tmmamnmatumumumiimiiummtmummmtmmmmmmm
U Karl Dor<z$scf> D D
Itfranzösisd)« Elkrafur
' PRES2NTED
IN MEMORY OF
PROFESSOR H. L. HUMFHR2Y3
SAMMLUNG KURZEB LEHKBUCHBR
DK IC
ROMANISCHEN SPRACHEN
UND LITERATUREN
n
EINFÜHRUNG IN DAS STUDIUM
DER
ALTFRANZÖSISCHEN LITERATUR
HALLE a. 8.
VERLAG VON MAX NIEMEYEK
L913
einfuhkim; in das studium
DER
ALTFRANZÖSISCHEN LITERATUR
IM ANSCHLU8S AN DIB EINFUHRUNG
IN DAS STUDIUM DER ALTFKANZÖSISCHEN SPRACH K
VON
Dr. CARL VORETZSCH
Ü. PROFESSOR DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT KIEL
ZWEITE AUFLAGE
HALLE a. S.
VERLAG VON MAX NIEMEYER
1913
^LlBR4f;
2 19;
'ITY OF TO«Ö*
tf>
besonders das der Übersetzung in fremde Sprachen,
vorbehalten.
IS-/
V7
Dem Andenken
Gaston Paris
Vorwort zur ersten Auflage.
Der vorliegende neue band der 'Lehrbücher' bringt die
im vorwort zum ersten band des Unternehmens versprochene
literarhistorische ergänzung. Seine anläge und austührung
erklärt sich aus dem allgemeinen zweck der Sammlung und
dem besonderen des bnches: es soll in erster linie dem Studenten
nützlich sein, welcher nicht gelegenheit hat eine Vorlesung über
alttranzösische literaturgeschichte zu hören oder welcher seine
kenntnisse mit hilfe eines gedruckten bnches weiter bilden
will. Nebenher kann es vielleicht auch den angehörigen der
nachbarfächer zur Orientierung über dieses oder jenes gebiet
der altfranzösischen literatur dienen.
Der leitende gedanke bei der ausführung war für mich
der. eine übersieht über die historische entstehung und ent-
wicklung der altfranzösischen literatur im ganzen und ihrer
hanptgattungen zu bieten, die wichtigsten werke zu besprechen
oder wenigstens hervorzuheben und von allem eine möglichst
konkrete Vorstellung zu geben. Dabei schien es mir vom
pädagogischen Standpunkt aus richtig, die anfange, als grund-
lage der weiteren entwicklung, möglichst genau, die zeit der
hauptblüte (12. Jahrhundert) mit annähernder Vollständigkeit,
die zeit der nachblute (13. Jahrhundert) unter hervorhebung
des wesentlichen darzustellen. Für den ausgang der alt-
französischen periode (anfang des 14. bis mitte des 16. Jahr-
hunderts) konnte ich mich mit einer kurzen Übersicht begnügen,
vi li Vorwort.
da dieser Zeitraum eine gesonderte behandhing in einem anderen
bände der Bammhing finden soll, den kollege Heuckenkamp
in Greifswald übernommen hat.
Da Vorlesungen über altfranzösische literaturgesehichte,
soviel ich sehe, an den Universitäten weit seltener sind als
solche über historische grammatik, war es angezeigt, in diesem
buch den rahmen etwas weiter zu fassen als in der sprach-
lichen eiufliliruDg, welche eine ergänzung durch Vorlesungen
oder durch das Studium eiuer ausführlichen grammatik fordert.
Ich habe daher hier alle notwendige bibliographie gegeben,
damit der lernende selbst in der läge sei sich weiterzubilden,
wenn er keine gelegenheit findet ein ausführlicheres kolleg über
altfranzösische literatur zu hören. Dass ich die beziehungen
zu den fremden literaturen, sei es dass sie der altfranzösischen
dichtuug gebend, sei es dass sie ihr empfangend gegenüber-
stehn, eingehend berücksichtigt habe, wird, denke ich, keinem
Widerspruch begegnen, besonders wo es sieh soviel um die
beziehungen zur deutschen literatur handelt. Wesentlich schien
es mir ferner für den pädagogischen zweck des buches, auch
die verschiedeneu ineinungen über die schwierigen ursprungs-
fragen der einzelnen gattungen in ihrer entwickluug darzustellen,
da es mir nicht darauf ankommen konnte, den lernenden zu
einem jitrare in verba magistri zu veranlassen, sondern viel-
mehr ihm eine möglichst genaue kenntnis der vorhandenen
ansichten zu geben und ihn zu selbständigem urteilen anzuleiten.
Um freilich den anfänger nicht ganz steuerlos auf dem wogenden
meer der meinungen herumirren zu lassen, habe ich, wo es
angebracht schien, das faeit aus den vorgeführten meinungen
zu ziehen gesucht, wobei es dem einzelnen immer noch un-
benommen ist, lieber einer der vorher dargestellten ansichten
zu folgen. "WO ich eine prägnante Charakteristik eines dicht-
werkes oder einer gattung bei einem meiner Vorgänger gefunden,
habe ich sie, unter hinweis auf die quelle, gerade in dies
Vorwort. ix
lehrblich gern übernommen, das eine „einführung" sein und
zu weiteren Studien anleiten will.
Die eingeschalteten texte endlich sollen kein liors d'ceuvre
sein — dann hätte ich auf eine beliebige Chrestomathie ver-
weisen können — , sondern sie bilden einen integrierenden
bestandteil des ganzen plans. Was helfen dem lernenden alle
noch so sorgfältigen definitionen der pastourelle oder der
Physiologusgeschichten, wenn er nicht ein lebendiges beispiel
dafür vor äugen hat? Ich habe selbst Vorlesungen über
literaturgeschichte (nicht bloss über altfranzösische) mit be-
gleitender Interpretation öfter gelesen und sehr praktisch ge-
funden. Will der leser also den rechten nutzen aus dem buche
ziehen, so darf er an den texten nicht vorübergeh n, welche so-
zusagen die illustration zu den theoretischen ausführungen bilden.
Die texte selbst setzen für das Verständnis nur elementare kennt-
nisse des altfranzösischen, etwa in dem umfang des in der „ Ein-
führung in das Studium der altfranzösischen Sprache" gegebenen,
voraus, daher ich bei seltenern erscheinungen auf diese „Ein-
führung" (AS) verwiesen haben. Was darüber hinausgeht, ist,
abgesehen etwa von den einzelheiten der formenlehre, in den
anmerkungen erläutert oder im glossar gegeben. Da auch
texte aus verschiedenen, nichtfrancischen mundarten gegeben
sind, kann das buch in dieser hinsieht auch zur erweiterung
der Sprachkenntnisse dienen.
In allen diesen pädagogisch -technischen fragen rnuss das
buch, wie das vorige, die feuerprobe des praktischen gebrauchs
bestehn und zeigen, ob es wirklich dem zweck entspricht, für
welchen der Verfasser es bestimmt hat.
Meinen ergebensten dank möchte ich auch an dieser stelle
Herrn Geh. Regierungsrat Professor Wendelin Foerster aus-
sprechen, welcher mir seine materialien für das hier wieder-
gegebene stück des Thomaslebens überlassen hat, sowie meinem
verehrten lehrer und freund Professor Hermann Suchier,
x Vorwort.
welcher mir eine kollution des textes aus dem Trojaroman
mit der im Halleschen Beminar befiodtiohen kopie der Mailänder
haudselirift besorgt hat. —
So viele hervorragende gelehrte auch die erforschnng der
altfranzösischen literaturgeschichte durch spezialstndien oder
durch umfassende, auf Quellenstudien beruhende darstellungen
gefördert haben, keinem namen begegnet man so oft, keinem
gelehrten verdankt unsere Wissenschaft soviel wie dem allzufrüh
dahingeschiedenen Gaston Paris, dessen schüler im eigent-
lichen sinn des Wortes gewesen zu sein ich mich nicht rühmen
kann, dessen forschungen und darstellungen aber jeder, welcher
sich mit der literatur des mittelalters beschäftigt, zu tiefstem
dank verpflichtet ist. Ihm und seinem andenken sei dieser
versuch einer pädagogischen darstellung der altfranzösischen
literaturgeschichte gewidmet.
Tübingen, »Sonntag den 2. Juli 1905.
Der Verfasser.
Vorwort zur zweiten Auflage.
Übersiedlung in ein neues lehranit hat die fertigstellung
der neuen aufläge über gebühr verzögert. Mein erstes bestreben
war darauf gerichtet, die neuen ergebnisse der einzelforschung
seit dem erscheinen der ersten aufläge zu prüfen und zu ver-
werten. Hierbei kam es mir überall auf das wesentliche an.
Man suche also in der bibliographie keine abhandluugen, welche
lediglich die grammatik eines denkmals behandeln, ohne die
Vorwort. xi
literaturgeschichte zu fördern. Auch habe ich bei leicbt zu-
gänglichen neuausgaben von texten mit literarhistorischer ein-
leitung die verweise auf ältere einzelliteratur gekürzt oder
ganz gestrichen.
Sodann habe ich mich bemüht, durch gelegentliche
kürzungen sowie durch stärkere Verwendung von petitdruck
das buch ..handlicher" zu machen (die proben aus den ältesten
Sprachdenkmälern habe ich ans sachlichen gründen in die
sprachliche „Einführung" verwiesen). Freilich haben die un-
bedingt nötigen zusätze den auf jenem wege ersparten räum
wieder völlig ausgefüllt. Aus diesem gründe habe ich für
diesmal auch darauf verzichtet, einzelne teile (wie die ein-
leitung oder die darstellung des vierzehnten Jahrhunderts) zu
erweitern. Im übrigen bitte ich meine kritiker zu bedenken,
dass das buch nicht blos literaturgeschichte, sondern auch
Chrestomathie und Wörterbuch gibt und dass es nicht billig ist,
es nach seinem umfang mit reinen literaturgeschichten oder
gar mit teildarstellungen der altfranzösischen literaturgeschichte
zu vergleichen.
Alle berichtigungen und anregungen, die mir in recen-
sionen oder Zuschriften zugekommen sind, habe ich gewissen-
haft geprüft und, wo angängig, dankbar verwertet. Der herr
Verleger hat mit einer wesentlichen herabsetzung des preises
das seinige getan.
Beim korrekturleseu hat mich herr cand. phil. Max
Krüger in dankenswerter weise unterstützt.
Kiel, den 5. Oktober 1912.
Der Verfasser.
Inhalt.
Seite
Einleitung 1—55
Geschichtliches (S. 1— 20):
Urbewohner 2. — Kelten 2. — Römer (i. — Christentum
10. — Germanen 14.
Sprache (S. 20 — 27):
Wortschatz 20. — Sonstige Einflüsse 23. — Mundarten 24.
Die ältesten Sprachdenkmäler (S. 27 — 2S).
Gebundene Rede (S. 23 — 35):
Allgemeines 29. — Versformen 30. — Herkunft 33. —
Reim und Assonanz 34.
Literatur (S. 35 — 44):
Das keltische Element 35. — Das römische Element 3(5. —
Das Christentum 37. — Das germanische Element 39. —
Sekundäre Einflüsse: Antike 40. — Bretonische 41. —
Provenzalische 43. — Angelsächsische 43. — Orientalische
44. — Bedeutung der altfranzösischen Literatur 45.
Hilfsmittel für das Studium der altfr. Literatur (S. 46— 55).
A. Die Zeit der Anfänge.
(Bis 1100.)
1. Kapitel: Die ältesten überlieferten Literaturdenkmäler 56— 7o
Allgemeines 56. — 1. Eulaliasequenz 58. — 2. Passion
Christi 61. — 3. Leodegarlied 63. — 4. Alexiusleben 65.
II. Kapitel: Die ungeschriebene Literatur: 71 — S6
Allgemeines 71. — 1. Die Zeugnisse 73. — 2. Die Gattungen
76. — 3. Spuren und Reste von Märchen und Sagen 70.
III. Kapitel: Die Anfänge der Heldendichtung .... 87— 113
Allgemeines (S. S7— 89).
1. Zeugnisse (S. 89—91).
xiv Inhalt.
Seite
2. Reste oder Umarbeitungen Iran z ö Bis eher
Epik (S. (rj — ioii):
1. Das Chlotharlicd 92. — 2. Das Baager Fragment 95. —
3. Lateinische Gedichte und Chroniken des 12. Jahr-
hunderts 97.
3. Das Rolandslied (S. 100—110):
Geschichte und Dichtung 100. — Zeit und Ort der Ab-
fassung 102. — Inhalt und Form (mit Textprobe) 102. —
Vorgeschichte 107. — Bibliographie 107.
4. Theorien über die Entstehung des altfran-
zösischen Epos (S. 110 — 136):
Historische Übersicht llu. — Zusammenfassung 117.
B. Die alten Gattungen im 12. Jahrhundert.
IV. Kapitel: Die geistliche und lehrhafte Literatur im
zwölften Jahrhundert 119 — 155
Allgemeines (S. 119—121).
1. Legendarisches (S. 122— 131):
1. Brandans Seefahrt 122. — 2. Gregorius 123. — 3. Der
Dichter Wace 124. — 4. Garniers Thomasleben (mit
Text) 124. — 5. Sonstige Heiligenlegenden 12S. —
6. Marienverehrung 130.
2. Biblische Stoffe (S. 131—136):
Prosaübersetxungen 132. — Das Hohelied 133. — Andere
Versbearbeitungen 134.
3. Kultusdichtung und Predigt (S. 136—144):
1. Stopfepisteln 136. — 2. Dramatisches: Latein. Stücke
— Sponsus — Adamsspiel (mit Text) — Niklasspiel 137.
— 3. Reimpredigt und religiöse Unterweisung 143.
4. Moral- und Lehrdichtung (S. 141 — 150):
1. Tierbücher (mit Text) und Steinbücher 144. —
2. Moralgedicht und Satire 117. — 3 Sprichwort und
Lehrgedicht 149.
5. Die Fabel (S. 150 — 155):
Allgemeines 150. — Marie de France (mit Text) 153.
V. Kapitel: Die einheimische Liederdichtung im zwölften
Jahrhundert 156—183
Allgemeines (S. 156).
1. Die Romanzen (S. 158—161, mit Text).
2. Tanz- und Liebeslieder (S. 161—168):
Allgemeines L61. — Refrains 162. — Rotroueuge 164. —
Reverdie 164. — Lieder der mal mariee (mit Text) 165.
Inhalt. xv
Seite
3. Die Pastourelle (8. 168 — 171, mit Text).
4. Spottlied und St reit gedieht (S. 171—173):
Allgemeines 171. — Estrabot 172. — Serventoifl 172. —
Debat 172.
'. Kreuzzugslied (S. 173).
6. Ursprungsfragen (S. 175 — 183):
Übersicht über die. Theorien 175. — Zusammenfassung
17'.).
VI. Kapitel: Das Heldenepos in seiner Blütezeit .... 184—253
Allgemeines (S. 1S4).
1. Vortrag und Technik des Epos (S. IST— 192).
2. Die ältesten bekannten Epen (S. 192 — 205):
1. Rolandslied 193. — 2. Isembart und Gormont 193. —
3. Archamp (Chancon de Guillelme) 196. — 4. Karls-
reise 200. — 5. Krünungsepos 202. — 6. Rainouart-
lied 204.
3. Merowingerepos (S. 206 — 207):
Floovent 206.
4. Epen auf Karl Martell (S. 207 — 213):
Mainet 208. — Haimonskinder 209. — Girart von Rous-
sillon 211.
5. Epen auf Karl den Grossen (S. 213 — 219):
Fierabras und Destruction de Rome 214. — Aspre-
mont 216. — Saisnes 217. — Aiquiu 218.
6. Ogier der Däne (mit Text, S. 219—226).
7. Wilhelmsepen (S. 226 — 237):
Allgemeine Fragen 226. — Prise d'Orange und Charroi
de Nimes 230. — Aliscans und Vivienepen 231. —
Moniage Guillaume 233. — Ergänzungsepen, Fort-
setzungen, Nachahmungen 234.
8. Raoul von Cambrai (S. 238 — 240).
9. Lothringerepen (S. 240 — 242) :
Allgemeines 240. — Garin le Loherenc 241. — Girbert
de lies 242.
10. Aye d'Avignou und die Geste von Nanteuil
(S. 243 — 244):
Aye d'Avignou 243. — Gui de Nanteuil 243. — Doon
de Nanteuil 244.
11. Amis und Amiles und die Geste de Blaye
(S. 244 — 247):
Amis und Amiles 245. — Jourdain de Blaivies 246.
xv i Inhalt.
12. Bertrand de Bar-sur-Aube (S. 248— 252):
Der Dichter 248. - Aimeri de Narbonne 249. (Uran
de Viane 250. Kritische Bemerkungen 250.
s c b 1 u a b b e m e r k u n g (8. 2 »2
C. Übergänge.
YM. Kapitel: Geschichtliche Dichtung 254—266
1. Kreuzzugsepen (S. 255 — 25'. > ) :
Allgemeines 255. — Chanson d'Antioche und Chanson
de Jerusalem 256. — Chevalier au Cygne und Enfances
Godefroi 257. — Elioxe 258.
2. Reimchroniken (S. 259— 266):
Gaimars Chronik 260. — Bearbeitungen von Galfreds
Historia 260. — Normannenchroniken 262. — Kleinere
normannische und anglonormannische Chroniken 264. —
Kreuzzugschronikeu 265.
VIII. Kapitel: Vom antiken Epos zum Roman 267— 288
Allgemeines (S. 267).
1. Alexanderepen (S. 269 — 274):
Quellen 269. — Alberich 269. — Zehnsilbnerredaktion
270. — Der grosse Alexanderroman in Zwülfsilbnern
270. — Fortsetzungen 273.
2. Thebenroman (S. 274 — 276):
Allgemeines 274. — Inhalt 275. — Quelle und Ver-
fasser 276.
3. Eneasroman (S. 277— 279):
Allgemeines 277. — Inhalt und Quelle 278.
4. Beneeits Trojaroman (S. 279 — 2S6):
Die Trojasage im Mittelalter 279. — Beneeits Werk
2S0. — Textprobe 282.
5. DerHeracliusGautiers vonArras (S. 286 — 288).
D. Die höfische Dichtung der Blütezeit
und ihr Gefolge. (Bis etwa 1200.)
IX. Kapitel: Crestien von Troyes und die Anfange der
höfischen Diohlnng 289— 345
Allgemeines (S. 2vi).
1. Crestiens Leben und Werko (S. 293 — 299).
2. Philomena (S. 299 — 301).
3. Erec (S. 301 —303).
4. Cliges (S. 303 — 308, mit Text).
5. Lieder (S. 308 — 311, mit Text).
Inhalt. XVII
6. Lancelot oder der Karrenritter (S. 311 — 314).
7. Yvain oder der Löwenritter (S. 314 — 322, mit Text).
8. Wilhelm von England (S. 322 — 323).
9. Perceval oder der Gralroman (S. 323 — 332):
Inhalt 324. — Percevalsage 327. — Grallegende 328.
10. Theorien über die Herkunft und Bedeutung des
keltischen Elements (S. 332 — 345):
Keltische Quellen 333. — Überblick über die Ansichten
.'.34. — Erörterung der Kernfragen 339.
X. Kapitel: Die höfische Dichtung neben und unmittelbar
nach Chrestien 346—3*9
Allgemeines (S. 346).
1. Die lyrischen Gattungen (S. 349 — 359):
Chanson 350 (mit Probe). — Tenzone und Jeu-parti
352 (mit Probe). — Tagelied (Aube) 354. — Salut
d'amour 355. — Gattungen musikalischen Ursprungs
(Motet — Lai — Descort) 355.
2. Die ältesten bekannten Lyriker (359 — 363):
Huon III. von Oisi 359, Conon de Bethune, Gautier von
Dargies, Richard von Semilli, Gautier von Soignies,
Blondel de Nesle, Castellan von Coucy 360, Jehan
Bodel, Gace Brule, Guiot von Provins 361, Aubouin de
Sezanne, Gautier von Epinal, Guiot von Dijon, Hugues
von Berze, Richard Löwenherz, Morisse von Craon,
Guillaume von Ferneres 362.
3. Tristanromane (S. 363— 371):
Die Sage 363. — Thomas' Gedicht 365. — Berols
Gedicht 368.
4. Gralromane (S. 371— 373):
Robert von Borron 371. — Fortsetzer Crestiens 373.
5. Bretonische Romane (S. 373 — 378):
Ille et Galeron, von Gautier von Arras 373. — Der
Beaus Desconeüs des Renaud von Beaujeu 375. —
Gauvaindichtung 376.
6. Antikisierende Abenteuerromane (378 — 380):
Der Florimont Amons von Varenne 378. — Die Romane
Hues de Rotelande 379. — Athis und Prophilias 379.
7. Liebesromane byzantinischen Charakters
(S. 380 — 384):
Floire et Blancheflor 381. — Guillaume de Palerne,
L'Escoufle 383.
8. Sonstige Liebes- und Abenteuerromane
(S. 384—389) :
xviii Inhalt.
Seite
Partonopeus von Blois 384. - Le Comte de Poiriers
386. — Gnillaume de Pole (Roman/, de l.i Rose) S87. —
Robert der Teufel 388. — Gilles de Chiu 388.
XI. Kapitel: Märchen und Schwanke in Reimpaaren . . 390—417
Allgemeines (S. 890).
1. Die Lais (S. 393 — 399):
Allgemeines 393. — Die Lais der Marie de France 394. —
Lais anderer Verfasser 396. — Ovidiana 398.
2. Roman de Reuart (S. 399 — 409):
Name und Charakter 399. — Ursprung der Tierepik 400.
— Die iiltesten Renatbranchen 402. — Textprobe 405.
3. Die Anfänge des Fablels (S. 409 — 414):
Allgemeines 409. — Ursprungsfragen 410. — Das älteste
bekannte Fablel: Richeut 411. — Auberee 412.
4. Rahmenerzählungen (S. 414 — 417):
Roman des Sept Sages 415. — Dolopathos 4 IC. —
Castoiement d'un pere ä son fils 41G.
E. Die Zeit der Nachblüte.
(13. Jahrhundert.)
XII. Kapitel: Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts 418—401
Allgemeines (S. 418).
1. Geistliche und lehrhafte Literatur (S. 420— 431):
Legendarisches 420. — Marienmirakel, Contes devots
und Dits 423. — Bibelübersetzung und Kultusliteratur
(Drama und Predigt) 426. — Moral- und Lehrgedicht 42S.
2. Heldenepos und geschichtliche Dichtung
(S. 432 — 446):
Allgemeines 432. — Epen mit traditioneller Grundlage
(Berte as grans pies, Macair e, Huon de Bordeaux,
Auberi le Bourgoing, Boeve de Haumtone, Hörn) 433. —
Zyklische und genealogische Epen 43"\ — Neu-
dichtungen (Orson de Beauvais, Gaydon, Aiol et Mirabel,
Ehe de St. Gilles, Florence de Rome) 442. — Geschicht-
liche Dichtung und Verwantes 445.
3. Der höfische Roman (S. 446 — 453):
Bretonische Romane (Meraugis von Raoul von Houdeuc,
Gauvainroinane, Beaudous von Robert von Blois, Fergus
von Giiiilaume le Clerc etc.) 447. — Abenteuerromane
verschiedenen Charakters (Sone von Nansay, Cleomades,
Meliacin, Joufrois, Octavian, Guy de Warwick) 450. —
Märchen- und Liebesronjane (Gerberts Veilchenroman,
Romaue l'hilippes de Beaumanoir, Chastelain de Coucy,
Chastelaiue de Vergy, Chastelaine de Saint-Gille) 451.
Inhalt. XIX
4. Novellen- und Schwankdichtung in Reim-
paaren (S. i:>3— 45S):
Laidichtung 454. — Ovidiana 454. Tierepos (Roman de
Renart) 454. — Fablels 4.")."). — Kahmenerzähliingeu 1">7.
5. Lyrik (S. 458-460):
Die Gattungen. — Die Dichter.
XIII. Kapitel: Neue Kunstformen im 13. Jahrhundert . . 102—492
1. Die Prosaliteratur (S. 462— 474):
Allgemeines 462. — Geschichtliche Darstellung (Geoll'roi
de Villehardouin, Jehan de Joinville, Menestrel de Keims,
Jehan de Tuim etc.) 404. — Sonstige wissenschaftliche
Prosa 460. — Prosaromaue und Prosanovellen (Gral-
und Artusromane, Aucassin et Nicolete, Comtcsse de
Ponthieu, Floire et Jehaune, Ami et Amile, Roi Constant
l'Empereour) 408. — Textprobe (Aucassin) 471.
2. Allegorisch-satirische Dichtung (S. 475 — 480):
Allgemeines 475. — Vorläufer des Rosenromans (Liebes-
theorien, Visionsdichtung, Allegorie und Personifikation)
470. — Der Rosenromau (mit Textprobe) 479. — Jehan
de Meung uud die Satire 4SI. — Allegorische Dichtung
nach dem Rosenroman (Weltliche Allegorien — morali-
sierende Dichtungen) 484.
3. Das weltliche Theater (S. 480 — 490):
Entstehung 486. — Jongleurdramen 487. — Dramatische
Spiele 487. — Adam de le Haie und sein Laubenspiel
488. — Adams Singspiel Robin et Marion (mit Text) 489.
— Folgerungen. 491.
F. Der Ausgang der altfranzösiselieii
Literatur.
XIV. Kapitel: Die alt französische Literatur vom 14. zum
16. Jahrhundert 493—512
Historischer Überblick (S. 493— 490).
Die Entwicklung der Ilauptgattungen (S. 497— 512):
Erzählende und unterhaltende Dichtung 497. — Das
Theater 5ü2. — Lyrik uud verwante Gattungen 500. —
Geschichtswissenschaft und Übersetzungsliteratur 509.
Glossar 513—557
Berichtigungen und Nachträge 558
Verzeichnis der Abkürzungen 559 — 561
Nauieusverzeichuis 562—575
Einleitung.
Wenn wir die französische spräche im wesentlichen als
eine unmittelbare fortsetzung des latein bezeichnen dürfen, so
sind die Verhältnisse, unter welchen sieh die französische
literatur entwickelt, weit komplizierter: sie ist keine unmittel-
bare fortsetzung und nur zum geringsten teil eine nachahmuug
der lateinischen literatur, sie entwickelt sich organisch nicht
so sehr aus dieser als aus dem geiste des neu entstandeneu
volkes heraus, das wir das französische nennen, und ist in
ihrem weiteren verlauf von einer reihe von äusseren einflüssen
abhängig, welche für charakter und inhalt der neuen poesie
mindestens ebenso wichtig sind wie das Vorbild der lateinischen
dichtung. Diese war der entwicklung der vulgärsprache nicht
gefolgt. Ihre autoren, ob klassisch-heidnischer oder christlicher
tendenz. bemühten sich so sehr als möglich klassische spräche
und klassischen stil zu wahren, ja selbst als Umgangssprache
der gebildeten, besonders der geistlichen, wurde das klassische
latein oder hochlatein — allerdings nicht in unverfälschter
echtheit und nicht unbeeinflusst durch die vulgärsprache —
ängstlich festgehalten. So war allmählich eine kluft entstanden
zwischen lateinischer spräche und literatur einerseits und
vulgärem reden und empfinden andrerseits. Organische ent-
wicklung einer volkssprachlichen literatur aus der lateinischen
war bei diesem stand der dinge nicht mehr möglich, wenn-
gleich die lateinische und zumal die christlich -lateinische
dichtung für einzelne gattungen der neuen Vulgärliteratur
einen nicht unbedeutenden faktor bildete.
Welche Völker sind es aber, die rein ethnographisch als
grundlage des französischen Volkes gedient haben? welche von
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2 Auflage. \
2 Einleitung.
diesen Völkern oder welche fremden Völker haben nennenswerte
kulturelle einfllisse auf das französische ausgeübt, und in welcher
richtung haben sich diese einfllisse bewegt V wie wirken sie
auf die spräche, welche das Verständigungsmittel des täglichen
lebens und zugleich die notwendige äussere form der poesie
bildet, wie auf die literatur selbst?
Es ist zwar für die entwicklung des französischen volks-
charakters von keiner nachweislichen bedeutung, verdient aber
doch in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden, da^s
die Kelten, als sie in Gallien einwanderten, bereits andere
Völkerschaften vorfanden, mit denen sie nach abstammung
und spräche wenig oder nicht verwant waren: nämlich
— ausser den ethnographiseh nicht näher zu bestimmenden
urbewohnern — im Südosten die Ligurer, deren sitze sich
von der Poebene über die Alpen hinweg der küste des mittel-
ländischen rneeres entlang nach Spanien hinein erstreckten,
und im Südwesten die Iberer, welche Aquitanien und den
hauptteil der nach ihnen benannten iberischen halbinsel
bewohnten, in älterer zeit sich aber über Italien, Corsica und
Sicilien ausdehnten. Erhalten hat sich die spräche der alten
Iberer in dem heute noch von rund 600000 menschen nördlich
und südlich der AVestpyrenäen gesprochenen Baskisch, das mit
keiner der europäischen sprachen verwantsehaft zeigt; den
namen Gascogne (Vascom'a) verdankt das zwischen Garonne
und Pyrenäen gelegene land den Basken (Vascönes).
Wie weit sich nun ligurisches und iberisches Volkstum
— abgesehen vom baskischen — unter keltischer und römischer
herrschaft bewahrt haben und etwa in den späteren Ver-
hältnissen wiederspiegeln, lässt sich nicht abschätzen, zumal
auch die volkstümlichen anschauungen der verschiedenen Völker,
je primitiver ihre kulturstufe ist, sich um so näher mit einander
zu berühren pflegen. Aber dass wir mit dem fortleben auch
solcher brauche und anschauungen zu rechnen haben, lehrt
die im 13. Jahrhundert in der chantefable von Aucassin und
Nieolete begegnende Verspottung der sitte des männerkiudbetts
(couvade), die, bei aussereuropäischen Völkern weit verbreitet,
in Europa gerade bei den Iberern zu hause war.
Bevor die Körner nach Gallien kamen, waren bereits Jahr-
hunderte lang die Kelten die politischen herreu des landes.
Geschichtliches: Urbewohner. Die Kelten. 3
Ursprünglich, d. h. soweit wir sie in ihren sitzen und
Wanderungen zurückverfolgen können, im südlichen und
mittleren Deutschland ansässig, dehnten sie von hier aus ihren
machtbereich allmählich über Gallien, Britannien und teile
der iberischen halbinsel sowie über das nördliche Italien aus.
Lange zeit hindurch waren sie der schrecken Roms, das
sie 390 v. Chr., mit ausnähme des Capitols, einnahmen und
verbrannten. Seit dem 3. jh. v. Chr. hatten sie auch das
ursprünglich ligurische Rhonetal in besitz, wie sie sich auch
im westen bis zur Garonne und teilweise darüber hinaus
ausdehnten. So erschien Gallien den erobernden Römern im
wesentlichen als ein keltisches land, und auch heutzutage
betrachten sich die Franzosen mit Vorliebe als nachkommen
der Kelten, als eine romanisierte keltische race.
Art und sitte der alten Gallier ist von Caesar im sechsten
buch seiner kommentarien eingehend geschildert worden, und
oft genug hat mau die Übereinstimmung dieser Schilderung
mit dem heutigen französischen nationalcharakter und damit
die fortdauer des gallischen elements darzustellen versucht.
Ein französischer gelehrter unserer tage sagt:1) 'Les Romains
ont trace' des Gaulois un portrait qui n'est pas flatte, mais
oü nous aurions mauvaise gräce ä. meconnaitre quelquesuns
des traits qui caracterisent notre temperament national. Une
bravoure pouss^e jusqu' a. la t£m£ritd, une intelligence ouverte,
l'humeur sociable, communicative, le goüt et le talent meme
de la parole, voilä pour les qualites. Avec cela une fougue
aveugle, une jactance insupportable, peu de suite dans les
desseins, peu de fermete dans les entreprises, peu de constance
dans les revers, une rnobilite" extreme, nul sentiment de la
regle et de la discipline'.
Man wird sich gleich wol hüten müssen, in den modernen
Franzosen nichts als die nachkommen der alten Kelten zu
erblicken, schon äusserliche momente sprechen gegen eine zu
weitgehende gleichsetzung. Die Kelten werden uns als hoch
gewachsen, hellfarbig und blondhaarig geschildert, was wenig
zu dem französischen normaltypus zu stimmen scheint. Wir
müssen uns gegenwärtig halten, dass die Kelten ein eroberervolk
!) G. Bloch in der Histoire de France von Lavisse (s. u.) I. 2 8. 61.
1*
4 Einleitung.
waren, das eine eingeborene bevölkeruhg Bchon vorfand, einmal
die uns nicht näher bekannten prähistorischen Völkerschaften
und dann im stiden die Iberer und Lignrer. Gerade von den
Iberern (Aquitaniern) wird uns nicht nur durch Cäsar, sondern
auch durch spätere autoren ihr gesondertes Volkstum und ihre
besondere spräche gegenüber den Kelten bezeugt: sie wurden
anscheinend romanisiert, ehe sie keltisiert werden konnten.
Endlich ist auch die starke, ein halbes Jahrtausend währende
blutmisehung mit den erobernden und kolonisierenden Römern
in allen teilen Galliens nicht zu vergessen — ganz abgesehen
von der vielseitigen und reichlichen zufuhr germanischen blutes
seit den Kimbern und Teutonen bis auf den Normaunenherzog
Rollo.
Kultur, religion, Staatswesen freilich waren (die eigentlichen
Aquitanier immer abgerechnet) zur zeit des eindringens der
Römer in Gallien keltisch, wie sich das bei der herrschenden
volle und wol auch überlegenen kultur der Kelten von selbst
versteht. Das ursprüngliche königtum war bei den meisten
stammen schon einer aristokratischen Verfassung gewichen.
Ritter (equites) und priester (druides) bildeten die herrschenden
stände. Eine politische einheit zwischen den verschiedenen
stammen existierte nicht; verschiedene grössere stamme machten
einander die Vorherrschaft streitig, kleinere stamme schlössen
sich als clientes mächtigeren stammen an. In bewaffnung und
kriegswesen waren die Kelten den Germanen wesentlich voraus.
Als die Kimbern und Teutonen in Gallien einbrachen, standen
sie ratlos vor den bürgen oder befestigten weilern (op2)ida),
welche die Kelten ausser ihren offenen dörfern (vici) und
gehöften (aedificia) bewohnten: Städtebau und belagerungskunst
war auch den Germanen späterer Zeiten noch fremd. Eine
reihe solcher gallischer siedelungen haben sich, teils unter
ihren ursprünglichen keltischen namen, vielfach unter denen
des Stammes (civitas), dessen mittelpunkt sie bildeten, teils
unter neuen, römischem namen erhalten: Rotomagum — Rouen,
Cabillonum — Chfdon-sur-Saöue, Noviodunum — Nyon iPicardie);
Avaricum — Bituriges — Bourges , Lutetia — Parisios — Paris.
Limonum (eigtl. hauptort der Pictones) — Pictavos — Poitiers.
Condate — Redones — Reimes, Durocortorum — Remos — Reims.
Tricasses — Troyes; Cenabum — Aurelianum — Orleans. Auch
Geschichtliches: die Kelten. o
der naine Lugduuum (Lyon) ist durchaus keltisch, (Luy Dame
eines gottes, dunum hügel, festes sehloss), trutzdem wir die
stadt nur als römische gründung kennen.
Für die geistige Charakteristik der Kelten ist bezeichnend
ihre starke religiosität. die uns Caesar berichtet (Natio est
omnium Gallorum admodum dedita religionibus). Er fand
in den keltischen göttern, die er uns mit ihren keltischen
namen nicht einmal nennt, die römischen götter Merkur,
Apollo, Mars, Jupiter und Minerva wieder. Die druiden
lehrten Unsterblichkeit der seele und Seelenwanderung (non
interire animas, sed ab aliis post mortem transire ad alios).
Hieraus entwickelte sich mit der zeit die Vorstellung von
einem überseeischen gefilde der abgeschiedenen seeleu, was
für die spätere Artussage nicht bedeutungslos ist. In der
natur verehrten die Kelten vor allem quellen und bäume,
auch die mistel, die unter besonderen feierlichkeiten jährlich
geschnitten wurde. Dem späteren bretonischen feenglauben
entspricht bei den alten Kelten der glaube an die — von den
Kömern so genannten — matronen, an weibliche schutzgeister,
welche das geschenk des lebens ansteilen und erhalten (der
name selbst, prov. fada, franz. fee, ist lateinisch, zu fatum
gehörig). Die druidenlehre ward mündlich in versen überliefert,
während sich die Kelten sonst, in öffentlichen und privaten
angelegenheiten, des griechischen alphabets bedienten. Neben
den druiden waren als priester noch die von Cäsar nicht
erwähnten eubagen tätig. Auch über eine weltliche literatur
verfügten die Kelten: ihre barden besangen bei festlichen
gelegenheiten taten und erlebnisse der menschen und götter,
wobei sie sich mit einer art harfe begleiteten. Im 12. Jahr-
hundert tauchen die nachkommen dieser keltischen sänger
auch in dem romanisierten Gallien als conteor breton wieder
auf. Was wir in der altfranzösischen literatur an eigentlich
keltischen dementen finden, geht in der regel auf import aus
der keltisch gebliebenen oder im 5. u. 6. jh. wieder keltisch
gewordenen Bretagne und aus Grossbritannien zurück. Aber
in der geistesweit des niederen Volkes, zumal in aber-
glauben und brauch, hat sich vermutlich auch im eigentlichen
Frankreich manch keltisches element bis in späte Zeiten
erhalten.
6 l.inleitung.
Die romanisiernng Galliens ist nicht so rasch von
statten gegangen, als es bei oberflächlicher betrachtnng scheinen
möchte. Einen verhältnismässig raschen verlauf' Dahin nur die
militärische und politische eroberung des landes durch die
Kömer. Schon seit dem 3. jh. v.Chr., seit die Karthager den
kolouien von Massilia in Spanien gefährlich geworden wann,
bestand ein büudnis zwischen Massilia und Rom, welches, als
der mächtigere der beiden alliierten, sich bald zum protektor
auswuchs. Als die Massilier 154 v. Chr. von ligurischen Völker-
schaften bedrängt wurden, sandte Rom schleunigst liilfe und
schenkte ihnen dann das den Ligurern abgenommene land.
Ahnliche bedrängnisse Massilias gaben den Römern i. j. 125
erneuten anlass zum einschreiten, und so wurden in diesem
und den folgenden vier jähren die ligurischen und keltischen
Völker des Rhonetales bis zu den Arveruern und Allobrogen
im norden, dazu die südwestlich anschliessenden Völker bis zu
den Volcae Tolosates (hanptort Tolosa) unterworfen. Massilia
erhielt den küstenstreifen von der Rhone bis zu den Alpen,
das übrige wurde als provincia Narbonensis eingerichtet (die
spätere sog. Provence). Hier also haben die Römer zwei
menschenalter früher fuss gefasst und kolonisiert als in dem
übrigen Gallien, was die tiefgehende romanisierung gerade des
Südens erklärt. Auf die provincia Narbonensis bezieht sich
das bekannte wort des Fliuius 'Italia verius quam provincia'.
In den jähren 58 — 51 v. Chr. vollendet Cäsar die er-
oberung Galliens bis zum Ärmelkanal auf der einen und zum
Rhein auf der anderen seite. Der aufstand des Vercingetorix
i. j. 52 ist der letzte grosse gallische Unabhängigkeitskampf
gegen die römische herrschaft. Eine erhebung unter führung
des Aeduers Julius Sacrovir und des Trevirers Julius Florus
21 n. Chr. wurde leicht unterdrückt. Unter Neros Schreckens-
herrschaft erhob im jähre 68 der Aquitanier C. J. Vindex, selbst
gouverneur von Lyon, die fahne der empörung, gab sich aber
nach einer unglücklichen schlacht selbst den tod. Während
der wirren, die auf Neros ende folgten, versuchte Mariccus,
ein bauer aus dem stamme der Boier, einen aufstand, ward
aber leicht besiegt und gefangen genommen. Endlich haben
sich eine anzahl gallischer stamme — Trevirer, Lingonen u. a.
— an dem kämpf der Bataver unter Claudius Civilis gegen
Geschichtliches: die Römer. 7
Rom beteiligt. Daniah sab man auch die druiden eingreifen,
welche zum kämpf gegen die fremdherrschaft schürten. Seit-
dem ist aber von nationalen erbebungen der Gallier nicht
mehr die rede. Die späteren Sonderbestrebungen ein gallisches
provinzialkaisertnm zu begründen entbehren aller national-
keltischen unterströniungen.
So ist in einer verhältnismässig kurzen zeit Gallien unter-
worfen und dauernd befriedet worden, was vor allem dadurch
möglich wurde, dass Rom das besiegte volk möglichst schonend
behandelte. Ausser der selbstverständlichen einführuug römischer
Verwaltung und römischen rechts (welches die läge der ge-
drückten unteren klassen in Gallien sogar wesentlich ver-
besserte) begnügten sich die sieger mit der heranziehung des
neugewonnenen Volkes zum militärdienst und mit der erhebung
von steuern (die allerdings bei schlechter Verwaltung zu miss-
bräuchen führen konnte und tatsächlich die späteren aufstände
zum teil mit hervorgerufen hat). Nachdem die Unterwerfung
einmal tatsache war, zeigte sich der gallische adel römischen
einflüssen am zugänglichsten. Schon Cäsar beschenkte einzelne
vornehme mit dem römischen bürgerrecht, ja er verlieh es so-
gar au die ganze aus Galliern zusammengesetzte legion der
Alaudae (die lerche war ein lieblingsvogel der alten Gallier,
daher der name). Seit kaiser Claudius erhielten auch ganze
stamme (civitates) das bürgerrecht, bis dieses durch das edikt
des kaisers Caracalla (zwischen 212 und 217) allen reichs-
angehörigen zuerkannt wurde. Der keltische adel nahm all-
mählich an stelle der althergebrachten namen die römische
nomenclatur an, so dass seit dem 4. Jahrhundert fast keine
keltischen namen mehr begegnen. So gelang es den vor-
nehmen bald, ihren lohn im dienste Roms zu finden, in beer
und Verwaltung bekleideten sie bald die höchsten ämter, wie
das beispiel des Vindex zeigt.
Die romanisierung der einzelnen eilte freilich derjenigen
der grossen masse weit voraus. Diese ging von den Städten
aus und hat sich von da sehr langsam über das platte land
verbreitet. Schon in den alten Keltenorten sassen lange vor
der eroberung römische kaufleute. Einige dieser Städte wie
Narbo wurden zu römischen Verwaltungssitzen erhoben. Dazu
kamen aber weiter als wirksame romanisierungszentren die
8 Einleitung.
kolonien, teils sog. römische kolonien (aus römischen bürgern
bestehend und mit deren rechten ausgestattet), teils latinische
kolonien (mit dem beschränkten — ehemals latinischen —
bürgerrecht). Diese kolonien sind übrigens durchaus nicht
lauter neugründungen, sondern häufig mit kolonien belegte
gallische siedelungen, die neben den römischen beinamen (nach
dem kaiser, der sie angelegt, oder nach der nummer der legion,
aus deren Veteranen die kolonie bestand) ihren alten namen
fortfuhren und in der folgezeit häufig nur diesen bewahren:
so Colonia Julia Paterna (nach Julius pater d. i. Caesar) Narbo
Martins Decumanorum (nach der 10. legion) — Narbonne, Colonia
Augusta Nemausus — Nimes, Colonia Julia Firma Secuuda-
norum Arausio — Orange, Colonia Julia Equestrium Noviodu-
num — Nyon (am Genfersee). Auch die namen der alten
civitates pflanzen sich öfter auf diese weise fort: Colonia
Lingonum — Lingones — Langres, Colonia Treverorum — Treviri
— Trier. Eine reihe solcher gallischer städte erhoben sich
bald zu grossen industrie- und handelsplätzen.
Auf diese weise, durch das beständige zuströmen zahl-
reicher römischer demente, durch den fortdauernden verkehr
herüber und hinüber wird uns die romanisierung der städte
leicht begreiflich (doch hört noch im 2. jh. bischof Irenäus
die masse des Volkes in Lyon keltisch reden). Wesentlich
langsamer aber ging die entwicklung auf dem flachen lande
vor sich. Für das fortleben der keltischen spräche im 3. und
4. jh. haben wir verschiedene Zeugnisse. Der heilige Hierouyrnus
(331 — 420) beobachtete die Übereinstimmung der spräche der
Trevirer, unter denen er lebte, mit jener der kleinasiatischeu
Galater (eines durch wanderzüge dorthin verschlagenen keltischen
volksstammes). Die fortdauer der keltischen spräche, wenigstens
in bestimmten bezirken, ist uns somit für das 4. jh. sicher
bezeugt, für das 5. jh. noch wahrscheinlich. Ein halbes Jahr-
tausend nach der eroberung durch Cäsar ist die keltische
spräche in Gallien als ausgestorben zu betrachten — just um
dieselbe zeit also, wo das römische weitreich in trümmer ging.
Wenn sie heute in der französischen Bretagne noch fortlebt,
so hat sie das im wesentlichen dem zurückfluten der Insel-
kelten zu verdanken, welche im 5. und 6. jh. vor dem austurm
der Angeln und Sachsen auf das festland zurückwichen.
Geschichtliches: gallisch -römisches Bildnngswesen. 9
Das aufgehen keltischen geistes in römischem kultur- und
geisteslebeD war freilich an die roinanisierung des platten landes
nicht gebunden. Bildung und schule fanden ihre pflege
in den Städten, und hier haben sich die Gallier als gelehrige
sehüler und gar bald als treffliche lehrer erwiesen. Ihre
natürliche beredsamkeit kam ihnen auch in der neuen spräche
zu statten. Hasch blühten in verschiedenen Städten — in Bur-
digäla (Bordeaux), Tolosa, Augustodununi (Autun), Lugdunum,
Angnsta Trevirorum u. a. — rhetorenschulen auf, die bald
eines bedeutenden rufs genossen. Schon Juvenal (mitte des
l.jh. n.Chr. — 130) beklagt den verfall der beredsamkeit im
inutterlande und rät zu ihrer erlernung nach Afrika oder Gallien
zu gehen, und nicht viel später, zur zeit kaiser Hadrians (117
— 138), suchen die advokaten Britanniens zu ihrer ausbildung
die gallischen rhetorenschulen auf. Galt diese Schulung auch
in erster linie der gewantheit in der haudhabung der äusseren
form, so ist doch die hervorragende Stellung Galliens in dieser
hinsieht nicht zu bestreiten.
Wir sehen denn auch, wie alsbald eine reihe von gallisch -
lateinischen Schriftstellern ersteht, die, zum teil allerdings
römischer herkunft, zum anderen teil aber aus eingeborenen
familien stammend, am römischen geistesleben produktiv anteil
nehmen. Schon im 1. jh. v. Chr. hat die provincia Narbonensis
den dichter P. Terentius Varro Atacinus (nach dem fluss Atax-
Aude genannt) hervorgebracht, der von ca. 82—40 gelebt und
verschiedene beschreibende und erzählende dichtungen, unter
anderen auch ein Bellum Sequahicum, verfasst hat; Zeitgenossen
und landsleute von ihm sind Valerius Cato, Verfasser erotischer
und mythologischer gediente, und der Vertreter der erotischen
elegie Cornelius Gallus aus Forum Julii (Frejus). Zur zeit
des Titas Livius schreibt der dem stamme der Vocontier (am
linken Rhoneufer) angehörige Pompeius Trogus eine Universal-
geschichte, ausgehend von der macedonischen geschiente (daher
Ilistoriarum Philippicarum libri XLIV) sowie ein werk über
tiere und pflanzen.
Andere reihen sich in den folgenden Jahrhunderten an.
aber der niedergang Roms und seiner geistigen kultur in dem
nachauguste'ischen Zeitalter lässt auch in Gallien keine be-
deutenden dichter entstehen — nur die rhetorik blüht in dieser
1" Einleitung.
/cit. Aus der epoche, welche dem endgiltigen siege des
Christentums in Gallien vorausgeht, sind noch zwei dichter zu
nennen: Ansonins und Namatianns. Der gelegentlich schon
erwähnte Decimns Magnus Ausonius aus Burdigäla (ca. 310
bis 395). rhetor und lehrer an der rhetorenschnle seiner Vater-
stadt, dann lehrer des nachmaligen kaisers Gratian und inhaber
der höchsten Staatsämter, hat epigramme, episteln und namentlich
20 idyllen gedichtet, von denen die bekannteste, Moseila, eine
Rhein- und Moselfahrt von Bingen nach Trier anschaulich
schildert. Er war ehrist, aber sein Verhältnis zum Christentum
ist freilich sehr äusserlich. Sein jüngerer Zeitgenosse Claudius
Rutilius Namatianns erseheint uns als der letzte literarische
Vertreter des heidentums in Gallien. In seiner dichtnng De
reditu (aus dem jähre 416) erzählt er uns nicht nur seine
heimkehr zur see von Rom nach Gallien, sondern gibt auch
seinem enthusiasmus für Rom, die königiu der weit, und
ebenso unverhohlen seiner feindschaft gegen das Christentum
ausdruck.
Um jene zeit war der sieg des Christentums freilich
nicht mehr aufzuhalten, gerade durch Rom und vermittels der
römischen spräche hatte es sich allmählich über den westen
des reiches ausgebreitet. Denselben dierst, welchen die gräci-
sierung des Orients und die griechische spräche der ausbreitung
des Christentums im osten geleistet hatte, bot ihm im westen
die romanisieruug Galliens und seiner nachbarländer durch
Roms herrschaft und spräche. Längst ehe das Christentum
durch Konstantin den Grossen zur Staatsreligion erhoben wurde,
hatte bischof Pothinus in Lyon eine Christengemeinde begründet,
die freilich bald genug vernichtet ward (177), aber durch den
hl. Irenäus erneueruug und dauernde begründung fand. Wie
Pothinus und seine getreuen aus dem Orient, aus Smyrna, ge-
kommen waren das Christentum in Gallieu zu predigen, waren
es auch sonst Orientalen — meist kaufleute, handwerker u. ä.
— welche das Christentum in den gallischen handelsstädten
.•uisbreiten halfen. Selbst in dem weiterab gelegenen Trier —
das allerdings damals sitz der gallischen Verwaltung war —
bestand schon im 2. jh. eine kleine gemeinde. Aber noch im
3. jh. musste der hl. Dionysius, welcher sich Paris und seine
Umgebung als feld der bekehrung erkoren hatte, seinen versuch
Geschichtliches: gallisch -christliche Literatur. 11
mit dem leben büssen, ebenso wie Saturninus zu Toulouse. Aueli
ihren Bchttlero and Dachfolgern erging es teilweise nicht besser.
Erst durch kaiser Konstantin ward der sieg des Christentums
auch in Gallien gesichert. Zunächst drang es in den Städten
durch, wo es sich bis zum anfang des 5. jhs. zur herrschenden
religioD entwickelt, allmählich und langsamer auch auf dem
lande, wo es zum teil unmittelbar an stelle der keltischen
religion trat. Schon im 4. jh. wendet sich der hl. Martin von
Tours ausdrücklich an das lnudvolk und predigt gegen keltisches
heidentum. Nicht unwesentlich ist. dass die führer der gallischen
kirche von anfang an den Standpunkt der Orthodoxie vertreten:
im 2. jh. kämpft Irenäus von Lyon gegen die gnostiker, im
I jh. Hilarius von Poitiers gegen den arianismus.
Wie anderwärts wurde auch in Gallien die kirche all-
mählich trägerin der bildung, indem sie die heidnischen
bildungsformen sich aueiguete und so eine versöhnlichere
Stellung zu der heidnischen rhetorenliteratur einnahm. Die
alten rhetorenschulen wurden in geistliche bildungsanstalten
umgewandelt, auch neue schulen wurden begründet. Neben
die klosterschulen traten die bischofsschulen, an denen die
sieben artes liberales (worunter auch musik) gelehrt wurden.
Auch heidnische schriftsteiler wurden an diesen schulen ge-
lesen, vor allem Vergil und Cicero, von den Griechen Xenophou.
Wie in den alten rhetoreuschulen war auch hier die formale
ausbildung der künftigen geistlichen ein wesentliches ziel.
Arles und Vienne waren berühmte bischofsschulen, Lerins
ebenso als klosterschule.
Die uuter diesen Verhältnissen entstandene christliche
literatur der früheren Jahrhunderte wendet sich nur in ge-
ringem masse der dichtung im engeren sinne zu. Meist handelt
es sich um apologetische, dogmatische und moralisierende
traktate, daneben erscheinen erklärungen und umdichtungen
biblischer bücher sowie schon früh heiligenleben (vitae) und
sonstige geschichtliche werke.
An der spitze der christlich -gallischen Schriftsteller steht
Hilarius von Poitiers, im zweiten Jahrzehnt des 4. jhs.
daselbst geboren und später ebenda bischof, 356 — 60 unter
kaiser Constantius wegen seines kampfes gegen das arianische
glaubensbekeuntnis nach Kleinasien verbannt — der „Athanasius
12 Einleitung.
des Abendlandes". Auch in seiner hanptschrift De trinitate
(contra Arianos) vertritt er diesen Standpunkt. In zwei
Kommentaren gab er dem Abendland beispiele einer allegorisch-
typologischen anslegnng der Bibel nach dem nmster der
alexandrinischen schule. Grossen wert legt er auf korrektheit
und eleganz des ausdrucks. Auch in der eigentlichen dichtung
hat er sich versucht mit hymnen, die echtheit der unter
seinem namen überlieferten hymnen ist freilich wenig gesichert.
Ihm steht zeitlich noch nahe Sulpicius Severus aus
Aquitauien (geb. in den sechziger jähren des 4. jhs., gest. 420),
welcher uns eine Vita seines lehrers und meisters, des heiligen
Martin von Tours, und in seiner Chronica eine chronologische
darstellung der kirchengeschichte (mit einschluss eines abrisses
der biblischen geschichte) hinterlassen hat. Gallier von geburt
ist auch Paulinus von Nola (353 — 431), geboren zu Bordeaux
und hier der schüler Ausons. Durch diesen zunächst der
weltlichen lauf bahn zugeführt, später aber durch äussere und
innere momente dem asketischen leben zugekehrt, gründete
er in Nola in Campanien ein kloster und wirkte ebenda die
zwei letzten Jahrzehnte seines lebens als bischof. In seinen
gedienten, zumal in seinem poetischen briefwechsel mit Auson,
spiegelt sich das Vorbild der gallisch -lateinischen rhetorik
sowie sein Übergang vom weltkind zum asketen wieder. Au
diese gedichte schliesst sich dann eine reiche geistliche lyrik:
gedichte zu ehren seines Schutzpatrons, des heiligen Felix,
psalmcnparaphrasen, gelegenheitsgedichte, schliesslich auch
dichtungen apologetischen inhalts und prosabriefe.
Eine reihe anderer christlicher dichter und Schriftsteller
treten uns in der folgezeit in Gallien entgegen: Prosper von
Aquitanien (gest. 463), der auch die Weltgeschichte des hl.
Hieronymus fortsetzt, bekämpft wie sein lehrer Augustin den
pelagianismns, speziell den südgallischen semipelagianismus, in
einem langen, hexametrischen gedieht De ingratis; verschiedene
dichter versifizieren und erläutern die Genesis, am freiesten
und bedeutendsten unter ihnen Alimus Ecdicius Avitus
aus der Auvergne, bischof von Vienne (gest. um 526), welcher
auch das lob der gottgeweihten keuschheit singt und gegen
den arianismus kämpft; auch lebensgeschichten von heiligen
werden jetzt in verse gebracht, wie des Sulpicius Severus Vita
Geschichtliches: gallisch -christliche Literatur. 13
Martini cfurch Panlinus von Perigueux (gegen 440), und
Paulinua von Pella (illyrischer abkunft, aber in Bordeaux
erzogen) erzählt in Fersen sein eigenes leben. Unter den
Prosaschriftstellern setzt Gennadius von Marseille des
Hieronymus Bchrift De viris ülustrihus fort (um 480); andere
geistliebe wenden sich dem moralisch - didaktischen oder
dogmatisch-polemischen gebiete zn wie Orientius, Vincentius
von Lerins, Claudianus Mamertus; als strenger Bittenrichter
und zugleich als trefflicher sittenscbilderer tritt Salvianus
(De guhcrnatione Dei, gegen mitte des 5. jhs), als kanzelredner
bischof Caesarius von Arles (gest. 543) hervor. Steht bei
allen diesen Schriftstellern das christlich -religiöse momeut im
Vordergrund, so erscheint uns in dem namenchristen Apollinaris
Sidonius aus Lyon (ca. 430 — 487), trotz der bischofswimle
von Clermont- Ferraud, im wesentlichen ein fortsetzer der
antik-heidnischen richtung, welche er in seinen panegyrischen
und sonstigen gelegenheitsgedichten mit rhetorischer gewant-
lieit und unter reichlicher Verwendung antiker mythologie
befolgt hat und auch in seinen geistlichen gedichten nicht
verleugnet. Mit dem vielseitigen Venantius Fortunatus,
der geistliche legende (Vita S. Martini) wie Zeitgeschichte
(De exeidio Thuringiae), epik und lied, episteln und sonstige
gelegenheitsgedichte gepflegt bat, und mit seinem freund und
Zeitgenossen Gregor von Tours, dem ersten geschicht-
schreiber der Franken, treten wir bereits in das Zeitalter der
fränkischen herrschaft ein, in die zeit, in welcher auch die
fränkischen eroberer bereits anteil am religiösen und sonstigen
geistigen leben Galliens nehmen. Die christliche dichtung
hatte sich allmählich der meisten formen und gattungen der
römisch-heidnischen dichtung bemächtigt und überliefert so
der folgezeit christliche lyrik und epik, episteln, Satiren und
epigrainme ebenso wie in der prosa gesebiehtsschreibung,
morallehre und verwante gattungen.
Gallien weist also sehr bald nach der bekehrung zum
Christentum eine grosse zahl von christlichen dichtem und
Schriftstellern auf, die innerhalb der christlich -lateinischen
literatur zum teil eine führende rolle spielen. Die germanischen
Völker, welche in Gallien eindrangen und dauernde herrschaften
daselbst aufrichteten, fanden ein christianisiertes und zwar dem
14 Einleitung.
orthodoxen (athanasianischen) glanbensbekenntnis anhängendes
galloromanentnm vor. Das ist wesentlich nicht nur für die
Stellung der germanischen eroberer zu den Römern, sondern
anch für das Verhältnis der nachmals znm athanasianischen
Christentum bekehrten Franken zu den Gothen und Burgundern
Die ersten berührungen germanischer Völker mit
Rom gelien freilieh noch weit in vorchristliche zeit zurück.
Am Mittel- und Niederrheiu sassen schon anderthalb Jahr-
hunderte vor Cäsar germanische stamme auf dem linken ufer,
die sich freilich mit den Kelten daselbst vermischten oder ganz
keltisiert wurden. Der einbruch der Kimbern und Teutonen
in Italien und Gallien (113 — 101) war für Rom sehr gefahr-
voll, endigte aber mit der niederlage dieser Völker durch
Marias und hinterliess keine dauernden naehwirkungen. Seit
71 v. Chr. hatte Ariovist im mittleren Gallien im lande der
Sequaner eine suebisehe herrschaft begründet, wurde aber 58
von Cäsar geschlagen und über den Rhein zurückgeworfen.
Ein gleiches Schicksal widerfuhr drei jähre später den Usipeteru
und Tenkterern, noch ehe sie in Gallien recht festen fuss
gefasst hatten. Die beiden rekognoszierungszüge Cäsars nach
Germanien selbst (in den jähren 55 und 53) blieben zwar ohne
nachhaltigen erfolg, aber Augustus setzte die politik der er-
obernng nach dieser seite fort: die Römer gingen zum angriffs-
kriege vor und unterwarfen sich weite gebiete auf dem rechten
Rheinufer. Der sieg Armins über Varus im Teutoburgerwald
im jähre 9 n. Chr. hinderte die dauernde festsetzung der Römer
im inneren Deutschland. Hingegen wurde im laufe des jahrhs.
der Südwesten Deutschlands mit den sogenannten agri decumates
dem römischen reich einverleibt, die beiden „Germanien"',
Germania superior und inferior, wurden als provinzen ein-
gerichtet. Seitdem aber hat sich Rom den Germanen gegenüber
im wesentlichen auf die Verteidigung beschränkt.
Auch diese wie die folgenden Zeiten haben Gallien er-
hebliche mengen deutschen blntes zugeführt. Der aufstand
des Claudius Civilis sah Germanen und Kelten vereint im
kämpfe gegen die römische fremdherrschaft. Des öfteren
siedelten die Römer unterworfene deutsche stamme oder teile
von solchen auf dem linken Rheinufer an, so schon 38 v. Chr.
M. Agrippa den ganzen stamm der Ubier (deren hauptstadt
Geschichtliches: die Gerinaueii. 1
später zu ehren der enkelin Agrippas, der kaiserin Agrippina,
den namen Colonia Claudia Agrippinensis = Köln erhielt), so
Tiberius im Jahre 9 v. Chr. 40000 Sugambrer; so führte noch
Constantius Chlorus (unter Diocletian) eine grosse zahl Franken
ans ihren sitzen am Niederrhein nach Nordgallien fort. Solche
unter römischer Oberhoheit stehende deutsche stamme tiber-
nahmen in der regel die grenzwacht gegenüber den nicht-
römischen Germauen. Wie vorher die Kelten drangen auch
bald Germanen in das römische heer selbst ein, sogar die
Leibwache des kaisers bestand schon im 1. jh. n. Chr. grossen-
teils aus Germanen. Vitellius ward von den germanischen
legionen zum kaiser erhoben, und in den späteren wirren der
römischen kaiserherrschaft spielen germanische truppen und
heerführer häufig eine entscheidende rolle.
Gleichwohl hat sich gerade in Gallien die römische herr-
Bchaft mich etwas länger gehalten als im italischen stamm-
lande selbst. Nur sehr allmählich haben die germanischen
Völker Gallien von norden und osten her in besitz genommen,
während in Südgallien die Westgothen schon 412 eine dauernde
herrschaft — dem namen nach allerdings zunächst unter
römischer Oberhoheit — gründeten und nördlich bis zur Loire,
südlich allmählich über ganz Spanien ausdehnten. Unter ähn-
lichen Verhältnissen wurden drei Jahrzehnte später (443) die
bisher in der gegend von Worms ansässigen Burgundeu durch
Aetius in der Sabaudia (Savoyen) angesiedelt: zunächst unter
römischer Oberherrschaft, warfen sie diese bald genug ab und
erweiterten ihren besitz nach westen und Süden hin. Aber
diese germanischen stamme in Südgallien und Spanien wie
in Afrika bilden sozusagen nur die vorpostenketten der
germanischen hauptmacht, sie erhalten keine Verstärkung aus
dem mutterland wie die stets in unmittelbarem zusammenhange
mit diesem bleibenden nordstämme. An zahl und kultureller
tätigkeit zugleich den Romanen des eigenen landes nachstehend
gehen sie schliesslich ganz im romanentum auf, am raschesten
die Burgunden, die in der hauptsache wrohl schon romanisiert
waren, als sie den Franken unterlagen.
Nachhaltiger wirkten die angriffe germanischer Völker
gegen das römische Gallien von norden und osten her, dort
der Franken, hier der Alainannen. Diese, seit dem anfang
16 Einleitung.
des 3. jhs. (213, zur zeit des Kaisers Caracalla) unter diesem
oamen in der gesehichte auftretend und in der hauptsache mit
den alten Sueben identisch, haben zwar kein selbständiges
reich auf dem römischen boden Galliens errichtet, dafür aber
weite strecken ehemals römischen landes teils im kämpf, teils
durch friedliche besiedelung in besitz genommen und dem
deutschtum dauernd gewonnen: so die agri decumates (ende
des 3. jhs.), so allmählich (im laufe des 5. jh.) Elsass, Pfalz
und teile von Lothringen und angrenzendem Rheinland, gebiete,
in denen allerdings teilweise schon vorher germanische stamme
gesessen waren. Erst der zusammenstoss mit den Frauken
gebot dem vordringen der Alamannen halt. Was wir \o\\
oberdeutschen, die Wirkung der hochdeutschen Lautverschiebung
zeigenden dementen im altfranzösischen Sprachschatz finden,
verdankt dieser alamannischem einfluss.
Wie die Alamannen stellen auch die Franken eine art
Völkerbund dar, welcher aus verschiedenen stammen — Batavern,
Ampsivariern, Sugambrern, Chatten u.a. — zusammengeschweisst
ist und uns im 3. jh. (gegen 240) zum erstenmale unter dem
neuen namen entgegentritt. Ihre von Gregor von Tours be-
richtete angebliche herkunft aus Pannonien könnte höchstens
den geschichtlichen Hintergrund haben, dass einer oder einige
der nachmals fränkischen stamme in alten zeiten einmal in den
Donaugegenden gesessen wären — möglicherweise handelt es
sich um blosse gedächtnismässige entstelluug eines namens, da
als ihre nächsten sitze gleich die Rheinufer bezeichnet werden.
Die in späterer zeit — von dem sog. Fredegar (7. jh.) — be-
richtete abstammung von den Trojanern beruht teils auf gröb-
lichen missverständnissen, teils auf gelehrter fabelei; auch der
angebliche heros eponymos Francus oder Francio ist eine post
i'estum konstruierte ligur. Der eroberung Galliens gingen einer-
seits eine reihe raub- und plünderungsziige der Franken, andrer-
seits zahlreiche zwangsweise ansiedelangen besiegter oder
gefangen genommener Franken im römischen Gallien durch
die Römer selbst voraus, wodurch schon die politische besitz-
ergreifung und germanisierung Nordgalliens vorbereitet wurde.
Vor allem waren es die am Niederrhein sitzenden salischen
Frauken, welche stets vorwärts drängten und stück um stück,
linie um linie den Römern abgewannen. Bereits zur zeit Julians
Geschichtliches: die Germanen. 1 <
Apostata, des Alamannenbesiegers, waren sie im unangefochtenen
besitz der linksrheinischen Landschaft Toxandria. Etwa zwei
menschenalter später (in den dreissiger- jähren des 5. jh.) er-
obert Chlodio, der erste Merovingerkönig, der uns in der
geschiente begegnet, Cambrai und das angrenzende land bis
zur Summe. Als 476 mit der absetzung des Romulus Augustus
durch Odovaker das ende des römischen Weltreichs besiegelt
war, blieb das römische Gallien unter Syagrius als selbständige
herrsch aft bestehen, freilich beschränkt auf das gebiet zwischen
Loire und Somme, im westen nicht einmal bis zur küste, im
osteu kaum bis zur Mosel sich erstreckend. Unter fahrung des
zwanzigjährigen Chlodovech eroberten die Franken 486 diesen
letzten rest römischer herrschaft. Die residenz des fränkischen
reiches ward jetzt von Cambrai nach Soissons verlegt. Die
Franken waren freilich nicht imstande dies weite gebiet wirk-
lich zu germanisieren, trotzdem sie in älteren germanischen
ausiedlern bereits eine grundlage antrafen und selbst zahlreiche
neue siedeluugen anlegten. Vor allem blieben die städte im
wesentlichen römisch, und die gesamtzahl der einwandernden
Franken gegenüber den Romanen war, ganz abgesehen von
kulturellen momenten, zu gering um eine germanisierung
bewirken zu können. Vielmehr werden in diesen gebieten
die Franken allmählich romauisiert, aber gerade dadurch
tragen sie wesentlich zur bildung der neuen französischen
nation bei, und es leidet keinen zweifei, dass sie in
intellektueller hinsieht eine grosse bedeutung für diese ge-
wonnen haben.
Die übrigen eroberungskriege Chlodovechs und seiner
söhne in Gallien wenden sich im wesentlichen gegen germa-
nische stamme. Die Alamannen werden 496 und 501 besiegt,
unterworfen und aus den gegenden am Main und unteren
Neckar ganz durch die Franken verdrängt. Der West-
gotenkrieg 507/8 dehnt die grenzen des reiches nach
Süden bis zur Garonne aus, wodurch auch das romanische
element im Franken reich eine wesentliche Verstärkung erfährt
ebenso wie durch die Eroberung des Burgundenreiches 532.
Damit ist das ehemalige Gallien in der hauptsache wieder
unter einer herrschaft vereinigt und zwar unter germanisch-
fränkischer.
Voretzsi-h, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 2
18 Einleitung.
Von wesentlicher bedeutung für die weitere Verschmelzung'
zwischen Frauken und Romanen in den eroberten gebieten
war Chlodovechs übertritt zum Christentum athanasianischen
glaubens. Die interessengemeiuschaft, welche dadurch zwischen
ihm und den Romanen gegenüber den arianischen Westgoten
und Burgunden entstand, ist ihm in den kriegen gegen diese
beiden germanischen Völker sehr zu statten gekommen. Wie
nahe sich hier politik und religion berührten, lassen auch die
worte erkennen, welche Gregor von Tours den Frankenkönig
zur motivierung seines zuges gegen die Westgoten zu den
seinen sprechen lässt: 'Valde molestum fero, quod lii Ariani
partem teneant Galliarum. JEamus cum dei adjutormm, et supc-
ratis redigamus terram in ditione nostra'. Ciiniqae placuisset
(fährt Gregor fort) omnibus hie sermo, commoto exercitu,
Pectavos dirigit.
Mit der eroberung Galliens durch die Franken, mit ihrer
bekehrung zum athanasianischen Christentum sind im wesent-
lichen die bedingungen abgeschlossen, welche der entstehung
und entwicklung der französischen nation zu gründe
liegen. Aus der folgezeit ist nur noch ein neuer zufluss ger-
manischer bevölkerung und kultur durch die festsetzung der
Normannen in der nach ihnen genannten Normaudie hervorzu-
heben, die sie — nach zahlreichen raubzügen in das fränkische
reich wie sie vor ihnen oft genug auch die Sachsen zur see
ausgeführt hatten — 911 durch ihren herzog Rollo von Karl
dem einfältigen zu lehn erhielten. Auch das ist nicht ohne
belang, dass Britannien — das schon anfaug des 5. jhs. von
den Römern aufgegeben worden war — seit 449 von Angeln.
Sachsen und Juten in besitz genommen wurde. Die hierdurch
hervorgerufenen kämpfe zwischen den eingeborenen Kelten und
den germanischen eindringliugen — kämpfe, in denen im 6. jh.
auf Seiten der Kelten herzog Arthurus eine rolle spielt — haben
die auswanderung zahlreicher keltischer Briten nach dem be-
nachbarten festland, nach der halbinsel Aremorika (seitdem
Bretagne), zur folge. In England wird das germanische element
in späterer zeit durch die einfalle der Dänen verstärkt. Hin-
gegen sind die Normannen, als sie 1066 unter herzog Wilhelm
England erobern, bereits völlig romanisiert. Gerade aber durch
diese Verbindung der französischen Normaudie mit England
Geschichtliches: dit* französische Nation. 19
wurden germanischen und auch keltischen einflüsseu breitere
bahnen geöffnet. »)
Überblicken wir alles im Zusammenhang, so zeigt es
sieh, dass die französische Dation aus einer misehung der
') Über die im vorstehenden skizzierte geschichtliche entwicklung
siehe genaneres in folgenden werken: D'Arbois de Jubainville, Les
prerniers habitauts de l'Europe, sec. edition I. II. 1889 — 94; Les Celtes
jusqu'en l'an 100 avaut notre ere, Paris 1904. Zeuss, Die Deutschen und
ihre Nachbarstämme 1837. — Mommsen, Römische Geschichte, V. band,
1885. Hübner, Die römische Herrschaft in Westeuropa 1890. E. Desjardins,
Geographie historique et administrative de la Gaule romaiue, 1876 — 93.
Budinszky, Die Ausbreitung der lateinischen Sprache über Italien und
die Provinzen des römischen Reiches. Berlin 1881. Jung, Die romanischen
Landschaften des römischen Reiches, Innsbruck 1SS1. E. Kornemann, Zur
Stadtentstehung in den ehemals keltischen und germanischen Gebieten des
Pömerreiches, Giessen (Habilitationsschrift) 1 &9S. M. Roger, L'enseignement
des lettres classiques d'Ausone ä Alcuin, Paris 1905. — Felix Dahu,
Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, 3. band, Berliu
1883 (Onckens Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen, II. hauptabt.,
2. teil). Bibliothek deutscher Geschichte herausgegeben von Zwiedineck-
Südenhorst, besonders Oskar Gntsche und Walter Schultze, Deutsche
Geschichte von der Urzeit bis zu den Karolingern, 2 bd., Stuttgart 1894
und 1896, und Engelbert Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den
Karolingern, Stuttgart 1896. — Histoire generale du 4e siecle jusqu'a nos
jours. Ouvrage publie sons la direction de MM. E. Lavisse et A. Rambaud,
Paris 1&93 ff. , 12 bände. — J. Michelet, Histoire de France depuis les
origines jusqu'eu 1789, Paris 1832 ff., 1 7 bd., neue aufläge 1879, 19 bd. Henri
Martin, Histoire de France depuis les temps les plus recules jusqu'en 1789,
Paris 1853 ff., 17 bd , 4. aufl. 1855 ff., illustrierte Volksausgabe 18(17—85
in 7 bänden. E. Lavisse, Histoire de France depuis les origines jusqu'ä
la Revolution, Paris 1900 ff. — Abrisse: Victor Duruy, Abrege de l'histoire
de France, Paris 1855 in 2 bd. (Schulbuch, häufig neu aufgelegt). Stern-
feld, Französische Geschichte (Sammlung Göschen), 21908. —
Für quellenkunde und bibliographie: A. Potthast, Bibliotheca historica
medii aevi. Wegweiser durch die Geschichtswerke des europäischen
Mittelalters, 2. aufl., Berlin 1896, 2 bde. Ulysse Chevalier, R6pertoire des
sources historiques du moyen äge, Paris 1877 ff. Gabriel Monod, Biblio-
graphie de l'histoire de France, Paris 18&8. H. Bresslau, Quellen und
Hilfsmittel zur Geschichte der Roman. Völker im Mittelalter, in Gröbers
Grundriss der Roman. Phil. III. band, 3. abt.; ebenda auch Alwin Schultz,
Zur romanischen Kulturgeschichte and Kunstgeschichte, sowie W. Windel-
band, Zur Wissenschaftsgeschichte der romanischen Völker. Aug. Molinier,
Les sources de l'histoire de France des origines aux guerres d'Italie,
Paris 1900 ff. — Für literatur vgl. die am schluss der einleitg. angegebeuen
werke.
2*
20 Einleitung.
verschiedensten Völkerschaften entstanden ist. Schon die vor-
romanische bevölkerung ist weit entfernt einheitlich zu Bein,
wenn auch die Kelten das herrschende Volk bildeten und die
unterworfenen Völker zum teil keltisiert hatten. Sodann haben
die Römer den bewohnern Galliens erhebliche mengen neuen
blutes zugeführt, und endlich haben die Germanen fast von
allen Seiten — von Süden die Westgoten, von osten Burgunden
und Alamannen, von nordosten und norden die Franken, von
nordwesten die Normannen — die galloromanische bevölkerung
angegriffen und mit germanischem blute durchsetzt.
Über den grösseren oder geringeren anteil dieser ver-
schiedenen faktoren an der bildung der französischen uation
lässt sich bestimmtes nicht sagen. Jedenfalls ist die rohe
volkszahl nicht massgebend für die kulturelle bedeutung dieses
oder jenes Stammes oder Volkes. In der regel unterliegt die
niedrigere kultur der höheren wie die keltische der römischen,
ebenso der keltisch- römische und der germanische polytheismns
dem Christentum. Die römische kultur überwindet auch die
Germanen, aber nicht auf allen gebieten: überall da. wo das
Römertum sich im niedergang befindet oder sonst unterlegen
erweist, in kriegswTesen, Staatsverfassung, zum teil auch in
der rechtsprechung'. übt das germanentnm tiefgehenden einfluss
auf die neue entwicklung aus.
Diese Verhältnisse spiegeln sich zunächst und sehr deutlich
wieder in der spräche, besonders in ihrem wertschätz. Dieser
ist seiner grundlage nach durchaus römisch wie die französische
spräche überhaupt. Auffallend gering ist die zahl der worte
keltischer herkunft: ein paar dutzend worte, welche meist
einzelne körperteile, kleidungsstücke oder waffen, sodann tiere,
pilanzen, topographische ausdrücke u. ä. bezeichnen (becco — bec,
braca — braie, crot — rote roter, paravercdus — palefroi, stamm
brocc brocke brochier, vertragus — veltro — viautre vautre,
gwern [fem] — verne, duna — dune).1)
l) Vgl. in AS das zu den Worten roter, brochier, petit, maint
bemerkte. — Über die keltische spräche siehe: J. Caspar Zeuss,
Grauimatica celtica lb5:>, neue aufl. 1871. — E. Windisch. Keltische
Sprache, im Grundiiss d. Rom. Phil. I 2^3 — 312 (wo jedoch der einfluss
des keltischen auf die gallorouianischen sprachen etwas überschätzt wird).
Die Sprache: Wortschatz. 21
Die zahlreichen worte griechischen Ursprungs teilt das
französische mit den meisten übrigen romanischen sprachen.
Sie sind ihm weniger durch den speziellen einfiuss Afassilias
und der dazu gehörenden griechischen kolonien als durch ver-
mittelnng des Latein zugekommen, welches im mutterlande
Italien eine grosse zahl griechischer worte aus dem lebendigen
verkehr mit der Magna Graecia sowie aus griechischen literatur-
werken aufgenommen hatte. l)
Ungleich reichhaltiger als griechisches und keltisches
lehngut ist das, was die Germauen zu dem Wortschatz der
werdenden französischen spräche beigesteuert haben. Zählen
die worte keltischer herkunft nach dutzenden, so zählen die
germanischen worte nach huuderten. Sehr treffend und über-
sichtlich hat Gaston Paris in der eiuleitung zu seiner literatur-
geschichte die verschiedenen gebiete umschrieben, auf welchen
mit der sache oder mit dem begriff auch das bezeichnende
germauische wort mit übernommen worden ist oder ein solches
das entsprechende lateinische ersetzt hat: Staatswesen, Ver-
waltung, rechtsprechung, Kriegswesen, waffen, Kleidungsstücke,
handwerk und bauweseu, Schiffahrt usw. Auch eine reihe von
bezeichnnugen für pflanzen, tiere, färben und farbenabstufungen,
für Körperteile, moralische begriffe, gemütszustände und ähnliche
allgemeine kategorien stammen aus dem germanischen, ja selbst
einige adverbien wie trop (<])0)p — firop) und yucres (<.weigiro)
uud suffixe wie -ard < -hard, -aud < -hald sind von dorther
eingedrungen und sogar mit romanischen stammen verbunden
worden. Endlich beweist für die tiefgehende ein Wirkung des
germanischen elements die fortdauer zahlreicher germanischer
namen im französischen, wie Bernard, Gautier, Guillaume,
— H. Pedersen, Keltische Grammatik, 19ü9 — 11, 2 bde. — Rudolf
Thurneysen, Keltoromauisches. Halle lv&4 (scharfe sichtuug der keltischen
idteile im frauz. Wortschatz). — Alfred Fluider, Altkeltischer Sprach-
schatz, 1896 — 1901, 3 bde.
') Vgl. in AS piere perron zu nixqa, chaiere — za&idQtc, trosser
(trossel) — Üioooc, tresor — it^ouvQÖq, parole parier — nccoaßohj, trover
— tqÖtioc (xQcmo).oy£lv), torner — toqvoq (zofjrtvoj), colper (colp)
— xöXatpoq, sornier (some) — o/r/ua, chameil — xdfiJjkov. Vgl. auch
F. 0. Weise, Die griechischen Wörter im Latein. Leipzig 1SS2. Th. Claussen,
Die griech. Würter im Französischen. Rom. Fo. 15, 774 ff. — Wegen der
griechischen kultworte siehe unten.
22 Einleitung.
Thierry (ans deutsch Bernhard, Walthari, Wilihelm, ßeodrik).1)
Der anteil der einzelnen germanischen stamme an diesem sprach-
en lässt sieh nicht leicht scheiden, zumal soweit die Über-
nahme der betreffenden worte vor der hochdeutschen lautver-
schiebung stattfand. Das meiste verdanken die Franzosen in
dieser hinsieht naturgemäss den Franken, wenn auch dieselben
worte grossenteils im italienischen und spanischen wieder be-
gegnen, wo sie am wahrscheinlichsten auf entlehnung aus dem
west- und ostgotischen oder langobardischen, zum teil auch
aus dem altfranzösischen beruhen. Ausdrücke des Seewesens,
auch bezeichnungen der himmelsrichtungen (wie nord, Sud)
weisen meist auf niederdeutsche, angelsächsische oder alt-
nordische (normannische) herkunft hin.
Auch der kultureinfluss des Christentums lässt sich
in der bereicherung des Wortschatzes häufig feststellen. Es
kommen hierbei vor allem die sogenannten kultworte in
betracht, bezeichnungen für den Gottesdienst und was damit
zusammenhängt, religiöse begriffe, kirchliche ämter. Be-
greiflicherweise bilden griechische worte darunter eine starke
gruppe. Insofern manche dieser kultworte erst allmählich
und spät in die volksprache eingedrungen sind, treten
sie uns vielfach nur in form von lehnworten entgegen.
Man vergleiche hierzu Wörter wie menestier < minister mm
(gegen erbwörtlich mestier), preechier < praedicure, cresi'iicn.
crestientet, veritet, diable < öiaßokov (gegen jorn < diumu m),
reliques, calice, martir, martirie, prestre und prevoire (pro-
') Aus AS gebären hierher z. b.: baron, bandon, abandoner; espiit,
bende, geron, escrepe, guarnir, conreer, atirer, afeltrer; herberge, faldestueil ;
guet; jante; blatic, bloi; drut, honte, baldoire, gab, ha'ir; guarder, croissir.
guerpir, lauer, guter; vgl. auch die kreuzung des Iat. alt um mit fränk.
hauh in halt. Von eigennaraen sind fast alle nainen der zwölf pers sowie
Karls name selbst hierher zu rechneu. — Über die germanischen worte
im altfranzüsischen vgl.: Waltemath, Die fränkischen Elemente in der
französischen Sprache, Paderborn 1885. — Emil Mackel, Die germanischeu
Elemente in der französischen und provenzalischen Sprache, Heilbronn
18^7 (Franz. Studien VI, 1). — Gottfried Baist, Germanische Seemanusworte
in der franz. Sprache, Strassburg 11)03 (Separatdruck aus d. Zeitschr. f.
deutsche Wortforschung, IV 257 — 76). — Vgl. ferner Friedrich Kluge.
Romanen u. Germanen in ihreu Wechselbeziehungen (in Gröbers Grundriss
d. rom. Ph. I2 498 — 514).
Hie Sprache: Wortschatz. Lautbildung. 23
voire) aus presbyter und presbyterum (jcQEößvteQov), patiria/rche,
archevesque.
In ähnlicher weist' äussert sich auch der fortdauernde
einfloss des schriftlatein durch die Übernahme der sog. ge-
lehrten oder buchworte, die als solche durch ihre ab weich ungen
von der erbwörtlichen entwicklung erkennbar sind. Man ver-
gleiche hier worte wie penser (gegen peser), principel, rustique,
chaste, canele. ')
Wieweit nun die barbarensprachen, speziell keltisch uud
germanisch, über den Wortschatz hinaus auch auf lautbildung
und sonstige entwicklung der spräche eingewirkt haben,
ist eine viel umstrittene frage. Nabe genug liegt es ja anzu-
nehmen, dass die der romanisierung unterliegenden Völker das
latein nicht so vollkommen nachahmten als es die Kömer selbst
sprachen, dass sie angeborene Sprechgewohnheiten auf die neue
spräche, auf das latein, übertrugen. Aber es geht nicht an, die
Verschiedenheit der entwicklung in den verschiedenen provinzen
des römischen reiches in bausch und bogen auf verschiedene
ausspräche des latein durch vorrömische oder auch nachrömische
bevölkerung zurückzuführen, vielmehr müssen im einzelnen fall
die beweise dafür geliefert werden. So sprechen eine reihe
von gründen dafür, dass die Kelten den laut des lat. langeu
u nicht besassen und ihn demgemäss durch den nächstver-
wanten laut ü ersetzten (ünum>ün, purum > pur). Ob auch
die entwicklung von et zu it sowie die erweichung der inter-
vokalen konsonanten auf keltischen einfluss deutet, wie einige
gelehrte annehmen, mag dahin gestellt bleiben: der letzte
Vorgang beruht im wesentlichen auf einer assimilation der
stimmlosen konsonanten an die stimmhaftigkeit der umgeben-
den vokale, die an und für sich, als organische entwicklung,
durchaus verständlich ist und ausserhalb liegender einflüsse
nicht bedarf.
Die Germanen, in eigentlich römischem land zu gering an
zahl uud zu wenig in geschlossenen masseu gesiedelt, konnten
') Vgl. über die vielbehandelten buch- und kultworte zuletzt: Heinrich
Berger, Die Lehnwörter in der französischen Sprache ältester Zeit, Leipzig
1S9'.) (wo auch germanische und orientalische lehnwörter mit behandelt
werden).
IM Einleitung.
zwar als herrschendes und auch knltturbildendes volk dem
Wortschatz eine menge neuer elemente zuführen, aber einen
wesentlichen einfluss auf die lautliche und formelle ent-
wicklung der spräche kaum ausüben. So steht das, was man
über einflösse des fränkischen auf die französische deklination
und konjugation behauptet hat, auf sehr unsicheren füssen. Der
Übergang der lat. abstracta auf -or in das feminingeschlecht
(coüleur, chaleur, vigueur), den man dem Vorbild der ger-
manischen abstracta hat zuschreiben wollen, erklärt sich
einfacher aus dem latein selbst, wo die mehrzahl der ab-
stracta ohnehin schon weiblichen geschlechtes war (vgl. AS
zu colors v. 124).
Die Spaltung des latein auf gallischem boden wie in den
übrigen romanischen ländern in sprachen und mundarten
ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Dass Iberer
das übernommene latein nicht ebenso aussprachen und weiter-
bildeten wie Kelten, Ligurer oder Italiker, ist wahrscheinlich,
und in dieser hinsieht darf die ethnographische und sprachliche
Verschiedenheit der romanisierten Völker als eine die sprach-
spaltuug begünstigende Ursache wohl in betracht gezogen,
aber im einzelnen nicht ohne tatsächliche und greifbare beweise
verwendet werden. Schon die ausbreitung des lateins über
ein so ausgedehntes, durch meere, flüsse und hohe gebirge
scharf gegliedertes gebiet musste notwendig zur Verschiedenheit
der sprachlichen entwicklung führen und das umsomehr, seit
die Zentralgewalt in Rom aufgehört hatte zu existieren oder
einen massgebenden politischen und administrativen einfluss
auf die provinzen auszuüben. Es ist dann ferner nicht gleich-
giltig die stärke der romanisierung in den einzelnen gebieten.
Die Narbonensis wurde nicht nur 60 — 70 jähre früher unter-
worfen als das übrige Gallien, sondern auch viel stärker
kolonisiert und romanisiert (vergleiche den oben s. 6* zitierten
ausdruck des jüngeren Plinius): die folge war jedenfalls, dass
hier das latein korrekter, echter gesprochen wurde als im
norden. Sulpicius Severus (s. o. s. 12) lässt in einem seiner
dialoge einen Gallier aus Mittelgallien von den Wundertaten
des hl. Martin berichten und sich vor den Aquitaniern, zu
denen er redet, wegen seines plumpen latein entschuldigen.
Solche unterschiede waren also schon früh vorhanden, und
Die Sprache: Dialektbildtmg. 25
gerade zu dem hier beobachteten stimmt, dass das französische
sich vom latein viel weiter entfernt hat als das in der
Narbonensis heransgebildete provenzalische.
Die verschiedene entwieklnng beschränkt sich aber nicht
auf nord und süd im ganzen, sondern zeigt sich auch inner-
halb der beiden grossen Sprachgebiete, in welche Frankreich
zerfällt. Hierzu wirken einmal die schon genannten allgemeinen
ur.-achcn, geographische, politische, überhaupt verkehrsgrenzen
mit, sodann aber kommt besonders für die galloromanisehen
mnndarten in betracht, dass die romanisierung des landes
nicht mit einem male, sondern allmählich, von den Städten
und kolonien als mittelj)iinkten ausgehend, erfolgte. Es ist
klar, dass an den grenzen, wo die von zwei oder mehreren
Sprachzentren ausgegangenen romanisierungskreise endlich auf-
einandertrafen, sich sprachliche unterschiede herausstellen und
häufen mussten. Die weitere entwicklung kann, bei starkem
verkehr und namentlich bei starker politischer Zentralisierung,
die unterschiede teilweise ausgleichen, auf der anderen seite
alter, infolge neuer trennender momente, vertiefen.
Wir können somit auf französischem boden eine reihe von
dialekten unterscheiden, die mit den namen mittelalterlicher
provinzen bezeichnet werden ohne sich darum in ihrer aus-
dehnuug völlig mit diesen zu decken. Auch solche gelehrte,
welche das Vorhandensein von dialekten im eigentlichen sinne
leugnen und nur lautgrenzeu anerkennen, bedienen sich der
Bequemlichkeit halber dieser kurzen bezeichnungen.
Bevor wir die französischen dialekte selbst betrachten,
ist zunächst im westen das bretonische vom romanischen
Sprachgebiet abzurechnen ebenso wie im Südwesten das
1 taskiscke. Im osten der Pyrenäen ragt als romanische spräche
das katalanische nach Gallien herein. Von der mündung der
Gironde im westen bewegt sich die nordgrenze des proven-
zalischen in einem weiten nach norden geschlossenen halbkreis,
der die provinzen Limousin und Auvergne einschliesst, nach
osten, unterhalb Vienne die Rhone überschreitend und von
da zuerst in südöstlicher, dann (südlich von Grenoble) in
nordöstlicher richtung auf die Alpen zielend, wo das proven-
zalisehe, in der nähe des Mont Cenis, mit dem italienischen
zusammentrifft.
26 Einleitung.
Das nördlich dieser linie gelegene romanische Sprachgebiet
Galliens unterscheiden wir als französisch im eigentlichen sinne
vom provenzalischen wie von den übrigen romanischen sprachen.
Im norden wird betontes freies a zu e, nach palatalen zu ie
(amer chief), im Süden bleibt in beiden fällen a {amar — chap
cap)\ eine reihe anderer lantnnterschiede treffen noch an dieser
linie zusammen. Nördliche Dauphine, Lyonnais, Savoyen und
französische Schweiz wandeln zwar a nach palatal zu ie (chief .
bewahren es aber in den übrigen fällen (amar). Man scheidet
daher diese dialekte vielfach als ein besonderes romanisches
Sprachgebiet aus, das seiner mundartlichen eigenart nach
als francoprovenzalisch, seiner geographischen läge nach als
mittelrhonisch oder südostfranzösisch bezeichnet wird. Eine
literarische oder auch nur politische Selbständigkeit hat dieses
gebiet freilich nie errungen.
Im übrigen pflegt mau auf französischem gebiet folgende
mundarten zu unterscheiden:
im Zentrum das francische, aus dem die Schriftsprache
hervorgegangen ist, im norden bis Senlis, im stiden bis in die
nähe von Orleans, im westen bis Mautes und Dreux, im osten
bis Provins und Sens sich erstreckend, hauptort Paris;
im nordwesten das normannische, das sich wieder in
ost- und westnormannisch gliedert;
im norden westlich das pikardische mit dem arte-
sischen, hauptstadt Arras; östlich das wallonische (im
heutigen Belgien und angrenzenden Frankreich), bis zur
Sprachgrenze ;
südlich daran anschliessend das champagnische. das
sich wieder in westchampagnisch (Crestien von Troyes) und
ostchampagnisch teilt, und das lothringische, längs der
deutschen Sprachgrenze, mit Metz als hauptort;
im süden längs der provenzalischen Sprachgrenze das
burgundische (an welches im osten und süden das franco-
provenzalischc anschliesst) und die mnndart von Orleans
und den südlich angrenzenden gebieten (Berry u. a.);
endlich im westen die gruppe der sog. südwestlichen
mundarten (Poitou, Angoumois, Saintonge, Aunis) und diejenige
Die ältesten Sprachdenkmäler 2 <
der Bog. nordwestlichen mnndarten (Tonraine, Anjou, Maine,
franz. Bretagne.) 0
Da das französische organisch aus dem Latein hervor-
gegangen ist und die romanische Umgangssprache in Gallien
als solche niemals eine Unterbrechung erfahren hat, ist es an
und für sich überflüssig, Zeugnisse und spuren für die an-
wendnng der vulgärsprache aufzuführen, wie sie sieh in der
besonderen hervorhebung der Volkssprache als Ungua 'Romana
gegenüber dem latein in den kirchlichen verboten, liebeslieder
und dergleichen in der Volkssprache zu singen, in einzelnen
werten, wortformen und syntaktischen bildungen in lateinischen
Urkunden und handschriften seit dem 6. Jahrhundert aufzeigen
lassen. Die ältesten zusammenhängenden Sprachdenkmäler
zeigen die hauptsächlichen charakterzüge des französischen
gegenüber den übrigen romanischen sprachen fest ausgeprägt.
Da diese denkmäler in das 9. Jahrhundert fallen, müssen sich
die hier vorhandenen lauteigentümlichkeiten bereits in den
vorangehenden Jahrhunderten durchgesetzt haben, und mit
hilfe früherer Zeugnisse sowie der vergleichenden romanischen
grammatik lässt sich vielfach auch die genauere Chronologie
dieser lautveränderungen feststellen.
Den zusammenhängenden Sprachdenkmälern gehen noch
einige glossare des 8. und 9. Jahrhunderts voraus, welche uns
eine grosse zahl Veränderungen im Wortschatz, vereinzelt auch
lautveränderungen erkennen lassen: die beiden Reichenauer
glossare (hochlateinische worte durch vulgärsprachliche er-
läutert) und das Kasseler glossar (lateinischromanisch —
althochdeutsch). Es folgen als ältestes zusammenhängendes
Sprachdenkmal die Strassburger Eide aus dem jähre 842,
auf diese als erstes poetisches denkmal die Sequenz von
der heiligen Eulalia (achtziger jähre des 9. jahrhs.). Dem
10. Jahrhundert gehören: das bruchstück der Jonaspredigt
und die beiden provenzalisierten gedichte von der Passion
Christi und dem heiligen Leodegar.2)
') Vgl. zu den sprachlichen ausl'iihrungen die AS s. 305 — 6 ver-
zeichnete literatur.
2) Siehe AS, 279 97.
28 Einleitung.
Im 11. Jahrhundert ist zunächst das umfangreiche Alexius-
lied nun 1040 — 50) zu nennen, welches zugleich ein wichtiges
literatnrdenkmal bildet. Es folgen die ältesten epischen
dichtnngen (ende des 11. bis anfang des 12. jahrhs.):
Gormond und Isembart, Rolandslied, das älteste
Wilhelmslied (Changun de Gu Meinte), Karls reise. Die
geistliehe literatur zählt noch einige :ilte denkmäler, die aber
kaum mehr dem 11. Jahrhundert zuzurechnen sind: einen
dramatischen versuch, den sog. Spousus, eine lyrische para-
phrase des Hohenliedes und die sog. Stephansepistel.
Alles das sind nicht nur sprach-, sondern zugleich literatur-
denkmäler, die au ihrem ort zur darstellung kommen
werden. *)
Von reinen Sprachdenkmälern bleibt noch zu erwähnen
eine aus der Normandie stammende Formel zum Gottesurteil
aus dem anfang des 12. Jahrhunderts sowie die zwisehen 1101
und 1120 aufgezeichneten sog. Gesetze Wilhelms des Er-
oberers.2) Zwölftes und dreizehntes Jahrhundert bringen dann
noch eine reihe von denkmälem, die, ohne der literatur im
engerem sinne anzugehören, doch der sprachlichen betrachtung
dienlich sein können: Urkunden, juristische, theologische und
sonstige wissenschaftliche werke.
Schon die ältesten literaturdenkmäler des französischen
erscheinen in poetischer form. Wie in anderen Literaturen
geht auch in der französischen die dichtuug in gebundener
rede der entwicklung einer kunstprosa voran: sehr begreiflich,
da eben die gebundene form den inhalt über die alltagssprache
hinaushebt und erst allmählich daneben die prosa als verwertbar
für die kunstdichtung erscheint. In der volkspoesie freilich
]) Siehe unten cap. I, III, IV, VI.
2J Die Gottesurteilsforniel ist gedruckt im Altfranz. Übungsbuch von
Foerster und Koschwitz4 s. 171 f. — Die Gesetze Wilhelms sind öfters
herausgegeben : von Reinhold Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen,
Leipzig 1832, s. 175 ff., 21858 8. 322 ff.; F. Liebennaun, Die Gesetze der
Angelsachsen (1903—06) I 492—520; Jubu E. Matzke, Loia de Gnillaume
]•■ Conquerant en francais et en latin, Paris 1899 (Cullectiou de textes pour
servir ä TenseigHeinent de l'histoire). Vgl. Lieberiuaun, Ilerrigs Archiv
106, 118—38, und II. Suchier, Literaturblatt 22 (1901) 119 ff.
Di*.' gebundene Rede: Allgemeines. 29
liegen von an fang an beide formen nebeneinander, indem
die rein erzählenden gattnngen wie märchen und sagen fast
ausschliesslich in prosaform kursieren. In der knnstdichtnng
werden auch diese Btoffe in vers und reim gebracht
Die altfranzösische versbildung ist sehr mannigfaltig, wenn
wir alle vorkommenden versarten berücksichtigen wollen, aber
sie erscheint wesentlich einfacher, wenn wir uns an die ge-
bräuchlichsten formen halten. Es bedeutet, gerade gegenüber
den antiken metren, schon eine ziemliche Vereinfachung, dass
die französische verskunst den steigenden (in antikem sinne
jambischen) rhythmus bevorzugt: das erklärt sich durch den
Charakter der französischen spräche, welche infolge Verlustes
der meisten endvokale den akzent im wort auf dem ende
desselben hat. So sind auch die klingenden oder weiblichen
versausgänge in der älteren zeit weit seltener als die stumpfen
oder männlichen. Erst allmählich, mit der ausbildung der
verstechnik, nehmen sie zu, uud gar die regle d'alternauce des
rimes hat erst seit dem ende des 15. Jahrhunderts allmählich
allgemeinere auwenduug gefunden.
Wie weit nun freilich im französischen vers neben der in
erster linie massgebenden silbenzählung noch andere momente
für die rhythmische gliederung in betracht kommen, speziell
welche rolle dabei einerseits der wortakzent, andrerseits der
regelmässige Wechsel von hebung und Senkung spielt, darüber
schwanken zur zeit noch die meinungen. Feste akzente finden
wir überall am versende und bei längeren versen ausserdem
noch vor der cäsur, die nicht notwendig in die mitte des
verses zu fallen braucht: an diesen stellen fallen versictus
und wortton wirklich zusammen. Im übrigen ist aber die
stelle der versakzente ungewiss: nach den einen sind sie
identisch mit den sinnes- oder wortakzenten, nach den andern
sind sie bedingt durch den regelmässigen Wechsel von hebung
und Senkung, so dass der erste vers des Rolandsliedes in dem
einen falle zu skandieren wäre:
Charles li reis, nostre emperere mäignes,
im andern:
Charles li reis, nostre emperere maignes.
11 Einleitung.
Hierbei ist jedenfalls zu bedenken, dass wir es in älterer
zeit meist nicht mit sprechversen, sondern mit singversen zu
tun haben, dass also der rhythnms auch des gesprochenen
verses in viel höherem masse als jetzt von der musik abhängig
war. Nicht nur die lyrischen gediente, sondern auch die
nationalen epen, die chansons de geste, wurden, wie schon
der name besagt, gesungen, selbst in achtsilbnern abgefasste
geistliche legenden der älteren zeit.
In allen versarten kann wie im zwölfsilbner (vgl. AS s. 71)
auf die letzte betonte silbe noch eine unbetonte folgen, welche
für die silbenzählung nicht in betracht kommt: achtsilbner mit
weiblichem schluss, welche demnach in Wirklichkeit neun
silben zählen, zehnsilbner mit weiblichem schluss, welche elf
silben zählen, aber gleichwol als zehn- und achtsilbner gelten.
Im wirklichen neun- oder elfsilbner müsste die neunte oder
elfte silbe betont sein und könnte noch eine unbetonte nach
sich haben:
Tmt cort si riche come röis , . ...
, , j. . . . . , . | achtsilbner
A cele feste gut tant coste . . . |
Quant mes cuers est ci sans moi remes — I .„
Ä11 . 7 , 7 ,„ neunsilbner.
Atlons voir sur Les herbes nouvetles |
In jenen versen, welche eine feste cäsur haben (zehn-
und zwölfsilbner), kann ebenso eine überzählige (unbetonte)
silbe nach der cäsur stehen; der zehnsilbner z. b. kann daher
in folgenden versformen erscheinen:
XXXxllxxxxxx Blancunärins füt des plus saives paiens
xxxxllxxxxxxx Charles li reis nostre emperere mdignes
xxxxxllxxxxxx De vasseldge fut assez Chevaliers
XXXXX llxxxXXXX Li reis Marsilies esteit en Sarragöce.
Ebenso kann auch der zwölfsilbner jeuachdem dreizehn
oder vierzehn silben erhalten (vgl. die beispiele AS s. 71).
In den ältesten denkmälern, welche sämtlich der geist-
lichen literatur augehören, tritt uns am häufigsten der acht-
silbner entgegen, meist mit männlichem schluss, erst in
späterer zeit öfter mit weiblichem schluss. Eine eigentliche
cäsur (die dann Daturgemäss hinter die vierte silbe fallen
müsste) hat dieser vers nicht: nirgends ist im inneren des
Die gebunde Rede: die Vereformen. 31
b eine überzählige silbe zu beobachten wie beim zehn
oder zwölfsilbner. Dass auf der vierten silbe der versictus
öfter mit dem wortakzent zusammenfällt als auf der dritten
oder fünften, erklärt sich aus dein alternierenden prinzip, d. h.
ans dem jambischen Charakter des achtsilbners. Zudem fällt
auch in diesem falle oft genug die betonte vierte silbe nicht
mit dem wortende zusammen: die cäsm würde also, wenn
man eine solche annehmen wollte, in die mitte des Wortes
fallen, was zwar in der antiken prosodie nichts verschlägt,
aber dem begriffe der romanischen cäsur widerstreitet. Man
vergleiche zu dem gesagten die oben gegebenen beispiele.
Der achtsilbige vers ist für die geistliche dichtung
charakteristisch, in welcher er zuerst begegnet, sodann wird
er auch der übliche vers für das höfische epos und für die er-
zählenden dichtungen kürzeren umfangs wie novellen, schwanke.
tierepik. In der lyrik findet er von anfang an vielseitige
Verwendung neben andern versarten. Schliesslich ist er auch
der gebräuchlichste vers im drama geworden. Sogar in den
chansons de geste begegnet er zweimal, im epos von Isembart
und Gormont sowie im ältesten Alexandergedicht.
Der altherkömmliche vers der nationalen epik ist jedoch
der zehnsilbner, wie er oben an beispielen aus dem Rolands-
lied dargestellt worden ist. Wenn er vorher hier und da auch
in der geistlichen dichtung erscheint (so im provenzalischen
Boethiusfragment um das Jahr 1000, im französischen Alexius-
leben um 1040 — 1050), so liegt hier wol entlehnung aus der
weltlichen epik vor, welche mehrere Jahrhunderte früher bereits
bezeugt ist. Auch in der lyrik ist er von anfang an (so in
den romanzen) zu hause. Die cäsur liegt im zehnsilbigeu vers
in der regel hinter der vierten betonten silbe (auf die, wie
bemerkt, eine überzählige unbetonte folgen kann), aber in
einer kleineren gruppe von dichtungen (Girart de Roussillon,
Aiol et Mirabel, Audigier, z. t. in Jean Bodels Niklasspiel.
auch in der lyrik) begegnet sie nach der sechsten betonten
silbe (je nachdem mit überzähliger unbetonter):
„Bele seur, douce atme", ce dist Elies,
„Nous somes mit e pövre, n'avons dont vivre,
Nous fussiens pieclia mört ne fust Vermites . . ."
32 Einleitung.
Schliesslich kommt, wenn auch verhältnismässig selten, auch
Cäsur nach der fünften silbe vor. der ganze vers besteht dann
ans zwei flinfsilbnerhälften, der jambische rhythmus wird
durch den trochäischen ersetzt, kurz, der ganze Charakter
dieses (lyrischen) verses weicht von dem des epischen zehn-
silbers völlig ab:
Quant ce vient cn rncii lec, rose est panie.
In der lyrik erscheint die cäsur des zehnsilbners nach der
vierten oder sechsten silbe nur selten, z. t. in derselben form
wie in den chansons de yeste, d. h. mit überzähliger tonloser
silbe dahinter; meist steht sie nach der vierten unbetonten
silbe, d. h. die auf die betonte (dritte) silbe folgende unbetonte
zählt als vollsilbe, die silbenzahl so gebildeter verse ist immer
gleich zehn, bei weiblichem reim elf. Man nennt diese durch
rücksieht auf die gleichmässigkeit der melodie in der lyrik
bevorzugte (in der epik nur vereinzelt vorkommende) cäsur
die lyrische cäsur, z. b.:
Ma promesse m'est toumee a faillir,
Esperance s'en est de moi alee.
Neben dem zehnsilbner erscheint seit der Karlsreise auch
der zwölfsilbner in der epik (vgl. AS s. 71 ff.). Zweifellos
jünger als jener (vermutlich nur durch Verdoppelung des einen
versgliedes von sechs silben aus jenem entstanden) verdrängt
er ihn allmählich, so dass häufig alte zehusilbnerepen in zwölf-
silbige verse umgedichtet werden. Namentlich wird dieser
vers seit dem ende des 12. Jahrhunderts für die dichtungen
von Alexander d. Gr. charakteristisch, weshalb er (nachweislich
seit der ersten hälften des 15. Jahrhunderts) den namen vers
alexandrin bekommt. Ausserhalb der epischen dichtung be-
gegnet er öfter im drama, zu vierzeiligen Strophen (quatrains)
verbunden in der lehrhaften dichtuog. Die cäsur ist stets
nach der sechsten betonten silbe (auf die, wie am versende,
eine unbetonte überzählige folgen kann).
Verse von längerer silbenzahl, wie dreizehn- und sechzehn-
silbner, sind selten. Hingegen erfreut sich einer gewissen
häufigkeit noch der kurzatmige sechssilbner, besonders in
der didaktischen dichtung (zuerst im Compoz des Philipp von
Die gebundene Rede: Herkunft der Versformen. 33
Thson); ausserdem auch iu der lyrik, ferner in verschiedenen
chansons de geste. besonders Wilhelmsepen, als abschluss der
in laugversen gedichteten laisse. Wie alle andern verse kann
er männlich oder weiblich schliessen, entbohrt aber natur-
gemäss der cäsur. Ob er als ahleitnng aus der einen vers-
hälfte des zehnsilbners zu betrachten ist, muss dahingestellt
bleuten. Als beispiel mögen die eiugangsverse des Compoe
dienen:
Philipes de Thaün A suu uncle l'enveiet
At fait une raisun Qne amender la deiet
Par praveires guarnir Se rien i at inesdit
De la lei uiainteuir. En fait u en escrit . . .
In der lyrik rinden wir schliesslich auch viersilbige, selbst
■drei- und zweisilbige verse gelegentlich verwendet.
Von den versen mit ungerader silbenzahl ist im ganzen
nicht viel zu bemerken. Sie haben im gegensatz zu den vorher
behandelten versen trochäischen rhythmus, lassen die cäsur
meist vermissen und begegnen am häufigsten in der lyrik.
Der fünfsilbner begegnet uns in der ältesten reimpredigt
(vgl. kap. IV), wo er vermutlich gelehrter nachahmung seine
entstehung verdankt, nämlich dem versus tripartitus caudatus.
Wie weit nun der fünfsilbige vers, wo er sonst vorkommt, auf
diese form oder etwa auf den trochäischen zehnsilbner (s. vorige
seite) zurückgeht, ist kaum zu entscheiden. Der sieben-
silbner ist besonders der lyrik eigen, sonst erscheint er noch
in den verspartien der chantefable von Aucassin und Nicolete
und zwar hier in laissenform. Ein ausschliesslich lyrischer
vers ist der neunsilbner, meist ohne cäsur (beispiele oben
s. 30), desgleichen der elfsilbner (S'est hien drois que je face
sa volente).
Die frage nach der herkunft der einzelnen versarten ist
schon viel erörtert worden, hat aber noch nicht überall zu
festen ergebnissen geführt. Einige versarten lassen sich ja als
ableitung aus anderen erklären wie alexandriner und vielleicht
auch seehssilbuer aus dem zehnsilbigen, vier- und zweisilbner
aus dem achtsilbigen vers. Aber die herkunft der grundfonneu
bleibt noch immer strittig. An germanische oder keltische
iierleitung (Uhland — Bartsch, Rajna) ist freilich kaum zu
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 3
34
Einleitung.
denken. Aber auch bei der ableitnng aus lateinischen vers-
formen erheben sieh schwierige prinzipielle fragen: wie weit
wir dabei au die akzentuierende altlateinische versform, den
satumier, denken oder Umbildung der quantitierenden klassischen
metra zu akzentuierenden versen annehmen dürfen. !So hat
man den zehnsilbner bald aus dem jambischen trimeter, bald
aus dem daktylischen hexameter, bald aus dem saturnier
hergeleitet, ohne dass eine von diesen und den zahlreichen
anderen erklärungen weitergehende Zustimmung gefunden hätte.
Hingegen lässt sich der achtsilbner, der uns zuerst in der
geistlichen dichtung begegnet, mit einer gewissen Wahrscheinlich-
keit auf den rhythmischen (nicht quantitierenden) lateinischen
achtsilbner zurückführen, der in der lateinischen dichtung des
mittelalters sehr häufig ist. Man vergleiche z. b. einige hymnen-
strophen des Venantius Fortunatus (s. o. s. 13) mit dem anfang
der Passion Christi und des Leodegarliedes:
Agnoscat oinne saeculniu
Antistiteni Leontium,
Burdegalense praemium
Dono superno reddituin.
Vexilla regis prodennt,
Fulget crucis mj-steriuui,
Qua carne caruis conditur
Suspensus est patibulo.
Ilona vos die vera raizun
De Jesu Christi passiun.
Los sos affanz vol reuieuibrar
Per que cest mnud tot a salvad.
Domiue Deu devtrups lauder
Et a sos sancz honor porter
In su'amor cantomps dels sanz
Que por lui augrent grauz aanz . . .
Zum mindesten ist der französische achtsilbner, falls er
anderen, d. h. mehr volkstümlichen Ursprung haben sollte,
stark von dem achtsilbigen lateinischen hymnenvers beeinflusst
wTorden.
Wie weit der reim in der französischen dichtung auf
das Vorbild der spätlateinischen zurückgeht oder auf volks-
tümlichen Ursprung zurückzuführen ist, bleibt vorläufig noch
unklar. In der älteren zeit erscheint an stelle des vollreims
vielfach die blosse assonanz (wrie oben remembrar — salvad).
Namentlich ist diese in den älteren oder mehr volkstümlichen
dichtgattuugen durchaus üblich, wie in den romanzeu und in
den chansons de geste, wo sie erst allmählich durch den reim
ersetzt wird. Die geistlichen dichter bemühen sich von anfang
an, rein zu reimen. Für den höfischen roman und die formell
Die Literatur: das keltische Element 35
davon abhängigen gattungen ist der rollrein) regeL Ja hier
linden wir sogar das bestreben ausgeprägt, mit dem gleichklang
über den betouten vokal zurückzugehen, sog. reiche reime zu
bilden: monta — douta, venir — tenir, avra — savru,
cor att t — plorant. l)
Deutlieber als in der metrik und stärker als in der
spräche tritt der anteil der verschiedenen nationalen demente
in der literatur hervor: in den Stoffen, in dem sie belebenden
geist, in dem literarischen beiwerk. Das keltische dement,
jedenfalls weder durch die romanisierung noch durch die
germanische Herrschaft völlig- überwuchert, wird namentlich
in den populären Überlieferungen nachgewirkt haben. Aber
der lateinischen literatur stellt sich keine altkeltische an
die seite, welche uns eine genaue abmessung des keltischen
') Über rhythuiik im allgemeinen und romanische metrik im besonderen
vgl. folgende werke: Bücher, Arbeit und Rhythmus, Leipzig * 1909. —
Stengel, Komanische Verslehre in Grs. Gr. II, 1. 1 — 96. — Tobler, Vom
franz. Versbau alter und neuer Zeit, Leipzig M910. — F. Saran, Die
Rhythmik des franz. Verses, Halle 19oj. — T. Aubry, Les plus aneieus
monuments de la musique francaise, P. 1905, 4°.
Zur geschichte und herkunft der versformen: B. ten Brink, Con-
jeetanea in historiam rei metricae francogallicae , Bonn 18(15 (Diss.). —
Uhland, Über das altfrauz. Epos i. Gesammelte Schriften IV 365 (will den
alexandriner aus dem Nibelungen vers, dem „epischen Stammvers der
Germanen", ableiten). — Bartsch, Ein keltisches Versmass im Prov. u.
Franz., ZrP II 195—219; Keltische und romanische Metrik, ebda. III 359— 384.
— Ph. Aug. Becker, Über den Ursprung der romanischen Versmasse,
Strassburg 1890.
Speziell über den zehnsübner: Diez, Altroman. Sprachdenkmale,
Bonn 1S-46 , s. 116 f. — Rochat im Jahrbuch XI 74. — Gautier, Epopees
frangaises, l2 366 ff. — Pio Rajna, Origini dell' epopea francese, Florenz
1884, s. 487 ff. — Thurneysen in ZrP Xl3(J5ff. — V. Henry, Contribution
ä Fetude des origines du decasyllabe roman, Paris 1886. — G. Holborn,
Wortakzent n. Rhythmus im prov.-franz. Zehnsübner, Diss. Greifswald 1905.
Über den reim: Abbe L. Bellanger, Etüde historique et philologique
sur la rime francaise, Paris 1876. — Emil Freymoud, Über den reichen
Reim bei altfranz. Dichtem, ZrP VI 1 — 36, 177 ff. — Über neuere Metrik:
Becq de Fouquieres, Traite general de versification francaise, Paris 1879.
— E. 0. Lubarsch, Franz. Verslehre, Berlin 1S79. — K. Foth, Die franz.
Metrik. Berlin 1879.
3*
36 Einleitung.
einflnsses auf die französische literatur ermöglichte. Aus Gallien
haben wir überhaupt keine keltische Literatur, und was wir in
kymrischer (walesischer) oder irischer mundart besitzen, ist
nicht älter als die bauptwerke der altfranzösischen literatur
selbst, ja geht zum teil auf diese erst zurück.
Wieweit wir berechtigt sind, den sog. 'esprit gaulois', der
sich im mittelalter vor allem in den schwanken, gelegentlich
auch in den farcen, später in den novellen, im roman
Rabelais', in den contes Lafontaines äussert, als keltische-;
erbgut zu betrachten, muss unentschieden bleiben, da derartig
neigungen auch ausserhalb Frankreichs begegnen und mehr im
allgemeinen für das jeweilige hervortreten populärer einflüsse
überhaupt zeugnis ablegen. So sind keltische demente in der
französischen literatur im wesentlichen erst zu konstatieren,
als von aussen her, aus England oder aus der Bretagne,
keltische Stoffe nach Frankreich importiert werden, zuerst in
der irischen legende von Brandan, dann in reichem masse
in der höfischen epik und der laidichtung: feenglaube. zauber-
wälder, wunderquellen und audere zauberdinge, entrtickung
ins reich des überirdischen, Vorstellungen vom toteureich.
kurz die märchenhaften demente der Artusepik wie die
Artussage selbst haben ihre wurzel in keltisch diretonischer
phantasie. *)
Bei der Jahrhunderte langen datier und der nachhaltigkeit
des römischen kultureinflusses ist nicht zu bezweifeln, dass
wie von den Kelten so auch von den Römern sich mauches
aus ihrem glauben und aberglauben, aus der sogenannten
niederen mytbologie, in den volkstümlichen Überlieferungen
Frankreichs erhalten und nachgewirkt hat. Aber in der
literatur treten auch diese primären einflüsse wenig oder kaum
') Vgl. über die Kelten noch: E. Windisch, Keltische Sprachen in
Ersch u. Grubers Encyclopüdie d. Wissensch. n. Künste, II. Sect., 35. bd.,
s. 132 f. — Heinrich Zimmer, Kuno Meyer, Ludwig Cur. Stern, Die keltischen
Literaturen (Kultur der Gegenwart, Teil 1, Abt. XI, 1, s. 1 — 137), Berlin
1909. — D'Arbois de Jubainville, Iutroduetion ä Tetnde de la litterature
celtique, Paris IS1-»;!. Derselbe nnd J. Loth, Cours de litterature celtique,
Paris, 1S83 — 1902, 12 bde. — Rud. Thurneysen, Sagen aus dem alten
Irland (übers.). Halle 1901. — Im einzelnen siehe kap. VIII. Vgl. oben
s. 20 anm.
Die Literatur: das römische und das christliche Element. 37
fambar zu tage. Sondern, ähnlich wie die keltischen elemente
durch import von aussen her, werden Btoffe und motive der
lateinischen Hteratnr Boznsageo auf dem wege gelehrten imports
in die französische literatur eingeführt, wobei allerdings die
weiterprlege der Lateinischen spräche und literatur in den
gallischen untrrrichtsanstalteu und überhaupt der enge Zu-
sammenhang zwischen lateinischer und französischer spräche
diesen eintlüssen sehr zu statten kam. In welchem masse die
lateinische literatur gerade in Gallien geblüht hat. ist oben
(s. 9ff.) kurz dargetan worden. Die einwirkuug der klassischen
literatur auf die altfranzösische äussert sich hauptsächlich auf
dem gebiet d«s epOB und der fabel: Vergil. Ovid und Statins,
Phaedrns und Avian sind die antoren, welche hier eingewirkt
haben. Ovid ausserdem auch auf theoretischem gebiet mit Ars
amandi und Remedia amoris. Lyrik und drama bleiben frei
?on antiken eintlüssen, die sich übrigens auch in didaktik
und epos auf das stoffliche beschränken. Eine nachahmung
autiker formen, wie z. b. in der lyrik, finden wir erst in der
reuaissaneezeit. l)
Tiefere spuren als keltentum und römertum hat das
Christentum in dem geistesleben de3 französischen volks
und somit auch in seiner literatur zurückgelassen, die uns, im
unterschied von der deutschen, von vornherein im wesentlichen
als christlich erscheint, was vielleicht am treffendsten in
der hauptgattung der profaudichtung, im volksepos, in der
Schilderung der Charaktere und gefühle, zum ausdruck kommt.
Dass es lateinische spräche und literatur war, welche den
') Vgl. im allgemeinen: Hübner, Grundriss der klassischen Philologie,
Berlin 21S89. — Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft, hgg. von
Iwan Müller, 1885 ff. Darin: Martin Schanz, Geschichte der römischen
Literatur bis auf Justinian, 1889 ff. — Für literatur ferner: Teuffei,
Geschichte der römischen Litteratur, 5. anfl. von L. v. Schwabe, Leipzig
1890. — Otto Ribbeck, Geschichte der römischen Dichtung, Stuttgart
l*s7 — 1892, 3 bde (nur die dichtuug im engeren sinn). — Clovis Lamarre,
Histoire de la litterature latine, 4 bde, P. 1901. — Vgl. auch Mommsen,
Römische Geschichte, bd. I, II, III, V die betr. abschnitte. — Kurze
Übersichten: Theodor Birt, Eine römische Litteraturgeschichte in fünf
Stunden gesprochen, 1894. — Hermann Joachim, Geschichte der römischen
Litteratur, Leipzig (Sammlung Göschen) 1896. — W. Kopp, Gesch. d.
röm. Literatur, neu bearbeitet von F. G. Hubert, Berlin 18*- 5 u. ö.
38 Einleitung.
bewohncrn Galliens das Christentum vermittelte, ist schon
früher betont worden. Die heidnisch-römische literatnr hat
sich allmählich in eine christlich -lateinische umgewandelt,
welche für einzelne gattungen der volkssprachlichen literatnr
grundlegend wird, auch nach der begründung der vulgär-
literatur weiterlebt und sie durch das ganze mittelalter
hindurch begleitet. Noch mehr: diese lateinische literatur
des mittelalters wird auch im ganzen übrigen Westeuropa
gepflegt, sie ist international und wird somit für sämtliche
nationalliteraturen bedeutungsvoll. 'Eine Weltliteratur, wie
sie Goethe von der Zukunft erwartete', sagt Ebert, 'bestand
in der Tat schon im Mittelalter. Wie die Bildung desselben
im Abendland eine gemeinsame ist, das Produkt des
Zusammenwirkens der germanischen und romanischen Nationen
auf der Basis der aus dem Altertum überlieferten Kultur,
und zwar nicht allein der klassischen, römisch -hellenischen,
sondern auch der orientalisch -hellenischen, d. i. spezifisch
christlichen: so ist die Literatur, die aus dieser Bildung
hervorgeht, die selbst der Ausdruck derselben ist, auch eine
gemeinsame, ein einheitlicher Organismus . . . Ehe die germa-
nischen und romanischen Sprachen bis zum literarischen
Gebrauche entwickelt waren, war selbst die Sprache der
mittelalterlichen Literatur im Abendland eine gemeinsame,
die lateinische, und dieselbe bleibt es auch noch längere Zeit
auf einzelnen literarischen Gebieten, bis sie allmählich auf
dem einen früher, dem anderen später von den National-
sprachen, die sich ihr auf diesen Feldern zugeselleu, verdrängt
wird'.
Diese mittellateinische literatur bildet also zwar nicht die
grundlage schlechtweg, wol aber einen wesentlichen faktor
für die bildnng der nationalfranzösischen literatur. und bei
jeder dichtgattung wird man zu fragen und zu untersuchen
haben, wie weit bei ihrer entstehung lateinische, wie weit
andere, namentlich populäre quellen in betracht kommen.
Nicht nur die geistliche literatur an sich, sondern auch andere
gattungen, wie fabel, überhaupt didaxis, allegorische dichtung,
theater, stehen uuter sichtlichem einfluss der entsprechenden
lateinisch -christlichen dichtgattungen, speziell das theater ist
in den ältesten überlieferten stücken durchaus religiösen
Die Literatur: das germanische Element. 39
Inhalts und aufs engste mit dem lateinisch-christlichen drama
verwant. l)
Aber in ihrer gesamtheit, selbst in der ältesten zeit, läset
Bich die französische Literatur nicht auf die lateinische zurück-
führen. Es kommen daneben, zumal in der profanliteratur,
von anfang an andere einflüsse zur geltung, vor allem der
einflnss germanischer brauche und anschauungen, germanischer
sage und dichtung, was sich bei der Jahrhunderte langen
politischen Vorherrschaft des Frankenvolks in Gallien zur
genüge erklärt. Die entstehung des französischen helden-
oder volksepos ist ohne deutsche heldensage und heldeu-
dichtung gar nicht denkbar. Eine reihe von ganzen themen
— brautfahrtsagen, Verbannung oder Vertreibung eines flirsten
und rückkehr mit hilfe seiner getreuen u. a, m. — , viele
eiuzelmotive und episoden. wie unverwundbarkeit des helden,
gefolgschaftswesen und dienstmannentreue, entscheidung des
kampfes der Völker durch Zweikampf der führer, zahlreiche
typen und figuren wie der alte berater oder der getreue
Waffenbruder, der hilfreiche zwergenkönig, luft- und Wasser-
geister, furchtbare riesen als gegner der beiden, ja selbst
bestimmte erzählungsformeln sowie auch die namengebung an
pferd und schwert stammen aus germanischer, in erster linie
fränkischer Überlieferung. 'L'epopee francaise du moyen äge'
sagt G. Paris, 'peut etre definie: L'esprit germanique dans une
forme romane'. 2) Auch das im 12. Jahrhundert neben das
heldenepos tretende tierepos zeigt weitgehende abhängigkeit
von germanischeu Überlieferungen und anschauungen, neben
welchen der einfluss lateinischer oder orientalischer fabeln
') Vgl. über die lateinische literatur des Mittelalters z. t. die vorhin
zitierten werke, im besonderen die folgenden spezialdarstellungen: Adolf
Ebert, Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande
bis zum Beginne des XL Jahrhs., 3 bde., Leipzig 1S74 — 87, I2 1889. —
Gustav Grüber, Uebersicht über die lateinische Litteratur, im Grundriss
d. r. Ph. II, 1. abt., 97 — 432. — Manitius, Geschichte d. lat. Lit. des Mittel-
alters I, München 1911 (Iwan Müllers Handbuch IX, 2, 1). — H. v. Eicken,
Geschichte und System der mittelalterlichen Weltanschauung, 1S87).
a) Revue critique, 1868, Ier sem. s. 385. Etwas anders gewendet in
der 'Litterature francaise au moyen «ige': 'L'epopee francaise est le produit
de la fusion de l'esprit germanique, dans une forme romane, avec la
nuuvelle civilisation chretienne et surtout francaise' (s. 25).
40 Einleitung.
nur geriug anzuschlagen ist. Skandinavische einfliisse lassen
die sagen der Norniannenchroniken erkennen. Möglicherweise
reicht germanischer einfluss auch in die französische lyrik
hinein, wenn man auf das vorwiegen germanischer namen in
der erzählenden lyrik und auf die enge verwnutschaft von
deren strophenbau und melodik mit der epischen dichtuug
wert legen will und die neuerdings vorgebrachte theorie von
der bedeutuug der germanischen maifeiern für die altfranzösische,
lyrik annimmt, ')
Im übrigen zeigt gerade die lyrik am besten, wie aus
dem durch mischung verschiedener nationaler demente ent-
standenen neuen volk allmählich auch eine neue dichtnag
herauswächst, welche ihrem geistigen inhalt nacb weder
römisch noch keltisch noch germanisch, sondern französisch
ist, während in epos und geistlich - lehrhafter literatur die
ursprünglichen demente sich viel deutlicher erkennen lassen.
Allerdings lässt sich auch in diesen gattuugen mehr und
mehr eine nationalfranzösische Weiterbildung und ausbildung
verfolgen, welche in auffassung und behandlung der stoffe
allmählich zu einer französischen literatur in eigentlichem sinn
hinüberleitet.
Aber in den Stoffen selbst wird auch die französische
literatur fort und fort wieder von aussen her beeiuflusst.
Während sie uns etwa bis zur mitte des 12. Jahrhunderts in den
') Zur germanischeu philologie im allgemeineu vgl. Grundriss der
german. Phil. bgg. von Hermann Paul. Strassburg, Trübner, 1S91— 93, in
3 teilen, -1901 — 09, 31911ff. Darin: Koegel, Althochdeutsche Literatur;
Fr. Vogt, Mittelhochd. Literatur; Syiuons, Heldensage; Mogk, Mythologie.
— Besonders für literaturgeschichte der älteren zeit vgl. noch: L. Unland,
Geschichte der altdeutschen Poesie. Vorlesungen usw., 2 bde, 1M>5 — Ort
(Schriften z. deutschen Dichtung und Sage hgg. vou Keller u. Holland, I. IL).
— Johann Kelle, Geschichte d. deutschen Lit. von der ältesten Zeit bis
zur Mitte d. 11. Jahrhs., Berlin 1^92. — Rudolf Kugel, Geschichte d.
deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, I. bd., 2 teile
(althochd. zeit), Strassburg 1894 u. 1S97. — Mit besonderer berücksichtigung
der frauz. literatur: Wolfgang Golther, Geschichte d. d. Lit. I. Teil. Von
den ersten Anfängen bis zum Ausgang des MA., Stuttgart 1S92. — Beziigl.
der Wechselwirkungen vgl.: Th. Süpfle, Geschichte des deutschen Kultur-
eiuflusses auf Frankreich, 2 bde., Gotha 1886 — 90. — Virgile Kossei,
Histoire des relations litt, entre la France et l'Allemagne, Paris 1897.
Literatur: das bretonische Element. 41
überlieferten denkmälera im wesentlichen als eine organische
fortbildung der lateinisch-christlichen Literatur einerseits und der
grösstenteils auf germanischer grundlage beruhenden populären
Literaturgattungen andrerseits erseheint, erweitert sich nach und
nach der stoffkreis durch äussere einflüsse, zunächst durch
solche der antiken epik und zwar nicht nur der lateinischen
dichtung, sondern auch der — durch die lateinische spräche
vermittelten — griechischen und hellenistischen heroen-
überlieferung, wozu auch der bereits um 1100 in franco-
provenzalischer spräche behandelte Alexanderroman gehört.
Reichlicher fliesst dieser ström seit der mitte des 12. Jahr-
hunderts mit Thebanersage, Trojasage und Eneasroman in die
französische epik ein, verstärkt durch den zurluss griechischer
und byzantinischer liebes- und seeromane. deren hauptmotive ein
wesentliches element des um dieselbe zeit sich entwickelnden
höfischen romaus bilden und weiterhin auch auf ältere gattungen
wie z. b. das eigentliche heldenepos einwirken. In dieser
hinsieht ist namentlich der — auf griechische Vorbilder zurück-
geführte — lateinische Apolloniusroman als vielbenutzte quelle
mittelalterlicher dichtungen zu nennen. l)
Das wesentlichste und quantitav am stärksten hervor-
tretende dement des höfischen epos bildet aber die sog.
'inatiere de Bretagne', welche in ihrer eigenart schon
oben (s. 36) charakterisiert worden ist und nicht nur die
Artussage, sondern eine reihe von dieser unabhängiger oder
ursprünglich selbständiger erzählungsstoffe umfasst, die nicht
') Vgl. iiu allgemeinen Christ, Geschichte der griechischen Literatur,
188J, 5 UtOS — 09 von Wilh. Schmid (Iwan Müllers Handbuch VII). —
Abrisse: Kopp, Gesch. d. griech. Lit., 7 von Otto Kohl, Berlin 1908.
A. Gercke, Griech. Lit.-Geschichte (Sammlung Göschen) 1898, 2 1905. —
Krumbacher, Geschichte der byzantinischen Literatur (Handbuch bd. IX)
1891, 2. aufl. lS'JT. — Erwin Ruhde, Der griechische Roman und seine
Vorläufer, 2. aufl., Leipzig 1000. — Historia Apollonii regis Tyri, it. rec.
Alexander Riese, Leipzig (Bibl. Teubneriana) 1893. Elimar Klebs, Die
Erzählung von Apollonius von Tyrus, eine geschichtliche Untersuchung
über ihre lateinische Urform nnd ihre späteren Bearbeitungen, Berlin 1899.
H. Hagen, Der Romao von König Apollonius von Tyrus in seinen
verschiedenen Bearbeitungen, Berlin 1878. S. Singer, Apollonius von Tyrus,
Untersuchungen über das Fortleben des antiken Romans in späteren Zeiten,
Halle 18lJ5.
12 Einleitung.
als altkeltischea erbgut, sondern auf dem wege des imports
in die französische literatur gekommen sind.
Der höfische roman oder ritterrornan unterscheidet sich
aber vom alten heldenepos nicht lediglich durch die neuen
erzählungsstoffe, sondern vor allem durch das neue ritterideal,
welches sich in jener zeit gebildet hat und in der höfischen
(Lichtung überhaupt, in der epischen wie in der lyrischen,
seinen ausdruck findet. An die stelle der alten ideale, für
welche kaiser Karl und seine paladine streiten — für Vater-
land und glauben — tritt jetzt der höfische minnedienst, der
kultus der frau. und im Zusammenhang damit persönlicher
ehrgeiz und abenteuersucht.
Diese Verherrlichung des minnedienstes, der ganz in die
formen des Vasallenverhältnisses gekleidet erscheint, verdankt
die französische literatur den Provenzalen, welche ihn zuerst
von den abendländischen nationen in ihrer lyrik ausgebildet
und von da aus in die umliegenden länder und literaturen
weitergetragen haben. Die provenzalische literatur steht ja
im mittelalter ganz selbständig neben der französischen, so
selbständig wie die italienische oder spanische, mit eigener
spräche — ■ der sog. langue d'oc1) — , mit eigener entwicklung
und eigenem Charakter. In ihren ältesten denkmälern nicht
ganz so weit hinaufreichend wie die französische bietet sie
uns aber doch schon im 10. Jahrhundert einen — zu einem
lateinischen lied gehörigen — rein provenzalischen refrain in
der art der refrains zu den späteren tageliedern (alba), und
zwischen 950 und 1050 das 257 Zeilen lange bruchstück eines
Boethiuslebens in der form des französischen volksepos, d. h.
in einreimigen tiraden von ungleicher verszahl. Auch das
älteste gedieht von Alexander dem Grossen (vgl. oben) ist
auf provenzalischem oder wenigstens francoprovenzalischem
boden (vermutlich in Brian 900 oder Pisancon, Dep. Hautes
Alpes) entstanden, etwa im anfang des 12. Jahrhunderts. Um
diese zeit lebte und dichtete bereits der älteste provenzalische
trobador, von welchem uns dichtungen bekannt sind, graf
') D. i. die spräche, die mit oc «hoc) bejaht, im unterschied von
der langue d'oil «/10c illud — nfr. oui), dem französischen, sowie vom
italienischen, wo die bejahungspartikel si (<< sie) lautet.
Literatur: die Provenzalen ; angelsächsische Stoffe. 13
Wilhelm IX. von Poitiers, welcher neben liedern mehr derben
Inhalts bereits auch eine reihe von echten und rechten niinne-
liedern zeigt und auf diesem gebiete zahlreiche oachfolger
gefunden hat Tatsächlich zeichnet sich die provenzalische
literatur gerade durch die starke bevorzugung der lyrik aus,
mit welcher sie für französischen und deutschen minnesang.
italienische und portugiesische lyrik vorbildlich geworden
ist.1) Eine bekannte günuerin der trobadors war Eleonore
v«ai Poitiers. die enkelin jenes grafen Wilhelm, uud durch
ihre beiden töchter. von denen die ältere, Marie, an den grafen
Heinrich I. von Champagne und die zweite, Alix, an dessen
bruder. graf Thibaut V. von Blois, vermählt war, gelangte
der minnedienst und mit ihm die neue diehtung auch nach
dem norden Frankreichs. Als erster Vertreter der neuen,
provenzalisierenden lyrik tritt uns Crestien von Troyes ent-
gegen, der am hofe der gräfin Marie lebt und von ihr zu
seinem Lanzelotroman la mauere et le sen (stoß' und leitende
idee) erhält. Die höfische diehtung leitet eine neue epoche
in der entwicklung der altfranzösischen literatur ein.
Aber auch mit der einwirkung der provenzalischen literatur
sind die fremden einfliisse noch nicht erschöpft. Durch die
enge Verbindung der französischen Normandie mit England
unter den Plantagenets wird das eindringen angelsächsischer
erzählungsstoffe wie der Hornsage gefördert.'2) Zahlreiche, nicht
*) Vgl. Fr. Diez, Die Poesie der Troubadours, Zwickau 1 82K ; Leben
und Werke der Troubadours, ebenda 1829, beide in neuer aufläge von
K. Bartsch 1882 und 1S83. — Karl Bartsch, Grundriss zur Geschichte der
provenzalischen Literatur, Elberfeld 1S72. — Restori, Letteratura provenzale,
Milano 1891. — Albert Stimming, Provenzalische Litteratur, in Grübers
Grundriss der roman. Phil. II. I , s. 1 — 09 (1893 — 97). — Suchier, Die
Litteratur der Provenzalen, in Suchier und Birch- Hirschfeld, Geschichte
der franz. Litteratur, Leipzig und Wien 1900, s. 4H — 96. — Jeanroy, La
Poesie provencale du moyen-äge. Revue des deux niondes 1899, bd. 151
und 155. — J. Anglade, Les troubadours, Paris 1908. — Ednard Wechssler,
Das Kulturproblem des Minnesangs I, Halle 1909.
2) Für die ältere englische literatur vgl.: B. ten Brink, Geschichte
der englischen Literatur, fortgeführt von A. Brandl, I 1^77, »1899, II 1893.
— B. ten Brink und A. Brandl in Pauls Grundriss d. germ. Phil. II 1893,
•1909. — W. H. Schofield, English Literatnre froin the Norman Conquest
to Chaucer, 1906. — Abriss: Arnold Schröer, Grundziige u. Haupttypen
d. engl. Lit.-Gesch. (Sammmlung Göschen), 2 teile, 1906, 2 191 1.
44 Einleitung.
überall klar liegende fäden führen von den mittelalterlichen
Literatiiren über Griechenland und Byzanz hinaus nach dem
Orient. Schon von den heiligeuleben sind verschiedene
orientalischen Ursprungs, dem abendlande durch lateinische
bearbeitnngen vermittelt. Die ins christliche gewendete
geschichte von Barlaam und Josaphat geht auf die indische
Buddhalegeude zurück, rahmener/.ählungen wie die von den
'Sieben weisen Meistern' weisen nach anläge und inhalt auf
herkunft aus Indien. Soweit wir es wie hier mit ganzeu
werken zu tun haben, die auf literarischem wege fertig von
dort übernommen wurden, besteht an der orientalischen her-
kunft kein zweifei. Aber daneben finden sich in schwanken
und novellen, auch fabeln und tiergeschichten, zahlreiche
erzählungsstoffe, die ihre parallelen nicht nur im Orient, sondern
auch in populären Überlieferungen des abendlandes finden.
Auch hier werden wir häufig zur annähme orientalischer ent-
stehung geführt, nur dass die Übermittelung hier auf mündlichem
wege, von mund zu mund, von volk zu volk, erfolgt ist und
zum teil noch in sehr alte Zeiten hinaufreicht. Andererseits
mag auch umgekehrt manches von diesen weitverbreiteten
motiven aus Europa, z. b. aus Griechenland, nach Asien
gewandert sein, und schliesslich wird hier und da eine
Übereinstimmung zwischen orientalischen und okzidentalen er-
zähluugen auch auf zufall beruhen können, da unter gleichen
oder ähnlichen Voraussetzungen naturgemäss auch ähnliche
produkte entstehen können. Nur die Untersuchung aller
einzelnen fälle für sich wird allmählich über das ganze klarheit
schaffen. Am meisten kommen solche volkstümliche oder
orientaliche Stoffe für die gattungen des schwanks, der novelle
und später der farce in betracht, daneben für lehrhafte und
romauartige dichtuug. *)
') Vgl. die folgenden darstellungen, welche weitere nachweise ent-
halten: Hermann Oldenberg, Die Literatnr des alten Indien, Stuttgart UDd
Berlin 1903. Mor. Winternitz, Geschichte der indischen Literatur, I 19U5 — OS
(i. d. 'Litteraturen des Ostens"). — Paul Ilurn, Geschichte der persischen
Litteratur. C. Brockelmann, Geschichte der arabischen Literatur, beide
zusammen als VI. band der 'Litteraturen des Ostens1, Leipzig 1901. — Für
arabische literatur ausserdem die ausführliehe darstellung von Brockelmaim:
Geschichte der arabischen Litteratur, 2 bde., Berlin 1899 — 1902.
Literatur: Einflüsse der franz. Literatur auf fremde Literaturen. 45
Alle diese fremden einMüsse begegnen und kreuzen sieh
Beil der mitte des 12. Jahrhunderts in der französischen
literatur. werden hier verarbeitet und sozusagen französisiert.
Neue stoffliche ein Müsse kommen in der folgezeit nicht mehr
hinzu. Zwar bildet die französische literatur im 13. Jahr-
hundert die allegorische dichtnng, im 14. und 15. Jahrhundert
das drama aus. aber das alles ist im wesentlichen organische
Weiterbildung des vorhandenen, z. t. unter erneuter Zuhilfe-
nahme christlich-lateinischer Vorbilder. Eine einschneidende
neuerung und Wendung bringt erst die renaissance, welche
die erreichung des höchsten zieles, die gleichwertigkeit mit
der klassischen dichtnng, durch genaue uachahmung ihrer
dichtgattungen und dichtformen zu bewirken sucht.
So sehr sich die französische literatur des Mittelalters an
fremden Stoffen aller art bereichert hat, so freigebig ist sie
mit ihrem eigenen gut und dem. was sie sich aus fremdem
gut zurechtgearbeitet hatte, gegen andere literaturen gewesen.
Unter französischem und provenzalischem einfluss stellt sich in
Deutschland neben die einheimische lyrik der sog. romanische
minnesaug. Mit seiner epischen dichtung hat Frankreich auf
alle nachbarländer romanischer und germanischer zunge, auf
Provence, Spanien und Italien, auf Deutschland, Holland.
England, ja bis nach Skandinavien gewirkt. Helden des
volksepos wie ritter der tafeirunde, Karl d. Gr., Roland, Ogier
der Däne, Artus, Yvain, Perceval, wurden in allen lauden
heimisch und zum teil wahrhaft populär. Die italienische
novellendicbtung eines Boccaccio und anderer geht grösstenteils
auf französische quellen zurück, nicht minder wie zahlreiche
novellen und schwanke der deutschen und mittelenglischen
literatur.
So tritt die französische literatur ebenbürtig neben die
lateinische literatur des mittelalters, nicht Weltliteratur wie
diese in dem von Ebert gedachten sinn, wol aber ein Zentrum
und ausgangspunkt weitreichender literarischer bewegung für
die vulgärsprachlichen literaturen, als die bedeutendste und
vornehmste unter den literaturen der romanischen Völker.
16 Einleitung.
Hilfsmittel
für das Studium der altfranzösischen Literatur
(nebst den im folgenden dafür gebrauchten abkiirzungen).
!. Darstellungen der französischen Literaturgeschichte.
Von vollständigen darstellungen sind nur diejenigen genannt, welche
die altfranzösische literatur eingehender berücksichtigen:
Histoire litlirairc de la France, 1735 von den Benediktiner-
inönchen von St. Maur begonnen, jetzt von der Academie des
Inscriptions et Beiles -Lettres fortgesetzt. Bisher 33 starke quart-
bände (I — XXIII 1865 — 1895 neugedruckt, dazu Table generale
des 15 premiers volumes, von C. Rivain, Paris 1875): die lat.
literatur Galliens, die prov. u. franz. lit. bis ins 14. Jahrhundert.
Keine zusammenhängende literaturgesebichte, sondern ausführliche
Sonographien über einzelne dichter, gattungen oder werke. Wird
fortgesetzt. Hist. litt.
Histoire de la langue et de la litter ature francaise, des origincs
ä 1900 etc., publice sous la direction de Petit de Jullevilh \,
Paris 1895 — 1899. 8 bände (1 und II mittelalter), nicht nach
perioden, sondern nach gattungen eingeteilt, jede gattung von einem
spezialbearbeiter dargestellt, mit der notwendigsten bibliographie
sowie mit guten reproduktionen, für weitere kreise berechnet.
Petit de Jve.
Suchier und Birch-Hirschfeld, Geschichte der französischen
Litteratur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Mit 143 Ab-
bildungen im Text, 23 Tafeln in Farbendruck, Holzschnitt und
Kupferätzung und 12 Faksimile -Beilagen. Leipzig und Wien,
Bibliographisches Institut, 1900 (neue aufl. in Vorbereitung). Wie
das vorige werk für das weitere publikum bestimmt, aber kürzer
(in 1 band) und in sich einheitlicher. Die altfranz. literatur, von
Suchier, zeichnet sich durch gründliche Sachkenntnis und selbständige
entwicklungsgeschichtliche darstellung sowie durch vortreffliche
Übersetzungen einzelner textproben aus. Suchier.
Kürzere Darstellungen.
Ad. Kressner (Fr. Kreyssig, Gesch. d. franz. Nationallit.,
u1889 in 2 bdn. von Ad. Kressner u. Jos. Sarrazin). — Gustave
Lanson, Histoire de la litteratwre francaise, ll1909. — H. P. Junker,
Grundriss der Geschichte d. franz. Litteratur, Münster 1889, 6. aufl.
1909 (zu viel aus zweiter band gearbeitet und daher nicht überall
zuverlässig). — Unkritisch und ohne selbständige kenntnis ist die
darstellung der altfranzösischen literatur bei Eduard Engel (Gesch.
d. franz. Lit., Leipzig 1883 u. ö.).
Bibliographie. 47
II. Altfranzösische Literaturgeschichte.
da st on Paris, La littirature frangaise au moyen äge
I XI —XIV e siede), Paris 188S, 4. aufläge 1909. Kompendienartig,
inhaltlich nach gattungen (nicht nach perioden) geordnet, mit aus-
führlicher behandluug der hanptfragen und einzelner werke und
summarischer anfzählung der übrigen, von dem bedeutendsten und
feinsinnigsten kenner der altfranzösischen literatur. G. Paris, Litt,
Derselbe, Fsquissc historique de la litterature frangaise au
moyen äge (depuis les origines jusqu'ä la fm du XVe siecle),
Paris 11)07 (schon vorher, London 1903, in engl, übers, von
Eannatb Lynch: Mediaeval french literature). Eine historisch
mach den herrscherhäusern und regenten) gegliederte daistellung,
mit kurzer bibliographie, für ein weiteres publikum berechnet.
G. Paris, Esquisse.
Gustav Gröber, Französische Litteratur, im Grundriss da-
rum. Ph. II, 1. Abt., 433 — 1247. Die vollständigste zusammen-
hangende darstellung der altfranzösischen literatur, auf gründlicher
Sachkenntnis aufgebaut, mit reichlichen bibliographischen angaben,
im ganzen mehr für vorgerückte als für anfäuger. Gröber.
Phil. Aug. Becker, Grundriss der altfranzösischen Literatur,
I Teil: Alteste Denkmäler. Nationale Heldendichlung (Rom.
Elementarbücher II, 1), Heid. 1907 (soll von E. Höpffner fortgesetzt
werden). Becker.
III. Zusammenhängende Werke allgemeinen Charakters.
Heinrich Morf, Die romanischen Literaturen (in: Kultur der
Gegenwart, Teil I, Abt. XI, 1). B. 1909 (darstelluug der franz.
literatur im Zusammenhang mit den übrigen roman. lit.).
Ernest Bovet, Lyrisme, Epopee, Drame. P. 1911.
Willi. Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Halle
1894—1903, 4bde, bd. 1 (21911) behandelt das mittelalter.
Dunlop, John, History of fiction. Edinburgh 1814, 21816,
z1843 (New edition by Henry Wilson, London 1888). Deutsch
von Felix Liebrecht: John Dunlop's Geschichte der Prosa-
dichtungen. Berlin 1851. Wichtig namentlich für stoftVergleichung.
Dunlop - Liebrecht,
Alice A. Hentsch, De la litterature didactique du moyen
äge s'adressant spicialement aux femmes. Cahors 1903.
Ch. Lenient, La poesie patriotique en France au moyen äge.
Paris 1891. — La satire en France au moyen äge. Paris, '21877.
Ch.-V. Langlois, La societe frangaise au XIIIe siecle d'apres
dix romans d'aventure. P. 1904. — La vie en France au moyen
äge d'apres quelques moralistes du temps. P. 1908.
48 Kiiileitung.
IV. Sammlungen von Essais und Spezialabhandlungen einzelner
Autoren zu Literatur und Volkskunde.
G. Paris, La poesie du moyen äge. Lerons et lectures. I '
seric. Paris 1885 (öfter neu aufgelegt). — Deuxieme Serie. Paris
1895 u. ö. Anziehende und lehrreiche behandlnng allgemeiner
fragen oder spezieller theinen und werke. G. Paris, Poesie.
Derselbe, Po'emcs et legendes da moyen äge. Paris 1900.
Aufsätze über Nibelungen und Roland, Huon von Bordeaux usw.
G. Paris, Pocmes.
Derselbe, Legendes du moyen äge. Paris 1903. Studien über die
schlacht von Roncevaux, den ewigen Juden usw. G. Paris, Legendes.
Derselbe, Me langes de litterature frangaise du moyen äge
p. p. M. Eoques, I, P. 1910 (La litt, franc. au m. ä. — L'epopee.
— Le roman). G. Paris, Melanges.
Wilhelm Hertz, Spielmannsbuch. Novellen in Versen aus
dem 12. und 13. Jahrhundert. Stuttgart 1888, ^1900. Enthält
neben ausgezeichneten Übersetzungen wichtige exkurse über spiel-
leute, feenglauben u. a. m.
Derselbe, Gesammelte Abhandlungen, hgg. von Fr. von der
Leyen, Stuttgart u. B. 1905 (Aristoteles, giftmädchen u. a.).
Heinrich Morf, Aus Dichtung und Sprache der Bomanen.
Vorträge und Skizzen. I, Frankfurt 1904 (aufsätze über Rolands-
lied, Karls Pilgerfahrt, französisches drama, spielmauusgeschichten
u. a.). — II. band 1910.
Hugo Schuchardt, Bomanisches und Keltisches. Strassburg
1886. (Virgil im mittelalter, geschichte von den drei ringen, reim
und rhythmus, keltische briefe usw.).
Maurice Wil motte, Etudes critiques sur la tradition liftrraire
en France, P. 1909 (geistl. drama, Volkslied, Villon usw.).
Reinhold Köhler, Aufsätze über Märchen und Volkslieder.
Hrsg. von Joh. Bolte und Erich Schmidt. Berlin 189 i.
Derselbe, JUeinere Schriften. Hrsg. von Joh. Bolte. Berlin
1895 — 1900, 3 bände (I. Zur Märchenforschung. IL Zur er-
zählenden Dichtung des Mittelalters). In allen bänden wichtige
abhandlungen, rezensionen und notizen zur stofl'vergleichung.
Felix Liebrecht, Zur Volkskunde. Alte und neue Aufsätze.
Heilbronn 1879.
Gustav Meyer, Essays und Studien zur Sprachgeschichte
und Volkskunde, 2 bände, Strassburg 1885 und 1893.
Ludwig Tobler, Kleine Schriften zur Volks- und Sprach-
kunde. Hrsg. von J. Bächtold und A. Bachmann. Frauenfeld
1897.
Bibliographie. 49
V. Sammelbände.
Von den zahlreichen saimnelbänden, meist festschriften zum ehren-
tag eines älteren gelehrten, sind hier nur solche genannt, in welchen
gegenstände der afr. literaturgeschichte mehrfach behandelt werden (auf-
geführt unter den uatnen der jubilare, citiert als Suchierband, Melanges
Wilinotte usw.).
Alessandro d'Ancona, Raccolta cli studi critici 1901. —
Canaille Chabaneau, Melanges Chabaneau 1908. — Wendelin
Foerster, Beiträge zur roman. u. engl. Philologie 1902. — Gustav
Gröber, Beiträge z. rom. Phil. 1899. — Evneato Monaci, Scritti
vairi di filologia 1902. — Heinrich Morf, Aus romanischen Sprachen
und Literaturen 1905. — Adolf Mussafia, Bausteine z. rom. Phil.
1905. — Gaston Paris, Recueil de memoires philologiques 1889;
Etudes romanes 1890. — Pio Rajna, Studi leüerari e linguistici
1911. — Eduard Sievers, Philologische Studien 1896. —
Hermann Suchier, Forschungen z. rom. Phil. 1900. — Adolf
Tobler, Abhandlungen 1895; Festschrift 1905. — Karl Voll-
möller, Philologische u. volkskundliche Arbeiten 1908. — Carl
Wahl und, Memoires de philologie romane 1895. — Maurice
Wilmotte, Melanges Wilmotte 1910.
VI. Zeitschriften und Serien.
Kenntnis und benutzung der Zeitschriften ist für das genauere Studium
der altfranzösischen literatur unentbehrlich, da dort sowohl wichtige Unter-
suchungen als auch zahlreiche texte gedruckt sind. Es werden hier nur
solche Zeitschriften aufgeführt, welche der altfranzösischen literatur einen
nennenswerten platz einräumen, dazu die in diesem buch für die einzelnen
zss. angewanten kürzungen:
a) Zeitschriften allgemeineren Inhalts:
Zeitschrift für vergleichende Litter -aturgeschichte und Renaissance-
litteratur, hrsg. von Koch und Geiger, dann von Koch, zuletzt von
Wetz und Becher. Berlin 1887—1910. 18 Bde. ZvL.
Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte, hrsg. von Koch.
Berlin 1901 — 09. Dazu Bibliographie von A. Jellinek 1903. StvL.
Journal of comparative Literature, ed. by G. E. Woodberg,
J. B. Fletcher, J. E. Spingarn. New York 1903 ff.
Zeitschrift für Völkerpsychologie uucl Sprachwissenschaft, hrsg.
von Lazarus und Steinthal. Berlin 1859 — 1890. ZVps.
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. Begr. von K. Weinhold,
hrsg. von Joh. Bolte, seit 1911 von H. Michel. Berlin 1891 ff. ZVk.
Archivio per lo studio delle tradizioni popolari. Rivista
trimestriale diretta da G. Pitre e S. Salomone- Marino. Torino-
Palermo 1882 ff.
Voretzsoli, Studium d. afr/.. Literatur. 2. Auf läge. 4
50 Einleitung.
Neui philologische Rundschau, Gotha 1897 ff. (halbmonatlich:
rezensiouen).
Revue critiqye d'histoire ei de litterature : Recueil hebdomadaire,
Paris 1867 ff. Ke%-. crit., Rcr.
Journal des Savants />. p. l'Academie des Tnscriptions et
Belles-Lcttres. Fan*. 1866 ff. (ausführliche recensioneu.) JdSav.
Le Moyen Age. Bulletin mensuel d'histoire et de philologie.
Paris 1888 ff. (recensionen und kleine mitteilnngcn.)
Studj medievali, diretti e redatti da Francesco Novati e Rodolfo
Benier. Torino 1006 ff.
b) Neuphilologische Zeitschriften:
Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen.
Braunschweig 1846 ff. Begr. von Ludwig Herrig, jetet hrsg.
A.Brandl u. H. Morf. Jährlich 2 bde. Zu bd. 1— 50, 51—100,.
101—110, 111—120 register. Archiv.
Jahrbuch für romanische and englische Literatur (seit bd. VI i I
Sprache und Literatur). Begr. von Ad. Ebert, später hrsg. reu
L. Lemcke. 1850 — 1876. 15 bände. Jahrbuch.
Germanisch-romanische Monatsschrift, hgg. von IL Sehröder,
Heid. 1900 ff. GRM.
Literaturblatt für germanische und romanische Philologie.
Hrsg. von 0. Bchaghel und Fr. Neumann. F^eipzig (früher Heil-
bronn) 1880 ff. Kritisches orgau, monatlich, mit sorgfaltiger und
umfangreicher bibliographie. Lgi'R
Neuphilologischc Mitteilungen, hgg. vom Neuphil. Verein in
Helsingfors, 1800 ff.
Modern Language Notes, editors A. M. Elliot, J. W. Bright,
H. Collitz. Baltimore 1886 ff. (monatlich: aufsätze, rezeusiuneu.)
PublicaUons of the Modern Language Association, edited by
James Bright. 1886 ff.
Modern Philology. A Quartcrly Journal devoted to research
in Modem Languages and Literatures. Editors Ph. S. Allen,
Fr. J. Carpenter, C. von Klenze. Chicago, Leipzig, London, seit
1903.
c) Komanistische Zeitschriften:
Bomanischc Studien, hrsg. von Eduard Boehmcr. Sirassburg
1871—1883. In 6 banden. Boehiners Rom. Stud.
Zeitschrift für romanische Philologie, hgg. von Gustav Gröber,
seit 1011 vo>t Hoepffncr, Halle 1876 ff. (abhandluugen, auch texte,
rezensionen, zeitschriftenschau, dazu beihefte und Jahresbibliographie) ►
Registerband zu bd. I— XXX 1910. ZrP.
Bibli«>j:r.t. 51
Romanisch Forschungen. Organ für romanische Sprachen
und Mittellatein, hrsg. von K. Vollmöller, lürlangen 1882ff. In
zwanglosen heften, z. t. vollständige bücher. KF.
Zeitschrift für französisch Sprache und Literatur, hgg.
co/i D. Behrens. Oppeln, dann Berlin, 1880 ff. (abhandlnngen,
rezensionen, bibliographie.) ZfSL.
Bomania. Becueil trimestriel fände p. Paul Meyer et Guston
Paris, Paris 1872 ff., i>.p. M.Boqucs (abhandlnngen, texte, rezensionen,
chronik). Regißterband (table) zu bd. I — XXX 1906. Rom.
B( vue des langues romanes p. p. la SocUU pour l'itude des
langues romanes. MontpelUer et Paris 1870 ff. (bevorzugt im
allgemeinen das provenzalische Rdlr.
Revue de phüologie francaise et provengale. Paris 1 886 ff.
bd. XI u d. titel: Revue d. ph. fr. et de Utterature p.p. CUdat.
Annales da Midi p. p. A. Jeanroy. Toulouse 1889 ff.
Bivista di filologia romanza pubblicata da Manzoni, Monaci
e Stengel. Tmola 1872 — 1876. 2 bde. — Giornale di filologia
romanza pubblicato da E. Monaci. Born 1878 — 1883. 4 bde. —
Studj di filologia romanza pubblicaü da Ernesto Monaci. Born
1881— 1D0-J. 9 bde. — Studj romanei 1901—1907.
The Bomanic Beview, a quarterly Journal, edited by Henry
Todd and Raymond Weeks, New York 1910 ff.
d ) 8 a m m e 1 u n t e r n e h m e n
(grösstenteils dissertatiunssaiLmlungeD) :
Ausgaben and Abhandlungen aas dem Gebiet der romanischen
Philologie hgg. von E. Stengel. Harburg 1881 ff. Über 100 hefte.
Stengels AA.
Französische Studien hrsg. von G. Körting and E. Koschailz.
Heilbronn (Leipzig) 1881 — 1893. Franz. Stud.
Neuphilologische Studien hrsg. von G. Körting. Paderborn
1883 ff. 6 hefte. Neuphil. Stud.
Romanische Studien veröffentlicht von E. Ebering. Berlin
1897 ff. Eberings Rom. Stud.
Ferner: Berliner Beiträge zur germanischen und romanischen
Philologie, Boman. Abt., veröffentlicht von Ehering. Berlin 1894ff.
— Erlang er Beiträge zur englischen Philologie and vergleichenden
Literaturgeschichte, hgg. von Varnhagen. — Marburger Beiträge
:<</• roman. Philologie hgg. von E. Wechssler, 1910 ff. — Münchener
Beiträgt zur romanischen und englischen Philologie, hgg. von
H. Breyn tan/t und J.Schick. Leipzig 1890 ff.
Bibliothcque de VEcole des Hautes Etudes, Sciences philologigues
et historiques. Paris, Vieweg. Bibl. Ec. H. Et.
4*
52 Einleitung.
Bibliotheque de l'Ecole des Charles. Paris, Picard, (beide
Sammlungen enthalten gelegentlich beitrüge zur altfranzösiechen
literatur). Bibl. Ec. Ch.
Populär Studies in Mythology, Bomance and Folklore issued
under the gener al editorship of Mr. Alfred Null. London 1899 ff.
Nutts Pop. Stud.
The Grimm Library. London 1894 — 1901, 15 bde. (werke
über märchen-, mythen-, sagenstoffe.)
VII. Chrestomathien.
(meist mit glossar, teilweise mit grammatikalischer Übersicht):
K. Bartsch, Chrestomathie de l'ancien frangais, 10 e edition
par Leo Wiese. Leipzig 1910. (das grundlegende buch dieser art,
in erster linie zu empfehlen.)
K. Bartsch et A. Horning, La langue et la litterature
frangaises depuis le neuvieme siecle jusqu'au XLVe siecle. Textes,
glossaire, grammaire. Paris, Strassburg 1887.
G. Bertoni, Testi anficht francesi per uso delle scuole di
filologia romanza, con 1.0 facsimili. Borna -Milano 1908.
L. C 1 e d a t , Morceaux choisis des auteurs frangais du moyen
äge. Paris 1877.
L. Constans, Chrestomathie de l'ancien frangais ä l'usage
des classes precedee d'im tableau sommaire de la litt, frone, au
moyen-äge et suivie d'im glossaire etyniologiquc. Paris 1885, z1906.
Lidforss, Choix d'anciens textes frangais. Lund 1877.
Paul Meyer, Becueil d'anciens textes bas-latins, provengaux
et frangais. Bisher 2 bände. Paris 1874, 1877.
G. Paris etLanglois, Chrestomathie du moyen äge. Extraits
publies avec des traduetions, une introduetion grammaticale et des
notices litteraires. Paris G1908.
Toynbee, Specimens of old French. Oxford 1892.
VIII. Textsammlungen.
a) Publikationen von Textgesellschaften:
Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart (mit Sitz in
Tübingen). 1839 ff. Bisher 258 bände, neben den deutschen texten
auch romanische, besonders altfranzösische. Lit. Ver.
Gesellschaft für romanische Literatur. Sitz in Dresden,
begründer K. Vollraöller ebenda, Vertreter für den buchhandel
M. Niemeyer in Halle. 1902 ff., jährl. 2 — 4 bände, bisher 27 bde.
Ges. f. Rom. Lit, GrL.
Bibliographie. 53
Sociöte des anciens zextes frangcns. Paris, Firmin - Didot
187 5 ff., jährlich 2 — 4 bände, bisher im ganzen 102, ausschliesslich
franz. und prov. texte. Ausserdem jährlich 2 nummern Bulletin
de la S. d. a. t. Soc. d. anc. t., Sdat.
b) Sammelpublikationen:
Romanische Bibliothek hrsg. von Wcndelin Foerster. Halle
1888 ff. Bisher 20 bände, z. t. in neuen auflagen. Rom. Bibl.
Altfranzösische Bibliothek hrsg. von Wendelin Foerster. Heil-
bronn, jetzt Leipzig. 14 bände. Afr. Bibl.
Bibliotheque francaise du mögen äge p. p. G. Paris et Paul
Meyer. Paris 1882 ff., 8 bände. Bibl. franc.
Bibliotheca Normannica hrsg. von H. Suchier. Halle 1879 ff.
Bisher 8 bände. Bibl. Norm.
Ausschliesslich chavsons de geste sind in den folgenden beiden älteren
Sammlungen enthalten:
Romans des douze pairs de France. Paris 1833 — 1848.
12 bände. Rom. d. d. pairs.
Anciens poetes de la France publies sous la direction de
M. F. Guessard, Paris 1858—1870. 10 bde. Anc. poetes d. 1. Fr.
Kleine billige textausgaben:
Bibliotheca Romanica, begr. von G. Gröber, Strassburg, Ed. Heitz,
1907 ff. Jede nummer 40 Pf. (Franz., ital., span., portug. texte).
Les Classiques frangais du moyen äge publies sous la direction
de Mario Roques, Paris, Champion, 1910 ff.
Testi romanzi per uso delle scuole, pubblicati da F. Monaci, Rom.
IX. Paläographie.
Bekanntschaft mit den Schriftarten des mittelalters und den ge-
bräuchlichsten abkiirzußgen ist für das Studium von handschriften oder
reproduktiouen solcher notwendig (vgl. AS 281 ff., 3 14 f.). In den folgenden
werken und abhaudlungen findet man hierüber belehrung sowie verweise
auf weitere literatur:
Wilhelm Wattenbach, Bas Schriftwesen im Mittelalter,
Leipzig 1871, U896.
Wilhelm Arndt, Die lateinische Schrift. Pauls Grundriss
d. germ. Phil. I 251—265, 21 263—282 (überarbeitet von H.Bloch).
Franz Steffens, Lateinische Paläographie, 21907. Trier.
Wilhelm Schum, Die schriftlichen Quellen der romanischen
Philologie. Gröbers Grundriss d. rom. Phil. I 157 — 196, überarbeitet
von H. Bresslau 12 205 — 53.
54 Einleitung.
Maurice Prou, Manuel de palidgraphie latme et francaise
du VI* au XVIIe siede, suivi d'un dicüormaire des abbreviations,
arec 23 facsimiles 01 phototypie. 3e ed. Paris 1910. Dazu:
Jiecueil de facsimiles d'ecritures du XU' au XVII" stiele accom-
pagncs de transcriptions. Paris 1892. 12 tafele. — Becueil de
facs. d'ecr. du V1' au siede XVIIe siede. 1904. 50 tafeln.
Eine grosse zahl romanischer handschriften und wichtiger texte sind
reproduziert bei:
Monaci, Facsimili di antiehi manoscritti per uso delle scuolc
di filologia neolatina. Born 1881 — 1892 (insgesammt 100 tafeln).
— Facsimili di documenti per la storia delle lingue e delle letterat ure
romanze. Rom 1910.
X. Bibliographie.
Für tiefergehende Studien, namentlich für spezialarbeiten auf diesem
oder jenem gebiet, ist genaue kenutnis der einschlägigen wissenschaftlichen
literatur notwendig. Für die hier in diesem buch behandelten literatur-
gattungen und denkmäler wird das wesentliche jeweils an ort und stelle.
gegeben.
Ausserdem ist für altfr. literatur noch zu verweisen anf:
G. Gröber, Französische Literatur (im Grundriss 8. o.).
G. Paris, Litt, francaise au moyen äge (vgl. oben). Dazu
(im anschluss an G. Paris' darstellung):
C. Wahl und, Ouvrages de philologie romane et textes d'ancien
frangais faisant partie de la bibl. de M. C. Wahlund ä Upsal.
Upsala 1893.
Die angaben dieser z. t. schon vor längerer zeit erschienenen bücher
müssen durch die seitdem hinzugekommene literatur ergänzt werden.
Solche findet sich verzeichnet in :
Zeitschrift für romanische Philologie (s. o.). Supplementheft:
Bibliographie. Jährlich 1 lieft. Verzeichnet die erscheinungen des
gesamtgebietes nebst den darüber erschienen rezensionen.
Zeitschrift für französische Sprache und Literatur (s. o.). In der
regel halbjährliche Verzeichnisse über französische literatur und spräche.
Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen
(s. o.). Bibliographie in jedem vierteljahrsheft.
Literaturblatt für germanische und romanische Philologie (s. o.).
In jeder nutnmer (monatlich) Übersicht über die neuerscheinungen
der romanischen, englischen und germanischen philologie.
Kritischer Jahresbericht über die Fortschritte der Romanischen
Philologie hrsg. von K. Vollmöller. Seit 1890 11 bände (bis 1908).
Gibt kritische besprechung der neuen erscheinungen in zusammen-
hängender darstellung. JrP.
Bibliographie. 55
Für die zahlreichen dissertationen, Programme u. ii. siehe:
H. Vamhagen, Systematisches Verzeichnis der Programm-
abhandhmgen, Dissertationen, Habilitationsschriften ans dem Gebiet
der romanischen und englischen Philologie sowie der allgemeinen
Sprach- und Litteraturwissenschaft. Leipzig 1884, - von Joli. Martin
1893. (Ein in manchen bttchem angeführtes ähnliches werk von
.\. Iletteler ans dem jähre 1898 ist in Wirklichkeit nie erschienen.)
Kud. Klnssmann, Systematisches Verzeichnis der Abhandlungen,
welche in den Schulschriften sämtlicher am Programmaustausch
teilnehmenden Lehranstalten erschienen sind. Erscheint periodisch.
I. bd., Leipzig 1889, behandelt die Jahrgänge 1876—1885, II. bd.
(1886 — 1890) ebenda 1893 nsw.
Jahresverzeichnis der an den Universitäten erschienenen
Schriften. Berlin.
Jahresverzeichnis der an den Schulanstalten erschienenen
Schriften. Berlin.
Ein Verzeichnis der handschriftenkataloge, deren be-
nutzung für spezialstudien häufig nötig ist, gibt G. Gröber auf
s. 457 f. seiner Franz. Lit.
Besondere Abkürzungen
für Druckorte u. ä. :
B. = Berlin, Ha. = Halle, Heid. = Heidelberg, L. — Leipzig,
P. = Paris, Str. = Strassburg.
Neue auflagen werden durch den -entsprechenden exponenten
bezeichnet, also: Wattenbach, Schriftwesen im Mittelalter, 1871,
3 1896 = 3. aufläge 1896.
Mit AS wird auf den I. band der Sammlung, die 'Einführung
in das Studium der altfranzösischen Sprache' (4. aufläge) verwiesen.
Erstes Kapitel.
Die ältesten überlieferten Literaturdenkmäler.
Wann die ersten französischen verse gedichtet worden sind,
wissen wir nicht. Die eigentlichen anfange der französischen
literatur sind uns verborgen. Um diese einigermassen bloss-
zulegen, bedarf es nicht bloss des Studiums des überlieferten,
sondern auch der heranziehung des verloren gegangenen, wozu
uns die philologische kritik, die Verwertung von Zeugnissen,
die vorsichtige Wiederherstellung des erschliessbaren dienste
leisten können. Es sind nicht nur einzelne dichtungen, sondern
sogar ganze dichtgattungen der älteren zeit verloren gegangen,
sei es, dass die schreibkundigen sie des aufschreibens nicht
für wert hielten oder gar nicht kannten, sei es, dass die
niederschrift durch diesen oder jenen zufall vernichtet wurde.
Bevor man jedoch an die erschliessung des nicht über-
lieferten geht, ist das wirklich vorhandene zu betrachten,
welches uns ein greifbares material und damit eine feste
grundlage für weitere Untersuchungen bietet. Die aus den ersten
Jahrhunderten der französischen literatur (9. — 11. Jahrhundert)
überlieferten denkmäler gehören sämtlich der geistlichen
dichtung an. Auch diese war vermutlich in Wirklichkeit
weit reichhaltiger, als die wenigen zufällig erhaltenen reste
erkennen lassen.
Eine fortlaufende oder sich allmählich steigernde ent-
wicklung lässt sich an diesen wenigen denkmälern nicht
aufzeigen. Von individuellen unterschieden abgesehen, stehen
die verschiedenen dichtungen im wesentlichen auf der gleichen
kunststufe. Ihr inhalt ist meist erzählender art. Werke der
christlich -lateinischen literatur bieten das vorbild dazu, deren
Allgemeines. 57
inbalt wird im ganzen getreulich wiedergegeben und höchstens
durch einzelheiten in der Schilderung oder durch moralische
Betrachtungen erweitert.
Gegenüber der althochdeutschen Literatur derselben epoche
kann es auffallen, dass volkssprachliche Übersetzungen der
christlichen heilswahrheiten in Frankreich gerade in den ersten
Jahrhunderten vollständig fehlen, während sich dort im 9. und
10. Jahrhundert lediglich für das praktische bedürfnis berechnete
iin prosa verfasste) Übersetzungen von glaubensbekenntnis und
vaterunser, auch taufgelöbnisse und gebete, in grosser zahl
linden. Die Unterweisung musste natürlich hier wie dort in
der Volkssprache geschehen. Aber das bedürfnis nach auf-
zeichnung der volkssprachlichen texte war in dem längst
christianisierten Gallien wol nicht so gross wie bei den erst
Bpäter bekehrten deutschen Völkern des Ostfrankenreiches. In
der französischen literatur erscheinen Credo und Paternoster
erst im 12. Jahrhundert und zwar dann in literarischer form,
in versen.
Dafür haben wir schon aus verhältnismässig früher zeit
einige zum teil ziemlich umfangreiche dichtungen christlich-
religiösen inhalts in französischer spräche, welche auf lite-
rarische Wirkung berechnet, zum teil zum öffentlichen Vortrag
bestimmt waren. Diese dichtungen bieten erzählenden inhalt
in lyrischer form, d. h. in regelmässig sich wiederholenden
Strophen oder auch in sequenzenform: die Eulaliasequenz,
die Passion Christi, das Leodegarlied, das Alexiuslied.
Diese füllen die zeit vom ende des 9. bis zur mitte des 11. Jahr-
hunderts. Das sogenannte Jonasfragment (anfang des 10. Jahr-
hunderts) hat in seiner überlieferten gestalt nur den wert eines
Sprachdenkmals (vgl. AS s. 290).
Photographien und Faksimiles: G. Paris, Album de la
Societe des anciens textes, Paris 1875 (Eulalia, Passion, Leodegar).
— E. Munaci, Facsimili di antichi manoscritti (s. o.) und Facsimili
di documenti (s. o.). — Foerster u. Koschwitz (s. u.).
Ausgaben und Drucke: Diez, Altromanische Sprachdenkmale,
Bonn 1846 (Eide, Eulalia, Boethius). Zwei altromanische Gedichte
(Passion und Leodegar), Bonn 1852, 2 1876. — Koschwitz, Les
plus anciens monuments de la langue francaise. Heilbronn 1879,
7 L. 1907; dazu als II. Teil: Textes critiques avec glossaire.
L. 1902, 21907. — Foerster und Koschwitz, Altfranzösisches
58 I. Kapitel. l>ie ältesten überlieferten Literaturdenkmäler.
Uebungsbuch. I. Die ältesten Sprachdenkmäler. TIeilbronn 1884,
'1911 (mit kritischem apparat, vollständiger bibliographie und
einzelnen faksimiles). — Stengel, Die ältesten französischen Sprach-
denkmäler, Marburg 1884 (nr. VII der Ausg. und Abh.), 2 1901. —
Monaci, I piü antichi monumenti della lingua francese, Rom 1894.
— Sonst mehr oder weniger vollständig in den altfr. Chrestomathien
von Bartsch, Bartsch und Horning, Bertoni, Cledat, Constan? u. a.
(-. o. s. 52). — Ohne wissenschaftlichen wert sind Ad. Krauts
neudrucke in seinen 'Carlovingiennes', P. 1899.
Erläuternngsschriften: Diez, s.o. — Lücking, Die ältesten
französischen Mundarten. Eine sprachgeschichtliche Untersuchung.
B. 1877. — Kosen witz, Commentar zu den ältesten französischen
Sprachdenkmälern. I (Eide, Eulalia, Jonas, Hohes Lied, Stephan).
Heilbronn 1886. Altfr. Bibl. X. — Stengel, La Cancun de
Saint Alexis und einige kleinere altfranzösische Gedichte des
11. und 12. Jahrhunderts (nr. I der Ausg. und Abh.). 1. Texte,
Marburg 1881, 2. Wörterbuch (vollständiges Verzeichnis sämtlicher
Wörter und formen nebst belegstell en), Marb. 1882.
Bibliographie am vollständigsten im Afr. Übungsbuch von
Foerster u. Koschwitz (s. o.).
1. Die Eulaliasequenz.
A. Herkunft und quelle. Die Eulalia, welche in dem
sogenannten Eulalialied gefeiert wird, ist ursprünglich eine
spanische heilige. Ein junges, schwärmerisches mädchen von
edelem geschlecht aus Merida, soll sie im jähre 304, am
10. dezember, unter der regierung des kaisers Maximian den
märtyrertod erlitten haben. Die Eulalia von Barcelona, die
neben ihr genannt wird, ist ursprünglich wol mit ihr eins, und
die römische Eulalia, die in einem martyrologium unmittelbar
hinter ihr erscheint und als heldin unseres gedichts auftritt,
ist auf das vorbild der spanischen Eulalia zurückzuführen.
Ein selbst aus Spanien gebürtiger christlicher dichter des
4. Jahrhunderts, Prudentius, hatte einen lateinischen hymnus
auf die heilige von Merida gedichtet. Auch sonst erscheint
sie häufig in der lateinischen literatur, zumal in den martyro-
logien. In einer handschrift aus dem ende des 9. Jahrhunderts
findet sich eine auf das vorbild des Prudentius zurückgehende
lateinische sequenz, im wesentlichen lyrischen Inhalts, welcher
auf der nächsten seite unsere französische sequenz folgt.
1. Die Eulaliaseqnenz. o9
Diese hat jene jedoch nur für die metrische form zum Vorbild
genommen, inhaltlich hat sie aus Prndentins seihst geschöpft,
daneben wahrscheinlich noch aus dem martyrologinm des eng-
lischen kirehenhistorikers Heda (lebte 674 — 735), da dieser
allein den tod der heiligen durchs sehwert meldet (sonst überall
feuertod).
B. Überlieferung und abfassungszeit und -ort. Die
bandschrift, ursprünglich in dem benediktinerkloster Saint-
Amand-les-Eaux oder Elnon, seit 1791 in Valenciennes. wurde
hier 1837 von Hoflfmann von Fallersieben wieder entdeckt, in
seinen Elnonensia (Monumens des langues romane et teutonique
du IXe sifecle, Grand 1837) beschrieben und in ihren wesent-
lichen stücken herausgegeben. Unmittelbar auf das französische
gedieht folgt in der handschrift, von der gleichen hand ge-
schrieben, das deutsehe Ludwigslied (JEinan kuning weiz ih,
heizsit her hluduig), welches zu lebzeiten des königs auf seinen
sieg über die Normanneu bei Saucourt (am 3. august 881)
gedichtet, aber erst nach seinem tode (5. august 882) in unserer
handschrift niedergeschrieben wurde (wie die Überschrift lehrt:
Rithmus teutonicus de piae memoriae Hluduico rege filio
Hluduici aeque regis). Um dieselbe zeit muss auch unsere
Eulaliasequenz eingetragen worden sein, d. h. jedenfalls in den
achtziger jähren des 9. Jahrhunderts. Anlass zur entstehung
des liedes bot vielleicht die durch den erzbischof Sigebod von
Narbonne veranlasste auftindung der gebeine der heiligen in
Barcelona, welche auch in Frankreich sehr verehrt wurde.
Entstanden ist die dichtung wahrscheinlich in Saint-Amand
selbst (in der nähe von Valenciennes, Dep. Nord), d. h. in der
nähe der pikardisch-wallonischen dialektgrenze.
C. Form. Sequenz bezeichnet zunächst eine aus dem kultus
stammende musikalische form, zu der sich erst nachträglich
der text gesellte. Es handelt sich um die sogenannte jubilatio
oder sequentia, das in der messe vom chor gesungene zweite
hallelujah, dessen letzte silbe musikalisch so erweitert und so
vielfach variiert wurde, dass man den melodien schliesslich
lateinische texte unterlegte, um sie besser behalten zu können.
Von Westfranken wurden solche texte durch einen mönch des
von Normannen 862 zerstörten klosters Jumifeges auch nach
Deutschland und zwar nach St. Gallen gebracht, wo sie von
CO I. Kapitel. Die ältesten überlieferten Literaturdenkmäler.
Notker Balbulus (gestorben 912) nachgeahmt und weitergebildet
wurden (deutsch sequenz oder leich, auch mit lateinischem
namen modus).
Die Sequenzen zeigen ihrer entstehung gemäss keine regel-
mässige strophenform, auch innerhalb der verschiedenen verse
wechselnde silbenzahl mit wechselnder rhythmischer gliederung,
ursprünglich auch keinen reim. Jedoch wird jeder musikalische
satz wiederholt, so dass im text rhythmische verspaare (doppel-
versikel) entstehen, deren beide teile aber metrisch, d. h.
hinsichtlich der silbenzahl, nicht durchaus übereinzustimmen
brauchen. Die lateinische sequenz, welche rhythmisch und
musikalisch das vorbild der französischen war (Cantica virginis
Eulali ae — Concine suavissona cithara), zeigt in dieser hin-
sieht grössere regelmässigkeit als diese, in welcher verschiedene
verspaare in sich verse von ungleicher silbenzahl vereinigen.
Hier brachte die musikalische taktgliederung den rhythmischen
ausgleich; an einzelnen stellen liegt möglicherweise text-
verderbuis vor. Verbanden sind die beiden verse eines paares
durch assonanz, nur ausnahmsweise durch reim.
D. Inhalt und darstellung. Eulalia war schön von
körper und noch schöner von seele, alle lockungen und
drohungen der gottesfeinde verachtete sie, um Gott treu zu
bleiben und nicht dem teufel zu dienen. Vor den thron
Maximians geführt, bleibt sie auch hier standhaft. Sie wird
zum feuertod verurteilt, aber das feuer kann ihr nichts an-
haben. Als ihr haupt unter dem schwert fällt, fliegt sie als
taube zum himmel. Möge sie dort bei Christus unsere für-
sprecherin sein !
Einfach und schmucklos, ohne subjektive zutaten, wird
uns in 25 kurzen versen die geschiente der heiligen erzählt,
nur am schluss wird die naheliegende bitte um fürsprache im
himmel angefügt. Aber gerade diese kürze und knappheit
des ausdrucks rückt uns Schicksal und Charakter der heiligen
um so greifbarer vor äugen. Gleichgeordnet, meist ohne ver-
bindende konjunktionen, wird satz neben satz gestellt: „Hinein
ins feuer warf man sie, als ob sie sogleich verbrennen sollte:
sie war schuldlos, darum brannte sie nicht. Darein wollte der
heidnische könig sich nicht ergeben, durchs schwert befahl
er ihr das haupt zu nehmen. Das mädchen widersprach dem
2. Die Tassioii Christi. 61
nicht, sie wollte die weit verlassen, so befiehlt Christus. In
gestalt einer taube flog sie zum himmel". Alle poetische
wirkuug ruht hier in der kürze und einfachheit der dar-
stellung.
Ausser den oben 8. 57 f. genannten reproduktionen und ausgaben
vgl. Magda Enneccerus, Zur lat. u. franz. Eulalia, Marburg 1897;
Versbau und gesanglicher Vortrag des alt. franz. Liedes, Frankfurt a. M.
1901. — II. Sucbier, Literaturgeschichte s. 98 (Faksimile); Über
Inhalt und Quelle des alt. franz. Gedichts, ZrP 15 (1891) 24—46.
— Text mit erläuterungen s. AS s. 285 — 89.
2. Die Passion Christi.
A. Überlieferung und herkunft. Die auf der stadt-
bibliothek zu Clermont-Ferrand befindliehe pergamenthandschrift
nr. 189 des 10. Jahrhunderts enthält ein lateinisches glossar, in
dessen leergebliebene stellen spätere bände als füllsel poetische
und prosaische stücke eintrugen, so, unter anderem, hinter dem
wort bellum das gedieht von der Passion Christi, hinter dem
wort ülustris das vom heiligen Leodegar. In beiden gedienten
sind französische und provenzalische sprachformen regellos mit-
einander gemischt. Da ein grenz- oder mischdialekt derart
nicht vorhanden ist, bleibt nur die annähme übrig, dass die
gedichte ursprünglich auf französisch abgefasst und in Süd-
frankreich von provenzalischen kopisten teilweise ins proven-
zalische umgeschrieben wurden, zum teil sogar unter änderung
der ursprünglichen reime und assonanzen. Die Passion erscheint
in stärkerem masse provenzalisiert als der etwas später —
ende des 10. bis anfang des 11. Jahrhunderts — eingetragene
Leodegar. Ob diese tatsache dadurch zu erklären ist, dass
die ursprüngliche französische mundart der Passion eine nachbar-
mundart des provenzalischen (Bourbonnais oder Marche) gewesen
sei, wie Dreyer will, muss dahingestellt bleiben. Manche züge
sprechen für abfassung des Originals im eigentlichen norden.
Die abfassungszeit läset sich durch den binweis auf den
nahe bevorstehenden Weltuntergang (v. 505 f., vgl. AH s. 294)
erschliessen, der allgemein auf das jähr 1000 erwartet wurde:
also letztes viertel des 10. Jahrhunderts.
62 I. Kapitel. Die ältesten überlieferten Literaturdenkmäler.
B. Form und umfang. Das ganze gedickt zählt 129 vier-
zeilige Strophen mit 516 aehtsilbigen verseu. Je zwei verse
sind durch assonanz miteinander verbunden. Die Verbindung
von zwei verspaaren zu einer Strophe kennt auch schon die
lateinische hymuenpoesie (vgl. oben s. 34). Die stropheu-
einteilung wird in der handschrift nicht durch absetzen der
zeile, sondern durch grosse buchstaben am Strophenanfang
bezeichnet, im übrigen durch die inhaltliche und syntaktische
gliederung bestätigt. Wie die über die erste Strophe über-
geschriebenen noten (neumen) lehren, war das gedieht zum
gesangsvortrag bestimmt.
C. Inhalt und Verhältnis zu den quellen. In den
drei ersten Strophen kündigt der Verfasser sein thema au,
skizziert in kurzen zügen Christi er den wallen und die bedeutung
seines erlösertodes. Mit Strophe IV setzt die eigentliche er-
zählung ein, wr eiche uns vom einzug Christi in Jerusalem bis
zu seinem tod am kreuz, höllenfahrt, himmelfahrt und endlieh
zur apostelgeschichte führt. Des dichters interesse haftet am
tatsächlichen, die zwischen den ereignissen erzählten gleich-
nisse und reden übergeht er ebenso wie manche charakteristische
einzelheit: so die vorhersage von Petrus' dreimaligem verrat,
Jesu wort „Mich dürstet" (trotzdem die essigdarbietung kurz
berichtet wird), die im Johannesevangelium berichteten worte
Jesu an Maria und Johannes u. a. So knapp der dichter auch
erzählt, so findet er doch gelegenheit, kleine Zusätze zu machen
und seinem mitgefühl ausdruck zu geben : er spricht seinen
abscheu aus über den verrat des Judas, ausführlich schildert er
den schmerz der leiblichen mutter Christi am fuss des kreuzes.
Von den vier evangelien folgt der dichter — wol gedächtnis-
mässig — bald diesem, bald jenem, am wenigsten Markus, am
meisten Matthäus und Johannes, nach beuutzung derjenigen
elemente und darstellungen zu urteilen, welche nur einem der
vier evangelien eigen sind. Ausserdem hat er noch die apostel-
geschichte benutzt, nach welcher er auferstehung, himmelfahrt,
ausgiessung des heiligen geistes erzählt und die weiteren Schick-
sale der apostel andeutet, endlich auch apokryphe Schriften
(wie Descensus Christi ad inferos oder Nicodemusevangeliuni),
denen er die Schilderung von Christi Höllenfahrt (str. 94 — 97)
entnahm.
3. Das Leodegarlied. 63
Photographien und Faksimiles s. o. s. 57 t*. — Ausgaben
6. ebenda, dazu: ediüo prineeps von Champollion-Figeac im VI. band
der Documents historiques inedits, P. 1848, s. 424 ff. (darnach die
ausgäbe von l>irz 1852, 21876). G.Paris, La Passion du Christ.
Rom. II (1873) 295 — 314. Textprobe AS 292 — 94. Mundart:
Diez s. 4 f. Lücking, Alt. franz. Mundarten s. 38 ff. (hier franz. text
hergestellt). Suchier, ZrP II (1878) 8. 301 f. P. Dreyer, Zur
Clermunter Passion, Erlangen 1901 (auch RF XIII). — Vgl. noch
Spenz, Die syntaktische Behandlung des achtsilbigen Verses in der
Passion Christi u. im Leodegarliede, Marburg 1887.
3. Das Leodegarlied.
A. Quelle und abfassungsort. Das leben des heiligen
Leodegar ist iu derselben haudschrift überliefert wie die
Passion. Leodegar, zuerst abt von St.-Maixent, dann bischol
von Autun, war in die politischen geschieke Frankreichs
verwickelt und wurde 678 auf befehl seines alten nebeubuhlers
und geguers Ebro'in geblendet und dann enthauptet. Sein
leben wurde bald darnach auf geheiss seines nachfolgers
Hermenarius von einem mönch in Autun in einer lateinischen
vita beschrieben, dann abermals, gelegentlich der trauslatio
des heiligen nach St. Maixeut, von einem mönch des klosters
Liguge" bei Poitiers, namens Ursinus. Einer interpolierten
handschrift dieser zweiten vita folgt unser dichter. Kürzungen
gegenüber der vorläge sind häufig und ziemlich umfangreich,
abweichungen selten, hier und da begegnen missverständnisse.
Gegenüber älteren annahmen hat Suchier endgültig be-
wiesen, dass die mundartlichen formen des dem überlieferten
text zugrunde liegenden französischen originalgedichts nach
dem norden, in das wallonische gebiet, weisen.
Der vers ist der achtsilbner wie in der Passion, jedoch
ausschliesslich mit männlicher assonauz. Je drei verspaare
bilden hier eine atrophe.
B. Inhalt und darstellung. Zuerst will der dichter
von den ehren erzählen, die Leodegar unter zwei herrschern
genossen, dann von seineu leiden und von seinem peiniger
Ebro'in. Schon als kiud brachten ihn seine eitern an den hof
Lodiers (Chlothars IL), der ihn durch den bischof Didon von
04 I. Kapitel. Die ältesten überlieferten Literaturdenkmäler.
Poitiers ausbilden Hess und zum abt von St.-Maixent machte.
So wird in ziemlich trockener weise das leben des heiligen
weiter erzählt. Er wird vom könig (Chlothar III.) an den hof
berufen und zum bischof von Autun ernannt. Nach dem tode
des küuigs bildet sich gelegentlich der wähl des neuen künigs
eine gegnerschaft zwischen Leodegar und dem grafen Ebroin
heraus, dieser unterliegt und geht ins kloster Luxeu (in
den Vogesen). Jener wird von dem neuen könig Chilperich
(historisch Childerich IL) zum ratgeber ernannt, verzichtet
aber, von Verleumdern beim könig angeschwärzt, auf alle
ehren als ratgeber und bischof und tritt in dasselbe kloster ein,
wo Ebroin weilt und eine Scheinversöhnung mit ihm eingeht.
Nach dem tod Chilperichs bricht die alte feindschaft wieder
aus. Leodegar, wieder in Autun als bischof, wird von Ebroin
belagert und gefangen genommen. Hier, mit Strophe 26,
beginnt der dichter mit einem neuen anhub den zweiten teil
seines liedes, die leidensgeschichte des heiligen, die in den
fünfzehn letzten Strophen etwas bewegter als das vorausgehende
erzählt wird. Geblendet, der lippen und der zunge beraubt,
kann er Gott nicht mehr preisen; aber Gott erhört seine
gedanken, die äugen des geistes ersetzen die des körpers.
die seele schafft dem körper trost für seine leiden. Nach
Fecamp (fescant) ins gefängnis gebracht, erhält er durch ein
wunder Gottes die lippen wieder und predigt dem volk.
Wütend übergibt ihn Ebroin einem anderen gefängniswärter.
aber dieser wird durch ein zeichen vom himmel belehrt, dass
er es mit einem Gott wohlgefälligen mann zu tun hat. Alles
volk strömt zu Leodegars predigt herbei, auch von den vier
mördern, die Ebroin gegen ihn aussendet, fallen ihm drei zu
füssen, aber der vierte schlägt ihm das haupt ab. Noch im
tode steht der heilige aufrecht, selbst als ihm die füsse
abgeschlagen werden. Möge er bei Gott für uns eintreten!
Dieser schlusswunsch wie die wirkungslosen folterqualen, die
standhaftigkeit des heiligen, die unerbittlichkeit des Verfolgers
erinnern uns an die Eulaliasequenz.
Photographien und Faksimiles s. o. s. 57f. — Ausgaben
(vgl. oben Passion): Cbampollion-Figeac s. 446 ff., Diez s. 35 — 51.
G. Paris (Romania I 273 — 317, mit franz. rekonstruktion. Textprobe
AS s. 295 — 97. — Mundart: siehe G. Paris, Rom. I 275 ff.
4. Das Alexinsleben. 65
VII 629, Lücking s. 197, Suchier ZrP II 255 ff., Mussafiaband
8.661 — 68. — Erläuterungsschriften: Lücking 9. 17ff, Spenz
(s. Passion) s. 77 — 80. — Quelle: Monumenta Germaniae, SS.
rerum Merovingicarnm V (hgg. von Krusch) 249 ff, 281 ff.
4. Das Alexiusleben.
A. Zeit und ort der abfassung. Das einzige literatur-
dtnkmal zwischen Passion und Leodegar (10. Jahrhundert)
einerseits und den epischen denkmälern (ende 11. Jahrhunderts)
andererseits ist das Alexiusleben, das mit ziemlicher Wahr-
scheinlichkeit einem kanonikus von Rouen, Tetbald von
Vernon, zugeschrieben wird, welcher nach der Überlieferung
lateinische heiligenleben in gereimte französische lieder über-
tragen haben soll. Zeitlich wäre das gedieht der mitte des
11. Jahrhunderts zuzuweisen. Die mundart des Originals genau
zu bestimmen ist schwierig, weil die drei handschriften, welche
es überliefern, um hundert jähre und mehr jünger sind
und alle mehr oder weniger anglonormannische Sprach-
eigentümlichkeiten zeigen. Doch ist festländische entstehung
sicher: 'probablement dans la partie de la Normandie la plus
voisine de l'Ile de France' (G. Paris).
B. Überlieferung. Von den drei handschriften ist
die älteste um die mitte des 12. Jahrhunderts in England
geschrieben, jetzt in Hildesheim befindlich, früher im kloster
Lamspringe (im regierungsbezirk Hildesheim), daher meist
Lamspringer handschrift (L) genannt. Auch die beiden
anderen handschriften sind in England geschrieben, die eine
(A, in Ashburnham) gehört noch ins 12., die andere (P, in
Paris, Nationalbibliothek) ins 13. Jahrhundert. Ausserdem
können für die textkritik die späteren bearbeitungen
unseres gedichts verwertet werden: eine aus dem 13. Jahr-
hundert stammende bearbeitung in assonierenden laissen (S);
eine Umarbeitung dieser fassung in reimtiraden aus dem ende
des 13. oder anfang des 14. Jahrhunderts (M); endlich eine
umdichtung von M in vierzeiligen alexandrinerstrophen aus
dem 14. Jahrhundert (Q).
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 5
66 I. Kapitel. Die ältesten überlieferten Literaturdenkmäler.
C. Herkunft und inhalt. Trotzdem der heilige des
gedichts als geborener Römer dargestellt wird, ist die legende
syrischen Ursprungs und lässt sich als solche bis in die zweite
hälfte des 5. Jahrhunderts zurückverfolgen. Aus dem syrischen
ins griechische übertragen, wurde sie im 9. Jahrhundert in
Konstantinopel, durch Vermischung mit den erlebnissen eines
anderen heiligen, erweitert, gelangte in dieser gestalt nach dem
abendland und verbreitete sich hier mittels einer lateinischen
Übersetzung in die meisten literaturen. Die älteste bearbeitung
dieser lateinischen vita in einer vulgärsprache ist das alt-
französische gedieht des 11. Jahrhunderts.
Darnach ist Alexis der einzige söhn des grafen Eufemien
in Rom, heiratet auf Weisung seines vaters die tochter eines
römischen grafen, hat aber seine gedanken nur auf Gott
gerichtet und verlässt in der brautnacht seine junge frau, ihr
unter frommen ermahnuugen ring und schwertgurt zurücklassend.
Er geht nach Kleinasien, zunächst nach Laiice (Laodicäa),
dann nach Alsis (Edessa), wo er sein ganzes vermögen den
armen verteilt, selbst bettler wird und unerkannt von seines
vaters dienern, die ihn suchen sollen, almosen annimmt. Nach
17 jahren verlässt er Alsis, da ein dort verehrtes, von engem
geschaffenes bild seine heiligkeit verrät, und wendet sich über
Lalice nach Tarsus, landet aber ohne es zu wollen in einem
hafen bei Rom. Unerkannt von vater, mutter, braut und dienern
verbringt er hier abermals 17 jähre, von den resten der
väterlichen tafel sich nährend, zufrieden mit einem lager unter
der treppe, von den dienern des hauses verhöhnt. Der schmerz
der nächsten anverwanten, den er täglich sich erneuern sieht,
rührt ihn nicht, er gibt sich nicht zu erkennen. Als er sein
ende herannahen fühlt, schreibt er seine lebensgeschichte auf
ein pergament und verbirgt es bei sich. Zur zeit seines todes
tut eine stimme vom himmel dreimal seine heiligkeit kund.
Papst Innocenz und die kaiser Honorius und Arcadius kommen
ihn im hause Eufemiens zu suchen. Das pergament meldet
den angehörigen, wen sie solange unerkannt unter der treppe
beherbergt haben. Der schmerz des vaters, der mutter, der
braut, die nacheinander dazu kommen, ist unermesslich. Der
leichnam des heiligen wird vom volk von Rom verehrt und
tut grosse wunder. Seine seele ist im himmel.
4. Das Aleziusleben. 67
Das gedieht ist das hohe Lied der askese. Alle mensch-
lichen reguugen, gattenliebe und kindespflicht, pietät und
niitleid, werden der himmelssehnsucht geopfert. In wirkungs-
vollen gegensatz dazu stellt der dichter den schmerz und
die klagen der verlassenen um den verschollenen, als man
vergeblich auf seine rückkehr wartet, dann wieder, als die
diener unverrichteter weise von ihrer suche zurückkommen,
und abermals, als Alexis unter der treppe wohnung nimmt,
endlich und am ergreifendsten nach seinem tode, welcher den
namen des bettlers unter der treppe offenbart.
D. Form. Im unterschied von seinen Vorgängern bedient
sich der dichter des zehusilbigen verses und der einreimigen
asfl Girierenden) Strophe zu fünf Zeilen; das ganze besteht aus
125 solchen Strophen. Für diese form war ihm zweifellos
die damals schon vorhandene heldenepik vorbildlich, für
welche der assouierende zehnsilbner traditionell ist, nur dass
die epischen laissen von ungleicher verszahl sind. Auch im
stil erinnert manches an das heldenepos. Wie dieses war
auch unser lied allem anschein nach zum gesangsvortrag
bestimmt, wie ausser der form noch der in der handschrift L
vorausgeschickte prosaprolog andeutet: Ici cumencet amiable
cangun e spiritel raisun d'iceol noble barun Eufemien par
num e de la uie de sunt fil boneuret del quel nus auuns oit
Ure e canter.1) Nach W. Foerster war es sogar direkt zum
spielmannsvortrag bestimmt, wie auch Petrus Valdus, der
gründer der Waldensergemeinde, gerade durch den öffentlichen
Vortrag eines Alexiuslebens durch einen Jongleur tief ergriffen
wurde.
E. Als probe für form und spräche sowie für die
kunst des dichters mögen hier die eingangsstrophen sowie die
klagen um den von den ausgesandten dienern nicht wieder-
gefundenen Alexis folgen:
') Angionorm, (auch norm.) um, un = om, ebenso nus — nos; ferner
ieeol = icel; u und v werden in den hss. nicht unterschieden, vgl.
AS 31 4 f.
5*
68 I. Kapitel. Die ältesten überlieferten Literaturdenkmäler.
I Buons fut li siecles al tens anc'ienor, 1
Quer feit i ert e jnstise et amor,
S'i ert credance, dont or n'i at nul prot.
Toz est mudez, perdade at sa color,
Ja mais n'iert tels com fat as ancessors. 5
II AI tens Noe et al tens Abraam
Et al David, cni Dieus par amat taut,
Buons fut li siecles: ja mais n'iert si vaillanz;
Vielz est e frailes, toz s'en vait declinant,
Si'st empeiriez, toz biens vait remanant. 10
XXVI Cil s'en repaidrent a Rome la citet, 126
Noncent al pedre qne nel pourent trover.
Sed il fust graiins ne l'estuet demander.
La buone medre s'en prist a dementer
E son chier fil sovent a regreter. 130
XXVII „Filz Alexis, por queit portat ta medre
Tu m'ies fo'i'z, dolente en sui remese.
Ne sai le lieu ne ne sai la contrede
0 t'alge querre: tote en sui esguarede.
Ja mais n'ier liede, chiers filz, ne n'iert tes pedre." 135
XXVIII Vint en la chambre, pleine de marrement,
Si la desperet que n'i remest n'i'ent:
N'i laissat palie ne nenl ornement.
A tel tristor atornat son talent,
Ouc puis cel di nes contint liedement. 140
XXIX „Chambre", dist ele, „ja mnis n'estras parede,
Ne ja ledece n'iert en tei deoienede".
Si Tat destruite com s'om reust predede,
Sas i fait pendre e cinces deramedes:
Sa grant onour a grant duol at tornede. 145
1 anc'ienor: genitiv gelehrter bildung wie ähnlich auch paienor,
Francor u. a. begegnet. — 4 Toz est mudez: Subjekt li siecles, ebenso
im folgenden. — 5 com fut as ancessors: 'wie sie den vorfahren war'
= 'wie sie zur zeit der vorfahren war'. — 7 al David: 'zu derjenigen
Davids', der artikel noch in demonstrativem sinn wie altfrauz. u. prov. gerade
in dieser Verwendung öfter und noch heute im spanischen u. portugiesischen.
128 Sed: nebenform zu se (stob), nach que — qued, e — et gebildet.
Sinn: „Ob er betrübt war, nicht braucht man es zu fragen". — 131 queit:
quei « quid) mit inkliniertem te, wie 152 sit = si te, 140 nes = ne se,
127, 160 nel. Vgl. AS s. 150. — 134 alge: konj. präs. zu aler (für sonstiges
aille), analogisch nach mustern wie sorge < Surgam , sperge <^spargam,
fenge < fingam. — 143 com s'om 1. pr. : 'wie wenn man es (das zimmer)
geplündert hätte'. G. Paris liest ost für om : 'wie wenn ein beer . . .'.
4. Das Alexiusleben. 69
XXX Del duul s'assist la uiedre jas a terre,
Si fist la spose dam Alexis a certes.
„Dame", dist ele, „jo ai fait si graut perte!
Des or vivrai eo guise de tortrele :
Quant n'ai ton fil, ensemble od tei vuoil estre". 150
XXXI Respont la medre: „S'od tnei te vuols tenir,
Sit guarderai por anior Alexis,
Ja n'avras mal dont te puisse guarir.
Plaignons ensemble le duol de nostre ami,
Tu por ton per, jol ferai por mon fil". 155
XXXII Ne puot altre estre, tornent al considrer,
Mais la dolor ne puodent oblider.
Danz Alexis en Alsis la citet
Sert son seiguor par buoue volentet:
Ses enemis nel puot onc enjaner. 160
Eine photographische reproduktion der handschrift L
besorgte E. Stengel 1882 (photograph ßödeker, Hildesheim). —
Ausgaben: Konrad Hofmann (nach hs. L) in den Sitzungsber. d.
Münch. Akad. d. Wiss., 1868, I, 1 ff. — La vie de St. Alexis, p. p.
G. Paris et L. Pannier, Paris 1872, anastatischer abdruck 1887 (nach
allen bandschriften, mit wichtiger einleitung, grundlegend für die
kritische behandlung altfranz. texte überhaupt). Darin auch die
späteren bearbeitungen (vgl. oben unter B): S s. 222 ff. (poetisch
die hervorragendste bearbeitung, auch gegenüber dem alten gedieht),
M s. 279 ff., Q s. 346 ff. — La Vie de St. Alexis. Texte critique
p. p. G. Paris, Paris 1885, nouv. ed. ebda. 1903 (kleine ausgäbe),
neudruck von M. Roques 1908, 1911 (Class. franc. du m. ä.). —
E. Stengel, La Cancun de Saint Alexis, Marburg 1882 (vgl. oben
s. 68). — Foerster und Koschwitz im Altfranz. Übungsbuch, 4 1911,
s. 98 — 162 (paralleler abdruck von L, A, P nebst den Varianten
von S und M und besserungsvorschlägen). — Bruchstücke in den
Chrestomathien.
Für die beliebtheit des Stoffes in späterer zeit zeugen weitere,
auf die lateinische Vita zurückgehende bearbeitungen: eine in
achtsilbigen reimpaaren aus dem ende des 12. Jahrhunderts (hrsg. von
G. Paris, Romania VIII 103 — 180); eine ebensolche in pikardischem
dialekt des 13. Jahrhunderts (hrsg. von J. Herz, Progr., Frankfurt a. M.
147 la spose: ursprüngliche form für späteres l'espose, vgl. Eulalia 22
Ad une spede. — 153 Ja n'avras — guarir: ein übel, von dem ich
dich heilen kann, sollst du nicht haben' = 'soweit ich vermag, sollst du
an nichts leiden'. — 156 tornent al c. : 'sie wenden sich, richten sich
aufs nachdenken — sie beginnen nachzusinnen'. — 160 Ses enemis: der
böse, der teufel.
70 I. Kapitel. Die ältesten überlieferten Literaturdenkmäler.
1879); eine bisher ungedruckte des 14. Jahrhunderts, gleichfalls in
achtsilbnern. Über die prosaredaktionen vgl. G. Paris, s. 165 anm. 4;
eine dramatische bearbeitung siehe bei G. Paris et U. Robert, Miracles
de Nostre Dame par personnages VII 279 — 369 (Soc. d. anc. textes,
Paris 1883), neben welcher noch andere aufführungen von Alexius-
dramen erwähnt werden. Noch im 17. Jahrhundert wurde die legende
zweimal als tragödie bearbeitet, 1645 von Desfontaines, 1655 von
Massip. Im provenzalischen findet sich nur eine bearbeitung
(Suchier, Denkmäler prov. Lit. u. Sprache, I. Halle 1883, s. 125 ff.),
dem 13. Jahrhundert angehörig, ohne nähere beziehung zu den
französischen Versionen; ausserdem noch neuprovenzalische Volks-
lieder. In der deutschen literatur wurde der stoff mehrfach
bearbeitet, u. a. von Konrad von Würzburg (gest. 1287); ebenso im
englischen, spanischen, italienischen (nach lat. vorlagen), rumänischen
(nach griech. quelle). Vgl. über die literar- geschichtliche
frage: Amiaud, La legende syriaque de Saint Alexis. Bibl. Ec.
H. Et. fasc. 79, P. 1889. — J. Brauns, Über Quelle und Entwicklung
der altfranz. Cangun de S. A., Diss., Kiel 1884. — M. F. Blau, Zur
Alexiuslegende, Diss., Leipzig 1888 (vollständig in Germania 1888).
— Paul Müller, Studien über drei dramatische Bearbeitungen der
Alexiuslegende, Diss., Berlin 1888. — G. Kötting, Studien über
altfranz. Bearbeitungen der A.-legende mit Berücksichtigung deutscher
und englischer A.-lieder, Progr., Trier 1890. — Monaci, Antichissimo
ritmo volgare sulla legenda di Sant Alessio, in Rendiconti della
Reale Accademia dei Lincei 16 (1907).
Die lateinische Vita ist gedruckt: Acta Sanctorum Juli (17)
IV, s. 251 — 253: Massmann, Sanct Alexius Leben, 1843, s. 157 ff.
(drei Versionen); Stengel (s. o.) s. 60 — 64 (im auszug, mit konkordanz
zu unserem gedieht).
Zweites Kapitel.
Die ungeschriebene Literatur.
Die ältesten wirklich überlieferten denkmäler der franzö-
sischen literatur sind religiösen inhalts, haben geistliche zu
Verfassern und waren vor allem für geistliche kreise bestimmt.
Das schliesst nicht aus. dass daneben — oder gar vorher —
andere dichtungen bestanden haben, welche durch die Ungunst
der Zeiten verloren gegangen sind, besonders dichtungen, welche
in laienkreisen, im eigentlichen volk, verbreitet und beliebt
waren und der religiösen auffassung zu sehr widersprachen,
um von den geistlichen — die damals allein des Schreibens
kundig waren — aufgeschrieben und der nachweit überliefert
zu werden. Das volk aber, in welchem diese art dichtung
zu hause war und von mund zu mund weitergetragen wurde,
hatte überhaupt nicht das bedürfnis, seine dichtung schriftlich
festgehalten zu sehen, ganz abgesehen davon, dass ihm die
hierfür nötige kenntnis der schrift abging. Wir dürfen uns
also nicht wundern, wenn uns diese volkspoesie der alten zeit
im wesentlichen nur durch zufällige anspielungen und Zeugnisse
bekannt ist.
Selbst unter den naturvölkern gibt es wenige, die nicht
lieder und Sprüche, märchen und sagen besässen. Diese letzten,
die prosagattungen der volkspoesie, verdanken ihren Ursprung
dem gefallen des volks an j;eschichtenerzählen und geschichten-
hören, die lieder mit ihrem rhythmus begleiten zunächst
gemeinsam ausgeführte bewegungen, teils als arbeitslieder, teils
als tanzlieder. Alle diese gattungen führen in die anfange
der menschlichen poesie zurück, sie leiten sich nicht aus der
kunstpoesie her, sondern gehen ihr voraus. Die kunstpoesie
72 II. Kapitel. Die ungeschriebene Literatur.
selbst baut sich auf der älteren volkspoesie auf, soweit sie
nicht auf nachahmung fremder literaturen (wie z. b. einzelne
gattungen der mittelalterlichen literaturen auf derjenigen der
christlich - lateinischen) beruht.
Im allgemeinen stellt also die volkspoesie eine ältere,
einfachere stufe der entwicklung dar als die in höheren
bildungsschichten gepflegte und sich daher rascher entwickelnde
kunstpoesie, welcher sie in gemessenem abstand folgt. Sie
entspricht mehr dem geschmack und dem Verständnis der
breiten massen, zeigt im einzelnen weniger individuelles als
generelles oder traditionelles gepräge, unterliegt überhaupt,
infolge der mündlichen Verbreitung, viel stärker der ein-
wirkung der allgemeinen anschauungen, motive und formein
als die auf einen verhältnismässig kleinen kreis beschränkte,
schriftlich oder in neueren Zeiten durch den druck verbreitete
kunstpoesie.
Eine solche volkspoesie war auch im französischen volk
vorhanden, wie wir nicht nur a priori annehmen, sondern
auch durch Zeugnisse, vereinzelt sogar durch kleine reste
nachweisen können, ganz abgesehen von den rückschlüssen,
die wir aus später auftretenden denkmälern der volkspoesie
wie aus den mit dieser zunächst verwanten gattungen der
kunstpoesie machen können. In der modernen volkspoesie
finden wir freilich manches, was von der kunstpoesie über-
nommen ist: diese möglichkeit schliesst sich für die alte zeit,
wo eine kunstdichtung — ausser der lateinischen literatur —
noch nicht vorhanden war, so ziemlich von selbst aus. Zum
mindesten sind die volkstümlichen gattungen als solche nicht
auf die kunstpoesie zurückzuführen.
Das Studium der volkspoesie beschäftigt sich naturgemäss
meist mit der modernen zeit. Zusammenfassende werke sind
noch nicht viele vorhanden, die zahlreichen einzeluntersuchungen
sind grösstenteils in den folkloristischen Zeitschriften veröffentlicht.
Hierbei ist zu beachten, dass die volkspoesie mehr als ein anderes
gebiet der literarischen forschung ein vergleichendes Studium er-
fordert, weshalb hier auf die oben in der bibliographie, besonders
s. 48 ff., genannten bücher und Zeitschriften zur Volkskunde ver-
wiesen wird. Eingehende berichte über die neuerscheinungen auf
diesem gebiet bringt Vollmöllers kritischer Jahresbericht
(8. o.). Für die allgemeinen fragen nach der entstehung des
1. Die Zeuginsse. 73
Volksliedes vgl. das gelegentlich des rhythmus genannte buch von
Bücher, Arbeit und Rhythmus, 41909; für französische volks-
poesie im allgemeinen; Sebillot, Le folklore de France, 4 vols.,
P. 1904—07; Wilhelm Scheffler, Die französische Volksdichtung
und Sage, 2 bde, L. 1884 u. 1885; für das französische Volkslied
Julien Tiersot, Histoire de la chanson populaire en France,
P. 1889, dazu Doncieux et Tiersot, Le Romancero populaire de
la France, P. 1904, und die auswahl von J. Ulrich, Französische
Volkslieder, L. 1900.
Von Zeitschriften, welche in erster linie französische Volks-
kunde pflegen, sind zu nennen: Melusine, Recueil de mythologie,
litu'-rature populaire, traditions et usages, fonde p. Gaidoz et
Rolland, P. 1877—1878, 1884—1902, 10 bde. — Revue des
traditions populaires. Recueil mensuel p. p. Sebillot (Organ der
Societe des Trad. pop.), P. 1886 ff. — La Tradition. Revue
generale etc. dirigee p. E. Blemont et H. Carnoy. P. 1887 ff. —
Bulletin de folklore wallon p. p. Monseur (Organ der Societe
du folklore wallon), Brüssel 1891 ff. Vgl. oben s. 49.
Zwei grössere Sammlungen volkskundlicher Überlieferungen
(auch ausserfranzösischer und aussereuropäischer) sind: Les littc-
rature s populaires de toutes les nations. P., Maisonneuve,
1880 ff. — Collection de contes et de chansons populaires. P.,
Leroux, 1881 ff.
1. Die Zeugnisse.
Die existenz von Volksliedern, auch von volkstümlichen
erzählungen und mimischen darstellungen in den der eigent-
lichen literatur voraufgehenden Jahrhunderten wird uns durch
eine reihe von envähnungen dieser gattungen gesichert, welche
sich in predigten, erlassen von bischöfen und anderen geist-
lichen behörden, konzilbeschlüssen sowie in einzelnen von den
fränkischen königen erlassenen kapitularien finden. In diesen
Schriftstücken werden die erzeugnisse der volkstümlichen poesie
nur genannt, um — wegen ihrer obscoenität oder ihres
heidnischen anstrichs — verurteilt und verboten zu werden.
Übrigens sind auch solche Zeugnisse, namentlich soweit
kleriker darin erwähnt werden, genau daraufhin anzusehen,
ob nicht lieder oder vortrage in lateinischer spräche gemeint
sind (wie z. b. die in dem konzil von Auxerre, 573 — 603,
erwähnten chori saecularium vel puellarum cantica). Ferner
74 II. Kapitel. Die ungeschriebene Literatur.
haben die Zeugnisse um so grössere bedeutung, je mehr sie
die Verhältnisse eines bestimmten, enger umgrenzten gebietes
im äuge haben, während z. b. päpstliche erlasse oder überhaupt
solche, die von Rom ausgehen, nicht ohne weiteres für jedes
land und jede provinz bestimmte Schlüsse zulassen. Im
folgenden sind einige der wichtigsten für vulgärsprachliche
dichtung in Gallien sprechende Zeugnisse ausgehoben.
6. Jahrhundert.
Predigt des bischof Caesarius von Arles (gest. 542).
Quam multi rustici. quam multae rusticae midieres cantica
diabolica, amatoria et turpia ore decantant.
Gregor von Tours Historia Francorum VIII, 1.
(Gunthramms einzug in Orleans 585).
Processitqae in obviam ejus immensa popidi turba cum
signis atque vixillis, canentes laudes. Et hinc Jingua Syrorum,
hinc Latinorum, hinc etiam ipsorum Iudaeorum in diversis
laudibus varie concrepabat, dicens: 'Vivat rex, regnumque ejus
in populis annis innumeris dilatetur'.
7. Jahrhundert.
Concil von Chälons (639—54).
Valde omnibus noscetur decretum, ne per dedicationes
basilicarum aut festivitates martyrum ad ipsa solemnia
confluentes obscina et turpea cantica, dum orare debent aut
clericus psallentes audire, cum choris foemineis turpia quidem
decantare videntur. ')
8. Jahrhundert.
Capitular Childerichs III, ca. 744.
Qui in blasphemiam alterius cantica composucrit vel qui
ea cantaverit, extra ordinem judicetur.
l) Das lateiu dieser zeit, bis zu der durch Karl d. Gr. bewirkten
renaissance des lateinnnterrichts, ist sehr verwildert, vor allem unter
einfluss der Vulgärsprache. Daher falsche formen, falsche syntaktische
konstruktionen und in der schrift vertauschung der zeichen wie e für i,
ae oder oe, wie umgekehrt i für e und ce, ferner u für o und o für u.
1. Die Zeugnisse. 75
Capitnlar Karls d. Gr. 789.
Ut episcopi et abbates et abbatissae cupplas canum non
habeant nee fahones nee aeeipitres nee joculatores.
Brief Alcuins an abt Adalhard von Corvey 799.
Ycreor, ne Homer us (d. i. Angilbert) irascatur contra
cartam prohibentem speetacula et diabolica figmenta.
Capitular Karls d. Gr.
Siquis ex scenicis vestem sacerdotalem mit monosticam vel
mulieris religiosae vel qualicunque ecclesiastico statu similem
indutus fuerit, corporedi poena subsistat et exilio tradatnr.
9. Jahrhundert.
Coneil von Reims (813).
Ut episcopi et abbates ante se joca turpia facere non
prrmittant.
Coneil von Paris (829).
. . . magis convenit lugere quam ad scurrilitates et stulti-
loquia in cachinnos ora dissolvere. Neque enim decet aut fas
est oculos sacerdotum Domini speetaculis foedari aut mentem
quibuslibet scurrilitatibus aut turpiloquiis ad inania rapi.
Erlass des bischofs Herard von Tours (858).
Ne in illo saneto die (sc. domenica) vanis fabulis aut
locutionibus sive cantationibus vel saltationibus stando in biviis
et plateis, ut solent, inserviant ; illas vero ballationes et salta-
tiones canticaque turpia ac luxuriosa et illa lusa diabolica
non faciant, nee in plateis nee in domibus neque in ullo loco,
quia haec de paganorum consuetudine remanserunt.
Vgl. Fr. Diez, Antiquissima germanicae poeseos vestigia. Bonn
(Einladnngsschr. zur antrittsrede als Ordinarius) 1831. — fidelestand
du Meril, Poesies populaires latines du moyen äge. P. 1847,
bes. s. 189 ff.; gelegentlich auch desselben Poesies populaires latines
anterieures au douzieme siecle. P. 1843. — H. Gröber, Zur Volks-
kunde aus Concilbeschlüssen und Capitularien. L. 1893; derselbe,
Die mündlichen Quellen der romanischen Philologie, im Grundriss
1, 197 ff., bes. s. 203 ff. — Job. Kelle, Deutsche Literatur, bes.
s. 47 ff. — Hermann Reich, Der Mimus. Ein literar- entwicklungs-
geschichtlicher Versuch. I. bd. in 2 teilen, B. 1903, bes. s. 744 ff.,
76 II. Kapitel. Die ungeschriebene Literatur.
793 ff. — Edmond Faral, Les Jongleurs en France au moyen äge.
Bibl. Ec. II. Et, 187, P. 1910. A. Rrandl, Sitzungsberichte d. Berliner
Akad., Phil.-hist. Klasse 41 (1910) 873 ff.
2. Die Gattungen.
Am häufigsten bestätigen uns die vorausgehenden Zeugnisse
das Vorhandensein von liedern, welche der masse des volks
(rustici) bekannt waren und von ihm gesungen wurden. Dem
inhalt nach waren es allem anschein nach zumeist liebes-
lieder (cantica amatoria), welche der geistlichkeit begreif-
licherweise als unzüchtig, hässlich und teuflisch (obscoena,
turpia, diabolica) erschienen. Gleichfalls eine stehende gattung
des Volksliedes in alten und neuen Zeiten bildet das spottlied
{cantica in blasphemiam alterius). Daneben wird gelegentlich
einmal (585) ein preislied erwähnt, allerdings so, wie es hier
mitgeteilt ist, kaum ein lied in eigentlichem sinn. Toten-
klagen und trauerlieder finden wir nicht für Gallien aus-
schliesslich, sondern nur allgemein bezeugt durch einen erlass des
papstes Leo IV. von 847 (Cantus et cJwros mulierum in ecclesia
vel in atrio ecclesiae prohibete. Carmina diabolica quae nocturnis
horis super mortuos vulgus facere solet et cachinnos, quos
exercet, sub contestatione Dei omnipotentis vitate).
Häufig erscheinen die lieder noch mit rhythmischer be-
wegung verbunden, in erster linie mit dem tanz, wie die
erwähnung von chori foeminei (639 — 54) oder cliori mulierum
zeigt (so 853 in dem an das concil von Chälons erinnernden
concilbeschluss von Rom: Sunt quidam, et maxime midieres,
qui festis ac sacris diebus atque sanctorum natalitiis non pro
eorum quibus delectantur desideriis, sed ballando, rerba turpia
decantando, clioros tenendo ac ducendo similituäinem paganorum
peragendo advenire procurant). Für eigentliche arbeits-
gesänge finden wir in dieser zeit kein ausdrückliches Zeugnis,
trotzdem sie zu den ältesten gattungen des Volksliedes gehören.
Aber dass auch sie in Frankreich vorhanden waren, lehrt der
für die romauzen gebräuchliche name chansons ä toile: lieder,
die von frauen und mädchen bei ihren handarbeiten gesungen
wurden.
2. Die Gattungen. 77
Die starke an teil nahine der frauen am volksgesang
und namentlich an seiner Verbreitung, die wir in allen modernen
volkspoesien beobachten können, tritt also auch in diesen
Zeugnissen zur genüge hervor und ist ein weiteres kennzeichen
für die Volkstümlichkeit der hier erwähnten lieder. Zum teil
mögen dieselben allerdings auf rechnung der provenzalischen
spräche (wie die von Caesarius von Arles erwähnten lieder),
zum teil auf diejenige der deutschen spräche zu setzen sein,
wie die in dem bekannten Capitular Karls des Grossen von
789 (siehe auch oben) den nonnen verbotenen icinileodos, d. i.
freundeslieder (earum claustra sint bene firmata et nullatenus
ibi uuinileodos scribere vcl mittere praesumant). In der haupt-
sache aber beziehen sich die hier ausgewählten Zeugnisse auf
das romanische Nordfrankreich, wie die Ortsnamen Chälons.
Reims, Paris, Orleans, Tours lehren.
Wie weit wir nun in den aus späterer zeit überlieferten
gattungen und denkmälern der altfranzösischen lyrik reste
oder nachahmungen der hier bezeugten Volksdichtungen er-
blicken dürfen, soll vorläufig dahingestellt bleiben. Wesentlich
ist jedenfalls, dass wir in der lyrik des 12. Jahrhunderts
deutlich zwei schichten unterscheiden können: eine ältere,
einheimische und einfachere lyrik und eine jüngere, den
Provenzalen nachgeahmte, mehr gekünstelte lyrik.
Die gediente kleineren umfangs, die wie anderwärts
so vermutlich auch in der altfranzösischen volkspoesie zu
hause waren, wie sprüch Wörter, rätsei, Sprüche, werden nicht
ausdrücklich erwähnt. Hingegen finden wir die fast allen
Völkern eigene Vorliebe für das geschichtenerzählen und
geschichtenanhören wol bezeugt: die vom bischof Herard
genannten vanae fabulae aut locutiones mögen dem ent-
sprechen, was wir als märchen und sagen, contes und legendes,
zu bezeichnen pflegen. Auf erzählungen derberer art weisen
die 829 erwähnten scurrilitates et stultiloquia, welche in
cachinnos ora dissolrunt: also schwanke {contes), anekdoten,
Scherzworte und ähnliches. Damit sind uns die wesentlichsten
gattungen der volkstümlichen prosaliteratur für jene zeit
bezeugt: schwank, märchen, sage. Alle diese gattungen
lassen sich in der kunstpoesie der folgezeit als wirksam
aufzeigen.
78 II. Kapitel. Die ungeschriebene Literatur.
Endlich bleibt noch die frage, wieweit wir berechtigt sind
mimische und dramatische darstellungen als einen teil
der volkstümlichen Unterhaltung in alter zeit zu betrachten.
Hierfür ist namentlich die ununterbrochen bezeugte existenz
der gaukler und mimen, die in den Zeugnissen bald mit alten
römischen oder griechischen namen mimi oder thymeliöi, bald
mit moderneren namen als joculatores, joculares bezeichnet
werden. Sie übten zunächst gauklerkünste wie seiltanzen,
messerwerfen, tierabrichten, aber auch spielen von instrumenten,
gesangs- und Sprech Vortrag, und, als erben der römischen mimi
und griechischen filfioi, auch mimische darstellungen, sei es
mit, sei es ohne begleitung der rede. Auf solche Jongleurkünste
sind die joca turpia und lusa didbolica zu beziehen. Spätere
Zeugnisse, zumal aus epischeu darstellungen, in denen Jongleurs
auftreten, lehren uns, dass diese auch Puppenspiele mit dialog
vorfühlten oder einzelne typen wie den narren oder den
betrunkenen darstellten. Manche andeutungen, wie z. b. das
verbot an Jongleure in geistlicher gewandung aufzutreten,
lassen wol darauf schliessen, dass zuweilen auch mehrere
dieser fahrenden sich zu wirklichen dramatischen Vorführungen
vereinigten. Das plötzliche hervortreten des weltlichen lust-
spiels im 13. Jahrhundert, das sich nicht ohne weiteres als
fortentwicklung des religiösen dramas auffassen lässt, würde
dadurch eine annehmbare erklärung finden.
Vgl. die zum vorigen abschnitt gegebene literatur. Besonders
über dramatische anfange: H. Reich, Mimus, s. 803 fl'., 833 ff. Petit
de Julleville, Les Comediens en France au moyen äge, P. 1885.
Über die Jongleurs vgl. Tobler, Spielmannsleben im alten Frankreich
(Im Neuen Reich, 1875). Freymond, Jongleurs und Menestrels,
Ha. 1883. Faral s. o. s. 76. — Über Volkslied: Bücher, Arbeit und
Rhythmus, passim. Jeanroy, Les origines de la poesie lyrique en
France au moyen äge, P. 1889, 21904. G. Paris, Les origines de
la poesie lyrique en Fr. au m. ä. in JdSav. 1891 u. 1892 (auch
separat, P. 1892: wichtige erörterungen im anschluss an das buch
von Jeanroy). Julien Tiersot, Histoire de la Chanson populaire en
France, P. 1889. Maurice Wilmotte, La chanson populaire au
moyen äge, Liege 1891 (== Etudes critiques s. 49 — 93). Egidio
Gorra, Delle origini della poeaia urica del medio evo, Turin 1895.
3. Sparen und Reste von Märchen und Sagen. 79
3. Spuren und Reste von Märchen und Sagen.
Von dem inhalt der auffrihrungeu der mimen und Jongleurs
haben wir keine kenntnis. Aueli die Volkslieder der alten
zeit sind uns verloren. Wohl aber lassen sieh von der
erzählenden Volksdichtung einige Überbleibsel aufzeigeu, weil
solche vielfach in enger Verbindung mit der Überlieferung
geschichtlicher ereignisse fortlebt und in diesem Zusammenhang
aufnähme in die geschichtsbücher des mittelalters gefunden
hat. Märchen und sagen knüpfen sich leicht an personen
der geschichte, und die Chronisten des mittelalters waren in
der scheiduug von geschichtlichem und sagenhaftem nicht
sehr kritisch.
Das märchen durchsetzt die weit der Wirklichkeit mit
überirdischen dementen, ist an und für sich weder an ort
noch an zeit gebunden, will mehr der Unterhaltung als der
belehruug dienen. Durch eine angehängte moral nähert es
sich der didaktischen gattung, es kann zur fabel werden wie
die sogenannten äsopischen fabeln, die sich im volksmund
grösstenteils in einfacher märchenform, ohne abstrahierte moral,
wiederfinden. So begegnen uns auch die aus dem frühen
mittelalter bezeugten märchen meist im gewand der fabel.
weil sie von den handelnden personen zur erreichung eines
bestimmten Zweckes vorgebracht werden. Zum jähre 612,
zum kriege könig Theuderichs IL von Burgund gegen seinen
bruder Theudebert IL von Austrasien, berichtet der in der
ersten hälfte des 7. Jahrhunderts schreibende Fredegar (lib. IV,
kap. 38), dass der erzbischof Lesio von Mainz dem Theuderich
nach seinem sieg ein Volksmärchen (rustica fahula) erzählt
habe, um ihn zur völligen Vernichtung seiner gegner zu
bestimmen: Rustica fahula dicitur, quod cum lupus ascendisset
in montem et cum fdü sui jam venare coepissent, eos ad se
in monte vocat dicens 'quam longe ocitli vestri in unamquam-
que partem videre praevalent, non habetis amicos, nisi paucos
qui de vestro genere sunt; perficite igitur, quod coepistis'.
Das märchen ist wol nicht ganz vollständig, der bischof hat
daraus nur entnommen, was für seinen zweck passend war.
Eine lehre oder nutzanwendung liegt von haus aus nicht darin,
sie ergibt sich erst aus den umständen, unter welchen die
80 II. Kapitel. Die ungeschriebene Literatur.
gesehichte erzählt wird. Diese ist anch nicht vom erzähler
zu diesem zweck erfunden, sondern, wie der chronist aus-
drücklich sagt, dem volksmund entnommen.
Unter ähnlichen umständen finden wir solche erzählungen
noch öfter. Theudebald (söhn Theudeberts I. und urenkel
Chlodovechs) hatte einen mann seiner Umgebung im verdacht
ihn bestohlen zu haben, und, um ihn zur herausgäbe des
entwendeten zu bewegen, soll er die fabel von der schlänge
erfunden haben, welche in eine Weinflasche kriecht den wein
darin auszutrinken und dann nicht wieder heraus kann ohne
zuerst wieder von sich zu geben, was sie verschluckt hat
(Gregor von Tours, Historia Francorum IV, 9). Die erzählung
stammt nicht von Theudebald selbst, wir kennen sie als
weitverbreitetes tiermärchen (z. b. aus Siebenbürgen) vom dick-
gefressenen wolf, das auch in das tierepos übergegangen ist;
als fabel erscheint sie bei Aesop und Phaedrus, hier von zwei
fuchsen erzählt. Die aus dem Orient stammende, bei Babrios
und Aesop zur fabel gestaltete gesehichte vom gegessenen
hirschherzen begegnet uns bei Fredegar (III, 8) in Verbindung
mit der gotischen Dieterichsage, bei Froumund von Tegernsee
(10. Jahrhundert) mit der bairischen sage, was freilich mehr
für mündliche Verbreitung unter den Germanen als im west-
lichen Frankenreiche spricht.
Einige solcher tiergeschichten können wir auch in
lateinischen dichtungen wiedererkennen, die am hofe Karls
des Grossen verfasst wurden. Der Angelsache Alcuin gibt in
den Versus de gallo die erzählung von dem hahn wieder,
welcher vom wolf überfallen wird und ihn mit list zum
sprechen bringt, um aus dem geöffneten rächen zu entwischen.
Der Langobarde Paulus Diaconus erzählt mit epischer breite
die gesehichte vom kranken löwen und dessen heilung. Wieweit
hier freilich im einzelnen Volksmärchen, wieweit äsopische
fabeln als quellen in betracht kommen, ist nicht ohne weiteres
zu sagen.
Häufiger als solche märchenspuren finden sich bei den
mittelalterlichen Chronisten reproduktionen von sagen, da in
den geschichtlichen anfangen eines volks sage und gesehichte
sich beständig mischen. Auch die sage entbehrt häufig nicht
3. Spuren und Reste von Märchen und Sagen. 81
der überirdischen demente wie das märehen, aber an be-
stimmte personen der Vergangenheit geknüpft, als historische
sage, bleibt sie im ganzen mehr im Zusammenhang mit der
Wirklichkeit als jenes. In Verbindung mit bestimmten, durch
läge und aussehen bemerkenswerten örtlichkeiten (felsen, Ab-
gründe, ruinen usw.) wird sie zur lokalsage, die oft eine
historische sage einschliesst. Diese ihrerseits entsteht auf
grund eines historischen ereignisses oder einer historischen
persönlichkeit durch populäre Übertreibung der einzelheiten,
nene motivierung der bandhing, zutaten aus älteren sagen oder
sagenhaften Überlieferungen. Vermischung von personen und
ereignissen verschiedener Zeiten oder verschiedener gegenden.
Hingegen werden historische einzelheiten, wie daten, neben-
personen oder namen von solchen, überhaupt für das ganze
gleichgiltige oder nebensächliche züge vergessen. Die von
mund zu mund gehende Überlieferung des geschichtlichen
ereignisses erhält so allmählich eine feste gestalt, ein
literarisches gepräge wie das märehen auch, sie nähert sich
dieser gattung, je mehr sie sich des historischen elements
entäussert: sie wird so von selbst zur sage.
Die wichtigsten geschichts werke, in welchen wir solche
sagen wiedergegeben finden, sind namentlich die der Mero-
wingerzeit, deren Verfasser häufig zur mündlichen Überlieferung
greifen mussten, da für die anfange des fränkischen Volkes
schriftliche quellen meist fehlten. Gregor von Tours (540
bis 594) hat eine bis auf seine eigene zeit reichende Historia
Francorum in zehn büchern geschrieben. Der Verfasser ist
Romane, in der Auvergne geboren, schreibt in Tours, in
romanischem lande, und kennt die fränkischen sagen wol
schon aus romanischer Überlieferung. Die sogenannte Chronik
Fredegars ist eine von mehreren bänden verfasste kompilation,
der schlechtweg Fredegar genannte bearbeiter des hauptteils
hat die chronik bis zum jähre C42 geführt, in ßurgund (viel-
leicht in Avenches in der französischen Schweiz) geschrieben
und häufig eine andere version der sage gekannt und wieder-
gegeben als Gregor, dessen werk er übrigens kennt und
benutzt. In Neustrien, in oder bei Paris, ist, vor dein jähre 727,
die dritte chronik, der sogenannte Liber historiae (früher
Gesta regum Francorum genannt) von einem geistlichen
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 6
82 II. Kapitel. Die ungeschriebene Literatur.
verfasst. der wol Gregor, aber nicht Fredegar kennt und häufig
ausführlichere oder anderslautende berichte als Gregor gibt.
Einzelne sagen finden sich in anderen quellen, wie in den Gesta
Dagoberti (9. Jahrhundert), in Widukinds Res gestae Saxonicae
(10. Jahrhundert), in den Quedlinburger Annahn (ende 11. Jahr-
hunderts). In der Karolingerzeit bietet die annalistische, d. h.
im wesentlichen zeitgenössische geschichtschreibnog nicht viel
sagenhaftes, aber wenigstens beruht das buch des sogenannten
Mönchs von St. Gallen: De gesiis Karoli imperatoris, in der
hauptsache auf mündlicher Überlieferung. Der mönch schrieb
auf geheiss Karls des Dicken, der 883 das kloster St. Gallen
besuchte, diese erzählungen nieder, die er als knabe von
seinem pflegevater Adalbert, einem alten krieger Karls des
Grossen, gehört hatte und die somit ein wichtiges Zeugnis
für die bereits zu lebzeiten des kaisers einsetzende sagen-
bildung sind.
Die an die Merowinger sich heftenden sagen sind zunächst
germanischen, fränkischen Ursprungs, werden aber bald auch
(wie Gregors und Fredegars bekanntschaft mit ihnen lehrt)
in romanische Überlieferung übergegangen sein. Je mehr die
Verschmelzung zwischen den christianisierten Franken und
den Romauen fortschritt, um so leichter konnte auch bei
den Romanen originelle sagenbildung sich entwickeln. Eine
strenge Scheidung ist nicht überall möglich, daher im folgenden
auch die ältesten, rein fränkischen sagen mit berücksichtigt
werden. *)
*) Für die ausgäbe lateinischer Chroniken des mittelalters sind zwei
grosse Sammlungen vorhanden, der französische Becueil des histoi-iens des
Gaules et de la France, begründet von dem benediktiner Dom Bouqnet
(bd. 1— 8, 1 7 .*i S — 1752, von ihm selbst hrsg., bd. 9 — 23, 1757 — lbGä, von
anderen, das ganze 1869 — 1880 und 1S93— 1894 neugedruckt), und die
von Pertz begründeten Monumenta Germaniae historica (MG). Eine
besondere abteilung dieser bilden die Scriptores, darin die SS. rerum
Meroi'inyicarum, deren I. bd. Gregor v. Tours, deren II. bd. Fredegar,
Liber historiae, Gesta Dagoberti u. a. enthält. Eine spezialausgabe
Gregors, von Omont und Collon, ist in der Collection de texte» pour
eervir ä Vetude et ä l'emeignement de Vhistoire (Paris, Picard) erschienen.
Das buch des Münchs von St. Gallen ist in bd. II, Widukind und
Qnedlinburger Annalen in bd. III der abteilung Scrij)tores (SS.) der Man.
Germ, veröffentlicht.
:t. Spuren and Koste von Härchen und Sagen. 83
Die eigentliche stammsage der Merowinger, die
abkauft Merowechs vod einem meerstier, d. i. von einer
wassergottheit, berichtet Fredegar III, 9, doch ist die sage
hier wol nicht ganz am rechten ort, da Merowech als der
heros eponymos des geschlechts gilt, vor ihm aber bereits
Chlodion erscheint. Merowechfl söhn ist Childerich, von
welchem die drei merowingischen ehr» misten seine sagenhafte
Vertreibung, seine liebe und che mit der Thiiringerkönigin
Basina und seine mit hilfe des getreuen Wiomad bewirkte
rückkehr und Wiedereinsetzung berichten (Gregor II, 12,
Fredegar III. 11, Lib. bist. kap. 6 und 7). Erst in späteren
Überlieferungen (Jacques de Guise, 14. Jahrhundert — Mon.
Germ. Scriptores XXX) taucht ein anderer, durchaus sagen-
hafter snhn Chlodions auf, Albericus, dessen figur und sage
auf den deutschen elbenkönig Alberich zurückgeht und in
Auberon, dem schutzgeist Huons von Bordeaux, eine weitere
entsprechung findet.
Chlodovech, der grttnder des Frankenreichs, ist vor
allem durch seine brautwerbung um Chroteehilde von Burgund
populär geworden, die schon bei Gregor nicht mehr rein
historisch, bei den späteren Chronisten aber ganz und gar
im stile germanischer werbungssagen ausgeschmückt erscheint
(Gregor II, 28, Fredegar III, 17—20, Lib. bist. 11—13). In
der deutschen sage bekam er den namen Hugo (Widukinds
Res. g. Sax. I, 9 — Mon Germ. SS. III, 420), später Hugdietrich
(vgl. Quedlinburger Aunalen ad 532 — Mon. Germ. SS. III, 30 f.),
die gediente von 'Hugdietrichs brautfahrt ' gehen auf
Chlodovechs brautwerbung zurück. In die Chronistenberichte
von Chlodovechs kriegen mischen sieh teils sagenhafte, teils
legendarische züge. Die erzählung von seinen anschlagen
gegen den Ripuarierkünig Sigibert und die salischen gaukönige
(Gregor II, 40 — 42) ist durchaus sagenhaft gefärbt.
Von Chlodovechs söhnen haben vor allen Theuderich
der bastard und Chlothar I. auf die sage gewirkt. An
Theuderich, mit dem züge aus dem leben seines sohnes
Theudebert verschmolzen werden, heftet sich die sage von
dem fürstensohn, welchem neidische brüder sein erbe bestreiten,
dem aber seine getreuen dienstmannen nach langen kämpfen
wieder zum angestammten throne verhelfen. Während er so
6*
84 II. Kapitel. Die ungeschriebene Literatur.
in der deutschen sage zum Wolfdietrich wird, geht in
Frankreich die sage von ihm auf Karl Martell, von diesem
auf Karl den Grossen über (vgl. den Mainet); auch in dem
epos Parise la DucJiesse scheint dieselbe sagt- nachzuwirken.
Die ruhmestat seines sohnes Theudebert ist der von Gregor
(III, 3) berichtete sieg über Chrochilaich den Dänenführer, was
sich zwar nicht in der fränkisch -französischen sage, wol aber
im angelsächsischen Beowulfepos (Hygelac = Chrochilaich)
wiederspiegelt. Ahnlich hat auch der Untergang des Thüringer-
reiches 531 durch die Franken, unter Theuderich, und die
Sachsen keine spuren in der französischen Überlieferung, wol
aber in der deutschen zurückgelassen (Widukinds chronik —
Irnfrit und Irinc im Nibelungenlied). Chlothar I., Chlodovechs
jüngster söhn, hat nach dem tod seiner brüder 558 — 561 das
ganze Frankenreich wieder in einer band vereinigt. Seine
zahlreichen kriege sind uns mehr in geschichtlicher als in
sagenhafter form überliefert (Gregor ist sozusagen noch Bein
Zeitgenosse). Aber an ihn zuerst hat sich vermutlich die
sage geknüpft, welche später von Dagobert (in den Gesta
Dagoberti) erzählt wird und noch später in dem epos von
Floovent erscheint: er war wirklich ein Floovent = Chlodovinc,
d. i. söhn des Chlodovech, und im prosaroman von Loher
und Maller, wo wir derselben geschichte begegnen, heisst der
held sogar noch Lohier = Chlothari. Verbannung durch den
vater wegen einer jugendlichen untat, kämpfe und abenteuer
im exil, rückkehr und Versöhnung mit dem vater bilden den
inhalt seiner sage.
Von den späteren Merowingern sind namentlich noch zu
erwähnen Chlothar II. und sein söhn Dagobert wegen der
im Lib. hist. kap. 44 erzählten sage vom Sachsenkrieg, die uns
im sogenannten Farolied bereits in epischer form entgegentritt
und im folgenden kapitel besprochen werden wird. Sonst
finden sich einzelne sagenhafte züge im Zusammenhang mit
geschichtlichen ereignissen noch ziemlich zahlreich in der
späteren Merowingergeschichte.
Die Karolingersagen finden sich in grösserer zahl, wie
bemerkt, nur beim Monachus Sangallensis. Die sagen von
Karl Martell sind meist auf seinen gleichnamigen enkel Karl
den Grossen übertrafen worden, wie denn diesem in den
3. Spuren und Reste von Märchen und Sagen. 85
späteren ependichtungen die belagenmg von Arles (der proven-
salische Roman d'Arles), der kämpf gegen Eudo von der
Gascogne und die Haimonskinder [Hemmt de Montaubari),
der kämpf am das augestammte reich {Mainet, vgl. oben)
zugesehrieben wird. Mit seinem wahren nainen erseheint er
nur im Girart de Roussillon und im Huon d'Auvergne. Was
die sagen von Karl Martells söhn, Pippin dem Kurzen,
berichten, geht ursprünglich vielleicht auf seinen vater, Pippin
den Mittleren. Der Mönch von St. Gallen erzählt (lib. II,
kap. 23) Pippins heldentat gegen löwe und stier in der arena,
die auch sonst vielfach erwähnt wird: so vom sogenannten
limousinischen astronom, einem anonymen biographen Ludwigs
des Frommen im 9. Jahrhundert (Mon. Germ. II, 641), im
13. Jahrhundert in epischer form von Adenet le Roi in Berte
au gran pie, um dieselbe zeit als bildwerk an Notredame in
Paris dargestellt. Derselbe Verfasser weiss auch von einem
kämpf Pippins gegen einen dämon bei Aachen, hinter dem
sich ein germanischer Wassergeist in der art Grendels (Beowulf)
verbirgt.
Über Karl den Grossen und seine kriege weiss der
Mönch viel sagenhaftes zu erzählen: vom erscheinen des
eisernen Karl vor Pavia, wo der Langobardenkönig Desiderius
mit dem Franken Otker ihn erwartet und dieser bei Karls
anblick ohnmächtig niedersinkt; vom Slavenkrieg und dem
riesen Eignere, der sieben bis neun Slaven auf seine lanze
spiesst; von der schwertmessung im Sachsenkrieg, wo alles
männliche, was das schwert überragt, getötet wird wie im
kriege Chlothars gegen die Sachsen. Ein zufall hat uns diese
sagen über kaiser Karl aufbewahrt. Eine reihe anderer sind
verschollen oder in den späteren epen auf Karl den Grossen
aufgegangen.
Vgl. im allgemeinen: Pio Rajna, Le origini dell' epopea
francese, Turin 1884, bes. 8. 47 ff. — G. Paris, Histoire poetique
de Charlemagne, P. 1865, Neudruck 1905. — Godefroid Kurth,
Histoire poetique des Merovingieus, P. 1893. — C. Voretzsch, Das
Meiowingerepos und die fränkische Heldensage, im Sieversband
s. 56 ff. — Leo Jordan, Studien zur fränkischen Sagengeschichte,
Archiv 114 — 118 (1905—07).
Im besonderen über die merovingische stammsage: Müllen
hoff, Zs. für deutsches Altertum, 6, 430 ff. — Über Albericus:
86 II. Kapitel. Die angeschriebene Literatur.
Ph. Aug. Becker, ZrP 25 (1902), 26511". (vgl. dazu DL 1902,
22Glf.). Counson, La legende d'Oberon (Extrait de la Revue
generale), Bruxelles 1903, s. 7 ff. Konrad Weiaker, Über Hugo
von Toul und seine altfranz. Chronik, Diss. Halle 1905. — Übel
Chlodovech, Theuderich, Theudebald: Müllenhoff, Zf.lA 12, 344 ff.;
13, 185 ff. Voretzsch, Epische Studien, I, 278 ff., 292 ff. — Über
Parise la Duchesse: Heinzel, Sitzungsberichte d. phil.-hist. Classe d.
Wiener Akad. d. Wissensch., 119. bd., III. abh.. ^. 66ff. — Über
Chlothar IL sielie das folgende kapitel, über Floovent kapitel VI.
— Über Pippin: G. Paris, La legende de Pe'pin le Bref, in Melanges
Julien Havet, P. 1895, s. 603 — 633 (jetzt auch in Melauges
litt. 183 — 215). Francois Novati, Le duel de Pepin le Bref
contre le demon, in Revue d'histoire et de litterature religienses,
VI, 32 — 41 (Mäcon 1901). — Im übrigen vergleiche die einzelnen
epen in Kapitel IV.
Drittes Kapitel.
Die Anfänge der Heldendichtung.
Die älteste gattung der profandichtung, welche uns in
sichtbaren denkmälern oder resten von solchen entgegentritt,
ist die heldendichtung, in der form des heldenepos oder
volksepos, wie es gewöhnlich im gegensatz zum höfischem epos
oder ritterroman genannt wird. Während dieser die taten
fremder beiden, des Britenkönigs Artus und seines kreises feiert
oder ohne allen geschichtlichen hintergrund die erlebnisse
eines liebespaares nach griechischen oder byzantinischen
Vorbildern erzählt, beruht das heldenepos auf den nationalen
Überlieferungen des Volkes: die beiden und die ereignisse
seiner geschichte spiegeln sich im lichte dieser dichtung
wieder. Hierbei hat die sage, deren wirken wir im vorigen
abschnitt verfolgt haben, der dichtung mächtig vorgearbeitet:
zeitlich dieser vorausgehend bildet sie in vielen einzelnen
fällen die notwendige mittelstufe zwischen geschichte und
dichtung.
Der herkömmliche name für die nationalepischen dichtungen
der blütezeit ist chansons de geste. Diese charakterisieren sich
gegenüber anderen epischen dichtungen nicht nur durch den
inhalt, sondern auch durch die form, indem sie gegenüber den
reiinpaaren der älteren geistliehen oder der späteren höfischen
epik Strophen von ungleicher verszahl (französisch laisses oder
tirades monorimes) zeigen. Auch wurden sie, wenigstens in
der älteren zeit, nicht vorgelesen, sondern vorgesungen, nach
einer jedenfalls sehr einfachen und nach ein paar versen sich
wiederholenden melodie. Die ältesten epen, die wir kennen,
gehören in das ende des 11. oder in den anfang des
88 III. Kapitel. Die ÄDfäiige der Ilcldendichtung.
12. Jahrhunderts (oben s. 28). Darnach bliebe die weltliche
epik immer noch um ein halbes Jahrhundert hinter dem
Alexiuslied und hinter den ältesten denkmälero der geistlichen
dichtung gar um zwei volle Jahrhunderte zurück, wenn wir
nicht auf anderem woge die frühere existenz der heldendichtuug
erweisen könnten. Und hierfür gibt es verschiedene mittel.
Einmal lassen manche der späteren epen deutlich erkennen,
dass sie nur Überarbeitungen älterer dichtungen darstellen
oder aus mehreren älteren dichtungen zusammengesehweisst
sind. Die genaue betraehtung solcher epen führt uns in die
Vorgeschichte des einzelnen epos hinein, gibt uns in der regel
aber keine aufklärung über das eigene alter der erschlossenen
Originaldichtungen. Zweitens finden wir hier und da in
früheren Jahrhunderten doch einzelne reste epischer dichtungen
wieder, zwar nicht mehr in der originalform bewahrt, aber
trotz der Umsetzung in die lateinische spräche oder auch des
Verlustes der poetischen form noch immer als teile einer
ursprünglichen französischen dichtung erkennbar. Schliesslich
bieten sich uns noch die Zeugnisse über poetische Verherrlichung
dieses oder jenes helden dar, die uns in ziemlich frühe zeit
zurückführen, aber häufig unklar lassen, ob wir es wirklich
mit französischen und nicht vielmehr mit lateinischen oder
germanischen dichtungen zu tun haben, während sie uns über
die äussere form der dichtung in der regel entweder nichts
oder doch nichts sicheres sagen. Da die Zeugnisse bis auf
das achte Jahrhundert zurückweisen, haben wir mit diesen zu
beginnen.
Über das französische epos im allgemeinen und über seine
anfange im besonderen vgl. folgende werke und abhandlungen :
Ludwig Unland, Über das altfranz. Epos, 1812, in: Die Musen
III. u. IV. bd., neugedruckt 1860 in Unlands Schriften z. Gesch.
d. Dichtung u. Sage IV, 326 ff., auch in den Uhlaudausgaben von
H. Fischer und L. Ilolthof. — Gaston Paris, Hist. poet. de Charle-
magne, P. 1865, '21905. — Leon Gautier, Les Epopees francaises,
I— III, P. 1865—1868, 21— V, 1888—1897 (unvollendet). Derselbe,
L'epopee nationale, in Petit de Julleville, Hist. etc. I. bd., P. 1896.
— Paul Meyer, Recherches sur l'epopee francaise, Bibl. Ec. Ch.
VI6 serie, III0 vol., auch separat, P. 1867. — Adolf Tobler, Über
das volkstümliche Epos der Franzosen, ZVps IV 139 — 210 (1866),
jetzt Vermischte Beiträge V (1912) 159 ff. — Pio Rajna, Le
origini dell' epopea francese, Florenz 1884. — Kristoffer Nyrop,
1. Zeugnisse. 89
Den oldfranskc Heltedigtning, Kjöbenhavn 1883. Ins ita.1. übers,
von E. Gorra: Cristöforo Nyrop, Storia delT epopea francese
nel medio evo, Torino 1888. — G. Kurth, Histoire poetique des
Merovingiens, P. 1893. — G. Gröber, Franz. Litteratur, im
Grundriss II, 1, 447 ff., 535 ff. — II. Suchier, Gesch. d. franz. Litt.,
L. 1900, s. 16 ff. — Voretzsch, Die franz. Heldensage, Akad.
Antrittsrede (Tübingen), Heid. 1894. Das Merovingerepos s. o.
Epische Studien I, IIa. 1900. — Eduard Wechssler, Bemerkungen
zu einer Geschichte d. franz. Heldensage, ZrP 25 (1901) 449 ff. —
Fr. Ed. Schneegans, Die Volkssage und das altfranz. Heldengedicht,
Heidelberger Jahrbücher, 1897, 58—67. — Phil. Aug. Becker, Der
südfranz. Sagenkreis und seine Probleme, Ha. 1898. Grundriss d.
altfranz. Lit. I, 1907. — Leo Jordan, Über Entstellung und
Kntwickelung des altfranz. Epos, in Rom. Forsch., XVI, 354 — 370,
auch separat. — Vicomte Ch. de La Lande de Calan, Les personnages
de l'epopee romane, Redon 1900. — Franz Settegast, Quellenstudien
zur galloromauischen Epik, L. 1904. — Joseph Bedier, Les legendes
(•piques, I, II, P. 1908. De la formation des chansons de geste, I,
Rom. 41 (1912) 1 ff .
1. Zeugnisse.
Was man an Zeugnissen aus der zeit vor Karl dem Grossen
auzuführen pflegt, ist für die französische heldendichtung von
keiner wesentlichen bedeutung. Die Zeugnisse eines Ausonius
(4. Jahrhundert), Apollinaris Sidonius (5. Jahrhundert), Venantius
Fortunatus (G. Jahrhundert) beziehen sich entweder auf andere
gattungen als das heldenlied (Ausonius, Apollinaris) oder
ausschliesslich auf fränkische lieder (Apollinaris, Venantius).
So bleibt als ältestes Zeugnis von bedeutung die angäbe
Einhards im 29. kapitel seiner Vita Caroli magni: Item
barbara et antiquissima carmina, quibas veterum regitm actus
et bella canebantur, scripsit memoriaeque mandavit. Hier wird
epische dichtung auf Karls Vorgänger — Pippiniden und
Merovinger — authentisch bezeugt. Ob es sich dabei um
gesänge in lyrischer form, d. h. um Volkslieder, oder um
kürzere oder längere epen handelt, lässt sich nicht entscheiden.
Hinsichtlich der spräche ist es am wahrscheinlichsten, dass die
dichtungen, für die sich Karl der Grosse interessierte, deutscher
herkunft waren, wenn auch die möglichkeit, dass darunter
sich auch französische dichtuDgen befunden hätten, nicht ganz
ausgeschlossen sein mag.
90. III. Kapitel. Die Anfänge der Ileldendichtung.
Ausführlicher als Einbard bezeugt uns dieselbe tatsache
der sogenannte Poeta Saxo, welcher im 9. Jahrhundert Karin
des Grossen leben naeb Einbards Vita und den sogenannten
Annalen Eiubards in lateinischen distichen bearbeitet hat.
Hier beisst es V, 117—120 (Mon. Germ. SS. II):
Est quoque jam notum : vulgaria carmina maynis
Laudibus ejus avos et proavos celebrant:
Pippinos, Carolos, Hludovicos et Thcodricos
Et Garlomannos Hlotariosque canunt.
Hat der Verfasser die tatsache aus eigener kenntnis
geschöpft, so kann es sieb hier wol nur um deutsche lieder
bandeln. Fusst er hingegen, wie vermutet worden, auf
Einbards notiz, so hat sein zeugnis nur beschränkten wert.
Immerbin würde der Verfasser Einbards angäbe wol kaum in
sein gedieht übernommen haben, wenn nicht auch ihm selbst
aus seiner zeit ähnliches bekannt gewesen wäre. In jedem
falle ist sein zeugnis für den deutschen heldensang wichtiger
als für den französischen.
Im gleichen Jahrhundert spricht Ermoldus Nigellus
in seinem Leben Ludwigs des Frommen von seinem beiden
in ausdrücken, welche man auf Verherrlichung im liede
deuten kann, die aber auch weiter nichts als eine poetische
form zur bezeichnung von Ludwigs berübmtheit zu sein
brauchen. x)
Deutlicher ist wieder ein zeugnis des 11. jabrbunderts,
das sich am Schlüsse einer bandsebrift von Einbards Leben
Karls des Grossen findet: Beliqua actuum ejus (= Caroli)
gesta seu ea, <[iiae in carminibus vulgo canuntur de co,
non hie pleniter descripta, sed require in vita quam Alchuinus
de eo scribit. Dies angebliche Karlsleben von Alcuin kennen
wir nicht.
Bezogen sieb die bisher aufgefübrten Zeugnisse aus-
scbliesslicb auf die angehörigen der herrseberfamilien und
unter diesen namentlich auf Karl den Grossen, so zeugt die
J) Haec canit orbis ovans late vidgoque resoyiant.
Plus populo resonavt quam canat arte melos.
l. Zeugnisse. -91
folgezeit nun auch für andere epische beiden aus der
Karolingerzeit und dadurch mittelbar auch für epische
dichtungen, in denen sie verherrlicht wurden. So nennt ein
jüngst von Bedier hervorgehobenes gefälschtes diplom der
ahtei von Saint-Yrieix-de-la-Perche (Dep. Haute-Vienne) vom
jähre 1090 neben Karl dem Grossen als dem bestätiger der
alten Privilegien noch eine reihe epenheklen als zeugen:
principibus nostris adtestantibus , scilicet domno Turpione,
Otgerio palatino ac Guilldmo Curbinaso, Bertranno vdlidissimo,
Bolgerio (oder Botgerio) Cornualto. Soleher Zeugnisse bietet
das folgende 12. Jahrhundert uoeh in grosser zahl.
Noch weiter geht die aus dem jähre 1122 stammende
Vita Sancti Willelmi, welche uns lieder auf ihren beiden
bezeugt, die von der menge gesungen wurden: Qui chori
javeman, qui conventus populorum, praeciput miliium ac
nobüium virorum, quae vigiliae sanctorum dulce non resonant
et modulatis vocibus, qualis et quantus fuerit . . . Kürzer drückt
sich über denselben beiden in seiner Historia ecclesiastica
Orderieus Vitalis aus, der jedoch auf berufsmässige Sänger
hinweist: Vulgo canitur a joculatoribus de Mo cantilena.
Ahnlich lautet eine — nicht in allen handschriften vorhandene —
notiz über Ogier den Dänen im XL kapitel der sogenannten
Turpinschen chronik: Ogerius rex Daciae, cum decem millibus
heroum \yenit\. De hoc canitur in cantilena usque in hodiernum
diem, quia innumera fecit mirabilia.
Die letzten Zeugnisse sind wichtig für die epische
geschiente der beiden helden. weil die wirklich erhaltenen
gediehte, deren gegenständ sie sind, erst aus späterer zeit
stammen. Die existenz des epos überhaupt brauchen sie
jedoch nicht erst zu erweisen, da aus jener zeit schon mehrere
umfangreiche dichtungen ganz oder teilweise überliefert sind.
Und die in lateinischen werken erhaltenen reste der älteren
dichtung gestatten uns noch weiter zurückzugehen.
92 III. Kapitel. Die Aufiioge der Heldcndichtuug.
2. Reste oder Umarbeitungen französischer Epik.
(Chlotharlied — Haager Fragment — Späteres).
1. Das Chlotharlied.
A. Die Überlieferung. Bruchstücke eines liedes, in
welchem der 672 verstorbene bischof von Meaux Burgundofaro,
kurz Faro genannt, eine rolle spielte und das danach meist
kurzweg, aber unrichtig, als Farolied bezeichnet wird, rinden
sich in einer Vita des heiligen, die 869 von dem bischuf
Hildegar von Meaux (gestorben 875) verfasst wurde. Hier
wird folgendes erzählt:
Die Sachsen erheben sieh gegen die Franken, und der
Sachsenkönig Bertoald schickt an Chlothar den Frankenkönig
gesante mit einer hochmütigen und beleidigenden botschaft.
Chlothar, ausser sich vor zorn, verurteilt die boten zum tod,
vergebens Widerreden ihm die grossen des reiches, erst Faro
gelingt es vom könig wenigstens einen aufschub der todesstrafe
zu erlangen. Über nacht geht er in den kerker und bekehrt
die sächsischen gesanten zum Christentum. Am morgen preist
er das göttliche wunder, das die wilden beiden plötzlich
zu Christen gemacht hat. Unverletzt und noch dazu reich
beschenkt werden sie entlassen. Nachher überzieht Chlothar
gleichwol das Sachsenvolk mit krieg und Verheerung und
lässt keinen leben, welcher die höhe des königlichen Schwertes
überragt. Infolge dieses sieges geht ein lied von mund zu
mund — Ex qua victoria Carmen publicum juxta rusticitatem
per omnium paene volitabat ora ita canentium, feminacque
clwros inde plaudendo componebant:
De Chlothario est canere rege Francorum,
Qui ivit pugnare in gentem Saxonum.
Quam grave provenisset missis Saxonum,
Si non fuisset inclitus Faro de geilte Burgundionum !
Et in fine hujus carminis:
Quando veniant missi Saxonum in terra Francorum,
Faro ubi erat prineeps,
Instinctu dei transeunt per urbem Meldorum,
Ne interficiantur a rege Francorum.
2. Reste oder Umarbeitungen frauz. Epik : Clilotharlied. 93
Hoc enim rustico carmine placuit ostendere, quantum ab
omnibus celeberrimus habebatur.
B. Geschichtliche Grundlage and Verhältnis zum
Li her historiae. Es ergibt sieh aus dieser darstellung der
Vita ohne weiteres, dass Chlotbar der beld des liedes war, das
seinen sieg über die Sachsen feierte, und dass Faro nur in der
episode von der bekebrnng oder errettung der gesanten eine
rolle spielte. Der Sachsenkrieg selbst ist offenbar derselbe,
welchen, dem Liber historiae zufolge, Chlotbar II. und sein
söhn Dagobert gegen den Sachsenherzog Bertoald führen
(vgl. o. S. 84). Ein historischer Sachsenkrieg liegt auch hier
nicht zugrunde, vielmehr handelt es sich in letzter linie um
innerfränkische kämpfe des Jahres 604, denen der burgundische
hausmeier Bertoald, als gegner Clilothars II., zum opfer fiel.
Die erzählung des Liber und der bericht der Vita setzen beide
die Umbildung dieses historischen ereignisses zur sage von
Clilothars Sachsenkrieg voraus, aber die beiden Überlieferungen
sind nicht identisch (selbst wenn die Vita in einzelheiten vom
Liber abhängig sein sollte). Diejenige der Vita ist epischer,
jünger: Bertoald ist nicht mehr dax, sondern rex, wie die
Sachsenherrscher in den späteren epen; die herausfordernd
auftretenden gesanten sind ein viel gebrauchtes motiv der
späteren epischen dichtung. Genau wie im späteren epos folgt
hier aufeinander: die hochmütige aufforderung der fremden
gesanten an den Frankenkönig sein land herauszugeben, der
Jähzorn des königs und die bedrohung der gesanten mit dem
tod, das eingreifen der grossen, der aufscbub der ausführung
des Urteils und die dadurch ermöglichte rettung der gesanten.
Das alles zeigt klar, dass hier keine hagiographische erfindung,
sondern epische quelle zugrunde liegt.
Die einleitung ist sonach in den beiden Überlieferungen
ganz verschieden: im Liber historiae ist von gesantschaft
nicht die rede, sondern Chlotbar gilt für tot und erscheint
unerwartet, um das fränkische heer aus der bedrängnis zu
befreien. Beide Überlieferungen aber spiegeln sich in der
späteren epischen dichtung wieder: die des Liber historiae
in den Saisnes und im schlussteil des Ogier, die der Vita
Faronis in Aspremont.
94 III. Kapitel. Die Anfange der HeldendichtUDg.
C. Sprache und metrische Form. Der überlieferte
text ist lateinisch, nicht französisch. Die extremste schluss-
folgerung ans dieser tatsache ziehen diejenigen, welche die
lateinischen Zeilen für eine prosaphantasie des biographen
halten (so Krusch). Andere nehmen an, dass der biograjih
ans einem gedieht zitiert, das von haus aus lateinisch und
zwar in rhythmischen hexametern abgefasst war. Solche
anschauungen sind nur möglich, wenn man die klaren angaben
des biographen (carmen publicum juxta rusticitatem — rustico
carmine — per omnium paene volitabat ora) für reine erfindung
erklärt. Will man diesen aber überhaupt irgendeinen wert
beimessen, so bleibt nur der schluss übrig, dass die Zeilen aus
dem französischen übersetzt sind, uud dieser Schlussfolgerung
widerspricht nichts als das Vorurteil, dass es im 8. oder 9. Jahr-
hundert noch keinen französischen heldensang gegeben haben
könne. Aber nahezu alles, was wir über die form der zugrunde
liegenden französischen diebtung aus der Überlieferung er-
schliessen können, stimmt zu der form der späteren helden-
dichtung: der vers war, nach länge und inhalt der lateinischen
Zeilen zu urteilen, vermutlich der epische zebnsilbner; verbunden
waren die verse untereinander, wie noch der lateinische text
erkennen lässt, durch die assonanz. Die hier mitgeteilten
verse bildeten augenscheinlich an fang und schluss der ersten,
auf o assonierenden laisse, die der berichterstatter mit carmen
bezeichnet, denn dass Carmen hier 'lied' bedeute uud demgemäss
das lied mit der ankunft der sächsischen gesandten in Meaux
geschlossen hätte, ist ganz unmöglich. Wir haben also allen
anlass, in diesen bruchstücken den rest eines echten heldenepos,
einer chanson de geste (allenfalls einer chanson d'histoire) zu
sehen. Hinsichtlich der zeit wird man sich hüten müssen,
die entstehung des liedes allzu hoch hinaufzurücken. Die
frühere annähme, es sei bereits der Vita Kiliani bekannt
gewesen, hat sich als nicht stichhaltig erwiesen. Auch wird
das lied nicht älter sein als die erzählung des Liber historiae,
die doch einen wesentlich altertümlicheren charakter zeigt.
Auf der anderen seite war es gewiss schon einige zeit vor-
handen, als Hildegar es in der Vita Faronis verwendete.
Darnach kommen wir auf die erste hälfte des 9. Jahrhunderts,
vielleicht auf die zweite hälfte des 8. Jahrhunderts.
2. Reste oder Umarbeitungen franz. Epik: Haager Fragment. 05
liabillon, Acta Sanctornm ordinia St i. Benedict!, Saecnlnm II
(1669) 607—25. Kruseh. MG S8. rernm Merov. V 171 ff., 190ff.
— II. Snchier, Chlothars II. Sachsenkrieg und die Anfange des
französischen Yolksepos. ZrP 18 (1894) 175—194. Dazu F.Lot
und G. Paris, Romania 23, s. 440 — 445. — (i. Körting, Das
'Farolied' ZfSL 16, 235 — 264. — C. Voretzsch, Das Merowinger-
epos s. 95— 103, 108ff. — G. Gröber, Der Inhalt des Paroliedes
im D'Anconaband (1901) s. 583 — 601. — L. Jordan. RF L6,
368—70, und Archiv 115, 354ff. — G. Bertoni, Rdlr 51, 44 — 59.
2. Das Haager Fragment.
Auf den letzten blättern einer im Haag befindlichen, aus
dem 10. Jahrhundert oder der 1. hälfte des 11. Jahrhunderts
stammenden handsehrift des Liber historiae fand der begründet*
der Monumenta Germauiae, G. H. Pertz, ein lateinisches prosa-
fragment. Dieses ist mitten aus dem Zusammenhang heraus-
gerissen, aufang und schluss fehlen. Erzählt wird uns darin
die belagerung einer heidnischen Stadt durch die Christen. Die
Schilderung beginnt mit szenen des allgemeinen kampfgewühls.
Dann erscheinen nacheinander die christlichen kämpfer: der
furchtbare, von kämpf begierde entflammte Ernoldus, der im
streit erprobte Beruardus, der furchtlose, vor keiner gefahr
zurückschreckende Bertrandus. Zumal der letzte dringt mit
ungestüm gegen mauern und tore der heidnischen Stadt vor.
Ein hartnäckiger kämpf entspinnt sich, auf Seiten der Christen
von Karl dem kaiser, auf Seiten der belagerten von Borel
geleitet. Der jugendliche Wibelinng bahnt sich einen weg zu
einem söhne Boreis und streckt ihn durch einen mächtigen
hi«b mitten auf die schlafe tot nieder. Wie ein wütender
löwe unter seiner beute, haust Ernaldus unter den feinden.
Anch Bertrandus, welcher hier mit dem beinamen palatinus
(pfalzgraf-paladin) bezeichnet wird, schont keinen der feinde.
Dem einen spaltet er mit furchtbarem schlage haupt, brüst
und leib und dem pferde unter ihm noch den rücken. Auch
Bernardus weiht viele feinde dem tode.
Wir haben es hier mit szenen zu tun, wie sie uns aus
dem späteren heldenepos geläufig sind, ganze Wendungen und
sätze erinnern an den stil der chansons de geste. Auch
die hier auftretenden personen sind der späteren zeit nicht
unbekannt: Ernaut oder Arnaut de Girone, Bernard de Brebant
96 III. Kapitel. Die Anfüuge der Ileldeudiclitung.
(oder Brusbant) und Guibelin sind da brttder, sie erscheinen
gleichwie Wilhelm von Orange als sühne Aymeris von Nar-
bonne, Bertrand le palasin ist Bernards söhn. Auch der
heidenkönig Borel mit seinen zwölf söhnen ist der späteren
diehtung wol bekannt. Besonders das epos Aymeri de Narbonnc.
zeigt mehrfache beziehungen zu dem inhalt unseres fragments,
wenngleich es nicht möglich ist, über dessen eigentlichen
gegenständ, zumal über den Schauplatz und den mimen der
belagerten stadt, genaueres zu sagen.
Aus alledem ergibt sich, dass die grundlage der
lateinischen prosa eine diehtung in der art der späteren
chansons de geste gewesen sein muss. Die Vermittlung zwischen
dieser und dem überlieferten lateinischen text hat sichtlich
ein lateinisches gedieht in hexametern gebildet: spuren von
hexametern hat schon Pertz in dem fragment entdeckt, weiteres
nach ihm G. Paris, der auch ein kleines zusammenhängendes
stück der lateinischen hexameterdichtung wiederhergestellt
hat, und schliesslich ist es Konrad Hofmann gelungen, den
ganzen prosatext mit ausnähme eines unbedeutenden restes
wieder in seine ursprüngliche hexametrische form zu bringen.
Das so wiederhergestellte lateinische gedieht dürfen wir mit
fug und recht als die Übersetzung einer echten chanson de
geste betrachten.
Die zeit des französischen Originals lässt sich nur an-
nähernd bestimmen. Aber schon das lateinische gedieht
muss der zerrütteten form der prosaischen niederschrift des
10. (11.) Jahrhunderts einige zeit vorausliegen, und ebenso
wieder das französische gedieht der abfassnng der lateinischen
Übersetzung. So darf man mit dem ursprünglichen gedieht
noch bis in das 9. Jahrhundert zurückgehen, und selbst wenn
die handschrift, wie neuerdings vermutet worden ist, erst in
die erste hälfte des 11. Jahrhunderts gehören sollte, würde
die abfassnng der französischen Originaldichtung noch im
10. jahrhuudert sehr wahrscheinlich sein.
Erste ausgäbe des fragments von Pertz MG, SS. III, 708—710,
neudruck nebst Übersetzung und faksimile von Suchier, Les
Narbonnais (Sdat, P. 1898), II, 187—192, dazu Romania 29 (1900)
257—259. — Vgl. G. Paris, Hist. poet., s. 50 ff., 64f., 84ff. —
Konrad Hofmann, Sitzungsberichte der köuigl. bayer. Akad. d.
2. Reste oder Umarbeitungen franz. Epik: Latein. Gedichte. 97
Wissenschaften, Phil, hisi Kl., 1871, s. 328 ff. — G. Gröber,
Archiv 84, s. 291 — 322. — Suohier, Narbonnais II, eirjleitung
b. Lxvitr.
.'{. Lateinische Gedichte und Chroniken des 11. und
12. Jahrhunderts.
In späterer zeit sind solche versuche, epische dichtung-en
aus der vulgärsprache ins lateinische, sei es in versen, sei es
in prosa, umzusetzen, nichts seltenes mehr. Daneben steht die
Verwertung epischer diehtungen für angeblich geschichtliche
darstellungen (chroniken, viten), meist in form yon kurzen
iiuszügen. Zuweilen gehen die beiden gattungen ineinander
über. In jedem fall aber beweist der lateinische text für das
Vorhandensein bestimmter französischer heldendichtungen, die
vielfach den wirklich tiberlieferten epen über dieselben beiden
zeitlich oder entwicklungsgesckielitlich vorausliegen.
Schon zwischen 1090 und 1100 hat Radulfus Tortarius
von Floriacum (Fleury a. d. Loire) ein epos von Amis und
Amiles gekannt und kurz in einem lateinischen gedieht von
101 distichen wiedergegeben, während das uns bekannte
französische epos rund 100 jähre jünger ist. Im 12. Jahrhundert
erscheint die sage auch in lateinischer prosa.
In der im jähr 1088 abgeschlossenen chronik des klosters
Ceutulum (Saint Riquier) in Ponthieu berichtet der mönch
Hariulf kurz von dem sieg könig Ludwigs über könig Giulia-
ni undus und den Verräter Esimbardus, augenscheinlich auf grund
eines epos von Isembart und Gormund, vielleicht des-
jenigen, von welchem uns ein bruchstück in der Brüsseler
handschrift überliefert ist. Der chronist selbst verweist für
das nähere auf chroniken und lieder: non solum liixtoriis, sed
etiam patriensium memoria quo ti die recolitur et
c antat n r.
Die um 1122 verfasste Vita Sancti Willelmi (vgl. s. 91)
bat schon Wilhelmsepen gekannt und benutzt, die uns erst aus
der folgezeit tiberliefert sind: sicher eine Prise d'Orange und
vermutlich noch manche andere.
Der deutsche mönch Metellus von Tegernsee hat um
1170 in einem seiner Quirinalia (lateinische gedichte zu
ehren des heiligen Quirin) eine erzähluug wiedergegeben, die
Yoretzacb, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 7
98 III. Kapitel. Die Anfinge der Ileldendichtung.
Dach seinen eigenen Worten aus französischer quelle entlehnt
ist und die Dachher in dem epos von Ogier drin Dänen
eine stelle gefunden bat: die erzähltmg von dem jungen grafen-
sohn, der gegen den söhn des königa eine Schachpartie gewinnt
und dafür von dem gekränkten, titeln gegner erschlagen wird.
Der gleichklang des namens — Ogier (Osigerius) — hat den
deutschen dichter veranlasst, die geschickte auf einen der beiden
brüder, welche Tegernsee gegründet haben, auf den grafen
Occarius zu übertragen und dadurch den übertritt der beiden
vornehmen ins geistliche leben zu begründen.
In einem lateinischen Carmen de proditione Guenonis
aus der mitte des 12. Jahrhunderts, in 241 distichen, ist die
Rolandsschlacht behandelt worden, zweifellos auf grund
eines altfranzösischen epos, das aber nicht das überlieferte
Rolandslied, sondern eine ältere und einfachere form desselben
gewesen ist: die — mit Ganelons botschaft in widersprach
stellende — gesantschaft Blancandrins fehlt hier ebenso wie
die räche Karls mit der Baligautepisode und der gottes-
gerichtliche Zweikampf um Ganelons schuld. Im einzelnen
hat auch der lateinische dichter augenscheinlich öfter gekürzt,
besonders bei einzelschilderungen, auf Zählung von namen und
dergleichen.
In prosaischer form erscheint die Rolandsage in der
sogenannten Pseudo-Turpinischen chronik, in der gleich-
falls um die mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen Sistoria
Caroli magni et Botholandi, welche, angeblich von dem an der
Rolandsschlacht selbst beteiligten erzbischof Turpin von Rheims
verfasst, die gesamte geschichte des spanischen feldzuges Karls
von anfang an erzählt und noch andere epen als das Rolauds-
lied gekannt haben muss. Dieses selbst lag dem Verfasser,
wie anspielnngen auf Blancandrins gesantschaft und die
erwähnung Baligants (ßellvigandns) lehren, in der uns bekannten
Überlieferung vor, nur hat der bearbeiter die ganze darstellung
ohne Verständnis für das wesentliche und unwesentliche gekürzt
und in Unordnung gebracht. Was dem Rolaudsliede inhaltlich
entspricht, wird in den kapiteln XXI bis XXIX berichtet.
Ein ähnliches werk sind die unter dem namen eines magister
Philomena gehenden Gesia Caroli Magni ad Carcassonam et
Karhonam, et de modi/icationc monasterii Crassensis, meist
2. Reste oder Umarbeitungen franz. Epik: Latein. Gedichte. 99
kurz als Pseudo - Philomena bezeichnet. Der gegen die mitte
des 13. Jahrhunderts schreibende Verfasser benutzt geistliche
und weltliche quellen, unter diesen verschiedene, heutzutage
verlorene epen, welche die Vorgeschichte des spanischen feld-
zuges, zumal kämpfe Karls gegen die Sarrazenen in Sttd-
frankreich behandelten. Zum teil dieselben epischen quellen
sind auch in dem aus dem 14 Jahrhundert (1345) stammenden
officium von Gerona verwertet.
Vom 12. Jahrhundert ab linden wir in grosser zahl Zeug-
nisse für Verherrlichung dieses oder jenes helden im liede
oder auch kurze auszüge aus den damaligen epen selbst. In
dieser hinsieht ist z. b. die um 1241 abgeschlossene chronik
des Alberich von Trois-Fontaines eine wahre fundgrube. Die
einen Chronisten stehen den epischen Überlieferungen skeptischer,
andere wieder gläubiger gegenüber. Mit der zeit wird mau
im allgemeinen immer kritikloser, späte chrouiken wie die des
Jean d'Outremeuse oder das Magnum chronicon Belgicum
nehmen unbedenklich alles auf, lehren uns aber, da wir ihre
quellen zumeist noch haben und kennen, in der regel nichts
neues und am allerwenigsten etwas über die anfangsgeschichte
der epischen dichtung.
Nächst den Zeugnissen und den resten französischer epik
in lateinischen werken sind es nunmehr die ältesten epen
selbst, welche uns eine Vorstellung von dem heldensang früherer
epochen und damit auch einen einblick in das werden dieser
epischen dichtung zu geben vermögen. Vielleicht nicht das
älteste überlieferte, wohl aber das durch gegenständ und
sittlichen gehalt ehrwürdigste epos ist das aus dem aufang
des 12. Jahrhunderts stammende Rolandslied, welches in vielen
punkten als typisch für die nationale epik gelten kann.
Das gedieht des Radulfus Tortarius bei K. Hofmann, Amis
et Amiles, Erlangen 2 1882, s. XXI ff. — Zum Chronicon
Centulense vgl. R. Zenker, Das Epos von Isembard u. Gormund,
Ha. 1896, s. 85 ff. — Zur Vita Willelmi vgl. W. Cloetta, Moniage
Gnillaume, II. bd., Paris 1911, s. 28 ff. — Die Qnirinalia des
Metellus v. Tegernsee bei Canisius-Basnage, Antiquae lectioues III,
teil 2, s. 117 ff., 134f. Vgl. Voretzsch, Über die Sage von Ogier
d. Dänen, IIa. 1891, 70ff. — Ausgabe des Carmen de proditione
Guenonis von G. Paris, Rom. 11 (1882) 465 ff. Vgl. ZrP 32 (1908)
713 ff. — Ausgaben der Turpinschen chronik: De vita Caroli
100 III. Kapitel. Die Anfänge der Heldendichtung.
Magiii et Rolamli historia Joanni Turpino archiepiacopo Remensi
vulgo (ribnta, emendata etc. a Seb. Ciampi, Florenz 1822. Turpini
historia Caroli Magni et Rotholandi, texte revu p. Ferd. Castets,
Montpellier 1880. Ferner auch in Reiffenbergs ausgäbe der
Ckronique rhiu'e des Philippe Mousket I (Brüssel 1836), 489 ff.
Vgl. G. Paris, De Pseudo- Turpino, P. 1865, und die unten zum
Roland verz. literatur. — Pscudophilomena: Geßta Caroli Magni
ad Carcassonam et Narbonam etc. edita a Seb. Ciampi, Florenz
1823. Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam. Lat.
Text und prov. Übersetzung mit Einl. hrsg. von F. Ed. Schneegans
(Rom. Bibl. 15), Ha. 1898. Vgl. Ed. Schneegans, Die Quellen des
sog. Pseudo-Philomena und des Officiums von Gerona zu Ehren
Karls d. Gr. Diss. Str. 1891. IL Kempe, Die Ortsnamen des
Philomena, Diss. Halle 1901. Jules Coulet, Etüde sur l'office de
Girone en l'honneur de Saint Charlemague, Montpellier 1907. —
Albericus Trium Foutium hrsg. von W. Scheffer -Boichorst i. Mon.
Germ., SS. XXIII.
3. Das Rolandslied.
A. Geschichte und dichtung. Dem Rolandslied liegt
ein bekanntes geschichtliches ereignis zugrunde. Im jähre 778
unternahm Karl der Grosse, von Ibn-al-Arabi gegen den erair
Abderrahman von Cordova zu hilfe gerufen, einen feldzug nach
Spanien, welcher zur begründimg der spanischen mark (bis
zum Ebro) führte. Auf dem rtickzug wurde die nachhut des
heeres auf der passhühe der Pyrrhenäen von beutegierigen
Basken überfallen und niedergemacht. Da die feinde, nach
gewohnter kampfart, sofort nach erreichung ihres Zweckes sich
wieder zerstreuten und verschwanden, musste die niederlage
ungesühnt bleiben. Diese machte allerwärts grossen eindnuk,
nicht so sehr durch die vielleicht nicht allzugrosse zahl der
gefallenen als durch den verlast mehrerer hochstehender mänuer:
In (jiio proelio Eggihardus regiae mensae praepositus, Anshelmus
comes palatii et Hruodlandus Brittannici limitis praefedus cum
aliis comjoluribus interficiuntur (Einhards Vita Caroli Magni,
kap. 9)1). Ein lateinisches epitaph auf Aggiwrdus, regi summus
in aula — zweifellos mit dem hier genannten Eggihardus
') Dass die stelle in der Ls. B und der zu ihr gehörigen gruppe
fehlt, ist kein hinreichender aulass sie als interpoliert zu verdächtigen.
3. Das Rolandslied. 101
identisch — sichert den 15. august 778 als datum des ereigni^< is
und somit des todes Rolands.
Der geschiente gegenüber erscheint die vorliegende dich-
tung zugleich einfacher und reicher. Es ist eine wesentliche
Vereinfachung, wenn in der dichtung Eggehard und Anshelm
ganz vergessen sind und Roland die hauptperson geworden
ist: hier sehen wir wol nicht das ergebnis hewusster änderung,
sondern das wirken der Überlieferung von mund zu mund vor
uns. Nachher aber treten an Rolands seite wieder neue
helden, die pairs, deren zwölfter er selbst ist, und der streit-
bare erzbischof Turpin, der zwar ein Zeitgenosse Rolands, aber,
soviel wir wissen, an dem spanischen feldzuge nicht beteiligt
war. Auf rein ps}'chologischen momenteu beruht es, wenn die
zahl der beiderseitigen truppen weit über die wirklichen
Verhältnisse gesteigert und somit die bedeutung des ereignisses
erhöht wird, oder wenn der verrat die erklärung für die schwer
empfundene niederlage abgeben muss. Auf die äussere ge-
staltung solcher umbilduugen aber wirkt häufig die spätere
geschichte ein: so mag eine neue, unter ganz ähnlichen umständen
erfolgte niederlage eines fränkischen heeres unter den grafen
Asinarius und Eblus im jähre 824 auf die Überlieferung des
älteren ereignisses nicht ohne einfluss gewesen sein, so dient
der im jähre 859 wegen abfalls von seinem rechtmässigen
herrn (Karl dem Kahlen) zum tode verurteilte erzbischof Wenilo
von Sens als träger des Verrats in der dichtung (Guenes-
Ganelon). Ein gedächtnisfehler der Überlieferung ist zunächst
die ersetzung der Basken durch die Sarrazenen, gegen welche
ja Karl in dem eigentlichen feldzug gekämpft hatte, zugleich
aber wirken dabei auch die darstellungen späterer Zeiten mit,
wo die Sarrazenenkänipfe im abendlaude, zumal in Italien und
Spanien, noch eine grosse rolle spielen; in Wirklichkeit handelte
es sich für Karl nicht um den schütz des glaubens, sondern
um einen eroberungskrieg. Und gerade an dem überfalle der
nachhut waren Sarrazenen, aller historischen Wahrscheinlichkeit
nach, nicht beteiligt. "Welchen anteil an dieser gesamten Um-
formung Überlieferung und phantasie des volkes, welchen die
erfindung des einzelnen dichters hat, lässt sich heute nicht
mehr entscheiden. Wir sehen im wesentlichen nur das end-
ergebnis der entwicklung in dem uns überlieferten Rolandepos.
102 III. Kapitel. Die Anfänge der Ileldendichtung.
B. Zeit und ort der abfassung. Einen eigentlichen
Verfasser des epos kennen wir nicht, obwohl TaTerniers versuch,
den am schluss sich nennenden Turoldus mit dem bischof
Tnroldus von Bayeux gleichzusetzen, beachtenswert ist. Der
abfassnngsort ist nach den meisten forschem in der Isle de
France, in Paris oder seiner Umgebung zu suchen, nach anderen
mehr westlich, in der Normandie. Die von G. Paris angenommene
zeit der abfassung zwischen 1006 und 1090, d. h. nach der
eroberung Englands durch die Normannen und vor beginn der
kreuzziige, lässt sich nicht mehr aufrechterhalten: der abfall
des t in der 3. sing, des präsens, die häufige verschleifung des
i in der artikelform li und sachliche erwägungen weisen das
gedieht in den anfang des 12. Jahrhunderts (aber, nach Taver-
niers einleuchtender festellung, vor 1108). Von den erhalteneu
acht (neun) handschriften überliefert keine den Originaltext;
die mehrzahl derselben, sechs (sieben) an zahl, erweisen sich
durch einfuhrung des reims als jünger, ihnen gegenüber steht
die sogenannte assonanzredaktion, die Oxforder handschrift
Digby 23 und die Venediger handschrift IV, die auch unter
sich selbst noch sehr starke abweichungen zeigen. Die altere
von beiden handschriften ist die Oxforder (O), welche um die
mitte des 12. Jahrhunderts in auglonormannischer mundart
geschrieben ist, sie liegt in der regel den vorhandenen aus-
gaben zugrunde.
C. Inhalt und form. In dieser ältesten fassung zählt
das epos 4004 verse. Der inhalt ist durch die vorhin ange-
deuteten Veränderungen bedingt. Im mittelpunkt steht der tod
Rolands und der übrigen pairs (v. 841 — 2396), voraus geht der
verrat Ganelons (v. 1 — 840), der Schlussteil erzählt Karls räche
an den Sarrazenen und Gaueions bestrafung (v. 2397 — 4004).
Die eigentliche Rolandsschlacht wird breit und mit vielen
Wiederholungen geschildert, um die tapferkeit der Christen in
das rechte licht zu setzen. Armeen auf armeen rücken gegen
sie heran, angriff auf angriff erfolgt, und wenn Marsile ver-
wundet entflohen ist, bleibt noch sein oheim der kalif mit
50 000 Äthiopiern. Die noch übrig gebliebenen Christen ver-
richten wuuder der tapferkeit. Den kaufen tötet Olivier,
Rolands Waffenbruder. Von seinem gegner zum tod verwundet
stürzt er sich von neuem ins kampfgewühl und trifft hier, das
3. Das Rolandslied. 103
auge von rinnendem blnt getrübt, auf Roland — eine der
rührendsten szenen des gedichts:
1940 Qnant paiien virent que Franceis i out poi,1) CXLVII
Entr'els cn ont e orgoill e cuufort,
I >ist Tuns a l'altre: „Li euipererc ad tort".
Li algalifes sist sor an eheval sor,
Brechet lc bien des esperons a or,
1945 Piert Olivier deriere cnmi lc dos,
Le blaue osberc li ad desclos el cors,
Par ini lc piz son espiet li rnist fors
E dit apres: „Un colp avez pris fürt.
Charles li magnes inar vos laissat as porz.
1950 Tort nos ad fait, neu est dreiz qn'il s'cn lot,
Car de vos sol ai bien vengiet les noz".
( >li\ iers sent que a ruort est feruz, CXLVIII
Tient Flalteclere, dont li aciers fut bruns,
Fiert l'algalife sor l'elme a or agut
1955 E flors e pierres eu acraventet jus,
TrencLet la teste d'ici qu'as denz menuz,
Brandist son colp, si l'ad rnort abatut,
E dist apres: „PaiieDS, mal aies tu!
Iqo ne di, Charles n'i ait perdut.
i960 Ne a tnoillier n'a dame qu'as veüd,
N'en vanteras, cl regne dont tu fus,
') Text im anschluss an die ausgäbe von Th. Muller. Jedoch sind die
anglononuauuisiucu der handschrift beseitigt, also u = o durch o, c<Cca
durch c/i ersetzt. Ad = at etc. weist auf crweiclmng des auslaute.
Bemerkungen im einzeluon: 1941 Entr'els: eis reflexiv, ebenso
unteu lui 1966, vgl. AS 8. 269. 1948 fort: prädikativ zum objekt 'als
einen starken', wodurch der begriff fort mehr hervorgehoben wird als in
der attributiven Verbindung. Deutsch etwa: 'stark war der hieb, den ihr
empfangen'. — l'.iäO neu est dreiz: 'nicht recht, nicht iu der Ordnung
ist es, dass . . .' = 'nicht darf, nicht soll er sich dessen rühmen'. —
1954 l'elme: afr. helme erscheint, trotz seiner ableitung aus dem gerin.,
häufig mit h muette, daher auch öfter ganz ohne h geschrieben (nach
G. Paris die aus dem provenzalischen entlehnte form, wie osberc für
gerrn. halsberc). — 1 '.»57 mort abatut: 'so hat er ihn als einen toten
niedergeschlagen' = 'tot niedergeschlagen'. — 1959 Zum fehlen des que
nach di vgl. AS s. 277. Im abhängigen satz der konjunktiv, weil der
inhalt nur vorgestellt ist; ne pleonastisch, wie oft, nach vorausgehendem
negativen hauptsatz: sinn also 'sage das nicht, dass Karl hier irgendeinen
vertust gehabt habe'.
1"1 III. Kapitel. Die Anfänge der Heldendichtung.
Vaillant denier que m'i aies tolut,
Ne feit damage ne de inei ne d'altrni".
Apres escriet Rollant qu'il li aiut. Aoi.
1965 Oliviers sent qu'il est a inort nafrez, CXL1X
De lui vengier jaraais ne li iert sez,
En la graut presse or i fiert coine ber,
Trenchet cez hanstes e cez escuz boclers
E piez e poinz, espalles e costez.
1970 Qui lui ve'i'st Sarrazins desinernbrer,
Un mort sor altre a la terre geter,
De bon vassal li poüst remeuibrer.
L'enseigne Charle n'i volt mie oblier,
Monjoie escriet e baltemeut e cler,
1975 Rollant apelet son anii e son per:
„ Sire compaign, a inei car vos jostez.
A grant dolor ernies bui desevret". Aoi
Rollanz reguardet Olivier al visage: CL
Teiuz fut e pers, descolorez e pales,
1980 Li sans toz clers par mi le cors li raiet,
Encontre terre en cbieent les esclaces.
„Dens!" dist li cuens, „or ne sai jo que face.
Sire compain, mar fut vostre barnages!
Jamals n'iert bom qui ton cors contrevaillet.
1985 E! France dolce, com hui remandras guaste
De bons vassals, confondiie e cbaeite!
Li emperere en avrat grant damage".
A icest mot sor son cbeval se pasmet. Aoi.
1962 Vaillant denier: akkusativ des gerundiums 'das, was einen
heller wert ist — soviel als ein heller wert ist — eines heilere wert'.
Das ganze ist objekt zu aies tolut, — 1903 ne de mei: wörtlich 'weder
inbezug auf mich noch auf einen anderen' — 'weder an mir, weder mir
noch einem anderen'. — 19G4 Aoi: findet sich am ende zahlreicher
Strophen des Rolandsliedes, offenbar zur bezeichnung des stropheu-
abschlusses. — 196S cez — cez: zu sg. cest — eist gehörig, seiner herkunft
nach « ecce iste) demonstrativpronomen, im afr. aber häufig im sinne des
blossen artikels gebraucht (wozu die entwicklung des demoustrativs illum
zum artikel le zu vergleichen ist). — 1970 Qui lui ve'ist S. desmembrer:
wörtlich 'wer an ihm Sarrazenenzerstückeln gesehen hätte' = 'wer ihn
hätte S. zerstückeln sehen' (vgl. die entsprechenden nfr. konstruktionen).
Der relativsatz mit qui wird zwar im folgenden, v. 72, durch li wieder
aufgenommen, könnte aber auch beziehungslos stehen als Vertreter eines
konditionalsatzes (wie mhd. swer etc.): 'wenn einer — gesehen hätte'. —
1972 häufige Umschreibungen: 'an einen wackern kämpfer hätte es ihn
erinnern können' = 'das bild eines wackern kämpfen hätte er da sehen
können'. — 19SG chaeite: passt dem sinne nach, aber nicht zur assonanz.
3. Das Rolandslied. 105
As vos Rollant sor son cheval pasniet CLl
1990 E Olivier qni est a inort nafrez,
Tant ad sainiet, li ueil li soDt troblet,
Ne loinz ne pres ne poet vedeir si clor
Que reconoisset nisun home uiortel.
Son coinpaignon, com il Tat cncuntrct,
1995 Sil fiert amont sur l'helme a or gemet,
Tot li detrenchet d'ici que al nasel,
Mais en la teste ue l'ad ui'ie ades6t.
A icel colp l'ad Rollanz reguardet,
Si li deuiaudet dolcement e soef:
2000 „Sire compain, faitcs le vos de grcd?
Qo'st ja Rollanz, qui tant vos soelt amer.
Par nule gnise ne m'avez desf'iet".
Dist Oliviers: „Or vos oi jo parier,
Jo ne vos vei, veied vos damnes Dens!
2005 Ferut vos ai, car le nie pardonez".
Rollanz respont: „Jo n'ai nient de inel.
Jol vos pardoins ici e devant Den".
A icel mot Tuns a l'altre ad clinet:
Par tel amor as les vos desevrez.
2010 Oliviers sent que la mort molt l'angoisset, CLII
Ambdui li ueil eu la teste li tornent,
LVie pert e la veüe tote.
Desceut a piet, a la terre se colchet,
D'ores en altres si reclainiet sa colpe,
2015 Coutre le ciel atnbesdous ses mains joiutes,
Si pnet Deu que pare'is li doriget
E bene'ist Charlou e France dolce,
Son compaignon Rollant desor toz hoines.
Falt li li coers, li helincs li embronchet,
2<>20 Trestoz li cors a la terre li jostet:
Morz est li cuens, que plus ne se demoret.
1096 Tot li detrenchet: Tot ist adverb, zu dat. li ergänze
akk. le (- Inline), vgl. AS zu v. 87. — 2000 de gred: 'mit dank — mit
willen, mit absieht" wie deutsch mundartlich 'gern' in demselben sinn. —
2001 soelt amer: soleir (solere) zur bezeichnung der fortgesetzt dauernden
handlung 'der euch stets so treu geliebt hat'. — 2002 desf'iet: einem
kämpf oder angriff hätte eine herausforderung vorangehen müssen. —
2006 mel: die regelrecht entwickelte hochtonform aus lat. malum, während
mal die uebentonige, unter einfluss von maldire, maleür entstandene form
ist. — 2016 donget: für donet (nfr. donne), vgl. oben s. 6S zu v. 134 alge.
— 2021 que — demoret: 'unter solchen umständen, dass er nicht mehr
bei sich ist' = 'tot ist der graf, nicht weilt er mehr unter den lebenden'.
Demoret mit g für ue (■< demg'rat) erklärt sich durch analogie nach den
endungsbetonten formen, wo nebentonig g zu Q wird (demgrons, demgrer).
100 III. Kapitel. Die Anfänge der Ileldcndichtung.
Rollanz li ber le ploret sil doloset,
Jamals eu terre n'orrez plus dolent home.
Li cuenz Rollanz quaut mort vit son ami CLI1I
2025 Gesir adenz, contre or'i'cnt son vis,
Molt doleement a regreter le prist:
„Sire compaign, tant mar fustes bardiz!
Ensemble avons estet e anz e dis,
Nein fesis mal, nc jo nel te forsfis.
2030 Quant tu ies morz, dolor est qne jo vif".
A icest mot se pasmet li marchis
Sor son cheval qu"houi claimet Veillautif.
Afermez est a ses estreus d'or fin,
2034 (Jucl part qu'il alt, ne poet mi'e chair.
Diese episode wie überhaupt die szenen zwischen Roland
und Olivier gehören zu den besten der ganzen dichtung. Der
eigentliche höhepunkt aber wird mit dem ende Kolands erreicht:
wie er, selbst schon erschöpft und dem tode nahe, die leichen
der pairs zusammenträgt, um sie von Turpin segnen zu lassen,
wie er den streitbaren erzbischof, als er verschieden, nach der
weise seines landes beklagt und dem himmel empfiehlt, wie er
mit letzter kraft einem räuberischen Sarrazenen mit dem
elfenbeinhorn den sehädel einschlägt und nach vergeblichen
versuchen, sein gutes schwert Durendal an den f eisen zu
zerschlagen und so vor den beiden zu bewahren, schwert und
hörn unter sich legt und Gott seine schuld bekennend stirbt.
Die äussere form des gedichtes wird durch die mitgeteilte
probe hinreichend charakterisiert. Es ist die form der asso-
nierenden Laisse oder tirade, der Strophe von beliebiger vers-
zalil, wie in der Karlsreise. Der vers ist hier der zehnsilbner,
welcher im älteren epos der herrschende ist. Die zahl der
verse in einer Strophe ist verschieden, wie das beispiel zeigt,
sie beträgt im Oxforder Roland im mittel fünfzehn verse. Die
bindung der verse untereinander beschränkt sich auf den
gleichklang der betonten vokale, d. h. die assonauz. Hierin
zeigt das Rolandslied, mit vielen anderen epen der folgezeit,
eine altertümliche technik gegenüber der gleichzeitigen und
selbst der älteren geistlichen literatur.
2026 Die hier um den gefallenen beiden angestimmte totenklage ist
typisch für ähnliche fälle in den cbansons de geste. Vgl. auch O. Zimmer-
mann, Die Totenklage in deu altfr. Cb. d. g., B. 1899 (Eherings Berl. Beitr.).
3. Das Rolaudslied. 107
I). Vorgeschichte. Die Vorgeschichte des Rolaudsliedes
ist eines der interessantesten und wichtigsten probleme der
altfranzüsischen literatnrgeschichte, doch sind bisher nur wenige
Bichere oder allgemein anerkannte resnltate erzielt. Durchaus
hypothetisch ist, was ober die existenz zeitgenössischer dich-
tungen behauptet wird, mag man darunter nun cantilenen
i Volkslieder) oder wirkliche epen verstehen. Der einzige,
welcher aus älterer zeit etwas berichtet, ist der sogenannte
limousinische astronom, Ludwigs des Frommen biograph,
welcher die namen der gegen die Basken gefallenen beiden
zu nennen für überflüssig hält: Quorum quia vulgata sunt
nomina dicere supersedi Hätte er von liedern etwas gewusst,
so hätte er vermutlich ebensowenig wie spätere autoren unter-
lassen es hinzuzufügen.
Mehr ist zu gewinnen, wenn man von dem überlieferten
Rolandslied und anderen bearbeitungen desselben gegenständes
ausgeht. Dass schon der den acht handschriften zugrunde
liegende text keine Originaldichtung war, ist ausgemacht:
Widersprüche, Ungleichheiten in der darstellung, Verschieden-
heiten in spräche und technik zeigen es zur genüge. Die ganze
Baligantepisode, rund 1000 verse, ist eine Interpolation; Blancan-
drins botschaft ist junge paralleldichtung zu Gaueions botschaffc.
Alicr die versuche, die zu erschliessende ältere dichtung einer
bestimmten gegeud (Anjou) oder zeit (ende 10. Jahrhunderts)
zuzuweisen, haben keine genügend sichere unterläge gefunden.
Gaston Paris erblickte die inhaltlich älteste form des gedichts
in der Tarpinschen chronik, die näehstälteste in dem Carmen
deproditione Guenonis, die dritte und jüngste in dem erhaltenen
Rolandslied selbst. Diese darstellung lässt sich heute nur
noch teilweise verteidigen: Turpin ist ein konfuser auszug aus
dem bekannten Rolandslied, während das Carmeu in der tat
auf eine ältere, verlorene redaktion des liedes weist (vgl.
oben s. 98).
Photographien und diplomatische abdrücke: Das altfr.
Rolandslied. Photogr. Wiedergabe von O, besorgt von E. Stenge],
Heilbronn 1878. — Das altfr. Rol.-ld. Genauer Abdruck der
Oxforder Hs. Digby 23, bes. von E. Stengel, Heilbronn 1878. —
La Chanson de Roland. Genauer Abdruck der Venetianer Hs. IV,
bes. von Eugen Kölbing, Heilbronn 1877. — Das altfr. Rol.-ld.
108 III. Kapitel. Die Anfänge der Heldendichtung.
nach den IIss. von Chäteauroux (Versailles) und Venedig VII (jüngere
Venediger handsehrift) bes. von W. Foerster, Ileilbronn 1883. Das
altfr. RoL-ld. nach den IIss. von Paris, Lyon und Cambridge besorgt
von W. Foerster, Ileilbronn 1886 (bd. VI u. VII der Altfrz. Bibl.).
— Ein kurzes fragment, 105 verse, einer neuentdeckten (neunten)
hs. hat Lavergne, Rom. 35 (1908) 445 ff., mitgeteilt. — Vgl. ferner:
Rolandsmaterialien, zusammengestellt von W. Foerster, Ileilbronn
1886 (1. zusatzlieft zum Altfr. Übungsbuch).
Ausgaben: Editio prineeps ist La Chanson de Roland p. p.
Francisque Michel, P. 1837 (neue ausgäbe 1869). — Von den
späteren ausgaben sind die wichtigeren: La Chanson de Roland.
Texte critique, traduetion et commentaire, grammaire et glossaire
p. Leon Gantier, Tours 1872 u. oft (für den anfänger bequem
durch die beigaben, text auf grund von 0 und V4, textkritik und
texterklärung jedoch lassen zu wünschen übrig). — La Ch. de Rol.
Texte du XIe siecle precede d'nne introduetion et suivi d'un glossaire
p. L. Clcdat, P. 2 1887 (auf grund von 0, in francischen sprach-
formen hergestellt). — Extraits de la Ch. de Rol. p. avec une
introduetion litteraire, des observations grammaticales, des notes et
un glossaire complet p. G.Paris, P. 9 1907 (etwa 800 verse des
ganzen, zur einführung in die dichtnng sehr geeignet). — Rencesval.
Edition critique du texte d'Oxford de la Ch. de Rol. p. Ed. Boehmer,
Ha. 1872. — La Ch. de Rol. Nach der Oxforder Hs. hrsg., erläutert
von Theodor Müller, I2, Göttingen 1878 (text nebst Varianten und
anmerkungen). — Das altfranz. Roiandslied. Kritische Ausgabe be-
sorgt von E. Stengel. I. Text, Variantenapparat und vollständiges
Namenverzeichnis. L. 1900 (sucht einen wirklichen kritischen
text des archetypon auf grund sämtlicher hss. und bearbeitungen
herzustellen). — G. Gröber, La Chanson de Roland, Str. 1908
(Bibl. Rom.).
Erläuterungsschriften, besonders zur entstehungsgeschichte:
A. Rambeau, Über die als echt nachweisbaren Assonanzen des Oxf.
Textes der Ch. de Rol., IIa. 1878. — Graevell, Die Charakteristik
der Personen im Rolandsliede, Heilbronn 1880. — Franz Scholle,
Die Baligantepisode, ZrP 1 (1877) 26 ff., vgl. auch ebda. 4, 7 ff,
195 ff — Emil Dunges, Die Baligantepisode, Heilbr. 1880. —
A. Pakscher, Zur Geschichte und Kritik des Rolandsliedes, B. 1885.
— Hoefft, France, Franceis und Franc im Rolandslied, Diss., Strass-
burg 1891. — Walter M. Hart, Ballad and Epic, Boston 1907
(Studies and Notes in philology and literature XI), bes. s. 227 ff. —
Über das Verhältnis von Roland, Turpin und Carmen: G. Paris,
Rom. 11, 465 ff. sowie Extraits (s. o.), Introduetion. — E. Stengel,
Kritische Betrachtung der Paris'schen Untersuchung, ZrP 8 (1884)
499 ff. — G. Baist, Verhandlungen der 43. (Kölner) Philologen-
versammlung, L. 1894. Derselbe, Variationen über Roland 2074,
2156 i. Foersterband s. 213 — 32. — Pio Rajna, Un eeeidio sotto
Dagoberto e la leggenda epica da Roncisvalle, Foersterband (1902)
3. Das Rolandslied. 109
253 — 79. — W. Taveraier, Zur Vorgeschichte di-s altfranz. Rolands-
liedes, l'>. 1903 (Eberinga Koni. Sind. V). — G. Brückner, Das
Verhältnis des franz. Rol.-lds. zur Turpinschen Chronik und zum
Carmen de prod. Guen., Rostock 1905. Vgl. zu beiden ZrP 32 (1908)
713 ff. — W. Tavernier, Beiträge zur Rolandforschung-, ZfSL 26
(1910) 71 ff., 27(1911) 83 ff., 28 (1911)117ff., 29 (1912) 133 IV.
(T.'s neue tliese, das Rolandslied sei jünger als das Carmen und
habe aus diesem geschöpft, ist wenig überzeugend). — Über moderne
Rolandsagen: Carnoy, Rom. 11, 410 ff., dazu Rom. 12, 139. Ferner:
Cerqnand, Legendes et Recits populaires du pays basque, Pau 1884,
IV, 14 ff. — Über jüngere bearbeituugen und erweiterungen des
Rolandepos siehe die späteree abschnitte.
Auch auf das ausländ hat das Rolandslied in reichem müsse
gewirkt. Die älteste fremde bearbeitnng ist das deutsche Rolands-
lied des Pfaffen Konrad, zwischen 1131 und 1133 verfasst. Aus-
gaben von W. Grimm, Ruolantes liet, Göttingen 1838, und von
Bartsch, L. 1884. Über das Verhältnis zur quelle (eine um 1120
entstandene, verloren gegangene französische bearbeitung) siehe:
W. Golther, Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, München 1887.
Konrads werk wiederum wird vom Stricker in seinem 'Karl' (um
1230) benutzt, sowie vom Verfasser des niederrheinischen 'Karl-
meinet' (14. jahrb..; ausgäbe von A. Keller, Tübingen 1857, Lit.
Ver. 45; vgl. K. Bartsch, Über Karlmeinet, 1861). Die Roland-
bilder oder Rolandsäulen in niederdeutschen Städten haben mit
held Roland lediglich den namen gemein (vgl. ZrP 33, 1 ff). —
Nach Skandinavien gelangte das Rolandslied um 1300 in einer
altnordischen prosaübersetzung als teil der noch andere französische
Karlsepen wiedergebenden Karlamagmissaga (hrsg. von Unger,
Christiania 1859). Die handsehrift, welche die vorläge des alt-
nordischen Übersetzers bildete, war die nächste verwante zu 0 und
V 4. Die Saga wurde von da sowohl ins schwedische (nur frag-
mentarisch erhalten) als auch, stark gekürzt, ins dänische über-
tragen (C. J. Brandt, Romantisk Digtning fra Middelalderen III,
Kopenhagen 1877; vgl. Karl Steitz, Zur Kritik der Rolandüber-
lieferung in den skaud. Ländern, Dis3. Bonn, Erlangen 1907).
Deutsche Übersetzung des altnordischen Rolands (Karlamagmissaga)
von Bd. Koschwitz i. Boehmers Rom. Stud. 3, 295 — 350. — Von
einer englischen Übersetzung des 13. jahrhs. sind nur fragmente
erhalten, ebenso von einer niederländischen des 13. oder 14. Jahr-
hunderts; in kymrischer (walisischer) spräche ist der Roland in
einer prosaübersetzung des 14. jhs. überliefert. — In Spanien
gehen auf bekanntschaft mit dem Rolandslied die späteren romanzen
vom beiden 'Durendarte' (ursprünglich name von Rolands schwert)
u. ä. zurück; als Rolands gegner und zugleich als spanischer
national held erscheint in der spanischen dichtung Bernardo del
Carpio. — In Italien fand das Rolandslied weite Verbreitung,
wie schon die beiden dort geschriebenen handschriften lehren,
110 III. Kapitel. Die Aufiinge der Heldendichtung.
sowie selbständige Weiterbildung. Den schlnss dieser entwicklung
hihlcn die grossen epiker des 15. und 16. Jahrhunderts: Pnlci 1481
mit Morgante maggiore, Boiardo 1486 mit Orlando innamorato und
endlich Ariosto 1516 mit Orlando furioso. Vgl. Pio Rajna, Le
fonti dell' Orlando farioso, Florenz 2 1900, und II. Morf, Von Koland
zum Orl. fnr. (Aus Dichtung n. Sprache der Rom. I).
Weitere literatur siedle bei Emil See! mann, Bibliographie des
altfranzösischen Rolandsliedes, Ileilbr. 1888, bei Gantier ßpopees2,
bd. III und V, neueres in den allgemeinen bibliographien. Moderne
deutsche Übersetzungen gaben W. Hertz, Stuttgart 1861, 2 1876,
E. Müller, Hamburg 1891, G. Schmilinsky, Halle (Hendels Gesamt-
bibliothek) 1896, in verschiedenartigem ersatz für die altfr. laisse.
4. Theorien
über die Entstehung des altfranzösisehen Epos.
Die für uns im dunkeln liegenden nufänge der epischen
dichttrog lassen sich wenigstens teilweise etwas aufhellen durch
die Verwertung der vorliegenden Zeugnisse, reste und ältesten
denkmäler dieser diehtgattung. Die nächstliegende aufgäbe
besteht darin, die zeit, in welcher die epische dichtuug
begonnen hat, und die äussere, technische form zu bestimmen,
in welcher sie aufgetreten ist; die Lösung dieser aufgäbe steht
aber in engstem Zusammenhang mit den weiteren fragen, wie
man sich das Verhältnis des epischen Stoffes zur geschiente
zu denken hat und welche bedeutung mau dem germanischen
dement bei der entstehung des französischen heldenepos bei-
messen will.
In der ersten aufläge seiner Epopees francaises vertritt Leon
Gautier den Standpunkt, dass die ersten chansons de geste ihrem
Ursprung und wesen nach germanisch waren: 'Les epopees francaises,
les chansons de geste, sont d'origine et de nature essentiellement
germaniqnes. On peut meme affirmer que peu d'origines sont aussi
evidentes, aussi entieres et qn'aucun autre Clement national n'est
venu se joindre ä l'element germanique dans la composition de nos
poemes'. Germanische Volkslieder (cantilenen) sind der unmittelbare
Ursprung der französischen epen gewesen, diese sind durch einfache
aneinander reihung solcher Volkslieder entstanden: 'Les premieres
chansons de geste n'ont ete que des chapelets d'antiques canti-
lenes'. Das Earolied wie das deutsche Ludwigslied gelten ihm
4. Theorien über die Entstehung des altfranz. Epos. 111
als bcispiele solcher cantilenen. — Die in der zweiten aufläge
hervortretenden abänderungen dieser theorie beruhen im wesentlichen
auf der kritik Paul Meyers (s. u.), zum teil auch auf den von
Gaston Paris geäusserten ideen. Gantier glaubt demgemä>s nicht
mehr an die entstehung eines epos durch die aneinanderreihung
von cantilenen, sondern die dichter der chansons de geste haben
sieh nur anregen lassen durch die cantilenen, zuweilen auch durch
die mündliche Überlieferung (tradition orale). Im Zusammenhang
damit wird auch die bedeutnng des germanischen einflusses etwas
geringer eingeschätzt: 'par son origine prochaine et immediate,
l'Kpopce franeaise est romane ... la pöriode romane est
anti'rieure au IX1' siecle . . . notre epopc'e ne s'est jamais confondne
avec Celle des peuples germaniques . . . Mais l'esprit germanique
y a persiste" — Bref, eile est germanique par son origine et romane
dans son developpement'. Auch diese anschauungen sind in
Gautiers letzter Veröffentlichung nicht unverändert geblieben. Den
anteil, welchen er dort der 'tradition orale' an dem worden des
epos zuschrieb, verneint er jetzt, um dafür der 'legende' eine
bedeutende rolle bei der Umbildung der Überlieferung zuzuweisen.
Worin jedoch der unterschied zwischen 'tradition orale' und
'legende' besteht, hat er nicht auseinandergesetzt (Gautier, Les
Kpopees franoaises, I, s. 10 ff., 2I, 21 ff. — L'Epopee nationale, in
Petit de Julleville I, 49 ff.).
Gleichzeitig mit Gautiers erstem bände erschien die üistoire
poetique de Charlemagne von Gaston Paris. Für ihn wird die
Vorgeschichte des französischen epos durch erwägungen allgemeiner
art bestimmt. Darnach geht dem epos bei allen Völkern eine
'poesie hero'i'que ou nationale' voraus, d. h. 'chants nationaux",
welche der form nach meist lyrisch, dem inhalt nach episch sind und
die stoffliche grundlage für das epos hergeben. Ihren inhalt schöpfen
sie aus der Zeitgeschichte, es sind 'cantilenes contemporaines'. Die
ältesten lieder dieser art waren deutsch, aber schon zur zeit Karls
des Grossen hat es sicherlich auch romanische lieder gegeben.
Neben diesen liedern haben auch volkssagen, 'recits populaires',
über Karl den Grossen existiert. Gegen ende des 10. Jahrhunderts
bemächtigt sich das epos der populären zeitgedichte und verdrängt
indem es sie in sich aufnimmt. Berufsmässige sänger, die
Jongleurs, vereinigen die isolierten lieder der alten zeit, geben ihnen
einen mittelpunkt und eine allgemeine idee, und am endo des
LI. Jahrhunderts ist das epos fix und fertig. — Später hat G.Paris
die bedeutnng des germanischen elements noch schärfer hervor-
gehoben: darnach lässt sich das französische epos des mittelalters
definieren als 'L'esprit germanique dans une forme romane', oder:
von den beiden eitern der französischen epik war der vater
germanisch, die mutter romanisch (vgl. auch oben s. 39 f.). Während
aber G. Paris in seiner Ilistoire poetique noch die meinung vertrat,
dass Chlodovech noch zu sehr eroberer und barbar gewesen sei,
112 III. Kapitel. Die Anfänge der Heldendichtung.
am den romanischen Völkern (euer zu werden und Volkslieder
hervorzurufen, will er Bpäter gerade mit Chlodovech, im besundoren
mit seiner taufe, den selbständigen romanischen heldensan gbeginnen
lassen. Die fränkische poesie aber hat unmittelbaren einfluss auf
die französische nur wenig ausgeübt. Don ereignissen gleichzeitige
oder beinahe gleichzeitige Lieder sind unter allen umständen die
grundlagen späterer epen. Die mündliche Überlieferung oder volks-
sage spielt in der geschichto des französischen epos keine rolle
(Gaston Paris, Ilistoire poetique, s. 1 ff., 37 ff., 457 ff. — Revue
eritique 1866, I, s. 11, 1868, I, s. 385. — Komauia, 13, 59811'., kritik
von Rajuas buch. — La litteiature franc., s. 18 ff, 33 ff. — Romania,
23, 441 ff. anm., 24, 490. — Esquisse s. 32 ff, 52 ff).
Die beiden werke von L. Gautier und G. Paris im jähre 1865
waren für Paul Meyer der anlass, seine ansichten über die
bewegenden hauptfragen zu äussern. Vor allem protestierte er gegen
zwei behauptungen, welche am schärfsten Gautier, teilweise auch
Paris aufgestellt hatte: gegen die epische Vorstufe der cantilenen
(Volkslieder) und gegen die bedeutuug des germanischen elements.
Deutsche cantilenen sind keinesfalls der ausgangspunkt französischer
epen gewesen. Cantilenen, welche zeitgenössische ereignisse feierten,
können dagewesen sein, sind aber für die erklärung der entstehung
des altfranzösischen epos durchaus überflüssig, da dieses sich ledig-
lich auf grund der mündlichen Überlieferung bilden konnte. Die
ältesten Überreste desselben gehören dem 9. Jahrhundert. Um diese
zeit aber hatte sich in Gallien durch mischung der drei rassen
(Kelten, Römer, Germanen) eine neue nationalität herausgebildet,
die man nur mit dem nameu romanisch bezeichnen kann (Paul Meyer,
Recherches etc. Bibliothequo de l'Ecole des Chartes, 6. serie, III. band
[= band XXVIII], s. 28—63, 304—342). — Von neueren franzö-
sischen romanisten hat sich noch Ferdinand Lot zu gunsten der
mündlichen Überlieferung (tradition orale) als einer Vorstufe des epos
geäussert (Moyen äge 6, 129 ff, Rom. 23, 440 ff.).
Eine sehr wesentliche Verschiebung erfuhr die beurteilung des
germanischen einflusses durch das buch von Pio Rajna über die
anfange des französischen epos (1884). Der Verfasser wies zunächst
die ins einzelne gehende Übereinstimmung nach, welche zwischen
chronistischen, poetisch gefärbten Überlieferungen aus der Mero-
wingerzeit und dem späteren Karlsepos vorhanden ist; dieses hat
sich demnach häufig mit dementen der merowingischen Überlieferung
bereichert oder direkt aus merowingischer epik — deren dasein
Rajna schon für frühe zeit annimmt — umgebildet. Rajna zeigt
nun weiterhin, dass eine reihe von erzähl ungsstoffen, einzelnen
motiven, figuren und formein des altfranzösischen heldenepos und
auch schon der merowingischen Überlieferungen ihr gegenbild in der
deutschen heldendichtuug des mittelalters linden und daher aus
altgermanischer, fränkischer epik herstammen müssen (vgl. oben
s. 39). Die naturgemässen Vermittler zwischen germanischer und
4. Theorien über die Entstehung des alt franz. Epos. 118
französischer epik bildeten die romanisierten Franken. So schloss
sich an das fränkische epos unmittelbar das romanische au — die
annähme von cantilenen wird damit Überflüssig. Aber auch die sage
spielt nach Rajna in dieser entwicklung keine rolle (Pio Rajna,
Origini s. o. — Litbl. f. germ. n. rom. Philologie, 1895, s. 197 1V.
— Storia ed epopea, Florenz 19U9, auch in Archivio storico italiano
1909. — Una rivoluzione negli studi intorno alle „Chansons de
geste" [gegen Bödier], Studj medievali 3, 331 — 91). — Unter den
jüngeren epenforscliern steht Leo Jordan den grundanschauungen
Rajnaa am nächsten, nur will er an stelle der Franken als Ver-
mittler germanischen geistes die Burgunder setzen, was wenig zu
ihrer geringen zahl und bedeutung und ebensowenig zu der über-
ragenden bedeutung des Frankenstammes passt (RF 14, 322 ff., 16,
354ff, 20, lff, Archiv 112—118).
Das buch von Rajna wurde für die forschung epochemachend.
Die bedeutung des germanischen elements Avar in weitestem umfange
erwiesen und fortan unbestreitbar. So wurde auch dieses ergebnis
der Rajnaschen Untersuchungen überall ohne Widerspruch ange-
nommen, während man über andere fragen — die art der Ver-
mittlung, die bedeutung der cantilenen wie der mündlichen Über-
lieferung — abweichender meinung sein konnte. Gaston Paris hat
seinen Standpunkt in einer ausführlichen recension des buches im
XIII. band der Romania dargelegt. Kristoffer Nyrop hat in der
als neue aufläge geltenden italienischen Übersetzung seines hand-
buches über das altfranzösische epos die wesentlichen resultate von
Rajnas forschung übernommen (1883 — 1888). Er glaubt mit Rajna
an eine ausgedehnte deutsche Merovingerepik, die in den berichten
der alten fränkischen Chronisten auszugsweise erhalten sei. Aber
den anfaDg der französischen epik müssen natürlich französische
dichtungen gebildet haben. Der form nach können die ältesten
diehtungen allgemein gesungene, kurze, episch- lyrische, strophische
lieder (cantilenen) oder auch chansons de geste kleineren umfangs
gewesen sein: die Wahrscheinlichkeit spricht nach Nyrop für die
erste annähme, erst für das 10. Jahrhundert wird eine wirkliche
chanson de geste durch das Haager Fragment erwiesen. Das
eigentliche epos ist die individuelle Schöpfung eines berufsmässigen
Sängers, der eines tages alle ihm bekannten lieder und sagen über
ein bestimmtes ereignis, z. b. über den tod Rolands, sammelte und
auf grund dieser zerstreuten und zusammenhanglosen Überlieferungen
ein geordnetes, organisches ganze, ein epos schuf.
Von allgemeiner bedeutung sind auch die um dieselbe zeit
erschienenen Untersuchungen Albert Stimmings über den proven-
zalischen Girard von Roussillon (Halle 1888). Der Verfasser ver-
sucht hier zu zeigen, wie man durch kritische Zergliederung der
überlieferten dichtung zu ihren älteren entwicklungsstufen zurück-
gelangen kann: nach ihm folgt ganz allgemein auf die zeit der
epischen Originaldichtungen eine zeit der Umarbeitung und dann eine
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auflage. §
114 III. Kapitel. Die Anfänge der Heldendichtung.
zeit der interpolierung. Bei der bildnng des Stoffes wirkt auch die
volkssage mit. — Einzcluntersuchungen ähnlicher art, wenn auch
z. t. in anderer richtung, sind in der folgezeit von Wilhelm
Cloetta, Rudolf Zenker, Leo Jordan und manchen anderen
vorgelegt worden.
Gelegentlich des Haager Fragments hat Gustav Gröber seine
meinung aufgesprochen, die er sodann in seiner altfranzösischen
literaturgeschichte ausführlich dargelegt hat. Er misst der sage
keine bedeutung für das entstehen der heldendichtung zu, vermeidet
es von cantilencn zu sprechen und erblickt die anfange einerseits
in zeitgedichten, die „ein Ereignis zur Sprache und das Urteil der
Zeit darüber zur Geltung brachten", und andrerseits in carmixn
regum, „die ein aus mehreren Akten sicli zusammensetzendes
kriegerisches Unternehmen eines Königs unter Ausprägung der
Zeitstimmung bildartig vor Augen stellten". Das Farolied ist ein
zeitgedicht, die unter Karl dem Grossen aufgezeichneten carmina
regum gehören der zweiten gattung an. Die epische dichtung ist
also so alt wie die historischen ereignisse selbst. Sie ist hervor-
gegangen aus den reihen der krieger, welche die ereignisse selbst
gesehen haben (Gustav Gröber, Zum Haager Bruchstück s. o. s. 97.
— Franz. Lit. 447 — 57). Ähnliche anschauungen vertritt auch
Eduard Schneegans in seiner Heidelberger habilitationsvorlesung
über 'Die Volkssage und das altfranzösische Heldengedicht' (1897).
Gegenüber denjenigen gelehrten, welche die Verherrlichung
historischer beiden im lied unmittelbar an das historische ereignis
anknüpften und damit das epische lied, teilweise sogar das epos
selbst, in eine zeit hinaufiückten, aus welcher Zeugnisse über solche
dichtung noch nicht vorhanden sind, wurde von andrer seite, im
anschluss an die deutschen sagenforscher Uhland und Jacob Grimm,
als mittelglied zwischen epos und geschichte die sage hervorgehoben,
die im volk umgehenden, die form des liedes und des epos ver-
schmähenden Überlieferungen von seinen beiden und ihren erlebnissen.
An der Umbildung der historischen ereignisse kann an sich auch
das lied (die „cantilene") beteiligt sein, aber wir dürfen ihr Vor-
handensein nur annehmen, wo es durch Zeugnisse oder durch die
form der Überlieferung sichergestellt ist. Ebenso muss auch die
oxistenz des einzelnen epos oder der epischen dichtung überhaupt
hinreichend bezeugt sein: in den sagenhaften Chronistenberichten
über die Merovingerkönigo hat man demnach nicht ohne weiteres
spuren von epen zu erblicken. Wann und wo sich im einzelnen
fall sago und epos begegnen, wie sich das einzelne epos zum
geschichtlichen ereignis verhält, muss für jeden fall besonders unter-
sucht werden. Die entwicklung des altfranzösischen heldenepos hat
sich nicht schematisch vollzogen (Carl Voretzsch, Ogier der Däne,
1891. — Die französische Heldensage 1894. — Das Merovinger-
epos, 1896. — Epische Studien I, 1900. — Zur Geschichte der
Nibelungensagc, Zeitschr. f. deutsches Altertum 51, 39 ff. — Balduins
4. Theorien Über die Entstehung des altfranz. Epos. 115
Tod, 11» 10). — Eine reihe von kritischen einzelfragen, welche sich
an die sagentheorie, die bedeutung des germanischen antcils, an die
entwicklungsgeschichte des epos überhaupt knüpfen, hat Eduard
Wechssler an verschiedenen stellen behandelt (JrP IV, 2, 4 IG ff.,
V, 2, 384 ff.: ZrP 25, 449 ff. s. o. s. 89).
Vorwiegend als historiker hat Godefroid Kurth (Ilistoire
poctiquo des Merovingiens, P. 1893) in den berichten der fränkischen
Chronisten historische und epische elemente zu scheiden und in viel
weiterem umfang als Rajna epische Überlieferungen, d. h. zumeist
heldenlieder, nachzuweisen versucht. Diese merovingischen lieder
waren im wesentlichen germanisch, der karolingische heldensang
bereits französisch.
Liegt auch der wert des buches mehr auf seiten der geschichts-
wissenschaft, so hat es doch auch bei den roraanisten erneute
erörterung der einschlägigen fragen hervorgerufen. Vor allem bot
es Hermann Suchier den anlass, mit einer Untersuchung über das
ältesto überlieferte bruchstück der epischen poesie, über das Faro-
lied, hervorzutreten. Er zeigte zunächst, dass dieses nicht das alter
beanspruchen kann, das man ihm gewöhnlich zuschreibt. Indem er
weiter annahm, dass die im Liber historiae wiedergegebene fränkische
Überlieferung derselben erzählung die quelle des Faroliedes gebildet
habe, kam er zu dem schluss, dass das französische volksepos mit
der bearbeitung fränkischer epen beginnt und dass daher kein grund
vorliegt, ihm eine periodo zuzuschreiben, in welcher es in der form
romanzenartiger lieder existiert hätte. Die ältesten französischen
Chansons de geste braucht man in keine frühere zeit als ins 9. Jahr-
hundert zu setzen. Seine allgemeinen anschauungen hat Suchier
dann in seiner Literaturgeschichte weiter ausgeführt: „Den Inhalt
des Volksepos bildet die Geschichte der eigenen nationalen Ver-
gangenheit, wie sie sich einem ungebildeten Volke darstellt ....
Vielleicht aber sind jene Ereignisse eine Zeit lang nur in der Form
romanischer Prosa, als schlichte Sage, erzählt worden und haben
erst später in das französische Epos Aufnahme gefunden. Wann
die ältesten Chansons de goste gedichtet wurden, wissen wir nicht.
Im 9. Jahrhundert sind einige vorhanden gewesen" (Farolied, ZrP 18;
Franz. Lit. 16 ff.; ZrP 32, 734 ff.).
Neue wege in der kritik der epischen dichtung haben Philipp
August Becker und Joseph Bedier erschlossen. Becker bekämpft
vor allem die annähme von verloren gegangenen „vorepen", leitet
die erhaltenen epen gern auf schriftliche quollen, z. b. auf gelegent-
liche chronistische notizen, zurück und sucht die altfranz. epen vor
allem als einheitliche Schöpfungen eines einzelnen dichters zu
erklären. Eine zusammenhängende darstellung des altfranz. helden-
epos von diesem Standpunkt hat er in seinem 'Grundriss der altfranz.
Literatur' gegeben. Doch lässt er hier auch 'Lokal- und Wander-
sagen' zu, wenngleich sie dem dichter nur 'unansehnliches Roh-
material' geboten haben sollen: „man erinnerte sich an Könige und
8*
116 III. Kapitel. Die Anfänge der Heldendichtung.
Fürsten, man wusste oder erzählte von alten Schlachten und Ereig-
nissen aller Art, die sichtbare Spuren hinterlassen hatten" (Die
altrranz. Wilhelmssage, IIa. 1M(J6. — Der südfranz. Sagenkreis und
seine Probleme, IIa. 1-898. — Grundriss 1908, s. o. s. 47. — Zahl-
reiche recensionen).
Bedier, dessen forschungen gegenwärtig im Vordergrund der
wissenschaftlichen erörterung stehen, gelangt z. t. auf denselben
wegen wie Becker, z. t. auf eigenen wegen zu neuen und bemerkens-
werten ergebuissen. Er beobachtet, dass eine reihe von klöstcrn
grabdenkmäler, w äffen oder sonstige andenken von bekannten epischen
beiden aufzuweisen haben, dass diese klöster meistens an den pilger-
strassen liegen, dass gewisse beziehungen zwischen Jongleurs und
klerikern vorhanden sind, dass ferner in lateinischen, klösterlichen
chroniken z. t. dieselben beiden gefeiert werden wie im epos, dass
dokumente, welche die besitzansprüche bestimmter kirchen und
klöster begründen sollen, sich mit Vorliebe auf beiden der chansons
de geste berufen, dass endlich alle diese tatsachen und Zeugnisse
nicht vor 1040 einsetzen und bis ins 13. Jahrhundert reichen. Bedier
zieht daraus den schluss, dass die klöster zum teil die bewahrer,
zum grössten teil aber die erzeuger der epischen Überlieferungen
gewesen sind. Ausdrücklich wendet er sich gegen die hypothese
von den dem historischen ereignis gleichzeitigen cantilenen oder
epen, während er im einzelnen fall sagenhafte oder epische Über-
lieferung als quelle der klostertradition gelten lässt. Aber die
entstehung des epos selbst setzt er in verhältnismässig späte zeit:
'les romans du XII e siecle sont des romans du XIIe siecle, et il
faut les expliquer par cela que nous savons du XIIe siecle, du
XIIe an plus tot, et non point par cela que nous ignorons du
siecle de Charlemagne ou du siecle de Clovis'. Den Zusammenhang
des französischen epos mit Überlieferungen germanischer herkunft und
die daraus sich ergebenden fragen lässt Bedier ausser acht (Legendes
epiqnes s. o. — Keponse k M. Pio Rajna, Toulouse 1910, extrait
des Annales du Midi, oct. 1910. — Zahlreiche einzclstudien in
verschiedenen zss. — Zuletzt: De la formation des chansons de
geste, I, Rom. 41 [1912] 1—31),
Siehe die notwendigen literaturangaben (soweit nicht hier ver-
zeichnet) o. s. 109 f., 115, 117.
Überblickt man im Zusammenhang die hier zusammen-
gestellten ergebnisse der einzelnen forschungen, so sieht mau
wol, dass es der verschiedenen meinungen nicht viel weniger
sind als der namen. Fasst man aber die gleichartigen
anschauungen zu gruppen zusammen, so lassen sich etwa
vier hervorstechende crklärungsversuche für das entstehen
des französischen epos unterscheiden: die cantilenentheorie
4. Theorien über die Entstohung des altfranz. Epos. 117
(G.Paris, Gautier), die a 1 1 epentheo r ie (Rajna, Gröber,
Jordan), die Bagentheorie (Suchier, Weehssler, Voretzsch,
anch 1'. Meyer und F. Lot), die jungepentheorie (Becker,
BeMier). Wenn wir von allem hypothetischen möglichst absehen
und vor allem die tatsaehen reden lassen, hoben sieh ans
dem widerstreit der meinungen ungefähr folgende punkte
hervor:
1. Das absolute alter der französischen epik lässt sich
nicht mit Sicherheit bestimmen. Das Haager Fragment bietet
uns, auch bei sehr skeptischer betrachtungsweise, als terminus
ad quem das 10. Jahrhundert. Das Chlotharlied führt uns,
wenn man dies Zeugnis nicht von vornherein als unglaub-
würdig verwerfen will, mindestens bis in die erste hälfte des
9. Jahrhunderts zurück. Französischer heldensang vor dieser
zeit (sei es epos, sei es romanze) ist möglich, aber nicht
erweislich.
2. Daneben ist nicht zu unterschätzen, was sich für das
relative alter der epischen dichtung aus den überlieferten
epen selbst gewinnen lässt. Auch die skeptischsten kritiker
müssen hier und da die annähme von „vorepen" zugeben,
und für einzelne epen müssen wir sogar mehrere verlorene
Vorstufen annehmen. Es ist unwahrscheinlich, dass alle diese
vordichtungen in den kurzen Zeitraum eines Jahrhunderts fallen.
Schon das Haager Fragment lässt einen fest ausgeprägten
epischen stil erkennen. Endlich müssen auch die auf ältere
Zeiten zurückweisenden anschauungen der überlieferten epen
in rechnung gezogen werden (vgl. hierzu Jordan RF 16, 314 ff,
und neuerdings Max Remppis, Die Vorstellungen von Deutschland
im altfranzösischen Heldenepos und Roman und ihre Quellen,
34. Beiheft zur ZiT).
3. Die bedeutung des germanischen Clements für
das französische epos ist unbestritten und unbestreitbar. Diese
demente können diesem ebensogut aus fränkischer sage wie
aus fränkischer dichtung zugeflossen sein. Unmittelbare Über-
setzung einzelner fränkischer epen ins französische braucht
man hierfür nicht anzunehmen, obwohl kein grund vorliegt,
diese möglichkeit grundsätzlich auszuschliesseu. Auch die
sorgfältige bewahrung so zahlreicher germanischer demente
spricht gegen eine späte entstehung des französischen epos.
118 III. Kapitel. Die Aufänge der Heldendichtnng.
4. Die form muss, soweit wir die entwicklung auf grund
der vorliegenden Überreste zurückverfolgen können, die der
späteren eliansons de geste gewesen sein. Darauf deuten
übereinstimmend die ältesten überlieferten epen selbst und die
ältesten bekannten reste der epischen dichtung, wie Haager
Fragment und Cblotbarlied. Auch die damalige form der
germauiseb- fränkischen epik war mutmasslich nicht strophisch,
sondern stichisch, nicht lyrisch, sondern episch (vgl. Beowulf,
Hildebrand, Heliand, selbst Otfried).
5. Das Vorhandensein von cantilenen im sinne von
allgemein gesungenen Volksliedern lyrischer form und epischen
inhalts ist au und für sich möglich, aber für die erklärung
der geschichtlichen entwicklung nicht notwendig und auch
nicht erweislich. Hingegen werden kürzere dichtungen in der
art und form der chansons de geste, also epen kleineren
umfangs, schon im 9. Jahrhundert existiert haben. Aus diesen
haben sich auf natürlichem wege, teils durch erweiterung
einzelner epen, teils durch Vereinigung mehrerer zu einem
ganzen, die älteren epen der blütezeit entwickelt.
6. Wo für die annähme von Volksliedern oder epen im
einzelnen fall Wahrscheinlichkeit und beweise fehlen, ist die
sage (tradition orale, legende) die einfachste und natürlichste
form der Überlieferung. Sie bildet das notwendige bindeglied
zwischen dem geschichtlichen ereignis und allen denjenigen
dichtungen, welche überhaupt eine traditionelle grundlagc
haben und nicht unmittelbar nach dem ereignis oder in junger
zeit auf chronistischer gruudlage entstanden sind. Ihre existenz
wird durch die erzählungen der alten fränkischen Chronisten
wie des Mönchs von St. Gallen und anderer bestätigt.
Viertes Kapitel.
Die geistliche und lehrhafte Literatur
im zwölften Jahrhundert,
Nachdem wir die wichtigste und in den denkmälern am
frühesten vertretene gattung der profandichtung von den
anfangen bis zum ende des 11. Jahrhunderts in ihrer ent-
wicklung begleitet haben, wird es zeit den blick zurück zu
lenken nach der geistlichen dichtung, welche jener weltlichen
parallel läuft und sogar ältere denkmäler aufzuweisen vermag
als diese. "Wir haben diese geistliche dichtung am schluss
des ersten kapitela mit dem Alexiuslied verlassen, dessen
entstehung um 1040 bis 1050 angesetzt wird. Aus der zweiten
hälfte des 11. Jahrhunderts sind uns keine sicher datierbaren
denkmäler geistlichen inhalts überliefert, und so reiht sich
an das Alexinslied unmittelbar die geistliche litcratur des
12. Jahrhunderts.
In diesem Jahrhundert wird die geistliche dichtung nicht
nur an menge reicher, sie erobert sich auch neue gebiete,
sie pflegt die verschiedensten gattungen und nimmt allerlei
formen an, die teils lateinischen Vorbildern, teils auch solchen
der profanliteratur entnommen sind. Im Vordergrund steht
noch immer, wie bisher fast ausschliesslich, die erzählende
literatur, namentlich heiligenlegenden, zu denen sich dann in
der zweiten hälfte des Jahrhunderts noch die sogenannten
frommen erzählungen, die Wundertaten eines heiligen und
darunter besonders die der Mutter Gottes (contes, contes
devots, miracles) gesellen. Eine sehr bescheidene rolle spielt
noch die religiöse lyrik. So ziemlich das einzige stück ist
eine bearbeitung des Hohenliedes, wenn man von den
L20 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
kreuzzugsliedern absieht (vgl. kap. V). Übersetzungen oder
bearbeitungen einzelner teile der Bibel sind auch Bonst nicht
selten, teils in poetischer tonn, teils auch in prosa. Eine voll-
ständige Bibelübersetzung bringt erst das folgende Jahrhundert.
In engem Zusammenhang mit dem kultus entwickeln
sich einige neue gattnngen der geistlichen dichtung: die
'epitres fareies' (stopfepisteln) sowie die ersten dramatischen
versuche in französischer spräche verdanken ihre entstehung
dem bestreben, die lateinisch verlesene epistel oder den
lateinischen dialog der an hohen festtageu das evangelium
illustrierenden personen dem Verständnis des laien zugänglich
zu macheu. Iu diesem sinne war schon die Verordnung des
konzils von Tours im jähre 813 gegeben, wonach die predigt
in der vulgärsprache gehalten werden sollte. Hat sich aus
frühereu Zeiten von französisch aufgezeichneten predigten
nur das sogenannte Jonasfragment erhalten (s. o. s. 27), so
treten uns im 12. Jahrhundert einige predigten entgegen, die
schon ihrer äusseren form wegen zu der literatur im engeren
sinne gerechnet werden müssen: die sogenannten 'Reim-
predigten ', neben denen uns französische prosapredigten, und
diese erst aus dem lateinischen übersetzt, nicht vor schluss
dieses Zeitraumes begegnen. Nah verwant mit der predigt ist
die auf moralische belehruug gerichtete, sowie die mehr
didaktische dichtung, welche gleichfalls in den händen der
geistlichen ruht und einen wesentlichen bestandteil der
geistlichen literatur bildet.
Schon die erste hälfte des Jahrhunderts zeigt, ausser der
weiteren pflege der heiligengeschichte, neue ausätze auf fast
allen eben erwähnten gebieten: neben den erzählenden gattnngen
namentlich die ersten lyrischen und dramatischen versuche.
Die zweite hälfte des Jahrhunderts führt sonach im wesentlichen
die bisher eingeschlagenen richtungen weiter. Doch tritt jetzt
die Marienverehrung mehr hervor als in der ersten hälfte,
nicht nur in bearbeitungen ihrer lebensgeschichte, sondern
auch in den erzählungen, welche ihre Wundertaten feiern.
Bemerkenswert ist an dieser geistlich-moralischen literatur
des 12. Jahrhunderts der starke anteil, den daran die aus der
Normandie stammenden dichter, in weiterem sinne die dichter
des anglonormaunischen königreichs haben: Wace, Benedikt
Allgemeines. 121
(Verfasser des ßrandan), wühl auch der Verfasser des Gregoriua
stummen :111s der Normandie; Philipp von Thaon, Gruillaume
de Berneville, Simoo de Fresne, Clcmenee de Berekinge halten
in England gelebt und gedichtet; ja auch angehörige der
Isle de France wie Garnier von Pont-Sainte-Maxence und die
älteste französische dichterin, die wir kennen. Marie (gewöhnlich
Marie de France genannt), dichteten in England. Philipps
Compoz und Bestiaire nebst Benedikts Brandan stellen
die ersten auglonormaunisclien dichtmigen dar. Die anglo-
normannisehen könige, besonders Heinrich I. (1100 bis 1137)
und Heinrich II. (1154 bis 1189) nebst ihren gemahlinnen,
waren tatkräftige freunde und besehützer der dichtknnst.
Suchier hat daher in seiner literaturgeschichte die literatnr
des anglonormanuischen königsreichs getrennt von derjenigen
des königsreichs Frankreich behandelt, und G. Paris hat den
ans der französischen Normandie stammenden dichtem eine
besondere betrachtung gewidmet.
Vgl. P. Meyer, Ilist. litt. 33, 254 — 458 (Versions des Vies des
Peres; Legendes liagiographiques). G. Paris, La litterature normande
avant l'annexion (912 — 1204), P. 1889. Suchier, Lit, s. 105 ff.,
115 ff. Vgl. auch die entsprechenden abschnitte in Gröbers Franz.
Lit., in G. Paris' Litterature, in Petit de Jullevilles llistoire (Poesie
narrative religieuse, von P. d. J.; Litterature didactique —
Sermonnaires et traduetions, von Arthur Piaget), sowie ten Blink,
Engl. Lit. I 141 ff, 160ff. — Ad. Mussafia, Studien zu den mittel-
alterlichen Marienlegenden, I — V, Sitzungsber. d. Wien. Akad. d.
Wiss., Phil.-hist. Kl. 1887—1898. R. Keinsch, Die Pscudo-Evangelien
von Jesu und Marias Kindheit in den rom. u. germ. Litt., II. 1879.
Über die latein. legenden vgl. Heinrich Günter, Die christliche
Legende des Abendlandes, Heid. 1910. — Samuel Berger, La Bible
fran»;. au moyeu äge. Ktudes sur los plus anciennes versions de la
Bible ecrites cn prose de langue d'oi'l, P. 1884. J. Bonnard, Les
traduetiona de la Bible en vers fr. au moyen äge, P. 1884. Zu
beiden werken nachtrage von Suchier, ZrP 8, 413 ff. — Bourgain,
La chaire fran<;. au X1IC siccle, P. 1879. A. Lecoy de la Marche,
La chaire fran^-. au m. äge, specialement au XI1P siccle, P. 1868,
2 1886. — Friedrich Laudiert, Geschichte des Physiologus, Str. 1889.
— Die ältesten hierhergehörigen texte wie Hohes Lied, Stephans-
epistel, Sponsus u. a. finden sich im Altfranz. Übungsbuch von
Foerster und Koschwitz, teilweise auch in den Chrestomathien.
122 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
1. Legendarisches.
1. Brand au s Seefahrt.
Die erste heiligengeschichte. die wir in uuserem Zeitraum
finden, ist das gedieht von Brandans Seefahrt. Sauet Brandan
ist ein irischer heiliger des 6. Jahrhunderts, dem aussei eiuer
Lateinischen vita die schon aus dem 10. Jahrhundert stammende
Navigatio Sancti Brandani gewidmet wurde: diese letzte liegt
dem französischen gedieht zu gründe, welches in England bald
nach 1121, auf veranlassung der zweiten gemahlin Heinrichs I.,
Aaliz (= Adelheid), von einem geistlichen namens Benedeiz
gedichtet wurde. Die paarweis gereimten verse sind durch-
gängig, auch die weiblich ausgehenden, zu acht silben, während
sonst dem männlich ausgehenden achtsilbner der weibliche
vers von neun silben entspricht, d. h. unser gedieht mischt, in
der üblichen terminologie ausgedrückt, männliche achtsilbner
und weibliche siebensilbner.1) Dem inhalt nach ist es nicht
mit unrecht als eine möuehsodysse bezeichnet worden. Auf
der fahrt nach der insel der seligen sieht Brandan mit seinen
geführten die wunderbarsten dinge: so eine insel mit weissen
schafen so gross wie hirsche, einen riesigen fisch, dessen rücken
die Seefahrer für eine insel halten, das vogelparadies, einen
kämpf zwischen zwei grossen fischen, einen kämpf zwischen
greif und drache, auf einem fels im meer den Judas lscharioth
und vieles andere, bis sie das irdische paradies erreichen und
unter fuhrung eines engeis besichtigen dürfen. Irische phantasie
hat die meisten demente zu dieser frommen legende geliefert
— das erste auftauchen keltischer elemente in der französischen
dichtung, freilich zunächst noch vermittelt durch die lateinische
literatur.
Handschriftliche abdrucke: Suchier, Boehmers Rom. Stud.,
1 (1875) 553 ff. (daselbst auch über andere bearbeitungen).
]) Der aufang des gedichts lautet:
Donne~Aaliz la reine, Por les armes HenrHe rci
Par qui valdrat lei diviue, E par lc conseil qui ert en tei,
Par qui creistrat lei de terre Saluet tei mil et mil feiz
E remandrat tante guerre, Li apostoilea danz Benedeiz.
1. Legendarisches. 123
Auracher, ZrP 2 (1878) 438 ff. — Ausgabe: Les Voyages
merveilleux Je St. Brandan p. p. Francisque Michel, P. 1878. Vgl.
II. Calmund, Prolegoniena zu einer kritischen Ausgabe des altfranz.
Brandanlebens, Diss., Bonn 1903. — Über die quelle: II. Zimmer,
ZdA 33 (1889) 129ff., 257 ff. AI fr. Schulze, ZrP 30 (1906) 257 IV.
(nacli ihm wäre nicht die Navigatio, sondern eine verloren ge-
gangene Vita die quelle). Über die lat. Navigatio vgl.: Steinweg, I >i<?
handschriftlichen Gestaltungen der lat. Nav. Br. (Hall, diss.), Rom.
Forsch. 7, 1 ff. — (her eine lat. prosabearbeitung des anglonorm.
gedichts E. Pfitzner, ZrP 35 (1911) 31 ff. — Eine prosabearbeitung
der lat. Nav. im pikardischen dialekt, ende des 13. jhs., wurde
herausgegeben von Carl Wahlund, Upsala 1900 (vgl. A. Schulze,
ZrP 31, 188 ff). Derselbe über eine prov. Übersetzung im Foerster-
band s. 175 ff. Die deutschen bearbeitungen gehen nicht auf
altfrauzösische, sondern lateinische texte zurück.
2. Gregorius.
Nächst dem Braudan vermutlich das älteste, wenn auch
nicht so genau datierbare lieiligenleben ist das noch aus der
ersten hälfte des Jahrhunderts stammende Leben Gregors.
Die erzählung knüpft sich au den namen eines papstes Gregor,
in welchem wir keinen der geschichtlichen päpste dieses
namens wiederzuerkennen vermögen. Ihr inhalt weist wiederum
— wie die Alexiuslegende — auf herkunft aus dem Orient:
die Verwandtschaft mit der Oedipussage ist nicht zu ver-
kennen. Der held der erzählung wird als ein kind der süude,
aus blutschande zweier geschwister, geboren, ausgesetzt, fern
der heimat und ohne kenntnis seiner herkunft, erzogen, wird,
als er erwachsen ist, seinem inneren dränge folgend ein
ritter, heiratet, ohne es zu ahnen, seine eigene matter und
btisst, als alles entdeckt wird, seine und seiner eitern
Sünden 17 jähre lang auf einem einsamen fels im meer, bis
bei der papstwahl eine göttliche stimme ihn als den
würdigsten bezeichnet und so auf den stuhl Petri führt. Das
gedieht ist in regelrechten paarweisen achtsilbnern ge-
schrieben.
Ausgabe von Luzarche, Tours 1856. Vgl. über die hss. Miehl,
ZrP 10, 321 ff, dazu C. Keller, Einl. zu einer krit. Ausgabe der
mittelengl. Gregoriuslegende, Diss. Kiel 1909. — Der Gregorius
Hartmanns von Aue geht auf eine uns nicht bekannte altfrauzösische
version zurück. Zur geschichte der legende vgl. Pauls einleitung zu
seiner ausgäbe des mittelhochdeutschen gedichts, Ha. 1882, 41910.
1-1 I V. Kapitel Die geistliche Literatur Im 12. Jahrhundert.
3. Der Dichter Waee.
Um die mitte des 12. Jahrhunderts hat der auf der insel
Jersey im anfang des Jahrhunderts geborene dichter Wace,
/.ucrst clerc lisant (nach Suchier „dozierender kleriker", nach
Stengel „der die Messe oder den Psalter lesende junge Kleriker")
in Caeu, später kanonikus in Bayeux, mehrere heiligenleben
gedichtet: so — wol als erstes — ein Nieolasleben, zu ehren
des heiligen Nicolaus (von Myra), welcher als Schutzpatron der
Schiffer galt und daher in der Normandie besondere Verehrung
genoss; ferner ein Margaretenleben, in welchem die Schick-
sale einer orientalischen märtyrerin erzählt werden; und
schliesslich ein gedieht auf das Leben der Mutter Gottes,
welches die einfuhrung des festes der Coneeptio Immaculata
in England zur veranlassung hatte. Bestritten ist noch seine
autorschaft eines Lebens des heiligen Georg (von Lyssa).
Überall liegen lateinische Vorbilder zu gründe, im besonderen
für die Mariengedichte apokryphe evangelien und sonstige
Überlieferungen der spätchristlichen literatur. Über seine
Persönlichkeit äussert sich G. Paris, dass er 'nous präsente pour
la premiere fois le vrai type de l'ecrivain de profession. Wace
vivait de sa plume, et aussi de celle de ses copistes; ear il
faisait, quand il avait assez d'argent pour eela, exeeuter de ses
oeuvres des exemplaires qu'il tächait de vendre un bon prix.
Mais il les composait d'abord sur commande, et le premier
patron etait naturellement celui qui payait le mieux'.
Vgl. über Wace G.Paris, Rom. 9, 592 ff., Litt. norm. 25 ff. —
Maistre YVace's St. Nicholas hrsg. von Nicolaus Delhis, Bonn 1850.
— La vie de Ste. Marguerite p. p. A. Joly, P. 1879 (hier auch
über andere bearbeitungen der legende). Die legende erscheint
häufig auch in den provenzalischen, italienischen, deutschen,
englischen u. a. literatirren. — Vie de la Vierge Marie p. p.
V. Luzarche, Tours 1859. Ältere ausgäbe von Mancel et Trebutien,
Caen 1842.
4. Garniers Thomasleben.
Von den besprochenen älteren dichtungen unterscheidet
sich wesentlich die zwischen 1172 und 1176 entstandene
darstellung des lebens von Thomas Beeket, die Vie de saint
Thomas le martyr von Garnier von Pont-Sainte-Maxence. Es
handelt sich hier um die Verherrlichung eines heiligen der
1. Legeudarisches. 125
jüngsten Vergangenheit: 117o war Thomas, erzbischof von
Canterbury, in der kathedrale daselbst — wol nicht ohne
selinld Heinrichs II. — ermordet worden, drei jähre darauf
wurde er heilig gesprochen. Lateinische lind französische
dichtnng bemächtigte sich bald des aufsehen erregenden gegen-
ständes, dichter und pnbliknm nahmen für oder gegen den
künig partei. So kommt hier von vornherein ein subjektiver,
leidenschaftlicher ton in die darstellung. Unser dichter steht
auf seiten des heiligen und gibt seinen Sympathien und
autipathien offen ausdruck, wie aus den im folgenden
wiedergegebenen stücken leicht hervorgeht. Es ist an fang
und schluss des gediehts nebst einigen Strophen, welche
zeigen, wie klar und anschaulich der Verfasser die Vorgänge
schildert. ')
1 Tuit li fisic'ien ue sont ades buen mire,
Tuit clerc ne sevent pas bien chanter ue bien lire,
Alquant des troveors faillent tost a bien dire,
Tels choisist le noalz, ki le rnielz cuide eslire,
Et tels cuide estre inieldre, des altres est li pire.
6 Se nuls vuelt controver et treitier et escrire,
De bien dire se paint, ke nuls n?en puisse rire
Ne par alcune rien s"ovraigne desconfire.
Mette le sens avaut et li mals seit a dire:
Del bien ainende l'uns, et nuls hom n'en empire.
') Das gedieht ist nur in anglonormannischen hss. überliefert, der
Verfasser sagt aber selbst (siehe v. 5S20), dass er aus Frankreich stammt
und reines französisch schreibt, weshalb die handschriftlichen Schreibungen
e für et, o für ue, u für o oben durch die kontinentalen d. h. francischen
lautformen ie, ue, o ersetzt sind. Der diphthong ei ist noch bewahrt
(noch nicht oi). Hingegen zeigen die hss. bezüglich der auflösung des l
schwanken: autre neben alqwvnt, auch doppelschreibung wie in mauls
und vollständigen Schwund (nach i und ü, wie fiz, nus neben nuls). Für
die spräche des dichters ist wahrscheinlich noch festes l anzunehmen;
auch die Vermischung von ai und ei {seint für Saint) ist wohl erst den
köpfeten zur last zu legen. Auch in den formen finden sich in den hss.
anglonormannismeu, die oben durch die entsprechenden francischen formen
ersetzt sind.
Im einzelnen. Vers 3 faillent a bien d.: 'sie greifen fehl im,
beim gut erzählen, beim dichten". — 10 amende: intransitiv, als gegensatz
zu empire 'wird besser, bessert sich".
120 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
1 1 Tor <;o Tai coinincneie, kc je vuldrai descrire,
Se Jesus Criz le soffre, ki de nos toz est sire,
La v'i'e saint Tomas, celni de Cantorbire,
Ki por sa mere iglise fu ocis par martire :
Or est halz sainz el ciel, nuls nel puet contredire.
16 De molt divers corages et de diverse v'i'e
,Sont en cest siecle gent, n'est nuls hom quil drsd'iV:
Plusoi ont poverte, li alquant raanant'ie;
Alquant aiment le sen et plusor la fol'i'e;
Li alquant aiment Den, Satan les plusors gu'i'e.
21 Seignor, por amor Deu et por salvac'i'on,
Laissiez la vanite, entendez al sermon.
N'i a celui de vos, ki n'entende raison.
Laissiez del tot ester le conseil al felon:
Malvais est li guaainz, ki torne a damnaison!
2G Et Deu et seinte iglise et les clers honorez,
Les povres herbergiez et paissiez et vestez,
Et voz dimes par tot dreiturelment donez;
Des pechiez criminals de trestoz vos guardez!
Veiremcnt le vos di, Damnedeu aorez.
31 Molt par fu sainte iglise en cel tens defolce,
Et del conseil le rei a grant tort demenee;
Deus en seit merciez, ki or l'a regardee!
Par saint Tomas sera trestote relevee,
Ki en sofri de mort de son gre la colee.
36 Faire soleit li reis as clers et force et tort,
S'a forfait fnssent pris, ja n'i cnst resort
K'il nes fesist jugier as lais a lor acort.
Saint Tomas les maintint: n'ourent altre confort;
Por eis se conbati tant k'en soft'ri la mort.
5101) La meisnieo al Satan est el mostier venue
En sa destre main tint chaseuns s'espee nue,
En Pautre les cuigniees et li quarz besagiie.
Un piler ot iluec, la volte a sostenue,
Qui del saint arcevesqne lor toli la vöue .
5411 D'nne part del piler en sont li trei ale,
„Le tra'itor le rei" ont quis et demande.
Keinalz de l'altre part un moine a encontre.
38 K'il nes f.: nes = ne les, ne pleonastisch wie nach iviter.
Sinn
des ganzen: 'es hätte kein ausweichen, keine hilfe dagep " gegeben, dass
er sie durch die laien hätte nach ihrem belieben richten lassen'.
1. Legcudarisches. 127
Demanda „l'arcevcsque", dune a Li sainz parle:
.. Reinalz, se tu me quiers", fait il „ci m'as trovfi".
5410 Le non do traitor sainz Thomas n'entendi,
Mais al non d'arcevesque restut et ateudi,
Et eueontre Roinalt dcl degre descendi.
.. Reinalz, so tu me quiers, trove" fait il „m'as ci".
Rar l'acor del mantel l'aveit Reinalz saisi.
"'121 „Reinalz, tanz biens t'ai fait" fait li bnens ordenez
„E que quiers tu sor mei en sainte iglise armez?"
Fait Reinalz li fiz Urs: „Ccrtes vos le savrez".
Sachic l'aveit a sei, qne toz fu remuüz.
„Tnü'tre le rei estes" fait il „§a en veudrez!"
2426 Car hors del samt mostier tra'i'uer le cuida.
Bien crei que sainz Thomas cele feiz s'a'i'ra
De $o que eil Reinalz le detraist et sacha.
Si ad enpaint Reinalt qu'ariere reusa
E l'acor del mantel hors des mains li sacha.
5431 „Fui, malvais hom, d'ici!" fait li sainz coronez
„Jo ne sui pas traitre, n'en dei estre retez".
„Fuiez!" fait li Reinalz, quant se fu porpensez.
„Nel ferai", fait li sainz „ici me troverez
Et voz granz felon'ies ici acomplirez".
5430 Devers Tele del nort s'en est li ber alez
Et a un piler s'est tenuz et acostez.
Entre dous alteis est eil pilers maiserez:
A la mere Deu est eil de desoz sacrez,
El non saint Beneeit est li altre ordenez.
5441 La l'ont trait et mene li ministre enragie:
„Assolez" fönt il „cels qui sont escomengie
Et cels qui sont par vos suspendu et lacie".
„N'en ferai" fait il „plus que je n'ai comencie".
A ocire l'ont donc ensemble manacie.
5446 Fait il: „Do voz manaces ne sui espoentez;
Del martire sofrir sui del tot aprestez.
.Mais les mienz en laissiez aler, nes adesez,
Et l'aites de mei sol 50 que faire devez".
N'a les suens li bnens pastre a la mort obl'i'ez.
5451 Ainsi avint de Deu quant il ala orer
Desor mont Olivete la nuit a l'avesprer,
E eil li comencierent, quil ([uistrent, a cr'i'er:
„0 est li Nazareus?" — „Ci me poez trover",
Fist lor Deus ,, mais les miens en laissiez toz aler".
128 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur Im 12. Jahrhundert.
5811 Guarniers li clera del Tont fiue ci son sermon
Del martir saint Thomas et de sa passYön,
Et mainte feiz le list a la tombe al baron.
Ci n?a mis un sol uaot sc la verite non.
De ses mesfaiz li face li pius Deus veir pardon.
5816 Aiuc niais si buens romanz ne fu faiz ue trovez.
A Canturbire fu et faiz et ameudez.
N'i ad mis un sol mot qui ue seit veritez.
Li vers est d'une riuie en eine clauses coplez.
Mes languages est bucns: car en France fni nez.
5^-21 L?an secont que li sainz fu en s'iglise öcis,
Comengai cest romanz et molt m'en entremis.
Des privez saiut Thomas la verite apris.
Mainte feiz en ostai 90 que jo ainz escris,
Por oster la men^onge. AI qnart an fin i mis.
5826 I90 sachent tuit eil qui ceste v'ie orrout,
Que pure verite par tot o'ir porront.
Et 50 sachent tuit eil qui del saint traitie out,
0 romanz o latin, et cest chemiu ne vont
0 el dient que jo, cöntre verite sont.
5831 Or pnons Jesu Crist, le fil saiute Marie,
Por amor saint Thomas nos doinst la söe aie,
Que riens ne nos sofraigne a la corporal v'ie
Et si nos esneions de seculer folie
Qu'al morTaut aions la söe conipaignie. Amen.
Ausgaben von Immanuel Bekker, B. 1838, von C. Hippean,
P. 1859. Kritische ausgäbe angekündigt von Wendelin Foerster
(dem ich die materialien zu den hier gegebenen stücken verdanke).
— Vgl. noch E. Estienne, La vie de St. Th. Etüde liist., litt, et
philologique. Nancy 1883. — Dem anfang des 13. Jahrhunderts
gehört das Thomaslcben des mönchs Benedeit von St. Alban (Eng-
land), hrsg. von Michel in Waces Clironique des ducs de Normandie,
der mitte des 13. Jahrhunderts ein drittes, anonymes Thomasleben,
hrsg. von Paul Meyer (Soc. d. anc. t. 1885).
5. Sonstige Heiligenlegenden.
Das werk Garniers bleibt mit der Verehrung eines modernen
heiligen vereinzelt. Um so reicher sind die heiligen der älteren
zeit in der französischen diehtung gegen ende des 12. Jahr-
hunderts vertreteD. Aus der ersten hälfte des Jahrhunderts
bleibt hier nur noch die neue bearbeitung des alten Alexius-
lebens in laissenform zu erwähnen (vgl. kap. I, 4 anni.). Nach
1. Logendarisclies. 129
Brandan ist Patrick der zweite irische heilige, der uns hier
begegnet: am 1190 hat die schon vorher durch versnovellen
und fabeln bekannt gewordene dichterin Marie de France
(d. i. aus Frankreich) nach lateinischer vorläge das 'JEspurgatoire
de St. Patrice' gedichtet und darin sowol eine Schilderung
des fegefeuers als auch des orts der seligen gegeben, als
gewährsmann den ritter Owen nennend, welcher diese statten
in 24 stunden durchwandert haben soll. Auch das leben der
irischen heiligen Modwenna fällt noch in dieselbe zeit oder
nicht viel später. Von angelsächsischen heiligen wird um
diese zeit der heilige Edmund, der im jähre 870 im kämpfe
gegen die Dänen gefallene könig von Ostangeln, durch Denis
Piramus gegenständ der dichtung. Französische heiligenleben,
welche hierher gehören, sind das des — im 7. Jahrhundert
wirkenden — heiligen Egidius, der von dem englischen
kanonikus Guillaume de Berneville in der Vie de St. Gilles
verherrlicht wird; des heiligen Eemigius, der den Chlodovech
getauft, von dem dichter Kicher; das der heiligen Genoveva
von Renaud. In das Vaterland der märtyrerin Eulalia (siehe
kap. I) führt uns das leben des auf dem rost gebratenen
heiligen Laurentius, dessen legende wiederum ein in England
lebender dichter behandelt.
Mit nicht geringerer neigung aber als den abendländischen
heiligen wante man sich denen des morgenlandes zu, deren
legenden häufig in noch viel höherem masse als jene den
einfluss üppiger phantasie und volkstümlicher erzählung er-
kennen lassen. Nachdem die dichtungen über Alexius, Gregorius
und Nicolas vorausgegangen sind, die — durch Vermittlung-
lateinischer viten — entweder ihren beiden oder die mit
demselben verbundene geschichte aus dem Orient erhalten
haben, folgt jetzt eine dichtung über die mannigfachen folter-
qnalen und Wundertaten des heiligen Georg, von Simon de
Freine gegen 1200 in siebensilbnern verfasst, während autorschaft
und abfassungszeit einer anderen bearbeitung derselben legende
unsicher ist (vgl. oben Wace). Derselben zeit, wenn nicht schon
dem anfang des 13. Jahrhunderts, gehört eine episch gefärbte
bearbeitung der Placidas-Eustachiuslegende an, welche
neben den legeudarischen auch zahlreiche romanhafte demente
enthält (Placidas, auf der jagd durch das erscheinen eines
Voretzsob, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auflage. Q
130 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
kreuzes über dem geweih eines verfolgten birselies bekebrt,
erhält in der taufe den namen Eustachius, muss dünn allerlei
unglück, Verarmung, trennuug von seiner familie, erdulden,
wird endlicb mit den seinen wieder vereinigt und erleidet mit
ibnen standbaft den märtyrertod).
Sehr zahlreich sind unter den dichtungen orientalischer
Herkunft namentlich die über weibliche heilige, von denen,
ausser dem oben erwähnten Margaretenleben von Wace, dem
12. Jahrhundert noch gehören: das leben der heiligen büsserin
Marie von Egypten, sowie das der heiligen Thais, welche
beide aus weltkindern zu büssenden einsiedlerinnen wurden
(das gedieht von Thais wurde anfang des 13. Jahrhunderts von
dem Verfasser des Föhne moral in dieses sein lehrgedicht mit
übernommen); die heilige Catherina, deren legende von der
nonne Clemence de Berekinge in England gedichtet wurde;
die heilige Euphrosyne, welche kühn die Versuchung selbst
aufsucht und tapfer besteht (in der form der chansons de
geste, aber mit dem normalmass von zehn alexandrinern für
die durchgereimte strophe). Das 13. Jahrhundert fügt zu diesen
dichtungen neubearbeitungen der schon behandelten legenden
sowie zahlreiche neue legenden hinzu.
Ausgaben: Espurgatoire de St. Patrice zuerst in Roqueforts
Poesies de Marie de France, P. 1820, bd. 2, neuerdings von
T. Atkinson Jenkins, Chicago 1894 und 1903. Vgl. Phil, de
Feiice, L'autre monde, P. 1906. — Vie Seint Edmund le rei, publ.
by Florence Leftwich Ravenel, Philadelphia 1906. — Vie de
St. Gilles p. p. G. Paris et A. Bos, P. 1881 (Soc. d. anc. t.). — (Euvres
de Simund de Freine p. p. J. E. Matzke, P. 1909 (Sdat) s. 61 ff. —
C. Ott, Das altfr. Eustachiusleben (nach Bibl. Nat. f. fr. 1347), RF
32, 481 ff., auch separat (Erlangen 1911). — Im übrigen vgl. die
bibliographischen angaben bei G.Paris § 145 ff, Petit de Jullevillc
I, 47 ff und Gröber s. 641 ff. — Über Wilhelm von England siehe
kap. VIII.
6. Marienverehrung.
Im engen Zusammenhang mit der Heiligendichtung steht die
Verehrung der Mutter Gottes, wie sie uns zuerst in französischer
dichtung bei Wace begegnet ist. Aber die lateinische diehtuug
hatte auch Hier schon kräftig vorgearbeitet. Waces gedieht
beruht auf lateinischer vorläge. Vor allem war die Jungfrau
Maria im 11. und 12. Jahrhundert gegenständ zahlreicher
2. Biblische Stoffe. 131
erzählender dichtungen geworden, in welchen sie zur bekeliruug
eines Sünders oder zur rettung eines getreuen handelud ein-
greift: es sind die sogenannten mirakel, wie solche auch
von anderen heiligen kursierten. Meist aber wurden sie auf
die Mutter Gottes bezogen und im 12. Jahrhundert mehrfach zu
mirakelsammlnngen zusammengefasst. Aus diesen lateinischen
niiiakeln gehn nun in der folgezeit teils einzelne französische
gedichte {contes pieux, coittes dcvots), teils ganze mirakel-
saimnlungen in französischer spräche (miracles) hervor.
Neben Wace ist als Verfasser eines Marienlebens der
um die mitte des 12. Jahrhunderts dichtende Hermann von
Valenciennes, kanonikus daselbst, zu nennen, der auch die
Genesis in versen bearbeitet hat. Die einzelnen mirakel-
dichtungen gehören im wesentlichen erst dem 13. Jahrhundert
an. Dagegen finden wir noch im 12. Jahrhundert — vielleicht
schon mitte des 12. Jahrhunderts anzusetzen — eine 42 legenden
umfassende Sammlung von dem anglonormannischen mönch
Adgar. Die einzelnen geschienten lassen sich sämtlich in
lateinischen Sammlungen nachweisen, nach seiner eigenen
angäbe hat er auch tatsächlich aus dem latein übersetzt, aber
seine eigentliche vorläge, das von ihm zitierte buch des meister
Älbi, ist uns nicht bekannt. Allem anschein nach hat sich
Adgar eng an seine vorläge gehalten und erzählt so die
geschichte von dem judenknaben, der mit seinen christlichen
altersgenossen zur christenkirche geht und durch Maria in dem
glühenden ofen, in den ihn der zornige vater wirft, lebend
und heil bewahrt wird; von dem kranken mönch, der von
der Mutter Gottes mit ihrer milch geheilt wird; das leben der
Maria von Egypten, die Theophiluslegende u. a.
Vgl. im allgemeinen: Adolf Mussafia, Marienlegenden, Wien
1887 — 1898 (s. o.). — Adgars Marionlegenden hrsg. von Carl
Neuhaus, Heilbronn 1886, Afr. Bibl. 9.
2. Biblische Stoffe.
Nicht in demselben masse wie die legenden waren die
biblischen erzählungen gegenständ von Übersetzungen und
bearbeituugen: das unterhaltende element war hier weniger
9*
132 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
stark als dort vertreten, belehrung fanden die laien zur genüge
in epistel und predigt, ein näheres interesse daran hatten
zunächst nur die geistlichen, welche zudem in der regel über
eine hinreichende kenntnis des lateins verfügten, um die Vulgata
zu verstehen. Erst mit der Waldenserbewegung beginnt sich ein
stärkeres interesse der laienweit an einer Bibelübersetzung zu
dokumentieren, doch sind uns von 'diesen durch Petrus Valdus
gegen 1170 veranlassten auszügen aus der Bibel nur wenige
fragmente erhalten.
Prosaübersetzungen.
Die ältesten Übersetzungen, die wir nach der Passion des
10. Jahrhunderts finden, sind für den gebrauch von geistlichen
bestimmt, in prosa, meist in wörtlicher wiedergäbe des
lateinischen textes der Vulgata, daher für uns im wesentlichen
nur von sprachlichem interesse:
Zwei Übersetzungen des Psalters, wahrscheinlich im
anfang des 12. Jahrhunderts angefertigt, der ursprünglich aus
dem kloster Montöbourg stammende sogenannte Oxforder
Psalter (nach dem sogenannten psalterium gallicanum) und der
aus Canterbury stammende sogenannte Cambridger Psalter,
eine interlinearversion zu der von Hieronymus auf grund des
hebräischen Urtextes gefertigten lateinischen Übersetzung (dem
sogenannten psalterium hebraicum);
die um 1170 in England entstandene, aber auch in
mehreren festländischen handschriften überlieferte Übersetzung
der Vier Bücher der Könige (inbegriffen die zwei Bücher
Samuelis), deren Verfasser sich gegenüber dem original manche
freiheit gestattet, durch erläuternde zusätze das ganze seinen
lesern nahe zu bringen, Widersprüche auszugleichen, allzu
realistische ausdrucksweise zu mildern sucht und gelegentlich
reime in seine prosa einmischt;
aus dem Neuen Testament eine frühestens in das ende des
12. Jahrhunderts gehörende Übersetzung der Apocalypse.
Vgl. im allgemeinen Samuel Berger, La Bible francaise. —
Ausgabo der beiden psalter durch Fr. Michel: Libri Psalmorum
versio antiqua Gallica (Oxford), P. 1880, und Le Livrc des Psaumes
(Cambridge), P. 1876. — Les quatro livres des rois p. p. Le Ronx
de Lincy, P. 1841. Li quatre livre des reis hgg. v. Ernst R. Curtius,
Dresden 1911 (GrL 26). Bruchstück im Afr. Übungsbuch 8. 191—206.
2. Biblische Stoffe. 133
Das Hohelied.
Von den versbearbeitungen ist als ältestes und merk-
würdigstes stück die paraphrase des Hohenliedes an die
Bpitze zu stellen, welche von einigen sogar noch dem ende
des 11. Jahrhunderts zugeschrieben wird. Die form der sog.
schweifreimstrophe scheint dem Vorbild der geistlichen dichtuug,
der lateinischen sequenz, nachgebildet zu sein, berührt sich
aber durch die Verbindung mehrerer miteinander assonierender
zehnsilbner mit abschliessendem kurzvers auch mit der strophen-
form der weltlichen lyrik, besonders der chanson ä toile (siehe
das folgende kapitel). Auch die Stilisierung des anfangs
(strophe2ff.) gemahnt an weltliche dichtgattungen: ')
1 Quant li Bolleiz couverset en leoD, I
Eu icel teus qu'est ortus pliadon,
Per uut matin
4 Une pulcellet odi inolt gent plorer II
Et son ami dolcement regreter
Co jo lli dis:
7 „Gentilz pucellet, molt t'ai odit plorer III
E tum ami dolcement regreter.
Et chi est illi?"
ld La virget fud de bon entendement, IV
Si respoudiet molt avenablement
Por son ami:
!) Der dialokt des Stückes scheint nach dem osten zu weisen (früher
Übergang von en zu an: 49ff., Jerusalem im reim zn amant), einzelnes
(verstummen von auslautendem t, ab für ot ■*— apud) besonders nach dein
Südosten. Die Schreibung zeigt manches bemerkenswerte: erhaltung des
intervokalen 11 {pulcellet, nulle: vielleicht latinismus), darnach auch
nnorganiaches 11 (solleiz); ferner Verdoppelung in liaison (jo^lli dis,
enn^ested); zahlreiche unorganische -t (unt = un, virget = virge: um-
gekehrte Schreibung, da dem kopisten auslautendes t, d überall stumm
war) und ebenso unorganische -z; vertauschung von auslautendem m und n
{tum = tun ton); ei für e <— d {seit <— sapit). — In dem oben gedruckten
text sind it nud r, i und j voneinander geschieden, die übrigen eigenarten
beibehalten.
1—2 leon Sternbild des löwen, pliadon Siebengestirn; die form
erklärt sich aus dem griech. genitiv (>} tJitzoXij xd>v TLktiäSwv — ortus
Pliadon). — 9 illi: einsilbig (metrum!), also wohl = iL — 10— 12:
lückenhaft überliefert und z. t. ergänzt. Por: hs. so.
13 I IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
13 „Li miens ainis, il est de tel paraget V
Qae neuls on nen seit conter lignaget
De l'nne part.
16 II est plus gensz que solleiz enn ested, VI
Vers lui no puet tenir nulle clartez,
Tant par est belsz.
19 Blans est et roges plus que jo nel sai diret, VII
Li sueus senblansz nen est cntrelz cent ruilic
21 Nc ja nen iert . . .
Die Jungfrau (die christliche kirche) erzählt weiter, welche
Schönheiten ihr geliebter (Christus) an ihr gepriesen, wie sie
ihrerseits nach ihm gesucht habe und von den Wächtern
misshandelt worden sei. Vor 5000 jähren hat er eine andere
freundin gehabt, aber verlassen, da sie nicht de bei servise
war, und dann die Jungfrau erwählt. Abraham, Isaak, Jakob
und andere hat er ihr als boten gesant, durch seinen letzten
boten hat er sie für sich begehrt.
Das Vorhandensein einer normannischen versbearbeitung
aus der ersten hälfte des Jahrhunderts bezeugt Samson von
Nanteuil (mitte des 12. Jahrhunderts, siehe folgende seite).
Eine ausführliche paraphrase des Hohenliedes, in engerem
anschluss an den Bibeltext, gab zwischen 1176 und 1181 Landri
von Waben (bei Montreuil-sur-Mer) für den grafen Balduin IL
von Guines und Ardres.
Text des ältesten Hohenliedes im Afr. Übungsbuch, vgl. dazu
Koschwitz, Cornmentar. Jean Acher, Essai sur le poeme Quant IL
solleiz, ZfSL 28 (1911) 47 ff. — Wegen der beiden anderen siehe
Suchier, ZrP 8 (1884) 413 ff.
Andere Versbearbeitungen.
Eine reihe von bearbeitungen einzelner teile des Alten
und Neuen Testaments in versen ist noch im 12. Jahrhundert
entstanden, die erzählenden stücke teils, wie die älteren
legenden, in reimpaaren, teils in der form der chansons de
geste, die lyrischen stücke meist in reimpaaren, wobei sowol
der sechssilbner als auch der achtsilbner erscheint. Grosse
20 senblansz: sein aussehen, seines gleichen. — entrelz: entre
les; hs. entreiz, das nieist als intra ijpsum (ij)sos) erklärt wird (lat. text:
electus ex millibus).
2. Biblische Stoffe. 135
Selbständigkeit und dichterische kunst ist diesen bearbeitungen
meist nicht nachzurühmen.
Von den beiden bearbeitungen der Genesis ist die ältere,
diejenige des obengenannten Hermann von Valenciennes,
aus der mitte des 12. Jahrhunderts, zugleich auch die dichterisch
höherstehende, freiere, nicht nur in der metrischen form, sondern
auch im stile der chansons de geste gehalten, während die
jüngere, in achtsilbigen reimpaaren von Evrart (oder Evrat)
zwischen 1192 und 1200 für Marie de Champagne gedichtet,
meist den Bibeltext, unter einmischung von glossen, wiedergibt.
Für dieselbe fürstin Marie wurde auch der 41. psalm
(Eructavit cor meum verbum honum) in achtsilbigen reimpaaren
übersetzt und erläutert (zwischen 1181 und 1187 — ob wirklich
durch Adam von Perseigne, ist sehr ungewiss). Jeder satz des
Vulgatatextes gibt dem Verfasser anlass zu ausführlichen, z. t.
recht weit hergeholten erörterungen, so dass der kurze psalm
(rund 40 Zeilen) hier zu einer dichtung von 2168 versen auf-
geschwellt erscheint. Gegen ende des Jahrhunderts entsteht
auf grund des Oxforder Prosapsalters eine vollständige
versbearbeitung des Psalters in sechszeiligen Strophen mit
schweifreim (aab — ccb), in versen von je sechs silben.
Die Sprüche Salomonis wurden schon um die mitte
des Jahrhunderts von Samson de Nanteuil in England in aus-
führlicher, dichterisch ausgezeichneter darstellung behandelt.
Um diese zeit ist auch die in normannischer mundart
verfasste Geschichte Josephs {Estoire Joseph) entstanden,
in sechssilbigen reimpaaren, im wesentlichen auf grund der
erziihluug im ersten buch Moses', am schluss durch eine
vergleichung von Josephs leben und handeln gegenüber vater
und brüdern mit dem erlösungswerk Christi bereichert.
Die älteste bearbeitung der Bücher der Makkabäer
gehört erst dem ende des 12. Jahrhunderts (oder dem anfang
des 13. Jahrhunderts) an. Kur in einem kleinen bruchstück
erhalten, zeigt sie durchaus epische form (laissen aus zehn-
silbnern) und darstellung.
Endlich lässt sich hier, im weiteren sinne, auch noch das
gedieht von der Zerstörung Jerusalems {La Venjeance
nostre Seiyneur) anreihen, das zwar keinen biblischen stoff im
eigentlichen sinne behandelt, aber die Zerstörung Jerusalems
136 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
(durch Titas i. j. 70) als strafe für die kreuzigung Christi
hinstellt, mit der angeblichen lioilung des kaisers Vespasian
durch das schweisstuch der heiligen Veronica in Verbindung
bringt und zum schlnss Vespasian, Titas und sein volk
Christen werden lässt. Das in der form der chansons de geste
(alexandrinerlaissen) verfasste gedieht gehört erst dem ende
des 12. Jahrhunderts an.
Vgl. im allgemeinen Bonnard. Eine probe von Hermanns
Genesis bei Bartsch et Horning s. 101 ff., von Evrarts Genesis
s. 303 ff, von Samsons Proverbia s 149 ff. — Eructavit, pnblished
by T. Atkinson Jenkins, Dresden 1909 (GrL 20). — Histoire de
Joseph hrsg. v. W. Steuer, Erlangen 1903, (RF 16), besser von
E. Sass, L'Estoire Joseph, Dresden 1906 (GrL 12). — E. Stengel,
Frammenti di una versione libera dei libri dei Maccabei, Rivista
di fil. rom. 2 (1875) 82 — 90. — Zur Zerstörung Jerusalems siehe
Walther Suchier, ZrP 24 (1900) s. 161 ff, 25 s. 94ff
3. Kultusdichtung und Predigt.
Wie oben bemerkt, fanden die laien ihr bedürfnis nach
Bibelkenntnis in erster linie durch den kultus, durch epistel
und predigt befriedigt. War seit dem konzil von Tours, 813,
schon die predigt in der Volkssprache vorgeschrieben, so
fand diese nun auch bald in andern teilen des kultus eingang,
wo zunächst das latein geblieben war, indem man auf den
lateinischen text eine erläuterung in der Volkssprache folgen
Hess oder ihn schliesslich ganz durch den französischen text
ersetzte.
Vgl. im allgemeinen: Edelestand du Möril, Poesies populaires
latines anterieures au 12e siecle, P. 1845 (dazu Magnin, JdSav
1844, 1 — 20); Melanges archeologiques et litteraires, P. 1850.
L. Gautier, Histoire de la poesie liturgique au m. ä. Les Tropes I.
P. 1886.
1. Stopfepistelu.
Die lateinisch verlesene epistel wurde dem Verständnis
des publikums durch eine Umschreibung in der vulgärsprache
und zwar in dichterischer form nahe gebracht. Solche fareitnren
oder stopfepistelu wurden zuerst und am häufigsten auf den
3. Kultusdiclitung und Predigt. 137
Stepbanstag (26. dezember), auf die erzählung vom märtyrertod
des heiligen Stephan (Apostelgeschichte VI, 8—10, VH, 54—59)
gedichtet. Die älteste uns bekannte dichtnng der art — meist
den ältesten Sprachdenkmälern zugerechnet — • gehört zeitlich
der ersten hälfte des 12. Jahrhunderts, mundartlich der
Tonraine an. Es sind insgesamt zwölf Strophen zu je fünf
durch gleichen reim verbundenen zehnsilbnern, in der regel
entspricht je eiue strophe je einem vers der lateinischen
epistel.
Ausserdem existieren zahlreiche jüngere Stephansepisteln,
ferner ebensolche Stopfepisteln auf Epiphanias, den Johannistag
und das fest der unschuldigen heiligen (Apocolypse XIV), teils
in reimpaaren, teils in laissenform verfasst.
Text der ältesten epistel im Afr. Übungsbuch (dort bibliographie),
bei Stengel, Bartsch u. a., vgl. dazu kommentar von Koschwitz.
Siehe ferner Th. Link, ZrP 11, 22 ff.
2. Dramatisches.
(Sponsus — Adamsspiel — Niklasspiel.)
A. Allgemeines. Wie die stopfepisteln sind auch die
ältesten dramatischen versuche aus dem kultus hervorgegangen
und hier wiederum der rücksicht auf das laienpublikum ent-
sprungen „um das ungelehrte volk im glauben zu stärken",
wie gelegentlich bemerkt wird. Im anschluss an den Bibeltext
bildeten sich zunächst lateinische responsorien, wechsel-
gesänge zwischen priester und gemeinde oder zwischen zwei
halbchören, heraus. Seit dem 10. Jahrhundert wurden diese
responsorien durch sogenannte tropen (textparaphraseu unter
Wiederholung der voraufgehenden melodie) erweitert. In solcher
weise linden wir vor allem den Ostertext, die auferstehung
Christi, in dialogform behandelt. Im Zusammenhang damit
stellte man die bestattung des kreuzes dar, dann auch die szene
am grabe, wobei ein klosterbruder den engel darstellte, drei
andere die frauen, welche Christi leichnam suchen. Indem
mau den darstellen] auch den gesungenen dialog in den mund
legte, entstand das liturgische Osterspiel. Zu der szene von
der Verkündigung von Christi auferstehung durch den engel
am grabe kamen bald andere Szenen, wie der wettlauf von
Petrus und Johannes nach dem grab, der bericht der Maria
138 IV. Kapitel. Die geistliebe Literatur im 12. Jahrhundert.
Magdalena an die beiden jünger, später aus den wechsel-
gesängen des Weihnachtsfestes das Weihnaclitsdrama, bei
welchem sich zu den szenen aus Christi kindheit darstellungen
der propheten und weiterhin überhaupt stücke aus dem Alten
Testament gesellten.
Die darsteiler waren junge kleriker, ort der platz neben
dem altar, spräche das latein, zuerst in prosa, dann in versen.
Die ältesten aufführungcn der art sind für das 10. Jahrhundert
bezeugt, zuerst in England, bald darauf auch in Frankreich
(besonders in llouen) und Deutschland. Allmählich machte
sich auch hier, wie bei der epistel, das bedürfnis nach vulgär-
sprachlichen texten geltend. Wir finden einzelne französische
verse zuerst als refrains am Schlüsse der lateinischen
Strophen.
Creizenach (oben s. 47) I. bd. — Petit de Julleville, Les
mysteres, P. 1880, 2 bde. Le theätre en France, P. M897. —
E. Lintilhac, Histoire generale du theätre en France I (Le th.
serieux m. ä.), P. 1904. — Mortensen, Medeltids draraat i Fiankiike,
Göteborg 1899, trad. p. Philipot (Le th. fr. au m. ä.), P. 1903. —
G. Cohen, Geschichte der Inszenierung im geistl. Schauspiel des MA
in Frankreich, aus d. franz. übertr. von C. Bauer, L. 1907. —
M. Wilmotte, Etudes critiques s. 1 ff. (La naissance du dramc
liturgique), s. 93 ff. (L'element comique dans le th. religieux.) —
Morf, Aus Dichtung u. Sprache d. Rom. I s. 101 ff. — Willi. Meyer
(aus Speier), Fragmenta Burana, Festschr. d. Kgl. Ges. d. Wiss. zu
Göttingen, 1901, e. 1 ff.
B. Lateinische Stücke mit eingestreuten französischen
Versen. Solche stücke können als Übergang vom rein lateinischen
zum französischen drama betrachtet werden. In der ersten
hälfte des 12. Jahrhunderts hat Hilarius, ein schüler Abälards,
drei kurze lateinische drameu gedichtet, von denen nur der
Daniel keine französischen verszeilen hat. In der Suscitatio
Lazari redet Martha zu Jesus und darnach zu den Juden in
folgender weise:
Ex culpa veteri,
Damuantur posteri
Mortales fieri.
Boi ai dolor!
Hör est inis frere morz
Por que gei plor —
Mors execrabilis,
Mors detestabilis,
Mors mihi Hebilis!
Lasse, chaitive!
Des que mis frere est morz,
Por que sui vive? —
3. Kultusdichtung und Tredigt. 139
worauf jedesmal noch drei weitere Strophen mit demselben
refrain folgen. In ähnlicher weise ist französisch in eine
nene anrede an Jesus eingemischt. Dieser (dessen reden nur
in lateinisch gehalten sind) heisst den stein vom grabe weg-
nehmen, betet zum Vater und erweckt den Lazarus, mit dessen
huldigung an Jesus das stück schliesst. — In dem Ludus
super iconia sancli Nicolai sind in ähnlicher weise
französische verse in die reden des beiden eingeschaltet,
welcher dem heiligen Nicolaus seine schätze anvertraut und
sie dann, als sie in seiner abwesenheit gestohlen worden sind,
mit hilfe des heiligen wieder zurückerlangt. — Auch in einem zu
Beauvais entstandenen anonymen Daniel werden französische
Worte, und zwar mitten in die lateinische rede, eingemischt
(Vir, propheta Bei, Daniel, vien al rei — Veni, desiderat
parier a tei).
E. Du Meril, Origines latines du theätre moderne, P. 1849,
s. 225 ff. Champollion, Hilarii versus et ludi, P. 1838. Coussemaker,
Dramea litnrgiques au moyen äge, Rennes 1860.
C. Sponsus. Eine regelrechte mischung von latein
und französisch begegnet uns in dem sogenannten Sponsus
(Mystere de Vejpoux), einer 94 verse zählenden dramatischen
szene, welche die erzählung von den klugen und törichten
Jungfrauen wiedergibt, mit einem die ankunft des bräutigams,
d. i. Christi, ankündigenden chor beginnt und nach den
dialogen der törichten Jungfrauen mit den klugen sowie mit
den kaufleuten mit der erscheinung Christi und seinem
Verdammungsurteil über die törichten Jungfrauen schliesst.
Die 48 lateinischen verse geben die dialogischen partien
des Evangeliums, Matthaens 25, 1 — 12, in erweiternder form
wieder und bilden für sich allein das ursprüngliche liturgische
stück. Die 46 französischen verse paraphrasieren, durch freie
Übersetzung des dialogs oder hinzufügen eines refrains,
und erweitern, durch die antwort der kaufleute, den
lateinischen text. Entstanden ist der romanische text in
der ersten hälfte des 12. Jahrhunderts in dem dialekt des
Augoumois, hart an der grenze der provenzalisch- limousinischen
mundart.
1 10 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
Text in Chrestomathien, zuletzt von W. Cloetta, Romania 22
(1803) 177 IT., wo auch über spräche und metrum. Bezüglich dei
entstehung des textes siehe H. Morf, ZrP 22 (1898) 385 ff.
D. Das Ad am s spiel. Gehörte der Sponsus dem Oster-
zyklus an, so finden wir mitte des 12. Jahrhunderts in dem
anglonormannisch überlieferten, aber wahrscheinlich auf dem
normannischen festland entstandenen Adamsspiel ein voll-
ständiges Weilmaclitsdrama, dessen handlung in drei ziemlich
unvermittelt aneinander gefügte teile — sündenfall, Kains
brudermord, auftreten der propheten — zerfällt und sich gerade
durch den letzten teil an den weihnachtszyklus anschliesst.
In einer pseudo-augustinischen predigt nämlich waren die
propheten und personell aufgeführt, welche die ankunft
des Messias geweissagt hatten; die dramatisicrung dieser
predigt ergab das lateinische prophetenspiel, das sich wie
das lateinisch-liturgische drama überhaupt allmählich zum
französischen prophetenspiel entwickelte. Der grösste teil
unseres Stückes freilich, nahezu 600 verse (achtsilbige reim-
paare, gelegentlich von vierzeiligen Strophen in zehnsilbneru
unterbrochen), stellt den sündenfall dar, etwa 150 verse entfallen
auf den tod Abels, der rest von 200 versen auf die propheten
von Abraham bis auf Nebukadnezar, der die geschiente von
den drei männern im feurigen ofen erzählt. Mitten in seiner
rede bricht das stück ab. In den beiden ersten teilen tritt
auch Gott selbst, als Figura bezeichnet, auf. Auch dämonen
erscheinen, um Adam und Eva nach dem fall zu fesseln und
zur hülle zu schleifen. Das stück wurde vor der kirchentür,
nicht mehr im innern gespielt, was mit der zeit die regel
wurde. Das paradies wurde auf einem erhöhten ort dargestellt
und mit blumen, laub und draperien ausgeschmückt. Zahlreiche
und eingehende bühnenauweisungen (diese in lateinischer
spräche) geben eine klare Vorstellung von ausstattung und
Vorgängen.
Als probe des Stücks und zugleich des älteren geistlichen
dramas folgt hier die Verführung der Eva, an die sich der
teufe! wendet, nachdem er bei Adam keinen erfolg gehabt
(vers 204 — 270 der ausgäbe von Grass. D. = Diabolus,
E. = Eva).
3. Kultusdichtung und Predigt.
141
D.
E.
D.
E.
D.
Eva, (;a sui vemiz a tei. ')
Di mei. Sathan, e tu pur quei?
Jo vuis qaerant tun pro, t'ouor.
Qo dünge Deus !
N'aiez pöur!
Holt a graut tens jo ai apris
Toz les conseils de paraYs.
One partie t'en dirrai.
ür le couience, e jo l'orrai.
Orras uie tn?
Si ferai bien,
Ne te curecerai de rien.
Celeras ni'en?
O'i'l, par fei,
Jer descoverz?
Nenil par mei.
Or uie iuettrai en ta creance,
Ne vueil de tei altre f'iance.
Bien te pues creire a uia parole.
Tu as este" en bone escole.
Jo vi Adain, ruais trop est fols.
Un poi est durs.
II serra mols.
II est plus durs qne neu est fers.
II est malt francs.
Ainz est muH sers.
Cure neu voelt prendre de sei,
Car la preuge sevals de tei.
Tu es fieblette e tendre chose
E es plus fresche que n'est rose,
Tu es plus blanche que cristal,
Que neif qui chiet sor glace en val.
Mal cuple em fist li cnatur:
Tu es trop tendre e il trop dur.
Mais neporquant tu es plus
E
En grant sens as inis tun corrage.
Por 150 fait bon traire a tei.
Parier te vueil, ure i ait fei,
N'eu sache nuls.
Kil deit saveir?
Neis Adam.
Nenil par veir.
Or te dirrai, et tu in'ascute !
N'a que nus dous en ceste rnte,
E Adam la, qui ne nus ot.
Parlez en halt, n'en savrat rnot.
D. Jo vus acoint d'un graut engiu,
Qui vus est faiz en cest gardin:
Le fruit que Deus vus ad dun6,
Neu a en soi gaires bont6;
Cil qu'il vus ad tant defendu,
II ad en soi mult grant vertu.
En celui est grace de v'ie,
De poeste, de seignorie,
De tut saveir, e bien e mal.
E. Qael savur a?
D. Celest'i'al.
A tun bei cors, a ta figure
Bien covendreit tei aventure
Que tu fusses dame del mund,
Del suverain e del parfnnt,
E seussez quanque est a estre,
Que de tout fuissez bone maistre.
E. Est tels li fruiz?
D. Oil, par veir.
Tunc diligenter intnebitur Eva
fructum vetitum, quo diu
eins intuitu dicens:
Ja me fait bien sul le veeir.
D. Si tul maugues,") que feras?
E. E jo, que sai?
') Die Sprache des dichters zeigt ei aus lateinischem freien g, % noch
als ei, auch noch die diphthongeu ie und ue aus freiem e und 0 (während
später anglonormannisch e und 0 dafür erscheinen); dagegen schon ai vor
schwerer konsonauz zu e (maistre: estre). Speziell anglonormannisch ist
u (0) statt ü aus lateinisch (7, daher dur (durum) und criatur (creaturem)
miteinander reimeu können. Das zweikasussystem erscheint nicht mehr
ganz fest.
2) mangues: lies niandtjues, aus mandücas, das zu mandües und
unter einfluss von manducare — mang i er zu mangues (g = di) wird.
142 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
D. Nc rao crerras?
Primes le pren e Adaru duce.
Del cicl avrez sempres curune,
AI creatnx serrez pareil,
Ne vus purra celer cuuseil.
Puis que del fruit avrez mangie,
Sempres vus iert le euer changie,
Conto Deus serrez sanz faillance,
D'egal boute, d'egal puissance.
Guste del fruit!
Ältere ausgäbe des Stücks von Luzarche, Tours 1854, neue
ausgäbe von Karl Grass, Rom. Bibl. 6, Ha. 1891, 21907. — Deutsch
von Elisabeth Grahl- Schulze, Kiel 1910.
E. Das Niklasspiel des Jehau Bodel. Wahrscheinlich
noch am ende des 12. Jahrhunderts, spätestens in den ersten
jahren des 13. Jahrhunderts, wurde schliesslich auch ein
niinikelspiel verfasst, das eine Wundertat des heiligen Nikolas
schildert {Jeu Saint Nicolas). Verfasser ist Jehan Bodel
aus Arras, der auch das epos von Karls Sachsenkrieg und
lyrische poesien gedichtet hat. Das stück zeichnet sich aus
durch starke beimischung weltlicher demente. Es beginnt
mit einem kämpf zwischen beiden und kreuzfahrern, wobei
diese besiegt werden. In realistischer darstellung wird uns
nachher eine gaunerschenke vorgeführt. Eigentlicher mittel-
punkt und verbindendes element des ganzen ist der heilige
Nicolaus, welcher die kraft besitzt, anvertraute schätze sicher
aufzuheben (vgl. s. 139), dem heidnischen könig die diesem
von dieben geraubten schätze wieder verschafft und dadurch
zugleich einen Christen, welcher dem heidnischen könig die
wunderkraft des heiligen gerühmt hatte, das leben rettet.
Das mirakel ist hart an der grenze des weltlichen dranias,
was sich durch die dichterische eigenart oder Vielseitigkeit
Bodels erklärt. Erwähnenswert ist auch der name Auberon
für den schnellen boten des königs: der dichter hat diesen
namen wohl aus einem uns nicht erhaltenen Huonepos des
12. Jahrhunderts von dem zwergenkönig Auberon (vgl. kap. XII)
entlehnt.
Text bei Monmerque et Michel, Theätrc franoais au moyen
äge, P. 1839, s. 157 ff. Vgl. 0. Kohnström, Etüde sur Jehan Bodel,
These de doct., Upsala 1900, s. 41 ff. Georg Manz, Li jus de saint
Nicolai, text mit Untersuchungen, Heid. Diss., Erlangen 1904 (vgl.
A. Schulze, ZrP 30, 101—8).
3. Kultnsdichtung und Predigt. 143
3. Reimpredigt und religiöse Unterweisung.
Uie älteste reimpredigt und zugleich die älteste vollständig
erhaltene predigt in französischer spräche ist die nach den
anfangsworten benannte predigt:
Grant mal fist Adam.
Sie ist im anfang des 12. Jahrhunderts in der Normandie
gedichtet worden, trotzdem die drei vorhandenen hss. sämtlich
in England geschrieben sind. Es ist eins der besten produkte
der geistlichen literatnr, ein selbständig gedachter, nur hier
und da mit einem zitat versehener scrmon, wie der anonyme
Verfasser selbst seine predigt am schluss nennt, in einem flotten
tone und lebhaften metrum vorgetragen. Der Verfasser betont
die gleichheit aller menschen als folge ihrer gemeinsamen
abstammung von Adam und Noah, stellt den reichen das bild
Christi auf dem esel inmitten des niederen Volkes vor, fordert
zum verzieht auf irdische guter auf um des ewigen heiles
willen und verweist auf das jüngste gericht. Weil er für
das einfache volk, nicht für die letres predigt, hat er in der
Volkssprache gedichtet. Die predigt ist also wirklich vor-
getragen worden. Zum flotten inhalt passt der kurzatmige
fünfsilbner in der schweifreimstrophe. l)
Andere Reimpredigten.
Den le omnipotent. Etwas jünger ist die anglo-
normannische reimpredigt Deu le omnipotent, in ähnlicher
') Als beispiel für die form mögen die drei scblussstrophen dienen:
127 A la simple gcnt 128 Por icels enfanz
ai fait simplement le fis en romanz,
un simple sarmuu.
Nel fis as letrez,
car il unt assez
escriz e raisun.
qui ne sunt letre;
car mielz entendrunt
la langue dunt sunt
des enfance use.
129 ür lairai a tant,
ne voil dire avant,
car criem quäl enuit.
Bien at sens d'enfant
qui ceo vait sevant
que toztena li fuit.
Suchier leitet die versform von den mit binnen- und endreim ver-
seheneu lattänisclieu bexametern ab, die sich von selbst in je drei teile
zu fünf silben gliedern:
0 miseratrix, | o dominatrix, | praecipe dictu,
Ne devastemur, | ne lapidemur | grandinis ictu.
111 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
form wie jene. Sie ist durchaus iu asketischem sinn gehalten,
betrachtet als die drei feinde des menschen teufel, well und
fleisch und gibt an, wie man den sieg durch erinnerung an
die heilstat Christi erringen kann.
Guichard von Beaulieu. Von diesem Verfasser, der
wol mit einem anderwärts genannten Guichard III. von Beanjeu
identisch ist, stammt ein sermon de temptacion du stiele, der
ein ähnliches thema behandelt wie der vorige. Vermutlich
sind andere dichtungen des Verfassers verloren gegangen, da
dieser sermon ihm wol kaum den von "Walter Map erwähnten
beinamen 'Homer der laien' eingetragen hätte.
Religiöse Unterweisung.
Im 12. Jahrhundert finden wir eine reihe von vers-
bearbeitungen von glaubensbekenntnis, vaterunser, litanei,
gebeten usw.: so ende des 12. Jahrhunderts ein Credo in
schweifreimen (wie die älteste reimpredigt), ein anderes in
zehnsilbnern, ein drittes in paarweisen zwölfsilbnern ; ein
vaterunser in paarweisen achtsilbnern (nach dem muster der
älteren geistlichen dichtung) und in anderen formen.
Reimpredigt hrsg. von II. Suchier, Bibl. Norm. I, IIa. 1879
(darin Grünt mal f. A. und Deu le omn.). Über Guichard siehe
Rom. I, 248.
4. Moral- und Lehr dichtung.
Ahnliche th einen wie im sermon werden naturgemäss
auch in einer reihe anderer dichtungen behandelt, die nicht
ftir den Vortrag in der kirche bestimmt waren. Mit dieser
moralisierenden literatur ist einerseits die Satire, andererseits
das eigentliche lehrgedicht nahe verwant. Im wesentlichen
beruhen auch diese gattungen auf lateinisch -geistlichen quellen.
1. Tierbücher und Steinbücher.
A. Allgemeines. Die sogenannten Bestiaires und
Lapidaires sind ein stlick mittelalterlicher naturwissenschaft,
•1. Moral- und Lehrdichtang. 145
richtiger mittelalterlichen naturglaubens. Die tierbücher gehen
in letzter linie auf den im 2. Jahrhundert n. Chr. in Alexandrien
entstandenen Physiologus zurück: eine „populäre fabel-
zoologie mit christlich -dogmatischem beiwerke" (Carus, Gesch.
d. Zoologie), die teils aus antiken autoren, wie Aristoteles,
teils aus der Bibel, teilweise wol auch aus der mündlichen
Überlieferung geschöpft hat, in zahlreiche orientalische sprachen
übersetzt worden und durch Vermittlung einer im 4. oder
5. Jahrhundert entstandenen lateinischen Übersetzung auch in
das abendland und die abendländischen literaturen gelangt ist.
Es ist eins der verbreitetsten bücher des mittelalters geworden,
das nicht nur auf die literatur, sondern vielfach auch auf
die bildende kunst, namentlich auf die tierdarstelluugen an
kirchen, gewirkt hat. Der Physiologus berichtet eine reihe
von charakteristischen eigentümlichkeiten einzelner tiere, die
alsdann in christlich -moralischem sinn ausgelegt wurden.
Neben tieren werden gelegentlich auch die eigenschaften
wertvoller steine, wie z. B. die härte des diamanten, in
derselben weise behandelt. Ein aus späterer zeit stammender
Yolucraire, von Osmond, ist gleichfalls aus dem Physiologus
abgeleitet.
B. Philipp von Thaon. Der älteste französische Bestiaire
stammt aus England, von Philipp von Thaon, der vorher bereits
den sogenannten Compoz (s. u.) verfasst hatte. Das um 1125
entstandene tierbuch ist derselben königin Aaliz gewidmet,
welche im eingang des Brandan (s. o.) genannt wird. Philipp
behandelt nacheinander Säugetiere, vögel, steine, zum teil unter
benutzung noch anderer quellen ausser dem Physiologus, zuerst
in sechssilbigen, dann in achtsilbigen reimpaaren. Hier finden
wir die Überlieferung vom vogel phoenix, der sich aus seiner
asche verjüngt erhebt und auf die auferstehung Christi
gedeutet wird; den pelikan, der seine ungeratenen jungen tötet
und mit seinem eigenen blut wieder ins leben zurückruft
(erlösung); das wilde einhorn, das im schoss der Jungfrau
zahm wird (Christus); den diamant, dessen unbesiegbare
härte mit Christus verglichen wird. Als beispiel für die
betrachtungsweise dieser dichtgattung mag die erzählung
vom fuchs dienen, der sich tot stellt und den teufel be-
deutet :
Voretzsch, Studium <]. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 10
146
IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
1775 Vulpis de beste est nuns ')
Que gnpil apeluns.
Gupiz est malt luiriez
E forinent vez'i'ez;
Quant preie volt conquere,
17&0 Met sei en rüge tere,
Tuz s'i enpulderat,
Cume niort se girat;
La gist gule baee,
Sa langue hors getee.
1785 Li oisels ki la veit
Qnide que morte seit,
AI gupil vient volant
La u i'ait niort seniblant;
Lores le volt uiangier,
1790 Si le prent a beehier,
En la buche li met
E sun chief e sun bec:
Li gupiz eneslure
L'oisel prent e devure.
1795 Aiez en renienibrauce,
C'est graut signefi'ance.
Li gupiz signefie
Di'able en ceste vie.
A gent en char vivant
1S00 Demustre mort seniblant,
Taut qu'en mal sunt eutre,
En sa buche ensere;
Dune les prent eneslure
Sis ocit e devure,
1805 Si cum li gupiz fait
L'oisel, quant Tat atrait.
Davit dit en verte:
„Ki ne murent pur De
En main de glaive irunt,
1810 De gupil part serunt".
E Herode en vert6
A gupil fut esine.
E Nostre Sire dit
Par veir en sun escrit:
1815 „Dites a la gupille
Qu'el fait graut inirabille;
A la terre fait lait
Des fosses qu'ele i fait".
Par tere entendum
1820 Urne par grant raisun
E par fosse pechie
Duut om est engignie,
Que d'i'ables i fait,
Par quei ume a sei trait.
1S25 N'en voil or plus traitier,
Altre voil cumeucier.
C. Lapidarien. Für die steinbücher boten sich ausser
den entsprechenden partien des Physiologus noch besondere
Vorbilder in lateinischen, gleichfalls aus dem griechischen
stammenden lapidarien. Ein solches wurde von dem — 1123
verstorbenen — bischof Mar b od von Rennes, vermutlich noch
im 11. Jahrhundert, verfasst. Eine französische versübersetzung
dieses lapidars gehört noch in den anfaug des 12. Jahrhunderts.
Wie das lateinische Vorbild entbehrt auch die Übersetzung
noch die christlichen nutzanweudungen und moralisationen, die
in späteren bearbeitungen nicht mehr fehlen.
!) Der text ist in anglonormannischer mundart gegeben, daher auf
den unterschied von u — o und u = ü zu achten ist. Vgl. im übrigen
das oben s. 125 und 141 zu Tbomasleben und Adamsspiel gesagte.
1782: Zum akkusativ nach cume vgl. AS v. 50. — 1808—10: vgl.
hierzu den lat. text: Intrabunt in inferiora terre, tradentur in manus.
gladii, partes vulpium enwt.
4. Moral- und Lehrdiohtung. 147
Vgl Friedrich Laudiert, Geschichte des Physiologus, Str. 1889.
— Le Bestiaire de Philipe de Thattn p. p. E. Walberg, Luud et
Paris 1900. Vgl. M. F. Mann, Der Phys. des Pli. de Th. und seine
Quellen. Anglia 7 (1884) 420 ff.) — Leop. Pannier, Lee Lapidaires
francais du m. ä., P. 1882 (Bibl. de PEcole des Ilautes Etudes
nr. 52). Bruchstück aus dem alt. Steinbuche auch im Afr. Übungs-
buch s. 175 ff.
2. Moralgedicht und Satire.
Kein christlichen Ursprungs und inhalts ist der Streit
zwischen Seele und Leib (Debat du corps et de l'dme), nach
dem vorbild des lateinischen Conflictus animae et corporis.
Der dialog wird eingeleitet durch eine vision des dichters,
welcher seinen toten körper und daneben, getrennt von ihm,
die seele erblickt. Diese ergeht sich in heftigen vorwürfen
gegen den körper und seine Sündhaftigkeit, während dieser
wiederum die seele als Ursache alles Unheils anklagt. Zum
schluss erscheinen die teufel und führen die seele zur hülle.
Das gedieht, in paarweis gereimten sechssilbnern verfasst
(bei Wright in langzeilen zu zwölf silben gedruckt), gehört
der spräche nach in das erste drittel des Jahrhunderts, nach
England. Das theina hat sich zunächst innerhalb der lateinischen
literatur, besonders in anlehnung an die Visio Pauli und
Visio Macarii, entwickelt, ist aber auch schon früh in den
nationalliteraturen, so schon im 10. und 11. Jahrhundert in der
angelsächsischen literatur, behandelt worden. Unser gedieht
ist auf eine verloren gegangene lateinische Version zurück-
zuführen, aus welcher auch eine norwegische bearbeitung
hervorgegangen ist. Andere französische Versionen folgen im
13. jahrhuudert, und im 14. Jahrhundert verwertet Guillaume
de Diguilleville das motiv in seinem 'Pelerinage de l'äme'.
Ein engverwantes thema behandeln die in wallonischem
dialekt gedichteten Verse vom jüngsten Gericht (Li ver
del jaise), eine art sermon, der auch mit einer vision eröffnet
wird und die reden der seele wiedergibt, welche sie bei der
trennung vom körper — zuerst eines gerechten, dann eines
Sünders — sowie zum jüngsten gericht hält.
Die mahnung an den kommenden tod bildet auch die
grundlage des bussgedichts, das Heiin and (oder Elinand), mönch
von Froidmont (im Beauvoisis), zwischen 1194 und 1197 gedichtet
10*
148 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
und kurzweg Vers de la mort betitelt hat: eine nicht klar
disponierte, aber eindringliche und beredte aufforderung an
hoch und nieder, an geistliche und weltliche grosse zur Pflicht-
erfüllung. Die anschauung, dass mit dem tode alles aus sei,
wird als antik heidnisch gebrandmarkt, den grossen und
reichen wird die hülle in aussieht gestellt, ein demokratischer
grundzug ist so wenig wie in der ältesten reimpredigt (oben
s. 143) zu verkennen. Bemerkenswert ist die allem anschein
nach vom dichter erfundene stropkenform, zwölf aehtsilbner in
der reimfolge aab aab bba bba.
Der durch ein Georgsleben (s. o. s. 129) bekannte Simon
de Freine (in seinen lat. gedienten Simon de Fraxino),
kanonikus zu Hereford in England, hat ende des Jahrhunderts
ein lehrgedicht Roman de philosophie (auch Dame Fortune
genannt) verfasst, das sich als eine freie bearbeitung der
ConsoJatio philo sophiae des Boethius erweist. Das ganze ist
in die form eines dialogs zwischen einem kleriker und der
Philosophie über die vom kleriker hart angeklagte uud von
der Philosophie verteidigte Fortune gekleidet, wie das Georgs-
leben in paarweisen siebensilbnern gedichtet.
Die Unterweisung des Klerikers, eine aus dem ende
des Jahrhunderts stammende bearbeitung der lateinisch ge-
schriebenen Disciplina clericalis des 1106 bekehrten spanischen
Juden Petrus Alphonsi, findet ihren wesentlichen inhalt nicht
so sehr in der moralischen Unterweisung als vielmehr in
den eingelegten erzählungen, schwanken und märchen (vgl.
kap. XI).
Mit dem Livre des Manieres (Buch der Sitten) geht
Estienne von Fougeres, 1168 — 1178 bischof von Rennes.
von der reinen moraldichtung schon mehr in das gebiet der
satire über: in mehr als 300 einreimigen Strophen zu je vier
achtsilbnern eifert er gegen die nichtigen freuden der weit
(wobei er sich auf Salomons Ecclesiasticus beruft), gegen die
Untugenden der verschiedenen stände, zitiert beispiele aus der
geschichte zum abschrecken wie zum nachahmen und wendet
sich zum schluss an die frauen, die zunächst unerbittlich
getadelt, dann aber auch nach ihren guten Seiten anerkannt
werden: Bone fame est moult haute chose, — De bien faire
pas nes repose, — De bien dire partot s'alose, — Bien
1. Moral- und Lehrdichtung. 149
conseilier et hien faire ose. In der form zeigt das gedieht
manche Unebenheiten: unnütze Wiederholungen, gewaltsame
Übergänge, ungelenken ausdruck, auf der anderen seite aber
doch eine gewisse frische des tons und grosse anschaulichkeit
in der Schilderung der sitten seiner zeit.
Eine spezielle satire gegen die frauen ist das Evangile
aux fe mm es, ende des 12. Jahrhunderts, in vierzeiligen
alexandrinerstrophen. Je drei Zeilen singen das lob der frau,
das dann in der vierten zeile durch einen übertriebenen
vergleich in das gegenteil verkehrt wird.
Ausgabe des Dibat von Thomas Wright, The latin poems
coramonlv attributed to Walter Map, London 1841, s. 321 ff. Version
des 13. 'Jahrhunderts von Stengel, ZrP 8 (1884) s. 74 ff., 365 f.
Vgl. Theodore Batiouchkof, Rom. 20 (1891) 1 ff, 513ff, — Ver clel
jiusc hrsg. von IL v. Feilitzen, Rom. 14 (1885) 146 ff. — Vers de
la mort par Helinant, p. p. Wulff et Walberg, P. 1905 (Sdat). —
Simund de Freine, P. 1909 (oben s. 130) s. 1 ff. — Petri Alphonsi
Disciplina clericalis, hgg. von W. Fr. Val. Schmidt, B. 1827, von
A. Hilka u. W. Söderjhelm, Helsingfors 1911, Heid. 1912. Le
Castoiement d'un pere ä son fils p. p. Michael Roesle, München,
Progr. 1898. — Ausgabe des Livre des Munteres von F. Talbert,
P. und Angers 1877; von Josef Kiemer, Marburg 1887 (Stengels
AA 39). — Evangile aux femmes, edited by G. Keidel (Romance
and other studies 1), Baltimore 1895.
3. Sprichwort und Lehrgedicht.
Die gattung des Sprichworts ist teils volkstümlichen, teils
biblischen Ursprungs. Schon oben (s. 135) wurde Samsons
bearbeitung der Sprüche Salomonis erwähnt. So treten
auch sonst die Sprichwörter in der literatur des 12. Jahrhunderts
vielfach in Sammlungen auf, die teilweise wiederum auf
lateinischen Vorbildern beruhen. So wurden die lateinischen
sogenannten D i stich a Catonis (ca. 4. Jahrhundert) im
12. Jahrhundert mehrfach ins französische übersetzt: in sechs-
silbigen reimpaaren von Evrard de Kirkham, in achtsilbnern
von Elie de Winchester. Mehr volkstümlichen Charakter
zeigen die Unterhaltungen zwischen Salomon und Marcoul,
wo dieser den Sprüchen des weisen Salomo seine nüchterne
volksweisheit entgegenstellt. Aus dem volksmund geschöpft
sind auch die Proverbe au v ilain, die am ende des
150 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
12. Jahrhunderts am hofe des grafen Philipp von Flandern,
jedoch in francischer mundart, gedichtet worden sind.
Ein reines lehrgedicht ist der Co7npos (kalender) des
Philipp von Thaon. des Verfassers des ältesten bestiaire. In
diesem früheren, 1113 oder 1119, entstandenen gedieht in
paarweisen sechssilbnern, das er selbst als sermun bezeichnet,
bespricht er in trockener weise die einteilnng der zeit in
stunden, tage, wochen, inonate. die verschiedenen tierzeichen,
das kirchenjahr usw., wobei allegorische umdeutnngen im stile
des Physiologus nebst willkürlichen etymologischen erklärungen
eingeschoben werden: so wird lunsdis „allegorice" als dies
Iuris erklärt und auf Adam im paradies gedeutet, marsdis
ist dies martirii — der ackerbau, mercredis — der dies
mercalis — das verkaufen der erzeugnisse, jusdis — dies
gaudii — die freude darüber.
Die hier genannten sowie spätere sprichwörtersammhmgen
grösstenteils bei Crapelet, Proverbes et dictons, P. 1839, und Le
Roux de Lincy, Livre des Proverbes, P. -1859, 2 bde. — Die ältesten
bearbeitungen der Disticba Catonis bei H. Kühne und E. Stengel,
Mattre Elies Überarbeitungen der ältesten französischen Übertragung
von Ovids ars amatoria, Marb. 1886 (Stengels AA 47) s. 106 ff. —
Li Proverbe au vilain. Die Sprichwörter des gemeinen Mannes.
Hrsg. von A. Tobler, L. 1895. — Über jüngere Sammlungen siebe
Stengel ZfSL 21, lff., und J. Ulrich ebenda 24, lff, 191 ff. Vgl.
auch F. Scboppe, Altfr. Sprichwörter und Sentenzen aus den höfischen
Kunstepen über antike Sagenstoffe, Diss. Greifswald 1905. — Li
Cumpoz Philippe de Thaün, hrsg. von Eduard Mall, Str. 1873 (mit
wichtiger sprachlicher einleitung).
5. Die Fabel.
A. Allgemeines. Wie so manches in der vorher be-
sprochenen literatur, wie die Disticba Catonis, wie die steiu-
bücber, sind auch die fabeln aus dem nichtchristlichen altertum
übernommen. Wir verstehen unter fabel eine didaktische
gattung, welche sich durch Verbindung eines erzählenden
elements (meist aus dem tierleben, hier und da auch aus dem
menschenleben oder aus anderen naturreichen geschöpft) mit
5. Die Fabel. 151
einer daraus gezogenen praktischen lehre charakterisiert. Die
nutzanwendung steht zuweilen in ziemlich losem Zusammen-
hang mit der erzählung, mit dem (ivfroq, ist häutig eine
ganz andere als man zunächst erwartet, vielfach aber ist sie
sichtlich von vornherein auf die moral, auf das ejufivftiov,
zugeschnitten: wir haben unter den fabeln, und zwar schon
unter denen des altertums, teils echte fabeln, die von haus
aus auf belehrung zugespitzt waren, teils tiergeschichten, die
als populärer unterhaltungsstoff, als tiermärchen, umliefen
und willkürlich zu fabeln umgewandelt wurden (vgl. auch
oben s. 79).
Die ältesten schriftlich niedergelegten fabeln finden wir bei
den Indern uud den Griechen, teilweise sogar dieselben fabeln
hier und dort, wobei aber die Griechen nicht lediglich die
empfangenden, sondern auch ihrerseits die gebenden gewesen
sind. Als ältester griechischer fabeldichter wird Aisopos
genannt; die unter seinem namen gehenden prosafabeln sind
aber erst im anfang des 14. Jahrhunderts aufgezeichnet worden.
Teilweise dieselben fabeln hat schon im 3. Jahrhundert n. Chr.
Babrios in hinkjamben bearbeitet. Völlig abhängig von
der griechischen ist die lateinische fabeldichtung, als deren
Vertreter zur zeit des Tiberius Phaedrus mit 5 büchern
fabeln und einem appendix und im 4. bis 5. Jahrhundert
Avianus mit 42 fabeln erscheint. Beide fabelsammlungen
wurden in den rhetorenschulen (vgl. o. s. 10 ff.) viel gelesen
und als grundlagen von Übungen benutzt. Aber nicht unter
dem namen des Phaedrus gingen dessen fabeln auf das
mittelalter über. Zunächst wurde durch unkundige kopisten
die ursprüngliche poetische form, der jambische trimeter,
zerstört, es wurden prosafabeln daraus. In einem später
hinzugefügten prolog behauptet ein gewisser Romulus, diese
fabeln für seinen söhn Tiberinus aus dem griechischen ins
lateinische übersetzt zu haben. Erst ein späteres miss-
verständnis macht diesen Romulus zu einem Romulus imperator.
Jedenfalls aber sind die phädrianischen fabeln ebenso wie
die auf ihnen beruhenden grösseren fabelsammlungen dem
gesamten mittelalter unter dem namen Romulus bekannt und
geläufig. Dieser Prosaromulus wurde nun der ausgangspunkt
neuer lateinischer bearbeitungen in versen, teilweise unter
152 IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
erweiterung durch hinzunahme von fabeln fremden Ursprungs.
Die Verfasser dieser bearbeitungen sind nicht immer bekannt,
daher dieselben teilweise nach ihren ersten herausgebem
benannt werden. Der sogenannte Ilomulus Nilantii, aus dem
13. Jahrhundert, in prosa, enthält nur alte Phaedrusfabeln, im
ganzen 52. Der in England im letzten drittel des 12. Jahr-
hunderts entstandene Uomulus Neveleti zählt 60 fabeln in
distichen und ist zweimal ins französische übersetzt worden,
das erstemal anfangs des 13. Jahrhunderts {Lyoner Yzopd),
das zweitemal im 14. Jahrhundert zusammen mit den fabeln
des Avian (Yzopet- Avionnet oder Yzopet I von Paris). Eine
zwTeite bearbeitung in distichen gab anfangs des 13. Jahrhunderts
der als fruchtbarer und gelehrter lateinischer schriftsteiler
bekannte Alexander Keckam mit seinem Novus Aesopus
in 42 fabeln. Aus diesem flössen im 14. Jahrhundert zwei
französische Übersetzungen, der Pariser Yzopet II und der
Yzopet von Chartres. Diese französischen Übersetzungen, welche
ihren namen wieder von dem alten fabelmeister Aesop herleiten,
gehören sämtlich erst dem 13. und 14. Jahrhundert an. Im
12. Jahrhundert finden wir jedoch den umfangreichsten und
wichtigsten aller französischen Yzopets, den der Marie de
France.
Das bekannteste und wichtigste indische fabelbuch ist das
Fantschatantra, übersetzt von Benfey 1B59, 2 bde., im ersten die
einleitung mit wichtigen stoffvergleichenden beitragen. Neuerdings
übersetzt von Ludwig Fritze. — Aesop, Babrios, Phaedrus, Avian
sämtlich in der Bibliotheca Teubneriana. — Die mittelalterlichen
lateinischen fabeln bei: Hervieux, Les fabulistes latins depuis
le siecle d'Auguste jasqu'ä la fin du m. ä. I — II, P. 1884, 2. aufl.
I — V, P. 1893 — 98. Ferner: Österley, Romulus, die Nachahmungen
des Phaedrus und die äsop. Fabel im MA., B. 1870. Der lat.
Äsop des Romulus und die Prosafassungen des Phaedrus, krit.
Text von G. Thiele, Heid. 1910 (Auswahl ebenda 1910). — Vgl.
Edelestand du Meril, Poesies inedites du m. ä. precedees d'une
histoire de la fable esopique, P. 1854. Jacobs, The fables of
Aesop. I. History of the Aesopic fable, London 1889. B. Herlet,
Studien ü. d. Yzopets, Würzb. Diss. 1889 (auch Rom. Forsch. 4);
Gymn.-progr. Bamberg 1892. L. Sudre in Petit de Jve II, 1 ff. —
Bibliographie, bes. für die ältesten drucke: G. Keidel, A manual
of Aesopic fable lit., 1. fasc. (bis 1500), Baltimore 1896 (No. 2 der
Romance and other Studies). — Die hier erwähnten französischen
Yzopets bei M. Robert, Fables inedites des XIIe, XUIe et XIVe
5. Die Fabel. 153
siecles et les fahles de La Fontaine, P. 1825, 2 bde. Der Lyoner
Yzopet hrs£. von W. Foerster, Afr. Bibl. 5.
B. Die dichterio Marie, aus Frankreich stammend, ist
die älteste französische dichterin, die wir kennen. Sie hat
am englischen hof gelebt und gedichtet und zwar mitte der
sechziger jähre die lais (liebesgeschichten in versen, meist
bretonischer herkunft — vgl. kap. IX und XI), in den siebziger
oder achtziger jähren das fabelbuch, den Esope, und um 1190
das fegefeuer des heiligen Patrick (s. o.). Ihre fabeln sind uns
nicht 80 wichtig durch eine etwaige Originalität der behandlung
(da sie ihrer — uns verloren gegangenen — vorläge im ganzen
treu zu folgen scheint), als durch die neuheit eines grossen teils
von ihnen und durch die frage nach ihrer herkunft. Sie hat im
ganzen 102 fabeln gedichtet, von denen 40 dem Romulus Nilantii
entsprechen: hierunter z. b. die von wolf und schaf am bach,
von Stadt- und feldmaus, vom froschkönig, von löwe und maus,
von der witwe von Ephesus (die den leichnam des toten gatten
opfert um den neuen geliebten zu retten) usw. Von den übrigen
62 fabeln lassen sich die einen in sonstigen lateinischen oder
griechischen fabeln nachweisen, die zum teil auf mündlichem
weg nach England gelangt sein müssen. Die anderen sind
ausgeprägt abendländisch -mittelalterlich, von haus aus wol
germanischen Ursprungs, wie namentlich die geschichten von
fuchs und wolf, fuchs und bärin u. a., die ihre parallelen
meist in deutschen, skandinavischen, auch finnischen tiermärchen
finden.
Marie hat diese verschiedenartigen fabeln nicht selbst
zusammengetragen, das hat vielmehr der Engländer Alfred
getan, den sie als quelle nennt und — darin wol schon einer
vorhandenen tradition folgend — mit dem könig Alfred
gleichsetzt. *) Sie hat also eine englische fabelsammlung
l) Im epilog v. 9 ff. sagt die dichterin :
Pur amnr le cunte Willalme, de Griu en Latin le turna.
le plus vaillant de cest reialme, Li reis Alvrez, ki uault l'auia,
m'entreims de cest livre faire le translata puis en Engleis,
e de TEngleis en Ronianz traire. e jeo Tai rime en Franceis,
Esope apele um cest livre, si cum jol truvai, proprement.
kil translata e fist escrivre,
154
IV. Kapitel. Die geistliche Literatur im 12. Jahrhundert.
Übersetzt, und zwar allem vermuten mich für den grafen
Wilhelm Langschwert, natürlichen söhn Heinrichs II. und dir
Rosamunde Clifford. Wesentlich ist an ihren fabeln nicht
nur das unmittelbare englische Vorbild, sondern auch das
hereinspielen germanischer märchenüberlieferung, die uns bei
der entwicklung der französischen tierepik noch bedeutsamer
entgegentreten wird.
C. Als probe der fabeldichtung folgt hier die altbekannte
fabel von dem fuchs und dem raben mit dem käse, deren
vergleichung mit der ähnlich gearteten Physiologuserzäbluug
von dem sich tot stellenden fuchs (siehe oben s. 146) den
unterschied zwischen allegorischer und didaktischer behandlung
veranschaulichen kann:
Issi avint e bien puet estre1)
que par devant uue fenestre,
ki en nne despense fu,
vola uns cors, si a veü
furiuages ki dedenz esteient
e sur une cleie giseient.
Un en a pris, od tut s'en va.
Uns gupiz vint, si l'encnntra.
Del furniage ot grant desirier
qu'il en peüst sa part mengier;
par engin vohlra essaier
se le corp purra engignier.
'A, Deus sire!' fet li gupiz,
'tant par est eist oisels gentiz!
El niuudc nen a tel oisel!
Unc de mes uiz ne vi si bei!
Fust tels sis chanz cum est sis
cors,
il valdreit mielz que nuls fins ors'.
Li cors s'o'i si bien loer
qu'en tut le munde n*ut sun per.
Purpensez s'est qu'il chantera:
ja pur chanter los ne perdra.
Le bec ovri, si couieuca:
li furmages li eschapa,
a la terre l'estut cha'i'r,
e li gupiz le vet saisir.
Puis n'ot il eure de sun chant,
que del furmage ot sun talant.
C'est essamples des orgnillns
ki de grant pris sunt desirus:
par losengier e par mentir
les puet hum bien a gre servir;
le lur despendent folement
pur fals losenge de la gent.
Ausgabe von Karl Warnke, Die Fabeln der M. de Fr., Bibl.
Norm. IV, IIa. 1898 (ältere ausgäbe von Roquefort, Podsies de
M. d. Fr. 1825). — Vgl. dazu: Ed. Mall, De aetate rebueque
') Die spräche der dichterin ist im wesentlichen francisch, aber mit
einzelnen auglonurmannischen eigentiimlichkeiten. Die Orthographie des
textes ist nicht uniformiert.
5. Die Fabel. 155
Mariac Francicae, IIa. 18»>7; Zur Geschichte der mittelalterlichen
Fabelliteratur, ZrP 9 (1885) 101 fY. Warake, Die Quellen des
Esope der Marie de France, im Suchierband s. 161 ff., auch separat,
Ha. 1900. — Der Esope der Marie de France hat seinerseits
wieder auf die lateinische fabelliteratur gewirkt: der sogenannte
erweiterte Romulus (LBG), den man früher zuweilen als vorläge
der Marie angesehen hat, geht auf ihr werk zurück, ebenso andere
lateinische, italienische und jüdische bearbeitungen. Siehe Warnkes
einleitung; zur ausgäbe.
Fünftes Kapitel.
Die einheimische Liederdichtung
im zwölften Jahrhundert.
Im zweiten kapitel haben wir die für die früheren Jahr-
hunderte vorhandenen Zeugnisse für das Vorhandensein von
Volksliedern zusammengestellt und dabei vor allem liebes-
lieder und spottlieder, ihrer Verwendung nach tanzlieder
und wol auch arbeitsgesänge bezeugt gesehen. Im 12. Jahr-
hundert tritt uns die altfranzösische lyrik in grosser aus-
dehnung und mannigfaltigkeit entgegen, aber zugleich auch
in einer form, die wir nicht ohne weiteres als volksmässig
bezeichnen dürfen. Zum teil handelt es sich vielmehr um
liedgattungen, die sichtlich aus der provenzalischen trobador-
lyrik übernommen, also von aussen her eingeführt und zunächst
nur an den fürstenhöfen gepflegt worden sind. Aber auch die
allem anschein nach autochthouen gattungeu werden meist in
demselben milieu gepflegt, atmen grossenteils ritterlichen, selbst
höfischen geist, und wenn wir in ihnen nachkommen alter
volkstümlicher gattungen erblicken wollen, müssen wir sie erst
des höfischen gewandes entkleiden, mit dem sie sich im laufe
der zeit bedeckt haben, und so, vermutungsweise, die zu gründe
liegende volkstümliche liedgattung zu erschliessen suchen. Von
manchen wird überhaupt jeder Zusammenhang zwischen der
altbezeugten französischen volkspoesie und der kunstlyrik des
12. Jahrhunderts bestritten. Dann bleibt aber die frage völlig
ungelöst, woher denn die einheimischen, nicht erst von den
Provenzalen entlehnten gattungen der kunstlyrik gekommen
sind, die doch irgendwelche Vorgänger in der eigenen literatur
Allgemeines. 13 1
oder in fremder literatur gebabt haben müssen. Und da
für diese gattnngen sowohl das vorbild der provenzalischen
als der lateinischen lvrik sieb aussebliesst, bleibt nichts
anderes übrig, als den keim dazu im einheimischen Volkslied
ZU suchen.
Wir können also drei stufen in den anfäugen der fran-
zösischen lyrik unterscheiden: erstens das reine Volkslied, wie
es uns so oft seit dem 6. und 7. Jahrhundert bezeugt wird
(siehe kap. II) — zweitens die darauf beruhende, organisch
entwickelte, aber von höfischem einfluss nicht uuberührte
kuustlyrik. mit der wir uns hier beschäftigen wollen — endlich
die rein höfische lyrik, welche mit idee und tendenz auch
die gattungen und formen aus der provenzalischen literatur
entnimmt (wovon in kap. IX und X die rede sein wird).
Ein wesentliches eharacteristicum volkstümlicher herkunft
oder volkstümlichen einflusses ist der refrain, der nur beim
chorgesang oder beim Wechsel zwischen solo und chor seine
volle bedeutung hat. im kunstmässigen solovortrag dagegen
nur noch dekorativen wert behält und daher hier meist
schwindet. Eine reihe von refrains älterer lieder sind uns
nur zufällig — als einschaltungen in epische oder auch in
andere lyrische dichtungen — erhalten und lassen uns so
manches ältere, sonst verloren gegangene lied erschliessen.
Die hierher gehörigen lieder sind uns grossenteils — wie
namentlich die romanzen — anonym überliefert, teilweise
stammen sie aber auch — wie eine grosse zahl pastourellen —
von bekannten Verfassern, die sich sonst in der rein höfischen
dichtung, im eigentlichen minnelied, hervorgetan haben. Ein
grundsätzlicher schluss auf höheres alter lässt sich natürlich aus
der anonymität eines liedes an und für sich nicht machen,
doch ist soviel richtig, dass uns die lieder der höfisch-proven-
zalisierenden kunstlyrik mit geringen ausnahmen unter dem
namen eines bestimmten Verfassers (gelegentlich auch ver-
schiedener Verfasser) überliefert sind, während die meisten
auonymen lieder sich gerade unter den älteren einheimischen
dichtgattungen finden. Im übrigen geben uns spräche, Vers-
and Strophenbildung, art und verschlingung des reims mehrfach
kriterien für das höhere oder geringere alter der lieder an
die band.
158 V. Kapitel. Die einheimische Liederdichtimg im 12. Jahrhundert.
Die meisten lieder, die hierher gehören, sind veröffentlicht von
K. Bartsch, Altfranzösische Romanzen und Pastourellen, L. 1870
(daselbst auch über die benutzten hss ). Vgl. mich desselben Alte
französische Volkslieder übersetzt, Heid. 1882 (mit allgemeiner
einleitung). — Über die herkunft der hauptgattnngen und den
Ursprung der afr. lyrik überhaupt: G. Gröber, Die altfranzösischen
Romauzen und Pastourellen, Zürich 1872. Vgl. dazu FerJ. Orth,
Über Reim und Strophenbau in der altfranzösischen Lyrik. Str.
Diss., Cassel 1882. — Alfred Jeanroy, Les origines de la poesie
lyrique en France au moyen äge, P. 1889, -1904. Derselbe, Les
Chansons, in Petit de Jve, Ilist. I 345 — 404. — G. Paris, Les
origines de la poesie lyr. en Fr. au m. ä. in JdSav 1891 und 1892,
auch separat P. 1892. — Vgl. auch die weiteren s. 78 genannten
Schriften von Tiersot, Wilmotte, Gorra.
1. Die Romanzen.
(Chansons ä toile — Chansons cVhistoire.)
Von allen überlieferten altfranzösischen liedern sind die
romanzen am altertümlichsten in spräche, form und inhalt. Der
name chansons ä toile scheint noch darauf zu deuten, dass diese
lieder aus arbeitsliedern (oben s. 71, 76) hervorgegangen sind,
und tatsächlich führen uns gerade diese lieder königstöchter
und adlige fräulein gern mit einer Stickerei oder näherei
beschäftigt vor. Bedeutsam ist auch, dass, wie im ältesten
deutschen minnesang, das weib der sehnende, werbende teil ist,
während der mann sich bitten lässt: so redet Schön Eremborc
den unterm schloss vorbeiziehenden ehemaligen geliebten Rainald
an, der selber sie keines blickes würdigt, und sucht ihn von ihrer
treue und beständigkeit zu überzeugen; Schön Aiglentine, von
graf Henri verführt und von ihrer mutter entdeckt, begibt sich
selbst zu Henri ihn zu fragen, ob er sie zum weibe nehmen
wolle; Schön Amelot bittet ihre mutter ihr Garin zum manne
zu geben, worauf die mutter diesen besendet und, nicht ohne
reichliche beigäbe von silber und gold, mit der tochter vereint.
Es sind also sehr altertümliche Verhältnisse, die uns hier
geschildert werden. Dass die handelnden personen den vor-
nehmen kreisen angehören, spricht nicht gegen populäre herkunft
der gattung, auch im modernen — französischen wie deutschen —
1. Die Komanzen. 159
Volkslied spielen die erzählenden lieder, die balladen, meisten-
teila in den familien von rittern, grafen. markgrafen und künigen;
ja auch das märchen bewegt sieh mit Vorliebe in diesen kreisen.
Charakteristisch gegenüber dein späteren höfischen minnesang
ist für die romauzen endlich die liebe des ritters zum unver-
heirateten weih, zum jungen mädchen, während der minnedienst
fast ausschliesslich der verheirateten frau gilt.
Während ferner die minnelyrik ihrem wesen nach de-
skriptiv oder reflektierend ist, steht im mittel puukt der romanze
immer ein wirklicher Vorgang, eine episode aus dem leben der
liebe, meist zur Vereinigung der liebenden führend. Zu diesem
epischen, konkreten charakter der gattung stimmt die ein-
fllhmng der handelnden personen mit namen der Wirklichkeit,
meist mit namen germanischer herkunft, wie sie in der aristo-
kratie jener zeit üblich und daher auch in der dichtung —
wie z. b. auch in den chansons de geste — gebräuchlich waren:
Doon und Doette, Gerard und Gaiette, Garin und Amelot,
Guion und Aigline, Raynald und Eremborc u. a. m. bezeichnen
die verschiedenen liebespaare, nur selten bleibt der amis
ungenannt wie im lied von Bele Yolanz (Bartsch I, 7).
Altertümlich wie der inhalt ist auch die form. Vers ist
in der regel der epische zehnsilbner mit epischer cäsur, z. t.
noch in der altertümlichen form mit cäsur nach der 6. silbe
(vgl. o. s. 31), daneben acht- und zwölfsilbner. Statt des
reims genügt noch die blosse assonanz, erst die jüngeren stücke
zeigen den vollreim. Die Strophen sind einfach gebaut, je
drei, vier, fünf (selten mehr) verse, die innerhalb der Strophe
auf dieselbe assonanz oder denselben reim ausgehen (wie die
laisse der epischen dichtung). Den schluss der Strophe bildet
der refrain, aus ein, zwei oder drei meist kürzeren Zeilen
bestehend, die meist ihren eigenen assonanzvokal gegenüber der
Strophe haben. Zu einigen wenigen romanzen ist auch die
melodie überliefert. Erhalten sind uns von der ganzen gattung,
mit eiuschluss der romanzen Audefrois (siehe anmerkuug), etwa
zwanzig lieder, zu einem teile nur in fragmentarischem zustand.
Als probe1) folgt das von Bartsch an erster stelle abgedruckte
') Vgl. zur form auch das oben s. 133 zu der Übersetzung des
Hohenlieds gesagte.
160 V.Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 12. Jahrhundert.
stiick, dem Suchier wegen der erwähnung des fränkischen
kaisers ein hohes alter zuschreiben möchte.1)
1 Quant vient en mai, que Ton dit as Ions jors, I
que Franc de France repairent de roi cort,
Raynanz repaire devant el premier front,
si s'en passa lez lo mes Arembor,
5 ainz n'en dengna le chief drecier a inont.
E Raynanz amis!
Bele Erembors a la fenestre au jor II
sor ses genolz tient paile de color;
voit Frans de France qui repairent de cort,
10 e voit Raynaut devant el premier front:
en haut parole, si a dit sa raison.
E Raynanz amis!
„Amis Raynauz, j'ai ja vea cel jor. III
se passissoiz selon mon pere tor,
15 dolanz fnssiez se ne parlasse a vos."
,.Jal mesfe'i'stes, fille d'empereor,
autrui amastes, si oblTastes nos."
E Raynauz amis!
„Sire Raynauz, je ru'en escondirai: IV
20 a cent puceles sor sainz vos jurerai,
a trente dames que avuec moi menrai,
c'onques nul home fors vostre cors n'amai.
PreDnez l'emmende et je vos baiserai."
E Raynauz amis!
25 Li cuens Raynauz en monte le degre, V
gros par espaules, greles par le baudrr,
blont ot le poil, menu, recercelö:
en nule terre n'ot si biau bacheler.
Voit 1' Erembors, si comence a plorer.
30 E Raynauz amis!
*) Das gedieht ist nur in einer hs. des 13. Jahrhunderts, daher in
wesentlich verjüngten sprachformen überliefert. Die lautformen sind in dem
obigen text nicht geändert, hingegen einige flexionsformen (so Raynauz
für mehrfach liaynaut) richtig gestellt worden.
Im einzelnen: Vers 2 de roi cort: obl. für genetiv mit fehlen
beider artikel (= de la cort dd roi). — 8 tient paile: um daran zu
arbeiten (vgl. oben). — 14 se: im sinne von lorsque, quand; passissoiz
conj. impf, wegen der abhiingigkeit vom regierenden konjunktivsatz.
2. Tanz- und Liebeslieder. 161
Li cuens Raynanz est montez en la tor, VI
Plorant la vit, dont Ten prist grant tendror, ')
si s'est assis en uu lit point a h\>rs.
dejoste lui se siet belo Erembors:
35 Lors recomencent lor premieres aniors.
E Raynauz aniia!
Mit ihrer einfachen und kunstlosen form, ihrer stilistischen
klavheit und ausdrucksfähigkeit, ihrer objektiv-epischen und
doch so viel mitgefühl erweckenden Schilderung gehören die
romauzen zu den schönsten blttten mittelalterlicher lyrik.
Vgl. Bnrtsch, Einl., Gröber s. 9 ff., Jeanroy, Origines 216 ff. Zur
form der romanzen: Georg Schläger, Über Musik und Strophenbau
der franz. Romanzen, im Suchierband s. 115 — 160, auch sep. — Die
eigentliche romanzendichtung endigt mit dem 12. Jahrhundert. Jedoch
hat Audefroi der Bastard, ein dichter aus Arras, anfangs des 13. Jahr-
hunderts versucht, sie in rein kunstmässiger art wieder zu beleben
(Bartsch, I, no. 56 — 60): mit reinen reimen, wobei die der ersten
Strophe zuweilen durch sämtliche Strophen durchgehn, mit kunst-
volleren Strophen, mit reicherer handlang und grösserer ausföhr-
lichkeit, so dass diese dichtungen, deren längste 173 verse zählt,
teilweise schon mehr den charakter der novelle annehmen. — Was
die Provenzalen an romanzenartigen liedern haben, ist wenig und
scheint auf nachahmung der französischen romanze zu beruhen.
2. Tanz- und Liebeslieder.
A. Allgemeines. Zu den ältesten lyrischen gattungen
gehören arbeitsgesänge und Tanzlieder, insofern sie beide
rythmische bewegung mit wort und ton vereinen: der Ursprung
des Volkslieds ist in erster linie in diesen beiden gattungen
zu suchen. Kann man die chansons de toile einerseits mit
dem arbeitslied in Verbindung bringen, so betrachtet sie
Jeanroy andrerseits als einfachste und älteste form des Tanz-
liedes. Form und inhalt des tanzliedes konnten wechseln,
wenn es nur den rythmischen anforderungen entsprach. Der
') Der vers, welcher in der hs. fehlt, ist von Suchier, Lit. s. 9,
ergänzt.
Voretzsch , Studium d. afiz. Literatur. 2. Auf läge. \\
162 V.Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 12. Jahrhundert.
mittelalterliche tanz war meist kein paarweiser, sondern ein
reihentanz (reigen), bei den Franzosen carole genannt, mit
einfachen bewegungen. Daher konnten zur begleitung lieder
verschiedener art gebraucht werden: das tauzlied bezeichnet
somit im anfang weniger eine bestimmte gattung von liedern,
als vielmehr deren praktische Verwendung.
Die existenz von tanzliedern ist schon für die älteste zeit
durch die im II. kapitel besprochenen Zeugnisse gesichert.
Zweifelhaft sind angaben über tanzlieder mit rein epischem
inhalt wie die notiz Hildegars über das Chlotharlied (vgl.
o. s. 92 ff.). Übrigens glauben manche gelehrte einen reigen
auch nach dem rythmus einer (in ungleich langen Strophen
gedichteten) chanson de geste, eines epos, annehmen zu dürfen.
Ob die ungleiche länge der Strophen in einzelnen romauzen,
die jene ansieht stützen könnte, auf mangelhafter Überlieferung
oder ursprünglicher anläge beruht, muss freilich dahingestellt
bleiben. Jedenfalls waren die romanzen in viel höherem grade
als die heldengedichte geeignet zur begleitung des tauzes ver-
wendet zu werden. Die eigentlichen tanzlieder der älteren
zeit aber müssen grossenteils aus einzelnen trümmern erschlossen
und widerhergestellt werden.
B. Refrains. Im unterschied von dem heutigen gebrauch
des wortes refrain J) als eines nach jeder strophe wiederholten
kürzeren oder längeren Stückes versteht man unter den alt-
französischen refrains „de tres courts morceaux, comptaut
ordinairement de un a quatre vers, toujours accompagn6s d'uue
inelodie qui leur est propre. Ces morceaux sont tantöt isoles,
tantöt intercales dans d'autres oeuvres; mais, dans ce dernier
cas, ce ne sont pas les memes qui sont rdpetes apres chaeun
des couplets, dont ils sont souvent tout a. fait independauts
par le sens" (Jeauroy). So beschliesst ein lied, welches das
zusammentreffen des dichters mit einer unglücklich verheirateten
frau schildert (Bartsch 1,49), die erste strophe mit dem zitat:
Nus ne doit les le bois aler
saus sa coupaignete —
x) Über die etymologie des Wortes (zu refrangere — nebeu refrain
auch refrait < refractum, feruer refloit < *reflectum und refroit) siehe
0. Schulti-Gora ZrP 11, 249 f. und Jeanroy a. a. o. 102 ff., 520.
2. Tanz- und Liebcbliedcr. 163
die zweite mit:
N'atoachiöa pas a mon chainse,
sire chevalier —
die dritte mit:
Dame qui a mal inari,
s'el fet aini,
n'en fet pas a blasuier —
die letzte endlich mit:
S'aim trop iriels un poi de jole a demener
que inil mars d'argent avoir et puis plorer.
Schon die verschiedene metrische form dieser strophen-
schlüsse — während die Strophen selbst durchaus gleichniässig
gebaut sind — weist auf entlehnung aus vorhandenen liederu
hin. Andere refrains finden sich in den motets, einer aus der
inusik hervorgegangenen dichtgattung, wieder andere sind in
erzählende dichtungen, in romane wie Giiülaume de Dole oder
La Violette, in das spätere tierepos (Renart le nouvel) und
sonst eingestreut. Von der Verwertung des refrains Or ai je
trop dormi — On m'a m'amie amblee gibt folgendes motet
eine Vorstellung:
Or ai je trop dormi: Mielz amasse estre ocis
On m'a m'amie amblee; Au tranchaut de m'espee.
S'ont fait mi aneini; Or ai je trop dormi:
Or ai je trop dormi. On m'a m'amie amblee.
Diese refrains sind reste alter tanzlieder: in den romanen
werden sie zum tanze gesungen und als chansons de carole,
rondets de carole oder kurzweg rondets bezeichnet, zuweilen
enthalten sie auch selbst schon die aufforderung zum tanz.
Freilich führen uns auch diese reste nicht bis zu der volkspoesie
der früheren Jahrhunderte zurück. Aber es lässt sich doch
eine ältere von einer jüngeren schiebt rein höfischen Charakters
unterscheiden: nämlich solche refrains, welche auf tanzlieder
erzählenden inhalts deuten, lieder von Robin oder Aaliz, die
uns nicht mehr oder nur fragmentarisch erhalten sind. Dass
uns von den tanzliedern so oft gerade die refrains allein
überliefert sind, erklärt sich aus ihrer Vortragsweise: ein
Vorsänger oder auch eine Vorsängerin sang die Strophe, und
der chor der tanzenden antwortete mit dem refraiu, der sich
164 V. Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 1 2. Jahrhundert
so dem gedächtnis der menge viel fester einprägte als das
lied selbst.
Bestimmte gattungsnamen kommen für das tanzlied als
solches ebenso wie die formelle ausbildnng einzelner gattungen
erst seit dem ende des 12. Jahrhunderts und teilweise noch
später auf: so das wort roondet, roondcl, das schliesslich eine
ganz bestimmte, bis ins 16. Jahrhundert fortlebende metrische
form bezeichnet; beulete (zu baier, italienisch ballare tanzen)
ist der einheimische name, für den später das provenzalische
balada eintritt; estampie (zu deutsch stampön = stampfen)
und vireli bezeichnen noch jüngere formen des tanzliedes
(13. bis 14. Jahrhundert).
C. Rotrouenge. Mit dem namen rotrouenge (auch retrou-
enge, retroivange , provenzalisch retroencha) wird eine gattung
bezeichnet, die wie das tanzlied einen refrain besass, auch
zum tanz gesungen werden konnte und ihrem inhalt nach im
wesentlichen liebeslied war, hie und da auch auf das politische
gebiet übergriff. Im Roman de Renart (vgl. kap. XI) sagt
Renart der fuchs zum raben Tiecelin: Chantes moi une
rotrouenge! Herkunft und ursprüngliche bedeutung des Wortes
ist nicht völlig klar. Die älteren etymologien, wie retroientia
oder ableitung von rote (ein harfenähnliches instrument, vgl.
auch oben s. 20), sind nahezu allseitig aufgegeben. So bleibt
als beachtenswert nur die von Suchier aufgestellte etymologie
übrig, wonach das wort von dem eigennamen Botrou, speziell
von trägem dieses namens unter den grafen von Perche im
11. und 12. Jahrhundert, abgeleitet ist und zunächst den helden
eines solchen liedes — ähnlich wie der lateinische modus
Ottinc, modus Carlomanninc des 10. Jahrhunderts — bezeichnet
hat. Das Hesse zunächst wol an heldenhafte oder satirische
lieder denken. Doch weist Suchier auch auf die möglichkeit
hin, dass der terminus den erfinder der melodie oder den, in
dessen dienste sie erfunden worden, bezeichnen könne. Nach
G. Paris gehören zu den rotrouengen 'presque toutes les pieces
lyriques destin6es au chant qui n'appartiennent pas ä. l'^cole
provencalisante'.
D. Reverdie. Zahlreiche lieder, namentlich tanzlieder
und refrains, beziehen sich auf den frühling, besonders auf
das maifest, oder werden durch ein naturbild eingeleitet —
2. Tanz- uud Liebeslieder.
165
ähnlich wie in der mittelhochdeutschen lyrik und ebenso auch
in unsorm Volkslied. Unter solchen liedern unterscheidet
G. Paris als eine besondere gattung diejenigen, welche speziell
das grünen und blühen der natur, das singen der vögel, zumal
der nachtigall, und die eindrücke des dichters schildern, wie
z. b. das folgende :
1 En ixtai au douz tens nouvel
que raverdisseut prael,
tri suz un arbroisel
chanter le rossignolet:
5 Saderala don !
tant fet bon
dormir lez le buissonet.
Si com g'estoie pensis
lez le buissonet ra'assis:
10 un petit m'i endornii
au douz chant de l'oiselet.
Saderala don!
tant fet bon
dornu'r lez le buissonet.
15 Au resveillier que je fis
a Toisel criai nierci
qu'il tne doint joie de li:
s'en serai plus jolivet.
Saderala don !
20 tant fet bon
dormir lez le buissonet.
Et quant je fui sus levez,
si comenz a citoler
et fis l'oiselet chanter
25 devant moi el praelet.
Saderala don !
tant fet bon
dormir lez le buissonet.
Li rossignolez disoit
30 (par un pou qu'il n'enrajoit
du graut duel que il avoit,
que vilains l'avoit oT):
Saderala don!
tant fet bon
35 dormir lez le buissonet.
(Bartsch, Rom. u. Past. I, 27.)
Der schon aus alter zeit für einzelne dieser lieder belegte
name reverdie (raverdie, renverdie) ist für diese art lieder
jedenfalls sehr bezeichnend, obwol sie sich nicht immer scharf
von den pastourellen und den liedern der mal marie'e scheiden
lassen, da auch in ihnen zuweilen mädchen oder frauen in
die handlung eingeführt werden. Jüngern Ursprungs sind
wol diejenigen stücke der gattung, in welchen dem dichter
allegorische figuren wie der liebesgott oder die poesie selbst
begegnen.
E. Lieder der mal mariee. Eine kunstmässig geübte
gattung zweifellos volkstümlichen Ursprungs bilden die lieder,
welche die klage der verheirateten frau über ihren mann, sei
es im monolog, sei es im dialog mit dem mann, mit anderen
frauen oder mit dem dichter selbst, zum ausdruck bringen.
Der dichter führt sich immer selbst, gewöhnlich als zuhörer,
166 V. Kapitel. Dio einheimische Liederdichtnog im 12. Jahrhundert.
seltner als handelnden, ein. Mit dem dialog verbindet sich
in der regel die handlung, in dem ein liebhaber — zuweilen
der dichter selbst — die unglückliche frau tröstet und für
die vom gatten empfangenen Unbilden mit seiner galanterie
entschädigt. Das genre zeigt im ganzen wenig Variationen: in
jüngeren stücken erscheint an stelle der mal mariee eine ihren
stand verwünschende nonne, ebensowie auch die stelle des
liebhabers hier und da ein kleriker einnimmt. Überliefert sind
uns im ganzen etwa vierzig solcher lieder. Gröber, der sie
zuerst als eine besondere gattung von romanze und pastourelle
geschieden hat, gibt ihnen den namen sons (Tumors, der
allerdings eine etwas allgemeine bedentnng hat. Jeanroy nennt
sie chansons dramatiques, G. Paris chansons ä personnages.
Darin, dass es sich im wesentlichen um lieder der mal mariee
handelt, sind sich alle einig.
Die technische form ist schon ziemlich künstlich, der
refrain fehlt zumeist oder ist aus tanzliedern entlehnt, das
ganze erhält durch die obligate einftthrung des dichters sowie
durch die dem gatten zugewiesene rolle als jalous, vilain u. ä.
einen konventionellen, höfischen Charakter. Aber das thema
und mit ihm die zugrunde liegende gattung ist von haus aus
durchaus volkstümlich.1) 'Ce sont' sagt G. Paris 'des chansons
de femmes et des chansons de danse, que des Jongleurs out
!) Wie sehr die mal mariee noch heute im Volkslied beliebt ist.
zeigen die modernen lieder der mal mariee, von denen das folgende mit
der mittelalterlichen gattung verglichen werden kann (Julien Tiersot,
Melodies populaires des provinces de France, 3e recueil, Paris, Hengel
et Cie., s. 20) :
I. Mon pere veut me marier, Qui n'a ni maille ni denier,
— J'entends le loup, le renard Horsunbatondevertpommier.
chanter — III. (Die beiden vorigen verse
wiederholt.)
C'est ponr m'en battre les cötes.
IV. Ah! s'il me bat, je m'en irai.
V. Je m'en irai au bois jouer.
VI. Avec de gentils ecoliers.
VII. Ils m'appendront le jen d'aimer.
VIII. Le jen des cart', aussi des des.
Besondere ühnlichkeit zeigt dies moderne lied mit Bartsch I, 23 (das
wegen seines refrains sonst unter die ballettes gerechnet wird).
A un vieillard il m'a donne,
Qui n'a ni maille ni denier.
— J'entends le loup, le
renard et l'alouette,
J'entends le lonp, le renard
chanter.
II. A un vieillard il m'a donne,
2. Tanz- und Liebeslieder.
167
enlevees ;\ leur milieu et qu'ils ont munies d'une introdnctinn
fort simple, qai consiste tont bonnement en ee qu'ils se
representent ecoutant les plaintes de la mal mart'ee .... Je
erois pour raa part qu'elle (sc. l'intervention du poete) remonte
aux Jongleurs qui a l'origine cbantaient ees chansons, maifl
eile est devenue de style et a passe aux gens de monde,
quand il a ete de mode pour eux de faire des chansons'.
Als probe folgt eine dichttrag, welche G. Paris 'tont a fait
caracteristique, imite^e visiblement de poesies populaires' nennt
(Bartseh, Rom. und Past. 1,21):
10
Pansis aineruusenient
de Tornai parti l'autrier.
En nn pre Ions nn dostonr
vi trois dames ombroier,
mariees de novel:
chascune ot nn vert chapel.
La moinnee a dit ansi:
'Je servirai mon mari
lealment en len d'ami'.
Li ainnee an ot irour,
si li dit sans atargier:
'Dame dex vos dont mal jour!
Nos volez vos asaier?
An euer ne m'est mie bei'.
15 Dou poing an son haterel
l*ala maintenant ferir:
'Je ferai novel ami
an despit de mon mari".
La moienne par baudour
20 fn vestue an tens d'este
d'nn riebe drap de colour,
d'un vert qui fait a louer.
En avoit robe et mantel
et chantoit cest cbant novel,
25 si ke je Tai bien o'i:
'S'on trovast leal ami,
ja n'ensse pris mari*.
Die in diesem abschnitt vereinigten liedergattungen stehen
sämtlich untereinander in beziehung durch das thema der
liebe in diesem oder jenem sinne, meist auch durch die
beziehung auf den frühling und schliesslich auch durch ihre
Verwendung als Tanzlieder. Dieselbe bedeutung, welche die
frauen für das ältere Volkslied besassen (vgl. oben s. 76),
haben sie auch hier: eine grosse zahl dieser lieder lassen
sich ohne weiteres als frauenlieder (wenn auch nicht von frauen,
so doch im sinne der frauen verfasst) bezeichnen, an den
maifesten feierten diese ihre tanze mit liedern, und auch bei
gemischten tanzen waren sie vielfach die Vorsängerinnen.
Siehe über die hier besprochenen gattungen die oben am
eingang des kapitels verzeichnete literatur. Speziell über tanz,
tanzlieder und refrains Jeanroy, Origines2 s. 102 ff., Melangea
d'ancienue lyrique, Toulouse 1902 (s. 51 ff. refrains inedits, auch
Pvev. d. 1. r. 1902), sowie in Petit de Jve I s. 359 ff; G. Paris JdSav
168 V. Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 1 2. Jahrhundert.
1892 s. 407 ff., auch Wahlundband 8. 1 ff. über 'Bele Aaliz'; ferner
Joseph Bedier, Les fetes de mai et les commencements de la poesie
lyrique au m. ä., in Revue des deux mondes t. 135 (1. mai 1896)
8. 146 — 172. Über die refrains in der Chastelaine de St. Gilles vgl.
Schultz-Gora, Zwei afr. Dichtungen, Ha. 1899, 21911, s. lOff. Über
die refrains im üblichen sinn s. G. Thurau, Der Refrain i. d. franz.
Chanson, B. 1901. — Über die rotrouenge: Paul Meyer, Rom. 19, 36 ff.
und Suchier ZrP 18, 282 ff Über die reverdie: G. Paris JdS 1891
s. 686 — 688. Über die chanson de la mal mariee: Gröber, Die afr.
Rom. u. Past. s. 14 ff, Jeanroy, Orig. s. 84 ff, G.Paris JdS 1891
s. 681 ff. — Wie die romanze, ist auch die rotrouenge, die estampie
und die mal mariee in der provenzalischen dichtung nachgeahmt
worden.
3. Pastourelle.
Eine gesonderte betrachtung verlangt die schon öfter
erwähnte pastourelle, einmal weil sie mehr als die bisher
besprochenen gattungen höfisches gepräge zeigt, und dann
weil ihr Verhältnis zur provenzalischen pastorela oder pastoreta
noch umstritten ist.
Pastorele bedeutet hirtin, Schäferin, und in der tat spielen
diese die wichtigste rolle in den nach ihnen genannten liedern.
Es liegt nahe, den Untergrund der gattung in hirtinnenliedern
zu sehen, die zu den ländlichen festen gesungen wurden, als
alte tanz- und frühlingslieder, wie G. Paris annimmt. In der
überlieferten form freilich ist die pastourelle von durchaus
aristokratischem Charakter. Der dichter, in der regel ein
ritter, trifft auf seinem ritt über land eine Schäferin und bittet
sie um ihre liebe, die in der mehrzahl der fälle gewährt,
sehr häufig aber auch verweigert wird. Geschenke und
Versprechungen, zuweilen auch rohe gewalt, überwinden den
widerstand der ländlichen schönen, die meist den namen
Marion (Marot) trägt. Schenkt sie dem ritter nicht gehör, so
ist es, weil sie ihren Robin (Robecon), Perrin (Perrot) oder
Guiot vorzieht und ihm treu bleiben will. Im einzelnen
wird das thema vielfach variiert: der ritter gewinnt den
süssen lohn, indem er den wolf verscheucht und ihm das
geraubte lamm wieder abjagt, oder Robin, brüder, vater
kommen Marion zu hilfe und leuchten dem bedroher ihrer
3. Pastourelle. 169
ehre mit prügeln heim — durchaus Dicht immer mit dem
einverständnis der so geretteten. Einen verhältnismässig ein-
fachen typus stellt das folgende stück dar (Bartsch 11,5):
1 De Saint -Quentin a Cambrai Sens delai
Chevalchoie l'autre jour, 20 Ses amis serai'.
Les nn buisson esgardai :
Touse i vi de bei atour.
5 La colour
Ot freche com rose en inai.
De euer gai
Chautaut la trovai
Dont dist la doucete:
'En non Deu, j'ai bei aini,
Cointe et joli,
Taut soie je brunete'.
25 Deles li seoir alai
Et li pr'i'ai de sainour.
Ceste chansonnete: Celle dist: 'Je n'auierai
10 'En non Deu, j'ai bei ami, Vos ne autrui par nul tour,
Cointe et joli, Sens pastour,
Taut soie je bruuete'. 30 Robiu, ke fiancie Tai.
Vers la pastoure tornai Joie en ai,
Quant la vi en son destour, Si en chanterai
15 Hautenient la saluai Ceste chansonnete:
Etdis'Deusvosdoinstbonjour En non Deu, j'ai bei ami,
Et honour. 35 Cointe et joli,
Celle ke ci trove ai, Tant soie je brunete'.
In der form kunstmässig ist die Vereinigung längerer und
kürzerer verse in der Strophe, die reimverschlingung und die
häufige Verbindung der Strophen untereinander — wie hier —
durch die gleichen reime (durchreimen). Jüngeren Ursprungs
als die erzählenden pastourellen scheinen die beschreibenden
zu sein, in welchen der dichter die tanze und spiele der hirten
und hirtinnen belauscht und darstellt: wie sie einen Spielleiter,
einen roi, wählen und als solchen schmücken, wie sie dann
ihre ländlichen spiele und tanze aufführen und dabei oft
genug in streit und rauferei geraten. Gaston Paris ist geneigt,
zwar nicht in den überlieferten stücken dieser art, wol aber
in der gattung als solcher eine Weiterbildung des alten
frUhlingstanzliedes zu erblicken. Auch der sogenannte 'klassische
typus' der pastourelle (wie z. b. die hier wiedergegebene
probe) würde an seinem aristokratichen Charakter sehr ver-
lieren, wenn man als ursprünglichen liebeswerber an stelle
des ritters einen mann anderen Standes annehmen würde, wie
es Pillet wahrscheinlich zu machen sucht. Wir hätten dann,
ähnlich wie bei der mal mariee, drei etappeu, von denen die
beiden ersten allerdings hypothetisch sind, ein frühlings- und
170 V. Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 1 2. Jahrhundert.
tanzlied — als zweite die von Pillet angenommene, aus den
überlieferten pastourellen erschlossene nichtritterliche form —
als dritte die vorhandenen mehr oder weniger höfischen
pastourellen.
Während die mal mariee wenige gegenstücke oder naeh-
ahnmngen in der provenzalischen literatur rindet, ist die
pastorela (pastoreta) daselbst ziemlich stark vertreten. Die
älteste überlieferte provenzalische pastourelle ist von Marcabrun
(zweites drittel des 12. Jahrhunderts), aber schon sein lehrer
Cercamon soll pastourellen nach der alten manier {a la usansa
antiga) gedichtet haben. Dazu stimmen die provenzalischen
und französischen dichtungen in dem konventionellen typus
wie in der äusseren technik so überein, dass nahe beziehungen
unabweisbar sind. Brakelmann fand diese in der abhäugigkeit
des Südens vom norden, Schultz-Gora in der abhäugigkeit
wenigstens der späteren provenzalischen pastourelle von der
französischen, während er im übrigen für beide eine selb-
ständige entstehung in alter zeit, hier wie dort, annimmt. Dem
gegenüber nimmt Jeanroy einheitlichen und zwar südlichen
Ursprung der pastourelle an, wenn schon die französischen
dichtungen das alte thema treuer bewahrt haben. G. Paris end-
lich stimmt der beeinflussung der provenzalischen pastourelle
durch die französische zu, sucht aber einen gemeinsamen
Ursprung für beide und findet diesen in liedern und spielen
des maifestes, die sich zuerst in einem zwischengebiet —
Poitou, Mar che, Limousin — ausgebildet hätten: '11 me parait
probable que l'origine speciale des pastourelles du type classique
est une espece de jeu oü un Chevalier, une bergere et son
amoureux, appele le plus souvent Robin, £taient mis en scene.
C'etait peut-etre souvent une simple pantomime, ou une danse
aecompagude de chansons'.
So bestechend die theorie von G. Paris ist, so muss sie
einstweilen doch hypothese bleiben. Einen einheitliehen
Ursprung für die gattung wird man allerdings annehmen
müssen, und wenn hier die wähl in der hauptsache zwischen
französisch und provenzalisch steht, wird man sich lieber
zugunsten des ersten entscheiden. Das absolute alter der
provenzalischen pastourelle fällt ernstlich nicht ins gewicht, da
selbst Cercamon nicht über das erste drittel des 12. Jahrhunderts
4. Spottlied und Streitgedicht. 171
zurückreicht; die verwarten gattungen der romanze und der
chanson de la mal mariee, also überhaupt die erzählenden
lyrischen dichtnngsarten, sind bei den Provenzalen wenig
vertreten und im wesentlichen nachahmnngen französischer
Vorbilder; besonders die pastourelle ist bei den Provenzalen
nachweislich dem eintluss der französischen pastonrelle aus-
gesetzt gewesen (wie schon der auch in provenzalischen liedero
begegnende durchaus französische name Robin zeigt), sie ist
in der provenzalischen lyrik weniger zahlreich vertreten als
dort und hat sich vom ursprünglichen typus durch beimischnng
fremder demente, wie satire und polemik, viel rascher und
viel weiter entfernt.
Vgl. Brakelmann, Jahrbuch 9. 155 ff. (dagegen Suchier, Jahrbuch
14, 159). Gröber a. a. o. 18 ff. 0. Schultz, ZrP 8 (1884) s. 106 ff.
Jeanroy, Origines 1—44. G.Paris, JdSav 1891, 729 ff. A. Pillet,
Studien zur Pastourelle, Breslau 1902, sep. a. d. Festschrift zum
10. deutschen Neuphilologentag (dazu Jeanroy, Rom. 31, 620 ff).
4. Spottlied, und Streitgedicht.
(Estrabot — Serventois — Debat.)
A. Allgemeines. Schon in den ältesten Zeugnissen
(oben s. 74, 76) werden neben den tanz- und liebesliedern
besonders spottlieder (cantica in blasphemiam alterius) erwähnt,
die auch in der lyrik der uns hier beschäftigenden epoche nicht
fehlen und in dieser somit zu den ältesten gattungen gehören.
Das lässt sich auch sonst durch eine reihe von Zeugnissen
und anspieluugen erhärten. Im Rolandslied, v. 1013 f., fordert
Roland die seinen unter hin weis auf das sonst zu befürchtende
spottlied zum wackerem dreinschlagen auf: Or gnart chaseuns
que granz cols i empleit, Male changon ja chantee n'en
seit, und ebenso v. 1466: Male changon n'en deit estre chantee.
Zum jähre 1124 bezeugt der Chronist Ordericus Vitalis deri-
soriae cantiones, welche Luce de la Barre, ein normannischer
adeliger, auf könig Heinrich I. von England gedichtet und
öffentlich vorgesungen hat. Vom könig zur Wendung verurteilt
entzog er sich der grausamen strafe durch freiwilligen tod.
172 V. Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 1 2. Jahrhundert.
Nicht persönlichen Charakters sind die sogenannten Debüts,
welche sich am ehesten mit dem Conflictus anhnae et corporis
s. o. s. 147) vergleichen lassen, aber von dem Vorbild der
religiösen dichtungen unabhängig scheinen.
B. Estrabot. Das estrabot war zweifellos eine satirische
liedgattung, von der uns aber keine proben erhalten sind.
Das wort ist gleichen Ursprungs mit italienisch strambotto:
von griechisch OTQÜßcov (schielend), woraus lateinisch strabo,
vulgärlateinisch strabus — strambus. Der name kommt wol
von der art der Strophenbildung (vgl. italienisch strambo
hinkend, spanisch estrambote schlussstrophe einiger gedicht-
arten): er bedeutet nach G. Paris 'une forme strophique
compos^e d'une premiere partie symetrique et d'une queue
qui ne l'&ait pas et pouvait beaucoup varier'. Es war also
eine strophe oder ein lied mit einer art refrain. G. Paris
möchte an herkunft aus der römischen volkspoesie denken
(man vergleiche z. b. die spottlieder der Soldaten auf den
seinen triumph feiernden Cäsar). Benoit von Sainte-More (vgl.
kapitel VII und VIII) erzählt in seiner Normannenchronik, die
Franzosen hätten 911 vers und estraboz auf die feige flucht
des grafen Jeble von Poitou gedichtet. Vielleicht gehörten
auch die lieder des Luce de la Barre zu dieser gattung.
C. Serventois. Auch mit dem namen serventois scheint
man im französischen ursprünglich ein scherz- oder spottlied
oder wenigstens ein lied persönlichen Charakters bezeichnet
zu haben, das sich jedenfalls von dem provenzalischen
sirventes, dem politischen kämpf- und rügelied, zunächst
wesentlich unterschied. Genannt wird uns diese gattung in
der französischen literatur seit der mitte des 12. Jahrhunderts
(1159 im fablel von Richeut, 1160 oder etwas später von
Wace im Roman de Rou); die ersten tiberlieferten proben
gehören erst dem ende des Jahrhunderts, also der höfischen
periode an. Im 13. Jahrhundert bezeichnet es mehr dichtungen
ernsteren Charakters, speziell solche auf die Mutter Gottes.
Der name stammt sichtlich von servent (servientem) und erklärt
sich nach gewöhnlicher annähme als lied eines dienenden,
eines vassallen, kurz als 'Soldatenlied'.
D. D£bat. Mit dem worte debat bezeichnet man in der
regel dialoggedichte, in welchen zwei verschiedene ansichten
4. Spottlied und Streitgedicht. 173
gegeneinander streiten, die aber, in der französischen literatur,
streng genommen nicht zur lyrischen poesie gehören, da sie
epische, nicht lyrische (strophische) form haben. Hingegen
begegnen sie in den neueren volkspoesien, auch in der
französischen und in der deutschen, als Strophendichtungen:
so gehört hierher das aus Mistrals Mireio bekannte Magalilied.
Zu den ältesten dcbats epischer form gehört der dcbat de
Vhiver et de l'ctc, der streit zwischen sommer und winter,
später finden wir noch den dcbat du vin et de Vau, auch, an
stelle von Personifikationen, wechselreden zwischen wirklichen
]HTKonen, wodurch sich der dcbat der aus der Provence
entlehnten tencon nähert.
Nach G. Paris handelt es sich um eine alte, auf das
altertum zurückgehende gattuug, die vielfach mit mimischer
darstellung verbunden wurde (wie noch heute in verschiedeneu
gegenden Frankreichs und Deutschlands), mit der maifeier
zusammenhing (worauf schon die Überwindung des winters
durch den sommer deuten kann) und auch einen debat
amoureux entwickelt hatte 'caract6ris6 par un dialogue entre
un gargon qui attaque et une fille qui se defend par toutes
sortes de moyens et finit par ceder'. Jeanroy hingegen
leitet auch den älteren liebesdebat der französischen literatur
aus der provenzalischen her, lässt ihn aber sich selbständig
und originell weiter entwickeln, bis er gegen ende des
12. Jahrhunderts von der provenzalischen tenzone umgebildet
oder verdrängt wird.
Vgl. P. Meyer, Des rapports de la poesie des trouveres
avec celle des troubadours, Rom. 19 (1890) 1 ff. (s. 27 ff. über das
serventois). Jeanroy, Origines. 46 ff. (debat), in Petit de Jve I
s. 347 f. G. Paris, JdSav 1889, s. 533, 1891, s. 679 f., 1892,
s. 135 ff. (debat). Zum jüngeren Streitgedicht (tenzone) vgl. die
literatur in kap. X.
5. Kreuzzugslied.
Zu den ältesten sicher datierbaren produkten der alt-
französischen lyrik gehören einige kreuzzugslieder, die uns
allerdings nur teilweise erhalten sind. Diese lieder fordern
174 V. Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 12. Jahrhundert.
die gläubigen auf, das kreuz zu nehmen und sich so das
paradies zu erwerben: eine art politisch -religiöser lyrik. Ein
solches lied wurde schon zur zeit des ersten kreuzzugs
gesungen, die sogenannte Chanson d'oltree, so benannt nach
dem refrain, der allein vom ganzen uns überliefert ist (vgl.
AS 243). Auf den zweiten kreuzzug, 1147, bezieht sich ein
anderes lied (Chevalier, molt estes gnariz), das in form und
gedanken von provenzalisierendem einfluss noch ganz frei ist
und auch, wie das älteste, über einen refrain verfügt:
Ki ore irat od Loovis,
Ja mar d'enfern avrat poour,
Char s'alme en iert en pare'is
Od les angles nostre Seignur.
Das lied stellt Ludwig VII. als nachahmenswertes muster
hin, spricht von Christi leiden, von dem treiben der ungläubigen
und von der notwendigkeit diesem entgegenzutreten und so
der räche Gottes zu dienen.
Ein zum dritten kreuzzug verfasstes lied (1189) mahnt
die gläubigen in kraftvollen Worten um Christi willen und vor
allem um ihres eigenen heiles willen zum kämpf für Christus:
so mancher denkt erst au sein Seelenheil, wenn es zu spät ist
(Vos ki ameiz de vraie anwr, — Esveilliez vos, ne dormeiz
pais! — Ualuete nos trait lou jour — Et si nos dit an ccs
retraiz — Que venus est li joitrs de pais).
In andern zum dritten kreuzzug gedichteten liedern mischt
sich mit der annähme des kreuzes schon der gedanke an die
zurückbleibende geliebte, so dass ein Zwiespalt im herzen des
dichters entsteht zwischen seiner liebe und seinem glauben
(wie bei Conon de Bethune, dem Deutschen Friedrieh von
Hausen und anderen). Bei ihnen wird das kreuzzugslied zur
höfischen chanson, auch in der äusseren form, wie sich schon
im fehlen des refrains kundgibt.
Ausgabe: J. Bcdier et P. Aubry, Les chansons de croisade,
P. 1909. Einzelnes auch in P. Meyers Recueil s. 376 ff. und in
Chrestomathien. — Vgl. Oeding, Das altfranz. Kreuzlied, Diss.
Rostock 1910, auch Kurt Lewent, Das altprov. Kreuzlied, Diss.
Berlin 1905.
(j. Urspraugsfragea. 175
6. Ursprungsfragen.
Die fragen nach der herkunft uad ältesten entwicklung der
alttYanzösiscken lyrik sind selir verwickelt und bei dem mangel
an wirklich altem material — der sich hier viel starker fühlbar
macht als z. b. iu der heldendichtuug — teilweise überhaupt
unlösbar. Zunächst handelt es sich um die auffassuug der über-
lieferten dichtlingen der älteren epoche, wie weit man ihnen noch
volkstümlichen, wie weit schon höfischen Charakter zuerkennen
will; dann um das Verhältnis dieser dichtung zu der durch die
Zeugnisse bestätigten volkspoesie früherer Jahrhunderte, ja zwischen
beide schiebt sich, wenigstens bei einzelnen gattungen, noch die
professionelle volkstümliche lyrik, die Jongleurpoesie, ein. Es erhebt
sich weiterhin die frage, wann und vielleicht auch wo der Übergang
von einer im wesentlichen volkstümlichen lyrik zur ritterlichen
lyrik sich vollzogen hat, und damit wiederum steht die frage nach
den beziehungen zwischen provenzalischer und französischer höfischer
lyrik im engsten Zusammenhang. Ist für die letzten Jahrzehnte
des 12. Jahrhunderts eine beeinflussung dieser durch jene unabweisbar
und unbestreitbar, so ist die frage für die epoche, mit welcher wir
uns hier beschäftigt haben, noch sehr der erörteruug unterworfen,
zumal für einzelne gattungen der lyrik die antwort ganz verschieden
lauten kann.
Die weitgehende abhängigkeit der französischen kunstlyrik
von den Provenzalen hat schon Friedrich Diez in seiner 'Poesie
der Troubadours' (1826) erkannt und erhärtet, und seine nächsten
nachfolger, wie Wilhelm Wackernagel in den 'Altfranzösischen
Liedern und Leichen' (1846) und Paulin Paris in der 'Histoire
litterairc de la France' (1856) haben seine beobachtungen durchaus
bestätigt. Jedoch unterliess Wackernagel nicht, auch auf die
selbständigen elemeute der französischen lyrik, besonders auf
romanze, lai und sequenz, auch auf die volksmässigkeit des refrains,
hinzuweisen. Der kern seiner auffassung liegt etwa in folgenden
Sätzen: 'Die Volkspoesie, die als organische Fortsetzung auf den
älteren ^ationalgesang (d. i. Epos) folgte, musste dieser ihrer
geschichtlichen Stellung gemäss epische und lyrische Elemente,
epischen Stoff mit lyrischer Färbung in sich vereinigen. Und sie
entwickelte sich alsbald in solcher Fülle, in grösserer vielleicht als
die Kunstlyrik, dass schon daraus auf beides zu schliessen ist, auf
Befruchtung, die sie letzterer zugeführt, und auf Einfluss, den sie
selbst von daher empfangen habe'.
Eiue wesentliche förderung fand die annähme einer aus-
gedehnten französischen volkspoesie durch die Veröffentlichung der
'Altfranzösischen Romanzen und Pastourellen' durch Karl Bartsch
(1870). Er selbst sagt von diesen beiden gattungen: 'Beide ruhen
auf volkstümlicher Grundlage und haben volkstümliche Elemente
in sich aufgenommen. Bei dem bedauerlichen Verluste, der die
176 V.Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 12., Jahrhundert.
romanische Volkslyrik des Mittelalters betroffen hat, sind sie daher
von hohem Werte; sie bilden die hervorragendsten und bedeutendsten
Gattungen der nordfranzösischen Lyrik, neben denen die übrigen
farblos erscheinen und von der reicheren südfranzösischen überstrahlt
werden'. In der einleitung zur Übersetzung seiner 'Alten französischen
Volkslieder' hat er ein zusammenfassendes bild der altfranzösischen
volkslyrik nach seiner auffassung gezeichnet: der romanze, der
mehr lyrischen lieder, der lieder der unglücklich verheirateten
frau, der pastourelle usw. Bei anderer gelegenheit hebt er die
volkstümlichen demente der motets hervor: 'Iu keine Gattung,
vielleicht nur die Romanzen und Pastourellen ausgenommen, haben
sich so viele volkstümliche Elemente geflüchtet, die uns hier als
Trümmer einer zum grössten Teil untergegangenen volksmässigen
Lyrik erhalten sind'.
Eine genauere Scheidung in den erzählenden gattungen suchte
zuerst Gustav Gröber vorzunehmen. Unter den von Bartsch als
romanzen zusammengefassten dichtungen betrachtet er die chansons
d'histoire (siehe oben unter nr. 1) nach inhalt und form als Volks-
dichtung, gepflegt von den Jongleurs, beliebt bei einem allgemeinen
publikum. Hingegen sind die sons d'amors, wie sie Gröber nennt
(siehe oben die lieder der mal mariee), keine Volkslieder und
nicht für das volk bestimmt, sondern lieder einer leichtfertigen
gesellschaft der höfisch gebildeten kreise: eine Weiterbildung der
chansons d'histoire durch Umgestaltung des in ihnen gegebenen
motivs von Seiten höfischer kunstdichter. Die pastourellen endlich
sind 'offenbar nicht nachbildungen von im volke gesungenen
schäferliedern', sondern 'lediglich die ins schäferleben übertragenen
sons d'amors', 'kunstdichtungen, zu denen den höfischen dichtem
das sujet durch die lebendige Wirklichkeit gegeben war', die aber
'nur in kunstmässiger gestalt auftreten' und daher 'etwas später
sein mögen als die sons d'amors'. Gröber nimmt also eine populäre
gattung als ausgangspunkt an und entwickelt daraus die übrigen
erzählenden gattungen durch eine fortschreitende (mit der sozialen
entwicklung zusammenhängende) aristokratisierung, was eine
wesentliche einschränkung des volkstümlichen elements, wie es
Bartsch eich gedacht hatte, in sich schliesst.
Hier sind auch die besonders die pastourelle betreffenden
Untersuchungen von Brakelmann (1868) und 0. Schultz -Gora
(1884) zu nennen, welche, wenn auch nicht ohne Widerspruch zu
finden, doch die ansichten über das gegenseitige Verhältnis der
französischen und provenzalischen lyrik wesentlich beeinflusst haben.
Eine zusammenhängende betrachtung über die beziehungen zwischen
trobadorpoesie und französischer lyrik gab Paul Meyer im
19. band der Romania (1890), aber ohne berücksichtigung der kurz
zuvor erschienenen Untersuchungen von Jeanroy.
Die 'Origines de la poesie lyrique frangaise au moyen äge'
von Alfred Jeanroy (1889) haben für die lyrische forschung
6. Ursprnngsfragen. 1 i i
ungefähr dieselbe hedeutung wie für die epische Rajnas 'Origiui
dell' epopea francese'. Eine reihe von landläufigen irrtümlichen
ansichten wurde hier widerlegt, manche neue und eigene anschauung
aufs klarste erwiesen, während anderes durch seinen konstruktiven
Charakter zum Widerspruch und dadurch zu neuer, vertiefter
forschung reizte. Eine zusammenhängende theorie von den
anfangen der französischen Lyrik wurde hier von einem bestimmten
gesichtspunkt aus zu begründen versucht. Jeanroy stellt in den
Vordergrund als ergebnis seiner forschungen die ansieht, dass auch
die sogenannten objektiven (erzählenden) gattungen, wie pastourelle,
chanson dramatique (mal marire), aube (tagelied), dazu der lyrische
debat (tenzone), höfisches gepräge tragen und darum dem Süden
entstammen, obwol sie auf alten volkstümlichen themen beruhen
können. 'Mais ils ont passe du Midi au Nord ä une epoque oü
l'imitation n'etait pas encore servile: ils ont donc pris, dans les
deux regions, des directions diverses, et ils refletent fidelement
l'esprit des deux peuples qui les ont eultives. Ils ont disparu plus
tot au Midi, oü nous n'en retrouvons que peu de traces, parceque
la poesie metaphysique et subjeetive ne leur a laisse, surtout dans
les recueils, que tres peu de place, et les a, pour ainsi dire,
etouffes; mais ils ont ete neanmoins eultives ä une certaine epoque,
et ils sont loin de constituer la partie originale et caracteristique
de la lyrique purement fran^aise'. Die ursprünglichen themen der
französischen Lyrik erschliesst Jeanroy aus den zahlreich überlieferten
refrains, die meist zu verlorenen tanzliedern gehören (siehe oben),
ferner aus den angeblichen nachahmungen der verlorenen alt-
französischen Lyrik in Italien, Deutschland und Portugal, und
schliesslich lässt er wol auch die romanze (chanson d'histoire) als
ursprüngliches französisches gut, als sichtbaren rest der alten
tanzlieder, gelten. So sehr des Verfassers ausführungen über den
refrain und seine bedeutung für die erschliessung älterer Lyrik
anerkennung gefunden haben, so hypothetisch sind den meisten
kritikern seine Schlussfolgerungen aus den fremden literaturen
geblieben, obwol auch sie zu erneuter prüfnng der frage veranlassen,
wieweit schon der sogenannte altheimische minnesang des Kürnbergers
und anderer unter romanischem einfluss steht. — In seiner darstellung
in Petit de Jullevilles 'Histoire' hat Jeanroy sein System in den
hauptpunkten aufrecht erhalten, im einzelnen aber sehr viel unter
berücksichtigung der neuen darlegungen von G. Paris geändert.
Unter den zahlreichen recensionen und Studien, welche das
buch von Jeanroy hervorgerufen oder beeinflusst hat, darf die
ausführliche besprechung des buches durch Gaston Paris im
Journal des Savants den wert einer selbständigen, neue gesichts-
punkte eröffnenden, bedeutungsvollen abhandlung beanspruchen.
In viel höherem masse als Jeanroy sucht G. Paris die populären
demente der überlieferten gattungen blosszulegen, wobei der direkte
einfluss der provenzalischen Lyrik sehr wesentliche einschränkungen
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 12
178 V. Kapitel. Die einheimische LiederdichtuDg im 12. Jahrhundert.
erfahrt. So bespricht er eingehend nacheinander die gattungen
der mal mariee, der reverdie, der pastourelle, des debat, der aube
und am ausführlichsten zuletzt des tanzliedes. Den Ursprung dieser
wie einer reihe anderer gattungen erblickt er in den maitänzen, in
den maifesten heidnisch -römischer herkunft (er denkt dabei an die
Floralia der Kömer). Gelegentlich sucht er auch direkte anknüpfung
an die römische volkspoesie wie z. b. bei den spottliedern, im
wesentlichen aber erscheinen ihm die lieder der primitiven epoche
als tanzlieder der frauen, daher monologe von frauen, wie bei der
mal mariee, ursprünglich auch im tagelied usw., oder dialoge, an
denen frauen beteiligt sind, den kern dieser lieder bilden. Solche
maitanzlieder 'ont du exister un peu partout en Gaule, mais leur
transformation en une poesie de societe aristocratique a du avoir
lieu en un point special'. Als diesen entstehungsort betrachtet
G. Paris weder den norden noch den Süden im eigentlichen sinn,
sondern ein mittelgebiet, nämlich Poitou und Limousin: 'Les chansons
de danse, soit poitevines, soit limousines, ont penetre, dans la France
du nord, bien avant les productions des troubadours, non pas dans
le peuple, mais dans la haute societe, et elles y ont ete imitees
probablement Sans grands changements .... Dans le Limousin, ces
meines chansons ont subi la transformation reflechie qui en fait
des chansons courtoises, fideles longtemps en tout et toujours par
quelques points ä leur premiere inspiration .... Cette poesie
limousine, bientöt repandue dans la Gascogne, le Perigord et
l'Auvergne, plus tard dans le Languedoc et la Provence, etait
destinee, on le sait, ä avoir, hors du domaine oü la langue qu'elle
s'etait faite pouvait etre adoptee, un prodigieux epanouissement,
susciter en France et en Allemagne une poesie lyrique d'imitation,
creer celle de l'Espagne et du Portugal, et feconder en Italie le
sol oü devaient plus tard fleurir et la poesie subtile ou sublime
de Dante et la poesie delicate et raffinee de Petrarque. Tout
cela .... provient des reverdies, des chansons executees en dansant,
aux fetes des calendes de mai, dejä sans doute ä l'epoque anterieure
aux croisades, par les jennes filles et les jeunes femmes des cam-
pagnes, puis des chäteaux, du Poitou et du Limousin'.
Nicht minder als das buch, das G. Paris den anlass zu diesen
ausführungen bot, haben diese selbst die gebührende beachtung
und Würdigung erfahren (ich verweise hier nur auf die früher
genannten abhandlungen von Wilmotte und Gorra), und Jeanroy
selbst hat manches davon in seine darstellung der afr. lyrik in
Petit de Jullevilles Histoire aufgenommen. Aber bei aller klarheit
und folgerichtigkeit, welche dem System von G. Paris eignet, läuft
doch auch manches hypothetische mit unter, so dass modifikationen
seiner theorie im einzelnen nicht ausgeblieben sind. So hat Joseph
B edier in der Kevue des deux mondes die entwicklung des
tanzliedes bis auf die daraus abgeleiteten höfischen gattungen
im anschluss an Jeanroy und besonders an G. Paris, aber mit
6. Ursprungsfragen. 179
selbständigen eiuschränkungen, systematisch darzustellen versucht.
Ihm vollzieht sich diese entwicklung vom populären maitanzlied zu
höfischer reverdie, chanson ä personnages und pastourelle nicht
organisch und spontan, sondern bewusst und mit einem mal, durch
die dichterische tat einer bestimmten persönlichkeit: 'vers le milieu
du XIIe siede, en quelque cour seigneuriale, im trouvere ä jamais
inconnaissable, — mais qui fut vraiment un poete, — conc,ut cette
idce singulare et Julie d'exploiter les chansons de mai et d'animer
d*une vie plus complexe les personnages fugitifs des rondeaux
de la carole'. Die übrigen höfischen gattungen, ausser den drei
genannten, sind zu verschieden von dem volkstümlichen tanzlied,
als dass sie als ableitungen desselben gelten könnten. Der stereotype
natureingang höfischer lieder kann hierfür nichts beweisen, auch die
auffassung der liebe ist im höfischen minnelied durchaus verschieden
von derjenigen der mal maricc.
Von einer anderen seite wurde die theorie von G. Paris wesent-
lich ergänzt durch Hermann Suchier, welcher in seiner literatur-
geschichte zwar die mailiedtheorie an sich übernimmt, aber das
den ausgangspunkt bildende maifest nicht als römisches, sondern
germanisches auffasst und damit die altfranzösische volkspoesie in
Zusammenhang mit dem germanischen altertum bringt. Zur stütze
dieser ansieht hat Eduard Wechssler eine reihe von beachtens-
werten gründen ins feld geführt: die meisten französischen ausdrücke
für tanzen stammen aus dem germanischen, der mai ist nur im
norden der frühlingsmonat, in Südfrankreich hingegen der april, in
Italien der märz.
Wenn wir versuchen, aus diesen forsebungen die kern-
puukte, um die es sieh handelt, herauszuheben, so sind es die
folgenden :
1. Volkspoesie und maitanzlied. An dem Vorhanden-
sein einer wirklichen volkspoesie schon in frühen Jahrhunderten
ist angesichts der bestimmt lautenden Zeugnisse (vgl. kapitel II)
nicht zu zweifeln. Welchen Ursprungs diese poesie war, ist
nicht ebenso bestimmt zu sagen. Einzelne gattungen, wie das
spottlied, hängen vielleicht mit römischer volkspoesie zusammen,
anderes mag selbständig in dem neugewordenen französischen
volk entstanden sein, wieder anderes auf germanische Über-
lieferung zurückweisen. Den wesentlichsten teil dieser alten
volkspoesie scheint das tauzlied oder frauenlied gebildet zu
haben. In dessen mittelpunkt steht das maifest, dessen feier
eher auf germanische als römische herkunft zurückweist. So
wenig aber derartige frühlings- und liebeslieder ausschliesslich
am maifest gesungen und getanzt wurden, so wenig braucht man
12*
180 V. Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 12. Jahrhundert.
die entstehung aller derartigen lieder nur auf das maifest
zurückzuführen. Schon die volkstümlichste liedergattung, die
wir überhaupt in der altfranzösischen lyrik noch haben, die
romanze, bietet keinen anläse zu einer derartigen einschränkung.
Der Ursprung der altfranzösischen volkspoesie braucht nicht
in so engem rahmen gesucht zu werden, schon der begriff
des 'arbeitsgesanges' (vgl. s. 76, 161) weist auf eine weitere
möglichkeit der entstehung.
2. Jongleurdichtung. Die Jongleurdichtung lässt sich
nicht ohne weiteres mit der volkspoesie identifizieren. Sie ist
an und für sieh volkspoesie, weil sie für den geschmack des
Volkes berechnet war, grösstenteils auch von angehörigen des
eigentlichen volks verfasst und verbreitet wurde, aber es war
volkspoesie in den händen berufsmässiger Sänger. Schon hieraus
ergibt sich, dass diese weniger die für chorischen gesang
berechneten lieder bevorzugt haben werden als vielmehr solche,
die sich für solovortrag eigneten: erzählende lieder, monologe,
wol auch (von mehreren vorgetragen) dialoge wie die debats
und ähnliches, was sich mit mimischem Vortrag verbinden
konnte (vgl. oben s. 78). Wenn G. Paris für einige gattungen,
wie die mal mariee, eine Stufenfolge : Volkslied — jongleurlied
— aristokratendichtung annimmt, so ist damit nicht gesagt,
dass die Jongleurpoesie an und für sich erst aus der volkspoesie
hervorgegangen wäre: sie steht neben ihr oder richtiger in
ihr, und gerade durch die mimi (Jongleurs) können elemente
römischer Volksdichtung weitergeführt worden sein, die in der
eigentlichen volkspoesie nicht vorhanden oder nicht mehr vor-
handen waren.
3. Die ältere ritterdichtung. Die gattungen, mit
denen wir uns hier im wesentlichen beschäftigt haben, sind
ihrem Ursprung nach meistens als populär, ihrem wesen nach
als ritterlicher auffassung entsprechend anerkannt worden. Es
hat sich also zu einer gewissen zeit der Übergang volkstümlicher
liedergattungen in die pflege des dichtenden adels vollzogen:
nach Jeanroy im süden, nach G. Paris in Poitou und Limousin,
nach Bedier ebenda, aber durch das eingreifen eines einzelnen,
der sozusagen schule machte. Es handelt sich hierbei, wol-
gemerkt, noch nicht um die schlechtweg poesie lyrique courtoise
oder genauer poesie lyrique d'origine provencale genannte
6. UrspriiDgsfragen. 181
dichtnng, welche den bütisehen niinnedieust ausbildet und erst
zur zeit Crestiens von Troyes in Nordfrankreiofa eingang
findet, sondern um die ritterliebe lyrik der voraufgebenden
periode, welcher die hier behandelteu gattuugen in ihren
ältesten Vertretern mehr oder weniger augehören (vgl. dazu
besonders das oben gegebene zitat aus G. Paris).
Es fragt sich nun, ob eine beteiligung des adels an der
lyrischen dichtnng seiner zeit ohne weiteres eine völlige
Umgestaltung derselben zur folge haben musste, ob dadurch
sogleich eine so neue und originelle dichtart geschaffen wurde,
dass man ihre entstehung an einem ort und nach Bedier
sogar nur in einem köpf suchen darf. Nach Jeanroy selbst
waren literarisches publikum und literarischer geschmack bis
zum ende des 12. Jahrhunderts im wesentlichen einheitlich,
erst die bildung der höfischen gesellschaft brachte eine
Spaltung hervor: 'En effet, jusqu'ä la fin du XII e siegle,
tous les genres poetiques eultives dans la France du nord
s'adresserent ä la societe tout entiere, saus aueune
distinetion de caste: jusque-lä, vies de saints, narrations epiques
et plaisantes, si elles etaient applaudies sur les champs de
foire et les places publiques par les bourgeois et les vilains,
etaient egalement goütees dans les salles des chäteaux, oü
elles trouvaient uu auditoire n'ayant pas une eulture
d'esprit sensiblement plus delicate que le reste du
public. Ce n'est que lors de la formation de cette soeiete"
courtoise dont nous parlions plus baut que le public francais
se creusa un fosse qui depuis devait toujours aller en
s'elargissant' (Origines, Einleitung s. XVIII).
Wenn also vor eintritt dieser trennung lyrische dichtung
vom adel geübt wurde, musste das nicht ohne weiteres eine
wesenhafte Veränderung der lyrik bedeuten. Die Spottlieder
des ritters Luce de la Barre auf könig Heinrich I. im jähre
1124 werden sich ihrem wesen nach von den estraboz kaum
unterschieden haben, welche die Franzosen 911 auf Jeble
von Poitiers gedichtet hatten. Auch in den mehr lyrischen
gattungen kann es sich nur um eine allmähliche Verschiebung
des Standpunktes des dichters zu den personen und Vorgängen
der überlieferten dichtgattungen gehandelt haben: der ritter
schob mehr und mehr sich und seinen stand, sein Verhältnis
182 V. Kapitel. Die einheimische Liederdichtung im 1 2. Jahrhundert.
zu liirtin und mal marire in den Vordergrund. Wie sehr sich
aber die 'freie liebe' der med marice selbst in den überlieferten
chansons dramatiques ritterlichen Ursprungs von der auffassuug
der höfischen minne unterscheidet, hat B^dier (s. o.) ausdrücklich
und zutreffend hervorgehoben.
Für eine solche behandlung volkstümlicher poesie durch
den adel war überall da die möglichkeit gegeben, wo eine
volkspoesie überhaupt vorhanden war. Es scheint daher
unnütz, nach einem bestimmten ursprungszentrum für die
entstehung der ritterdichtung überhaupt zu suchen. Diese frage
erhebt sich vielmehr nur für bestimmte einzelne gattungen,
welche in einer bestimmten formulierung konventionell aus-
gebildet und so zur blossen, starren manier werden.
4. Französische und provenzalische ritterdichtung.
Für Jeanroy wie für seine Vorgänger handelt es sich bei
dem Ursprung bestimmter genres nur um midi und nord, nach
unserem Sprachgebrauch kurzweg um provenzalische oder
französische herkunft. Diese auffassung wird meines erachtens
durch das von G. Paris für die ritterdichtung im allgemeinen
und für die pastourelle noch im besondern angenommene ent-
stehungszentrum Poitou-Limousin nicht wesentlich verändert.
Die poitevinische dichtung spielt in der altfranzösischen
literatur keine wesentliche rolle, gerade von lyrischer poesie
wissen wir aus alter zeit von dort nichts. Graf Wilhelm IX.
von Poitiers — der älteste trobador, den wir kennen —
dichtet seine lieder nicht auf poitevinisch, sondern limousinisch:
der vorrang dieser mundart war also damals bereits — ende
des 11. Jahrhunderts — anerkannt, und tatsächlich ist Limousin
die wiege der höfischen lyrik Südfrankreiehs geworden.
Schalten wir also Poitou aus dem von G. Paris angenommenen
Zentrum aus, so bleibt nur das kernland der provenzalischen
dichtung übrig, d. h. die frage steht nach wie vor auf
französisch oder provenzalisch.
Von den hier besprochenen gattungen sind romanze und
mal marite in der Provence so wenig kultiviert worden, dass
bei der ersten eine entstehung daselbst überhaupt nicht, bei
der zweiten kaum in betracht kommen kann. Über die
pastourelle sind die meinungen geteilt, doch spricht auch hier
mehr für den norden als für den Süden. Die französische
6. Ursprnngsfragen. 183
reverdie wie das tanzlied Überhaupt aus der provenzalischen
lvrik abzuleiten liegt kein grund vor, ebensowenig für die hier
bebandelten spott- und Streitlieder und für das kreuzlied.
Hingegen tritt der provenzaliscbe einfluss um so kräftiger
hervor in der folgezeit (s. kap. IX und X): in dem höfischen
minnelied, der chanson, im salut d'amour, in dem höfischen
streitgedicht {tenqon und jeu })arti), auch im tagelied (aube —
provenzalisch alba).
Vgl. im allgemeinen die am eingang des kapitels zitierte
literatur, dazu ferner: Diez, Poesie der Troubadours, 1826 (21883),
s. 239 ff., 249 ff. — Wilh. Wackernagel, Altfranzösische Lieder und
Leiche. Mit gram. u. lit.-hist. Abhandinngen, Basel 1846, s. 165 ff.,
176ff., 181 ff. — P. Paris, Hist. litt, de la France, tome XXIII 512 ff.
— Karl Bartsch, Afr. Rom. u. Past., s. Vff; Alte franz. Volkslieder
B.Vff.; ZrP 8, 456 ff. — G. Gröber, Afr. Rom. u. Past,, auch Jahr-
buch 12, 91 ff. dazu Lit. s. 444 ff, 475ff, 659ff — A. Jeanroy,
Origines und in Petit de Jve., dazu: De nostratibus medii aevi
poetis qui primum lyrica Aquitaniae carmina imitati sint P. 1889.
— G. Paris, Origines, auch Lit. §118 — 124. — Bedier, RddM,
t. 135 (1896) 146 ff., bes. 166ff — Suchier, Lit. s. 8ff., 10. —
E. Wechssler, Rom. Jahresbericht V (1897—1898) II 393 ff.
Sechstes Kapitel.
Das Heldenepos in seiner Blütezeit,
Im dritten kapitel haben wir die entstehung des heldenepos
verfolgt und seine entwicklung bis auf die zeit der ältesten
tiberlieferten epen begleitet. Eine uns sichtbare, reichere
entfaltung der gattung tritt mit dem 12. Jahrhundert ein,
welchem etwa die hälfte der überkommenen epen angehört
und das zum mindesten der masse nach als blütezeit des
heldenepos betrachtet werden kann. Was freilich seine innere
entwicklung anlangt, so gewahren wir unter den produkten
dieser epoche bereits manche schablonenhaft, nach vorhandenen
mustern, ohne besondere Originalität gefertigte werke; auch
in den dichtungen mit altem kern findet sich neben dem
originalen und guten manches platte, bloss nachahmende oder
wiederholende (wie z. b. die Baligantepisode im Roland);
überhaupt sind die epen des 12. Jahrhunderts in ihrer mehrheit,
z. t. auch noch die des 13. Jahrhunderts, bearbeitungen oder
zusammenschweissungen älterer dichtungen, wie schon das
Rolandslied sich als remaniement einer älteren, wesentlich
kürzeren und einfacheren dichtung erwiesen hat. Daher wird
von manchen gelehrten das 12. Jahrhundert schon als eine zeit
des Verfalls betrachtet, welcher die eigentliche blüteperiode
bereits vorausgegangen sei. Nach G. Paris dauert die periode
der anfange etwa bis zum jähre 1050; die zweite, von 1050
bis etwa 1120, umschliesst die drei ältesten bekannten epen
(Roland, Karlsreise, Isembart); die dritte, etwa 1100 — 1180,
kennzeichnet sich bereits durch erneuerung älterer (verlorner)
gedichte, ergänzungsepen und reine erfindungen; die vierte,
etwa 1150 bis etwa 1360, bringt nur noch Umarbeitungen der
Allgemeines. 185
überlieferten epen, er rindungen und auknüpfung anderer, dem
nationalepoa ursprünglich fremder Btoffe. Diese teilung lässt
sieh Dicht glatt durchführen: so enthält einerseits der Roland
schon demente der verfallzeit, andererseits beruht z. b. noch
der Huon de Bordeaux, den G. Paris mit unrecht noch in das
ende des 12. Jahrhunderts setzt, der vielmehr schon seiner
dritten periode angehört, auf älteren, uns in ihrer ursprünglichen
form nicht mehr bekannten epen. Welche epen aber bereits
im 10. und 11. Jahrhundert vorhanden waren und welcher
art sie waren, darüber lassen sich nur vermutungeu aufstellen.
Halten wir uns an das gegebene, an die überlieferten
dichtungen, so erscheint uns das 12. Jahrhundert in der tat als
die 'blütezeit' des epos, mag auch seine eigentliche 'glanzzeit'
weiter zurück liegen, und just in dieser blütezeit erscheint
neben manchem handwerksmässig arbeitenden dichter gerade
infolge der fortschreitenden Verfeinerung des allgemeinen
kunstgeschmacks manche dichterische individualität, welche
mit eigener gestaltungskraft aus der epischen Schablone eine
originelle und dichterisch bedeutende leistung herausarbeitet.
So erblickt z. b. Suchier die höhepunkte des französischen epos
nicht bloss im Rolaudslied, sondern auch in den Lothringerepen
des 12. Jahrhunderts und in den dichtungen des Bertrand von
Bar-sur-Aube (um 1200).
Wir fassen daher in diesem kapitel im wesentlichen die
epen des 12. Jahrhunderts zusammen, mit gelegentlichem
übergreifen in die ersten jähre des 13. Jahrhunderts. Eine
genaue datierung der überlieferten werke ist vielfach überhaupt
noch nicht möglich, daher sich auch zur zeit eine feste
Chronologie der einzelnen werke und eine innere entwicklung
der ganzen gattung noch nicht aufstellen lässt. Wir können
w«»l beobachten, dass in der zweiten hälfte des Jahrhunderts
manche epen — wie Aye d'Avignon, Ogier der Däne, Aiol,
Foucon de Candie — einflüsse des höfischen ritterromans
zeigen, aber manche andere gleichzeitige oder sogar jüngere
gediente lassen von diesen einflüssen nichts erkennen, so dass
sich eine entwicklungsgeschichtliche einteilung darauf nicht
aufbauen lässt. An stelle der absoluten Chronologie hilft uns
vielfach die relative Chronologie aus, indem sich das eine
epos als nachahmung und darum als jünger erweist als ein
186 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
anderes oder mehrere andere (so das Moniage Rainonart gegen-
über dem Moniage Guillanme, Ansei's de Cartage gegenüber
Roland und den Saisnes, Huon von Bordeaux gegenüber Ogier,
Renaut de Montauban u. a.). Aber hier spielt vielfach wieder
die frage der verloren gegangenen epen, der sogenannten
„vorepen", herein, aus denen ja ein dichter ebensogut wie aus
dem davon übrig gebliebenen remaniement entlehnt haben
kann. 80 sind auch über die beziehnngen der einzelnen epen
untereinander die meinungen vielfach geteilt.
Die erst seit etwa 1200 aufgekommene gruppierung der
epen in zyklen oder gesten (geste du roi, geste de Guillanme,
geste Nodale) einer darstellung des epos zugrunde zu legen ist
allerdings gegenüber den für andere einteilungen bestehenden
Schwierigkeiten bequem, erweckt aber von der entwicklung
des altfranzösischen epos leicht falsche Vorstellungen, da auf
diese weise relativ alte und ganz junge dichtungen zusammeu-
gefasst, häufig die letzten aus äusseren gründen — weil sie
die jugend des beiden oder die geschichte seiner ahnen
erzählen — an die spitze gestellt werden.
Im folgenden werden, nach einer allgemeinen betrachtung
über Vortrag, form und komposition des epos, zunächst die
zeitlich ältesten dichtungen besprochen; sodann von den übrigen
epen des 12. Jahrhunderts zuerst diejenigen, welche mit ihrem
sagenhaften kern auf die Merowinger und auf Karl Martell
zurückweisen, alsdann die Karlsgedichte in engerem sinne,
darnach epen, welche anderen beiden aus der zeit Karls des
Grossen (Ogier, Wilhelm) gewidmet sind, weiterhin epen mit
jüngerer historischer grundlage oder ohne erkennbare grnndlage
solcher art, Stoffe freier errindung oder fremder herkunft;
schliesslich die dichtungen Bertrands von Bar als abschluss
dieser epoche.
Die hier behandelten epen sind grösstenteils analysiert und
besprochen in bd. XXII der Hist. litt, und in Gautiers Ep. fr. III
u. IV, herausgegeben meist in den s. 52 f. genannten Sammlungen
und textgesellschaften (die älteren ausgaben hauptsächlich in den
Romans des dorne pahs und den Anciens poetes de Ja France).
1. Vortrag und Technik des Epos. 18 f
1. Vortrag und Technik des Epos.
Der alte name für das. was wir Heldenepos, volksepos
oder mit den Franzosen zur bezeichnung der ganzen gattung
ipopee nationale nennen, ist chanson de geste. Damit ist
zunächst gesagt, dass es sieh um eine gesungene, nicht
gesprochene oder vorgelesene dichtung handelt. Geste (lat.
gesta, vgl. Gesta Francorum, Gesta Dagoberti) bedeutet 'taten
— geschichte'. Wie die alte heldensage, bildet das aus ihr
hervorgegangene nationale epos die geschichtliche Überlieferung
des Volkes. Zur Vermehrung ihrer glaubwürdigkeit berufen
sich die Verfasser von chansons de geste gern auf lateinische
Chroniken wie namentlich auf die Chroniken von St. Denis.
Der Untergrund ihrer dichtungen ist allerdings zumeist
historisch, aber in der regel schöpfen sie nicht aus der reinen
geschichte, sondern aus der sage, oder, wie in der regel in
unserer epoche, aus älteren, der sage näherstehenden epen-
dichtungen, die, wie das Chlotharlied, wie die belagerung des
beiden Borel durch Karl den Grossen (Haager Fragment) oder
das original des Rolandsliedes, im 9., 10. oder 11. Jahrhundert
dagewesen sein müssen. Aus den überlieferten epen lassen
sich mit mehr oder weniger Sicherheit noch eine reihe weiterer,
uns verlorener epen erschliessen.
Pflege und Vortrag der chansons de geste lag in der
hauptsache in den bänden der Jongleurs. Man hat neuerdings
mehrfach den aristokratischen Charakter der heldendichtung
besonders betont. Richtig ist, dass in dieser in erster linie
die taten eines bestimmten Standes gefeiert wurden, das „volk"
als solches spielt in diesen kampfschilderungen keine rolle.
Das ist aber nur natürlich, da sich das interesse der sage wie
der dichtung immer an die hervorragende einzelpersönlichkeit
heftet, die unter den damaligen Verhältnissen naturgemäss
meist ein fürst oder adelsmann war. Dass somit der adel ein
wesentliches interesse und vergnügen am Vortrag dieser lieder
— sei es beim mahle und sonstigen festlichen gelegenheiteu,
sei es unterwegs auf reisen — bekundete, ist ebenso
natürlich, aber ein mindestens ebenso grosses interesse fand
an denselben dichtungen auch das „volk", welchem diese von
den Jongleurs auf markten und öffentlichen platzen vorgetragen
188 VI. Kapitel. Das Heldenepos iu seiner Blütezeit.
wurden. Femer sind Verfasser von chansons de geste unter
dem adel nicht gerade zahlreich : soweit wir die Verfasser
kennen, sind es meist Jongleurs oder kleriker. Schliesslich
tragen die epenstoffe, soweit sie auf ältere zeit zurückgehen,
meist die spuren volkstümlicher Überlieferung und sagenbildung
an sich. Das heldenepos entsprach nach herkunft und
charakter dem geschmack und bildungsstand des ganzen volks,
daher es vielfach auch „volksepos" genannt wird, während der
um die mitte des 12. Jahrhunderts aufkommende ritterroman
tatsächlich für den höfischen geschmack mehr oder weniger
ausschliesslich berechnet war.
Die melodie, nach der ein epos vorgesungen wurde, war
eine ziemlich einförmige, sie wiederholte sich nach je zwei
versen, wenn sie nicht für alle verse die gleiche war. Daher
war es für den musikalischen Vortrag auch gleichgiltig, von
welcher länge die epischen Strophen, die laissen oder tiraden,
waren. Die Jongleurs begleiteten ihren gesang — oder Hessen
sich von einem andern dazu begleiten — mit der fiedel
{viele), wie wir des öfteren auch auf abbildungen in alten
handschriften sehen können (vgl. z. b. die tafel in Suchiers
Lit. s. 18, ferner Gautier, Nyrop u. a.). Erst später wurde die
fiedel durch eine drehleier (cifoine) ersetzt, was nicht zur
Veredelung des Vortrags beitrug.
Der hergebrachte epische vers ist der zehnsilbner, neben
welchem der zwölfsilbner sich allmählich — freilich schon in
der Karlsreise — eingang verschafft und der achtsilbner nur
ausnahmsweise im epos von Isembart und Gormont begegnet.
Die meisten in diesem kapitel besprochenen dichtungen zeigen
noch den zehnsilbner (der Girart de Roussillon mit der cäsur
nach der sechsten silbe); iu alexandriuern sind ausser der
Karlsreise nur Floovent, Mainet, Fierabras und Destruction de
Rome, Saisnes, Renaut de Montauban, Siege de Barbastre,
Foucon de Candie teilweise, Aye d'Avignon, Doon und Gui de
Nanteuil gedichtet. Übergang von der assonanz zum reinen
reim zeigt sich schon in diesem Zeitraum, seltener in zehnsilbner-
als in zwölfsilbnerdichtungen (Aspremont, z. t. Aliscanz —
Mainet, Saisnes, Foucon). Ein besonderer abschluss der
Strophe durch einen kürzereu, sechssilbigen vers charakterisiert
eine gruppe der Wilhelmsepen nebst einigen anderen (so
1. Vortrag und Technik des Epos. 1 ~'-'
Amis und Aniiles nebst Jourdain de Blaivies). In einigen
clii'htungen oder Handschriften vmi solchen, wie z. b. im Foncon
de Candie, ist der tiradenschluss als nnursprünglicher zneatz
nachgewiesen. Auch an das als kennzeichen des strophen-
sehlusses im Rolandslied dienende Aoi ist hier zu erinnern.
Eine mehr stilistische als metrische eigenbeit einer grossen
anzahl epen sind die sogenannten wiederholungstiradeu
(couplets similaires), in welchen der inhalt der voraus-
gegangenen tirade ganz oder teilweise, aber auf einen neuen
assonanzvokal oder reim wiederholt wird. Zuweilen sind drei
aufeinanderfolgende laissen auf diese art untereinander ver-
knüpft. Schon im Rolandslied finden sich beispiele dafür. J)
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der epische stil für
gleichartige Situationen sich mit Vorliebe derselben oder nach
möglichkeit ähnlicher worte bedient. Der wiederaufnähme des
vorausgehenden strophenendes aber durch den beginn der neuen
Strophe („recommencement" oder nach Gröber „grammatische
dittologie") ist eine auch aus dem französischen Volkslied
wolbekannte art der Strophenverknüpfung: man vergleiche
z. b. das oben s. 166 abgedruckte lied der mal maricc, wo je
die zwei letzten Zeilen der vorigen Strophe die beiden ersten
der folgenden bilden. Durch allmähliche erweiterung dieses
l) So Roland laisse III und IV oder V und VI, wie folgt:
Laisse V (662—77). Laisse VI (GTS — SS).
Li reis Marsilies out son conseill finet, Li reis Marsilies out finet son conseill,
Si 'n apelat Clarin de Balaguer, Distaseshomes: „Seiguorvoseuireiz,
Estramarin e Eudropin son per, Branches d'olive en voz mainz
E Priamon e Guarlan le Darbet, portereiz,
E Machiner e son oncle Mähen Si tue direz Charlemagne le rei
E Jo'i'uier e Malbien d'oltre-uier, Por le snen deuqu'ilaitmercitderaei.
E Blanchandrin, por la raison conter. Ainzneverratpassercestpremiermeis
Des plus felons dis en ad apelez: Que jol sivrai od mil de mes fedeilz,
,,Seignor baron, a Charlemagne irez, Si recevrai la chrestiiene lei,
II est al siege a Cordres la citet. Serai ses hom par amor e par feid.
Branches d'olive en voz mains por- S'il vuelt ostages, il enavratpar veir".
Co senef iet pais et humilitet. [terez, Dist Blanchandrins: „Molt bon plait
Par voz saveirs sein poez acorder, en avreiz". Aoi.
Jo vos dorrai or e argent assez,
Terres e fiez tant com vos en voldrez".
Dient paiien: „De co avons assez".
1(JU VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
recommencement1) konnten leicht laissen entstehen, welche
inhaltlich zu einem grösseren teil mit der vorhergehenden
identisch waren, und häufig sind es erst die späteren kopisten
gewesen, welche die ursprünglichen recommeticements derart
erweitert haben. Zur entstehung wirklicher wiederholungs-
laissen aber mit mehr oder weniger übereinstimmendem inbalt
mögen noch andere, mehr auf künstlerische Wirkung berechnete
Vorbilder mitgewirkt haben: besonders stellen wie Roland
laisse 173 — 175, wo Roland dreimal nacheinander vergeblich
den versuch macht sein seh wert am fels zu zerschlagen, oder
laisse 84 — 86, wo Olivier dreimal und immer dringlicher
Roland bittet, durch einen hornruf Karl und sein heer herbei-
zurufen und jedesmal dieselben einwürfe Rolands zu hören
bekommt. Solche Schilderungen einer dreimal wiederholten
handlung konnten leicht als stilistische Wiederholungen einer
und derselben handlung aufgefasst werden und zur ausdehnung
der rein stilistischen wiederholungslaissen beitragen; jedenfalls
ist es zu einer gewissen zeit, wenn auch nicht für alle dichter,
stil geworden, solche Wiederholungen einzuflechten.
Da die epische Schilderung sich im ganzen mit den
einfachsten mittein begnügt, gern mit stehenden formein,
überhaupt mit traditionellen elementen arbeitet und möglichst
das gesamtempfinden zum ausdruck bringt, begreift es sich
leicht, dass im stil der einzelnen epen untereinander keine
allzu grossen Verschiedenheiten zu bemerken sind. Aber
gleichwol ist es zu viel gesagt, wenn man alle individuelle
färbung des stils leugnet, wie es z. b. noch G. Paris tut, wenn
er sagt: 'Le style n'a rien d'individuel: c'est, comme on l'a
dit excellement, un: „style national'". Schon die Charakteristik,
welche Gr. Paris selbst an verschiedenen stellen von dem dichter
a) Solehe finden sich fast in allen cbansons de geste, auch in solchen,
welche die eigentlichen wiederholungslaissen nicht kennen. Als beispiel
kann laisse IX und X des Rolandliedes dienen, mit dem schluss der ersten
und dem anfang der folgenden laisse:
138 Li emperere tent ses dous mains vers Den, (IX)
Baisset son chief, si commence a penser.
Li emperere en tint son chief enclin. (X)
De sa parole ne fut mie hastis,
141 Sa costume est qu'il parole a leisir . . .
1. Vortrag nod Technik des Epos. 191
des Rolandsliedes gibt, passt keineswegs auf ändert- stiieke
unserer gattung. andere beispiele bieten die Charakteristiken
des [sembartliedes dnrch Zenker (s. u.), des dichtere Bertrand
de Bar durch Suchier (in seiner Literatargeschichte s. 37ff.)?
des Haondiehters, des Gaydondiehters u. a. m.
Auch über umfang und komposition der handlung lassen
sich kaum allgemeine regeln aufstellen. Soviel ist gewiss,
dass die einfache manier des heldenepos die einzelnen akte
einer handlang oder die verschiedenen handlangen nacheinander
schildert, während der kunstvollere ritterromau die ver-
schiedenen Vorgänge gern ineinander schachtelt. Sonst aber
ist die handlung der einzelnen epen bald verwickelter, bald
einfacher, ohne rücksicht auf den äusseren umfang. So stellt
das Rolandslied mit seinen 4000 versen eine im ganzen
einheitliche handlung in mehreren akten dar. während die
kurze Karlsreise in ihren 870 versen zwei ganz verschieden-
artige haudlungen miteinander verschmilzt. Die epen auf
Wilhelm von Orange bieten am meisten sogenannte episoden-
dichtung. welche uns am ehesten eine Vorstellung von art und
umfang der früher vorhandenen epen zu geben vermag. Die
Wilhelmsgeste zählt denn auch nächst der Karlsreise die
kürzesten epen in ihrer mitte: so das Charroi de Nimes mit
1741. die Prise d'Orange mit 1880, das Covenant Vivien mit
1944, das Wilhelmslied mit 1983 versen. Daneben stehen aber
Moniage Guillaume und Couronnement Louis mit keineswegs
einheitlichen handlungen, aus anderen kreisen die epen von den
liaimonskindern, von Ogier dem Dänen u. a., welche auf nach-
trägliche zusätze oder Verschmelzung ursprünglich voneinander
getrennt vorhandener epenstoffe und epen deuten. Dass auch
epen mit einheitlicher handlung in ihrer älteren gestalt
wesentlich kürzer waren als in der überlieferten form, kann
keinem zweifei unterliegen: so zählt z. b. das Rolandslied
nach abzug der nachträglich eingeschalteten Baligantepisode
statt 4000 nur noch 3000 verse und nähert sich schon
dadurch sehr dem umfang der oben genannten Wilhelmsepen
episodischer art.
Vgl. im allgemeinen die oben 8. 88 f. zitierte literatur. Dazu
ferner: Wilmotte, L'evohttion du roman franc.ais aux environs de
1150, P. 1903, s. 4ff. (anm.). Adolf Birch-Hirscbfeld, Über die dea
192 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
prov. Troubadours des 12. und 13. Jahrhunderts bekannten epischen
Stoffe, Hab.-Schrift, L. 1878. — Ch. de La Lande de Calan, Les
personnages de Tepopee romane, Redon 1900 (unkritisch). E. Langlois,
Table de9 noms propres de toute nature compris dans les ch. d. g.,
P. 1904. — Über die Jongleurs siehe die oben s. 76 verzeichnete
literatur. — Über den musikalischen Vortrag der ch. d. g. siehe
Suchier, ZrP 19 (1895) 370 ff. E. Langlois, ZrP 34 (1910) 349 ff.
G. Schläger, ZrP 35 (1911) 364 ff. (auch Musik und Strophenbau
der Romanzen, oben s. 161). — Über versbau siehe die oben s. 35
angeführte literatur. Über den tiradenschliessenden kurzvers siehe
Ph. A.Becker, ZrP 18 (1894) 112ff. und Schultz-Gora ebenda 24
(1900) 370 ff. — Über die wiederholungslaissen: O.Dietrich, Rom.
Forsch. I, lff, dazu Gröber ZrP 6 (1882) 492 ff. Alfred Nordfeld.
Les Couplets similaires, Programm Stockholm 1893.
Sehr zahlreich sind die abhandlungen über einzelne stilfragen
sowie über die sogenannten realien, wofür hier auf die bibliographien
von Gautier und Nyrop, für die neueren auf den JrP und die
bibliographie zur ZrP verwiesen sei. Im allgemeinen vgl. Leon
Gautier, La chevalerie, P.3 1895, auch desselben erläuterungen
zur Rolandausgabe, sowie Alwin Schultz, Das höfische Leben zur
Zeit der Minnesinger, L.2 1889, und desselben skizze in Gröbers
Grundriss II, 3, 522 ff.
2. Die ältesten bekannten Epen.
Trotzdem wir die anfange des heldenepos bis in das
9. Jahrhundert zurüekverfolgen können, sind uns, durch die
Ungunst der Überlieferung, ganz oder teilweise erhaltene
epen in französischer spräche frühestens aus dem ende des
11. Jahrhunderts bekannt. Als ältestes eiuigennassen sicher
datierbares erscheint das Rolandslied (anfaug des 12. Jahr-
hunderts). Als mindestens gleichaltrig, wenn nicht als älter,
betrachtet man das epos von Isembart und Gormont und die
Chanson de Guillelme. Etwas jünger ist die Karlsreise
(nach 1108), die Chancon de Rainouart (um 1120), noch
jünger Ludwigs Krönung, nach den einen um 1130, nach den
anderen um 1150 verfasst. Von verschiedenen werden auch noch
einige Wilhelmsepen — Charroi de Nimes, Prise d'Orange,
Enfances Guillaume, Covenant Vivien — der ersten hälfte des
Jahrhunderts oder wenigstens noch seiner mitte zugeschrieben,
doch sind die datierungen dieser meist noch nicht in kritischen
ausgaben vorliegenden gedichte ziemlich unsicher.
2. Die ältesten bekannten Epen: Rolandslied. Iseuibart n. Gormont. 193
1. Rolandslied.
Von dem Rolandslied ah solchem ist bereits im dritten
kapitel die rede gewesen. Es ist, als eins der ältesten und
besten der gattung, vielfach vorbildlich gewesen für andere
epen, namentlich solche, welche schlachten und einzelkämpfe
darstellen (Ogier, Anse'is de Cartage, Huon von Bordeaux u. a.).
Vor allem hat die Vorstellung von Karl dem Grossen als
schirmherrn der Christenheit vom Rolandslied aus mächtig
gewirkt: eine reihe von epen, welche einen wesentlich jüngeren
historischen kern haben, wie Fierabras, Äspremont, FAifanccs
Ogier stehen unter ihrem einfluss. Da7.u wurde das Rolands-
lied selbst etwa um 1165 erneuert durch die sogenannte
reimredaktion (s. 0. s. 102), welche nicht bloss die äussere form
verändert, sondern auch noch die belagerung von Narbonne
— auf der rückkehr Karls aus Spanien — in die handlung
einführt und somit in beziehung zur Rolandsage setzt. Wie
hier durch einen einschub in das alte lied, wird dessen handlung
später durch vollständige epen erweitert, welche teils die
Vorgeschichte, teils die nacbgeschichte der Roncesvallesschlacht,
z. t. auch episoden aus der zeit des siebenjährigen spanischen
feldzuges behandeln, aber sämtlich erst im 13. oder 14. Jahr-
hundert verfasst sind.
Vgl. die bibliographie oben 8. 107 ff. Über die ergänzungsepen
siehe unten kap. XII und XIV. Über Galien le restore, welcher
eine Überarbeitung des Rolandsliedes mit einer ebensolchen der
Karlsreise verschmilzt, siehe unten.
2. Iseuibart und Gormont (Hol Louis).
Ein fragment von 661 versen (achtsilbnern) erzählt uns
vom kämpf des fränkischen königs Ludwig und seines heeres
gegen den Sarrazenenfürsten Gormont, den der renegat Isembart,
ehedem ein fränkischer grosser, in das land geführt hat. Die
schlacht rindet bei Cayeux in der Pikardie statt, Ludwig tötet
selbst den Gormont, auch Isembart wird tödlich verwundet
und erfleht sterbend Gottes Verzeihung. Finden sich auch, wie
im Rolandslied und im epischen stil überhaupt, viele stereotype
Wendungen, so steht der dichter demjenigen des Rolaudsliedes
doch in keiner weise nach, vor allem zeichnet er sich aus
Voretzach, Stadium d. afiz. Literatv.r. 2. Auflage. 13
194 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
durch knappheit des ausdrucks und plastische Schilderung der
einzelnen kämpfe. In der Verwendung des achtsilbners in der
tiradenform steht die dichtung als unicum unter den chansons
de geste da (wenn wir dabei von dem ältesten Alexanderlied
absehen). Ein nach G (unter 25) Strophen sich wiederholendes,
dieselbe Situation mit denselben worten schilderndes doppel-
reimpaar ist von manchen fälschlich als refrain aufgefasst
und auf ehedem mehr lyrische form der chansons de geste
gedeutet worden. Die mundart des gedichts ist, wie die der
Karlsreise, francisch.
Spätere bearbeitungen (wie im prosaroman von „Loh er
und Maller") und auszöge in lateinischen und französischen
Chroniken (wie namentlich in Mouskets Chroniquc rimce)
gestatten, anfang und schluss des epos zu ergänzen. Darnach
hat Ludwig, söhn Karls des Grossen, Isembart verbannt, weil
dieser für die ermordung seines bruders durch heimtückische
gegner blutrache geübt hat und von einer Versöhnung mit
seinen feinden nichts wissen will. Isembart geht zu den
Sarrazenen nach England, wird selbst dem Christenglauben
abtrünnig und führt Gormont mit seinen heidenscharen nach
Frankreich. Nach seinem tod in der Schlacht ist der sieg den
Franken gesichert, aber sie haben bald ihren könig Ludwig
zu betrauern, der sich (wie auch im fragment erwähnt) durch
den letzten, furchtbaren hieb gegen Gormont eine innere
Verletzung zuzieht, welche vor ablauf von dreissig tagen seinen
tod herbeiführt. Isembarts eitern und Schwestern büssen seine
schuld im kloster.
Es ist längst erkannt worden, dass die historische gruudlage
des liedes in dem sieg Ludwigs III. vom Westfrankenreich über
die Normannen bei Saucourt 881 zu suchen ist, in demselben
ereignis, das auch im deutschen Ludwigslied (vgl. o. s. 59)
gefeiert wird. Doch haben auf die epische oder sagenhafte
gestaltung Ludwigs und der Sarrazenenschlacht noch andere
gleichnamige könige mit ihrer geschichte eingewirkt, wie
Ludwigs Vorgänger und vater, Ludwig IL der Stammler, und
Ludwig IV. d'Outremer (943), sowie der söhn Ludwigs des
Deutschen, Ludwig III. von Ostfranken, der 880 einen grossen
sieg über die Normannen bei Thim^on im Hennegau erfocht.
Auch der tod von des königs bruder Hugo im epos rindet seine
2. Die ältesten bekannten Epen: Isembart und Gormont. 195
historische parallele in diesem letzten ereignis. Als historisches
vorbild Gormonta kann der in der schlacht von Sanconrt nicht
ausdrücklich genannte, aber um dieselbe zeit lebende Wikinger-
fuhrer Guthorm oder Gorm betrachtet werden, der wol mit
dem 882 von Karl dem Dicken besiegten Wurm identisch ist;
auch verdient beachtung, dass Ludwig, der sieger von Saucourt,
ein jähr nach seinem siege durch einen Unfall umkam, als er
der tochter eines gewissen Germund nachsetzte. Die gleich-
setzung der heidnischen Normannen mit den Sarrazenen bedarf
nach dem Rolandslied ebensowenig wie die der Sachsen und
Slaven einer besonderen begrtindung. Der Verräter und renegat
Isembart findet in der fränkischen geschichte kein vorbild, er
scheint zunächst eine apriorische sagenfigur — wie Sibich,
Sabene u. a. — gewesen zu sein. Aber zur ausgestaltung seiner
erscheinung haben, wie beim Verräter des Rolandsliedes, wol
auch historische demente mitgewirkt. Bemerkenswert ist
schon, dass in einer sagenhaften erzählung des Mönchs von
St. Gallen (vgl. oben s. 82, 85). nämlich II, 8, ein zur zeit Karls
des Grossen lebender und bei diesem in Ungnade gefallener
Isembart, söhn Warins, erscheint und dass bei Mousket,
sowie im 'Loher und Maller', Isembart gleichfalls als söhn
Warins bezeichnet wird. Auffällig erscheint schliesslich die
erwähnung eines gastalden (eine art königlicher pfalzgrafen)
Hisembart in der italienischen geschichte 860: er empört sich
mit andern gegen kaiser Ludwig IL von Italien, wird aber
von ihm auf fürsprache eines verwanten begnadigt. Von
seiner teilnähme an der Sarrazenenschlacht 872 am Volturno
ist nicht die rede, ebensowenig von seiner Verbannung oder
seinem abfall zum islam, wie ihm denn auch der name
Margarie, welcher den französischen renegaten kennzeichnet,
nicht beigelegt wird. So beachtenswert Zenkers ausführungen
über den italienischen Isembart auch sind, so tragen sie doch
auch viel des hypothetischen an sich, und die entstehung
unserer chanson aus der verquickung dreier lieder, nämlich
eines Saucourtliedes, eines Turmodliedes (Louis d'Outremer)
und eines Isembartliedes (kämpfe in Italien) erscheint nicht
minder hypothetisch.
Ältere ausgäbe von A. Scheler, Brüssel 1876 (Extrait du
Bibliophile beige X), neuere mit einleitung und anmerkungen von
13*
196 VI. Kapitel. Das Heldenepos iu seiner Blütezeit.
Heiligbrodt, Rom. Stud. 3, 549 ft', G. et J., reproduction photo-
collographique p. A. Bayot, Brüssel 1906. — Über die entwickhmg
der sage: Rud. Zenker, Das epos von Isembard und Gormund,
Ha. 1896, und Tb. Fluri, Isembart et Gormont, Züricher Diss.,
Basel 1895. Dazu Pb. A. Becker, ZrP 20 (1896) 549 ff.; Pb. Lauer,
Rom. 26 (1897) 101 ff; Ferd. Lot, Rom. 27, lff; Zenker ZrP 23
(1899) 249ff; G.Schläger LgrP 21 (1900) 135ff; Zenker ZrP 30
(1906) 572—74.
3. Die Schlacht auf dem Arcliamp.
(Chancon de Guillelme.)
A. Überlieferung. Die handschrift des bis dahin völlig
unbekannten textes kam 1901 in den besitz eines englischen
bibliophilen, der, ohne seinen narnen zu nennen, den text 1903
nach der handschrift drucken liess und zwei facsimileseiten
beifügte. Die handschrift ist in der mitte des 13. Jahrhunderts
in England geschrieben und stammt aus einem sammelband,
von dem auch noch andere teile bekannt sind. Auf grund
dieses drucks erschienen nacheinander die beiden für Seminar-
übungen berechneten privatdrucke von Baist (1904, 1908), die
kritische herstellung der ersten 1000 verse durch Franz
Rechnitz (1909) und endlich der vollständige kritische text von
H. Suchier (1911), für welchen die handschrift durch J. A. Herbert
neu verglichen wurde. An der echtheit des unerwarteten
fundes zu zweifeln liegt trotz der heimlichtuerei des besitzers
kein hinreichender anlass vor. Ein etwaiger falscher müsste
ebenso mit allen möglichen verzettelten anspielungen der
Wilhelmsepik wie mit den eigenheiten der alten spräche und
des epischen stils bis ins einzelste vertraut gewesen und dazu,
mit einer raffinierten kombinationsgabe zu werke gegangen
sein. Immerhin sollte der anonyme besitzer, um auch die
letzten zweifei zu zerstreuen, die wichtige handschrift nicht
länger der prüfung durch die Wissenschaft entziehen.1)
Die handschrift zählt insgesamt 3554 verse (zehnsilbner,
abgesehen von den kurzversen des refrains). Die trennung in
zwei, von zwei verschiedenen Verfassern herrührende diehtuugen
durch Suchier (Chancon de Guillelme v. 1—1983, Chancon de
Rainouart, 1984 bis schluss) ist aus formellen und sachlichen
gründen einleuchtend.
>) Der besitzer der hs. ist seither gestorben (korrekturnote).
2. Die ältesten bekannten Epen: Die Schlacht auf dein Arcbamp. 197
B. Inhalt und literarischer Charakter. König
Derame\l von Cordova fährt mit einer grossen flotte die Gironde
hinauf, verwüstet die Marken und steckt Ivs aluea (Aluez?) in
brand. Tedbalt von Bourges wird benachrichtigt, ist aber
gerade betrunken, ebenso wie sein neffe Esturmi, und schlägt
Viviens rat, den markgrafen Wilhelm, Guillelme dl cxvrb nts,
um hilfe anzugehen, in den wind. Am andern morgen ziehen
Tedbald, Esturmi und Vivien mit 10000 mann den Sarrazenen
entgegen, auf dem Archamp am meer stossen sie auf das
feindliche lager. Tedbald und Esturmi ergreifen schmählich
die flucht, ehe es zum kämpfe kommt ; Vivien, söhn von Boeve
Cornebut und neffe Wilhelms, hat Gott gelobt niemals aus
todesfurcht zu fliehen, er entfaltet ein weisses banner und
nimmt mit den tapferen, die bei ihm bleiben und ihm huldigen,
den kämpf gegen die 100000 Sarrazenen auf: Si cum s'esmieret
li ors fors de l'argent, Si s'en eslistrent tote la hone gent.
Aber trotz aller heldentaten schmilzt die Christenschar mehr
und mehr zusammen, von 10000 auf 100, von 100 auf 20.
Da sendet Vivien den jungen Girart zu Wilhelm nach Barcelona
um hilfe. Aber bald hat er von 20 kämpfern nur noch 10,
und endlich kämpft er noch allein. Schwer verwundet von
den feindlichen Wurfgeschossen, zum tod erschöpft wird er
von einem Berber getötet, sein körper zerstückelt und unter
einem bäum verborgen (v. 1 — 930). — Unterdes kommt Girart
bei Wilhelm und Guiburc in Barcelona an, schon am anderen
morgen rücken sie mit 30000 mann aus, mit ihnen Guiborcs
neffe Guischart, der bekehrte Sarrazene. Die Schlacht dauert
drei tage, vom montag bis zum mittwoch, nur Wilhelm, Girart
und Guischart sind übrig. Dann fällt Girart. Der schwer
verwundete Guischart verleugnet vor seinem ende den christ-
lichen glauben. Aber weil ihm Guiborc den Guischart an-
befohlen hatte, nimmt Wilhelm den toten auf sein ross und
reitet mit ihm heim nach Barcelona zu Guiborc. Beide
vergiessen tränen, aber schon hat des beiden weib neue
30000 mann gesammelt, und andern tags zieht Wilhelm aber-
mals aus, ungesehen von ihm auch Viviens fünfzehnjähriger
bruder Gui, der sich bald durch klugen rat und kühne tat
hervortut. Vor der heidnischen Übermacht erliegt nach und
nach auch dieses heer. Wilhelm selbst gerät in lebensgefahr,
198 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner I.lütezeit.
wird aber durch Gui errettet und behält den sieg: 20000 feinde
sehlägt Gui durch Gottes wunder in die flucht, dem fuhrer
Deram6d haut Wilhelm den einen Schenkel ab, und Gui macht
dem schwerverletzten den garaus, indem er ihm das hanpt
abschlägt, damit er sich nicht noch einen erben und riicher
zeugen könne (v. 931 — 1983).
Die darstellung ist im einzelnen, vielleicht infolge mangel-
hafter Überlieferung, vielfach unklar, zuweilen, besonders wo
es sich um Schilderung ähnlicher Vorkommnisse oder wieder-
gäbe ähnlicher reden handelt, sehr einfach und schmucklos,
da der dichter wörtliche Wiederholung langer stellen nicht
scheut. Auf der andern seite aber finden wir eine rasch
fortschreitende — zuweilen nur skizzierte — , wolgegliederte
handlung und in diese eingestreut eine reibe von charakte-
ristischen episoden (die betrunkenheitsszene, die flucht Tedbalts
und Esturmis, Girarts botschaft und aufnähme bei Guiborc,
das eingreifen des jungen Gui). Vor allem zeichnet die
dichtung ein gesunder realismus in der Schilderung der
Charaktere wie der handlung aus, ein dichterischer realismus,
der in der altfranzösischen epik kaum seinesgleichen findet
und uns alle personen greifbar vor äugen stellt.
In der form eigenartig ist die häufige Verwendung kurzer
laissen (bis zu zwei versen, besonders bei kurzer rede und
gegenrede). Im durchschnitt beträgt die verszahl der laissen
nur elf (im Roland 15). 32 laissen (unter 180) schliessen mit
einer art refrain, einem viersilbigen vers mit weiblichem aus-
gang, dem ein darauf assonierender langvers folgt.1) In der
mehrzahl der fälle lautet der refrain Litnsdi dl vespre, womit
der haupttag der einzelnen schlachten bezeichnet wird.
C. Kritische Fragen. Der protagonist der dichtung ist
Vivien, während Wilhelm nur als rächer Viviens erscheint.
•) Als Beispiel diene tirade XVIII (v. 146—151):
Dane ist Tiedbalz de sa bone che.
AI dos le siwent dis mil d'onies arniez.
En l'Archanip quistrent le paien Derauied;
uiais inalvais sire les i out a guier !
— Lunsdi al vesprel —
Eu l'Archamp viudrent desur la mer a destre.
2. Die ältesten bekannten Epen: Die Schlacht auf dem Archamp. 199
Den bis zu Viviens tod reichenden teil der dichtung (bis
v. 930), der sich nach inhalt und form mehrfach als altertümlich
gegenüber dem zweiten teil erweist, könnte man ohne weiteres
als Chanson de Vivien bezeichnen. Die historische grundlage
dieser Vivieudichtung liegt, wie Suchier erkannt und gegen
seine Widersacher mit nachdruck aufrechterhalten hat, in
ereignissen des Jahres 851: in diesem jähre zog Karl der Kahle
gegen die Bretonen zu felde, liess aber sein heer zwischen
zweitem und drittem schlachttag im stich; graf Vivianus von
Tours übernahm die fuhrung, wurde aber besiegt und getötet,
seine leiche blieb unbeerdigt und ward die beute wilder tiere.
Die Verwandlung der den Franken feindlichen Bretonen in
Sarrazenen erklärt sieh wie die der Sachsen, Wikinger, Basken
durch die übliche gleichsetzung von reichsfeind und glaubens-
feind, die Verlegung des Schauplatzes nach dem Süden durch
einwirkung der Wilhelmsepik. Wilhelm von Barcelona wird
hier ohne weiteres mit Wilhelm cd curb nes (später al cort nes),
Wilhelm Fierabrace, dem gatten der Guiborc, gleichgesetzt.
Wenn er hier als rächer in eine Sarrazenenschlacht eingreift,
rührt es daher, dass die dichtung ihn schon als Sarrazenen-
kämpfer kannte: vielleicht gab es schon vorher ein Wilhelms-
epos, das ihn als tapferen besiegten der Sarrazenen darstellte
und nun mit der Viviendichtung in beziehung gesetzt wurde.
Die verwantschaft zwischen Wilhelm und Vivien ist dichterische
erfindung. Das epos von der Schlacht auf dem Archamp ist
der ausgangspunkt der Viviengeste geworden. Es bildet das
mittelbare oder unmittelbare vorbild des sogenannten Covenant
Vivien (Chevalerie Vivien), ebenso wie die als fortsetzung zum
Archampepos gedichtete Changon de Bainouart das vorbild
für Aliscans abgegeben hat, das seinerseits wieder neue fort-
setzungen und erweiterungen erfahren hat. Die Enfances
Vivien erzählen die jugendtaten des helden im anschluss an
das Archampepos.
Ausgaben: La chancun de Willame, London, Chiswick Press,
1903 (mit zwei Faksimiletafeln). — L'archanz (La Changon de
Willelme), Druck von G. Baist, Freiburg i. B. 1904, Neudruck
(L'archanz, La eh. d. G.) 1908. — Franz Rechnitz, Prolegomena
und erster Teil einer kritischen Ausgabe der Ch. d. G., Bonn (Diss.)
1909. — Kritische Ausgabe von H. Suchier, La Changon de
200 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
Guillelme, Bibl. Norm. VIII, Ha. 1911 (hier Verzeichnis der ge-
samten kritischen literatnr). — Vgl. noch W. Scholz, ZfSL 38 (1911)
196 ff.; Jean Acher, Rdlr 55 (1912) 12 ff.
4. Karlsreise.
(Pelerinage de Charlemagne a Jerusalem et Constantinople.)
Das kleine epos zeigt einen wesentlich anderen Charakter
als das Rolandslied. Nicht als kämpfer und heerführer, sondern
als friedlicher pilger tritt hier Karl der Grosse mit seinen
pers auf, und der zweite teil des gedichts zeigt die helden
teilweise sogar in einer hilflosen, ja lächerlichen rolle. Die
beiden teile sind untereinander nur lose verbunden. Karl
fordert zu St. Denis durch sein eitles gebaren mit der kröne
auf dem haupt die kritik der kaiserin heraus, welche kaiser
Hugo von Konstantinopel für stattlicher hält. Karl beschliesst
diesen aufzusuchen und die richtigkeit dieses Urteils zu prüfen,
geht aber mit den pers zuerst nach Jerusalem, wo er am heiligen
grabe betet und vom patriarchen eine anzahl reliquien erhält.
Dann erst begibt er sich nach Konstantinopel, wo die märchen-
hafte pracht und zaubervolle einrichtung von kaiser Hugos
palast ihn und die seinen in erstaunen setzen. Nach genossenem
mahle, des süssen weines voll, gefallen sich die helden nach
heimischer manier in prahlereien (gabs), welche kaiser Hugo
derart reizen und beleidigen, dass er den helden das leben
nehmen will, wenn sie nicht zeigen können, dass sie die taten,
deren sie sich rühmen, wirklich ausführen können. Die Franken
wären verloren, wenn ihnen ihre reliquien nicht die hilfe Gottes
sicherten. Merkwürdigerweise erkiest Hugo als ersten probe-
helden gerade Olivier, welcher seinem gab nur mit hilfe der
blonden kaiserstochter gerecht werden kann. Nachdem dann
noch Wilhelm und Bernhard, beide söhne Aimeris, ihre gabs
ausgeführt und damit grossen schaden an palast und Stadt
angerichtet haben, ist kaiser Hugo zufriedengestellt. Beim
gemeinsamen kirchgang erweist sich Karl tatsächlich grösser
und stattlicher als Hugo. Nach der rückkehr legt Karl einen
teil der reliquien — kreuznagel und dornenkrone — in der
kirche zu Saint- Denis nieder. Der kaiserin, die ihr leben
verwirkt hatte, verzeiht er.
2. Die ältesten bekannten Epen: Karlsreise 201
Das motiv, dass ein beld auszieht sieb mit eiuein anderen,
von dem er hat reden hören, zu messen, ist germanischer
herkunft; die einzelnen gabs, welche zur füllung des rahmens
dienen, finden ihre parallelen in den märchen und sagen ver-
schiedener Völker. Demgegenüber gehört die pilgerfahrt Karls
mehr der geistlichen legendenbildung an. Die historischen
grundlagen für diese liegen in den mannigfachen beziehungen
Karls zum Orient und zum heiligen grabe. Harun al Raschid,
mit dem der kaiser gesantschaften und geschenke wechselte,
stellte das heilige grab unter Karls gewalt. Gegen 800 erhielt
dieser vom patriarchen von Jerusalem die Schlüssel zum heiligen
grabe sowie eiue anzahl reliquien, die später in St. Denis
aufbewahrt und alljährlich zur messe (lendit, d. i. Vcndit)
ausgestellt wurden. Aus diesen tatsachen konnte sich sehr
leicht die Vorstellung entwickeln, Karl der Grosse wäre
selbst in Jerusalem gewesen, und schon im jähre 1000 finden
wir sie in der chronik Benedicts vom berg Soracte völlig
ausgebildet.
Allem anschein nach ist das epos zur Verherrlichung der
in St. Denis befindlichen reliquien gedichtet und zur messe
daselbst vorgetragen worden. Es wurde also vermutlich um
1108 zur zeit der einrichtung des endit von St. Denis verfasst,
jedenfalls nicht viel später, da der sprachzustand im wesent-
lichen mit dem des Rolandsliedes übereinstimmt. An der
Vermischung des heiligen und ernsten mit dem profanen und
komischen nahm das mittelalter weniger anstoss als wir
heutzutage, so dass man in dem gedieht weder eine parodie
noch die absieht im ersten teil zu erbauen, im zweiten zu
ergötzen, zu suchen braucht. Bemerkenswert ist, dass unter
den pers neben Roland, Olivier, Turpin, Naimes, Ogier u. a.
auch mitglieder der Wilhelmsgeste, Guillelme von Orange selbst,
seine brüder Ernalt de Gironde und Bernart und sein neffe
Bertram erscheinen. Formell ist die erstmalige anwendung
des zwölfsilbners im heldenepos wichtig.
Ausgabe von Koschwitz, Karls d. Gr. Reise nach Jer. u. Konst,
Afr. Bibl. II 5 1907 (von Thurau). Weitere bibliographie siehe AS
im anhang. J. Coulet (Etudes sur Fanden poeme fr. du Voyage de
Charlemagne en Orient, Montpellier 1907) sucht mit unzureichenden
linguistischen gründen die abfassung des gedichts in die mitte des
202 VI. Kapitel. Das Heldenepos iu seiner Blütezeit.
12. jh. hcrabzurücken. — Das gedieht wurde ins kymrische, alt-
nordische und faröische übersetzt. In der franz. lit. wurde es durch
den Galten (vgl. b. 193) weiter überliefert : .-uis der vorübergehenden
Verbindung Oliviers mit der tochter Hugos, die hier Jacqueline lieisst,
geht der held Galien hervor, den Galienne und andere feen schon
bei der geburt beschenken und der, erwachsen, sich aufmacht den
vatcr zu suchen und ihn mit den einzigen noch überlebenden fünf
fränkischen beiden bei Roncesvalles findet. Dies im 13. Jahrhundert
entstandene epos wurde später einem cyclus über die geste des
Garin de Monglane einverleibt und ist auch in verschiedenen prosa-
bearbeitungen erhalten (Ausgabe von Stengel, Galiens li restores,
Marburg 1890, AA 84). Italienische bearbeitung des 15. Jahrhunderts
im 'Viaggio di Carlo Magno in Ispagna' (einer kompilatorischen
darstellung des span. feldznges).
5. Ludwigs Krönung (Couronnement Louis).
Das Krönungsepos, welches schon vod den zyklischen
haudschriften des 13. und 14. Jahrhunderts den Wilhehnsepeu
zugerechnet wird, zeigt deutlich, wie wenig im anfang eine
prinzipielle Scheidung zwischen den verschiedenen gesten oder
zykleu bestand. Es hat seinen namen von dem ersten teil, in
welchem Karl der Grosse seinem söhn Ludwig die kröne
übergeben will, den allzu schüchternen aber für unwert des
thrones erklärt und nur durch das dazwischentreten Wilhelms
davor bewahrt wird, den hinterlistigen ratschlagen des ver-
räterischen Arne'is von Orleans gehör zu schenken. In den
folgenden, z. t. nur äusserlich miteinander zusammenhängenden
teilen ist allerdings Wilhelm der eigentliche held. Er befreit
Rom und den papst von den Sarrazenen und dem riesen
Corsolt, büsst aber, obwol am ganzen übrigen körper durch
berührung mit einer reliquie, dem arm des heiligen Petrus,
unverwundbar gemacht, im Zweikampf mit dem gegner die
nasenspitze ein, daher er von da ab Guülebnes cd cort ncs
genannt wird. Nach Frankreich zurückgerufen, schlägt er
die empörung Richards von Rouen und seines sohnes Acelin
gegen Ludwig, den nunmehrigen herrscher nach Karls tode,
nieder, ebenso eine weitere rebellion im Süden des reiches, und
entgeht darauf glücklich einem hinterhalt Richards. Abermals
nach Italien gerufen, zieht er mit Ludwig dorthin, um dem
Papst gegen Guion d'Allemagne zu helfen, besiegt und tötet
2. Die ältesten bekannten Epen : Ludwigs Krönung. 203
diesen im Zweikampf und befreit Rom. Ludwig wird hier
zum kaiser gekrönt. Die 40 Schlusszeilen berichten kurz eine
neue empörung fränkischer grosser, einen neuen sieg Wilhelms
und die Vermählung seiner Schwester Blancheilor mit kaiser
Ludwig. Hiernach treten in der dichtung vier teile deutlich
hervor : krönung Ludwigs — Wilhelms kämpf gegen Corsolt —
sein sieg über die rebelleu in Frankreich — Ludwigs und
Wilhelms kämpf gegen Guion d'Allemagne nebst kaiserkrönung
und Vermählung Ludwigs.
Es sind also erzählungen verschiedenen inhalts, die hier
miteinander vereinigt sind, auch Wilhelm selbst ist keine
einheitliche figur: bald heisst er kurzweg Guilhlme oder
Guillelme fil Aimeri, bald Guillehnc Fierabrace, und im zweiten
teil wieder Guillelme cd cort nes. Der eigentliche ausgangs-
punkt der sagenfigur Wilhelms ist graf Wilhelm von Toulouse,
der zwar 813, als Karl zu Aachen seinen söhn Ludwig zum
könig krönen liess, bereits verstorben war (812), aber seit
790 für den zum könig von Aquitanien gesalbten unmündigen
Ludwig die regierung daselbst führte und mehrfach gegen
die spanischen Sarrazenen kämpfte. Damit ist seine rolle im
ersten teil als helfer und Schützer Ludwigs historisch genügend
begründet. Den beinamen Ferabrachia haben in der geschichte
mehrere Wilhelme geführt. Guilelmus Ferabrachia, herzog von
Aquitanien (gestorben 994), war in der tat Schwager des königs
von Frankreich (seine Schwester Adelaide war seit 970 mit
Hugo Capet vermählt), und sein vater Guilelmus Caput stupae
(gestorben 963) hatte Ludwig IV. (Louis d'outremer) gegen
aufrührerische vasallen unterstützt. Ein anderer Guilelmus
Ferabrachia, söhn Tancreds von Hauteville, spielt in den
kämpfen der französischen Normannen auf Sizilien gegen die
Sarrazenen seit 1037 eine ähnliche rolle wie der Wilhelm des
zweiten teils der dichtung: er ist nach einer zuerst von Paulin
Paris vorgetragenen und neuerdings von Zenker und Suchier
neu begründeten ansieht das historische Vorbild für diesen.
Guion d'Allemagne im vierten teil scheint Guido von Spoleto
(888 — 894) zu sein, der sich 888 in Langres zum könig von
Frankreich, 891 in Rom zum kaiser krönen liess und seinen
beinamen cVAlemaigne in der dichtung vermutlich seinem auf-
treten als gekrönter kaiser und als feind Frankreichs verdankt.
204 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
Schon dieses verhältnismässig alte gedieht (nach Langlois
um 1130. nach G. Paris nm 1150 verfasst) lässt die mannig-
faltigkeit der dem epischen Wilhelm zugrunde liegenden
geschichtlichen personen und ereignisse erkennen, aber auch
die Schwierigkeit, über diese entstehungsfragen zu gesicherten
ergebuissen zu kommen. Jedenfalls hält es schwer, alle die
zahlreichen und z. t. überraschenden Übereinstimmungen der
gesehichte mit der dichtung mit Be'dier für blossen zufall zu
halten.
Le Couronnement de Louis p. p. E. Langlois, P. 1888 (Sdat).
Vgl. Suchier, Die gekürzte Fassung von Ludwigs Krönung, Ha. 1901.
— Leonard Willems, L'eKiment historique dans le C. L., Gent 1896.
A. Jeanroy, Rom. 25 (1896) 335 ff. Rud. Zenker, Die 2. Branche
des C. L., Gröberband s. 171 f. (auch sep., Ha. 1899); dazu Suchier,
GGA 1901, 408 ff. Rieh. Heyer, Über die angeblichen Interpolationen
im C. L., Festschrift der 0. R. S. der Francke'schen Stiftungen für
die 47. Phil. -Vers., Ha. 1903, s. 23—48. J. Bedier, Legendes
epiques I 206 ff. P. Linnenkohl, Branche I und II des C. L. Gegen-
wärtiger Stand der Forschung, Diss. Rostock 1912.
6. Rainouartlied.
Das kleine epos, welches die heldentaten Rainouarts gegen
die Sarrazenen auf dem Archamp feiert, ist in derselben hand-
schrift wie das oben besprochene lied von Vivien und Wilhelm
überliefert, hier aber nur lose, mit mancherlei Widersprüchen,
an dieses angefügt und daher ursprünglich wol nicht als eine
fortsetzung zu der uns überlieferten, sondern zu einer inhaltlich
umgestalteten ,Chancon de Guillelme' entstanden zu denken.
Wilhelm findet, nach dem sieg über Deram^d und sein
heer, Vivien noch lebend, aber schwrer verwundet, auf dem
Schlachtfeld, beklagt ihn nach rittersitte und spendet dem
sterbenden geweihtes brot. Von den aufs neue anrückenden
Sarrazenen wird Grili gefangen genommen, Wilhelm erwehrt
sich seiner feinde und gelangt endlich, in Sarrazenenrtistung
und auf einem erbeuteten Sarrazenenross, nach Orange zurück.
Er muss sich aber erst als Guiborcs gatte ausweisen, ehe ihm
geöffnet wird: nämlich erst 100 gefangene Christen aus der
gewalt von 7000 vorüberziehenden Sarrazenen befreien und
dann den heim abnehmen und den von einer früheren Ver-
wundung herrührenden buckel auf seiner nase zeigen, nach
2. Die ältesten bekannten Epen: Kainouartlicd. 205
welchem er Guillelme Je marchis od le curb nc's heisst. Am
folgenden morgen bricht er auf nach Laon, um könig Ludwig
um hilfe anzugehen. — Ludwig, Wilhelms Schwager, ver-
weigert ihm die hilfe. Wilhelm entbrennt in hellen zorn, wirft
dem kaiser den handschuh vor die Füsse, schmäht in groben
Worten die kaiserin, seine Schwester, und erhält nun ein beer
von 20000 mann. Diesem schliesst sich der ungeschlachte
küchenjunge Rainouart (Renewart) an, der alle warfen ver-
schmäht und nur mit seiner stange, seinem Und, fechten will.
Als sie in Orange angekommen sind, ahnt Guiborc bald, dass
Rainouart, der söhn Derames und der Oriabel, ihr bruder ist.
Schon den Franken gegenüber, die ihm gern einen streich
spielen oder Verwünschungen nachrufen, ein jähzorniger und
furchtbarer geselle, wird er in der neuen Sarrazenenschlacht
auf dem Archamp zum wilden Berserker, der mit seinem Und
ross und reiter zusammenhaut, die gefangenen Christenkämpfer
(ausser Gui auch Bertram, Guischard, Galtier de Termes, Renier)
befreit, dann, als sein Und in stücken bricht, mit seinen grossen
fausten noch schlimmer dreinfährt als vorher mit der stange
und schliesslich mit dem ihm vorher von Guiborc aufgedrängten
schwert die entscheidung herbeiführt. Aber von den Christen
bei der rückkehr nach Orauge und beim siegesmahl vergessen,
will er in heilloser wut in seine alte heimat nach Spanien
zurückkehren und dann den Christen ebensolchen schaden tun
wie diesmal den heiden. Erst Guiborc gelingt es ihn wieder mit
Wilhelm zu versöhnen, er lässt sich taufen, erhält Ermentrud
zum weib und erfährt von Guiborc, dass er ihr bruder ist.
Auch in dieser dichtung fehlt es nicht an erhabenen
szenen (so das einsame mahl Wilhelms mit Guiborc nach der
verhängnisvollen grossen Schlacht oder das auftreten Wilhelms
am hofe gegenüber dem schwachmütigen kaiser), aber im
ganzen arbeitet der dichter mit gröberen mittein als der Ver-
fasser des alten Archampliedes, er bevorzugt das derbkomische
und hat in Rainouart eine groteske, mehr auf lachlust als auf
begeisterung der hörer berechnete gestalt geschaffen.
Text in den drucken der Chanson de Guillelme von 1903,
1904, 1908 (oben s. 199). Vgl. Suchier, ZrP 29 (1905) 642 ff., 677ff.
Rechnitz, ZrP 32 (1908) 194 ff. Suchier, Chanson de Guillelme
s. LXIff.
206 VI. Kapitel. Pas Heldenepos in seiner Blütezeit.
3. Das Merowingerepos.
(Floovent.)
Von den in grosser zahl vorhandenen Merowingersagen
sind uns die wenigsten in epischer bearbeitung überliefert, und
von diesen epcn hat wiederum nur eines den merowingischen
namen seines beiden bewahrt: das epos von Floovent, welches
der oben s. 84 erwähnten sage entspricht.
Floovent ist der söhn des ersten christlichen königs von
Frankreich, Clovis. Er entehrt seinen Waffenmeister, indem
er ihm während des Schlafes den bart abschneidet; Clovis
will ihn zuerst töten, wird aber durch die königin daran
gehindert und verbannt ihn zur strafe auf sieben jähre aus
Frankreich. Floovents treuer Schildknappe Richier teilt mit
ihm Verbannung und Schicksal. Beim könig Flore von Ausai
(Elsass) finden sie Unterkunft, sie kämpfen für ihn gegen
Sachsen und Sarrazenen und erwerben so seine guust. Des
königs tochter Florete wendet Floovent ihre liebe zu und
wird ihm vom vater zur ehe versprochen. Aber Floovent fällt
in die bände der Sarrazenen und wird nur mit hilfe der
Sarrazenenprinzessin Maugalie wieder befreit, die sich sogleich
in ihn verliebt und ihn zum manne begehrt. Florete muss
sich daher mit Richier begnügen. Nach Frankreich kommen
die beiden beiden gerade rechtzeitig zurück, um den in Laon
belagerten und hart bedrängten Clovis zu befreien, worauf
die Versöhnung zwischen vater und söhn folgt.
Das in einer handschrift des 14. Jahrhunderts überlieferte,
aber sprachlich ins 12. Jahrhundert gehörige gedieht ist die
moderuisierung eines alten sageustoffes: modern ist die Ver-
doppelung der motive (liebe der Florete und der Maugalie),
das romanhafte, wie die befreiung einer von den heiden
bedrängten Jungfrau. Alt aber ist die rahmenerzähluug des
ganzen: Verbannung des heiden wegen beschimpfung seines
lehrers, heldentaten bei einem fremden könig, liebe von desseu
tochter zu ihm, heimkehr, Versöhnung. Die geschichte bietet
uns freilich kein entsprechendes vorbild, auch die erzählung
der Gesta Dagoberti (s. o. s. 84) ist sagenhaft und zweifellos erst
nachträglich auf Dagobert, söhn Chlothars IL, übertragen und
3. Das Merowiugerepos. — 4. Epen auf Karl Martell. 207
angepasst worden. Der ursprüngliche hekl war ein söhn
Chlodoveehs. wie der name — Floovent > Chlodovinc — lehrt
und die angäbe des gedichts bestätigt, und zwar der jüngste,
Chlothar L, welcher 558 — 5G1 das gesarate Merowingerreich
wieder in einer band vereinigte und somit als wahrer Dach-
folger Chlodoveehs gelten musste. Auch der oben gegebene
hinweis auf die verwante erzählung vou Loher (= Chlothar)
und Maller stützt diese identitication. Das thema vom Sachsen-
krieg knüpft an Chlothars I. kriege von 555 und 556 an. Die
Verbannung des heldeu ist ein altes sagenmotiv, das uns schon
in der Childerichsage (s. 83) begegnet. Auf einzelheiten haben
besonders krönungsepos, Fierabras, Ogier eingewirkt. Der
Verfasser war allem anschein nach ein spielmanu.
Ausgabe von Michelant et Guessard, Floovant, eh. d. g., P. 1858
(Anc poetes d. 1. Fr.). Dazu P. Gehitj Zwei afr. Bruchstücke des
Floovent, Freib. Diss. 1896, auch RF 10, 248 ff. — Arsene Darme-
steter, De Floovante vetustiore poemate et de Merovingo cyclo,
Paris 1877 (These de doctorat). Bangert, Beitrag zur Geschichte
der Flooventsage , Heilbronn 1879. Rajna, Origini s. 131 ff.
L.Jordan, Archiv 116 (1906) 50ff. Fr. Settegast, Floovent und
Julian, 9. beiheft der ZrP, 1906. Gustav Brockstedt, Floovent-
studien, Kiel 1907. Eugen Stricker, Entstehung und Entwicklung
der Floovent- Sage, Diss. Tübingen, 1909, dazu ZdP 41 (1909) 31ff.
— Der Floovent wurde auch in das niederländ. (fragm.) und ital.
übers. Nur in niederländ., isländ. und ital. bearbeitungen ist er-
halten der Flovent, der hier an stelle Chlodoveehs als Floovents
vater erscheint und dessen geschichte dem alten gedieht nachgebildet
ist. Von diesem abhängig ist auch der nur bruchstückweise erhaltene
Syracon des 13. Jahrhunderts, der ebensowenig traditionelle demente
der Merowingersage aufweist als die übrigen sog. Merowingerepen
des 13. und 14. Jahrhunderts: Ciperis (Chilperich) de Vignevanx,
Charles le Chaiive, Florent et Octavian.
4. Epen auf Karl Martell.
(Mainet — Haimonskinder — Girart von Eoussillon.)
Karl Martell hat wie in der geschichte, so auch in
der sage und älteren epik eine hervorragende rolle gespielt,
jedoch sind die von ihm umlaufenden sagen infolge der namens-
gleichheit meist auf Karl den Grossen übertragen, der z. b.
208 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
schon im Mannt und in den Haimonskindem (Iknaut de Mont-
aubari) an seiner stelle erscheint. Nur im Girart de JRoussülon
sowie in dem späten, in Oberitalien entstandenen Huon d'Au-
vergne wird er mit seinem wahren namen, Charles Marteh
oder Martiaus, genannt.
A. Main et. Das im französischen Originaltext nur frag-
mentarisch, vollständiger im Charlemagne des Girard d'Amiens
(einer kompilation von ca. 1300), im niederrheinischen Karl-
meinet, im italienischen Karleto und in der spanischen Cronica
general erhaltene epos erzählt die jugendtaten Karls des Grossen.
Danach, wird Karl, mit der koseform seines namens Charlot
genannt, von seinen Stiefbrüdern Heudri und Rainfroi, den
illegitimen söhnen Karls und der falschen (unterschobenen)
frau, nach dem tod Pippins um die nachfolge im reich be-
trogen, flieht nebst einigen getreuen nach Spanien zum heiden-
könig Galafre, und erhält hier den namen Mainet, besiegt im
dienste Galäfres den Braimaut, gewinnt herz und hand der
königstochter Galienne und erobert zum sehluss sein an-
gestammtes reich zurück. Die verschiedenen Versionen weichen
voneinander sehr ab, die französische Überlieferung stimmt im
allgemeinen zur italienischen, die niederrheinische zuerst (bis
zum tode Braimauts) zum Mainet, dann zur spanischeu Über-
lieferung: es muss also zwei verschiedene französische redaktionen
des gedichts gegeben haben.
Es ist nichts davon bekannt, dass Karl der Grosse bei
seiner thronbesteigung Schwierigkeiten zu überwinden gehabt
hätte. Hingegen treffen die hier geschilderten Verhältnisse,
wie Rajna gezeigt hat, auf Karl Martell zu, der zwar selbst
unehelicher abkunft (von Pippins konkubine Alpaide) war,
aber gerade darum Verfolgungen durch Plektrud zu erdulden
hatte, die ihrem enkel Theodald die nachfolge im hausmeier-
amt sichern wollte und darum beim tod Pippins Karl gefangen
setzte. Dem gefängnis entronnen, besiegte Karl den neustrischen
hausmeier Raginfred (= Rainfroi) sowie den könig Chilperich
(hierfür in der sage Childerich = Heldri- Heudri) und wurde
so herr des reiches. Die sage hat die Verbannung, das motiv
der treuen dienstmannen, die beziehungen zu dem fremden
könig, sowie die liebe und ehe mit dessen tochter hinzu-
gefügt: die einwirkung der Wolfdietrichsage (oben s. 83 f.) ist
4. Epen anf Karl Martell: Ilaimonskinder. 209
hier kaum zu verkennen. Das ganze aber ist später auf Karl
Martells enkel tibertragen worden. An dieser auffassung wird
man auch gegenüber BeMiers neuer (etwas komplizierter) er-
klärung festhalten dürfen.
Ausgabe des fragments von G. Paris, Rom. 4 (1875) 304 ff.
Karlmeinet hersg. von Adalbert Keller, Bibl. Lit. Verein 45, Tübingen
1857. Vgl. Karl Bartsch, Über Karlmeinet, Nürnberg 1860. —
Vgl. Rajna, Origini s. 202 ff. Paul Riebe, Über die verschiedenen
Fassungen der Mainetsage, Diss. Greifswald 1906. Bedier, La
legende des Enfances Charlemagne et l'histoire de Charles Martel,
in Studies in Honor of A. Marshall Elliott, 1911.
B. Die Hainionskinder (Eenaut de Montauban). Ahnlich
wie im Mainet verhält sich auch hier epos und geschichte.
Gegner der Haimonskinder und ihres beschützers Yon von
Bordeaux ist in der überlieferten chanson de geste Karl der
Grosse, in Wirklichkeit aber wieder Karl Martell. In dessen
kämpfen nämlich gegen Chilperich und Raginfred spielte auch
könig Eudo von der Gascogne eine rolle: er hielt es mit
Martells Widersachern und bekam dafür von diesen den königs-
titel, lieferte aber gleichwol den zu ihm geflüchteten Chilperich
an Karl Martell aus; ausserdem hat er 719 einen grossen sieg
über die Sarrazenen davongetragen und ihnen Toulouse ab-
genommen. Er ist der könig Yon der chanson, der die von
Karl verfolgten Haimonskinder gegen die Sarrazenen in dienst
nimmt und anfänglich gegen Karl beschützt, sie aber feig
verrät, als Karl mit heeresmacht erscheint und ihn auffordern
lässt, Renaud und seine brüder auszuliefern. Die ausfuhrung
des Verrats zeigt manche Übereinstimmung mit der spanischen
sage von den sieben infanten von Lara: möglich, dass sich
mit den historischen dementen eine alte, schon vorher vor-
handene sage verbunden hat. Jedenfalls bildet dieser teil
den kern des epos. Aber mancherlei andere demente sind
hinzugekommen: der germanisch-mythischer Überlieferung ent-
stammende zauberer Maugis, das ross Baiart, das eine beinahe
menschliche rolle in der ganzen handlung spielt, das abenteuer-
leben der brüder im Ardennenwald, dazu erweiterungen der
ursprünglichen handlung und entlehnungen aus älteren epen.
Als junge zutaten erscheinen anfang und schluss des
umfangreichen, rund 20 000 verse zählenden epos: der ein-
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. ]4
210 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
leitende zwist Karls mit Bueve d'Aigremont, dem bruder
Aimons, Doons de Nanteuil und Girards de Roussillon, der
tod des königssohnes Loihier durch Bueve und dessen tod
selbst, das Schachspiel zwischen dem königsneffen Bertolais
und Renaud, das mit dem tod des ersten durch diesen endet.
Iu dieser ganzen einleitung ist sichtlich das Vorbild der Ogier-
dichtung wirksam. Es folgt die flucht der vier brlider nach
Dordogne zu ihrer mutter und von da in den Ardennenwald,
ihre belagerung daselbst durch Karl in ihrem festen schloss
Montessor, ihre abermalige flucht, wobei das ross Baiart zwei
brüder zugleich trägt, ihr siebenjähriger aufenthalt im wald,
heimkehr zur mutter, die sie zuerst in ihren verwilderten
bettlergestalten nicht einmal erkennt, aufenthalt bei Yon de
Bordeaux, erbauung des Schlosses Montauban, neue belagerung
durch Karl mit zahlreichen wechselfällen, flucht nach Tremoigne
(Dortmund), abermalige belagerung und endliche freiwillige
Unterwerfung der brüder unter des kaisers bedingungen:
Renaud unternimmt eine pilgerfahrt nach dem heiligen lande,
wo er gelegenheit findet das Christentum mit dem schwert
gegen die Sarrazenen zu verteidigen, während das treue ross
Baiart, vom kaiser zum tod verurteilt und mit einem mühlstein
um den hals in die Maas geworfen, in den Ardennenwald ent-
rinnt. Zum schluss wird Renaud, um Gott wohlgefällig zu
sein, arbeiter beim kirchenbau zu Köln und verliert hier das
leben durch neidische mitarbeiten Wunder verkünden die
heiligkeit des erschlagenen. Man erkennt hier leicht das un-
organische der anknüpfung an den hl. Rein wald.
Neben ermüdenden Wiederholungen derselben motive finden
sich in diesem epos zahlreiche episoden und stellen von wahr-
haft epischem gehalt: so besonders das Verhältnis Renauts zu
seinem ross, der edelmut Ogiers gegenüber den von ihm selbst,
in Karls auftrag, bedrängten brüdern, die begegnung der vier
brüder mit der mutter (darnach Goethes mutter „Frau Aja"
im 18. buch von Dichtung und Wahrheit) u. a.
Ausgaben: Le Roman des quatre fils Aymon p. p. Tarbe,
Reims 1861. Renaus de Montauban hersg. von H. Michelant,
Stuttgart 1862 (Bibl.-Lit. Ver. 67). Les quatre fils Aymon p. p.
Castets, Montpellier 1909 (auch Rdlr bd. 49 ff.). — A. Longnon,
Les quatre fils Aymon, Revue des questions historiques 25 (1879),
4. Epen auf Karl Martell: Girart von Roussillon. 211
173 ff. (über die historische grundlage). G. Osterhase, ZrP 11 (1888)
185 ff. (über die mythischen demente, meist sehr problematisch).
K. Zwick, Über die Sprache des R. d. M., Diss. Ha. 1885. L.Jordan,
Die Sage von den vier Haimonskindern, Erlangen 1905 (auch RF 20,
vgl. noch Wallonia 14 [1906] 281 ff). W. Benary, Die german.
Ermanarichsage und die franz. Ileldendichtung, 40. beiheft zur ZrP,
IIa. 1912 (sehr zweifelhafte beziehungen). — Das gedieht wurde im
niederländischen (vgl. Marie Loke, Les versions neerlandaises de
R. d. M., These de doctorat, Toulouse 1906) und altnordischen
(Magussaga) bearbeitet, wurde in Italien der ausgangspunkt zahl-
reicher bearbeitungen (vgl. Rajna im Propugnatore III 1 s. 213 ff,
2 s. 58 ff.) und blieb auch in Frankreich als prosaroman und
volk9buch beliebt. Das deutsche gedieht (hersg. von Fr. Pfaff, Bibl.
Lit. Ver. 174) geht mit den niederländ. fragmenten, das deutsche
Volksbuch mit der ndl. prosa auf dieselbe bearbeitung zurück (neu-
dichtung von Tieck 1797 in den 'Volksmärchen' und von Ludwig
Bechstein 1830). — Rein literarische Weiterbildungen des 14. Jahr-
hunderts sind die epen von Maugis iVAigremont und Yivien
Vamachour de Monbranc, welche die erlebnisse von nebenpersonen
des alten gedichts breit ausspinnen.
C. Girart von Roussillon. Einen ähnlichen Charakter
wie Karl der Grosse hier im 'Renaut' zeigt Karl Martell in
Girart de Roussillon: rechthaberisch, eigensinnig, rachsüchtig
bis zum kindischwerden. Zunächst nimmt er Girart dessen
braut Elissent von Konstantinopel, um sie selbst zu heiraten
und ihm die verschmähte Berta, Elissents Schwester, zu über-
lassen. Dann fordert er von Girart sein schloss Roussillon (in
der Bourgogne) und belagert ihn daselbst. Die Versöhnung
nach der unentschiedenen schlacht von Valbeton ist nicht von
langer dauer. Nach mehreren niederlagen wird Girart in
Roussillon eingeschlossen, verliert es durch verrat, belagert
seinerseits den könig in Roussillon, wird aber in der ent-
scheidungsschlacht geschlagen und flieht mit seinem weibe in
den Ardennenwald. Er erwirbt nahrung als kohlenbrenner,
sie als kunstvolle näherin. Girart lässt sich tot sagen. Erst
nach 22 jähren erfolgt eine Versöhnung mit dem kaiser durch
vermittelung der kaiserin Elissent, welcher sich Girart am
karfreitag unerkannt naht und durch seinen verlobungering
zu erkennen gibt. Auf bitten der kaiserin und des bischofs
Augis verzeiht Karl Martell allen seinen feinden und damit
auch Girart. Dieser erhält wenigstens einen teil seiner alten
lehen zurück. Nach einem letzten kämpf mit Karl, gebrochen
14*
212 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
durch die ermordung seines sohnes, beugt er sich vor dem
künig und vor allen seinen feinden und, durch ein wunder
bekehrt, widmet er sein leben fortan frommen Stiftungen.
Der held des tiberlieferten epos teilt mehrere züge mit
dem historischen grafen Girart, welcher als beschtitzer des
jugendlichen Karl von Provence (eines sohnes kaiser Lothars I.)
und als gegner Karls des Kahlen erscheint, diesem 870 seine
festung Vienne tibergeben musste, die abtei zu Vözelay gründete,
875 zu Avignon starb und mit seiner frau Bertha in V^zelay
begraben ist. Eine klösterliche tendenz lässt sich dem epos
nicht absprechen, aber diese legendarischen einzelheiten bilden
nur den geringsten teil des 10000 verse zählenden epos. Die
diesem zeitlich vorausliegende Vita nobüissimi comitis Girardi
de Rossellon (anfang des 12. Jahrhunderts) hat anerkannter-
massen ein älteres epos gekannt und benutzt, und es lässt sich
nicht mit Sicherheit behaupten, dass der held dieses verlorenen
epos schon mit dem klostergrtinder Girart identisch war.
Jedenfalls versteht man nicht, wie der dichter dazu käme,
Karl den Kahlen, der sonst in sage und dichtung mit Karl dem
Grossen identifiziert wird, in Karl Martell zurückzuverwandeln:
dieser name ist zweifellos ursprünglich und verweist die
eigentliche grundlage des Stoffes in die zeit der kämpfe Karl
Martells mit den Burgundern, welche durch einsetzung von
leudes (kronvasallen) im zäume gehalten werden mussten. Man
wird also zu der annähme geführt, dass der eigentliche held
des gedichts ein — uns historisch nicht bezeugter — Girart
oder ein vornehmer ähnlichen namens ist, der als Widersacher
Karl Martells in der erinnerung fortlebte und späterhin mit dem
Girard aus der zeit Karls des Kahlen vermischt wurde.
Das gedieht ist in mancher beziehung merkwürdig. Wie
die meisten anderen dieses Zeitraumes ist es eine Überarbeitung
eines älteren, kürzeren, einheitlicheren epos, und Stimming hat
versucht, die verschiedenen entwicklungsstufen des gedichts
zu erschliessen. Die erschliessbaren ältesten stücke des gegen-
wärtigen epos sind auch die dichterisch hervorragendsten des
ganzen. Wahrscheinlich hat der dichter ausser dem alten
epos auch die Vita benutzt. Bemerkenswert ist auch die
metrische form — zehnsilbner mit zäsur nach der sechsten
silbe (vgl. oben s. 31) — und die spräche des gedichts: obwol
4. Epen auf Karl Martell: Girart von Roussillon. 213
im wesentlichen in provenzalischer sprachform überliefert und
vielfach der provenzalischeu literatur zugerechnet, gehört es
nach P. Meyers Untersuchung vielmehr nach Burgund, speziell
in das südpoitevinische dialektgebiet.
Kritische ausgäbe fehlt. Erste ausgaben von Konrad Hofmann,
Berlin 1855 (in Mahns 'Werken der Troubadours') und Fr. Michel,
P. 1856. Handschriftliche abdrücke und collationen von Foerster,
Stürzinger, Apfelstedt in Böhmers Rom. Stud. 5, 1 — 295. Einzelne
stücke in Appels Prov. Chr., in P. Meyers Kecueil usw. — Girart
de R., chanson d. g. traduite p. P. Meyer, P. 1884. — Vgl. P. Meyer
Rom. 7 (1888) 161 ff. A. Longnon, Rev. bist. 8 (1878) 241 ff.
Rajna, Origini 234 ff. Albert Stimming, Über den prov. G. v. R.
Ha. 1888. Leo Jordan, Girartstudien, Rom. Forsch. 14, 322 ff.
Bedier, Legendes epiques 11,1 — 92. — Im 14. Jahrhundert wurde
das epos in zwölfsilbnern, im 15. in prosa umgearbeitet.
Karl Martell hat in der älteren sage und dichtung eine
erheblich grössere rolle gespielt als die überlieferten epen erkennen
lassen, auch in hohem inasso auf die epen über Karl den Grossen
gewirkt, sagengeschichtlich wichtig sind vor allem noch seine
kämpfe gegen die Sarrazenen gewesen. Deren Vertreibung aus der
Provence spiegelt sich in dem prov. prosaroman des 15. Jahrhunderts
Tersin oder Lou Bouman d'Arles, dessen epische quelle auch in
der deutschen kaiserchronik benutzt worden ist. Auch Narbonne,
dessen belagerung durch Karl den Grossen in der epik des öfteren
behandelt Avorden ist, wurde durch Karl Martell belagert. Schliesslich
erscheint er als Karies Marüaus, wie im 'Girart', auch in dem
späteren, in Oberitalien entstandenen epos Huon d'Auvergne, hier
allerdings unhistorischer weise als nachfolger Karls d. Gr. Vgl.
Rajna, Origini 199 ff. (s. auch unten, kap. XIV).
5. Epen auf Karl den Grossen.
Schon in den vorher besprochenen epen wurde Karl der
Grosse wiederholt genannt. Wie die personen und taten der
vorzeit, hat er auch die der nachfolgenden epoche vielfach
an sich gezogen. Schon die sage wird die verschiedenen
herrscher des namens Karl vermischt haben, die dichter taten
dann das ihrige dazu, die Verwechslung vollkommen zu machen.
In den epen dieser periode, soweit sie nicht in erster linie
anderen beiden gewidmet sind und Karl nur als deuteragonisten
betrachten, erscheint Karl der Grosse vor allem als Sarrazenen-
bekämpfer und -besieger, wobei sich mit der geschichte des
214 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
spanischen feldzuges ältere Überlieferungen Über Karl Kartell
gekreuzt haben mögen. So kommt es, dass nun auch kämpfe
ganz anderer Zeiten gegen Sarrazenen auf ihn übertragen
werden, vor allem die kämpfe der italienischen fürsten und
der päpste gegen die von Afrika herübergekommenen, auf
Sizilien und in Unteritalieu hausenden Araber im 9. und
10. Jahrhundert. Begründet wurde diese Übertragung noch
dadurch, dass Karl, wie z. t. schon seine vorfahren (Pippin)
und wieder seine nachkommen, mehrfach als Schützer des
heiligen Stuhles aufgetreten war. Im ganzen haben diese epen,
trotzdem die historischen ausgangspunkte teilweise verschieden
sind und die dichter gewöhnlich irgendeinem von Karls beiden
ihr besonderes interesse zuwenden, untereinander ziemlich viel
ähnlichkeit, sie werden meist nach vorhandenen epischen
mustern gemodelt, z. t. sind direkt alte epen für diese jüngeren
dichtungen verwertet worden.
A. Fierabras und Destruction de Rome. Das
zweite, kürzere epos bildet die einleitung des ersten. Der
emir Balant von Spanien, begleitet von seiner schönen tochter
Floripas und seinem söhn Fierabras, unternimmt mit einer
grossen flotte einen rachezug gegen Rom, verheert das land
und nimmt mit list und verrat Rom ein, wobei sich neben
Lucafer de Balfas besonders Fierabras hervortut. Dieser findet
auch die heiligen reliquien — dornenkroue, kreuznagel u. a. —
nebst dem heiligen baisam, mit dem Christi leichnam ein-
balsamiert wurde. Rom wird zerstört, die kirche St. Peter
geplündert, der papst getötet. Die Sarrazenen sind schon
wieder in see, als das fränkische hilfsheer ankommt, zuerst
die vorhut unter Gui de Bourgogne, dann die hauptmacht unter
Karl dem Grossen. Dieser setzt sogleich mit dem ganzen heer
nach Spanien über, um räche zu nehmen und die reliquien
zurückzugewinnen, doch bleibt die erste Schlacht unentschieden.
— Hier beginnt der 'Fierabras'. Der beide dieses uamens, ein
riese von fünfzehn fuss höhe, ist zunächst held des gedichts.
Er fordert die christlichen beiden zum kämpf heraus, Olivier
stellt sich ihm, besiegt und bekehrt ihn, fällt aber selbst in
die bände der in überzahl hervorbrechenden beiden, ebenso
wie Aubri, Berart und Guillemer. Gui de Bourgogne nebst
sechs anderen helden wird als gesanter zu Balant geschickt,
5. Epen auf Karl den Grossen: Fierabras, Destrnction. 215
von diesem aber gefangen gesetzt. Floripas, von leidenschaft
für Gui entflammt, befreit und bewaffnet die Frankenbelden,
die sich im palast verteidigen, bis Karl mit dem beer ihnen
zu hilfe kommt. Balant verliert lieber das leben, als dass er
seinen glauben verleugnet, Floripas wird getauft und mit Gui
vermählt, der sich mit Fierabras in die herrschaft über Spanien
teilt. Auch die heiligen reliquien gelangen wieder in die
häude der Christen.
Die Übereinstimmungen zwischen der chanson und der 846
erfolgten plünderung der kirchen St. Peter und St. Paul durch
eine sarrazenische flotte nebst dem darauffolgenden entsatz
Roms durch Guido von Spoleto (vgl. Gui de Bourgogne als
führer der fränkischen vorhut) sind so schlagend, dass man
in diesen ereignissen die geschichtliche unterläge der dichtung
erblicken muss, während eine weitere einwirkung von Seiten
der belagerung Gregors VII. durch Heinrich IV. 1083 — 1084
sehr zweifelhaft ist. Man darf ein altes, verlorenes epos
voraussetzen, das die Zerstörung Roms und die darauffolgende
zurückgewinnung der reliquien durch Karl und seine helden
zusammen behandelte, seinen Schauplatz in Italien, nicht in
Spanien hatte und das verhältnismässig am getreuesten in dem
auszug in Mouskets 'Reimchronik' (v. 4664 — 4717) erhalten
ist. Der überlieferte 'Fierabras' gibt die plünderung Roms
nur in einigen anspielungen wieder, verlegt die szene — in
anlehnuug au das auch sonst vorbildliche Rolandslied — nach
Spanien und malt vor allem den romanesken teil, die liebe
der Floripas zu Gui und die gefangenschaft der pers aus, eine
episode, die in dieser form gewiss unursprünglich ist. Die
Destrnction endlich scheint teils auf grund des alten (ver-
lorenen) gedichts. teils des überlieferten Fierabras nachträglich
hinzugedichtet.
Fierabras p. p. A. Kroeber et G. Servois, P. 1860 (Anc. poetes
d. 1. Fr.), dazu Friedet Rom. 24 (1895), lff. La Destruction de
Rome p.p. G. Gröber Rom. 2 (1873) lff., dazu Brandin Rom. 28
(1899) 489 ff. Vgl. Gröber, Die handschr. Gestaltungen der Ch.
d. g. Fierabras, Diss. L. 1869. — J. Bedier, Rom. 17 (1888) 22 ff.
Ph. Lauer, Melanges d'archeologie et d'histoire de l'ficole fr.
de Rome 19 (1899) 307 ff. M. Roques, Rom. 30 (1901) 161 ff.
H. Jarnik, Studie über die Komposition der Fierabrasdichtungen,
Ha. 1903. — Das epos wurde ins prov. (ausgäbe Imm. Bekker
210 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
1829), ital. (Fierabraccia et Ulivieri, hersg. von Stengel, Marb.
Univ.-Progr. 1880 und AA 2, Marb. 1881), englische (Sir Ferum-
bras — The romance of the Sowdone of Babylone) und, nach
einer bemerkung des niederländ. dichtere Maerlant, auch ins ndl.
übersetzt.
B. Aspremont. Die Chanson d'Aspremont ist nach dem
ort genannt, bei welchem abermals eine grosse Sarrazenen-
schlacht stattfindet. Dieser ort ist in Calabrien, in der gegend
von Reggio gedacht. Wir werden auch hier wieder auf die
historischen Sarrazenenkäinpfe Mittel- und Unteritaliens ge-
wiesen: nachdem schon 849 und 877 die Araber zweimal zur
see besiegt worden waren, sammelte 916 papst Johann X.,
unterstützt von kaiser Berengar, eine grosse liga und brachte,
vereint mit general Alberich, den Sarrazenen, die sich am
Garigliano fest verschanzt hatten, eine grosse niederlage bei.
Das historische ereignis verknüpft sich mit älterer sagenhafter
oder epischer Überlieferung. Zum mindesten stimmt die ein-
leitung auffällig zu dem alten Chlotharlied (s. oben s. 92 f.):
wie dort der Saehsenkönig Bertoald an Chlotar gesante
schickt, welche Chlothars land für Bertoald beanspruchen,
sendet hier der Sarrazenenkönig Agolant aus Italien durch
seinen boten Balant die aufforderung an Karl den Grossen,
sich ihm zu unterwerfen und ihm sein land abzutreten. Karl
will den dreisten boten auf der stelle töten, Naimes hindert
ihn. Balant wird mit der kriegserklärung Karls entlassen,
bei Aspremont will sich dieser mit Agolant messen. Dem
nach Italien ziehenden heer schliesst sich unbemerkt der
jugendliche Roland nebst einigen altersgenossen an, nachdem
sie ihrem Wächter zu Laon entflohen sind. In der tat wird
Roland im weiteren zum protagonisten der dichtung, sodass man
diese auch als 'Enfances Roland' bezeichnen könnte. In der
Schlacht stösst Karl auf Balants söhn Eaumont und ist in
gefahr, durch ihn das leben zu verlieren, als der junge Roland
herbeieilt und den gegner mit dessen eigenem schwert, Durendal,
tötet. Zum lohn erhält er dieses schwert, mit dem er auch
im Rolandslied erscheint, und wird zum ritter geschlagen.
Der endgiltige sieg der Christen wird durch ein wunder Gottes
entschieden. Agolant fällt, herr seines reiches und der band
seiner witwe wird Flovent, königssohn von Ungarn.
5. Epen auf Karl den Grossen: Aspremont, Saisnes. 217
Die existenz einer älteren fassuug des gedichts ist wahr-
scheinlich. In der vorliegenden form wechseln assonanz und reim.
Agolant wird schon in Turpins chronik (kap. 6 — 14) erwähnt.
Gesamtausgabe fehlt. Die ersten 1800 verse gedruckt von
F. Guessard et L. Gautier, La Chanson d'A. d'aprea le texte du ms.
2495 (Bibl. Nat). Der Roman von A., nach d. Berliner hs., von
J. Bekker, B. 1847 (Abh. d. B. Ak.). Weitere teildrucke: W. Benary,
ZrP 34 (1910) 1 ff., und die Greifswalder Dissertationen von Fr. Roepke
(1909), Jos. Mayr (1910). — Altnord, in der Karlamagnüssaga, ital.
in den Reali di Francia.
C. Saisnes. Auch in dem epos vom Sachsenkrieg,
welches von dem als Verfasser des Niklasspiels (oben s. 142)
bekannten Jehan Bodel aus Arras gedichtet ist, mischt
sich jüngere geschichtliche sage mit älterer Überlieferung.
Karls des Grossen krieg gegen den Sachsenkönig Guiteclin
spiegelt die historischeu kämpfe Karls gegen die Sachsen
und ihren herzog Widukind wieder, die schon früh in die
sage übergegangen waren, wie die erzählungeu des Mönchs
von St. Gallen oder das Leben der heiligen Mathilde zeigen
(hier wird der krieg durch einen Zweikampf zwischen Karl
und Widukind entschieden). Speziell der umstand, dass Karl,
in Bodels gedieht, nach der Roncesvallesschlacht und dem tod
Rolands gegen die Sachsen zu felde ziehen muss, stimmt zu
der geschichtlichen Überlieferung, wonach er das ende des
spanischen feldzugs beschleunigte, um den aufrührerisch ge-
wordenen Sachsen entgegentreten zu können. Aber es konnte
nicht fehlen, dass auf die sagenhafte und epische gestaltung
dieser ereignisse die Überlieferung der früheren, Jahrhunderte
alten kämpfe zwischen Sachsen und Franken einwirkte. So
berichtet schon der Mönch von St. Gallen von Karl die schwert-
messung, die wir aus dem Chlotharlied (oben s. 92) kennen.
Auch die Vorgeschichte des krieges ist sichtlich nach einer
Überlieferung stilisiert, die der erzählung von Chlothars Sachsen-
krieg im Liber historiae (s. 84, 93) entspricht. Hier wie dort
erheben sich die Sachsen, weil sie die künde vom tod ihres
gefährlichsten gegners unter den Franken (Chlothar — Roland)
vernehmen, aber beidemal werden sie enttäuscht: der tot-
geglaubte Chlothar erscheint dort selbst und besiegt den
Bertoald, während hier als Iiolandus redivivus sein jüngerer
218 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
bruder Balduin auftritt und den Justamont besiegt. Auch
dieser Dame, dessen träger nach sonstiger Überlieferung von
Karls vater Pippin besiegt wird, gehört der älteren epischeu
Überlieferung an. Chlothars Sachsenkrieg liegt auch der
weiteren darstellung teilweise zugrunde. Wie dort die Weser,
trennt hier die Rune die beiden Völker, der ganze kämpf
spielt sich in der nähe von Köln ab. Schliesslich hat der
dichter auch den Floovent gekannt, den er für die einleitung
seines gedichts verwendet, wo er die Ursache der Streitigkeiten
zwischen Franken und Sachsen berichtet.
Gegenüber einer anderen und relativ älteren version, welche
in altnordischer Übersetzung in der Karlamagnüssaga bewahrt
ist (der sogenannte Guitalin), hat Jehan Bodel seinen stoff
sehr selbständig und reichlich ausgestaltet durch Verdoppelung
der motive, namentlich der Zweikämpfe und schlachten, durch
ausführliche Schilderung dort nur skizzierter oder angedeuteter
Vorgänge, wie der liebe Balduins zur Sachsenkönigin Sebille,
sowie durch einmischung ganz neuer episoden, vor allem der
Herupoisepisode. Die barons Herupois wollen die, wie von
allen andern, so auch von ihnen verlangte kopfsteuer von vier
denaren nicht zahlen, sie bringen Karl schliesslich je vier
stahldenare auf der spitze der lanze, und er demütigt sich
vor ihnen, worauf rasch die versöhnuug folgt. Sie beteiligen
sich dann auch an dem langen und wechselvollen kämpf, der
mit dem siege Karls über Guiteclin und der Verheiratung
Sebilles mit Balduin endet.
Ausg. von Fr. Michel, La chanson des Saxons, P. 1839 (Rom.
d. d. p. V und VI). Jean Bodels Saxenlied hersg. von F. Menzel und
E. Stengel, Marburg 1906—09 (AA 99—100). — J. Dettmer, Der
Sachsenkönig Widukind nach Geschichte und Sage, Würzburg 1879.
Fl. Meyer, Die Ch. des Saxons Bodels in ihrem Verhältnis zum
Rolandslied und zur Karlamagnüssaga, Marb. 1882 (AA 4). Rajna,
Origini 259 ff. (auch zu Aspremont). 0. Kohnström, Etüde sur Jchan
Bodel, Upsala 1900, s. 73 ff. Franz Settegast, Die Sachsenkriege
des franz. Volksepos, Leipzig 1908. Zur Eune vgl. Remppiß, Deutsch-
land im afr. Heldenepos (Diss. Tüb. 1911) s. 14 ff.
D. Aiquin. In dem nur in einer handschrift und dazu
unvollständig überlieferten epos Aiquin (3087 verse, ende
12. jhs.) bilden den historischen hintergrund die kämpfe Karls
5. Epen auf Karl den Grossen: Aiquin. — 6. Ogicr der Düne. 219
und der fränkischen könige überhaupt gegen Dänen und
Normannen, die hier als Norois mit Persern und Türken
zusammen genannt werden und, wie schon die Dänen des
Isembartliedes, als Sarrazenen erscheinen. Aiquin ist der
name des heidnischen beiden, der sich der Bretagne bemächtigt,
infolgedessen von Karl, nach einer erfolglosen botschaft, be-
kriegt und, nach beiderseitigen siegen und niederlageu, in
seiner hauptstadt Quidalet belagert wird. Diese fällt in die
bände der Frauken, Aiquin, glücklich entronnen, wird unter
den mauern von Carhaix durch Naimes besiegt und entflieht,
seine frau lässt sich taufen. Das allem anschein nach von
einem angehörigen der französischen Bretagne verfasste gedieht
bietet eine reihe von individuellen zügen: so die dem herzog
Naimes zugewiesene rolle, ferner das hervortreten von Rolands
vater Tiori, der in der schlacht fällt, die persönlichkeit des
erzbischofs Ysore von Dol, der die Bretonen führt und dem
streitbaren gottesmann Turpin nachgebildet scheint. Der Ver-
fasser schreibt mit genauer geographischer kenntnis der gegend,
er verwertet die erscheinung von ebbe und flut, um den ver-
wundet und hilflos am Strand liegenden Naimes in eine lebens-
gefahr zu bringen, aus welcher dieser erst im letzten moment
befreit wird, auch streut er lokalsagen ein, wie die von der
gattin des alten Hocl de Nantes, welche durch das auffinden
einer toten amsel an die eitelkeit alles irdischen erinnert wird
und deshalb die von ihr begonnene Strasse von Carhaix nach
Paris unvollendet lässt.
Le Roman d'Aquin ou la Conqueste de la Bretaigne pav le
roy Charlemagne p. p. F. Joüon des Longrais, Nantes 1880, dazu
G. Paris, Rom. 9 (1880) 445 ff. Vgl. ferner F. Lot, Rom. 29 (1900)
380 ff, G. Paris, ebenda 416 ff, J. Loth und F. Lot s. 604 ff. Bedier,
Legendes epiques II 93 — 135, sucht das ganze als 'un ecrit de
propagande et un pamphlet' im interesse der hierarchischen an-
sprüche des erzbistums Dol zu erweisen.
6. Ogier der Däne.
Ogier der Däne ist der held einer sage geworden, die
ursprünglich aus den Überlieferungen vom Langobardenkriege
220 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
Karls des Grossen hervorgegangen war, allmählich aber eine
reihe anderer demente aufgenommen und so Ogier zum eigent-
lichen mittelpunkt des ganzen gemacht hatte. Es liegt also
eine ähnliche entwieklung vor wie bei Karls spanischem feld-
zug, wo Roland der wahre held der sage und dichtung ge-
worden ist. Ogier ist der historische Autchnrius (Audcgarius),
ein fränkischer grosser, der Karlmanns witwe nebst ihren un-
mündigen söhnen 771 zu ihrem vater, dem Langobardenkönig
Desiderius, brachte, zusammen mit diesem 773 gegen Karl den
Grossen bei den Klausen kämpfte und sich schliesslich in Verona
nebst Karlmanns witwe und ihren söhnen dem sieger ergab,
worauf er im exil verschollen ist. Er war also gegner Karls
des Grossen und erscheint als solcher in sagenhafter einkleidung
bereits beim Mönch von St. Gallen in der erzählung vom
eisernen Karl (II, 17). Den ausgangspunkt seiner sage bildet
somit der Langobardenkrieg, der auch in dem erhaltenen epos
ausführlich geschildert wird. Daran hat sich als fortsetzuug
die tapfere Verteidigung Ogiers im schloss Castelfort in Toscana
angeschlossen, welche an seine belagerung in Verona anknüpfen
mag, dabei aber durch die figur des Langobarden Adelgis, des
sohnes und mitregenten des Desiderius, beeinflusst scheint. Die
Ursache des zwistes zwischen Karl und Ogier war von der sage
ursprünglich richtig festgehalten worden, wurde aber später
durch Übertragung einer alten volkssage verwischt, welche den
söhn eines helden beim spiel mit dem königssohn in streit
geraten und das leben verlieren lässt. Zu dem vorhandenen
grundstock von den taten des fertigen helden wurden, wie bei
Karl dem Grossen, bei Koland u. a., die Enfances hinzugedichtet,
welche sich hier au das vorbild von Aspremont anlehnen und
die dänische abkunft des helden eingeführt oder wenigstens
näher begründet haben. Schliesslich wurde auf ihn das alte
epos von Chlothars Sachsenkrieg übertragen, das wir schon in
Aspremont und Saisnes wirksam fanden. Hier spielt noch
das motiv von Ogiers mönehtum herein, das an die Conversio
eines legendarischen Othgerius im kloster zu Meaux anknüpft
und nur lose mit dem alten gedieht verbunden worden ist.
Alle diese verschiedenen dichtungen, deren existenz wir
z. t. aus dem vorliegenden epos, z. t. aus den fremden be-
arbeitungen erschliessen können, sind in dem überlieferten
C>. Ogier der Däue. 221
umfangreichen Ogier de Danemarche (rund 13000 verse) bereits
zu einem zyklns vereinigt, welcher die laufbahn des beiden
von seiner Jugend bis zu seinem begräbnis in Meaux im
zusammenbang darstellt, sieb aber noeb jetzt deutlicb in fünf
teile sebeidet.
1. Als geisel von seinem vater Gaufrey von Dänemark an
Karl den Grossen ausgeliefert, hat er infolge der beschimpfung
fränkischer gesanter durch Gaufrey sein leben verwirkt, darf
aber das fränkische beer noch nach Italien begleiten, rettet
Karl hier das leben und gewinnt von dem sarrazenischen
riesen Brunamont sein scharfes schwert Corte und sein gutes
ross Broiefort. — 2. Balduin, ein illegitimer söhn Ogiers, spielt
mit Karls söhn Charlot schach, gewinnt und wird von dem
jähzornigen königssohn erschlagen. Ogier tötet darauf Lohier,
den neffen der königin, muss aber schliesslich den palast und
nach langem krieg auch das land räumen. Er geht zu könig
Desier nach Pavia, wo er hoch geehrt wird. — 3. Karl fordert
durch seinen boten Bertrant von Desier die auslieferung Ogiers,
und als diese verweigert wird, überzieht er das Langobarden-
land mit krieg. Die Schlacht von St. Aiose geht durch die
feigheit der Langobarden und ihres königs verloren, Ogier
muss fliehen, auch an Pavia vorbei, dessen tore ihm nicht
geöffnet werden. — 4. Auf seiner flucht nach Süden trifft
Ogier das freundespaar Amis und Amiles und tötet beide.
Er verteidigt sich kurze zeit in einem am weg gelegenen
schloss und dann sieben jähre lang, zuerst mit vielen treu
gebliebenen waff engefährten, zuletzt allein, in Castelfort, teils
mit kühnem dreinschlagen, teils mit list gegen Karl und das
fränkische heer. Schliesslich, zur Verzweiflung getrieben, ver-
sucht er Karl mitten im fränkischen lager zu töten, wird ent-
deckt und entkommt mit hilfe seines treuen rosses Broiefort. —
5. Turpin findet den beiden bei Jvrea schlafend und bringt
ihn zu Karl. Nur mit mühe lässt sich dieser bewegen, Ogier,
dem er den tod geschworen, zu harter und voraussichtlich ein
baldiges ende herbeiführender gefangenschaft in Rheims zu
begnadigen. Als aber Sachsen und Sarrazenen unter Brehier
in Frankreich einbrechen, vermag nur der totgeglaubte Ogier
Karl und sein reich zu erretten: mit hilfe seines Schwertes
Corte und des nach langem suchen wieder gefundenen Broiefort
222 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
besiegt er den furchtbaren gegner. Wie ein fahrender Artus-
ritter findet er dann gelegenheit, eine prinzessin ans den
bänden mehrerer Sarrazenen zu befreien. Kr heiratet sie,
wird von Karl mit Hennegau und Brabant belehnt und nach
seinem tod neben seinem Waffenbruder Beneoit in Meaux bei-
gesetzt.
Das gedieht zeigt in sich zahlreiche Widersprüche, die
sich durch die art seiner entstehung erklären, häufige inter-
polationen, — teils wie die Karlotszenen der 1. und 3. brauche
aus dementen der Ogierdichtung zusammengesetzt, teils aus
anderen epen, wie z. b. Girbert de Mes, entnommen — und daher
nebeneinander stücke von sehr verschiedenem ästhetischem
wert. Zu den besten gehören diejenigen, welche dem Verhältnis
Ogiers zu seinem ross gelten und die wol auch auf die
Schilderung Baiarts in den 'Haimonskindern' gewirkt haben.
Die folgende stelle, welche uns Ogier allein und elend in
Castelfort vorführt1), mag zugleich als stilprobe eines epos
aus den letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts dienen:
1 ^l^ant fist li rois au castel de la marche,
JL Sept ans i sist par vent et par orage;
Enserre, ot Ogier de Danemarche:
Falt li vitaille, ne set mais qe il face,
5 Ne il ne voit par ou fuiant s'en aille,
Conseil n'i voit qui garison li fache.
Or voit li dux qn'il n'a inais c'un formage
Et d'un sanglier un pis et nne espaule.
Trestot son vivre a mis desus la table.
10 „Deus!" dist li dus „ne sai mais qe je face".
Li dux s'asist sus un perun de uiarbre,
La se demente forment eu son corage:
„Deus!" dist Ogiers „biaus pere esperitable,
N'ai de vitaille que un senl denier vaille.
*) Vgl. v. 8507— 8613 der ausgäbe von Barrois. Der text oben ist
im ansclilnss an die hs. von Tours gegeben, offenkundige fehler und ver-
sehen sind mit hilfe der übrigen hss. gebessert. Die spräche ist nicht
normalisiert, daher der text neben francischen auch viele picardische
und anglonormannische formen zeigt (vgl. face — fache = fatse, ce — che,
cavel — chascun, artikel le für la, peron — perun, lancier — lanchier —
lancer u. a). Formen wie bers für ber sind jungen Ursprungs und kaum
dem archetypon zuzuschreiben.
i». Ogier der Däne. 223
15 Chi ni'a assis li rois od son barnage;
La defors voi cent mil homes a armes,
N'i a un seul de la mort ne me hace".
Quatre jors fu Ogiers de Dauemarche
N'ot que ruengier, dont ce fu granz damages.
20 Ains a tel fain a poi qe il n'esrage,
De jeüner a Ie vis taint et pale.
Pitue^ement a regarde ses armes,
A porpenser se prist en suen corage:
Lancier ira a la tente de paile,
25 A son espitd ochira le roi Kalle.
Mult se demente li bons Danois Ogiers,
11 regarda son bon hauberc doblier,
Sa bone sele et ansdeus ses estries,
Cortain s'espee, qi molt fist a prisier:
30 „Brans" dist li dux „molt vus doi avoir chier,
Sus maint paien vus ai fait essaier,
En mainte coite m'av6s eü mestier".
Trait le du fuerre, molt le vit flambier.
Or jura Den qi tot a a jugier:
35 „Senpres au vespre quant il iert anuitie\
M'en istrai fors au tref Kallon lanohier.
Se m'i asaillent serjant et esquier,
Esproverai se m'i ares mestier".
Dist il me'ismes: „Or le voil essaier".
40 Dreche l'amont, sus un peron le fiert,
Ne le vit fraindre, esgriner ne perchier,
Mais au peron fist trencher un quartier.
„Brans" dist li dus „si m'a'it deus du ciel,
Or ne qoit mie q'il ait millor sous ciel".
45 II l'a ben terse, el fuerre l'embatie,
A Bruiefort est venus, son destrier,
Si li leva trestos les quatre pies:
La ou n'ot clau, li bers li a fichie,
Si l'a defors rive et reploie.
50 Tant l'ot peü et done a mengier,
Grant ot le col et le cavel plener,
II le tapa, eil jua volentiers
Come le beste qui bien conut Ogier;
Li bers le ra a l'estaque loie.
55 Sor un peron se rasiet entaillß,
17 seul — hace: ergänze qui; hace analogische konjunetivform zu
hair nach face, place. — 40 ff. erinnert sehr an den vergeblichen versuch
des sterbenden Roland, Durendal am fels zu zerschlagen. — 55 entaillß:
'gemeisselt, behauen', zu peron.
224 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
La se demente li gentis Chevaliers:
Ne set que feire, car il n'ot que mengier
Et voit ses dras derous et depecies,
Ses cors meisines est molt afebloies,
60 Le vis ot pale, piauchelti et oissie.
A sa car nne sist ses haubers doblers,
Parmi la niaille en est li pels glacies.
Melle estoient, locn, recercele,
Cavels ot Ions contreval vers ses pies,
65 Piecha ne furent ne lave ne pignie.
Li esperon li gisent as nns pies.
II voit son cors du tot afebloi6,
Dckaiie iert tote la force Ogier,
N'a fors le quir et les os gros et fiers.
70 Deu reclauia qi tot a a jugier:
„Pere de gloie, et car me consillies,
Secor6s, sire, le vostre Chevalier!
Chi m'a assis Kalleinaigne au vis fier,
Qui plus me het que home desous ciel,
75 Decachie m'a ben a dis ans entiers.
En sa compagne a de gent cent milliers,
Chascuns me het de la teste a tranchier.
Tant con j'eüsse a boire et a mengier,
Ne me presissent en cest castel plener:
SO La mers l'i bat et devant et derrier,
Si que Franc,ois n"i pueent aprochier,
Assalt livrer ne perriere drechier
Qui mal me face le montant d'un denier.
Si m'ait Dens, ne me sai consillier;
85 Chi muir de fain et si n'ai que mengier —
(Ben a sept jors que ne menga Ogiers).
Ains que me rende a Kallon au vis fier,
Me lairai chi morir a destorbier".
Ogiers se dreche maintenant sus ses pies,
90 Vint a l'estaque la on Corte pendie,
Li bers la Qaint a son flaue senestrier.
Puis a saisi maintenant son espiel,
60 piauchelu: francisch peancelu, ableitung von pellis 'hautig'
(ohne fleisch) — 'von welker haut'. — 65 piecha: francisch piega, aus
piec' a (= U y a une jnece) 'es ist ein stück, eine Zeitlang her — vor
langer zeit, soit langem'. — 77 de — tranchier: in hinsieht auf den köpf
zum abschneiden — auf den tod, vgl. v. 13. — 86: auffällig ist der plötz-
liche Übergang in die dritte person. Den vers hat der dichter wol
erläuternd zum vorigen hinzugefügt ohne zu bedenken, dass dadurch die
direkte rede unterbrochen wird.
6. Ogier der Däne. 225
Tos les degres avala du planchier,
Par la posterne qi'st au uiiir batilliez,
95 S'en ist Ogiers coiement sans nuisier.
Entre la rive et le mur entailliet,
La s'arestut li bons Dauois Ogiers,
Et voit FranQois environ lui logies
Plus d'une liue aval le sablouer —
100 De terre vuide trover n'i peüssies
Ou hon jetast uu bastou de pomer,
Que ue ca'ist sus tente ou sus destrier.
Ogiers les vit, bien les dut resognier.
II jure Den qi tot a a jugier,
Qu'il ne lairoit por tot l'or desous ciel
Ne voist anuit an tref Kallon lancier:
107 Si l'occirra, sril pnet, a son espiel.
Ausgabe von Barrois, La Chevalevie Ogier de Danemarclie p.
Haimbert de Paris, P. 1842 (Rom. d. d. pairs VIII, IX). Raimbert
ist nur der Verfasser der jüngeren redaktion. Vgl. Barry Cerf,
A Classification of the mss. of Ogier le Danois, Publications of the
Mod. Lang. Ass. of America 23, 545 ff. Balduins Tod, Episode aus
d. afr. Ogierepos nach den Hss. und Bearbeitungen mitgeteilt
von C. Voretzech, Tübingen 1910 (Doctorenverz. d. Phil. Fak). —
Vgl. C. Voretzsch, Über die Sage von 0. d. D. und die Entstehung
d. Chev. Ogier, Ha. 1891. Rod. Renier, Ricerche sulla leggenda di
Uggeri il Danese in Francia, Torino 1891 (Memorie della Real
Accademia, Serie II, bd. 41). J. Bedier, Legendes epiques II,
279 — 316 (überschätzt die bedeutung der dem gedieht nur äusserlich
aufgesetzten klösterlichen demente). L.Jordan, Herrigs Archiv 112
(1904) 135 ff, nimmt einen einfluss der byzantinischen Belisarsage
auf Ogiers Sachsenkrieg an, aber das umgekehrte Verhältnis ist
wahrscheinlicher, da die Belisarsage noch von historischen ereignissen
und personen des 12. und 13. Jahrhunderts wesentliche momente
empfangen hat und vollständig erst in den dichtungen des 15. Jahr-
hunderts vorliegt. — Die branchen von Ogiers jugendtaten und
vom Sachsenkrieg sind ins altnordische (Karlamagnüssaga) und (mit
Balduins tod verbunden) ins italienische übersetzt worden (vgl.
Rajna, Rom. 2, 153 ff, 3, 31 ff, 398 ff, Subak ZrP 33, 536 ff, Barry
Cerf, Modern Philology 8, 2). So geht auch der dänische Holger
Danske durch Vermittlung der Kmssaga. auf franz. Ursprung zurück
(vgl. noch L. Pio, Sagnet om Holger Danske, Kopenhagen 1869).
In die spanischen romanzen gelangt Ogier durch Vermittlung
toskanischer gedickte als Urgel, marquis von Mantua (Lope de
Vegas 'Marques de Mantua').
Das epos Gaufrey (13. Jahrhundert) erzählt die Schicksale von
Ogiers vater im wesentlichen auf grund des alten Ogierepos (vgl.
Rolf Seyfang, Quellen und Vorbilder des Epos Gaufrey, Diss.
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 15
226 VI. Kapitel. Das ITeldenepos in seiner Blütezeit.
Tübingen 1908), der spätere prosaroman Mcurvin die taten seines
sohnes. So hat sich auch nm Ogier wie um Renaut von Montauban
u. a. allmählich eine kleine geste gebildet.
7. Wilhelms epen.
Wie Ogiersage und Rolandsage, hat sich zunächst auch
die Wilhelmsage im Zusammenhang mit der Karlsage ent-
wickelt, wie Haager Fragment, Karlsreise und Krönungsepos
lehren. Schon in den frühesten epischen denkmälern aber er-
scheinen brüder und neffen Wilhelms, auch sein vater Aimeri
wird bereits in der Karlsreise genannt, sodass hier von vorn-
herein anlass zur ausbildung eines epischen zyklus gegeben
war. Dazu kam weiter das beständige einfliessen jüngerer
Überlieferungen von anderen helden desselben namens oder
ursprünglich fremder sagen in die alte Wilhelmsage. Wir
finden daher die Wilhelmsepik schon im 12. Jahrhundert
reichlich entwickelt, die dichter des 13. und 14. Jahrhunderts
füllten die noch gebliebenen lücken mit neuen dichtungen
aus, sodass der ganze zyklus vierundzwanzig epen umfasst.
Auch in den handschriften werden die verschiedenen epen
meist zyklisch zusammengestellt.
A. Allgemeine Fragen. Die entwicklungsgeschichte
der Wilhelmsage ist sehr verwickelt und zur zeit noch immer
nicht völlig klar, z. t. stehen sich die meinungen unvermittelt
gegenüber. Der eigentliche ausgangspunkt der sagenbildung
ist jedenfalls graf Wilhelm von Toulouse, der schon im Krönungs-
epos in seiner historischen Stellung als leiter und beschützer
Ludwigs, sohnes Karls des Grossen, hervortritt. Um 790 zum
grafen von Toulouse bestellt, war er der nächste berater und
helfer des jugendlichen Ludwig, der schon als dreijähriges
kind (781) zum könig von Aquitanien gesalbt worden war.
Zunächst brachte Wilhelm die aufständischen Basken zur ruhe.
Im jähre 793 hatte er am flusse Orbieu einen schweren kämpf
gegen die spanischen Sarrazenen zu bestehen: zwar wurde er
von der tibermacht besiegt, aber auch der gegner war so ge-
schwächt, dass er wieder umkehrte. An der belagerung und
7. Wilhelmsepen: allgemeine Fragen. 227
einnähme von Barcelona (801 oder 803), an der eroberung
Cataloniens hat sich Wilhelm iu hervorragender weise be-
teiligt: Ermoldus Nigellus, in seinem lateinischen gedieht auf
das leben Ludwigs des Frommen, hat es ausführlich ge-
schildert. Im jähre 806 trat er als mönch in das von ihm
selbst begründete kloster Gellone. Hier starb er nach einem
gottseligen leben am 28. mai 812.
Diese ereignisse scheinen sich in den wichtigsten zügen
des epischen Wilhelm wiederzuspiegeln. Sein Verhältnis zu
Ludwig von Aquitanien, sein eintreten für den jugendlichen
könig tritt im Krönungsepos unverkennbar zu tage (oben s. 202).
Als Sarrazenenbekämpfer erscheint er in den meisten der ihm
gewidmeten dichtungen, und zwar nicht nur als sieger, sondern
auch als tapferer besiegter. Deutliche erinnerungen an sein
mönchtum bewahrt das Montage Guiüaume. Dass auf Wilhelm
mit der zeit noch einzelne züge aus dem leben gleichnamiger
jüngerer beiden übertragen worden sind (wie im Krönungsepos,
im Moniage I, vielleicht auch in Archamp), ist leicht be-
greiflich. Waren es auch nicht „setze Guillaume" (deren zahl
B6dier mit recht tibertrieben findet), so doch drei oder vier,
die ganze episoden oder einzelne ztige beigesteuert haben.
Die deutuug der Übereinstimmungen zwischen geschichte
und dichtung durch die einzelnen forscher ist freilich sehr
verschieden. Während die einen — so Gautier, Suchier
(zuletzt ZrP 32, 734 ff.), Jeanroy (Rom. 25 u. 26) und Gröber
(ZrP 22, 141 f.) — eine fortlaufende entwicklung dieser alten
Überlieferungen durch sage oder lied hindurch bis auf die epen
des 12. Jahrhunderts annehmen, lassen andere die historischen
demente erst nachträglich, aus lateinisch-legendarischen quellen,
in die epen übergehen. So lehrt Becker „dass Graf Wilhelm
von Toulouse und sein geschichtliches Wirken nicht der Aus-
gangspunkt für die Bildung der Wilhelmsage gewesen sind . . .
Die Übertragung der Sage auf seine Person ist erst im 12. Jahr-
hundert erfolgt und für das Epos erst durch das durch und
durch unhistorische Montage besiegelt worden." Eine ver-
mittelnde Stellung nimmt G. Paris ein, der einen epischen
Guillaume irgendwelchen Ursprungs und frühzeitige Vermischung
mit Wilhelm von Toulouse annimmt: „Le heVos central est
Guillaume, appele* Guillaume Fierabrace, Guillaume au Court
15*
!2"2^ VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
Nez et Guillaume d'Orange. Nous ne connaissons aucun
Guillaunie qui, anteVieurement an XII" siecle, ait poss&le" la
ville d'Orange, dont la eonquete sur les Sarrasins, dejä dann
des poemes du XI0 siecle, etait attribuee k ce heros. Quoi
qu'il eu soit, ee Guillaume a de bonne heure iti identifie
avec ud heros tres historique, Guillaume, qui, nomm6 en 790
comte de Toulouse, livra sur les bords de l'Orbieu en 793 une
bataille sanglante . . ." Ähnlich, unterscheidet auch Gloetta
einen 'epischen Wilhelm' und einen 'heiligen Wilhelm': jener
hat nach herkunft, verwantschaft, leben und taten nichts
gemein mit dem heiligen von Gellone, ein dichter hat ihn
geschaffen und ihm den banalen namen Wilhelm gegeben, und
der einfluss des heiligen Wilhelm ist nur im Moniage Guillaume
und einigen jüngeren epen zu beobachten. Dem gegenüber
vertritt Bedier den extremsten Standpunkt: Wilhelm von
Toulouse, der heilige von Gellone, ist der ausgangspunkt der
ganzen Wilhelmsepik, aber nur vermittels der kloster Über-
lieferungen, die in Aniane und Gellone lebendig blieben und
den wandernden Jongleuren und den nach San Jago di Com-
postella wallfahrenden pilgern in den an der pilgerstrasse
liegenden klöstern zu obren kamen: 'les auteurs des chansons
de geste ont appris des moines de Gellone et n'ont pu
apprendre que de ces moines les quelques faits authentiques
qu'ils rapportent de leur Guillaume, et qui forment le seul
support historique de leurs fictions innombrables'.
Der widerstreit der meinungen ist noch nicht gelöst. Aber
man wird sagen dürfen, dass die extreme richtung, welche
Wilhelm von Toulouse alle bedeutung für die ursprüngliche
entwicklung der Wilhelmsage abspricht, die sagenbildende
kraft des historischen elements unterschätzt und auch die ana-
logien ausser acht lässt, welche andere Sagenkreise, namentlich
die Karlsage, bieten. Der geschichtliche Wilhelm von Toulouse
erscheint uns vor allem in zwei rollen: als beschützer Ludwigs
von Aquitanien, des nachmaligen Ludwigs des Frommen, und
als bekrieger und besieger der Sarrazenen in Sudfrankreich
und Catalonien. Das erste erklärt uns ohne weiteres, weshalb
er uns in sage und epos in erster linie als Zeitgenosse und
paladin Ludwigs des Frommen erscheint und weshalb hier
vergessen wird, dass er schon 812, ein jähr vor Ludwigs
7. Wilheluisepen: allgemeine Fragen. ^29
krönung und zwei jähre vor Karls des Grossen tod, gestorben
ist. War doch schon lange vorher der junge Ludwig vom
parat Hadrian zum könig von Aquitanien gesalbt worden und
war doch Wilhelm zum 'cbef militaire et civil du gouverne-
ment' eben dieses Ludwig ernannt worden. Wie nahe lag es
der sage oder der dichtung, Ludwigs Salbung zum könig von
Aquitanien und seine krönung zum könig des reiches zusammen-
zuwerfen und dann auch Wilhelm von Toulouse seinen platz
als hüter der kröne anzuweisen. Die Sarrazenenkämpfe aber
mussten, wenn Wilhelm einmal in die sage überging, beinahe
mit naturnotwendigkeit mit solchen früherer oder späterer Zeiten
vermischt werden. Wird etwa die bedeutung des historischen
Karls des Grossen für die entwickluug der Karlssage dadurch
ausgeschaltet, dass ihm auch der kämpf gegen Yon von Bordeaux
zugeschrieben wird, der nur seinen grossvater, Karl Kartell,
angeht? Oder ist es geschichtlich nachweisbar, dass Karl
der Grosse — wie in Aspremont, wie im Ogier — gegen
Sarrazenen in Italien gekämpft hatV Diese früheren und
späteren demente sind auf ihn übertragen worden, weil er
der nach weit, auf grund seines spanischen feldzugs, als Vor-
kämpfer gegen die Sarrazenen galt. So kann es auch nicht
wunder nehmen, wenn dem tapferen kämpfer vom Orbieu, dem
eroberer Barcelonas und Cataloniens, die eroberung anderer
Städte zugeschrieben wird, die ehedem in der hand der Sarra-
zenen waren. Noch zu seinen lebzeiten ward Tortosa erobert,
dessen einnähme als die von Tortelose ihm im Charroi de
Nimes zugeschrieben wird. Nimes selbst fiel in den ersten
Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts bald den Sarrazenen, bald
wieder den Christen in die bände und wurde 737 von Karl
Martell erobert. Karls gegner in der schlacht bei Poitiers hiess
Abderrahman, dessen name vermutlich in dem im Archamp
und sonst auftretenden Sarrazenenkönig Derame fortlebt.
Dass sich mit den historischen dementen im laufe der
entwicklung unhistorische, sagenhafte oder märchenhafte, be-
standteile vermischten, ist selbstverständlich. Hinter der Prise
d' Orange versteckt sich eine germanische werbungssage:
Wilhelm hat von der Schönheit der Orable reden hören wie
Ortnit, Hugdietrich, Rother von der Schönheit der fernen
königstochter, die sie dann mit list oder gewalt erwerben,
230 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
oder wie der prinz im märchen vom getreuen Johannes.
Nimes erobert der held durch eine ähnliehe list wie die
Griechen Troja durch das hölzerne pferd. Selbst das Mönchs-
epos nimmt solche themen auf: so das in der märchen- und
sagenliteratur weitverbreitete thema von dem unerwartet auf-
tretenden unbekannten helfer und sieger und die zuerst in
der lateinischen literatur von Walter von Aquitanien erzählte
räuber- und hosengeschichte.
Nach alledem hat sich die erinnerung an Wilhelm von
Toulouse auf zwei verschiedenen wegen fortgepflanzt: einmal
in der volkstümlichen, sagenhaften und epischen, Überlieferung,
der wir Haager Fragment, Krönungsepos, Chancon de Guillelme,
Prise d'Orange, Charroi de Nimes und andere epen verdanken,
und zweitens in der klosterüberlieferung, welche durch Ardos
schon um 823 verfasste Vita Benedicti abbaüs Anianensis
und durch die um 1122 in Gellone entstandene, schon ihrer-
seits unter epischem einfluss stehende Vita Guillelmi dar-
gestellt wird und den ausgangspunkt des Moniage bildet.
Es geht nicht an, alle die taten und abenteuer des epischen
Wilhelm aus der einseitigen und keineswegs episch gerichteten
klosterüberlieferung abzuleiten. Nicht einmal alle historisch
echten züge, welche die epik bewahrt hat, fanden sich dort:
den namen der Guiborc enthielt die Vita nicht, sondern nur
die gefälschte Schenkungsurkunde, und Wilhelms bruder Aimer,
der gegen die Sarrazenen kämpft und nie unter einem dach
schläft, ist zweifellos der historische Hadhemarus , caelo pro
tecto utens, der mit Wilhelm 801 gen Barcelona zog. Auch
ist das Moniage keineswegs die älteste der Wilhelmsdichtungen,
schon die Vita Guillelmi kennt eine Brise d'Orange, und der
held des ältesten Wilhelmsepos, der Changon de Guillelme, zeigt
nicht die mindeste beziehung zu dem heiligen von Gellone.
B. Prise d'Orange und Charroi de Nimes. Das erste
gedieht wird meist, nächst der Changon de Guillelme, als das
relativ älteste des zyklus betrachtet: während es in den hss.
stets mit dem Charroi verbunden ist, nimmt man eine ältere,
selbständige form der Prise an, die noch vor der Vita Guillelmi
(1122) entstanden sein muss. Ein aus der gefangenschaft ent-
ronnener Christ rühmt vor Wilhelm die Schönheit der Sarrazeuen-
fürstin Orable, der gattin Tiebauts von Orange. Wilhelm
7. Wilhelmsepen: Prise cTOrange, Charroi, Vivienepen. 231
beschliesst sofort sie zu gewinnen, gelangt als Sarrazene ver-
kleidet zu ihr ins schloss, wird erkannt, aber durch Orable
gerettet; Wilhelms Streiter kommen durch einen unterirdischen
gang mitten in die Stadt, töten die Sarrazenen, Orable wird auf
den namen Guibourc getauft und mit Wilhelm vermählt. Die
erste gattin Wilhelms von Toulouse hiess in der tat Witburg.
Sie wird in der sage zur Sarrazenin, weil die zu gewinnende
braut der brautfahrtsagen immer in fernem, fremdem lande
gedacht ist. Die Verteidigung Wilhelms im türm Glorietc mit
hilfe Orables ist von einer reihe späterer dichtungen — Oyier,
auch Perceval, Huon, Gaydon u. a. — direkt oder indirekt
nachgeahmt worden, war auch den provenzalischen trobadors
schon vor 1177 bekannt (bei Bertran de Born als tor Miranda
bezeichnet). Mit der belagerung von Narbonne verquickt er-
scheint die liebe Wilhelms und Orables in den vermutlich
etwas jüngeren Enfances Guillaume.
Die Wagen fahrt nach Nimes (vor 1140 verfasst) be-
zweckt die eroberung dieser in Sarrazenechänden befindlichen
Stadt, da Wilhelm bei Verteilung der leben durch Ludwig leer
ausgegangen ist. Er verbirgt seine krieger in leeren Wein-
fässern und bringt sie auf diese weise glücklich in die Stadt,
wo er sich selbst für einen kaufmann Tiacre ausgibt. Als es
mit den Sarrazeneufürsten zum streit kommt, verlassen die
Franken die fässer und erobern die stadt.
C. Die Vivienepen und Aliscans (Covenant oder
Chevalerie Timen, Enfances Vivien, Aliscans). Das epos von
Viviens schwur und tod, gewöhnlich Covenant Vivien,
auch Chevalerie Vivien genannt, ist die mittelbare oder
unmittelbare nachahmung des alten Archampliedes, das nach
der begräbnisstätte bei Arles genannte epos Aliscans oder
Bat a ille d' Ali sc ans die breite ausführung des alten
Rainouartliedes. Beide zusammen bilden daher eine fort-
laufende erzählung von Viviens und Wilhelms kämpfen bei
Aliscaus (Elysii campi, bei Arles), das hier neben Archamp
und z. t. an stelle von Archamp als kampfplatz genannt wird.
Was in den beiden älteren dichtungen als überflüssig beiseite
gelassen oder als bekannt vorausgesetzt wird, erscheint hier
zur begründung oder erläuterung der haupthandlung besonders
ausgeführt.
232 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
Nach dem Covenant gelobt Vivien schon beim ritter-
schlag durch Wilhelm, nie einen fuss breit zurückzuweichen.
Dann fordert er Deram^s kriegszug selbst heraus, dadurch
dass er ihm an Pfingsten 700 verstümmelte Sarrazenen zu-
schickt. Die Schilderung des heidnischen kriegszugs, die auf-
zählung der heidnischen könige nimmt einen breiten räum ein.
Hingegen sind auf Seiten der Christen Tedbalt und Esturmi
völlig beseitigt, Vivien ist von anfang an der befehlshaber
der 10000 Christen. Er wird von dem Sarrazenen Haucebier
tötlich verwundet und sterbend von dem zu hilfe gerufenen
Wilhelm aufgefunden (1944 verse).
Hier beginnt das epos Aliscans: Wilhelm, trotz aller
tapferkeit besiegt, muss Viviens leiche zurücklassen und, von
den beiden verfolgt, nach Orange flüchten. Hier muss er, um
eingelassen zu werden, dieselben proben bestehen wie im alten
gedieht. Dann nimmt Guiborc dem verwundeten die warfen
ab, lässt sich von ihm den hergang erzählen und rät ihm, den
könig Ludwig, seisen Schwager, um hilfe anzugehn. Ganz
allein, x>ovres et esgares, kommt er am königshof zu Laon an,
wo auch seine eitern, Aimeri und Ermengart, weilen. Aber er
muss Ludwig erst an früher geleistete dienste, sowie an die
ihm gemachten Versprechungen erinnern, ehe er die erbetene
hilfe bekommt. Dann zieht er wieder nach Aliscans und
besiegt hier die Sarrazenen in einer grossen schlacht, in
welcher sich der ungestüme, riesenhafte Rainouart hervortut,
der zum schluss die schöne Aalis, könig Ludwigs tochter und
Wilhelms nichte, zur gattin erhält. Fast alles ist hier breiter
ausgesponnen als im alten gedieht (namentlich die ermüdenden
einzelkämpfe), manches aber auch wirkungsvoller zur darstellung
gebracht.
Die Enfances Vivien sind ein sekundäres, in der haupt-
sache auf dem alten Archamplied beruhendes epos, das aber
doch noch zu den älteren Vivien- und Wilhelmsepen zu
rechnen ist. Es erzählt, wie Garin d'Anseüne, um der gefangen-
schaft bei den Sarrazenen ledig zu werden, ihnen seinen söhn
Vivien als geisel überlässt, wie dieser durch könig Gormont
aus todesgefahr befreit, als sklave verkauft wird und endlich
seine erste heldentat mit der eroberung und tapferen Ver-
teidigung von Luiserne liefert.
:. Wilheluisepen: Vivienepen, Aliscans, Moniage CJnillauuie. 233
D. Moniage Gnillaume. Das gedieht von Wilhelms
Mönebtura ist uns in einer älteren, kürzeren — nacb Cloetta
um 1160 entstandenen — fassung (Moniage I) und in einer
jüngeren, episodenreiehen fassung (II) — etwa 1180 — be-
kannt, wozu als dritte version noch die neunte branche der
altnordischen Karlamagnussaga kommt. Wilhelm begibt sieb
nacb dem tod seiner frau Guiborc, dem gebot Gottes folgend,
ins kloster Genevois (Genves), gerät aber bald in konflikt mit
klosterregeln und klosterbrüdern. Deren absieht, sich seiner
durch eine gefährliche Sendung durch einen von räubern
unsicher gemachten wald zu entledigen, geht nicht in erfüllung.
Wilhelm versteht es sich der räuber zu erwehren, ohne die
klosterregeln zu verletzen: da der abt ihn heisst den räubern
gutwillig alles zu geben, ausgenommen die hosen, reizt er die
gier der räuber durch einen prächtigen, mit goldenen bändern
und knöpfen verzierten hosengurt; er soll sich nicht mit blanker
waffe, sondern nur mit fleisch und bein verteidigen, also
schlägt er mit der faust drein und als das nicht ausreicht,
reisst er seinem saumtier den einen Schenkel aus, schlägt damit
die räuber tot und setzt dann den Schenkel mit Gottes hilfe
wieder ein. Als die mönche vor dem glücklich zurückgekehrten
die klostertür verschliessen, hebt er die tür aus den angeln
und wütet derart unter den mönchen, dass sie ihn bald um
gnade bitten. Aber auf Gottes geheiss begiebt er sich nun-
mehr in die verlassene behausung eines von Sarrazenen er-
mordeten einsiedlers in der gegend von Montpellier. Diese
zelle verlässt er noch einmal, um könig und reich aus schwerer
gefahr zu erretten, als der Sachsenkönig Yzor£, söhn des von
Ogier getöteten Brehier, vor Paris erscheint und den von seinen
baronen verlassenen könig Ludwig bedroht (der schluss des
gedichtes fehlt, erhalten sind im ganzen 934 verse).
Das Moniage II ist weit umfangreicher (0629 verse), teils
durch ausschmüekung im einzelnen, vor allem aber durch
zahlreiche neue episoden, die in den alten rahmen eingefügt
wurden: gemeinsamer kämpf Wilhelms und Gaidons gegen
räuber, wegbeten von schlangen, kämpf gegen einen riesen
beim bau der einsiedelei, gefangenschaft in Palerne (sogenannte
Synagonepisode), bau einer brücke mit besiegung des den bau
hindernden teufeis. Liegt in Moniage I der nachdruek auf
234 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
dem gegensatz zwischen heldensinn und klosterleben und der
dadurch bedingten humoristischen Schilderung, so lehnt sich
das Montage II mit der darstellung seines beiden mehr an die
religiöse auffassung au. Auch geht Wilhelm hier, wie in der
klösterlichen Überlieferung, zuerst nach Aniane (nicht nach
Genevois sour mer); vom tod seiner frau Guiborc ist hier
ebensowenig die rede wie in jener. Auch die auffassung
Wilhelms in der Karlamagnüssaga ist stark klösterlich, obwol
diese sich, bei ihrer freien gestaltung, inhaltlich auf das Moniage I
zurückfuhren lässt. Ob das Moniage II lediglich das Moniage I
(und die klostertradition) oder ein verlorenes Urmoniage zur
quelle gehabt hat, lässt sich schwer entscheiden. Das von
Cloetta angenommene Urmoniage (ausgäbe bd. II, s. 115, 130)
unterscheidet sich im inhalt nicht wesentlich vom Moniage I.
E. Ergäuzungsepen, Fortsetzungen, Nach-
ahmungen. Im anschluss an Aliscans hat Grandor von
Brie (in einer hs. Jendeu v. B.) die Bataille Loquifer und
das Montage Rainouart gedichtet und im ersten epos
Rainouarts kämpf mit dem riesen Loquifer sowie audre seiner
taten geschildert, z. t. schon unter ein Wirkung des Artus-
romans: so wird er durch feen nach Avalon entführt und
kämpft hier (wie sonst Artus) mit dem katzenungetüm Chapalu.
Das Moniage Rainouart ist eine vergröberung von Wilhelms
mönchtum. Erhalten sind uns beide gedichte in einer Über-
arbeitung, als deren Urheber Guillaume von Bapaume
sich nennt. — Als eine neue, selbständige Weiterbildung von
Aliscans kann der umfangreiche Folque de Candie des
dichters Herbert le Duc von Dammartin bezeichnet werden.
Fulko ist ein jüngerer verwanter Wilhelms und Viviens, unter
Candie ist Cadix in Spanien verstanden. Endlose kämpfe
füllen den hauptteil der dichtung, auf die belagerung von
Orange durch die Sarrazenen folgt die belagerung von Candie,
sieg und niederlage wechseln. Dazwischen fallen liebesepisoden
zwischen Fulko und der heidenprinzessin Anfelise im stile
jüngerer epen (Saisnes, Anst'is de Cartage). Der gewante
Verfasser gebraucht den reinen reim und lässt Vertrautheit mit
der trobadorsprache erkennen. — Die schon oben erwähnten
Enfanccs Guillaume verquicken mit dem inhalt der Prise
d' Orange, mit Wilhelms werben um Orable, seine jugendtaten
7. Wilhelmsepen: Ergänzimgsepen. Bibliographie 235
auf der fahrt an Karls hof. seine siege über Sarrazenen sowie
über einen riesen, den rittersohlag durch Karl den Grossen
und schliesslich seinen anteil an dem entsatz von Narbonne. —
Von den Enfances Vitien war scbon oben die rede. Andere
epen behandeln die taten von Wilhelms brüdern. die bisher
nur als nebenpersonen in den älteren epen auftraten. Von
diesen epigonendichtungen gehört in unseren Zeitraum wol noch
der dem Bertram! de Bar schon bekannte Siege de Barbastre,
WO zuerst, ähnlich wie in Prise tV Orange, Fierabras, Floovent u.a.,
gefangennähme christlicher beiden — hier Wilhelms bruder
Bovon und dessen söhne Girart und Gui — , dann befreiung
durch einen beiden, belagerung durch die Sarrazenen, lieb-
schaft mit der Sarrazenenprinzessin und schliesslich entsatz
durch ein aus der heimat ausrückendes heer erzählt wird.
Auch das Verhältnis Balduins zu Sebille in den Saisncs scheint
hereinzuwirken.
Bibliographie. Allgemeines: W. J. A. Jonckbloet, Guillaume
d'Orange, La Haye I — II 1854 (Bd. I ausgaben von Conronnement,
Chatroi, Prise, Covcnant und Aliscans, bd. II Untersuchungen und
Varianten). — L. Gautier, Epopees IV2, P. 1882. Revillout, Etüde
historique et litteraire sur l'ouvrage latin intitule Vie de St. Guillaume
(Extrait des publ. d. 1. Soc. archeol. de Montpellier), P. 1876. Ph.
Aug. Becker, Die altfranzösische Wilhelmsage und ihre Beziehung
zu Wilhelm dem Heiligen, Ha. 1896; Der südfranzösische Sagen-
kreis und seine Probleme, Ha. 1898. Alfred Jeanroy, Etudes sur
le cycle de Guillaume au court nez, Rom. 25 (1896) 353 ff., 26
(1897) 1 ff. Walther Goecke, Die historischen Beziehungen in der
Geste von Guillaume d'Orange, Diss. Halle 1900. Richard Hoyer,
Das Auftreten der Geste Garin de Monglane in den Chansons der
anderen Gesten, Diss. Halle 1900. H. Suchier, Recherches sur les
chansons de Guillaume d'Orange, Rom. 32 (1903) 353 ff. Bedier,
Legendes epiques I., P. 1908 (auch zu den einzelnen epen zu ver-
gleichen).
Einzelne Epen: ausgäbe der Prise d'Orange von Jonck-
bloet (8. o). Vgl. H. Suchier, Über die Quelle Ulrichs von dem
Ttirlin u. die älteste Gestalt der P. d'O., Paderborn 1873. Eine
kurze fortsetzung der P. d'O., den Siege d'Orange durch den
Sarrazenenkönig Thiebant (347 verse) hat Suchier in einer Berner
hs. entdeckt. Vgl. A. Fichtner, Studien über P. d'O.. Diss. Halle
1905. — Charroi de Nimes: ausgäbe Jonckbloet; P. Meyer, Re-
cueil s. 237 ff. (krit. text von 421 versen). Vgl. F.Lot, Rom. 26
(1897) 564 ff. — Covenant Vivien: ausgäbe Jonckbloet;
Chevalerie Vivien (Facsimile der Bologner hs.) by Raymond Wecks,
236 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
University of Missouri Studies 1909; La Chevalerie Vivien p. p.
A. L. Terracher, I, P. 1909. Vgl. Willy Schulz, Das Handschriften-
Verhältnis des C. V., Dies. Halle 1908; Der C. V. und der gegen-
wärtige Stand der Forschung, Programm Wollstein 1911 und
ZfSL 38 (1912) 126 ff. — Aliscans: ausgaben von Jonckbloet;
Guessard et Montaiglon, P. 1870 (Anc. poetes d. 1. Fr.); G. Rolin,
L. 1894 (Afr. Bibl.); Erich Wienbeck, Willi. Hartnacke, Paul Rasch,
Ha. 1903; vgl. Paul Lorenz, Das Handschriftenverhältnis der Ch.
d. g. A., ZrP 31 (1907) 385 ff. Vgl. R. Weeks, Etudes sur Aliscans,
Rom. 30 (1901) 184 ff, 34, 237 ff, 38, 1 ff. A. Klapötke, Das Ver-
hältnis von A. zur Chanson de Guillaume, Diss. Halle 1907. Ferner
die literatur zu Covenant Vivien und Chanson de Guillelme. —
Enfances Vivien: E. V. p. p C. Wahlund et II. v. Feilitzen, intro-
duction par A. Nordfeit, Üpsala 1892; Die E. V., kritischer Text
hgg. von Hugo Zorn, Diss. Jena 1908 (vgl. dazu W. Schulz, ZfSL 34
II, 168 ff). Vgl. Cloetta, Die E.V. (Überlieferung und zyklische
Stellung), B. 1898 (Eherings Rom. Stud. 4). 0. Riese, Untersuchung
ü. d. Überlieferung der E. V., Diss. Halle 1900. Über eine moderne
Vivienlegende vgl. A. Thomas, Etudes G. Paris 121 ff. (dazu G. Paris,
Rom. 22, 142 ff). — Moniage Guillaume: Les deux redactions
du M. G., 2 bde., I Texte, II Introduction, P. 1906 u. 1911 (Sdat).
Vgl. Th. Walker, Die afr. Dichtungen vom Helden im Kloster, Diss.
Tübingen 1910. — Bataille Loquifer: ein Stück gedruckt bei
Le Roux de Lincy, Le livre des legendes, P. 1836, s. 246 ff. Vgl.
P. Paris, Hist. litt. 22, 532 ff. E. Freymond im Gröberband s. 338 ff. —
Moniage Rainouart: noch nicht gedruckt. Vgl. Max Lipke, Ü. d.
Moniage Rain., Diss. Halle 1904 (dazu Cloetta, ZfSL 27 II, 22 ff).
Über Grandor von Brie und Guillaume von Bapaume s. Cloütta,
Mussafiband s. 255 ff, Ph. A. Becker, ZrP 29 (1905) 744 ff, Cloetta,
ZrP 33 (1909) 576 ff. Vgl. J. Runeberg, Etudes sur la Geste Rai-
nouart, Helsingfors 1905. Zum riesenmotiv s. Fr. Wohlgemuth, Riesen
und Zwerge im afr. Epos, Diss. Tübingen 1906. — Foucon de
Candie: ausgäbe von Schultz-Gora, bd. I (bis v. 9882), 1909, GrL 21.
Vgl. Schultz-Gora, ZrP 24 (1900), 370 ff. H. Suchier, Chanyon
de Guillelme s. LXVI f. — Enfances Guillaume: nicht gedruckt.
Vgl. Gautier, Ep. fr. IV 276 ff. Suchier, Ü. d. Quelle Ulrichs von dem
Türlin (s. o.). Ferner Becker, Jeanroy, Bedier, deren Schriften (s. o.)
auch sonst zu den einzelnen epen zu vergleichen sind. — Siege
de Barbastre: nicht gedruckt. Ausführl. inhalt von Ph. A. Becker
im Gröberband s. 252 ff. Ende des 13. Jahrhunderts wurde das
gedieht neu bearbeitet von Adenet le Roi unter dem titel Bueve de
Commarchis. Vgl. unten kap. XII, Adenet. — Über den im 15. Jahr-
hundert auf grund einer zyklischen hs. entstandenen prosaroman
von Guillaume d'Orange vgl. Georg Schläger, Archiv 97 (1896)
101 ff, 241 ff, 98 (1897) 1 ff. {Moniage G.) und die Hallenser Diss.
von Joh. Weiske (Die Quellen des afr. Prosaromans von G. d'O.,
1898), Fritz Reuter {Bataille d'Arleschant, 1911), Wilh. Castedello
7. Wilhelmsepen: Bibliographie. 237
(Bataille Loquifer u. Montage Benouart, 1912), Carl Weber (Cou-
ronnement Louis, Charroi de Ntmes, Prise d' Orange, 1912), mit
textabdruck der gen. stücke.
Die früher viel erörterte und noch von G. Paris festgehaltene
annähme, dass Wilhelm als südfranzösischer held zuerst in süd-
französischer Sprache besungen worden sei, findet wenig tatsächliche
Unterlage. Es existiert kein einziges provenzalisches Wilhelms-
epos gegenüber den zahlreichen nordfranzösi.schcn, und auch was
sonst an provenzalischer heldenepik vorhanden ist, geht meist auf
nordfranzösische vorlagen zurück. Wilhelm von Toulouse hatte
keine lediglich lokale bedeutung. Einige lokalsagen, wie sie in
das Montage übergegangen sind, konnten nordfranzösischen pilgern
und wandernden Jongleurs leicht auf dem wege mündlicher Über-
lieferung zu obren kommen.
Fremde bearbeitungen: Wie die Karlsepen u. a., sind auch
die Wilhelmsepen vielfach in fremde sprachen übersetzt worden,
teilweise nach den uns vorliegenden, teils auch nach verloren ge-
gangenen redaktionen. Im italienischen finden sich die meisten
der hier besprochenen epen in der grossen kompilation des Andrea
de' Magnabotti aus Barberino wieder, die um 1400 in prosa ab-
gefasst wurde und den titel Le storie Nerbonesi trägt. Über das
Verhältnis zu den franz. epen vgl. Becker, Der Quellenwert der
Storie Nerbonesi, IIa. 1898, und Ad. Fr. Reinhard, Die Quellen der
Nerbonesi, Diss. Halle 1900; über verschiedene Arbeiten von Weeks
siehe LgrP 1902, 411 f. In das niederländische ging nur das
Montage Guillaume II über, in das altnordische (IX. branche der
Karlamagnüssaga) eine version des Mon. Guill. (s. o. s. 233 f.). —
In Deutschland wurde Aliscans am bekanntesten. Der Willehalm
Wolframs von Eschenbach behandelt die Aliscansschlacht in 9 büchern
(die unmittelbare quelle ist nicht bekaunt). Vgl. San-Marte, Ws. Wh.
u. sein Verh. zu d. altfr. Dichtungen, 1871. Saltzmann, Progr., Pillau
1883. H. Suchier, Die geschichtlichen Grundlagen von Ws. Wh.
(Verhandlungen der 48. Phil. -Versammlung, L. 1906). E. Bernhardt,
ZdP 34, 542 ff. (zu J. M. Nassau Noordewier, Bijdrage usw.). Susan
A. Bacon, The source of Ws. Wh., Tübingen 1910. Eine niederrheinische
bearbeitung desselben epos (die sog. Kitzinger fragmente) gehört erst
in die 2. hälfte des 13. Jahrhunderts (vgl. H. Suchier, Ü. d. niederrh.
Bruchstücke der Schlacht von Aleschanz, Wien 1871, auch in Bartschs
Germ. Stud. I, 134 ff.). Wolframs werk wurde fortgesetzt von Ulrich
von Türheim (1242 — 1250), der in seinem „Kennewart" Aliscans,
Bataille Loquifer, Mon. Bainouart und Mon. Guill., vielleicht auch
ein verlorenes epos von Rainouarts söhn Maillefer, kennt und ver-
arbeitet. Schliesslich hat Ulrich von dem Türlin (1261 — 1275) zu
Wolframs Willehalm eine einleitung gedichtet, welche Wilhelms
brautfahrt nach Arabele (Orable) auf grund von Wolframs angaben
erzählt.
238 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
8. Raoul von Cambrai.
Dass die bildung episeher stoffe mit der zeit Karls des
Grossen und seiner nächsten nachfolger keineswegs abgeschlossen
ist, kann unter anderen das epos von liaoul de Cambrai lehren,
dessen historische grundlage wir deutlich in ereignissen des
jahres 943 wiedererkennen, wie sie Flodoard in seinen annalen
berichtet. Darnach starb in diesem jähre graf Herbert von Ver-
mandois unter hinterlassung von vier söhnen. Rodulf von Gouy
begann einen krieg gegen sie, wurde aber nach mehrjährigem
kämpfe selbst von ihnen getötet, zum grossen leid könig Lud-
wigs.1) Wie Rodulf von Gouy, wie Herbert von Vermandois sind
noch andere personen des gedichts historisch: die vier söhne
Herberts, von denen zwei, Eudon und Herbert, ihre geschicht-
lichen namen behalten haben; Ybert de Ribemont, aus der
geschiente als graf Eilbertus bekannt; Rodulfs mutter Aalais
(Adelaidis) und verschiedene nebenpersonen. Die enge be-
ziehung zur geschichte, die auf das persönliche und örtliche
interesse beschränkte darstellung gibt dem epos einen eigen-
artigen, aller Schablone fremden Charakter, und der dichter
des hauptteils versteht es vortrefflich, uns die personen und
die einzelnen akte dieser wilden familienfehde greifbar vor
äugen zu stellen.
An einer stelle des gedichts (v. 2242 ff.) wird Bertolai
von Laon als Zeitgenosse der begebenheiten und als Verfasser
einer chancon von Raoul, Aalais und Guerri bezeichnet: das
scheint eine zur erhöhung der glaubwürdigkeit vorgebrachte
angäbe zu sein (wie im Pseudoturpin, Pseudophilomena u. a.),
doch ist wol möglich, dass ein Bertolai an der abfassung einer
älteren (wenn auch nicht zeitgenössischen) dichtung über Raoul
beteiligt gewesen ist. In der gegenwärtigen fassung stammt
das epos aus der zeit um 1180. Aber der zweite teil (v. 5556 ff.)
ist sichtlich jünger als der erste, und dieser wiederum ist uns
l) Heribertus comes obiit, quem sepelierunt apud Sand um Quintinum
filii sui; et audientes Rodulf um, filium Rodulfi de Gaugiaco , quasi ad
invadendam terram patris eorum advenisse, aggressi eundem interemerimt.
Quo audito, rex Ludouuicus ualde tristis effieiiur. (Annales Flodoardi,
MG, SS III, ad annnm 943).
8. Raoul von Cambrai. 239
nur in überarbeiteter gestalt Überliefert. Einen auszug aus
einem gedieht, das mindestens in der ersten hälfte des 12. Jahr-
hunderts vorhanden war, überliefert uns die 1152 verfasste
ehronik des klosters Waulsort (Historia Walciodonnsis mo-
nasterii). Die klösterliche Überlieferung hat sich also an der
epischen bereichert, und die in der überlieferten fassung er-
kennbaren beziehungen auf die kirche Saint -Geri in Cambrai
sind, wie andere kirchliche demente, erst nachträglich in die
dichtung hineingetragen worden.
Die Sympathie des dichtere ist auf Seiten Rodulfs, der
als Raoul von Cambrai dem gedieht den namen gegeben hat.
Er ist der nachgeborene söhn Raoul Taillefers und neffe des
königs Ludwig, verliert aber durch diesen sein angestammtes
lehen und soll, herangewachsen, durch Vermandois entschädigt
werden, das er sich aber erst von den sühnen des verstorbenen
grafen Herbert erobern muss. Raoul wütet mit mord und brand
im feindlichen land und zerstört Origny mit dem dort befind-
lichen frauenkloster, dessen hundert nonnen elend verbrennen,
mit ihnen die äbtissin Marsent, die mutter von Raouls knappen
Bernier. Darauf geht dieser zum feinde über, wo er übrigens
seinen vater Ybert de Ribemont findet, und tötet, nach mehreren
ergebnislosen Versöhnungsversuchen, Raoul im Zweikampf.
Dessen neffe Gautier übernimmt die räche, der Zweikampf
zwischen ihm und Bernier aber bleibt unentschieden, ein ver-
söhnungsversuch durch könig Ludwig ohne erfolg. — Hier
beginnt der zweite, kürzere teil: Bernier versöhnt sich durch
eine heirat mit der feindlichen partei, gerät aber in die ge-
fangenschaft des Sarrazenenkönigs Corsuble, zeichnet sich hier
durch die besiegung eines gefährlichen feindes des königs aus,
erhält die freiheit und nimmt sein weib, das der könig unterdes
schon mit dem grafen von Ponthieu verheiratet hatte, wieder
in besitz. Nach mancherlei weiteren abenteuern wird er von
dem alten Guerri, seinem eigenen Schwiegervater, erschlagen,
als er diesen an dem orte der tat an den tod seines neffen
Raoul erinnert.
Der abschluss wird wieder der alten dichtung würdig,
während der zweite teil im übrigen eine Vereinigung bekannter
motive ist. Der erste teil gibt uns ein realistisch geschildertes
bild der inneren zustände unter der sinkenden königsgewalt
lM<> VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
zur zeit der letzten Karolinger. Der könig Ludwig der chun-
son ist Louis IV d'Outremer (gestorben 954).
Ausgabe: Raoul de Cambrai p. p. P. Meyer et A. Longnon,
P. 1882 (Soc. d. anc. t.). Alt. ausg. von E. Le Glay, P. 1840 (Rom.
d. d. pairs VII). Über bruchstücke einer nenen hs. vgl. A. Bayot, Revue
des bibliotheques et archives de Beige IV, 412 fF. Proben in P. Meyers
Recueil 253 ff. und Constans' Chrestomatie 47 ff. — W. Kalbfleisch,
Die Realien in R. d. C, Giessener Diss. 1897. Jean Acher, Les
archaismes apparents dans la Chanson de R. d. C, Rdlr 50 (1907)
237 ff. (auch sep.). F. Settegast, ZrP 31 (1907) 588 ff. G. Bedier,
Legendes epiques II, 317—439. A. Longnon, Rom. 37 (1908) 193 ff,
491 ff.: 38 (1909) 219 ff. J. Acher, ZrP 34 (1910) 88 — 90, Rdlr
53 (1910) 101 ff.
9. Die Lothringerepen.
A. Allgemeines. Eine fainilienfeb.de wie llaöul be-
handeln auch die Lothringerepen, hier aber wird die fehde
durch mehrere generationen hindurch fortgesetzt: fünf epen aus
verschiedenen zeiten und von verschiedenen dichtem siud ihr
gewidmet. So plastisch aber auch die davstellung, wenigstens
der älteren epen der gruppe, ist, so real die hier beschriebenen
Vorgänge scheinen, so ist doch bis jetzt ein fester historischer
kern des ganzen nicht nachgewiesen. Eine reihe von neben-
figuren lassen sich, wie F. Lot gezeigt hat, mit historischen
personen des 11. und 12. Jahrhunderts identifizieren, die haupt-
personen nicht. Der mangel an Zeugnissen für die ehemalige
existenz eines älteren, einfacheren epos, die genauigkeit der
geographischen angaben und manches andere scheint zu der
annähme zu nötigen, dass das Lothringerepos oder richtiger
der den ausgangspunkt bildende Garin le Loherenc — etwa
in der ersten hälfte des 12. Jahrhunderts — von einem hoch-
begabten dichter (die autorschaft Jeans de Flagy ist nicht
ganz gesichert) ohne historische oder epische unterläge er-
funden und gedichtet wurde. 'Et cepeiidaut' fügen wir mit
F. Lot hinzu 'nous sentons une intime r^pugnance ä admettre
que ce beau poeme, si vivant d'allure et de couleur si archaique,
soit fabriqu6e de toutes pieces. Le fond historique, si tant
qu'il existe, n'est sans doute qu'une quereile locale entre
'.'. Lüthriugerepen: Garin. 241
persouDages trop insignitiants pour que l'histoire nous ait cou-
serve leurs uoms. Le theYitre de la lutte etait le nord-est de
la France (il s'agit probablement de rivalites entre les Lorrains
et leurs voisins imm^diats de l'Ouest). L/auteur du XII L siecle
a demesurenient amplifie et leurs personnes et le theätre de
leurs exploits. Fromont de Lens est devenu ainsi le ebef des
Bordelais et l'extension geographique de la lutte a donue au
poeuie une bonne part de sa grandeur. Au reste, quand bien
meine le fonds du recit serait de pure invention, 1'auteur in-
connu du Garin n'en serait pas moins uu des esprits les plus
interessants du moyen äge. Nul autre ne nous donne un
tableau aussi frappant des passions et des moeurs feodales.
Sans doute le recit est diffus, mais le style n'est pas banal.
Ses qualites de pr^cision de franche et apre rudesse ont
frapp^ les juges les moins prevenus en faveur de nos vieilles
epop^es.'
B. Gar in le Loberenc. Das kernepos des zyklus ist,
wie bereits erwäbnt, Garin. Der beld ist unter Pippin lebend
gedacbt, er ist. wie Begue, söhn des durch seine Sarrazenen-
kärupfe berühmten Hervis von Metz. Die belehnung Begues
mit dem herzogtum Gascogne und seine bevorstehende Ver-
mählung mit der königstochter von Moriane (d. i. das arelatische
königreich) wecken den neid und den hass des sogenannten
geschlechts der Bordelesen. Das ist der pfalzgraf Hardre,
sein bruder Lancelin von Verdun und dessen söhne namens
Fromont und seine Schwiegersöhne Haimon von Bordeaux und
Wilhelm von Biancafort. Beim ersten feindlichen zusammen-
stoss am hofe wird Hardre getötet. Darauf folgt ein langer
krieg, dessen Schauplätze die gegenden von Cambrai, Saint-
Quentin, Soissons und Bar-le-duc sind. Eine Verleumdung von
Seiten der Bordelesen wird durch Zweikampf zu gunsten der
Lothringer entschieden, indem Begue Fromonts neffen Isore"
tötet. Aber nach einer zeit der ruhe beginnen die Bordelesen
von neuem den krieg, der diesmal im Süden Frankreichs ge-
führt, jedoch schliesslich durch einen regelrechten frieden be-
endet wird. Aber die ermordung Begons durch versehen eines
Bordelesen auf der jagd ruft neuen krieg hervor. Für den
gefallenen bruder nimmt Garin grausame räche, aber am ende
wird er selbst erschlagen.
Voretzsch, Studium d. afrz, Literatur. 2. Auflage. 16
242 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
Formell ist noch bemerkenswert das vorherrschen der
/-tiraden, die nur gelegentlich durch solche auf e, ie, a usw.
unterbrochen werden.
C. Girbert de Mes. Girbert ist der söhn Garins. Das
ihm gewidmete epos bildet die fortsetzung des ersten und
führt die handlung mit ähnlichen motiven, auch in ähnlichem
stil wie jenes weiter. Neu ist jedoch die einfuhrung der
Sarrazenen und ihres aus dem Roland bekannten königs Mar-
silie, mit denen sich Fromont verbündet. An die langobardische
sage von Alboi'n und Rosamunde erinnert die grausamkeit
Girberts, der den schädel des gefallenen Fromont zu einer
trinkschale formen und diese nachher dem söhne des er-
schlagenen, Fromondin, reichen lässt. Dieser übt blutige räche,
fällt aber schliesslich selbst Girbert zum opfer.
Die beiden epen sind noch nicht vollständig herausgegeben.
Eine gesamtausgabe des zyklus hat Stengel begonnen, wovon bisher
Hervis de Mes (GrL 1, Dresden 1903) erschienen ist (s. kap. XII).
Zahlreiche vorarbeiten Stengels, sowie dissertationen seiner schüler
(meist in Stengels AA) sind den Lothringern gewidmet (vgl. Stengels
referate im JrP, zuletzt 9, II s. 50 ff., 11, 1,222 f.). — Garin, zum
grössten teil hersg. von P. Paris, 1833 — 1835 (Rom. d. d. pairs IL
III), schlussteil von Ed. Du Meril, La mort de Garin le L., P. 1846,
Bruchstück von Stengel, Marburg 1910 (in Festschrift W. Vietor
dargebracht = Neuere Sprachen, Erg.- band). Proben bei Bartsch
Chr. s. 63 ff. und Bartsch et Horning 111 ff. Vgl. F. Lot, L'element
historique de Garin le Lorrain, in Etudes d'histoire dddiees ä Gabriel
Monod, P. 1896, s. 201 ff. — Zu Girbert siehe Suchier, Böhmers
Rom. Stud. 1, 376 ff; Stengel, ebda. 1, 442 ff, ZfSL 19 (1897) 297 ff,
23, 271 ff, Foersterband 71 ff. und Vollmöllerband s. 141 ff-,
Th. Gärtner, ZrP 30 (1906) 733 ff.
Im folgenden Jahrhundert wurde die geste noch erweitert durch
ein einleitungsepos, den oben erwähnten Hervis de Mes, der die-
liebesgeschichte und die heldentaten von Garins vater erzählt, sowie
durch zwei fortsetzungen, Ansei's de Mes und Yon, sodass der
zyklus im ganzen fünf epen von etwa 36 000 versen zählt. Das
Garinepos wurde im 15. Jahrhundert in alexandrinerverse und mit
mehreren anderen epen des zyklus im 15. Jahrhundert in prosa
umgesetzt. Von fremden literaturen hat die niederländische den
zyklus als Eoman der Lotreinen (2. hälfte des 13. jhs.) übernommen,
wovon eine reihe von fragmenten im umfange von etwa 10 000 versen
erhalten sind. Vgl. G. Huet, Rom. 21 (1892) 361 ff, 34 (1905) 1 ff.
10. Aye d'Avignon nnd die Geste de Nanteuil. 243
10. Aye d'Avignon und die Geste de Nanteuil.
A. Aye d'Avignon. Während die Lothringerepen sich
mit der darstellung realer Vorgänge befassen und einen
historischen Untergrund wenigstens ahnen lassen, befinden wir
uns in dem epos von Aye auf dem boden der phautasie. Wir
wissen nicht einmal genau, wo das hier genannte Nanteuil,
der sitz der familie, zu suchen ist: nach dem ersten teil des
epos im Süden, in der unteren Rhonegegend, nach dem zweiten
vielmehr im norden, an der grenze von Frankreich, Lothringen
und Deutschland, zwischen Argonnerwald und Maas, was am
ehesten auf das heutige Nantillois, im norden des d^partements
Meuse, zutrifft. Aye ist mit Garnier von Nanteuil, Doons
söhn, verheiratet, wird von Ganelons söhn Berengier — nach-
dem dieser den Garnier beim könig erfolglos verleumdet hat —
nach Spanien entführt, von dem emir Ganor von Aigremore,
in dessen bände sie darauf fällt, in dem entlegenen türm von
Aufalerne gefangen gehalten und schliesslich von könig Marsile
beansprucht. Darüber kommt es zwischen den beiden Sarra-
zenenkönigeu zum kämpf, an welchem Ayes gatte Garnier un-
erkannt auf Seiten Ganors teilnimmt, um schliesslich glücklich
mit ihr nach hause zu gelangen. Die hiermit zum abschluss
gebrachte handlung wird durch einen fortsetzer weitergeführt,
welcher Garniers tod, Ganors bekehrung und seine Vermählung
mit Aye hinzudichtet. Einflüsse des höfischen romans, nament-
lich der byzantinischen entführungs- und seegeschichten, ist
unverkennbar. Daneben sind aber auch historische personen
des 9. Jahrhunderts durch irgendwelche Zwischenstufen in die
dichtung übergegangen.
B. Gui de Nanteuil. Gui ist der söhn von Garnier und
Aye, seine Schicksale sind denen der eitern nachgebildet. Von
Ganelons verwanten bei hofe verleumdet, besiegt er im Zwei-
kampf den Verleumder Hervieu von Lyon, gerät mit Karl, der
die Verleumder begünstigt, in krieg, wird in Nanteuil belagert
und gewinnt schliesslich Eglantine, die tochter Yons de Gas-
cogne, seinen feinden zum trotz, zum weibe. — In dem bruch-
stück einer romanze (Bartsch 1, 13) heisst das liebespaar Gui
und Aigline: Ja s'cntramoient Aigline et li quens Guts —
Guts ahne Aigline, Aigline aime Guion. Der Zusammenhang
16*
211 VI. Kapitel. Das Heldenepos iu seiner Blütezeit.
beschränkt sich wol darauf, dass der romanzendichter das
namenspaar aus dem epos entnahm.
C. Doou de Nanteuil. Doon wird schon in Aye als
Garniers vater genannt, der Renaut de Montauban kennt ihn
als bruder von Aimon de Dordogne, Bovon d'Aigremont und
Girart von Koussilon und weiss von der wegnähme seines
Schlosses Nanteuil durch kaiser Karl. Damit ist Doon in die
geste der rebellen eingereiht. Ein gedieht des 12. Jahrhunderts
über ihn und seinen kämpf gegen Karl den Grossen lässt sich
aus verschiedenen anspielungen mit ziemlicher Wahrscheinlich-
keit erschliessen. Einer Überarbeitung dieses verlorenen epos
aus der ersten hälfte des 13. Jahrhunderts durch Huon de
Villeneuve gehören die von Claude Fauchet, einem gelehrten
des 16. Jahrhunderts, überlieferten fragmente an. Wie die
übrigen epen des zyklus, war das remaniement in zwölf-
silbnern verfasst, aber mit sechssilbigem tiradenschluss, was
auf bekanntschaft mit einem teil der Wilhelmsepen weist.
Aye d'Avignon, p. p. F. Guessard et P. Meyer, P. 1861 (Anc.
po. d. 1. Fr.). Vergl. Ad. Mussafia, Handschriftf. Studien II, 323 ff.
(Wiener Sitz.- Berichte, Phil.-hist. Klasse, bd. 42, 1863). P. Meyer,
Fragment d'un ms. d'A. d'A., Rom. 30 (1901) 489 ff. R. Oesten, Die
Verfasser der afr. Ch. d. g. A. d'Av. Marb. Diss. 1884. F. Lot, Notes
historiques sur A. d'Av., Rom. 33 (1904), 145 ff. Anton Wihrler,
Über die Sprache der afr. Ch. d. g. A. d'A., Diss. Würzburg 1909. —
Gui de Nanteuil p. p. P. Meyer, P. 1861 (Anc. po. d. 1. Fr.). — Über
Doon de N. siehe P. Meyer, Rom. 13 (1884), 1 ff.
Im 13. Jahrhundert wurde die geste durch Parise Ja duchesse,
im 14. Jahrhundert durch Tristan de Nanteuil erweitert. Jene ist
die Schwester, dieser der söhn Guis.
11. Amis und Amiles und die Geste de Blaye.
Noch mehr als die geste de Nanteuil treten die beiden
epen von Amis und Amiles und von Jourdain de Blaivies
(Blaye) aus dem eigentlichen rahmen der chansons de geste
heraus, indem sie erzählungen fremden Ursprungs in legen-
darischer Verkleidung einführen oder, wie der Jourdain, einen
lateinischen roman auf ihren beiden übertragen. Beide dichtungen
11 Geste de Blayc: Amis und Amiles. 245
zeigen am schluss ihrer assonierenden zehnsilbuertiradeu den
sechssilbigen kurzvers (vgl. s. 188 f.). Nach den einen geboren
sie noch in das ende des 12., nach den anderen in den aofang
des 13. Jahrhunderts. Der Verfasser des Jburdain war ein
anderer als der des Amis, er ist jedenfalls jünger als dieser
und wol erst in die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts
zu setzen.
A. Amis und Amiles. Das epos ist das hohe lied der
freundschaft. Die beiden alliterierenden namen, deren etyma
in Ainicus und Aemilius zu suchen sind, bezeichnen zwei treue
freunde, die einander zum verwechseln gleichen. Ihr gegen-
spieler ist der böse Hardr£, der auch aus Lothringerepos,
Ogier u. a. bekannt ist. Er zeigt Amiles beim kaiser an, weil
er sich mit des kaisers tochter Belissent vergangen. Amiles,
der tat schuldig, findet keine bürgen für den gottesgericht-
lichen Zweikampf. Da tritt Amis unerkannt an seine stelle,
während unterdes Amiles den platz des freundes neben dessen
gemahlin Lubias in Blaivies einnimmt, besiegt und tötet Hardre,
Karl verlobt dem sieger seine tochter. Nun tauschen die
freunde die rollen wieder, Amis kehrt nach Blaivies zurück,
Amiles, mit Belissent getraut, zieht mit ihr nach Riviers.
Die strafe des himmels für den betrug trifft den Amis, er
wird aussätzig. Seine gattin Lubias verstösst und verfolgt ihn,
mit zwei treuen dienern verlässt er das land, irrt jahrelang in
aller weit umher und gelangt schliesslich nach Riviers, wo
die beiden freunde sich wiederfinden und erkennen. Eine
engelserscheinung meldet dem Amis, dass sein aussatz durch
das blut der kinder seines freundes geheilt werden könne.
Amiles, durch den freund davon unterrichtet, opfert nach kurzem
seelenkampf seine beiden knaben, Amis wird geheilt, aber
durch die gnade Gottes werden auch die geopferten kinder
wieder lebendig. Gemeinsam unternehmen die beiden freunde
eine pilgerreise nach dem heiligen grabe und gemeinsam
sterben sie auf der rückreise in Mortiers (Mortara) in der
Lombardei.
Der zweite teil, die heilung des aussatzes durch unschuldiges
kinderblut, entspricht einem weitverbreiteten märchen (bei
Grimm „Der treue Johannes"), der erste teil von den gleichen
freunden oder brüdern ist gleichfalls volkstümlichen Ursprungs
246 VI. Kapitel. Das üeldcncpos in seiner Blütezeit.
(„Die zwei Brüder", bei Grimm no. 60 und 85), auch dass der eine
den anderen bei dessen frau vertritt und, wie Amiles bei Lubias,
das trennende scbwert zwischen sich und jene legt, kehrt im
Volksmärchen wieder, dessen thema hier in unserem gedieht
ganz ins ritterliche leben versetzt und mit epischen zügen
ausgeschmückt ist. Wenn auch der eigentliche Ursprung der
beiden märchen weiter, wol im Orient, zu suchen ist, so deutet
doch manches — wie z. b. die betonung der deutschen abkunft
der beiden freunde in der lateinischen Vita — darauf hin, dass
Frankreich die erzählung aus dem germanischen märchen-
schatz bezogen hat. Die älteste schriftliche bearbeitung der
an Amicus und Amelius geknüpften sage ist die lateinische
Vita aus dem ende des 11. Jahrhunderts, welche auch schon
die Verbindung des ganzen mit Karl dem Grossen kennt und
mit unserer dichtung so übereinstimmt, dass sie nur die wieder-
gäbe einer älteren, verlorenen dichtung oder die quelle der
uns überlieferten sein kann. Die anknüpfuug an die Karlssage
ist im übrigen willkürlich: mit der sage von Eginhard und
Emma, die man früher zur erklärung herangezogen hat, steht
das gedieht nicht in beziehung.
B. Jourdain de Blaivies. Ungleich anderen nach-
dichtern, welche die motive zu ihren fortsetzungen im wesent-
lichen aus dem originalgedicht holen (vgl. Lothringer, Gui
de Nanteuil u. a.), hat der Verfasser des Jourdain einen ganz
neuen, fremden stoff, den Apolloniusroman (vgl. oben s. 41),
auf seinen holden übertragen. Jourdain ist der söhn des
schon im vorigen gedieht erwähnten Girart und durch diesen
enkel des Amis. Girart wird durch den schlimmen Fromont,
Hardre\s söhn, getötet, und um wenigstens den jungen Jourdain
zu retten, gibt der getreue Renier, der ihn aus der taufe ge-
hoben, seinen eigenen knabeu für jenen hin. Herangewachsen,
tötet Jourdain den königsneffen Lohier — wie Ogier in dem
ihm gewidmeten gedieht — flieht übers meer, entkommt glück-
lich den Seeräubern, in deren gewalt er gefallen, und gewinnt
im fremden land die gunst des königs Marque durch seine
fechtkunst und die hand der königstochter Oriabel durch
seine heldentaten gegen die Sarrazenen. Aber auf einer meer-
fahrt verliert er die gattin, welche die abergläubischen Schiffer
nebst ihrem neugeborenen kind aussetzen, um ein Unwetter
11. Geste de Iilaye: Jourdain de Blaivies. 247
zu beschwören. In der folge werden auch mutter und kind
voneinander getrennt, die erste lebt jahrelang als eingemauerte
klansnerin in Palermo neben der kirehe, bis sie der gatte
wiederfindet. Auch der getreue Renier, der den herrn zu
suchen ausgegangen ist, läuft dem paar zur rechten zeit in die
bände, zuletzt wird noch die verschollene tochter ausfindig
gemacht, welche kaiserin von Konstantinopel wird, während
Jourdain mit Oriabel das reich des verstorbenen königs
Marque übernimmt. — Es ist dem dichter gelungen, die im
stil der chansons de geste gehaltene einleitung und Über-
leitung von 1200 versen (bis zur flucht des helden übers
meer) gut mit dem romanhaften hauptteil zu verbinden. Das
nachwirken der dichtung lässt sich in späteren werken,
wie Huon de Bordeaux und Aucassin et Nicolete, deutlich
beobachten.
Ausg. von Konrad Hofmann, Amis et Amiles und Jourdains
de Blaivies, 1852, 21882. Dazu P. Schwieger, ZrP 9 (1895) 419 ff.
H. Andresen, ZrP 10, 481 f., 16, 223 ff, 28 (1904) 571 ff —
Vgl. P. Schwieger, Die Sage von Amis und Amiles, Progr.
B. 1885. Über die märchenhaften demente vgl. Brüder Grimm,
Kinder- und Hausmärchen III, zu no. 6 und 60 (die zwei Brüder),
Nyrop-Gorra s. 195, R. Köhlers Kl. Schriften I u. II (siehe register),
A. Potter, Publications of the modern language association 23 (1908)
471 ff. Zum trennenden schwert vgl. B. Heller, Rom. 36 (1907)
37 ff, 37, 162 f. — J. Koch, Über J. d. Bl., Diss. Königsberg 1875.
Über den Apolloniusroman s. die oben s. 41 zitierte lit. F. Ropohl,
Das Verhältnis des Assonanzenteils zum Reimteile im afr. Apollonius-
roman (Jourdains de Blaivies), Diss. Kiel 1908. Zum Apollonius-
roman vgl. noch unten kap. X, 7.
Für die weitere beliebtheit der erzählung von Amis und
Amiles zeugen eine kürzende anglonormannische bearbeitung in
achtsilbnern aus der 1. hälfte des 13. Jahrhunderts, eine alexandriner-
version des 14. Jahrhunderts, mehrere prosabearbeitungen des 14.
und 15. Jahrhunderts und ein mirakelspiel, schliesslich das Volks-
buch des 16. Jahrhunderts. Aus der anglon. bearbeitung ging ein
englisches gedieht hervor, Amis and Amiloun (zugleich mit der
altfr. quelle hersg. von Kölbing 1889, Engl. Bibl. II). Über alt-
nordische, dänische, deutsche, spanische, ital. und lat. bearbeitungen
s. Hofmans einleitung. Ea ist einer der beliebtesten erzählungs-
stoffe des mittelalters.
248 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
12. Bertrand de Bar-sur-Aube.
Nachdem wir die epik bis an die schwelle des 13. Jahr-
hunderts begleitet haben, reihen sich als abschluss passend
die dichtungen des Bertrand de Bar-sur-Aube an, der schon
die drei gesten unterscheidet,1) zur zyklischen ausbildung,
namentlich der Wilhelmsgeste, durch selbständige erfindung
selbst viel beigetragen, aber durch die wähl der Stoffe und
ihre behandlung auch wieder den Zusammenhang zwischen
den verschiedenen zyklen gewabrt hat. Die beiden epen, die
er verfasst hat, Aimeri de Narbonne und Girart de Viane,
gehören äusserlich dem Wilhelmszyklus (geste de Garin de
Monglane) an, bieten aber beide auch beziehungen zur geste
du roi, indem Aimeri an das Rolandslied angeknüpft wird und
Girart in die handlung Roland und Olivier einführt; das letzte
epos liesse sich zugleich auch als rebellenepos auffassen.
A. Der Dichter. Bertrand war kleriker und dichtete
nach Suchier um 1200, nach anderen etwas später, zwischen
1200 und 1220. Er hat die überkommene epik mit individueller
gestaltungskraft weitergebildet, aber unter Währung ihres
eigentlichen, heldenhaften Charakters. Suchier charakterisiert
ihn folgendermassen : „Er hat einen so feinen Sinn für das
echt Epische, für fesselnde Situationen, für ergreifende Züge
wie kein anderer Dichter des französischen Mittelalters. Die
Personen, die er uns vorführt, strotzen von Kraft und
Wildheit, sprudeln über von Jugendlust und Tatendrang. Ihr
kriegerischer Mut reisst den Hörer mit sich fort und erfüllt
ihn mit verwegenem Selbstvertrauen, mit jener Sieges-
trunkenheit, die hervorzurufen man gelegentlich den Spielmann
') N'ot ke trois gestes en France la garnie:
Dou roi de France est la plus seignorie . . .
Et l'autre apres, bien est droit que je die,
Est de Doon a la barbe florie,
Cil de Maience qui tant ot baronie . . .
La tierce geste, qui uiolt fist a proisier,
Fu de Garin de Monglane le fier.
Garin gilt als Stammvater der familie Wilhelms, dessen urgrossvater
er in der dichtung ist, Doon als Stammvater der empörergeste.
12. Bertrand de Bar-sur-Aube: Aitueri de Narbonne. 249
mit in die Schlachten führte. Charakteristisch ist für Bertrant
die Vorliebe für Sentenzen . . . Er wendet sie vielleicht
etwas zu häufig an; doch weiss er ihnen oft eine gehaltvoll
knappe, an Shakespeares Ausdrucksweise gemahnende Form
zu geben/'
B. Aimeri de Narbonne. Graf Aimeri wird als vater
Wilhelms von Orange schon in der 'Karlsreise' genannt. Ihm
widmet Bertrand seine dichtung. Da Wilhelm infolge der
sagenentwicklung zum Zeitgenossen Ludwigs des Frommen
geworden ist (s. oben s. 203), so ist logischerweise sein vater
Aimeri Zeitgenosse Karls des Grossen, dem ihn ßertrand an
bedeutung kühn an die seite stellt: Verließ est, en escrit le
Wovon, — Que iVAymeri et del fort roi Charlon — Doivent
mis estre en estoire li non, — Cur par ces deus, de verte le
sauon, — Fu deffändue a force et a banclon — Crestiente entor
et environ. Karl hat soeben den tod der zwölf pers bei
Roncevaux an den Sarrazenen gerächt und reitet betrübt mit
dem rest seines heeres nach Frankreich zurück, als er nahe
am meer, auf einem hügel, eine stolze, wolbefestigte stadt
gewahrt und sogleich erklärt, sie einnehmen zu wollen: es ist
Narbone (Narbonne), wie der kundige Naimes ihm zu melden
weiss. Aber keiner der beiden, den Karl mit der noch un-
eroberten Stadt belehnen will (wie ja auch Wilhelm sich sein
leben, Nimes und Orange, erobern muss), weder Dreves von
Mondidier und Richard von der Normandie, noch Girart von
Roussillon und andere tragen verlangen nach solchem leben.
Karl will im unmut darüber Narbonne gar allein belagern, als
ihm Hernaut de Beaulande seinen jungen söhn Aimeri bringt.
Im vertrauen auf Gott übernimmt dieser das schwierige leben,
Narbonne wird unter hervorragender teilnähme Aimeris an
der entscheidung durch Karl erobert. Hieran schliesst sich
eine brautwerbungssage an: Aimeri verliebt sich auf hören-
sagen hin in Hermengarde, die tochter des Langobardenkönigs
Bonifaz zu Pavia. Aimeri wirbt zuerst durch gesante, dann,
nach erhaltenem Jawort, holt er die braut selbst ein. In der
Werbungsepisode hat der dichter viele selbständige zutaten
angebracht. Auf die hochzeit folgen neue Sarrazenenkämpfe.
Die aufzählung von Aimeris nachkommenschaft macht den
beschluss, es sind, ausser fünf töchtern, sieben söhne: Bernard
250 VI. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
de Brebant, vater von Bertrand le palasin; Guillanme d'Orange;
Garin d'Anseüue, vater Viviens; Hernaut de Gironde; Bovon
(Beuve), vater von Girart und Gui, die Barbastre eroberten;
A'i'mer le Chetif, der eroberer von Venise; Guibelin, Aimeris
nachfolger und erbe in Narbonne.
C. Girart de Viane (Vienne). Mit diesem epos geht
Bertrand zur nächstältesten generation über: Girart ist der
oheim Aimeris, bruder Hernauts de Beaulande und söhn Garins
de Monglane. Dieser, alt und verarmt, sendet seine vier söhne,
Hernaut, Milon, Girart und Renier, auf gut glück in die weit.
Die beiden letzten treten in den dienst Karls des Grossen,
Renier erhält die stadt Genf zum leben, Girart einige zeit
darauf das herzogtum Burgund nebst der band der verwitweten
herzogin zugesagt. Aber Karl findet selbst an ihr gefallen und
heiratet sie, trotzdem sie lieber den Girart gehabt hätte. Aber
dieser selbst verschmäht sie. Die kaiserin rächt sich, indem
sie Girart, der für Burgund Viane als lehen erhält, zum
huldigungskuss ihren nackten fuss anstelle von Karls fuss bietet
und bei späterer gelegenheit den dem beiden unbemerkt ge-
bliebenen schimpf vorbringt. Girart fordert rechenschaft von
Karl, es kommt zum kriege, an dem auf seiten Girarts seine
brüder und auch schon seine damals noch jungen neffen Olivier
und Aimeri teilnehmen, und schliesslich zur siebenjährigen
belagerung des beiden in Viane durch Karl. Ein Zweikampf
zwischen Roland und Olivier, Reniers söhn, soll über den aus-
gang entscheiden, aber nach mehrtägigem, unentschiedenem
kämpf trennt ein engel die Streiter, die aus bitteren gegnern
treue Waffenbrüder werden. Der friede wird endlich durch
den edelsinn der belagerten herbeigeführt, welche zufällig den
kaiser in ihre gewalt bekommen, ihn aber nicht nur schonen,
sondern um gnade anflehn. Oliviers Schwester Alda wird mit
Roland verlobt, aber die pflicht gegen Vaterland und glauben
ruft ihn nebst den übrigen beiden alsbald nach Spanien, von
wo die Sarrazenen das reich bedroheu. So bildet das ganze
eine passende einleitung zum Rolandslied, das sichtlich,
ebenso wie verschiedene empörerepen, auf den dichter ein-
gewirkt hat.
D. Kritische Bemerkungen. Beide dichtungen sind
in der schon öfter erwähnten form, zehnsilbnertirade mit
12. Bertrand de Bar-sur-Aube: (Jirart de Viane. 251
abschliessendem kurzvers, verfasst. Nur im Girart nennt sieh
Bertrand als dichter, aber nach technik und stil ist ihm mit
Sicherheit auch der Aimeri zuzuschreiben. In beiden werken
sind ältere traditionen benutzt, aber sehr selbständig und frei
gestaltet, was sichere Schlüsse auf die epischen und historischen
grundlagen sehr erschwert. Karl Martell hat Narbonne be-
lagert und einen sieg über die Sarrazenen bei dieser stadr
davongetragen: das mag die Übertragung der in Wirklichkeit
erst unter Pippin erfolgten eroberung der stadt auf ihn (siehe
Girart von Koussillon v. 3257) und weiterhin auf Karl den
Grossen (wie hier, wie ferner in den Ncrbonais, im Philomena)
erklären. Schon die belagerung im Haager Fragment (s. oben
s. 95 f.) weist nach Suchier eher auf Narbonne als auf Gerona.
So sind ältere epische Überlieferungen von der eroberung
Narbonnes durch Karl den Grossen gewiss. Die dem Aimeri
hierbei zugewiesene rolle gehört mehr oder weniger der
poetischen errindung an, die Karlsreise kennt ihn als vater
Wilhelms, aber noch nicht als grafen von Narbonne. Zu
dieser letzten Umformung mag die Übereinstimmung seines
namens mit den beiden vizegrafen von Narbonne (1080 — 1105
und 1105 — 1119) beigetragen haben, von denen der jüngere
wirklich eine Hirmingard zur frau hatte.
Von den drei hauptthemen des Girart de Viane: ent-
zweinng Girarts mit Karl wegen der herzogin von Burgund,
belagerung von Viane, Zweikampf Oliviers und Rolands nebst
Aldas Verlobung, scheint das letzte im wesentlichen der er-
findung Bertrands zu gehören. Hingegen führt die belagerung
auf einen historischen ausgangspunkt zurück, auf den grafen
Girart, 819 — 870, und seine kämpfe mit Karl dem Kahlen,
besonders auf die belagerung von Vienne 870, die mit der ein-
nähme der von Girarts frau, Berta, verteidigten stadt und der
flucht des ehepaares die Rhone hinunter endete. Derselbe Girart
hat auch anf Gira/rt de lioussillon eingewirkt (siehe oben): beide
dichtungen schöpfen wol aus einem älteren Girart de Viane.
Ob dieser bereits auch das motiv von der weggenommenen
braut — oder von der „doppelhoehzeit", wie es Jordan nennt —
enthalten hat, muss dahingestellt bleiben ebenso wie die von
demselben forscher vertretenen, aber nicht genügend gesicherten
beziehungen zu Nibelungen und Hildesage.
252 IV. Kapitel. Das Heldenepos in seiner Blütezeit.
Ausgabe: Ayraeri de Narbonne p. p. L. Demaison, P. 1887,
2 bdc. (Soc. d. a. t.). Densusianus versuch, den namen Aimeris in
der Karlsreise für interpoliert zu erklären (Rom. 25, 481 ff.) ist nicht
genügend begründet. L. Karl, A. d. N. und die Heirat Andreas' II.
von Ungarn mit Beatrix, ZfSL 31 (1907) 31 ff. (wenig wahrschein-
liche historische beziebungen). — Girard deViane: Le Roman
de G. de V. p. p. P. Tarbe (CoU. des poetes de Champ. ant. au
16e siecle), Reims 1850. P. Meyer, Fragments de G. d. V., Rom. 34
(1905) 444 ff. Vgl. Elard II. Meyer, ZdP 3 (1871) 422 ff., G. Paris,
Rom. 1 (1872) 101 ff., L. Jordan, Rom. Forsch. 14, 322ff. (die von
Jordan auf grund arabischer romane konstruierte „französische
Nibelungenversion" ist abzulehnen). Über Olivier s. H. Wendt, Die
O.-Sage im afr. Epos, Diss. Kiel 1911. — Der Aimeri wurde auf
italienisch, der Girart auf niederländisch und altnordisch (Karla-
magnüssaga) bearbeitet. Über die Ermingerdr der Orkneyinga Saga
8. H. Gering, ZdP 43 (1911) 428 ff. — Eine franz. umdichtung des
Girart in alexandriner am ende des 13. Jahrhunderts, mit Garin de
Moftglane und Galien (s. oben s. 202) zu einem kleinen zyklus
verbunden, bildet die grundlage der prosabearbeitungen, vgl. Gustav
Lichtenstein in Stengels AA, Marb. 1899; vgl. auch Karl Hartmann,
Ü. d. Eingangsepisoden d. Cheltenhamer Version d. G. d. V., Marb.
Diss. 1889. Aimeri ging als prosa in den prosaroman von Wilhelm
von Orange über, vgl. W. Scherping, Die Prosafassungen des A. d. N.
und der Narbonnais, Diss. Halle 1911.
Nicht von Bertrand verfasst wurden die von Suchier heraus-
gegebenen Narbonais (P. 1898, 2 bde., Sdat), welche die früher
als zwei besondere epen unterschiedenen teile Departement des
enfants Aymeri und Siege de Narbonne umfassen. Der inhalt ist
im wesentlichen der gleiche wie in den Enfances GuiUaume (siehe
oben), nur dass die Verbindung mit Oriabel von Orange darin
fehlt. Ein älteres gedieht, das beiden epen als vorläge diente,
darf vorausgesetzt werden.
Schlussbemerkung. Wie bereits die besprechung der ein-
zelnen epen gezeigt hat, müssen wir vielfach mit dem verlust
älterer epen rechnen, die zum teil aus den vorliegenden franz.
dichtungen, zum teil aus fremden bearbeitungen zu erschliessen
sind. So bewahren uns altnordische, niederl. und niederrheinische
bearbeitungen (Karlamagnüssaga — Karl ende Elegast — Karl-
meinet) den inhalt eines epos, in welchem Karl auf Gottes geheiss
auf diebstahl ausgeht und dadurch von einer gegen sein leben
gerichteten Verschwörung erfährt. Ebenso bezeugen fremde be-
arbeitungen die existenz eines alten epos von der Königin Sebille,
das franz. nur in einem fragment von 200 versen in einer hs. des
14. Jahrhunderts überliefert ist und die Verleumdung und Verfolgung
der unschuldigen gemahlin Karls d. Gr. erzählte. Ähnlichen inhalt
Schlussbemerkung.
hatte auch das uns nur im deutschen Karlmeinet überlieferte, jeden-
falls jüngere epos von Morant und Galienne. Noch andere im
franz. nicht mehr vorhandene epen waren Ospinel (niederrheinisch),
Laidon (niederländisch), Flovent (s. oben s. 207).
Wie in franz. liss. des 13. Jahrhunderts und weiterhin in grossen
kompilationen macht sich teilweise auch im ausländ das bestreben
geltend, die verschiedenen epen zyklisch zusammenzufassen, teils
in anlehnung an franz. Vorbilder, teils in freier kombination. Die
deutschen, niederländischen und englischen bearbeitungen sind meist
einzeln, nur der niederrheinische, z. t. auf niederländischen vorlagen
fussende Karlmeinet (s. oben s. 208), aus dem anfang des
14. Jahrhunderts, fasst mehrere epen — Mainet, Karl und Elegast,
Morant und Galienne, Rollant, Ospinel — zu einer fortlaufenden
erzählung zusammen. — Was von altnordischen bearbeitungen
vorhanden ist, finden wir grossenteils in der um 1300 auf anlass des
königs Häkon Magnüssou in prosa verfassten Karlamagnüssaga
in chronologischer Ordnung vereinigt, nämlich Karl d. Gr. (nach
verschiedenen quellen), Olive und Landri (verwant mit Doon de
la Koche, vgl. kap. XII), Ogier, Agoland (d. i. Aspremont), Guitalin
(d. i. Guiteclin), Otuel (= Otinel, s. kap. XII), Karlsreise, Roland,
Vilbjam Korneis (Moniage Guillaume), Tod Karls d. Gr. Ausgabe
von C. R. Unger, Karlamagnüs Saga ok kappa hans, Kristiania 1860.
Auszug von G. Paris Bibl. Ec. Ch. XXV. Vgl. Storm, Sagnkredsene
om Karl den Store og Didrik of Bern hos de nordiske folk, Kris-
tiania 1874. Die Saga ging durch Übersetzung ins schwedische
(nur fragmente) und ins dänische über: Karl Magnus Kronike, aus-
gäbe von C. J. Brandt im III. bd. der Romantisk digtning fra Middel-
alderen, Kjobenhavn 1877. — In Italien erscheinen die franz.
epen zuerst, in stärkerer oder geringerer italianisierung der sprach-
formen, als sog. franco-ital. gedichte. Eine reihe von solchen ver-
einigt das mskr. XIII der Marcusbibliothek zu Venedig: Bovon
d'Hanstone, Berte, Karleto (Mainet), Berte e Milon, Ogier, Macaire.
Von Oberitalien gelangten diese und andere gedichte nach Toscana,
wo sie in vers und prosa auf toskanisch bearbeitet wurden. Eine
reihe von prosakompilationen hat der im jähre 1370 zu Barberino
bei Florenz geborene Andrea de' Magnabotti verfafst: Reali di
Francia (Fioravante, Buovo d'Antona, Berte, Karleto, Berte e Milone)
— Aspremonte — Spagna (Roland) — Seconda Spagna (Ansei's de
Cartage, s. kap. XII) — Storie Nerbonesi (Nerbonais, Couronnement,
Charroi de NImes, Prise d'Orange, Covenant Vivien, Aliscans,
Foucon de Candie, Moniage Rainouart, Mon. Guillaume). Ausgabe
der Reali bd. I von Rajna, II von Vandelli, Bologna 1872 u. 1892,
der Storie Nerbonesi von I. G. Isola, 2 bde., Bologna 1877 und 1887.
Vgl. auch oben s. 237.
Siebentes Kapitel.
Geschichtliche Dichtung.
Wie gelegentlich .schon früher bemerkt, bildeten die auf
dem boden der sage entsprossenen chansons de geste die
geschichtliche Überlieferung des volks. Die geschichte in
eigentlichem sinn ist in der französischen literatur zunächst
überhaupt nicht vertreten, die geschichtsschreibung bleibt den
latein schreibenden klerikern überlassen. Es lag aber nahe,
sich an solche lateinische quellen zu wenden und sie durch
Übersetzungen und bearbeitungen auch dem grossen publikum
zugänglich zu machen, sobald man nach anderen perioden
der Vergangenheit fragte, über welche die epische dichtung
und die mündliche Überlieferung nicht mehr genügend unter-
richtete. So entstehen, zuerst in England am normannischen
hof, die sogenannten reimchroniken, die im wesentlichen
auf lateinischen quellen beruhen, gelegentlich aber auch
mündliche Überlieferung, soweit sie erreichbar und verwendbar
war, nicht verschmähen. Die behandlung zeitgenössischer er-
eignisse in form der reimchronik folgt darauf ganz von selbst.
Wir haben also hier überall ein mehr oder weniger unmittel-
bares Verhältnis der poetischen darstellung zur geschichte
selbst oder zur geschichtlichen (chronistischen) erzählung der
Vergangenheit.
Ein ähnliches, wenn auch nicht ganz das gleiche Ver-
hältnis besteht auch für die darstellung der kreuzztige,
besonders des ersten kreuzzuges, insofern die darstellung hier
dem geschichtlichen ereignis noch sehr nahe steht und viel-
fach auf chronistischen berichten beruht. Indessen haben die
1. Kreuzzngscpen 255
Verfasser der kreuzzugsdichtungen von vornherein sorge ge-
tragen, diese dem stil der chansons de geste anzupassen und
aus ihnen mehr epen als reimchroniken zu machen. Das zeigt
sich auch in der äusseren form : während die reimchronik
zwischen der laissenform der epischen dichtung und den reim-
paaren der geistlichen und höfischen dichtung schwankt, sind
die kreuzzugsepcn ausschliesslich in alexandrinerlaissen ge-
schrieben. Die epische Stilisierung bringt es schliesslich auch
mit sich, dass in den jüngeren dichtangen mehr oder weniger
willkürlich phantastische elemente auf die beiden des ersten
kreuzzuges und ihre vorgeblichen ahnen übertragen werden.
Die kreuzzugsdichtungen bilden daher weniger einen zyklus
innerhalb der nati< malen epik, als eine mittelgattung zwischen
epischer dichtung und reimchronik, und jn der tat gehen ihre
anfange der entstehung der reimchronik voraus: die kreuzzüge
haben, wie des öfteren gesagt worden ist, die geschicht-
schreibung in der vulgärsprache hervorgerufen.
1. Kreuzzugsepen.
A. Allgemeines. G. Paris bezeichnet in seiner literatur-
geschichte das Verhältnis der ältesten kreuzzugsdichtungen zu
den faits historiques — im unterschied von den chansons de
geste — folgendermassen : 'ils les racontaient presque exacte-
ment; ils n'avaient gtfere de la poesie que la forme, au fond
ils £taient de Thistoire. Aussi l'inspiration epique leur fait-
elle generalement defaut. A cet el^ment historique s'est
jointe, dans les poemes que nous avons, l'invention pure et
simple des Jongleurs francais.' Solche historische, teilweise
zeitgenössische gedichte auf den ersten kreuzzug werden uns
mehrfach aus Nord- und Südfrankreich bezeugt: so durch den
Chronisten Lambert von Ardres (anfang des 13. Jahrhunderts,
in seiner geschichte der grafen von Guines) eine französische
chanson de geste (cantilena) des 12. Jahrhunderts, während bei
den Provenzalen schon graf Wilhelm IX. von Poitiers (siehe
oben s. 42 f.) seine erlebnisse auf dem kreuzzug und Gregoire
256 VII. Kapitel: Geschichtliche Dichtung.
Bechada, zwischen 1106 und 1137, die eroberung des heiligen
landes geschildert hat. Diese dichtungen sind samt und sonders
verloren. Um 1130 schrieb Richard der pilger haupt-
sächlich nach den lateinischen Chroniken Alberts von Aachen
und Peter Tudebods seine chanson de geste über die einnähme
von Antiochia, die uns in einer Umarbeitung durch Graindor
de Douai aus dem ende des 12. Jahrhunderts erhalten ist.
Dieses gedieht bildet den ausgangspunkt der ganzen kreuz-
zugsepik. An dieses schloss sich alsbald eine fortsetzung an,
welche die eroberung von Jerusalem behandelte und gleichfalls
durch Graindor überarbeitet wurde. Zu diesen, in der haupt-
sache geschichtlichen dichtungen treten alsdann die genea-
logischen gediente freier erfindung oder willkürlicher Über-
tragung.
Vgl. im allgemeinen: P. Paris, Hist. litt. XXII, 351 ff. —
H. Pigeonneau, Le cycle de la Croisade et de la famille de Bouillon,
St. Cloud 1877. — Nvrop-Gorra, Storia dell epopea francese s. 214 ff.
G.Paris, Lit. § 29, 85 ff. Gröber, Lit. 471 f., 574 ff, 813 ff. Suchier,
s. 49 ff.
B, Chanson d'Antioche und Chanson de Jerusalem.
Graindor, der Uberarbeiter beider, hat die alten assonanzen in
reime verwandelt und sich auch im übrigen allem anschein
nach im wesentlichen auf formelle änderungen beschränkt.
Der ursprüngliche Verfasser des zweiten gedichts hat mehr
aus mündlichen berichten von teilnehmern als aus schriftlichen
quellen (wie Richard le pelerin) geschöpft, auch das volk
gegenüber den rittern mehr zur geltung kommen lassen. In
der überlieferten form tritt die anlehnung an das Vorbild der
chansons de geste deutlich hervor. Wie so viele derselben,
beginnt unsere dichtung mit einer anrede an das publikum,
die um ruhe bittet und das thema ankündigt: Seigneur, soies
en pais, laissies la noise ester — Se vous voles chancon gloriose
escouter. — Ja de nule millor ne vous dira jougler: — C'est
de la sainte vile qui tant fait a loer, — Ou Dieus laissa son
cors et plazier et navrer . . . Die Sarrazenen werden wie in
den alten epen als la pute gent averse bezeichnet und mit den
Esclavon zusammengeworfen; redensarten wie Esvous par la
bataille Godefroi de Bouillon sind dem stil der chansons de
geste entnommen.
1. Kreuzzugsepen: Autioche, Jerusalem, Chev. au cygne. 257
Die erzählung beginnt mit der kreuzigung Christi, der
dem gläubigen Bchäoher bereits den kreuzzug prophezeit, be-
richtet dann den verunglückten zug Peters des Einsiedlers
und in historischer folge die Vorbereitungen zum kreuzzug,
den aufenthalt in Konstantinopel, die einnähme von Nicäa,
sehr ausführlich die belagerung und einnähme von Antiochia,
belageruug durch die Türken und entsatz. Dem Gottes-
streiter Turpin im Rolandslied gleicht hier der bischof von
Puy, der gewappnet in den kämpf zieht und die heilige lanze
trägt. Gottfried von Bouillon wird als führer der Christen
entsprechend hervorgehoben, der kämpf, in welchem er in
lebensgefahr gerät und glücklich wieder befreit wird, aus-
führlich geschildert. — Die fortsetzung, welche im wesent-
lichen mündlichen berichten von Teilnehmern folgt und gegen-
über dem rittertum mehr das volk zur geltung kommen lässt,
erzählt die belageruug und einnähme von Jerusalem aus-
führlich in ihren verschiedenen Stadien und schliesst mit der
wähl Gottfrieds zum könig. Im einzelnen zeigt sich in dieser
fortsetzung, die, nach Gröber, „nicht anders wie manche
chausou de geste zustande gebracht wurde", deutlich das
wirken mündlicher Überlieferung, so unter anderem in der
hervorragenden rolle, welche dem sogenannten roi Tafnr mit
seinen 10 000 ribauds (eine art landstreichercorps) bei der er-
oberung der heiligen Stadt zugewiesen wird.
Ausg. der Chanson d'Antioche von P. Paris, P. 1848, 2 bde.
(Rom. d. d. pairs XI, XII). — Über die prov. Ch. d'Ant. (fragmente,
1884 hersg. von P. Meyer) vgl. G. Paris, Rom. 17 (1888) 513 ff. —
La Conquete de Jerusalem p.p. Hippeau, P. 1868. Dazu Stengel,
Böhm. Rom. Stud. 1, 392 ff. — Bei dem ersten kämpf vor Jerusalem
erscheint plötzlich Harpin de Bourges mit Richard und anderen
christlichen rittern, die einer dreijährigen gefangenschaft bei den
Sarrazenen glücklich entronnen sind. Die märchenhaften Schicksale
dieser ritter, wie drachenabenteuer und dergleichen, werden aus-
führlich in dem epos Li Caitif (Les Cketifs) erzählt, das uns
gleichfalls nur in einer Überarbeitung (anfang des 13. Jahrhunderts)
überliefert ist und im zyklus seinen platz zwischen Antioche und
Jerusalem erhalten hat.
C. Chevalier au cygne und Enfances Godefroi.
Nachdem die eigentliche geschichte des kreuzzuges genügend
besungen und ausgeschmückt war, wendete sich das interesse
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auflage. 17
258 VII. Kapitel. Geschichtliche Dichtuug.
naturgemäss dem haupthelden und der frage nach seiner her-
kunft zu. Die beiden gedichte, welche davon berichten,
gehören in der überlieferten form dem anfang des 13. Jahr-
hunderts an, aber die Verbindung Gottfrieds mit der schwan-
rittersage ist schon dem um 1184 verstorbenen bischof Wilhelm
von Tyrus bekannt. Wie die herzöge von Bouillon freilich
zu dem namen schwauritter gekommen sind, ist noch nicht
genügend erklärt; es lässt sich nur vermuten, dass irgend ein
äusserer umstand den dichtem anlass gab, die alte lothringische
sage vom schwanenritter auf sie zu übertragen und so eine
übernatürliche abstammung der familie Gottfrieds von Bouillon
zu konstruieren.
Nach dem Chevalier au cygne führt die herzogin von
Bouillon vor kaiser Otto zu Nymwegen klage über den Sachsen-
herzog Renier, findet aber keinen kämpfer, der für sie den
gottesgerichtlichen Zweikampf gegen jenen bestehen will. Da
erscheint unvermutet ein unbekannter ritter (Elias) in einem
von einem schwan gezogenen schiff, besiegt den gegner und
heiratet die tochter der herzogin, Beatris, verlässt sie aber
sieben jähre darauf, als sie ihn entgegen seinem verbot nach
namen und herkunft fragt. Die tochter der beiden, Ida,
heiratet den grafen Eustache de Boulogne und wird mutter
Gottfrieds von Bouillon. — Die Enfances Godefroi, welche
unmittelbar hieran anschliessen, behandeln in der hauptsache
des beiden glückliche errettung vor den anschlagen des sultans-
sohnes Cornumarant, welcher sich selbst nach Bouillon begeben
hat, um Gottfried zu ermorden und so das den Sarrazenen
prophezeite, durch die kreuzfahrer drohende unheil zu vereiteln.
D. Elioxe (Die Schwanenkinder). Den schlussstein der
entwicklung bildet die Übertragung des in Lothringen und im
benachbarten Wallonien heimischen märchens von den sieben
schwanen auf den schwanenritter und seine geschwister. Sechs
brüder und eine Schwester erscheinen hier als kinder könig
Lothars von Ungarn und der fee Elioxe. . Durch Verlust ihrer
goldenen ketten in schwane verwandelt, werden die brüder von
der Schwester gepflegt und gefüttert. Fünf von ihnen werden
wieder entzaubert, darunter auch der, welcher von dem sechsten,
schwan gebliebenen brüder beständig begleitet wird und dar-
nach den namen Chevalier au cygne erhält. Das Volksmärchen
1. Kreuzzugsepen: Godefroi. Elioxe. — 2. Reimchroniken. 259
dient somit dazu, eine post festum konstruierte erklärung des
beinamens zu geben.
Der rasche tibergang von der geschiente zum reinen roman
vollzieht sich hier in der kreuzzugsdichtung vor unseren äugen.
Die dichterisch bedeutendsten sind die beiden ältesten epen,
Antioehe und Jerusalem, von den romanesken dichtungen Elioxe
die bestgelungene.
Ausgaben: La chanson du Chev. au cygne et de Godefroi de
Bouillon p. p. C. Hippeau, 2 bde. P. 1874 und 1877. Nach einer
Überarbeitung des 14. Jahrhunderts von baron de Reiffenberg : Le
Chev. au cygne et Godefroid de Bouillon, 2 bde., Bruxelles 1846
n. 1848. Vgl. H. A. Smith, On a Berne Manuscript of the chanson
du eh. au c. et de G. d. B., Rom. 38 (1909) 120 ff. — Elioxe hersg.
von H. A. Todd unter dem titel: Naissance du Chev. au cygne,
Baltimore 1889. Vgl. G. Paris, Rom. 19 (1890) 314 ff, G. Huet,
Rom. 34 (1905) 206 ff. Eine andere, etwas jüngere Version (anf.
13. Jahrhunderts) nennt die mutter der sieben Beatris, siehe Hippeaus
ausgäbe. — Mit der entwicklung der schwanrittersage hat sich
I. F. D. Blöte in verschiedenen arbeiten beschäftigt — siehe be-
sonders ZrP 21 (1897) 176 ff, 25, lff, 27, lff und ZdA 42 (1898) lff.
— doch bleibt seine erklärung des beinamens 'schwanenritter'
einstweilen noch ziemlich hypothetisch.
Die Gottfriedgenealogie ist somit schon im 12. Jahrhundert in
der hauptsache ausgebaut, das 13. und 14. Jahrhundert fügt an die
Conquete de Jerusalem die fortsetzungen mit der weiteren geschichte
des königreichs Jerusalem und den epen Baudouin de Sebourg
und Bastart de Bouillon. Prosabearbeitungen des zyklus oder
einzelner teile finden sich seit dem 13. Jahrhundert, eine jüngere
wird im jähre 1504 gedruckt. Von einzelnen gedienten sind auch
ausländische bearbeitungen vorhanden.
Der am schluss von Wolframs Parzival nach unbekannter franz.
quelle kurz erzählte Loherangrin (d. i. Loherenc Garin) verbindet
den Schwanenritter mit der Gralsage, indem Parzivals söhn als
schwanenritter zum schütze der fürstin von Brabant entsant wird.
Das epos Lohengrin (zw. 1276 und 1290) beruht auf Wolframs
angaben. Vgl. W. Golther, RF 5, 103 ff, R. Pestalozzi, Neue Jahr-
bücher 23 (1909) 147 ff
2. Reimchroniken.
Die älteste reimchronik, von der wir wissen, war genau
genommen Richards Chanson d'Antioche. Während aber die
kreuzzugsdichtung bald in die gattung des epos und romans
17*
260 VII. Kapitel. Geschichtliche Dichtung.
überging, entwickelte sich in England am normannisch -franzö-
sischen hof eine neue geschichtsdichtung, die ihrem wesen
treuer blieb als jene und zunächst die vorzeit Euglauds wie
der Normannen, dann aber auch zeitgenössische ereignisse in
ihren bereich zog. So hat schon 1140 die öfters genannte
königin Aalis (s. oben s. 122, 145) einen dichter David ver-
anlasst, das leben ihres verstorbenen gatten Heinrich I. in einem
gedieht zu erzählen, das allem vermuten nach in der form der
chansons de geste abgefasst war, uns aber verloren ist. Die
nächsten reimchroniken gehen von lateinischen vorlagen aus.
Vgl. über die reimchroniken Hist. litt. d. 1. France XXI, 679 ff.
und XXIII, 336 ff, G. Paris, Lit. § 54, § 92 ff, M. Ch. Langlois in
Petit de Jve. II, 271 ff, ferner Gröber und Suchier an verschiedenen
stellen. — Die von Fr. Michel hersg. Chroniques anglonormandes,
I — III Rouen 1836 — 1840, enthalten nur im I. bd. franz. Chroniken
(auszüge aus Gaimar, Benoit, einer fortsetzung von Waces Brut
und aus Pierre Langtoft), im IL lat. Chroniken, im III. u. a. Crestiens
Wilhelmsleben).
A. Gaimars Chronik. Einen umfassenden plan hatte
die älteste, freilich nur teilweise überlieferte anglonormannische
reimchronik, welche Gefrei Gaimar zwischen 1147 und 1151
für Robert Fiz-Gisleberts gattin Constance in achtsilbigen
reimpaaren verfasst hat und die, nach dem erhaltenen teil,
gewöhnlich kurz als Histoire des Engles bezeichnet wird.
Das werk begann mit Argonautenzug und eroberung von Troja
nach lateinischen quellen, leitete dann mit der ankunft des
Troers Brutus in England auf Galfreds Historia regum Brit-
tanniae (siehe unten) über und fügte daran nach sächsischen
und normannischen quellen die geschiente der insel bis zum
jähre 1100 (tod Wilhelms II. des Roten). Der erste teil des
Werkes scheint verloren. 'Ce qui en reste, est a peu pres
denne* de valeur litteraire, mais n'est pas sans quelque prix
pour l'historien' (G. Paris).
Ältere ausgäbe von Th. Wright, London 1850, neuere von
Duffus-Hardy and Trice Martin, L'estorie des Engles, Lo. 1888, 2 bde.
(Rerum brit. medii aevi scriptores). Vgl. Max Gross, Geoffroi Gaimar,
die Komposition seiner Chronik etc., Strassb. Diss., Erlangen 1902.
Rud. Imelmann, Layamon, Versuch über seine Quellen, B. 1906.
B. Bearbeitungen von Galfreds Historia. Gruffud ap
(= söhn) Arthur, gewöhnlich nach seinem geburtsort Galfred
2. Keiuachroniken: Gaiinar. Die Bruts. 261
von Monmouth genannt, zuletzt bischof von Saint Asap,
sehrieb zwischen 1118 und 1135 in lateinischer prosa seine
Historia regum Brittanniae, in anlehnung an die ältere 1 Iistor ia
Brittonum von Xennius, aber unter benutzung sowohl von
antiken historikern als auch von mündlichen Überlieferungen
über den brittischen könig Arthur, die er wol während seines
aufenthalts auf dem festland kennen gelernt hatte. Sein buch
ist somit eine wichtige quelle für die kenntnis der Arthur-
sage. Bei ihm erscheint Arthur bereits als der grosse er-
oberet" des westlichen und nördlichen Europa, als der besieger
von Sachsen und Römern, der schliesslich nach der insel der
seligen, nach Avalon, entrückt wird. Das rasch bekannt ge-
wordene werk wurde alsbald verschiedene male ins französische
übersetzt, zuerst von Gaimar (s. o.), dann noch drei weitere
male in demselben Jahrhundert. Nach dem angeblichen heros
eponymos der Bretonen Brutus werden diese französischen
bearbeitungen meist Brut genannt.
YVaces Geste des Breton s. Der bereits als Verfasser
geistlicher gedichte bekannte normannische dichter Wace (oben
s. 124, 130) oder Gace, wie er hier sich nennt, schrieb um 1157,
im auf trag der königin Eleonore, gattin Heinrichs II. von
England, seine Geste des Bretons oder Brut in mehr als
15 000 achtsilbnern. Seine darstelluüg beginnt mit den taten
Uters Pendragon und berichtet ausführlich seines sohnes Arthur
geburt, eroberungen und entrückung ins feenreich, worauf noch
die kämpfe der Bretonen mit Gormont von Afrika und Isembart
(vgl. oben s. 193) und mit den Sachsen folgen. Wace weiss
manches aus eigener kenntnis mitzuteilen, wie denn bei ihm
zuerst die berühmte 'Table ronde' könig Arthurs erwähnt wird,1)
aber den rein märchenhaften elementen bretonischer sage steht
er skeptisch gegenüber: an der berühmten wunderquelle im
») Vgl. Brut 9994 ff. (ausgäbe II, s. 74):
Por les nobles barons qu'il ot, Tot chievalnient et tot ingal,
Dont cascuns inieldre estre quidot A Ia table ingaluient seoient
— Cascuns s'en tenoit al millor, Et ingalment servi estoient:
Ne nns n'en savoit le pior — Nus d'els ue se pooit vanter
Fist Artus la Roonde Table j Qu'il seist plus halt de son per,
Dont Breton dient mainte fable. Tuit estoient assis moiain,
Hoc seoient li vassal Ne n'i avoit nul de forain.
262 VII. Kapitel. Geschichtliche Dichtnng.
zanberwald von Broceliande (vgl. unten kap. IX) bat er nichts
wunderbares gesehen und erlebt, wie er selbst im Roman de
Roii (v. 6395 ff.) berichtet.
Andere Bruts. Zwei andere bearbeitungen Galfreds
sind uns anonym und nur fragmentarisch überliefert: die
ältere in achtsilbigen reimpaaren, nach dem fundort der hand-
schrift gewöhnlich Münchener Brut genannt, führt trotz
ihrer 4000 verse wenig über die eroberung Brittanniens durch
Brutus hinaus. Das jüngere fragment, in laissen gedichtet,
zeigt, dass selbst in späterer zeit die dichter bei geschichtlichen
Stoffen in der wähl der form noch schwankten.
Galfreds Historia regum Brittanniae hersg. von San Harte
(Albert Schulz), Ha. 1854. Vgl. H. L. Ward, Catalogue of Roman-
ces I, London 1883, s. 203 ff — Roman de Brut par Wace p.p.
Le Roux de Lincy, Ronen 1836, 2 bde. A. Ulbrich, Das Verhältnis
von Waces R. d. B. zu seiner Quelle, Diss. Leipzig 1908 (auch RF
26, 181 ff). — Der Münchener Brut hersg. von K. Hofmann und
K. Vollmöller, Ha. 1877.
C. Normannenchroniken. Derselbe dichter Wace, der
im Brut die sagenhafte vorzeit Englands geschildert, hat dar-
nach, von 1160 — 1174, im auftrag könig Heinrichs II. die
geschichte der Normannen und des anglonormannischen könig-
reichs zu schildern unternommen in seiner Geste des Normane,
die meist unter dem unzutreffenden namen Roman de Bon
(nach herzog Rollo) bekannt ist. Der dichter folgt darin zu-
meist lateinischen quellen: für die ältere zeit, von herzog Rollo
bis 996, den Primi duces Normandiae, der chronik des Dudo
von St. Quentin, die ihrerseits schon manches fabelhafte enthält,
für die spätere zeit Wilhelm von Jumieges, Wilhelm von Poitiers
und den Gesta regum Brittanniae von Wilhelm von Malmesbury.
Er steuert aber manches neue, für geschichte oder sage in-
teressante bei: so berichtet er uns Taillefers teilnähme an der
Schlacht von Hastings und sein singen von Rolauds tod,1) auch
') Siehe ausgäbe v. 8035 ff.:
Taillefer, qni mult bien chantout, Qui morurent en Rencesvals.
Sor un cheval qui tost alout, i Qnant il orent chevalchie tant
Devaut le duc alout chantant Qu'as Engleis vindrent apreismant:
De Karleinaigne e de Eollant „Sire" dist Taillefer „nierci!
E d'Olivier e des vassals Jo vos ai longuement servi,
2. Keimchroniken: W.ice und Beneeit. 268
die — gleichfalls von Unland bebandelten — sagen von Richard
Ohnefurcht und von dem verliebten mönch rinden sich zuerst
bei Wace erzählt. Der dichter schreibt ohne besonderen
schwung, aber klar und unterhaltend. Er hat das werk in der
form der chansons de geste, in alexandriuerlaissen, begonnen,
den zweiten, grösseren teil aber (12 000 gegen 4000 verse) in
kurzen reimpaaren (achtsilbnern) geschrieben. Eine kurze
retrospective darstellung der normannischen ftirsten bis hinauf
zu Rollo, die in alexandrinern gedichtete sogenannte Chronique
ascendante, sollte wol als prolog zum ganzen dienen. Ein
eingestreuter ausfall gegen die Franceis forslignies, fals et
suduianz, cuveitus d'aveir, eschars de doner kennzeichnet den
Verfasser als Normannen.
Wace hat sein werk nicht vollendet, sondern vorzeitig mit
Heinrichs I. sieg bei Tinchebray (in der Normandie, 1106) ab-
gebrochen: Die en avant qui dire en deit! ■ — J'ai dit por
Mestre Beneeit, — Qui ceste ovre a dire a emprise, — Com
li reis l'a desor lui mise. — ' Quant li reis li a rove faire, —
Laissier la dei, si ni'en dei taire.
Dieser neue literarische gtinstling Heinrichs IL, Mestre
Beneeit, war vermutlich Beneeit von Sainte-More (wol
Sainte- Maure bei Tours), der sich bereits durch seinen Troja-
roman berühmt gemacht hatte. In 42 000 achtsilbnern hat er
die Histoire des ducs de Normandie von den anfangen bis
zum jähr 1135 (tod Heinrichs I.) beschrieben, teilweise unter
benutzung von Waces werk neben den lateinischen quellen.
Wie schon der äussere umfang lehrt, ist er weitschweifiger
als Wace, weniger durch neue zutaten aus eigener kenntnis
als durch grössere genauigkeit in den einzelheiten und durch
kl ein mal er ei.
Tot mon servise me devez: Devant toz les altres se mist,
Hui, se vos piaist, le me rendez. Un Engleis feri, si Focist:
Por tot guerredon vos requier Desoz le piz parmi la pance
E si vos voil forment proier: Li fist passer nitre la lance,
Otreiez mei, que jo n'i faule, A terre estendu l'abati.
Le premier colp de la bataille." Pois traist l'espee, aultre en feri.
Li das respondi: „Jo l'otrei*. Pois a crie: „Venez, venez!
E Taillefer poinst a desrei, Qne faites vos? Ferez, ferez!"
264 VII. Kapitel. Geschichtliche Dichtung.
Maistre Wace's Roman de Rou et des Ducs de Normandie,
hersg. von H. Andresen, Heilbronn 1877 u. 1879, 2 bde.; ältere
ausg. von Pluquet, 1827; deutsch von F. v. Gaudy, 1835. Vgl.
G. Körting, Die Quellen des R. d. R., Diss. L. 1867. F. W. Lorenz,
Der Stil in Maistre Wace's R. d. R., Diss. L. 1885. — Chronique des
ducs de Normandie par Benoit p. p. Fr. Michel, 3 bde., P. 1836 — 1844
(in der „Collection de documents inödits sur l'histoire de France").
Vgl. Franz Settegast, Benoit de Ste. More, Breslau 1876. Andresen
ZrPll (1887), 231ff., 345ff., RF 1, 327 ff., 2,477ff. Die identität
mit dem Verfasser des Trojaromans wird von Constans bestritten
(s. kap. VIII, 4).
D. Kleinere normannische und anglonormannische
Chroniken. Die reimchronik blüht zunächst ausschliesslich
im anglonormannischen königreich. Neben Wace und Beneeit
ersteht bereits 1174 in Jordan Fantosme, einem gelehrten
geistlichen, ein reimehronist, welcher uns zeitgenössische ge-
schiente überliefert, indem er den feldzug Heinrichs II. gegen
Schottland (1173 — 1174) beschreibt: la Guerre d'Ecosse, in
laissenform, aber in buntem Wechsel von zehn-, zwölf-, vierzehn-
und sogar sechzehnsilbnem. — Ebenso wird die eroberung
Irlands durch Heinrich II. (1172) von einem anonynius in der
Conquete d'Irlande, in achtsilbigen reimpaaren, dargestellt (nach
Suchier erst aus den jähren 1225 — 1231). — Schliesslich fügt
sich zur Zeitgeschichte die lokalgescliichte in dem Roman
die Mont Saint- Michel von Guillaume de Saint-Pair,
der hierin die geschiente des berühmten klosters dieses namens
an der normannischen küste gibt (gegen 1170). Auch auf die
gedichte über Thomas Becket, namentlich auf dasjenige
Garniers von Pont-Sainte-Maxent, wäre in diesem Zusammen-
hang hinzuweisen (vgl. oben s. 124 ff.). Schon dem 13. Jahr-
hundert gehört die anonyme Histoire de Guillaume le
Marechal, comte de Striguil et de Pembroke, an. Das
wenige jähre nach dem tod seines an kämpfen und abenteuern
wie an ehren reichen helden (1219) entstandene gedieht gilt
wegen seiner eigenart in der Schilderung der Vorgänge wie
in der Charakteristik der Persönlichkeiten als das bedeutendste
stück der gattung.
Fantosmes chronik hersg. von Fr. Michel im 3. bd. von Benoits
Chronique, teile von Tobler, Monumenta Germ. bist. SS. 27, 53 ff. —
Conquete d'Irlande hersg. von Fr. Michel, An anglonorman poem
2. Reimchroniken: Kreuzzugschroniken. 265
of thc conquest of Ireland, P. 1837. Neue ausg. von G. H. Orpen,
The soug of Dermot and the Earl, Oxford 1892. — Roman du
M.- St.- Michel hersg. von Paul Redlich, Marb. 1894 (Stengels AA 92).
— Histoire de Üuillaume le M. p. p. Meyer, 3 bde., P. 1891 — 1901
(Soc. de riiist. de France). — Die letzte französisch geschriebene
chronik auf englischem boden ist die im anfang des 14. Jahr-
hunderts verfasste, bis 1307 reichende geschichte Englands von
Pierre Langtoft (auszüge in Fr. Michels Clironiques anglo-nor-
mandes, in den Mon. Germ. SS. 28, 647 ff. [Tobler], ausgäbe von
TL Wright, L. 1866 — 1868).
E. Kreuzzugschroniken. Nachdem die durch Richart
1< l'elerin mit der Chanson d'Antioche begonnene geschicht-
liche kreuzzugsdichtung durch seine nachfolger bald in das
gebiet des epos und des romans übergeführt worden war, ent-
standen am ende des 12. Jahrhunderts einige neue dichtungen
wieder von rein chronistischem Charakter, denen in kurzem
die prosachroniken folgen. So hat ein Verfasser unbekannten
namens die lateinische Historia Hierosolymitana Baudris de
Bourgueil (gest. 1130) in seiner Estoire d'Antioche et
de Jherusalem in französische alexandrinerlaissen tiber-
setzt. Ein teilnehmer des dritten kreuzzugs, Ambroise, —
nach G. Paris' Vermutung ein Jongleur aus der östlichen
Normandie — hat nach seiner rückkehr 1195 — 1196 seine er-
innerungen und notizen zu einer umfangreichen darstellung,
der Estoire de la guerre sainte, in 11000 achtsilbuern
verarbeitet, wo er namentlich die meinung der menue gent
zur geltung bringt.
Über die Übersetzung Baudris s. P. Meyer, Rom. 5 (1876) lff'.,
6,489 fr. — L'Estoire de la guerre sainte, bist, en vers de la 3e
croisade p. Ambroise p. p. G. Paris, P. 1897 (Collection do Docu-
ments inedits). — An Saladin, den Wiedereroberer Jerusalems,
knüpfen sich eine reihe erzählungen und sagen, die auch im abend-
land kursierten, sich jedoch nicht zu einem zusammenhängenden
epos verdichteten, sondern einzeln in lateinische, franz. und ital.
werke — gedichte, novellensammlungen wie Cento novelle antiche
und Decamerone , romane und Chroniken — aufgenommen wurden.
Vgl. A. Fioravanti, II Saladino nelle leggende francesi e italiane
del medio evo, Reggio-Calabria 1891, und G. Paris, La legende de
Saladin (Extrait du JdSav., mai ä aoüt 1893), P. 1893.
Die darstellungen des vierten kreuzzugs sind bereits in prosa
geschrieben (vgl. kap. XII), ebenso eine ende des 12. oder anfang
des 13. Jahrhunderts entstandene Übersetzung der lat. geschichte
266 VII. Kapitel. Geschichtliche Dichtung.
der kreuzzüge von Wilhelm von Tyrus, der als historische leistung
sehr geschätzten, auch ins englische, span. und ital. übergegangenen
Ilistoria reiiim in partibus transmarinis f/estarum des palästinen-
sischen bischofs Wilhelm (gestorben 1184). Die im abendland
angefertigte Übersetzung wird gewöhnlich Livrc du Conquest de
Terre Sainte oder, nach dem anfang, Estoire d'Eracles betitelt.
Vgl. Franz Ost, Die afr. Übers, d. Geschichte d. Kreuzzüge Wilhelms
von Tyrus, Hall. Diss. 1899. Eine fortsetzung dazu bildet die 1228
in Palästina verfasste Chronique von Ernoul (hersg. von L. de
Mas-Latrie, Chronique d'Ernoul, P. 1871). — Vgl. noch E. Drees-
bach, Der Orient in der altfr. Kreuzzugsliteratur, Breslauer Diss. 1901.
Achtes Kapitel.
Vom antiken Epos zum Roman.
Für die erzählenden gattungen gab es im wesentlichen
zwei metrische formen: die der chansons de geste in zehn-
oder zwülfsilbigen laissen und die der geistlichen legende in
achtsilbigen reimpaaren. Eine mittelform stellen die fünf-
zeiligen Strophen des Alexinsliedes aus zehnsilbnern dar. Bei
neu auftauchenden Stoffen schwanken die dichter in der wähl
der äusseren form, wie das vorige kapitel gelehrt hat. So
werden auch die der antiken geschichte und sage ent-
nommenen erzählungsstoffe zunächst in die laissenform der
chansons de geste gegossen, dann aber bald in kurzen reim-
paaren behandelt. Dieser unterschied bleibt kein rein formaler.
Mit der form der chansons de geste wird in der regel auch
ihr stil, ihre epische anschauung übernommen, und nicht zum
geringsten teil wird die wähl dieser form für das älteste
kreuzzugsgedicht der anlass für die ausgestaltung der kreuz-
zugsdichtung nach der epischen seite gewesen sein. Bei der
wähl der achtsilbigen reimpaare, die zudem nicht mehr wie
die laissen des heldenepos gesungen, sondern vorgelesen wurden,
wird der dichter naturgemäss unabhängiger vom Vorbild der
chansons de geste, er wird freier und kann den gegenständ,
wie bei den historischen Stoffen, mehr im anschluss an die
Wirklichkeit, seien es geschriebene quellen, sei es selbsterlebtes,
oder, bei erzählungen mehr romanesken inhalts, im wesentlichen
seiner phantasie folgend darstellen. So finden wir in der auf-
nähme der griechischen Alexandersage in die französische
literatur in der hauptsache eine erweiterung des Stoffgebiets
268 VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Human.
der chansons de geste, während die behandlung der Thebaner-
sage, des Trojauerkriegs und der Aeneis in kurzen reimpaaren
auch einen fortschritt der erzählungskunst bedeutet. Dass
hierbei neben der freiheit der form auch der verschiedene
charakter der vorlagen sowie die dichterische eigenart der
bearbeiter mitwirkte, versteht sich von selbst. Tatsächlich
aber vollzieht sich, und zwar noch früher als in der kreuzzugs-
geste, auf dem gebiet der antiken erzählung der Übergang
vom epos zum roman. Wie weit diese entwicklung selbständig
ist, wie weit dabei schon ältere Artusromane mitgewirkt haben
können, bleibt vorläufig eine offene frage.
Über das zeitliche Verhältnis der antikisierenden romane
zu den Artusromanen, zunächst zu denen Crestiens von Troyes,
gehen die ansichten ziemlich auseinander, zumal auch die
absolute Chronologie ebenso wie das gegenseitige Verhältnis
von Trojaroman, Eneas und Thebenroman keineswegs feststeht.
Diese drei romane fallen in die zeit von 1150 — 1170. Ziemlich
allgemein wird der Trojaroman als der jüngste von den dreien
betrachtet, nach G. Paris gegen 1160 oder 1165, nach Gröber
1165 — 1170 verfasst. Ihm voraus geht der Eneasroman und
diesem wiederum der roman von Theben, dessen abfassung von
seinem herausgeber Leopold Constans zwischen 1150 — 1155 an-
gesetzt wird. Die werke Crestiens von Troyes, der noch in den
fünfziger jähren zu dichten beginnt, sind den antiken romanen
also höchstens gleichzeitig, meist sogar jünger als diese.
Gautier von Arras hinwiederum mit seinem in den abenteuer-
roman übergehenden Heraclius ist Zeitgenosse Crestiens.
Das wort romanz, unter welchem alle diese werke gehn,
bezeichnet gemäss seiner herkunft aus dem adverb romanice
zunächst ein werk in romanischer spräche, im gegensatz
zur lateinischen (de latin en romanz metre), dann besonders
erzählende versdichtungen unterhaltender art, aber auch
Chroniken u. ä. Erst mit dem Übergang dieser erzählungen in
prosaform (romans en prosc), seit beginn des 13. Jahrhunderts,
bekommt das wort allmählich seine moderne bedeutung.
Vgl. im allgemeinen G.Paris, Lit. § 43 if., Leopold Constans in
Petit de Jve. I, 1 7 1 ff., Suchier passim, Gröber s. 578 ff. Ferner
Arturo Graf, Roma nel medio evo e nelle immaginazioni del medio
evo, Turin 1882, 2 bde. Rob. Dernedde, Über die den altfranz.
1. Alexanderepen: Quellen und älteste Bearbeitungen. 269
Dichtern bekannten Stufte des klass. Altertums, Erlangen 1887, dazu
auch Biroh- Hirschfeld (s. oben s. 191) s. 6 IV. Maurice Wilmotte,
L'cvolution du roman fran^ais aux environs de 1150, P. 1903.
E,. Langlois, Chronologie des romans de Thebes, d'Enöas et de
Troie, Bibl. Eo. Ch. 66 (1905) 107 ff. — Zur entstehungsgeschichte
des wortes roman siehe G. Paris, Koni. I, 1 ff, P. Voelker, Die
Bedeutungsentw. des Wortes Roman, Diss. IIa. 1887 (auch ZrP 10,
485 ff), Ed. Schwan, Preuss. Jahrbücher 77 (1892) 309 ff.
1. Alexanderepen.
A. Quellen der abendländischen Alexander -
dichtungen. Die im hellenistischen Orient ausgebildete
Alexandersage wurde etwa im 1. Jahrhundert n. Chr. — nach
neueren erst im 3. Jahrhundert — in Ägypten, vielleicht in
Alexandrien, zu einer phantastisch ausgeschmückten lebens-
beschreibung Alexanders verarbeitet, deren Verfasser sich für
Kallisthenes, den begleiter und historiker Alexanders des
Grossen, ausgab (sogenannter Pseudo- Kallisthenes). Dieses
griechische werk gelangte in zwei lateinischen bearbeitungen
nach dem abendlande: in der im 10. Jahrhundert zu Neapel
von dem arehypresbyter Leo verfassten Historia (Alexandra
magni) de proeliis und in den — schon in der ersten hälfte
des 4. Jahrhunderts entstandenen — lies gestae Alexandra
Macedonis des Julius Valerius, dessen bearbeitung vor allem
durch einen im 9. Jahrhundert daraus gemachten auszug, die
sogenannte Epitome Julii Valerii, Verbreitung fand und in
erster linie den französischen Alexanderdichtungen zugrunde
liegt. Daneben kommt noch das im 4. Jahrhundert entstandene
Alexandri Magni iter ad Paradisum, sowie angebliche briefe
Alexanders, namentlich der (auch bei Julius Valerius mit-
geteilte) brief an Aristoteles über die wunder Indiens, in
betracht.
B. Alberichs Alexander dichtung. Die älteste
abendländische bearbeitung der Alexandersage (ende des 11.
oder anfang des 12. Jahrhunderts) ist im nordosten des proven-
zalischen Sprachgebietes entstanden: das von Paul Heyse in
einer Florentiner handschrift entdeckte Alexanderfragment eines
270 VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Roman.
geistlichen Verfassers, der vom pfaffen Lamprecht in seinem
Alexanderlied als quelle zitiert und als Alberich oder Eiberich
von BesanQon (Bisenzftn) bezeichnet wird, seiner spräche nach
aber nach der Dauphine — vielleicht Pisanron oder Briaucon —
gehurt (daher in der regel der provenzalischen literatur, von
»Suchier der francoprovenzalischen zugerechnet). Seine quelle
ist in der hauptsache die Epitome J. Valerii. Erhalten sind
uns nur 106 verse in achtsilbnerlaissen (vgl. Gormont), in
welchen der dichter sichtlich nach möglichst gleichlangen
tiraden strebt (unter 15 tiraden 8 zu 6 und 5 zu 8 versen) und
sich zumeist des reinen reims bedient. Er leitet seine dar-
stellung mit Salomons 'est vanitatum vanitas et universa vanitas'
ein und erzählt von Alexanders herkunft, geburt (wobei er in
anlehnung an die geschichtliche darstellung des Orosius gegen
Alexanders angebliche abstammung von einem encantatour
protestiert), von seinem achtung gebietenden äusseren und
dem Unterricht, den er durch fünf lehrer in lesen, schreiben,
sprachen, fechten, saitenspiel usw. erhalten. — Hier endet das
fragment. Nur teilweisen ersatz für das fehlende bietet die
französische zehnsilbnerredaktion und das — späterhin der
Historia de proelüs folgende — deutsche Alexandergedicht.
C. Die französische Zehnsilbnerredaktion. Alberichs
gedieht wurde im 12. Jahrhundert von einem französischen
dichter — vermutlieh im Poitou — in zehnsilbnerlaissen um-
gearbeitet, von denen uns 77 zu je 10 versen erhalten sind.
Die darstellung reicht hier bis zum krieg Alexanders gegen
Nicolas von Cäsarea. P. Meyer rechnet dies fragment stilistisch
unter die besten werke des mittelalters.
D. Der grosse Alexanderroman in Zwölfsilbnern.
(Lambert le Tort und Alexandre von Bernai). Ihre Vollendung
und weiteste Verbreitung fand die Alexandersage erst durch
eine von mehreren Verfassern herrührende dichtung in 20000
zwölfsilbnern, welche diesem vers den späteren namen vers
alexandrin verschafft hat (vgl. oben s. 32). Die dichtung
entstand zunächst als fortsetzung zu der poitevinischen zehn-
silbnerredaktion, doch wurde später auch diese dem ganzen
angepasst und in zwölfsilbner umgearbeitet.
Inhaltlich lässt sich das epos in vier teile oder branchen
teilen. Der erste (Michelants ausgäbe 8. 1 — 92) erzählt
1. Alexanderepen: Gedicht in Zwöltsilbnem. 271
Alexanders geburt und jugend, die Zähmung des Bucephalus,
seine erste waffentat gegen Nicolas von Cäsarea, welcher von
Alexanders Tater, künig Philipp, tribut fordert und dafür
land und leben verliert. Nachdem Alexander seinen vater
gezwungen, seine erste von ihm verstossene gattin Olympias
(Alexanders mutter) wieder als gattin anzunehmen, zieht er
auf eroberungen uach Asien. Der krieg gegen Darius enthält
viele abenteuerliche momente: die eroberung der schier un-
einnehmbaren feste La Roche; la merveille dcl tertrc, welcher
beim passieren den feigen mutig und den mutigen — auch
den Alexander selbst — feig macht; die Verleihung der Stadt
Tarsus an einen flötenspielkundigen Jongleur. Anderes wieder,
wie die breit geschilderte belagerung von Tyrus, weist auf
benutzung rein geschichtlicher quellen (Quintus Curtius u. a.).
— Die zweite branche (ausgäbe s. 93 — 231 oder 249)
behandelt ausführlich (in mehr als 5000 versen) den Faerre
de Gadres (die Fouragierung bei Gasa). Das von einem
gewissen Eustache verfasste gedieht basiert im wesentlichen
auf rein dichterischer erfindung, begegnet in den handschriften
auch öfter isoliert und hat ursprünglich jedenfalls ein selb-
ständiges ganze gebildet, ehe es der grossen dichtung durch
den letzten bearbeiter einverleibt wurde. Diesem redaktor
gehören wol auch die unmittelbar folgenden stücke, welche
zur dritten branche überleiten und den entscheiduugskampf mit
Darius berichten. — Der dritte teil (ausgäbe s. 249 — 505),
älter als die übrigen und kenntlich durch einen neuen anhub
(Or entendes, siynor, que cest estore dist: — De Daire le
Persant Ar 'Alixandres conquist, — De Porus le roi d'Inde . . .)
stammt von Lambert le Tort und ist von diesem ursprünglich
als fortsetzung zu der alten zehnsilbnerredaktion gedichtet.
Im anschluss an Epitome, Iter ad Paradisum und Alexanders
brief an Aristoteles erzählt der Verfasser die ermordung des
Darius, Alexanders räche an den mördern und dessen weitere
erlebnisse: wie er in einer gläsernen tonne auf den meeres-
grund hinabtaucht, das Wunderland Indien durchzieht, den
Porus besiegt, von diesem zu den Säulen des Herkules geführt
wird, den herzog von Palatine für die entführung der königin
Candace bestraft, die Alexander ihre liebe weiht, wie er mit
einem von greifen bewegten luftschiff in die lüfte emporsteigt,
272 VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Roman.
Babylon erobert und einen friedlichen sieg über die Amazonen
gewinnt. Zum schluss wird ein komplot von Antipater und
Divinuspater eingeleitet. Den tod Alexanders selbst hüben
wir in Lamberts fassung nicht mehr. — Die vierte blanche
berichtet ausführlich Alexanders tod: durch vorbedeutende
zeichen gewarnt, sucht er sich vergeblich gegen Vergiftung
zu sichern, sterbend verteilt er sein reich an seine zwölf pers,
deren jeder dem toten herrscher eine totenklage widmet.
Der Verfasser der ersten und vierten branche und der
überleitenden stücke, sowie der redaktor und Überarbeiter des
ganzen ist Alexandre aus Bernai, genannt Alexandre de
Paris, welcher neben der Epitome auch die Historia de proeliis
sowie die geschiehtswerke von Quintus Curtius und Josephus
benutzt und das werk vor 1177 abgeschlossen hat. Wie sich
zu ihm der in einigen handschriften gleichfalls als Verfasser
des Schlussteils genannte Pierre von St. Cloud verhält, ist nicht
ganz klar.
Es sind somit sehr verschiedene dichter an dem gesamt-
werk beteiligt gewesen, das auch nach inhalt und darstellung
keinen einheitlichen charakter trägt. Der einleitende teil und
die Schilderungen von krieg und kämpf sind ganz im stil
der chansons de geste gehalten: ein traumbild weissagt dem
jugendlichen Alexander die eroberung der weit und frühen
tod; die tributforderung des königs Nicolas erinnert an manche
ähnliche szene in den chansons de geste; vor dem kämpf
wählt sich Alexander unter den beiden seine pers aus. Die
phantastischen demente, welche allerdings zum grössten teil
den lateinischen quellen entstammen und der dichtung ein
stark romanhaftes gepräge verleihen, gehören meist dem
dritten teil, der Indienfahrt: hier erscheinen die sirenen
{femmes aquatiques), die wunderbaren Völker (mit hundeköpfen
oder mit gespaltenem oberleib u. ä.), die drei zauberquellen
(von denen die eine tote wieder ins leben ruft, die zweite
Unsterblichkeit, die dritte neue Jugend verleiht), der wunder-
wald mit den blumenjungfraueu, die im frühling mit den
blumen aus der erde wachsen und im winter wieder in sie
zurückkehren. Nicht zum mindesten diese märchenhaften und
romanhaften elemente haben der dichtung ihren grossen erfolg
verschafft.
1. Alexauderepen: Fortsetzungen. 273
E. Fortsetzungen. Unabhängig voneinander sind zwei
dichter «auf den gedanken gekommen zum tod Alexanders, die
sühne, die Vengeance Alexandre, zu sehreiben: einmal, gegen
1190, Gui von Cambrai welcher belagerung und bestrafung
der morder durch die zwölf pers Alexanders erzählt, und
dann, vielleicht um dieselbe zeit, Jean le Venelais (oder
le Nevelon), welcher nach Paul Meyer zwar erst hundert
jähre später gedichtet hat, aber seiner spräche wegen nicht
so tief hinabgeruckt werden kann. Hier erscheint als rächer
Alexanders der jugendliche Alior, welcher aus der Verbindung
Alexanders mit der königin Candace hervorgegangen ist. Das
13. Jahrhundert bringt erweiterungen der alten dichtung durch
interpolationen, wie namentlich durch die umfangreiche episode
(1500 verse) von dem feldzug Alexanders gegen herzog Melcis
in Chaldäa, das 14. Jahrhundert weitere ergänzungsdichtuugen
mit den Vceux du paon und ihren nachahmuugen. Weniger
im geiste der alten dichtung ist der bereits 1188 verfasste
Florimont des Aimon de Varennes gehalten, welcher hier
die erfundenen Schicksale von Alexanders grossvater erzählt,
sich die damals bereits vorhandenen höfischen romane zum
muster nimmt und dem entsprechend als form seiner dichtung
den paarweisen achtsilbner wählt.
Adolf Ausfeld, Der griechische Alexanderroman, nach des
Verf. Tode hgg. von W. Kroll, L. 1907. Pseudocallisthenes hersg.
von Meusel, L. 1871. Vgl. Julius Zacher, Psendokallistkenes,
Ha. 1871, und W. Kroll, Beilage zur (Münchener) Allg. Zeitung
1901, no. 24. — J. Valerii Epitome hersg. von J. Zacher, Ha. 1867,
vgl. Cillie, De J. Valerii Epitoma Oxoniensi, Diss. Str. 1905. Historia
de praeliis hersg. von Landgraf, Erlangen 1885. Abseits steht die
neuentdeckte 'Epitome rerum gestarnm Alexandri Magni' eines
anonymus, hersg. von 0. Wagner, L. 1900. Fr. Pfister, Kleine Texte
zur Alexandersage, Heid. (Vulg.-lat. Texte) 1911. — Paul Meyer,
Alexandre le Grand dans la litt. fr. du m. ä., 2 bde. (I textes, II histoire
de la legende), P. 1886 (Bibl. fr. IV u. V). Derselbe, Rom. 11 (1882)
213 ff. — Das älteste Alexanderfragment bei Monaci (Facsimili),
Bartsch, Meyer, Stengel u. a., mit weiterer bibliographie im Afr.
Übungsbuch von Foerster u. Koschwitz 4 237 ff., vgl. K. Kinzel,
Lamprechts Alexander, IIa. 1884. — Li Romans d'Alixandre
hersg. von H. Michelant, Stuttgart 1846 (Bibl. Lit. Ver. 13). Die
'Alexandriade p. p. F. Le Court de la Villethassetz et Eng. Talbot',
Dinan u. Paris 1861, ist eine willkürliche Zusammenstellung und
zustutzung der überlieferten texte für ein weiteres publikum. —
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. J§
274 VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Roman.
Über eine in England noch im 12. jh. entstandene franz. Alexander-
dichtung, Roman de toute chevalerie von Eustache (Thomas) von
Kent, mit benutzung lat. n. franz. vorlagen (u. a. auch des Fucnc
de Gadres) siehe P. Meyer 2, 273 ff.; IL Schneegans, ZfSL 30 (1906)
240 ff., 31 (1907) lff.; A. Bauer, Die Sprache des F. d. G. im
Al.-roman des E. v. K., Progr. Freising 1907; Joh. Weynand, Der
R. d. t. eh. des Thomas v. Kent u. s. Quellen, Diss. Bonn 1911. Auf
dieser anglonorm. dichtung beruhen die engl. Alexanderdichtungen. —
Eine (nicht im handel befindliche) ausgäbe der Vengeance AI. von
Jehan le Venelais gab Schultz -Gora 1902. Vgl. noch K. Sachrow,
Ü. d. Veng. d'Al. von Jean le Venelais, Diss. IIa. 1902. E. Walberg,
Rom. 32 (1903) 150 ff. — Über Florimont zuletzt Risop im Toblerband
s. 430 ff., über die fortsetzungen des Alexanderromans P. Meyer, A. 1. G.
2. Thebenroman.
A. Allgemeines. Gegenüber den Alexanderepen zeigt
der Roman de Thebes nicht mehr die form der chansons de
geste, sondern den paarweis gereimten achtsilbner, der bisher
vor allem in der geistlichen und didaktischen dichtung zu
finden war und künftig die charakteristische dichtform des
höfischen romans bildet. Der Wechsel der form ist zunächst
im wesentlichen äusserlicher art, nach iuhalt und tendenz
zeigt der Thebenroman keine prinzipiellen unterschiede gegen-
über den Alexanderdichtungen. Es sind im wesentlichen
kämpfe und kampfszenen, welche uns hier geschildert werden,
z. t. mit ähnlichen formein wie in den chansons de geste.
Zwar spielen die frauen, wie übrigens gelegentlich auch im
Alexander, an verschiedenen stellen eine rolle, und der schmerz
der Jocaste nach entdeckung der furchtbaren Wahrheit ebenso
wie die trauer der hinterblie heuen frauen und mädchen von
Argos nach dem Untergang des argivischen heeres vor Theben
wird eingehend und anschaulich geschildert. Aber die Stellung
des mannes zur frau ist von der auffassung der chansons de
geste nicht wesentlich verschieden, und der dichter hat auf
die Schilderung der liebe und ihrer entwicklung im herzen
der liebenden keinen grossen wert gelegt. So geht die
eheschliessung zwischen Jocaste und dem mörder ihres galten
sehr kurz und formelhaft, beinahe geschäftsmässig vor sich,
ebenso nachher die Verlobung der beiden — vom dichter ihrem
2. Thebenroman. 275
äusseren nach mit Bichtlichem wolbehagen geschilderten —
töchter Adrasts mit Polyniees und Tydeus.
B. Inhalt. Der 'Koman' erzählt die geschichte Thebens
vtni Ödipus — hier Edipus oder Edipodes genannt — bis
zum ende des zugs der sieben gegen Theben im wesentlichen
im anschluss an die antiken Überlieferungen: zuerst geburt
und anssetznng des Ödipus, seine erziehnng bei Polybus von
Korinth, seinen mord an Laius, die besiegung des Spin
(Sphynx), seine ehe mit Joeaste (die hier wissentlieh den
mörder des gatten heiratet), die entdeekung des freveis und
seine sühne durch Ödipus, welcher sieh selbst blendet. Das
pietätlose benehmen seiner söhne gegen ihn entreisst ihm den
väterlichen flnch, der zwist der brüder führt den zug der
sieben gegen Theben herbei, welcher den hauptteil des gedichts
— rund 9000 verse gegenüber den 1000 versen der Vor-
geschichte — einnimmt. Dem krieg voraus geht die — an
ähnliche szenen der chansons de geste erinnernde — botschaft
des Tydeus nach Theben und sein kämpf gegen einen hinterhalt
von fünfzig mann, auch auf dem zug nach Theben fehlt es
nicht an episoden: das durst leidende heer wird von der
Jungfrau Isiphile (= Hypsiphyle) zu einer quelle geführt,
wobei aber das ihrer hut anvertraute kind des köuigs Ligurge
(Lykurgos) von einer schlänge getötet wird, welche die
griechischen beiden nur mit mühe überwältigen; darauf wird
das sehloss Monflor mit einer kriegslist eingenommen. Die
eigentliche belngerung Thebens spielt sich in fünf grossen
schlachten ab, die z. t. durch episoden unterbrochen werden.
In der letzten schlacht töten sieh Ethiocles und Polinices
gegenseitig, von dem argivischen heer bleiben nur könig
Adrastus, Capaneüs und ein ritter übrig, der die botschaft
davon nach Argos bringt. Die töchter des Adrastus machen
sich mit einer grossen zahl argivischer frauen auf den weg
und nehmen hervorragenden anteil an der eroberung Thebens,
welche der herzog von Athen, von Adrastus um hüte angerufen,
ins werk setzt. Die toten werden begraben, die trauernden
frauen kehren nach Argos zurück. Der dichter schliesst mit
der mahnung: Por co vos di: „Prenez en eure, — Par clreit
errez et par mesure; — Ne faciez rien contre nature, — Que
ne vengiez {= vegniez) a fin si dure".
18*
276 VIII. Kapitel. Vom antiken Kpus zum Roman.
C. Verhältnis zur Quelle und Verfasser. Da9
gedieht zeigt in seinem hauptteil auffällige Übereinstimmungen
mit der Thebais des P. Papinius Statius (ca. 40 — 96 n. Chr.),
welcher hier nach dem muster von Vergils Aeneis den zug
der sieben gegen Theben unter zahlreichen zutaten eigener
erfindung in zwölf büchern besungen hat. Nach ansieht des
herausgebers, L. Constans, hatte aber der Verfasser des
R. d. Th. nicht das gedieht des Statius selbst, sondern einen
durch die Odipussage bereicherten auszug vor sich. Episoden,
wie die belagerung von Monflor, Hippomedons fouragierungs-
zug ins Donautal und der verrat des Thebaners Daire des
Roten hat der französische Verfasser selbständig hinzugefügt.
Dagegen beseitigt er nach möglichkeit die antike mythologie
— das die handlung vielfach bestimmende orakel Apollos zu
Delphi niuss er freilich bestehen lassen — und stellt die
handelnden wesentlich im gewand und im geist seiner eigenen
zeit dar.
Der name des seinen stoff so selbständig formenden
Verfassers ist nicht bekannt. Dass er mit dem Verfasser
des Trojaromans, Beneeit de Sainte-More, identisch sei, ist
unbewiesen und unbeweisbar. Der spräche nach gehört er in
das gebiet südlich der Loire, etwa in die gegend des Poitou.
Die abfassungszeit fällt in die jähre 1150 — 1155. Er eröffnet
die reihe der antiken romane im eigentlichen sinne des Wortes
und verschafft der Thebanersage eine weitgehende bekannt-
schaft, welche sich durch die zahlreichen anspieluugen in
anderen diehtungen dokumentiert.
Ausgabe von L. Constans, Le Roman de Thebes, 2 bde.,
P. 1890 (Soc. d. anc. i). — Vgl. L. Constans, La legende d'CEdipe,
P. 1881. G. Otto, Der Einfluss des Roman de Thebes auf die afr.
Literatur, Diss. Göttingen 1909. — Schon im ersten drittel des
13. Jahrhunderts entstand die erste prosabearbeitung, welcher bald
weitere folgten. Durch prosaromane wurde das werk auch der
italienischen und englischen literatur vermittelt: s. Constans i. d.
einleitung zur ausgäbe, dazu für Italien P. Savj -Lopez, Storie
Tebane in Italia, testi inecliti illustrati, Bergamo 1905.
3. Eneasromau. 27V
3. Eneasronian.
A. Allgemeines. Einen bedeutenden schritt vorwärts
führt uns der Verfasser des Eneasromans, welcher zwar auch
ausführliche beschreibungen von kämpfen und sehlachten gibt,
daneben aber den frauen und der liebe eine weit wichtigere
rolle zuweist als der Thebenroman. Auf der einen seite wird
die unglückliche liebe der Dido im anschluss an Vergils Aeneis,
auf der andern seite die liebe der Lavinia, mehr selbständig
und schöpferisch, ausführlich dargestellt. Wie Lavinia vom
hohen türm herab Aeneas zum ersten male erblickt und sich
stracks auf sein äusseres hin in ihn verliebt, erinnert an
manche ähnliche szene der chansons de geste, wro namentlich
die Sarrazenenprinzessinnen mit rascher leidenschaft und
skrupellosem entgegenkommen einen ganz ähnlichen typus
vertreten. Voraus aber geht hier eine lange Unterhaltung über
das wresen der liebe zwischen Lavinia und ihrer mutter, l) und
hunderte von versen sind im folgenden dem entstehen ihrer
liebe, der Verteidigung dieser gegenüber der mutter, den
ersten annäherungsversuchen an den geliebten — durch einen
vermittelst eines pfeilschusses beförderten liebesbrief — ge-
widmet. Zwar begegnet uns in der Schilderung dieser liebe
noch mancher naive oder gar rohe zug, aber das romanhafte
element hält dem heroischen hier bereits die wage oder
') Die mutter meiut, die erfahruug werde Lavinia schon lehren, was
liebe sei, aber Lavinia verlangt eine theoretische erklärung, die ihr
schliesslich auch zu teil wird (v. 7019 ff.) :
„Pire est amors que fievre agüe, Tels est amors et sa nature.
N'est pas retors quant Ten en sue. Se tu i vuels metre ta eure,
D'amor estuet sovent suer »Suvent t*estovra endurer
Et refreidir, fremir, trenbler Ce que tu m'oz ci aconter
Et sospirer et baaillier, i Et asez plus." — „N'en ai que
Et perdre tot, beivre et mangier, faire." —
Et degeter et tressailir, j „Por qnel?" — „Ne puis neient
Muer color et espasmir, mal traire." —
Giendre, plaindre, palir, penser ,.C'ist mala est buens, nel'eschiver!" —
Et senglotir, veillier, plorer: „One de buen mal n'o'i parier." —
Ce li estuet faire sovent „Amors n'est pas de tel nature
Ki bien aime et ki s'en sent. Com altre mals." . . .
278 VIII. Kapitel. Vom autiken Epos zum Roman.
überwiegt es gar schon. Ob wir freilieb den Verfasser den
vater des höfischen romaus in Frankreich nennen dürfen, lässt
sich nicht mit Sicherheit sagen: die priorität des Eneas
gegenüber Beneeits Trojaroman ist nicht unbestritten, wenn
auch recht wahrscheinlich; das zeitliche Verhältnis zu Crestiens
romanen bleibt zweifelhaft, und selbst mit verloren gegangenen
dichtungen müssen wir rechnen. Meist aber setzt man den
Eneas gegen 1160, den Trojaroman etwa 1165 an, und Crestiens
Erec, das älteste von seinen erhalten gebliebenen werken,
enthält unzweifelhaft anspielungen auf den Eneasroman.
B. Inhalt und Quelle. Der inhalt des romans ist im
wesentlichen durch die vorläge, die Aeneis des Vergil, gegeben,
welcher der dichter in der hauptsache und in vielen einzel-
heiten getreu folgt, so dass sich eine fortlaufende Vergleichs-
tabelle zwischen beiden dichtungen aufstellen lässt. Einen teil
von des Eneas erzählung in Vergils II. buch verwendet der
französische dichter für die einleitung, die mit der belagerung
uud einnähme Trojas und der flucht des Eneas beginnt, zur
erklärung von Junos feindschaft gegen die Troer das urteil
des Paris einfügt und dann den seesturm anschliesst, mit dem
die handlung bei Vergil anfäugt. Die heidnische mythologie
hat der französische dichter eingeschränkt, aber keineswegs
so durchgehend zu beseitigen versucht wie der Verfasser des
Thebenromans: Juno als tätig eingreifende feindin des beiden,
Venus als seine mutter bleibt bewahrt, ebenso die beschreibung
der unterweit mit Cbaron, Lethestrom und Cerberus. Aus
anderen quellen (Bestiarien, Thebenroman u. a) hat er die
erzählungen von wunderbaren tieren, sowie die ausführlichen
und anschaulichen beschreibungen von grabmälern, zelten,
palästen u. a, m. entnommen, aus Ovid seine liebestheorie und
manchen einzelzug in der Schilderung der liebesepisoden. In
dieser art der darstellung zeigt er viel ähnlichkeit mit dem
Trojaroman, mit dessen Verfasser er jedoch nicht identisch ist.
Er gehört wie der autor des Thebenromans nach dem westen
des französischen Sprachgebietes, ist aber hier mehr nördlich,
etwa in der Normaudie, zu lokalisieren. Seinen vers handhabt
er mit grosser leichtigkeit, und namentlich versteht er es
den dialog durch kurze, rasch aufeinanderfolgende rede und
gegen rede zu beleben. Das ganze gedieht zählt, wie der
3. Eneasrouiau. — 4. Beneeits Trojaroman. 279
Thebenroman, etwas Über 10000 verse, wovon nicht ganz der
vierte teil den sechs ersten, der grosse rest den sechs letzten
biichern der Aeueis entspricht.
Ausgabe von J. Salverda de Grave, Eneas (Bibl. Norm. IV),
Ha. 1891. VgL dazu Tobler LgrP 1892, 85 ff., und G.Paris, Korn.
21 (1892), 281 ff. — K. 0. Rottig, Die Verfasserfrage des Eneas
und des Roman de Thebes, Diss. Ha. 1892. Alfr. Dressler, Der
Einfluss des afr. Eneas -Romans auf die afr. Literatur, Diss. Göttingen
1907. Ed. Faral, Ovide et quelques autres sources du R. d'E.,
Rom. 40 (1911) 161 ff, dazu Rom. 41, lOOff
Auch der Eneas wurde zum prosaromau umgearbeitet, der
seinerseits wieder die quelle italienischer und englischer be-
arbeitungen ward. Eine bearbeitung des alten gedichts ist die
Erleide Heinrichs von Veldeke, welcher damit den höfischen roman
in die deutsche literatur einführt (der erste teil vor 1 174, der zweite
zwischen 1184 und 1190 entstanden). Heinrich hat nicht sklavisch
übersetzt, hat gelegentlich auch die lat. Urquelle zu rate gezogen.
Ausgabe von Behaghel 1882; über des dichters spräche siehe Carl
Kraus, H. v. V. u. d. mhd. Dichtersprache, Ha. 1899, Prager Deutsche
Studien VIII, 1, s. 211 ff. (1908).
Vergil war im mittelalter sonst mehr als grosser zauberer
denn als dichter bekannt und populär. Vgl. Comparetti, Virgilio
nel medio evo, Livorno 1872, 21896.
4. Beneeits Trojaroman.
A. Die Trojasage im Mittelalter. Weitaus den
grössten erfolg von allen bearbeitern antiker epenstoffe erzielte
Beneeit von Sainte-More mit seinem Roman de Troic, der mit
seinen 30000 versen weit umfangreicher als alle vorhergehenden
romane ist und den geschmack der höfischen gesellschaft seiner
zeit um so besser getroffen hat, je weiter er sich von dem
antiken vorbild entfernt. Während der Eneasroman direkt
auf Vergil zurückgeht, hat Benoit ebenso wie das mittelalter
überhaupt Homers dichtungen nicht gekannt, sondern seine
kenntnis aus zwei späten lateinischen prosabearbeitungen der
Ilias geschöpft: in erster lißie aus der kürzeren, schlecht
erzählten Historia de excidio Trojae des Phrygiers Dares
(mitte des 6. jahrh. n. Chr.) und dann, gegen schluss des
gedichts, aus der weit ausführlicheren und stilistisch gewanteren
Ephemcris belli Trojani des Kreters Dictys (4. Jahrhundert).
280 VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Roman.
Beide Verfasser geben sich als teilnehmer und augenzeugen
des trojanischen krieges aus, der erste auf troischer, der zweite
auf griechischer seite. Die annähme griechischer originale ist
nunmehr wenigstens für den Dictys durch auffindung eines
griechischen bruchstückes in einer papyrusbandschrift (250 n. Cbr.)
bestätigt worden. Die Historia des Dares ist sichtlich aus
einer ausführlicheren darstellung gekürzt. Beide autoren haben
dem christlichen dichter vorgearbeitet, indem sie die homerische
göttermaschinerie beseitigt haben. Ibre autorität das ganze
mittelalter hindurch war so gross, dass Homer daneben als
unzuverlässiger berichterstatter, wenn nicht gar (wie bei Guido
de Columna) als falscher erschien. So sagt Beneeit selbst von
Homer (v. 45 ff.): Omers, qui fu clers merveiUos — E sage.s
e escientos, — Escrist de la destruct'ion, — Del grant siege e
de Vacheison, — Por quel Troie fu desertee, — Que onc puis
ne fu rabitee. — Mais ne dist pas ses livres veir, — Quar
bien savons senz nul espeir — Qu'ü ne fu puis de cent ans
nez — Que li granz oz fu assemblez : — N'est mervcille s'il
i faillit, — Quar onc n'i fu ne rien n'en vit.
Die sogenannte fränkische Trojanersage ist keine sage in
eigentlichem sinn, keine volkssage, sondern eine gelehrte,
z. t. auf starken missverständnissen der quellen beruhende
fabelei des Chronisten Fredegar (7. Jahrhundert, vgl. s. 81),
der zufolge der Trojaner Fraucio von den aus Troja ver-
triebenen zum anführer auf ihren Irrfahrten gewählt wurde
und sie nach Europa führte; spätere auslegung machte ihn zu
einem direkten nachkommen des Priamus. Diese kunstsage
von der abstammung der Franken von den Trojanern hatte
während des ganzen mittelalters kurs und begegnet noch im
16. Jahrhundert bei Jean Lemaire de Beiges und Ronsard.
Hierzu stimmt es auch, dass Beneeit lieber dem Phrygier
Dares als dem Griechen Dictys folgt und diesen erst da
benutzt, wo ihn jener im stich lässt.
B. Beneeits Werk. Ausser Dares und Dictys bat Beneeit
für einzelheiten auch noch andere quellen benutzt: so eine
Weltbeschreibung des Aethicus, eine erzählung der Argonauten-
sage, die im überlieferten Dares sehr kurz, im Dictys garnicht
behandelt wird, u. a. m. Unter berufung auf Salomo leitet er
sein werk mit der motivierung ein, dass man sein wissen
4. Beueeits Trojaroman. 281
amiern zu nutz und fromm mitteilen müsse: Salcmon nos
( nseigne e dit, — E sil list om en son escrit, — Que nus ne
deit so)i seh celer, — Ainz le deit om si demostrer — Que
Vom i ait pro e honor, — Qu'ensi firent li ancessor. Darum
will er die geschiente von Troja aus dem latein en romane
übertragen, aber nicht nach Homer (vgl. oben), sondern nach
Daircs, ohne viel hinzuzusetzen, ausgenommen hie und da ein
hon dit, oder zu ändern: Le latin sivrai e la letre, — Nule autre
nt ii )ii voudrai metre — S'ensi non com jol trais escrit. —
Nt di )>ii e qu'aucun bau dit — iVV niete, sc faire le sai, —
Jinis la matire en ensivrai. Immerhin muss Beneeit, auch wenn
wir mit Körting und Coustans einen ausführlicheren Dares als
quelle aunehmeu, im einzelnen manches hon mot hinzugefügt
haben, um auf den alle bisherigen französischen dichtungen
übertreffenden umfang seines Werkes zu kommen.
Die erzählung selbst beginnt mit Jason und dem Argonauten-
zug, mit der ersten Zerstörung Trojas durch Jason und Hercules
und dem Wiederaufbau der Stadt durch Priamus. Dann folgen
die sühne- und racheversuche der Troer, der raub der Helena
durch Paris, die Sammlung und ausfahrt des Griechenheeres.
Die kämpfe vor Troja werden in den hauptpunkten im an-
schluss an die Überlieferung erzählt, im einzelnen sehr aus-
geführt und variiert. Mehr als zwanzig schlachten werden
geschildert, eingehend auch das eingreifen der Amazonenkönigin
Penthesilea. Auf die einnähme Trojas und die rückkehr der
Griechen folgen noch die Schicksale einzelner beiden, vor allem
des Odysseus Irrfahrten und sein tod durch Telegonus, seinen
söhn von der Circe, der tod Agamemnons, die geschichte des
Orestes, der Andromache und das ende des Pyrrhus. Episoden,
welche liebesgeschichten behandeln, werden mit besonderer
Vorliebe ausgesponnen : so die liebe zwischen Jason und Medea,
die liebe des Achilles zu Polyxena und vor allem die berühmt
gewordene liebesgeschichte von Tro'ilus und ßrisei'de. Mag
der Verfasser in einem ausführlicheren Dares auch etwas mehr
gefunden haben als der überlieferte text bietet, so hat er doch
zweifellos hier am reichlichsten von seiner eigenen phantasie
hinzugefügt. Die seelischen Vorgänge werden von ihm ein-
gehend geschildert, die wandelbare liebe der Briseide so gut
wie die befürchtungen und klagen der Andromache.
282 VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Roman.
Die Parteinahme des dichter» für die angeblichen troischen
vorfahren zeigt sich in seiner Vorliebe für Hector, der, obwol
schliesslich der Überlieferung gemäss von Achilles getötet, im
ganzen doch als der überlegene erscheint. Als tapferster der
Troer nach Hector gilt Troülus. Kämpfer und kämpfe werden
im geiste und im stil der zeit Beneeits dargestellt, wir befinden
uns mit der Schilderung durchaus im ritterlichen milieu des
12. Jahrhunderts. Von den beschreibungen macht Beneeit, wie
der dichter des Eneas, reichlichen gebrauch, so um den palast
des Priamus oder die Chambre de bialte zu schildern, qui valeit
une grant cite — Et plus reluist der et resplent — Quc la
lune clel firmament. Alles das, die reichen Schilderungen, die
darstellung der höfischen sitten, die psychologische auffassung
der liebe, hat im Zusammenhang mit dem nationalen interesse
für das Trojanervolk dem roman seine berühmtheit in Frank-
reich und über Frankreichs grenzen hinaus verschafft.
C. Textprobe. Als probe von Beneeits erzählungskunst
und vor allem von seiner auffassung antiker sage und antiker
art folgt hier die stelle, welche Paris' Unterhaltung mit der
beim fest der cythäreischen Venus geraubten Helena schildert
(ausgäbe Joly v. 46 17 ff., Constans 4637ff.):
4637 Paris e tnit si cumpaignon1) Fortment plorot, grant duel
Jurent la nuit a Tenedon. faiseit,
Dame Heleine faiseit senblant E dnrement se conplaigneit,
4640 Qu'el eiist duel e ire grant, Son seignor regretot fortment,
]) Beneeit schreibt im wesentlichen die mundart seiner heimat, der
westlichen Touraine, d. h. eine mundart, die dem schriftnormannischen sehr
nahe stand. So finden wir ei noch als ei (noch nicht oi) bewahrt (vgl. vei,
seit, feseit, aveir), im imperfectum der I. konjugation die endung ot oder
out {plorot, regretot usw.), als betontes weibliches pronomen el (ursprünglich
wol autevokalisches ele — el', auch anglonorm. häufig) u. a. Die deklination
ist schon ziemlich zerrüttet, akkusativ für nominativ häufig und umgekehrt.
— Der hier gegebene text auf grund des in Mailand befindlichen codex
Ambrosianns, dessen lesarten ich Hermann Snchier verdanke. Auch die
Orthographie ist, abgesehen von selbstverständlichen oder naheliegenden
korrekturen (amoent f. ameient, trennuug von u und v, ferai f. farai,
biaute f. biaultie usw.) beibehalten. Man vergleiche jetzt damit deu
kritischen text bei Constans I 239 — 46.
Vers 4642: hs. doucement.
4. Beneeits Trojaroman.
283
Ses frcres, sa fille e sa gent,
4645 E sa lignee e ses amis.
E sa contree e sou pats,
Son bei seignor et sa richece
E sa biaute e sa hautece.
Ne la poeit nus conforter,
4650 Quant les daines veeit plorcr,
Qui estelent o li ravies.
Mout amoent petit lur vies
Quant lor Beignora veeient pris, 4095
Anqtianz navrez, plusors ocis:
4655 Tor poi li euer ne lnr parteieut.
Ceus esgardoent e veeient,
Qui lur erent seignor e pere,
Oncle, nevou e tili e frere. 4700
Mais de leisir n'aveient tant
4660 Qu'a eus parlasseut tant ne ;
quant.
Les dames mistrent par esgart
Par sei, les humes autre part. 4705
Onques tels duels ne fn oiz
Ciim il faiseient, ne tels criz.
4665 Paris ne pnet plus endurer:
Heleine ala reconforter,
S'entente meteit ebaseun jor 4710
En li reconforter del plor.
Tot dreit a li en est vennz,
4670 Mais merveilles s'est iraseuz:
„Dame" fait il „ce que sera
Ne si fait duel qui soferra?
E ce ne faut ne jor ne nuit.
Cuidez que mout ne nos enuit?
4075 Dur euer avre.it e reneie
Qui vos ne feriez pitie.
Nulc riens qui vos ot plorer, 4720
Ne puet de joie remenbrer.
Avoi! Dames, confortez vos!
4680 Quar par la fei que je dei vos, !
Plus avreiz joie en cest pai's
E plus avreiz de vos plaisirs < 4725
Qae vos n'aviez es contrees
Dont l'on vos a §a amenees.
46S5 Cil se deiveut bien esmaier
Qui tenu sunt en chaitivier.
Vos n'i sereiz de riens tenues,
Ne a cels ne Bereis toluea
Qoi vns aiment ni que amez:
Quai to7, delivrea les avrez.
Celes qui lor seignors ont ci
Ne s'aucune i a sou ami,
Si l'avra tot quite e delivre:
En ceste terre porreiz vi vre
A grant joie e a grant baudor,
Ne vos iert faite desenor,
Tot porl'amormadame Heleine.
N'i soferreiz dolor ne peine,
Ele sole vos en guarra
Que ja torz faiz ne vos sera.
E au voleir de son plaisir
Ferai tote Troie obe'ir:
Cist regnes iert en sa baillie,
Bien en avra la seignorie.
Ja mar avront poor de rien
Cil a cui el voudra nuil bien.
Riches mananz les porra faire,
Ja nus ne Ten fera contraire.
A la plus povre qui ci est
Porra docer, se bon li est,
Plus en un jor c'onques n'en ot
Ne la plus riebe aveir ne pot.
Confortez vos, ne plorez inie."
Chascune donc merci li crie,
As piez li chieent les plusors,
Qu'il ait merci de lur seignors,
Qui sunt destreit e en l'i'ens.
„Toz en farai" fait il „vos biens
E le plaisir de la reine."
Ele parfundement l'encline:
„Sire" fait el „s'estre poüst,
Ja ne vousisse qu'ensi fust,
Mais quant ice vei e entent
Que il ne puet estre autrement,
Si nos convendra a Bofrir,
Peist o place, vostre plaisir.
Dex li doinst bien quil nos fera
E qui encor nos portera:
Vers 4659: hs. E de l.
4696 : Ja n. v. i. fait d. hs. -
— 4725: Sil hs.
- 4639: hs. quels.
4697 : En p. hs. -
- 4693: tot fehlt hs. —
4714: Ck. deles m. c. hs.
284
VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Roman.
Anmosne en porra grantaveir."
473(i „Dame" fait il „vostre voleir
Sera si faiz e aconpliz,
Come de vostre boche iert diz."
Parmi la main destre l'a prise,
Sor un feutre de porpre bise
4735 Sunt andui ale conseillier,
Si li comence a preier:
„Dame", ta.it il „ce sachiez bien,
Onques n'amai mais nule rien,
One mais ne soi que fu amer,
4740 One mais ne m'i voil atorner.
Or ai mon euer si en vos mis,
E si m'a vostre amors espris,
Que de tot sui aclins a vos:
Leiaus amis, leiaus espos
4745 Vos serai mais tote ma vie,
D'ice seiez seüre e fie.
Tote riens vos obeira,
E tote rieus vos servira.
Se vos ai de Grece amenee,
4750 Plus bele e plus riebe encontree
Verreiz assez en cest pa'is,
Ou toz iert faiz vostre plaisirs.
Tot ce voudrai que vos voudreiz,
E ce que vos comandereiz."
4755 „Sire" fait el „ne sai que dire,
Mais assez ai e duel e ire,
N'en puet aveir nule riens plus.
Car je vei bien, se je refus
Vostre plaisir, poi me vaudra.
47(»0 Por ce sai bien qu'il nfestovra,
Voille o ne voille, a consentir
Vostre buen e vostre plaisir,
Qaant desfendre ne me porreie.
De dreit neient m'escondireie,
47G5 Ne puis faire, ce peise a mei.
Se me portez heuor e fei,
Vos l'avrdz sauf lonc ma valor."
Donc ne se puet tenir de plor,
Mout l'a Paris reconfortee,
4770 E merveilles l'a henoree,
Mout la fist la nuit gent servir,
Ce puis bien dire sanz mentir.
Ausgabe von A. Joly, Benoit de Sainte More et le Komau de
Troie, 2 vols., P. 1870 — 71. Kritische ausgäbe von L. Constans:
Le K. d. Ti\, 6 vols. (I — IV Text, V Anmerkungen und Glossare,
VI Einleitung), P. 1904—12 (Sdat). — Die frage der identität des
Verfassers mit dem der Chronique des ducs de Normandie (oben s. 263)
ist bisher von den meisten bejaht worden (F. Settegast, 1876,
H. Stock, Rom. Stud. 3, 444 ff., G. Paris, Suchier, II. Richter, Die
Verbalformen bei B. d. Ste. M., Diss. Halle 1908), wird aber jetzt
von Constans entschieden verneint (s. bd. VI, 165 ff.). Die sprach-
lichen unterschiede sind jedoch nicht erheblich, mehr die lexikalischen,
doch bedingt hier der verschiedene gegenständ und zweck auch
Verschiedenheit der darstellung. So ist die frage auch jetzt noch
nicht völlig geklärt. Auch Constans' gründe zugunsten der Priorität
des Trojaromans gegenüber dem Eneas (bd. VI, 182 ff., vgl. oben
s. 268 f.) sind nicht durchschlagend.
Quellen: Dares und Dictys hersg. von F. Meister, L. 1872
und 1873 (Bibl. Tenbner). Tebtunis -Papyri, ed. Greenfell, Hunt
and Coodspeed, II (1907) s. 9. — Die älteren Untersuchungen von
Dunger, G. Körting, Greif u. a. über das quellenverhältnis s. bei
Constans VI, 192 ff. Vgl. besonders noch Nath. E. Griffin, Dares and
Dictys, Baltimore 1907, und O. Schissel von Fieschenberg, Dares-
Studien, Ha. 1908.
Vers 4735: S. a. il dui c. hs. — 4758: Se je desdi e j. r. hs.
4. Beneeits Trojaroman. 285
Bearbeitungen: Eine franz. prosabearbeitnng entstand gegen
mitte des 13. jahrhdts.. in den hss. vielfach als bestandteil der
kompilation Jlistoirc ancienne jusqu'ä C&sar begegnend. Zur weiteren
Bedeutung des R. d. Tr. vgl. 11. Witte, der Binflaas von Benoits
R. d. Tr. auf die al'r. Litteratur, Diss. Göttingon 1904. Eine, ein-
leitnng zu Benoits werk bilden die im 14. Jahrhundert von einem
Italiener in franz. spräche gedichteten Enfunces Hector (noch nicht
hevsg.). — Die älteste bearbeitung des franz. Trojaromans in fremder
spräche ist das Lief von Troye Herborts von Fritzlar (zw. 1190
und 1217), der nur in einzelheiten änderungen wagt, teils aus
dichterischem taktgefÜhl, teils aus nüchtern logischen evwägungen.
Während er im ganzen zu kürzen sucht, hat Konrad von Würz-
burg 1287 sein Buoch von Troye mit 40 000 versen unvollendet
hinterlassen, neben Benoit auch eine reihe lat. dichtungen (Ovids
Metamorphosen und Heroiden, des Statins Achilleis u. a.) benutzt.
Spätere deutsche Trojadichter beruhen grossenteils auf Konrad,
ziehen z. t. Guido de Columna (s. u.) oder Dares heran und ent-
stellen teilweise, wie z. b. der Pseudo -Wolfram von Eschenbach
(14. — 15. jahrh.), den Stoff in unglaublicher art. Vgl. zuletzt
G. Baesecke, Herbort von Fritzlar usw., ZdA 50 (1908) 3G6ff.,
R. Basler, Konrads von Würzburg Trojan. Krieg u. Benoits v. Ste. M.
R. d. Tr., Diss. B. 1911. — Eine ältere niederländische be-
arbeitung Beneeits durch Segher Dengotgraf (1. hälfte des
13. jahrhdts.) wurde nicht vollendet, aber von dessen nachfolger
Jacob von Maerlant zu seiner Historie van Troyen, um 1264,
benutzt. — Die englischen, altnordischen und spanischen
Trojaerzählungen benutzen teils Beneeit, teils Dares. Vgl. über
die spanischen Mussafia, Sitz.-Ber. d. Wien. Akad., Phil.-hist. Klasse
1871, bd. 69, s. 38 ff. — Italienische beavbeitungen sind mehrere
vorhanden: vgl. Mussafia, Sitz.-Ber. d. Wien. Akad. 1871, bd. 68,
Egidio Gorra, Test! inediti di storia Trojana, Turin 1887, P. Meyer,
Rom. 14 (1885) 77 ff., H. Morf, Rom. 21 (1892) 18ff., 24, 174 ff.,
Bertoni, Rom. 34 (1910) 570 ff, Constans VI, 335 ff. — Die erfolg-
reichste bearbeitung von Benoits vornan war abev die lat. Historia
destruetionis Trojae des Sizilianers Guido de Columna (letztes
drittel des 13. jahrhdts.), die ihrerseits wieder eine veihe von be-
arbeitungen in den Volkssprachen hervorrief. Vgl. Constans VI, 318 ff.
— Auch spätere franz. werke wie Jaques Milets mystere Destruction
de Troye (1450 — 1452) und Raoul Le Fevre's prosadarstellung
Becueil des Histoires de Troie (1464) fussen auf Guido.
Die allem anschein nach von Benoit erfundene, unter allen
umständen aber von ihm zuerst poetisch ausgestaltete liebes-
geschichte von Troilus und Brisei'de beginnt mit vers 13 261
und begleitet die haupthandlung in verschiedenen etappen bis zum
tod des Troilus (v. 21 397 ff). Priams söhn Troilus und die bei
den Troern befindliche tochter des priesters Calcas, Brisei'de, lieben
sich innig, als Brisei'de von ihrem vatev zuvückvevlangt und den
28G VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Koman.
Griechen ausgeliefert wird. Aber Molt sont li euer vain et muable :
einmal bei den Griechen lässt sich Briseide bald die huldigungen
des Diomedes gefallen und vergisst rasch den einstigen geliebten,
der noch immer sehnsüchtig ihrer gedenkt und schliesslich von
Achilles im kämpfe getötet wird. Boccaccio hat die episode in
der hauptsache nach Beuoit, in einzelheiten nach Guido, zur dar-
stellung seiner eigenen liebesgeschichte im Filostrato benutzt (hier-
über Savj -Lopez, Rom. 27, 442 ff.), welcher der französischen literatur
ende des 14. Jahrhunderts durch die Übersetzung Pierres de Beauvau
als prosaroman zugeführt wird. Endlich geht durch Cliaucers Ver-
mittlung auch Shakespeares Troilus and Cressida auf Boccaccios
gedieht zurück.
Über die sog. fränkische Trojanersage vgl. Heeger, Über
die Trojanersagen der Franken und Normannen, Progr., Landau
1891. G. Kurth, Hist. poet. des Merovingiens s. 505 ff. Dilke, Die
fränkischen Trojanersagen, Progr., Wandsbeck 1896.
5. Der Heraclius Gautiers von Arras.
Vom klassischen altertum zur byzantinischen kaiserzeit ist
nur ein schritt, und so folgt auf Hector, Aeneas und Alexander
den Grossen das leben des kaisers Heraclius von Byzanz, der
610 durch eine erhebung gegen Phokas auf den thron kam
und 628 einen grossen sieg über die Perser unter Chosru II.
errang. Von den abendländischen Chronisten weiss schon
Fredegar viel von ihm zu erzählen (IV, 63— 66): wie er im
Perserkrieg Cosdroes zum Zweikampf herausfordert und den
ihm entgegentretenden falschen Cosdroes mit list besiegt und
tötet, wie er ganz Persien erobert und in einem weiteren krieg
gegen die Sarrazenen elendiglich umkommt. Die historischen
demente spiegeln sich deutlich in dem ihm gewidmeten fran-
zösischen roman, sie sind hier aber verziert und überwuchert
durch zahlreiche phantastische demente, welche sich wol schon
im Orient an die person des Heraclius gehäugt hatten. Ein
griechischer oder lateinischer Heracliusromau ist uns jedoch
nicht überliefert, die eigentliche quelle des französischen
gedichts also nicht bekannt.
Der Verfasser, Gautier von Arras, will mit diesem traitie
alle seine früheren (uns unbekannten) werke übertreffen, um
5. Der Ileraclius (iautiers von Arras. 287
des tapferen, freigebigen und höfischen fürsten willen, dem
zuliebe er das werk unternommen: gemeint ist Tiebaut V.
von Blois (1152 — 1191), der gemabl der Alix. der tochter
Ludwigs VII. und der Eleonore von Poitiers (vgl. oben s. 43).
Da ausserdem auch noch Tiebants Schwägerin, die gräfin Marie
von Champagne, erwähnt wird, muss der Heraclius nach 1164,
nach der vereheliehung Mariens mit Heinrich I. von Champagne,
vermutlich bald darauf, entstanden sein. Die diclitung beginnt
ähnlich wie das Alexiusleben: der Senator Miriados (Meriadoc)
in Rom lebt mit seiner gattin Cassine in glücklicher, aber
kinderloser ehe, bis ihnen nach sieben jähren durch die gnade
des himmels ein söhn bescheert wird, den sie Dieudonne*
nennen, der aber in der taufe den namen Eracle bekommt.
Vom himmel wird ihm die gäbe verliehen: Qu'il iert de fernes
conissiere — Et quanque vaut chevaus et piere — Savra.
Nach des vaters tod verkauft ihn die mutter mit seinem ein-
verständnis für 1000 byzantiuermünzen an den seneschall, um
von dem erlös den armen woltun zu können und dadurch der
seele des verstorbenen einen platz im paradies zu verschaffen.
Am hofe des kaisers zu Rom bewährt Eracle seine gaben : er
findet unter allen zum verkauf gebrachten steinen den wert-
vollsten heraus, der gegen wasser, feuer und waffen schützt,
und lässt die kraft an sich uud schliesslich auch an dem
kaisei erproben. Aber erst nachdem er diesem auch noch
seine fähigkeit in der kenntnis der pferde bewiesen, darf er
ihm eine frau mit aussuchen helfen: Car ferne prendre est
mout granz chose: — Cil prent Vortie et eil le rose; — Ale
foiz icil qui pis vaut — Prent le milleur, et li buens faut.
Eracle zeigt sich auch hier als meister, in dem er dem kaiser
La'is (dessen name erst hier genannt wird) die ebenso schöne
als tugendreiche Athenais erwählt. Diese, sichtlich auf indisch-
orientalischen motiven beruhende erzählung bildet gewisser-
massen die exposition (v. 1 — 2758). Huimais comencera li
eontes, sagt der dichter selbst, um den zweiten teil einzuleiten:
den ausbruch des krieges, des kaisers ungerechtfertigtes miss-
trauen gegen die treue der kaiserin und den gerade dadurch
erst hervorgerufenen liebeshandel zwischen ihr und Parides,
der mit dem verzieht des kaisers und der dadurch bewirkten
Vereinigung der liebenden endet. Der dritte und letzte teil
288 VIII. Kapitel. Vom antiken Epos zum Roman.
(v. 5118 — 6593) lehnt sich mehr an den historischen Heraclius
an. mit welchem hier die kreuzlegende verbunden erseheint.
Cosdroes, uns rois paiiens, hat Jerusalem erobert, das heilige
kreuz vom grabe Christi nach Persien entführt und den kaiser
von Byzanz, Foucar, durch verrat töten lassen. Die Byzantiner
wählen den Eracle von Rom zu ihrem kaiser. Eracle kommt,
besiegt zuerst im Zweikampf auf der brücke den söhn des
Cosdroes, zieht dann nach Persien, wo Cosdroes sich als Gott
verehren lässt, tötet diesen und bringt das heilige kreuz wieder
nach Jerusalem zurück, auf Gottes geheiss demütig im büsser-
kleide statt in kaiserlichem gewande. In Konstantinopel fest-
lich empfangen regiert er hier zu allgemeiner Zufriedenheit bis
an sein seliges ende.
Das gedieht ist in mehr als einer hinsieht merkwürdig,
zunächst schon durch seine spräche, denn der aus der Picardie
stammende Verfasser vermeidet absichtlich seine heimatlichen
formen, um in der spräche der Isle de France zu dichten.
Sein stil ist flüssig, in der erzählung wie im dialog. Dem
inhalt nach erweist sich das gedieht als ein echtes und rechtes
produkt der Übergangszeit: im ersten teil reine märchenelemente
orientalischen Ursprungs, im zweiten ein liebesroman, wie wir
ihn mit ähnlichen Verwicklungen bei Crestien von Troyes
wiederfinden werden, im Schlussteil — trotz der reimpaare —
eine wahrhafte chanson de geste mit allen dementen, kämpf
um den glauben, entscheidung des kriegs durch Zweikampf,
herausfordernd auftretenden gesanten u. ä. Insofern hier motive
und episoden verschiedener herkunft und verschiedenen
Charakters mehr oder minder lose aneinandergereiht werden,
pflegt man Gautiers roman auch als den ersten abenteuer-
roman zu bezeichnen. Möglicherweise ist der Eracle auch
nicht ohne einfluss auf Crestien von Troyes gewesen.
Erste ausgäbe von Massmann in seiner ausgäbe der deutschen
Übersetzung Otte's, Quedlinburg 1842. Neue ausg. von E. Löseth,
P. 1890 (Bibl. du m. a. VI). Stück (a. d. II. teil) bei Bartscb-Horuing
s. 199 ff. — Vgl. W. Foerster, Ille und Galeron (Koni. Bibl. 7), ein-
leitung. Wilniotte a. a. ö. s. 22 ff. W. M. Stevenson, der Einfluss
des Gautier d'Arras auf die afr. Kunstepik, Diss. Göttingen 1910.
Neuntes Kapitel.
Crestien von Troyes
und die Anfänge der höfischen Dichtung.
Das aufblühen des ritterstandes, das wachsende interesse
der vornehmen kreise an der literatur und die dadurch bedingte
rücksichtnahme der dichter auf den feineren geschmack, endlich
auch die aktive teilcahme des adels an der dichtkunst: alles
das bringt um die mitte des zwölften Jahrhunderts innerhalb
der profanliteratur eine Wandlung hervor, welche in der lyrik
zu einer völligen Umbildung des hergebrachten und zugleich
zu mancherlei neubildungen führt, in der erzählenden dichtung
neben die bisher herrschende gattung der chansons de geste
den roman stellt und durch diesen auch auf einzelne werke
der heldenepik, wie schon das sechste kapitel verschiedentlich
gezeigt hat, mehr oder weniger einwirkt. Die poesie lyriquc
courtoise und der vornan courtois (im deutschen gewöhnlich
ritterroman oder höfisches epos genannt) sind die sichtbaren
und literargeschichtlich bedeutsamen produkte dieser bewegung.
Der charakter der höfischen lyrik wird im wesentlichen bedingt
durch das vorbild der provenzalischen minnelyrik und des
darin zum ausdruck gebrachten ritterlichen frauendienstes.
Ähnliche ideale werden auch im höfischen roman vertreten: wir
sehen hier vor allem an die stelle des karolingischen beiden,
der für glauben und Vaterland gegen die heiden streitet oder
sein angestammtes recht gegen seinesgleichen und, wenn es
not tut, auch gegen den könig und kaiser selbst verteidigt,
den ritter des zwölften Jahrhunderts mit seinen idealen
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auflage. 19
290 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anf äDge der höf. Dichtung.
— chevalerie, cor toi sie, gdlanterie — treten. Vom kämpf
gegen äussere feinde, für die dolce France, ist hier nicht
die rede, es handelt sich um die kämpfe und erlebnisse des
einzelnen ritters, um seinen persönlichen rühm und seine
persönliche ehre. Seine Stellung gegenüber den frauen ist
eine andere als diejeuige der beiden der chansons de geste,
in welchen die frau überhaupt eine bescheidene rolle spielt
und oft genug diejenige ist, welche sich um die gunst des
helden bewirbt ebenso wie die in den romanzen dargestellten
Jungfrauen. Der neumodische ritter ist von anderer art, seine
höfische erziehung lehrt ihn, die gdlanterie gegen die damen
zu üben, ihren willen als massgebend anzuerkennen und ihnen
zu liebe alles, selbst das unmöglich scheinende, zu wagen.
Bemühungen des ritters um die gunst einer dame, oder
versuche, die leichtsinnig verscherzte huld seiner dame
wiederzugewinnen, spielen hier eine grosse rolle in diesen
erzählungen.
Es versteht sich, dass dieses neue ritterideal auch neuer
stoffe und formen bedurfte, um seinem Charakter gemäss und
dem verfeinerten geschmaek entsprechend dargestellt zu werden.
Die Stoffe der chansons de geste widerstrebten dem neuen
geiste zu sehr, um ihn ganz in sich aufnehmen zu können.
Auch war die monotone Vortragsweise nicht geeignet, feiner
gebildete obren auf die dauer zu befriedigen: man ersetzte
den gesungenen vers durch den gesprochenen, die einreimige
oder assonierende laisse durch die paarweisen reimpaare,
deren sich die geistliche dichtung von jeher bedient hatte.
Wir haben diesen doppelten Übergang — in der form wie im
kulturideal — schon in der bearbeitung der antiken stoffe
beobachten können, welche ganz allmählich in den höfischen
dichtungskreis übergeführt werden und dann eine reihe von
nachahmungen hervorrufen, so dass man in der regel die
antiken romane als einen besonderen stoffkreis des höfischen
romans zu betrachten pflegt. Ihnen nahe stehen die romane
byzantinischen Ursprungs, wie vorhin das beispiel des
'Heraclius' gezeigt hat, der zwar eine historische persönlichkeit,
hier aber der träger einer durchaus phantastischen erzählung
ist. Wird auch das historische element noch unterdrückt, so
haben wir den reinen roman, den abenteuerroman, vor uns.
Allgemeines. 291
Übrigens mischen sich in die romane byzantinisch-orientalischen
Ursprungs häufig auch noch elemente anderer herkunft, all-
gemein orientalischen, arabischen, indischen oder sonstigen
Ursprungs, wie sich solche auch bereits in den heiligenlegenden
gefunden haben. Der dritte und umfangreichste stoffkreis
schliesslich wird gebildet durch die bretonisch -keltischen
stoffe, die mauere de Bretagne, welche gleichfalls um die
mitte des 12. Jahrhunderts in der französischen literatnr auf-
taucht und dem höfischen roman vor allen anderen Stoffen ein
charakteristisches gepräge verleiht. Wie weit die entwicklung
dieser stoffe zum höfischen roman durch das Vorbild des
antiken romans bedingt ist, wie weit sie ihr von vornherein
parallel läuft, lässt sich beim stände der Überlieferung, bei dem
zweifellosen Verlust mancher älteren dichtung sowie bei der
unsicheren datierung der vorhandenen werke, einstweilen nicht
entscheiden.
"Wie schon die betrachtung des antiken romans lehrt, hat
sich die neue auffassung des heldenideals nur allmählich
durchgesetzt, und auch im bretonischen roman scheint die
entwicklung ähnlich vor sich gegangen zu sein, bei Crestien
von Troyes selbst lässt sich noch eine stufenweise entwicklung
erkennen. Er erscheint, wenn auch vielleicht nicht als der
begründer, so doch als der hervorragendste Vertreter des
höfischen romans im allgemeinen und des Artusromans im
besonderen, zugleich auch als einer der ältesten Vertreter der
provenzalisierenden lyrik in Nordfrankreich. Die bekanntschaft
mit der minnelyrik des Südens wurde den nordfranzösischen
dichtem allem anschein nach in erster linie vermittelt durch
einige kunstsinnige fürstinnen: Eleonore von Poitiers, die enkelin
des ältesten bekannten trobadors, Wilhelms IX., 1137 — 1152
die gattin könig Ludwigs VII. von Frankreich, und ihre beiden
töchter, Marie, gräfin von Champagne, und Alix, gräfin von
Blois (8. 43 und 287). Vor allem hat Marie höfische sitte nach
dem muster der Provenzalen gepflegt und die am hofe von
Troyes lebenden dichter mit der provenzalischen minnelyrik
vertraut gemacht. Am hofe Mariens bat auch Crestien in der
früheren periode seiner dichtung gelebt und, wie er z. b. im
Lancelot selbst hervorhebt, dichterische anregungen von ihr
empfangen.
19*
292 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der hüf. Dichtung.
Ausgaben: Christian von Troyes, Sämtliche erhaltenen Werke,
hersg. von Wendelin Foerster, 4 bde., Halle 1884—1899. Bd. I
enthält Cliges, II Yvain, III Erec, IV Lancelot und Wilhelmsleben.
Cliges, Yvain, Erec, Wilhelm auch als textausgaben in W. Foersters
Rom. Bibl. (no. 1, 5, 12, 20). Philomena p. p. C. de Boer, P. 1909.
Eine neuausgabe des Perceval ist von G. Baist angekündigt.
Wegen älterer einzelausgaben siehe unten. — Über Crestien vgl.:
W. L. Holland, Über Cr. d. Tr. und zwei seiner Werke, Tübingen
1847. Derselbe, Cr. v. Tr., Eine lit.-gesch. Untersuchung, Tübingen
1854. W. Foersters Einleitungen zu den verschiedenen ausgaben,
besonders zur grossen ausgäbe von Cliges und zum Lancelot, sowie
zu den neuen auflagen des kleinen Clig6s und Yvain. G. Paris,
Hist. litt. § 57, in Hist. litt. d. 1. France t. 30, 22 ff., zuletzt JdSav
1902, s. 289 ff. (= Melanges de litt. 229 ff). Gröber, s. 485 ff, 497 ff,
Suchier, s. 134 ff Vgl. auch die referate von Freymond und Hilka
in Vollaiöllmers JrP. Ferner Ed. Wechssler, Die Sage vom heiligen
Gral, Ha. 18y8 (s. bes. excurse). Wilmotte, L'evolution du roman
fran§ais aux environs de 1150.
Über Crestiens spräche: Foerster, Einl. zu den beiden Cliges-
ausgaben, sowie zum grossen Yvain s. XXXI ff. — Über vers, stil
und dichtkunst: Rudolf Grosse, Der stil des Cr. v. Tr., Strassb.
Diss. 1881 (auch Franz. Stud. 1, 127 ff). H. Emecke, Cr. v. Tr. als
Persönlichkeit u. als Dichter, Strassb. Diss., Würzburg 1892. F. Saran
i. d. Beiträgen z. Gesch. d. d. Spr. u. Lit. 21, 290 ff. (Zur komposition
der Artusromane.) Otto Schulz, Die Darstellung psycholog. Vorgänge
i. d. Romanen des Kr. v. Tr., Halle 1903. Alfons Hilka, Die direkte
Rede als stilistisches Kunstmittel i. d. R. des Kr. v. Tr., Halle 1903.
Rieh. Herzhofer, Personifikationen lebloser Dinge in der afr. Lit. des
10. — 12. Jahrh., Diss. B. 1904. 0. Borrmann, Das kurze Reimpaar
bei Cr. v. Tr. mit bes. Berücksichtigung des Wilhelm von England,
Diss. Marburg 1907 (auch RF 25), vgl. dazu W. Foerster, LgrP
29 (1908) 107 ff. K. Thüre, Die formalen Satzarten bei Cr. v. Tr.
mit bes. Berücksichtigung des W. v. E., Diss. Marburg 1909. Myrrha
Borodine, La femme et l'amonr au XII e siecle d'apres les poenies
de Chr&ien de Troyes, P. 1909. — Vgl. auch P. Mertens, Die
kulturhistorischen Momente i. d. R. des Cr. de Tr., Erlanger Diss.,
Berlin 1900. F. Meyer, Die Stände, ihr Leben und Treiben, dargest.
n. d. afr. Artliusromanen, Marburg 1892 (Stengels AA 89). Valdemar
Vedel, Ridderromantiken: fransk og tysk Middelalder, Kopenhagen
u. Christiania 1906. H. Euler, Recht u. Staat in den Romanen des
Cr. v. Tr., Diss. Marburg 1906.
1. Crestiens Leben und Werke. 293
1. Crestiens Leben und Werke.
Vermutlich stammte Crestien aus der Stadt Troyes selbst,
Dach welcher er sieb, z. b. im Erec, benennt. Über sein
sonstiges leben wissen wir nur, was er in seinen werken
darüber sagt oder erkennen lässt. Darin sind sieb alle kritiker
einig, dass er eine gelehrte erziehung genossen haben muss,
wie sonst nur kleriker. Aber über seinen stand gehen die
meinungen sehr auseinander. G. Paris will aus einer stelle im
Laneelot (v. 5591 ff.) sehliessen, er sei waffenherold gewesen.
"Werhssler erklärt ihn auf grund einer stelle im Cliges zum
caneellarius oder schola?tieus am katkedralkapitel von Beauvais.
Beide annahmen sind in den texten nicht genügend begründet
und werden durch keine äusseren Zeugnisse gestützt. Es scheint,
dass Crestien sich nach seinen gelehrten Studien bald einen
nameu als dichter erworben und dann sein unterkommen an
den höfen gefunden hat.
Einen anhält über die zeit seines dichtens geben uds nur
wenige seiner werke. Der Lancelot muss wegen der beziehung
auf die gräfin Marie von Champagne nach deren Verheiratung,
nach 1164, geschrieben sein. Ihm sind allerdings eine reihe
anderer werke vorausgegangen, von denen der Erec sich mehr-
fach auf den Eneasroman bezieht und daher wol nach diesem,
d. h. nach 1160, entstanden ist. Crestiens letztes werk, der
Perceval, ist für den grafen Philipp von Flandern gedichtet,
also nach 1169, wo dieser zur regierung kam, und vor 1188,
in welchem jähre er das kreuz nahm, nach G. Paris noch
genauer vor 1180 (1174 — 1175), da Crestien nirgends auf die
in diesem jähre von Philipp übernommene regentschaft des
königreichs Frankreich anspiele. Im ungefähren lässt sich
darnach Crestiens dichtung der epoche von den fünfziger bis
zu den achtiger jähren zuteilen. G. Paris bestimmt die zeit
von Crestiens dichterischer tätigkeit — wol etwas zu eng —
auf den Zeitraum von 1160 — 1175, während W. Foerster neuer-
dings den Cliges (den G. Paris gegen 1170 entstehen lässt)
schon in das jähr 1155 setzt und damit die abfassung sämt-
licher älteren werke vor diesem jähre annimmt.
Mehr einigkeit als über die absolute Chronologie herrscht
über die ungefähre reihenfolge seiner werke. Der ebengenannte
204 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes n. Anfänge der hüf. Dichtung.
Cligdsroman enthält in dieser hinsieht gleich in den ersten
versen ein wichtiges selbstzeugnis des dichters:
Cil qui fist d'Erec et d'Enide Et de la Hupe et de l'Aroude
Et les Cooiaudemauz d'Ovide Et del Rossignol la Mnance,
Et l'Art d'Amors an romanz mist Un novel conte recomance
Et le Mors de l'Espaule fist, D'un vaslet qui an Grece fu,
Del roi Marc et d'Iseut la blonde, j Del lignage le roi Artu.
Darnach hat Crestien vor dem Cligds ausser dem uns er-
haltenen Erec folgende nicht — oder wenigstens nicht unter
seinem namen — überlieferte werke verfasst:
eine übersetung von Ovids Ars amatoria und eine eben-
solche der Bemedia amoris (da mit Comandemanz und Art
kaum ein und dasselbe werk gemeint ist);
eine bearbeitung der aus Ovids Metamorphosen bekannten
geschichte von der Verwandlung der Procne und Philo-
mela;
eine bearbeitung der sage von Pelops, für welche der
dichter aber wol eine ausführlichere quelle als das in den
Metamorphosen (IV, 403 — 411) gesagte gehabt haben muss;
endlich eine dichtung über könig Marc und die blonde
Isolde, die man in der regel auf einen Tristan rom an deutet.
Nicht unwahrscheinlich ist, dass, wie Foerster vermutet,
die Ovidiana den anfang von Crestiens dichterischer tätigkeit
gebildet haben. Die Philomeladichtung glaubt G. Paris
in dem Ovide moralise des 14. Jahrhunderts wiedergefunden
zu haben, wo sich der dichter jedoch Crestiiens li Gois nennt.
Das rätsei dieses beinamens ist auch jetzt noch nicht be-
friedigend gelöst, und auch sprachlich bleiben bedenken gegen
Crestiens Verfasserschaft bestehen.
Die erzählung von Marc und Isolde ist verloren. Sie
wird meistens auf einen Tristan gedeutet, der nach Foersters
annähme überhaupt die erste bearbeitung des Stoffes in fran-
zösischer spräche dargestellt und die übrigen Tristandichtungen
hervorgerufen und beeinflusst hätte. G. Paris hatte früher ver-
mutet, dass der prosaroman von Tristan auf Crestiens werk
zurückgehe. In seiner letzten schrift über Crestien (JdSav 1902)
hingegen hat er seinen Standpunkt völlig geändert: darnach
hat Crestien überhaupt keinen Tristan gedichtet, sondern 'un
1. Crestiens Leben nnd Werke. 295
pofeme episodique qui mcttait en sehne Marc et sa femme'.
Diese ansieht erscheint einerseits etwas zu skeptisch, da die
sage von Marc und Isolde eng mit derjenigen Tristans ver-
bunden zu sein pflegt, andererseits aber auch nicht ganz un-
begründet, da Crestien gegen die liebe Tristans und Isoldens
in seinem CligSs mehrfach polemisiert.
Wenn wir den Ercc mit rücksicht auf den ihm voraus-
gehenden Eneasronum nach 1160 ansetzen, können die älteren
gediente noch in die fünfziger jähre des Jahrhunderts fallen.
Das nächste werk nach dem Free wäre dann der Cliges, der
in den sechziger jähren, nach dem Eracle Gautiers von Arras,
entstanden sein wird (nach Foerster freilich schon etwa 1155,
nach G. Paris erst gegen 1170).
Nach dem Cligds hat Crestien noch folgende werke ge-
schrieben:
Lancelot oder le Chevalier de la charrette;
Yvain oder le Chevalier au Hon;
Perceval oder le Conte du Graal;
die Vie de Guillaume d'Angleterre, als deren Verfasser
sich wenigstens ein Crestien nennt;
endlich eine anzahl lieder (chansons), von denen aller-
dings nur wenige erhalten sind.
Den ' Karrenritter' hat er im auftrag der gräfin Marie
von Champagne verfasst, die ihm stoff und geistigen geh alt
(mauere et sen) dazu geliefert hat, also jedenfalls nach 1164,
nach Foerster gegen 1170, nach G. Paris um 1172. Der neue
geist, der hier zum ausdruck kommt, ist der von den Proven-
zalen in ihrer lyrik ausgebildete minnedienst, die liebe zur
verheirateten frau, wie sie Lancelot hier zur königin Ganievre
hegt. So werden auch Crestiens lyrische dichtungen, welche
unter demselben einfluss stehen, in diese periode zu setzen
sein. Der 'Löwenritter' ist allem anschein nach jünger als
der Lancelot, auf den er mehrfach beziig nimmt: nach älterer
annähme 1169, nach G. Paris 1173 geschrieben. Crestiens
letztes werk ist der Perceval oder Gralroman, an dessen
Vollendung er durch den tod gehindert wurde. Dieser fiele
dann, bei G. Paris' datierung, in das jähr 1175, während
296 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der höf. Dichtung.
Wechssler den Gralroman in die zeit setzt, wo graf Philipp
regent von Frankreich war, sodass Crestien diesen roman in
Paris am königshofe 1180 — 1181 verfasst hätte. Der unter-
schied in der datierung ist nicht bedeutend.
Schwierigere fragen knüpfen sich an das ' Wilbelmsleben',
das von Paul Meyer, G. Paris u. a. unserem dichter Überhaupt
abgesprochen wird, hingegen nach Foerster, Wilmotte u. a.,
besonders nach der Untersuchung von Foersters schlüer Rudolf
Müller nach spräche, reim und stil unserem Crestien gehurt.
Schwierig bleibt es nur, das gedieht an der richtigen stelle
der werke einzureihen, da es in der technik z. t. (reim-
brechung) altertümlich, z. t. (reiche reime) fortgeschritten ist.
Halb abenteuerroman, halb legende, scheint es den Übergang
vom Artus- und abenteuerroman (Erec, Lancelot, Yvain) zum
geistlichen ritterroman (Gral) gebildet zu haben.
Crestiens entwicklungsgang lässt sich darnach in grossen
zügen zeichnen: er beginnt mit Übersetzung und bearbeituug
lateinischer dichtungen, teils erzählenden, teils belehrenden
inhalts (Ovidiana), geht dann mit Tristan und Erec zu den
bretonischen Stoffen über, verbindet im Cligös einen byzantinisch-
orientalischen stoff mit der Artussage, lernt am hofe der gräfin
Marie die neue liebe und liebesdoktrin kennen und dichtet so
seine lieder sowie den Lancelot, kehrt aber dann, vielleicht
selbst von dieser auffassung der liebe abgestossen, mit seinem
Yvain zum reinen Artusroman zurück, gelaugt von da zum
legendarischen abenteuerroman (Wilhelm) und von hier zum
geistlichen ritterroman (Perceval).
Noch sehr umstritten ist seine literarhistorische Stellung.
Die entscheidung über die frage, wie weit er an den Ver-
fassern der antiken romane Vorgänger und Vorbilder fand,
wieweit er ihnen parallel oder gar voraus ging, hängt von
allerlei chronologischen und sonstigen erwägungen ab. War
er ferner blos der verfeinerer und meister des französischen
Artusromans oder auch sein Schöpfer? Welchen anteil dürfen
wir an der ausgestaltung seiner Stoffe den von ihm benutzten
quellen, welchen seiner eigenen dichterischen errindung und
Individualität zusehreiben, wie hoch ist namentlich die be-
deutung der 'matiere de Bretagne' einzuschätzen? Die ant-
worten auf alle diese fragen wechseln sehr, je nach dem
1. Crestiens Leben und Werke. 297
theoretischen Standpunkt des einzelnen forschen in den all-
gemeinen kritischen fragen (vgl. unten abschnitt 10).
Immerhin können wir, wenn wir Crestien nicht von vorn-
herein als sklavischen bearbeiter verloren gegangener fran-
zösischer oder keltischer romane betrachten wollen, seine
dichterische kunst nach ihren hervorstechendsten zügen dar-
stellen. Als meister zeigt er sich zunächst in der komposition
seiner handhing, indem er die haupthaudlung in der regel in
drei stufen: exposition, hauptabenteuer (konflikt und lösung),
schluss, darstellt und dann das hauptabenteuer von exposition
und schluss durch je ein Zwischenglied meist mit abenteuer-
lichen, die haupthaudlung künstlich unterbrechenden und retar-
dierenden elementen trennt, sodass fünf hauptteile entstehen,
innerhalb deren sich die handlang abspielt. Fast alle grossen
romane Crestiens sind nach diesem Schema gearbeitet, selbst
der in seiner haudlung nicht überall sehr durchsichtige
Lancelot. Nur der Gralroman mit seinem ineinanderschieben
von Percevals uud Gauvains abenteuern zeigt diese straffe
disposition nicht, er unterscheidet sich schon durch seine
länge von den übrigen, meist 7000 verse zählenden romanen.
Die eingeschobenen abenteuerlichen elemente verfolgen den
zweck die handlung zu strecken, die lösung hinauszu-
schieben und dadurch die Spannung des lesers zu erhöhen,
sowie durch ihren bunten Wechsel und ihren z. t. sehr phan-
tastischen inhalt die neugierde des publikums zu erwecken
und zu fesseln. Eine mehr äusserliche einteilung, nach den
bedürfnissen des Vortrags berechnet, scheint die im Erec vom
dichter selbst hervorgehobene zu sein, wo er (v. 1844) mit Ci
fme li premerams vers offenbar einen Vortragsabschnitt ab-
schliesst, sodass die ganze dichtung in drei oder vier abschnitten
von etwa je 2000 versen (je nachdem etwas mehr oder weniger)
vorgelesen worden wäre.
Ein von Crestien öfter angewantes mittel, die hörer oder
leser zu spannen, besteht darin, eine hauptperson erst bei vor-
geschrittener handlung mit namen zu nennen: so Enide erst
bei ihrer ankunft an Artus' hof (v. 2081), der karrenritter ent-
puppt sich erst v. 3676 als Lancelot del lac, Perceval erfährt,
d. h. errät seinen eigenen namen erst, als er darnach gefragt
wird. Die sucht, den leser zu spannen und über allerlei im
208 IX. Kapitel, Crestien v. Troyes u. Anfänge der höf. Dichtung.
unklaren zu lassen, was erst später, oder, wie im Lancelot, z. t.
garnicht aufgeklärt wird, hat den dichter freilich manchmal
zu Unklarheiten verleitet.
So gross auch die rolle ist, welche bei Crestien die aben-
teuerlichen elemente und namentlich die als füllsei dienenden
abenteuerepisoden spielen, so wäre es doch falsch, seine werke
kurzweg als abeoteuerromane zu bezeichnen. Es liegt ihnen
in der regel eine sittliche idee, meist ein konflikt zwischen
liebe und ritterehre, zugrunde, an welcher die ganze handlang
aufgereiht ist: so im Erec, so im Yvain, während im Lancelot
die liebe allein, uud zwar die neue, höfische liebe das leitende
motiv ist. Jedenfalls ist Crestiens verdienst in dieser hinsieht
unterschätzt, wenn man in ihm lediglich einen auf Unterhaltung
bedachten geschichtenerzähler sieht oder wenn man behauptet,
erst der deutsche dichter Hartmann von Aue habe Erec und
Yvain vergeistigt oder mit ritterlichem gehalt erfüllt. Was
den Perceval anlangt, so ist ja Wolframs eigenartige gestaltung
der französischen dichtung unbestritten, aber wir wissen auch
nicht, was Crestien aus seinem stoff gemacht hätte, wenn er
den Gralroman hätte vollenden dürfen.
In der einzelschilderung geht Crestien nicht so sehr darauf
aus, die Charaktere seiner beiden systematisch zu entwickeln
oder folgerichtig durchzuführen, sondern vielmehr darauf, die
inneren, seelischen Vorgänge zu zergliedern uud uns wahr-
scheinlich zu machen. In dieser psychologischen Vertiefung
der handlang erscheint er namentlich gegenüber der technik
der chansons de geste als vollendeter meister, wenngleich auch
nicht ebenso als kühner erfinder, da der Eneasroman ihm in
dieser hinsieht vorausgegangen war. Reflexionen des dichters,
monologe seiner personen nehmen daher einen grossen räum
in seiner darstellung ein. Allerdings verfällt Crestien hierbei
leicht in das spintisieren, manchmal sogar in Wortklauberei
und wortspielerei, wodurch die darstellung nicht selten schwer-
fällig wird.
Im übrigen ist Crestiens stil gewant und unterhaltend,
bilderreich und anschaulich. Er bedient sich der metapher,
metonymie, Synekdoche u. a., um anschaulich zu wirken.
Wichtig ist, namentlich mit hinsieht auf die spätere ent-
wicklung, dass bei ihm — wie übrigens ebenso in der fran-
1. Crestiens Leben nnd Werke. — 2. Philomcna. 200
zösischen lyrik — die fugenden und laster, Überhaupt allgemeine
begriffe wie liebe, hass, tod schon personifiziert, ohne artikel,
erscheinen. Mit grosser Vorliebe bedient sich Crestien der
direkten rede und zwar, zur veranschaulichung der seelen-
kiimpfe seiner personen, des aufgeführten monologs, besonders
des sogenannten liebesmonologs, aber auch des dialogs in den
verschiedensten Variationen, namentlich auch, wie schon vor
ihm der Eneasroman, des dialogs in kurzer, nur wenige worte
oder silben zählender wechselrede, was dem verse ausser-
ordentliche lebhaftigkeit und der ganzen darstellung drama-
tischen Charakter verleiht. Alles in allem darf Crestien ohne
Übertreibung als meister des altfrauzösischen rontanstils be-
zeichnet werden.
G. Paris in seinem letzten artikel hebt ausdrücklich neben
Crestiens sonstigen Vorzügen und nachfeilen gerade seine stil-
kunst hervor. 'Mais ce qui fit sans doute son prineipal succes,
et ce qui le recommaude encore, plus que tout le reste, ä
l'attention de la posteritö, e'est son style: il „prenait le beau
franenis ä pleines mains", — comme dit, au XIII6 siecle, Huon
de Meri, — avec une e'le'gance, une gräce et une facilite' qui
ont charme" ses contemporains et provoque partout l'imitation.
Non pas que son style meme soit sans fautes, et sans fautes
graves . . . Mais ces defauts n'empechent pas que Chretien
n'ait manie', dans ses bons morceaux, la langue poetique avec
une ve'ritable maitrise et ne l'ait marquee de son empreinte.
C'e'tait, en somme, un homme d'esprit beaueoup plus que de
sentiment, — l'amour qui tient la premiere place dans ses
poemes, y est le plus souvent repre'sente' d'une maniere subtile
et conventioneile qui exelut toute chaleur, tout reelle parti-
cipation du cocur, — un conteur adroit dans le detail, parfois
maladroit dans l'ensemble, un e'crivain habile qui n'a pas tou-
jours su ou voulu donner k son style la perfection qu'il a
quelquefois atteinte.'
2. Philomena.
Die nicht mit Sicherheit unserem Crestien zuzuschreibende
dichtung stellt, wenn echt, wohl das älteste von seinen erhalten
300 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes n. Anfänge der höf. Dichtung.
gebliebenen werken dar. Es bildet in der überlieferten form
einen teil des am ende des 13. oder anfang des 14. jahr-
bunderts verfassten Ovide moralise, dessen Verfasser beim Über-
gang zur geschichte der Philolemele selbst sagt: Mais ja ne
descrirai le conte — Fors si com Crestiens le conte — Qui
oien en translata la letre. — Sus lui ne m'en vueil entremetre.
— Tont son dit vos raconterai — Et Valegorie en trairai. Und
ebenso am sehluss: De Philomena faut le conte — Si com
Crestiens le raconte. In der erzählung selbst aber (v. 734)
nennt sieb dieser dicbter: Crestiens li Gois. Dass dieses
li Gois für de Gois stände und den geburtsort Crestiens
von Troyes bezeichnete, ist nicht mehr als eine hypothese.
Die 1468 verse umfassende darstellung beruht auf Ovids
Metamorphosen VI, 482 ff. Die entstellung des namens Philo-
mela in Philomena fand der dichter jedenfalls schon in seiner
quelle vor. Der Thrakerfürst Tereus entehrt seine Schwägerin
Philomena und schneidet ihr, das geschehene zu verheimlichen,
die zunge aus. Tereus gattin, Progne, aber erfährt durch eine
schriftliche mitteilung ihrer Schwester das vorgefallene und
rächt die tat an Tereus, indem sie seinen und ihren söhn Itys
tötet und ihm als speise vorsetzt. Tereus wird zur strafe in
einen Wiedehopf verwandelt, Progne in eine schwalbe, Philo-
mena in eine nachtigall.
Der dichter unterdrückt manches, was ihm nicht geeignet
für sein publikum scheint, erzählt aber im ganzen ausführlicher
als Ovid, schiebt z. b. eine lange reflexion über die macht der
liebe sowie ausführliche dialoge ein und stellt das ganze im
sinne seiner zeit dar. In auffassung und stil sind wesentliche
unterschiede gegenüber Crestien von Troyes nicht zu be-
merken, was sich aber bei einem Zeitgenossen oder nach-
ahmer unseres Crestien leicht erklären Hesse. Hingegen sind
sprachliche unterschiede nicht zu leugnen, und auch der auf-
fällige beiname bleibt ein schweres bedenken.
Ausgabe von C. De Boer, P. 1909. — Vgl. G. Paris, Hist.
litt, 29, 489 ff. W. Foerster, kleine ausg. des Cliges3 s. VII f. anm.
Foersters bedenken sind auch durch De Boers erwiderung Rom. 41
(1912) 94 ff. nicht hinweggeräumt. — Über die nachahmungen Ovids
im mittelalter vgl. G.Paris, Hist. litt. 29, 455 ff. Leopold Sudre,
Publii Ovidii Nasonis Metamorphoseon libros quomodo nostrates
3. Erec. 301
medii aevi poetae iinitati interpretatique sint. (Doctoratsthese),
P. 1893. K. Bartsch, Albrecht von Halberstadt und Ovid im M. A.,
Quedlinburg u. L., 1861.
Ovids werke, besonders Metamorphosen, Heroiden und Ars
amatoria wurden das ganze mittelalter hindurch von lateinisch
dichtenden autoren gern benutzt und vielfach in den Volkssprachen
bearbeitet. Gleichfalls auf die Metamorphosen gehen die vers-
erzählungen von Pyramus und Thisbe und von Narcissus (s. kap. XI)
zurück, die nach G. Paris noch vor Crestien anzusetzen sind.
3. Erec.
Erec, der söhn des Lac, ist ein ritter von der tafelrunde
des königs Artus. Gelegentlich der von Artus veranstalteten
jagd auf den weissen hirsch wird er in ein abenteuer ver-
wickelt, im verlaufe dessen er den Schönheitspreis in gestalt
eines Sperbers für die tochter eines armen ritters, bei dem er
zu gast gewesen, erkämpft und die tochter selbst heimführt.
Soweit reicht die exposition des romans (2400 verse). — Der
zweite teil enthält eine echte und rechte abenteuerfahrt. Enide
lässt sich durch das gerede der leute verleiten, ihrem gatten
vorwürfe wegen seines tatenlosen lebens zu machen, er be-
sehliesst sofort, sie von seiner fähigkeit zu heldentaten zu
tiberzeugen und reitet mit ihr aus unter der aufläge, nie ein
wort zu sprechen, selbst nicht im falle drohender gefahr.
Enide vergisst das verbot öfter, erhält aber stets Verzeihung.
So stossen sie nacheinander auf drei Wegelagerer, auf fünf
andere strauchritter, auf die leute des grafen Galvain, mit
dem Erec um Enidens willen einen kämpf zu bestehen hat,
auf den kleinen, starken Guivrdt, der nach dem kämpf einen
freundschaftsbund mit Erec schliesst: tiberall bewährt sich
Erec als tapferer kämpfer, ebenso wie in den weiterfolgenden
abenteuern. — Der dritte teil, das hauptabenteuer, bringt die
Versöhnung der beiden gatten: Erec, nach schwerem kämpfe
ftir tot gehalten, wird in das schloss des grafen Limors
gebracht, erwacht aber noch rechtzeitig aus seiner ohnmacht,
um Enide aus den händen des verliebten und gewalttätigen
grafen zu befreien und, Eniden vor sich auf dem pferd, auf
•'!< >li IX. Kapitel. Crestien v. Troycs u. Anfänge der büf. Dichtung.
und davonzureiten. So, beim schein des mondes durch den
wald reitend, versöhnt er sich mit der hinreichend geprüften
und an seinem rittertum nicht mehr zweifelnden gattin. —
Der vierte (retardierende) teil bringt eine neue, feindliche
begegnung mit dem bei nacht unerkannt gebliebenen Guivret
und dann die gefährliche episode von der 'Joie de la Cort',
wo Erec einen gewaltigen ritter besiegt und dadurch von dem
bann erlöst, den garten seiner geliebten nicht verlassen zu
dürfen, worüber beim ganzen hof grosse freude herrscht. —
Nach dieser letzten heldenprobe kehrt Erec mit Eniden an
könig Artus' hof zurück und wird, da sein vater gestorben, in
Nantes zum könig gekrönt. Die Schilderung des prächtigen
krönungsfestes macht den beschluss.
Crestien hat seinen stoff, wie er selbst angibt, aus einem
conte d'aventure genommen, also wol aus einer mündlichen,
prosaischen erzählung bretonischer herkunft (die deutung des
conte durch G. Cohn auf Crestiens eigenes werk ist möglich,
aber nicht wahrscheinlich). Nach G. Paris ist das zugrunde
liegende sittliche thema, das 'malentendu entre les e'poux'
ebenso wie ein teil der abenteuerepisoden keltischen Ursprungs,
nach Foerster nur 'die tatsache, dass der königssohn Erec
ein armes fräulein heiratet, also die grundlage der erzählung,
und dann noch der schluss, die joie de la cort, ausserdem
etwa noch der Irländer Guivret.' Verschiedene episoden, die
entweder, wie die begegnungen mit den strauchrittern, keine
charakteristische färbung tragen oder nur im Zusammenhang
mit der leitenden idee des romans bedeutung haben, sind wol
ohne bedenken Crestien zuzuschreiben, andere episoden und
motive, wie die Joie de la cort und den kämpf um den
schönheit^preis, hat er älteren Überlieferungen bretonischer
herkunft entnommen, und es ist sehr wol möglich, dass der
auf abenteuerlichem weg zur gewinnung einer braut führende
preiskampf den eigentlichen inhalt des bretonischen conte
gebildet hat. In mancher hinsieht bemerkenswert ist auch,
dass ein historischer Erec oder Guerec (aus keltisch Weroc),
graf von Nantes, im 10. Jahrhundert existiert hat, er regiert
zuerst gemeinsam mit seinem bruder Hoel, dann 781 — 790
allein über Nantes. Crestiens nächste quelle war also wol
eine an diesen historischen Erec geknüpfte sage aus der
3. Erec. — 4. Cliges. 303
französischen Bretagne, die ihrerseits vielleicht auf eine inscl-
keltische sage zurückgeht.
In seiner äusseren technik, in seiner polemik gegen die
entstelluug der wahren erzählnng durch die berufsmässigen
eonteors, in der ganzen realistischen darstellang, welche an-
scheinend wunderbares zwar vorführt, al)er hinterher immer
auf natürliche weise erklärt, ferner auch in der auffassung des
Verhältnisses zwischen mann und frau steht dieser Crestiensche
roman der hergebrachten epischen dichtung, den chansons de
geste, noch sichtlich nahe. Die Stellung der Enide gegenüber
Erec ist kaum eine andere als die mancher dame in den
chansons de toile. Auch in der reimtechnik, die zwar schon
Crestiens ausgeprägte Vorliebe für den reichen reim erkennen
lässt, aber auch noch manche unreine reime bietet, erweist
sich dieser roman als eins der jugendwerke des dichters.
Editio prineeps von Im. Bekker, ZdA 10 (1856) 373 ff., krit.
ausg. von W. Foerster 1890, kl. ausg. 1896, 2 1909. Vgl. G.Paris,
Rom. 20 (1891) 16ff., J. Loth, Revue celtique 13, 482ff., Philipor,
Rom. 25 (1896) 258 ff., F. Lot, ebda. 588 ff., G. Colin, ZfSL 38 (1911)
95 ff. — Eine kürzende prosaversion in Foersters gr. ausgäbe. —
Der Erec Hartmanns von Aue (nach 1191) und die altnordische
Erex Saga (ende des 13. jhs) gehn auf Crestien (in einer besonderen
liss.-gruppe) zurück. Vgl. im allgemeinen W. Foersters einleitungen
sowie die abhandlungen von Bartsch, Germania VII (Ilartmann),
Kölbing, Germama XVI und Iveus-Saga 1898 (Saga), Roetteken
1887, Piquet, Etüde sur Ilartmann d'Aue, P. 1898 (These de
doctorat), K. Dreyer, Ilartras. E. u. 8. afr. Quelle, Progr. Rgymn.,
Königsberg 1893, und 0. Reck, Das Verh. d. Ilartmannschen E. zu
seiner frz. Vorlage, Diss. Greifswald 1898 (überschätzt Ilartmann).
Über den kvmr. Geraint ab Erbin s. K. Otbmer, Dis3. Bonn 1889,
R.Edens, Diss. Rostock 1910, W. Foerster, ZfSL 38 (1911) 149ff,
R. Zenker, Zur Mabinogionfrage, Ha. 1912. Die abhängigkeit des
Geraint von einer franz. quelle ist sicher, die von Crestien immer
noch sehr wahrscheinlich.
4. Cliges.
Im Cliyes (Clidz^s) verbindet Crestien kühn einen orien-
talischen erzählungsstoff mit der bretonischen Artussage. Das
grundthema ist die liebe des neffen zur jungen frau des
oheims und die entführung derselben unter anwendung der
304 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes n. Anfänge der Löf. Dichtung.
list vom Scheintod. Dadurch dass der vater des helden, der
griechische kaisersohn Alexander, eine Zeitlang am hofe könig
Arturs lebt und dort in Gauvains Schwester seine frau findet,
wird die Verbindung mit Artur hergestellt, dessen hof auch
weiterhin in den Schicksalen des helden seine bedeutung hat.
Dieser neue roman ist nicht so wie der Erec mit mehr
oder weniger willkürlich eingeschalteten abenteuern aufgeputzt,
sondern enthält eine fortlaufende erzählung, deren einzelne
akte sich eng mit der haupthandlung verknüpfen. So ist
auch die abenteuerfahrt, welche den Übergang von der
exposition zum hauptabenteuer bildet, kürzer und in sich
einheitlicher als der entsprechende teil im Erec. Hingegen
hat der dichter der eigentlichen exposition eine Vorgeschichte
vorausgehen lassen, welche ausserhalb der haupthandlung
steht und etwas über 2000 verse umfasst. Alexander ist der
älteste söhn des kaisers von Byzanz und zieht, um rühm zu
gewinnen, nach England an Artus' hof. Hier verliebt er sich
sogleich in die schöne Soredamor. Die zwischen beiden auf-
keimende liebe, die widerstreitenden gefühle, von welchen
jedes von den beiden bewegt wird, bringt Crestien in seiner
oben bezeichneten zergliedernden, z. t. mit Worten spielenden
manier zum ausdruck, wovon das folgende stück eine be-
zeichnende probe gibt.1)
J) Crestiens spräche ist die der westlichen Champagne. Charakteristisch
sind für diese hauptsächlich folgende punkte : Vnlglat. o bleibt haupttonig
o vor r oder feminin-e, also enor, dolor — sole gegen preu, neveu — seus
(solus). Flaupttonig ai bleibt im auslaut, wird ei in offener innensilbe, e
in geschlossener silbe, also ai (habeo), ferai — feite (factam) — fet (factum),
et = ait (habeat); nebentonig ai^>ei, wie meison, reison. Wie cn zu an
wird auch e + n zu a, also enseigne > ensaigne, regne (veniam) > vaigne.
Geschlossenes e vor l wird zu oi; e + i (oder /) + s (z) hingegen -auz:
also soloil, consoil, mervoille. aber rectus solauz, consauz, ebenso auz (illos),
cauz. Aus e oder g + l oder l vor konsonant entsteht -iau-: also biaus
(bellus) gegen obl. bei, miauz (melius), viaut (*volet) neben vuelt, (Haut
(dolet), iauz (oculos). I vor konsonant wird im allgemeinen u (maus, teus,
consauz, iauz etc.), fällt aber nach i, ü, g: periz, fiz, tms, cos (== cols zu
colp), fos gegen vule, fole etc. Unbetontes on, Von « homo) wird zu en
geschwächt, und von da nach der allgemeinen regel zu an, Van (man). Die
lateinische endung -etis erscheint im konj. praes. und im ind. fnt. lautgemäss
als -oiz (nicht ez = lateinisch -atia), also parloiz, parleroiz; lateinisch
potuüscm als poisse, poUscs, polst etc. (gegen francisch poüsse).
4. Cliffcs.
305
575 A LIXANDRES ahmne et desire
Celi qui por s'ainor Bospire;
Mes il ne set ne ne savra
De ci a tant qu'il an avra
Maint mal et uiaint euui sofert.
580 Por s'auior la reine sert
Et les pnceles de la chaubre;
Mes celi don plus li retnanbre
N'ose aparler ne aresnier.
S'ele osast vers lui desresnier
5S5 Le droit que ele i cuide avoir,
Volantiers li feist savoir;
Mos ele n'ose ne ne doit.
Et ce que li uus lautre voit,
Ne plus n'osent dire ne feire,
590 Lor torne niout a grant contreire,
Et l'amors an croist et alume.
Mes de toz amanz est costuiue,
Que volantiers peissent lor iauz
D'esgarder, s'il ne pueent miauz,
595 Et cuident, pur ce qu'il lor plest
Ce don lor ainors croist et nest,
Qu'eidier lor doie, si lor nuist:
Tout aussi con eil plus se cuist,
Qui au feu s'aproche et acoste,
600 Que eil qui arrieres s'an oste.
Ades croist lor ainors et nionte;
Mes li uns a de l'autre honte,
Si se c,oile et cuevre chaseuns,
Que il n'i pert flame ne funs
605 Del cbarbon qui est soz la Qandre.
Por ce n'est pas la chalors mandre,
Einc.ois dure la chalors plus
Dessoz la gandre que dessus.
Mout sont andui an graut angoisse;
010 Que por ce que lau ne conoisse
Lor complainte ne apargoive,
Estuet ebaseun que il deeoive
Par faus sanblaut totes les janz.
Mes la nuit est la plainte granz,
615 Que chaseuns fet a lui me'ismes.
D'Alixandre vos dirai prinies,
Comant il se plaint et demante.
Amors celi li represante,
Por cui si fort se sant greve,
020 Que en son euer l'a ja navre,
Ne nel leisse an lit reposer:
Tant li delite a remanbrer
La biaute et la contenance
Celi, ou nra point d'esperance,
025 Que ja biens Tau doie avenir.
„Por fol", fet il, „nie puis tenir —
Por fol? Voiremant sui je fos,
Quant ce que je pans dire n'os,
Car tost nie torueroit a pis.
630 An folie ai nion panser mis.
Don ne me vieut il miauz celer
Que fol me fe'isse apeler?
Ja n'iert seü ce que je vuel.
Si celerai ce don me duel
635 Ne n'oserai de mes dolors
A'i'e querre ne secors?
Fos est, qui sant aufermete,
S'il ne quiert, par quoi et sante,
[Se il la puet trover nul leu.
040 Mes teus cuide feire son preu
Et porquerre ce que il viaut,
Qui porchace don il se diaut.]
Et qui ne la cuide trover,
Por quoi iroit consoil rover?
Bemerkungen im einzelnen: Vers 597 si = und doch, vgl.
unten 065. — V. 026 ff. enthält eine reihe von rasch aufeinanderfolgenden,
z. t. sich kreuzenden gedankeu : Alexander nennt sich zunächst selbst einen
narren, da er seine gefühle nicht laut zu gestehen wagt, was er aber
unterlässt, weil sonst der schade leicht noch grösser würde. Er macht
sich dann weiter den Vorwurf, dass er seinen siun überhaupt auf torheit
gerichtet hat und fragt sich, ob es da nicht besser wäre, die sache geheim
zu halten, als sich einen toren schelten zu lassen. Sogleich aber macht
er sich den einwand, dass er dann erst recht keine heilung für seine
schmerzen finden würde. — V. 639 — 642 wahrscheinlich interpoliert. —
La v. 643 bezieht sich auf 638 sante.
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 20
306 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der büf. Dichtung.
646 11 se traveilleroit an vain. Ne sai don la dolors ra'est prise.
Je sant le mien mal si grevain, 605 Ne sai? Si faz, jel cuit savoir,
Qae ja n'an avrai garison Cest mal me fet Amors avoir.
Par mecine ne par poison Conaant? Set donc Amors mal
Ne par herbe ne par racino. feire?
650 A chascun mal n'a pas mecine: Don n'est il douz etdebon'eire?
Li miens est si anracinez, Je cuidoie que il n'eiist
Qu'il ne puet estre mecinez. ' 070 An Amor rien qui buen ne fast,
Ne puet? Je cuit que j'ai mauti. Mes je Tai trop felon trove.
Des que primes cest mal santi, Nel set, qui ne l'a esprove,
655 Se mostrer l'osasse ne dire, Dequeusjeus Amors s'antremet.
PoTsse je parier au mire Fos est qui devers lui se met,
Qui del tot me poist eidier. \ 075 Quil viaut toz jorz grever les
Mes mout m'est gries a aplaidier ; saens.
Espoir n'i deigneroit antandre Par foi, ses Jens n'est mie baens,
660 Ne nul loiier n'an voldroit Mauves joer se fet a lui,
praudre. Car ses jeus me fera enui.
N'est donc mervoille, se m'esmai; Que ferai donc? Retreirai m'an?
Car mout ai mal, et si ne sai i 680 Je cuit que je feroie san,
Qneus maus ce est, qui me justise, Mes ne sai, comant je le face . . ."
Von ähnlichen zweifeln wie hier Alexander wird auch
ihrerseits Soredamor gequält. Wie Siegfried in den Nibelungen,
wie Karl der Grosse im Mainet und wie viele andere helden
erwirbt sich Alexander das anrecht auf die band der holden
durch hervorragende anteilnahme an einem schweren kämpf,
der, hier gegen den Statthalter Engr^s geführt, in seinen
einzelheiten sehr an die entsprechenden Schilderungen der
chansons de geste erinnert. Das kind dieser ehe ist Cligds,
en cui memoire — Fu mise en romanz ceste esioire. — Auf
diese Vorgeschichte folgt als erster hauptteil die Vorbereitung
der haupthandlung: der tod von Alexanders vater, die krönung
des jüngeren sohnes Alis (Alexis) zum kaiser, die rückkehr
Alexanders, der verzieht Alis' auf verehelichung gegen be-
lassung des kaisertitels, der tod Alexanders und Soredamors,
Alis' wortbruch und heirat mit der deutschen kaiserstochter
Fenice. Clig6s verliebt sich beim ersten anblick in sie, befreit
658 m'est gries: Subjekt der mires 'der arzt ist mir schwierig zum
anreden — es fällt mir schwer, den arzt anzureden'. — 605 Ne sai? Si
faz: Ich weiss es nicht? Ich weiss es doch. Faire als sogenanntes
verbum vicarium; si so, unter diesen umständen — trotzdem doch. —
668 eire: wegen etymologie und geschlecht vgl. Meyer-Liibke, Et. Wb. 270.
4. Cliges. 307
sie aus den händen der sie entführenden Sachsen, weiss aber
seine leidenschaft zunächst zu verbergen. Alis wird von der
berührung der Fenice durch einen zaubertrauk zurückgehalten
(v. 2383 — 4236). — Cliges entschluss, sich den peinlichen Ver-
hältnissen durch eine abenteuerfahrt zu könig Artus zu ent-
ziehen, leitet einen, den hauptkonflikt unterbrechenden und
hinausschiebenden teil ein, welcher im wesentlichen mit den
erlebnissen des helden im fernen land ausgefüllt ist. Aber
die liebe treibt ihn wieder nach haus zurück (v. 4237 — 5114).
— Es folgt nun die dominierende mittelszene des ganzen:
die entführung der Fenice durch die list des Scheintodes,
denn nur so, der weit als tot geltend, will sie Cliges an-
gehören, um vor den äugen der weit nicht als eine neue
Isolde zu erscheinen, die zu gleicher zeit ihrem gatten und
ihrem liebhaber gehörte. Die list gelingt, und die beiden
liebenden geben sich im verborgenen in einer von CligeV
treuem diener Jean künstlich konstruierten unterirdischen
wohnung mit ummauertem garten ganz ihrer liebe hin
(5115—6424). — Der folgende teil bringt wieder das retar-
dierende dement : durch einen zufall wird das liebespaar
entdeckt und verraten, entflieht aber und rettet sich glücklich
nach Brittannien zu könig Artus, der sogleich ein grosses
heer sammelt, um Cliges zu helfen (6425 — 6705). — Aber
die nachricht vom tod des wahnsinnig gewordenen Alis macht
den kriegszug unnötig und bringt den liebenden endlich die
dauernde Vereinigung. Als rechtmässiger gatte der Fenice
nimmt Cliges von dem angestammten tron besitz (6706 — 6784).
So zeigt sich auch hier, abgesehen von der als hors
d'cenvre vorausgeschickten Vorgeschichte, eine fünffach ge-
gliederte handlung, deren zwei letzte teile allerdings, eben
mit rücksicht auf die lange Vorgeschichte, wesentlich kürzer
sind als sonst: exposition, haupt- und mittelszene, schluss,
dazwischen eingeschoben die beiden retardierenden teile (auf-
enthalt des helden in England — entdeckuog und flucht des
liebespaares). Die Verbindung mit der Artussage, die ganze
Vorgeschichte und sonst vieles einzelne entstammt Crestiens
erfindung, das hauptmotiv aber, die entführung einer frau
durch anwendung des Scheintodes, hat der dichter jedenfalls
in dem livre gefunden, das er als quelle nennt und von dessen
20*
30S IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der hüf. Dichtung.
inhalt uns eine kurze erzählung in dem prosaroman Marques
de Borne (13. Jahrhundert) eine ungefähre Vorstellung gibt.
Die erzählung ist orientalischen Ursprungs und mit der mittel-
alterlichen (in Deutschland mehrfach behandelten) entführung
der frau Salomos durch Mareolf verwant, auf die auch im
gedieht selbst angespielt wird. Im übrigen bietet der roman eine
reihe anklänge an die Tristansage (vgl. über diese das folgende
kapitel): so die liebe des beiden zur frau des oheims. den
zaubertrank, die rolle der getreuen zofe (Thessala-Brangien),
das heimliche zusammenleben des liebespaares. Daneben aber
macht sich eine unverhüllte polemik gegen die moralische
grundlage der Tristansage bemerkbar. Diese beziehungen
sind in letzter zeit mehrfach und in verschiedenem sinn dis-
kutiert worden: W. Foerster erblickt im Clig^s geradezu einen
Antitristan, G. Paris hingegen einen neuen, verfeinerten Tristan.
Van Hamel tritt im wesentlichen Foersters Standpunkt bei,
er glaubt Crestiens polemik speziell gegen den Tristan des
Thomas gerichtet.
Ausgaben von W. Foerster 1884, 1888, 1901, 1910 (s. o.). Vgl.
bes. die einleitung zur letzten ausgäbe, ferner G. Paris JdSav 1902
(= Melanges s. 229 ff.), A. G. van Hamel, Rom. 33 (1904) 465 ff,
F. Setttegast, ZrP 32 (1908) 400 ff. (sucht beziehungen zur byzan-
tinischen geschichte). Zum text: G. Colin ZfSL 25 II (1903) 146 ff,
27, 117 ff, A. Schulze ebda. 26, 354., Archiv 110 (1903) 468 ff. —
Eine franz. prosafassuug des 15. Jahrhunderts ist in Foersters grosser
Clige'sausgabe gedruckt. — Zwei mhd. bearbeitungen des KUes, von
Konrad Fleck und von Ulrich von Türheim, werden durch Rudolf
von Ems bezeugt; die aufgefundenen bruchstücke (ZdA 32, 123 ff.)
scheinen dem Türheimer zu gehören. — Der altenglische Sir öliges
hat mit dem beiden von Crestiens roman nur den namen gemein,
seinen eigentlichen inhalt bildet eine Schwankerzählung.
5. Lieder.
Die echtheit der Crestien in den haudschriften zu-
geschriebenen lieder ist grossenteils unsicher. Von den bei
Holland s. 226 aufgeführten sechs liedern konnte Brakelmann
in seinen 'Chansonniers frangais' nur drei als echt gelten
5. Lieder. 309
lassen, von denen wir aus sprachlichen gründen auch noch
das dritte, als nicht in Crestiens mundart gedichtet, streichen
müssen. Es bleiben daher als echt oder sehr wahrscheinlich
echt nur zwei, welche beide der gattung der chanson, des
höfischen minneliedes, angehören:
1. Amors tengon et bataille — Vers son champion a prise
(Brakelmann s. 44).
2. D'amor qui m'a tolu a moi — N'a li ne me vuet
retenir. (Br. s. 46).
Dieses zweite lied ist interessant durch die anspielung
auf die Tristansage, indem der dichter von sich und seiner
liebe sagt: Onques del bevragc ne bui — Dont Tristans fu
anpoisonez, — Mes plus me fet amer que lui — Fins cuers
et bone volantez. Das erste lied beruht auf dem gedanken,
dass nur der höfisch gebildete der liebe fähig sei, und schildert
im übrigen den Zwiespalt zwischen dem dichter und der
Amor, als deren getreuen Vorkämpfer er sich fühlt, die ihm
aber — bei seinem liebeswerben — keine Unterstützung
zu teil werden lässt. Das lied kann als beispiel der höfischen
chanson dienen :
1 Amors tangon et bataille
Vers son champion a prise,
Qui por li tant se travaille
Qn'a desresnier sa franchise
5 A tote s'antante mise.
N'est droiz, qu'a sa merci faille;
Mais ele tant ne le prise
Que de s'a'ie li chaille.
Qui que por Amor m'assaille,
10 Sanz loiier et sanz faintise
Prez sui, qu'an l'estor m'an aille
Que bien ai la peine aprise.
Mais je criem qu'an mou servise
Guerre et ai'e li faille.
Bemerkungen. V. C qu'a sa merci faille: Subjekt li Champions
'nicht billig ist es, dass er einen mangel habe in ihrer (d. i. der Amor)
gnade — dass er ihrer gnade entbehre'. — V. 9 ff.: mit dieser strophe
geht der dichter ans der 3. person (i. e. li Champions) in die 1. über —
13: en mon servise: dienst — lehnsdienst — minnedienst, so hier: 'bei
meinem minnedienen'.
310 IX. Kapitel. Crestion v. Troyes u. Anfange der hüf. Dichtung.
15 Ne vuel estre en nnle guise
Si frans qu'an moi n'et sa taille.
Nuls s'il n'est cortois et sages,
Ne pnet d'Ainor rien aprandre;
Mais tels an est li usages,
20 Dont nus ne se set deffandre,
Qu'ele vuet l'autree vandre:
Et quels an est li passages?
Reison li convient despandre
Et inetre mesure au gages.
25 Fos cuers legiers et volagea
Ne puet rien d'Amor aprandre.
Tels n'est pas li miens corages
Qui sert sanz merci atandre.
Einz que m'i cnidasse prandre,
30 Fu vers li durs et salvages;
Or me plest, sanz reison randre,
Qne ses preus soit nies damages.
Molt m'a chier Amors vandne
S'enor et sa seignorie,
35 Qu'a l'antree ai despaudne
Mesure et reison guerpie.
Lor consauz ne lor aie
Ne me soit jamais randue.
Je lor fail de compaignie,
40 N'i aient nnle atandue.
D'Amor ne sai nule issue,
Ne ja nus ne la me die,
16 frans: ist im gegensatz zu servise gedacht; taille bedeutet
'steuer', weiterhin ' Steuergewalt', hier wie öfter in übertragenem sinn von
der liebe, vgl. z. b. Eneas 8078, wo es von Lavinia heisst: Bien l'a Amors
mise en sa taille. — 21 ff. ist unter dem bilde eines eintrittszolles oder
weggeldes (j'assage) gedacht, das man in gestalt von reison und mesure
entrichten oder verpfänden muss, um zur wahren liebe zu gelangen (vgl.
unten 35). — 26: = v. 18. — 28 sanz merci atandre: derselbe gedanke
wie oben v. lo sanz loiier. — 29 — 30: Subjekt zu cnidasse ist amors, zu
fu das vorausgehende corages. — 39 — 40 : ' Ich fehle ihnen (i. e. reison et
mesure) in bezug auf genossenschaft — ich verzichte auf ihre genossen-
schaft'. Das folgende abhängiger nebensatz mit fehlendem que oder
selbständiger Wunschsatz: 'nicht mögen sie weiter erwartung darauf (d. h.
auf compaignie) setzen'. — 41 issue: im gegensatz zu antree 21 und 35.
Im folgenden ein neues bild: der in die gewalt der liebe gerateue als ein
im mauserkäfig (muc) befindlicher jagdvogel. Ausserlich kann er sich wol
verändern, aber nicht im herzen : er hofft auf die, von welcher er den tod
fürchten muss, und doch liisst sein herz darum nicht von ihr ab.
5. Lieder. — 6. Lancelot oder der Karrenritter. 311
Mue'r puet an ceste mue
Ma plnrue tote ma vie;
45 Mes cuers n'i muera inie.
S'ai an celi ra'atandue,
Que je criein que ne ni'ocie,
Ne por ce cuers ne renine.
Se mercis ne rn'an a'ie
50 Et pitiez, qni est perdue,
Tart iert la gnerre fenie
Qne j'ai louc tens inaintenue.
Wie seinem ganzen inbalt nach ist das liecl auch in der
form für die aus der Provence entlehnte lyrik, besonders die
gattnng der chanson, charakteristisch. Je zwei Strophen sind
durch dieselben reime miteinander verbunden (provenzalisch
coblas doblas), sodass dadurch das ganze lied dreiteilig er-
scheint. Die jede strophe durchziehenden zwei reime kreuzen
sich, doch so, dass im zweiten teil die umgekehrte reimfolge
eintritt: abab — baba. Die angefügte halbstrophe, in den-
selben reimen wie das schlussstück der vorhergehenden
strophe, ist die provenzalische tornada, französisch envoi, das
sogenannte geleit, in welchem der dichter das facit zieht oder
sich mit einer direkten anrede an den boten, an die geliebte
oder an einen gönner wendet.
Liedertexte bei J. Brakelmann, Les plus anc. Chansonniers
francais, P. 1870 — 1891, s. 42 ff. Vgl. W. Foerster, Einl. z. IV. bd.,
s. 182 f. G. Paris, JdSav 1902, s. 57 f. anm. (Melanges s. 229 f.).
6. Lancelot oder der Karrenritter.
Von demselben geist wie Crestiens lyrik ist sein roman
vom Lancelot beseelt, welcher seinen beinamen 'Karrenritter'
daher führt, dass er, um den weg der von Meleagant ent-
führten königin Ganievre zu erfahren, gegen alle ritterehre
auf dem wagen eines zwerges platz nimmt. Er tut es aus
liebe zur königin, welcher er in echtem und rechtem minne-
dienst ergeben ist, und ihr zu liebe vollbringt er die grössten
heldentaten, nimmt er den grössten schimpf auf sich, wie er
312 IX. Kapitel. Crcstien v. Troyes u. Anfänge der hüi. Dichtung.
später auf eine botscbaft von ihr alles vergisst und sich im
turnier besiegen und auslachen lässt. Wir sehen hier den
zuerst in der lyrik ausgeprägten begriff der den mann ver-
edelnden höfischen minne, der liebe zur verheirateten frau,
der für die angebetete frau alles wagenden, aber nach voll-
brachten leistungen auch alles von ihr erhoffenden und somit
schliesslich in der Verherrlichung des ehebruchs gipfelnden
liebe auf das gebiet der erzählenden dichtung übertragen.
Die verbrecherische leidenschaft eines helden für die frau
seines herrn war allerdings an und für sich wol schon vor
Crestiens Lancelot im Tristan des Thomas dargestellt worden.
Crestieu verbindet aber mit seinem stoff die aus der proven-
zalischen lyrik entlehnte und am hofe von Troyes kultivierte
liebestheorie. Nicht nur den stoff (inatiere), sondern auch
die allgemeine idee (sen) hat er nach seiner angäbe von der
gräfin Marie erhalten. Aber dass eine tendenz dieser art mit
der auffassung des Verfassers von Erec und Clig£s nicht über-
einstimmte, begreift sich leicht: er hat seinen roman nur bis
zur einmauerung Lancelots (etwa bis vers 6165) geführt und
den abschluss Godefroi de Leigni überlassen.
In seiner handlung gliedert sich auch der Lancelot, trotz
der häufung und verschachtelung der abenteuer und eines
grossen aufwandes von märchenhaften dementen, ziemlich
deutlich in fünf teile. Die exposition erzählt die entführung
der königin Ganievre durch Meleagant. Dann folgt als zweiter
teil die abenteuerreiche fahrt Lancelots und Gauvains zur
befreiung der königin, wovon die fahrt Gauvains zu der
unter wasser befindlichen brücke, zum ponz evages, nur kurz,
diejenige Lancelots zum pons de Vesjjee um so ausführlicher
geschildert wird. Das hauptabenteuer (3. teil) zerfällt der
exposition gemäss in zwei teile: die befreiung der königin
durch Lancelot durch das überschreiten der schwertbrücke
und den sieg über Meleagant und die — nach anfänglicher
Zurückweisung und abermaliger trenuung — endlich erfolgende
gewährung des höchsten minnelohnes an den befreier. Der
vierte, retardierende teil bringt die hinterlistige gefangen-
setzung und einmauerung Lancelots durch Meleagant mit ihren
Zwischenepisoden — Gauvains wiederauftauchen, heimkehr
der königin, heiratsturnier — , der fünfte und letzte teil
r>. Lancelot oder der Karreuritter. 313
erzählt Lancelots endgiltigen sieg über Meleagant am hof des
künigs Artus.
Der leitende gruudgedauke von der alles mutig und
geduldig auf sich nehmenden ritterlichen liebe kommt ebenso
wie die, trotz allen beiwerkes, straffe gliederung und ent-
wicklung der handlung deutlich zur geltung. Im einzelnen
freilich lässt der dichter manches unaufgeklärt, was er nur
geheimnisvoll andeutet. Überhaupt spielen die phantastischen
demente hier eine grössere rolle als in irgend einem seiner
früheren romane. Lancelot ist von einer fee erzogen worden
(auf einem in einem see gelegenen eiland, daher Lancelot del
Lac) und hat von ihr einen zauberring erhalten; auf der
abenteuerfahrt erlebt er in einem schloss auf dem 'zauberbett'
wunderbaren spuk; auch die brücke, die über das schwarze,
tosende, schreckenerregende wasser zu Meleagant hinüberführt
und so schmal und so scharf wie eine schwertschneide ist,
gehört hierher. Nach G. Paris haben wir es im Lancelot mit
einem ursprünglichen totenmythus keltischer herkunft zu tun.
Meleagant ist der fürst des totenreiches, welcher Ganievre,
wie vorher schon viele Untertanen des königs in sein reich
abholt; Lancelots kühne tat ist also eine bezwingung der
todesmacht, wie die fahrt des Herkules, des Orpheus oder
auch des Theseus und Peirithoos zur unterweit. Der mythus
ist freilich bei Crestien sehr verblasst, obwol einzelne
Wendungen wie Ic reaume don nus estranges ne retorne
darauf zu deuten scheinen, dass ihm der ursprüngliche sinn
des conic noch verständlich war. Aber er selbst hat alles
getan, um aus der mythischen erzählung einen ritterroman zu
machen. Lancelot als befreier der königin — nach G. Paris
erst nachträglich au die stelle von Arthur selbst getreten —
war wol schon der älteren tradition geläufig, wie er als solcher
auch in dem Lanzdet Ulrichs von Zatzikhoven begegnet, der
auf eine französische quelle zurückgeht. Aber die ver-
brecherischen beziehnngen zwischen der entführten und dem
befreier scheinen erst in Crestiens roman hergestellt worden
zu sein, sie bildeten einen teil des sen, der neuen minnetheorie.
Der name Lancelot selbst übrigens ist nicht keltisch, sondern
eine form des germanischen namens Lanzo (kurzform von
Lantbrecht, Lantfred u. ä.), der in Frankreich als Lancelin
314 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der höf. Dichtung.
häutig begegnet und in der französischen Bretagne träger des
alten totenmythus geworden sein kann.
Altere ausgaben von Tarbe, Reims 1849, und Jonckloet, La
Haye 1850. Kritische ausgäbe von W. Foerster, Halle 1899 (s. o.).
— Vgl. P. Maertens, Zur Lancelotsage (Strassb. Diss. 1880), Rom.
Stud. 5, 557 ff. G. Paris, Rom. 10 (1881) 471 ff. (Ulrichs Lanzelet),
12, 459 ff. (Crestiens Lancelot). Baist ZrP 14 (1890) 159 f. (Toten-
brücke); Foerster, einleitung zur ausgäbe. Jessie L. Weston, The
legend of Sir Lancelot du Lac (Grimm Library), London 1901.
Auf Crestiens roman beruht der franz. prosaroman des
13. Jahrhunderts und auf diesem wiederum die meisten fremden
bearbeitungen: die deutschen (Ulrich Füterer und seine nachfolger),
die niederländische, die italienischen und englischen, hierunter nach
Foerster auch Malorys Morte d'Arthure (15. Jahrhundert), für welchen
G. Paris ausser der franz. prosa noch benutzung eines verlorenen,
vor Crestien fallenden franz. versromans annimmt. Noch nicht näher
untersucht, z. t. noch nicht gedruckt sind die span. und portug.
bearbeitungen. — Der mhd. Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven darf
uns als ersatz eines verloren gegangenen franz. Lancelotromans
gelten, der ausser der entführungsgeschichte noch eine reihe anderer
episoden aus Lancelots leben behandelte. Dieser verlorene roman
weist mit Crestiens werk auf eine gemeinsame quelle zurück. —
Über eine Hartmann von Aue bekannt gewordene version vom
raube der königin (in seinem Yvain) siehe Rosenhagen im Sievers-
band s. 231 ff.
Lancelot spielt noch in mehreren romanen eine mehr oder
weniger hervorragende rolle : so besonders im JRigomer (s. kap. XII)
und in den prosaromanen von der Gralsuche (s. kap. X, XIII).
7. Yvain oder der Löwenritter.
Mit dem Yvain kehrt Crestien von der behandlung der
ehebrecherischen liebe wieder zun thema der gattenliebe
zurück. Was uns im Yvain erzählt wird, ist ein konflikt
zwischen gattenliebe und ritterlicher abenteuerlust, und nicht
mit unrecht hat man diesen neuen roman als ein gegenstück
zum Erec bezeichnet. Aber die einwirkung der neuen an-
schauungen über die liebe macht sich auch hier geltend: war
es im Erec die frau, welche den befehlen und launen des
mannes zu gehorchen hat und mit ihrer liebe und geduld auf
7. Yvain oder der Löwenritter.
315
die härtesten proben gestellt ■wird, so muss im ' Löwenritter '
vielmehr der mann um die huld der frau buhlen und, um ihre
verlorene gunst wiederzugewinnen, schwer und hart, bis zur
Verzweiflung, büssen.
Wie im Erec wird auch hier die exposition durch die
erzählung gebildet, wie der held zu seiner frau kommt. Die
grundlage dieser erzählung bildet das abenteuer von der
zauberquelle im wald von Broceliande, mit dessen erzählung
Calogrenant die abenteuerlust Yvains weckt. Diese episode mag
als charakteristische probe ftir die einwirkung bretonischen
märchenglaubens und ihre Verarbeitung durch Crestien hier
folgen :
270
MOUT fui bien la nuit ostelez,
Et nies chevaus fu anselez
Lues que l'an pot le jor veoir,
Car j'an oi niout proiie le soir;
Si fu bien feite ma proiiere.
Mon buen oste et sa fille chiere
275 A saint Esperit coinaudai,
A trestoz congie deniandai,
Si m'au alai Ines que je poi.
L'ostel gueires esloignie n"oi
Quant je trovai an uns essarz
280 Tors sauvages et espaarz
Qui s'antreconbatoient tuit
Et demenoient si grant bruit
Et tel fierte et tel orguel,
Se le voir conter vos an vuel,
2S5 Que de peor me tres arriere;
Que nule beste n'cst plus fiere
Ne plus orgnelleuse de tor.
Un vilain qui ressanbloit mor,
Grant et bidens a desmesure,
290 (Einsi tres leide creature,
Qu'an ne porroit dire de bocbe),
Vi je seoir sor une §oche,
Une grant mac,ue an sa main.
Je m'aprocbai vers le vilain,
295 Si vi qu'il ot grosse la teste
Plus que roncins ne autre beste,
Cbevos meschiez et front pele,
S'ot plus de deus espanz de le,
Oroilles mossues et granz
300 Auteus com a uns olifanz,
Les sorciz granz et le vis plat,
Jauz de choete et n6s de chat,
Boche fandue coine los,
Danz de sangler aguz et ros,
305 Barbe noire, grenons tortiz,
Et le manton aers au piz,
Longue escbine, torte et boQue.
Apoiiez fu sor sa ma§ue,
Vestuz de robe si estrange
310 Qu'il n'i avoit ne lin ne lange,
Einz ot a son col atacbiez
Deus cuirs de novel escorchiez
De deus toriaus ou de deus bues.
An piez sailli li vilains lues
315 Qu'il me vit vers lui aprochier.
Ne sai s'il me voloit tochier,
Ne ne sai, qu'il voloit anprandre,
Mes je me garni del defandre
269 la nuit: akk. der zeit, 'zur nacbtzeit, über nacht'. — 279 uns
essarz: un im plural = irgendwelche, einige, vgl. AS 235. — 280 espaarz:
herkunft uud bedeutuug unsicher, vielleicht 'wild' (zu esjjave herrenlos)
oder 'verschnitten' (lat. spado). — 288 ressanbloit mor: ressetnbler, aus
re + simulare, afr. mit akk., erst nfr., nach etre semblable n. ä., mit dativ.
316 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der büf. Dichtung.
Tant que je vi, que il s'estnt
320 Au piez toz coiz et ne se mut,
Et fu inontez dessor un tronc,
S'ot bien dis et set piez de lone;
Si m'esgarda et mot ne dist
Ne plus qu'unc beste feist;
325 Et je cuidai que il n'eüst
Eeisun ne parier ne seüst.
Totes voirs taut m'anhardi,
Que je li dis: „Va, car nie di,
Se tu es buene chose ou non!"
330 Et il nae dist: „Je sui uns honu.
„Queus hon es tu?" — „Teus
con tu voiz.
Je ne sui autre nule foiz."
„Que fes tu ci?" — „Je m'i estois,
Si gart cez bestes par cest bois."
335 „Gardes? Por saint Pere de
Rorne!
Ja ne connoissent eles home.
Ne cuit qn'an piain ne auboscage
Puisse an garder beste sauvage
N'an autre leu por nule chose,
340 S'ele n'est liiee ou anclose."
„Je gart si cestes et jastis,
Que ja n'istront de cest porpris."
„Et tu comant? Dim'an le voir!"
„N'i a celi qui s'ost movoir,
345 Des qu'eles nie voient venir.
Car quant j'an puis une tenir,
Si la destraing par les deus corz
As poiuz que j'ai et durs et forz,
Que les autres de peor tranblent
350 Et tot anviron moi s'assanblent
Aussi con por nierci crier;
Ne nus ne s'i porroit fier
Fora moi, s*antr'eles s'estoit inis,
Que maintenant ne fust ocis.
355 Einsi sui de nies bestes sire:
Et tu nie redevroies dire,
Queus hon tu ies et que tu quiers."
„Je sui, ce voiz, uns Chevaliers,
Qui qnier ce que trover ne puis;
300 Assez ai quis et rien ne truis."
„Et que voldroies tu trover?"
„Avantures por esprover
Ma proesce et mon hardeniant.
Or te pri et quier et demant,
365 Se tu sez, que tu me consoille
Ou d'avanture ou de mervoille."
„A ce", fet il, „faudras tu bien:
D'avanture ne sai je rien,
N'onques nies n'an oi' parier.
370 Mes se tu voloies aler
Ci pres jus'qua une fontainne,
N'an revandroies pas sanz painne
Se tu li randoies son droit.
Ci pres tro Veras or an droit
375 Un santier qui la te inaura.
Tote la droite voie va,
Se bien viaus tes pas anploiier,
Que tost porroies desvoiier,
Qu'il i a d'autres voies mout.
380 La fontainne verras qui bout,
S'est ele plus froide que marbres.
Onbre li fet li plus biaus arbres,
Qu'onques po'ist fcire Nature.
An toz tans la fuelle li dure,
3S5 Qu'il ue la pert por nul iver,
Et s'i pant uns bacins de fer
330 hon: ursprünglich nebentonige form von homo (= on man), hier
wie auch sonst öfter Substantiv (= huem). — 335 Pere: aus Petrum,
nebenforui zur regelrechten hochtonigen form Pierre. — 341 cestes:
analogische neubilduug für älteres cez (vgl. vers 334). — 356 redevroies
dire: 'du solltest mir deinerseits sagen'. Diese häufige bedeutung
von re- in kouip. ergibt sich aus der eigentlichen bedeutung 'zurück'.
Beachte auch die Verknüpfung des re- mit dem hilfsverb. — 365 consoille:
imperativ im abhängigen Wunschsatz statt des konj., häufiges anakoluth
wie auch mhd. (ich teil dir sagen, ivaz du tuo u. ä.). — 37S — 379: beide
que sind kausal 'denn du köuntest, weil es . . . gibt'.
7. Yvain oder der Lüwcnritter.
317
A nne si longue chaainne
Qui dnre jusqu'au la fontainne.
Lez la fontaione troveras
390 Un perron tel, con tu verras
(Mes je ne te sai dirc quel,
Que je n'an vi onques nul tel),
Et d"autre part une chapele
Petite, mes ele est mout bele.
395 S'au bacin viaus de l'eve prandre
Et dessus le perrou espandre,
La verras une tel taupeste
Quan cest bois nc reinandra
beste,
Chevriaus ue dains ue cers ne
pors,
4Ü0 Nes li oisel s'au istront fors;
C'ar tu verras si foudroiicr.
Vanter et arbres pe<joiier,
Plovoir, touer et espartir,
Que, se tu t'au puez departir
405 Sanz graut euui et sanz pesance,
Tu seras de uieillor cheauce
Que cbevaliers, qui i fust onques."
Del vilain me parti adonques,
Qui bien m'ot la voie uiostree.
410 Espoir si fu tierce passee
Et pot estre pres de midi,
Quant l'arbre et la chapele vi.
Bien sai de l'arbre, c'est la uns,
Que ce cstoit li plus biaus pins,
415 Qui onques sor terre creüst.
Ne cuit qu'ouques si fort pleüst,
Que d'eve i passast une gote,
Eincois coloit par dessus tote.
A l'arbre vi le baciu paudre
420 Del plus fiu or qui fust a vandre
Onques ancor an nule foire.
De la foutainne poez croire
Qu'ele boloit com eve cbaude.
Li perrons iert d'une esmeraude,
425 Perciez aussi com une boz,
Si ot quatre rubiz dessoz
Plus flanboiaoz et plus vermauz
Que n'est au inatin li solauz,
Quant il apert an oriaut.
430 Ja, que je Sache, a esciant
Ne vos an mantirai de mot.
La mervoille a veoir me plot
De la tanpeste et de l'orage,
Don je ne me tiug mie a sage;
435 Que volantiers m'an repantisse
Tot maiutenant, se je po"i'sse,
Quant je oi le perron crose
De l'eve au baciu arose.
Mes frop an i versai, ce dot;
440 Que lors vi le ciel si derot,
Que de plus de quatorze parz
Me feroit es iauz li esparz,
Et les nues tot pesle mesle
Gitoient noif et pluie et gresle.
445 Tant fu li tans pesmes et forz
Que cant foiz cuidai estre morz
Des foudres, qu'antor moi
cheoient,
Et des arbres, qui depecoient.
Sachiez que mout fui esmaiiez
450 Taut que li tans fu rapaiiez.
Mes Deus tant me rasseüra,
Que li tans gueires ue dura
Et tuit li vant se reposerent:
Quant Den ne plot, vanter
n'osereut.
455 Et quant je vi Ter cler et pur,
De joie fui toz a seür;
Que joie, s'onques la conui,
Fet tost obl'fer grant enni.
Des que li taus fu trespassez,
460 Vi sor le pin tant amassez
Oisians (s'est, qui croire m'an
vuelle),
Qu'il n*i paroit brauche ne fuelle,
Que tot ne fust covert d'oisiaus,
413 c'est la fins: 'das ist sicher, ausgemacht' (Tobler). — 461 s'est,
qui: 'wenn es einen gibt, der . . .' — 463 que tot ne fust covert:
subjekt ist tot 'dass nicht alles (an dem bäum) mit vögelu bedeckt ge-
wesen wäre' (F.).
318 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der hüf. Dichtuug.
S'an cstoit li arbres plus biaus.
465 Et trestuit li oisel cbantoient
Si que trestuit s'antracordoient,
Mes divers chaDZ chantoit
ehascuns ;
Qu'onques ce quo chantoit li uns,
A l'autre cbanter n'i 01.
470 De lor juie nie resjoT,
S'escoutai taut qu'il orent fet
Lor servise trestot a tret;
Qu'ains mes n'o'i si bele joie
Ne mes ne cuit que nus bon l'oie,
475 Se il ne va oir celi,
Qui tant me plot et abeli,
Que ja m'an dui por fol tenir.
Tant i fui que j'o'i venir
Chevaliers, ce me fu avis —
480 Bien cuidai que il fussent dis:
Tel noise et tel fraint demenoit
Uns sens Chevaliers, qui venoit.
Quant je le vi tot seul venant,
Mon chcval restrains maintenant,
485 N'au monter demore ne fis;
Et eil come mautalantis
Vint plus tost qu'uus alcrions,
Fiers par sanblant come lions.
De si haut, come il pot crier,
490 Me coman^a a desfier
Et dist: „Vassaus, mout m'avez
Sauz desfiauce honte et let. [fet
Desfier me deiissiez vos,
S'il eüst qnerele antre nos,
495 Ou au mains droiture requerre,
Ainz que vos me meüssiez guerre.
Mes se je puis, sire vassans,
Sor vos retornera li maus
Del domage, qui est paranz:
500 Anviron moi est li garanz
De mon bois, qui est abatnz.
Plaindre se doit, qui estbatnz:
Et je me plaing, si ai reison,
Que vos m'avez de ma meison
505 Chaeic a foiulres et a pluie.
Fet m'avez chose, qui m'euuie,
Et dahez et, cui ce est bei!
Qu'an mon bois et au mon chastel
M'avez feite tel anva'i'e,
510 Que mestier ne m'eüst ;üe
De jant ne d'arines ne de mur.
Onqnes n'i ot home a seiir
Au forteresce, qui i fast
De dure pierre ne de fust.
515 Mes sachiez bien que des or mes
N'avroiz de moi triues ne pes."
A cest mot nos antrevenimes,
Les eseuz anbraciez tenimes,
Si se covri ehascuns del suen.
520 Li Chevaliers ot cheval buen
Et lance roide, et fu sanz dote
Plus granz de moi la teste tote.
Einsi del tot a meschief fui,
Que je fui plus petiz de lui
525 Et ses chevaus plus forz del mien.
Parmi le voir, ce sachiez bien,
M'an vois por ma honte covrir.
Si grant cop con je poi ferir,
Li donai, qu'onques ne m'an
fains,
530 El conble de l'escu l'atains,
S'i mis trestote ma puissance
Si qu'an pieces vola ma lance.
Et la soe remest antiere,
Qu'ele n'estoit mie legiere,
535 Ainz iert plus grosse au mien
cuidier
Que nule lance a Chevalier;
Qu'ains nule si grosse ne vi.
Et li Chevaliers me feri
Si roidemant que del cheval
540 Parmi la crope contre val
Me inist a la terre tot plat,
Si me leissa honteus et mat,
489 De si haut, come: haut 'muss örtlich genommen werden . . .
vielleicht ist der ankommende auf der anhöbe gedacht' (F.). — 500 — 501: de
mon bois ist genetivus epexegeticus zu garanz 'rings um mich her ist der
in meinem gefällten wald bestehende zenge — mein wald als zeuge'.
Yvaia oder der Lüwenritter.
319
Qu'onques puis De me regarda;
Mon cheval prist et moi leissa,
545 Si sc inist arriere a la voie.
Et je, qui mon roi ne savoie
Remes aDgoisseus et pausis.
Dclez la fontainne in'assis
Un petit, si nie reposal
550 Le chevalier siure n'osai,
Qne folie feire dotasse.
Et se je bien siure l'osasse,
Ne soi je, que il se devint.
An la fin volantez nie vint,
555 Qu'a mon oste covant tandroie
Et que par lui ni'an revandroie.
Einsi me plot, einsi le fis;
Mos mes armes totes jus mis
Por aler plus legieremaut,
560 Si ru'an reviug honteusemant.
Quant ja ving la nuit a Toste!,
Trovai mon oste tot autel,
Aussi lie et aussi cortois,
I lome j'avoie fet einQois.
565 Onques de rien ne m'apanjai
Ne de sa fille ne de lui,
Que mains volantiers me veissent
Ne que mains d'euor me feTssent,
Qu'il avoient fet l'autre nuit.
570 Grant enor me porterent tuit,
Les lor merciz, an lor meison
Et disoient qu'onques mes hon
I^ii-rt eschapez, que il seüsseut
Ne qu'il o'i dire l'eüssent,
575 De la, don j'estoie venuz,
Que n'i fust morz ou retenuz.
Einsi alai, einsi reving,
Au revenir por fol me ting.
Si vos ai conte come fos
5S0 Ce qu'onques mes conterne vos."
Durch diese crzählung Calogrenants wird in könig Artus
selbst der wudscIi rege, das abenteuer von der quelle zu
bestehen, aber Yvain eilt ihm voraus, findet alles wie Calo-
grenant gesagt, verwundet den herrn von der quelle tötlieh,
gelangt zugleich mit ihm ins schloss, bleibt hier vermöge
eines zauberringes, den er der zofe Lunete verdankt, drei tage
lang unsichtbar und heiratet dann die witwe des von ihm
erschlagenen. Crestiens kunst offenbart sich in diesem teil
besonders in der psychologischen Schilderung, wie die un-
tröstliche witwe teils durch Lunetens zureden, teils durch
eigene reflexioneu zu dem entschluss kommt, dem mörder
ihres gatten die band zu reichen: Et li morz est toz obliez :
— Cll qui Vocist, est mar'icz — An sa ferne, et ansanble
gisent, — Et les janz aimment plus et prisent — Le vif,
qu'onques le mort ne firent (v. 1 — 2169). — Als gatte Laudinens
ist Yvain nun schutzherr der wunderquelle und wirft als solcher
Keu vom pferd, der mit Artus dorthin gekommen war. Gauvains
543 que — ne: ohne dass, ohne zu, vgl. AS s. 277. — 553 que —
de vint: devenir mit refl. pron. = nfr. einfachem devenir 'was aus ihm
geworden, wo er hingekommen war'. — 564 avoie fet: faire als verbum
vicarium (vgl. oben s. 306), hier also = trover. — 571 Los lor merciz:
akk. mit instrumentalem sinn, 'durch ihre gnade'.
320 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der höf. Dichtung.
rat folgend nimmt Ivain, um in der ehe nicht zu anpirier,
ein jähr Urlaub von seiner frau, überschreitet aber die ihm
bewilligte zeit und wird von ihr Verstössen. Er wird wahn-
sinnig, findet aber heilung durch eine von der fee Morgue
stammende salbe, besiegt den grafen Alier und seine leute
und befreit schliesslich einen lüwen von einem feuerspeienden
serpant. Der löwe folgt ihm seitdem treu und verschafft ihm
den namen Chevalier au Hon (v. 2170 — 3484). — Die abenteuer-
fahrt führt ihn eines tages wieder zur wunderquelle, wo er
gelegenheit findet, für das bedrohte leben seiner treuen h elferin
Lunete einzutreten: nachdem er vorher noch die bewohner
einer benachbarten bürg von einem furchtbaren riesen befreit,
besiegt er Lunetens gegner, den senescball nebst seinen zwei
brüdern, auch der löwe lässt sich nicht abhalten am kämpfe teil-
zunehmen. Unerkannt redet Yvain mit Laudine und beantwortet
ihre aufforderung zum bleiben damit, er dürfe nicht bleiben,
ehe er sicher wisse, dass seine herrin ihm verziehen (v. 3485
bis 4G34). Dies mittel- und hauptabenteuer bereitet also die
Versöhnung der gatten vor, die nur künstlich durch Yvains
versteckspiel hinausgeschoben wird. — Es folgt nun noch die
episode von dem erbstreit der beiden töchter des herrn von
Noire Espine, für deren eine Gauvain, für deren audere der
löwenritter eintritt, der vorher gesehwind noch eine anzahl
gefangener Jungfrauen befreit. Nach unentschieden gebliebenem
kämpf erkennen sich die beiden freunde. Der erbstreit selbst
wird durch Artus beigelegt (v. 4635 — 6509). — Aus Sehnsucht
nach Laudinen zieht Ivain abermals zur wunderquelle, ruft
hier das Unwetter hervor, findet aber keinen gegner, sondern
statt dessen Lunete, welche ihn ihrer herrin Laudine zuführt,
worauf rasch und leicht die Versöhnung der gatten folgt
{v. 6510—6818).
Über die quelle des romans sind sehr verschiedene an-
sichten geäussert worden. Indes herrscht heute wol so viel
Übereinstimmung, dass ein conte, ein märchen und zwar
keltischen Ursprungs, zugrunde liege. Nur erblickt G. Paris,
und mit ihm Baist, Brown u. a. in Laudine eine fee oder
wasserfee, während Foerster an ihr nur rein menschliche züge
findet. Auch der als grundlage vorauszusetzende märchen-
typus wird verschieden gedeutet. Wer vorsichtig ist, wird
7. Yvain oder der Löwenritter. 321
sieh mit Baist daran genügen lassen, die märchenhaften ele-
mente iu Crestiens erzählung bis zur gewinnung der Landine
durch Ivain hervorzuheben, ohne einen bestimmten urtypus zu
rekonstruieren. Die ' wetterquelle ' im wald von Broeeliande
war möglicherweise schon mit dem grundmotiv verbunden,
doch verrät Crestien gerade hier bekanntschaft mit der oben
(s. 261) genannten stelle von Waeea Xormannenchronik. Dass
Laudiue binnen drei tagen nach dem tod des gatten dessen
mörder heiratet, darf billig wunder nehmen: hier spielt wol,
wie namentlich Foerster betont, das motiv der leichtgetrösteten
witwe von Ephesus herein, doch ist auch an das Vorbild der
Jocaste im Thebeuroman (oben s. 275) zu erinnern. 'Was sich
daraus entwickelt, der psychologisch -politische Konflikt und
seine Lösung, ist echt Crestienisch' sagt Baist, und noch
schärfer formuliert Foerster Crestiens anteil: 'die anläge des
Romans, die Grundidee und der Faden der Erzählung sind sein
Eigentum.' Das zugrunde liegende märchenmotiv ist also vor
allem in der exposition zu suchen (wie ähnlich auch im Erec),
den hauptteil des romans hat der dichter frei erfunden, z. t.
mit benutzung vorhandener motive wie z. b. des antiken
Androclusmotivs.
Auch in der ästhetischen beurteilung des Werkes
gehen die ansichten sehr auseinander. Nach Foerster ist der
Ivain 'als der Höhepunkt der französischen Epik zu be-
trachten', nach Suchier hingegen 'bleibt der literarische Wert
des Romans hinter dem seiner Vorgänger zurück. Das Werk
zerfällt in zwei selbständige Teile, die nur lose miteinander
verbunden sind, und der zweite Teil setzt sich aus einzelnen
Abenteuern, wie ein Schubladenstück, zusammen.' Die kom-
position lässt in der tat zu wünschen übrig, von Ivains ver-
stossung ab erscheint das ganze fast nur als eine kette von
einzelnen abenteuern, da der dritte hauptteil, der die Ver-
söhnung mit der gattin nahe zum ziele führende kämpf Yvains
für Lunete, trotz seiner länge, in seiner bedeutung nicht recht
zur geltung kommt. Meisterhaft hingegen ist die psycho-
logische motivierung.
Ältere ausgäbe von W. L. Holland, Braunschweig 1864, 3 1885
(mit Beiträgen von A. Tobler). Dazu Glossar von Alfred Schulze,
Berlin 1902. Neue ausgaben von Foerster 1887 (gr.) und 1891
Voretzach, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 21
322 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Auf äuge der büf. Dichtung.
(kl., 3 1906 mit ausfiibrl. glossar). — Vgl. Foersters einleitung zur
letzten ausgäbe, wo die ältere lit. verzeichnet ist, von dieser bes.
Baist ZrP 21 (1897) 402 ff.; Brown, Iwein, Studies and notes in
pbil. and lit. VIII, Boston 1903 (vgl. Goltber, StvL 4, 481 ff.), The
Knight of the Lion, Publ. MLA 20 (1905) 673 ff., Chr.' Yvain Mod.
Phil. 9 (1911) 109 ff.; A. U. Johnston, The lion and the serpent,
ZfSL 30 (1907) 157 ff. — Vgl. noch: Bellamy, La foiet de Breche-
liande, 2 bde., Rennes 1896. Ed. Griesebach, Die Wauderung der
Novelle von der treulosen Witwe durch die Weltlit,, B. 1886, U889.
Von den fremden bearbeitungen ist die älteste (um 1200) die
mhd. von Hartmann von Aue. Über dessen Verhältnis zur quelle
ältere Untersuchungen von Rauch 1869, Gflth 1870 (Archiv), Sette-
gast 1873, Gärtner 1875, Roetteken 1887, zuletzt B. Gaster, Greifsw.
Diss. 1896 (zu schematisch- statistisch) und Foersters einleitungen,
bes. zur gr. ausgäbe. Es lässt sich hier sogar die handschriften-
gruppe bestimmen, welcher Hartmanns vorläge angehörte. Im
übrigen schliesst sich hier Haitmann enger an die quelle au als
in dem früher bearbeiteten Erec. — Ausserdem Übersetzungen in
altnordische prosa (um 1300, darnach schwedische und dänische
versbearbeitung), ins mittel englische sowie ins kyrnrische. Vgl.
Foersters einleitungen. Eine arbeit über die Unabhängigkeit der
kvmr. erzählung von Crestien stellt Zenker in aussieht.
8. Wilhelm von England.
Das gedieht ist eine legende, kein roman wie die vorher-
behandelten diciituDgen, bleibt auch mit seinen 3360 versen
um die hälfte hinter dem üblichen romanmass von 7000 versen
zurück. Einen geschichtlichen Hintergrund hat die erzählung
nicht, da ihr inhalt weder auf Wilhelm I. noch auf Wilhelm IL
passt. Es ist vielmehr die alte, zuerst in einem lateinischen
gedieht des 8. oder 9. Jahrhunderts behandelte Eustachius-
legende (vgl. oben s. 129), welche hier willkürlich — durch
den dichter — oder zufällig — durch die mündliche Über-
lieferung infolge irgend einer äusseren analogie — auf einen
könig Wilhelm von England übertragen ist. Dieser verlässt
bei Crestien, einer göttlichen stimme folgend, mit seiner
schwangeren frau Graciene (Gratiana) hof und thron, verliert,
am meer angekommen, zuerst die frau an fremde kaufleute,
nachdem sie ihm Zwillinge geboren, dann auch noch diese-
8. Wilhelm von England. — 9. Perceval oder der Gralroman. ■ - ;
selbst, den einen an einen wolf, den andern an kaufleute,
welche dem wolf auch den ersten Zwilling wieder abjagen und
beide in ihrer heiniat aufziehen lassen. Wilhelm selbst wird
unter dem namen Gui diener, dann gesehäftsreisender bei
einem kaufmaun, fällt bei einem aufenthalt in Bistot (Bristol)
albn, auch seinem an seiner statt als könig von England
regierenden neffen, durch seine ähnlichkeit mit dem vor
28 jahren verschwundenen könig auf, gibt sich aber nicht zu
erkennen und wird nach Sorlinc verschlagen, wo er seine frau
als königin des landes wiederfindet und nicht weit davon in
zwei plötzlich auf ihn einstürmenden riltern seine söhne wieder-
eutdeckt. Mit frau und söhnen zieht der langgeprüfte heim
und nimmt seinen thron wieder in besitz.
Die dichtung ist ganz im stile der legendendichtung
gehalten, lässt es auch an wundern nicht fehlen, erinnert
aber mit den viel verwendeten motiven von entführung,
trennung. seesturm, wiederfinden und wiedererkennen durch
ring oder irgend ein kleidungsstück zugleich sehr an den
griechisch-byzantinischen seeroman, besonders an den Apollonius
von Tyrus. An der autorschaft Crestiens braucht man nicht
zu zweifeln, die Schwierigkeit, das werk passend unter die
übrigen werke einzureihen, ist allein kein hinreichender grund.
Ältere ausgäbe in Michels Chroniques anglonormandes III
(oben ß. 260), neue kritische ausg. von Foerster 1899 (Kristians
Sämtl. W. IV), kl. ausg. 1910 (Rom. Bibl. 20). Zur verfasserfrage :
Rud. Müller, Untersuchung über den Verfasser der afr. Dichtung
W. v. E., Diss. Bonn 1899. Die oben s. 292 genannten diss. von
Bon mann und Thüre. Foerster, ZrP 35 (1911) 470 ff., sowie ein-
leitungen zu den ausgaben. Auf Crestiens dichtung beruht der am
ende des 13. Jahrhunderts entstandene Bit de Guillaume d' Anghit rre
(gedr. bei Michel), sowie der mhd. Wilhelm von Wenden des Ulrich
von Eschenbach (vgl. E. Jahncke, Studien zum W. v. W. Ulrichs
v. E., Diss. Göttingen 1903).
9. Perceval oder der Gralroman.
Crestiens letztes werk ist wol die eigenartigste seiner
Schöpfungen und zugleich diejenige, welche den nachhaltigsten
erfolg bei der mit- und nachweit erzielt hat und eine reihe
21*
32 I IX. Kapitel. Crestieo v. Troyes u. Anfänge der hüf. Dichtung.
kritischer fragen zur beantwortuug aufgibt. Keltische sagen-
stoffe erscheinen hier mit christlicher legende verknüpft. Ein
geheimnisvoller Schleier umhüllt Ursprung und bedeutung des
grals. Mehr als ein nachfolger Crestiens hat sich an der
fortsetzung der unvollendet hinterlassenen dichtung versucht.
Das Verhältnis Wolframs von Eschenbach zu Crestiens roman
ist noch immer umstritten.
A. Inhalt. Der von Potvin herausgegebene Conte del
Graal umfasst rund 60000 verse, von denen weitaus das meiste
auf das konto der fortsetzer entfällt. Crestiens anteil endet
bei vers 10601. Hiervon ist noch die nachträglich von einem
anderen dichter zugesetzte einleitung, v. 1 — 1282, abzurechnen,
welche die Vorgeschichte des grals, den tod von Percevals
vater und das leben seiner mutter in der einöde erzählt. Es
bleiben also als Crestiens eigenes werk 9319 verse übrig, deren
umfang schon anzeigt, dass der dichter hier sein übliches
romanmass von 7000 versen von vornherein überschritten hat.
Immerhin zeigt auch dieser roman an und für eich eine regel-
rechte komposition, die nur durch die einschiebung von Gau-
vains abenteuern zerstört wird.
Als exposition dürfen die ersten 500 verse (1283 — 1828)
gelten. Au einem frühlingstag reitet der söhn der witwe auf
seinem jagdpferd aus und begegnet fünf in glänzende rüstung
gekleideten rittern: er hält sie für engel. Von ihnen über
rittertum und ritterwaffen belehrt, hat er keinen sehnlicheren
wünsch als ein ritter zu werden. Die mutter, erschreckt, er-
zählt ihm das traurige geschick seines vaters und seiner
beiden älteren brüder, muss ihn aber schliesslich ziehen lassen.
Sie gibt ihm noch eine reihe guter lehren, aber der abschied
bricht ihr das herz. — Nun folgt die abenteuerfahrt Percevals
(v. 1829 — 4084): in einfacher wallisischer kleidung, mit einem
blossen jagdspeer (gavelot) ausgerüstet, auf einem leichten
jagdpferd macht er sich auf, findet in einem prächtigen zeit
ein schönes weib schlafend und raubt ihr, in falscher an-
wendung der mütterlichen lehren, einen kuss sowie ihren ring,
sodass der zurückkehrende gatte die frau ihre anscheinende
untreue schwer büssen lässt. An Artus' hof angekommen wird
er ob seiner bäuerischen kleidung und art — er reitet mit
dem ross gleich in den saal und stösst Artus mit dem köpf
'.i. Perceval oder der Gralroman. 325
Beines pferdes den liut vom köpf — zuerst verhöhnt, besiegt
aber alsbald den roten ritter, welcher Artus einen goldenen
becher geraubt, legt mit hilfe des knappen Yonet die rüstung
des erschlagenen an und führt darnach nun selbst den namen
roter ritter. Er kehrt jedoch nicht an Artus' hof zurück,
sondern reitet weiter und geniesst eine Zeitlang die Unter-
weisung des alten Gnrnemant von Gelbort in waffenhandwerk
und ritterlichem benehmen. Gurnemant macht ihn zum ritter
und ermahnt ihn u. a., nicht zuviel zu reden und nicht
neugierig zu sein (Et gardis qitc voits ne soiies — Trop
parliers ne trop noveliers . . . Qui trop parole iiecliit fu'rf.)
Der held gelaugt nach Reaurepaire, befreit die lierrin der
bürg, die schöne Blancheflour. von ihren belagerern und gewinnt
ihre liebe.
Darauf folgt als hauptabenteuer Pereevals anwesenheit
auf der Gralsburg (v. 4085 — 4864), deren rätsei zu lösen ihm
allerdings erst am schluss des romans besehieden sein sollte.
Die Sehnsucht nach der mutter treibt ihn von Blancheflour
fort. Er gelangt an ein unüberschreitbares wasser, wird von
einem in einem kahn sitzenden und fischenden mann zu gast
geladen und kommt in eine grosse, schöne bürg, wo er allerlei
wunderbares sieht, das ihn in staunen versetzt: in einem grossen
saal sind vierhundert mannen versammelt, in der mitte steht ein
ruhebett, auf dem ein kranker greis ruht, von welchem Perceval
ein schwert erhält; eine blutende lanze wird durch den saal
getragen, dann der mit edelsteinen besetzte, hell leuchtende
gral (der auch nachher während der tafel bei jedem gericht
erscheint), schliesslich ein silberner teller. Eingedenk der
mahnung Gurnemants wagt Perceval nicht nach der bedeutung
der dinge zu fragen. Am andern morgen, beim erwachen,
findet er die ganze bürg leer, besteigt sein ross und reitet
über die Zugbrücke, die unmittelbar hinter ihm hochgezogen
wird, sodass er sich nur durch einen gewaltigen sprung mit
seinem pferd retten kann. Im nahen wald findet er bei dem
leiehnam eines ritters eine Jungfrau, die ihm teilweise auf-
klärung gibt: der fischer und der kranke greis sind eine und
dieselbe person, es ist der rois peschiere, der von einer lanze
durch beide Schenkel (hanches) hindurch getroffen wurde und
nun im fischen seine einzige Unterhaltung findet. Sie macht
326 IX. Kapitel. Orestien v. Troyes u. Anfäuge der höf. Dichtnng.
ihm vorwürfe, dass er nicht nach der bedentnng von lanze,
gral und teller gefragt habe, und hegehrt Beinen namen zu
wissen: Et eil lei son nom ne savoit, — Devine et dist gut il
avoit — Percevaus li Gulois a nom. Die Jungfrau ist seine
base. Sie sagt ihm noch, dass er durch seine frage den
könig hätte heilen können, aber durch den tod seiner
mutter, den er verschuldet, habe er schwere Bünde auf sich
geladen.
Perceval bedarf also der sühne und läuterung. bis er die
lösung der aufgäbe mit besserem erfolg unternehmen kann.
Diese lösung, den abschluss des romans, hat uns Crestien nicht
hinterlassen. Was noch folgt (v. 4865 — 10601), ist vielmehr
eine reihe von abenteuern, die den abschluss der handlang
teils vorbereiten sollen, teils aufhalten und grösstenteils (etwa
4200 verse) nicht Perceval, sondern Gauvain zum beiden haben.
Von Perceval wird uns — v. 4865 — 6095 — noch berichtet,
wie er die von ihrem gatten Orguellos de la Lande miss-
handelte frau, deren leid er selbst ehedem verschuldet, durch
einen siegreichen Zweikampf mit Orguellos wieder zu ehren
bringt; wie er durch die färbe dreier blutstropfen auf weissem
schnee an seine geliebte Blancheflour gemahnt wird, ganz in
diese erinnerung versunken Saigremor und Keu besiegt und
schliesslich von Gauvain zu Artus gebracht wird; wie aber
hier eine gralsbotin erscheint, ihn verwünscht und die ritter
auf zwei abenteuer hinweist, auf das schloss Orguellos, wo
570 ritter mit ihren freundinnen hausen, und noch verlockender
auf die befreiung der herrin von Montesclaire. Nach dem
letzten abenteuer reitet Gauvain aus, hat aber vorher noch
allerlei andere abenteuer zu bestehen, die vom dichter künst-
lich ineinandergeschachtelt werden. Dazwischen — v. 7591
bis 7892 — tritt noch einmal Perceval auf kurze zeit auf:
er hat in den fünf jähren, die er seit dem verlassen von
Artus' hof unter abenteuern umhergestreift, Gott ganz ver-
gessen und wird, am Charfreitag gewappnet daherreitend, von
einem alten ritter ermahnt, busse zu tun. Er beichtet einem
einsiedler uud erfährt von ihm, dass er die befreiende frage
auf der gralsburg nicht habe stellen können, weil er seiner
mutter tod verschuldet. Der einsiedler, zugleich bruder des
roi iiescheor und der mutter Percevals, erteilt dem büssenden
9. Perceval oder der Gralrouian. 327
absolution. was wol darauf hinweist, dass der dichter nach
dem abscbluss von Gauvains abenteuern die lösung des knotens
durch Perceval. durch eine abermalige und von besserem erfolg
begleitete anwesenheit desselben auf der Gralsburg, herbei-
führen wollte.
B. Die Percevalsage. Crestiens dichtung enthält, wenn
wir von der einmischnng Gauvains absehen, sichtlich zwei ver-
schiedene, ursprünglich einander fremde grundelemente: die
erzäblung von dem in der einsamkeit aufgewachsenen, mit
rittersitte unbekannten beiden Perceval dem Walliser, und die
in n^stisches dunkel getauchte legende vom heiligen gral.
Die erste gehört in den kreis der Artussagen und Artusromane,
sie stellt sich neben die dichtungen von Eree, Ivain und so
vielen anderen. Es ist eine sage keltischen Ursprungs, die uns
allerdings bei Crestien zum ersten male in literarisch gefestigter
form entgegentritt. Aber wir können die analogien dazu schon
in irischen Überlieferungen des 7. Jahrhunderts nachweisen: wie
Perceval wächst hier der irische nationalheld Setanta-Cuchuliun,
oder kurz Cuehulinn, fern der weit in der obhut seiner mutter
auf; er hört, noch als knabe, von dem leben seiner alters
genossen am hofe Conchobars, begibt sich dorthin und besiegt
sogleich die dort kurzweil treibenden knaben, zuerst im spiel,
dann im ernst, und dringt dann ebenso täppisch und uuhöfisch
in Conchobars saal ein, wie Perceval in den Arturs. Seinen
namen Cuehulinn erwirbt er sich durch eine heldentat, die er
im alter von 6 jähren vollbringt. Solche erzählungen von einem
aus ritterlichem blut entsprossenen, aber weltfremd erzogenen
,.dümmling" (franz. nicelot) begegnen auch neben und unab-
hängig von Perceval in der französischen literatur: so im lai
von Tyolet (s. kap. XI), im JBeaus Desconneüs Reuauds von
Beaujeu und seinen ableitungen (s. kap. X) und in der jugend-
geschichte Laneelots (bei Ulrich von Zatzikhoven, vgl. oben
s. 313).
Ob der keltische sagenheld, dessen geschichte Crestien
als quelle diente, schon einen ähnlichen namen wie Perceval,
etwa Peredur, gehabt oder ob Crestien den namen seines beiden
— Perceval ,.DringdurchstaP' — frei erfunden hat, lässt sich
nicht ausmachen. Doch nennt ihn Crestien schon im Erec
(v. 1326 Percevaus li Galois) als Artusritter neben Keu, Gauvain
328 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der hüf. Dichtimg.
u. a. Der kymriscke (wälsche) prosaroman von Perednr lässt
keine sicheren Schlüsse auf die existenz eines wälscheu Peredur
zu, da er in der hauptsache auf Crestiens roman beruht, mit
Zusätzen aus kymrischer Überlieferung; auch das mittelenglische
spielruausgedicht Sir Perceval geht mit grosser Wahrscheinlich-
keit auf Crestien zurück.
C. Die Grallegende. Das wort graal bezeichnet ein
tafelgeschirr, eine sehüssel. Der mönch Helinand, anfangs des
13. Jahrhunderts, erklärt das entsprechende lateinische graddlis
als eine grosse sehüssel, in welcher köstliche speisen stufen-
weise geordnet serviert wurden: scutella lata et aliquant ul um
profunda, in qua preciosac dapes divitibus solent apponi yrada-
tim unus morsellus post alium in diversis ordinibus. Über
das wesen des heiligen grals spricht sich Crestien nicht weiter
aus, da er die aufklärung erst am schluss bringen wollte. Wir
erfahren nur, dass sein erscheinen von einer blutenden lanze
und einem silbernen teller begleitet ist, dass alle ihm tiefste
ehrfureht bezeugen und dass er bei jedem neuen gericht vorbei-
getragen wird. Aus anderen gralromanen (vgl. kap. X) er-
fahren wir weiter, dass der gral die fähigkeit besitzt, gute
und böse von einander zu scheiden, wunden zu heilen oder
speise und trank zu spenden. Daneben gilt er zugleich als
die abendmahlsschüssel, die Joseph von Arimathia dann erhielt
und benutzte, um das blut des gekreuzigten heilandes auf-
zufangen, weiter als der kelch des abeudmahls oder als hostien-
behälter. Die blutende lanze ist dann die lanze, mit welcher
Longinus den Herrn in die seite stach, der silberne teller die
patene, welche den abendmahlskelch bedeckt.
Der gral erscheint demnach in den vorhandenen Über-
lieferungen als die Vermischung eines märchenhaften und eines
mystisch-religiösen elementes: eines wunschgefässes, wie wir
es in den märchen vieler Völker finden, und der abendmahls-
schüssel, welche dann weiterhin mit kelch, blutschüssel usw.
gleichgesetzt wird. Über die älteste entwicklung der legende
freilich sind wir im unklaren, da wir mit verlorenen quellen
zu rechnen haben und die ältesten Überlieferungen (Crestien —
Kobert von Borron) einander vielfach widersprechen. Ver-
mutlich steht die ausbildung der grallegende in Zusammenhang
mit der legende von Joseph vou Arimathia, der nach dem
. Perceval oder der Gralrouian. 329
apokryphen Nieodemnseyangelium durch den auferstandenen
Heiland selbst aus dem gefängnis befreit wurde, nach der
Vindicta Salvaioris hingegen bis zur Zerstörung Jerusalems
durch Titus im kerker blieb und während dieser zeit von Gott
auf wunderbare weise gespeist ward. Die weitere ausbildung
der Josephlegende hat sich wol im keltischen Brittannien voll-
zogen, als dessen bekehrer Joseph von Arimathia galt. In
Brittannien entstandene lateinische legendendiehtung scheint
dem grossen gralroman Roberts von Borron (1180 — 1200)
zugrunde zu liegen, der im ersten teil seines Werkes die
gesebithte Josephs von Arimathia und die des grals behandelt.
Dieser ist hier zunächst identisch mit der abendmahlsschüssel,
welche mit Christi leichnam in die bände Josephs kommt und
beim waschen des leichnams zum auffangen des aus den wunden
Messenden blutes dient. Im kerker erhält Joseph aus den
bänden des Herrn dieselbe Schüssel wieder, welche ihn während
seiner langen gefangenschaft am leben erhält. Bei der Zer-
störung Jerusalems aus dem kerker befreit, wandert er aus und
gründet eine gralgemeinde, welche sich täglich zum dienste
des grals um einen tisch versammelt, an welchem stets ein
platz für den künftigen gralbewahrer frei bleibt. Josephs
Schwager Bron wandert mit dem heiligen gral nach westen,
nachdem ihn Joseph die geheimnisse des grals gelehrt. Brons
enkel soll der letzte gralbewahrer sein.
Die Vorgeschichte des grals hat hiernach durchaus legen-
darischen, wenn auch nicht streng kirchlichen eharakter. Die
gralgemeinde dient dem heiligen gral, ohne rücksicht auf
kirchliche dogmen und kirchliche hierarchie. Das ritterliche
element kommt erst durch die 'gralsuche' herein, indem Perceval
und andere Artusritter den heiligen gral aufsuchen gehen und
zu gralsrittern werden. Welche rolle in dieser Vorgeschichte
der walisische erzähler Bleheris gespielt hat, der als gewährs-
mann des Percevalfortsetzers AVauchier de Denain genannt wird
und auch anderwärts als famosus fabulator und als kenner
brittischer geschichte bekannt ist, wissen wir nicht. Jedenfalls
wäre es kühn, aus den Zeugnissen schliessen zu wollen, Gauvain
sei der eigentliche held der gralsage gewesen und Perceval
erst nachträglich, durch Crestien, an seine stelle gesetzt
worden.
o-)0 IX. Kapitel. Crcstien v. Troyes u. Anfänge der liöf. Dichtung.
Ausgabe von Potvin, Perceval le Gallois ou le Conte del
Graal, Mons 1866, 6 bde. (I prosaroman, II u. III Crestiens gedicbt,
III — VI fortsetzungen). Crestien's v. Tr. C. d. Gr., Abdruck der Hs.
Paris, franeais 794 (von G. Baist, Freiburg 1909, nicbt im handel).
Krit. ausgäbe angekündigt von Baist. — Der erste fortsetzer von
Crestiens gedieht (ausgäbe v. 10 601 bis ca. 21916) führt Gauvaius
abenteuer weiter, der auf der gralsburg zwar die notwendigen fragen
stellt, aber die lösung nicht vollbringen darf. Ganchier de Dourdan
(21917 — 34 934), richtiger YVauchier de Denain, bekannt als Über-
setzer von heiligenleben (P. Meyer, Rom. 32. 583 ff), führt Perceval
durch eine reihe von abenteuern wieder zur gralsburg. Manecier
(34 935 — 45 378) lässt Perceval alle gewünschte aufklärung über
den gral zuteil werden und erzählt seine weiteren Schicksale bis zu
gralkönigtum und tod. Ein späterer dichter, Gerbert de Montreuil,
hat zwischen Ganchier und Manecier noch etwa 15 000 verse ein-
geschoben (bd. VI s. 161 ff.) und Perceval vor der endlichen lösung
noch eine reihe neuer prüfungen und abenteuer auferlegt (neue
ausgäbe von Gerberts anteil angekündigt von Wilmotte). Vgl.
H. Waitz, Die Fortsetzungen von Crestiens Perceval le Gallois,
Strassb. Diss. 1890, und die Schriften von Birch- Hirschfeld und
Heinzel (s. u.). Über Bleheris {Bledhericus in der Descriptio
Cambriae von Giraldus Cambrensis, wol auch gleich Brcri in
Thomas' Tristan) siehe Jessie L. Weston, Rom. 33 (1904) 333ff,
34, 100 ff.
Die Gral sage ist in einer reihe von Untersuchungen behandelt
worden, von denen icli die neueren und an älteren nur die wichitgsten
nenne (zur älteren lit. vgl. die sorgfältigen bibliographien von
W. Hertz und E. Wechssler). Fr. Zarneke, PBB 3, 310 ff. Birch-
Hirschfeld, Die Sage vom Gral, L. 1877. E. Martin, Zur Gralsage,
Str. 1880 (Qu. u. Fo. 42). Alfred Nutt, Studies on the legend of
the Holy Grail, London 1888, dazu II. Zimmer, GGA 1890, s. 488 ff.
R. Heinzel, Über die franz. Gralromane, i. d. Denkschr. d. Wiener
Akad., phil.-hist. Kl. 40, Wien 1891. W. Hertz, Die Sage von
Parzival u. d. Gral, Breslau 1881, neu bearbeitet in der Übers,
von Wolframs Parzival, Stuttgart 1898, s. 413 ff. Baist, Artus u. d.
Gral, ZrP 19, 326 ff. Ed. Wechssler, Die Sage vom heiligen Gral,
IIa. 1898. P. Hagen, Der Gral, Str. 1900 (Qu. u. Fo. 85). Newell.
The legend on the holy grail, Cambridge 1902. Willy Staerk, Über
d. Ursprung der Grallegende, Tübingen 1903. Jessie L. Weston, The
Legend of Sir Perceval, 2 Bde., London 1906 — 09. Sterzenbach,
Ursprung u. Entwicklung der Sage vom Gral, Diss. Münster 1908.
Baist, Parzival u. d. Gral, Rektoratsrede, Freiburg i. B. 1909.
L. E Iselin, Der morgenländische Ursprung der Grallegende,
Ha. 1909. Will. A. Nitze, The fisher king in the Grail romances.
Publ. MLA 24. Baltimore 1909. W. Golther, Die Gralsage bei
Wolfram von Eschenbach, Rektoratsrede, Rostock 1910. Arthur
C. L. Brown, The bleediog lance, Publ. MLA 25 (1910) 1 ff .
9. Perceval oder der fJralroman. 331
Leop. v. Schroeder, Die Wurzeln der Sage vom hl. Gral, Sitz.-Ber.
d. Wiener Akad., phil.-hist. Kl., bd. 166 (1910). Vgl. Bruggers
ausführliche rezensionen in ZfiSL, bes. 36 (1910) II, 39 (1912) II.
Während nach der älteren auffassung das christlich -legendarische
dement die eigentliche grundlage, die keltische Überlieferung einiges
beiwerk geboten hat, erblicken Martin, Nutt, Rhys, Brown, Brugger
das grundelement gerade in den keltischen oder wenigstens, wie
Baist, in den sagenhaften, nicht christlichen hestandteilen. Die
versuche, den gral mit orientalischen (syrischen, arabischen, indischen)
Überlieferungen in beziehung zu setzen (Hagen, Weston, Nitze,
L. v. Schroeder) haben zu keinem greifbaren ergebnis geführt, gehen
z. t. auch von falscher grundlage (Wolfram) aus. Auch die herleitung
des gral Zeremoniells aus den brauchen der byzantinischen messe
oder aus 'christlicher mythologie' (Staerk) lässt sicli nicht hinreichend
begründen. Freilich haben auch die Vertreter keltischer herkunft
manche entlegenen oder nicht zutreffenden parallelen gezogen.
Über die irische Cnehulinnsage und ihre beziehungen
zur Percevalsage vgl. II. Zimmer, GGA 1890, 8. 517 f. Eleanor
Hüll, The Cuchulinn Saga in Irish Literature (Grimm Library 8),
London 1898.
Der franz. prosaroman von Perceval le Gallois (in Potvins
I. bd.) fusst auf Crestien und seinen fortsetzern, z. t. auch noch
auf anderen gralromanen. — Über den kymrischen Perednr und
den raittelenglischen Sir Perceval vgl. W. Golther, Sitz.-Ber.
der bayr. Akad. 1890, phil.-hist. Kl. II, 174 ff.; über Peredur noch
Mary Rh. Williams, Essai sur la composition du roman gallois de
Peredur (These), P. 1909, dazu Rud. Thurneysen, Ztschr. f. celtische
Philologie 1910, 185 ff; über Sir Perceval Reginald II. Griffith, Sir
Perceval of Galles, a study of the sources of the legend, Chicago
1911, und die neue ausgäbe von Campion und Holthausen,
Heid. 1912. — Die altnordische prosabearbeitung kennt nur
Crestiens gedieht, aber nicht seine fortsetzer, ebenso Wolfram von
Eschenbach. Dieser nennt aber als seinen gewährsmann Kyot
den Provenzal und polemisiert gegen Crestien. Obwol die meiuung,
Wolfram habe diesen gewährsmann nur vorgetäuscht, um sein
publikum irrezuführen, neuerdings mehr an boden zu gewinnen
scheint (Baist, Golther, s. oben), ist Wolframs angäbe an sich
keineswegs unglaubhaft, nur dass ihm vielleicht mit dem namen
— wie in so vielen anderen fällen — ein missverständnis unter-
gelaufen ist, und auf einen anderen gewährsmann — neben oder
an stelle Crestiens — weisen auch viele Übereinstimmungen Ws.
mit nichtcrestien'schen Gralromanen. Wegen der ähnlichkeit von
namen und beinamen liegt es nahe, an den lyriker Guiot von
Provins (kap. X) zu denken. So abgelegene persönlichkeiten wie
Philipp von Poitou (Hagen 1906) können ebensowenig in betracht
kommen wie das von Heinzel angenommene missverständnis Kyot
aus M ot (qui habuit). Vgl. zu Wolfram die literatur bei Hertz,
332 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der höf. Dichtung.
Wechssler (s. o.), Panzer (Bibliographie zu W. v. E., München 1897),
G. Ehrismann ( Wolframprobleme , GrM 1909, 657 ff.). Neuere
Specialuntersuchungen: J. Lichtenstein, PBB 22, 1 ff.; L. Grimm, Zur
Entstehung des Parzival, L. Diss. 1897; P. Hagen, ZdA 45, 187 ff.
(dazu G. Roethe ebenda 45, s. 223 ff.), 47, 203 ff, ZdP 38 (1906) 1 ff,
198 ff. (dazu Brugger, Archiv 118, 230 ff); E.Martin, einleitung zu
seiner Wolframausgabe II, § 6 u. 7; J. L. Weston, Legend (s. o.) II
(dazu Blöte, AZdA 34, 242 ff); Baist, 1909, W.Golther, 1910 (s.o.);
Carsten Strucks, Der junge Parzival etc. etc., Diss. Münster 1910.
Dass Wolfram Crestieus abenteuerroman vertieft und mit sittlich -
religiösem geist erfüllt hat, wird allgemein zugegeben: 'Sein „Parzival"
ist vielleicht neben der „Göttlichen Komödie" die bedeutendste
literarische Leistung des Mittelalters' (Suchier, Lit. 149).
10. Theorien über die Herkunft und Bedeutung
des keltischen Elementes.
Schon die betrachtuug der einzelnen werke Crestieus hat
gezeigt, dass die keltischen sagenelemeute von den modernen
forschem in ihrer bedeutung für die französische romanliteratur
sehr verschieden eingeschätzt werden. Die beurteilung dieser
frage hängt z. t. auch ab von der literarischen form, in welcher
man sich diese demente den französischen dichteru zugekommen
denkt, von der art und weise der Vermittlung, vou dem nächsten
ursprungsort, der für die Franzosen sowol in der französischen
Bretagne als auch in England liegen konnte, von der Stellung-
nahme zur entwickluug der Artussage und der keltischen
sagenliteratur überhaupt. Zur beantwortung dieser fragen ist
natürlich die Untersuchung der Artus- und Gralsage nicht aus-
reichend, es müssen auch der Artussage ursprünglich fremde
Stoffe, wie die Tristansage, wie die laidichtung herangezogen
werden, und was die keltische literatur anlangt, nicht nur die
aus dem 13. oder 14. Jahrhundert stammenden ritterromane,
sondern auch, wie bei Perceval-Cuchulinn. die weit älteren
irischen heidensagen, welche vielfach reine märchenmotive in
sich aufgenommen haben.
Von vornherein kommen für die französischen dichter
schriftliche wie mündliche quellen in betracht. Die mündlichen
quellen entziehen sich naturgemäss unserer kontrolle, wir müssen
10. llcrknut't und Bedeutung des keltischen Elementes. :>;>:>
uns an die überlieferten schriftlichen denkmäler halten. Von
keltischen quellen stehen unseren französischen Artusromanen
inhaltlieh am nächsten die sogenannten mabinogion (plural
zu mabinogi): so bezeichnet man im allgemeinen die wälschen
(walisischen) erzählnngen, die sieh im sogenannten 'Koten
Buch von Hergest' (Llyfr codi o Hergest), einer grossen sammel-
handschrift aus dem ende des 14. oder anfang des 15. Jahr-
hunderts, befinden. Tatsächlich aber tragen nur die vier ersten
unter diesen geschienten und noch dazu gerade solche, welche
mit Artus nichts zu tun haben, in der handschrift den namen
mabinogi, während er auf die übrigen irrtümlich durch Lady
Guest und ihre nachfolger tibertragen worden ist. Neben
speziell kymrischen Stoffen finden sich hier auch bearbeitungen
des Dares Phrygius, des Galfred von Monmouth, des Bueve de
Haumtone, des Amis und Amiles und vor allem des Yvain,
Peredur und Erec. Die abfassung dieser Mabinogion ist nach
J. Loth nicht nach dem ersten drittel des 13. Jahrhunderts
erfolgt.
In die zeit vor Crestien hingegen führen uns die irischen
beldensagen (wie die von Cuchulinn), die teilweise schon
um 1100, zum anderen teil um die mitte des 12. Jahrhunderts
aufgezeichnet wurden, aber in ihrer eutstehung auf eine noch
viel frühere zeit, auf 9. und 10. Jahrhundert, zurückweisen.
Sie bieten uns allerdings nicht die unmittelbaren quellen der
altfranzösischen romane, wol aber zahlreiche treffende, durch
ihr alter wichtige parallelen zu einer reihe von kernmotiven
oder episoden der französischen romane, so dass der Zusammen-
hang mit keltischen Überlieferungen dadurch eine festere stütze
und zugleich eine genauere erklärung gewinnt.
Schliesslich werden in den alten texten sehr oft die
bretonischen lais erwähnt, welche von bretonischen spiel-
leuten vorgetragen wurden. Hierunter verstand mau zunächst
musikalische stücke, welche mit der bretonischen rote (eine
art harfe) vorgetragen und von einem liedmässigen text er-
zählenden inhalts, in der regel eine kurze liebesgeschichte,
begleitet wurden. Aus der bearbeitung solcher erzählungen
gingen die französischen lais hervor, kürzere erzählungen in
paarweisen reimpaaren von etwa 100 bis 1200 versen, mit
ähnlichem inhalt wie die höfischen romane, aber rein episodisch,
334 IX. Kapitel. Cresticn v. Troyes n. Anfänge der höf. Dichtung.
z. t. ausschliesslich märchenhaft und grösstenteils noch nicht
oder nur sehr äusserlich an die Artussage angeknüpft. Die
überlieferten lais stammen grossenteils von Marie de France,
welche sie um 1165 gedichtet hat, einige wenige sind älter,
andere jünger. Wir finden hier also ganz ähnliche, z. t. die
gleichen stoffe behandelt wie in den romanen, aber in einer
relativ älteren form. Gelegentlich mag auch einmal ein lai
die quelle eines romans gebildet haben (vgl. Eliduc und llle
et Galeron). Für die Artussage bleibt noch der einfluss zu
berücksichtigen, den Galfred von Monmouth und seine Über-
setzer (oben s. 260 ff.) auf die französische romandichtung aus-
geübt haben können.
Vgl. über den namen mabinogion Heinrich Zimmer. GGA
1890, s. 511 ff. J. Lotli, Contributions ä l'etude des romans de la
Table Ronde, P. 1912, s. 30 ff. — Ältere übers, von Ch. Lady Guest,
The Mabinogion from the Llyfr Coch o Hergest, 3 bde., London
1838 — 1849. Darnach deutsch von San Marte (A. Schnitze), Die
Arthursage und die Mährchen des rotheu Buches von Hergest, 2 bde.,
1842. Neue übers, von J. Loth, Les Mabinogion traduits en franeais
avec un commentaire etc., 2 bde., P. 1889 (= bd. III und IV des
'Cours de litt, celt.', oben s. 36). — Zu den irischen heldensagen
vgl. Thurneysens Übersetzung (oben p. 36) und Gustav Ehrismann,
Märchen im höfischen Epos in PBB 30, 14 ff. — Über die lais
siehe bes. Warnkes einleitung zu den lais der Marie de France
(Bibl. Norm. III 21900), dazu die weitere unter kap. XI verzeichnete
literatur.
In der frage nach der herkunft der französischen romane mit
bretonischem inhalt handelt es sich zunächst darum, ob dieser den
französischen dichtem aus der französisch-bretonischen Bretagne, aus
der sogenannten Aremorica, oder von den Kelten Grossbritannieus,
besonders aus Wales, zugekommen ist. In dieser frage kommt sehr
viel auf die namensformen an, worüber genau genommen nur die
Keltisten zuständig, leider aber noch nicht ganz einig sind. Ausser-
dem spielt noch das Verhältnis der wälschen prosaromane von
Geraint (= Erec), Owen (= Yvain) und Peredur (= Perceval) eine
rolle in der beurteilung der frage. Wird England als ausgangs-
punkt betrachtet, so legt sich die frage nahe, ob nicht die in
England lebenden französischen dichter, die sog. Anglonormannen,
die Vermittler des Stoffes nach dem festland gewesen und damit
Crestiens und seiner Zeitgenossen Vorgänger gewesen sind. Hatte
Crestien aber fertige, umfangreiche quellen zur Verfügung, so ist
sein anteil an der prägung des Stoffes naturgemäss ein viel geringerer,
als wenn er nach kurzen contes oder lais arbeitete. Die ganze
10. Herkunft nud Bedeutung des keltischen Elementes. 335
frage ist also schliesslich für die literar- historische beurteilung
Crestiens von weittragender bedeutung.
Es stehen sich im wesentlichen zwei anrichten gegenüber, die
im laufe der zeit im einzelnen allerdings nicht anerheblich modifiziert
worden und dadurch einander doch etwas näher gerückt sind: die
ansieht von Gaston Paris einerseits und diejenige von Wendelin
Foerster andererseits. Die übrigen forscher — wenn wir von älteren
theorien und Untersuchungen absehen — lassen sich meist als Partei-
gänger des einen oder des anderen betrachten. Foerster hat in der
einleitung zu seiner Lancelotausgabe (s. 99 ff.) selbst eine historische
Übersicht über die verschiedenen forschungen gegeben, so dass ich
mich hier auf die hauptvertreter beschränken kann.
Gastou Paris hat seine ansieht über die matiLrc de Bretagne
im 30. band der Histoire littCraire de Ia France (1887, s. 2 — 14)
niedergelegt und bald darauf (18b8) kurz präzisiert in seiner
Litterature francaise au moyen äge, § 53 ff., auch einzelne punkte
in artikeln und rezensionen der Romania vorher (bes. 10, 471 ff.)
oder nachher (so 22, 164 ff.) diskutiert. Bretagne ist ihm, in der
Verbindung mutiere de Bretagne, Grossbritannien, wo die Normannen
romanischen und keltischen geist einander nahe brachten. Hier
wurde die sagengestalt Arthurs geschaffen, die uns um 1136 Gaufrei
von Monmonth, 'un clerc d'origine bretonne, mais tout penetre de
la eulture franco-normande', im gewande der lateinischen spräche
auf grund von 'contes gallois' darstellt. 'Rien ne serait moins juste
d'ailleurs que de regarder, ainsi qu'on le faisait volontiers antrefois,
VHistoria regum Britanniae corame la source des romans du cycle
d'Arthur .... II suffit, pour s'en convaincre, de reruarquer que toutes
ces merveilleuses conquetes du pretendu roi breton, qui oecupent
tant de place chez son historiographe, sont absolument inconnues
aux poemes, oü nous voyons Arthur sejourner dans le pays de Galles,
ou tout au plus dans quelques autres parties de la Grande Bretagne.'
Verschiedene stellen bei Wace (vgl. oben s. 261) beweisen, dass es
im 12. Jahrhundert noch 'une foule de recits populaires sur les
aventures d'Arthur et des compagnons assis ä sa table' gab. Wälsche
spielleute brachten mit ihren lais keltische sagenstoffe zu den
normannisch -französischen eroberern und schliesslich auch nach
dem festland hinüber, teils in der form des gesungenen lai, teils in
der des gesprochenen conte. Zu den 'recits gallois' (aus Wales)
gesellen sich 'recits armoricains' (aus der französischen Bretagne),
die erfindende phantasie fügt weiteres hinzu. Auf diesem wege
ging naturgemäss die ursprüngliche 'couleur nationale' dieser
bretonischen erzählungen verloren, den wälschen geist an und für
sich finden wir viel getreuer in den mabinogion (ausgenommen die
drei aus dem französischen übersetzten) wieder.
Von diesen Voraussetzungen aus gelaDgt G. Paris zu der sog.
anglonormannischen hypothese: 'Les plus anciens des poemes con-
sacres ä cette matiere paraissent avoir £te compose's eu Angleterre,
336 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der höf. Dichtung.
et presque tou=? se sont perdus.' Es bleiben davon als teste oder
Zeugnisse nur die fragmente aus den Tristanepen von Beroul und
TIk mias, ferner einige englische gediente des 13. und 14. Jahr-
hunderts, welche auf auglonormannische vorlagen zurückweisen, und
endlich die drei inabinogion von Geraint, Owen und Peredur, welche
nicht aus Crestiens Erec, Ivain und Perceval, sondern aus anglo-
normannischen gedichten übersetzt sind. Erst von England aus ist
die mattere de Bretagne nach Frankreich gekommen: 'soit directe-
ment par les chanteurs et conteurs bretons, soit par l'intermediaire
des conteurs auglonormands, soit deja mise en vers dans les lais
et les poemes anglonormands. Les plus anciens ouvrages qui lui
aient ete consacres ou du moins qui soient arrives jusqu'ä nous,
sont ceux de Chretien de Troies. ... La plupart des autres
poemes du cyclo ont visiblement ete composes sous l'influence de
Chretien '
Demgegenüber vertritt Wendelin Foerster in wesentlichen
teilen den entgegengesetzten Standpunkt, den er in seinen ver-
schiedenen einleitungen zu Crestiens werken, vor allem zum Ivain
1887, Erec 1890, am ausführlichsten zum Lancelot 1899, begründet
hat (vgl. noch seine anzeige von G. Paris' Litt. fr. au m. ä., LgrP
1890, s. 2b3ff, den artikel 'Ein neues Artusdocument', ZrP 22
s. 243 ff.. 526 ff., und zuletzt 'Die sog. Mabinogionfrage', ZfSL 38,
19 — 95. Foerster legt den nachdruck auf die dichterische persön-
lichkeit Crestiens, welcher nicht übersetzt oder nachgeahmt, sondern
frei und selbständig die ideen seiner romane erfunden und gestaltet
hat: 'Seinem geistigen Inhalt nach muss der Artusroman
eine französische Schöpfung sein. Es ist französischer Geist
in fremdem Kostüm, genau wie die klassische Tragödie des
XVII. Jahrhunderts.' Die ideen des rittertums und der abenteuer-
suche, der minne und des verliegens sind frauzösisch. Die bretonische
ortsstaffage und die bretonischen namen der persönlichkeiten sind
nur 'äusserer Aufputz . . . äusserlich eingefügte, mit dem Stoff in
keiner Beziehung stehende Mosaiksteiuchen'. Die lais sind freilich,
wie G. Paris annimmt, 'wirklich anfangs keltischen Inhalts und
mögen in England vielleicht früher von den Franzosen, als auf
dem Kontinent behandelt worden sein. . . . Keines dieser lais
hat aber mit Artus und seinen Rittern etwas zu tun! . . .
Berühmt und bekannt wurde Artus einzig und allein durch Gottfried
von Monmouth. . . . Unmittelbar darauf (Mitte des 12. Jahrhunderts)
sehen wir in Frankreich die Artusromane auftauchen.' Ein mittel-
glied (d. h. eine anglonormannische Zwischenstufe) zwischen den
6pielleuten und laidichtern, welche nun ihre alten, langweilig
gewordenen stoffe mit Artus äusserlich in Verbindung brachten, und
den französischen Verfassern der Artusromane anzusetzen liegt kein
anlass vor.
Das ist in ihren wesentlichen punkten die ansieht, welche
Foerster in seiner vorrede zur grossen Ivainausgabe von 1887,
10. Herkunft, und Bedeutung des keltischen Elementes. 337
sowie im Litbl. von 1890 auseinander gesetzt bat. Im Erec 1890
bat er die der Historia Galfreds zugeschriebene bedeutung zugunsten
mündlicher, durch spielleute vermittelter aremorikanischer Über-
lieferungen wesentlich eingeschränkt. Für die bevorzugung der
letzten waren ihm vor allem die forschungen des keltisten Heinrich
Zimmer massgebend, demzufolge sämtliche namensformen von Artus-
helden in aremorikanischer lautform auftreten, also nicht von den
Inselkelten entstammen können (vgl. H. Zimmer, Bretonische Elemente
in der Arthursage des Gottfried von Monmouth, ZfSL 12, 231flf. —
Beiträge zur Namensforschung in den altfranz. Arthurepen ebda. 13,
lff. — GGA 1890, s. 488 ff., s. 785 ff, — gelegentlich auch: Nennius
vindicatio. Über Entstehung, Geschichte und Quellen der Historia
Brittonum. B. 1893). Zur stütze dieser aremorikanischen herkunft
der den Franzosen zugekommenen keltischen Stoffe bringt Foerster
selbst im Lancelot (Einl. s. 111 ff) weitere gründe bei. Auch die
Untersuchungen von F. Pütz über das frühzeitige vorkommen der
Artusnamen in der französischen Aremorica (ZfSL 14, 161 ff.) und
von F. Brugger über die bedeutung der worte Bretagne und
Breton (ZfSL 20, 79 ff, vgl. auch 27, 69 ff und spätere artikel und
rezensionen in derselben zs.) kommen Foersters anschauung zu
statten.
Gegenüber der sogenannten anglonormannischen hypothese
betont Foerster, dass kein einziger anglonormannischer Artusroman
auf uns gekommen ist, dass es nicht einmal anglonormannische
Handschriften von Artusromanen gibt und dass die annähme von anglo-
normannischen (also aus inselkeltischen Überlieferungen schöpfenden)
Vorbildern für die kontinentalfranzösischen Artusromane nicht zu
den hier begegnenden aremorikanischen namensformen stimmt.
Mit der anglonormannischen hypothese steht auch die sogenannte
mabinogionfrage in direktem Zusammenhang, da G. Paris gerade
in den bekannten drei wälschen prosaromanen nachklänge anglo-
normannischer dichtungen erblickt hatte. Für den kymrischen Owen
wies Foerster selbst (Einleitung zu Ivain s. 22 ff.) dessen abhängig-
keit von Crestiens roman nach, für den Geraint (Erec) unternahm
es sein Schüler Othmer (Bonn. Diss. 1889), für den Peredur
(Perceval) tat es Wolfgang Golther (Sitzber. d. Münch. Akad. d.
Wiss. 1890, s. 174 ff). Für den Geraint hat G. Paris seitdem die
abhängigkeit von Crestien zugegeben, nimmt aber daneben noch
eine zweite, verlorene (französische) vorläge au. Demgegenüber
hat Foerster seine meinung durchaus aufrecht erhalten und in der
einleitung zum Lancelot (s. 127 ff.) nochmals nach allen Seiten
erhärtet.
Foerster fasst diese seine letzten ausführungen in dem schluss-
ergebnis zusammen: 'dass zwar die Figur des Artus als historische
Person aus Wales stammt, der Sagenkönig Artus aber eine
Schöpfung Armorikas ist, die daselbst weiter ausgebildet wurde,
bis sie von den benachbarten Franzosen die literarische Gestaltung
Vor e tzsc h , Studium d. »frz. Literatur. 2. Auf läge. 22
338 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Aul äuge der hüf. DichtUDg.
erhielt. Armorika ist also die Wiege der Artussage und
Nordfrankreich die Wiege der Artusromane. Ältere anglo-
normannische oder gar wallisische Artustexte sind überhaupt aus-
geschlossen — sie haben nie bestanden und auch nicht bestehen
können.' Gemäss dieser anschauung spricht Foerster auch dem von
ihm beschriebenen, eine belagerungsszene mit namen von Artus-
heldeu darstellenden tympanon am domportal zu Modena (nach
Justi frühestens um 1130) jede literarische bedeutung ab, es
beweist lediglich das bekanntwerden der Artusritter und ihrer taten
durch bretonische erzähler in Italien, was ebenso auch P. Rajnas
nachweise über das vorkommen von namen des Artuskreises seit
anfang des 11. Jahrhunderts in Italien (Rom. 17, 161 ff., 355 ff.)
lehren.
Im wesentlichen nach Foersters auffassung hat W. Golther
seine darstellung der mauere de Bretagne in seiner Geschichte der
altdeutschen Literatur (1892, Stuttgart, in Kürschners National-
literatur) s. 142 ff. gegeben (vgl. auch desselben 'Beziehungen zw.
franz. und kelt. Lit.' in ZvglL 1890, s. 409 ff). Auch Gröber
(Franz. Lit. 491 ff, 495ff) und Suchier (Lit. s. 129 ff, 140 ff.)
stehen mit ihrer auffassung Foerster näher als Paris.
Dieser ist nicht dazu gekommen, seine theorie, die er an den
angegebenen stellen in form eines fertigen Systems vorgetragen
hat, im einzelnen genauer zu begründen, nur in einzelheiten hat
er hie und da in rezensionen seinen Standpunkt etwas zu motivieren
gesucht. Dafür sind auch ihm und seiner theorie helfer und anhänger
erstanden. In einem artikel 'Des nouvelles theories sur l'origine
des romans arthuriens' (Revue celtique 13, 475 ff, 1892) hat sich
J. Loth bemüht, neben den zweifellos vorhandenen aremorikanischen
sagenelementen vor allem die bedeutung der inselkeltischen (kyin-
rischen oder speziell wälschen) demente zu erweisen, wobei er
folgerichtig auch, wie G. Paris, anglonormannische dicktuugen als
quellen der festländischen Artusromane annimmt. In seiner neuesten
schrift (Contributions ä l'etude des romans de la table ronde, P. 1912)
tritt er vor allem für den keltischen Ursprung der Tristansage,
nebenher auch für die Unabhängigkeit von Owen, Geraint und
Peredur gegenüber Crestien ein. Im wesentlichen in anlehnung an
G. Paris, im einzelnen vielfach selbständige auffassungen vortragend,
hat Eduard Wechssie r die verschiedenen fragen behandelt in
den 'Excursen' zu seiner 'Sage vom Heiligen Gral' (oben s. 330 ;
vgl. auch desselben 'Untersuchungen zu den Gralromanen' ZrP 23,
135 ff). Vor allem aber hat Ferdinand Lot zur klärung der
frage beigetragen durch seine artikelserien Celtica, Rom. 24, 321 ff,
Etudes sur la provenance du cycle arthurien Rom. 24, 496 ff, 25,
1 ff, Nouvelles etudes sur la prov. etc. 27, 529 ff, ferner bd. 28,
29, 30. In einer reihe von fällen hat hier der Verfasser insel-
keltischen Ursprung von namen und sagenstoffen der mattere de
Bretagne wahrscheinlich gemacht, im übrigen auch den festländisch-
10. Herkunft und Bedeutung des keltischen Elementes. '339
bretonischen Überlieferungen ihren — freilich wesentlich ein-
geschränkten — anteil gelassen und so einen bereits bei G. Paris
angedeuteten (auch von Wechssler, Gralsage s. 143, gebilligten)
weg der Verständigung zwischen beiden parteien beschritten. Auch
Bai st gedenkt in den resultaten seiner in ZrP 19, 326 ff. be-
gonnenen Untersuchungen vielfach mit G. Paris zusammenzutreffen.
Endlich ist die neuerdings von Edens und Zenker verteidigte
zurückführung des Mabinogi von Geraint uud des Crestien'schen
Erec auf eine gemeinsame vorläge (s. oben s. 303) in der richtung
der Paris'schen theorie gelegen.
Aus dieser übersieht ergibt sich, dass Über manche
fragen allerdings einige klärung erzielt ist, dass hingegen
andere sich noch im flusse befmden und das ganze von
weiteren Untersuchungen noch aufklärung erwarten darf.
Man wird daher, wenn man ganz objektiv urteilen will,
vorläufig manche fragen mit einem non liquet beantworten
müssen, auf welche später vielleicht ein glattes ja oder
nein die einzige antwort sein wird. Von diesem Standpunkt
aus lässt sich etwa folgendes zu den einzelnen kernfragen
bemerken :
1. Mutiere de Bretagne und Artusroman. Der Artus-
roman bildet nur einen teil der matiere de Bretagne, welche
ja auch den Tristan und die lais in sich begreift. Die
beachtung dieses Unterschiedes löst manchen Widerspruch
zwischen den ansichten von G. Paris und W. Foerster, indem
dieser ausschliesslich den Artusroman, jener den ganzen bre-
tonischen stoffkreis im äuge bat. Jedenfalls sind bei ent-
scheidung der Ursprungsfrage auch dichtungen wie die Tristan-
romane nicht ausser acht zu lassen, von denen wenigstens der
von Thomas verfasste in England entstanden ist (vgl. kap. X).
Die lais weisen ihrer mehrzahl nach auf aremorikanische, einige
vielleicht auf insulare herkunft (vgl. kap. XI).
2. Die Bedeutung des keltischen Elementes für
den französischen Roman. In dieser frage sind die au-
slebten von Foerster und G. Paris einander gerade entgegen-
gesetzt. Dieser betrachtet die keltischen demente als wesentlich
und charakteristisch für den Artusroman, jenem sind sie äusseres
beiwerk oder äusserlich eingefügte mosaiksteinchen. Darin
hat Foerster allerdings recht, dass in den französischen romanen
der den stoff durchdringende geist (der des rittertums, der
22*
340 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfange der liof. Dichtung.
cottrtoisie überhaupt) französisch ist, dass häufig auch der
grundgedanke oder die kombination der verschiedenen zugrunde
liegenden demente dem französischen autor gehört (wie z. b.
im Ivain). Wieviel hier der französische dichter hinzutut, sehen
wir am leichtesten aus einem vergleich der romane mit den
lais, welche im wesentlichen die Überlieferung wiedergeben.
Aber auf der anderen seite sind die keltischen demente,
und hierbei namentlich die märchenelemente, als äusserer auf-
putz oder als blosse Staffage in ihrer bedeutung zu gering
eingeschätzt. Die ganze milieuschilderung wird dadurch, gegen-
über der älteren erzählenden dichtung, verändert. Mit diesen
feen und tückischen zwergen, mit diesen Zauberschlössern und
wunderquellen, gefährlichen brücken und zaubergärten tat sich
den Franzosen von damals eine neue weit auf, welche von der
poetischen auffassung der nationalepen von grund aus ver-
schieden war.1) Dabei handelt es sich nicht nur um einzelne
motive oder episoden, sondern auch um vollständige märchen-
themen oder sagenstoffe, die von dem französischen dichter
erweitert und in seinem geiste verarbeitet worden sind (Lancelot,
Perceval, exposition zum Erec). In der einleitung zur zweiten
aufläge des Ivain (1902) gibt ja auch Foerster selbst als erste
grundlage dieses romans ein märchenmotiv (befreiung einer
Jungfrau aus der gefangenschaft eines riesen) zu, auf welches
Crestien das motiv von der treulosen witwe gepfropft habe,
nur ist das märchenmotiv nach ihm ebensogut germanisch und
slavisch als keltisch. Aber wir müssen doch auch dann die
herkunft solcher märchen da suchen, wohin alle übrigen
elemente — namen und örtlichkeiten — weisen, in deren
Zusammenhang diese märchenmotive zum ersten mal in der
französischen literatur auftreten. Für ein plötzliches hervor-
treten z. b. neuer germanischer elemente im 12. Jahrhundert
würden die nötigen Voraussetzungen fehlen.
J) Vgl. G. Paris, Rom. 22, 1G4: 'il est difficile ... de ne pas voir
qu'avec la matiere de Bretagne an monde poetiqae s'est fait jour, qui etait
nonveau, inconnu aux Francis jnsqu'a Tadoptation des themes celtiques
par nos contetirs, et qni n'a pu sortir spontanement de l'evolntion sociale
et litteraire fran^aise. La question de la provenance insulaire ou con-
tinentale de cet Clement est, en regard de la premiere, d'nne importance
secondaire*.
10. Herkunft und Bedeutung des keltischen Elementes. 341
3. Das Ursprungszeutmm der keltischen Über-
lieferungen. Wir haben zu scheiden (wie Übrigens Lot,
Foerster u. a. auch schon geschieden haben) zwischen dem
eigentlichen Ursprung der in frage stehenden Überlieferungen
und der quelle, aus welcher die französischen dichter sie
geschöpft haben. Da die französischen Bretonen erst im
6. Jahrhundert von Grossbritannien her eingewandert sind
(s. oben s. 18), so müssen ihre Überlieferungen zunächst insel-
keltischen Ursprungs gewesen sein, gleichgiltig, wie weit diese
Überlieferungen von ihnen bei der einwandemng mit hintiber-
gebracht, wie weit sie erst später im wege des Verkehrs von
den Inselkelten von dorther übernommen wurden. Wir sind
also durchaus berechtigt, inselkeltische Überlieferungen zur
erklärung heranzuziehen. Die aus dem französischen über-
setzten drei wälschen romane (Geraint, Owen, Peredur) scheiden
hierbei von vornhein aus (vgl. oben). Wol aber findet sich
echtes keltisches sagengut in anderen 'mabinogion', sowie in
irischen märchen und sagen. (Von Cuchulinn-Perceval war
schon oben die rede. Vgl. noch Gustav Ehrismann, Märchen
im höfischen Epos, PBB 30, 1 ff., wo die hauptstoffe von
Crestiens romanen auf keltische märchenmotive zurückgeführt
werden.)
4. Die keltischen Quellen der französischen Romane.
Bei der oben angenommenen entwicklung sind von vornherein
zwei möglichkeiten gegeben : keltische Überlieferungen konnten
französischen dichtem so gut in England wie in Frankreich,
sowol von der Aremorika als auch von Wales und Cornwall
aus übermittelt werden. Verwickelt wird die frage dadurch,
dass mündliche und schriftliche Überlieferung, neben lied-
mässigem Vortrag (lat) auch mündliehe prosaerzählung (conte)
in frage kommt. Nach G. Paris kamen inselkeltische spiel-
leute auch nach dem kontinent hinüber, so dass auch insulare
Überlieferungen — neben den aremorikanischen — direkt zur
kenntnis französischer dichter kommen konnten, und Suchier
(Lit. s. 141) spricht geradezu von einer Wechselwirkung: 'Corn-
wall und die Bretagne standen von Alters her in engem Verkehr
miteinander, und so werden sie auch früh ihre Sagen von
Arthur und seinen Helden ausgetauscht und ausgeglichen
haben.' Bei diesen engen beziehungen zwischen kleiner und
342 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der hüf. Dichtung.
grosser Bretagne, zwischen dem kontinentalen Frankreich und
dem anglonormannischen königreich waren somit der Ver-
mittlung keltischer Stoffe nach Frankreich die verschiedensten
wege geöffnet und es wäre grundsätzlich nicht richtig, a priori
die eine der vorhandenen möglichkeiten anszuschliessen. Selbst
G. Paris, der Vertreter der anglonormannischen hypothese,
hat nicht erst Rom. 26 (1897) s. 231 (was Foerster im schluss-
wort zur einleitung des Lancelot anzieht), sondern schon im
30. bände der Histoire litteraire de la Fr. (1888) 'recits gallois
ou armoricains' als quellen der französischen romane
gelten lassen. Nach den bisherigen einzelforschungen scheint
allerdings der anteil der aremorikaniscben Überlieferungen
an dem stoffkreis des französischen 'roman courtois' ein
wesentlich grösserer zu sein als derjenige der insularen Über-
lieferungen.
5. Die Artussage. Eine besondere Stellung in der ganzen
frage nimmt die person des königs Artus und sein heldenkreis
ein, weil hier zu allem übrigen noch die mögliche einwirkung
lateinisch -gelehrter Überlieferung in Galfreds Historia regum
Brittanniae (vgl. oben s. 260 f.) hinzukommt, Arthur1) war
eine historische persönlichkeit, welche ende des 5. und anfangs
des 6. Jahrhunderts gelebt und sich in kämpfen der Briten
gegen Angeln und Sachsen hervorgetan hat. Gildas in seiner
schrift De exidio Brittanniae (etwa 540) erwähnt Arthur nicht,
kennt aber den grossen sieg der Briten über die Sachsen am
berg Bado (ende des 5. Jahrhunderts), welcher später dem
Arthur zugeschrieben wurde und eine nachhaltige Wirkung
ausübte. In der im jähre 796 verfassten, dem Nennius zu-
geschriebenen Historia Brittomim erscheint Arthur als dux
hellorum — daneben als vniles — und gewinnt gegen die
Sachsen zwölf schlachten, als letzte die am mons Badonis.2)
Hier ist schon die volkstümliche heldensage von Arthur ver-
wertet, welche in der späteren zeit der not in Arthur ihren
') Über die deutung dieses namens und anderer aus entsprechenden
römischen (Ivain << Eugenius, Kei<C.Cajus, Peredur < Peritor) siehe
Zimmer, GGA 1890, 818 f.
2) Gildas und Nennius hersg. von Mominsen in MG, Auct. autiqu. XIII.
Vgl. H.Zimmer, Nennius vindicatio, B. 1S93, dazu Freymond, JrP 3, 152 ff.
10. Herkunft nnd Bedeutung des keltischen Elementes. 343
beiden erblickte. Wie die Briten in England, haben auch im
6. Jahrhundert nach der französischen Bretagne ausgewanderte
Bretonen die Artiissage weiterentwickelt, vor allem mit hilfe
von allgemeinen sagen- und märchenelementen : die insel
Avalon, nach welcher Arthur entrückt wird, und manches
andere ist aremorikanischen Ursprungs. Galfred in seiner
Historia regam Brittanniae (s. oben s. 260 f.) verwertet neben
anderen mündlichen und schriftlichen quellen vor allem auch
aremorikanische Überlieferungen. Eine einwirkung auf die
französische Artusdichtung, vielleicht auch den äusseren
anstoss dazu, wird man dem werke Galfreds oder seinen
Übersetzungen wol zugestehen dürfen. Aber die zahlreichen
und mannigfaltigen Stoffe der Artusromane weisen über das
geschichtswerk hinaus auf die zugrunde liegenden volks-
tümlichen Überlieferungen, und wir können nicht mit Sicher-
heit behaupten, dass vor den Bruts kein Artusroman
existiert habe.
6. Artusromane vor Crestien. Crestiens Artusromane
sind die ältesten der matiere de Bretagne gewidmeten romane,
welche uns überliefert sind. Das schliesst die möglichkeit nicht
aus, dass unserem Crestien schon andere dichter mit der be-
arbeitung keltischer stoffe vorangegangen sind. Es handelt sich
dabei nicht um die sogenannte anglonormannische hypothese,
die jedenfalls in dem von G.Paris angenommenen umfang nicht
aufrecht zu erhalten ist, da eine so reich entwickelte anglo-
normannische romanliteratur mehr spuren hätte zurücklassen
müssen. Sondern die frage zielt lediglich darauf, ob vor
Crestien überhaupt romane keltischen inhalts in französischer
spräche — gleichgiltig, ob in kontinentalfranzösischer oder
anglonormannischer mundart — gedichtet worden sind. Zu
einer klaren beantwortung dieser frage fehlt uns das material,
wir müssen mit einem non liquct antworten. Dass die
'mabinogion' in dieser beziehnng nicht verwertbar sind, ist
schon gesagt worden. Auch die auf französischen vorlagen
beruhenden englischen bearbeitungen sind ein unsicheres
material. Die darstellung einer kampfszene am domportal zu
Modena — die man sich doch nur als illustration einer
literarischen bearbeitung, nicht einer blossen mündlichen er-
zählung denken kann — würde beweiskräftig sein, wenn sie
344 IX. Kapitel. Crestien v. Troyes u. Anfänge der böf. Dichtung.
wirklich, wie italienische beurteiler wolleD, aus den ersten
jahren des 12. Jahrhunderts stammte. Aber Justis bestimmung
'frühestens ca. 1130' lässt soviel Spielraum nach unten, dass
mit dem denkmal als sicherem zeugen nicht gerechnet werden
kann. Der französische Lancelot, den Ulrich von Zatzikhoven
übersetzt bat, ist von Crestien unabhängig, auch in manchem
altertümlicher als dieser, aber über sein zeitliches Verhältnis
zu Crestiens Karrenroman wissen wir nichts bestimmtes. Mit
mehr Wahrscheinlichkeit kann man behaupten, dass es vor
Crestien schon Tristandichtungen gegeben hat. Auch das oben
(s. 329) erwähnte zeugnis über den Waliser Bleuen kommt
in betracht: wenn er wirklich Zeitgenosse Wilhelms VIII.
von Poitiers (f 1137) war und andererseits um 1200 Wauchier
de Deuain ihn als gewährsmann nennt, so wird Wauchier
diese quellenberufung aus einem zeitlich zwischen ihm und
Bleheri liegenden französischen roman genommen haben. —
Aus alledem geht hervor, dass, wenn solche romane vor
Crestien existiert haben, sie nicht sehr zahlreich und auch
nicht erheblich älter gewesen sein können als Crestiens
anfange. Vielmehr sehen wir, dass Crestien in seinem Erec
der technik der chansons de geste noch ziemlich nahe steht;
seine polemik wendet sich nicht gegen andere romandichter,
sondern gegen die conteor; weder er noch seine Zeit-
genossen nennen einen älteren Vertreter des Artusromans.
Das alles schliesst die existenz älterer romane keineswegs
aus, aber die bedeutung derselben ist jedenfalls geringer
einzuschätzen, als die Verfechter ihrer existenz gemeiniglich
annehmen.
7. Crestiens literarhistorische Bedeutung. Crestien
ist einer der ersten, vielleicht der erste bearbeiter keltischer
stoffe in französischer spräche gewesen. Falls vor ihm bereits
versuche in dieser richtung vorhanden waren, haben sie seinem
rühme jedenfalls keinen grossen eintrag getan: sie sind von
seinen werken übertroffen und demgemäss vergessen worden.
Neidlos wird er von der gesamten folgezeit als der meister
des höfischen romans anerkannt und gepriesen. Im anfang
sich noch an die technik der nationalen epik anlehnend,
überträgt er aus dem antiken roman einzelschilderung,
psychologische analyse und höfisches empfinden auf die
10. Herkunft und Bedeutung des keltischen Elementes. 345
mauere de Bretagne und bildet diese zu einer ausgeprägt
französischen, für die französische literatur des mittelalters
ausserordentlich charakteristischen dichtungsgattung um. In
der lyrik bahnt er die nachahmung der provenzalischen
minnepoesie an, deren geist er — wenn auch nur vorüber-
gehend — auch auf den roman (im Lancelot) überträgt. Mit
seinem Perceval schliesslich stellt er neben oder über das
äusserliche, weltliche rittertum das geläuterte, geistliche
rittertum.
Zehntes Kapitel.
Die höfische Dichtung- neben und unmittelbar
nach Crestien
(bis etwa 1200).
In Crestien von Troyes erblickt der höfische roman
seinen bedeutendsten Vertreter, die höfische lyrik ihren ersten
repräsentanten. Diese lyrik ist als etwas fertiges aus dem
provenzalischen Süden übernommen worden und tritt uns somit
von vornherein als ausgebildete, zu höherer entwicklung kaum
mehr befähigte kunstübung entgegen. Der höfische roman
hingegen hat sich erst allmählich entwickelt; seinen bestimmten
Charakter erhält er in erster linie durch die betonung der
ritterlichen ideale, in zweiter linie durch die einführung und
bevorzugung der mauere de Bretagne. Dort bildet Crestien
nur den vermittler, neben den sich alsbald eine reihe anderer,
mit gleicher oder auch mit höherer kunst nach provenzalischen
Vorbildern arbeitender dichter stellen — hier ist er von
vornherein der alle anderen überragende, zeitweise einzige
Vertreter, den sich die romandichter der folgezeit unmittelbar
zum muster nehmen. Von den antiken romanen und etwaigen
verlorenen dichtungen abgesehen, ist ihm hier nur Gautier
von Arras (s. oben s. 286 ff.) und Thomas mit seinem Tristan-
roman (s. unten) gleichzeitig. Die übrigen sind jünger als
er und zeigen grossenteils die deutlichen kennzeichen seines
einflusses.
Während die auf nachahmung und konvention beruhende
lyrik ein im ganzen einheitliches und einförmiges gepräge
zeigt, bietet der roman ein viel bunteres und daher nicht so
Allgemeines. 34/
leicht zu übersehendes bild. Es waren, teils in antiker und
orientalischer, vor allem aber in bretonisch -keltischer und
sonstiger volkstümlicher Überlieferung noch so viele originale
Stoffe vorhanden, dass die dichter nur zuzugreifen brauchten
und auf die literarische ausschlaehtung der überkommenen
französischen romandichtungen zunächst verzichten konnten.
Freilich ist auch in dieser zeit schon die bearbeitung derselben
originaltlienien durch verschiedene dichter — wie bei der gral-
sage oder beim Tristan — nichts seltenes. Aber teils schupfen
die dichter aus verschiedenen quellen, teils gestalten sie selbst
ihr thema individuell genug, um die einförmigkeit, welche die
lvrik kennzeichnet, zu vermeiden.
Eine systematische und folgerichtige einteilung der
höfischen romane ist daher schwer zu geben. G. Paris unter-
scheidet griechische und byzantinische romane, bretonische
romane und 'romans d'aventure'. In der letzten gruppe
begegnen aber sowol Stoffe griechisch -byzantinischer als bre-
tonischer oder angelsächsischer herkunft, sodass das einteilungs-
prinzip gestört ist. Die sogenannten Artusromane unterscheidet
G. Paris in episodische und biographische romane, je nachdem
sie eine bestimmte tat eines helden — wie Crestiens Lancelot
die befreiung der königin — oder sein ganzes leben — wie
der Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven — erzählen. Die grenze
ist aber nicht immer leicht zu ziehen, wie schon die be-
trachtung der Crestien'schen romane lehrt, dazu sind auch die
episodischen romane keineswegs auf die durchftihrung einer
einzigen episode beschränkt, auch nicht etwa an umfang an
sich geringer als die biographischen romane. Der unterschied
ist vielmehr in der hauptsache ein technischer, indem die
episodischen romane in der regel eine straffere komposition
gegenüber den übrigen zeigen. Man wird daher auch hier,
ähnlich wie in der epischen dichtung, lieber nach der materie
ordnen, Tristan und Gral von vornherein als selbständige
Stoffe ausscheiden, uud die sogenannten Artusromane um die
einzelnen helden gruppieren, denen sie gewidmet sind. Es
verbleiben dann noch eine stattliche zahl von romanen ver-
schiedenen Charakters und verschiedener herkunft: die fort-
setzungen der antiken romane, die mit ihrer willkürlichen
häufung von entlehnten oder rein erfundenen abenteuern
348 X. Kapitel. Hüf. Dichtung Deben u. unmittelbar nach Crestien.
meist das gepräge des 'roman d'aventure' an sieh tragen; die
vielfach auf griechischen oder orientalischen erzählungsniotiven
beruhenden see- und liebesromane, in welchen äussere ereignisse
trennung und wiederfinden der liebenden bestimmen (Gröbers
' Schicksalsdichtungen '); und endlich die eigentlichen liebes-
romane, welche vielfach aus volkstümlicher Überlieferung
geschöpft sind, zum teil auch auf literarische Vorbilder oder
freie erfindung zurückgehen. Teilweise treten diese gattungen
in reicherer entfaltung erst im 13. Jahrhundert auf.
Die liebe bildet in diesen romanen das vorherrschende,
in der lyrik fast das ausschliessliche element. Die teilnähme
der höfe und hier besonders der frauen an der literatur und
vor allem an den fragen des minnedienstes macht sich deutlich
fühlbar. Wie gräfin Marie in Troyes, fesselte in Blois ihre
Schwester Alice dichter — wie z. b. Gautier von Arras — an
ihren hof. Auch der Pariser hof hat sich in den letzten Jahr-
zehnten des 12. Jahrhunderts der dichtkunst nicht verschlossen
und schon damals einen einfluss auf die spräche der bei hof
verkehrenden dichter auszuüben begonnen, wie die klage
Conons de B^thune über die ihm durch die königinmutter Alix
— mutter Philipp Augusts — widerfahrene Zurechtweisung
lehrt.1) Eine kodifizierung der in den vornehmen kreisen
damals herrschenden anschauungen über die minne hat anfangs
des 13. Jahrhunderts der kaplan Andreas in seinem lateinisch
geschriebenen, im laufe des 13. Jahrhunderts aber zweimal ins
französische übersetzten traktat De arte amandi et reprobatione
amoris gegeben. Er gibt hier in der hauptsache die ideen der
höfischen lyrik wieder, behandelt eine reihe von spitzfindigen
liebesfragen (quaestiones) , denen wir in tenzonen oder jeus-
partis wieder begegnen, und gibt mustergespräche für die Unter-
haltung zwischen männern und frauen verschiedener stände.
Le ro'i'ne n'a pas fait ke cortoise,
Ki nie reprist, ele et ses fius, li rois.
Encor ne soit nie parole franchoise,
Si le puet on bien entendre en francbois.
Ne chil ne sont bien apris ne cortois,
S'il m'ont repria, se j'ai dit mos d'Artois,
Car je ne fni pas noris a Pontoise.
(Ausgabe von Wallensküld s. 223).
1. Die lyrischen GattiiDgen. 349
Auch tlie liebe zu den landschönen ist dem ritter hier so
wenig verwehrt wie in den pastourelleu. Die «aus Andreas
erschlossene Vorstellung, es hätte im mittelalter zur entseheidung
schwieriger liebesfragen besondere, ausfrauen bestehende 'minne-
höfe' gegeben, ist durch Diez als irrtümlich erwiesen worden.
Auch G. Paris sieht in den angeblichen liebesnrteilen nur 'un
pur jeu d'esprit', während Trojel, Rajna und Crescini geneigt
sind, in einzelnen fällen wirkliche Urteilssprüche über liebes-
streitigkeiten anzunehmen.
•
Andreae capellani regii Francorum de amore libri tres. Kec.
E. Trojel, Havniae (Kopenhagen) 1892. Vgl. Vinc. Crescini, Nuove
postille al trattato amoroso d' Andrea cappellano, Venezia 1909 — 10
(Atti del Reale Istitnto Veneto di scienze etc., bd. 69, 1 ff., 437 ff).
F. Diez, Über die Minnehöfe (Beitr. z. Kenntnis d. romant. Poesie I),
B. 1825. G. Paris, Rom. 12 (1883) 524 ff. E. Trojel, Middelalderens
Elskovshoffer, Kopenhagen 1888, dazu G. Paris JdSav. 1888, 664 ff,
727 ff., auch sep. P. Rajna, Storia del libro di A., Studj di fil. rom.
V, 193 ff. (1891); Le corti d'amore, Milano 1890. Crescini, Per la
quistione delle corti d'amore, Padova 1891 (Atti memorie dell'
acad. VII). K. Hey], Die Theorie der Minne in d. alt. Minneromanen
Frankreichs, Diss. Marburg 1911 (Marb. Beitr. 4). Ch.-V. Langlois,
La societe fr. au XIIIe siecle, 2P. 1904. — Über die lyrik vgl. unten.
1. Die lyrischen Gattungen.
In der lyrik wird die durch Crestien eröffnete höfische
richtung fortgesetzt. Als hauptgattung erscheint die schon
von Crestien gepflegte chanson, das höfische liebeslied, dem
die mehrzahl der etwa 2100 nummern zählenden höfischen
lieder angehören. Daneben befindet sich das provenzalische
Streitgedicht vertreten, seltener in der form der tengon, häufiger
in der des jeu-parti (provenzalisch joc-partit oder partimen).
Das tagelied aube (provenzalisch alba) ist in der französischen
lyrik nur spärlich vertreten. Einige andere gattungen begegnen
erst im 13. Jahrhundert. Übrigens werden auch die älteren,
einheimischen liedergattungen noch weiter gepflegt, wenn auch
vielfach nach form und inhalt modernisiert. Eine reihe von
höfischen dichtem haben so pastourellen, lieder der 'mal
marieV und ähnliches gedichtet. Das serventois, ursprünglich
350 X. Kapitel, llöf. DichtuDg neben a. unmittelbar nacb Crestien.
ein spottlied, erscheint jetzt unter provenzalischem einfiuss als
politisches rügelied oder auch als höfisches liebeslied. Alle
diese dichtungsarten wurden gesungen. Wort und weise ge-
hörten zusammen und entstanden zusammen: der dichter war
zugleich komponist. Die ältesten dichter, die wir kennen,
sind entweder selbst von adel oder leben an irgend einem
grösseren oder kleineren hof. Meist haben sie einen Jongleur
in ihrem dienst, der ihre lieder vorträgt oder der fernen
geliebten überbringt und sie somit verbreitet.
A. Chanson. Das wort chanson ist wie das provenzalische
canzo(n) ein ziemlich weiter begriff, der sich im wesentlichen
mit dem höfischen liebeslied deckt, aber auch nahestehende
gattungen, wie z. b. das kreuzzugslied, mit einschliesst. Als
muster nach form und inhalt kann das oben (s. 309 ff.) ab-
gedruckte lied Crestiens dienen. Die gedanken, welche diesen
ehansons zugrunde liegen, variiren immer dasselbe thema: die
liebe zu der unvergleichlich schönen, aber spröden herrin, die
immer als die frau eines anderen gedacht ist, die bitte um
erhörung, am häufigsten aber die klage über mangelndes
entgegenkommen, über grausamkeit, sei es der geliebten, sei
es der minne selbst. Hie und da mögen den klagen wirkliche
Verhältnisse und Vorkommnisse zugrunde liegen, meist aber wird
es sich um eine konventionelle erfindung, um eine dichterische
form handeln, in welcher der sänger der gattin seines gönners
seine huldigung darbrachte.
Die chanson zählt meist 5 bis 6 Strophen, wozu noch eine
kürzere Schlussstrophe, das sogenannte geleit (envoi — proveu-
zalisch tomada), zu kommen pflegt. Die Strophen sind unter-
einander entweder zu je zweien oder sämtlich durch die
gleichen reime verbunden (provenzalisch coblas doblas — unis-
sonas). Das envoi stimmt in vers und reim mit dem schluss
der vorausgehenden strophe überein. Die Strophen selbst sind
dreigliedrig, was sich in versform und reimbindung und deni-
gemäss auch in der musik ausprägt: auf zwei metrisch gleiche
teile folgt ein dritter selbständiger teil (vgl. mhd. Stollen und
abgesang in den aus französischen oder provenzalischen Vor-
bildern entnommenen Strophen, sowie die form des in Italien
aus der trobadorstrophe entwickelten sonetts). Reimver-
schlingung und Verwendung der verschiedenen versarten ist
1. Die lyrischen Gattungen: Cbauson — Kreuzzugslied. 351
sehr mannigfaltig, znmal es bestimmnng war, dass jedes lied
seine eigene musikalische und metrische form haben müsse.
Auch bereits vorhandene liedgattnngen werden durch form
und inhalt der minnediehtung beeinflusst. So bietet Conon de
Bethuue in der form der höfischen chanson zwei kreuzzugs-
lieder, von denen das eine mehr den Charakter eines serventois,
eines rügeliedes, an die entarteten barone zeigt, das andere,
hier folgende, mehr im Stile der älteren kreuzzugslieder (s. oben
s. 173 f.) eine aufforderung zur beteiligung am kreuzzug enthält.
Beide aber geben zugleich auch dem schmerz über die trennung
von der geliebten ausdruck.
I. II.
Alii, Auiours! com dure departie ') Por li m'en vois sospirant en
Me covenra faire de le nieillour Surie,
Ki onkes fast amee ne servie! Car je ne doi fallir nien creatour.
Deus nie ramaint a li, par se Ki li faura a ehest besoing d'oie,
douchour, Sachies ke il li faura a graignour;
Si voirement ke m'en part a dolour! Et sachent bien li graut et li
Las! k'ai jou dit? Ja ne in'en part menour
jou mie! [ Ke la doit on faire chevalerie
Se li cors vait servir nostre Seignour, ' Ou on conkiert paradis et honour
Li cuers remaint dou tout en se ! Et los et pris et l'amour de
baillie.2) s'amie.
J) Die wesentlichsten eigentümlichkeiten des vom dichter gebrauchten
pikardischen dialektes (vgl. oben s. 348) sind die folgenden : Scheidung von
gedecktem en uud an; entwicklung eines e neben r in futurformen wie
nauteront; erhaltung von c vor a (canter, caseuns); Übergang von c vor
e, i, von ci sowie ti nach kons, zu t$ (chertes = certes <Ccertä, chi = ci;
douchour = dolcor, fache = face; puisaanche); fehlen des übergangslautes
d wie in covenra, faura = faldra; frühzeitiger Übergang von auslautendem
z > s (aries, sains); entwicklung oder bewahrung der schwachtonigen
artikel- und pronominalformen le = la, se = sa, sen = son, men — mon;
die analogischen (aus noz, voz gebildeten) pronominalformen no, vo für
nostre, vostre. Vgl. auch oben s. 222.
2) Ein viel variierter gedanke, vgl. in desselben dichters zweitem
kreuzzugslied: Si en sui mout endroit l'ame joians, Mais dou cors ai et
pitie et pesanche. Ähnlich auch bei deutschen dichtem, so bei Friedrich
von Hausen (Minnesangs Frühling s. 47, neue ausgäbe s. 50) :
Min herze und min lip diu wellent scheiden,
Diu mit ein ander wären nu manige zit :
Der lip wii gerne vehten an die heiden,
So hat iedoch das herze erweit ein wip. . . .
352 X. Kapitel. Höf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
III.
Dens! tant avons este prou par
oiseuse,
Ore i parra ki a chertes iert preus;
S'irons vengier le honte doloreuse,
Dont cascuns doit estre iri6s et
honteus ;
Car a no tens est perdus li sains leus
Ou Deus sofri por nous mort
augoisseuse;
S'ore i laissons nos anemis morteus,
Atous jours mais iert noviehonteuse.
IV.
Ki chi ne veut avoir vie anoieuse
Si voist por Deu morir lies et
joieus,
Ke chele mors est douche et
savoreuse
Dont on conkiert le regne prechieus,
Ne ja de mort n'en i morra uns seus,
Ains naisteront en vie glorieuse.
Ki revenra mout sera eareus;
A tous jours mais en iert honours
s'espeuse.
V.
Tuit li clergie et li home d'eage
Ki en aumosne et en bien fait
manront,
Partiront tuit a ehest pelerinage,
Et les dames ci castement vivront
Et loiaute feront a chiaus ki vont;
Et s'eles fönt par mal conseil folage,
A lasches gens et mauvains le
feront,
Car tuit li bon iront en ehest
voiage.
VI.
Deus est assis en sen saint iretage;
Ore i parra com chil le secorront
Cui il jeta de le prison ombrage,
Cant il fa mors en le crois ke
Türe ont.
Sachies: chil sont trop honi ki
n'iront,
S'il n'ont poverte o vieilleche o
malage ;
Et chil ki sain et juene et riebe sont,
Ne pueent pas demorer sans hontage.
VII.
Las! je m'en vois plorant des cus dou front
La ou Deus veut amender men corage,
Et sachies bien c'a le meillour dou mont
Penserai plus ke ne fas a voiage.
B. Tenzone und Jeu-parti. Die tenzone ist wie ihr
provenzalisches Vorbild ein streitgedicht schlechtweg, in welchem
zwei dichter oder zwei sonstige (fingierte) personen sich streiten
oder sich miteinander unterhalten. Das jeu-parti bezeichnet
seinem namen nach ein 'geteiltes spiel', wie z. b. Lancelot im
Karrenroman seinem genossen Gauvain ein 'spiel teilt', d. h. die
wähl zwischen zwei gefährlichen wegen lässt (v. 689, 699);
ebenso stellt hier der eine der beiden dichter dem anderen eine
alternative und überlässt ihm die wähl, welche partei er
ergreifen will. Solche fragen sind: Ist für einen liebenden der
tod oder die Verheiratung seiner geliebten vorzuziehen? Ist
es für einen liebhaber schmerzlicher, in gegenwart seiner
geliebten um ihretwillen von seiner frau geschlagen zu werden
1. Die lyrischen Gattungen: Tenzone und Jeu-parti. 353
oder zu sehen, wie sie um seinetwillen von ihrem gatten
gesehlagen wird? Ist es vorteilhafter, die gunst seiner herrin
zu geniessen oder unglücklich zu lieben und künig von Persien
zu werden? Welcher von zwei sonst gleichwertigen liebhabern
verliert mehr an aussieht auf erfolg, derjenige, welcher bliud,
oder derjenige, welcher taub und stumm wird? Solche fragen
werden auch im traktat des Andreas Cappellanus (oben s. 348)
behandelt: der brauch, spitzfindige liebesfragen zu stellen und
zu beantworten, war allem anschein nach ein alter, schon vor
dem joc partit geübter Zeitvertreib der vornehmen gesellschaft,
während die Sammlung und aufzeichnung solcher minnefragen
erst in späterer zeit (14. Jahrhundert) erfolgte.
In der tenzone, seltener im jeu-parti, können anstelle der
wirklichen disputanten erfundene personen eintreten, d. h. wir
haben eine reihe von streitgediehten, welche von einem einzigen
Verfasser herrühren. In der form unterscheiden sich die streit-
gedichte in keiner weise von der chanson. In der regel
antwortet der gefragte in denselben reimen wie der fragende,
so dass coblas doblas entstehen, häufig gehen die reime der
ersten Strophe auch hier durch das ganze gedieht durch.
Die tenzone, in der provenzalischen literatur ausserordentlich
beliebt, ist in der französischen nur etwa durch zwanzig bei-
spiele vertreten, eines der ältesten scheint die tenzone eines
gewissen ßichart mit Gautier von Dargies (Mätzner s. 73) zu
sein. Das hauptsächlich im 13. Jahrhundert blühende jeu-parti
zählt etwa zweihundert stück, von denen hier als probe das
älteste bekannte jeu folgt, das zwischen Gace Brul6 und einem
grafen der Bretagne — wahrscheinlich Gottfried, Heinrichs IL
söhn — gewechselt wurde.
I.
Gasse, par droit me respondez, Et cele me vueille tra'ir
De vos le me cuuvient oft: A cui ui'estoie abandonez,
Se je nie sui abandonnez Dites moi, lequel nie loez,
Loiaument a amor servir, ! Ou del atendre, ou del guerpir?
I Et — vueille: dieselbe konjunktivkonstraktion im weitergeführten
bedingungssatz wie im nfr. mit que, aus zwei ursprünglich getrennten
bedingungssätzen zu erklären (si je me suis abandonne , qu'elle me veuille
trahir ... = wenn ich mich ergeben habe, gesetzt den fall, dass sie . . .).
— Lequel — del at. ou del g.: auch nfr. noch geläufige konstruktion
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 23
354 X. Kapitel. Hüf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
II.
Sire, n'en sui pas esgarez,
De ce sai bien le miens choisir:
Se finement de euer amez
Et loial sont vostre desir,
N'i a niant de repentir,
Mais a vostre pooir servez;
Nuls n'iert ja tant d'anior grevez,
Qu'ele ne poist cent tans merir.
III.
Qu'est ce, Gasse, estes vos desvez?
Me volez vos afoletir?
Ceste amor, que vos me loez,
Devroit touz li mondes bair.
Touz jours amer, et puis morir!
Vilainement me confortez.
Quant j'en ai les maus endurez,
Lors en devroie bien jo'ir.
IV.
Sire, por Dien, or entendez.
A droit et raison maintenir,
Cuers qui bien est enamorez,
Couient puet il d'amor partir?
Nes que je puis blons devenir,
N'en poroit il estre tornez.
Se vos plet, de ce me creez:
Qu'ami traf muerent martir.
V.
Gasse, bien sai que vos pensez,
Mes amor lais a covenir;
Ne sui pas si amesurez,
Qne je plus li vueille obe'ir-,
Ne poroie plus consentir
Ses felenesses cruautez,
Et vos qui goutes n'i veez,
Ne vos en savez revenir.
VI.
Sire, onc mes pues que je fui nez,
Ne vos vi de rien esbahir;
Ou la raison ne m'escoutez,
Que le voir ne volez oir.
Coment se puet avelenir
Eins cuers et loiaus volentez?
Laidement vers amor fausez,
S'einsi vos en volez partir.
VII.
Gasse, si fais quant je m'air:
Touz est li gens cors oubli'ez,
Et ses dous vis fres colorez;
Ja ne quier mes que j'en sospir.
VIII.
Sire, mout a vilain loisir
Eins amis ba*i'z ou amez,
Se il est d'amors sormenez,
S'il por ce la vnet relenquir.
(Ausgabe von Huet no. XII).
C. Das Tagelied (Aule = provenzalisch Alba). Das
sogenannte tagelied spielt in der französischen literatur keine
grosse rolle. Von den volkstümlichen abschiedsliedern, welche
die Unterbrechung des Zusammenseins zweier liebenden durch
den heraufkommenden morgen schildern und sich allerorten, in
mit de, aus einer attraktion -\- ellipse zu erklären (lequel des deux, ou
l'at. ou le g. >• lequel des deux, ou de l'at. ou del g. >• lequel, ou de l'at.
ou del g). — IV A — maintenir: konditional 'wenn es — aufrecht
erhalten will', zum hauptsatz gehörig. — V amor lais a covenir: ich
lasse liebe sich aus der angelegenheit herausziehen, überlasse es der
liebe usw. . . .
1. Die lyrischen Gattungen: Tagelied, Salut d'amour. 355
China so gut wie in Montenegro finden, unterscheidet sieh die
höfische alba nicht nur durch die ritterliche Umgebung, sondern
vor allem auch durch das veränderte Verhältnis des liebhabers
zu seiner dame, die hier stets als die frau eines anderen und
zwar des schlossherrn gedacht ist, sowie durch die fiktion von
dem weckenden Wächter, der demnach nur für die liebenden,
nicht aber für die späher und losengiers den tag zu verkünden
scheint. Formell ist charakteristisch der refraiu und das darin
vorkommende wort alba. Die heimat dieses tageliedes ist die
Provence, wohin auch der refrain der ältesten, lateiuisch-pro-
venzalischen alba (oben s. 42) weist, von hier aus ist sie nach
Nordfrankreich und Deutschland (Wolfram von Eschenbach u. a.)
gelangt. Die einzige vollständig überlieferte französische aube
ist das — schon dem 13. Jahrhundert angehörige — lied Gaite
de la tor, das, wie die provenzalische alba, die typische figur
des Wächters, auch den refrain (aber ohne das wort aube) zeigt
und im einzelnen der erkläruug grosse Schwierigkeiten bietet.
D. Salut d'amour. Der üebesgruss' ist eine epistel in
versen, die mit einem gruss an die dame beginnt, welcher das
gedieht gewidmet ist. Der form nach sind die provenzalischen
salut meist in paarweisen reinipaaren von achtsilbigen versen
gedichtet, der älteste von Graf Rambaut III. von Orange (f 1173).
Die französischen salut sind den provenzalischen nachgeahmt,
sie begegnen erst im 13. Jahrhundert mit Philippe de Beau-
manoir (s. kap. XII). Der zahl nach sind etwa 12 stück über-
liefert. Formell sind sie mannigfaltiger als die provenzalischen
Vorbilder: die meisten sind allerdings in achtsilbigen reim-
paaren geschrieben, aber in einigen wird eine art refrain ein-
geschoben, andere sind überhaupt in Strophen (alexandriner-
versen) gedichtet, einer in form der epischen laisse. Der
poetische wert dieser dichtungen ist gering.
E. Gattungen musikalischen Ursprungs: Motet —
Lax — Bescort. Wie seinerzeit die sequenz aus einer kirch-
lichen melodie sich entwickelt (oben s. 59), gehen in dieser
zeit noch andere dichtgattungen aus der musik hervor, welche
vereinzelt schon seit ende des 12. Jahrhunderts, in grösserer
zahl freilich erst im 13. Jahrhundert begegnen. Von den
Motets war gelegentlich schon oben (s. 163) die rede. Es
sind ursprünglich kirchliche kompositionen mit lateinischem
23*
35b" X. Kapitel. Hof. Dichtuug neben u. unmittelbar nach Crestien.
text für mehrstimmigen gesang, woraus sieh dann dichtungen
mit französischem text entwickeln: meist kürzere stücke, welche
gern populäre refrains verwenden, mit besonderer Vorliebe im
13. Jahrhundert in Arras gepflegt. Im gauzen sind etwa fünf-
hundert solcher motets überliefert. — Die Lais, zum unter-
schied von den erzählenden bretonischen lais (oben s. 333 und
unten kap. XI) auch als lyrische lais bezeichnet, stehen den
Sequenzen nahe: es sind ursprünglich untergelegte texte zu
schon vorhandenen melodien, daher an eine regelmässig wieder-
kehrende strophenform innerhalb eines und desselben liedes
nicht gebunden. Die zahl der Strophen in den verschiedenen
liedern wechselt sehr, ebenso die verszahl in den einzelnen
Strophen. Nach Birch-Hirschfeld und Jeanroy sind die lyrischen
lais aus dem musikalischen teil der bretonischen lais hervor-
gegangen. Dem inhalt nach sind es meist liebeslieder, zum
kleineren teil religiöse lieder. — Von diesen lais unterscheidet
sich der Descort nur dem namen nach: descort (gegensatz zu
acort, wegen mangelnder Übereinstimmung im strophenbau usw.)
ist der provenzalische name für dieselbe gattuug. An fran-
zösischen lais und descorts sind etliche dreissig tiberliefert.
Die ältesten stammen von Gautier de Dargies und Colin Muset.
Vgl. ausser der lit. zu kap. V (s. 158 ff.) folgende werke:
Bibliographie: G. Raynaud, Bibliographie des Chansonniers frau^ais
des XIlIe et XIVe siecles comprenant la description de tons les
manuscrits, la table des chansons classöes par ordre alphabötique
de rimes et la liste des trouveres, 2 bde., P. 1884 (wichtiges Ver-
zeichnis, nach dessen numinern die lieder citiert weiden). Vgl.
Ed. Schwan, Die altfranz. Liederhandschriften, ihr Verhältnis, ihre
Entstehung, ihre Bestimmung, B. 1886. — Handschriftendrucke:
P. Meyer et G. Raynaud, Les Chansonniers de la bibl. St. Germain
des Pres, Bibl. Nat. 20 050, I, P. 1892 (Soc d. a. t.). Brakelmann,
Die Berner IIs. 389, Archiv bd. 41—43; vgl. J. v. Seydlitz-Kuiz-
bach, Die Sprache der afr. Liederhs. No. 389 zu Bern, Diss. Halle
1898. G. Steffens, Die afr. Liederhs. Douce 308 (Oxford), Archiv
Bd. 97, 283 ff, 98, 57 ff, 99, 71 ff, 339 ff; Die afr. Liederhs. von
Siena, Archiv 88, 301 ff. — Sammelausgaben: A. Dinaux,
Trouveres, Jongleurs et me'nestrels du nord de la France etc., 4 bde.,
1836, 39, 43, 63. Wackernagel, Afr. Lieder und Leiche, Basel 1846.
P. Tarbö, Chansonniers de la Champagne aux XII e et XIII6 ss.,
Reims 1850. Ed. Mätzner, Afr. Lieder, berichtigt und erläutert,
nebst Glossar, B. 1853. K. Ilofmann, Afr. lyr. Gedichte a. d. Berner
Codex 389, Münchener Sitzgsber., phil.-kist. Kl. 1867, II 4 (sep. 1868).
1. Die lyrischen Gattungen: Motet, Lai, Descort. 357
J. Brakelmann, Les plns anciens Chansonniers fr. I. P. 1870 — 91,
II Marburg 1896. Aug. Scheler, Trouveres beiges du XII0 au XlVe 8.,
Brnxelles 1876, Nouv. Serie 1879. L. Brandin, Die Inedita d. afr.
Liederhs. Bibl. Nat. 846, ZfSL 22 (1900) 230 ff. A. Jeanroy et
H. Guy, Chansons et dits artdsiens du XIIIe s., Bordeaux 1898.
Jeanrov, Chansons, jeux partis et refrains incdits du XIII0 s., Toulouse
1902 "(sep. ans Rdlr 1896, 1897, 1902). — Abhandlungen
allgemeinen Inhalts: P. Paris , Les Chansonniers i. Hist. litt.
23, 512 ff. (1856). A. Jeanroy, De nostratibus medii aevi poetis
qui primum lyrica Aquitaniae carmina imitati sint, P. 1889; Origines2
1904; Les chansons, in Petit de Jve. I, 366 ff. G. Paris, Origines;
Litt. § 125 ff. Ferner Suchier Lit. s. 172 ff; Gröber s. 659 ff.
Wechssler, Kulturproblem (oben s. 43). Martin Müller, Minne u.
Dienst i. d. afr. Lyrik, Diss. Marburg 1907. Binet, Le style de la
lyr. court., P. 1891. Mor. Schittenhelm, Zur stilistischen Verwendung
des Wortes Cuer, Diss. Tübingen 1907. — Über die musik. vgl.
Coussemaker, L'Art harmonique anx XIP et XIIIe ss., P. 1865.
Restori, Note sur la musique des chansons, in Petit de Jve. I, 390 ff.
J. B. Beck, Die Melodien der Troubodours, Str. 1908. Pierre Aubry,
Trouveres et Troubadours, P. 21910.
Einzelne Gattungen. Streitgedicht: K. Knobloch, Die
Streitgedichte im prov. u. afr., Breslau 1888. Über das prov. Streit-
ged. ausserdem Seibach 1886 (Stengels AA 57), Rud. Zenker, L.
1888, Jeanroy, Annales du Midi 2, 281 ff, 441 ff. Vgl. H. Jantzeu,
Gesch. d. deutschen Streitgedichts im MA., Breslau 1896 (Germ.
Abb. 13). F. Fiset, Das altfranz. Jen-parti, RF 19 (1905) 405 ff.
Fr. Lubinski, Die Unica der Oxforder Liederhs. Douce 308, RF 22
(1907) 506 ff. Zu den Minnefragen: Ed. Wechssler, Vollmöller-
band 131 ff, Ed. Hoepffner, ZrP 33 (1909) 695ff, Alex. Klein, Die
afr. Minnefragen, I (Marburger Beiträge I, 1911), Walther Suchier,
ZrP 36 (1912) 221 ff. — Tagelied: K. Bartsch, Ü. d. roman. u.
deutschen Tagelieder 1865 (jetzt in Ges. Vorträge u. Aufsätze,
Freiburg 1883, s. 250 ff). Jeanroy u. G.Paris a.a.O. G. Schläger,
Studien über das Tagelied, Diss. Jena 1895. Restori, Gaite de
la tor, Messina 1904 (per nozze Petraglione-Serrano), dazu Jeanroy,
Rom. 33, 615 ff. In Deutschland beginnt die nachahmung des roman.
tagelieds mit Wolfram, das unter dem namen Dietmars von Aist
überlieferte Slafest du, friedet ziere ist einheimischen Ursprungs.
Vgl. noch De Gruyter, Das deutsche Tagelied, Diss. L. 1887.
L. Fränkel, Shakespeare u. d. Tagelied, Hannover 1893. — Salut
d'amour: P. Meyer, Bibl. Ec. Ch., 6e ser., IIIe t. (1867) s. 124 ff.
Schultz-Gora, ZrP 24 (1900) s. 358 ff. Fürs deutsche vgl. E. Meyer,
Die gereimten Liebesbriefe des deutschen MA., Diss. Marb. 1898. —
Lai und Descort: F. Wolf, Über die Lais, Sequenzen u. Leiche,
Heidelberg 1841. Lais et de3Corts fr. du XIIIC s., texte et musique,
p.p. Jeanroy, Brandin et Aubry, P. 1901, dazu Restori, Rivista
musicale italiana 8 (1901), fasc 4, und G. Schläger, LgrP 24 (1903)
358 X. Kapitel. Hof. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
s. 286 ff. 0. Gottschalk, Der deutsche Minneleich u. s. Verhältnis
zu Lai u. Descort, Diss. Marburg 1908. — Motet: Recueil de motets
fr. des XII e et XIII e ss. p. p. G. Raynaud, 2 bde., P. 1881 n. 1883
(Bibl. franc. I. II.). Die altfranz. Motette der Bamberger Hand-
schrift, hgg. von A. Stimming, Dresden 1906 (GrL 13). Cent motets
du XIII0 siecle publ. d'apres le Manuscrit Ed. IV, 6 de Bamberg par
P. Aubry, 3 bde., P. 1908. A. Stimming, Zu den Bamberger Motetten,
ZrP 33 (1909) 66 ff, 356 ff.
Die frage, wieweit der romanische (franz. und prov.) einfluss
auf die deutsche lyrik eingewirkt hat, ist sehr verschieden beant-
wortet worden, je nachdem die einzelnen forscher eine selbständige
volkstümliche liebeslyrik in Deutschland annehmen oder nicht, aus
der sich der 'altheimische minnesang' entwickeln konnte. In be-
jahendem sinne haben die letzte frage behandelt W. Scherer (Deutsche
Studien I, II, Wien 1870—74), Burdach (ZdA 27, 1881), R. Becker
(Halle 1882), R. M. Meyer (ZdA 29), A. Berger (ZdP 19), während
Wilmanns (Walter v. d. Vogelweide 1882, AZdA VII) eine weit-
verbreitete deutsche liebeslyrik vor dem minnesang leugnet und
schon in den älteren deutschen minnesängern, besonders im Kürn-
berger, romanischen einfluss wahrnimmt. Vgl. zur entstehung des
d. minnesangs noch die arbeiten von E. Th. Walter (Germania 34),
K. Marold (ZdP 23), 0. Streicher (ZdP 24), A. Schönbach, Die
Anfänge des deutschen Minnesangs (Graz 1898), dazu Wallensköld,
Neuphil. Mitteilungen, Helsingfors 1900. Schönbach steht im wesent-
lichen auf dem Standpunkt von Wilmanns und will das den westen
Deutschlands überspringende wirken romanischen einflusses bei den
österreichischen minnesängern durch Vermittlung Oberitaliens, besonders
Friauls, erklären. Noch weiter als die deutschen forscher geht in
seinen 'Origines' (1889) A. Jeanroy, welcher die älteste deutsche
minnedichtung als reflex einer verloren gegangen älteren franz. lyrik
betrachtet (vgl. oben s. 177), wogegen G. Schläger (Tagelied 1895,
anm. s. 19 ff.) eine reihe beachtenswerter einwände erhebt. Vgl.
noch Anna Lüderitz, Die Liebestheorie der Provenzalen bei den
Minnesängern der Stauferzeit, B. 1904.
Tatsache ist, dass direkte nachahmungen romanischer chansons
und Strophenformen sich nicht bei den ältesten deutschen minne-
sängern, sondern erst seit der zweiten generation, seit ende des
12. jh8., finden: so ahmt Reinmar von Ilagenau ein lied Aubouius
de Sözanne, Bernger von Horheim ein solches Crestiens nach; Friedrich
von Hausen, Rudolf von Fenis, Heinrich von Morungen nehmen
provenzalische trobadors zum muster. Vgl. die anmerkungen zu
Minnesangs Frühling von Lachmann und Haupt (Neubearbeitung von
Fr. Vogt, 1911), ferner Bartsch, Germania 1, 480ff, ZdA 11, 195 ff,
Fr. Michel, Heinrich von Morungen und die Troubadours 1880,
O.Schultz, ZdA 33, 185 ff). Man sollte umgekehrt engen anschluss
an die Vorbilder in der älteren periode und freiere nachahmung in
der späteren zeit erwarten und wird daher mit H. Paul (PBB 2,
1 Die ältesten bekannten Lyriker. 359
465 f. anm.) zu scheiden haben zwischen dem einfluss höfischer ideen
(wie sie sich z. t. auch beim Kttrnberger oder in Dietmars 6og.
'tageliet' finden) und der nachahniung romanischer poesie, welche
verhältnismässig jung ist und die ältesten deutschen miunesänger
nicht berührt. Jeanroys versuch, aus der ältesten deutschen minne-
lyrik die verloren gegangene ursprüngliche lyrik der Franzosen
erschliessen zu wollen, ist nicht als gelungen zu betrachten: die
vorhandenen Übereinstimmungen sind grösstenteils zu allgemeinen
Charakters, um beweiskräftig zu sein (vgl. Schläger a. a. o.).
2. Die ältesten bekannten Lyriker.
Bei dem konventionellen charakter der von aussen her fertig
übernommenen minnelyrik der Franzosen treten dichterische
individnalitäten wenig- hervor, weniger jedenfalls als im höfischen
romau oder selbst in der nationalen heldendichtung. Die
höfische lyrik war teilweise schon im Süden zur manier entartet,
als sie nach dem norden verpflanzt wurde. Die dichtnng wird
somit weniger ein ausdruck persönlicher erlebnisse und gefühle,
als ein mehr oder weniger geistreiches spielen mit konven-
tionellen gedanken in mehr oder weniger neuen formen. Ge-
pflegt wird diese lyrik zuerst an den höfen, von höfischen, ja
meist adeligen dichtem, am ersten, soviel wir wissen, von
Crestien. Hauptpflegestätten dieser neuen lyrik waren der
osten und der eigentliche norden Frankreichs: die ältesten
höfischen lyriker gehören meist der Champagne oder der
Pikardie und dem Artois an, nur wenige dem westen. Auch
am königshofe zu Paris fanden Sänger verschiedener herkunft
aufnähme, wie das beispiel Conons de Bethune beweist.
Einer der ältesten lyriker, jedenfalls ein Zeitgenosse Crestiens
wird Huon III. von Oisi (i. d. Picardie bei Cambrai) gewesen
sein, den der ebengenannte Conon als seinen lehrer nennt (in
seinem zweiten kreuzzugslied: Ore ai jou dit des barons me
sanlanche, — Se lor en poise de chou Jce jel di, — Si s'en
prendent a men maistre d'Oisi, — Ki m'a apris a canter des
enfanche). Doch ist uns von ihm nur ein lied überliefert, das
allerdings in form und inhalt von dem üblichen Schema ab-
weicht und uns ein damentournier schildert, während ein
360 X. Kapitel. Höf. Dichtung neben n. unmittelbar nach Crestien.
rügelied gegen Conon ihm wol nur irriger weise zugeschrieben
worden ist. Doch geht aus Conons bernfung auf Huon wol
soviel hervor, dass dieser auch schon rligelieder (serventois)
gedichtet hat.
Conon de Bdthune (nom. Cuenes-Quenes) selbst, gleich-
falls Pikarde und durch seine beteiligung am dritten und vierten
kreuzzug auch aus der geschiente (z. b. aus Villehardouins
chronik) wol bekannt, hat uns etwa zehn lieder hinterlassen,
von denen namentlich die beiden kreuzzugslieder persönliche
empfindung zum ausdruck bringen (vgl. oben), während die
eigentlichen minnelieder, auch wenn sie einen realen hinter-
grund haben sollten, die üblichen Übertreibungen im lobe der
geliebten, in der Versicherung der ergebenheit u. ä. m. enthalten.
Originelle färbung zeigt noch ein dialoglied zwischen einer alt
und nachgiebig gewordenen schönen und einem ehedem feurigen,
jetzt aber spröden liebhaber. Dass ihm sein auftreten am
hof zu Paris — wol um 1180 — einen tadel wegen seiner
unpariserischen ausspräche eintrug, wurde schon oben bemerkt.
Nach dem norden gehören von den dichtem dieser zeit
noch: Gautier vonDargies (bei Beauvais), der ausser liebes-
liedern die ältesten franz. descorts gedichtet und zwei jeus-
partis mit dem jüngeren Zeitgenossen Richard von Fournival
getauscht hat; Richard von Semilli sowie Gautier von
Soignies (Hennegau), welche beide anlehnung an volkstümliche,
refrainhaltige dichtformen suchen und u. a. rotrouengen und
pastourellen gedichtet haben; endlich Blondel de Nesle, der
Castellan von Coucy und Jehan Bodel aus Arras.
Blondel (wahrscheinlich aus Nesle im arrondiss. Peronne,
derart. Somme), in der sage bekannt durch seine treue gegen
Richard Löwenherz und die zur auffindung und befreiuug des
gefangenen königs unternommene fahrt, besingt in den zwei
dutzend liedern, die wir von ihm noch haben, in konventioneller
form meist die leiden, nur in einem liede auch die freuden
der liebe, mit sichtlichem bestreben, die heimatlichen pikar-
dismen zu vermeiden.
Der kurzweg Castellan von Coucy genannte dichter ist
wahrscheinlich identisch mit Gui, castellan (d. i. richter und
Verwalter eines schlossbezirkes) von Coucy (in der südlichen
Pikardie, im sogenannten Vermandois) in den jähren 1186 bis
2. Die ältesten bekannton Lyriker. 361
1201. Er ist ausschliesslich liebeslyriker (etwa 15 chansons)
und liebt als solcher sehr die anknüpfung an naturbilder, an
frühlingszeit und vogelsang. Er ist als teilnehmer am vierten
kreuzzng 1203 auf dem schiff gestorben und hat so wol die
Veranlassung dazu gegeben, dass das sogenannte 'herzmaere'
in einem roman des 13. Jahrhunderte auf einen castellan von
Coucy übertragen wurde (vgl. kap. XII).
Jehan Bodel aus Arras, der dichter des Kielasspieles
und des Sachsenepos (oben s. 142, 217 f.), reicht mit seiner
lyrik noch in den anfang des 13. Jahrhunderts hinein.
Ausser fünf pastourellen ist von ihm namentlich noch sein
abschiedslied, lli congie' (plural), überliefert, das er etwa 1202
verfasst hat, als er sich wegen leprose von der weit zurückzog.
Andere dichter des 13. Jahrhunderts und später haben ihn mit
ähnlichen abschiedsliedern nachgeahmt, so dass der Gonge in
der folgezeit eine besondere dichtgattung wird.
Nach der Pikardie ist in dieser zeit die Champagne am
fruchtbarsten an lyrikern. Unter ihnen ist Gace Brule\ den
wir bis zum jähre 1212 verfolgen können, der aber schon in
dem anfangs des 13. Jahrhunderts verfassten roman Guillaume
de Dole als bekannter dichter genannt wird, weitaus der
fruchtbarste und bedeutendste, wenn wir ihm auch von den
zahlreichen unter seinem namen überlieferten liedern nur
etliche dreissig mit Sicherheit zusehreiben können und bei zwei
dutzend anderen seine autorschaft als nicht genügend gesichert
betrachten müssen. Ausser dem oben abgedruckten jeu-parti
sind es lauter minnelieder, welche wenigstens teilweise einen
realen hintergrund zu haben scheinen; die trennung von seiner
geliebten, einer hochstehenden darae, entlockt ihm einige lieder
von wahrem gefühl, der verlast ihrer liebe freilich ebenso
offenherzige Verwünschungen.
Wie Gace gehört auch Guiot von Provins teils noch
dem 12., teils schon dem 13. Jahrhundert an. Die füuf von
ihm bekannten lieder sind jedenfalls in seiner früheren zeit
entstanden. Wichtiger als diese lieder ist uns allerdings die
satire, die er später als mönch des klosters Cluuy unter dem
namen Bill': verfasst hat: hier finden sich eine reihe bemerkens-
werter erwälinungen von dichtenden oder bekaunte dichter
beschützenden Zeitgenossen. Dass manche ihn mit Wolframs
362 X. Kapitel. Hüf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
Kyot identifizieren, wurde oben bemerkt. Nach der Champagne
gehört auch noch der oben (s. 358) erwähnte Aubouin de
Sözaune, von dem freilich nur zwei chansons nnd eine
pastourelle überliefert sind.
Weiter nach osten, nach Lothringen, gehört Gautier von
Epiual, der in seinen fünfzehn liedern Strophen- und vers-
formen möglichst variiert, auch hie uud da eine neue gedanken-
einkleidung findet. In Burgund dichtet um diese zeit Guiot
von Dijon uud Hugues von Berze (in der nähe von Mäcon),
dieser jedoch in francischer mundart.
Die westlichen provinzen haben in dieser ältesten zeit des
minnesanges nur wenige Sänger aufzuweisen, unter ihnen vor
allem König Richard Löwenherz. Die zwei lieder, die
uns von ihm geblieben sind, bringen durchaus persönliche
empfindungen zum ausdruck; das eine davon, in der form der
rotrouenge, klagt über die lange gefangenschaft, in der er sich
befindet, und ist an seine Schwester, die gräfin (Marie von
Champagne), gerichtet. — Von Morisse von Craon (dep.
Mayenne) haben wir nur ein lied, ein liebeslied mit anknüpfung
an die frühlingszeit, in flotter form. — Einiges mehr hat uns
Guillaume von Ferneres, der sogenannte Vidame von
Chartres (viccdominus d. h. militärischer beschützer des bischofs),
hinterlassen, welcher, wie Renaud de Beaujeu (s. unten s. 375)
u. a. schon im Guillaume de Dole zitiert wird uud 1219 als
grossmeister des tempelordens in Damiette gestorben ist. Er
schwelgt in der poesie des liebesschmerzes so sehr oder mehr
als irgend einer seiner dichtenden Zeitgenossen: worte wie
dolor, maleürez, plaindre, plorer et sospirer, endurer, qucrre
garison, saner ma plaie bilden seinen lieblingsphrasenschatz.
Einmal singt er mit einem beinahe modern zu nennenden
gedanken: Desconsilliez plus que nuls Jiom qui soit, — Charit,
si ne sai por quoi ne content. Ein andermal kontrastiert er
sehr hübsch die süsse, alles erschliessende frühlingszeit mit
seinem drang zum besingen seines Unglücks. In dieser hinsieht
darf er zum mindesten unter seinen Zeitgenossen eine gewisse
eigeuart beanspruchen.
Von den hier behandelten dichtem sind in Sonderausgaben
erschienen: Conon de Bethune, £d. crit. p. Axel Wullensköld, Hel-
singfors 1891. Vgl. Jeanroy, Denx chansons de C. d. B., Rom. 21
3. Tristanromane: Die Sage. 363
(1892) 418 ff. — Richart de Scmilli, Krit. Text von G. Steffens,
Foersterhand s. 331 ff. — Blondel de Nesle, Krit. A. von Leo Wiese
(Ges. f. Rom. Lit. 5), Dresden 1U04. — Castellan von Coucy, Krit.
Bearb. von Fritz Fath, Heidelberg 1883, dazu G. Paris, Rom. 22,
485 ff, und F. Davids, Strophen- und Versbau d. C. v. C, Progr.
Hamburg 1887 (Alt. ausgäbe von F. Michel, P. 1830). — Gace
Binle p. p. Gddeon Huet, P. 1902 (Soc. d. a. t.). — Gniot von
Provins, Die Suite de la Bible u. s. lyrischen Dichtungen, von
A. Banaler, Diss. Halle 1902. — Gautier d'Epinal, ed. crit. p. Linde-
löf et Wallensköld, Helsingfors 1901. — Die übrigen meist in
Brakelmanns lLes plus anciens Chansonniers' (lluon d'Oisi, Aubouin
de Sözanne, Richard Löwenherz, Morissc de Craon, Gnillaume de
Ferneres — hier ausserdem auch Crestien, Conon de Beth., Blondel,
Castellan von Coucy, Gautier d'Espinal). Einzelnes in den Sammlungen
von Wackernagel, Mätzner, Bartsch. Zu Jehau Bodel vgl. noch
Rohnströms Etüde (oben s. 218) und die dort verzeichnete lit. —
Morisse von Craon erscheint anfangs des 13. jhs. als held eines mhd.
versromans, der wohl ein in Frankreich entstandenes lateinisches
gedieht zur grundlage hat (ausgäbe von E. Schröder, Zwei altdeutsche
Rittermären, B. 1894, vgl. dazu Wechssler, Rom. Jahresbericht 4,
II, 404 f.).
3. Tristanromane.
Von Tristan war schon oben gelegentlich Crestiens und
seines Cliges (s. 294, 308) die rede. Die Tristansage ist das
hohe lied der liebe und zwar der sinnlichen, über alle schranken
sich hinwegsetzenden liebe: 'de l'amour illegitime, de l'amour
souverain, de l'amour plus fort que l'honneur, plus fort que
le sang, plus fort que la mort, de l'amour qui lie deux etres
Fun a l'autre par une cbaine que les autres et eux-memes sont
impuissants ä rompre ou ä relächer' (G. Paris). Verschiedene
französische dichter haben den Stoff noch zu Crestiens zeit
oder bald darauf bearbeitet und dadurch anderen literaturen
zugänglich gemacht. Die eigentliche herkunft des Stoffes jedoch
ebenso wie der grössere oder geringere anteil der französischen
dichter an seiner ausgestaltung hat sich noch nicht mit völliger
bestimmtheit klarlegen lassen.
A. Die Sage. Der eigentliche entstehungsort der Tristan-
sage ist im keltischen Grossbritannien und zwar allem vermuten
364 X. Kapitel. Höf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
nach bei den nördlichen Britten, d. h. eher in Wales als in
Cornwall zu suchen. Der name des haupthelden selbst ist
keltischer herkunft und besonders bei den Picten häufig: Drust,
Drostan u. ä. formen sind seit dem 8. jh. als namen von Picten-
königen belegt, Drystan, Trystan, Tristan seit dem 11. Jahr-
hundert in Wales (der angeblich älteste beleg für die namens-
form Tristan, 807 aus der Bodenseegegend, beruht auf falscher
lesung). Auch der name Mark ist keltisch. Mit den keltischen
dementen haben sich weiter demente aus der zeit der Wikinger-
kämpfe des 9. und 10. jhs. verbunden: so erklären sich Tristans
beziehungen zu Irland und Dublin, wo damals ein kleines
Wikingerreich bestand. Der name seines gegners Morholt ist
germanisch (obwohl man mit G. Paris auch an keltisch mor =
meer denken kann), germanisch ist auch der name Iselt =
Ishilt (der allerdings nach Loths auffassung ein ursprünglich
keltisches Essylt ersetzt hätte) und der ihres vaters Gormnnt
sowie der holmgang (Zweikampf auf der insel) zwischen Tristan
und Morholt. Die zahlreichen Zauberelemente — Isoldens heil-
kunde, der liebestrank — können sowohl keltischen als ger-
manischen Ursprungs sein. Überhaupt spielen eine menge
märchenzüge und allgemeine sagenmotive herein, deren Ursprung
sich nicht genau feststellen lässt: so Isoldens goldhaar (worüber
besonders Golthers Studien zu vergleichen sind), so der doppel-
sinnige reinigungseid, mit welchem sich Isolde von dem Vorwurf
unlauterer beziehungen zu Tristan reinigt, niemand als ihr
gatte und der bettler, der sie durch den fluss getragen (d. i.
Tristan), habe sie im arm gehabt. Die auffälligen Überein-
stimmungen mit der Theseussage (der jungferntribut an Morholt,
der zug zur befreiung der von einem dämonischen wesen
geraubten gattin des freundes, das weisse und das schwarze
segel) sowie mit der sage von Paris und Oenone (Verwundung
des helden, verspätete ankunft der heilkundigen gattin, tod
der beiden) erklären sich am einfachsten durch frühzeitig
geschehene mündliche Übertragung der antiken sage nach
dem Westen. Bemerkenswert sind auch die neuerdings von
R. Zenker betonten Übereinstimmungen der Tristandichtungen
in einzelnen motiven und z. t. auch in der reihenfolge mit dem
zw. 1042 und 1055 entstandenen persischen epos von Wis und
Ramin, auch wenn man einzelne parallelen (wie liebestrank —
3. Tristaurouiano: Thomas. 36a
niannheitsbindung, Brangiens Stellvertretung, den völlig ab-
weichenden schluss u. ä.) als unzutreffend ausser aelit lässt. Aber
einerseits ist das Verhältnis der verschiedenen Tristandichtuugen
zu einander, andererseits der weg für eine veimittlung des
persischen romans nach dem abendlaud noch zu wenig klar,
als dass man sichere Schlüsse darauf bauen könnte.
Alle überlieferten dichterischen bearbeituugen setzen eine
gemeinsame, literarisch gefestigte quelle, einen 'Ur- Tristan',
voraus, der vermutlich französisch (nach G. Paris, Suchier u. a.
englisch) abgefasst war und der ersten hälfte des 12. Jahr-
hunderts angehört haben wird. Der erste teil, von Tristans
kämpf mit Morholt, geht in seinem kern auf eine Wikinger-
sage zurück. Der zwischen Mark, Isolt und Tristan spielende
liebesroman seheint keltischer erfiudung zu entstammen, auch
das 'drame moral', das allerdings mit der auffassung der liebe
in der französischen höfischen dichtung zusammentrifft, ist von
haus keltisch, wie besonders G. Paris und neuerdings J. Loth
gezeigt haben. Das nebeneinander der beiden Isolden erklärt
sich, nach den ansprechenden Vermutungen Murets und Lots,
wahrscheinlich durch die Vereinigung einer inselkeltischen und
einer aremorikanischen Tristanüberlieferung. Alles das weist
deutlich auf vorliterarische sageubildung, auf Tristansagen
vor dem 'Urtristan', hin.
B. Thomas' Gedicht. Altere Tristandichtungen, wie
eine durch Marie de France um 1165 bezeugte oder die des
Pikarden Li Kievres, sind uns verloren gegangen (wegen
Crestien s. o.). Die älteste, die wir haben, ist von dem
anglonormannischen, aber im wesentlichen kontinentalfranzösisch
dichtenden Thomas, welcher etwa zwischen 1160 und 1170
gedichtet hat, jedenfalls nach Waces Brut (s. oben s. 261), den
er gekannt und benutzt hat. Das werk des Thomas ist uns
aber nur fragmentarisch erhalten, in neun verschiedenen
bruchstücken aus fünf verschiedenen handschriften, zusammen
3144 verse, etwa ein sechstel des ganzen. Der gesamtinhalt
lässt sich mit hilfe der fremden bearbeituugen erschliessen :
des Tristans Gottfrieds von Strassburg, anfang des 13. Jahr-
hunderts; der 1226 von dem mönch Robert verfassten
norwegischen prosaübertragung; des zwischen 1294 und 1330
in Strophen gedichteten englischen Sir Tristrem. Dazu kommen
366 X. Kapitel. Ilüf. Dichtung neben u. unmittelbar nacb Crestien.
als weitere bearbeitungen die beiden altfranzösischen gediehte
von der Folie Tristan (ende des 12. Jahrhunderts) und eine
episode der italienischen prosakompilation Tavola Bitonda.
Die überlieferten stücke von Thomas' originalgcdicht gehören
dem schluss des ganzen an und berichten Tristans erlebnisse
von seiner heirat mit Isolt Weisshand bis zu seinem ende.
Die verloren gegangenen teile des gedichtes erzählten
zunächst Tristans herkunft und Jugend: wie er nach dem tod
des vaters im kämpf zur weit kommt und bei seiner geburt
auch noch die mutter verliert, wie er von norwegischen kauf-
leuten aus der obhut seines getreuen erziehers Roald le Foitenant
geraubt, durch eineu seesturm versehlagen wird und nach
Tintagel an den hof seines oheims Mark von Cornwall kommt,
wo er durch jagd- und waffenhandwerk, lautenspiel und
Sprachenkenntnis sich auszeichnet. Nachdem er den tod seines
vaters gerächt, besiegt er den Morholt von Irland, lässt sich
unter falschem namen (Tantris) von Morholts heilkundiger
mutter eine eben in diesem kämpfe erhaltene vergiftete wunde
heilen, kehrt dann abermals nach Irland zurück, um für seinen
oheim Mark um Isoldens band zu werben, und trinkt auf der
überfahrt nach Cornwall mit Isolt den liebestrank, welchen
deren mutter für Isolt und Mark bestimmt hatte. Seitdem
sind Tristan und Isolt durch unauflösliche liebe aneinander
gekettet. Die treue kammerzofe Brengvein opfert ihre eigene
ehre, um das vergehen ihrer herrin vor Mark zu verdecken,
aber da Tristan auch nach Markes hochzeit seine beziehungen
zu Isolt fortsetzt und jede gelegenheit sucht und benutzt sich
ihr zu nähern, so wird das geheimnis schliesslich entdeckt.
Isolt reinigt sich zwar durch den oben angegebenen betrug
von der beschuldigung, aber Tristan wird gleichwol vom hof
verbannt, schliesslich auch sie selbst, und ao führen sie eine
Zeitlang ein liebesieben im walde, bis köuig Mark sie eines
tages, das schwert zwischen beiden (vgl. oben s. 246 f.), in
einer grotte schlafend findet und ihnen verzeiht. (Hier setzen
die überlieferten fragmente, freilich auch im folgenden noch
durch lücken unterbrochen, ein.) Aber von neuem mit der
königin betroffen, muss Tristan fliehen, gelangt nach manchen
fahrten in die kleine Bretagne und heiratet hier Kaherdins
Schwester Isolt as Manches mains, weniger aus aufrichtiger
3. Tristauruuiaiie: Thomas. 3(3 1
neigung als darum, weil er namen und Schönheit seiner geliebten
in ihr wiederfindet und so jene vergessen zu können hofft.
Aber am hochzeitsabeud mahnt ihn der ring der blonden Isolt
au die treue, die er ihr schuldig ist, er verschmäht den
ehelichen verkehr mit der angetrauten I^ult und erbaut mit
hilfe eines von ihm besiegten rieseu in einem entlegenen,
verrufenen wald einen prächtigen saal, in dessen mitte er
eine sprechendähnliche, süssen duft verbreitende bildsäule der
blonden Isolt aufstellt, daneben eine solche der Brengvein.
Schliesslich treibt ihn die Sehnsucht wieder nach England,
mit ihm zieht Kaherdin um der Brengvein willen. Zu
verschiedenen malen und durch verschiedene listen gelingt
es Tristan, die geliebte wiederzusehen. Nach der Bretagne
zurückgekehrt wird Tristan bei dem versuch, seinem freunde
beizustehen (vgl. oben), durch eine vergiftete waffe verwundet
und sendet Kaherdin nach der blonden Isolt, dass sie komme
ihn zu heilen, ein weisses segel soll das zeichen ihrer ankunft
sein. Aber in ihrer eifersucht meldet Isolt Weisshand dem
ängstlich harrenden ein schwarzes segel: da gibt Tristan
seinen geist auf, und an seiner leiche sinkt die bald darauf
herbeigekommene blonde Isolt tot zusammen.
Thomas hat hier eine tragödie der liebesleidenschaft
dargestellt, die trotz aller sinnlichen glut nicht unmoralisch
wirkt: Tristan ist ja nur das opfer des liebestraukes, und er
wie Isolt büsst die schuld mit leid und tod. Den stoff wird
Thomas im wesentlichen seinen quellen entnommen haben, ihm
selbst gehört die lebenswahre, psychologisch durchgeführte
eiuzelscliilderuug. In der Seelenanalyse, in der darstellung
der den helden oder die heldin bewegenden widerstreitenden
empfindungen, gibt er meister Crestien nichts nach, ja G. Paris
stellt ihn, den 'Anglais', noch über diesen, den 'Francais': „Le
Francis s'attache surtout a. rendre son recit interessant, amü-
sant meine, pour la societe ä. laquelle il est destine . . . avant
tout il veut plaire, et pense ä son public plus qu'a son sujet.
L'Auglais sent avec les h^ros de son r£cit; son coeur est
interesse aux peines et aux joies du leur; il cherche jusqu'au
fond de leur äme pour en decouvrir les replis cach£s; son
style, embarrasse et souvent obscur quand il s'applique au
r£cit d'aventures qui au fond ne l'iuteressent pas, devient vivant
368 X. Kapitel. Hof. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
et nuance* quand il essaie de rendre les sentiments intimes qui
seuls le touchent; il £crit pour lui-menie et pour cenx qui ont
les memes besoins d'emotion que lui, bien plus que pour un
public sensible surtout au talent du conteur et indifferent au
sujet du conte". J)
C. Berols Gedicht. Stellt Thomas die sogenannte
englische Version der sage dar, so rinden wir bei dem aus
der französischen Bretagne stammenden Berol (zw. 1190 und
1200) die sogenannte französische oder allgemeine Version. In
den hauptzügen stimmt die erzählung mit derjenigen bei
Thomas überein, aber im einzelnen sind manche unterschiede.
Isolt heisst hier Iselt (Iseut) oder Isalt, Mark ist nicht könig
von ganz England, sondern nur könig von Com wall und als
solcher Zeitgenosse könig Arthurs, Tristan ist hier nicht herr
von Ermenia (unsicherer deutung), sondern von Loonois (Lothian,
südöstlicher teil Schottlands, dann auf L6on in der Bretagne
umgedeutet). Die Wirkung des liebestrankes dauert hier nur
drei jähre. Hinzugefügt erscheint hier der Midascharakter
des königs Mark, welcher seine pferdeohren unter einer Ver-
hüllung verbirgt, aber von einem zwerg entdeckt wird; hinzu-
kommt ferner das zur entdeckung des ehebruchs führende
eingreifen des zwerges Frocin und der drei ritter, die Ver-
urteilung Tristans zum feuertod und sein entkommen durch
den sprung aus dem fenster der kapelle hinab über den
felsen, die auslieferung der Iselt an die kranken bettler und
ihre befreiung durch Tristan und seinen getreuen Gorvernal;
Tristans freiwilliges anerbieten an den könig (nach ein-
dringlichem zureden des eremiten Ogrin), Iselt zurückzugeben
und manche andere züge und episoden. Der dichter ist mehr
erzähler der Vorgänge als reflektierender psych ologe, aber er
schildert anschaulich und klar, was er erzählt, nicht ohne
beimischung von humor und zugleich mit feinem gefühl für
Charakter und rolle seines beiden. Mit seinen Wiederholungen
*) Nicht uninteressant ist es, mit dieser kontrastierung der 'denx
g6nies differents' durch Paris das urteil von Matthias Claudius über zwei
neuere Vertreter der beiden volkscharaktere zu vergleichen : ' Voltaire und
Shakespeare ! Der eine — Ist, was der andere scheint. — Meister Arouet
sagt: ich weine, — Und Shakespeare weint'.
3. Tristanroiuaue : Berol. 369
und 'recommencements', mit seinen anreden au das publikum
steht er dem stile der chansons de geste nahe.
Übrigens ist auch Berols werk nur fragmentarisch über-
liefert: es beginnt mit dem Stelldichein der beiden liebenden
an der quelle, wo Mark auf dem bäume sitzend lauscht, aber
von jenen durch sein Spiegelbild im wasser entdeckt wird, und
führt bis zur rückgabe der Iseut an den könig (v. 2766). Die
nächsten 265 verse bilden den später hinzugefügten Übergang
zu einem zweiten teil, welcher nach der nahezu einstimmigen
anschauung der gelehrten einem anderen dichter als Berol
gehört und die haudlung, unter enger anlehnung an den Artus-
kreis, bis zu einer neuen Zusammenkunft des liebespaares führt,
wobei Tristan den lauschenden Godoine mit einem pfeilschuss
tötet. — Vollständiger begegnet uns die bei Berol vorliegende
Version der sage bei dem deutschen dichter Eilhard von Oberg
(1190 — 1200), welcher auch geburt und Jugend Tristans erzählt,
im folgenden im wesentlichen mit Berol — bis zur rückgabe
der Isolt — übereinstimmt, den schluss ähnlich gibt wie die
anderen redaktionen. Die beiden fortsetzer von Gottfrieds
von Strassburg Tristan, Ulrich von Türheim (um 1246) und
Heinrich von Freiberg (um 1300) haben allem anschein nach
keine französischen vorlagen, sondern nur Gottfried und Eilhart
benutzt.
Ausgaben: Tristan, Recueil de ce qui reste des poemes relatifs
ä ses aventures, p. p. Fr. Michel, I — III, Londres 1835 — 39. Thomas,
Roman de Tristan, p. p. Joseph Bedier, P. 1902, 1905, 2 bde.
(Sdat). Beroul, Roman de Tristan p. p. Ernest Muret, P. 1903
(Sdat). — Abhandlungen: Über die altern abh. im allgemeinen
siehe Wilh. Röttiger, Der heutige Stand der Tristanforschung, Progr.
Hamburg 1897, W. Hertz, Übers, v. Gottfrieds Tristan * Stuttgart
1901, Bedier, Ausg. bd. II s. 103 ff., W. Golthers Tristanbuch von 1907
(s. u.), sowie die berichte von Freymond, Hilka, Vising im JrP.
Vgl. besonders: G. Paris, Poemes s. 113 ff, und die arbeiten von
Bedier, Lutoslawski, Sudre, Morf, Soederjhelm, Muret in bd. 15 und
16 der Romania. "Wolfgang Golther, Tr. u. Is., München 1887
(Hab.- sehr.) u. zahlr. weitere einzelstudien. Heinr. Zimmer, ZfSL 13
(1891) 58 f. F.Lot, Rom. 25 (1896) 14 ff, 35 (1906) 596 f. Wilh.
Hertz, Gottfrieds Tristan 2 1894, 3 1901 (bes. erläuterungen zur stoff-
vergleichung). E. Muret, Rom. 27 (1898) 608 ff., einleitung zu
Berol (s.o.), ZfSL 37 (1911) II 167 ff. J. Bedier, einl. zu Thomas
(s. o.) u. Folie Tristan (s. u.). A. Bossert, La legende chevaleresque
de Tr. et Iseult, P. 1902. Kuno Meyer, ZrP 26 (1902) 716 ff,
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auflage. 24
370 X. Kapitel. Höf. Dichtung neben n. unmittelbar nach Crestien.
28 (1904) 353 ff. (kelt, demente). Deutschbein, Studien z. Sagen
geschiente Englands I, Cötheu 1906, s. 171 ff. W. Golther, Tr. u
18. in den Dichtungen des Mittelalters u. der Neuzeit, L. 1907
Kud. Zenker, Wis u. Ramm, Erlangen 1910 (auch KF 29, 321 ff)
dazu ZrP 35 (1911) 7 1 5 ff. Gertrud Schoepperle, The love-potion
Rom. 39 (1910) 278 ff. Jakob Kelemina, Unters, z. Tristansage
L. 1910 (Teutonia 16). J. Loth, Contributions (oben s. 338) 8. 1 ff
60 ff, betont die bedeutung von Cornwall für die ausbildung der
sage und behandelt das fragment eines wallisischen Tristan -
gedichts.
Die Tristanromane weisen zahlreiche episdenhafte züge auf.
Die überlieferten lais sind aber nicht älter als Thomas, ja beruhen
z. t. auf den romanen. Meist behandeln sie eine durch list herbei-
geführte begegnung zwischen Tristan und Isolt: so das von Marie
de France verfasste lai vom Gaisblatt {Chievrefeuil — siehe Warnkes
ausgäbe der lais), so die laiartige, in den Donnei des Amants
(v. 453 — 662) eingeschobene episode vom Stelldichein im garten,
wo Tristan Isolden durch nachahmen des nachtigallenschlages seine
anwesenheit kundgibt (G. Paris, Rom. 25, 508 ff, 535 ff). 'Tristan
als Narr' (La Folie Tristan) ist in zwei fassungen überliefert: in
einer älteren und ausführlicheren (letztes viertel des 12. jhs.,
998 verse), an Thomas sich anschliessenden fassung (hs. Douce,
Oxford) und in einer kürzeren, jüngeren (anfang 13. jhs., 574 verse),
welche der durch Börol vertretenen redaktion folgt (hs. Bern, aus-
gäbe von Morf, Rom. 15). Beide gedichte hgg. von J. Bedier, Les
deux poemes de la folie Tristan, P. 1907 (Sdat). Eudlich wird
eine franz. laidichtung vorausgesetzt durch das mhd., in der 2. hälfte
des 13. jhs. verfasste gedieht von 'Tristan als Mönch': hier lässt
sich Tristan tot sagen und wird mönch, um sich in dieser Verkleidung
unbehelligt der blonden Isolde nähern zu können. (Ausgabe von
H. Paul, Sitzber. d. bair. Ak., phil.-hist. kl. 1895, III, 317 ff, dazu
IV, 687 ff; vgl. Alb. Regis, Tr. als mönch, Diss. Str. 1910.) — Da
Tristan in den dichtuugen überall als lautenspieler gerühmt wird,
schrieb man ihm vielfach auch die Verfasserschaft von lais zu, wie
ihm denn einer der ältesten lyrischen lais (vgl. oben s. 356), der
mit dem gegenständ von Mariens gleichnamigem epischen lai in
beziehung stehende lai dcl Chievrefeuil (Wackernagel s. 19 ff. und
Bartschs Chrest. sp. 227 ff.) in den mund gelegt wird. Vgl. Lucien
Foulet, Marie de France et la leg. de Tr., ZrP 32 (1908) 161 ff,
257 ff.
Aus verschiedenen quellen ist der um die mitte des 13. jhs.
verfasste, von mehreren autoren fortgesetzte und erweiterte prosa-
roman von Tristan geschöpft, der, in zahlreichen hss. überliefert,
in der hauptsache in zwei redaktionen erscheint. Ausführliche
analysen von E. Löseth, Le roman en prose de Tristan, le rom. de
Palamede et la compil. de Rusticien de Pise, P. 1890 (Bibl. Ec. d.
Hautes-Et. 82). Vgl. noch W. v. Zingerle, RF 10 (1897) 475 ff.
4. Gralromane. 371
Die ausgaben der mlid. dichtungea verzeichnet Golther (1907).
Vgl. noch Piquet, L'originalite de Gottfried de Strasbourg, Lille 1905,
die neue ausg. von Gottfrieds Tristan durch K. Marold, L. 1906,
und E. Gierach, Zur Sprache von Eilharts Tristrant, Prag 1908
(Prager D. Studien IV). Der engl. Sir Tristrem hgg. von Kling,
Heilbronn 1882.
Eine für weitere kreise berechnete widergabe der Tristansage
nach verschiedenen quellen gab J. Bedier, Paris 1900 (deutsch von
Zeidler, 1901). Die neueren deutschen bearbeitungen der Tristan-
sage gehen sämtlich auf Gottfrieds Tristan zurück: so diejenige von
Immermann (nicht vollendet, gedr. 1841), Hermann Kurz (1844,
3 1877), Karl Simrock (21875), Wilh. Hertz (1877, 41909), die
letzten mit ergänztem schluss. Auf den neudichtungen von Kurz
und Simrock beruht der text von R. Wagners 'Tristan und Isolde'
(1859). Vgl. Reinh. Bechstein, Tr. u. Is. in deutschen Dichtungen der
Neuzeit, L. 1876. Kufferath, Tristan et Iseult (Bruxelles 1894).
Richard Weltrich, R. Wagners Tr. u. Is. als dichtung, B. 1904.
Golther, Tr. u. Is., 1907 (s. o.).
4. Gralromane.
Die grallegende steht im mittelpunkt einer ganzen reihe
von vers- und prosadichtungen, deren gegenseitiges Verhältnis
nicht überall mit Sicherheit klarzulegen ist, zumal wir öfters
auch mit verlorenen Zwischengliedern zu rechnen haben oder
statt der originalwerke nur jüngere redaktiouen besitzen. Hatte
Crestien in seinem gralroman mehr das ritterliche element
neben dem legendarischen zur geltung gebracht und seinen
lesern infolge der von ihm beliebten geheimnistuerei die
eigentliche Wissenschaft vom gral vorenthalten, so sehen wir
neben ihm in Robert von Borron vor allem einen Vertreter der
eigentlichen grallegende, wie auch die anschliessenden prosa-
romane das geistliche element stärker betonen als Crestien.
Im übrigen variieren sie vor allem das thema von der 'gral-
suche'. Auch diese prosaromane bringen vielfach noch neue
traditionelle demente herbei, so dass eine geschiente des grals
auch sie sehr erheblich berücksichtigen muss.
Robert von ßorron. Wir besitzen unter Roberts namen
ein bruchstück von 4000 versen, welehes im anschluss an eine
kurze darstellung von Christi leben und leiden die legende von
24*
372 X. Kapitel. Ilüf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
Joseph von Arimathia und dem gral berichtet, wie oben 8. 329
angegeben. Daran schliesst Robert einen zweiten teil, von dem
aber nur der anfang erhalten ist. Gegenstand dieses sollte,
wie wir aus einer prosabearbeitung von Roberts werk ersehen
können, Merlin sein, dessen Prophezeiungen Gaufrei in seiner
Historia regio» Britanniae erwähnt und dessen Vita derselbe
autor schon vorher in einem besonderen buch behandelt hatte.
Dieser prophet und zauberer Merlin begegnet unter dem namen
Ambrosius schon in des Nennius Historia. Robert von Borron
benutzt, im anschluss an Gaufrei, die figur Merlins, um die
entstehungsgescbichte des grals (Joseph von Arimathia) mit
den vier weiteren von ihm geplanten teilen seines Werkes zu
verbinden, aber die wenigen hundert verse des zweiten teiles
reichen nicht einmal bis zur geburt Merlins selbst. Hingegen
ist uns der ganze Merlin, ebenso wie der erste, die legende
Josephs und des grals behandelnde teil in einer prosa-
umarbeitung aus dem anfang des 13. Jahrhunderts erhalten.
Ob wir den hieran anschliessenden Prosaperceval (den soge-
nannten Perceval der Didotschen handschrift oder kurz Didot-
schen Perceval, zu unterscheiden von dem oben s. 330 bei
Crestien erwähnten, von Potvin gedruckten prosaroman) als
auflösung eines dritten teiles von Roberts gedieht betrachten
dürfen, ist strittig, ebenso wie die frage, ob Robert je die
von ihm v. 3464 ff. augekündigten teile der grallegende aus-
geführt hat.
Der wert von Roberts dichtung liegt nicht in seiner
dichterischen kunst — er erzählt, namentlich mit Crestien ver-
glichen, sehr nüchtern und schmucklos — , sondern in ihrer
bedeutung für die entwicklungsgeschichte der gralsage. Wir
finden hier wenigstens teilweise die antwort auf die fragen,
welche Crestiens graldichtung aufgibt (vgl. oben s. 329). Im
übrigen ist Roberts zeitliches Verhältnis zu Crestien nicht ganz
klar. Robert war ritter in England zur zeit könig Heinrichs II.
(1186 bezeugt) und sagt uns selbst, dass noch niemand la
yrant estoire dou graal erzählt hatte, als er sie bei Gautier
von Mont-Belyal (Montböliard) erzählte. Allem anschein nach
ist er unabhängig von Crestien, dessen Zeitgenosse er jedenfalls
gewesen ist. Beide dichtungen setzen bereits eine längere
entwicklung der grallegende voraus.
4. Gralroiuan: Robert von Borroii. Walther Map. 373
Zu den beiden gralromanen von Crestien und Robert
gesellen sich an versdichtungen nur nocb die fortsetzer von
Crestiens Perceval (oben s. 330), die jedoch fast alle erst
dem 13. Jahrhundert angehören. Ob der sonst als lateinischer
Schriftsteller bekannte Walt her Map aus England (gestorben
1209 oder 1210), der in dem Gral-Lanzelotroman in prosa als
Verfasser eines abschnittes genannt wird, etwa eine dem letzteren
zugrunde liegende versdichtung verfasst habe, ist ziemlich
ungewiss. Mit der prosaauflösung von Roberts werk setzen
dann anfang des 13. Jahrhunderts die umfangreichen prosa-
romane vom gral ein: die Queste Saint Graal, der Grand
Saint Graal und der Perlesvaus.
Ausgaben: Roberts von Borron versroman, bgg. von Fr. Michel,
Le roman du st. graal, Bordeaux 1841. Die prosaauflösung des
Joseph, hgg. von G. Weidner, Der Prosaroman von J. v. Ar., Oppeln
1881. Der Prosa -Merlin von G. Paris und Jakob Ulrich, Merlin,
2 bde., P. 1886 (Sdat). — Über das Verhältnis Roberts zum Liber
Glastoniensis s. Baist, ZrP 32 (1908) 231, u. Gralrede (oben s. 330).
— Über den Didot- Perceval: Walther Hoffmann, Die Quellen des
D.-P., Diss. Halle 1905. H. O. Sommer, Messire R. de B. u. der
Verfasser des D.-P., Halle 1908 (17. Beiheft z. ZrP). Jessie L. Weston,
The Legend of Sir Perceval II (oben s. 330). E. Brugger, ZfSL 36
(1910) II 7 ff. — Über die prosaromane vgl. oben s. 330 f., nament-
lich Birch-Hirschfeld, Heinzel, dazu Sucbier ZrP 16, 269 ff., auch Lit.
b. 160 ff.), Wechssler (Gral s. 124 ff., dazu: Über die verschiedenen
Redaktionen des R. v. B. zugeschriebenen Gr.-L.-Zyklus, Ha. 1895).
5. Bretonische Romane.
Die zahl der nachfolger Crestiens, welche die 'mauere de
Bretagne' für ihre dichtungen ausschöpfen, ist sehr gross, doch
gehören nur die wenigsten von ihnen noch dem 12. Jahrhundert
an. Hierbei ist allerdings in rechnung zu ziehen, dass so
manche von den versromanen des 12. Jahrhunderts nur in
prosaversionen oder ausländischen bearbeituugen erhalten oder
auch ganz untergegangen sind.
A. Ille et Galeron, von Gautier von Arras. Gautier,
Verfasser des zwischen antikem epos und höfischem roman
stehenden Heraclius (oben s. 286 ff.), ist ein Zeitgenosse Crestiens
374 X. Kapitel. Ilüf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
von Troyes. Hat er auf diesen mit seinem Heraclius möglicher-
weise noch eingewirkt, so ist sein zweiter, dem bretonischen
kreis gehöriger roman etwa mit Crestiens Lanzelot und Ivain
gleichzeitig, er ist um 1167 — zur krönung der in den ersten
versen erwähnten kaiserin Beatris oder bald darauf — verfasst.
Ille ist der Sohn eines ritters Eliduc in der französischen
Bretagne. Nach mannigfachen, an die helden der chansons
de geste (Hörn, Boeve de Haumtone) erinnernden jugend-
erlebnissen — flucht nach dem tode des vaters, exil, rückkehr
und Wiedereroberung des angestammten erbes — vermählt er
sich mit Galeron, der Schwester des herzogs Conain von der
Bretagne. In einem turnier des linken auges beraubt glaubt
er, so entstellt, seiner frau nicht mehr würdig zu sein und
verlässt sie heimlich. In Rom wird er — wie weiland der
hl. Wilhelm — erretter von volk und Stadt aus der band der
belagernden feinde und soll nolens volens die band der kaisers-
tochter Ganor erhalten. Trotz gegenseitigen suchens finden
sich die beiden gatten erst im letzten augenblick wieder und
kehren miteinander nach der Bretagne zurück. Nachdem aber
Galeron bei einer schweren geburt den Schleier gelobt, zieht
Ille abermals nach Rom, befreit die in verräterhände gefallene
Ganor und heiratet sie. — Trotzdem auch hier noch manche
einzelheiten an die Stilisierung der chansons de geste erinnern,
befinden wir uns mit diesem roman doch weit mehr im höfischen
gedankenkreis, ja die exposition selbst scheint au eine am hof
der gräfin Marie von Champagne behandelte (von Andreas
capellanus erwähnte) Streitfrage anzuknüpfen: ob eine dame
einen ritter zurückweisen dürfe, weil er im kämpfe eine ent-
stellnng davongetragen habe. Daneben spielt vielleicht noch
geschichtliche sage (die ermordung des grafen Hoel von Nantes
durch einen beauftragten herzog Conans 981) herein. Die
eigentliche fabel seines romans hat Gautier dem von Marie de
France verfassten lai von Eliduc (s. kap. XI) oder einem älteren
Eliduclai entlehnt. Gautier hat jedoch versucht, seinen helden
von der schuld des treubruchs möglichst frei zu machen. Lässt
sich der Verfasser an zahl wie an kunstwert seiner dichtungen
auch nicht mit Crestien vergleichen, so darf er doch als einer
der ersten Vertreter des höfischen romans, als bearbeiter
bretonischen wie byzantinischen sagenstoffs eine hervorragende
5. Bretonische Romane : Beaus Desconeiis. 375
stelle in der literarischen entwicklung des 12. Jahrhunderts
beanspruchen.
B. Der Beaus Desconeiis des Renaud von Beaujeu.
Ist in 'Ille und Galeron' von Artus und seinen helden nicht
die rede, so bietet uns Renaud mit seinem 'Schönen Unbekannten'
das typische bild eines Artusromans der späteren zeit. Artus
hält hof zu Carlion, als ein fremder ritter von jugendlichem
und schönem aussehen erscheint: er weiss nur, dass seine mutter
ihn bei fd nannte (vgl. Perceval), daher ihm Artus den namen
Biaus Desconeiis gibt. Eine botin erbittet im namen der tochter
des königs Gringar einen Artusritter zu hilfe, der den fier
baisier wagen wolle. Niemand meldet sich ausser dem B. D.
(v. 1 — 316). Wie Erec, Lancelot, Perceval besteht er auf der
fahrt zum hauptabenteuer glücklich eine reihe von kämpfen
und gefahren, wobei auch die aus dem Erec bekannte episode
vom sperber als schönheitspreis wieder begegnet und ein liebes-
abenteuer mit der demoiselle as blanchcs mains auf Ile d'or
eingeleitet wird (317 — 2726), das erst nach beendigung des
hauptabenteurs weitergesponnen und zum ende gebracht wird.
Das hauptabenteuer spielt sich in der Cite Gaste ab. Der held
muss eine menge zauberspuk über sich ergehen lassen, zwei
Zauberer nach einander besiegen und schliesslich durch den
furchtlosen kuss auf den mund eines Schlangenungetüms die
blonde Esmeree, die tochter des königs Gringar, erlösen. Eine
stimme kündet ihm, dass er der söhn Gauvains und der fee
Blanchemal ist und Guinglain heisst. Esmeree bietet ihm herz,
band und reich an (2727 — 3629). Guinglain kommt dabei in
Zwiespalt mit seiner liebe zur herrin von Ile d'or, bei welcher
er nochmals aufenthalt nimmt und nach anfänglicher abweisung
liebevolle aufnähme findet (3630—4960). Unterdes hat Esmeree
von Artur die einwilligung zu ihrer heirat mit Guinglain
erhalten, der denn auch die fee verlässt, um an einem von
Artus ausgeschriebenen turnier teilzunehmen, den sieg über
alle gegner davonträgt und endlich auf die inständigen bitten
Artus' und des ganzen hofes die blonde Esmeree zur frau
nimmt (4961—6122).
Es begegnen in dem roman eine reihe von bekannten
motiven aus Crestiens romanen, zumal aus Lancelot, Erec,
gelegentlich auch Perceval (auch aus Gauchiers fortsetzung)
376 X. Kapitel. Hof. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
und Ivaiii. Das bauptabenteuer selbst ist aber neu und gerade
Crestien gegenüber dureh die starke Verwendung des märchen-
haften Clements charakteristisch. Dazu versteht der dichter
flüssig, unterhaltend und gelegentlich nicht ohne guten humor
zu erzählen. Hinsichtlich der komposition liebt er es, wie
schon Crestien im Perceval, ein abenteuer durch ein anderes
oder mehrere andere zu unterbrechen und erst nachher wieder
aufzunehmen ('abenteuerverschränkung' oder 'einschaehtelungs-
technik' nach Saran). Der Verfasser hat den roman, wie er
selbst im eingang sagt, seiner dame zu liebe gedichtet, welcher
er auch den sens de chancon faire verdankt. In dem anfangs
des 13. Jahrhunderts verfassten Guillaume de Dole wird in der
tat ein von ihm verfasstes lied erwähnt, er wird also noch
dem 12. Jahrhundert zuzuschreiben sein.
C. Gauvaindichtung. Wenn der 'Schöne Unbekannte'
als Gauvains söhn erscheint, so dankt er dies der berühmtheit,
welche Gauvain in der romanliteratur seit Crestien in steigendem
masse gewonnen hat. Er gehört zu den ältest bezeugten rittern
der tafeirunde. Dass seine kraft sich mit dem zunehmenden
tag verdoppelt, lässt an mythische herkunft denken. Schon
Wilhelm von Malmesbury erwähnt ihn in seinen Gesta regum
Anglorum (etwas nach 1125) als neffen Arturs und miles virtute
nominatissimus und erzählt von seinen kämpfen gegen Hengist
und die Sachsen, von seiner Vertreibung und seinem ende.
Auch bei Gaufrei von Monmouth kehrt er wieder. Bei Crestien
erscheint er schon im Erec, dann im Cliges, mit wichtigeren
rollen im Ivain und im Lancelot, wo er zeitweilig den deutera-
gonisten darstellt, und im Perceval endlich verdrängt er stellen-
weise den haupthelden völlig. So erscheint er in der folgezeit
als der idealritter, als muster der tapferkeit, klugheit und
höfischheit. Wie die helden der chansons de geste hat er ein
mit namen bezeichnetes pferd, den Gringalet (ursprünglich
allerdings wol ein gattungsname).
Von den ihm gewidmeten dichtungen ist wol am ältesten
und noch ins 12. Jahrhundert gehörig: die 'Dame mit dem
Maultier' (La damoisele a la mule oder La mule
sans frein) von Paien de Maisieres, ein kurzes gedieht,
mehr von umfang und art eines lais (etwa über 1100 vv.).
Eine dame erscheint auf zaumlosem maultier am hofe des
6. Bretouischer Romane: (Jauvaiudicbtung, La mule sans frein. 377
köüigs Artus, und bietet sieb selbst als preis demjenigen
tapferen ritter, der ibr den zäum wieder verschafft. Der
grossspreckerische seneseball Keu kommt naeb kaum halb
bestandenem abenteuer besebämt zurück, Gauvain aber über-
windet mutig und siegreich alle gefahren, dringt in das sich
beständig um sich selbst drehende schloss, besteht auch hier
alle proben des muts, der Tapferkeit und der treue und bringt
glücklich den zäum zurück.
Ille und Galcron: Ausgabe von Löseth, P. 1890 (Bibl. du
m. ä. VII), von W. Foerster, Ha. 1891 (Rom. Bibl. 7). Vgl. G. Paris,
Poesie II, 109 ff. (zwei frauen). F. Lot, Rom. 25 (1896) 585 ff.
(historisches). John E. Matzke, The source and composition of I. et G.,
Modern Philology 4, 471 ff. — Beaus Desconeüs: Ausgabe von
C. Hippeau, Le Bei Inconnu ou Giglain (sie!) etc., P. 1860. Vgl.
G. Paris, Hist. litt. 30, 171 ff. E. Philipot, Rom. 25 (1896) 258 ff.
Fremde bearbeitungen des romans oder des ihm zugrunde liegenden
(verlorenen) Originalgedichts sind der mittelenglischc Lyhiaus Des-
conus (14. jh.) und der italienische Cantare dl Carduino von Pucci
(14. jh.). Vgl. Alb. Mennung, Der B. I. ds. R. d. B. i. s. Verb, zum
Lybeaus D., Card, und Wigalois, üiss. Halle 1890. Willi. Henry
Schofield, Studies on the Libeaus Desc, Boston 1895 (Harvard
Studies IV), wozu Philipot Rom. 26, 290 ff. C. Strucks, Der junge
Parzival etc., Diss. Münster 1910. — Nur teilweise stimmt der
inhalt des B. D. zum mhd. Wigalois des Wirnt von Grafenberg
(um 1204), dessen franz. grnndlage durch Sarans abhandlung über
Wirnt und Wigalois (PBB 21, 253 ff, 22, 151 ff), und die heraus-
gäbe des prosaromans vom Chevalier du papegau (13. oder 14. jh.)
durch Ferd. Heuckenkamp (Ha. 1895) in ein neues licht gerückt
worden ist, insofern der Wigalois mit dem 'Papageienritter' viel
engere beziehungen aufweist als mit dem Desconeüs und daher
einen verlorenen franz. versroman voraussetzt. Die entstehung
dieses afr. Wigalois (Guiglois?) braucht freilich nicht durch Ver-
schmelzung zweier älterer ritterromane (der originale von Disc. u.
Pap.) erklärt zu werden, eher möchte man Dcsc. einerseits und das
gemeinsame Vorbild von Pap. u. Wig. andererseits als ausflüsse eines
einheitlichen, namentlich mit benutzung Crestien'scher motive her-
gestellten romans betrachten. — Gauvaindichtung. Vgl. G. Paris,
Hist. litt. 30, 19 ff. Jessie L. Weston, The legend of Sir Gawain
(Grimm Library 7), London 1897, vgl. dazu W. Foerster, ZfSL 20
(1898) II 95 ff. — Der lat. Gauvainroman De ortu Wahvanii nepotis
Arthuri (ed. by J. Douglas Bruce, Publ. MLA 13, 3, Baltimore 1898)
ist ebenso wie die Historia sive vita Meriadoci regis Camhriae
(ebenda 15, 326 ff.) ein werk des abtes Robert von Saiut-Michel
(1110 — 86), ein wichtiges Zeugnis für die Arthursage des 12. jhs.
Vgl. Marg. Shove Morries, Publ. MLA 23 (1908) 599 ff. — Die Male
o7S X. Kapitel. Ilöf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
Sans frein hgg. von Meon, Nouveau recueil de fabliaux, contes et
dits, P. 1823, I, 1 flf., neuerdings von R. Th. Hill, La m. s. fr., Balti-
more 1911 (Diss.), und 15. Orlowski, La d. a la m., P. 1911 (These).
Mittelhd. bearbeitet von Heinrich von dem Türlin in seiner 'Krone'
(um 1220).
6. Antikisierende Abenteuerromane.
Die der alten geschiebte entnommenen erzählenden gediente
enthielten von vornherein viele phantastische demente, die sich
um so stärker hervordrängten, je mehr die dichter den boden
der alten tradition verliessen. So bildet sich gerade hier, wie
wir im achten kapitel gesehen, leicht der höfische roman
heraus, und besonders Gautiers Heraclius wird von manchen als
der erste abenteuerroman bezeichnet. In dieser richtung
schreitet denn auch die Weiterentwicklung des antiken romans
fort. Man nimmt einige mehr oder weniger bezeichnende namen
aus den älteren romanen heraus, stempelt ihre träger zu
beiden einer willkürlich erfundenen oder wenigstens willkürlich
kombinierten erzählung, und der neue roman ist fertig. Auf
diese weise sind schon die späteren Alexanderdichtungen teil-
weise entstanden, auf dieselbe weise entstehen auch die übrigen
romane, welche noch eine gewisse beziehung zum altertume
zeigen.
A. Der Florimont Amons von Varenne. Florimont ist
wie schon oben (s. 273) bemerkt, der grossvater Alexanders d. Gr.
und wird hier vor allem nach seinen jugendtaten geschildert:
wie er, allen unbekannt, dem könig Philipp Macemus im kämpf
gegen die Bulgaren beisteht, wie er (ähnlich wie Siegfried)
ein ungetüm tötet und aus dessen leibe eine unverwundbar
machende salbe gewinnt, wie er eine fee heimlich liebt und
schliesslich Philipps tochter Romadanople heiratet. Der Ver-
fasser Amon war selbst längere zeit im byzantinischen kaiser-
reich, und wenigstens ein teil seines gedichts scheint auf bvzan-
tinische Überlieferungen zurückzugehen, die er freilich stark
mit eigenen zutaten versetzt hat. Die eingestreuten griechischen
brocken lassen allerdings auf eine nur mangelhafte kenntnis
dieser spräche schliessen. Verfasst hat er sein werk übrigens
C. Antikisierende Abenteuerromane. 379
erst im abendlande, 1188, und zwar, trotz seiner herkunft aus
dem Lyonnais, in der mundart der Isle de France.
B. Die Romane Hu es de Rotelande. Der anglo-
normanniscbe dichter Hue hat im letzten viertel des 12. Jahr-
hunderts zwei romane, Ipomedon und Protesilaus, geschrieben,
die mehr mit den aus der Thebanersage entnommenen namen
ihrer personen als durch ihren inhalt an das altertum er-
innern. Den hauptinhalt des Ipomedon bilden die verschiedenen
entwicklungsstadien der liebe des helden zu der fiirstin Fiere
von Calabrien, vor deren äugen er sich, zuerst von ihr wegen
seines taten- und ruhmlosen lebens zurückgewiesen, bei ver-
schiedenen gelegenheiten und unter verschiedenen Verkleidungen
— so besonders in einem dreitägigen turnier — als tapferster
der tapfern beweist. — Der Prothesilaus nimmt das thema des
brnderkampfes aus dem Thebenroman auf: Daunus von Apulien
und Prothesilaus von Calabrien, die söhne Ipomedons, geraten
mit einander in streit, Prothesilaus muss weichen, erlebt auf
Kreta wie in Burgund zahlreiche abenteuer im kämpf und in
der liebe und erringt schliesslich glücklich sein angestammtes
erbe wieder nebst dem seines bruders und einem holden weib.
Der dichter verwertet geschickt seine lesefrüchte aus Crestien
wie aus den antiken romanen. Wie willkürlich er aber die
verschiedenen demente kombiniert, mag daran gezeigt
werden, dass die königin lsmene von Burgund durch könig
Theseus von Dänemark bekriegt wird und am ende den
Meleander von Kreta heiratet, während die gemahlin des
Prothesilaus von Calabrien Medea von Kreta wird.
C. Athis und Prophilias. Der in einer längeren und
einer kürzeren (auch inhaltlich abweichenden) fassung über-
lieferte roman, von einem noch nicht näher bestimmten dichter
Alixandre, behandelt im ersten teil, im anschluss an die
Disciplina clericdlis, in grosser ausführlichkeit das thema von
zwei treuen freunden, deren einer (der Athener Athis) eine
wunderschöne frau heiratet und dann seinem freund (Porphirias
aus Rom) das opfer bringt sie ihm — zuerst de facto, dann
auch de jure — zu überlassen. Athis wird schliesslich mit
des anderen Schwester, Gai'te, entschädigt, was den kriegszug
des königs Bilas von Bile gegen Rom hervorruft. Auch die
langen kämpfe des zweiten teils von Athen werden nicht
380 X. Kapitel. Hüf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestien.
wegen politischer Verwicklungen, sondern nur um der Weiblichkeit
willen geführt. Mit einigen antiken namen — Theseus von
Athen, Pirithous, Palamedes, Resus, Thoas u. a. — sucht der
Verfasser seine in der Schilderung höfischen lebens und krank-
haften Hebens aufgehende erzähluug zu einer Estoire d'Athenes
zu stempeln.
Andere romane mit antiken namen sind ihres inhalts
wegen schon mehr den byzantinischen liebesromanen zu-
zurechnen.
Eine ausgäbe des Florimont wird von Alfred Risop vor-
bereitet. Vgl. J. Psichari, Le r. de FL, in Etudes G. Paris s. 507 ff.,
dazu Fr. Novati, Rdlr 35 (1892) 481 ff., und G. Paris Rom. 22
(1893) s. 158 ff. A. Risop, Ungelöste Fragen z. FL, im Toblerband
s. 430 ff. — Ipomedon hg. von E. Kölbing und E. Koschwitz,
Breslau, 1889. Vgl. dazu E. Stengel ZfSL 13, II, 9 ff, und Mussafia
i. d. Sitzber. d. Wien. Akad., Phil.-hist. Kl. 121, Wien 1890. —
Über Prothesilaus vgl. Ward, Catalogue of Romances I s. 728ff.
Fr. Kluckow, Sprachliche u. textkrit. Studien über H. d. R.'s Pr.
nebst Abdruck der ersten 1009 Verse, Diss. Greifsw. 1909. F. Boenigk,
Lit.-hist. Untersuchungen zum Pr., Diss. Greifsw. 1909. — Athis
und Porphirias: druck des ersten teils von A. Weber, Stoefa 1881,
von Harald Borg, Uppsala 1882. Gesamtausgabe von Alfons Hilka,
A. u. Pr., I (bis v. 8990), Dresden 1912 (GrL 29). Vgl. Lage
E. W. Stael von Holstein, Le roman d'A. et Pr., Etüde littcraire
sur les deux versions, Upsala 1909. Das gedieht wurde von einem
begabten dichter um 1214 ins deutsche übersetzt. Vgl. W. Grimm,
Kl. Schriften 3, 212 ff.
7. Liebesromane byzantinischen Charakters.
Gegenüber den eben besprochenen romanen charakterisiert
sich eine andere, teilweise auch mit griechischen namen
arbeitende gruppe dadurch, dass an stelle kriegerischer oder
sonstiger heldenhafter ereignisse die liebesgeschichte eines
ehe- oder liebespaares den mittelpunkt bildet, wobei vielfach
äussere ereignisse — wie seesturm, entführung durch See-
räuber u. ä. — die fortschritte der handlung, die trennung
und Wiedervereinigung der liebenden oder auch der eitern
und kinder, herbeiführen. In dieser hinsieht darf Crestiens
auf der Eustachius-Placidaslegende beruhender Wilhelm von
7. Liebesromane byzantinischen Charakters: Floire et Blancheflor. 381
England (oben s. 332) als erstes beispiel in der franz. Literatur
gelten. Vor allem aber war der lateinische Apolloniusroman
im mittelalter wol bekannt und vielfach vorbildlich, z. t. wol
auch durch Vermittlung französischer bearbeitungen, auf welche
in französischen und provenzalischen dichtungen mehrfach an-
gespielt wird. Eine bearbeitung in achtsilbnern, von welcher
jüngst ein bruchstiiek in der Danziger Stadtbibliothek entdeckt
wurde, kann noch dem 12. Jahrhundert angehören und jüngere
dichtungen beeinflusst haben. Eine freie bearbeitung des
Apollonius ist die chänson de geste von Jourdain de Blaivies
(oben s. 246 f.). Übrigens finden sich verwandte themen ge-
legentlich auch in bretonischen romanen, wie Gautiers Ille
und Galeron zeigt.
Über den lat. roman s. oben s. 41. Alfred Schulze, Ein
Bruchstück des afr. Ap.-romans, ZrP 33 (1909) 226 ff. Über die
jüngeren bearbeitungen (in prosa) s. Charles B. Lewis, Die afr.
Versionen der lat. Historia Apollonii regis Tyri, Diss. Breslau 1912
(vollständig RF 34, 1. lieft).
A. Floire et Blancheflor. Wol das älteste gedieht
dieses kreises (neben Crestiens Wilhelm), jedenfalls das be-
rühmteste und am weitesten verbreitete von allen ist die ge-
schichte von den beiden am gleichen tage gebornen liebenden,
von dem heidnischen königssohn Floire und der in der ge-
fangenschaft des heidenkönigs geborenen christlichen grafen-
tochter Blancheflor. Floires vater Felis, könig im heidnischen
Spanien, sieht die liebe zwischen den beiden nicht gern, er
sendet den söhn unter einem vorwand zu einer verwanten nach
Castel Montoire und verkauft Blancheflor an die kauf leute, die
zufällig im hafen sind und das schöne mädchen stracks nach
Babylon bringen und um sein siebenfaches gewicht in gold
an den emir verkaufen. Die falsche nachricht, Blancheflor sei
gestorben, bringt Floire zur Verzweiflung, er will sich selbst
das leben nehmen, wird aber von der mutter daran gehindert
und erfährt nun den wahren Sachverhalt. Mit einwilligung
der eitern geht er auf die suche nach Blancheflor, trifft zum
glück überall menschen, die von ihr wissen, und kommt so
nach Babylon, wo Blancheflor mit mehreren hundert anderen
mädchen in der tor as puceles (eine art harem) eingeschlossen
ist. Mit hilfe des bestochenen pförtners gelangt er in einem
382 X. Kapitel. Ilüf. DichtiiDg neben u. unmittelbar nach Crestien.
blumenkorb verborgen zu Blancheflor, wird aber eines morgens
entdeckt und mit ihr vor gerieht gestellt. Beide werden zum
feuertod verurteilt, jedes von beiden sehreibt sich selber die
schuld zu, um des anderen leben zu retten, jedes drängt sich
vor dem andern zum sterben. Das rührt schliesslich selbst
den grimmen sultan, er begnadigt das paar und lässt es an
ort und stelle in der kirche trauen, er selbst verspricht,
Blancheflors freundin Claris nicht bloss — wie seine bisherigen
frauen — auf ein jähr, sondern auf lebenszeit zu heiraten.
Während des festes bringen heimische boten die nachricht vom
tode des köuigs Felis, Floire kehrt mit Blancheflor heim und
wird ihr zu liebe christ, ebenso sein ganzes volk: länger als
eine woche wird getauft; wer nicht will, wird getötet.
Der dichter führt die handlang zielbewusst, ohne retar-
dierende nebenepisoden, in rund 3000 versen zu ende. Die
handlung besteht so überhaupt nur aus exposition (Vorgeschichte
bis zur Trennung der liebenden, v. 1 — 1018), haupthandlung
(finden und wiedergewinnen Blancheflors, v. 1019 — 2886), heim-
kehr (2887 — 2974) und wird nur durch eine auzahl eingehender
und anschaulicher beschreibungen — wie die des kunstvollen
grabdenkmals für Blancheflor, des wertvollen bechers, den
Floire mit auf die reise nimmt, der stadt Babylon und des
mädchenturmes — oder durch reflexionen wie die über das
wirken der Fortuna und ihres rades unterbrochen. Floires
schmerz über den vermeintlichen Verlust der geliebten, seine
vorwürfe gegen den ungerecht wählenden tod weiss der Ver-
fasser eindrucksvoll zur darstellung zu bringen. Die zwie-
spältigen gefühle, welche den helden in Babylon angesichts
der bevorstehenden Schwierigkeiten beseelen, werden nicht
ungeschickt in form eines dialogs zwischen ihm und Amor
dargestellt. Die liebe und treue der beiden kinder — Floire
selbst zählt erst fünfzehn jähre und hat ein gesiebt wie ein
junges mädchen — bildet das leitmotiv der ganzen handlung.
Die herkunft des Stoffes liegt auch heute noch nicht völlig
klar, einige nebenzüge (harem u. ä.) stammen möglicherweise
aus dem Orient. Der zwischen 1160 und 1170 verfasste roman
(die sog. version aristoeratique) wurde ende des Jahrhunderts
durch einen dichter mehr populärer geschmacksrichtung um-
gearbeitet (version populaire).
7. Liebesrumaue byzantinischen Charakters: Guill. de l'alerue. o^'-'<
Ausgaben: Älterer text ligg. von Imin. Bekker, B. 1844 (auch
Abb. d. Berl. Akad.), beide texte von fidelestand du Meril, Fl. et
Bl., P. 1856. — Über geschickte und Verbreitung: II. Sund-
macher, 1). afr. u. uihd. Bearbeitung der Sage v. Fl. u. Bl., Gott.
Diss. 1872. II. Herzog, Die beiden Sagenkreise von Fl. u. Bl.,
Germania 29 (1884) 13911". G. Huet, Sur l'origine de Fl. et BL,
Rom. 28 (1899) 348 ff., 35 (1906) 95 ff. J. II. Reinhold, Fl. et Bl.,
Etüde de litt, comparee, P. 1906. Rene Basset, Les sources arabes
de Fl. et BL, Revue des trad. pop. 22 (1907) 241 ff. Oliver
M. Johnston, ZrP 32 (1908) 705 ff. Über Boccaccios Filöcolo (name
des beiden, aus (filoj. und yöXoc — nicht Filöcopo) vgl. die im
Rom. Grundriss II, 3, s. 111 cit. lit.
Die erzählung ist in der älteren form namentlich in den ger-
manischen literatureu bekannt und beliebt geworden: zuerst, um
1170, in einer nieder fränkischen bearbeitung, dann, um 1220, mittel-
hochdeutsch (Konrad Fleck), weiterhin norwegisch und schwedisch,
niederländisch, niederdeutsch und mittelenglisch. Die jüngere franz.
bearbeitung ist für ein einfacheres publikum bestimmt und mehr
dem stile der chansons de geste angepasst: ausführlicher als dort,
mit erweiterung der handluug (Blanckeflor wird eines Vergiftungs-
versuchs gegen den könig bezichtigt und soll mit ihrer mutter
verbrannt werden, Floire gewinnt die Verzeihung des emirs durch
seinen sieg über den plötzlich auftauchenden Jonas de Handres u. ä.),
aber mit geringerer kunst. Diese jüngere form kehrt im italienischen
(Cantare — Boccaccios Filöcolo, zw. 1338 — 40), spanischen und
neugriechischen wieder.
B. Guillaume de Palerne — L'Escoufle. Gleichfalls
noch in das ende des 12. Jahrhunderts (oder in die unmittelbar
folgenden Jahrzehnte) gehören zwei in einer und derselben
handschrift überlieferte, aber nicht von einem Verfasser her-
rührende romane, welche — wie 'Floire und Blancheflor ' —
die über den willen der eitern und alle anderen hindernisse
siegreiche liebe eines jungen paares schildern. In Guillaume
de Palerne (d. i. Palermo) ist das motiv mit der sage vom
werwolf (loup uarou oder kurz warou, garou) verquickt,
welche ausser in germanischen auch in griechischen und
bretonischen Überlieferungen (so in den lais von Bisclavret
und Melior) heimisch ist. — Der andere roman 'L'Escoufle''
(Hühnergeier) trägt seinen namen nach dem eingreifen eines
hlihnergeiers, welcher dem auf der flucht befindlichen Liebespaar
eine geldtasche mit einem ring raubt und so die trennung des
helden, der ihn verfolgt um ihm das geraubte wieder abzujagen,
von seiner geliebten bewirkt. Ein hühnergeier, welcher den
384 X. Kapitel. Hüf. Dichtung neben n. unmittelbar nach Crestien.
helden an die Ursache seines Unglücks gemahnt und von ihm
getötet wird, ist dann auch die Ursache des glücklichen wieder-
findens der liebenden.
Guillaume de Palerne p. p. II. Michelant, P. 1876 (Sdat),
dazu Mussafia, ZrP 3 (1879) 244 ff. Vgl. W. Hertz, Der Werwolf,
Stuttgart 1862, Warnke, Lais 2, einl. s. 99; über den angeblichen
Verfasser Jehan Renart F. M. Warren, Mod. Lang. Notes 23 (1908)
69 ff, 97 ff. Über d. mittelengl. bearbeitung Kaluza i. Engl. Studien
4, 196 ff — L'Escoufle, p. p. H. Michelant et P. Meyer, P. 1894.
Vgl. Mussafia, Wien. Sitzber. 135 (1897), abh. 14. Zur trennung
durch den raub eines kleinodes G. Paris, Rom. 18 (1889) 510 ff.
8. Sonstige Liebes- und Abenteuerromane.
Die grenzen zwischen den verschiedenen romangattungen
lassen sich nicht immer scharf ziehen, manche gehören (wie
z. b. schon der Clig£s) zu einem teil dieser, zum andern teil
jener gattung an, und schliesslich kommen noch solche romane
dazu, welche direkt auf heimischer Überlieferung, sei es auf
populären erzählungen (contes), sei es auf historischen (bio-
graphischen) dementen beruhen.
A. Partonopeus von Blois. Dieser zweifellos nach den
werken Crestiens von Troyes, aber (nach Gröber) vor dem
Florimont, also vor 1188 entstandene roman zeigt zunächst
einen recht märchenhaften Charakter, dessen einzelne demente
im gedieht nur teilweise eine reale erklärung finden. Sagen-
hafte und literarische demente anderer herkunft kommen dazu.
Durch den aus dem Thebenroman stammenden namen des helden
sowie durch die wideraufnahme der trojanischen abkunft der
Frankenkönige (allem anschein nach aus Fredegar oder einer
ähnlichen quelle) wird der anschluss an die antiken romane
hergestellt. Partonopeus erscheint hier als neffe des Clovis,
der seinerseits in direkter linie von Marcomiris, Priams söhn,
abstammt. Auf wunderbare weise gelangt er in das weit
entlegene, zauberhaft ausgestattete schloss Chief d'Oire (nach
dem hier vorbeifliessenden Oirefluss genannt). Es gehört der
schönen und mächtigen Melior, welche ihm nächtlich ihre liebe
schenkt, aber zur bedingung macht, dass er sie nicht sehen
8. Sonstige Liebes- und Abenteuerromane: Partonopeus. 385
dürfe, bis sie ihn offen vor allen ihren baronen zum gatten
nehmen werde. Nach einem jähr auf kurze zeit nach Frank-
reich zurückgekehrt befreit er den könig und sein land von
den gefährlichen Dänen und wird mit des königs Dichte ver-
lobt, kehrt aber bald wieder reuig zu seiner schönen fee zurlick.
Bei einem abermaligen besuch in der heimat von verwanten
und geistlichen misstrauisch gegen die unsichtbare schöne
gemacht verletzt er die von ihr gestellte bedingung, beleuchtet
sie mit einer hellen Interne und macht dadurch ihre ganze
Zauberkraft, die sie als tochter des kaisers von Konstantinopel
gelernt hat. zu schänden. Trotz Zuredens ihrer Schwester
Urrake verstösst sie ihn (wie Laudine den Ivain), er kehrt
nach Frankreich zurlick und führt (wiederum wie Ivain) ein
abenteuerliches leben im walde, bis er von Urrake aufgefunden
wird, welche ihm auch weiterhin (wie Lunete dem Ivain)
beisteht, die gunst Meliors wieder zu gewinnen. Von dem
tückischen Armant auf der insel Thenedon gefangen, weiss er
sich mit hilfe von Armants frau zu dem bevorstehenden heirats-
turnier der gefangenschaft zu entziehen (vgl. Lancelot), kämpft
an drei tagen nacheinander als der beste ritter und erhält
nunmehr die band der Melior und die herrschaft über das
reich, während Urrake den könig Lohier von Frankreich, ihre
cousine Persewis Gaudin, den treuen genossen des Partonopeus,
heiratet.
Das den mittelpunkt bildende abenteuer (der held ver-
scherzt alles dadurch, dass er gegen das verbot die unsichtbare
geliebte zu sehen trachtet) zeigt eine gewisse verwantschaft
mit dem antiken märchen von Amor und Psyche, wobei aller-
dings die beiderseitigen rollen vertauscht erscheinen. Dass der
dichter die erzählung des Apulejus (im 4. buch seiner Meta-
morphosen) direkt benutzt habe, wird jedoch von Gröber
bestritten. Jedenfalls hat der dichter noch eine reihe anderer
Vorbilder in die hauptfabel verarbeitet: motive aus den chansons
de geste (Dänenkampf), vor allem aber aus Crestiens romanen
{Löwenritter, Lancelot, Clig^s) und aus den bretonischen lais.
Partonopeus verirrt sich im wald auf der jagd nach einem
geheimnisvollen eber wie Guingamor, welcher dadurch zu der
schönen fee ins land der abenteuer geführt wird. Auf ähnliche
weise wird der held im Graelant und im Lanval zu seiner fee
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 25
386 X Kapitel. Ilöf. Dichtung neben u. unmittelbar nach Crestieu.
geleitet, welche ihm auferlegt, anderen gegenüber seine liebe
zu verheimlichen und ihn nach brach des Verbots schwere
liebesproben bis zur endlichen Verzeihung bestehen lässt. Im
Guigemar kommt dazu noch das zaubersehiff, das den beiden
über das meer zu ihr trägt, die entdeckung des heimlichen
liebesverkehrs durch den kämmerer u. a. m. Der dichter hat
also quellen sehr verschiedenen inhalts in seiner umfangreichen
dichtung (ca. 11 000 verse) mit einander kombiniert und ge-
schickt verschmolzen.
Ausgabe von Robert, Partonopeus de Blois, P. (Verleger
Crapelet) 1834, 2 bde. Vgl. E. Pfeiffer, Ü. d. Handschriften des afr.
P., Marburg 1884 (Stengels AA 25). H. F. Massmann (Part, u.
Melior. Afr. Gedicht etc.) gibt aus dem afr. gedieht nur einen
auszug. — Das gedieht wurde ins mhd. (etwa 1277, von Konrad
von Würzburg), niederl. (mitte des 13. jhs.), niederdeutsche, alt-
nordische und dänische, spätmittelenglische, spanische übertragen.
Vgl. zur stoffgeschichte E. Kölbing, Ü. d. verschiedenen Ge-
staltungen der P.-sage, i. Bartschs Germ. Studien II, 55 ff. (Wien
1875), und Beiträge z. vergl. Gesch. d. romant, Poesie u. Prosa des
MA., Breslau 1876, s. 80 ff. Van Look, Der Partenopier Konrads
v. W. u. d. Partenopeus, Diss. Str. 1881. F. Weingärtner, Die
mittelengl. Fassungen der P.-sage, Diss. Breslau 1888. A. von
Berkuni, De middelnederlandsche Bewerking van den Parthonopeus-
roman, Diss. Groningen 1897. K. Sneyders de Vogel, La suite du
P. d. Bl. et la version hollandaise, Rdlr 48, 5 ff. — Über
M. Kawczynski, P. de Blois, poemat franeuski (Krakau 1901) siehe
W. Foerster LgrP 23 (1902) s. 28 ff, auch grosser Cliges s. 339.
Vgl. ferner Gröber 585 ff.
B. Le Comte de Poitiers. Der noch im 12. Jahr-
hundert (nach G. Paris etwa 1180) verfasste roman stellt die
älteste franz. behandlung des themas von der 'wette' dar,
welches G. Paris kurz folgen derrnassen charakterisiert: 'un
homme se porte garant de la vertu d'une femme a l'encontre
d'un autre homme qui se fait fort de la s^duire; par suite
d'apparences trompeuses, la femme semble avoir en effet cC'de
au s^dueteur, mais enfin son innocence est reconnue'. Hier ist
es der graf Gerart von Poitiers, welcher sich bei hofe der
tugend seiner frau Rose rühmt und mit dem herzog der Nor-
mandie eine wette eingeht. Dieser gewinnt dadurch, dass er
die amme der tugendhaften gräfin besticht und durch ihre
Vermittlung sowol zehn haare der gräfin als auch ihren ring
S. Sonstige Liebes- und Abenteuerromane. 387
und riii stück samt von ihrem rock erhält. Gerart will zuerst
seine fi au tüten, begnügt sich aber dann damit, sie allein im
wald zurückzulassen, wo sein neffe Harpin sie auffindet. Durch
zufall erfährt der graf den begangenen verrat aus dem eigenen
munde des herzogs und der amme, holt seine frau zurück und
erweist ihre Unschuld im Zweikampf mit dem herzog. Das
im vergleich zu anderen romanen wenig umfangreiche gedieht
zeigt einen ziemlich altertümlichen Charakter und ist, trotz
der reimpaare, von der höfischen dichtung so gut wie
unberührt.
C. GuillaumedeDöle (oder Romans de la rose).
Dieser roman bietet eine andere Variante desselben themas:
die zu erprobende dame ist die jungfräuliche Schwester (Lienor)
des helden (Guillaume de Döle), der Verleumder ihrer ehre
des kaisers seneschall; der beweis, den dieser für ihre Unehre
erbringt, besteht in seiner kenntnis von einem muttermal, das
sie in form einer rose am Schenkel trägt. Die verleumdete
nimmt selbst ihre rechtfertigung in die hand, überführt den
seneschall vor versammeltem hof und wird nun die gattin
dessen, der sich auf das lob ihrer tugend hin in sie verliebt
hatte, des deutschen kaisers Corras (Konrad). Der dichter hat
seinen roman als ordensmönch zwischen 1199 — 1201 verfasst.
Er gibt ihm in technischer hinsieht ein neues und originelles
gepräge dadurch, dass er zahlreiche lieder und liedstrophen in
die erzählung einstreut; nicht nur die lieder, welche der Jongleur
vorträgt, werden uns mitgeteilt (gelegentlich auch eine laisse
aus einer chanson de geste), sondern auch die damen und
herren der gesellschaft singen zur Unterhaltung tanz- und
liebeslieder, auch romanzen, und der kaiser selbst singt morgens
zum aufstehen bei geöffnetem fenster ein leidenschaftliches
sehnsuchtslied. Die lieder, von denen hier bruchstücke vor-
getragen werden, sind grösstenteils auch sonst bekannt, eine
reihe von höfischen dichtem des 12. Jahrhunderts sind hier
mit liedern vertreten (Guillaume de Ferneres, Gace Brul6,
Chätelain de Coucy, Renaud de Beaujeu u. a.), darunter auch
provenzalisehe trobadors wie z. b. Bernart de Ventadorn. Diese
zitate haben ihre selbständige bedeutung für die entwicklung der
lyrik. Im übrigen hat der dichter mit seiner erfinduug schule
gemacht: verschiedene roman e des 13. Jahrhunderts, darunter
25*
388 X. Kapitel. Ilüf. Dichtuug neben u. unmittelbar nacb Crestien.
vor allem der das gleiche thema behandelnde 'Veilchenromau'
Gerberts von Montreuil, ahmen unsern dichter nach.
Le Comte de Poitiers p. p. Fr. Michel, P. 1831. — Le
Roman de la Rose ou de Guillaume de Döle p. p. G. Servois,
P. 1893 (S. d. a. t). Dazu Mnssafia, Wien. Sitzber. 136 (1897),
abh. 7. Der dichter hat sein werk nach v. 11 Hörnerne de la Rose
genannt, aber der von Claude Fauchet (16. jh.) gewählte name
G. d. D. empfiehlt sich, um Verwechslungen mit dem allegorischen
'Rosenroman' von Guillaume de Lorris und Jehan de Meung zu
verhüten. — Die zugrunde liegende er Zählung von der wette
ist weit verbreitet und in den verschiedensten literaturen behandelt
worden. Vor allem sind ausser den zahlreichen franz. bearbeitungen
(Veilchenroman, prosanovelle von Floire et Jehane 13. jh., Miracle
14. jh., novelle des 15. jhs. usw.) Boccaccios novelle (Decamerone 2, 9),
Shakespeares Cymbeline und Webers oper Euryanthe (statt Enriaut)
hervorzuheben. Das mhd. gedieht Ruprechts von Würzburg ist aus
dem franz. übersetzt. Die zahlreichen älteren Untersuchungen von
Rochs (1882), Ohle (1890) u.a. sind jetzt überholt von G.Paris:
Le cycle de la gageure, Rom. 32 (1903) 481 ff.
D. Robert der Teufel. Auch dieser, die mitte zwischen
abenteuerroman und legende haltende roman basiert auf einer
weitverbreiteten volkstümlichen erzählung. Robert ist von
geburt an dem teufel verfallen, da seine mutter, kinderlos und
ohne hoffnung beim himmel erhörung zu finden, ihn vom teufel
erbeten hat. Über sein Schicksal aufgeklärt tut er zur rechten
zeit busse, befreit Rom dreimal von den Türken, weist jedoch
alle lockenden belohnungen von sich und beschliesst sein leben
als frommer einsiedler.
Ausgabe von E. Löseth, Robert le Diable, P. 1903 (S. d. a. t).
Siehe iu der einleitung auch die früheren arbeiten über den gegen-
ständ. Die erzählung ist nur äusserlich an einen herzog Robert
von der Normandie angeknüpft (ebenso wie Crestiens Wilhelm an
einen könig von England). Im franz. begegnet die erzählung noch
in einem Dit des 13. jhs. (s. Breul, Toblerband s. 464 ff.), in einem
Miracle des 14. jhs. und in Volksbüchern.
E. Gilles de Chin. Dieser roman ist insofern anderer
art als der vorhergehende, als er die Schicksale eines erst 1137
verstorbenen ritters schildert und mit romanesken abenteuern
(nach dem muster der antiken und bretonischen romane) ver-
knüpft. Er ist somit auf der grenze zwischen geschiente und
dichtung und lässt sich als der erste historisch -biographische
6. Sonstige Liebes- und Abenteuerromane. 389
roman bezeichnen. Als Verfasser nennt sieb Gantier le Cordier
aus Tournai, dessen werk im 14. Jahrhundert in prosa um-
gesetzt wurde.
Ausgabe vom baron de Reiffenberg, Monuments pour servir ä
l'histoire des prov. de Namur etc. 7 (1847) 1 ff. Vgl. Hist. litt.
23, 395 ff.
Über einen teil der hier besprochenen romane vgl. noch Hist.
litt. 19, 678 ff, 23, 757 ff, bes. 782 ff. — Ebenso wie die nationale
epik der chansons de geste hat auch der höfische roman auf die
fremden literaturen des abendlandes eingewirkt, wie bei den
einzelnen romanen angegeben worden ist. Zusammenhängende
kompilationen finden sieh hier jedoch im ganzen seltener als bei
den Stoffen der nationalen heldendichtung. Heinrich von dem
Türlin (oben s. 378) hat in seiner Krone eine anzahl von Artus-
dichtnngen, besonders Gauvainromauen, kombiniert und mit stücken
eigener erfindung verschmolzen. Der Niederländer Lodewijk hat,
im ersten viertel des 14. jhs., in dem sog. Roman van Lancelot
(hgg. von Jonckbloet, 1848 — 49) mit dem hauptstoff verschiedene
Artusromane meist franz. Ursprungs, teilweise auch einheimischer
erfindung, zu einer lose zusammenhängenden kompilation vereinigt.
Aus dem norden lassen sich die Eufemiatisur anführen, welche
um 1300 auf veranlassung der königin Eufemia, gemahlin Hakons
Magnüsson, entstanden und ausser dem deutschen 'herzog Friedrich'
Ivain und Floire et Blancheflor auf altnordisch wiedergeben. —
Die fremden dichter der jüngeren zeit verzichten schliesslich auf
die benutzung französischer originale und erfinden Artusromane
auf grund von älteren Artusdichtungen (Hartmann, Wolfram, Wirnt
XL a.) mit Zuhilfenahme der eigenen phantasie. In der hauptsache
auf diese weise entstanden sind von mhd. dichtungen der sog.
jüngere Titurel (von Albrecht), des Strickers 'Daniel von Blumental',
die drei romane des Fleiers u. a. m. Auch einige englische und
ndl. romane sind hierherzurechnen. Vgl. im allgemeinen G. Paris,
Hist. litt. 30, 118 ff, dazu die bemerkungen zu den einzelnen romanen
ebenda. Anders über Stricker und Pleier Wechssler, Rom. Jahres-
ber. 3 (1891—96) II s. 399 f.
Endlich ist nicht zu vergessen der einfluss, welchen die Artus-
dichtung auf die kunst, namentlich auf die schnitzkunst in elfenbein,
ausgeübt hat. Vgl. die abbildungen bei Snchier, Lit. s. 112 ff, 146f.,
bzgl. Tristan siehe G. Paris, Poemes s. 151 note.
Elftes Kapitel.
Märchen und Schwanke in Reimpaaren.
Die form des höfischen romans wird bestimmend für die
erzählende dichtung überhaupt, Einreimige laissen, zehn- und
zwölfsilbner bleiben fast ausschliesslich den chansons de geste,
daneben noch geschichtlichen werken vorbehalten, die sonstige
erzählungsliteratur bedient sich der paarweis gereimten acht-
silbner. Früh schon erscheint neben dem umfangreichen, aus-
gesponnenen roman die kürzere, episodische oder anekdotenhafte
erzählung, teils aus dem menschenleben, teils aus dem tierreich
geschöpft, bald ernsteren, bald mehr heiteren Charakters. In
diesen reimerzählungen leben vor allem die alten gattungen
der ungeschriebenen erzählungsliteratur wieder auf, welche
schon für frühe Jahrhunderte bezeugt sind: die märchen, tier-
märchen, schwanke, anekdoten (oben s. 79). Bisher in münd-
licher Überlieferung in prosaischer form weitergetragen, werden
sie jetzt von den dichtem in reime gebracht und in die kunst-
poesie übernommen. Zu diesen aus dem volke stammenden
erzählungsstoffen gesellen sich noch ähnliche stoffe anderer
herkunft, durch schriftliche oder mündliche Überlieferung aus
den literaturen des altertums oder des Orients überkommen.
Herkunft und art der Überlieferung ist in zahlreichen fällen
nicht genau zu bestimmen.
Dem höfischen roman nach stoff und auffassung nahe ver-
want sind die lais, welche wie jener aus bretonischen contes
schöpfen, daher z. t. dieselben stoffe und motive behandeln
und sich im wesentlichen in der höfischen weit bewegen. Das
märchenhafte element spielt in den meisten dieser kurzen
Allgemeines. 391
liebesgeschichten eine grosse rolle. Die individuelle erfinduug
und ausschnüickung tritt zurlick, so dass die lais vielfach eine
getreuere wiedergäbe der bretonischen Überlieferungen darstellen
als die romane. Gleichwol sind sie im ganzen nicht als Vor-
läufer dieser zu betrachten, wenn auch einzelne lais die vorläge
für bestimmte romaue (wie z. b. Gautiers Ille et Galeron)
gebildet haben: die ältesten sicher datierbaren lais, die der
Marie de France, sind um 1165 verfasst, also zu einer zeit,
wo die gattung des bretonischeu romans bereits geschaffen war.
Im wesentlichen aus märchen, besonders aus tiermärchen,
sind auch die erzählenden tiergedichte hervorgegangen, welche
unter dem namen Roman de Renart zusammengefaßt werden
und zunächst in objektiver weise Vorgänge aus dem tierleben
mit diskreter, aus der natürlichen beobachtung sich leicht
ergebender Verstärkung des seelischen elements der tiere zur
darstellung bringen. Erst später, mit fortschreitender anthro-
pomorphisieruug der handelnden tiere, stellt sich die satire
auf menschliche zustände ein. Erscheinen die lais in der
bauptsache als bretonischer import, so deutet die erzählende
tierdichtung mit ihren volkstümlichen wurzeln auf das ger-
manische element des französischen volkes, auf die Franken,
mit einzelnen motiven vielleicht auch auf die Normannen zurück.
Eine mehr gelehrt-geistliche Strömung der tierdichtung ver-
einigt sich im 12. Jahrhundert mit der volkstümlich-germanischen.
Nicht belehrung, wie bei der fabel, sondern Unterhaltung ist
der zweck dieser epischeu darstellungen, die man als tier-
schwänke auffassen und bezeichnen kann.
Dem tierschwank geht der menschenschwank oder kurzweg
schwank parallel, welcher gleichfalls von alters her einen
bestandteil der volkstümlichen erzählungsliteratur bildet und
nun im 12. Jahrhundert, wenigstens in seinen anfangen, in der
literarischen form des fablel begegnet. Dieses gibt im all-
gemeinen die wirklichen Verhältnisse des menschlichen lebens,
mit komischer oder satirischer tendenz wieder, verschmäht
aber gelegentlich auch ernstere Stoffe nicht und nähert sich
dadurch zuweilen dem lai oder dem begriff der späteren novelle.
Zu den einheimischen quellen tritt hier fremder, orientalischer
einfluss, über dessen mass und bedeutung die meinungen aller-
dings noch nicht einig sind, zumal hier nicht nur beeinflussung
392 XI. Kapitel. Märchen uud Schwanke in Reimpaaren.
durch einzelne dem Orient entstammende literaturwerke, sondern
vor allem auch mündliche Überlieferung orientalischer erzählungs-
stoffe eine rolle spielt. Jedenfalls ist die gattung als solche
nicht aus dem Orient entlehnt, ebenso wenig wie tiermärchen
und tierschwank aus der antiken fabel. Ihre eigentliche blute
erlebt sie übrigens erst im 13. Jahrhundert.
In zwei werken sind eine auzahl von erzählungen ver-
schiedenen Charakters, von schwanken, novellenstoffen , auch
tiergeschiehten, in eine fortlaufende erzählung, eine sogenannte
rahmenerzählung, eingefügt: das ist der direkt auf orien-
talische Vorbilder zurückgehende 'Koman von den sieben weisen
Meistern' und die mehrfach ins französische übersetzte lat.
Disciplina clericalis des bekehrten spanischen Juden Petrus
Alphonsi. Die eigentliche erzählung bildet hier nur den faden
des ganzen, der wesentliche inhalt liegt in den aufgereihten
erzählungen, weshalb diese beiden werke an die hier be-
sprochenen gattungen sich ungezwungen anfügen. Die hier
angewendete literarische form der rahmenerzählung ist orien-
talischer herkunft.
Im einzelnen gehen die hier charakterisierten gattungen zu-
weilen ineinander über: manche gedichte bezeichnen sich als lais,
die eher den namen fablel verdienten, umgekehrt stehen ernst
gehaltene fablels mit liebesmotiven den auf märchenhafte demente
verzichtenden lais nahe, auch kürzere episodenromane wie z. b. die
oben erwähnte Damoisele a la Mule sind der laidichtung nahe
verwant. Unter die fablels ist gelegentlich auch ein tierschwank
eingemischt. Daher finden sich in älteren textpublikationen teilweise
gedichte aus sehr verschiedenen gattungen beieinander. Vgl. besonders :
Fabliaux et Contes des poetes fr. des XI0, XII6, XIII e, XIVe et XVe
siecles p. p. Barbazau, nouv. ed. etc. p. Meon, P. 1808, 4 bde.
(zitiert als Barbazan-Meon). Nouveau recueil de fabliaux et contes
inödits etc. p. p. Meon, P. 1823, 2 bde. Nouveau recueil de contes,
dits, fabliaux et autres pieces inedites etc. p. p. Achille Jnbinal,
P. 1839 u. 1842, 2 bde. Poesies de Marie de France, poete auglo-
normand du XIIIe eiecle, p. p. B. de Roquefort, P. 1819, I. bd.
(enthält auch einige anonyme lais).
1. Lais: Allgemeines. 393
1. Die Lais.
A. Allgemeines. An die herkunft der lais knüpfen sich
äbüliche fragen wie an die der Artusromane. Das wort lai
selbst ist allem ansebein nach keltischer herkunft (vgl. irisch
löid, laid), und zum iiberfluss werden in den lais häufig die
lai breton erwähnt. Über die keltische herkunft der gattung
wie der stoffe ist also kein zweifei. Die wichtigste quelle
für die französische laidicbtung scheint nun die franz. Bretagne
gebildet zu haben: Zeugnisse, namens- und wortformen (wie
laüstic = bret. ar eostik nachtigall, bisclavrct werwolf) und
Schauplatz der erzählungen weisen darauf hin, dass die mehr-
zahl der Stoffe den franz. dichtem von dorther zugekommen
ist. Aber daneben steht doch eine kleinere zahl von lais,
welche ihren scbauplatz in Grossbritannien finden und dort
ihre eigentliche heimat zu haben scheinen: so von den lais
der Marie de France Yonec, Milun, Eliduc, Chievrefeuil, von
anderen der Lai du cor und Tyolet. Man wird also der
kleinen Bretagne den hauptanteil zuweisen, aber doch auch
Grossbritannien nicht alle bedeutuug absprechen dürfen. Nach
Brugger freilich (ZfSL 20, 79 ff., vgl. oben s. 337) sind die
englischen Ortsnamen unursprünglich oder bedeutungslos, während
Warnke lieber annimmt, dass die keltischen lais, auf welchen
solche französische lais beruhen, zwar in England, aber von
bretouischen spielleuten angefertigt wurden, so dass die kl.
Bretagne, die sog. Aremorika, als Ursprungsland der gattung
bestehen bliebe.
Auch über das Verhältnis der franz. lais zu ihren breto-
nischen Vorbildern sind verschiedene meinungen vorhanden,
da die nachrichten über die form der bretonischen lais sehr
unbestimmt sind. Das charakteristische an diesen war in
erster linie offenbar das musikalische element, die melodie (vgl.
oben s. 333). Da es weder an Zeugnissen für 'singen' noch
für 'sagen' fehlt, erklärt Bedier die bretonischen lais als
'mi-parhis, mi-chanteV, in der art etwa, wie die chante- fable
von Aucassin und Nicolete verfasst und vorgetragen worden
ist. Demgegenüber haben die neuen forschungen Foulets mit
Sicherheit ergeben, dass lai ursprünglich nur die melodie
bezeichnet, und dass gerade Marie de France das wort zuerst
394 XI. Kapitel. Märchen und Schwanke in Reimpaaren.
mit avcnture in Verbindung gebracht und damit schule gemacht
hat. Jedenfalls geben die französischen laidichter immer eine
epische erzählung wieder, unter verzieht auf die musikalische
begleitung, in der form der höfischen romandichtung.
Die lais geben in der regel an, wirkliche Vorkommnisse
zu schildern, und eine nicht geringe anzahl von ihnen gehört
durchaus der weit der Wirklichkeit an, so dass die von Hertz
bevorzugte bezeichnur.g der lais als 'novellen' hier durchaus
zutrifft. Nach demselben Hertz aber lässt sich dieser begriff
auch auf die märchenhaften lais ausdehnen, weil 'die Grenzen
des Möglichen sich je nach Völkern und Zeiten verschieben',
weil in der bliitezeit der lais 'das Meer der Phantasie das
Festland der Erfahrung von allen Seiten überflutet und daher
auch Novelle und Märchen in eins zusammenfliessen'. Will
man einmal die modernen begriffe auf die dichtgattungen des
mittelalters anwenden, so muss man den 'novellen' freilich
auch noch eine anzahl fablels und einige versromane zu-
rechnen.
B. Die Lais der Marie de France. Unter dem namen
der Marie de France (oben s. 129, 153) sind uns zwölf lais
überliefert, welche um 1165 entstanden sind und jedenfalls
zu den ältesten stücken ihrer gattung gehören. Marie gibt
die geschienten, die sie gehört, allem anschein nach in der
Hauptsache getreu wieder, erzählt klar und anschaulich, sucht
aus den einfachen erzählungen und konflikten nicht mehr zu
machen als in ihnen liegt, und trifft gerade dadurch den für
diese passenden und wirkungsvollen stil.
Die eine gruppe ihrer lais lässt sich ihrem inhalt und
Charakter nach als märchendichtung charakterisieren. So ist
Lanval ein echtes und rechtes feenmärchen, das, äusserlich
an die Artussage angelehnt, die liebe des beiden zu einer fee
schildert, die ihm über ihre liebe anderen gegenüber schweigen
auferlegt, ihn aber, als er nach bruch seines Versprechens
in not kommt, im letzten moment errettet und nach Avalon
entführt. In Yonec und JB/sclavret spielt das verwandlungs-
motiv eine rolle: dort dringt Muldumarec in gestalt eines
habichts zu einer im türm eingeschlossenen schönen frau, wird
schmählich verraten und später durch seinen söhn Yonec an
seinem mörder gerächt, hier ist der held ein werwolf, welcher
I. Die Luis: Marie de France. 395
durch die Treulosigkeit seiner frau der möglichkeit berauht
wird sich wieder in einen menschen zurückzuverwandeln, aher
schliesslich glücklich wieder entzaubert wird. In Guigcmar
endlich ist das zugrunde liegende feennilirchen (so erscheint
hier die zukunftkundige weisse kindin, das ohne Schiffer und
Steuermann zum ziele führende zauherschiff) mit der haupt-
hamllung in die weit der Wirklichkeit übertragen.
In einer zweiten gruppe erscheinen an stelle der märchen-
haften demente mehr solche romanhaften Charakters, wie sie
uns sonst in den byzantinischen liebesromanen begegnen, z. t.
knüpfen die geschienten an bretonischen Volksglauben oder
sagenmotive an. So beruht Fraisne auf dem aberglauben,
dass zwillingsgeburten auf ehebrecherischen Umgang der mutter
deuten, die haupthandlung erzählt trennung und wiederfinden
von mutter und tochter, wobei das Griseldismotiv von der
geduldig alles ertragenden und neidlos entsagenden liebe
hereinspielt. Miliin erinnert im anfang an die Vorgeschichte
Tristans (heimliche geburt und erziehung) und bringt dann
als hauptmotiv den Zweikampf zwischen vater und söhn mit
darauffolgendem wiedererkennen. Eliduc behandelt das thema
von der liebe eines beiden zu zwei frauen, von denen die eine
aus liebe zu ihm zu gunsten der anderen entsagt (vgl. oben
s.373 f. über llle et Galeron).
Sehr nahe stehen dieser gruppe die übrigen lais, nur dass
sie noch mehr als jene auf realer grundlage sich bewegen.
Meist handelt es sich um die tragisch ausgehende liebes-
geschichte eines paares, dessen namen vielfach nicht einmal
genannt werden, z. t. um lokalsagen. So wird an das prioren-
kloster Des deus Amanz in der Normandie die erzählung
von der liebesprobe geknüpft, welche ein Jüngling ablegt,
indem er die geliebte, um sie sich zu verdienen, den hohen
und steilen berg hinaufträgt und am gipfel angekommen, tot
zusammenbricht; auf seiner leiche findet auch sie den ersehnten
tod. Ghaitivel (oder Quatre doels) besingt das traurige
gesehick von vier rittern, welche alle dieselbe dame lieben,
und besonders des einen, welcher die andern überlebt und
länger als diese den liebesschmerz erdulden muss. Laüstic
heisst ein dritter lai nach der nachtigall, deren gesang die
frau eines eifersüchtigen zum vorwand nimmt, um zum fenster
396 XI. Kapitel. Märchen uud Schwanke in Reimpaaren.
hinaus zu schauen und mit dem geliebten gegenüber blicke
und worte zu tauschen; aber der gatte lässt das vöglein
töten und macht so dem unschuldigen liebesverkehr ein
jähes ende.
Einen für die liebenden glücklichen ausgang hat von den
erzählungen dieser art nur das Tristan gewidmete lai vom
Chievrefeuil: Tristan, von unbezwinglicher Sehnsucht nach
Isolt ergriffen, kehrt heimlich aus der Verbannung zurück und
legt der königin einen haselnussstock in den weg, worauf
geschrieben steht, dass sie beide getrennt voneinander sterben
müssten, ebenso wie die haselnussstaude und das um diese
sich schlingende gaisblatt, wenn man sie auseinanderreisse.
Ein fröhliches beisammensein der liebenden und die aussieht
auf baldige gänzliche rückkehr Tristans an den hof Markes
schliesst die erzäblung. Ist schon hier die überlistuug des
ehemannes ein mehr schwankartiges motiv, so rindet der lai
von Equitan seine nächsten verwanten in den echten fablels:
ein herrscher verliebt sich in die frau seines seneschalls und
kommt mit ihr in dem heissen bad um, durch welches sie
beide den seneschall zu beseitigen gedachten.
C. Lais anderer Verfasser. Die übrigen lais sind
meist anonym überliefert, nur von wenigen sind die Verfasser
bekannt. G. Paris ist geneigt, Marien auch die autorschaft
einiger anonym überlieferter lais, so des Guingamor, Tydorel,
Tyolet, zuzusprechen, doch sind, wie Warnke gezeigt hat,
hinreichende gründe für diese annähme nicht vorhanden. Als
Verfasser des sehr altertümlichen — wahrscheinlich um die
mitte des 12. Jahrhunderts in England enstandenen — Hornlai
{Lai du cor) nennt sich Thomas Biket. In sechssilbigen
reimpaaren wird hier die Wirkung eines trinkhorns geschildert,
das ein prächtig gekleideter Jüngling an den hof Arturs bringt
und aus welchem nur diejenigen männer trinken können ohne
zu verschütten, denen ihre flauen treu geblieben sind — von
allen rittern Artus' besteht nur Caradoc die probe. Dieselbe
erzäblung wird kürzer, als episode, in der anonymen fortsetzung
von Crestiens Perceval berichtet, und der Lai del mantcl
maltaillie, aus dem ende des 12. Jahrhunderts, behandelt
dasselbe thema mit ersatz des horns durch einen mantel,
welcher an den untreuen frauen zusammenschrumpft.
1. Die Lais: Lais anderer Verfasser. 397
Ernsteren Charakters sind andere lais, welche denen der
Marie mehr oder weniger nahe verwant siud: so Guingamor,
ein feenmärehen, dessen held nur drei tage bei einer fee zu
weilen glaubt und statt dessen dreihundert jähre abwesend
ist (vgl. noch oben s. 385); so Graelent, der das gleiche
motiv wie Lanval behandelt, das vergröbert noch im Lai del
De'sirc erscheint; so Tyolct, das aus dem Perceval bekannte
dümmlingsmärchen. verbunden mit dem bestehen eines ge-
fährlichen abenteuers, durch das sich der held die braut
verdient; so der Lai de VEspine, welcher in ähnlicherweise
das abeuteuer der fürt zum dornstrauch mit dem eingangs-
motiv aus Floire und Blancheflor (trennung des liebenden
paares durch die eitern) kombiniert; so endlich die erzählung
vom wasserelben im Tyäorcl. Verloren gegangen ist der in
romanen und epen viel genannte lai von Gurun, allem anschein
nach die älteste bearbeitung des sog. herzmaere (der eifer-
süchtige gatte setzt seiner frau das herz des ihr in liebe
ergebenen harfenspielers als speise vor), während dasselbe
motiv in Renauts Lai d'Ignanre bereits übertrieben, beinahe
parodiert wird, indem der schuldige ritter hier zwölf damen
auf einmal liebt und zu dem gericht für diese noch anderes
als das herz liefern muss.
Schliesslich begegnet neben den bretonischen Stoffen auch
schon in dieser zeit eine fremde sage in laiform, das ist der
Lai de Coarant oder, wie er gewöhnlich heisst, der lai von
Haveloc dem Dänen, eine an geschichtliche demente — die
Schicksale des 921 gestorbenen Wikingers Reginwald, herrschers
von Northumbrien, und den namen seines neffen Anlaf Cuaran
— anknüpfende dänisch -sächsische stammsage, welche wol
bei den englischen Bretonen ausgebildet wurde und bereits in
Gaimars chronik erscheint (oben s. 260). Haveloc muss vor
seinen feinden aus seinem angestammten dänischen reich nach
England fliehen, tut hier bei könig Alsi als küchenjunge
dienste unter dem namen Coarant und erhält schliesslich die
hand einer königstochter nebst mehreren königreichen.
Alle diese lais sind noch im 12. Jahrhundert oder nicht
viel später entstanden. Zum teil stehen sie unter einfluss der
Marie de France, wie in noch höherem masse die jüngeren,
dem 13. Jahrhundert angehörigen lais (Melion mit dem
• ',.l> XI. Kapitel. Märchen und Schwanke in Reimpaaren.
wtTwolfmotiv nach JBisclavret, Doon mit dem Zweikampf
zwischen vater und söhn nach Milun usw.). Manche der
späteren lais haben mit der gattung nur noch den namen
gemein.
D. Ovidiana. Nahe verwant den lais sind nach um-
fang und darstellung die bearbeituugen einzelner themen aus
Ovids Metamorphosen und ähnlichen quellen, die gelegentlich
auch als lais bezeichnet werden. Eius der ältesten stücke
dieser art ist die dem Crestien vou Troyes zugeschriebene
Philomena (oben s. 299). Nicht viel jünger (drittes viertel des
12. Jahrhunderts) ist eine anglonormannische bearbeitung der
geschichte von Pyramus und Thisbe (Met. IV, 55 ff.) in ge-
wanter darstellung und mit metrischen eigentümlichkeiten
(zweisilbige kurzverse zwischen den achtsilbigen reimpaaren,
an zwei stellen einreimige tiraden). Eine bearbeitung des
Narcisse (Met. III, 339 ff.) scheint noch dem ende des
12. Jahrhunderts zu gehören. Nach antiken, aber nichtovidischen
quellen ist der nur in englischer Übersetzung erhaltene lai von
Orpheus (englisch Sir Orfco) gedichtet. Auch Crestien muss
für seinen uns verlorenen Pelops (Le mors de l'espaule, oben
s. 294) eine ausführlichere quelle als Ovid (Met. VI, 401 ff.)
benutzt haben. Für die weitgehende bekanntschaft der
französischen und provenzalischen dichter des 12. Jahrhunderts
mit diesen Stoffen zeugen eine reihe von anspielungen und
beeinflussungen.
Ausgaben: Die Lais der Marie de France hgg. von Karl
Warnke (Bibl. Norm. III), Ha. 1885, U900 (Ausg. von Roquefort
s. o.). Lai d'Ignaures, de Melion et du Trot p. p. Monmerque et
Fr. Michel, P. 1832. Lais inedits des XIIe et XIII0 siecles p. p.
Fr. Michel (Desire, L'Ombre, Le Conseil), P. 1836. Lais inödita
p. p. G. Paris (Tyolet, Guingamor, Doon, Lecheor, Tydorel) Rom. 8
(1879), 29 ff. Lai du Cor p. p. Fr. Wulff, Lund 1888; Robert
Biquet's L. d. C, hgg. v. Heinr. Dörner, Diss. Str. 1907 (vgl. Vising,
JrP 11, I 251 f.). L. du Mautel, Rom. 14 (1885) 343 ff. Lai de
l'Espine hgg. von R. Zenker, ZrP 17 (1893) 223 ff Lai d'Haveloc
p. p. Fr. Michel, P. 1833; hg. von Duffus Hardy u. Martin, Rerum
Britt, medii aevi Scriptores 91, 1 (London 1888) 290 ff; vgl.
Deutschbein, Studien z. Sagengesch. Englands, I, 96 ff, F. Holt-
hausen, Ilavelok (ausg. des engl, gedichts), Heid. 1910, eiuleitung.
Andere spezialausgaben s. bei Warnke s. Ulf. Die lais von Emare
und Sir Goivther sind nur in englischer bearbeitung erhalten. Eine
2. Roman de Renart: Allgemeines. 390
altnordische übers, von 19 lais (darunter 11 der Marie), die sog.
strengleikar, veranlasste im 13. Jahrhundert könig Baakon Haakonarson
(1217 — 1263). Über eine mhd. bearbeitung des Mantel lais vgl. Otto
Warnatsch, Der Mantel (Weinholds Germ. Abb. II), Breslau 1883.
Abhandlungen: Ferd. Wolf, Ü. d. Lais, Sequenzen u. Leiche,
Heidelberg 1811. Willi. Hertz, Spielruanusbuch, Stuttgart 1886
(musterhafte Übertragungen nebst wichtigen abh. u. anm.). Birch-
UirschtVld, Lais, i. d. Encyclop. v. Ersch u. Gruber. G. Paris, llist.
litt. 30, 7 ff., auch Rom. 7 u. 8. Josepli Bedier, Les Lais de M. d. Fr.,
RddU III t. 107 (1891, 5) s. 835 ff. Axel Ahlström, Studier i den
fornfranska Laisliteraturen, Upsala 1892. K. Warnke, M. d. Fr. u.
d. anonymen Lais, Progr. Coburg 1892, u. Einleitung z. 2. aufl. d.
Laie (s. o.). Lucien Foulet, M. d. Fr. et les lais bretons, ZrP 29
(1905) 19 ff, 293 ff; weitere beitrage desselben forschers zur lai-
frage ZrP 30, 698 ff, 32, 161 ff, 257 ff, Mod. Lang. Notes 20 (1905)
109 ff, 21, 46 ff, 23, 205 ff, Rdlr 51 (1908) 97 ff. J. Levy, Musik-
instrumente beim Gesang, ZrP 33 (1911) 492 ff. — Im einzelnen
zum Lauval: A. Kolls, Zur L.-sage, Diss. Kiel 1886; W. 11. Schofield,
The lays of Graelent and Lanval, Baltimore 1900 (Publ. MLA XV, 2);
0. Will. Prettyman, Peter v. Staufenberg and M. d. Fr., Mod. Lang.
Notes 21, 205 ff Zum Eliduc (der mann mit 2 trauen): Matzke,
Mod. Phil. 5 (1907/8) 222 ff. Zum Bisclavret (Werwolf): Kittredge,
Arthur and Gorlagon, Studies and Notes in phil. and lit. 8 (1903)
149 ff. Zum Yonec: P. Toldo, RF 16 (1904) 609 ff; Oliver M. John-
ston, Publ. MLA 20 (1905) 322 ff. Zu den Dons Amanz: Ol.
M. Johnston, Mod. Lang. Notes 21 (1906) 3 4 ff. Zum Tydorel (und
Sir Gowther) Flor. Leftwich Ravenel, Publ. MLA 20 (1905) 152 ff.
Zum verlorenen Guirunlai: Thomas' Tristan v. 835 ff. (Bediers ausg.
s. 295), dazu G. Paris, Hist. litt. 28, 375 ff, 11. llauvette, Rom. 42
(1911) 191 ff.
Ovidiana: Pyrame et Thisbe, texte normand du XII" siecle,
ed. critique p. C. de Boer, Amsterdam 1911 (Verhandelingen der
Akad. te Amsterdam, Letterkunde, N. R., XII, 3). Vgl. E. Faral,
Rom. 41 (1912) 32 ff, 294 ff. — Narcisus bei Barbazan-Mcon 4,
143 ff. — Über Sir Orfeo siehe W. Hertz, Spielmannsbuch s. 320 ff.
Im übrigen vgl. die lit. zu Philomena, oben s. 299 f.
2. Roman de Renart.
A. Allgemeines: Name und Charakter. Die aus den
handschriften übernommene bezeichnung Iioman de Renart
(modernisiert Roman du renard) erweckt falsche Vorstellungen,
400 XI. Kapitel. Märchen uud Schwanke in Reimpaaren.
da es sich hier nicht um eine innerlich zusammenhängende
er Zählung, sondern um eine reihe von einzelnen contes oder
branches handelt, die in den handschriften nur lose aneinander
gereiht sind und von verschiedenen dichtem aus verschiedenen
Zeiten stammen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie meist den
fuchs zum helden nahen oder sonstige tierschwänke unter
Individualisierung der tiere durch eigennamen zur darstellung
bringen. Auch der name des fuchses, Renart < deutsch Bagm-
hart (Reinhard), ist damals noch eigenname, der gattungsname
war goupilz (*vidpcciüus). Der wolf heisst Isengrin (ältester
beleg z. j. 1112 aus Laon, i. d. chronik Guiberts von Nogent),
der bär Brun, der esel Baldouin oder Bernart, der kater Tiebert,
der dachs Grimbert, der rabe Tiecelin, der hahn Chantecler,
der löwe Noble usw. Durch diese namengebung wird das
gattungstier zum individuum erhoben, häufig treten neben
dieses noch weib und kinder, wie zum fuchs Renart die füchsin
Hermeline, zu Isengrin die wölfin Hersent. Was von diesen
tieren erzählt wird, hat weder mit der lehrhaftigkeit der
fabel noch mit dem allegorisierenden Physiologus (vgl. oben
s. 145 ff., 150 ff.) etwas zu tun, es sind 'contes ä rire', epische
erzählungen, welche lediglich unterhalten und erheitern sollen.
Auch satire auf menschliche Verhältnisse liegt nicht von vorn-
herein in der tendenz dieser dichtung. Die tiere sind, wie
im märchen, mit der fähigkeit der rede begabt, aber sonst
geht ihre vermenschlichung nicht wesentlich über das nächst-
liegende hinaus, sie bewegen sich als tiere unter tieren und
bedienen sich zur ausführung ihrer streiche ihrer natürlichen
hilfsmittel und eigenschaften. Erst die aus Asop stammende
idee vom königtura des löwen scheint den anstoss zu weiter-
gehender anthropomorphisierung gegeben zu haben, die im
verlauf der zeit zur auffassung der tiere als Stellvertreter
menschlicher wesen, zu satire und allegorie führt.
B. Ursprung der Tierepik. Die grundlegenden Unter-
suchungen über die Ursprungsfrage hat Jakob Grimm in
seinem Reinhart Fuchs (1834) geführt. Nach ihm ist von
einer volkstümlichen grundlage, der tiersage, auszugehen,
welche stofflich ihre nächsten verwanten in den allerwärts
verbreiteten tiermärchen findet und damit in graue Vorzeit
zurückreicht, welche aber erst von den Germanen durch die
2. Rouian de Kenart: Ursprung der Tierepik. 401
naniengebung der tiere zur sage ausgebildet und durch die
Franken über den Rhein hinüber mit nach Gallien gebracht
worden ist. Die eigennamen schienen Grimm eine tiefere,
etymologische bedentnng zu haben, so dass sie den tieren Hin-
durch die Germanen beigelegt worden sein konnten. Über-
einstimmungen mit griechischen und indischen fabeln, die auch
ihm nicht entgingen, erklärte er lieber durch Urgemeinschaft
als durch entlehnung. An dieser schwachen stelle des Systems
setzten nun die gegner der theoiie ein, die man kurzweg als
die Asopiker bezeichnen kann; an stelle der volkstümlichen
sahen sie eine rein literarische grundlage in den äsopischen
und indischen fabeln, welche von den mittelalterlichen dichtem
des didaktischen elements entkleidet, in den einzelheiten aus-
geschmückt und nach dem muster des heldenepos oder des
romans mit eigennamen versehen worden wären. In dieser
richtung haben Paulin Paris, Wilhelm Scherer, Karl Müllen-
hoff u. a. geforscht und gelehrt. Es zeigte sich aber bald,
dass nur wenige stoffe des lioman de Benart (vor allem heilung
des kranken löwen, fuchs und rabe mit dem käse, beuteteilung)
aus den antiken fabeln herzuleiten waren, dass der grösste teil
der übrigen vielmehr — wie schon Grimm gesehen — zu den
im volke verbreiteten tiermärchen stimmt und seine wurzel
demgemäss in volkstümlicher Überlieferung hat. Das verdienst,
das märchen systematisch, auf grund der modernen märchen-
forschung, als stoffliche grundlage der meisten erzählungen
des R. d. R. nachgewiesen zu haben, gebührt Kaarle Krohn
(1887/88) und Leopold Sudre (1893). Den Ursprung der
tiernamen sucht G. Paris (1894 — 95) in individueller erfiudung,
in einem verlorenen lateinischen tiergedicht Lothringens.
Der epische Charakter des mittelalterlichen tierschwanks,
die neigung zu gruppenbildung, ja auch die namengebung der
tiere war im tiermärchen bereits vorgebildet, so manche dieser
erzählungen brauchten, mit Grimm zu reden, von den dichtem
nur aufgefasst und in reime gebracht zu werden. Die namen-
gebung muss noch auf deutschem boden erfolgt sein, weil
einzelne namen, wie z. b. Isengrim, den Franzosen durchaus
ungeläufig waren. Aber auch fabel und klosterlegende haben
das ihrige zur entwickluug der gattung beigetragen. Auf die
mit epischen elementeu durchsetzten lat. gedichte des Alcuin
Voretzsch, Studium d. afiz. Literatur. 2. Auf läge. 26
402 XI. Kapitel. Märchen nud Schwanke iu Reimpaaren.
uud des Paulus Diacouus (oben 8.80) folgt im 10. Jahrhundert
die umfangreiche lat, Ecbasis captivi, welche in der aussenfabel
die allegorisch gemeinte flucht eines kalbes aus dem stalle
(d. i. die flucht eines mönches aus dem kloster) und seine
Wiederkehr schildert, als eingeschaltete innenfabel aber die
aus Asop bekannte und durch Paulus Diaconus schon behandelte
heilung des kranken löwen mit allem epischen beiwerk zur
darstellung bringt. Schon hier erscheint der wolf als schein-
heiliger geistlicher, und diese Vorstellung wird auf grund von
Matthäus VII, 15 (Cavete a falsis Prophetis qui veniunt ad vos
in vestimentis ovium, intrinsecus autem .sunt lupi rapaces) in
der lat. dichtung der folgezeit noch weiter ausgebildet. Der
um 1150 — 51 von einem deutschen Flamländer, magister
Nivardus in Gent, verfasste lat. Yscngrimus vereinigt geistlich-
gelehrte dichtung mit echt volkstümlicher tradition: aus dieser
stammt der grösste teil der Stoffe wie die hier zum erstenmal
begegnende individualisierung der tiere durch namen. Die
dichtung bildet ein überlegt komponiertes, innerlich zusammen-
hängendes, sorgfältig ausgefeiltes kunstwerk. Nicht viel jünger
als dieses werden die ältesten französischen fuchsdichtungeu
gewesen sein, die augenscheinlich vom Ysengrimus unabhängig
waren, aber nur in jüngeren bearbeitungen fortleben.
C. Die ältesten Renartbranchen. Der von E. Martin
herausgegebene Boman de Benart umfasst, unter abrechnuug
der nur franco- italienisch überlieferten letzten branche,
26 branchen, von denen die meisten wieder in mehrere aben-
teuer zerfallen, einige auch andersgeartete fortsetzungen erhalten
haben. Von diesen waren die branchen I— XII sowie XV
schon im anfang des 13. Jahrhunderts in dem archetypon
vereinigt, welches den erhaltenen handschriften des R. d. R.
zugrunde liegt, während die übrigen brauchen erst später dazu
kamen und sich nur in einzelnen hss. finden. Der um 1180
nach franz. quellen verfasste mhd. Beinhart Fuchs Heinrichs
des Glichezäre aber bietet uns die Möglichkeit, eine anzahl
von branchen festzustellen, welche vor 1180 bereits vorhanden
waren, und auch die einfachere darstelluug kennen zu lernen,
welche diese verloren gegangenen origiualbranchen gegenüber
den überlieferten Überarbeitungen zeigten. Demnach waren
vor 1180 zum mindesten die originale der folgenden brauchen
2. Roman de Reuart: Die ältesten Ren.irtbranchou. •!<'•">
vorhanden: I und X (hoftag und heilung des kranken löwen),
II (Kenarts begegnisse mit hahn, meise. kater, rabe sowie seine
bnhlscbaft mit der wültin Hersent), III (tonsur des wolfes und
sein fischfang auf dem eise), IV (brunnenparadies), V (bachen-
abenteuer und betrunkener wolf im klosterkeller), Va (stihne-
versuch zwischen Iseugrin und Renart mit schwur auf des
rüden zahne), dazu vielleicht noch einige andere, die, wie die
gevatterschaft von fuchs und wolf oder das abenteuer mit dem
esel Baldouin, nur unsichere spuren im französischen zurück-
gelassen haben.
Der wolf im widerspiel mit anderen tiereu als dem fuchs
begegnet erst in jüngeren brauchen, während der fuchs schon
in der II. brauche von verschiedenen kleinen tieren überlistet
wird. Sonst aber bilden das grundthema der meisten brauchen
die beziehungen des fuchses zu wolf und wölfin, vor allem die
streiche, welche der listige Renart dem starken, aber ein-
fältigen Isengrin spielt: ein antagonismus, der uns auch in den
äsopischen fabeln begegnet, viel ausgeprägter und mannigfaltiger
aber in den nordischen tiermärchen — teils von fuchs und
wolf, teils von fuchs und bär — entgegentritt. Es fehlt nicht,
dass der gefrässige Isengrin seinen hilfreichen gevatter um den
genuss der schlau erworbenen beute bringt wie z. b. im bachen-
abenteuer (br. V), wo Renart sich hinkend stellt und dadurch
einem des wegs kommenden bauern einen Schinken ablistet,
hernach aber als anteil vom wolf nur das weidenband bekommt.
In der regel aber ist der wolf der geprellte, auch wo er den
fuchs nicht herausgefordert hat. Als Isengrin von den fischen,
welche sich Renart mit lebensgefahr erlistet hat (s. u.) und zu
hause brät, auch einen anteil verlangt, verbrüht ihm Renart
unter dem vorwand, ihn zum mönch zu machen und ihm dann
fische zu verschaffen, den schädel und heisst ihn zum fische-
fangen den schwänz in ein loch im eis stecken, wo Isengrin
festfriert und nur mit Verlust des Schwanzes davonkommt (br. III).
Er treibt buhlschaft mit Isengrins frau Hersent (br. II), lockt
ihn, mit schlauer benutzung des Spiegelbilds im wasser, in den
klosterbrunnen (br. IV) und verhilft ihm, wo er kann, zu einer
gehörigen tracht prügel. Am grausamsten behandelt er den
gevatter bei der heilung des löwen (br. X), zu welcher Isengrin
sein feil und viele andere tiere stücke ihres körpers hergeben
26*
404 XI. Kapitel. Märchen und Schwanke in Reimpaaren.
müssen. Dreimal wegen seiner Schandtaten zu hofe geladen
verhöhnt er des königs hüten, liält eine glänzende verteidigungs-
rede, wird aber gleichwol zum galgen verurteilt und entrinnt
seinem Schicksal nur dadurch, dass er vorgibt nach dem heiligen
lande pilgern zu wollen (br. I).
Die beiden letzten brauchen haben sich aus der äsopischen
fabel vom kranken löwen (Halms ausg. no. 225) entwickelt, zu
den übrigen abenteuern findet man die parallelen zumeist in
nordeuropäischen, slavischen und verwanten märchen; einiges
begegnet ganz ähnlich in den fabeln der Marie de France,
welche teilweise auch aus der mündlichen Überlieferung geschöpft
sind (oben s. 153). Alt ist wol auch die — gleichfalls auf einem
tiermärchen beruhende — wallfahrt der tiere (br. VIII). Die
verschiedenen brauchen sind uns mit wenigen ausnahmen
anonym überliefert. Die IX. brauche hat ein priester von la
Croix in der Brie, die XII. der Normanne Riebart aus Lison
gedichtet; der auch beim Alexanderroman (oben s. 272) erwähnte
Pierre von St. Cloud wird an verschiedenen stellen als Verfasser
von Renartbranchen genannt, ohne dass man ihm eine der
vorhandenen mit bestimmtheit zuschreiben könnte. Jedenfalls
waren Pikardie und Isle de France mit Champagne und Nor-
mandie die sitze der epischen tierdichtung. Die einzelnen
Verfasser erzählen unterschiedlich, meist aber mit verständnis-
vollem eingehen auf eigenart und lebensgewohnheit der einzelneu
tiere, unter massvoller anpassung an menschliches denken und
handeln, mit flottgeführtem dialog und mit schalkhaftem humor
und viel witz im einzelnen. In den überlieferten fassungen
tritt freilich hie und da schon neigung zur satire wie hang
zum obseöuen hervor, was die von haus aus objektive und
harmlose märchendichtung mehr und mehr dem Charakter des
fablels nähert und mehr für den geschmack der unteren klassen
als der höfischen gesellschaft geeignet erscheinen lässt.
D. Textprobe. Als probe der gattung folgt hier die
erzählung vom fischdiebstahl (br. III, v. 1 ff.), welche zwar dem
Glichezäre noch nicht bekannt war und dem zweiten teil der
branche (wolfstonsur und fischfang, vgl. Reinhart Fuchs v. 635 ff.)
erst nachträglich vorgesetzt wurde, aber doch relativ alt ist,
auf einem weit verbreiteten märchen beruht und das charakte-
ristische der gattung gegenüber einem ähnlichen thema des
j. Roman de Renart: FischdiebstahL
405
Physiologus (oben s. 140) wie gegenüber der fabelbehandlung
(oben s. 154 f.) gut hervortreten läset.
Seigneurs, ce fu en cel teriniue
Que li douz teinps d'este decline
Et yvers revient en saison,
E Renars fu en sa inaison.
S Mais sa garison a perdue:
Ce fu inortel desconvenue.
N'a que donner ne qu'achater.
Ne s'a de quoi reconforter.
Par besoing s'est mis a la voie.
10 Tot coieinent que Ten nel voie,
S'fu vet parini une jouchere
Entre le bois et la rivere,
Si a taut fait et taut erre
Qu'il vint en un cemin ferre.
15 El cemin se cropi Renarz,
Molt coloie de totes parz.
Ne set sa garison ou querre:
Car la fain li fait molt grant
guerre.
Ne set que fere, si s'esmaie.
2n Lors s'est couchiez lez uue haie:
Hoc atendra aventure.
Atant ez vos grant aleure
Marcheans quipoissonsmenoient
Et qui devers la mer venoient.
2~) Ilerens fres orent a plente:
Car bise avoit auques vente
Trestote la semeine entere.
Et bons poissons d'atitre mauere
Orent ases granz et petiz,
30 Dont lor paniers out bien enpliz.
Que de lamproies que d'an-
guilles,
Qu'il orent acate as viles,
Fu bien chargie la charete.
Et Renars qui tot siecle abcte,
35 Fu bien loins d'aus une arcie.
Quant vit la carete cargie
Des anguiles et des lamproies,
Mugant fuiant parmi ces voies
Court au devant por aus de-
§oivre,
40 Qu'il ne s'en puissent aperc,oivre.
Lors s'est coches enmi la voie.
Or oiez con il les desvoie!
En un gason s'est voutrilliez
Et come mors aparelliez.
45 Renars, qui taut d'onmes en-
gingne
Les iex cligne, les dens rechigne,
Et tenoit s'alaine en prison:
OTstes mais tel tra'ison?
Ilecques est remes gisans.
50 Atant es vous les marcheans:
De ce ne se prenoient garde.
Li premiers le vit, si l'esgarde,
Si apela son compaignon:
'Vez la ou goupil on gaignon!'
55 Quant cilz le voit, si li cria:
'C'est li gorpilz: va, sei pren, va!
Bemerkungen. Eine einheitliche Schreibung ist weder in der hs.
noch in der ausgäbe durchgeführt, doch ist die branche ihren charakte-
ristischen zügen nach pikardisch. — V. S Ne s'a de q. r.: zur Stellung
des objektpronomens vgl. AS s. 275. Vgl. auch unten v. IT die voraus-
nähme des substantivischen Objekts. — 14 e emin = kemin, pikard. form
= franc. chemvn. — 31 Que — que: adverbial gebraucht 'teils — teils,
sowohl als auch', aber wie der vergleich mit ital. che — ehe, chi — chi
(der eine — der andere etc.) lehrt, vom relativ abzuleiten (hier wie dort
durch eine ellipse zu erklären). — 33 — 36 cargie: lies cargie (kargie),
pik. form f. cargite (francisch chargiee = Uardziee) , desgl. arcie = arkie,
franc. arch/Ue. — 46 iex: = ieus<C.iels, uols (pculos), mit x = us, wie
unten 68 Diex = Dieus etc.
406
KL Kapitel. Märchen und Schwanke in Reimpaaren.
Filz a putain, gart ne t'eschat;
Or saura il trop de barat,
Renars, s'il ne nous let l'es-
corce'.
60 Li marcheans d'aler s'esforce
Et ses compains venoit apres
Taut qu'il furent de Renart pres.
Le goupil trovent envers6,
De tontes pars l'ont renverse,
65 N'ont ore garde qu'il les morde.
Prisent le dos et puis la gorge.
Li uns a dit qne trois sols vaut,
Li autres dist: 'Se diex ine saut,
Ainz vant bien quatre a bon
marchie.
70 Ne sommes mie trop chargie:
Getöns le sus nostre charrete.
Vez con la gorge est blanche
et nete ! '
A icest mot sont avancie,
Si l'ont ou charretil lancie
75 Et puis se sont mis a la voie.
Li uns a l'autre fait grant joie
Et dient: 'N'en ferons ore el,
Mais anquenuit en nostre hostel
Li reverserons la gonnele'.
SO Or lenr piaist auques la favele.
Mais Renars ne s'en fait fors
rire,
Que moult a entre faire et dire.
Snr les paniers se jut adens,
Si en a un onvcrt aus dens
85 Et si en a (bien le sachiez)
Plus de trente harans sachiez.
Auques fu vuidiez li paniers.
Moult par en menja volentiers,
Onques n'i quist ne sei ne sauge.
90 Encore aingois qne il s'en äuge
Getera il son amegon,
Je n'en sui mie en souspe^on.
L'autre panier a assailli :
Son groing i mist, n'a pas failli
95 Qu'il n'en trafst trois res d'an-
guilles.
Renars, qui sot de maintes
guiles,
Son col et sa teste passe onltre
Les hardillons, puis les acoutre
Dessus son dos que tout s'en
cueuvre.
100 Des or pourra bien laissier
oeuvre.
Or li estuet enging pourqnerre,
C'omment il s'en vendra a terre:
Ne trueve planche ne degre.
Agenoille s'est tout de gre
105 Por veoir et por esgarder,
Con son saut pourra miex garder.
Puis s'est un petit avanciez:
Des piez devant s'est tost lanciez
De la charrete enmi la voie.
1 10 Entonr son col porte sa proie.
Et puis quant il a fait son saut,
Aus marcheans dist: 'Diex vons
saut !
Cilz tantes d'anguiles est nostres
Et li remanans si soit vostres!"
115 Li marcheans quant il 1'oTrent,
A merveilles s'en esbahirent,
Si s'escn'ent: 'Voiz le gourpil!'
Si saillirent ou charretil,
Ou il cnderent Renart prendre,
1 20 Mais il nes voult pas tant atendre.
Li uns des marcheans csgarde,
A l'autre dist: 'Mauvaise garde
En avons prise, ce me semble'.
Tuit fierent lor paumes ensemble.
125 'Las' dist li uns 'con grant
damage
Avons en par nostre outrage!
Monlt esffon fol et musart
Andni qui cre'i'on Renart.
Les paniers a bien alachez
130 Et si les a bien sonffachiez,
Car deus rez d'anguiles enporte.
La male pass'i'on le torde ! '
'IIa' l'ont li marcheant 'Renart,
Tant par estes de male part.
82 entre — et: vgl. AS zu vers 78, s. 204.
2. Roman de Renart: Fischdiebstahl. 407
135 Mal bien vons pnissent elles Si vint a son chastel tont droit,
faire'. 150 Ou sa maisnie L'atendoft,
' St-igneiir, n'ai suing de noise Qui assez avoit graut uiesese.
faire. Renars i eutre par la hese.
Or direz ce qne vuus plaira — Encontre Uli sailli s'esponse,
Je sni Renart qui se taira'. Hermeline la jonc touse,
Li inarcheant vont apres lui, 155 Qni nionlt estoit courtoise et
140 M:iis il nel bailleront mais hui, franchc.
Car il a taut isnel cheval.
One ne fina parnii un val
Dusqnes il vint a son plessie.
Lors l'ont li niareheant lessie,
Et Percehaie et Malebranche,
Qni estoient ambedui frere,
Cil saillirent coutre leur pere,
Qui s*en venoit les menus saus
!45 Qui por inauves rnusart si 160 Gros et saoulz, joieus et baus,
tiennent. Les angnilles entonr son col.
Recreant sont, arriere viennent. Mais qui que le tiegne pour fol,
Et cilz s'en vait plus que le pa3 Apres lui a close sa porte
Qui ot passe maint mauvais pas, Pour les anguilles qu'il aporte.
Über das Tierepos im allgemeinen: Jacob Grimm, Rein-
hart Fuchs, B. 1834 (mit texten). P. Paris, Les Aventures de
Maitre Renart et d'Isengrin son compere mises en nouveau langage,
P. 1861, s. 323 ff. W. A. Jonckbloet, Etüde sur le R. d. R, Groningen
1863. W. Ch. Wackernagel (1867), KL Schriften II, 239 ff. Wilh.
Scherer, Jacob Grimm (1865), 2ß. 1885, s. 289 ff. Karl Müllenhoff,
ZdA 18 (1875) 1 ff. Kaarle Krohn, Bär (Wolf) und Fuchs (deutsch
von 0. Hackmann), Helsingfors 1888. Leopold Sudre, Les sources
du R. d. R., P. 1893; derselbe in Petit de Jve. II, Uff. G. Paris,
Le R. d. R., JdSav 1894 u. 95, sep. P. 1905. C. Voretzsch, Preuss.
Jahrb. 80 (1895) 417 ff. (hier die alt. lit. verzeichnet). G. Sucher,
Tierfabel, Tiermärchen und Tierepos, Progr. Reutlingen 1906.
R. Reissenberger, Reinhart Fuchs, Ha. 2 1908, einleitung. E.Martin,
Zur Geschichte der Tiersage im MA, Prager deutsche Studien VII,
1, 273 ff. (1908, bes. zu d. tierbildern). — Zur lat. tierdichtung
vgl. die ausgaben von Ernst Voigt: Ecbasis captivi (Quellen und
Forschungen etc. 8), Str. 1885; Kleinere lat. Denkmäler d. Thier-
sage (Qu. u. Fo. 25), Str. 1878; Ysengrimus, Ha. 1884. Das jetzt
von Voigt als Ysengrimus hg. gedieht ist identisch mit dem von
Mone, Grimm n. a. ehedem so genannten Beinhardus vulpes, während
das von Grimm als Ysengrimus bezeichnete gedieht nach Voigt einen
Ysengrimus ahbreriatus darstellt. Vgl. ferner Leonard Willems,
Etüde sur l'Ysengrinus, Gand 1895, dazu ZrP 22 (1896) 413 ff.
Nachahmung des Ysengrimus durch franz. Renartdichter lässt sich
erst in jüngeren brauchen und Überarbeitungen älterer branchen
135 Mal bien: mal Substantiv, bien adverb. — 147 plus que le
pas: mehr, rascher als im schritt.
408 XI. Kapitel. Märchen und Schwanke in Reimpaaren.
feststellen. Charakteristisch für den K. d. R. ist namentlich das
gevatterschaftsverhältuis zwischen fuchs und wolf. während die beiden
im Ysengrimus (und in den nachgeahmten franz. branclien) als onkel
und neffe erscheinen.
Ausgaben: Le Roman du Renard p. p. Meon, 4 bde., P. 1826,
dazu Le R. d. R., Supplement p. p. Chabaille, P. 1835. Le roman
de Renart p. p. Ernest Martin, 3 bde., Str. 1882 — 87, nebst Obser-
vation sur le R. d. R., Str. 1887. Herrn. Büttner, D. Überlieferung
des R. d. R. und die Handschrift 0, Str. 1891. M. Roqucs, Frag-
ments d'un ms. du R. d. R., Rom. 39 (1910) 33 ff. Herrn. Class,
Auffassung u. Darstellung der Tierwelt im franz. R. d. R., Diss.
Tübingen 1910. — Die übrigen hier nicht behandelten brauchen
gehören meist erst dem 13. jh. an. Eine fablel Dou lou et de
Voue (ohne eigennamen) von Jean de Boves bei Meon, Recueil
III, 53 ff.
Bearbeitungen: Eine ins italienische übergegangene, im
franz. verloren gegangene branche siehe bei Martin II, br. XXVTI.
Vgl. A. Todt, Die franco-ital. Renartbranchen, Diss. Giessen 1903.
— Der mhd. Reinhart Fuchs (ausgäbe von Reissenberger, s.o.)
geht auf ältere als die überlieferten branchen zurück: siehe C. Voretzsch,
ZrP 15 (1891) 124ff, 344 ff., 16, 1 ff. (anders Martin, Observation
s. 104 ff, und H. Büttner, Der R. F. u. s. franz. Quelle, Str. 1891).
— Ein mittelenglisches gedieht behandelt das brunnenparadies
(teils in Übereinstimmung mit br. IV, teils mit einer Version der
hs. II), Chaucers Nonne prestes tale die hahnfabel der II. branche
(vielleicht nach einer älteren, zwischen RF und R. d. R. stehenden
version, vgl. Kate Oelzner Petersen i. Radcliff College Monographs
no. 10, Boston 1898, E. P. Dargan, Cock and fox, Mod. Phil. 4,
38ff). — Die erfolgreichste bearbeitung war der niederländische
Reinaert von Willems (zw. 1235 u. 1250), welcher die um eine
fortsetzung (bei Martin br. Ia) vermehrte I. branche selbständig
gestaltet und durch die erfindung vom gegenkönigtum de3 baren und
von Ermelincs schätz bereichert. Um 1350 wird sein werk durch
einen anderen Niederländer mit benutzung der VI. franz. branche zu
Reinaerts Historie erweitert, welche direkt oder indirekt den
neueren bearbeitungen zugrunde liegt: der ndl. prosa und dem
Volksbuch, der franz. prosa, Caxtons englischem Reynard und —
durch Vermittlung der nur fragmentarisch erhaltenen moralisierenden
bearbeitung Hinreks van Alckmer (um 1480) — dem niederdeutschen
Reinke de vos (Lübeck 1498), auf welchen Gottsched und Goethe
zurückgehen. Vgl. Knorr, Die 20. (I.) blanche des R. d. R. und
ihre Nachbildungen, Progr. Eutin 1866. In ihren Reinaertansgaben
behandeln Jonckbloet (1856), Martin (1874), van Helten (1887)
das Verhältnis zur franz. quelle. Vgl. noch J. W. Mueller in Taal
en Letteren 10 (1904); De twee dichters van Reinaert I, 1912
(separatdruck aus Tijdschrift voor nederlandsche Taal en Letter-
3. Die Anfänge des Fablels: Allgemeines. 409
künde, XXXI). Über die Vorgeschichte des ndl. Keinke s. Prien,
PH!; 8, 1 Ö'., Einleitung z. ausgäbe des Heinke 1887; C. Voretzsch,
Beilage z. Allg. Zeitung 1898, no. 293 n. 294.
3. Die Anfänge des Fablels.
A. Allgemeines. Während die bliitezeit der einen teil
der höfischen literatur bildenden laidichtung im wesentlichen
in das 12. Jahrhundert fällt, während der tierschwank im
12. Jahrhundert bereits reichlich vertreten ist und dieser epoche,
allenfalls noch dem unmittelbar folgenden Jahrzehnt, seine
besten stücke verdankt, zeigt sich das fablel, der schwank im
eigentlichen sinn, im 12. Jahrhundert erst in wenigen proben,
die allerdings wol nur als reste einer umfangreicheren ent-
faltuug der gattung betrachtet werden dürfen und uns jeden-
falls berechtigen, das entstehen derselben ungefähr gleichzeitig
mit dem des tierschwankes anzusetzen. Wie die anderen hier
genannten gattungen ist auch das fablel im wesentlichen
populären Ursprungs, betont aber gegenüber dem märchenhaften
element und idealen charakter des lais in erster linie die reale
seite des menschlichen lebens und in Zusammenhang damit das
komische element. Es sind 'contes ä rire', und zwar in höherem
masse als die tierschwänke, welche vielfach reine märchen-
erzählung wiedergeben. So spielt die list und untreue der
frauen, das leben der buhlerinnen und kupplerinnen, die
unsittlichkeit der geistlichen, die überlistung unerfahrener
junger mädchen eine grosse rolle in diesen erzählungen, die
sich nicht mehr an das höfische publikum, sondern an das der
Strasse wenden (daher gelegentlich fabellae ignobilium genannt).
Häufig knüpfen sich moralische betrachtungcn daran. Eine
kleine gruppe behandelt ernstere geschichten im stile der lai-
dichtung. Die blute der fablels fällt ins 13. Jahrhundert, die
letzten fablels dichtet in der ersten hälfte des 14. Jahrhunderts
Jehan de Coude. Im ganzen zählt die gattung rund 150 stück,
die im umfang sich von wenigen versen bis zu 1300 versen
ausdehnen.
410 XI. Kapitel. Märchen und .Schwanke in Reimpaaren.
B. Ursprungsfragen. An die herknnft der fablels
knüpfen sieb ähnliche fragen wie an die tierschwänke, wie an
die märchen und schwanke überhaupt. Anlass zur Stellung
solcher fragen gibt die tatsache, dass eine reihe von fablels
ihre parallelen in den schriftlichen und mündlichen Über-
lieferungen fremder Völker finden, oft mit so überraschenden,
ins einzelne gehenden Übereinstimmungen, dass ein Zusammen-
hang zwischen den verschiedenen Versionen unabweisbar ist.
Lässt sich so für einzelne geschichten ein bestimmtes Ursprungs-
land oder eine bestimmte zeit der entstehung feststellen, so
liegt der gedanke nahe, auch den Ursprung der gattung in
einer bestimmten gegend oder zeit zu suchen. Jacob Grimm
betrachtete die märcheu als reste indogermanischer mythen
und erklärte die Übereinstimmungen im wesentlichen aus der
arischen Urgemeinschaft. Diese theorie, an und für sich nicht
zu verwerfen, reebnet zu wenig mit der viel häufiger zutreffenden
und nachweisbaren möglichkeit der entlehnung von volk zu
volk und übersieht, dass diese erzählungen nicht ausschliesslich
arisches besitztum sind. Eine andere theorie, durch Andrew
Lang u. a. vertreten, führt die entstehung der märchen
gleichfalls auf uralte zeiten, auf anschauungen und brauche
der barbarenzeit, zurück, betont aber neben Urgemeinschaft
und entlehnung vor allem noch die möglichkeit, dass unter
ähnlichen Verhältnissen ähnliche produkte entstehen, dass also
die Übereinstimmung in vielen fällen nicht auf historischem
Zusammenhang, sondern auf zufall beruht. Lassen wir alle diese
möglichkeiten im prinzip gelten, da keine davon ausschliessliche
geltung beanspruchen darf, so ist doch soviel sicher, dass wir
weitaus in den häufigsten fällen die enge Übereinstimmung von
erzählungen durch Wanderung und entlehnung erklären müssen.
In dieser hinsieht lag es nahe, die ältesten Überlieferungen
solcher art auch als die ursprünglichsten, als die quellen der
übrigen anzusehen; das sind in erster reihe die orientalischen,
speziell die indischen schwanke und märchen, nächst ihnen
solche der übrigen antiken weit. So betrachtete man, nach
dem sprach ex Oriente lux, Indien und seine nachbarländer
Persien, Arabien usw. nicht nur als ausgangspunkt zahlreicher
erzählungen, sondern der gattung überhaupt. Diese orien-
talische theorie durfte bis vor kurzem und darf vielleicht
3. Die Anfänge des Fablels: Ursprtmgsfragen, Richent. 411
noch jetzt als die herrschende bezeichnet werden. Theodor
ßeufey, Gaston Paris, Reinhold Kühler sind ihre hnuptvertreter.
Gegen sie wendet sich Joseph Bedier in seiner doktorats-
these über die Fabliaux. Er lässt nicht den Orient als
alleinige quelle dieser erzählungen gelten, sondern vertritt die
'polyg£n6sie des contes': überall können solche coutes entstehen
und sind welche entstanden; ihre Verbreitung erfolgt in der
regel auf mündlichem wege, ist aber so mannigfaltig und so
schwer kontrollierbar, dass es nutzlos ist, die verschiedenen
Varianten einer erzähluiig untereinander zu vergleichen und
ihren Ursprung ausfindig machen zu wollen, es sei denn, dass
der kern einer erzählung elemente einschliesst, welche ihre
Verbreitung zeitlich und örtlich begrenzen. Besonders Indien
hat dem abendland und der französischen literatur nur einen
verschwindenden bruchteil der hier begegnenden schwankstofTe
geliefert.
Bediers ansichten sind als zu extrem von verschiedenen
Seiten zurückgewiesen oder in ihrer anwendung eingeschränkt
worden: der anteil des Orients ist doch etwas grösser als er
annimmt, und vollends die Untersuchungen über Ursprung und
ausbreitung einzelner erzählungen sind nicht so völlig aus-
sichtslos als es nach Bedier erscheinen möchte. Aber sein
verdienst ist, die lange zeit überschätzte bedeutung des Orients
eingeschränkt, den geringen einfluss der von dort stammenden
literaturwerke (Pantschatantra mit Calilah und Dimnah,
Qukasaptati u. a.) auf die abendländischen erzählungen nach-
gewiesen und Indien als alleinige quelle von schwanken und
niärchen beseitigt zu haben. Weitere förderung kann die frage
freilich nur durch immer neue und vermehrte einzeluntersuch ung
der verschiedenen erzählungsstoffe erfahren.
C. Das älteste bekannte fablel: Richeut (1159).
Richeut ist der name einer buhlerin und kupplerin, welche
sich zuerst an einem mit ihr verkehrenden geizigen priester
rächt, indem sie ihm die Vaterschaft ihres unehelichen sohnes
zuschiebt und als schweigelohn geld und gut abpresst; ebenso
nutzt sie einen ihr bekannten ritter und schliesslich einen
kinderlosen guten bürger aus, der sogar recht stolz auf die
Vaterschaft ist. Unterstützt wird sie bei ihren betrügereien
durch ihre meschine Herselot. Der söhn, auf den namen eines
412 XI. Kapitel. Märchen uud Schwanke iu Keiru paaren.
paten Samson getauft, wächst heran, lernt aber nicht bloss
grammatik und versemachen gut, sondern auch andere, weniger
rttbmliehe klinste, an denen ihn Richeut als ihren echten söhn
erkennt und mit denen er bei frauen und niädchen in der
ganzen weit sein glück macht. Er wird münch, um den
kirchensehatz zu stehlen, priester, um nonnen zu verführen,
buhlt bald mit einer mutter, bald mit ihrer tochter oder ihren
cousinen usw. — Das gedieht ist interessant als Vertreter
selbwachsener sittenschildcrung, die nicht aus der fremde
entlehnt, vielmehr aus der beobachtung der Verhältnisse
hervorgegangen ist. Es gibt sich als neue probe einer den
hörern schon bekannten gedichtgruppe, welche leben und
streiche der buhlerin Richeut zum gegenständ hatte: Sovantes
foiz o'i avez — Conter sa vie. Damit ist gesagt, dass schon
vor 1159 ähnliche gedichte bestanden. Auch formell ist die
dichtung eigenartig, indem alle zwei bis vier verse ein vier-
silbner zwischen die achtsilbner eingemischt wird und zwar
so, dass der viersilbner entweder mit dem folgenden oder mit
den zwei folgenden achtsilbnern reimt.
D. Auberee. Nächst Richeut ist eines der ältesten
fablels Auberee, dem ende des 12. oder dem anfang des
13. Jahrhunderts angehörig. Gegenüber 'Richeut' kann es als
typus solcher schwanke gelten, welche ihre parallelen im
Oriente finden und vermutlich von dort her auf dein wege der
mündlichen Überlieferung nach dem abendlande eingewandert
sind. Die erzählung findet sich nämlich in den orientalischen
Versionen des buches von den 'Sieben Weisen' (siehe unten)
wieder, aber — abgesehen von einer erst 1235 entstandenen
spanischen Übersetzung — nicht in den abendländischen
Versionen, muss also auf mündlicher, vom buch der Weisen
vermutlich ganz unabhängiger Überlieferung beruhn. Es handelt
sich um eine der in dieser gattung so beliebten geschieh ten
vom betrogenen ehemann. Der söhn eines reichen bürgers in
Compiegne hat das mädchen seiner wähl nicht heiraten dürfen,
weil es seinem vater zu arm war, und gelangt nun, nachdem
das mädchen die frau eines andern, eines kaufmanns, geworden,
mit hilfe der listigen kupplerin Auberee zum ziele. Diese
schmuggelt nämlich seinen Überrock (sorcot) in das bett der
kaufmannsfrau, der gatte findet ihn und wirft die frau als
.!. Die Anfliege des Fablels: Auberee. H3
untreu aus dem haus, sie wird alsbald von Auberee auf-
genommen und läuft hier dem Verehrer, freilich ohne es
zu ahnen und zu wollen, ins garn. Nachher bringt Anberee
sogar noch eine aussöhnung zwischen den beiden gatten
zustande, indem sie vorgibt, sie habe den Überrock, den sie
aus versehen im hause des kaufmanns habe liegen lassen,
zum ausbessern erhalten, und zum beweise der Wahrheit die
noch darin befindliche nadel nebst faden zeigt. So wird
der betrogene ehemann auch noch der frau gegenüber ins
unrecht gesetzt.
Vgl. über die allgemeinen fragen: Brüder Grimm, Kiuder-
und Hansmärchen III 3 1856. Andrew Lang, Cnstom and Mylh-,
London 1885; Myth, Ritual and Religion, 2 bde., 1887 u. sonst.
Theodor Benfey, Pantschatantra, aus dem Sanskrit übers., 2 bde.,
L. 1859, bes. bd. I. Reinhold Köhler, Ü. d. enrop. Volksmärchen
(Aufsätze ü. Märchen, B. 1894). Fr. v. d. Leyen, Das Märchen,
L. 1911. G. Paris, Les contes orientanx dans la litt. fr. da m. ä.,
p. 1875 (= Poesie II s. 75 ff.); Lit. § 72 ff. Joseph Bedier, Les
fablianx (these), P. 1893, 2 1895 (vgl. W. Cloetta, Herriga Archiv 93
[1894] 206 ff.), ferner in Petit de Jve. II, s. 57 ff. Suchier, Lit. s. 191 ff.
Gröber, Lit. s. 610 ff. Über die bedeutung des wortes fablel Oskar
Pilz, Progr. Stettin 1889, über die form (fableaux, nicht fabliaux)
Cloetta a.'a. 0. 206 f. und Ch.-M. des Granges Rom. 24, 135 f. —
Ausgaben: Anatole de Montaiglon et Gaston Raynaud, Recneil
general et complet des fabliaux des XIII0 et XIVe siecles, 6 bde.,
P. 1872 — 90. Ältere Sammlungen siehe oben s. 392. Vgl. Georg
Ebeling, Zur Berliner Fableauxhandschrift, Toblerband s. 321 ff.
— Richeut in Meons Recneil I, 38 ff. Vgl. Bedier in Etudes
G. Paris s. 23 ff. — Auberee, Afr. Fablel hg. von G. Ebeling,
IIa. 1895.
Unter den fablels des 13. Jahrhunderts begegnen viele Stoffe,
die auch sonst durch bearbeitungen in der franz. oder in fremden
literaturen bekannt geworden sind: so die schon oben (s. 321)
erwähnte witwe von Ephesus (De celle qui se ftst foutre sur la fosse
de son man, Mont. et Rayn. III 118), der schon früher in dem lat.
'modus Liebinc' behandelte schwank vom schneekind (De Venfant
qui fut remis au soleil, M. et R. I 162), so der in Molieres 'Medecin
malgre lui' wiederkehrende Vilain mire (M. et R. III 156, krit. ausg.
von Zipperling, Ha. 1912) u. a. m. Auch unter den fabeln der
Marie de France (oben s. 153) finden sich mehrere fablelstoffe
(no. 25, 44, 45 u. a.). Nicht wenige der späteren fablels bewegen
sich in den niedrigsten Sphären des menschlichen witzes (D'une seitle
fame qui servoit cent Chevaliers de tous poins — Le jugcmenl des
cons — : De Vanel qui fist croistre le int u. a. m.).
414 XI. Kapitel. Märchen und .Schwanke in Reimpaaren.
Ein teil der franz. fablels ist in andere literaturen übergegangen
und kehrt in den späteren novellensammlungen wieder. Vgl. D'Ancona,
Le Fonti del Novellino, Rom. 2, 385 ff, 3, 164 ff. (auch Studj di
critica e storia letteraria, Bologna 1880, s. 217 ff.) und Marcus
Landau, Die Quellen des Dekameron2, Stuttgart 1884.
4. Rahmenerzählungen.
Die literarische form der rahmen erzählungen stammt aus
dem Orient, besonders aus Indien, wo uns als bekanntestes
beispiel das Pantschatantra entgegentritt, d. i. fünf fabel-
btieher, die Wischnusarman niedergeschrieben haben soll,
um drei königssöhne in der lebensweisheit zu unterrichten,
und deren hauptfabeln ihrerseits wieder durch eine reihe
anderer fabeln, z. t. in mehrfacher einschachtelung, erläutert
und unterbrochen werden. Das werk ist ins persische,
arabische (als Kaliiah und Dimnah), syrische, hebräische und
in andere sprachen tibersetzt worden, aber als ganzes dem
abendland erst durch die lat. Übersetzung des Johannes von
Capua {Directorium vitae humanae), 1250 — 70, bekannt ge-
worden. Gleichfalls aus Indien stammt, aber in seiner indischen
urform verloren ist das oben erwähnte, in persischer, arabischer,
syrischer, hebräischer, griechischer spräche überlieferte 'Buch
der sieben Meister', als dessen Verfasser früher der darin
genannte Syntipas oder Sindbad galt. Nach dem abendland
ist der roman allem anschein nach zunächst auf dem wege der
mündlichen Überlieferung gekommen. Von lateinischen Über-
setzungen, welche sonst die Vermittlung zwischen Orient und
occident bilden, ist erst aus dem anfang des 13. Jahrhunderts
der Dolopathos des Johannes de Alta Silva (Jean de
Hauteseille) zu nennen. Im abendland, in Spanien, entstanden
ist die Disciplina clericalis des 1106 bekehrten, 1112 ver-
storbenen spanischen Juden Petrus Alphonsi, welcher nach
orientalischen mustern arbeitet, aus orientalischen quellen
schöpft, aber auch abendländische Überlieferung (wie in
einigen tiermärchen) nicht verschmäht. Die in diese werke
eingefügten erzählungen gehören verschiedenen gattungen an,
4. Rahmenerzählungen: Sept Sages. 415
teils den Bch wanken, teils den do vollen, teils den tierniürehen
oder fabeln.
A. Roinan des Sept Sages (naeh Suchier um 1155,
nach Grüber im letzten viertel des 12. Jahrhunderts verfasst).
Die erzählnng ist hier zuerst in Korn, dann in Konstautinopel
lokalisiert. König Vespasianus, von dem zunächst seine
augenkrankheit und deren heilung durch berüliruug mit
Christi leichentueh (sydoine) berichtet wird (vgl. oben s. 136),
bekommt einen söhn, verliert aber die gattin bald nach dessen
geburt und heiratet zum zweitenmal eine listige, durchtriebene
frau, einen wahren dyable. Der söhn wird unterdes von
sieben weisen, qui a Romme a cel tans estoient — et tout le sens
del mont savoient, in Rom erzogen und in allen Wissenschaften
unterrichtet. Ihre namen sind Baucillas, Lentulus, Cathon,
Malquidas, Jesses, Damnas, Beros. Nach sieben jähren lässt
Vespasianus auf wünsch der frau den söhn nach Konstantinopel
kommen, aber dieser sieht ebenso wie die sieben weisen in
den sternen, dass ihnen allen der tod bevorsteht, wrenn der
jüngling nicht sieben tage am hof zu schweigen weiss. So
muss er die falsche anschuldigung der Stiefmutter, dass er
sie habe verführen wollen, über sich ergehen lassen, ohne
sich verteidigen zu können. Die königin erzählt nunmehr die
parabel von dem reichen herzog und seinem schönen, grossen
pinienbaum, den er einem an der wurzel emporsprossenden
schössling zu liebe stück für stück beschneiden, verdorren
und schliesslich umhauen lässt, und erzielt durch diese durch-
sichtige anspielung auf das Verhältnis des sohnes zum vater,
dass dieser sogleich befiehlt, jenen ins meer zu werfen. Da
erscheint zur rechten zeit Baucillas der weise und warnt den
könig vor unüberlegtem handeln durch die erzählnng von dem
ritter, welcher bei der heimkehr seinen blutbefleckten kund
für den mörder seines kindes hält und tötet, während der
huud gerade das leben des kindes gegen eine schlänge ver-
teidigt hat. Daraufhin schiebt der könig das urteil auf, und
so geht es noch sechs tage weiter: erst eine erzählung der
königin, dann eine gegenerzählung von Seiten eines weisen,
bis am siebenten tag der königssohn ohne gefahr den mund
öffnen darf. Die verbrecherische Stiefmutter wird zum feuer-
tod verurteilt.
416 XI. Kapitel. Märchen und Schwanke in Reimpaaren.
B. Dolopathos. Auf eiuer abweichenden Version der
'Weisen Meister' beruht der lateinische Dolopatkos (i. e. dolum
vcl doloro)i patiens, ex greco latinoque sermone compositum
nomeri), welcher im anfang des 13. Jahrhunderts von einem
dichter namens Herbert in selbständiger und ausführlicher
darstellung auf französisch bearbeitet wurde. Dolopathos ist
der name eines unter Augustus lebenden künigs von Sizilien,
dem mit seinem söhn Lucimien (Lncinins) dasselbe begegnet
wie dort dem Vespasian. Einziger lehrer des knaben ist hier
Virgil, aber die sieben weisen (ohne namen) greifen auch hier
an derselben stelle ein, schliesslich auch noch Virgil selbst.
Die eingeflochtenen geschichten sind nur teilweise dieselben
wie dort, zudem erzählen hier nur die weisen, nicht aber die
königin. Von bekannten erzählungen begegnet hier u. a, die
durch Shakespeares Merchant of Venice berühmt gewordene
Verpfändung eines Stückes körperfleisch, eine Version der
Polypheinsage, das schwanenrittermärchen (vgl. oben s. 257 f.).
C. Castoiement d'un pere k son fils. Unter diesem
titel ist die Disciplina clericalis des Petrus Alphonsi zweimal
ins französische übersetzt worden, einmal ende des 12. Jahr-
hunderts, das andre mal mitte des 13. Jahrhunderts. Hier wird
der rahmen lediglich durch die Unterweisungen und Warnungen
eines vaters an seinen in die weit ziehenden söhn gebildet,
die eingefügten erzählungen dienen zur erläuterung. Sie sind
sehr verschiedenen Charakters, teils novellen- und schwank-
stoffe, teils anekdoten, teils märchen. So begegnen verschiedene
freundschaftsproben (worunter die aus Athis und Prophilias
bekannte, oben s. 379), überlistungen des ehemanns durch die
ehefrau oder Schwiegermutter (z. b. das u. a. von Hans Sachs in
einem Fastnachtsspiel behandelte weib im brunnen), beispiele
von den schlimmen folgen schlechter gesellschaft, witzworte von
Spielleuten, tiermärchen wie das aus Asops fabel bekannte
urteil des fuchses über mann und schlänge, die auch im Ronian
de Renart behandelten abenteuer von fuchs und wolf im
brunnen, von dem seine ochsen verwünschenden bauern usw.
Romans des sept sages: hg. von A. Keller, Tübingen 1836.
Die lat. Historia Septem sapientum (um 1330) geht auf eine prosa-
anflösung des franz. gedichts zurück. Eine auf die hebräischen
Mischle Sendabar zurückgehende lat. bearbeitung gab jüngst Hilka
4. Rahmenerzählungen. 417
heraus (II. S. 8., Heid. 1912). Von den zwei durch G. Paris gedr.
franz. prosaversionen (Deux redactions du R. d. 8. S. de Kome,
P. 1876, Sdat) steht die eine der versredaktion nahe, die andere
beruht auf der Historia. Die fremden (ital., sp;m.. fatal., engl.)
bearbeitangen gehen meist auf franz. prosaversionen zurück. Vgl.
ausser den einleitungen von Keller und G. Paris noch: Mussafia,
Sitzber. d. Wien. Akad., Phil. -Inst. Kl. 48, 246 ff. (1864), "»7. .'57 IT.
(1867). Comparetti, Ricerche intorno al libro di Sindibäd, Milano
1869. P. Ehret, Der Verfasser des versific. R. d. S. S. und Herberz, der
Verf. des afr. Dolopathos, Diss. Heidelberg 1886. H. Fischer, Beitr.
z. Lit. d. Sieben weisen Heister, Diss. Greifsw. 1903. Killis Campbell,
A study of the romance of the Seven Sages, Diss. Baltimore 1898,
und The Seven Sages of Rome, Boston 1907 (ausg. des engl,
gedichts). — Dolopathos: Johannes de Alta Silva, Dolopathos
sive de rege et Septem sapientibns, hgg. von H. Oesterley, Str. 1873.
Li Romans de Dolopathos p. p. Brunet et Montaiglon, P. 1856.
Vgl. dazu die zum R. d. S. S. zitierte lit. — Disciplina clericalis:
Petri Alphonsi Disc. cler. hgg. mit Einl. u. Anm. von Fr. Wilh.
Val. Schmidt, B. 1827. Die Disc. cler. des Petrus Alfonsi hgg.
v. A. Hilka u. W. Söderjhelm, Acta Societatis Sc. Fennicae, Helsing-
fors 1912, kl. ausgäbe Heid. 1911. Vgl. Söderjhelm, Neuphil. Mitt.
(Helsingfors) 1910, 48 ff. Le Castoiement d'un pere k son fils, ed.
nouv. p. p. Michael Roesle, München, Progr. 1898 (ältere bearbeituug).
Le Castoiement d'un p. ä. s. f. (jüngere bearbeitung) bei Barbazan-
Meon, Recueil 2, 63 ff. — Vgl. im allgemeinen noch Benfeys Einl.
zu Pantschantra und Landaus Quellen des Dekameron.
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2 Auflage. 27
Zwölftes Kapitel.
Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
Zwölftes und dreizehntes Jahrhundert gelten im allgemeinen
als die blütezeit der altfranzösischen literatur. Aber wenn
auch dieses jenem an massenhaftigkeit der produktion nicht
nachsteht, wenn es auch eine reihe hervorragender dichter
und dichtwerke hervorgebracht hat, so ist doch leicht zu
sehn, dass die schöpferischen ideen, das schaffen der gattungen,
die einführung und Umarbeitung neuer stoffe, die belebung
der französischen poesie mit neuem geiste, dem zwölften Jahr-
hundert gehören. Kein meister des dreizehnten Jahrhunderts
lässt sich an literarhistorischer bedeutung mit Crestien von
Troyes vergleichen. So sind es denn in erster linie die im
zwölften Jahrhundert geschaffenen oder zur blute gebrachten
dichtgattungen , welche im dreizehnten Jahrhundert weiter
gepflegt werden und hier zur entwicklung einer epigonen-
literatur im eigentlichen sinne des Wortes führen. Da es sich
hier nicht um entwicklung neuer ideen und formen handelt,
genügt für die betrachtung die hervorhebung der wesentlichsten
dichtwerke.
Gleichwol geht auch das dreizehnte Jahrhundert nicht in
blosser nachahmung und nachbildung auf. Schon mit beginn
des Jahrhunderts entwickelt sich, zuerst in Artusroman und
geschichtschronik, eine reiche prosaliteratur, die allmählich auf
immer weitere gebiete übergreift. Aus den in der höfischen
wie in der geistlichen poesie liegenden keimen geht eine
entschiedene neigung zu poetischer personification und allegorie
hervor, die sich zuerst auf dem gebiete des romans äussert,.
Allgemeines. 419
später aber auch in die meisten übrigen gattungen eindringt.
Endlich finden wir in dieser zeit neben dem bisher allein
überlieferten geistliehen drama auch die ersten sichtbaren
denkmäler des profandramas. Alle diese nenbildungen sind
nicht so schöpferisch und nicht so einschneidend wie die im
zwölften Jahrhundert vor sich gehende entwicklung, aber sie
verändern doch den gesamtcharakter der französischen lite-
ratur nicht unwesentlich und legen dadurch wieder den grund
für die entwicklung des vierzehnten und fünfzehnten Jahr-
hunderts. Eine gesonderte betrachtung dieser im dreizehnten
Jahrhundert zur entwicklung kommenden neuen kunstformen
soll dem nächsten kapitel vorbehalten bleiben.
Eine reihe von dichtem des 13. Jahrhunderts haben nicht
nur eine sehr fruchtbare, sondern auch sehr vielseitige tätigkeit
entfaltet. Wie Crestien, wie Renaud de Beaujeu haben Philipe
von Beaumanoir und Robert von Blois den romandichter
mit dem lyriker vereint, dieser fügt didaktische und religiöse ge-
dichte, jener erbauliches und gelehrtes, besonders seine juristisch
bedeutsamen Coutumes du Beauvaisis, hinzu. Auf dem gebiete
der geistlichen dichtung hat Guillaume le Clerc die ver-
schiedensten gattungen gepflegt, legenden und moralische alle-
gorien, darunter auch ein tierbuch (bestiuire) gedichtet. Ruste-
buef ist legenden- und mirakeldichter, morallehrer und Satiriker
und verschmäht schliesslich auch ein kräftiges fablel nicht.
Raoul de Houdenc folgt mit seinem Artusroman den spuren
Crestiens und hilft zugleich mit seinen allegorischen dichtungen
die blute der allegorie vorbereiten. Adam de le Haie, einer
der bekanntesten lyriker des Jahrhunderts, bildet mit seinen
theaterstücken einen markstein in der entwicklung des dramas.
Gegen ende des Jahrhunderts begegnen noch zwei hervorragende
Vertreter der erzählenden dichtung, Adenet le Roi und
Girard von Amiens, welche beide sowol das nationalepos
als den höfischen roman pflegen und so die allmählich, seit
ende des 12. Jahrhunderts, immer enger werdenden beziehungen
der beiden dichtgattungen in ihrer person verkörpern.
Gesamtausgaben einzelner dichter: (Euvres poetiques de
Philipe de Remi, Sire de Beaumanoir p. p. H. Suchier, P. 1884 u.
1885, 2 bde. (Sdat). Vgl. Ed. Schwan, Ph. d. R., S. d. B., und
seine Werke, i. Böhmers Rom. Stud. 4 (1880) 351 ff. Coutumes de
27*
420 XII. Kapitel. Die Epigoneuliteratiir des 13. Jahrhunderts.
Beauvaisis p. p. Salmon, P. 1899 u. 1900. Vgl. Schauer, Textkrit.
Beitr. z. d. Cout., Diss. Halle 1890. — Robert de Blois, Sämtliche
Werke, hgg. von J. Ulrich, 3 bde., B. 1889 — 95. Vgl. 0. Berlit,
Die Sprache des afr. Dichters R. d. BL, Diss. Halle 1 900. — Über
Guillaume le Clerc vgl. Adolf Schmidt, G. 1. cl. de Normandie, insb.
s. Magdalenenlegende, i. Rom. Stud. 4 (1880) 493 ff. (Diss. Str.).
H. Seeger, Die Sprache des G. 1. CL, Diss. Halle 1881. G. Paris,
Litt. Norm. 31 f. — Rustebuef, (Euvres completes p.p. A. Jubinal,
P. 1839, 2 1874. Rustebuefs Gedichte hrsg. von Ad. Kressner,
Wolfenbüttel 1885. Vgl. Kressner, R., ein franz. Dichter des 13. jhs.,
Progr. Kassel 1894. Cledat, Rutebeuf, P. 1891, H898. L.Jordan,
Metrik u. Sprache Rs., Diss. Gott. 1888. — Raoul von Houdenc,
Sämtl. Werke, hg. von M. Friedwagner (I, Meraugis, Ha. 1897,
II, Vengeance Ragüidel, 1909). Vgl. ZrP 26, 452 ff., 552 ff.
W. v. Ziugerle, Ü. R. d. H. und seine Werke, Diss. Erlangen 1880,
sowie desselben referate im Rom. Jahresber. — Adam de le Halle,
(Euvres completes p. p. Coussemaker, P. 1872. Vgl. Henry Guy,
Essai sur la vie et les oeuvres litt, du trouvere A. d. 1. H., P. 1898
(These). Ferd. Helfenbein, Die Sprache des Trouvere A. d. 1. H,
ZrP 35 (1911) 309 ff., 397 ff. — Über Adenet le Roi vgl. A. Bovy,
A. 1. R. et son oeuvre, Annales de la Societe' d'archeologie de
Bruxelles, in bd. 10 (1896) — 12 (1898).
1. Geistliche und lehrhafte Literatur.
A. Legendarisches.
Von den etwa zweihundert französischen heiligen-
leg enden, die uns überliefert sind, gehört ein kleiner teil
der vorigen periode an (s. kap. I und IV), der rest zumeist
dem 13. Jahrhundert. Grosse Originalität tritt in diesen nach
lateinischen vorlagen gedichteten legenden nicht zu tage. Sie
interessieren uns wesentlich vom rein stofflichen Standpunkt
aus. Zu den älteren legenden kommt neu hinzu das leben
des hl. Martin von Tours von P£an Gatineau (nach des
Sulpicius Severus Vita, s. ob. s. 12), der hl. Magdalena von
Guillaume le Clerc, der hl. L^ocade von Gautier de
Coincy, der hl. Elisabeth von Rustebuef, der auch eine
neudichtung über Marie von Egypten liefert, das leben
Eduards des Bekenners, das des hl. Quintin von Huon
le Roi von Cambrai, das der hl. Paula u.a.m. Zu den
1. Geistliche und lehrhafte Literatur: Legcudarisehes. 421
alten bearbeitnngen von heiligenleben gesellen sieb neue beim
bl. Alexins (vgl. oben s. 65), hl. Thomas (s. 124), Placidas-
Eustachius (oben s. 129), bei der hl. Catharina usw. Das
alte Alexiusleben wird in assonierende laissen, dann in
reimende umgedichtet (s. 69 f.), das alte Brandangedieht
(s. 122) in regelrechte achtsilbner. Zur legendendichtuug sind
auch die sog. Dialoge Gregors zu zählen, in welchen
Gregor d. Gr. seinem diaconus von leben und Wundertaten der
ältesten lonibardischen mönche berichtet: 1212 von dem Anglo-
normaunen Angier in reimpaaren bearbeitet (ebenso wie 2 jähre
später das leben Gregors selbst), gleichfalls anfang des
13. Jahrhunderts auch in wallonischer prosa.
Bemerkenswerter sind einige legendarische Stoffe orien-
talischen Ursprungs, welche zuerst in dieser zeit auf französisch
behandelt wurden: so vor allem die legende von Barlaam
und Josaphat, welche kurz und einfach der im anfang des
13. Jahrhunderts dichtende anglonormannische dichter Chardry,
bald darauf ausführlicher und kunstvoller, als ausgesponnenen
roman in 11000 versen, Gui de Cambrai in seinem Balaham
et JosapJias behandelt. Der indische königssohn Josaphas
wird von seinem vater gefangen gehalten, damit er nicht, einer
Prophezeiung zufolge, christ werde, aber durch den zufälligen
anblick eines bettlers, eines aussätzigen und eines greises lernt
Josaphat das menschliche elend kennen und dinge der weit
verachten. Durch den einsiedler Balaham wird er völlig zum
Christentum bekehrt. Felix Liebrecht hat gezeigt, dass diese
legende von haus aus nichts anderes ist als die ins christliche
gewendete indische Buddhalegende, welche dem abendlande
durch eine griechische bearbeitung oder ihre lateinische Über-
tragung bekannt wurde. Ebenso umfangreich, aber künstlerisch
weniger bedeutend ist eine dritte anonyme bearbeitung der
legende.
Eine andere orientalische legende behandelt der eben
genannte Chardry in der Vit des Set Dormanz, in der
erzählung von den sieben christlichen Jünglingen von Ephesus,
welche zur zeit der Christenverfolgungen unter kaiser Decius
sich in eine höhle flüchten, dort einschlafen und eingemauert
werden, durch Gottes wunder aber am leben bleiben und nach
362 jahren unter kaiser Theodosius wieder erwachen.
422 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
An diese orientalischen legenden fügt sich noch der —
1258 zu Laon entstandene — li o man de Mahomet von
Alexander du Pont an, welcher hier den Stifter des Islam
im anschluss an ein in lat. distichen um die mitte des
12. Jahrhunderts verfasstes gedieht eines gewissen Walterius
als religiösen betrüger darstellt, aber in der Schilderung seiner
hochzeit, in der auffassung seiner anhänger als Chevaliers u. ä.
zum legendarischen das weltliche element fügt. Entgegen
anderen Überlieferungen des mittelalters stirbt Mahomet hier
als Gott geehrt, aber seine seele fährt zur hölle und leidet
grosse quälen daselbst.
Spezialliteratur zu den heiligenlegenden siehe Hist. litt. 33,
337 ff. Ausgabe des hl. Martin von Pean G. von W. Söderjhelm
1896 (Lit. Ver. 210) u. Helsingfors 1901: Quintin von Längfors u.
Söderjhelm, Helsingfors 1909, hl. Paula von K. Grass, 1908 (Rom.
Bibl. 19); zu Guillaume le Clerc und Rustebuef vgl. bibliographie
oben, zu Eduard d. Bekenner ZrP 33 (1909) 380. Angier, Dialoge
Gregors: probe P. Meyers Recueil s. 340 ff, vgl. Timothy Cloran,
The dialogues of Gregory the Great, Diss. Str. 1901; Leben Gregors
Rom. 12 (1883) 144 ff. Walion. Übersetzung d. Dialoge hgg. von
W. Foerster, Li dialoge Gr. lo Pape, Ha. 1876, vgl. Leo Wiese, Die
Sprache d. D. d. P. Gr., Ha. 1900, M. Wilmotte, Suchierband 45 ff.
Vgl. zur heiligenliteratur noch: A. Tobler, Zur legende vom hl.
Julian, Archiv 100, 101, 102. Carl Kröner, Die Longiuslegende
i. d. franz. Lit, Diss. Münster 1899. Karl Manger, Die franz. Bearb.
der Legende der hl. Katharina v. Alexandrien, Progr. Zweibrücken
1901. — Chardrys Josaphaz, Set Dormanz und Petit Plet hg. von
John Koch, Heilbronn 1879 (Afranz. Bibl. I). — Barlaam und
Josaphat von G. de C. hg. von H. Zotenberg u. P. Meyer, Stuttgart
1864 (Lit. Ver. 75), s. 368 ff. text eines mirakels des 14. oder 15. jhs.
Neue ausg. von K. Appel, Balaham u. Josaphas, Ha. 1908. Über
die quelle F. Liebrecht, Jahrbuch 2, 314 ff. E. Braunholtz, Die erste
nichtchristl. Parabel des B. u. J., B. 1884. A. Krause, Zum B. u. J.
des G. v. C, Progr. B. 1899. — Zu den Siebenschläfern:
A. Reinbrecht, Die Leg. v. d. sieben Schläfern u. der anglonorm.
dichter Chardry, Diss. Gott. 1880. John Koch, Die Siebenschläfer-
legende, ihr Ursprung u. ihre Verbreitung, L. 1883. — Alixandre
dou Pont's Roman de Mahomet neu hgg. v. Boleslaw Ziolecki,
Oppeln 1887 (alt. ausg. v. Reinaud et Fr. Michel, P. 1831). Daselbst
auch über die geschiente der legende, s. xixf. über die Überlieferung
vom tod Mahomets in der trunkenheit durch Schweine (vgl. Rol.
2590 f.).
1. Geistliche und lehrhafte Literatur: Marienniirakel. 423
B. Marieumirakel, Contes de>ots und Dits.
Die im 12. Jahrhundert inaugurierte Marienverehrung
erführt im 13. Jahrhundert eifrige pflege in lyrischen, be-
schreibenden und erzählenden gedichten. Unter den gedichten
der ersten art waren besonders beliebte themen das 'Marien-
lob' und die 'Freuden Maria', deren die dichter bald fünf,
bald sieben, bald neun oder fünfzehn aufzuzählen wissen: so
dichtet Gautier de Coincy die Cinq joies nostre Dame,
Rustebuef die Nuef joies nostre Dame, Guillaume le
Clerc die noch allerlei sonstige legenden und exkurse ent-
haltenden Joies nostre Dame. Ein gegenstück dazu bilden
die liegres Nostre Dame, die Huon le Koi von Cambrai
gegen mitte des Jahrhunderts gedichtet hat. Zahlreicher und
umfangreicher als diese dichtungen sind die Mirakel der
heiligen Jungfrau, die erzählungen von ihren Wundertaten,
wie uns eine Sammlung solcher schon im 12. Jahrhundert in
Adgars Marienlegenden begegnet ist (oben s. 131). Die be-
kannteste und umfangreichste Mirakelsammlung des 13. Jahr-
hunderts stammt von Gautier de Coincy (geb. ca. 1177,
gest. 1236 als grossprior von St.-M£dard bei Soissons). Seine
Miracles de la Sainte Vierge erzählen in rund 30000 versen
54 verschiedene Wundertaten der Jungfrau, nach lat. mirakeln
von Hugo Farsitus, priester Hermann u. a., aber mit einer ge-
wissen freiheit gegenüber den vorlagen. Eigentum des Ver-
fassers sind die den erzählungen angehängten betrachtungen
(queaes), die nach der absieht des Verfassers ebenso wie die
erzählungen selbst je ein ganzes für sich bilden. Er sucht den
reinen reim und gekünstelte ausdrucksweise (wie die sog.
replikationen, die häufige Wiederholung derselben silbe in reim
und versinnerem). Das eingreifen der hl. Jungfrau vollzieht sich
in ähnlicher weise wie in den oben (s. 131) charakterisierten
legenden Adgars, z. t. sind es dieselben geschichten (so z. b.
heilung durch milch der Jungfrau, Theophiluslegende). Von
bekannten motiven begegnet hier u. a. eine version der er-
zählung von der unschuldig angeklagten und verfolgten fürstin
(La chaste imperatrice), die auf antike Überlieferungen zurück-
gehende, in neuerer zeit von den romantikern (Eichendorff,
Me>im6e, Gaudy) behandelte Verlobung eines Jünglings mit
424 XII. Kapitel. Die Epigouenliteratnr des 13. Jahrhunderts.
einer statue, die errettung eines Mariagläubigen diebes vom
galgeu. Nicht nur die, welche einfältig und reinen herzens
sind — wie der priester, der keine andere messe als salve,
sancta parens weiss — , sondern auch Verbrecher und ver-
lorene — wie dort der dieb oder die aus dem kloster ent-
laufene, einem weltlichen leben folgende nonne — werden der
gnade der Jungfrau teilhaftig, wenn sie nur ihr gebet an diese
nicht vergessen. Etwas später als Gautier — gegen 1240 —
und mit benutzung desselben hat Jean le Marchant seine
speziell der Mutter Gottes von Chartres gewidmeten Miracles
de Nostre Barne gedichtet. Einige andere, teils grössere,
teils kleinere mirakelsammlungen sind anonym. Auch ver-
einzelt begegnen nicht wenige mirakel der hl. Jungfrau. Hier
ist als eines der bestgelungeneu stücke vor allem der 'Springer
unserer lieben Frau', der iTo?nbeor Nostre Dame\ zu nennen,
der die Mutter Gottes im kloster nicht anders als mit der aus-
übung seinen profanen kunst zu ehren weiss und damit auch
ihr sichtbares wolgefallen zum staunen der gelehrten brüder
erringt. Im grundgedanken hiermit verwant ist das die mitte
zwischen mirakel und märtyrerlegende haltende (in der form
der chansons de geste verfasste) Saint Von de Luques
(gen. nach dem Santo volto — hl. bild — von Lucca): hier
wirft ein Kruzifix seinen schuh einem spielmann zu, der
Jenois (Genesius) genannt wird und schliesslich den märtyrer-
tod erleidet.
Mit dem namen contes pieux oder contes devots bezeichnet
man ganz im allgemeinen erzählungen, in denen das walten
göttlicher gnade, göttlicher gerechtigkeit oder überhaupt gött-
lichen willens offenbar wird, also bussgeschichten, erzählungen
von der glücklichen errettung eines unschuldig verfolgten u.a.m.
Ein meisterstück dieser art ist der Chevalier au barisei,
die erzählung von dem gottlosen ritter, dem es nicht gelingt
ein fässlein mit wasser zu füllen, bis eine träne der reue
hineinfällt. Hierher gehört die durch Schillers 'Gang nach
dem Eisenhammer' wieder bekannt gemachte geschichte von
dem Mechant Senechal, ebenso die das göttliche voraus-
wissen und die menschliche kurzsichtigkeit kontrastierende
erzählung von Ange et JErmite, welche Voltaire (nach eng-
lischer quelle) in seinem Zadig ou la dcstinec wiedergibt.
1. Geistliche uud lehrhafte Literatur: Contes und Dits. !'-•>
Solche erzählnngen dienten der erbauung, zugleich aber auch
der Unterhaltung eines gläubigen publikums. Zweiundvierzig
solcher contes sind in der Sammlung Vies des }>> res (oder
Vies d. unciens p) vereinigt, welche ihren namen nach den
lateinischen (ursprünglich aus dem Orient stammenden) Yitae
patrum führt, aber nur einen teil der erzählnngen ?on dort
entlehnt hat.
Das Dit ist von haus aus ein belehrendes oder be-
schreibendes gedieht, das sich als moralgedicht häufig mit
einer parabel oder einer erzählnng verbindet, wie sie uns sonst
in legenden oder contes devots begegnen. So ward, wie schon
oben (s. 323) bemerkt. Crestiens Guillaume d'Angleterre
am ende des 13. Jahrhunderts zu einem dit umgearbeitet, des-
gleichen begegnet als dit um diese zeit die sage von Robert
dem Teufel (s. oben s. 388). Das Dit de l'empereor Constant
erzählt, wie Constant einer prophezeiung gemäss, trotz aller
durch den kaiser Florian in den weg gelegten hindernisse,
kaiser von Byzanz wird (gemeint ist Constantin d. Gr.). Das
aus dem ende des 13. Jahrhunderts (zw. 1270 u. 1294) stammende
Dit dou vrai aniel ist die älteste poetische bearbeitung
der aus den Cento novelle antiche, Boccaccios Decamerone
und Lessings Nathan bekannten Ringparabel; das Dit de
l'unicorne behandelt die durch Rückerts bearbeitung wieder
bekannt gewordene „Parabel". Die belehrende absieht liegt
in dits der letzten art offen zu tage, in den erstgenannten tritt
sie hinter dem erzählenden dement fast ganz zurück, so dass
dit und conte hier leicht ineinander übergehen und die be-
zeichnungen für dichtungen derselben art öfter wechseln.
Schliesslich gehen manche dits von der belehrenden in die
satirische und scherzhafte richtung über: so ist das Dit du
hardi eheval nichts als eine aufzählung aller fehler, die ein
pferd nur haben kann.
Marienlob: Ein afr. Marienlob, hg. von H. Andresen, IIa.
1891. — Joies Nostre Dame: Gautiers gedieht bei Poquet (s. u.)
8. 761 f., Rustebuef siehe in dessen 'ffiuvres' (s.o.), Guillaume le
Clerc von R. Reinsch, ZrP 3 (1879) s. 200 ff. — Li Regres N. D.
p. Huon 1. R. d C. p. p. Längfors, P. 1907. Vgl. P. Reiche, Beiträge
zu A. Ls\ Ausgabe des R. N. D., Diss. B. 1909. — Mirakel:
A. Mussafia, Studien zu den inittelalterl. Marialegenden I — V, Wiener
Sitzungsber. 1887 — 98 (auch Texte). Les miracles de la St. Vierge
42r> XII. Kapitel. Die Epigoiienliteratur des 13. Jahrhunderts.
trad. et mis en vers par Gantiev de Coincy p. p. Abbe Poquet,
P. 1857 (2 mir. bei Bartsch -Horning s. 363 ff.). Jehan le Marcliant.
Mir. de N. D. de Chartres p. p. Duplessis 1855. Ein kleinere
Sammlung hgg. v. P. Meyer, Rom. 29 (1900) 27 ff. Eine afr. Marien-
mirakel (von der entlaufenen nonne) hgg. von Gröber, Foersterband
s. 421ff. — Tombeor Nostre Dame: hg. von Foerstcr, Rom. 2
(1873), von H.Wächter, Rom. Forsch. 11, 223ff. — Le saint Vou
de Luques: hgg. von W. Foerster, Melanges Chabaueau s. 1 ff,
dazu Schultz-Gora, ZrP 32 (1908) 458 f., E. Lommatzsch, ZrP 33,
76 f., 726 ff. — Chevalier au barisei: hgg. von Schultz-Gora,
Zwei afr. Dichtungen, Ha. 1899, 21911. Übersetzungen von Tombeor
und Chev. au bar. durch Hertz in dessen Spielmannsbuch. —
Mechant S6nechal: vgl. D'Ancona, Studj di critica e storia
letteraria, Bologna 1880, 346 ff. — Ange et Ermite: vgl. G.Paris,
Poesiel s. 151 flf. — Vie des anciens peres: vgl. Ed. Schwan,
Rom. 13 (1884) 233 ff, wo die ältere lit. verzeichnet ist; 15 er-
zählungen daraus in Meons Nouveau Recueil (s. oben s. 392), II. bd.
Siehe ferner E. Wolter, Der Judenkuabe (Bibl. Norm. II), Ha. 1879
(die auch aus Adgar [s. oben s. 131] bekannte legende nach allen
bekannten Versionen). — Über das Dit und seine vielseitige be-
deutung: P.Paris, Hist. litt. 23, 266 ff, G.Paris, Lit. § 109, 154,
Gröber s. 819 ff. Le dit de Fempereur Constant p. p. Wesselofsky
Rom. 6 (1877) 161 ff, vgl. E. Kuhn, Byzant. Zeitsckr. 4, 241 ff. Li
dis dou vrai aniel hg. von A. Tobler, L. 2 1884. Vgl. G.Paris,
Poesie II 131 ff. Dit de Funicorne et del serpent in Jubinals
Nouv. Rec. (oben s. 392) 2, 113 ff. Vgl. E. J. A. Wollenberg, Le dit
de Tun. etc., Progr. B. 1862. Dit du hardi cheval p. p. P. Meyer,
Rom. 41 (1912) 90 ff. — Vgl. bezügl. der herkunft einiger Stoffe
Galtier, Byzantina, Rom. 29 (1900) s. 501 ff. — Weitere literatur-
angaben zum ganzen bei G. Paris, Litt. bes. § 141 — 143, 150, und
Gröber s. 648 ff, 914 ff.
C. Bibelübersetzung und Kultusliteratur.
Wie im 12. Jahrhundert werden auch im 13. einzelne stücke
der Bibel, teils in versen, teils in prosa, tibersetzt, aus dem
Alten Testament mit Vorliebe die beiden bücher der Makkabäer,
aus dem Neuen die Apokalypse, aus beiden teilen öfter die
historischen Schriften. Neben einer im Südosten des franz.
Sprachgebiets entstandenen prosaübersetzung der Makkabäer
steht das ausführliche, früher dem Pierre du Ries zugeschriebene
gedieht des Gautier de Belleperche, Judas Machabee, in
reimpaaren (zweites viertel des 13. Jahrhunderts). Guillaume
le Clerc (vgl. oben) bearbeitet die Vie de Tobie; Jehan
1. Geistliehe n. lehrhafte Literatur: Bibeliibersetz. u. Kultnslit. 427
Malkaraume übersetzt in versen die historischen bücher
des Alten Testaments ; nach ihm, ende des 13. oder anfang des
14. Jahrhunderts, veranstaltet Mace" de la Charit6, abt zu
Cencoina a. d. Loire, eine umfangreiche kompilation (42000 verse)
aus den historischen bücheru des Alten und Neuen Testa-
ments nebst der apokalypse; von den übrigen bearbeitungen
der apokalypse ist besonders die durch Delisle und P. Meyer
veröffentlichte prosaübersetz ung wegen ihrer prächtigen
Illustrationen hervorzuheben. Eine vollständige Übersetzung
der ganzen Bibel entsteht zuerst gegen 1235 in Paris, wahr-
scheinlich durch mitglieder der Universität. — Literarisch kaum
von höherem wert, aber für die abendländische legendenbildung
von bedeutung sind die zahlreichen Übersetzungen der Pseudo-
evangelien und ähnlicher apokrypher Schriften, wie des
Nicodemusevangeliums (vgl. oben s. 328 f.), des sog. Kindheits-
evangeliums, der Kreuzlegende usw.
Von der kultusdichtuug (vgl. oben s. 136) gehören
noch einige stopfepisteln in das 13. Jahrhundert. Über dem
christlichen drama des 13. Jahrhunderts hat kein günstiger
stern gewaltet. Ausser Jehan Bodels Niklasspiel, das eher
noch in das ende des 12. als in das 13. Jahrhundert gehört,
ist uns nur ein bruchstück aus dem anfaug des Jahrhunderts,
La sainte Resurrection, und Rustebuefs Miracle de
Theophile, aus der mitte des Jahrhunderts, überliefert. Das
erste drama sollte die auferstehung Christi darstellen, es be-
ginnt mit der bitte Josephs an Pilatus den hl. leichnam ab-
nehmen zu dürfen, reicht aber nur bis zur bewachung des
grabes durch die kriegsknechte. Die bühnenanweisungen, die
im Adamsspiel noch lateinisch waren, sind hier in der vulgär-
sprache, in reimen, gegeben, die spräche ist wie dort anglo-
normannisch. Das Theoph ilus drama behandelt die auch
unter Gautiers de Coincy Miracles begegnende legende, welche
man als mittelalterliche Faustsage bezeichnen kann. Theophilus
wird vom bisch of seines amtes entsetzt und verschreibt sich
dem teufel, um dasselbe wieder zu erlangen. Nach sieben
Jahren jedoch reut ihn der pakt, er wendet sich hilfesuchend
an die Jungfrau Maria, die denn auch die verschreibungs-
urkunde dem teufel glücklich wieder entreisst und dem Theo-
philus zurückgibt. Es ist das erste dramatisierte Marienmirakel,
428 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
dem wir begegnen. Im folgenden Jahrhundert hat die gattung
ausgedehnte pflege gefunden.
In der predigt wird die reimpredigt des 12. Jahrhunderts
durch die prosapredigt ersetzt, jedoch sind die französischen
prosapredigten des 13. Jahrhunderts mit wenigen ausnahmen
Übersetzungen aus dem lateinischen grundtext Dies gilt ins-
besondere von den predigten des hl. Bernhard von Clairvaux
(gest. 1153), die sich an den klerus wenden und oratorisch
hervorragen, sowie von denen des Pariser bischofs Maurice
de Sully, welche sich, in erster linie für laien bestimmt, durch
einfachheit und klarheit auszeichnen und seit ende des 15. Jahr-
hunderts mehrfach gedruckt wurden.
Zu den Bibelübersetzungen vgl. im allgemeinen die oben
s. 121 zitierten werke und abhandlungen von Berger, Bonnard,
Suchier, Reinsch, dazu G.Paris, Litt. §136—140, Gröber s. 654 ff.,
759 ff, Bonnards referate im Kom. Jahresbericht. Im besonderen:
Makkabäer (Prosa) hrsg. von E. Goerlich, Ha. 1888 (Rom. Bibl. II).
Everlien, Ü. J. M. von Gautier de Belleperche, Diss. Halle 1897, dazu
Feucrriegel, die Sprache des G. d. B., Diss. Halle 1897. Guillaumes
Vie de Tobie, hrsg. von Reinsch, Archiv 62 (1879) 375 ff. E. Herzog,
Untersuchungen zu Mace de la Cbarite's afr. Übers, des AT., Wien
1900 (auch Wien. Sitzber. bd. 142). L'Apocalypse en fran^ais au
XIIP siecle p. p. L. Delisle et P. Meyer, P." 1901 (Sdat), dazu
reproduction phototypique, ebenda 1900. — Drama: Resurrection
gedr. bei Monmerque et Michel, Le theätre fr. au m. ä., P. 1839,
s. 10 ff; Miracle de Theophile in Rustebuefs CEuvres (oben s. 420).
— Predigt: vgl. die s. 121 genannten werke von Bourgain und
Lecoy de la Marche, dazu Piaget in Petit de Jve. II, 217 ff.
D. Moral- und Lehrgedicht.
Je weniger das 13. Jahrhundert an franz. originalpredigten
bietet, desto stärker ist das gleichfalls sittlichen tadel und
moralische besserung verfolgende lehrgedieht vertreten, das
uns in verschiedenen gattungen und formen auch schon im
12. Jahrhundert begegnet ist. Alle dort gepflegten gattungen
werden jetzt fortgesetzt und erweitert. Noch immer liefert die
lateinisch -christliche literatur in reicher fülle Vorbilder und
anregungen. Damit steht auch die zunehmende Verwendung
von allegorien und Personifikationen in Zusammenhang. Wo
die dichter nicht lediglich kopieren, sondern aus eigener be-
1. Geistliche und lehrhafte Literatur: Moral- imd Lehrgedicht. 429
obachtung und erfindnng heraus dichten, findet sich manches
originelle und poetisch wertvolle.
Die im anschlnss an den Pli \ siologus entstandene alle-
gorische naturdichtung setzt sich in den Bestiaires und Lapi-
daircs des 13. Jahrhunderts fort. Guillaume le Clerc dichtet
1211 seinen umfangreichen Bestiaire (Urin (rund 4200 verse),
in anlehnung an den Liber de bestiis et aliis rebus Hugos von
St.-Victor, einige zeit nach ihm verfasst Gervaise, gleichfalls
Normanne, seinen kurzen Bestiaire nach einer anderen lat.
vorläge. Verschiedene Lapidaires, meist Übersetzungen von
Marbods steinbueji (s. oben s. 146), sind im 13. Jahrhundert
entstanden.
Die im unterschied von den bestiarien mehr auf praktische
inoral als auf religiöse belehrung ausgehende fabel erfährt
im 13. Jahrhundert keine wesentliche bereicherung, der höhe-
punkt ist im 12. Jahrhundert mit dem Yzopet der Marie de
France erreicht. Der anfangs des 13. Jahrhunderts gedichtete
Yzopet von Lyon (in einer mundart der Franche-Comte)
gibt den Anonymus Neveleti wieder (vgl. oben s. 152).
Hingegen finden sich eine anzahl neuer sprichwörter-
sammlungen. Den Proverbe au vilain (oben s. 164) folgen
jetzt, anfangs des 13. Jahrhunderts, die Proverbe au conte
de Bretaigne, die ähnlich wie jene je eine Strophe mit
einem volkstümlichen Sprichwort beschliessen (mit dem stereo-
typen zusatz: ce dist li vüains). Blosse Sammlungen ohne
dichterische Verarbeitung sind die von Ulrich veröffentlichten
Pro verbes ruraux et vulgaux sowie zwei von Stengel
gedruckte anglonormannisehe Sammlungen.
Von den mahn- und bussgedichten sind die beiden umfang-
reichen, in der Strophenform der Vers de la mort (oben s. 148)
gedichteten werke des sog. Renclus de Moiliens (mit
seinem eigentlichen namen Bertremiel, anfangs des 13. Jahr-
hunderts) hervorzuheben: Romans de Carite und Miserere
(so nach dem anfang Miserere mei, Bens genannt), beide halb
satire, halb busspredigt. Im ersten gedieht schildert der
dichter seine vergeblichen reisen nach dem aufenthaltsort der
christlichen Caritas, die weder beim papst in Rom noch bei
den mönchen, weder in Italien noch in Frankreich, Deutsch-
land oder England zu finden ist. Wie die Carite erscheinen
430 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
auch andere abstrakte begriffe, wie Convoitise und JEnvie,
beim Renclus personifiziert.
Mit ähnlieben stilmitteln arbeitet auch der schon öfter
genannte Guillaume le Clerc de Norraandie in seinen
zwei hierher gehörigen dichtungen Le besant de Dieu (1226
oder 1227) und Les treis moz (nach jenem verfasst). Die
drei dinge, welche dem menschen grosses übel zufügen, sind
rauch, regen und böses weib, d. i. stolz, habgier und fleisches-
lust. Eingefiochten wird die oben erwähnte parabel vom
einhorn. Der Besant (Byzantiner, eine münze) ist das 'pfund'
das uns Gott verliehen, mit dem wir wuchern sollen. Im
anschluss an diesen biblischen gedanken wird torheit und
Sünde der menschen, insbesondere der stolz und seine drei
töchter — neid, wollust, trunkenheit — getadelt und der zu-
stand der kirche geschildert. Am schluss des Jahrhunderts
nimmt ein dem ritterstand angehöriger dichter, Jehan de Journi,
denselben gedanken in dem 'Reuezehnten' {Disme de peni-
tence) wieder auf.
Ahnliche dichtungen sind noch: das in vierzeiligen alexan-
drinerstrophen anfangs des 13. Jahrhunderts in wallonischem
dialekt abgefasste Poeme moral, das sich durch ausdrucks-
volle spräche und getreue wiedergäbe damaliger zustände vor
anderen seiner art auszeichnet; das Petit Plet des oben ge-
nannten anglonormannischen dichters Chardry, der hier in
form eines dialogs zwischen einem alten und einem jungen
religiöse und weltliche lebensauffassung zur darstelluug bringt
und zuletzt sogar den jungen recht behalten lässt; das in
England entstandene, auch ins englische übersetzte Manuel
des Peches des Wilhelm de Wadin gton; verschiedene
Übersetzungen von Boethius' De consolatione plülosophiae
u. a. m.
Die belehrende literatur im weiteren sinne als im rein
moralischen geht hauptsächlich von der Übersetzung lateinischer
grundwerke aus. So wurde von Honorius von Autun (12. Jahr-
hundert) nicht nur sein theologischer traktat Elucidarium
mehrere male — durch Guilebert de Cambres (bei Rouen),
unter dem titel Lumiere as Lais durch Peter von Peckham —
übersetzt, sondern auch seine encyclopädie Imayo Mundi 1245
durch Gautier von Metz unter dem titel Image du Monde
1. Geistliche und lehrhafte Literatur: Moral- und Lehrgedicht. 431
(enthaltend kosrnogonie, geographie, astronomie) in aehtsilbigen
reimpaaren bearbeitet (1247 von Gautier selbst umgearbeitet).
Gleichfalls nach lat. vorläge ist die Mappemonde (Mappa
mioidi) von Pierre gedichtet. Bemerkenswert ist auch, als
von einem in Frankreich sich aufhaltenden Italiener verfasst,
der zw. 1262 und 1266 in prosa geschriebene Li eres dou
Tresor des Florentiners Brunetto Latin i, welcher diesem
grösseren werk später noch einen kürzeren Tesoretto in italie-
nischen versen folgen Hess.
Vgl. zu Bestiaires und Lapidaires die lit. s. 147. Guillaumes
Bestiaire hrsg. von Kob. Reinsch, L. 1890; vgl. noch F. Mann, Franz.
Stud. VI, 2. lieft, Heilbronn 1888. Gervaise's Livre des Bestes hrsg.
von P.Meyer, Rom. 1 (1872) 420 ff. In anderem sinne legt der
lyriker Richard de Fournival die tiereigenschaften in seinem
Bestiaire d'amour aus (p. p. Hippeau, P. 1860). — Bezüglich der
Yzopets vgl. oben s. 152 f. — Bezüglich der Sprichwörter s.o.
s. 149 f., vgl. noch Friesland, Franz. Sprich Wörterbibliographie,
ZfSL 28 (1905) s. 260 ff., bes. s. 267. Les Proverbes au conte de
Bretaigne hrsg. von Job. Martin, Diss. Erlangen 1892. — Li romans de
Carito et Miserere du Renclus de Moiliens p. p. A. G. van Hamel,
2 bde., P. 1885 (Bibl. Ec. H -Et. 61 u. 62). Über nachahmungen der
Helinandstrophe Ad. Bernhardt, Die afr. Helinandstrophe, Diss.
Münster 1912. — Guillaumes Besant hrsg. von E. Martin, Ha. 1869,
Treis moz von R. Reinsch, ZrP 3 (1879) 225 ff. Über die unechtheit
anderer dem Guillaume zugeschriebener werke 8. A. Schmidt, Rom.
Stud. 6, 493 ff. — Jehan de Journi, Disme de penitence hrsg. von
Breymann, Tübingen 1875 (Lit. Ver. 120). — Poeme moral hrsg.
v. Cloetta, Rom. Forsch. 3, lff, auch sep. Erlangen 1886. Vgl.
Herzog ZrP 32 (1908) 50 ff. (fragm. einer neuen hs.). — Chardry
Afr. Bibl. II (s. o. s. 422). — Zu Gautiers Image du Monde vgl.
Le Clerc, Hist. litt, 23, 294 ff. Probe bei Bartsch-Horning s. 241 ff.
— Brunetto's Tresor p. p. P. Chabaille, P. 1863. Vgl. über den
dichter Gröbers Grundriss II, 3, s. 25 f., 37 f.
Im übrigen vgl. zu diesem abschnitt Le Clerc, Hist. litt.
23, 235 ff, 287 ff; A. Piaget, Petit de Jve. II 165 ff; G. Paris, Litt.
§ 100 ff, 153 ff, Litt. norm, (oben s. 121) passim; Gröber s. 689 ff,
708 ff, 757 ff; Suchier an verschiedenen stellen. — Einige weitere
hierher gehörige dichtungen werden in Zusammenhang mit dem
Rosenroman besprochen (kap. XIII).
432 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
2. Heldenepos und geschichtliche Dichtung.
Das heldenepos des 13. Jahrhunderts steht in engem Zu-
sammenhang mit dem des 12. Jahrhunderts. Gerade um die
wende des Jahrhunderts finden wir eine gesteigerte tätigkeit
auf diesem gebiet, und vielfach gestatten die kritischen hilfs-
mittel nicht, ein epos mit bestimmtheit diesem oder jenem Jahr-
zehnt und damit diesem oder jenem Jahrhundert zuzuweisen. So
finden wir denn auch in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahr-
hunderts noch verschiedene dichtungen, welche auf älterer
tradition, d.h. auf verloren gegangenen älteren epen beruhen
und ähnlichen ependichtungen des 12. Jahrhunderts an traditio-
neller bedcutung durchaus gleichwertig sind. An poetischem ge-
halt steht das epos des 13. Jahrhunderts im ganzen freilich
unter dem der vorigen epoche, aber im einzelnen fehlt es auch
hier nicht an ausgeprägten dichterischen Individualitäten sowie
an ergreifenden oder wenigstens unterhaltenden werken: Gaydon,
Huon von Bordeaux, Aiol und Mirabel, Auberi le Bourgoing, Boeve
vonHaumtone, Hörn stellen ungefähr die besten dieser epoche dar.
Einfluss des höfischen romans macht sich immer mehr
fühlbar, teils in der auswahl des stoffs oder in der auffassung
der Charaktere, teils in der komposition. Dichtungen wie
Huon oder Aiol gehen in grossen partien ganz in den aben-
teuerroman über; der Huon ist ganz nach dem muster der
Crestien'schen romane komponiert. So verwischen sich all-
gemach die grenzen zwischen heldenepos und ritterroman, so
dass der in reimpaaren verfasste roman von kaiser Octavian
im 14. Jahrhundert in eine chanson de geste in alexandriner-
laissen umgedichtet werden kann.
Während der zehnsilbige vers in den chansons de geste
des 12. Jahrhunderts noch weitaus überwiegt, halten sich zehn-
silbner und alexandriner in denen des 13. Jahrhunderts ungefähr
die wage. Die zur ergänzung eines zyklus verfassten epen
wurden in der regel in der versform des stammepos gedichtet,
daher noch verhältnismässig viele zehnsilbnerepen entstehen.
Aber noch im laufe des Jahrhunderts wird ein teil der alten
epen aus zehnsilbnerlaissen in alexandrinerlaissen ungedichtet,
und die fortsetzungen und ergänzungen zu diesen umdichtungen
2. Heldenepos uud geschichtliche Dichtung: Überarbeitungen. 433
erhalten dann als vers von vornherein den alexandriner, der
auf diese weise gegen ende der periode das entschiedene
übergewicht erlangt. Das bestreben, die assonanz völlig durch
den reim zu verdrängen, setzt sich schon früher, wenn auch
sehr allmählich, durch. Hingegen finden wir die Umsetzung
der heldenepen in prosa nicht vor schluss des Jahrhunderts.
Vgl. zum folgenden die oben s. 88 f. genannten daistellungen
von G.Paris (dazu auch Litt. §18 ff".), L. Gantier, Nyrop, Gröber,
Snchier, ferner Ilist. litt. 18, 704 ff., 22, 274 ff., 26,' 1 ff. Gustav
Engel, Der Einfluss der Arthusromane auf die Chansons de geste,
Diss. Halle 1910.
A. Epen mit traditioneller Grundlage.
Zu den epen, welche auf älterer grundlage fussen und
als Überarbeitungen Ulterer, ursprünglicherer dichtungen gelten
können, gehören ausser einigen, die man der geste du roi zu-
rechnen kann, vor allem solche, welche alleinstehende beiden
behandeln, die man später allerdings teilweise auch in irgend
eine geste eingereiht hat.
Serie as gratis pies. Das epos wurde um 1275 von dem
brabantischen dichter Adenet le Roi verfasst, der auch noch
die Enfances Ogier und das Siege de Barbastre überarbeitet
hat. Sein name Adenet ist deminutiv von Adam, der zuname
Roi wird erklärt als roi des menestrels , d. i. Vorsteher der
musikergilde (siehe das bild aus der Arsenalhs. bei Suchier
s. 205). Er hat von den sechziger bis zu den achtziger jähren
des 13. Jahrhunderts gedichtet und nach den genannten drei
chansons de geste auch einen roman, Cleomades, verfasst.
Berte as grans pies gilt als seine beste leistung. Das alte
epos, das er tiberarbeitet hat, ist uns freilich nicht tiberliefert,
doch hat er allem anschein nach manches selbständig hinzu-
gefügt, wie z. b. den auch aus dem Mönch von St. Gallen be-
kannten kämpf Pippins mit dem löwen (vgl. oben s. 85).
Berta ist die mutter Karls d. Gr. (die auch in der geschichte
wirklich Berta hiess), sie erscheint hier als ungarische königs-
tochter mit dem bezeichnenden beinamen as grans pies (oder
ursprünglicher und richtiger au gran pie). Ihre kammerfrau
Margiste macht sie glauben, dass Pippin sie töten wolle, und
so nimmt mit Bertas erlaubnis die tochter der kammerfrau,
Voretzsch, Studium tl. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 28
434 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
Aliste, die stelle der braut ein, Berta selbst wird alsdann vom
hof vertrieben. Von der falschen königin stammen die Verräter
Heudri und Kainfroi (vgl. Mainet, oben s. 208). Zum schluss
wird der betrug entdeckt und bestraft. Berta, in ihre rechte
als wahre königin eingesetzt, wird mutter Karls d. Gr. In
der form ist das gedieht eigentümlich dadurch, dass darin
männlich und weiblich ausgehende laissen abwechseln. Adenets
versuch, in dieser zeit die altgewordene heldenepik von neuem
zu beleben, ist jedenfalls sehr bemerkenswert. Er versteht
sich auf plastische Schilderung der Vorgänge und personen-
charakteristik.
Macaire. Das kurze (3600 zehnsilbner), nur in franco-
italienischer Umarbeitung erhaltene epos behandelt ein ähn-
liches thema wie das im wesentlichen nur in fremden be-
arbeitungen tiberlieferte epos von der königin Sibille (oben
s. 252): die Verdächtigung der königin Blanchefleur durch den
Verräter Macaire und ihre ehrenrettung durch Aubris hund,
welcher den Verräter im gottesgerichtlichen Zweikampf besiegt.
Huon de Bordeaux. Das epos, um 1220 von einem aus
Saint -Omer stammenden Jongleur gedichtet, verschmilzt zwei
stofFe miteinander, die vermutlich schon vorher in epischer
form behandelt worden waren: die erzählung von der un-
freiwilligen mordtat Huons von Bordeaux, seiner Verbannung,
seiner rückkehr und Versöhnung mit dem kaiser, und die auf
die deutsche Alberichsage (vgl. Ortnit) zurückgehende sage
von der brautfahrt, welche ein held namens Huon (Hugo) mit
hilfe eines elbischen wesens, des zwergenkönigs Alberon (vgl.
oben s. 142), unternimmt und glücklich zu ende führt. Der
dichter versteht es, das interesse des lesers bis zum Schlüsse
der langen dichtung (10500 zehnsilbner) durch bunten Wechsel
der abenteuer, flotte wenn auch flüchtige Charakteristik der
personen und unterhaltende, nicht selten humoristische dar-
stellung wachzuhalten. Nachahmung von motiven aus älteren
dichtungen, auch aus höfischen, verschmäht er nicht, die ganze,
fünfteilige komposition ist den romaneu Crestiens abgelernt,
sodass sein werk die mitte zwischen chanson de geste und
abenteuerroman hält. Das ganze ist durch die person des
kaisers Karl mit den alten gesten in bezieh ung gesetzt, spätere
dichter genealogisierender tendenz reihen Huon in die rebellen-
J. Heldenepos und geschichtliche Dichtung: Überarbeitungen. 435
geste ein, indem sie ihn frischweg zu einem eukel Doons von
Mainz machen. Der dichter hat grossen erfolg mit seinem
werk gehabt, wie die noch im 13. Jahrhundert einsetzenden
fortsetzuugeu und die späteren bearbeituugen in alexandriner-
versen und in prosa beweisen. Die unmittelbar an das alte
epos anschliessende Esciarmonde behandelt die Schicksale von
Huons tochter unter Verwertung dort gegebener motive, zugleich
aber hat der Verfasser auch eine (wahrscheinlich niederrheinische)
version des deutschen 'Herzog Ernst' gekannt und benutzt.
Auberi Je Bourgoing. Dem umfangreichen, noch nicht
vollständig herausgegebenen epos scheint ein alter kern zu
gründe zu liegen, der allerdings durch eine anzahl zum teil
weit ausgesponnener abenteuer, auch durch nachahmung anderer
chansons de geste überwuchert ist, so dass die historische
grundlage noch nicht genügend klar gelegt ist. Von Settegasts
z. t. recht problematischen parallelen bleibt besonders der 955
gegen die Ungarn gefallene graf Udalrich (Ouri) zu beachten,
Ausserlich knüpft das gedieht an Girart de Roussillon an, so
dass die beiden epen vielfach zu einer geste bourguignonne
zusammengefasst werden. Auberi ist der söhn des in gefangen-
schaft geratenen herzogs von Burgund, Bazin, wird von oheim
und vettern um sein erbe betrogen, erwirbt sich rühm im dienste
des königs Ouri von Baiern wie auch anderwärts, hat viel
unter nachstellungen durch meuchelmörder zu leiden, entledigt
sich dieser aber stets mit glücklicher band, heiratet die witwe
des herzogs von Baiern , ist jedoch damit noch keineswegs an
das ende seiner erlebniese und taten gelangt. Das gedieht
ist wohl erst gegen mitte des 13. Jahrhunderts (nach Haon
und Aiol) entstanden.
Eine weitere gruppe von epen entfernt sich ganz von
der national -französischen tradition, indem hier. z. t. durch
anglonormannische Vermittlung, in England heimische und
weiterhin auf skandinavischen Ursprung zurückweisende Stoffe
eingeführt werden. Da es sich hier nicht mehr um nationale
kämpfe, sondern um das Schicksal einzelner beiden handelt,
nähern sich diese dichtungen, trotz des äusseren gewandes des
heldenepos, sehr der gattung des abenteuerromans.
Boeve de Raumtone (oder Hanstone = Southampton).
Die älteste bekannte redaktion des in 3850 versen (meist
28*
430 XII. Kapitel. Die Epigoueuliteratur des 13. Jahrhunderts.
alexandrinern) überlieferten gedientes ist die anglonormannische,
aus welcher die weit umfangreicheren festländischen fassungen
hervorgegangen sind. Aber auch die anglonormannische re-
daktion, aus dem aufang des 13. Jahrhunderts, setzt im verein
mit den fremden bearbeitungen (englisch, altnordisch, welsch)
ein älteres originalgedicht voraus, das schon ende des 12. Jahr-
hunderts von dem Verfasser von Daurd et Beton (einer nur
in prov. bearbeitung überlieferten chanson de geste) benutzt
wurde. Die geschiente Boeves zerfällt in zwei teile: der erste
(bis v. 2398) erzählt die Jugendschicksale des beiden , wie er
durch eine lieblose, den eigenen gatten verratende mutter ver-
trieben wird, in fremden landen rühm und weib gewinnt und
nach der heimkehr den tod des vaters an seinem Stiefvater
Doon rächt; im zweiten teil erlebt der held neue, romaneske
abenteuer, soll (wie Ille, s. oben s. 373) in der fremde eine
zweite eingehen, wird aber rechtzeitig, ehe die vorläufige ehe
zu einer wirklichen geworden, von seiner treuen gattin Josiane
aufgefunden. Die grundlage der dichtung bildet allem anscheiu
nach eine in Nordfrankreich entstandene sage, welche in einzelnen
motiven eine gewisse verwantschaft mit der von Saxo Gramma-
ticus berichteten Hamletsage zeigt, im ganzen aber selbständig
ist und sich durch zahlreiche märchen- und novellenmotive
bereichert.
Hörn. Das von einem dichter Thomas in alexandrinern
gedichtete (vielleicht noch in das 12. Jahrhundert gehörende)
epos ist von ähnlichem Charakter wie der Boeve. Hörn, der
söhn Aalufs, wird aufs meer ausgesetzt, kommt an den hof
des königs Hunlaf in der Bretagne, verlobt sich mit dessen
tochter Rimel (deutsch Rimhilt), wird aber erst nach vielen
hindernissen und abenteuern, welche öfter an diejenigen Boeves
gemahnen, ihr gatte. Zugrunde liegt eine in England ent-
standene, historische ereiguisse des 10. Jahrhunderts wieder-
spiegelnde Wikingersage. Das franz. epos geht mit dem eng-
lischen Kiny Hörn (mitte des 13. jahrhs.) zusammen auf eine
verlorene (anglonormannische oder angelsächsische) bearbeitung
der sage zurück. — Ein verlorenes gedieht desselben Verfassers
hatte die Schicksale des vaters des beiden, Aaluf, behandelt,
während der dichter es seinem söhne überlassen wollte, das
epos von Hadermod, Horns söhn, zu dichten.
2. Heldenepos und geschichtliche Dichtung: l berarbcitungen. 437
Adenet le R<>i: A. Rovy, A. d. 1. et son OBüvre, Brüssel 1898.
Berte aus grans pies: B. a. g. p. p. p. P. Paris, P. 1832, - 1836
(R. d. d. P. I); p. p. Aug. Scheler. Biuxelles 1874. Über das zu-
grunde liegende märchen s. P. Arfert, Das .Motiv von der unter-
schobeneu Braut, Diss. Rostock 1897. Liter den prosaroman des
15. Jahrhunderts Ph. Aug. Becker, ZrP 16 (1892) 210 ff. Die auszüge
und bearbeitungeu der sage in Mouskets Reimchronik, Chronique
saintongeaise, Strickers Karl u. a. füliren zusammen mit Adenets
gedieht auf eine verlorene urversion (ein kurzes epos des 12 jhs.)
zurück: vgl. J. Reinhold, ZrP 35 (1911) 1 ff, 129 ff. Der Bueve
de Commarchis (p. p. Aug. Scheler, Bruxellco 1874) stellt eine
Überarbeitung des in die Wilhelmsgeste gehörigen Siege de
Barbastre (oben s. 235f.) dar. Vgl.^Erich Roll, Das Verhältnis
des S. d. B. zum B. d. C. von A. 1. R., Diss. Greifswald 1909. Die
Enfances Ogier (p. p. Aug. Scheler, Brüssel 1874) beruhen auf der
eisten branehe des alten Ogierepos. — Macaire: p. p. F. Guessard
(Anc. P. d. 1. Fr. IX) P. 1866. Ein ähnliches thema wird behandelt
in dem noch ungedruckten JDoon de la Boche oder Doon
l'Allemanä, wo die unschuldig verfolgte Olive heisst und die
schwester Pippins ist (altnordisch Olif og Landri). Vgl. C. Sachs,
Beiträge z. Kenntnis altfr. etc. Literatur, B. 1857, 2 ff. W. Benary,
RF 31 (1911) 303ff. — Huon de Bordeaux: p.p. F. Guessard
et C. Grandmaison (A. P. d. 1. Fr. 5), P. 1860. Vgl. C. Voretzsch,
Epische Studien I, IIa. 1900 (hier die alt. lit., auch über die fort-
setzungen und bearbeitungen). M. Kawczynski, Huon de Bordeaux,
poemat staro franeuski etc.. Krakau 1902 (leitet das Huonepos aus
dem märchen von Amor und Psyche her und setzt Huon = Psyche,
Auberon = Amor, Karl d. Gr. = Venus). Counson, La legende
d'Oberon, Extrait d. 1. Revue Generale, Bruxelles 1903. Über
Ph. Aug. Becker (ZrP 26, 265 ff.) und F. Lindner (StvglL 2, 284 ff.)
vgl. DL 1902, 2659 ff Mit der anfangs des 12. jahrhs. in Italien
hinzugedichteten einleitung Auberon und mit den von verschiedenen
Verfassern herrührenden fortsetzungen Chanson d'Esclarmonde (vgl.
Otto Engelhardt, Huon de B. u. Herzog Ernst, Tübinger Dies.
Witten 1903), Huon roi de feerie, Ciarisse et Florcnt, J 'de et Olive,
Oroissant und Godin bildet das Huonepos eine vollständige geste,
die ihrem grössten teil nach im 15. Jahrhundert als alexandriner-
dichtung und im 16. Jahrhundert als prosaroman begegnet. Der
inhd. Ortnit geht nicht auf den Huon, sondern mit diesem gemeinsam
auf eine alte fränkische sage zurück. — Auberi: umfangreiche
auszüge bei Tobler, Mitteilungen aus afr. handschriften I, L. 1870.
Vgl. Riezler, Sitzber. d. Münchener Akad. 1892, s. 713ff Franz
Settegast, ZrP 33 (1909) 20ff — Boeve de Haumtone: Der
anglonorm. B. d. H. hrsg. von Alb. Stimming (Bibl. Norm. 7), Ha.
1899 (hier alt. lit.). Der festländische Bueve de Hantone Fassung I
(GrL 25), Fassung II, 1 Text (GrL 30), bgg. von A. Stimming,
Dresden 1911, 1912. J. Reinhold, Die franko -ital. Version des
438 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jabrhumb rts.
B. d. Ant., ZrP 33 (1911) 555 ff., 683 ff; 34, 1 ff. Vgl. Stimming
im Toblerband s. 1 ff. über die franz. Versionen. Rudolf Zenker,
Boeve-Amlethus (Lit.-hist. Forsch. 32). B. u. L. 1905. Max Dentsch-
bein, Studien z. Sagengeschichte Englands, I, Cöthen 1906. Leo
Jordan, Über B. d. H., 14. Beiheft zur ZrP, 1908. Chr. Boje, Über
den afr. Roman von B. d. IL, 19. Beiheft, 1909. — Hörn p.p.
Fr. Michel, P. 1885. Genauer Abdruck der Handschriften von
Brede und Stengel (AA 8), Marburg 1883. Otto Hartenstein,
Studien z. Hornsage, Diss. Kiel 1902. Morsbach im Foersterband
(1902) s. 297 ff. Johan Vising, Studier i den franska romanen om
Hörn, I, Göteborg 1903, II 1904, Prolegomena zu einer Edition des
Roman von H., 1905. Will. Schoffield, The story of Hörn and
Rimenhild, Publ. MLA 18 (1903) 1 ff. Deutschbein, Studien I (s. o.).
Paul Grass, Hörn u. Hilde in ihrer Stellung z. german. Sagen-
geschichte, Diss. Münster 1911 (sucht die quelle in niederdeutschen
Überlieferungen). Im 15. Jahrhundert wird das epos zu einem
prosaroman Ponthus et Sidoine verarbeitet. — Über die anglonorm.
bearbeitung von Amis et Amiles in reimpaaren s. oben s. 247.
B. Zyklische und genealogische Epen.
Die entwicklungsgeschichte des französischen heldenepos
weist darauf hiu, dass von anfaDg an eine reihe von selbständigen
dichtungen auf den plan getreten sind, deren kern jeder für
sich in einer originalen tradition wurzelte. Solche „primäre
epen", wie sie Wechssler nennt, oder „stammepen" naeh Becker,
gaben vielfach den anlass zur ausbildung eines zyklus: zunächst
konnten leicht mehrere stammepen, welche denselben beiden
feierten oder auch teils dem beiden selbst, teils seinen ver-
wanten galten, zu einem festeren oder loseren zyklus (Ogier —
verschiedene Wilhelmsepen) zusammengeschlossen werden, oder
das stammepos konnte fortsetzungen und nachahmungen hervor-
rufen uud bildete dann naturgemäss mit diesen eine zusammen-
hängende geste, die meist auch in den handschriften vereinigt
erscheint (Lothringer, Huon, auch Wilhelm usw.). Je ein-
heitlicher der ausgangspunkt einer derartigen geste ist, um so
enger ist auch der Zusammenhang innerhalb der ganzen gruppe.
Die ältere geste de Nanteuil und die jüngere geste de Huon
de Bordeaux übertreffen beide an geschlossenheit die Wilhelms-
geste, welche auch noch die epen auf Wilhelms brüder und
neffen aufgenommen hat, und diese geste selbst wiederum ist
immer noch viel geschlossener als die geste fe'odale, in welcher
2. Heldenepos und geschichtliche Dichtung : Zyklische Epen. 439
die zyklischen dichter und mit ihnen die Veranstalter von
Bammelhandsehriften epen der verschiedensten herkunft unter-
bringen.
Unter den zahlreichen zyklen oder gesteu sind es besonders
drei, welche sich durch die zahl der zugehörigen dichtungen
vor den anderen auszeichneten und schon Bertrand de Bar-sur-
Aube am ende des 12. Jahrhunderts bekannt waren: die geste
du roi (Karlsepen, mit eiuschluss von Karl Martell) — die
geste de I)oon de Mayencc (vassallen- oder verräterepen, welche
die kämpfe Karls d. Gr. mit seinen vasallen behandeln) —
die geste de Garin de Monglane (Wilhelmsgeste). Garin gilt
als Stammvater der Wilhelmiden wie Doon als derjenige der
empörer. Die kleinereu gesten und die eiuzelepen stehen
ausserhalb.
War der begriff des zyklus einmal vorhanden, so lag es
nahe, diesen weiter auszubauen und die lücken in der
genealogie wie in der fortlaufenden erzählung mit neuen
dichtungen auszufüllen. Die auf diese weise entstandenen
ependichtungen, deren uns übrigens auch schon am ende des
12. Jahrhunderts mehrere begegnet sind, begnügen sich meist
mit den elementen, welche sie in den älteren epen der geste
vorfinden, und schmücken diese mit eigener phantasie oder
mit Zuhilfenahme fremder motive weiter aus. Sie haben daher
meist weder einen traditionellen noch einen poetischen wert,
doch finden sich zuweilen in nebenmotiven traditionelle elemente
verborgen.
Von den königsepen stehen im Vordergrund diejenigen,
welche sich um das Rolandslied herum gebildet haben. Da
ist einmal der schon früher erwähnte Galiens li restores
zu nennen, welcher Karlsreise und Rolandslied miteinander
zu einem zusammenhängenden gedieht (in alexandrinern) ver-
arbeitet. — Gui de Bourgogne geht von der Vorstellung
aus, dass Karl mit seinem beere nicht 7, sondern 27 jähre in
Spanien ist und es nicht erobern kann, daher der jugendliche
Gui, söhn herzog Samsons von Burgund, die unterdes heran-
gewachsenen söhne der spanischen kämpfer nach Spanien
führt und diesen zum endlichen siege verhilft. — Anst'is de
Cartage führt die handlung weiter dadurch, dass Ansei's,
söhn des Rispeu von der Bretagne, nach der eroberung des
440 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratar des i;s. Jahrhunderts.
landes zum könig daselbst ernannt wird und durch die ent-
«•hrung der Letisse die räche ihres vaters Ysore" und damit
einen neuen Sarraceneneiufall in Spanien heraufbeschwört, der
erst durch Karls eingreifen ein ende findet. Hier ist in der
exposition (die tochter des ratgebers durch den könig entehrt)
eine ältere tradition verwertet, im übrigen haben ausser
Rolandslied auch andere epen — wie Gui de Bourgogne und
Saisnes — eingewirkt. — Von einem epos, das Karls kämpfe
vor der Schlacht von Roucesvalles schildert, sind nur
160 verse überliefert. Das ganze war die Überarbeitung einer
älteren, schon dem Pseudoturpin bekannten (den kap. 2 — 14
Turpins entsprechenden) dichtung. — Als ein nachklang des
Rolandsliedes und verwanter dichtungen ist auch das epos
von Otinel zu bezeichnen, wo der heidnische krieger Otinel
durch ein göttliches wunder zum Christentum bekehrt und der
heidenkönig Garsile (vgl. Marsile) besiegt und getötet wird. —
In entfernterer beziehung zum Rolaudslied steht Jehan de
Lanson, dessen held der söhn von Ganelons bruder ist und
die zwölf pers in Italien schwer bedrängt. In mancher hin-
sieht erinnert an dieses epos der Simon de Pouille, wo
die zwölf pers in Konstantinopel schwere gefahren zu be-
stehen haben.
Von den Merowingerepen, die allerdings in alter zeit
nicht in die geste du roi eingereiht werden, gehört hierher
der nur fragmentarisch überlieferte Syracoti (allem an-
schein nach eine nachahmung des Floovent) und Ciperis de
Vignevaux, unter dessen titelhelden Childerich IL gemeint
ist. Der traditionelle Untergrund dieses epos ist noch nicht
genügend untersucht.
Auch der zweite grosse zyklus, der Wilhelmszyklus,
wird erweitert und vervollständigt, vor allem durch epen,
welche über kämpfe von angehörigen der familie gegen die
spanischen Sarrazenen berichten — Guibert d' Andrenas,
Brise de Cordres et de Sebille — sowie durch epen
über einzelne persönlichkeiten wie La Mort Aimeri,
Benier (söhn Maillefers und enkel Eainouarts) und den
späten Gar in de 31 o n gl an e, dessen inhalt mehr einem
roman als einer chanson de geste gleicht und der im 14. Jahr-
hundert noch durch die Enfances Garin ergänzt wird.
2. Heldenepos und geschichtliche Dichtung: Zyklische Epen. 441
Der dritte grosse zyklus fasst die rebellen gegen
kaiscr Karl zu einer grossen familie zusammen: so werden
die väter Ogiers und lluons, Gaufrey und Sewin, nebst anderen
zu brttdern Girarts von Roussillou und seiner sippe gestempelt
und zu söhnen Doons von Mainz gemacht. Auf Gaufrey
und seine Schicksale wird ein besonderes epos gedichtet (oben
8. 225 f.), nicht minder auf die des Stammvaters Doon de
Mayence, welche nicht nur von denen Huons, sondern auch
von denen Percevals stark beeinflusst erscheinen.
Bemerkenswerter als diese machwerke sind einzelne dich-
tnngen in den kleineren gesten. Die Geste de Nanteuil
wird durch Parise la duchesse vervollständigt, deren inhalt
einer anderweitigen alten Überlieferung entlehnt scheint (s. oben
8. 84). Die Lothringerepen erhalten eine einleitung in dem
epos von Her vis de Mes, das in der rahmenerzählung ver-
wantschaft mit der arabischen geschiente von Nüraldin und
Mirjam (Tausend und eine Nacht) zeigt und sich so dem
liebes- und abenteuerroman nähert, aber auch reichlich de-
mente älterer epik verwertet. Bemerkenswert ist, dass hier
auf Karl sein söhn Pippin folgt, unter jenem also Karl Martell
gemeint ist. Auch die fortsetzung zum Giriert, Anse'is de
Mes, welche die räche der verwanten Fromondius an Gilbert
(vgl. oben s. 242) und ihre folgen behandelt, sowie die schluss-
dichtung Yon gehört noch in das 13. Jahrhundert.
Endlich ist aus dem schluss der periode (gegen 1300)
noch ein umfangreiches kompilationswerk (über 23 000 verse)
zu nennen: der Charlemagne des Girard von Amiens,
welcher hier teils auf grund von chansons de geste {Mainet u. a.),
teils von lateinischen Chroniken (Pseudoturpin, Chroniken von
St.-Denis u. a.) eine zusammenhängende geschichte von Karls
leben zu geben sucht, in regelmässigen alexandrinerlaissen (zu
je 20 versen), mit Wechsel männlich und weiblich ausgehender
laissen, wie es in zweien seiner epen auch Adenet getan, den
Girard kennt und sich auch sonst öfter zum Vorbild nimmt.
Königsepen: Galten s. oben s. 202. — Gui de Bourgogne,
Otinel (u. Floovant) p.p. Guessard et Michelant, P. 1859 (Anc. poetea
d. 1. Fr. 1). Zum Gui d. B. vgl. A. Mauss, Charakteristik d. Personen
im G. d. B., Diss. Münster 1883; A. Thomas, Sur la date de G. d. B.,
Korn. 17 (1888) 280. Zum Otinel: E, Langlois, Rom. 12 (1883) 433 ff.;
1 l'J XII. Kapitel. I>i<' Epigonenliteratnr des ;:'.. Jahrhunderts.
II. Treutier, Die O.-sage im Mittelalter, Engl. Stud. 5 (1882) 148 ff.;
P. Rajna, Rom. 18 (1889) 35 ff; Bedier, Leg. ep. II (1908) 255 ff. —
Anscts de Cartage hgg. v. J. Alton. Tübingen 1892 (Lit. Ver. 194).
Vgl. C. Voretzsch, Rom. 25 (1896) 562 ff, 27, 245 ff; G. Paris,
Melanges 169ff. (zuerst 1893 ersch); L. Jordan Archiv 119 (1907)
372 ff. — Fragments d'une Chanson de (feste relative ä la guerre
d'Espagnc p.p. P.Meyer, Rom. 35 (1906) 22 ff. Verwant ist die
anfangs des 14. jhs. verfasste Entree d'Espayne (ausg. v. Thomas im
druck), vgl. kap. XIV. — Über Jehan de Lanson vgl. Hist. litt.
22,568ff; L. Gautier, Epopces fr. IIP 257ff; G.Paris, Rom. 24
(1895) 317 ff. Über Simon de Pouille Gantier, Ep. fr. IIP2 346 ff. —
Merowingerepen: Syracon hgg. v. Stengel, Rom. Stud. 1,399 ff. Vgl.
Fr. Settegast, Antike Elemente im afr. M.-Zyklus, L. 1907. Vicomte
de la Lande de Calan, Personnages (oben s. 89) s. 22 (Ciperis
= Childerich IL). — Wilhelmszyklus: La Mort Aymeri de Kar-
bonne p. p. J. Couraye du Parc, P. 1884 (Sdat); vgl. H. Suchier,
Rom. 32 (1903) 379 ff, ZrP 31 (1907) 607 f. La Prise de Cordres
et de Sebille p. p. 0. Densusianu, P. 1896 (Sdat). C. Siele, Über
die Chanson Guibert d'A., Diss. Marburg 1891. Über Benier vgl.
Runeberg, La Geste Rainouart (oben s. 236) 64 ff. Über Garin de
Montglane und Enfances Garin L. Gautier, Ep. fr. IV, 106 ff, 126 ff;
K. Rudolph, Das Verhältnis der beiden Fassungen des G. d. M., Diss.
Marburg 1890. — Vassallenepen: .Gaufrey p. p. Guessard et Cha-
baille, P. 1859 (Anc. P. d.i. Fr. III); vgl. Seyfang (oben s. 226).
Doone de Mayence p. p. A. Pey, P. 1859 (Anc. P. d. 1. Fr. II). —
Geste de Nanteuil: Parise la duchesse p. p. G.-F. de Martonne,
P. 1856 (Rom. d. d. pairs IV), p. p. Guessard et Larchey, P. 1860
(Anc. p. d 1. Fr. IV); vgl. R. Heinzel (oben s. 86), W. Benary, RF
31, 303ff. — Lothringer: Hervis de Mes, hgg. von E. Stengel,
1903 (GrL 1); vgl. L.Jordan Archiv 114 (1905) 232ff. Bruch-
stücke des Anse'is de Mes hgg. von E. Stengel, Festschrift Greifs-
wald 1904, 1909. — Girard von Amiens: vgl. L. Gautier, Ep.
fr. II, 421 ff, III, 30 ff, dazu die mit textproben aus dem Charlemague
ausgestatten Greifswalder Diss. von P. Riebe (Mainetsage, 1906),
H. Dammann (Enfances Roland, 1907), W. Granzow (Ogierepisode,
1908).
C. Neudichtungen.
Neben den auf alter, traditioneller grundlage aufgebauten
oder an mehr oder weniger ausgebildete zyklendichtung an-
knüpfenden epen finden sieh auch einige chansons de geste
welche mehr selbständigen Charakters sind, und wenn auch
nicht in ihren einzelheiten, so doch in haupthandlung und
hauptpersonen die selbstschöpfung eines dichters zu sein
scheinen. Es sind im wesentlichen epen, welche die Schicksale
-1. Heldenepos und geschichtliche Dichtung: Neudichtnngen. 443
eines einzelnen beiden schildern und daher von G. Paris den
epopies biographiques zugerechnet werden. Vielfach nähern
sie sich der gattuug des abenteuerromans.
Orson de Beauvais. Das erst vor wenigen jähren von
G. Paris veröffentlichte gedieht - nach dem heransgeber noch
im 12. Jahrhundert, nach Suchier hingegen erst im 13. Jahr-
hundert verfasst — erzählt in einfacher, aber anschaulicher
weise den verrat, den graf Ugon von Berri an seinem waffen-
gefährten Orson übt, die standhaftigkeit und treue von Orsons
frau Aceline, welche darob die schwersten Verfolgungen zu
erdulden hat. und vor allem die räche, welche beider söhn
Milon an dem Verräter nimmt. Eine reihe von einzelnen
namen, figuren und motiven sind älteren chansons de geste
entnommen.
Gaydon (zwischen 1218 und 1240). Der held wird mit
Thierrv, dem gegner Pinabels in dem gottesgerichtlichen Zwei-
kampf am sehluss des Rolandsliedes, gleichgesetzt und dadurch
in beziehung zur Rolandsschlacht gebracht, aber was der dichter
von dieser erzählt, beruht auf Turpin, während er für andere
episodeu eine reihe von wirklichen epen (Gui de Bourgogne,
Anse'is de Cartage, Krönungsepos, Huon de Bordeaux u. a.) ver-
wertet hat. Die kuust des dichters ist nicht übermässig gross,
dieselben motive — hinterhalt, Verschwörung, Vergiftung —
werden beständig wiederholt, ebenso wie die personen der
Verräter gehäuft werden (Aulori, Hardr6 usw.). Vor der
tradition hat der Verfasser wenig achtung, häufig bezeichnet
er mit demselben namen vier bis fünf verschiedene personen,
bald anhänger Gaydons, bald Verräter. Aber einzelne allem
anschein nach von ihm selbst erfundene episoden und figuren,
wie der bäurisch dargestellte vavassor, auch die frauen-
charaktere (bes. Claresme), sind trefflich gelungen; in der
flotten darstellung des ganzen sind namentlich die eingestreuten
scherz- und hohnreden im stile der altgermanischen epik sehr
wirkungsvoll; die komposition hat sich am Vorbild des höfischen
romans geformt. Das ganze ist umdichtung und erweiterung
einer ursprünglich assonierenden älteren chanson.
Aiol et Mirabel und JElie de St. Gilles. Aiol ist, wie
Milon de Beauvais oder Boeve de Haumtone, ein junger held,
der auszieht seinen vater zu rächen. Bei dieser gelegenheit
IM XII. Kapitel. Die Epigoneuliterutur des 13. Jahrhunderts.
erlebt er eine reihe von begegnungen, kämpfen, liebesaben-
teuem, hat unter den intriguen eines Verräters (Macaire) viel
zu leiden, wird von weib und söhnen getrennt, findet zuerst
diese wieder und erobert sich schliesslich sein weib Mirabel
im kämpf gegen den Verräter zurück. Der eigentliche Ver-
fasser des in archaischen zehnsilbnern (s. oben s. 31) ge-
dichteten epos gehörte noch dem 12. Jahrhundert an und war
bei aller neigung für das abenteuerliche ein guter beobachter
und in gewissem sinne realistischer darsteiler der wirklichen
Verhältnisse. Sein werk wurde aber, etwa im zweiten viertel
des 13. Jahrhunderts, von einem in alexandrinern dichtenden
bearbeiter überarbeitet, mit neuer einleitung, neuem schluss
und verschiedenen einschüben versehen, wodurch zugleich der
anschluss an die in alexandrinern verfasste dichtung Elie de
St. Gille gewonnen wurde. Der held dieses zweiten, ursprünglich
selbständigen gedichtes wurde vom Überarbeiter willkürlich
mit Aiols vater Elie gleichgesetzt und noch dazu mit dem ge-
schlecht Wilhelms von Orange in beziehung gebracht. Elie hat
ähnliche abenteuer wie sein söhn Aiol zu bestehen. Der
schluss ist in der altnordischen Elissage ursprünglicher er-
halten als im franz. gedieht, das mit rücksicht auf die Über-
leitung zum Aiol abgeändert worden ist. — Beide dichtungen
werden häufig zusammen als Geste de Saint-Gille be-
zeichnet.
Florence de Rome. Die dichtung (4562 alexandriner)
hat zum mittelpunkt die auch in der Crescentiasage (Kaiser-
chronik) und sonst (Karl d. Gr. und Hildegard) wiederkehrende
erzählung volkstümlichen (vielleicht orientalischen) urspruugs
von der edeln frau, welche vom eigenen seh wager erfolglos
begehrt und darum von ihm verleumdet, dann eines meuchel-
mords bezichtigt wird und nach dieser und anderen fährlich-
keiten die genugtuung hat, als fromme uonne alle ihre peiniger
ihre schuld bekennen zu hören und von schwerer krankheit
zu heilen und mit dem von ihr gleichfalls geheilten gatten
wieder vereinigt zu werden. Dadurch dass ein krieg zwischen
dem kaiser von Rom und dem könig von Griechenland die
handlung einleitet und teilweise begleitet, entsteht ein ähn-
licher mischcharakter zwischen chanson de geste und liebes-
roman wie im Aiol. Die heldin heisst hier Florence. tochter
2. Heldenepus and geschichtliche Dichtung: Geschichtliches. 445
des kaisers Othon von Rome. ihr gatte Esmere\ ihr Bchwager
und Verfolger Milon.
Oraon de Beauvais p. p. G. Paris, P. 1899 (8dat); vgl. Suchier
Rom. 30 (1901) 132ff. F.Lot, Rom. 32 (1903) 577ff. W. Benary,
RF 31 (1911) 303ff. — Gaydon p.p. Gnessard et Luce, P. 1862
(Anc. p. d. 1. Fr. VII). Vgl. W. Reiniann, 0". d. chansoo de Gaydon,
Diss. Marburg 1880; A. Thomas, Rom. 17 (1888) 2«0. Bruno
Karch, Untersuchungen ü. d. Haudschriftenverhültnis u. textkrit.
Bearbeitung des aas. Teiles der Ch. d. G., Dies. Greifswald 1907.
AI fr. Krehl, Der Dichter des Gay donepos, Diss. Tübingen 1909. —
Aiol et Mirabel und Elie de St.-Gille hrsg. von W. Foerster, Ileil-
bronn 1878 — 1882 (hier auch über die fremden bearbeitungen).
Aiol p. p. J. Normand et G. Raynaud, P. 1878, Elie p. p. G. Raynaud,
P. 1881 (Sdat). Vgl. E. F. Schneegans, Gröberband s. 267*0". —
Florence de Rome p. p. Axel Wallensköld, P. 1907—1909, 2 bde.
(Sdat). Vgl. A. Wallensköld, Le conte de la femme chaste couvoitee
par son bean fröre, Helsingfors 1907 (Acta Sdc. Sc. Fennicae 34, 1);
Svetislav Stefanovic, Die Crescentia-Florence-Sage, RF 29 (1911)
461 ff.; Wallensköld, Neuphil. Mitt. 1912, 67 ff.
D. Geschichtliche Dichtung und Verwantes.
Von den dichtungsgattungen, welche die form der chansons
de geste gewählt haben oder wenigstens teilweise in dieser
begegnen, ist im 13. Jahrhundert nicht viel zu sagen. Die
antiken Stoffe sind in form und geist des höfischen romans
übergegangen (oben s. 274 ff.), mit ausnähme der Alexander-
geste, aus welcher aber im 13. Jahrhundert iu der hauptsache
nur der in England entstandene Roman de toute chevalerie
(oben s. 274) aufzuführen ist. Einen neuen Stoff behandelt
Jehan de Tuim in seiner Jlistoire de Cesar in aulehnung
an Lucans Pharsalia und Cäsars Bellum civile in französischer
prosa, welche darnach von Jacot de Forest in französische
alexandrinerlaissen umgedichtet wird (ein bemerkenswerter fall,
da sonst in dieser zeit die versromane in prosa umgesetzt zu
werden pflegen).
Von den kreuzzugsepen ist aus dem 13. Jahrhundert
nichts von bedeutung zu berichten, die Schlussdichtungen
jßaudouin de Sebourg und Bastart de Bouillon gehören erst
dem 14. Jahrhundert an.
Die reim chronik erscheint jetzt fast ausschliesslich in
der form der reimpaare. Als hervorragendes stück der gattung
440 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
aus dem anfaug des 13. Jahrhunderts wurde bereits oben (s. 264)
die Histoire de Guillaume le Marechal erwähnt. Die
lokalgeschichte wird durch eine (noch nicht edierte) ge-
schiente der abtei von F£camp vertreten, die umfang-
reiche chronik grossen stils durch die Chroniqiie rimee des
Philippe Mo usket aus Tournai, welcher die geschiente Frank-
reichs von den anfangen bis auf seine zeit (1242) in reim-
paaren erzählt, für die ältere zeit teils nach lateinischen quellen,
teils nach chansons de geste, von denen Mousket uns manche
wichtige Variante tiberliefert. Im wesentlichen aber wird die
reimchronik in dieser zeit, schon seit Villehardouins chronik
des vierten kreuzzugs, durch die prosachronik abgelöst.
Jehan de Tuim, Hystoire de Julius Cesar, hgg. von F. Settegast,
Ha. 1881. Dazu derselbe, Jacos de Forest e la sua fönte, Gior-
nale di filolo^ia romanza 2 (1879) 172 ff. — Philippe Mousket,
Chronique rimee p. p. le baron de Reiffenberg, 2 vols., Brüssel 1836
und 1838 (mit vielen beigaben); einzelne teile hrsg. von A. Tobler,
Mon. Germ. bist. SS. 26, 7 18 ff. Vgl. Th. Link, Ü. d. Sprache d. Chr.
r. von Ph. M., Erlangen 1882. — Schon in den anfang des 14. Jahr-
hunderts fallen die reimchroniken von Geoffroi von Paris und
Guillaume Guiart.
3. Der höfische Roman.
Rascher als das seit dem 9. Jahrhundert bezeugte und noch
im 14. Jahrhundert nicht erloschene heldenepos hat sich der
höfische versroman ausgelebt: um die mitte des 12. Jahrhunderts
entstanden tiberlebt er nur mit wenigen denkmälern das
13. Jahrhundert, die letzten Artusromane in versen sind nicht
jünger als die zweite hälfte dieses Jahrhunderts, das 14. Jahr-
hundert bringt nur noch einige abenteuer- und liebesromane
hervor. Im übrigen wird die entwicklung des höfischen romans
vom 13. Jahrhundert an beherrscht durch die prosaform.
Der versroman folgt im wesentlichen den Überlieferungen
des vorigen Zeitraums. Aber mehr als dort macht sich eigene
erfindung und kombination von bekannten motiven aus älteren
romanen bemerkbar. Die originale tradition ist erschöpft oder
wird nicht mehr zu rate gezogen, während im heldenepos um
3. Der höfische Roman: Brt-touische Romane. 11<
diese zeit noch eine reihe aller, anverbrauchter stoffe auf-
tauchen. Das beruht Dicht zum geringsten teil auf der domi-
nierenden rolle Crestiens, welcher mit Stoffen, auffassuug und
Stil seiner werke die naehfolger in seinen bann zieht. Selbst
die besten unter ihnen, wie Raoul de Houdene, sind nicht frei
von Crestiens einrluss. Daher auch im ganzen die furblosig-
keit der jüngeren Artusromane, während in den liebesromanen
eher selbständige Überlieferung zu wort kommt. Im übrigen
gehen bretouische und byzantinisch - orientalische demente
immer mehr ineinander über. In der form findet die vom
Verfasser des Guillaume de Dole eingeführte neuerung, die
Zählung durch eingestreute Strophen und lieder zu unter-
brechen, vielfach nachahmuug (Gerberts Veilchenroman, Adenets
Cleomades, Girarts Meliacin u. a. m.).
A. Bretonische Romane.
"Während die Graldichtung ausser in den bereits früher
erwähnten fortsetzungen zu Crestiens Perceval vor allem in
prosaromanen gepflegt wird, hat der Artusroman noch zahl-
reiche versdichtungen aufzuweisen, von denen wiederum ein
grosser teil Gauvain und seinen taten gewidmet ist. Durch
die häufung der abenteuer erhalten sie meist den Charakter
von abenteuerromanen. Die einzelnen motive sind in der regel
Variationen von solchen aus älteren diehtungen. Auch die
namen von beiden und heldinnen sind vielfach älteren romanen
entlehnt oder nachgeahmt, doch begegnen daneben jetzt sehr
häufig — wie vereinzelt schon früher — symbolische oder
allegorische namen wie Orgueilleuse d'Amour, Franche Pucelle,
oder für Ortsnamen Cite* Gaste, Roche sans Paour usw.
Raoul von Houdenc. Raoul gilt bei den dichtem des
13. Jahrhunderts (so bei Huon de Mery) als bedeutendster Ver-
treter des romans neben Crestien. Dieser rühm gründet sich
in erster linie auf seinen Meraugis de Portlesguez. Die
exposition wird gebildet durch den aus Erec entlehnten kämpf
um den Schönheitspreis. In die preisgekrönte Lidoine verliebt
sich Meraugis um ihres anmutigen höfischen wesens willen, Gorvain
wegen ihrer körperlichen Vorzüge, ein gerichtshof von damen
spricht sie dem Meraugis zu (also eine durch eine cort cVamors
448 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
entschiedene tenzonenfrage). Abweichend von seinem Vorbild
Erec zieht Meraugis noch vor der hochzeit mit Lidoine auf
abenteuer aus, welche den hauptteil des romans füllen und
viele phantastische elemente enthalten. Den beschluss der
erzähluog bildet die hochzeit des paares. Ausser der stoff-
lichen und zum teil auch stilistischen abhängigkeit von Crestien
sind für Raoul besonders charakteristisch die langen monologe,
die neigung zur erörterung spitzfindiger fragen und zur alle-
gorischen namengebung (wie der name der heldin Lidoine =
Vidoine = idonea die schmucke, la Cite saus nom usw.) —
Ein zweites werk Raouls ist der Gauvainroman La Vengeance
Raguidel: Ein führerloses schiff mit einem wagen und einem
toten ritter darauf erscheint an Artus' hof. Nur Gauvain
gelingt es, den abgebrochenen lanzenschaft aus des ritters
brüst zu ziehen und dadurch die anwartscbaft auf die räche
zu erwerben. Nach langem suchen und vielen abenteuern
findet er den mörder des erschlageneu Raguidel, tötet ihn mit
hilfe Yders und vereint diesen mit der ihm zugetanen tochter
des mörders. An zauberspuk und geheimnisvollen begebeu-
heiten fehlt es nicht. Obwohl der dichter sich nur kurz Raoul
nennt, braucht man an seiner identität mit Raoul von Houdenc
nicht zu zweifeln.
Auch sonst ist das 13. Jahrhundert nicht arm an Gauvain -
dichtungen, die z t. nur den umfang eines lais haben, z. t.
als ausgeführte epen erscheinen. Zu der ersten gruppe gehört
der schwankartige Chevalier a Vespee (1206 verse), der
nach dem ersten teil (das gefährliche bett mit dem schönen
mädchen drin und einer art Damoklesschwert darüber) genannt
ist und im Schlussteil berührungen mit der Vengeance Raguidel
zeigt (besonders in der episode von dem hund, der seinem
herrn treu bleibt, während dessen dame ihn einem anderen
ritter zu liebe leichten herzens verlässt). Ein vollwichtiger
roman ist der Atre perillos (Le cimetiere perilleux), der
nachher von Girart d'Amieus im zweiten teil seines Escanor
nachgeahmt wird. Gauvain ist auch der eigentliche held des
grossen abenteuerromans Rigomer vom dichter Jehan, wo
Laucelot nur im ersten teil die hauptrolle spielt, aber nicht
zum ziele gelangt und von Gauvain befreit werden muss. Wie
von manchem Karlsritter hat es auch von Gauvain Enfances
.'!. Der höfische Roman: Bretonische Romane. 449
gegeben, von denen neuerdings einige fragmente bekannt ge-
worden sind (Gauvain entstammt einer heimlichen Verbindung
Loths mit könig Artus' Schwester Morcades. wird ausgesetzt,
zuerst von einem tischer, dann vom papst erzogen und von
diesem zum ritter geschlagen). Im Beaudous von Robert
von Blois erscheint Gauvains söhn als held der erzählung.
In anderen romanen bretonischen Stiles tauchen neue beiden
auf. welche die alten abenteuer oder Variationen derselben
immer wieder von neuem bestehen: so Fergiis, von Guil-
laume le Clerc (nicht identisch mit dem Verfasser geistlicher
dichtungeu), der „seinen Crestien auswendig kennt", aber „allen
Artusstoffeu und allem Rittertum zum Trotz einen Bauernjungen
die Blüte der Ritterschaft besiegen lässt" (Foerster); so Galeran
de Bretagne, von Renaud, welcher hier das sujet des lais
von Fraisne (oben s. 395) mit dem von Ille et Galeron (s. 373 f.)
verbindet; so Durmart le Gallois, der sich unter schweren
kämpfen und abenteuern die liebe der königin von Irland
erringt; so Claris et Laris („le plus rezent des romans en
vers de la Table ronde; il en est aussi le plus long" —
G. Paris); so der Chevalier as deus espees (Meriadeitc),
Bichart le biau, Yder, Blancandin, Gliglois, Gauvain
et Humbaut, der Escanor Girards von Amiens u. a. m.
Zu Raoul von Houdene und Robert von Blois vgl. die lit. oben
6. 420, zum Meraugis noch C. Habemann, Die lit. Stellung des M. v. P.
in der afr. Artusepik, Diss. Göttingen 1908, zur Vengeance Eaguidel
R. Rohde, La V. d. R., Dis9. Göttingen 1904. — Über die Gauvain-
romane: G. Paris, Hist. litt. 30, 19 ft'. Le Chevalier k l'Epee, edited
by E. C. Armstrong, Diss. Baltimore 1900. Li atres perillos,
Archiv 42, 135ff.; vgl. W. v. Zingerle, ZfSL 36 (1910) 274 ff. Les
Merveilles de Rigomer, hgg. von W. Foerster (GrL 19}, 1908; zur
Turiner hs. vgl. Stengel, Die Schlussepisode des R., Greifswald 1905,
und Foerster, ZfLS 32 (1908) IL 81 ff, 219 ff. Enfances Gauvain
p. p. Paul Meyer, Rom. 39 (1910) 1 ff. Ausgaben des Fergus von
E. Martin, Ha. 1872 (vgl. Wilh. Marquardt, Der Einfluss Kristians
v. Tr. auf d. Roman F., Di6s. Bonn 1906); des Galeran von Boucherie,
Montpellier 1888 (vgl. Foerster, Ille et Galeron s. XXXIII ff, und
F. M. Warren, Mod. Lang. Notes 23. 1908, s. 69 ff, 97 ff); des Dur-
mart von Stengel (Lit. Ver. 116), Tübingen 1873, (vgl. Kirchrath,
Der Roman de D. in seinem Verhältnis zu Meraugis, Diss. Marburg
1884); Claris et Laris von Alton (Lit. Ver. 169), Tübingen 1884;
Chev. as deus epees Ha. 1877 (vgl. Rob. Thedens, Li Ch. a. d. e.
in s. Verhältnis zu s. Quellen, Diss. Göttingen 1909) und Richars
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auflage. 29
450 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
li biaus Ha. 1874 von Foerster; Rlancandin von Miclielant, P. 1867;
Escanor von Michelant, Tübingen 1886 (Lit. Ver. 178). Zn Yder
vgl. H. Geizer, Einleitung zu einer krit. Ausg. des afr. Yderromans,
Diss. Str. 1908.
B. Abenteuerromane verschiedenen Charakters.
Der abenteuerroman , welcher schon unter den romanen
bretonischen Charakters einen breiten räum eiunimmt, gehört
auch sonst zu den beliebtesten gattungen der erzählenden
dichtung. Elemente aus bretonischen romanen sind auch in
solchen abenteuerromanen nichts seltenes, welche sich im
wesentlichen auf dem boden der Wirklichkeit abspielen, wie
z. b. der Sone von Nansay, dessen Verfasser seinen beiden
eine reihe abenteuer in Frankreich, Italien, Deutschland und
anderwärts erleben lässt und Norwegen sogar aus eigener
anschauung zu kennen scheint. Originelle Färbung gewinnt
die gattung da, wo an historische persönlichkeiten und sagen-
hafte Überlieferungen angeknüpft wird wie in Wistasse le
Moine, dessen held seinem gegner, dem grafen von Boulogne,
tollere streiche spielt als die zauberer Basin und Maugis (vgl.
oben s. 209), oder da, wo märchenhafte demente einfliessen
wie in Adenets Cleomades, wo das durch die luft fliegende
hölzerne zauberpferd sozusagen das vehikel der handlung
bildet (die aus 1001 Nacht bekannte, durch eine spanische
bearbeitung vermittelte erzählung); Girard von Amiens
behandelt dasselbe motiv, wie man annimmt ohne Adenets
gedieht zu kennen, in seinem Meliacin oder Cheväl de fast.
Ein hervorragendes stück der gattung ist der Joufrois, worin
die taten und erlebnisse eines in Mars und Venus gleich
mannhaften ritters der zeit in geschickter anordnung und
unterhaltender darstellung erzählt werden. Die im vorigen
Zeitraum so beliebte Verknüpfung des abenteuerromans mit
antiken namen zeigt der im zweiten viertel des Jahrhunderts
entstandene Octavian, dessen held hier auch noch mit dem
Merowingerkönig Dagobert in beziehung gesetzt wird. Von
den übrigen romanen wäre noch der anglonormanuische, bio-
graphisch-legendarische Guy de Warwich hervorzuheben, der
jedoch, nach Suchier, „nach Inhalt und Einkleidung, der
Sprache ungeachtet, mehr zur englischen Literatur gehört."
3. Der höfische Roman: Härchen und Licbesroinane. 451
Sone von Nausay hrsg. von M. Goldschmidt, Tübingen (Lit.
Ver. 216), dazu G. Paris Rom. 31 (1902) 1 13 ff. (für Nansay = Nambs-
heim); vgl. Fr. Nyrop, Rom. 35 (1906) 555ff. Wistasse le Moine
hrsg. von W. Foerster und Job. Trost, Ha. 1891 (Rom. Bibl. 4); vgl.
L. Jordan, Herrigs Archiv 113 (1904) 62 ff. Cleoinades p. p. van
Hasselt, Bruxclles 1888, 2 bde. Zu Meliacin vgl. Stengel ZrP 10
(1886) 460 ff; E. Krüger, Das Verh. der Hss. von Girartfl d'A. Oheval
de fust, Diss. Greifswald 1910. Joufrois hrsg. von K. Hofmann und
Fr. Muncker, Ha. 1880. Octavian hrsg. von K. Vollmöller, Heil-
bronn 1883 (Afr. Bibl. 3). Zu G. d. Warwick vgl. Deutschbein,
Studien z. S.-G. Englands I, s. 246 ff; J.-A. Herbert, An early ms.
of G. d.W., Rom. 35 (1906) 68 ff. — In gewissem sinne gehört
hierher auch das die formalitäten des ritterschlags eingehend
beschreibende gedieht L'ordene de cltevalcrie oder Hue de Tabarie
(Tiberias), dessen held, von Saladin gefangen genommen, diesem
den ritterschlag erteilt (s. Barbazau-Meon, Rec. 1, 59 ff).
C. Märchen- und. Liebesromane.
Seine schönsten biUten zeitigt der roman des 13. Jahr-
hunderts auf dem gebiete des liebesromans, zu welchem teils
volkstümliche märchenquellen (z. t. durch ältere dichtungen
vermittelt), teils reale Vorkommnisse der zeit die Stoffe liefern.
Der Percevalfortsetzer Gerbert de Montreuil hat
mit seinem Roman de la Violette inhalt und form des
Guülaume de Dole nachgeahmt (das muttermal der heldin hat
hier das aussehen eines Veilchens). Zwei verschiedenartige
romane hat in den siebziger jähren des Jahrhunderts der Ver-
fasser der Coutumes du Beauvaisis (oben s. 419), Philippe
de Remy, Sire de Beaumanoir, gedichtet. La Mane-
Je ine behandelt das ans den märchen bekannte (übrigens auch
im Apolloniusroman begegnende) thema von dem könig (hier
der könig von Ungarn), der seine eigene tochter heiraten will,
weil nur sie seiner verstorbenen gattin gleicht. Dem vater
entflohen und die gattin eines fremden königs (hier von Schott-
land) geworden, wird sie von dessen mutter verdächtigt und
verfolgt, bis sie nach manchen leiden den gatten wiederfindet.
Jehan et Blonde gilt als das beste von Beaumanoirs
werken. Snchier vergleicht diesen roman von Jehans liebe
zu Blonde und ihrer nicht ohne kämpf, aber schliesslich
glücklich gelungenen flucht mit der dichtung von Waltharius
29*
452 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
uud fügt hinzu: „II est, comme celle-ci, pleiu d'une charmante
fraicheur, et il a comme eile ce melange de gräce et de
vigueur qui est le propre de la jeunesse." Gegen ende des
Jahrhunderts behandelt ein dichter, als dessen namen 6. Paris
Jakemon Sakesep erschlossen hat, das zuerst in Ver-
bindung mit Gurun vorkommende herzmatre (oben s. 397) in
einem ausführlichen roman, als dessen unglücklicher held hier
der kastellau Renaut von Coucy erscheint, daher der titel des
romans: Li chastelains de Coucy (vgl. oben s. 360). Zwei
der bestgelungenen erzählnngen dieser gattung nähern sich durch
ihren geringen, nicht tausend verse zählenden umfang schon
mehr der gattung der versnovelle: das ist die Chastelaine
de Vergi, die rührende geschichte einer heimlichen liebe
und ihres traurigen endes, und die mehr auf einen heiteren
ton gestimmte, dem fablel verwante Chastelaine de Saint-
Gille, wo uns die glückliche entführung einer soeben wider
ihren willen einem reichen bauern angetrauten schlossherrn-
tochter durch ihren ami geschildert wird. Die erzählung selbst
ist in dem letzten gedieht nebensache, fast alles geht in der
form des dialogs vor sich, das ganze ist in Strophen gedichtet,
die mit verschiedenen, teils aus volkstümlichen, teils aus
höfischen liedern entlehnten refrains schliessen und unter-
einander durch Wiederholung der jeweiligen Schlussworte am
anfang der nächsten Strophe verbunden sind.
Roman de la Violette p. p. Fr. Michel, P. 1834. Zum thema
s. oben s. 386. Vgl. noch Fr. Kraus, Über G. d. M. u. seine Werke,
Diss. Würzburg 1897; M. Wilmotte, G. d. M. et les ecrits qui lui sont
attribues, Bruxelles 1900 (Extraits). — Philippe de Beaumanoir
s. oben s. 419. Zur Manekine vgl. Suchier, Rom. 30 (1901) 519 ff.
Die grundzüge der erzählung von Jchcm et Btonde stimmen zum
Hörn (oben s. 436) , auch der Willehalm von Orlens Rudolfs von
Ems gehört in diese gruppe: vgl. V. Lüdicke, Vorgeschichte und
nachleben des W. v. 0. von R. v. Ems, Ha. 1910 (Hermaea VIII).
Hingegen hat der franz. prosaroman des 15. jhs. Jehan de Paris
(um 1495, neudruck von Mabille 185n, von Montaiglon 1874), auf
den Boieldieus oper zurückgeht, nur einzelne züge aus Beaumanoir
entnommen: vgl. W. Söderjhelm, Neuphil. Mitt. 1900, 41 ff. — Li
roumans dou Chastelain de Coucy, p. p. Crapelet, P. 1829. Dieselbe
erzählung begegnet ohne namennennung mhd. bei Konrad von Würz-
burg, provenzalisch in der razon von Guilhelm de Cabestanh, wozu
Boccaccios novelle in Decamerone IV, 9 nebst ihren nachahmungen
4. Novellen- und Schwankdiohtung in Reimpaaren. 45<j
gehört. Vgl. G. Paris, Rom. 8, 343 ff., Hist. lit. 28, 352 ff; II. Putzig,
Znr Gesch. d. Herzmäre, Prog. Berlin 1891; H. Hanvette, Kom. 42
(1911) 184 ff — La chasteleine de Vergi p. p. G. Kavnaud, Rom. 21
(1892) 145 ff, edite p. G. Raynaud (Class.fr.) P. 1910. Vgl. Emil
Lorenz, Die afr. Versnovelle v. d. Kastellanin v. V. in späteren Be-
arbeitungen, Diss. Ha. 1909; A. L. Stiefel, ZfSL 36 (1910) 103 ff —
La chastelaine de St. Gillc siehe 0. Schultz- Gora, Zwei altfr. Dich-
tuntren (oben s. 426) s. lff, 37 ff. — Im wesentlichen liebesroman
ist auch der von Hippeau (P. 1863) veröffentlichte roman von Amadas
et Idoine, wo der held, ähnlich wie Ivain, ans liebeskummer in
Wahnsinn verfällt und der durch zauber bewirkte Scheintod der
heldin (vgl. Cligrs) dem liebenden schliesslich gelegenheit gibt, sich
jene zu erringen. Nach G. Paris war das Original anglonormannisch
und noch im 12. Jh., unabhängig von Crestien entstanden. Vgl.
II. Andresen, ZrP i3 (1889) 85 f. G. Paris, Melanges s. 328ff
4. Novellen- und Schwankdichtung in Reimpaaren.
Die erzählenden dichtungen kleineren umfangs, teils ernsten
teils heiteren Charakters, welche sich im 12. Jahrhundert neben
dem höfischen roman entwickelt haben, werden im 13. Jahr-
hundert in verschiedener ausdehnung und nicht alle ihrem
ursprünglichen wesen gemäss weitergepflegt. Die Ursache dafür
liegt darin, dass die einzelnen gattungen sich von ihrer grund-
lage, der tradition, entfernen und der rein literarischen Weiter-
bildung zu viel Spielraum gewähren. Am raschesten hat sich
die laidichtung erschöpft, welche nur noch wenige dichtungen
im alten stil aufzuweisen hat und bald einen ganz anderen
inhalt bekommt. Die tierdichtung bringt im anfang des
13. Jahrhunderts wol noch manche branche ursprünglichen
charakters hervor, verzichtet dann aber auch auf die ewig
frische quelle der mündlichen Überlieferung und wird in die
gattnug des satirisch -allegorischen romans übergeführt. Am
reichsten und zugleich seinem ursprünglichen Charakter am
getreuesten hat sich das fablel entfaltet, die hauptmasse der
zu dieser gattung zählenden gedichte gehört in das 13. Jahr-
hundert. Die rahmenerzählung endlich findet nachahmungen
im stile der 'Weisen Meister' und auch eine neuschöpfung im
Schelmenroman.
454 XII. Kapitel. Die Epigoueuliteratur des 13. Jahrhunderts.
Laidiehtung. Die noch den hergebrachten Charakter
eines lai breton tragenden lais von Melion und Doon sind
bereits oben (s. 397 f.) als nachahniungen der Marie de France
charakterisiert worden. Hierzu gesellen sich stoffe fremder
herkunft oder freier erfindung. Das Lai de l'Ombre, von
Jehan Renart, erzählt ohne beigäbe bretonischer demente,
wie ein ritter, von der geliebten dame zurückgewiesen, seinen
ring ihrem Spiegelbild im wasser zuwirft; der Vair Pale fr oi
von Huon le Roi schildert anmutig, wie ein bunter zeiter
zum Stifter eines ehebundes zwischen zwei treu liebenden
wird. So wird der name lai vielfach eine willkürlich von
den dichtem zur empfehlung ihrer dichtung gewählte be-
zeichnung. Lai de Vespervier und Lai d'oiselet behandeln
Schwankstoffe orientalischer herkunft, das Lai d'Aristotc von
Henri d'Andeli wäre seinem inhalt nach eher als fablel zu
bezeichnen (Aristoteles macht Alexander dem Grossen vorwürfe
wegen seiner geliebten Phyllis, lässt sich aber selbst von ihr
dazu verführen, ihr als reitpferd zu dienen). Einige lais werden,
trotz erzählender einkleidung, direkt lehrhaft wie Lai del
trot, Lai d'amour, Lai du courtois, Lai du conseil,
oder satirisch wie das Lai du lecheor.
Ovidiana. Auch weitere bearbeitungen aus Ovids Meta-
morphosen (vgl. oben s. 398) begegnen in diesem Zeitraum.
Mit selbständiger einleitung und moralisch-belehrender tendenz
behandelt Robert von Blois die aventure von Narcissus
in seinem roman Floris et Liriope (so nach den uamen
der eitern), wo wenigstens äusserlich die beziehung zur Artus-
sage hergestellt wird. Die geschichte von Pyramus et
Thisbe (nach Met. IV, 55 ff.) behandelt in engem anschluss
an Ovid Jehan Malka räume (vgl. oben s. 426 f.).
Tierepos (Roman de Renart). Zunächst wird der
alte grundstock der in den handschriften des Roman de
Renart vereinigten brauchen erweitert durch die behandlung
volkstümlicher Überlieferungen (dickgefressener wolf, gefärbter
fuchs, sack mit listen, gemeinsame feldbestelluug der tiere
u. a. m.), vereinzelt auch durch antike fabeln (beuteteilung des
löwen, fuchs und saure trauben); auch sonst wird schriftliche
(lateinische) Überlieferung nicht verschmäht (der fuchs stiehlt
dem wolf Schinken — nach Yscngrimus; priester und wolf in
4. Novellen- und Schwankdichtung in Keimpaaren. 455
der Wolfsgrube — nach einem lat. gedieht des 11. Jahrhunderts;
anderes nach den fabeln aus Romulus). Die älteren brauchen
werden vielfach nachgeahmt, besonders die I. brauche mit dem
hoftag des löwen und der Vorladung des fuchses. Der dichter
der XIV. brauche hat, dem beispiel der chausons de geste
folgend, einen neuen beiden Primaut, bruder Isengrins, erfunden
und um diesen eine anzahl von geschichten volkstümlichen
gepräges gruppiert. Ein reiner fablelstoff liegt der erzählung
der XXI. brauche zu gründe. Am derbsten werden die dichter
da, wo sie sich am weitesten von der tradition entfernen und
der freien ertindung die zügel schiessen lassen wie in der
branche XXII (Zusammensetzung eines con aus stücken ver-
schiedener tiere) und XVII {Procession de Benart, die be-
erdigung des fuchses, welche Philipp der Schöne um 1300 in
Paris öffentlich zur darstellung bringen Hess und die ehedem
auch als Skulptur am Strassburger münster vorhanden war).
Nach ihrem poetischen wert, nach auffassung des tiercharakters,
nach Originalität und herkunft sind auch diese jüngeren brauchen
unter sich sehr verschieden.
Fortgesetzt wird die tierdicht ang weiterhin durch gedichte,
welche ausserhalb des Roman de Benart stehen und mehr und
mehr die satire auf menschliche zustände betonen. Hier ist
auch Rustebuef mit seinem kurzen, metrisch eigentümlichen
(ähnlich vrieBicheut, oben s.412, gebauten) Benart bestourne
zu nennen. Le Couronnement Benart, in der zweiten hälfte
des Jahrhunderts in Flandern gedichtet, erzählt in 3000 versen,
wie der fuchs Renart Ordensbruder bei den Jakobinern sowie
bei den minoriten wird und endlich durch seine ranke an stelle
Nobles auf den thron kommt. Das gedieht ist eine heftige
satire gegen die orden der bettelmönche, die tiergeschichte
die äussere einkleidung dazu. Noch weiter geht die mit der
satire verbundene anthropomorphisierung der tiere in dem
gegen ende des Jahrhunderts (um 1288) verfassten Benart le
nouvel von Jacquemart Gielee aus Lille. Vor allem wirkt
hier bereits der Rosenroman in den zahlreich auftretenden
allegorien nach: Convoitise, Avance, Envie u. a. treten auf,
Renarts söhn heisst Orgueil usw.
Fable ls. Von den 157 fablels, welche die Sammlung
von Raynaud und Montaiglou enthält, sind weitaus die meisten
456 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratur des 13. Jahrhunderts.
im 13. Jahrhundert entstanden. Wir finden unter den Ver-
fassern solcher fablels verschiedene bekannte dichter der zeit.
So hat Philipe de Beaumanoir das von ihm selbst als conte
bezeichnete fablel La fole largece gedichtet, in welchem ein
fleissiger salzhändler seine frau, die das salz hinter seinem
rücken umsonst hergibt, durch eine passende lection von ihrer
torbeit heilt. Rustebuef hat uns ein halbes dutzend fablels
hinterlassen, darunter das in populären Überlieferungen viel
begegnende Testament de Vasne (ein bischof gestattet die bei-
setzung eines toten esels in geweihter erde, als er von dem
besitzer desselben, einem pfaffen, 20 livres geld erhält, die
ihm der esel vermacht habe) und den Frere Denise (ein
junges mädchen wird von einem franziskanermönch überredet,
als mann in den orden einzutreten und so seinen begierden zu
dienen, aber schliesslich den bänden des unheiligen Gottes-
dieners entrissen); das fablel Du sacristain et de la fame du,
Chevalier ist eher ein mirakel zu nennen, da hier die heilige
Jungfrau zur rettung der beiden im titel genannten Sünder ein
wunder tut; einige andere fablels von Rustebuef sind zwar
sehr witzig, aber auch sehr derb (Le pet du vilain u. a.).
Guillaume le Normand, Verfasser von Le prestre et Alison,
ist nicht mit Guillaume le Clerc de Normaudie identisch,
ebensowenig wie Jehan Bedel, der zahlreiche, z. t. sehr
gesalzene fablels gedichtet hat, mit Jehan Bodel aus Arras.
Erstaunliche phantasie in der erfindung immer neuer Ver-
wicklungen bestätigt der anonyme Verfasser des fablels Dou
prestre comporte, das die Schicksale des leichnams eines
bei seiner buhlin umgekommenen priesters während einer
einzigen nacht erzählt. Die ein verwantes thema behandelnde
geschichte der leichname von drei buckligen erzählt Durand
in seinem Trois Bossus Menestrels. Manche fablels beruhen
auf einem Wortspiel, wie das fablel Du hu ff et, wo huffet
zugleich sitz und ohrfeige bedeutet und ein bauer einem ver-
hassten seneschall einen ihm gereichten huffet (d. h. eine ohr-
feige statt eines sitzes) auf dieselbe weise zurückgibt. Zu
den letzten Vertretern des fablels gehören Baudouin de
Conde* und Jehan de Conde\ vater und söhn, der eine
ende des 13. Jahrhunderts am flandrischen, der andere im
14. Jahrhundert am hennegauischen hof lebend und dichtend.
4. Novellen- und Srhwankdichtung iu Reimpaaren. 457
Neben Jehan ist als zeitgenössischer fableldiehter noch Watri-
qnet de Convin zu nennen.
Im allgemeinen ist der Charakter der fablels der schon
oben (s. 409; gekennzeichnete: teils auf eine blosse Unter-
haltung und erweckuug von heiterkeit berechnete, teils eine
von direkt satirischen absiebten erfüllte dichtung, in beiden
fällen gar oft unter preisgäbe des anstände. Die Stoffe sind
meist traditionell, von den dichtem aus den conics des Volkes
aufgelesen und im einzelnen aasgeschmückt Der poetische wert
ist im allgemeinen gering, aber die altfranzösischen dichtungen
haben eine grosse literarhistorische bedeutung, sei es als quellen
der späteren prosanovellen und schwanke, sei es als älteste
Vertreter der abendländischen bearbeitungen eines weitver-
breiteten Stoffes.
Rahmenerzählungen. Der Roman des Sept sayes de
11 o nie lebt im 13. Jahrhundert in verschiedenen prosa-
bearbeitungeu fort (s. oben s. 417), welche ihrerseits fort-
setzungen nach dem muster der Originaldichtung erhalten, wie
Marques de Borne (name des sohns des weisen Cathon) u.a.
Eine originelle Schöpfung hingegen ist der von Douin de
Lavesne verfasste Trubert, der sich als erster Schelmen-
roman bezeichnen lässt, insofern hier verschiedene streiche und
betrügereien des titelhelden zu einer fortlaufenden geschichte
verbunden werden: Trubert streicht eine ziege bunt an und
verkauft sie teuer, verkleidet sich als Zimmermann, arzt, zuletzt
als braut, um die schlimmsten streiche zu begehen, und kommt
überall glücklich davon.
Zu den Lais vgl. die oben s. 398f. gegebene lit., dazu die
ausgaben von Espcrvicr und Lai d'amour durch G. Paris, Rom. 7
(1888) lff., 406ff., von Oiselet in Legendes s. 225 ff"., sowie die
neuausgaben von Melion durch llorak, ZrP 6 (1882) 94 ff'., Ombre
durch Bödier, Freiburg i. d. Schweiz 1890 (im Index lectionum),
Vair palefroi durch A. Längfors, P. 1912 (Class. fr.), Conseil durch
A. Barth, Erlangen 1911 (Diss. Zürich). Lai d'Aristote Barbazan-
Meon 3, 96 ff., Rayn. et Mont. 5, 243 ff., (Euvres de Henri d'Andeli
p. p. Heroh, P. 1881, s. 1 ff. Vgl. W. Hertz, Arist. i. d. Alexander-
dichtungen des MA., München 1890 (neudruck in Ges. Abb., oben
s. 48). A. Borgeld, Arist. en Phyllis, Groningen 1902.
Ovidiana: vgl. die lit. oben s. 399, dazu A. Duval, Hist. litt.
19, 761 ff. Floris et Liriope hrsg. von W. v. Zingerle, L. 1891
458 XII. Kapitel. Die Epigoneuliteratur des 13. Jahrhunderts.
lAfr. Bibl. 12), von J. Ulrich im II. bd. d. werke Roberts, B. 1891.
Une traduction de Pyr. et Th. en vers fr. du XIII': siecle (Mal-
karaume) p. p. Jean Bonnard, Lausanne 1892.
Tierepos: vgl. ausser der oben 8.407 f. zit. lit. noch Fauriel,
Hist. litt. 22, 889 ff. Benart le bcstourne in Rustebuefs werken,
Couronnement de Renart in Meon, R. d. R. 4, 1 ff, Renart le nouvel
ebenda 4, 125 ff. Genaueres bei Sudre in Petit de Jve. II, 38 ff.
Über den Renart le contrefait des 14. jhs. siehe G. Raynaud, Rom. 37
(1908) 245 ff.
Fablei s: vgl. die lit. oben s. 413. Die hier genannten fablels
siehe in dem Recueil von Montaiglon et Raynaud (ältere drucke
bei Barbazan-Meon), einige ausserdem in den ausgaben d. einzelnen
dichter: Beaumanoir u. Rustebuef s. oben e. 419 f. Die Gedichte
Jehans de Conde, hrsg. von Tobler, Bibl. Lit. Ver. 54, 1860. Dits
et contes de Baudouin de Conde et de son fils Jean de Conde p. p.
Aug. Scheler, 2 bde., Brnxelles 1866. Le fabliau du bnffet p. p.
Alb. Barth, Festschr. z. 49. Phil. -Vers., Basel 1907, s. 147 ff. Vgl.
A. Pillet, Das Fableau von den Trois Bossus Menestrels, Ha. 1901.
Rahmenerzählungen: vgl. oben s. 414f. Le roman de
Marques de Rome, hrsg. von J. Alton, Bibl. Lit. Ver. 187, 1878. —
Trubert, Afr. Schelmenroman des Douin de Lavesne, bgg. von
J. Ulrich, Dresden 1904 (GrL 4). Vgl. L.Jordan, Archiv 113
(1904) 86 ff.
5. Lyrik.
Wie die meisten übrigen gattungen bewegt sich auch die
lyrik in den geleisen des 12. Jahrhunderts. Einige ältere gattungen
sterben allmählich ab, während bisher nur vereinzelt gepflegte
jüngere sich reicher entwickeln. Einen vorübergehenden ver-
such zur Wiederbelebung der chanson d'histoire macht im
anfang des Jahrhunderts Audefroi der Bastard aus Anas (vgl.
oben s. 161). Von anderen gattungen volkstümlichen Ursprungs
finden pastourelle und chancon de la mal mariee im
13. Jahrhundert noch eifrige pflege. Unter den tanzliedern
tritt jetzt besonders das Roondet oder Roondel (Iiondeau)
hervor, das in der regel den zweiteiligen refrain sowol am
anfang wie am schluss der Strophe zeigt und die erste refrain-
zeile auch im inneren der strophe wiederholt. Die oben
(s. 355 f.) genannten musikalischen gattungen, die motets,
5. Lyrik: Allgemeines. Einzelne Dichter. 459
lais und descorts, gehören in der hauptsache in das 13. Jahr-
hundert, namentlich die — für mehrstimmigen gesang be-
rechneten — motets sind in grosser zahl (etwa 500) vorhanden.
Von den höfischen gattungen stehen nach wie vor chanson
und jeu-parti im Vordergrund, daneben wird auch der salut
d'amour in wechselnden formen (s. oben s. 355), u.a. auch
von Philipe de ßeaumanoir, geübt.
Der adel beteiligt sich auch weiterhin in hervorragendem
masse an der lyrischen dichtung, aber nicht mehr ausschliesslich
wie beim aufkommen der höfischen dichtung. Mit Colin Muset
erscheint anfangs des 13. Jahrhunderts ein fahrender spielmauu
unter deu höfischen dichtem, und weiterhin bemächtigt sich in
den Städten das gebildete bürgertum der dichtung, um in den
sogenannten puys x) dichterische wettgesänge mit preiskrönungen
zu veranstalten. Ein hauptort dieser bürgerlichen dichtung
war Arras, dem von lyrischen dichtem nicht nur Jehan Bodel,
Audefroi der bastard und Adam de le Haie, sondern noch
zahlreiche andere, teils adelige, teils bürgerliche dichter —
wie Pierre de Corbie, Pierre Moniot, Gillebert de Berneville,
Adam de Juvenchi, Guillaume le Vinier, Jehan Bretel — ent-
stammen. In diesen puys wird namentlich auch die reli-
giöse lyrik gepflegt, die ihre formen meist dem muster der
profanlyrik entlehnt (Jacques de Cambrai, Guillaume le Vinier,
Moniot u. a., viele lieder anonym).
Als bedeutendster Vertreter der lyrik jener zeit wird von
Zeitgenossen und nach weit neidlos graf Thiebaut IV. von
Champagne (geb. 1201, seit 1234 könig von Navarra, gest.
1253) anerkannt, welcher etwa 80 lieder hinterlassen hat, zum
grösseren teile chansons, ausserdem jeus-partis, politische und
religiöse lieder. Er hat die dame, welcher seine huldigungen
gelten, nicht genannt (Aucuns i a qui me suelent blamer —
Quant je ne di a cui je suis amis, — Mais ja, Dame, ne saura
mon penser — Nus, qui soit nes, fors vous cui je le dis), doch
vermutet man darunter königin Bianca, die mutter Ludwigs
des Heiligen. Er findet manche originelle einkleidung, ver-
') Puys: literarische gesellschaften , vermutlich so genannt nach der
ältesten gesellschaft dieser art, die schon im 12. jh. in Le Puy Notre-Dame
bestand.
460 XII. Kapitel. Die Epigonenliteratnr des 13. Jahrhunderts.
gleicht sich z. b., mit einem den bestiarien entlehnten motiv
(vgl. oben s. 145), dem einhorn (Ainsi com l'nnicorne sui —
Qui s'esbahit cn regardant — Quant la puceMe va mirant) und
bedient sich schon in ausgedehntem masse der allegorie. Er
verfügt über wahre empfindung und die form weiss er sehr
mannigfaltig zu variieren. Die Grandes Chroniques de France
berichten von ihm, er habe seine lieder im palast zu Provins
und zu Troyes aufschreiben lassen.
Neben ihm ist aus der ersten hälfte des Jahrhunderts noch
erwähnenswert Colin Muset, von dem wir nur ein dutzend
lieder (nach Bediers neuer ausgäbe fünfzehn) kennen, der aber
auch in diesen wenigen liedern sehr vielseitig erscheint (minne-
lied, reverdie, tenzone, descort und gedichte persönlichen inhalts)
und auch den herkömmlichen gemeinplätzen eine originelle
färbung zu geben weiss. Chardon, in den handschriften teils
Chardon de Croisilles, teils Chardon de Rains genannt, hat mit
verschiedenen dichtem drei tenzonen (darunter eine auf pro-
venzalisch) gewechselt und vier minnelieder hinterlassen, die
an die roinete Marguerite, die gattin könig Thibauts IV., ge-
richtet sind und einen kleinen roman bilden, der mit einem
letzten grusse, auf oder nach Thibauts kreuzzug (1239 — 40)
gedichtet, schliesst. Ein vom Schema des traditionellen kreuz-
liedes erheblich abweichendes stück ist das sichtlich unter
dem frischen eindruck des ereignisses entstandene lied von
der kreuznahme Ludwigs IX. 1244, die hier mit allerlei
auch bei den Chronisten der zeit mitgeteilten einzelheiten in
dramatisch bewegter form erzählt wird.
In der mitte des Jahrhunderts sind etwa Robert von Blois
und Rustebuef hervorzuheben, von denen der letzte zweifellos
der begabtere ist und vor allem durch das konkrete, persön-
liche moment in seinen dichtungen wirkt — etwa dem Clement
Marot des 16. Jahrhunderts vergleichbar — und seine satirische
kraft auch in kreuzzugsliedern betätigt. In der zweiten hälfte
des Jahrhunderts ragt vor allem Adam de le Haie hervor,
vielleicht nicht so sehr als dichter wie als komponist von
chansons, motetten, rondeaux, auch etliche tenzonen hat er
gewechselt (mit Jehan Bretel u. a.). Er war mit Robert von
Artois bei Karl von Anjou in Italien und ist dort, in Neapel,
1286 oder 1287 gestorben.
5. Lyrik: Eiuzelne Dichter. -t L> 1
Vgl. bzgl. der allgemeinen Sammlungen und abhaudlungen
oben s. 356 f., dazu: J. Bedier, Un feuillet d'un chansonnier fr. du
X11I' 'siele, Uelanges Wilmottes s. 895ff. Edw. Jaebnstroem, Ilecueil
de chansons pieuses du XIIIe siecle, Helsingfors 1910 (Annales
Ac. Sc. Fennicae B III, 1). A. Gaesnon, La Batire litt, ä Anas au
XIII ü siecle, P. 1900 (auch Moyen Age 1899—1900); Publications
nouvelles sur les trouveres artesiens, Moyen Age 13 (März- Apr. 1909).
Über die (erst im 14. Jahrhundert auftretende) ball ade siehe
Frederic Davidson Ü. d. Ursprung u. d. Gesch. d. franz. Ballade,
Diss. Leipz., Ha. 1900. — Einzelausgaben: Bzgl. Audefroi s. oben
s. 161, bzgl. Beaumanoir, Robert von Blois und Rustebuef s. oben
s. 419 f. Thibaut von Champagne: editio princeps von La
Ravaliere, 1742. Chansons de Thibault IV, p. p. Tarbe, Reims
1851. Mnset: J. Bedier, De Nicoiao Mnseto, P. 1893 (These);
Les chansons de CM. (Class.fr.), P. 1912. Chardon: H. Suchier,
Der Minnesänger Ch., ZrP 31 (1907) 129ff. Kreuzlied von 1244:
hgg. von W. Meyer u. A. Stimming, Nachr. d. K. Ges. d. Wies, zu
Göttingen, Pb.il.-b.ist, Kl. 1907, 244 ff.; von H. Suchier, ZrP 32 (1908)
73ff. Adam de le Haie (pik. für de la H.)\ Canchons et partures,
hrsg. v. K. Berger, Ha. 1900 (Rom. Bibl. 17). — Ausserdem sind
noch in spezialausgaben behandelt: Roger d'Andeli p. p. Heron,
Ronen 1883. Gillebert de Berneville, v. H. Waitz, Gröberband
s. 39 ff., dazu ZrP 24 (1900) 310 ff. Andrieu Contredit d'Arras,
von R. Schmidt, Diss. Halle 1903. Richard de Fournival, von
P. Zarifopol, Diss. Ha. 1904. Jehan de Neuville, von Max Richter,
Diss. Ha. 1904. Perrin d'Angicourt, v. R. Steffens (Rom. Bibl. 18),
Ha. 1905. Jehan de Renti und Oede de la Couvoirie (letztes
drittel des 13. jhs.): J. Spanke, Zwei afr. Minnesinger. Die Gedichte
J.'s d. R. u. O.'s d. 1. C, Diss. Str. 1907. Vgl. auch Wilh. Mann, Die
Lieder des Dichters Robert de Rains gen. La chievre (Diss. Ha.
1898), der mit dem Tristandichter Li Kievre (s. oben s. 365) als
einer und derselbe betrachtet und noch ins 12. Jahrhundert gesetzt wird.
Dreizehntes Kapitel.
Neue Kunstformen im 13. Jahrhundert.
Während die grosse masse der Literatur des 13. Jahrhunderts
lediglich als fortsetzung und nachahmung der älteren literatur
erscheint, finden sich daneben doch auch neubildungen, die
wir zwar nicht alle als literarische fortschritte anzusehen ver-
mögen, die aber ihrer zeit sämtlich ihre weittragende bedeutung
für die weitere entwicklung gehabt haben und darum gesonderte
betrachtung verlangen: die entwicklung der kunstprosa und
ihr eindringen in die alten versgattungen , die ausbildung der
allegorie als besondere dichtgattung (in Zusammenhang mit
didaxis und satire) und das plötzliche hervortreten des profan-
dramas. Die keime der neuen kunstformen lassen sich teil-
weise — wie bei der allegorie — schon in der älteren literatur
nachweisen, zum andern teil — wie gerade beim drama — ist
der eigentliche entwicklungsprozess unseren äugen verborgen.
1. Die Prosaliteratur.
Dass sich die kunstprosa erst nach der versdichtung zu
entwickeln pflegt, ist schon in der einleitung (s. oben s. 28 f.)
bemerkt worden. In älterer zeit findet die prosa in der
literatur ihre Verwendung im wesentlichen nur zu praktischen
zwecken, so in den Strassburger Eiden, in der Jonashomilie
1. Die Prosaliteratur. 463
(wie in späteren predigten) und in den für den gebrauch von
geistlichen berechneten psalterübersetzungen und ähnlichen be-
arheittrogea biblischer Stoffe. Diese tätigkeit wird auch im
13. Jahrhundert fortgesetzt, wie die prosabearbeitungeu der
Apokalypse und anderer biblischer stücke (s. 427) lehren, aber
schon mit den heiligenlegenden (wie mit dem oben s. 123 er-
wähnten Prosabrandan) greift die prosa jetzt über das alte
gebiet hinaus und mit prosaübersetzungen des lat. Pseudoturpin
sogar in das gebiet der profanliteratur hinüber. Es ist viel-
leicht kein zufall, dass Pierre von Beauvais im anfang des
Jahrhunderts uns zugleich als prosabearbeiter legendarischer
wie geschichtüchepischer Stoffe (Hl. Jacob — Pseudoturpin, lat.
Kailsreise etc.) entgegentritt. Aber auch die lat. Chroniken,
heiligenleben und moraltraktate selbst boten ihren franz. be-
aibeitern das beispiel der literaturprosa, und schliesslich machte
sich, namentlich bei geschichtlichen Stoffen, von selbst die er-
kenntnis geltend, dass exakte darstellnng durch vers und reim
nur behindert würde. So sagt der Verfasser einer verloren ge-
gangenen prosachronik über Philipp August in seinem gereimten
prolog, der zufällig erhalten geblieben ist (s. Korn. 6, 494 ff.) :
Issi vos an fere le conte Por niielz dire la verite
Non pas riine, qui an droit Et por tretier sans fausete;
conto, Quar anviz puet estre riniee
Si con li livres Lancelot Estoire ou n'ait ajostee
Oa il n'a de riine im seul niot, Manconge por fere la rime.
Aus ähnlichen gründen wählt auch Pierre von Beauvais
für seinen Turpin die prosa (ZrP 1,262): Nus contes rimes
riest verais, tot est menssongie qo qiCil en dient, quar il non
sevient fors par o'ir dire. Neben der geschichtsschreibung in
prosa erscheint aber auch schon früh der prosaroman, wie u. a.
oben der hinweis auf Lancelot lehrt. Die frühe (schon seit
anfang des Jahrhunderts) und reichliche Verwendung der prosa
im Artusroman ist um so auffälliger, als die verwantschaft
der nationalen heldenepen mit der geschichte viel klarer zu
tage lag als dort, gerade hier aber die prosa frühestens am
ende des 13. Jahrhunderts einsetzt. Dem beispiel des Artus-
romans folgt auch bald die episodische liebeserzählung, di&
novelle.
461 XIII. Kapitel. Neue Kunatfonueu im 13. Jahrhundert
A. Geschichtliche Darstellung.
Wenn man gesagt hat. dasa die kreuzzüge die geschicht-
schreibung in der vulgärsprache hervorgerufen haben, so tritt
uns nach den zu epen und romanen gewordenen kreuzzugs-
dichtungen des vorigen Zeitraums gleich zu anfang des Jahr-
hunderts ein hervorragender chronist des vierten kreuzzugs
entgegen, dem alsbald eine reihe anderer prosachronisten
folgen.
Geoffroi de Villehardouin (geb. zw. 1150 und 1164,
seit 1191 'mar^chal de Champagne', gest. 1212 oder bald
darnach) hat selbst tätigen und hervorragenden anteil am
vierten kreuzzug genommen , wenn auch mehr als beredter
diplomat und berater, denn als führer auf dem Schlachtfeld,
obwohl er auch hier gelegenheit hatte sich bei dem unglück-
lichen kämpf des kaisers Baudouin gegen die Bulgaren (1204)
durch einen wohlgeordneten rückzug auszuzeichnen. Er erhielt
in dem lateinischen kaisertum die würde eines 'mardchal de
Komaine' sowie die Stadt Mosynopolis als herrschaft, hat dort
im fremden land seine Conqueste de Constantinople ver-
fasst und ist dort gestorben, ehe er sie ganz vollenden konnte.
Er erzählt die Vorgänge, denen er grösstenteils selbst angewohnt,
anschaulich und klar, unter hervorhebung des wesentlichen,
ohne sich bei einzelschilderungen aufzuhalten. Als historiker
ist er nicht ganz unparteiisch, aber sein verdienst bleibt un-
bestritten: reimchrouik und Übersetzung lateinischer geschichts-
werke durch originale, in der form unbehinderte darstellung
zeitgenössischer ereignisse ersetzt zu haben. — Vom be-
scheideneren Standpunkt des einfachen ritters aus hat der
Pikarde Robert de Clari nach seiner rückkehr (nach 1220)
denselben kreuzzug beschrieben, unter beifügung mancher die
grosse darstellung Villehardouins ergänzenden einzelbilder.
Schliesslich hat Henri de Valenciennes mit der geschichte
kaiser Heinrichs von Konstantinopel eine auch in prosa ver-
fasste, aber mehr im epischen stile einer chanson de geste
gehaltene fortsetzung zu Villehardouins werk geliefert.
Jehan de Joinville (1224—1317), 'sönechal de Cham-
pagne', hat Ludwig IX. den Heiligen auf dem sechsten kreuz-
zug (1248 — 1254) begleitet und seine erinnerungeu — z. t. wohl
1. Die Prosaliteratur: Geschichtliche Darstellung. 4G5
mit benutzung schriftlicher notizen — nach Ludwigs tod nieder-
schreiben lassen. Auf bitten der königin Johanna (gattin Philipps
des Schönen) verfasste er im hohen alter (etwa 1304—1309)
ein buch Des saintes paroles et des bons faits de saint
Louis, dessen hauptstlick eben die geschiente des sechsten
kreuzzuges bildet, eingeleitet durch die Samtes Paroles und
die kurze erzählung von Ludwigs früheren erlebnissen und be-
schlossen mit Ludwigs letzten jähren. Für die später zu-
gefügten teile hat er auch schriftliche quellen (chrouiken von
St. Denis u. a.) benutzt. Als erzähler historischer ereignisse ist
er objektiver als Villehardouin , aber als Schriftsteller steht
er hinter ihm zurück. Er lässt Ordnung und Zusammenhang
in der erzählung vermissen, bringt unnütze Wiederholungen,
macht zahlreiche abschweifungen mit allerlei episoden und
anekdoten, kurz sein buch ist wie Langlois sagt, 'plutöt une
causerie qu'un livre', ein memoirenwerk, das als solches ge-
lesen und gewürdigt sein will.
Von den kreuzzügen gehen auch die sog. Recits d'un
menestrel de Reims (um 1260) aus, die freilich mehr Unter-
haltung als wissenschaftliche belehrung bezwecken, aber gerade
durch ihren bunten inhalt, ihre berücksichtigung populärer
Überlieferungen, anekdoten, sagen usw. wert haben (so wird
hier z. b. die sage von der befreiung Richards Löwenherz durch
Blondel berichtet).
Neben der darstellung zeitgenössischer ereignisse blüht
auch die geschichtsschreibung vergangener perioden, zunächst
die der römischen, sodann die der französischen geschichte,
beide im anschluss an die vorliegenden lateinischen quellen.
Auf Cäsar, Sallust, Lucan, Sueton beruht das Faits des
Romains, auch Livre de Cesar betitelte geschichtswerk. Als
geschichte Frankreichs gedacht, aber nur von der Schöpfung
bis zur eroberung Galliens durch Cäsar ausgeführt ist die
zwischen 1223 und 1230 entstandene Histoire ancienne
jusqu'ä Cesar (oder Livres des histoires). Auch die llystoire
de Jules Cesar von Jehan de Tuim (s. oben s. 441) ist hier
zu nennen. Die französische geschichte wird, abgesehen von
den Turpinübersetzungen, zuerst vertreten durch den sogenannten
Anonymus von B^thune, welcher die Histoire des ducs
de Normandie et des rois d'Angleterre und vermutlich
Voretzaoh, Studium d. &(r/.. Literatur. S.Auflage. 30
46G XIII. Kapitel. Neue Kuusttbruien im 13. Jahrhundert.
auch eine — neuerdings aufgefundene — bis 1217 reichende
Histoire des rois de France geschrieben hat. Die diesem
werk zugrunde liegende lat. Historia regum Francorum wurde
um 1260 durch einen menestrel im dienste des grafen Alfons
von Poitiers ein zweites mal ins französische übersetzt. Weiter-
hin sind vor allem die auf den oft genannten lat. Chroniken
von St. Denis beruhenden, von verschiedenen bearbeiten] her-
rührenden Grandes chroniques de Saint Denis hervor-
zuheben. Weniger geschichtliches als linguistisches und literar-
historisches interesse (z. b. für Berte au gran pi£) bietet die
von Bourdillon 1897 unter dem titel Tote Vistoire de France
herausgegebene, um 1225 verfasste Chronique saintongeaise.
Vgl. im allgemeinen Le Clerc, Hist. litt. 21, 656 ff. : Delisle
ebenda 32, 282 ff.; G. Paris, Litt. § 85 — 98; Ch.-V. Langlois in
Petit de Jve. II, 271 ff. — Zur chronik über Philipp August siehe
P. Meyer, Rom. 6, 494 ff. Turpin hgg. von Auracher, ZrP 1, 259 ff.
— Extraits des chroniqueurs fr. Villehardouin, Joinville, Froissart,
Commines p. p. G. Paris et A. Jeanroy, P. 51902 (ähnl. ausg. s. bei
Langlois s. 334). — Villehardouin, Conq. de Const. p. p. Natalis de
Wailly, P. 1874 (darin auch Henri de Valenciennes). Vgl. Kressner,
Archiv 57, 1 ff. — Robert de Clari p. p. Hopf, Chroniques greco-
romanes, B. 1873 (vgl. ZrP 3, 96 ff. u. Rom. 8, 462). — Joinville,
Vie de St. Louis p. p. N. de Wailly, P. 1875, nouv. ed. 1906. Vgl.
Delaborde, Rev. d. deux Ms. 1892, 1er deo. — Vgl. zur kreuzzugslit.
auch die Übersetzung Wilhelms von Tyrus und Ernouls Chronik
oben s. 260. — Recits d'un menestrel de R. p. p. N. de Wailly,
P. 1877. — Über die Römergeschichten s. P. Meyer, Rom. 14, 1 ff.
Constans, Benoit, Roman de Troie VI. 264 ff. Joh. Loesche, Die
Abfassung der Faits des Romains, Diss. Halle 1907. — Auch die
Bmts (s. oben 8. 261 f.) begegnen jetzt in prosa, vgl. Stengel, ZrP 10
(1886) 278 ff. — Histoire des ducs de Norm. p. p. F. Michel, P. 1840
(Soc. d'hist. d. France). Der Anonymus von Bethune hgg. von
Delisle, Recueil des historiens des Gaules, bd. XXIV, P. 1905.
B. Sonstige wissenschaftliche Prosa.
Wie in der geschichte dringt die vulgärprosa im laufe des
13. Jahrhunderts allmählich auch in andere Wissenschaftsgebiete
ein, die bisher nur in lateinischer spräche, allenfalls in fran-
zösischer versdichtung, behandelt worden waren. So fanden
wir von enzyklopädischen werken bereits oben (s. 431) neben
der versdichtung Gautiers von Metz den Tresor Brunetto Latinis
1. Die Proaaliteratur: .Sonstige wissenschaftliche Prosa. 1<>7
in prosa, dazu kommen zwei in form von frage und antwort ab-
gefasste werke über theologische, naturwissenschaftliche und ver-
wante gegenstände: das etwa um die mitte des Jahrhunderts ent-
standene Li vre Sidrac und die Philipp dem Schönen (1285 —
1314) gewidmeten Secrez auac philo sophes, auch DiaJoyue
entre Piaeides etTimeo genannt. Im wesentlichen moralisierenden
inhalts sind Schriften wie der Miroir du monde, auch als
Somme de vices et des vertus oder, weil auf veranlassung könig
Philipps III. 1279 entstanden, kurz als Somme du roi bezeichnet.
Auch die Übersetzung der Historia scholastica, einer von Petrus
Comestor verfassten, mit kommentar versehenen Bibelbearbeitung,
durch Guiart des Moulius (1291 — 1294) in franz. prosa ist
hier zu nennen (Bible historial). In das naturwissenschaftliche
gebiet lässt sich die prosabearbeitung eines Bestiaire durch
Pierre de Beauvais sowie ein aus mehreren verslapidarien
zusammengearbeiteter prosalapidar rechnen. Die erste grössere
reisebeschreibung — wenn wir von Schilderungen der 'peleri-
nages' absehen — bietet der Venezianer Marco Polo, welcher
sich 25 jähre (1271 — 1295) auf reisen nach dem Orient und im
inneren Asien befunden und, 1298 von den Genuesen gefangen
genommen, seinem rnitgefangenen Rusticiano von Pisa seine
erlebnisse diktiert hat. Auch die rechtswissenschaft macht
jetzt gebrauch von der vulgärsprache (bemerke jedoch schon
im 12. Jahrhundert die Gesetze Wilhelms des Eroberers, oben
s. 28) und geht von Übersetzungen des Corpus juris u. ä. werken
bald zu originalwerken über, wie sie in den oben (s. 419) er-
wähnten Coutumes du Beauvaisis von Beaumanoir, in
den Assises de Jerusalem vorliegen, wTährend andere ge-
biete — wie die kriegskunst — sich vorläufig noch mit Über-
setzungen lateinischer werke wie des Vegetius De re militari
— behelfen. Im übrigen treten die meisten der hier genannten
literaturgattungen durch den Übergang zur prosa und die im
Zusammenhang damit sich mehr und mehr vollziehende Ver-
stärkung des rein wissenschaftlichen elements allmählich aus
dem rahmen der schönen literatur heraus und in das gebiet
der Wissenschaft über.
Vgl. G. Paris Litt. § 99 ff., Suchier s. 219 ff., 228 ff, Gröber
s. 717 ff, 981 ff, und die von Paris und Gröber angeführte lit., dazu
L. Jordan, Ein afr. Prosalapidar, RF 16 (1904) 311 ff.
30*
■ttiS XIII. Kapitel. Nene Knnstfonnen im 13. Jahrhundert.
C. Prosaromane und Prosanovellen.
Der wunsch, den romanen den sehein grösserer echtheit,
das ansehen von geschichtswerken zu verleihen, mag die
nächste veranlassung für die ersetzung des verses durch die
prosa gegeben haben. Soweit es sich hier um die bearbeitung
einzelner versromane handelt, schliessen sich die prosatexte
meist ziemlich genau an die Originalerzählungen an, vielfach
kürzend, im einzelnen lücken oder fehlende motivierungen
ergänzend, im ganzen ohne selbständigen dichterischen wert.
So sind fast alle romane Crestiens in prosa umgearbeitet worden,
Erec, Lancelot, Cliges, Perceval, auch Ivain (verloren), ebenso
andere romane, wie der Gralroman Roberts von Borron, wie
die antiken romane von Theben, Eneas, Troja, wie der Roman
des Sept Sages de Rome (siehe die bibliographischen notizen
zu den einzelnen romanen). Neben die einzelbearbeitungen
treten aber schon früh die kompilationen, bei welchen der
bearbeiter zur Verbindung der einzelnen teile manches hinzu
erfindet oder aus fremden quellen entlehnt. Es gesellen sich
dazu weiterhin selbständige fortsetzungen zu schon vorhandenen
prosaromanen, oder nachdichtungen wie bei den versromanen.
So entstehen hier, namentlich auf dem gebiet des Artusromans,
eine reihe zyklischer prosadichtungen, die meist einen statt-
lichen umfang erreichen und ein charakteristisches dement
der zeitlitteratur darstellen. Ein grosser teil derselben hat die
gralsage zum ausgangspunkt. Als älteste unter ihnen erscheint
die prosaauflösung von Roberts von Borron Gralroman
nebst einem darangefügten Prosa -Perceval (der sog. „kleine
Gral"), als umfangreichste der in den verschiedenen redaktionen
bald dem Robert von Borron, bald dem Walter Map zu-
geschriebene Gral-Lancelotzyklus (vgl. oben s. 373), in
welchem Lancelots geschichte mit der gralsage verbunden und
zum schluss der tod Arturs (Mort Ar tu) erzählt wird (der
sog. „grosse Gral"). Einen teil dieses zyklus bildet die Queste
Saint Graal, in welcher Lancelots söhn Galaad zum gral-
sucher und gralfinder gemacht wird. Ein weiterer gralroman
in prosa ist endlich noch der Perlesvaus. Eine fortlaufende
geschichte Arturs sucht der Verfasser des Livre d'Artus zu
geben, das u. a. die neuerdings von Freymond untersuchte sage
1. Die Prosaliterator: l'rosaroiuaue und Prosanovelleu. 4C9
von Arturs kämpf mit dem katzenungetüm Chapalu enthält.
Die weit ausgesponnene geschiente Tristans wird in dem schon
früher (s. oben s. 370) erwähnten Prosaroman von Tristan
behandelt, an den sich in verschiedenen handschriften der
"Roman de Palamedcs schliesst. Endlich hat der schon
oben im Zusammenhang mit Marco Polo genannte Kusticiano
von Pisa, der längere zeit in Frankreich geweilt hatte, in
dem nach Tristaus angeblichem vater genannten Livre du roy
Meliadus eine kompilation gegeben, in welcher nicht nur
Meliadus und Tristan, sondern auch Artus, Perceval und andere
beiden begegnen. Eine ähnliche kompilation ist auch der
roman von Guiron le courtois.
Die beziehungen dieser verschiedenen romane zu einander
sowie ihre quellen sind z. t. noch nicht genügend aufgeklärt,
und eine reihe von dementen namentlich der älteren prosa-
romane linden in den entsprechenden versromanen überhaupt
keine grundlage, so dass Foerster, wenigstens für die Prosa-
Artusromane im eigentlichen sinn, au herkunft aus der münd-
lichen Überlieferung denkt: „Die Prosaromane sind der Nieder-
schlag der mündlichen durch die armorikanischen Rhapsoden
populär gewordenen Stoffe." Das ist freilich für die zeit der
prosaromane, nachdem die Verfasser der versromane längst
aufgehört hatten die mündliche tradition zu befragen, nicht
mehr recht wahrscheinlich, eher wird man an entlehnungen
aus Galfred von Moumouth und ähnlichen quellen denken
dürfen, das übrige boten teils die alten versromane, teils die
kombinationslust der romanschreiber selbst. Für diesen oder
jenen prosaroman darf man aber auch direkt einen verlorenen
versroman als quelle annehmen, wie für den Chevalier au
papeyau, in welchem Artus als held einer ganz und gar
nach dem muster der versromane komponierten, mit elementen
Crestienscher romane ausgeschmückten erzählung erscheint,
die zudem ihren nächsten verwanten in dem nach französischer
quelle gedichteten mhd. Wigalois findet und mancherlei be-
ziehungen zum Beaus Desconeüs (s. oben s. 375) zeigt.
Prosa novellen. Weniger sicher oder weniger wahr-
scheinlich ist die annähme eines verlorenen versromans bei
einigen anderen prosaerzählungen des 13. Jahrhunderts, welche
von geringerem umfang sind, die liebe eines paares in den
470 XIII. Kapitel. Neue Kunstformen im 1H. Jahrhundert.
mittelpunkt stellen und daher gewöhnlich als prosanovellen
bezeichnet werden. Eine art Übergang von der versdichtnng
zur prosa bildet hier die Chantc- fable von Ancassin et
Nicolete, von einem unbekannten, aber sehr begabten Ver-
fasser in pikardischer (hennegauischer) mundart. abwechselnd
in vers- und prosastücken gedichtet. Doch zeigt die metrische
form der versstücke — nicht reimpaare, sondern assonierende,
aus siebensilbnern bestehende laissen mit schliessendem (vier-
silbigem) kurzvers — dass hier an eine unmittelbare ableitung
aus dem höfischen versroman nicht zu denken ist, vielmehr
scheint auf die wähl der tiradenform das Vorbild des inhalts-
verwanten Jouräain de JBlaivies (s. oben s. 246 f.) eingewirkt
zu haben, und die mischung von vers und prosa bleibt vor-
läufig die originelle erfindung unseres dichters. Die fabel der
erzählung, die in mancher beziehung eher an den Jouräain
(und den Apollonius von Tyrus) als an Floire et Blanche flor
(s. oben s. 381 f.) erinnert, kann er in irgend einer mündlichen
Überlieferung gefunden haben. Aucassin ist söhn des grafen
von Beaucaire, Nicolete eine arme gefangene (die sich zum
schluss als tochter des königs von Karthago enthüllt): die
treue liebe des paares, ihre gemeinsame flacht, ihre trennung
durch Seeräuber und ihre abenteuerlichen Schicksale bis zu
ihrer Wiedervereinigung, welche die als spielmann verkleidete
Nicolete herbeiführt, bilden den inhalt des ganzen. Der
dichter erzielt seine Wirkung durch die klare, an die Vorgänge
sich haltende durchführ uug des themas, durch die ungekünstelte,
allem spintisieren abholde, objektive art der darstellung, durch
einen gesunden realismus, welcher dem idealen thema in keiner
weise widerstreitet, es vielmehr um so wirkungsvoller zur
geltung bringt. Die dichtung gehört in das erste oder zweite
Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, ist aber wohl jünger als der
Jouräain de Blaivies.
Jünger, vermutlich erst dem ende des Jahrhunderts gehörig
sind die reinen prosanovellen. Die Comtesse äe Ponthicu
(oder Istoire ä'outre mer) erzählt einen liebesroman zwischen
ehegatten mit Verwendung einzelner motive aus versromanen,
aber ohne dass man mit bestimmtheit einen verlorenen vers-
roman als vorläge der prosanovelle bezeichnen könnte. Auf
einer pilgerfahrt nach San Jago di Compostella fällt die heldin
1. Die Prosaliteratur: Textprobe. 471
in die bände von räubern (vgl. Floire et Blancheflor). wird
entehrt, daher von vater und gatten in einer tonne auf das
meer ausgesetzt, kommt in die bände von kaufleuten und
durch sie zum sultan von Aumarie (wodurch sie die gross-
mutter Saladins wird) und findet später gelegenheit, vater
und gatten aus der gefangenschaft zu befreien und mit ihnen
heimzukehren. Die vom Verfasser als conte bezeichnete novelle
Le Boi Floire et la belle Jehanne behandelt in selb-
ständiger darstellung das aus Comte de Poitiers und verwanten
erzählungen (s. oben s. 386 f.) bekannte motiv von der wette.
Von den beiden anderen in Molands Sammlung aufgenommenen
novellen behandelt Li Amities de Ami et Amilc die be-
kannte freundsehaftssage (s. oben s. 245) in stark gekürzter
form (vielleicht auf gruud der lat. Vita), während der conte
vom Boi Constant VEmpereour eine direkte prosaauflösung
des oben erwähnten dit (s. 425) ist.
D. Textprobe.
Als beispiel altfranzösischer literaturprosa und zugleich
der eigenart des Aucassindichters folgt hier der abschnitt,
welcher Nicoletens flucht und ihren abschied von Aucassin
erzählt.1)
12. Or dient et content et fabloient.
Ancassins fu mis en prison, si com vos aves oi et entendu,
et Nicolete fu d'autre part en le canbre. Ce fu el tans d'este el
mois de mai, que li jor sont caut, lonc et cler et les miis coies
et series. Nicolete jnt une nuit en son lit si vit la lune luire
cler par une fenestre et si oi le lorseilnol canter en garding, se
li sovint d' Aucassin sen ami qn'ele tant amoit. Ele se commenca a
porpenser del conte Gavin de Biaucaire qui de mort le haoit, si
se pensa qu'ele ne remanroit plus ilec; que, s'ele estoit acusee, et
li quens Garins le savoit, il le feroit de male mort morir. Ele
senti que li vielle dormoit, qui aveuc li estoit. Ele se leva si
vesti un bli'aut de drap de soie, que ele avoit mout bon, si prist
x) Die Mundart ist pikardisch, daher ca = k, c« «' = ts (c), remanroit
= remandroit, arai = aurai, art. fem. le (noni. auch li) = la nsw. Vgl.
oben s. 351. Auslautendes -x wie öfter = us zu lesen; longe = longue
etc.; vielle = xneille, oeul = oeuil. Gores zu go'ir (franz. jo'ir <^ gaudere).
472 XIII. Kapitel. Neue Kunstformen im 13. Jahrhundert.
dras de lit et touailes si noua Tun a l'autre si fist une corde si
longe come ele pot, si le noua au piler de le fenestre si s'avala
contreval el gardin, et prist se vesture a l'une main devant et a
l'autre deriere si s'escorca por le rousee qu'ele vit grande sor l'erbe
si s'en ala aval le gardin.
Ele avoit les caviaus blons et menus recerceles et les ei vairs
et rians et la face traiti6e et le nes haut et bien assis et les le-
vretes vremelletes, plus que n'est cerise ne rose el tans d'este, et
les dens blans et menus, et avoit les mameletes dures, qui li sous-
levoient sa vesteüre, anssi con ce fuissent deus nois gauges, et
estoit graille par mi les flans qu'en vos dex mains le peüscies
enclorre, et les flors des margerite8 qu'ele ronpoit as ortex de ses
pie's, qui li gissoient sor le menuisse du pie par deseure, estoient
droites noires avers ses pies et ses ganbes, tant par estoit blance
la mescinete.
Ele vint au postic si le deffrema, si s'en iscj par mi les rues
de Biaucaire par devers l'onbre, car la lune luisoit mout clere,
et erra tant qu'ele vint a le tor u ses amis estoit. Li tors estoit
faelee de lius en lius, et ele se quatist deles Fun des pilers si
s'estraint en son mantel, si mist sen cief par mi une creveüre de
la tor qui vielle estoit et anöiienne, si o'i Aucassin qui la dedens
plouroit et faisoit mot grant dol et regretoit se douce amie que
tant amoit. Et quant ele Tot asses escoute, si comenca a dire.
13. Or se cante.
Nicolete o le vis cler
S'apoia a un piler
S'o'i Aucassin plonrer
Et .s'amie regreter.
Or parla, dist son penser:
„Aucassins, gentix et ber,
Frans damoisiax honore9,
Que vos vaut li dementers,
Et trestos vos parentes.
Por vous passerai 1c mer
S'irai en autre regne."
De ses caviax a caupes,
La dedens les a rües.
Aucassins les prist li ber
Si les a mout honeres
Et baisids et acoles.
Li plaindres ne li plourers, En sen sain les a boutes
Quant ja de moi ne goreV? Si recomence a plorer,
Car vostre peres me het Tout por s'amie.
14. Or dient et content et fabloient.
Quant Aucassins o'i dire Nicolete qu'ele s'en voloit aler en
autre pai's, en lui n'ot que courecier.
„Bele douce amie" fait il „vos n'en ires mie, car dont m'ariies
vos mort. Et li premiers qui vos verroit ne qui vous porroit, il
vos prenderoit lues et vos meteroit a son lit si vos asoignenteroit.
Et puis que vos ariies jut en lit a Lome s'el mien non, or ne qui-
I. Die Prosaliteratur: Textprobe. 473
dies niie que j'atendisse tant que je trovasso coutel dont je me
peüscc ferir el euer et ocirre. Naie voir, tant n'atenderoie je mie,
aius m'esquelderoie de si lonc, que je verroie une maisiere u
une bisse pierre, s'i hurteroie ei durement me teste, que j'en feroie
les ex voler, et que je m'es6erveleroie tos. Encor ameroie je mix
a inorir de si faite mort, que je 6eüsce que vos eüsries jut en lit
a home s'el mien non."
„Ai!" fait ele „je ne quit mie que vons m'ame's tant con vos
dites, mais je vos aim plus, que vos ne facies mi."
„Avoi!" fait Aucassins „bele dou6e amie, ce ne porroit estre
que vos m'amissies tant que je fa6 vos. Fenme ne puet tant amer
Tonme, con li hom fait le fenme. Car li amors de la fenme est
en son l'oeul et en son le teteron de sa mamele et en son l'orteil
del pie, mais li amors de l'onme est ens el euer plantee, dont ele
ne puet isgir.
La u Aucassins et Nicolete parloient ensanble, et les escar-
gaites de la vile venoient tote une rue s'avoient les espees traites
desos les capes. Car li quens Garins lor avoit comande que, se
il le pooient prendre, qu'il l'ocesissent. Et li gaite qui estoit sor
le tor les vit venir et o'i qu'il aloient de Nicolete parlant, et qu'il
le maneeoient a ocirre.
„Dix!" fait il „con grans damages de si bele mescinete, s'il
l'ocient! Et mout seroit grans aumosne, se je li pooie dire, par quoi
il ne s'aperceüscent, et qu'ele s'en gardast. Car s'il l'ocient, dont
iert Aucassins mes damoisiax mors, dont grans damages ert. ')
15. Or se cante.
Li gaite fu mout vaillans, Parle as a ton amant,
Preus et cortois et sacans. Qui por toi se va morant.
II a comencie un cant j Jel te di, et tu l'entens!
Ki biax fu et avenans: Garde toi des souduians
„Mescinete o le euer franc, Ki par ci te vont querant
Cors as gent et avenant,
Le poil blont et reluisant,
Vairs les ex, eiere riant.
Bien le voi a ton sanblant:
Sous les capes les nus brans!
Forment te vont manecant,
Tost te feront messeaut,
S'or ne t'abries."
16. Or dient et content et fabloient.
„He!" fait Nicolete ,,1'ame de ten pere et de te mere soit en
benooit repos, quant si belement et si cortoisement le m'as ore
dit. Se Diu piaist, je m'en garderai bien, et Dix m'en gart!"
J) Das eingreifen des Wächters mit dein warnenden wächterlied zu
gunsten Nicoletens erinnert an die Situation des tageliedes (s. oben s. 354).
171 XIII. Kapitel. Neue Kunstformen Im 13. Jahrhundert
Ele B'estraint en son roantel en l'onbre del piler. tant que «:1
fnrent passe outre, et ele prent congie a Aucassin, si s'en va, tant
qu'ele vint au inur del castel
Vgl. im allgemeinen über die Artus- und Gralromane die
oben s. 330, 373, 377 verzeichnete lit., dazu Paulin Paris, Les romans
de la Table ronde mis en nouveau langage, 2 bde., P. 18t>8. Drucke:
The vulgate version of the Arthurian Romances edited from mss.
in the British Museum by H. 0. Sommer, I — IV, Washington 1908 — 11.
Der afr. Prosaroman von Lancelot del Lac, I. Branche hgrg. von
G. Bräuning, Diss. Marburg 1911, II. u. III. Branche von H. Becker,
1911 und H. Bubinger, 1912 (= Marburger Beiträge 2,6,8). Mort
Artu, edited by J. Douglas Bruce, Ha. 1910. Vgl. E. Freymond,
Arturs Kampf mit dem Katzenungetüm, Gröberband s. 311 ff. Ferd.
Lot, Etudes sur Merlin I, Rennes 1900: E. Brugger, Studien zur
Merlinsage (Untersuchungen n. texte) ZfSL 29 (1905) 56 ff., 30, 169 ff.,
31, 239 ff., 33 (1908) 145 ff., 34, 99 ff., 35, 1 ff. H. 0. Sommer, Zur
Kritik der afr. Artusromane in Prosa, ZrP 32 (1908) 323 ff. — Le
Chevalier du papegau hg. v. F. Heuckenkamp, Ha. 1897, vgl. dazu
oben s. 377. Eine episode des romans (kämpf gegen den Chevalier
Javaut und seinen bruder Jayant le Doubte) stimmt mit dem inhalt
des mhd. Eckenlieds (kämpf Dietrichs von Bern gegen den riesen
Ecke und seinen bruder Fasold) überein: nach Otto Freiberg, PBB 29
(1903) 1 ff. entlehnung des d. gedichts aus dem franz., wahrschein-
licher aber nachahmung des deutschen gedichts, vermittelt durch
eine md. bearbeitung, durch den veif. des franz. prosaromans (vgl.
R. C. Boer, PBB 32, 155 ff.; H. Lafsbiegl, Beitr. z. geschichte d. Ecken-
dichtungen, Diss. Bonn 1907). — Die sämtlichen prosanovellen des
13. Jahrhunderts sind enthalten in: Nouvelles frangoises en prose
du XIII0 siecle p. p. L. Moland et C. d'Hericault, P. 1856. —
Aucassin und Nicolete neu hrsg. von Suchier, Paderborn 1878,
" 1909 (hier alt. speciallit.). Vgl. noch J. Acher, ZrP 34 (1910) 369 ff.
(zum text). Meyer-Lübke, ZrP 34, 513 ff., J. Aschner, 35, 741 ff.
(zur erzählungsform). Als Ciarisse et Florent wird die erzählung
in die geste Huons von Bordeaux (s. oben s. 434) eingeführt. Auch
in neuerer dichtung ist sie öfter verwertet worden (Platens „Treue
nm Treue", opern von Sedaine, von Koreff u. a.). Mod. Übers, von
W.Hertz, E. von Sallwürk, Oppeln-Bronikowski u.a. Vgl. II. Brunner,
Ü. A. li. N. (Diss. Ha.), Progr. Kassel, 1881. Wagner, A. et N., Progr.
Arnstadt 1883. J. Zettl, A. u. N. in Deutschland, Progr. Eger 1911,
dazu Wolfram Suchier, ZfSL 34 (1912) II, 7 ff . — Über prosa-
versionen der Sept Sages und fortsetzungen wie Marques de Borne
s. oben 8. 417, 457. — Der anglonorm. abeuteuerroman Falke Fitz
Waryn feiert eine historische persönlichkeit aus der Zeit könig
Johanns ohne Land.
2. Allegorisch -satirische Dichtung: Allgemeines. '<<
2. Allegorisch-satirische Dichtung.
Wahrend die neue prosadichtnng im ganzen dein Inhalt
und Charakter der entsprechenden versdichtungsnrten treu bleibt,
sehen wir auf dem gebiete des versromans selbst eine innere
Wandlung vor sieh gehen, welche von der widergabe konkreter
Vorgänge zur darstellung des geträumten oder zur Umschreibung
des wirklichen durch andersartige bilder, von der erzählung
zur beschreibung, vou der auf blosse Unterhaltung gerichteten
absieht des dichters zur belehrung und schliesslich zur satire
führt. Das hanptwerk dieser richtung ist der Roman de la
Böse, in seinem ersten teil von Guillaume de Lorris, in seinem
zweiten von Jelian Clopinel de Meung verfasst. Jahrhunderte-
lang ist er vorbild und quelle für andere dichter gewesen, hat
er nicht nur dem roman, sondern auch lyrischer und dramatischer
dichtung poetische kunstmittel und einkleidungsformen geboten.
Aber wie dieser roman von sich aus die nachweit beeinflusst
hat, so ist er seinerseits entstanden unter einwirkung einer
reihe anderer werke, welche die einzelnen demente dazu boten.
Weltliche und geistliche erzählende, belehrende und lyrische
dichtung haben zum entstehen des Rosenromans beigetragen.
Neben französischen werken sind hier vor allem auch, direkt
oder indirekt, solche der lateinischen literatur wirksam: liebes-
f ragen wie die ' qitcl vaiit miex a amer, gentil ehre on clii-
väler' werden schon in einem lateinischen gedieht des 11. Jahr-
hunderts (spätestens anfangs des 12. Jahrhunderts), dem sog.
Concilium amoris oder Homarici montis concilium
(Concile de Remiremont) und bald darauf in der Alter catio
Phyllidis et Florae, einer art 'debat', behandelt und von
den geistlichen Verfassern zu gunsten des klerikers entschieden.
Dazu kommen nachahmungen Ovids, dessen Ars amandi und
Beinedia amoris beide schon durch Crestien übersetzt worden
waren und der auch als vorbild eines lateinischen gedichts
des 12. Jahrhunderts, De amore, von Pamphilus, dient, das
in den ideen, in der entwicklung der handlung wie in manchen
einzelheiten das werk Guillaumes de Lorris beeinflusst hat;
auch das buch des kaplans Andreas (s. oben s. 348) ist hier
nicht zu vergessen. Träume und Visionen spielen in der
476 XIII. Kapitel. Neue Kuustforinen im 13. Jahrhundert.
lateinischen literatur des altertums wie des mittelalters eine
grosse rolle und rinden in der französischen literatur des
13. Jahrhunderts vielfältig nachahmung, besonders Ciceros
Somnium Scipionis mit dem kommentar des Maerobius (ca.
400 n. Chr.). Allegorien und Personifikationen sind —
abgesehen von der antiken literatur — vor allem in der
geistlichen literatur zu hause, wofür schon Prudentius (348
bis 410) mit seiner Psychomachia (kämpf der guten und der
bösen gewalten um die menschenseele) ein hervorragendes und
wirksames beispiel bietet.
Vgl. hierzu wie zum folgenden Ernest Langlois, Origines et
sources du Romau de la Rose (These de doct.), P. 1890, und die
dort verzeichnete lit. Ch. Oulmont, Les debats du clcrc et du Chevalier
dans la litt, poetique du m. ä., P. 1911. Huet, Sur l'ovigine des
poeme de Ph. et FL, Rom. 27 (1898) 536 ff.
A. Vorläufer des Rosenromans.
Liebestheorie und Visionsdichtung. Der dichter des
Rosenromans sagt von seinem werke selbst, dass die Wissen-
schaft der liebe, die art d'amors, vollständig darin enthalten
sei. Seine darstellung soll nicht bloss unterhalten, sondern
auch belehren. Aber schon vor und neben ihm fehlt es nicht
an ähnlichen werken, teils mehr theoretischen, teils mehr er-
zählenden Charakters; eine sichere bestimmuug der abfassungs-
zeit ist freilich nicht immer möglich. Zunächst sind hier
die nachahmungen Ovids zu nennen: auf Crestien folgen im
13. Jahrhundert (teils älter, teils jünger als der Roseuroman)
bearbeituugen der Ars amandi durch Elie de Winchester,
Jacques d'Amiens und den unbekannten Verfasser der Clef
d'amors. Daneben stellt das Donnei des amanz (s. oben
s. 370) ein originalfranzösisches lehrgedicht über die liebe dar,
in der form eines gesprächs zwischen zwei liebenden. Die
vorhin erwähnte Alter catio Phyllidis et Florae erscheint ebenso
wie das Concilium Amoris mehrfach in franz. bearbeitung: so
in La yeste de Blancheflor et de Florence, Melior et Idoine,
Hueline et Eglantine, Florance et Blancheflor. Des Andreas
Capellanus De arte honeste amandi wird im 13. Jahrhundert
zweimal übersetzt. Aber auch durch Visionen eingeleitete
2. Allegorisch-satirische Dichtung: Vorläufer d. Roseiiromans. 477
erzählung von liebesgeschichten begegnet neben der theo-
retischen erörterung von liebesfragen: das Fablei dou Dien
d'Amours (in vierzeiligen Strophen ans zehnsilbnern) erzählt,
wie der dichter im tranm auf einer wiese wandelt und dem
laufe eines flusses folgend in den garten des liebesgöttes ge-
langt, wo die vögel von liebe singen und diskutieren, dann in
den palast des liebesgöttes, wo spiel, gesang und freude herrscht
und wo er auch seine durch einen drachen geraubte amie aus
den bänden des liebesgöttes wieder erhält. Die beschreibung
des liebesgartens stammt aus der Altercatio, im einzelnen ist
schon hier manches allegorische enthalten. Eine Überarbeitung
des Fablei ist Venus la deesse d'amors.
Allegorie und Personifikation. Die allegorie, welche
neben der theoretischen behandlung der liebe als wesentlichstes
element des Rosenromans in betracht kommt, wird zunächst
am reichlichsten in der geistlichen literatur verwendet, zuerst
in der lateinischen, im anschluss daran auch in der französischen
literatur, wie schon die besprechung des Physiologus (s. oben
s.145 f.) sowie der moraldichtungen vom Renclus de Moiliens
und von Guillaume le Clerc (siehe oben s. 429 f.) gezeigt hat
Während aber hier die allegorie nur ein teilelement bildet,
erscheint sie in verschiedenen dichtungen der folgezeit als
grundlage und einkleidung der ganzen handlung. So hat
Raoul de Houdenc, der Verfasser des Meraugis (s. 447 f.),
zwei allegorische dichtungen geschrieben: den Romanz des
elcs de la proece, nach welchem die ritterliche tiichtigkeit,
um vollkommen zu sein, zwei flügel, largece und cortoisie, und
jeder dieser zwei flügel wieder je sieben federn (die einzelnen
arten und äusserungen der larg. und der cort) haben muss,
und den Songe d'Enfer, wo der dichter einen träum erzählt,
der ihn über die allegorischen orte begierde, treubruch u.a.
nach der hölle führt und dort an einem (gleichfalls allegorisch
ausgedeuteten) höllenmahl teilnehmen lässt. Ein in anläge
und stil gleichartiges gedieht, Songe de Paradis scheint
eine nachahmung Raouls durch einen anderen dichter zu sein.
In ähnlicher weise wie Prudentius den kämpf der guten und
bösen gewalten schildert gegen 1234 Huon de M£ry in seinem
Tournoiement Antecrist ausführlich (über 3000 verse) den
kämpf des teufeis und der (personifiziert erscheinenden) laster
I*v XIII. Kapitel. Neue Kunstformen im 13. Jahrhundert.
gegen Christus, die tilgenden und die auf seiner seite kämpfenden
Artiisritter, wobei auch Crestiensche motive (so die wunder-
quelle im wald von Broceliande) ausgiebige Verwendung finden.
Tugenden und laster erseheinen wie bei Prudentius personifiziert.
In allen diesen dichtungen dienen allegorie und Personi-
fikation geistliehen oder wenigstens moralischen zwecken.
Aber auch die weltliche dichtung entwickelt solche stilformen,
so wenn in den höfischen romanen und chansons 'Amor' per-
sonifiziert wird, wenn der dichter Vernunft und liebe in seinem
herzen streiten lässt oder wenn Thibaut von Navarra in dem
oben (s. 460) erwähnten lied sein herz bei der geliebten dame
in einem kerker sieht, dessen pfeiler aus verlangen (Talent),
dessen eingang aus schönem anblick (Bei Voir), dessen ringe
aus Bon Espoir bestehen und vor welchen Amor drei Wächter,
Biau Semblant, Bonte und Dangier (Zurückhaltung) gesetzt
hat. Hiermit wird die allegorie aus der religiösen in die welt-
liche Sphäre, speziell in die liebesdichtung übergeführt, was für
den Rosenroman bedeutungsvoll wird. Die Identifikation der
heldin mit der rose legte sieh durch den in Artusromau, höfischer
lyrik und heldenepos häufigen vergleich junger mädchen mit
rosen nahe und war schon im Dit de la rose (12. bis 13. Jahr-
hundert) durchgeführt. Der die allegorie einleitende träum
fand seine Vorbilder gleichfalls in der voraufgegangenen literatur.
So sind die einzelnen demente, welche den allegorischen
liebesroman kennzeichnen, sämtlich vorher vorhanden, aber ihre
Vereinigung und Verschmelzung gehört dem dichter des ersten
teils, Guillaume de Lorris.
Ausgaben: Über nachahinungen Ovids s. oben s. 306, 398,
dazu Jacques d'Amiens hrsg. von G. Körting, L. 1868; Maltre Elie
hgg. von Kühne und Stengel (AA 47) Marb. 1886; Clef d'amors p.p.
A. Doutrepont (Bibl. Norm. 5), Ha. 1890. Fablel dou Dieu d'Amours
p. p. Jnbinal, P. 1834. De Venus la deesse d'amor bgg. von
W. Foerster, Bonn 1880. — Huon de Mery, Le Tournoiement de
l'Antecrist p. p. Tarbe, Reims 1851. Darin auch Raouls Bomanz des
Eies und Songe d'Enfer; dieselben nebst Songe de Paradis auch
bei Scbeler, Trouveres beiges, nouv. serie, Louvain 1879; zum
Born, des Eies vgl. H. Suchier, Wahlundband s. 29 ff. Über die un-
eclitheit des Songe de Par. zuletzt Friedwagner, ZrP 25 (1901) 753 ff.
Dit de la Kose bei Bartsch et Horning s. 603 ff. — Zur allegorischen
liebesdichtung gehört auch der s. 431 erwähnte Bcstiaire d'cmour.
— Weiteres bei E. Langlois, Origines du R. d. 1. R.
2. Allegorisch-satirische Dichtung: Der Rosarouian.
17'.»
B. Der Rosenroman.
Der Rosenromau zerfallt in zwei ihrem umfang wie ihrer
tendenz und ausfiihrung nach sehr ungleiche teile. Die ersten
4068 verse, von Guillaume de Lorris vor 1234, etwa zwischen
1225 und 1230 verfasst, bilden einen allegorisch -lehrhaften
liebesroman, dessen fortsetzung unter den bänden Jehans de
Meung zu einer 18000 verse langen realistisch gefärbten, von
satirischem geiste erfüllten encyklopädie wird. Von der auf-
fassung des ersten teils, von seinem Verhältnis zu älteren
dichtungen gibt uns der anfang des ganzen eine deutliche
Vorstellung:
Maintes gens dient que eu sunges
N';i se fables non et nieusoiiges.
Mais Ten puet tex souges songier
Qui ne sunt mie niensongier,
Ains sunt apres bien apparant.
Si en puis bien trere a garant
Un acteur qui ot non Macrobes,
Qni ue tint pas songes a lobes,
Aiu^ois escrist la vis'ion
Qui avint au roi CipTon.
Quiconques cuide ne qui die
Que soit folor ou musardie
De croire que songes aviengne
Qui ce voldra, pour fol in'en tiengne.
Car endroit moi ai je fiauce
Que songes soit senefiance
Des biens as gens et des anuiz,
Car li plusor songent des nuiz
Maintes choses cuuvertement
Que Ten voit puis apertenient.
Ou vintiesme an de inon aage,
Ou point qu'Amors prend le paage
Des Jones gens, couchiez estoie
Une nuit, si com je souloie,
Et nie dorinoie muult forment:
Si vi un songe en nion durmant,
Qui ruoult fu biax et uioult me plot,
Mes onques riens ou songe n'ot
Qui avenu trestout ne soit
Si com li songes recontoit.
Or vueil cel songe rimaier
Por vos cuers plus fere esgaier,
Qu'Amors le me prie et commande.
Et se nus ne nule demande
Comment ge vueil que cilz rommans
Soit apelez que je commans,
Ce est li Kommanz de la Rose,
Ou Fart d'amors est tote enclose.
La matire en est boue et noeve:
ür doint Diex qu'en gre le regoeve
Cele por qui ge Tai empris.
C'est cele qui taut a de pris
Et tant est digne d'estre amee
Qu'el doit estre Rose clamee.
Avis m'iere qu'il estoit inains,
II a ja bien eine aus au mains,
En mai estoie, ce sonjoie,
El tens amoreus piain de joie.
El tens ou tote riens s'esgaie
Que Ten ne voit boisson ne haie
Qui en mai parer ne se vueille
Et covrir de novele fueille,
Li bois recuevrent lor verdure,
Qui sunt sec tant com yvers dure.
La terre me'ismes s'orgueille
Por la rousee qui la mueille,
Et oblie la poverte
Ou ele a tot Tyver este,
Lors devient la terre si gobe
Qu'el vuelt avoir novele robe,
Si set si cointe robe faire
Que de colors i a cent paire
D'erbes, de flors indes et perses
Et de maintes colors diverses ....
480
XIII. Kapitel. Neue Kunstformeu im LS. Jahrhundert.
v. 84 ff.
En icelui tens deliteus
Que tote riens d'amer s'esfroie,
Soujai une nuit que j'estoie.
Ce m'iert avis en mon dorinaut,
Qn'il estoit matin dureuient,
De mon 11t tantost nie levai,
Chaucai moi et mes mains lavai.
Lors trais une aguille d'argent
D'un aguillier mignot et gent,
Si pris l'aguille a enfiler.
Hors de vile oi talent d'aler
Por cur des oisiaus les sons
Qui chantoient par ces boissons
En icele saison novele.
Cousant mes manches a videle
M'en alai tot seus esbatant
Et les oiseles escoutant
Qui de chanter moult a'engoissoient
Par ces vergiers qui florissoient,
Jolis, gais et pleins de leesce.
Vers une riviere m'adresce
Que j'oi pres d'ilecques bruire
Car ne me soi aillors deduire
Plus bei que sus cele riviere.
D'un tertre qui pres d'iluec iere
Descendoit l'iaue grant et roide,
Clere, bruiant et aussi froide
Comme puiz ou comme fontaine,
Et estoit poi mendre de Saine,
Mes qn'ele iere plus espandue.
Onqnes mes n'avoie veüe
Tele iaue qui si bien coroit,
Monlt m'abelissoit et seoit
A regarder le Heu plaisant.
De l'iaue clere et reluisant
Mon vis rafreschis et la\v.
Si vi tot covert et pave
Le fons de l'iaue de gravele.
La praerie graut et bele
Tres au pit- de l'iaue batoit.
Clere et serie et bele estoit
La matinee et atempree:
Lors m'en alai parmi la pree
Contreval l'iaue esbanoiant,
Tot le rivage costoiaut.
Quant j'oi an poi avant ale.
Si vi an vergier grant et 16,
Tot clos d'un baut mur bataillic.
Portrait defors et entaillie
A maintes riches escritures.
Les ymages et les paintures
Ai monlt volentiers remire,
Si vons contere et dire
De ces ymages la semblance,
Si com moi vient a remembrance.
Ens ou milieu je vi Daine,
Qui de corrous et d'ata'i'ue
Sembloit bien estre movresse
Et correceuse et tenceresse
Et plaine de grant cuvertage
Estoit par serablant ceste ymage.
Si n'estoit pas bien atornee,
Ains sembloit estre forsenee:
Rechigni6 avoit et froncie
Le vis et le nes secorcie,
Par grant hideur fu soutilliee,
Et si estoit entortiilee
Hideusement d'une toaille.
Une autre ymage d'autel taiile
A senestre vi delez lni.
Son non dessus sa teste lui:
Apelee estoit Felonnie.
So sind noch andere darstellungen — wie Vilonic, Coveitise,
Tristece, Vicillece — zu sehen. Aber nicht bloss bilder dieser
art treten dem dichter entgegen, sondern auch lebende wesen:
Oiseuse öffnet ihm die tlir und belehrt ihn, dass der garten
Deduit le mignot, le cointe gehöre. Dessen freundin Licsse
führt den reigen an, in welchem der Arnant den liebesgott mit
Beaute und andere tänzer und tänzerinnen, wie Largesse,
2. Allegorisch -satirische Dichtung: Der Rosenrouiau. 481
Jeunesse usw. gewahrt. Er gelangt weiter zur ' Fontaine
d'Amour', bei welcher Xarcissus begraben liegt, er erblickt in
dem Spiegel, welcher durch zwei auf dem gründe der quelle
liegende krystalle gebildet wird und den garten mit allen
einzelheiten wiederspiegelt, eine menge rosensträucher hinter
einer dornenhecke, geht darauf zu und findet sogleich be-
sonderes gefallen an einer rosenknospe, die er zu brechen
wünscht. Der im verborgenen lauernde liebesgott verwundet
ihn mit seinen pfeilen Biaute, Simplece, Cortoisie u. a. m.,
macht ihn zu seinem lehnsmann und gibt ihm eine reihe guter
lehren für sein vorhaben. Bcl-Accueü, Ami, Franchise, PitU
stehen auf seiner seite und helfen ihm, aber Dangicr (scham-
haftigkeit, sprödigkeit), Malc-Bonche, Beur, Honte, Chastete
und Baison hüten die Rose vor des dichters liebeswerben.
Endlich gelingt es ihm einen kuss von der Rose zu erhalten,
aber Male-Bouche hat es gesehen und erzählt es weiter,
Jalousie lässt eine festung um die rosensträucher bauen mit
einem türm, in welchem Bel-Accueil eingeschlossen wird.
Mit den klagen des betrübten liebhabers bricht Guillaumes
gedieht ab.
Was als das charakteristische an diesem werk erscheint,
die mit allen stilmitteln und bis in alle einzelheiten durch-
geführte allegorie einer herzensgeschichte, hat seinerzeit den
dichterischen vorzug des ganzen ausgemacht und auch seinen
weitreichenden und langandauernden erfolg begründet. Zur
mauier ist die allegorie erst bei den nachfolgern und nachtretern
Guillaumes de Lorris geworden. Er selbst hat sie zwar nicht
erfunden, aber zuerst auf eine zusammenhängende, fortlaufende
handlung aus dem menschenleben übertragen, und, wie schon
die kurze probe oben zeigen kann, besass er genug dichterische
kraft, um seinen plan folgerichtig und in gefälliger, anmutiger
form durchzuführen. Was seine Vorgänger ihm dazu boten,
hat er in reichem masse benutzt, aber durchaus selbständig-
kombiniert. Wie so oft begegneten sich auch hier- Veranlagung
des dichters und geschmack des publikums, und der letzte
hat dem roman seine beliebtheit bis ins 16. Jahrhundert
gesichert.
Diese beliebtheit in späterer zeit beruhte aber nicht allein
auf dem allegorisch -idealen gedieht Guillaumes, sondern
Voretzsch, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auf läge. 31
4b2 XIII. Kapitel. Neue Kuustforiueu im 1 3. Jahrhundert.
mindestens ebensosehr auf der realistisch -satirischen fort-
setzung Jehans de Meung, welcher nach seiner eigenen
angäbe 40 jähre nach dem tod Guillaunies das werk wieder
aufgenommen hat. Als quellen hat er zum teil dieselben
werke wie Guillaume, darüber hinaus aber noch eine grosse
menge anderer, lateinischer und französischer autoren benutzt
Die neigung zur lehrhaften richtung, welche schon den ersten
teil des romans charakterisiert, wird bei ihm zum prunken
mit encyklopädischer gelehrsamkeit, mit deren Verwertung
ihm ja schon andere schriftsteiler des Jahrhunderts voran-
gegangen waren (s. oben s. 430 f. und 467). Die lehrhalte
tendenz der epoche tritt auch in den zahlreichen chastoiements,
enseignements und doctrinals zu tage: neben den aus Petrus
Alphonsi übersetzten Casloiements d'un pere ä son fils (s. oben
s. 416 f.) ist hier vor allem der dichter Robert von Blois
mit seinem Chastoiement des Dames und seinem Enseiynemtnt
des Princes zu nennen (beide in den handschriften teils selb-
ständig überliefert, teils in dem roman Beaudous eingeschaltet).
Auch das Dit ist zunächst ein belehrendes gedieht, das aber
ebenso wie in das erzählende (s. oben s. 425) auch in das
satirische gebiet übergreift und sowohl gegen die verschiedenen
stände als auch gegen das schöne geschlecht Stellung nimmt.
Satire, namentlich gegen priester und flauen, ist ein wesent-
liches Charakteristikum der fableldichtung (s. oben s. 409 ff. und
s. 455 f.), satirisch wird im 13. Jahrhundert auch der Roman de
Renart (s. oben s. 399 ff. und s. 454 f.), und der aufang desselben
Jahrhunderts zeigt sogar schon eine politische satire, den gegen
die Franzosen gerichteteu Roman des Francois des Normannen
Andre de Coutances (vor 1204).
Wenn also Jehan de Meung mehr das lehrhafte und
satirische dement zur geltung bringt, so folgt er nur dem
zuge der zeit, ohne dass die hier genannten werke speziell
als seine quellen zu bezeichnen wären. In erster linie folgt
er vielmehr lateinischen autoren, dem Boethius und dessen De
consolatione philosophiae, des Alain von Lille De planetu
naturae, auch antiken dichtem 'und Schriftstellern wie Ovid,
Vergil, Horaz, Sueton u. a. m. Unter den französischen Vor-
bildern begegnen Guillaume le Clerc, Raoul de Houdenc, Huon
de Mery. Es leuchtet ein, dass bei der von Jehan ein-
2. Allegorisch -satirische Dichtung: Der Kosenrouian. 483
geschlagenen richtung die baudlung selbst zur nebensacbe
wird, sie kommt während der mebrere tausend verse langen
reden von Raison und anderen ganz zum stilisteben. Immer-
hin wird die von Guillaume begonnene allegorie durch Jeban
weiter und bis zum ende geführt. F<mx- Semblant erwürgt
Mcüebouche; Courtoisie und Largesse gewinnen die alte hüterin
von Jßel-Accueil, der aber, kaum befreit, von Honte und Peur
aufs neue in den türm gesperrt wird. Vor diesem wird ein
allgemeiner kämpf geliefert, der durch das eingreifen von
Nature, Genius und Venus entschieden wird. Der Amant, d. i.
der dichter, pflückt die Rose und erwacht.
Hat Guillaume de Lorris eine 'epop£e psychologique ' ge-
schrieben, so ist der mit encyklopädischem wissen ausgestattete,
von satirisch -polemischen geiste erfüllte Jeban Clopinel 'le
Voltaire du moyen äge, avec toutes les restrictions que com-
porte ce complement'. So hat G. Paris die beiden teile des
romans und die verschiedenartigen Ursachen seines grossen
erfolges treffend charakterisiert.
Le Roman de la Rose p. p. Meon, P. 1814; p. p. Fr. Michel,
P. 1864, 2 bde.; p. p. Pierre Marteau (aecomp. d'une traduetion en
vers), Orleans 1878 — 80, 5 bde.; neuausgabe angek. von E. Langlois.
Stücke bei Bartsch s. 321 ff., 383 ff, Bartsch et Horning s. 407 ff,
Constans s. 133 ff. Vgl. Ernest Langlois, Origines et sources du
R. d. 1. R., P. 1890; Le R. d. 1. R. in Petit de Julleville II, 104 ff;
JrP 10 (1906) II, 96 ff, 11 II, 100 ff. (zu Warren, Date and com-
position of the R. d. 1. R.); Les manuscrits du R. d. 1. R., description
et classement, P. 1910 (Travaux et mem. de l'Univ. de Lille, Nouv.
ser. I, 7). Paul Kupka, Zur Chronologie und Genesis des R. d. 1. R.,
Progr. Gardelegen 1901. Vgl. auch Charles Joret, La rose dans
l'antiquite et au m. ä., P. 1892, bes. s. 329 ff. — Der roman wurde
ins engl, übersetzt, die Übersetzung ward von Chaucer begonnen,
von anderen weitergeführt. Vgl. Kaluza, Ch. u. d. Rosenroman, B.
1893, sowie Rom. Jahresbericht 6 (1899—1901) II, 366. Über
italienische Übersetzungen, den älteren Detto d'amore in sieben-
silbigen reimpaaren und den jüngeren Flore in Sonetten (letzterer,
ende des 13. oder anfang des 14. Jahrhunderts, vermutlich von
Durante) siehe die lit. bei Casini in Gröbers Grundriss II, 3, s. 53. —
Jehan de Meung ist auch noch als Übersetzer tätig gewesen: so der
Consolatio philosophiae von Boethius, der briefe Abälards und der
Heloi'se, des buches De re militari von Vegetius. Die letztgenannte
prosaübers. wurde 1290 durch Jehan Priorat aus Besan^on in verse
gebracht: Jean de Meung, L'art de chevalerie p. p. Ul. Robert,
31*
484 XIII. Kapitel. Nene Kunstformen im 13. Jahrhundert.
P. 1897: Jean Priorat, Li abrejanec de Vordre de ehcvaJeric p. p.
Robert, P. 1897 (S. d. a. t.). Über den Songe Jehans de Meung s.
M. Kastner, Kev. de phil. fr. 17, 4. — Bzgl. der übrigen bier ge-
nannten werke s. die betr. abschnitte. Der Roman des Francois
gedr. bei Jubinal, Nouv. Kec. 2, s. 1 ff. Vgl. G. Paris, Litt. norm. 46 ft'.
C. Allegorische Dichtung nach dem Rosenroman.
So wenig alle älteren allegorischen dichtungen als quellen
des Rosenromans zu betrachten sind, so wenig kann man alle
jüngeren mit allegorischen dementen ausgestatteten werke auf
die Wirkung dieses romans zurückführen. Aber der Rosen-
roman ist der höhepunkt der ganzen richtung, und im einzelnen
lässt sich sein einfluss oft genug erhärten. Die ausserordentlich
grosse zahl von handschriften zeugt nicht minder wie die
Wertschätzung der folgezeit für seine beliebtheit und bedeutung.
Von dichtungen, welche in ähnlicher weise die allegorie ver-
werten, seien kurz die wichtigsten genannt.
Als nachahmung des ersten, aber nicht des zweiten teils
erweist sich der Romans de la poire von T h i b a u t , welcher
etwa um die mitte des 13. Jahrhunderts gedichtet hat und
hier die geschichte seiner liebe darstellt, indem er sich von
Amor in einem türm belagern und besiegen, die dame durch
einen liebespfeil Amors verwunden lässt usw. Zuletzt sendet
er der dame als liebesboten die nachtigall, d. i. seinen roman
selbst. Der titel erklärt sich durch ein persönliches erlebnis
des dichters mit seiner dame: sie hatte einst eine birne an-
gebissen und dann ihm gereicht, wodurch eine unbezwingliche
liebe zu ihr in sein herz kam. Eine andere direkte nach-
ahmung des Rosenromans gehört schon in die zweite hälfte
des folgenden Jahrhunderts: die JEchecs amoureux. welche
der dichter allen freunden der schachkunst widmet, da er seine
herzensgeschichte hier in die äussere form einer — von ihm
an die Jungfrau verlorenen — Schachpartie kleidet. Im übrigen
erinnern nicht nur die Personifikationen — Oiseuse, JDeduit,
Amor usw. — sondern auch die langen reden, die breiten be-
lehrungen über die art zu lieben und viele einzelheiten an
das berühmte vorbild. Der psychologische inhalt des romans
wird durch den titel der englischen Übersetzung Biason
and Scnsuality treffend bezeichnet. Nicole de Margival
2. Allegorisch-satirische Dichtung: Allcg. Dicht, u. d. Kuscnroiu. 485
dichtet ende des 13. oder anfaug des 14. Jahrhunderts den
Panther e d'amour (nicht ohne beziekung auf den Bestiaire
d'amour, s. oben s. 431) und stellt hier die geliebte unter der
tigur des schon in den alten bestiarien viel behandelten
panthers dar. Mahius li Poiriiers (anfaug des H.Jahr-
hunderts) lässt in seiner Court d'Amours gott Amor hof
halten, den an liebesweh leidenden guten rat erteilen und in
schwierigen liebesfragen die entscheidung fällen.
Andere allegorische (Lichtungen sind mehr moralisierenden
inhalts. Hier ist vor allem der umfangreiche, etwa 72 000 verse
zählende Ovide moralise eines minoritenmönehs zu nennen,
welcher ende des 13. oder anfang des 14. Jahrhunderts die
Metamorphosen in achtsilbigen reimpaaren übersetzt und alle-
gorisch ausgedeutet, d. h. mit historischen, moralischen und
theologischen erklärungen versehen hat. In dieses werk hat
auch die Crestien von Troyes zugeschriebene Philomena (oben
s. 299) aufnähme gefunden, daneben übrigens auch eizählungen,
welche der dichter anderen quellen als den Metamorphosen
entlehnte wie das urteil des Paris oder der raub der Helena.
Der name des Verfassers ist nicht bekannt, die bezeichnung
Crcstien le Gouays de Sainte More vers Troyes beruht auf
irrtümlieber deutung und kombination späterer Schreiber.
Die bedeutung der allegorie für die spätere dichtung, für
die lyrische wie für die lehrhafte und namentlich auch für die
dramatische — in den sog. Moralites — ist ausserordentlich,
sie erstreckt sich über das 15. Jahrhundert bis hinein in das
16. Jahrhundert, wo die alten dichtgattungen überhaupt von
der neuen renaissanceliteratur abgelöst werden.
Messire Thibaut, Li Roinanz de la poire, hrsg. von Fr. Stehlich,
Ha. 1881. — H. P. Junker, Ü. d. afr. Epos 'Les Echecs amoureux',
Frankfurt a. M. 1886 (Berichte des Freien Deutschen Ilochstifts
1886—87). Ernst Sieper, Les Ech. am.. Weimar 1898 (Lit.-hist.
Forsch, von Schick und Waldberg 9). J. Mettlich, Die Schachpartie
i. d. Prosabearbeitung der E. a., Progr. Münster 1907. — Nicole de
Margival, Le Dit de la Panthere d'amours p. p. IL A. Todd, P. 1883
(Soc. d. a. t.). — Über Mahius (Matthäus) li Poiriiers s. Raynaud,
Rom. 10 (1882) 519 ff, und Gorra im Toblerband s. 228 ff. — Über
den Ovide moralise s. G. Paris, Hist. lit. 29, 455, A. Thomas, Rom. 22
(1893) 271 ff. C. de Boer, Philomena (oben s. 300), Einleitung.
Andere dichtungen ähnlicher art gehören schon ins 14. jh.:
so die allegorische trilogie des Cisterciensermönchs Guillaume
486 XIII. Kapitel. Neue Kunstfornien im 13. Jahrhundert.
de Deguilleville, zw. 1330 und 1358 verfafst und aus drei Pilr-
rinages bestehend: Pelerinage de la vie humaine, Pelerinage de
Väme, Pelerinage de Jesus-Christ. Das ganze wird als träum des
dichters eingeleitet und in christlich-moralischem siune mit allegorien
und Personifikationen in 36 000 versen ausgeführt (ungerechnet die
vom dichter selbst herrührende Umarbeitung des ersten teils).
Gnillaume de Deguilleville, Le pelerinage etc. edited by J. J. Stür-
zinger, London 1893, 95, 97, Roxburgh-Club (Exemplare in Berlin,
München, Würzburg). Das gedieht wurde in prosa umgearbeitet
sowie ins spanische und englische übersetzt. — ■ Auch in kleineren
dichtungen findet die allegorie vielfach Verwertung: in der 1332
verfassten, von balladen und rondels durchsetzten Prise amoureuse
stellt Jehan Acart de Hesdin die liebe unter dem bilde einer
jagd dar, in welcher der liebesgott die hundemeute — Biaute,
Benom, Souvenir, Espoir u. a. — auf den liebenden hetzt und
diesen endlich im netze Desir's gefangen nimmt. Ausgabe von
E. Hoepffner, La Pr. am., GrL 22, 1910 (vgl. Rom. 40, 129 ff).
Philippe de Vitry (seit 1350 bischof von Meaux) deutet in seinem
Chapel des fleurs de lis, anlässlich eines für das jähr 1355
von Phippe von Valois geplanten kreuzzuges, die französischen lilien
auf Science, Foy und Chevalerie, eigenschaften, die für kreuzfahrer
unentbehrlich sind (form die schweifreimstrophe). Ausgabe von
Arthur Piaget, Rom. 27 (1898) 55 ff.
3. Das weltliche Theater.
Was uns bisher an dramatischen stücken begegnet ist,
vom Sponsus (s. 139) bis zum Theophilusspiel Rustebuefs (s. 427),
gehört dem geistlichen drama an. Erst mit dem schon als
lyriker genannten Adam de le Haie (s. 460) treten uns die
ersten profanen stücke entgegen. Dieses zeitliche Verhältnis
deutet nicht ohne weiteres auf ein abhäugigkeitsverhältnis,
als ob das weltliche drama sich erst aus dem geistlichen ent-
wickelt hätte, mit dem es innerlich keine Wesensgemeinschaft
hat. Vielmehr weisen mancherlei Zeugnisse und andeutungen
darauf hin, dass das volk von jeher seine dramatischen Schau-
stellungen gehabt hat, welche von wandernden Jongleurs, den
nachkommen der römischen mimi, auf öffentlichen platzen vor-
geführt wurden (vgl. oben s. 78). Dazu erscheint das profane
Instspiel des 13. Jahrhunderts auch viel zu selbständig und
3. Daa weltliche Theater: Jonglenrdr.araen. 487
eigenartig gegenüber dem religiösen drama, als dass man es
ohne weiteres aus diesem herleiten könnte. Auch ein stück
wie das mit weltlichen abenteuern durchsetzte Niklasspiel Jehan
Bodels erscheint mehr als eine annäherung an schon vor-
handenes profandrama denn als Zwischenglied zwischen älterem,
rein geistlichem, und jüngerem, rein weltlichem theater. Die
geringe zahl der weltlichen stücke wird reichlich ausgeglichen
durch ihren inneren wert, G. Paris sagt: 'les monuments
malheureusement trop peu nombreux, qui nous restent du
th&itre profane, sont plus interessante que tous ceux du theYttre
religieux.'
A. Jongleurdramen. Unter Jongleurdramen, mimodramen
oder kurz 'mimes' verstehen wir monologische oder dialogische
dichtungen. die, mit wechselnder stimme und gelegentlich auch
mit Zuhilfenahme von puppen, von einem einzelnen Jongleur
vorgetragen werden konnten, in der art wie schon die ältesten
dramatischen darstellungen (oben s. 78) zu denken sind und
wie die dramatischen monologe des 15. Jahrhunderts erscheinen.
Sie bilden den tibergang zum eigentlichen drama (mit ver-
teilten rollen). Die hierher gehörigen stücke enthalten z. t.
auch noch einige erzählende verse, sie zeigen vielfach statt
der reimpaare strophische form (vierzeilige Strophe aus alexan-
drinern, Richeutstrophe — oben s. 412 — u. ä.). Der gegenständ
ist meist sehr einfach, zumal die dichtungen samt und sonders
sehr kurz sind. Das Privileg e aux Bretons (zw. 1236 — 52)
bringt eine königliche bestätigung für das privileg, im walde
ginster zu besen schneiden zu dürfen. La paix aux Anglais
(um 1159 — 64) ist eine satire auf ausschweifende eroberungs-
pläne der Engländer auf dem französischen festland. L'her-
berie, von Rustebuef, bringt eine aufzählung von heilkräutern
gegen alle möglichen krankheiten und gebrechen. In den
JDeux bordeors ribauz zählen zwei schalke von Jongleuren
ihre künste auf: der eine weiss von Guillaume au tinel und
Benoart au cort nes, von Ogier de Montaubant und Benaut
le Danois zu erzählen, der andere reimt de Parceval Vestoire
mit dem schwank de la Coille noire usw.
B. Dramatische Spiele. Wohl schon mehr als ein
blosses monologstück ist ein kleines drama von 270 versen,
das nicht nur dialog, sondern wirksam vorgeführte handlang
lss XIII. Kapitel. Neue Kunstforinen iiu V6. Jahrhundert.
verlangt: Le Garron et VAvuegle (um 1277 in Tournai ver-
fasst). Ein knabe führt einen blinden bettler, aber so, dass
dieser beständig zu schaden kommt, ja schliesslich prügelt der
fuhrer seinen Schützling und tut, als ob ein anderer die hiebe
austeile. Die grobe komik ist auf die lachlust eines wenig
feinfühligen publikums berechnet, was freilich die aufnähme
des Stücks als einschiebsels in verschiedene mysterien des 15.
und 16. Jahrhunderts nicht verhindert hat. — Vielleicht ist
unter die mit verteilten rollen gespielten stücke der Courtois
d'Arras zu rechnen, dessen held, gleich dem verlorenen söhne
der Bibel, ähnlich aber auch dem deutschen Meier Helmbreht,
das Vaterhaus verlässt, von buhlerinnen ausgeplündert wird,
sieh als Schweinehirt verdingen muss und endlich reuig zurück-
kehrt (664 verse).
C. Adam de le Haie und sein Laubenspiel. Adam,
etwa 1238 in Anas geboren, 1262 bis 1269 in Paris, seit 1272
in den diensten des grafen Robert von Artois, seit 1283 mit
diesem bei Karl von Anjou in Neapel, hier 1286 oder 1287
gestorben, mit einem familienbeinamen 'le Bochu (bossu)' ge-
nannt, hat zuerst, 1262, das Jeu de la Feuillee (Laubenspiel)
gedichtet, das sich etwa als lokalsatirische posse bezeichnen
lässt. Er führt sich darin selbst vor ebensowie seinen vater,
welcher ihm wol die erlaubnis, aber nicht das nötige geld zu
seinem Studienaufenthalt in Paris geben will, er bekundet
seinen überdruss an seiner frau und machte eine reihe von
mänuern und frauen seiner Vaterstadt, sei es wegen ihres
geizes, sei es wegen ihrer sittenlosigkeit lächerlich. Das ganze
besteht aus einer reihe von lose aneinander gefügten szenen:
auftreten des arztes und konsultatiou durch die Douce Dame,
erscheinen des mönchs, des narren und seines vaters, zug der
maisnie Hellequin (das wilde heer), besuch der feen, auftreten
der Fortuna usw. Es fehlen also auch nicht allegorische und
märchenhafte figuren neben den realistisch -satirischen Schilde-
rungen von Adams mitbürgern. Im einzelnen ist das stück
häufig derb und roh, kennzeichnet aber gerade dadurch seine
unabhängige Stellung gegenüber dem geistlichen drama und
seinen Zusammenhang mit dramatischen aufführungen volks-
tümlichen Charakters. Der name des Stückes erklärt sich
durch die annähme, dass es zur feier des mai unter einer
3. Das veitliehe Theater: Adam do le Säle. -189
mailaube gespielt wurde (die gleichfalls überlieferte bezeich-
nung jus Adan = jeu iVAdam nach dem verfassernaruen ist
mit rüeksicht auf das liturgische Adamsspiel — s. oben s. 140 —
besser zu meiden). Das ganze stück ist übrigens nicht ganz
1100 verse lang.
D. Adams Singspiel liobin et Marion. Ahnelt das
Laubenspiel in seinem Charakter am meisten den sotien des
15. und 10. Jahrhunderts, so lässt sich das zweite, in Neapel
verfasste stück als Singspiel oder auch als schäferspiel be-
zeichnen: es ist das Jeu de liobin et Marion, welches das
ans den pastourellen bekannte schäferpaar nebst ihren ge-
nossen, ihren Unterhaltungen und spielen auf die bübne bringt
und den dialog mit einer reihe von Strophen und refrains aus
pastourellen untermischt. Die handlung selbst ist aus den
pastourellen entnommen, im ersten teil aus einer erzählenden
pastourelle im stile der oben s. 109 wiedergegebeuen, im zweiten
teil aus mehr beschreibenden pastourellen: Adam hat also
durch dramatisierung der pastourelle, durch Unterdrückung der
erzählenden partien und erweiterung des dialogs, das erste
beispiel einer neuen dramatischen gattung geschaffen. Von der
nahen berührung des Stückes mit der lyrischen gattung der
pastourelle sowie von dem Charakter der dichtung gibt die
begegnung des ritters Aubert mit Marion eine passende Vor-
stellung. Marion wird singend vom ritter augetroffon und gibt
ihm in ländlicher naivetät auf seine fragen nach jagdbaren
vögeln verkehrte antworten. Schliesslich wird der ritter kühn
und bittet um ihre liebe (ausgäbe von Lauglois vers 57 — 107;
die gesungenen partien sind kursiv gedruckt, M. bedeutet
Marion, Ch. Chevalier):
Ch. Or dites, douche bergerette, J) Je n'ameroie que Rubin.
Ameries vous un Chevalier? II vient au soir et au matin
M. Biaus sire, traies vous arrier! A ini, toudis et par usage,
Je ne sai que Chevalier sont. Et m'aporte de sen iroumage.
Desour tous les hoimnes dou Encore en ai jou en ujou sein
mont Et une grant pieche de pain
*) Die mundart ist pikardisch oder artesisch (worüber s. 351, 405, 471
zu vergleichen) mit einzelnen francischen formen wie chtvalier u. ä. Speziell
pik. ist auch die betonte form mi = nie, moi.
400
XIII. Kapitel. Neue Knnstformen im in. Jahrhundert.
Qne il m'aporta a prangiere.
Ch. Or me dites, douche bergiere,
Yaurries vons venir avec moi
Jouer sonr che bei palefroi,
Selonc che bosket en che val?
Aiuii! sire, ostes vo cheval!
A poi que il ne nfat blechie.
Li Robin1) ne regiete mie
Quant je vois apres se carue.
Bergiere, devenes ma drue
Et faites chon que je vous pri.
Sire, traies ensus de mi!
Chi estre point ne vous afiert.
A poi vos chevaus ne me fiert.
Comment vous apele on?
Aubert.
Vous perdes vo paine, sire Aubert.
Je n'amerai autre que Robert.
Non bergiere?
Non, par me foi.
Ch. Cuideries empirier de moi,
Qui si loinc getes me proiere?
Chevaliers sui et vous bergiere.
M. Ja poar chou ne vous amerai:
M
Ch
M
Ch
M.
Ch
M.
ßergeronette mi, mais fai
Ami bei et cointe et gai.*)
Ch. Bergiere, Dieus vous en doinst
goie !
Puis qn'ensi est, j'irai me voie.
Ilui mais ne vons sonnerai mot.
M. Trairi deluriau deluriau ddu-
relle,
Trairi deluriau deluriau delu-
rot.3)
Ch. Hui main je kevaucoie les
Voriere d*un bois,
Trouvai gentil bergiere, tant
belle ne vit rois.
He! trairi deluriau deluriau
delurelle
Trairi deluriau deluriau delurot.
M. He, Robechon,
Leure, leure va.3)
Car vien a mi,
Leure, leure va.
S'irons jouer
Dou leure leure va,
Dou leure leure va.
Als Robin kommt, entspinnt sich zwischen ihm und seiner
amie ein harmloskindliches spiel in gemeinsamer mahlzeit,
Unterhaltung und tanz. Aber ritter Aubert kehrt zurück, miss-
handelt Robin und entführt Marion, die sich jedoch, vermöge
eigener kraft wieder freimacht und eilends zurückkommt.
Während der ländlichen spiele, die nun folgen und an denen
Robins vettern nebst Huart und Peronnelle teilnehmen, findet
Robert gelegenheit, seinen mut wenigstens gegenüber einem
wolf zu zeigen, dem er ein aus Marions herde geraubtes lamm
wieder abjagt. Zur belohnung dafür wird er vom Spielleiter,
dem rot, mit Marion verlobt. Hat Adam handlungen und per-
sonen auch aus poetischen Vorbildern entnommen, so ist seine
schilderug im einzelnen doch sichtlich naturgetreu, realistisch
im guten sinne des Wortes. Die den mittelpunkt bildende
l) Li in ursprünglichem, demonstrativen sinn (= celui de Robin). —
2) Vgl. dazu den refrain s. 169. — 3) Refrainworte ohne besondere
bedeutnngr.
3. Das weltliche Theater: Adam. — Folgerungen. 491
liebe zwischen Robin und Marion ist ebenso anmutig: und /.:iri
als frisch und natürlich dargestellt. — Von einem anderen
dichter wurde nach Adams tod ein Vorspiel, Ju (Jeu) du
Phlerin hinzugefügt, in welchem ein pilger von Adams grab
in Neapel erzählt und das man der gattung der dramatischen
monologe zurechnen kann.
E. Folgerungen. So sind durch diese ältesten proben
des profandramas sehr verschiedene gattungen vertreten, die im
wesentlichen auch in der späteren entwicklung wiederkehren:
das satirisch gehaltene 'Laubenspiel' rindet seine nachfolger
in den soties (eigentlich 'narrenspiele', zu sot narr) des 15.
und 16. Jahrhunderts; 'Knabe und Blinder' ist ein beispiel der
echten farce, die selbst bei Moliere ihren derbkomischen
Ursprungscharakter häufig noch bewahrt hat (Mariage force,
Fourberies de Scapin u. a.). Die Jongleurdramen sind nichts
anderes als die monologues dramatiques des 15. und 16. Jahr-
hunderts. Nur das Singspiel von Robin et Marion bleibt auf
lange zeit hinaus vereinzelt, es ist eine echte, über der farce
stehende comedie, die sich nicht nur durch einmischen von
gesangstücken, sondern auch durch die wähl des hirtenlebens
in besonderer hinsieht charakterisiert. Erst im 16. und 17. Jahr-
hundert begegnen bergerie und comedie pastoräle als besondere
gattungen wieder, und das Singspiel in modernem sinn (Vaude-
ville — Opera comique) erscheint erst im 18. Jahrhundert. Um
so höher ist das verdienst Adams de le Haie einzuschätzen,
welcher zwar nicht als erfinder des profandramas gelten kann,
aber innerhalb desselben zwei inhaltlich und teilweise auch
bühnentechnisch originelle stücke gedichtet hat.
Vgl. E. Faral, Les mimes francais, P. 1910. — Le gargon et
l'avuegle hg. v. P. Mever. Jahrbuch 6, 163 ff., neue ausg. von
M. Roques, P 1911 (Class*. fr.). Vgl. Cohen, Rom. 41 (1912) 346 ff.
— Le Courtois d'Arras, p. p. E. Faral, P. 1911 (Class.fr). —
Adam de le Haie: vgl. die lit. oben s. 420, dazu die ausg. d.
dramen: Die dem Trouvere A. d. 1. H. zugeschriebenen Dramen.
Genauer abdr. von A. Rambeau, Marburg 1886 (AA 58). Vgl.
L. Bahlsen, A. d. 1. H.'s Dramen, Marb. 1885 (AA 27). — Le Jeu
de la Feuillee p. p. E. Langlois (Class. fr.), P. 1912. — Le Jeu
de Robin et Marion p. p. Ernest Langlois, P. 1896, vgl. dazu
Langlois, Rom. 24 (1895) 437 ff, Tobler LgrP 1896 s. 53 ff, und
Cloetta ZfSL 20 (1896) II s. 28 ff. Georg Reichel, Archiv 91 (1893)
256 ff. Rieh. Meienreis, Adams R. u. M., Diss. L. 1893. Das stück
IV'J XIII. Kapitel. Neue Kunstfornien im 13. Jahrhundert.
wurde 1896 in Arras wieder aufgeführt; vgl. Beilage zur Allgem.
Zeitung (München) no. 203, 2. Sept. 1896; Commemoration d'Adam
de la Halle, P. 1896; Julien Tiersot, Sur le jeu Robin et Marion,
P. 1898.
Über die allgemeine geschieh te des altfranz. theaters vgl. die
oben s. 138 gegebene literatur, bes. über das weltliche drama: Petit
de Juleville, Les Comediens en France au m. ä., P. 1885; La
Comedie et les moeurs en Fr. au m. ä., P. 1886; Repertoire du th.
comique en Fr. au m. ä., P. 1886. Bedier, RddM 1890, bd. 99, 865 ff.
Mortensen, Profandramat i Frankrike, Lund 1897. Jacobsen, Essai
sur les origines de la Comedie en France, P. 1910 (extrait de la
Rev. de Phil. fr.). Faral, Les Jongleurs (oben s. 76) s. 231 ff.
E. Picot, Le monologue dramatique. Rom. 15 (1886) 358 ff, 16, 438 ff,
17, 207 ff
Textsammlungen: Monmerque et Michel, Le th. fr. au m. ä.,
P. 1839. Ancien th. fr. p. p. A. de Montaiglon, P. 1854, 3 vols.
Ed. Fournier, Le th. fr. avant la Renaissance, P. 1872. G. Paris et
Ul. Robert, Miracles de Notre-Dame, 8 vols., P. 1876 — 93 (8. d.
a. t.). Ach. Jubinal, Mysteres inedits du XVe siecle, 2 vols., P. 1837
(vgl. Jul. Poewe, Spr. u. Verskunst d. Myst. ined., Diss. Ha. 1900).
James de Rotschild et Em. Picot, Le mistere du viel testament,
6 vols., P. 1888— 91 (S. d. a. t.) Le Roux de Lincy et Fr. Michel,
Recueil de farces, moralites et sermons joyeux, 4 vols., P. 1837.
P.-L. Jacob, Recueil de farces, soties et moralites, P. 1859. Em. Picot,
Recueil general de sotties I— II, P. 1902 u. 1905 (Sdat).
Vierzehntes Kapitel.
Die altfranzösische Literatur
vom 14. zum 16. Jahrhundert.
Während in der allgemeinen politischen entwicklung die
grenze zwischen mittelalter und neuzeit auf die wende vom
15. zum 16. Jahrhundert fällt, bringt für die französische
literatur erst das auftreten der Plejadendichter in der mitte
des 16. Jahrhunderts einen tiefgehenden und folgenschweren
bruch mit der Vergangenheit. Allerdings hat sich dieser brach
langsam vorbereitet durch das Wiederaufleben der klassischen
Studien, durch die nachahmungen antiker dichtung in der
neulateinischen literatur, durch das eindringen antiker mytho-
logie in die lyrik der burgundischen schule am ende des
15. Jahrhunderts, sowie durch den einfluss der italienischen
literatur auf französische lyrik und prosadichtung in der ersten
hälfte des 16. Jahrhunderts. Aber ebenso sehr, wenn nicht
noch mehr, hängt die dichtung dieser zeit mit den formen und
ideen des mittelalters zusammen. Es ist die zeit, in welcher
die alten Überlieferungen sich allmählich ausleben, in welcher
einzelne gattungen, Stoffe und formen verschwinden oder Um-
wandlungen erfahren, die zeit, in welcher einzelne Symptome
bereits auf die kommende Wendung hindeuten. Im ganzen
also ist es eine zeit des Übergangs, von manchen als 'mittel-
französischer Zeitraum' aufgefasst und bezeichnet. Die dich-
terische begabung einzelner persönlichkeiten aus dieser epoche
ist ebenso wenig zu bestreiten wie die bedeutung eben dieser
epoche für die Vorbereitung der literatur der folgezeit. Aber
doch ist es erst diese, welche die schöpferischen ideen hervor-
494 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum 16. Jahrhundert.
bringt und systematisch zu verwirklieben sucht. Daher wird
man die zwreihundertundfünfzig jähre, welche zwischen der
blütezeit der altfranzösischen literatur und der renaissance-
dichtung liegen, am besten als eine besondere periode inner-
halb der altfranzüsischen literatur, als ihre endperiode, auf-
fassen und darstellen.
Diejenigen literarischen eigentümlichkeiten, welche mehr
oder weniger als charakteristisch für den ganzen Zeitraum
gelten dürfen, verknüpfen denselben mit der unmittelbar vor-
hergehenden entwickluug des 13. Jahrhunderts: so — unter
fortdauerndem einfluss des Rosenromans und seines kreises —
die neignng zur allegorie, die Vorliebe für satire und didaxis,
überhaupt die wachsende bedeutung der belehrenden wissen-
schaftlichen literatur, endlich die beliebtheit der mehr und
mehr zur anwendung kommenden prosaform und die entwick-
luug des bisher nur in einzelnen proben vorhandenen dramas.
Aber es ist auch selbstverständlich, dass trotz solch allgemeiner
tendenzen ein Zeitraum von 250 jähren mancherlei abstufungen
und entwicklungsstadien zeigt, sei es in aufsteigender, sei es
absteigender richtung. Die am wenigsten fruchtbare und
schöpferische periode ist das vierzehnte Jahrhundert: es
pflegt im wesentlichen die traditionen des 13. Jahrhunderts
weiter, lässt einige alte gattungen — wie versepos und fablel
— vollends untergehen, bildet einige lyrische dichtformen
(ballade, chant royal etc.) aus und zeigt in der hauptsache
nur auf dem rein wissenschaftlichen gebiete neue ansätze: eine
anzahl antiker Schriftsteller (Aristoteles — Livius, Sallust,
Cicero u. a.) werden durch Übersetzungen dem allgemeinen
Verständnis zugänglich gemacht. So erscheint auch als be-
deutendster Schriftsteller des Jahrhunderts der historiker
Froissart. Die bedeutung der lyriker neben ihm — Guillaume
de Machaut, Eustache Deschamps — liegt im wesentlichen auf
formalem gebiet.
Weit fruchtbarer ist dem gegenüber das fünfzehntejahr-
hundert. Bildet es auch die rhetorisch-gekünstelte lyrik der
burgundischen schule aus, so stehen daneben doch echte lyriker
wie vor allem Francois Villon. Einen grossen aufschwung
nimmt das theater, das jetzt in grosser zahl nicht nur geist-
liche miracles und mysferes, sondern auch weltliche stücke
Historische Übersicht. 495
hervorbringt wie historische mysterien. lnstspiele und possen
(farces), satirische und politische stücke (softes) sowie die auf
der grenze zwischen geistlichem und weltlichem theater
stehenden »loral/ti's. Der schon jetzt beginnende italienische
einrluss ruft die prosanovelle hervor, welche darnach im
16. Jahrhundert so eifrige pflege findet. Eine reaktion gegen
den Rosenroman. gegen die einseitige beurteilung der frau
durch Jehan de Meung. bildet das auftreten der Christine de
Pisau, der „ersten frauenrechtlerin *', wie sie Gröber nennt.
Das nahen der renaissancebewegung, der befreiuung von mittel-
alterlichen formen und Vorurteilen, macht sich schon bemerkbar.
Die erste hälfte des sechzehnten Jahrhunderts bildet
die eigentliche vorbereitungszeit der renaissance. Die zunächst
noch auf die gelehrten sich beschränkenden humanistischen
Studien ermöglichen das Verständnis nicht nur der lateinischen,
sondern auch der griechischen autoren und ihre Übersetzung
in die französische spräche. Ist auch zunächst der unmittel-
bare einfluss der antike noch gering, bleibt auch das drama
bis zum auftreten Jodelles völlig in den mittelalterlichen formen
befangen, so zeigt doch die lyrische dichtung ebenso wie die
novelle in reichem masse italienische einflüsse, in deren gefolge
auch die humanistischen ideen eingang finden. Rabelais ist
ein durchaus humanistisch gebildeter und von freien refor-
matorischen ideen beseelter geist, er bedient sich der über-
lieferten formen, um sie mit neuem inhalt zu erfüllen. Huma-
nistische bilduug ist bei den dichtem der zeit überhaupt in
reichem masse vorhanden, reformatorische ideen sind bei vielen
von ihnen verbreitet, einzelne extreme geister wie Bonaveuture
des Periers verlockt die begeisterung für die antike zur er-
klärten freigeisterei.
So steht in der ersten hälfte des Jahrhunderts altes und
neues unvermittelt nebeneinander, bis die Piejadendichter auf-
treten und in theorie und praxis die nachahmung der antiken
literatur als mittel zur erreichung der höchsten stufe in der
poesie zum System machen, wobei sie freilich ein übergrosses
gewicht auf die form legen und dem geist der zeit nicht
immer ganz gerecht werden. Immerhin war der bruch mit
der Vergangenheit ein so vollständiger, dass von der Plejade
ab die Verachtung und Unkenntnis der altfranzösischen literatur
496 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum 10. Jahrhundert.
datiert, soweit diese nicht in drucken des 15. und 16. Jahrhunderts
fortlebte. Erst der neuen zeit, dem 18. und in reichstem masse
dem 19. Jahrhundert, blieb es vorbehalten, die bedeutung der
altfranzösischen literatur an und für sich wie in entwicklungs-
geschichtlicher hinsieht wieder in das rechte licht zu stellen.
Eine ausführliche darstellung des hier nur kurz behandelten
Zeitraums wird Ferdinand Heuckenkamp in einem besonderen bände
dieser Sammlung geben. Vgl. von bisherigen darstellungen: 1 1 ist.
litt, de la France, bd. 24ff. G. Paris, Poesie II 186 ff. (XIVe siecle),
213ff. (XVe siecle). Suchier und Birch- Hirschfeld, Lit. s. 234ff,
309 ff. Gröber b. 729 ff, 1037 ff Verschiedene abschnitte in Petit
de Jve., Hist., bd. II und III, bes. von Petit de Julleville (Lea derniers
poetes — Le theätre), Piaget (Litt, didactique — Sermonnaires et
tradueteurs), Ch. V. Langlois (L'historiographie). — Textproben für
14. nnd 15. Jahrhundert in den chrestomatien von Bartsch, Constans,
Clödat, Vgl. ferner für lyrik Eng. Ritter, Poesies des XIV e et
XVe siecles, Genf 1880, G. Paris, Chansons du XVe siecle, P. 1875
(Sdat), Rud. A. Meyer, Franz. Lieder, Ha. 1907 (Beiheft 8 zur ZrP);
für geschichte die Extraits des chroniqueurs fr. (s. oben s. 466). —
Für das 16. Jahrhundert vgl. Sainte-Beuve, Tableau hist. et crit.
de la poesie fr. au XVIe siecle, P. 1828 u. ö. Aug. Brächet,
Morceaux choisis des grands ecrivains fr. du XVI e s., P. 1875 u. ö.
A. Darmesteter et Ad. Hatzfeld, Le seizieme siecle en France,
P. 1878 u. ö. Birch-Hirschfeld, Gesch. d. franz. Litt, seit Anfang
des XVI. Jahrhunderts, I, Stuttgart 1889. H. Morf, Geschichte der
neuern franz. Literatur, I (Renaissance), Str. 1898. Ferd. Brunetiere,
Hist. de la litt. fr. classique, t. I, 1 (Renaissance), P. 1904, I, 2, 1911.
Textausgaben: Sammlung franz. Neudrucke hrsg. von K. Vollmöller,
9 bde., Heilbronn, 1881 — 1888, und Societe des textes fr. modernes,
P. 1906 ff. Proben bei Brächet und Darmesteter et Hatzfeld. —
Über das theater vgl. die oben s. 492 gegebene literatur. — Über
die novelle: Pietro Toldo, Contriburo allo studio della novella
francese del XV e XVI secolo, Roma 1895. G. Paris, La nouvelle
francaise aux XVe et XVI ° siecles, JdSav 1895 s. 289 ff, 342 ff,
auch sep. Karl Vossler, Zu den Anfängen d. franz. Novelle, StvglL 2
(1902) 3ff E. Langlois, Nouvelles inedites du XVesiecle, P. 1908.
W. Söderjhelm, La nouvelle fr. au XV e siecle, P. 1910. W. Küchler,
Die Cent nouvelles, ZfSL 30 (1906) 264 ff, 31, 39 ff. — Lyrik:
Über das fortleben der lieder der mal maricc und der pastourelle
s. Parducci, Rom. 38 (1909) 286ff, ZrP 34 (1910) 55ff, über die
ballade s. Davidson (s. oben s. 461), zum rondel vgl. Stengel ZfSL 19
(1897) 281 ff, zur bürg, schule G. Doutrepont, La litt. fr. ä la cour
des ducs de Bourgogne, P. 1908; H. Guy, Histoire de la poesie fr. au
XVIe siecle, I (Les rhetoriqueurs), P. 1910. Im übrigen s. spezial-
bibliographie bei Petit de Juleville, Gröber, Birch-Hirschfeld, Morf.
Erzählende und unterhaltende Dichtung. 497
A. Erzählende und unterhaltende Dichtung.
Wie im ganzen, ausser in drama und predigt, tritt auch in
der erzählenden dichtung das geistliehe element mehr und mehr
zurück, nur wenige legendenbearbeitungen gehören noch unserem
Zeitraum an. Zahlreicher sind die heldenepen vertreten, deren
letzte ausläufer. zumeist genealogische dichtungen, in das
14. Jahrhundert hereinragen: aus dem Merovingerkreis Charles
le Chauve und Florent et Oclavicn, aus dem Rolandskreis zwei
einleitende dichtungen, die Entree en Espagne und die Prise
de Pampelune, beide in Italien gedichtet, die Prise sowie der
zweite teil der Entree von Nicola da Verona; die Wilhelms-
geste wird durch die Enfances Garin de Monglane, die geste
von Nanteuil durch den Tristan de Nanteuil, die dichtung
von den Haimonskindern durch Maugis d,Aigremo?it und
Vivien Vamachour de Monbranc ergänzt. Ein Spätling ist auch
das dem Stammvater der Capetinger gewidmete epos Hugon
Capet, welches den mütterlicherseits aus einer schlächter-
familie stammenden beiden zum retter der verwitweten königin
und dadurch zum verlobten ihrer tochter Marie und könig von
Frankreich werden lässt. Einem ähnlichen bestreben verdankt
auch das dem geschlecht der vizegrafen von Bourges geltende
epos Lion de Bourges seine entstehung, welches die taten
dieses helden im anschluss an die in derselben handschrift
sich findende Huondichtung berichtet und in die deutsche lite-
ratur als prosaroman von Herpin von Bourges übergegangen
ist. Nicht mit dem alten helden Huon verwant ist der von
Stengel in einer reihe von teildrucken behandelte Huon
d'Auvergne, der (wie Entree, Prise, Auberon und Nicolö's da
Casola Attila) in Italien, und zwar in Venedig, entstanden ist
und dessen hüllenfahrt möglicherweise schon unter dem ein-
fluss von Dantes Inferno steht. Durch originelle erfindung, be-
sonders komischer und satirischer art, zeichnet sich der dem
kreuzzugszyklus angehörige (in der gegend von Valenciennes
verfasste) Baudouin de Sebourg aus, neben den sich als letztes
glied des zyklus der Bastart de Bouillon stellt. Auch das
antike epos findet seine letzten ergänzungen: in den Voeux du
paon und seinen fortsetzungen (Alexandergeste), in der von
Voretzach, Stadium d. afrz. Literatur. 2. Auflage. 32
XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum 16. Jahrhundert.
Nicola von VeroDa Dach Lucan und Faits des Romains 1343
verfassten Pharsale und in den gleichfalls in Italien entstandenen
Enfances Hector.
Eine Umgestaltung, wenngleich keinen fortschritt zum
bessern, sondern vielmehr den Übergang zu Weitschweifigkeit
und endloser länge bedeutet das umdichten alter zehnsilbner-
epen in alexandrinerlaissen, das seit dem ende des 13. Jahr-
hunderts (Girart de Viane), besonders im 14. Jahrhundert
geübt wird (Ogier der Däne, Girart von Roussillon, Garin der
Lothringer, Huon von Bordeaux u. a.). Die letzte und häufigste
entwicklungsstufe aber bildet die Umarbeitung von alten helden-
epen in prosa, wozu die alexandrinerversion häufig die mittel-
stufe bildet. Mit dem Galien le restore beginnt, wie es scheint,
am ende des 13. Jahrhunderts die prosawut auch auf diesem
gebiet, fast alle bekannten epen sind diesem Schicksal ver-
fallen und in dieser gestalt den buchdruckereien überliefert
worden, so dass der inhalt der alten epen, wenn auch meist
in sehr entstellter, nüchterner form, den folgenden Jahr-
hunderten erhalten blieb. Hie und da bildet die prosa-
bearbeitung den einzigen rest der alten dichtung wie bei
Loher und Maller (Maillart), der uns nur aus deutscher Über-
lieferung bekannt ist, aber nach der angäbe am schluss im
jähre 1405 (aus dem lateiu) auf französisch niedergeschrieben
wurde und mancherlei berührungen mit alten Überlieferungen
(Floovent, vgl. oben s. 84, Gormont und Isembart, Anse'is de
Cartage) zeigt. Einige dieser romane, wie z. b. der von
Meurvin (Ogiers söhn), Gerard d'Euphrate, Thcseus von Köln,
mögen auch ohne versvorlage entstanden sein, lassen aber
auch dann keine Originalität der erfindung erkennen. Es tritt
uns in diesen prosaromanen meist eine pedantische, aufs
nüchtern -logische gerichtete auffassung und bearbeitung der
alten dichtungen und ihrer ideale entgegen.
Eine ähnliche entwicklung zeigt auch der höfische
roman, nur dass sie hier viel früher einsetzt und schon seit
anfang des 13. Jahrhunderts zum entstehen grosser prosaromane
führt, Kur noch vereinzelt begegnen daher im 14. Jahrhundert
versdichtungen wie La Dame a la lycome (der liebes-
roman einer edelfrau, die vom liebesgott zur hüterin eines
einhorns bestellt wird; der anfang in zehnsilbnern, der haupt-
Erzählende uud unterhaltende Dichtung. 499
teil in aehtsilbnern, mit eingestreuten liedern), wie Richard le
, Brun de la Montaigne und Lion de Bourges, der uns
bereits als ehanson de geste bekannt ist. Am beliebtesten
blieb von allen gattungen des höfischen romans der liebes-
roman: so wurde der ManekinestofT im 14. Jahrhundert noeh
zweimal bearbeitet in der Comtesse d'Anjou und in der Belle
Helene (die hier als mutter des hl. Martin erscheint). Das
ende der entwicklung ist auch hier die prosaform: Jean
Wauquelin aus Mons tiberträgt gegen mitte des 15. Jahr-
hunderts die Helene ebenso wie vorher den Girart de Roussillon
in-prosa. Die in Poitou heimische, an das geschlecht der grafen
von Lusignan geknüpfte Melusinensage wird nahezu gleichzeitig,
ende des 14. und anfang des 15. Jahrhunderts, von Jehan
d 'Ar ras als prosaroman, von Coulo rette als versroman
bearbeitet. Den von R. Kaltenbach (Erlangen, Rom. Forsch.,
1904) neu veröffentlichten roman Paris et Vienne kennen wir
nur in prosaform, er ist von einem Provenzalen, Pierre de la
Cepede aus Marseille, auf französisch verfasst und nach
dessen angäbe aus dem provenzalischen tibersetzt. Nachklänge
der Artusdichtung endlich sind prosaromane wie Perceforest
und der mit erinneruugen an den Huon von Bordeaux, be-
sonders an die figur Auberons, reichlich durchsetzte Ysa'ie le
Triste.
Einen fortschritt in inbalt und tendenz. eine annäherung
an den wirklichkeitsroman bedeutet es, dass einzelne dichter
anfangen, persönlichkeiten der jüngsten Vergangenheit zum
gegenständ biographischer romane zu machen. So besingt in
der form der ehanson de geste Cuvelier um 1384 leben
und taten des aus dem kriege gegen die Engländer und aus
anderen kriegen bekannten, 1380 gefallenen Conn^table Bertrand
Duguesclin, und im folgenden Jahrhundert schreibt Antoine
de la Säle seinen biographischen prosaroman Le Petit Jehan
de Saintre, in welchem historische Verhältnisse und persönlich-
keiten romanhaft verarbeitet werden.
Von einem alten prosaroman tiber den riesen Gargantua
hingegen geht Rabelais aus, als er seinen Gargantua und
Pantagrael schreibt. Er ist der eigentliche Schöpfer des
modernen romans, er zuerst hat moderne ideen und probleme
in seinem roman dargestellt und erörtert. Demgegenüber ist
32*
500 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum H>. Jahrhundert.
das Wiederaufleben des ritterromans in der Übersetzung des
spanischen Amadis de Gaula durch Herberay des Essarts
(1540 — 48) als ein — noch auf den roman des 17. Jahrhunderts
wirkender — rückschritt in der entwicklung des romans zu
bezeichnen.
Der allegorische roman wahrt auch weiterhin seine be-
liebtheit, wie die schon früher (s. 485 f.) genannten allegorischen
dichtungen des 14. Jahrhunderts, die Pelerinages Guillaumes
de Deguilleville, die Prise amoureuse Jehans Acart, das
Chapel de fleurs de lis Philippes von Vitry u. a. beweisen.
Auch der Rosenroman selbst bleibt in gunst, trotz der
proteste, welche gegen seine Verunglimpfung der frauen er-
hoben werden. Am ende des 15. Jahrhunderts gibt Jean Molinet
eine prosabearbeitung des romans, und Clement Marot be-
arbeitet den alten verstext für eine neuausgabe im druck. In
lyrischer wie dramatischer dichtung ist der einfluss des Rosen-
romans und seiner allegorien zu verspüren. Auch das tier-
epos ist mit dem 50000 verse umfassenden llenurt le contrefait
(1319—1322 in Troyes verfasst, 1328—1341 umgearbeitet) ganz
im gefolge der allegorisch-lehrhaften dichtung, ebenso wie der
allegorisch -satirische roman vom pferd Fauvel (symbol der
falschheit).
Wie aus dem alten versroman allmählich der moderne
prosaroman, geht aus den novellenartigen dichtungen des
mittelalters die prosanovelle hervor. Die anfange dazu bot
schon die vorige epoche mit Aucassin et Nicolete, Comtesse de
Ponthieu, Flore et Jthanne u. a. Es handelt sich also zunächst
um eine selbständig in Frankreich entstandene literaturgattung
(gewöhnlich als istoire bezeichnet), und eine Weiterbildung
derselben in der richtung ihrer anfange als liebesnovelle würde
von selbst zu dem geführt haben, was wir unter dem begriff
der modernen novelle verstehen. Die entwicklung ist aber in
der folgezeit durch einwirkung der italienischen novella gestört
worden, welche nicht nur den namen für die neue gattung
bringt, sondern ihren begriff auch wesentlich beeinflusst, d. h.
erweitert, indem sie ausser der episodenhaften liebesgeschichte
auch erzählungen scherzhaften und selbst obscönen Charakters,
wie alte fablelstoffe, auch anekdoten, bonmots und dergleichen
aufnimmt (Cento novelle antiche — Boccaccios Decamerone).
Erzählende und unterhaltende Dichtung. 501
Eine anzahl französischer und provenzaliseher ei/.iihluugsstoffe
gelangen so auf dem umwege Über Italien als prosanovellen
wieder nach Frankreich zurück, wo die fableldiehtung seit
anfang des 14. Jahrhunderts erloschen ist (s. oben s. 456). Was
das 14. Jahrhundert an prosanovellen bietet, ist freilich wenig:
die christliche novelle von Assencth (Potiphars tochter) und
Joseph, die sich im Miroir historial, in der franz. Übersetzung
des Speculum historiale des Vincenz von Beauvais durch Jean
de Vignay, findet, und eine dem umfaug nach eher einem
roman ähnliche bearbeitung der geschiente von Tro'ilus et
Brise'ida durch Pierre von Beauveau, welcher aus Boccaccios
Filostrato schöpft (s. oben s. 286).
Im 15. Jahrhundert jedoch erscheint die novelle im
italienischem sinn, mit italienischem namen und zugleich, wie
dort, in umfangreichen Sammlungen: auf die älteste französische
Übersetzung des Decamerone durch Laurent de Premierfait
im anfang des Jahrhunderts folgen zwei französische Samm-
lungen, einmal die berühmten Cent nouvelles nouvelles des
schon vorhin erwähnten Antoine de la Salle (um 1460)
und dann eine etwas jüngere, aber weit kunstlosere anonyme
Sammlung von 43 nummern. Die erste hälfte des 16. Jahr-
hunderts bringt eine reihe novellensammlungen, die bald mehr,
bald weniger italienischen einfluss verraten: den (bisher
ungedruckten) Recueü des Philippe von Vigneulles (1515),
den Grand Parangon des nouvelles nouvelles des sattlers
Nicolas von Troyes (1536 — 1537), die erzählungen des
Bona venture des Periers {Nouvelles reercations et joyeux
devis, 1558 aus dem nachlass gedruckt). Als meisterwerk
der gattung erscheint (erst 1558 gedruckt, aber 1545 — 1549
entstanden) das Hepiameron der königin Margarete von
Navarra, welche auch die rahmengeschichte des — 1545
aufs neue von Le Macon ins französische übersetzten —
Decamerone nachahmt.
So ist am schluss der periode in der erzählenden dichtung
überall die prosa siegreich durchgedrungen (abgesehen von
vereinzelten dichtungen wie von Bourdigne^s Schelmenroman
Legende de Pierre Faifeu). Die novelle findet Weiterentwicklung
und reiche entfaltung unter italienischem einfluss. Der roman
entwickelt sich erst als modernbiographischer roman freier und
502 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum 16. Jahrhundert.
findet seinen höhepunkt in Rabelais, „der hoch aufgerichtet
der französischen Renaissance voranschreitet", aber „noch die
Last seines Montage auf seinen kraftvollen Schultern trägt"
(Morf).
B. Das Theater.
Sowohl das ehedem in den schlossern und nachher auf
den öffentlichen Strassen von den Jongleurs vorgesungene
heldenepos als auch der vor dem vornehmen publikum vor-
gelesene versroman ist mit dem ausgehenden mittelalter zur
reinen buchdichtung, zum leseroman geworden. In dieser hin-
sieht, als hörbare, der allgemeinheit zugängliche unterhaltungs-
dichtung, ist epos und roman ersetzt worden durch das
quautitativ mehr und mehr sich ausbreitende theater, dessen
älteste überlieferte denktnäler uns seit dem 12. und 13. Jahr-
hundert begegnet sind, das aber in seinen anfangen noch,
weiter in das frühe mittelalter zurückreicht (vgl. oben s. 78, 137,
427, 486 ff.). Das 14. Jahrhundert zeigt freilich nur geringe
fortschritte auf diesem gebiet. Das durch Adam de le Haie
im 13. Jahrhundert so hervorragend vertretene weltliche drama
fehlt fast ganz, abgesehen von einem dialogischen schwank
(farce) Eustaehes Deschamps 'Maistre Trubert', in welchem
der held des alten Schelmenromans (s. oben s. 457) als durch-
triebener, aber schliesslich doch geprellter advokat erscheint.
Das dramatische hauptwerk des Jahrhunderts sind die — von
verschiedenen Verfassern herrührenden, aber in einer hand-
schrift überlieferten — vierzig Mira des de Nostre Dame
par personnages , dramatische bearbeitungen von erzählenden
Marienmirakeln (wie schon im 13. jahrhuudert Rustebuefs
Miracle de Theophile) nach Gautier de Coincy und anderen
quellen (Robert le Diable, Barlaam et Josaphat etc.), mit ein-
gestreuten rondeaux, die von den engein gesungen werden.
Diese miraeles wurden nicht mehr in oder vor der kirche,
auch nicht mehr von geistlichen gespielt, sondern von einer
privaten Vereinigung, einem Tuy (vgl. oben s. 459). Dadurch,
dass auch das ernste drama von der kirche unabhängig wurde,
gewann es grössere freiheit der entwicklung. So finden wir
schon am ende des 14. Jahrhunderts (1395) ein ernstes drama
weltlichen Charakters in der Griseldis, welche die aus Boccaccios
Du Theater. 503
novelle (Dee. X, 10) bekannte dulderin vorführt. Schliesslich
fallen auch die ältesten moralites noch in die zweite hälfte
des 14. Jahrhunderts: allegorische, auf moralische belehrung
oder politische satire ausgehende stücke, welche zwar auch
vom geistliehen drama ausgehen, aber im ganzen dem profan-
drania zuzurechnen sind. Das älteste bekannte stück der art
stammt von Eustache Deschamps (1360): das Bit des qui
Offices de Vostel du roi, der streit von küche, Weinkeller, brot-
bäckerei und saucenbereitung.
Im 15. Jahrhundert rinden wir eine ausgedehnte Pro-
duktivität auf allen gebieten des dramas, die vor allem untertützt
und gefördert wird durch die verschiedenen genossenschaften,
welche die aufführung der einzelnen dramatischen gattungen
in die band nehmen. Das ernste — religiöse oder historische —
drama wird besonders gepflegt von den handwerkergenossen-
schaften, speziell in Paris von der sog. Confrerie de la Passion,
welche seit 1402 das kgl. privileg zur aufführung geistlicher
dramen für Paris und umgegend besitzt. Die heiteren gattungen
werden durch andere gesellschaften vertreten, wie für Paris
durch eine juristische gesellschaft, die Basoche, welche das
privileg für dramatische aufführungen an bestimmten fest-
tagen besass und unter einem roi als Vorsitzendem stand, und
durch die Enfants sans souci, welche narrenstücke aufführten,
auch darsteiler für die komischen rollen in den ernsten
stücken der Confrerie hergaben und sich selbst sots, ihren
ersten Vorsitzenden prince des sots, den zweiten mere sötte
nannten. In den provinzialstädten bestanden ähnliche gesell-
schaften.
Die geistlichen dramen, wie sie uns im 12. und 13. Jahr-
hundert in dem anglonormannischen Adamsspiel und in der
Resurrection begegnet sind, erscheinen seit der mitte des
15. Jahrhunderts unter dem namen mysferes (von mysterium,
unter einwirkung von Ministerium). Der begriff umfasst auch
das ernste historische drama wie den Siege ä" Orleans (bald nach
1429) oder Jacques Milet's Bestmction de Troie (1450 — 52),
im wesentlichen aber die drei religiösen cyclen: Stoffe des
Alten Testaments, des Neuen Testaments und der heiligen-
geschichte. Diese mysterien, 60 an zahl, sind teilweise sehr
umfangreich, reich an personen und Szenenwechsel, daher auf
504 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum 16. Jahrhundert.
der mysterienblihne die verschiedenen örtlichkeiten neben-
einander dargestellt waren (s. die tafel bei Suchier s. 286).
Die bekanntesten mysterien sind: das Mistbre du Vieil Testa-
ment (ausgäbe Sdat) eine kompilation von nahezu 50 000 versen,
aus verschiedenen stücken bestehend, die aber zusammen auf-
geführt wurden; die rund 34000 verse zählende, auf vier
tagesaufführungen verteilte Passion von Arnoul Greban (1450),
der zusammen mit seinem bruder Simon auch die apostel-
geschichte in 62 000 versen dramatisiert hat; endlich zwei
mysterien von Ludwig dem Heiligen, darunter das mystbre
de la vie monseigneur sainct Loys von Pierre Gringore
(erstes drittel des 16. Jahrhunderts). Eine innere entwicklung
lässt sich trotz der massenhaftigkeit der produktion in der
mysteriendichtung nicht verfolgen. Es bleibt dramatisierte
epik mit einer überfülle von personen und szenen. Dazu
schadete die einmischung des komischen elements auch der
auffassung des ernsten und heiligen. So wurde durch
beschluss des gerichtshofes von Paris, des sog. Parlaments,
die dramatische Vorführung religiöser stoffe 1548 über-
haupt verboten, so dass das ende der charakteristischsten
gattung des mittelalterlichen dramas mit dem auftreten der
klassischen tragedie (Jodelle's Cleopätre 1552) ziemlich genau
zusammenfällt.
Von den gattungen des profandramas ist dem geistlichen
drama die allegorisch -lehrhafte moralite am nächsten ver-
want. Meist bezeichnet schon der titel inhalt und tendenz
des Stückes zur genüge. Bien- Avise, Mal- Avise (8000 verse)
stellt die verschiedenen wege der zwei titelhelden dar, deren
erster sich von Baison leiten lässt und zu Foi, weiterhin zu
Contrition, Conf'ession, Penitence und schliesslich zu Satisfaction
gelangt, während der zweite der Oisance und Bebellion folgt
und mit hilfe von Desesperance , Pauvrete und Male-Chance
bei Male-Fin endigt. Ähnlichen Charakters ist auch die Con-
damnation des Banquets von Nicolas de la Chesnaye, der
nicht nur die verschiedenen krankheiteu, sondern auch die
heilmittel, von Biete und Sobriete bis zu Pillides, Saignee und
Clystbres, personifiziert auftreten lässt, während andere stücke
durch bearbeitung biblischer und legendarischer erzählungen —
vom verlorenen söhn usw. — moralisch zu wirken suchen
Das Theater. 505
{moralite historique) und wieder andere in das gebiet der
politischen satire Übergreifen (moralite polvmupie).
In dieser hinsieht berühren sie sich mit der sotic, welche
gegen mitte des 15. Jahrhunderts zuerst begegnet und stets
satirisch, bei allgemeiner satire auch mit Verwendung der
allegorie, meist aber politisch -satirisch ist wie namentlich
unter Ludwig XII., der sich die sotie zu politischen zwecken
gern gefallen Hess. Als bekanntestes stück dieser zeit ist
Gringore's Jeu du prince des sots zu nennen, in welcher der
könig als Prince des Sots und die falsche kirche als Mere
softe einander gegenübergestellt werden.
Moralite und sotie haben die mitte des 16. Jahrhunderts,
d. h. das renaissancedrama, nicht tiberlebt, zu ihren letzten
Vertretern zählt Margarete von Navarra (gest. 1548). Um so
lebenskräftiger erwies sich die dritte gattung des weltlichen
dramas, die farce, welche uns schon im 13. Jahrhundert be-
gegnet (s. oben s. 491) und auch durch die renaissancekomödie
nicht verdrängt wurde. Der name erklärt sich aus lat. farsa
(von farcire, vgl. oben s. 136 epitre farcie) und bedeutet 'die
fülle', d.i. ursprünglich eine in ein ernstes drama eingeschobene
komische szene. Mehr als 150 farcen sind uns überliefert,
stücke in der art unserer possen oder derberen lustspiele:
intriguenstücke mit groben missverständnissen, dickaufgetragener
komik. pvtigelszenen usw. Die farce hält sich unter ihrem
hergebrachten namen bis in den anfang des 17. Jahrhunderts
und wirkt in der comedie des 17. Jahrhunderts noch lange
nach (vgl. Molieres Fourberies de Scapin, Vilain mire, Mariage
foret u. a.). Als eine der besten farcen, die auch heute noch
in der neueinstudierung der Pariser Comedie francaise ihre
Wirkung nicht verfehlt, ist das advokatensttick (vgl. oben
Trubert) Maistre Pierre Pathelin aus der zweiten hälfte des
15. Jahrhunderts zu erwähnen, dessen held einen kaufmann
auf listige weise um sechs eilen tuen betrügt, vor gericht dem
diebischen schäfer des kaufmanns wider recht und gewissen
zu einem obsiegenden urteil verhilft, schliesslich aber selbst
von dem schlauen schäfer um den lohn geprellt wird. Wie
die moralite" hat auch die farce ihre abarten, so besonders
die farce morale. Kleinere dramatische gattungen sind der
monologue (vgl. oben s. 487) und der sermon joyeux.
506 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum 16. Jahrhundert.
Im ganzen zeichnet sich das drama des mittelalters mehr
durch seine masse als durch innere bedeutung und fortschrittliche
entwicklung aus. In dieser hinsieht bedeutete die renaissance-
bewegung zweifellos einen fortschritt, vor allem für das ernste
drama, während die auf volkstümlichen, nationalen Ursprung
zurückweisende heitere gattung durch die renaissance nur
äusserlich verändert wird und mit der com^die der folgezeit in
enger beziehung steht.
C. Lyrik und verwante Gattungen.
Während die höfische lyrik der blütezeit in den puys des
13. Jahrhunderts zur bürgerlichen dichtung wird, erscheinen
uns die hervorragenden dichter des 14. und 15. Jahrhunderts
mehr oder weniger als hofpoeten, wodurch inhalt und form
der dichtung vielfach bestimmt und, wie in der höfischen
lyrik der blütezeit, formelhaft wird. Der didaktischen richtung
des ausgehenden mittelalters gemäss spielt das lehrgedicht
eine grosse rolle, auch die ältesten französischen poetiken
fallen in diese zeit.
Als Vertreter der neuen dichtformen wird Guillaume de
Machaut (ca. 1300 — 1377) betrachtet, welcher ausser einem
auf persönlichen erlebnissen beruhenden liebesroman mit ein-
gestreuten lyrischen dichtungen (Voir dit) und einer reim-
chronikartigen dichtung über die einnähme Alexandriens durch
Peter I. von Lusignan, könig von Cypern {Prise d'Älexandrie)
vor allem lyrische dichtungen hinterlassen hat: bailaden, chants
royaux, rondeaux, virelais, lais, motets. complaintes. Die
bailade hat sich allmählich aus den formen der alten
pastourelle und der chanson heraus entwickelt, sie besteht stets
aus drei Strophen mit gleichen reimen und refrain, wozu seit
Eustache Deschamps noch das envoi (vgl. s. 311) kommt; die
strophe zählt 8 achtsilbner oder 10 zehnsilbner. Chant (oder
chanson) royal besteht aus fünf Strophen, meist mit zehn-
silbigen versen, ist aber im übrigen der ballade sehr ähnlieh.
Das vireli (zu virer drehen, also „drehe sie") oder virelai
ist wie das rondeau (s. 458) von haus aus ein tanzlied, das
ganze dreistrophige gedieht wird mit den refrainzeilen ein-
geleitet. Die übrigen gattungen folgen mehr oder weniger
Lyrik und verwarne Gattungen. 5ü7
den überlieferten vorbilden) (vgl. 8. 350 ff., 458). Als Verfasser
FOD balladen und virelais vor Guillaunie de tfachaut darf viel-
leicht Jehannot de l'Escureul gelten, falls die zeit seines
dichtens noch in das ende des 13. Jahrhunderts fällt. Nach
Guillaunie sind im 14. Jahrhundert als lyriker noch hervor-
zuheben Jehan de Froissart (1337 bis ca. 1405), welcher
längere zeit an den höfen von England und Brabant lebte und
dichtete, auch zu anderen fürstlichen personeu beziehungen
hatte und vor allem das liebeslied in den genannten üblichen
formen gepflegt, daneben aber auch pastourelleu und den
roman Meliador gedichtet bat, und Eustache Deschamps
(1340 — 1406 oder 1407), der vielseitigste und fruchtbarste
dichter dieser zeit (10 bände in der Soci^te" des auciens textes).
Diplomat im dienste Karls V. des Weisen, später Steuerdirektor
bat er mehr als 80 000 verse gedichtet, über 1100 balladen,
nahezu 200 rondeaux und ausser einer reihe weiterer kleinerer
poesien noch zwei grössere, unvollendete gedickte allegorischer
richtuog, die Fiction du Lyon und den Miroir du Mariage,
endlich die älteste franz. poetik, den Art de dictier et de fere
cliancuns, verfasst. In der balladenform bat er die mannig-
faltigsten themen aus der Zeitgeschichte, aus liebe und leben,
schliesslich auch einige fabeln behandelt. In grösseren Samm-
lungen vereinigt erscheinen fabeln und schwanke mit be-
stimmter moralischer absieht in den Yzopets (s. 152 f.) sowie in
den Contes moralises des anglonormaunischen mönchs Nicole
Bozon (anfang des 14. Jahrhunderts). Sonst wird die rein
didaktische literatur in dieser zeit vor allem durch die gattung
der moralisierenden dits vertreten.
Auch im 15. Jahrhundert bleiben die genannten lyrischen
gattungen in dauernder gunst. Das Livre des cent ballades,
' vrai bouquet de fleurs de gräce et de courtoisie' (G.Paris),
erzählt in balladenform die begegnung eines Jünglings mit
einem alten ritter und einer jungen, schönen dame, die ihm
entgegengesetzte ratschlage in Sachen der liebe geben. Als
hervorragende Vertreterin der höfischen dichtung erscheint in
dieser zeit Christine von Pisan (1364 bis ca. 1430), welche
den protest gegen den Rosenroman und dessen herabsetzung
der frauen aufnimmt (Epistre au dien d'amours), wobei sie
einen nachfolger und helfer in Martin Lefranc [Champion des
508 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum 16. Jahrhundert.
dames 1442) findet; aber in form und stil vermag sie gerade
in ihren grösseren dichtungen — Chemin de lony estude 1403,
Mutation de Fortune 1404, Vision 1405 — mit ihren Visionen
und allegorien den einfluss des Rosenromans nicht zu verleugnen.
Alain Chartier (1390 oder 1392—1430) hat sich nicht nur
als lyrischer und didaktischer dichter (Livre des quatrc dames
1416, La belle dorne sans mercy 1426), sondern auch als pro-
saiker (selbst als lateinschreibender) einen namen gemacht,
dessen rühm in der folgezeit uns heutzutage wenig begründet
erscheint während man seinen Zeitgenossen, den prinzen Karl
von Orleans (1390 — 1465), gern als wahren dichter gelten
lässt, der, 1415 in der seh lacht von Azincourt durch die Eng-
länder gefangen genommen und 25 jähre lang gefangen ge-
halten, während seiner gefangenschaft wie nach seiner befreiung
in balladen, rondeaux und chants royaux seine empfindiiDgen
zum ausdruck bringt.
Eine besondere gruppe neben diesen dichtem bilden die
dichter der sog. burgundischen schule, die rhetoriquewrs,
welche sich in der zweiten hälfte des 15. Jahrhunderts um
den hof Philipps des Guten und Karls des Kühnen sammeln
und den hauptwert auf die form, auf reimspiele und wort-
geklingel legen: Georges Chastellain, 'le pere de toute
eette öcole bourguignonne' (G. Paris), Jean Molinet,
Olivier de la Marche und zuletzt Jean Lemaire de
Beiges (1473 bis ca. 1514), der schon italienische einflüsse
(terzine) erkennen lässt und berührungen mit dem humanismus
zeigt.
Gegenüber diesen dichtem erscheint Francois Villon
(geb. 1431, seit 1463 verschollen) als Vertreter echter, un-
gekünstelter, wahrhaft empfundener dichtung in seinem Grand
Testament, seinem Petit Testament (oder Les Lais d. i. nfrz.
legs), in seinen balladen, die zum teil in der gaunersprache
(gobelin) gedichtet sind, in seinen rondeaux und sonstigen
kleineren dichtungen. Er stellt dar, was er selbst in seinem
wechselvollen leben eines boheinien erlebt und empfunden hat.
Er ist der hervorragendste lyriker des 15. Jahrhunderts. Be-
merkenswert ist auch, dass jetzt im 15. Jahrhundert das Volks-
lied in sichtbaren denkmälern, mit wort und weise, hervortritt,
nachdem es das ganze mittelalter hindurch von den schrift-
Geschichtswissenschaft and Übersetzuugsliteratur. 509
kundigen zu gunsten der kunstpoesie unbeachtet gelassen
worden war. Eine reiche fülle von anonymen historischen
liedern bringt die bewegte zeit des 16. Jahrhunderts hervor.
Volksmässig sind auch die trink- und liebeslieder des angeblich
im jähre 1450 im kämpf gegen die Engländer gefallenen
walkmüllers Olivier Basselin aus dem tal der Vire. welche
dem namen val de Vire — vauderire — vaudeville seinen
Ursprung gegeben haben.
Die bedeutenden dichter aus der ersten hälfte des 16. Jahr-
hunderts sind im wesentlichen wieder hofdichter, schon teil-
weise humanistischen, deutlich aber italienischen einfluss
zeigend; neben dem die 'poesies fugitives' liebenden, in der
glaubensfrage opportunistischen Melin de Saint-Gelais
(1491—1558) steht der wegen seines glaubens verfolgte
Clement Marot (1495—1544), ein gelegenheitsdichter im
guten sinne des Wortes, dem ernste wie heitere ereignisse des
lebens zum gedieht werden, der aber auch eine vielgebrauchte
psalmenparaphrase geliefert hat. Als fruchtbare religiöse
dichterin erscheint neben ihm seine gönnerin Margarete von
Navarra. Mit dem Lyoner dichterkreis, welcher dem
neuplatonismus und der spiritualistischen liebe huldigt, und
besonders mit der Lyoner dichterin Louise Labe, der 'belle
cordibre\ welche zwar den streit zwischen sinnlicher und
geistiger liebe unentschieden lässt, aber klassisch gebildet ist
und die italienische sonettenform bevorzugt, stehen wir schon
hart vor der pforte der wahren renaissaneezeit.
D. Geschichtswissenschaft und Übersetzungs-
literatur.
Schon die entwicklung des 13. Jahrhunderts hat gezeigt,
dass die wissenschaftliche literatur anfängt von der lateinischen
spräche einerseits oder von französischer versdichtung andrer-
seits zur darstellung in französischer prosa überzugehen. Das
gilt nicht nur von der geschichtswissenschaft, sondern von
rechtswesen, kriegswesen usw. Die meisten dieser Wissen-
schaften treten so allmählich als fachwissenschaften aus dem
rahmen der eigentlichen literatur heraus, während gebiete
510 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum Iti. Jahrhundert.
wie die geschichtswissenschaft, die religionswissenschaft und
die — erst spät sieh entwickelnde — literaturwissenschaft
wegen ihrer allgemeinen bedeutung für die entwicklung
auch fernerhin berücksichtigung in der literaturgesehichte
verlangen.
Die geschichtswissenschaft weist mit dem anfang des
14. Jahrhunderts in Guillaume Guiart (Branche des royanx
lignages — zweig der königsgeschlechter, d. i. geschichte der
sechs nachkommen Philippe -Auguste's), Geoffroi von Paris
(Chronik der jähre 1300 — 1316) und Pierre Langtoft, einem
Spätling der anglouormannischen literatur (Geschichte Englands)
die letzten Vertreter der reimchronik (in paarweisen achtsilbnern,
vgl. s. 445 f.) auf. Cuveliers Duguesclin (oben s. 499) ist ebenso
wie der um 1350 verfasste Combat des Trente (La bataüle de
trente Englois et de trente Bretons) metrum und stil nach mehr
der epik als der geschichte zuzurechnen. Im übrigen teilen
sich die Chronisten in der hauptsache in solche, welche die
geschichte der antiken oder französischen Vergangenheit dar-
stellen, und in solche, welche die geschichte ihrer eigenen zeit
schildern wollen. Zu jenen gehört Raoul le Fevre mit
seinem auf lat. quellen (Guido de Columna, vgl. oben s. 285,
Boccaccios Genealogia deorum) beruhenden Recacil des Jüstoires
de Troie (1464) und auch noch Jean Lemaire de Beiges,
dessen Illustrations des Gaules et singularitez de Troie 1510
bis 1513 in drei bänden erschienen, die darstelluug bis auf
Pippin den Kurzen führen und der folgezeit vor allem als
muster guter, künstlerischer prosa dienen. Die geschichts-
wissenschaft selbst aber wird mehr gefördert durch die Ver-
treter der zweiten gruppe: Jean le Bei (gest. 1370, schrieb
die chronik der jähre 1326—1361: Vrayes chronigues), Jean
de Froissart (1337 bis ca. 1410, vgl. s. 507) und Philippe
de Commines (ca. 1443 — 1511). Der auch als dichter wol-
bekannte Froissart (s. o.) erzählt in seiner Chronique die geschichte
der seit 1328 dauernden kriege mit England, zuerst in anlehnung
an Jean le Bei, dann auf grund eigener, sorgfältiger Studien
und reisen, im einzelnen nicht immer mit der notwendigen
kritik gegenüber seinen gewährsmännern und daher nicht
überall zuverlässig, aber mit grosser literarischer begabung.
Zwischen Froissart und Commines ist als geschichtschreiberin
Geschichtswissenschaft und Übersetzungsliteratur. 511
auch Christine von Pisan (vgL oben) mit einer biographie
Karls V. zn nennen. Philippe von Commines endlich stellt in
Beinen Memoires die zeit von 1464 — 1498 dar, ohne gelehrte
bildung und ohne Froissarta schriftstellerisches geschick, alter
mit eindringendem politischen und psychologischem Verständnis
der personell und tatsachen: "le premier qui, absolnment d£-
pourvn d'imagination, se soit interesse k la recherche des
causes en psychologue et en moraliste' (Langlois).
Von der sonstigen wissenschaftlichen Literatur des 14. und
15. Jahrhunderts sind besonders charakteristisch die — zumeist
auf anregung fürstlicher personen zurückgehenden — Über-
setzungen aus der klassischen und spätlateinischen literatur.
So übersetzt Pierre BerC/Uire für könig Johann den Guten
(1350—1364) den Titus Livius (1352—1356). Nicole Oresme
für Karl V. (1364 — 1388) den Aristoteles, eine schar von
anderen Übersetzern muss für denselben könig Senecas an-
geblichen traktat De remediis fortuitorum, Augustins Civitas
Dei , den Liber de informatione principum und andere werke
weltlichen und geistlichen inhalts übersetzen. Anfang des
15. Jahrhunderts beschäftigte der herzog Johann von Berry eine
anzahl Übersetzer, darunter auch Laurent de Premierfait,
welcher 1409 Boccaccios De casibas illustrium virorum und
gegen 1414 nach lateinischer vorläge desselben Decamerone
übersetzt. In der zweiten hälfte des Jahrhunderts ist es der
burgundische hof, welcher diese tätigkeit unterstützt, besonders
Karl der Kühne, für welchen Vasco de Lucena (ein geb.
Portugiese) 1464 die geschichte Alexanders des Grossen von
Quintus Curtius und 1470 die Cyropädie Xenophons (nach lat.
Übersetzung) bearbeitet.
Zeigt auch die auswahl der Schriftsteller nnd werke,
dass es den fürstlichen gönnern und den Übersetzern
weniger auf eine systematische bekanntschaft mit dem
klassischen altertum als auf weltliche oder geistliche be-
lehrung ankam, so ist doch das ganze beginnen vorbedeutend
für die ausgedehnte und folgenreiche tibersetzertätigkeit
der humanisten des 16. Jahrhunderts, für das eindringende
Studium antiker Wissenschaft und dichtung, welches die
grundlage für die reform der französischen dichtung bilden
sollte.
512 XIV. Kapitel. Die altfr. Literatur vom 14. zum 10. Jahrhundert.
Die renaissancebewegung bedeutet das ende der alt-
französischen literatur fast auf allen gebieten, auf denen diese
sich nicht schon von selbst erschöpft hatte. Aber die be-
deutung der altfranzösischen literatur wird durch ihren verfall
und ihr ende in keiner weise beeinträchtigt: sie hat, besonders
in ihrer blütezeit, eine reihe werke von dauerndem wert her-
vorgebracht, sie hat den gruud ftir die weitere entwicklung
der französischen literatur gelegt und auf zahlreiche fremde
literaturen tiefgehende einflüsse ausgeübt.
Glossar.
Das glossar gibt die Wörter in der form, in welcher sie in den hier
abgedruckten texten begegnen. Bei vorkommen mehrerer, zeitlich oder
dialektisch verschiedener formen für ein uud dasselbe wort ist die zeitlich
älteste oder die francische form der alphabetischen einordnung zugrunde
gelegt. Verba sind in der form des infinitivs, nomina in der des obliquus
aufgeführt, pl. ( plural) bezeichnet daher bei diesen den obliquus pl. Starke
verba sind mit 8t., schwache mit sie. nnd der nummer der konjugations-
klasse, substantiva mit m. (niask.) und der nummer der deklinationsklasse
oder mit f. (fem.) bezeichnet. Seitenzahlen sind — ausser bei eigennamen
— nur da beigefügt, wo einem wort oder einer form an der betr. stelle
erläuterungen gewidmet sind.
Betreffs der etymologien von Worten unsicherer oder unbekannter
herkunft sind die etymologischen Wörterbücher von Diez, Körting und
Meyer- Lübke, sowie das Dictionnaire general de la langue fran^aise von
A. Hatzfeld, A. Darmesteter und A. Thomas (Paris, Delagrave) zu ver-
gleichen. Unter AS ist auf erläuterungen in der 'Einführung i. d. Stnd. d.
altfr. Sprache' verwiesen.
Die sonstigen abkürzungen sind die gewöhnlichen: d = deutsch,
g. = germanisch, gr. = griechisch, der. = derivat, kowp. = kompositum usw.;
s. vor verben bezeichnet das reflexivum sei, soi.
Das glossar soll alle in den texten vorkommenden Wörter enthalten.
Einzelformen der verba und nomina sind nur soweit aufgeführt, als sie
hier begegnen.
A
aus. — 9. mittel oder Werkzeug:
mit. — 10. bei gefühlsüusserungen :
a, ad (lat. ad) präp., mit artikcl alau, mit, unter. — 11. vorm infinitiv
pl. as aus: 1. lokal (ivohin?): auf, nach gewissen verben. — 12. in
an, zu. — 2. zweck: zu, auf, für, redensarten z. bez. des prädikats-
gemäss. — 3. zur bez. des dativ- j nomens (tenir a u. iL),
objekts. — 4. abhängig v. sub- aage s. eage.
stantiven z. bez. des besitzers. — abaudonner (zum deutschen stamn
5. lokal (wo?): an, bei. — 6. tem- ' bann — rom. bando) sw. I über-
poral (ivann?): in, zu. — 7. be- \ lassen, s. a. a sich übergeben,
gleitung: mit. — S. materie: mit, ! widmen.
Voretzach, Studium d. afrz. Literatur. 2. Auflage. 33
•u
Glossar: abatre — a'i'rier.
abatre (ad + bättyere f. battücre)
SW. III— II {perf. 8. abati, part.
perf. abatut) niederschlagen, zu
boden schlagen.
abe (abbatem) m. III (r. äbes) abt.
abelir (*adbellire, v. bellum) sw. II
gefallen.
abeter (d. bito — bizzo = bissen) sw.
I ködern, betrügen.
Abraain n. pr. Abraham 68.
abri'er (*apricare v. apricum) sw. I
s. a. sich unterstellen, schütz suchen.
achater acater (*accaptare) sw. I
kaufen.
acheson = ochaison (occasionein) /.
gelegenheit.
acier (*aeiarium) m. II stahl.
aclin (v. acliner, zu clinare) adj.
geneigt, zugetan.
aeointier {zu cointe < cognituin)
sw. I bekannt machen.
acoler {der. v. col < Collum) siv. I
umhalsen, liebkosen.
acomplir aconplir (v. complere —
*complire) sw. II erfüllen, aus-
führen.
acor {zu cor < cornu) m. II zipfel.
acorder (*accordare, zu cor — cordis)
sw. I in Übereinstimmung bringen,
geneigt machen.
acort {der. v. acorder) m. II Überein-
stimmung, willen, meinung.
acoster (v. coste < costam) sw. I an
die seite bringen, sich nähern.
acoutrer {v. coltre < culcitram) sw. 1
bedecken, zurechtlegen.
acraventer (ad + *crepantare, zu ers-
pare) sw. I herunterschlagen.
acteur (auetorem + actorem) m. II
autor.
acuser (aecusare) sw. I anklagen,
anzeigen.
ad. 1. = a präp. — 2. s. aveir.
adenz adens (ad dentes) adv. auf
dem gesicht.
ades (ad id ipsum?) adv. stets, immer.
adeser (addensare) sw. I berühren.
adouqnes = adonc (a tunc?) adv.
darauf, dann.
adrescier = adrecier (*addirectiare)
8W. I lenken, richten, s. a. seine
schritte lenken.
aerdre (*adergere /'. aderigere) st. II
{part. perf. aers) fassen, a. a an-
schliessen an.
afebloier {der. v. flebilcm — foible)
sw. I schwächen.
aferir (comp. v. ferire — ferir) sw. II
{praes. '6. afiert) ziemen, sich ge-
hören.
afermer (ad + firmare) sw. I be-
festigen.
afoletir {der. v. fol — folet ) zum narren
machen.
agenoillier {zu genoil < *genuculum)
sw.lsich auf die kniet niederlassen.
aguille (aeueulam) f. nadel.
aguillier {der. v. aguille) r». II nadel-
büchse.
agut (acutum) part. — adj. spitz,
scharf, fievre agne schweres fieber.
ahi interj. ach!
ai interj. ach!
aider eidier (adjutare) siv. I {conj.
praes. 3. ait) helfen.
aie (adjütam — aiiie, gekreuzt mit
aidier) f. hilfe.
aillors (aliorsum) adv. anderswo.
aimi interj. iveh mir, ach!
ainc aius {zu unquam?) adv. jemals,
a. ne niemals.
aingois eingois (*antjidius zu ante)
adv. früher, vielmehr, sondern.
ainne = ainzne (*antius natum) adj.
früher geboren, ältest.
ains 8. ainc u. ainz.
ainsi einsi ensi, issi (aeque sie?)
adv. so.
ainz ains (*autius) adv. vorher, früher,
a. que bevor, a. ne — que nicht
eher ah; sondern, aber.
a'i'rier {der. v. iriez irez < iratus) in
zorn versetzen, s. a. in zorn ge-
raten.
al — anel.
»15
al au = a 4- le.
alacliier = alaoiei (: u lacier << *laceare
/". laqueare) sw. I schnüren, auf-
schnüren.
alaiue = aleüie (v. aleuer <C *aleuare
/'. auhelare) /'. atem.
alcun aucun (aliquunum) pron, indf.
irgendein, jemand.
aler (kelt. al-, vgl. AS) sw. I mit
formen von vadere u. ire [praes.
ind. 1. vois, 3. vet va, pl. 3. vont,
cow/. 1. alge, 3. alt aille äuge,
voist, imp. va, impf. 3. alout,^Z. 3.
aloient, fut. 1. irai, 3. ira, pl. 1.
irous, 2. irez ires, 3. iront, cond. 3.
iroit, per/", alai etc.) gehen, s'en a.
fort ge Im.
aleriou (*aleriuuein, v. d. adalaro =
adler) m. II eine raubvoyelurt.
aleüre (v. aler) f. schritt als gangart,
grant a. in raschem schritt.
Alexis (Alexiuni) n. pr. der hl. Alexius
68 f.
algalife (arab. khalif mit art. al)
m. II kalif.
Alixandre (AXi^arönov) n. pr. Ale-
xander v. Constantinopel, vater
des Cliges 305 ff.
ahne (animani) f. seele.
almosne auuiosne (eleniosyuam <
(ik£7i(ioovvn,v) f. almosen, woltun,
gutes werk.
aloser (v. los < laus) sie. I schätzen,
s. a. de sich geschätzt machen
durch.
alquanz (aliquantos) pron. indf. (r.
alquant) einige {bes. im gegensalz
zu, pluisor).
alques auques (aliquid -f s) adv.
etwas, ein wenig.
Alsis n. pr. stadt Edessa.
altel (altare) m. II aitar.
altre autre aultre (alterum) pron.
indf. (bet. obl. alturi) der andere.
aluete (alaudam -f- ittain) f. lerche.
alumer (*adluniinare)su>. I entzünden,
sich entzünden.
Alvrez li reis (d. Alfrid) könig
Alfred 153.
amant (amantem) )». II liebender,
verliebter.
ainbdos ainbesdous ausdeus (ainbos
duos) zic. (r. ainbedui andui) zwei.
ambler = embler (iu volare) sw. I
wegnehmen, stehlen.
ame^on (der. v. hainum) m. II angel-
haken.
aiuender (*adrneudare, vgl. emeudare)
sie. I bessern, verbessern, sich ver-
bessern.
ameuer (ad + miuari) sw. I herbei-
führen, führen.
ainer (aniare) sw. I (praes. ind. 3.
ainime, impf. conj. pl. 2. amissies)
lieben, ainer trop mels — que
lieber haben als, amer inielz estre
lieber sein.
ainesurß (part. v. amesurer, der. v.
mensuram) gemässigt, discret.
auii (amicum) m. II freund, faire
(uovel) ami sich einen (neuen)
geliebten anschaffen.
amie (aiuicani) f. freundin, geliebte.
amont(ad inonteni) adv. hinauf, oben.
amor amour (amorem) /. liebe (häufig
personif.), par aruor e par feid in
liebe und treue.
amoreus (*ainorosuin) adj. voll liebe,
tens a. liebeszeit.
an (annum) m. II jähr, anz e dis
jähr u. tag.
an 8. en (in — inde), on (houio).
anbracier (*inbracchiare v. bracchhiiü
- braz) sw. I am arm befestigen,
festhalten.
ancessor (antecessorem) m. III (r.
aucestre) vor fahr.
ancien (*anteianum — *auzianum/)
adj. (f. aneiienne) alt, dazu anc'i'e-
nor 68.
anclore s. enclore.
androit s. endroit.
andui s. ambdos.
anel (anellum) m. II ring.
33*
516
Glossar: anemi — Areuibur.
anemi a. eneim.
anferinete (iofirmitatem) /'. krankheit.
angle (angelnm) m. II enget.
aDgoissous -eus (*angnstiosum, r.
angustiae) ctdj. angstvoll.
angoissier engoissier (*angustiare, zu
angustiae) sw. I bedrängen, s. a.
sich anstrengen.
anguille (anguillam, ^ftanguem) f. aal.
anhardir (der. v. d. hart — hardjan)
8W. II s. a. sich erkühnen.
anima (ki£.) = an(e)uie, ahne /'. seele.
anploiier (implicare) sie. I anwenden.
anpoisoner (der. v. potionein —
poison) sw. I vergiften.
anprandre s. emprendre.
anquenuit (*antque? + noctem) adv.
noch diese nacht.
anraciner (der. v. radicinam — raclne)
sw. I einwurzeln.
ansdeus s. anibdos.
anseler {der. v. sella — sele) sw. I
satteln.
antandre s. entendre.
ander s. entier.
antor s. entor.
antracorder (komp. v. acorder) siv. I
versöhnen, s. a. zusammenstimmen.
antre s. entre.
antreconbatre (komp. v. conbatre)
sw. III— II, s. a. mit einander
kämpfen.
antree = entree (*intrata, zu Intrare)
f. eintritt.
antremetre (komp. v. metre) st. II
s. a. de sich mit etwas abgeben.
antrevenir (komp. v. venir) st. I (per f.
pl. 1. antreveniines) zusammen-
treffen.
anuit (hac nocte) adv. diese nacht.
anuitier (*adnoctare) sw. I nacht
werden.
anvaie (der. v. auva'i'r «< invadere)
f. angriff.
anviron s. environ.
anviz = enviz (invite 4- s) adv.
schwierig.
aoi s. 104.
apargoivre apere, (ad -f- pereipere)
st. III (praes. conj. 3. apar<,-oive,
impf. conj. pl. .'i. aperceüsQent,
perf. 1. apar^ui) bemerken, s. a.
de etwas bemerken.
aparellier (*adparieulare) sw. I zu-
rüsten, herrichten.
aparler (komj). v. parier) sw. I an-
reden.
aparoir (apparere) sw. ui- perf.
(praes. ind. 3. apert, part. aparant)
erscheinen, in Wirklichkeit treten.
apeler (appellare) sie. I anreden, an-
rufen, nennen.
apertement (aperta mente) adv. offen,
öffentlich.
aplaidier (der. v. placitnni — plaid)
sw. I anreden.
apoiier (*appodiare v. podiurn) sw. I
stützen, s. a. sich stützen.
aporter (apporf are) siv. I herbeitragen,
bringen.
apostoiie (*apostoliuai /'. apostoli-
culu) m. II priest er.
apreismier (*adproxhnare) sw. I (ger.
apreisrnant) sich nähern.
aprendre (apprendere) st. II (perf.
1. apris, part. f. aprise) 1. lernen.
— 2. lehren, unterrichten, erzielten.
auch apr. a + inf.
apres (appressnm) adv. hinterher,
darauf.
aprester (*adpraestare) sw. I bereit
machen, part. perf. aprest^t bereit.
aprochier (*adpropiare) sw. I, s. a.
vers sich nähern.
arbre (arborein) m. II bäum.
arbroisel (*arboricellum) m. II
bäumchen.
arcevesque (archiepiscopum < «Vz,f "
niaxonov) m. II erzbischof.
Archamp (Arsuin cainpum?) m. II
A., ort der Vivienschlacht.
arcie = archiee (*arcata r. arcum)
f. bogenschussweite.
Areinbor (d. Irnburg) n. pr. f. 160
nresnier — aveir.
517
aresnier = intonier Catlrationare)
sie. I anreden, ansprechen.
arester (*adrestare) st. III (per f. 8.
arestut) stehen bleiben.
argent largontniu) m. II silber.
armer (armare) sw. I bewaffnen.
armes (arma) /'. jd. waßen, rüstung,
waffentaten.
aronde (hiruudinem) /'. schwalbe.
aroser (*adrosare v. ros) sie. I benetzen.
arriere arrier arrieres (ad + retro)
adr. zwrück.
art (artem) /'., m. kunst.
Artois (Atrebatensem sc. pagum)
n. pr. grafschaft Artois.
Artur (Arthurum) n. pr. (r. Artus)
kbnlg Artus von Britannien 293.
asaier s. essaier.
ascendant part. — adj. v. ascendre
(ascendere) sie. III — II aufsteigen.
asembler assanbler (*adsimulare) sw. I
sammeln, s. a. sich versammeln.
askuter 8. escolter.
asoignenter (zu *sonium — soin?)
sw. I zur beischläferin machen.
assaillir (assalire-assalio) 8W.II (praes.
conj. 3. assaille, part. per f. assailli)
angreifen, in angriff nehmen.
assalt (der. v. assalire) m. II angriff.
assanbler s. asembler.
asseeir -oir (assidere) st. II (praes.
ind. 3. assiet, perf. 1. assis, 3. assist,
part. assisj belagern, s. a. sich
setzen, estre assis sitzen.
assez (*adsätis) adv. genug, in ge-
nügender menge.
assoldre (absolvere) st. II (imp. pl.
assolez) absolvieren.
as vos = es vos (ecce vos) interj.
siehe da!
ataebier (stamm tacc-) sw. I anbinden,
befestigen.
ataindre (*attangere f. attingere)
st. II (perf. 1. atains) erreichen,
treffen.
ata'i'ne (v. ata in er, zu d. tagadiue?)
/'. beunruhig} mg.
atargier (*attardicare, o. tardnm)
s>v. I zögern.
ateiuprer (ad + temperare) sw. I
massigen, part. atempre mild,
atendre atandre (atteudere) sw. III,
II (perf. 3. ateudi, conj. impf. 1.
atendisse, cond. 1. atenderoie)
warten, erwarten.
atendue (der. v. atendre) /". erwart an g.
atoruer (komp. r. torner, zu röyvoq)
sw. I darauf richten, s. a. sich
damit (i) befassen; ordnen, kleiden.
atouchier (komp. v. touchier <
*toccare, v. d. tukkan = zucken)
sw. I anrühren (a).
atour (der. v. atorner) m. II aus-
stattung, Meldung, art.
atraire (*attragere f. attrahere) st. II
(part. perf. atrait) herbeiziehen, an
sich locken.
Aubert (d. Albreht) n. pr. Aubert 490.
Aucassin (arab. AI Kassim?) Au-
cassln 471 ff.
aus l) = els (illos — 2)= als, as
(ad illos).
aussi (*alum /'. aliud -f- sie) adv. ebenso,
aussicom, con gleichwie, ebenso wie.
autel (*alum /'. alium + talem) adj.
prou. {r. auteus) ebenso beschaffen
wie (come).
autrement (altera mente) adv. anders.
autrier (alterum heri) adv. l'autrier
jüngst, neulich.
aval (ad vallem) adv. — praep. hinab,
unten auf.
avaler (v. aval) sw. I hinabsteigen,
s. a. sich hinablassen.
avancier (*abanteare, v. ante) sw. I
vorwärtsgehn.
avant (ab ante) adv. vor, vorwärts.
avanture = aventure (* ad Ventura) /.
ereignis, abenteuer.
aveir avoir (habere) st. III (praes.
Ind. 1. ai, 2. as, 3. ad a, pl. 1.
avons, 2. avez, 3. ont, conj. 2. aies,
3. ait et, pl. 1. aions, 3. aient, impf.
aveie etc., fut. i. avrai, 3. avrat
:>is
Glossar: aveir — beneYre.
avra, pl. 2. avreiz avroiz avrez, ar6s,
cond. 8. avreit, ^?J. 2. ariies, per f.
1. oi, 8. aut out ot, pl. 3. ourent
orent, conj. impf. 1. eiisse, 3. eüst,
jaZ. 2. eüscies, 3. eüssent haben,
besitzen, impers. a, i a es gi&f,
rnolt a grant tens oder piec'a lang
ist's her, vor langer zeit.
aveir (subst. in f. habere) m. II habe.
avelenir (der. v. vilain) siv. I schlecht
machen, s. a. schlecht, gemein
werden.
avenablement (adv. v. avenant) an-
genehm, geziemend.
avenant (advenientem) adj. angenehm,
lieblich.
avenir (advenire) st. I — III (praes.
conj. 3. aviengne^er/". 3.avint) sich
ereignen, begegnen, widerfahren,
Wirklichkeit werden, s'en a. sich
daraus ergeben.
avers (adversnm) adj. feindlich, bos-
haft.
avers (adversus) praep. gegen, ver-
glichen mit.
avesprer (*advesperare v. vesper)
sw. I abend werden.
avis (ad visum) m. indecl. meinung,
ce m'est avis ich meine, es scheint
mir.
avoi interj. wohlauf! oho!
avuec avenc avec (apud oder ab hoc)
adv. —praep. mit, bei.
B
baaillier (*batacularel sie. I gähnen.
bachelier (* baccalarem) m. II Jüng-
ling.
bacin (*baecinurn) m. II becken.
baer (*batare) sw. I aufsperren,
öffnen.
baillie (der. v. baillir, vgl. bailiier)
f. macht, besitz.
bailiier (bajulare) sw. I erlangen, in
die gewalt bekommen.
baisier (basiare v. basiniu) sw. I küssen.
baissier (*bassiare r. bassura") wo. I
neigen.
Balagner n. pr. heidnische stadt in
Spanien 189.
bandon (d. stamm bann- rom. bando)
m. II geivalt, eile, a bandon mit
ungestüm.
barat m. II list, betrug.
barbe (barbam) f. bart.
barb6t (barbatnm) pari.- adj. bärtig.
barnage (:,:baronaticnm, zu baron)
m. II ritterschaft (auch konkret),
Heldentum.
baron (d. bar, vgl. AS) m. III (r.
ber bers) held.
baronic (der. v. baron) /'. ritterschaft.
baston (*bastonem) m. II stock.
bataille (*battualia v. battuere) /.
kämpf.
bataillier batillier sw. I bauen.
batre (* battuere /'. battuere) sw. III,
II (praes. ind. 3. bat) schlage?i,
b. a reichen bis.
baudor baudour (v. d. bald-) f. hühn-
heit. freude, fröhlichkeit.
baudre (d. balderich, vgl. lat. bal-
teum) m. II gürtet.
baut (d. bald-) adj. (r. baus) kühn,
froh.
bec (keif, beeco) m. II schnabel.
bechier (der. v. bec> sw. I mit dem
schnabel hacken.
beivre boire (bibere) st. III (perf.
1. bui) trinken.
bei (bellum) adj. (r. bels biaus biax,
f. bele) schön, (in der anrede) lieb,
estre bei a gefallen — adv. plus
bei schöner, angenehmer.
belement (bella mente) adv. schön.
ben = bien.
Benedeit Beneeit (Benedictum) n. pr.
(r. Benedeiz) 1 . B. verf des Brandan
122. — 2. Saint B. der hl. B. 127. -
3. Mestre B. verf. der Normannen-
chronik 263.
bene'fre (benedicere) st. II (perf. 3.
ben eist, pari, benooit) segnen.
bergerette — ce.
519
bergerette (deminutiv eu bergiere)
f. Schäferin.
bergeronette (dem. zu bergiere) f.
Schäferin.
bergiere (*berbicaria r. berbicein
< vervecem) f. Schäferin.
besague (bis acutem) f. Streitaxt mit
eiserner spitze am griffende.
besoing (*bis-soniuni f. Senium) m.
II bedürfnis, not.
beste (*bestaua f. bestiam) f. wildes,
böses Her.
bevrage (*biberaticum r. bibere)
m. II trank.
bialte biaut6 (*bellitateru) f. Schön-
heit.
Biaucaire {prov. Beucaire < Bellum
qnadrnm) n. pr. Beaucaire an der
Rhone.
biaus biax = bels s. bei.
bien ben (bene) adv. wohl, gut.
bien (subst. aus adv. bien) m. II
das gute, die tvoltat.
bis adj. (f. bisse = bise) schwärzlich,
dunkel.
bise (d. bisa) f. nordostwind.
blanc (d. blank) adj. (f. blanche,
blance) weiss, glänzend.
Blanchandrin (der. v. d. blank, vgl.
Blanchard) n. pr. Sarracenenname.
blechier = blecier (*blettiare, v. d.
biet bleich ?) sw. I verletzen, ver-
wunden.
bl'i'aut m. II anschliessendes gewand.
blont (germ.?) adj. (pl. blons) blond.
boche (buecam) f. mund.
bocler-ier (der. v. bocle << bueculam)
adj. mit buckel, spitze versehen.
bocu (zu boce — bosse) adj. bucklig.
bois (*boseuiii) m. indecl. gehölz,
wald.
bon (bounm nebentonig) adj. gut,
estre bon a gefallen.
bonte (bonitatem) f. gute, teert.
boscage (der. v. *buscum) m. II
waldung.
bot f. (r. boz) schlauch.
bonillir (bullire) sie. II (praes. ind.
8. bout, impf. :i. boloit) kochen.
bouter ('/. botan — mhd. bözen) sw. I
stossen.
brauche (^brancam) /'. zin ig.
brandir (zu brant) sie. II schwingen
(son colp).
brant (d. bland-) m. II (r. brans)
schwert.
Bretons (Brittones) n. pr. die Bre-
tonen 261.
brochier (kelt. brocc-, vgl. AS) sw. I
spornen.
Broiefort (aus broiier < d. brekkan
u. fort •< forte) n. pr. name von
Ogitrs pferd 223 f.
bruire (brugere — *brugire) sw. II
(pari. pr. bruiaut) rauschen,
brausen.
bruit (*brugitnm?) m. II lärm.
brun (d. brftn) adj. braun, brüniert.
brunet (dem. v. brun) adj. brünett.
buef (bovem) m. II (r. bues) ochse.
buisson (der. v. bois) m. II gebüsch.
buisson6t (dem. v. buisson) m. II
gebüsch.
buon buen (bonum hochtonig) adj.
gut.
c
c' = qu', que s. que.
ca (ecce hac) adv. hierher.
gaint = ceint, pari. pf. v. ceindre
(cingere) st. II umgürten.
candre = cendre (cinerem) f. asche.
Cantorbire n. ])r. Canterburg, erz-
bischofssitz des heil. Thomas 12tf ff.
cape (d. kappa) f. mantel.
car (qnare) conj. denn, beim hup. doch.
carne (carrücam v. carrum) /'. 2>flu9-
cauper = colper (v. colp) sie. I ab-
schneiden.
caut s. chaut.
cavel = chevel (capillum) m. II (pl.
caviaus) haar.
ce s. co.
520
Glossar: cel — einer.
cel chel (ecce illuin) pron. dem. {voll-
form celui, pl. cels ceus cians, r.
eil ehil, f. cele celle ehele, obl.
rollform celi) dieser, derjenige,
solcher.
celer (celare) sw. I (praes. ind. 3.
§oile) verbergen, geheimhalten.
celestial (der. v. caelestem) adj.
himmlisch.
ceat yant (centuin) zw. hundert.
ceo = co.
cerf (cervum) m. II (r. cers) hirsch.
cerise (ceresea f. cerasea) /'. kirsche.
certes chertes (certa + s) adv. gewiss,
sicher, a ein Wirklichkeit, ernstlich.
ees s. cest und ses.
cest ehest (ecce istum) pron. dem.
(pl. cez, r. eist, f. pl. cez-cestes
316) dieser.
ceus s. cel.
cez s. cest.
chaaine (catenaiu) f. kette.
chacier (*captiare) sw. I jagen,
herausjagen.
chainse (*c;'unisi-, verwant mit che-
mise — heind) m. II Überwurf.
chair ca'ir (*cadire /'. cadere) sw. II
(conj. impf. ri. caist — vgl. cheoir)
fallen.
chaitivier (*captivarium, v. captivu-
cachtivu- chaitif) m. II gefangen-
schaft.
chaloir (ealere) sie. ui- perf. (praes.
■ind. 3. ehielt ehalt ehaut, conj. 3.
chaille) imp. m. dat. d.pers. u. gen. d.
sache: es liegt daran, es kümmert.
ehalor (calorem) f. wärme, hitze.
ehambre (d. kamera) f. zitroner.
chaiupion (*caaipioneni v. campum)
m. II kämpfet.
chan^on (cantionem) /'. lied, heldenlied.
chansonete (dem. v. chansou) f.
liedchen.
chant (c an tu in) m. II gesang.
ehanter canter (cantare) sw. I singen,
dichten.
ehapel (cappellum) m. II kränz.
chapele (*cappellam) f. kapelle.
char s. car (quare).
charbon (earbonem) m. II kohle.
chargier cargier 405 (*carricare c.
carruin) sie. I beladen.
Charleniagne (Carolum magnum) n.
pr. Karl d. Gr. 169.
Charlon (d. Karl) n. pr. (r. Charles)
Kaiser Karl 103.
charn char (carnem) f. fleisch.
charrete charete (dem. v. char <
carrum) /'. kleiner wagen, karre.
charretil (dem. v. charete) m. II
wägeichen.
ehasenns caseuns (quisque unus -J-
xaxä) pron. indf. jeder.
chastel castel (castellum) m. II
schloss.
chastement (casta mente) adv. keusch.
chat (cattum) m. II katze.
chaucier (calceare) sw. I s. eh. die
schuhe anziehen.
chaut caut (calidum) adj. (f. chaude)
warm, heiss.
che = ce s. co.
cheance (*cadentia v. cadere) /'. Zu-
fall, glücksfall.
cheinin (kelt. camniino) m. II weg.
cheoir (*cadere f. cadere) st. III
(praes. ind. pl. 3. chieent, impf.
pl. 3. cheoient — vgl. chair)
fallen.
cheval (caballum) m. II pferd.
chevalehier (caballieare v. caballum)
sw. I reiten.
chevalerie (der. v. caballarium) /'.
ritterschaft (ritterliches tun).
Chevalier (caballarium) m. II ritter.
chevol = chevel (capillum) m. II
(pl. chevos — vgl. caviaus) haar.
chevruel (capreolum) m. II (r. che-
vriaus) reh.
chi 1 ) == qui. — 2) = ci.
chief cief (caput-capu) m. II haupt.
chier (carum) adj. teuer, lieb, avoir
eh. lieb haben — adv. vandre eh.
teuer verkaufen.
chievaluient — coinpaignete.
521
chievalment (v. ohief) adv. 'häupt-
lich\ zu häupten des tisches.
chil = eil.
choe*te {dem. v. choe < d. kawa
krähe) f. eule.
rhoisir (</. kausjan) sw. II wählen.
chose cose (causam) /'. sache, ding,
wesen. etwas.
chou = 50.
chrestiieu (christianum) «<(y. christ-
lich.
ci chi (ecce hie) fl<7r. Äicr, 01 pres
/. k >• nahebei.
ciaus chiaus = cels, zu cel.
ciel (caelum) »1. II Himmel.
eiere (cara<gr. *dp«) f. gesteht.
eil chil (ecce illi /'. ille) r. sy. pl. zu
cel, r. sg. auch eilz.
eine (*cinqne /'. quinque) zu-, fünf.
cinces /'. pl. lumpen.
Cipioii n. pr. Scipio 479.
eist »ecce isti /'. ille) r. sg. pl. zu
cest dieser.
citet cite (civitateui) /'. Stadt.
citoler (v. citole, inusikinstrument)
su\ I auf der citole spielen.
clainer (claniare) sie. I nennen.
Clarin de Balaguer n.pr. Sarracenen-
name 189.
clartet (daritatem) f. helligkeit.
clau — clon (clavum) m. nagel.
clause (clausam) /'. reihe, zeih.
cleie (/ cletaiu i /'. flechtwerk, ge-
flochtener feiler.
der (claruni) adj. hell, hellfarbig,
klar. — adv. hell, mit heller stimme,
deutlich (voir c).
clerc (clericuni) vi. II (r. clers)
geistlicher.
clergie (clericatuuj) /;;. II kleriker,
priesler.
cligner (*cliniare, v. clinare) sw I
blinzeln, cl. les ieux die äugen
halb schliessen.
cliner (clinare) sw. I sich neigen.
clore (claudere) st. II (part. perf.
clos f. close) schliessen.
<;o ohOD ee che 6e (ecce hoc") pron.
dem. dieses, das.
Qoche (vgl. nfr. souche) /. baum-
stumpf.
coieuient (adv. zu coit — coi) ruhig,
still, heimlich.
coile s. celer.
cointe (cognitum) adj. anmutig,
schmuck.
coit coi (quietuin) adj. ruhig.
coite (der. v. *coctare) f. bedrängnis.
coi (collum) m. II hals.
colchier couchier cocher (culcare /.
collocare) sw. I niederlegen, s. c.
sich legen.
colee (v. coi <C collum) /'. schlug,
pein.
coler (colare) sw. I her ab] 'Hessen.
coloiier (*collicare) sw. I den hals
drehen, sich umsehn.
color -our (colorem) /'. färbe, de c.
farbig, bunt.
colorer (colorare) sw. I färben, part.
colorez gefärbt, von schöner
färbe.
colp cop (colaphum <. xo).a<pov)
m. II (pl. cols) schlag, hieb.
colpe (eulpam) /; schuld.
com s. come.
comandement (der. r. comander)
m. II gebot.
comander (komp. v. mandare) sw. I
anbefehlen, befehlen, empfehlen.
come com cou (quomodo) adv. wie,
wie sehr, als (klausal), com si als
ob, wie wenn. — conj. wie, als
(zeitlich).
comencier -cier (*cuminitiare v. ini-
tium) s«;. I beginnen (mit a).
content comant (quomodo — come
-f- mtute) adv. in direkter oder
indirekter frage: in welcher weise,
wie sehr?
compagne (zu compaignon) /'. be-
gleitung, ge folge (auch gefährtin).
compaignete (dem. v. compaigne) f.
gefährtin, freundin.
522
Glossar: compaignie — cors.
compaignie (zu compaignon) f. ge-
nossenschaft.
compaignon (*companionem, zu
panis) m. III (r. compaign com-
painz) genösse, geselle.
complaindre conpl. (*complangere)
st. II (impf. 3. conplaignoit)
klagen, s. c. sich beklagen.
complainte (der. v. complaindre) f.
klage.
comporter (comportare) sie. I tragen,
herumtragen.
con (cunnum) m. II nfr. con.
con ad. — conj. s. come.
conbatre (/comp. v. battuere — batre)
sio. III, II (j>erf. 3. conbati)
kämpfen.
conble (cumulum) m. II gipfel,
buckel (des Schildes).
confondre (confnndere) sie. III, II
zerstören, vernichten.
confort (der. v. conforter) m. II
trost, hoffnung.
conforter (* confortare zu fortem)
sw. I trösten.
congie (commeatum) m. II Urlaub,
abschied.
conissiere, r. zu conisseor (der. v.
conoistre < cognoscere) m. III
kenner.
conkerre s. conqnerre.
conplaindre s. compl.
conoistre (cognoscere) st. III (praes.
ind. pl. 3. conoissent, conj. 3.
conöisse, perf. 1. conui, 3. conut)
kennen.
conqnerre conkerre (con -f- qnaerere)
st. II (praes. ind. 3. conkiert) er-
obern, enverben, gewinnen.
conseill consoil (cousilium) m. II (r.
consauz) rat, ratschlag, ratsver-
sammlung.
conseillier consillier consoillier (con-
siliari) sw. I rat geben, raten, sich
beraten.
consellier (consiliarium) m. II rat-
geber.
consentir (consentire) sw. II c. qcb.
billigen, einwilligen in.
conserver (conservare) wo. I be-
wahren, halten.
conte eunte (coiniteiu) m. III (/•.
cuens) graf.
conte (der. v. conter) m. II erziihlung.
contenance (*continentia v. conti-
nere) /'. haitun g, benehmen.
contenir (*continire f. continere)
st. III zusammenhalten, s. c. sich
halten, sich befinden.
conter (computare) sw. I berichten,
erzählen.
contraire (contrariumt »(.II gegenteil.
Widerwärtigkeit, schaden.
contre (contra) jyraep. gegen, ent-
gegen.
contrede (*contratain) f. gegend.
contredire (contradicere) st. II wider-
sprechen, leugnen.
contrevaleir (contra -j- valere) sw.
m-perf. wert sein, aufwiegen.
controver (contropare) sie. I erfinden.
convenir s. covenir.
converser (conversari) sw. I ver-
kehren, verweilen.
cop s. colp.
copler (copnlare) sw. I zusammen-
fassen, vereinigen.
cor (cornn) m. II (r. corz) hörn.
corage (*coraticnm, zu cor) »w. II
sinn, gewinnung.
corde (ebordam) /'. stite.
Cordres (Cordubam) n. pr. f. stadt
Cordora in Spanien 189.
coroner (coronare) sw. I krönen.
corp (corvnm) m. II (r. cors) rabe.
corporal (v. corpus — corporis) adj.
kö)perlich, irdisch.
corre courir (currere) sw. xxi-perf.
(impf. 3 coroit) laufen.
correceus (adj. v. correcier ■< * cor-
rnptiare) zornig. •
corrous (v. corrocier) m. indecl. zorn.
cors (corpus) m. indecl. körper, leib
(bes. im gegensatz zu euer), zur
cora — cuvertaire.
523
Umschreibung der person ton cors
= tei toi etc.
cort (cohortem) /'. hof, konigshof.
Cort&il) (Int. curtam» n. pr. (r. Corte)
tue von Ogiers schwert -23t'.
cortois (*cortensem. ~<c cort) aclj.
höfisch.
cortoisement (ade. zu cortois) höfisch.
coster (constare) sw. I koste».
(der. v. costain) m. II Seite,
liüfte.
costoiier (der. v. costa) sie. I an der
seitc gehn. entlang gehn.
costame (consnetudinem) /'. gewohn-
heit.
courecier curecier = courrecier
(•corruptiare, vgl. AS) sw. I er-
zürnen.
cousant ger. v. cosdre (*c6nsuere f.
consuere) nähen.
coutel (cultellura) m. II messer.
couvenir s. coveuir.
converteuient (cooperta uaente) adv.
heimlich, still.
covant (conventum) m. II versprechen,
zusage.
covenir couv. conv. (convenire) st.
I — III geziemen, anstehn, passen
(a); laissier qn. (a) cov. 354; imp.
es ist nötig.
covrir (cooperire) sw. II (praes. ind.
3. cuevre, conj. 3. cueuvre, part.
perf. covert) bedecken.
creatour criatur (creatorein) m. II
Schöpfer.
creature (creaturam) f. geschöpf,
wesen.
credance creance (*credentia, zu
credere) /'. glaube, treue.
creire croire (credere) st. III (praes.
ind. 1. crei, imp.pl. creez, impf.pl.
I. creion, fut. 2. crerras) glauben,
er. qn. de jem. in etwas gl., s. er.
a sich jem. anvertrauen.
creistre croistre (crescere) st. III
(praes. ind. 3. croist, fut. 3. creistrat,
impf. conj. 3. creiist) tvachsen.
creveflre (der. >■. cri'ver<crepare)
f. Höhlung, loch.
cri (der. v. crier) m. II schrei, geschrei.
criembre — criendre — craindre (*cre-
mere f. tremere) sie. ui — SW. II
(praes. ind. 1. criem) fürchten.
criirr (*qtliritare) sw. I schreien,
rufen, er. a jem. zurufen, er. merci
a jem. um gnade, um die huld bitten.
crimin&l (criminalem) adj. ver-
brecherisch, peehiet er. todsünde.
cristal (crystallum < xqvaxaXkov)
m. II krgstall.
Christas Jesus n. pr. Jesus Christus.
croiz crois (crucem) f. indecl. kreuz.
crope (g. kruppa) /'. hinterteil (bei
tieren).
cropir (der. r. crope) krümmen, s.
er. sich krümmen, ducken.
croser (zu *crosum — crues — creux)
S/w. I aushöhlen.
cruaute (erudelitatem) /*. grausamkeit.
euer (cor) m. II herz, leben.
cui (cui) pron. rel. obl. sg., pl.
dessen, welchem, welchen, welche.
cuidier quidier (cogitare, oder cügi-
tare?) sw. I denken, au mien c.
nach meinem dafürhalten.
cuignee = cognee (*cuneatam v.
euneus) f. axt, holzaxt.
cuir (corium) m. II leder, haut.
cuire (*cocere f. coquere) st. II
(praes. ind. 3. cuist, perf. 3. coist)
kochen, brennen, s. c. sich brennen,
verbrennen.
cum s. come.
cumpaignon s. comp,
cuple = cople (copulam) f. paar.
eure (curaui) /'. sorge, avoir oder
prendre eure de sich um ettuas
kümmern, sorgen.
curecier ;>•. courecier.
curune = corone (coronam) f. kröne.
cuveitus (adj. v. coveitier<<*cnpidie-
tare) gierig.
cuvertage (v. colvert schurke) m. II
Schurkerei.
i24
Glossar: dahet — dengnier.
D
dahet — dehait (der. v. dehaitier be-
trüben — haitier erfreuen, zu alt-
nord. heit versprechen) m. II fluch,
verderben.
dain (*daumm f. damam) m. II
dammhirsch.
dam (dominum als kurzform) m. II
(r. danz) herr.
dainage dumage (*dairmaticuin) m. II
schaden.
dame (donrinam) f. herrin, dame.
dainnaison (damuatiouem) f. Ver-
urteilung, Verdammnis.
damne (dominum) m. II (r. damnes)
herr, Damnedeu Gott der Herr.
damoisel (*dominicellum) m. II (r.
damoisiaus -fax) junger herr,junker.
Danemarche n. pr. f. Dünemark.
222 ff.
Danois (*Danensem v. g. Dano) m.
il indecl. Däne 222 ff.
danz s. dam.
David n. pr. könig David 68.
de (de) praep. 1. lokal (woherl):
von — ab, von — an (d'ici etc.). —
2. partitiv: von, aus einer menge
(nient de mel etc.). — 3. herkunft:
von, aus (mot d'Artois). — 4. in-
folge von, an (morir de mort). —
5. beioeggrund: aus, um willen (de
gred). — 6. in bezug auf, an (faire
damage de qn., vengier qn. de
qn.), nach comp, verglichen mit,
als (orguelleuse de tor etc.) —
7. zur bezeichnung des genitivs.
— 8. beim inf. nach gewissen
verben.
decachier=dechacier (komp. v. *cap-
tiare — chacier) sw. I verjagen.
deeliner (declinare) sw. I neigen,
sich neigen, zu ende gehen.
decoivre (decipere) st. III täuschen,
betrügen.
dedenz dedens (de -j- denz — de intus)
adv. drinnen, lad. drinnen, hinein.
deduire (deducere) st.ll unterhalten,
s. d. sich unterhalten.
defandre deffandre desfendre = de-
fendre (defeodere) sw. III, II ver-
teidigen.
deffremer (dis-f-fermare) siv.l auf-
schliessen.
defoler (komp. von foler <C * fnllare,
zu fullonem walker) sw. 1 mit
fassen treten, beschimpfen.
defora (de + foris) adv. draussen.
degeter (komp. von geter <jactare)
sw. I bewegen, sich bewegen.
degnier dengnier (dignari) siv. I
würdigen, geruhen.
degre (komp. v. gradnm) m. II stufe,
treppe.
dejoste (de -\- juxta) praep. neben.
dekaiie = decheüe pari. perf. f. zu
decheoir (komp. v. cheoir) st. III
herabfallen, sinken.
delai (der. v. delaiier, lump. v. lauer)
m. II aufschob.
deles (de -{-latus) praep. neben.
deliteus (*delectosnm) adj. ergötz-
lich, lieblicli.
delitier (delectare) sw. I (praes.
ind. '6. delite) ergötzen.
delivre (adj. zu delivrer < de -j- li-
berare) frei.
demander (komp. v. mandare) siv. I
verlangen, suchen (qch.), fragen
(a qn.), bitten um (qch. a qn.).
demener (komp. v. mener < minari)
sw. I behandeln (qn. a tort), voll-
führen, empfinden, ausdrücken
(noise, ledece etc.).
dementer (der. v. de -|- inentem) sw. I
von sinnen kommen, klagen.
demore (der. v. demorer) /'. aufent-
haltsort, Verzögerung.
demorer (de -f- morari) sw. I ver-
weilen, bleiben, s. d. bei sich ver-
weilen, am leben sein.
demostrer (demonstrare) sie. I dar-
stellen, zeigen, offenbaren.
dengnier s. degnier.
deuier — desus.
M«
denier (denariuui) m. II denar,.
heller.
dent (dentem) m. II (sjiäter f.) gähn.
departie (der. v. departir) /'. trmnung.
departir (*departire, zu partire) sw. II
trennen, s. d. sich entfernen.
depec'i'ier {der. v. de -(- *pettia —
piece) sie. I in stücke reissen, in
stücke gehen.
deramer (*disrauiare, zu rauiuui) sw. I
zerreisai',1.
deriere derrier (de + retru) adv.
hinten, ci>» hinten.
derompre (deruinpere) sw. III. II
(part. pf. derot, pl. derous) zer-
reissen, spalten.
derrier s. deriere.
des (de illos) = de -f- les.
des (de ipso oder de ex) praep.
von — ab, seit, d. or von nun ab, :
d. or mes fortan, d. que seitdem, \
sobald als.
descendre (descendere) sie. III, II
(perf. 3. descendi) absteigen,
herabsteigen.
desclore (dis-f-claudere) st. II öffnen.
descolorer (dis -\- colorare, vgl. dis-
color) sie. I entfärben.
desconfire (*discon6cere) st. I zer-
stören.
desconvenue (der. v. desconvenir <
disconvenire) /'. miss geschieh, Un-
annehmlichkeit.
descovrir (*discooperire) sw. II ent-
decken, verraten.
descrire (describere) st. II beschreiben.
desdire (*disdicere) st. II (conj. pr. '6.
desdie) leugnen.
desenor (der. v. *dishonorare) f. Un-
ehre, schimpf.
deserter (*desertare, v. desertum)
SW. I zerstören.
desevrer (*deseparare) sie. I trennen.
desfaire (*disfacere) st. 1 zerstören,
vernichten.
desf'i'ance (der. v. desfier) f. herans-
forderung.
desfier ( Mistidare. ZU liduui; 6ff. I
herausfordern.
desir (der. r. desirer) m II wünsch.
desirrer = desirer -ier (desiderare)
sw. I wünschen — svbst. in f. m. II
desirier verlangen, Sehnsucht.
desirus (der. v. desir) adj. begierig.
desmembrer (*dismembrare) Sic. I
zerstückehi.
desmesnre (*dismensura)/". übermass.
a d. über die nitisseit.
desor desour desure (de -j- anpra)
präp. auf, über, mehr als — adv.
oben, par. d. oben.
desoz dessoz desos desons (de -f-
subtus) adv. darunter, unten —
//>('(/>. unter.
despeudre -andre (de -f- expendere)
sw. III, II ausgeben, bezahlen.
despense (*dispensani) f. Vorrats-
kammer.
desperer (*disperare f. disparare)
sw. I zerstören.
despit (despectum) m. II Verachtung,
an despit zum trotz.
desrei (der. v. desreer, zu g. redau)
Unordnung, ayisturm.
desresnier (*disrationare) sw. I ver-
teidigen.
destorbier (Verbalsubstantiv von dis-
tnrbare) m. II Verwirrung, not.
destour (der. v. destourner<;*distor-
nare) m. II krümmung, nebenweg.
destre (dextrnni) adj. recht (s).
destreindre -aindre (distringere) st.
II (part. pf. destreit) stark
pressen, fesseln.
destrier (dextrarium) m. II streit'
ross.
destruetion (destruetionem) /'. Zer-
störung.
destruire (*destrugere /. destruere)
st. II zerstören.
desus dessns (de -f- sursum) adv.
darüber, par d. darüber hinweg
— präp. oben auf. oben darüber,
auf, über.
526
Glossar: desvet — dote
desvet (desuatum v. suum?) pari.-
adj. verrückt.
desvoier (*disviare) sw. I auf den
falschen weg bringen, täuschen;
vom rechten weg abkommen.
detraire (*detragere /". detrahere)
8t. II hinabziehen.
detrenchier (de -j- *trnncare) sw. I
abschneiden, abschlagen.
Deu Dieu (Deuni) n. pr. Gott.
deus dex s. dous.
devant (de + ab ante) praep. vor,
par d. vor — adv. vorn, courir
au d. voraus laufen.
deveir -oir (debere) st. III (praes.
ind. 1. dei doi, 8. deit doit, pl.
2. devez, 3. deivent doivent, conj.
1. doie, 3. deiet, impf. ind. deveie
-oie etc., conj. plur. 2. deiissiez,
perf. I. dui, 3. dut müssen, {mit
ne) dürfen.
devenir (devenire) st. I — III (imp.
pl. devenös, perf. 3. devint) werden,
zu etwas werden, s. d. zu etwas
werden, quo il se devint was ist
aus ihm geworden ?
devers (de -f- versus) präp. von —
her, in der richtung auf, nach,
par d. dasselbe.
deviner (divinare) sw. I erraten.
devurer (devorare) sw.I verschlingen.
di (diem) m. II tag, anz e dis jähr
und tag.
diable (diaboluni < gr. dtüßoXov)
m. II teufel.
Dieu s. Deu.
digne (dignum) adj. würdig.
dime disme (dechnani) f. zehnten.
dire (dicere) st II (praes. ind. 1.
dis di, 3. dit, pl. 3. dient, conj.
1. die, 3. die, imp. di, pl. dites,
impf, disoie etc. , perf. 1. dis, 3.
dist, fut. 1. dirai dirrai dire, 3.
dira, pl. 2. direz) sagen, sprechen,
nennen.
dis (decem) zw. zehn, dis e set
siebzehn.
dit (dictum) m. II wort.
divers (diversum) adj. verschieden,
ander.
diviu (divinum) adj. göttlich.
dublier -er (*duplarium v. duplum)
adj. doppelt.
dol s. duel.
doleement (adv. zu dolz) sanft,
zärtlich, süss.
dol^or douchour (der. v. dolz<dul-
eem) /'. süssigkeit.
dolent -ant (dolentein) adj. be-
kümmert, betrübt.
doloir (dolere) sw. ui- perf. (praes.
ind. 1. duel, 3. diaut) schmerzen,
s. d. schmerz empfinden, sich be-
klagen.
dolor -our (dolorem) /". schmerz,
jammer.
doloreus (dolorosnm) adj. schmerz-
lich, schmerzerregend.
doloser (*dolusare f. *dolorare)
sw. I beklagen.
dolz douz (dulcem) adj. f. (dolee
douce dolche douche douöe) süss,
teuer, lieb.
domage s. damage.
don s. dont.
donc dune, auch dont (donique —
donee, vgl. AS) adv. damals, dann.
Dondeu = Damnedeu, vgl. dam.
doner duner (donare) sw. I (praes.
conj. 3. doint doinst donget dünge,
imp. dune, part. 1. dorrai) geben,
schenken.
donne (dominam, vgl. dame) f.herrin.
dont dun (de unde) adv. rel. woher,
aus welchen, in bezug worauf,
worin — gen. pron. rel. dessen.
Doon de Maience (d. Dodo) n. pr.
Doon von Mainz 248.
durmir (doruiire) sw. II (impf, dor-
inoie etc., ger. dormant) scldafen,
s. d. dasselbe.
dos (dorsum) m. indecl. rücken.
dote (der. v. doter) f. zweifei, sanz
d. zweifellos.
doter — enclin.
.27
doter (dubitare) sie. I fürchten.
dou = del < de + le.
dous (daos) zw. zwei (vgl ambdos).
drap (*drappum) m. II (pl. dras)
titch.
drecier drechier (*<ürectiare) sw. I
richten, aufrichte)!, emporrichten
(a mont).
dreit -oit (directum) adj. gerade, de '
dr. nient gerade wegen eines nichts
— adv. tot dr. geradenwegs.
dreit -oit (directum) ;n. II (r. droiz)
recht, Ordnung, gerechtsame, en, |
par dr. in rechter teeise, n'est '
droiz qne nicht darf, soll er usw. \
dreituraluaeßt (v. dreiture) adv. in !
rechter, gebührender weise.
droiture = dreiture (*directurain) f.
recht.
dru (d. drüt = traut) adj.-subst. (f.
drue) traut, geliebt.
duc (dücein) m. II (r. dnx = dus) !
herzog.
duel dueil {der. v. doleir < dolere) j
m. II schmerz.
duire (dücere) st. II (perf. pl. 3. !
duistrent) führen, geleiten.
dur (durum) adj. hart, fest, schwer-
fallend.
durement (dura niente) adv. hart,
sehr, d. matin hoch am morgen.
durer (durare) sw. I dauern, bleiben,
d. jusqu'a reichen bis.
dusques (de + usque) conj. bis dass. j
E
E ed et (et) conj. und, vgl. et.
e, eh! int er j. ach!
eage aage (*aetaticum) m. II alter. \
eidier s. aidier.
einQois, einsi, einz 8. aingois, ainsi,
ainz.
eissir, iscir (exire) sw. II (praes.
ind. 3. ist, fut. 1. istrai, pl. 3.
istront, perf. 3. iseä) herausgehen,
e. fors dasselbe.
egal Inga] (aequalem) a#. gleich.
eire = aire (agrumt »i.-/'. herkunft,
ort 306.
el (*alum oc/o- ale -*— alid /'. aliud)
pron. anderes.
el: 1. = en + le. — 2. = ele
pron. f.
ele (alam) /. füget (auch con ge-
bänden).
ele eile el (illa-am) bet. pron. 3. #.
/'. (pl. eles) *te.
elme s. helme.
eis aus (illos) bet. pro». 3. y;. "/.
pl. obl. (r. il) sie.
em 8. en (inde).
embatre (comp. v. batre) sw. III. II
(perf. 3. embatiö) hineinstossen.
embronchier (^it *pronicare v. pro-
nus?) sw. I sic/(. neigen.
eintuende = ainende (der. v. amender
•< emendare) f. busse.
empeirier empirier anpirier (*impe-
jorare zu pejor) sw. I (praes. 3.
empire) schlechter werden.
empereor (imperatorem) m. III (r.
emperere) kaiser.
empleiier (implicare) sw. I an-
wenden, austeilen.
emprendre anprandre (in + prendre)
st. II (part. pf. empris, /'. emprise)
unternehmen (qch. oder a m. inf.).
en an (in) präp. (m. art. el, ou, pl.
eis) 1. lokal (ivo?): in, an, auf.
— 2. lokal (wohin?): in, nach. —
3. zweck (ivozu?): zu, auf, für. —
4. übertragen, bes. vom spracht.
(entendre en franchois, metre en
romanz).
en an, alt. form, ent (inde) adv.
— pron. 1. infolgedessen, daher,
darauf, in bezug darauf, an est
plus biaus er ist um so schöner.
- 2. davon, von ihm, von ihr,
von ihnen, ihrer.
eniimore (part. v. enamorer ■< *in-
amorare) verliebt.
enclin (der. v. encliner) adj. geneigt.
i28
Glossar: encliner — entreuietre.
encliner (inclinare) 8*0. I sicli neigen
(a vor jnn.).
enclore -orre anciore (*inclaudere /'.
inclndere) st II (part. pf. f. en-
close) einschliessen, umschliessen,
umspannen.
encontre (in -f- contra) präp. ent-
gegen, hinab.
encuntree (*incontratam) f. gegend.
eneontrer (*incontrare) sw. I treffen,
begegnen.
encore encor ancor (*antque + ha
hora s. AS) adv. noch.
endormir (indormire) siv. II s. e.
einschlafen.
endroit androit (in directo) adv. auf
der stelle, sogleich. — präp. was
betrifft, für.
endurer (in -j- durare) sw. I ertragen,
aushalten.
enemi anemi (in + amicum) m. II
feind, teufel.
eneslure = eneslore (in ipso + illä
horä) adv. auf der stelle, so-
gleich.
enfance enfanche (infantia) f. kind-
heit.
enfant (infantem) m. III (r. enfes)
kind.
enfern (infernum) m. II hblle.
enfller (*infilare v. filum) siv. I ein-
fädeln.
engignier -ingnier (*ingeniare v.
ingenium) sw. I überlisten, be-
trügen.
engin (ingenium) in. II Schlauheit,
list, trug.
engoissier s. angoissier.
enjaner (d. stamm gan-?) siv. I
überlisten, betrügen.
enmi (in medium) präp. mittten
auf, in.
enoios -ous -eus (*inodiosum) adj.
unangenehm, leid.
enor s. honor.
enpaindre st. II (jiarf. pf. enpaint)
schlagen, stossen.
enplir(*iinplire/'.iu)plere)su:.II/Y<//t;/<.
enporter (inde portare) sw. I fort-
tragen.
enpuldrer = empoldrer (*impolve-
rare, zu pnlver) sw. 1 (fut. 3. en-
pulderat; s. e. sich mit staub
bedecken.
enragier enrajier (der. v. rabiem —
rage) sw. I in wut geraten.
enseigne (pl. n. insignia) /'. feld-
zeichen, fähnchen, Schlachtruf.
enseignier (komj). v. signare) siv. I
unterrichten, lehren.
ensemble (insemel /'. insimul) adv.
zusammen.
enserrer enserer (komp. v. serrer<<
serrare) sw. I einschliessen .
ensi s. ainsi.
ensivre (komp. v. sivre) siv. II (fut.
1. ensivrai) folgen.
ensus (inde sursmn) adv. weg, fort.
ent s. en (inde).
entendement (der. v. entendre) m. II
Verständnis, bildung.
entendre antandre (intendere) sw.
III, II (praes. 2. entens, perf. 3.
entendi, part. entendu) hören,
anhören, verstehen, e. qeh. par
verstehen unter.
entente antante (der. v. entendre)
f. aufmerksamkeit, bemühung.
entier antier (integrum) adj. (f. en-
tere) ganz, vollständig.
entor -our antour (*intornum zu
torner, vgl. it. intorno) adv. —
präp. im umkreis, rings um.
entortillier (der. v. tortum-torqnere,
vgl. tortilis) sw. I einwickeln.
entramer (inter + amare) sw. I s. e.
sich gegenseitig lieben.
entre antre (inter) präp. zwischen,
unter, inmitten von; reeiprok entr
eis untereinander; entre ... et
sowohl . . . als auch (vgl. AS).
entremetre (intermittere) st II (perf.
1. entremis) s. e. de sich auf etwas
einlassen, mit etwas beschäftigen.
entrer — esloignier.
529
entrer (intrare) sw. I eintreten.
enui anui (der. v. emiiier) m. II (pl.
enuiz) verdruss. Unannehmlichkeit,
des biens et des anuiz der guten
und schlechten dinge.
emiiier (*inodiare, zu odiuui) sw. I
(conj.pr. 3. enuit) ärgern, leid tun.
enveer -voiier (*inviare oder ab-
leitung v. en voie!) sw.l (p>raes.
ind ;!. enveiet) senden.
enverse (der. r. envers < inversuua)
part. — adj. umgekehrt, auf dem
rücken liegend.
environ anviron (en + viron , vgl.
virer < *virare = girare) adv. —
präp. ringsum — rings herum um,
um — herum.
enz ens (intus) adv. hinein, darin.
er = air (aerem) m. II luft.
erbe (herbam) f. gras, kraut.
ermite (eremitam < hQnuiznv) m. I
einsiedler.
errer (*iterare, zu iter) sw. I gehen, \
handeln.
esbahir (onomatopoetisch, vgl. baer
— baaillier) siv. I in erstaunen
geraten.
esbanoiier (stamm bau?) stv. I ver-
gnügen, sich vergnügen.
esbatre (/comp. v. battnere) sw. III,
II unterhalten, ergötzen, 3. e. sich
vergnügen.
escargaite (d. skarwahta) /'. schar-
wache, scharwächter.
escerveler = escerveler (der. v. cer-
vel < *cerebelluua /'. cerebruui)
sw. I des hirns berauben.
eschaper (der. v. ckape-cCg'. kappa
mantel) sw. I (conj. pr. 3. eschat)
entkommen
esebar (zu d. skerran — scharren?)
adj. geizig.
esebine (g. skina) f. rückgrat.
esebiver (g. skiuhan — scheuen)
sw. I vermeiden, fliehen.
esciant (scienduin) m. II das wissen,
a. e. ivissentlich.
Voretzsch, Studium d. afiz. Literatur.
esclace (ex -f- g. stamm Ulak-?) f.
tropfen.
escole (scholam) f. schule.
escolter eskolter escouter askouter
(ao8cnltare) wo. I hören auf e.,
zuhören,
escouiengier (excouimnnicare) sw, I
exkommunizieren .
escondire (komp. v. dicere) s^. II (co?id.
l. escondireie) sich entschuldigen,
rechtfertigen; zurückweisen, s. e.
sich versagen-
escorce (corticeui, gekreuzt m. escor-
cliier) f. rinde, feil.
escorebier (exeorticare v. corticem)
sw. I abziehen, s. e. sich
schürzen.
esener (komp. v. crier) sw. I rufen,
anrufen.
escrit (scriptum) m. II (r. escriz)
geschriebenes, Schriftwerk.
escrivre escrire (scribere) st. II
(perf. 1. escris, 3. escrist) schreiben,
aufschreiben.
escut escu (scutum) m. II (pl. eseuz)
schild.
esforcier (*exfortiare, zu fortem)
sw. I s. e. sich anstrengen.
esfreer (der. v. g. frida — friede) sio. I
(2)fäs. ind. 3. esfroie) s. e. er-
schrecken, scheu werden.
esgaier (der. v. gai) sw. I sich freuen,
s. e. dasselbe.
esgart (der. v. esguarder) m. II rück-
sicht, beschluss.
esgriner= esgruner (der. v. d. krüuia)
sio. I zerbröckeln, schartig machen
oder werden.
esguarder esgarder (ex + d. warden)
sw. I anblicken, blicken, spähen.
esguare (der. v. g. wara, zu waron —
wahren) part.—adj. (r. esgarez, f.
esguarede) verwirrt.
eslire (* exlegere /'. eligere) st. III
auswählen.
esloignier (*exlongiare) sw. I ent-
fernen, verlassen.
2. Auflage. 34
530
Glossar : esiuaiier — estreu.
esiuaiier (ex + d. uiagau — uiügeu)
BW. I erschrecken.
esuier (aestimare) sw. I schätzen,
vergleichen.
esiueraude (smaragdaiii) f. smaragd.
esueiier sw. I reinigen.
Esope (Aesopum •< Aiownvr) n. pr.
fabeldichter Aesop 153.
espaart wild od. verschnitten 315.
espalle espaule (spathulaui) /*.
schütter.
espau (d. spana, spannan) m. II
spanne.
espandre (expandere) sw. III, II aus-
breiten, ausgiessen, part. espandu
breit.
espart (der. v. espartir) m. II blitz.
espartir (*expartire sich spalten)
sie. II blitzen.
espasmir (der. v.s\>a.swum<Co7iaop.öv
kramp f) sw. II ohnmächtig sein.
esperance (*sperautia v. sperare) /.
Hoffnung.
Esperit (Spirituui) n. pr. hl. geist.
esperitable (*spiritabileni) aäj. geist-
lich, im geiste.
esperon (d. sporn) m. II sporn.
espiet espiel (d. speot — spiess)
m. II Speer.
espoenter = espaventer (*expaveu-
tare) sto. I erschrecken.
espoir (spero ich hoffe) adv. hoffent-
lich, vielleicht, ungefähr.
espoir (der. r. esperer) in. II hoff-
nung, saus nul e. ohne hoffnung,
Widerrede.
espos (sponsum) m. indecl. gatte.
espose spose 69, espeuse (spousam)
/". braut, gattin.
espreudre (ex -f- prendere) st. II
(part. pf. espris) einnehmen, ent-
flammen.
esprover (*exprobare) siv. I er-
proben.
esquelderoie = escoldroie cond. zu
escoillir (ex -f- colligere) sw. II
stürzen, laufen.
esquiex — eseuier (scatariom) m. II
Schildknappe.
esragier (der. v. rabieni — rage) sm;. I
in icut geraten.
essaiier asaier (*exagiare v. exagiuui)
siv. I versuchen, auf die probe
Stelle/1.
essainple (exeuiplum) m. II beispiel.
essart (der. v. essarter, komp. v. *sari-
tare, zu sarire) m. II (pl. essarz)
rodung.
estaque (d. *staka) /'. pfähl.
este ested (aestatem) m. II sommer.
estendre (extendere) sw. III— II
(part. pf. esteudu) ausstrecken,
Itinstrecken.
ester (stare) st. III (praes. 1. ui'estuis,
perf. 3. s'estut) gew. s. e. stehn.
estoire (historiaui) f. geschickte, er-
Zählung.
estor (d. sturui) m. II kämpf.
estoveir (stupere, vgl. AS) imp. st.
III (j>räs. estuet, perf. estut, fut.
estovra) nötig sein.
estraiudre = estreiudre (stringere)
st. II (praes. 3. estraiut) zusammen-
schnüren, s. e. sich umhüllen.
Estraniariu n. pr. Sarracenenname.
estrange (extraueuin) adj. fremd,
fremdartig.
estre (*essere /'. esse) irreg. verbvm
(präs. ind. 1 . sui, 2. ies es, 3. est,
pl. 1. souies, 2. estes, 3. sont,
conj. 3. seit soit, impf. ind. 1. estoie,
3. ieret iere, eret ert, estoit, pl.
1. est'i'un, 3. erent, esteient, conj.
2. fusses, 3. fust, pl. 1. i'ussiens,
2. fussiez fuissez, 3. fusseut, perf.
1. fui, 2. fus, 3. fut fn, pl. 2. fustes,
part. pf. este, fut. 1. ier, serai,
2. seras, estras, 3. iert, sera, pl.
1. eruies, 2. sereiz serrez, 3. seruut)
sein (meist als copula), sich be-
finden, mit a zur Umschreibung
des fut. (est a estre).
estreu (stamm *streup-) m. II {pl.
estries) Steigbügel.
et — ferrer.
531
et ed e (et) conj. und. (zur ein-
führung des nachsatzes) so.
Eudropin n.pr.Sarracenenname 189.
eiiros-ens (*auy;iiriosuuj) adj. glück-
lich.
eus (oculosi s. ueil.
Eva n. pr. Eva 141 /'.
eve iaue (aquam) /'. wasser.
ex = eus (oculos).
F
fable (fabulam) /'. fabel, erdichtetes.
face = face (facieni) /. yesicht.
faele pari. -adj. gespalten, rissig.
faillance (der. v. faillir) f. fehl, fehler.
faillir (* fallire f. fallere) sw. II (präs.
Ind. 3. falt laut, pl. 3. faillent,
covj. 1. faule, perf. 3. faillit) fehlen,
ausgehn, aufhören; f. a qn. jem.
fehlen, entfallen, entschwinden, ihn
im stich lassen (f. a. qn. de 310);
f. a qch. in etwas fehlgehn, fehl-
greifen, sich irren, es nicht finden;
torner a f. zum fehl werden, im
stich lassen; ne faillir que — ne
nicht unterlassen.
fain (faiueui) f. hunger.
faindre (fingere) st. II (perf. I . fains)
vorgeben, s. f. sieh verstellen,
säumig sein.
faintise (der. v. faindre) /'. Verstellung,
hcuchelei.
faire feire (facere) st. I {präs. Ind.
1. faz fac fais, 2. fcs, 3. fait
fet, pl. 2. faites, 3. fönt, conj.
1. face, 3. face fache, pl. i. fagons,
2. faciez facies, imp. pl. faites,
impf. ind. 3. faiseit, conj. 1. fe'isse,
3. fesist feist, pl. 3. feYssent, perf.
1. fis, 2. fesis, 3. tist, pl. '.',. firent,
part. fait fet, /*. faite feite, fut.
1. ferai fere, pi. 1. ferons. 3. feront,
cond. 1. feruie, 3. fereiet feroit,
pl. 2. feriez) machen, tan, zu-
fügen (tort, damage), begehn
(pechie;, f. enor a ehre erweisen,
f. phie a mitleid erregen, f.
ohevalerie, loiautä etc. ritterlich-
keit usw. üben, überhaupt mit
suchobj. häufig zur umsclireibu>ig
(f. perte = perdre, f. joie, duel,
deuiore, resveillier); f. auii sich
einen freund anschaffen; mit a c.
in f. faire a louer, blasuier etc.
zu rühmen sein; bien faire wohl-
tun; sagen (in cingescliuln neu
Sätzen); als verbum vicarium,
vgl. 306; itnpers. fet bien, nie fait
bien, es ist gut, gefällt.
fait (factum) m. II tat, tun. inhalt
(gegensatz escrit), bien f. wohl-
tun, Wohltätigkeit.
fals faus (falsuui) adj. falsch.
fandre = fendre (findere) 8«?. III, II
spalten.
fauser (* falsare) sw. I falsch, untreu
nein.
fausete (der. v. falsum) f. falschheit,
fehl.
favele (*fabellain, c. fabulam) f.ge-
schichte.
feeil (fidelem) adj. treu, getreu.
feid fei foi (fidem) f. treue, par f.
fürwahr.
feiz foiz (vicem) /'. mal, cele f.
diesmal, nule f. nie.
felon (*fellouein, zu fei) m. III —
adj. schurhe — treulos.
felonie (der. v. felon) /'. treulosigkeit,
Schurkerei (auch personif.).
ferne fenuie fauie (femmani) /'. frau,
iceib.
fenestre (fenestram) f. fenster.
fenir (tinire) sw. II beenden.
fenme s. ferne.
fer (ferrutn) m. II eisen.
ferir (ferire) sw. II (präs. ind. 3.
fiert, pl. 3. fierent, imp. pl. ferez,
impf. 3. feroit, perf. 3. feri, part.
fern r. feruz) schlagen, treffen, f.
un colp einen hieb sehlagen.
ferrer (*ferrare v. ferrum) sw. I mit
eisen beschlagen, part. ferre fest.
34*
:>:vi
(ilossar: fen — Frauceis.
fVu 9. fou.
feutre = feltre (v. g. feit — filz) m.
II filz, teppich.
fi (fidum) adj. (f. fie) gewiss, ver-
sichert.
f'iance (*fidantia, vgl. fier) f. ver-
sprechen, gewähr.
f 'lancier (der. v. f'iance) sw. I ver-
loben, pari, f'iancie Verlobter.
ficbier (*ficcare, zu figere?) sw. I
befestigen.
fieblet (dem. v. flebileni — feble)
adj. (f. -ette) schwach, schwächlich.
fief (fcudnin, zu g. fehu) m. II (r.
fiez) lehen.
fier (*fidare, zu fidus) stv. I anver-
trauen, s. f. a sich verlassen auf.
fier (ferum) adj. stolz, hochfahrend.
fierte (feritatem) /'. Wildheit.
fievre (l'ebrem) f. fieber.
figure (figuram) f. gestalt.
fil fill (filium) wi.ll (r.fils fizfius) söhn.
fille (filiam) /". tochter.
fin (finem) f. ende, an la fin endlich,
schliesslich, c'est la fins 317.
fin (*finum) adj. fein, lauter.
finement (adv. zu fin) lauter, rein.
finer (der. v. fin <C finem) sw.l be-
endigen, aufhören.
firniament (firmamentuin) m. II
himmelsgewölbe.
fisic'i'en (der. v. \)hys\cü\n<^(pvaix6v)
m. II naturkundiger, arzt.
fius 8. fil.
flame (flauimaui) f. flamme.
flanboier -i'er (der. v. flanbe •<
flammulam) sw. I funkeln, strahlen.
flanc m. II (pl. flans) scite.
flor (florem) f. blume, helmzierrat.
florir (*florire f. florere) blühen,
part. fiori blumig, weiss.
foire (feriam) f. messe, Jahrmarkt.
fol (*follem — *follnm) adj. — subst.
(r. fos) närrisch, narr, tor.
folage (der. v. fol) m. II torheit.
folement (adv. zu fol) in törichter
iveise.
folie. {der. v. fol) /'. torheit.
folor {der, v. fol) /'. torh
fontaiue -ainne (fontanam) f. quelle.
forain (der. v. foris, foras) adj.
drnussen befindl'u!*.
force (fortia, v. forteni) f. gewalt.
foers (foris) adv. hinaus.
forfait (der. v. forfaire — forsfaire)
m. II unrecht.
formage furmagc froumage (*forma-
ticum) m. II käse.
forment fortment (forti mente) adv.
sehr, dormir f. fest schlafen.
fors (foris) präp. — adv. 1. ausser.
— 2. heraus, hinaus, von — weg.
Vgl. foers.
forsene (foris -|- d. s'n) part. — adj.
verrückt.
forsfaire (foris facere) st. I (perf. 1 .
forsfis) übeles tun, jem. unrecht
tun.
forslignie (foris -(-liuea) part. — adj.
entartet.
fort (fortein) adj. stark, fest — adv.
(forte) stark, heftig.
forteresce (der. v. fort) f. festung.
fosse (fossam) f. graben, grab.
fon feil fn (focnui) m. II feuer.
fondre (falgur) m. II blitz.
foudroiier (der. v. foudre) sw. I
blitzen.
foutre (d. fot-) nfr. fontre.
fraile (fragilem) adj. gebrechlich.
fraindre (frangere) st. II brechen.
fraint (der. v. fraindre) m. II getöse.
frauc (d. frank) adj- (r. frans, f.
francbe) frei, edelsinnig.
Franc (d. Frank-) m. II (pl. Frans)
Franke. Frans de France Franken
aus Franciin 160.
France (Francia v. d. Frank-) n. pr.
Francien, Frankreich (bes. fest-
ländisches Fr. gegenüber dem
anglo-norm. reich).
Franceis francois franchois (d.
frankisk) adj. u. subst. fränkisch,
Franke — französisch, Franzose.
fnuiehise — goute.
;,:::;
franchise (der. v. franc) f. edetrinn.
fredre frere (fratrem) m. I bruder.
freuair (*fremire f. freuiere) wo. II
zittern, schauern.
fres (d, frisk) adj, (f. fresche freche)
frisch.
froit (frigidurn) adj. (f. froide) halt.
froncicr sw. I in falten ziehen,
runzeln.
frout (frontein) w.11 st im, el preuiier
fr. in der ernten reihe.
fruit (fruetnm) m. II (r. fruiz) frucht.
fneille fuelle (folia v. foliiini) /'.
laub, blatt.
fuerre (g. fodr-fntter) m. II scheide.
fu'i'r (*fugire /'. lagere) sw. II
(praes. ind. ?>. fuit, conj. 3. faiet,
inij>. fui, pi. i'iiiez, </n\ l'uiant,
part. perf. foY, r. foTz) fliehen.
f u in (fuumm) »m. II (r. fuus) rauch.
fust (lüstern) »t. II bautnstamm, holz.
g' = ge s. joa.
gage (</. wadjo — wette) »». II pfand.
gai (<1 gahi?) adj. froh, fröhlich.
gaignon m. II Schäferhund.
gaite (J. wahta) /'. wache, Wächter.
ganbe = jarabe (caujbaui < gr. xccfXTtrj)
f. bein.
garant = guarant (werento, v. weran
gewähren) m. II (r. garanz) bürge,
zeuge.
garde (v. garder — guarder < d.
warden) f. hut, acht im g.
gardin - ing = jardin (d. garto —
garten) m. II garten.
Garin de Biaucaire (d. Warin) n. pr.
graf Garin, Aucassins vater 471.
Garin de Monglaue n. pr. Garin,
Stammvater der Wilhelmsgeste 248.
garison (v. garir — gnarir < d.
warjan — währen) f. nahrung,
unterhalt, heilung.
gason (d. waso — wasen) m. II
rasenplatz.
Gasse = Gace Bride (<i. Wazzo)
n. pr. G. Br. dichter 358 f., 361.
gauge (gallicam) adj. irdisch (oder
gallapfelartig, zu galla).
ge s. jou.
geniet (geniuiatnm) part. — adj. mit
edelsteinen besetzt.
genoil (*genuculuni) m. II (pl. ge-
nolz) knie.
gent (genteui) /'. (pl. gens janz)
volk, leide.
gent (genitnm) adj. (r. gensz) an-
mutig, lieblich — adv. vornehm,
g. plorer kläglich weinen.
gentil (gentileni) adj. (r. gentix
gentiz -is) edel, artig, hübsch.
gesir (jacere) st. III (praes. 3. gist,
pl. 3. gisent, impf. pl. 3 giseient
gissoient, perf. 3. jut, pl. 3. jurent,
fut. 3. girat, part. pr. pl. gisans)
liegen, s. g. sich legen.
geste (gesta) /'. familie, cyclus.
geter jeter giter (jaetare) siv. I wer-
fen, niederwerfen, hors g. heraus-
hängen lassen, loinc g. verwerfen.
gie (ego) pron. (betonte form) ich.
giendre (geniere) sw. II klagen,
jammern.
glace (glaciem) f. eis.
glacier (der. v. glace) sw. I gleiten,
dringen.
glaive (gladium) m. II Schwert.
glure = gloire (gloriam) /'. rühm.
glorios -eus (gloriosnui) adj. ruhm-
reich, glorreich.
gobe (kelt. gobb mund — frz. gober
gierig essen) adj. gierig.
goie = joie (gaudia) f. freude.
gonnele (dem. v. gunna <Ckelt. *vöna)
f. mäntelchen.
gorge (verw. mit lat. gurges?) f.
kehle.
goupil gupil (*vulpiculum f. *vulpe-
culam zu vnlpern) m. II (r. gor-
pilz gupiz) m. II fuchs.
goute gote (guttaiu) /'. tropfen, ne
— g. nicht das mindeste.
534
Glossar: grace — hantece.
grace (gratiam) /'. gnade, huld.
graignor (grandiorem, comp, zu
grant) grösser.
graflle grele (gracilem) adj. schlavk.
graim (d. gramo) adj. betrübt.
grant (grandern) adj. gross.
gravele (dem. r. kelt. *grava — frz.
greve) f. sand.
Grece (Graeciam) n. pr. f. Griechen-
land 284, 294.
gred gre (gratum) m. II gefallen,
v misch, de g. absichtlich, de son
g. freiwillig, a. g. nach wünsch.
grele s. graille.
grenon (g. grana) m. II Schnurrbart.
gresle (der. v. gresler -t—ahd. grisilou)
f. hagel.
grevain (*grevanmii zu *grevem)
adj. lästig.
grever (*grevare) sw. I bedrücken,
bedrängen.
grief (*grevem f. gravem nach levein)
°dj- (♦". gries) schwierig.
Griu = Grieu Greu (Graecum) adj.
— subst. griechisch, Grieche 153.
groing (grumum) m. II schnauze.
gros (grossnm) adj. dick, breit.
guaain (der. v. guaaignier < g.
weidanjan) m. II gewinn.
gnarder garder (d. warden) sw. I
(praes. conj. 3. guart, imp. gart)
bewahren, behüten, g. son sant
seinen Sprung sorgfältig ausführen,
s. g. de sich hüten vor, g. que
acht geben dass.
gnarir (d. warjan) sw. II heilen,
schützen, retten (que — ne davor
dass).
Guarlan (d. Warland?) n. pr. Sarra-
cenenname 189.
guarnir garnir (g. warnjan) sw. II
ausrüsten, ausstatten, schmücken,
s. g. sich bereit machen.
guaste (lat. vastum + g. wastan)
adj. öde, verlassen von.
gueires (d. weigaro) adv. viel, (zeitl.)
lange, ne — g. kaum.
guerpir (d. werpan) sie. II verl-
auf geben, meiden, verlieren.
guerre (g. *werra) /'. krieg.
guerredon (g. widarlön) m. II lohn.
gnii:r (g. witan — weisen) sie I
führen, leiten.
guile (ags. vlle) f. list.
guise (g. wisa) f. art, weise, en g.
de nach art von, en nule g. —
ne in keiner weise.
gnle = gole (giilam) f. kehle.
gupille (*vulpiculam v. vulpem) f.
füchsin, fuchs (als gattung), vgl.
gonpil.
guster = goster (güstare) sw. I kosten.
H
haie (g. *hagjö — hecke) f. hecke.
ha'ine (der. v. hair) f. hass (personif.)
ha'i'r (d. hatjan) sw. II (praes. ind. 3.
het, conj. 3. hace 223, impf. 3.
haoit) hassen, h. de la mort auf
den tod hassen, h. de la teste a
trenchier '.?'J4.
halt haut (lat. altum + &• höh) adj.
(r. halz) hoch (örtl.), erhaben, en
h. laut.
Halteclere (Altam Ciaram) n, pr. f.
name von Oliviers schivert 103.
haltement (adv. v. halt) laut.
hanste (lat. hastara -f- d. hand?) f.
lanzenschaft.
hardemant (der. v. d. hart) m. II
kühnheit.
hardi (*hardltum zu d. hart — hard-
jan) pari. — adj. kühn.
hardillon (dem. zu hart tragband)
m. II zweig, band, seil.
härene herenc (d. haring) m. II (pl.
harens -ans) m. II hering.
hastif (der. v. haste, zu g. haist
eifer) adj. (f. -ive) eilig, hastig.
haterel m. II nacken.
hauberc, osberc (d. halsberg — prov.
ausberc) >».II (;^.haubers)^«?uer.
hautece (der. v. halt) f. hohe it.
hantemeut — ja.
hantement (mir. v. haut - halt) laut.
Fleleine (Helenam) v. pr. f. Helena,
sjattin (b's Menelaw 282.
Leime elme (d. heim — prov. elme)
m. II (r. li h-s, l'h-s, l'eliues) heim.
herbe (herbaiu) f. gras, kraut.
herbergier [der. v. d. hariberga)
sie. 1 beherbergen.
herenc s. härene.
Hermeline n. pr. f. name der
füchsin 407.
Herode m. II n. pr. König Herodes.
hese = herse (hirpicem) f. guter.
hideur (t\ hide hisde, woher?) f.
hässlichkrit.
hidens adj. hässlicli.
hidensement (adv. zuhideus) hässlich.
hom s. on.
home ome nme onme (hominem)
m. III (r. hnem hom om hon on
316) mensch, mann, h. d'eage
erwachsen.
honir (g. haunjan — hühnen) sw. II
schänden, beschämen.
honor -our onor -onr (honorem) f.
ehre; pl. ehren, ehrenstellen.
honorer honerer (honorare) sw. I
ehren.
hontage (der. v. honte) m. II schände.
honte (g. *haunipa zu haunjan) f.
schände, schimpf, schäm.
hontens (der. v. honte) adj. beschämt,
schimpflich, schandenvoll.
hontensement (adv. v. honteus)
schimpflich.
hors (veno, mit fors) adv. heraus,
hurs de heraus aics.
hostel s. Ostel.
hui (hodie) adv. heute.
huimais (hodie magis) adv. nunmehr.
humilitet (humilitatem) f. demut,
Unterwerfung.
hupe (lat. upupam, gekreuzt mit d.
widehopf?) /'. u-idehopf.
hurter (germ ?) sw. I stossen.
i (ibi — hie) adv. daselbst, dabei,
hier — dorthin, darauf.
iaue s. eve.
iauz 8. neil.
ice s. \qo.
icel (ecce illnm) pron. dem. (r. icil,
pl. obl. icels) dieser.
icost (ecce istum) pron. dem. dieser.
ici (ecce hie) adv. hier, d'ici qn'a
von da bis, bis auf.
ico ice (ecce hoc) pron. neutr. dieses.
iex = ieus s. ueil.
iglise (ecclesiam < ixxknolav) f.
kirche.
il (illi f. ille) bet. pron. 3. p. m. r.
sg. (obl. lui, pl. r. il, obl. eis) er,
auch refl. 103, neutral (auf das
subj. hindeutend) es.
iluec iloc ilec ilecques (illo loco)
adv. dort, daselbst.
inde (indium f. indicum) adj. indisch.
ingal s. egal,
ingalment (adv. v. ingal) in gleicher
weise.
irascu (*iraseutum zu irasci —
iraistre) part. — adj. erzürnt.
ire (iram) f. zorn.
iretage (der. v. hereditatem) m. II
das erbe.
iriet iret (iratum) part. — adj. er-
zürnt, zornig.
irour (*irorem zu iram) /. zorn.
iscir s. eissir.
Iseut (g. Ishild) n. pr. f. Isolde 294,
364.
isnel (d. snel) adj. schnell.
issi (ecce sie) adv. so, vgl. ainsi.
issue (*exutam zu exire) f. ausgang.
iver yver (hibernum sc. tempus)
m. II winter.
3
ja (jam) adv. nun, ehedem, ja — ne
niemals; (affirmativ) doch, ja.
i36
Glossar: jal — langue.
jal = ja 4- le.
i:iiiKiis (jaui niagis) adv. nunmehr,
mit ne niemals.
jant janz s. gent.
je (ego) s. jou.
jel=je + le.
Jesu Christ n. pr. (r. Jesus Criz)
Jesus Christus 12s.
jetcr (jactare) s. geter.
jeu (jocuiii) m. II spiel.
jeiiner (jejunare) siv. I fasten.
jo (ego) s. jou.
joie goie (pl. gaudia) f. freude,
fröhliche sache.
Jo'imer n. pr. Sarracenenname 189.
joindre (jüngere) st. II verbinden,
falten.
joios -eus (adj. v. joie < gaudia)
vergnügt, freudig.
jo'ir go'ir Cgaudire /'. gaudere) sie. II
(fut. pl. 2. go'fres) gemessen (de).
jol = jo + le.
joli (*jolivurn?) adj. hübsch.
jolivet {dem. v. joli) adj. vergnügt.
jouchiere (der. v. jonc < juneum)
/. mit binsen bewachsenes land,
röhricht.
jone s. juevne.
jorn jor (diurnuni sc. tempus) m. II
(})l. jors) tag, helles licht (au jor),
l'autre j. neulich, a tous js. für
immer.
joster (*juxtare v. juxta) sw. I naher
bringen, nähern; sich nähern.
jou jo je ge g' (ego) pron. 1. p. sg.
ich, vgl. jol, jel.
jougler (jocularern) m. II Jongleur,
spielmann.
juer = joer (jocari) sw. I spielen,
sich freuen.
juevnejuenejone(juveneni)fl<7y'J«»/y.
jugeinent (der. v. juger) m. II urteil.
jugier (judicare) siv. I beurteilen,
urteil sprechen über, richten.
jurer (jurare) sw. I schwören.
jus (devorsum -f sursum) adv. herab,
hinab, nieder.
jusque (devorsum -\- que) adv. bis.
jusqua bis.
justisc (justitiam) /'. gerechtigkeit.
jastisier (*jüstitiare) sw. I be-
herrschen.
jut jurent s. gesir.
K
Kalle Kallön (d. Karl) = Charle
Kaiser Karl 223 ff.
Karlcmaigne Kallemaigne (Carolum
magnum) = Charlemaigne Karl d.
Gr. 224, 262.
ke s. que.
kevaueoie — cbevauchoie.
ki s. qui.
kil = ki + le.
T = la, le, zuw. li, vor vokal.
la (illa -am) pl. les: 1. ort. f. die. —
2. unbet pron. 3. p. f. sie.
la (illac) adv. dort, dorthin.
lacier (*laceare /". laqueare v. laqueum)
siv. I festknüpfen, bedrängen.
lai (laicuia) m. II laie.
laidement (adv. v. lait — let) in
hässlicher weise, übel.
lauer (d. lagan) sw. I (praes. ind. 3.
let, fut. 1. lairai, cond. 3. lairoit)
lassen, unterlassen, (mit ne lt.
conj.).
laissier lazsier leissier lessier (laxare)
sw. I lassen, verlassen, zurück-
lassen.
lait let (d. leid) adj. (f. leide) häss-
lich — subst. m. II schmach, be-
schimpfung.
lamproie (lauipretaui) f. lamprete.
l'an 8. on.
lance (lanceam) /. lanze.
lancier (*lanceare) siv. I lanze werfen,
übh. werfen, s. 1. sich schwingen.
lange (laneam) /'. wolle.
langue (linguam) /'. zunge, spräche.
las — lor.
537
las (lassom adj. unglücklich, las ! ach .'
lasche (der. v. Ia8chier<*lassicare
ddj. elend, feig.
latin (latlnum) adj. — svbst. lateinisch,
latein.
laver (lavare) SW. I (per f. I. lavi'-)
waschen.
le (latncn) adj. breit — m. II breite.
le (illum) 1. art. m. sg. den. pl. les.
— 2. unbet. pron. 3. 7;. m. oW.
<7t», pl. les. — 3. pro«, neutr. (f.
illud] es.
le = la (illam) ort /. «7. !»< /;i'A-. die.
leal s. loial.
lealment s. loiaument.
ledece leece (laetitiam) f. fröhlich-
he it.
legier (*leviariuin zu levein) adj.
leicht, leichtsinnig.
legierement (adv. zu legier) leicht,
bequem.
lei (legem) /'. gesetz, glauben.
leisir loisir (Heere) st. III erlaubt
sein, impers. leist es ist erlaubt.
leisir loisir (subst. inf.) m. II müsse,
ruhe.
Ten s. ou.
leou s. liun.
lequel (arf. -j- qiialem) pron. interr.
welcher (von mehreren).
les 1. art. »1. pl. obl. (illos) die. —
2. art. f. pl. r. u. obl. (illas) die.
— 3. pron. 3. pjers. m. (Mos) u.
f. (illas) obl. unbet. sie. — i.präp.
(latus) s. lez.
letre (litteram) /'. buchstaben, Schrift,
pl. letres teissenschaften.
letre (litteratuiii) part.— adj. gebildet,
gelehrt.
leu s. lieu.
lever (levare) sw. I aufheben, er-
heben; sich erheben.
levretes (dem. v. labrum) f.pl. lippen.
lez les (latus) präp. neben.
li 1. art. m. r. sg. u. pl. (illi) der,
die. — 2. art. f. r. sg. im pik.
die. — 3. unbet. pron. 3. p. sg.
dat. m. u. f. (illH ihm, ihr. —
4. betont, pron. 3. p. f. dat.. ihr.
liedement (adv. :u liet) froh, fröhlich.
l'ien (ligainen) m. II fessel, bände.
liet lie (laetum] adj. froh, fröhlich.
lieu leu liu (locum) »j. II ort, stelle,
en 1. d'aini ah freund.
lignage (der. r. ligne < liueam) f.
familie, geschlecht.
lignee (der. v. lineam) /'. familie.
liier (ligare) 8W. I anbinden.
lin (linum) m. II leinen.
lion leon (leonein) m. II löwe, Stern-
bild des löwen.
lire (legere) st. III, II (praes. ind. 3.
lir, perf. 1. lui, 3. list) lesen.
lit (lectum) m. II bett.
liu s. lieu.
livrer (liberare) sw. I liefern.
lo (lupum) »;. II (r. los) u'oi/".
lo (illum) alt. form f. le.
lobe (der. v. lober <#. lobön) /". spoM.
locu adj. struppig, vernachlässigt.
loer (laudare) sw. I Zoie?t, rühmen,
f. 1. sic7i rülimen ; raten.
logier (der. v. löge < d. laubja —
laube) sie. I wohnen, lagern.
loial leal (legalem) adj. gesetzlich,
zuverlässig, treu.
loiaument lealment (legalimente)
adv. in gehöriger, rechter iveise.
loiier (ligare) s. liier,
loiier (locare) inf. — m. II lohn.
loin loinc loinz loins (longe + s)
adv. fern (auch zeitl.), entfernt
von, in die ferne.
lonc (loDgum) adj. (pl. Ions, /.
longue longe) lang, de si 1. so
weit — m. II länge.
lonc Ions (longum) praep. längs,
neben, gemäss, nach.
longuement (adv. v. lonc) lange
lange zeit.
lor lnr leur (illornm) 1. unbet. pron.
3. p. pl. dat. ihnen. — 2. pron.
poss. 3. p. pl. indecl. ihr — le
lur das ihrige.
:,::-'
Glossar: lore — marche.
loro lor lores lors (illa hora -4- s)
adv. damals, alsdann.
lorscilnol = rossignol (hisciniolam)
m. II vachtigall.
Iqs (laus) m. indecl. lob, rühm.
los (illos) alt. form f. les.
losenge (der. v. Iqs) m.II Schmeichelei.
losengier (der. v. losenge) sw. I
schmeicheln.
Ion (illuni) art. = le.
lues (illo loco + s) adv. auf der
stelle, alsbald, 1. qne sobald als.
lui (*ilhu) pron. 3. p. m. obl. ihm,
ihn, auch refl. sich.
luire (*lücere f. lucere) st. III
(impf. 3. lnisoit) leuchten.
luiriet (vgl. nfr. luron) part. — adj.
schlau.
lune (lunam) f. mond.
lunsdi ^lunis diem /'. lunae d.) m. II
montag.
M
m' = 1. ma. — 2. nie.
ma rn' (uieam) unbet. pron. 2>oss.
1. p. sg. f. mein.
Machiner n.pr. Sarraccnenname 189.
Macrobe n. pr. Macrobius 480.
mague (der. v. mace <C * mattea —
matteola) f. keule.
Maheu (Matthaeum) n.pr. Matthäus,
Sarraccnenname 189.
mai (inajum) m. II mai.
maigne (magnum) adj. gross.
liiaillo (maculam) /'. masche, maschen-
panzer.
main (manum) /'. hand.
mains = rnain (mane) adv. morgen.
inains = meins (minus) adv. comp.
weniger, au m. wenigstens.
inaint (vgl. AS 21 2) pron. adj. mancher,
mainte feiz manchesmal.
maintcnant (manu tenente) adv. auf
der stelle, sogleich.
maintenir (manu tenere) st. III (perf.
3. maintint, part. pf. f. maintenne)
aufrecht erhalten.
maifl mes dnagis) adv. mehr, (zeitl.)
weiter, fortan — conj. aber.
maiserer (der. v. maceria)s'ü. I mauern.
maisiere (maceriam lehmmauer) f.
gemäuer, fachte and.
maisniee maisnie (*mansionataui) /.
familie, gesinde.
maison meison (mansionem) f. htm*.
maistre (magistrum) m. I me.ister,
lehr er — f. lehr tr in.
mal (malum) adj. (f. male) schlecht,
schlimm, bös.
mal m. II s. mel.
malage (*malaticnm) m. II krankheit.
Malbien (male bene) n. pr. 'Schlimm-
gut' Sarracenenname 189.
Malebranche (malam brancam) n.pr.
'Schlimmzweig' , der junge fuchs 407.
malvais mauvais mauves (*maleva-
tium) adj. schlecht, schlimm.
mamele (mammillam) f. brüst.
mamelete (der. v. mamele) f. brüst-
chen.
manant (part. v. manere) adj. — m. II
bewohner, besitzer, reich.
manantie (der. v. manant) f. reich-
tum.
manace (minacia) f. drohung.
manacier manecier (*minaciare) sw. I
bedrohen.
manche (manica) /. ärmel.
niandre 8. mendre.
maneir -oir (manere) st. II wohnen,
sein, bleiben.
maner s. mener.
manere = maniere (*nianuaria) /.
art, gattung.
mantel (dem. v. mantum) m. II mantel.
mar (malo augurio od. mala hora,
kurzform) adv. zur unzeit, zum
unglück, mit unrecht, ohne grund.
marbre (marmor) m. II marmorstein,
marc (d. mark) m. II (pl. mars)
mark.
Marc (kelt.) n. pr. künig Marc 294.
marche (d. marka) f. mark, grenz-
land.
niarcheant — mesese.
139
maroheant (*mereatantpm :>t mer-
e.ituin) w. II Händler, Kaufmann.
marchie (niercatuiu) m. II markt, a
bon m. billig.
marchis (marka -f- -enaem) m. indecl.
markgraf.
margerite = marguerite (inargaritaui)
/". margarite, gänseblümchen.
mari (maritum) m. II gafte.
ni.iriVr (maritare) sw. I verheiraten
(on).
uiarrement (zu d. marrjan < niarrir)
sw. I betrHbni8.
Marsilie n, pr. Sarracenenkönig
Marsilie 30, 189.
martir (juxQzvq-Qa) m. II märtyrer.
martire (h<xqxvqiov) »> llmärtyrtum.
mat (pers. mat, vgl. schachmatt)
adj. matt, niedergeschlagen.
matin (matutinuni) »i. II morgen, au
m. am morgen.
matinee (der. v. matin) f. morgen.
mantalentif (der. v. malum talentum
— maltalent) adj. unwillig, er-
zürnt.
me m' (me) unbet. pron. 1. p. sg.
dat. u. acc. mir, mich.
me (meam) = ma im pik. meine.
mecine (medicinam) f. arznei.
meciner (der. v. mecine) siv. I mit
arznei behandeln, kurieren.
medre mere (matrem) f. mutter.
mei moi (me) bet. pron. 1. p. sg.
acc. mich.
meillonr millor -eur (meliorem) adj.
comp. (r. mieldre) besser, (mit
od. ohne ort.) beste.
rae'isme (*metipsimum) adj. pron.
selbst.
mel mal (malum) m. II schlimmes,
unglück, schaden, leid, mal traire
leid erdulden, m. aies vericünscht
seist du!
melle = mesle (*misculatum) part.
vermischt, verwirrt.
melz mels s. mieus.
memoire (memoriam) /'. atulenken.
men (pilO s. mon.
men^-onge manc. mens1*, ^inentitio-
nea, vgl. AS) f. lüge.
mendre s. menuur.
mener (minari) sie. I (fut. 1. inenrai)
führen, leiten, bringen.
mengier mangier (manducare) wo. 1
(praes. ind. 2. mengues 141. perf.
■H. meuja) essen.
menonr (minorem) adj. comp. (r.
mendre) kleiner.
mensongier (der. v. mensonge) adj.
lügnerisch.
mentir mautir (mentiri) sie. II lügen.
menuisse = menuise (minntia?) f.
spanne, reihe)).
menut (minutum) adj. klein, dicht.
meon s. mien.
mer (mare) f. meer.
merc'ier (der. v. mercit) sw. I jem.
(qn.) danken.
mercit merci (mercedem) f. gnade,
erbarmen, dank, les lor mereiz
317.
mere s. medre.
merir (merere -ire) sw. II belohnen.
merveillos (mirabiliosum) adj. wunder-
bar, hervorragend.
merveille -oille (mirabilia) /'. wunder,
merkwürdigkeit, a merveilles u.
merveilles wunderbar, ausser-
ordentlich.
nies (mansum) m. indecl. haus.
mes (meos) unbet. pron. poss. 1. p.
r. sg. u. obl. pl. mein, meine.
mes s. mais.
meschief (minus + capnt) m. II nach-
teil.
meschiet (der. v. mesche, << micca?)
adj. dochtartig, büschelig.
mescinete (dem. v. mescine <C arab.
maskin arm) f. mädchen.
mesdire (minus -{-dicere) st. II (part.
pf. mesdit) falsches sagen, aus-
drücken.
mesese = mesaise (comp. v. aise •<
adjacens) /. unbehaglichkeit.
r.-m
Glossar: inesfaire — mossu.
mesfaire (komp. v. facere) st. I (perf.
[d. 2. inesfeistes) unrecht tun.
mesfait (der. v. mesfaire) m. II
m issetat.
niesseant (part. pr. v. inesseoir,
komp. v. seoir) nchleclit sitzend,
faire a qu. messeaut jem. unziem-
liches tun.
uiestier (ministeriuui) »».II bedürfnis,
avoir in. a jem. nützen.
inesiire (mensuram) f. massvolles
benehmen, mässiguny.
inetre (inittere) st. II (jwaes. conj.
3. mette, perf. 1. inis, 3. mit, pl.
3. mistrent, part. pf. mis, /'. mise,
cond. meteroit) setzen, legen, stellen,
hersetzen, hinzusetzen; m. avant
erkennen lassen; m. s'entente, son
corage, son euer, sa eure en
seine aufynerksamkeit etc. richten,
verwenden auf; m. en romanz
ins romaniseke übersetzen; zur
Umschreibung in m. en gages
verpfänden, m. fin a beendigen;
s. m. a la voie sich auf den weg
machen, s. m. devers qn., s. m. en
la creance de qn. sich anvertrauen.
ini (uiei) pron. ])oss. 1. p. sg. im pl.
r. (obl. mes) meine.
mi (mihi) bet. pron. \. p. sg. obl. im
pik. mir, mich.
mie (micam) /'. krümchen, zur Ver-
stärkung der negation ne.
mieldre s. meillour.
mien meon (meum) bet. pron. poss.
1. p. sg. im obl. sg. mein, der
meinige.
mieus mix niiauz inelz mels = mielz
(melius) adv. comp, besser, lieber,
mehr (amer trop. m.).
mignot (kelt. stamm min-?) adj.
zierlich.
mil (inllle) zw. (pl. milie = milia)
tausend.
milieu (medium locum) m. II mitte.
millier (*milliarum) m. II tausend,
tausende.
millor s. meillour.
miuistre (ministrum) m. II diencr.
mirabille (mirabilia) /'. wunder (erb-
wörtlich merveüle).
mire (medicum) m. II arzt.
mix = mins s. mieus.
moi s. mei.
moien moiaiu (*medianum) adj. in
der mitte befindlich, mittler.
moillier (mulierem) /". treib, frau,
bes. ehe fr au.
muillier (*molliare, zu mullcm) sie. I
(praes. ind. 3. mueille) benetzen.
moine (monachum — /novayöv) m. II
manch.
moinne = moinsue (minus -f- natum)
part. — adj. jüngst, geboren,
jüngst.
mois (mensem) m. indecl. monat.
mol (möllern) adj. weich.
niolt mout (multum) adv. sehr.
Monjoie (montem-(-gaudia) Monjoie,
Schlachtruf Karls u. d. Franken.
mont (mundum) m. II weit.
mont (montem) m. II berg, a in.
empor.
montant (ger. v. monter) m. II wert,
monter (*montare, v. montem) sw. I
steigen (desor), hinaufsteigen (le
degre), aufsitzen; zunehmen.
mor (Maurum) m. II mohr.
morde (*mordere f. inordere) beissen.
morir (*morire f. mori) sw. ui- perf.
(praes. ind. 1. inuir, pl. 3. muerent,
murent = morent, perf. pl. 3. nio-
rurent, part. perf. inort, fut. 3.
morra, ger. morant, lehnwörtlich
mor'i'ant) sterben, m. de mort des
todes sterben, avoir mort qn. jem.
getötet haben.
mors (morsuin) m. indecl. biss.
mort (mortem) f. tod.
mort (mortuum) part. — adj. tot.
mortel (mortalem) adj. sterblich;
tätlich, anemi m. todfeind.
mossu (der. v. mosse << d. mos) adj.
moosig, behaart.
uiostrer — nostre.
i41
uiustrcr (monstrarci I! igen.
mot (*muttum) m. II wort.
moveresse (der. v moveir) /'. er-
regerin.
uiovoir (movere) st. III (perf, 3. uiut,
C07ij. impf. pl. 2. uieiissiez) be-
wegen, s. in. sich bewegen.
miiable (inntabilem)(7(//. veränderlich.
niuance (der. v. uiutare) /'. Verän-
derung.
mucier sw. I verbergen, sich verberge?!.
müder mui:r (mütare) sw. I ver-
ändern, mausern.
mue (der. v. mner) f. mauserkäfig
310.
mm (murum) m. II matter.
musardie (der. v. musart) /'. torheit.
musart (der. v. muser < *niusare)
m. II tor, narr.
N
n' = iie.
naie (nun egu) partik. nein, n. vuir
nein fürwahr.
nafrer (der. v. d. narsve — narbe)
sw. I verwunden.
naistre nestre (*nascere f. nasci)
(pracs. ind. 3. nest. fut. pilur. 3.
naisteront, part. perf. r. nez) ge-
boren werden.
nasal (nasale, r. nasuin) m. II nasen-
schiene (am heim).
nature (naturam) f. natur.
Nazaren m. II Nazarener, d. i.
Christus 127.
ne (nee) conj. und nicht, im neg.
satz und, oder; ne — ne mit neg.
weder — noch; expletiv im ver-
gleichungssatz.
ne nen n' (nun) unbet. neg. -partik.
nicht.
negun (neeunum) pron. indef. irgend
ein, mit ne kein.
neif noif (nivem) /. schnee.
ne'i's nes (nee ipsum) nicht einmal
— sogar, n. que so wenig als.
nel = ne 4- le.
uem = ne + me.
nen s. ne.
nenil (nun illud) partik. nein, nicht.
nepurqnant (nun pru quautu) adv.
nichtsdestoweniger.
nes (nasum) m. indecl. n
nes 1) = ne'i's. — 2) = ne 4- se. —
3) = ne + les.
nest s. naistre.
net (nitidum) adj. (f. nete) glänzend,
rein.
neul niul (nee ullum) pron. indf.
irgendein, mit ne kein.
nevou (nepotem) m. II neffe.
Niculete n. pr. f. Nicolete, Aucassins
geliebte 471 ff.
n'ient -ant (nee -f *ente) pron. indf.
etwas, mit ne nichts.
nisun (nee ipsum ununi) pron. indf.
irgendein.
niul s. neul.
no 1) = nostre (pik.). — 2) = nun.
noalz (*nugalius, zu nugae) adj.
gering, wertlos, nichtig.
nuble (nobilem) adj. vornehm.
Noe n. pr. Noah 08.
noef (novnm) adj. (f. noeve) neu.
noir (nigrum) adj. schwarz.
nuis (nucem) f. indecl. nu88.
nuise (*nausea) /'. lärm.
nuisier (der. v. nuise) lärm machen.
nom non nun (nomen) m. II namen.
non (non) bet. neg.-part. nein.
noncier (nnntiare) sw. I verkünden.
nomine (nunquam) adv. niemals.
durchaus nicht.
norir (nutrire) sw. II nähren, erziehen.
nort (ags nord) m. II norden.
nos nous (nos) 1) bet. pron. l.p.pl.
wir, uns, auch = sg. mich —
2) dass. unbet. dat. u. acc. uns.
nos = noz (nostros) pron. poss. \.p.
pl. im obl. pl. unser, vgl. no.
nostre (nostrum -am) pron. poss.
1. p. pl. unser, unserig, mit art.
subst. (vgl. no nos noz).
>42
Glossar: nouer — Orient.
noucr (nodare) sie. I knüpfen.
novel (novelluin) adj. neu, de n.
von neuem, eben erst.
novelier (der. v. novel) adj. neugierig.
noz (nostros) acc. pl. des pron. \.p.
pl. unserig, der unserige.
nue (uubem + a) /'. wölke.
innre (*nöcere f. nocere) st. III
(praes. ind. 3. nuist) schaden.
uuit (nocteni) f. nacht.
nul nuil (nulluni) pron. indef. (r.
nuls nus) irgendein, mit ne kein.
uns s. nul.
nut nu (nudum) adj. f. nue) naefö,
entblösst.
0
u (hoc) ^?-t»/t. dem. neutr. dieses.
u ou (ubi) adv. interr. wo?
obeir (oboedire) sie. II gehorchen.
oblider -Ter (der. v. oblituni, zu ob-
livisci) sw. I vergessen.
ocire ochire ocire -irre (oeeidere)
st. II (praes. 3. ocit, pl. 3. ocient,
/Vt£. 3. ocirra, perf. 'S. ocist, cory.
impf. pl. 3. ocesissent, ^>ar£. perf.
ocis) töten.
od ot (apud) p»"«p- wi£, feei, 2«, ~u-
sammen mit, od tut damit.
odir oir (audire) sw. II (praes. ind.
1. oi, 2. oz, 3. ot, imp. pl. oiez,
fut. 1. orrai, 2. orras, pi. 2. orrez,
3. orront, perf. 1. 01, pl. 2. 0'1'stes,
^;ur£. oT) hören, o'Tr qn. von je-
mand hören, par uir dire von
hurensagen.
oeul 8. ueil.
oeuvre ovre (opera) /". arbeit, werk.
Ogier (#. Audegariuui /'. Autchariuui)
de Daneiuarcho n. pr. Ogier der
Däne 222 ff.
oie (der. v. oT'r odir) f. gehör, das
hören.
oil (hoc illnd) partik. ja.
0'1'r s. odir.
oisel (avicelluin) m. II vogel.
oiselet (</<>». ü. avicelluui) m. II
(/»£. uiseles) vöglein.
oiseuse (otiosani) f. müssiggang.
Oisi (Esiacuui) n. pr. ort Oisi, in
uiaistre d'O. 359.
oissie (*ossiatuni, v. os) adj. knochig.
ulifant (elephantuui) m. II elefant.
ulive (olivani) /'. olivenbauhi.
Olivete, mont, n. pr. Ölberg 127.
Olivier (Olitguarium?) n. pr. Olivier,
Eolands waffengenosse 103 ff.
oltre ultre (ultra) präp adv. jen-
seits, d'o. von jenseits.
om s. hoine, on.
ombrage (*uuibratieuui) adj. dunkel,
finster.
ouibroier (*unibricare) sw. I be-
schatten; sich im schatten ausruhn.
Omer (" 'OptijQOv) n. pr. Homer 280.
on om hon, l'on Ten l'an (honio,
ille houio) pron. indef. man; vgl.
nomine,
onbre (unibrani) /'. schatten.
onc. s. onque.
oncle uncle (avunculuni) m. II oheim,
onkel.
onor -our s. honor.
onme = umme s. honie.
onque onques onkes (unquam) adv.
jemals, mit ne niemals.
or (auruin) m. II gold.
orage (*auraticuin, v. aura) m. II
stürm, gewitter.
ordenet (ordinatuni) adj. — m. II
ordiniert, geweiht, geistlicher.
ore (horain) /'. stunde, d'ores en
altres von zeit zu zeit.
ore or ores (*ha hora /'. hac hora)
adv. nun, jetzt.
orer (orare) sw. I beten.
orgueillier (der. v. orgueil) sw. I
stolz werden, s. o. dass.
orguel -oill {g. urgoli-) m. II stolz,
Hochmut, Übermut, ivildheit.
orguellous orguillos (der. v. orgueil)
(.'(//. stolz, eitel, wild.
or'ieut -ant (orientem) m. II osten.
oriere — Paris.
543
oriere der. v. oraw rand) f. r<uul,
saunt.
orueuieut(oruauieutuui)«(. Usehmuck.
oroilles = oreilles (auriculas) f ohren.
orteil (lat. artk-ulum + kclt. ordiga)
tu. 11 zehe.
ortie (urticam) /'. brennessel.
ortus (ortus) m. indecl. entstehwng,
aufgang [eines gestirns).
osberc s. baubeic.
oser (*ausare. v. ausus sum) sie. I
wagen.
ost (hostein) m. II (r. oz) Aeer.
ostage (*obsidaticum) m. II geisel.
oste (hospitein) m. II lotrf.
ostel hostel (hospitale) >». II /w-
berge, toohnung.
osteler (der. v. ostel) sw. I 6e-
herbergen.
oster (obstare?) sw. I herausziehn,
wegnehmen, streichen, s'an o. sic/i
zurückziehen .
ot s. od.
otreiier (auctoricare) sw. I beicilligen.
ou (aut) «wy. oder,
ou (ubi) = o.
uu (in illum) s. en.
outrage (*ultraticum, v. ultra) m. II
Übermut, schimpf.
Ovide (Ovidiuui) n. pr. Ovid 2**4.
ovralgne (*operanea) /". werk.
ovre s. oeuvre.
ovrir ouvrir (operire /. aperire) sw. II
[pari. perf. ouvert) öffnen.
paage = peage (*pedaticum, v.
pedeui) m. II zoll, tribut.
paiien paien (paganuui) m. II heicle.
paile palie (palliuin) m. II tuch, stoff.
pain (panein) m. II £>ro£.
paindre sf. II (praes. '6. paint) s. p.
sieh beeilen.
painture = peintnre (pincturam) f.
gemälde, bild.
f>a.iTe(ip-a.ria,)f.gesellschaft.yattung.art.
pais pea (pacem, oder paxV) /.
frieden.
pais negation s, pas.
paistre pestre (*pascere /. pasoi
st. III i j>raes. ind. jd. :>. peissent,
t»»/». pl. paisaiez, part. perf. pell)
weiden, erna!ir> n.
pale (pallidnui) «f/y. bleieh. fahl.
palefroi (paraverSdum) m. II zeiter.
palir (*pallire /'. pallere) sto. II Weic/i
pance (pauticeui, /'. bauch.
paudre s. pendre.
panier (panarium) m. II korb.
panir (zu espanir<d. spaunen. vgl,
epanouir) sw. II (part. perf. f.
paniej sieh entfalten.
par (per) präp. 1. ZoÄ-<iJ: durch, in
— herum, über — hinweg, an
— vorbei, an, p. sei für sich, p.
dessus darüber hinweg, p. devaut
vor. — 2. temporal: an. — 3. in-
strumental oder konsekutiv: durch,
vermittels, infolge von, per que
weil. — 4. begleitender aeben-
umstand: unter, bei, mit, in (p.
amor, p. veir etc.).
par (per, vgl. penuagnus) adv. sehr,
par — taut so sehr.
paradis s. pareTs.
parage (der. v. par) m. II adel.
pardon (der. v. pardoner) m. II Ver-
gebung.
pardoner (perdonare) sw. I (praes.
ind. 1. pardoiiis) vergeben.
pareil (*pariouluin, zu par) adj.
gleich, ähnlich.
pareTs paradis (naQÜöeioov) m.
indecl. paradies.
parenz (parentes) m. pl. II eitern.
parer (parare) stu. I schmücken.
parfundeuient (adv. zu parfunt)
tief.
parfunt (*perfunduin /. prufunduin)
adj. tief, mund p. it7iterwelt.
Paris (Uuqiz) n. pr. Paris, söhn des
Priamus 282.
MI
Glossar: parier — peser.
parier (parabolare, zu 7ta(taßoXij)
sii-. 1 (pracfi. ind. 3. parole) reden,
sprechen.
parlier (der. v. parier) adj. ge-
schwätzig.
parini (per medium) präp. mitten
durch, über — weg, p. la main
an der hand.
paroir (parere) sw. ui- perf (fut.
3. parra) sichtbar sein, offenbar
loerden.
parole (naQußo).rj) f. wort, rede.
part (partem) f. seite, rieht mg,
partei, anteil-
partie (der. v. partir) f. teil.
partir (partire) sie. II teilnehmen,
aufbrechen, scheiden von (de), s.
p. de sich trennen von.
partot (per *tnttum) adv. durchaus,
überall, allezeit.
pas (passum) tu. indecl. schritt,
schritt als gangart.
pas ostfr. pais (passum) partik. zur
Verstärkung der negation.
pasmer (*pasrnare f. *spasmare, zu
anaafiöq krampf) sw. I s. p. ohn-
mächtig werden.
passage (*passaticum) m. II weggeld.
passer (der. v. passum) sw. I vor-
beigehn, s'en p., p. oultre dass.,
(v. d. zeit) verstreichen, estre
pass6s vorbei sein; mit acc. über-
schreiten, hinüberbringen, durch-
stecken.
pass'i'ou (passiouem) f. leiden, krank-
heit.
pastor (pastorem) m. III (r. pastre)
hirt.
pastoure (f. zu pastour -or) hirtin.
paume (palmam) /'. flache hand.
pave (zu pavire stampfen?) part. —
adj. gepflastert.
pechiet pechie (peccatum) w. II
Sünde.
peQoiier (*pettiicare, vgl. piece) siv.
I zerstückeln, zerschlagen.
pedre pere (patrem) m. I vater.
peindre poindre (piugere) st. II
(part. perf. point) malen, sticken.
peiue painne Ipoenam) /'. mühe.
pel (pellem) m. II haut.
peler (der. v. pel) enthaaren, part.
prlr kahl.
peleriuage (der. v. pelegrinum) »«.
II pilgcrfalirt.
pendre pandre (pendere) sw. III. II
(praes. 3. pant, perf. 3. peudie)
hängen.
peaser (pensare) sw. I nachdenken,
denken an (a), ettv. denken (qch.)
— subst. m. II das denken.
pensif pansif (der. v. penser) adj.
(r. pansis) nachdenklich.
peor poor poiir poour (pavorem) f.
furcht.
per (parem) adj. gleich, ebenbürtig.
sum p. seinesgleichen — m. II
genösse, pair, gatte.
percier -chier (*pertusiare) sw. I
durchbohren.
Percehaie n. 2»-., 'Spring durch die
hecke', name eines jungen fuchses
407.
Perceval le Galois n. pr. Perceval
der Walliser 32ß.
perdre (perdere) siv. III, II (part.
perf. perdu) verlieren.
Pere (Petrum) n. pr. Petrus 316.
pere (patrem) s. pedre.
perriere (*petraria, v. petra — ttIto«)
f. steinwurfmaschine.
perron perun (*petrouem, zu petra)
m. II grosser stein.
pers (persicum) adj. 2wsisch.
pers (persicum) adj. pfirsichfarben,
bläulich.
pert s. pareir.
perte (perditam zu perdere) f. ver-
tust, faire p. verlieren.
pesance (der. v. peser)/". leid, kummer.
peser (pensare) sw. I (praes. ind. 3.
peise, conj. 3. peist poist) be-
drücken, missfallen, zorn verur-
sachen.
pesle — poi.
pesle niesle (letzteres zu mesler <.
*inisculare) adv. dicht gemischt,
biuit durcheinander.
pesnie (pessimnm) adj. schlecht
petit (keU. *pettittuum adj. (/'.
petite) klein.
peü s. paistre.
piancheln (zu pel < pellem) adj.
haut ig 224.
piece pieche (kelt. *pettia) f. stück;
piec*a, piech'a (auch pieca geschr. \
seit langer zeit, beinahe 224.
pied piet (pedem) m. II (pl. piez
pies) fuss, rand.
pierre (petram <C nixQav) f. stein.
pipnier (pectinare, v. pectinein)
kämmen.
pilor (pilare, zu pilain) m. II pfeiler.
pin (pinum) »). II flehte.
pior (pejurem) adj. comp. (r. pire)
schlimmer, le p. der schlimmste.
pis (pejus) adv. comp, weniger,
schlechter, schlimmer, subst.
schlimmeres.
pis (peetns) s. piz.
pitiet (pietatem) f. mitleid.
pituereinent = piteuseinent (pietosa
mente) adv. mitleidig., kläglich.
pius (pius) adj. fromm, gnädig.
piz pis (pectus) m. indeel, brüst.
plaier (*plagare, v. plaga) siv. I ver-
wanden.
piain (planum) adj. eben — subst.
m. II ebene.
plaindre (plangere) st. II (praes. ind.
1. plaing, conj. pl. 1. plaignons)
beklagen, s. p. sich beklagen.
plainte (der. v. plaindre) f. klage.
plaire (^placere f. placere) st. III
(praes. ind. 3. plest plet, perf. 3.
plot, fut. 3. plaira gefallen (mit a
c. in f.).
plaisant (placentem) part. — adj.
gefällig, angenehm.
plaisier (placere) m. II vergnügen,
Vergnügung.
planche (plancam) /'. planke. brett.
planchiei (der. v. planche) m. II mit
planken gebauter saal, haus.
plantet (plantare, v. planta) sie. I
pflanzen.
plat (*plattum) adj. platt.
plein (plenmu) adj. voll.
plener — pleuier (*plenarinm) adj.
voll, vollständig, gross.
pleutö (plenitatein) /'. menge.
plessie = plaissie (*plaxatuiu, v.
plaxum f. plexnui?) m. II gehege.
pliadon (v. rcXeiüq -aöog) m. II
Siebengestirn.
plor (der. v. plorer) m. II das weinen.
plorer (plorare) siv. I weinen, be-
weinen.
plovoir (*plovere f. plnere) st. Iil
(conj. impf. 3. pleiist) regnen
(impers.).
pluie (*plovia) f. regen.
plume (plumaui) f. feder, gefieder.
plus (plus) adv. comp, mehr, am
meisten, ne — plas nicht mehr,
nicht, länger; zur comp.-bez. gebr.
(plus dolent etc.).
plusors (pluriores, vgl. AS) pron.
in de f. mehrere, die meisten.
poeir pooir (*potere f. posse) st. III
(praes. ind. 1. puis pois, 2. puez,
3. puet, pl. 2 poez, 3. puedent
pueent, conj. 1. puisse, 3. puist
poist, impf. ind. 1. pooie, 3. poeit
-oit, pl. 3. pooient, conj. 1. peüsce
po'i'sse, 3. poiist peüst po'ist, pl.
2. peüssies peüscies, perf. 1. poi,
3. pot, pl. 3. ponrent, fut. 3. porra
pnrra, pl. 2. porreiz, 3. porront,
cond. 1. porreie, 2. porroies, 3.
poroit) können, vermögen, conj.
puist (in Verwünschungen) möge,
möchte, doch! — in f. subst m. II
macht.
poeste' (potestatem) f. gewalt.
poi pon (paueum) adv. wenig, in
geringer menge, un p. ein wenig,
par un p. qae ne, a p. que ne
beinahe (vgl. AS v. 132).
Voretzsch, Studium <!. afrz. Literatur. 2. Auflage.
35
540
Glossar: poil — prison.
poil (piluni) m. II haar.
poin poing (pugnum) m. II (r.
poiuz) faust, hand.
poindre (pungere) st. II stechen,
spornen.
point (punctum) m. II punkt, Zeit-
punkt.
point (pinctuiu) s. peindre.
poise poist s. peser.
poison (potionem) f. heiltrank.
poisson (*piscioneiu) yn. II fisch.
ponier — pomier (pomarium) vi. II
apfelbaum.
Pontoise (Pontem Isarae) n. pr. ort
Pontoise 348.
poor poour s. peor.
por pur (pro) präp. für, um —
willen, mit in f. um — zu, por 50
que darum dass, deshalb weil; zuw.
im sinne von par durch.
porc (porcuui) m. II (p>l. por3) Wild-
schwein.
porchacier (komp. v. *captiare) sw. I
zu erbeuten, zu erlangen suchen.
porpenser purp. (komp. v. pensare)
st». I tiberlegen, s. p. bei sich
überlegen.
porpre (purpuram) m. II u. f. purpur.
porpris (der. v. porprendre) m. indecl.
umfriedigung.
porquerre pourq. (komp. v. quaerere)
st. II zu erwerben suchen, suchen.
port (portnui) m. II hafen, les porz
die passe.
porter (portare) sio. I tragen, honor
p. ehre erweisen.
posterne = posterle (posterularu) /'.
kleine ausfalltüre in der befestigten
maucr.
postiö (*postieium, v. posteui) hinter-
tür, pförtchen.
pou 8. poi.
pourquerre s. porq.
poverte (pauperta f. paupertas) /.
armut, ärmlichkeit.
poverte (paupertateni) f. armut.
povre (pauperem) adj. arm.
prael (dem. v. pratum — pröi m. 11
fiese.
praerie (der. v. pratuui) f. icicse,
wiesenland.
prangiere (der. v. prandiuui) f. früh-
stück.
precTos prech'ieus (pretiusuru) adj.
wertvoll, wert.
preder (praedare) sw. I plündern.
pree (prata) f. wiese.
preie proie (praedain) /'. beute.
preiier proiier (precari) sw. I (praes.
1. pri, 3. priet, per f. 1. priai) bitten,
pr. a qn. de qch. je;», um etwas
bitten.
preuiier (prirnariuui) zw. (f. preiniere)
erst, erster.
prendre prandre (preheudere —
preudere) st. II (praes. ind. 3.
prent prend, covj. 3. prenge, imp.
pren, pl. prennez, impf. ind.
prenoie etc., conj. pl. 3. presissent,
perf. 1. pris, 3. prist, part. pris /'.
prise, cond. 3. prenderoit) nehmen,
gefangen nehmen; annehmen, auf-
nehmen, beginnen; in redensarten
wie: prendre plaid, pr. eure,
garde de; s'en pr. a qn. sich da-
mit an jem. halten, pr. a c. inf.
anfangen — zu.
pres (pressure) adv. in der nähe,
nahebei, nahe, in die nähe, pres
de in der nähe von, in der zeit
von, Uni.
presse (der. v. presser, zu preiuere
— pressum) /'. gedränge, gewühl.
prest (*praestnm, zu adv. praesto)
adj. (r. prez) bereit.
Priarnon (77(j/«/<ov) n. pr. Sarra-
cenenname 189.
prinies (priuiä sc. hora + s) adv.
zuerst.
pris (pretium) m. indecl. preis.
prisier s. proisier.
prison (*prensioueni, zu prendere)
/'. gefangenschaft, gefängnis. tenir
l'alaine eu pr. anhalten.
prive — qnui.
547
priv6 (privatum) adj. vertraut.
proesee = proece (*pro<iitia, v.
prode — prou) f. tapferkeit.
proiier s. preiier.
proiiere {der. v. proiier) /'. bitte.
proisier prisier (*pretiare, v. pretium)
wo. I schätzen, wertschätzen.
promesse (promissa) f. versprechen.
proprement (adv. v. propre < pro-
prium) in gehöriger weise.
prot pru preu (* prode-, vgl.
prodesse) m. II nutzen, vorteil,
menge, viel.
prou preu (*prodem) adj. wacker,
tapfer.
pruveire = proveire (presbyterum
<CnQsaßvT£Qov) m. II (>•. prestre)
piiester.
pucele pulcele f. ( * püllicellani)
mädchen, Jungfrau.
puis pues pois (*postius) adv. später,
nachher, dann, p. que seitdem,
nachdem — prüp. seit.
puissance (der. v. puissaut) f. macht,
kraft.
puiz (piiteum) m. indccl. brwnnen.
pnlcele s. pucele.
pur (purum) adj. rein.
purpeuser 8. porpenser.
purtraire (komp. v. traire<*tragere)
st. II {pari. pf. Portrait) zeichnen,
bemalen.
put (pütidum) adj. stinkend, ver-
worfen — f. pute, oll. putain
meretrix.
quaut (quando) conj. 1. temporal:
als. — 2. kausal: nun da, da.
quant (quantum) pron. indf. wie-
viel, tant rie q. (?irtc7i neg. satz)
nur ein wenig.
quar s. car.
quart (quartum) zw. viert.
quartier (quartarium) m. II viertel.
qu&tir (der. v. eoaotam zu cogere)
wo. II (praes. ';'•. quatist) s. q. sich
ducken, s<'!t»ii<j,/ei).
quatorze (quattuordeciin) zw. vier-
zehn.
qoatre (quattuor) zw. vü i .
qne qu' qe ke (quem) pron. rel. ü.
interr. welcher, welche, welches,
was; im abgekürzten satz = id
quod (faire ke cortoise etc.) : im
eoncessiven satz soviel als (que
je sacke etc.); que — que teils —
teils 4u5.
que (quam) conj. {nach comp.) als,
wie.
qued que qu' ke c' (quid /'. quod.)
conj. weil, denn; dass, damit,
de co quo darüber dass, que ne
ohne dass.
quei quoi (quid) bet. pron. interr.
u. rel. bet. was? por q. iceshalb,
wodurch ?
quel (qualem) pron. interr. (r. quels
queus) wie beschaffen?, q. que
welcher auch immer.
quens = cuens s. coute.
quer (quare betont) conj. denn.
querele (querellam) f. klage, streit.
querre querir (quaerere) st. II
(praes. ind. 1. qoier, 2. quiers,
3. quiert ger. queraut, perf. 1.
quis, pl. 3. qnistrent, pari, quis)
suchen.
qui ki chi (qui) pron. rel. r. sg. u.
pl. m. u. f. welcher, welche; qui
= bedingungssatz mit si.
qui (cui) pron. rel. obl. = cui.
quiconque (quieunque) pron. indf.
wer immer, jeder der.
quidier s. cnidier.
quil = qui 4- le.
i[uir 8. cuir.
quite (*quittnm, zu quietnm?) adj.
ledig, frei.
quoi s. quei.
35*
.IS
Glossar: rabiter - reinaneir.
R
rabiter (komp. v. habitare) s/w. I
wieder beivohnen.
racine (radicinaui) /'. würzet.
rafreschir (der. v. d. frisk) sw. II
erfrischen.
raiier (radiäre, v. radium) siv. I
strahlen, rieseln.
raison raizon raisun reison (rationem)
f. Vernunft, verstand, crörterung,
rechenschaft, erzählung, rede, avoir
r. recht haben, par grant r. mit
völligem recht.
ramener (komp. v. minari) siv. I
(praes. conj. 3. raraaint) zurück-
führen.
randre s. rendre.
rapaiier (komp. v. pacare) siv. I
wieder beruhigen.
raseoir (komp. v. sedere) st. II
(praes. ind. 3. rasiöt) s. r. sich
setzen.
rasseürer (der. v. securuin) sw. I
beruhigen.
raverdir (der. v. viridis) sw. II wieder
grünen.
ravir (*rapire f. rapere) siv. II
rauben.
ravoir (re 4- habere) st. III (praes.
ind. 3. ra) wieder haben (häufig
als hilfsverb bei komp. mit re-).
Raynaut (d. Reginald) n.pr. Rainald
160.
recercele (der. v. circuin) part.-adj.
gekräuselt.
rechignier (zu d. kinan den mund
verziehen) siv. I zusammenbeissen.
reclamer (reclamare) sw. I bekennen,
anrufen.
regoivre (recipere) st. III (praes.
conj. 3. re^ueve, per f. 3. recjut,
fut. 1. recevrai) empfangen, auf-
nehmen.
recomencier -ancier (komp. v. *cumi-
nitiare) sw. I wieder von vorn
anfangen.
reconforter (der. v. fortis) sto. I
trösten, laben.
reconoistre (recoguoscere) st. III
wiedererkennen.
reconter (komp. v. couiputare) sie. I
erzählen, darstellen.
recovrer (recuperare) sw. I (praes.
ind. pl. 3. recuevrent) wieder
erlangen.
recreant part. praes. v. recreire <
recredere, st. III, nachlassen, ver-
zagt werden.
redevoir (re + debere) st. III (cond.
2. redevroies) wieder müssen 316.
refreidir (der. v. frigidus) sw. II
frieren.
refnser (*refnsare, v. refusum — re-
fundere) sw. I ablehnen, zurück-
weisen.
regeter (komp. v. jaetare) sw. I
(praes. ind. 3. regiete) ausschlagen
(v. jrferd).
regne (regnuin) m. II königreich,
reich.
regne (regnaturn) m. II reich.
regnier (regnare) sw. I regieren.
regreter (vgl. got. gretan) su: I be-
dauern, beklagen.
reguarder regarder (komp. v. guar-
der) sw. I anschauen, anblicken.
rei roi (regem) m. II (r. reis rois)
könig.
reialme reaume (*regalinien) m. II
königreich, reich.
Reinalt (d. Reginald) n. pr. einer
der mörder Beckets 127.
reine roTne (reginam) f. königin.
relenquir (*relinquire /'. relinquere)
SW. II verlassen, aufgeben.
relever (komp. v. levare) sw. I
ivieder aufrichten.
reluire (komp. v. lucere /'. lucere)
st. III (praes. ind. 3. reluist, part.
reluisant) leuchten, glänzen.
rernaneir -oir (remanere) st. II
(praes. ind. 3. remaint, per f. 1.
renies, 3. reuiest, part. pf. renies,
.VI«)
fut. '2. reinandras, 3. remandrat,
cond. 3. remanroit) zurückbl
unterbleiben, aufhören.
remeuibrance (der. v. remenibrer) /*.
erinnenmg.
remembrei -anbrer (*reuiemorare, zu
meinor) imp. erinnern, gemahnen
(a qn. de qch.); pers. in er-
innenmg bringen, sich etwas in
erinnenmg rufen.
rernetre (remittere) st. II (pari. pf.
remis) wieder hinbringen, stellen.
remirer (komp. v. mirari) sie. I ansehn.
renraer (remütare) Bio. I verändern,
bewegen, wegziehen ; sich verändern.
Keuart (Regiuhard) n. pr. Reinhart,
name des fuchses 405 ff
Reucesvals (Runclas valles) n. pr.
Ronceval, ort der Rolandschlacht
262.
rendre randre (reddere) sie. III zu-
rückgeben, wiedergeben, s. r. sich
ergeben; r. gratia, reison, son droit
a qn. beweisen, ablegen, wider-
fahren lassen.
reneier Sic. I (renegare) verleugnen,
part. per f. reneie abtrünnig, fühllos.
renverser (komp. v. enverser) sw. I
umkehren.
repaidrier -airier (repatriare) sw. I
ZW uckkehren.
repentir (*paenitire, zu paenitet)
sw. II bereuen, s'en r. etwas be-
reuen.
reploiier (replicare) sw. I wiederholt
krümmen, Hegen.
repos (der. v. reposer) m. indecl. ruhe.
reposer (repausare) bmj. I ausruhen,
ruhen, s. r. dasselbe.
reprendre (reprendere) st. II (perf.
'6. reprist, part. repris) tadeln.
representer (repraesentare) sw. I
vorstellen, vor äugen führen.
reqnerre (komp. v. quaerere) st. II
(praes. ind. 1. requier) verlangen.
res (rasnm) m. u. f. indecl. glatt
gestrichenes niass, bündel.
resjotr (komp, v. ju'i'r <C gaudere)
BW. II s. r. sich er freiten.
resognier (komp. r. soignier, zu
(sunium — going) BW. I furchten.
resort (der. v, ressortir, zu sortiri)
in. II hilfe, mittel.
respleudeir (respleudere) sw. III, II
(praes. ind. 3. resplent) leuchten,
glänzen.
respoudre (*respöndere f. respon-
dere) siv. III, II (perf. 3. respon-
diet respondi) antworten.
ressembler (komp. v. sirnulare) sw. I
gleichen, ähnlich sein (mit acc).
rester (re — stare) st. III (perf. 3.
restat) stehen bleiben.
restraindre (restringere) st. II an-
ziehen, enger schnallen.
resveillier (komp. v. vigilare) sw. I
erwachen (subst. inf.).
retenir (retinere -ire) st. III (part.
perf. retenu) zurückhalten, ge-
fangen halten.
reter (reputare) sw. I anklagen.
retor (der. v. retorner) m. II Um-
kehr, heilung.
retorner (komp. v. torner) abwendig
machen, sich zurückivenden , zu-
rückfallen, wiederkehren.
retrait (retractum) m. II erzählung.
retreire — retraire (komp. v. * trägere
— traire) st. II zurückziehen, s. r.
sich zurückziehen.
reüser (*refusare-*revusare? *re-
tusare?) siv. I zurückweichen.
revenir (revenire) st. I — III (praes.
ind. 3. revient, perf. 1. reving,
fut. 3. revenra, cond. revandroie
etc.) zurückkehren, s'en r. sich zu-
rückziehen, r. en saison wieder
Jahreszeit werden.
reverser (komp. v. versari) sw. I um-
kehren, abziehen.
riclio (*ricciniu, zu d. riehi — reich)
adj. reich, mächtig, prächtig.
richece (der. v. riche) f. reichtum.
rien (rem) f. etwas, mit ne nichts.
550
Glossar: rimaier — santier.
rimaicr = riineier (der. v. rime) stv.
I reimen, in reime bringen.
riiner (der. v. g. *rima — rim) sie. I
reimen.
rire (*ridere f. ridere) st. II (pari.
pr. riant) lachen.
rivage (der. v. ripa) m. II ßuss-
ufer.
river Sit'. I festmachen, glattmachen.
rivere = riviere (riparia) f. fluss.
robe (g. raubha - raub) f. kleid,
kleidung.
roge (rubeuin) adj. rot.
roi (regem) s. rei.
roi (g., vgl. got. redan ordnen) in. II
Ordnung, ne savoir son r. nicht
wissen was zu hm.
roidement (adv. v. roit) stark, heftig.
roit (rigidum) adj. (f. roide) stark,
jäh, fest.
Rollant (d. Hrödlant) n. pr. m. II
Roland, der held der Ronceval-
schlacht 103 ff., 260.
romanz rormnans (rouiauice) adv. —
adj. romanisch — m. indecl. dicht-
werk in roman. spräche.
Rome (Roiriam) n. pr. f. Rom.
roncin (d. ross?) m. II lastpferd.
ronpre (rnmpere) sw. III, II zer-
brechen, zertreten.
roont (rotundum) adj. rund.
ros (rnssum) adj. rot, braungelb.
rose (rosaua) f. rose.
rossignolet (dem. v. lusciuiolaui) m.
II nachtigall (vgl. lorseilnol).
rousee (der. v. ros) f. tau.
rover (rogare) sw. I bitten, anrufen,
befehlen.
rnbiz (verw. mit ruber, rubeus) m.
indecl. rubin.
nie (rügaua) f. Strasse.
ruer (rüere-riltum-*nitare) sw. I
werfen.
rüge = roge (rübeuiu) adj. rot.
rute = rote (rüptani) f. teeg.
b' = 1. sa j>ron- poss. f. — 2. se
pron. poss. f. (pik.) — 3. se = ce.
— 4. si.
sa (suam) pron. ])oss. 3. pers. f. (pl.
ses) seine ihre.
sabloner (der. v. sabulonem — sa-
blon) m. II sandplatz.
sac (odxxoq) m. II (pl. sas) sack.
sachier (saccare, zu oüxzo;) sw. I
ziehen, reissen, herausziehen.
sacrer (sacrare) sw. I weihen.
saderala don interj. (als refrain im
tanzlied).
sage (*sabium f. sapidum) adj. klug.
saillir (salire — salio) sw. II springen,
aufspringen.
saiu (sanum) adj. gesund.
sain (sinuuj) s. sein.
Saine = Seine (Sequanam) n. pr. f.
Seinefluss 4 SO.
sainier (*sanginare f. *sanguinare
zu sanguein) sw. I bluten.
saint seiut (sanetum) adj. heilig.
saisir (d. satjan — setzen) sw. II
ergreifen.
saison (sationein, v. satuni — serere)
f. Jahreszeit.
saive (:':sabium f. sapidum) adj. weise.
Saleinon n. pr. könig Salomo 281.
saluer (salutare) sw. I grüssen.
salvaciou (salvationem) f. rettung,
heil.
salver (salvare) sw. I (praes. conj.
3. saut) erlösen, unterstützen, helfen.
samblant s. senblaut.
san = sen (d. sinn, vgl. forsene) m.
II sinn, verstand, s. faire ver-
nünftig handeln.
sanc (sauguem) m. II blut.
saDgler -ier (singulare) m. II eber,
luildeber.
sanlanche (pik.) 8. semblance.
sans sanz s. sens.
sante (sanitatem) /'. gesundheit.
santier (der. v. semita) m. II pfad.
saoul — serf.
551
saoul (*satullum. v. satnr) adj. ge-
sättigt.
Barmao s. seruion.
Sarragoce (Caesar Angusta) n. pr.
f. Sarragossa 30.
Sarrazin (Sarracenum) m. II Sarra-
eene.
Satan n. ]»: m. Sathan 126.
sauf (salvum) adj. heil, unversehrt.
sauge (salviam) /'. salbei.
saut (saltum) m. II sprang.
sauvage (silvaticnui) adj. wild, un-
gezähmt.
saveir -oir, (*sapüre f. sapere) st.
III (jyracs. ind. 1. sai, 2. sez,
3. set, pl. 1. savon, 3. sevent
sevient, conj. 1. sache, 3. sache,
pl. 3. sachent, irnp. ]>l. sachiez -i6s,
pari, sachant, impf, ind. 1. savoie,
3. savoit, conj. 1. seüsce, 3. seüst,
pl. 3. seüssent, per f. 1. soi, 3. sot,
part. seü, fut. 3. savrat savra saura,
pl. 2. savrez) rvissen, mit inf. ver-
steh», part. sachant wissend, ge-
lehrt — inf. sv.bst. das wisse», pl.
kennt nisse.
savoros -eus (der. v. saporem) adj.
schmackhaft, angenehm.
savour (saporem) f. geschmaek.
se s' (se) unbet. pron. refi. sich.
se s' (pik.) = sa (suam) pron.poss.
3. p. f. seine, ihre.
se sed si (si) conj. wenn, se — ne
wenn nicht, ausser wenn, se — non
wenn nicht, nur; ob.
sec (siccuni) adj. (f. seche) trocken.
secont (secundum) zw. zweit.
secorcier (komp. v. *corticare, vgl.
escorchier) sw. I aufstülpen.
secorre (suceurrere) sie. ui- perf.
(imp. pl. secores, fut. pl. 3.
secorront) zu hilfe eilen, helfen.
secors (*snccursum) m. indecl. bei-
stand.
seculer (saecularein) adj. weltlich.
sed s. se (si).
sei soi (se) bet. pron. refi. sich.
seignor (seniorein) m. III (r. sire)
herr.
seignori (der. v. seignor) adj. herr-
lich, hervorragend.
seignorie (der. v. seignor) /'. herr-
schaft.
sein sain (siuuui) m. II busen.
seint s. saint.
sei (sal) m. II salz.
sele (sellam) f. sattel.
selonc selon (secundum + loiigum)
priip. entlang, vorbei an.
sem = se 4- nie.
semblance sanlanche (der. v. simu-
lare) /'. aussehen, meinung.
sembler senbler (simulare) sw. I
scheinen, mort semblaut scheintot,
faire s — ant que den anschein er-
wecken.
semeinc = semaine (*septiinanam)
f. woche.
sempre -es senpres (semper) adv.
sogleich.
sen (pik.) = son (suum) unbet. pron.
poss. 3. p. obl. m. sein, ilir.
senblant samblant (v. ger. simnlando)
m. II aussehen, schein.
senef'fauce (der. v. seneficare) f. be-
deutung.
senef Yer signif'i'er (significarc) sw. I
bedeuten.
senestrier (*sinistrarinm) adj. link.
senglotir (der. v. senglot, < *sin-
gluttum?) sw. II schluchzoi.
sens sans sanz (sine + s) präp. ohne,
ausgenommen.
sentir santir (sentire) sw. II (praes.
ind. 3. sant, perf. 3. senti) fühlen,
empfinden, merken, s. s. mit adj.
sich . . . fühlen, s'cn s. es spüren.
seoir (sedere) st. II (praes. ind. 3.
siet, impf. ind. 3. seoit, pl. 3.
seoient, conj. 3. seist, perf. 3. sist)
sitzen, anstehen, passen, s. s. sich
setzen.
serf (servum) m. II (r. sers) sklave,
sklavisch.
552
(Jlossar: seri — sostonir.
s ri (zu screnuni? secretum?) adj.
ruhig, heiter.
serjaut (servientem) m. II diener.
serinon sarnnin (serrnonein) m. II
predigt, rede.
serpant (serpentem) m. II schlänge,
drache.
servir (servire) sie. II (praes. ind. 3.
sert, pl. 2. servez) dienen, bedienen,
mit dienst ehren.
servise (servitiuni) m. II dienst,
minnedienst.
ses ces (suus -os) unbet. pron. poss.
3. p. sg. im r. sg. u. obl. pl. sein,
ihr.
ses = se, si + les.
set (septein) zw. sieben.
seule siecle (saeculuui) m. II weit.
seür (securuni) adj. sicher, a. s. im
sichern, sicher.
seur, alt. form suer (soror) /'. III
(obl. seror) Schwester.
seus seul s. sol.
sevals (sie vel + s?) adv. wenigstens.
sez (satis) adv. genug.
si (sui) unbet. pron. poss. B.p. im r.
pl. seine, ihre.
si s' (sie) adv. so, in dieser weise,
und, und doch {auch zur einleitung
eines Hauptsatzes, zuw. nicht zu
übers.), si — ke so — als, si graut
con so gross wie.
siecle s. seule.
siege (*sediuni?) m. II belagerung.
siguef'iance (der. v. signefier) f. be-
deutung.
signefier s. senef Ter.
simple (simpluui) adj. einfach.
simplement (adv. zu simple) in ein-
facher ari.
sire (senior, kurz form) m. III (obl.
sieur vgl. seigneur) herr (bes. in
der anrede).
sis 1. = ses (suus — suos) im norm.
u. anglon. — 2. = si les.
sit = si te.
sivre siure (*sequere) /'. sequi) st. III
(ind. pr. 3. pl. Biweot, part. pr.
sevant, fut. 1. sivrai) folgen.
soe (suam) bet. pron. poss. 3. p. sg.
f. (m. suen) sein ig, ihrig.
soef (suave) adv. ruhig, sanft.
sofraindre (sub + frangere) st. II
(praes. conj. \i. soiraigne) ge-
brechen, fehlen.
sofrir (sufferre -errire) 8U>. II (praes.
ind. 3. sofre, perf. 3. sofri, pari,
perf. sofert, fut. 3. soferra, pl. 2.
soferreiz) erleiden, dulden, zu-
lassen.
soie (setam) f. seide.
soing (*sonium /'. senium) m. II sorge.
soir (serum) m. II abend.
sol (solidum) m. II sous (münze).
sol seul (solum) adj. (r. seus, f. sole)
allein, einzig.
soleil (*soliciünm, v. sol) m. II (r.
solleiz solauz) sonne.
soleir souloir (solere) def. verb. (praes.
ind. 3. soelt, impf. 1. souloie,
3. solcit) pflegen, mit in f. =
immer, stets.
son (sonum) m. II klang, gesang. lied.
son (sumiuum) m. II spitze, en s.
oben in.
son, pik. sen (suum) unbet. pron. poss.
3. p. im obl. m. (r. ses, sis, f. sa —
ses) sein, ihr.
songe (somnium) m. II träum.
sonner (sonare) sie. I ertönen lassen,
sprechen (mot).
sor (d. säur, mhd. sör dürr) adj.
dunkelbraun.
sorcil (supra + ciliuui) m. II (pl.
soreiz) augenbrauen.
sore sor snr (supra) praep. 1. (auf
die frage ico?) auf, an, bei. —
2. (auf die frage wohin ?) auf.
sormener (komp. v. minari) sw. I
schlecht behandeln.
sospirer (suspirare) sw. I seufzen.
sostenir (sustinere -ire) st. III (jmrt.
perf. f. sostenue) aushalten, er-
tragen, tragen.
soufiadhier — terdre.
553
souiYaehier sä'. 1 lupfen, aufheben.
Bouloil s. soleir.
Bonslevei (subtus + levare) sw. l
aufheben, bauschen.
souspe^on (*suspeetionem) /'. ver-
dacht, t'stre cu s. im zweifel sein.
soutillier (*subtiliare) Bio. 1 fein aus-
arbeiten.
sovenir (sub venire) st. I — III (per f.
3. sovint) impers. erinnern, ge-
mahnen.
Bovent (subinde) adv. oft.
soz sous (subtus) präp. unter.
spose Hl = espose.
suduiant (snbducenteru) nt. II Ver-
räter.
sueii (suuin) bet. pron. poss. 3. p. im
obl. sg. m. [f. B06 — soes) sein,
seinig.
suer (südare) sie. I schwitzen.
Surie (Syriain) n. pr. f. Syrien 351.
sus tsursuni) adv. oben, eu s. oben —
präp. auf.
snspeudre (suspendere) siv. III, II
vom amte entheben.
suverain (superaneum) adj. oben be-
findlich, niund s. oberweit.
T
t'= 1. te. — 2. ta.
ta (tnaiu) an bet. pron. poss. 2. p. sg.
im sg. f. (pl. tes) dein.
table (tabulam) f. tafel, tisch.
taille (der. v. taillier < taleare, zu
talea Stäbchen) f. Steuer 310 —
gestalt.
Taillefer taillier — fer < ferrutu)
n. pr. 'Taillefer 266.
taint = teint s. teindre.
taire (tacere /'. tacere) st. HI (fut. 3.
taira) schweigen, s'en t. dass.
talent -ant (talentum < gr. xa/.uvxov)
m. II neigung, wünsch, avoir t. de
seine tust an etw. haben.
tancon (*tentionem, zu tendere) f.
streit.
tanpeste (tempeata f. tempestas) /.
umectli r.
tant (tantam) adj. pron. (f. tautet
so viel, so mancher, oent uns
hundertfach, t. ne qaant nur ein
wenig [nach neg. satz).
tant (tantinn) adv. so sehr, tant com
so sehr als, so viel als, tant qne
so sehr dass, so lange bis, tant
que m. conj. so sehr, wenn auch.
tante — tente (v. teuter < tentare
versv.clter}) f. bündel.
taper (d. tappen, zu tappe = hand)
sw. I betasten.
tart (tarde) adv. sj>ät.
te t', encl. t OS (te) unbtt pron. pers.
2. p. sg. dich.
tei toi (te) bet. pron. 2. 7/. sg.
dich.
teindre (tingere) st. II (part. perf.
teint) färben, verfärben.
tel (taletn) ad/. j>ro??. (r. tels tens)
so beschaffen, solch, tel com, con
so besch. wie, teus qni derjenige
welcher.
tenecresse (der. r. tencier < *ten-
tiare) /'. zänkerin, streitsüchtig.
tendre (tendere) sw. III, II aus-
strecken.
tendror (der. v. tener) /'. Zärtlichkeit,
rührung.
Teuedon n. pr. inscl Tenedos 285.
tenir (*tenire f. tenere) st. III (praes.
ind. 3. tient, pl. 3. tiennent, conj.
3. tiegne tiengne, impf. ind. 3.
tenoit, perf. 1 . tiug, pl. 1 . tenimes,
part. tenu, cond. 1. tandroie)
halten, festhalten, behalten, in der
hand haben, bestehen s. t. od. qn.
bei jem. bleiben, s. t. de qch. sich
enthalten, s. t. al millur sich für
den besten hallen, s. t. por fol, pur
sage töricht, klug handeln, sein.
tens temps tans (teiupus) m. indecl.
zeit, unwetter.
tente (tentain v. tendere) f. zeit.
terdre (tergere) 8t. II abivischen.
554
Glossar: terruine — travaillier.
termine (terminum) m. II zeitgrenze,
zeit.
terre (terram) f. erde, boden, lei de
t. weltliches gesetz.
tertre (*termitein = terminum) m. II
hü gel.
tes (tuus — tuos) unbet. pron. po88.
2. p. sg. im r. sg. m. u. obl. pl.
(obl. sg. ton, r. pl. ti) dein.
teste (testam) /. köpf.
teteron {zu d. titta — zitze) m. II
brustivarze.
tierz (tertium) zw. dritt, dritter, f.
tierce (sc. hora) dritte stunde =
9 uhr vormittags.
toaille touaille (d. twablia) = queble,
zwehle) f. tuch.
toebier (d. tilkkan = zucken sw. I)
berühren, schlagen.
toldre (tollere) sto. II (perf. 3. toli,
pari, tolut, f. tolue) nehmen, ver-
bergen, entziehen.
Tomas n. pr. Thomas Becltet 126 ff.
tombe (tnmbam) /'. grab.
ton tum (tuum) unbet. pron. poss. I.p.
sg. im obl. sg. m. (vgl. tes) dein.
toner (tonare) sw. I donnern.
tor (turrem) f. türm, schloss.
tQr (taurum) m. II stier.
tordre (*törquere f. torqnere) st. II
(praes. conj. 3. torde) winden,
plagen, part. tort gewunden, rund.
torel (dem. i>. taurus) m. II (r.
torians) junger stier.
torner turner (zu gr. töqvoc — toq-
vevw) wenden, umkehren, ver-
kehren in (a), t. de Griu en Latin
übersetzen, en estre tornez davon
abgewendet werden; sich drehen,
wenden, t. a sich wenden zu 69,
werden zu.
tort (tortuin, zu torquere) m. II un-
recht.
tortiz (*torticiuin, zu tortuin — tor-
quere) adj. gedreht.
tortrele (*turturellam v. turtur) f.
turteltaube.
tost (tostum, v. torrere) adv. alsbald.
tot tout (*tuttum f. totum) adj. {pl.
toz, r. tuit) ganz, pl. alle; bei
adj. in adverbialem sinn (li sanz
toz clers); toz tens allezeit, a tons
jours für immer; del tot, dou tout
durchaus, ganz, od tut damit, par
tot durchaus, überall, stets.
tot (*tuttum) adv. ganz und gar.
toudis = toz dis (*tuttos dies) alle
tage.
tour (der. v. tourner) m. II Wendung,
par nul t. unter keinen umständen.
touse (tonsam) f. mädchen.
trainer (der. v. traTue < *tragina,
zu *tragere?)siu. I zielten, schlepjn-n.
tra'i'r (*tradire f. tradere) sw. II ver-
raten.
traire treire trere (*tragere /'. trabere)
st. II (praes. ind. 3. trait, imp.
pl. traies, impf. conj. 3. tratet,
perf. 1. trais tres, 3. traist, p>art.
trait, f. pl. traites) ziehen, herbei-
führen, tr. a sei an sich locken,
tr. de . . . en übersetzen, mal traire
leid erdulden, tr. qn. a garant als
bürgen anführen; tr. sich zu jem.
ziehen, halten, sich zurückziehen;
s. tr. sich ivohin begeben, sich
zurückziehen.
traison (* traditionein, vgl. tra'ir) f.
verrat, bstrug.
traitic (der. v. trait < tractum) adj,
(f. traitice) gezogen, länglich, oval.
traiti6 (traetatum) m. II abhandlung,
werk.
traitier treitier tretier (traetare) sw. I
handeln, reden von (de, en < inde).
traitor (traditorem) m. III (r. tra'itre)
Verräter.
tranebaut = trenebant (ger. v. tren-
cbier) m. II schneide.
translater (komp. v. *latare, zu latum
— ferre) siv. I übersetzen.
travaillier (zu travail < trepalium)
sw. I bearbeiten, s. tr. sich be-
mühen.
tref — willier.
bei ags. triff oder Int. trabem) zeit.
treis trois (tres) zw. (r. trei) drei.
trenbler traubler (tremnlare) sw. I
sittern.
tranchier (*troncare, vgl. AS sw. 1
abschneiden, zerschneiden.
trente (triginta) zw. dreissig.
trespasser (trans + *passare) sw. I
hinübergehe vergehn.
tressaillir (trans -(- salire) sw. II zu-
sammenzucken.
trestot (trans + *tuttum) adj. pron.
{pl. -tuz, r. -tuit) ganz, völlig,
pl. alle — ade. ganz und pur.
tret = trait (tractum) m. II zug, a
tr. gemächlich.
tristor (*tristorcm, zu tristis) f.
trauer.
triue (g. triuwa) /'. Waffenstillstand.
trobler (tnrbnlare) sw. I trüben.
Troie (Trojani) n. pr. f. Troja 2b0.
tronc (truneum) m. II baumstamm.
trop (d. prop — porp = dorf) adv.
sehr, zuviel, zu lange.
trover (*tropare, vgl. AS) sw. I
{praes. ind. !. trnis, 3. trueve,
pl. 3. trovent) finden, erfinden.
tu (tu) bet. pron. pers. 2. p. sg. im
r. (obl. tei toi) du.
tuit s. tot.
tul = tu + le.
tum s. ton.
Türe {pl. Turs) Völkername, Türken
352.
u
ueil oeil (oculum) m. II {pl. iex =
ieus, iauz, uiz) äuge.
un (uuuni) zw. {f. nne) ei», reeiprok
in Tuns a l'altre — unbest. art.
ein, irgendein.
Urs n. pr. Z7rs, rater Reinalts 127.
usage (*usaticum, v. usus) m. II
brauch, gewohnheit.
user (*usare, zu uti — nsus sum)
sw. I benutzen, sich bedienen.
V
vaillant i*valientem -aim-ni /'. valen-
1 1- in > adj. werthabend, tüchtig,
topfet .
vain (vanwn) adj. schwach, an v.
bens.
v:iir (variuni) adj. BchiUernd.
val (vallem) m. täl, eu val, coutre
val /u'/jßö (»(/kZ. ze tal).
valeir -oir (valere) sw. ui-^er/".
{praes. ind. 3. vaut, co»/ 3. vaille,
<7«\ vaillant, impf. ind. 3. valeit,
fut. 3. valdrat vaudra, cond. 3.
valdreit) wert sein, stark sein,
gedeihen, nützen.
vandre = vendre (vendere) sw. III, II
verkaufen, v. einer teuer verkaufen.
vanite (vanitatem) f. eitelkcit, nich-
tigkeit.
vatit = vent (ventum) m. II wind.
vanter {der. v. ventum) siv. II winden,
stürmen.
vanter (*vanitare) sw. I rühmen, sich
rühmen, {mit que).
variable {der. v. varius) adj. ver-
änderlich.
vassal {mittellat. vasallum, kelt.
urspr.) m. II vassal, lehnsmann,
ritter, kämpfer.
vasselage {der. v. vassal) m. II
ritterturn, tapferkeit.
vaslet m. II jüngling, knappe.
veeir -oir ve'i'r (videre) st. I {praes.
ind. 1. vei voi, 2. voiz, 3. voit,
pl. 2. veez, 3. voient, conj. 3. veiet
voie, impf. 3. veeit, pl. 3. veeient,
conj. 3. ve'ist, pl. 3. veissent, perf.
1. vi, 3. vit, pl. 3. virent, part.
veüt veü, fut. 2. verras, 3. verrat,
pl. 2. verreiz, cond. 1. verroie,
3. verroit) sehen, v. cler deutlich
sehen; vez {kurzform von vides
oder videtis) siehe da, schau!
Veillantif n. pr. name von Rolands
ross 126.
veillier (vigilare) sw. I ivachen.
;»;.«;
Glossar: veintre — voleir.
veintrc (vincere) sw. III, II be-
siegen.
veir voir (verum) adj. wahr, währ-
haftig, par v. in Wahrheit —
subst. m. II le voir das wahre.
veirenient voireinent (vera mente)
adv. wahr, wahrhaftig.
vengier (vindicare) sw. I rächen.
venir (venire) st. I— III (praes. ind.
3. vient, pl. 3. viennent, conj. pl. 2.
vegniez vengiez 275, impl.pl. venez,
pari, venant, impf. ind. 3. venoit
pl. 3. veüo'iGut, perf. 1. ving, 3. vint,
pl. 3 vindrent, pari. r. venuz, f.
venue, fut. 3. vendra, pl. 2. vendrez)
kommen, impers. vient es begegnet,
v. miauz mehr zukommen, besser
sein.
verai vrai (*veragnin) adj. (r. verais)
wahr.
verdure {der. v. viridis) f. das
grün.
vergier (*viridiariuin) m. II garten,
Obstgarten.
verite s. verte.
vermeil (veriniculuni) adj. (r. ver-
niauz) rot.
vers (versus) präp. gegen, auf — zu.
verser {der. v. vertere — versum)
sie. I giessen.
vert (viridem) adj. grün.
vert6 verite (veritatem) /'. Wahrheit,
en v. mit recht.
vertu (virtutern) f. kraft.
vespre (vesperum) m. u. f. abend.
vesteüre vcstüre (*vestaturam f.
vestituram) /'. kleidung, kleid.
vestir (vestire) sw. II kleiden, be-
kleiden, anziehn.
vciie (*vidutaui) /'. das sehen, an-
blick, gesteht.
vez s. veeir.
veziet (vitiatuni, zu vitiare) adj.
durchtrieben, schlau.
videle {zu vider, vgl, nfr. videlle)
f. langer faltcnärmel.
v'i'e (vitauij /'. leben.
vieil (*vetulum, dem. v. vetus) adj.
{f. vielle) alt — subst. li vielle
{pik.) die alte.
viellece -che {der. v. vieil) /'. alter.
vilaiu (vTllanum) adj. — m. II bauer.
vilainement {adv. v. vilaiu) hässlich,
in niedriger weise.
vile (vTllam) f. Stadt, sainte v.
Jerusalem.
vintiesnie {der. v. vint «< viginti)
zw. zwanzigst.
virge (virginein) f. Jungfrau.
vis (visum) m. indecl. gesicht, antlitz.
visage (der. v. visum) m. II antlitz.
vis'i'ou (visionem) /'. vision, traum-
gesicht.
vit (vectem) m. II penis.
vitaille (victualia) /'. lebensunterhalt,
lebensmittel.
vivre (vivere) siv. III, II [part. pr.
vivant, fut. pl. 3. vivrout) leben,
am leben sein, part. vivant leben-
dig, leibhaftig — subst. inf. vivre
nahrung.
vo {pik.) = vostre pron. poss. 2. pl.
voiage (viaticum) m. II reise.
voie (viarn) f. weg, tote v., totes
voies alle wege, uiderdessen ,
gleichwohl.
voir s. veir.
vol (der. v. voleir) m. II wille.
voiage (volaticum) adj. flatterhaft.
volantiers = volentiers (voluutarie
+ s) adv. gem.
voleir -oir vouloir (*volere /*. velle)
st. III, II {praes. ind. 1. vnoil
voil vneil vuel, 2. viaus, 3. vuelt
volt vuet veut viaut, pl. 2. volez,
conj. 1. voille, 3. vueille vuelle,
impf. 2. voloies, 3. voloit, conj.
1. vousisse, per f. 1. voil, vos,
3. voult, pl. 3. voldrent, fut.
1. voldrai vondrai, 3. voldra,
pl. 2. voldrez voudreiz, cond. 2.
voldroies, pl. 2. vaurries) wollen
— inf. subst. wille, wünsch, be-
lieben.
vulenti't — yv r.
volentet vulente volonte volun-
tateru) f. wille, wünsch.
voler (volare) sie. I fliegen, zer-
splittern.
volte (voltain, zu volvcre) f. gewölbe.
vos (vos) pron. 2. p. pl. 1) unbet.
dat. acc. euch. — 2) betont r. u.
obl. ihr, euch.
vostre, pik. vo (vostrum f. vestrum)
pron. jwss. 2. p. pl. euer (acc. pl.
voz).
voutrillier [der. v. volvere — vol-
tum) sm;. I wälzen.
voz s. vostre.
vrai B. verai.
vremellet = vermelät dem. v. vcr-
meir adj. :<ui rot.
vnide (*vocitum /'. racuatnm) adj.
leer.
vuidier (*vocitare) sie. I /<
ymage = iinage (ivuagineni) f. bild.
yver s. iver.
Berichtigungen und Nachträge.
Zu s. 19, z. 10 v. unten: Ul. Chevalier, Repertoire, 2. anfl. 1907. —
35, z. 7 v. u. füge hinzu: Über den achtsilbuer: Gerhard Melchior, Der
Achtsilbner i. d. franz. Dichtung mit Ausschluss d. Lyrik, Diss. L. 1909. —
S. 47, abschn. III: G. Thurau, Singen und Sagen, B. 1912. — S. 48,
abschD. IV: Chauvin, Bibliographie des onvrages arabcs ou relatifs aux
Arabes, Lüttich u. Leipzig, bisher 13 bde. — 70,171: Baist, Spottlieder
um 1100, RF 22 (1908) 28 ff. — 84, z. 1 : zur Wolfdietrichsage vgl. jetzt
Herrn. Schneider, Die Gedichte u. d. Sage von W.-D., München 1913. —
86, z. 1 v. u. lies kap. VI statt IV. — 97, z. 3 füge hinzu: Bedier,
Leg. ep. I 171 ff. — 10S füge hinzu: Bedier, De l'autorite du ms.
d'Oxford, Rom. 41 (1912) 321 ff. — 121: Bibliographie: G.Paris, Litt,
norm, jetzt auch in Melanges 71 ff. — 129, 130 (St. Patrice) füge
hinzu: Foulet, RF 22 (190S) 583 ff. — 131 (Adgar): über eine neue hs.
J.-A. Herbert, Rom. 32 (1903) 394 ff. — 146 f. füge hinzu: P.Meyer, Les
plus anciens lapidaires fr., Rom. 38 (1909) 44 ff., 254ff., 4SI ff. (darunter ein
von P. M. dem Philipp v. Thaon zugeschriebenes steinbuch). — 150 f.:
P.Meyer, Fragment d'un ms. du Cumput, Rom. 40 (1911) 70ff. — 193 — 96
zum alter des Isembart und Gormont: G. Paris, Rom. 33 (1902) 445 ff. —
217 zu Aspremont: Modigliani, Intorno alle origini dell' epopea d'A., im
Monaciband (vgl. Rom. 33, 610). — 223f., z. 18 ende punkt, z. 19 ende
komma, z. 03 und 64 zu vertauschen, z. 75 komma nach m'a. — 225 Bibl.
z. 7: C. Gutersohn, Die Balduinepisode, Verhältnis der Hss. u. Charakteristik
der Hss. u. Bearbeitungen, Diss. Kiel, Düsseldorf 1912. — 2ü4, z. 10 von
unten lies Gandia statt Cadix. — 235, z. 1 v.u. lies Boulogner hs. statt
Bol. hs. — 240 (zu Raoul) füge hinzu: G. Paris, Melanges s. 151 ff. —
241 f., 252: neue hss.-fragmente zu Garin, Girbert, Girart: P.Meyer, Rom.
34 (1905) 428ff., 435ff., 444ff. — 259, z. 13 füge hinzu: Maria Einstein,
Beiträge zur Überlieferung des Chev. au cygne u. d. Enf. Godefroy, Diss.
Berlin, Erlangen 1910. — 274, z. 8 füge hinzu: Th. Hildenbrand, Die afr.
Alex.-dichtung Le roni, d. t. chev. des Thomas v. Kent u. d. nie. Romanze
King Alexander, Diss. Bonn 1911. — 294, 300 zu Crestien li Gois: nach
einer einleuchtenden Vermutung von Schultz- Gora (worüber näheres in
seiner iu der ZrP erscheinenden anzeige von Boers Philonienaausgabe) als
Ligois „aus Lüttich stammend", als beiname der familie nach ihrer
herkunft, zu deuten. — 321 f.: Foersters kleine Yvainausgabe in 4. auf 1.
1912. — 331 oben füge hinzu: Victor Junk, Gralsage u. Graldichtung des
Mittelalters, Sitzber. d. Wiener Akad., Ph.-hist. kl. 168, 4. Abb.; Rose
Jeffries Peebles, The legend of Longinus and its connection with the Grail,
Pennsylvania 1911; William A. Nitze, The sister's son and the conte del
graal, Mod. Phil. 9, no. 3 (Jan. 1912). Vgl. zu diesen W. Golther LgrP 33
(1912) 393 ff. — 390, z. 11 v. u. lies Robert Biket statt Thomas B. —
408, z. 9 füge hinzu: P. Meyer, Rom. 34 (1905) 455 ff. (fragm. einer hs. von
branche XI). — 409, z. 1 lies ndd. statt ndl. — 422 Bibliogr. z. 7 v. u. lies
Archiv 114, 432ff. statt 232 ff.
Verzeichnis der gebrauchten Abkürzungen
(nebst Seitenzahlen der genaueren Titel).
Afr. Bibl. = Altfranz. Bibliothek 53.
A. P. d. 1. Fr., Anc. poetes d. 1. Fr. = Auciens poetes de la France 53.
Archiv = Herrigs Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen 50.
AS = Einführung i. d. Stud. d. afr. Spr. 55.
B. = Berlin.
Barbazan-Meon, Recueil = Fabliaux et Contes p. p. B., nouv. ed. p. M. 302.
Bartsch = Bartsch, Chrestomathie de l'ancien francais 52.
Bartsch et Horning = La langue et la litt, frangaise etc. p. p. B. et II. 52.
Becker = Phil. Aug. Becker, Grundriss 47.
Bibl. Ec. Ch. = Bibliotheque de l'Ecole des Chartes 52.
Bibl. Ec. d. H. Et. = Bibliotheque de l'Ecole des Hautes Etndes 51.
Bibl. franQ. = Bibliotheque frangaise du moyen äge 53.
Bibl. Lit. Ver. = Bibliothek des (Stuttgarter) Literarischen Vereins 52.
Bibl. Norm. = Bibliotheca Normannica 53.
Boehmers Rom. Stud. = Romanische Studien hrsg. von Ed. Boehmer vi.
Constans = L. Constans, Chrestomathie de Fanden fraugais 52.
Creizenach = W. Creizenach, Gesch. d. neueren Dramas 47.
D'Anconaband = Raccolta di studii critici 49.
Dnnlop- Liebrecht = Dunlop, Prosadichtungen, deutsch von Liebrecht 47.
Eberings Rom. Stud. = Romanische Studien hrsg. von Em. Ebering 51.
Etndes G. Paris = Etudes romanes dediees ä G. Paris 49.
Foersterband = Beiträge z. rom. u. engl. Phil. 49.
fr. = francais, -aise.
Franz. Stud. = Französische Studien 51.
Germania = Germania, Vierteljahrsschr. f. deutsche Altertumskunde, begr.
von Franz Pfeiffer, Stuttgart (dann Wien) 1S5G — 92.
GrL = Gesellschaft für romanische Literatur 52.
GrM = Germ. -rom. Monatsschrift 50.
Grimm Library = Grimm Libr. published by d. Nutt 52.
Grüber = G. Gröber, Franz. Lit. im Grundriss 47.
Gröberband = Beiträge z. rom. Phil. 49.
IIa. = Halle.
Heid. = Heidelberg.
Herrigs Archiv = Archiv f. d. Stud. d. neueren Sprachen 50.
5G0 Verzeichnis der gebrauchten Abkürzungen.
Hist, litt. = Histoirc litteraire de la France 46.
Jahrbach = Jahrbuch f. roui. u. engl. Lit. 50.
Jahresbericht = Kritischer Jahresbericht hrsg. von Vollinöller 54.
JdSav = Journal des Savants 50.
JrP = Jahresbericht für roman. Philologie 54.
Jubinal, Noav. Rec. = Nouveau recueil de contes 392.
L. = Leipzig.
LgrP = Literaturblatt f. germ. u. rom. Phil. 50.
Lit. Ver. — Bibliothek des (Stuttgarter) Literarischen Vereins 52.
Marburger Beiträge = Marb. Beitr. z. rom. Phil. 51.
Mrlauges Chabaneau 49.
Melanges Wilmotte 41).
Meon, Recueil = Nouveau recueil de fablianx p. p. Meon 392.
Mod. Phil. = Modern Philology 50.
Mont. et Rayn. — Montaiglon et Raynaud, Recueil general des fabliaux 413.
Mussafiaband = Bausteine zur rom. Phil. 49.
Neue Jahrbücher = Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Ge-
schichte und deutsche Literatur.
Neuphil. Mitt. = Neuphil. Mitteilungen, Helsingfors 50.
Nenphil. Stud. = Neuphilologische Studien (Körting) 51.
Nutts Pop. Stud. = Populär Studies in Mythology 52.
P. = Paris.
G. Paris, Leg. = G. P., Legendes du moyen äge 17.
G. Paris, Litt. = G. P., La litterature francaise au moyen äge 47.
G. Paris, Litt. norm. = G. P., La litterature normande 121.
G. Paris, Melanges = G. P., Melanges litteraires 48.
G. Paris, Poenies = G. P., Poeines et legendes du moyen äge 41.
G. Paris, Poesie = G. P., La poesie du moyen äge 47.
PBB = Beiträge z. Gesch. d. deutschen Sprache u. Litteratur, begr. von
H. Paul und W. Braune, hrsg. von W. Braune, Ha. 1874 ff.
Petit de Jve. — Histoirc de la langne et de la litterature francaise p. sous
la dir. de Petit de Julleville 46.
Preuss. Jahrb. = Preussische Jahrbücher, Monatsschrift, hrsg. v. H. Delbrück,
Berlin, Stilke.
Publ. MLA = Publications of the Modern Language Association 50.
Qu. u. Fo. = Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgesch. d.
germ. Völker, Strassburg, Trübner.
R. d. d. p. = Romans des douze pairs de France 53.
Recueil G. Paris = Recueil de m6moires philologiques 49.
Rcr, Rev. crit. = Revue critiqne 50.
RddM, Rev. d. d. Ms. = Revue des deux Mondes.
Rdlr = Revue des langues romanes 51.
RF = Romanische Forschungen 50.
Rom., Romania — Romania, Recueil trimestriel 51.
Rom. Bibl. = Romanische Bibliothek 53.
Sdat, S. d. a. t. = Societe des anciens textes fraücais 53.
sep. = separat.
Verzeichnis der gebrauchten Abkürzungen. 561
Sieversband = Philologische Studien 49.
Stengels AA = Ausgaben und Aldiandlungen 51.
Str. = Strassbnrg.
StvglL = Studien /.. vergleichenden Literaturgeschichte 49.
Snohier = Sncbier (und Birch- Hirschfeld), Gesch. d. frans. Litteratur in.
Sachierband = Forschungen z. rom. Philologie 49.
Toblerband = Abhandlungen, Herrn Prüf. Dr. A. Tubler dargebracht
Yolliuüllerband = Phil. u. volkskundL Arbeiten 49.
Wablnndband = Melanges de philologic roniane 49.
ZdA = Zeitschrift für deutsches Altertum, begr. von Mor. Haupt, hrsg.
von E. Scbroeder u. (i. Roethe, Leipzig 1841 ff. (jetzt Berlin).
ZdP = Zeitschrift für deutsche Philologie, begr. von Höpfner u. Zacher,
hrsg. von H. Gering und F. Kauffmann, IIa. 18(59 ff.
ZfSL = Zeitschr. f. franz. Sprache u. Lit. 51.
ZrP = Zeitschr. f. roman. Phil. 50.
ZvglL = Zeitschr. f. vergleich. Literaturgesch. 49.
ZVk = Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 49.
ZVps = Zeitschr. f. Völkerpsychologie 4'.).
Vorotz3>;h, Studium d. afr/. Literatur. 2. Auflage. 3(5
Namenverzeichnis.
Das Verzeichnis gibt die namea der Verfasser und der werke, auch der
wichtigeren aus fremden literaturen. Bei zusammengesetzten namen sind
zwischenstehende de, von u. ä. für die alphabetische anordnung nicht
berücksichtigt. Zwischen Jehan und Jean ist in der anordnung kein
unterschied gemacht. Die zahlen bezeichnen die Seitenzahlen, fettgedruckte
unter mehreren stellen weisen auf ausführlichere behandlung, stern (*) auf
die berichtigungen und nachtrüge.
Aalis (künigin) 122, 145, 260.
Aaliz (tanzlied) 163, 168.
Aaluf 436.
Abenteuerroman 288, 347, 378 ff.,
450 f.
Adam de le Haie 419, 460, 488 ff.
Adam de Juvenchi 459.
Adam v. Perseigne 135.
Adamsspiel 140—142, 503.
Adenet le Roi 419, 433, 441, 450.
Adgar *131, 123.
Aeneis 268, 276, 277.
Aesop 80, 151, 401.
Aimeri de Narbonne 90, 248, 249 ff.
Aiol et Mirabel 31, 185, 432, 443 f.
Aiquin 218 f.
Alain Chartier 508.
Alain de Lille 482.
Alba 42, 183, 349, 354 f.
Alberich v. Bisenzün 269 f.
Alberich v. Trois-Fontaines 99.
Albericns d. Merowing 83.
Albert v. Aachen 256.
Albrecht (j. Titurel) 389.
Alcuin 80, 91, 401.
Alexander Neckam 152.
Alexanderdichtung 31, 32, 42, 194,
267, 269 ff, 378, 415, 497.
Alexandre (Athis u. Proph.) 379.
Alexandre de Bernai 270 ff.
Alexandre du Pont 422.
Alexandri Magni iter ad Par. 269 ff.
Alexandrinervers 32, 271.
Alexiuslied 28, 31, 65ff, 119, 123,
128 f., 267, 209, 287, 421.
Aliscans 231, 232, 231.
Alix (imitier Philippe Auguste's) 348.
Alix von Blois 43, 287, 291, 348.
Altercatio Phyllidis et Florae 475.
Amadas et Ydoine 453.
Amadis de Gaula 500.
Ambroise (Guerre sainte) 265.
Amis et Amiles 188, 245 f., 333, 436,
471.
Amon de Vareunes 273, 378.
Amor u. Psyche 385 f., 437.
Amuur, Lai d', 454.
Andre de Coutances 482.
Andrea de' Magnabotti 237, 253.
Andreas Capellanus 34S, 353, 374,
475.
Ange et Ermite 424.
Anonymus von Bethune 405 f.
Anonymus Neveleti 429.
Ause'i's de Cartage 1S6, 193, 231,
253, 439.
Namenverzeichnis.
,.;;;
Anseft di M b 242, 441.
Antioehe, Chanson d". 256 f., 259, 265.
Antoine de la Säle 499, 501.
Apocalypse 132, 137, 426, 427.
ApoUinaris Sidonins 13, 89.
Apolluuiusroniau 41, 246, 3S1, 47u.
ArbeitsgesÜDge 71, 76, 150, 161.
Arehamplied 28, 192, 196 ff, 227,
230 f.
Aristoteles 145, 454, 457. (Übers.)
494, 511.
Arnoul Grebau 501.
Arraser Liederdichter 459.
Artusroinane 36, 268, 291 tV, 332fl£,
343f., 3 17 f., 393.
Artussage 36, 41, 332 ff., 342 ff.
Aspremont 93, lbb, 193, *216f., 220,
229, 253.
Asseneth und Joseph 501.
Assises de Jerusalem 467.
Astronom, Der liuiousinische, 107.
Athis u. Prophilias 379f., 410.
Atre periüos 44v
Aube 177, 349, 354 f.
Auberee 412 f.
Auberi le Bourguignou 432, 435.
Auberon 83, 437, 497.
Aubouin de Sezanne 358, 362.
Aucassin et Nicolete 33, 247, 470 ff.
Audefroi der Bastard 159, 161.
Audigier 31.
Augustin (Übers.) 511.
Ausouius 10, 89.
Avianns, Avionnet 37, 151, 152.
Avitus 12.
Aye d'Avignon lb.">, ib^, 243.
Uabrios 80, 151.
Balade (Balete) 164, 494, 506f.
Balduins Tod *225.
Balaham et Josaphas 421.
Barlaam u. Josaphat 421,
Basoche 503.
Bastart de Bouillon 259, 445, 497.
Baudoain de Conde 456.
Baudouin de Sebonrg 259, 445, 497.
Baudri de Bourgueil 205.
Beandons 449.
Beaumauoir s. Philippe de Reiny.
Beans Descouei.s 327, 375t'. 169.
Belisarsage 225.
Belle IMene I
Benedeit (Brandan) 120, 122.
Benedeil von St Alban [Thomas) 128.
Beneeit (Norm. -Chronik) 268, 284.
Beueeit de Sainte-Hore 268, 278,
279 ff.
Beowulfepos s !.
Beruard, Saint 428.
Bernger von Horheim 358.
Berol 36Mi'.
Berte as grans pies 253, 433t'., 466.
Bertolais v. Laun 238.
Bertrand v. Bar-sur-Aube 185, 24Sri'.,
439.
Bertrand Dugnesclin 199, 510.
Besant de Dieu 430.
Bestiaires 144 ff., 429, 170.
Bestiaire d'amour 431, 485.
Bible historial 467.
Bien-Avise, Mal-Avise 504.
Bisclavret 383, 394 f.
Blancandin 449.
Bleheris 329 f.
Blondel de Nesle 360.
Boccaccio 45, 205, 280, 383, 3bb,
452, 500, 501, 511.
Boethius 31, 42, 14b, 430, 483.
Boeve de Haumtone 253, 333, 435 ff.
Bonaventure des Periers 495, 501.
Bourdigne 501.
Brandans Seefahrt 120, 122, 129, 421.
Brun de la Montaigne 499.
Brunetto Latini 431.
Bruts 2611'., 400.
Bücher der Könige 132.
Bueve de Commarchis 230, 433.
Caesarius von Arles 13, 74, 7 7.
Caitif, Li, 257.
Cantilenen 1 1 0 ff.
Carite (vom L'enclus) 429.
Carmen de proditione Guenonis 98,
107, 109.
30*
56 1 Namenverzeichnis.
I
Carole 162, 163.
Castellan von Concy 3(10, 387.
Castoiement d'un pere ä son fils
392, 410.
Catherina, hl., 130, 421.
Caxton 408.
Cento novelle antiche (Novellino)
265, 414.
Cercainon 170.
Chaitivel 3fl5.
Chancon de Vivien 199.
CliaBQuudeWillelme s. Arcbamplied.
Chanson, Höfische, 308 ff., 350 ff., 45Sff.
Chansons ä personnagcs (('h. drama-
tiqnes) 166 ff., 458.
Chansons ä toile (Ch. d'histoire) 76,
133, 158 ff., 176 ff.
Chant royal 494, 506.
Chardon 4(50.
Chardry 421, 430.
Charlemagne (v. Girart d'Amiens)
208, 441.
Charles le Chanve 207, 497.
Charroi de Nimes 191 f, 229, 230f.
Chastelain de Coucy (v. Jakenion
Sakesep) 462.
Chastelaine de St.- Gilles 452.
Chastelaine de Vergi 452.
Chastellain 508.
Chaucer 2S6, 408.
Chevalier au barisei 424.
Chevalier au cygne *257ff.
Chevalier a l'espee 448.
Chevalier ans deus espees 449.
Chevalier au papegau 377, 469, 474.
Chievrefeuil 370, 393, 396.
Childerichsage 83.
Chlodio 17, 83.
Chlodoveehsagen 16, 83, Ulf.
Chlothar I. 83, 84.
Chlothar II. 84.
Chlotharlied 92 ff, 110, 114 f., 117,
187, 217, 22D.
Christine de Pisan 495, 511.
Chronicon Centulense 97.
Chronique saintongeaise 466.
Cicero 11, 494.
(i]irris de Vignevaux 207, 410.
Claris et Laris 4 19.
Ciarisse et Florcut 437.
Claudianns Mamertus 13.
Clef d'ainours 476.
Cleinence de Berckiüge 121, 1
Clement Marot 460, 500, 509.
Cleomades 433, 450.
Cliges 293, 303 ff., 363, 376, 384,
385 f.
Coarant (Lai) 397.
Colin Muset 356, 459.
Combat des Trente 51 it.
Complainte 506.
Compoz 32 f., 145, *150.
Comte de Poitiers 386 f.
Comtesse d'Anjou 499.
Comtessri de Ponthieu 470 f.
Concilium Amoris 475 f.
Conflictusanimae et corporis 147, 172.
Confrerie de la Passion 503.
Conon de Bethune 348, 351 f., 359,
360.
Conqueste de Constantinople 464.
Conqueste d'Irlande 264.
Conquete de Jerusalem 25b f.
Conseil, Lai du, 454.
Constant l'empereor 425, 471.
Conte del graal 293 ff, 323 ff.
Contes devots 119, 131, 429 f.
Cor, Lai du, 393, 396.
Cornelius Gallus 9.
Coulorette 498.
Couronnement Louis 191 f., 202 ff.,
207, 226f., 2S0.
Couronnement de Renart 455.
Courtois, Lai du, 454.
Courtois d'Arras 488.
Covenant Vivien 191 f., 199, 231 f.
Credo 57, 114.
Crestien von Troyes 26S, 288,
289—345, 346 ff, 371 f., 373 f.,
379 f., 384 f., 419, 432.
Crestiens li Gois 294, *300.
Croissant 437.
Cuchulinnsage 327, 333.
Cuvelier 499, 510.
Namenverzeichnis.
:,(>:>
Dagobert 82, s4. 2 6.
Dame Fortune 118 f.
Dame a la Lycorne 498f.
Damoiscle a la Afule 37ÜÜ'.. 392.
Danieldraiua 139.
Dante 332, 497.
Darea Phrygiua 279, 833.
Daurel et Beton 436.
David (Leben Heinrichs I.) 2<10.
D6bat 172f., 178
Debat du corps et de I'äme 1 17.
Decamerone 265, 388, 414, 152, 500,
507, 511.
Denis Piramus 129.
De ortu Walwanii 377.
Deschawps s. Eustache.
Descort 355 f.
Desiro (Lai) 397.
Destruction de Korne 188, 214 f.
Den le omnipotent 143.
Dialoge Gregors 421.
Dialoguc entrePlacides etTimeo 467.
Dictys Cretensis 279 f.
Dietmar von Aist 857.
Dionysius, hl., 10.
Disciplina clericalis 148, 392, 414,
416.
Disme de penitence 430.
Disticha Catonis 149.
Dit 425, 482.
Dit de la rose 478.
Dolopathos 414, 416.
Dounei des Aniants 370, 476.
Duon (Lai) 398, 454.
Doon de Mayence 439, 441.
Doou de Nanteuil 188, 244
Doon de la Koche 437.
Douin de Lavesne 4T>7.
Dous Amauz, Les,
Durand !
Durmart le Gallois 449.
Ecbasis captivi 102.
Echecs amonreux 184.
Eckenlied 47-1.
Edmnndlegeude 129.
Egidinsleben 129.
Eginhard u. Emma 2 i ».
Eide, Strassbnrger, "J7.
Eilhard von Oberg I
Einhard M>, 90, L00.
Elegasi 2
Eleonore von Poiticrs 43, 287, 291.
Eliduc 3 I. 393, 896.
Elie de Saint Gilles 443 f.
Elie de Winchester 149, 476.
Elinand 147 f.
Elioxe 25s t.
Emare
Eneasroman 41, 268, 277 ff., 468.
Enfanoea Gariu 440, 497.
Enfauces Godefroi *258.
Eufances Gnfflaume 192, 2341'., 252.
Eufances Heetor 285, 498.
Enfauces Ogier 193, 220 t'., 433.
Enfauces Koland 216, 442.
Enfances Vivien 199, 232, 235.
Eulauts sans souci 503.
Eutree en Espagne 442, 497.
Epitome J. Valerii 269f.
Epitres farcies 120, 136, 427.
Eqnitan 396.
Eracle 286 ff., 295, 378.
Erec 293, 301 ff., 327, 333 ff., 375 ff.
Ermoldus Nigellus 90, 227.
Ernoui 266.
Escauor 1 19.
Esclarmoude 435.
Escoufle 383 f.
Espine 397.
Esprit gaulois 36.
Espnrgatoire de St. Patrice *129, 1 53.
Estampie 164, 168.
Estienne v. Fougcres 148 f.
Estoire d'Antioche 265.
Estoire d'Athenes 380.
Estoire d'Eracles 266.
Estoire de la gnerre sainte 265.
Estrabot 172, 181.
Eufemiavisur 389.
Eulaliasequenz 27, 58 — 61, 129.
Euphrosyne, hl., 148.
Eurianthe 388.
Eustache (Fnerre de Gadres) 271.
»66
Namen Verzeichnis.
Eustaclie (Rom. de toute chevalerie)
*274.
Eustache Desohamps 49 1, 502f., 507.
Eustachiuslegende 129 f., 322, 380.
Evangile aux feinnies 149.
Evrard de Kirkham 135.
Evrart (Evrat) 149.
Fabel 150 f., 400, 429, 507.
Fablel 391 f., 409 ff., 455 ff., 482, 494.
Fablei dou Dieu d'Amours 477.
Faifeu, Legende de Pierre, 501.
Faits des Romains 465.
Farce 44, 487 f., 491, 502, 505.
Farolied s. Clotharlied.
Fauchet 245, 388.
Faustsage 388.
Fauvel 500.
Fecamp, Chronik v., 446.
Fergus 449.
Fierabras 188, 193, 207, 214 f., 235.
Fischdiebstahl 404 ff.
Floire und Blancheflor 381 f., 389,
397, 47(i.
Floire et Jehanne 3SS, 471, 500.
Floovent 84, 188, 206 f., 235.
Florence et Blancheflor 476.
Florence de Rome 444 f.
Florent et Octaviau 267, 497.
Florimont 273, 378.
Floris et Liriope 4ö4.
Flovent 207, 252.
Folie Tristan 366, 370.
Folque de Candie 1S5, 188 f., *234.
Fraisne 395.
Fredegar 16, 79, 81, 83, 280, 286, 385.
Friedrich von Hausen 351, 358.
Froissart 494, 507, 510.
Fuerre de Gadres 271.
Fulke Fitz Waryn 474.
Gace Brule 353, 361, 387.
Gaimar 260, 397.
Gaite de la tor (aube) 355.
Galeran de Bretagne 449.
Galfred v. Monmouth 261 ff., 333,
334 ff, 342 f., 372, 376.
Galien le restore 193, 202, 252,
Ganjon et Avueglo 4s7f.
Garin le Lorrain 240, * 241 f.
Garin de Monglane 248, 252, 410.
Garnier v. Punt-Ste-Maxence 121,
124 ff, 214.
Gauchier de Dourdan 329, 375.
Gaufrey 225, 441.
Gautier v. Arras 268, 286 ff., 295, 346,
348, 373f., 37S, 381.
Gautier de Belleperche 426.
Gautier de Coincy 420, 423 f., 427,
502.
Gautier le Cordier 3S9.
Gautier v. Dargies 353, 356, 360.
Gautier v. Epinal 362.
Gautier von Metz 431.
Gautier v. Soignies 360.
Gauvaindichtung 376 f., 448 f.
Gauvaiu et Humbaut 449.
Gaydon 191, 231, 432, 443.
Gefrei Gaimar 260, 397.
Geuesis (Übers.) 135.
Genesiuslegende 124.
Gennadius v. Marseille 13.
Genovevaleben 129.
Geoffroi v. Paris 447, 510.
Geoffroi de Villehardouin 446, 464.
Georg von Lyssa 124, 129.
Georges Chastellain 508.
Geraiut 303, 334, 337 ff.
Gerart d'Euphrate 498.
Gerbert de Montreuil 330, 388, 451.
Gervaise 429.
Gesetze Wilhelms 28, 467.
Gesta Caroli Magni 98 f.
Gesta Dagoberti 82.
Gesta regum Francorum 81.
Geste de Blancheflor et de Florence
176.
Geste de Blaye 244 ff
Geste des Bretons 261.
Geste de St.- Gilles 443 f.
Geste de Nauteuil 243 f.
Geste de3 Normanz 262 f.
Gesten 186, 248, 438f., 497.
Gildas 342.
Namenverzeichnis.
..17
Gülebert de Berneviüe 461.
Gilles de Cum S88f
Girart d'Amiena 208, 419, 441, 450.
Girart de Rousillon 31, B5, 188,
2111V, 251, 198.
Girart de Viane *250f., 498.
Girbert de Mes 22s, *242.
Gilles, Vie de St., 129.
Gliglois 449.
Glossen 27.
Godelroi de Leigni 312
Godin 437.
Gormunt u. Isembart s. lsembart.
Gottesurteil, Formel zum, 28.
Gottfried v. d. Bretagne 353 f.
Gottfried v. Strassburg 365, 371.
Gowther, Sir 398.
Graelent 385, 397.
Graindor de Douai 256.
Gral -Lancelot -Zyklus 468.
Gralromane *323ff., 371 ff., 46S.
Grandes Chroniqnes de St. -Denis
46G.
Grandor v. Brie 234.
Grant mal fist Adam 143.
Gregoire Bechada 255.
Gregor, hl., 421.
Gregor v. Tours 13, 16, 74, 80, 81 ff.
Gregorius 121, 123, 129.
Gringoire 504 f.
Griseldis 502 f.
Gm u. Aigline (romanze) 243.
Gui de Bourgogne 439 f.
Gui v. Carabrai (Balaham) 421.
Gui v. Cambrai (Veng. Alex.) 273.
Gui v. Coucy 360 f., 452.
Gui de Nanteuil 188, 243, 246.
Guiart des Moulins 467.
Guibert d'Andrenas 440.
Guibert v. Nogent 1 I.
Guicbard v. Beaulieu 144.
Guido de Columma 285, 510.
Guigemar 386, 395.
Guilebert de Cambrai 430.
Gtiillaume d'Angleterre 295 f., 322 f.,
425.
Guillanme de Berneville 121, 129.
Gufllaume l.' Clero ii'.tf., 426, 429,
430, 482.
Guillaume le Giere (Fergua) 449.
Guillauine de Deguilleville 4S0, 500.
Guillaume de Dole 361, 376, 3S7,
451.
Guillaume v. Ferneres 362, 387.
1 Guillaume Guiart 166, 510.
Guillaume de Lorris 475, 481 IT.
Guillaume de Machaut 4'.i4, 506.
Guillaume le Marechal 261, 146.
Guillaume le Normand 456.
Guillaume de St.-Pair 264.
(Juillaume de Paleme 353.
Guillaume le Vinier 459.
(iuiugamor 3^5, 390, 397.
Guiot v. Dijou
Guiot v. Provins 831, 361.
Guiron le courtois 469.
Gay de Warwick 450.
Haager Fragment * 95 ff., 113 f., 117,
1^7, 226, 230.
Haderniod 43G.
Haimonskinder 85, 181, 209 ff., 222,
244.
Hamletsage 436.
Hardi cheval 425.
llartmann von Aue 123, 303, 314,
322, 389.
Haveloc 397.
Heiligenleben 58 ff., 122 ff., 426 ff.
Heinrich I. v. Campagne 43.
Heinrich I. v. England 122, 2m.
Eleinrich v. Freiberg 309.
Heinrich der Glichezäre 402, 404.
Heinrich v. Morungen 358.
Heinrich v. d. Türlin 378, 389.
Heinrich v. Veldeke 279.
Heldenlieder 87 ff„ 11 Off.
Helinaud 147 f., 328.
Henri d'Andeli 454.
Henri de Valenciennes 464.
Heraclius s. Eracle.
Herard v. Tours 75, 77.
Herberay des Essarts 500.
Herbert (Dolopathos) 416.
568
Namenverzeichnis.
Herbert le Duc (Folque) 334.
Herbort v. Fritzlar 285.
Hermann, Priester 423.
Hermann v. Valeucieunes 131, 135.
1 Irr vis de Mes 242, 441.
Ilerzmaere 361, 397, 452.
llieronyinus, hl., 5, 132.
llilarius v. Poitiers 11.
Hilarias (lat. Dramen) 138 f.
Hildegar v. Meaux 92.
Hildesage 251.
Hiurek van Alekmer 408.
llistoire ancienne 24>5, 465.
Histoire de Cesar 445, 465.
Histoire des ducs de Normandie
(Beneeit) 263.
Histoire des ducs de Norm, et des
rois d'Angletcrre 465 f.
Histoire des rois de Franc 486.
Historia Meriadoci 377.
Historia de praeliis 2('9 ff.
Historia regum Francorum 466.
Historia septem sapientum 44, 416 f.
Hohelied 28, 111, 133 f.
Holger Danske 225.
Homer 279 f.
Honorius v. Autun 430.
Hörn (v. Thomas) 43, 432, 436.
Hornlai 393, 396.
Hue de Rotelande 379.
Hue de Tabarie 451.
Hugdietrich 83.
Hueline et Eglantine 476.
Hugo Farsitus 423.
Hugo v. Saint-Victor 429.
Hugon Capet 497.
Hugnes de Berze 362.
Huon d'Auvergne 85, 213, 497.
Haon de Bordeaux 193, 231, 247,
432, 434, 437 f.
Huon v.Mery 477 f., 482.
Huon III. von Oisi 359.
Huon le Roi 420, 423, 454.
Huon le roi de feeric 437.
Ignaure 397.
Image du Monde 43o.
Ippomedon 379.
Irenaeus, hl., 8, 10.
Irische Ih'ldensageu 327, 'i3:<.
Isafe le Triste 499.
Isembart und Gormont 184, 188,
191 f., * 193 ff.
Istoire (= Novelle) 47<>, 500.
Istoire d'ontre mer 470.
lvaiu s. Yvain.
Jacob von Maerlant 216, 285.
Jacot de Forest 445.
Jacques d'Amiens 476.
Jacques Milet 285, 503.
Jakemon Sakesep 452.
Jaquemart Gielee 455.
Jehan (vcrf. Rigomer) 44b.
Jehan Acart de Hesdin 486, 500.
Jehan d'Arras 499.
Jehan Bedel 456.
Jean le Bei 510.
Jehan Bodel 31, 142, 217 f., 361,
427.
Jehan Bretel 459.
Jehan Clopinel 475, 479 ff., 495.
Jehan de Conde 409, 456.
Jean de Flagy 240.
Jean de Froissart 494, 507, 510.
Jehan de Joinville 464 f.
Jehan de Journi 430.
Jehan de Lanson 440.
Jean Lemaire de Beiges 508, 510.
Jehan Malkaraume 427, 454.
Jean le Marchant 424.
Jehan de Meung s. J. Clopinel.
Jean Moliuet 500, 508.
Jehan de Neuville 461.
Jean d'Outremeuse 99.
Jean de Paris 452.
Jehan Priorat 4b3 f.
Jehan Renart 3S4, 454.
Jehan de Tuim 445, 465.
Jean le Venelais 273.
Jean de Vigu.ij- 501.
Jean Wanquelin 499.
Jehan et Biondc 451 f.
Jehannot de l'Escureul 507.
Namenverzeichnis.
:.r,n
Jendeu de Brie 234.
Jerusalem, Chanson de, 266 f.,
Jen de la Fenillee 488 f.
Jeu-parti 349, S52ff.,
Jeu du Pelerin 401.
Jen de Kobin et Marion 189 ff.
Jodelle -105, 504.
Johannes de Alta Silva 416.
Johannes v. Capna 4 1 r,.
Joies Nostre Dame 423.
Joinville 464 f.
Jouasfraginent 27, 57, 120.
Jongleure u. Jongleurdicktuug 75,
78, ISO, 187, 487.
Jordan Fantosuie 2t>4.
Joseph, llistoire de, 135.
Joufrois 41
Jourdain de Blaivies ISO, 24(5 f,
380, 470.
Judenknabe 131.
Julianlegende 420.
Julius Valerius 269 ff.
Juvenal 9.
Karel ende Elegast 252 f.
Karl Martell 84, 65, 207 ff.
Karl v. Orleans 50S.
Karlauiagnüssaga 100, 225, 233 f.,
237, 252, 253.
Karliueiuet 109, 208, 253.
Karlsreise 27, 184, 188, 191, 200 ff.,
226, 253.
Karlssagen 85, 1 1 i .
Karolingersagen 84 f.
Karrenroman 311 ff., vgl. Lancelot.
Konrad Fleck
Konrad, Pfaffe, 109.
Konrad v. Würzburg 285, 386, 452.
Kreuzlegende 288, 427.
Kreuzzugschroniken 205, 404 ff.
Kreuzzugsepen 25511., 207, 445,
-107.
Kreuzzugslied 12», 173 f., 351 f., 460.
Krönungsepos s. Ludwigs Krönung.
Kürenberger 35S.
Ky.it 331, 362.
Lai epischer) 333 ff., 393 ff., 4M.
Lai (lyrischer) 175, 355 f., 459, 506.
Laidon 252.
Lambert v. Ardres 255.
Lambert le Tort 270ff.
Lamprecht, Pfaffe, 270.
Lancelol 291 , 293, 811 ff., 327, 347,
352, 375 f., 885, 389.
Landri v. Waben 134.
l.anval 385, 304.
Lanzelet 313 f., 327, 347.
Lapidaires 144 ff, 429.
Laurent de Premierfait 501, 511.
Laurentiusleben 129.
Laüstic 303, 395 f.
Lazarusdrameu (lat.) 138.
Lecheor 454.
Le MaQon 501.
Leo, Archipresbyter, 269.
Leocade, hl., 420.
Leodegar 27, 34, 57, 63 ff.
Liber historiae 81, 93, 217.
Liebeshöfe 340.
Liederdichtimg 71, 76, 156 ff, 175 ff.,
349 ff., vgl. Chanson.
Li Kievres 305, 461.
Lion de Bourges 427.
Livius 404, 511.
Livre d'Artus 468.
Livre des cent ballades 507.
Livre du Conquest de Terre Ste 266.
Livre des histoires 465.
Livre Sidrac 467.
Livre dou Tresor 431.
Lodewijk 389.
Lohengrin 250.
Loher und Maller 84, 104, 195.
Longinuslegende 426.
Lothringerepen 1S5, 240 ff., 441.
Löwenritter 314 ff. vgl. Yvain.
Louise Labe 509.
Luce de la Barre 171, 181.
Ludwigs Krönung 102, 202 ff., 207.
Ludwigslied 50, 104.
Lumiere as Lais 430.
Lyoner Dichter 509.
Lyrik s. Liederdichtung.
570
Namenverzeichnis.
Mabinogion 33) ff, 337 ff.
Macaire 253, 431
Mace de la Charite 427.
Macrobius 476.
Magalilied 173.
Magdalena, hl., 420.
Magnum Chronicon Belgicuin 99.
Mahius li Poiriiers 485.
Mahomet 422.
Maillefer 237.
Mainet 84, 188, 208 f., 253.
Maitanzlieder 104 f., 178 ff.
Makkabäer 135, 426.
Male Chancon 171.
Mal mariee 165 ff, 176 ff., 189, 349.
Manecier 330.
Manekine 451.
Manteau mal taille 396.
Manuel des pechez 430.
Mappemonde 431.
Marbod v. Rennes 146, 429.
Marcabrun 170.
Märchen 77, 79 ff., 390 ff., 451 ff.
Marco Polo 467.
Margarete v. Navarra 501, 505, 509.
Margaretenleben 124, 130.
Marie v. Champagne 43, 135, 287,
291, 293, 348, 374.
Marie de France 121, 129 (Patrick),
153ff. (Fabeln), 334, 391, 394ff.
(Lais), 404, 413, 429.
Mariendichtung 130 f., 423 f., 427,
502.
Marot 460, 5')0, 509.
Marques de Home 308, 457.
Martin, der hl., 12 f., 421, 499.
Martin Lefranc 507.
Matiere de Bretagne 36, 41, 291 ff.,
332 ff, 373 ff., 447 ff.
Maugis d'Aigremont 211, 497.
Maurice de Süll}' 428.
M6chant S6n6chal 424.
Meliacin 450.
Meliadus 469.
Melin de Saint-Gelais 509.
Melion 383, 397 f., 454.
Melior et Idoine 76.
Melusine 499.
Meraugis de Portlesguez 447 f.
Merlin 372, 474.
Merowechsage 83.
Merowiugerepen 206 f., 440, 497.
Merowingersagcn S2ff.
Metellus von Tegernsee 97 f.
Meurvin 226, 498.
Milan 31)3, 395.
Minnefragen 352 f.
Minnelied s. Chanson.
Miracles (epische) 111, 131, 423 f.,
(dramatische) 142, 494, 502.
Miracles de Nostre Dame 423 f.
Miroir du Monde 467.
Miserere (vom Renclns) 120.
Mistere du Vieil Testament 504.
Modwennalegende 129.
M obere 413, 491, 505.
Molinet 500, 508.
Mönch von St. Gallen 82, 85, 195,
217, 220.
Moniage Gnillaume 186, 191, 227,
230 f., 233 f., 237, 253.
Moniage Rainouart 186, 234, 237.
Monologue 491, 505.
Moralite 4S5, 495, 503, 584.
Morant und Galienne 252 f.
Morisse von Craon 362.
Mort d'Aimeri 440.
Motet 163, 355, 45S.
Monsket 194f., 215, 437, 446.
Mnle sans frein 376 f.
Mysteres 494, 503 f.
Namatianus 10.
Narcissus 39S, 454.
Nennius 261, 337, 342, 372.
Nibelungen 84, 251 f.
Nicola da Verona 497.
Nicolas de la Chesnaye 50 4.
Nicolas v. Troyes 501.
Nicolasleben 124, 129.
Nicole Bozon 507.
Nicole de Margival 485 f.
Nicole Oresme 511.
Nicolo da Casola 497.
Namenverzeichnis.
571
Niklasspiel 31, 142, 189 (lat), 427.
Nivardus 402.
Normaunenchronikeii 40, 262ff.
Novelle 36, II. :i94ff., 414, 153ff.,
I68ff., 501.
Octavian 432, 450.
Officinm v< 99.
Ogier der Däne 91. 185 f.,
191, 193, 207, »219 ff., 231,
438.
Oiselet 454.
Olif og Landri 253, 437.
Olivier Basseliu 509.
Olivier de la Marche 508.
Ombre 4">4.
Ordene de Chevalerie 451.
Ordericus Vitalis 91, 171.
Orfeo, Sir 398.
Orientius 13.
Orosius 270.
Orsou de Beauvais 443.
Ortnit 4S7.
Osmond 145.
Ospinel 252 f.
Osterspiel 137, 140.
Otinel 253, 440.
Otte 288.
Ovid 37, 294, 300 f., 454, 476, 485.
Ovide moralise 294, 300, 485.
Owen (=Yvain) 322, 334, 337 ff.
Paien de Maisieres 3761'.
Patuphilas 475.
Panthere d'amonr 485.
Pantschatantra 152, 411, 414.
Papageienritter 377, 4(i9, 174.
Paris et Vienne 499.
Parise la duchesse 85, 245, 441.
Partonopeus v. Blois 384 ff
Passion Christi 27, .-'4, 57, Ol ff, 504
(drama).
Pastourelle 157, 168 ff., 175 ff., 349,
489.
Paternoster (Übers.) 57, 144.
Pathelio, Farce du Maitre 505.
Paula, hl., 420.
Paulinas v. Nola 12.
Paalinus v. Pella 13.
Paollnns v. Perigueax 13.
Paolos Diaconns v<», 402.
Pean Gatineau 4.o.
Pelerinage de Charlemagne 206 ff.
Fi'l rinages (G. de Degailleville)
4S.)f., 500.
Pelopssage 294.
Perceforest 499.
Perceval 293ff., 323 ff., 875f.
Pereeval (proaa) 33!. 372.
Peredur 327, 331, 333, 334 ff.
Perlesvaus 373, 468.
Peter v. Peckham 430.
Peter Tudebod 256.
Petit Plet 430.
Petrus Alphonsi 14*, 392, 414.
Phaedrus 37, 80, 151.
Philippe de Commines 510.
Philippe Mousket 19 lf, 215, 437,
446.
Philippe de Reroy 355, 419, 451 f.,
456, 466.
Philippe de Thaon 32, 121, 145,
150.
Fbilippe de Vigueulles 501.
Philippe de Vitry 480.
Philomena, Gesta Caroli 98 f.
Philomeua (Crestien) 294, *299f.
Physiologos 145, 154, 400, 405.
Pierre (vert. Mappeinonde) 431.
Pierre de Beauvais 403.
Pierre de Beauveau 286, 501.
Pierre Bercuire 51 1.
Pierre de la Cepede 499.
Pierre v. St. Cloud 272, 404
Pierre de la Corbie 450.
Pierre Langtoft 2t)">, 510.
Pierre Moniot 459.
Pippin der Kurze 85.
Fleier 389.
Plejadendichter 493, 495.
Poeme moral 130, 430.
Poeta Saxo 90.
Pouipeius Trogus 9.
Fonthus et Sidoiue 438.
172
Namenverzeichnis.
Pothinus n>.
Predigt 27, [20, 136, 143 f., 428.
Preislied 7(1.
Prestre comporte 450.
Prise ainonreuse 486, 500.
Prise de Cordres 440.
Prise d'Orange 191 f., 229, 230f.,
234 f.
Prise de Paoipelune 497.
Prosachroniken 265 f., 464f.
Prosper v. Aqaitauien 12.
Prothesilaus 379.
Proverbe an conte de Bretaigne 429.
Proverbe au vilain 149 f., 429.
Proverbes ruranx et vulganx 429.
Prudentius 58 f., 47>'>.
Psalm Eructavit 135.
Psalrerübersetzungen 132, 135.
Ps'iidoevangelien 328f., 427.
Pseudokalistkenes 209.
Pseudoturpin 92, 98, 107, 109, 440.
Pncci :>77.
Placidas-Eustachins 129.
Puys 459, 502, 500.
Pyramus und Thisbe 301, 398, 454.
(Juatre doels 395.
Quatre livres des rois 132.
Quedliubnrger Annalen 82.
Queste Saint Graal 373, 468.
Quintin, hl., 420.
Quintus Curtius 271 f.
Rabelais 495, 199, 501.
Eadulfus Tortarins 97.
Rahmenerzählung 392, 414 ff., 457.
Raiinbert v. Paris 225.
Rainouartlied. 190, 199, 204 f.
Rambaut 111. v. Orange 355.
Raoulv. Cambrai *23Sff.
Piaoi.l le Fevre 2^5, 510.
Raoul de Houdenc 419, 447 f., 477.
Raverdie = Reverdie 164 f., 17S.
Reali di Francia 253.
Recits d'un menestrel de Reims 465.
Refrain 157, 162f., (epischer) 194,
198.
Regres Nostre Dame 423.
ReimchroDikeu 254 f., 259 0'., 445 f.,
510.
Reimpredigten 33, 120, 143.
Reinmar v. Hagenau 858.
Reinaert, Reinaerts historie 408.
Reinhart Fuchs 402, 404.
Reinke de vos 408.
Remigiusleben 129.
Renart bestourne 455.
Renart le contrefait 500.
Renart le nouvel 163, 455.
Reuaud (Galeran) 449.
Renaud (Genovcvalcben) 129.
Renant (Ignaure) 397.
Renaud de Beanjen 327, 302, 375f.,
3S7.
Renant de Montauban 85, 186, 188,
191, 209ff, 222, 244.
Renclus de Moiliens 429.
Renier 440.
Re Sponsor ien 137.
Resurreclion 427, 503.
Retroencha s. Rotronenge.
Reverdie 164 f., 178.
Richart (lyriker) 353.
Richard le Boau 449.
Richard de Fournival 431, 461.
Richart de Lison 401.
Richard Löwenherz 300, 362.
Richard der Pilger 256, 265.
Richard de Semilli 360.
Richard le Vienx 499.
Richer 129.
Richeut 411 f., 455.
Rigomer 314, 448.
üi.t rroman 42, sT, 1274 ff., 289ff.
Robert (norw. Tristan) H65.
Robert Biket *396.
Robert v. Blois 419, 449, 454, 460,
4S2.
Robert v. Borron 329, 371 f., 468.
Robert de Clari 46 1.
Robert de Rains 461.
Robert der Teufel 388, 425, 502.
Roger d'Andeli 461.
Rolaudsbilder 109.
Namenverzeichnis.
.i, .:
Rolandslie ' 3, 100 ff., I84f.,
186, 187 ff, 193, 253.
i: man 267 ff, 274ff, 289ff, 846ff,
363 ff, 446 ff, 468 ff
Roman d'Arles 8;>. 213.
Roman des Francois 182.
Kmiiuii de Mahomet 422.
Roman dn Mont Saint-Michel 261.
Roman de Palamedes 370, 469.
Roman de philosophie 14v
Roman de Renart 391, '399 ff.. 454 f.,
482, 500.
Roman de Ron 262.
Roman des Sept Sages 415, 457, 468.
Roman de tonte chevalerie 274 f., 445.
Romanz des eles de la pruece 477.
Romanz de la poire 484.
Romanz de la Rose 387 (Guillauine
de Dole) — 475 fF. (Rosenroman).
Romanzen 157, 15Sff, 303.
Romains 151 ff..
Rondeau, Rondet 162, 163f., 506.
Rosenroman 388, 475ff.,479ff, 4SI ff.,
494.
Rote Buch v. üergest 333 ff.
Rotronenge 164, 168.
Rudolf v. Ems 308, 452.
Rudolf von Fenis 358.
Rustebuef 419, 420, 427, 455, 460.
Rusticiano v. Pisa 4i;4.
Sagen 77, 80 ff., 111 ff.
Saisnes 03, 1S6, 188, 217 f., 220, 234.
Saladlnsagen 205, 45!.
Saunst 404.
Salomon und Marcoul 149, 308.
Salut d'amour 183, 355.
Salvianus 13.
Samson de Nanteuil 134, 135, 149.
Satnrninns 11.
Schneekind 413.
Schwanenrittersage 257 ff., 416.
Schwank 44, 77, 391 f., 409 ff, 455 ff.
Sebille, künigin 252.
Secrez aux philosophes 467.
Segher Dengotgraf 285.
Seneca 511.
115 f 157
Seqnenz 59f.
Sermon joyeni
: l
] lormans 421.
Shakespeare 21 < 8, 388, 416.
Sieben weisen Heister 14, 892, 412,
414 ff.
Siege de Barbastre 188, 285,
8i( de Narbonne 252.
Siege d'Orauge 235.
d'Orleans
Simon de Fresne 121, 120, 14s.
Simon Greban 504.
Simon de Pouille 440.
Sindbad 414.
Somme du roi 407.
Somnium Scipionis 170.
Sone v. Nansay 450.
Song of Dermot 265.
Songe d'Enfer 477.
Songe de Paradis 477.
Sons d'amour 166, 176.
Sotie 491, 495, 505.
Sponsns 28, 139, 486.
Spottlieder *76, 150, 171 ff, 178 f.
Sprichwörter 135, 149 f., 429.
Sprüche Salomonis 152, 104.
Statius 37, 276, 285.
Steinbiicher *144f., 150, 429, 467.
Stephausepistelu 28, 130 f.
Stopfepistelu 121, 136, 427.
Storie Nerbonesi 237, 253.
Strambotto 172.
Streitgedicht s. Debat, Jeu-parti,
Tenzone.
Stricker 109, 389, 437.
Sulpicins Severus 12, 420.
Syuagonepisode 2.'W.
Syntipas 414.
Syracon 207, 440.
Tagelied 42, 177, 183, 349, 354 f.
Tanzlieder 71, 76, 156, 161 ff, 177 ff.
Tavola ritonda 366.
Tenzone 173, 177, 183, 349, 352 ff.
Tersin 85, 213.
574
Namenverzeichnis.
Tesoretto 431.
Thais, LI., 130.
Thebenroman 41, '268, 274 ff., 278,
321, 379, 381.
Theophile 131, 423, 427, 502.
Thesens v. Köln 498.
Theseussage 364.
Theudebertsage 84.
Theuderichsagen 83, 84.
Thibaut (Koni, de 1. Poire) 484.
ThibautV. v. Blois 43, 287.
Thibaut IV. v. Champagne 459 f.
Thomas (Hörn) 436.
Thomas (Tristan) 312, 346, 365 ff.
Thomas v. Kent *274.
Thomasleben 124 ff., 264, 421.
Tierbücher s. Bestiaires.
Tiergeschichten 79 f., 391, 399 ff.
Tobie, Vie de, 426.
Tombeor Nostre Dame 424.
Tote l'istoire de France 466.
Totenklagen 76.
Tournoiement de l'Antechrist 41 7 f.
Treis moz 430.
Tresor 431.
Tristan als Mönch 370.
Tristan Eossignol 370.
TristaDsage 294 f., 308 f., 332, 363 ff.;
Crestiens Tristan 294 f., 363;
Tristanlais 370; Prosaroman 370,
469.
Tristan de Nanteuil 241, 497.
TroTlus u. Briseide 285 f., 501.
Trois Bossus Menestrels 456.
Trojaroman 41, 268, 279 ff., 3S4,
468.
Trojasage, Fränkische 286.
Tropen 137.
Trot, Lai del 454.
Trubert 457, 502.
Turoldus 102.
Turpius Chronik 92, 107, 109, 217,
238.
Tydorel 396, 397.
Tyolet 327, 393, 396, 397.
Flrich Füetrer 314.
Dlrich von Tiirheim 237, 308, 369.
Ulrich von dem Türlin 237.
Ulrich v. Zatzikhoven 313 f., 327, 347.
Ungeschriebene Literatur 71 ff, 390 ff.
Unicorne 425.
Vair palefroi 454.
Valerius Cato 9.
Varro Atacinus 9.
Vasco de Lucena 511.
Vaterunser 57, 144.
Vaudeville 491, 509.
Vegetins 467, 483.
Veilchenroman 163, 388, 451.
Venantius Fortunatus 13, 34, 89.
Vengeance Alexandre 273.
VeDgeauce Nostre Seigneur 135.
Vengeance Paguidel 448.
Venus la deesse d'amor 477.
Vergil 11, 37, 277 f., 482.
Vers de la mort 147 f., 429.
Verse vom jüngsten Gericht 147.
Verskunst 28 — 35, 87.
Vidame de Chartres 362.
Vie des anciens peres 425.
Vilain mire 413.
Villehardouin 446, 464.
Villon 50S.
Vincentius v. Lerins 13.
Vindicta Salvatoris 329.
Violette s. Veilchenroman.
Vireli, Virelai 164, 506.
Visio Macarii 147, Pauli 147.
Vita Benedict! abbatis 230.
Vita Faronis 22 ff.
Vita Willelmi 91, 97, 230.
Viviengeste 1 99, 231 ff.
Vivien de Monbranc 211, 497.
Voeux du paon 273, 497.
Volkslieder 74 ff., 150 ff., 160, 508.
Volkspoesie 71 ff, 110 ff., 156 ff,
332 ff., 390 ff., 455 ff.
Voltaire 368, 424.
Volucraire 145.
Vou de Luques 424.
Vrai aniel (dit) 425.
Namenverzeichnis.
Wace 120, 124, ISO, 261, 262f., 321,
335.
Waldenser 132.
Weither Map 373.
Wauchier de Denain 829 f., 375.
Weihnachtsdraina 138, 140.
Widnkiud S2.
Wigalois 377.
Wilhelm von England 295 f., 328 f.,
f., 388.
Wilhelm v. Bialmeabury 262, 376.
Wilhelm IX. von Poitiers 43, 182,
255, '291.
Wilhelm v. Tyrns 258, 265 f.
Wilhelm de Wadington 430.
Wilhelmsepen 95 f., 97, I96ff., 202 ff.,
226 ff. 440, 497.
Wilhelmslied, alt, 2b, 191 f., 19G ff.
Wilhelmssage 91, 95 f., 226 ff.
Willems 1 3.
Wirnt v. Grafenberg 377, 3S9.
Wis u. Kamin 36 I.
Wiatasse le Heine 150.
Witwe v. Ephestu 321, 413.
Wolfdietrich »84, 208.
Wolfram v. Esohenbach
331 f., 351
Xeiuiphon II, 511.
Yde et Olive 137.
Yder 449.
Von 242, 411.
Yonec 3i»3, 394.
Ysengrimns 402, 107 f., 454.
Yvaiu 293 ff., * 314 ff., 333 ff., 376,
385, 389.
Yrzopets 152 f., 429.
Zerstörung Jerusalems 135.
Druck vou Ehrhardt Karras, Halle a. S.
,
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY