,  im 
Westen  vom  Hudson  umschlossene  Häusermeer  der  Weltstadt,  mit  dem  Fern- 
blick auf  die  Klippenmauer  der  Palisaden  unstreitig  zu  den  überraschendsten 
Sehenswürdigkeiten  der  Beherrscherin  der  westlichen  Erdhälfte. 


Es  bleibt  uns  noch  übrig,  verschiedene  Vorgänge  zu  erwähnen,  die  wäh- 
rend der  zweiten  Hälfte  des  19.  und  zu  Anfang  des  20.  Jahrhunderts  das 
Deutschamerikanertum  betrafen. 

Bei  der  fast  allgegenwärtigen  Verbreitung  der  Deutschen  in  den  Ver- 
einigten Staaten  ist  es  selbstverständlich,  daß  bei  den  großen  Katastrophen,  von 
welchen  mehrere  Städte  Amerikas  heimgesucht  wurden,  —  dem  Brande  Chica- 
gos, der  Überschwemmung  Johnstowns,  dem  Wirbelsturm  zu  St.  Louis,  dem 
Erdbeben  zu  San  Francisco  —  auch  sie  tief  in  Mitleidenschaft  gezogen  wurden. 
Außerdem  stehen  der  30.  Juni  1900  und  der  15.  Juni  1904  als  Tage  schweren 
Unheils  in  der  Chronik  des  Deutschamerikanertums  verzeichnet. 

An  dem  erstgenannten  Tage  brach  4  Uhr  nachmittags  auf  den  in  Hoboken 
gelegenen  Piers  des  „Norddeutschen  Lloyd"  Feuer  aus,  welches  sich  mit  so 
rasender  Geschwindigkeit  über  die  ganzen  Anlagen  jener  Schiffsgesellschaft 
verbreitete,  daß  dieselben  in  wenigen  Minuten  ein  wogendes  Flammenmeer 
bildeten.  Mehrere  Schiffe  des  Lloyd,  die  „Saale",  „Bremen",  „Main"  und 
„Kaiser  Wilhelm  der  Große"  lagen  an  den  Piers  vor  Anker.  Es  glückte,  den 
letztgenannten  Dampfer  abzuschleppen.  Die  drei  anderen  Fahrzeuge  wurden 
hingegen  vom  Feuer  ergriffen  und  trieben  in  brennendem  Zustande  den  Hudson 
hinab,  um  bald  darauf  als  wertlose  Wracks  ihren  Untergang  zu  finden.  Leider 
war  es  den  auf  den  Schiffen  beschäftigten  Mannschaften  infolge  des  raschen 


—     595     — 

Umsichgreifens  des  Feuers  nicht  möglich,  das  Ufer  zu  gewinnen.  Auf  den 
brennenden  Schiffen  stromabwärts  treibend,  Itamen  viele  in  den  Flammen  um 
oder  fanden  in  den  Fluten  ihr  Grab.  Unter  den  Verunglückten  befand  sich  auch 
der  Kapitän  der  „Saale",  J.  Mirow.  Insgesamt  gingen  bei  dieser  Katastrophe 
gegen  300  Menschenleben  verloren.  Der  materielle  Schaden  belief  sich  auf 
5  Millionen  Dollar. 

Ein  zweites,  noch  weitaus  schrecklicheres  Unglück,  traf  am  15.  Juni  1904 
die  lutherische  „St.  M  a  r  k  u  s  -  G  e  m  e  i  n  d  e"  zu  New  York,  deren  Mit- 
glieder mit  ihren  Angehörigen  und  Freunden  einen  Ausflug  auf  dem  Ver- 
gnügungsdampfer „General  Slocum"  geplant  hatten.  Schon  bald  nachdem  der 
mit  1290  fröhlichen  Menschen  belastete  Dampfer  seine  Anlegestelle  verlassen 
hatte,  brach  in  einem  Öl  und  Farben  enthaltenden  Vorratsraum  Feuer  aus.  Aber 
weder  der  Kapitän  noch  die  gänzlich  ungeübte  Bemannung  ergriffen  Maßregeln, 
den  Brand  zu  ersticken.  Unbekümmert  setzten  sie  die  Reise  fort,  als  ob  keine 
Gefahr  bestehe.  Das  Feuer  machte  rasche  Fortschritte.  Aus  dem  dichter 
werdenden  Rauch  züngelten  rote  Flammen  empor.  In  der  Nähe  befindliche 
Dampfer  ließen  Alarmsignale  ertönen.  Doch  als  nun  endlich  der  verbrecherisch 
leichtfertige  Kapitän  seine  Leute  an  die  Spritzen  befahl,  zeigte  es  sich,  daß  die 
im  Lauf  langer  Jahre  vermürbten,  nie  erneuten  Schläuche  kein  Wasser  zu  halten 
vermochten.  Sie  barsten  gleich  den  morsch  gewordenen  Rettungsgürteln,  zu 
denen  die  an  Bord  des  Unglücksschiffes  Befindlichen  in  Todesangst  griffen,  um 
im  Augenblick  äußerster  Not  ins  Wasser  zu  springen.  Diejenigen,  welche  der 
Tragkraft  der  Gürtel  vertrauten,  versanken  in  den  quirlenden  Wassern  wie  Blei. 

Angesichts  dieser  Zustände  brach  unter  den  Passagieren  eine  fürchterliche 
Panik  aus,  deren  Schrecken  noch  dadurch  vermehrt  wurde,  daß  der  Kapitän, 
anstatt  das  Fahrzeug  zum  nächsten  Ufer  zu  dirigieren,  einem  zwei  Meilen  ent- 
fernten Landeplatz  zuhielt.  Ehe  das  Schiff  diesen  erreichte,  stand  es  lichterloh 
in  Flammen,  so  daß  den  an  Bord  befindlichen  Unglücklichen  nur  die  Wahl  blieb 
zu  verbrennen  oder  über  Bord  zu  springen.  Szenen  von  beispielloser  Schreck- 
lichkeit folgten,  denn  die  Mehrzahl  der  Passagiere  bestand  aus  hilflosen  Frauen 
und  Kindern,  welche  angesichts  des  sie  umgebenden  Entsetzens  die  Geistes- 
gegenwart verloren.  Was  hätte  solche  auch  nützen  können,  als  urplötzlich  alle 
drei  Decke  des  Bootes  sich  in  eine  brausende  Hölle  verwandelten  und  bei 
ihrem  Einsturz  alle  Lebende  hinabrissen  und  unter  sich  begruben.  Ganze 
Familien  wurden  mit  einem  Schlage  ausgelöscht.  Die  Familie  Di  eck  hoff 
beklagte  fünf,  die  Familie  G  r  e  s  s  sechs,  die  Familie  Weiss  zehn,  die  Familie 
Rheinfrank  sogar  den  Verlust  von  elf  Mitgliedern.  Der  von  51  Zöglingen 
besucht  gewesene  Kindergarten  der  „St.  Markusgemeinde"  besaß  deren  nach 
dem  schrecklichen  Vorfall  nur  noch  12! 

Insgesamt  fanden  924  Personen  in  der  grauenhaften  Katastrophe,  der 
schaurigsten,  die  sich  jemals  auf  einem  Schiff  ereignete,  ihren  Untergang.  Sie 
wurden  Opfer  jener  verbrecherischen,  schnöder  Gewinnsucht  entspringenden 
Fahrlässigkeit,  die  so  mancher  amerikanischen  Geschäftsunternehmung  anhaftet. 

38* 


—     596     — 

Obwohl  grobe  Fahrlässigkeit  bei  den  späteren  gerichtlichen  Unter- 
suchungen sowohl  den  Eigentümern,  dem  Kapitän  van  Schaik  und  der  Be- 
mannung des  „Slocum",  wie  auch  den  New  Yorker  Schiffsinspektoren  auf 
Schritt  und  Tritt  nachgewiesen  wurde,  ließ  man  mit  Ausnahme  des  Kapitäns 
sämtliche  Schuldigen  der  verdienten  Bestrafung  entrinnen  und  setzte  damit  der 
korrupten  amerikanischen  Rechtspflege  ein  weiteres  Denkmal. 

Einen  Monat  nach  dieser  die  ganze  zivilisierte  Welt  in  Erregung  ver- 
setzenden Katastrophe  richteten  die  „Vereinigten  Deutschen  Gesellschaften  von 
New  York^'  eine  öffentliche  Trauerfeier  aus,  wie  die  Stadt  sie  ergreifender  nie 
zuvor  gesehen  hatte.  Das  auf  dem  lutherischen  Friedhof  zu  Middle  Village  auf 
Long  Island  befindliche  Massengrab,  welches  die  Reste  der  nicht  mehr  erkenn- 
baren Verunglückten  aufnahm,  erhielt  ein  würdiges  Denkmal,  dessen  Weihe 
man  am  15.  Juni  1906  vollzog. 


An  den  großen  Freuden-  und  Festtagen  der  amerikanischen  Nation  be- 
teiligte sich  das  Deutschtum  der  Vereinigten  Staaten  stets  in  erhebender  Weise. 
Die  hundertste  Feier  des  Geburtstags  George  Washingtons,  Benjamin  Franklins 
und  Abraham  Lincolns,  die  Hundertjahrfeier  der  Unabhängigkeitserklärung, 
die  Heimkehr  der  Armeen  aus  dem  Bürgerkrieg  und  dem  Krieg  mit  Spanien,  die 
Hudson-Fultonfeier  im  Oktober  1909,  alle  diese  Ereignisse  wurden  mit  herz- 
licher Begeisterung  gefeiert. 

Daß  die  Deutschamerikaner  aber  auch  das  Andenken  der  dem  deutschen 
Volke  entsprungenen  Geisteshelden  ehren,  bekundeten  die  großartigen  Gedenk- 
feierlichkeiten, welche  seitens  vieler  Gesellschaften  zur  Erinnerung  an  Gutten- 
berg,  Humboldt,  Goethe,  Schiller,  Mozart,  Beethoven,  Haydn,  Abt,  Wagner, 
Fichte,  Bismarck  und  andere  begangen  wurden. 

Manche  dieser  Feierlichkeiten  gestalteten  sich  zu  großartigen  Ovationen. 
Der  Impuls,  welcher  von  der  Schillerfeier  des  Jahres  1859  ausging,  war  so 
mächtig,  daß  die  Schillerliteratur  in  Amerika  nahezu  unübersehbare  Dimen- 
sionen annahm.  Auch  die  in  das  Jahr  1905  fallende  Feier  zum  Gedächtnis  an 
Schillers  Tod  gestaltete  sich  an  vielen  Orten  zu  einem  höchst  eindrucksvollen 
Ereignis.  Um  so  mehr,  als  in  manchen  Städten  die  dort  bestehenden  Univer- 
sitäten sich  an  der  Feier  beteiligten.  Den  glänzendsten  Verlauf  nahm  dieselbe 
unstreitig  in  New  York,  wo  am  6.  Mai  die  „Vereinigung  alter  deutscher  Stu- 
denten," am  7.  Mai  die  „Vereinigten  Sänger'',  am  S.  Mai  die  „Vereinigten 
deutschen  Gesellschaften"  und  am  9.  Mai  die  „Columbia-Universität"  den 
Manen  Schillers  ergreifende  Huldigungen  darbrachten. 

Die  meisten  seiner  obengenannten  Geistesheroen  hat  das  Deutsch- 
amerikanertum  durch  prächtige  Denkmäler  geehrt.  Aber  auch  wenn  es 
galt,  einen  hervorragenden  lebenden  deutschen  Dichter  zu  ehren,  oder  zu  einem 
Liebeswerk  beizusteuern,  versagte  das  Deutschamerikanertum  selten. 


-     597     — 

Natürlich  fanden  die  gewaltigen  Ereignisse  des  Jahres  1870 — 1871, 
welche  das  geliebte  alte  Vaterland  endlich  auf  den  ihm  gebührenden  Platz 
unter  den  Weltmächten  erhoben,  in  den  Herzen  aller  Deutschamerikaner  einen 
ergreifenden  Widerhall.  Tausende  in  den  Vereinigten  Staaten  lebende  Deutsche, 
die  bisher  nicht  das  amerikanische  Bürgerrecht  erworben  hatten,  eilten  in  die 
Heimat,  um  sich  in  die  deutschen  Armeen  einreihen  zu  lassen.  Ihre  zurück- 
bleibenden Stammesgenossen  aber  gründeten  „Patriotische  Hilfsvereine",  die 
sich  die  Aufgabe  stellten,  Geld  zur  Unterstützung  der  Witwen  und  Weisen  ge- 
fallener deutscher  Soldaten,  sowie  zur  Pflege  der  Verwundeten  aufzubringen. 
Um  dieses  Liebeswerk  systematisch  zu  betreiben,  organisierten  aus  allen  Teilen 
der  Union  kommende  Abgeordnete  am  18.  August  1870  in  Chicago  den 
„Deutschen  patriotischen  Hilfsverein  der  Vereinigten 
Staaten".  Dabei  wurde  der  New  Yorker  Verein  zu  dessen  Oeneralagentur 
ernannt,  um  die  gesammelten  Gelder,  deren  Höhe  über  drei  Millionen  Mark 
betrug,  dem  Zentralausschuß  in  Berlin  zuzuführen.  Daß  die  deutschamerika- 
nischen Frauen  zu  diesem  Liebeswerk  durch  Veranstaltung  von  Sammlungen, 
Basaren  und  Konzerten  nach  Kräften  beitrugen,  braucht  kaum  betont  zu  werden. 

Natürlich  wurden  die  überraschend  großen  Siege  der  deutschen  Truppen 
und  die  Einnahme  von  Paris  in  gebührender  Weise  gefeiert.  Besonders  ge- 
stalteten sich  die  zur  Feier  des  Friedensschlusses  anberaumten  Festlichkeiten  zu 
überwältigend  großartigen  Demonstrationen,  wie  man  solche  in  den  amerika- 
iHschen  Weltstädten  nie  zuvor  gesehen  hatte.  Als  die  glanzvollsten  sind  die- 
jenigen zu  Cincinnati  am  4.  Februar,  zu  St.  Louis  am  6.  bis  15.  März,  zu 
San  Francisco  am  22.  März,  zu  New  York  am  9.  bis  11.  April,  zu  Philadelphia 
am  15.  Mai  und  zu  Chicago  am  29.  Mai  1871  hervorzuheben.  Zum  erstenmal 
erschien  dabei  das  Deutschtum  der  Vereinigten  Staaten  den  Anglo-Amerikanern 
in  der  ganzen  Ebenbürtigkeit  seiner  Nationalität. 

Trugen  so  die  Siege  der  deutschen  Waffen  in  großartiger  Weise  dazu  bei, 
das  Ansehen  des  gesamten  Deutschtums  zu  heben,  so  vertiefte  sich  dieser  Ein- 
druck durch  die  beispiellosen  Triumphe,  welche  deutsche  Gewerbtätigkeit, 
Kunst  und  Wissenschaft  auf  den  Weltausstellungen  zu  Chicago,  Buffalo  und 
St.  Louis  feierten.  Die  deutsche  Regierung  hatte  mit  richtigem  Blick  erkannt, 
daß  namentlich  Chicago  der  Platz  sein  werde,  wo  die  Völker  der  Erde  um  die 
Heri Schaft  auf  dem  Gebiet  des  Welthandels  streiten  würden.  Sie  bot  deshalb 
alle  Kräfte  auf,  um  der  Welt  zu  zeigen,  was  die  deutsche  Nation  auch  in  den 
Werken  und  Künsten  des  Friedens  zu  leisten  vermöge.  Bei  der  Auswahl  und 
und  Veranschaulichung  des  Dargebotenen  verfuhr  sie  mit  solchem  Geschick, 
daß  das  Ergebnis  alle  Erwartungen  übertraf  und  für  den  deutschen  Handel  die 
scliönsten  Früchte  zeitigte. 

Einen  äußerst  befriedigenden  Verlauf  nahm  auch  die  Ausstellung  deut- 
scher Kunstwerke,  die  in  den  Monaten  Januar,  Februar,  März  und  April  des 
Jahres  1909  in  New  York,  Boston  und  Chicago  dem  amerikanischen  Publikum 
dargeboten  wurde.     Ihr  Zustandekommen  war  in  erster  Linie  das  Werk  des 


—     598     — 

New  Yorker  Großkaufmanns  Hugo  Reisinge r.  Selber  ein  begeisterter 
Kunstfreund  und  Sammler,  wollte  er  die  Am.erikaner  nicht  nur  mit  den  Perlen 
der  deutschen  Malerei  bekannt  machen,  sondern  auch  der  von  ihm  hochge- 
schätzten deutschen  Kunst,  die  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  das  Kunst- 
leben der  Neuen  Welt  mächtig  beeinflußt  hatte,  das  verloren  gegangene  Terrain 
zurückerobern. 

Mit  opferwilligem  Idealismus  unterzog  Reisinger  sich  dem  Erledigen  der 
mit  diesem  Unternehmen  verbundenen  Arbeiten  und  brachte  mit  Unterstützung 
der  deutschen  Regierung  eine  214  Kunstgegenstände  umfassende  Sammlung 
der  besten  neueren  deutschen  Meister  zusammen.  Die  den  hohen  Wert  dieser 
Veranstaltung  erkennende  Verwaltung  des  Metropolitan-Kunst-Museums  zu  New 
York  trug  dem  Plan  die  größten  Sympathien  entgegen  und  bot  der  Sammlung 
in  ihren  eignen  Hallen  die  würdigste  Unterkunftsstätte. 

Das  rege  Interesse  des  kunstliebenden  Publikums  dokumentierte  sich  in 
dem  geradezu  überraschenden  Besuch,  dessen  diese  Ausstellung  sich  zu  er- 
freuen  hatte.  Noch  nie  zuvor  war  das  Museum  innerhalb  eines  gleich  langen 
Zeitraums  von  so  vielen  Personen  besucht  worden.  Am  letzten  Sonntag,  wo 
die  Ausstellung  zugänglich  war,  betrug  die  Zahl  der  Besucher  nahezu  14  000! 
Zweifellos  hinterließ  die  Ausstellung  bei  den  amerikanischen  Künstlern  und 
Kunstkennern  einen  tiefen,  nachhaltigen  Eindruck. 


Es  ist  einer  der  Hauptzüge  in  der  neueren  Geschichte  der  in  den  Ver- 
einigten Staaten  lebenden  Deutschen,  daß  sie  stets  strebten,  dazu  beizutragen, 
das  internationale  Verhältnis  zwischen  ihrer  neuen  Heimat  und  dem  geliebten 
alten  Vaterland  zu  einem  möglichst  freundschaftlichen,  herzlichen  zu  gestalten. 
Sie  taten  dies  in  der  richtigen  Erkenntnis,  daß  kaum  zwei  Völker  soviel 
voneinander  lernen  und  durch  engere  Freundschaft  einander  so  viel  nützen 
können,  als  das  amerikanische  und  das  deutsche.  Aus  diesem  Grunde  begrüßten 
die  Deutschamerikaner  im  Jahre  1897  die  Ernennung  eines  von  der  gleichen 
Überzeugung  beseelten,  bewährten  Freundes  des  deutschen  Volkes,  Andrew 
D.  White,  zum  Botschafter  in  Berlin  mit  besonderer  Genugtuung  und  ver- 
anstalteten zu  Ehren  des  Botschafters  vor  dessen  Scheiden  am  22.  Mai  1897  in 
der  prächtigen  Festhalle  des  „Deutschen  Liederkranz"  in  New  York  ein  Bankett, 
das  infolge  seines  erhebenden  Verlaufs  bei  allen  Teilnehmern  noch  in  schönster 
Erinnerung  steht. 

Aus  den  gleichen  Gründen  bewillkommte  das  Deutschamerikanertum  die 
Ernennung  der  deutschen  Botschafter  von  Holleben  und  Speck  von 
Sternburg  zu  Ehrendoktoren  amerikanischer  Universitäten,  die  Entsendung 
amerikanischer  Kriegsschiffe  nach  deutschen  Häfen,  die  allgemeine  Teilnahme 
des   Anglo-Amerikanertums   an    der   Feier   des   70.    Geburtstages   von    Karl 


—     599     — 

Schurz  mit  aufrichtiger  Freude.  Und  ganz  besonders  auch  den  in  die 
Monate  Februar  und  März  des  Jahres  1902  fallenden  Besuch  des  Prinzen 
Heinrich  von  Preußen.    Der  Prinz  erschien  als  Vertreter  seines  kaiser- 


3 
■2 


•ü  cm" 

^  2 

ü_ 

C/5 

-3  ^ 
~    CM 

^  S 
o  rt 
OD 

r-      '- 

=  2 


?    c 


G 


liehen  Bruders  und  wurde  als  solcher  von  der  ganzen  amerikanischen  Nation 
mit  beispielloser  Herzlichkeit  aufgenommen.  Seine  Ausflüge  nach  Washington 
und  Mount  Vernon,  dem  Grab  des  Begründers  der  Republik,  seine  Reisen  nach 


—     600     — 

Pittsburg,  Cincinnati,  Indianapolis,  Chicago,  Nashville,  Louisville,  St.  Louis, 
Milwaukee,  Buffalo,  Boston,  Albany  und  Philadelphia  gestalteten  sich  zu  förm- 
lichen Triumphzügen,  an  welchen  das  Amerikanertum  nur  das  auszusetzen 
hatte,  daß  der  Besuch  des  hohen  Gastes  viel  zu  kurz  bemessen  war. 


In  das  Jahr  1883  fällt  ein  Ereignis,  welches  für  das  Deutschtum  der  Ver- 
einigten Staaten  von  größter  Bedeutung  werden  sollte.  In  Philadelphia  feierte 
man  am  6.  Oktober  den  hundertsten  Jahrestag  der  Landung  der  Gründer  von 
Germantown. 

Diese  erhebende  Feier  regte  zwei  wackere  Männer,  die  um  die  deutsch- 
amerikanische Geschichtsforschung  hochverdienten  Doktoren  Oswald  S  e  i  - 
densticker  und  Gottfried  T.  Kellner  zu  dem  Vorschlag  an,  das 
Andenken  an  die  Landung  jener  deutschen  Pilgerväter  alljährlich  am  6.  Oktober 
zu  feiern  und  diesen  Tag  zu  einem  vom  gesamten  Deutschamerikanertum  be- 
gangenen Fest,  dem  „Deutschen  Tag e",  zu  erheben.  Mit  diesem  Vor- 
schlag erwarben  die  beiden  sich  ein  Verdienst,  das  nicht  hoch  genug  gewürdigt 
werden  kann.  Sie  erweckten  dadurch  im  Deutschamerikanertum  nicht  bloß 
das  Interesse  an  seiner  Geschichte,  sondern  stärkten  es  auch  in  seinem  Selbst- 
bewußtsein und  ließen  es  über  den  eigenen  Wert  klarer  werden.  Sie  gaben 
den  über  unendlich  weite  Strecken  verteilten,  nur  durch  die  losen  Bande  der 
Sprache  und  gemeinsamen  Abstammung  zusanmiengehaltenen  Deutschamerikanern 
einen  gemeinsamen  Nationalfeiertag,  der  ganz  dazu  geeignet 
ist,  sie  fester  miteinander  zu  verbinden.  In  vielen  größeren  Städten  der  Ver- 
einigten Staaten  begehen  die  Deutschen  diesen  „Deutschen  Tag"  alljährlich 
durch  Veranstaltung  von  Freudenmahlen,  verbunden  mit  Reden,  in  denen  die 
großen  Züge  der  deutschamerikanischen  Geschichte  gewürdigt  werden. 

In  überaus  großartiger  Weise  geschah  dies  in  Chicago  und  St.  Louis  ge- 
legentlich der  dort  abgehaltenen  Weltausstellungen.  Hier  erhieken  die  Feier- 
lichkeiten ein  besonders  erhebendes  Gepräge  durch  die  Gegenwart  zahlreicher 
Deutschen,  die  sich  zum  Besuch  jener  Wehausstellungen  aus  allen  Gauen  des 
alten  Vaterlandes  eingefunden  hatten.  Um  diesen  die  Teilnahme  an  dem  Fest 
zu  ermöglichen,  hatte  man  in  Chicago  die  Feier  des  Deutschen  Tages  auf  den 
15.  Juni  1893  verlegt.  Vormittags  bewegte  sich  ein  Festzug  durch  die  Straßen 
der  Stadt,  an  dem  sich  30  000  Menschen  zu  Fuß,  zu  Roß  oder  zu  Wagen  be- 
teiligten. Fr  wurde  durch  eine  aus  hundert  Reitern  bestehende  Ehrenwache 
eröffnet.  Dieser  schlössen  sich  in  buntem  Wechsel  unzählige  Turn-,  Gesang-, 
Krieger-,  Schützen-,  Krankenunterstützungs-  und  Frauenvereine  an.  Darauf 
folgten  die  verschiedensten  Orden  und  Logen,  Schillerklubs,  GrüÜibündler, 
Druiden,  Hermannssöhne,  Schwabenvereine,  Plattdeutsche  Gesellschaften  und 
Hunderte  anderer  Vereinigungen,  deren  Bestehen  ein  sprechendes  Zeugnis  dafür 


601 


ablegte,  wie  reich  und  mannigfaltig  entwickelt  das  Vereinsleben  der  Deutscti- 
amerikaner  ist.     Erhielt  der  großartige  Festzug  schon  durch  die  Tausende  von 


vvi^     -t- 


Die  Feier  des  Deutschen  Tages  auf  der  Weltausstellung  zu  Chicago  am  15.  Juni  1893. 

Nach  einer  für  die  „Cjarienlaubc"  aufgenommenen  Originalzeichnung  von   Rudolf  Gronau. 

flatternden  Vereinsfahnen  und  Bannern  ein  buntes  Gepräge,  so  erregten  die  mit- 
geführten Schauwagen   ganz  besonderes   Interesse.     Viele  dieser  Wagen   ge- 


—     602     — 

währten  einen  prunkvollen  Anblick,  besonders  wenn  die  Darstellung  in  den 
Händen  deutschamerikanischer  Frauen  und  Jungfrauen  lag.  Von  den  Schönen 
Chicagos  hatten  die  Schönsten  sich  freudig  zur  Verfügung  gestellt,  um  Gruppen 
wie  „Columbia,  von  den  dreizehn  Staaten  umgeben''  und  „Germania  im  Kreise 
der  Musen"  so  wirkungsvoll  als  möglich  zu  gestalten.  Unter  den  historischen 
Gruppen  befanden  sich  „Die  Teutoburger  Schlacht",  „Columbus  auf  der  Santa 
Maria",  „Nach  der  Schlacht  bei  Rezonville"  und  vieles  andere  mehr.  Durchweg 
trug  der  imposante  Festzug,  dessen  Vorbeimarsch  zwei  und  eine  halbe  Stunden 
erforderte,  ein  echt  deutsches  Gepräge,  und  überall  wurde  er  von  der  nach  Hun- 
derttausenden zählenden  schaulustigen  Menge  mit  brausendem  Jubel  begrüßt. 

Nach  seiner  Auflösung  begann  3  Uhr  nachmittags  die  offizielle  Feier  auf 
dem  Weltausstellungsplatz  vor  dem  von  der  deutschen  Regierung  erbauten 
„Deutschen  Hause",  dessen  hochragender,  bunte  Malereien  tragender  Giebel 
im  Schmuck  lustig  flatternder  Wimpel  prangte.  Auf  einer  mächtigen,  mit  Eichen- 
laub umkränzten  Tribüne  nahmen  die  geladenen  Ehrengäste,  2000  an  der  Zahl, 
Platz.  Ihnen  gegenüber  auf  einer  zweiten  Tribüne  die  deutschamerikanischen 
Weltausstellungschöre  und  das  Bülow-Orchester.  Ein  Teil  der  mitwirkenden 
Damen  erschien  in  roten,  ein  anderer  in  weißen  Gewändern.  Entsprechend 
gruppiert,  bildeten  sie  im  Verein  mit  den  schwarzgekleideten  Herren  eine  riesige 
deutsche  Flagge,  welcher  der  blaue  Michigansee  als  herrlicher  Hintergrund 
diente. 

Webers  Jubelouvertüre  eröffnete  die  erhebende  Feier;  dann  folgte  ein  von 
dem  Chicagoer  Großkaufmann  Harry  Rubens  gesprochener  „Gruß  des 
Deutschtums  von  Amerika  an  Deutschlands  Vertreter".  Die  nachfolgenden 
Reden  bewegten  sich  ausnahmslos  um  den  Preis  des  alten  Vaterlandes,  der  neuen 
Heimat  und  des  zwischen  den  beiden  bestehenden  Freundschaftsbandes.  „Wir 
blicken  zurück",  so  erklärte  Karl  Schurz,  der  Hauptfestredner,  „auf  jene 
dunklen  Tage  des  Rebellionskrieges,  wo  die  Union  am  Rande  des  Untergangs 
zu  taumeln  schien;  als  unsere  Heere  Niederlage  auf  Niederlage  erlitten;  als  nicht 
nur  unsere  Feinde  und  Neider,  sondern  auch  unsere  schwachherzigen  Freunde 
in  der  Alten  Welt  den  Zerfall  der  großen  Republik  prophezeiten ;  als  der  Kredit 
unserer  Republik  auf  den  niedrigsten  Punkt  sank;  als  die  Hoffnung  auch  der 
Mutigsten  ins  Wanken  kam.  Mit  freudiger  Genugtuung  erinnern  wir  uns,  daß 
von  allen  Völkern  der  Erde  das  deutsche  Volk  allein  nicht  das  Vertrauen  auf  den 
endlichen  Sieg  unserer  guten  Sache  und  auf  die  Zukunft  Amerikas  verlor;  daß 
es  unbedenklich  seine  Ersparnisse  zu  Millionen  und  Millionen  unserer  schwer- 
geprüften Republik  herlieh  und  ihr  so  in  dem  verzweifelten  Kampf  neue  Kraft 
gab.  Das  war  der  Freund  in  der  Not,  der  dem  bedrängten  Freund  vertrauens- 
voll beistand;  und  reichlich,  wie  es  verdiente,  wurde  dieses  Vertrauen  voll  be- 
lohnt. Diese  Völkerfreundschaft  zwischen  dem  alten  und  dem  neuen  Vaterlande 
ewig  stark  zu  erhalten,  das  ist  der  Wunsch,  den  der  Deutschamerikaner  warm 
im  Herzen  trägt,  und  den  er  gewiß  im  Flerzen  eines  jeden  edelgesinnten,  patrioti- 
schen Amerikaners  wiederfindet." 


—     603     — 

Dann  wies  Schurz  auf  jenen  herrlichen  Wahlspruch  hin,  der  hoch  über 
seinem  Haupte  an  der  Stirnseite  des  Deutschen  Hauses  prangte: 

..Nährhaft  und  wehrhaft, 
Voll  Korn  und  voll  Wein, 
Voll  Kraft  und  Eisen, 
Klangreich  und  gedankenreich, 
Ich  will  dich  preisen 
Vaterland  mein!" 

In  meisterhaften  Worten  stellte  er  dann  die  deutsche  Ausstellung  in  Chi- 
cago in  Vergleich  zu  der  Ausstellung  des  Jahres  1876  in  Philadelphia.  „Die 
Politik  des  Unterbietens  im  P  r  e  i  s  e  —  das  war  Deutschland  in  Philadelphia  — 
ein  nachschleichender  Schatten  des  Deutschlands  der  alten  Zeit,  der  Zeit  der  Zer- 
rissenheit, der  Ohnmacht,  der  Kleinlichkeit,  des  Zweifels  an  der  eigenen  Kraft. 
Die  Politik  des  Überbietens  im  Wert  —  das  ist  Deutschland  in  der  weißen 
Stadt  zu  Chicago  —  das  Deutschland  der  neuen  Zeit,  des  mächtigen  Reichs,  des 
gehobenen  Nationalgefühls,  der  Selbstachtung,  der  großen  Inspirationen,  des 
gewaltigen  Könnens  und  des  hohen  Wollens,  groß  in  seinem  Kriegsruhm  und 
nicht  weniger  groß  in  den  W^erken  des  Friedens.  Diesem  Deutschland  bringen 
wir  heute  unseren  Gruß.  Mit  stolzem  Bewußtsein  des  Vollbrachten  kann 
Deutschland  hier  den  Völkern  der  Erde  zurufen:  ,Kommt  her  und  seht!'  In 
diesen  Räumen  zeigt  sich  nur  das  treffliche  Produkt,  hier  weht  der  Geist  der 
Nation.  Nach  den  deutschen  Siegen  im  französischen  Kriege  sagte  man:  ,Das 
war  nicht  bloße  brutale  Kraft,  das  hat  der  deutsche  Schulmeister  getan !'  Das- 
selbe Wort  gilt  hier,  wenn  man  dem  deutschen  Schulmeistertum  die  deutsche 
Universität  zuzählt.  In  keinem  Lande  der  Welt  wird  soviel  wie  in  Deutschland 
die  Wissenschaft  um  ihrer  selbst  wegen,  das  ist,  um  der  Erkenntnis  wegen  ge- 
pflegt, und  doch  hat  sie  in  keinem  Lande  der  Welt  dem  praktischen  Schaffen 
größere  Dienste  getan.  Das  Beispiel  steht  vor  uns.  Was  ist  hier  nicht  alles  — 
von  dem  Nürnberger  Spielzeug  bis  zu  dem  riesigen  Ungeheuer  der  Kruppschen 
Kanone,  bis  zu  den  Wundern  der  Schmiedekunst  und  des  Berliner  und  Meißener 
Porzellans,  bis  zu  den  modernsten  Erzeugnissen  auf  dem  Gebiet  des  Maschinen- 
baus, des  Bergbaus,  des  Eisenbahnwesens,  der  Chemie,  der  elektrischen  Trieb- 
kraft und  des  elektrischen  Lichtes,  bis  zu  den  Herrlichkeiten  der  heutigen  Textil- 
industrie, bis  zu  den  glänzenden  Schöpfungen  der  Neuzeit  in  Malerei  und  Skulp- 
tur, von  den  einfachsten  Lettern  des  gewöhnlichen  Buchdrucks  bis  zu  dem  blen- 
dendsten Prachtwerk  in  Buchstaben  und  Bildern,  von  der  Handfibel  der  deut- 
schen Volksschule  bis  zu  dem  Apparat  höchster  Wissenschaft.  Alles  dies  und 
viel  mehr,  wie  es  auf  deutschem  Boden  gewachsen  ist,  das  Nützliche  und  Schöne 
vereint  in  einer  Mannigfaltigkeit,  Fülle  und  Pracht,  und  von  jener  Anmut  durch- 
webt, wie  sie  nur  einem  in  vielhundertjähriger  Geschichte  gebildeten  Kulturvolke 
eigen  sein  kann,  —  hier  ist  dies  alles,  so  erstaunlich  und  doch  so  unleugbar  und 
überzeugend,  daß  die  Kritik  ohne  Kampf  der  Bewunderung  weicht  und  selbst 
die  Mißgunst  und  Eifersucht  stumm  werden." 


—     604     — 

Ein  herrliches  Konzert,  ein  großartiges  Freiturnen  und  abends  eine  von 
blendendem  Feuerwerk  begleitete  allgemeine  Beleuchtung  des  ganzen  Welt- 
ausstellungsplatzes beendeten  den  ohne  Mißton  verlaufenen  „Deutschen  Tag", 
der  in  der  Geschichte  des  Deutschtums  der  Vereinigten  Staaten  einzig  dasteht. 

Einen  ähnlichen  erhebenden  Verlauf  nahm  die  Feier  des  deutschen  Tages 
auf  der  Weltausstellung  zu  St.  Louis.  Dort  kam  noch  ein  Germanistenkongreß 
hinzu,  an  dem  sich  hervorragende  Gelehrte  der  Alten  wie  der  Neuen  Welt  be- 
teiligten. 

Alle  diese  Ereignisse  trugen  mächtig  dazu  bei,  das  Einheitsgefühl  der 
Deutschamerikaner  zu  heben.  Und  diesem  Gefühl  entsprang  mit  dem  Anbruch 
des  20.  Jahrhunderts  der  „Deutschamerikanische  National- 
b  u  n  d",  dessen  Zwecke  und  Ziele  in  dem  folgenden  Abschnitt  unseres 
Werkes  geschildert  werden  sollen. 


Der  deutschamerikanische  Nationalbund. 

Der  Anbruch  des  20.-  Jahrhunderts  bedeutete  für  das  Deutschtum  der 
Vereinigten  Staaten  zugleich  den  Beginn  einer  neuen  verheißungsvollen  Zeit. 
In  Philadelphia,  der  alten  Hochburg  des  Deutschtums,  wurde  nämlich  zur  För- 
derung aller  würdigen  Interessen  desselben  der  „Deutschameri- 
kanische Nationalbund"  gegründet. 

Der  Gedanke,  das  bisher  nur  durch  die  lockeren  Bande  der  gemeinsamen 
Sprache  und  Erinnerungen  an  das  alte  Vaterland  zusammengehaltene  Deutsch- 
tum der  Vereinigten  Staaten  fester  zusammenzuschweißen,  damit  die  ihm  inne- 
wohnende gewaltige  Kraft  nachdrücklicher  als  bisher  zu  seinem  eignen  Besten 
wie  zum  Wohl  der  neuen  Heimat  verwertet  werden  könne,  war  nicht  neu.  Er 
bewegte  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  die  Herzen  und 
Köpfe  vieler  Deutschen,  denen  es  klar  wurde,  daß  weder  sie  selbst  noch  ihre 
früher  hierher  gekommenen  Landsleute  die  Anerkennung  fanden,  zu  welcher 
sie  wegen  ihrer  Bildung,  Strebsamkeit  und  unbestreitbaren  Verdienste  um  die 
kulturelle  Entwicklung  des  Landes  berechtigt  gewesen  wären. 


Kopfleiste:    Das  Gebäude  der  .Deutschen  Gesellschaft"  zu  Philadelphia,   die  Ge- 
burtsstätte des  Deutschamerikanischen  Nationalbundes. 


-     606     — 

Aber  die  in  den  Jahren  1837,  1838,  1839  und  1841  auf  Anregung  mehrerer 
patriotischer  Bürger  der  Stadt  Pittsburg  dort  abgehaltenen  Zusammenkünfte  von 
Abgeordneten  deutscher  Vereine  führten,  obwohl  manche  tüchtige  Männer  sich 
an  denselben  beteiligten,  zu  keinem  dauernden  Ergebnis.  Nicht  einmal  das 
unter  großen  Mühen  gegründete  deutsche  Lehrerseminar  zu  Phillipsburg  in 
Pennsylvanien  konnte  aufrechterhalten  werden,  da  es  sowohl  an  Mitteln  wie  an 
Schülern  gebrach. 

Es  fehlte  der  damaligen  Zeit  noch  das  erhebende  Bild  eines  geeinigten 
Deutschland;  es  fehlte  der  großen  Masse  des  Deutschamerikanertums  noch  die 
Erkenntnis,  daß,  um  wahrhaft  große  Dinge  zu  erringen,  ein  enger  Zusammen- 
schluß sowohl  der  Individuen  und  Berufsgenossen  wie  der  verwandten  Völker- 
stämme nötig  ist.  Jene  Erkenntnis  brach  sich  erst  Bahn,  seitdem  man  die  Eini- 
gung Deutschlands,  Italiens  und  der  australischen  Kolonien,  die  Gründung  der 
Zoll-  und  Münzverbände,  der  „Alliance  frangaise"  und  des  „Israelitischen  Bun- 
des", der  Verschmelzung  zahlloser  kleiner  (jeschäftsbetriebe  zu  ungemein  kapi- 
talkräftigen Körperschaften,  den  Zusammenschluß  sowohl  der  Industriellen  wie 
der  Arbeiter  zu  mächtigen  Verbänden  erlebte. 

Besonders  die  Verwirklichung  des  Einheitsgedankens  in  Deutschland  übte 
auf  die  deutschen  Bewohner  der  Vereinigten  Staaten  nachhaltige  Wirkung.  Die 
vorher  scharf  getrennten  Landsmannschaften  begannen  sich  mehr  und  mehr  zu 
vermischen.  Man  erinnerte  sich  dessen,  was  die  Deutschen  während  der  zwei 
Jahrhunderte  ihres  Verweilens  in  Amerika  geleistet  und  welche  Wunder  sie  durch 
ihren  Fleiß  und  ihre  Intelligenz  verrichtet  hatten.  Das  Jahr  1883  mit  seiner 
erhebenden  Gedächtnisfeier  zur  Erinnerung  an  die  Landung  der  deutschen 
Pilgerväter,  die  immer  weitere  Verbreitung  findende  Feier  des  „Deutschen 
Tages*'  vertieften  das  Einheitsgefühl.  Auch  fehlte  es  nicht  an  äußeren  Gründen, 
die  auf  einen  engeren  Zusammenschluß  hindrängten.  An  vielen  Orten  hatten 
deutsche  Vereine  berechtigte  Ursache,  sich  über  direkte  Eingriffe  in  ihr  Haus- 
recht zu  beklagen,  indem  man  ihnen  den  Genuß  geistiger  Getränke  in  den  eignen 
Hallen  verwehren  wollte.  An  anderen  Orten  bestrebten  sich  kurzsichtige  Nati- 
visten,  die  fernere  Einwandrung  zu  erschweren  und  sowohl  den  Turn-  wie  den 
deutschen  Sprachunterricht  aus  den  öffentlichen  Schulen  zu  verdrängen. 

Alle  diese  Ereignisse  sowie  das  Verlangen,  dem  Deutschtum  in  den  Ver- 
einigten Staaten  die  ihm  gebührende  Achtung  zu  sichern,  bestimmten  im  Juni  1900 
eine  Anzahl  Männer,  einen  „Deutschamerikanischen  Nationalbund"  zu  gründen. 

Die  erste  konstituierende  Versammlung  wurde  auf  den  „Deutschen  Tag'' 
des  folgenden  Jahres,  den  6.  Oktober  1901,  einberufen.  Als  dieser  Zeitpunkt 
kam,  versammelten  sich  in  der  festlich  geschmückten  Halle  der  ehrwürdigen, 
bereits  seit  dem  Jahre  1764  zu  Nutz  und  Frommen  deutscher  Einwandrer 
wirkenden  „Deutschen  Gesellschaft  von  Pennsylvanien"  zahlreiche,  aus  allen 
Teilen  der  Union  gekommene  Abgeordnete  größerer  deutscher  Vereinigungen. 
Da  waren  kernige  Gestalten,  die  den  fast  un vermischt  gebliebenen  Typus  der 
früheren   deutschen    Einwandrung   zeigten,    echte   Deutschpennsylvanier.      Da 


—     607     — 

waren  wackere  Männer  aus  dem  sonnigen  Maryland  und  dem  herrlichen  Vir- 
ginien,  aus  dem  Distrikt  Columbia,  aus  New  York,  New  Jersey,  Ohio  und  Mis- 
souri. Sogar  die  fern  entlegenen,  von  deutschen  Einwandrern  seit  langer  Zeit 
bevorzugten  Staaten  Wisconsin,  Minnesota,  Idaho  und  Kalifornien  hatten  Ab- 
geordnete entsendet.  Auch  der  Deutschamerikanische  Lehrerbund,  sowie  das 
Lehrerseminar  zu  Milwaukee  waren  durch  Mitglieder  vertreten. 

Nachdem  am  Abend  des  5.  Oktober  diese  Repräsentanten  des  Deutsch- 
amerikanertums  in  Gemeinschaft  mit  der  deutschen  Bevölkerung  Philadelphias 
den  „Deutschen  Tag"  gefeiert  hatten,  begannen  sie  am  6.  Oktober  ihr  Werk.  Nach 
längeren  Beratungen  einigten  sie  sich  über  folgende  Grundsätze: 

„Der  Bund  erstrebt  das  Einheitsgefühl  in  der  Bevölkerung  deutschen  Ur- 
sprungs in  Amerika  zu  wecken  und  zu  fördern,  zu  nützlicher,  gesunder  Ent- 
wicklung der,  wenn  zentralisiert,  ihr  innewohnenden  Macht,  zum  gemeinsamen 
energischen  Schutz  solcher  berechtigter  Wünsche  und  Interessen,  die  dem  Ge- 
meinwohle des  Landes  und  den  Rechten  und  Pflichten  guter  Bürger  nicht  zu- 
wider sind;  zur  Abwehr  nativistischer  Übergriffe;  zur  Pflege  und  Sicherung 
guter,  freundschaftlicher  Beziehungen  Amerikas  zu  dem  alten  deutschen  Vater- 
lande. Was  die  deutsche  Einwandrung  zur  Förderung  der  geistigen  und  wirt- 
schaftlichen Entwicklung  dieses  Landes  beigetragen  und  ferner  beizutragen  be- 
rufen ist,  wie  sie  allzeit  in  Freud  und  Leid  treu  zu  ihm  stand,  das  beweist  und 
lehrt  seine  Geschichte.  Der  Bund  fordert  deshalb  volle,  ehrliche  Anerkennung 
dieser  Verdienste  und  bekämpft  jedweden  Versuch  zur  Schmälerung  derselben. 
Allzeit  treu  dem  Adoptivvaterlande,  stets  bereit,  das  Flöchste  einzusetzen  für 
dessen  Wohlfahrt,  aufrichtig  und  selbstlos  in  der  Ausübung  der  Bürgerpflichten, 
den  Gesetzen  Untertan  —  bleibt  auch  ferner  die  Losung!  Er  beabsichtigt  keine 
Senderinteressen,  keine  Gründung  eines  Staates  im  Staate,  erblickt  aber  in  der 
Zentralisierung  der  Bevölkerung  deutschen  Ursprungs  den  kürzesten  Weg  und 
die  beste  Gewähr  für  die  Erreichung  seiner  in  dieser  Verfassung  klargelegten 
Ziele;  er  fordert  deshalb  alle  deutschen  Vereinigungen  auf  —  als  die  organi- 
sierten Vertreter  des  Deutschtums  —  für  seine  gesunde,  kräftige  Entwicklung 
mitzuwirken  und  befürwortet  deshalb  ferner  die  Bildung  von  Vereinigungen  zur 
Wahrung  der  Interessen  der  Deutschamerikaner  in  allen  Staaten  der  Union,  zu 
schließlicher  Zentralisierung  derselben  zu  einem  großen  Deutschamerikanischen 
Bunde,  und  macht  es  allen  deutschen  Vereinigungen  zur  Ehrenpflicht,  der  Or- 
ganisation in  ihrem  Staate  beizutreten.  Der  Bund  verpflichtet  sich,  mit  allen 
verfügbaren  gesetzlichen  Mitteln  unentwegt  und  jederzeit  einzutreten  für  die 
Erhaltung  und  Verbreitung  seiner  Prinzipien,  zu  ihrer  kräftigen  Verteidigung, 
wo  und  wann  immer  in  Gefahr;  er  stellt  zunächst  die  folgende  Plattform  auf: 

1.  Der  Bund  als  solcher  enthält  sich  der  Einmischung  in  die  Parteipolitik, 
jedoch  unbeschadet  des  Rechts  und  der  Pflicht  zur  Verteidigung  seiner  Grund- 
sätze auch  auf  dem  politischen  Gebiete,  sollten  dieselben  durch  politische  An- 
griffe oder  Maßregeln  behelligt  oder  gefährdet  werden. 

2.  Fragen  und  Sachen  der  Religion  sind  strengstens  ausgeschlossen. 


—     608     — 

3.  Er  empfiehlt  die  Einführung  des  Unterrichts  der  deutschen  Sprache  in 
öffentHchen  Schulen  auf  der  folgenden  breiten  Grundlage:  Neben  der  englischen 
bildet  die  deutsche  Zunge  die  Weltsprache;  in  den  entferntesten  Winkeln  der 
Erde,  wohin  die  Pioniere  der  Zivilisation,  des  Handels  und  Verkehrs  gedrungen, 
finden  wir  die  Völker  beider  Zungen  vertreten ;  wo  allgemeinere,  eigene  Kenntnis 
herrscht,  bildet  sich  leichter  selbständiges,  klares  und  vorurteilfreies  Verständnis 
und  fördert  so  wechselseitige,  freundschaftliche  Beziehungen. 

4.  Wir  leben  in  dem  Zeitalter  des  Fortschritts  und  der  Erfindungen ;  rasch 
ist  das  Tempo  dieser  Zeit,  unerbittlich  die  Ansprüche,  die  es  den  einzelnen 
stellt;  die  damit  verbundene  körperliche  Anspannung  steigert  die  Ansprüche  an 
die  körperliche  Kraft;  ein  gesunder  Geist  sollte  in  einem  gesunden  Körper 
wohnen!  Auf  dieser  Grundlage  erstrebt  der  Bund  die  Einführung  eines  syste- 
matischen und  zweckdienlichen  Turnunterrichts  in  den  öffentlichen  Schulen. 

5.  Er  erklärt  sich  ferner  für  die  Befreiung  der  Schule  von  der  Politik, 
denn  nur  ein  von  politischen  Einflüssen  freies  Erziehungswesen  kann  dem 
Volke  wahre  Lehranstalten  bieten. 

6.  Er  fordert  alle  Deutschen  auf,  das  Bürgerrecht  zu  erwerben,  sobald  sie 
gesetzlich  dazu  berechtigt,  sich  rege  am  öffentlichen  Leben  zu  beteiligen  und 
ihre  Bürgerpflicht  an  der  Wahlurne  furchtlos  und  nach  eigenem  Ermessen 
auszuüben. 

7.  Er  empfiehlt  eine  liberale,  zeitgemäße  Mandhabung  oder  die  Tilgung 
solcher  Gesetze,  welche  die  Erwerbung  des  Bürgerrechts  unnütz  erschweren 
und  häufig  ganz  verhindern.  Guter  Ruf,  unbescholtener,  rechtschaffener  Lebens- 
wandel, Gesetzesliebe  sollten  entscheiden,  nicht  aber  die  Beantwortung  oder 
Nichtbeantwortung  beliebig  herausgegriffener,  den  Ansuchenden  leicht  ver- 
wirrender, politischer  oder  geschichtlicher  Fragen. 

8.  Er  nimmt  Stellung  gegen  jedwede  Beschränkung  der  Einwandrung 
gesunder  Menschen  aus  Europa,  mit  Ausschluß  überführter  Verbrecher  und 
Anarchisten. 

9.  Er  befürwortet  die  Löschung  solcher  veralteter,  dem  Zeitgeist  nicht 
länger  entsprechender  Gesetze,  welche  den  freien  Verkehr  hemmen  und  die 
persönliche  Freiheit  des  Bürgers  beschränken. 

10.  Er  empfiehlt  die  Gründung  von  Fortbildungsvereinen  als  Pflege- 
stätten der  deutschen  Sprache  und  Literatur,  zur  Weiterbildung  Lernbegieriger, 
Abhaltung  von  Vorlesungen  über  Kunst  und  Wissenschaft  und  Fragen  von  all- 
gemeinem Interesse. 

11.  Er  empfiehlt  eine  systematische  Forschung  der  deutschen  Mithilfe 
an  der  Entwicklung  des  Adoptivvaterlandes  in  Krieg  und  Frieden  auf  allen 
Gebieten  deatschamerikanischen  Wirkens,  von  den  frühesten  Tagen  an,  zur 
Gründung  und  Weiterführung  einer  deutschamerikanischen  Geschichte. 

12.  Er  behält  sich  das  Recht  vor,  diese  Plattform  zu  erweitern  oder  zu 
ergänzen,  wenn  neue  Ereignisse  im  Rahmen  seiner  Zeit  und  Zwecke  es  wün- 
schenswert oder  erforderlich  machen.'* 


609 


Der  Nationalbund  hatte  das  Glück,  in  Dr.  Charles  John  Hex- 
amer,  dem  im  Jahre  1862  zu  Philadelphia  geborenen  Sohn  eines  „Achtund- 
vierzigers", einen  ebenso  begeisterten  wie  klarblickenden,  zielbewußten  und  zäh 
ausdauernden  Führer  zu  finden,  der  die  große  Bewegung  in  das  richtige  Fahr- 
wasser zu  leiten  und  in  demselben  zu  erhalten  verstand. 

Im  September  1903 
fand  in  Baltimore  der 
zweite,  im  Oktober 
1905  in  Indianapolis 
der  dritte,  im  Oktober 
1907  in  New  York  der 
vierte  und  im  Oktober 
1909  in  Cincinnati  der 
fünfte  Konvent  des 
Deutschamerikanischen 
Nationalbundes  statt 
Aus  den  dort  verlesenen 
Berichten  ergab  sich 
die  erfreuliche  Tat- 
sache, daß  der  Eini- 
gungsgedanke im 
Deutschtum  der  gan- 
zen Union  Wurzel  ge- 
schlagen  hat. 

Im  Jahre  1909  er- 
streckte sich  der  Bund 
bereits  über  42  Staaten. 
Die  Mitgliederzahl  der 
ihm  angehörigen  Vei- 
einigungen  belief  sich 
auf  D4  bis  2  Mil- 
lionen. 

Die  Konvente  zu 
Baltimore,  Indianapolis  und  New^  York  bildeten  in  ihrem  Verlauf  würdige 
Fortsetzungen  des  ersten,  und  es  konnte  ein  um  so  größeres  Pensum  be- 
wältigt werden,  als  während  der  vergangenen  Jahre  die  Ansichten  über  die 
anzustrebenden  Ziele  und  einzuschlagenden  Wege  klarer,  bestimmter  ge- 
worden waren.  Obenan  unter  den  zahlreichen  Beschlüssen,  die  zur  Annahme 
gelangten,  stand  eine  politische  Unabhängigkeitserklärung,  die  den  Krebs- 
schaden des  politischen  Lebens  Amerikas,  die  Ämterjägerei,  aufs  nachdrücklichste 
verurteilt  und  es  allen  Bürgern  und  Parteien  ans  Herz  legt,  dahin  zu  wirken,  daß 
bei  den  Wahlen  nicht  wie  bisher  Beeinflussungen  durch  Geld  und  Versprech- 


Dr.  Charles  John  Hexamer. 


Gronau,   Deutsches   Leben   in   Amerika. 


39 


—     610     — 

ungen,  sondern  wirkliche  Befähigung  und  ehrliches  Wollen  den  Ausschlag 
geben  sollen.  Das  Stimmrecht  sei  das  höchste  Recht  des  Bürgers  und  müsse 
unverfälscht  zum  Ausdruck  gelangen.  Es  sei  daher  die  Pflicht  der  Behörden, 
darüber  zu  wachen,  daß  das  System  der  Beeinflussung  durch  Begünstigungen 
irgendwelcher  Art  aufhöre  und  bestraft  werde.  Die  Ämterjägerei  müsse  einer 
Gleichberechtigung  aller  guten  Bürger,  Ämter  zu  bekleiden  oder  in  die  Ge- 
meinde-  und  gesetzgebenden  Körperschaften  gewählt  zu  werden,  Platz  machen. 
Dieses  Ziel  zu  erreichen,  sollten  alle  politischen  Parteien  behilflich  sein,  denn 
nichts  sei  ehrender  für  eine  solche,  als  wenn  sie  den  Willen  des  Volkes  in  der 
lautersten  Weise  zum  Ausdruck  bringe.  Sollten  die  Parteien  es  unterlassen 
oder  sich  weigern,  dies  zu  tun,  so  sei  es  Pflicht  jedes  Deutschamerikaners,  sich 
von  seiner  Partei  loszusagen. 

Um  jeden  Verdacht  zu  ersticken,  daß  der  Nationalbund  jemals  eine  selbst- 
süchtige Politik,  etwa  im  Interesse  seiner  eigenen  Mitglieder,  ausüben  werde, 
wurde  ferner  beschlossen,  daß  kein  Beamter  des  Nationalbundes  oder  eines 
Zweiges  desselben  sich  um  ein  wählbares  öffentliches  Amt  bewerben  darf.  Be- 
absichtigt er  dies  zu  tun,  so  muß  er  seinen  Ehrenposten  zuvor  niederlegen. 

Bekundete  so  der  Bund  seinen  Entschluß,  in  durchaus  neutraler  Weise 
zum  besten  des  ganzen  Landes  wirken  zu  wollen,  so  bekräftigte  er  dies  durch 
Annahme  des  Antrags,  auch  Frauenvereinigungen  aufzunehmen,  da  die  Frau 
und  Mutter  von  überaus  wichtigem  Einfluß  auf  die  Heranbildung  der  Jugend  sei. 

Es  wurde  ferner  beschlossen,  für  Franz  Pastorius  und  die  Gründer  von 
Germantown  ein  würdiges  Denkmal  zu  errichten,  das  deutschamerikanische 
Lehrerseminar  sowie  das  an  der  Harvard-Universität  gegründete  Germanische 
Museum  zu  unterstützen  und  alle  Maßnahmen  zum  Schutz  und  zur  Erhaltung 
der  natürlichen  Hilfsmittel  Amerikas,  insbesondere  seiner  Wälder,  zu  fördern. 

Aus  alledem  ist  ersichtlich,  daß  das  Programm  des  „Deutschamerikani- 
schen Nationalbundes''  ein  großes  ist.  Im  Ausführen  desselben  hat  der  Bund 
trotz  seiner  Jugend,  trotz  mancher  Hindernisse  schon  vieles  erreicht.  Und  diese 
Erfolge  werden  sich  steigern,  je  mehr  man  auch  in  solchen  Kreisen,  die  anfäng- 
lich hinter  den  Zielen  des  Bundes  „deutschpolitische  Bestrebungen"  witterten, 
erkennen  lernt,  daß  es  amerikanischer  Patrioten  würdig  ist,  das  Selbstvertrauen 
der  Deutschen  Amerikas  zu  wecken,  um  all  das  Schöne,  Edle,  Gute  und  Große, 
das  im  deutschen  Volkscharakter  enthalten  ist,  der  erst  im  Werden  begriffenen 
amerikanischen  Nation  einzuimpfen. 


Wir  sind  mit  unserer  Geschichte  des  Deutschtums  in  den  Vereinigten 
Staaten  zu  Ende.  Wo  immer  wir  die  Blätter  dieser  Geschichte  aufschlagen, 
strahlt  uns  stiller,  erwärmender  Glanz  entgegen.  Zur  Ehre  des  Deutschameri- 
kanertums  darf  es  betont  werden,  daß  diese  Geschichte  nirgendwo 


—    611     — 

ein  Blatt  enthält,  dessen  es  sich  schämen  müßte,  das  ihm 
zur   Unzierde   gereicht. 

Und  deshalb  darf  sie  von  allen  Deutschamerikanern  als  ihr  wert- 
vollstes Besitztum,  als  die  kostbarste  Hinterlassen- 
schaft ihrer  Väter  betrachtet  werden,  als  ein  Dokument, 
auf  welches  sie  sich  allezeit  wie  auf  ihren  Bürgerbrief 
beruf  en  kön  n  en.  Sie  ist  ihr  Ehrenschild,  wenn  selbstsüchtiger  Nativis- 
mus  versuchen  will,  den  Deutschen  das  Recht  auf  den  Mitbesitz  Amerikas  streitig 
zu  machen.  Mit  nichts  können  derartige  Angriffe  so  nachdrücklich  abgeführt 
werden,  als  mit  den  Worten :  „Blickt  hin  auf  unsere  Vergangenheit  und  beurteilt 
offen  und  ehrhch,  ob  wir  Deutschamerikaner  nicht  ebensoviel  und  ebenso  Wert- 
volles zur  Entwicklung  der  Union  beitrugen  und  beitragen,  wie  irgendein 
Volksstamm,  der  an  ihrem  Aufbau  beteiligt  ist!^' 

Aus  seiner  glorreichen  Geschichte  soll  das  Deutscham erikanertum  aber 
auch  selber  Lehren  ziehen.  Es  muß  sich  bewußt  sein,  daß  auch  auf  diese  Ge- 
schichte das  Dichterwort  Anwendung  hat:  „Was  du  ererbt  von  deinen  Vätern 
hast,  erwirb  es,  um  es  zu  besitzen !" 

Die  gegenwärtigen  wie  die  kommenden  Geschlechter  müssen  sich  ihrer 
Väter  wert  erweisen,  indem  sie  fortfahren,  durch  ehrliche  Arbeit  und  unermüd- 
lichen Fleiß  ihr  volles  Anrecht  auf  den  von  ihren  Vorfahren  überkommenen 
Boden  täglich  neu  zu  verdienen.  Sie  müssen  sich  der  Tatsache  bewußt  bleiben, 
daß  sie  ihre  Pflicht  der  Union  gegenüber  am  treuesten  erfüllen,  wenn  sie  das 
hochhalten,  was  ihre  Väter  auszeichnete:  Ehrenhaftigkeit,  Beständigkeit,  echtes 
Familienleben  und  einen  empfänglichen  Sinn  für  alles  Gute  und  Schöne.  An 
ihrer  eigenen  Veredelung  arbeitend,  müssen  sie  die  besten  Züge  des  deutschen 
Charakters  der  in  den  Vereinigten  Staaten  entstehenden  neuen  Nation  einzuver- 
leiben suchen,  damit  dieselbe  befähigt  werde,  die  hohe  Aufgabe  zu  erfüllen, 
zu  der  sie  berufen  ist. 

Das  Amerikanertum  der  Zukunft  wird  nicht,  wie  manche  die  Welt  glauben 
machen  möchten,  ein  Zweig  des  englischen  Volkes  sein,  sondern  eine  aus  Be- 
standteilen aller  Völker  hervorgegangene  neue  Nation, 
wie  sie  eigenartiger  die  Welt  bisher  nie  gesehen  hat.  Wir 
befinden  uns  mitten  innerhalb  dieses  Verschmelzungsprozesses,  dessen  Ende 
noch  gar  nicht  abzusehen  ist.  Was  das  schließliche  Ergebnis  dieser  in 
gleicher  Großartigkeit  noch  nicht  erlebten  Völker-  und  Rassenmischung  sein  und 
wodurch  der  Nationalcharakter  des  amerikanischen  Volkes  sich  einst  kenn- 
zeichnen wird,  wenn  er  seine  bestimmtere  Ausprägung  erhalten  hat,  kann  man 
wohl  ahnen,  aber  nicht  mit  Sicherheit  voraussagen.  Das  Amerikanertum  der 
Zukunft  wird  einen  neuen  Menschenschlag  darstellen,  dessen  Bestimmung  es 
ist,  die  von  der  Alten  Welt  übernommene  Kultur  auf  dem  Boden  der  Neuen 
Welt  in  großartiger  und  eigentümlicher  Weise  weiter  zu  entwickeln,  was  wieder- 
um nicht  ohne  die  segensreichste  Rückwirkung  auf  die  Kultur  der  Alten  Welt,  der 
ganzen  Menschheit  bleiben  kann. 

39* 


—    612     — 

Keinem  Volke  war  es  bisher  vergönnt,  an  die  Erfüllung  seiner  Mission 
unter  so  günstigen  Verhältnissen  heranzutreten,  wie  den  Amerikanern.  Über 
einen  mit  schier  unerschöpflichen  Reichtümern  ausgestatteten  ungeheuren  Tum- 
melplatz gebietend,  nicht  bedroht  von  feindlichen  Nachbarn,  frei  von  beengen- 
den Traditionen,  nicht  der  Willkür  eines  Monarchen  oder  der  Soldatenherr- 
schaft Untertan,  kann  und  sollte  dies  Land  zu  einem  Hort  geistiger  und  körper- 
licher Freiheit,  zu  einer  Heimstätte  edler  Menschlichkeit  werden,  zu  dem  die 
Völker  der  ganzen  Erde  allezeit  mit  der  gleichen  Hoffnungsfreudigkeit  empor- 
blicken, wie  in  den  Tagen  George  Washingtons,  als  die  hier  aufgehende  Sonne 
der  Freiheit  die  Welt  mit  ihrem  Glänze  erhellte. 

Will  Amerika  diese  große  Bestimmung  erfüllen,  so  kann  es  die  idealen 
Züge  des  deutschen  Charakters  nicht  entbehren.  Je  inniger  und  nachhaltiger 
dieselben  das  Amerikanertum  durchdringen  und  sich  mit  demselben  vermählen, 
um  so  bestimmter  wird  das  letztere  seiner  Sendung  gerecht  werden  können.  Und 
deshalb  ist  es  für  die  Deutschamerikaner  eine  Pflicht,  festzuhalten  an  allem,  was 
am  deutschen  Volke  gut  und  lobenswert  ist.  Zugleich  aber  sollen  sie  auch  das- 
jenige in  sich  aufnehmen,  was  am  Anglo-Amerikanertum  groß  und  bewunderns- 
wert erscheint.  Bewahren  sie  so,  was  sie  besitzen  und  nehmen  an,  was  andere 
ziert,  so  arbeiten  sie  nicht  bloß  an  der  eigenen  Veredelung,  sondern  vererben 
auf  ihre  Nachkommen  diejenigen  Eigenschaften,  die  den  Erfolg  ihrer  Sendung 
gewährleisten. 


Die  Quellen  zur  Geschichte  des  deutschen 
Elements  in  den  Vereinigten  Staaten. 

Um  Freunden  der  deutschamerikanischen  Geschichte,  welche  diesen  oder 
jenen  Abschnitt  derselben  tiefer  zu  ergründen  wünschen,  die  Quellen  zum 
Weiterforschen  nachzuweisen,  sind 
hier  die  wichtigsten  jener  Werke 
aufgezählt,  die  beim  Abfassen  der 
vorliegenden  Geschichte  zu  Rate 
gezogen  wurden.  Selbstverständ- 
lich erhebt  die  Liste  keinen  An- 
spruch auf  Vollständigkeit.  Die  in 
neuester  Zeit  von  verschiedenen 
Seiten  gemachten  Versuche,  Ver- 
zeichnisse solcher  Werke  zusam- 
menzustellen, welche  die  Ge- 
schichte des  deutschen  Elements 
in  den  Vereinigten  Staaten  betrei- 
fen, förderten  eine  erstaunlich  große 
Zahl  von  Titeln  zutage.  Im  Jahre 
1904  ließ  A.  P.  Griff  in  die- 
jenigen der  in  der  Kongreßbiblio- 
thek zu  Washington  vorhandenen 
einschlägigen  Werke  drucken  und 
zwar  unter  dem 
Titel:  „A  list  of 
works  relating  to 
the  Germans  in  the 
United  States;  Wa- 
shington, 1904."  Sie 
wird  dem  Forscher 
stets  ein  guter  Weg- 
weiser sein. 

Eine  umfassende  Bibliographie  von  Deutsch-Amerikana  hat  Richard 
E.  H  e  1  b  i  g  ,  Hilfsbibliothekar  der  Stadtbibliothek  von  New  York,  in  Bearbei- 
tung.    Dieselbe  soll  die  Titel  aller  das  deutsche  Element  in  den  Vereinigten 


Die  Freiheitsstatue  im  Hafen  von  New  York. 


—    614     — 

Staaten  betreffenden  Werke,  ferner  die  Titel  aller  von  deutschamerikanischen 
Schriftstellern  in  deutscher  oder  englischer  Sprache  veröffentlichten  Bücher, 
außerdem  die  Titel  deutscher  Werke  über  die  Vereinigten  Staaten  und  alles 
über  die  verschiedenen  Wechselbeziehungen  zwischen  diesen  und  Deutschland 
enthalten.  Bis  zum  Herbst  190Q  hatte  Heibig  bereits  über  10  000  Titel  solcher 
Bücher  und  Einzelaufsätze  zusammengebracht. 

Allg-emeine  Werke  zur  Geschichte  des  Deutschtums  in  den  Ver- 
einigten Staaten.  Der  erste  Versuch  zu  einer  Gesamtdarstellung  der  Ge- 
schichte des  deutschen  Elements  in  den  Vereinigten  Staaten  wurde  bereits  in 
der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  von  Franz  Löher  unternommen. 
•Beim  Fehlen  fast  aller  Quellenwerke  in  damaliger  Zeit  kann  es  nicht  überraschen, 
daß  seine  „Geschichte  und  Zustände  der  Deutschen  in  Amerika"  (Cincinnati 
und  Leipzig  1847)  klaffende  Lücken  enthält.  Ist  der  historische  Teil  des  Buches 
demnach  unvollkommen  und  längst  veraltet,  so  werden  aber  Löhers  Aufzeich- 
nungen über  die  damalige  Stellung  der  Deutschen  in  den  Vereinigten  Staaten 
stets  von  großem  Wert  bleiben. 

Anton  Eickhoffs  Buch:  „In  der  neuen  Heimat'',  New  York  1884, 
kann  nur  als  eine  Aneinanderreihung  geschichtlicher,  von  verschiedenen  Ur- 
hebern stammenden,  nach  Staaten  geordneter  Mitteilungen  über  die  deutschen 
Einwandrer  gelten.  Sein  wertvollster  Bestandteil  ist  zweifellos  die  den  Anhang 
bildende  Geschichte  der  „Deutschen  Gesellschaft  zu  New  York". 

Julius  Göbels  Schriftchen  „Das  Deutschtum  in  den  Vereinigten 
Staaten",  München  1904,  soll  den  in  Deutschland  Lebenden  einen  kurzen  Ab- 
riß der  Geschichte  ihrer  Stammesgenossen  in  den  Vereinigten  Staaten  geben. 
Es  erfüllt  diesen  Zweck  in  vortrefflicher  Weise,  wenn  auch  die  scharfen  Urteile 
des  Verfassers  über  manche  Vorgänge,  Zustände  und  Personen  keineswegs  als 
gerecht  und  auf  gründlichen  Studien  beruhend  gelten  können. 

Unter  den  Zeitschriften,  welche  sich  die  Aufgabe  stellten,  Material  zur 
Geschichte  der  Deutschen  in  Amerika  zu  sammeln,  ist  in  erster  Linie  „Der 
Deutsche  Pionier"  zu  nennen,  welcher  in  den  Jahren  1869  bis  1887  in  Cincinnati 
unter  der  Redaktion  von  G.  Brühl,  E.  H.  Mack,  K.  Rümelin, 
K.  Knortz,  H.  A.  Ratter  mann  und  H.  H  e  n  s  e  1  herausgegeben  wurde. 
Ihm  folgte  das  gleichfalls  von  Rattermann  geleitete  „Deutschamerikanische  Ma- 
gazin", welches  aber  auf  nur  einen  Jahrgang,  1886  bis  1887,  beschränkt  blieb. 
Ein  ähnliches  Sammelwerk  wurde  im  Jahre  1901  von  der  „Deutschen  histo- 
rischen Gesellschaft  von  Illinois"  unter  dem  Titel  „Deutschamerikanische  Ge- 
schichtsblätter" begründet  und  vonEmilMannhardtin  Chicago  redigiert. 

In  Philadelphia  veröffentlichte  Professor  M.  D.  Learned  von  1897  bis 
1902  die  „American-Germanica",  welche  in  dem  letztgenannten  Jahre  den  Titel 
„German-American  Annais"  annahmen  und  zugleich  das  Organ  des  „Deutsch- 
amerikanischen Nationalbundes"  sowie  der  von  demselben  gegründeten 
„Deutschamerikanischen  historischen  Gesellschaft"  wurden. 

Alle  diese  Sammelwerke  zeichnen  sich  durch  eine  Fülle  wertvoller  Auf- 


—    615     — 

Sätze  aus.  Zu  ihnen  gesellen  sich  die  von  mehreren  historischen  Gesellschaften 
veröffentlichten  Monographien  und  Jahresberichte.  Unter  ihnen  stehen  die 
seit  1891  in  Lancaster,  Pennsylvanien,  erscheinenden  „Proceedings  and  addresses 
of  the  Pennsylvania  German  Society"  wegen  ihrer  gediegenen  Darstellungen 
sowie  reichen  bildlichen  Ausstattung  obenan.  Für  den  regen  historischen  Sinn 
der  deutschen  Bevölkerung  Pennsylvaniens  spricht  ferner  das  Bestehen  der  seit 
dem  Jahre  1899  zu  Lebanon,  Pennsylvanien  erscheinenden  Monatsschrift  „The 
Pennsylvania  German",  welche  gleichfalls  viel  geschichtliches  Material  ver- 
öffentlicht. 

In  Baltimore  hat  die  im  Jahre  1886  gegründete  „Society  for  the  History 
of  the  Gemians  in  Maryland"  ihren  Sitz.  In  Washington  und  Chicago  traten 
in  neuerer  Zeit  gleichfalls  historische  Gesellschaften  ins  Leben,  welche  sich  die 
Erforschung  der  deutschamerilcanischen  Geschichte  angelegen  sein  lassen. 

Zu  wünschen  wäre,  daß  diese  Vorbilder  auch  in  allen  anderen  Staaten 
der  Union  Nachahmung  fänden,  damit  das  vorhandene  geschichtliche  Material 
gesammelt  und  der  Forschung  zugängig  gemacht  wurde. 

Die  ersten  in  Deutsehland  g-edruckten  Flug-blätter  über  Amerika 
sind  in  folgenden  Werlcen  aufgeführt:  H.  Harrisse:  „Bibliotheca  Americana 
vetustissima.  Description  of  works  relating  to  America,  publ.  between  1492 
and  1551,"  New  York  1860  bis  1872.  —  J.  F.  Sachse:  „The  Fatherland; 
showing  the  part  it  bore  in  the  discovery,  exploration  and  development  of  the 
western  continent."  Philadelphia  1897.  —  Rudolf  Cronau's  „Amerika, 
die  Geschichte  seiner  Entdeckung",  Leipzig  1892,  enthält  im  1.  Bande,  Seite 
350  bis  357  eine  Darlegung  über  Waldseemüller  und  die  Benennung  der 
Neuen  Welt. 

Die  deutsehen  Gouverneure  von  Neu-Nlederland  und  Neu  Schweden. 
Nachrichten  über  Peter  Minnewit  finden  sich  in  Friedrich  Kapp's:  „Die 
Deutschen  im  Staate  New  York",  New  York  1868.  —  Eine  ältere  Abhandlung 
ist  in  den  „Proceedings  der  New  York  Historical  Society"  vom  Jahre  1849 
enthalten.  —  Die  „Historical  Society  of  Delaware"  veröffenüichte  im  Jahre  1881 
in  Wilmington  Delaware  eine  Arbeit  von  J.  Mickley:  „Some  accounts  of 
Wm.  Usselinx  and  Peter  Minuit."  —  Femer  erschien  in  Delaware  ein  Bericht 
über  „Memorial  Services  in  honor  of  Peter  Minnewit,  celebrated  by  the  General 
Assembly  of  Delaware  1895."  —  Über  die  Quellen  zur  Geschichte  der  deutschen 
Gouverneure  von  Neu-Schweden  finden  sich  die  erforderlichen  Angaben  in  dem 
die  Kolonien  Neu-Schweden  behandelnden  Abschnitt  des  IV.  Bandes  der  von 
J.  W  i  n  s  o  r  herausgegebenen  „Narrative  and  critical  History  of  America."  — 
Von  großem  Wert  sind  femer  J.  A  c  r  e  1  i  u  s :  „History  of  New  Sweden ;  vol.  XI 
of  the  Memoirs  of  the  Historical  Society  of  Pennsylvania",  Philadelphia  1874.  — 
Gh.  D.  E  b  e  1  i  n  g:  „Erdbeschreibung  und  Geschichte  von  Amerika",  Hamburg 
1799,  vol.  V. 

Jakob  Leisler.  Die  wichtigsten  Quellen  für  die  Geschichte  des  un- 
glücklichen Gouverneurs  Jakob  Leisler  sind  die  vom  Staat  New  York  ver- 


—     616     — 

öffentlichten  großartigen  Urkunden  Sammlungen :  „Documents  relative  to  the 
Colonial  History  of  the  State  of  New  York,  procured  in  Holland,  England  and 
France,  collected  by  J.  R.  Broadhead",  Albany  1856  bis  1861;  und  „The 
documentary  history  of  the  State  of  New  York,  collected  by  E.  B.  O  '  C  a  1  - 
laghan,"  Albany  1849  bis  1852.  Hauptsächhch  auf  Grund  dieser  Samm- 
lungen bearbeitete  Friedrich  Kapp  den  seiner  „Geschichte  der  Deutschen  im 
Staate  New  York"  einverleibten  Abschnitt  über  Jakob  Leisler.  —  Außerdem 
enthalten  die  „New  York  Historical  Society  Collections"  wertvolle,  von  Kapp 
nicht  benützte  Dokumente. 

Aug-ust  Heprman  und  Johann  Ledeper.  Die  Geschichte  des  Landver- 
messers Augustin  Herrman  ist  in  den  Jahresberichten  der  „Society  for  the 
History  of  the  Germans  in  Maryland'^  niedergelegt.  Den  spärlichen 
Nachrichten  über  Johann  Lederer  konnte  neuerdings  Gh.  Strack  einige 
neue  hinzufügen,  die  in  den  Berichten  der  „Deutschen  historischen  Gesell- 
schaft für  den  Distrikt  Columbia",  Washington  D.  C.  1906  zum  Abdruck 
gelangten. 

Die  deutschen  Sektennlederlassung-en.  Die  Geschichte  der  in  Penn- 
sylvanien  eingewanderten  deutschen  Sektierer  wurde  in  musterhafter  Weise  er- 
forscht. In  höchst  anziehender  Form  schilderte  Oswald  Seidensticker 
die  Ankunft  der  Krefelder  Mennoniten  und  die  Gründung  Germantowns  sowohl 
im  „Deutschen  Pionier"  wie  in  dem  Werkchen  „Bilder  aus  der  deutschpenn- 
sylvanischen  Geschichte",  New  York  1885.  Den  gleichen  Stoff  behandelten 
S.  Pennypacker  in  dem  Buch  „The  Settlement  of  Germantown"  Phila- 
delphia 1880,  und  J  eilet  in  „Germantown,  its  founders  and  what  we  owe 
them".  Ferner  erschienen  die  Bücher:  D.  K.  Gas  sei:  „Geschichte  der 
Mennoniten",  Philadelphia  1890.  —  F.  Sachse:  „Letters  relating  to  the 
settlement  of  Germantown"  Philiadelphia  1903.  —  Ein  höchst  verdienstvolles 
Werk  ist  ferner  Marion  D.  Learneds  Buch  „The  Life  of  Francis  Daniel 
Pastorius",  Philadelphia  1908. 

Über  die  Labadisten  besitzen  wir  die  von  B.  J.  Bartlett  geschrie- 
bene Abhandlung  „The  Labadist  Colony  in  Maryland",  No.  6  of  Series  of 
John  Hopkins  University  Studies,  Baltimore  1899.  Ferner  finden  sich  wertvolle 
Angaben  in  den  „Annual  Reports  of  the  Society  for  the  History  of  the  Germans 
in  Maryland",  vol.  III.,  5.  V.  76;  desgleichen  in  den  „Memoirs  of  the  Long  Is- 
land Historical  Society"  vol.  I.;  endlich  in  Johnstons:  „History  of  Cecil 
County  in  Maryland"  sowie  in  den  von  M  c  M  a  h  o  n  und  Scharf  verfaßten 
„Histories  of  Maryland".  —  Den  Mystikern  oder  Rosenkreuzern,  die  sich 
mit  Kelpius  am  Wissahickon  niederließen,  widmete  Julius  Sachse  die 
vorzügliche  Monographie:  „The  German  Pietists  of  Provincial  Pennsylvania", 
Philadelphia  1895.  —  Desgleichen  schildert  Oswald  Seidensticker  ihr 
Leben  und  Treiben  in  seinen  bereits  genannten  „Bildern  aus  der  deutsch- 
pennsylvanischen  Geschichte".  —  Dasselbe  Werk  enthält  eine  Geschichte  des 
Klosters  Ephrata,   dessen  Insassen  übrigens  in  dem  umfangreichen  „Chronicon 


—     617     — 

Ephratense",  Ephrata  1786,  die  Hauptquelle  zur  Beurteilung  ihres  Schaffens 
lieferten.  —  Neuerdings  wurde  die  Geschichte  des  Klosters  Ephrata  von 
Julius  Sachse  behandelt  in :  „The  German  sectarians  of  Pennsylvania,  a 
critical  and  legendary  history  of  the  Ephrata  cloister  and  the  Dunkards",  Phila- 
delphia 1899—1900.  —  Über  die  „Tunker"  oder  „Deutschen  Baptisten" 
schrieb  Falkenstein  die  Abhandlung  „The  German  Baptist  Brethren  or 
Dunkers'*,  in  „Proceedings  of  the  Pennsylvanian  German  Society",  vol.  10; 
femer  Moritz  Busch  in  seinen  „Wanderungen  zwischen  Hudson  und  Mis- 
sissippi", Band  1,  S.  126;  desgleichen  Lloyd  in  dem  Aufsatz:  „Among  the 
Dunkers",  „Scribners  Magazine",  Nov.  1901.  —  Über  die  Geschichte  und  die 
Zustände  der  Schwenkfeldep  unterrichteten  folgende  Werke:  „Erläuterung  für 
Herrn  Caspar  Schwenkfeld  und  die  Zugethanen  seiner  Lehre",  Summytown, 
Pa.  1830.  —  „Kaspar  von  Schwenkfeld  und  die  Schwenkfelder",  Lauban  1860. 
—  Berclay:  „Religious  Societies  of  the  Commonwealth",  London  1876.  — 
C.  Heydrich:  „Genealogical  Record  of  the  Descendants  of  the  Schwenk- 
felders",  Manayunk,  Pa.,  1879.  —  H.  M.  Jenkins:  „The  Schwenkfelders" 
in  „Friends  Quarterly  Examiner",  London  1896.  —  Prof.  Ch.  D.  Hartranft 
veröffentlichte  im  Jahre  1906  den  Prospectus  eines  auf  16  Bände  berechneten 
Monumentalwerkes  „Corpus  Schwenkfeldianorum",  welches  sämtliche  Schriften 
Schwenkfelds  sowie  eine  umfassende  Geschichte  seiner  Sekte  enthalten  soll.  — 
Die  Geschicke  der  Salzburg-er  in  Georgia  sind  beschrieben  in  einem:  „Extract 
of  the  Journals  of  Mr.  Commissary  Von  Reck,  who  conducted  the  first  trans- 
port  of  Salzburgers  to  Georgia",  London  1734.  —  Über  die  späteren  Schick- 
sale der  Salzburger  unterrichten  vor  allen  folgende  Werke :  Samuel  Urls- 
pergers: 1.  „AusführHche  Nachrichten  von  den  Saltzburgischen  Emigranten, 
die  sich  in  Amerika  niedergelassen  haben:  Von  dem  Transport  derselben,  die 
Reise-Diaria  des  k.  Großbrit.  Commissarii  und  der  beiden  Saltzburg.  Prediger, 
wie  auch  eine  Beschreibung  von  Georgien,  etc."  Halle  1738 — 1752.  —  2.  „Zu- 
verlässiges Sendschreiben  von  den  geist-  und  leiblichen  Umständen  der  Saltz- 
burgischen Emigranten,  die  sich  in  America  niedergelassen  haben,  bis  den  Isten 
Sept.  1735  u.  von  den  Predigern  in  Eben  Ezer  etc.  nach  Teutschland  über- 
schrieben worden."  Halle  1736.  —  3.  „Americanisches  Ackerwerk  Gottes,  oder 
zuverlässige  Nachrichten,  den  Zustand  der  americanisch  englischen  und  von  salz- 
burgischen Emigranten  erbauten  Pflanzstadt  Ebenezer  in  Georgien  betreffend, 
aus  dorther  eingeschickten  glaubwürdigen  Diarien  genommen  und  mit  Briefen 
der  dasigen  Prediger  noch  weiter  bestätigt",  Augsburg  1754 — 1760.  —  Diesen 
Darstellungen  schließen  sich  an  A.  S  t  r  o  b  e  1 :  „The  Salzburgers  and  their 
descendants",  Baltimore  1856;  sowie  J.  Hursts:  „The  Salzburger  Exiles  in 
Georgia",  „Harpers  Monthly  Magazine",  vol.  85,  p.  392.  —  Gleich  den  Kloster- 
brüdern zu  Ephrata  sorgten  auch  die  betriebsamen  Herrnhutep  oder  Mäh- 
rischen Brüder  für  historische  Darstellungen  ihrer  Tätigkeit.  Edmund 
von  Schweinitz,  ein  Mitglied  der  Sekte,  schrieb  das  „Moravian  Manual, 
containing  an  account  of  the  Moravian  Church  or  Unitas  Fratrum",  Bethlehem 


—     618     — 

186Q.  Denselben  Zwecken  dienen  die  „Transactions  of  the  Moravian  Histori- 
cal  Society'',  in  denen  sich  unter  anderen  L.  T.  R  e  i  c  h  e  1  s  „Early  History  of 
Moravians  in  North  America'',  Nazareth,  Pa.  1888,  befindet.  Von  demselben 
Verfasser  stammt  das  Werk:  „Moravians  in  North  Carolina",  Salem,  N.  C.  1857. 

—  E.  H.  R  e  i  c  h  e  1  lieferte  eine  „Historical  Sketch  of  church  and  mission  of 
the  Moravians",  Bethlehem  1848.  —  J.  H.  Martin  schrieb  eine  „Historical 
Sketch  of  Bethlehem",  Philadelphia  1872.  —  J.  T.  H  am  il  t  on  ist  Verfasser 
des  Abschnitts  „The  Moravian  Church",  in  vol.  VIII  der  „American  Church 
History".  —  Die  segensreiche  Missionstätigkeit  der  Herrnhuter  beschreibt 
G.  H.  L  o  s  k  i  e  l's  „Geschichte  der  Mission  unter  den  Indianern  Nordamerikas", 
Barbey  1789.  Eine  enghsche  Übersetzung,  hergestellt  von  Ch.  La  Trebe, 
erschien  1794  in  London.  —  Der  Bischof  J.  M.  Levering  schrieb  „A  History 
of  Bethlehem  from  1741 — 1892",  welche  im  Jahre  1903  zu  Bethlehem  gedruckt 
wurde.  —  Das  Leben  des  Missionars  David  Zeisberger  behandeln  die  Bücher: 

E.  de  Schweinitz:  „The  life  and  times  of  David  Zeisberger,  the  westem 
Pioneer  and  aposde  of  the  Indians",  Philadelphia  1870.  —  J.  J.  H  e  i  m:  „David 
Zeisberger,  der  Apostel  der  Indianer",  Bielefeld  1849.  —  Zeisberger  selbst  führte 
ein  Tagebuch,  welches  als  „Zeisbergers  Diary"  in  zwei  Bänden  in  Bethlehem 
gedruckt  wurde.  Der  Herrnhuter  Edw.  Rondthaler  verfaßte  das  Buch 
„Life  of  John  Heckewelder",  Philadelphia  1847.  —  Auch  die  „Ohio  Annais", 
herausgegeben  von  C.  H.  Mitchener,  Dayton  1876,  befaßten  sich  mit  den 
Erlebnissen  der  herrnhutischen  Missionare.  Friedrich  Kapp  erzählt  in 
seiner  „Geschichte  der  Deutschen  im  Staate  New  York",  New  York  1868,  die 
schlimmen  Erfahrungen  der  Herrnhuter  am  Schekomeko. 

Die   Pfälzer:    Außergewöhnlich  reich  fließen  die  Quellen  über  die  Ein- 
wandrung  und  die  Ansiedlung  der  Pfälzer  in  Amerika.    Wir  nennen  zunächst: 

F.  R.  Diffenderfer:  „The  German  exodus  to  England  in  1709",  vol.  VII 
of  the  „Proceedings  of  the  Pennsylvania  German  Society";  ferner  S.  H.  C  o  b  b: 
„The  Story  of  the  Palatines",  New  York  1897.  —  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Pfälzer  im  Staat  New  York  enthalten  die  Werke :  E.  B.  O'C  a  1 1  a  g  h  a  n :  „Docu- 
mentary  History  of  the  State  of  New  York",  Albany  1848—1851.  —  N.  S.  B  e  n  - 
ton:  „Herkimer  County  and  Upper  Mohawk  Valley",  Albany  1856.  — 
F.  Kapp:  „Die  Deutschen  im  Staate  New  York",  New  York  1867.  —  Earl: 
„The  Palatines  in  the  Mohawk  Valley".  —  „Papers  of  the  Herkimer  County 
Historical  Society",  Herkimer  and  Ilion,  N.  Y.  1899.  —  J.  M.  Brown:  „A 
brief  sketch  of  the  first  settlement  of  the  county  of  Schoharie  by  the  Germans", 
Schoharie,  N.  Y.  1823.  —  J.  R.  Simms:  „History  of  Schoharie  County",  Al- 
bany 1845.  —  N.  S.  B  e  n  t  o  n :  „A  History  of  Herkimer  County",  Albany  1856. 

—  I.  Ellison:  „The  Germans  of  Buffalo",  in  „Publications  of  the  Buffalo 
Historical  Society",  Buffalo  1880.  —  Den  Auszug  der  Pfälzer  von  Schoharie  nach 
Pennsylvanien  und  ihre  Schicksale  dort  schildern  die  Werke  von  M.  H. 
Richards:  „The  German  emigration  from  New  York  into  Pennsylvania", 
vol.  IX  of  „Proceedings  of  the  German  Historical  Society  of  Pennsylvania".  — 


—     619     — 

F.  R.  Dif  f  en  derf  er:  „German  immigration  into  Pennsylvania  1700  bis 
1775'*,  Lancaster,  Pa.,  1900.  —  Kuhns:  „German  and  Swiss  settlement  oi 
Colonial  Pennsylvania",  New  York  1901.  —  J.  D.  Rupp:  „History  of 
Berks  County,  Pennsylvania",  Lancaster  1844  und  „The  early  history  oi 
Western  Pennsylvania",  Pittsburgh  1876.  —  W.  Beidelman:  „The  story 
of  the  Pennsylvania  Germans",  Easton,  Pa.,  1898.  —  Über  Conrad  Weiser  be- 
sitzen wir  das  Werk  C.  Z.  W  e  i  s  e  r  s:  „Life  of  Conrad  Weiser",  Reading  1876; 
femer  F.  R.  Diffenderfer:  „Conrad  Weiser",  1877.  —  J.  H.  Wal  ton: 
„Conrad  Weiser  and  the  Indian  policy  of  Colonial  Pennsylvania",  Phila- 
delphia 1900.  —  Die  durch  den  französischen  Finanzschwindler  Law  nach 
Louisiana  gelockten  Pfälzer  und  Elsässer  fanden  einen  vortrefflichen  Histori- 
graphen in  Hanno  Deiler.  Derselbe  ließ  folgende  Schriften  erscheinen : 
„Geschichte  der  Deutschen  am  unteren  Mississippi",  New  Orleans  1901; 
ferner:  „Geschichte  der  ersten  Deutschen  am  unteren  Mississippi  und  die  Creolen 
deutscher  Abstammung",  New  Orleans  1904.  —  Auch  Alexander  Franz 
schilderte  die  Schicksale  der  Pfälzer  in  seinem  Werk:  „Die  Kolonisation  des  Mis- 
sissippitals bis  zum  Ausgang  der  französischen  Herrschaft",  Leipzig  1906.  — 
Über  die  deutschen  Niederlassungen  in  den  Neu-Englandstaaten  unterrichten 
die  im  „Deutschen  Pionier"  veröffentlichten  Aufsätze  H.  A.  Rattermanns: 
„Geschichte  des  deutschen  Elements  im  Staate  Maine".  Andere  Quellenwerke 
sind  die  „Maine  Historical  Collections",  vols  V  und  VI.  —  J.  W.  Jordan: 
„Moravian  Mission  at  Broad  Bay,  Maine",  Bethlehem  1891 .  —  W  i  1 1  i  a  m  s  o  n : 
„History  of  Maine",  Hallowell  1832.  —  Pattee:  „History  of  Braintree  in 
Massachusetts",  Quincy  1878.  —  Holmes:  „American  Annais",  Cambridge 
1805.  —  J.  G.  Holland:  „History  of  Western  Massachusetts",  Springfield 
1855.  —  J.  W.  Starman:  „Some  accounts  of  the  German  settlement  in  Waldo- 
borough"  in  „Collections  of  the  Maine  Historical  Society",  Portland  1857. 
—  H.  Pohlman:  „The  German  Colony  and  the  Lutherian  Church  in  Maine", 
Gettysburg  1869.  —  Den  Einfluß  der  Pfälzer  auf  die  Kultur  Amerikas  heben 
folgende  Schriften  hervor:  F.  R.  Diffenderfer:  „The  Palatine  and 
Quaker  as  Commonwealth  builders",  Lancaster,  Pa.,  1899.  —  Greene:  „The 
Palatines  as  founders  and  patriots".  —  Eine  neuere,  zusammenfassende  Dar- 
stellung der  Pfälzerkolonien  lieferte  Daniel  Häberle  in  dem  Buch :  „Aus- 
wandrung  und  Koloniegründungen  der  Pfälzer  im  18.  Jahrhundert",  Kaisers- 
lautern 1909. 

Die  Käufling-e.  —  Unbedingt  die  wertvollste  Arbeit  über  die  Käuflinge 
oder  Redemptionisten  ist  F.  R.  Dif  f  en  d  erf  e  r  s:  ,,The  German  immigra- 
tion into  Pennsylvania",  vol.  X  of  the  „Proceedings  of  the  Pennsylvania  German 
Society",  Philadelphia  1900.  —  Den  gleichen  Gegenstand  behandelte  O.  Sei- 
densticker  in  seiner  „Geschichte  der  deutschen  Gesellschaft  von  Penn- 
sylvanien",  Philadelphia  1876;  sowie  L.  F.  Bittinger  in  dem  Buch:  „Ger- 
mans in  Colonial  times",  Philadelphia  1901.  —  Außerdem  liegt  vor:  K.  F. 
Geiser:   „Redemptioners   and   indentured   servants   in   Pennsylvania",  New 


—     620     — 

Haven,  Conn.,  1901.  —  Die  „Reports  of  the  German  Historical  Society  of 
Maryland"  enthalten  das  Material  über  das  Käuflingssystem  jener  Kolonie.  — 
H.  D  e  i  1  e  r  verdanken  wir  das  interessante  Werkchen  „Das  Redemptionssystem 
im  Staat  Louisiana",  New  Orleans  1901. 

Die  kulturellen  Zustände  der  Deutsehamerikaner  während  der 
Kolonialzeit.  —  Das  erste  Werkchen,  welches  uns  über  diese  Zustände  Auf- 
schlüsse gibt,  ist  das  des  Patriarchen  Franz  Daniel  Pastorius:  „Um- 
ständige Geographische  Beschreibung  der  Provinz  Pennsylvania",  Frankfurt  und 
Leipzig  1700.  —  Von  unschätzbarem  Wert  ist  ferner  die  vorzügliche  Schrift  des 
Dr.  Benjamin  Rush:  „An  account  of  the  Manners  of  the  German  Inhabi- 
tants  in  Pennsylvania",  Philadelphia  1789.  —  Eine  deutsche  Übersetzung  ist  im 
7.  Jahrgang  des  „Deutschen  Pionier"  zu  finden.  —  Hochinteressant  ist  auch 
des  Lehrers  Gottlieb  Mittelberger:  „Reise  nach  Pennsylvanien  1750", 
Frankfurt  und  Leipzig  1756.  Ferner  enthalten  folgende  Bücher  reiches  Material: 
L.  F.  Bittinger:  „The  Germans  in  Colonial  Times",  Philadelphia  1901.  — 
O.  Kuhns:  „The  German  and  Swiss  Settlements  of  Colonial  Pennsylvania", 
New  York  1901.  —  Über  das  Leben  der  deutschen  Pioniere  an  den  Grenzen 
der  Wildnis  enthalten  die  Lokalchroniken  unzähliger  Ortschaften  Mitteilungen. 
Außerdem  seien  genannt:  C.  Z.  Weiser:  „Life  of  Conrad  Weiser", 
Reading  1876.  —  Britts:  „Border  Warfare",  Abingdon,  Va.,  1849.  — 
„Frontier  Forts  of  Pennsylvania",  Printed  by  the  State,  1896.  —  C.  F.  Post: 
„Journals".  Reprinted  in  Rupp's:  „History  of  Western  Pennsylvania",  Pitts- 
burgh  and  Harrisburg  1846.  Posts  „Journals"  wurden  neuerdings  auch  in  der 
gegen  25  Bände  umfassenden  Serie  „Early  western  travels"  abgedruckt.  — 
F  r.  K  a  p  p :  „Die  Deutschen  im  Staat  New  York",  New  York  1868.  —  S  i  m  m  s : 
„Frontiersmen  of  New  York",  Albany  1882.  —  W.  W.  Campbell:  „Annais 
of  Tryon  Co.,  N.  Y.",  New  York  1831.  —  Speed:  „The  Wilderness  Road", 
Louisville  1886.  —  C.  B.  H  a  r  1 1  e  y :  „Life  of  Lewis  Wetzel;  also  of  Kenton  and 
other  heroes  of  the  West",  Philadelphia  1860.  —  A.  L.  M  a  s  o  n:  „The  Pioneer 
History  of  America",  Cincinnati  1884.  —  W.  W.  Fowler:  „Woman  on  the 
American  Frontier",  Hartford  1877.  —  J.  Doddridge:  „Notes  on  the  Settle- 
ments and  Indian  Wars  of  the  western  parts  of  Virgmia  and  Pennsylvania", 
Wellsburgh,  Va.,  1824;  reprinted  Albany  1876.  —  S  i  m  m  s:  „Trappers  of  New 
York  or  Biography  of  Nicolas  Stoner  and  Nathaniel  Foster",  Albany  1871.  — 
S  i  m  m  s :  „Border  wars  of  New  York".  —  C  u  r  t  i  s  s :  „Life  and  adventures  of 
Nat.  Foster,  Trapper  of  the  Adirondacks",  Utica  1897.  —  Th.  Roosevelt: 
„The  winning  of  the  West".  —  Den  deutschen  Landwirten  des  18.  Jahrhunderts 
ist  ein  Aufsatz  in  dem  10.  Bande  der  „Proceedings  of  the  Pennsylvania  German 
Society"  gewidmet.  —  Das  religiöse  Leben  der  Deutschen  während  der  Kolonial- 
zeit schildert  Lucy  F.  B  i  1 1  i  n  g  e  r's:  „German  Religious  Life  in  Colonial 
Times",  Philadelphia  1906.  —  Den  kulturellen  Zuständen  der  deutschen  An- 
siedler in  der  Kolonie  New  York  widmete  Friedrich  Kapp  in  seiner  „Ge- 
schichte der  Deutschen  im  Staat  New  York",  New  York  1868,  einen  längeren 


—     621     — 

Abschnitt.  —  Über  die  Deutsctien  New  Jerseys  berichtet  T.  F.  Chambers: 
„Early  Germans  in  New  Jersey",  Dover,  N.  J.,  1895.  —  Über  die  Verhältnisse 
der  Deutschen  in  Pennsylvanien  unterrichten  die  Werke:  G.  F.  Baer:  „The 
Pennsylvania  Germans",  Reading  1876.  —  Mrs.  E.  Gibbons:  „The  Penn- 
sylvania Dutch",  Philadelphia  1872.  —  D  r.  B.  R  u  s  h :  „Manners  of  the  German 
inhabitants  of  Pennsylvania".  Edited  by  J.  D.  Rupp,  Philadelphia  1875.  — 
J.  D.  Rupp:  „Thirty  thousand  names  of  German  immigrants",  Harrisburg 
1856.  —  L.  A.  Wollen  weber:  „Gemälde  aus  dem  Pennsylvanischen  Volks- 
leben", Philadelphia  1869.  —  Kulturgeschichtliche  Nachrichten  über  das 
Deutschtum  in  Maryland  finden  sich  verstreut  in  den  „Reports  of  the 
Society  for  History  of  Germans  in  Maryland".  —  Ferner  in  Scharfs: 
„History  of  Maryland",  Baltimore  1879.  —  E.  T.  Schultz:  „First  setÜement 
of  Germans  in  Maryland",  Frederick,  Md.,  1896.  —  Quellen  zur  Kuhurgeschichte 
der  Deutschen  in  V  i  r  g  i  n  i  e  n  sind  unter  anderen :  FL  Schuricht:  „History 
of  the  German  dement  in  Virginia",  Baltimore  1898.  —  Waddell:  „Annais 
of  Augusta  County",  Richmond  1886.  —  B  u  r  k:  „History  of  Virginia",  Peters- 
burg, Va.,  1804—1816.  —  Jefferson:  „Notes  on  State  of  Virginia",  Boston 
1802.  —  Fiske:  „Old  Virginia  and  her  neighbors",  Boston  1897.  —  R.  A. 
Brook:  „Official  letters  of  Governor  Alexander  Spotswood",  Richmond  1882 
bis  1885.  —  J.  C.  Stöver:  „Kurze  Nachricht  von  einer  Evangelisch-Luthe- 
rischen Deutschen  Gemeinde  in  Virginien",  Hannover  1737.  —  Kercheval: 
„History  of  the  Valley  of  Virginia",  Winchester  1833.  —  J.  W.  Wayland: 
„The  German  dement  of  the  Shenandoah  Valley  of  Virginia",  Charlottesville 
1907.  —  Material  zur  Kulturgeschichte  des  Deutschtums  in  den  beiden  Caro- 
linas und  in  Georgia  findet  sich  in  folgenden  Schriften :  Allen:  „Ger- 
man Palatines  in  North  Carolina".  —  Bernheim:  „History  of  German  Settle- 
ments and  of  the  Lutheran  Church  in  North  and  South  Carolina",  Philadelphia 
1872.  —  „Memorial  of  Jean  Pierre  Pury  in  behalf  of  the  colonisation  of  South 
Carolina",  London  1724;  reprinted  Augusta,  Georgia  1880.  —  Stevens: 
„History  of  Georgia",  New  York,  1847—1859.  —  Hewett:  „Historical  Ac- 
count of  Colonies  of  South  Carolina  and  Georgia",  London  1779.  —  Historical 
Collections  of  South  Carolina",  New  York  1836.  —  Dalcho:  „History 
of  Episcopal  Church  in  South  Carolina",  Charleston  1820.  —  H  o  we:  „History 
of  Presbyterian  Church  in  South  Carolina",  Columbia  1870.  —  E.  L.  Whit- 
ney: „Government  of  Colony  of  South  Carolina",  John  Hopkins  University 
Studies,  Baltimore  1895.  —  W.  G.  S  i  m  s:  „History  of  South  Carolina",  Charle- 
ston 1842.  —  Jones:  „Dead  towns  of  Georgia",  in  „Georgia  Historical  Col- 
lections", vol.  IV,  Savannah  1878.  —  William  son:  History  of  North  Caro- 
lina", Philadelphia  1812.  —  Ramsey:  „History  of  South  Carolina",  Charle- 
ston 1809.  —  J.  H.  Wheeler:  „Historical  Sketches  of  North  Carolina", 
Philaddphia  1851.  —  W.  H.  F  o  o  t  e:  „Sketches  of  North  Carolina",  New  York 
1846.  —  C.  L.  H  u  n  t  e  r:  „Skdches  of  Western  North  Carolina",  Raldgh  1877. 
—  D.  Schenk:  „North  Carolina  1780—1781",  Raldgh   1889.  -    Hawk, 


—     622     ~ 

Swain  and  Graham:  „Revolutionary  History  of  North  Carolina",  Raleigh 
1843.  —  Über  den  Industriellen  Peter  Hasenclever  enthält  der  „Deutsche 
Pionier"  vom  Jahre  1883  ausführliche  Nachrichten. 

Oswald  Seiden  sticker  behandelte  die  Geschichte  der  deutschen 
Zeitungen  und  des  deutschamerikanischen  Buchdrucks  im  „Deutschamerika- 
nischen Magazin";  ferner  lieferte  er  das  Werk:  „The  first  Century  of  German 
printing  in  America,  1728 — 1830",  Philadelphia  1893.  —  Den  gleichen  Gegen- 
stand behandeln  die  Bücher:  F.  Kapp:  „Der  deutschamerikanische  Buchdruck 
und  Buchhandel  im  vorigen  Jahrhundert,"  Leipzig  1878.  —  G.  T.  W  a  t  k  i  n  s: 
„Bibliography  of  printing  in  America.  Books,  pamphlets,  and  some  articles 
in  Magazines  relating  to  the  history  of  printing  in  the  Nev^  World",  Boston 
1906.  —  Eine  Lebensgeschichte  des  Schullehrers  Dock  ist  S.  P  e  n  n  y  p  a  c  k  e  r's 
„Historical  and  Biographical  Sketches",  Philadelphia  1883  einverleibt.  Außer- 
dem veröffentlichte  Martin  G.  Brumbaugh  eine  Abhandlung  über  „Das 
Leben  und  die  Werke  von  Christoph  Dock,  Amerikas  Pionier-Schriftstellers 
über  Erziehung",  Philadelphia  1908.  Docks  hundert  Regeln  kamen  1764  in  Saurs 
„Geistlichem  Magazin"  und  im  10.  Bande  der  „Proceedings  of  the  Penn- 
sylvania German  Society"  zum  Abdruck. 

Dep  Fpanzosenkrieg".  Das  Material  über  den  Anteil  der  deutschen  An- 
siedler an  den  Franzosen-  und  Indianerkriegen  des  18.  Jahrhunderts  ist  in 
zahllosen  Lokalchroniken  enthalten,  von  denen  die  wichtigsten  bereits  unter  den 
Quellen  über  die  kulturellen  Zustände  der  deutschen  Ansiedler  genannt  wurden. 
Eine  Geschichte  des  „Royal  American  Regiments"  Heferte  N.  W.  WaUace  in 
dem  Buch :  „A  Regimental  Chronicle  and  List  of  Officers  of  the  Sixtieth,  or  the 
King's  Royal  Rifle  Corps,  formerly  the  Sixty-second,  or  the  Royal  American 
Regiment  of  Foot",  London  1879. 

Die  Deut*-ehen  im  amerikanischen  Unabhäng-lg-keltskrieg-e.  Zur  Fest- 
stellung des  Anteils  der  Deutschen  am  Unabhängigkeitskriege  wurden  unter 
anderen  folgende  Werke  benutzt:  G.  W.  Greene:  „The  German  dement  in 
the  war  of  American  independence",  New  York  1876.  —  Pfis.ter:  „Die 
amerikanische  Revolution  1775,  unter  Hervorhebung  des  deutschen  Anteils", 
Stuttgart  und  Berlin  1904.  —  L  i  n  n  &  E  g  1  e :  „Pennsylvania  in  the  Revolution", 
Philadelphia  1890—1895.  —  „Deutscher  Pionier",  8.  Jahrgang,  „Die  Beteili- 
gung der  Deutschen  am  Unabhängigkeitskrieg".  —  Die  wichtigsten  Quellen 
über  Nikolas  Herchheimer  und  die  Schlacht  von  Oriskany  sind  vor  allem  die 
„Papers  of  the  Herkimer  County  Historical  Society",  Herkimer  and  Ilion  1899. 
—  „Proceedings  of  Oneida  Historical  Society."  —  Jones:  „History  of  Oneida 
County."  —  S  i  m  m  s :  „History  of  Schoharie  County."  —  B  e  n  t  o  n :  „History 
of  Herkimer  County."  —  Ferner  F.  Kapp:  „Geschichte  der  Deutschen  im 
Staate  New  York,"  New  York  1868.  —  H.  A.  Mühlenberg,  ein  Nach- 
komme des  berühmten  Generalmajors,  veröffentlichte  das  Buch :  „Life  of  Major 
General  Peter  Mühlenberg,"  Philadelphia  1849.  —  Auch  im  „Deutschen  Pionier" 
der  Jahre  1869—1872  findet  sich  ein  längerer  Aufsatz  „Peter  Mühlenberg  und 


—     623     -- 

seine  deutschen  Soldaten".  —  Sehr  umfangreich  ist  die  Literatur  über  die 
deutschen  Hilfstruppen  im  englischen  Heere.  Wohl  die  erste  aktenmäßige  Dar- 
legung des  von  mehreren  degenerierten  deutschen  Fürsten  betriebenen  Schachers 
mit  ihren  Untertanen  ist  Friedrich  Kapp's;  „Der  Soldatenhandel  deut- 
scher Fürsten  nach  Amerika",  Berlin  1864.  Derselbe  Stoff  wurde  in  neuester 
Zeit  von  E.  J.  L  o  w  e  1 1  in  dem  Buch :  „The  Hessian  and  the  other  German 
auxiliaries  of  Great  Britain  in  the  Revolutionary  War",  New  York  1884  be- 
handelt. Ferner  von  Max  von  Eelking  in:  „Die  deutschen  Hilfstruppen 
im  nordamerikanischen  Befreiungskrieg."  Eine  englische  abgekürzte  Über- 
setzung dieses  Buches  wurde  von  J.  G.  Rosengarten  unter  dem  Titel :  „The 
German  Allied  Troops  in  Albany",  New  York  1893,  herausgegeben.  Den  gleichen 
Gegenstand  behandeln  ferner:  C.  Pres  er:  „Der  Soldatenhandel  in  Hessen", 
Marburg  1900.  —  Clark:  „The  Hessians."  —  Mellik:  „The  Hessians  in 
New  Jersey;  just  a  little  in  their  favor."  —  Slafter:  „The  landing  of  the 
Hessians."  —  Wert  her:  „Hessische  Flilfstruppen."  —  Manche  Tagebücher 
und  Aufzeichnungen  der  die  deutschen  Hilfstruppen  begleitenden  Offiziere, 
Ärzte  und  Feldprediger  kamen  in  den  Sammelwerken :  „Der  deutsche  Pionier", 
„Americana  Germanica"  und  „German  American  Annais"  zum  Abdruck.  Zahl- 
reiche von  George  Bancroft  gesammelte  Abschriften  von  Dokumenten  und 
Manuskripten  zur  Geschichte  der  deutschen  Hilfstruppen  befinden  sich  unter 
den  Handschriften  der  New  Yorker  Bibliothek.  M.  von  Eelking  verfaßte: 
„Das  Leben  und  Wirken  des  braunschweigischen  Generalleutnants  F. 
A.  von  Riedesel",  Leipzig  1856.  —  Wertvolle  Aufzeichnungen  enthält  auch 
General  Riedesels  „Berufsreise  nach  America.  Briefe  auf  der  Reise  und  während 
ihres  6jährigen  Aufenthalts  in  America  zur  Zeit  des  Krieges  in  den  Jahren 
1776 — 1783  nach  Deutschland  geschrieben",  Berlin  1800.  —  Diesen  Aufzeich- 
nungen schheßen  sich  an  S  ton  es:  „Memoirs  of  General  Riedesel",  Albany. 
Der  Regimentsarzt  J.  D.  Schöpf  veröffentlichte:  ,,Eine  Reise  durch  einige 
der  mittleren  und  südlichen  Staaten",  Erlangen  1788.  —  Dem  verdienten 
Friedrich  Kapp  verdanken  wir  auch  „Das  Leben  des  amerikanischen 
Generals  Kalb",  Stuttgart  1862,  engl.  New  York  1870.  —  Über  Kalb  existiert 
ferner  ein :  „Memoir  of  the  Baron  de  Kalb,"  read  at  the  meeting  of  the  Maryland 
Historical  Society  7.  Jan.  1858  by  J.  S.  Smith.  —  Weitere  Nachrichten  enthält 
T  h.  Wilson:  „The  Biography  of  the  Principal  American  Military  and 
Naval  heroes",  New  York  1817.  —  Headley:  „American  Generals." 
Ein  Gegenstück  zu  Kapp's  Biographie  über  General  Kalb  ist  desselben 
Verfassers  Buch:  „Das  Leben  des  amerikanischen  Generals  Friedrich  Wilhelm 
von  Steuben",  New  York  1850,  Berlin  1858.  —  Ein  ähnliches  Werk  ist: 
„N.  Schmitt:  „Leben  und  Wirken  von  F.  W.  von  Steuben",  Philadelphia 
1859.  —  Auch  William  North,  der  Adjutant  Steubens,  schrieb  dessen 
Biographie.  Sie  findet  sich  im  8.  Band  des  „Magazine  of  American  History", 
Weitere  Nachrichten  über  Steuben  sind  in  Thatchers:  „Military  Journal", , 
517 — 531;  in  Ebelings:  „Amerikanisches  Magazin",  1797;  in  Sparks: 


—     624     — 

„American  Biographies'',  vol.  IX,  p.  1—88;  in  Headley  s:  „Washington  and 
his  Generals"  und  im  „Magazine  of  Western  History",  1886  enthalten.  Die 
ausführlichste  Arbeit  über  die  deutschen  Truppen  im  französischen  Hilfsheer 
erschien  im  „Deutschen  Pionier".  Derselben  ist  ein  ziemlich  umfangreicher 
Nachweis  über  die  benutzten  Quellen  angehängt. 

Die  deutschen  Ansiedler  im  Stpomg-ebiet  des  Ohio.  Die  wichtigsten, 
für  diesen  Abschnitt  benutzten  Quellen  werke  sind:  E.  Klauprecht: 
„Deutsche  Chronik  in  der  Geschichte  des  Ohiothaies,  Cincinnati,  1864.  — 
H.  K  e  p  h  a  r  t :  „Pennsylvanias  part  in  the  winning  of  the  West",  St.  Louis 
1902.  —  Th.  Roosevelt:  The  winning  of  the  West,  New  York  1895.  — 
J.  Carr:  „Early  times  in  Tennessee",  Nashville  1859.  —  W.  A.  Fritzsch: 
„Zur  Geschichte  des  Deutschtums  in  Indiana",  New  York  1900.  —  D  i  e  t  z  s  c  h : 
„Geschichte  der  Deutschamerikaner  in  Chicago",  Chicago  1881.  —  H.  A. 
Rattermann:  „Germany.  Die  erste  deutsche  Niederlassung  im  Miami- 
thale."  1878.  —  L.  Stierlein:  „Der  Staat  Kentucky  und  die  Stadt  Louis- 
ville  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  deutschen  Elements",  Louisville  1873. 
—  Th.  Stempfei:  „Fünfzig  Jahre  deutschen  Strebens  in  Indianapohs", 
Indianapolis  1898.  —  E.  Seeger:  „Chicago,  die  Geschichte  einer  Wunder- 
stadt", Chicago  1892. 

Die  deutschen  Ansiedler  Im  Mississippital.  Die  wichtigsten  Werke, 
welche  den  Anteil  der  Deutschen  an  der  Besiedlung  jenes  großartigen  Strom- 
tales berücksichtigen,  sind:  G.  Duden:  „Bericht  über  eine  Reise  nach  den 
westlichen  Staaten  Nordamerikas",  Bonn  1829.  —  G.  Goebel:  „Länger  als 
ein  Menschenleben  in  Missouri",  St.  Louis  1877.  —  Lunz:  „Reise  nach  St. 
Louis."  —  Thümmel:  „Die  Natur  und  das  Leben  in  den  Vereinigten 
Staaten",  Erlangen  1848.  —  V.  Nolte:  „Fünfzig  Jahre  in  den  beiden  He- 
missphären",  Hamburg  1854.  —  Karg  au:  „Missouris  German  Immi- 
gration." —  „St.  Louis  in  früheren  Jahren",  St.  Louis  1905.  —  „Geschichte  des 
Deutschtums  von  St.  Joseph,  Mo."  —  F.  M  ü  n  c  h :  „Der  Staat  Missouri", 
New  York  und  St.  Louis  1859.  —  Über  die  Lateinischen  Settlements  und  die 
Lateinischen  Farmer  enthalten  die  Werke  von  Gustav  Körner:  „Das 
deutsche  Element  in  den  Vereinigten  Staaten  1818—1848",  Cincinnati  1880, 
sowie  Wagner  &  Scherzer:  „Reisen  in  Nordamerika",  Leipzig  1857  aus- 
führliche Mitteilungen.  —  J.  Eiboeck  schrieb  das  treffliche  Werk:  „Die 
Deutschen  von  Iowa  und  ihre  Errungenschaften",  Des  Moines  1900.  — 
Jensen  und  Bruncken  verfaßten  das  Buch :  „Wisconsins  Deutsch- 
Amerikaner",  Milwaukee  1902.  —  Ferner  ist  zu  erwähnen  K.  Levi:  „How 
Wisconsin  came  by  its  large  German  dement",  Madison,  Wis.,  1892. 

Ziemlich  zahlreich  sind  die  Werke,  welche  den  Indianeraufstand  des  Jahres 
1862  und  die  Belagerung  der  Stadt  Neu-UIm  schildern.  Wir  nennen  folgende: 
T.  Heard:  „History  of  the  Sioux  War  and  Massacres  of  1862  and  1863," 
New  York  1865.  —  A.  Berghold:  „Indianer-Rache,  oder  die  Schreckens- 
tage von  Neu-ulm  im  Jahre  1862",  New  Ulm  1876.  —  R.  Leonhart:  „Er- 


—     625     — 

innerungen  aus  Neu-Ulm",  Pittburg  1880.  —  J.  H.  Strasser:  „Chronologie 
der  Stadt  Neu-Ulm,  Minn.",  New  Ulm  1899.  —  A.  Berghold:  „Geschichte 
von  Neu-Ulm''.  8.  Jahrgang  des  „Deutschen  Pionier".  —  „Die  Gartenlaube", 
Leipzig  1862. 

Deutsehe  Pioniere  im  fernen  Westen.  Dem  wagemutigen  Johann 
Jakob  Astor  und  seiner  Gründung  Astoria  setzte  Washington  Irving 
in  seinem  klassischen  Werk :  „Astoria,  or  anecdotes  of  an  enterprise  beyond  the 
Rocky  Mountains",  Philadelphia  1826,  ein  bleibendes  Denkmal.  Demselben 
Kulturpionier  widmete  W.  I.  von  Hörn  die  Biographie:  „Johann  Jakob 
Astor",  New  York  1868.  —  Friedrich  Kapp  fügte  seiner  „Geschichte 
der  Deutschen  im  Staate  New  York"  gleichfalls  ein  die  Unternehmungen  Astors 
verherrlichendes  Kapitel  ein.  —  Die  Schicksale  Johann  August  Sutters  sind  im 
„Deutschen  Pionier"  und  in  zahllosen  anderen,  die  kalifornischen  Goldfunde 
berücksichtigende  Werken  erzählt.  Ziemlich  eingehend  wurden  sie  auch  von 
J.  B  i  d  w  e  1 1  in  dem  Aufsatz :  „Life  in  California  before  the  Gold  discovery" 
im  „Century  Magazine"  des  Jahres  1890  erörtert.  —  H.  von  Ehrenberg 
beschrieb  seine  Erlebnisse  in  den  Büchern:  „Fahrten  und  Schicksale  eines 
Deutschen  in  Texas",  Leipzig  1845;  und:  „Texas  und  die  Revolution",  Leipzig 
1843.  —  F.  Römer's:  „Texas",  Bonn  1849;  und  A.  Schütze's:  „Jahr- 
buch für  Texas",  Austin,  Tex.,  1882 — 1884  enthalten  gleichfalls  Angaben  über 
Ehrenberg  und  andere  Pioniere.  —  Über  die  seltsamen  Irrfahrten  August  Lauf- 
kötters  berichtet  A.  Eickhoffs:  „In  der  neuen  Heimat",  New  York  1884. 

Deutsche  Kommunisten-Gemeinden.  Die  seltsamen  Einrichtungen  der 
deutschen  kommunistischen  Gemeinden  in  den  Vereinigten  Staaten  riefen  eine 
ziemlich  reiche  Literatur  hervor.  Wir  erwähnen  zunächst  C  h.  N  o  r  d  - 
h  o  f  f  s :  „Communistic  Societies  of  the  United  States",  New  York.  Ihm 
schließen  sich  an  W.  A.  Hinds:  „American  communities",  Chicago  1902. 
—  Über  die  von  Rapp  gegründeten  Niederlassungen  finden  sich  interessante 
Angaben  in  Wagner  und  Scherzers:  „Reisen  in  Nordamerika",  Leipzig 
1857;  ferner  in  Moritz  Buschs:  „Zwischen  Hudson  und  Mississippi." 
Desgleichen  in  F.  L  ö  h  e  r  s :  „Über  Land  und  Leute  in  der  Alten  und  Neuen 
Welt",  Göttingen  1855.  Endlich  in  den  Reisewerken  der  Prinzen 
Maximilian  zu  Wied,  Bernhard  von  Sachsen-Weimar 
und  Paul  von  Württemberg.  Zu  diesen  Mitteilungen  kommen  die 
Werke:  A.  Williams:  „The  Harmony  Society  of  Economy",  Pittsburg  1866 
und  J.  A.  Bole:  „The  Harmony  Society",  Philadelphia  1904.  —  Die  Ge- 
schichte der  Gemeinde  Zoar  fand  in  Georg  B.  Landis  ihren  Darsteller, 
dessen  Untersuchungen:  „The  Separatists  of  Zoar"  dem  „Annual  Report  of 
the  American  Historical  Association  1898"  einverleibt  wurden.  Zur  Ergänzung 
derselben  dürften  das  1856  in  Zoar  gedruckte  Werk:  „Die  wahre  Separation, 
oder  die  Wiedergeburt,  dargestellt  in  geistlichen  und  erbaulichen  Versamm- 
lungsreden und  Betrachtungen,  gehalten  in  der  Gemeinde  in  Zoar  im  Jahre 
1832"  und  E.  O.  Rand  all:  „History  of  the  Zoar  society",  Columbus,  Ohio 

Gronau,  Deutsches  Leben  in  Amerika.  40 


—     626     — 

1900  dienen.  —  Die  deutschen  Kommunistengemeinden  in  Iowa  beschrieb 
Eiboeclc  in  seiner  „Geschichte  der  Deutschen  von  Iowa";  ferner  Karl 
K  n  o  r  t  z  in  dem  Heftchen  „Die  wahre  Inspirationsgemeinde  in  lowa"^ 
Leipzig  1896. 

Staatenpläne:  Über  die  Pläne  zur  Gründung  deutscher  Staaten  im 
Westen  der  Union  orientieren  die  Schriften  „Festausgabe  zum  50jährigen  Ju- 
biläum der  deutschen  Kolonie  Friedrichsburg",  Fredericksburg,  Texas,  1896. 
—  „Kritik  der  Geschichte  des  Vereins  zum  Schutz  der  deutschen  Auswandrer 
nach  Texas",  Austin  1894.  —  J.  Meusebach:  „Answer  to  Interrogatories 
in  case  No.  396",  Austin  1894.  —  Penniger:  „Geschichte  des  Mainzer 
Adelsvereins".  —  Die  Geschichte  der  deutschen  Ansiedlungsgesellschaft  von 
Philadelphia  wurde  von  Gustav  Körner  in:  „Das  deutsche  Element  in 
den  Vereinigten  Staaten  1818—1848"  besprochen. 

Die  politischen  Flüchtlinge  der  deutschen  Revolutionszelt.  Eine  Ge- 
schichte der  „Achtundvierziger"  in  den  Vereinigten  Staaten  ist  leider  noch  nicht 
geschrieben  worden.  Wertvolles  Material  zu  einer  solchen  lieferte  aber 
Gustav  Körner  in  dem  Buch :  „Das  deutsche  Element  in  den  Vereinigten 
Staaten  1818—1848",  Cincinnati  1879.  —  Auch  Jakob  Müllers:  „Erinne- 
rungen eines  Achtundvierzigers",  Cleveland,  O.,  1896;  PhilippWagners: 
„Ein  Achtundvierziger",  Brooklyn  1882;  H.  A.  Rattermanns:  „Gustav 
Körner",  Cincinnati  1902,  sind  reich  an  verwertbarem  Material.  Dasselbe  gilt 
von  F.  Kapps:  „Aus  und  über  Amerika",  Berlin  1876,  und  Brunckens: 
„German  Political  refugees  in  the  United  States  during  the  period  from  1815 
bis  1860",  Chicago  1904.  —  Endlich  verdient  noch  erwähnt  zu  werden: 
C.  H  e  X  a  m  e  r :  „A  study  of  the  causes  of  the  great  wave  of  German  immigra- 
tion  of  1848  to  1852  and  its  results  on  German  American  poetry". 

Der  Anteil  der  Deutschamerikaner  an  den  Kriegen  der  Vereinigten 
Staaten  Im  19.  Jahrhundert.  —  Hier  sind  wir  vor  allem  auf  die  offiziellen 
Armeeberichte  angewiesen.  Über  die  heldenmütige  Verteidigung  des  Forts 
McHenry  im  Kriege  1812 — 1814  berichten  ferner  die  Lokalgeschichten  der  Stadt 
Baltimore.  Desgleichen  B.  J.  Lossings:  „Pictorial  field  book  of  the  war  of 
1812",  New  York  1868.  —  Ein  Lebensabriß  des  Generals  Johann  A.  Quitman, 
eines  der  Helden  des  Mexikanischen  Krieges,  findet  sich  im  „Deutschen  Pionier" 
des  Jahres  1874.  Ferner  sind  über  denselben  in  folgenden  Werken  Notizen  ent- 
halten :Ch.  Petersen:  „The  military  heroes  of  the  war  with  Mexico",  Phila- 
delphia 1858.  —  G.  W.  Kendall:  „The  war  between  the  United  States  and 
Mexico",  New  York  1851.  —  J.  B.  Thorpe:  „Cur  army  at  Monterey",  Phila- 
delphia 1847.  —  C.  V.  G  r  o  n  e:  „Briefe  über  Nordamerika  und  Mexico  und  den 
zwischen  beiden  geführten  Krieg",  Braunschweig  1850.  —  „Battles  of  Mexico, 
containing  an  authentic  account  of  all  battles  fought  in  that  republic,  until  the 
capture  of  Mexico,  with  a  list  of  the  killed  and  wounded",  New  York  1847.  — 
Über  die  Taten  deutschamerikanischer  Heerführer  und  Truppen  während  des 
Bürgerkrieges  enthält  J.  G.  Rosengartens:  „The  German  Soldier  in  the 


—     627     — 

Wars  of  the  United  States",  Philadelphia  1890,  zahlreiche,  leider  wenig  geord- 
nete Mitteilungen.  —  Eine  gleichfalls  nur  einzelne  Episoden  des  Bürgerkrieges 
berücksichtigende  Schrift  ist  W  m.  Voeke's:  „Der  deutsche  Soldat  im  ameri- 
kanischen Bürgerkriege",  Chicago  1895,  englisch  1899.  —  Über  die  Unruhen 
in  Missouri  berichten :  D.  H  e  r  1 1  e :  „Die  Deutschen  in  Nordamerika  und  der 
Freiheitskampf  in  Missouri",  Chicago  1865.  —  A.  Krüer:  „Der  Aufstand  in 
Missouri  1862".  —  Biographien  der  Generäle  von  Steinwehr,  Moor,  Osterhaus, 
Sigel,  Stahel,  Schurz,  Weber,  Weitzel,  Wangelin,  Bohlen,  Schimmelpfennig  u.  a. 
finden  sich  in  verschiedenen  Jahrgängen  des  „Deutschen  Pionier",  der  „Deutsch- 
amerikanischen Geschichtsblätter"  und  des  von  R  ü  t  e  n  i  k  geschriebenen  Buches 
„Berühmte  deutsche  Vorkämpfer  für  Fortschritt,  Freiheit  und  Friede  in  Nord- 
Amerika",  Cleveland,  O.,  1888.  —  Generalmajor  Franz  Sigel  veröffent- 
lichte in  dem  von  ihm  während  der  neunziger  Jahre  herausgegebenen  „New 
York  Monthly"  Denkwürdigkeiten,  die  später  auch  in  Buchform  erschienen. 
Das  wichtigste  Quellenwerk  für  die  Lebensgeschichte  von  Karl  Schurz  sind 
natürlich  seine  „Reminiscences  of  a  long  life",  welche  zuerst  im  Jahre  1906  in 
dem  in  New  York  erscheinenden  „McClures  Magazine",  später  auch  in  Buch- 
form herausgegeben  wurden.  Eine  deutsche  Ausgabe  erschien  in  Berlin.  — 
Von  hohem  Wert  für  die  Geschichte  der  Deutschamerikaner  im  Bürgerkrieg  sind 
auch  folgende  Regimentsgeschichten:  G.  Struve:  „Das  8.  Regiment  New 
Yorker  Freiwilliger  und  Prinz  Felix  Salm-Salm",  Washington  1862.  — 
C.  Grebner:  „Die  Neuner.  Eine  Schilderung  der  Kriegsjahre  des  9.  Regi- 
ments Ohio  Vol.  Infanterie",  Cincinnati  1897.  —  Ferner  die  nachstehenden,  von 
Teilnehmern  am  Kriege  verfaßten  Bücher;  Fr.  Annecke:  „Der  zweite  Frei- 
heitskampf", Frankfurt  a.  M.  1861 .  —  Otto  Heusinger:  „Amerikanische 
Kriegsbilder.  Aufzeichnungen  aus  den  Jahren  1861—1865",  Leipzig  1869.  — 
B.  Domschke:  „Zwanzig  Monate  in  Kriegsgefangenschaft",  Milwaukee  1865. 
—  J.  Scheibert:  „Sieben  Monate  in  den  Rebellen  Staaten",  Stettin  1868.  — 
F.  Mangold:  „Der  Feldzug  in  Nord-Virginien  im  August  1862",  Hannover 
1881.  —  R.  Aschmann:  „Drei  Jahre  in  der  Potomac- Armee  oder  eine 
Schweizer  Schützen-Kompagnie  im  nordamerikanischen  Kriege",  Richtersweil 
1865.  —  A.  Conrad:  „Schatten  und  Lichtblicke  aus  dem  amerikanischen 
Leben  während  des  Secessions-Krieges",  Hannover  1879.  —  Über  die  viel- 
besprochene Schlacht  bei  Chancellorsville  besitzen  wir  außer  den  Dar- 
stellungen, die  Schurz  in  seinen  „Reminiscences"  lieferte,  die  äußerst  wert- 
volle Untersuchung  des  Oberstleutnant  A.  Ch.  Hamlin,  Historikers  des 
11.  Armeekorps:  „The  Battle  of  Chancellorsville",  Bangor,  Maine,  1896.  — 
Über  dieselbe  Schlacht  schreibt  auch  H.  A.  R  a  1 1  e  r  m  a  n  n  im  „Deutschen 
Pionier"  in  einer  Biographie  des  Generals  von  Steinwehr.  —  Dem  ehemaligen 
preußischen  Reiterführer  Heros  von  Borcke,  der  seinen  Degen  der  kon- 
föderierten Regierung  angeboten  hatte,  verdankt  man  das  wertvolle  Buch: 
„Zwei  Jahre  im  Sattel  und  am  Feinde".  Es  gibt  ein  überaus  anschauliches 
Bild  von  dem  Leben  und  Treiben  im  südstaatlichen  Heere.  —  Über  die  schwie- 

40* 


—     628     — 

rige  Lage  Memmingers,  des  Schatzministers  der  südstaatlichen  Regierung, 
unterrichtet  das  von  H.  C  a  p  e  r  s  geschriebene  Buch :  „Life  and  Times  of  Mem- 
minger",  Richmond  1893.  —  Den  Anteil  des  Admirals  W.  S.  Schley  an  der  See- 
schlacht bei  Santiago  würdigt  M.  W  i  1  c  o  x  in  seiner  „Short  history  of  the  war 
with  Spain''.  New  York  1898.  —  Derselbe  ist  ferner  im  „Century  Magazine"  des 
gleichen  Jahres  geschildert. 

Der  Einfluß  der  Deutschamerikaner  auf  die  physische  Entwicklung- 
der  amerikanischen  Bevölkerung.  Für  die  Geschichte  der  deutschen  Tur- 
nerei sind  H.  Metzners:  „Geschichte  des  Nordamerikanischen  Tumerbundes 
1850 — 1873"  und  „Jahrbücher  der  Deutsch-Amerikanischen  Turnerei",  New 
York  1891 — 1894,  von  bleibendem  Wert.  —  Außerdem  enthalten  die  schier  zahl- 
losen Festschriften,  welche  bei  Jubiläen  und  Bundesturnfesten  erschienen,  eine 
Fülle  lokalgeschichtlicher  Angaben.  —  Aufsätze  über  die  turnerische  Tätigkeit 
der  deutschen  Professoren  Karl  Beck,  Karl  Folien  und  Franz  Lieber  finden  sich 
im  2.  Heft  der  „American  Physical  Education  Review"  und  im  „Circular  5  des 
National  Education  Bureau  in  Washington  D.  C".  —  Wichtige  Angaben  sind 
femer  in  folgenden  Schriften  enthalten :  E.  M.  Hartwell:  „Physical  Training", 
Boston  1897.  —  Bureau  of  Education:  „Physical  Training  in  American  Col- 
leges", Washington  1883. 

Der  Einfluß  des  deutschen  Erziehungswesens  auf  die  Lehranstalten 
der  Vereinig-ten  Staaten.  Von  den  zahlreichen  Werken  über  diesen  Gegen- 
stand seien  genannt:  R.  Boone:  „Education  in  the  United  States",  New  York 
1890.  —  N.  M.  Butler:  „Education  in  the  United  States".  —  H.  Schön- 
feld: „Quellen  zur  Geschichte  der  Erziehung  in  den  Vereinigten  Staaten", 
Pädagogisches  Archiv,  38.  Jahrgang,  Heft  9.  —  R.  D  u  1  o  n :  „Aus  Amerika 
über  Schule,  deutsche  Schule,  amerikanische  Schule  und  deutsch-amerikanische 
Schule",  Leipzig  und  Heidelberg  1 866.  —  L.  Viereck:  „German  instruction 
in  American  schools",  Chapt.  XIV  of  the  Report  of  the  Commissioner  of  Edu- 
cation for  1900—1901.  Washington  1902.  —  H.  Schurich  t:  „Geschichte 
der  deutschen  Schulbestrebungen  in  Amerika",  Leipzig  1884.  —  H.  A.  Rat- 
te r  m  a  n  n :  „Die  deutsche  Sprache  in  der  amerikanischen  Schule",  „Deutscher 
Pionier",  13.  Jahrgang,  Heft  5.  —  K.  Francke:  „Deutsche  Cultur  in  den  Ver. 
Staaten  und  das  Germanische  Museum  der  Harvard  Universität",  in  „Deutsche 
Rundschau"  1902.  —  Über  die  amerikanischen  Kindergärten  berichtete  Dr.  Bar- 
nard während  der  Jahre  1856  bis  1858  in  seinem  „American  Journal  of  Edu- 
cation". —  KateWiggins  verfaßte  das  Buch :  „The  Republic  of  Childhood". 
—  Felix  Adler:  „The  moral  Instruction  of  Children".  —  E.  A.  E.  Shi- 
r  e  e  f  f :  „Moral  training".  —  FriedrichFröbel:  „The  education  of  Man". 

Der  Anteil  der  Deutschen  an  der  Entwicklung  der  amerikanischen 
Industrie.  Die  meisten  in  jenem  Abschnitt  enthaltenen  Angaben  gründen  sich 
auf  persönlich  eingezogene  Erkundigungen.  An  Quellenwerken  seien  außer- 
dem genannt:  J.  L.  Bishop:  „History  of  American  Manufactures,  from 
1608—1860",  Philadelphia  1864.  —  T  h.  Lemke:  „Geschichte  des  Deutsch- 


—     62Q     — 

tums  von  New  York  von  1848  bis  1892",  New  York.  —  R  ü  t  e  n  i  k:  „Berühmte 
deutsche  Vorkämpfer  in  Nord-Amerika",  Cleveland  1888.  —  G.  Körner: 
„Das  deutsche  Element  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Nord-Amerika«  1818  bis 
1848",  Cincinnati  1880.  t 

Der  Anteil  der  DeutUehen  an  der  Entwicklung-  des  amerikanischen 
Verkehrswesens.  Für  die  Geschichte  des  „Norddeutschen  Lloyd"  in  Amerika 
ist  folgendes  Schriftchen  von  Interesse:  „Caspar  Meier  and  his  Successors", 
printed  for  private  circulation,  New  York  1890.  —  Ferner  F.  v.  Halle: 
„Amerika,  seine  Bedeutung  für  die  Weltwirtschaft",  Hamburg  1905.  —  Über 
Hassler  berichtete  der  „Deutsche  Pionier". 

Deutschamerikanische  Techniker  und  Ingenieure.  Geschichtliches 
Material  über  dieselben  findet  sich  hauptsächlich  in  den  fachwissenschaftlichen 
Zeitschriften  des  19.  Jahrhunderts.  —  Über  Adolf  Sutro  schrieb  Charles 
I  n  g  o  m  a  r  im  Jahrgang  1879  des  „Deutschen  Pionier".  Ferner  C  h.  H.  S  h  i  n  e 
in:  "The  story  of  the  mine",  New  York  1897.  —  Mitteilungen  über  Albert  Fink 
enthalten  die  „Transactions  of  the  American  Society  of  Civil  Fngineers",  femer 
die  Zeitschriften „Bridges",  1899  und„Stahl  und  Eisen",  Düsseldorf  1899.  —  Der 
Lebenslauf  Henry  Flads  ist  ebenfalls  im  Jahrgang  1899  der  „Transactions  of  the 
American  Society  of  Civil  Engineers"  geschildert.  —  Über  Johann  August 
Roebling  sind  außer  in  den  bereits  genannten  Fachschriften  Aufsätze  im  „Deut- 
schen Pionier"  und  in  biographischen  Nachschlagewerken  zu  finden.  Seine 
reichen  Erfahrungen  im  Brückenbau  überlieferte  Roebling  der  Nachwelt  in 
einem  äußerst  gediegenen  Werke:  „Long  and  Short  Span  Bridges".  Es  erschien 
im  Jahre  1869  in  New  York,  bald  nach  dem  Tode  seines  Urhebers. 

Die  deutsche  Presse  in  den  Vereinigten  Staaten.  Über  das  deutsch- 
amerikanische Zeitungswesen  schrieb  U.  Brachvogel  einen  Beitrag  für  das 
Sammelwerk  A.  Tenners:  „Amerika,  der  heutige  Standpunkt  seiner  Kultur", 
Berlin  und  New  York  1886.  —  Angaben  über  Zahl  und  Charakter  der  einzelnen 
deutschamerikanischen  Zeitungen  sind  in  den  von  Ayer  &  Son  heraus- 
gegebenen „American  Newspaper  Annais"  zu  finden. 

Deutsche  Gelehrte.  Das  Quellenmaterial  über  die  deutschamerikanischen 
Gelehrten  ist  nicht  nur  dürftig,  sondern  auch  sehr  verstreut.  Über  diejenigen 
der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  finden  sich  einzelne  Nachrichten  im 
„Deutschen  Pionier".  Rattermann  schrieb  für  denselben  eine  Biographie 
des  Botanikers  G.  Engelmann.  A.  Siemering  lieferte  eine  ähnliche  über 
Lindheimer.  —  Nachrichten  über  Agassiz  sind  in  verschiedenen  biographischen 
Lexika  enthalten.  Dem  Andenken  des  Grafen  Pourtales  widmete  Alexander 
Agassiz  das  Buch :  „Biographical  Sketch  of  Louis  Frangois  de  Pourtales". 
—  Frau  E.  C.  Folien  veranstaltete  nicht  nur  eine  Sammlung  von  Werken 
ihres  Gatten,  sondern  verfaßte  auch  dessen  Lebensgeschichte,  die  unter  dem 
Titel:  „Life  of  Charles  Folien"  1846  in  Boston  erschien.  —  Mit  dem  Wirken 
Franz  Liebers  beschäftigen  sich  die  Schriften :  „F.  W.  H  o  1 1  s :  „Franz  Lieber, 
sein  Leben  und  seine  Werke",  No.  9  der  vom  „Deutschen  gesellig-wissenschaft- 


—     630     — 

liehen  Verein  zu  New  York"  herausgegebenen  Vorträge,  1884.  —  L.  R.  Har- 
ley:  „Sketch  of  Francis  Lieber",  „Populär  Science  Monthly''.  —  F.  von 
Holtzendorff:  „Franz  Lieber,  aus  den  Denkwürdigkeiten  eines  Deutsch- 
Amerikaners",  Berlin  und  Stuttgart  1885.  —  M.  R.  Thayer:  „Life,  Character 
and  Francis  Lieber.  A  discourse  delivered  before  the  Historical  Society  of 
Pennsylvania",  Philadelphia  1873. 

Die  deutschamerikanische  Dichtung-  Im  19.  und  20.  Jahrhundert. 
Sammlungen  deutschamerikanischer  Dichtungen  existieren  mehrere.  Die  erste 
veranstaltete  ConradMarxhausenin  Detroit  bereits  im  Jahre  1856  unter 
dem  Titel:  „Deutsch-amerikanischer  .Dichterwald".  Ihr  folgten  im  Jahre  1859 
das  in  Philadelphia  gedruckte  „Schiller  Album"  und  die  1870  und  1871  in  New 
York  verlegten  „Heimatsgrüße  aus  Amerika"  und  „Dornrosen".  —  Den  ersten 
Versuch  zu  einer  chronologisch  geordneten  Übersicht  unternahm  G.  A.  Zim- 
mermann in  der  vom  „Germania  Männerchor"  zu  Chicago  herausgegebenen 
Sammlung:  „Deutsch  in  Amerika",  Chicago  1892.  In  derselben  sind  über  160 
deutschamerikanische  Dichter  des  17.,  18.  und  19.  Jahrhunderts  vertreten,  viele 
mit  mehreren  Beiträgen.  Eine  im  Jahre  1905  von  Gotthold  A.  Neeff  ver- 
anstaltete Sammlung :  „Vom  Lande  des  Sternenbanners"  fügt  den  in  den  älteren 
Sammlungen  vertretenen  Dichtern  die  Namen  vieler  neueren  hinzu. 

Deutsches  Lied  und  deutscher  Sang"  in  Amerika.  Das  Material  zur 
Geschichte  der  deutschamerikanischen  Gesangvereine  und  Sängerbünde  liegt  in 
zahllosen  Festschriften  verborgen,  die  gelegentlich  der  von  solchen  Vereinen 
und  Bünden  gefeierten  Jubiläen  und  Sängerfeste  das  Licht  der  Welt  erblickten. 
Manche  dieser  Festschriften  sind  von  großem  Wert.  Die  Geschichte  des  „Ersten 
deutschen  Sängerbundes  von  Nordamerika"  schrieb  H.  A.  Rattermann  für 
den  „Deutschen  Pionier".  Der  verdienstvolle  J.F.Sachse  machte  das  Musik- 
leben des  Klosters  Ephrata  zum  Gegenstand  eingehender  Forschungen.  Ihm 
verdanken  wir  die  Abhandlung:  „The  music  of  the  Ephrata  Cloister  and  Conrad 
Beissels  treatise  on  Music",  in  den  „Proceedings  of  the  Pennsylvania  German 
Society",  vol.  12.  —  Über  die  Musik  der  Herrnhuter  oder  Mährischen  Brüder 
belehren  die  Sammlungen :  „Moravian  Tune  Book",  collected  by  C  h.  T.  L  a 
Trobe,  London  1867,  sowie  die  „Official  Tune  Books  and  Hymn  Tunes", 
die  in  Gnadau  und  Bethlehem  gedruckt  wurden.  Die  Namen  mancher  deutsch- 
amerikanischer Komponisten  vom  Ende  des  18.  und  Anfang  des  19.  Jahrhun- 
derts sowie  Titel  ihrer  Werke  sind  in  O.  G.  S  o  n  n  e  c  k  s :  „Bibliography  of 
early  secular  American  Music",  Washington  1905,  genannt.  Als  Quellenwerke 
zur  Geschichte  der  neueren  deutschen  Musik  in  Amerika  können  folgende 
Bücher  gelten:  L.  F.  Ritter:  „Music  in  America",  New  York  1900.  —  W.  L. 
B.  Matthews:  „Hundred  years  of  Music  in  America",  Chicago  1889.  — 
J.  C.  Griggs:  „Studien  über  die  Musik  in  Amerika",  Leipzig  1894.  —  „Die 
Musik",  Berlin  und  Leipzig,  IV.  Jahrgang,  1904/05.  —  H.  E.  K  r  eh  b  i  1:  „The 
Philharmonie  Society  of  New  York",  New  York  1892.  —  Manche  dieser  Werke 
enthalten  auch  Material  zur  Geschichte  des  deutschen  Theaters  und  der  deut- 


—    631     — 

sehen  Oper.  Über  letztere  besitzen  wir  femer:  H.  C.  Lahee:  „Grand  Opera 
in  America",  Boston  1902,  sowie  H.  E.  Krehbils:  „Chapters  of  Opera", 
New  York  1Q08. 

Deutschamepikanische  Künstler,  Bildhauer  und  Architekten.  Ein 
Versuch,  die  Tätigkeit  der  in  den  Vereinigten  Staaten  ansässig  gewordenen  oder 
geborenen  Künstler  deutscher  Abstammung  zu  schildern,  wurde  bisher  nie 
unternommen.  Der  Forscher  ist  auf  dürftige,  in  allerhand  Magazinen  verstreute 
Angaben  angewiesen.  Kurze  Biographien  Emanuel  Leutzes,  Weimers  und 
Albert  Bierstadts  brachten  der  „Deutsche  Pionier"  und  H.  T  u  c  k  er  m  an  n's: 
„Book  of  the  Artist",  New  York  1867.  Über  Weimer  ist  außerdem  ein  von 
William  R.  Hodges  verfaßter  Aufsatz  im  2.  Band  der  „American  Art  Review" 
zu  finden.  Dieser  Aufsatz  wurde  im  Jahre  1908  durch  Charles  Rey- 
mershoffer  in  Galveston,  Texas,  in  Buchform  und  mit  zahlreichen  An- 
merkungen und  mehreren  Illustrationen  versehen,  herausgegeben.  Die  „Ameri- 
can Art  Review"  bringt  in  den  Nummern  13  und  14  des  Jahrgangs  1880  einen 
Aufsatz  von  McLaughlin  über  mehrere  Cincinnatier  Künstler  der  Münchener 
Schule.  —  Die  in  München  erscheinende  „Kunst  unserer  Zeit"  würdigte  das 
Schaffen  des  in  Milwaukee  geborenen  Karl  Marr.  Über  den  Maler  Peter  Roth- 
ermel  finden  sich  Angaben  im  Jahrgang  1904  des  „Pennsylvania  German".  — 
Über  die  Erbauer  der  Kongreßbibliothek  zu  Washington  berichten:  „Die 
deutsche  Bauzeitung",  XXXIl.  Jahrgang,  Berlin  1898.  —  „Architecture  and 
Building",  vol.  XXVI  1897,  New  York  and  Chicago.  —  H.  S  m  a  1 1:  „Handbook 
of  the  New  Library  of  Congress  in  Washington",  Boston  1897. 

Ehrendenkmäler  des  Deutschamerikanertums.  Das  Material  für  die 
Geschichte  der  in  den  Vereinigten  Staaten  bestehenden  „Deutschen  Gesell- 
schaften zum  Schutz  der  Einwandrer"  ist  in  den  Jahresberichten  derselben  ent- 
halten. Sehr  eingehend  behandelte  Oswald  Seidensticker  die  Ge- 
schichte der  „Deutschen  Gesellschaft  von  Pennsylvanien"  in  einer  1876  in 
Philadelphia  erschienenen  Festschrift.  Eine  ähnliche  umfassende  Arbeit  über  die 
„Deutsche  Gesellschaft  der  Stadt  New  York"  lieferte  Anton  E  i  c  k  h  o  f  f  als 
Anhang  zu  seinem  Buch:  „In  der  neuen  Heimat",  New  York  1884.  —  Eine 
Geschichte  der  „Deutschen  Gesellschaft  von  New  Orleans"  hat  den  Professor 
Hanno  Deiler  zum  Verfasser. 

Der  Deutschamerikanische  Nationalbund.  Der  Ursprung  und  die  Ent- 
wicklung des  Deutschamerikanischen  Nationalbundes  wurden  nach  persön- 
lichen Aufzeichnungen  des  Verfassers  und  den  vom  Bunde  herausgegebenen 
Jahresberichten  dargestellt. 


Außer  den  genannten  Quellen  wurden  unzählige,  in  den  verschiedensten 
Tages-  und  Monatsschriften  enthaltene  Aufsätze  und  Nachrichten  sowie  per- 
sönlich eingezogene  Auskünfte  benutzt. 


Register. 


Adler,  Felix  361. 

—  Georg  367,  456. 
von  Adlerberg  517. 
Agassiz,  Alexander  449. 

—  Ludwig  Johann  Rudolf  448. 
Ahrens,  F.  X.  515. 

Albany  Chemical  Works  408. 
d'Albert,  Eugen  513. 
Albrecht,  Heinrich  141. 

—  Jacob  149. 

—  Karl  402. 
Altgeld,  Johann  336. 
Althaus  459. 

Alvary  (Achenbach),  Max  524. 
Amberg,  Gustav  518. 
Amman,  Jacob  75. 
Ammen  314. 
Anheuser,  Eberhard  393. 
Anschütz,  Georg  259,  382. 

—  Karl  523. 
Arendt,  Baron   188. 
Arens,  Franz  Xaver  512. 
Arensburg,  Karl  Friedrich  von 

112. 
Arets,  Lenert  52. 
Armstadt,  Georg  309. 

—  Johann  309. 
Armbrüster,  Anton  143. 
Arnold,  Richard  513. 

—  (Fabrikant)  406. 

—  (Violinist)  550. 
Asmus,  Georg  489. 

Astor,  Johann  Jakob  274,  382, 

583,  584. 
aus  der  Ohe,  Adele  513. 
Ax,  Christian  399. 

de  la  Badie  70. 

von  Bahr,  Hermann  449,  564. 


Bär,  Georg  336. 
Baer,  George  F.  409. 

—  Jakob  458. 

—  Wilhelm  456. 

—  W.  J.  546. 
Baerer,  Henry  560. 
Baldwin,  J.  E.  377. 
Ballinger,    Richard    Achilles 

337. 
Bandelier,  Adolf  Franz  450. 
Bandmann,  Daniel  518. 
Baraga,  Friedrich  450. 
Barkany,  Marie  519. 
Barnay,  Ludwig  519,  520. 
Barsescu,  Agathe  520. 
Barthold,  Richard  336. 
Bassemüller,  Detmar  383. 
Battle  &  Renwick  408. 
Bauer,  Louis  Agricola  456. 
Baum,  Martin  258,  382. 
Baumfeld,  M.  521. 
Baur,  Theodor  567. 
Beaver,  John  A.  336. 
Bechtle,  Heinrich  258. 
Beck,  Johann  A.  515. 

—  Dr.  Karl  312,  350,  357,  456. 
Becker,  Georg  Ferdinand  449. 

—  H.  K.  456. 

—  Samuel  458. 

Bedinger,  Heinrich  u.  Georg 

Michel  186. 
van  der  Beck,  Paulus  42. 
Beerwald,  Heinrich  515. 
Behrend,  Bernhard  A.  440. 
Behrens,  Konrad  525. 
Behrle,  Friedrich  22L 
Beissel,  Konrad  76,  145,  514. 
Belmont,  August  410. 
Benignus,  Wilhelm  496. 


Benner,  Phillipp  383. 
Berchelmann,  Adolf  268. 
Berendt,  Karl  Hermann  450. 
Bergmann,  Karl  506,  507,513, 

523. 
Beringer  377. 
Berkenmeyer,     Wilhelm 

Christoph  147. 
Berland  447. 
Berliner,  Emil  440. 
Bernhardt  525. 

Berolzheimer,   Heinrich   408. 
Bertsch,  Hugo  465. 
Bessels,  Emil  449. 
Best,  Jakob  394. 

—  Philipp  394. 
Bettmann,  Bernhard  497. 
Beutenmüller,  William  449. 
Beyer,  Georg  Eugen  449. 
Bien,  Julius  409. 
Bielfeld,  Heinrich  A.  486. 
Bieringer  380. 
Bierstadt,  Albert  533,  538. 
Bigler,  William  336. 
Bischoff  525. 

Bitter,  Karl  561. 
Blättermann,  Georg  456. 
Blair  215. 
Blass,  Robert  526. 
Bleickers,  Johann  52. 
Blenker,  Ludwig  313,  314,  322. 
von  Blessing,  Louis  314. 
Bloomfield-Zeisler,Fanny  513, 
Blum,  Robert  F.  542. 
Blumenschein  552. 
Boas,  Emil  L.  417. 

—  Franz  451. 
Böhm,  Anton  143. 
Börnstein,  Heinrich  497. 


633     -^ 


Böttcher,  Dorothea  465,  494. 
Bohlen,    Heinrich    310,    314, 

325. 
Bolander  447. 
Bolaus,  Daniel  221. 
Bolza,  Oskar  456. 
Bolzius,  Johann  Martin  83. 
Bonn,  Ferdinand  520. 
Bonzano,  Adolf  429. 
von  Borcke,  Heros  326. 
Bouquet,  Heinrich  161,  164. 
Brachvogel,  Udo  465,  477. 
Brandeis,  Friedrich  515. 
Brandt,  H.  G.  456. 

—  Karl  L.  546. 

—  Marianne  523,  524. 
Bredt,  F.,  &  Co.  408. 
Brehm   150. 

Brema,  Marie  525. 

Brentano,  Lorenz  336,  441. 

Brill,  G.  Martin  385. 

Brouck,  Johann  336. 

Bruch,  Max  513. 

Brück,  Julius  497. 

Brühl,  Gustav  450,  463,  481, 

497. 
Brumken,  Ernst  463. 
Buberl,  Caspar  560. 
Buchwalter,  Johann  383. 
von  Bülow,  Hans  513. 
Büttner  90. 
Bundschu,  Jakob  377. 
Bunsen,  Georg  268. 

—  Gustav  267. 
Burgeß,  John  W.  361. 
Burgstaller,  Alois  526. 
Burkhardt,  Hermann  376. 
Burrian,  Karl  526. 
Busch,  Adolphus  393. 
Buschbeck,  Adolf  314,  320. 
Butz,  Kaspar  472,  479,  496. 

Candidus,  Wilhelm  525. 
Capelle,  Robert  417. 
Cassel,  Daniel  463. 
Castelhun,  Friedrich  496. 
Chadwick,  George  W.  515,516. 
Christians,  Rudolf  520. 
Christiansen,  Hendrik  11. 
Claasen,  Arthur  515. 
das,  Alfred  C.  576. 
Clemens,  Robert  462. 


von        Closen  -  Haydenburg, 

Ludwig  243. 
Cohnheim,  Max  497. 
Collitz,  Hermann  456. 
Columbus,  Christoph  3. 
Conrad,  Friedrich  336. 

—  Timothäus  449. 
Conried,  Heinrich  518,  520. 
Cotrelly,  Matilde  518. 
Craemer,  Wilhelm   144,  356. 
Crcllius,  Joseph  143. 
Creutzfeld  447. 
Cromberger,  Johann  41. 
Gronau,  Rudolf  463,  464,  466, 

546,  551. 
Güster    (Küster),    George   A. 

328. 
von   Gustine,   Adam    Philipp, 

Graf  242. 

Dänzer,  Karl  441. 
Damrosch,  Frank  H.  512. 

—  Leopold  507,  523. 

—  Walter  507,  508,  525. 
Dapprich,  Emil  367. 
Davison,  Bogumil  518. 
Decker  &  Sohn  405. 
Deckhardt  141. 

Deiler,  J.  Hanno  456,  463. 
Delemos  &  Cordes  577. 
Delitzsch,  Friedrich  367. 
Dengler,  Franz  Xaver  560. 
Denman,  Mathias  256. 
Deppe  447. 

Deuster,  Peter  V.  336. 
Deutzer       Gasmotorenfabrik 

410. 
Dicks,  Peter  140. 
Didier  March  Co.  410. 
Dieckhoff  595. 
DiePFenbach,  Otto  407. 
Dielmann,  Friedrich  546. 
Dierkens,  Annie  520. 
Diete,  Peter  154. 
Dietzsch,  Emil  470. 
Diffenderfer  458,  463. 
Dilg,  William  479. 
Dilger,  Hubert  320. 
Dilthey,  Karl  464. 
Dimmew,  Jakob  154. 
van  Dinklage,  Dr.  Lubbertus 

42. 


Dippel,  Andreas  525,  528. 
Dock,  Christoph  150,  355. 
Dohme,     Louis     und     Karl 

840. 
Dolge,  Alfred  405. 
Dorner,  Hermann  367. 
Dorsch,  Eduard  479. 
Dossert,  E.  G.  515. 
Douai,  Adolf  367,  464. 
Drescher,  Martin  496. 
Dresel,  Friedrich  Otto]^464. 

—  Julius  377. 

Drexel,  Franz  Martin  410. 
Dreyfuß  377. 
Dubbs,  Martin  383. 
Duden,  Gottfried  265. 
Dulon,  Rudolf  367. 
Dyck,  Ernest  525. 

Ebbing,  Hieronimus  42. 
Eberhardt,  Max  496. 
Eberle  458. 

Eckert,  Thomas  T.  422. 
Ege,  Georg  140,  382. 

—  Michael  382. 
Engel,  Paul  181. 
Engelmann,  Adolf  314,  325. 

—  Friedrich  267. 

—  Georg  447. 

—  Peter  368. 
Engels,  Georg  520. 
Ehninger,  John  546. 

von    Ehrenberg,    Hermann 

282. 
Ellmenreich,  Franziska  518. 
von  Ellsner,  Marie  529. 
Ellwanger,  Georg  375,  583. 
Eiboeck,  Joseph  463. 
Eichberg,  J.  515. 
Eichholz,  Jakob  530. 
Eickemeyer  440. 
EickhofF,  Anton  336,  463. 
Eidlitz,  Otto  577. 
Eigenmann,  Karl  H.  449. 
Eilers,  Anton  F.  425. 
Eisfeld,  Theodor  506. 
Eppelheimer  420. 
Ernst,   August  Friedrich  456. 

—  Friedrich  H.  497. 

von  Esebeck,  Eberhard  242. 
Ettwein,  Johann  94. 
Ewers,  John  546. 


—    634 


Faber,  Eberhard  408. 
Fabricius,  Jakob  42. 
Fabris,  Amande  525. 
Faesch,  Johann  Jakob  141,  382. 
Fahnestock,  Samuel  382. 
Falkner,  Justus  588. 
Faust,  Albert  456. 

—  Anton  593. 
Federmann,  Nikolaus  9. 
Fellbaum,  Georg  220. 
Fendler  447. 

Fern,  Edna  (Fernande  Richter) 

465,  487. 
Fernow,  Bernhard  E.  379. 
von  Fersen,   Axel,   Graf  242. 
Fetterman  328. 
Fick,  Heinrich  367,  479,  494. 
Fiedler  513. 

von  Fielitz,  Alexander  51 5. 
Fink,  Albert  420,  425. 
Fischer  (Gärtner)  380. 

—  Emil  524,  526. 

—  Richard  P.  379. 
Flad,  Heinrich  426. 
Fleischer-Edel,  Katharina  528. 
Fleming,  A.  B.  336. 
Foerderer,  Robert  H.  336, 400. 
Förster,  Adolf  515. 

Folien,  Karl  31 1, 350,  357,  456. 
Formes,  Wilhelm  523,  525. 
Francke,  Kuno  359,  456,  475. 
Franke,   Gotthilf  August  147. 
Frankenberg,  Karoline  Louise 

364. 
Frankenstein,    Gottfried   538. 
Franklin,  Benjamin  355. 
Franser  447. 
Frick,  Henry  C.  383. 
Friederang,  Max  A.  546. 
Friedländer,  Julius  Reinhold 

459. 
Friedrich  447. 
Fritzsche,  Gebr.  403. 
Fröhlich  377. 
Fuchs,  Emil  546. 
Füchsel,  Hermann  538. 
Fulda,  Ludwig  367. 
Fullenweider,  Peter  220. 
Funk,  Wilhelm  546. 

Gadsky,  Johanna  501,  525. 
Gail,  G.  W.  399. 


Gatschet,  Albert  S.  451. 
Gay,  Walter  559. 
Geib,  Adam   142. 
Geiger,  Emilie  192. 
Geißenhainer  382. 
Geistinger,  Marie  519. 
Genee,  Ottilie  521. 
Gerber,  Adolf  456. 
Gericke,   Wilhelm    507,   510, 

511. 
Gerke,  Johann  546. 
Gerstäcker,  Friedrich  466. 
Gerster,  Etelka  501. 
Geyer  447. 
Gibson,  Lauretta  583. 
Giegold,  Georg  479. 
Giers,  Gertrude  519. 
Gillon,  Alexander  190. 
von  Gilsea  310. 
Gindele  423. 

Gist  (Geist),  Christoph  154. 
Gmelin  423. 
Göbel,  Gert  464. 
—  Julius  456,  463. 
Görlitz  528. 
Goldbeck,  R.  515. 
Goritz,  Otto  525. 
Gottschalk,  Louis  515. 
op  den  Graeff,  Abraham  und 

Dirk  52. 
von    Graffenried,    Christoph 

101. 
Grahamer,  Joseph  479. 
Gram,  Hans  514. 
Graupner,  Gottlieb  506,  514. 
Graves,  Henry  S.  379, 
Greider,  Margarethe  193. 
Greß  595. 

Grill,  Friedrich  494. 
Grözinger,  G.  377. 
Groll,  Albert  546. 
Gronau,  Israel   Christian  83. 
Groß,  Samuel  458. 
Großmann,  Maximilian  367. 
Grubb,  Peter  140,  382. 
Grund,  Franz  Joseph  357, 456. 
Gudehus  524. 
Günther,  Richard  336. 
Guggenheim,   Benjamin  386. 
Gundlach,  Jakob  377. 
Gutherz,  Karl  546. 
Gutwasser,  Johann  Ernst  42. 


de  Haas,  Karl  479. 
Haase,  Friedrich  518. 
Habelmann,  Theodor  523, 

525. 
Haberland,  Paul  407. 
Hadley,  Arthur  361. 
Hager,  Johann  Heinrich   101. 
Hagner  314. 
Hagen,  A.  449. 

—  Peter  Albrecht  514. 
Hahn,  Michael  336. 

Haidt,  Johann  Valentin  530. 
Haldeman,  Samuel  447. 

—  W.  382. 

Hamann,  Eduard  517. 
Hamburg- Amerikanische 

Paketfahrt-Aktiengesell- 
schaft 412. 

von  Hammer  459. 

Hammer,  Johann  383. 

Hammerstein,  Oskar  528. 

Hardenbergh,  Henry  J.  577. 

Hartmann,  Johann  Adam  221. 

Hartranft  463. 

—  Johann  Friedrich  314,  336. 
Harttafel  142. 

Hartweg  447. 
Hartwich,  Hermann  559. 
Hasenclever,  Petir  140. 
Hassaurek,  Friedrich  441,464. 
Hassendeubel,  Franz  314,  325. 
Hassler,     Ferdinand     Rudolf 
419. 

—  Simon  515. 

Hastreiter,   Helene  525,  529. 
Hauck,  Minnie  526,  529. 
Haupt,  Hermann  424. 
Hausegger,  Nikolaus  188. 
Hauser,  Karl  496. 
Havemeyer,  Familie  386. 

—  H.  O.  583. 

Hazelius,   Ernst  Ludwig  455. 

Heber,  Carl  564. 

Hecker,   Friedrich    314,    320, 

351. 
Heckewelder,  Johann  94,  450. 
von  Heer,  Bartholomäus  190. 
Heermann,  Hugo  513. 
Hehl,  Elise  518. 
Heidelbach  410. 
Heimbach,  David  382. 
Heinemann  409. 


—     635 


Heinrich  von  Preußen,  Prinz 

599. 
Heinz,  Heinrich  J.  394. 
Heinze,  F.  Augustus  385. 

—  Karl  441. 
Heinzelmann,   Samuel    Peter 

310,  314. 
Heinzen,  Karl  305,  444,  464, 

497. 
Heis,  Marie  191. 
Heister,  Familie   189. 

—  Gabriel  382. 

—  (Hiester),  Joseph  336. 
Heitzmann  460. 
Helfenstein,  Ernst  (Architekt) 

576. 

—  (Pastor)  183. 
Helfrich,  Samuel  382. 
Heller,  Otto  456. 

—  &  Merz  408. 
Helm,  Leonhardt  190. 
Helmuth   144,  185. 
Hempstead,  O.  G.,  &  Sohn 

416. 
Hench,  Georg  456. 
Henningsen,  Carl  Friedrich 

326. 
Henrici,  Ernst  496. 
Henschel,    Georg    507,    510, 

511. 
Hense,  Wilhelm  463. 
Hensen,  Johannes  475. 
Hercheimer,  Johann  Jost  159. 

—  Nikolas  182,  196. 
Hereus,  W.  C.  408. 
Herf  &  Frerichs  408. 
von  Herff  459. 
Hering,  Konstantin  459. 
Hermann,  August  147. 

—  Familie  52. 

—  Georg  497. 

—  (Theaterdirektor)  518. 
Herreshof,  Karl  Friedrich  419. 
H(  rrman,  Augustin  42,  446. 
Hertel,  Gebr.  577. 

—  Martin   154. 
Hertz,  Alfred  525. 
Hesse,  Georg  560. 
Hexamer,   Dr.  Charles   John 

609. 
Heyden  Chemical  Works  408. 
Heyder  447. 


Hildebrandt,     Alfred    Walter 

487. 
Hilgard  (Botaniker)  447. 

—  Eugen  Waldemar  449. 

—  Theodor  267. 
Hill,  U.  C.  506. 
Hillegas,  Michael  195. 

—  Peter  181. 
Hillgärtner,  Georg  441. 
Hilprecht,  Hermann  V.  451. 
Hilyard  377. 

Hinrichs,  Gustav  525. 
Hirsch  406. 
Hopf  447. 
Hötzsch,  Otto  367. 
HofFacker,  Bertrand  496. 
Hoffmann,  Franz  336. 

—  Julius  475,  477. 

—  R.  515. 

—  William  S.  451. 
Hoffmannsegg  447. 
Hofmann,  Joseph  513. 
Hofpaur,  Max  520. 
Hohlfeld,  A.  R.  456. 
Holland  143. 

von  Holleben  598. 
Hollenbach  218. 
Hüllender,  Peter  22. 
von  Holst,  Hermann  Eduard 

455. 
Holt,  Alfred  417. 
Holtzklau,  Johann  102. 
Horkel  447. 
Hörn,  Georg  H.  449. 
Hornbostel  575. 
von  Hoym,  Otto  517. 
Hubel,  Henni  473. 
Huber,  Johann  139. 
Hudson  River  Aniline&Color 

Works  408. 
Hülse,  Gotthoid  187. 
Humrickhausen  458. 
Hundt,  Ferdinand  477. 
Husman,  Georg  376,  377. 
Huß,  Hermann  48S. 
von  Hütten,  Philipp  9. 
Huygen,  Johann  42. 

Ikelheimer  &  Co.  410. 
International  Ultramarine  Co. 

408. 
Irschick,  Magda  518. 


Jacobi,  Abraham  459,  460. 
Jacoby,  Josephine  526. 
Jäger,  Georg  254. 
Jägers,  Albert  564,  568. 
von  Jagemann,   Karl  Günther 

456. 
Jakobs,  Benjamin  383. 
Janauscheck,  Fanny  519. 
von  Januschowsky,  Georgine 

519. 
Juch,  Emma  525,  526. 
Jüngling  409. 

Jungmann,  Johann  Georg  94. 
Junkermann  519. 
Joseffy,  Rafael  513. 

Kainz,  Joseph  519. 
Kaiser,  Ephraim  560. 
von  Kalb,  Johann  222. 
Kalteisen,  Michael  189. 
Kalle  &  Co  410. 
Kapp,  Friedrich  463. 
Kappes,  Alfred  546. 
Karsten  407,  456. 
Karthaus,  Peter  382. 
Kaufmann,  Theodor  541. 
Kautz,  August  V.  314,  324. 
Kayser,  Julius  402. 
Keller,  Mathias   (Komponist) 
515. 

—  (Maler)  549. 

Kelley,  Edgar  Stillman  515, 
516. 

Kellner,  Gottfried  T.  441,600. 

Kelpius,  Johann  71,  145. 

Kemp,  W.  H.  458. 

Keppler,  Joseph  337,  552. 

Keurlis,  Peter  52. 

Kichlein   189. 

Kiefer  459. 

Kierstede,  Hans  42. 

Killing,  Adolf  515. 

Kirchhoff,  Theodor  464,  493, 
497. 

Klauprecht,  Emil  463. 

Klaus  (Clous),  Johann  Walter 
329. 

Klein,  Bruno  Oscar  (Kom- 
ponist) 515. 

—  (Orgelbauer)  142. 
Klepper,  Max  F.  551. 
Klipstein,  A.,  &  Co.  408. 


—    636    — 


Klomann,  Andreas  u.  Anton 

383. 
Klotsch  447. 
Knaak,  Wilhelm  519. 
Knabe,  Wilhelm  402. 
Knapp,  Hermann  459. 
Knauth,    Nachod    &    Kühne 

210,  419. 
Kneisel,  Franz  513. 
Kniep,  Karl  492. 
Knobelsdorff  314. 
Knortz,  Karl  464. 
Knote,  Heinrich  526. 
Kobusch,  J.  H.  385. 
Koch,  H.  C.  576. 
Kocherthal,  Josua  von  99. 
Köhler  377. 

Körner,  Gustav  267,  336,  463. 
Kogel,  Gustav  513. 
Koltes,  Johann  A.  314,  325. 
Konti,  Isidor  563. 
Koppel,  Arthur  410. 
Krämer,  Heinrich  367. 
Krakowitzer,  Ernst  459. 
Kramer  447. 
Kranich  &  Bach  405. 
Kraus  (Crouse),  Johann  584. 
Krause,  H.  380. 
Krebs,  Marie  513. 
Krehbiel  459. 
Kreischer,  Balthasar  408. 
Kreisler,  Fritz  513. 
Kreutzer,  Karl  456. 
Krez,  Konrad  314,  471. 
Kroeber,  Alfred  L.  451. 
Kroger,  E.  R.  515. 
Kronberg.  Louis  549. 
Krüll,  Gustav  409. 
Krug,  Karl  377. 
Küffner,    William     C.    314, 

324. 
Kühne,  Friedrich  419. 
Kühnemann,  Eugen  361. 
Kuhn  (Botaniker)  447. 

—  Adam  (Mediziner)  458. 
Kuhns,  Oskar  463,  586. 
Kuirlis,  Peter  52. 
Kunders,  Tünes  52. 
Kuntze,  Edward  546. 

—  Johann  Christoph  144. 
Kunwald  513. 

Kunz,  George  Frederick  449. 


Kurtz  139. 
Kutschera  525. 

Lachmann  377. 
Ladenburg  410. 
La  Fevre,  Philipp  141. 
Laiboldt,  Bernhard  324. 
Lange,  Friedrich  459. 
Langenberg  377. 
Lankenau,  Johann  B.  583. 
Larkin  &  Scheffer  408. 
L'Arronge  518. 
Lauck,  Peter  187. 
Laufkötter,  August  282. 
Launitz,  R.  546. 
Lauth,  Bernhard  382. 
Lederer,  Johann  43,  446. 
Leffler,   Georg  u.  Jakob   220. 
Lehmann,  G.  W.  407. 

—  Lilli  501,  524. 
Leidy,  Joseph  458. 
Leiper,  Thomas  420. 
Leisler,  Jakob  27. 

von   Lengerke-Meyer,    Georg 

336. 
Lenning,  Chas.,  &  Co.  408. 
Lensen,  Jan  52. 
Leonard,  Helene  Louise  529. 

—  Rudolf  361. 
Leutze,  Emanuel  533. 
Lexow,  Charles  K.  581. 

—  Friedrich  und  Rudolf  441, 
464. 

Leyendecker,  Joseph  552. 
Leyh,  Eduard  441,  465. 
Lieber,    Franz    311,  350,  357, 
451,  479. 

—  Norman  455. 
Liebig,  Gustav  407. 
Liebling,  Emil  513,  515. 
Lichtmay,  Ines  523,  525. 
Lienau,  Detlef  569. 
Lindemann,  Wilhelm  402. 
Linder,  Henry  564,  568. 
Lindenthal,  Gustav  438. 
Lindheimer,  Ferdinand  Jakob 

447. 
Link  447. 

List,  Friedrich  455. 
Littauer,  Gebr.  402. 
Lochemes,  Michael  479. 
Lochmann,  Pastor  135. 


Loeb,  Julius  551. 
Löher,  Franz  463. 
Löser,  Paul  441. 
Lohmüller,  Joseph  561. 
Lorenz,  Julius  515. 

—  Karl  496. 

Lucca,  Pauline  501,  218,  523, 
Ludewig,  Hermann  Ernst  450. 
Ludlow,  Israel  257. 
Ludwig,    Christoph    181,  193,. 

214. 
Luken,  Jan  52. 
Lützenburg,  Aloys  459. 
Lugger,  Otto  449. 
Lukemann,  Henry  August  564, 
Lukens,  Karl  383. 
Lutz,  Johann  456. 
Lux  378.  ,-.^-  Mv?. 

Luyken,  Jan  52.       J  .        ' 
Lyon  315. 

Maaß,  Leopold  336. 

—  Louis  513. 

Mac  Dowell,  Edward  515,  516, 

Mack  90. 

Mahler,  Gustav  513. 

Mallinckrodt  Chemical  Works 
408. 

Mannhardt,  Emil  586. 

Mansker,  Kaspar  221,  254, 

Maretzek,  Max  523. 

Martiny,  Philipp  568. 

Martyr,  Peter  3. 

Marx  &  Rawolle  408. 

Mason,  William  513. 

Materna,  Amalie  501,  510,^ 
523,  526. 

Mathies,  Karl  Leopold  312^ 
314. 

Matkowsky,  Adalbert  519. 

Mattfeld,  Marie  526. 

Matzka,  Georg  513. 

Manch,  Max  564. 

Mayr,  Lina  519. 

Mehrlin,  Thomas  154. 

Mehlig,  Anna  513. 

Meier,  Adolf  382,  420. 

Meinen,  Franz  560. 

Melchers,  Gari  559. 

Melsheimer,  Friedrich  Valen- 
tin und  Friedrich  Ernst 
446. 


—    637     — 


Memminger,  Karl  Gustav  420. 

—  Gustav  Gh.  326. 
Menzel  447. 

Mergenthaler,  Ottomar  445. 
Merz,  M.  515. 

Mesch,  Elisabeth  474. 
Methua-Scheller  519. 
Metz,  H.  A.  &  Go.  408. 
Metzger  447. 
de  Meyer,  Nikolaus  42, 
Meyer,  Conrad  402. 
Meyers,  Jakob  259. 

—  Wilhelm  336. 
Meylin,  Martin   141. 
Meytinger,  Jakob  190. 
Michel,  Franz  Ludwig  101. 
Michels,  Friedrich  493. 
Miller  (Viehzüchter)  378. 

—  Heinrich,  143,  183. 

—  Peter  143. 
Milteaburger  458. 
Minnewit,  Peter  12. 
Mittelberger,  Gottlieb  1 18, 142. 
Mitterwurzer,  Friedrich  519. 
Möllhausen,  Balduin  466. 
Moench,  C.  400. 

Mohr    (Moor),    August    310, 

314. 
Mollenhauer,  Eduard  515. 
Moran-Olden,  Fanny  524. 
Morgan,  Daniel  186 
Mosenthal,  Joseph  513. 
Mosler,  Henry  553. 
Muck,  Karl  513. 
Mühlenberg,  Friedrich  August 

332,  335. 

—  Gotthilf  Heinrich  Ernst 
447 

—  Heinrich  Mechior  148. 

—  Peter  181,  205,  336 
Mühlmann,  Adolf  526. 
Müller  (Holzschneider)  409. 

—  Jakob  (Siedler),  220. 

—  Nikolaus  (Abgeordneter) 
336. 

—  W.  (Architekt)  380 

—  Wilhelm  (Dichter)  482,497. 

—  Wilhelm  (Fabrikant)  382. 
Müller-Ury,  Adolf  546. 
Münch,  Friedrich  463. 
Münsterberg,  Hugo  456,  457, 

496. 


Muschenheim,  William  G.  u. 
Frederick  A.  594. 

Nagel,  Charles  337. 

Nahl  552. 

Nast,  Thomas  337,  538. 

—  Wilhelm  456,  589. 
Neering,  Heinrich  142. 
Nehlig,  V.  542. 
Nehrling,  Franz  449. 

Neue  Photographische  Gesell- 
schaft 410. 

Neuendorf,  Adolf  518,  523. 

Neuheuser  (Nihiser)  458. 

Neumann,  Johann  Nepomuk 
447. 

Nicolai,  Johanna  496, 

Niedringhaus,  Wilhelm  F.  u. 
Friedrich  G.  385. 

Niehaus,  Charles  568. 

Niemann,  Albert  501,  524. 

—  -Raabe,  Hedwig  519. 
Nies,  Konrad  472,  483,  497. 
Niesvanger,  Peter  221. 
Nikisch,  Arthur  511. 
Nitschmann,  David  86. 
Noegerath  459,  460. 
Norddeutscher  Lloyd  412. 
Nordheimer,  Isaak  456. 
Nordhoff,  Karl  465. 
Nutter,  Johann  190. 

Ocean  Steamship  Navigation 

Company  412. 
Odilon,  Helene  520. 
Oelrichs  &  Co.  415. 
Ohr,  C.  H.  458. 
Opdyck,  Gysbert  42. 
Ortel,  Maximilian  456. 
Ortmann,  Arnold  449. 
Osterhaus,  Peter  Joseph  314, 

315. 
Osthaus,  Edmund  H.  550. 
Ostwald,  Wilhelm  361. 
Ottendorfer,  Anna  583. 

—  Oswald  441,  583 
Otterbein,  Philipp  Wilhelm 

149,  589. 
Ottmann  409. 

Pabst,  Friedrich  394,  584. 

—  Gustav  394. 


Pagenstecher,  A.  444. 
Paine,  John  Knowles  515. 
Pannebäcker  s.  Pennypacker. 
Panzner,  Carl  513. 
Pape,  Erich  552. 
Pappenheim,  Eugenie  523,526. 
Parker,  Horatio  516, 
Pastorius,    Franz    Daniel  51, 

446. 
Paulus,  Christoph  560. 
Pauly,  Peter  J.  385. 
Paur,  Emil  507,  511. 
Peabody,  Francis  G.  360. 
Pelz,  Paul  Johannes  569. 
Penck,  Albrecht  F.  361. 
Penn,  William  50. 
Pennypacker    (Pannebäcker), 

Familie  313. 

—  G.  314. 

—  Samuel  W.  336,  463. 
Pepper,  William  458. 
Petersen  Bielefeld,   Peter  42, 
Pettrich,  Ferdinand  560. 
Petzet,  Walter  515. 
Pfeiffer  447. 

Pfenning,  Ernst  407. 

Pfister,  Guido  400. 

Pfizer,  Charles  &  Go.  408. 

Pieper,  A.  380. 

Philipp,  Adolf  497. 

Pilat,  B.  380. 

Piper,  Konrad  383. 

Pitcher,  Molly  191. 

Poehlmann,  Johanna  526, 

Pöschel,  Michael  376, 

Poselger  447, 

Possart,  Ernst  519. 

Post,  Christian  Friedrich  161. 

Posiel,  Karl  (Charles  Seals- 
field)  466. 

Poth,  F.  A.  583. 

Potthast,  Edward  546. 

von  Pourtales,  Ludwig  Franz 
448. 

Power,  Weightmann  &  Rosen- 
garten Co.  408. 

Prang,  Louis  409. 

Precht,  Viktor  496. 

Pretorius,  Emil  441, 

Printz  von  Buchau,  Johann  23. 

Probst,  Johann  382. 

Puchner,  Rudolf  480,  497. 


—    638    — 


Quitmann,  Johann  Anton  310, 
336. 

Raab,  Heinrich  456. 
Rabenhorst  184. 
Raddatz,  Karl  456. 
Rafinesque  447. 
Raible,  Marie  496. 
Raine,  Friedrich  441. 
Raith,  Julius  310,  314,  325. 
Ralph,  Paula  526. 
Rapp,  Johann  Georg  284. 

—  Wilhelm  441. 
Rappold,  Marie  526. 
Raster,  Hermann  441. 
Rattermann,  H.  A.  463. 
Rau,  Karl  450. 

Rauch,  Christian  Heinrich  89. 

—  F.  A.  456. 

de  Reczke,Jean  u.  Eduard  525. 
Reichelsdorfer,  Friedrich  157. 
Reinhardt,  B.  F.  549. 
Reis,  Albert  526. 

—  Daniel  220. 
Reisenauer  513. 
Reisinger,  Hugo  598. 
Reisser  377. 

Rentgen,  Clemens  382,  383. 
Retzius  325. 
Reuling,  Georg  460. 
Reuss,  Adolf  268. 

—  P.  J.  496. 
Rheinfrank  595. 
Richards,  Theodore  W.  361. 
Rising,  Johann  24. 

Ritner,  Joseph  336. 
Rittig,  Johann  465. 
Rittenhausen,  David  143,  446. 
Ritter,  Friedrich  Louis  466, 51 5. 
Ritter-Götze  525. 
Robinson,  Adolf  523,  524. 
Rock,  Georg  140. 
Rockefeller,Johann  Peter409, 

—  John  D.  409. 
Roebüng,  Johann  August  385, 

429,  583. 

—  Washington,  A.  426,  435. 
Rölker,  Bernhard  456. 
Römer  447. 

Roeser,  Matthaeus  141. 
Roeßler  459. 

—  &  Haßlacher  408. 


Rohe  458. 
Rohr,  Mathias  479. 
Roller,  Emil  497. 
Rominger,  Karl  448. 
Rommel,  Gustav  477. 
van  Rooy,  Anton  525. 
Rose,  J.  H.  377. 
Rosefeld,  Bernhard  259,  262. 
Rosenberg,  W.  L.  497. 
Rosenstenge!,  Wilhelm  456. 
Rosenthal,  Hermann  490. 

—  Moritz  513. 

—  Toby  554. 
von  Roth  459. 
Roth,  Filibert  379. 

—  Johannes  94. 
Rothensteiner,    Johannes    E. 

475. 
Rothermel,  Peter  541. 
Rothmühl  525. 

Rothrock,  Dr.  Joseph  379,447. 
Royal  Americans,  The  161. 
Rubens,  Harry  602. 
Rubinstein,  Anton  513. 
Ruckstuhl,  F.  W.  564. 
Rübesamen,  Friedrich  464. 
Rüdemann,  Rudolf  449. 
Rümelin,  Karl  376. 

—  Karl  Gustav  455. 
Ruepping  398. 
Rütschi,  David  336. 
Rufner,  Georg  221. 
Rungius,  Karl  549. 
Rupp,  Daniel  463. 
Ruppelius,  Michael  268. 
Ruppert,  Eleonore  583. 
Ruppius,  Otto  466. 

Rush,  Dr.  Benjamin  138,  170, 

175,  498. 
Russell,  Lilian  529. 
Rutter,  Thomas  139. 
Ryan,  Thomas  513. 

Saar,  Louis  515. 
Sachs,  Julius  367. 
Sachse,  Julius  463. 
Salling,  Johann  154. 
Salm  447. 
Salomon,  Friedrich  314. 

—  Eduard  336. 

—  Karl  Eberhard  314. 
Sansewein  377. 


Sauer,  Emil  513. 

Säur,  Christoph  63,  146,  174. 

—  —  der  Jüngere  143. 
Scaria  510. 

Schaaf,  Johann  Thomas  458, 

459. 
von  Schack,  Georg  314. 
Schäberle,  Johann  M.  456. 
Schäfer  315. 

—  Alkaloid  Works  408. 

—  Piano  Co.  405. 
Schaff,  A.  564. 

—  Philipp  455,  462. 
Schaffer  (Schäfer),  Franz  514. 
Schaffmeyer,  Adolf  465. 
Schandein,  Emil  394. 
Scharwenka,  Xaver  513. 
Scheer  447. 

Scheff,  Fritzi  525,  529. 

—  Wilhelm   106. 
Scheffler,  Wilhelm  377. 
Scheib,  Heinrich  367. 
Schele,  Maximilian  456. 
Schell,   Franz   und   Frederick 

551. 

—  Johann  Christian  219, 
Sehern,  Alexander  Jakob  456» 

—  Peter  583. 
Schenck,  Dr.  C.  A.  379. 
Scherer,  Oscar  400. 
Schieren,  Charles  A.  401. 
Schiff,  Jakob  H.  410. 
Schilling,  Alexander  409,  546» 
Schimmelpfennig,    Alexander 

314. 
Schiras  314. 
Schladitz  409. 
Schlag,  Hugo  496. 
Schlatter,  Dr.  Karl  407. 

—  Michael  148,  184. 
Schleicher,  Gustav  336. 
Schlenk  410. 

Schley,  Johann  Thomas  U5^ 
150,  329. 

—  Winfield  Scott  329. 
Schlitz,  Joseph  394,  584. 
Schlosser,  Georg  181. 
Schmauk  463. 

Seh  m  ick  195. 
Schmidel,  Ulrich  9. 
Schmidt  (Architekt)  576. 

—  Carl  E.  (Fabrikant)  401. 


—    639 


Schmidt,    Johann     Heinrich 
(Komponist)  514. 

—  Johann    Wilhelm    (Pastor) 
184. 

Schmitmeyer     (Smithmeyer), 

Johann  L.  569. 
Schmitt,  Friedrich  Albert  495. 
Schmitz,  Eugenie  518. 
Schmöle,  Wilhelm  376. 
Schmucker,  S.  S.  456. 
Schnake,  Friedrich  496. 
Schnauffer,  Karl  Heinrich  469, 

496. 
Schneider,  Emil  496. 

—  Karl  Konrad  429. 
Schnetter,  Joseph  459. 
Schnively,  Jakob  458. 
Schnyder,  Simon  336. 
Schöllkopf,  J.  F.  401. 
Schönberger,  Georg  u.  Peter 

383. 
Schönfeld,  Hermann  (Gelehr- 
ter) 456. 

—  H.  (Komponist)  515. 
Schönrich,  Otto  367. 
Schöpf,  Alban  314. 
Scholl  377. 

Schott  (Botaniker)  447. 

—  Anton  523. 

—  Arthur  449. 

—  Paul  215. 

von  Schrader,  Alexander  314, 

328. 
Schrader,  Georg  H.  F.  583. 
Schramm,  J.  377. 
Schrank  447. 
Schranz,  A.  377. 
Schratt,  Kathi  519. 
Schreewe  259,  262. 
Schreiber,  Ferdinand  497. 
Schreyvogel,  Charles  541. 
Schriek,  Paul  42. 
Schriver  314. 
Schröder-Hanfstängel  523. 
Schuck,  Michael  254. 
Schuckert,  Karl  449. 
Schussele,  Christian  538. 
Schüttner  315. 
Schultz,  August  400. 

—  Fritz  410. 

Schulze,  Johann  Andreas  336. 
Schumacher,  A  ,  &  Co.  416. 


Schumacher,  F.  394. 

—  Hermann  A.  361,  463. 
Schumann-Heink,     Ernestine 

501,  525. 
Schunk,  Francis  336. 
Schuricht,  Hermann  367,  463. 
Schurz,    Karl   311,   314,    319, 

334,  337,  338,  378,  465,  599, 

602. 
Schwab,  Charles  383,  584. 

—  Gustav  H.  415. 
Schwan,  Friedrich  517. 

—  Theodor  328. 
Schwarz,  E.  A.  449. 
Schwarzschild  399. 
Schweighofer,  Felix  520. 
von  Schweinitz,  David  447. 
Schwerdkopf,  Johann  375. 
Schwerin,  D.  B.  464. 
Seebach,  Marie  519. 
Seeböck,  W.  C.  515. 
Seidensticker,    Oswald    456, 

463,  600. 
Seidl,  Anton  507, 510,  522,  524. 
Seidl-Kraus,   Auguste    523, 

524. 
Seligmann,  E.  R.  <55. 

—  Isaak  410. 
Selinger,  Paul  546. 
Sembrich,  Marcella  525. 
Seubert  447. 

Seybert,  Adam  336. 
Sibbel,  Joseph  560. 
Siegel,  Henry  410. 
Sigel,  Franz  314. 
Silier,  Frank  475,  479. 
Singer,  Otto  515. 
Simens,  Jan  52. 
Simon,  Menno  49. 

—  Dr.  Wilhelm  407. 
von  Skal,  G.  465. 
Sloman,  Robert  411. 
Sodowsky,  Anton  154. 
Sohmer  &  Co.  405. 
Solger,  Reinhold  464. 

—  Rudolf  367. 
Sombart,  W.  367. 
Sonnenthal,  Adolf  519,  520. 
Sonntag,  Wilhelm  538. 
Sontag,  Henriette  501. 

—  Karl  519. 

Sorma,  Agnes  519,  520. 


Spangenberg  (Zeichner)  380. 

—  A.  G.  86. 

Speck  von  Sternburg  598. 
Speier,  A.  278. 
Speyer,  James  410. 
Spicker,  Max  515. 
Spielter,  Hermann  515. 
Spinner,  Francis  E.  326. 

—  Johann   P.  326. 
von  Spitzer  568. 
Spreckels,  Claus  387, 419,  584. 
Stade,  Hans  9. 

Stahel,  Julius  314. 

Stallo,  Johann  Bernard    334, 

336,  339. 
Stamer  377. 
Staudigl,  Josef  523. 
Stavenhagen  513. 
Steck  &  Co.  405. 
Stedmann   140. 
von  Stein,  Albert  423. 
Steiner,  Franz  526. 

—  Ludwig  u.  Bernhard  456. 

—  Michael  221,  254. 
Steinweg  (Steinway),  Heinrich 

Engelhard  403. 

von    Steinwehr,    Adolf   310, 
314,  320. 

Steinwehr,  Christian  310. 

Steinmetz,    Dr.    Karl  Prome- 
theus 440- 

Steitz,  Benjamin  256. 

Steitzel,  Robert  444. 

Stengel,  Georg  401. 

Stern  377. 

Sternberg,  George  M.  329. 

Steuben,    Friedrich    Wilhelm 
von  226. 

Stiefel  (Brauer)  584. 

—  (Lehrer)   150. 

Stiege!,     Friedrich     Wilhelm 

von   139. 
Stieglitz,  Alfred  549. 
Stöhr,  Eduard  P.  R.  406,  410. 
Stöver  135. 
Stollwerk,  Gebr.  410. 
Strauch,  Adolf  380. 
Straus,  Oskar  337. 
Strauß,  Richard  513. 
Strecker,  Hermann  449. 
Strepers,  Wilhelm  52. 
Strich  &  Zeidler  405. 


640 


Stricker,  Johann  309. 
Stritt,  Albert  524. 
Strobel,  Charles  S.  438. 
Strübing,  Philipp  190. 
von  Struve,  Gustav  462. 
van  der  Stucken,   Frank  507, 

512. 
Sturenburg,  Caspar  465. 
Sucher,  Rosa  525. 
Sulzberger  399. 
Sutro,  Adolf  424,  584. 
Sutter,  Johann  August  277. 
Swearingen,  J.  255. 

Taloj  (v.  Jakob)  462,  467. 
Tanneberger  142. 
Taschemacher,  Heinrich  283. 
Taussig,   Frank  William   455. 
Teilkampf,  Johann  455. 
Ternina,  Milka  525. 
Tewele,  Franz  519. 
Thalberg  513. 
Thalmann  &  Co.  410. 
Theiß,  Johann  W.  476. 
Theissen,  Reinert  52. 
Thomann,  Johann  377. 

—  Rudolf  497. 
Thomas,  Arthur  546. 

—  Theodor  507,  508. 
Tietze  409. 

Timm,  H.  C.  506. 
Tisen,  Reinert  52. 
Toeplitz,  Martha  496. 
Topp,  Alide  513. 
Torges,  A.  380. 
Traut,  Elise  593. 
Treutlen,  Adam  336. 
Triebel,  F.  E.  564 
Troost,  Gerhard  447. 
Trophagen,  Wilhelm  42. 
Tünes,  Abraham  52. 
Twachtmann,  John    Henry 
546. 

Uhl,  Edward  583. 
Uhle,  Friedrich  Max  450. 
Uihlein,  Gebrüder  394. 
Ulffers,  Hermann  426. 
Ulke,  Henry  449. 
Ulrich,  Charles  F.  546. 
Unger,  Julius  522. 
Urban,  Henry  465. 


Valentini,  Philipp  450. 
Veiten,  Arthur  515. 
Verona  Chemical  Works  408. 
Vespucci,  Amerigo  5. 
Vianden,  Heinrich  538. 
Viereck,  George  Sylvester490. 
Villard,  Henry  420,  583,  584. 
van  Vleck,  Tielmann  42. 
Vogel,  Friedrich  400. 
Vogt  459. 

Vollmer,  Johann  P.  374. 
Vonderschmitt,  Johan  141. 

Wachsner,  Leon  521. 
Wachtel,Theodor501, 523,525. 
Wagner,  Johann  Andreas  325. 

—  Louis  314. 
Waiden,  Harry  520. 
Waldo,  Samuel  113. 
Waldseemüller,  Martin  6. 
Wallrat,  Wilhelm  106. 
Walther,  Karl  Ferdinand  588. 

—  L.  F.  456. 
Waltz,  Peter  458. 
Wanamaker  (Wannemacher), 

John  336,  409. 
Wangelin,  Hugo  314,  325. 
Wangenheim  447. 
Weber,  Albert  403. 

—  Gustav  C.  459. 

—  Karl  Maria  282. 

—  Max  314,  325. 

—  Wilhelm  267. 
Wehrum,  Heinrich  385. 
Weimer,  Karl  Ferdinand  533, 

537. 
Weingartner,  Felix  513. 
Weinmann,   Adolf  Alexander 

563. 
Weiser,  Johann   Konrad  106. 

—  Konrad  109. 
Weisflog,  Gebr.  407. 
Weiß,  Familie  595. 

—  (Lehrer)  150. 

—  Ludwig    (Rechtsgelehrter) 
122. 

Weitzel,  Gebrüder  221. 

—  Gottfried  314,  323,  426. 
Weib,  Ferdinand  521. 
Wells,  Wilhelm  221. 
Weltner,  Ludwig  188. 
Wenckebach,  Carla  593. 


Wenzell,  A.  B.  546. 
Werber,  Mia  520. 
Wernweg  423. 

Wesselhöft,Johann  Georg  441. 
Wetzel,  Johann  255. 

—  Ludwig  255. 
Weyberg  184. 

Weyerhäuser,  Friedrich  408. 
White,  Andrew  D.  598. 

von  der  Wieden,  Georg  Ger- 
hard 189. 

Wiesenthal,  C.  F.  458. 

Wilhelmj,  August  513. 

Willich,  August  314,  320. 

Winkel,  J.  377. 

Winkelmann  510. 

Winkler,  Willibald  464. 

Winter,  Joseph  491. 

Wirt,  Wilhelm  336. 

Wislizenus,  Adolf  447. 

Wissner,  Otto  405. 

Wistar,  Kaspar(Fabrikant)  139. 

(Mediziner)  458. 

Wister,  Isaak  314. 

Woerishoffer,  Anna  583. 

Wolf,  Georg  336. 

Wolff,  Albert  470. 

Wolsiefer,  Mathias  (Musiker) 
499. 

Wolsieffer  (Weinbauer)  376. 

Wonneberg  380. 

Wülfing  410. 

Wuest,  Albert  549. 

Zane  (Zahne),   Ebenezer  257. 

—  Elisabeth  192. 
Zeisberger,  David  93,  450. 
Zeller,  Christiana  220. 
Zenger,  Peter  178,  441. 
Zerrahn,  Karl  507,  510. 
Ziegenhagen   147. 
Ziegler,  David  257. 
Zimm,  Bruno  Louis  564. 
Zimmermann,  G.  A.  367. 

—  Mathias  142. 

von  Zinzendorf,  Graf  Nikolaus 

Ludwig  85. 
Zipperlen,  Adolf  459. 
Zuberbühler,  Sebastian  113. 
Zundt,  Ernst  Anton  496. 
Zweibrücken  -  Birkenfeld, 

Christian  u.  Wilhelm  242. 


DEUTSCHE  BANK 


BERLIN  W. 


Zentrale:   Behrenstraße  9 — 13. 
Zentralleitung  der  Depositenkassen :    Mauerstraße  28. 

AKtienkapital     .     .     .     200000  000  Mark. 
Reserven 103  699  000  MarK. 

Im    letzten   Jahrzehnt    (1899—1908)    verteilte    Dividenden:     11,    11,    11,    11,    11, 

12,  12,  12,  12,  12^/0. 

Filialen : 

BREMEN:  Deutsche  Bank  Filiale  Bremen,  Domshof  22—25, 

DRESDEN:  Deutsche    Bank    Filiale    Dresden,    Ringstr.  10    (Johannesring),    mit 

Depositenkasse  in  Meißen, 
FRANKFURT  a.  M.:   Deutsche  Bank  Filiale  Frankfurt,  Kaiserstr.  16, 
HAMBURG:  Deutsche  Bank  Filiale  Hamburg,  Adolphsplatz  8, 

KONSTANTINOPEL:  Deutsche  Bank  Filiale  Konstantinopel,   Stambul,   Basmadjian   Han, 
LEIPZIG:  Deutsche  Bank  Filiale  Leipzig,  Rathausring  2, 

LONDON:  Deutsche  Bank  (Berlin)  London  Agency,  4  George  Yard,  Lombard 

Street  E.  C., 
MÜNCHEN:  Deutsche  Bank  Filiale  München,  Lenbachplatz  2, 

NÜRNBERG:  Deutsche  Bank  Filiale  Nürnberg,  Adlerstr.  23, 

AUGSBURG:  Deutsche  Bank  Depositenkasse  Augsburg,  Philippine  Welserstr.  D,29, 

WIESBADEN:  Deutsche  Bank  Depositenkasse  Wiesbaden,  Wilhelmstr.  18. 


Eröffnung  von  laufenden  Rechnungen.     Depositen-  und  Scheckverkehr. 
An-  und  Verkauf  von  Wechseln  und  Schecks  auf  alle  bedeutenderen  Plätze  des 

In-  und  Auslandes. 

Akkreditierungen,  briefliche  und  telegraphische  Auszahlungen  nach  allen  größeren 

Plätzen  Europas  und  der  überseeischen  Länder  unter  Benutzung  direkter  Verbindungen. 

Ausgabe  von  Welt-Zirkular-Kreditbriefen,  zahlbar  an  allen  Hauptplätzen  der  Welt, 

etwa  1800  Stellen. 
Einziehung  von  Wechseln   und   Verschiffungsdokumenten   auf  alle   überseeischen   Plätze 

von  irgendwelcher  Bedeutung. 

Rembours-Akzept  gegen  überseeische  Warenbezüge. 

Bevorschussung  von  Warenverschiffungen. 

Vermittelung  von  Börsengeschäften  an  in-  und  ausländischen  Börsen,  sowie  Gewährung 

von  Vorschüssen  gegen  Unterlagen. 

Versicherung  von  Wertpapieren  gegen  Kursverlust  im  Falle  der  Auslosung. 

Aufbewahrung  und  Verwaltung  von  Wertpapieren. 

Die    Deutsche    Bank    ist    mit    ihren    sämtlichen    Zweigniederlassungen    und    Depositen- 
kassen   amtliche    Annahmestelle    von    Zahlungen    für    Inhaber    von    Scheck-Konten    bei 
dem  kaiserl.  königl.  Österreichischen  Postsparkassenamte  in  Wien. 


VERLAG  VON  DIETRICH  REIMER  (ERNST  VOHSEN)  IN  BERLIN  SW48 


Therese  Prinzessin  von  Bayern,  Dr.  ph.  h.  c:   Reisestudien 
aus   dem   westlichen   Südamerika,    zwei  Prachtbände  von  etwa 

750  Seiten  8°,  mit  6  Tafeln,  25  Vollbildern,  136  Textabbildungen  und  6  Karten. 
Elegant  gebunden  M.  20. — . 

„.  .  .  Vorangestellt  ist  dem  Reisebericht  aus  Kolumbien  ebenso  wie  jenem  aus  Ecuador,  Peru,  Bolivia  und 
Chile  eine  allgemeine  Charakieristik  des  Landes,  welche  ebenso  von  Vertrautheit  mit  der  einschlägigen  Literatur 
wie  von  der  eigenen  Beobachtung  der  hohen  Verfasserin  Zeugnis  gibt.  Besonders  die  ethnographischen 
Schilderungen  sind  durch  selbständige  Darstellung  und  vorzügliche  Abbildungen  ausgezeichnet.  Geradezu 
erstaunlich  ist  die  Gelehrsamkeit  und  Literaturkenntnis  der  Verfasserin  in  allem,  was  die  biologischen  Ver- 
hältnisse betrifft;  in  diesen  Abschnitten  erhebt  sich  das  Werk  zum  Charakter  eines  wissenschaftlichen  Hand- 
buches. Doch  sind  diese  streng  gelehrten  Untersuchungen  derart  in  den  Reisebericht  und  die  landschaft- 
lichen Schilderungen  verflochten,  daß  die  Lektüre  keineswegs  ermüdend  wirkt.  Wahre  Perlen  landschaftlicher 
Charakteristik,  an  Humboldts  berühmte  Naiurgemälde  erinnernd,  sind  die  Beschreibungen  der  Llanos,  des 
ecuadorianischen  Urwaldes,  der  Atacamawüste  u.  a.  .  .  ." 

(Münchener  Allgemeine   Zeitung.)    Prof.  E.  Oberliummer. 

Von  derselben  Verfasserin  ist  früher  erschienen: 

Meine  Reise  in  den  brasilianischen  Tropen.     Ein  Prachtband 

von  etwa  540  Seiten  8**,  mit  2  Karten,  4  Tafeln,  18  Vollbildern  und  60  Textabbildungen. 
Elegant  gebunden  M.  14. — . 

Prof.  Dr.  Hans  Meyer:    In   den   Hochlanden   von   Ecuador, 

ChimboraZO,  CotOpaxi  usw.  Reisen  und  Studien.  566  Seiten  groß-8", 
mit  3  farbigen  Karten,  138  Abbildungen  und  37  Tafeln.  Elegant  gebunden  M.  15. — . 
Hierzu:  Bilder- Atlas.  24  farbige  und  2  Lichtdruck- Großquarttafeln  in  eleganter 
Leinwandmappe  M.  75. -.     Beide  Werke  zusammen  bezogen  M.  80.—. 

„Seinem  schönen  Werke  über  den  Kilimandjaro,  den  auf  drei  Reisen  von  ihm  untersuchten  und  bestiegenen, 
von  Eis  gekrönten  Riesenvulkan  ^6010  m)  des  tropischen  Afrika  (Dietrich  Reimer  [Ernst  Vohsen],  Berlin  löOO: 
Prof.  Dr.  Hans  Meyer,  Der  Kilimandjaro.  Reisen  und  Studien.  Mit  4  Tafeln  in  Farbendruck,  16  Tafeln  in 
Lichtdruck,  20  Tafeln  in  Buchdruck,  2  farbigen  Originalkarten  und  103  Textbildern.  Elegant  gebunden 
M.  25.—),  hat  Hans  Meyer  soeben  ein  nach  Form  und  Inhalt  monumentales  Werk  über  die  Schnee-  und  Eis- 
regionen des  ecuadorianischen  Hochgebirges  im  tropischen  Südamerika  folgen  lassen.  Es  ist  die  Frucht 
einer  im  Sommer  1903  ausgeführten  fieise,  für  welche  der  Münchener  Maler  Rudolf  Reschreiter  als  Begleiter 
gewonnen  war.  In  den  schönsten,  regenärmsten  und  kühlsten  Monaten  des  ecuadorianischen  Hochlands, 
Juni,  Juli  und  August,  dem  sogenannten  Verano,  welcher  von  zwei  wärmeren  und  regenreichen  Perioden  ein- 
geschlossen ist,  haben  die  Reisenden  von  den  gewaltigen  Vulkanen  Ecuadors,  die  teilweise  über  6O0O  m 
emporragen,  den  Chimborazo,  Carihuairazo,  Cerro  Altar,  Cotopaxi,  Quinlindana  und  Antisana  bef;angen  und 
untersucht,  den  Chimborazo  (6310  m)  sogar  zweimal.  Das  ist  eine  sehr  bemerkenswerte  Leistung,  welche 
von  der  frischen  Energie,  von  der  das  Unternehmen  getragen  war,  Kunde  gibt.  Daß  es  sich  dabei  nicht  um 
flüchtige,  rein  sportliche  Wanderungen  handelte,  lehrt  die  Fülle  der  mitgeteilten  Beobachtungen  und  die 
gleichzeitige  Darbietung  eines  Anschauungsmaterials  von  ungewöhnlichem  Reichtum." 

(Süddeutsche    Monatshefte.)     Prof.  Dr.  Ericfi  von  Drygalski. 

"rot.    Dr.    H.    brdmann,    Direktor  des   Anorganisch -chemischen   Instituts   der 

Königlichen  Technischen  Hochschule  zu  Berlin:  Alaska,  ein  Beitrag  zur  Ge- 
schichte nordischer  Kolonisation.  Bericht,  dem  Herrn  Minister  der  geistlichen, 
Unterrichts-  und  Medizinal-Angelegenheiten  erstattet.  Mit  68  Voll-  und  Textbildern 
und  einer  großen  Karte  von  Alaska,     Elegant  gebunden  M.  8.—. 

,.  .  .  Es  ist  ein  Bericht  des  Direktors  des  Chemischen  Institutes  der  Berliner  Technischen  Hochschule  an 
den  preußischen  Kultusminister,  aber  ein  Bericht,  der  sich  bei  aller  Wissenschaftlichkeit  und  bei  aller  Tat- 
sachenfülle fast  wie  ein  fesselnder  Roman  liest.  Gäbe  es  doch  mehr  solcher  amtlicher  Berichte,  und  würden 
doch  ihrer  mehr  veröffentlicht!  Erdmann  hat  auf  früheren  großen  Reisen  die  Goldwäschereien  und  -berg- 
werke  im  Ural,  im  Altai  und  in  Ostsibirien,  in  der  Nordmongolei,  Mandschurei,  Japan  usw.  kennen  gelernt 
und  überall  mitgearbeitet  beim  Aufbereiten  der  Erze  und  beim  Waschen.  Diese  riesige  Erfahrung  zieht  er 
bei  der  Betrachtung  und  Schilderung  der  Alaska-Goldfelder  überall  zu  Rat,  was  dem  Buch  einen  großen  Wert 
und  der  Darstellung  einen  besonderen  Reiz  gibt.  Nicht  nur  der  Bergmann,  Industrielle  und  Geolog,  sondern 
auch  der  Geograph,  Nationalökonom  und  Politiker  wird  das  Buch  mit  viel  Gewinn  und  Genuß  lesen." 

(Tägliche    Rundschau.)     Prof.  Hans  Meyer. 


VERLAG  VON   DIETRICH   REIMER  (ERNST  VOHSEN)  IN  BERLIN  SW  48 


Max  Josef  von  Vacano:    Buntes  Allerlei   aus  Argentinien. 

Streiflichter  auf  ein  Zukunftsland.  Mit  36  Textbildern  und  einer  großen  Karte. 
Elegant  gebunden  M.  10. — . 

„.  .  .  Was  Vacano  uns  gibt,  ist  zwar  , Buntes  Allerlei',  aber  es  hat  den  schwerwiegenden  Vorzug,  aus  ur- 
eigenster Anschauung  des  Verfassers  zu  entspringen,  der  mit  offenem  Auge  einen  großen  Teil  des  mittleren 
und  nördlichen  Argentinien  bereist  hat.  Dieser  Quelle  seiner  Kenntnisse  über  Argentinien  entspricht  auch 
die  Methode.  An  der  Hand  seiner  Reisen  führt  uns  der  Verfasser  Land  und  Leute  vor.  Gern  folgen  wir 
dem  kundigen   Führer,  der  so  anschaulich  und  lebendig  zu  schildern  weiß  .  .  ." 

(Geographische  Zeitschrift.) 

Max  Josef  von  Vacano  und  Hans  Mattis:    Bolivien  in  Wort 

und  Dlld.  Aus  seiner  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft.  Mit  113  Ab- 
bildungen und  einer  Karte.     Elegant  gebunden  M.  10.—. 

„Die  im  vorliegenden  Vi'erk  behandelten  Gegenden  Südamerikas  gehören  zu  denen,  welche  europäischen 
Leserkreisen  wenig  bekannt  sind;  und  doch  ist  Bolivien  ein  Gebiet,  dessen  erstaunliche  mineralische  Boden- 
schätze, reiche  PHanzenwelt  und  fast  allen  Kulturpflanzen  der  Erde  günstiges,  unendlich  vielseitiges  Klima 
die  Aufmerksamkeit  weiterer  Kreise  in  Deutschland  vollauf  verdienen.  Beide  Verfasser  sind  seit  längerer 
Zeit  im  Lande  ansässig...  Das  Buch  zerfällt  in  drei  Teile:  einen  historischen  Rückblick,  elfKapitel 
aus  der  Gegenwart  Boliviens  und  Streiflichter  auf  die  Zukunft  des  Landes.  Der  zweite  Teil 
ist  der  umfangreichste  und  gibt  eine  Übersicht  über  sämtliche  Departements.  Die  Hotte  Schilderung 
orientiert  im  Fluge,  ohne  zu  ermüden,  und  nimmt  gelegentlich,  wo  eigene  Erlebnisse  in  den  Vordergrund 
treten,  eine  novellistische  Färbung  an.  Ausführlicher  veiweilen  die  Verfasser  bei  den  für  Bolivien  charak- 
teristischen Industrien,  der  G  u  m  m  i  gc  wi  n  n  u  ng  und  dem  Bergbau  (Goldwäschereien,  Silber-,  Kupfer- 
und  Zinnminen),  sowie  bei  den  Überresten  aus  prähistorischer  Zeit.  Zum  Schluß  werden  die 
Verke  h  rs  verh  äl  t  n  i  sse  und  zurzeit  bestehenden  Bahnprojekte  erörtert  und  daran  anknüpfend  zur 
Kolonisation  aufgefordert,  die  nach  Ansicht  der  Verfasser,  wenn  sorgfältig  vorbereitet  und  mit  Unter- 
stützung kapitalkräftiger  Gesellschaften  eingeleitet,  außerordentliche   Erfolge  verspricht.     (Weser-Zeitung.) 

Albert  Perl:  Durch  die  Urwälder  Südamerikas.  Mit eo Illustrationen 

im  Text  und  einer  Übersichtskarte.     Elegant  gebunden  M.  8. — . 

Die  »Neue  Freie  Presse"  in  Wien  nennt  das  vorliegende,  reich  illustrierte  Werk  das  erste  populäre  Buch 
über  die  großartigen  Naturschönheiten  und  die  gegenwärtigen  Kulturzustände  im  Innern  des  südamerikanischen 
Kontinents,  dessen  Inhalt  ebenso  belehrend  wie  anziehend  und  spannend  ist. 

Dr.  Max    Schmidt,   Direktorial- Assistent  am  Kgl.  Museum  für  Völkerkunde,  Berlin: 

Indianerstudien  in  Zentralbrasilien.     Erlebnisse  und  ethnologische 

Ergebnisse  einer  Reise  in  den  Jahren  1900  bis  1901.  456  Seiten  Lexikon-8".  Mit 
12  Lichtdrucktafeln  und  einer  Karte.     Gebunden  M.  12. — ,  geheftet  M.  10. — . 

„.  .  .  Jedenfalls  hat  er  sich  auch  in  den  schlimmsten  Lagen  als  trefflicher  Beobachter  bewährt.  Vor  allem 
gelang  es  ihm,  über  die  Soziologie,  Familien-  und  Rechtsverhältnisse  der  besuchten  Stämme  überaus  wichtige 
Ermittelungen  anzustellen  und  damit  geradezu  vorbildlich  zu  werden.  Auch  über  industrielle  Einzelheiten 
der  Technik  läßt  er  sich  eingehend  aus.  Für  die  Linguistik  ist  eine  Darstellung  der  Guatosprache  von 
höchster  Bedeutung  .  .  .  Die  Ausstattung  des  Buches  ist  vortrefflich.  Dankenswert  sind  besonders  die  zahl- 
reichen schematischen  Abbildungen  zur  Erläuterung  technischer  Einzelheiten." 

(Petermanns   Mitteilungen.) 

Booker  T.Washington:  Vom  Sklaven  empor.  Eine  Selbstbiographie. 

Autorisierte  deutsche  Übersetzung  von  Estelle  du  Bois-Reymond.  Mit  einem  Vor- 
wort von  Ernst  Vohsen.     Geheftet  M.  3. — . 

Die  Frage:  Was  können  die  Neger?  und:  Was  können  die  Neger  werden?  ist  eine  Frage  der  Menschheit. 
Daß  sie  Deutschland  nahe  angeht,  liegt  auf  der  Hand,  schon  weil  es  in  Afrika  gegen  zwölf  Millionen  Neger 
in  seinen  Schutzgebieten  als  Untertanen  zählt;  aber  Deutschland  hat  schon  zu  Herders  Zeit  das  tiefste  und 
wärmste  Interesse  für  alle  Humanitätsfragen  gehegt,  und  die  Zeit  der  Weltwirtschaft  und  der  Weltpolitik  kann 
dieses  Interesse  nur  vertieft  haben.  Hier  liegt  ein  kleines  Buch  vor  uns,  worin  ein  Neger  sein  Aufsteigen 
vom  Sklavenkind  zu  einem  der  geistigen  Führer  seines  Volkes  erzählt.  Es  ist  ein  Buch,  das  hoffentlich  viele 
Leser  findet.  Wir  wünschen  ihm  das  nicht  als  äußeren  Erfolg,  sondern  vor  allem,  weil  wir  uns  freuen,  daß 
endlich  in  den  langen  Auseinandersetzungen  über  die  Neger  ein  Mann  dieser  Rasse  selbst  das  Wort  ergreift; 
das  ist  zwar  schon  früher  dagewesen,  aber  sehr  selten.  (Die  Grenzboten.) 


VERLAG  VON  DIETRICH  REIMER  (ERNST  VOHSEN)  IN  BERLIN  SW  48 


Dr.  Wilhelm  Lacmann:  Ritte  und  Rasttage  in  Südbrasilien. 

Reisebilder  und  Studien  aus  dem  Leben  der  deutschen  Siedelungen.  Mit  12  Ab- 
bildungen.    Elegant  gebunden  M.  5. — . 

„Wer  sich  über  die  Natur  und  Wirtschaftsverhältnisse  der  deutschen  Kolonialgebiete  Südbrasiliens  zu  unter- 
richten wünscht,  wird  in  den  anschaulichen  Schilderungen  des  Verfassers  reiche  Belehrung  finden,  zumal 
sich  seine  Beobachtungen  nicht  nur  auf  die  schon  oft  beschriebenen  östlichen  Kolonien  von  St.  Catharina 
und  Rio  Grande  do  Sul,  sondern  auch  auf  die  neuen  im  Westen  dieses  Staates  bei  Cruz  Alta  und  am  oberen 
Uruguay  belegenen,  namentlich  die  Hermann  Meyerschen  Privatkolonien  Neu-Würitemberg  und  Xingu  be- 
ziehen, die  durch  rationelle  Anlage  und  gute  Leitung  heute  besondere  Beachtung  verdienen  .  .  ." 

(Petermanns  Mitteilungen.) 

M.  Alemann;  Am  Rio  NegrO.  Drei  Reisen  nach  dem  argentinischen  Rio 
Negro-Territorium.  Mit  90  Illustrationen,  2  Karten  und  einem  Situationsplan.  Elegant 
gebunden  M.  4.50,  geheftet  M.  3. — . 

„In  No.  316  schrieben  wir,  das  Argentinien  vorab  nur  für  kapitalkräftige  Gesellschaften  in  Betracht  käme,  die 
den  Schutz  des  Mutterlandes  hinter  sich  hätten.  Wir  wiesen  dabei  auf  die  Engländer  hin,  die  alle  Dampf- 
bahnen des  Landes  an  sich  gebracht  haben.  Unsere  Ansicht  haben  wir  inzwischen  bestätigt  gefunden  in  dem 
Buch  eines  der  besten  Kenner  Argentiniens,  eines  der  Herausgeber  des  deutschen  , Argentinischen 
Tageblattes",  der  schon  33  Jahre  in  Argentinien  lebt...  Das  Buch  ist  in  heiterem  Plauderton  abgefaßt, 
bringt  viele  humoristische  Episoden  und  bietet  damit  eine  anregende  Lektüre.  Mit  einer 
großen  Anzahl  bisher  unveröffentlichter  Originalaufnahmen  bildet  es  eine  Zierde  jeder  Bibliothek  und 
darf  als  eine  Quelle  reichhaltiger  Belehrung  empfohlen  werden.  Besondere  Sorgfalt  ist  der 
beigelegten  Spezialkarte  gewidmet  worden,  welche  die  allerneuesten  Eisenbahn-  und  Kanalbauten,  sowie  ein 
HöhenproHl  des  Talgeländes  bringt,  woraus  das  starke  Gefälle  des  Schwarzen  Stromes  (Rio  Negro)  ersichtlich  ist." 

(Kölnische  Zeitung,  14.  April  1907.) 

Dr.  Wilhelm  Schieß:  Quer  durch  Mexico,    vom  Atlantischen  zum 

Stillen  Ozean.    Mit  55  Illustrationen  und  16  Lichtdrucktafeln.     Gebunden  M.  8. — . 


Caecilie  Seier:  Auf  alten  Wegen  in  Mexico  und  Guatemala. 

Reiseerinnerungen  und  Eindrücke  aus  den  Jahren  1895  bis  1897.  Mit  65  Lichtdruck- 
tafeln, 260  Textbildern  und  einer  Karte.     Groß-8".     Gebunden  M.  20.—. 

Prof.  Dr.  Ed.  Seier:  Die  alten  Ansiedlungen  von  Chacula  im 
Distrikte  Nenton  des  Departements   Huchuetenang  und 

der  Republik  Guatemala.  Mit  50  Uchtdrucktafeln,  282  Abbildungen 
und  Plänen  im  Text  und  einer  Karte.  (Wissenschaftliche  Ergebnisse  einer  auf  Kosten 
Sr.  Exzellenz  des  Herzogs  von  Loubat  in  den  Jahren  1895—1897  ausgeführten  Reise 
durch  Mexico  und  Guatemala).    Gr.-4^     Geheftet  M.  32.—,  gebunden  M.  36.—. 

Prof.  Dr.  Karl  von   den  Steinen:  Unter  den   Naturvölkern 

AentralDraSiiienS.  Relseschilderung  und  Ergebnisse  der  zweiten  Schingü- 
Expedition  1887-1888.  Zweite  Auflage  als  Volksausgabe.  Mit  11  Tafeln  und 
153  Abbildungen  nach  den  Photographien  der  Expedition,  nach  den  Originalaufnahmen 
von  Wilhelm  von  den  Steinen  und  nach  Zeichnungen  von  Johannes  Gehrts,  nebst 
3  Routenkarten.     Lex.-8o.     Kartoniert  M.  5.50,  gebunden  M.  7.50. 

Herrosfe  &  Ziemsen,  G.  m.  b.  H.,  Wittenberg. 


,J?Ä^????^i^^ 


sss-y-css»' 


Universi^ 


Betkeley 


f^ 


197780 


>•£.'