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Full text of "Einleitung in die griechische Tragödie"

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EINLEITUNG 



IN DIE 



GRIECHISCHE TRAGÖDIE 



VON 



ULRICH VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 



UNVEBANDEBTER ABDRUCK AUS DER ERSTEN AUFLAGE 
VON EURIPIDES HERAKLES I KAPITEL I-IV 



BERLIN 

WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 

1907 



td IqA iövra n^ify/uata i^oZCiv dv&^c&noiCi SelKwratj 

fleßtjXotCi ^ ad d'ifiis, nQlv fj reXead'iioOiV ÖQyioiotv 

iTfianf/ufiS. 

Demokritos. 









ALMA E-M A T R I 



P O R T A E 



V- S- L- M- 



OrnArSOMAITASXAPITAS 

MorsAissrrKATAMEirwrsAAisTANsrzrriAN 

9 IX 1867 21 V 1889 



1740X4 



} 



VORWORT, 



Als ich vor 22 jähren das kleine katheder des betsaales bestieg, um 
abschied von der Pforte zu nehmen, überreichte ich ihr nach alter guter 
sitte eine valedictionsarbeit^ die das motto trug, das ich heute wiederhole, 
es war und ist ein gelübde für's leben: den Musen und auch der alten 
schule werde ich die treue halten, die abhandlung selbst gieng die 
griechische tragödie an und war natürlich ein geschreibsel, ganz so grün 
wie ihr Verfasser, der würde tief unglücklich geworden sein, hätte er 
geahnt, wie bald er so urteilen würde; aber im stillen herzen gelobte 
er sich doch, wenn er ein mann würde, der Pforte ein buch zu widmen, 
das denselben gegenständ wissenschaftlich behandelte, dies gelöbnis würde 
er nie ausgesprochen haben, wenn er es nicht zugleich erfüllte, er tut 
es heut, indem er das drama, aus dem er damals das motto nahm, er- 
läutert^ und ein buch veröffentlicht, das vor allem so grünen aber von 
den Musen begeisterten Jünglingen, wie er damals einer war, das Ver- 
ständnis der tragödie erschliefsen soll. 

Denn geplant und begonnen habe ich dieses buch zunächst nicht 
um neue forschungen vorzutragen, sondern um das Verständnis der tra- 
gödie, das doch gemeinbesitz der Wissenschaft ist, zu vermitteln, nun 
ist freilich etwas ganz anderes herausgekommen, das jenen zweck viel- 
leicht nicht mehr so gut erfüllt, jedenfalls ein anorganisches gebilde, 
dem ich zur entschuldigung seine entstehungsgeschichte mit auf den weg 
geben mufs. 

Meine wissenschaftliche arbeit ist von der tragödie ausgegangen, und 
mich interessirte zu anfang das meiste nur entsprechend dem, wie ich 



VI Vorwort. 

es für dieses gebiet nutzbar machen konnte, das war freilich nicht wenig, 
denn mein lehrmeister war Welcker, in dessen werke ich mich mit 
leidenschaft vertiefte, damit ist gesagt^ dafs mich die herrschende tragiker- 
kritik nur mit Widerwillen erfüllen konnte, und doch gehört ein jeg- 
licher seiner zeit an, und mein erstes buch war stark in den irrtümern 
der nämlichen methode befangen, gegen die es laut protestirte. ich hatte 
es zum äuTseren zwecke der habilitation in unverzeihlicher eilfertigkeit 
hingeworfen, und wollte es schleunigst durch etwas reiferes ergänzen, 
aber ich war noch unreif, zwar widerstand ich der Versuchung; die an 
mich herantrat, meine coUationen zu einer Euripidesausgabe zu ver- 
wenden, auch der, ein buch über das drama zu schreiben, aber ich 
wähnte doch in kurzer frist eine erklärende ausgäbe des Herakles und 
dann anderer dramen fertig stellen zu können, weil ich den text fleifsig 
durchgearbeitet hatte, und bot deshalb der Weidmann'schen buchhand- 
lung 1877 diese ausgäbe für die Haupt-Sauppe'sche Sammlung an. darin 
war der gedanke ganz richtig, dafs es nützlicher ist, das was man ver- 
steht vorzulegen als was man nicht versteht und deshalb ändert, dafs es 
zunächst gilt zu erklären ; aber ich würde meine sache noch nicht ordent- 
lich gemacht haben, weil ich zu wenig wufste. zum glücke zwang mich 
das lehramt zum lernen, und als ich 1879 den Herakles ernsthaft wieder 
angriff, wuiste ich wenigstens das drama eingerückt an seinen richtigen 
platz sowol in der entwickelung der sage wie in der gesammtentwickelung 
der hellenischen geschichte und cultur zu betrachten, und auch spräche 
und verskunst hatte ich begonnen geschichtlich zu erfassen, mir selbst 
war nicht klar, wie gewaltig die Veränderung war; aber ich sehe es jetzt> 
wenn ich die excurse zu Euripides Medea mit den Analecta Euripidea 
vergleiche, wie ich damals zum Herakles stand, zeigt der text und die 
Übersetzung, welche 1879 als manuscript gedruckt in vieler bänden ist. 
der gröfste teil des commentars und der einleitung war auch ausgearbeitet 
oder skizzirt, als äufsere Verhältnisse mich 1882 zwangen abzubrechen, 
damals hielt ich mich noch im rahmen der Schulausgabe, und vielleicht 
hätte ich ihn damals inne halten können. Weihnachten 1886 habe ich 
mich denn wieder daran gesetzt, entschlossen um keinen preis abzulassen, 
bis ich die arbeit von der seele hätte, das habe ich denn freilich er- 



Vorwort. VII 

zwangen, aber das buch ist gänzlich ungefüge geworden, zwar den 
vorteil wollte ich nicht aufgeben, den ström der erklärung von der 
Wasserpest der kritischen debatten und der polemik rein zu halten: ver- 
geblich wird der leser moderne eigennamen suchen, die jetzt mode ist 
womöglich durch gesperrten druck kenntlich gemacht wie fettaugen auf 
der wissenschaftlichen suppe schwimmen su lassen, aber die berechtigte 
forderung, gleichmäfsig zu erklären und streng bei dem gegebenen zu 
bleiben, ist doch verletzt, und es ist wieder ein commentar, der einen 
index nötig hat. vollends aber die einleitung ist zu einem bände aus- 
gewachsen, und ich habe mich schliefslich dazu verstehen müssen, sie 
durch einen sondertitel als einleitung in das attische drama zu verselb- 
ständigen, unmittelbar diesem zwecke dient nur die hälfte, cap. 2 — 4; 
auch 5 und 6 fallen nicht ganz heraus, denn wer auf das Verhältnis 
der tragödie zur sage so viel wert legt, dafs er es sogar in ihre definition 
einbezieht, wird ein beispiel unter allen Umständen vorführen wollen, 
und das kann Heraklessage und Heraklestragödie so gut wie eine andere 
sein, aber ein yivog EdQiTtldov ist ganz unberechtigt, wenn die beiden 
anderen tragiker fehlen, und die wieder können in die einleitung zum 
Herakles nimmermehr hinein, es ist nicht anders, das buch wie es ist 
ist keine einheit und hat objectiv keine berechtigung. dies urteil ver- 
diene ich, fälle ich selbst zuerst^ aber ich konnte nicht anders: was ich 
gemalt hab' hab' ich gemalt, und die subjective berechtigung lasse ich 
mir nicht nehmen, ist denn die wissenschaftliche production eine andere 
als die dichterische, wo wir doch wissen, dafs der dichter unter dem 
zwange des geistes schafit, der über ihn kommt? auch unser tun ist 
TtoieZVi und auch wir können die poesie nicht commandiren. nur was 
wir verfehlen, ist unser, und etwa die handwerksarbeit, die jeder kann, 
wenn er den schweils daran setzt: was uns gelingt, das danken wir der 
Muse, und soll ihr, nicht uns, danken, wer sich dadurch gefördert fühlt, 
mir hat sie versagt zu schaffen, was einen reinen eindruck macht; ich 
bin Philologe genug, den mangel einzusehen, aber ich bin nicht poet 
genug, ihn zu überwinden. 

Ich hatte jähre lang meinen zorn damit beschwichtigt, in dieser 
vorrede einmal gegen die behandlung aufzustehen, die sich die Wortführer 



Vm Vorwort. 

der s. g. öffentlichen meinung in den recensiranstalten und Jahresbe- 
richten meinen arbeiten gegenüber herausnehmen, immer dreister, weil 
sie ungestraft bleiben, nun bin ich auch darüber hinaus, und lasse sie 
ruhig gewähren, sich selbst zum gerichte. jeden ehrlichen jungen, der 
der Wissenschaft noch so verworren zu dienen beginnt, betrachte ich 
mit freuden als meines gleichen : aber die Sphäre, in der das licht von 

Nicolaus Wecklein leuchtet, liegt hinter mir, in wesenlosem scheine. 

* * 

Die zweite aufläge des Herakles hat die kapitel I — IV der ersten 
fortgelassen, weil ich eingesehen hatte, dals ich sie zu einem besonderen 
buche ausgestalten müTste. die aussieht auf die Vollendung dieses buches 
liegt aber heute ferner als vor zehn jähren, so habe ich vielen dringen- 
den mahnungen befreundeter fachgenossen und vor allem meines ver- 
ehrten herrn Verlegers nachgegeben und lasse jene kapitel unverändert 
wieder erscheinen, so unerfreulich mir auch die erneuerung vieler irr- 
tümer ist. vergesse der leser aber nie, dafs er ein buch des Jahres 1889 
lielst, das durch den damaligen stand der Wissenschaft und überhaupt 
der litteratur und des geistigen lebens ebenso bedingt werden mufste 
wie durch lebensalter^ einsichten und absiebten des Verfassers. 

Westend, 1. November 1906. 

U. T. W.-M. 



INHALT. 



Seite 

1. Das leben des Enripides. 

Beschränkung der aufgäbe; Vorarbeit des Philochoros 1 

Todes- und geburtsjahr; herkunft; ehe; vermögen; proxenie von Magnesia; 
Stellung zur politik und gesellschaft ; auswanderung nach Makedonien . 2 

Geistige entwickelung; angebliche Jugendneigungen; musikalische ausbil- 
dung; sophistische Studien, Verhältnis zu Sokrates Archelaos Anaxagoras 
Protagoras u. a.; sonstige Studien; mangel an geographisch-geschicht- 
lichem Interesse; Verhältnis zu epikern lyrikern mythographen, zur volks- 
sage 18 

Nachgelassene werke 39 

2. Was ist eine attische tragOdiel 

Stellung der frage als einer geschichtlich bedingten ; Unzulänglichkeit eines 

jeden absoluten Standpunktes, auch des aristotelischen 43 

Die zuverlässige geschichtliche Überlieferung ist zunächst unzureichend; die 
analogie der komödie hilft nichts; entstehung aus dem dionysischen 
cultus ist undenkbar; die gewöhnlichen fabein sind autoschediasmen des 
Eratosthenes 49 

Die tragödie ist zunächst eine Art der chorischen lyrik, ist dithyrambos. 
entstehung der litteratur in Asien ; epos, elegie, iambos, lied, durch den 
Übergang nach Hellas entsteht die chorische lyrik; Alkman, Stesichoros, 
Pindaros. der attische bürgerchor und der attische dithyrambos . . 63 

Tgay<p8la und rq&yoi^ silene und satyrn. die bockdämonen sind pelo- 
ponnesisch; bockschöre des Arion; Übergang nach Athen; zutritt des 
recitatorsausdemiambus; r()a/<^^/a dasselbe wie satyrspiel; Phrynichos 81 
Aischylos schafft das tragische drama durch einführung des dialogs formell, 
durch den anschlufs an Homer inhaltlich, wesen und geschichte der 
heldensage 92 

Beantwortung der gestellten frage; die mängel der aristotelischen definition; 
unberechtigte moderne urteile und forderungen 107 

3. Gesehichte des tragrikertextes. 

Die tragödie das erste buch 120 

Erste Periode der textgeschichte bis auf Aristophanes von Byzanz. Schau- 
spieler; Philosophen; die hellenistische zeit; Aristophanes; ausgäbe des 
Pindar, der tragiker, inod-iaeis, textgestaltung, Verteilung in bände, er- 
klärung 127 



X Inhalt. 

Seite 
Zweite periode, bis auf die Zeit Hadrians. die alexandrinische philologie; 
die erhaltenen ^nofin^fiara zum Rhesos und Oidipus auf Kolonos ; Didy- 

mos; lexica, scholien, mythographie, florilegien 153 

Dritte periode, bis auf die erhaltenen handschriften. verfall der cultur; 
schüHmäfsige erklärung; scholien zu Aristophanes, Pindar, Apollonios, 
Theokritos, Nikandros, Aratos, Lykophron, Hesiodos. byzantinische cor- 

rectoren der letzten zeit 173 

Schulauswahl von tragödien; Sallustius zu Sophokles, Dionysios zu Euri- 
pides. der erhaltene text des Sophokles, Aischylos, Euripides. reste der 
gesammtausgabe des Euripides; Folgerungen für recensio und emendatio 
in den tragödien der auswahl und der gesammtausgabe 195 

4. Wegre und ziele der modernen tragikerkritik. 

Bekanntwerden der tragiker; Musurus, Laskaris, Victorius. die französische 
Philologie im 16. und 17. Jahrhundert, die englische von ßentley bis 
Dobree. ßrunck, Yalckenaer, Gobet, Reiske, Lessing, Herder, Goethe . 220 

Gottfried Hermann und Welcker. der streit um die Eumeniden und seine 
folgen; verfall der tragikerkritik. die wahren aufgaben 235 



1. 
DAS LEBEN DES EURIPIDES. 



Wenn diese ausgäbe eines euripideischen dramas als erstes capitel 
der prolegomena eine biographische skizze bringt, so geschieht das im an- 
schlÜTsan die weise der antiken philologie. wir lesen in den erhaltenen 
handschriften der dichter, wenigstens so weit sie auf gelehrte ausgaben 
des altertums zurückgehen, einen lebensabrifs, der meistens yivog heifst> 
weil er mit der herkunft anhebt, auch wol weil den Verfassern ßlog 
zu anspruchsvoll klang, denn es lag ihnen fern, von dem wesen und 
wirken des dichters eine Schilderung zu geben, geschweige dafs sie etwas 
hätten leisten wollen, was wir biographie nennen: dazu hat sich niemand 
im altertum erhoben., sie wollten dem leser nur kurz die nachrichten 
über die äuTsern lebensumstände des mannes angeben, dessen werke folgten, 
durch deren lecture mochte dann jeder sich den rahmen selbst füllen; 
zur richtigen beurteilung erhielt er in dem yivog einige orientirende 
beobachtungen und kunsturteile, diese weise, schon in alexandrinischer 
zeit geübt, ist praktisch und wird deshalb von den modernen häufig und 
so auch hier befolgt, eine wirkliche biographie, eine entwickelungs- 
geschichte des individuums innerhalb der kreise, in die es gestellt war, 
eine biographie wie Justi's Winckelmann, können wir von keinem Hellenen 
schreiben, weil dazu das material für uns fehlt: im altertum würde es z. b. 
von Aristoteles und Epikuros möglich gewesen sein, weil deren correspon- 
denz veröffentlicht war; von einem manne des fünften Jahrhunderts würde 
es auch damals niemand haben leisten können. M. Cicero ist überhaupt der 
älteste sterbliche, von dem eine solche biographie geschrieben werden kann: 
das beste zeugnis für die eminente persönliche bedeutung des mannes. 
aber eine biographie in grofsen zügen, eine mehr erörternde als er- 
zählende darlegung von eines einzelnen menschen wirken, zunächst in 
seinem kreise, dann aber weiter für sein volk, für die folgezeit, für uns 
und die ewigkeit, eine biographie wie Goethe's Winckelmann, die liefse 

r. Wilamowite I. 2. Aufl. 1 



2 Bas leben des Euripides. 

sich sehr wol auch von Euripides schreiben, und zwar ist er der zweite 
Hellene, von dem das möglich ist. der erste ist Pindaros. doch liegt das 
nur an der zufälligen erhaltung zahlreicher und datirbarer werke, von 
Aischylos und Sophokles ist es lediglich deshalb nicht möglich, so hohe 
ziele werden hier nicht verfolgt: auch dies ist nur ein yivog E^QiTtldov. 
Ein solches wird zunächst deshalb nötig, weil der moderne forscher 
die ehrenpflicht hat, das gedächtnis der groisen personen des altertums 
von dem schmutze törichter und böswilliger erfindungen zu reinigen, 
welche die antike philologie zusammenlas und weitergab, weil es ihr 
zumeist an jeder historischen einsieht gebrach, für Euripides sind wir 
jedoch, obwohl des Schmutzes mehr als genug ist, wesentlich günstiger 
gestellt, denn kein geringerer als der letzte Athener, Philochoros, hat 
mit hilfe des damals noch zugänglichen urkundenmaterials und der noch 
lebendigen mündlichen tradition ein leben des Euripides geschrieben, 
worin eine anzahl der schon damals verbreiteten erfindungen abgetan 
wurden, es genügt also oft auf Philochoros zurückzugreifen, während 
andererseits angaben, die einen schlicht urkundlichen charakter tragen, 
als philochoreisch und als wahr gelten dürfen, denn die historische 
kritik hat wie die diplomatische weder conservativ noch destructiv zu 
sein: sie hat vielmehr zu ermitteln, was wirklich überliefert ist, und dem 
ist sie verpflichtet zu glauben, bis es widerlegt ist, andererseits aber un- 
beglaubigter Überlieferung den glauben zu versagen, so lange sie nicht 
bewiesen ist^). 
SbttrtsjjSr Aristophanes hat seine Frösche unter dem archon Kallias im gamelion 

aufgeführt (Januar 405). damals waren Euripides und Sophokles eben 
gestorben; Sophokles später, wie ausdrücklich gesagt wird, man braucht 
sich aber nur die ganze fabel des Stückes, das auf ein duell zwischen 
Aischylos und Euripides angelegt ist, zu überlegen und vollends die dürf- 
tige und gezwungene weise, wie Sophokles in den Hades eingeführt, 
für den gang der komödie aber bei seite gestellt wird, zu erwägen, um 

1) Das in den handschriften des dichters enthaltene yivos E^QiniSov findet man 
vor den ausgaben von Eirchhotf und Nauck; die Überlieferung der handschriften 
vollständiger in der ausgäbe der schollen von E. Schwartz, wo auch der auszug ab- 
gedruckt ist, welchen Gellius (XV 20) entweder selbst aus dem yivos, wie es damals 
in den handschriften stand, genommen hat, oder von Yarro überkommen, der es 
dann ebenso gemacht haben mufs. wenigstens eine notiz ist auf diesem umwege 
zu Gellius gelangt (XYII 4, 3). Nauck hat in seiner praefatio die sonstigen zerstreut 
überlieferten notizen so gut wie vollständig gesammelt; worauf hiermit verwiesen 
sei. im folgenden werden nur belege angeführt, wo es aus besonderen gründen an- 
gezeigt erscheint. 



\ 



Todes- und geburtsjahr. 3 

ZU erkennen, dafs dies ein vom dichter aus not wider seinen ersten 
plan eingeführtes motiv ist, mit anderen Worten, dafs er den plan zu 
seinem drama entworfen hat, als Sophokles noch lebte, dieser ist also, 
wie auch die beste chronographische Überlieferung angibt, in der ersten 
hälfte des Jahres des Kallias (zweite hälfte von 406) gestorben, Euripides 
nicht viel früher, unter Antigenes, es scheint, dafs wir noch genaueres 
wissen können, eine zwar nicht ganz verbürgte, aber in sich glaub- 
würdige^) nachricht besagt, dafs Sophokles an einem proagon zu ehren 
des eben verstorbenen Euripides den chor ohne kränze auftreten liefs: 
das war also am 8 elaphebolion des Antigenes, ende märz 406, und kurz 
vorher war die nachricht vom tode des Euripides nach Athen gelangt, 
aus Makedonien, wo er notorisch gestorben ist. an dem winter 407/6 
dürfen wir somit festhalten, andererseits steht urkundlich fest, dafs 
Euripides unter Diokles (408) den Orestes in Athen aufgeführt hat: sein 
aufenthalt in Makedonien hat ^so nicht mehr als etwa IV2 jähre ge- 
dauert. 

Unter Kallias, 455, hat Euripides den ersten chor erhalten: das 
konnte jeder aus der urkundlichen theaterchronik constatiren. damals 
konnte er nicht wol jünger als 20 jähre sein, war also bei seinem tode 
mindestens ein siebziger, so hat Fhilochoros gerechnet und müssen wir 
rechnen, ohne zu vergessen, da& er sehr wol ein par jähre älter gewesen 
sein mag^). das wirkliche geburtsjahr eines Atheners des 5. Jahrhunderts 
war für die späteren nicht zu ermitteln^); noch die des Sokrates Iso- 
krates Piaton sind lediglich durch rechnung gefunden. 



2) Glaubwürdig Ist die notiz, weil die Institution des proagon früh verfallen 
und aus dem gedächtnisse der gelehrten geraten ist, sie mufs also yerhältnismäfsig 
alt sein und wird auf einen der alten peripatetiker zurückgehen, inhaltlich ist sie 
wahrscheinlich, weil die ehrenbezeugung eine so schlichte und im Geiste des diony- 
sischen festspieles gehaltene ist (vgl. zu yers 677). die nachrichten über den tod des 
Sophokles sind aUe geschichtlich unverwendbar. 

3) Vielleicht hat sich Fhilochoros so ausgedrückt, dafs Euripides bei seinem 
ersten auftreten mindestens ephebe gewesen sein müsse, indem man das als tatsache 
nahm, konnte man zu der torheit gelangen, daß Euripides mit 18 jähren die erste 
tragoedie gegeben hätte : so Gellius. die consequenz, entweder das überlieferte datum 
455 oder das allgemein geglaubte 480 aufzugeben, hat man aber nicht gezogen. 

4) In anderen gegenden stand es anders. Soran hat in den archiven von Kog 
gefunden, dafs Hippokrates am 17. Agrianios unter dem monarchen (dem auch ur^ 
kundlich bezeugten eponymen beamten von Kos) Habriades geboren war: eine 
solche angäbe blieb jedoch ungenügend, so lange die gleichsetzung der kölschen 
beamten und das Verhältnis des kölschen Jahres zu einem festen chronologischen 
System unbestimmt war, und so ist es hier, die aufzeichnung war eine folge der 

1* 



4 I>as leben des Euripides. 

Also nahe an das epochenjahr 480, die schlacht bei Salamis, reichte 
das geburtsjahr des Euripides sicher; auf Salamis lag das gut seines 
vaters: da lag es nahe genug, die geburt.nach der schlacht zu datiren. 
das hat die treffliche alexandrinische Chronographie getan, selbst Era- 
tosthenes, und wir dürfen ihr zutrauen, dafs sie sich bewufst war, mit 
einem approximativen datum zu operiren. ihre absieht war^ mit der 
richtigkeit die bequemlichkeit zu verbinden, und in der antiken jahres- 
rechnung, die jedem jähre einen indiyidualnamen gab, war das auch 
dringend nötig, so erzielte man aber auch, dafs Euripides unter einem 
Kallias geboren ward, unter einem zweiten den ersten chor erhielt, unter 
einem dritten starb — denn um des Synchronismus mit Sophokles willen 
rückte man auch seinen tod ein jähr hinab, auch die pointe hat ja 
selbst auf Lessing ihre Wirkung nicht verfehlt, dafs die tragische Muse 
ihre drei lieblinge in einer vorbildlichen gradation auf Salamis versammelt 
hätte, Aischylos zu kämpfen^ Sophokles den siegesreigen zu tanzen, Euri- 
pides geboren zu werden, wenn man sich hütet, das für Wirklichkeit 
zu halten, hat es in der tat eine symbolische Wahrheit, für Aischylos 
ist der freiheitskrieg die lebenserfahrung, die sein ganzes herz erfüllt. 
Sophokles hat zwar nicht mitgestritten, aber er hat die siegesfreude 
und begeisterung mit in das leben genommen, und der helle stral, welcher 
in die jugendliche seele fiel, hat sie für alle zukunft durchleuchtet und 
erwärmt. Euripides hat die guter, welche 480/79 errungen wurden, von 
kindesbeinen an als etwas selbstverständlich gegebenes hingenommen, 
in solcher zeit geht das leben rasch und machen ein par jähre einen 
gewaltigen unterschied, das alte Athen, das bei Marathon gesiegt hatte, 
gieng in dem attischen Beiche auf. die nächste generation schon, der 
Euripides angehörte, hatte kein Verständnis und keine pietät dafür, und 
der nationale gegensatz gegen die Barbaren, der das Reich gegründet 
hatte, war für diese so wenig jüngeren Athener nicht mehr vorhanden. 
Euripides hat gewifs, wenn wir auch nichts davon wissen, seiner Wehr- 
pflicht genügt^): aber dann hat er wider Aegineten, Boeater, Peloponnesier 

geburtsaristokratie, die in jenen dorischen gegenden herrschte, wir besitzen von 
dem Kos benachbarten Kalynmos listen, die genau in derselben weise jähr und 
monat (den tag aber nicht) angeben, selbst für weiber. Bull, de Con, Hell. Vm 30. 
5) Ob zu fufs, in seiner rd^is^ der Kekropis, oder auf der galeere, welche die 
kleruchen von Salamis zu stellen hatten, ist nicht zu sagen, militärische neigungen 
hat er nicht, seine schlachtengemälde in Hiketiden und Herakliden streben, wie alle 
anderen, nach anschaulichkeit, aber sie erreichen sie nicht, für den sport des reiters, 
den Sophokles verherrlicht, hat er vollends nichts übrig, der reiche Sophokles 
hat natürlich bei der cavallerie gedient. 



Todes- und gebartsjahr. herkunft. 5 

im felde gestanden, und diesen politischen gegensatz hat er denn auch 
sein leben lang bewahrt. Athen, die hauptstadt von Hellas, das attische 
Reich berufen zur vormacht aller Hellenen, das ist die Voraussetzung 
seines politischen denkens, wie sie es sein muTste. 

Es gibt noch ein anderes geburtsjahr, 484, das sogar in der zeit 
des Philochoros selbst aufgestellt ist^). aber es hat auch nur symbolische 
bedeutung. 455, in dem jähre, wo Euripides zuerst auftrat, soll nach 
allgemeiner vielleicht urkundlich begründeter tradition Aischylos gestorben 
sein, 484 hat er den ersten sieg errungen: damit schien als viertes glied 
der gleichung die geburt des Euripides gegeben, symbolisch ist auch 
das wahr. Euripides folgt auf Aischylos wie der söhn auf den vater; 
es steht kein dritter zwischen ihnen, aber der eine mufste vom Schau- 
platz abtreten, damit für den anderen räum wurde. 

Euripides war der söhn des Mnesarchides oder Mnesarchos von Herkunft 
Phlya; patronyme ableitungen wechseln häufig mit dem vollnamen und 
seinen abkürzungen, so dafs keine difierenz vorliegt, die mutter, Kleito, 
war eine adliche''). Mnesarchides war aus keinem adlichen aber doch aus 
einem ansehnlichen hause, welches an dem dienste des Apollon in Phlya 
anteil hatte. Phlya war ein dorf nördlich vom Hymettos, schon in der adels- 
zeit namhaft, aber der Apollon war nicht der des ionischen adels, dem die 
Apaturien gelten, sondern der delische, dessen fest die Thargelien sind, 
wie an diesen eine procession vom Phaleron nach Athen zog, und knaben 
zweige mit allerhand guten dingen daran trugen, so ist Euripides als 
knabe im festzuge von cap Zoster nach Phlya gezogen, er hat auch das 
schenkenamt für eine cultgenossenschaft der ^tänzer* inne gehabt^), das 



6) In der parischen chronik z. 65. 75. 

7) Suid. KXeircb — rcav a^öd^a eöysvßv iTi5y%av8v^ cos 0i},6%oQos. da es 
nötig war, die persönlichkeit festzustellen, um über die herkunft etwas zu ermitteln, 
darf man dem namen glauben schenken. 

8) Das yivoe gibt an yeviad'ai S^ aurdv xal nvQ(pÖQOv rov ZmarrjQiov ^Anol- 
Icovos, Theophrastos negl ^id^e (Athen. X 424^) beruft sich auf ein Schriftstück 
im dafvrjfOQslov von Phlya, aus dem er sich über die culthandlung, die tracht, 
die herkunft der tänzergilde {roäv ngcbrcov ^ A&rjvaimv) unterrichtet hat: das waren 
also die Statuten der ÖQxtiajai. dafs Euripides das schenkenamt geübt, gibt er an; 
das ist aber nicht auf jene Urkunde zurückzuführen, wenn Theophrast den de- 
lischen Apollon nennt, die vita den von Zoster, jener Euripides schenken, dieser 
feuerträger sein läßt, so sind das differenzen, welche verschiedene herkunft der notizen 
beweisen, aber die glaubwürdigkeit nicht berühren; die urquelle sind fasten der öq' 
%7jarai. für das yivos ist man berechtigt an Philochoros zu denken, wer zuerst 
das tempelarchiv benutzt hat, steht dahin, wie es scheint beide, in betreff der 



6 Das leben des Euripides. 

alles zeugt dafür, dafs des vaters geschlecht ein ansehnliches war, um 
so mehr als dieser für gewöhnlich nicht in der gemeinde wohnte, der 
ihn die kleisthenische gemeindeordnung zugeteilt hatte, sondern auf dem 
landgut, das er auf Salamis erhalten oder erworben, und das der familie 
erhalten blieb, während von Verbindungen des erwachsenen Euripides 
mit Phlya nichts verlautet, man möchte annehmen, dafs der vater und 
der söhn doch nur der dritten steuerclasse angehörten, die für kleruchien 
eher in betracht kommt®); wie dem auch sei, so viel ist sicher, dafs 
Euripides dem alteingesessenen guten bürgerstande angehörte, und zwar 
dem von landbau, nicht von industrie lebenden, diese kreise traten an 
wolstand zurück, als Athen eine industriestadt ward, obwol sie immer 
für etwas vornehmer galten, der fabricantensohn aus der vorstadt Sopho- 
kles war pentakosiomedimne, aber altererbte culte hatte er nicht zu ver- 
sehen, auf dem salaminischen hofe ist Euripides geboren und hat dort viel 
gelebt. Philochoros bezeugt es, und auf seine angäbe hin dürfen wir uns 
den dichter in einsamer grotte mit dem blicke auf das meer arbeitend den- 
ken"), allein nicht die erhabene natur spiegelt sich in seiner poesie wieder. 



tänzer vergesse man nicht, dafs die älteste attische Inschrift, die lange vor Drakon 
fällt, also lautet : Ss vvv dQxrjatßv ndvrcov draXcörara nai^ti rov . . . (CIA IV 
492'). der bericht des Theophrast lautet allerdings so, als wäre der Sitz der tänzer 
in Athen gewesen, wo dann der tempel des delischen Apollon das Delphinion wäre, 
allein da das archiv im Ba(pvri(poQBtov^ also ApollonheUigtum, zu Phlya war, werden 
die tänzer, wenigstens ursprünglich, auch dorthin gehört haben. 

9) Sicher ist das nicht, da man die praxis der perikleischen zeit nicht ohne 
weiteres auf die peisistratische tibertragen darf, der adliche Timodemos von Achamai, 
den Pindar als Salaminier besingt (Nem. 2i, beweist nach keiner seite; einmal braucht 
er kein ritter gewesen zu sein, zum andern konnte er als vermögender mann ge- 
meindeland gepachtet haben : dafs er auch in dem falle auf Salamis zu wohnen ver- 
pflichtet war, lehrt der volksbeschluXs CIA IV !•. Mnesarchos war kein pächter, 
da das gut im besitze des sohnes erscheint. 

10) Gellius berichtet Philochonts refert in insula Salamine speluncam esse 
taetram et horridam^ giuim nos vidimuSj in qua Euripides tragoedias scripUtavit 
ob den neugierigen zu Gellius' zeit die echte grotte gezeigt ward, ist um so zweifel- 
hafter, als er sie graulich findet, das yivos aber lehrt uns ^aai Si avrdv iv Ea- 
"kafilvi anijXaiov xaraaxsvdaavTa dvanvorjv ^^ov eis rrjv &d?4aaaav ixetae Sirj- 
lueQei5eiv tpsdyovra rdv dj^Xov öd'ev xai ix d'al&aarjs Xattß&vei rds nXeiaras rßv 
öfioifbaeiov, hier liegt Philochoros reiner vor: der ort ist durchaus behaglich, die 
tatsächliche angäbe über die metaphem ist wahr und fein beobachtet; aber der 
causalnexus ist falsch, nicht aus der natur der see, wie sie dem naturfreunde sich 
gibt, wählt Euripides seine bilder vorwiegend, sondern aus dem schiffer- und see- 
fahrerleben, das ist nur in so weit individuell bezeichnend, als Euripides der dichter 
der attischen seeherrschaft ist. 



Hausstand. 7 

für die er vielmehr nicht viel mehr Sympathie hat als Sokrates, dem nur 
im menschenge wühle wol war"), wol aber die einsamkeit und das suchen 
der antworten auf die ewigen fragen in der tiefe der eigenen brüst. 

In den jähren, wo der Athener sich seinen hausstand zu gründen Haasstand, 
pflegte, hat auch Euripides ein weib genommen und drei söhne mit ihr 
gezeugt, sie hieis wahrscheinlich Melito*') und war die tochter des Mne- 
silochos. da dessen name an Mnesarchos anklingt, ist anzunehmen, dals 
Euripides der volkssitte gemäls ein mädchen aus seinem väterlichen ge- 
schlecht, etwa eine nichte, geheiratet hat. wenn der thukydideische 
Spruch wahr ist, war Melito eine brave frau: denn wir wissen nicht das 
mindeste von ihr; ihr vater aber stand dem dichter nahe, von den 
söhnen wurde der älteste, der nach dem vater des vaters hiefs, kaufmann, 
der zweite, nach dem mütterlichen grofsvater genannt, Schauspieler; von 
dem jüngsten, Euripides, wissen wir nur eine einzelne tat, aber diese macht 
ihn uns interessanter als seine brüder. er hat bald nach des vaters tode 
eine hinterlassene tetralogie desselben auf die bühne gebracht, zu welcher 
aufser den Bakchen auch die aulische Iphigenie gehörte, nun enthält 



11) Plat Phaidr. 230° rck %o}^ia xal rd $ivS^a oiSiv /u id-ilei 8i8&axeiv, ol 
^ iv r(^ äarei ävd'Qfonoi, Philine (Wilh. Meist. 11 4) "wenn ich nur nichts mehr 
von natur und naturscenen hören sollte — — wenn schön wetter ist, geht man 
spazieren, wie man tanzt, wenn aufgespielt wird — der tänzer interessirt uns, nicht 
die yioline, und in ein par schöne schwarze äugen zu sehen tut einem par blauen 
äugen gar zu wol. was sollen dagegen quellen und brunnen und alte morsche linden.** 
die liebenswürdige verdient ihren griechischen namen. 

12) Zwei namen sind überliefert; der bericht von zwei ehen ist erst ein con- 
ciliatorisches autoschediasma, zumal die erfahrungen, die Euripides macht, in beiden 
ehen dieselben sind, auch sind unsere excerpte selbst im Widerspruch darüber, 
welche frau die erste, welche die tochter des Mnesilochos ist, der als verwandter 
imd freund des dichters durch ältere komiker bezeugt ist. (der xijSear^e der Thes- 
mophoriazusen kann ihn schon deshalb nicht meinen, weil er 411 kaum noch leben 
konnte, sicher keine kleinen kinder hatte.) folglich ist ein name falsch, der andere aber 
muß als überliefert gelten, da er ja die Verdoppelung verschuldet, da die fabel das 
wesen einer X.oiQiXfi angeht, kann kein verständiger zweifeln, dafs dieser, nicht der 
harmlose Name MeXire&, erfunden ist. nun hat aber Philochoros über metaphorische 
bedeutung des namens Xot^lltj in den buche neQl r^ayt^Sißv gehandelt (schol. Hek. 1): 
es liegt also sehr nahe, schon ihm die kritik zuzutrauen, welche wir auch ohne ihn 
sicher vollziehen können, dafs der name Xoi^ilri wirklich als eigenname vorkommt, ist 
eine triviale Wahrheit, mit der nur ein geck etwas kann ausrichten wollen. Kivrjaias 
hiefsen auch wirkliche menschen: ist deshalb der name in der Lysistrate minder 
redend? und der hofmarschall von Kalb in Kabale und Liebe heilst doch wol so 
wegen seiner dummheit; kritiker, wie sie sich in sachen Choiriles hervorgewagt 
haben, werden ihn für einen verwandten der Charlotte von Kalb ausgeben. 



8 Bas leben des Euripides. 

diese, abgesehen von ganz späten Interpolationen, z. b. dem Schlüsse, 
nicht weniges, was der dichter Euripides unmöglich geschrieben haben 
kann, z. b. die anapästische scene des prologs, was aber doch zu allen 
Zeiten, schon im 4. Jahrhundert, darin gestanden hat. der schluis ist 
unabweisbar, dais Euripides das drama unvollendet hinterlassen hatte, 
und für die ergänzungen muls der söhn Euripides die Verantwortung 
vor der nachweit tragen, wie er sie vor dem archon getragen hat. die 
verse zeugen von einigem geschick; aber es war doch verständig, dafs 
der söhn das handwerk des vaters nicht fortgesetzt hat unsere künde 
von der familie des dichters erlischt hier; sie mag aber fortbestanden 
haben wenigstens bis auf Philochoros zeit und diesem das salaminische 
gut gezeigt und die weitere auskunft gegeben haben, wenigstens machen 
die angaben den eindruck der familientradition. 

Dagegen halte man nun das Zerrbild, das die conventionelle Euri- 
pideslegende gibt, der vater war ein bankerottirer aus Boeotien und in 
Athen höker; die mutter handelte mit grünkram und betrog ihre künden, 
die frau heilst Choirile und beträgt sich ihrem namen gemäls, buhlt 
unter anderm mit Kephisophon, dem haussclaven des dichters^ der diesem 
übrigens auch beim dichten hilft wie Schwiegervater Mnesilochos auch. 
Choirile wird ertappt, verstoisen, durch Melito ersetzt, die es aber nicht 
besser treibt u. dgl. m. 

Es ist nicht nötig den ganzen schmutz zu durchwühlen, das meiste 
wird jeder halbwegs einsichtige einfach wegwerfen, und den litteratoren 
ist doch nicht zu helfen, die den historischen kern tauber nüsse suchen, 
zwar gewissensbedenken tragen, eine angäbe zu verwerfen, weil sie 
bestimmt auftritt, aber den ehrlichen namen eines mannes und die ehre 
einer frau ohne Weiterungen preisgeben; und dann ist die neugier nach dem 
quark nun einmal unersättlich und unbelehrbar, der herkunft nach zerfallen 
die Schwindeleien in zwei gruppen: einmal sind es gänzlich inhaltsleere 
autoschediasmen, als z. b.: weshalb hellst Euripides Euripides und nicht 
z. b. Kephisiades? beides sind gute attische namen, nur dafs natürlich 
viel mehr Athener nach dem oder den Aussen Kephisos heifsen, die das 
land durchströmen, als nach dem Euripos, an den Attika kaum mit einer 
ecke stöfst. vater Mnesarchos wird auch einen grund gehabt haben, seinen 
jungen Euripides zu nennen, und am letzten ende wird das auch auf den 
Euripos zurückführen, nur würde man die familiengeschichte kennen 
müssen, um diese frage zu beantworten, und kennt man sie nicht, so 
erfindet man: z. b. vater Mnesarchos nannte seinen söhn Euripides, war 
aber aus dem innern Attika: also hatte er früher am Euripos gewohnt, also 



Hausstand. 9 

in Boeotien. wie war er nach Phlya gekommen? etwa als bankerotter 
kaufmanu. dafs so erfunden ist, ist keineswegs sicher, im gegenteil, dies 
ist eine construction im stile jener litteratoren. aber verwerfen müssen 
wir all dieses gerede, das abenteuerlich, inhaltsleer und weder durch 
einen verläfslichen autornamen, noch durch irgendwie urkundlichen Cha- 
rakter beachtung fordert, in diesen regionen der litteraturgeschichte 
hat die regel zu gelten: was nicht in einer der angegebenen weisen ge- 
stützt wird, gilt bis auf weiteres für erfunden. 

Von relativem werte dagegen ist die gleichzeitige erfindung, mag sie 
nun vom hafs oder von der bewunderung eingegeben sein, durch sie 
wird immer das licht reflectirt, das von einer bedeutenden persönlichkeit 
ausgeht, wenn auch von so oder so geschliffenem Spiegel. Spiegel ist 
für die Euripideslegende einzig die komödie, die ihn, soviel wir sehen, 
seit dem anfange der peloponnesischen kriege, d. h. seit der zeit, aus 
der den Alexandrinern zahlreiche dramen vorlagen, mit einstimmigkeit 
verfolgt hat, während sie Sophokles ziemlich schonte, pietätvolle sage, 
wie sie diesen verherrlicht, gibt es für Euripides nicht, schon das ist 
bezeichnend: der eine liebenswürdig, volkstümlich, respectsperson und 
doch einer, in dem jeder Athener den landsmann grüfste, der dachte 
wie er. der andere ein schuhu unter den lustigen käuzlein Athenas, 
allen um so unsympathischer, weil sie seine macht selbst an sich em- 
pfinden, und immer stärker, je häufiger sie ihn verfolgen; als sie ihn 
glücklich verscheucht haben, hat er sie alle in die kreise seiner kunst 
verstrickt. 

Komische erfindung ist vor allem der ganze roman von der hahnrei- 
schaft des Euripides, und es läfst sich die zeit dieser komödie noch 
ziemlich fixiren. es liegt auf der band, dafs Aristophanes ganz anders 
reden würde, wenn er in den Thesmophoriazusen (411) etwas von den 
ehelichen erfahrungen des dichters gewulst hätte, in den Fröschen aber 
spielt er darauf an (1048). der komiker, welcher jene fabel aufbrachte 
(sicher nicht Aristophanes selbst), hat auf reellen glauben natürlich keinen 
ansprach gemacht: die angegriffene frau hatte, ^enn sie noch lebte, 
die silberne hochzeit lange hinter sich, sehr witzig war die erfindung 
nicht und namentlich sticht sie übel ab von den Thesmophoriazusen, 
die doch vorbildlich gewesen sind, denn herausgesponnen ist die fabel 
aus der tatsache, dafs Euripides gern probleme des weiblichen liebes- 
lebens behandelt und von der weiblichen treue recht häufig geringschätzig 
redet, immerhin ist mehr witz darin, als wenn später feine nasen zu 
erzählen wissen, der weiberhafs wäre nur theoretisch gewesen, oder auch 



10 Das leben des Euripides. 

das gegenteil, oder auch der weiberhaTs wäre durch knabenliebe motiviert 
gewesen") u. s. w. 

Wie der mensch Euripides zu den frauen stand, wäre man freilich 
verlangend zu erfahren, dafs er sie gehafst hätte, ist eine kurzsichtige 
abstraction daraus, dafs er geneigt ist, allgemeine urteile über das ge- 
schlecht abzugeben, und dafs diese allerdings von dem cultus und von 
der galanterie sehr weit abliegen, die wir aus perioden überkommen 
haben, deren gesittung uns doch viel ferner liegt als die attische cultur. 
Euripides mag die frauen nicht günstig beurteilt haben: aber er hat sie 
studiert, für Pindar Sokrates und die meisten Sokratiker existiren sie 
kaum, nicht blofs dafs die euripideischen dramen eine fülle weiblicher 
Charaktere bieten, mit so feinen unterschieden der Charakteristik, dafs 
die männer dagegen stark abfallen: es mufs geradezu gesagt werden, 
dafs Euripides das weib und die durch das Verhältnis der geschlechter ent- 
stehenden sittlichen conflicte für die poesie entdeckt hat, und dafs die 
hellenische poesie nicht viel mehr hat tun können, als von diesem seinem 
schätze zu zehren, es gibt wenig dichter, denen das weibliche geschlecht 
so dankbar zu sein grund hat. aber die frauen, die ihm das Verständnis 
des weiblichen herzens eröffnet haben, sind für alle ewigkeit verschollen, 
wer spielen will, mag annehmen, dais die mutter, die das nächste anrecht 
hat, ihm viel gewesen ist. sie hat ja auch für den söhn zu leiden gehabt, 
wenn auch wol erst im grabe, wir können freilich nicht einmal die 
frage beantworten, wie sie in ein renommee gekommen ist, das sich auf 
unsere Verhältnisse übertragen etwa so wiedergeben läfst, Kleito hätte 
als beruf das pilzesammeln gehabt und ihren künden haferpilze statt 
Champignons aufgeschwatzt, den wilden kerbel {axdvdt^, ne legitima quidem 
holera Plin. n. h. 22, 18) der mutter gibt Aristophanes dem Euripides 
chon 425 zu hören (Acharn. 478), und zwar als etwas offenbar dem 
publicum bekanntes. Kleito war damals lange tot. es wäre leicht sich 
einen anlafs auszudenken, wenn man den breiten weg der litteratur- 



13) Sophokles als den Vertreter der knabenliebe, Euripides als den der weiber- 
liebe einander entgegenzustellen hat dem peripatetiker Hieronymos von Khodos be- 
liebt, der mehreres über den dichter vorgebracht hat. er hat auch ein ganz albernes 
epigramm verfertigt, auf des Sophokles namen (Athen XTTT 604**), aber gleich im 
ersten verse mit einem groben metrischen Schnitzer und im zweiten wieder mit 
einem : denn in '/)aalv(o ist die erste sylbe bei allen älteren dichtem, wie ihre natur 
ist, lang, und das iota des dativus singularis zu elidiren ist weder dem Sophokles 
noch irgend einem sorgsamen dichter des vierten oder angehenden dritten Jahrhun- 
derts zuzutrauen, dafs sich bewunder er dieser sophokleischen elegie gefunden haben, 
ist minder zu verwundem, als dafs die schnitzer auch sonst nicht gerügt sind. 



Lebensführung. 11 

geschichtler wandeln wollte, so mufs man sich bescheiden, schliefslich 
würde unsere minder aristokratische anschauung die gemüsehändlerin 
weder selbst als bescholten noch als einen schimpf für den söhn ansehen, 
die liebevolle weise, mit der der söhn sehr häufig die gefühle der mutter 
zu den kindem und die pietät gerade des erwachsenen sohnes zur mutter 
geschildert und besprochen hat, legt es nahe, von Kleito nicht gering 
zu denken. 

Seine Vermögensverhältnisse haben dem Euripides von Jugend auf fühnmg. 
gestattet ganz den Musen zu leben, im 4. jahrh. war die dramatische 
poesie dazu angetan, ihren dichter reich zu machen ^^); damals wurden 
die dramen aber auch aller orten gegeben, der attische Staat zahlte 
sehr ansehnliche preise ^^); aber sie waren sehr stark abgestuft, und 
Euripides hat im leben nur viermal den ersten erhalten, somit hat er 
von den gaben der Musen nicht leben können, und jedenfalls haben 
sich seine söhne eine lebensstellung selbst erwerben müssen, er hat als 
ein echter gelehrter nur einen schätz hinterlassen, den die motten fressen, 
seine bibliothek. freilich ist in anschlag zu bringen, dafs sein greisen- 
alter mit dem unheil zusammenfällt, das nicht nur den staat Athen, 
sondern jeden einzelnen bürger arm machte, liturgien hatte jeder 
bürger zu leisten, der nur einigen besitz hatte, mochte er auch so fern 
dem staatsieben sich halten, wie Flaton Isokrates Euripides, von denen 
allen es feststeht, und zwar hat Euripides als bejahrter mann sogar vor 
gericht gestanden und seine sache geführt, als ihm ein gewisser Hygiainon 
eine liturgie zuschob (dvridwxev^^), auch mufs man sich die weltflucht 
bei einem söhne der sophistenzeit nicht zu arg denken: wer so das 
menschliche getriebe zu schildern weifs, hat es selbst gesehen, wer das 
menschenherz so kennt, menschen beobachtet, offenbar durch die zufällige 
beachtung eines beschriebenen Steines hat irgend ein gelehrter des alter- 
tums entdeckt, dafs Euripides von Magnesia mit atelie und proxenie 
bedacht worden ist. welche der beiden Magnesia, die beide nicht zum 
attischen, sondern zum persischen reiche gehörten, gemeint ist, läfst 

14) Piaton Laches 183<» Staat VH! 568°. 

15) Wir kennen die preise der tragiker und die der komiker (Ar. Frö. 367 mit 
schol.) nicht, wol aber einige der bei den Panathenaeen gezahlten (CIA n 965). für 
die kitharoden war der erste ein goldener olivenkranz von 1000 dr. und 500 dr. 
Silber, für den zweiten 1200 dr., den dritten 600, den vierten 400, den fünften 300. 
aber auch das Verhältnis dieser preise zu den tragischen läfst sich nicht abschätzen. 

16) Aristoteles Ehet. III 15, wol aus mündlicher Überlieferung, es ist die 
älteste erwähnung eines faUes von dvTi$oGie, da der zweite Hippolytos vorausgesetzt 
wird, nach 428. der name ^Yyiaivcav ist genugsam belegt. 



12 Das leben des Euripides. 

sich nicht sagen, und der schlufs des yivog, dafs die ehre einen per- 
sönlichen besuch Magnesias voraussetzte, zeigt nur, dafs wir epigraphische 
documente richtiger zu verwerten gelernt haben ^^). allein eine inhalt- 
lose ehre ist die proxenie damals noch nicht, sondern sie schliefst, wenn 
man auch zugeben mag, dafs die Magneten nur den dichter ehren 
wollten, Verpflichtungen ein, die praktisch wenigstens werden konnten, 
dafs die späteren sich Euripides durchaus nur als einen menschenscheuen 
und menschenfeindlichen griesgram denken konnten, liegt im wesent- 
lichen daran, dafs sie die Charakteristik des tragikers Alexandres von 
Pleuren als mafsgebend ansahen 

ö d' ^Ava^ayÖQOv rgötpcfiog x^iof) GTQvtpvdg fxhv ifioiye TtQOGUTtelv 
Tial fiiaöyekiog xai TCJd-d^SLV oiödk TCaq^ otv(^ fxe^ad'fjTicbg, 
dkl' ö TV ygaipav rovx^ äv (liXLtog xa2 ^ciqt^vojv ircTeiJXSL^^. 

17) Mit dieser proxenie den zufall zu combiniren, dafs Euripides (Oineus 571) für 
uns zuerst die Mayvrjns Xid'oe erwähnt, wird man sich um so mehr hüten, als keines- 
wegs fest steht, dafs das bezeichnete metall in Magnesia wirklich vorkam, mag es 
nun das magneteisen sein, wie der durch die ganze citatengelehrsamkeit sich compromit- 
tirende Verfasser des Ion meint, oder das katzensilber, das der gewährsmann Diogenians 
(schol.PLIon.Phot.Hesych) und Buttmann verstehen, dessen aufsatz (Mus.f.Alt. wiss.II) 
die modernen teils nicht kennen, teils nicht würdigen : er hat Soph fgm. 728 erkannt, 
die verdorbenen Euripidesverse lauten ras ßqoT&v yvtbfias axonmv &oi:b Mayvijris 
Xi&os Tr^v Sö^av iXxei xai fied'iarrioiv n&Xiv, damit kann erstens nicht der magnet 
gemeint sein, denn derselbe magnet stöfst dasselbe stück eisen, das er angezogen 
hat, nicht wieder ab. auch würde dann notwendig statt Sö^av oIStjqov stehen 
müssen, wie vollends iniandiv iXxei xai fzed'iarriaiv ndXiv (so conjiciren sie) ge- 
sagt und, wenn gesagt, mit yvt&fias und Sö^av verbunden werden sollte, ist gar 
nicht auszudenken, irgend etwas zieht wie das katzensilber die meinung an und 
'bringt sie wieder in andere läge* (wie fie&iaraod'ai ^^eväiv), wenn der trug durch- 
schaut ist. wir fragen, was ist das, und worauf bezieht sich die meinung. das letztere 
steckt in den verdorbenen werten, sie bezieht sich auf die yvcS/uai ßporßVf den Cha- 
rakter des menschen, und man verbessert leicht axonoüvros. also die dem Euripides so 
geläufige klage, dafs die kriterien für den Charakter so unsicher sind, nehmen wir z. b. 
die eiyivsia: zunächst beurteilen wir den ei^yevije darauf hin als dyad'öe, aber rasch 
erkennen wir, dafs der adel katzensilber ist. am nächsten aber liegt wirkliches 
Silber, der reichtum: denn dann ist die vergleichung am schlagendsten. 

1 8) Den verf assernamen hat Gellius und der Aristophanesscholiast zu Frö. 839 
erhalten, wonach auch die krauthökerin Kleito bei ihm vorkam, im yivos ist durch 
leichtes versehen Aristophanes für den verschollenen dichtemamen gesetzt, und es 
ist dort auch s. 5, 21 Schw. ein apophthegma aus den versen gemacht, es ist selt- 
sam, dafs man die verse dem komiker hat geben wollen, obwol man dann das nicht 
attische rirev^a und das dorische xaiös ändern mufs. übrigens zeigt das citat 
aus einem bald vergessenen alexandrinischen dichter, dafs der grundstock des yivos, 
wie ja a priori anzunehmen war, von einem der alexandrinischen compilatoren der 
zeit 230—130 herrührt. 



Lebensführung. 13 

darüber haben sie ganz vergessen, dafs der dichter sowol für sein Vater- 
land in officiellem auftrag tätig gewesen ist, me auch in Verbindung 
zu dem staatsmanne gestanden hat, der für sein Vaterland verhängnis- 
voll geworden ist. uns ist das durch die geschichtsschreiber überliefert 
worden. 

In der perikleischen zeit, wo Sophokles in den höchsten Staatsämtern 
tätig ist, verlautet von Euripides nichts, und seine ältesten dramen zeigen 
keine starken ein Wirkungen der Zeitgeschichte; was vorkommt, sind nur 
äufserungen der allgemeinen Stimmung*^), aber längst hat man bemerkt, 
dafs er gegen ende des archidamischen krieges geradezu tendenzstücke 
dichtet, davon sind die Hiketiden erhalten, in welchen der rat, frieden mit 
Sparta, aber anschluTs an Argos zu suchen, kaum minder hervorsticht als die 
forderung, dafs Athen einen veaviag aTQarrjydg ia&Xög erhalte, wie The- 
seus es ist (192). damals bewarb sich Alkibiades um diese Stellung und nahm 
bald die führung des Staates mit der entschiedenen tendenz in die band, 
durch den bund mit Argos Sp&rta im Peloponnes selbst matt zu setzen, den 
höhepunkt persönlichen glanzes erreichte derselbe, als er an der feier der 
neunzigsten Olympiade, von der Sparta ausgeschlossen war, mit einer 
ganzen reihe Viergespanne auftrat und preise davontrug, und zu dieser 
Siegesfeier hat Euripides ihm das siegeslied gedichtet, das letzte nach- 
weisbare beispiel dieser pindarischen weise, damit hatte er partei ge- 
nommen im angesichte aller Hellenen, der grofsartige Athenerstolz, der 
in den dichtungen jener jähre lebt, und der auch ein stolz auf die 
demokratische Verfassung ist, zeigt, wie zukunftsfreudig seine Stimmung 
war. ohne zweifei hat er in Alkibiades einen gröfseren Ferikles gehofit. 
aber was er gleichzeitig ersehnte, war der friede, und ausdrücklich ist 
uns überliefert, dais ein friedenslied aus dem Erechtheus in aller munde 



19) Ins besondere liegt keine spur davon vor, dafs Eur. zu Perikles und seinem 
kreise beziehungen gehabt oder die perikleische politik in entschiedener weise ver- 
treten hätte. Böckh hat zwar auf den unlängst vorher erfolgten tod des Perikles das 
wort bezogen, das Theseus an der leiche des Hippolytos spricht, 1459, cb x},eiv ^Ä&ij- 
vßv Ilallddos d^ö^ia/uara otov are^i^aead^ dvSpöe. aber einen außerhalb des dramas 
liegenden bezug dürfte man nur hineintragen, wenn die unmittelbare deutung nicht 
genügte, und die Würdigung des Hippolytos ist nur die gerechte (955. 1100). übrigens 
ist der vers verdorben, da ÖQiauara nicht mit den namen des landes und der göttin 
verbunden werden kann, gefordert wird, da Theseus in Trozen spricht, eine be- 
zeichnung dieser Stadt, wie 973, 1095, 1159. zu schreiben ist c5 ydelv ^Ad^v&v 
üelonias ^ ÖQia/xara, vgl. 373. damit ist die beziehung auf Perikles unmöglich, 
denn dessen tod als ein Unglück für die Peloponnesier hinzustellen, würde eine be- 
leidigung des toten gewesen sein 



14 Das leben des Euripides. 

war, wie er schon im Kresphontes eins gedichtet hatte, das selbst des 
Aristophaues beifall fand, der friede aber lag nicht in Alkibiades sinne : 
nacht muis es sein, wo die sterne des tyrannen stralen. und so sehen 
wir den Staatsmann die sicilische expedition vorbereiten, während der 
dichter seine troische tetralogie damit schliefst, dafs die stolzeste flotte 
hineinfährt in das sichere verderben, diesmal war er ein prophet gewesen, 
geglaubt hatte man ihm so wenig wie dem grofsen mathematiker Meton; 
aber man erinnerte sich seiner nach der entsetzlichen erfüllung. es ist 
bezeichnend, dafs 412 die Athener den greisen Sophokles in das neu- 
gestiftete zehnmännercoUeg von probulen wählten: der sollte den peri- 
kleischen geist zurückrufen; aber er war schwach geworden und gab 
den oligarchen, obwol er aufrichtiger demokrat war^ das heft in die bände. 
Euripides aber erhielt den auf trag, das epigramm für das riesengrab zu 
machen, das auf dem Staatsfriedhof für das gedächtnis der tausende er- 
richtet ward, die im fernen westen für das Vaterland gestorben waren**'), 
zu handeln traute man ihm nicht zu, wol aber aus der seele seines 
Volkes zu reden, aber es waren nur einzelne momente noch, wo alles,, 
was Athen noch besals, im gemeinsamen vaterlandsgefühle sich zusam- 
menfand, das entsetzliche, das über allen häuptern schwebte, und die 
widerstreitenden gefühle, die es erregte, schäm und stolz, heroismus und 
Verzweiflung gewannen allzurasch wieder die oberhand in den seelen 
des nur allzu vollblütigen Athenervolkes, es ist als überkäme sie alle 
ein bakchischer taumel, dafs sie wider einander, wider alles was grofs 
im vaterlande ist, wider sich selbst wüten, und schliefslich daran zu 
gründe gehen, auch die euripideischen dramen dieser zeit sind wie im 
fieber geschrieben, zwar die Zeitereignisse selbst berührt er höchstens 
im vorübergehen, wenn ihn schmerz oder zorn einmal übermannt, und 
das erkennt man wol, dafs ihn ein tiefer absehen gegen die radicale 
demokratie erfüllt"), was ihm dann den Vorwurf oligarchischer gesinnung 
eingetragen hat, den Aristophanes, obwol er ihn mehr verdiente, weiter- 



20) Plut. Nik. 1 7. auch Helen. 398 enthält einen zug, den nur dieser katalog 
der gefallenen verständlich macht, zumal im jähre 412. Menelaos sagt 'wir können 
jetzt die toten zählen und die überlebenden, die die namen der toten nach hause 
bringen*, also die einen sind verzeichnet, die andern sind AQid'firjrol dnd noXXcöv, 

21) Dafs die heftige Schilderung eines demagogen, Or. 772, dem Kleophon gilt^ 
hat Philochoros wol selbst angemerkt (schol. 371, 772, 903). derselbe hatte im Ixion 
eine beziehung auf den tod des Protagoras gefunden, was wir nicht mehr controlliren 
können, aber natürlich nicht bezweifeln dürfen. (Diog. Laert. IX, 55.) Phoin. 783 
schildert das Dionysos fest im belagerten Athen. 




Lebensführung. 15 

zugeben nicht unterläfst^^). aber das gebiet, auf welchem der dichter 
die von auTsen an ihn dringenden erschütterungen mit sich und vor dem 
publicum durchkämpft, ist das poetische, auch er läfst, wie sein volk, 
nichts unversucht und rüttelt an den gesetzen seiner kunst wie an ketten, 
jetzt erst wird er der Euripides, den wir im bilde schauen und der als 
typus im gedächtnis der Hellenen fortlebte, bitter und menschenverachtend, 
jede leidenschaft aufwühlend, ohne je zur befriedigung zu kommen, und 
daneben in kalter dialektik den schönen schein zersetzend, unter dem sich 
die nichtigkeit alles irdischen verbirgt, die Zeitgenossen empfanden es, 
dals er sie verachtete und doch als gebomer lehrer des Volkes beherrschte 
und beherrschen wollte, die meute der komiker stürzte sich wider ihn, 
und diesen, nicht ihm fielen die siegerkränze zu. er gab auch ihnen mit 
bittrem werte die antworte, er trug in der Antiope mit seiner ganzen 
kraft, der dialektischen wie der pathetischen, das eigenlob des ^ewQTj' 
Ttüdg ßlog vor: aber dann gab er das spiel selbst verloren, gab auch 
das Vaterland verloren und wanderte aus. 

Die götter waren immer freundlich gewesen gegen Sophokles. Schön- 
heit und heiterkeit, genuisfähigkeit und liebenswürdigkeit hatten sie ihm 
verliehen, ein langes leben hindurch hatte ihn die volle ßlov evqoia 
getragen, auch das war eine gnade, dafs er nun steinalt war, wenn 
auch jugendkräftig bei der arbeit, aber lebend mehr m dem reiche seiner 
ideale als in der traurigen gegenwart. mit sich selbst und seinem volke 
in harmonie. nun schenkten die götter dem schönen leben gnädig den 
schönen schlufs: er durfte noch im freien Athen sterben und die feind- 
lichen Vorposten öffneten sich ehrfurchtsvoll dem leichenzuge, der den 
letzten tänzer des salaminischen siegesfe&tes an die seite seiner väter 
trug, fern in Gela ruhte Aischylos, fern an der makedonischen Arethusa 
war Eiripides jüngst gebettet, die beiden waren kurz vor ihrem tode 



22) Frö. 952. wir haben kein mittel, festzustellen, wieso man in früher zeit 
dazu gekommen ist, eine tetralogie des Kritias, die also wahrscheinlich in den letzten 
lebensjahren des Euripides gegeben ist, diesem zuzuschreiben, wenn die didaskalien 
ihn nannten, so hatte er dem Kritias einen freundschaftsdienst getan, und das er- 
weckt dann weitere perspectiven auf die kreise zu denen er sich hielt, aber ebenso- 
gut können die didaskalien Kritias genannt haben, und nur stil und gedanken und 
der fluch, der auf dem gedächtnis des tyrannen lag, den irrtum der nächsten gene- 
ration bewirkt haben. Kritias ist ein so bedeutender mensch, dafs man an sich 
einen verkehr ganz gern glauben würde. 

23) In der zweiten Melanippe 495 fiioß y€)*oiovs oirives nfrei (lies Ttjri]: das 
fordert njräv) aotp&v d^äXiv* ixovai aröfiara xde AvS^ßv fihv o'd reXovau d^i- 
S'^ov, iv yiXcane S* eöJCQenets oixovatv oixove. 



16 Das leben des Euripides. 

in die ferne gezogen, aber Aischylos in der höchsten Schaffenskraft, 
nachdem er noch eben sein gröfstes werk unter dem vollen beifalle seines 
Volkes gekrönt gesehen hatte, und dieses volk strebte dem höchsten 
hoffnungsvoll und kraftvoll zu**). Euripides hatte die schwelle der sieb- 
ziger überschritten, er war ein leben im .engsten kreise und in der Unab- 
hängigkeit aber auch der beschrankung des gelehrten gewohnt: jetzt 
siedelte er an einen halbbarbarischen hof voll soldatischen getöses, in 
ein fremdes land über, und er schied auf nimmerwiedersehn von der 
Vaterstadt, deren politischer stürz sicher zu erwarten stand, deren Ver- 
tilgung gar nicht unwahrscheinlich war. es war ein schritt der Ver- 
zweiflung. 

Am hofe des königs Archelaos fand er freilich eine stattliche reihe 
geistiger celebritäten ; selbst dem Thukydides wird er hier begegnet sein *'), 
und vor allein mochte ihm der verkehr mit Agathon wol tun, der auch 
tragiker war und rückhaltlos die consequenzen der euripideischen tragödie 
und der neuen gorgianischen Stilistik zu ziehen versuchte^'), rasch entledigte 

24) Dafs Aichylos im grolle über die politischen Veränderungen aus Athen 
gewichen sei, ist nicht zu beweisen, die Eumeniden schlief sen mit der vollsten 
harmonie und nichts verrät, dafs der dichter die macht und den stolz der heimat, wozu 
auch der Areopag, davvSixaarov rovro ßovlevrtjpiov, gehört, für beeinträchtigt 
oder bedroht gehalten hätte, es ist ganz unmöglich zu sagen, was er mit seiner 
reise bezweckte, übrigens braucht er nicht älter als 60 jähre gewesen zu sein, und 
er kann somit mit dem gedanken heimzukehren und von neuem zu siegen fort- 
gezogen sein. 

25) Dafs Thukydides in Makedonien gestorben wäre, durfte freilich nicht für 
historisch ausgegeben werden, da es nur auf einem dialoge des Praxiphanes beruht, 
aber seine anwesenheit daselbst, wahrscheinlich an sich, ist schwerlich von Praxi- 
phanes erfunden, denn auch die zuerteilung des bekannten grabepigramms auf Euri- 
pides (Athen. V 187**, auch im yivo6) setzt sie voraus, und eben deshalb wird es 
auch dem Timotheos zugeschrieben, der ja auch in Makedonien gewesen ist. das 
epigramm dem 4. Jahrhundert abzusprechen, ist man nicht veranlafst. 

26) Agathon zum i^t&^evos des Euripides zu machen, lag nahe, und ist an sich 
nichts als eine ausgestaltung ihres Zusammenlebens in Pella. aber bei Aelian steht 
nicht nur dies (V. H. XIII 4), sondern auch, dafs Euripides ihm zu ehren den Chry- 
sippos dichtete (V. H. n 21). das kann ja blofs deshalb gesagt sein, weil der Chry- 
sippos das problem der knabenliebe behandelt, aber es gibt zu denken, dafs der 
Chrysippos mit den Phoinissen wirklich in den letzten attischen jähren des Euri- 
pides verfafst ist (etwa 4t 0), und Piatons Symposion führt Agathon und Pausanias, 
auf den auch Xenophon verweist, als typen der knabenliebe ein. es ist sehr zu 
bedauern, auch für die Symposien, dafs wir von der behandlung des Euripides nicht 
mehr wissen, als dafs er die knabenliebe verwarf, obwohl sich Laios auf die ytiais 
für sie berief, geurteilt hat Euripides immer so, denn nur sein Kyklop gibt sich 
solcher neigung hin, während Aischylos und Sophokles arglos der volkssitte folgen 



Lebensführung. 17 

er sich auch des auftrags, für den könig ein makedonisches drama zu 
schreiben und ihm einen ahn zu schaffen, der dem bankert des Perdikkas 
ein heroisches relief gäbe; er fühlte sich zu neuen geistvollen und sicht- 
lich mit frischer liebe durchgeführten Schöpfungen angeregt, er glaubte 
endlich den hafen gefunden zu haben, aber er erhielt doch auch proben 
von der roheit der gesellschaft, in die er versetzt war ■^'). wir wollen nicht 
vergessen, dafs der vers ßaQßdgwv "Ellrjvag äQxetv ei^ög (I. A. 1400) 
in Makedonien gedichtet ist, und es ist pikant, dafs Thrasymachos 
dieselbe spitze gegen Archelaos wendet ^j. dieser edle attische bäum war 
zu alt zum verpflanzen in noch so fettes barbarisches erdreich. nach 
1^2 Jahren starb er, gefeiert von dem könige, und sein grab ist bis in 
späteste zeit eine merkwürdigkeit der gegend geblieben. ^ 

Von seiner todesart hat Aristophanes ein jähr später nichts merk- 
würdiges gewuTst, und dabei haben wir uns selbstverständlich zu beruhigen, 
aber sehr früh schon ist die fabel entstanden, dafs hunde ihn zerrissen 
hätten, und sie hat im altertum die oberhand behalten: denn selbst ein 
kategorischer Widerspruch*') ist geschichtlich um nichts begründeter als 
die behauptung. an sich könnte dem dichter ein Unfall so gut wie 
jedem sterblichen sonst zugestofsen sein, und einem nächtlichen Wan- 
derer kann ähnliches in Makedonien auch heute noch passiren. es ist 
auch eine tendenz, welche zu der fabel geführt hätte, nicht ersichtlich, 
vielmehr zeigen die mannigfaltigen widersprechenden und sich also auf- 
hebenden motivirungen, wie Euripides unter die hunde oder die hunde 
über Euripides gekommen wären, dafs man die pointe derselben schon 
im altertum vermifste, und bei solchen geschichten ist es eine empfehlung. 



27) Ein höfllng höhnt Euripides, weil er einen übelriechenden atem hatte: 
Archelaos liefert ihn dem dichter aus, dafs er ihn durchpeitsche. Aristoteles polit. 
E 10, wol aus den traditionen, die Aristoteles selbst oder sein vater am hofe ge- 
sammelt hatte, der üble atem ist dann weiter zu albernen apophthegmen benutzt, 
die nichts lehren, es liegt eine bittre kritik darin, dafs wir von ganz persönlichem, 
auf serlichem über Euripides nichts wissen, als dafs er als greis schlecht aus dem 
munde roch, aber mancher unserer gebildeten hat von Schillers wesen auch nichts 
behalten, als dafs er eine neigung für faule äpfel hatte. 

28) Clemens ström. 746, der Thrasymachos citirt, verweist auf Telephos 717, 
wo der nämliche gedanke steht, die rede war vermutlich älter als die aufführung 
der Iphigenie; an eine entlehnung ist nicht zu denken. 

29) Adaios Anth. Pal. Vn 51, es ist eine rettung im stile der von Dioskorides für 
Lykambes töchter (A. P. VH 351) und der von Aischrion für Phüainis (A. P. VH 345). 
erst der aberwitz eines literators hat dann aus den hunden weiber gemacht: das 
ist nicht komikererfindung, sondern auch nur eine k^ais für die aporie: was waren 
das für hunde, die Euripides zerrissen. 

V. Wüamowitz I. 2. Aufl. 2 



18 Das leben des Euripides. 

wenn sie keine pointe haben, aber das schweigen des Aristophanes gibt 
den ausschlag: wir müssen urteilen, der tod durch die hunde hätte zwar 
pas&iren können, aber er ist nicht passirt. 
^wiokefung^ ^^^^ ^^^ äufsere lebensgang; aber bei dem geistig wirkenden sind 

die inneren erlebnisse unendlich wichtiger, und vielleicht ist überhaupt 
an dem einzelnen menschen das merkwürdigste nicht, wie er als vollen- 
deter erscheint, sondern wie er ward; wie denn Selbstbiographien, selbst 
wenn sie schlecht sind, soweit interessiren, als sie entwickelungsgeschichte 
darstellen, die entwickelung ist für den animalischen menschen fertig, 
wenn der körper voll ausgereift ist, und bei dem durchschnitt ist dann 
auch die geistige entwickelung auf ihrem höhepunkt. die bedeutung des 
menschen aber bemifst sich danach, wie spät er klug wird, und es ist 
ein zeichen der geistigen kraft unseres deutschesten Stammes, dafs er 
wie die Hellenen dazu 40 jähre brauchen soll, in Wahrheit bringen wol 
nur die allerhöchststehenden sterblichen die entwickelungsperiode zu 
solcher dauer. bei Goethe und bei Piaton macht allerdings das vierzigste 
jähr epoche: da erst sind sie fertig, aber es ist schon viel, wenn wie 
bei Dante nel mezzo del cammin di nostra vita der tag kommt, wo alles 
was uns zu schaffen auferlegt ist, öwd/xei getan ist, so dafs das weitere 
leben nur noch mit dem umsetzen in die energie zu tun hat es liefse 
sich darüber viel sagen ^); das yrjQdayLW alel TtoXXd öidacxö/Aevög hat 
seine Wahrheit, aber der andere spruch auch, dafs der mensch nur lernt 
was er lernen kann: und der fertige mensch kann nun einmal nur äuiser- 
liches umlernen, er hat vielmehr auszugeben was er in sich trägt, viel- 
leicht nur als keim, sich selbst kaum bewufst, aber wenn er es nachher 
von sich gibt und es anderen neu erscheint, so ist es ihm doch ein lang- 
bekanntes, und wenn die nachweit ein leben so genau übersehen kann 
wie wir es mit dem Goethes tun, so kann sie auch beweisen, dafs dem 
so ist, und dafs die Wanderjahre schon concipirt waren^ ehe die Lehrjahre 
erschienen, wie jämmerlich steht es da nun mit dem was wir von den 
antiken menschen wissen können I Piatons entwickelung zu übersehen 
würde einen ähnlichen reichtum von psychologischer belehrung bieten 
wie die Goethes, jetzt sehen wir die Widersprüche, die in einer solchen 

30) Glücklich, wen die götter wegrufen, wenn er fertig ist, wie Eupolis, wäh- 
rend Aristophanes bis za den Ekklesiazusen sinken mufste, wie Gatull, wie A. de 
Musset und Byron; weise, wer sich selbst besoheidet, wenn er nichts mehr zu geben 
hat, wie Kallimachos (wahrscheinlich), Horaz, Uhland: aber sich selbst zum gerioht 
lebt, wer den alten jugendton immer weiter pfeift, überhört oder durch die schrille 
ausgesungene stimme nur verletzend, wie Ovid, wie Klopstook, dessen geistige ent- 
wickelung über die eines grünen Jünglings nicht hinauskam, und H. Heine. 



Geistige entwiokelung. 19 

natur während der gahrenden Jugendzeit vorhanden sein müssen, in den 
Systemen seiner Chronologen widergespiegelt, man weifs es wol, dafs nur 
seine persönlichste entwickelung die reihenfolge der jugendwerke be- 
stimmt hat: jetzt fehlen die äufseren daten und in das innere kann niemand 
dringen, die meisten grofsen denker der älteren zeit treten uns nur als 
die hinter ihrem einen werke verschwindenden Verfasser entgegen, als 
ausgereift, auch wenn sie, wie Anaxagoras, die herausgäbe des buches 
lange überleben, von Sophokles erscheint uns die Antigene fast als 
jugendwerk, weil er alle andern erhaltenen dramen als greis verfafst 
hat, und doch war er in den funfzigern als er jene schrieb, und auch 
von Euripides haben wir nur werke aus reifer zeit: der Phaethon wird 
wol das älteste kenntliche sein, aber auch das ist nur erschlossen, weil 
es so stark von den erhaltenen absticht'*), wir können uns ein eigenes 
urteil über die entwickelungsjahre dieses dichters auch nicht bilden. 

Aber einige nachrichten treten ein. da ist vorab eine fabel zu ent- 
fernen, er soll in gymnastischen kämpf spielen gesiegt haben, weil ihn 
sein vater zum athleten ausbilden wollte, auf grund eines orakels, das 
ihm siege in agonen verhiefs. die geschichte, gebaut auf den doppelsmn 
der dy&veg, ist eine wandergeschichte , bestimmt, göttliche Vorsehung 
und menschliche kurzsichtigkeit zu illustriren. Herodot (9, 33) hat sie 
sich von einem seher als selbsterlebt erzählen lassen, der auch kampf- 
spiele verstand, wo der gott kämpfe gemeint hatte, als sie auf den 
unterschied der musischen und gymnischen Wettspiele übertragen ward, 
griff man einfach den berühmtesten scenischen dichter auf und knüpfte 
sie an seinen namen. denn damit würde man dem erfinder zu viel ehre 
antun, wenn man meinen wollte, er habe die notorische Verachtung der 
gymnastik, welche Euripides zeigt, aber, wie auch im altertum bemerkt ist, 
im anschluTs an Xenophanes ausspricht, aus bösen Jugenderfahrungen ab- 
leiten wollen, übrigens ist die geschichte nicht vor dem zweiten Jahrhundert 
erfunden, da sie die der alten zeit fremden Theseen erwähnt'*), mindestens 
nicht aus den fingern gesogen, sondern durch ein document belegt und 
also von einem achtungswerten forscher, wahrscheinlich Philochoros '^) 

31) Sehr auffällig ist, dafs die nicht ganz wenigen trimeter der Peliaden, des 
ersten dramas, weder im yersbau, noch in der diction, noch in den schon sehr sen- 
tentiös und allgemein gehaltenen gedanken eine abweichung von der späteren weise 
des dichters zeigen. 

32) In dem berichte des Gelllus, der nur vollständiger und reiner, kein anderer 
ist als der im yivos und gelegentlichen anführungen. 

33) Megara ist 306 und um 264 zerstört worden ; es ist unwahrscheinlich, dafs 
ein archaischer nivai sich länger erhalten hätte. Pausanias weifs nichts davon. 

2* 



20 I>as leben des Euripides. 

aufgebracht ist dagegen die merkwürdige angäbe, dafs Euripides in der 
Jugend maier gewesen wäre und in Megara eine von ihm bemalte ton- 
tafel gezeigt würde, solche 7tLvaY.eg haben wir jetzt selbst genug, um 
uns eine Vorstellung machen zu können; auch künstlerinschriften tragen 
sie zuweilen, aber so sicher man annehmen wird, dafs in irgend einem 
heiligtum Megaras ein solches werk euripideischer zeit vorhanden war 
mit der künstlerinschrift EiQtTtldrjg Idd^valog iyQaxpe, so unwahr- 
scheinlich ist es, dafs der Vatersname dabei stand, und dann ist die autor- 
schaft des späteren tragikers sehr unsicher, im allgemeinen jedoch muTs 
zugestanden werden, dafs der gewaltige aufschwung, den die maierei in 
Athen während der Jugendjahre des Euripides nahm, einen künstlerisch 
begabten knaben sehr wol reizen konnte, wenn er ihn denn beschritten 
hat, so hat dieser irrweg, von dem er bald zurückkam, kenntliche spuren 
in der poesie des Euripides nicht hinterlassen. 

Gelernt mufste auch die poesie werden, noch war sie zu ihrem 
glücke so schwer, dafs ein dilettant, der nichts als die allgemeine Schul- 
bildung hatte, die finger davon lassen mufste, und ein zweites glück war 
es, dafs es noch keine handbücher gab'*), der Jugendunterricht gipfelte 
allerdings darin, dais er den schätz der classischen poesie den knaben 
fest und unverlierbar für das leben einprägte ; dabei lernten sie die ihnen 
ausnahmslos fremden mundarten der poesie und lernten die weisen der 
grofsen dichter singen und sagen, das befähigte sie dann als erwachsene 
die tragödien und die dithyramben zu verstehen, und das war nicht 
wenig, sie mochten wol auch einmal vor liebchens tür oder beim rund- 
gesang einen vers eigner fabrik auf die alte weise versuchen, auch für 

34) Am ende des 5. jahrh. hat es technische Schriften über landwirtschaft 
u. dgl., aach kochbücher gegeben, die medicinische litteratur, die am besten be- 
kannte, geht, so weit sie nicht ein erzeagnis der sophistik ist, auf kurze regeln 
zurück, nQoyvtbaete, nQOQQrjztxd u. dgl., die nur ein hilfsmittel mündlicher Unter- 
weisung sind, und natürlich besaTs jeder der ein handwerk übte seine papiere, die 
er als einen wertvollen schätz seinem nachf olger vermachte, der koch oder arzt 
recepte, der seher formulare für sprüche und spruchdeutung (Isokrates 19, 5 ras 
ßlßXovs ras TtBQl uavnxrjs). aber buchmäfsiger vertrieb bestand für diese dinge nicht 
und die schriftstellerei der sophistik behandelt eben das technische nicht, das ändert 
sich erst um und nach 400, wo Simon und Xenophon über pferdezucht, Chares und 
Apollodoros über landbau, Hippokrates und Polybos über medicin technisch schreiben, 
und trotzdem redet man noch immer so, als hätte Sophokles eine aesthetische ab- 
handlung über den chor wider Phrynichos schreiben können (Suid. s. v.), etwa wie 
Schiller vor der braut von Messina oder wie Seneca und Pomponius ihren tragödien 
praefationes gaben, es ist eine fiction wie die technischen Schriften uralter bau- 
meister, von denen Vitruv redet. 



Geistige entwickelang. 21 

ein weihgeschenk oder einen grabstein ein disticbon zu stände bringen : das 
war noch kein dichten, wir sehen sogar einzelne Athener, die eine volle 
bildung haben wollen, noch weiteren musikalischen Unterricht als beim 
kitharisten nehmen, den lehrer des Perikles hat Aristoteles verzeichnet; 
dieser hat sein mündel Alkibiades auch von einem virtuosen im flöten- 
spiel unterrichten lassen, und Sokrates hat in der mufse des gefängnisses 
ein TtQoaödiov an Apollon verfassen können, weil .er bei Konnos noch 
als alter mann die mängel seiner jugendblldung zu ersetzen versucht hatte, 
dafs die sophistik auch musik und metrik in ihre kreise zog, ist selbst- 
verständlich und wird durch die erfahrungen des Strepsiades illustrirt'*). 
wie viel mehr bedurfte der angehende dichter eines meisters, der ihm 
die kunstgriffe und fertigkeiten des handwerks übermittelte. Pindars 
lehrer kennen wir. Sophokles soll die musik bei Lampros, die tragödie 
bei Aischylos gelernt haben, über Euripides hören wir nichts, dafs Aischy- 
los, der sogar die tanze den choreuten selbst beibrachte und das dichter- 
handwerk seinem söhne und mehreren anderen verwandten hinterliefs, 
auch andere unterwiesen hat, ist glaublich, aber Sophokles hat jedenfalls 
nichts bei ihm gelernt, weit eher könnte man es von Euripides glauben, 
wo die zeit es verbietet, denn Sophokles vertritt im gegensatze zu seinen 
beiden rivalen eine andere kunstrichtung, und gerade im technischen liegt 
der gegensatz. oflenbar ist Sophokles dem ionischen einfluTs hingegeben; 
seine rede strotzt von ionismen und versteigt sich nicht selten zu einer 
künstlichkeit der metaphern, die an Ion von Chios erinnert, und das 
greift selbst auf das prosodische über: nur Sophokles hat (wenigstens im 
dialog'*) das ionische ij^/y. sein versbau folgt andern prinzipien"), so dafs 
er sich nicht scheut am versende zu elidiren, was nur Achaios von 
Eretria sonst tut, und sehr lax in der Verkürzung eines schliefsenden 
langen vocals vor vocalischem anlaut ist, eine freiheit, die aus dem epos 



35) So hat Dämon Damonides' söhn über musik und metrik geschrieben, die 
scene der Wolken, in der Socrates den Dämon vertnitt wie sonst den Apollo- 
niaten Diogenes, ist der älteste reflex seines buches. die sophistische fiction war 
eine rede vor dem Areopag, freilich eine fiction (Philodem de mus. 104 K.), aber 
nicht ärger als wenn Gorgias alle Hellenen in Olympia, oder die traueryersammlung 
im Kerameikos anredet, und dafs der Areopag wirklich die etnoofila zu überwachen 
hatte (Isokr. 7, 37), zu bezweifeln ist kein grund. das buch Dämons ist nach der 
zeit der alten Peripatetiker verschollen, vgl. Bücheier Eh. M. 40, 309. 

36) Im liede scheint es Aisch. Eum. 347 zu haben: doch ist dort üfi/mv wahr- 
scheinlicher, da er auch üju/is hat. Ar. Ach. 556 ist nicht von Eur., darf also •öjuXv 
behalten, bei Eupolis ine» 2, 3 ist ^ulv iniaraa s-ögätv statt h ^/xlv zu setzen. 

37) Vgl. zu V. 280. 



22 Bas leben des Euripides. 

stammt"), gewifs würden wir noch mehr bemerken, wenn nicht Sophokles 
als greis sehr stark unter dem einflusse des Euripides stünde; auf das 
umgekehrte Verhältnis deutet nichts *•). 

Dafs Euripides für das musikalisch metrische sehr viel gröfsere 
1 neigung und erfindsamkeit besafs als Sophokles, zeigen die werke, aber 
auch die alten haben schon hervorgehoben, dafs er mannigfache neue an- 
regungen in sich aufnahm und nichts unversucht liefs. insbesondere hat er 
sich seit 420 etwa der neuen musik rückhaltlos angeschlossen, welche die 
dithyrambiker unter heftiger Opposition der komödie aufbrachten, uns ist 
eine vergleichung versagt, und die klagen über Phrynis lehren, dafs die 
bewegung selbst schon mehrere Jahrzehnte früher begonnen hat, als 
wir ihre spuren sicher nachweisen können, der niederschlag dieser 
Verhältnisse in der legende ist die persönliche Verbindung des Euripides 
mit Timotheos. von selbst werden wir glauben, dafs der greise tragiker 
anregungen auch nach musikalischer seite gegeben hat^ wie sein stili- 
stischer einfluis nicht blofs bei tragikem der rhetorischen richtung zu tage 
liegt, sondern selbst bei dem Sophokles copirenden Verfasser des Rhesos. 
(piXoao^ia. Aber die lehre, welche er bei seinen zunftgenossen fand, war für 

die bildung des Euripides keineswegs die wichtigste, er hat die neue 
Weisheitslehre, welche in Athen von den zusammenströmenden gelehrten 
loniens teils verkündet teils fortgebildet ward, mit vollen zügen in sich 
aufgenommen, und schon den Zeitgenossen war das für ihn am meisten 
bezeichnend, dafs er auch auf der bühne sophist war: aoq)6g heifst er 
, in spott und in bewunderung. unsere berichterstatter wissen so ziemlich 
alle namhaften Sophisten, die es der zeit nach gewesen sein könnten, 
als lehrer des Euripides zu nennen, dafs sie über eine wirkliche Über- 
lieferung verfügten, ist kaum glaublich, denn zeitgenössische berichte, 
wie sie die memoiren des Chiers Ion für die beiden andern tragiker 
boten, hat es unseres wissens für Euripides nicht gegeben, wol aber 
haben sie nachweislich mit recht aus den werken des Euripides die ein- 
wirkung bestimmter personen erschlossen, und nur das ist zweifelhaft 

38) Die 7 sophokleischen tragödien zeigen diese erscheinung etwa so oft wie 
die 18 euripideischen, und in oft sehr harten fällen, der Verfasser des Rhesos folgt 
hierin wie in der melopoeie ganz dem Sophokles. 

39) Auch im altertum hat man bemerkt, dafs Aischylos und Euripides auf der 
einen, Sophokles auf der andern seite steht. Porphyrio zu Horaz ep. n 1, 55 Fa- 
cuvius famam docti aufert et conseguitur SophocliSy Accivs Aeschyli Euripidisque 
qui dicendi sunt alti, da die horazische doctrin, welche hier erklärt wird, varro- 
nisch ist, wird es auch diese erklärung im kerne sein, und wenn wir es nur sti- 
listisch fassen, ist es wahr. Sophokles künstelt an der spräche. 



yiXoaoyia, 23 

und muls es bleiben, in wie weit diese ein Wirkung auch wirklich eine 
persönliche gewesen ist denn der leibliche verkehr ist für die einwirkung, 
die ein denkender mensch durch fremde gedanken erfährt, häufig selbst 
da unwesentlich, wo er statt hat, und erschliefsen läfst er sich aus 
den werken des beeinflufsten nur da, wo entweder persönliches berührt 
wird, oder aber wo es sich um einen menschen handelt, der vornehm- 
lich durch die dämonische gewalt seiner person gewirkt hat. dies letztere 
trifil so stark wie auf kaum einen zweiten sterblichen auf Sokrates zu. 
aber eben darum würden wir deutliche spuren seines geistes bei Euri- 
pides antreffen, wenn der immer noch von der gedankenlosigkeit be- 
hauptete verkehr der beiden grundverschiedenen greisen Athener statt- 
gefunden hätte, allerdings hat der gleiche hals, den sie gegen die beiden 
Verführer der Jugend empfanden, einzelne komiker (doch nicht Aristo- 
phanes"*") dazu veranlafst, Sokrates an den unsittlichen dramen mithelfen 
zu lassen^ und wie hätte sich die spätere klatschsucht es entgehen lassen 
sollen, diesen faden weiter zu spinnen^*), indessen hat einer der wenigen 
kritischen köpfe der griechischen gelehrsamkeit, Panaitios von Rhodos, 
bereits dieser fabel mit der nötigen entschiedenheit widersprochen, wenn 
auch nicht ohne selbst bedenkliche hypothesen zuzulassen^'). 

Sokrates war etwa 10 jähre jünger als Euripides und begann eine 
rolle nicht vor 430 zu spielen, als Euripides längst ein innerlich fertiger 
mann war. und wenn sie sich dann etwa bei Alkibiades begegnet sein 
sollten, so haben sie sich abstofsen müssen, der menschen jäger liegt 



40) Immerhin hat auch bei diesem der Unterricht des Sokrates den erfolg, dafs 
der Schüler die grofsen dichter der Vergangenheit für stümper erklärt und für die 
Wagnisse der euripideischen frauenbilder schwärmt, von da aus zu der erfindung 
der beihilfe des Sokrates ist nur ein schritt. 

41) Aelian Y H. n 13 erzählt, dafs Sokrates sonst selten ins theater gieng, aber 
wenn Euripides xaivols xQayqfdots i^ycovi^sro oder im Peiraieus aufführte, kam er. 
diese fabel ist auf die Verhältnisse seit der demosthenischen zeit zugeschnitten, wo der 
unterschied der xaivoi TQay(p8oi und der nalatd gilt und die üelQaia staatsfest 
sind; von beidem war zu Euripides zeit keine rede. 

42) Panaitios half sich bei stellen wie Frö. 1491, die in Wahrheit ganz irre- 
levant sind, mit der fiction eines doppelgängers, irepos ^coxpdrijs rßv Tiepi axijvds 
tplvAgatv, das ist auch in das yivos gekommen, denn s. 1, 10 Schw. steht in der 
zuverlässigsten handschrift (Vat. 1345) J^tox^dtijg 8k irepos a'ör^ doxet 6 ^iXö- 
ootpos xaU MvrjaiXo%os (^avfi)nenoirixivai rivd, da ist der zusatz irepos 6 <piXöao<pos 
an verschiedene Stellen des textes, dem es übergeschrieben war, hineingeraten, .die 
andern fassungen sind darauf zurückzuführen ; in den meisten ist aus Srepos iraZpos 
geworden und dann Soixpdrrjf in den genetiv gesetzt, ein zusatz ist auch 2, 5 yev' 
vridijvai Sh r^ airfj ^fi^pci \xal *EXXdvtxov\ iv f] ivlxcov — ol EXli]veS, 



24 Bas leben des Euripides. 

den lieben langen tag im gymnasium, Euripides grübelt in stiller grotte; 
-f jenes stolz ist das nichtwissen, dieser steht wie alle Sophisten auf Seiten 
der bildung und verachtet die d/Aad^la ; der philosoph traut auf die kraft 
des menschlichen willens, der das rechte tun wird, wenn er es nur 
erkennt: der tragiker sieht das grundübel in der schwäche des fleisches, 
welche die Verwirklichung der guten Vorsätze verhindert, flach und 
modern zu reden, jener ist Optimist, dieser pessimist. zwischen ihnen 
ist keine vermittelung. dafs aber beide grofse Athener das menschenherz 
kennen und kündigen, und dafs sie ihren blick mit Vorliebe auf sitt- 
liche Probleme richten, besagt nichts anderes, als dafs sie beide auf der 
höhe derselben geistigen entwickelung stehn und deshalb beide die folge- 
zeit beherrscht haben, höchstens mag man annehmen, dafs der Milesier 
Archelaos auf beide ähnlich gewirkt hat, denn er wird beider lehrer ge- 
nannt und gilt als erster philosoph über ethik; aber wir wissen nichts 
von ihm, und nach Theophrast ist sein werk verschollen gewesen*^), 
.wenn wir endlich bei den Sokratikem, oder vielmehr bei Piaton, über 
den Eros gedanken finden, welche an Euripides seltsam anklingen, so 
ist es einleuchtend, dafs Piaton eben von diesem anregungen erhalten 
hat^*), die sich mit den sokratischen nur in dem gegensatz gegen die 
grobe Sinnlichkeit decken. 

43) Nach Diogenes n 16 soll er das dlxatov xai äStxov vöfitp gelehrt haben, 
auf die formulirung ist nicht viel zu geben, aber dafs sich der satz mit seiner ent- 
wickelungslehre (Hippolyt. I 9 p. 564 Diels) gut verträgt, ist nicht geeignet, ihn zu 
discreditiren. die Wiederkehr des satzes bei Euripides aber spricht für ihn. ebenso 
ist man geneigt, dem Aetius starke Verwirrung zuzutrauen, wenn er sagt jiQ%iXaos 
äiga aal vovv rdv d'eöv, aö /uivroi aoo/uonotdv rdv voCv (I 7 p. 302 Diels): aber 
auch da gehen Euripides und der falsche Epicharm mit, vgl. über beide unten, viel- 
leicht hätte ich richtiger getan, alle diese lehren auf Aruhelaos bestimmt zu be- 
ziehen, und dann würde noch manches folgen, allein ich zog vor, das bild minder 
einheitlich zu geben, damit die einzelnen züge schärfer blieben. 

44) Die Prophezeiung (Med. 830), dafs am Eephisos die Eroten als ndgeS^ot 
der Weisheit walten, ist dadurcb in erfüllung gegangen, dafs Piaton neben dem 
gymnasium der Akademie seine schule gegründet hat, und in jener schon zu Euri- 
pides zeit die Jünglinge den Sophisten lauschten und der Erosaltar stand, der doppelte 
Eros ist wol wirklich schon in jenem Zeitalter von der speculation viel behandelt, 
übrigens ist die anregung auf Piaton von Euripides stärker als man annimmt, nicht 
blofs in einzelnen Wendungen der conversation wie adn ifids 6 /lüd'oSy oder die ioö- 
&€o£ rvQavvls (Tro. 1169 Staat 568^). wenn die seele des Odysseus tpdortfiias Xe- 
Xüf^xvta sich den ßlos dy9^d£ idttorov AnQdyfiovos aufsucht (Staat 620<^), so tut 
sie das im anschlufs an die worte, welche der euripideische Odysseus im prolog des 
Philoktet sprach (785) n&s 8 &v ^QovoiriVy tp ha^rjv AnQayfiövtoß iv roZat nol- 
XoXs ^^id'/uij/uip(p ar^aroiJ toov fisrao^etv T<p ao^furdrtp n^xv^^ wovon ihn die ^do^ 



fpikooofpla, 25 

Dagegen läist sich die für uns zufällig zuerst durch Alexandres von 
Pleuron ausgesprochene tradition nicht wol abweisen, dais Euripides zu 
Anaxagoras in persönlichem verkehr gestanden hat, und dieser hat in 
der tat sehr stark auf ihn gewirkt, der verkehr kann schon in Euri- 
pides Jünglingszeit begonnen und fast ein menschenalter gedauert haben, 
denn Anaxagoras lebte in Athen friedlich und still seinen Studien, dafs 
Euripides lehrsätze desselben berührt oder auch geradezu citirt, zeugt 
nur von seinem Studium des in weiten kreisen gelesenen buches, auch 
war Anaxagoras lange tot, als Euripides die berufensten stellen in der 
Melanippe (488) und im Chrysippos (836) schrieb, aber 438 läist er den 
chor der Alkestis (903) von einem Manne seiner Verwandtschaft erzählen, 
der als greis den tod seines einzigen sohnes gefafst ertragen hätte, 
damals war Anaxagoras ein greis, von ihm erzählt die legende das 
ri^eiv ÖTL 'd'VTjTÖv iyävvrjaa, wie freilich von manchem andern: wir 
dulden also, wie neuerdings vielfach geschehen ist, die legende als ge- 
schichte und Euripides als ihren zeugen betrachten, auch das hat man 
mit recht bemerkt, dais Euripides dem wegen gotteslästerung nicht sowol 
als wegen fxrjdiOfxög vertriebenen lehrer ein ehrendenkmal gestiftet hat 
in den versen (902) dXßiog öang T'^g ICTOQlag ia^e fidd^atv, jut^ts 
TtoliTCJV iTtl Ttrjfioatjvag fii^r^ eig döUovg rtQa^etg ÖQftßv, dlV 
d&avdvov y.O'S'OQcöv ^ijoewg nöofiov dyi^qo) 7t^ re avviazrj j^cö^^v 

Tiula abhält (786). iftk [v€r] ^''fj^rj xaXeV\ ya^tj äv dvrj^ ZQayixöe, ij el^ap- 
juivri sagt Sokrates Phaid. 115*. elfiaQfievrj sagt der tragiker nicht: aber Alkestis 
ruft 254 X.6lq(ov fi ifSrj xaXel' ri fiiXXeie; ineiyoVf ai> xareiQyeie» so citirt die con- 
yersation das erste wort eines allbekannten yerses. am meisten aber hat Piaton 
den Hippolytos gelesen, das motiv des Symposions, *'£}pcara Si rdv TÖQawov dv- 
Sgßv oi5 osßCCfifieVi stammt aus ihm, 538. in der wunderbaren Schilderung des tyrannen 
(Staat 573) entzückt das bild, wie die Umgebung die den werdenden mit nachgiebig- 
keit (Hipp. 462) und müfsiggang (Danae 324) verdirbt, ihm einen ^E^an schafft, <>n6- 
nxeqov xai /uiyav xrj<pfjv& riva, sie treiben es aber schliefslich so weit, dafs diese 
dröhne einen stachel bekommt und nun verderblich wird : deshalb heifst Eros n^^av- 
vo£. das ist eine Schilderung, die freilich einer entwirft, der selbst ein dichter ist, 
aber jenes chorlied des Hippolytos, das den Eros schildert nigd'ovra xai Sid ndoae 
lövra avfi<po^ds d'var&v, dzav i^^y schliefst mit dem nicht ausgeführten bilde 
dafs Aphrodite Seivd /uäv rd ndvr intnvBX* ftiXiaaa 8^ oXa rts nsTiöraraiy das 
man wol versteht, wenn man die definition der liebe iljdtoTov ravrdv dXyetröp &^ 
ä/ua hinzunimmt und andere andeutungen, das aber doch unverstanden geblieben 
ist: Piaton liefert die erklärung, weil der same in seiner seele aufgegangen ist. 
der Hippolytos, 374 ff., enthält auch die euripideische lehre von des fleisches schwäche, 
die den willen überwindet; auch diese schärfste formulirung des gegensatzes zur 
Sokratik hat Piaton aufgenommen, natürlich mit schärfster Verurteilung als ansieht 
der TioXXoi Protag. 352''. die stellen sind zu lang zum ausschreiben. 



26 I^as leben des Euripides. 

X&Ttcog'*^) ToTg dk rocot^roig o^ödiTtor^ alaxqQv igywv fielädrjfia 
TtgootCei, verse, in denen die apologetische absieht zu tage liegt, dafs 
sie auf Anaxagoras gehen, bestätigt sich dadurch, dafs diefser der typus 
des &€0)Qr]rixdg ßlog in älterer zeit ist. Eudeinos (ethik I 5) läfst 
ihn auf die frage rlvog ivt% &v %ig iXotro yevio&ai, fiälXov ^ 
ftifj yeviad'ai antworten rov ^ecoQfjaac töv odgavdv xal r^v tvbqI 
TÖv ölov xÖGfiov rd^tv, was eine seichte paraphrase für toi; d-eQCJQ^- 
aai TÖv xöcjiiov roiJ Ttavrög ist, weil der peripatetiker in xöcfiog 
nicht mehr die rd^tg hört, derselbe erklärt kurz vorher ein auch von 
Aristoteles (Eth. Nik. X 9) angeführtes wort des Anaxagoras, lawg qj€TO 
%dv l^covTQ dXi^Ttcog xal i^ad-aqQg Ttgdg rd dUatov ij rtvog S-ecoglag 
lioivcovoüvra -d-elag, tovtov, cbg ävd'Qwrtov elTtelv, fiaycdQiov eZvai, das 
entspricht ganz den euripideischen versen, und die persönliche Sympathie 
wird man in ihnen um so mehr anerkennen, als der dichter selbst nicht 
die ruhe hatte, auf den himmel statt auf die menschen zu sehen, freilich 
auch die friedlosigkeit im eignen busen durch den gegen satz doppelt 
fühlte, und als Athener nicht vergessen konnte, dafs er auf erden eine 
heilige heimat hatte, als philosoph ist Euripides keineswegs ein anhänger 
des Anaxagoras, sondern gibt mit derselben Zustimmung auch wider- 
jL. sprechende lehren anderer wieder, das princip der homoeomerie kommt 
nicht vor, und der vovg steht nach ihm neben dem Gcofia in durchaus 
dualistischem sinne. 

Ähnlich wie zu Anaxagoras steht Euripides zu Protagoras. auch 
ihn hat er nach seinem tode persönlich berücksichtigt, doch wissen wir 
nicht, ob verteidigt, auch seine tätigkeit fällt zum teil (bevor er nach 
Thurioi gieng) in Euripides bildsame jähre, auch hier erzählen die alten 
von persönlicher berührung ^®) , und sie scheint unabweisbar, weil die 
beeinflussung eine sehr starke ist und nicht die lehre angeht sondern 



45) Überliefert ist xai Stitj xal Snojs und die krasis, welche die euripideische 
metrik herzustellen fordert, ist nur eine orthographische änderung. allein Stz^ neben 
Tt^ ist, wie wol zugestanden ist, unmöglich, die leichte und elegante änderung von 
Tc^ in TIS kann kaum richtig sein, man verlangt notos, und die frage nach der 
qualität wird neben dem aorist avviartj unbequem, vor allem aber fragt die physik 
nach der dpx^i uiid diese frage mufs irgendwo gestanden haben, somit muXs öntj 
weichen, obwol ÖTirj xai dneos passend verbunden wird, noch von den archaisten 
wieder aufgenommen (Pilostrat der jüngere eixöves 16). 

46) In das haus des Euripides wird die erste Vorlesung von Protagoras gottes- 
leugnerischer Schrift verlegt (Diog. Laert. 9, 54): aber da ist die tendenz klar, den 
dichter des Bellerophontes mit Protagoras zu verbinden, wie er mit Kritias ver- 
bunden worden ist. 



^iXoaotpia, 27 

die methode. den subjectivismus des Protagoras bat Euripides zwar ge- 
legentlich berücksichtigt (Aiolos 19), aber nicht geteilt, und Ttdvrwv 
XQTj^dTcov fiivQOV dvd-QWTtog nicht in verse gebracht, wol aber hat er 
die kunst des dvrtXiyetv so sehr ausgebildet wie nicht einmal ein 
rhetor, und seine ganze technik ist davon durchdrungen, der leser hat 
immer damit zu rechnen, dafs in jedem einzelnen Spruche nur einer der 
beiden Xöyoi. zu worte kommt, die es von jeder sache gibt; was der 
dichter wirklich meint, kann aus einer äuTserung nicht abstrahirt werden. 
Zu Prodikos sind berührungen nicht nachweisbar: denn die ety- 
mologischen spiele, an denen Euripides seine freude hat"), und die er 
wenigstens in seinen letzten 20 jähren mit gröfserem ernste vorträgt als 
die andern dichter, weisen vielmehr auf die ÖQ-d-oirteia des Protagoras 
und auf Heraklit zurück, die Synonymik des Prodikos, die Piaton im 
Protagoras persifflirt und Thukydides ernsthaft anwendet, kommt wol 
nirgends vor. Gorgias trat erst 427 in Athen auf; seine schüler sind 
Thukydides und Antiphon geworden, Euripides war dazu zu alt. seine 
speciell rhetorische technik weist vielmehr auf Thrasymachos^*). indessen 
ist an der sophistik ja nicht der einzelne name von bedeutung. was 
sie im ganzen leistet, die Verarbeitung und vermittelung der philoso- 
phischen und überhaupt wissenschaftlichen gedanken, welche die einzelnen 
grofsen denker in der einsamkeit gefunden hatten, und die dialektisch 
rhetorische Schulung, welche dem redner wie dem Schriftsteller erst die 
zunge löste, ist nicht an einen einzelnen gebunden, die hippokratische 
Sammlung und die dorischen dcaXi^etg lehren das am besten, und so 
ist Euripides einfach als sophist zu fassen, und nicht nach den etwaigen 
Vermittlern sondern nach den Urhebern der gedanken zu fragen, welche 
er vorträgt, so mag ihm die kenntnis des Herakleitos durch bekenner 
von dessen lehre zuerst vermittelt sein, die in Athen nicht fehlten: dais 
er sein buch selbst gelesen hat, ist ganz unzweifelhaft*^), ebenso hat 
er Xenophanes gekannt"), allein bezeichnender weise bezieht er sich 
nur auf dessen polemik gegen die Vorstellungen und Wertschätzungen 
der menge: die lehre vom ewigen sein und der monotheismus wird nicht 
berührt, und von einer benutzung des Parmenides oder der sophistischen 



47) Vgl. zu V. 155. 

48) Vgl. zu V. 336. 

49) Vgl. zu V. 101. die fabel hat das schlief slich so weit ausgesponnen, dafs 
Euripides nach Ephesos reist, die bei der Artemis deponirte schrift des Herakleitos 
auswendig lernt und einem erwählten kreise mitteilt und erläutert; Tatian 3. 

50) Vgl. zu V. 1346. 



28 Bas leben des Euripides. 

Verbreiter der eleatischen lehre, Zenon und Melissos, ist keine spur, die 
zeitgenössischen philosophen kennt er wenig, auf Empedokles deutet 
nichts. Diogenes \on Apollonia wird nur einmal so berücksichtigt, dafs 
das Schlagwort seines systemes in einer auf Zahlung von öö^ai erscheint**). 
Leukippos ist, wie zu erwarten, unbekannt: denn die bei Demokritos 
allerdings stark hervortretende ansieht von der gewalt des vöfxog als 
des nicht im wesen ruhenden conventionellen hat nichts mit der atomen- 
lehre zu tun : das kann ebensogut von protagoreischem und auch von elea- 
tischem Standpunkte vertreten werden; wahrscheinlich stammt es von 
Archelaos. Euripides hat es, wie natürlich, sehr fruchtbar gefunden und 
bis in die letzten con Sequenzen verfolgt (Hek. 799). die orphischen 
poesien waren ein attisches erzeugnis; sie hatten stark auf Pindaros ge~ 
wirkt, einigermafsen auf Aischylos: dafs Euripides sie kannte, ist natür- 
lich, und er hat zwar an sühnungen und ihren einfluTs auf das leben 
im jenseits nicht geglaubt**), auch dem Widerwillen der menge wider 
ihr Pharisäertum mit Wohlgefallen worte geliehen (Hipp. 953), aber in 
den Kretern ihre doctrinen im feierlichsten ernste behandelt, schon dieses 
führt auf die Pythagoreer. Euripides redet zwar nicht von der zahl noch 
von der harmonie, auch nicht vom sündenfall der geister und der seelen- 
wanderung. aber er hat nicht nur auf einen ethischen ausspruch des 
Pythagoras so bestimmt verwiesen, dafs er die existenz einer schrift 
unter Pythagoras namen zu bezeugen scheint*'), sondern er hat mehr- 



51) Tr. 884 y^e 6%rifjta xdni yrjs M^cov iSpav Zs'ös Hippokrat. n, yvadiy 3 
W^) yv^ ^X^^f ^^^ ^^* ®^® schöne entdeckung von Diels. 

52) Überhaupt an kein leben nach dem tode. r/ff olSev ei rd ^rjv fihv Man, 
xard'aveiv gehört in die heraklitisehe lehre; der so ganz modern anmutende spruch 

f Hipp. 194 constatirt nur das ewige rätsei, auf das er nicht mehr antwort gibt als 

Hamlet. 

53) Fgm. 392 (Theseus spricht; drama unbekannt, d. h. Aigeus Theseus Hippo- 
lytos I möglich; da der spruch für einen knaben nicht pafst, wol der letzte) iydt 
Sk Toüro noQä aofpov rivds ua&cbv is <pQovri8as vovv avfi^OQds t ißakXdfiriv 
^vyds r iuavTw TtQoori&eis ndrgas i/urfe &avdrovs r* dt&Qovs xcd xaxaiv äXXas 
dSo-öSt *V , €^ Ti nda%oifi* c5v iSöia^ov tpQevl^ fii^ ftoi ve&peQ Ttqoaneaöv fidXlov 
ddxvoi. Poseidonios (auf den das citat bei Cicero, Galen, Ps.-Plutarch an ApoUon. 
zurückgeht) hat in Anazagoras jenen weisen gesehen, doch ohne anhält, das richtige 
hat Cobet entdeckt: Jamblich vit. Pyth. 196 ^v avrole na^dyyeXfia, ebe o^dkv Set roiv 
dv&Qtonlvcav ovfinrtofidrcav dn^oaSöxijrov elvai na^ä roXs roifv M^ovai, das steht 
hier in einer partie, deren herkunft unbekannt ist; wahrscheinlich stammt es von Ari- 
stozenos. die benutzung einer Pythagorasschrift durch beide ist nicht abzuweisen, aber 
es ist auch durchaus verkehrt, diese «f^e als junge fälschungen zu betrachten, die 
reste bei Diogenes zeigen ja ionischen dialekt, der zwar dem Samier und dem philo- 



(ptXoaofla. 29 

fach eines der gedichte berücksichtigt, welche auf den namen des Epi- 
channos giengen**). seine eigene ansieht von den dgxcclf ein dualismus 

söphen des 5. jahrhanderts zukommt, aber zu der zeit des Archytas schon un- 
denkbar wäre : damals war diese ionische pflanze längst für das Dorertum reclamirt. 
die herstellung des pythagoreischen evangeliums ist eine schöne aufgäbe: denn er- 
sichtlich gehört die älteste schiebt der wunder, z. b. die daunische wölfin, auch in 
80 gute zeit hinauf. 

54) Die wichtige sache wird verkannt ; es soll kurz der beweis gegeben werden. 
Epicharm: vä(ps xai /uäfivaa^ dntareZV äp&^a ravra räv fpQEvtöv (zuerst von Poly- 
bios citirt, damals schon fliegendes wort) : Eur. Hei. 1650 athffqovoi S* äntoTlas ovx 
Mar IV aöSiv ^^rjaifK&re^ov ßQoroie, Epich. emori nolo: sed me esse mortuum nil 
aestimo (Cio. Tusc. I 15, griechisch nicht herzustellen): Eur. Herakl. 1016 &areiv 
fihv ot5 tQXiioD* XiTctbv S* äv o'dSäv äxd'oifiriv ßiovy wie das vorige als schlufseffect 
längerer rede. Ep, awex^i&fj xai 8iexQi&rj xdnrjX&av ö&ev fjXd'ev ndXiv, ya fikv 
eis yävy nvev/ua 8^ &vm' ri rßvSe %aXen6v; o'vdh iv. (Consol. ad Apoll. 110*) 
dasselbe Eur. öfter, z. b. Hik. 533. wo haben diese epicharmischen Sprüche gestanden? 
komödien hat Eur. nicht citirt und wahrlich auch Xenophon nicht, der Mem. II 1, 20 
(vgl. Hell. VI 1 15, damit man das athetiren lasse) epicharmische Sprüche anführt« 
es gab ja aber yvßfiai^ welche nach dem durch Apollodor (bei Athen. 648 <^) er- 
haltenen urteil des Philochoros von einem gewissen Axiopistos herrührten, allein 
ob das Sittensprüche waren ist fraglich. Philochoros besprach sie in dem buche 
über mantik zugleich mit einem xavtbv^ und als traumdeuter nennt Tertullian de 
anim, 46 Epicharm neben Philochoros, so dals man diese Schriften eher unter die 
technischen pseudepigrapha rechnen möchte, die es auch über tierarzneikunst u. dgl. 
unter Epicharms namen gegeben hat. nun hat aber schon Aristozenos (wie Apol- 
lodor am gleichen orte bezeugt) eine nohreia unter Epicharms namen gekannt, so 
dafs der sonst nahe liegende verdacht schweigen mufs, dafs die aus dieser citirten 
Sprüche aus alexandrinischer zeit stammten und ihre Verherrlichung des d'eZos Xoyos, 
von dem ein teil der menschliche ist (Clem. ström. V 719), stoisch wäre; auch zeigt 
ein von Clemens zugleich angeführter vers, dafs dieser loyoe oder vielmehr seine 
betätigung, Xoy^Ofiös^ mit der zahl gleichgesetzt wird, wir also in pythagoreischer 
gegend sind, wenn auch der einflufs des Anaxagoras kenntlich ist: denn v6o£ dpfj 
xai v6o£ äxoiisi, räXXa xonpA xai rv(pXd (zuerst citirt von Aristoteles probl. XI 33 : 
nicht von Piaton Phaid. 65*», der auf einen wol euripideischen tragikervers geht) 
gehört offenbar eben dahin, nun tritt wieder Euripides ein. Hei. 122 a'urds yäg 
öoaois sidöfirjVf xai vovs ÖQq, das tilgt man, weil man die beziehung verkennt, die 
echte Helene fragt den Teukros, ob er ihre doppelgängerin gesehen habe, der sagt 
*so wie ich dich jetzt mit äugen sehe', sie wirft ein *es kann ein trugbild gewesen 
sein', er weist das rund ab. sie Mhr traut also ganz auf die Zuverlässigkeit der 
erscheinung?' (spiel mit 8öxijois, vgl. zu v. 287). er 'ja ich habe sie mit eignen 
äugen gesehen, und der vovs sieht', d. h. weil der vo€s sieht, ist keine Söxrjais, xpevSfjs 
dö^a möglich. Helene verstummt : sie kann nichts ausrichten, wenn die sinneswahr- 
nehmungen gelten sollen, weil die sinne nicht sehen, sondern die infallible vemunft. 
aber der dichter widerlegt die misdeutung des epicharmischen wertes durch die 
tat: Teukros täuscht sich doppelt, sein rove hat die falsche Helene anerkannt, die 
echte verworfen, allerdings ist die Helenestelle nur durch eine beziehung auf etwas 



30 ^a^ leben des Euripides. 

von geist gott aether und stoff körper erde, ist ein compromiTs zwischen 
der Philosophie des Ostens und der theologie der heimat und des Westens, 
das hauptprincip seiner ethik^ die macht der qföaig, der intellectuellen 
und moralischen Veranlagung des einzelnen, ist wol durch die verschie- 
denen philosopheme ^beeinflufst: aber gewonnen hat gerade dieses der 
menschen beobachtende, leidenschaften nachempfindende dichter, er ist 
natürlich kein schöpferischer philosoph ; aber kein anderer kann uns von 
dem, was der forschungsdurstige Athener kannte und las, eine Vorstellung 
geben: und q)LX6aocpog im echten sinne ist er auch, ob wol er auch 
GocpLOTT/^g ist, im echten, wie im üblen sinne. 

aufser ihr verständlich, aber wer hat das recht so etwas zu zerstören? Euripides 
führt noch weiter, er kennt die lehre, welche den vovs ßQor&v als gott betrachtet 
(Tro. 887, fgm. 1007), allerdings subjectiv gewendet, aber der Übergang ist leicht, 
und auch Epicharm sagt (Stob. 37, 16) d XQÖnos ävd'Qt&noiai dai/ntov dya&öCy ole 
Si xai xaxöe. und es geht noch weiter, den Epicharmus des Ennius als etwas anderes 
zu denken als eine Übersetzung eines griechischen buohes ist ganz wunderlich. So- 
tades Archestratos Euemeros erhalten einfach ihren genossen, und terra corpus estf 
at mentis ignis est (5) stimmt vollkommen, hier war Ceres als die erde gedeutet (4) : 
^rififfirriQ d'ed^ yrj S* Motiv , Övofia S* önöreQov ßoiilji xdksi sagt Eur. Bakoh. 276. 
und luppiter war zwar aer genannt, aber als wind und wölken gedeutet. Eur. fgm. 935 
ö^äe rdv "örpov rövS' dnelQov^ ald'i^a xai yrjv ndpti Mxovd'* 'öypaie iv dyxdXaie. 
roürov vöjui^e Zfjva^ rövS* ^yoü ■d'eöv, feucht sind seine Umarmungen, also ist nicht 
die feurige luft gedacht, und die differenz zwischen di^Q und aid^p ohne belang, 
wie so häufig und schon von alter zeit her. Ennius nennt die principia mundi 
aqua terra anima sol (3): Epicharm bei Menander die götter dvi/uove ^Satp yrjv 
ijliov nü^ dari^as. wahrlich es geht doch alles zusammen, und wir erkennen ein 
lehrgedicht Epicharms, wie die vita bei Diogenes es auch verlangt, ein äufserliches 
kriterium tritt hinzu, nach Diogenes hatte sich Epicharm sein autorrecht durch ein 
akrostichon gesichert, dafs Ennius sich desselben spiels bedient habe, bezeugt Cicero 
de div. n 111: wir sehen, woher er die kunst hatte, die form war nach Ennius 
der träum ins jenseits entrückt zu sein (1). Alkimos, der freund Stilpons, führt die 
schlufsverse an, wie man glauben möchte, worin Epicharm prophezeit 'einst wird 
jemand meinen versen das maTs, das sie nun tragen, ausziehen, ihnen ein purpur- 
gewand anlegen, es mit schmucken Worten ausstaffiren und so, selbst schwer bezwing- 
lich, zeigen, wie leicht die andern zu bezwingen sind*, da haben wir in Wahrheit die 
entschuldigung des fälschers. denn er vindicirt dem alten Epicharm die neuen lehren, 
er wendet fälscherkunststücke an, ihm den rühm zu sichern, und die priorität wahrt er 
ausdrücklich, er zielt hier wol auf einen bestimmten Sophisten, den ich nicht zu 
benennen wage, der Verfasser (Chrysogonos 6 aiXijTiJ£ nach Aristoxenos, was der 
zeit nach sehr gut möglich ist, da dieser 408 auf der höhe des ruhmes stand, Athen. 
XTT 535 <*) hat von Pythagoras, Anazagoras, Prodikos gelernt. Euripides kennt sein 
gedieht seit 430 etwa: nicht viel früher kann es entstanden sein, es ist ein sehr 
merkwürdiges product: noch manches ist davon zu sagen, doch genüge hier der 
uachweis seiner benutzung durch Euripides, worin der nachweis des alters liegt. 



loroQia, 31 

Es ist jedoch eine bedeutende einschränkung nötig, denn eine laroQia, 
Seite der zeitgenössischen geistesarbeit hat Euripides so gut wie ganz 
vernachlässigt, die laroglrj ins weite, fremder Völker sitten, fremder 
länder wunder kennen zu lernen ist er nicht beflissen ; mit geographischen 
namen zu prunken verschmäht er"); kaum eine spur deutet darauf, 
daTs er die geographische und die mit ihr meist zusammenfallende histo- 
rische litteratur der lonier gelesen hätte**), er hält es auch hierin wie 
Sokrates, nicht wie Sophokles, der freund des Herodotos"). Aischylos 



55) Bei Eur. wundert man sich schon, wenn er einmal in der weise die Pindar 
geläufig ist statt der grenzen der weit Atlas imd Pontes (zu y. 234) oder Phasis 
und Nil (Andr. 650) nennt, wo es eine besondere Wirkung macht, erscheint natür- 
lich auch solches wissen, die vorzügliche Schilderung Messeniens im Kresphontes 
(1068) hat eine politische spitze; Sparta besitzt die schönste landschaft widerrecht- 
lich, und die Messenier fordern ihre zurückführung. dafs Iphigeneia am baumlosen 
gestade, in der südrussischen steppe, sich nach den hellenischen gärten und 
hainen sehnt (134, 229), ist durch die localfarbe sogar dem suchen Griechenlands 
im schatten des dichtbelaubten haines überlegen, die sicilische expedition macht 
die dortigen maulesel (Tr. 222 ö^^s, auch Soph. OK. 313 Airvaia nwloo) und das 
d'avudaiov des thurischen Krathis (Tr. 227) interessant, der hain von Knosos in den 
Kretern mit dem uralten blockhaustempel hat gewifs auch localen bezug, aber auch 
besondere bedeutung. einen starken Irrtum über die läge von Kelainai rügt Strabon 
(Xm 616. fgm. 1070), beziehung unbekannt, zwar schwerlich den magneten, aber 
doch einen stein von Magnesia hat Eur. in einem gleichnis erwähnt: sicher den 
magneten Sophokles (oben s. 12). auffällig ist in den Troerinnen 1075 der phry- 
gische Zeuscult auf dem Ida ; doch hängt dies mit dem vorhergehenden zusammen, wo 
der Ida der ort heilst, den die sonne zuerst bescheint: in der tat haben astronomen den 
Sonnenaufgang dort beobachtet piodor XVn 7, Lucrez V 663), offenbar gelegent- 
lich des phrygischen höhendienstes. auffällig ist auch in den Bakchen die Sehnsucht 
nach Kypros, wobei die rieself eider von Paphos geschildert werden (406). man 
möchte denken, dafs der dichter sich hier als Athener aus dem versinkenden Reiche 
fortwünscht in irgend einen winkel, den das kriegsgetöse nicht erreicht, wo dann 
Kypros und Makedonien nahe lagen, er ist nach dem letzteren gegangen, Ando- 
kides z. b. nach beiden. 

56) Strabon (XI 520) sagt, er wolle noch ein par berufene vö/uifda ßa^ßagtud 
erwähnen, z. b. dafs ein volk bei sich als sitte übe rd E-v^miSeiov ^rdv <pi5vra 
d'Qrjvetv* u. s. w. (Kresphont. 452). moderne haben das umgedreht und lassen Euri- 
pides aus Herodot Y 4 schöpfen, das würde berechtigt sein, wenn er sich auf 
irgendwo ezistirende sitte beriefe: so stellt er sich nur in schroffsten gegensatz zur 
heimischen, für den gedanken aber bedurfte er keiner anregung von aufsen: /a-fi 
yvvat. xQdnorov, rd ^fjv xard'aveXv legte den schlufs nahe genug. 

57) Abgesehen von den bekannten beziehungen auf Herodotos, unter denen die 
Intaphemesgesohichte nur eine ist (geschrieben nicht um Herodot zu huldigen, an 
den niemand denken sollte, sondern weil Sophokles die geschichte hübsch fand) 
wirft Sophokles mit geographischen namen fast wie ein Bömer um sich. Phasis und 






32 Bas leben des Earipides. 

hatte sein volk durch ganze geographische excurse, wie die fahrten der 
lo und des Herakles, unterhalten; besonders lebhaft aber gab er die eignen 
eindrücke wieder, die der weitgereiste empfangen hatte, so vom feuer- 
speienden berge und den thrakischen pfahlbauten (Pers. 870). auch das 
fehlt bei Euripides, der wol nicht weit herum gekommen ist**), die nach- 
bargegenden, zumal die cultstätten Dolos Delphoi, Trozen Argos Theben, 
schildert er mit besonderen localen beziehungen und bezeichnungen, 
sicher verstanden zu werden, von Korinth mochte man 431 wol nichts 
hören: die Medeia könnte ebensogut vor jedem schlösse spielen, aber 
auch Pherai*') und Pharsalos^), die Chersones, die doch kleruchenland 
war, und gar der Aetna **•) sind eigentlich gar nicht gezeichnet, die 
Helene spielt in Aegypten, aber nicht das mindeste localcolorit ist aufge- 
tragen®'), während Sophokles die gelegenheit bei den hären herbeizieht, 

Istros treten auf als typen für einen grofsen ström (OT 1227), indisches gold und 
Bardisches elektron als typen orientalischen reichtums (Ant. 1037), der wein von 
Italien (Ant. 1119, dies vielleicht wegen Thurioi), das gold vom Paktolos (Phil. 391), 
das menschenopfer an Bai (Andromeda 622), der byzantische tunfisch mit seinem 
locaten namen (fgm. 460). ein d'aviudaiov aus Euboia wird in vielen versen be- 
schrieben (Thyest. 235). die xXtjrtxol vfivoi putzen sich vollends mit diesem billigen 
zierrat, Ai. 693 soll Pan von Kyllene konmien, nysische knosische tanze zu lehren, 
ApoUon über Ikaros von Delos. Ant. 1115 der Thebaner Dionysos nach Theben, er 
der herrscher in Eleusis und Italien, in der korykischen grotte über der Kastalia und 
in Nysa. der Triptolemos gab eine ganze periegese der otxov/uivrj im stile der aischy- 
leischen, aber noch viel umfassender. 

58) Ein gewisser Eparchides hatte in einer specialschrift über Ikaros (Athen, 
n 61) ein epigramm mitgeteilt, das Euripides bei einem gelegentlichen besuche auf 
der insel gemacht haben sollte, es ist ein recht schlechtes gedieht, denn es nennt 
die namen der toten nicht und auch nicht die todesart. Eparchides wufste aber zu 
sagen, dafs es einer frau galt, die mit drei kindem an dem genusse von giftigen 
pilzen gestorben war. auf einem grabe kann es neben den namen allenfalls ge- 
standen haben, in diesem falle hätte Eparchides eine ciceronefabel aufgezeichnet, 
für die sowol das sujet wie der berühmte dichtemame trefflich passen, wir wissen 
aber gar nicht, ob nicht Eparchides selbst schwindelte. Euripides steht als ver- 
fertiger von epigrammen so gut wie sonst Homer, Sappho, Archilochos : ernsthaft ist 
all das nicht zu nehmen. 

59) Die localfarbe der Alkestis, soweit sie da ist, gehört der quelle, Hesiods Eoee 
von Asklepios, an. dafs v. 835 eine strafse von Pherai nach Larisa erwähnt wird, 
heifst gar nichts, eine bestimmte angäbe mufste gemacht werden; ob Larisa oder 
Pharsalos oder Krannon genannt ward, war einerlei. 

60) Das Qerideiov ist zwar eine wirkliche örtlichkeit und wird genau bezeichnet, 
weil es dem publicum fremd war. aber das war von der sage, wenn auch nicht 
der Andromachesage gegeben, denn es stand bei Pherekydes, schol. 18. 

61) Vgl. zu V. 639. 

62) Die üeQoicos axontai 769 sind zwar an der aegyptischen küste localisirt, 



laroQia, 33 

ein aegyptisches vöfiLfiov aus seinem Herodot anzubringen (OK 337). 
nur die neue makedonische Umgebung hat dem greisen dichter nicht 
nur besondere localschilderungen eingegeben, sondern hat ihn auch 
empfänglich gemacht für den zauber der freien natur mit wald und 
wasser und wild, den ja am meisten der von der friedlosen civilisation 
und dem getriebe der grofsstadt abgehetzte empfindet®'), in dieser hatte 
Euripides sich sein langes leben bewegt, hier hatte er beobachtet, ohne 
sich in ihren Strudel selbst zu stürzen, dennoch ganz in ihren kreis 
gebannt, und gewohnt mit seinen gedanken in die tiefe zu dringen^ 
nicht in die weite zu schweifen, am gastlichen tische des Ion in Chios, 
gar als feldherrn mit diplomatischem auftrage, könnte man sich ihn so 
wenig denken wie den Sophokles mit Protagoras im Herakleitos lesend, 
aber auch mit Perikles und Anaxagoras ein physisches problem erörternd 
ist er nicht zu denken: alle die physikalischen einzelfragen interessiren 
ihn nicht im mindesten, selbst die [leTewQa nicht, wenn er auch einmal 
die sonne eine xqvaia ßcoXog nach Anaxagoras nennt (Phaeth. 777 
Or. 983). und wenn er im Phaethon einen lieblichen sternmythos dramati- 
sirt, so vermenschlicht er ihn ganz: selbst für die wunder des gestirnten 
himmels, die den Hellenen so besonders religiös stimmten, hat er nicht 
entfernt die innige liebe wie seine landsleute Sophokles und Piaton, 
geschweige wie die sternliebenden Aioler*^). 

(Herod. 11 95), werden hier aber wegen der unmittelbar vorher gegebenen tragödie 
Andromeda erwähnt. 

63) Diese Stimmung weht zwar durch die ganzen Bakchen, deren ohor eben 
deshalb gewählt ist, besonders aber in dem ausgeführten bilde 866: das reh, das 
dem Jäger entronnen ist, springt fröhlich in der Waldeinsamkeit über die wiese. 
Pieriens natur schildert er 409, 565, die ströme von Pella 571, in leider heillos ver- 
dorbenen versen. er scheint gegen B 850 zu polemisiren. denn dort heilst der 
Axios der ström mit dem schönsten wasser, hier wird der ^A^ids cöxv^öae genannt, 
aber unmittelbar darauf dem Ludias das schönste wasser zugeschrieben — wenn nicht 
noch ein dritter flufs genannt war, denn nach der ganz ähnlichen stelle Hekab. 454 
erwartet man den Apidanos. 

64) Er bringt es selten über ein bild, das schön aber herkömmlich ist, wie 
"Eca Xevxdv öfxfia^ oder Hik. 990, Andromeda 114, Ion 82. etwas selteneres ist der 
vergleich mit einer Sternschnuppe fgm. 961. Sternbilder auf schildern oder tapeten, 
eine geschichte, wie die umkehr des sonnenwagens bei den thyesteischen greueln 
(Or. 1000) beweisen nichts für das naturgefühl des dichters. und wenn er einen 
geblendeten sich sehnen läfst hinaufzufahren zu den hellen lichtem von Orion und 
Seirios (Hekab. 1100), so ist das wundervoll aus der seele dessen, der ewige nacht 
schaut, empfunden, aber keine ne^i tA ueriof^a TioXvTt^ayuoa^vtj. sehr verkehrt 
haben also die antiken Verteidiger des Rhesos sich darauf berufen, dafs hier aller- 
dings 531 eine seltsame constellation geschildert wird, und Iph. Aul. 5 ist eben 

V. Wilamowltz I. 2. Aufl. 3 



34 ^^s leben des Euripides. 

Historische Studien in gewissem sinne forderte von dem tragiker 
sein beruf, denn er behandelte ja einen o^v löyog; nur schöpfte er die 
nötige kenntnis in erster linie bei seines gleichen, es versteht sich von 
selbst, dafs Euripides das epos, Homer und Hesiod, in der weise studirt, 
wirklich studirt hat, wie man es damals konnte, an der band der da- 
maligen Homerphilologen, der rhapsoden. die spuren dieser Studien sind 
schon bei Aischylos in seinem eignen wortgebrauche nachweisbar, und 
so bei allen spätem dichtem, der anschluTs an bestimmte einzelne Homer- 
verse ist aber bei Euripides seltener als bei den andern tragikem. auch 
hat er nur im satyrspiel Kyklops eine einfache dramatisirung einer 
homerischen geschichte geliefert, was Aischylos mit dem kernstück der 
Ilias n — ß, Sophokles wahrscheinlich mit teilen der Kyprien, der kleinen 
Ilias und Odyssee getan hatte, die Troerinnen vereinen zwar eine anzahl 
scenen der TLiqOLg in der art der Vivenziovase, allein der reiz liegt hier 
in der vollkommen verschiedenen beleuchtung, die bei Euripides eine 
troische ist übrigens ist für uns die vergleichung des dramatischen Stoffes 
mit dem epischen nur in den seltensten fällen möglich, da wir die sage 
nur in der fassung zu kennen pflegen, die herrschend ward, und das 
ist die dramatische oder gar eine jüngere, so dafs wir das epos erst 
durch das drama einigermafsen kennen lernen, nakte facta, wie sie 
z. b. die hypothesen bei Proklos liefern, sind für solche vergleichungen 
unergiebig, dafs aber bei Euripides die epischen stofle, selbst wenn man 
die kühn umgestalteten mitzählt °^), zurücktreten, lehrt ein blick auf 
Welckers tragödien. 

Die nächsten Vorgänger der tragiker waren eigentlich gar nicht die 
epiker, sondern die chorischen lyriker, und von deren compositionen 
waren viele, wie die nachbildungen der komödie zeigen, allbekannt. 



auch nicht von dem dichter Euripides. dafs wir an unserm himmel die personen der 
euripideischen Andromeda sehen, hat er allerdings bewirkt, aber nur dadurch, dafs er 
eine vorhandene geschichte dramatisirte, deren herkunft unbekannt ist und die über- 
haupt Singular ist und wenig hellenisch aussieht, gegenüber Euripides sehe man 
wie Sophokles das überkühne wagnis begeht, die aufzuckenden stralen der morgenröte 
'die wimper des tages' zu nennen (Ant. 102) und vom wechselnden monde (fgm. 786), 
der ewig kreisenden bärln (Tr. 130) ein gleichnis nimmt. 

64) Vgl. was unten über Phoinix beigebracht wird, am klarsten ist die geniale 
freiheit des dichters im Aiolos. die Odyssee erzählt, dafs der könig der winde, der 
auf einsamer insel lebt, seinen söhnen seine töchter zu frauen gegeben hat, ganz 
unschuldig, wie Adam das auch getan hat. das greift Euripides auf und hängt das 
ganz moderne problem daran, die geschwisterliebe, die blutschande, das problem das 
Byron und seine zeit so tief beschäftigt hat, ein problem von ewiger bedeutung. 



laroqia, 35 

hatten auch in die schule eingang gefunden, natürlich kannten sie die 
tragiker um so besser, allein weder im stofflichen noch (was aber wol 
an unserer kenntnis oder erkenntnis liegen wird) im formellen findet 
sich aufser ganz vereinzeltem und gelegentlichem eine beziehung zu Pin- 
dar'*) Simonides Bakchylides. wir kennen ja nur Pindar, können daraus 
aber den grund wol abnehmen. Pindar neuerte nicht viel, wo er es tat, 
selten glücklich, auTserdem ist er durch seine engen zwecke bestimmt, dafs 
aber mit der ganzen sagenweit, in der er lebte, die Athener sich nicht 
stark berühren, liegt in dem politischen, landschaftlichen, noch mehr dem 
gesellschaftlichen gegensatze. für Simonides trifil dies nur beschränkt 
zu; aber von ihm wissen wir gar zu wenig. 

Ganz anders stehen die Chalkidier, Ibykos*^) und zumal Stesichoros. 

66) Die ImaQal ^Ad'ävai des pindarischen dithyrambus waren fliegendes wort, 
wie Aristophanes (Kitt. 1329) hat sie auch £ar. öfter, schon Alk. 452 und noch I. T. 
1130. das wort Xmagös war aus :dem hohen stile geschwunden, Soph. hat es 
nie, Eur. nur im satyrapiel. eine mythische beziehung hat ein gescheidter gram- 
matiker zu Androm. 796 aufgedeckt. Eur. lälst dort seinen chor zu Peleus sagen 
'jetzt glaube ich, dafs du in Troia mit Herakles und auf der Argo gewesen bist', 
das letztere ist eine gewöhnliche sage, das erstere war eigentlich notwendige folge 
Yon der durch die Aegineten aufgebrachten beteiligung Telamons an dem troischen 
zuge des Herakles, aber es findet sich sonst nicht ausdrücklich erwähnt, da bringt 
nun der scholiast eine Pindarstelle bei, welche auch beide züge vereinigt, und da 
Eur. den chor ausdrücklich seine Zustimmung zu der ihm also vorher bedenklichen 
geschichte aussprechen läfst, ist die Vermutung wol richtig. — die Khesosfabel hat 
Pindar so behandelt, dafs eine gewisse Verwandtschaft mit dem Stoffe der tragödie 
nicht zu verkennen ist (schol. X 435), aber das sind gemeinsame sagenzüge: der Ver- 
fasser des Bhesos hat Pindar nicht benutzt; wie viel verständiger würde sein stück 
geworden sein, wenn Bhesos wirklich, wie bei Pindar, einen tag lang die Achaeer 
besiegt Hatte ,^ statt blofs zu renommiren. dagegen hat der Schauspieler, der den 
zweiten falschen prolog verfertigt hat, seine personen, Hera und Athena, von Pindar 
entlehnt, was recht interessant zu wissen ist. 

67) Die schollen irren zwar, wenn sie in dem geschicke der Helene und der 
Polyxene bei Euripides einflufs des Ibykos (fgm. 35. 36) sehen, denn das ist schon 
epische sage; aber eine sehr merkwürdige anregung ist kenntlich. Apollonios HI 158 
schildert den abstieg vom Olymp auf die erde, es ist ein platz vor dem tore, neben 
dem garten der götter: von da schwingt sich Eros wider Medeia herab, der scho- 
liast bemerkt dazu, es wäre eine nachbildung eines liedes von Ibykos an Gorgias, 
worin zuerst der Kaub des Ganymedes und dann der des Tithonos vorkomme, also 
Ibykos verglich die Schönheit des von ihm oder seinem auftraggeber geliebten Gorgias 
mit den beiden Troerknaben, welche himmlische liebe in den Olymp entführt hat. 
Eur. Tr. 820 klagen die Troerinnen ihr leid dem Ganymedes, der in heiterer Schön- 
heit neben Zeus blüht, während sein Vaterland verwüstet wird, dann wendet sich 
das lied an Eros, der die himmlischen zu den Dardaniden herabgeführt hat, rd ftkv 
oiv jiJids o^Kir dvet$o6 i^coj aber auch Tithonos ist von Eos in einem stemenwagen 

3* 



86 Bas leben des Euripides. 

der dichter, welchem die tragiker die Atreidengreuel, Euripides eine so 
gewalttätig neuernde sagenform wie die seiner Helene verdankt, hat 
ohne zweifei noch viel häufiger bestimmend eingewirkt, aber die ver- 
suche genauerer nachweisungen sind nicht nur bisher wenig glücklich 
gewesen, sondern auch kaum von der zukunft zu erwarten, da keine 
Vermehrung des materiales in aussieht steht. 

Elegie und iambos wurden in den schulen gelesen, waren äuTserst 
populär, es finden sich auch einzelne bezüge auf sie bei den tragikern ^^), 
aber eine tiefere anregung war hier nicht möglich, die lieder der Lesbier 
und Anakreons standen ähnlich, wenn auch von jenen wie von Alkman 
wol nur einzelne lieder populär waren®®), mythisches konnten sie wenig 
geben, und die künstliche metrik wird nur noch hie und da eine an- 
regung aus ihren einfachen weisen geschöpft haben, während allerdings 
Aischylos bei Anakreon nachweislich gelernt hat. vielleicht wird sich aus 
geschichtlicher betrachtung der metrik noch mehr ergeben. 

Stoffliche ausbeute würde den tragikern die mythographische litte- 
ratur in reicher fülle geboten haben, denn ohne zweifei hat es davon 
viel mehr gegeben, als auf die nachweit kam. ist doch die schriftstellerei 
des Akusilaos und des in Athen lebenden Leriers Pherekydes*^®), von 
geringern wie Anaximandros abgesehen, nur so verständlich wie die der 
nordischen prosaischen Sagenbücher, als auflösung des epos. deshalb 



entführt, und nun ist doch die liebe der götter zu Troia verflogen, da sind die beiden 
mythen auch in erotischer wendung vereinigt : das mag man zuf all nennen, mag auch 
dem Euripides die hübschen ziige selbst zuschreiben, des Ganymedes yvfivdaia xai 
I0VTQ& (Phoen. 371, Phaeth. 782), und den Sternenwagen, obwol letzterer sehr von 
der attischen weise abweicht, die wir von den vasenbildern her kennen, und ersteres 
dem dichter der knabenliebe wol ansteht, entscheidend ist die figur der praeteritio, 
die auf die vorige Strophe nicht gehen kann, in der der raub nicht erzählt und Zeus 
nicht gescholten ist. ein quaerere distuli weist immer auf eine art polemik, 

68) Mimnermos vgl. zu v. 637. bemerkenswert ist, dafs Or. 1546 ein spruch 
des Simonides wiedergegeben wird (fgm. 1, 1). 

69) Auf Alkaios nimmt Aischylos Sieb. 387 nach den schollen bezug. er war 
sonst nicht populär in Athen, das einzige von einem Attiker berücksichtigte alk- 
manische lied (Ar. Vög. 250) ist in der form nicht lakonisch, als Aristophanes aber 
Lakoner einführte, im Schlüsse der Lysistrate, griff er nach dem lakonischen poeten. 
an seine rhythmen gemahnt nur Sophokles öfter, und das wird zufall sein. 

70) Die lebenszeit des mannes und alles, was seine person angeht, ist freilich 
nur aus dem urteil über sein werk abzuleiten, da jede verläfsliche angäbe fehlt, 
der versuch, ihn zu einem Athener zu machen, wird hoffentlich keine Verwirrung an- 
richten, wenn die grammatiker einzeln die benutzung der mythographen durch Euri- 
pides annehmen (schol. Or. 1654 Phoen. 71), so hat das keine beweiskraft. 



iaroQia, 37 

wird aber die vermittelung zwischen epos und tragödie durch diese bücher 
schwer nachweisbar, glücklicherweise aber auch wenig bedeutend, so 
viel sich bisher die immer noch nicht recht erfafste schriftstellerei des 
Pherekydes übersehen läfst, ist mit Zuversicht zu verneinen, dafs er die 
tragödie benutzt hat, nirgend zu erweisen, dafs die tragiker ihn gelesen 
haben und nicht seine quellen. Hekataios ward durch seinen rationalis- 
mus unverwendbar in dem was er eigenes gab, und so wird man sich 
auch auf etwa hervortretende Übereinstimmungen nicht verlassen'*). 
Euripides speciell hat die historiker sonst so sehr verschmäht, dafs man 
nicht geneigt sein kann ihm die lecture der bücher zuzutrauen, die 
erst wir als mythographlsche von den historischen scheiden, und doch 
gibt es ein gebiet, wo er irgend eine solche quelle aufgesucht haben 
mufs, die altpeloponnesischen traditionen von den Herakleiden, die in 
Kresphontes Temenos Temeniden, vielleicht nach Likymnios behandelt 
sind, für uns ist Euripides der älteste zeuge selbst für die namen. die 
nächste tradition, bei Isokrates und Ephoros, berührt sich einzeln mit 
ihm, ohne sich doch zu decken; manches ist auch ganz verschollen. 

Es wäre eben so töricht wie geschmacklos, wenn man für jeden 
tragischen stoff eine schriftliche quelle suchen wollte, natürlich haben die 
dichter sehr viel aus der mündlichen sage, und natürlich steht die heimische 
in erster reihe, die dürftigen attischen vorher kaum irgend wo berück- 
sichtigten localüberlieferungen haben ja erst die tragiker geadelt und 
selbst sie doch nur zum teil allgemein beliebt gemacht, die maratho* 
nische Herakleidensage, die eleusinische von der bestattung der Sieben 
hat Euripides von Aischylos geformt überkommen, die Alopesage war , 
es auch schon, aber die eigentliche königssage, Aigeus Theseus Hippo- 
lytos Ion, und vor allen Erechtheus hat er erst bearbeitet und festge- 
stellt. Sophokles folgte ihm hierin zum teil, wie er ihm ja selbst die 
anregung dazu verdankt seinen eignen demos zu verherrlichen, aber 
Prokris und Prokne hat Sophokles populär gemacht, auch die kleruchien 
haben die heimatssage etwas bereichert, die geschichte des Polymestor 
stammt von der Chersones, und auch der altepische Protesilaos ist unter 
einwirkung des cultes von Elaius umgestaltet Lemnos hat auf Philoktet 
und Hypsipyle gewirkt, Skyros den ganz neuen stoff der Skyrier geliefert^ 
Achilleus und Deidameia, Syleus ist ohne die besetzung von Amphipolis 



71) Die Augesage haben Euripides und Hekataios ähnlich erzählt, aber wir 
kennen die epischen bearbeitungen derselben nicht, dafs Euripides in der Helene 
Hekataios und Herodotos nicht berücksichtigt hat, ist eine tatsache, die schwerer 
wiegt als alle solche möglichkeiten. 



38 I^as leben des Euripides. 

nicht denkbar^'), auch von Sophokles sind mindestens Phineus und Tereus 
durch die nordischen kleruchien in der färbung bestimmt, die sagen der 
übrigen Eeichsstädte treten dagegen ganz auffallend zurück ^^: man be- 
denke, Chios Samos Miletos Kolophon Kos Rhodos Naxos Keos Euboia, 
jeder ort hatte mindestens so viel zum teil altberühmte sagen zu bieten 
wie Athen, aber die Athener hören lieber von Theben Argos Korinth 
Sparta; lonien sollte in Athen aufgehen, das Reich nur die empfindungen 
seines hauptes mit und nachfühlen, von den ruhmvolleren gegnern 
nahm man vorab ihren alten stolzen sagenschatz : der politische anschlufs 
sollte folgen. 

Mit dem stofie ist dem dichter oft recht wenig gegeben, und oft be- 
währt er sich an ihm als dichter schon ehe die ausgestaltung beginnt, 
manches mal wird vorgekommen sein, was wir dank dem sonst wenig 
erfreuHchen peripatetiker Hieronymos von dem euripideischen Phoinix 
wissen, dafs ein fruchtbares motiv irgendwo in unscheinbarer localsage auf- 
gegriffen aber auf einen altberühmten heroischen namen übertragen ward^^). 
dem steht nahe, dafs der dichter um einer dürftigen fabel fülle zu geben, 

72) Es ist die erwerbung der landschaft Phyllis am untern Strymon durch 
Herakles, die sage selbst ist aber schwerlich dort gewachsen, da SvXei5s ein redender 
name ist, der neben dem bruder ^iicatos in einer thessalischen sage (Eonon 17) 
wiederkehrt; der Inhalt aber ist derselbe in dem yolksliede der Schnitter vom Lyder 
Lityerses. Herakles zeigt, dafs Athener die Syleussage nicht gebildet haben; vor 
ihnen waren ja auch Nesioten in jener gegend, und die bewohner der Ghalki- 
dike und der insel Thasos verehren Herakles als gründer ihrer cultur; in Amphi- 
polis wohnten sehr viele Akanthier. die attische sage, die nachher die Syleussage 
verdrängt hat, ist die von der eponymen heroine Phyllis und einem Theseus- 
sohn. sie ist aber erst im 4. Jahrhundert nachweisbar, gehört also der zweiten 
besetzung von Amphipolis an. die Syleussage tritt gleichzeitig mit dem euripidei- 
schen drama in der Vasenmalerei auf (Annali 1878 C): sollte sie im 6. Jahrhundert 
schon dargestellt sein, so erhöhte das bedeutend die bedeutung der damaligen Ver- 
bindung von Athen mit Thrakien (Jahrbuch des Arch. Inst. H 229). es leuchtet ein, 
dafs Euripides nach dem verlust von Amphipolis 424 den Syleus nicht mehr schreiben 
konnte, und lange vor der gründung (438) ist es mindestens recht unwahrscheinlich, 
so haben wir für ein satyrspiel ein annäherndes datum. 

73) Aischylos mag die Europa aus Milet, Sophokles den Kedalion aus Chios 
haben, die Perseussage, die auf Seriphos spielt, ist alles andere eher als seriphisch. 
denn für sie ist die insel das gottverlassene elende fe]seneiland, das sie, wie die 
tributlisten lehren, zur zeit des Reiches nicht war. in dem rufe stand sie freilich 
auch damals (Eratinos Seriphier, Aristoph. Ach. 542. Plat. Staat 330*), aber das 
war aus der alten sage geerbt; schon 479 ist Seriphos trotz seines gerechten an- 
spruches (Herod. YHI 46) nicht in den Hellenenbund aufgenommen. 

74) Die stellen bei Hiller in der satura Sauppiana 73. ganz sicher ist es nicht, 
dafs Hieronymos die sache richtig aufgefafst hat, aber wahrscheinlich. 



laroQla. nachlaß. 39 

motive aus einer anderen herübemimmt''), und das berührt sich wieder 
mit dem ausmalen von Situationen oder Charakteren nach dem vorbilde 
einer älteren eigenen Schöpfung, wofür die schwestempare in Sophokles 
Antigene und Elektra das bekannteste beispiel sind, allein das greift schon 
über in die künstlerische analyse der werke, die hier nicht berührt werden 
soll, das stoffliche läist sich für menschen die überhaupt geschichtliche 
fragen begreifen nicht selten überzeugend dartun: aber vielfach gilt schon 
von ihm und noch weit mehr von der beurteilung des poetischen, dafs 
erst eine reife kenntnis des dichters die dinge überhaupt sieht, und dafs 
sie auch für ähnlich gereifte allein einen beweis führen kann. 

Was hier in betreff des Stoffes gegeben ist, ist eine dürftige skizze. 
erst wenn nicht blofs die einzelnen tragodien alle genau durchgearbeitet 
sind, sondern überhaupt die heldensage eine emeuerung erfahren haben 
wird, kann es gelingen dem einigermafsen gerecht zu werden, was eigent- 
lich die Vorbedingung des aesthetischen Urteils sein muls, was schon die 
peripatetiker angestrebt haben: das Verhältnis des dichters zu seinem 
Stoffe klar zu stellen, was die alten so viel behandelt haben, zumeist 
freilich von einseitig rhetorischem Standpunkte aus, die Charakteristik 
von Stil und spräche, erfordert, ehe sie wirklich geliefert werden kann, 
auch noch eine fülle von beobachtungen Untersuchungen und namentlich 
vergleichungen, die heut zu tage nur für die geschmacklosigkeit und den 
Stumpfsinn der gesunkenen latinität angestellt werden, denen es aller- 
dings leichter ist congenial zu sein, die erklärung des einzelnen dramas 
gibt aber auf schritt und tritt gelegenheit zu einschlagenden bemerkungen; 
bei denen mag es sein bewenden haben. — 

Über den poetischen nachlafs des Euripides sind wir auffallend gut NaohiaCi. 
unterrichtet, verfafst soll er 92 dramen haben: das sind 23X4 [yivog)] 
oder 22 mal aufgeführt (Suid). also war eine tetralogie bestritten; und 
wirklich werden in der summe der erhaltenen 3 unächte tragodien, ein 
unächtes satyrspiel aufgeführt, da für die tragödie Peirithoos und das 

75) So war es offenbar etwas ganz dürftiges, was Euripides als Eresphontes- 
sage überkam, er fügte hinzu, dafs der tyrann den rechtmäfsigen erben für yogelfrei 
erklärt hat und dieser der böte seines eignen todes ist; dies aus der Orestessage; dafs 
der tyrann ein ohnmächtiges weib zur ehe zwingen will, aber durch die zwischen- * 
kunft des sohnes daran gehindert wird ; dies aus der Danaesage, wenigstens wie er sie 
wenige jähre zuvor im Diktys gestaltet hatte, seinen Archelaos soll er nach der 
Temenossage gemacht haben, Agatharchides bei Phot. bibl. 444^ 29. die gefangene 
Melanippe hat motiye aus den sagen von Ino, Antiope, Meleagros verbunden: eigen- 
tümlich scheinen nur die namen; doch sind wir über die heimat der sage nicht 
unterrichtet. 



i 



40 Bas leben des Euripides. 

satyrspiel Sisyphos'*) auch Kritias als Verfasser angegeben wird, Ist der 
schlufs geboten, dafs diese ganze tetralogie zwischen den beiden dichtem 
schwankte, in Wahrheit dem minder berühmten gehörte, die gesammt- 
summe 92 oder vielmehr 88 ist nun allerdings vorschnell fixirt. erstens 
ist fraglich, ob nicht lenäische agone darunter waren, an welchen viel- 
leicht weniger stücke gegeben wurden ; zweitens hat der Archelaos sicher- 
lich nicht in den 22 didaskalien gestanden, und von der Andromache ist 
dasselbe ausdrücklich überliefert, somit ist der schlufs auf die gesammt- 
zahl der verfafsten stücke unzulässig, und der verlust von dramen noch 
höher anzusetzen, als die Alexandriner getan haben. 

Praktisch kommt nun auf die sofort vergessenen stücke nichts an, 
die zum teil wol gar nicht veröffentlicht waren''), um so erfreulicher ist, 
dafs wir über das was nach Alexandreia kam Sicherheit erzielen können, 
es waren 67 tragödien, 7 satyrspiele '^). die letzte zahl ist auffallend 
gering, dafs Euripides einzeln statt eines satyrspiels eine tragödie gab, 
wie die Alkestis, erklärt das misverhältnis nicht genügend, wir kennen 
auch noch 3 satyrspiele, die verloren waren'®), offenbar hatte Euripides 
für das komische weder neigung noch begabung. selbst von den 7 ist 
eines so wenig gelesen worden, dafs wir nicht einmal den namen ken- 
nen ^°). und in den 6 kenntlichen war dasselbe motiv, die Überwindung 
der barbarischen vis consili expers durch die hellenische rite nutrita 
indoles, viermal angewandt (Buseiris, Kyklops, Skiron, Syleus); zweimal 
war der held ein listiger betrüger, Autolykos Sisyphos, denen Odysseus 
nahe steht; dreimal trat Herakles auf (Eurystheus Syleus Buseiris), ein!nal 
sein pendant Theseus (Skiron), die erfindsamkeit war also sehr gering. 



76) Ein satyrspiel Sisyphos hat Euripides nach ausweis der didaskalie der 
Troerinnen 415 gegeben, das war verloren, ward mit dem Sisyphos des Kritias 
verwechselt und gab mit veranlassung zu der irrtümlichen Zuteilung der ganzen tetra- 
logie, in welcher auch ein Sisyphos stand. 

77) Anaxandrides verkaufte das manuscript einer durchgefallenen komödie 
sofort als maculatur. Chamaileon bei Ath. IX 374. 

78) Die angaben sind trotz aller Verwirrung durchsichtig, wenn man die un- 
ächtheit des Sisyphos bestritt, wozu dieselbe veranlassung vorlag wie beim Ehesos, 
so war die gesammtsumme 75 : diese gibt Varro (Gellius XVn 4 3) und Suidas. rech- 
nete man die ganze bestrittene tetralogie zu, so waren es 78: so das yivoSj und 
das wird in den aco^öfieva o^ bei Suidas auch stecken. 

79) GeQiaral' ov a(j)^orrai in der didaskalie der Medeia, xai . . . aep^erat in 
der der Phoenissen, deren ergänzung in diesem teile sicher ist. endlich der Sisyphos. 

80) Unsichere Vermutungen Anal. Eur, 161. die beziehung auf die Marsyas- 
sage läfst sich nicht mehr aufrecht erhalten- 



Nachlaß. 41 

Von verlornen tragödien kennen wir nur den Rhesos. denn dafs 
das erhaltene den Sophokles nachahmende drama unter die werke des 
Euripides geraten ist, liegt lediglich daran, dafs aus den didaskalien die 
existenz eines jugenddramas Bhesos von Euripides fest stand *'). die den 
Alexandrinern bekannten 67 kennen wir aber alle, doch eines, Epeios, 
nur durch eine erwähnung in einem kataloge, nicht durch ein citat, 
und von dem unächten Tennes ist nur ein unsicheres citat erhalten, die 
Irrtümer, welche diese zahl zu vermehren schienen, sind alle mit Sicher- 
heit erledigt®*^), doppeltitel hat es nicht gegeben; doppelbearbeitungen 



81) Das erhaltene stück fordert vier Schauspieler wie der Oidipus auf Kolonos 
und hebt mit einer anapästischen scene an, wie der jüngere Euripides eine vor die 
aulische Iphigenie gesetzt hat. man möchte es also zeitlich diesen nahe rücken, 
andererseits ist überall das bestreben deutlich in verston spräche und metrik die 
weise zu vermeiden, welche in ihren letzten jähren von Euripides und Sophokles 
beliebt war, und von der rhetorischen tragödie, z. b, Agathon Karkinos fortgebildet 
ward, so möchte man etwas weiter herabgehen, unsere kenntnis des dramas im 
4. Jahrhundert ist aber zu gering, als dafs man auf diese formalen kriterien viel 
bauen könnte, der Inhalt setzt indessen ein lebhaftes Interesse für die thrakischen 
gegenden voraus, in denen Athen erst im zweiten seebund wieder festen fufs fafste 
auf etwa zwanzig jähre, in diese wird man den Khesos am ehesten rücken dürfen. 
Dikaiarchos hat ihn schon von den schauspielern erweitert gelesen, die nachahmung 
des Sophokles ist in den motiven und der stilisirung der personen nicht minder 
greifbar als in der diction und namentlich der metrik. 

82) Ein auch der form nach unmöglich euripideisches fragment wird in den 
in trostloser Verwahrlosung erhaltenen sog. Probussoholien zu Vergil dem Kadmos 
des Euripides zugeschrieben (fgm. 451). wie der Irrtum entstanden ist oder ob gar 
fälschung vorliegt, ist fraglich, ein aegyptisoher schulknabe hat in der zeit Aristarchs 
unter andern stücken auch 44 trimeter abschreiben müssen, die die Überschrift E'Öqi- 
niSov tragen und die noch ungedeutete Unterschrift EvQiniSrjs OfioSQsyarrjs, die 
verse imitiren die weise des Euripides, aber ganz erbärmlich, sie begehen den me- 
trischen fehler iy8i8cos vvv nXovai(p (20) als versausgang, elidiren ai (44), setzen 
wider die weise des Euripides iavTfjs (11), wider die des 5. Jahrhunderts xalroiye (10). 
oiaia bedeutet das vermögen (30), rv%dv tacos heifst vielleicht, wie in spätattischer 
prosa (9), iSios ifiavTfjs vertritt, wie in dieser, das possessiv (28), es steht, wie im peri- 
patetischen traktat Xotnöv ianv tacoe ijuh liyHv (4), änoQsZv bedeutet 'arm sein*, 
daneben wird aber auch dno^sZa&ai gebraucht (26), &Qfi6rrst (man ändert dp/uö^ft) in- 
transitiv (2) ist nicht euripideisch, (piXdvd'QMTioe steht in dem gemeinen sinne der späten 
decrete: im 5. Jahrhundert können nur götter oder tiere tpil&vd'Qtonot sein, das perfect 
ist in der weise der xoivi] gesetzt, wo es nicht hin gehört 6, 19; ein gebrauch des 
artikels wie nQÖe rrjs ^EariaSy iuavr^s rdv i8tov ßlov^ gehört nicht in die tragödie. 
es kommt aber noch hübscher fti%Qi nöaov rtjv rfjs rij^rje n&trjQ Sk Xijyfsi neZQav (31) : 
darin ist falsch fiexQh denn das sagt die tragödie nicht, fiixQt nöaovt denn das ist 
höchstens ganz plebejisch für 'wie lange', ganz unzulässig der artikel bei rixrjVf 
ganz unmöglich in jeder rede die Stellung des 8e. da hat man denn auch wenigstens 



42 Bas leben des Euripides. 

auch nicht®'), auTser dafs die Aristophaneserklärer von solchen fabeln, 
wenn sie ein citat nicht verificiren können. 

Ein viertel der werke des Euripides ist erhalten; die summe der 
einzelnen sonst überlieferten verse füllt nahezu weitere anderthalb tragödien 
und von einem zweiten viertel sind wir so weit unterrichtet, dais wir 
selbst die behandlung einigermafsen übersehen können; den stoff im 
allgemeinen kennen wir nur von ganz wenigen nicht, notorisch steht 
die spätere litteratur sehr stark unter euripideischem einflusse: dafs die 
forschung also unsere kenntnis des verlornen noch sehr stark bereichern 
kann, ist klar, neue citate von einzelnen versen tröpfeln sacht aus der 
grammatischen litteratur nach, die erst allmählich • erschlossen wird; die 
aegyptischen funde haben einen fetzen auch aus einem verlornen drama, 
freilich einem recht schwachen, der zweiten Melanippe, ergeben, also 
auch von dieser seite ist bereicherung zu hoffen, aber nicht nur expansiv, 
vor allem intensiv mufs unsere kenntnis wachsen, denn Euripides ist 
zwar keiner von den dichtem, die die menschheit nicht entbehren kann 
ohne in die bestialität hinabzusinken: aber er ist doch einer, der noch 
so frisch ist, dafs man liebe und haCs zu ihm empfindet, und die poesie 
jeder zeit, wenn sie eine ist, sich mindestens mit ihm auseinandersetzen 
mufs: er fordert und verdient ein individuelles Verständnis, die über* 
lieferung gibt die möglichkeit dazu zu gelangen: möge man über ein 
menschenalter die dürftigkeit dieser skizze belächeln können. 

corrigirt. aber welcher stil ist hier überhaupt? in 44 versen 19 formen des pro 
nomens erster person^ und der anfang <5 ndrcQ ixQfjv fikv ode iycb Xiyca Xö/ove, 
roirovs Xiyeiv aij xcU yäg äo/nörret tpQOvsXv ak /uäXXov ij fih xai Xiyeiv önov ri 
$£l, viermal liyetv: das ist so der stil bei den correspondenten des magister Ortvinus 
Gratius. es ist ein zeichen der zeit, dafs dieses zeug dem Euripides zugeschrieben 
wird: offenbar pafst es nur für Xt:o8Qeyarrjs, der es verfertigt hat, hat übrigens 
keine tragödie geschrieben, denn es fehlt jede individuelle beziehung. doch genug 
davon; hoffentlich für immer. 

83) Et. Florentinum citirt fgm. 824 aus dem zweiten Phrixos und aus demselben 
eine verwirrte notiz der Aristophanesscholien fgm. 816. mitgezählt ist das drama 
sicher nicht; aber es ist nicht undenkbar, dafs neben der echten fassung eine von 
schauspielern zugestutzte bestand, tatsächlich haben zwei solche fassungen der 
Herakleiden wirklich bestanden, aber davon erzählen uns die grammatiker nichts* 
dafs der erhaltene Hippolytos eine Umarbeitung des ersten gewesen wäre, wie wir 
sie von Götz und Carlos haben, ist eine eitele eründung der modernen um ihre fal- 
schen athetesen zu stützen, es ist überliefert und ganz sicher zu erkennen, dafs 
es vielmehr eine völlig neue bearbeitung desselben Stoffes war. wie es mit den 
gleichnamigen dramen des Sophokles stand, welche durch Ziffern unterschieden werden, 
ist unbekannt; wahrscheinlich aber gerade so. 



2. 

WAS IST EINE ATTISCHE TBAGÖDIE? 



Wenn man ein attisches drama in die band nimmt, so pflegt man f,^. ^' 
daran zu gehen in der Voraussetzung, es sei ein gedieht derselben gattung 
wie Sakuntala, Leben ein Traum, Polyeucte, Macbeth, Wallenstein, dem- 
gemäls bringt man bestimmte anforderungen mit, die in dem wesen dieser 
gattung liegen sollen; man erwartet eine aesthetische Wirkung, welche 
zu erzielen der zweck der tragödie sein soll, und das urteil über das 
geksene gedieht wird sich danach bemessen, in wie weit es seine aufgäbe 
erfüllt und die erwartungen befriedigt hat. nun wird zwar ein jeder in 
jedem drama mancherlei gewahr, was ihm störend ist, was der dichter 
aber mit absieht so gemacht hat, also entweder als vorzug oder doch 
als etwas unerläisliches angesehen hat. im attischen drama ist ein chor 
gegenwärtig, der oft dem interesse der handlung widerstrebt ; bei Calderon 
Ermüdet das endlose a parte reden der personen und die eben so end- 
losen Schilderungen; im Cinna wird die einheit des ortes abgeschmackt, 
bei Shakespeare die clowns, bei Schiller die liebespaare. der leser ist zwar 
in den meisten fällen schon zuvor davon unterrichtet, was er finden wird; 
er ist also nicht mehr so stark befremdet, drückt ein äuge zu, über- 
schlägt auch wohl eine überflüssige partie, und findet sich schlielslich 
mit dem störenden als einer berechtigten eigentümlichkeit ab. es ist 
aber bekanntlich eine berechtigte eigentümlichkeit etwas, das allenfalls 
entschuldigt werden mag, zumal sich's leider nicht ändern läfst, das aber 
eigentlich durchaus unberechtigt ist. und die ehrlichkeit fordert das 
eingeständnis, dafs zwar die dichter durch diese dinge ihre aufgäbe haben 
erfüllen wollen, sie aber in Wahrheit höchstens trotz denselben erfüllen, 
sie haben also ihre aufgäbe schlechter verstanden als wir; was denn 
schliefslich eine schmeichelhafte bestätigung für das hochgefühl ist, wie 
herrlich weit wu* es gebracht haben. 



44 Was ist eine attische tragödie? 

Für das attische drama stellt sich die sache noch besonders ungünstig, 
weil es die geltung als classisch, d. h. unbedingt mustergiltig, viele 
Jahrhunderte hindurch behauptet hat, und durch den Jugendunterricht 
der glaube immer neue nahrung erhält, als würde dieser vorrang auch 
heute noch ernsthaft behauptet, der leser glaubt sich deshalb zur anlegung 
eines absoluten maJTsstabes doppelt berechtigt, und jeden einwand, den 
er bei eigenem lesen wider die classicität mit fug und recht erhebt, 
richtet er gegen die alten dichter, gleich als ob sie die ungehörigen an- 
sprüche selbst erhöben, so haben diese für die traditionelle Schätzung 
zu büfsen und scheinen mit dieser zugleich auch ihren eigentümlichen 
wert zu verlieren. 

Es soll eine solche betrachtungsweise nicht ganz verdammt werden, 
es muTs einen mafsstab geben, der sich an jede poesie jeder zeit anlegen 
läfst ohne irgend jemand unrecht zu tun, wenn anders wir den glauben 
an die realität und ewigkeit des schönen nicht verlieren wollen, vor 
allem aber wird und soll sich keine zeit ihr recht verkümmern lassen, 
an ihrer eigenen empfindung die werke der Vergangenheit zu messen, 
allein diese beiden mafsstäbe wird zwar ein jeder zunächst für identisch 
halten : in Wahrheit ist jener ideale mafsstab dort wo die idee des schönen 
ist; was aber wir menschen uns an seiner statt machen, das ist selbst dem 
Wechsel unterworfen, war etwas anderes als es ist und wird etwas anderes 
sein, wu: mögen getrost mit dem messen was uns absolut erscheint, 
denn der lebende hat recht, aber der lebende hat auch recht gehabt zu 
seiner zeit, und ihn zu seinem rechte zu verhelfen ist die bescheidenere 
aber ungleich schwerere aufgäbe der geschichtlichen Wissenschaft, diese 
darf gar keine andern Voraussetzungen machen als das individuum und 
die zeit, welcher das betrachtete werk angehört, aus sich und den 
bedingungen seines wesens und werdens hat sie es zu erklären, sie ver- 
zichtet mit nichten auf ein urteil, aber sie rechnet mit dem wollen und 
können des Volkes, der zeit, des einzelnen menschen, sie sucht zu ver- 
stehen, nicht um zu verzeihen, sondern um gerecht zu richten. 

Diese aufgäbe, das Verständnis als grundlage der xQlaig zu er- 
schliefsen, hat die philologie gegenüber dem drama in arger weise ver- 
absäumt, es ist dahin gekommen, dafs aulserhalb der zünftigen kreise 
die abschreckendste trivialität und die nakteste ignoranz sich unbehelligt 
an den edelsten werken der hellenischen poesie versündigen kann, und 
in den zünftigen kreisen die sehenden bei seite treten, die einäugigen 
oder gar blinden die führung sich anmafsen. allein auch diese Versäumnis 
will geschichtlich begriffen werden; sie darf nicht nur gescholten, son- 



Stellung der frage, moderne aesthetik. 45 

dern muTs erklärt werden, die entwickelung der philoIogie, wie sie im 
vierten capitel dargestellt ist, gibt die erklärung. 

Dafs die hellenische poesie aus dem staube der folianten an das Moderne 
tageslicht trat, ist wenig über ein Jahrhundert her. es geschah zu einer 
zeit, deren richtung durchaus philosophisch war. wenn Lessing auf das 
antike drama hinwies, so geschah das so, dafs er diesem die geltung als 
classisch liefs, um das französische von der gleich hohen Stellung zu 
stürzen, zu dem zwecke hat auch Diderot die antike tragödie herange- 
zogen'), vollends die aristotelische poetik ward als kanonisch anerkannt, 
um so lieber, als sie einen absoluten mafsstab gab, der für alle Zeiten 
anwendbar schien. Herder erhob sich zwar zu geschichtlicher betrach- 
tung, aber nicht durch ein voraussetzungsloses Studium der Vergangen- 
heit, sondern durch die philosophie der geschichte. auch lenkte er das 
nachdenken und die arbeit der forscher vornehmlich auf die anfange 
und die ersten Stadien der culturentwickelung, so dafs das drama, die 
letzte und vollkommenste blute der hellenischen poesie, eine geringere 
beachtung fand, zumal seine kunstvoll durchgebildete form dem volks- 
tümlichen ferner liegt als in den meisten andern litteraturen. dieser 
umstand hat noch lange fortgewirkt, als aus den kreisen der Roman- 
tiker oder doch unter dem Impulse, der von ihrer schule ausgieng, wieder- 
holt der versuch gemacht ward, eine geschichte der griechischen litteratur 
zu schreiben, gelangten die wenigsten auch nur bis an das drama heran, 
und dann giengen sie darauf aus, es irgendwie mit der volkspoesie zu 
verknüpfen. 

Als dem deutschen volke eine anzahl dramen von seinen grofsen 
dichtem beschert wurden, die den antiken ebenbürtig waren, da waren 
diese unabhängig von der antiken praxis und theorie entstanden; wo 
der anschlufs ein bewufster gewesen war, da ward die Wirkung zum 
mindesten dadurch beeinträchtigt, der erfolg konnte nicht ausbleiben, 
dafs man die antiken werke unwillkürlich mit den modernen verglich, 
von ihnen forderte, was die modernen leisteten, und die form, die man 

1) Es ist sehr bezeichnend, dafs er schon in den bijoux indiscrets, welche zuerst 
Lessing diese schwerlich von ihm dort gesuchte anregung gegeben haben (Hamb. 
Dramat. 84 stück), den Philoktet des Sophokles als musterstück wählt: ein auf das 
einfachst moralische reducirter, des mythischen fast ganz entkleideter stoff, daneben 
die feinste Charakteristik und die stärkste abweichung von der Versailler decenz. 
so erscheint denn der Philoktet auch im Laokoon. für die Verehrer der com^die 
larmoyante war Philoktet das rechte: aber die Iphigenie mit ihm zu verbinden war 
ein herzlich abgeschmackter einfall. da wirkt das mythische, echt tragische, und 
hat die Elektra gevatter gestanden. 



46 Was ist eine attische tragödie? 

in der braut von Measina mit recht anstöfsig fand, auch im Oedipus 
beanstandete, über die theorie des dramas hatten Goethe und Schiller 
tief nachgedacht, auch sie im unmittelbaren anschlufs an Aristoteles, 
weshalb sie auch das drama im gegensatz zum epos auffafsten; hätten 
sie aber auch die antiken gedichte im originale wirklich verstehen können, 
als dichter würden sie dennoch nicht die bedingungen und ziele fremden 
Schaffens, sondern anregung und förderung für eigenes schaffen in ihnen 
gesucht haben, ganz besonders aber ward für die theorie des antiken 
dramas gerade so wie für die bald verlachte praxis der nachahmer ver- 
hängnisvoll, dafs Schiller, der bekenner der kantischen freiheitslehre, den 
begriff des grofsen gigantischen Schicksals, welches den menschen erhebt, 
wenn es den menschen zermalmt, als leitstern der tragischen Sittlich- 
keit aufstellte. 

Die grundlinien der anschauung, welche bis auf den heutigen tag 
die verbreitete ist, gab A. W. Schlegel in den Vorlesungen über drama- 
tische kunst und litteratur. es war in der tat ein versuch, die dichtungen 
der verschiedenen Völker, welche Schlegel aus wirklicher eigener kenntnis 
beurteilte, geschichtlich zu würdigen, aber dieser versuch ward mit einer 
bestimmten praktischen tendenz gemacht, er predigte das evangelium 
einer einigen reinen hohen kunst, und er glaubte mit recht, dafs er für 
dieses ideal am besten dadurch propaganda machen könnte, wenn er zu 
gunsten des allertrefflichsten all das auf das schärfste verurteilte und 
herabsetzte, auf das sich der herrschende ungeschmack zu berufen pflegte, 
welchen er eben brechen wollte*), im innersten gründe der seele endlich 
betrachtete sich Schlegel als propheten des grofsen romantischen tragikers, 
der nach der geschichtsphilosophie kommen sollte, um den bau der 
deutschen poesie zu krönen, ob er die täuschung der genossen mitge- 
macht und den heiland in L. Tieck gesehen hat, mag zweifelhaft sein; 
ausgeblieben ist der heiland jedenfalls, die romantiker waren eine viel 
zu reflectirte, geistreiche, ironische, angekränkelte gesellschaft, als dafe 
sie die unmittelbare kraft einer grofsen tragischen Wirkung hätten erzeugen 
können ; die meisten waren für eine solche überhaupt gar nicht empfang- 
lich, und selbst wenn sie die gröfsten tragiker bewundern und erläutern 
wollen, so tun sie die auffälligsten irrgänge. es soll Tieck unvergessen 



2) Schlegel gesteht (I 133) halb und halb ein, dafs er Euripides nar schlug, 
weil er Iffland und Eotzebue meinte, das mochte ein geschickter streich sein, wenn 
Schiller ganz dasselbe in Shakespeares schatten auch unvergleichlich wahrer schöner 
und edler erreicht hatte; es durfte dann aber nicht als eine objektive beurteilung 
aufgenommen und weitergegeben werden. 



Moderne aesthetik. 47 

sein, dafs er die hetze gegen Euripides nicht mitgemacht hat, aber wenn 
er seine gedichte Won dem morgenrot einer ahndungsvollen romantik 
Übergossen' nennt, wobei er ^vornehmlich an die wundersame Helene 
denkt', wenn er die taurische Iphigenie und die Elektra '^seltsam von wald- 
gefühl und einsamkeit erfrischt' findet (bei F. v. Raumer Vorlesungen 
über alte Greschichte II 544), so gibt er selbst die seltsamsten proben 
ahndungsvoller romantik. er hat sich bekanntlich in der beurteilung 
Ophelias eben so vergriffen, wo es minder verzeihlich war, da Wilhelm 
Meister vorlag, bei andern romantikern, die wol eher die fähigkeit des 
geschichtlichen nachempfindens besessen hätten, fehlte es am besten. 
F. Sqhlegel würde wol die euripideischen frauen in den irrgängen ihrer 
eeelenkrankheit haben verfolgen können, und er hatte für den grofsen 
zug der entwickelung, der die griechische poesie von stufe zu stufe bis 
auf den gipfel aischyleischer erhabenheit trägt, einen helleren blick als 
sein bruder. aber er war ein zu verkommener selbstling ohne religion 
und ohne ehrgefühP): wie sollte er nicht schaudern vor der unerbitt- 
lichen Sittlichkeit dieser poesie, die sein ganzes treiben verurteilte; hat 
er doch Schiller aus demselben gründe so glühend gehafst. auch die 
weltumfassende philosophie gieng aus der romantik hervor, die es sich 
zutraute, Wissenschaft leben und kunst {d-ecjQelv TtQarTetv Ttoielv) mit 
ihren gedanken zu umspannen und alle scheinbaren Widersprüche zu 
lösen, sie fand auch für das drama eine formel, und man soll nicht 
bestreiten, dafs viele und tiefe Wahrheit in ihr lag. aber selbst die Antigene 
mufs arg misdeutet werden, um als musterstück den Oedipus zu ersetzen 
und darzutun, wie sich aus dem conflicte zweier einseitig berechtigter 
bestrebungen die höhere harmonie, wenn auch um den preis des unter- 
ganges der individuen, ergibt. 

Es könnte scheinen, als hätte es geringe bedeutung, auf diese be- 
strebungen hinzuweisen, da doch die herrschaft der romantik und der hegel- 
schen philosophie nicht mehr besteht, allein das philosophische denken der 
folgezeit hat an die erkenntnis des antiken dramas wenig arbeit gewandt^), 

3) homo longe omnium pessimus nennt ihn G. Hermann an Volkmann 1. August 
1796. da war schlegel an den rechten gekommen. 

4) Fr. Viseher hat daran ganz recht getan, dafs er Shakespeare in den mittel- 
punkt gestellt hat, seine individualität zog ihn von Athen fort: wer Pandora nicht 
zu würdigen weifs, wird auch Prometheus nicht würdigen, es ist doch eine arge 
verirnmg, die •önod'iaeie von tragödien in epische erzählungen umzusetzen, wie es 
Viseher gar mit dem Oidipus auf Kolonos getan hat : und doch zeigt sich hier, dafs 
auf den kemmenschen, den aa^xaa/uontrvoxduTirije, der kern des dramas am mäch- 
tigsten gewirkt hat, die sage. 



48 Was ist eine attische tragödie? 

was durchaus berechtigt ist, und jedenfalls wenig auf das Studium des- 
selben eingewirkt, die philologie aber wandte sich unter dem drucke 
der Stimmung, welche der streit zwischen Hermann und Welcker Otfried 
Müller erzeugte, von diesem felde ab. die bedeutenden gelehrten ver- 
achteten was ihnen unfruchtbares spiel schien, in der breiten masse 
aber wirken zu allen zeiten gedanken noch lange nach, wenn sie auch 
in Wahrheit überwunden sind, was so im allgemeinen über die attische 
tragödie geglaubt, den knaben gepredigt und von diesen ins leben mit- 
genommen wird, sind im wesentlichen reflexe dessen was Lessing und 
Schiller, die romantiker und ihre philosophischen nachfolger ausgesprochen 
haben, das letzte halbe Jahrhundert hat wenig davon noch dazu getan, 
wir hören ja freilich alle tage, dafs die geisteswissenschaften abgewirt- 
schaftet haben, wenn sie nicht die exacte methode der königin natur- 
wissenschaft einigermafsen nachmachen, und es ist auch von einer 
Zukunftspoetik die rede, welche empirisch psychologisch, empirisch an- 
thropologisch die rechte grundlage sucht, es scheint aber für sie wich- 
tiger zu sein, die Botokuden und Kamtschadalen zu verhören als die Hel- 
lenen, wenn dem Mephistopheles schon in der classischen Walpurgisnacht 
ungemütlich wird, was sollen die proktophantasmisten machen, die sich 
längst von geistern und von geist curirt haben? wem die Orestie und 
die poetik des Aristoteles — griechisch sind, wie dem Casca Ciceros rede, 
der muTs es sich schon gefallen lassen, dafs seine rede dem Hellenisten 
böhmisch ist. welchen wert hätte es auch, ein System durch ein anderes 
zu ersetzen, das doch auch nur beurteilen, nicht verstehen lehrt? 
Aristoteles. Verstehen gelernt hat freilich erst die letzte generation vor uns 

ein hauptbuch, die aristotelische poetik, und der grofse meister hat über- 
haupt erst jetzt die dominirende Stellung in der griechischen Wissenschaft 
erhalten, die ihm gebürt, ja, seine macht wird noch steigen, allein darum 
ist unser Verhältnis zu ihm nur ein freieres geworden, es ist nicht mehr 
erlaubt, mögen auch die naiven nicht aussterben, das was man für wahr 
hält, in den Aristoteles hineinzulesen ; deshalb ist aber auch das eigene 
urteil des Aristoteles und seine aesthetische theorie nicht mehr für uns 
mafsgebend. was er uns als geschichtliche tatsache übermittelt, das sind 
wir verpflichtet als solche gelten zu lassen, so lange sich nicht der irrtum 
beweisen läfst: die beurteilung der tatsachen und die daraus abgezogenen 
allgemeinen gesetze haben nicht die geringste Verbindlichkeit. Aristoteles 
ist unser vorzüglichster zeuge für die tatsachen der attischen verfassungs- 
geschichte; aber nicht leicht wird jemand seine beurteilung ihres ganges 
und des wertes der leitenden personen sich zu eigen machen : auf alle fälle 



» 



Aristoteles. 49 

ist die politische theorie des Aristoteles und seine construction des besten 
Staates für die geschichtliche und rechtliche auffassung der concreten 
erscheinungen der griechischen geschichte von geringer bedeutung. es 
ist zeit 9 dais wir in der poesie nicht mehr anders vorgehen, nicht mehr 
Aristoteles der aesthetiker sondern Aristoteles der historiker ist der 
ausgangspunkt unserer betrachtung. wenn wir uns zu dem geschicht- 
lichen Verständnis der attischen dramen durchgearbeitet haben, dann 
können wir fragen, ob die aesthetische theorie des Aristoteles für sie 
das richtige getroffen hat, und in wie weit seine ansieht von dem wesen 
der kunst absolut richtig ist. um die Wirkung der tragödie auf Aristo- 
teles oder gar auf uns haben wir uns zunächst nicht im mindesten zu 
kümmern, sondern um die absieht ihrer dichter, es kann uns also 
auch die vergleichung mit irgend welcher anderen dramatischen poesie 
nichts helfen, ganz abgesehen davon, dafs doch alle und jede dramatische 
poesie von den Athenern abstammt*), wir wollen ja weder eine tragödie 
schreiben noch schreiben lehren, sondern die, welche wir besitzen, ver- 
stehen, dazu ist denn freilich nötig zu wissen, welche aufgäbe die dichter 
lösen wollten, was ihr volk von ihnen erwartete, und weit genug wird 
uns der weg führen, ehe wir dieses ziel erreichen: aber aus seiner Ver- 
gangenheit, nicht aus seiner zukunft erklären wir das attische drama. 

Wenn es uns verstattet wäre, überall bis zu den quellen vorzudringen, ^^3*^^*^" 
so würden wir auch bei dieser historischen forschung von Aristoteles ab- sachen. 
sehen, aber uns sind nur trümmer überliefert, so dafs wir längst nicht 
alles mehr mit eignen äugen übersehen und prüfen können, sondern 
auf die Zeugnisse anderer angewiesen sind, und hier ist es, wo Aristo- 
teles mit voller autorität eintritt; nur wenige Zeugnisse, die wir anders- 
woher auflesen, die aber auch zumeist auf seine schule zurückgehen, 
treten hinzu; erst nach peinlichster prüfung reihen wir sie ein, und für 
die hauptsache würden wir sie auch entbehren können, unser fundament 



5) In betreff der indischen ist die entscheidung dadurch erschwert, dafs sie 
erst Jahrhunderte nach dem erlöschen der griechischen spiele zur blute kommt; deshalb 
ist die unmittelbare vergleichung (Windisch Abhdlg. des 5. Orientalisten congresses) 
wenig überzeugend, und ein stricter historischer beweis wird erst möglich sein, wenn 
auf indischem gebiete die forschung Jahrhunderte vordringen kann, aber dafs in den 
zelten der griechischen vormacht im osten auch die techniten ihre höchste blute gehabt 
haben, steht fest, und man kann gar nicht bezweifeln, dafs an den höfen der helle- 
nischen fürsten Indiens im 2. Jahrhundert scenische spiele gewesen sind, wenn 
sich gar die Parther im 1. Jahrhundert die Bakchen vorspielen lassen, und dafs 
die hellenische civilisation auf die Arier ganz intensiv gewirkt hat, zeigt am besten 
die sculptur (Curtius Arch. Zeit. 1876, 90). 

y. Wiiamowitz I. 2. Aafl. 4 



50 Was ist eine attische tragödie? 

ist und bleibt was in der poetik steht, die tragödie stammt ab von 
den sängem des dithyrambos ; sie ist zuerst satyrspiel gewesen in leb- 
haften tanzrhythmen und lustiger spräche; den zweiten Schauspieler hat 
erst Aischylos eingeführt und den chor von der protagonistenstelle zurück- 
gedrängt; der dritte Schauspieler stammt erst von Sophokles, mit diesen 
allbekannten notizen hat zu allen zeiten jeder gerechnet; der f ortschritt 
aber liegt darin, dafs wir erstens jede spätere Überlieferung zunächst fern 
halten, zweitens eine Vorstellung davon haben, woher Aristoteles seine 
kenntnis hat, was er überhaupt wissen konnte, ob er ein drama aus 
dem sechsten Jahrhundert gelesen hat, ist fraglich; die spätere zeit besafs 
keins mehr®), und Thespis z. b. war schon für Aristoteles nur ein 
name. immerhin konnte er incunabeln genug lesen, um sich über den 
Charakter des ältesten spieles zu unterrichten, das wichtigste aber war, 
dafs in den archiven des mit der ausrichtung der spiele betrauten beamten 
sich das reiche und zuverlässige material befand, um die aufführungszeit 
jeder einzelnen tragödie und die äufsere einrichtung der Schauspiele 
kennen zu lernen, und die über die heiligtümer der stadt verstreuten 
weihgeschenke, die freilich nur ausnahmsweise über die persische invasion / 
hinaufreichen konnten, brachten erwünschte controlle und erweiterung; 
sie sind nachweislich von Aristoteles benutzt^), das so gesammelte mate- 

6) Von Choirilos ist eine mythographische angäbe und ein als tropus ange- 
führter vers auf uns gekommen, die grammatiker kennen ihn nicht mehr, jene er- 
wähnungen können sehr wol auf schriftsteUer aristotelischer zeit zurückgehen, die 
lyrischen fragmente des Pratinas stammen alle aus einem musikgeschichtlichen werke, 
da sie sich auf musik beziehen; von einer tragödie ist ein wort aus zoologischem 
Interesse gerettet, wol aus einem Schriftsteller wie Speusippos oder Phainias. mehr 
gibt es von Phrynichos, nicht blofs bei mythographen, sondern auch bei gramma- 
tlkem. allein dafs die von ihm erhaltenen tragödien nicht aus der zeit des Aischylos 
gewesen wären, ist weder erweislich noch wahrscheinlich, im gröfseren publicum 
ist in den yorchristlichen Jahrhunderten noch hier und da etwas von einem andern 
dichter als den dreien gelesen und gespielt worden: nach Christus ist nur die kenntnis 
des Ion bei Plutarch nachweislich und auch sonst glaublich, da noch commentare 
geschrieben werden, die jüngeren tragiker las man längst nicht mehr ; dafs sich ein- 
zelne verse in die florilegien gerettet haben, beweist nur, wie alt deren grund- 
stock ist. 

7) Er führt ein gemälde, weihgeschenk wegen komischen sieges, an, Polit. 6. 
die früher meist yorgetragene ansieht, dafs die didaskalien auf diese weihgeschenke 
aUein zurückgiengen, ist ganz verkehrt, sie enthalten viel mehr; denn die namen 
der stücke, der unterlegenen concurrenten und deren stücke waren ninmiermehr auf 
steinen zu lesen, also sind archivalische Studien unzweifelhaft, dort stand aber ver- 
mutlich noch sehr viel mehr, und z. b. was wir über costumveränderungen er- 
fahren, wird daher stammen, man könnte noch mehr vermuten, wenn nicht ganz 



Fundamentale tatsachen. 51 

rial hat er selbst oder seine schule dem publicum in mehreren bänden 
vorgelegt, und die tüchtigsten gelehrten der nächsten generationen haben 
es viel benutzt; dann ist es wie die meisten ähnlichen Stoffsammlungen 
verschollen, übrigens hat der attische Staat, wahrscheinlich gelegentlich 
der erbauung des steinernen theaters (vollendet 330), auch eine solche 
festchronik und ähnliche Verzeichnisse in stein gehauen im heiligen be- 
zirke aufstellen lassen, vielleicht beeinfluTst von dem aristotelischen geiste. 
reste davon sind uns erhalten sowol im original wie in copien römischer 
zeit*); auch vereinzelte inschriften von siegesdenkmälern besitzen wir. 
dieser ganze ström der Überlieferung ist also ein einheitlicher, was dazu 
gehört, ist auch leicht kenntlich, wenn es bei späten compilatoren er- 
halten ist, und wir dürfen uns mit besonderer Zuversicht auf diese angaben 
verlassen, danach also reihen wir ein, dafs die erste tragödie von Thespis 
an den grofsen Dionysien 534 aufgeführt ist, 508 der erste dithyrambos 
durch Hypodikos von Chalkis, dafs eine neuorganisation der Schauspiele 
um 465 stattgefunden hat, bei welcher sicher die erste komödie gespielt 
ward, wahrscheinlich auch die tragödie durch die einführung des dritten 
Schauspielers ihre definitive gestalt erhielt °). das ist unser fundament 
mit eiserner strenge mufs alles verworfen werden, was sich mit diesen 
grundtatsachen nicht verträgt; an ihnen darf nichts verrückt noch ver- 
schoben werden, es liegt aber auf der band, dafs sie nicht ausreichen, 
um wirklich einen aufrifs von dem alten gebäude zu errichten, wir müssen 
mehr material suchen. 

Das wird manchen weg und um weg kosten ; es scheint sogar geraten, 
zunächst einen holzweg einzuschlagen, weil in der litteraturgeschichte 
die holzwege die betretensten zu sein pflegen, die komödie ist viel 
verständlicher als die tragödie: fangen wir mit ihr an. das mufs dem 
modernen doch sehr aussichtsvoll erscheinen, denn wir sehen mit recht 



unklar bliebe, wo die grenze zwischen den pflichten der beamten und der choregen 
war. da einzelne angaben auch aus der zeit vor 480 erhalten sind, muTs man an- 
nehmen, dafs die archive vor den Persern gerettet waren, was ja auch nur natür- 
lich ist. aber sie werden für die alte zeit längst nicht so reich gewesen sein, 
dramentitel von Thespis z. b. hatten sich sicherlich nicht erhalten, da man deren 
früh erfunden hat. und es dürfte ähnlich mit Choirilos u. a. stehen, auch dichter- 
namen für die tragödie sind auffällig wenig erhalten und nur solche, von denen 
sich auch vereinzelte werke bis auf die Peripatetlker gerettet hatten. 

8) Zu den altbekannten stücken dieser classe CIG. 229, 230 ist jüngst ein neues 
bruchstück getreten (Notizle degli scavi 1888, 190), auf dem aber nur so viel kenntlich 
ist, dafs es hierher gehört. 

9) Näheres Hermes 21 'die btihne des Aisch7los\ 

4* 



52 Was ist eine attische tragödie? 

trauerspiel und lustspiel nur als zwei arten derselben gattung, der dra- 
matischen poesie, an. darin sind uns die peripatetiker vorangegangen, 
und logisch ist es gewifs. nur hat es für Athen keinen sinn, dort konnte 
zwar der gröfste philosoph, zugleich der gröfste dichter, auf den gedanken 
dieser einheit kommen, aber selbst er liei's es nur in der vorgerücktesten 
weinlaune aussprechen, in der praxis waren komödie und tragödie zwei 
so grundverschiedene dichtungsgattungen, dafs es gleich ungeheuerlich 
erschien, Aristophanes eine tragödie^ Agathon eine komodie dichtend zu 
denken ; woran nichts geändert wird, auch wenn in den zeiten des Verfalls 
geringere leute diesen versuch gemacht haben, wie z. b. von Timokles 
feststeht, für Athen ist das dramatische etwas accessorisches sowol in 
der komödie wie in der tragödie. die übergeordnete gattung könnte nur 
dionysisches festspiel helfsen, wo dann aber sofort der dithyrambos als 
dritte gleichberechtigte art hinzutreten und diesen versuch einer definition 
unbrauchbar machen« würde, für uns ist das dramatische entscheidend, 
ist aber auch die sonderung in tragödie und komödie eine inhaltsleere 
concession an die antike, welche nur zu der annähme von bastard- 
gattungen wie des s. g. Schauspieles oder dramas führt, wir wissen also 
im voraus, dafs wir zum ziele über die komödie nicht kommen können; 
aber bei wege dürfte doch manche wichtige belehrung abfallen. 
Komödie. Die komödie hat sich an zwei orten Griechenlands aus verschiedenen 

aber allerdings gleichermafsen dem breiten Volksleben angehörigen wurzeln 
zu einer litterarischen blute entwickelt, in Sicilien zu der zeit, wo diese 
in sei unter dem regimente hochstrebender und hochstehender gewaltherren 
ihre schönste aber allzu kurze blütezeit erlebte, und in Athen zwanzig 
jähre später, als dort die demokratie ihr reich vollendete, in Sicilien waren 
die Vorstufen die burlesken spiele der spafsmacher, die wie die ganze 
zunft der fahrenden leute in den üppigen Städten Neugriechenlands fort- 
dauernd am besten gediehen, und auf markten oder in den hallen der 
reichen teils pantomimisch, teils mit einfachem gesange, teils in meist 
wol improvisirter prosaischer rede ein Zerrbild des lebens darstellten, 
das treiben des festtags und des werkeltags, der alter und geschlechter, 
der stände und berufe in derber Charakteristik wiedergebend, in Syrakus 
gestaltete der Megarer Epicharmos dieses spiel zu einer dramatischen 
poesie aus^**), für welche er jedoch die formen von der attischen tragödie 



10) Die tendenz, den Megarem von Nisaia eine komödie zu vindiciren, hat 
daran keinen anhält, dafs Epicharmos aus dem hybläischen war. und was die alten 
von einem dorf gesange fabeln könnte die attischen xö>,//oi nicht erzeugt haben, auch 
wenn es mehr wäre als ein aus dem namen schlecht gefertigtes autoschediasma 



Komödie. 53 

nahm, deren begründer Phrynichos und Aischylos der könig Hieron an 
seinen hof gezogen hatte, doch fehlte der chor, mochte auch hie und 
da getanzt und gesungen werden^*), es hätte sich hieraus das moderne 
lustspiel entwickeln können; allein die künstliche blute verfiel, die posse 
ward aus einem dramatischen gedichte wieder ein prosaischer mimus, 
und nur dem interesse, welches Piaton, der über verurteile erhaben war» 
an der realistischen kraft dieser volksspäfse nahm, als er um 390 in Syrakus 
war, danken wir es, dafs die mimen des Sophron nach Athen und damit 
auf die nach weit kamen, wie ja auch das athenische litteraturgeschicht" 
liehe mehr als litterarische interesse den Epicharmos einzig erhalten hat. 
die spätem Griechen fanden den Sophron nicht selbst geniefsbar, sondern 
nur so wie ihn das theokritische raffinement salonfähig aufgestutzt hatte, 
wir bewundern in den kümmerlichen resten eine unmittelbare lebens- 
wahrheit oder besser Wirklichkeit, wie man sie bei Hellenen sonst ver- 
geblich sucht (denn sie stilisiren alle), aber wol bei den besten Italikem 
findet, an Petron erinnert Sophron. es hat das seinen geschichtlichen 
grund. denn späfse wie sie in Grofsgriechenland gang und gebe waren, 
haben zwar auch bei einigen stammen dorischer abkunft oder doch cultur 
im mutterlande analogien, aber nirgend ist auch nur ein ansatz zu künst- 
lerischer ausbildung gemacht, dagegen war und ist die italische nation 
geboren dazu das charakterische und namentlich das lächerliche scharf 
und wahr aufzufassen und wiederzugeben, auf italischem Untergrund ist 
der mimus und seine künstlerische blute, die epicharmische posse, er- 
wachsen; ebenso später die rhinthonische. man kann nur dazwischen 
schwanken, ob die mischung mit italischem blute die Grofsgriechen so 
veranlagt hat, oder ob nicht vielmehr, was ungleich wahrscheinlicher ist, 
die Italiker schon damals die commedia delP arte besafsen und also auf 



aber eine tradition von alten volksspäfsen und einem possenreifser Susarion haben die 
Megarer wirklich besessen, und das verdient um so mehr glauben, als ähnliche späfse 
sich ja auch in andern dorischen orten, z. b. Sparta, finden, nur hat das selbst nach 
der angäbe der Megarerfreundlichen tradition nichts mit Dionysos, also nichts mit 
den attischen xcD^oi zu tun. die attischen komiker des 5. Jahrhunderts wenden 
Meya^ixdp qaua, Meyagixfj xo}fiCjf8la, oxcäfifia Msyaoöd'ev xex,le.}iiuhov durchaus 
nur metaphorisch an: so wie wir noch heute 'boeotisch^ und 'attisch' als gegensätze 
brauchen (auch sie einzeln boeotisch, Kratin. ine. 152). 

11) Pollux IX 41 bezeugt dafs lOQayöi im sinne von SiSdoxaXos vorkam. 
Hephaestion 8, 3 nennt eine komödie Xoge-öorTeSy welche ganz in anapaesten ge- 
dichtet war. das gibt sich selbst als ausnähme, lyrische mafse fehlen in den 
bruchstücken ganz, wenn man von gänzlich ungewissen absieht, die Musen in dem 
gleichnamigen stücke sind als chor in attischem sinne undenkbar. 



54 Was ist eine attische tragödie? 

diesem gebiete die lehrmeister derer geworden sind, denen sie wie wir 
alle andere cultur verdanken. 

Wir wissen nicht, wie Epicharmos seine gedichte genannt hat; xoi- 
fiq)dlai> sicher nicht, da sie das nicht waren, erst in Athen hat man dieses 
wort sehr bald nach TQayq)dla gebildet, als bezeichnung für die lieder, 
welche bei den yLWfxoi gesungen wurden, die man um 465 dem Dionysos 
von Staatswegen darzubringen beschlofs. denn so bezeichnet die offizielle 
chronik die einführung der komödie. Aristoteles läfst uns noch etwas 
mehr erkennen, und die reste der späteren komödie (denn erhalten hatte 
sich wol nichts aus den ersten zwanzig jähren ihres bestehens*^) gestatten 
sichere rückschlüsse. das volk ordnete und legitimirte nur einen tat- 
sächlich bestehenden brauch, es war nämlich aufgekommen, ^dafs an 
dem feste des Dionysos eine oder auch mehrere scharen von männern 
sich zusammentaten, sich vermummten, zunächst nur um unerkannt zu 
bleiben, und im festzuge mit flötenmusik in den heiligen bezirk zogen, dem 
gotte ein phalloslied sangen und das volk, das zu der religiösen feier 
und zur tragödie versammelt war, mit einer auf die interessen der bürger- 
schaft und des tages bezüglichen scheltrede haranguirten. dann zog der 
lustige xwfxog wieder ab. ähnliche züge, nur ohne den festlichen charakter, 
tobten an manchem abend durch die gassen, aber der phalloszug war ein 
notwendiger bestandteil der religiösen feier, weshalb denn auch das lied 
(<^(JjJ) welches der *^ nachrede' {iTtlQQTjfxa) vorausgeht, noch bei Aristo- 
phanes meist einen religiösen charakter trägt es ist sehr wol möglich, dafs 
schon in der zeit der freiwilligen aufführungen ein oder zwei einzelredner 
aufgetreten sind und die gesänge durch eine lustige scene unterbrochen 
haben, geschah es aber, so war dafür das Vorbild der tragödie mafs- 
gebend, nach welchem dann, als die komödie staatlich geordnet ward, die 
ganze anläge des Spieles sich richtete, es dauerte noch eine weile, bis 
man statt einzelner zusammenhangsloser scenen eine einzige handlung 
durchzuführen versuchte, erst am anfange des archidamischen krieges 
gestalteten zwei blutjunge talentvolle dichter, Eupolis und Aristophanes, 
die komödie die wir kennen; zuerst sehen wu* sie wenigstens den komos 
und die anspräche sammt religiösem liede festhalten, dann schwindet das ; 



12) Wenigstens bietet weder ein titel noch ein bruchstück einen anhält, der 
über die dreifsiger jähre hinaufzugehen veranlafste. es kommen aufser ein par 
resten des Ekphantides, wenn auf sie yerlafs ist, und einer komödie des Lysippos 
nur die des Krates und Kratinos in betracht. und dafs bei diesem nichts yerläfs- 
liches auf die so yielbewegten vierziger jähre deutet, während so sehr viele komö- 
dien erst in den archidamischen krieg passen, ist schwerlich zufall. 



Komödie. 55 

immer mehr wird die komödie zum lustspiel. nach dem abblühen der 
tragödie fällt ihr ein teil des erbes zu, ein ersatz für den yerlust dessen, 
was eigentlich die komödie erzeugt und belebt hatte, hundert jähre später 
vollendet sich, nicht ohne beihilfe der peripatetischen kunstlehre, die 
echte erbin der euripideischen tragödie, aber nicht der aristophanischen 
komödie, das menandrische lustspiel. das erst ist wirklich mit dem 
modernen drama vergleichbar, weil es lediglich künstlerische zwecke 
hat, weder für einen bestimiäten tag noch auf ein bestimmtes publicum 
berechnet ist, und weil seine Stoffe rein menschlich und wirklich dem 
tagesleben entnommen sind: sie ist filfirjaig ßlov, yidTomQOv öfitklag, 

Für die tragödie ergeben sich aus der vergleichung des jüngeren 
Spieles zwei Schlüsse, erstens dafs es für sie, deren entstehung viel 
älter ist und die der komödie Siciliens und Athens gerade für die dra- 
matischen teile die formen geliefert hat, noch viel weniger als für die 
dichtung des Kratinos erlaubt sein kann, die aesthetischen abstractionen, 
zu welchen allenfalls ihre letzte ausgebildete gestalt veranlassung geben 
mag» als Voraussetzungen ihres Werdens oder auch nur als mafsstab ihres 
wertes zu werwenden. zweitens dafs sie unmöglich aus volkstümlichen 
tanzen, die am Dionysosfeste stattgefunden hätten, entstanden sein kann, 
weder sie noch ihre Vorstufe, der dithyrambos, der neben ihr und neben 
der komödie bleibt, denn aus den volkstümlichen tanzen geht die komödie 
hervor, und sobald sie da ist, verschwindet diese Vorstufe**), eben die- 

13) Dies die originale, die in Ciceros Übersetzung (de re p. IV 11) durchschim- 
mern, er sagt imitationem vitaCf speculum consiietudinis, imaginem veritatis. die 
doctrin ist, auch wenn sie Cicero durch stoische vermittelung empfangen haben 
sollte, peripatetisch. das zeXos aller poesie ist \pv%aymyia, was er xsni voluptas 
wiedergegeben zu haben scheint {riQyjte bei Aristides Quintilian ist schlechte rück- 
übersetzung). die Alexandriner folgen in der kunstlehre den peripatetikem. die yjvxa- 
ywyla bekennt Eratosthenes, und Aristophanes dichtet von Menander dt MivavBqa 
xai fl/ßf Ttöregos ä^* vfi&v ndreqov &ne/4iu'^aaro, Theophrasts kunstlehre erlaubt 
und erfordert eine zusammenhängende behandlung; die Kömer, Sueton zumal, sind 
am ergiebigsten. 

14) Am bezeichnendsten ist, dafs die spiele der freiwilligen sofort wieder auf- 
kamen, als der staat den vergeblichen versuch machte, die komödie zu unterdrücken, 
weil ihre zügellosen angriffe politisch bedenklich geworden waren (440—38 schol. 
Ar. Ach. 67). Blratinos erhielt keinen chor: da führte er seine Rinderhirten mit 
freiwilligen als einen dithyrambos auf. dasselbe scheint er mit seiner 'Odysseus- 
komödie' getan zu haben, denn dies bedeutet 'OSvaa^e, wie l40^rai und 0i},imtoi 
die Stadt der Athena und des Philipp, Ahvai und Kafnycoi (wie die titel überliefert 
sind, wenn man genauer zusieht) die tragödien von Aitna und Kamikos. wahr- 
scheinlich ist der plural früher noch öfter verwandt worden ; namentlich in komödien- 



56 Was ist eine attische tragödie? 

selbe konnte also nicht zwei menschenalter vorher die tragödie oder 
noch viel früher den dithyrambos erzeugt und doch neben diesen ausge- 
bildeten formen fortbestanden haben, wir können sogar noch weiter 
gehen: auch der dithyrambos, aus dem die tragödie hervorgegangen ist, 
kann nicht eben der dithyrambos gewesen sein, der neben ihr fortbe- 
stand; da muis etwas anderes stecken, die modernen haben sich nun 
aber so sehr daran gewöhnt, die tragödie aus volkstümlichen improvi- 
satorischen spielen des faschings hervorgehen zu lassen, dafs es notwendig 
ist, einen zweiten umweg durch diese regionen zu machen, um nicht blofs 
diese Vermutung abzulehnen, sondern ihre Unmöglichkeit positiv darzutun. 
^SotS?" ^®^ Dionysosdienst und neben ihm der Demeterdienst unterscheidet 

sich, wenn auch schwerlich von anfang an, so doch in der gestalt., 
welche allein genauer bekannt und für die tragödie bedingend ist, von 
den diensten der olympischen götter dadurch, dafs die gemeinde eine 
active bedeutung erhält. Dionysos hat selbst auf erden gewandelt, hat 
nicht nur seine gaben verteilt, sondern auch seine feiern, die zwei- 
jährigen auszüge in berg und wald, oder was an stelle derselben tritt, 
eingesetzt, er hat mit den ungläubigen harte kämpfe bestanden, er fordert 
also von jedem einzelnen- die anerkennung seiner göttlichkeit und eine 
persönliche betätigung des glaubens. das ist mehr als was in den 
alten culten geschieht, da vollzieht die heiligen handlungen der durch 
geburt und erbrecht oder durch staatlichen auftrag dazu berufene, im 
eigenen hause der herr oder die frau, in den staatstempeln der könig 
oder sein rechtsnachf olger, in sehr vielen culten, die sich aus geschlechts- 
culten zu allgemeiner anerkennung erhoben haben, der durch ererbtes 
recht dazu berufene, die menge steht dabei, schweigend, oder an festen 
punkten der heiligen handlung festbestimmte rufe erhebend (e^q^Tj/neiv^^ 
ganz selten eine symbolische handlung in festen grenzen mit vollziehend, 
die IsQOVQylai verstehen die olg naTQiöv ioxtv : die ÖQyca gehen jeder- 

titeln schwankt die Überlieferung sehr oft zwischen ihm und dem singular, und nur 
bei Kratinos ist noch 'OSvaofjs KXfoßovlXvai ^Aq%IIo%oi. ganz fest, noch Wolken- 
kukuksheim heilst auch Nffpeloxoxy.xvylai. iDAraia und Mvxijvrj und 0^/3 r^ sind 
die älteren Ortsnamen; als man aber die eponymen nymphen lebhafter persönlich 
empfand, drangen die pluralbildungen durch. • 

15) So stand auch der daduche bei den Lenaeen, rief xaXfZre d'eöv, und die ge- 
meinde respondirte 2Ffieli]ie "laxxe nlovroSöraj schol. Ar. Fr. 479. die einmischung 
des lakchos und des eleusinischen priesters in den altattischen cult zeigt, dafs dies 
nichts ursprüngliches war. verse in diesen und ähnlichen hier und zu Fried. 968 
angeführten worten zu sehen, ist willkür. sie stehen bei Bergk unter den Volks- 
liedern. 



Dionysosdienst. 57 

mann an, der an den gott glaubt**), damit ist der entfaltung der indi- 
vidualität das tor geöffnet. Spöttereien und unflätige reden, namentlich 
der weiber, sind an den Demeterfesten ein notwendiger teil der feier- 
ihn zu motiviren sind die heiligen geschichten von Baubo und lambe 
ersonnen, diese reden haben sich in volkstümliche verse gekleidet; be- 
deutende dichter haben die gelegen heit ergriffen, ihren hafs gegen einzelne 
und auch allgemeinere gedanken vor die öffentlichkeit zu bringen, so 
ist der iambos des Archilochos und Semonides entstanden: bei ersterem 
noch deutlich in Verbindung mit dem Demeterdienste"), wenn auch schon 
weit über die anfange und anlasse hinaus gehoben, auch die entstehung 
der elegie auf ähnliche weiberspäfse zu beziehen, ist verlockend, aber 
die combination hält nicht stich '^). sie gehört vielmehr zum epos, aus 



16) ÖQysßves sind darum die genossen eines religiösen Vereines, an dem sie 
aus freiem willen teil haben; so schon in dem solonischen genossenschaftsgesetze, 
auf welches sich die richtige erklärung des Seleukos bezieht (Harp. Phot. s. v.), und 
dieser gebrauch des Wortes dauert. Verwirrung ist nur dadurch gestiftet, dafs die 
von der kleisthenischen gesetzgebung erzwungene cultgemeinschaft der alten und 
neuen bürger, weil sie nicht auf blutsbruderschaft, sondern nur auf milchbruder- 
schaft beruhte (daher dfioydXaxree), wie sie zwischen hoch und niedrig gewöhnlich 
ist, an sich nicht den Charakter eines geschlechtscultes von dTioro^eg oder yeivTJrai 
trug, sondern eine durch freien willen geschaffene, als doyia^ erschien, im fortgang 
der demokratie ersetzten nun diese dgyia die geschlechtsculte, und so haben Aristo- 
teles und Philochoros die öfioyalaxrcs im Widerspruche zu dem wortsinne als bluts- 
verwandte angesehen, weil sie sich von dem kleisthenischen Staate nicht losmachen 
konnten. 

17) Auch das weibergedicht des Semonides, eine predigt über ein hesiodisches 
thema, welche an sich ohne rechten zweck erscheint, erhält als replik auf die spöt-v 
tereien der weiber am Demeterfeste sinn und salz, dazu braucht sie gar nicht einmal 
wirklich dabei vorgetragen zu sein, sondern nur als ta/ußos zu den späTsen der lambe 
in beziehung zu stehen und so empfunden zu werden. 

18) Usener Altgr, Versb. 113 hat dafür angeführt, dafs ^EXiyij eine der manns- 
tollen töchter des Proitos heilst (Aelian V. H. HI 42 ; die bessere mythographische Über- 
lieferung hat andere namen), und eine mannstolle tochter des Neleus *EXsyrj£s, diese 
namen sind ohne zweifei gegeben, weil man iXsyalvsiv als ax.o'kaaratvEiv verstand, wie 
denn auch überliefert ist. und nun soll Theokies von Naxos im Wahnsinn iX^yaCvroVy 
die elegie erfunden haben, die davon benannt sei. auch mir hatte diese combination 
eingeleuchtet, als ich in Et. M. äaeXyalvotj iXeyalvto (dies auch Suid), ^Elsyrjls las^ 
aber die combination hält die kritik nicht aus. erstens ist die grammatische Verbindung 
von iXiyri und daelyije, an welcher Usener festhält, unmöglich, das anlautende s, das 
vor iXiyrj fortgefallen sein müfste, konnte sich nicht im anlaute von oaXaytXv (das 
Usener trotz oak&oom adloG t,älr} heranzieht) und im Inlaute dosh/tje halten: also gehen 
diese worte sich nichts an. das e von iXiyij u. s. w. ist vielmehr ein bedeutungs- 
loser Vorschlag, nicht anders als in iXe'öd'sQoe ilafQÖe, wirklich belegt Epaphroditos, 



58 Was ist eine attische tragödie? 

welchem ihr versmafs entwickelt ist, und ist wie dieses ein kunstmäfsiges^ 
kein volkstümliches gedieht geblieben, im Dionysosdienste ist der aufzug 
des phallos ein notwendiger teil der feier. dafs die männer, welche ihn 
tragen, die gelegenheit nicht vorüberlassen, von diesem gewaltigen ein 
kraftiges wort zu sagen, versteht man leicht, man könnte aus mittel- 
alterlicher und auch späterer litteratur und aus recht hohen gesellschafts- 
schichten analogien beibringen, so tat es Dikaiopolis zu hause, so taten 
es die phallophoren vieler orten, und aus späterer zeit fehlt es nicht 
an belegen^®), in Athen giengen sie einen schritt weiter, TtaQißrjOav 

auf den die ganze etymologie zurückgeht, liyai Sä yvvalHES aus Archilochos (174) 
im sinne von dxöXaaros, davon kommt jXeyaiveiv und kommen die weibemamen; 
aber davon führt keine brücke zur elegie. auf obscöne gesten und lieder führt nur die 
sicherlich alte (Lykophr. 1385) geschichte der Neleustochter: aber gerade hier ist 
der redende name ^EXeyriis schwerlich der ursprüngliche, denn er hat an dem echten 
Nelidennamen Utj^tb (im Et. M. fälschlich JIei^€&) einen concnrrenten und vor allem 
hat der, welcher die Pero zu einer *EXeytjie machte, nur an ihre Unanständigkeit, 
nicht an die elegie gedacht, denn sie redet in hexametem. (sie spricht in Athen 
intycQoroüaa rd inetaiov di^eo Si^eö aoi /u&Xa Stj /uiyav ävdg^ An A&viv&v ' 
ij is AUXtjtöv ae xard^ca ntjjuara Kapalv. so etwa mag es gelautet haben, im 
Et. M. ist überliefert J. $, d'tj fiiyav ävSga "'AOifjvaZovy 8s a ini M, MardSst n. K, 
in den Lyk. schol. S. o' tH /udXa ie (oder «^Tzetz.) d'aXs^dv nöaiv ij ke *Ad^vas ij 
äs MiXrjrov xard^of tz, K, es kommt der Pero auf den dvijp, nicht auf den tiöois 
an), dafs Theokies, der führer der chalkidischen besiedler Siciliens, die elegie er- 
funden haben soll, ist eine merkwürdige für mich nicht deutbare notiz: aber sein 
Wahnsinn ist denn doch nur ein hebel für die etymologie. nun kann man allenfalls 
iXeyoSf den wilden klagegesang, von Xsyös ableiten: aber dann sitzen wir wieder vor 
dem alten rätsei: wie vermittelt sich die bedeutung der elegie mit dem klage- 
^esang. Didymos freilich (Et. M. iXsyeZa und vollständiger schol. Dionys. Thr. 750 Bek.) 
oder vielmehr seine Vorgänger, wol sicherlich alte peripatetiker, gri^en das auf und 
giengen von den elegischen iTtixjjSeia aus. deshalb war Archilochos der erfinden 
denn man bedenke, dafs dessen elegie auf Perikles tod diese ganze lehre bestimmt 
hat, als die berühmteste elegie des berühmtesten dichters. nur ist das für uns nicht 
beweiskräftig mehr, besser ist freilich die ableitung iXeyos von Xeyös als die nur 
kindlicher grammatik genügende von MXeycj die gar zu dem urkolon geführt hat i i 
Xiy* S S Xiye, eine hypostase MXeyos von i Xäye ist an sich möglich: ist doch odXoe 
als liedname aus dem imperativ aöXe salve geworden, aber wie hätte man in Xiys 
den imperativ je vergessen sollen? wer von i ausgeht, der mag den zweiten teil 
für so irrelevant halten wie den von ii^Xe/aoSj at-Xivos vgl. zu v. 378. MXeyos aus 
dem armenischen zu holen ist so viel wert wie afXtvos aus dem phoenikischen. das 
kolon kXeyeZov kann im MXeyos vorgekommen und daher benannt sein: nur weifs 
niemand, ob dem so ist. also verzichten wir auf die etymologie und die praehisto- 
rische elegie: seien wir froh, die historische verstehen zu können. 

19) Die lieder, welche Semos der Delier (bei Athen. 622) erhalten hat, sind 
wirkliche cultlieder, die zu seiner zeit (um 180 v. Chr.) in gebrauch waren, aber 



Dionysosdienst. 59 

TtQÖg tdv örlfjLOv, und das ward der kern der komödie. aber damit 
ist es auch zu ende, es ist sehr bemerkenswert, dafs der Dionysosdienst 
ein ganz vorwiegend weiblicher ist. aus frauen besteht in Elis, in Del- 
phoi, in Athen das collegium seiner priester. die königin von Athen 
ist als priesterliche würdenträgerin um dieses dienstes willen erhalten 
worden, das gefolge des gottes selbst ist bei Euripides durchaus weiblich ; 
die männer dienen ihm auch, aber sie handeln nicht und sind eigentlich 
nur in der theorie vorhanden, so ist es auch in der bildenden kunst. Dio- 
nysos unter weibern ist seit alter zeit eine gewöhnliche darstellung; wir 
nennen sie mänaden und bezeichnen sie damit als sterbliche, wie sie 
denn in der tat die scharen der weiber darstellen, die zu den trieterides 
hinausgezogen sind, männliche begleiter der art gibt es nicht, sie würden 
sogar in dem festzuge fehlen, wenn nicht die phallagogie diesen einen 
dienst von ihnen forderte, wenn Heraklit das Xrjvat^eiv schilt, gilt das 
eben diesem anstöfsigen acte, dem vf.iv€iv ^Ofxara aidoloidiv dvaidiO' 
Tara, es fehlt also für den tragischen chor im cultus jede anknüpfung. 
wenn wir in spater zerfahrener zeit von einem carneval hören, wo sich 
die männer als satyrn, die weiber als nymphen u. dgl. costumiren, die 
ganze bürgerschaft einer Stadt sich in den späteren thiasos des gottes 
umsetzt ^°), so ist es anachronismus, etwas ähnliches für das 6. Jahrhundert 
zu glauben. 

Noch viel weniger ist mit der modernen anschauung anzufangen, 
dafs die taten und leiden des gottes gegenstände mimischer tanze und 
spiele gewesen wären ^^). leiden zunächst gibt es nicht; es sei denn 
allenfalls der von Hera gesandte Wahnsinn, von dem wir sehr wenig 

sie tragen keine spur des archaischen an sich und können somit für den gebrauch 
der alten zeit nicht zeugen, überhaupt sind die s. g. griechischen Volkslieder nicht 
altertümlicher als die zeit, welche sie aufzeichnet, was meist durch die peripatetiker 
geschehen ist. nur die attischen skolien und einzelnes was früh durch einen be- 
rühmten dichtemamen geschützt ward, reicht in das 5. und 6. Jahrhundert, wenn 
rituelle lieder der kaiserzeit auftreten, sind sie in spräche und yersmafs auch jung. 

20) Dionysios arch. VH 72 p. 1491. Philostrat. vit. Apoll. IV 2, 21. die riot 
Jiövvaotf Antonius (Plut. Ant. 24), von den Ptolemäem nicht blofs der, der den 
beinamen annahm, sondern schon ^dondro}^, am letzten ende Alexander selbst haben 
diese orgien erzeugt: aber dadurch, dafs ein Dionysos leibhaft wieder auf erden 
weilend gedacht ward. 

21) Was die modernen unbewufst oder bewirfst beherrscht, ist schlief slich doch 
nichts als die analogie der christlichen weihnachts- und passionsspiele. sie können 
sich nicht daran gewöhnen, dafs es eine religion ohne heilige geschichte und ein 
heiliges buch geben kann, die consequenz, dafs Dionysos dann wirklich auf erden 
gewandelt sein müfste, sehen sie nicht ein: oder wird sie vielleicht jemand ziehen? 



60 ^^ ist eine attische tragödie? 

wissen, der Überfall der TitaneD, die zerfleischuDg des Zagreus ist eine 
orphische dichtung, die man sich hüten mufs über das pisitrastische 
Zeitalter hinauf zu datiren, und in den cultus hat sie nicht einmal zu 
Eleusis zu irgend wie berücksichtigenswerter zeit eingang gefunden, ver- 
wendbare Überlieferungen von mimischer darstellung der Dionysostaten 
gibt es nicht, das genügt eigentlich, aber es konnte auch nicht ander 
sein, der gegensatz des Dionysosdienstes zu dem der olympischen götter, 
der die beteiligung der gemeinde herbeiführte, schliefst solche Vorstellungen 
aus. gewLfs haben in manchen culten bestimmte personen durch bestimmte 
handlungen ein abbild einer heiligen geschichte geliefert, allein diese 
mimischen darstellungen haben nicht an sich wert, sondern nur als Sym- 
bole, als ein augenfälliger ausdruck desselben gedankens oder derselben 
empfindung, welche auch in der heiligen geschichte niedergelegt sind, 
das ÖQcbjiievov und der köyog bedingen sich nicht gegenseitig, sondern 
sie stammen aus derselben wurzel, der religiösen empfindung. der mensch, 
der sich zu der hohen culturstufe des ackermanns erhoben hat, empfindet 
eine innere scheu, den stier, seinen arbeitsgenossen, zu schlachten und zu 
essen, den er doch als Jäger und hirte ohne anstand getötet hatte, und 
er kann und will doch den genufs des rindfleisches nicht entbehren, 
wir mögen nur daran denken, dafs wir unsere näherstehenden gefährten, 
rofs und hund, auch nicht essen mögen, und auch ein rind, das uns als 
Individuum wert geworden ist, schwerlich für unsern tisch schlachten 
lassen möchten, aus diesem widerstreit der empfindungen entsteht der 
ritus der Euphonien, die symbolische ceremonie, entsteht die geschichte 
vom ersten rinderschlächter Thaulon, auf den die befleckung des mordes 
abgewälzt wird, das erste ergibt allerdings ein dramatisches, wenn auch 
stummes spiel, das andere eine legende. die legende kann sich nun 
freilich von dem airtov loslösen; sie kann als geschichte einen stoff- 
lichen wert erhalten, die phantasie des Volkes und der dichter kann sich 
ihrer bemächtigen, sie weiterbilden, schliefslich so umgestalten, dafs die 
erinnerung an ehemalige symbolische bedeutung völlig verloren geht, 
aber die symbolische handlung ist nicht entwickelungsfähig ; wenn sie 
nicht heilig ist, wird sie absurd, sie kann sich wol gemäfs den Wand- 
lungen des religiösen empfindens umformen, wie es das Opferritual getan 
hat; allein der Spielraum für diese entwickelung ist ein sehr beschränkter, 
sie wird sich als eine leere form durch die macht des herkommens lange 
Zeiten behaupten, das ende aber ist in beiden fällen, dafs einmal der 
augenblick kommt, wo man sich eingesteht, dafs eine leere schale nur 
noch zum wegwerfen taugt, die geschichten von Heras eifersucht und 



Dionysosdienst. Eratosthenes. 61 

Versöhnung leben in mannigfachen Umgestaltungen fort: die spiele mit 
den puppen (daldaka) auf dem Kithairon haben bestanden, als sie längst 
läppisch geworden waren: aber zu machen war aus ihnen nichts, sollte 
sich etwa aus solchen f ratzen die tragödie entwickeln; d. h. sollte man 
einmal statt Zeus und Hera lason und Medeia spielen? nirgends ist 
das mimische im cultus weiter getrieben als in dem drachenkampf des 
pythischen Apollon. die musik hat das dankbare motiv aufgegriffen und 
in immer neuen Variationen mit immer reicherer Instrumentierung durch- 
geführt, aber ein ausgangspunkt für dramatisches spiel ist es nicht ge- 
worden und konnte es nicht werden, da nun im attischen Dionysos- 
dienste auch nicht einmal eine ähnliche ceremonie existirt hat (oder 
wollte man mit dem beilager des gottes und der ßaoLXivva rechnen?), 
und nicht mehr existieren konnte, seit die gemeinde der gläubigen statt 
der wenigen berufenen den gottesdienst betrieb, so ist diese herleitung 
des dramas eine Unmöglichkeit; wie sie denn auch den alten ganz fern 
gelegen hat; wenigstens im ernste. 

Allerdings hat Eratosthenes in der Erigone gedichtet, dafs Dionysos Eratostho- 
die tragödie gewissermafsen selbst gestiftet hätte, als er nämlich den Ika- 
riDS den weinbau lehrte, frafs ein bock die junge rebe an ; zur strafe ward 
er geschlachtet, und die Ikarier zogen ihm das feil ab, bliesen es auf und 
machten sich den spafs, zu versuchen wer auf dem aufgeblasenen schlauche 
tanzen könnte; die meisten fielen ab und der sieger erhielt den schlauch 
voll wein, daraus ist das attische kannenfest geworden, das der schlufs der 
Acharner so deutlich darstellt, den braten aber erhielten die tänzer, welche 
um ihn einen reigen zu ehren des gottes aufführten : diesen reigen nannte 
man ^^bocksgesang', und daraus ist die tragödie entstanden, welche ein Ika- 
rier Thespis viele hundert jähre später in Attika verbreitet hat, auf dem 
lande herumziehend, wie sein ahn Ikarios, der den weinbau verbreitete, das 
gesiebt mit hefe beschmiert, woraus das 'hefespiel' geworden ist, die tqv- 
yqjöia, wie man in alter zeit die komödie genannt hat**), da Eratosthenes 
nur in zweiter linie dichter war, in seinem bedeutenden werke negl 

22) Ob Eratosthenes diese etymologie von t(?i5| befolgt hat, die in den ein- 
leitongen und scholien zu Aristophanes häufig ist, oder die von rpvyrj, weinlese 
(Athen. II 40), kann zweifelhaft scheinen, allein r^öyrj für TQvyriTÖs ist kein alt- 
bezeugtes wort und dafs die tradition in der komikererklärung auf den meister zu- 
rückgeht, vorwiegend wahrscheinlich, übrigens ist das wort zwar von T(^t5| wirk- 
lich abzuleiten, aber es ist nicht verständlich, wer es erklären will, mufs auch die 
'hefeteuf er TQvyoSalfioves Ar. Wölk. 296 erklären, die reconstruction der Erigone 
hat Maafs Philol. Unters. VI Herrn. 18 geliefert; so weit sie hier in betracht kommt, 
ist sie sicher, eine bearbeitung von Eratosthenes negl Htoftt^Slas ist dringend nötig. 



i 



Q2 Vla.a ist eine attische tragödie? 

y,to 1,1(^8 lag aber die Ursprünge des dramas behandeln mufste, so ist aller- 
dings zu glauben, dafs er seine dichterischen bilder nicht ohne rücksicht 
auf seine wissenschaftlichen Vermutungen gestaltet haben wird, manches 
darin macht auch den eindruck, als wäre es von ihm schon übernommen, 
wie denn die Erigonefabel in ihren grundzügen so wenig seine erfindung 
sein kann wie die Hekale erfindung des Kallimachos. aber als tatsachen 
hat der sehr besonnene forscher die fremden oder eigenen autoschediasmen 
gewifs nicht gegeben; auf alle fälle sind sie nichts weiter, denn die ein- 
kehr bei Ikarios ist zwar eine echte attische dorfsage ; nur ist Dionysos auf 
seinem erden wallen vielfach eingekehrt, bei Pegasos in Eleutherai, bei 
Semachos in dem dorfe, das nach ihm heifst, bei könig Amphiktion in der 
Stadt, und die tragödie geht die einkehr nichts an. das andere sind 
spielend ersonnene aXxia für die d)yfjTig, für den day,(x)kiaa^ög und das 
wetttrinken an den Choen, für die rätselhaften namen TQvycpdla und 
TQaycpdla; das herumfahren könnte nur die TtOfXTtri angehen, ist für den 
Dionysoscult nicht charakteristisch, würde auch nur zur komödie führen: 
das lehren die den Demetercult an gehörigen spottreden dq)^ dfxd^rjg^^)', 
der frevel des bockes endlich soll das tieropfer überhaupt motiviren und 
hat viele analogien in den dgcbfieva, z. b. der Euphonien, und in peripate- 
tischen und pythagoreischen speculationen *''^). nicht an sich haben also 
diese dinge wert, aber Eratosthenes hatte sowol als forscher wie als 
dichter einen ganz ungemessenen einflufs; so bestimmte er die folgezeit, 
und was uns von kind auf aus Horaz und Vergil geläufig ist, geht schliefs- 
lich eben so gut auf ihn zurück wie die gelehrte doctrin Varros, deren 
niederschlage neben den dichtem Roms auch die antiquare, vor allem 
Sueton, uns übermitteln, von diesen Vorstellungen müssen wir uns 
losmachen, und das gelingt am sichersten, wenn wir einsehen, wo sie 
eigentlich herstammen und wie sie sich gebildet haben, es sind con- 



23 1 Ich kann berichtigend hier noch das attische yasenbild nachtragen, welches 
Dümmler Rh. M. 45, 355 veröffentlicht: Dionysos zwischen zwei satym auf einem 
schiffe auf rädern, es ist eine wichtige Überraschung : der Thespiskarren oder eigent- 
lich der des Ikarios, ist eine fiction, entnommen dem currus nayalis des faschings, der 
somit ein ableger der Dionysien ist. für die Dionysosreligion ist das überaus wichtig; 
ich habe keinen räum mehr, das in Verbindung mit dem ^tövvaos neXayios (Maafs 
Herrn. 22) und dem homerischen hymnus zu erläutern, aber für das drama lehrt 
es nichts, doch verfehle ich nicht hervorzuheben, dafs Dümmler die probleme richtig 
erfafst hat, welche unten gelöst sind. 

24) Vgl. Eobert Eratosth. 7. Graf de aureae aetatis fahulis Leipzig 1883. 
Schmekel de Ovid. Pythag, Greifswald 1883. an Papirius Fabianus als quelle Ovids 
kann ich freilich nicht glauben. 



Eratosthenes. dithyrambos. 63 

structionen, keine Überlieferung, sie müTsten schon deshalb fallen, weil 
das aristotelische zeugnis mit ihnen unvereinbar ist, nach welchem die 
tragödie aus dem dithyrambos stammt, um so wichtiger wird dieser, 
nachdem wir aus inneren gründen das ganze gebäude des Eratosthenes 
umgestürzt haben. 

Die tragödie stammt von den sängern des dithyrambos. das scheint dithyiam- 
zunächst wenig zu helfen, da ein wenig bekanntes ding durch ein ganz 
unbekanntes erklärt werde, wir wissen ja wol so viel mit Sicherheit, 
dafs der dithjrrambos dem wortsinne nach nur einen göttlichen d. h. 
besonders schönen oder erfreulichen &ijQafÄßog bedeutet; S^ijQa^ißog oder 
auch -d-Qia^ßog ist der appellativname einee gesanges oder tanzes, den 
wir so wenig zu deuten vermögen wie cd-v^ßog oder iafißog^). in 
ältester zeit ist der dithyrambos ein lied, das der zecher anstimmt, wenn 
er des gottes voll ist*®), mit ziemlicher Sicherheit läfst sich als heimat 
des dithyrambos die insel Naxos ansehen, das centrum des Dionysos- 
dienstes auf den inseln"). wir wissen ferner, dafs Arion von Methymna, 
einer Stadt mit lebendigem Dionysoscult und keinesweges ausschliefslich 
aeolischer bevölkerung''') , am hofe des Periandros dieses wein lied des 
einzelnen weinseligen zechers zu einem chorgesange umgestaltet hat, 

25) Sldüpauflof formell wie Stnölia ^laotrijpiov ^ixiras (d. h. ^luxiras)', der 
metaplastische accusativ did^^a/ußa Pind. fgm. 86 lehrt nichts; der bedeutung nach 
wie ^tde iyxifpaXoSy ^ids ßaXavos iuglans. triumpe im Aryallied kann man nicht 
leicht als entlehnt ansehen, eher dürfte es interjection sein, wie rijvMa, nnd das 
ursprüngliche enthalten, aas ihr mag sich der name entwickelt haben, wie eine 
OÖTtis aus den oÜTityyes auf Delos, OiröXivoe u. a. vgl. zu der zweiten gesang- 
nummer die einleitung. 

26) Philochoros bei Athen. XIV 628 ol nalaiol o^x dei Si&vQafißovatv dXV 
Srav aniv8(oaiv (beim Symposion), rdv jdiöwaov iv oiv(p xal /uid^j rdv 8 AnöX- 
Xtova fied" rjavx^ae xal rd^ecüS fiiXnovree. lAQ^lXo^oe yo€v (priai (77) cbe jdto}- 
v^aov äruxTOS xaXdv l^dQ^ai /uiXos olSa Si&ö^a/tßov, otvtp avyxe^avvm&els tpQivai , 
xoU ^EnlxaQ/4oe S* iv 0tXoxTtjr7] Mipri *'o^x Man Sidüpa/ußoe Sx^^ ^8o»q nirjs. also 
auch in Syrakus ist es noch ein einzellied. es wird dahin aus dem sicilischen Naxos 
importirt sein, welches den satyr auf den münzen führt, der zusanmienhang, in 
dem Philochoros auf diese dinge zu sprechen kam, ergibt sich durch die vergleichung 
mit Phanodemos Ath. XI 465 : es sind die alten cerimonien der attischen Lenäen. 

27) Das sagt Pindar (fgm. 71) einmal geradezu, und die concurrenten, Theben 
und Eorinth, fallen von selbst weg. Paros, die heimat des Archilochos, das sicilische 
Naxos, Methymna, weisen alle in dieselbe richtung: der gott des dithyrambos, der 
nesiotische Dionysos, ist der neXdyioe. dies wird durch Dümmlers vase bestätigt. 

28) Dies letztere haben die steine gelehrt, die tausendschaften, in welche die 
bürgersohaft Methymnas zerfiel, hiefsen, so weit wir bisher wissen, ÜQüoreVs, ^eoxeZe, 
£^v&^aZoif SxiQioi. 



64 Was ist eine attische tragödie? 

und dals die Korinther auf diese bei ihnen, wenn auch nicht durch sie, 
entstandene gattung besonders stolz waren''), wie denn auch in der tat 
der dithyrambos zunächst nur in benachbarten gegenden in aufnähme 
kam. aber das hilft uns wenig; denn nicht nur wir besitzen keine proben 
mehr von jenen poesieen, sondern schon unsere antiken berichterstatter 
kannten die dithyramben des 6. Jahrhunderts nur von hörensagen : er- 
halten hatte sich nichts'*'), somit sind wir und waren jene im wesent- 
lichen auch auf die dithyramben des Pindaros und seiner Zeitgenossen 
angewiesen, und diese unterscheiden sich in nichts auiser einer gewissen 
metrischen freiheit von den übrigen chorliedern. damals bestand nun 
die tragödie bereits selbständig neben dem dithyrambos, und so viel liegt 

29) Herodot I 23 ^Aqlova — Sid^gaftßov ngßrov Avd'Qihnmv rmv ifjfieZs tSftev 
Ttoijjoavra xai oiivofi&aavra xai SiSd^avra iv Kogtvd'fp, Pindar Ol. 13, 18 rat 
jduiiv{)aov nö&fv i^itpavev ai)v ßorjldrq XdpitfS Si&vpd/ußq} * d. h. die reize der 
dionysischen poesie traten zu Korinth in Verbindung mit dem dithyrambos auf; der 
ausdruck ist aber in pindarischer weise persönlich gewandt. Dithyrambos als person 
ist in attischer weise leicht zu denken, vgl. die vase Welcker A. D. in 125: er ist 
silen, so gut wie öfter rgayt^Sia eine mänade. aber was Pindar sich gedacht hat, 
kann niemand sagen, weil der 'stiertreiber' unbekannt ist. die schollen fabeln von 
einem stier als Siegerpreis: aber der Dorer kennt keine solchen agone. Simonides 
scheint in demselben sinne ßovfövoe gesagt zu haben (Chamaileon bei Athen. X 456<^) ; 
aber auch das bleibt dunkel, der Irrtum, Lasos zum erfind er des dithyrambos zu 
machen, ist schon im altertum zurückgewiesen, schol. Ar. Vög. 1403. vermutlich 
glaubte Euphronios, der ihn begieng, gedichte von Lasos zu besitzen, die dann frei- 
lich die ältesten erhaltenen gewesen wären. 

30) Von gedichten des Arion weifs kein grammatiker. das bei Aelian erhal- 
tene gedieht ist in den ausgearteten daktyloepitriten verfafst, welche für den dithy- 
rambos des 4. Jahrhunderts charakteristisch sind, und diesem steht die ethopoeie 
auch ohoe fälscherabsicht wol an. von Lasos glaubten Elearch und Herakleides noch 
etwas zu haben (Athen. X 455 XIV 624), aber Aristophanes von Byzanz (bei Ael. 
H. A. VII 47) citirt ihn mit dem ausdruck des zweifeis; dann ist er verschollen. 
Xenokritos von Lokroi blieb im gedächtnis der musikgeschichte, aber nicht einmal 
seine zeit stand fest, und wenn man ihm dithyramben zuschrieb, weil seine gedichte 
heroischen Inhalt gehabt hätten (s. Jflutarch de musica 10, unsicherer herkunft), so 
hat da der späte dithyramb Verwirrung gestiftet. Kleomenes von Rhegion (Ath. IX 
402**) sieht vollends nach fälschung aus, dürfte zudem derselbe sein mit einem rhap- 
soden Kleomenes aus dem 5. Jahrhundert (Diog. Laert. VIII 63). selbst von Simonides, 
der doch wenigstens in Keos und Athen dithyramben aufgeführt hat, ist kein sicher 
auf sie bezüglicher rest erhalten, was bei Strabon 728 steht raffjvM Sh XiyeTa$ 
Mifivmv negi JIdXrov ras I^vQlas napd BaSäv noraudv, o^e etprjxe Si/nf/tviSris 
iv Msfivori Std^>pdjuß(p rdiv ^t)liaxc5v ist nicht nur unverständlich, sondern un- 
heilbar verdorben, weder konnte Simonides das berichten, noch ist in dem schlufs- 
worte überhaupt ein sinn: also auch auf den heroischen titel des dithyrambos kein 
verlafs. 



dithyrambos. bildung der hellenischen nation in Asien. 65 

auf der band, dafs sie gerade jene bezeichnende metrische freiheit nicht 
besitzt, vielmehr mit den andern chorliedern gegen den dithyrambos 
steht, das aber ist allerdings eben so offenkundig, dafs die tragödie in 
metrik und spräche, soweit sie chorlied ist, mit den andern chorliedern 
zusammengeht, hier also bietet sich ein angriffspunkt. wenn wir die 
art nicht mehr kennen, an die uns Aristoteles weist, so wenden wir uns 
an die gattung. weit muTs ausgeholt werden; es ist wol auch ein umweg: 
aber ein holzweg ist es nicht. 

Die Völkerwanderung hatte die in der cultur vorgeschrittenen stamme Biidnng: der 
teils unterjocht, teils aus dem lande getrieben, die zurückgebliebenen sehen nation 

in Asion. 

waren hörige hausier Untertanen geworden ; eine selbständige entwickelung 
war für sie unmöglich, ihre noch fast ganz barbarischen herren hatten 
gleichwol viel bei ihnen zu lernen, so viel, daJfe es zu einer reinen ent- 
faltung ihres eigenen wesens auch nicht kam. Jahrhunderte waren nötig, 
damit überhaupt die widerstrebenden demente zu einem neuen Volkstum 
verschmolzen; und damit war doch nicht viel mehr erreicht, als dais der 
boden für die aus dem osten zurückflutende cultur empfänglich gemacht 
war, und auch das war nur in einem kleinen teile von Hellas der fall: 
die ganze Westküste ist der cultur so gut wie verloren geblieben, die 
wenigen gegenden aber in welchen sich die alte bevölkerung behauptet 
hatte, Euboia, Attika, die dryopische und saronische küste der Argolis, 
waren einstmals die etappen für die auswanderung gewesen und jetzt 
wieder die berufenen träger der vermittelung. hier nur konnte sich 
eine statte finden, wo sich alle lebensfähigen culturelemente zusammen- 
finden und zu einer höheren wahrhaft nationalen cultur vereinigen und 
steigern mochten. 

In den durch harte kämpfe erworbenen neuen sitzen an der herr- 
lichen asiatischen küste verwuchsen zunächst die hinübergeworfenen splitter 
von Stämmen und Völkern zu neuen gröfseren Stammesgenossenschaften, 
hier auch empfand man durch den gegensatz der barbaren zuerst die 
Verwandtschaft auch der ferneren glieder des gemeinsamen volkes, erhob 
man sich ganz allmählich zu der erfassung des begriffes eines einigen 
Hellenentums in race und cultur, zu der zeit, von welcher es zuerst 
möglich ist, sich einigermafsen ein bild zu machen, etwa vom achten 
Jahrhundert ab, ist der vorwaltende stamm der ionische, von seinen sitzen 
an der mysischen lydischen karischen küste nicht nur nach norden und 
Süden übergreifend, sondern bereits die Propontis und fernere gestade 
mit pflanzstädten besetzend, die süddorischen inseln haben die inner- 
liche ionisunng bereits begonnen, vorbildlich für das mutterland; aber 

T. ^ilamowitz I. 2. Aufl. 5 



66 Was ist eine attische trag5die? 

auch die Aeoler sind schon im niedergange, verlieren manche küsten- 
plätze^*) und sind in der cultur nunmehr die empfangenden, dennoch 
erkennen wir, dafs es einst umgekehrt gewesen war. eben das epos, 
welches doch der lebendige ausdruck der ionischen Suprematie ist, tragt 
die deutlichen spuren in form und inhalt davon, dafs es aus aeolischer 
Wurzel stammt, aber freilich, die lonier haben es aus ihrem geiste neu 
geboren; nur dem bewaffneten äuge des forschers erscheinen die ein- 
zelnen fremden züge. und erst als ein ionisches, als Homers werk, hat 
das epos die culturmission übernommen, das mutterland wieder für das 
Hellenentum zu gewinnen, ist doch selbst Aeolien in den zauberbann 
des ionischen epos getreten. Hesiodos (wol um 700), der aus einer aeoli- 
schen familie stammte und als hintersasse in dem boeo tischen Askra zum 
dichter ward, hängt vollkommen von dem homerischen epos ab, seine 
stolzeste erinnerung ist, dafs er bei den leichen spielen eines fürsten in 
dem ionischen Chalkis den preis erhalten hat: und um 600 ist seine 
dichtung in Mytilene populär. 
Dasioni- Das ionische epos befand sich in den Händen von berufsmäfsigen 

wandert in sängem oder besser Sprechern, wie alle griechische kunst, war auch 
der homerische stil das ergebnis langer handwerksmäfsiger Übung, und 
nur wer ihn gelernt hatte, vermochte ihn zu üben, dichten und vortragen 
waren keine geschiedenen berufe, der stoff aber war volksmäfsig. denn 
auch die von den Aeolern entlehnten demente waren es längst geworden, 
allein nach dem mutterlande trugen die sänger den Homer als etwas 
inhaltlich und formell neues, höchstens durch die von mund zu mund 
gehende sage ein wenig vorbereitetes, das epos kam übers meer wie 



31) Man hat auf grund der mundart vermutet, dafs auch Chios ursprünglich 
aeolisch gewesen wäre, aber dafür liegt weder in der geschieh te noch in der sage ein 
anhält vor. und der schlufs aus der spräche beruht auf einer yerkennung des ge- 
schichtlichen Vorganges, die neuen stamme waren ja niemals vorher da gewesen, 
sowol Aeoler wie lonier bilden sich erst allmählich unter dem drucke besonderer 
geschichtlicher factoren. zunächst war das mischungsverhältnis der bevölkerung aller- 
orten verschieden, die geschichtlichen factoren waren verschieden und so ergaben sich 
zunächst ganz verschiedene volks- und sprachtypen, eine Sprachgrenze von aeolisch 
und ionisch gab es also auch noch nicht; diese ward erst gezogen, als der zusammen- 
schlufs der Staatenbünde bestimmte kreise zog. gewifs haben in Lesbos und Chios 
mehr verwandte familien sich angesiedelt als in Lesbos und Milet, und hat auch in 
Lesbos nicht nur eine unter sich verwandte bevölkerung gesessen: das spürt man 
dann in den mundarten. die Chier würden unter der herrschaft der Mytilenaeer 
oder in staatlicher gemeinschaft mit ihnen Aeoler haben werden können: in der 
panionischen gemeinschaft sind sie lonier geworden, aber hier liegt kein gewaltact 
vor, sondern ein stilles organisches wachstunu 



Das ionische epos wandert in Hellas ein. 67 

andere ionische wäre auch; die rhapsoden, die zuwanderten, verdienten 
sich mit seinem vertriebe ihr brot. sehr früh mufs dieser verkehr be^ 
gönnen haben ^ lange ehe ein bauemsohn in Askra aus eignem dränge 
sich dem dichterberufe in den fremden formen hingeben konnte, und 
die empfänglichkeit der hörer muTs eine grofse gewesen sein, da sie 
sich diese fremde dichtung nicht nur angeeignet haben, sondern ihre 
ganze eigne dichtung auf ihr aufgebaut, die neuen Völkerschaften, die 
sich im mutterlande aus der mischung von eingewanderten herm und 
alteingesessenen Untertanen und knechten gebildet hatten, besafsen zwar 
einen reichen schätz von nationaler Überlieferung, aber sie hatten noch 
keine lebenskräftige poesie. der gehalt war da: das gefäfs fehlte, nun 
kam ein solches völlig fertig aus lonien, und es kostete verhältnismäfsig 
wenig mühe, den neuen wein der festländischen sage hineinzugiefsen. 
die sagen, welche den inhalt des importirten epos ausgemacht hatten, 
wurden freilich auch übernommen, wirkten als kräftigstes ferment auch 
für die ausgestaltung der neuen epik mit, mufsten sich aber dafür mannig- 
fache Umformungen gefallen lassen, die kunstform, versmaTs, spräche, 
Stil, blieb ; was sich darin änderte, geschah unwillkürlich und den ändern- 
den unbewufst. so erlebt denn das homerische epos im mutterlande 
während der Jahrhunderte 750 — 550 eine neue blute, mochte es in seiner 
heimat gleichzeitig auch immer mehr zurücktreten, auch die sage der 
Peloponnesier und der amphiktionischen völkergruppe schlug sich noch 
in epischer form nieder; nur in die westlichen colonien ist das epos 
nicht mehr gelangt, es sind wesentlich die culturkreise von Chalkis Del- 
phoi Korinth Argos, welche sich seiner pflege widmen, übrigens bleibt 
die dichtkunst durchaus in den bänden der handwerksmäfsigen sänger. 
noch viel stärker als der lonier mufste der Peloponnesier empfinden, 
dafs er sich eine fremde mundart und ausdrucksweise aneignen sollte, 
um die taten seiner vorfahren und die idealbilder seiner eignen phantasie 
den landsleuten vorzuführen, und für uns büfst, wer immer es versucht, 
zo ziemlich seine heimische nationalität zu gunsten der internationalen 
homerischen oder hesiodischen weise ein: erscheint doch Hesiodos selbst 
beinahe als ein Homeride. dieser umstand hat vielleicht ein wenig dazu 
mitgewirkt, dafs die herrschende gesellschaft, die dorischen oder chalkidi- 
schen ritter, selbst an der pflege des epos nicht band anlegen, aber das 
ward noch durch etwas viel eingreifenderes gehindert, durch das standes- 
gefühl. zwischen dem adlichen burgherrn und dem fahrenden spielmann, 
den er sich dang, dafs er in der halle eine schöne mär sagte, von Bios 
oder Theben, lieber noch eine von Herakles und Kyknos, oder von Medeias 

5* 



63 ^&s ist eine attische tragödie? 

heimholung, oder des Aigimios ritterspiegel, war die kluf t allzugrofs : weder 
konnte der spielmann ritterbürtig werden, noch der herr mehr für die 
dichtung tun, als dafs er etwa dem dichter die geschichten von seinen und 
seines Volkes ahnen erzählte und gute bezahlung gab, damit jener sie in 
homerische verse setzte und etwa eine Mekionike in die reihe der er- 
habenen götterfrauen aufnähme, die aus himmlischem samen die ahnherrn 
der erlauchten häuser geboren hatten, das epos hat im mutterlande un- 
endlich viel für die erhaltung des Stoffes gewirkt, aber es hat nur den 
boden für eine wirklich nationale poesie vorbereitet: selbst ist es immer 
etwas halbfremdes und ich möchte sagen halbfreies geblieben, 
lambosnnd I^i lonien voUzog sich nun aber in eben den Jahrhunderten 7 und 6 

eiogie. gjj^g gewaltige Verschiebung aller schichten der gesellschaft und der cultur. 
hier gieng das rittertum zu gründe durch das bürgertum der groisen 
handelsstädte. ztvar behauptete sich, auch wenn der name demokratie 
war, durchweg ein bevorrechteter stand, welcher den gröfsten besitz mit 
der höchsten bildung verband; allein es stieg fortwährend frisches blut 
von unten empor in die bevorrechteten kreise, jedes geistige schaffen 
aber nahmen diese selbst in die band; die handwerksmäisige pflege der 
homerischen poesie blieb, aber immer weniger productiv und immer 
weniger geachtet. es wehte ein scharfer wind. weithin übers meer 
zogen die schiffe, weiterhin ins ungemessene die gedanken. aus der 
tiefe des arbeitenden volkes stiegen rücksichtslose wagemutige männer 
auf, die durch die kraft der eignen faust und des eignen köpf es sich 
eine Stellung schufen, die herrschenden gewalten bezwangen und ihr 
Volk befreiten bevormundeten bedrückten, aus den tiefen des menschen- 
herzens stiegen die ewigen gefühle, des^menschenherzens Unendlichkeiten 
in wonne und weh, des menschengeistes quälen in antwortlosem fragen 
nach den ewigen rätseln der weit auf die lippen empor, der mann, der 
im rat und auf dem markte der erste war, trat vor das volk oder den 
vertrauten kreis in der halle des marktes, auf den stufen des gotteshauses, 
im saale des festgelages, und sprach sie an aus eigner seele in eignem 
namen. er erzählte nicht von Giganten und längst vermoderten ahn- 
herrn, sondern von der gegenwart, schalt der bürger lässigkeit, warnte 
vor der gefahr, schleuderte dem gegner den schimpf entgegen, oder auch 
er sagte, was ihn das eigne denken gelehrt, wie die weit geworden, was 
des lebens wert sei, und tausend weise Sprüche, die form war bald die 
aus dem ältesten urbesitze des volkes emporgeholte und durchaus volks- 
tümliche des iambos, oder die kunstmäisig aus dem epos abgeleitete ele- 
gische Strophe, aber auch in dieser bemeisterte die gegenwärtige spräche 



lambos und elegie. 69 

das fremdartig altertümliche, um 550 tat man dann den letzten not- 
wendigen schritt und streifte als letzte aller bände die gebundene rede ab. 
Was der elegiker oder iambograph in seinem kreise vorgetragen 
hatte, trug der rhapsode bald ebenso wie das epos weiter, und so gelangte 
auch diese poesie in das mutterland. aber hier war der boden noch 
nicht reif für die entfaltung dieser subjectivität, und nur in dem stamm- 
verwandten Athen bemächtigte sich der gründer der Verfassung der poesie 
als einer waffe um die Stimmung seines Volkes zu beeinflussen, was der 
handelsmann Solon konnte, der in vielen ländern mit vielerlei volk ver- 
kehrt hatte, dazu war der ritter auf seiner bürg oder am gemeinsamen 
tische unter seinen zeltgenossen nicht fähig, wol nahm die politische 
hauptstadt des Peloponnes, nunmehr Sparta, die elegie auf, weil der adel 
mit der bunten homerischen bildlichkeit nie viel hatte anfangen mögen, 
dagegen gefallen daran fand, sich einen Spiegel der tugenden^ zu denen 
ihn der zwang seiner Standesehre erzog, in den gefälligen formen der 
verständigen und verständlichen ionischen elegie vorhalten zu lassen, aber 
dabei gieng eben das verloren, was den fortschritt der elegie über das 
epos gebildet hatte, das individuelle, der herrschenden Überlieferung nach 
war der einzige dichter ein zugewanderter lonier. mag diese tradition 
wahr oder falsch sein^^^ sie beweist, dafs man den Lakonen einen solchen 
dichter nicht zutraute, und wurklich spricht aus den meisten gedichten, 
die auf Tyrtaios namen giengen, nicht ein einzelner mensch, sondern ein 



32) Wir kommen über das dilemma nicht hinweg, das ApoUodor (Strab. 362) 
richtig formulirt. wenn Tyrtaios ein Athener war, so kann er die Eunomia nicht ge- 
dichtet haben, und wenn er die gedichtet hat, so war er ein Lakone. denn der 
ausweg, ihm das bürgerrecht erteilen zu lassen, zu dem schon Piaton greift (Ges. 629 *), 
reicht gegenüber dem stolze auf die herkunft aus der dorischen tetrapolis nicht hin. 
und der dichter der Eunomia ist heerführer wider die Messenier gewesen: das stand 
in den elegien. nicht leicht wird man das einem fremden zutrauen, hier haben 
wir also sicher eine bedeutende persönlichkeit: aber dieser alle die ganz allgemein 
gehaltenen mahnungen zur tapferkeit zuzuschreiben, ist eine Vertrauensseligkeit, vor 
der die namen Homer Hesiod Orpheus Theognis und selbst Sappho und Anakreon 
warnen sollten, auf den berühmten namen gieng die lakonische elegie wie sie war. 
die tradition, dafs Tyrtaios ein Athener war, ist älter als die bekannte ausgeschmückte 
fabel von dem lahmen Schulmeister, eine parodie des kimonischen hilfszuges, wie 
man jetzt ja wol zugesteht, daneben erscheint Milet als heimat (Suid. s. v.), 
was sich gar nicht discutiren läfst, da der gewährsmann unbekannt ist. Der name 
klingt nicht attisch, gehört doch wol zu Tv^rafioe; allein in vereinzelten Wörtern 
hat sich auch in Athen t vor u gehalten: T\}Qfiez8ai ist ein demos, war zweifellos 
ein geschlecht, und neben avpßrjvitov %o^6s steht rÖQßri und rvQßd^eiv. so bleiben 
die probabilitäten in der schwebe. 



70 Was ist eine attische tragödie? 

stand, der culturkreis von Korinth und Argos, Theben und Chalkis ver- 
Bchlieist sich dieser poesie. auch nach dem westen kommt sie so wenig 
wie das epos. denn als Theognis in den beiden Megara dichtet, ist bereits 
Athen mehr mafsgebend als Korinth. der iambos vollends, der volkstüm- 
lichere kräftigere bruder der elegie, ist auf Athen beschränkt geblieben: 
dafs Solon ihn dort eingebürgert hat, sollte allerdings die ungeahntesten 
fruchte tragen. 
Baslied. Das lied, das nicht der dumpfen menge ertönt, das der dichter 

nicht singt die menschen zu bessern und zu bekehren, noch sie zu er- 
götzen und zu unterhalten, das er nur der Muse oder etwa der geliebten 
singt, das echte lied ertönt von Lesbos und nur von Lesbos; es ertönt 
als der schwanengesang der sterbenden aeolischen cultur. Sappho steht 
einzig da in der ganzen stolzen geschichte des griechischen geistes: und 
wenn sie nicht so ganz natur wäre, würde man sie für unbegreiflich 
halten, für die eigentliche lyrik gilt in noch höherem maise als für die 
poesie überhaupt, dafs nur das allerbeste lebensfähig ist. wol täuscht sich 
die gegenwart über den wert des sanges, der von allen lippen tönt, 
besonders stark; aber die nachweit ist dafür um so grausamer, deshalb 
erkennt man die Übergänge schwer, man wird ja nicht bezweifeln, dafs 
trotz dem schweigen der Überlieferung neben der lesbischen nachtigall 
auch in lonien mancherlei vöglein gezwitschert und gepfiffen haben, ein 
jegliches bewundert in seinem haine. und gesungen hat das lokrische und 
peloponnesische mädchen bei der spindel und beim wassertragen ohne 
zweifei auch : aber das alles ist spurlos in die winde verhallt, weder hier 
noch dort war für das lied im 7. und 6. Jahrhundert eine statte, das gebun- 
dene wesen der ritterschaftlichen cultur lieis die knospen des herzens noch 
nicht springen, in den sich immer mehr demokratisirenden Städten Asiens 
wehten die frühlingsstürme, die den boden befruchten, schofs die heifse 
sonne einer arbeitsfrohen geschäftigkeit ihre raschreifenden stralen: da 
begehrte man keine frühlingsblumen und träumte nicht am bachesrand. 
die tieferen geister grübelten über gott und weit, die menge jagte nach 
macht und gold ; sie verschmähte wie alle guten dinge auch das lied nicht, 
aber ihre lyrik war nur die der begierde und des genusses. Anakreon 
mochte im kreise der Zechbrüder am üppigen hofe des Polykrates von 
wein und liebchen singen, mit vollendeter grazie, aber ohne dafs selbst 
in den knabenliedem das herz stärker mitspräche, einem ernsten manne 
würde diese poesie zuwider werden müssen, wenn nicht der dichter sich 
als ein wirklicher bewiese, vifjq)0)v xdv ßay.xs'öfjiaotv, immer seinem 
Stoffe überlegen, das ganze treiben und sich selbst leise ironisirend. aber 



Das lied. Alkman. 71 

selbst für Athen war dies lied eine exotische pflanze und hat nur durch 
die form nachhaltig gewirkt, noch viel weniger hätten Dorer, z. b. die 
uns aus Pindar so wolbekannte aeginetische gesellschaft damit anfangen 
können, unter den festlandsgriechen üben nur einige weiblein das lied, 
die so oder so, als vaterlandsverteidigerin wie Telesilla, oder als hetäre^^) 
wie Praxilla, aus den schranken ihres geschlechtes treten. Korinna ist 
ein braves mühmchen, und erzählt in ihren sehr kunstlosen aeolischen 
rhythmen den Tanagraerinnen ihre märlein {ycQOia); sie ist allerdings 
eine art Sappho, nur eine boeotische. das alles stieg nicht in die leitenden 
kreise der gesellschaft 

Und doch war schon im 7. Jahrhundert ein kräftiger bach aeolischer 
liederpoesie nach dem mutterlande herübergekommen, der immer stärker 
anschwellend schliefslich das stolze schiff der aischyleischen tragödie flott 
gemacht hat. 

Schon früh im siebenten Jahrhundert sind fahrende sänger aus Lesbos AUcman. 
im Peloponnes aufgetreten und der name des Terpandros zumal steht 
an der spitze der musikgeschichte. in wie weit die theoretiker der aristo- 
telischen zeit, welche uns davon erzählen, eine zuverlässige künde von 
seinen musikalischen leistungen besafsen, sind wir auTser stände zu con- 
troUiren, worin nicht liegt, dafs wir darauf fest bauen dürften, dichtungen 
aus dem siebenten Jahrhundert waren nicht erhalten ^^). dennoch reichen 
die reste Alkmans hin, um von dem litterargeschichtlichen zusammen- 
hange eine deutliche Vorstellung zu gewinnen, er wendet die formen 
der lesbischen poesie an, zwar nicht die ausgebildeten des Alkaios oder 
gar der Sappho, aber ersichtlich ihre Vorstufen, die Terpandros einge- 
führt hatte, er beherrscht auTserdem eine ganze reihe der ionischen 
versmaTse (iamben, trochaeen, paeone, ioniker), und hat begonnen nach 
dieser analogie einzelnes epichorische auszubilden (anapaeste). seine spräche 
ist das getreue abbild dieser mischung der formen, denn das lesbische, 



33) Ein weib, das trinklieder dichtet, ist man berechtigt als eine solche zu 
betrachten. 

34) Die gute grammatikertradition hat die gedichte verworfen, welche~auf Ter- 
pandros namen giengen, Strab. XIII 618. und wenn wir Tergäytigw mit kurzer erster 
sylbe und Mgyoiv mit yocalischem anlaute finden, so sieht das wenig nach dem siebenten 
Jahrhundert aus, bei einem Aeoler in Sparta zumal, dafs in der musikalischen praxis 
sich lieder fanden, die man ihm zuschrieb, ist sehr begreiflich: sehen wir doch dafs 
die neuern geschäftig sind ihm adespota zuzuweisen, und nicht einmal daran an- 
stofsen, wenn Zeus als die Slq'^i^ des alls bezeichnet wird, und der dichter ihm seiner- 
seits deshalb die A^x^i ^fivcav sendet, als ob dies weltprincip und dieser wortwitz 
überhaupt in der archaischen zeit zu denken wäre. 



72 Was ist eine attische tragödie? 

epische, lakonische steht auch in ihr nebeneinander, aber eins ist neu 
bei Alkman : er ist chordichter, zwar hat auch Sappho für ihre mädchen 
und in den hochzeitsliedern auch für Jünglinge lieder gedichtet zu ge- 
meinsamem gesange, und in vielen culten wurden processionslieder, 
wiederum vorwiegend für mädchen, gebraucht, dafs bei den volkstüm- 
lichen reigen allerorten auch gesungen worden ist, ist selbstverständlich, 
und doch ist bei Alkman etwas völlig neues da. wenn er auch bei 
manchen feierlichen gelegenheiten das eigene ich zurückgehalten haben 
wird, so ist doch zumeist der chor für ihn nur ein instrument, dem er 
so gut seine eignen empfindungen leiht wie der laute, von sich, seinem 
namen, seiner herkunft, seinem hunger und seinen versen redet er • oder 
läfst er vielmehr die mädchen singen, ja, sie müssen uns von seinen 
liebeleien unterhalten, die kärglichen und schwer zu deutenden reste 
gewähren kein volles bild von dem dörflichen dichter, den man vielleicht 
am ehesten mit Neidhard von Beuental vergleichen kann, aber gerade 
das formelle, auf das es für die entwickelung ankommt, ist sonnenklar: 
der chorgesang und daneben doch die äuTserung der Individualität des 
dichters ist erreicht. 
stesiohoroB. Alkman und sein haschen Agido gehören nicht zur ritterbürtigen 
gesellschaft, die sich gleichzeitig etwa an der Eunomie des Tyrtaios erbaute, 
die chorpoesie ist die der perioeken. so dringt denn auch die vornehme 
heldensage nicht stärker ein, als der allgemeine lakonische Patriotismus 
und die auch hier gewaltige macht Homers mit sich bringt die helden- 
sage als inhalt und die höchste gesellschaft als publicum erobert für 
die chorische lyrik erst Stesichoros. Sparta und Himera liegen weit von 
einander, und niemand wird sich vermessen, etwa weil Stesichoros in der 
tat specifisch lakonische sagen kennt, einen directen Zusammenhang anzu- 
nehmen, die etappen der allgemeinen entwickelung beobachten wir nur 
an vereinzelten punkten, und dafs sich ein scheinbarer Zusammenhang 
ergibt, ist der erfolg der gleichartigkeit, welche über weite räume hin 
die kunst beherrscht, in der zweiten hälfte des 6. Jahrhunderts sind 
dichter aus Chalkis und seiner nachbarschaft die bedeutendsten; ein chal- 
kidisches Volkslied zeigt die charakteristischen formen der Stesichoreischen 
daktyloepitriten^^): was Wunders, dafs in einer chalkidischen enkelstadt 



35) Aristoteles bei Flut, amator. 7. 



— v^ — — I — \.y^ _ s^s^ _ — 

Bergk (oann. pop. 44) hat das richtige gesehen, wenn auch nicht festgehalten. 



f 



Stesichoros. die chorische lyrik. 73 

um 580 der ordner dieser gattuDg auftritt? und dafs gerade in Sicilien, 
vfo das epos fehlte, die chorische lyrik das gefäfs der sage ward, ist 
vollends begreiflich, wir wissen nun leider nicht, zu welchen heiligen 
oder profanen zwecken Stesichoros seine chorlieder verfafst hat, wenn 
auch die novelle darin ein richtiges bild zweifellos von ihm bewahrt 
hat, dafs er in den höchsten kreisen der nation eine Stellung wie Simo- 
nides hat. wir sehen aber, dafs er bald so objectiv erzählt wie Homer, 
bald so subjectiv wie Alkman (denn nur so ist die palinodie verständ- 
lich): und wir werden nicht fehl gehen, wenn wir die späteren Verhält- 
nisse so ziemlich auch auf ihn übertragen, dafs er es vor allen gewesen 
ist, der den späteren dichtem ihr instrument, den chor, hergerichtet hat, 
und dafs er als die aufgäbe der lyrik erkannt hat das epos zu ersetzen, 
ist deutlich und ist die hauptsache. 

Simonides und Pindaros lassen uns die Verhältnisse , wie sie seit DJ? ^jiori- 

' sehe lynk. 

der zweiten hälfte des 6. Jahrhunderts lagen, mit vollkommener deutlich- 
keit übersehen, bei allen möglichen gelegenheiten, zu ehren der götter 
oder der menschen,, an den tagen, deren feier von der allgemeinen sitte 
geboten ist, ebenso wie ohne solchen äuTsem anlafs, wenn nur Stimmung 
und möglichkeit vorhanden sind, treten chöre auf, von männern oder 
Jünglingen, was nicht gesondert wird, im götterdienste einzeln auch von 
Jungfrauen sie singen zum tanze oder auch zum marsche ein lied eigens 
zu diesem behufe gedichtet, dies lied ist immer das wort des dichters; er 
redet durch den chor in eigener person. er erfindet jedesmal ein neues 
mafs; aber fast ausschlieislich aus ganz wenigen bestimmten rhythmen- 
geschlechtem. auch den Inhalt gestaltet er frei; aber trotz aller mannig- 
faltigkeit der anlasse und also auch der aufgaben ist die behandlungsart 
und der ton durch ein festes herkommen gebunden, die spräche ist 
ein künstliches gebilde; noch immer zeigt sie, wenn auch in anderem 
mischungsverhältnis ^^), die drei ingredientien wie bei Alkman; aber die 



36) Das aeolische grundelement ist znrückgetreten, der einfluls der epischen 
spräche wiegt stark vor. Das dorische element hat mit grofser feinhörigkeit alles 
abzustreifen gewufst, was nicht aller orten galt; specifisch Lakonisches, Korinthisches, 
Boeotisches ist gänzlich ausgetilgt, es ist verkehrt dies grundelement landschaftlich 
benennen zu wollen, dafs sich der gebome Boeoter etwas anders benimmt als der 
gebome Chalkidier ist natürlich: das geschieht unwillkürlich, diese differenzen 
innerhalb der gleichen spräche finden sich nicht blofs im epos ähnlich: sie gibt es 
auch in der prosa, gibt es zu allen zeiten. Lessing Goethe Schiller schreiben die- 
selbe spräche, schreiben deutsch; aber den Lausitzer Franken Schwaben verleugnen 
sie nicht, nicht stärker ist die differenz zwischen Hesiod und asiatischen epikem, 
Münnermos Solon Tyrtaios Theognis, Stesichoros Pindaros Simonides, und genau 



74 Was ist eine attische tragödie? 

willkürlich einmal gegebenen gesetze werden jetzt streng befolgt, sie ist 
international wie die des epos, weil sie nirgend national ist. wie im 
epos ist auch der stil ein conventioneller, fest gefügter, all das ist nur 
erklärlich durch die arbeit von generationen und die kunstmä&ige, wenn 
man will handwerksmäfsige, Schulung der dichter, diese stehen also nicht 
wesentlich anders da als die epiker. der rhapsode war freilich zugleich 
dichter und ausübender kün stier; auch Alkman war es noch bis zu einem 
gewissen grade gewesen, das war jetzt anders, aber die handwerks- 
mäisige ausbildung war nun für die sänger nicht minder nötig als für die 
dichter, denn diese ziehen nicht nur durch alle gauen und setzen voraus, 
ihr instrument überall vorzufinden, sie senden auch ein werk in ferne 
lande hinüber, und können sicher sein, dafs es zur aufiuhrung kommen 
kann, das ist ohne einen stand von berufsmäfsigen sängem und musikern 
nicht möglich, wenn auch vieler orten die dilettanten so weit geschult 
sein mochten, um selbst ausübend aufzutreten, dieses und noch viel- 
mehr dafs solche gedichte auf leidenschaftlichen beifall und auf Verständnis 
rechnen konnten, zeugt auf das nachdrücklichste von einer durchgehenden 
gleichartigen bildung, einem keineswegs verächtlichen niveau der cultur 
durch die ganze gesellschaft hin, für welche diese poesie gilt, allerdings 
ist es nur eine oberste schiebt, ein geschlossener kreis des adels, mit 
dem dieselbe überhaupt rechnet, so weit dieser adel reicht, reicht sie, 
über viele lande hin, aber nirgends tief in das volk hinunter, d. h. genau 
soweit wie die ideale des dorischen adels gelten, die sie ja zum ausdruck 
bringt, es ist das ganze griechentum, mit ausschlufs des eigentlichen 
loniens; doch auch die Inseln und das nicht ionische Asien nimmt nur 
vereinzelt daran teil, allerdings lag in der gemeinsamkeit des standes- 
gefühles, der cultur und der ideale alles das was diese zeit an nationaler 
einheit besafs. es war nicht wenig: es hat der einheit des Volkes mächtig 
vorgearbeitet, allein wir sehen am besten daraus, dafs in den nicht do- 
rischen landschaften Euboia und Attika eben die bevorrechteten classen, 
welche als ständisch gleichberechtigt an dieser cultur teilnahmen, gestürzt 
werden mufsten, damit der nationale Staat entstünde und die cultur das 
hellenische volk als ganzes durchdränge, wie unmöglich es war, auf 
diesem boden die einigung durchzuführen. Athen hat auf allen gebieten 
den kämpf mit dieser gesellschaft aufgenommen; die cultur hat es über- 



wie diese haben die ältesten attischen tragiker ihre chöre gedichtet : erst die weitere 
rein attische entwickelung hat die spräche der chöre immer mehr attisch gemacht, 
aber niemals die fremde herkunft derselben ganz verwischt, genau wie in den tragi- 
schen ist es in den lyrischen liedern der Athener, den dithyramben, gegangen. 



Die chorische lyrik. 75 

wunden, und zuerst ist diese poesie untergegangen, dafs es die mate- 
rielle kraft nicht gewann, auch die politische herrschaft durchzuführen, 
daran ist nicht blofs Athen sondern ist Hellas zu gründe gegangen, weil 
für jene ganze cultur das Dorertum führend und mafsgebend ist (obwol 
das schon versteinernde Sparta an der poesie gar keinen anteil mehr 
hat), nennt man nicht ohne grund auch die poesie dorisch, und hat es 
schon damals getan: festzuhalten aber ist, dals die Derer kaum einen 
dichter gestellt haben ^), und dafs es schon eine bewunderte und bewun- 
dernswerte ausnähme war, als ein boeotischer adlicher, aus einem ge- 
schlechte das noch über die einwanderung zurückreichen wollte, das band- 
werk ergriff, das sonst ein Dryoper, Lasos, ein Lesbier, Arion, ein Keer, 
Simonides, ein Chalkidier aus ßhegion, Ibykos, übten, erst Pindaros, 
und auch er nur mit einsetzung seiner ganzen persönlichkeit, hat die 
dichtung aus den bänden der bezahlten fahrenden genommen, der adel 
hörte zu, sang wol auch mit; aber er hielt das dichten doch nicht für 
ganz standesgemäfs. Archilochos, ^^zugleich ein sänger und ein held", 
war ihm widerwärtig. 

Die antiken philologen haben sich abgemüht die chorischen gedichte 
in classen zu sondern, der zweck war zunächst ein rein äuTserlicher, 
nämlich für die erst voq ihnen in gesammtausgaben vereinigten gedichte 
eine Ordnung zu finden, die man nach einigem schwanken in solchen 
classen fand, wie hymnen paeane dithyramben u. s. w. da die Über- 
lieferung über diese äuTserlichkeiten zufällig eine ziemlich reiche ist (weil 
die uns erhaltenen grammatiker ein buch des Didymos eifrig ausge- 
schrieben haben), so haben sich die modernen zu dem irrtum ver 
leiten lassen, als käme auf die gattungen etwas besonderes an. das 
wichtige ist vielmehr, dafs die gedichte selbst, alle wie sie da sind, 
die individuellen äulserungen des dichters sind, der anlafs wird ihn ver- 
schieden stimmen; er wird einen anderen ton anschlagen beim festmal 
als an der bahre, vor dem delischen ApoUon als vor dem libyschen Am- 
mon, aber das Verhältnis zwischen ihm und dem gegenstände seines ge- 
dichtes, dem chore der es singt, dem publicum das es hört, ist in allen 
fällen dasselbe, einmal und überall sind der dichter und das publicum 
höchst concreto personen, und ist der chor gar keine person. selbst 
was die form angeht, ist der unterschied nur für eine gattung hervor- 
stechend, allerdings die welche uns hier vorzüglich angeht, den dithyrambos. 



37) Pratinas von Phleius im hyporchem räv ifiäv ^(bqiov %oQelav\ er ist 
der einzige Dorer, aber er ist in Athen zugewandert, wo auch sein söhn bleibt, 
die musiker sind oft Argeier. 



76 Was ist eine attische tragödie? 

allein auch dieser unterschied ist ganz äuTserlich: die gliederung in Strophe 
und antistrophe fällt weg, und daraus folgt eine viel bewegtere, für uns 
oft nicht mehr ganz verständliche metrik, und ohne zweifei eine ganz 
andere art des tanzes, von dem wir wie überhaupt so auch hier weder 
etwas wissen noch wissen können, und nicht einmal das ist dem dithy- 
rambos ausschliefslich eigen, sondern fand sich auch in anderen liedern 
als denen, welche für den Dionysosdienst verfafst waren; die grammatiker 
haben sie, weil sie keinen bezeichnenden namen hatten, als tanzlieder 
(vTCOQX'^^aTa) bezeichnet und in besondere bücher geordnet*®), es ist 
ein schlechter name; denn tanzlieder sind sie ja alle, und vollends der 
dichter äufsert sich in den nichtstrophischen [gedichten just so subjectiv 
wie in allen andern. Pindar erzählt den Athenern in einem dithyrambos, 
das wäre das zweite mal, dafs er für sie dichte (fgm. 75, 8), und seinen 
Thebanern führt er gar ohne jeden äuTseren anlafs ein tanzlied vor, um 
nach einem 'fürchterlichen Vorzeichen (107) oder in einer politischen 
krisis seine meinung zu äufsern (109 110). im gleichen falle dichtete 
Selon eine elegie, Archilochos einen iambos: Isokrates und Demosthenes 
schrieben eine rede, 
i^attische Eine änderung hatte freilich die demokratie für den chor gebracht:; 
Pindaros wird in Theben geschulte berufsmäfsige sänger verwandt haben 
in Athen sang ein bürgerchor seinen dithyrambos. diesen wichtigen 
Umschwung hatten die neuen Ordnungen sofort herbeigeführt, als das volk 
sich mit hilfe der Lakedaemonier und des delphischen gottes erst von den 
tyrannen und dann mit der eigenen kraft um den preis des eintritts in 
den peloponnesischen bund von den Lakedaemoniern frei gemacht hatte, 
seine wehrhaftigkeit aber durch die Überwältigung seiner nördlichen 
nachbarn bewiesen hatte, wie die gesammtleitung seiner angelegenheiten, 
nahm es auch den gottesdienst und die öffentlichen spiele in die eigne 
band, es wollte durchaus nicht auf die pflege der hohem cultur ver- 
zichten, welche es den ionischen Verbindungen seiner fürsten verdankte, 
aber es wollte auch darin die eigene, kraft beweisen; die kunst sollte 
nicht mehr das vergnügen einer bevorzugten classe sein, sondern das des 
Volkes, das selbst turnen und tanzen wollte, während also vorher die 
athleten und sänger in gilden sich zusammengetan hatten, und eine inter- 



38) Von dem was die modernen hyporchema nennen und z. b. in den tragikem 
so bezeichnen, ist nichts weder überliefert noch an sich berechtigt, die moderne 
metrische kabbala ist ganz unerträglich; aber auch das altertum hat unleidlich viel 
mit werten gekramt, die freilich sehr bequem sind das mangelnde Verständnis zu 
verhüllen. 



Der attische bürgerchor. 77 

nationale Stellung einnahmen^ so dafs wir die pindarischen sänger von 
ort zu ort wandern sehen und sehr oft das lob des ringlehrers vernehmen, 
wurden diese gilden in Athen aufgehoben, die ringschulen verstaatlicht 
und der zutritt jedem bürger kostenlos gewährt'®), die herkömmlichen 
wettkämpfe blieben zwar bestehen und der zutritt stand ausländem frei, 
aber die Wertschätzung sank und keinerlei gunst ist diesen aristokra- 
tischen Vergnügungen zu teil geworden, die bauem und rüderer hatten 
nicht die geschmeidigen glieder und weder zeit noch lust sich dem training 
zu unterwerfen, dafür bildete man die Volksbelustigung des fackellaufes 
zu einer staatlichen einrichtung aus, für welche die gymnasiarchie ge- 
stiftet ward, und liefs die militärische parade das wettumen ersetzen, 
auch die gilden der sänger und tänzer wurden geschlossen, für die musik 
brauchte man freilich fremde, zumal die argivischen und boeotischen 
pfeifer, weil auch dafür eine ausbildung nötig war, zu der die bürger 
nicht zeit hatten; aber die chöre stellten sie selbst, die reichen wirkten 
mit als choregen, die unbemittelten als choreuten: es war beides eine 
frohnde, ein munus^ ganz wie die Verpflichtung als offizier oder gemeiner 
zu dienen, und auch die regellosigkeit der musikalischen aufluhrung ward 
beseitigt wol verwehrte man dem einzelnen nicht, sich zu seinem ver- 

39) Wer aus den Institutionen, wie sie bestanden und uns in der praxis be- 
merklich sind, den schluls auf das recht, den leitenden gedanken, machen kann, 
der braucht hierfür kein zeugnis. es fehlt aber nicht, der aristokrat, der die no- 
lireia ^ A&rjvaicov geschrieben hat, empfand das charakteristische der festordnung 
sehr wol, wenn er sie auch gehässig darstellte, er sagt 1, 13 Toi>ß 8a yvfiva^ofii- 
vovs aörö&i xai roifS /uovautrjv inirriSeöovras xaraliXvxev 6 drjfioSf vofii^mv roüro 
<yd xaXdv elvai yvoi>s Sri [oi] dwarä ravr iarlv iTurrideöeiv iv rdXs xoQrjyiais* 
av(^rol yäg atplmv wütoXs dya&dv iveZvai iv rals %oqr^ylai,i) xai yvftvafS^aq'^lati 
xai T^iTj^a^x^ais yiyvt&axovoiv, Sri ^o^rjyovai /uiv ol nlo'öaioiy '/^oQrjyeZxai 8ä 6 
Sfjfios^ (xai TQiriQa^^oüai fiäv) xai yvfivaaiaQ%o€atv ol iiXo-iaioi, 6 8ä 8rjfioe r^nj- 
qaQ%E%rai xaX yv/uva(SiaQ%iZrai* d^ioZ yo€v d^yö^wv lafißdvetv 6 8'^fios xai qScov 
xai r^i%tov xai .ÖQ%o'6fievos xai TiXicov iv rals vavaiv, tva airös re i^rj xai ol 
Tiloijawi neviaregoi ylyvmvrau die erste lücke habe ich angesetzt und ausgeftQlt, 
auch o^ gestrichen, die sehr gewaltsame gewöhnliche behandlung verfehlt den siim : 
sie läfst den demos, der die dramen spielt, sich eingestehn, dafs er nichts von 
musik verstünde, und macht yiypt&oxovai völlig unverständlich, der demos hält die 
gilde für verwerflich, weil er erkennt, dafs sich dasselbe in der form der choregie 
erreichen läfst, die ihm doch um des profites willen so sehr am herzen liegt, vgl. 
Hermes 20, 67; dem gleichzeitig geäufserten bedenken Büchelers Bh. M. 40, 312 wird 
so genüge geleistet, die Opposition der gilden, von welcher das erhaltene hypor- 
chem des Pratinas ein so beredtes zeugnis ablegt, war damals schon gänzlich ver. 
stummt. die choregie hätte die probe längst glänzend bestanden ; in der ersten zeit 
wird freilich das Selbstgefühl der geschulten sänger berechtigt gewesen sein. 



78 Was ist eine attische tragödie? 

gnügen lustbarkeiten bei sich anzustellen wann und wie er mochte,- und 
so gab es noch lieder für die feste der vornehmen. Pindaros hat für 
die Alkmeoniden, Euripides für Alkibiades gedichtet, aber das tritt gänz- 
lich in den hintergrund vor den vom Staate übernommenen und dem 
festen jährlichen gottesdienste eingeordneten gelegenheiten , bei welchen 
musische wettkämpfe angeordnet wurden, nur zum teil im anschlusse an 
die bisherige Übung, der staat brauchte alljährlich eine bestimmte recht 
hohe zahl neuer gedichte, dramen und dithyramben: das volk, das noch 
keinen bedeutenden eigenen dichter besafs, traute sich zu, sie zu er- 
zeugen, und es hat auch darin die höchsten erwartungen von der eigenen 
leistungsfähigkeit übertreffen. 

Ein instrument des dichters war auch dieser chor, aber es ist doch 
etwas anderes, ob man gedungene musikanten unter sich hat^ oder die 
Vertreter des souveränen Volkes, und der dichter wird ja auch selbst 
anders dastehen, wenn er für irgend einen anlafs auf bestellung oder 
wünsch eines anderen oder auch aus eignem triebe schafft, als wenn er 
zu bestimmten höchsten festen seines eigenen volkes für bestimmte Ver- 
treter desselben in einer halbamtlichen eigenschaft seine kunst übt. er 
wird mehr mit der seele dabei sein als Simonides es wol je war, aber 
minder aus eigener person zu reden wagen als es Pindar immer tat. der 
Staat und sein souverän, oder besser sein lebendiger leib, das volk, ist in 
Athen die oberste macht, der dichter ist ein glied desselben, der chor 
auch, beide ordnen sich ihm unter, der chor auch dem dichter, aber 
dieser mufs sich wie Perikles stets gegenwärtig halten, Idd-iqvaLoyv äQ^sig, 
selbst die tragödie zeigt von diesem Verhältnisse die deutlichsten spuren, 
der chor ist auch in ihr Vertreter des volkes am religiösen feste: er geht 
nicht ganz in seiner maske auf. der dichter ist dagegen der erbe der pin- 
darischen persönlichen lehrer- und predigerstellung: auch er verschwindet 
nicht ganz hinter seinen personen. dies Verhältnis war in dem Ursprünge 
der ganzen gattung begründet; es hat sich wol verloren, aber nicht im 
laufe des 5. Jahrhunderts, die abstracto betrachtung mag sich dazu stellen 
wie sie will: die geschichtliche hat mit dieser besonderheit durchgehends 
zu rechnen "^^j. 
"tiiy^Maben "^'^ chöre, die man stellte, unterschied man in chöre von TQaycpdol 

und einfach von männern und knaben. diese nannte man auch wol die 
*^rundtänze {Kijyilioc x^Q^O? nicht weil die tänzer hier in einem rund 
geordnet waren, in der tragödie aber in einem viereck, wie wol gramma- 

40) Der Herakles selbst gibt für die Wichtigkeit der sache hinreichende belege, 
die ihres ortes genauer erläutert sind. 



Attische dithyramben. 79 

tiker gemeint haben, sondern weil die tanze auf dem runden tanzplatz in 
die runde giengen, während im drama eine bude (oy.rjvi^) daneben stand 
die dem Schauplatz eine front und einen hintergrund gab. die gedichte 
hatten zunächst nicht mehr einen eigenen gattungsnamen, als ihn vorher 
die der pindarischen lyrik gehabt hatten, und man wird für die an den 
Thargelien wol oft Ttaidv, für die der Panathenaeen 'öfivog gesagt haben: 
für die dionysischen festlieder vielleicht von vornherein Std^tjQafxßog', Pin- 
dars zweites attisches gedieht (75) war tatsächlich auch in der form dithy- 
rambisch, der Dionysosfeste, die der staat begieng, waren mehr als sonst 
^inem gotte gefeiert wurden; so mochte der name dithyrambos durch 
Verallgemeinerung die ganze gattung allmählich begreifen, immerhin ist 
das offiziell nie durchgedrungen und in der gewöhnlichen rede erst seit- 
dem bedeutende männer diese lyrische poesie, die um 500 — 430 zurück- 
tritt, gewaltig erhoben, so dafs sie zuerst die noch berühmtere tragische 
Schwester beeinfluTst, dann, als deren meister tot sind, die erste stelle 
im interesse der nation erobert und auf lange hinaus behauptet, dieser 
neue dithyrambos, wesentlich durch Philoxenos und Timotheos geschaffen, 
zwar nicht durch Athener, aber doch ein ganz attisches gewächs, wirkt 
wesentlich durch die musik; und wenn wir auch selbst kein urteil, weder 
über die musik noch über die poesie der neuen dichter haben können^ 
so zeugt die leidenschaftliche polemik der komödie und der reactionären 
musiktheoretiker von ihrer bedeutung. dafs sie metrisch die ganze frei- 
heit des alten dithyrambos aufgriffen und bis in das ungemessene stei- 
gerten, können auch wir noch sehen, und ebenso zeigen einzelne proben, 
dafs ein sehr starkes mimisches dement aus dem drama hinübergezogen 
ist, während in anderen, wie im Diner des Philoxenos, die person des 
dichters so frei sich äufsert, wie in der alten zeit, und in der tat hat 
diese neue chorpoesie völlig die stelle wieder inne, welche zu Simo- 
nides Zeiten die alte eingenommen hatte; eben deshalb gerät diese im 
4. Jahrhundert fast ganz in Vergessenheit, wird aber gerade in dorischen 
gegenden der neue dithyrambos volkstümlich, wie nur je eine ältere 
gattung: selbst in den tälem von Kreta, wohin nicht einmal das epos 
gedrungen war, und in Arkadien, mit Dionysos haben die einzelnen 
lieder vielleicht zumeist gar nichts zu tun, aber durch das 5. Jahrhundert 
ist dieser gott der Schirmherr jeder chorischen poesie geworden, und so 
befremdet es nicht im mindesten, dafs der name dithyrambos für das 
^nze gilt^*). dieser dithyrambos ist gemeint, wenn Aristoteles den namen 

41) Aristoteles braucht Sid^Qafißos mit seinen ableitungen in der erweiterten 
bedeutung, welche alle lyrische chorpoesie umfalst, häufig, im eingange der poetik 



80 Was ist eine attische tragödie? 

im gegensatz zu epos uod drama braucht; sein eigner hymnus auf die 
tugend ist solch ein dithyrambos. und wie er in seiner geltung der chor- 
poesie pindarischer zeit gleich geworden ist, so auch in der art der auf- 
führung durch geschulte musiker und tanzer, die, überall und nirgends 
zu hause, sich in gilden zusammenschlössen, oft vermischt mit den schau- 
spielern, die das gleiche nun auch anstrebten und bald erreichten^*). 

So ist der bürgerchor ein intermezzo: er gehört nur in die erhabene 
zeit des grofsen Athens, mit dessen Reiche er verschwindet, tragödie aber 
und dithyrambos stehen, was die auffiihrungsart anlangt, stets parallel, 
vor Kleisthenes kann man sich's nicht anders denken, als dals dieselben 
leute in beiden auftraten, und am hofe Hierons werden dieselben leute 
die pindarischen gedichte und die tragischen lieder des Phrynichos und 
Aischylos aufgeführt haben, überhaupt ist die Wechselwirkung der beiden 
dionysischen schwesterarten handgreiflich, es sind geschwister, kinder der- 
selben mutter, des alten chorgesanges, aber unmöglich kann die tragödie 
von diesem dithyrambos stammen, als attisches festlied ist er notorisch 
jünger; was aber der pindarische dithyrambos mit der tragödie gemein- 
sam hat, das liegt alles im gattungsbegriff; das was ihn zu einer beson- 
deren art macht, die absonderlichen rhythmen und der mangel der respon- 
sion, fehlt gerade der ältesten tragödie. endlich mufs, wie eben bei der 
komödie, der schluTs auch hier gelten, daSs die tragödie aus dem dithy- 
rambos Athens nicht stammen kann, weil er neben ihr kräftig weiter 
besteht, so kann es scheinen, dafs Aristoteles uns doch auf einen holzweg 
geführt habe, die herleitung aus dem dithyrambos heifst entweder gar 



gesellt er ihm die vöfjioi zu, nennt aber als dichter für beides Timotheos und Philo- 
xenos. in den problemen (XIX 15) sagt er, die vö/uoi allein wären nicht antistro- 
phisch : wodurch sie die alten dithyramben und z. b. auch das /deXnvov des Philoxenos 
umfassen, nun ist v6/uos ^ weise' ein ganz indifferentes wort, und man mag sich 
denken, dafs man den weisen, die unter keine bestimmte art fielen, den namen der 
gattung gelassen hat. indessen ist das ersichtlich nicht consequent geschehen und 
für uns überhaupt keine Unterscheidung möglich, da der Charakter der poesie auf 
jeden fall identisch ist, kommt auch nichts darauf an. 

42) Im dritten Jahrhundert fällt in der tat, wie die Inschriften namentlich der 
ionischen techniten lehren, dithyrambos komödie tragödie derselben gilde zu, und 
auch dieselben leute treten in verschiedenen gattungen auf. doch war dies schon 
im 4. Jahrhundert wenigstens für komödie und tragödie regel, Aristot. polit. F 3. es 
ist bedauerlich, dafs wir nicht angeben können, wann statt aushebung aus der phyle 
anwerbung durch den choregen getreten ist, mit andern worten, wann statt der 
analogie des landdienstes die der flotte für die tragischen chöre begonnen hat. die 
grammatiker .wufsten nur das allgemeine wie wir; schol. Hom. N 637 icos rivds 
fhqio^vro ol edyeveie vioi Iv raZs rQay(p8iaiS. 



Attische dithyramben. die bocke. 81 

nichts, als dafs die tragödie aus dem lyrischen chorgesang des 6. Jahr- 
hunderts stammt: dazu brauchen wir nicht erst das zeugnis des Aristo- 
teles; oder es mufs eine charakteristische form des dithyrambos gemeint 
sein, welche sowol der pindarische dithyrambos als auch der attische 
tragische chor gemeinsam voraussetzen, ja, wir können noch einen 
schritt weiter gehen, an der chorlyrik, aller und jeder im 6. Jahrhundert, 
ist das charakteristische, dafs der chor als solcher verschwindet^ der dichter 
hervortritt, im drama verschwindet der dichter, redet nicht nur durch 
fremden mund, sondern auch aus fremder person heraus, das ist ein 
gegensatz, und alle gleichheit der form hilft nicht darüber hinweg, dafs 
ein drama ohne fxLfX7]aLg dQ(bvro)v, ohne die vornähme einer maske 
vor das antlitz des dichters eben kein dqäfia ist. also wenn Aristoteles 
eine Vorstufe der tragödie suchte, mufste er sie bei irgendwie mimetischer 
poesie suchen, wir postuliren also, dafs der dithyrambos, von welchem 
er als der Vorstufe der tragödie redete ein mimischer gewesen ist. aber 
wo den finden? 

Aristoteles selbst hilft weiter: er sagt ja da& die tragödie aus dem Die bOeke. 
satyrspiele stammt, und wenn er es nicht sagte, so müfsten wir doch 
dieses sonst rätselhafte und in den zeiten der blühenden tragödie ver- 
kümmerte spiel herbeiziehen, zumal die Tgayi^öoL in ihrem namen die- 
selbe auskunft geben, wie Aristoteles, sie sind bocksänger. und dafs 
unter den bocken satym verstanden sind, lehrt sicherer als die verdäch- 
tige nachricht, dafs die Derer den bock adrvQog und TlrvQog genannt 
haben sollen ^^), der eine aischyleische vers (Prometh. TtvQxae'Cg 202), 
in welchem der satyr des satyrspieles wirklich bock, rgdyogy angeredet 
wird, darin also iat der forlwtt von dem chor^san^ zur Lgodle 
bestanden, dafs an die stelle gänzlich indifferenter sänger dämonische 
wesen, bocke, getreten sind, aber wo und wie ist das geschehen? 



43) adrvQos und rirvQos sind gleiche hypokoristische büdungen, aber der 
stamm mufs verschieden sein, da beide Wörter dorisch sind, auch werden sie in 
der besten behandlung der frage, durch Apollodor am schlufs von Strab. X, ge- 
sondert. oAtvqos kann natürlich weder mit aalvto noch mit aalqot noch mit satwr 
etwas zu tun haben ; es wäre zu wünschen, dafs es bock bedeutet hätte, von t£tvqos 
wird das behauptet, und hat es wol Theokrit geglaubt, als er einen ziegenhirten 
so nannte, doch wird auch das nur metaphorisch sein, denn die t£tvqoi dürften 
sich nur in der ableitungssylbe von den riräves unterscheiden, und auch diese gelten 
wie die *AyQtoi für obscoene daemonen, sind auch vorwiegend peloponnesisch. da 
man nun Tirvös, den erdensohn der der Leto gewalt antut, und den riesen Tiraxoe 
von ihnen nicht wird sondern wollen, so dürfte die Urbedeutung die sein, welche 
Bücheier (WölfQins Archiv n 119. 508) in Titm aufgezeigt hat: es sind alles ÖQ&dvvat, 
T. WUamowitz I. 2. Aafl. 6 



82 Was ist eine attische tragödie? 

Hier greift ein bedeutendes ergebnis der monumentalen forschung 
ein^^), das auf den ersten anblick freilich nur einen vollkommenen Wider- 
spruch zu constatiren scheint, der satyr, den Aischylos einen bock ge- 
nannt hat, ist in seiner äufseren erscheinung keiner gewesen, die aus 
der spätgriechischen und römischen kunst uns so sehr geläufigen satyrn, 
die in der bildung der dbren, des halses, oft auch der nase, und durch 
das Schwänzchen ihre bocksnatur offenbaren, hat das alte Athen nicht 
gekannt und doch hat jeder, der die attischen gemälde des 6. und 5. 
Jahrhunderts auch nur flüchtig kennt, die phantasie voll von dem köstlich 
frechen treiben der attischen satyrn, die das gefolge des Dionysos bilden, 
wir besitzen ja jetzt sogar die reste des giebelfeldes von einem attischen 
Dionysostempel, auf welchem diese gesellen dargestellt sind **). das stammt 
zwar nicht von dem uralten heiligtume am kelterplatz, in welchem das 
beiiager der Basilinna mit dem gotte vollzogen ward, sondern von dem 
des Dionysos Eleuthereus am südostfulse der bürg: es ist aber immerhin 
etwa aus solonischer zeit und älter als das satyrspiel, alle diese attischen 
satyrn haben mit den bocken nicht das mindeste zu schaflen; sie sind 
zwar auch halbtiere, aber das tierische in ihnen stammt vom pferde. es 
ist auch ganz klar, dafs diese conception der volksphantasie ionisch ist, 
und auf den inseln und in Asien (wo die Vermehrung des materials zu 
wünschen und sicher zu erwarten ist) ebenso gegolten hat. und der name 
dieser wesen ist ebenfalls unzweifelhaft, es sind ^lArjvol: ein unterschied 
zwischen Giktjvol und GdrvQot ist für die alte kunst derselben gegend 
nicht vorhanden, also die ionischen Waldteufel stammen vom gaule; es 
sind die ^fjQeg, vettern der (ffjQeg, der aeolischen, thessalischen Wald- 
teufel, die auch in alle poesie gedrungen sind, wie die aeolische metrik 
und spräche, auch diese stammen vom gaule, KevravQOv, und sind 
kinder desselben geistes. so haben wir also ein spiel, das bocksspiel 
helfst, aber von halbgäulen aufgeführt wird, mit anderen werten, hier 
hat eine Übertragung stattgefunden, nur der name und das bocksfell, 
welches der pferdedämon trägt ^^), erinnert an die alte bocksnatur; es ist 

44) Furtwängler in den Annali dell' Instituto 1877 und im Berliner Winckel- 
mannsprogramm 1880 'satyr aus Pergamon . 

45) Mitteilungen des arch. Inst. Athen. XI 78. 

46) Im Xyklops 80 klagt der chor, dafs er bei dem scheusal ausharren mufs 
iTi>y rqSe r^dyov %Xairq /ueleq : so wenig war dem dichter die bedeutung der con- 
ventionellen tracht gegenwärtig, dafs er sie als etwas besonderes motivirte. auf 
der bühne ist der alte satyr der yater der andern, und er kann nicht aus dem chor. 
führer hervorgegangen sein, denn ein Chorführer ist ja neben ihm vorhanden, er 
heifst Sari&Qoav 6 yeQoUraros 100, wird meist nur yigcov genannt, JSiXtjvi aber auch 



die bocke, bockschöre. 83 

begreiflich, dafs man da des Ursprungs rasch vergafs. wir aber müssen 
die heimat des satyrspiels da suchen, wo die bocke zu hause sind. 

Auch diese antwort ist aus den monumenten bereits gegeben, im 
Peloponnes, dessen künstlerischer vorort Korinth ist, gibt es keine satym 
in pferdegestalt. freilich bisher auch keine bocke: aber es steht doch 
die tatsache fest, dafs dieser typus um 500 auf einen peloponnesischen 
gott übertragen worden ist, der in seiner heimat und seiner echten be- 
deutung nach ein weit vornehmerer herr war, aber als er aus dem un- 
civiiisirten hirtenlande in die städte der hochentwickelten ^cultur hinabstieg, 
die gestalt und bald auch die geltung eines Vertreters der ungesitteten 
und un verkünstelten elementargewaltigen bergeswildnis annahm: Pan, der 
ein bock geblieben ist"*'), es bleibt der archaeologie die schöne aufgäbe, 
zu zeigen, wie eine spätere zeit die künstlerische bildung der satyrn 
vom bocke aus doch noch versucht und wunderbar geleistet hat, so dafs 
die ältere pferdegestalt in den hintergrund trat: es liegt auf der band, 
dafs den anstofs Peloponnesier gegeben haben müssen, geschehen ist 
das erst, als das satyrdrama zu gunsten der tragödie verkümmert war, 
und diese eine spur ihrer herkunft von den bocken nur noch in dem 
namen trug, den man nicht mehr verstand. 

Das führt zu dem postulate, dafs es im Peloponnes einen bockschor ^^^^' 
gegeben habe, und wirklich, einen bockschor nennt uns Herodot (V 64) in 
Sikyon zur zeit des Kleisthenes; wir lernen dabei dafs derselbe keines- 
weges blofs zu ehren des Dionysos auttreten konnte, dafs aber dem be- 
richterstatter des Herodotos dies als eine anomalie erschien, die er sich 
nur als willkür eines tyrannen zu denken vermochte, wir werden anders 
urteilen, denn dafs die bocke des Peloponnes ihrer natur nach lediglich 
ein gefolge des Dionysos bildeten, ist weder erweislich noch glaublich, 
wir haben eben alles was die ionischen wesen, die pferdewesen, angeht 
von ihnen fern zu halten; Pan ist später auch ein genösse des thiasos 
geworden, aber von ihm wissen wir sehr genau, dafs er das weder seiner 
natur nach war, noch in den Jahrhunderten 6 — 3, wo sein cultus sich 



einmal angeredet 539, gleich als ob das sein eigenname wäre, sein aussehen lehrt 
die Neapler vase mit dem siegesfest eines satyrchors. er hat noch nichts von der 
späteren schweinenatur des papposilens. 

47) In der im kerne hochaltertümlichen argolischen sage, die ursprünglich dem 
eponymen Argos, nicht dem TtarönrrjS gehörte, Apollod. 2, 1,2, erschlägt Argos den 
arkadischeh stier, die Echidna und den Satyros, der die herden der Arkader raubte : 
das ist erfunden, ehe Argos dorisch war, wenn auch in nachbildung des dorischen 
Herakles, stier und hydra, tochter Echidnas, sind deutlich: SAtvqos entspricht den 
Kentauren. 

6* 



84 Was ist eine attische tragödie? 

ausbreitete, dafür galt, wir wissen freilich von den satyrn äufserst wenig, 
aber das einzige alte zeugnis, verse eines der hesiodeischen gedichte, 
rechnet sie mit den bergnymphen und Kureten zu der descendenz einer 
Phoroneustochter"**): sie sind also jünger als der anfang des menschen- 
geschlechtes und haben mit Dionysos von haus aus nichts zu tun. äufserst 
belehrend ist ihre Zusammenstellung mit den Kureten, welche zwar in 
der folge zu einem thiasos des Zeuskindes und seiner mutter geworden 
sind, durch Rhea auch in bezug zu Dionysos treten, aber einen ganz 
anderen Ursprung haben, die '^geschorenen' {ycovQi^g (bg yvfivi^g) sind 
ein priestercoUegium in Ephesos geblieben bis in späte zeit^®), etwa wie 
die luperci und salü in Rom. es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, 
dafs dies das ursprüngliche ist, und mit dem stamme, welchen das Meleager- 
gedicht der Dias neben den Aetolern nennte entweder nur namensgleich- 
heit obwaltet, oder ein Verhältnis wie zwischen luperci Fdbiani und der 
gens Fahia. der mythische thiasos aber ist ein abbild des im festen cultus 
gegebenen, wie ja auch die Korybantentänze nicht die pyrrhiche her- 
vorrufen, sondern mythische pyrrhichisten sind*^*'). es geht nicht an 
über die satyrn etwas bestimmtes zu vermuten: aber die möglichkeiten 
mufs man eröffnen, damit man aufhöre die erst auf grund der Über- 
tragung der bockstänze nach Athen eingetretene dionysische natur als 
Voraussetzung zu behandeln, vor allem aber lehren die Kureten am besten, 
wie man aus solchen bocken einen chor bilden konnte, und dafs es ver- 
wegen wäre, darin bereits ein dramatisches spiel zu sehen, wenn einmal 
statt des gewöhnlichen menschenchores satyrn auftreten, daraus war wol 
das drama leicht zu schaffen: aber zu schaffen war es immer noch, und 
es war mehr als ein schritt nötig. 

48) Strab. X 471 ^Haiodos /uev yäQ 'Exari^cp xai r^ 0oQ(oveo)S &vyarpi Ttivre 
ysviod'ai d'vyariQae ^aiv i^ &v ÖQeiai vCfnpai S'aal iyivovTO xai yivoe oiri- 
davcov '2ax'(>Q(ov xai dmri%iivoBQy&v Kov^ffree re d'f.oi ^iXonalyftoves ÖQxrjaT^Qee, 
so überliefert (über B vgl. Roellig de codd. Strab, Halle 1886 p. 333). nur ist 
bei dem trostlosen zustande dieser Strabonbücher weder der name des yaters noch 
die namenlosigkeit der mutter zu glauben oder zu beseitigen, die stelle der verse 
in Hesiods werken ist ganz unsicher, auch der erste vers nicht ohne weiteres als 
(^1 Sf) oijQciai, V, ■d'. i^sy. zu aeceptiren. leider führt Strabon danach nur für die 
Kureten das zeugnis der Phoronis an. die hesiodeische tradition steht ganz vereinzelt, 
gehört aber in die sehr wichtige, leider sehr früh verblafste argolische theo- und an- 
thropogonie, die mit Phoroneus und Zeus-Niobe anfängt, sie ist mit Deukalion 
Hellen (also den Katalogen) kaum vereinbar, jene ist asiatischer herkunft, diese 
echt peloponnesisch. 

49) Z. b. auf dem steine Dittenberger syll. 134 und auf anderen. 

50) In Erythrai gab es mehrere collegien von Korybantiasten, Dittenberger syll. 120. 



Arion. Satyrspiel und tragödie. 85 

In Korinth hat Arion den ersten dithyrambischen chor eingeübt. Arion. 
diese tatsache wird jetzt in ihrer bedeutung verständlich. Arion wählte 
sich statt der gewöhnlichen choreuten die peloponnesischen bocke und 
liefs sie das besonders orgiastische dionysische festlied singen, eine späte 
notiz, die wir nun wohl einreihen dürfen, drückt das ganz scharf so aus, 
dafs er dithyramben im xQÖTtog rgayLxög verfafst hätte**), nur muls 
man dabei nicht an etwas tragisches denken*^), damit haben wir wirklich 
das grundelement, aus welchem der pindarische und in seinem gefolge 
der spätere attische dithyrambos stammen : Pindaros liefs die bocke fort zu 
gunsten der herkömmlichen choreuten, behielt aber die metrische freiheit 
bei. andererseits ist aus dem bockschore die TQaycpdia geworden, die 
zuerst satyrspiel war. sie ward in Athen dramatisch, und das empfand 
man so sehr als das charakteristische, dafs der name blieb, als die bocke 
auch hier weichen mufsten. wie lange sich in seiner heimat der dithy- 
rambos des Arion gehalten hat, ist uns leider ganz unbekannt; kennt- 
lichen einfluls hat er nicht weiter ausgeübt. 

Schon dem Aristoteles war offenbar durch litterarische behandlung 
bekannt, dafs die Peloponnesier auf die erfindung der tragödie anspruch 
machten, das tritt auch später noch oft auf; speciell Phleius, die dio- 
nysische Stadt, und Sikyon, wo wir die ältesten TQayiy,ol xoqoL kennen, 
werden genannt, es ist das in übler weise durch erfindungen und Über- 
treibungen entstellt worden, es ist eine lächerlichkeit, ebenso wie bei 
der komödie, wenn es sich um das wesentliche, die weit beherrschende 
handelt: aber wir erkennen nunmehr, dafs es doch in gewissem sinne 
wahr ist. allerdings, der bocksgesang ist peloponnesische erfindung: aber 
die tragödie gehört Athen. 

Nach Athen kamen die bockstänze wie die übrigen kunstmäfsigen Satywpiei 
reigen und so viele erzeugnisse der korinthischen cultur, als Peisi- tragödie. 
Stratos seine herrschaft befestigt hatte und dank der solonischen Ver- 
fassung und der tüchtigkeit des fürsten Athen aufblühte, während rings 



51) Suid. s. V. "* Aqlcov, was die modernen von tragischen dithyramben, lyri- 
scher tragödie nnd komödie zusammengefabelt haben, die späten grammatiker von 
tragödien Pindars und anderer lyriker erzählen, ist ein gebräu von unkritik und con- 
fusion. Die sache ist längst abgetan und jedes wort darum verloren, wer so etwas 
glaubt, den soll man nicht stören. 

52) Hephaestion citirt 22 einen hexameter aus einem dithyrambos ^ A^iVkeis von 
der Sikyonierin Praxilla. und die dortigen r^ayixol %oqoI galten dem Adrastos. 
leider bleibt das ganz unklar, zumal der älteste attische dithyrambos auch unkennt- 
lich ist. aber hier ist das mittelglied zwischen dem pindarischen und philoxenischen 
dithyrambos verborgen. 



86 Was ist eine attische tragödie? 

die adelsstaaten und demokratieen herunterkamen, durch die aufnähme 
in die gewerbsmäfsige tanzlyrik hatte Arion den bockstanz den kreisen 
des Volkes entrückt; für Athen war das ganze fremd, denn die bocke 
kannte man nicht, und die form des dorischen liedes war sprachlich und 
metrisch dem ionischen überhaupt entfremdet, aber hier ward das spiel 
volkstümlich, indem die peloponnesischen satyrn den attischen silenen 
ihren namen gaben, aber ihr wesen an sie verloren, der wandel vollzog 
sich leicht: lustig und unanständig waren sie beide, springen mag das 
füllen wie der. bock, und hier ward, wenn es nicht schon in Sikyon 
und Phleius erreicht war, das satyrspiel fest an den dionysischen cult 
geknüpft und erhielt so eine gesteigerte weihe, der Dionysosdienst war 
bei den loniern seit alter zeit als ein ganz besonders heiliger empfunden, 
er ward in feierlichen formen von der königin und ihrer adlichen Um- 
gebung begangen, er hatte mit seiner ekstase die ganze masse des weib- 
lichen geschlechtes ergriffen, die zeit war jetzt einer neuen religiösen 
Stimmung hingegeben, welche vom himmel neue wunder, vom sterb- 
lichen individuelle seelische regungen und Stimmungen verlangte, und 
ganz äufserlich verlangte man neue prächtige feste. Peisistratos wuTste 
seiner zeit genug zu tun und stiftete ein neues fest mitten im vollsten 
frühling, um den Vollmond des Elaphebolion, die grofsen Dionysien: für 
sie wurden auch die satyrtänze eingeführt, wie sie sich auch entwickelt 
haben, den charakter des dionysischen frühlingsspieles haben sie nimmer 
eingebülst; auch damit hat trotz allen aesthetischen theorienen die erklärung 
immer zu rechnen. 

Und nun tat Thespis im jähre 534 den nächsten schritt: denn name 
und jähr darf geglaubt werden, er fügte den ersten Schauspieler hinzu, 
oder richtiger, er trat als Sprecher zu seinem chore. dieser schritt konnte 
nur in einer ionischen Stadt geschehen, da aber lag er nahe genug, denn 
der Sprecher war als solcher vorhanden : der recitator des ionischen iambos. 
man darf auch hier in dem schritte auf das mimische zu nicht zu greises 
sehen, denn wenn ein rhapsode eine archilochische fabel wie iQsw tlv* 
vixlv alvovy & K7]Qvy,ld7j , dyiyvfxivrj ay.vrdXr], recitirte, so mochte er 
allenfalls noch ziemlich so hinter seinem stoffe verschwinden, wie wenn 
er ein homerisches gedieht vortrug, aber wenn er ndreq ^vyidffßa 
Ttotov kcpQdao) TÖöe vortrug, so sprach er als Archilochos, und vollends 
oi) (10 1 rd rijyeo) tov tzoXvxqijoov fzeXcL waren werte des Zimmer- 
manns Qiaron, die eine vollkommene ethopoeie forderten: der schlufs 
mulste ebenso drastisch wie in der horazischen nachbildung wirken, oder 
vielmehr um so viel drastischer, als Archilochos an frischer keckheit 



Satyrspiel und tragödie. 87 

den Horaz übertriöl. es war also zunächst vielleicht ein ganz leichter 
Übergang, dafs der Sprecher das bockskleid nahm; jedenfalls verhielt er 
sich zu dem rhapsoden der iamben genau wie der bockschor zum ge- 
wöhnlichen dithyrambischen chore. dafs der Sprecher auch bock war, 
folgt aus der tatsache, dafs das satyrspiel noch bei Euripides einen satyr 
neben dem chore als Schauspieler hat, und dieser vater der satyrn über- 
haupt eine ebenso feste person desselben blieb wie der satyrchor. 

So hatte sich die Vereinigung der ionischen und dorischen poesie 
vollzogen, vollzögen an einem dritten orte, wo für beides empfänglichkeit 
vorhanden war, wo aber beides nicht zu hause war. und beides trat als 
etwas fertiges neben einander; ganz verschmolzen hat es sich nie. so 
lange es eine tragödie gegeben hat, hat der dichter für die gesprochenen 
verse in der einen, für die gesungenen in der andern mundart dichten 
müssen; und beide waren nicht die seiner heimat noch seiner sänger 
noch seiner hörer. das ihnen allen gemeinsame attisch hat wol allmählich 
immer stärkeren einfluTs auf alle teile der tragödie gewonnen, hat also den 
gegen satz verringert; wie denn die von den Athenern übernommenen mund- 
arten selbst schon nicht mehr rein waren ; aber ganz verschwunden sind die 
unterschiede nie, oder vielmehr erst in der neuen komödie, welche dafür 
auch den chor und damit den religiös festlichen Charakter eingebüTst hat. 

Erst in der neuen komödie hat auch das dramatische gesiegt, im 
sechsten Jahrhundert wird davon kaum eine spur gewesen sein, und 
Thespis hat sich von der tragweite seiner erfindung nichts träumen lassen, 
aber der stein war im rollen ; schrittweise gieng es vorwärts, bald sprung- 
weise; vierzig jähre etwa hat es gedauert, für das was zu leisten war, 
eine kurze frist. man hatte also den satyrchor, und Venn noch einer 
dazu kam', so hatte man ein iTtsiaööcov, dafs dem chore eine *^ vor- 
rede*, TtQöXoyogf in iamben vorhergieng, ist erst etwas späteres; in den 
siebziger jähren des 5. Jahrhunderts kommt es neben der andern weise 
vor, aber es stand vollkommen fest, als die komödie ihre formen bildete, 
der Sprecher brachte zunächst nichts dramatisches mit; er brauchte ja 
nur zu erzählen oder an den chor eine rede zu richten, die diesem zu 
neuen tanzen und gesängen anlafs gab. aber es fand sich bald die 
nötigung, den chor auch in gesprochener rede erwidern zu lassen, und 
da er das in voller menge nicht konnte, so sonderte sich von ihm der 
Chorführer ab. nun sprach einer für alle; zu einer persönlichkeit unter- 
schieden vom chor hat es dieser Sprecher aber nie gebracht, seine Stellung 
hat nie gewechselt, besteht aber überall, so weit wir denkmäler haben, 
nun war es wahrlich keine sehr kühne tat, entweder den Sprecher einmal 



88 Was ist eine attische tragödie? 

auch als etwas anderes kommen zu lassen denn als satyr, oder auch den 
chor in ein anderes kleid zu stecken, es ist nicht zu entscheiden, welchen 
schritt man zuerst tat, ja man mag vermuten ^ dafs noch ein zwischen- 
stadium eintrat, in welchem die herkömmlichen figuren nur der abwech- 
selung halber in einer ihrem eigentlichen wesen widerstrebenden oder 
doch fremden beschäftigung auftraten, etwa wie in der Atellane Maccus 
als kneipwirt, Jungfrau, soldat. darauf deuten titel yvie /AT^QVKcg, ixvev- 
Tal, Ttalaioral odrvQOLj wol auch d^ewqoL und manches andere, aber 
wenn wir uns an die peloponnesischen Verhältnisse erinnern, so müTsten 
z. b. Kureten sich von selbst als ersatz für ihre brüder dargeboten haben, 
und wenn der Phleiasier Pratinas dymanische tänzerinnen am feste der 
Artemis in Karyai eingeführt hat, so braucht man nur dessen eingedenk 
zu sein, dafs die bukolische poesie, die eigentlich mehr eine aipolische ist 
an die Karyatiden angeknüpft wird, um der leichtigkeit eines solchen 
tausches inne zu werden, und auch in späterer zeit ist es eben kein 
grofser abstand von der ältesten weise, wenn die geschichte vom Thraker 
Lykurgos so von Aischylos zur darstellung gebracht wird, dafs der chor 
erst als Edonen, dann als thrakische maenaden, dann blofs als Jünglinge 
und endlich als satyrn auftritt, daran hat man freilich noch lange und 
im princip immer festgehalten, dais die satyrn als solche auch erscheinen 
müfsten, wol minder weil das dionysische fest die diener des gottes er- 
heischte, als weil das volk seinen spafs haben wollte; wenigstens ward 
der lustige Charakter des schlufsstückes nicht zugleich mit dem satyrchor 
aufgegeben; dafür ist Euripides Alkestis (438) der älteste, aber nicht der 
einzige beleg*^). noch viel näher als für den satyrchor lag es, für den 

53) Von Euripides ist keine andere tragödie erweislich an stelle des satyrspiel 
gegeben; wahrscheinlich ist es von der Auge, aber von Sophokles ist ein beispiel 
ganz sicher, der Inachos, wol aus dem ende des archidamischen krieges, denn seitdem 
ist es eines seiner populärsten stücke, es gilt für ein satyrdrama, aber es ist un- 
erlaubt, in fast 30 anführungen, wo diese bezeichnung fehlt, zufall anzunehmen, 
und es ist arg, die anapäste 249. 50 einem satyrchor zu geben, andererseits ist die 
anmutige fabel wahrlich keine tragödie. die hypothesis war folgende. In Argos 
herrschte könig Inachos, der gott des flusses, dessen gewässer vom fernen Pindos 
stammen, und so weit reichte denn auch des königs herrschaft (auch die des Pelasgos 
in den Hiketiden). er hatte eine schöne tochter lo, in die sich Zeus verliebte, sein 
Diener Hermes erschien in Argos, und unterhielt könig und volk, während der herr 
mit lo koste; Plutos selbst sollte eingezogen sein, das wasser des Inachos schwoll, 
befruchtete die ebene, sie trug hundertfältige f nicht, alle scheuem füllten sich, jedes 
haus bot jedem gedeckten tisch, es war eitel herrlichkeit wie im Schlaraffenland, 
aber die eigentliche landesherrin Hera ward mit zom der bösen dinge inne, die ihr 
gatte trieb; sie sandte ihre dienerin Iris, die die eindringlinge vertrieb, und es kam 



Satyrspiel und tragödie. 89 

Sprecher eine andere person zu wählen, da er ja seiner herkunft nach 
indifferent war, und so gut wie eins konnte man mehrere epeisodia zu- 
lassen; den Sprecher hinausgehen und sich umkleiden zu lassen war ja 
ungleich leichter, die aischyleische poesie hält in älterer zeit noch völlig 
daran fest, dals sich das einzelne stück durch die einführung einer neuen 
person in iTteLööSia gliedert, wie dieser name fordert; die zahl ist nicht 
festgestellt, dagegen muTs sich schon früh die vierzahl für den costum- 
wechsel des chores festgesetzt haben, eine weit wichtigere aber quali- 
tativ ganz analoge erscheinung. dadurch gliederte sich also die aufführung 
in vier stücke, ob diese für sich ein jedes oder alle zusammen erst eine 
einheit im dichterischen sinne bilden, hängt lediglich von dem können 
und wollen des dichters ab. nachweislich ist von Aischylos beides neben 
einander geübt worden, doch so, dafs schon bei ihm die tendenz mächtig 
war, die einzelnen chöre oder 'stücke' immer selbständiger zu gestalten, 
was später feststehende regel ist, auch wenn zwischen ihnen ein bezug 
waltet. auTserdem gilt es bereits, dafs der satyrchor an letzter stelle 
stehen mufs, und seine Verbindung mit den andern dramen ist eine losere, 
auch wenn sie inhaltlich vorhanden ist^"*). wie es zu diesen regeln ge- 
kommen ist und durch wen, ist gar nicht möglich zu vermuten, die 
jüngeren dichter überkommen die Institution als eine durchaus feste^ 



eine schlimme zeit, die belebenden gewässer blieben aus ; die felder verdorrten, Inachos 
selbst ward fast zu einer trocknen mumie, Spinneweben füllten die leeren scheuern, 
lo ward zur kuh und ein schauerlicher Wächter safs neben ihr und bliefs die schalmei, 
während die menschen mit wehmütigen gesängen die gute alte zeit feierten. — so 
weit die reste, die man nachlese, dafs ein glückliches ende kam, indem Argos durch 
Hermes erschlagen ward und Hera sich versöhnte, ist selbstverständlich, rä rov S^d- 
juaros ngöawna: %oQds ^ AgyeloWj^Iva^os leb ^Agyos Eqju^s Iqis, die beiden himm- 
lischen diener ersetzen die herren, die zu vornehm für solch ein spiel sind, die 
diener waren beide auf der bühne, schol. Ar. Vög. 1203 = fgm. 251 d *^EQiuijs äyyslos 
d}v (d. h. T^s jJide cos iD.o'Crov ineiaöSov) naQä 2. iv '/. ini rije "IgiSos (so Rav. 
nach Martin) ^''yvp^ r/s ifSe' xvxXds ''ÄgxdSos xvvfjs;\ denn so hat Toup richtig 
verbessert (jf 8e avXijväe Ä xvvrj R. V.), wie für xvvrjs andere citate, für den sinn 
die aristophanische copie zeigt, merkwürdig ist, wie unter den liebenswürdigen 
scherzen sich die Symbolik der das Slyjiov "Agyos angehenden fabel nicht verloren hat. 
54) Die Amymone der Danais und der Lykurgos der Lykurgie mögen die ge- 
sohichte fortgeführt haben, die Sphinx der Thebais aber hätte zeitlich zwischen 
Laios und Oidipus gehört, der Proteus der Orestie zwischen Choephoren und Eume- 
niden. auf ihn deutet im eingangsstück nicht blofs die lediglich dadurch motivirte 
frage nach Menelaos (Ag. 617), sondern auch die erwähnung des Odysseus (841): 
denn der Inhalt des Proteus war ja dem $ entnommen, die Verbindung mit der 
Orestie ist also eine äufserliche. in der Persertetralogie steht Prometheus so selb- 
ständig wie die drei tragödien. 



90 Was ist eine attische tragödie? 

aber auch als eine jeder inneren berechtigung entbehrende, wir vermögen 
die versuche diese fessel zu brechen**) oder zu lockern eben so wenig 
zu verfolgen y wie wir das einzelne über die art kennen, wie sie sich ge- 
knüpft hat. ganz im allgemeinen aber ist ihre entstehung durchaus nicht 
befremdend, und was im vöfxog ^towaiaTiög stand war gesetz und her- 
kommen zugleich, hielt also fest und war nicht durch individuelle willkür 
oder bessere einsieht zu beseitigen. 

Die Vorführung des chores ward durch die einführung des Sprechers 
nicht geändert, auch jetzt noch konnten diese tanze so gut wie alle 
übrigen auf der runden orchestra vor sich gehen, die das volk im kreise 
umstand, auch die zahl der tänzer wird einfach dieselbe gewesen sein, 
mochten sie als satym oder ohne Verkleidung auftreten, dafs freilich zur 
zeit der sängergilden dafür eine feste norm bestanden hätte, kann man 
nicht behaupten, notwendig aber trat diese ein, als die bürgerschaft die 
chöre stellte, und es ist einleuchtend, dafs damals wirklich für tragödie 
und dithyrambos dieselbe zahl, 50, bewilligt ward*'), diese konnte der 
dichter verwenden wie er mochte, als sehr bald die Verteilung in vier 
chöre eintrat, ergaben sich 12 für jeden, wobei dann die beiden über- 
schüssigen untergebracht sein werden, wie es eben gieng. eine erhöhung 
auf 60, also 4x15, ist bei der definitiven Ordnung des dionysischen ge- 
setzes um 465 eingetreten, es ist übrigens durchaus nicht ohne weiteres 
anzunehmen, dafs die sänger nur in einem der chöre auftraten, in den 
Hiketiden des Aischylos besteht der chor aus den Danaostöchtern und 
ihrem gefolge, also, wie wir zu rechnen durch das stück selbst veranlafst 
werden, aus 50 + 2* ^s ist eine zu starke Zumutung sich diese zahl 
durch 12 tänzer vorstellen zu lassen, zumal es ja in des dichters freiheit 
lag, die dienerinnen wenigstens fort zu lassen, nichts hindert uns, den 
dichter verständig verfahrend zu denken, und also einen weit zahlreicheren 
chor anzunehmen. 



55) dahin gehört die notiz bei Suidas s. v. Zocpoxlrje^ xal avrds ij^ie rov Sgäfda 
TtQÖs S^ä/ua d.yfovit^eaO'ai dXXä fti^ rer^aXoyiav, ob es richtig ist, dafs Sophokles 
so die sitte des vierten Jahrhunderts (für die nalaiA r^aytpS^a) anticipirt hat, können 
wir nicht wissen, was die notiz will ist klar, so oft sie auch naisdeutet ist. der jüngste 
versuch (Comment. Ribb. 205) würde unterblieben sein, wenn bedacht wäre, dafs 
Euripides, Philokles, Meletos inhaltlich zusammenhängende tetralogieen gedichtet 
haben, es hat viel geschadet, dafs man eine solche vereinzelte angäbe und die der 
dichterwillkür nicht dem gesetze angehörige tetralogische einheit als grundsteine für 
die geschichte der ältesten tragödie benutzt hat. 

56) Man wird das auch im altertum gewufst haben; es ist aber nur eine ganz 
verwirrte reminiscenz davon bei Pollux IV 110 geblieben. 



Phrynichos. 9 1 

Es war freilich ein weiter weg der entwickelung gewesen, von den Phrynichos. 
ersten satyrtänzen bis zu diesem stücke zu gelangen, ein weiterer als 
der zwischen diesem für uns ältesten denkmale der attischen tragödie bis 
zu ihrer überreifen letzten gestalt, etwa der aulischen Iphigenie, liegt, 
und es ist nicht möglich mehr als einen oder^ den anderen schatten von 
den ältesten erzeugnissen zu haschen, die sich auf die nachweit erhalten 
hatten, erst von dem älteren Zeitgenossen des Aischylos, dem Athener 
Phrynichos gelingt das; vermutlich weil er länger der alten weise treu 
blieb, wenn er noch 476 die Phoenissen so anlegen konnte, dafs der 
prolog, eine neuerung, die er also mitmachte, schon die niederlage von 
Salamis in Susa verkündete, wenn dann der chor, Phoenikerinnen, also 
wittwen der bei Salamis gefallenen schiffstruppen, in Susa auftrat, so ist 
ersichtlich, dafs zwar für erzählung und für den reflex derselben, klage- 
lieder und tanze, der breiteste räum da war, jedoch gar keiner für irgend 
welche Handlung, über zwanzig jähre früher, noch zur zeit des einen 
Schauspielers, hatte Phrynichos den fall Milets aufgeführt, das stück 
war von dem volke durch besonderen beschluJfe geächtet worden, also 
können nicht nur wir, sondern konnte schon Herodotos, der diese tat- 
sache erzählt, nichts genaueres davon wissen"), aber das ist unzweifel- 



57) Der bericht des Herodot (VI 21) erhält erst sinn, wenn man dessen psycho- 
logische motiyirung der strafe dvauv^aae oix^a xaxd fallen lälst und die sache 
rechtlich fafst. nach dem feste, am 21. elaphebolion (wenigstens später ist der tag 
fest), wird in dem heiligen bezirk Sitzung des Volkes gehalten, zunächst über die 
Sachen des gottes, dann über die laufenden geschäfte. die Terstöfse gegen die fest- 
ordnung kann das Volk an den rat zur aburteilung weiter geben, wie es mit Aristo- 
phanes wegen der Babylonier geschah, es kann aber selbst darüber erkennen, ob 
ein verstofs vorliegt, worauf die im gesetze vorgesehene f-ö&vra fällig wird, so 
war es hier; die 1000 dr., die Phrynichos bezahlte, waren in einem paragraphen 
des rö/uo£ vorgesehen, ös d* &v Sox^ dSixrjaai. rdv d'eöv oder auch rdv Srjfiov^ eöd'v- 
vöa&io y^iXiaai S^axurjat, es ist kein richterlicher act, wie denn der beschlufs ftrjdiva 
XQtjo&ai, rqj S^dfiari eine Verwaltungsbestimmung ist, es ist eine art ijiißoXi^j welche 
nur so hoch sein kann, weil sie der souverän selbst auferlegt, es ist auch kein be- 
schlufs, denn es ist kein probuleuma da. es ist ein act des souveränen willens 
der aber dem volke durch Specialgesetz für diesen fall zugesichert und umgrenzt 
ist. dafs man in späterer zeit die sache an den rat überwies, ist begreiflich, da 
die formen dann die gewöhnlichen waren, aber formell ist an dem ältesten todes- 
urteil über ein litterarisches werk nichts auszusetzen, und der fall hat seine hohe 
staatsrechtliche bedeutung. das praecedens war schlimm; aber im gründe haben die 
überzeugungsstarken demokraten recht getan; die sentimentale beeinflussung der 
Volksstimmung durch die selbstgesetzten vorsprecher der öffentlichen meinung war 
wirklich eine gefahr. nur läfst sie sich mit der censur nicht t^eschwören, wie Athen 
bald zu lernen gel^genheit gehabt hat. 



92 Was ist eine attische tragödie 

haft, dafs wieder nur erzählung und gesänge, durchaus keine handlung 
darin sein konnte, das waren also zwar tragödien, denn der chor, seiner 
art nach von dem dithyrambischen kaum verschieden, und der Sprecher 
der iamben waren vorhanden, beide neben einander, durch das costum 
verbunden: aber ein drama würden wir unmöglich ein solches gedieht 
nennen, es würde höchstens ein Oratorium sein, mit 50 stimmen und 
tanz, aber ohne soli. an dem falle Milets ist die von dem satyrspiel grell 
abstechende Stimmung uns auffällige doch ist zu beherzigen, dafs die 
Athener an dem in unserem sinne tragischen selbst anstofs genommen 
haben, und Phrynichos selbst gibt auch für die satyrhafte behandlung 
eines an sich ernsten Stoffes einen beleg, von dem inhalt seiner Alkestis 
wissen wir nämlich dreierlei, erstens dafs ApoUon bei der hochzeit seines 
Schützlings Admetos, dem er zur frau verhelfen hatte, die Moiren betrunken 
machte, damit sie ihm das leben des Admetos gegen ein anderes schenkten, 
zweitens kam der Tod vor, der tölpelhafte bediente des Hades, den die 
märchen aufgebracht hatten, und schnitt der Alkestis eine locke ab, sie 
dem tode zu weihen'^*), drittens erschien der frefsgierige Dorerheld 
Herakles, rang mit dem Tode und jagte ihm die Alkestis ab. wie stark 
die burlesken züge waren, ist jetzt nur aus der verfeinernden und mil- 
dernden euripideischen nachbildung zu entnehmen, aber für ein aufmerk- 
sames äuge sehr deutlich, es ist gar nichts dagegen zu sagen, wenn man die 
satyrn selber noch als chor zulassen will, handlung ist genug, und recht 
lebhafte, allein sie liegt in der geschichte, die der dichter schwerlich selbst 
gestaltet hat, und ob der Zuschauer handelnde personen sah, ist fraglich, 
da sich alles ziemlich gut erzählen liefs; von der Schilderung des ring- 
kampfes ist ein bruchstück erhalten. 
Aischyios. Es war also nun so ziemlich alles zusammen, was zu einem attischen 
drama gehört; und doch könnte jemand vom modernen Standpunkte sagen, 
dafs noch das specifisch dramatische fehle, es gab längst die TQaycpöla: 
und doch mufs man sagen, dafs noch das specifisch tragische fehle, 
und in der kunst, in welcher nur das vollendete wirklich lebensfähig ist, 
gilt es c'est le dernier pas qui coüte. bislang konnten wir auch noch 
jeden schritt als etwas naheliegendes ansehen, das man sich allenfalls 
selbst zutrauen mag: hier war ein genius von nöten, der zwar nicht nach 
verstandesmäfsiger Überlegung eines tages beschliefst 'nun wollen wir das 
drama schaffen', aber über den der göttliche geist kommt, der ihn schaffen 



58) Schol. Verg. Aen. VI 694. offenbar stammt das citat des verschollenen 
dichters aus der hypothesis der euripideischen Alkestis ; jetzt steht zu y. 1 nur noch 
die driudiSrje laro^ia, d. h. die hesiodisehe. 



Aischylos. 93 

helTst, was er muTs, und sich dann selbst über die Schönheit des geschaf- 
fenen verwundern. Aischylos des Euphorien söhn von Eleusis führte den 
dialog ein : damit war das dramatische gefunden, und er gab dem bocks- 
gesang die heldensage zum inhalt: damit war das tragische gefunden. 

Auch das ist nicht mit einem kühnen streiche gelungen ; das schöne 
ist schwer. Aischylos hatte schon mehr als ein Jahrzehnt chöre erhalten, 
ehe er einen sieg errang, vier jähre vor der schlacht bei Salamis, erst 
seitdem kann man glauben, dafs er die volksstimmung hinter sich hatte, 
aber noch nicht 20 jähre später ward die tragödie in den festen formen 
constituirt, die wir kennen, der dichter selbst hatte unablässig an sich und 
seinem werke gearbeitet: seine letzte Schöpfung ist nicht nur die voll- 
kommenste seiner, sondern überhaupt der attischen tragödie, mit seinen 
eignen anfangen kaum zu vergleichen, es ist ein abstand wie zwischen 
dem Athen, das bei Marathon schlug und dem, welches am Eurymedon 
sein Reich vollendete, der aber dieses im reiche der dichtung vollbrachte, 
war kein geringerer Organisator als Themistokles und Aristeides. als er 
sich zuerst emmal entschlofs, statt nur allein als Sprecher neben dem 
chore aufzutreten, noch einen gefährten mitzubringen, mochte das ein 
geringes scheinen: er hat es noch erreicht, nicht nur das echt attische 
Wortgefecht, schlag auf schlag, einzuführen, sondern selbst drei redner 
neben einander zu verwenden, er hat nicht nur den chor von der stelle 
des Protagonisten zurückgeschoben, sondern auch den Sprecher zum sänger 
gemacht, so dafs das aeolische lied neben die ionische recitation und den 
dorischen chorgesang trat; die benutzung volkstümlicher weisen durch 
Aischylos ist ausdrücklich überliefert und auch unschwer zu beweisen, 
die vierzahl der chöre, die absonderung des satyrspiels, ein gewisses her- 
kommen für den umfang der einzelnen stücke und ihre gliederung hat 
sich festgestellt, eine hinterwand ist an den runden tanzplatz heran- 
getreten, und so hat sich erst das gebildet, was wir bühne nennen, eine 
feste spräche, ein tragischer stil ist geschaffen, unendlich reich an mittein 
des ausdrucks, ermöglicht nur durch das zusammenarbeiten der mannig- 
fachsten zum teil widerstrebenden elemente, unter denen die noch völlig 
unausgebildete heimische spräche das sprödeste war. ganz wie den grün- 
dem des Reiches hat auch dem fürsten der attischen dichtung der dank 
seiner nachfolger gefehlt. Euripides setzt sich selbst herab durch die 
armselige sophistik, mit der er ihn schulmeistert, und Sophokles hat das 
häfsliche wort gesprochen, dals Aischylos höchstens unbewufst das rechte 
tue. für den schöpfer waren die regeln, welche die späteren erfindsam 
genug waren, mit leichtigkeit zu erfüllen, freilich minder verbindlich, 



94 Was ist eine attische tragödie? 

und er fand sie erst im suchen allmählich, wem so vorgearbeitet war, 
der mochte leicht wenigstens im dialog die einheitlichkeit der diction und 
des Stiles erreichen, die dem gründer allerdings fehlt, aber in der fertig- 
keit der formen liegt nicht blofs ein Vorzug; die manier stellt sich nur 
zu leicht ein, und hat es auch bei Sophokles und Euripides schon getan, 
und in dem was das wesentliche war und ist, durch Aischylos zum wesent- 
lichen in der tragödie geworden ist, konnten sie ihn nicht übertreffen, 
und haben sie auch nicht bewuTster das rechte getan, vielleicht das unrechte. 
Was ist das wesentliche? das liegt in dem Stoffe, den Aischylos der 
tragödie gab, und in dem sinne, in welchem er seinen beruf fafste. es 
geht nicht sowol den tragiker als den dichter überhaupt an. Aischylos 
ward der erbe Homers, er selbst oder doch jemand, der ihn völlig ver- 
stand, hat das ausgesprochen, seine dramen sind stücke von dem grofsen 
male Homers, d. h. Homer hat dem volke ein gewaltiges mal zubereitet, 
und Aischylos setzt ihm davon einzelne gange vor*"), die heldensage 
wird der inhalt der poesie und der dichter führt ihre einzelnen stücke 
seinem volke in demselben sinne vor, in dem es Homer getan hatte, zur 
erbauung und erhebung. diese erkenn tnis, ohne welche man dem attischen 
drama nimmer gerecht werden kann, hat Piaton völlig gehabt, nicht bloJfe 
weil er Homer den äv.Qog Tgaycpdlag nennt (Theaet. 152®), sondern 
weil deshalb seine polemik im Staate ganz unterschiedslos Homer und 
Aischylos trifft, ja auch Isokrates (2, 48) behandelt die epiker, welche 
die sagen von den kämpfen der beiden erzählt haben, und die tragiker, 
welche diese sagen den Zuschauern vor äugen geführt haben, als leute 
gleichen Schlages. Aristoteles hat hier nicht mehr attisch empfunden; 

59) Athen. VIU 347 «. das apophthegma ist von Athenaeus in seine prosopo- 
poeie eingeflickt; diese ist albern^ entscheidet aber gar nichts, die herkunft und 
darum auch die echtheit ist nicht zu bestimmen: nur dafs es gut ist, kann man 
sagen, dafs die Perser oder die Alrrai kein riMaxoe vom homerischen male sind, 
ist so trivial, dafs man sich scheut zu erinnern, dafs die ausnähme eine regel nicht 
entkräftet, es soll doch der versuch nicht mislungen sein, die tragödien nach dem 
epischen cyclus zu ordnen, eben weil die überwiegende mehrzahl aus ihm stammt, 
wenn jemand aber einwendet, dafs dann ja jeder tragiker wol oder übel aus Homer 
schöpfen mufste, so ist das verzweifelt naiv: darin liegt ja gerade das charakte- 
ristische, dafs durch Aischylos die tragödie homerischen inhalt empfängt, und die- 
selben leute erklären dann selbst, dafs Aischylos nur aussage, seine wie jede andere 
poesie wäre eigentlich nur ein teil der bewirtung, deren *urheber* Homer ist, d. h. 
der Verfasser von Ilias und Odyssee, weil ohne diesen die griechische poesie nicht 
entstanden wäre. ' Urheber einer bewirtung*, was ist das? Homer hat gekocht, 
was Aischylos vorsetzt: wenn das nicht auf das stoffliche geht, d. h. auf das, was 
wirklich Homer und Aischylos gemein haben, worauf denn? 



Aischylos. die heldensage; ihr wesen. 95 

Agathon und Theodektes waren ja auch keine solchen tragiker mehr, 
für die Stellung des dichters zu seinem volke zeugt am besten der ernst- 
hafte Spötter Aristophanes. belehren und bessern soll der dichter: tut 
er das nicht, so ist er des todes schuldig (Frö. 1012), und selbst das 
entschuldigt ihn nicht, wenn er für eine verderbliche geschichte sich auf 
die sage beruft (Frö. 1052). das ist derselbe mafsstab, den Piaton an- 
legt, und so zur ausschliefsung Homers und der tragödie kommt, ob wir 
die aufgäbe der dichtkunst ebenso fassen mögen, stehe dahin, die Athener 
haben sie so gefafst, und Dante ist eines solchen berufes sich bewufst 
gewesen, und Goethe hat zeitlebens mit leidenschaft dagegen protestirt: 
wir wissen aber, dafs er selbst diese erhabenste aufgäbe so vollkommen 
erfüllt hat wie Aischylos, Piaton, Dante, und dafs er noch für Jahrhunderte 
der lehrer und erzieher nicht nur seines eignen Volkes sein wird. 

Weil wir selbst noch unter dem banne solcher allmächtigen dichter die heiden- 

sage; 

stehen , ist uns die ungeheure macht des attischen dramas noch ver- ihr wesen. 
ständlich, und die tatsache liegt ja auch vor augen^ dafs es für die er- 
ziehung und erbauung des Volkes ein complement des epos wird, während 
die lyrik dazu nur geringes, die elegie nur hübsche aber triviale sprüche 
beigesteuert hat. Homer und die tragiker sind Moses und die propheten 
für Hellas, aber das wird schwerer begriffen, dafs der grund dieser er- 
habenen Stellung darin zu finden ist, dafs Aischylos die sage zum Inhalte 
seiner dichtungen macht, und dadurch für immer der tragödie ihren stofi 
zuweist, ist es uns, die wir so sehr geneigt sind, die persönlichkeit zu 
überschätzen, schon befremdlich, dafs gerade die dichtung so mächtig 
wird, in welcher der dichter hinter seinem werke verschwindet, ganz wie 
im epos (doch da haben wir ja Skakespeare, der dasselbe lehren kann), 
so sträubt sich vollends der moderne gegen eine macht, die freilich einem 
papiernen saeculo ganz fremdartig ist, die macht der sage, der ratio- 
nalismus kann sich's nun mal nicht anders vorstellen^ als dafs alles, was 
doch gar nicht passirt ist und gar nicht passirt sein kann, sich einer 
blofs mal so ausgedacht haben muTs, und dann kann doch nur auf 
diese person etwas ankommen und nicht auf ihre hirngespinnste. zum 
mindesten erscheint ihm als eine des verständigen mannes unwürdige 
Schwachheit, wie der teufel sagt, abzuhängen von creaturen die wir 
machten, die romantik aber, die freilich die tiefe empfindung von dem 
besitzt, was der rationalismus am liebsten negirt und immer zerstört, 
bleibt in der trauer und der Sehnsucht befangen, dafs das paradies, 
dessen Schönheit sie fühlt, ein verlornes, und nur im träum noch für 
uns zu betretendes sei. das ist nicht der rechte weg. die poesie und die 



96 Was ist eine attische tragödie? 

sage, die mutter der poesie, lebt ja: und statt im träume hinüberzu- 
schweben, baut sich die phantasie mit dem guten Schwerte der geschicht- 
lichen erkenntnis durch die dornenhecke zu dem schlummernden Dorn- 
röschen durch, der weg ist frei: Welcker hat ihn gewiesen, so gewifs 
die poesie die muttersprache des menschen geschlechtes ist*°), und deshalb 
für jeden von natur verständlich, so gewifs ist die sage die naturform 
für des menschengeschlechtes laroglrj und (pLkoaoq)ia, verständlich dem 
kinde, wie wir noch täglich sehen, und für jeden, der noch nicht zu 
vornehm für den spruch ist, werdet wie die kinder. 

Die sage — ich rede allgemein, aber ich denke natürlich an die 
griechische, von der ich allein etwas verstehe — umfafst vor allem die 
summe der lebendigen geschichtlichen erinnerung des Volkes, das was 
der einzelne selbst erlebt hat, was also unmittelbar im gedächtnis lebt, 
wird sich stets von ihr absondern, aber diese Scheidelinie ist keine feste 
und sie verschiebt sich für das volk im ganzen von stunde zu stunde, 
nur das lebt wirklich fort, was noch als für die gegen wart bedeutsam 
empfunden wird, deshalb erhält sich wol an einzelne ungeheure taten 
oder verbrechen, an katastrophen von Völkern stammen Staaten eine 
erinnerung, aber wenn sie nicht eine exemplificatorische bedeutung em- 
pfangen und so in die nächste kategorie übertreten, so werden sie in 
beziehung gesetzt zu den zuständen der gegen wart; an dieser hängt das 
interesse, und das vergangene hat nur wert, in soweit es das gegenwärtige 
erklärt, das kommende ahnen läfst. aber weil man sich abmüht, das 
gegenwärtige zu verstehen, so setzt sich jede darstellung des zuständ- 
lichen in eine geschichte um. denn die homerische zeit beschreibt nicht 
blofs den schild des Achilleus durch die erzählung seiner anfertigung: 
auch die Stammesverhältnisse in einer landschaft, die Standesunterschiede 
in einer staatlichen gemeinschaft, den einzelnen satz des geltenden rechtes, 
die einzelne ceremonie eines gottesdienstes wird nur im werden darge- 
stellt, sehr oft ist unentwirrbar, wo die geschichtliche erinnerung auf- 
tritt) die paradigmatische construction beginnt, denn auch an der summe 
der geschichtlichen erinnerungen übt der mensch sein causalitätsbedürfnis, 
wie sie jetzt sagen, besser und antiker gesagt, seinen philosophischen sinn ; 
man kann auch sagen, er sucht den gott in der geschichte. so tritt in 

60) Die moderne poetik bringt es freilich daza die poesie für 'sonntagsstaat 
neben der alltagskleidung' zu erklären; für die Sphäre, in der sie eyangeliom (oder 
thora) ist, pafst vielleicht besser, Sonntagsbeilage zum wochenblättchen, aber Homer 
und Piaton, Herder und Goethe waren keine bildungsphilister und haben nicht für 
bildungsphilister gearbeitet, und der liebe gott hat auch nicht blof s sonntags von 
9 bis 11 Sprechstunde. 



Die heldensage; ihr wesen. 97 

die verworrene masse der ordnende gedanke von schuld und strafe, vom 
endlichen siege der besseren sache oder auch der gröfseren tüchtigkeit. 
das mag oft die apologie des erfolges oder doch der begehrlichkeit sein, 
und befriedigend ist diese wie jede teleologie nur für die von vorn herein 
zustimmenden, es muTs der ordnende procefs deshalb immer von neuem 
begonnen werden, sobald die sittlichkeitsbegrifie, die erkenntnis des tat- 
sächlichen und das rilog selbst sich verschoben haben, aber das geht 
in alle Zeiten weiter, jede geschichtschreibung, die lebendig wirken will, 
muTs den gott in der geschichte aufzeigen, mag sie nun Ahriman oder 
Ormuz, TtQÖvota oder xijy^ri in ihr finden. 

Die sage wird aber mit nichten durch die geschichtlichen erinnerungen 
ausgefüllt, wie der rechtssatz ^die räche ist mein, spricht der Staat, ich 
werde richten' in einem paradigmatischen falle ausgesprochen wird, so 
geschieht es mit den sittlichen erfahrungen und grundsätzen des volkes. 
die Sprüchwörter sind nach Aristoteles reste alter Weisheit: sie sind in 
der tat häufig nur der rest einer exemplificatorischen geschichte, eines 
epiloges, den sie ja auch noch oftmals an sich tragen *''). es verkehrt das 
tatsächliche Verhältnis, wenn man meint, die fabel wäre später als das 
fabula docet. die moral ist der gehalt der fabel, aber dieser wird ursprüng- 
lich nur in der form einer geschichte ausgesprochen, und die kahle sentenz 
ist erst aus dieser abstrahirt. und gewonnen werden die moralischen sätze 
zunächst auch aus der weit, den capiteln des buches, zu denen sie nur 
die Überschriften sind, ob die bäume oder die tiere, die götter oder die 

61) Die Sprüchwörter mit epilog (Haupt op. 11 395 Crusius Anal, in paroemiogr. 73) 
sind bereits verkrüppelte erzählungen, und sie sind doch noch vollständiger als die 
nakte sentenz. es kann freilich das sprüchwort auch nur ein bild sein, 'xtixov xö^axos 
xaxdv cpöv. ^der apfel fäUt nicht weit vom stamm*: dann liegt darin das was das 
homerische gleichnis gibt {cbs <yöx, Man Xiovai xai dvS^daiv S^xta mard): und das 
fafst doch auch ein sinnliches einzelbild. was man töricht den gnomischen aorist nennt, 
ist in Wahrheit das tempus der sage, welche das regelmälsige als einzelnen fall auffafst 
und ausspricht, auch die gnome ist nur das residuum der erzählung des faUes, in 
dem sie gesprochen ist. 'geld ist der mann* sagte der arme Aristodemos in Sparta 
(Alkaios 50. Find. Isthm. 2). *denk' an Admetos wort und liebe die braven leute' 
(Praxilla 3). xai rode ^mxvUdeco. auch an den Sprüchen der sieben weisen ist der 
Urheber mit nichten irrelevant, was wäre riXos öga fjiaxQov ßlov ohne die novelle 
von Kroisos? wenn der kanon der pflichten des ritters in den XeiQcovos •öno-d'fjxai. 
so gegeben wird, dals der gröfste held von seinem und vieler anderer meister unter- 
wiesen wird, so nennen wir das eine einkleidung, und eine einkleidung nennen wir 
es, dafs Piaton SmxQarixol löyoi dichtet, das trifft für uns zu: wir werden auf 
der dürren beide der abstraction von dem bösen geiste herumgeführt, in Wahrheit 
ist das sagenhafte nicht kleid, sondern ist lebendiger leib ; und die unverdorbene seele 
hat denn auch die grüne weide nicht aufgehört zu suchen. 

T. Vtrilamoiritz I. 2. Aufl. 7 



98 Was ist eine attische tragödie? 

mensclien trager der handlang sind^ macht keinen Wesensunterschied, 
fabel und novelle und märchen, wie wir die verkümmerten Überreste 
nennen, sind reiser an demselben stamme, und es ist nur ein quanti- 
tativer unterschied, wenn sich eine solche conception der volksmoral bis 
in die hohen himmel hebt» der satz ^seid dankbar' von Ixion auf seinem 
feurigen rade verkündet wird, wenn Vorbedacht und Nachbedacht zwei 
Titanen werden, und der hehre glaube, dafs menschenwürde nicht der 
götterhöhe weicht, sich in der gestalt des Herakles verkörpert, in so weit 
die schöpferische tatigkeit der volksphantasie sich also mit der production 
des einzelnen dichters deckt, darf sie wol bei denen auf ein Verständnis 
rechnen, welche dieser nachzudenken vermögen, an der Heraklessage 
wollen wir unten selbst den versuch machen. 

Schwierig dagegen ist es, das Verhältnis der sage zu den göttern 
und zu der religion zu erfassen, zumal das unerträgliche wort mjthologie 
den ganzen luxe de croyance umfafst, den sich ein volk mit göttern beiden 
Ungeheuern und ihrem geboren werden kämpfen und sterben erlaubt, 
ein wort, anwendbar eigentlich nur für solche, die froh sind, sich nicht 
mehr in die Unkosten eines solchen luxus zu stürzen, wenn die paradig- 
matische sage götter oder dämonen einführt, so tut sie das nicht anders, 
als wenn sie nach menschen oder tieren greift, sie verwendet alles was sie 
hat, aber es mufs eben schon vorhanden sein, dabei kann sie ja ohne be- 
schränkung nach der analogie selbst schöpferisch auftreten, und nament- 
lich personificationen hat vornehmlich sie erst zu göttern gemacht, auf 
diesem umwege greift sie stark in die ausbildung der götterlehre ein, denn 
die geschöpfe der phantasie sind sehr wol dazu fähig, religiöse potenzen zu 
werden, so ist Eros ganz und gar ein geschöpf der dichtung. aber es 
mufste eben doch schon vorher die existenz von göttern und dämonen fest- 
stehen, und die götter, welche wirklich im glauben und im cultus leben, 
werden auf diesem wege nimmermehr erklärt, ja, wenn der rational ismus 
recht hätte, und auch die religion nur etwas wäre, das sich zuerst einmal 
einer ausgedacht hat, oder wenn der euhemerismus recht hätte, und die 
götter einmal fleisch und bein gehabt hätten, oder wenn die natursymbolik 
recht hätte, und die religion nichts wäre als in metaphern umgesetzte 
meteoroleschie^ dann möchten die götter in der sage aufgehen und dem- 
nach die taten derselben so alt oder älter sein als die personen. aber 
das ist ja alles nichts oder doch nur etwas äulserliches. die gottheit hat 
keine andere wohnung als das menschliche herz, und selbst wenn sie 
sich im demente offenbart, das sie noch am reinsten reflectirt, so ist 
das so wenig ihre wahre gestalt, wie wenn der Erdgeist im feuer erscheint 



Die heldensage; ihr wesen. 99 

^in widerlicher gestalt'. lediglich das gefühl, das überwältigend aus dem 
eignen busen aufquillt, offenbart dem menschen die gottheit — wie er dies 
gefühl verkörpert und benennt, ist im gründe etwas unwesentliches und 
immer etwas accessorisches. die Wirkung empfindet er in wonnen und in 
tränen : die Ursache sucht er, ahnt er, glaubt er, betet er an. so die einzelne 
menschenseele, so die seele des volkes. die götter wirken freilich, natür- 
lich; denn täten sie es nicht, so wären sie so nichtig wie die götter 
Epikurs. sie wirken auch unmittelbar und sinnfällig; denn täten sie es 
nicht, so wären sie so gleichgilüg wie der aristotelische gott: aber sie 
sind stetige gewalten. sie haben die dauer: der menschen leben gehört 
dem Wechsel, auch am elementaren ist mit nichten die vereinzelte kata- 
strophe, etwa das gewitter, was die gottheit dem natürlichen sinne offen- 
bart, sondern die ewigen gesetze. das wunder, die ausnähme, ist dumm; 
wunder tun kann der teufel auch: nur die regel gehört der ewigen Weis- 
heit. Goethe hat erklärt, da£s er sich ohne weiteres geneigt fühle, die 
sonne anzubeten: warum? wenn sie auch sinkt: von osten, hoffe nur, 
kommt sie zurück, am abend der seine quälen endet findet Manfred 
frieden im anschauen der ewigen Sonne. Piaton und Aristoteles haben 
ebenso empfunden wie Goethe und Byron und aus der gesetzmäfsigkeit 
des kosmischen lebens den stärksten religiösen impuls hergeleitet'*''^), das 
menschenherz ist ruhelos : es sucht den frieden ; an ihm zerren die Wider- 
sprüche: es sucht die harmonie. das irdische kennt nur ein ewiges 
werden: es sucht das ewige sein: und wo immer es dieses findet, da hat 
es die gottheit gefunden. 

Werden ist geschichte : vom sein kann es keine geschichte geben, 
darum haben die götter mit der sage ihrer natur nach nichts zu tun, 
und darum ist aus der göttergeschichte, die es gleichwol gibt, für die 
religion so viel und so wenig zu lernen wie aus irgend einer theologie. 
sage und religion stehen neben einander, die religion wird wie alles so 
auch die sage durchdringen: aber wenn die sage in die religion dringt, 
so ist das etwas fremdes, die Vermischung ist gefährlich, wird schliefslich 
verderblich, aber unvermeidlich ist sie allerdings, denn wie von seiner 
geschichte und seinem Staate und rechte versucht das volk auch von seinen 
göttem sich ein bild zu machen, und auch das tut es auf dem wege, dafs 
es eine geschichte von dem werden und handeln der götter ersinnt, in 



62) Auch Nathan sagt *der wunder höchstes ist, dafs uns die wahren echten 
wunder so alltäglich werden können, werden sollen*. Lessing erfafst das nur durch 
raisonnement, aber er erfafst es doch, die wirklichen dichter geben die Offenbarung 
unmittelbar. 

7* 



100 Was ist eine attische tragödie? 

dem sinne ist es wahr, dafs Homer und Hesiod den Hellenen ihre 'd-eoyovlrj 
schaffen, wie alle andern sagen, werden auch diese in einem beständigen 
flusse bleiben entsprechend der Umformung des sittlichkeitsideales und 
der erweiterung des empirischen wissens. und wie die cpiXoaocpLa des 
Yolkes sich allmählich ein Weltbild macht, so wird sie auch versuchen 
einen Zusammenhang in die vereinzelten göttersagen und personen zu 
bringen, aber die Schwierigkeit des abstracten gegenständes bedingt schon 
allein, dafs dies verhältnismäfsig spät geschieht, und weit gefehlt, dafs 
die göttersage vor der heldensage vorhergienge, diese also ausgeartete 
'mythologie' wäre und Dios eigentlich eine wolkenburg bedeutete, borgt 
vielmehr Hesiod von Homer, trägt die göttersage oft färben der heroen- 
sage und hat heroisch zugestutzte göttersage wie die -d^softaxlce oder die 
Titanomachie für die religion nicht höheren wert als für die poesie**). 

So fassen wir also die sage als die laxoQia Y.al q>iXo(5ocpla. des 
Volkes zu einer zeit, wo das volk nur concret, in der form einer ge- 
schichte, eines fxvd-og, zu denken vermag, so dafs sich auch die Vor- 
stellungen von zuständen nur in den bildem handelnder personen fassen 
lassen, wo endlich die unterschiede in der empfindung und der geistes- 
kraft der einzelnen individuen noch nicht so stark sind, um den eindruck 
eines gemeinsamen empfindens und denken s zu stören, so dafs wir ledig- 
lich das volk als das alleinige subject erkennen und anerkennen, das 
Weltbild, welches die sage auffafst, ist dem, welches ein dichter gibt, völlig 
analog; das volk schafil es sich auch in Wahrheit nicht wie ein dichter, 
sondern als dichter, es redet eben noch seine muttersprache, die poesie: 
die ungeschriebene litteratur dieser muttersprache ist die sage. 

Wenn wir nun wissen, was sie ist, so verstehen wir auch leicht ihre 
geschichte. aufhören wird die sage niemals, so lange dichter aufstehen, 
die den erzeugnissen ihrer phantasie die lebenskraft zu verleihen ver- 
stehen, dafs sie die herzen des Volkes erobern und dauernd behaupten, 
aber es macht doch einen entscheidenden abschnitt, wenn das volk als 
collective einheit nicht mehr der producent der sage ist, und der dichter 

63) Ein schlagendes beispiel sind die ^ide yovatj wie sie schon Hesiod erzählt, 
das zum höchsten berufene kind, von einem tyrannen verfolgt, ausgesetzt, von den 
tieren des waldes gepflegt, schliefslich herrlich erwachsen und wunderbar zum siege 
geführt : ein allbekanntes motiv der heroensage. das ist widersinnig für den himmels- 
herm, den die religion sich nur ewig denken kann, und für die religion hat es auch 
nirgend etwas bedeutet, als in dem kretischen winkel etwa, wo der Zeus der ge- 
boren ward auch begraben lag. die besonderen Verhältnisse dort fordern für sich 
eine aufklärung, und die funde der Idäischen grotte zeigen wol, dafs die religion, 
welche hinter dieser hellenischen sage sich verbirgt, keine hellenische war. 



Die heldensage; ihr wesen; ihre geschichte. 101 

der sie erzeugt seine individualitat wol gar im gegensatze zu dem volke 
empfindet und hervorkehrt, das wird eintreten, wenn eine weile in leerer 
trägheit nur noch das vorhandene sagenmaterial weitergegeben ist, ohne 
wesentlich vertieft und bereichert zu werden, und es kann dieses ge- 
dankenlose weitergeben des einmal formirten Stoffes noch lange zeit 
neben neuen revolutionären bestrebungen einzelner dichter fortbestehen: 
aber das kommt kaum noch in betracht. auch für die sage ist die ruhe 
der tod. 

Sie ist ein ström geschmolzenen metalls. es rinnt dahin, verzehrend 
und einschmelzend was in seinen weg kommt, schlacken abstofsend, 
blasen werfend, bis die hitze verflogen ist: dann liegt es starr und kalt 
und tot: aber es bewahrt nur in dieser Starrheit seine form, so können 
wir die sage nur in dem erstarrten zustande erfassen, der ihr ermöglichte 
zu dauern, während sie, so lange sie lebte, dem Wechsel unterworfen 
war. ersichtlich handelt es sich also für ihre beurteilung und ihr Ver- 
ständnis wesentlich um den zustand, in welchem sie erstarrte, d. h. 
dauernde form gewann, da wollen wir denn aber kurzer band die all- 
gemeine art zu reden aufgeben und ganz einfach die tatsachen der hel- 
lenischen Sagengeschichte überschauen. 

In lonien hat sich für die sage das rechte gefäfs gebildet, das home-Dieheiden- 
rische epos, und hat sich ein stand gebildet, der sich dem singen und gesciuchte. 
sagen, dem vertriebe des epos, berufsmäfsig widmete, das ward für alle 
folgezeit entscheidend, gewifii wollen wir nicht unterschätzen, dafs sich 
in diesem stände eine anzahl bedeutender dichter befunden haben, welche 
den Stil des epos feststellten und musterstücke schufen, die sich die Jahr- 
hunderte hindurch in der gunst des volkes behaupteten, es war aber 
auch das für die ganze entwickelung des epos von segensreichstem ein- 
flusse, dafs die lonier das epos selbst oder vielmehr seinen keim von den 
Aeolern entlehnten, und dafs sich diese entlehnung auch auf den stoff 
erstreckte, die kämpfe um Ilios und eine reihe heroengestalten. denn 
sofort erwuchs nun für die dichter des epos die aufgäbe, da sie doch 
vornehmlich die heroen des eigenen volkes verherrlichen sollten und 
wollten^ diese in das epos einzuführen^ d. h. auf den gegebenen Schau- 
platz und in die gegebene Umgebung zu bringen, so entstand von selbst 
ein Sagenkreis, der sich räumlich und zeitlich zwar bequem ausdehnen 
liefs, aber doch die nötigung den dichtem auferlegte, mit ihren neu- 
schöpfungen anschluis zu suchen, so rückten die beiden vieler Städte, 
die ahnen vieler geschlechter, die in Wahrheit zeitlos sein mochten, oder 
auch ganz verschiedenen Zeiten angehörten, in ein par generationen zu- 



i 



102 Was ist eine attische tragödie? 

sammen, und selbst zwei von hause aus ganz gesonderte Sagenkreise, 
wie Ilias und Thebais, traten wenigstens in ein festes Verhältnis, da» 
ionische epos, gepflegt mindestens von 900 — 700 ohne erkennbar sin- 
kende kraft der phantasie, war etwas so überwältigendes aller anderen 
sage und dichtung gegenüber, dafs sie sich entweder an dasselbe an- 
gliedern mufste oder in kümmerlicher Vereinzelung verdorrte, das galt 
namentlich für die reiche und schöne, aber noch ganz formlose sagen^ 
weit des mutterlaudes, das durch die herübernahme des ionischen epos, 
wie sie vorhin erzählt ist, zwar das bequemste gefäfs erhielt, um seine 
eigenen gedanken und empflndungen aufzufassen, aber nicht blofs diese 
ionisch-episch stilisiren mufste, sondern auch seine beiden und götter 
in die kreise derer einführen, die im ionischen epos herrschten, die 
ausdehnung der epischen dichtung im mutterlande kann nicht leicht zu 
hoch angeschlagen werden; bis tief in das sechste Jahrhundert, ja in 
Wahrheit noch weiter herab reicht die production, und es werden sowol 
neue Stoffe in grofser zahl dem epos zugeführt, als auch das vorhandene 
überarbeitet, aber so gut wie immer bestrebt man sich nicht nur den 
epischen stil inne zu halten, sondern man projicirt alle und jede Stim- 
mung und strebung der gegenwart in die heroenzeit. wie dem Herakles 
neue abenteuer zuwachsen, welche den dorischen colonisationen ent- 
sprechen, wie die blute Korinths die Argonautenfahrt umgestaltet, die aegi- 
netischen adlichen ihren rühm in den zügen der Aeakiden an Herakles 
Seite finden, die erwerbung Kyrenes sowol an die Argonauten sage wie an 
die Odyssee angefügt wird, drittens auch ein altthessalisches märchen zu 
neuem selbständigen leben bringt, wie die colonien an der Acheloos- 
mündung und am golfe von Ambrakia der Thebais einen neuen ausgang 
schaflen: so stellt es sich allerorten dar. die gegenwart wird in ihren 
eigenen ereignissen und personen vergessen, ihr Spiegelbild in die sage 
aufgenommen und erst dieses scheint würdig einer fortexistenz. es wäre 
eine torheit, wollte man meinen, dafs die gegenwärtigen kämpfe und siege 
den leuten wertlos gewesen wären, oder dafs ihre phantasie nicht auch 
daran sich betätigt hätte: die so spät erst aufgezeichneten und doch so 
urwüchsig palikarenhafien messenischen freiheitskämpfe, die tragödie des 
Kypselidenhauses, Krisas Untergang, die geschichten von Hhadina, Othrya- 
des, E^eobis und Biton dürften sogar manch einem wertvoller erscheinen 
als die bearbeitung der Odyssee oder der Schild des Herakles, es soll wahr- 
haftig nicht als eitel sogen hingestellt werden, dafs die Hellenen Jahrhun- 
derte lang sich selbst und ihre eigenen taten und leiden der hohen poesie 
für unwert gehalten haben, es harmonirt das damit, dafs die Peloponnesier 



Die heldensage; ihre geschiohte. 103 

und Boeoter auch ihre eigene spräche nicht zu schreiben wagten, aber 
die tatsache ist vorhanden, und weil sie uns modernen so fremdartig ist» 
kann man sie nicht stark und oft genug hervorheben, vixere fortes ante 
Ägamemnona multi, sed omnes illacrimahiles urguentur ignotique longa nocte, 
carent quia vate sacro, das gilt auch, wenn man post für ante setzt, und 
die gewalt Homers zeigt sich darin vielleicht am stärksten, wo er der 
rieseneiche gleich kein Wachstum aufkommen lafst, so weit sein schatten 
reicht; aber den epheu am stamme und die mistel in den ästen nährt 
er mit dem eigenen safte. 

Nun trat ja freilich seit 600 etwa in der chorischen lyrik eine poesie 
auf, welche bedeutende dichter erzog, ein allgemeines Interesse bei dem 
herrschenden adel fand, und dem dorischen wesen weit näher stand als 
das ionische epos. aber wo hat sie ihre Vollendung erfahren? in Sicilien, 
im Neuland, das kein epos besafs. und wodurch hat sie Stesichoros aus 
den dörflichen kreisen, die Alkman befriedigte, in die auch noch Korinna 
gehört, emporgehoben? dadurch dafs er epici carminis onera lyra stistinuit, 
durch die reception der sage, dafs der aufschwung der chorischen l3nrik 
den niedergang des epos im 6. Jahrhundert beschleunigt hat, ist nicht 
zweifelhaft, allein das traf nur die form, den Inhalt übernahm sie; denn 
wenn auch ihr kleid verschlissen war, war die sage selbst doch noch 
frisch, und das volk konnte sich ohne sie eine erhabene poesie nicht 
denken, wenn der dichter so wirken wollte, wie er es beanspruchte, 
das volk es verlangte, muiste er die homerische sage behandeln, da be- 
sitzen wir ja nun glücklicherweise die pindarischen gedichte, und können 
mit eigenen äugen sehen, es sind lauter gelegenheitsgedichte, die erhal- 
tenen rein menschlich persönlichen anlassen gewidmet, der dichter selbst, 
erfüllt von einem Selbstgefühl, das zuweilen an Platen erinnert, setzt 
seine ganze Individualität ein. aber der sage kann er kaum ein par 
mal en traten, wenn ein obskurer herr aus einem obskuren kleinstaat, 
etwa ein Opuntier, zu Olympia im ringkampfe gesiegt hat, so bemüht 
Pindar nicht nur die olympischen heroen, er feiert nicht blofs den home- 
rischen beiden, den die Opuntier sich vindicirt haben, sondern er formt 
selbst die dortige localsage um, damit eine heroische Verbindung zwischen 
Opus und Elis die jüngste olympische grofstat eines Opuntiers verherr- 
liche, er hat es sich zum gesetze gemacht, wie er selbst sagt, keinen 
seiner lieben Aegineten zu besingen, ohne dafs die unvermeidlichen Aea- 
kiden mit ihren heroischen bei der neuesten, freilich nur turnerischen, 
grofstat gevatter stehn. und für den tyrannen von Kyrene liefert er 
geradezu eine neue darstellung der Argonautensage, der dichter ist eine 



104 Was ist eine attische tragödie? 

imponirende gestalt: aber diese sorte von poesie, wo die mythische er- 
zählung in conventioneller stilisirung und unerträgliche aufzahlungen von 
früher gewonnenen tumprämien, complimente an turnlehrer und reit- 
knechte neben einander stehen und das was wahre individuelle poesie ist 
auf einen kärglichen räum zurückdrängen, ist ein fragwürdiges product 
einer mischcultur, erwachsen in einer gesellschaft, deren sämmtliche 
lebensformen sich überlebt haben und den Stempel des Verfalles tragen, 
die sage ist äuTserlich zu einer decoration herabgedrückt und innerlich hat 
sie dennoch die Übermacht und erstickt die reine flamme der subjectivität. 
selbst ein Pindar vermag sich weder ganz in die sage zu versenken noch 
auch sie ganz auszuscheiden. 

In der heimat des epos war man weiter; die culturentwickelung 
war eben dort immer um ein par Jahrhunderte voraus, während im mutter- 
lande das epos noch neue stoffliche aufgaben in überfülle zu bewältigen 
hatte, war hier in lonien der moment der erstarrung für die epische sage 
schon um 700 eingetreten, energische dichterpersönlichkeiten waren er- 
standen, hatten für ihre liebe und ihren hafs, ihre gefühle und ihre ge- 
danken sich die waflen der elegie und des iambos geschmiedet, und damit 
auch der spräche des lebens die litterarische weihe gegeben, die revo- 
lution in den Städten und die seit 600 immer weiter greifende, durch 
Harpagos auf die ganze küste ausgedehnte fremdherrschaft hatte auch die 
heroischen ideale gestürzt, die menschen waren über die zeit hinaus, 
welche durch die sage befriedigt wird, in rücksichtslosester weise drängte 
sich die subjectivität hervor; der einzelne, der selbsterworbenen Weisheit 
voll, begnügte sich nicht nur nicht mehr mit den errungenschaften des 
Volkes, sondern er trat ihm voll Verachtung entgegen, der weise den blinden 
toren. und die sage trifft vollends hafs und Verachtung, da sagt einer idiC^rj' 
adfxrjv ifxwvTÖv, verkündet den ewigen Xöyog, den er besitzt, die anderen 
menschen aber weder kennen noch, wenn er ihn verkündet^ verstehen, und 
schilt auf Homer und Hesiod. und der zweite sagt *EycaTaiog (5Ö€ fxv&et- 
TOI' Tade yqd(po} (bg f^ot dhjd'ia doxst elvaC oi yäq ^EX^viav Xöyoi 
TCoXkol TB ytal yeXoloi, d)g ifiol g)alvovzai, eialv, und der dritte ver- 
wirft die alten götter und ihre propheten, die epiker, und erklärt die ge- 
stalten der sage für TtXdOfxaTcc töjv ftQOTigwv. der tag ist da, wo die 
laroglt] und (piloaoq)la des einzelnen die des volkes ersetzt, wo die 
Wissenschaft die sage ablöst, so weit war lonien zur zeit des Aischylos. 

Athen steht zwischen lonien und den Dorern. Selon und die tyrannen 
haben die front des Staates, die früher ganz nach westen gerichtet war^ nach 
Osten gewandt. Selon und Kleisthenes haben das joch der vermorschten 



Die heldensage; ihre geschichte. 105 

gesellschaftsfonnen gebrochen, die lebendige kraft einer in gesetzmäfsiger 
freiheit zum selbstbewulstsein und zur selbstregierung berufenen bürger- 
schaft ist entfesselt, die schönsten aufgaben werden dem yolke zur rechten 
zeit gestellt, werden gelöst und neue höhere ziele eröffnen sich dem blicke, 
in dieser atmosphäre schuf Aischylos die tragödie, ward er ein neuer 
Homer, das volk in seiner breiten masse lebte und webte noch in der 
sage, und die demokratie verwarf die tyrannische subjectivität der lonier 
und die oligarchische des Pindaros. aber das volk verlangte seuie eignen 
wahren und innigen empfindungen aus der sage hervortönen zu hören, 
und wollte mittun auch an seinem gottosdienste. und das volk war fromm 
und ernst; die höchsten und tiefsten gefühle regten sich in seiner seele: 
es verlangte nach dem dichter, der den gefühlen gestalt färbe klang ver- 
liehe: es verlangte nach dem dichter der ihm lehrer und erzieher werde, 
der es zu gott führe. 

Also konnte für das Athen, das bei Marathon und Salamis geschlagen 
hat, nur eine poesie genügen, welche objectiv und volkstümlich blieb wie 
die des epos, in welcher der dichter mit seiner person zurücktrat, und 
es mufste eine ernste und erhabene poesie sein {cTtovöala, wie Aristo- 
teles sagt), die ein Weltbild gab und gott in der geschichte zeigte, wie 
die homerische, damit war zugleich als stoff der einzig vorhandene ge- 
geben, die heldensage. aber die poesie mufste gleichwol eine neue natio- 
nale von dem geiste der groisen gegenwart durchtränkte sein: die home- 
rische sage mufste aus dem attischen geiste wiedergeboren werden, das 
waren die forderungen für den inhalt. was die form angieng, so ist 
oben gezeigt, dafs die chorische lyrik, aber von einem bürgerchore aus- 
geübt, und der ionische Sprecher und für beide das costüm, also die 
[xLlxrjöLg gegeben war. man kann sagen, Aischylos brauchte nur zuzu- 
greifen, der tragödie durch zufügung des zweiten Schauspielers zur wirk- 
lichen handlung zu verhelfen und sie iv. ixiMqQv fiijS^uv xal li^swg 
yeXoLag dTtoGsfivdvBLVx dann war alles geschehen, gewifs, wu: vermögen 
die geschichtlichen kräfte zu wägen, einzusehen, dafs und warum sie auf 
das eine ziel hinwirken, welches dann durch den glücklichen griff des 
einzelnen erreicht wird, und es ist dann die probe gemacht, dafs das 
geschichtliche exempel aufgegangen ist. nur wird darum die gröfse des 
genies nicht geringer: seine tat bleibt immer das ei des Columbus, mögen 
wir ihm den platz noch so genau nachrechnen können, den ihm die 
geschichte vorsorglich bereitet hatte. 

Es ist offenbar geworden, dafs der anschluis an die heldensage das 
ist, wodurch Aischylos die tragödie geschaffen hat damit ist die tatsache 



106 Was ist eine attische tragödie? 

erklärt, welche sonst unbegreiflich aber nichts desto weniger tatsache 
bleiben würde, dafs nicht nur die tragödie des 5. Jahrhunderts, sondern 
auch jede nachbildung derselben in der folgezeit die heldensage zum 
Inhalte hat. auf diesem Verhältnis beruht die einzige gröfse der griechi- 
schen tragödie; aber nicht minder liegt darin auch ihre Vergänglichkeit 
beschlossen, ihr Untergang war unvermeidlich, sobald auch das attische 
Volk der sage entwuchs, denn dann mufste die attische nachfolgerin 
Homers das Schicksal ereilen, welchem Homer in lonien verfallen war» 
und nun eröffnete dieselbe grofsartige politische bewegung, welche dem 
drama des Aischylos die weihe gab, Athen völlig dem ionischen einfluis, 
öder verlegte vielmehr den Schwerpunkt des geistigen lebens von lonien 
nach Athen, dadurch ward der an sich notwendige entwickelungsproceis 
beschleunigt, der durch befreiung des subjectiven denkens und der indi- 
vidualität die sage und ihr gefäfs, die tragödie, überwinden mufste. wo 
Anaxagoras Protagoras Sokrates lehren, ist in der tat kein räum mehr 
für sie. wenn nicht ihre beiden dichter noch gelebt hätten, würde sich 
die tragödie kaum bis 406 gehalten haben, als sie aber starben, empfand 
das publicum selbst den tod der tragödie. Aristophanes liefs Dionysos in 
den Hades hinabsteigen. Piaton verbrannte seine tetralogie; nicht weil 
er darauf verzichtete, ein dichter zu werden im sinne des Aischylos, son- 
dern weil er erkannte, dafs der tragiker jetzt nicht mehr der lehrer und 
meister des volkes sein konnte, er versuchte freilich — so stark war die 
gewalt der tragödie — sich eine neue kunstform von dramatischem Cha- 
rakter zu schaffen, und er schuf sich statt der überwundenen heroen- 
sage auch einen Sagenkreis, den von Sokrates ; aber er erlebte doch oder 
bewirkte vielmehr selbst dafs die Wissenschaft das poetische gewand ganz 
abwarf; wenigstens die wahre, denn in niederen aber deshalb volkstüm- 
licheren kreisen trat dem sokratischen sogar noch der Sagenkreis von 
Diogenes zur seite. die poetische form des dramas dauerte freilich, ja 
das dramatische ward erst jetzt recht als artbildend erfafst; man tat auch 
hier den notwendigen schritt, da die heroischen abbilder nicht mehr ver- 
fiengen, frisch in das volle menschenleben der gegenwart hineinzugreifen 
und von da die Stoffe zu holen. Menander steht zum ßlog wie Aischylos 
zu Homer: er bewirtet seine Zuschauer mit Te/^dxrj von den /naydka 
ösLTtva roü ßlov, aber das drama ist, seit es die sage verloren hat, 
nur noch komödie; das amovdatov ist dahin, unwiederbringlich, die 
Hellenen haben nach Piaton keinen dichter und keine poesie im hohen 
Stile mehr besessen: um so ungeheurer war und blieb die gewalt, welche 
die fast schon bei lebzeiten an die seite Homers erhobenen drei attischen 



Beantwortung der frage, die aristotelische definition. 107 

tragiker ausübten, allein diese geschichtliche Wirkung, die in gewissem 
sinne ewig dauern wird, ist in jeglicher hinsieht eine andere als die 
welche die dichter selbst beabsichtigten und ihre werke zu ihrer zeit 
ausübten, und die philologie hat zwar auch die aufgäbe jene geschicht- 
liche Wirkung zu verfolgen und zu erklären: aber das nächste und not- 
wendigste ist, den dichter und sein werk selbst zu begreifen. 

Wir stehen am Schlüsse: es ist nur noch nötig, den ertrag unserer ^Jj^*^" 
betrachtungen zusammenzuziehen, damit die frage beantwortet werde, *"*®- 
was ist eine attische tragödie? eine attische tragödie ist ein in sich ab- 
geschlossenes stück der heldensage, poetisch bearbeitet in erhabenem 
Stile für die darstellung durch einen attischen bürgerchor und zwei bis 
drei Schauspieler, und bestimmt als teil des öffentlichen gottesdienstes 
im heiligtume des Dionysos aufgeführt zu werden. 

Das ist ohne zweifei eine definition, mit welcher die aesthetische 
theorie so nichts anfangen kann, vielmehr wird diese sofort und mit 
leichtigkeit sich aus ihr nur das aussuchen, was für sie wesentlich ist. 
denn die aesthetische theorie will die tragödie definiren; die philologie 
hat es aber mit der attischen tragödie zu tun , und für diese ist alles 
wesentlich, was für die dichter als gesetz gegeben war, und sich demnach 
in ihren werken wirksam zeigt, also z. b. die qualität der tänzer, die be- 
schränkte zahl der Schauspieler, zeit und ort der aufführung. die theorie 
hat die aufgäbe, die notwendigkeit für jede der forderungen begrifflich 
zu erweisen, welche sie in der definition zusammenfaTst ; die philologie 
hat ihre aufgäbe eigentlich schon erfüllt, wenn sie die existenz jedes 
einzelnen kennzeichens, das sie in die definition aufnimmt, an den con- 
creten erscheinungen , den tragödien, dartut: im vorstehenden soll aber 
auch für alles einzelne die entstehung erläutert und somit zwar nicht ihre 
begriffliche, aber wol ihre geschichtliche notwendigkeit erwiesen sein. 

Aristoteles hat nicht die attische tragödie geschichtlich, sondern die Die artstote- 

lisclio dofl~ 

tragödie begrifflich definiren wollen, und nur weil sein einziges beobach- nition. 
tungsmaterial in attischen tragödien und ihren nachahmungen bestand, 
kann der moderne sich leicht über seine absieht täuschen, gleichwol 
wird jeder erwarten, daTs hier die aristotelische definition zur vergleichung 
herbeigezogen werde, ianv oiv TQay(pöla filfirjacg nqd^ewg öTtov- 
dalag aal reXelag ixiye-d'og lxo'6arig fjövaiiivc^ ^öy(p X^Q^S ^y^dOTOv 
Tßv eidcov iv roig fioglotg — so weit stimmt das, wenn man den ver- 
schiedenen Standpunkt berücksichtigt, im wesentlichen, und die einheit 
und abgeschlossenheit, die freilich für jedes kunstwerk gilt, ist ein sehr 
wichtiges moment, das gewürdigt zu haben vielleicht das wertvollste an der 



108 Was ist eine attische tragödie? 

ganzen definition ist**). Aristoteles fährt fort, ÖQ(bv'vwv y.(xI fiij di* 
(XTtayyeXlag. insofern hierdurch nur der unterschied vom epos bezeichnet 
werden soll, ist es ohne weiteres zutreffend; ich habe dem durch das 
wort Darstellung' genüge zu leisten gesucht, aber Aristoteles selbst hat 
ohne zweifei mehr darin gesucht und von der tragödie gefordert, dafs sie 
ihre handlung im wesentlichen vor äugen führen, darstellen und nicht 
erzählen soll, eben so wenig werden wir zögern, die f orderung als be- 
rechtigt anzuerkennen; unser gefühl werden auch die attischen dramen 
besonders ansprechen, welche ihr genügen, also z. b. Philoktet und Oedi- 
pus, Medeia und Ion. aber für die attische tragödie ist, wie wir gesehen 
haben, das dramatische accessorisch, und vollends die fiLfirjacg Ttgd^ecjg 
— ÖQcbvTwv xal fxfj dt^ dftayyeUag sehen wir zwar von Richard lEE 
Othello Götz erfüllt: allein, wer auf das dramatische das höchste gewicht 
legt, dem haben erfahrungsgemäfs die nachahmungen der antike und 
diese selbst nicht genüge geleistet nicht blofs die Perser, auch die Sieben 
geben nicht die handlung, oder doch nur im reflexe, halb episch, halb 
lyrisch. Aischylos EvQcbnt] rj Kägeg^) können wir uns nach dem pro- 
loge und der zu gründe liegenden homerischen episode ganz wol vor- 
stellen, die sorge der mutter um den fernen söhn, den barbarenchor, 
dem die fremdartige wilde klage geziemt, einen boten bericht, der das II 
nacherzählt. Schlaf und Tod mit der leiche Sarpedons, die errichtung des 
schon von Homer erwähnten grabmals: ein herzzerrelTsendes bild des 
mutterschmerzes und der früh gebrochenen menschenblüte, versöhnt durch 
den ewigen rühm der mannesehre, die im grabe des Aresgefällten das 
leben hat, ein abbild der empfindungen, welche die Erechtheiden haben 
mochten, als sie den leichenstein CIA I 433 errichteten : das gibt eine echte 
attische tragödie, aber ob es ein wirkliches drama gibt, ist mir selbst 
zweifelhaft, der unterschied zwischen dem abstract von uns geforderten 
und dem concret in Athen erkannten und erstrebten ist in diesem punkte 
besonders augenfällig, wir erleben ja aber auch, dafs das dramatische 



64) Wenn man die einheit der handlung so misverstanden hat, dafs nur eine 
Verwickelung erlaubt sein sollte, und demgemäfs die Hekabe und den Herakles des 
Euripides, Lear und Kaufmann von Venedig getadelt hat, so ist das geschehen, weil 
man den Aristoteles nicht im urtext zu gründe legte, selbst der Götz genügt der 
wirklich aristotelischen f orderung, mag auch ein gewisses äTteiaoSicaSeg als Vor- 
wurf mit recht haften bleiben, aber Heinrich IV. oder Faust genügen nicht. 

65) Karer bilden den chor, weil sie für die totenklagen geeignet sind, dafs 
Sarpedon ihr fürst und nur nebenher der der Lykier ist, zeigt, dafs die ausbildung 
der sage milesisch ist, wohin die Verbindung des Sarpedon mit Kreta auch weist: 
denn das hinterland von Milet ist karisch. 



Die aristotelische definition. 109 

Übertrieben wird, das sinnfällige allein als handlung erscheint, und ein 
flachkopf dem Tasso mangel an handlung vorwerfen darf, während anderer- 
seits für die sitte der botenreden im attischen drama, die doch lediglich 
aus seiner herkunft erklärt werden darf, eine aesthetische rechtfertigung 
erkünstelt wird. 

Immerhin liegt hier nicht der hauptunterschied, der das attische 
drama von dem aristotelischen scheidet, aber er fährt fort dc^ iXiov Y.al 
(pößov TtCQalvovaa rirjv tOjv toioijtwv Ttad'rjfidTCJV xad-aQücv. und 
dieses kleinod der aristotelischen lehre können wir nicht brauchen, mag 
es auch das unschätzbarste sein, man kann doch darüber keine worte 
verlieren, dafs eine kathartische Wirkung weder Aischylos erstrebt noch 
die Athener erwartet haben, mag der philosoph auch noch so scharf 
und fein die Wirkung beobachtet haben, welche eine tragödie auf das 
publicum oder auch auf ihn bei einsamem lesen ausübte: diese Wirkung 
war den dichtem und ihrem volke unbewufst. der dichter, der für den 
festtag ein spiel lieferte, für das ihm bestimmte bedingungen gestellt 
waren, wollte gewifs höheres als beklatscht und bekränzt werden; ge- 
wifs wollte er sein volk lehren und erbauen: aber das lag in seinem 
berufe als dichter, nicht als tragiker. und das volk erwartete und erfuhr 
die Wirkung der poesie als solcher: was es von der tragödie als solcher 
forderte, das lag in deren äufserem anlafs, den Aristoteles (mit recht für 
seinen absoluten Standpunkt) nicht berücksichtigt, wol aber wir aufzu- 
nehmen haben, die tragödie ist ein teil des dionysischen gottesdienstes. 
nun liegt am tage, dais die besten tragödien im tiefsten sinne erbaulich 
wirken: aber dem dionysischen dienste darf man das nicht zurechnen, 
denn dieser verlangt ja nicht nur auch das satyrspiel, sondern er hatte 
sich mit diesem lange begnügt, ohne etwas im ernsten sinne erbauliches 
zu fordern, mn so weniger darf diese Wirkung in die definition der 
tragödie eingang finden. 

An sich betrachtet ist in der kunstlehre des Aristoteles ohne zweifei 
die volle gröfse des unerbittlichen menschenkenners zu bewundern, und 
wer mag sich nicht gern daran erquicken, ,wenn er die hochmodernen 
sich mit dem probleme des wolgefallens an tragischen gegenständen ver- 
gebens quälen sieht, wie sollte nicht bedeutende Wahrheit in dem liegen, 
worin Aristoteles und Goethe sich zusammenfinden? aber das sollte 
man sich eingestehen, dafs die xd&aQacg für das drama nicht artbe- 
stimmend sein kann, und selbst wenn man die afiecte, durch welche das 
drama wirkt, als artbildend anerkennen wollte, so würde das unselige par 
furcht und mitleid recht unzureichend bleiben, für uns gewifs; denn 



110 Was ist eine attische tragödie? 

wirkt etwa z. b. Calderons Andacht zum kreuze nicht katharüsch, tragisch 
selbst auf den, dem eine solche religion widerwärtig und entsetzlich ist? 
der affect aber, durch den sie wirkt, ist doch wol weder iXeog noch 
(pößog sondern devocion. der Prinz von Homburg schlieJst mit einer 
scene überwältigenden jubeis, und selbst der leser in stiller kammer 
stimmt laut in den schluTsruf ein ^Mn staub mit allen feinden Branden- 
burgs": der afiect, der sich da entlädt, ist doch wol von furcht und 
mitleid sehr weit entfernt, ist Patriotismus, nun mag Arbtoteies ent- 
schuldigt sein, denn er hatte für religiöse hingäbe nicht viel mitgefühl, und 
Patriotismus kannte der heimatlose nicht, aber die alten Athener hatten 
beides, und in den Eumeniden weht der echte fromme glaube an die 
gerechtigkeit und das erbarmen der gottheit und der echte stolz auf das 
herrlichste Vaterland, also ist die beschränkung auf jene zwei afiecte 
zu eng. und doch ist noch schlimmer, was durch die einseitige hervor- 
hebung derselben bewirkt wird, natürlich findet Aristoteles den dichter 
und das gedieht am besten, welche diese afiecte am stärksten spielen 
lassen, unvermeidlich ist, dafs ihm ein ^tragischer ausgang mindestens 
vorzüglicher erscheint, wobei denn Eumeniden und Philoktet und Iphi- 
genie und Prinz von Homburg übel fahren müssen, und wenn die dichter 
und das publicum erst dahinter kommen, dafs die Wirkung eine patho- 
logische sein soll, so wird eine Verrohung der empfindung unvermeidlich 
sein, weil die reizungen immer stärker werden müssen, diese definition 
führt zu Seneca; und wenn nur Skakespeare nicht so oft in diesem sinne 
*^tragisch' wäre, aber auch in der nötigen Verallgemeinerung von der 
tragödie auf die kunst überhaupt streift die aristotelische kunstlehre an das 
philistergefühl, dafs man in's theater gehe, um sich aus der misere des 
tageslebens auf ein par stunden dadurch zu entrücken, dafs man sich 
recht ausweint oder auslacht; das bekommt gut; man geht am andern 
morgen frischer in die tretmühle. es ist auch hier etwas von der frömmig- 
keit am sonntagvormittag für die ganze woche. wenn Goethe vor der 
meduse Rondan ini die menschheit höher fühlt, Schiller meint, nie ganz 
unglücklich werden zu können, seit er die Leichenspiele des Patroklos 
gelesen hat, so ist das doch wol mehr: was wir für das leben dem ver- 
danken, dafs wir den Faust besitzen, täglich und stündlich bewufst und 
unbewufst unter seiner Wirkung stehen; die leben serfahrung, die darin 
liegt, dafs einmal das grofse äuge des einen stoischen gottes aus der kuppel 
des Pantheons oder das bunte göttergewimmel der Christen in S. Maria 
della Arena auf uns niedergeschaut hat, das ist etwas höheres als eine ein- 
malige pathologische Wirkung, die etwa nur im gedächtnis lebte: was man 



Die aristotelische definition. 111 

empfindet ist nicht pathologisch sondern moralisch, ist keine yLa&aQOCQ 
sondern eine reinigung. aber das gehört nicht hierher; oder doch nur so 
weit, als die Athener im gegensatze zu Aristoteles von ihren dichtem, weil 
sie dichter waren, et delectare et prodesse verlangt haben, und wenn es 
ein rühm sein sollte, dafs Aristoteles die moralische Wirkung nicht an- 
erkennt, so hat er das erreicht, weil er nicht mehr hellenisch empfand. 
Wie wenig er das tat, zeigt sich am stärksten darin, was seine defi- 
nition vermissen läfst, obwol es das wichtigste ist: er ignorirt die sage, 
das beispiel, das er an der Iphigeneiafabel gibt (17), zeigt, dafs er sich 
die tatigkeit des dichters wirklich etwa so vorstellt, wie Rafiaels handzeich- 
nungen es für den maier beweisen, erst wird das allgemein menschliche 
motiv in seiner natürlichen naktheit durchgeführt, dann erst findet die 
bekleidung mit den sagenhaften namen statt, die tatsache, dais gleichwol 
die tragiker keine erfundenen stofie behandeln, ist Aristoteles unbequem; 
mit wolgef allen notirt er eine ausnähme, obwol Agathon weder nach- 
haltigen beifall noch nachahmung gefunden hatte, endlich hilft er sich 
damit, dafs das publicum auf Wahrscheinlichkeit halte und diese doch 
vorhanden sein müsse, wenn die geschieh ten wirklich passirt sind, also 
die sage hat nur als geschichtliche Wirklichkeit bedeutung. nun lehrt 
aber Aristoteles selbst, dafs die Wirklichkeit unpoetisch ist, mufs sich 
also damit helfen, dafs doch unter dem was passirt auch einzelnes ist, 
das der anforderuug des poetischen {olov &v yivocTo) entspricht, wofür 
ihm eine bestätigung ist, dafs zu seiner zeit nur noch eine beschränkte 
zahl von sagen stofien wieder und wieder bearbeitet wurden, wer wollte 
leugnen, dafs Aristoteles auch hier nur sagt, was er empfindet und zu 
empfinden ein recht hat. denn für ihn war die sage tot, so dafs er 
sie weder als lebendige macht anerkennen noch, wie Piaton, bekämpfen 
mochte, wenn ein bedeutender tragiker noch erstanden wäre, so hätte er 
jedenfalls die heldensage aufgegeben und in das menschenleben der gegen- 
wart hineingegriffen; dabei würde dann freilich die Scheidelinie zwischen 
tragödie und komödie durchbrochen worden sein und ein ganz neues 
*drama' entstanden, aber das hat Aristoteles nicht geahnt: nicht er hat 
Shakespeare prophezeit, sondern Piaton. er hat der folgezeit die richtige 
directive nicht gegeben, sondern ist in den formen einer innerlich über- 
wundenen poesie stecken geblieben, und geschichtlich verstanden hat 
der die alte grofse attische tragödie wahrhaftig auch nicht, der ihren inhalt 
ignorirt. es ist in der poetik wie in der politik, wo er weder der grofsen 
Vergangenheit, dem attischen Reiche, noch der grofsen zukunft, dem 
reiche Alexanders gerecht zu werden versteht, vielmehr in der misere 



112 Was ist eine attische tragödie? 

der kleinstadt und der dafür geeigneten gesellschaftsordnung verharrt, 
welche von der speculation und von der geschichte in Wahrheit längst 
überwunden war. 
Moderne Endlos und nutzlos würde es sein die modernen definitionen des 

dramas mit der des attischen zu vergleichen, welche die geschichte gibt; 
das olov dv yevoiro ist philosophischer, aber es ist mit dem olov ^v 
incommensurabel. nur einige consequenzen zu ziehen wird praktisch 
sein, weil gewisse Vorurteile sich fest eingewurzelt haben, so dafs es nicht 
genügt, gezeigt zu haben, dafs sie unkraut sind; sie müssen ausgerissen 
werden. 

'Tragisch' braucht eine tragödie weder zu schliefsen noch zu sein, 
nur die ernsthafte behandlung ist nötig, die peripatetiker, welche an 
dem ausgange des euripideischen Orestes fund gar der sophokleischen 
Elektra anstofs nehmen*®), sind durch Aristoteles auf einen holzweg ge- 
lockt, die Alkestis enthält gerade sehr rührende partieen, sie soll und 
kann als tragödie gelten : aber sie schlägt in den zankscenen einen scherz- 
haften humoristischen ton an und führt Herakles als komische figur ein : 
dadurch wird sie dem satyrspiel angeähnelt, das ja aber die tragödie aus 
sich entwickelt hat, so dafs die grenze (wenn man von dem satyrchor 
absieht) keine feste ist. 

Es ist die meinung verbreitet, dafs die attische tragödie erst allmäh- 
lich dazu fortgeschritten wäre, individuelle menschen zu schildern, nach- 
dem sie typen gebildet hätte, also z. b. Sophokles *^den könig ^die Schwester 
^den greis', das würde sehr seltsam sein, denn erst die abstraction findet 
solche typen, während die beobachtung nur individualitäten liefert, und 
dafs die bildende kunst lange zeit nur 'mann' und 'weib' gebildet hat, 
ehe sie Perikles und Lysimache bilden kann, zeigt nur den gegensatz 
der künste, der in ihrem wesen liegt, es würde aber auch schwer begreif- 
lich sein, dafs Sophokles nicht können sollte, was Homer schon zur Voll- 
kommenheit geführt hat: Achilleus und Nausikaa sind wahrlich keine 
blofsen typen, der gang der entwickelung ist umgekehrt, der Jüngling 
schreibt Götz und Werther, die jedermann verständlich sind; Epimenides 



66) Orestes hypoth. und aus dieser schol. 1691, Alkest. hypoth. diese führt in 
einer handschrift (Laur. C) den autornamen ^Mai6.q%ov : das ist ganz unverständlich, 
wenn man es nicht auf diese aesthetische kritik bezieht, ebendaher der wertvolle 
litterar- historische traktat, der meist neql xtoucpSlae genannt wird, obwol er weiter 
greift und vermutlich auf die Chrestomathie des Proklos zurückgeht; jetzt zu lesen 
in dem neudruck von Studemund Philol. 46, 13. die auszüge des Tzetzes hieraus 
haben nun kein anrecht auf beachtung mehr. 



Moderne Vorurteile. 113 

und Natürliche tochter versteht nur, wer dem Goethe der aus Italien 
heimkehrt in das reich des typisch symbolischen zu folgen vermag, nun 
ist aber tatsächlich jener ansieht der boden entzogen: die tragiker em- 
pfangen ihre gestalten von der sage, und die liefert ihnen nicht greis und 
Schwester, sondern Oedipus und Antigene, und zugleich ist erklärt, wie 
jener irrtum entstehen konnte: figuren, welche die sage prägt, tragen 
allerdings nicht die Zufälligkeiten eines modells an sich, vor allem aber 
wirkt verwirrend, dafe die tragischen gestalten für uns typisch geworden 
sind, wir mögen ja in Antigone die schwesterlichste der seelen be- 
wundem, wobei wir das cbfzdv yivvrjfia i^ (bfiov fcargög vergessen 
aber dazu hat sie die gewalt der sophokleischen poesie und der von Jahr- 
hunderten dieser zugestandene classische vorrang gemacht, und es ist nicht 
damit gleichzusetzen, was sie für Sophokles und seine zeit war. bei 
Seneca ruft die amme Medeas entsetzt ihre herrin an ^Medea\ und diese 
antwortet fiam: für sich selbst ist sie das typische bild der kindesmörderin, 
die euripideische Medeia. wie sollte es erlaubt sein, Euripides selbst 
schon ähnlich empfinden zu lassen, als er diese Medeia erst schafil. 

Es könnte nun freilich scheinen, als lieferte die sage zugleich mit 
dem Stoffe die Charaktere, und wenn die epischen dichter alle so viel 
vermocht hätten, wie die welche Nausikaa und den Achill der Litai ge- 
staltet haben, würde das auch zutreffen — in dem falle würde aber freilich 
auch die sage einer erneuerung durch die tragödie nicht bedurft haben, 
in der überwiegenden menge von epen war von so ausgeführter Charakte- 
ristik nicht die rede; man denke nur an Hesiodos. schon der Stoffreichtum 
der meisten gedichte schlofs das aus. femer erhielt der tragiker auch durch 
die vielgestaltigkeit der sage die freiheit. Odysseus, der göttliche dulder 
des ionischen epos, war für die Dorer der verlogene Sisyphide ; die Atreiden 
des epos waren heldenkönige, die Pleistheniden des Stesichoros waren 
frevler, mit ausnähme von ganz wenigen älteren Schöpfungen hat tat- 
sächlich erst das drama die charaktertypen aus den heroen gemacht, al& 
welche sie dann gegolten haben, wenn der peripatetiker lehrt sit Medea 
ferox invictaque, flehilis Ino, perfidtcs Ixion, lo vaga, tristis Orestes, so steht 
er zu den Charakteren wie Aristoteles zu den mjrthen, aus deren reichster 
fülle er nur noch wenige praktisch verwertbar findet, die grofsen tragiker 
aber fühlten sich noch als freie herren, durften dies und jenes versuchen» 
gebunden weder an fremde noch an eigene Charakteristik: gebunden nur 
an den fx€&og, nicht an die ij&ri, und wenn diese durch den fxv&og bis 
zu einem gewissen grade vorgezeichnet erscheinen sollten, so genügt 
ein hinweis auf die Elektra des Sophokles und Euripides um zu lehren, 

V. "WiJamowite I. 2. Aufl. 8 



114 Was ist eine attische tragödie? 

wie weit der freie Spielraum war. die tragiker und ihre frische und kühne 
Schaffenskraft stehen mitten inne zwischen dem conventionellen heroentum 
des epos und dem conventionellen heroentum, das die spätere zeit aus 
der tragödie selbst abstrahirt und darum ist eine befreiung von diesen 
beiden fesseln für jeden nötig, der sie verstehen will, eben dieselben 
leute, welche über die typische stilisirung der tragödie klagen, reden dem 
Aristophanes die klagen über die bettelhaftigkeit euripideischer beiden 
nach, die doch nur dadurch eingegeben sind, dafs das athenische durch- 
schnittspublicum , an die conventionelle epische stilishning gewöhnt^ es 
unschicklich fand, dafs könig Telephos sich trug und betrug wie ein armer 
reisender von dazumal, die wahre kunst ist immer anachronistisch und 
läfst ihre geschöpfe fühlen reden und sich tragen, wie sie es im leben 
kennt, und sie lebt daium im widerstreite sowol mit dem conventionellen 
Stile, den sie überkommt, wie mit der trägheit der denkfaulen Zeitgenossen, 
wer dem dichter gerecht werden will, wird ihn auf kosten des conven- 
tionellen erheben, für unsere anschauung ist es ein greulicher zopf, dals 
die classische tragödie Frankreichs nur könige oder doch Standespersonen 
als beiden duldet und kein schnupftuch auf der bühne nennen kann : aber 
ihre dichter sind dichter, weil Andromache eine voUblutfranzösin ist und 
Mahomet der verbrecherische betrüger, den sich die aufklärung allein als 
religionsstifter denken kann, eine ähnliche abstraction von dem conven- 
tionellen costüm fordert auch die attische tragödie. ohne zweifei sind in 
Euripides Orestes die personen ziemlich alle lumpen, wie die peripatetiker 
klagen, aber deshalb ist das drama mit nichten schlecht, hier zeichnet Euri- 
pides Helene als coquette Weltdame und Menelaos als einen schwachmütigen 
aber nicht bösartigen egoisten. ein par jähre zuvor war in der Helene der- 
selbe als ein sentimentaler, wenig gescheiter aber im entscheidenden augen- 
blicke entschlufsfähiger mann, Helene als eine etwas verblühte tugendrose 
neben dem polternden barbarischen dummkopf Theoklymenos eingeführt, 
dals dies verfahren dem wesen der sage gewalt antat, und so der greise 
dichter selbst den beweis lieferte, dals die tragödie ihre existenzberechdgung 
verloren hatte, ist unbestreitbar: aber die bewulst geübte fähigkeit der in- 
dividuellsten Charakterzeichnung liegt zu tage, und ist etwa die aulische 
Iphigenia und ihr Achilleus, ist die verliebte Andromeda, ist Pentheus im 
gröfsenwahnsinn nicht für alle zeiten damals charakterisirt, und ist die 
fiehilis Ino, die Medea ferox und auch die schwesterlichste Antigene, 
der redliche Neoptolemos auf anderm wege als durch die dichterwillkür 
der tragiker geschaffen ? 

Weil die dichter noch aus eigner machtvoUkommenheit die ijdT] 



Moderne Vorurteile. 115 

schufen, hatten sie auch allein die möglichkeit, einen charakter sich ent- 
wickeln zu lassen, nicht blois die Klytaimnestra des Aischylos tut es, da 
sie in drei dramen hintereinander auftritt: Medeia sehen wir zur ver- 
brecherin werden, Phaidra, Hekabe, Kreusa sind voUkonunene gemälde 
psychischer krankheiten. dais Bellerophontes die tragödie der menschen- 
feindschaft war, können wir nur noch ahnen: Herakles aber zeigt uns 
die krankheit und die heilung zugleich, das war nicht mehr möglich, 
als die tragischen personen wirklich zu typen geworden waren: Seneca 
lehrt es genugsam, und hat doch auch eine Medea und Phaedra gedichtet, 
das ward aber schon viel früher weder verstanden noch geschätzt, der 
fluch des menandrischen lustspiels ist es, dais es ;(a^axir^^£g gibt wie 
Theophrastos sie gezeichnet hatte — ob sie anonym blieben oder Philon 
und Chremes hiefsen, macht wahrlich keinen unterschied, und schon bei 
Aristoteles sehen wir, dafs er so gröblich sich versehen kann, die aulische 
Iphigenie zu tadeln, weil sie nicht entweder lediglich als schlachtopfer 
weint, oder als heldenjungfrau mutvolle reden hält, es war nur eine con- 
sequenz davon, dais seine schüler der Medeia die regungen der liebe zu 
ihren kindern verübelten'^). 

In diesen dingen sehen wir die freiheit der dichter gegenüber der 
sage, die unvergessen bleiben muls, zumaJ wenn man der sage endlich 
das ihre gibt aus den Charakteren wird die handlung motivirt: die hand- 
lung aber war gegeben, also auch der ausgang. da wird die moral for- 
dern, dais der dichter so motivire, dais die poetische gerech tigkeit be- 
friedigt wird, und wirklich hört man oft, dafs die antike tragödie, wenn 
sie auch sonst ein überwundener Standpunkt wäre, in grofsartiger naivetät 
schuld und strafe in ihrer unerbittlichen Verkettung darstellte. Schiller 
hielt seine Braut von Messina doch wol für eine tragödie in antikem 
sinne, und in ihr soll ja die schuld, der übel gröfstes, böses fortzeugend bis 
zmn allgemeinen untergange dargestellt sein, derselbe Schiller hat auch 
mindestens mit verschuldet, dafs die Athener in den geruch des fatalismus 
geraten sind, in der ersten classe der mädchenschule, in den aesthe- 
tisch - kritischen ergüssen der monatsschriften, also dort wo man im 
Vollbesitze der allgemeinen bildung ist, auch in poetiken, die sich an 
diese kreise wenden, ist es eine ziemlich ausgemachte sache, dafs Sophokles 
und Müllner schicksalstragödien verfafst haben, und ganz besonders weiden 
sich die christlichen von heute, schwarze wie graue, daran, dafs die blinden 
beiden ein recht blindes Schicksal geglaubt hätten, das den menschen sünde 



67) Hypothes. und schol. 922. 

8* 



116 Was ißt eine attische tragödie? 

tun liefe, die er nicht verschuldete, und ihn dann strafte für taten, die er 
nicht auf dem gewissen hatte, die sprünge mittelst deren man das blinde 
Schicksal neben der Verkettung von schuld und strafe halten zu können 
vermeint, brauchen nicht vorgeführt zu werden, es liegt ja auf der band, 
dais beides sich ausschliefst und eines so falsch wie das andere ist, in 
Wahrheit nichts als eine gedankenlose Verallgemeinerung des eindrucks, 
den einerseits die Orestie, andererseits der Oedipus macht, auch das 
liegt am tage, dafs hier ein mafsstab angelegt ist, den die Hellenen gar 
nicht gekannt haben, die antike theorie des dramas hat niemals an 
solche dinge gedacht noch denken können, zumal mit Aristoteles ist 
es alles ganz unvereinbar, und gar den Athenern des 5. Jahrhunderts 
den glauben an ein blindes Schicksal, den kalten faulen determinismus, 
zuzutrauen ist schlimmer als lächerlich, die Athener erzeugten ja damals 
die Sokratik. und was würde Sokrates dem prediger des unfreien willens 
anders sagen, als Mas ist weibergerede'. Shakespeare nicht anders. Mst's 
mein Schicksal, gut, ist's nicht, auch gut' so redet sein frauenschneider 
Schwächlich, das problem der Willensfreiheit liegt dem 5. Jahrhundert 
ganz fern, dessen philosophisches interesse vielmehr dem erkenntnis- 
theoretischen probleme zugewandt ist. und auch die ethik fragt zunächst 
nach der berechtigung der Wertschätzung moralischer handlungen. es 
wäre schlimm, wenn man an die absurdität dieses modernen geschwätzes 
noch mehr werte verlieren sollte: philosophie geschichte poesie sträuben 
sich gleichermafsen dagegen. 

Gewifs, die tragödie ist ein Weltbild, und sie schildert die menschen 
in ihrem handeln und leiden, also mufs sie bewufst oder unbewufst die 
ewigen probleme der menschlichen Verantwortlichkeit und der göttlichen 
gerechtigkeit behandeln, aber da das leben fortwährend sowol für wie 
gegen den determinismus, für wie gegen die theodicee zu zeugen scheint, 
wird auch sein abbild diese Widersprüche zeigen, und da auch die einzelnen 
dichter bewufst oder unbewufst zu diesen problemen Stellung nehmen 
müssen, werden ihre werke so oder so eine antwort geben, anders wird 
aus Aischylos der glaube an einen allgütigen weltenherrscher reden als die 
protagoreische sophistik aus Euripides. aber das ist die individuelle sache 
der dichter, sie lehren ihr volk was sie ihr herz heilst, mit ihrem dichter- 
berufe oder gar mit der dichtgattung, deren sie sich bedienen, hat der in- 
halt ihrer lehre nicht das mindeste zu tun. wir mögen immerhin urteilen, 
dafs die höchste und herrlichste tat des dichters erst die sein wird, welche 
im menschengeschicke den triumph der idee des guten so zu offenbaren 
weifs, wie es Aischylos vermocht hat. wir mögen recht haben, wenn 



Moderne Vorurteile. 117 

uns die hehre weihe, die das ende des Oedipus verklärt, teurer ist als das 
herzzerreifsende bild des geblendeten, der vergeblich um den tod bittet, 
allein der dichter, der mit gleicher glaubenswahrheit die grellsten disharmo- 
nieen ertönen läfst, die der menschen wollen und sollen und können, 
der menschen streben und gelingen durchziehen, hat das gleiche recht, und 
auch er erfüllt seinen erhabenen dichterberuf, vollends die s. g. poetische 
gerechtigkeit ist ja überhaupt nur für den pöbel da, der den schlufs des 
Lear nicht verträgt, Hamlet auf den thron führt, und die Wahlverwandt- 
schaften unmoralisch, Kain gotteslästerlich findet dieser pöbel existirt 
für die attischen tragiker so wenig wie für Shakespeare und Byron, was 
Euripides hinter mehrere dramen als schlufswort gesetzt hat, könnte 
hinter jedem attischen, hinter jedem drama von Skakespeare stehen: 

noXlal fxoQqpal t(ov daifiovlwv, 

TtoXXä d' diXmcjg y.QaLvovGL &€oL 

'aal rä doy.rjd-ivr^ ot;x ireXia&rj, 

TO)v d^ ddoy,T^ra)v nöqov 7]'ÖQ€ &€Ög' 
roiövd^ aTteßrj rode Tcgäyiia, 
man hat das trivial genannt, sei dem so. sei es etwas höheres, wenn das 
drama lehrt, dafs das Schicksal mit dem menschen spielt wie die katze mit 
der maus, oder dafs der gott dem menschen neidisch sein glück nicht gönnt, 
oder dafs er wenigstens in jedem fünften act« die zeche macht und jeden so 
viel zahlen läfst wie er auf dem kerbholz hat — das attische drama gehen 
alle diese schönen sachen darum doch nichts an. der dichter beabsichtigt 
auch nicht zu zeigen, wie sich zwei widerstreitende gewalten zerreiben wie 
zwei mühlsteine, noch will er sein publicum zu einer woltätigen entladung 
von furcht und mitleid sollicitiren : er beansprucht nur, eine merkwürdige 
geschichte dargestellt zu haben. Theophrastos war nicht geistreich, die 
rechte famulusnatur war er neben Aristoteles, aber wenn er es ist (wie 
er es wol sein wird), der die tragödie T^gwiycfjg Tijxrjg Tteglaraacg genannt 
hat, im gegensatze zu der idiwrtxcjv TtQayfxdrcov dy.Lvdvvog 7t€Qioy(T^, 
der komödie (Diomedes p. 488 K.), so ist das trotz einiger trivialität gar 
nicht so übel, und namentlich würde es die modernen von den irrgängen 
tief- und scharfsinniger construction auf das geschichtliche object haben 
zurückleiten können. 

Indessen auch alle diese irrtümer wollen wir nicht blofs abweisen, son- 
dern auch erklären, auch sie kommen daher, dafs man der sage vergafs, 
welche in die gedichte zumal der greise Euripides und Sophokles aller- 
dings befremdliche disharmonie hineingetragen hat. weil die sage die 
tatsachen gibt (und so sieht sie ja selbst Aristoteles an), hat der dichter 



118 Was ist eine attische tragödie? 

ausgangspunkt und ziel, wenigstens in den meisten fällen, und aus sich 
findet er nur den weg. auch dem publicum ist der ausgang bekannt: Über- 
raschungen im fünften acte kann die attische tragödie nicht wol geben; die 
Spannung^ der Zuschauer in der rohen weise, wie sie ein dutzendroman 
zu erregen sucht, kann sie gar nicht ermöglichen, nun treiben es die 
dichter aber nicht selten so, dafs sie die handlung einen weg führen, der 
der Wahrscheinlichkeit nach nicht zu dem unvermeidlichen ziele führen 
kann, das mufs dann also gewaltsam erreicht werden, denn der ausgang 
ist ja eine notorische tatsache, und so rufen sie das Schicksal an, das in 
Wahrheit nur ein ausdruck für den zwang der sage ist, der auf dem 
dichter liegt, er hilft sich mit diesem deus ex machina aus der Verlegen- 
heit, und die einführung des wirklichen maschinengottes ist im gründe 
nur das eingeständnis dieser Verlegenheit, sein aufkommen ist freilich 
ein beweis dafür dafs die dichter die harmonie mit der sage verloren 
haben, und also ein symptom des baldigen endes für die nicht mehr inner- 
lich berechtigte tragödie. aber mit den metaphysischen Überzeugungen 
oder gar der religion der dichter hat er nichts zu tun, geschweige mit 
der ihres Volkes®*). 

Häufig fragen die leute auch, wie es denn zugehe, dafs die Griechen 
keine historische tragödie gehabt hätten; denn die tastenden versuche 
der ältesten zeit, zu welchen die analogie der chorischen lyrik verführte, 
hat man ja rasch und entschieden aufgegeben, die frage selbst zeigt, 
wie wenig die grundbegriffe erkannt sind, die Griechen haben ja in 
Wahrheit nur historische tragödien gehabt: selbst Aristoteles hält ja die 
sage für geschichte. was man mit jenem verkehrten werte wirklich 
fragt, ist nur das, warum haben die Athener nicht die gegenwart oder 
die nur novellistisch verarbeitete jüngste periode, die freilich damals 
schon nach Jahrhunderten zählte, für die tragödie verarbeitet, also z. b. 
warum hat Sophokles nicht einen Periandros oder Kroisos nach Herodot 
gedichtet, und auch hier ist die antwort gegeben : die tragödie bearbeitet 
eben die heldensage, weil sie die erbin des epos ist. weshalb die helden- 

68) Mitgewirkt hat zu dem modernen glauben an die schicksalstragödie die 
Vorliebe, welche Sophokles für orakel hat, eine manier, die noch viel tiefer in die 
Ökonomie des dramas eingreift als der maschinengott. der moderne kann in den 
orakeln natürlich keine hinreichende motivirung der ereignisse und höchstens rohe 
Willkür des gottes sehen. Sophokles, auch hierin mit Herodot einer meinung, hat 
aber ohne zweifei an orakel geglaubt und, auch wenn er sie erfand, durchaus wahr- 
scheinlich zu erfinden gemeint, für den gläubigen sind das tatsachen, die er so gut 
wie alle andern mit seiner Weltanschauung in einklang bringen mufs und wird, wie 
auch immer diese sonst beschaffen ist. 



Moderne Vorurteile. 119 

sage sich auf jenen engen kreis beschränkte, ist oben ausgeführt; der 
grund hat für die tragödie keine bedeutung mehr, aber sie stand vor der ge- 
gebenen tatsache. sie vermochte wol hie und da jenen kreis zu erweitern, 
und das hat sie redlich getan, allein sie hätte sich selbst aufgeben müssen, 
wenn sie mit der heldensage gebrochen hätte, noch in seinem letzten 
lebensjahre hat Euripides dafür den schlagendsten beleg geliefert, er 
wollte Archelaos von Makedonien verherrlichen: aber er tat dies, indem 
er ihm einen heroischen ahn gab, der sich wenigstens an die Herakliden- 
geschichte angliedern konnte. 

So führt eine jede betrachtung zuletzt auf das Verhältnis der tragödie 
zur sage zurück, darin liegt die wurzel ihres Wesens, daher stammen 
ihre besondern Vorzüge und schwächen, darin liegt der unterschied der 
attischen tragödie von jeder andern dramatischen poesie, die seitdem 
gekonmien ist, wahrscheinlich auch, die kommen wird, es ist eine tor- 
heit den Vorzug der classicität für die dramen Athens zu fordern, eine 
torheit aus ihnen den begriff des dramatischen abzuleiten, eine torheit be- 
streiten zu wollen, dafs die letzten drei Jahrhunderte gedichte erzeugt 
haben, welche den attischen gedichten gleichwertig sind, allein die attische 
tragödie im ganzen ist allerdings mehr als die dramatische poesie irgend 
einer anderen zeit, denn sie ist nicht nur die letzte erhabene poesie, 
die die Hellenen hervorbringen, und es dauert anderthalb Jahrtausende, 
bis in Dante etwas vergleichbares auf erden entsteht: es redet durch sie 
das fühlen und denken eines ganzen volkes, und die zeit, wo sie blüht, 
ist ihres volkes blute, die ganze geschichtliche entwickelung der Hellenen 
strebt auf diese zeit zu, die ganze entwickelung der hellenischen poesie 
strebt auf die tragödie zu. somit ist sie nicht nur ein geschichtliches 
object von ganz einziger bedeutung, sondern es wird auch jede theore- 
tische Untersuchung nicht blols der dramatischen sondern überhaupt aller 
poesie jämmerliches Stückwerk sein, wenn sie nicht die attische tragödie 
verstanden hat das kann sie nicht aus sich, würde sie selbst beim besten 
willen nicht können, die philologie aber verwirkt das recht, kenntnis- 
lose hoffart und flache geistreichigkeit zurückzuweisen, wenn sie nicht 
ihre pflicht erfüllt und das rechte, das geschichtliche Verständnis der 
philosophischen betrachtung übermittelt, auf dafe diese dann in voller 
freiheit damit schalte, weil er (wie zu unterschiedlichen anderen schätzen) 
zur attischen tragödie allein die Schlüssel fohrt, werden poesie und Philo- 
sophie in alle ewigkeit des philologen nicht entraten können. 



3. 

GESCHICHTE DES TEAGIKEETEXTES. 



Die tragödie Das fünfte Jahrhundert macht in allen stücken der archaischen cultur 
* ein endß und legt den grund zu der modernen, auch das buch ist seine 
Schöpfung: und die attische tragödie, ihrem wesen nach von einem buch- 
drama so entfernt wie keine andere, hat den anstofs zu der erschaffung 
des buches gegeben, die ersten wirklichen bücher sind die attischen 
tragödien gewesen. 

Die pflege des epos und im an Schlüsse daran die der elegie und 
des iambos hatte in den bänden eines Standes gelegen, der von ihrem 
vertriebe lebte, die rhapsoden besafsen natürlich textbücher, aber sie 
trugen aus dem gedächtnis vor, und das publicum genofs die poesie aus- 
schliefslich mit dem obre, als diese poesie der hauptgegenstand des 
Schulunterrichts ward, brauchte der lehrer {yQafj,f^aTLaTi]g und xt^a- 
QLOTrjg) ein hilfsbuch für sein gedächtnis; der schüler schrieb sich seine 
bücher selbst, es lag die möglichkeit vor, dafs ein liebhaber sich eine 
büchersammlung zusammen schrieb oder schreiben liefs ; die im einzelnen 
unbeglaubigten bibliotheksgründungen von Peisistratos und Polykrates 
sind an sich ganz glaublich, ein gelehrter dichter wie Pindaros mufs 
eine stattliche Sammlung von Schriftwerken gehabt haben, da er sie für 
sein handwerk brauchte: es sind das aber auch für ihn nur "^ hilfsmittel 
für das gedächtnis^, 'ÖTtofivi^fiaTa. bücher sind sie nicht, so wenig wie 
die acten in den staatlichen oder privaten archiven, die abschriften von 
gesetzen, Orakelsprüchen, chroniken. es fehlt der act der publication, 
das lesepublicum, der buchhändlerische vertrieb, lesepublicum und act 
der publication sind vorhanden für die gesetze und die sonstigen öffent- 
lichen Verordnungen und bekanntmachungen, die auf den markten, an 
den strafsen, in den heiligtümern, wenn sie dauernde geltung haben, auf 
erz oder stein, wenn sie vergängliche bedeutung haben, auf holz geschrieben 



Die tragödie ein buch. 121 

stehn: in gewissem sinne sind das *bücher' oder können dazu werden, 
und wol mag man die gesetze Solons in dem sinne das älteste attische 
buch nennen wie die XII tafeln das älteste römische, aber diese bücher 
bestehen nur in einem exemplare oder doch in wenigen, wie der be- 
sondere zweck sie erheischt; Vertragsurkunden werden z. b. bei jedem 
paciscirenden teile und zuweilen noch an statten, die allen gleich heilig 
sind, aufgestellt; die hypothekensteine stehen auf jedem acker, den die 
hypothek belastet, u. dgl. aber diese ausfertigungen sind alle originale, 
abschriften können sich in den bänden von privaten befinden, werden es 
häufig tun, tragen aber alle nur den charakter von VTtofiVT^fxaza. 

Die gedichte der lyriker waren noch viel mehr als das epos an das 
lebendige wort gebunden, und gerade die wichtigsten und umfangreichsten, 
die chorischen, waren zumeist gelegenheitsgedichte. ob sie sich länger 
erhielten, hieng von dem beifall ab, den sie fanden, nun schrieb sie 
freilich der dichter nieder, schon weil er sie oft in die ferne verschickte, 
und der chormeister, der sie einstudirte, brauchte wie der rhapsode ein 
VTtöfxvrjf^ia, wenn ein heiligtum sich für bestimmte feste ein solches 
gedieht hatte machen lassen, so gehörte eine abschrift zu den acten. 
es gab ferner auch gilden von sängern und tänzem, welche nicht ohne 
einen schätz von gesängen, die sie zur Verfügung hatten, denkbar sind, 
auch in den Schulunterricht traten die lieder sehr früh ein — es wieder- 
holen sich also dieselben erscheinungen wie bei dem epos. hinzu tritt 
nur, dafs auch die sangweise zu überliefern war. für diese mufs es somit 
irgend eine gedächtnishilfe auch gegeben haben, allein noch viel mehr 
als die worte muTste sich die musik in den fachmännischen kreisen 
halten, und in wie weit ihre Überlieferung eine vollständige war oder 
nur andeutungen gab, läfst sich nicht sagen, die modernen, welche so 
reden als ob nicht nur sie partituren von Klonas und Sakadas gelesen 
hätten, sondern als ob es deren je gegeben hätte, lassen ihre durch keine 
geschichtliche kritik gezügelte phantasie spielen, im übrigen ist selbst- 
verständlich, dafs man später, als man die gedichte von Pindaros Simonides 
Sappho buchmäßig vertrieb, lediglich das interesse des lesepublicums 
im äuge hatte, das diese gedichte nicht mehr sang: also damals mufste 
die bezeichnung der melodie, so weit sie bestanden hatte, notwendig als 
ein unnützer ballast fortgeworfen werden. 

Ein philosoph oder sonst ein weiser mann des 6. Jahrhunderts war 
auf die poesie und ihren rhapsodischen vertrieb angewiesen gewesen, 
wenn er auf das publicum wirken wollte, so haben es nachweislich 
Xenophanes und noch Empedokles gehalten, in keiner weise anders als 



122 Geschichte des tragikertextes. 

die theologen, nur dafs diese die mythischen namen Orpheus Epimenides 
Musaios vorschoben, die lonier, welche diesen weg verschmähten, schrieben 
in prosa; aber biicher schrieben sie nicht, sie zeichneten ihren Xöyog 
auf, legten ihre IotoqIt] dar: das waren V7tofivr]f,iaTa, mochten sie auch 
eine so feste form gewonnen haben wie die gesetze des Staates, denn 
zunächst berechnet waren diese auf Zeichnungen, abgesehen von der be- 
friedigung des eignen triebes zu schafiTen und zu gestalten, auf den kreis 
der yvcÖQifiOL und ixaZQOL, diesen trugen die schriftsteiler teile oder 
auch das ganze vor, gaben sie es zu lesen und abzuschreiben, aber was 
sie ihnen mitteilten war der köyog und die laroglrj, nicht das buch als 
solches, die schrift blieb auch hier nur Unterstützung des gedächtnisses: 
die Verwendung welche solche bücher in Piatons Theaetet finden, illus- 
trirt das am besten, wenn die schüler dann in die ferne zogen oder den 
meister beerbten, so konnten sie die originale schrift im ganzen oder in 
teilen erhalten wie sie war, sie konnten sie ebensogut umarbeiten, so dafo 
es ihr köyog ward, und so weiter geben, so wenig wie der begriff des 
geistigen eigentums, den die bettelarmut der modernen Schriftsteller so 
hoch hält, existirte der moderne begriff des buches. die schriftmasse, 
die nach Hippokrates, und sogar noch die welche nach Aristoteles heifst,. 
versteht niemand, ehe er von diesen uns selbstverständlichen begriffen ab- 
strahirt hat. die sophistik erzeugt sich dann ihr organ, den epideik- 
tischen vertrag, eine neue rhapsodik, und auch dafür gibt es 'ÖTtofivi^fiaTa 
der vortragenden wie der hörer. ein Euthydemos brauchte einen schätz 
von sophistischen kunststückchen so gut wie der seher einen schätz von 
Sprüchen, der parasit einen von anekdoten*), und der hörer besafs gern 
schwarz auf weifs, wofür er schweres geld erlegt hatte, auch für diese 
Sorte von schriftwesen liefert die hippokratische Sammlung die besten be- 
lege: consistenz und dauerhaftigkeit gewinnt aber selbst die geschriebene 
rede erst durch die entstehung des buches, also -erst in Athen im gefolge 
der tragödie. 

In der tragödie entstand mit wunderbarer Schnelligkeit eine neue 
überaus reiche poesie, die das epos in jeder hinsieht ersetzen konnte, aber 
jedes einzelne werk war wie alle chorische poesie nur auf eine Vorführung 



1) Isokrates aegin. 5. ein seher hinterläfst einem freunde aufser einem legate 
ras ßlßXovs ras negi uavrtxrje. das wiederholt sich dann bei den wanderpredigern 
des Christentums, 2 Timoth. 4, 13, Usener Weihnachtsfest 94. der Gelasimus des 
plautinischen (menandrischen) Stichus will die bücher seiner kunst verkaufen und 
präparirt sich dann daraus, der Saturio des Persa (392) hat einen kästen voll bücher 
und will einem mädchen 600 echt attische witze daraus zur aussteuer geben. 



Die tragödie ein buch. 123 

berechnet, und die gelegenheiten zu einer Wiederholung waren zuerst 
gar nicht vorhanden, später kümmerlich, der umfang der gedichte schlofs 
die bewältigung durch das gedächtnis aus, zumal jedes jähr neues gleich- 
wertiges brachte, auch ward Athen zwar von tag zu tag mehr die geistige 
hauptstadt, aber längst nicht jeder, der an der tragischen poesie anteil 
nehmen wollte, konnte die attischen aufiiihrungen besuchen, den Homer 
kannte ein um 500 geborener aus der schule, den Theognis und einiges 
von Stesichoros auch: von Simonides dies oder jenes kennen zu lernen, 
fand sich wol die gelegenheit. es war nicht so viel was die litteratur 
der letzten Zeiten erzeugt hatte: aber nun, die fülle von tragödien — es 
gab kein anderes mittel sie kennen zu lernen als die lectüre: das buch 
war für das publicum ein bedürfnis. die dichter aber erhoben den an- 
sprach die lehrer des ganzen Volkes zu sein, sehr viel bewufster als Homer, 
sehr viel mehr ins weite als Pindar. durch die einmalige aufiuhrung 
konnten sie die gewollte Wirkung nicht ausüben; es lag also auch für 
sie das bedürfnis vor dauernd mit dem publicum zu verkehren, durch 
das buch zu wirken, und die centralisirung des geistigen lebens fiel 
mit dem wirtschaftlichen aufschwunge Athens zusammen, so dafs die mög- 
lichkeit für einen buchhandel gegeben war. all das führte mit notwendig- 
keit zur veröjffentlichung des dramas durch den dichter für die lectüre. 

Von einem buchhandel, dem exporte von büchern, dem vertriebe auf 
dem attischen bazar hören wir durch allbekannte schriftstellen seit dem 
ende des 5. Jahrhunderts, dafs die werke der tragiker in den bänden 
des publicums vorauszusetzen sind, sagt ausdrücklich Aristophanes auch 
erst in den Fröschen (1113), aber seine polemik lehrt seit den Acharnern, 
dafs das publicum so vollkommen mit den werken der zeitgenössischen 
dichter*) vertraut ist, wie es nur die lectüre ermöglicht. 

Es tritt aber auch das drama wirklich als buch auf. vorab hat es 
einen titel, den ihm sein Verfasser gegeben hat. dazu ist es freilich ge- 
kommen, weil die anmeldung bei dem archon, der den chor zu vergeben 
hatte, auch wol die ankündigung des chores beim proagon oder auch agon 
einen namen forderte, aber erst jetzt gibt es wirklich einen titel. die 
epischen gedichte haben ihn erst lange nachdem sie bestanden erhalten, 
zum teil so zufällig wie K'öftQia, NavftdxTta {äTtrj), so wenig bezeichnend 
wie ^Ihdg {TtolrjOLg), so ungeschickt me^'EQya Y.aV H^iqai, die lyrischen 
gedichte haben keinen individualnamen : denn wo ein solcher bei den 

2) Aischylos war damals doch schon etwas mehr verblafst. Er wird von Aristo- 
phanes Vög. 807, Thesm. 134, Lys. 188 mit nennung des namens citirt. auch be- 
nutzen die Frösche einen yerhältnismäfsig beschränkten kreis von dramen. 



124 Geschichte des tragikertextes. 

grammatikern erscheint, tritt ein bescheidenes buchzählen daneben auf. 
so geschieht es mit den gedichten des Stesichoros, wo zudem homo- 
nymien stören, und Korinna; sonst ganz vereinzelt'), auch in der tragödie 
ist zuerst ein schwanken; ytvaovQyela {TtolrjOig) folgt der epischen 
weise; TlQOf.irjd'evg mufs als name für einen complex von drei chören 
gelten, und daneben sicher noch für ein satyrspiel desselben Verfassers. 
AlTvai oder in der komödie ^ Aq%lXo%oi zeigt die bald verschwindende 
Verwendung des plurals statt einer ableitung. aber Euripides ist mit der 
namengebung ersichtlich ganz überlegt verfahren, und so dann die 
komiker, und die prosa, als sie sich zum buche erhebt, dafs Herodot 
und Thukydides so wenig wie alle die alten philosophen einen anderen 
titel iür ihre bücher gehabt haben als die eingangsworte, der und der 
sagt das folgende, oder ähnlich, ist wol von den verständigen jetzt ein- 
gesehen "*): die titel, die wirklich als die ältesten gelten können, Toqylov 
^EXevrjf HXe^avögog, ÜQodUov ^i2Qai, nXdxiuvoq Oaldqog, IIoXv- 
y.QccTovg Bo^aeiQig und noch 'laoxQazovg OlXiTtTtog, idQiororilovg 
E'ödrjfxog zeigen die abhängigkeit von Ei)QL7tLdov ''Elivrj ^AXi^avÖQog. 
Sodann zeigt die äufsere ausstattung die bewufste fürsorge für den 
leser. vereinzelt in der tragödie, häufig in der komödie haben die gramma- 
tiker bühnenan Weisungen, 7taQ€7tiyQaq)al vorgefunden, und auch auf 
uns sind einzelne gekommen*), dem regisseur, der das stück künftig 

3) 2ifi(ovi8ov Navfiaxia] das kann ein aus dem inhalte geschöpfter name 
sein, kann aber auch für ein dankfest an die Artemis TtQoarjc^a bestimmt gewesen 
sein, und dann ist es nicht anders als ^Ißvxos iv r^ eis FoQylav dS^ u. dergl. das 
lob des Leonidas (4) ist ohne jeden grund und sehr verkehrt in dieses gedieht ge- 
setzt, über dithyrambennamen oben s. 64, anm. 30 und 85 anm. 52. 

4) Vgl. z. b. Diels Herm. 22, 436. der anfang von Hekataios Herodot Thukydides 
liegt ja vor. auch der des Herakleitos fordert vor rov löyov rovSe ein * H^axleiros 
^E^iaios Sde liyei. auch ein auffälliger anfang mit einer adversativpartikel wird 
verständlich, z. b. Ions r^iay/uol. (^Imv Xxoi rdSe liyti*) äQX^ Si /uoi rov Xöyov' 
ndvta r^la. debatten über den namen des heraklitischen Werkes, Verwunderung 
darüber, dafs die alten philosophen ihre bücher tisqI <pTooefos genannt hätten, zweifei 
daran, dals dasselbe buch unter verschiedenen namen bei späteren citirt wird, fallen 
so in nichts zusammen. 

5) Uns sind nur zwei TtageniyQaipai erhalten (A. Eum. 1 17 — 29, E. Kykl. 485), 
und schon den grammatikern fiel dieser unterschied der tragödie von der komödie 
auf. die wichtige stelle steht in einem ^ijrij^a zu Eur. Or. 1384 "iXiov—dis a 
dXöjuevov arivoi &Qu&rsiov äQ/uAreiov fiiXos ßa^ßd^ip ßoq, da zerbrach man sich 
über aQfi&teiov unnütz den köpf. /ItioXXöSojqos 6 KvpijvaZoe napemya^v Xiyei 
(Kirchhoff: imyQ&^ei liyojv codd.) rd d^fidreiov (Schwartz: aQfiöStov) [^^Ihov\. 
el S* fjv naqeniyQacpri^ ana^ Av [i7t\iyQdq)£T0 [rd ^iXiov dnc&ler6\, Apollodor 
meint, die worte d^ftdrstov a^ftdreiov fiiXos gehörten nicht dem sänger, sondern 



Die tragödie ein buch. • 125 

einmal einzustudiren hat, kann so etwas wenig helfen wie "^heftiges 
stöhnen' *^er lacht' ^^gesang von innen', *^sie nicken', *^er gibt ihm eine 
ohrfeige', und unmöglich würde sich eine regievorschrift in der nur 
ausnahmsweise wiederholten komödie häufiger finden können als in der 
tragödie. aber für den leser hat es allerdings seine annehmlichkeit, und 
wir sind deshalb in unseren dramen daran gewöhnt, wer es gesetzt hat, 
hat es aus dieser rücksicht gesetzt: und das ist in der komödie unmöglich 
ein anderer gewesen als der welcher das buch machte, nirgend aber liegt 
ein hinderungsgrund vor, in diesem den dichter zu sehen. 

Aber auch der text selbst legt trotz aller entstellung beredtes zeugnis 
dafür ab, dafs er auf eine niederschrift aus der zeit des dichters, d. h. 
auf die handschrift oder das dictat des dichters am letzten ende zurück- 
geht, in gewissem sinne ist das freilich auch von Pindar, Epicharm und 
schon von den compilatoren der uns erhaltenen epen wahr, allein 
zwischen dem original, auf welches unsere Überlieferung in jenen dichtem 
führt, und der wirklichen Urschrift liegen viele oder wenige mittel- 
glieder, die den überkommenen text in stark umgeformter gestalt weiter 
gaben, es ist kein willküract aus bestimmter absieht vorgenommen, 
sondern es hat sich der text allmählich modernisirt, unter dem drucke 
bestimmter geschichtlich zu erfassender momente. und gerade wer diese 
zu beurteilen vermag, sich also über die glaubwürdigkeit der Überlieferung 
keinen illusionen hingibt, wird sich am meisten vor der schlimmeren 
illusion hüten, selbst das original herstellen zu können, so oft er auch 
im einzelnen etwas grofses oder kleines berichtigen kann, aber für die 
tragiker, und die tragiker zuerst, ist das original, auf welches unsere Über- 
lieferung zurückführt, auch wirklich das original, seitdem das gespenst 
einer Umschrift aus dem attischen in das ionische aiphabet völlig ver- 



wären bühnenanweisung für das Orchester, er wird aber schlagend damit widerlegt, 
dafs dann dg/udrstov nicht verdoppelt sein könnte, die Schreiber) die das nicht ver- 
standen, haben die glossen eingeschwärzt. c5 "iXtov erklärt ae, rd "iXiov iin(bXero 
steht zu (7* dlöfievov. ein auszug des scholions lautet nvks rovro napcTtiypa^v 
elvat cb eis rä xm/LttxA d^Afiara, in der form byzantinisch, wie eis für iv zeigt, 
dem Inhalt nach gut, da auch so die erklärung jenes Apollodor unwahrscheinlich 
gemacht wird, als unmöglich erschien eine tragische Ttapeiciypa^ offenbar auch 
damals nicht, für die komischen hat Holzinger (Parep. bei Aristoph. Wien 1883) das 
material nützlich vermehrt und namentlich gezeigt, dafs einzelne wirklich auf die 
zeit des dichters zurückweisen, seine eigne erklärungsart ist freilich fast lächerlich, 
und abgesehen von anderen misgriffen hat er die byzantinische Verkehrtheit, die er 
bei Tzetzes anerkennt, bei womöglich noch jüngeren schollen zu Arist. und Eurip. 
in alte echte gelehrsamkeit umgedeutet. 



126 Geschichte des tragikertextes. 

trieben ist'), kann man daran nicht aus allgemeinen gründen mehr zwei- 
feln, und der commentar zu dem einzigen Herakles lehrt (zu grofser 
Überraschung seines Verfassers), dafs die scheinbare regellosigkeit der 
feinen dialektischen unterschiede, welche die Überlieferung bietet'), bei 
der nötigen individualisirenden betrachtung sich sehr wol verstehen läist: 
man vergleiche damit die vollkommene confusion in der Überlieferung 
Pindars, der doch seit Aristophanes von Byzanz wenig gelitten hat, oder 
die plumpe gleichmacherei und die solöcismen, welche antiker aberwitz 
in den Herodot, W. Dindorf in die tragiker, Fick in alles dessen er habhaft 
wird hineinträgt, um sich zu überzeugen, dafs wirklich die handschrift 
der dichter selbst zu gründe liegt, und die entstellung, so grofs sie sein mag, 
nur dem einzelnen irrtum und der nachlässigkeit schuld gegeben werden 
kann, die orthographischen sünden sind zudem in überwiegender menge 
jünger als die Alexandriner, und daneben zeigen sich erscheinungen^ die 
schlechterdings nur aus den originalen stammen können, in der 2. person 
sing. pass. gilt den atticisten -et für attisch, und die Engländer haben 
es also den tragikern aufgezwungen gegen die Überlieferung, die rjc er- 
halten hat. rjc fordert die spräche als das organische, wir wissen, dafs 
erst seit 360 etwa in der ausspräche rjL und et zusammenfiel, und zwar 
€L gesprochen ward, dais dann dies et monophthongisch teils e teils i 
ward, die grammatiker aber, wo sie das organische erkannten, die histo- 
rische Schreibung tjl herstellten. . aber in der betreffenden form erkannten 
sie das organische entweder nicht oder beugten sich doch der angeblich 
attischen sitte. wie konnten sie da in der tragödie tjl schreiben, wenn 
es nicht überliefert war, und wie konnte es überliefert sein, wenn es 
nicht auf der Schreibung der bücher in ionischer schrift beruhte, die 



6) Vgl. zu allem Hom. Unt. H 3. die möglichkeit, dafs Aischylos attisch ge- 
schrieben hätte, ist nach den durch Köhler (Mitteil. X 359) erschlossenen tatsachen 
nicht mehr vorhanden, ich war also nur zu zaghaft noch gewesen; um so mehr 
könnnen mir die leid tun, welche sich damit brüsten, dafs sie mir die leugnung 
einer Umschrift nicht glauben, nur das ist zuzugeben, dafs sehr alte ionische poesie 
(z. b. Homer) aus altionischem in neuionisches aiphabet umgeschrieben sein kann, 
und allenfalls inselgriechische poesie aus ihrem aiphabet in ionisches, aber was 
dabei versehen werden konnte, erklärt in Wahrheit gar nichts: nur wer erklärt, wie 
dvTtdovat. zu ävTiöoiOi wird, erklärt wirklich etwas. 

7) Aischylos ist allerdings so stark entstellt, dafs Zeugnisse seines textes wesent- 
lich nur, wenn sie etwas weder attisches noch s. g. dorisches bieten, glauben ver- 
dienen. Sehr belehrend ist für diese feinen abtönungen des vocalismus die ver- 
gleichung der theokritischen gedichte; was dort herrscht ist willkür, aber willkür 
des dichters, und die gleichzeitigen Steinschriften liefern den urkundlichen beweis, 
dafs eine solche willkür geübt ward. 



Die tragödie ein buch, erste periode der textgeschichte. 127 

älter als 360 waren? ein anderer beleg ist, dafs sich im dialoge der 
altattische dativ plur. der ersten declination auf rjatf wenn auch ver- 
einzelt nur, erhalten hat. und doch kann wenigstens Aischylos in dem 
ursprünglich ionischen iambos unmöglich den dativ auf atai gebraucht 
haben; die grammatiker aber kannten kein wirklich altes attisch und 
wir haben es auch erst von den steinen gelernt®). 

Das also läfst sich nicht bezweifeln, dafs buchausgaben der dramen Erete, 

' o ^ penode der 

von den dichtem besorgt sind, und dafs auf sie vornehmlich die über- *®S'i^x^ 
lieferung, die den Alexandrinern vorlag, zurückgieng. es würde überaus 
wichtig sein, wenn wir von dem aussehen dieser ältesten wirklichen 
bücher eine Vorstellung gewinnen könnten, aber dazu ist kaum eine aus- 
sieht, die geringen orthographischen Schwankungen, welche die schrift 
noch liefs, kann freilich jedermann durch die Steinschriften bequem über- 
sehen ; die mangelnde oder schwankende bezeichnung der hybriden e und 
o, die assimilation der einander berührenden consonanten, die willkür im 
setzen des paragogischen n und in der bezeichnung von elision und krasis 
sind kleinigkeiten. wichtiger wird es, dafs die interpunction unsicher bleibt. 
Aristoteles kennt nicht nur den querstrich am rande, der den schlufs eines 
Satzes oder besser einer periode bezeichnet •), sondern auch die artyf^ii^, 
welche das zusammengehörige im satze abgrenzt, aber er setzt sie nicht in 
dem texte voraus*"), es darf somit wol als wahrscheinlich gelten, dafs die 
bücher wesentlich wie die gleichzeitigen steine und die späteren bücher 
geschrieben waren, in ihnen ist dem leser fast nichts gegeben als die 
*elemente*, die buchstaben. Wörter und sätze mufs er sich selbst bilden, 
die alte gute interpunction des 6. Jahrhunderts ist wesentlich durch die 
entfaltung der litteratur und des buchhandels verdrängt worden, als das 
schreiben auf stein wie auf papier ein gewerbe ward, besorgten es leute, 

8) Bei Aischylos ist also sicherlich der dativ auf rjai aai herzustellen, im 
dialog und in anapaesten. so bin ich im Agamemnon verfahren, es scheint aber 
nicht auszureichen, dafs man etwas tut, man soll dazu sagen, dafs man es tut. bei 
den beiden andern tragikem ist kein urteil möglich, weil die spräche zu ihren leb- 
zeiten sich änderte, alle späteren setzen längere dative nur als archaismen. für 
die alexandrinischen epiker ergibt die prüfung der vortrefflichen Überlieferung das 
was ich schweigend in meiner ausgäbe des Kallimachos durchgeführt habe, die 
Untersuchung über die ionismen des dialogs verspricht unter dem richtigen gesichts- 
punkte noch manchen ertrag: nur mufs man dazu von den steinen attisch gelernt 
haben, wer niSlijai für einen ionismus hält, hat allerdings nicht das recht mitzu- 
sprechen. 

9) Rhet. in 3. er sagt Ttapaypafij; später napdypa^os, 

10) Ehet. in. 5. das arl^eiv ist ersichtlich aufgäbe des lesers, oder höchstens 
des erklärers; der text selbst ist ursprünglich nicht interpungirt gedacht. 



128 Geschichte des tragikertextes. 

die ganz mechanisch buchstabe für buchstabe setzten; nach der zahl der- 
selben wurden sie bezahlt, fehler, die dadurch entstehen, dafs der schrei- 
bende wortbilder im geiste hat, gibt es auf den steinen nicht, dagegen wol 
auslassungen, verschreibungen und Versetzungen von buchstaben. inter- 
pungiren kann man aber nur was man zu verstehen meint, absetzen der 
verse ist für den dialog nach analogie des hexameters mit Sicherheit zu 
glauben, man mag denken, dafs die später ganz feststehende praxis schon 
damals galt, die endlosen reihen von trochäischen iambischen anapästischen 
metra nach dimetern abzuteilen, soweit nicht eine ungerade summe eine 
abweichung forderte, denn die praktischen rücksichten empfehlen diese 
Schreibart allein, die in anapästen ziemlich die länge des trimeters gibt: dafs 
unsere metriker von dimetern reden, zeigt nur, wie sehr sie mit den äugen 
messen, die dichter rechnen nicht mit dimetern: erst als die buchpraxis 
eine buchmetrik erzeugt hat, in der kaiserzeit, gibt es welche, übrigens 
mögen auch die trochäischen iambischen anapästischen tetrameter ge- 
brochen sein, da sie überlange Zeilen bilden und durch die beliebte 
diaerese in der mitte leicht teilbar erscheinen, die chorlieder aber sind 
ganz als prosa geschrieben zu denken, da ihre abgliederung erst den 
grammatikem zugeschrieben wird, die die mafsgebenden ausgaben ge- 
macht haben, dazu stimmt das einzige aus vorgrammatischer zeit in- 
schriftlich erhaltene lyrische gedieht, der paean des Isyllos, während 
die praxis der kaiserzeit in sorgfältigeren aufzeichnungen"), «war nicht 
glieder, aber perioden absetzt, nachlässigere schrift**) aber auch dann 
noch jede gliederung vermissen läfst. selbst die personenverteilung kann 
man nicht als voralexandrinisch mit Sicherheit ansprechen, angesichts 
dessen, dafs sie in den prosaischen dialogen so unvollkommen durchgeführt 
ist^'). an die einzeichnung von noten oder neumen ist von vom herein 



11) Z. b. wird der paean des Makedonios, CIA m 171^, durch seine perioden- 
teilung für die metrische theorie der hadrianischen zeit recht wertvoll. 

12) Z. b. die auf dem Casseler stein CIA m 1 71 vereinigten gedichte. 

13) Der gegenständ erfordert eine besondere Untersuchung, da die herausgeber 
ungenügend über die handschriften berichten, die beischrift der abgekürzten personen- 
namen kommt im altertum vor ; am merkwürdigsten ist, dafs der Bankesianus des Q 
die redenden personen und den Iloi{i]T7Je) unterscheidet. Homer gehörte eben zu 
dem fitxrdv yivos wie Theokrit, halb Sirjyrjfianxöv, halb S^auarixöv, in den 
dramen tritt diese bezeichnung subsidiär neben der nagAygafos auf, die noch häufiger 
ist als in dem folgenden textabdrucke des Herakles und von Hephaestion bezeugt 
wird, in den prosaischen dialogen stand sie am rande, z. b. im T des Piaton (Schanz 
Platocodex 5). natürlich ward so etwas sehr leicht übersehen, und z. b. der Clar- 
kianus des Piaton und die Leidenses der Ciceronischen dialoge bezeichnen den per- 



Erste periode der textgeschichte. 129 

nicht zu denken, sintemal die bücher zum lesen bestimmt waren, alles zu- 
sammen genommen ist das aussehen von Steinschriften gleicher zeit, die 
buchstabenformen abgerechnet*'*), gar nicht sehr verschieden zu denken, 
und es gehörte eine sehr ansehnliche Vorbildung dazu diese bücher vom 
blatt zu lesen. 

Zwei volle Jahrhunderte hat der tragikertext sich in dieser weise 
ohne grammatische controlle durch den buchhandel fortgepflanzt, welchen 
fährlichkeiten er dabei ausgesetzt war, dem ist es müfsig nachzudenken, da 
das nicht gewufst werden kann, was man vorab wissen müfste, die praxis 
in der herstellung und dem vertriebe der bücher. dafs man nicht eine 
fürchterliche Verwüstung mit notwendigkeit aus der handschriftlichen Ver- 
vielfältigung ableiten darf, lehrt die vorzügliche erhaltang, in welcher 
notorisch die hauptschriftsteller des 4. und 3. Jahrhunderts vorliegen, 
Piaton Isokrates Demosthenes, Lykophron Aratos Kallimachos. die klagen 
über fahrlässige Schreiber^ welche in der kaiserzeit und einzeln schon 
früher ertönen, sind eben so wenig beweiskräftig wie etwa moderne ana- 
logien, die ältesten drucke Shakespeares und die Verwüstung des Goethe- 
schen textes in den späteren Cottaschen drucken, aber auch für die Zu- 
verlässigkeit der Überlieferung in dieser ersten periode der textgeschichte 
sind allgemeine erwägungen nur in so weit triftig, als die tragödie durch 
die feste buchform wenigstens gegen die Zerstörung geschützt war, welche 
die hypomnematische litteratur nachweislich betroffen hat und betreffen 
mufste. der traurige zustand, in welchem Schriften wie die hippokra- 
tischen tccqI sdaxrjfjoaijvrjg, tcbqI (pTjöiog dvd'QcbTtov , die diaXi^eig 
ayLSTtTiTLalf die schrift vom Staate der Athener, die schrift des Aineas 
von Stymphalos über belagerungen , vorliegen, mufs im wesentlichen 
schon in diesen Jahrhunderten eingetreten sein, die einen unter diesen 
sind nur durch einen glücklichen zufall überhaupt in die zeiten ge* 
rettet worden, welche sich die conservirung der alten litteratur bewufst 
zur aufgäbe machten, irgend ein litterator des vierten Jahrhunderts hatte 
sich an die Xenophontische schrift vom Staate der Lakedaimonier von 
dem altattischen pamphlete so viel hinzugeschrieben, wie er vorfand 
oder wie ihm beliebte, die ärztlichen und die kriegswissenschaftlichen 
Schriften aber waren nach bedürfnis ohne rücksicht auf die form von 



sonenwechsel gar nicht, daneben wandte man den doppelpunkt in der zeile an, 
der aber auch oft fehlt (Porphyr, zu Horaz sat. I 9, 52. Bothstein qu. Lucian. 18) und 
2. b. im Laur. C des Euripides zur bezeichnung der rhythmischen xcüXa verwandt wird. 
14) Die formen stellt man sich am besten etwa so vor wie auf dem ältesten 
erhaltenen papyrus, wahrscheinlich noch aus dem 4. Jahrhundert. Blass Phüol. 41, 746. 
V. Wilamowitz I. 2. Anfl. 9 



Spieler. 



130 Geschichte des tragikertextes. 

dem oder den benutzern umgestaltet, verkürzt, erweitert worden, wenn 
die poesie auch nur dem Bedürfnis diente und in bänden war, die sie 
als material brauchten, gieng es ihr nicht besser, die homerischen 
hjmnen stellen sich jedem urteilsfähigen als Sammlungen von rhapsoden 
des 5. oder 4. Jahrhunderts dar (mit welchem das rhapsodentum im 
wesentlichen aufhört), und das conglomerat, das sich ApoUonhymnos 
nennt, ist eine eben so wüste masse wie die schrift 7C€qI q>7JGLog dv- 
d'Qibnov, am letzten ende sind überhaupt die erhaltenen epen nicht 
anders zu beurteilen; nur hatten sie viel früher eine leidlich feste form 
erhalten, weil sie buchhändlerisch vertrieben wurden, sobald es einmal 
einen buchhandel gab. 
Schan- Aber waren die tragödien nicht auch fortwährend in praktischem 

gebrauche, und sollen die Schauspieler schonender verfahren sein als die 
rhapsoden? gewifs nicht, der zustand würde nur noch viel trostloser 
sein, wenn wir die dramen durch die vermittelung der Schauspieler er- 
halten hätten: das gilt für die Überlieferung des Plautus bis auf Varro, 
während Terenz seine komödien selbst herausgegeben hat. an diesem 
analogen kann man gut ermessen , dais die Überlieferung der attischen 
dramen nicht auf bühnenexemplare , sondern auf lesebücher zurückgeht 
Schauspielertruppen sind schon am ende des 5. Jahrhunderts in 
Griechenland herumgezogen ") und das interesse warf sich im 4. nur um 
so lebhafter auf die alten dramen, je stärker in der Schauspielkunst das 
virtuosentum ward, je geringer die lebenskraft der neuen dichtungen 
war. um die mitte des Jahrhunderts liefs selbst der attische Staat die 
classische tragödie in einem besonderen agon zu, und die ausbreitung 
der attischen cultur durch Alexander hat die Euripideischen tragödien 
am Indus und am oberen Nil auf die bühne gebracht, natürlich ver- 
fuhren die regisseure, wie sie es immer tun und wie ihr recht ist, denn 
stilgetreue inscenirungen classischer dramen sind wie all solch gelehrter 
historischer kram erst möglich, wenn kein wirkliches sondern ein an- 
gelerntes kunstgefühl die leitung hat. wer auf der bühne zu hause ist, 
nimmt keinen anstofs an der Verstümmelung, die Schiller an Goethes 
£gmont, dieser selbst an seinem Götz verübt hat. schonender sind die 
im 4. Jahrhundert ton angebenden Schauspieler auch nicht verfahren, 
zu dem Khesos, der erst um 370 — 60 entstanden ist, gab es um 300 
schon einen unechten prolog, um 200 noch einen anderen, vollends 



15) Ps.-Demosthenes g%. Eubalides 18. ein Schauspieler kauft in Leukas einen 
Athener los, der im dekeleischen kriege gefangen ist. 



Schauspieler. 131 

unbequem waren die chöre. die zahl der tänzer war längst beschränkt, 
die komodie hatte sich der chore fast ganz entschlagen, die rhetorische 
tragödie sie wenigstens mit nichtachtung behandelt und entbehrlich ge. 
macht, die Schauspieler konnten wol mit monodieen etwas anfangen, 
obwol auch die zuweilen fortblieben*"), aber die eigentlichen chorge- 
sänge waren ihnen nur hinderlich, dazu kam, dafs die musik sich ganz 
anders entwickelt und mit den künstlichen versmafsen längst zu wu*t- 
schaften verlernt hatte, dafs die tanzkunst noch viel mehr die alte be- 
deutung eingebüTst hatte, so dafs sie noch im 3. Jahrhundert unter- 
gieng''), wie die chöre um 100 n. Chr. ganz verschwunden sind"), als 
in Athen um 330 die groise theaterreform des Lykurgos durchgeführt 
ward, forderte der dem alten durchaus huldigende Staatslenker freilich, 
dafs die Schauspieler nach einem officiellen textbuche zu spielen hätten, 
was für die darstellung einer Ttakacd TQaycpdla auch in der Ordnung 
war. allein was verschlug diese vereinzelte malsregel, und wie wenig 
kümmerte man sich in dem demosthenischen Athen um gesetze. vollends 
in diesem Staatsexemplar ein werk diplomatischer kritik zu sehen und es 
gar zu einer art archetypus für unsere handschriften zu machen, ist ein 
recht unhistorischer einfall der modernen. Lykurgos brauchte dazu nur 
die dramen aus dem buchladen zu kaufen: es ist nichts andres, als wenn 
ein hoftheater heut zu tage die unverkürzte aufführung der opern eines 
bestimmten componisten oder auch die und die bearbeitung Shakespeares 
befiehlt, die allgemeine Verwahrlosung gieng deshalb ihren gang ruhig 
weiter, und wenn die fortpflanzung der dramen durch die Schauspieler statt- 
gefunden hat, unsere texte also auf bühuenexemplare zurückgehen, so ist 
ihre Zuverlässigkeit eine ganz geringe, das freilich war ganz natürlich, dafs 
auch Schauspielerexemplare in die bibliotheken kamen und die antiken 
Philologen auch solche einsahen, ja es ist sehr glaublich, dais sie sie für 



1 6) So ist zu erklären, dafs einzelne gelehrte die monodie Antigenes OK 236 — 13 
verwarfen : denn in ihr selbst ist kein anlafs zu dem grundlosen verdachte, aber 
ein regisseur, der das überlange stück zurichten sollte, würde allerdings hier den 
rötel brauchen. 

17) Der Babylonier Diogenes setzt das voraus: er hatte offenbar behauptet, 
■der reiz des dramas ruhe in der musik neben dem worte, denn er wäre seit dem 
schwinden des tanzes (den Aristoteles noch mitgerechnet hatte) nicht gesunken. 
Philödem {de miis. IV 7 s. 70 Kemke) erweitert das dahin dafs auch die musik neben 
dem Texte bedeutungslos wäre. 

18) Dion von Prusa 19, 5; so viel scheint die verdorbene stelle zu ergeben; 
die ganze rede ist fragment. Dionys v. Halikamafs kennt die chorlieder noch von 
der bühne. 

9* 



132 Geschichte des tragikertextes. 

einzelne dramen nicht entbehren konnten, weil die buchmäfsige Über- 
lieferung nicht genügte, oder auch ein oder das andere stück nur in 
bühnenexemplaren erhalten war. auch das ist sicher, dafs sie sich über 
die Verwilderung des textes durch die Schauspieler keinerlei illusionen 
gemacht und mit der möglichkeit gerechnet haben, dafs der text unter 
deren einwirkung gelitten hätte, wir aber sind aufser diesen allgemeinen 
erwägungen lediglich auf die Schlüsse angewiesen, die wir aus dem zu- 
stande der erhaltenen dramen ziehen, und diese sind glücklicherweise 
im ganzen beruhigend. 
Aesthetische Es ist Überaus peinlich, dafs wir über diese periode so wenig con- 
cretes wissen oder ermitteln können, denn ohne frage ist sie für den 
text die wichtigste und ist auch das interesse und Verständnis für das 
drama ein lebendiges gewesen, die tragödie war ja schon zu lebzeiten 
ihrer Schöpfer oder doch Vollender classisch geworden, die fülle von 
feinen gedanken und treffenden urteilen über tragische kunst und des 
dichters aufgäbe und macht, die in den Fröschen des Aristophanes bei 
jedem neuen lesen neu entzückt, lehrt, dafs die grofsen dichter wirklich 
ein minder verächtliches publicum hatten, als das mit den Xenien oder 
der Verhängnisvollen gabel gezüchtigte war. in den gebildeten kreisen 
der athenischen gesellschaft würde sich eine der poesie ebenbürtige kritik 
entwickelt haben, wenn die gesellschaft nicht durch das nationale elend 
niedergezogen worden wäre, und mit dem notwendigen welken der grofsen 
kunst nicht die Wucherblume der rhetorik ins kraut geschossen wäre, feder- 
helden wie Isokrates Polykrates Anaximenes hatten ja das erhebende bewufst- 
sein, den grofsen dichtem weit überlegen zu sein, wie das so leute haben, 
und im schatten dieser rhetorik erwuchs was sich damals tragödie nannte, 
Aphareus und Karkinos, Astydamas und Theodektes. die echte erbin der 
poesie, die Wissenschaft, vergafs ihrer mutter nicht. Piaton hat an der 
tragödie gelernt; jene im leben zerstörte attische gesellschaft lebt in 
seinen dramatischen Schöpfungen fort, und die tragischen reminiscenzen 
sind im munde seiner personen lebendig: die Antiope war wenig über 
10 jähre alt, als der Gorgias die debatte zwischen politiker und dichter 
aufnahm, aber da Piaton die alten volkstümlichen ideale bekämpfen mufste, 
um den neuen und höheren räum zu schaffen, diese alten ideale in der 
sage und diese selbst nunmehr vornehmlich in der tragödie verkörpert 
war , so . ergab sich für ihn die polemik auch gegen das drama, ergaben 
sich dieselben sittlichen probleme, wie sie schon in früher sophistenzeit 
Glaukon Stesimbrotos Anaximenes Metrodoros im Homer gefunden und 
zu lösen versucht hatten, aus diesen meist moralischen anstöfsen war ja 



Aesthetische kritik. 133 

die aesthetische kritik und die exegese Homers erwachsen, auch sie über- 
trug sich auf die tragiker. wir können nur mutmafsen und vereinzelt 
an der sagenkritik erweisen, dafs die Kyniker neben dem epos auch das 
drama berücksichtigt haben, um ihrer selbst willen haben erst Piatons 
Schüler Herakleides und Aristoteles die aesthetische kritik getrieben; die 
poetik, zu welcher letzterer emporzusteigen wagte, zeigt besser als alles 
andere die centrale Stellung des dramas. aber Aristoteles machte wie 
überhaupt der rhetorik, so auch der rhetorischen tragödie starke Zuge- 
ständnisse, trübte dadurch die theorie und hat trotzdem weder einen 
dichter noch einen redner erzogen, dafs er auch (XTtoqi^fxccTa EvQCTtldov 
geschrieben hat, wissen wir durch die schriftentafel des Hesychios (no. 144 
= Hermippos 119), und mögen sie uns als historische probleme denken, 
wie eines in einem dialoge behandelt war (Eur. Meleag. 534). viel- 
leicht ist ein oder das andere Ciyrij^ua, an dem sich in den schollen 
die Alexandriner versuchen, schon am zechtische des peripatos aufge- 
worfen worden, denn hier bewahrte man die neigung für cptkökoyay 
wenn man auch nur den namen der philologie erzeugt hat. Theo- 
phrastos popularisirte die aristotelische rhetorik und poetik. neben ihm 
setzten viele die litterargeschichtlichen arbeiten fort, und Dikaiarchos, 
weitaus der bedeutendste dieser generation, knüpfte zugleich auch an 
Herakleides an. indem er den aesthetischen mafsstab der poetik an die 
einzelnen tragödien anlegte, untersuchte er die vTtöd-eatg, d. h. den dem 
gedichte zu gründe liegenden stoff, den invd^og, sowol im sinne der 
*^handlung', in welcher Aristoteles mit recht den lebensnerv des dramas 
gesehen hatte, als im sinne der geschichte. damit war die frage aufge- 
worfen, woher denn der dichter seinen stoff genommen hätte, also die 
quellenfrage, die uns moderne so viel beschäftigen mufs *®), und wie merk- 
würdige dinge dabei ermittelt werden, zeigt die zurückführung des euri- 
pideischen Phoinix auf eine attische dorfsage durch den ßhodier Hierony- 
mos^). der ansatz zu einer lösung der grofeen geschichtlichen aufgäbe war 
da. aber als erst ein naturwissenschaftlei^ und dann ein Schönredner die 
Schulleitung des peripatos übernahm, verdorrte die blute, den rechten 



19) Dafs dies die tätigkeit des Dikaiarchos war und 'önöd'eocs also eigentlich 
den Stoff bezeichnet, aus dem das drama gemacht ist, hat H. Schrader gezeigt (quae- 
stionea peripateticae Hamburg 1884). früher hatte man einen durch die gewöhn- 
lichen confnsionen im Suidaslexicon erzengten Lakedaemonier Dikaiarchos, den es 
nie gegeben hat, fälschlich eingemischt und 'ÖTcö&eais als excerpt aus dem drama 
im Stile von Lambs tales from Shakespeare gefafst. 

20) Vgl. oben s. 38. 



134 Geschichte des tragikertextes. 

weg auf philologisch-grammatische behandlung der litteraturwerke oder 
der spräche und yerskunst hat niemand in dieser schule eingeschlagen, die 
anregung zur poetbchen production, welche sie gab, kam der komödie 
zu gute, die zu den biologischen tendenzen der aristotelischen ethik und 
politik besser palst, und auffallender weise beteiligte sich an den specula- 
tionen über diese zeitgenössische dichtungsart auch die sonst litterarischen 
fragen ganz entfremdete akademie^*). nebenher war natürlich die clas- 
sische poesie in einer ausdehnung bekannt wie niemals später, und die 
gescheidten leute redeten auch über sie sehr gescheidt die philosophen- 
biographieen des Antigenes verzeichnen von ihren beiden auch die lieb- 
lingsdichter und manches litterarische urteil, aber das verdichtet sich 
nirgend zur wissenschaftlichen arbeit 
Das dritte ^^^ ^^S ^^^ philologie Und grammatik hat nicht Athen gefunden, 

Jahrhundert g^jjjgj^ lonien. schon einmal, zu Demokritos Zeiten, war es auf dem 
wege gewesen, ward aber durch die athenische begriösphilosophie ge- 
hemmt, jetzt ward das ziel erreicht^ aber man strebte ihm nicht un- 
mittelbar zu. es führte nur dahin der umweg über die poesie, weil man 
aus Opposition gegen Athen und seine cultur auf die vorattischen gat- 
tungen und formen zurückgriff, die sich nur noch durch Studium erreichen 
lieisen. diese Opposition, die sehr verschiedene elemente in sich schloiä, 
galt der attischen Weltsprache: daher das aufkommen der dialektdichtung; 
der attischen bis zum extrem wählerisch und feinhörig gewordenen rhetorik: 

21) Das scholhaupt Krates schrieb über die komödie nach Apollodors chronik 
(Diog. IV 23); nach Philodem (bei Gomperz festgabe für Zeller 149) ward die schrift 
einem seiner schüler Evfiinjs zugeschrieben, durch yermittelung der /uovaixtj iaroQ£a 
des Aelius Dionysius ist ein schwacher rest dieser lehre zu den Byzantinern gelangt, 
in dem traktat über den oben s. 112, Philol. 46, 13. das citat ist HarA ^ioviatov 
xal KQdrrjra xcU E'dxXeiSijv, wozu eine handschrift I5jö;s EvßovXidrjv notirt. es 
liegt nahe E'dxXe^Stjs und Eif/ivije zu identificiren. ob eine weitere ausscheidung 
des alten gutes in jenen confusen excerpten möglich ist, steht dahin, ein schlufs 
ist aber unabhängig davon möglich. Aristoteles kennt, wie er es nur konnte, zwei 
komödien, ii^^ala und via, seine schüler hatten keine neigung zu dissenlieren, und 
so hat sich diese lehre sehr lange gehalten und liegt noch vielfach vor. daneben 
gibt es die jetzt törichter weise vielfach verlassene doctrin von drei komödien ; von 
denen die f^iari ursprünglich begrifflich gemeint ist, nicht zeitlich, denn ihr haupt- 
Vertreter ist Piaton, und Alexis gehört ihr auch an: sie wird also 420 und 270, neben 
Aristophanes und nach Menander, geübt, diese lehre begegnet für uns zuerst 
bei Horaz sat. 11 3, 11, dann herrscht sie vor, meist jedoch in der verkehrten chrono- 
logischen umdeutung. so auch in den byzantinischen excerpten nsQl xotfitpSias, 
es liegt sehr nahe dem Aristoteles den Krates entgegenzustellen, und wer konnte 
eher als ein Zeitgenosse der wirklich neuen menandrischen komödie auf diese Ver- 
besserung der aristotelischen lehre verfallen? 



Das dritte Jahrhundert. 135 

daher der asianische Vulgarismus; der weltmännisch und hauptstädtisch 
verfeinerten form der geselligkeit: daher das bukolische element, die 
weiberpoesie^ das aufgreifen des barbarischen; der strengen stilisirung 
auch des lebens durch die attische a(a(pQoatJvrj : daher die freude am ab- 
sonderlichen verwachsenen wildnatürlichen in den stofien wie in der be- 
handlung; den kühlen abstractionen der begriffsphilosophie : daher die 
Vorliebe für die naturwissenschaft und die weite schöne weit ebenso wie 
die für dionysischen taumel und aphrodisisches schmachten; der attischen 
bürgerlichen politie: daher das höfische eben so gut wie das ländliche; 
es galt endlich auch den attischen dichtungsformen^ drama und dithy- 
rambos. jetzt gieng man auf die alten lyriker zurück, ahmte Alkaios und 
Anakreon nach, suchte sich in Stesichoros und Pindar stofie^ griff auf 
die erotische elegie des Mimnermos zurück, auf den iambos des Archi- 
lochos und Hipponax und endlich versuchte man wie Homer zu dichten 
oder Homer durch eine immer frische, niemals kyklische behandlung mit 
seinen eignen mittein zu schlagen, das führte mit notwendigkeit zum 
Studium der alten dichter, die zum teil recht eigentlich wieder entdeckt 
wurden, oder doch wenigstens für die attische gesellschaft des 4. Jahr- 
hunderts nicht mehr existirt hatten und von den peripatetikern Dikai- 
archos und Chamaileon aus historischem interesse hervorgezogen wurden, 
so kam man von den versuchen im dialekte zu dichten bald zur Unter- 
suchung des dialekts und zu der exegese der archaischen dichter. Theokrit 
dichtet aeolisch so gut er kann: Kallias von Mytilene schreibt über die 
lesbischen dichter**), Dionysios Iambos, auch ein dichter, über die dialekte, 
und der wird der lehrer des Aristophanes von Byzanz. der dichter Zenodotos 
von Ephesos bringt es zu der ersten textrecension, die sich wirklich die 
Wiederherstellung des echten zum ziele setzt, natürlich des Homer; er 
behandelt aber auch in einzeluntersuchungen die lyriker und macht zu 
Pindar und Anakreon einzelne conjecturen. Kallimachos, gleich gewandt 
in dorischer wie in ionischer mundart zu dichten, treibt die Sammlung 
des sprachlichen materials ins grofse und beginnt schon selbst für die 
ionische prosa die philologische tätigkeit, indem er an den gröfsten 
ionbchen Schriftsteller, Demokritos, ansetzt, freilich zunächst auch hier 
nur als Sammler; bald folgen für Hippokrates ähnliche arbeiten, mit der 
tragödie haben diese männer alle nichts zu schaffen*^). 



22) Athen, m 85 f. polemisirt Aristophanes gegen eine lesart des Elallias; die 
stelle ist allerdings verwirrt. 

23) Es gehört zu den nnbegreiflichkeiten, an denen Schneiders Kallimachos 
reich ist, dsSs er auf grund von ein par übereinstimmenden yocabeln aischyleische 



136 Geschichte des tragikertextes. 

Aber es blühte doch gerade in Alexandreia die tragische Pleias, und 
die Alexandra des Lykophron gilt doch für eine nachahmung der tragödie, 
so gut wie Theokrits Spindel die Sappho nachahmt, diese letzte verbreitete 
ansieht ist falsch, die Alexandra ist keine tragödie, sondern ein iambos. 
Lykophron, selbst Verfasser von tragödien, hat die stilgesetze denn doch 
zu gut gekannt, um diese poesie für tragisch auszugeben, es geschieht 
nur durch einen für den modernen nahe liegenden irrtum, dafs man 
den unterschied in spräche und versmafs verkennt, die menge von 
ionismen in der form, der messung, der Wortwahl ist ganz nicht zu ver- 
treiben, und ihre Vertreibung deshalb unglaubhaft *"*). wahrlich auch für 
die Byzantiner lag es näher die ihnen bekannten attischen formen einzu- 
führen als die dialektischen, eine consequenz ist freilich bei Lykophron so 
wenig wie bei Theokrit zu erzielen, und sehr viel fremdartiges hat der dich- 
ter nur weil es fremdartig war herbeigezogen, der tragödie konnte sich 
der tragische dichter natürlich am wenigsten entziehen, obwol schon der 
sagenstoff zeigt, dafs er es beabsichtigt hat. und dann gilt für die Alexandra 
was für die wirklich tragische poesie der Alexandriner gilt und die be- 
denken verscheucht, welche die Pleias erregen kann : sie suchen die älteste 
tragödie auf, die den Attikern, gegen welche die Asianer front machen, so 
fremd geworden war wie die andere chorische poesie auch, dieser neuen 
romantik war schon Euripides viel zu modern, zu glatt, zu städtisch, zu 
ähnlich den Isokrateern, die man überwinden wollte, die man überwunden 
hat, wenn auch die eignen productionen kein längeres leben gehabt haben, 
nichts ist bezeichnender, als dafs man sich mit verliebe auf das satyrspiel 
warf, und was wir von der Pleias kennen so gut wie ausschliefslich satyr- 
spielen angehört, die archaistische tendenz brauchen wir auch nicht einmal 
selbst zu erschliefsen : diese zeit redet, wie unsere romantik, beständig 



Studien dem Kallimachos zuschreibt, nur von einem grammatiker aus der ersten 
hälfte des 3. Jahrhunderts ist ein euripideisches ^fjrrjua vorhanden, Lysanias schol. 
Andr. 10, und da ist der name keineswegs sicher. 

24) Der neueste herausgeber hat es versucht, und ich habe ihm zuerst zugestimmt, 
aber die Verlängerung eines anlautenden vocals durch tenuis cum liquida (z. b. 1056. 
1250), die elision von at (850, 1220), roxyos 1394 (so auch 451 KvxQrjos) xar Tq. (374) 
indX^ies (292) TcaQrjßaQEvvras (384) aacbaei, (679) Q&fifpeaai (598) u. dgl. viel zeigt, 
dafs es auch unerlaubt ist den ionischen vocalismus in stammen, wie Tirfjves jfcös, 
und namentlich den dativen wie noll'^oiv zu ändern, zuzugeben ist nur, dafs erstens 
die Überlieferung in diesen dingen unzweifelhaft unzuverlässig ist, und dafs Lyko- 
phron keine consequenz hat: einen dorischen genetiv äira 461, nagaioU^ei 1094 
ßXcb^as 1327 und die schon von Aristophanes von Byzanz gerügten Vulgarismen 
ia^d^oaup, auch nsf^ixav, müssen wir ja doch auch ertragen. 



Das dritte Jahrhundert. Aristophanes von Byranz. 137 

von ihren tendenzen, und das kunsturteil steht auch bei ihr höher als 
die leistungsfähigkeit. pioskorides legt in einem cyclus von epigrammen 
auf Thespis Aischylos Sophokles und Sositheos davon zeugnis ab; Euri- 
pides hat mit recht keinen platz in dieser reihe, und von Sophokles wird 
bezeichnender weise die herbste f nicht am meisten geschätzt: diese zeit 
sah, wie unsere romantik, in Antigone und Elektra das höchste**). 

Entsprechend ist die Stellung dieser kreise zur komödie. die der gegen- 
wart gilt ihr nichts, dagegen holt sie die von Aristoteles und seiner schule 
zurückgesetzte alte komödie vor, die zudem den sprachlichen glossogra- 
phischen Studien eine überreiche ausbeute bot. für die alte komödie ist 
das dritte Jahrhundert das fruchtbarste gewesen, während es für die 
tragödie fast ausfällt, schon Lykophron '"^j, dann Euphronios, dann Erato- 
sthenes haben ihr grammatische arbeit zugewandt: und hier steht der 
allerdings vereinzelte versuch der reproduction am ende, aber auch er 
findet an Dioskorides den herold seines lobes. Machon von Alexandria, 
sonst Verfasser sehr salopp und modern gehaltener anekdoten in versen, 
hat *^den bitteren thymian^ vom Hymettos an den Nil zu verpflanzen ver- 
sucht, derselbe Machon war neben Kallimachos und Dionysios lambos 
der lehrer des gröfsten antiken grammatikers , der, als die blume der 
alexandrinischen poesie im verdorren war, den richtigen schritt tat, die 
alexandrinische und die peripatetische philologie zu vereinen, die philo- 
logie in dem uns geläufigen sinne zu schaffen, und die texte der classiker 
festzustellen, seine aesthetische Überzeugung gieng nicht mit seinem 
lehrer; er hat Menander in versen verherrlicht, und die classiker, die 
wir so nennen und deren besitz wir ihm, wenn einem menschen, danken, 
alle mit der rechten philologenliebe gehegt und gepflegt, auch für die 
textgeschichte der tragiker ist die ausgäbe des Aristophanes epoche- 
machend. 

Von dieser ausgäbe sich ein möglichst klares bild zu machen, ist Ansto- 
eine hauptbedingung für einsichtige beurteilung unseres erhaltenen textes.^ ^maz!*^ 
es ist wahr, dafs die directen Zeugnisse nichts als ein par einzelnheiten 
geben, allein die allgemeinen erwägungen helfen sehr viel weiter, und 
sie sind verwendbar, denn wenn wir auch davon absehen wollten, dafs 
Aristophanes unseren text fundirt hat, so müfste das doch irgend jemand 
getan haben, und dieses unbekannten mannes tun müfsten wir uns ver- 



25) Dioskorides Anth. Pal. 7, 37. ähnlich urteilte der philosoph Polemon (Antig. 
Kar. 8. 65). 

26) Noch ein anderer tragiker der pleias hat über die komödie geschrieben, 
Dionysiades, Suid. s. v. 



138 Geschichte des tragikertextes. 

gegenwärtigen und würden es einigermafsen erschliefsen aus den Voraus- 
setzungen und den folgen seines wirkens. so tun wir notgedrungen sehr 
häufig: hier sind wir aber in der glücklichen läge mit einer benannten 
grölse zu operiren. 

Die Homerkritik der Alexandriner kennen wir am besten; natürlich 
holt man sich aus ihr belehrung, aber es wird verhängnisvoll, wenn man 
die unterschiede vergifst, welche zwischen ihr und der herausgebertätig- 
keit vorhanden sein mufsten, die den lyrikem tragikern komikern galt 
das hauptinteresse an den Homerausgaben des Aristophanes oder Aristarch 
liegt für die späteren, welche uns über sie unterrichten, und für uns in 
dem , was sie neues und eigenes enthielten , dem woran der name der 
gelehrten haftete, besonderen lesarten, athetesen, grammatischen einzel- 
beobachtungen , z. b. in betreff der prosodie Wortabteilung Orthographie, 
die ausgäbe erscheint als ein von dem gelehrten geschriebenes oder cor- 
rigirtes exemplar mit kritischen und diakritischen zeichen, welche die 
meinung des herausgebers andeuten, übrigens aber eine mündliche oder 
schriftliche erläuterung fordern, es ist ein gelehrtes werk, wendet sich 
an gelehrte kreise, wenn es überhaupt mehr als hypomnematisches leben 
beansprucht, es ist aber keines weges ausgemacht, dafs die ausgäbe wirk- 
lich ausgegeben ward, ja es ist nicht einmal wahrscheinlich, da selbst 
Aristarchs ausgaben so bald verschollen waren; ixöoaig bedeutet bei den 
grammatikern durchaus nur ein exemplar. wie sich die Homertexte, die im 
buchhandel waren und blieben, dazu stellten, ist eine ganz andere frage, 
notorisch ist der einfluTs Aristarchs sehr grofs gewesen, da wur nicht 
nur viele seiner lesarten in unsem handschriften lesen, sondern auch 
verse, die er ausgeworfen hat, verschwunden sind, verse die er erst ein- 
gesetzt hat, sich vorfinden, man mag auch von vorn herein als wahr- 
scheinlich betrachten, dafs der kritiker selbst eine 'kleine textausgabe' 
hat ausgehen lassen mögen, aber damit rechnen seine schüler nicht, 
und ein buchhändlerisches bedürfnis, neue Homertexte zu schaffen, lag 
auch nicht vor. gegen die correctheit seiner classikertexte ist das grofse 
publicum ganz gleichgiltig; nur billig sollen sie sein. 

Ganz anders steht es mit den anderen dichtem, z. b. Pindar^ mit 
welchem am besten exemplificirt wird, da hier die Verhältnisse am durch- 
sichtigsten sind und auch die tätigkeit des Aristophanes ganz ausdrück- 
lich bezeugt ist. von Pindars werken hatte es noch gar keine ausgäbe 
gegeben, die gedichte hatten von vorn herein vereinzelt existirt; viele 
oder wenige werden ja wol zusammengeschrieben sein, aber davon ver- 
lautet nichts; man kennt vor der aristophanischen ausgäbe nur die ver- 



Aristophanes von Byzanz. ausgäbe des Pindar. 139 

einzelung, und deren erfolg muiste auf die dauer für sehr viele gedichte 
der Untergang werden, da trat nun die tatigkeit der alexandriniscben biblio- 
thekare ein, die ihnen von den zeiten des Demetrios her vorgezeichnet 
war. zwei menschenalter waren damit zugebracht, dals die hellenische 
litteratur gesammelt und geordnet war: die consequenz lag vor, dafs es 
nun zu gesammtausgaben der classiker kommen muiste, durch welche 
die schätze der bibliothek erst recht nutzbar wurden, auch darin wirkt 
das akademische beispiel nach, auf deren mitglied der spottvers Xöyoiaiv 
^EgfiödwQog ifXTtOQSjjsrac gemacht ist. es war in erster linie ein buch- 
händlerisches unternehmen, es mufste aus den handschriften der biblio- 
thek eine Sammlung der werke Pindars veranstaltet werden, die in feste 
Ordnung gebracht, deren text für die Vervielfältigung festgestellt werden 
mufste, damit dann abschriften genommen und vertrieben würden, man 
mag sich das immerhin nur als eine leistung vorstellen wie Lachmanns 
Lessing, so ist doch einleuchtend, dafs die Alexandriner sich durch diese 
ausgaben; welche allmählich von allen classikem erschienen, iinendlich 
viel höhere Verdienste erworben haben als durch alle ihre conjecturen 
und commentare. 

Als Aristophanes die erhaltenen gedichte Pindars zusammen hatte,Aa8|rabe des 
ordnete er sie nach einem einfachen Schema, das jeder begreifen sollte, 
er vereinigte die gedichte in bücher, 8 sig d'sovg, 8 etg dvd'QcbTtovgf 
von denen ein jedes noch einen besonderen gattungsnamen erhalten 
konnte 'öfzvoc Ttaiäveg, iyytcbfica ^q^vov u. s. w. dabei blieb ein rest 
von gedichten, der sich in diesen gattungen nicht wol unterbringen liefs. 
die cultlieder der art waren zahlreich genug um ein ganzes buch zu 
füllen, das als neiintes nach dem vorhergehenden *^ Jungfrauenlieder III' 
oder '^Von den Jungfrauenliedern gesonderte' hiefe. die lieder an men- 
schen lieferten aber, nachdem anderes anderswo untergesteckt war^^), 
nur noch 3 heimatlose stücke, die dem letzten, zudem sehr dünnen 
buche als X€xo)QtGf,iiva tcov NefieovUcJv angefügt wurden, wo sie 

27) So z. b. Pyth. 3, ein undatirter und an keinen sieg geknüpfter brief an Hieron, 
steht hinter den beiden siegesliedem für denselben, überhaupt können die gattungs- 
namen üfivot, Sid^^afißoi, iyxtbfdta inivMoi nur mit einiger gewalt auf die menge 
gelegenheitsgedichte angewandt sein, die Ordnung innerhalb der bücher ist nicht con- 
sequent. in Ol. (1—6) Pyth. (1 — 3) Nem. 1, nachtrag N. 9 stehen die Sikelioten voran 
doch mufs einer (Pyth. 6) einem könige anderer herkunft (P. 4. 5 ) den vortritt lassen^ 
und O. 12, Isthm. 2 stehen abseits, in Nem. sind die Aegineten vereinigt (3 — 8), 
in Isthm. nicht u. dgl. m. übrigens haben die alten zu allen zeiten gefallen daran 
gefunden, in gedichtsammlungen ein princip nur mit willkürlichen änderungen durch- 
zuführen. 



140 Geschichte des tragikertextes. 

noch stehen ^^). mit den gedichten an die götter begannen sicher auch 
die werke des Alkaios'^®) und Anakreon, aber die stoffliche Ordnung 
schien sich nicht durchgehends zu empfehlen; passender erschien die 
Vereinigung der gleichen versmafse, nach denen auch die werke Sapphos 
geordnet waren, wie viel bücher gemacht wurden, darüber wird bis zu 
einem gewissen grade die rücksicht auf die Übersichtlichkeit und die be- 
quemlichkeit des lesens bestimmt haben, auch bald ein gewisses her- 
kommen, einiges wird man also für den umfang des nachlasses daraus 
entnehmen, dafs Pindars werke 17 bücher umfaTsten, die des Hipponax 
und Mimnermos je 2. aber das buch Olympien ist anderthalb mal so 
grofs als das buch Nemeen einschliefslich des nachtrags, und jede stoflT- 
liche Ordnung bedingt eine starke Verschiedenheit des buchumfanges ; auch 
haben ja die ganz willkürlich gesetzten einschnitte im Homer und Herodot 
noch viel stärkere differenzen erzeugt, um so weniger wird man die 
bücher der Sappho eben so lang ansetzen wie die Pindars, ja wenn, wie 
es scheint, bei Stesichoros buch und gedieht zusammenfiel, so hat man 
den beleg für sehr viel kürzere bücher: denn dafs ein chorisches gedieht 
auch nur so lang wie eine tragödie gewesen wäre, wird so leicht niemand 
glauben, und dies mafs überschreiten die pindarischen bücher bei weitem. 
Homer und Pindar lassen sich schlecht vergleichen, weil die zeilenlänge, 
d. h. die columnenbreite mindestens sehr verschieden gewesen sein kann, 
denn die prosa liefs sich freilich bequem auf die gröfse des €7tog ein- 
richten, weil sie sich beliebig abteilen läfst: für die lyrische poesie mufste 
mit dieser älteren praxis gebrochen werden, wenn die ausgäbe auf die 
versmafse rücksicht nehmen wollte, die bekannte Zählung nach arlxoi, 



28) Aber in der trefflichen florentiner handschrift D steht reXos hinter dem 
letzten wirklich nemeischen gedichte 8, am Schlüsse des buches nivSäQov inivMoi 
veiisovUois. die debatten der grammatiker, welche besonders belehrend sind, stehn 
zu N. 11, weil dies gedieht nicht einmal ein siegeslied ist, wie 9 und 10. übrigens 
haben die grammatiker den Gesichtspunkt des Aristophanes nicht gewürdigt; Bergk 
noch viel weniger, das richtige hat im wesentlichen Büller Herm. 21 gesehen. 

29) Die anordnung Bergks ist ganz willkürlich, als ob ein dichter, der lieder 
an götter und liebeslieder verfafst, deshalb ein buch ^ftvoi und gar eins i^o?Ttxd 
genannt haben müfste. als ob axöha dadurch bezeugt würden, dafs ein attischer 
vater seinem söhne zuruft doov axöXiov ^Alxalov xAvaxgiovros] dies derselbe 
fehler, der die pindarischen skolien erzeugt hat. endlich als ob Strabon ein buch 
der ausgäbe bezeichnete, wenn er sagt, dafs sich auf die mytilenäischen parteikämpfe 
rd araaiojTtxd xaloifieva rov 'AXxal&v nof^fiara bezögen (617). araai(arixd ist 
gar kein grammatischer gattungsname ; Strabon kennt es auch aus aesthetischen 
kritiken des dichters. es wird eine haup tauf gäbe der dringend nötigen neuausgab e 
der lyriker sein, statt der Bergkischen Ordnung die des Aristophanes herzustellen. 



Aristophanes von Byzanz. ausgäbe des Pindar. 141 

d. h. BTtriy kann demnach auf diese classikerausgaben gar nicht angewandt 
sein, sie hatte aber auch keinen zweck, denn der umfang ward ja fest- 
gestellt um schreiberlohn und buchpreis zu bestimmen, für gewöhnliche 
Schrift reichte dazu die feststellung der buchstabenzahl (wie auch für die 
Steinschrift), später die der sylbenzahl aus^°): in den dichterausgaben waren 
bestimmte zeilen inne zu halten, lesezeichen zu setzen u. dgl. m., so dafs 
die blofse Zählung der demente ihre bedeutung verlor. 

Es war also eine iefgreifende neuerung, dafs die dichtertexte nach 
metrischen regeln abgeteUt wurden, es war das für die leser eine notwendig- 
keit geworden, aber ein sachverständiger gelehrter war allerdings dazu nötig, 
in wie weit die leser in älterer zeit die lyrischen als prosa geschriebenen 
verse richtig gelesen haben, stehe dahin; da sie rhythmus und versglieder 
auch in der prosa hörten, und zwar dieselben wie in der poesie, so werden 
sie jedenfalls einen rhythmischen genuTs gefunden haben, aber um 200 
war die spräche des leben s schon stark verändert, die kenntnis der metrik 
sehr zusammengeschrumpft, da fast ausschliefslich nur noch die stichisch 
gebrauchten mafse in der praxis fortbestanden, der leser bedurfte also 
einer hülfe, da stand nun der herausgeber vor einer entscheidung. Aristo- 
phanes hat die abteilung nach den gliedern gewählt, nach dem, was man 
für die demente der rhythmischen kunstwerke hielt, befangen in der 
rhetorischen lehre, die an der prosa namentlich durch die peripatetiker 
ausgebildet war. die metrik war durch diese nicht zu einer eignen Wissen- 
schaft ausgebildet, und so ist sie immer zwischen musik und rhetorik 
ohne halt herumgeworfen, bald nach Aristophanes zeit ist die grund- 
lage der uns überlieferten metrik festgestellt worden, doch kennt man 
die mafsgebenden personen nicht, dafs Aristophanes das yLwXl^siv an 
den lyrikertexten durchgeführt hat, ist bezeugt^*), er hat damit die praxis 

30) Die subscriptionen der Zeilensummen erfüllen also ihren zweck sehr wol 
auch in büchem welche die normalzeile selbst aufgegeben haben, da aufserdem die 
hunderte am rande bezeichnet wurden, so blieben selbst die citate nach zeilen 
brauchbar, dafs unsere handschriften von Pindar und den scenikem keine sticho- 
metrischen angaben führen, ist somit begreiflich : die hinter dem Sophokles im Lauren- 
tianus sind nicht antik, wie die form zeigt, und sind sinnlos. 

31) Dionysios de comp, verh, 22. 26 (p 156. 221 R). natürlich ward nicht bis 
auf die kleinsten einheiten zurückgegangen, die man jetzt nöSes oder gar iqfiinoSss 
nannte ; auch mehrere kleine kola, deren Vereinigung fest stand, liefs man zusammen, 
für die lyriker helfen uns aufser dem unschätzbaren blatte Alkman die nachbildungen 
der Römer und deren praxis, die häufig durch die ganz äufserliche abteilung der 
texte bedingt ist, wie sie z. b. die sapphische und aeolische Strophe als vier perioden 
behandeln, während es drei sind, weil sie so abgesetzt waren, und auf solche Ver- 
kehrtheiten kamen wie Horaz I 8, n 18. 



142 Geschichte des tragikertextes. 

aller folgenden generationen bestimmt, bis auf die uns erhaltenen band- 
Schriften, ja bis auf Boeckh: wir dürfen ihm freilich nicht mehr folgen, 
da wir die metrik der classischen zeit richtiger aufzufassen im stände sind, 
dais übrigens die gliederung der lieder immer durch das absetzen neuer 
Zeilen bezeichnet worden sein müfste, ist keineswegs nötig; ein kurzer 
Zwischenraum in der zeile oder eine interpunction , wie es z. b. in der 
florentiner Euripideshandschrift vorkommt, tut dieselben dienste. nicht 
die art der bezeichnung, sondern dafs überhaupt die gliederung bezeichnet 
wird, ist das wesentliche, es war aber damit nicht genug, in sehr ver- 
ständiger fürsorge haben die grammatiker dem leser durch ein bestimmtes 
System der bezeichnung auch zu erkennen gegeben, wo Strophe und 
antistrophe oder in nicht strophischen liedern die perioden zu ende waren, 
auch den schlufs der lieder, einzeln den Umschlag der rhjthmen, endlich 
die Personenverteilung, nur wenig davon ist in unsere handschriften 
übergegangen, aber wir kennen das System durch Hephaestion ftegl 
TtOLT^fiarogy der nur zusammenstellt, was er (oder seine quelle) in den 
ausgaben der classiker fand. 

Diese bisher geschilderte tatigkeit, die man immerhin mit unsern an- 
weisungen an den setzer vergleichen mag, führte nun schon mittelbar zu 
sehr bedeutenden kritischen Schlüssen, vergleichbar denen, welche unsern 
gelehrten zufielen, als sie die responsion der chorlieder erkannten, es war 
damit in vielen fällen ein kriterion gegeben um zwischen verschiedenen 
lesarten zu wählen, überschüssige glieder oder lücken zu erkennen, ein 
äuiserst merkwürdiger beleg für die persönliche tatigkeit des Aristophanes 
in dieser richtung ist auch erhalten'*). 

In wie weit die für das publicum bestimmten exemplare inter- 
pungirt und mit den lesezeichen versehen waren, die wieder Aristophanes 
für die prosodie erfand^ ist nicht auszumachen, ganz dürfte beides in 
diesen schwierigen texten nicht gefehlt haben; ganz durchgeführt war es 
keinesfalls, und es gehört schon mehr zu dem eigentlich gelehrten be- 
triebe, ebenso wie die kritischen zeichen, von welchen doch der obelos 
wenigstens selbst im Pindar nicht zu entbehren war**). 

32) Schol. Pind. Ol. 2, 48 zu dem überschüssigen kolon fdiovri Si MoZaai, 
d&fTsZ A^iaro(pdvrj£f ne^irre'deiv yStQ avrö tpi^ai ngde ^rtis) dvnarpö^ovs. in 
einer andern fassung fehlt der name des Aristophanes und steht dafür dßsXds nagd- 
xetrat. dafs eine solche Interpolation nicht beseitigt ward, beweist sowol die 
vorsieht des herausgebers wie die abhängigkeit der ganzen folgezeit. 

33) Für die gelehrten bestand natürlich in der prosodie auch hier, wie im 
Homer, eine feste nagdSoaie. ein gutes exempel liefert Eur. Hek. 1030, wo niemand 
vor Hemsterhuys auf den gedanken gekommen ist ov als o-S statt o^ zu nehmen. 



Aristophanes von Byzanz. ausgäbe des Pindar. 143 

Unmittelbar in die textkritik spielte ein geschäft hinüber, das der 
herausgeber gar nicht versäumen konnte, die herstellung emer Ortho- 
graphie, unser Pindartext zeigt zwar Schwankungen, die nicht alle auf 
schreiberversehen späterer zeit zu schieben sind, aber sie verschwinden 
gegenüber der einheitlichkeit diese aber kann nur durch eine durch- 
greifende recension herbeigeführt sein, denn es ist weder die Schreibung 
des dichters noch die einer bestimmten späteren zeit; auch konnten die 
aus aller herren ländem in Alexandreia zusammengekommenen handschriften 
überhaupt nicht so ähnlich aussehen, nicht anders steht es in den anderen 
Schriftstellern, einmal muls doch befohlen sein, bei Sappho setzt man kein 
stummes iota, bei Pindar schreibt man cpiXioiai, bei Aischylos aiad-dvr] 
TtQdaao) ig, bei Aristophanes alad'dvet TtgaTto) eig. also zeigt sich das 
eingreifen eines Organisators in den folgen, er hatte keine leichte aufgäbe, 
das sehen wir selbst am Homer, dessen spräche doch längst zu festen formen 
erstarrt war und durch die nie unterbrochene nachbildung immer gelehr- 
terer dichter selbst dem publicum geläufig blieb, am Homer sehen wir 
auch am besten, dafs die gelehrten selbst diese aufgäbe nicht leicht nahmen, 
es sind auch wirklich keine kleinigkeiten, fällt doch das dialektische zum 
gröfsten teil unter diese rubrik. wir dürfen sicher sein, dafs die absieht 
nicht war, den hirngespinnsten eigner theorie räum zu schaffen, sondern 
die echte Überlieferung zu geben, aber zum mindesten muTste eine aus- 
wahl getroffen werden, und schon das führte zum systematisiren; aufserdem 
war nicht weniges an sich von der Überlieferung ungenügend oder doch 
inconsequent bezeichnet, wo denn auch eine entscheidung nötig ward. 

Die hauptaufgabe war endlich die feststellung des textes selbst, wenn 
nur eine quelle für ihn zu geböte stand, oder wenn die tradition eine 
ganz feste war, so konnte die recensio freilich nichts tun als diese weiter 
geben, indefs das mufsten ausnahmen bleiben; in gedichten, die seit Jahr- 
hunderten in den verschiedensten gegenden gelesen worden waren, muTsten 
«ich vielmehr ähnliche und zum teil noch ärgere zustände gebildet haben, 
wie wir sie dank den Alexandrinern im Homer vor äugen haben, obgleich 
wir auch da gewüs nicht den hundertsten teil von dem kennen, was jene 
durcharbeiten mufsten. sehen wir nun den Pindartext an, so bietet uns 
die reiche Überlieferung sehr wenig wirkliche Varianten ; denn die Schreib- 
fehler, die wir durch die vergleichung unserer handschriften erledigen, 
«ind spätere wertlose entstellungen. vor allem aber, die gelehrten, deren 
äufserungen in den scholien zahlreich erhalten sind, rechnen, ganz anders 
als im Homer, gar nicht mit Varianten, sondern betrachten die Überlieferung 
als eine sicher gegebene grö&e. mit anderen Worten, im Pindar hat die 



144 Geschichte des tragikertextes. 

grundlegende ausgäbe, die aristophanische, alles ältere definitiv beseitigt: 
sie ist ganz und gar identisch mit der ' Überlieferung* geworden, und nur 
die erinnerung erhielt sich dunkel, dafs es ältere texte gegeben hätte, 
die geschichtliche bedeutung der aristophanischen tätigkeit ist also eine 
ganz ungeheure, man denke sich, dafs die wirkliche Überlieferung des 
Lucrez ganz zu gründe gienge und an ihre stelle der Lachmannsche text 
träte, so dafs gewissermafsen Lachmann gleich Lucrez würde, in diesem 
falle würden wir gar nicht weniges durch die conjectur oder auswahl 
des herausgebers verderbt lesen, und dennoch würde es gegenüber der 
Verwüstung, die vor Lachmann im Lucreztexte herrschte, ein unschätz- 
barer segen gewesen sein, dafs ein zielbewufster wille durchgegriffen hätte, 
müfsten wir freilich TibuU und Properz mit Scaligers ausgäbe identificiren, 
so würde die kritik nur zu dem negativen ergebnis gelangen können, dafs 
irgend ein willküract die gedichte aus den fugen gerissen hätte, von den 
alexandrinischen gelehrten sind wir sicher, dafs sie an methode und Scharf- 
sinn mit Lachmann nicht zu vergleichen waren, aber wir dürfen uns wol 
auch darauf verlassen, dafe sie diesen mangel durch gröfsere Zurückhaltung 
und Selbstbescheidung zum teil ersetzt haben : Scaligersche willkür imputirt 
ihnen nur, wer für die eigene die bahn frei haben will. Aristophanes 
zumal ist schon durch die ungeheure ausdehnung seiner herausgebertätig- 
keit von der conjecturalkritik zurückgehalten: ihm ist es gegangen wie 
Immanuel Bekker, mit dem man ihn immer wieder vergleichen muis, den 
er aber doch wol überragt, denn was ihm gelungen ist, ist etwas so 
grofsartiges, dafs man kaum nach den tausend einzelheiten fragt, die man 
nicht wissen kann, da die hauptsache sonnenklar ist, die für alle zukunft 
malsgebende codification der nationalen poesie, zu der mit recht auch 
Piaton gerechnet war. so etwas zu erreichen erfordert mehr als philo- 
logie. es fordert die einsieht, dafs auf die lösung der aufgäbe mehr an- 
kommt als auf die tausend bedenklichkeiten, ob es so oder so besser 
wäre; den mut, dem besser wissen der faulen und undankbaren nach weit 
zu trotzen, die das gute gedankenlos nutzt und zugleich schilt, weil es 
nicht das bessere ist; den sicheren nie zu lernenden blick für das 
wesentliche; endlich die energie des willens, die durch die riesenhaftig- 
keit der arbeit immer neu gestärkt wird, auch wenn Aristophanes ein 
gewalttätiger kritiker gewesen wäre (solch einer löst freilich erfahrungs- 
gemäfs keine grofsen aufgaben), so würde sein andenken gesegnet werden 
müssen : und wir dürfen doch glauben, dafs er ein kritiker wie Bekker war. 
Ausgabe der T>sSa Aristophanes für die tragiker dieselbe bedeutung hat wie für 
^®'' die lyriker ist nicht überliefert, dennoch ist es ganz unzweifelhaft, vor 



I 



Aristophanes von Byzanz. inod'iaeie, 145 

ihm gibt es keine philolo^sche beschäftigung mit ihnen; er eröffnet die 
reihe der grammatiker, welche sich ihrer erklärung widmen, und steht 
unter diesen selbst für unsere kenntnis in der vordersten reihe, die 
tragikerkritik setzt eben so gut wie die Pindars einen festen text voraus, 
über welchen hinaus die forschung kaum je geht, dann aber in völliger 
finsternis tappt'*), die einteilung nach y.(aXa ist auch im drama durch- 
geführt, also irgend jemand hat für dieses dasselbe geleistet wie Aristo- 
phanes für die lyrik: man kann an keinen andern als ihn denken, und 
eine deutliche spur ist auch erhalten geblieben, welche allein schon auf 
eine grundlegende ausgäbe des Aristophanes führen würde, die '^Tto- vnod'i' 
'd'iasig. dafs Aristophanes den dramen eine kurze Vorbemerkung vor- ^**^' 
gesetzt hätte, vergafs man bis in die späteste zeit nicht sein name 
blieb diesen vorsatzstücken, die zu dem drama so notwendig gehörten, 
dafs der verfertiger des Okypus seiner parodie auch ' eine hypothesis, zum 
teil in aristophanischen formein, vorausgeschickt hat. selbst als man, 
wahrscheinlich im 2. Jahrhundert n. Chr., wo die lateinische grammatik 
solche Spielereien treibt'^), den inhalt der tragödien und komödien in 
schlechte verse fafste, haftete an diesen der alte berühmte name'^). mit 
einem commentar hängen die vTtod-iaeLg nicht zusammen; das zeigt 
aufser Terenz und Plautus die reihe der scholienlos überlieferten euri- 
pideischen dramen, vor denen sich nicht nur VTtod'ioeLQ^ sondern selbst 
reste aristophanischer gelehrsamkeit, allerdings ohne den namen, erhalten 
haben''), bieraus und übrigens aus dem ganzen inhalte der gelehrten 
notizen ergibt sich, dafs Aristophanes die ausgäbe, welcher er sie beigab, 
für das publicum bestimmt hatte, nicht für die philologen. 



34) Nnr der tüchtige forscher Asklepiades (um 150) hat in Athen nach über- 
sehenen handschriften gesucht, schol. Ar. Frö. 1344. wenn einer von der attischen 
Schrift redet, so zeigt er nur, dafs er von ihr überhaupt nichts weifs (schol. Phoen. 682). 
nicht besser ist meistens, was von den schanspielern ausgesagt wird, wo Ttalaid, 
dvayxatÖTspa dvrfy^a^a u. dgl. citirt werden, sind fast immer viel spätere Zeiten 
gemeint, nirgend ist man veranlafst über Aristophanes zurückzugehen. 

35) Die didaskalien, welche den römischen Schauspielen im 1. Jahrhundert 
V. C3hr. vorgesetzt sind, sind natürlich nach dem vorbilde der aristophanischen Vor- 
bemerkungen verfertigt, die damals in den griechischen texten standen. 

36) Die letzte spur ist wol, dafs in den Statiusscholien XTT 510 der inhalt des 
Oid. Kol. dem Aristophanes zugeschrieben wird, denn in dieser gegend der litteratur 
ist eine vertauschung der dichtemamen nicht wahrscheinlich. 

37) Aufser formelhaften, also nicht für den aristophanischen Ursprung beweisen- 
den, Wendungen steht zu den Hiketiden die aesthetische kritik rd S^äfia iyxc&^iov 
Ad'rjvcöi; die Bakchen zeigen auch durch die erhaltung des aristophanischen namens, 
dafs sie nicht in diese classe von tragödien gehören. 

V. Wilamowitz I. 2. Aufl. 10 



146 Geschichte des tragikertextes. 

Die anreguDg und sehr vielfach auch den stoff hat er von den pari- 
patetikem entlehnt, so wenig wie ihnen war es ihm darum zu tun, 
den inhalt des folgenden Stückes zu erzählen ; was wir der art lesen^ 
sind erzeugnisse späterer zeit, die mit den mythographischen hand- 
büchern zusammengehören, es werden vielmehr nur ganz kurz und nur 
dem im allgemeinen unterrichteten verständlich die hauptereignisse der 
folgenden handlung bezeichnet'"), aufserdem folgt der litterarische nach- 
weis, ob und wo derselbe stoff von den beiden anderen tragikern oder 
auch überhaupt behandelt war^'). damit verband sich nötigenfalls eine 
erörterung über echtheit und integrität des vorliegenden dramas. sodann 
ward aus den Schriften des Aristoteles und seiner schule der auszug aus 
den amtlichen aufzeichnungen hingesetzt, welcher jähr fest erfolg con. 
currenten der ersten aufführung angab, zum teil nach denselben büchem 
ward eine aesthetische Würdigung gegeben, teils ganz kurz, wie z. b. von 
Euripides stücke erster und zweiter classe unterschieden werden, teils 
in ausführlicherer begründung, auch mit hinweis auf die älteren kritiker. 
endlich ersetzte die angäbe des ortes der handlung, der Zusammensetzung 
des chores und der person, die den prolog sprach, vollkommen ein per- 
sonen Verzeichnis, das nicht üblich und in der tat ganz entbehrlich war. 
nützliche gelehrsamkeit ward gelegentlich hier oder dort zugefügt ^^). die 
reihenfolge der teile ist in unserer Überlieferung nicht fest; auch kann 
man nicht alles mit gleicher Sicherheit auf Aristophanes zurückführen, da 
die grammatiker, welche nach ihm einzelne stücke herausgaben, auch an den 
Vorbemerkungen änderten"*^, und auch solche zusätze ihren weg in die 

38) Wenn ein stück ^oiviaaai hiefs, so war eine solche bemerkung in der 
tat angezeigt, wie er sie macht: imoTQareia ÜoXwsIkovs fierä, rcav ^A^yelcav ini 
ßijßae xal ändtXeia tBv d,SeX(p&v IloXvvelKOvs xai ^ErsoxXiovS xai -d'dvaros ^/oxd- 
anjSf und doch ist der ausdruck hier von einer redseligkeit, die den Überarbeiter zeigt, 
auch die vergleichenden bemerkungen forderten diese angaben, wie denn die Phoe- 
nissen fortfahren rj /uv&onoUa naQ Ala^iXa^ iv Enr inl &ijßae nXrjv rijs VoxdoTr^e, 

38") Diese notiz, na^* <yöSepi xtXroi ij fiv&onoUa, steht vor dem Orestes, dessen 
absonderliche erfindung diese besondere hervorhebung wol verdient. 

39) So steht über den Sprecher des prologs eine gelehrte notiz zum Aga- 
memnon; öfter sind auch reste der hypothesis in die schollen verschlagen, so am 
Schlüsse der Antigene imd am anfange des Philoktet über die euripideischen con- 
currenzstücke, zu Hek. 1 rä neQl UoXv^dvijv Motiv evQetv napd So^oxXet iv UoXv- 
^ivjj (so zu lesen), das aesthetische urteil über den Orestes steht zum teil auch 
am Schlüsse, auch die kritik des aischyleischen concurrenzstückes Ai. 134 dürfte 
aus der hypothesis stammen. 

40) So ist unsere hypothesis zum Bhesos geschrieben von dem welcher die 
echtheit des dramas behauptete, und der nahm dabei die auf, welche der von ihm 



Aristophanes von Byzanz. textkritik. 147 

publicirten texte fanden: schon Ovid hat unsere erhaltene hypothesis 
der Medeia, welche den Bhodier Timachidas^^) citirt, in seinem Euripides- 
exemplar gelesen *% um so deutlicher wird die macht des aristophanischen 
Vorbildes und die weite geltung dieser grammatischen sitte. 

Von den hilfsmitteln und der methode, welche Aristophanes für die Textkritik. 
recensio der tragiker zu geböte standen, wissen wir so gut wie nichts, 
texte der meisten dramen mufsten in grofser zahl in der bibliothek liegen, 
und die könige setzten ihr geld und ihre diplomatie dafür ein, dafs wert- 
volle handschriften, z. b. das lykurgische exemplar aus Athen, für Alexan- 
dreia gewonnen wurden*'), wenn wir bedenken, dafs Aristophanes in 
seinen Homertext sehr viele verse aufgenommen hat, die Zenodotos gar 
nicht geschrieben hatte und er selbst für unecht hielt, so dürfen wir uns 
nicht wundern, dafs so viel unechte verse in den dramen stehen, dürfen 
aber zugleich keineswegs glauben, dafs Aristophanes sich über dieselben 
immer getauscht hätte **). auch doppelte recensionen, die nicht selten sind, 
hat er erweislich zuweilen trotz richtiger einsieht aufgenommen**), wir 



bekämpfte grammatiker geschrieben hatte, der den Ehesos verwarf, dieser erst hat 
den Aristophanes benutzt. 

41) Tiinachidas war noch dichter, Verfasser eines vielbändigen epischen SelTtpov, 
glossograph und Verfasser von commentaren zur Medeia, den Fröschen und dem KöXa^ 
des Menandros (Et. M. [Sorb.] xa^aSoxw). seine zeit steht nicht fest; man möchte 
ihn in das 2. Jahrhundert setzen. 

42) Das hat Robert (Bild und Lied 231) sehr schön aus Metam. VEL 159—296 
ermittelt. 

43) Galen XVH 607. 

44) Z. b. Vög. 1343, ein vers, den andere mit recht gar nicht schrieben, in ganz 
interpolirter gestalt ist die letzte scene der Frösche überliefert, wo Aristophanes den 
trug, wie es scheint, gar nicht, Aristarch zum teil durchschaut hat. man wundert sich 
in der tat, dafs so üble dittographien und zusätze sich haben halten können ; leider 
finden sie jetzt sogar Verteidiger, zu streichen sind 1429, 1432, 1437 — 41, 1446 — 48, 
1452. 53 (1455. 6 ist abzuteilen ^10, nö&ev; fitael xäniara. AIS, rols novrj^oZs 
$ ^Serat; JIO, ov Sfjr ixf^ivrj /, dlXd XQTJTai n^6s ßiav. AIS,) 1462—66, 1478. 

45) Frö. 155; anders wird er es mit den sinnlos wiederholten versen in Eur. 
Medeia und Phoenissen auch nicht gehalten haben, gerade die existenz von ditto- 
graphien beweist in der griechischen wie in der römischen dramatischen poesie, dafs 
unsere Überlieferung auf die ausgäbe von gelehrten zurückgeht, welche die ver- 
schiedenen fassungen, die sie in den handschriften einzeln vorfanden, neben einander 
gerückt haben, denn nur das zusammenarbeiten der vorher gesonderten fassungen 
kann sie vereinigt haben, sehr oft wird ein kritisches zeichen zuerst gesetzt ge- 
wesen sein, hätten diese herausgeber die anmerkung als eine berechtigte eigentüm- 
lichkeit wissenschaftlicher schriftstellerei gekannt, so würde der gang der textge- 
£chichte ein ganz anderer geworden sein, würden übrigens z. b. auch Aristoteles ethik, 

10* 



148 Geschichte des tragikertextes. 

werden ihm auch dafür dankbar sein, denn sein bestreben war offenbar, 
mögliebst wenig von dem überlieferten umkommen zu lassen, und doch, 
liegt es in der natur der sache, dais sehr vieles unterdrückt werden mu&te^ 
nicht blofs einzelne lesarten, da ja die ausgaben keinen kritischen apparat 
enthielten, sondern verse und versreihen, wie hätte das gegenüber schau- 
spielerredactionen anders sein sollen ? wirklich hat Aristophanes die beiden 
unechten prologe des Bhesos ganz unterdrückt, so sehr wir also auch 
wünschen würden, mit dem apparate, der ihm zur Verfügung stand, selbst 
zu arbeiten, so dürfen wir uns doch dazu glück wünschen, dals der 
text, der für uns genau so wie im Homer auch im drama zunächst anzu- 
streben ist, der der Alexandriner, ein so vorsichtig festgestellter ist. auf 
die torheit, bei ihm stehen zu bleiben, ist glücklicherweise niemand ver- 
fallen, obgleich der schade geringer wäre als im Homer. 
Verteiiimg Eine gesammtausgabe würde ihren zweck verfehlen, wenn sie nicht 

durch eine feste Ordnung die erhaltung des gesammtbestandes der werke 
sicherte, wenn also z. b. die tragödien, weil eine jede für ein buch 
besser zureicht als ein gedieht von Stesichoros, vereinzelt publieirt wurden 
und vereinzelt blieben, tatsächlich haben denn auch die herausgeber aus 
diesen lediglieh praktischen rücksichten etwas unseren ^bänden* ent- 
sprechendes eingeführt, eine mittelstuf e zwischen der summe der werke 
und dem einzelnen stücke oder buche, wir sehen in der zeit des ent- 
falteten litterarischen lebens einzelne vielsehreibende schriftst^ler schon 
selbst dafür sorgen und ihre bücher in gruppen von 5 oder 10 oder wie 
viel ihnen beliebt zusammenfassen, die historiker Dinon von Kolophon 
und Deinias von Argos nannten das eine aijvra^ig*^). die werke des 
Chrysippos wurden ebenfalls in awra^eig gesammelt, doch wol schon 
bei seinen lebzeiten oder bald danach; denn lange konnten sich diese 
massen schlechtester prosa nicht halten, und der buchhandel blühte da- 
mals in Athen '*^). die ebenso ungeheure und unlesbare masse des Epi- 



in bände. 



politik, Psychologie ganz anders aussehen, und der Homer würde den hexaplarischen 
bibelhandschriften noch viel ähnlicher sein, als er es jetzt ist. 

46) ^(vmv Sv d r^inje avvrdleojs schol. Nik. Th. 613. ^eivias iv &' npe&Ttjs 
ovvrd^eoje, ixSöaecoe Sh Bevrigas schol. Eur. Or. 872. später kommt das wort ab. 
Erotian in der vorrede braucht es abwechselnd und gleichbedeutend mit ßtßXiov^ 
Anaximenes schliefst seine rhetorik mit der aufforderung, in der rede kx rrje Ti^oripas 
avvrd^ecoe yv/uvd^ea&ai, bezeichnet also sein werk damit, da ist es noch ganz gleich 
einem i^ Sv npörsgov avvrerd'j^ajufv, 

47) Lykon, gestorben 224, tibergibt seinen nachlafs einem Kallinos zur publi- 
cation in seinem testamente (Diog. V 73). wir ersehen aus demselben, dafs dieser 
mit dem peripatetischen schulhaupte befreundet und in Hermione heimatberechtigt. 



► 



Aristophanes von Byzanz. Verteilung in bände. 149 

kurischen nachlasses war auf ^tjIivöqol verteilt ^^). den des Antistbenes 
gliederte man nach röf^ot, den platonischen verteilte Aristophanes in 
TQtXoylav*^). das bei den Byzantinern gewöhnliche wort teüxog findet 
sich wenigstens in der augusteischen zeit für die Vereinigung von fünf 
büchern lyrischer gedicbte***). auch wenigstens für einen dramatiker 
ist die einteilung kenntlich. ApoUodoros von Athen hat die gedichte des 
bisher vernachlässigten Epicharm auf 10 röfiot verteilt, da nicht fest- 
steht, ob ApoUodor die umfängliche pseudepicharmische, epische und 
prosaische, litteratur aufnahm, ist nicht sicher zu sagen, wit viel stücke 
auf einen röfiog kamen; indessen führt die beste angäbe, 40 komödien, 
darunter 4 bestrittene'*), auf die tetralogie, und man darf sie als wahr- 
scheinlich betrachten*^). Porphyrios, der die angäbe über ApoUodor 
macht um seine enneaden zu begründen (vit. Plotin. 24), wuIste nichts 
mehr von röfiot der tragiker. aber wir werden nicht bezweifeln, dafs 

war. Lukian (advers. indoct 1. 24.) erwähnt die ßtßXioypd^ot Atticus und KaUinos 
als die verfertiger der schönsten alten bücher. der athenische verlag des Atticus 
*ist aus Ciceros correspondenz, die l/4mxiavd sind aus den grammatikem bekannt: 
Kallinos werden wir auch nicht zögern zu identificiren. 

48) Diogenes X 26. die einzelnen bücher können nicht gemeint sein, denn 
für sie wäre die zahl 300 viel zu niedrig: von Aristoteles zählt das hesychische 
Verzeichnis mehr als das doppelte, auch waren die bände Epikurs wie die des Livius 
besonders schwer (Seneca ep. 46, 1 Usener Epicurea 87). das tri^ auf die livia- 
nischen bücher nicht zu, erklärt sich vielmehr daraus, dafs er nach dekaden oder 
doch pentaden publicirt hatte, eine einteilung die unsere Überlieferung noch fest- 
hält, entsprechendes hat man für Epikur anzunehmen. 

49) Hier war die rücksicht mafsgebend gewesen, dafs Piaton zwei trilogien 
innerlich und formell verbundener dialoge verfafst hatte, da sich darunter der 
Staat als ein buch neben dem Kritias befand, war an gleiches gewicht der bände 
nicht zu denken, und Aristophanes hat denn auch kein bedenken getragen, die 
Epinomis neben die Gesetze, jedes als eine nummer, zu setzen. 

50) Erinagoras Anth. Pal. IX 239. das gedieht ist so zerstört, dafs man nicht 
sicher erkennen kann, was eigentlich die fünf bücher lyrische gedichte waren, einen 
sammelband mehrerer gedichtbücher erwähnt CatuU 14. 

51) Anon. de com, 3, der ausdrücklich die atp^öuevai angibt. 35 zählte vor 
ApoUodor der Pythagoreer Lykon. das harmoniert mit ApoUodor ganz gut. 52 bei 
Suidas ist dem gegenüber zu verwerfen. 

52) Daran ist nicht zu denken, dafs etwa 4 epicharmische komödien die länge 
einer attischen ausgemacht hätten, denn die dicke des bandes entscheidet über- 
haupt nicht, und wenn auch die siciUschen possen zweifeUos kürzer als die komödien 
waren, so ist ihre gröfse doch ganz unschätzbar, konnte sich übrigens, da das vor- 
waltende versmafs trochäische tetrameter waren, ja zwei ganze komödien aus ana- 
pa estischen tetrametem bestanden, in der schrift mögUcherweise ganz anders steUen 
als die summen der in unserer weise gezählten verse es ergeben würden. 



150 Geschichte des tragikertextes. 

ApoUodor der weise seiner lehrer folgte, dazu tritt nun ein wichtiges 
Zeugnis, ein bücberkatalog aus Athen (CIA II 992) zählt unt^r anderem 
euripideische tragödien auf; sie sind nach den anfangsbuchstaben der 
namen geordnet, doch so, dafs erst alle mit 2, dann alle mit Q, z/, 11, 
dann vier mit ^, einige mit E anfangende auf einander folgen, wir 
sehen also die Ordnung ytard GTOixetov, wie sie auch die zahlreich er- 
haltenen Verzeichnisse von dramen zeigen, aber in der eigentümlichen 
weise modificirt, dafs die mit demselben buchstaben im titel beginnenden 
dramen eine einheit bilden, diese einheiten aber nicht mehr die buch- 
stabenfolge des alphabetes inne halten, den grund der anomalie vermag 
man nicht wol zu erraten ; so viel aber ist klar, dafs die buchstaben nicht 
die TÖfxot bilden konnten, sonst hätten mehrere TÖf.iOL nur eine tragödie 
umfaTst. und da von w^, welches die meisten enthält, zwischen 11 und E 
vier tragödien eingezwängt sind, so liegt auch hier die tetralogie zum 
mindesten sehr nahe, und das mufste sie von vorn herein für den heraus- 
geber tun, der unter den aischyleischen dramen eine anzahl wirklich 
inhaltlich zusammengehöriger und zugleich gegebener tetralogien vorfand, 
von welchen z. b. der Prometheus*^) selbst nur den einen titel für die 
drei tragödien bot. man mag vermuten, dafs diese tetralogien zuerst 
als ein röfiog vereint blieben, wie sie wol zum teil auch überliefert 
waren, und dann bei Euripides und auch Sophokles'^), wo der inner- 
liche Zusammenhang fortfiel oder zurücktrat, ein compromiis zwischen 
dieser einteilung und der Ordnung nach dem anfangsbuchstaben getroffen 
ward, indessen bleibt das einzelne zunächst noch ganz unsicher; wichtig 
aber ist die erkentnis des einteilungsprincipes im ganzen, und sie wird 
sich später noch in wichtigen folgen bewähren"). 
Erklärung. Auch die reihe der commentatoren beginnt Aristophanes. daraus folgt, 

dafs er im Museion tragiker erklärt hat» ebenso wie auch epiker lyriker und 
komiker. denn für die älteste grammatik gilt noch ebenso wie für die 



53) Der erhaltene Prometheus stand in der ausgäbe, für welche schol. 511 
geschrieben ist, noch im verbände der trilogie, denn der Xvöftet'oG heifst rd i^ffs 
S^ä/ia. angeführt wird auch das dritte stück, 94. auch die erhaltene Orestie dürfte 
der Veranstalter unserer auswahl nicht erst selbst zusammengestellt, sondern im 
selben bände vereint gelesen haben. 

54) Auch von diesem stehen einige mit gleichem buchstaben beginnende tragödien- 
namen auf dem steine CIA 11 992. 

55) Zwei notizen scheinen darauf zu führen, dafs die tragödien auch eine 
laufende nummer führten, in der hypothesis der Alkestis rd $^äf.a inotrj&fj t^' 
und in der der Antigene .Xi^LexTai 8^ tö S'^ä/ua tovto T^taxoardv Seüre^ov: aber 
sie haben sich bisher jeder deutung entzogen. 



► 



Aristophanes von Byzanz. erklärung. 151 

peripatetiker die Wechselwirkung von mündlicher lehre und schriftstel- 
lerei ****): sie schreiben v7tOfzv7]f4aTa, und man schreibt sich nach ihren 
vortragen V7tof.ivi^fiaTa. proben von der conjecturalkritik des Byzantiers 
sind freilich zu den tragikern nicht mehr beizubringen, weil ihre schoben 
sehr viel dürftiger sind als die zu dem Athener Aristophanes. indessen ist 
doch an einer stelle so viel erhalten, dafs etwas wichtiges sich erschlieisen 
läfst. in den scholien zum Orestes ist ein VTtöfxvrjfxa des Aristophaneers 
Kallistratos benutzt, und da dieser einmal als gewährsmann für eine lesart 
seines lehrers angeführt wird^*'), so darf man auch die andern, eben auch 
in diesem drama allein häufigeren, Aristophanescitate*^^) auf die rechnung 
seiner vermittelung setzen, darunter ist nun eine sehr merkwürdige notiz. 
Aristophanes rechtfertigt eine lesart durch berufung auf Stesichoros, der 
die von Euripides gewollte Situation erkläre**), unzweifelhaft gehört ihm 
dann auch eine weitere stelle, wo ebenso Stesichoros die absieht des Euri- 
pides erläutert**), hier aber richtet sich die spitze der be merkung gegen 



55*) Für den betrieb der philologischen Studien in Alexandreia sind wir auf 
rückschlüsse angewiesen, da directe Zeugnisse fehlen, nun hat man ja das richtige 
aus der anwendung der kritischen zeichen, welche mündliche belehrung zur ergänzung 
fordern, aus den 'ÖTtojuvijuara und namentlich aus der nagdSoais, wie sie z. b. in 
betreff der aristarchischen yocabelerklärung fest steht, geschlossen, es ist aber doch 
sehr belehrend, auf dem gebiete der mathematik in einen esoterischen und exote- 
rischen schulbetrieb hineinzusehen, die vorreden, welche Apollonios von Perge 
seinen einzelnen büchern über die kegelschnitte vorausschickt, gewähren diesen ein- 
blick, und die tiefe und klare Würdigung, welche Zeuthen jüngst diesem werke hat 
zu teil werden lassen, wird dem philologen auch dann wichtig, wenn er dem mathe- 
matiker auf sein gebiet nicht zu folgen vermag, für diesen ist es kein geringes lob, 
dafs er, ohne kenntnis von den geschichtlichen bedingungen zu haben, die Verhält- 
nisse genau so gezeichnet hat, wie sie umfassende geschichtsbetrachtung kennen lehrt, 
von der leider die meisten philologen noch weit entfernt sind. 

56) 1038; aufserdem von Kallistratos 314 zeugnis für eine lesart, 434 eine 
aporie. Schlüsse auf seine eigene leistung und tendenz sind daraus nicht zu ziehen. 

57) 713 eine lesart; 489 ist nur noch der name da. er galt einer erklärung. 

58) 1287 (p. 214, 15 Schw.) Ido, yQdtpei *^ ixxex€o<po)VTai I/^pi?'* arifialvei yäq 
ort eis TÖ xäXXos 'üXivijs änoßliyjavTee Avenaiad^toi Mfisivav xal etaaav rA I/9P17. 
das erhält erst eine pointe durch die andere fassung (z. 6) dpa eis rd 'EXivijs xAlXos 
ßlixpavres otJx Äy^^jJaai'To roZs ^i^eaivx olov xal ErrjaixoQos 'önoy^dtpei xri. 

59) 269 Srrjai'^ÖQtp inöfievoe rö^a ^aiv a-ördv eiXijtpivai Ttapd ATtöXXojvoe, 
iSei o'Sv rdv "önoxQir^v Xaßövra ro^e^eiv' ol Sh vüv 'önoxgivöfievoi rdv ifpcoa 
atrovai /akv rd rö^a, ftii Sexö/^evoi Sk v^tjuarl^ovrai ro^eveiv, Stesichoros wird 
auch 249 zur erläuterung der fabel citirt und 46 bei besprechung des ortes, wo 
Euripides die fabel spielen läfst. es liegt nahe, auch diese stellen auf Aristophanes 
zu beziehen, indessen hat über die quellen des Euripides auch der kyklograph 



152 Geschichte des tragikertextes. 

die praxis der Schauspieler, wie sie zu zeiten des Verfassers auf der bühne 
in geltung war. und von dieser in keinen anderen scholien vorhandenen 
kategorie gibt es zum Orestes eine reihe bemerkungen, welche die gesti- 
culation*"), die sangweise®*), die neigung für entfaltung von pomp®*), die 
selbst vor einem einschube nicht zurückschreckende sorge für die eigene 
bequemlichkeit®^) an den schauspielern tadeln, das bestätigt sich weiter 

Bionysios gehandelt 995, vgl. 872. diese mythographische gelehrsamkeit wird man 
nicht trennen dürfen, auch das Verhältnis zu Homer gehört dahin, 39, 256. 

60) 643 ToÖTOv ^rjd'ivros at^ovaiv ot lönonQiTal rrjv X^t^a^ dts rov Meveldov 
dycaviQivros xri. ei^jj&ijg Si ioTiv [d] roiaünje inorplae dvriXafißavö/tevoe (^6 ) Mb- 
viXaos, das scholion ist auTser im Et. Gud. 79, 19 auch in den proleg. zu Hermogenes 
rV 7 Walz ausgeschrieben. 

61) 176 rovro rd /uiXoe inl raZG Xeyofiivais vtjraiS qSerai xal iariv d^i5raTov. 
Anld'avov o^v rrjv ^HXiaxQav d^siq fpotvQ xe^Q^ad'ai, xai ra€ra iTtmXijaaovoav 
T(j} %0Q(^, dXXä xixprjrai /uiv ral ö^et dvayxaicoe^ olxtiov yäQ r&v d'Qtivo^vrojVt 
Xenrörara 8ä ebs Mvi fidXiora, davon dafs des dichters absieht die oder die ge- 
wesen wäre, weifs der Verfasser nichts: nur die praxis, wie sie auf der bühne ist, 
kennt er. ganz so Bionysios, der de comp, verh, 11 den anfang desselben liedes 
zum beispiele wählt, j} t^dix^ Movaa . . . rä£ Xi^eis rats fiiXeaiv inoTdrreiv 
AiioXy . . . <dff . . . dfjXov ix töäv E'ÖQiTtiSov fieX&v & nenoirixe rijv ^B^Xixrpav Xiyovffav, 
Euripides hat Elektra die /uiXrj 'sagen lassen, den gesang schuf die (oStx^ Mo€aa, 
oder, wie Aristophanes sagt, sie werden so und so gesungen. — übrigens ist die 
stelle noch in anderer weise für die Schauspieler sehr merkwürdig, imsere hand- 
Schriften und scholien geben 140. 1 dem chore, wie wegen der responsion nötig ist. 
aber nicht nur Bionysios, sondern auch eine sehr gute anekdote von Kleanthes (Biog. 
IV 172) gibt sie Elektra; so war also die bühnenpraxis. dann können diese gewährs- 
männer aber v. 136 — 39 nicht gehört haben, denn das ist offenbar eine dittographie zu 
140. 1 ; ja wir vermögen nun erst die Verderbnis von 141 mit Elmsley sicher zu heilen 
(ju^ ^arto xt6 nos für (irj8* Marto xr^noe aus 137). die Schauspieler verhelfen ims hier 
also zur entfemung einer in den gelehrten texten befindlichen dittographie. was 
sie änderten, lief darauf hinaus, dafs der sänger erhielt was eigentlich dem chore 
gehörte, das begreift man leicht, aber auch die verse 135 — 39 sind auf der bühne 
entstanden, nur einer anderen: sie fordern entweder die beseitigung des chorliedes, 
oder doch seines anfanges, oder aber sie sind gedichtet, um den sinn der chorverse 
deutlich zu machen, als die musik in gewohnter weise die worte unverständlich 
gemacht hatte. 

62) ot5x ÖQ&ßs vvv noiovai nves rßv inox^irßv ng<p etano^svofiivrjv lijv 
^EXivrjv xai rd XdtpvQa. fijrdis ydQ avrrjv vvxrdg dneardX&ai ^aiv^ rd dk xard 
rd Spä/ua i^jue^tf awreletrai, man liefs also Helene während des prologes mit 
einem triumphzuge, beutestücken, sclavinnen etc. auf die bühne kommen, während 
der dichter sie bereits bei nacht, vor beginn seines Stückes, hatte kommen lassen 

63) Ber eunuch sagt 1369, er wäre der ermordüng entflohen xsSpojrd naardSmv 
'önkQ ri^a/iva ^coQixds re TQiyXi^ovSf also durch einen sprung vom dache, vorher 
gehen drei verse des chores, worin in üblicher weise das knarren der türe und 
heraustreten des Phrygers notificirt wird, das vorzügliche scholion hebt den wider- 



Die zweite periode der textkritik. 153 

dadurch, dafs bei einer zu zwei stellen anderer dramen angemerkten diffe- 
renz zwischen dem texte und der inscenirung einmal Aristophanes namhaft 
gemacht wird®*), es wird also kein vorschneller schlufs sein, wenn wir 
annehmen, dafs Aristophanes in das Schauspielhaus gegangen ist, um die 
tradition der bühne für die exegese des textes nutzbar zu machen®'^), es 
ist begreiflich, dafs der erste erklärer das tat: die folgezeit hat eine be- 
lebung der anschauung durch die bühne so wenig gekannt wie eine fort- 
gesetzte textverderbnis durch dieselbe °^*). auch hieran sieht man so recht, 
dafs Aristophanes eine neue periode eröffnet. j^.^ zweite 

Diese zweite periode der textgeschichte umfafst etwa drei Jahrhunderte, J^^ritik.^ 

Spruch hervor und stellt die sichere Vermutung auf, die drei verse wären von den 
schauspielern eingelegt otnves Xva >wj} xaxona&caaiv And rcov ßaadeicov ööficav 
xa&aXlö/uevoij na^avoi^avTes ixnoQeCovTai rd roü 0Qvyds M%ovr£S a%'^fia xai uqö- 
atonov. eine ähnliche interessante schauspielerinterpolation ist Aisch. Eum. 405. 
Aischylos in seiner einfachheit liels Athene von der Troas nach Athen durch die 
luft fliegen, ohne flttiche, aber so dafs sich flttichgleich die Aegis blähte, titf^cöv 
ärsQ ^otßSovaa xölnov atyidos, das genügte dem bedürfnis nach Sinnenreiz nicht 
mehr, das die spätere zeit zu befriedigen wufste, und schien wol auch der göttin 
nicht würdig, so fuhr Athene auf ihrem Streitwagen durch die luft auf die bühne, 
und dafür ward der vers eingefügt 7t t&XotG dx^aioiG rövS" kni^eiiaa ö%ov. 

64) Hipp. 172 Tovto aear}fieicoTai rip ^AQioroipdveif Sri xairot rcp ixxvxXfjuari 
X^e&^eros rd ixxofii^ovaa TtQoaid^xe TteQioaaJs, Alk. 234 ovx sül' xarä yäQ rijv 
vnöd'EOiv cbe Maco TiQitrTÖfieva Sei raüra &£co^e'ia&ai, die form dieser notiz ist 
entstellt, ähnlich wie die geringeren fassungen des Hippolytosscholions. die sache 
verhält sich so. man stellte die scenen so dar, dafs das ekkyklema zur anwendung 
kam, also die kranke Phaidra und die sterbende Alkestis im zimmer blieben, das 
ist der sache eigentlich allein angemessen, und deshalb glaubte Aristophanes den 
dichter tadeln zu müssen, der trotzdem beide male ausdrücklich angibt, dafs die 
kranken ins freie gebracht würden, wir werden natürlich umgekehrt urteilen, dafs 
Euripides ein ekkyklema nicht beabsichtigt hat und sich wol oder übel mit den 
Verhältnissen seiner bühne beholfen hat. aber ein heutiger regisseur würde gut tun 
lieber dem antiken collegen zu folgen als dem dichter, es liegt nahe die anweisungen 
für das spiel, die vereinzelt gegeben werden (Hipp. 215 tout d'accord avec madame 
Kachel, fügt Weil hinzu) auch auf Aristophanes zurückzuführen, natürlich nicht solche, 
wo der grammatiker durch ein tacas selbst eingesteht, dafs für ihn das drama nicht 
mehr auf der bühne existirt, schol. Soph. OT. 41. 80. 1297. auch wenn über das 
nmcostümiren geredet wird, ist die Verkehrtheit der bemerkung beweis genug, dafs 
das am Schreibtisch ausgedacht ist, schol. Soph. OT. 147, E. Phoen. 93. 

65) Über die bühnenwirksamkeit urteilt er in den hypothesen zu Orestes und 
Phoenissen ganz unbefangen, ohne seine gesunde kritik der dichtung dem gegenüber 
zu verleugnen. 

65*) Leo verweist mit recht auf den Donatcommentar zu Terenz, wo die rück- 
sicht auf die bühne noch viel deutlicher hervortritt, natürlich geht das auf sehr 
viel ältere erklärer zurück; Leo vermutet, auf Probus. 



i 



154 Geschichte des tragikertextes. 

vom fünften Ptolemaeer bis auf Hadrian, und läfst sich bezeichnen als 
die zeit des wirklich grammatischen Studiums, sie ist in ihrer Studien- 
richtung uns modernen vergleichbar, die beschäftigung mit den tragikern 
ist sehr rege und productiv an büchern, von denen aber sehr wenig auf die 
nachweit kommt, denn ein commentar verdrängt den andern, eine special- 
ausgabe die andere, das verdienst dieser zeit liegt auf dem gebiete der 
kritik lediglich in der conservirung des aristophanischen textes und der 
Sicherung des Verständnisses, so weit es die einzelnen worte und sätze 
des dichters angeht, tieferes eindringen in die kunstwerke ist fast nirgend 
vorhanden, und selbst der versuch wird nicht häufig gemacht, die con- 
jecturalkritik hat so gut wie gar nichts gutes geleistet, würde aber viel 
verdorben haben, wenn ihre einfalle bestand gehabt hätten. 
Aristarch. Neben Kallistratos, den die Verehrung für seinen meister in die hef- 

tigste fehde mit Aristarch verwickelte, wird man diesen vor allem als 
erklärer tätig zu sehen erwarten, sein schüler Dionysios Thrax sagt, er 
hätte die ganze tragödie auswendig gekonnt*®), und dafs er v7tof.ivT^^a%a 
verfafst hat, steht fest, aber es ist nicht nur so gut wie gar nichts er- 
halten, man spürt auch nichts von seinem einflufs, oder doch nichts was 
den tragikern nützte, denn dafs wir seine homerischen doctrinen nicht 
selten in den scholien der tragiker vorgetragen finden, nützt für das 
Verständnis der vorliegenden stellen nicht das mindeste, oder was läge 
daran, dafs wir lernen, Homer unterscheide im gegen satze zu den attikern 
O'ÖTdoaL und ßaXetv^''); und gar die mythographische erudition würde 
ganz zu gründe gegangen sein, wenn die aristarchische mode durchge- 
drungen wäre, blofs den unterschied der v€d)T€Qoi vom TtoirjT'^g einzu- 
schärfen*®), gewifs wird Aristarchs besonnene exegese auch hier sehr 



66) Et, M. ^toviiaios ö(>a|. das vnöfivrjtta ytvxoi^yov Aiox^^ov citirt schol. 
Theokr. 10, 18. 

67) Schol. Andrem. 616, Hipp. 683, Ar. Ach. 345. 

68) Z. b. schol. Hek. 3. 4. 1279. eine anzahl solcher stellen ist gesammelt in 
der sonst unbrauchbaren arbeit von Barthold de scholiorum in JSur. fontihiLS Bonn 
1864 p. 12. ganz ähnliches findet sich auch in den Pindarscholien, Hom de Ar. 
stud. Findar, Greifswald 1883, p. 76. vereinzelt findet sich auch eine solche be- 
ziehung auf Aristophanische lehren; Phoen. 886 und Tr. 44 (zu lesen asarj/neicorcu 
ibe [xai cod.] ftrjxiri, avTfjs oixovf/evrjs) beziehen sich auf seine homerischen arbeiten, 
auf seine nagoiftiai schol. Soph. Ai. 746, auf seine U^sts Phoen. 684, häufig wird 
sein avyysvMÖv stillschweigend berücksichtigt, z. b. Hipp. 634 Alk. 988 Pind. Ol. 
9. 96 : aber dies buch ist bis in byzantinische zeit in gebrauch gewesen und von den 
lexicographen reichlichst ausgenutzt, also konnten solche bemerkungen jederzeit 
aufgenommen werden und für die tragikercommentare des Aristophanes beweisen 
sie gar nichts. 



Aristarch. lÖTCÖ/ivrjfta zum Ehesos. 155 

viel gutes haben stiften können, und die einzige stelle^ wo sein name 
erscheint^"), zeigt ihn auch als den Verteidiger des wahren, entsprechend 
steht es im Pindar; aber ebenda ermiist man leicht die schranken seines 
könnens. die vollkommene anistoresie, die für seine philologie charakte- 
ristisch ist, rächt sich empfindlich, so hat er im Aristophanes, wo seine 
eigentümlichen Vorzüge sich noch weniger entfalten konnten, nur wenig 
geleistet, und auch die tragiker haben von ihm und seinen nächsten an- 
hängem wenigstens keine kenntliche förderung erhalten. 

Unsere Überlieferung über die leistungen der einzelnen ^grammatiker 
des zweiten und ersten Jahrhunderts ist aber überhaupt so dürftig, dafs 
wir von keinem einzigen benannten manne eine Vorstellung gewinnen 
können, es hilft wenig, dafs Krates ein par mal genannt wird'®), Tima- 
chidas zur Medeia einige scharfe Zurechtweisungen erhält^*), Parmeniskos, 
dieser ein Aristarcheer, in irgendwelchen büchern textkritische und exe- 
getische fragen zu Rhesos, Troerinnern, Medeia behandelt, und ein und 
der andere name, vorzüglich in aporieen, genannt wird^*). sehr viel deut- 
licher als aus diesen zerstümmelten einzelheiten lernt man, was die antike 
philologie leisten konnte, durch zwei VTtofivT^fiaTa, die zwar anonym 
bleiben, aber dafür in ihrer ganzen art kenntlich sind, das eine ist ein 
commentar zum Bhesos, den citaten nach aus dem ersten jahrh. v. Chr.ji'^^^g^/'« 
wol dem angehenden, welcher den nachweis liefern wollte, dafs dieses 
drama unecht wäre, das verschob sich, wie es zu gehen pflegt, zu dem 
versuche, das stück als an sich schlecht zu erweisen, wodurch der rich- 
tigen tendenz nur abbruch getan ward, jetzt erscheinen die kritischen 
bemerkungen verzettelt als erklärungen zu kritischen zeichen ; aber es ist 
nicht zu sagen, ob sie als solche niedergeschrieben sind, denn das ganze 



69) Zu Ehes. 540. denn Alk. 1154 ist der name aus ^AQiOTorihjs verdorben, 
wie Harpokration s. v. rergag^fO' lehrt. 

70) Zum Ehesos mufs er ein ^nö/uvtjfia verfafst haben, sonst in einem ^ijrijjua 
Phoen. 208. über Parmeniskos Eobert Eratosth. 229. 

71) Zu Med. 1 Tiuaj^l$ae dyvotjaaSf 167 T, inl rä n^öxet^a näaiv ive^&elSy 
hier wird er mit mythographischer gelehrsamkeit bekämpft, und da Didymos den 
Parmeniskos in ähnlicher weise 273 zurückweist, auch den Apollodoros von Tarsos 
148, 169 citirt, so werden wir ihm alle diese citate verdanken. 

72) Darunter sind einige, über die man gar nichts vermuten darf oder mag. 
Aischines, E. Or. 12, 1371, welch letztere stelle wenigstens den Anschein hat, als 
suchte er den von Aristophanes gerügten widersprach zu beseitigen. Praxiphanes, 
S. OK. 900, der unmöglich der bekannte schüler des Aristoteles sein kann, Hellanikos, 
S. Phil. 201, der allerdings höchstens ein Herodoterklärer sein könnte und von Schrader 
{de not. crit. 27) für den Zenodoteer gehalten wird, aber es ist wol eher irgend ein 
misverständnis oder autoschediasma, und der historiker gemeint. 



Eol. 



156 Geschichte des tragikertextes. 

ist nicht im originale erhalten, sondern nur durch einen commentar, 
welcher sich die Widerlegung der behauptungen des älteren, doch wol 
höchstens 100 jähre älteren, gelehrten zur aufgäbe gestellt hatte, die er 
mit minderem Scharfsinn, aber auch nicht ohne wertvolle, wenn auch meist 
aus handbüchern geborgte, gelehrsamkeit zu lösen versucht, diesen com- 
mentar wieder hat der redactor unserer scholien, die noch dazu sehr 
stark verstümmelt in einer einzigen wenig zuverlässigen handschrift 
(Vat 909) erhalten sind, ausgezogen und mit seinen ungelehrten er- 
klärungen vermischt, trotz alledem ist dieses bild eines antiken philo- 
logenkampfes sehr wol kenntlich und in seiner art ziemlich so interessant 

, . wie das object selbst"). 

samOidipns Noch wertvoller ist durch die fülle seltener gelehrsamkeit ein vTtd- 
livriiia zu dem Oidipus auf Kolonos, auf welches die hauptstücke der scho- 
lien dieses dramas sich zurückführen lassen, die von den übrigen scholien, 
nicht blols den sophokleischen, sondern allen tragikerscholien abstechen, 
es ist das allerdings schon eine compilatorische arbeit, denn sie setzt eine 
gröfsere zahl von VTCOiiVTHiatiodiiBvoi voraus, die sie ursprünglich 
gewifs genauer citirt hat, als es in dem jetzigen verstümmelten auszuge ge- 
schieht'*), der Verfasser lebte nicht vor dem anfange der kaiserzeit'*), aber 
auch schwerlich später; denn die richtung seines interesses stimmt zu 
den damaligen auf das attische altertum gerichteten von dem atticismus 
angeregten Studien, und die art der wesentlich material häufenden gelehr- 
samkeit hat an den arbeiten des Theon eine vollkommene parallele, wie 
dieser den ApoUonios ausschlieislich nach der mythographischen seite er- 
läutert hat, so daTs das object unter der fülle des herbeigeholten Stoffes fast 
verschwindet, und nur die frage nach den quellen des ApoUonios die 
erklärung des dichters wirklich angeht, so werden hier die attischen alter- 



73) Der nähere nachweis in meinem programm de Ühesi scholiis (Qreifswald 
1877) geliefert. 

74) 388, wo der yerf asser ihnen gegenüber einen kritischen zweifei äufsert. 
er hat richtig erkannt, dafs Sophokles die Orakelsprüche erfunden hat, welche seine 
handlung ermöglichen. Dazu gehören 457, 1156, 1181. femer werden die lÖTrajun^fita' 
nadfisvoi 681 genannt, wo der yerfasser im gegensatz zu ihnen eine andere, übrigens 
falsche, mythologische erklärung versucht, die eine teztänderung im gefolge hat. 
1375, wo er stolz ist, etwas bisher ganz vernachlässigtes zu erklären ; es ist mytho- 
graphisch; 900, wo es sich um eine antiquarische glosse handelt, und 390, wo ein 
altes wort (eHaoioi) erklärt wird, die bemerkung über die lesart der handschriften 
gehört nicht zu dem hypomnema, sondern hat für didymeisch zu gelten. 

75) 56 wird Lysimachides citirt, der gegen Caecilius von Kaiakte schrieb 
(Ammon. s. v. &e(o^ös). 



•bnöfivrifjia zum Oidipus Kol. Didymos. 157 

tümer und localitaten und culte an dem drama erläutert, welches dazu 
besonders reiche gelegenheit bot, und daneben wird allerdings auch 
wenigstens die frage gestreift, in wie weit Sophokles frei erfunden habe, 
dabei fehlt dem Verfasser allerdings das beste, die eigene anschauung von 
Attika, so dafs er stark in die irre geht^"). als zusammengehörig lassen sich 
nun freilich nur die inhaltlich verwandten stücke erkennen, und nicht mit 
völliger Sicherheit lassen sich Sacherklärungen auf denselben Verfasser be- 
ziehen, die nur in der erudition verwandt sind, dagegen ist ganz klar, dafs 
textkritik und worterklärung, das eigentlichste grammatikergeschäft, für 
diesen gelehrten ganz so wie für Theon nebensache sind, für solche dinge 
erscheint in den scholien ein par mal der name des Didymos''), der denn 
auch seiner Studienrichtung nach nicht der Verfasser dieser arbeit sein 
kann, der zeit nach aber auch nicht ihr benutzen vielmehr hat ein spä- 
terer, der welcher unsere Sophoklesscholien redigirt hat, neben Didymos 
für dieses drama ein anderes vrcö^vrjiia in die bände bekommen und 
excerpirt. 

Da ist denn der name des Didymos gefallen, der für die, welche Didymos. 
scholien nur von ferne kennen, so ziemlich mit dem identisch zu sein 
pflegt, was sie in ihnen gut finden ; das schlecht befundene wird dem ano- 
nymen scholiasten aufgebürdet, der sich alles gefallen lassen muTs. Didy- 
mos ist eine zeit lang stark überschätzt worden ; jetzt hat sich eine laute 
und beachtenswerte stimme erhoben, welche ihn kurzweg für einen dumm- 
kopf erklärt, das lehrt in Wahrheit, dafs man im banne der Aristarcho- 
latrie zu keinem gerechten urteil kommen kann. 

Es ist ausgemacht, dafs wir von Didymos die schrift über Aristarchs 
Homerausgabe besitzen, aber so gut wie nichts von seinem Homercom- 
mentar; wenigstens ist bisher nichts mit Sicherheit auf ihn zurückge- 
führt, und es wird auch nur in der Überarbeitung durch jüngere, wie 
Herakleon und Epaphroditos, vorliegen, es ist weiter ausgemacht, dafs die 
hauptmasse des gelehrten materiales in den Pindarscholien, sowol was die 
excerpte aus älteren erklären wie was das historische angeht, ihm gehört. 
Symmachos, der Verfasser unserer Aristophanesscholien, hat ihn ausgiebig 

76) Wer Athen kennt, kann ein Pythion, das am wege zwischen dem Kolonos 
and Theben liegt, nicht bei Marathon suchen, zumal wenn der Aigaleos erwähnt 
wird, an dem das Pythion yon Daphni liegt, so tut aber unser mann 1047. 

77) 156, 237, 763: ihn geht ganz offenbar das textkritische an, in dem sinne, 
dafs der redactor dieses wesentlich bei ihm fand, und die aesthetischen und exege- 
tischen scholien, welche denselben Charakter tragen wie die zu den andern dramen 
des Sophokles, wird man ihm auch ohne zögern zuweisen, mit dem -önöfirivfia ver- 
mischt sich das fast nie. 



A 



158 Geschiclite des tragikertextes. 

benutzt, und z. b. an den Vögeln kann man seine komikererklärung gut 
Studiren. von seinen arbeiten für die redner steht nicht wenig bei Harpo- 
kration. einzelne minder zusammengestrichene proben seiner eignen dar- 
stell ung finden sich hie und da, z. b. bei Athenaeus. das buch 7t€Qi kvQt- 
xcDv fcoLTjTQv wird sich vielleicht inhaltlich einigermafsen herstellen lassen, 
wenn auch wol nur in Überarbeitung durch Dionysios. an material ge- 
bricht es also nicht um die wissenschaftliche persönlichkeit zu erfassen, 
für die tragiker steht es minder günstig, indessen hat man doch längst 
bemerkt (zuerst wol Lehrs), dafs unsern Sophoklesscholien als letzte grund- 
lage der commentar des Didymos gedient hat, wenn man auch feste um- 
risse für seinen anteil an dem erhaltenen nicht ziehen kann, und so viel be- 
stimmte einzelheiten, wie durch Symmachos erhalten sind, hier nicht mehr 
zu constatiren sind, das allgemeine was man erfafst ist erstens, dafs Didy- 
mos wesentlich das kritische material der früheren generationen sammelt 
und verwertet: das entspricht der tätigkeit die er an Homer oder vielmehr 
Aristarch wendet, zweitens besorgt er das eigentlich grammatische ge- 
schäft der exegese^ und hier bedauert man am meisten, dafs sich so wenig 
anhaltspunkte für die ausdehnung seiner arbeit finden, dafs dabei die 
glossographische erklärung besorgt ward, steht anderweitig fest, ob ihm 
aber die mythographische gelehrsamkeit gehört, scheint sich bisher weder 
bejahen noch verneinen zu lassen, denn damit dafs er sie zuweilen heran- 
zieht, wo es eine besondere Schwierigkeit zu lösen gilf^^), ist für die haupt- 
masse dieser scholien noch nichts bewiesen, ganz besonders aber tritt in dem 
commentar zu allen Sophoklesstücken eine starke verliebe für diesen dichter 
und seine kunst zu tage in scharfem gegensatze zu Euripides. und da 
nun in dessen scholien die feindliche kritik zuweilen sicher didymeisch 
ist, so wird mit vollem rechte in dieser tendenz etwas für Didymos be- 
zeichnendes gesehen, am deutlichsten ist es in den scholien zur Andro- 
macbe, wo man auch bemerken kann, dafs Didymos an das aesthetische 
urteil des Aiistophanes ansetzte^®), eine gleiche tendenz läfst sich auch in 

78) Vgl. anm. 71. auch die homerischen scholien liefern vereinzelte belege dafür. 

79) Von dem urteil des Aristophanes ist nur der anfang erhalten, in welchem gelobt 
wird der prolog, die elegie der Andromache (zu lesen «^ 8 k xai rd iXeyela für iari d, x), 
die reden der Hermione an diese, die Intervention des Peleus. da das drama r&v dev- 
riQcüv ist, mulste starker tadel folgen, zu welchem der zweite teil herausfordert; über 
ihn ist nichts mehr erhalten, aufserdem ist im ersten die haltung der Andromache und 
des Menelaos übergangen, in den scholien polemisirt 32 gegen die tpai^Xioe v7io/ivr}fia- 
Tiadftevoi^ die dem Euripides vorwerfen, er hätte komische motive, eifersucht und 
weibergezänk, eingeführt, was herzlich albern abgewehrt wird. 229 wird die haltung 
der Andromache als TiaQä rä n^öacona xai roifS xai^oi^g getadelt. 329 ebenso, und 



Didymos. 159 

den Troerinnen®*^) erkennen, und obwol die anhaltspunkte schwach sind, 
darf man wol dem allgemeinen eindruck folgen und den grundstock der 
scholyn zu diesem drama, wie auch den der noch dürftigeren zur Hekabe 
für Didymos in anspruch nehmen**), daran ist bei der Medeia nicht zu 



dabei steht Jßvfios fiifdtperai roirois, 362 ebenso und wieder wird Didymos ge- 
nannt. 885 führt sich Orestes mit motiven ein, die Euripides allerdings erfunden 
hat: ^iSv/ios Bi <pij<n ytevSrj ravra ilvai xai äniara, 1077 tadelt Didymos, recht 
kleinlich, einen ausdruck, den er für eine schlechte nachahmung Homers hält, danach 
wird man ihm auch 616 den tadel zutrauen, wo in dem Vorwurf ov8k T^md'sie ijld'es 
ix TQoias ein ^agä rrjv laroQ^av gefunden wird, weil Menelaos von Pandaros ge- 
schossen ist; es folgen zwei Xiiaei.:, die eine auf dem misverstandenen aristarcheischen 
unterschiede von rir^t&oxeiv (oi^Td^eiv) und ßdXkeiv beruhend. 1241 wird genau notirt, 
in wie weit die von Euripides gegebene sagenform bei Pherekydes bestätigung findet, 
der rest wird gescholten BUxpfvarai, man wird soweit mit Sicherheit gehen dürfen, 
den tadler überaU in Didymos zu finden, den also sein gegner ipa^iXms vnofitnj- 
ftariad/iavos nennt, zumal der tadel mit der hypothesis in harmonie ist. aber man 
möchte weiter gehen. 733 wird als TiaTaavxofpavrftv rdv EvQinidi^v abgewiesen, 
dafs einige hier (wie auch 445, wo wieder die hypothesis in ihren verlornen didas- 
kalischen teUen benutzt ist) an tendenziöse beziehungen auf die Zeitgeschichte dachten, 
die ivtoi scheinen doch dieselben mit den <pavlo}S -öno/uvriuanadfiEvot, d. h. Didymos. 
und femer wird das nagd ttjv laxoqlavy wie 885 und 1077 von Didymos, auch 24, 
224 aufgeworfen, und die befolgte sagenform öfter belegt, darunter 18 mit tadel der 
vfdiTcQotf und die Verwandtschaft mit schol. Find. Nem. 3, 81 ist hier deutlich, und 
796 wird andererseits benutzung des Pindar angenommen (vgl. oben s. 25). das 
alles möchte man einem zuschreiben, und das wäre dann Didymos: aber die conse- 
quenzen dieses Schlusses scheinen zur zeit noch zu grofs, als dafs das fundament 
sie trüge: denn dann würde er der sein, welcher das mythographische in diese 
scholien gebracht hat. obwol ich das glaube, habe ich im text die frage ganz offen 
gelassen. 

80) Genannt ist Didymos nur für die richtige erklärung eines katachrestisch 
gebrauchten wertes (1079, auch bei Hesych erhalten), man ist gewöhnt auch noch 
eine zweite (1175) auf ihn zurückzuführen, weil viele lezikographen sich mit ihr 
berühren (Ael. Dionys bei Eust. 907, 40 Phot. Hes. xynoSj schol. Thuk. n 62 u. a. m.): 
jedenfalls spricht die alte gelehrsamkeit dafür, da selbst Eratosthenes citirt wird, der 
den Eui'ipidesvers in seinem buche über die komödie besprochen hatte, auch 1176 ist 
in Wahrheit sehr gelehrt und geht auf Apollodor zurück (Athen, n 66). die tadelnde 
kritik ist aber genau dieselbe wie in der Andromache, und es sind noch viel mehr 
bemerkungen erhalten, 1, 14, 31, 36, 209, 448, 630, 906, 943, 975, 1010, 1049, 1057, 1129, 
und da hierin die sitte des Euripides Öfter notirt wird, so darf man auch stellen 
wie 628, 989 dahin ziehen, wo sprachliche lieblingswendungen von ihm angemerkt 
werden, überhaupt sind diese scholien besonders einheitlich: was nicht paraphrase 
ist, scheint einem zu gehören, auch die mythographischen dinge, so weit sie nicht 
in den schon berührten scholien stehen, berühren sich mit Andromache und Hekabe ; 
doch das liegt vielleicht lediglich am Stoffe. 

81) Genannt wird Didymos viermal für kritisch exegetisches 13, 736, 847, wo 



160 Gesehichte des tragikertextes. 

denken^ wo sich dagegen eine reihe einzelner angaben finden, die ganz be- 
sonders geeignet sind, die textkritik des Didymos kennen zu lehren : hier 
nennt ihn auch die subscriptio. die Phoenissen setzen auch einei^com- 
mentar voraus, der die kunst des Euripides scharf angriff, und beschäftigt 
hat sich Didymos auch mit diesem stücke**), allein selbst wenn er jener 
tadler gewesen sein sollte, so würden wir doch nicht mehr viel von ihm 
haben: denn der umfängliche erhaltene commentar gehört in seinem 
hauptteile ersichtlich einem Verteidiger, die scholien zu Orestes*^) und 
Rhesos, von denen schon gehandelt ist, und die zum Hippolytos tragen 
vorwiegend einen abweichenden Charakter. 

Mag tieferer forschung auch noch viel zu ermitteln übrig sein, so ist 
dies doch genug, um über die art des Didymos und sein verdienst um 
die tragikerkritik ein urteil zu gewinnen, allerdings hat er selbst keinen 



er zugleich den dichter verkehrt tadelt, 1029. ein tadel des dichters in der bekannten 
weise steht 241, 254, 280, 825, 898, 1068, 1219, und auch das lob 342 gibt sich selbst 
als ausnähme; 825 ist der tadel jetzt durch eine Verteidigung ersetzt, aufserdem 
wird Didymos 887 für ein sprüchwort genannt, das könnte aus seiner Sammlung 
genommen sein, was dann immerhin beweisen würde, dafs das scholion älter wäre 
als die auszüge, welche dieses werk seit hadrianischer zeit verdrängten, aber es 
ist natürlicher, dafs Didymos sich in dem commentar ebenso vernehmen liels wie 
in dem buche, zudem ist die erklärung aus Herodot gezogen und dasselbe geschieht 
auch 1199, wo kein sprüchwort vorliegt, aufserdem ist für diese scholien charak- 
teristisch eine neigung antiquarisches detail zu erläutern, die ^gya ^aiSdleia 838, 
mit reichen komikercitaten, die sehr selten in diesen scholien sind, der attische 
peplos 467, mit demselben materiale, die tpvlXoßoXiay mit benutzung von Erato- 
sthenes nsgl atofdcpdlaSj die dorische tracht 934, wo aufser einem langen Durisfrag- 
mente Anakreon citirt wird, was ebenso für ein wort 361 (vgl. 943) geschieht: auch 
das ist sonst selten, alles fällt in die Studiensphäre des Didymos. einen durch- 
schlagenden beweis liefert es allerdings nicht : aber im gründe sind der anhaltspunkte 
doch mehr, als die, auf welche Lehrs und seine nachfolger die abhängigkeit der 
Sophoklesscholien von Didymos aufgebaut haben. Hek. 1267 und Alk. 966 hat der- 
selbe commentirt : aber das hilft nicht weiter, denn ein selbstcitat liegt nicht vor, 
und die Alkestisscholien sind so traurig zugerichtet, dafs sie keine Schlüsse mehr 
gestatten. 

82) Phoen. 1747 eine exegetische bemerkung; 751 eine aesthetische. Euripides 
lehnt die nennung der einzelnen kämpferpare ab, Didymos meint mit recht, dafs das 
geschehe, weil er die concurrenz mit Aischylos vermeiden wolle, aber dafs in den 
Worten SiarQißij nolXrj liysiv i%d'Qöiv lön* a'örots r£l%saiv xad^/iivcov eine hämische 
kritik des alten meisters liegt, hat er übersehen: so ist ihm eine gute gelegenheit 
zum tadel entgangen. 

83) Behandelt hat er aus diesem mindestens eine frage, das ägfiAreiov fiilos 1384,. 
erhalten im Et. M. aber hier ist die fülle von erklärungen auf uns wenigstens nicht 
durch ihn gekommen, sondern er ist einer der vielen, die ein späterer zusammenstellt. 



Didymos. 161 

anspruch auf einen hohen rang als erklärer oder kritlker. me natürlich, 
macht er hier denselben eindruck wie zum Pindar und Aristophanes. be- 
sonderer Scharfsinn ist nirgend zu loben, arge Verkehrtheiten sind nicht 
selten, verglichen mit den proben, die er von älteren erklärern gibt^ mag 
man ihm aber einen gewissen gesunden sinn zugestehen, was methodische 
textkritik ist, ist ihm wol überhaupt nicht aufgegangen; seine minutiöse 
reconstruction der aristarchischen textausgabe könnte das vermuten lassen, 
aber abgesehen von der schulsuperstition, die nicht wenig mitwirkte, mufs 
man ohne zaudern zugestehen, dafs Aristonikos ganz anders die aristar- 
chische consequenz begriffen hat und ein besserer zeuge (nur nicht e silentio) 
ist als Didymos. nicht besser bewährt er sich, wo er selbst textkritisch 
vorgeht, bezeichnend ist in der tragödie vor allem das was er von den 
schauspielern erzählt, dafs sie die textverderber sind, weifs er offenbar 
von den älteren erklärern, aber er hat von ihrer tätigkeit weder eine klare 
Vorstellung, noch gibt er sich die mühe, die vorwürfe, die er gegen sie 
richtet, zu beweisen, er braucht die Schauspieler vielmehr, wie man hübsch 
gesagt hat '*), so wie moderne kritiker den sciolus magistelltcs, den proter- 
vus interpolator, als deus ex machina um kritische knoten zu durchhauen, 
wenn er sie nicht lösen kann. 

Trotzdem hat Didymos zwar keine epochemachende, aber doch eine 
eminente geschichtliche bedeutung. er hat die ergebnisse der älteren 
kritisch exegetischen arbeit zusammengefafst und auf die nachweit ge- 
bracht, die zeit für wirklich schöpferische gelehrte war längst vorbei: 
die griechische nation producirte keine talente mehr, die weiter zu denken 
fähig waren; das höchste was geleistet ward, war die erhaltung des Schatzes 
der älteren leistungen. aber dem was die zeit verlangte hat Didymos und 
hat überhaupt die grammatik der augusteischen zeit, neben ihm vornehm- 
lich Theon*^ und Seleukos"), genug getan, und die anf orderungen der 

84) Bruhn litcuhr. Eurip, 250, dessen verdienst es ist, die Vorstellungen über 
Schauspieler und sehauspielertexte von antiken und modernen fabeln gereinigt zu 
haben. 

85) Die persönlichkeit des mannes ist schwer zu fassen, da der name so sehr 
gewöhnlich ist. aber die verbreitete ansieht scheint richtig, dafs der söhn des Ari- 
stophaneers Artemidoros, der Zeitgenosse des Didymos, und der herausgeber der 
Odyssee, und der der vornehmsten alexandrinischen dichter identisch sind; von anderem 
minder wichtigem, z. b. der berufenen Xi^ig xatuDtTJ, zu schweigen. 

86) Dieser hofgelehrte des Tiberius, tätig noch unter Claudius, beginnt, seit 
Maafs die persönlichkeit identificirt hat (Phil. ünt. III 33), in seiner grofsen bedeutung 
mehr und mehr anerkannt zu werden, aber für die tragödie kommt er gar nicht in 
betracht. 

y. Wilamowitz I. 2. Aufl. H 



162 Geschichte des tragikertextes. 

zeit waren in der tat neue, die alexandrinische bibliothek, die grundlage 
der dortigen philologie, war vernichtet. Alexandreia hörte auf residenz zu 
sein und verlor die leitende Stellung in den geisteswissensehaften. auch 
die grammatik muiste sich in Kom eingewöhnen, hier lagen die Ver- 
hältnisse anders, ein wissenschaftliches institut wie das Museion fehlte; 
die esoterische lehre des meisters, der schillern, die wieder gelehrte 
werden wollten, seine Weisheit vortrug, hatte keine statte mehr; wissen- 
schaftlicher betrieb, wie ihn Aristarch geübt hatte, war unmöglich, denn 
wenn das auditorium fehlte, das sich die kritischen zeichen erläutern liefs, 
so fehlte auch für die detailbehandlung der aristarchischen hypomnemata 
das publicum : es sei denn daTs man sich auf den engsten kreis der zunft 
beschränken wollte, wie es Probus seiner zeit getan hat®**), vielleicht der 
einzige wirkliche philologe, den die Römer hervorgebracht haben, so mögen 
es auch von den Griechen die besten, wie Aristonikos, gehalten haben, die 
Sprachwissenschaft ist ihrer natur nach auf engere fachkreise angewiesen, 
doch empfand jetzt jeder stärker das bedürfnis, die spräche theoretisch zu 
erfassen, der als grammatiker sein brot verdienen wollte; denn viel mehr 
als früher mufste er die spräche selbst lehren, so erhielten diese Studien in 
Tryphon einen bedeutenden®^), daneben in anderen leuten wie dem Aska- 
loniten Ptolemaios immerhin unverächtliche Vertreter, im publicum aber 
waren die, welche für die classische poesie interesse hatten und kenntnis 
von ihr nehmen wollten, nicht weniger, sondern viel zahlreicher geworden, 
und entsprechend bedurften sie stärkerer beihilfe. die aristophanischen 
texte genügten dafür längst nicht mehr, auch um 200 v. Chr. werden 
die s. g. gebildeten vieles im Sophokles nicht verstanden haben, aber 
sie bildeten sich's doch ein und würden eine erklärende ausgäbe weg- 
geworfen haben, wie jetzt die s. g. gebildeten den anspruch erheben 
Schillers gedichte zu verstehen und sich entrüsten, wenn sie ihnen 
einer erklären will, in der augusteischen zeit, wo die rhetoren einge- 
standen^ dafs sie zum Thukydides ein lexikon und einen commentar 
brauchten, hatte sich das geändert, zum teil wirklich deshalb, weil die 
weit aus dem zeichen des barocco in das des classicismus getreten war. 



86«) Sueton de gram. 24: hk non tarn disdpulos quam sectatores aliquot 
habuitj numquam enim ita docuit ut magistn personam sustineret u. s. w. 

87) Tryphon wird auch in der lexikographie noch eine grofse Bolle spielen, 
genauer geredet, er ist ein Hauptautor für die späteren onomastica. da er zugleich 
mit Vorliebe von Herodian ausgeschrieben und compilirt wird, bietet ein aufsuchen 
seiner reste gute Chancen : denn die sorgfältige arbeit von Yelsen gibt nur die nament- 
lichen citate. 



Didymos. r^ayixrj Xä^is, 163 

und also nach den classikem verlangte, die bestrebungen der römischen 
litteratur, die am reinsten und reifsten in Horaz sich verkörpern, wirkten 
auf die ganze cultur des Weltreichs ein, und die umkehr auf dem rhe- 
torischen gebiete war schon älter, von der theorie Pergamons schon um 
100 gefordert, seit 60 mit entschiedenem erfolge. 

Auf diesem gebiete, der pflege der attischen kunstprosa, schien etwas 
neues nötig zu sein, denn exegese des Demosthenes oder Thukydides hatte 
man in Alexandreia nicht getrieben, was Didymos aber leistete, commen- 
tare und lexika, war gleichwol keine neue production, sondern nur Samm- 
lung, wesentlich auszüge aus historikern, antiquaren, peripatetikern, und 
für das sprachliche aus den schätzen der älteren lexikographie, wie sie 
Aristophanes selbst begründet hatte®*), und aus den so überaus reichen 
arbeiten, die der komödie gewidmet waren: diese ein Wirkung zeigen die 
rhetorischen lexika auf jeder seite. wie viel mehr konnte man für die 
erklärung der classischen dichter sich mit dem vorhandenen begnügen, 
die schätze waren da, nur ausgemünzt muTsten sie werden, es bedurfte 
keines productiven geistes, höchstens geschickter auswahl, und dann eines 
eisernen Sitzfleisches, und das besafs ja Didymos. wir wollen ihm aber 
auch gerne den rühm zugestehen, dafs er die Veränderungen in der form 
der litterarischen production vorgenommen hat, die wir nun bemerken, 
obwol wir richtiger nicht den einzelnen mann, sondern die zeit dafür 
verantwortlich machen. 

Didymos hat ein grofses lexikon geschrieben, in welchem er den r^ayiw^ 
Sprachschatz der tragödie zusammenfafste , so weit dieser für die gebil- ' 

deten seiner zeit der erklärung bedurfte, es liegt in der natur dieser 
aufgäbe, dafs das lexikon wesentlich aus den erklärungen der gedichte 
genommen war, und andererseits, dafs es fortan für die erklärer das 



88) Neben den drrixai Xe^eis (welche sich als eine art Vorstufe der atticis- 
tischen lexica betrachten lassen, obwol sie in ganz anderem sinne angelegt waren, 
nämlich nur als eines der dialektischen Wörterbücher, nicht als fundgrube schöner 
floskeln für den praktischen gebrauch) war die specialarbeit ne^l r&v Soxoi&vrcav 
fjiil ci^fja&ai toZs &Qxa£ots sowol in der zeit des Caecilius wie in der des Phrynichus 
ein sehr erwünschtes buch; deshalb sind auch von ihr excerpte erhalten, natürlich 
hatte sie nicht antiatticistische tendenz, sondern war eingegeben von der kritik, mit 
welcher schon Eratosthenes (schol. Frö. 1263, vgl. Phot. e^&i) Avxeiov) den %pevddz- 
Tixa zu leibe gieng. die trefflichen männer wuTsten, dafs die litterarische falsch- 
münzerei im schwunge gieng: die falschen dialoge Piatons, die falschen reden des 
Demosthenes, Lysias u. s. w., selbst falsche komödien wurden verfertigt und ver- 
kauft: das dritte Jahrhundert hat die fälschungen erzeugt, die jetzt wieder zu origi- 
nalen zu machen mode ist. 

11* 



i 



164 Geschichte des tragikertextes. 

nächstliegende hilfsbuch ward: das gelehrte material der scholien, soweit 
es lexikalisch ist, deckt sich mit dem der lexika. es liegt eben in der 
natur der sache, daTs ein lexikon umgeformt und ausgezogen und er- 
weitert wird, so lange der betrieb der Studien lebendig bleibt, es mag 
in einem solchen noch so viel individuelle arbeit stecken (was hier schwer- 
lich der fall war): sie verflüchtigt sich bald, und die nachweit nutzt nur 
den gebotenen stofl. es ist also nicht zu verwundern, dafs des Didymos 
TQayiyLij Xi^ig selbst sehr bald durch spätere arbeiten, aus den bänden 
der leser verdrängt ward, mochten sie auch meist nichts tun als sie epi- 
tomiren. mit recht nimmt man an, dafs die lexikalische gelehrsamkeit, 
die auf uns gekommen ist, soweit sie die tragödie angeht, wesentlich 
Didymos verdankt wird, das nächste Jahrhundert nach ihm trieb die 
lexikographie noch lebhaft und häufte den stoff bis zur völligen Unüber- 
sichtlichkeit, als die unten eingehender dargestellte wandelung in der 
griechischen cultur eintrat, in der zeit Hadrians, kam das epitomiren auf, 
und ein wahrscheinlich an sich recht geringwertiges machwerk, das lexikon 
des Diogenian, behauptete sich schliefslich als hilfsbuch für die classische 
und auch die nachclassische poesie so gut wie allein, es kam auf die 
Byzantiner, ward immer weiter verdünnt, und erhielt zum entgelt gering- 
haltige oder ganz wertlose Zusätze in masse. bis gegen 1000 hat das lexikon 
Diogenians noch bestanden, dann wendet sich das interesse der Byzantiner 
von den lexikalischen werken ab, den etymologika zu. die wertvolleren hand- 
schriften, die wir von lexicis haben, sind meistens älter als das 12. Jahr- 
hundert, auch meist unica^**): ein Diogenian ist zufällig nicht darunter, 
auch ein unicum ist die handschrift, welcher wir das lexikon des Hesychius 
verdanken, und in diesem steckt, allerdings vermischt mit sehr viel wert- 
losem oder doch fremdartigem, durchgehends in der späteren weise, die 
auch wir befolgen, die aber dem altertum fremd war, umgeordnet nach 
der buchstabenfolge durch das ganze wort, endlich entsetzlich verkürzt, 
verstümmelt, verschrieben, also im jämmerlichsten zustande, aber es 
steckt wirklich der Diogenian darin, und so ist dieses buch trotz aller 

88*) Auch wo wir scheinbar eine fülle von handschriften besitzen, wie von 
den lexicis des Harpokration und des Erotian, liegt es in Wahrheit so, dals ein einziger 
text bis auf das 14. Jahrhundert erhalten war, der uns nur verloren ist, und den 
herzustellen die nächste aufgäbe der recensio ist. allerdings repräsentirt in älterer 
zeit beinahe jede neue abschrift eine neue redaction, und selbst in späterer zeit geht 
das fort, man denke sich, dafs von dem Harpokration von Cambridge eine abschrift 
genommen wäre : dann würden wir die jetzt am rande befindlichen glossen (den jetzt 
fälschlich so genannten Cl. Casilo) aufgenommen und ein ganz neues werk lesen, 
das gewils viele für einen "^plenior Harpocraüoi* erklären würden. 



r^aytxij Xiiis, Bcholien. 165 

unbill, trotzdem dafs der Schreiber der handschrift lüderlich, Hesychius 
ein gänzlich stupider geselle, und Diogenian ein blofser compilator ge- 
wesen ist, unschätzbar, auch die r^aytx)) li^tg des Didymos kann man 
sich in ihrer ungeheuren glossenfülle nur nach den tragischen glossen 
des Hesych vorstellen; die einzelnen aber muls man sich statt in hesy- 
chischer magerkeit so stattlich denken, wie etwa Athenaeus eine glosse 
abhandelt, oder wie eine probe des Didymos es tut, die sich zufällig bei 
Macrobius (V 18) erhalten hat. nicht blofs den drei tragikern, und zwar allen 
ihren dramen, galt das lexikon, es umfafste auch die andern namhafteren 
des fünften Jahrhunderts; jüngere allerdings nicht mehr, es erläuterte 
ihren vocabelschatz so, dafs keines weges blofs die glossematischen worte 
vorkamen, sondern auch leichtverständliche compositionen und ableitungen, 
die nur eben der gewöhnlichen spräche fremd waren, es gab für sehr viele 
einzelne verse die erklärung, so dafs also der individuell gefärbten be- 
deutung eines sonst geläufigen wertes gedacht ward, es zog gelehrsam- 
keit aller art heran: natürlich aber all dies ohne consequenz, wie denn 
eine erschöpfung des materiales über die kräfte nicht nur eines menschen 
gegangen wäre, es ist nicht zu bezweifeln, dafs auch hier, wie wir es 
für die komödie beweisen können, im wesentlichen auszüge aus den vor- 
handenen commentaren die bausteine waren, mit denen Didymos ein in 
seiner art grofsartiges und abschliefsendes werk errichtet hatte, wir 
aber besitzen nur den schatten, der uns lehrt was wir verloren haben, 
die Wörter, die noch den namen der tragödie oder wenigstens des dichters 
tragen, reihen wir in die fragmentsammlung ein, ohne dafs sie selbst 
uns sehr viel hülfen, denn sätze sind nicht mehr viel erhalten, noch viel 
mehr können wir als adespota tragica führen; aber dieser gewinn ist 
dürftig, auf die erhaltenen dramen kann in einem werke, das mehrere 
hundert berücksichtigte, ohne dafs man eine bevorzugung einzelner wahr- 
nähme, nicht sehr viel kommen; die torheiten derer, die die Hesych- 
glossen mit gewalt in unsere texte interpoliren , überführt schon allein 
die Wahrscheinlichkeitsrechnung, fast überall bestätigt sich nur die Über- 
lieferung unserer handschriften, ein par mal wird sie berichtigt, was aber 
der wiederholte epitomirungsprocefs von der erklärung übrig gelassen 
hat, ist selten noch geeignet uns etwas zu übermitteln, das wir nicht selbst 
finden könnten, so sind die tragischen glossen des Hesych an praktischem 
werte nicht entfernt mit den dialektischen zu vergleichen ; aber von dem 
werte der T^aytx^ ^i^tg dürfen wir deshalb nicht gering denken: die 
gröise kann man auch am schatten messen. 

Hand in hand mit der lexikographie gieng die abfassung von com- SohoUen. 



166 Geschichte des tragikertextes. 

mentaren oder rielmehr von commentbten ausgaben, und dies war das 
neue und wichtige, in der tat, wenn die schule und die mündliche 
Unterweisung für die gelehrte schriftstellerei nicht mehr mafsgebend sein 
konnte, das publicum aber mit den textausgaben nicht mehr auskam, so 
war diese lösung von selbst geboten, dafs Didymos nicht blofs VTtofxvij- 
fnara über die tragödien (und sonstigen dichtungen) schrieb, sondern 
auch texte gab, lehren die scholien ganz deutlich, die sich auf seine les- 
arten und ausgaben berufen"), das fortleben und die Umgestaltung seiner 
commentare und texte führt ebenfalls darauf, dafs beides mit einander 
überliefert ward, sein buch über die aristarchische ausgäbe ist ohne 
Homertext kaum zu denken; dies war denn freilich eine streng gelehrte 
arbeit, aber die ausgaben sind für das weitere publicum mit berechnet 
gewesen: es sind mit einem worte texte mit scholien gewesen, die aus- 
stattung der dichtertexte, wie wir sie in unsern handschriften finden, ist 
auf diese zeit zurückzuführen: in der mitte der metrisch abgeteilte text, 
mit zeichen, metrischen und kritischen, wol nur obelos und kreuz, x^^ 
oder arjfielov genannt, und den erklärungen dazu am rande, der aufer- 
dem noch bemerkungen zu einzelnen stellen aufnahm. 

DaTs diese ausstattung der bücher wirklich in guter zeit üblich gewesen 
ist, hat man lange nicht glauben wollen ; allem reden ist aber ein ende ge- 
macht, seit wir ein stück eines solchen buches besitzen, den Alkmanpapyrus, 
den die palaeographen möglichst hoch hinaufrücken, da er in seinen scho- 
lien den grammatiker Pamphilos citirt, so kann er, wenn man sich nicht 
durch die annähme einer homonymie retten will, nicht älter als aus der 
zeit der flavischen kaiser sein, aber das beweist auch genug, und eine 
reihe anderer erwägungen tritt hinzu, der poet Valerius Flaccus hat, 
als er die Argonautica des Apollonios bearbeitete, die mythographische 
gelehrsamkeit benutzt, die noch heute in unserer handschrift steht, der- 
selben, welche Aischylos und Sophokles mit ihren scholien enthält, sie 
nennt als quelle unter andere selbst den Theon. also vor Valerius Flaccus 
war jene erlesene gelehrsamkeit für den Apollonios zusammengetragen: 
in der tat, man kann den schlufs nicht abweisen, dafs Theons scholien 
an dem rande der Apollonioshandschriften schon zur zeit der Flavier 
standen®"). Germanicus, wahrscheinlich auch Ovid, haben die scholien 
des Arat, die wir besitzen, auch schon neben dem gedichte benutzt®*). 



89) O. K. 237 Ant. 45 Ai. 1225 Hek. 13 Med. 379, u. a. 

90) E. Schwartz de Dionysio Scytohrachione 34. 

91) Eobert Eratosth. catast. 29. so schlagend wie die dort yon mir angegebene 
benutzung derselben scholien durch Ayien ist es nicht, allein die ganze benennung 



Schollen. 167 

belehrender noch als die römischen dichter sind die grammatiker. von 
Horaz ist sehr früh eine ausgäbe gemacht worden, in welcher die ge- 
dichte Überschriften erhielten, in denen sicherlich die namen der adres- 
saten aus vorzüglichster kenntnis und bezeichnungen der dichtgattung 
(propempticon, paraeneticon u. dgl.) aus vorzüglichster griechischer theorie 
standen, wahrscheinlich aber auch bemerkungen über die quellen, wo 
solches angezeigt schien^'), dies mag man noch für ein analogen der 
aristophanischen hypothesen erklären, aber wenn wir zu einer mytho- 
graphischen bemerkung, die in Wahrheit auf Apolloniosscholien zurück- 
geht, lesen traditur haec historia de Äristaeo in corpore Ärgonautarum 
a Varrone Ätacino (Prob, zu Verg. georg. I, 14), so ist eine ausgäbe des 
Varro mit scholien deutlich bezeichnet, von der in jenen scholien noch 
mehrere spuren sind^^). später als im ersten Jahrhundert ist Varro gewifs 
nicht commentirt. aber auch die praxis der vornehmsten römischen gram- 
matiker deutet darauf, dafs sie scholien schrieben, wenn der Berytier 
Probus die kritischen zeichen der Aristarcheer übernahm^ und daneben 
erklärungen von ihm reichlich angeführt werden, so hat er die bemer- 
kungen zu den zeichen aufgeschrieben; ein schulbetrieb wie der zu Ari- 
starchs zeit bestand eben nicht mehr, am wenigsten für den einsamen 
Berytier. auch zeigen unsere Vergilscholien, zumal die Veroneser im 
vergleich zu dem commentare des Servius, dem bei Macrobius ausgezognen 
und den s. g. Zusätzen zum Servius, genau dasselbe Verhältnis wie die 
griechischen scholien, nur dafs das material reicher ist: es ist ein ström 
der erudition, der bald dünner wird, bald neue Zuflüsse erhält, wie es 
bei der fortpflanzung von scholien geht, und nichts spricht dafür, dafs 
in den ersten Jahrhunderten der betrieb der Studien andere formen hatte, 
als mindestens vom dritten ab. und die Vergilscholien (von denen die 
zu Lucan und Statins nur späte ableger sind) führen unmittelbar auf 
die Griechen, denn sie hängen ja ganz ersichtlich von den scholien zu 
Homer Arat Theokrit^*) Lykophron und anderen ab: niemand versteht 

der Sternbilder aus der sage geht auf diese doctrin zurück, die am natürlichsten in 
Aratscholien niedergelegt gedacht wird. Manilius im letzten buche und das gedieht 
des Columella geben weitere ausbeute. 

92) Die kurzen bemerkungen über Alkaios Pindaros Bakchylides zu Carm. I 
10, 12, 15, die quelle der Ars poet. u. s. w. hat Porphyrie natürlich vorgefunden, und 
da sie ganz ohne citate geblieben sind, so machen sie den eindruck eines kurzen 
Vermerks im stile der hypothesen. auch sie möchte man nur der allerbesten zeit 
der römischen grammatik zutrauen. 

93) Georg. H, 136, HI 6. 

94) Selbst die prolegomena, die wir in den Theokritscholien lesen, werden in 



168 Geschichte des tragikertextes. 

mit diesen reichen schätzen zu wirtschaften, der sie nicht fortwährend 
mit einander vergleicht und als einheitliche masse betrachtet, ganz deut- 
lich aber ist, dafs diese befruchtung der römischen Studien im ersten 
Jahrhundert schon stattgefunden hat: sie verfügt über einen reichtum, 
von welchem die nächste periode schon weit entfernt ist. 

Nun würde es freilich verkehrt sein, wollte man bestreiten, dals 
randnotizen, auch gelehrten inhaltes, den älteren handschriften fremd 
gewesen wären, die scholien, welche Simplicius in der Parmenideshand- 
schrift vorfand, die er benutzte, sind in sehr früher zeit, wol nicht nach 
dem 3. Jahrhundert vt Chr., beigefügt, die scholien zu den briefen Epi- 
kurs, welche Diogenes mit dem texte aufgenommen hat, sind verfafst, 
als die fülle der epikurischen werke noch gelesen ward: das ist in der 
kaiserzeit nicht glaublich, die parallelstellen, welche wir in den dichtem 
vorfinden, die zusätze, welche unzweifelhaft einzeln in Xenophons Kyro- 
paedie Anabasis Hellenika stecken, stammen vom rande; auch die hypo- 
thesen des Aristophanes sind ja etwas ähnliches, aber es ist doch noch 
ein unterschied, in der kaiserzeit ist der text mit scholien eine legitime 
form des buches, ist er die legitime form der gelehrten erklärung. 
Mythogra- I^ diesen scholien, und zwar zu allen classikern, und bei Griechen 

phie. ^jj^ Körnern gleichermafsen, findet sich eine überaus reiche und ge- 
lehrte mythographische schiebt. Alkman und Lucan, Homer und Statins, 
Aischylos und Lykophron, alle zeigen reste derselben ungeheuren sammel- 
gelehrsamkeit. und ebendieselbs finden wir in den compendien vor, die 
wir freilich erst in sehr jungen fassungen unter den gleichgiltigen, um der 
berühmtheit ihrer längst vergessenen träger willen gewählten namen Erato- 
sthenes Apollodoros Hyginus besitzen, und dieselbe gelehrsamkeit sehen 
wir mit verschweigung ihrer herkunft von den litteraten auf den markt 
gebracht, von Tansanias und Aelian und Athenaeus, wo man sich nicht 
wundert, aber auch schon von Diodor. ja, es ist die einleuchtende Ver- 
mutung ausgesprochen, dafs Ovid die stofie seiner Metamorphosen zum 
teil aus dieser selben quelle hat®^). dafs Theon für die scholien zu den 
Alexandrinischen dichtem und dadurch für die römischen scholien der 
hauptvermittler gewesen ist, erkennt man wol. auch Pamphilos kommt 



naivster weise zu prolegomena der vergilischen Eklogen umgeformt, erhalten in 
den Probusscholien, Bemerscholien und bei Diomedes HI. die Wissenschaft fordert 
dringend, dafs die anlehen, welche die römische grammatik bei der griechischen ge- 
macht hat, zurückgezahlt werden: die scholien nicht nur der Alexandriner, sondern 
selbst die Homerischen, werden dann ein anderes ansehen gewinnen. 
95) Bethe de Diodori lib. IV (Göttingen 1887), p. 97. 



Mythographie. 169 

stark in betracht^). man kennt auch ein par namen von Sammlern, 
wie Lysimachos, der für die Euripidesseholien stark benutzt ist, und den 
bisher sehr dunklen Kyklographen Dionysios. aber die forschung, welche 
erst vor kurzem begonnen hat, durch die bearbeitung dieses gebietes für 
die mythographie ein fundament zu schaffen, kann sich bisher nicht mit 
namen oder festen Zeitbestimmungen hervorwagen, nur das allgemeine 
ist aufser allem zweifei, dafs schon im zweiten Jahrhundert v. Chr. die 
Sammelarbeit begonnen, im folgenden fortgesetzt ist, und dafs die zeit 
der Didymos und Theon mit der Überführung der gelehrsamkeit in die 
commentare und handbücher beginnt, auch wol noch zusätze macht, 
aber seit 100 n. Chr. fast nur noch epitomirt wird, entsprechend der 
bildung der zeit, welche den grund legte, ist die classische tragödie, die 
damals noch den leuten geläufig war, wenig berücksichtigt; dagegen wird 
die ganz entlegene litteratur, nicht oder nachclassische tragiker, sogar 
dithyrambiker, herangezogen (was dann zuerst beseitigt wird), aber Ale- 
xandriner sehr spärlich®'), vor allem aber die masse der epen, welche 
nicht mehr als echt homerisch und echt hesiodisch galten, und die eigent- 
lichen mythographen. somit lernen wir nicht so viel für die verlornen 
dramen wie wir möchten, wol aber das beste was uns zugänglich ist für 
die archaische litteratur, mittelbar also für die quellen der tragiker. sehr 
viel weniger wert hat die darstellung der sagengeschichte, zu welcher 
als wie zu einem texte die Varianten hinzugestellt wurden, wie wir sie 
bei Diodor, dann in den compendien und jüngeren scholien lesen: 
hier wird gegeben, was wirklich die vulgäre fassung war. dies sind 
vrcoS'iöeLg vergleichbar den tales from Shakespeare oder Schwabs Sagen 
des classischen altertums. uns kann eine erzählung der Argonauten 
nach ApoUonios, der Oedipussage nach Sophokles König Oedipus und 
Euripides Phoenissen wenig helfen: aber wo uns die originale fehlen, 
nehmen wir doch auch hiervon mit dank kenntnis, und als gradmesser 
für die popularität der gedichte wird es sogar sehr bedeutend : nur wenige 
dramen haben so wie die eben genannten und z. b. Antiope Bakchen 
Hippolytos Iphigeneia Andromeda durchgeschlagen, z. b. sind die Ante- 
und Posthomerica immer auf grund von auszügen der homerischen epen. 



96) Oder de Antonino Liberali (Bonn 1886) p. 26. 

97) Diese bestandteile werden diakritische bedeutung erhalten, denn es gibt 
Partien, welche von ihnen so gut wie ganz frei sind, während andere voll davon 
sind, ein haupt- und grundwerk, Apollodoros negi d'eSvy hat die jungen dichter, 
selbst Nikandros, nachweislich benutzt; von Lysimachos ist es unwahrscheinlich, 
ähnlich wird man in den glossenerklärungen operiren können. 



170 Geschichte des tragikertextes. 

die Heraklessage auf grund der mythographen erzählt worden, mochte 
auch für einzelne episoden ein drama, wie der Herakles des Euripides, 
die Trachinierinnen des Sophokles, sich einschieben, existirt haben auch 
nacherzählungen einzelner dramen, vielleicht in Sammlungen, wie wir sie 
von dem dichter Parthenios und Antoninus Liberalis besitzen, und sie 
haben in der späteren zeit, als man die dramen nicht mehr las, ihre 
bedeutung gehabt, sind uns natürlich sehr erwünscht*'), aber in der 
grammatischen litteratur stehen sie auf der niedrigsten stufe. 

Die lebhaftigkeit und die ausdehnung des interesses, welches die 
sagen um die augusteische zeit fanden, zeigt sich durch nichts greifbarer, 
als durch ihren einfluTs auf die bildende kunst. denn lediglich dieses 
interesse hat die industrie der tabulae Iliacae und was damit zusammen- 
hängt erzeugt, diese, die besser tabulae Homericae heifsen, wie sie ihr 
verfertiger Theodoros genannt hat, und die famesische apotheose des 
Herakles gehören ganz und gar mit den mythographischen arbeiten zu- 
sammen, dafs die tragödie auch einen solchen plastischen niederschlag 
gefunden hat, haben erst die letzten jähre gelehrt, in Tanagra sind 
mehrere tönerne becher mit relief gefunden, auf denen scenen aus Ilias 
und Iliupersis, der raub der Helena durch Theseus in ganz neuer form 
und endlich eine reihe scenen der aulischen Iphigenia des Euripides dar- 
gestellt sind, diese mit der inschrift EdQLTtldov '[(piyevelag^). lehrt uns 
dieses auch nichts, so nährt es doch die hofihung. 

Die mythographischen arbeiten, so wertvoll sie sonst sind, haben 
für die textkritik keine bedeutung. die reste der TQayiyti^ ^i^tg würden 
sie haben, wenn sie nicht so jämmerlich verstümmelt wären; doch be- 
zeugen sie immer noch die ausdehnung der grammatischen tätigkeit über 
das ganze gebiet der tragödie. dieses selbe lehrt ein anderes feld der 
Überlieferung und ermöglicht zugleich eine controUe unserer handschriften 
in sehr ausgedehntem mafse: die anthologien. die sitte, aus den dichtem 



98) Es scheint, dafs die rhetorenschulen sich ihrer bedient haben, wenigstens 
haben wir durch späte rhetorische bücher die hypothesen von Auge Peirithoos Sthene- 
boia erhalten, die späten scholien zu Aristides verfügten über die des Protesilaos. 
die des Syleus stand in dem oben s. 112 erwähnten litteraturgeschichtlichen buche, 
die annähme aber, dafs in späterer byzantinischer zeit eine solche Sammlung noch 
bestanden hätte, hat keinen boden unter den füfsen. 

99) *£!^/u. d^X' 1884, 59. 1887, 67, 197. die arbeit ist roh, die inschriften 
teils unleserlich, teils auch falsch, in der Iphigeneia sind die scenen unvollständig, 
von derselben art scheint ein bruchstück eines gefäfses in London, das sich auf die 
Phoenissen bezieht, Classical Review n 327. alles zeigt einen zustand vergleichbar 
den ilischen tafeln: das einzelne exemplar ist immer nur ein excerpt. 



Mythographie. 171 

auszüge zu machen, von moralischem gesichtspunkte und zunächst für den 
Jugendunterricht, stammt aus dem vierten Jahrhundert: die elegiensamm- 
lung, die nach Theognis heilst, ist der älteste beleg, die tragiker und 
zumal den sentenzenreichen Euripides für die moralische paraenese aus- 
zunutzen ist auch schon im vierten Jahrhundert begonnen und hat nie 
aufgehört, aber wir hören nichts von florilegien in der zeit des alter- 
tums, noch weniger von leuten, die sie verfertigen, es ist das ja auch 
ein sehr untergeordnetes geschäft und keine litteraturgattung , die in 
ehren steht; um so mehr wird sie gebraucht, wir besitzen erst die 
kleine Sammlung des Orion und dann die grofse des Stobaeus aus der 
allerletzten zeit des altertums: aber es hiefse die ganze textgeschichte 
auf den köpf stellen, wollte man annehmen, dafs diese leute ihren poe- 
tischen Stoff selbst gesammelt hätten, sie haben dafür lediglich vorhandene 
florilegien ausgeschrieben, und dafs solche, und zwar dieselben, welche 
Stobaeus vorlagen, schon im 2. Jahrhundert n. Chr. vorhanden waren, 
lehrt ihre benutzung durch Clemens von Alexandreia und Theophilos von 
Antiocheia. Clemens ist ein Schriftsteller, der die gepflogenheiten seiner 
zeit, das erheucheln einer profunden gelehrsamkeit und verstecken der 
sehr trivialen handbücher, aus denen sie stammt, aus dem gründe versteht: 
aber wer da weiTs, wie viele und seltene dichterstellen bei Clemens und 
Stobaeus übereinstimmend stehen, wird keinen äugen blick über die Ur- 
sache dieser Übereinstimmung in zweifei sein. Theophilos ist ein plumper 
plebejer: bei ihm liegen die ganzen reihen vor"°). in diese gesellschaft 
waren also unter kaiser Marcus die florilegien geraten, wo man doch weder 
die verse verstand noch sich um die Verfasser kümmerte, wie viele Jahr- 
hunderte früher sie angelegt waren, stehe dahin: aber an nachchristliche 
zeit zu denken verbietet die geschichte der antiken bildung. wir haben 
also die citate bei Stobaeus und seinen ausschreibern *°^) oder mitaus- 
schreibern als eine spätestens in der zeit des Didymos von den dichter- 
handschriften abgezweigte Überlieferung anzusehen, für die so eine äufserst 
wertvolle controUe erwächst, dies wird zwar beeinträchtigt durch die un- 

100) Der wichtige nachweis ist durch Diels, Rh. M. 30, geliefert. Diels setzt 
das urflorilegiam in das 1. Jahrhundert y. Chr., zwar auf einen ungenügenden anhält 
hin, aber in der sache hat er sicherlich recht, die analyse wird, sobald die Über- 
lieferung des florilegiums festgestellt sein wird, sehr vieles mit Sicherheit ermitteln 
können, bisher ist für die classische litteratur nichts brauchbares geschehen. 

101) Alle Byzantiner hängen von Stobaeus ab, abgerechnet solche die ledig- 
lich aus erhaltenem schöpfen und eine gesonderte Überlieferung haben, diese sind 
aber wertlos, so z. b. ein euripidisches gnomologium in einer Yenediger handschrift, 
Ritschis Acta VI 333. 



172 Geschichte des tragikcrtextes. 

gemeine Verderbnis, welche den text des Stobaeus heimgesucht hat, dessen 
Überlieferang zudem bisher nur ungenügend bekannt ist. längst ist auch 
bemerkt, dafs die Veranstalter und benutzer des urflorilegiums, teils um volle 
verse zu erhalten, teils um die äentenzen für ihre zwecke abzurunden, mit 
dem texte, den sie vorfanden, willkürlich umgesprungen sind, das beein- 
trächtigt aber nur den wert der Varianten, welche Stobaeus liefert : wo er 
mit unsem handschriften stimmt, liegt ein Zeugnis dafür vor, dafs die verse 
zu Didymos zeit ebenso gelesen worden sind, und da nicht bestritten wird, 
dais dies in der überwiegenden masse der fälle, auch der fehler, statt- 
findet, so hat man wenigstens für die Überlieferung der texte von Didymos 
zeit bis auf uns das allergünstigste ergebnis anzuerkennen, für Euripides 
speciell kann man noch mehr wissen, denn trotz der Verwahrlosung durch 
die ausschreiber und anordner läfst sich nicht verkennen, dafs zu den 
quellen, sei es des urflorilegiums oder der mittelsmänner oder des Stobaeus 
gar (dies schwerlich), ein florilegium aus Euripides gehörte, das neben dem 
aus allerhand dichtem, unter denen natürlich der beliebteste tragiker nicht 
fehlte, ausgezogen worden ist. dieses nun hat die gesammtausgabe excerphl;, 
die stücke sind also nach den anfangsbuchstaben ihrer titel geordnet, das 
florilegium war sehr umfangreich, und die excerptoren liefsen also sehr 
vieles fort: so ist es zu erklären, dafs aus den dramen mit A besonders 
viele bruchstücke bei Stobaeus stehen, viele auch aus denen mit O : aber 
die mitte des alphabetes ist schwächer, einzelne buchstaben kaum ver- 
treten^®*), ähnlich geordnete excerptenreihen begegnen sonst nur ver- 
einzelt, aber eine solche reihe aus Euripides ist doch noch erhalten*®^), 
natürlich möchte man sehr gern die oben ermittelte abweichung von der 
alphabetischen Ordnung in folge der bandeinteilung bei Stobaeus wieder- 

102) Z. b. Ö, Grjasije bei Stobaeus nur in einem unsicheren falle, 0viarrjs 
dreimal, wozu gleich drei bei Orion kommen, der anders excerpirt hat. K, Kqe- 
a^övrrjs dreimal (und einmal ohne titel), K^rjaoai fünfmal, KQrjree gar nicht, AiKi6- 
uvioe gar nicht, dagegen hatte man 0olrti elf (in Wahrheit noch mehr), 0^i^os 
zehn, und gar AtoXos 21, ^Ali^apSgos 18, ^Alaurjvr} 13 u. s. w. die rechnung ist 
nur ganz obenhin angestellt, weil sie auch so genügt. 

103) Ps. lustin de monarch. 107<iff. (in 146 Otto). "O^iarrje ^iTtTzölvros "Icav 
''AQxeXaos BeXls^o^övrrjs — 0q1^os 0tloxTiJTijSf dann zwei verwirrte citate ( TpcpdSes), 
von diesen sind die stellen aus Orest, Ion und die beiden letzten von dem Verfasser 
aus älterer apologetischer litteratur genommen, die erste vielleicht vielmehr aus dem 
drama selbst, aber AB4>4^ ist rasch aus anfang und schluXs eines capitels aufgera^. 
ebenda Menander ^Hvio^os ^läpfia Miaoü/uet^os Jlapaxaradijxri vor Euripides, nachher 
^^LfZe ^A 8 elfpol A^XrirpiSss: ganz evident, in der grammatischen litteratur habe 
ich nur einen beleg gefunden (und ich bin seit 15 jähren auf der suche), Athen. 
X 417'', komödien des Eubulos ^Avriönr] E'ö^c^Ttrj "lofr KiQxmxp Mvooi, 



Mythographie. dritte periode der textgeschichte . 173 

finden; aber die anhaltspunkte sind bisher zu sehwache, so dafs es ge- 
raten seheint von ihnen abzusehen*®*). 

Die lexikographie, wie sie bei Hesychius, die anthologie, wie sie bei Dritte 
Stobaeus vorliegt, beweist für die zeit dieser compilatoren weder die text- 
kenntnis noch den besitz der citirten tragödien. aber für das erste Jahr- 
hundert nach Christo sind allerdings beide beweisend, doch dafür würde 
schon ein hinweis auf die beiden trefflichen männer genügen^ in denen 
die cultur dieses Jahrhunderts culminirt, Plutarchos und Dion. wer bei 
ihnen nach den spuren einer auswahl von tragödien suchen wollte, oder 
ihre kenntnis auf etliche meisterwerke beschränkt glauben, würde sich 
lächerlich machen, die schätze des dramas, wie überhaupt der classischen 
litteratur, sind nicht nur vorhanden, sondern werden auch genutzt*^*), 
das bezweifelt auch niemand, aber den seltsamen gegensatz, den schon das 
zweite Jahrhundert hierzu zeigt, pflegt man zu vergessen, in Wahrheit 
beginnt mit der hadrianischen zeit die letzte und längste periode der 
antiken grammatik, und so auch der tragikerkritik, welche bis auf die 
uns erhaltenen handschriften reicht, es ist ein Jahrtausend, das sich mit 
dem excerpiren und noch viel mehr mit dem verlieren beschäftigt; wenn 

104) Ich gebe nur proben, da sich die sache ohne einsieht in die Überlieferung 
nicht erledigen läfst und im vorbeigehen überhaupt nicht, flor. 7 BA, AA, HO. 22, 1 
£v^. rXavxü) falsch; es ist ein komikervers, fgm. 644 zu tilgen, wol der name 
des Euripides mit Eubulos zu vertauschen; dann drei bruchstücke ohne tragödien- 
name (eins aus Ixion), dann AA, AAABH, später noch A und T. 34:?A, AA. 35 : A. 
39 T? <J>? AAA<I>T, <J>, <l>, <l>. 40 <J><J>. 43 <t><l>? <J>, lA? <J>, EAAA. das lemma von 3 
(adesp. 450) ist also in Ev^, <t> — zu ergänzen. 47 4>4>AA. 49 IIA? AATT. das 
lemma von 4 ist in ^WJxr^a verdorben, fgm. 846: es ist in dXxuiotv zu ändern: 
für den korinthischen pafst der sinn; doch ist auch älycurjvrj möglich. 54: AAB 
nPAAEEBTTT<l>BE 1. 62: EMA; AAAAA, AAABAEAEAEI, MM4>, A. 63: AAIAI; 
A, AI. 64: AAAAA, M. 67 : 00,00,AA, <t> 73 : ?, lO,?, MEMAAAAAAAAABAAIIIIMOMI 
MMMOct>4>; A; I, <l>. 88:? TAAAEH? (Innök nach Monkfgm. 1052) II. 91:<l>AHKn, <t>, 
A, AAAEn. 92:AE©nKHAE. 93: <J>IIMA? AnAAAHMT. 98, 31 ff. AAAAABEIOH 
111 :AA, nOAAAB. 114: A, A, AA. ll5:c!)BEMn. Orion I: AOAEinP<J>, Z. 

105) Seneca verachtete die grammatik und hatte als Eömer minister und 
Stoiker für die classische poesie der Griechen nicht viel übrig, seine sonstigen 
Schriften zeigen keine spur von solchen Studien, aber als er tragödien dichten wollte, 
griff er nach Elektra Oidipus Trachinierinnen Polyxena Thyestes von Sophokles, Medeia 
beiden Hippolytos Hekabe Troerinnen Phoenissen Phaethon Kresphontes Herakles von 
Euripides, Agamemnon von Aischylos. wahrscheinlich hat er noch viel mehr gelesen, 
von römischen tragödien natürlich nur die beiden der augusteischen zeit, nicht die 
barbarischen Übersetzungen des 2. Jahrhunderts, dafs damals keine auswahl von 
musterstücken in den bänden des publicums war, liegt auf der band, nicht einmal 
die berühmtheit hat mehr als eine erste anregung zur lecture gegeben. 



174 Geschichte des tragikertextes. 

es lob verdient, so kann das nur darin bestehn, dafe man ihm zu gute 
rechnet, doch nicht alles verwahrlost und verloren zu haben. 

Wenn sich mit schlagenden belegstellen und directen Zeugnissen die 
tatsache kurz feststellen liefse, dafs etwa im anfange des 2. Jahrhunderts 
ein mann von den drei tragikern eine anzahl stücke ausgewählt und in 
neuer fester reihenfolge mit erklärungen edirt hat, zum zwecke zunächst 
der schule, dafs aber der erfolg fast unmittelbar der gewesen ist, dafs 
die übrigen werke zu gunsten dieser wenigen vergessen wurden, und 
zumeist auch in folge dessen verloren gegangen sind, so würde es keines 
weiteren ausholens bedürfen, allein als eine augenfällige tatsache tritt 
dies erst dem entgegen, der die geschichtlichen bedingungen der cultur 
zu verstehen gelernt hat, der die textgeschichte der einzelnen bücher 
lediglich als ein einzelleben innerhalb des ganzen einheitlichen lebens der 
grammatik und diese wieder als eine seite des ganzen grofsen Volkslebens 
und seiner stätigen entwickelung aufzufassen im stände ist. darum ist 
es notwendig, ins weite zu gehen. 
Vorfall der In der geistigen kraft des hellenischen Volkes bemerkt man seit dem 
2.jaiirh. opochen jähre 222, dafs des lebens flutstrom nach und nach ebbet aber es 
gibt doch noch bedeutende, neues schaffende geister bis tief in die zeit der 
revolution hinab, der arzt Asklepiades, der philosoph Ainesidemos, vor allem 
die letzte wahrhaft grofse forschergestalt des Poseidon los sind zeugen dafür, 
aber die materielle und sittliche Verwüstung, welche durch die fluchwürdige 
Wirtschaft der römischen Oligarchie erzeugt wird, und dann die schrecken 
des gerichtes, welches über diese hereinbricht, zerreifsen alle fäden der 
natürlichen entwickelung. kaiser Augustus erscheint dann freilich als ein 
heiland: wie er es selbst erwartet*"®) und verdient hat, haben ihm seine 
woltaten die apotheose 'verschafft, die höchsten irdischen guter, frieden 
und wolstand, hat er der weit gebracht, es schien, als wollte wirklich 
neues leben aus den ruinen erblühen, man besann sich auch auf das 
herrliche Vermächtnis der ahnen, in welchem man das palladium der 
gesittung nicht verkannte, die cultur des zwiesprachigen weitreiches, die 
doch die hellenische war, gewann expansiv eine starke kraft und viele 
treffliche männer in allen kreisen des lebens bemühten sich, dem volke 
glauben und sitte und philosophie und die in der herrlichsten poesie be- 
schlossenen ideale zu erhalten, aber dem Seelenleben seines volkes hatte 



106) Er selbst schreibt an seinen söhn benignitas enim mea me ad caelestem 
gloriam efferet (Sueton Aug. 71): man entfernt sich also doch wol nicht von dem 
sinne des kaisers, wenn man den bericht, den er gleichzeitig über sein leben auf- 
zeichnet, unter diesem augenpunkte betrachtet. 



i 



Verfall der cultur im 2. Jahrhundert n. Chr. 175 

der kaiser frieden und gesundheit nicht wiedergeben können, und er 
selbst täuschte sich am wenigsten darüber, dafs die sittlichen kräfte einer 
regeneration bedurft hätten, damit die blute nicht eine taube bliebe, der 
staatliche notbau den er errichtete , die gesell schaftsordnung die er be- 
gründete, haben freilich vorgehalten, doch nur in der weise, dafs sie wider 
seinen willen auf etwas gänzlich dem Hellenen wie Italiker fremdes hin sich 
entwickelten, auf den beamtenstaat eines absoluten fürsten. das war der 
Staat der Ptolemaeer und Seleukiden nur für die barbaren gewesen: nun 
wird die weit durch diese staatsform allmählich barbarisirt. für barbaren- 
herzen sind die ideale loniens und Athens zu hoch, keineswegs erst Dio- 
cletian, sondern schon Septimius Severus vollendet die barbarisirung der 
weit, und besiegelt ist ihr geschick schon durch Hadrian. das zweite Jahr- 
hundert, das sich selber und noch einem manne wie Gibbon das goldene 
Zeitalter war, ist die zeit des todes für die antike weit, wol prangt diese 
zeit noch in gleifsenden färben : aber was ist sie anders als ein getünchtes 
grab? wie spreizen sie sich, die Stimmführer dieser selbstvergötterten 
civilisation, die Aristides und Lukian, Favorin und Apuleius, Herodes 
und Fronto — aufsen schminke, drinnen moder. was hilft's dafs diese 
zeit von allgemeiner bildung trieft, vor der kein lykisches bergtal und 
keine africanische landstadt sicher ist, dafs die reichspost von Lissabon 
bis Palmyra geht, kunststrafsen und Wasserleitungen gebaut werden, stil- 
volle kirchen und villen, statuen im geschmacke Thutmosis III oder Nebu- 
kadnezar oder Peisistratos, und Euriposse und Kanoposse und Mauso- 
leen? der geist ist es allein der lebt und leben schaffit: der geist aber 
läfst sein nicht spotten, und viel schlimmer und barbarischer als die 
Zeiten, in denen er noch nicht erwacht ist, sind die, wo er verflogen ist 
und erheuchelt werden soll. 

Vielleicht das fürchterlichste in solchen Zeiten ist, dafs das gute selbst 
nur eine kraft wird, die das böse schaffl. der classicismus der augus- 
teischen zeit hatte in edelstem streben die echten ideale hoch aufgerichtet 
und den menschen geboten, im glauben an sie sich selbst zu erheben, 
nun war er mode geworden, die Journalisten hatten sich seiner bemächtigt, 
die Schulmeister handelten mit ihm : was die halbgebildeten anfassen, das 
schneiden sie sich nach der dürftigkeit ihrer eigenen leistungsfähigkeit 
zu. statt den idealen innerlich sich zu nahen, wollte man sie kurzerhand 
haschen und betasten, statt andächtig sich der pracht der sterne zu freuen, 
begehrte man sie zu fassen, herunter zu holen und ihr gold zu eignem 
gebrauche auszumünzen, der atticismus trieb die Studien der alten litte- 
ratur lediglich um selbst so schön zu schreiben und zu reden wie die 



176 Geschichte des tragikertextes. 

Attiker: Aristides sagte es, dafs ers besser könnte, und Lukian war zum 
sagen zu klug, aber er glaubte es auch, an den veräcbtliehen siegespreis, 
ein erlognes attisch zu reden, sich seinem eignen Volkstum zu entfremden, 
in den wölken zu leben, setzte man sauren schweiTs, jahrelange arbeit, 
beständiges training. und diesem niedern zwecke zu dienen, spannte 
sich auch die grammatik ins joch : mag es auch mancher nicht eingestehen, 
die gramatische arbeit des 2. Jahrhunderts ist im gründe nichts als 
ao(ptaTi7CT^ TtQOTtaQaö'/.evfj, 

Was diesen praktischen zwecken dienen kann, das wird eifrig fort- 
studirt. nicht blols die redner in der ausdehnung, welche der per- 
gamenische kanon festgestellt hatte, sondern auch andere brauchbar er- 
scheinende Schriftsteller, wie Xenophon und die anderen nicht gar zu 
philosophischen Sokratiker: selbst Phaidon ist bis in das 4. Jahrhundert 
erhalten geblieben *°'). Kritias hat sich eben so lange gehalten, nachdem 
ihn die laune der archaisten entdeckt hatte, und da diese ihre experi- 
mente bis zum ionisch schreiben steigerten, so erhielt selbst Hekataios 
eine stilistische Würdigung durch Hermogenes und sein geographisches 
werk ist noch in frühbyzsuitinischer zeit gelesen ^°*); auch die ionischen 
mythographen , Akusilaos und Pherekydes, haben keinesweges blofs in 
excerpten gelebt*^), vollends die komödie war die ergiebigste fundgrube 
des archaisten, und keinesweges blofs Menander, der bis über lustinian 
hinaus bekannt blieb, sondern selbst andere alte komiker als Aristophanes 
haben noch leuten wie Libanius und Synesius vorgelegen. Galen schreibt 
seine tragikercitate aus glossaren und philosophischen tractaten ab: über 
die komödie hat er specialarbeiten verfafst. es war so ziemlich der ganze 
nachlafs der ^iar^ und via, den Athenaeus selbst excerpirt hat: derselbe, 
der keine einzige tragödie, kein lyrisches gedieht aus eignen mittein citirt. 
wozu sollte man auch diese gedichte lesen, die man nicht copiren wollte ? 
den sagenstoff, so weit man ihn für die allgemeine bildung brauchte, 
lieferten die handbücher, und die vocabeln konnte man nicht brauchen. 

Poesie ward freilich auch noch producirt, massenhaft sogar, während 



107) Synesius (Dion. 17, p. 297 Krab.) nennt unter einer langen reihe von Situa- 
tionen die er platonischen dialogen entnimmt auch ov8k Zlficov 6 onvreifs ndvv rt 
avyxoi^elv i^^lov ZcotcQdreij älX' ingdzTsro Xöyov ixdarov löyov, notwendigerweise 
mit beziehung auf einen dialog, der dann Phaidons Simon war, den lulian noch 
gelesen hat. vgl. Herrn. XTV 476. 

108) Stephanus von Byzanz hat ihn selbst ausgezogen, Niese de Steph. Byz, 
auct 13. 

109) Das beweisen lange wörtliche den ionismus bewahrende stücke in den 
schollen zur Odyssee (z. b. X 287, 321) Pindar (P. 4, 133) Apollonios (4, 1396, 1515). 



Verfall der cultur im 2 Jahrhundert n. C3ir. 177 

im ersten Jahrhundert wenig davon zu spüren war, und das wuchs sich 
um 400, als die spräche schon so gut wie tot war, zu einer wirklich eigen- 
artigen, wenn [auch barbarischen kunst aus. dafür brauchte man aber 
aufser Homer, dessen naivetät die geringsten ingenia kindisch copirten, 
die alexandrinische dichtung ausschliefslich , deren formen, deren wert- 
schätz, deren poetische technik unerschüttert regierten : freilich Antimachos 
Aratos Apollonios Nikandros mehr als die dichter ersten ranges. aber 
darum, dafs am kaiserhofe ein Mesomedes lahme rhythmen unmelodisch 
componirte, war ein Studium der lyriker nicht von Wichtigkeit, und die 
tragödie vollends war stumm geworden, es wird im zweiten Jahrhundert 
gewifs noch vielfach etwas tragisches gespielt sein, obwol die Zeugnisse 
der atticisten nicht schwer wiegen, denn sie erheucheln auch alte sitten. 
dann aber ist es vorbei, und für die gebildeten war längst statt der 
tragödie als darstellerin der alten sage eine modernere Muse aufgetreten, 
das ballet: die gute gesellschaft Boms lernte den Aiolos des Euripides 
durch dasselbe mittel kennen, wie die heutige den Sardanapal Byrons, 
durch die beine eines Pylades. 

Und doch stand es ja fest, dafs die classiker classisch waren, und 
es gehörte zu den Voraussetzungen der allgemeinen bildung, dafs das 
classische bekannt war. das war es auch, in der weise, wie zeiten mit 
sinkender cultur ihre verblassenden ideale kennen lernen, die classiker 
waren in die schule herabgesunken, da muisten sie gelesen werden, das 
verstand sich und verlangte jeder, und wenn der junge mensch aus der 
schule in's leben trat, da warf er den plunder weg, der für's leben, das 
heilst für gelderwerb und ehrengier und sinnesgenufs, doch nichts hilft, 
so sagte niemand (das würde ja ehrlich gewesen sein), aber so tat jeder, 
die schule aber ist genötigt, sich mit einer auswahl zu behelfen, ihre 
aufgaben fordern einen ganz besonderen mafsstab der auslese und 
eine besondere art der behandlung. sie tut nur ihre Schuldigkeit, wenn 
sie mit den strengen forderungen der wissenschaftlichkeit in conflict 
kommt 

Schulmäfsige behandlung oder wenigstens eine beträchtliche ver- 
flachung ihres niveaus muiste die grammatik aber überhaupt vornehmen, 
wenn sie weiteren kreisen irgendwelche alte poesie erschlielsen wollte, 
denn trotz allem attisch parliren, trotz den totenerweckungen des duales, 
der dative ol und Oiplai^ des doppelten t statt doppeltem s, so schöner 
vor 300 verstorbner formen wie yByqdcpaTav und väTtv und von tausend 
vocabeln konnten die herren Titianus und Lucianus, die sich TiTciviogy 

▼. Wüamowltz I. 2. Aufl. 12 



178 Geschichte des tragikertextes. 

oder zeitgemäXs mit einem Schreibfehler TeiTaviog^^^), und ^vxtvog 
nannten, herzlich wenig griechisch, die meisten stammten auch aus 
der barbarei und verwunderten sich bais, wenn sie auf einer ferienreise 
ins griechische gebirge (denn auch die nervenschwache natur suchender 
grofsstadter grassirte) köhler und sennen besser griechisch reden hörten 
als die gefeiertsten professoren. die Voraussetzungen, welche die ältere 
grammatik gemacht hatte, trafen nicht mehr zu. es half nichts, man 
muTste dieser gesellschaft den Pindar ganz und den Euripides auch auf weite 
strecken hin in ihre spräche übersetzen, die zeit der paraphrase bricht 
herein "°*). übersetzt hatte Aristarch homerische vocabeln auch, sowol 
um den bedeutungswandel zu erklären wie um die irrtümer der glosso- 
graphen fern zu halten, rätselgedichte, wie die Alexandra des Lykophron, 
waren überhaupt nicht ohne paraphrase verständlich, aber diese wenigen 
ausnahmen beweisen nichts, und die pindarische paraphrase war von jener 
homerischen worterklärung Aristarchs himmelweit verschieden, nicht nur 
war jetzt das drama so alt geworden, wie Homer zu Aristarchs zeit ge- 
wesen war: die menschen waren nikt nur der spräche sondern dem 
ganzen wesen der tragödie so entfremdet, dafs sie eine Übersetzung 
brauchten. 

So erzeugte also wiederum das bedürfnis der zeit einen veränderten 
betrieb der auf die dichtererklärung gerichteten Studien, schulmäfsig 
muiste er in seinem wesen werden, und in der schule wurden wenigstens 
die classiker gelesen, zu denen jedoch immer allgemeiner auch eine reihe 
von dichtem des dritten Jahrhunderts gerechnet wurden, doch kamen an 
diese offenbar erst vorgerücktere : so stark trivialisirt ward ihre erklärung 



110) Teirdvie 8eZe in einem spartanischen epigramm, Kaibel 473, zudem Kirch- 
hoff ans Lnkian de hist, conscr. 21 verweist fierayg&xpat, eis rd *EXlijvtxövy cbs — 
Ttrdviov rdv Tinavöy, das pikante ist dafs der tadler sich selbst als ÄvxTvos 
eininiführen pflegt. 

110*) Einen ganz anderen zweck hatte die rhetorische paraphrase gehabt, welche 
Quintilian mit recht als eine der vorzüglichsten stUtibungen preist. I 9, 3 vet'Sits 
primo solverCf mox mutatis verhis interpretari: tum paraphrasi audddvs verterej 
qua et breviare quaedam et exomare salvo modo poetae sensu permittitur. quod 
opuSy etiam consummatis professorihus difficile, qui commode tractaverit, cuicum- 
que dicendo suffidat wenn unsre schulen dieses progymnasma übten, würden 
die 8. g. gebildeten vielleicht ein bischen Stilgefühl besitzen, das ihnen jetzt der 
deutsche und vollends der lateinische aufsatz gründlich auszutreiben pflegt, natür- 
lich haben die antiken rhetoren auch solche musterstücke veröffentlicht, wie Dion 
die paraphrase des euripideischen Philoktetprologes. aber rhetoren und grammatiker 
berühren sich kaum, und auf unsere schollen hat die rhetorische paraphrase nur 
spät nnd wenig gewirkt. 



Verfall der cultur im 2. Jahrhundert n. Chr. Aristophanessoholien. 179 

selten, und die schule selbst führte zur auswahl und festen Ordnung 
der lesestücke, diese einrichfcung hat natürlich nicht im entferntesten 
bezweckt, die ausgeschlossenen werke in Vergessenheit zu stürzen, was 
auch wenigstens für die komödie lange noch nicht eintrat, und nirgend 
ist das Unheil so schnell gekommen wie für die tragödie und Pindar. dafs 
es überhaupt kommen konnte, bleibt unbegreiflich und findet deshalb 
keinen glauben, wenn man nicht die ganze geistige temperatur des zweiten 
Jahrhunderts ermifst. der unbekannte mann, der für Pindar, der eben 
so unbekannte, der für die tragödie den entscheidenden schritt tati, war 
auch kein an sich bedeutender mann, so dafs wir an seinem namen nicht 
viel verloren haben, er würde selbst staunen über den erfolg seiner Schul- 
ausgabe, aber das ist eben das charakteristische für die zeit des Verfalles, 
dafs die letzte leistung, wie sie auch ist, kanonisch wird, weil keine 
weitere kommt, und so die folgezeit beherrscht. Ptolemaios als astronom 
und geograph, Galen als mediciner, ApoUonios und Herodian als sprach- 
gelehrte sind zwar in vieler hinsieht achtunggebietend, aber ihre geistige 
bedeutung ist wahrlich nicht danach angetan, ihre herrschaft über die 
Jahrhunderte als berechtigt erscheinen zu lassen, nicht ihrer kraft, der 
schwäche der andern danken sie ihre machtstellung. die Wissenschaft mufs 
diese machtstellung zertrümmern um über sie zu der wirklich wissen- 
schaftlichen ebenbürtigen arbeit des Hellenentums aufzusteigen, und sehr 
viel geringere leute haben in ihrem kreise eben so abschliefsend gewirkt, 
Diogenian für die nichtatticistische lexicographie, Zenobius für die Sprich- 
wörter, Herennius Philo für die Synonymik, Heliodor und Hephaestion 
für die metrik, Dionysios und Pausanias für die atticistischen handbücher, 
der erstere auch für die dichter- und musikgeschichte. in denselben rang 
und dieselbe zeit gehören die begründe/ unserer schulauswahlen, mögen 
wir sie benennen können oder nicht. 

Dies ist möglich für Aristophanes , dessen Überlieferung überhaupt Aristopha 
die reichste ist. da hat Symmachos*") die mafsgebende ausgäbe gemacht,'^®® °*®° 

111) Symmachos citirt nicht nur specialschriften des Seleukos (Th. 840, 1175), 
sondern auch Epaphroditos (Kitt. 1150, Wesp. 332, durch die rückbeziehung gesichert, 
das Herodiancitat in den Eittem ist zusatz, wie die mangelnde Verbindung nliyfia 
ri xri. zeigt), aber nicht blofs Herodian ist ihm selbstverständlich fremd, sondern 
auch dessen vater ApoUonios (Plut. 103, Frö. 826, Bitt. 22: aUe andern Apollonios- 
citate gehören dem söhne des Ghairis, über den Kydathen 134), und Irenaeus (PI. 75. 
Wesp. 900): denn diese geben nur rovind, und solche dinge sind dem Symmachos 
fremd, auch Sallustius und Telephos (2. Jahrhundert) stehen in einem der antiquarischen 
scholien des Plutos (725) die sich von selbst absondern. Phrynichos ist durch Hero- 
dian, mit dem er Fried. 618 verbunden ist, ausgeschlossen, und selbst Palamedes 

12* 



130 Geschichte des tragikertextes. 

wol um 100 n. Chr., denn wenn ihn auch erst Herodian citirt, so ist 
doch der erfolg seiner auswahl schon in den rhetorischen lexicis des 
2. Jahrhunderts zu spüren, die demgemäfs die betreffenden stücke be- 
vorzugen*"). Symmachos bezieht sich in seinem commentar häufig auf 
früher von ihm behandelte stelleo, so dafs die reihenfolge der erklärten 
dramen ganz feststeht, übrigens auch in der Byzantinerzeit nicht ver- 
gessen worden ist. Es folgen auf einander Plutos Wolken Frösche Ritter 
Acharner Wespen Frieden Vögel Thesmophoriazusen Ekklesiazusen Ly- 
sistrate"'). die reihe war damit ohne zweifei nicht abgeschlossen"*); 
Symmachos hat auch Kratinos erklärt und wird da wol ebenso verfahren 
sein*"), die rücksichten der schule sind einleuchtend, der Plutos ist 
weitaus am einfachsten, Wolken Frösche Ritter zu kennen forderte die 
allgemeine bildung mit rücksicht auf die angegriffenen berühmtheiten 
Sokrates Euripides Kleon. für die folgenden stücke ist es besser nichts 
zu vermuten. Symmachos ist nun ein schriftsteiler noch von der alten 

zeigt sich als zusatz (Fried. 916; sonst noch ein par mal zu Wesp.). dieser ist deipno- 
Sophist bei Athenaeus, was nur zeigt, dafs er eine berühmtheit wie Galen Eufus 
Plutarch Ulpian war. und als Vaterland hat ihm Athenaeus nach Plat. Phaidr. 261'* 
Elea gegeben: woraus nach jenen analogien folgt, dafs er nicht daher war. inter- 
polirt hat Suidas oder ein Vorgänger dies in den kargen biographischen artikel^ aus 
dem abzuleiten ist, dafs er bei Dionys und Philon nicht vorkam, d. h. nach 140 
blühte, auch Symmachos fehlt bei Suidas, aber ein schlufs e silentio ist mislich 
und die gänzliche Vermeidung von Schriftstellern des 2. Jahrhunderts spricht für 
etwas höheres alter. 

112) Man kann das leicht sehen, wenn man die indices zu Nabers Photius 
mustert, auf welchen umwegen auch immer hineingelangt, die quellen dieses lexi- 
cons gehören dem 2. Jahrhundert an. damit man nicht irre, bemerke ich, dafs die 
atticistischen glossen im Hesych nicht Biogenian sind, selbst bei Lukian sind die 
erhaltenen komödien stark [bevorzugt, P. Schnitze quae ratio inter I/ucianum et 
comicos intercedat Berlin 1883. 

113) Die sehr zahlreichen belege führe ich nicht an. die nummem 1 — 4, 10, 11 
wird niemand bezweifeln, für die reihenfolge Ach. Wesp. vgl. Wesp. 1195, 1206. 
1407. Wesp. Fried, vgl. Wesp. 1446 Fr. 1048 (zielt auf Wesp. 718). Fried. Vög. vgl. 
Vög. 822 (zielt auf Fried. 928). Thesm. 162 iv ra) n^d toütov S^duan rolgV^viar 
Lysistr. 801 auf Ekkl. 303, jetzt fast verschwunden, damit erledigt sich die an- 
sieht, dafs die Auswahl von 7 stücken im Yenetus erhalten wäre; sie ist auch an 
sich verkehrt, denn diese gelehrteste handschrift repräsentirt keine Verkürzung der 
auswahl. 

114) Nach der häufigkeit der citate wären Daitales Babylonier Tagenisten etwa 
gefolgt. ^ 

115) Herodian n 945 Lentz (tt. juov. Xi^. 39). es wird sich für Ejratinos schwer- 
lich ermitteln lassen, welche dramen noch länger behandelt wurden, wol aber ist 
der versuch für Menander nicht aussichtslos. 



Aristophanesschollen. 181 

grammatikerart; er hat eigene ausgedehnte kenntnisse und wagt eigene 
meinungen. das ältere verdankt er Sammlungen und schollen, des Didy- 
mos, aber auch anderer, z. b. des Artemidor {avvaywyi^ Wesp. 1169)*"), 
und die dramen waren vor ihm ersichtlich gar nicht gleichmäJfeig be- 
handelt, was natürlich auch auf seinen common tar einwirkt. Frösche 
und Vögel stehen deshalb an gelehrsamkeit weit über dem Plutos. das 
gelehrte material älterer zeit, das geschichtliche (aufser billigen Thukydides- 
excerpten), textkritische, glossographische gehört ihm wol alles, für die 
paraphrastische erklärung läfst die grenze sich schwer ziehen ; das ist aber 
auch das mindest wichtige. 

Das metrische liefs Symmachos, wie die meisten erklärer, bei seite. 
allein ein anderer einflufsreicher mann, ziemlich sein Zeitgenosse, Helio- 
doros, verfertigte eine aristophanische kolometrie, d. h. eine analyse sämmt- 
licher verse der komödie, woran sich zuweilen etwas kritisches schlofs. es 
war keine ausgäbe, aber wol eine anweisung, wie eine ausgäbe zu schreiben 
wäre: wobei fraglich ist, ob er nicht die Schreibung (einschlielslich des 
aus- und einrückens der zeilen) vorfand und lediglich die analyse sein war. 
wie weit er seine arbeit ausdehnte, welche reihenfolge er inne hielt, ist 
nicht zu sagen. 

Wol erst in frühbyzantinischer zeit hat nun jemand den commentar 

des Symmachos, die kolometrie des Heliodor, zugleich sie befolgend und 

ausschreibend, und einiges andere erklärungsmaterial zusammengearbeitet: 

erst dies werk, oder vielmehr auszüge davon, geben unsere handschriften, 

text und scholien gleichermafsen. wir hören das zwar nur durch die 

subscriptio zu ein par stücken, aber der commentar hängt, wenigstens 

so weit er die beiden wichtigen grammatiker angeht, zusammen, die 

subscriptio nennt nun noch als benutzt einen gewissen Phaeinos und 

äXka TLvd. dieser Phaeinos ist nach den proben, die nur zum Schlüsse 

der Bitter erhalten sind, ein jämmerlicher ignorant, der sich nur in der 

gewöhnlichsten exegese versucht, da er ein ganz byzantinisches wort 

braucht*"), so möchte man ihn nicht mehr in das altertum rechnen. 

doch wird im Et. M. (ßXcfid^stv) eine zu der betreffenden stelle (Vög. 530) 

nicht mehr erhaltene etymologie mit den namen Oastvdg y,al 2vfj,fj,axog 

citirt die anderen zusätze sind zum teil an sich wertvoll, z. b. die aus- 



116) Schol. Fried. 1242 wird in betreff des Kottabos auf ixloyai verwiesen, 
1244 auf Athenaeus: es waren wol die ixloyai des Sopater, in dessen erstem buche 
Athenaeus excerpirt war (Phot. bibl. cod. 161): diese auszüge gehören also zu den 
^lla Tivd der subscriptio. 

117) xdßoe für zäum, schol. Ritt. 1150. 



182 Gesohiohte des tragikerteztes. 

Züge aus Herodian, ergeben aber kein bild einer persönlichkeit, nach- 
weislich sind einzeleintragungen aus büchem, die in byzantinischer zeit 
geläufig waren, zu allen Zeiten und in allen scholien zugetreten; man 
kann also Phaeinos nach ihnen, z. b. den anm. 116 citirten, nicht wol 
datiren. aber im allgemeinen darf Phaeinos wol für den redactor unserer 
scholien gelten. 

Wir haben das glück, dals die handschriften, mit denen wir operiren, 
noch dem 10. Jahrhundert angehören, der Ravennas ist selbst so alt, 
der Venetus zwar hundert jähre jünger, aber so sorgfältig copirt*'^), 
dafs er seine vorläge ersetzt, und eine dritte handschrift hat Suidas in 
demselben Jahrhundert fleüsig ausgezogen, für die Acharner Ekklesia- 
zusen und Lysistrate müssen uns freilich jüngere handschriften (Paris. 
2712 und eine halb in Florenz als Laurentianus 31, 15, halb in Leyden 
aufbewahrte) den Venetus, mit dessen recension sie sich ganz nahe be- 
rühren, ersetzen, und die Thesmophoriazusen enthält nur der Ravennas. 
daneben steht für die sieben stücke eine anzahl jüngerer handschriften, 
die zum kleinsten teile aus den genannten stammen, für die scholien 
auch keinesweges nur wertlose zusätze liefern, für den text aber unbe- 
rücksichtigt bleiben dürfen. Ravennas gibt die scholien überaus dürftig, 
so dafs wir mit ihm allein etwa so stehen würden, wie mit dem Lau- 
rentianus in den beiden altem tragikem; doch schöpft er, wie man an 
ihm selbst sieht, aus reicherer fülle. 

Vom 10. Jahrhundert gelangen wir also durch die recensio nur bis 
ans ende des altertums, wo sich die ströme der Überlieferung vereinen, 
es ist ganz sonnenklar, dals die kritik eklektisch verfahren muls; Venetus 
bietet aber mehr Schreibfehler, Ravennas willkürlichkeiten, wir haben nun 
eine groise masse citate bei den atticisten und sonstigen späten Schrift- 
stellern, die uns die controlle ermöglichen: sie ergeben im wesentlichen 
die bestätigung unseres textes, und da sie auf die Symmachosausgabe 
oder gar ältere zurückgehen, so gelangen wir eben bis in die zeit, für 
welche die scholien ja auch zeugen, endlich ist kürzlich ein bruchstück 
einer handschrift aus den letzten Zeiten des altertums entdeckt, welches 
einen text liefert, der ein klein wenig neues geben würde, wenn nicht 
die kritik die geringen fehler bereits beseitigt hätte, aber im ganzen mit 
dem unsem identisch ist**'), so dürfen wir sagen, dafs allerdings in 

118) Dies zeigt Zacher Philol. 1882. Zachers neue arbeit (Handschriften und 
classen der Ar. scholien Leipzig 88) habe ich noch nicht prüfen können, um so 
weniger konnte ich ihre zum teil sehr befremdenden ergebnisse berücksichtigen. 

119) Weil Eev. de phü. VI 179. es umfafst Vögel 1057—1085, 1101—27, die 



Aristophanessoholien. 183 

der zeit zwischen Heliodor und Symmachos einerseits und dem 10. Jahr- 
hundert andererseits eine anzahl kleiner Schreibfehler begangen sind, die 
sich zum teil durch die yergleichung der handschriften erledigen, zum 
anderen von der modernen kritik, wesentlich den greisen Engläudern 
gehoben sind, damit gelangen wir zu demselben texte, welchen Sym- 
machos gab: alle schwereren schaden, insbesondere lücken und falsche 
yerse müssen für älter gelten, und da nun die grammatik so früh, ein- 
dringend und unausgesetzt den Aristophanes studirt hat, so muis man 
m allgemeinen die entstehung der schweren Schädigung zwischen dem 
dichter und dem grammatiker ansetzen. 

Aristophanes ist vorzüglich erhalten, aber man spürt doch unter- 
schiede, die fünf letzten stücke sind ärger zugerichtet, und jedes schlimmer 
als das vorhergehende, in den Thesmophoriazusen können wir zudem 
sicher sein, da sie nur in B stehen, eine grofse anzahl fehler teils selbst 
beseitigen zu müssen, teils gar nicht zu bemerken, dann sind in den 
drei letzten dramen die scholien so dürftig *^^, auch die citate aus ihnen 
viel seltener, so dafs diese controUe oft versagt, aber auch die Vögel, 
die auch in V stehen, haben schwer gelitten, das ist also auf die zeit 
seit Symmachos zum teil wenigstens zu schieben, zumal die ersten vier 
stücke lediglich durch sorgfältige recensio fast rein herzustellen sind, d. h. 

chorisohen yerse sind mit ix&eais und elad'sais geschrieben, reste von scholien vor- 
handen. 1078 wird ^ßvr änaydyrj, was Bergk aufgenommen hat, bestätigt, 1080 
fehlt näotf das schon Byzantiner getilgt haben. 1069 stand wenigstens etwas hinter 
Sdxera, wo Dissen 7tdv&' eingesetzt hat. sonst stimmen selbst fehler, und eine 
so verkehrte Orthographie wie deröv 1110 steht hier wie in E. auch JJeia&drai^os 
ist da. 

120) Die Vernachlässigung der späteren hat aber nicht nur üble folgen, wenn sie 
selbst nichts neues mehr zusetzen, so erhält sich die alte gelehrsamkeit wenigstens 
in den geretteten bmchstüoken rein, so ist der commentar der Vögel ganz be- 
sonders reich an anführungen der älteren grammatiker. und der der Thesmophoria- 
zusen, im ganzen dünn, hat besonders viele prachtstücke : darunter 1059 über ein 
drama des Philopator und den commentar seines ministers und lieblings Agathokles 
dazu ; das kann nur ein zeitlich ganz nahe stehender berichtet haben, also wol Aristo- 
phanes oder Eratosthenes. der scholiast redet sehr persönlich, 31, 162, 840, 917. 
weil 393 in gleicher weise in atticistischem Übermut gegen Symmachos geredet 
wird, dessen scholion dabei steht, könnte man meinen, in all diesem einen späteren 
zu hören, aber das geht nicht wol, da gerade die bezeichneten schollen den älteren 
gelehrten gelten und dieselbe weite der gelehrsamkeit zeigen wie der ganze com- 
mentar. auTserdem ist 162 wegen der Verweisung auf die Vögel und Wespen sicher 
von Symmachos. die scholien der Lysistrate enthalten nur noch ein par umfäng- 
lichere stücke und zwar nicht in K; die der Ekklesiazusen sind ganz dünn und 
zeigen so recht, dafs dies das letzte stück ist. 



184 Geschichte des tragikertextes. 

SO wie sie die guten grammatiker lasen, darum ist Aristophaned der 
Schriftsteller, an dem man sich am leichtesten einen gradmesser für die 
Wahrscheinlichkeit der textverderbnis und für die berechtigung der kritik 
in analogen fällen holen kann. 
Pindar- Nicht viel geringere belehrung gewährt die Überlieferung Pindars. 

im zweiten Jahrhundert hat jemand die vier letzten bücher der aristo- 
phanischen ausgäbe für die schule bearbeitet, offenbar schienen die epi- 
nikien wegen der vielen persönlichen beziehungen zumal zu den sici- 
lischen fürsten interessanter als die gedichte an götter. warum aber die 
]^emeen vor die Isthmien gerückt sind, ist nicht zu erkennen ^^*). der 
herausgeber war nicht im stände etwas gelehrtes zu leisten, hat auch 
schwerlich den anspruch erhoben, er hat sich begnügt das gelehrte 
material von Didymos zu übernehmen, mythographische auszüge und viel- 
leicht vereinzelt anderes hinzuzufügen, wahrscheinlich auch irgendwoher die 
metrische erklärung der kola zu nehmen ^''^'^) und endlich eine vollständige 
paraphrase zu verfertigen, seine zeit ergibt sich daraus, dafs Plutarch und 
Aristides^ die Pindar besonders viel citiren, von der bevorzugung der epi- 
nikien nichts wissen, ebenso wenig Hehodor **^). auch für Lukian ist noch 

121) Der schlaf s der Isthmien ist durch Verstümmelung der handschriften erst spät 
verloren, denn die handschrift D bricht mitten im achten gedichte ab. die collation 
sagt nicht, ob die handschrift selbst verstümmelt ist; indefs ist das unwahrscheinlich, 
da zu den erhaltenen versen keine Überschrift noch schollen da sind, ein citat aus 
mittlerer byzantinischer zeit (fgm. 2) bezeugt für ein weiteres gedieht der Isthmien 
die existenz. aber ein völlig haltloser einfall ist es, die belege für Findars spräche, 
welche Eustathius in der vorrede zu seiner geplanten Findarailsgabe beibringt, so 
weit sie in unseren handschriften fehlen, auf die Isthmien zu beziehen, erstens fehlt 
jeder beleg sonst bei Eustathius, dafs er mehr als wir besessen hätte, zweitens hat 
er überhaupt diese sprachliche Sammlung nicht angelegt, so wenig wie er die apo- 
phthegmen Findars gesammelt hat, und drittens steht ein wort in dieser reihe, welches 
nachweislich nicht aus den Isthmien ist, sondern aus dem gedieht an Theoxenos 
(123, 5 iXtxoßXifpaQos 'Ay^oSlza = Eust. 56, 20 Taf.), das in die iyxco/uta gehört; 
ganz zu geschweigen, dafs es eine torheit ist, sich die zahl der Isthmien ins un- 
gemessene zu vermehren, die erste lönö&eais ^lod'filaiv beginnt damit zu sagen, 
dafs alle spiele leichenspiele wären, Olympien Pythien Isthmien. da sie für die alte 
ausgäbe geschrieben ist, fehlen die Namen, aber Kallierges hat sie eingeschoben, 
weü er von der echten reihenfolge keine ahnung hatte, erst der neuste herausgeber 
hat die Interpolation beseitigt, aber seinerseits eine lücke bezeichnet, ebenso gut 
hätte er die Interpolation behalten können. 

122) Wenn dies nicht ein zusatz ist, wie Heliodor neben Symmachos im Aristo- 
phanes steht. 

123) Vgl. fgm. 177; auf ihn gehen wol auch die belege des Hephaestion zurück 
fgm. 116. 117, und die besonders bezeichnenden, weil aus dem ersten hymnus stam- 
menden 34. 35. 



Pindarscholieu. 135 

die erste ode die erste der hymnen"^). später gilt die neue ausgäbe überall, 
benutzt sind zwei Schriftsteller des zweiten Jahrhunderts ^"), die man nicht 
leicht für Zusätze halten kann, die folgezeit, z. b. die scholien zu Homer 
{BT) und den traglkern, setzt diese Ordnung voraus, und im fünften 
Jahrhundert ist die alte so ganz vergessen, dafs man alberne neue namen 
für die 17 bücher erfindet, deren zahl man kannte**®), da unsere scholien 
aller jungen citate entbehren, so hat die tätigkeit der Byzantinerzeit sich 
auf die verkürzte weitergäbe der alten ausgäbe beschränkt sehr früh hat 
«ich eine doppelte recension ganz ähnlich wie im Aristophanes gespalten, 
die eine, von der auch das Etymologicum Magnum spuren bewahrt, besitzen 
wir leider nur für die ersten 12 Olympien, sie hat im texte neben vielen 
eignen fehlem mehreres gute bewahrt, vergleichbar dem Ravennas des Ari- 
stophanes; die scholien sind entsetzlich verdorben, aber sehr wertvoll, der 
einzige Vertreter dieser recension ist der Ambrosianus A (C 122 inf.). die 
andere liegt in zwei trefflichen handschriften vor (Vat. 1312, B, und Laur. 
32, 52, D), und auf ihr ruht unser text und ruhen die scholien fest und 
sicher, es gibt freilich noch eine menge handschriftsn , die keinesweges 
aus jenen stammen, und sie selbst werden sich erst in einem manches 
Jahrhundert zurückliegenden originale vereinigen lassen, aber der text, 
den wir nach beseitigung der durch die vergleichung dieser handschriften 
oder sonst ohne weiteres erledigten Schreibfehler gewinnen, und der also 
an sich sehr viel älter ist als die dem 12. und 13. Jahrhundert ange- 
hörenden erhaltenen Vertreter, zeigt überhaupt ganz geringe Schwan- 
kungen; auch die erst in der späteren byzantinerzeit häufigeren citate be- 
reichern weder ihn noch die scholien wesentlich*^'), die paraphrase aber 

124) Ikarom. 27 : wo die schollen sich wundern, da für sie die erste ode Ol. 1 ist. 
die erste Strophe war natürlich in alter zeit so bekannt, wie der anfang von Alk- 
mans, Sapphos, Alkaios werken, daher hat sie der späte Verfasser des pseudo- 
lukianischen ^rjuoad'evovs Syxca^iov irgendwo auflesen und ein scholiast das richtige 
&Q%al rßv üivddQov vuvtov hinzusetzen können — wenn er überhaupt das richtige 
gemeint hat. 

125) Amyntianos Ol .3, 52. 6 'AXixaQvaaasiQj d. h. Dionysios uovaixr} latoQia^ 
da es sich um die Stiftung der für die musikgeschichte so wichtigen sikyonischen 
Pythien handelt. Hephaestion (Isthm. 3) ist nicht der metriker. auf zwei Herodian- 
citate ist kein verlafs. bezeichnend ist, dafs Palamedes ein •önöfivr^fta eis üivSagov^ 
das letzte von dem wir wissen, geschrieben hat, und nicht vorkommt, das war 
eine concurrenzarbeit — wenn er nicht selbst unser scholiast ist. 

126) So der metrische ßios UivS&Qov und die schriftentafel des Suidas, d. h. 
Hesychius: Aelius Dionysius konnte diese noch nicht geben, zumal der herausgeber 
die alte Ordnung in der vita angegeben hatte, da er sie ja nicht beseitigen wollte. 

127) Sehr stark ist die benutzung im Lykophroncommentar des Tzetzes, dessen 



186 Gesohiolite des tragikertextes. 

gibt die gewähr, dafs wir den Pindar im ganzen so lesen, wie er um 
180 gelesen ward, und von da steigen wir dank den älteren gramma- 
tikern wieder bis zu Aristophanes empor: die schlimmen schaden sind 
älter, älter ist die Umformung des dialektes und der Orthographie, wir 
haben aber für so schwere und den späteren fremdartige poesie die be- 
ruhigung, dafs man an ihr viel weniger als an dem komiker, den die Atti- 
cisten so viel traktirten, und jeder zu verstehen meinte, mit dem ver- 
stände gelesen und abgeschrieben hat. mechanisch ist Pindar copirt 
worden: wir wollen das für die tragiker nicht vergessen. 
SchoUen zu Aber ehe wir zu ihnen selbst gehen, mögen noch die alexandrinischen 
drinem. dichter, so weit sie mit gelehrtem materiale erhalten sind, gemustert 
werden, für sie hat Theon eine ebenso centrale Stellung wie Didymos für 
die classiker, aber so wenig wie dieser kann er als der betrachtet werden, 
welcher unseren scholien die bleibende gestalt gegeben hat; das ist viel- 
mehr im zweiten Jahrhundert geschehen. Theon fand noch einfluisreiche 
nachf olger, unter welchen Epaphroditos"*) und Lucill von Tarrha"®) her- 
vorstechen, seine starke einwirkung auf die Römer ward oben erwähnt* 
dann kommen die compilatoren. den ApoUonios hatte nach Theon und 
Lucill der Römer Q. Minucius Pacatus erklärt, welcher sich, wenn er 
für die griechische, d. h. die gelehrte, weit schrieb, ElQrjvatog nannte'*"), 
gegen ihn wandte sich scharf ein gewisser Sophokles; die polemik zeigt 
den zeitlich nahe stehenden, und starke benutzung des bekämpften wird 
durch sie für diese kreise durchaus nicht unwahrscheinlich, das concur* 



aDalyse vielleicht etwas ertrag geben wird. Eustathins handschrift war reicher als 
B an prolegomena. 

128) Zu den Aitia des Kallimachos war sowol der commentar des Theon wie 
der des Epaphroditos bis in die letzte zeit des altertums vorhanden, d. h. so lange 
wie die gedichte selbst: text und scholien lebten ja zusammen. Et. M. äpSi9 (KalL 
fgm. 130) Steph. Byz. ^to8d>vri (24*). Et. M. Bovxe^cUSj äarvQov, Epaphrodit ist 
stark in den schol. zu Sophokles und Aischylos benutzt, z. b. stammt nicht blofs die 
eine notiz zu Eum. 2, sondern auch 21, 27 die Kallimachoscitate von ihm. 

129) Lucill lebte nach dem Kyrenaeer Nikanor (Steph. Byz. Mie^a) und Apol- 
lonides von Nikaia (Priscian de fig. num. p. 406 H.), also frühstens um die mitte 
des 1. Jahrhunderts n. Chr. 

130) So ist der name zu erklären, das eingreifen von Eömem in griechische 
grammatik ist auf diese Zeit, die Trajans, beschränkt; neben Pacatus steht lulius 
Yestinus, und vor allem Sueton, T^dyxvXXoe für die Griechen; auch Favorin gehört 
gewissermafsen dahin, die anderen träger griechischer namen wie Diogenian, Muna- 
tius waren gebome Griechen. Irenaeus, der schtUer Heliodors, ist schon von Soran 
benutzt, auf welchen die glossen nv8aQit,eiv und %pi5rj bei Orion zurückgehen (Haupt 
op. n 436). 



Schollen zu den Alexandrinern. 187 

renzwerk des Sophokles hat das feld behauptet: er wird aber zu Theon 
und Lucill sich verhalten haben wie Zenobius zu Didymos und Lucill. 
unsere schollen, welche diese drei in der subscriptio nennen, verbinden 
damit also einen wesentlich anderen sinn, als die des Aristarcheischen 
viermännerbuches : sie geben zunächst wesentlich Sophokles, diese aus- 
gäbe ist im vierten Jahrhundert gemacht *^0, und kann durch die excerpte 
in den Etymologiken, für ihre vorläge Sophokles durch Stephanus (in 
den er durch Orus gelangt ist) erweitert werden, obwol wir nur eine 
handschrlft haben*''), denselben Laurentianus, der die beiden älteren 
tragiker enthält, so ist doch der text ein zuverlässiger, die scholien von 
seltener fülle. 

Auch zum Theokrit, und zwar den für echt geltenden gedichten (d. h. 
den in Ahrens ausgäbe stehenden mit ausschluls der ^rjval^^^*), hatte 
Theon einen commentar geschrieben, welcher sich lange gehalten hat"'). 

131) Citirt werden nicht nur Dionysios Baaaagmd und Palamedes USsiSf son- 
dern der epigrammendichter Erycius (H 127) und ein anderes epigramm (Anih. Pal. 
IX 688), frühstens aus dem 3. Jahrhundert (DI 1241), auXserdem häufig Herodian. auch 
möchte dem scholiasten die menge worterklämngen gehören, die aus einem guten 
Homerlexikon, vielleicht direct Apollonios Archibios söhn, sonst einem ganz ähnlichen, 
stammen, das Verhältnis von Sophokles Orus Stephanus ist im wesentlichen richtig 
von Lentz erkannt (Herodian I CCXXHI), der sonst seinen autor auch hier überschätzt, 
die person des Sophokles richtig erfafst zu haben, der springende punkt des ganzen, 
ist das verdienst von Wamkrols {de paroemiograph. Greifswald 1882 these). da 
Lucills commentar noch Et. M. dps^mv (zu H 77) angeführt wird, und nach freund- 
licher mitteilung von Beitzenstein die bessere Überlieferung des Et. M. noch mehr 
citate gibt, so wird man freilich annehmen müssen, dafs Lucill nicht blofs durch 
Sophokles erhalten ist. und so dürfen eine nicht ganz kleine zahl von parallelen 
scholien zu demselben verse auf die beiden autoren bezogen werden, deren son- 
derung die nächste hauptaufgabe ist. sehr vielfach ist das Verhältnis der doppel- 
fassungen freilich nur das unten s. 199 bezeichnete. 

132) Tzetzes zu Lykophron benutzt auch diese scholien häufig; so weit ich 
gesehen habe, ohne uns etwas zu helfen, die these Keils, dafs Laur. A einzige quelle 
sei, ist aus allgemeinen gründen nicht wahrscheinlich, aber er ist so gut wie einzige 
quelle, denn für scholien und text hilft alles bisher bekannte nicht weiter; die immer 
noch verbreitete benutzung der pariser scholien entspringt nur der Unkenntnis ihrer 
benutzer. Merkels Schätzung des Guelferbytanus ist eine unfafsbare verirrung. 

132*) ^töaxov^oi und 'ff^axX^axoe sind jetzt allerdings nur in dem trols der 
unechten überliefert und haben von scholien keine spur bewahrt, aber vrie ihre 
echtheit, von allen inneren gründen abgesehen, durch antike citate gesichert ist, so 
zeigt ihr text eine andere herkunft darin, dafs er sich durch seine reinheit von der 
Umgebung vorteilhaft abhebt. 

133) Orion (Et. M.) y^ZTioe; durch dies citat gewinnt man bei Orion noch 
mehreres. Ahrens ausgäbe der scholien ist eine wertvolle Vorarbeit, genügt aber 
auch nach dieser seite nicht. 



188 Geschichte des tragikertextes. 

allein unsere scholien sind viel später geschrieben und haben nur Theon 
als Urquelle für ihr bestes gut; man findet ihn mit hülfe der Römer, 
sie selbst polemisiren mit einer, allerdings oft verdienten, grobheit, wie 
sie den Zeitgenossen und concurrenten trifft, gegen einen gewissen Muna- 
tius^^*). es war das ein mann auR der Umgebung des Herodes Atticus, 
gebürtig aus Tralles, der sich nicht ygafifiartyLÖg sondern x^trtxJg 
nannte, wie damals in Asien zuweilen wieder als feiner galt, da wir 
nun einen jüngeren Zeitgenossen von ihm, Amarantus, als Theokritscho- 
liasten kennen und dieser nachweislich in unsern scholien steckt, so ist 
der schlufs gestattet, dafs er der feind des Munatius, der gesuchte redactor 
ist"*), die frühbyzantinische zeit mit ihren verselnden Scholastikern, wie 
Eratosthenes, repräsentirt selbstverständlich nur eine etappe der Über- 
lieferung des alten, wie es der scholiast im Apollonios und Pha^inos im 
Aristophanes tat; auch ist sie wenig zu spüren, die Überlieferung der 
gedichte ist den modernen dadurch verwirrt, dafs die von Nonnus bereits 
benutzte Sammlung von bukolika, *^alle in derselben bürde \ also ohne gewähr 
für die echtheit, welche keine scholien hatte, in den späten handschriften 
mit Theokrit vermischt ist, an den sie sich zuerst angesetzt hatte, diese von 
den guten grammatikern verworfenen und eigentlich gar nicht als theokri- 
tisch überlieferten gedichte sind schwer entstellt, ganz natürlich, weil ihnen 
der schütz der grammatik fehlte, die gedichte Theokrits dagegen w^aren 
ebenso gut erhalten wie die der andern Alexandriner, und es schadet nicht 
einmal sehr viel, dafs wir nur für die mehrzahl eine treffliche, wenn auch 
nicht sehr alte handschrift (Ambros. 222, K) haben, vor der die übrigen 
verschwinden, denn auch in dem reste der gedichte birgt sich das echte 
unter gemeinen Schreibfehlern, die man heben kann, man muls nur ein 
urteil über das treiben der redactoren in den Jahrhunderten 14 15 16 
mitbringen, damit man diese völlig abweist, sie haben sich allerdings 
nicht gescheut selbst ganze verse zu fälschen, übrigens versagen für die 
erweiterung der scholien die grammatiker nicht völlig, und zur con trolle 
des textes der theokritischen gedichte sind auch die citate nicht spärlich: 
sie bestätigen unseren text. 

Wenn hier die Verwahrlosung scholienloser texte neben der Sicherung 
des textes durch die grammatische behandlung zu lernen und zu beherzigen 
ist, so bietet Nikandros den beleg für die beiden erscheinungen am selben 



134) PhUostratus vit. Soph. p. 231. 244. 

135) Et. M. Aandlad'oe =— schol. 4, 57. Suxoavcbaare = schol. 7, 154. hier ist 
im schol. die erkläruDg, gegen die Amarantos polemisirt, mit erhalten. Amarantes 
war dem Galen persönlich bekannt, aber vor ihm verstorben. XIV 208 K. 



Schollen zu den Alexandrinern. 189 

texte, ja auch für die fährnisse, welche die grammatik selbst brachte, als sie 
sich noch etwas zutraute, wir lesen die Theriaka in besserem zustande als 
Athenaeus, der sie ohne scholien benutzte ^^^). unsere handschriften aber 
zeigen starke abweichungen, controlliren sich aber selbst, einmal weil neben 
dem durchweg jungen und unzuverlässig geschriebenen volke eine vorzüg- 
liche handschrift steht, die von einem hervorragenden kenner, H. Keil, für 
ganz ähnlich den Laur. 32, 9 des Apollonios erklärt ist (Paris, suppl. 247, JT), 
dann aber weil die jüngeren die scholien erhalten haben, von denen II 
nur schwache spuren hat^"). und diese wieder lehren durch reichliche 
proben, welche fülle schlechter einfalle von den kritikern auf den markt 
gebracht war, glücklicherweise ohne viel zu schaden, die grammatik hatte 
sich bald nach Nikanders tod der exegese angenommen, und zuerst Deme- 
trios Chloros, dann Antigonos"*) hatten dem Theon vorgearbeitet, so dafs 
er nicht so bedeutend wie sonst erscheint, auf diese ältesten erklärer muTs 
die ganz singulare belesenheit in seltenen dichtem der Alexandrinerzeit 
zurückgehen, wol auch die stattliche reihe von bruchstücken technischer 
Schriftsteller*^*), dann hat auch Plutarch sich am Nikander seltsamer- 
weise versucht, und höchstens 100 jähre nach ihm mufs unser corpus 
gemacht sein, denn die zusätze sind gering und beschränken sich auf 
Schriftsteller dieser zeit*''"), die atticisten, Herodian, die auswählen der 



136) Schneider Nicandrea 159. man |darf also den zustand, in dem die reste 
der Georgika bei Athenaeus vorliegen, zum teil auf rechnung seines exemplares 
schieben, die interpolationen sind übrigens zum teil sachlicher art, gemacht von 
so zu sagen ärzten, also ähnlich wie die astronomischen im Arat zu beurteilen, auch 
die Zusätze am Schlüsse der Alexipharmaka, welche 11 nicht kennt (offenbar auf 
grund von kritischen scholien, denn die verse sind nicht byzantinisch) , sind dieser 
art, und der Verfasser hat noch dazu selbst gesagt, dafs er einen nachtrag liefert. 

137) Die scholien der Alexipharmaka warten noch auf einen bearbeiter, der sie 
wenigstens auf einen älteren zustand zurückführe als der jetzige ist, in welchem 
Tzetzes erscheint und die orange 7'epdvT^wv 533. O. Schneider hat die scholien 
und die antike erklärung in unverantwortlicher weise vernachlässigt. 

138) Er gehört noch ins erste Jahrhundert v. Chr. (Erotian. praef. p. 32 Kl.), und 
polemisiert gegen Chloros, Ther. 748. 585, wodurch man weiteres gewinnen kann. 

139) Archelaos *l8io(pvrjf Numenios, Petrichos, Herondas und Parmenon die 
iambographen, Menekrates (Ther. 172, doch wol der dichter der Erga aus Ephesos) 
sind Seltenheiten, viele von ihnen und daneben die glossographen, wie Epainetos 
und Hermonax, kehren allerdings bei Pamphilos vrieder : aber die dichter sind keines- 
weges nur für glossen benutzt, die techniker sind in Verbindung mit der medici- 
nischen litteratur und besonders mit Plinius Nat. bist, zu setzen: dann dürfte sich 
vieles ergeben. 

140) Oppian für zwei glossen, Th. 98, 586, von denen die erste verdorben ist. 
Dionysios der perieget zur stütze einer conjectur Th. 175, für eine sage Th. 607, 



190 Geschichte des tragikertextes. 

sceniker sind noch nicht in geltung. auch werden unsere scholien mit 
der bezeichnung ol VTtofÄvrjiiiaTlaavTeg Qiwv JJkoiJTaQxog ^rjfjnljTQtog 
bei Stephanus citirt***). sie sind in ihrer art der Apolloniosscholien nicht 
unwürdig, für textkritik sogar noch viel belehrender. 

Aratos und Lykophron ***) bieten ein anderes bild. unseren text und 
unsere scholien verdanken wir dem sammelfleifse des bischofs Niketes von 
Serrha, der den cod. Marcian. 476 geschrieben hat. dafs dieser der arche- 
typus für den text sei, ist für Lykophron gar nicht zu behaupten, und 
auch für Arat ist es nicht glaublich: aber die bedeutung der handschrift 
ist eine so überwiegende, dafs das ergebnis praktisch dasselbe ist. auch 
für die scholien kommt im Lykophron neben der handschrift des Niketes 
die des Tzetzes in betracht, für die paraphrase noch anderes, die hand- 
schrift des Tzetzes beweist aber, dafs Niketes so ziemlich alles gab, was 
er finden konnte, d. h. seine vorläge copirte, und dafs eine nahe ver- 
wandte zu Tzetzes kam. im Arat ist das Verhältnis etwas complicirter, 
und hier wird das interesse vielmehr durch die bruchstücke älterer arbeiten 
gefesselt, die zahlreich vorliegen, die scholien excerpiren selbst commen- 



Diogenian für eine glosse (bei Hesych weicht die erklärang ab), im gegensatze zu 
0i(ov iv 'önofiv'i^fiaTi Th. 237. dies sind schwerlich spätere Zusätze, eher kann 
das von den seltenen aber reichen mythographischen scholien gelten, von denen 
zwar Th. 11 zu einem ^iJTt^^a gehört, aber Th. 15 gehört mit der Araterklärung, 
wie sie bei Ps. Eratosthenes steht, zusammen, Alex. 11, 13, 15 mit den Apollonios- 
scholien. 

141) Steph. KoQÖntji schwer entstellt, von Lentz Herod. II 188 ganz verkehrt 
behandelt und ohne grund Herodian zugewiesen; die herkunft ist ganz ungewifs. 
trotz aller Verderbnis ist klar, sowol dafs schol. Th. 614 benutzt ist, in einem zustande, 
von dem jetzt die handschriften nur noch einen schatten enthalten, als auch dafs 
der scholiast eine eigene meinung im gegensatze zu den ^inoftvfjfiariaavres Giotr 
IIlo'6TaQ%os ^fjjui^TQtoe versucht, der schlufs des Stephanusartikels mufs etwa so 
lauten, nach abweisung der erklärung ^OgonaZos für ^Q^i&nios und KoQonaXoSy dies 
weil man Ko^ötiij nicht kannte, ßilnov $* 'ÖTun'oelv Sri TJttd^njrat xai yganriov 
{yQ&fsrai codd.) *0^o7iaZos\\xar MlXeixpiv rov 7 (^dvrl rov} *0^o7tiaZoe (KoQonaXos 
codd.) II ^O^onia (O^önrj codd.) yäg nöXtS EvßoiaSj dnov AnöXXotvos StaarjfJÖraTov 
Uqöv. die zwischen doppelstrichen stehenden worte sind in den codd. zwei zeilen 
nach oben verschlagen, wo sie sinnlos sind, schol. Ther. 614 ypd^erai xai ''OpO' 
naZos (OpÖTiKtos codd,) ^Oqonla (Ogöneia codd.) yäq nöXis Evßoiae (Boiotr/ae codd. 
verbessert von Meineke), 67tov Staarjfdöxarov Is^dv *A7tölXo}roe, der ort Orobia 
schreibt sich allerdings nicht mit p, soviel wir wissen; bei Steph. fehlt aber der 
artikel. 

142) Vgl. über diese Scheer Rh. M. 34 und Maafs Phil. Unt. 6. beiden kann 
ich mich nicht in allem anschliefsen. übrigens haben beide ihre ausgaben ja noch 
nicht veröffentlicht. 



Schollen zu den Alexandrinern. 191 

tare des ausgehenden altertums, von Theon dem yater Hypatias und Sporus 
dem Verfasser der von Simplicius zur Physik benutzten KrjQlaf auch den 
Byzantiner Leontius (aus dem 7. Jahrhundert), aber das alles ist nichts 
eigentlich grammatisch kritisches, und das mythographische ist vollends 
viel älter, auch hat sich eine vita Arats gerettet, welche in die beste zeit 
der nachtheonischen grammatik gehört: ApoUonides ist der jüngste name 
darin "*). man darf wol vermuten, dafs dazu ein ähnlicher commentar ge- 
hörte wie die zu ApoUonios und Nikander***). für Lykophron ist zwischen 



143) Allerdings ist es unwahrscheinlich, dafs dies ApoUonides von Nikaia, der 
Zeitgenosse des Tiberius ist. er heilst in der Aratvita KrjfeöSj und Bentleys änderung 
NiKasiie ist gewaltsam. Krifei5s ist ein eben so guter diakritischer name wie "^I^lcov 
&pqS H^vSa^lcov. deutet dann aber auf zwei granmiatiker mit xiejaen.^ AnolXaividrie. 
aufserdem erklärt dieser ApoUonides die brief e des Arat und Euripides für gefälscht von 
Sabidius PolUo : weder ist wahrscheinUch, dafs ein Römer in so früher zeit griechische 
werke gefälscht hat, noch sehen die dummen Euripidesbriefe nach der zeit des 
Augustus aus. 

144) Ahnlich wie den Aratscholien ist es denen zu Hesiodos gegangen, was 
sehr zu bedauern ist, da die kritik in diesem dichter mit wertvoUem materiale operirt 
und andauernd und energisch gearbeitet zu haben scheint, leider fehlt noch jede 
irgendwie brauchbare ausgäbe des erhaltenen, und ist dies so dürftig, dafs nicht 
einmal Tzetzes fortgeworfen werden kann, die epochen der Hesiodkritik sind zuerst 
dieselben wie die der Homerkritik, sie beginnt mit dem 3. Jahrhundert; Zenodotos 
ApoUonios Praxiphanes befassen sich mit ihr. dann folgen die mafsgebenden aus- 
gaben des Aristophanes (der auch in der abgrenzung des echten nachlasses sehr 
energisch vorgeht, obwol eine aUgemeine beschränkung des alten namens auf ein 
par werke hier nicht mögUch war, wie 200 jähre früher für Homer) und Aristarchos. 
dessen kritische zeichen erläutert auch hier Aristonikos. Didymos tritt minder hervor 
als Seleukos, und dann Epaphroditos, dessen commentar zur Aspis noch im Et. Gud. 
benutzt ist. er hat es wol bewirkt, dafs dieses gedieht mit unter die n^arröfisva 
(schol. Nikand. Th. 11) aufgenommen ward, dann ist eine ausgäbe der drei gemacht, 
deren commentar man sich ähnUch den schoUen BT zu Homer denken mag, in 
welchen ja auch auszüge aus Aristonikos wie hier enthalten sind, existirt hat die 
auswahl schon im 3. und 4. Jahrhundert, wie das titelblatt eines solchen buches 
lehrt (Sitz. Ber. Berl. 1887, 808), welches natürUch die reihenfolge Qeoyovia *'Egya 
^Aanis zeigt, die unbegreifUcherweise von den modernen öfters verlassen wird, ob 
schon in dieser ausgäbe der commentar Flutarchs zu den Erga benutzt war, oder 
später hinzutrat, ist fragUch, doch wol nach analogie der NikanderschoUen wahr- 
scheinlicher, später ist dann der des Proklus zur Theogonie hinzugetreten, wie die 
neuplatonisohen auszüge zu den FlatonsohoHen, z. b. des Gorgias, und sind die para- 
phrasen gemacht, wir haben nur jämmerUche reste. entsprechend ist der text traurig 
verwüstet, und nicht nur alte citate, wie selbst im Homer, sondern die zum glück 
umfängUcheren reste antiker handschriften helfen hier wirkUch etwas, aber man 
schaudert, wenn z. b. hinter "E^ya 174 vier verse spurlos in unseren handschriften 
verschwunden sind (NaviUe, Rev. de PhÜ. 1888, 113). 



192 Geschichte des tragikertextes. 

Theon und Niketes gar kein bearbeiter zu nennen, und die gesehichte 
seiner erklärung erscheint uns als eine fortgesetzte Verdünnung von der 
grolsen gelehrsamkeit, welche die älteren excerpte ahnen lassen***), bis 
auf die jetzige bettelhafte dürftigkeit. aber aus dieser allein ist es auch 
erklärlich, dafs wir von keinen späteren grammatikern hören, und allein 
die Paraphrasen beweisen schon das eingreifen von mehreren: unmöglich 
darf Theon mit den erhaltenen behelligt werden**'*). 

Was ist nun das resultat dieser ungünstigeren erhaltung für den text ? 
kein ungünstiges, niemand kann bestreiten, dafs beide dichter im ganzen 
sehr gut erhalten sind, und auch hier treten die citate viel öfter be- 
stätigend als berichtigend ein. und so ist es ja überhaupt: der blick mufs 
nur nicht auf ein einzelnes object sich verbohren, sondern mufs die 
fülle der erscheinungen übersehen, man mufs nur die texte vieler Schrift- 
steller wurklich geprüft haben, dann wird man fest und sicher in der kritik 
und läfst sich von dem unwissenschaftlichen meinen und besserwissen 
nicht beirren, dichter und scholien haben dieselbe Überlieferung seit 
dem altertum, und die Jahrhunderte der Byzantinerzeit, 6 — 12, haben 
viel verloren, aber wenig verdorben, dichter, welche aus der gelehrten 
tradition des altertumes den schütz der grammatik überkommen hatten, 
und welche zum teil weiter mit einer gewissen gelehrsamkeit behandelt 
wurden, sind in dieser zeit nicht wesentlich entstellt da ist keine 
erscheinung, wie sie die Überlieferung der epigramme in den anthologien 
bietet und mehrere pseudotheokritische gedichte: die lasen und variirten 
die versifexe, die es immer gab. da ist keine so schauerliche Verderbnis, 
wie sie gelegentlich abgeschriebene stücke, z. b. das Carmen de herbis 
betroffen hat, oder innerhalb technischer Schriften erhaltene, wie die 
von Galen geretteten medicinischen poeme, oder selbst ganz technische wie 
die Manethoniana. der zustand der älteren, classischen litteraturwerke, 
.den wir vorfinden, hängt wesentlich davon ab, wie sie in die Byzantiner- 
zeit herüber gerettet sind, ein glänzender beleg ist die erhaltene hymnen- 
sammlung, welche die Kallimacheischen mit einem ganz jämmerlichen 



145) Aufser den Bömeni, die ans Theon schöpfen, steht manches bei Stephanus, 
im Et. M. und in den scholien zu Dionysios periegetes, die eine ausgäbe und analyse 
verdienen, zumal jetzt der schlufs (von 900 etwa) verdünnt und durch zusätze (Plu- 
tarch de fluviis z. b., wovor sich zu hüten) verdorben ist. Lykophronscholien stecken 
z. b. 259, 270, 306, 358, 483. auch ApoUonios- und Kallimachosscholien sind viel 
benutzt, die scholien scheinen aus dem 4. oder 5. Jahrhundert zu sein. 

145*) Wirklich erscheint in der älteren Überlieferung des Et. M. l^fiavris ein 
Se^rlcov iv ^Tiojuyijjuari Avxö^qovos. gefällige mitteilung von Eeitzenstein. 



Schollen zu den Alexandrinern. Byzantinisohe correctoren. 193 

reste von scholien^^'^), aber so gut wie ganz rein enthält, und daneben die 
homerischen zum teil, wie den Aphroditehymnus, fast rein, zum teil, wie 
den ApoUonhymnus , bis zum chaos entstellt: niemand kann das anders 
auffassen, als dafs der unterschied der erhaltung vorhanden war, als die 
Sammlung angelegt ward, von welcher wir uns aus renaissanceabschriften 
eine handschrift des 12. Jahrhunderts etwa reconstruiren. wenn also der 
ApoUonios in derselben handschrift vorzüglich erhalten ist, welche den 
Aischylos so arg verstümmelt enthält, so ist sicher, dafs der Schreiber 
an dieser entstellung unschuldig ist. 

Das schelten auf die byzantinischen textverderber ist also in der Byzanti- 
hauptsache unberechtigt, sobald wir nur handschriften des 10. 11. auch rectoien. 
noch 12. Jahrhunderts besitzen, wie den Laurentianus der beiden älteren 
tragiker und des ApoUonios, den Bavennas und Venetus des Aristophanes, 
den Venetus des Aratos und Lykophron und eine ganze anzahl mais- 
gebender handschriften der classischen prosaiker, so müssen auch die 
widerwilligsten zugestehen, dafs die Schreiber dieser handschriften ihre auf- 
gäbe gewissenhaft erfüllt haben und gegeben was sie hatten, und wenn 
wir die tätigkeit des 9. und 10. Jahrhunderts hinzunehmen, die wir sonst 
kennen, den sammelfleifs des Photius und selbst des Suidas, die encyclo- 
paedie des Constantinus Porphyrogennetus, die fürsorge des Arethas für 
die herstellung kostbarster und sauberster abschriften, so gibt das eben- 
falls ein günstiges bild. ganz anders sieht es freilich aus, wenn wir die 
Byzantiner der Jahrhunderte 13 — 16 beobachten, wer von ihnen die er- 
haltung der texte durch bescheidene weitergäbe des überkommenen er- 
wartet, wer Überlieferung bei ihnen sucht, der findet sich freilich schwer 
getäuscht in unzähligen fällen hat die philologie den groisten fortschritt 
dadurch gemacht, dafs sie texte, welche in diesen letzten Zeiten festge- 
stellt waren und zunächst das feld behaupteten, zu gunsten älterer hand- 
schriften gänzlich beseitigte , und immer mehr verschwinden die kecken 
änderungen jener Byzantiner letzter zeit selbst aus dem kritbchen apparate. 
es ist begreiflich, dafs man auf die frechen interpolatoren gescholten hat^ 
die ihre sache doch so geschickt gemacht hatten, dals sie die sprach- 
kundigsten und geistreichsten modernen kritiker nasführten, indessen 



145^) Die Übereinstimmung dieser schollen mit Et. M. und Hesyoh kann ein 
nrteilsföhiger natürlich nur so auffassen, dafs Et. M. ans den ehemals vollständigeren 
schollen schöpft, Biogenian dieselben worterklämngen noch älterer glossographie 
oder ezegese entnimmt, benutzt sind diese schollen auch von dem Dionysiosscho- 
liasten. was freilich in dem archetypos der hymnen erhalten war, ist an sich für 
uns fast ganz wertlos. 

y. "Wilamowitz I. 2. AtiA. 13 



194 Geschichte des tragikertextes. 

muis das urteil auch hier ein gerechteres werden, indem es die richtige 
geschichtliche Betrachtung findet, diese Byzantiner sind eigentlich gar 
nicht als Schreiber, sondern als emendatoren aufzufassen, sie sind nicht 
die collegen der braven stupiden mönche, die treufleifsig nachmalten, was 
sie nicht nur nicht verstanden, sondern auch nicht zu verstehen meinten, 
sondern sie sind unsere collegen. an ihren zeit- und sinnesgenossen in 
Italien müssen sie gemessen werden, es war doch eine art fortschritt, 
ein regen modern philologischen sinnes, wenn die Planudes Moschopulos 
Triklinios lesbare texte herstellten, so gut sie konnten; sie stehn nur in 
einer Übergangszeit, die Musurus Kallierges Arsenius MaruUus Portus sind 
ihre unmittelbaren nachf olger: die Griechen hatten auch teil an dem 
rinascimento ; der Zusammenbruch ihres reiches durch die Türken hat 
die entsprechende entwickelung nur gestört, nun wird man ja auch ge- 
neigt sein, den benannten persönlichkeiten diese Schätzung zuzugestehn; 
aber ein Schreiber, wie der des Florentiner Lysias, des Modeneser Xeno- 
phon, des Münchener Polyaean, steht doch deswegen nicht anders da, weil 
er anonym ist. und die correctoren mancher handschriften, auch von 
den tragikem, verdienen eine gleiche Schätzung, ihr Scharfsinn ist gar 
nicht gering, sie haben so manchen vers für immer geheilt, und noch 
viel öfter das äuge von Jahrhunderten geblendet, namentlich Demetrios 
Triklinios ist in Wahrheit eher als der erste moderne tragikerkritiker zu 
führen denn als ein unzuverlässiger Vertreter der Überlieferung, es war 
schon nichts geringes, dafs er sich die sämmtlichen gedichte Pindars, die 
sämmtlichen tragödien des Aischylos und Sophokles, deren er habhaft 
werden konnte, vornahm und durchemendirte. er besals aber auch gar 
nicht geringe metrische kenntnisse, die er nicht den lehrbüchern sondern 
der beobachtung entnahm und so gut er konnte an den texten durch- 
führte, und vor allem, er hat erfolg gehabt au&er den drei genannten 
dichtem hat auch seine recension der ersten drei euripideischen tragö- 
dien ****) sehr stark bis in die jüngste zeit gewirkt, und eine gar nicht 
geringe anzahl von emendationen sind ihm wirklich gelungen, vor sehr 
vielen modernen, die viel genannt worden sind, sich noch sehr viel anmais- 
licher geberdet haben und nicht die entschuldigungen für ihre misgrifie 



146) Es ist die von King vorgeholte und nach ihm benannte recension. hinzu 
kommen die scholien zur Hekabe. Triklinios hatte keine guten handschriften; sein 
Aischylos war ein bruder des Yenetus 616, sein Pindar ein nachkomme des Flor. D. 
Hillers ^beitrage zur textgeschichte der Bukoliker haben auch seine Bukolikerhand- 
schrift kennen gelehrt, auch hier hat er sich bemüht, so yiel wie möglich zu sammeln, 
gutes und böses hat er selbst wenig getan. 



Byzantinische correctoren. auswahl der tragödien. 195 

haben wie er, vor Härtung z. b., also einem hervorragend gescheidten 
und kenntnisreichen manne, dürfte er dreist den yorrang beanspruchen, 
aber allerdings, es wäre schrecklich und nicht viel anderes als ein ver- 
zieht auf die endliche erreichung eines zuverlässigen textes, wenn wir die 
dichter auf Triklinios als grundlage aufbauen müTsten, und es wäre nicht 
minder schrecklich, wenn man fürchten müTste, dafs der Sophoklestext, 
wie ihn der Laurentianus bietet, durch die bände von leuten wie Triklinios 
gegangen wäre, dann müfste, wer nicht spielen will, die tragikerkritik 
lieber ganz aufgeben, zum glück wird eine solche annähme durch die 
vergleichende betrachtung der textgeschichte ähnlich überlieferter werke 
widerlegt: um die richtige Schätzung unserer Überlieferung, so weit allge- 
meine erwägungen es vermögen, zu gewinnen, ist diese abschweifung 
gemacht mit besserer einsieht dürfen wir nun zu dem punkte zurück- 
kehren, wo wir die tragiker verlassen haben, zum zweiten Jahrhundert. 

Ein mann ist es gewesen, der damals für den Unterricht eine aus-^^^^ 
wähl von tragödien der drei tragiker veranstaltet hat, welche sich nicht 
nur allgemein eingebürgert hat, sondern den Verlust erst der übrigen 
tragiker, dann der nicht gewählten dramen, endlich der letztgestellten 
unter diesen bewirkt hat. dafs ein und derselbe die auswahl für alle drei 
tragiker besorgt hat, zeigt sich darin, dafs Sieben, Oidipus und Phoenissen, 
Orestie, Elektra und Orestes offenbar bestimmt waren neben einander 
gelesen zu werden, die rücksicht für die schule hat bewirkt, dafs die 
aischyleische reihe mit dem Prometheus anhebt^ einer tragödie, die so viel 
leichter ist als ihre Schwestern, wie der Plutos im Verhältnis zu den andern 
komödien. auch die Perser eignen sich zur einführung, und Aias und 
Hekabe setzen die Homerlecture stofflich fort; sie sind auch besonders 
leicht verständlich, die reihenfolge ist urkundlich nur für die euripi- 
deischen dramen bekannt"'), Hekabe Orestes Phoenissen Hippolytos Medeia 
Alkestis Andromache Rhesos Troerinnen Bakchen. für Aischylos ist die 
folge so gut wie sicher Prometheus Sieben Perser Orestie Hiketiden "') : 



147) In den randnotizen des Laur. 32, 2 (C), über welche unten, wir würden 
dieselbe reihenfolge erschliefsen, nur Andromache und Alkestis umstellen: das liegt 
aber nur daran, da£s Alkestis zufällig im Marcianus nicht mehr erhalten ist. 

148) Dafs die Hiketiden hinter die Orestie gehören folgt erstens daraus, dafs 
sie nur im Laur. erhalten sind, zweitens scheint Tzetzes sie allein von den 7 stücken 
nicht besessen zu haben, drittens sind ihre schollen am dürftigsten, viertens war der 
Archetypus auf einzelnen blättern (825 — 900) ganz besonders zerstört. Eustathius 
scheint sie gehabt zu haben, wenn er y. 885 zu a 347 anführt, es ist aber unsicher, 
da es eine andere lesart und erklärung gibt als der Mediceus und seine schollen, 
•ein anderes oitat aus den Hiketiden ist mir bei Eust. nicht begegnet; 

13* 



196 Geschichte des tragikerteztes. 

es ist also glaublich, dals die andern dramen der Danais folgten, so dafs die 
aufnähme des ersten Stückes nicht mehr befremden kann, für Sophokles 
kann man sicher nur die drei ersten tragödien nennen, Aias Elektra Oidipus 
Tyrannos ; die weitere folge Antigene Oidipus auf Kolonos Trachinierinnen 
Philoktet kann aber für wahrscheinlich gelten *^^). die erhaltenen hand- 
schriften haben aber für die Ordnung keine gewähr, es gelingt auch 
durchaus nicht, irgend eins der folgenden dramen aufzufinden, obwol 
Euripides und Aristophanes beweisen, dals die reihe einst weitergieng; 
auch bei jenen ist die beschrankung auf sieben dramen, entweder noch in 
den handschriften nachweisbar, oder zeigt sich doch stark in dem zustande 
von text und scholien. die beschrankung auf je drei gehört erst der letzten 
Byzantinerzeit an, welche für die Überlieferung nicht mehr in betracht 
kommt. 

Dafs die Schulausgabe scholien hatte, liegt in ihrer natur. aber die 
erhaltenen sind nicht wie die aristophanischen für einen einheitlichen 
commentar beweisend, denn rückweisungen wie dort gibt es eigentlich 
gar nicht *^®). auch ist der zustand der erhaltung zu verschieden, und man 
kann nur die euripideischen etwa für den herausgeber in anspruch nehmen, 
weil sie einerseits reich genug sind, um überhaupt solche Schlüsse zu ge- 
statten, andererseits alle späteren Schriftsteller so ganz vereinzelt in ihnen 
citirt werden, dafs sie ohne zweifei über das dritte Jahrhundert zurück- 
reichen"*), doch gilt das ja nur für den gelehrten kern, nicht für die 

149) Dies die Ordnung im Paris. 2712: die reihenfolge der thebanischen fabeln 
scheint ursprünglich und wird durch die hypothesen des Sallustius bestätigt, auch 
sind die scholien zum Philoktetes in der tat die spärlichsten. 

150) Es ist eigentlich nur Fhoen. 1707 zu nennen, Tte^i ro€ iv r(p Inneiq^ 
(1. Innicp) KoXtovcp red'&tp^ai rdv Oidinovv iv äXXois i^stQy&a/isd'a dxpiftcSs; was 
man kaum auf etwas anderes als scholien zu dem sophokleischen drama beziehen 
kann, in den aus der rhetorenschule stammenden scholien zu den rednem, Thuky> 
dides, Aristides ist eine solche Verweisung auf die im cursus vorhergehende leoture 
gewöhnlich, die form des ausdrucks iv ^Itpiyeveiq rff iv Tw6qois et^rirai (Androm. 
1262), iv 'HQaxlei xal ^I^iovi Sidetxrai (Or. 73) darf nicht irren: tatsächlich findet sich 
das angeführte ED. 436, Her. 1160, 1233. 

151) Solche citate finden sich gerade zu den späteren stücken der sieben. 
Med. 613 Helladios Chrestomathie, Med. 1027 Phrynichos, Andr. 229 Lykophron (in 
dieser sphaere der gelehrsamkeit ein zeichen später herkunft der bemerkung), Andr. 687 
Ps. Apollodor, Alk. 1128 Plutarch /leXirai *^0/iriQtxa£y Hipp. 409 Herodian, aber in 
einer specialschrift; aufserdem nur eine accentregel des Theodosios Or. 1525. für spät 
muTs auch das citat aus Apollonios Rhodios Or. 225 gelten, da dieser in alter glosso- 
graphie nicht benutzt wird: in dem mythographischen scholion Med. 334 ist das 
etwas anderes, die Sophoklesscholien haben auch nur ein Herodianoitat, auch das 
mit buchtitel, OK. 195. mit einem excerpt aus Ps. Apollodor und den bekannten versea 



\ 



Auswahl der tragödien. Sallustius. 197 

Paraphrasen, und aus den obigen genaueren ausführungen über die 
scholien zu einzebien dramen ist ersichtlich, dals die gleichartig erhaltenen 
scholien ganz verschieden aussehen, je nach dem materiale, das dem 
compilator zur Verfügung stand, dem wu: sie verdanken, ob das aber 
einer für alle dramen war, oder so und so viele, läist sich nicht aus- 
machen: compilatoren haben keine individualität 

Metrische scholien sind nur zum Aischylos ein par erhalten, wert- 
voll, obwol sicherlich nicht älter als heliodorisch*'^'). kolometrie ist vor- 
handen, aber man setzte ja die verse seit Aristophanes allgemein ab. 
offenbar hat der grammatiker, der die auswahl machte, die metrik ganz wie 
Symmachos unberücksichtigt gelassen. 

Den namen dieses mannes kennen whr nicht, es kann aber scheinen, 
als gäbe es bewerber um die ehre, die scholien selbst nennen noch 
^Ttof^VT^fdara von Irenaeus *") Pius***) und einem Alexander^") den man 
nicht genauer bestimmen kann, später entstehen überhaupt keine t^/ro- 
fivTJfiara zu den tragikern mehr, nun besitzen wir aber zu Sophokles 
Oid. Kol. und Antigene hypothesen von einem gewissen Sallustius, und SaUostios. 
die gleichartigkeit des tons weist ihm die des Aias und die did rl 



ngcöra /uhv iv Nejuifj^ in Byzanz geläufigen dingen, hat wol der Schreiber des Laur. 
erst den mangel einer hypothesis der Trachinierinnen ersetzt, von den zwei stellen 
aus ApoUonios (£1. 445, 745) ist wenigstens die erste späterer zusatz, ebenso wie 
die töricht citirte aus der Demonicea Tr. 118. aber wie wenig citate bleiben in diesen 
scholien übrig, wenn man das alte hypomnema zum OK. und die mythographischen 
ezcerpte abzieht? das gilt noch dreimal so stark von den Aisohyiosscholien, wo 
zufälligerweise Herodian auch nur einmal vorkommt (Eum. 189). die für späte zeit 
beweisenden namen Strabon Dionysios periegetes ApoUonios Bhodios sind alle von 
einem Spätling für geographisches zum Prometheus beigeschrieben, das ezoerpt aus 
der uovaixij larogta vor dem Prometheus ist ersichtlich von demselben beigefügt; 
wenigstens die epitome des Bufus hat sich lange erhalten, die benutzung der Sym- 
maohosausgabe des Aristophanes liegt nirgend erweislich vor: die der Epinikien des 
Pindar überall. 

152) Ein im übrigen verschollener grammatiker Eugenios (um 500) hat nach 
Suidas eine Kolometrie &nd Bqaft&Ttov u zu den drei tragikern verfafst. ob er von 
jedem 5 nahm oder wie er sonst verteilte, läfst sich nicht sagen: je 15 konnte er 
nicht mehr kennen imd einflufs hat er nicht gewonnen. 

153) Med. 218. 

154) Aias 408. die zeit des Pius, eines ziemlich törichten lytikers, scheint sich 
nicht sicher bestimmen zu lassen, vgl. Schrader Porphyr. 434. 

155) Et. M. ägfidrsufv aus dem vollstöndigeren scholion zu Or. 1384. oitirt 
wird neben Palamedes auch ^iSv/ios xai ^ÄliiavS^oe. auf den von Kotyaion hat 
Lehrs qu, ep. 13 geraten« es ist aber ganz unsicher; eben so gut kann es ein obscurer 
älterer sein, den Didymos citirte. 



198 Geschichte des tragikerteztes. 

TijQavvog iTtiyQdtperai überschriebene zum Oid. Tyr. zu*^*). wer so 
schreibt rd Ttqax^ivra Tteql töv Oidlrcoda tofiev aTtavra rd iv r(p 
iriQcp OidlTtodi hat auch das stück vorher erklärt, der mann ist 
redselig und umschreibt die ältere mythographische und didaskalische 
gelehrsamkeity die er auch fast ganz verdrängt hat. es fragt sich, wer 
er war. der Laurentianus gibt scheinbar eine sichere antwort, er nennt 
ihn nvd-ayÖQeiog^") , meint also den Verfasser der schrift ftegl d-eQv 
xa^ üöa^ov, der ein anhänger des lamblichos ist und wol sicher dem 
ausgehenden 4. Jahrhundert angehört, ob er freilich der Sallustius ist^ 
der dem lulian als gouvemeur von Constantius gesetzt war, aber sein 
freund ward und nach dem thronwechsel hohe ehrenstellen erstieg, 
ist mehr als fraglich"^), diesem würde man anstehn eine gramma- 
tische arbeit zuzuschreiben: ein philosoph, zumal ein wesentlich fremde 
lehre popularisirender, wie der Verfasser jenes traktates, kann immerhin 
auch so etwas gemacht haben, wie die hypothesen vermuten lassen, es 
hat aber allerdings auch einen Sophisten Sallustius gegeben, der gram- 
matisches geschrieben hat*^), und ein par mal wird ein Sallustius für 
grammatisches angeführt, das man nicht leicht einem Sophisten zutraut^ 
von den hypothesen zu Sophokles aber nicht wird trennen wollen*^], 
so bleiben Unklarheiten, indefs ist dem zeugnis des Laurentianus der 

156) Über die berechtigung des titeis wird zu Ant. OT. Ai. gehandelt, über die 
mythographie zu Ant. Ai. die geschwätzigkeit ist die gleiche : der stoff natürlich 
älteren ^nod'iaets entlehnt. 

157) SaXXovarlov ünö&eais Uvd'ayÖQov steht vor dem OK.; aber abgekürzt, 
und ist so zu verstehen, wer weifs, dafs es einen Pythagoreer Sallust gegeben hat, 
wird es nicht wegconjiciren. 

158) So Zeller Y 734, der andere gleichsetzungen mit recht abweist, aber lulian 
weifs selbst in der überschwänglichen achten rede, die er als junger mann dem ab- 
berufenen genossen widmet (p. 252^) ihn nur zu rühmen als ^rirogeiav äxQov xal 
(piloaofpias oix änet^op. und als er ihm die vierte rede, wie er selbst sagt (föO^), 
ein ezcerpt aus lamblichos Tie^i &eßy, zuschickt, nimmt er an, dafs Sallustius jenes 
werk nicht kennt (157^) und, sollte man meinen, nicht lesen wird: wozu widmet 
er ihm sonst die epitome? Sallustius war wol überhaupt kein Grieche; verwaltet 
hat er Gallien: der praef. praetorio unter lulian ist ein anderer. 

159) Suid. 2". ao^tOTtje, MyQaxpev eh ^rjjnoad'Hriv xai ^Hgödorov inöftvrifta 
xai dXla. auf ihn möchte man nur das gleich zu nennende Aristophanesscholion 
beziehen. 

160) Schol. Ar. Flut. 725 in jenem antiquarischen scholion, das auch Telephos 
enthält, oben anm. 111. Et. M. ä^nis mit einem Kallimachosvers aus der Hekale. ver- 
gessen wollen wir nicht, dafs Eallimachos in den Sophoklesscholien durchgehends 
und oft angeführt wird. Steph. Byz. ^A^ilts über die Schreibung dieses namens ist 
zweifelhaft. 



SaUustius. Dionysios. 199 

glaube nicht wol zu versagen: denn das buch Ttegl d-eQv war keines- 
weges sehr bekannt und ergibt eine bezeichnung Tlvd-ayöqeiog auch nicht 
unmittelbar, so dafs eine falsche Vermutung über die person des genannten 
autors wenig wahrscheinlich ist. dann ist aber die tatigkeit des Sallust 
nur die eines Überarbeiters, der die auswahl der dramen schon vorfand 
und den besten teil der scholien auch. 

Auch für die Euripidesscholien findet sich ein bewerber. zum Orestes Dionydos. 
findet sich in den wesentlichen handschriften übereinstimmend die sub- 
scription Ttqdg didcpoqa civrlygatpa, ftaQayiygaTtrai ix roü JlovvgLov 
vrtOfivi^fxaTog öXoa%BQ(5g y,al tQv (xiY.T(av, und die einzige derselben, 
welche auch die Medeia enthält, notirt zu dieser Ttqdg didcpoqa dvrl- 
yga^a, ^lowolov öXoaxsQkg xal riva röv z/t(5t5^ov*"). die belehrung 
ist sehr wertvolL zunächst erklärt sie, wie es zugeht, dafs zu so vielen 
stellen dieselbe handschrift dasselbe scholion in verschiedenen brechungen 
enthält der Verfasser der subscription hat eine anzahl handschriften der- 
selben scholien neben einander benutzt, die von einander abwichen, wie 
etwa B und D im Pindar. übrigens zeigen unsere handschriften selbst, 
wie solche dittographeme in derselben handschrift entstehen, indem ein 
resum6 des längeren scholions an oder über das wort gesetzt wird, zu 
dem es gehört, fast alle scholien, auch die sophokleischen und so ver- 
kümmerte wie die zu den Thesmophoriazusen, zeigen dieselbe erscheinung. 
randscholien und textscholien des Yen. A im Homer decken sich auch nicht 
selten inhaltlich, aber unsere Euripideshandschriften weichen so wenig von 
einander ab, dals es nicht geraten ist, den Verfasser der subscription sehr 
hoch über sie hinauf zu rücken, so nahe verwandte wie B, T und Laur. 
32, 3 im Homer gehen viel weiter aus einander, also ist der Verfasser der 
subscriptio ein mann vom schlage und ziemlich auch der zeit des Niketes 
von Serrha: aber wol kann er verschiedene handschriften benutzt haben, 
welche die subscription trugen TtaQdytsiTai ix tCjv Jiovvalov öXoGXBQhg 
xaC Tiva T(5v Jlöij^ov, und fraglich bleibt es, ob die subscriptio auch 
für andere stücke gelten soll, was die mischung angeht, so ist Dionysios 
beidemal genannt und vollständig aufgenommen: der zusatz heifst zum 
Orestes fiixrdf zur Medeia Didymos, und wirklich findet sich dieser zur 
Medeia öfter genannt, und anderes haben wir ihm oben zuschreiben können, 
(anm. 71), zum Orestes kommt jetzt sein name nicht mehr vor^ tat es zwar 
früher (oben anm. 83), aber der Charakter der scholien weicht dort ab. 

161) Späte handschriften haben die subscription des Orestes auch und so eine 
abschrift des Laurentianus 32, 2 (Kirchhoff £ur. I p. 417. 472): aber keinesweges 
dieser selbst. 



200 Geschichte des tragikertextes. 

sollen wir nun also vielleicht sagen, dafs wir z. b. zur Hekabe nur Didymos 
oder die fjUTLra, zum Hippolytos etwa nur Dionysios besitzen ? mit andern 
Worten, sollen wir glauben, dafs es etwa im 10. Jahrhundert handschriften 
gab mit einem commentar eines Dionysios, andere mit scholien ver- 
schiedener Verfasser, andere mit denen des Didymos? das ist verführerisch, 
und es ist allerdings peinlich, dafs man nicht ganz scharf ja oder nein 
sagen kann, warum hiefs der mann auch gerade Dionysios, so dafs man 
nicht wissen kann, ob er christ oder beide, ein würdiger forscher oder 
ein indifferenter abschreiber war. indessen irgend wie mufs man zu ihm 
Stellung nehmen, und man darf wol folgender erwägung trauen. Diony- 
sios war öXoa%€qQg benutzt, also galt seine arbeit auch wol dem ganzen 
stücke, das tut aber nur die von vers zu vers fortschreitende trivial- 
erklärung, die nahe an die paraphrase heranstreift die subscriptio unter- 
scheidet zwei bestandteile: zwei bestandteile zeigen die scholien, einzelne 
gelehrte notizen und trivialerklärung. also mag das combinirt werden, 
und das triviale dem Dionysios zufallen, darum kann er immer noch 
der Urheber der auswahl sein; kann aber auch viel später sein wesen 
getrieben haben, denn gerade diese trivialitäten wechseln am meisten ihre 
form, aber bestanden hat eine solche triviale und zwar mit unseren 
scholien sich vielfach deckende paraphrase zu den 10 Eunpidesstücken 
schon im 5. Jahrhundert, als das Cyrillglossar entstand, aus welchem diese 
an sich wertlosen, nur für die existenz des gleichlautenden textes zeugnis 
ablegenden notizen in den Hesych gekommen sind, wo sie jetzt je nach 
dem belieben des herausgebers teils in teils unter dem texte stehen*"'). 
Benatzong Peinlich genug ist es, dafs sich das fortleben und selbst die ursprüng- 

ansJ^. liehe gestalt der ausgäbe, welche die auswahl begründete, so wenig klar 
beschreiben lalst noch peinlicher, dafs über die zeit, wo sie hervortrat, 
mit starker reserve geredet werden muTs, und am peinlichsten empfindet 
es der, der jähre lang in der hofihung herumgesucht hat, durchschlagende 
Zeugnisse zu finden, indessen das wesentliche bleibt ungeschmälert, wenn 
auch der zeit ein weiter spielramn bleiben muis. im zweiten Jahrhundert 



162) Vgl. Beitzenstein Kh. M. 1888. es kann jetzt niemand über diese dinge 
mit entschiedenheit reden, ehe nicht die neuen funde veröffentlicht und gründlich 
geprüft sind, doch glaube ich, bis ich überführt werde, nicht daran, dafs scholien 
jzu anderen als den 10 stücken benutzt sind, in den alten lexicis, z. B. Diogenian, 
kamen natürlich glossen aus allen vor. da die Homerglossen aus den s. g. Didymos- 
scholien genommen sind, welche selbstöndig damals schon bestanden und einer 
ganzen paraphrase des textes entstammen, so kann man sich sehr wol einen analogen 
Enripidestezt denken. 



Benutzung der auswahl. 201 

gibt es noch leute, wie Aristides und Lukian, denen, auch wenn sie kein 
herz mehr dafür haben, eine weitere eigene kenntnis von tragödien zuge- 
traut werden kann; unter Severus hat Philostrat der ältere*®^) für seine 
bilder wenigstens von Sophokles und Euripides eine reihe dramen benutzt, 
aber von keinem späteren ist es nachweisbar, dafs er eines gelesen hätte, 
das nicht unter den oben aufgezählten enthalten wäre, nun würde eine 
einzelne gegeninstanz ja noch wenig besagen, denn natürlich blieben 
die handschriften in den bibliotheken liegen, bis äulsere unbill oder die 
blolse Vernachlässigung sie zerstörte, und wenn Simplicius tragödien ge- 
braucht hätte, so würde er mancherlei so gewifs gefunden haben, wie er 
zu unserer Überraschung alte philosophen fand, auf diesem wege haben 
sich ja wirklich auch noch dramen und dramenbruchstücke des Euripides 
auf uns gerettet, an dem allgemeinen verschollensein der alten philo- 
sophen ändert jedoch Simplicius nichts, und so würde ein weifser rabe 
die allgemeine gleichgiltigkeit der letzten Jahrhunderte, die man zur antike 
rechnet; gegen die tragödie nicht in frage stellen, aber mir ist keiner 
begegnet, ja ich vermisse vielmehr die fülle der belege, die ich wünschte, 
um die bekanntschaft wenigstens der auswahl zu beweisen, und erschwert ^ 
wird der nachweis noch dadurch dais unter den ersten euripideischen 
stücken sich Orestes und Phoenissen befinden, die seit ihrer ersten auf- 
führung unausgesetzt besonderen beifall gefunden haben, also auch ohne 
den einfluTs ihrer Stellung in der auswahl immer besonders häufig citirt 
worden sind, so dürfen einzelne beobachtungen nicht dazu verlocken^ die 
anläge der auswahl sehr früh anzusetzen*"^), für unmöglich kann man 



163) Der jüngere dagegen behilft sich mit Pindar Nem. 1 (eix, 5), ApoUonios 
Khodios (7. 8. 1 1), Philoktet und Trachinierinnen des Sophokles (6. 16. 1 7. vgl. auch 
das citat 1), citirt Oid. Eol. (3). für das übrige bedarf man nirgends einer dramatischen 
vorläge : man darf ja nicht vergessen, dafs die mythographische litteratur sehr stark 
für den bedarf der Sophisten zugerichtet und erweislich viel benutzt ist. die /uvd'txai 
Sttjyijaets der Sophisten verlangen dringend eine ausgäbe und bearbeitung. Neoptolemos 
unter den schäfem verborgen, damit Phoinix ihn nicht nach Troia abhole, zufällig 
mit diesem zusammentreffend und an der ähnlichkeit mit seinem vater erkannt 
(Philostr. I^), ist ein hübsches motiv, deutlich nach Achilleus in Skyros erfunden, die 
abholung des Neoptolemos durch Phoinix war Inhalt der sophokleischen Skyrier 
(Eobert, Bild und Lied 34), aber dieses rafünirte motiv wird man auf Sophokles 
kaum zurückführen, da ja die sage von Achilleus auf Skyros selbst erst durch Polygnot 
und des Euripides Skyrier aufgekommen war. und für die directe benutzung der 
sophokleischen tragödie durch den Sophisten spricht vollends gar nichts. 

164) Wenn z. b. der sophist Cassius Mazimus von Tyros von Aristophanes nur 
Frösche und Wolken, von Euripides Phoenissen, von Aischylos zwar den Philoktet, 
aber aus einem älteren philosophen, den auch Plutarch benutzt (vgl. fgm. 250), citirt, 



202 Geschichte des tragikertextes. 

gleichwol auch das nicht erklären, dafs sie etwa zu Plutarchs Zeiten 
gemacht, aber erst ein Jahrhundert später allgemein durchgedrungen wäre» 
Sei dem wie ihm wolle, und bleibe auch das fortleben der Samm- 
lung in seinen einzelnen phasen unklar: so viel ist dem spiele der pro« 
babilitäten entrückt: in den abschliefsenden Zeiten der antiken grammatik 
ist eine auswahl gemacht, und diese auswahl besitzen wir. es ist also 
kein zufall, der uns eine handschrift oder die andere erhalten hat, in 
der gerade die oder die dramen standen; noch ist etwa zu irgend einer 
zeit zufällig eine handschrift erhalten gewesen, die dann copirt wurde 
und die dramen auf uns brachte; sondern eine feste tradition und ein 
nie ganz unterbrochener gelehrter betrieb hat uns diese dramen erhalten : 
es ist zwar ein besonderes glück, dafs wir die sieben aischyleischen noch 
alle haben, denn diese waren zum teil auTser gebrauch gekommen, es 



so beweist das nichts, auch von Pindar und Stesichoros citirt er nur was im Piaton 
steht, Sappho hat er allerdings gelesen. — darauf, dals in den resten des rhetors 
Alexander Numenius nur Soph. El. Eur. Hek. Or. Med. vorkommen, möchte ich nichts 
geben. — Tatian, sophist von fach, hat von Orestes eine unklare erinnerung, wie 
sie aus eigner lecture bleibt (10); wenn er aber die im Alkmeon auftretende Erinys 
nennt (worte von ihr sind fgm. 1011 lateinisch erhalten), so entlehnt er das mit 
der folgenden gelehrsamkeit seinen kynischen quellen. — die atticisten scheinen 
zwar die commentirten dramen zu bevorzugen, aber es ist längst nicht so sicher 
wie für Aristophanes : die citate sind überall zu selten. — dafs der kaiser lulian 
von Aristophanes Plutos ßitter Achamer, von Euripides Orestes Phoenissen Bakchen 
selbst gelesen hat, weiter nichts von tragödie und alter komödie aus eigner lecture 
zu stammen braucht oder nachweislich stammt, ist freilich deutlich: aber ein sicherer 
beleg des 4. Jahrhunderts hilft wenig. Er kennt Anakreon Sappho Simonides, das 
zeigen seine Werke, und dafs er Bakchylides las, bezeugt Ammian 25, 4, 3: auch 
Pindar kennt er, aber nur die epinikien (denn ep, 19 geht auf Isthm. 2). von den 
andern wird es natürlich analoge auswählen gegeben haben, d. h. einzelne bücher 
der alten ausgaben, so etwas hat gleichzeitig Himerius besessen ; und einzelnes hat 
sich noch viel länger erhalten, wie die citate von commentaren bei Orion und die 
erhaltenen fetzen von büchem der Sappho und einem der keischen dichter beweisen 
(fgm. adesp. 85: von Pindar ist es nicht, denn dessen pythische epinikien haben 
wir), für Choricius bestätigt J. Malchin {de Chor. Gaz, vet 8cr, studiis Kiel 84) die 
erwartung. er hat Hek. Or. Phoen. Hipp. Med. Andr. Tro. die in der rede vnip 
navto/ilfioiv erhaltenen verse (Malchin s. 46 und 50) sind stark verdächtig, übrigens 
stammt das eine sicher aus einem florilegium. — für Gregor von Nazianz trägt Stoppel 
{qu, de Qr. Naz. poet scaen. imit Rostock 81) viel zusammen, was teils ganz nichtig 
ist, teils auf die benutzung der lexica weist, die bei Gregor sehr deutlich ist. sicher 
kennt er nur Eur. Hek. Or. Phoen. Med. Andr. Alk., wenn auch nur so viel, wenn 
der iambische brief an Seleukos vielmehr von Amphilochius ist, fällt z. b. Alk. fort. 
— solche Untersuchungen müssen auch für die prosa noch in grofser zahl angestellt 
werden. 



Benutzimg der auswaM. der Sophoklestext. 203 

ist ein glück, dafs wir die über die siebenzahl hinaus erhaltenen von 
Euripides besitzen: aber wenigstens die drei ersten von Aischylos, die 
je sieben der beiden anderen hätten für uns gar nicht verloren gehen 
können, denn sie sind aus den bänden des gelehrten publicums nie 
geschwunden, und die Überlieferung hat immer in den bänden der ge- 
lehrten gelegen, mochte die gelehrsamkeit absolut genommen grofs oder 
klein sein, der text, der zu gründe liegt, war auf grund der grammatischen 
arbeiten festgestellt und von scholien begleitet; beide sind zusammen fort- 
gepflanzt und trotz aller Verkümmerung war die erklärung ein mächtiger 
schütz des textes: so finden wir sie vereinigt vor. es könnte sein, dafs wir 
über diese lange periode vom 2. bis 11. Jahrhundert gar nichts wüfsten: 
immerhin würden wir über die beschaflenheit des textes ein praejudiz 
fällen, wie über den des Lykophron, und die schlimmsten Verderbnisse 
jenseits der zeit, wo unser text constituirt ward, verlegen, so ärmlich steht 
es nun zwar nicht, aber es steht für die beiden älteren tragiker immerhin 
ärmlich genug. 

Zwar den Sophokles besitzen wir wenigstens in einer durch eine Der 
reihe handschriften, darunter neben dem Laurentianus 32, 9 den sehr text. 
achtbaren Paris. 2712, gesicherten recension^ und wie im Aristophanes 
treten auch hier die umfangreichen excerpte des Suidas ergänzend und 
bestätigend namentlich für die scholien hinzu: also wir nehmen wenigstens 
das 10. Jahrhundert zum ausgangspunkt. ' aber der text ist von einer 
verblüffenden einheitlichkeit. diese ist es gewesen, welche den wahn 
erzeugt hat, dafs der Laurentianus die quelle aller anderen handschriften 
wäre, eine unglaubliche Verkehrtheit, da ja niemand bestreiten konnte, 
dafs die scholien nicht aus ihm stammten, steht doch das yävog 2o<pO' 
üXiovg und die hypothesis zum Aias gar nicht in ihm, und die hypothesis 
der Elektra z. b. in gänzlich verwaschener form"*), und einzelne er- 

165) Jeder, der etwas von diesen dingen versteht, wird durch die vergleichung 
der beiden fassungen, wie sie Michaelis vor seiner Elektra gegeben hat, überzeugt 
werden, übrigens reicht auch als schiboleth der vers OT. 800 aus, der in L von 
später band nachgetragen ist, in den anderen zum teil älteren handschriften steht: 
aus denen er also, nachdem er in allen gleichermafsen interpolirt war, wieder in 
das original eingetragen worden sein müfste. noch unbegreiflicher ist es freilich, 
daXs jemand den vers für unecht erklärt, ohne an die abhängigkeit der übrigen von 
L zu glauben, aber eine schmach ist es, dafs, wie wir es jetzt sehen müssen, die 
scholien des Laur. als selbständiges buch auf den markt geworfen werden, gleich 
als ob die andern handschriften nur eine wertlose masse wären, der herausgeber, 
der seine Ignoranz allerorten zeigt, hat dabei gar die ^no&iaeie vergessen, einigen 
nutzen gewährt dagegen für die Sophoklesscholien die dissertation von P. Jahr 
(de cod, schol. Soph, Berlin 85). 



204 Geschichte des tragikertextes. 

ganzungen und Verbesserungen sind aller orten aus andern handschriften 
zu holen, doch dieser irrtum darf wol als überwunden angesehen werden, 
und er hat nicht so sehr viel geschadet, da der text wirklich ein so sehr 
einheitlicher, und der Laurentianus die unvergleichlich beste handschrift 
ist nur ist diese einheitlichkeit nicht minder unheimlich, wenn eine 
recension an die stelle einer handschrift tritt^ und wie viel würde man 
darum geben, wenn die recensio so mühsam wäre, wie in den ersten 
dramen des Euripides oder auch nur im Aristophanes. 
A'^h'i - Aischylos .ist es noch schlimmer gegangen, denn Hiketiden imd 
terL Choephoren sind wirklich einzig im Mediceus (denn die philologen haben 
sich wirklich das vergnügen gemacht, dieselbe handschrift in den beiden 
tragikern verschieden zu bezeichnen) erhalten. Agamemnon ist in M, die 
Eumeniden sind in den anderen handschriften stark verstümmelt, so dafs 
für diese beiden schwer festzustellen und nicht sehr belangreich ist, ob 
sie nur durch M ursprünglich erhalten sind***"), aber die drei ersten 
dramen ebenso zu beurteilen ist nur durch Voreingenommenheit erklär- 
lichy es sind sogar die abweichungen stärker als im Sophokles, und die 
nächste aufgäbe der kritik besteht darin, diese secundäre Überlieferung 
zu fassen^ sei es dafs man einen zuverlässigen Vertreter findet, sei es 
dafs man ihn durch die zusammenstunmende lesart einer gruppe recon- 
struirt"^). damit wird aber immer noch nicht viel gewonnen, denn es 
bleibt ein sehr fester in schwersten fehlem einstimmiger text und neben 
ihm ein ganz jämmerlicher rest von fast nur paraphrastischen und zwar 
jungen schollen, wir sind im Euripides und Aristophanes so gut gestellt, 
dafs wir handschriften des 14., 15. Jahrhunderts kaum brauchen, obwol 

166) Erneute prüfung der Eumeniden hat mich zu der ansieht von G. Hermann 
und Ahrens zurückgebracht; doch gilt die Selbständigkeit nur für den archetypus 
von Laur. 31, 8 und Ven. 616, von dem auch Triclinius abhängt, und wol auch 
Yen. 468, der nur den anfang des Agamemnon enthält, zuzugeben ist, dafs unbedingt 
durchschlagende stellen fehlen. 

167) Dafs das ermöglicht werde, erfordert umsichtige handschriftliche Studien, 
die behauptung zu erweisen reichen die von Weil in der vorrede seiner ausgäbe 
vorgeführten stellen aus, die sich leicht vermehren lassen, für die scholien scheint 
mir die dissertation von Sorof {de rat inter cod. rec. et Laur. Berl. 1882) das 
gegenteil von dem was sie will hinreichend zu lehren, aber der positive ertrag 
ist kaum die mühe wert. vgl. auch A. Reuter de A, Prom, Sept Fers, cod* rec» 
Bestock 1883. ein schiboleth sei hier die didaskalie der Perser, wo nur die jüngeren 
handschriften den Glaukos als Horvieis bezeichnen, das hat man erst nicht leiden 
mögen, weil der wahn der trilogie diesen Glaukos ausschlofs, aber da oonjicirte man 
wenigstens, jetzt sollen die Byzantiner die nelgung gehabt haben die homonymie 
zu beseitigen, und den üoTvuis aus den scholien der Frösche aufgestöbert haben. 



Der Aischylostext. der Euripidestext; handsohriften der auswahl. 205 

sie nicht abschriften aus erhaltenen sind, im Äischylos müssen wir 
nehmen was wir haben, und auch in den beiden letzten aristophanischen 
komödien wird uns eine handschrift wertvoll (F + Leid.), die wir im Euri- 
pides fortwerfen, hilfsmittel aus bjrzantinischen citaten liegen nur spär- 
lich vor, und selten ergeben sie wirkliche Varianten*'^). 

Einsicht in den wert der Überlieferung auch der andern tragiker Der 
kann man nur am Euripides gewinnen, mit welchem deshalb diese Studien text^iituad- 
zu beginnen haben, wenigstens von sechs dramen (den ersten der reihe,^aSÄi." 
nur Andromache statt Alkestis) sind eine ganze anzahl handsohriften er- 
halten, die nicht nur selbst einander unabhängig gegenüber stehen, son- 
dern auch durch kein stemma zu vereinigen sind, aus dieser zahl hat 
Kirchhoff, dessen urteil mafsgebend geworden ist, eine anzahl heraus- 
gegriffen, welche in der tat ausreichend ist, um den text festzustellen, 
ohne dafs man doch alles was in den anderen steht, als junge erfindung 
bezeichnen dürfte: aber man darf hier ohne schaden fortlassen, was in 
Sophokles und Äischylos die lesart des einzigen Laurentianus controUirt 
und also unentbehrlich ist *^*). keine einzelne Euripideshandschrift kommt 
ihm an alter und Zuverlässigkeit gleich; aber die gröisere zahl ersetzt 
das reichlich, und der kritische apparat ist noch wesentlicher Verein- 
fachung fähig: man muis nur immer wissen, ob eine lesart einzig in 
einer handschrift steht, oder ob wir nur eine als die zuverlässigste Ver- 
treterin namhaft machen, im ersten ränge stehn Marcian. 471, die älteste, 
und doch erst 12. Jahrhunderts, und Paris. 2712, gleich wertvoll wie 
für Sophokles und Aristophanes ; wie sie dort neben Laur. und Yen. 
fast verschwindet, so tut sie es hier neben Marc., ihr gewicht fällt am 
schwersten in die wagschale, wo sie zustimmt, nicht wo sie abweicht 

168) So ein byzantinischer metrischer traktat, der sonst nur Hephaestion und 
scholien nebst modernem gibt, für den schluTskommos der Sieben Mangelsdorff Anec- 
dota Chiaiana (Karlsruhe 1876) 25. 

169) Übrigens sind die handschriften längst nicht alle genau bekannt, z. b. Yen. 
Marc. 470 (Kirchhoff praef. YII), aus dem ich zu Hipp. 153 Ttoi/ualva notirt habe; aber 
das würde wertvoll nur sein, wenn Marc. 471 nicht erhalten wäre, die Selbständigkeit 
zeigt sich oft an einer kleinigkeit, so hat Marc. 468 den rest der aristophanischen 
hypothesis zu den Phoenissen gerettet, Yat. 1345 einen teil der yita (die nur in 
solchen handschriften steht) und eine bemerkung des Didymos (schoL Hek. 13), Laur. 
31, 15 (r im Aristophanes) ist für den Euripidestext selbst in der Alkestis ganz zvf. 
entbehren, rettet aber zu Hipp. 138 allein ein Menanderfragment. Harleian. 5743 hat 
an einer stelle (Alk. 1037) eine richtige lesart erhalten, aber das kann zufall, kann 
Willkür sein. Alk. 1079 schien eine lesart des Hayniensis durch Galen {de plac. 
Hipp, et Fiat p. 388 Müll.) bestätigt: und doch ist es an beiden orten nur ein 
itacismus : der Hamiltonianus des Galen stimmt zu den anderen Euripideshandschrif ten. 



206 Geschichte des tragikertextes. 

fehlt aber der würdigere genösse, wie in den Acharnern des Aristophanes, 
der Medeia und dem Schlüsse des Hippolytos, so mufs ihn der jüngere 
ersetzen und übernimmt die führung. man ist zwar gewöhnt den Vatic. 909 
nach Kirchhofs Vorgang höher zu schätzen, allein er dankt das vielmehr 
seinem reichtum als seiner gute, er enthält auTser den sechs Alkestis 
Bhesos und Troerinnen, und für alle drei die scholien am besten (auch 
für Medeia), für die beiden letzten allein, ist also in ihnen unschätzbar, 
aber es ist eine unsäglich flüchtig geschriebene handschrift auf bäum- 
wollpapier, die schon in der äufseren erscheinung plebejisch neben jenen 
würdigen pergamenen aussieht, und dafs neben der flüchtigkeit auch 
die Willkür der beginnenden renaissance nicht fehlt, zeigen die scholien, 
namentlich zur Hekabe. es ist eben nicht ein gewöhnlicher Schreiber, 
sondern ein gelehrter ihr Urheber, doch würde die handschrift immer 
noch sehr stark ins gewicht fallen, sowol wegen ihrer lesungen erster 
hand wie wegen der zahlreichen correcturen, wenn wir die andere 
Überlieferung, die des Laurentianus , nicht besäTsen, von der sogleich, 
denn von ihr ist ein ström später hineingeleitet, und auch das wert- 
vollste ältere material ist das, was im Vat abweichend von Marc, und 
Par. mit dem Laurentianus stimmt, diese mittlerrolle ist es, welche 
in den fünf ersten stücken den Vat. dem kritiker wertvoll macht; eignes 
und zugleich gutes, das als überliefert gelten könnte, hat er kaum 
etwas, in der Medeia teilt er die führung mit Par.; in der Alkestis, die 
leider im Marcianus ausgerissen ist, der sie ehedem enthielt"^), mufs ein 
anderer Parisinus zur hilfe eintreten, 2713, der keineswegs verächtlich 
ist und seinen alten namen Par. B neben Par. A wieder erhalten mufs, 
den er in den scholien noch führt"*), für welche er schlechthin unent- 
behrlich ist. die Willkür der renaissance ist kaum stärker in ihm als im 
Vat. für Rhesos und Troerinnen versagt freilich auch er: da mufs Vat 
allein diese ganze sippe vertreten, man ermUst leicht, dafs uns also 

170) Auf dem Yorsatzblatte ist ihr name noch genannt: aber als die handschrift 
nach Italien kam, fehlte sie schon, und der name ward deshalb ausradirt. 

171) Kirchhoff s zeichen für die handschriften waren eine so wenig glückliche 
neuerung wie die von ihm selbst wieder beseitigte eigene yerszählung. seine classen- 
einteilung ist weggefallen, und die von ihm durch kleine buchstaben bezeichneten 
handschriften auch alle bis auf Paris. B, den man jedoch eigentlich auch nur in 
der Alkestis nötig hat. ausgefallen ist auch der Havniensis, den er C nannte, also 
empfiehlt sich in der tat mit Dindorf M(arcian), V(atic), und mit den älteren (Paris.) 
A, (Paris.) B, (Flor.) C und, wo er nötig ist, P(alat. 287) zu sagen: M und B gilt 
noch in den scholien, wo aber ein übles A für Vat, eingedrungen ist. einen ver- 
lorenen archetypus herzustellen ist man nirgend veranlafst. 



Der Euripidestext; handschriften der Auswahl, reste der gesammtausgabe. 207 

sehr viel nutzbares entgeht, was die conjectur doch nur zum teil er- 
setzen kann. 
V Aber dieser texfc, obwol für die meisten dramen reicher als der Reste der 

sophokleische, und gerade weil er minder einheitlich ist, mehr chancen ausgäbe. 
für die gewinnung des echten bietend, würde doch noch recht mangel- 
haft sein und namentlich dem Euripidestexte nicht die exemplificatorische 
bedeutung geben, die ihm tatsächlich zukommt, das leistet erst der hin- 
zutritt einer zwar jung scheinenden, in Wahrheit schon im altertum ab- 
gezweigten anderen Überlieferung, welche wahrhaft überraschende be- 
lehrung gewährt, der Laurentianus 32, 2 (C) "% geschrieben in den ersten 
decennien des 14. Jahrhunderts, enthält aufser Sophokles, den drei ersten 
dramen des Aischylos und den Erga des Hesiodos (diesen mit schollen), 
18 dramen des Euripides, geschrieben in anderer abfolge, aber durch 
vorgesetzte Ziffern als ursprünglich folgende Ordnung bezeichnend, Hekabe 
Orestes Phoenissen HippolytosMedeia Alkestis Andromache Rhesos Bakchen 
Helene Elektra Herakles Herakleiden Kyklops Ion Hiketiden Iphigeneia in 
Taurien und in Aulis. die ziffer x)-' der Bakchen ist aber auf einer grofsen 
rasur geschrieben, und hier sitzt ein fehler: offenbar stiefs der Schreiber 
an, als er i setzen sollte, weil die zahl nicht stimmte, er änderte also 
hier und zog nachher immer eine stelle ab. in Wahrheit müssen zwischen 
Bhesos und Bakchen die Troerinnen eintreten, da haben wir zwei reihen 
von dramen ; die eine, geordnet nach dem aiphabet mit einer ausnähme, ent- 
hält die bisher nicht erwähnten stücke, die andere gibt die alte reihenfolge 
der commentirten. zwischen beiden reihen stehen die Bakchen; zufällig 
könnten sie nach vorn wie nach hinten gerechnet werden, doch gehören 
sie unzweifelhaft an den schluis der commentirten, sind also in jener reihe 
zufällig nur sonst nicht mehr erhalten, wie sie denn hier auch nur ver- 
stümmelt stehen"^), vollständig, so weit sie überhaupt sind, enthält sie 

172) G. Vitelli hat in den Fubblicazioni del B. istituto di studi superiori 1877 
eine Photographie der Seiten dieser handschrift veröffentlicht, welche die Iphig. Aul. 
enthalten: reicht sie auch nicht für die constatirung der ersten hand ans, so ist sie 
doch äuTserst heiehrend. 

178) Die Bakchen hat Clemens von Alexandrien seihst gelesen, das zeigt eine 
rhetorisch prächtige partie am Schlüsse des protreptikos (92 P); auch Nonnos hat 
aus ihnen das Pentheusahenteuer genommen (45. 46). schollen zu ihnen scheinen 
yon Cyrill henutzt zu sein, die hypothesis mit dem namen des Aristophanes ist 
erhalten. Apsines hesals sie offenbar mit den Troerinnen in einem bände, wie die 
Ordnung sie stellt, denn er schreibt jene I 394 Sp., die Bakchen p. 399, wie man 
glauben möchte, aus eigener lecture aus: allerdings citirt er auch Iph. Aul., p. 403. 
neben Troerinnen und Ehesos benutzt sie in Byzantinerzeit der verfertiger des X^iards 
ndaxcov. sie haben in C und P gesonderte Überlieferung, und gehen in P auf ein 



208 Geschichte des tragikertextes. 

eine andere handschrift, aus dem ende des 14. Jahrhunderts, die neben 
C etwa so wie Par. B neben A zur Verwendung kommt, sie ist jetzt 
zerrissen und war das schon bald nach 1400. der gröfsere teil ist jetzt 
Palatinus 287, der kleinere, die drei ersten euripideischen stücke und 
Helene Elektra Herakles, auTserdem die drei ersten aischyleischen ent- 
haltend, ist aus der Badia von Florenz in die Laurentiana gebracht und 
heifst 172. in dieser handschrift sind die neun scholienlosen dramen 
aus derselben handschrift genommen wie C, doch viel nachlässiger ge- 
schrieben, so dafs sie nur ganz selten etwas neues liefert und unmöglich 
alle ihre fehler in dem kritischen apparat verewigt bleiben dürfen *''*) ; ihr 
wert beruht vielmehr darin, dais sie die bände in C, der von correctoren 



exemplar mit gleich vielen zeilen zurück wie die Troerinnen (Robert Herrn. XTTT 136). 
auch schol. Dionys perieg. 391 ist direct aus den Bakchen mit commentar genommen, 
die citate sind auch bei späten grammatikem zahlreich, indessen weils man bei ihnen 
ja kaum je, ob sie nicht abschreiben. 

174) Die Zusammengehörigkeit der beiden stücke ist erkannt von Bobert Herm. 
XTTT 133. ich hatte mich verleiten lassen, das florentiner stück für eine abschrift von 
C zu halten, was ich freilich für die drei ersten dramen schon selbst hatte aufgeben 
müssen, abgerissen ist das stück früh : es hat dem Musurus nicht mehr gehört und 
zeigt deshalb keine oder wenigstens keine guten correcturen. natürlich wird man 
jetzt nicht zwei bezeichnungen für zwei hälften einer handschrift einführen, meine 
Analecta Euripidea zeigen, wie geringfügig die besseren lesarten von P sind, und 
einzelne fallen noch weg (z. b. halt R. Prinz bei Stahl ind. lect v. Münster, sommer 
1887, angegeben, dafs Kykl. 494 /utixdpioQ Sorte töt&^et in von erster band ge- 
standen hat), um so weniger empfiehlt sich der weg, den ich in der ausgäbe der 
Hiketiden beschritten hatte und auf dem mir £. Prinz in Alkestis und Medeia (wo 
er noch dazu falsch ist) gefolgt ist. es ist ein billiges, aber nichts eintri^endes 
vergnügen, wie es sich ein anfänger mit genugtuung macht, einen archetypus zu 
reconstruiren , von dem eine gute abschrift da ist, deren lesarten, wo die zweite 
schlechte bevorzugt wird, doch immer angegeben werden müssen, weil der leser 
urteilen will, ob man der schlechten folgen darf, von dieser freilich sind alle 
Schreibfehler wegzuwerfen, und sie ist nur zu nennen, wo eine möglichkeit vorliegt, 
aus ihr etwas zu entnehmen, nun ist aber C zweimal durchcorrigirt, einmal von 
einem der Schreiber (die sich in ihr abgelöst haben), einmal oder mehrmals von 
einem gelehrten in Italien, offenbar mufs man die änderungen der ersten art immer, 
die der zweiten nie anführen, es sei denn dafs es eine richtige conjectur ist. und 
ebenso mufs man mit den änderungen in P verfahren, es ist das gar nicht so leicht; 
aber die mühe lohnt sich, weil dann der apparat lichtvoll wird. vgl. bd. n Vor- 
bemerkungen und textabdruok. die sehr guten collationen, über welche Prinz in 
seinen ausgaben verfügt hat, haben einen grofsen teil ihrer brauchbarkeit eingebüfst, 
weil sie die späteren bände nicht scheiden, und der herausgeber einen archetypus 
herstellen will; ganz abgesehen von der anläge des apparates, die von kaum er- 
reichter imübersichtlichkeit ist. 



Beste der gesammtausgabe. 209 

malslos verwüstet ist, unterscheiden"^) und das ursprüngliche erkennen 
lehren, die andern stücke hat P nicht aus der gemeinsamen vorläge ab- 
geschrieben, sondern sich einen text zurecht gemacht^ teils aus dieser vor- 
läge, teils aus einer nicht bedeutenden handschrift von der sippe VB etwa, 
das mischungsverhältnis ist verschieden; in den drei ersten stücken und 
Andromache folgt er mehr dem vulgaren, in Bhesos und Alkestis stimmt er 
mehr zu C: es leuchtet ein, dals P für diese dramen ganz wertlos ist; es sei 
denn, er hilft einmal eine überschmierte lesart von C erkennen"®), nun 
hat er aber auch Troerinnen, die in C fehlen, und zwar stark abweichend 
von V., also nicht aus jener Überlieferung, und die Bakchen vollständig. 



175) Der corrector war kein gescheidter mann, und metrisch namentlich hat 
er nur gesündigt, dennoch hat er im Herakles an 8 stellen kleinigkeiten wirklich 
berichtigt. 

176) £. Bruhn (lucuhr, Eurip, 255) hat versucht die contamination von P, nach 
dem Prinz sie für die drei ersten stücke schon zugegeben hatte, auf die Andromache 
zu beschränken, weil er einen jungen Turiner codex aufgefunden hat, der ganz zu P 
stimmt : aber der codex ist zu jung, als dafs P aus ihm geschöpft haben könnte, und in 
seiiier vorläge können gern mehr stücke gestanden haben, ganz übrigens kann Bruhn 
das eindringen von fremden lesarten auch sonst nicht leugnen, meint aber C starker Inter- 
polation überführen zu können, indessen spricht da die reihe der neun stücke zu ver- 
nehmlich, die wirklich C und P aus derselben vorläge haben. auTserdem kann ein über- 
einstimmen mit Par. B in der Alkestis wahrlich nichts für Interpolation beweisen, wie 
die obige Übersicht der Überlieferung lehrt, das sind fälle wie sie z. b. im Hippolytos 
häufig sind, wo C zu M stehen würde, minutien wie accente und dgl. kommen über- 
haupt nicht in betracht, und correcturen in für den Schreiber auch nicht, somit 
fällt die zu dem äufserst verwickelte Verhältnisse für P vorraussetzende ansieht, den 
berühmten vers der Medeia 1078 xal fiavd'&vto fihv ola bqav fiilXco xaxd acceptire ich 
als schiboleth. hie C und aUe Zeugnisse seit Chrysippos zeit, da P und alle anderen 
handschriften. da meint Bruhn lieber, C habe aus dem gedächtnis geändert (war 
im 13. Jahrhundert der vers noch fliegendes wort?), nicht P, wie doch sonst auch 
nach seinem urteil, aus der Vulgärüberlieferung, schlimmer ist freilich, dafs Euripides 
roX/uijaca für Sqäv fiiHa» zugetraut wird. '*ich erkenne wol die verbrechen, zu 
denen ich mich entschüefsen werde", statt ''die ich begehen werde, aber die leiden- 
^chaft ist stärker als meine Überlegung'*, die leidenschaft ist etwas, das sie als 
eine andere person empfindet, deren Werkzeug sie nur ist. daher sagt sie nicht 
dQdacOf was an sich gienge, sondern setzt die periphrase, die uns so recht zeigt, 
dafs sie über kurz oder lang beim S^äv ankommen wird (man mufs doch ftilXco in 
seiner ganzen bedeutungsfülle wie ein Grieche empfinden) : rol/njaoff was den eignen 
entschluXs einschliefst, kann sie nicht sagen, ohne die Selbstverteidigung aufzugeben. 
iröXjutjaa ipovevaai sagt der ixcbv tpoveiöe, ijuiXXrjca (povs^aai, der äxotv, dafs der 
XQiards ndaxcov die lesarten von CP rein wiedergäbe, hätte Bruhn nicht auf Eirch- 
hoffs autorität weiter sagen sollen: das war durch die arbeiten von A. Doering 
berichtigt. 

y. Wilsmowitz I. 2. Aufl. 14 



210 Geschichte des tragikertextes. 

auch nicht mit C stimmend: folglich stand ihm eine andere zur sippe C 
gehörige handschrift dieser dramen zur Verfügung"'), 
Beoendo Sämmtliche 19 dramen dürfen also hier als gemeinsam überliefert 

Srio^S^den angesehen werden ; aber sie zerfallen in zwei reihen, die eine wird durch 
d^aas^ die ehedem commentirte sylloge gebildet, auf deren archetypus sie mithin 
^* zurückgeht, so dafs von zwei ganz gesonderten familien zu reden wider- 
sinnig ist; auch zeigt C einen text, der keinesweges überwiegend MVA 
gegenüber etwas besonderes hat, vielmehr stehen neben solchen, aller- 
dings nicht seltenen, fällen, eben so zahlreiche, wo das Verhältnis MC: VA, 
VC : MA, auch AC : MV (dies am seltensten) ist, und auch M hat ja 
viel eigentümliches"*), folglich ist die zu gründe liegende recension 
zwar dieselbe, was auch die scholien oft bestätigen; aber sehr früh hat 
sich die tradition C von den anderen abgezweigt, so dals er allerdings als 
ein verwandter von anderer linie als die übrigen erscheint wann aber 
die abzweigung erfolgt ist, darüber belehrt die reihe dramen von Helene 
bis Iphigeneia. nach den anfangsbuchstaben ist sie geordnet, die mit H 
beginnenden dramen stehen alle darin, vorhergeht noch eines mit E, es 
folgen vier mit /; eins mit K ist, wie die Ordnung selbst zeigt, hinein 
verschlagen, es liegt auf der band, dafs wir den rest einer gesammt- 
ausgabe besitzen, und dafs & fehlt, erklärt sich aus der oben er- 
läuterten einteilung in bände: wirklich stehen die dramen mit Q auf 
dem oben s. 150 citirten steine zwischen 2 und ^. verführerisch ist 
es, die vier dramen von /, die drei von H sammt dem Kyklops für 
je einen band zu halten, also die ausgäbe, auf welche diese neun 
stücke zurückgehn, ist ohne den grammatischen schütz geblieben, dafür 
ist es aber auch eine über die christliche aera zurückreichende, diese 
stücke sind uns allerdings durch einen zufall erhalten, oder vielmehr 
deshalb, weil die euripideischen dramen noch häufiger im publicum ver- 
breitet waren, gelesen, kann man nicht mehr sagen, aber doch in den 
bücherschränken bewahrt und zuweilen auch noch abgeschrieben, dais 
dem so war, beweisen uns ja auch die unmittelbar erhaltenen bruch- 
stücke antiker bücher, der Melanippe und des Phaethon. da ist denn 



177) Da die Bakchen in C und P abweichen, ist der answeg verschlossen, 
C seine vorläge unvollständig abschreiben zu lassen, dals es auch sonst noch hand- 
schriften der Troerinnen dieser classe gab, zeigt Harl. 5743, der wenigstens ein stück 
der Troerinnen aus dieser recension enthält, übrigens neben V und P entbehrlich ist. 

178) Deutlich kann das nur eine ausgäbe mit übersichtlichem apparat machen: 
ich werde, so bald ich irgend kann, den Hippolytos vorlegen, der dazu am ge- 
eignetsten ist. 



Eeoensio und emendatio in den tragödien der auswahl. 211 

einmal solch ein band in die hände eines mannes gefallen, der ihn zu 
schätzen wuTste und den inhalt zu der noch zehn dramen umfassenden 
auswahl hinzuschrieb, der band war hinten verstümmelt, der schlufe des 
letzten Stückes, Iphigeneia in Aulis, fehlte, da hat sich aber ein ergänzer 
gefunden, der eine ganze scene hinzudichtete"®), und der appetit kam 
beim essen, er versuchte sich an einer neuen tragödie, Danae, von welcher 
P die hypothesis, das personenverzeichnis und den prolog sammt einem 
chorlied erhalten hat. der versuch ist schauerlich ausgefallen, aber der 
Verfasser hat doch die absieht gehabt, trimeter nach antiken regeln und 
gar lyrische verse zu bauen, dafs das machwerk sehr viel älter ist als 
die handschrift, in der es steht, folgt aus der starken Verderbnis, da es 
also keine renaissancefälschung ist, so dürfte man nicht umhin können, 
bis an den ausgang des altertums damit hinauf zu gehen. 

Dazu stimmt endlich die beobachtung, dafs die abzweigung des textes 
im Rhesos älter ist als die paraphrase, da diese fehler voraussetzt, die C 
vermieden hat'®°). es sind das ausnahmen, denen eine viel grölsere zahl 
von Verderbnissen gegenübersteht, welche paraphrase und alle recensionen 
teilen; einzeln hat sie auch das richtige gegen alle, oder gegen den text 
ihrer handschrift mit C. aber die warnung empfangen wir doch, dafs 
wir uns hüten sollen, die blofs paraphrastischen scholien für gleich alt 
mit den gelehrten zu halten; denn je verderbter der text ist, um so mehr 

179) Der anfang der uachdichtung wird mit recht 1510 angesetzt, ob der Ver- 
fasser an den anderen interpolationen des Stückes schuldig ist, mag dahin stehen; 
zutrauen könnte man ihm die einführung des boten 629 — 37. wer den schluTs ver- 
teidigen will, hat die Verpflichtung sich auch der Danae anzunehmen, deren Ver- 
fasser hat nicht nur die dramen dieser reihe benutzt, was natürlich ist (61 nach 
Her. 138), sondern einen vers von Sophokles aufgenommen, den wir nur aus Stobaeus 
kennen (19 =» Soph. 847, 4) : das spricht nicht für einen Byzantiner. Nauck hat 
auch den schlufs der Bakchen 1371 — 92 verworfen, und es hat etwas verführerisches, 
weil sie auch den schlufs einer handschrift bildeten, allein ich mufs meine Zustim- 
mung zurückziehen, denn die clause! nollal fioQtpaii 1388 — 92, ist freilich nicht von 
Euripides, aber auch sonst falsch zugesetzt, die scenenführung aber ist ähnlich im 
Schlüsse der Elektra, dessen athetese Nauck wol selbst nicht mehr aufrecht hält, 
und die letzten worte Agaues tragen echt euripideisches colorit il&otiui, 8* 8nov 
jutjre Kt&atQcbv fiiaQÖe (^fi ioiSoiy /iijre Kid'aiQ&v öaooioiv iyc&, firjS^ (j^^^* P) 
Sd'i d^QCov juvrjti dvdxeirai' ßdxxats 8* älXatai fiiXoiev, dafs ein thyrsos eine land- 
schaft, einen bergaltar heiligt, sieht man sehr oft auf pompejanischen landschaften 
und alexandrinischen reliefs. vor allem aber ist die uachdichtung unwahrscheinlich, 
da sie doch wol den unvollständigen satz 1371 ausgefüllt haben würde, und die 
corruptel ist sehr grofs, wie es dem letzten blatte der verstümmelten handschrift 
zukommt. 

180) Nachgewiesen in meinem programm de Bhesi scholiis. 

14* 



212 Geschichte des tragikertextes. 

sind die scholien lediglicli paraplirastisch, und um so mehr schliefsen sie 
sich ihm an. so steht es in Euripides Rhesos Troerinnen Alkestis, also 
wo die handschriften am unzuverlässigsten sind, die scholien am dünnsten, 
so steht es im Aischylos. es kann keine ärgere Verkehrtheit geben, als 
diese paraphrasen für uralt, für didymeisch, für träger einer verschollenen 
Überlieferung zu halten, sie, die gerade zu den tollsten corruptelen eine 
erklärung haben, und weil die Verfasser stumpfe gesellen sind, so lesen 
sie einen halben sinn in die worte hinein, weil doch einer darin sein 
mufs, und es ist petitio principii, dafs sie einen text gehabt hätten, der 
zu ihrer erklärung genau stimmte, an den reichlichen scholien, zum 
Hippolytos und den Phoenissen etwa, daneben am Pindar (wo freilich 
die moderne torheit auch unfug macht), hat man zu lernen, wie die 
ältere grammatik paraphrasirt : dann wird man das 'Variantensuchen in 
den verkümmerten resten unterlassen, eine neue lesart ist immer eine 
seltene ausnähme, und dann ist es noch lange nicht eine bessere. 

Eine Überlieferung, wie sie für die dramen vorhanden ist, die in C 
und den andern handschriften stehen, zumal in den fünfen, welche auch 
M enthält, ist wahrlich etwas besonderes, ursprünglich einheitlich, aller- 
dings nur durch gemeinsame Fehler späteren Ursprungs als solche sich 
ausweisend, hat sie sich doch schon im ausgange des altertums nachweis- 
lich gespalten, und dann der eine ast noch weiter verzweigt, es fehlt für 
die dunkelen Jahrhunderte auch nicht an Zeugnissen, aber sie spielen 
kaum eine rolle, weder der Kgiatög 7tdaxo)v^^% wol ein recht spätes 
product, noch byzantinische florilegien ***), noch die zahlreichen citate der 

181) Über die zeit des centos Hilberg Wien. stud. VIII. die wenigen citate 
aus dem Agamemnon lehren nichts, die aus Troerinnen und Ehesos sind nicht ganz 
wertlos und können eine gute lesart gerettet haben, wie gleich eine probe lehren 
wird (vgl. anm. 186). aber der versifex ändert so gewaltsam, dafs zu wenig verlafs 
auf ihn ist und praktisch nichts herauskommt, nur für die Bakchen mufs man 
allerdings die Zeugnisse in den kritischen apparat aufnehmen, und für die beiden 
grofsen lücken in P steht hier wenigstens einiger ersatz. 

182) Ein florUegium oben anm. 104. massenhafte nachahmungen z. b. in dem 
roman des Eustathius. der bischof Eustathius, der für Sophokles, den er sehr 
gut kannte, nicht ganz wertlos ist, von Aischylos auch wol alles gehabt hat, 
aber kaum etwas lehrt, hat von Euripides nur die fünf ersten stücke ausgezogen. 
Tzetzes zum Lykophron hat die Troerinnen noch gehabt ; das ist etwas merkwürdiges, 
und mindestens für ein wichtiges scholion (Andr. 14) gibt er sehr wertvolle be- 
richtigungen ; da kann sich also mehr finden: aber der mann selbst ist äufserst un- 
zuverlässig, hat schlechtes übernommen und durch seine eigenen scholien unfug 
gestiftet, dafs in den Ohiliaden die Bakchen benatzt wären, weil VI 580 der name 
steht, ist nicht sicher: dafs Härder {de loh, Tzetzae histor, fönt 52) auf grund von 



Eecensio und emendatio in den tragödien der auswahl. 213 

Byzantiner»"): die Handschriften selbst reichen aus. was wir sonst ent- 
weder gar nicht erkennen oder doch nur vermuten, hier können wir es 
mit den handen greifen, wir sehen die randnotizen in den handschriften, 
die Varianten zu geben scheinen, sehr oft nur Schreibfehler berichtigen, 
einzelne Varianten von gleichzeitigen handschriften häufen, auch wol con- 
jiciren: aber aus dem altertum überlieferte gelehrte Varianten, wie die im 
Yen. A, sind sie nirgend, sie stehen ganz so da, wie die correcturen 
der handschriften, die auch diesen drei kategorien angehören, das sind 
also fast alles mittelalterliche entstellungen. und so sind es auch die ab- 
weichungen der handschriften von einander, zum überwiegenden teile sind 
es versehen, die durch die tätigkeit des Wörter und Satzglieder auffassenden 
und wiedergebenden Schreibers entstanden sind, zum teil natürlich schon 
im späteren altertum, meistens aber später*'^): denn in den chorliedern, 
die schwerer verstanden wurden und mehr mechanisch nachgemalt, 
finden sich viel weniger abweichungen. Verderbnisse die durch das nach- 
malen von dementen entstehen, sind in dieser dramenreihe kaum vor- 
handen; es sei denn dafs sie über die zeit, wo die auswahl gemacht ward, 
zurückreichen, alles dieses zu erledigen ist die aufgäbe der recensio, der 
richtigen auswahl der lesarten. sie ist kein leichtes geschäft, vielmehr wird 
sich in ihr die meisterschaft des herausgebers am meisten zu beweisen 
haben : deshalb ist die Uneinigkeit auch der berufenen kriüker in den dramen 
am gröfsten, wo C nur wenige und stark abweichende handschriften zur 
Seite hat. aber es läfst sich im princip die forderung stellen, dafs wir 
durch die recensio bis in das altertum hinaufgelangen, mit ganz ge- 
ringen ausnahmen in den ersten sieben stücken; im Rhesos und den 
Troerinnen schon sehr viel seltener; die Bakchen stehen von allen am 
traurigsten da. 

Dafs wir aber mit dem princip nicht zu viel verlangen, dafür haben 



Chil. I 330 die lecture der Helene annimmt, ist ein irrtum: nur die erwähnung der 
Sirenen bezeugt die stelle für Euripides und kann also auf Andr. 936 bezogen werden. 

183) Besonders deutlich wird dies in M: man braucht nur die Phoenissen 
durchzusehen, sonst bietet B die besten belege, der art sind auch die randnotizen 
in L (M) der beiden älteren tragiker: keine spur von kritischem apparate ist darin. 

184) Über die entstehung und demgemäfs die Schätzung dieser Varianten hat 
E. Bruhn liuiubr. Eur. cap. I gehandelt, und wirklich methodisch fördernde bcmer- 
kungen gemacht, denen gegenüber ich meine früheren ansichten einfach aufgegeben 
habe, übrigens war die psychologische Veranlassung der Schreibfehler treffend schon 
erkannt und formulirt worden, zumal von G. Hermann (Beiger Haupt als akademischer 
lehrer 127), ohne psychophysik : aber das schmälert das verdienst Bruhns nicht im 
geringsten. 



214 Geschichte des tragikertextes. 

wir nunmehr den beweis: vom Hippolytos ***) liegen mehrere hundert 
verse, vom Rhesos**') ein kleines, aber sehr belehrendes, bruchstück in 
antiken handschrif ten vor. der text des Hippoljtos wird selbst an keiner 
stelle wider die Überlieferung berichtigt, aber an einer der der scholien gegen 
alle handschriften bestätigt im Rhesos werden zwei kleinigkeiten evident 
verbessert, der text ist hier ein ausgezeichneter, und er widerlegt, wenn 
das noch nötig ist, die Kirchhofische längst unhaltbare ansieht von den 
zwei classen auf das bündigste: er hat von beiden im wesentlichen das 
richtige, dasselbe tut der Hippolytostext, nur dafs da, weil so viel hand- 
schriften vorhanden waren, die classentrennung schon vorher in wabr- 
heit nicht vorhanden war und nur um des princips willen behauptet ward, 
aber die handschrift an sich ist nicht besser als unsere guten auch: wir 
stehn so gut, als wenn wir statt zeugen des 13. und 14. solche des 3. und 
4. Jahrhunderts verhörten, ihre einstimmigkeit aber führt uns noch weiter 
hinauf: so hoch, dals dann die grammatik den text in ihre schützende 
band nimmt und ihn bis zu Aristophanes von Byzanz hinaufgeleitet. 

Es ist das etwas greises. gewlTs ist es nicht anders in den meisten 
oben besprochenen dichtem, zumal im Aristophanes, aber hier ist es greif- 
barer, und hier sind schlimmere zweifei abzuwehren, das licht läfst aber 



185) Veröffentücht von Kirchhoff Mon. Ber. Berl. Ak. 1881, 982. die hand- 
schrift enthält mit lücken 242 — 515. die einzige berichtigung steht 302 iaov S* 
AnBOfiev r(p nqiv^ wo alle handschriften rmv haben, aber die paraphrase d/ioiws 
AnsCfiev vole tiqIv ^i^fiaaiv, den wert für die recensio kann nur die vollständige 
adnotatio critica zeigen. 

186) Veröffentlicht von Wilcken Sitz. Ber. Berl. Ak. 1887, 814. da der heraus- 
geber seinen fund gar nicht zu würdigen verstanden hat, soll hier das nötige bemerkt 
werden, erhalten sind 48 — 96, doch fehlen mehrfach Zeilenschlüsse und anfange, so 
dafs die lesung des Schlusses von 54 und 84 nicht zu bestimmen ist. die vier chorverse 
haben dieselbe kolometrie wie VC, fangen also mit vav — ooi — ijkv&ov — fiifiyjiv 
an. neu und richtig ist 60 oü rdy für ovx dv VC, 63 ^ für ijv ; neu und falsch 54 
al^iZa&ai für atQeo&ai, 72 ian für Mm, 84 fiijd'ote und ein par zum teil gleich 
berichtigte orthographika, ernsthaft nur der grobe fehler nd'i'[T€\s rvxröe 95 für 
näaav tn^xra, die lesart von V gegen C wird befolgt 66 usZvai, C elvatj Ib yanovslvj 
C yrjnoveZv, 90 aid'sv^ C tö aövi immer mit recht, die von C gegen V 66 ineicav, 
V i^aavj 72 vec&Sj V vediry mit recht; 90 nüxa^6, V nvxd^ov, mit unrecht. 65 steht 
richtig fi€, V hat /uoi, C beides. 74 steht XeXrj/uivoi, VC haben Xslrjo/uBvot] das 
richtige XeXrjfi/iivoi hat der corrector der wertlosen handschrift Flor. Marc. 226 
über XeleiMuivoi geschrieben: in Wahrheit ist es überall gemeint. 78 steht richtig 
7rtJ(>' aid'eiVy wie C über dem texte hat, und nvQ al&Biv V, nvgaid'eiv C im texte, 
ist ja dasselbe, endlich 52 -fjxEiS mit X^. ^dax, (öfter) für ijXd^es VC. über die 
übrigen handschriften berichte ich aus eigener vergleichung, in den lesarten der 
neuen habe ich natürlich die lesezeichen zugefügt. 



Kecensio und emendatio in den tragödien der aus wähl. 215 

auch den schatten dunkler fallen, obwol es schon ein grofser f ortschritt 
ist, die gröfse des Verlustes schätzen zu können, im Rhesos, Troerinnen 
und gar Bakchen müssen eine ganze anzahl fehler stecken, da mufs con- 
jicirt werden, und gut genug, wenn man es noch kann, wenn der fehler 
noch als solcher bemerkbar ist : denn viele Varianten sind der art, dafs das 
richtige gar nicht geahnt werden kann, und wer es erträumen sollte, nicht 
gehört werden darf, weil das falsche an sich nicht unmöglich ist. noch 
stärkere schatten fallen auf Sophokles und gar Aischylos : sie können nach 
diesem mafsstabe gemessen, gar nicht besser überliefert sein, als Euripides, 
wenn wir nur M und ein par handschriften wie B hätten, doch fehlt es 
nicht an einem tröste, der bessere hofihung gibt beide tragiker sind viel 
schwerer verständlich, auch lange nicht so oft abgeschrieben, so dafs man 
nicht den euripideischen dialog, dem die Varianten vorwiegend angehören, 
sondern die chöre vergleichen mufs. in ihnen ist die alte corruptel viel- 
leicht stärker, wenigstens hie und da, aber der text um so fester. Aischylos 
vollends ist in den vier letzten stücken wesentlich dadurch verdorben' 
dafs ein äufserlich schlimm zugerichteter codex, den man sich ähnlich dem 
antiken des Rhesos vorstellen mag, nur mit etwas mehr lesezeichen, allein 
einem copisten vorlag: somit wird das Verhältnis vielmehr den nur in CP 
erhaltenen Euripidesdramen ähnlich *^^). und wie den Euripidestext , so 
sichern doch auch den der beiden andern die antiken citate selbst in 
seinen fehlem. 

Das ist der langen rede kurzer sinn: wir lesen in den commentirten 
stücken den text des Aristophanes. auf den strebt unsere recensio im 
weitesten sinne des wertes zu. wenn wir ihn aber haben, was dann? 
dann gehn wir weiter, lediglich mit den hilfsmitteln der emendatio be- 
wehrt, still zu stehn wäre entweder verzweifelnde resignation oder aber- 
gläubische knechtschaft gegenüber der tradition: die recensio führt eben 
zwar in den dichtem des dritten Jahrhunderts bis auf den dichter, aber 
in denen des fünften nur auf den herausgeber. so schlagen wir uns denn 
mit den schauspielern herum, die allerdings die Verantwortung für die 
meisten der schlechten verse zu tragen haben, die Aristophanes zugelassen 
hat. dann suchen wir, meist vergeblich, solche fehler zu heben wie 
ätrig ^T^^Q (Soph. Ant. 4), ydfiovg TtaQSfiTtoXovvTog dllolovg Ttöaei 



187) Jede kritik die etwas leisten will, mufs zwar die allgemeinen Voraus- 
setzungen, welche der weite umblick kennen lehrt, inne haben, und in so weit 
mögen diese capitel auch für die anderen tragiker vorbereiten, aber dann mufs sie 
individualisiren; der einzelne schriftsteiler, das einzelne buch, hat bis zum gewissen 
grade seine eigene geschichte. das kann und soll hier nicht erschöpft werden. 



216 Geschichte des tragikertezies. 

(E. Med. 910), wie Trach. 781. 82 »*»), Hipp. 953, Med. 748. aber vor allen 
dingen freuen wir uns daran, daJfe die fehler so wenig sind, und das 
weüs man dann auch, dafs die menschen sich lächerlich machen, die in 
diesen dramen mit ihren palaeographischen witzchen kommen, den ähn- 
lichkeiten der minuskelschrift, den compendien, wo möglich gar dem vetus 
codex in dem ein par buchstaben unlesbar waren, die der protervus 
magistellus dumm ausfüllt: der vehis codex müTste ja dem Aristophanes 
vorgelegen haben, und dieser der protervus magistellus gewesen sein, wir 
lachen auch über die häscher der glosseme, die einem ihnen nicht er- 
haben genug klingenden worte ansehen, dafs es ein Schulmeister oder 
leser aus der zeit des Kallimachos oder Apollodor übergeschrieben hat 
(aus dem Hesych, scheint's, denn so reden sie), dessen handexemplar 
darauf der archetypus aller folgenden handschriften ward, die textge- 
schichte lehrt freilich die vielen gefahren kennen, die unsem text bedroht 
haben, sie lehrt uns die unvermeidliche Verderbnis schätzen und gibt uns 
hilfsmittel sie zu heben: aber die hauptsache, die sie lehrt, ist, dafs sie 
die grenzen der möglichen Verderbnis und unserer meinungsfreiheit be- 
zeichnet. 

Sie umfriedigt ein weites gebiet, auf dem es nicht verstattet ist, das 
conjecturale röislein zu tummeln ; was darauf steht, das mufs stehen bleiben 
und verlangt Verständnis zwar, auch vielleicht tadel: aber es gehört dem 
dichter ao, und jeder einbruch ist ein raub, auf diesem gebiete hat sich 
der philologe heimisch zu machen, und dann mag er zusehen, dafs er 
die grenzen immer weiter für den dichter ausdehne, teils wider moderne 
ansprüche verteidigend, teils wider die täuschende Überlieferung^ die in 
Wahrheit keine ist, erobernd. 
Beoensio Und CS ist dafür ffesorfft, dafe auch der conjectur ein weiter spiel- 

nnd emen- . tt» 

datioin denraum bleibe, denn dieselbe textgeschichte, welche in Hekabe und Hippo- 

tr&flrOdifiii 

der lytos fast jede conjectur verbietet, fordert sie in den dramen, welche auf 
ausgäbe, die gesammtausgabe zurückgehn, auf schritt und tritt, und gibt schließ- 
lich doch nur eine geringe gewähr für die erreichung des echten, da 
ist Sprachgefühl, geschmack, nachschaffende phantasie nötig, jene impon- 
derabilien, die den wirklichen philologen machen, die nicht gelehrt und 
nicht bewiesen, auch nur zum teil gelernt werden können. 

Mit der recensio ist man gleich zu ende, drei vier kleinigkeiten hilft 
P beseitigen, dann darf C mit seiner vorläge idendficirt werden; das ist 
ein minuskelcodex, wenn's hoch kommt des 11. Jahrhunderts, und auf 

188) Der überlieferte gallimathias ist ebenso yon dem Athener Apollodor gelesen, 
Athen. 11 66«. 



Eecensio und emendatio in den tragödien der gesammtausgabe. 217 

dem wege von dem zu jener antiken bandschrift, der die erhaltung dieser 
dramenreihe verdankt wird, fehlt jede hilfe. das war aber selbst ein buch 
ohne gelehrte einrichtung, ohne wortabteilung"®), mit ganz zerstörten 
sonstigen lesezeichen '®°), aber deutlich abgeteilten versgliedern, und von 
dem wieder aufwärts geht die Überlieferung entsprechend der, welche über- 
haupt die lesebücher dieser zeiten durchgemacht haben, empor zu irgend 
einer ausgäbe, die ein buchhändler gemacht hat. es könnte ja auch die 
aristophanische ausgäbe gewesen sein: aber das ist nicht der fall: die 
Herakleiden hat das bessere Altertum in einer ganz abweichenden recension 
gelesen, welche ohne zweifei die echte war, während wir die Überarbeitung 
eines regisseurs lesen ****). 

Dabei ist denn freilich ein zustand unvermeidlich gewesen, der im 
Herakles jeden siebenten vers etwa eine änderung fordert, wann aber 
die Verderbnis eingetreten ist, hat kaum einen zweck zu überlegen, da 
es sich doch nicht ausmachen läfst. nur das scheint sicher, dafs der 
eigentliche archetypus, das antike buch, an sehr vielen stellen zerstört 
war, denn oft sind die lücken noch jetzt vorhanden^'*), öfter aber sind 
sie verkehrt ausgefüllt, fast ausnahmslos am versende*®'), wo aber auch 
die folgenden Schreiber durch vertauschung gesündigt haben""*), massen- 
haft sind auTserdem einzelne buchstaben und Wörter verlesen, man hat 
einen anhält daran, dals die nicht sehr zahlreichen antiken citate siebenmal 
unseren text berichtigen"*), sehr selten schlechter sind, dafs eine anzahl 
verse von uns als euripideisch betrachtet werden, wo schärfere kritik 
einen schaden erkennen und beseitigen wird, ist demnach mit vollster 
Wahrscheinlichkeit anzunehmen, und ebenso sicher ist, dafs manches sich 
überhaupt niemals herstellen oder gar auch nur erkennen läfet, es sei 
denn, dafs neues material hervorträte, aber zur verzweifelung ist keine 
veranlassung. das was von ihr verlangt wird, kann die philologie leisten, 
denn eines ist diesen dramen nicht zugestolsen: die willkürliche raffinirte 
interpolation — oder doch erst im 15. und 19. Jahrhundert, auch das 
liegt in der geschichte des textes. wenn er verwahrlost ist, so ist doch 
auch kein Triclinius oder Härtung darüber gekommen. 

189) Vgl. Her. 583, 810, 1115, 1191. 

190) Das zeigt die mafslos entstellte personenbezeichnung in fast allen diesen 
stücken. 

191) Das habe ich Herrn. 17 gezeigt; ich könnte die indicien noch vermehren. 

192) 95, 149, 328, 398, 422, 474, 619, 696, 1151, 1159, 1178, 1192, 1340. 

193) 184, 226, 413, 482, 484, 530, 664, 845, 925, 1003, 1102, 1241, 1304. 

194) 164, 282, 548. 

195) 62, 101, 269, 674, 1271, 1293, 1345. 



218 Geschichte des tragikertextes. 

Da die dramen viele Jahrhunderte lang das gleiche geschick gehabt 
haben, so teilen sie auch die entstellung. doch auch da sind gradunter- 
schiede. Helene Herakleiden Kyklops Elektra sind besser erhalten als die 
folgenden, deren corruptel nach dem Ende zu immer noch steigt, bis in der 
aulischen Iphigeneia auch dafür ein exempel ist, wie ein stück aussieht, 
das nicht einmal sondern mehrfach von interpolatoren verwüstet und 
demzufolge unheilbar ist. unverkennbar ist ferner, dafs der zustand, in 
welchem die einzelnen tragödien in jene ausgäbe kamen, ein ganz ver- 
schiedener war; offenbar hat kein sorgsamer gelehrter darüber gewacht, 
neben dem schauspielerexemplar der Herakleiden steht der Kyklop, der 
kaum übeler zugerichtet ist als die dramen der auswahl, namentlich auch 
von jeder schauspielerinterpolation frei"*): natürlich, denn das alte satyr- 
spiel war nach dem 5. Jahrhundert nicht mehr mode. die Elektra war 
aus einem buche genommen, das mehrfach parallelstellen am rande 
trug*®'); die Hiketiden enthalten eine partie durch erweiternde inter- 
polation entstellt, welche noch um 250 v. Chr. in Athen unverdorben 
geläufig war"*), und so ergibt sich auch hier bei individueller behand- 
lung des merkwürdigen und fördernden genug. 

Die Philologie des altertums ist fast unmittelbar zu derselben zeit, 
wo sie Wissenschaft ward, herabgesunken zur textkritik und zur schrift- 
erklärung, und diese letztere ist sehr rasch auf die abschüssige bahn 
gelangt, nur das nächste wortverständnis der einzelnen stelle zu suchen, 
die philosophische poetik, die geschichtliche erfassung des Werkes und 
des dichters, ja auch nur die erklärung des einzelnen Werkes als eines 
ganzen hat sie teils niemals, teils nach Aristophanes wenigstens nicht 
mehr angestrebt, es gibt keinen versudi eine geschichte der tragödie oder 
eine technik des dramas oder eine theorie des tragischen zu schreiben. 



196) Es ist überhaupt nur ein yers, 202, unecht, und der ist erst byzantinischen 
Ursprungs, alle anderen athetesen sind verkehrt, das einzige antike drama, welches 
gar keinen falschen vers zu enthalten scheint, ist der Ehesos, und von dem wissen 
wir, daXs er ehedem eine falsche scene hatte. 

197) El. 373—79, von welchen der letzte aus der Auge citirt wird, 386—90, 
941 — 44 (von Bruhn erkannt) 1097 — 99. aufserdem sind mehrere dittographien darin. 

198) Euripides hatte von Tydeus gesagt (902) o-öx iv Xöyoie ijv la/iTi^ds älV iv 
äonlSi deivds ao(pwT^£ rwv r' dyvjuvdarajv <povevs (Antig. Karyst. s. 78): daran 
ist nach abwerfnng des letzten halbverses in unseren handschriften eine widersinnige 
tirade von 6 versen getreten, von denen übrigens die letzten zwei eine dittographie 
sind, die in einer anderen redaction gleich auf 901 folgte : diese ebenfalls, aber anders, 
interpolirte fassung stand in der ausgäbe, welche das florilegium benutzt hat: Stob, 
ecl. II 185 Wachsm. 



Becensio und emendatio in den tragödien der gesammtausgabe. 219 

deshalb hat dieses capitel von der zeit nach Aristophanes nichts zu be- 
richten gehabt, als was für die textkritik von bedeutung ist wir werden 
sogleich sehen, wie schwer es den modernen geworden ist, der höheren 
pflicht sich auch nur bewufst zu werden, da wollen wir lernen, dafs 
die textkritik zwar die erste aber auch die unterste stelle unter den 
künsten einnimmt, die der philologe an den tragikern zu beweisen hat- 
aber auch wenn man das begriffen hat und danach zu leben sucht, so 
wird man gestehen dürfen, dafs die Verschiedenheit der bedingungen, 
unter denen sie zu üben ist, die fülle des materiales, die Schwierigkeit 
und auch die möglichkeit eines schönen erfolges der Euripideskritik einen 
reiz verleiht, wie er nicht so leicht sonst zu finden ist, und dafs zwar 
ein anfänger positives nur sehr schwer hervorbringen wird, aber kaum 
an einem andern classiker so viel für die methode der recensio wie der 
emendatio lernen kann. 



4. 

WEGE UND ZIELE DEB MODERNEN TMGIKEßKßlTIK. 



Bekannt- Handscliriften der tragiker sind schon früh in den occident gelangt. 

werden der , _ . 

tragiker in Laurent. 32, 2 war 1348 in Avignon und im 15. Jahrhundert in der 

Italien. 

privatbibliothek der Medici*). Laurent. 32, 9 kam durch Aurispa 1423 
nach Venedig; also die beste Quelle für Aischylos und Sophokles, die 
reichste und zur hälfte auch reinste für Euripides war gefunden, aber 
die gedichte waren zu schwer, teilweis auch zu entstellt, als dafs selbst 
von den des griechischen kundigen humanisten viele sie hätten lesen 
können, und eine Übersetzung, wie sie historiker philosophen ärzte er- 
schlofs, half für die dichter nichts, so sind denn abschriften in Italien 
nur wenig gemacht^), und die drucker haben sich erst dann auf diese 
wie die meisten anderen griechischen dichter geworfen, als sie tüchtige 
griechische gelehrte zu herausgebern gewinnen konnten. Griechen, aber 
eben nur Griechen^ haben auch in den handschriften selbst die spuren 
ihrer lecture zahlreich hinterlassen, ihrer ganzen art nach waren sie 
den italienischen humanisten ähnlich, und das meiste was sie gemacht 
haben beseitigen wir als interpolation, aber ein mann befand sich unter 
ihnen, dessen lange verkannte bedeutung immer mehr ans licht tritt, ja 
den man wol als das bedeutendste emendatorische talent bezeichnen muis, 
welches das griechische volk bisher hervorgebracht hat, der Kreter Marcus 

1) Es führte die nummer 58 tragedia Euripidis et SopJwclis et Eschili in 
papyrOf Piccolomini intorno alle condizioni e yicende della libreria Medicea priyata p. 83. 

2) Von dem Laurentianus sind mehrere vorhanden und eher als er selbst 
für den text benutzt, da sie aber aus G genommen sind, nachdem die gelehrten ihn 
verwüstet hatten, haben sie nur geschadet, da der kritische apparat diese correc- 
turen aUe fortwirft, so erscheinen die apographa nur ein par mal für kleine Ver- 
besserungen aus conjectur. eine vergleichung der gröfseren Kirchhoff'schen ausgäbe 
kann lehren, ein wie falsches bild aus ihnen und einer vergleichung, die wie sie 
nicht auf die erste band zurückgieng, von C gewonnen ward. 



Bekanntwerden der tragiker in Italien, die französische philologie. 221 

Musurus, der nicht nur Euripides und Theokrit, sondern auch Hesych 
Athenaeus die Aristophanesscholien mit grofser kühnheit aber auch mit 
grofsem geschick zu bearbeiten verstanden hat^}. er besafs selbst das 
jetzt als Palatin. 287 im Vatican befindliche bruchstück der oben s. 208 
behandelten handschrift, hat die euripideischen dramen darin durchcor- 
rigirt und nicht ausschliefslich aber wesentlich danach bei Aldus 1503 
herausgegeben, diese gmndlage des textes ist bis in- die zweite hälfte 
des 18. Jahrhunderts unerschüttert geblieben, ein viel mehr genannter 
aber weit geringerer gelehrter, Johannes Laskaris, hatte Zugang zum 
Laur. 32, 9, als er in Kom 1518 die Sophoklesscholien herausgab, die somit 
von anfang an auf der besten gmndlage ruhten, der text des Sophokles 
war schon 1502 in Venedig gedruckt, zwar nicht aus dem Laurentianus, 
aber doch aus einer leidlichen handschrift dagegen standen Arsenios, 
dem herausgeber der Euripidesscholien (Rom 1534) nur sehr schlechte 
byzantinische handschriften zu geböte, und da hat erst das 1 9. Jahrhundert 
besserung gebracht, den text des Aischylos, der vorher aus minder- 
wertigen handschriften genommen war, stellten Robortelli (1552) und 
P. Vettori (1557) auf grund des Laur. 32, 9 fest, nicht ohne eine anzahl 
bleibender eigener Verbesserungen. Victorius, dem nicht nur die schätze 
der Florentiner bibliotheken offen standen^), sondern der mit einer be- 
deutenden Sprachkenntnis die einsieht in das geschaft der kritischen 
recensio .verband, war leider auf lange zeit der letzte Hellenist Italiens, 
von nun an schlummerten die besten tragikerhandschriften in Italiens 
bücherschränken, bis fremde gelehrte sie im 19. Jahrhundert hervorzogen, 
die gegenreformation hatte ihre Schuldigkeit getan. 

Diesseits der Alpen konnte man sich zunächst nur receptiv vor- Die franzo- 
halten, denn erst mit den gedruckten büchern überschritt der Helle- loiogie. 
nismus die grenzen Italiens, aber die empfänglichkeit war eine erstaun- 
liche, sehr bald begann man die griechischen bücher nachzudrucken, 
und immer neue auflagen wurden nötig, dabei verbesserten die gelehrten, 
welche in den druckereien die correctur überwachten, hie und da eine 
kleinigkeit; eine eingreifendere tätigkeit beabsichtigten sie nicht, und die 
gmndlage des textes zu ändern fehlten ihnen die mittel, oder sie sahen 



3) Über ihn vornehmlich zu vergleichen F. Didot Aide Manuce und was im 
anhang zu M. Schmidts gröfserem Hesych beigebracht ist. Husums verdient eine 
monographie. 

4) Er hat auch die bisher übersehene Elektra des Euripides 1545 aus dem 
Laurentianus veröffentlicht, den er besser gelesen hatte als die abschreiber, nach 
denen man ihn seit Musgrave zu berichtigen pflegte. 



222 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

verständigermafsen ein, dafs die handschriften, die etwa in ihre bände 
kamen, einen schlechteren text enthielten als die vulgata. selbst H. Ste- 
phanus hat für die dichter keine hervorragende bedeutung. nur in einem 
falle ward ein für 200 jähre erfolgreicher aber sehr unheilvoller versuch 
gewagt, die grundlage umzustürzen. Adrianus Turnebus (1553) baute 
einen Sophoklestext auf die gründlich verwüstete recension des Triclinius 
und schuf so die vulgata, deren Zerstörung das hauptverdienst Ph. Bruncks 
ist. die ausätze zu einer erklärung, welche man machte, waren und 
blieben dürftig, nur der Holländer Wilhelm Canter, auch sonst ein scharf- 
sinniger verbesserer, half in den chören wesentlich weiter, indem er in 
zahlreichen liedern die responsion erkannte und danach abteilte, indessen 
stand man den Ijrrischen partien fortdauernd hilflos gegenüber; die ver- 
suche der byzantinischen gelehrten letzter zeit waren fast das einzige, 
woran man sich halten konnte, nach ihrem vorgange pflegte man die 
Strophen in sehr kleine verschen zu zerstücken, die man dann ängstlich 
einzeln numerirte oder doch zählte, und das höchste war, dafs man den 
einzelnen einen aus den metrischen traktaten geborgten namen gab. das 
ist erst durch Gottfried Hermann ganz beseitigt; nur unsere verszählung, 
an welcher zu rütteln immer wieder, glücklicher weise vergeblich, ver- 
sucht wird, trägt davon die dauernden spuren, auch die sitte brach sich 
bahn^ die griechischen dramen (wie auch die lateinischen) in 5 acte zu 
teilen, weil Horaz das zu fordern schien, und auch das hat bis zum ende 
des 18. Jahrhunderts gegolten. Übersetzungen wurden vielfach versucht, 
zum teil von namhaften männem wie Florens Christianus; ja sogar Joseph 
Scaliger lieferte den ^Äiax loraritts\ den grofsen Sprachkünstler ver- 
leugnete er auch hier nicht; dafs es nicht ohne stillosigkeit abgieng, zeigt 
schon der titel. und mochte den Zeitgenossen der dialog einigermafsen 
den eindruck wiedergeben, den sie von einem sophokleischen drama 
erwarteten, der dann freilich von dem was das echt attische und sopho- 
kleische ist, ernste mafsvolle farbensatte Schönheit, weit entfernt ist, so 
fallen die chöre gänzlich ab*); sie hat man damals überhaupt weder ver- 

5) Man sehe als probe die wiedergäbe der schönen strophe Ai. 624 sed cum 
vetustatis obsita tempore canis et annis audihit anus parens hunc rdbere mente 
captum, lusdniae ilicet lamentabile Carmen volitantis non illa occinet: ast lucü- 
ficum integrahit lessum. pectora palmis atris tonsa sonahunt, incanamque manus 
comam lacerahunt, Scaligers griechische verse stehen, auch wenn man von den 
zahlreichen yerstölsen gegen spräche und versmals absieht, höchstens auf der höhe 
byzantinischer poeten wie Palladas oder Paulus des silentiars. es sind wesentlich 
reminiscenzen, die eine gigantische gelehrsamkeit in einem selten trügenden gedächtnis 
bereit hält, und auch wo ein bestimmter stü widergegeben werden soll, fehlt es 



Die französische philologie. 223 

standen noch geliebt, auöiihrungen der dramen sind auch, vornehmlich 
in schulkreisen, vorgekommen; es ist das aber, wie die gegen wart zeigt, 
ein experiment, welches weder für liebe noch für Verständnis der antiken 
tragÖdie zeugnis ablegt. 

Die grofsen philologen Frankreichs, Scaliger an der Spitze, haben, 
wie es nicht anders sein konnte, bei gelegentlicher berührung mancherlei 
auch in den tragikern erläutert und verbessert, Casaubonus auch in seiner 
abhandlung de satyrica Graecorum poesi für ein capitel der litteratur- 
geschichte die unverrückbaren grundlinien mit weitem und scharfem blicke 
gezogen, es ist nicht fraglich, dafs diese generation, wenn sie auf die tragödie 
anhaltendere Studien verwendet hätte, mit leichter mühe etwa das erledigt 
haben würde, was 200 Jahre später der generation gelang, die vor Porson 
und Hermann vorhergieng. allein es ist doch kein zufall, dafs sie eben für 
diese wie überhaupt für die classische griechische poesie (und eigentlich 
auch die classische prosa) ein geringeres interesse zeigte, die grofsen philo- 
logen waren eben Franzosen, sie hatten teil an jener grofsartigen cultur- 
entwickelung, welche wir die französische renaissance nennen, mit einem 
namen der übel gewählt ist. denn es erstand nichts was jemals so oder 
ähnlich gewesen war, sondern das seiner selbst bewufst gewordene fran- 
zösische Volkstum, culminirend in einem stolzen prächtigen aber auch 
für die bildung empfänglichen adel, aus dem sich immer höher der könig- 
liche hof erhob, nahm die gesammten culturelemente der italienischen 
hochrenaissance, darunter auch das wiedererweckte altertum, in sich auf, 
nur um im folgenden Jahrhundert in Staat und kirche, dichtung und 
denken seine echtbürtige und eigene grofsartige cultur zu entfalten, es 
ist natürlich, dafs in den zeiten der Vorbereitung der anschluTs an fremde 
Vorbilder stärker ist als in denen der Vollendung, es ist auch unleugbar, 
dafs das griechische auf die französische renaissance stärker eingewirkt 
hat als auf die italienische, von deren classikern zwar Macchiavelli im 
gründe griechische gedanken nachdenkt und der modernen cultur zuführt, 
aber wer würde bei Ariosto an etwas griechisches erinnert? bei Ronsard 
und vollends bei Montaigne ist das anders'), allein das altertum, an 

nicht an grohen misgriffen. solche yerse kann nicht machen, wer sein ohr an die wirk- 
lichen klänge der griechischen dichter gewölmt hat. man vergleiche Hermanns boten- 
bericht aus Wallensteins tod mit Scaligers Catullübersetzungen um den abstand zu 
fühlen. 

6) So wenig auch Montaigne nach seinen eigenen erzählungen selbst yom 
griechischen yerstanden hat, so stark ist doch die Verwandtschaft nicht nur seiner 
denkart sondern auch seiner schriftstellerei mit den aufsätzen der griechischen 
popularphilosophie. auch wenn er Seneca wiedergibt, läfst er das pretiöse renom- 



224 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

welches man ansetzte, war doch nur das römische, das für alle Romanen 
gewissermafsen die cultur der vorfahren war, und wenn griechisches 
hineinspielte, so war es das griechisch des zwiespraxshigen Weltreichs der 
Caesaren. die specifisch griechische cultur, die des Homer und Pindar, 
des Euripides Piaton und Demosthenes^ kam nicht starker in Betracht, 
als sie es für das kaiserliche Rom getan hatte, die alten muster liefs 
man als solche gelten ; aber wenn es zur anwendung kam, so transponirte 
man unwillkürlich die griechische poesie in die römische eloquentia. 
Julius Caesar Scaliger war nur consequenter und vor allem ehrlicher als 
die menge; seine poetik gibt nicht nur von der geringschätzung sondern 
von dem Widerwillen ein treffendes bild, d^n die echte hellenische kunst 
dem Romanen des 1 6. Jahrhunderts einflöfsen mufste. so lästerlich mochte 
man nicht reden, aber man handelte ganz in seinem sinne, und es wäre 
ein Unglück gewesen, wenn man es anders getan hätte: denn nur so 
konnte sich die eigenart der französischen poesie entwickeln, mag man 
im 17. Jahrhundert dann noch so viel von den Griechen reden, mag man 
sich am hofe Ludwigs XIV. gerade dessen berühmen, die griechische 
tragödie erneut zu haben, mag Racine sich stofie und Wendungen im 
Euripides und gar im Aristophanes suchen, mag die aesthetische theorie 
in der tat so viel an Aristoteles und Horaz herumklauben, dafs sie weder 
diese noch die eigene poesie mehr versteht: der moderne und speciell 
der Deutsche mufs sich nachgerade nicht mehr beirren lassen, es war 
recht und gut, dafs seiner zeit dargetan ward, wie unvergleichbar Racine 
und Euripides sind, und dafs Aristoteles mit der theorie und praxis des 
französischen theaters nichts zu tun hat^). es ist gut und recht, dafs 
man in Boileau den poesielosen pedanten trotz allem wolklang der verse 
und noch mehr der perioden nicht verkennt : aber nachgerade sollte man 



mistische, den haut goüt yerschwinden, und was dann von Seneca bleibt, ist eben 
griechische popularphilosophie. heut zu tage ist es mode Montaigne zu loben, und 
das ist recht, wenn nur über dem loben das lesen nicht vergessen wird, aber Plutarchs 
ethische Schriften zu verachten: wie kann das recht sein, da doch Montaigne ihnen 
so viel verdankt ? es wäre wol in der Ordnung, dafs über keinen von beiden urteilte, 
wer nicht beide kennt, wol bemerkt aber den griechischen Plutarch, nicht den des 
Amyot. 

7) Wir laufen sonst wirklich gefahr nach der anderen seite ebenso lächerlich 
zu werden wie diejenigen Franzosen, die ein seltsamer weise auch von verständigen 
gelobtes buch repräsentirt. Patin ^tudes sur les tragiques Grecs^ IV 327 läfst sich 
also vernehmen: ce vC ^taitpas r^ellement la tragödie Qrecque que d^crivait Ariatote, 
c' ^tait une autre tragödie, qui devait se monirer hien longtemps apr^ lui sur la 
achfie frangaise. 



Die französische philologie. 225 

die knabenstimmung fahren lassen und in den grofsen dramatikem der 
Franzosen grofse dichter anerkennen, sollen wir denn nicht so viel 
abstractio;iskraft besitzen, um an französischen heldinnen die namen Iphi- 
g^nie und Oreste und in ihren Schicksalen die alten sagenmotive hinzu- 
nehmen, ohne von ihnen zu fordern, dafs sie Hellenen wären?') Goethe 
war darüber schon beim beginn dieses Jahrhunderts hinweg, noch ehe 
August Schlegel den Franzosen auf der höhe ihrer weltbeherrschenden 
macht die comparaison entre la Ph^dre de Bacine et celle d'Euripide 
entgegenhielt nun wäre es wol an der zeit, dals die geschichtliche Wür- 
digung beiden dichtem gleich zu teil würde' aber freilich, es ist vielleicht 
gerecht, dals nun die französische tragödie durch ungerechte Schätzung 
dafür büTst, der Würdigung und dem Verständnis der attischen mehrere 
generadonen lang eintrag getan zu haben, denn an ihr liegt es, dafs 
Frankreich für die griechischen tragiker bis auf den heutigen Tag äufserst 
wenig geleistet hat, und dafs die Suprematie der französischen litteratur 
gebrochen werden muTste, damit die attische verstanden würde, was von 
Franzosen im 17. und 18. Jahrhundert über die griechischen tragiker 
geschrieben ist, kann man, was diese betrifil, ungelesen lassen, die Fran- 
zosen beginnen ja überhaupt erst seit einem menschenalter etwa durch 
die teilnähme an der deutschen culturentwickelung für den echten Helle- 
nismus empfänglich zu werden. 

Ehe man dazu sich verstieg, erst es den Athenern gleich tun zu 
wollen, und dann sich in dem naiven hochgefühle zu wiegen, ihnen weit 
über zu sein (wie das bei Voltaire in scherz und ernst hervortritt), muiste 
freilich der geschichtliche sinn erst ausgetrieben, mufsten die griechischen 
Studien von der beherrschenden höhe, die sie zu Scaligers zeit einnahmen, 
auf den kümmerlichen stand gesunken sein, den sie, wenn man von der 
patristik absieht, in dem classischen Frankreich einnahmen, das besorgte 
der bund des absolutismus mit der gegenreformation. man wollte nur 
die Huguenotten beseitigen und beseitigte den Hellenismus mit, denn 
seine träger waren die Vorkämpfer der reformation. Scaliger und sein 
kreis ist freilich nicht abgetan mit der bezeichnung als träger der roma- 
nischen cultur. sie hatten mit der reformation die freiheit des christen- 



8) In Wahrheit bedarf man einer nicht viel geringeren abstraction, wenn man 
Ovids Metamorphosen mit gennXs lesen will: an die götter und heroen darf man 

nicht denken, durch die unyerantwortliehe Verwendung des frivolen komischen epos 

neben und vor Homer in der knabenschule ist freilich zumeist das gefühl für ernst 

und heiligkeit der sage ertötet und die phantasie vergiftet, so dafs das echte epos 
nicht mehr wirken kann. 

V. Wilamowitz I. 2. Aufl. 1 5 



226 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

menschen erworben, und sie entnahmen der antike die freiheit des 
menschen; so erhoben sie sich zu einer so grofsartigen und allumfassen- 
den idee von der Wissenschaft, wie sie nur Aristoteles gelehrt hat, und 
zu einer idee von der gröfse der philologie, wie sie den Hellenen nie 
ganz zum bewuTstsein gekommen ist Scaligers äuge hat die geschichts- 
wissenschaft schon voll begriffen, weder vor der morgendämmerung des 
Orients noch vor den nebeln der kirchengeschichte zurückschreckend, 
es ist nur wahr und gerecht^ wie Niebuhr ihn gepriesen hat, und es ist 
bezeichnend, dafs Niebuhr, aber erst Niebuhr an ihn ansetzt grolsartige 
Unternehmungen, wie die Sammlung der inschriften, nicht als curiositaten, 
sondern als Urkunden, die Sammlung der grammatiker, nicht um von 
ihnen latein schreiben zu lernen, sondern um aus ihnen das zertrümmerte 
material alter gelehrsamkeit zu gewinnen, die Wiederherstellung verlorner 
litteraturwerke aus den bruchstücken, wie des Ennius und Lucilius, sind 
von jener generation in angriff genommen, es lag in der natur des 
materiales sowol als der zeitrichtung, dafs solche Unternehmungen dem 
römischen altertum zunächst galten; aber wenn die entwickelung dauer 
gehabt hätte^ so würde auch für das griechische die zeit gekommen sein, 
zur zeit war noch das äuge für die ^ Griechenschönheit' blind — das fehlte 
allen, und die ganze stolze philologie verkümmerte durch den sieg des 
katholicismus in Frankreich. Scaliger flüchtete sie freilich nach Holland; 
aber für den Hellenismus schlug in dem niederländischen volke keine 
verwandte ader, weder in Holland, das ruhmvoll freiheit glauben und 
Sinnesart behauptete, noch in brabant, das sich dem Romanismus ergab, 
die ^lieblichste von allen scenen' ist weder für van Dyk noch für Bembrandt 
zu malen, das protestantische Südwestdeutschland würde am ehesten be- 
rufen gewesen sein, der Wissenschaft eine statte zu bieten. Heidelberg 
war für sie ein ganz anders vorbereiteter boden als Leyden. allein die 
Deutschen und zumal ihre höchsten stände waren noch zu arge barbaren, 
und allen hoffnungen machte der greuel der religionskriege ein ende, die 
griechischen handschriften der Pfälzer bibliothek giengen zu ehren der 
Christenheit in den Vatican, zu schlafen neben ihren Schwestern. Casau- 
bonus flüchtete nach England; aber es war nicht ein same, den er aus- 
gestreut hatte, als durch Richard Bentley um 1700 die englische philologie 
mit einem male zu beherrschender höhe emporwuchs. England hatte es 
vermocht, die bildungselemente des Romanismus ganz aufzunehmen, ohne 
seine eigenart zu verlieren, es hatte während des 17. Jahrhunderts, wenig 
verflochten in die geschicke des continents, die gewaltigsten stürme sowol 
im staatlichen wie im religiösen leben überstanden; mit der definitiven 



Die französische philologie. die Engländer. 227 

feststellung des nationalen Staatswesen durch die revolution von 1688 
€axB %ijv iavTOv cp'öaiv. nach einem menschenalter gestehn ihm freier 
denkende Franzosen eine der ihren ebenbürtige oder doch eine eigen- 
artige cultur zu. England hat durch sie wie überhaupt die moderne welt- 
gesittung so auch den Hellenismus vor dem barocken Bomanismus gerettet, 
mit dem er schlechthin unvereinbar ist. 

Die entwickelung der englischen philologie von Bentleys brief an En^ier. 
Hill bis zu dem unseligen jähre 1825, wo Peter Dobree in das grab 
sank, das sich kaum über Peter Elmsley geschlossen hatte, ist eine streng 
einheitliche, und die attische poesie steht dauernd im mittelpunkte des 
interesses. wir modernen lassen uns leicht verleiten, auch wenn wir nicht 
die kindereien des tages mitmachen, diese grofsen Engländer geringer zu 
schätzen, weil wir mit den ergebnissen ihrer forschung wie mit einem ohne 
dank hingenommenen gemeingut wirtschaften, in der tat, vielerlei was sie 
mühsam gefunden haben, hat man jetzt nicht mehr nötig bei ihnen zu 
lernen; wer überhaupt ein bischen attisch lernt, lernt es gleich mit den 
dementen von formenlehre und syntax. in den scenischen gedichten ist 
keine seite, die nicht die spuren ihrer arbeit trägt, auch wenn keine 
ihrer conjecturen darauf steht, am besten lernt man es wol am Aristo- 
phanes, zumal in den stücken, welche im altertum fast rein erhalten nur 
von dem schmutze zu befreien waren, den die byzantinischen Jahrhunderte 
angesetzt hatten : da ist für uns moderne zu verbessern kaum noch etwas 
übrig, und es ist eigentlich auch nur ein zufall, ob Bentley oder Person oder 
Dobree die stelle verbessert hat. sie würden das wahre alle gleichermafsen 
in gleicher weise gefunden haben; wer es getan hat, hängt nur von dem 
Zufall des ersten gewahrwerdens der Verderbnis ab. es ist eben eme ganz 
bestimmte methode, die sie alle anwenden; die unterschiede des könnens 
sind graduell, die schranken desselben fallen aber fast immer mit den 
schranken des woUens zusammen, die recensio in ihrer Wichtigkeit hat 
zwar Bentley erkannt und zu üben gewagt, aber doch nicht durchgehends, 
und für das griechische tritt es auch bei ihm, der keine ausgäbe gemacht 
hat^ zurück, dabei bleibt es. mit den schätzen der Pariser bibliothek, 
die zum teil erschlossen werden, wird nicht viel operirt; erst Elmsley 
bringt von einer italienischen reise wertvolles material für Sophokles und 
Euripides heim, das er gleichwol selbst bei längerem leben schwerlich 
voll ausgenützt haben würde, man legt zunächst überhaupt wenig wert 
auf das fertigstellen der texte. Porson hat seine arbeit für den Olasgower 
druck des Aischylos sogar anonym gehalten, mehr als ein par stücke 
geben die wenigsten und gerade die vornehmsten kritiker nicht heraus; 

15* 



228 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

manche kommen über einzelbemerkungen kaum hinaus, wie Tjrrwhitt. 
nur Musgrave, der aber in naher beziehung zu Holland steht und über- 
haupt nicht zur zunft gehört, macht gesammtausgaben , mit allerdings 
geringem handschriftlichem materiale und geringem ansatze zur erklärung, 
ein hastiges ungleiches in vielem dürftiges werk, aber doch auch ab- 
gesehen von der reichen ernte von gelungenem (bis heute nicht genug 
anerkanntem) höchst achtungswert durch das was er in seiner zeit allein 
anstrebte, für die koryphaeen ist ein gereinigter text zwar das ziel, aber der 
einzelne verzichtet darauf es zu erreichen, was man dafür als notwendig 
erkannt hat, ist das eine und groise, die gesetze der spräche und des Vers- 
baus aus den überlieferten texten selbst durch empirische beobachtung zu 
gewinnen und danach die Überlieferung zu reinigen, mit der dichterkritik 
geht die der classischen prosa band in hand; doch hat in ihr erst Dobree 
umfassendes geleistet immerhin war also attische formenlehre und attische 
Syntax und attische metrik das was man angestrebt und wofür man den 
grund gelegt hat. die scharfe zeitliche Umgrenzung des beobachtungs- 
gebietes war von vom herein ein Vorzug, nur um so gröfser, als die 
deutschen gegner ihn nicht zu würdigen verstanden, es gehört nicht viel 
logik dazu einzusehen, dais es ein cirkelweg ist die Überlieferung nach 
den gesetzen die man ihr entnimmt zu verbessern, und es ist eben so 
nahe liegend für die ^gesetze', welche man aufstellte und gemäfs dem 
englischen nationalcharakter gern als unverbrüchliche nicht ohne pedan- 
tismus aufrecht zu haltende canones ausgab, eine innere begründung zu 
fordern und die rechte der individuellen dichterfreiheit wider das starre 
gesetz zu verteidigen, tatsache ist, dafs zwar 6. Hermann eine sehr viel 
tiefere auffassung von der grammatik als Wissenschaft zum siege geführt 
hat, dafs aber seine eigene Verteidigung der anomalie nicht besser stand 
gehalten hat, als es die anomalie immer zu tun pflegt, jetzt; wo die ge- 
schichtliche grammatik und die urkundlichen Zeugnisse des gebrauches in 
den inschriften als Schiedsrichter zwischen Hermanns und Elmsleys regeln 
stehen, ist im wesentlichen der sieg zu gunsten der Engländer ent- 
schieden, ohne zweifei muTs es nicht nur für den arbeiter selbst ver- 
dunmiend wirken, wenn das kritische geschäft zum zahlen des Statistikers 
wird, und dann mechanisch nach dem majoritatsprincip entschieden wird; 
aber so geht es doch nur, wenn unreife oder geistlose bände treiben was 
sie lassen sollten, wie hoch ist nicht der berg von makulatur, der durch 
solche dissertationen 'über den Sprachgebrauch so und so bei dem und 
dern^ in Deutschland gehäuft ist. nicht minder zweifellos ist, dafs die Ver- 
teidigung der anomalien durch grammatische düfteleien, wie sie in vielen 



Die Engländer. 229 

dicken ausgaben namentlich griechischer prosaiker unter dem einflusse 
von Hermanns lehre geübt worden ist, auch nicht viel mehr als makulatur 
hervorgebracht hat. es bestätigt sich auch hier, dafs die methode nicht 
selig macht, sondern dafs es begabung und arbeit, das selbsterworbene 
wissen und die geistige potenz ist, was darüber entscheidet, ob das lebens- 
fähig ist, was ein mann in der Wissenschaft leistet was er für die Wissen- 
schaft ist und bleibt, das liegt freilich zuletzt im Charakter: denn auch 
hier zahlen nur gemeine naturen mit dem was sie tun. um so erhebender 
ist der an blick ^ wie der zuerst so heftige kämpf zwischen den grofsen 
Engländern und Hermann sammt seinen schülern sich endlich auflöst in 
die anerkennung gegenseitiger ebenbürtigkeit und ergänzung. aber zum 
schwersten schaden für die tragikerkritik rüs ein früher tod die be- 
deutendsten englischen meister fort, und die schule zeigte sofort den ver- 
fall, indem sie mit famulusgeschäftigkeit jedes gedankenspänchen Porsons 
conservirte und consecrirte. England tritt von dem Schauplatz gänzlich 
zurück, und erst in der allerneuesten zeit, wo die landschaftlichen unter- 
schiede sich in eine internationale philologie fast ganz aufgelöst haben, 
regt sich neues leben, bezeichnender weise in denselben diametral ent- 
gegengesetzten richtungen wie auf dem continent, sowohl radical alles 
umstürzend, wie reactionär die errungenschaften der meister preisgebend. 
Dafs das gebiet welches die englische philologie allein bearbeitete ein 
sehr enges war, wenn auch zum grofsen teile durch selbstbeschränkung, 
wird niemand mehr verkennen, die chorlieder fallen so gut wie ganz fort^ 
denn ihre spräche geht in die atthis nicht auf. für die grammatik der 
Porson sehen schule waren sie also incommensurabel; man hielt sich in 
ihr ja auch von Pindar und, hierin hinter Bentley zurückweichend, von 
Homer fern, die metrik der lieder entzog sich dem empirischen con- 
statiren des gebrauches, das im dialoge ausreichend war. freilich ist 
selbst im Homer mit denselben mittein sehr viel zu erreichen; es ist 
dieselbe methode, mit welcher Im. Bekker und nach ihm viele bedeutende 
gelehrte den bann des Schlendrians gebrochen haben, für die metrik der 
chöre findet man ausätze zu solcher Observation bei Elmsley und Oaisford 
(zum Hephaestion) ; Seidlers buch de versibtcs dochmiacis beherrscht deshalb 
die texte heute noch, weil er weit mehr mit den Engländern beobachtet 
als mit Hermann systematisirt hat. auf diesem gebiete muTs die rechte 
nachfolge für Porsons vorrede zur Hekabe erst kommen, man wird aber 
nicht bezweifeln, dafs nach dieser seite die Porsonsche schule entwicke- 
lungsfähig war. aber nach einer anderen wichtigeren war sie es nicht, 
dals mehr als zu sätzen geordnete attische wörter in den behandelten texten 



230 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

Stünden, scheint den grofsen grammatikern gar nicht zum bewufstsein zu 
kommen, auch nur den gedankenzusammenhang zu erläutern versäumen 
sie in ihren ausgaben so gut wie durchweg, und es ist bezeichnend, dafs 
athetese und Umstellung von versen sich in ihrer kritischen rüstkammer 
nicht vorfinden, dafs es vollends gedichte sind, die sie behandeln, und 
dafs die dichter menschen sind, für deren Offenbarung sie die dolmetscher 
sein sollten, davon trifft man das bewufstsein noch seltener, das histo- 
rische gefühl ist äulserst fein, wenn es sich um ein wort oder eine con- 
struction handelt; weiter reicht es nicht, wer die rede liest, die Porson 
bei der übernähme seiner professur in Cambridge gehalten hat, wird mit 
grauen den scharfen kritiker jede hirnlose fabel weitergeben sehen, und 
wird sich angesichts des trivialsten geredes über die poesie des Euripides 
und den wert der Hekabe freuen, dafs der grolse sprachmeister über das 
sprachliche sonst nie hinausgegangen ist. wertvoll ist an der rede nur 
das geständnis, dais ihm Euripides der liebste tragiker war, weil in seiner 
spräche (d. h. im dialog ; von den chören ist auch hier keine rede) nativa 
venustas et inaffedata simplicitas enthalten sei. Porson war ein leidenschaft- 
licher Verehrer Shakespeares: wer den grofsen philologen lieb hat, wird 
sich gern damit trösten, dafs er also doch für poesie als solche empfäng- 
lich war: die attischen dichter hat er nur als meister der ki^ig angesehen 
und geschätzt. 
Brunck. Darin waren männer anderer nationen Porson überlegen, so wenig 

sie den vergleich mit seinem Scharfsinn und wissen aushalten mögen, der 
liebenswürdige Elsässer Philipp Brunck hatte schon das voraus, dafs er 
nicht von der zunft war, sondern als französischer kriegscommissar in 
Gielsen von der liebe zur griechischen poesie für den dienst derselben 
gewonnen wurde, was verschlägt es, dafs er niemals die sprachliche 
Sicherheit gewann, und deshalb sich gern an zweifelhafte aber für den 
gebrauch bequem formulirte canones als autoritäten anschlofs? was ver- 
schlägt es auch, dais sein name als vater von conjecturen nicht sehr 
häufig unter unseren texten steht? ins weite hat er durch seine zahl- 
reichen ausgaben, unter denen die tragiker allerdings nicht in erster reihe 
stehn, mehr gewirkt als die esoterische lehre der Engländer, er lieferte 
dem erstarkenden gefallen an der alten poesie die mittel, schon weil seine 
sauberen geschmackvoll ausgestatteten bücher von einem eleganten söhne 
des 18. Jahrhunderts auch für elegante bände bestimmt waren, und ihm 
war es immer gegenwärtig, da& er poesie behandelte, er liefs sich aber 
auch angelegen sein, das handschriftliche material zu beschaffen, und was 
Paris davon bot, hat er erschlossen, so kam der codex 2712 für Sophokles» 



i 



Bninck. die HoUänder. 231 

die mehrzahl der aristophanischen stücke und einige euripideische zu 
seinem rechte, das war überall ein grofser f ortschritt: im Sophokles war 
es die befreiung von dem triclinischen firnlfs. 

Das schulhaupt der zünftigen in gelehrtenstolz und gelehrtenbe- HouiSder. 
schränktheit sich wiegenden holländischen philologie, die seit Tiberius 
Hemsterhuys nicht ohne Bentleys einwirkung den Hellenismus wieder auf- 
genommen hatte, Ludwig Caspar Valckenaer war ein ganz anderer mann, 
von poesie war ihm wenig mehr als ein Schimmer des französischen classi- 
cismus aufgegangen, aber er übertraf an wucht der gelehrsamkeit alle 
Zeitgenossen, und wenn er auch in den commentaren den gelehrten klein- 
kram auslegte und deshalb dem spotte Porsons verfiel, so war das übel 
placirte doch meist wirklich wissenswertes und stets selbsterworbenes gut 
die beiden berühmten ausgaben von Euripides Phoenissen und Hippolytos 
haben das Verständnis dieser dramen nicht eben stark gefördert, und die 
conjecturale begabung und auch das Stilgefühl Valckeuaers war für die 
poesie nicht stark, aber indem er die schollen der Phoenissen mit heran- 
zog, wies er auf ein wichtiges lange vernachlässigtes gebiet hin, und für 
die tragiker selbst hat er dadurch ein dauerndes, vergeblich von 6. Hermann 
bestrittenes, verdienst, dals er auf die interpolationen des euripideischen 
textes aufmeiksam ward, der misbrauch, den das 19. Jahrhundert mit 
diesem kritischen heilmittel getrieben hat und den es als besonderen 
Schandfleck in der zukunft tragen wird, hebt das verdienst Valckeuaers 
nicht auf, die tatsache, dafs der text der attischen dichter von stücken 
unberufener hand durchsetzt ist, zur anerkennung gebracht zu haben, 
doch die vornehmste bedeutung, weit über das greifend, was er selbst 
ahnte, hat sein bestreben gewonnen, aus den resten der verlornen dramen 
und den berichten über ihren inhalt wenigstens ein bild von dem ver- 
lornen wieder zu gewinnen, hier gieng es der gelehrsamkeit, welche die 
ganze weite der späteren litteratur durchmais, endlich auf, dals in dieser 
mehr zu finden wäre als ein sentenzchen oder die gegenseitige emendation 
von original und copie: sie fand den prüf stein der kritik, der das katzen- 
gold der tragikersprüche überführte, mit denen Juden und Christen für 
ihre dogmen propaganda gemacht hatten; sie überzeugte sich, dals die 
Splitter der zertrümmerten kunstwerke im schütte der nachweit so zahl- 
reich waren, dais sie gesammelt und gesäubert für einzelnes wenigstens 
die restauration ermöglichten, es hat allerdings lange gedauert, bis 
Valckenaer auf diesem gebiete nachfolge erhielt, und sie kam nicht von 
streng philologischer seite. in Holland fand seine arbeit für die dichter 
überhaupt wenig nachfolge, als der grofse gelehrte, der ein Jahrhundert 



282 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

nach ihm schulhaupt ward und als ein neuer Phrynichus die bürste eines 
unerbittlichen atticismus ergriff und so die texte der echten und der nach- 
ahmenden attischen prosaiker von den flecken der Überlieferung und den 
Spinneweben der beschönigenden commentare befreite, da hatten die 
attischen komiker einen starken nutzen davon ; für die tragiker konnte der 
natur der sache nach nicht eben viel erreicht werden, ihre spräche läfst 
sich, auch abgesehen von den chorliedern, die überhaupt unberührt blieben, 
nicht über einen kämm scheren, und wo das am ehesten zu gehen schien 
und am meisten versucht ward, im euripideischen dialog, war der erfolg 
ein sehr mäisiger, weil Euripides nicht in prosa geschrieben hat, am 
wenigsten in trivialer, neben oder vielmehr unter dem meister haben andere 
Holländer die conjecturenmache 'en gros um so schwungvoller betrieben 
als sie die palaeographische routine und das bequeme glauben an dogmen 
zur beöügelung hatten, und weder die last sachlichen wissens noch die 
bedenklichkeiten geschichtlicher oder philosophischer betrachtung ihre 
schritte hemmten. 
Beiske. Auf Deutschland sah Porson mit Verachtung herab; er parodirte die 

alten verse des Demodokos sehr artig also The Germans tn Greek are 
sadly to seek, all, save only Hermanny and Hermann is a German, man 
konnte es ihm kaum verdenken; nur einen können wir vor Hermann 
aufweisen, der an sprachkenntnis im ganzen keinem nachstand, an erfind- 
samkeit Porson und seine schüler alle (aufeer Dobree vielleicht) übertraf, 
und auch in den tragikern^ bei denen der rastlose wanderer auf seinem 
zuge durch die ungemessene weite mehrerer litteraturen doch nur kurz 
verweilt hatte, überraschend viel bleibendes geschaffen hat, obwohl ihm 
nie aufgegangen ist, was ein trimeter ist, und er der spräche manche 
Unmöglichkeiten, vieles unerträgliche zugemutet hat : ein mann, dem die 
Chariten so wenig wie die Moiren je gelächelt haben, und der doch des 
geschickes durch eigene sittliche kraft herr ward, und für die edelsten 
kunstwerke durch seines geistes kraft mehr geleistet hat als die meisten 
verwöhnten lieblinge der Charis. Johann Jacob Reiske, den die perrücken 
von Leyden und Leipzig, die geheimderäte von Halle und die hofräte 
von Göttingen nicht aufkommen liefsen, der aber Lessing zum freunde 
hatte, steht allein als Vertreter des Hellenismus in Deutschland, in das er 
so wenig hinein gehörte wie Winckelmann. man hat ihm erst nach dem 
tode sein recht gegeben, quis hodie non contemnü DorviUium, Reiskium 
non admiratur, hat Cobet gesagt. 
Die Reiske hatte selbst so gut wie keine nachfolge; es war ein menschen- 

seit. alter später, dais Porson seinen Widerwillen gegen die deutschen Helle- 



^ 



Eeiske. die goetMsche zeit. 233 

nisten aussprechen konnte, und doch wurzelt die philologie, die heute 
und in Zukunft allein eine existenzberechtigung hat, in dem was Deutsche 
männer zu Beiskes zeit und in der folgenden generation geschaffen oder 
begründet haben. Lessing verstand zwar, die Wahrheit zu gestehen, recht 
unvollkommen griechisch (die Lessingphilologen überschätzen es), hatte 
auch speziell von den tragikern nachweislich nicht viel gelesen, und für 
ihre besondere gröfse fehlte ihm aufser dem geschichtlichen Verständnis, 
das niemand erwarten wird, sogar die innere empfindung^) ; aber selbst von 
seinem poetischen Standpunkte aus, wo die poesie weit mehr als ein werk 
des witzes erschien denn als werk der phantasie, erfafste er mit wunderbar 
sicherem trefierblick eine reihe der grundwahrheiten, und vor allem rifs 
er die hindernisse hinweg, die die barocke poetik vor die tragiker und 
den Aristoteles gestellt hatte, er lehrte die musterbilder der poesie und 
die regeln der poetik bei den Griechen selbst suchen. Winckelmann 
ergänzte sein werk; er eröffnete endlich die schwesterkunst der attischen 
dichtung dem Verständnis, und bis auf den heutigen tag gilt es, da& den 
Abchylos keiner recht begreift, der nicht für die sculpturwerke der 
attischen frühzeit ein herz hat, und dafs über diese nur stilistisches ge- 
fasel redet, wem die verse nicht im eigenen woUaut zu herzen gegangen 
sind, und Winckelmann gab mehr: er wies zuerst auf die sage als den 
gemeinsamen born hin, aus dem dichter und künstler getrunken haben; 
durch sein verdienst erscheinen die kunstwerke nicht mehr als etwas für 
sich bestehendes und gemachtes, sondern als die gewachsenen bluten am 
stamme der allgemeinen cultur des Volkes, an Winckelmann und Lessing 
setzte Herder an. er schärfte den blick sowol für das nationale wie 
auch, und dies mit verliebe, für das, was allen Völkern unter ähnlichen 
culturbedingungen gemeinsam ist; die poesie erschien nun als eine trotz 
aller Spaltung in mundarten dem menschengeschlecht gemeinsam ver- 
liehene spräche, seine herzbewegende predigt machte die seelen der 



9) Wer das hart gearteilt findet, der sehe im philologischen nachlaTs an, was 
Lessing gelesen und was er dabei notirt hat; von den vergleichungen mit Seneca 
als einer Jugendarbeit zu schweigen. Lessing hat freilich ein leben des Sophokles 
geschrieben und zwar so wie es kein deutscher philologe damals konnte, aber er 
gesteht so ziemlich selbst ein, dals er dazu kam, weil der artikel Sophokles bei Bayle 
fehlte, und er hat in Bayles art zwar sehr viel über Sophokles zusammengetragen; 
der dichter als dichter ist indes in keiner weise zu seiner rechnung gekommen, es 
war ein ganz unwesentlicher umstand, dafs das object der kritischen polymathie 
zufällig ein attischer tragiker war. dafs der Verfasser des Laokoon genau so zu der 
bildenden kunst stand wie der Verfasser der Dramaturgie zu Aischylos, kann wol 
als zugestanden gelten. 



234 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

modernen, in der dünnen luft des vernünftigen Jahrhunderts blasirt ge- 
wordenen, menschen wieder naiv und kräftig um die frühlingsstürme, den 
Wüstenbrandy den urwaldhauch vertragen zu können, in denen die jugend- 
liche menschheit die Offenbarungen der naturrellgion empfangen haben, 
aus denen alle und jede poesie erwachsen ist. nun drängten sich scharen 
begeisterter Jünglinge wieder zu dem borne der hellenischen poesie. und 
einer war unter ihnen, der als Jüngling bei dem meister gelernt hatte 
die irdische brüst im morgenrot zu baden, und es als mann vermochte 
die poesie aus dem geiste und der Wahrheit des Hellenentumes wieder- 
zugebären. jetzt erst wurden die philologen inne, welche schätze sie zu 
hüten, welches evangelium sie zu verkünden berufen sind, und für alle 
Zeiten steht es fest, dafs die philologie ihre pflicht gegen die hellenischen 
dichter nur dann erfüllen kann, wenn sie dieselbe in goethischem sinne 
auffafst. 

Es geschah aber die befreiung des poetischen empfindens und ver- 
stehens wesentlich durch die Wiedererweckung der homerischen poesie, und 
im drama durch die Shakespeares, die attischen dichter übten daneben 
eine verhältnismäfsig geringe macht direct aus, die Wahrheit zu sagen, 
weil sie zu schwer zu verstehen waren, die genialische art, mit der man 
sich allenfalls des Homer bemächtigen konnte, versagte gegenüber einem 
attischen chorliede, und die Übersetzungen halfen wenig weiter. Goethe 
hatte doch in Wetzlar ernsthafter griechisch getrieben als die meisten 
seines kreises, und hatte an Theokrit und Pindar mehr als genippt (die 
Goethephilologen unterschätzen das), aber um Götter Helden und Wieland 
zu schreiben hat er die Alkestis beim pater Brumoy und nicht beim Euri- 
pides nachgelesen ^°). der Iphigenie sieht man es in ihrer italienischen 
gestalt dann freilich an, dafs die wucht der trimeter der sophokleischen 
Elektra unmittelbar auf sie gewirkt hat. seine Helena hat den Troerinnen 
des Euripides nicht nur das eingangsmotiv und manches in den chor- 
liedern entlehnt, sondern die kunstform der antiken tragödie war ihm 
damals so sehr in der tiefsten bedeutsamkeit und in den äufserlichsten 
Stilkennzeichen lebendig geworden, wie es nur durch die originale möglich 



10) Es macht sich doch etwas possierlich, dafs Goethe von *der königin der 
toten, der geleiterin zum Orkus' redet, und diese gar 'das unerbittliche Schicksal 
nennt, weil dem Deutschen das männliche geschlecht des Todes die wiedergäbe von 
la mortf cette orgueillevse reine des omhres erschwert : an dvaT^ra rdv fieXäfjinsnXov 
v£M^div Gdvarov denkt er nicht. Brumoy hat sich selbst darüber ausgesprochen, 
dafs er la mort gewagt hätte, wo die lateinischen Übersetzer orcus gesetzt hatten 
(II 84 der ausgäbe von 1730). 



Die goethische zeit. Gottfried Hermann. 235 

ist. dachte er doch sogar daran, nicht nur den Prometheus, sondern 
selbst das sprödeste aller antiken dramen, die Hiketiden des Aischylos, 
durch nachdichtung des anschliefsenden Stückes zu ergänzen, aber er 
vermochte all das wesentlich durch die intuitive kraft der congenialität 
dies Vorrecht war keinem zweiten gegeben; selbst Schiller ist es nicht 
gelungen mit irgend einer andern hellenischen poesie aufser Homer ein 
innerliches Verhältnis zu gewinnen, es ist eben nicht anders: man konnte 
in Deutschland kein griechisch. 

Oriechisch zu können und lehren zu können, die schände von dem Gottfried 
deutschen namen zu entfernen, die er noch in Porsons äugen mit recht 
trug, das war die nächste und wichtigste aufgäbe der philologie; an ein 
mehr als an der Oberfläche tastendes oder zu allgemeinheiten in un- 
sicherem fluge sich erhebendes Verständnis der tragiker war vorher gar 
nicht zu denken, dies nächste und notwendigste geleistet zu haben ist 
Gottfried Hermanns verdienst er konnte griechisch wie kein deutscher 
vor ihm, jeder spätere aber durch ihn, er durch eigene kraft aus dem 
lebendigen verkehre mit den Schriftwerken, er lehrte viele generadonen 
hinter einander griechisch, indem er sie wieder in den lebendigen ver- 
kehr mit den Schriftstellern einführte, er übertrug auf sie das charisma 
seines geistes. das können war's, was ihn zum grofsen manne machte, 
gleich unempfänglich für den kribskrabs der imagination wie für den 
krimskrams der erudition gieng er geraden weges auf das zu, was er 
wiederholt als das ziel seiner philologie hinstellte, das Verständnis des 
geschriebenen, rücksichtslos schüttelte er alles ab, was ihm diese einfache 
aufgäbe zu stören schien, mit dem frischen wagemute des reiters, der 
dem Deutschen das ideal des mannes ist, hielt er sich an die husaren- 
parole Vorwärts*; dftkoüg 6 fxvd^og TfjQ dlvj^elag i(pv, darin lag das 
geheimnis seiner macht; darum kam er wider seine absieht von kämpf 
zu kämpf, und blieb zwar nicht immer sieger^ aber immer unbesiegt, er 
strebte nicht nach herrschaft, bescheiden wie er war, wenn auch nicht 
wie die lumpe bescheiden, aber er herrschte tatsächlich mehr als ein 
menschenalter^ liefs die philologie welche er vertrat bei seinem tode 
hauptlos zurück, und bestimmte speciell in den tragikem ihre geschicke 
weit über seinen tod hinaus. 

Hermanns leben verlief fast ganz an dem ufer der Pleifse, und ver- 
leugnen kann er nicht, dafs er das wasser getrunken hat, von dem Schillers 
Flüsse unehrerbietiges erzählen, er steht dem sächsischen rationalismus 
so nahe, dafs er für alle ofieubarungen Herders und dann der romantik, 
selbst als diese sich zur geschichtswissenschaft ausbildet, unempfänglich 



236 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

ist. dafs er nicht in ihm versunken ist, dankt er der kantischen philo- 
sophie. aber dem geschichtlichen betriebe der Wissenschaft ward er auch 
durch diese nur noch mehr entfremdet, dais ihm die grammatik nicht 
genügte, welche er vorfand, war natürlich, da er die spräche wirklich 
beherrschte, nun versuchte er ein neues System zu bauen, wir wohnen 
noch in den trümmern desselben, aber wir wissen längst, dafs die spräche 
als ein geschichtlich gewordenes der logischen distinctionen spottet, wissen, 
dafs Madvigs Verdammungsurteil über die bücher de particula äv ein ge- 
rechtes ist, und dafs die wirklich wissenschaftliche behandlung der gram- 
matik vielmehr mit Ph. Buttmann beginnt, der jammervolle zustand der 
metrik, bei dem sich noch Valckenaer beruhigte, konnte Hermann ebenso 
wenig genügen; sein eignes ohr lehrte ihn die rhythmen Pindars und 
der tragischen lieder. so danken wir ihm, dafs diese als kunstwerke 
wirklich erst wieder lebendig wurden, aber aus abstracten theoremen 
über rhythmus und mafs kann niemals die verskunst einer concreten 
spräche erläutert werden"), so weit wir nicht unsere seele an ebenso 
abstracto und ungeschichtliche modernere theoreme verkauft haben, leben 
wir auch in der metrik unter den trümmern des Hermannschen Systems: 
genügen konnte es schon den Zeitgenossen nicht, aber wol mufs wieder 
und wieder hervorgehoben werden, da& Hermann einmal in seinem leben, 
in der Untersuchung über den Orpheus, zu der geschichtlichen Verfolgung 
einer erscheinung in ihrem werden und ihrem wandel aufgestiegen ist^ 
und dafs er mit dieser Jugendarbeit in Wahrheit sein höchstes geleistet 
hat. es ist von Hermanns büchern das einzige das kaum gealtert ist. 
ganz anders ist der eindruck, den man von den ältesten und zugleich 
bedeutendsten abhandlungen empfängt, die in den opuscula stehen, wer 
etwa sich in den Strudel der meinungen gewagt hat, der zur zeit über 
den dialekt der griechischen dichtungen auch einzelne verständige männer 
fortreifst, der wird mit sehr hohem interesse die abhandlungen lesen, 

11) Wes man sich zu versehen hat, dafür eine probe Elem. doctr. metr, 516 
quis credat non ausoa esse Graecos hosce praeclaros numeros admittere 



\J\^\^ JL^m V^ V^ JL— s^JL — 



qiMS KLopstochius usurpavit in Ms versibus 

da zu dem angriff bei dem waldstrom das kriegslied 
zu der vertilgenden schlacht und dem siege den befehl rief. 
credant hoc qui ah opinionihus quas semel conceperunt avelli se non patiuntur. 
ego ita sentio de illitis gentis ingenio, nihil ut eos in quo venustatis aliqua aut 
sublimitaHs laus esset intactum reliquisse putem, der kritische grundsatz, der Vor- 
wurf vorgefaTster meinung gegen die gegner solcher Schlüsse, die bewunderung der 
papiemen versschemata: was ist das ärgste? 



Gottfried Hermann. 287 

welche in Wahrheit diese probleme aufgeworfen haben, de Graecae linguae 
dialectis und de dialecto Pindari; er wird es vielleicht pikant finden, dals 
die erstere Heynes fünfzigjähriges doctorjubiläum feiert und beginnt 
Graecae linguae cognitio his temporihtis paucorum quidem sed eximiorum 
hominum studiis eos progressus fecit ut doctrinae loco haheri passe indpiat, 
und uns doch als eine schrift aus einer epoche der Wissenschaft erscheint, 
auf deren Standpunkt wir uns nur durch die stärkste historische abstrac- 
tion zurückversetzen, der zu selbständigem denken gereifte mag in 
diesen Schriften noch heute lebenskräftige keime entdecken; im ganzen 
sind sie wirklich veraltet, von Hermanns mythologie redet man aus pietät 
nicht, aber keineswegs veraltet, wenn auch leider am wenigsten gelesen 
sind Hermanns ausgaben der tragiker, zumal die ältesten, durch welche 
er rasch den primat auf diesem gebiete errang, so dals es scheinen könnte, 
er wäre zu dieser Stellung nur deshalb gekommen, weil in der tat kein 
concurrent da war*'), entstanden sind die ausgaben euripideischer tra- 
gödien und auch die des Sophokles, welche neuauflagen der Erfurdtischen 
sind, aus dem praktischen bedürfnis, für Hermanns Vorlesungen texte zu 
schaffen, es sind also ausgaben wie die Aristarchs : das substrat für das 
lebendige wort, welches der Verfasser sicher war hinzufügen zu können, 
das gibt für die beschränkung der aufgäbe eine zureichende erklärung; 
aber der leser hat nun wirklich nur einen teil von dem was Hermann 
gab, und da der kritische apparat für uns wertlos ist, auch nie wertvoll 
war, einen recht kleinen, es ist in der tat nicht sehr belangreich, ob 
er seine epikrise einer Elmsleyschen ausgäbe in einer recension nieder- 
legte, wie bei der Medeia, oder in einer ausgäbe, wie bei den Bakchen"). 



12) Als der junge Boeckh 1808 sein buch de tragicorum Graecorum princi- 
pibus ausgab, widmete er es Hermann , obwol er keine persönlichen beziehungen 
zu ihm hatte, und einen gewissen gegensatz zu ihm um so mehr empfinden muXste, 
als er litterargeschichtliche fragen behandelte. Hermann aber galt schon als der 
oberste richter in Sachen der tragiker, und hatte doch noch nicht viel über sie ge- 
schrieben und darunter manches sehr voreilige. Boeckhs buch ist anmutig geschrieben 
und stellt selbständig interessante probleme. in so fem ist es seiner ganz würdig, 
aber positiv hat es wenig gefördert und zeigt namentlich verglichen mit den gleich- 
zeitigen platonischen arbeiten, dafs die poesie kein feld für den grofsen forscher war. 

13) Hermann spricht das in der vorrede seiner Bakchen offen aus. sie enthält 
im übrigen nichts als eine lange Untersuchung über die weglassung des augments 
im trimeter. also kann sich Goethe nicht, wie Jahn meint, auf sie beziehen, wenn 
er am 19. oct. 1823 an Hermann schreibt (Goethes briefe an Leipziger freunde^ 338) 
"auch haben wir (er und Riemer) schon diese würdige den poetischen sinn voll- 
kommen durchdringende vorrede zusammen angefangen", vorrede wird programm 
bedeuten und anf das voü 1823 de Aeschyli Nioha gehen. 



238 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

als er dann sich an eine ausgäbe des Euripides in groisem stile machte, 
erschien freilich die erklärung reicher, und die einleitungen giengen aus- 
führlich auf die poetische Würdigung des kunstwerks ein, allein er gestand 
halb und halb zu, dafs er doch nur erklärte, entweder warum er nicht 
änderte, oder warum er änderte, mit anderen werten, der zweck der 
ausgäbe blieb die textkritik. wenn die gedichte nicht verdorben wären 
oder wenigstens dafür gehalten würden, so würde Hermann sie nicht 
herausgeben, und wie er es mit der Tcglaig im antiken sinne hielt, 
haben die einleitungen besonders deutlich offenbart, was der tragiker tut, 
ist, dafs er sich einen stoff sucht, geeignet furcht und mitleid zu erregen, 
und den nach den gesetzen oder dem herkommen seiner kunst behandelt ^^). 
das wird verschieden sein, wenn es Euripides und wenn es Ooethe ist, 
aber sie sind doch ohne weiteres concurrenten. es sind zuweilen sehr 
lebens- und beherzigenswerte auslassungen, nicht blofs um des mannes 
willen, der Goethe zu erbauen verstand; aber wer wollte leugnen, dafs 
schon die damalige geschichtswissenschaft mehr fragen muTste und mehr 
beantworten konnte? 

Die hermannische philolo^e ist noch durchaus die antike, oder viel- 
mehr wieder die antike, denn er schlielst sich weder bewufst noch durch 
tradition an die definition des Dionysios Thrax an. aber er hätte sein 
eigenes ziel nicht besser bezeichnen können, und wenn diese philologie 
schon zu den Zeiten des Dionysios Thrax oder besser des Aristarch eine 
beschränkte war, und in ihrem abfalle von der aristotelischen Wissenschaft 
sich der beginnende verfall offenbart, wie viel minder mufs dieselbe jetzt 
genügen, wo sich die philologie vielmehr aus aristarchischer beschränkung 
zu aristotelischer Universalität gehoben hat aber wie trotz alledem 
Aristarch in seiner bedeutung un verkleinert dasteht^ so wird es mit 
Hermann bleiben, sie sind keine maestri di color che sannOy aber sie sind 
meister: man kann sehr leicht sagen was sie nicht sind, aber man genügt 
sich nicht, will man so oder so versuchen zu sagen, was sie sind, und 
könnte man's, dem leser würde es nicht viel helfen, das will selbst erlebt 



14) Eur. tragoediae ed. G. H. I p. Xu der vorrede zur Hekabe. dort auch die 
ganze vorrede zur taurischen Iphigeneia nachzulesen, wie triviales dabei heraus- 
kommen konnte, sehe man in der vorrede zur Helene, hatid opUma haec tragoedia 
est , , . , quod nee gravis meiua in ea nee magna miaeraüo estj und in den cor- 
recturen für die führung der dramatischen handlung in der vorrede der Phoenissen. 
hier wird das gedieht im ganzen an das kreuz der plumpen regel geschlagen, wie das 
versmafs durch die forderung der auf sylbe und sylbenlänge congruenten responsion 
in den chören. 



Gottfried Hermann. Welcker. 239 

sein, wenn man sich den köpf wirr gemacht hat^ indem man alles ge- 
lehrte und verkehrte zeug über eine controverse stelle gelesen hat^ und 
dann den echten sprachkenner ohne viel federlesens den nagel auf den 
köpf treffen sieht ; wenn man sich durch irgend einen geistreichen blender 
hat fangen lassen, und dann mit einem worte, etwa lediglich durch eine 
Übersetzung der textworte oder der conjectur, die hohlheit als solche 
blofsgestellt wird; wenn man etwa im Pindar von der schaumschlägerei 
und geheimniskrämerei der exegeten Übelkeit empjSndet, und sich durch 
einen gesunden nüchternen trunk wiederherstellt: dann spürt man den 
hauch des hermannischen geistes. und so soll denn jeder an ihm lernen 
wie an Aristarch, lernen trotzdem er weifs, dafs er nicht auf ihrem Stand- 
punkt beharren darf, und dais wer das tut, ganz gewifs keinen hauch 
von ihrem geiste verspürt, geschweige denn empfangen hat. 

Wenn man sich vorstellt, dafs jemand in einer kommenden zeit Weioker. 
ohne jede kenntnis von den tatsächlichen beziehungen blois nach dem 
eindruck, der von der gesammtleistung der grofsen männer bleiben wird, 
eine Vermutung wagen sollte, ob Hermann oder Welcker eine nahe be- 
ziehung zu Goethe gehabt hätte, dann würde der wol ohne zaudern Welcker 
nennen, denn wenn wir Goethe an der hellenischen sage fortdichten 
sehen, mit der freiheit aber auch mit dem innerlichen Verständnis und 
der congenialität der attischen tragiker, so ist es Welcker gewesen, der 
das Verhältnis bewufster freiheit und unbewuister gebundenheit, in welchem 
der künstler zu dem volkstümlichen lebendigen Stoffe steht (der also mehr 
als Stoff ist), erkennen gelehrt hat. wir sehen denn auch, dais wol Welcker, 
aber nicht dais Hermann für Goethes Pandora das rechte Verständnis hat. 
Goethes Winckelmann stellte den '^Qcog ycTlGTrjg der geschichtlichen alter- 
tumswissenschaft in seiner überwältigenden gröfse einem geschlechte vor, 
das seiner zumeist vergafs. Welcker ist es, der mehr als irgend ein 
anderer die gesammtleistung Winckelmanns fortgesetzt und weitergebildet 
hat. Goethes Winckelmann ist die erste biographie in hohem stile, welche 
das wirken des Individuums sowohl als individuelles wie auch als eines 
gliedes in der allgemeinen culturentwickelung zur anschauung bringt. 
Welcker hat es geleistet, manche Persönlichkeit, die als Individuum schatten- 
haft bleibt, wiederherzustellen, indem er ihren platz in der gesammt- 
entwickelung aufzeigte und danach ihre bedeutung schätzen lehrte, die 
Weltanschauung^ welche Goethe um die wende des Jahrhunderts in sich 
vollkommen ausgebildet hatte, hat schwerlich jemand so rein aufgefafst 
wie Wilhelm von Humboldt, und dieser wieder hat durch sie Welckers 
wissenschaftlichem streben die weihe gegeben, man sollte meinen, dafs 



I 



240 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

schon allein durch die persönlichen beziehungen das in der natur ihres 
Wesens begründete Verhältnis zwischen Gk>ethe und Welcker hätte herbei- 
geführt werden müssen, und doch ist dem nicht so. nur als einen ver- 
mittler dunkeler speculationen Zoegas hat Goethe Welckern aufgefafst; 
er ist ihm als ein genösse Creuzers erschienen, und gegen dieses licht, 
das heute längst erloschen unbegreiflicher weise damals seinen qualm 
für stralen ausgeben durfte, würde Goethe unwillig die augeh geschlossen 
haben, auch wenn er nicht mit Hermann in erfrischende persönliche 
berührung getreten wäre. 

Das Verhältnis Welckers zu Goethe ist aber nicht ein zufälliges, sondern 
es hat typische bedeutung. Welcker ist bis in die vierziger jähre hinein 
eine stimme in der wüste geblieben; selbst die ihm näher zu stehen 
schienen, Boeckh Dissen O. Müller, zeigen in Wahrheit durchaus nicht 
eine gerechte Würdigung. J. G. Droysen ist vielleicht der einzige bedeu- 
tende mann, der die rechte Jünglingsbegeisterung für die aischyleischen 
Offenbarungen gehabt hat. und es ist erst sehr allmählich anders geworden ; 
denn äufserliche huldigungen haben geringen wert, als Nauck seine Samm- 
lung der tragikerbruchstücke machte, konnte er die Welckerschen tragö- 
dien und ebenso die arbeiten seiner nachfolger, z. B. O. Jahns, so gut wie 
unbeachtet lassen: für die exacte Wissenschaft durften träume nicht in 
betracht kommen, wenn dies buch also, das unerreichte muster von 
gelehrsamkeit und Sorgfalt, verfaTst von einem manne, der über die schul- 
gegensätze und die schulbeschränktheit erhaben ist, über das wirken 
Welckers zur tagesordnung übergeht, so liegt es am tage, dals die philo- 
logen im engeren sinne Welcker bei seinen lebzeiten überhaupt nicht 
gewürdigt haben, eine macht ward er vielmehr erst durch die steigende 
bedeutung der archaeologie, obwol er in der erklärung des einzelnen und 
auch in der errichtung gro&artiger gebäude von Vermutungen schwerlich 
mehr finderglück hier wie dort gehabt hat. namentlich die neidlose 
bewunderung, mit welcher Otto Jahn seinen spuren folgte, hat vielen 
jüngeren die äugen geöffnet, und es kam bald dahin, dafs die phantasie- 
bauten des epischen cyclus und der griechischen tragödien von sorg- 
loseren erklären! unbesehen an stelle der verlorenen gedichte verwandt 
wurden, aber es war etwas besseres als diese trägheit und auch als das 
mahnwort eines verständnisvollen lehrers, was die archaeologie empfäng- 
licher machte: der gute geist Winckelmanns lebte in ihr, der ihr den 
blick für die Wechselbeziehung von poesie und bildender kunst mitgegeben 
und sie von vom herein zu einer geschichtlichen Wissenschaft gebildet 
hatte, was die betrachtung der poesie erst werden sollte^ oder vielmehr 



Welcker. der streit um die Eumeniden and seine folgen. 241 

noch immer erst werden soll: denn es fehlt noch immer viel, dafs die 
litteraturgeschichte von Welckers geiste durchleuchtet sei, mag es auch 
niemand mehr zu bestreiten wagen, dafs er einer der heroen der deutschen 
Philologie ist 

Aber Welcker war ein schlechter grammatiker, und begab sich doch 
gern auf das gefährliche gebiet, seine sprachkenntnis hat der Sicherheit 
stets entbehrt, und das kann auch die grolsartige belesenheit nicht ändern, 
in welcher er Hermann unendlich überlegen war und wol nur Lobeck 
nachstand, und Welcker war und blieb auch in der historischen methode 
unsicher und gab auch nach dieser seite blöfsen, welche selbst das blöde 
äuge leicht entdeckte, das dem adlerblick nicht zu folgen vermochte, der 
nun einmal nur aus wolkiger höhe herab richtig sah. so konnte er 
nirgend mit Hermann zusammengeraten, ohne dafs dieser triumphierte, 
weil er sich nur an die greifbaren gegenstände hielt, die Prometheus- 
trilogie hat er dem gegner freilich noch in letzter stunde zugegeben: 
bezeichnend für die Sinnesart der edlen gegner, von denen mit recht 
gesagt ist, dafs sie nur durch äufsere Zufälligkeiten in so erbitterte fehde 
geführt sind, bezeichnend auch deshalb, weil heute als ausgemacht gelten 
darf, dafs der erhaltene Prometheus doch ein erstes stück gewesen ist, 
aber allerdings der fackelträger (denn das ist TtvQcpÖQog), wenn auch als 
letztes, zu derselben trilogie gehört hat. Welcker hatte zuerst zu wenig» 
zuletzt zu viel glauben gefunden, was aber mehr wert hat als die äufsere 
tatsache, das Verhältnis der aischyleischen dichtung zur religion und zu der 
Überlieferung welche sie voraussetzt, darin harrt Welcker noch des rechten 
nachfolgers; Hermann konnte seinen gedanken überhaupt nicht folgen. 

Die bedauerliche schärfe erhielt der gegensatz zwischen Hermann Der streit 
und Welcker durch den gleichzeitigen streit Hermanns mit Boeckh und Bomeniden 
O. Müller, welcher zwar unvermeidlich und für das wol der Wissenschaft 'foigS!^^ 
notwendig war, aber von allen seiten mit unberechtigter (pikoviyila, von 
Hermann und Müller nicht ohne ^tkoveUela, von den trabanten mit 
stumpfen und gar mit vergifteten waffen geführt ward, notwendig war 
die auseinandersetzung zwischen Hermanns aristarchischer grammatik und 
der Philologie, welche Boeckh im sinne von Aristoteles und Scaliger als 
der rechte mann betrieb, den rahmen zu füllen, den F. A. Wolf auf- 
gespannt, aber selbst leer gelassen hatte, und notwendigerweise mufste 
die Wissenschaft über die rex'^rj siegen, die inschriften sind hier das 
wichtigste streitobject. dals Hermann in vielen einzelnheiten begründete 
ausstellungen machte, wissen wir und soll unvergessen sein; den wesent- 
lichen fehler, die Vernachlässigung der recensio, hat er nicht gerügt, jetzt 

y. Wilamowitz I. 2. Aufl. 16 



i 



242 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

ist das alles erledigt und längst gras darüber gewachsen, notwendig war 
es aber auch, dafs auf Hermanus eigenstem gebiete, der dichtererklärung, 
mehr erstrebt und geleistet würde, als er es tat. es war bezeichnend, 
dafs selbst von seinen namhaften schülern nur Seidler in seinen trejQTlichen 
Euripidesausgaben genau in die spuren Hermanns trat. Lobeck machte den 
commentar zum Aias zu einem Stapelplatz für die reichste und erlesenste 
grammatische gelehrsamkeit, doch wieder etwas in die holländische weise 
einlenkend, so dafs der gegenständ der erklärung ihm und dem leser 
ganzlich aus den äugen kommt, das gedieht als solches überhaupt ver- 
gessen ist. ein anderer schüler, der sich freilich früh emancipirte, Reisig, 
empfand das bedürfnis einer wirklich in den gegenständ eindringenden 
erklärung, kündigte nicht ohne ruhmredigkeit eine neue art commentar 
zum Oedipus auf Kolonos an, und gab eine enarratio, die sich zuweilen 
in lateinische und deutsche nachdichtung verlor, aber diese verse waren 
schlecht, und die leistung im ganzen gering; wie denn auch die metrischen 
und sprachlichen finessen^ welche Reisig in den attischen dichtem aufzu- 
zeigen versucht hat, ziemlich unfruchtbar geblieben sind, in helle flammen 
schlug der kämpf um die rechte tragikererklärung erst auf, als O. Müller die 
Eumeniden griechisch und deutsch erscheinen liefs (Göttingen 1833) und 
in der vorrede unverblümt zu verstehen gab, dafs dies etwas höheres sein 
sollte, und dafs ihm Hermann das Verständnis von gedankenzusammen- 
hang und plan irgend eines Werkes der alten poesie nicht zu besitzen 
schiene, das hiefs den handschuh hinwerfen, und dafs Hermann keinen 
liegen liefs, wufste Müller sehr gut. Hermanns Verurteilung des Dissenschen 
Pindar hatte ihn besonders gereizt, weil Dissen sein wolwollender kränk- 
licher furchtsamer lobesbedürftiger und verwöhnter College war, aber den 
drang zu einer solchen auseinandersetzung trug er längst im herzen, er 
wollte den krieg, er erhielt ihn, aber er ist nicht sieger geblieben, ein 
halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen; es ist an der zeit, nicht zu 
gericht zu sitzen, aber wol das verdict zu formuliren, welches dycwv 6 
TtayTLQaTijg XQ^'^^S gefällt hat. O. Müller verfocht eine gute sache, denn 
die Wissenschaft kann sich nicht genügen lassen an dem was Hermanns 
dichtererklärung leistete, er hat auch in den Eumeniden viel schönes 
vorgetragen, was Hermann ofienbar nicht zu verstehen wufste; was 
hier über blutrache blutsühne blutrecht vorgetragen ist, ist ein grund- 
pfeiler geworden für das gebäude hellenischen rechtes und hellenischer 
religion, an dem nur wenige fortgebaut haben, niemand glücklicher, 
aber dazu brauchte er die Eumeniden nicht herauszugeben, und das hätte 
er lassen sollen, einfach weil er es nicht konnte, sein text, seine über- 



Der streit um die Enmeniden und seine folgen. 243 

Setzung^ seine kritischen Bemerkungen lieferten Hermann den deutlichen 
beweis, dafs die gegnerische schule das nicht besafs, was er mit recht 
als die Vorbedingung jedes Verständnisses ansah, die herrschaft über die 
spräche und das versmafs. und der stimmstein der Athena lieferte den 
beweis, dafs denn doch wichtige fälle eintraten, wo das Verständnis des 
gedankenzusammenhanges und planes bei dem war, der angeblich über 
notengelehrsamkeit nicht hinauskam, das schlimmste aber war, dafs 
O. Müller das buch nicht blofs deshalb geschrieben hatte, weil es die 
Muse ihm eingab, sondern mit einer persönlichen polemischen tendenz; 
es konnte nicht ausbleiben, dafs so die böse Eris auch über den gegner 
macht erhielt: wer die reihe der Streitschriften mustert, wird mit be- 
dauern erkennen, wie viel ungerechtes und unverantwortliches von beiden 
teilen vorgebracht ist. 

Der fluch dieses Streites lastet bis auf den heutigen tag auf der 
tragikererklärung; nicht wegen jener persönlichen bitterkeiten, denn die 
haften kaum noch an den personen, sondern weil der ausgang die not- 
wendige entwickelung der Wissenschaft störte, der versuch, die tragiker- 
erklärung über einen wissenschaftlich nicht mehr berechtigten Standpunkt 
zu erheben, war gescheitert, sie blieb also zunächst in dem alten geleise. 
das bedürfnis der erklärung machte sich zwar für die schule und die 
anfänger immer wieder fühlbar, aber die versuche die gemacht wurden 
galten doch nur als etwas untergeordnetes, und zumeist waren sie es 
auch, so insbesondere die erklärende ausgäbe des Sophokles, welche 
Schneidewin in den fünfziger jähren versuchte, ein überaus viel gelesenes 
buch, das in den bänden von A. Nauck freilich einen hervorragenden 
kritischen wert erhielt, ohne dafs doch die grundlage verrückt wäre, und 
Schneidewin verdient zwar hohes lob für das was er gewollt hat, aber 
auch nur für den willen, für die erklärung des Aischylos ward nur 
untergeordnetes geleistet; von Euripides gab H. Weil zwar zu 7 tragödien 
einen geschmackvollen commentar, aber er beschränkte sich selbst durch 
die rücksichten der schule, so anmutig sein buch auch ist. und ungestraft 
dürfen sich leute auf den plan wagen, deren erklärung zeigt, dafs sie 
auch nicht 30 verse hinter einander zu verstehen im stände sind: so 
die meisten ausgaben, die jetzt auf den markt kommen*^). 



15) Für den Herakles speziell ist nach der Hermannsohen ausgäbe, die eine 
gehaltvolle recension von Elmsley erfuhr, ein versuch einer freilich ausschliefslich 
grammatischen erklärung von Pflugk gemacht (1841), in welcher jedoch auch das 
sprachliche viel zu wünschen übrig läfst. die neubearbeitung dieser ausgäbe ist 
flüchtige fabrikarbeit, billig und schlecht, hier und da ein zusatz textkritischer art, 

16* 



244 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

Hermann selbst hat wider seinen willen stark zu dem einrelfsen 
völliger zuchtlosigkeit beigetragen; wie so viele grofse kritiker, Bentley 
an der spitze, ward er im alter immer gewaltsamer, auch ihm erschienen 
immer mehr metrische geset^, die er in wahtheit selbst gab, für die 
dichter verbindlich; immer stärkere anomalieen mutete er der spräche zu. 
es ist nur menschlich, dafs die form, welche sich der einzelne nach jahre- 
langem sinnen subjectiv als befriedigend festgestellt hat, ihm allmählich als 
objektiv wahr erscheint, die Wissenschaft hat zeit, aber der mensch nicht, 
und wem die probleme ein langes leben am herzen liegen, der mag nicht 
von den ungelösten scheiden, im gefühle seiner eigenen bedeutung wirft er 
dann das persönliche meinen in die wagschale, und die liebenswürdige pietat 
für das lebenswerk eines grofsen mannes läfst die rein sachliche Schätzung 
zurücktreten, als nach Hermanns tode sein Aischylos ans licht trat, hatte 
er freilich für jeden rechten philologen einen unschätzbaren wert; hat 
ihn doch Welcker nicht ohne tränen in die band genommen; aber das 
ist ein pretium afiectionis. in Wahrheit besteht Hermanns grofse trotz 
diesem, nicht durch dieses buch, es ist nicht wahr, dafs er etwa eine 
kühne restitution olov &v yivoLTO gegeben hätte, denn sehr vieles was 
da steht, hat weder Aischylos noch überhaupt ein Athener sagen können, 
kommt es doch in folge der ungenügenden diplomatischen kritik sogar vor, 
dafs Triclinius statt der Überlieferung als ausgangspunkt genommen wird, 
die metrische gestaltung wird fast nie begründet^ oder es stehen doch 
machtsprüche statt der gründe; häufig ist die responsion sylbe für sylbe 
willkürlich erzwungen; nichts als spielerische willkür ist die Verteilung 
der chorpartieen unter die personen, und der procentsatz der gelungenen 
conjecturen ist keinesweges ein günstiger, kaum minder verderblich ist 
die grofse zahl ganz unglaublicher härten, welche die erklärung dem 
dichter und leser zumutet, so steht es. und der erfolg ist nicht aus- 
geblieben, dafs die masse sich auf die unglücklichen texte stürzte und 
sie zerrifs und zerfleischte, weil man allerdings nicht Hermann zu sein 
braucht um so mit einem gedichte umzugehen, 
irege und Von dem menschenalter, welches auf G. Hermanns tod folgte, ist 
' es schwer anders als mit dem zorne zu reden, der M. Haupt sein köst- 
liches Elektraprogramm (op. H 286) eingab, in der sintflut von conjec- 
turen drohten in der tat die tragikertexte völlig zu ertrinken, wenn 
man sich das treiben ansieht, seine Vielgeschäftigkeit, seine selbstgefällig- 

daronter vereinzeltes richtige, was offen am wege lag. zu einer wirklichen erklärung 
dieses wie einer ganzen reihe von dramen ist bisher auch noch nicht einmal der 
grund gelegt. 



Irrwege und Irrwische. 245 

keit und seine erfolglosigkeit, so kann man ein grauen nicht verwinden, 
und man begreift, dafs diese manier die philologie in allgemeinen 
miscredit gebracht hat. wenn diese conjecturerei ihr ziel wäre, so 
müfste man keinen tag säumen, zu einem ehrlichen handwerke über- 
zugehen, die tragikertexte sind mafslos verdorben, das war die praemisse, 
die man als axiom hinnahm ; beweisen konnte man sie freilich damit, dafs 
man die tragiker tatsächlich nicht zu verstehen vermochte, vor diesem 
greuel der Verderbnis schwand der wert der recensio: das war ja die 
tücke der Überlieferung, dafs sie so einheitlich war^ das hiels, in dem 
notorisch falschen übereinstimmte, also giengs frisch mit kühnem sprunge 
zur emendatio: zu der aber war jeder knabe berufen, und bald war es 
guter ton, mindestens in den thesen der doctordissertation eine oder die 
andere tragikerstelle zu heilen, und war es mit dem heilen auch meist 
nichts, so blieb doch das bewufstsein, eine Verderbnis entdeckt zu haben, 
denn wo nur erst einer anstofs genommen hatte, da kam der zweite, 
sah dafs des Vordermannes einfall windig war, mulste also einen eignen 
an seine stelle setzen, und dann kam der dritte, und so fort ohne grazie 
in infinitum. und da errichteten die Zeitschriften für die kurzdärmige 
Vielgeschäftigkeit ihre bedürfnisanstalten, und da kamen die recensionen, 
die den wert der ausgaben nach der zahl der conjecturen bemalsen^ und 
das verkehrte wenigstens anregend, das meinen ins blaue geistreich fanden, 
und die Jahresberichte, welche die conjecturen auszogen, so dafs man 
die bücher nicht mehr zu lesen brauchte, denn die conjectur war Selbst- 
zweck geworden, und wie fein war es bestellt, dafs nun jeder sich selbst 
wahren konnte, oder doch durch die cumpane gewahrt wuTste, was an 
der conjectur das köstlichste ist, die priorität. denn es bildete sich zwar 
in Holland der comment, du brauchst überhaupt nichts zu kennen noch 
zu wissen, was deiner conjectur oder ihrer Veröffentlichung hinderlich 
ist, in Deutschland aber der, du brauchst zwar den Schriftsteller, in dem 
du conjicirst, nicht gelesen zu haben, geschweige denn andere, kannst 
dir auch die belegstellen, die grammatischen und metrischen regeln und 
beobachtungen, überhaupt jedes wissen, dessen du bedarfst (viel wird es 
ja nicht sein), ohne wort und ohne dank hernehmen, wo du es findest: 
aber darum hast du dich zu kümmern, ob nicht compare so und so dir 
in der conjectur zuvorgekommen ist, sonst befährst du den Vorwurf des 
diebstahls. in seiner ganzen strenge wandten das freilich nur einzelne aus- 
erlesene an, die in bibliotheken die staubigsten scharteken durchsuchten, 
von stolz geschwellt, wenn sie einem Porson eine priorität rauben konnten, 
im ganzen galt der conmient wesentlich für die lebenden, denn die 



246 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

befriedigung der eignen eitelkeit, die Betätigung des eignen Scharfsinns, 
wenns hoch kommt, der triumph der methode, das ist doch der zweck 
des kritischen bestrebens. der dichter ist längst ein stiller mann und 
hat seinen rühm : aber das moderne menschlein will den seinen erst haben, 
un'd wahrhaftig, gönnen kann man ihm das licht, das räumlich und zeit- 
lich eine conjectur ausstrahlt, freilich sollte sie dazu eigentlich richtig 
sein, aber ob sie das ist, wer weifs es? die Wahrheit überhaupt — 
was ist Wahrheit? wenn die echte doch nicht erreichbar ist, nimmt man 
die provisorische, ja wol, zu der entsetzlichsten unsittlichkeit führt dieses 
getriebe in seiner letzten consequenz. unzweifelhaft waren davon die 
meisten weit entfernt, die sich am Sophokles vergiengen, harmlose knaben, 
fieiQaxijkha ä q)QOvöa d'ärxov fjv fiövov x^Q^^ ^^ßf} y ^^^^ TtQÖa- 
ovQT^aavra rfj rgaycpd/^. und im gründe war es auch noch harmlos, 
wenn ab und an ein grauer knabe die regenwürmer, die er in einem 
langen leben gefunden, in tönnlein sammelte und als schätze auf den 
markt brachte, den meisten kam im ernste des lebens die ernüchterung ; 
freilich übertrugen sie dann den ekel an dem eitelen spiele zumeist auf die 
Wissenschaft, der so ihre arbeit verloren gieng. aber es fehlt nicht an 
beispielen dafür, dafs solche, die wol die fähigkeit gehabt hätten, nütz- 
liches zu wurken, erst den Charakter und dann das talent eingebüfst haben, 
und ein solcher kann unendlichen unsegen stiften. 

Dafs die gegenwart fruchtbarer wäre, ist kaum zu behaupten; aber 
wol darf man das hitzige fieber der änderungswut als überwunden an- 
sehen, die mode hat gewechselt; die überfülle selbst hat ekel erzeugt, 
als die ausgäbe von Sophokles Elektra, welche Haupt zu seinem zorn- 
ausbruche veranlassung gegeben hatte, in dritter aufläge erschien, war 
es praktisch undurchführbar, alle conjecturen unter dem texte unter- 
zubringen; sie wurden in einen anhang gesperrt, und man vermilst nur 
die motivirung des herausgebers ab ipso libelli possessore^ si offendant, ut 
rescindantur, wie Schmeller sagte, als er die anstöfsigen stellen der Car- 
mina Burana auf dem letzten Blatte abgesondert druckte, so harmlos 
sind die Sophoklesconjecturen nicht, aber sie sind nun im Orcus, und 
in den steigt nicht so leicht einer hinab, wer einen text fertig stellt, 
der wird noch eine weile sich umtun, ob er für die abweichungen von 
der Überlieferung, die er nötig findet, einen fremden namen nennen soll, 
und er wird das gern tun, auch wenn er die Verderbnis aus eigener 
kraft erkannt und gehoben hat*®); er wird aber auch nicht vergessen- 

16) Ich habe, als ich meine ausgäbe des Agamemnon für den druck fertig 
stellte, an 30 — 40 stellen eine eigene conjectur an einen andern namen abgetreten ; 



Irrwege und Irrwische. 247 

dafs er die Verantwortung für den ganzen text trägt, mag er von der 
Überlieferung abweichen oder nicht, und dafs es nur eine mode ist, dafs 
wir in einer textausgabe die Urheber der einzelnen gedanken nennen, 
wenn sie eine abweichung vom überlieferten einschlielsen, während wir 
die Verteidiger und retter der Überlieferung verschweigen und z. b, eine dar- 
stellung staatsrechtlicher oder geschichtlicher oder grammatischer art rein 
sachlich halten, über kurz oder lang wird sich auch manches ändern; 
mancher name wird bald ein leerer schall sein, und vielleicht ist der tag 
nicht so fem, wo wir alle, grofse und geringe kritiker, unter einem 
coUectivnamen zusammengefafst werden, wie die Itali in der kritik latei- 
nischer dichter, denn wir sind dazu da, das gedächtnis der grofsen dichter 
lebendig zu erhalten, nicht das unserer coUegen noch das eigene. 

Das conjecturenmachen ist also aus der mode gekommen, und so 
viel feines und wahres die führenden männer auch gesagt haben^ die 
diesen Umschwung inaugunrt haben, so darf man doch mehr als ihrer 
lehre dem zuge der zeit diesen erfolg zuschreiben, um so mehr als sich 
sofort die entgegengesetzte gefahr gezeigt hat, das kalte fieber der reac- 
tionären Verteidigung des überlieferten, weil es nun einmal überliefert ist 
oder scheint, diese gefahr ist jetzt die dringendere und wird es noch 
mehr werden; schon kann ein aufmerksamer beobachter merken wie 
die führer, d. h. in Wahrheit die sclaven der '^öjQfentlichen meinung^' 
sich anschicken, färbe und gesinnung zu wechseln, und die moderne 
rhythmik verwendet ihre kautschukparagraphen schon zur rettung metri- 
scher ungeheuer, auf dem spiele steht nicht weniger als der ganze 
gewinn der Porson-Hermannschen periode, sowol auf metrischem wie 
auf sprachlichem gebiete: wenn xalroiys dem fünften Jahrhundert zu- 
getraut wird, wenn dem Euripides unterstellt wird optativ und con- 
junctiv in demselben fin aisatz gebraucht zu haben, und dem Sophokles 
vollends dgöfiwv dLav/.o)v nevTded'X^ ä vo^il^erac als iambischen tri- 
meter ausgegeben zu haben, so mufs man darauf gefafst sein, für die 
berechtigung der analogie und der conjectur fechten zu müssen, das 
liegt vollends im wesen jeder reaction, dafs sie als solche nur in der 
negative heilsam wirken kann: neues leben schafft sie nicht, neue ge- 
danken liefert sie nicht, und deren bedarf die tragikerkritik. schon vor 



darunter manche, die mir gehört haben würden, wenn ich es mit der Veröffentlichung 
eiliger gehabt hätte, das gehörte sich so. an 2 oder 3 stellen habe ich einen Vor- 
gänger nicht gekannt; und das ist mir zum verbrechen gerechnet, das gehörte sich 
auch so. 



248 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

25 jähren vermochte Haupt wol den bannstrahl wider die Verkehrtheiten 
zu schleudern, aber neue ziele wufste er nicht zu zeigen, und worin 
zeigte sich die Unfruchtbarkeit einer periode deutlicher, als wenn die, 
welche die fahne vorantragen sollten, nur abkehr und umkehr predigen, 
dann sind die andern persönlich entschuldigt, welche einem rufe auch auf 
abwege folgen, der sie zu neuen herrlichen zielen zu weisen verspricht, 
und solche rufe wurden und werden freilich zahlreich erhoben, mag auch 
der glaube den sie finden minder vertrauensselig geworden sein. 

Jene zeit des schrankenlosen subjectivismus und der Zertrümmerung, 
ja zerfaserung der überlieferten kunstwerke zeigt gleichzeitig einen fast 
mystischen zug zum abstracten construiren und eine überraschende leicht- 
gläubigkeit gegen die hirngespinnste der mitlebenden, nichts altes respec- 
tirte diese im Vollgefühle moderner Überlegenheit stolzirende kühnheit: 
und doch war sie geschäftig, gesetze zu entdecken und der Überlieferung 
aufzuzwingen, eine tausendjährige tradition wog ihr federleicht vor dem 
gesetze von ehegestern. es galt das weit über die kreise der tragikerkritik, 
ja der kritik überhaupt hinaus, man erinnere sich, dals ein tektonisches 
System fast in allen für griechische bankunst empfänglichen kreisen 
die herrschaft errang, welches jedes geschichtliche begreifen vor der 
construction a priori zurücktreten liefs und die kühnheit so wenig wie 
unsere interpolationssucher entbehrte, die tatsachen der Überlieferung, 
z. b. die entasis des Parthenonstylobates, lediglich durch den modernen 
willen zu beseitigen, wir haben die auguraldisciplin wieder aufleben 
sehen und den himmel in quartiere teilen, auch den griechischen, und 
die tempel nach den geburtstagen der götter orientiren sehen — die 
ohne oder auch wider die Überlieferung gefunden wurden, auf dem 
gebiete der grammatik steht der kämpf zwischen geschichtlicher betrach- 
tung, dumpfem traditionsglauben und neuen täglich wechselnden aus- 
nahmslosen gesetzen noch in voller hitze. eine neue metrik oder, was 
vornehmer klingt, rhythmik ist ersonnen, aufgebaut auf angeblich ewige 
d. h. moderne musicalische principien, angehängt an einen geduldigen 
namen von altberühmtem klänge, ausgestattet mit einer volltönenden fremd- 
artigen terminologie und dem anspruche auf ein tieferes kunstverständnb ; 
die concreto aufgäbe der textgestaltung war so hohen strebungen zu 
untergeordnet, und die neue Weisheit allerdings vage genug; sich mit den 
auf ganz andern principien aufgebauten texten Hermannischer zeit leidlich 
zu vertragen, wieder ein anderer berühmter uame, aus altersgrauer Ver- 
gangenheit, ist aufgegriffen, zum träger eines Systems gemacht, welches 
in überraschender weise den Schlüssel zu der composition elegischer 



Irrwege und irrwische. 249 

lyrischer tragischer gedichte geben soll, es ist in Wahrheit ein ärmliches 
Schema (a b c b a mit geringen Variationen), und dichter, die sich diesem 
Joche gefügt hätten, würden kaum den namen verdienen; aber es liefert 
ein so treffliches Surrogat des individuellen Verständnisses, dais immer 
neue bekenner der poetischen chrie aufstehen, die Symmetrie, welche 
in den erzeugnbsen namentlich der archaischen kunst vor aller äugen 
lag, ist nicht nur mit feinem sinne verfolgt, sondern hat anstofs gegeben 
zu einer reihe von entdeckungen auf verschiedenen gebieten, welche sie 
auf eine concreto formel bringen wollen; dazu schickt sich am bequemsten 
die rohe sinnfällige arithmetische, und so entsteht die lehre von der 
herrschaft der zahl, da geht es an ein dividiren von epen und dramen, 
an ein auflösen der einzelnen scene oder auch der einzelnen elegie in 
ein rechenexempel, es entpuppen die 5 und die 7, die 13 und die 28 
sich als die verborgenen tyrannen, deren ketten Hesiod und Aischylos, 
Xenophanes und Theokritos getragen haben, und die prosaiker erweisen 
wenigstens in den buchzahlen der tetraktys oder pentas ihre hochachtung. 
auch aesthetische mafsstäbe sind ausgeklügelt und a priori ist festgestellt, 
was von einem dichter zu fordern wäre, da fand der eine gesetze für 
die prologe, der andere für die stichomythie, der dritte für die Schlüsse 
der dramen, und alle schnitten unbarmherzig das widerstrebende fort, 
einer sprach es ganz unbefangen aus, dafs einem grofsen dichter nur 
das beste zugetraut werden dürfe, wenn man also etwas besseres fände 
als das überlieferte, dieses bessere für echt zu gelten hätte — so lange, 
natürlich, bis ein noch besseres sich findet, und da zankten sich denn 
die Verbesserungen um den unschuldigen vers, wie die alten vetteln in 
den Ekklesiazusen um den jüngling. vor allem aber führte die logik 
ihre mörderische schere, alles entbehrliche ist überflüssig, alles über- 
flüssige störend, alles störende unecht, und so viel man im einzelnen 
abwich: die harmonie war ungestört, dafs eine greuliche bände von 
interpolatoren gewütet hätte, und die aussonderung der unechten verse, 
mochten nun Schauspieler oder grammatiker oder leser für sie verantwort- 
lich gemacht werden, war nicht nur des conjectors bequemstes mittelchen, 
sondern ward ordentlich in ein System gebracht. 

£s würde nun eine grofse unbilligkeit sein, wollte man bestreiten, 
dafs auf diese weitumfassenden theoreme eine bedeutende kraft von Scharf- 
sinn und arbeitsenergie verwandt ist, und die summe von begeisterung 
in liebe und glauben, die an sie vergeudet ist, nötigt auch dem wider- 
strebenden nicht blofs achtung sondern wirkliche teilnähme ab. gewlTs, 
auch das verkehrteste streben nach einem tieferen Verständnisse des kunst- 



250 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

Werks ist mehr wert als das ideenlose herumklauben an tausend einzel- 
heiten und die kleinmeisterei kaltsinniger logik an den erzeugnissen der 
phantasie. 

Aber es sind und bleiben doch verirrungen, und weil sie es sind, 
können sie nicht dauern, der principielle Widerspruch, der nicht aus- 
geblieben ist, konnte ihnen wenig anhaben, denn alle diese erhabenen 
dinge existiren ja durch petitio principii. aber deshalb leiden sie schifT- 
bruch, sobald sie praktisch angewandt werden, die gedanken die im 
köpfe leicht bei einander wohnen, stofsen hart an, sobald sie einen 
körper gewinnen wollen, der gläubige wbd freilich nicht irre, wenn 
die tatsachen mit den postulaten seiner lehre sich nicht vertragen, seiner 
erfindsamkeit wird eine ausrede nimmer fehlen"); aber der glaube ver- 
breitet sich doch nicht weiter und erlischt allmählich, die Vereinigung 
von schrankenlosem zweifei an dem überlieferten und schrankenlosem 
glauben an die moderne theorie, wurzelnd in einer abkehr von dem con- 
creten und einem sehnen nach dem absoluten, ist eben ein charakteris- 
tischer zug für die geistige Stimmung der generation die hinter uns liegt, 
die nächstlebende ist anders disponirt, sie ist für diese krankheiten nicht 
empfänglich, darum aber auch am wenigsten im stände, gerecht und 
abschliefsend über jene zu urteilen, wes geistige entwickelungsperiode 
1866 einschliefet, der kann sich ja auch nicht vorstellen, dafs die männer, 
zu denen er dankbar aufschaut, Gutzkow überhaupt haben lesen können, 
Freiligrath ohne lachen, Börne ohne ekel auf die dauer lesen. Buckle für 
einen grofsen geschichtsphilosophen, Kaulbach für einen grofsen maier 
haben halten können, wir täuschen uns hoffentlich nicht darüber, dafs 
wir der kommenden generation ähnliche rätsei aufgeben werden, aber 
überwunden ist jene fülle von theoremen so gut wie die conjecturale 
änderungswut. mag noch das eine oder andere nachgeboren werden, 
mögen gewisse kreise sich darin gefallen, die gedichte des Pindaros 
Aristophanes Kallimachos zu schematisiren statt zu verstehen: es sind 
anachronismen. 
A. Nauck. Ziehen wir nun das facit, so fällt das freilich traurig aus. der positive 
ertrag der tragikerstudien ist ein geringer nicht blofs im Verhältnis zu 
der aufgewandten arbeit, ganz fehlt es nicht daran, was vereinzelt dem 
oder jenem gelungen ist, fällt freilich nicht ins gewicht: aber allerdings 



17) Ein beispiel: die zahlenspielerei glaubte Heimsöth ad absurdum zu führen, 
indem er zeigte, dafs man am Wallenstein ebenso gut spielen könnte, der glaube 
bringt es fertig, dies als beweis zu verwenden, indem die zahl auch Schiller beherrscht 
habe, wenn auch ohne dafs er sich dessen bewufst gewesen wäre. ' 



A. Nauck. recensio. 251 

hat diese decennlen hindurch der kritiker wie die meisten griechischen 
texte so ganz besonders die der tragiker behandelt, welchem heute 
kein billig denkender den ersten platz als kenner des griechischen ver- 
sagen sollte: August Nauck. im gegensatze zu Hermann durchaus ana- 
logetiker hat er die lehren der Engländer in Deutschland erst recht 
zur anerkennung gebracht und selbst in ihrem sinne weitergearbeitet, 
seine Sammlung der tragischen bruchstücke ist das unerreichte muster 
einer fragmentsammlung: der keim, den Valckenaer gelegt, ist zu einem 
stattlichen bäume ausgewachsen. durch seine emendatorische tätig- 
keit endlich hat Nauck unter den Euripideskritikern einen platz in der 
ersten reihe, unter denen des Sophokles überhaupt den ersten errungen, 
wenn man nur das gelungene zählt, dafs er daneben seiner zeit den 
tribut gezahlt hat, eine unübersehbare masse nicht blofs des überflüssigen, 
sondern des wild willkürlichen , leider auch recht oft des trivialen und 
selbst des inepten hervorzubringen oder doch zu billigen, das darf die 
Schätzung des wertvollen nicht herabstimmen, wenn es auch nur gerecht 
war, dafs der kämpf wider die ausschreitungen der kritik sich ihn zum 
ziele nahm, und wenn es auch mindestens verzeihlich ist, dafs mancher 
der besten gerade gegen Nauck selbst ungerecht geworden ist, zumal 
sein Vorbild nach der schlimmen seite auch deshalb besonders ver- 
wirrend wirken mufste, weil auf ihn die ganze richtung der philologie, 
die von Welcker und O. Müller ausgeht, wenig gewirkt hat. 

Naucks den Zeitgenossen überlegene Stellung kann man schon daran Recensio. 
ermessen, dafs er fast allein sich von den modeirrtümem so gut wie frei 
gehalten hat, welche in betrefi* der textquellen der tragiker um sich grifien. 
Hermann gegenüber war es ein f ortschritt, dafs man überhaupt die 
recensio ernst nahm, allein eigentlich ohne beweis, lediglich durch macht- 
Sprüche bedeutender oder doch tonangebender männer, brach sich nun 
der glaube bahn, dafs Aischylos und Sophokles einzig im Laurentianus 32, 9 
überliefert wären, im Aristophanes hielt sich selbst Meineke nicht von 
einseitiger bevorzugung des Ravennas frei, für Euripides war seit Elmsley 
nichts geschehen, da war es denn eine rechte leistung in Lachmanns 
sinne und seiner auch in jeder beziehung würdig, als Adolf Kirchhoff" 
zuerst 1852 in den specialausgaben der Medea und der Troades aus dem 
chaos ungeordneter Varianten die wirklichen träger der Überlieferung 
herausfand; seine grofse ausgäbe führte dann mit reicherem aber leider 
doch noch sehr unvollständigem materiale dieselben grundsätze durch 
und verwarf mit entschiedenster consequenz die seit der Aldina vor- 
herrschende s. g, zweite classe. das war wirkliche methode, die schon 



252 Wege and ziele der modernen tragikerkritik. 

durch ihre unerbittliche energie imponirte; ganz abgesehen davon, dals 
auch der emendatorische gewinn wol gröfser ist, als Kirchhoflf ihn in 
seiner kleinen ausgäbe (1868) selbst geschätzt hat. unzweifelhaft war es 
aber sehr wenig in Kirchhofs sinne, wenn man sich nicht nur bei seinem 
urteil über den wert der handschriften beruhigte (nur daTs eben Nauck 
sich einen freieren blick bewahrte), sondern auch fast 20 jähre vergiengen, 
bis dazu band angelegt ward, die von ihm selbst bezeichneten lücken der 
handschriftenvergleichung auszufüllen, wobei dann freilich seine sonderung 
der classen und die Schätzung ihres wertes stark berichtigt werden mulste. 
nun ist es zwar begreiflich, dafs die zeit, welche vor des eigenen geistes 
kraft der Überlieferung überhaupt so wenig wert beimafs, mit solchen 
untergeordneten dingen wie sie zur recensio gehören sich nicht viel be- 
mengen mochte, aber das erklärt nicht ganz die hingäbe an jede doctrin, 
welche die Überlieferungsgeschichte vereinfachte, auch das wird nur im 
zusammenhange mit dem ganzen streben der zeit verständlich. 

Wir sehen in der beurteilung der recensio griechischer texte erst 
Jahrhunderte lang die herausgeber lediglich dem zufalle gehorchen, der 
ihnen diese oder jene quellen der Überlieferung zuführt, es folgt durch 
I. Bekker und seine mitstrebenden die fundamentirung auf grund der 
möglichst erschöpften summe aller erhaltenen handschriften; die auswahl 
bestimmte der kritische takt des bearbeiters. notwendig mufste man dafür 
nach strengen beweisbaren normen suchen, dabei zeigte sich das über- 
gewicht einzelner besonders ausgezeichneter handschriften, und zuweilen 
gelang der nachweis, dals die scheinbare fülle trug war, in Wahrheit nur 
eine handschrift existirte. Sauppes epistula critica, in welcher das für 
Lysias erwiesen ward, mulste den Wetteifer reizen, ob nicht ein ähnlicher 
fund hie oder da gelingen könnte, später stellte Cobet in seinen frischesten 
und beutereichsten feldzügen die ganze nichtsnutzigkeit des Schreibfehler 
und Sprachfehler häufenden byzantinischen schreibertums der letzten Jahr- 
hunderte an den pranger, so dafs die gefährliche, weil so gar bequeme, 
neigung nur um so stärker wurde, z. b. im Piaton lediglich Begius und 
Glarkianus, im Isokrates lediglich JT, im Demosthenes 2 zu berücksichtigen, 
fast überall kam es dazu, dafs man nur eine quelle der Überlieferung 
gelten liefs, wenn auch mehrfach erbitterter streit um die auswahl ge- 
führt ward, es würde sehr erfreulich sein, wenn das geschäft der recensio 
wirklich so einfach wäre, aber von tag zu tag zeigt sich mehr, dafs es 
in den meisten fällen unerlaubt ist, sich in solcher Sicherheit zu wiegen, 
die resignation ist geboten, dafs wir auf eine eklektische kritik angewiesen 
sind, wie in den scenikern, so im Herodot und Thukydides, Demosthenes 



Becensio. die wahren aufgaben. 253 

und Aischines, Xenophon und Aristoteles (physik, leider selbst rhetorik), 
eigentlich auch im Homer, und dafs es nicht höhere Sicherheit sondern 
nur gröfsere armut ist, wenn ein text einheitlicher aussieht, weil uns 
zufällig nur eine handschrift selbst oder in abschriften erhalten ist. 

Um so höhere Wichtigkeit gewinnt die textgeschichte , welche den 
grad der Zuverlässigkeit unserer Überlieferung, so gut es geht, geschicht- 
lich erkennen lehrt, auch dafür ist zwar gearbeitet, aber überwiegend 
mit der tendenz, anhaltspunkte für änderungen zu gewinnen, die scholien 
las man nicht um der 999 fälle willen, wo sie den überlieferten text 
bestätigen, sondern um des tausendsten, wo sie eine ab weichung geben, 
oder aber man las, unbefriedigt mit diesem ergebnis, die Varianten in 
sie hinein, wozu sich die schlechtesten paraphrasen dann allerdings am 
besten eigneten, die lexica las man nicht, um die richtigen oder falschen 
erklärungen der alten für die überlieferten Wörter zu finden, sondern um 
die vermeintlichen glossen aus den texten zu vertreiben, die citate 
sammelte man halb unwillig, weil sie zustimmend oder abweichend für 
die gute unserer handschriften zu zeugen pflegen, und selbst die not- 
wendigste Vorarbeit, eine brauchbare ausgäbe der scholien wie des Hesych 
und der Etymologika zu machen, ist unserer generation geblieben. 

Was ist demnach die aufgäbe, welche uns von der Wissenschaft ge-^ägSbä^'' 
stellt ist? ihre entwickelung gibt uns eine einfache formulirung. wir 
haben da anzusetzen, wo der streit zwischen Hermann und O. Müller 
den natürlichen f ortgang gehenmit hat, beider werk fortzusetzen, doch 
so, dafs wir nicht iiur die fehler vermeiden, welche damals verhängnisvoll 
wurden, sondern das beherzigen, was die philologie im ganzen in dem 
halben Jahrhundert zugelernt hat. das erste und vornehmste ist also, 
dais wir wieder so viel griechisch lernen, wie Hermann und Elmsley 
konnten, aber wenn wir uns das können anzueignen versuchen, dürfen 
wir uns nicht damit begnügen, es als kunst zu üben, sondern müssen 
uns dessen was wir wissen und können selbst bewuTst werden und es 
für andere zur darstellung bringen, wir müssen selber verstehen und 
anderen erklären, das erste erfordert, dafs wir vorab das besser wissen 
wollen ablegen, unser urteil der Überlieferung willig ergeben, und, 
wenn wir anstofsen, zunächst nicht ihr sondern uns mistrauen. wir 
sollen das Verständnis herausheben, nicht hineintragen, das gilt von dem 
einzelnen worte, das gilt in tausendfältiger Variation von dem individuellen 
dichterischen gedanken und seinem ausdrucke im * einzelnen verse, im 
einzelnen chorlied, im ganzen drama. ganz allmählich werden wir uns 
dann zu der freiheit erheben, über dem objecto zu stehen und die kritik 



254 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

im modernen wie die y^giotg im antiken sinne gerecht zu üben, und 
auch wer die freude als eine kostliche schätzt, eine stelle verbessert zu 
haben, wird sich wol nicht scheuen zu sagen, dafs er ein freudiges gefühl 
empfindet, wenn er eine conjectur ausstreicht, weil er die stelle verstanden 
hat. nur bleibe man nicht bei dem genusse des eigenen gewinnes stehen, 
sondern übe die nächstenpflicht, andern den gleichen irrgang zu ersparen, 
die nakten texte sind auch in den zeiten des conjecturalen diluviums ziem- 
lich heil abgedruckt worden: aber damit ist höchstens für den heraus- 
geber das Verständnis garantirt. welche prophylaktische Wirkung würde 
Haupt ausgeübt haben, wenn er den Catull erklärt hätte, so wie er ihn 
verstand? 

Die wesentliche Wandlung, welche die philologie erfahren hat, ist 
dals sie eine geschichtliche Wissenschaft geworden ist. davon hat die 
tragikerkritik noch herzlich wenig befruchtung erhalten, und das ist ein 
hauptgrund ihrer krankheit, denn deshalb kann der widergeschichtliche 
subjectivismus und die aprioristische construction sich behaupten, das 
gilt gleich von der spräche, zwar das formelle ist auch hier durch die 
geschichtliche grammatik, die rechte erbin der Elmsleyschen analogie, im 
wesentlichen erledigt, aber die form ist nur der körper: das seelische 
dement, die Synonymik, die Wortwahl überhaupt gemäfs den nuancen 
von bedeutung und ton, sowohl des innerlichen klanges wie des äufseren, 
der für das griechische ohr so bedeutsam ist — wie wenig ist dafür getan ? 
die Syntax vollends liegt noch in den banden der alten abstracten theorie, 
welche die einzelne stelle als einen beleg einer regel ansieht, die regel aus 
der logik begründet, statt von der empfindung und dem Sprachgefühl des 
redenden auszugehen, schon das durchgehends giltige zu finden ist schwer, 
denn wenn das drama die letzte blute am bäume einer uralten poesie ist, 
wenn Aeoler lonier Dorer dafür vorgearbeitet haben, so ist diese spräche 
und des weiteren dieser poetische stil das ergebnis eines langen geschicht- 
lichen processes und kann recht nur aus ihm verstanden werden, wie 
andererseits ein einzelnes wort oftmals ein überraschendes licht über Jahr- 
hunderte rückwärts wirft, schwieriger aber ist es noch abzuschätzen, was 
die sprachgewalt und auch die willkür des einzelnen dichters geschafien 
und gewagt hat: und doch helTst das sprachliche und stilistische können 
des dichters abschätzen doch nichts anderes, als eben das facit aus der 
abrechnung zwischen seinem gute und dem ererbten und angeborenen 
besitze ziehen, wie 'armselig stehen da in ihrem nichts die jämmerlichen 
versuche unhistorischer Unwissenheit da, welche die geschichtlich ge- 
wordene litteratursprache in eine anzahl roher mundarten auflösen, und 



Die wahren aufgaben. 255 

wie fadenscheidig wird das bettelgewand, das die flickschneider der con- 
jecturalen mache den gedichten anziehen, hier eine glosse, dort ein 
germanismus, mit all ihrem flitterkram nur für den fasching gut. 

Ein gleiches gilt von der verskunst was haben wir denn da anders 
als lehrgebäude? auch hier helTst es in Wahrheit zunächst die erschei- 
uungen sammeln und von dem concreten ausgehen, das es zu verstehen 
gilt, auch hier das ohr an die allgemein griechische weise gewöhnen, 
damit man die besondere des dichters würdigen lerne, auch die metrik 
des dramas ist die Vollendung einer uralten technik, auch in ihr ist 
ererbtes gut, das aus dem besitze der verschiedenen stamme nach Athen 
gelangt ist, und dem geschichtlichen entwickelungsgang allein ist das Ver- 
ständnis seines ergebnisses zu entnehmen, auch hier bedingen einsieht 
in das allgemeingiltige und in das individuelle einander gegenseitig. 

Und nun weiter zum stofle und gehalte des gedichtes. der stofiT ist 
die sage: wiederum dieselbe Wechselwirkung wie in spräche und vers- 
kunst, nur dais hier das individuelle, dort das allgemeine leichter erfafst 
und deshalb meist ^ überwiegend betont wird, hier heifst es Welckers 
spuren suchen; sie sind fast unkenntlich geworden: aber sie führen in 
ein reich voll unergründlicher herrlichkeit. 

Und das einzelne chorlied oder die einzelne scene ist ein glied des 
dramas, ein teil d^s ganzen: das soll verstanden werden, die weise der 
composition will am vorliegenden objecto erfafst sein, und dann ab- 
geschätzt im vergleiche zu den anderen werken desselben dichters und 
seiner zeit- und Volksgenossen, hier ojQTenbart sich in der mannigfaltigkeit 
die stilfreudige Selbstzucht der hellenischen poesie, eröjQTnen sich fragen, 
deren beantwortung rückwärts zu der technik epischer erzählung, vor- 
wärts zur stilisirten prosarede weisen. 

Und das einzelne drama ist nur ein act eines reichen dichterlebens, 
der einzelne dichter nur eine person in dem grofsen drama der geschichte 
seines Volkes, da will jedes an seine stelle gerückt werden, um das rechte 
licht zu empfangen und auszustralen. Götz 1772, Natürliche Tochter 
1803: wir wissen, was wir mit den Jahreszahlen sagen, welche fülle von 
kenntnissen sowol aus der geschichte des dichters wie aus der seiner zeit 
notwendig sind, um ein wirkliches Verständnis der beiden gleich grofs- 
artigen dramen zu gewinnen, nun, soll das anders sein, wenn wir 
Medeia 431^ Orestes 408 sagen? und, wenn es gleich ist, müssen wir 
nicht versuchen, so unvollkommen es auch bleiben wird, das notwendige 
zu leisten? 

Weil die philologie so lange jähre hindurch dem drama gegenüber 



256 Wege und ziele der modernen tragikerkritik. 

ihre pflicht ungenügend erfüllt hat, ist dieses in seiner bedeutung für die 
gesammtentwickelung des Volkes allgemein verkannt, es ist nur recht, dals 
die verschiedenen Zeiten sich in dem unermefslichen gebiete der altertums- 
wissenschaft verschiedene felder zu bebauen wählen, und so würde es 
kein schade gewesen sein, dafs die anregungen, welche Lachmann Bitschi 
Mommsen gaben, dem vorher vernachlässigten Bömertum gebührende be- 
arbeitung zuführten, dals die monumentale philologie die talente mehr 
anzuziehen begann als die schriftstellerkritik — wenn nicht das Studium der 
attischen tragödie so gut wie das Homers und der beiden fürsten der Philo- 
sophie für alle Seiten hellenischer Studien unentbehrlich wäre, aber man 
bedenke: das ganze griechische leben wird in den generationen umgestaltet, 
mit welchen Sophokles und Euripides leben, während das Athen, das den 
Meder schlug, nur durch Aischylos für uns vertreten ist. das Athen, 
welches die alte physik und loTOQla loniens aufnahm und durch die 
sophistik sowol die beredsamkeit wie die philosophie vorbereitete, spricht 
nur im drama selbst zu uns. jede ernste mythographische forschung 
lehrt, dafs der ausgangspunkt im drama liegt, mag man aufwärts zu Homer 
oder abwärts zu Nonnus gehen, jede sprachliche forschung bedarf dieses 
mittelgliedes zwischen der archaischen rede und der gemeinen Atthis. 
wie jede archaeologische forschung auf die architektur, skulptur und 
maierei des 5. Jahrhunderts als auf das centrum zurückführt, so steht es 
fast mit jeder forschung auf jedem gebiete des geistigen leben s. die ganze 
griechische poesie culminirt im drama, dessen Vorstufen epos und lyrik 
sind, das selbst den sokratischen dialog und das menandrische lustspiel 
gezeugt hat. die ganze griechische geschichte culminirt im fünften Jahr- 
hundert, die tragödie ist die poesie des attischen Reiches: das sagt 
genugsam, dafs kein geschichtliches erfassen des Hellenentums an dem 
drama vorbeigehen darf, und dafs der zustand die schwersten folgen haben 
mufste, in dem wir leben, wo Euripides keinen andersartigen wert für 
den historiker zu haben scheint als etwa Anakreon oder Aratos. 

So hohe forderungen erhebt die philologie als geschichtliche Wissen- 
schaft und sie ist doch selbst auch noch etwas anderes, sonst würde es 
genügen ein buch über das drama zu schreiben, nicht einen commentar zu 
einem einzelnen stücke, zumal dies viel mühsamer ist. es kommt vielmehr 
darauf an, dafs der alte dichter zu werte komme, nicht ein moderner pro- 
fessor, wie wir unser geschäft nur dann recht besorgen, wenn wir in jedes 
alte buch, das wir unter den bänden haben, nicht unsern geist hineintragen 
sondern das herauslesen, was darin steht, so liegt überhaupt die specifisch 
philologische aufgäbe in dem erfassen einer fremden Individualität, es 



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