LIBRARY
University of CdÜföW^^
IRVINE
f tuUttung
in bie .
^^ifofop^ic
K' h( \o Sop^UJl
bon
5Ftictirirf| ^aiilfcn,
*|5rofe[for an Ucr Uniocrfttdt Serliit.
^edftfte Äuffagc.
Berlin.
SSerlog non 2Birf)e(m §er^
1899.
Bt)
2)a§ SBo^re tuar fc^on längft gefunben^
§at cble (Seifterfc^aft ücrbunben,
®o8 olte SBa^re, fa^ e§ on.
®oett)e.
^nrntatt fur tvfttn ^n^a^t.
yi\d)t eine neue ^f)iIofop^ie ift e§, wa§ f)ier bem £efer geboten
mirb, fonbern eben ba§, nja§ ber Xitel anfünbigt: eine (Sinfü^rung in
bie ^fjilojopfiie. 2Ba§ ic^ burd) SSorIejungen, bie id) unter bem gleid)en
STitel jeit einer 0?eif)e üon ^af)xm gegolten fjobe, meinen ßu'^örern
5U leiften bemüf)t genjefen bin, ha^ UJÜnjc^t bie§ 53ud) feinen Sefern
ju bieten; e§ n)ill fie anleiten, bie testen großen Probleme, bie bie
SSelt bem ben!euben 3J?enfc^engeift oufgiebt, fic^ at§ %xaQtn üorjulegen,
unb bie großen ©ebaufen, mit benen bie geiftigen gü^i^ei' ^er 9}Zenjc^=
t)eit ficf; biefe ^^^^agen beoninjortet ()Qben, nad)5nbenfen.
Sine fold^e Einleitung fijnnte bie gorm eine§ f)iftorifc^en Seri(f)t§
f)aben. @ie fann aber aucfj bie ^orm einer ©igfujfion biefer S^ragen
unb ®ebon!en f)aben. ^d) f)ahc bie Ie|tere ^orm gett)äf)(t, ober t)ie(=
me^r nic^t gemä^It, fie ^at fitf) mir a(§ bie allein möglidje üon felbft
ergeben. 9cur wer ^u ben pt)ifofop^ifcf)en Problemen unb if)ren
Söfungen felbftänbig ©teüung genommen §at, !ann fie anbern barlegen;
unb ttjieber, wie !önnte er e§ tf)un, of)ne feine Einfielt unb fein Urteil
in bie ^arftellung einftiefeen ju loffen? ^d) will alfo nidjt bloB bie
Probleme unb bie möglid)en unb in ber ©efdjidjte f)eriiorgetretenen
fiöfungen üorlegen, fonbern ^ugteid) bie 5tuf(öfung, bie id) für bk
rid^tige ^alte, jur STuerfennung bei bem Sefer ju bringen fuc^en. Unb
fo wirb er atfo bod) eine ^^^dofop^ie in biefen 33(ättern fiuben.
Um offen ju oerfal^ren unb i^m bie (Steüungnaf)me ju ber im
O^ofgenben entwidelten ^f)iIofop^ie ju erleidjtern, will id) fie gteid^ Ijier
mit einigen ©tridjen fennseidjnen.
®ie 5(nfc^auung, ber nad^ meiner 2(nfid;t bie (Sntwidehing be§
p!^iIofop{)ifd)en ®enfen§ juftrebt, bie 3?id§tung, in ber bie SBal^r^eit
liegt, bejeid^ne id) mit bem 9kmen be^ i b e a I i ft i f (^ e n äJi o n i § m u §.
jDie @egenfä|e, burdj bie biefe 5(nf(^auung begrenzt unb beftimmt
wirb, finb ber fupranaturaüftif dje 5DuaIi§mu§ unb ber
IV SSortDort.
atomiftifc^e DJJaterioItSmug. Sener ift bie qu§ ber mittel=
alterlic^en 3d}oIafttf überfommene, in ber proteftantijdjen DIeuidjoIafti!
6i§ in§ adjtjcl^ute 3at)r^unbert fortc|epf(Qnäte Sd)ulpt)i(oiopf)ie ber
ßircE)enIef)re; fie trennt Körper unb öeift aU giüei nnr äufäüig unb
geitiüeiüg üerbunbene Subftangen, fie judjt @ott unb DZatur al§ jtoei
einonber frembe Sßirflidjfeiten an§> cinonber gu t)alten. 2:;er Qtomi[tijd)e
ÜKoteriaUsmuS bagegen ift bie ^f)i(ojopf)ie, in ber bie feit bem fie6=
geeinten 3Qi)tf)unbert aufgefommene med)nniftifd)e S^aturerftärung nic^t
bloB i^re eigenen (e^ten 53orau5iefeungen, fonbern bie legten @eban!en
über bie 2öe(t überfjaupt fie^t.
9}?ün fann bie ganje @efc^i(^te ber neueren ^f)iIofop{)ie qI§ ben
fortgefeiten S^erfud^, über biefen ©egenfa^ fjinauSgufommen, fonftruieren.
5)er überfommcne Supranoturnlismus ftellt @ott qI§ ein ejtramunbaneS
unb antf)ropomorpf)e§ ßin^elwefeu ber SBelt gegenüber unb läfet i^n,
nadjbem er fie erft in einem beftimmten 3eitpunft aus ni(^t§ gemacht,
bann noc^ gelegentlich auf fie einiuirfen. S::iefer Slnfc^aunng tt)urbe
burd) ha§> Sluffommen ber mobernen 9iaturn)iffenf(^aft mel)r unb nief)r
ber SSoben unter ben güBen fortge^ogen. ®as ^rin^ip ber 9^atur=
forfdjung ift bie 9iaturgefe|mäBigfeit be§ öefc^ef)en§. Gin ©ebiet nod^
bem onbern würbe biejem ^^rinjip untermorfen, unb fo fe^te fic^ qU=
mäf)lid) ber ©ebonfe unn)iberftel}Iid) burc^: alle Vorgänge in ber 9ktur
fiub als ßrfolg gefe|mäf3ig niirfenber Äröfte ju betrad)ten. 2)iefem
®eban!en giebt nun ber S)?ateriati5mu§, in ber 9J?einung, bamit bie
le^te ^lonfequen^ ber iniffenfdjaftlidjen (Srfenntnis ber S^inge gu §ief)en,
bie ^orm einer 9)?etapI)Qfif: bie ganje SBirfüc^feit ift nichts al§ ein
©tiftem blinb mirfenber ptjtjfifdjer 5^räfte. 2)a§ alte fupranaturaliftifdje
(St)ftem njeljrte fid) f)iergegen teif§ mit bem überfommenen 9iüft^eug
ontologijc^'fosmologifdjer (Spehdation, cor allem aber mit $ßerbäd)tigung
unb ^Verunglimpfung ber materiaüftifdjen ^{)i(ofopt)ie unb je nac^bem
an^ ber neuen SBiffeufd^aften a(§ gottlofer, aud) bem Staat unb ber
@efenfd)aft gefäl)rlid)er DIeuerungen.
S[)ie ^f)iIofopl^ie nun fudjt biejen ©cgenfai^ innerlid) ju über=
irinben; fie fud)t überall, unb man !ann fagen, ha§> ift ba§ bemcgenbe
StRoment in ber ganzen öntmidelung ber neueren ^f}iIofopf)ie, bie
religio fe SSeftonfc^auung unb bie ttjiffenfc^aft(id)e
9^ a t u r e r f I ä r u n g mit e i n a n b e r u e r t r ä g I i d) § u m a d) e n.
SBorttJort. V
dlüd) ber ?(nfirf)t tiieler tuirb boS l^eiBen, bie Quobratur be§ ßirfelS^
fucf)en. — 33ieneid)t ^ot bie S(u[t3abe I)iermit eine geroiffe ^il[f)nlirf)feit;
tüie t)ier nur 5Innä^erung§njerte ju erreidjen finb, \o ge^t aud) bort
bie ©a(^e üiel(eicf)t niemals rein auf. 2(uf jeben g^aü ober inuB man
e§ a(§ gejc^icf)ttid)e Xf)atfarfje anerfennen, ba'B ^a§ p^ilDJop^ifd)e Senfen
ber legten brei Sa^rt)unberte auf biefe§ ^\d gerid)tet UJar.
@ein Stu^ganggpuntt unb feine S3orau§fe^ung ift bie moberne
9?aturn)iffenfd)oft unb if)r ®runbgeban!e, bie allgemeine 9Mturgefe|=
mäBigfeit be§ ©efd^e^enS. 3Sa§ biefen ©ebanfen nid^t anerfennt, liegt
au^ert)alb biefer ß"ntmi(felung§rei{)e. ©eine jn^eite (Srunbüber§eugung
ift bie: ha^, njo§ un§ bie 9^aturn)iffenfd)aften über bie 2öir!nd)feit
lefjren, nirf)t aüe§> ift, voa§> üon if)r ^u fagen ift, bafe bie SBir!(id)!eit
noc^ ein 2Inbere§ unb 9J?e^rere§ ift, a(§ eine narf) ben ®efe{3en ber
9Jiecf)auif bettjegte ^örperttjelt. Sluf fefjr öerfdjiebene SBeife ^at man
bieg Stnbere unb SOJe'firere ju beftimmen ober aurf) feine Unbeftimmbarfeit
gu bemeifen gefucf)t, aber anerfannt t)aben e§ im ©runbe alle. 2Ser e§
nid)t anerfennt, fte'^t ebenfalls au&erl)alb ber eigentlid^en @ntU)i(fetung§=
reifje ber neueren ^^ilofoptjie.
©entließ treten beibe ßixQt in ben beiben großen 9^i(^tungen
f)eröor, in benen fic^ bie ^t)ilofopt)ie be§ ftebje^nten unb ac^tjel^nten
Sa^rf)unbert§ bemegte. ®ie ratio naIiftifc^ = metapt)Qfif(^e
@nttr)icEeIung§reif)e, bereu ^auptnertreter ®e§carte§, ©pinoga
unb Seibnij finb, gef)t öon ber 5tner!ennung ber SSa^r^eit ber
neuen pf)t)fifc^en äöeltanf icf;t au§, um fie bann burd) eine
metapf)t)fif ci£)e ^Infid^t gu ergangen. ®ie in ©ngtaub einljeimifc^e
e m p i r i ft i f (^ = p 0 f i t i 0 i ft i f (^ e @ntU)i(ielung§reil)e , burc^ 2 o (f c ,
i8er!elet), §ume repräfentiert, ge^t üon berfelben ^orauSfe^ung
au§, mirb aber burc^ erfenntni§tl)eoretifd)e Ü^efte^non auf bie 5(nftcl^t
gefü:^rt, ha^ bie pfjtifüalifc^e 5(nfic^t ni(i)t bie abfotute 2öir!lic^feit,
fonbern eine suföUige Stnfic^t, eine ^rojeftion ber 2öir!lid)feit auf
unfere ©innlidjfeit fei. Sn Ä^aut begegnen unb burd)bringen fic^ bie
beiben ^Infidjten auf r)Dd)ft eigentümliche SBeife; oor allem aber batiert
uon i^m bie bebentfame SBenbnng, bie ben ^rieben glüifc^en ber religiöfen
2Beltanfid)t unb ber miffenfdjaftlidjen 9Zaturer!lärung baburc^ gu er=
reichen fud^t, bo^ fie ba§ religiöfe Sßerfjalten non ber inteHeftuetlen
gunftiou lo§li3ft unb auf bie SSiüenlfeite grünbet.
VI SSortDort.
(Sigentümlid^ geftattet fi(^ bie ©a(^e im neunäet)nten ^ai)X'
f)unbert. ®ie Gntiüicfelung be§ p'^iIojopf)ifd)en 2)en!en§ ^erfaßt,
tüenig[ten§ in 2)eutic^(Qnb, in brei beutücf) an§> einonber tretenbe
@pod)en. S)a§ erfte S)ritte( gefjört ber fpefulatioen ^f)i(ofop^ie;
fie ift ber 9]erfu^, bie pf)t)fii(^e SöeÜanfid^t burcf) eine fpefulatiö=
inetapf)l)fijd)e Deutung Quf ein ©eiftig^Sogifd^es ni(f)t bloB ^u ergänzen,
Jonbern ööHig gu übern)ältigen. 3ni jn^eiten drittel, tuo bie ^fjilofop^ie,
nad) bem fyeljljdjlogen ber jpefulQtiöen Unternef)mung, gleicfimä^ig öon
innerer 9JJutIo[igfeit nnb äußerer SJJifeac^tnng gebrücft ift, ergebt fid^
bie pt)t)fifalijdje 5Infid)t nnb je|t fid) in einer materioliftif d)en
SO?etap;^l)[i! al§ oBfoInte 2Bal)rf)eit. Sis auf biefen Züq ift biefe
Stnfid)t in breiten Greifen ber ©ebilbeten, neuerbingg ond^ ber pm
9'^ac^benfen über it)re Sage ermoditen 3)?affen l^errjdjenb. daneben ift
aber im legten Sirittel be» 3a^rf)unbert§ aud^ bie ^^^iIojopf)ie au§
it)rer 2et()argie ju neuem ßeben ern)ad)t, nnb ()at fid^ on bie alte
Stuf gäbe gemad)t: bie pf)t)fifalijd)e Slnfid^t nid)t gu üerbrängen ober §u
übermättigen, fonbern burd^ eine weitere unb tiefere 5Infid)t ber 3Sir!(id^=
!eit, burd^ eine 9}Map^t)fi! §u ergangen unb gu öoltenben. ^^ec^ner
unb £o|e mögen all QSertreter ber älteren, Sänge unb SBunbt
einer jüngeren Generation genannt fein.
$ßerfu(^e id) bie pf)iIofopI)ifd^e Sage ber ©egeninart, bie in
if)r tjeroortretenben 9ftid)tung§Iinien, nod) etma§ genauer ju begeic^nen,
fo finbe id^ bie folgenben.
S)ie ^f)i(ojopf)ie ber ©egenmart ift:
1) p t) änomen aliftif d) = pofitiüiftifc^; i^r erfenntnis^
tf)eoretifd^e§ SefenntniS lautet: e§ giebt feine abfolute @r!enntni§ ber
3öirflid)feit; am menigften ^aben n)ir eine foldje in ber ^f)t)fif; bie
^örpernjelt ift ©rfdieinungsmelt. — @ie Ief)nt fid) f)iermit in 3)eutfd^'
lanb an Saut an.
2) ©ie ift ibealiftifd) = moniftifc^. S^r metapf)i)fifc^e§
93efenntni§ lautet: fofern eine S3eftimmung be§ SBefenS be§ Söirflid^en
an fid) t3erfud^t ttjerben fann, ift fie ber Söelt ber inneren @rfaf)rung
gu entnehmen; in ber geiftig=gefd)id^tlid^en Söelt entfaltet bie SBirfüdi^
feit für uns am üerftänblid)ften ober üielmef)r allein nerftänbti(^ i^ren
eigentlichen ö)et)alt. S)er le^te ©ebanfe, auf ben ttiir, ben «Spuren
ber Stf)atfac§en nad^gef)enb, gefüfjrt werben, ift ber: ba§: 9BirfIid)e, ba^
SBorroort. VII
in ber ßörpemelt unferen ©innen \\d) at§ ein^eitlidjeS 93en)egnng§ft)ftem
barftetlt, i[t (Srjdfieinung eine§ geiftigen 5ni=2eben§, ha^ a\§> (Sntwicfelung
eine§ einfjeitlicfjen, freilid) nnfere 53egriffe nnenblid) ttjeit überfteigenben
©inneg, einer ficf) felbft evfoffenben 3bee, ju benfen ift. 3n biejem
<BtM f)ält [ie an ben allgemeinen Umriffen ber oon ^ant au§gef)enben
^eltanfdjauung ber fpefulatiüen '!pf)i(ofop^ie ober oielme^r aller ibea=
Ii[tifrf)en ^^itojop^ie feit ^(ato feft.
3) ©ie tpenbet fic^ oon ber inteüettnaliftifd^en ju einer ooIun =
tariftif rf)en Stuffaffnng. 3""öd^[t in ber ^jljd^ologie; f)iertn ift
^uerft ber (Sinflufe @d^opent)auer§, jnjeitenS \)a§i june^menbe @en:)ic!)t
ber neuen biologijc^en i8etrarf)tung §u erfennen. ©obann aber bringt
biefc S(uffa[fung and) in ber 9J?etapf)t}fif unb 2SeItanf(f)auung oor.
Unb f)ier !onimt i()r jene ^antijdje Söenbung entgegen, bie bem SSillen
feinen legitimen (SinfluB in ber SSeltanfd^ouung wafiren njilt. 5tud^
bie proteftantifd^e Stf)eo(ogie ift unter biefen (äinftüffen in bem Über=
gang oom SnteöeftualiSmu» jum 5ßoIuntari§mu§ begriffen.
4) ©ie n}enbet fidj einer eooIutioniftifc^ = teIeotogifd^en
Setrad)tung§n)eife §u. 2)ie SSirfungen ber neuen Äo^mologie unb S3io=
logie ftra^ten, njie auf bie ^ft)d)oIogie unb 9Zaturpf)iIofopt)ie, fo aud^
ouf bie äRetapf)t)fi! au§; t)ier !ommt i^nen ber ibealiftifd^e DJZoni^mus
entgegen, ©obann ^aben fie begonnen bie praftifd^e ^f)i(ofop{)ie
3U burd)bringen: @tf)if unb ©o^iologie, 9^ed^t§- unb ©taatste^re finb
im 93egriff, bie alte Iogifd)=forma(iftifd)e Sef)anblung obäufdjütteln unb
an if)rer ©teile bie ooIuntariftifc[)=teIeoIogifc^e 33etrad)tung§tt)eife burc^-
anführen: ber ^md be^errfd)t ha§^ Seben, alfo U^irb auc^ bie 2Biffen=
fdjaft oom 2eben, fomol^t be§ (ginsetnen all ber ©efamt^eit, biefer
Kategorie fid) bebienen muffen.
5) Su 3ufammen^ang ftef)t biefeS SD^oment enbtid^ noc^ mit einem
3ug, loelc^er ber ganzen ^^ilofop^ie bei neunäet)nten Sa^r^unbertl
im ©egenfa^ ju ber öoraufgegangenen ^eriobe \)a^ ©epräge giebt:
bie ^id)tung auf bie ®efd^id)te. 2)ie ältere ^f)iIofop^ie ru^t
auf mat^ematifd;=naturn)iffenfd)aft(id)er Setrad)tung ber 2öirflid)feit;
fie ift abftraft=rationatiftifc^. ®ie fpefulatioe ^^ilofop^ie ge^t au§
öon ber ^onftruftion ber geiftig=gefd;ic^tlid)en 2öett; fie üerfudit bann
aud) bie Statur gleidifom gefd)id)t(id^ gu fonftruieren, UJenigftenl in
einem togifdj=genetifc^en ©i^ematilmul. ^ie 9?aturtt)iffenfd)aften finb
Vm SJorttJort.
biefem 3^9^ Gefolgt unb f)aben in ber foemiic^en unb biotogifcfjen
SntiDicfehingstfjeorie bie 9htur n)irf(id) geidjicf)t(id^ befjanbelt. G§ ift
Qugenicf)einlicf), wie fie f)ierburd) ber alten Semüt)ung ber ^f)i(oiopf)ie,
bie pf)tinic^e nnb bie geiftig=geic^ic^tüd;e 3Se(t in eine einf)eitlid)e @e=
famtanicfiauung ^uiammenjubiegen, in bie ©änbe arbeiten.
^Q» ift bie ':'Ki(f)tung, in ber mir bie ^f)i(ojop^ie gegenwärtig fid^
ju bewegen id)eint; auf jeben ^aü ift es bie Sf^ic^tung, in ber bie f)ier
üorgetrogenen ©ebanfen fic^ bewegen. —
2{ul ber angebeuteten Stellung ber ^f)i(ofopf)ie jwifc^en ber
reügiöjen 21>e(tanfd)auung nnb ber merf)anifcf)en 92aturerflärung ergiebt
fid^ i^re fd)Wierige Sage: bie D^olle be§ 5ßermitt(er§ ge^t ()ier, wie
überall, leicht in einen Äampf mit §wei g^ronten über. 2(uf
ber einen Seite ift fie ben Eingriffen ber fupranaturaliftifcf)en 2f)eoIogie
ausgefegt; fie wirb bef(f)u(bigt, bie Slutorität ber fird)ü(^ anerfannten
unb ftaatticf) gefc^ü|ten 2e^re ju untergraben. S(m SInfang ber
^J^eujeit würbe nocf) regelmäßig bie Staatsgewalt jur Unterbrücfung
p{)i(ofop^ifcfjer 3rrlet)ren in 5(nfprud) genommen, nid)t fetten mit
Srfolg. .^eutjutage ift, wenigftens auf proteftantifc^em ©ebiet, biefe
^^raris fo gut wie ouf gegeben; allerbings erft feit f argem, unb in
manchen Greifen fe^It e» auc^ je^t nocf) nid)t an ber D^^eigung, ber
'»p{)iIofopf)ie bie ^oli^ei auf ben .^ats ju [}e|en. 2Öer ^ätte md)t noc^
in jüngfter 3^it bie SInflage gehört, bie Sogialbemofratie fei nic^t
eine fojiak unb poIitifrf)e ^^artei, fonbern eine 2SeItanfd)auung, if)r
^ogma ber 5Itf)ei5mu5, unb if)re eigenttic^en Stnpftanjer bie ungläubigen
^^rofefforen; worauf man benn bem Staatsanwalt bie ßonfequen§ ju
jief^en überließ. Unb ber ^atfiotigiSmus f)ä(t offiziell and) f)eute nocf)
bie mittelalter(icf)e 5{uffaffung feft, ha^ es bie ^f(id}t ber geifttic^en unb
wettlidjen Cbrigteit fei, bie ^^f)i(oioiif)ie §u überwachen unb je nacf)bem
§u unterbrücfen; ber Unterfcf)ieb ift nur, baß ber weltlicfje ^rm fic^
gegen bie Sle^erei nicf)t mit ber alten 2SilIfäl)rigfeit in 33ewegung
bringen lä^t.
5(uf ber anbern Seite wirb bie ^^ilofopl)ie bon ben Sßertretern
einer rein p^t)fifalifd}en SSeltanfic^t angefeinbet. Xk „^f)itofopf)ie=
profefforen", feit Sct)0penl)auer bie beftoerleumbeten 9JJenfcf)en, werben
a(» ^^riefter ^weiter 5llaffe ner^öl)nt, bie angeftellt feien, ber ßirc^e im
^ompf gegen bie 2öiffenfcf)aft jn fefunbieren, als 2eute, bie bafür be§at)lt
SJottDort. IX
hJürben, ber Sncjenb burd^ allerlei biinffe unb abftrufe ©rörtentngen bie
^öpfe §u üerlDirren, um fie mit 9[)?i§trauen gegen bie SöifjenfdjQft §u
erfüllen unb fie bem 5Iutorität§g(Quben in bie 5{rme ju treiben.
@§ ift nicf;t meine 5lbfirf)t, bie 'ip^i(ofopf)ie gegen bieje Sßornjürfe
ju oerteibigen, ober ^u unterfudjen, ob unb mie öiel 3Saf)rf)eit barin
fein mag. 9}?ir lag nur baran, i^re Urfocf;e in ber gefd;idjt(id) ge=
gebenen (Stellung ber neueren ^t)i(ofop^ie ju seigen. ©ie ttjerben
bauern, fo lange bie Urfac^e bauert, hci§^ ^ei^t, fo (ange ber feinb(id)e
©egenfa^ smifd^en ber ^irdjenlefjre unb ber Söiffenfdjaft bauert. So
(ange mirb bie ^irdje gegen eine ^t)i(ofopf)ie eifern, bie bie ^on=
fequenjen ber SSiffenfd^aft gegen bie überlieferte 2ef)re geltenb mad^t,
mef)r at§ gegen bie miffenfd^aftlid^e Sinselforfdjung, bie ber DIatur ber
<Ba6)c nad) nur an einen engen ^rei§ fic^ menbet, aud^ leidjt bem
ßufammenftofe mit ber Äird)en(ef)re augmeidjen !ann. Unb ebenfo
lange mirb öon ber anberen (Seite ber SSerbadit ber inneren Unma(}r=
^eit gegen eine ^fjitofop'^ie fid) menben, bie oon ©renken ber menfc^=
(i(^en (Sr!enntni§ unb Don bem Sf^edjt einer religiöfen SSeltanfd^auung
neben ber tt)iffenfd)aftlid)en 3^orfd)ung rebet. Unb um fo fd^mieriger
mirb if)re Sage, je met)r jener ©egenfa^ an (Sd[)ärfe junimmt. „3)er
9}Zateriati§mu§ ift \)a§i notmenbige Korrelat be^ 3efuiti§mu§: ta^
SSaffer in biefen fommunijierenben Sf^ö^ren fte^t ftet§ gleid) fjod^;"
bie§ Sßort ^aul be 2agarbe§ njirb man überall in ber @efd)icE)te be=
ftätigt finben; e§ gilt oon bem proteftantifdjen 3efuiti§mu§ fo gut a(§
oon bem fatl^oüfc^en. Sebe $8erfteifung be§ Äonfeffion§ätüange§ fteigert
bie Erbitterung auf Seiten ber Oppofition unb fteigert auf beiben
(Seiten bie Erbitterung gegen bie ^l)ilofopl)ie: bie ^ird)e nerfotgt in
i^r bie gefä^rlid^erc S^orfämpferin be§ Unglaubens, ber 9?abifali§mu§
fiel)t in i^r eine nn^uüerläffige ober treulofe S3unbe§genoffin, bie ouc^
im jenfeitigen Sager ©e^ietiungen unterl)ält. (5rft mit ber 35erföf)nung
ber Söiffenfdjaft unb be§ @lauben§, worunter benn nid)t ein Sijftem
ber ©ogmatif ju oerfte^en ift, mirb bie ^^ilofop^ie felber ^rieben
Ijoben. Si§ bal)in Jüirb e§ if)re 9(ufgabe bleiben, unbe!ümmert um
bie ©efdjoffe oon beiben Seiten auf if)rem Soften jmifd^en ben beiben
feinblidjen |)eert)aufen auSjnljalten, i()r Sd)ilb ein gute§ ©emiffen, iljr
SBa^lfpruc^: feinem ju eigen, ot§ allein ber 2Bal)rl)eit.
3nm SdjluB noc^ ein SBort über bie 93e:^anblung§tt)eife.
X SSortDort.
3(^ f)abe mir überall ^roei ?(ufgaben geftetit: 1) bie pt)iIo=
fopf)ij(f)en Probleme mit if)ren mög(icf)en 5(uflöfungen ju entft)i(fe(n
unb äugleicf) bie Söjung barjulegen unb ju begrünben, bie mir ai§> bie
rid)tige erjrf)eint; 2) bie geirf)i(^tlid)e ©ntmicfetung be§ p^^ilojop^ijd^en
2)en!en§ an jebem ^unft irenigftenS mit einigen ©tricf)en anäubeuten.
3)aB beibe 33etracf)tnngen regelmäßig ju bem gteicfjen 3^^^ füf)ren, ge-
jd)iet)t mof)I burd^ eine ^rt prä[tabi(ierter Harmonie; fo Weit id) ie()e,
^at bi§{)er noc^ jeber S)en!er jeine @eban!en einerfeit^ at§ bie burdf)
bie 3:f)atia(^en geforberte fiöfung, anbererjeit§ aud) a{§ bas ßiel ber
gefd^idjtlidien ©ntmicEetung felber empfunben nnb anberen einlencfjtenb
gn macfjen geju(^t. 9iatürlic§, bie ?(u§ma^( ber ge)c^icf)tüd) bebeut=
famen fünfte, lüobnrd^ bie SRirfjtungsünien ber ßntmidelung beftimmt
merben, gefc^ie^t fcf)lieBüd) immer nad) ber ß^jammenftimmung mit
ben eigenen öebanfen; mie nac^ bem alten SBort ber SDIenfc^ ta§i
SOZaB ber 2)inge i[t, jo finb bie eigenen @eban!en ha^ 9)?aB ber
fremben.
5(uf einen Sßormurf bin ic^ gefaBt: ha'^ ic^ bie 3Serfc^iebenf)eiten
ber ibealiftifdien 8r)[tembi(bungen gu jef)r üernad)täjfige ober burd^
t)armonifierenbe 2)Qrfte(Iung nnterbrürfe. ^d) i)ah^ biefem SSormurf
nic^t auSroeic^en mollen. (Ss f)anbe(te jid) ^ier nur barum, in großen
Umriffen bie öaiiptjüge ber ©ebanfenbilbung gejdjidjtüd) nod^^umeifen,
babei mußten bie Unterfd)iebe jurüdtreten. ^lato unb 2tri[toteIe§,
(Spinoza unb Seibni^, §nme nnb 5^ant, 3^ed)ner unb 2o|e finb gemiB
fef)r öerjc^iebene ©eifter, unb aui^ bie Unterfc^iebe if)rer pf)i(o=
fopf)ifc^en 8t)[teme finb groß; it)nen felbft erjd)ienen fie fo. Unb
bod) fann e§ ongemeffen fein, einmal bie Unterfd)iebe ju überfe^en
unb nur bie großen gemeinfamen 3^9^ ^eroortreten §u (äffen, ^m
geograp^ifdjen Unterridjt legen mir bem Schüler ^uerft harten cor,
bie nur in groBen ^ÜQtn bie Umriffe ber Sauber unb 9J?eere, bie
.^auptgebirggfijfteme unb bie großen Söafferabern geigen, ©pegial^
farten mit maffeut)aftem Xetail mürben if)n nur üermirren. Wiv
!ommt üor, baB e§ bem (2(^ü(er mit ber @ejd)id)te ber ^f|i(ofop^ie
nid)t fetten ät)nlic^ gef)t; mirb fie i^m g(eid) mit ben enblojen großen
unb fleinen 3Serfc^iebent)eiten ber ^nfid)ten unb 33emei§füf)rungen üor-
gelegt, fo ift ber Srfotg Ieid)t ratlofe 5^ermirrung unb ha§: @nbe ein
t)eilIofer SfeptigiSmuS : bie Se^re ber ®ejc^id)te ber ^^ilofop^ie fei,
Söoriüort. XI
ha'^ l)ier jeber lüiber ben anbern fei unb ai\o ha§> gonje Unternetjinen
ergebnislos ouStoufe.
2)em gegenüber n)ünjcf)en bie I)ier gebotenen gefrf)ic^tlic^cn 5ln=
beutungen bie Überzeugung ju erujetf en, ha^ bie jo öiele Scif)rf)unberte
alte 5Irbeit be§ pf)iIofop^ijcf)en 9Zad)ben!en§ nid^t öergebüd^ gettjefen
i[t, öielme{)r gu einer in ben großen ©runb^ügen einftimmigen 2öelt=
anfid^t \ü^vt, beren 93ilb \\d) immer fd^ärfer herausarbeitet. Sie
(5Jefrf)id)te ber ^£)iIoiopf)ie ift ebenjo gut als bie @efdf)irf)te jeber anbern
SBiffenfdjaft ber 3Beg §ur 2BaI)rf)eit. ^reilic^ fef)It eS aii6) ^ier nic^t
au Slbluegeu unb Umiuegeu. —
©outen Kenner fic^ f)erbei(affen, bieS 53ud) ju lejen unb bann
urteilen, ha^ fie babei if)re 9^erf)nung nicfjt gefunben I)ätten, fo tüirb
midf; ba^ md)t atlgu fe^r jctjuiersen; ic^ bin in meinem Seben nocf)
niemanb begegnet, ber Kennern etmaS red^t gemacht f)ätte, §umat in
2)eutid^(anb, t>a^ an Kennern auf allen ©ebieten beS SBiffenS fo reid^
ift. 9J?irfj aber motten fie nidE)t auflagen, ta'^ id) fie getäufct)t f}ah^:
eine Einleitung mirb ja md)t für Kenner gefd^riebeu.
SSenn boS 58udt) atten ^^^örern in bie §änbe !onimt, fo bitte
id) fie, eS als einen ©ruB beS 35erfafferS unb eine Srinnerung an
einft gemeinfam oerlebte (Stunben gu betrad^ten. ©ern gebe id) mic^
auct) ber i^offuung tjin, boB bem einen unb anbern ßefer meiner (Stf)if
bie f)ier üorgelegten Setrad)tungen eine nidf)t uuermüufdjte Srgäuäung
mancf)er bort nur angebeuteteu @eban!enreif)en bieten.
@tegli| bei $8 er I in, 6. 5(uguft 1892.
^0vm0vi ptv MiUn '^n^itt^t.
Sie britte Huftage ift ein unöeränberter Stbbrurf ber jtoeiten, bie
ou(i) nur gang geringfügige ^(nberungen gegen bie erfte aufn)ie§,
Stm Eingang ber neuen 5(uflage fann id^ nur lüieber^olen, wa§>
ha§> Sßornjort jur gnieiten jagte: (S§ freut mid), ba'i^ in einer fo ouf=
geregten unb nad) Stufregung, befonber§ nad^ aufregenber Se!türe,
öerlangenben 3^it ein jo ttjenig aufregenber 93uc^ wie ha§> üorliegeube
fo öiele Sefer unb g^rennbe gettjonnen f)at. @§ f(f)eint bemnac^ unferer
3eit an SieBtiakrn be§ ,alten 2ßaf)ren' bod^ nirf)t fo fe^r gu fe'£)Ien,
at§ jemanb annehmen fönnte, ber nur nad^ bem (Sinbrucf urteilte, ben
bie @(f)aufenfter unferer 33udt)^onbIungen mit i()ren !reu5 unb quer
befd£)rie6enen unb in allen färben fd£)reienben UmfdE)Iägen mad^en.
g^reilid^ ift nun au^ bie ^a\)l berer gen^adjfen, bie fid^ üi§>
Kenner über baic 33udt) 5U ©eric^t gefegt unb e§ oerttjorfen ^aben.
3rf) fann e§ nicf)t für meine "»Pflid^t anfef)en, ben Sefer f)ier mit ben
eingetnen be!annt ju madt)en. Sm ganjen treten unter if)nen beutüc^
erfennbar jmei (Gruppen ^eröor: auf ber einen ©eite bie Stnf)änger
ber ,n)iffenfc^aftlid)en ^f)iIofopf)ie', benen bie§ S3ud^ gu menig (Strenge
be§ ^enfenl unb ^u tiiet 9^ad)giebigfeit gegen rücEftänbige ^^antaftereien
5U enthalten fdjeint; auf ber anbern (Seite bie Stnf)önger be§ 33e=
!enntni§glauben§, bie barin ,tro^ einiger d)riftIidE)er SflebenSarten' im
©runbe eine ^t)iIofopf)ie be§ Unglaubens finbeu. Überein fommen
beibe in bem SSDrn)urf ber Unentfd^ieben^eit unb ^otbljeit: ttjöre ber
Sßerfaffer ein flarer ^opf ober ein entfd^iebener ßl)ara!ter, fo mürbe
er auf einer Seite, natürlid) auf unferer, fte^en; fo ^in!t er auf
beiben (Seiten.
(S§ entfprid^t bie§ genau ber Sage, mie fie in ber 35orrebe jur
erften Sluflage bejeidinet ift; e§ ift ber Ä^ampf mit jmei gi-'onteu, ben
bie ^t)iIofopf)ie nun fd)on feit brei^unbert Sat)ren fü^rt: bie (Snt=
fd)iebenen f)üben unb bie ©ntfdjiebenen brüben; bie ^f)itofopf)ie in
SBortDort. . XIII
ber 9)?itte, öon Beiben ongefeinbet. 3d^ muB babei an eine alte
Stnefbote benfen. ßmei Sftitter famen über bie g^arbe eines ©d^ilbeS
in ©treit, ber eine jagte, er ift meiB, ber anbere, er i[t fcf)n)arä. Unb
öon erbittertem SBortinec^jel hm e§ balb §u blutigen ©d^Iögen. @in
britter, ber üorüberging, unb erfuf)r, njorum e§ fic^ f)anb(e, bemerüe:
aber fet)t if)r benn nidjt, ber (Sdjilb ift ja auf ber einen «Seite n^eiB,
auf ber anberen fdjtuar^. — SSa§, rief ber eine ber Ä^ämpfenben, ber
^ert !ann tüot)( fc^roar^ unb n^eife nid^t unterfcf;eiben? 9Zein, fdjrie ber
anbere, er traut ficf) nirfjt fc^U^ar^ fd^mars unb tt)eiB weiB ju nennen,
um eg mit feinem ju oerberben. Unb fo machten fic^ beibe äunäc^ft
über ben unberufenen 3SermittIer f)er.
©tegli^, 6. 5tuguft 1894.
^nirntari fur ftA}^Un llufiiig^*
S(6geje^en öon ein paar fleinen ßiifö^ß" unb formellen Sinterungen
i[t bie neue Stuflage ein unüerönbeter Slbbrucf ber früheren.
©tegli^, 13. Wäxi 1899.
iJriebric^ ^aulfen.
gn^aCf.
©tnlettung. Söefcn uitb $8cbeuhtng bcr ^^iio^opi)k, geite
1. Xa§ 9Ser^äÜni§ ber ^^iIo|opf)te jur ^Religion unb SK^t^oIogie .... 3
2. ®a§ 58er^ältni§ ber ^^ilofop^te ju ben SBiffcnjd^aften 15
3. ©inteilung unb ©runbprobleme ber ^^itojo^j^^ie 45
erstes Äopttel. S)o§ ontotogtfd)e Problem.
1. 3ui^ gefd)id^tli(i)en Drientierung 55
2. S)er 2RateriaUäntu§ unb feine 58egrünbung 63
3. Über bie proftifd^en f onfepuenjen be§ Ttatmali^mni 70
4. tritif be§ 3!)iaterialilmu5. <ßaraIIeUftifc!^e 2;^eorte üon bent SSerl^ältnil
beg <ß^^fifd)en unb <ßfi)d)ii(^en 77
5. ^onfequeuäcn ber poraUeliftifc^en %^eoxk. HUbefeelung 92
6. SSom SBefen ber Seele. ;3ntetleftuali[tif(^e unb t)oIuntariftifd)e ^f^d^ologie,
S)aä Unbetüufete 117
7. SSon bem SBefen ber ©eele: Slftuoliftiji^e unb fub[tontialifttf(^e ^tuffaffung.
S^r @i& im Seibe 133
3tt)eite§ ^opitel. S)a§ fo§moIogi|d^=t^eoIogijd^e
Problem.
1. 2:f)atfQd)en unb §i)pot§eien 152
2. Sltomiftijdie unb teIcoIogifd^4{)eiftifd^c 9iaturerflärung 157
3. Äritif te§ teteotogtfdjen Semeifeä 165
4. S)ie (Sntnjidelung^t^^eorie 188
5. 5^ie ©ntiüidelung im ®ebiet be§ geiftig*gef(f)ic!^tlt(i)en Seben§ 200
6. Un3uIängUd)feit einer atomiftijc^en 9J?etap:^i)[if. 93egriff ber SDSed^fel*
ttJirfung 214
7. Äaufolität unb ginalität 226
8. «ßont^ei^mug unb SBcttfeele 241
9. S)a^ S8erf)ältni§ be§ pont^eiftifd^en ®otte§begrip jur ^Religion .... 253
10. ®efd)irf)tlid^e ©ntwicfelung ber ®otteä= unb SBeltüorfteQung 276
11. ®a§ 18er]^ältni§ öon SBiffen unb ©louben 324
XVI Sn^alt.
3tr)ctte§ 33u(^. S)tc ^roBIcme ber CrfenntniSt^corte.
(£inleitenbe§.
©rfteS tapitel. ®a§ ^robtem bei 2Se)enä ober "Oa^ S8er^ältni§
ber ©rfenntnil gur SBirflic^feit.
1. '2!ie ibealiftifd^e ®eban!enreif)e 354
2. 2Bieberf)erfteüung ber reali[tif(±)ett ^luffoi'jung für bie ignnentuelt .... 362
8. ®te ©rfenntnig ber Stu^ennjelt 379
3h)eite§ Äopttel. 2)a§ Problem beä Uri^jrungg
ber ©rfenntnil.
1. ®er 9tationaIilmug 388
2. ®er empirilmug 394
8. 5)er formaltftijc^e «RotionaUlmuS ^atit§ 400
4. Srttijrf)e SInmerhtngen ju tant§ Srfenntnilt^^eorie 409
2(nl)ang. ®ie Probleme ber (St^if 432
^mfeifung.
(Sä gab eine ßeit, unb [ie liegt nod) nic^t \o gar lueit t)intei'
iinl, wo bie 2(n[id)t lueit öerbreitet toar, ^i)i(ofop^ie fei eine (Baä^z,
bie fid) überlebt (}abe; an i{)re ©teile feien bie pofitiöen 3[Bi[fenfd)aften
getreten. 2(t§ eine 2Irt 33orftufe ber n)iffenjci^aftlicf)en ©rfenntnig
möge fie it)re 3^it unb if)r fRed^t gef)abt Ijoben; je^t bagegen feien
jene SSerfudje, burd^ allgemeine ©pefulationen gur ©rfenntniä ber
SSelt unb ber S)inge §u gelangen, überlebt unb abget^an. 9hir al§
ein unfd)äbtid)e§ ©piet für unfrud^tbare, ju eigentlich miffenfrf)aft(id^er
Slrbeit nid)t angelegte Äöpfe möge fie nod) eine SSeile ein l)armlofe§
®afein friften, !eine§meg§ aber fönne bie 93efd^äftigung mit i^r Stilen,
bie auf miffenfd)aftlid)e 58ilbung Slufprud) machen, al§ ^flid)t 5uge=
mutet njerben.
(S§ !ann ^ier unerörtert bleiben, ob bie ^t)ilüfop^ie an biefer
9)iiBad)tung, ber fie um bie 9Jätte beg 3al)rt)unbert§ oerfaüen loar,
felbft einige ©c^ulb ^atte. (£§ ift a priori n)al)rfc^einlic^. 9Jirgenb§
mar bie ®eringfd)ö^ung l)örter al§> in S;:'eutf erlaub; fie trat l)ier ein
in jeitlidjer ?^olge auf bie ^errfc^aft ber fpe!ulatioen ^l)ilofopl)ie;
e§ liegt nal)e, einen urfäd)lid)en 3"fßniment)ang ju oermuten unb in
ber ^-Berad;tung aüer ^ljilofopl)ie bie Üieaftion gegen bie ©elbftüber-
l)ebung ju erbliden, mit ber bie fpefulatioe ^^ilofopljie unb i^re
Sünger bie miffenfdjaftlidje gorfdjung nic^t minber ale ben gefunben
SUJenfc^enoerftanb beleibigt t)atten. Sauge l)atte fic^ ber beutfc^e ßefer
burdj l^artc äöorte einfc^üdjtern, burd) trüben Sieffinn imponieren
unb burd; ben S^ormurf ber ©eidjtigfeit ba§, ma§ er oerftanb, üer=
bäd)tig nwdjen laffen; enblid) fa^te er boc^ ein iperj unb entfd)lofe
fid) nun alle§ gering ju fdjäl^en, ma§ an jene peinlid;en Erinnerungen
*t>a Ulfen, Ginlcituitg. (i. Sliifl. 1
Einleitung: SBejen nnb SBebeutung hex ^^ilojo^^ie.
rührte. §ätte §egel ÄantS Hlter erreidjt, jo {)ätte er jetber nod)
ben 9?ü(ifcf)Iag erlebt. (Statt feiner litten nun anbere, »ie gec^ner
unb So^e, unter ber ©teirfigültigfeit, bie fie nid^t öerjdf)ulbet unb nid)t
üerbient {)Qtten.
Sn5tt)ifd)en ift eine neue ^^^t ^erbeigefommen. 3[t Qucf) bie
SSerad^tung ber ^§iIojopt)ie nod; nic^t au§ge[torben, \o barf man bod^
jagen, fie ift für ba^ (e|te ^Drittel be§ 3fll)t^f)unbert§ nid)t me()r
d)arafteriftifcE), »ie fie t§> für ha§> ^meite mar. 2)ie ^^i(ofopt)ie f)at
begonnen üon ber öffentlid^en @eringfd)ä|ung fic^ gu erf)oIen; fie ge=
minnt mieber bie 2ei(naf)me größerer Greife; im befonberen ift and)
if)r Sßer{)ättni§ jur miffenfd)aftlid)en ^orfd^ung mieber ein freunblid)ere^
gemorben.
@ö fet)rt bamit ber natürlidje ßuftanb §urüd. S)enn in 2öa^r=
f)eit ift ^f)iIofopf)ie fo menig eine ®ad)e, bie fid) überlebt ^at, ober
bie bloB einige leere unb abftrufe Äöpfe angef)t, ha^ fie üielmet)r eine
Stngetegenf)eit aller ^zikn unb atter 3JJenfd^en ift. Sa, man !ann
fogen, ^t)iIofop^ie ift nid^t eine ©ac§e, bie man ^aben ober auc^
nid)t ^aben fann, auf gemiffe Söeife f)at jeber äJJenfc^, ber fic^ über
bie 3)umpf{)eit tierifc^en S)af)inleben§ erljebt, eine ^f)iIofop^ie. @^
fragt fic^ bloB, ma§ für eine, ob eine au§ einigen zufälligen 2öiffen§=
fragmenten unb ©ebanfenfpüttern äufammengejimmerte, ober eine burd)*
backte unb auf ollfeitiger ^etradjtung ber 2SirfIid)feit beru^enbe.
2Sa§ ta§^ inteüeftueHe Beben be§ 9JJenf(^en oon bem ber ^iere
unterfdieibet, ha^ ift bie gäf)ig!eit ju tfjeoretifc^er S3etrad)tung unb tk
9(lic^tung auf ba^ ©ange. 3)a§ Xier fie{)t unb t)ört, f)at aud) mo^t
^Borfteßungen unb Erinnerungen, aber e§ öermeitt nidjt babei; fie
fommen unb get)en üereinjelt, mie e§ ber 9Zatur(auf fügt, fie f)aben
i{)re Sebeutung nur aB 9J?otioe für ben Sßiöen. Sm 9JJenfc^en rei^t
fid) bie inteüeftueüe 2^ätig!eit oom ®ienft be§ Sebürfniffeg Io§; ba§
tf)eoretifc^e Sntereffe ermac^t; er fammelt unb betrodjtet bie (SIemente,.
meldte bie 2Baf)rnef)mung bietet, unb fommt nid^t jur 9fiuf)e, h\§> er
fie gu einer einf)eitlid)en ©efamtanfi^auung ber Singe üerfnüpft unb
ergänzt f)at. 2)ie Siedinif löfet fid) am (Singelmiffen genügen; ba^
tf)eoretifd)e Sntereffe ift auf ha§> ©anje gerid)tet. <So entftel)t ^^i(o=
fopf)ie. 8ie ift im aügemeinften ©inne be§ 2Borte§ nid)t§ anbereS,
all ber ftet§ miebert^olte 3Serfuc^, ein@an§e§t)on$BorfteHungen
SSerf)äItni§ bcr ^^ilofop^ie jur SReligion unb 3[J?i:)tf)oIo9te. 3
uiib®ebanfen über ©eftott unb 3iifan^i"ßJ'^fl"9f ü^^^
©inn unb ^ebeutung aller 2)inge ju gewinnen.
(Sg i[t offenbar, bafe in biefem (Sinne jebe§ SSolf unb jeber äJJenfc^,
inenigftenS jeber normal entnjicfelte SJJenfdj ^^p^ilofopfjie f)at. 5turf) ber
einfache ajJann au§ bem $8oIfe f)at eine ^^i(ofop{)ie; fein Äatec^i§mu§
mag if)m bie ©runbjüge h%u. geliefert ^aben; er toeife eine 2(nttt)ort
auf bie grage nocf) Urfprung unb Seftimmung ber SBelt unb be§
9)Jenfrf)enIeben§. 3n biefem @inne i)ah^n anä) bie Sf^aturoölfer eine
^fjilofop^ie; aucf; ber Snbianer unb 9ieufeelänber ^atte fid) eine SSor-
ftellung üon bem Sßeltgansen unb feinem räumlichen Stufbau gemarf)t,
er njufete eine Stntmort auf bie ^rage nac^ bem 2Sof)er unb 2Bof)in
ber Singe unb faf) gtuifdien ben !o§mifrf)en Gegebenheiten unb bem
menfdjiirfien Seben einen finnöoUen 3ufonimenf)ang.
3n biefem ©inne ift alfo ^fjilofop^ie eine allgemein menfc^Iic^e
g^unftion. @o ttjeit e§ geiftigeS Seben giebt, fo ujeit giebt e§ and)
^f)i(ofopf)ie.
1. ®a§ SSerl^ättm^ ber ^^ilofop^ie jur ^{eltgton unb 9Kt;t^oIogtc.
2)er übliche ©prac^gebraud) fafet nun freiließ ben Segriff ber
^^ilofopfjie enger. 2Bir pflegen nid)t mef)r, njie e§ früfjerem ©pradi«
gebraud) aüerbingS geläufig mar, bon einer ©efdjid^te ber ^^iIofopt)ie
üor ber Sünbftut ju reben ; aud) nennen mv ben 3nf)alt be§ llated)i§^
mu§ ober bie S^orftellungen ber S'^aturoölfer oom Sßeltgangen nid)t
^§itofopf)ie, fonbern unterfd)eiben fie öon biefer aB 9JiQtf)oIogie ober
9^eIigion. Dlatürlid) ift eg nid)t meine S(bfid)t, biefe Unterfdjeibung
aufjufieben ober ju oermifdjen; oieIme{)r miü ic^ oerfudjen, fie ju
befinieren unb baburd^ auc^ ta^ SSefen ber ^f)iIofop§ie nöt)er §u be=
ftimmen.
Sn gmei (Stüde läfet fid) ber llnterfd)ieb faffen, c§ ift ein Unter*
fc^ieb be§ ©ubjeftg unb ber ^unftion. 2Sa§ ben erften Unterfc^ieb
anlangt, fo ift (5ub|e!t ober Xräger ber mt)tf)o(ogifc^en SBettüorftedung
ber ©efomtgeift, ber ^f)iIofopt)ie ber ©injelgeift. SSo mir immer oon
^f)itofop{)ie reben, ha ift fie ha^^ (SräeugniS inbioibuetler ©eifte^arbeit;
e§ giebt feine ^f)iIofop^ie of)ne einen ^^{)iIofopf)en; borum mirb fie
nad^ feinem 9lamen genannt: ptatonifd^e, fpinojiftifdje, fantifc^e 'ipf)iIo=
ßinfeitung: SBejen unb 93ebeutung ber ^^ilojop^ie.
fopf)ie. 9}Jt)t^oIo9ie bagegen gel^t, h)ie Sage unb ©pradje, nid)t au§
beiruBter Strbeit eines (Sin^elnen Ijerüor, fonbern ift ein GrgeugniS beg
©ejonitgeiftes. 2öie es feinen ßrfinber ber Sprodje giebt, fo
aucf) nic^t ber urfprünglidien mt)t^ifdf)n-eligiöien 2BeItanjd)auung, bie
übrigeng in if)rem Urjprung mit (Sprache unb Sichtung auf» engfte
^ufoinmenl^ängt. 55on einem Stifter ber ägijptifcfjen ober ber griecfjifdien
S^eligion rebet in unferem 3af)rf)unbert niemanb mei)r. S)ie cfjriftlic^e
ober bie mu^ammebanifcfie üieligion i)at einen Stifter; aber t)ier
^anbett e§ fid) nid)t um bie urfprünglicf)e ^erüorbringung einer oor=
f)er nicfjt üorljanbenen S^orfteüungsttjelt, jonbern nur um eine Um=
bilbung, bie übrigens meniger auf bie t^eoretijd^e, al§ auf bie praftifcfie
Seite get)t.
2!er 95eric^iebenf)eit be§ ©ubjeftS entjpric^t bie 5ßerjd)ieben^eit
ber ^unftion. ^^i(ofopt)ie Ujirb burcf) bie 2{rbeit be§ forf(f)enben
unb benfenben SSerftonbeS f)erüorgebrac^t; bie mi)tf)if(^=religiöfe 3SeIt=
anfcf)auung ift ein örgeugnis ber bid)terifcf)en ^^antafie, roetdfie bie
gegebenen 2(nf(i)auungen fombiniert, ergänzt unb aus ber 33eäie^ng ju
einer oon if)r gefcf)affenen tranfcenbenten SSelt beutet. S(üe (äreigniffe
am ^immet unb auf ber @rbe loerben, menn auc^ nidfit in ft)ftematifc^er
SDurcf)füt)rung, fo bocf) gelegentlich als 3Siüensbett)ätigungen jenfeitiger
$yiäcf)te aufgefaßt, bie gu bem Scf) in freunbtid)er ober feinblicf)er Se=
gie^ung ftef)en, görberung ober Hemmung feiner 3^^^^^ oerfieifeen.
2Iüe ßrftärung ber Singe f)at bie g^orm ber Deutung bes SBarum
unb SBo^u.
3^ie ^f)itofop§ie bagegen beginnt mit ber oerftanbeSmäfeigen
S(uffaffung, bie baburcf) c^arafterifiert ift, ha^ fie bie Singe nimmt,
rcie fie finb. Sn erfter Sinie auf bie grage nac^ bem 2Bo§ unb SBie,
ftatt ber grage nac^ bem SSo^u gericf)tet, fud)t fie 3unäd)ft bie er=
fc^einungen al§ fotc^e unb i^re 93e§iet)ungen in 3ftaum unb Qdt feft«
aufteilen. 9(uf biefem 3Sege gelangt fie §ur Grfenntnis gefe^möfeiger
3ufammenf)änge unb mit it)rer §ilfe üerfud)t fie bann mit fortfcf)reitenber
Sßo[(fommenf)eit bie Äonftruftion ber Singe im öroBen. Sas ift ba§
miffenfd)aftli(^e 5ßerfat)ren. ^t)iIofop§ie ift urfprünglic^ gar nicf)tö
anbereS al§ miffenfc^aftlictie (Srfenntniö ber Söirttic^feit, im Unterfcf)ieb
ober im ©egenfa^ gur nu)tt)ifcfj-re(igiöfen SBettDorftetlung.
Samit ift gegeben, baß bie gönn, in ber ^t)iIofopt)ie unb mijtl)if(i)=
SSer^ältnt^ ber i(Ji)iIofopt)ie gut Sieligion unb 9KQtI)oIogie. 5
retigiijjc SSeÜnorftellung bem (Sinjelnen inneiro{)iien, t)erfrf)teben i[t:
an ber ^f)iIojop^ie ^at ba§ Snbioibuum burc^ SD en!en, an 9J?t)tt)oIogte
unb Üietigion burc^ ©tauben %d{. (Sine geglaubte ^t)itofop§ie ift
ein innerer SBiberfprucf; , nic^t minber eine erbad^te 9?etigion. ®a§
gitt aud^ Pon ben fiöd^ften 9ftetigion§formen, ber (Sin^etne t)at an i^nen
2;eit nic^t at§ benfenbeS unb forfc^enbeS Snbioibuum, fonbern at§ ©lieb
eine§ $ßotfe§, eines gefdjic^ttic^en SebenSf reifet; fte ift in if)m tteientticf)
al§ etn)a§, ha§ er empfangen ^at; wogegen i^m ^t)itofopf)ie, auc^ wenn
if)r ©ebanfengefiatt nict)t juerft öon it)m f)eroorgebract)t roorben ift, al§
etujaS öon it)m (Erarbeitetes erfcf)eint, ba§ er ftjot)! aucf) burc^ eignes
2)enfen f)ätte urfprünglid) l^erüorbringen fönnen. —
5ruS bem angebeuteten inneren SSerf)öItniS ber ^^itofop'^ie unb
9^eIigion fällt Sid)t auf bie in ber (SJefc^id^te beS geiftigen SebenS fo
bemer!enSmert l^eroortretenbe ^^tjatfad^e, ^a'^ 5n)ifcf)en it)nen öielfad^ ein
feinbtidier (55egenfa^ ^errfc^t. Sn i^ren beiben großen @ntmi(fe=
lungen, im 5(Itertum unb in ber ^Jteujeit, fte'^t bie abenblönbifd)e *i]ßt)il0'
foptjie meift in einem gefpannten 5Ser^öItniS jur überlieferten religiöjen
2Be(tanfrf)auung, ha^ nid^t feiten in offene 3=einbfelig!eit ausbricht. S« ber
@efc^irf)te ber griec^ifc^en ^^t)i(ofopt)ie ift ha^ befanntefte Seifpiet feinb=
lid^en ^wf^^i^n^^J^fto&C'S bie ^Verurteilung unb §inrict)tung beS (SofrateS
als SBeräc^terS ber (Spötter unb SßerberberS ber ^ugenb. 3)od) fte{)t
ber ^aü nirf)t gang öereingelt ta. Unb in ber Sf^eujeit n^eift bie ©e»
fc^irfjte ber ^^iIofopt)ie !aum ein Statt auf, baS nic^t öon Ä'ämpfen,
inneren unb äußeren, ergä'^Ite. 2)ie 9]orfämpfcr unb 53a^nbred^er ber
neuen (Seban!en finb alle öon offiziellen unb freitnilligen ^ütern ber
überlieferten Se^re befämpft unb öerfolgt ujorben, raie fie beun aud^
i^rerjeitS alS ©egner beS ^errjdienben ©liftemS firfj füllten, ^d) er=
innere nur an 53runo unb ©alilei, an 5)eScarteS unb ©pino^a, an
^obbeS unb ßocfe, an 35oItaire unb Ütouffeau, an ßeibnij unb SSoIff,
an ^ant unb 5^id)te: fie aüe finb als g^einbe bef)anbelt morben, fei eS
inbem man fie in ^erfon öerfotgte unb beftrafte, ober i^re «SdEiriften
öerbot unb burd^ ben Reuter öerbrennen tieB, ober menigftenS i^rer
S]ef)rt^ötigfeit mit SSerboten unb Sßerbäd^tigungen nac^ oben unb nacf)
unten entgegentrat. 3)er ^ampf ift aud^ gegenlüärtig nod^ nidjt er=
Iojcf)en, menngleid^ bie alten 9JJitte( meift aufeer ©ebraucf) gefommen
finb. 5lud^ f)eute nod^ tt)irb eine neue ^^iIofopt)ie nid^t blofe auf i^re
6 Einleitung: SEßefen unb 93ebeutung ber ^l^iloi'opl^ie.
2öa^rf)eit, fonbern ebenjo auf if)re SSerträglidjfeit mit ber gettenben
Se^re geprüft unb, wenn fie in biefer Prüfung nidjt be[tef)t, al§ fc^(ecf)t
unb üerberblid^ öerujorfen.
2)ie Urjac^e be§ feinbfeligen 33erf)ältniffe§ liegt offenbar in ber
no^en Sßernjanbtfdjaft. @§ ift ber üamp] feinblidjer Vorüber ober
olfo ©c^ttjeftern. S)ie ältere üerlongt Stnerfennung i^rer 5Iutorität,
bie jüngere ftrebt fid) biefer gu entjie^en, fie lüill nid)t me^r aU
ancilla theologiae bienen, fonbern frei unb felbftänbig il^r SSerf
treiben. (5§ ift ^ute^t ber Äampf be§ SnbioibuumS um feine ^rei^eit
gegen ben öefamtgeift. Überall finbet bie ^E)iIofopl)ie bei i^rem (änt=
fte^en bie ältere, au§ bem ßolIe!tioben!en entfprungene g^orm ber 2BeIt=
anfdjouung öor. S)er ©efamtgeift ift älter alg ber inbiöibuelle; ouf
primitioer SntmidelungSftufe ift bie (Gattung atle§, ta^ 3nbioibuum
bIoBe§ ©yemptor ber (Gattung; mie im ^anbeln unb Urteilen burd)
bie ©itten, fo ift e§ im S)en!en burd^ bie religiöfen S^orfteüungen unb
@eban!en ber ©efamt^eit gebunben; bie SJJöglidjfeit befonberer @e-
banfen liegt if)m oöüig fern. S(ümäf)tid) aber finbet mit ber auf=
[teigenben ©ntroidetung S^ifferenjierung unb Snbiöibualifierung ftott.
@§ !ommt ber SJJut, etma§ befonberer gu fein unb bamit aud) ber
SOJut, befonbere (Sebanfen gu "^aben. ^ie Sßermunberung ift nad^
SIriftoteleS, ber ßmeifel nad) 2)e§carte§ ber §lnfang ber ^f)iIo=
fopt)ie. 93eibe§ ift ein§, ba§ Slufroad^en nämlid) be§ inbioibuellen
S)enfen§, ha^ bi§f)er burd) bie atlgemeinen ©ebanfen befd)mid)tigt
ober im ©d)Iaf gef)alten morben mar. (^egen ben ß^^if^^ ober bie
SSermunberung unb it)ren 35erfud), fid) neue unb befonbere @eban!en
über bie SBelt unb bie 5)inge §u mad)en, erf)ebt fic^ nun ba^ olte
allgemeine S)en!en at§ gegen eine fettfame unb unerf)örte Stumafeung:
marum miüft bu bir uid)t an ben anerkannten unb oon ben S5or=
fa'^ren überlieferten ©ebanfen genügen laffen? Sa§ ift freüel^afte
Überf)ebung, bie gu unterbrüden 9?ed)t unb ^f(id)t ift; um fo mel)r
al§ bie Überfc^reitung ber allgemeinen ©ebanfen boc^ nur ber Über=
fc^reitung ber Sitte ben 2öeg ebnen ober i^r gur S3efd)önigung
bienen fott.
Sn ber atten SBett fef)It e§ ben 33eftrebungen, fid^ ber ^^iIo=
fopt)ie ^u ermefiren, an 3ufammen()ang unb Äonfepuenj; meber mar
bie mt)tf)ifc^=retigiöfe SBeltanfc^auung innerlid) ju einem eint)eitüd)en
SSerpItni^ ber ^^iIofopf)ie jur SReligton unb SK^tl^oIogte. 7
<St)j'tem burcficjebitbet, noc^ l^atte fie eine äußere Drganifation, bie fie
n)e{)rf)aft unb njiberftQnb§fä{)ig gemad;t Ijötte. ^al^er bie ^^ilojop^ie
^ier bolb öoQe ^rei^eit erreidjte. 5lnberg lag bie ©Qd)e in ber 0ieu«
jeit. S)ie (f)ri[tlic^e Üieligion !f)at, f(f)on im Slltertum unb bann ttjieber
im 3J?ittetaIter, \o öiel ^t)i(ofopfjie in fic^ aufgenommen, ba^ fie felbft
«in atlumfaffenbeg 2ef)rfl)ftem bilbet, t)a§> feinen 9?aum für freie
©ebanfenbilbung läfet. ^n ber Äird^e mit if)rem SSermaItung§ft)ftem
unb i!^rem Unterric^t^ttJefen f)at fie bie äußere Organifation, njoburd^
fie befähigt ift, aÜgegenmärtig 5(bmeid)ungen in ber Se^re fogteid^ gu
6emer!en unb i^r mit gefammelter Autorität entgegenzutreten. 2)arum
ift ^ier ber ^ampf fo üiel ^ei§er unb länger gemefen. @r ift f)ier
!eine§meg§ fd^on beenbet, njenngteic^ in unferer Qdt bie ^orberung
ber Untermerfung ber ^f)i(ofop()ie unter bo§ firdjlid^e ßel^rftjftem faum
me!^r prinzipiell gefteltt njirb, menigfteng nid)t ouf proteftantifc^em
^oben. (Sine Steigung baju regt fid^ freiließ aud) l^ier nod^ f)in unb
tnieber, unb tt)enn e§ einmal gelingen foüte, bie tf)eoIogifd^en g^afultöten
unter bie ürd^Iidie 5tutorität jurüdgubringen, bann UJÜrbe öorauSfid^t*
lic^ ber ^erfud) nidjt lange auf fid^ märten laffen, aud) bie ^f)iIofop^ie
mieber unter Äontroüe ju fteHen. (Sinftmeilen ift baju aUerbingS ge=
ringe 3(u§fic^t.
2öie mirb biefer ^ampf au§get)en? SBirb er emig bauern?
Söirb er gu frieblic^em SluSgleid^ führen? Ober mirb er mit bem
befinitiüen Unterliegen ober bem Untergang einer ber Gegnerinnen
enben?
Sn meiten Greifen ift heutzutage bie Ie|tere 5lnfid)t bie fjerrfc^enbc.
^ie 9?eIigion, fo glaubt man, ift im 51u§fter6en begriffen; SSiffen^
fc^aft unb ^^ilofopf)ie ^aben if)r bie äBurjeln abgegraben, ta^ (Snbe
tüirb bie SlKeinfierrfc^aft ber Söiffenfdjaft fein.
Sd^ oermag mic^ biefer 51nfid)t nid)t burd^auS anzufc^lie^en.
Sn einem beftimmten ©inne ttiirb fie Stedjt t)aben: bie ölte ml)tl)if(^e
^luffaffung ber ^fJatur ift o^ne 3^^^f^^ ^nt 3«rüclroeid)en begriffen,
^er ©laube an ©ötter unb 3)ämonen, bie al§ (Sinselmefen irgenbmo
(Syifteng ^aben unb burc^ gelegentlid)e (Singriffe ben faufalen ßufammen-
f)ang be§ Skturlaufs unterbrechen, ift im Slu^fterben begriffen unb
n?irb nic^t mieber tebenbig merben, e§ fei benn, ba^ SSiffenfc^aft unb
ipi)ilofop^ie im ?Ibenblanb ttjieber erlöfd;en. 5Iuc^ mac^t e§ l)ier feinen
8 Einleitung: 2Befen unb 93ebeutung ber ^^ilofopl^ie.
itjefentfic^en Unterf(i)ieb, ob man öiele berartige SBefen ober nur ein
einziges annimmt.
dagegen glaube id) nicf)t, hcL'B bomit gugleid) bie 9f?eIigion a\\^^
fterben njirb. Stf) glaube nid^t, baB bie SO^enfdj^eit jemals it)r innere!
5ßerf)ältni§ gur SBir!(ic^!eit auf ba§ tt)iffenfcf)aftlirf)e Srfennen einjd)ränfen
mirb. SSäre ber 9}?enfc^ ein rein intelleftuetleS SSefen, bann möcf)te
er [id\ an ben S3ru^[tü(fen üon (Srfenntni§ genügen loffen, »eld^e bie
n)iffenftf)aftlici^e g^orfd^ung nad) unb nacf) ^ujammentrögt. Stber er ift
nicfjt bloßer S3er[tanb, er ift auc^ unb oor oüem ein UJoQenbeg unb
füf)(enbe§ SSefen. Unb in biefer @eite feine§ 2öefen§ ^at bie 9fieIigion
if)re tiefften SBur^etn. (55efüf)Ie ber ®emut, ber @f)rfurdE)t, ber tSe^n»
fud)t na^ bem ^ollfommenen, mit ber fein ^er^ in ber Slnfc^auung
ber 9?atur unb ber @efd)id)te erfüllt tt^irb, beftimmen fein innere!
S3er!£)ä(tni§ ^ur SBirflid^feit unmittelbarer unb tiefer, al§ e§ bie ^Begriffe
unb g^ormeln ber SBiffenfc^oft öermögen. 3(u§ iiinen ertt)äcf)ft bie
ßuüerfic^t, ha^ bie SSelt nirf)t ein finnlofe! ©piel bünber ^raft, fonbern
bie Offenbarung eine! ©uten unb ©rofeen fei, bafe er freubig al! ein
feinem eigenen innerften SBefen SSerUjanbte! anerfennen bürfe. ®enn
ba^ ift boc^ ha^ eigentlicf)e SSefen jebc! religiöfen ©tauben!, bie 3"*
üerfic^t, ha^ in bem, ma! irf) at! ha§> §öd)fte unb 93efte liebe unb
öere'tjre, ba! eigentlid^e SBefen ber 2Sir!Iid)feit ficf) mir offenbart, bie
®en3ifet)eit, ha'^ ha^ @ute unb ^^ollfommene, morauf ba! tieffte @ef)ncn
meine! SBiüen! gerichtet ift, ®runb unb ^ki aller 3)inge ift.
®iefe ©enji^fieit !ommt nicfit au! ber 3Siffenfcl)aft, barum fann
2öiffenfd)aft fie aud^ nid^t aufl)eben. ©ie f)at it)re SBurgeln nicf)t
im SSerftanb, fonbern im SSillen. ®er 9]erftanb urteilt überhaupt
ni(f)t burd^ bie ^räbifate gut unb fdl)led)t, ujertöoll unb unmert, er
unterfd^eibet mirüid^ unb unmirflid), mafir unb falfd). @r ift ein
gegen SBert unb Unrtjert gleid^gültiger 9?egiftrierapparat be! 3Birtlid^en.
SDer 9}?enf(f) aber ift mef)r al! ein 9f?egiftrierapparat be! SSirflidEjen,
barum f)ot er nid^t blofe 2Siffenfd)aft, fonbern aud^ ©id^tung unb
^unft, ©taube unb ^Religion. (Sinen ^un!t njenigften! giebt e!,
mo jeber über t)a^ blo§e SBiffen, ta§> Sftegiftrieren non jtf)atfacf)en,
'^inau!gel)t, ha§: ift fein eigene! ßeben unb feine 3wf"Jift: er legt
einen Sinn in fein ßeben unb giebt if)m bie Sftic^tung auf etma!,
ttjo! nod^ nidjt ift, ober fein wirb, burcf) feinen SSiüen fein n)irb.
ißer:^ältm§ ber <)3^tIofopt)ie gur 9fleUgton unb 9Kt)tI)oIogie. 9
@o entfpringt tf)m neben bem SBiffen ein ©laube; er gtanbt an bie
$ßertt)irflidjung biefe§ feine§ Seben^jielS, luenn anber§ e§ if)m Srnft
barum ift. S)Q aber jein Seben^jiel nid)t ein ifotierte§ ift, fonbern
in bem gefd)id)tücf)en ßeben feine§ SSoI!e§, jule^t ber 9J?enfc^t)eit be=
jd^toffen ift, fo glanbt er ancf) nn bie 3"fiinft feines S5oIfe§, an bie
fiegreid)e 3wf""ft "^^^ Söaljren nnb 9fied)ten unb ©uten in ber
3J?enfd}f)eit. SBer immer fein ßeben an eine <Ba(i)t fe|t, gtanbt an
feine <Ba6:)i, nnb biefer Glaube, fein 58efenntni§ mag im übrigen fein,
tt)eld)e§ e§ miü, ^at immer etiüo§ oon ber g^orm einer 9f?eIigion.
(Se^t fo ber ©laube junäd^ft innert)alb ber @efd)id)te jmifdjen
bem SSirflidjen unb SSertüoUen einen inneren 3ufammen{)ang, fief)t
er in i^r etma§ mie eine ben 3)ingen felbft innemo^nenbe 5ßernnnft
ober ©erec^tigfeit für ba§ S^ied^te nnb ©ute Partei net)men unb e§
fiegreid^ gegen aüe miberftrebenben SDJäd^te t)inau§füf)ren , fo füt)rt
oon f)ier au§ ein natürlid^er ^ortfc^ritt meiter. 2)a§ menfd^Iid)=
gefd^id)ttid)e Seben ift h)ieber nid^t ein ifoIierteS, e§ ift in ben an=
gemeinen S'Joturlauf fo eingebettet, ha^ e§ auf feine SSeife baoon
gelöft n^erben fann. @ilt nun bort ha^ @efe|, ha^ bie 2Baf)rt)eit
gegen bie ßüge, haS' 9^ed^t gegen ha§> Unred)t, hav öute gegen ba§
Söfe tro| bem entgegenftef)enben ©d)ein im ©runbe unb auf bie 2)aner
ba§: @tar!e unb @iegreid)e ift, mie foüte e§ nid)t äutäffig fein, bie§
3Sert)äItni§ atigemein ju fe^en unb an eine bie gange 2Sirftid)feit
umfaffenbe SOZad)t be§ ©uten gu gtauben? 5tm menigften, fd)eint e§,
f Otiten bem biejenigen miberfpredjen , bie fo entfd)ieben bie ®efe^=
möBigfeit be§ SBetttaufS unb bie @ingefd)toffent)eit ber @efd)i(^te in
ben attgemeinen 9Jaturtauf bef)aupten. 2öer an einen ftetigen ^ort^
fd^ritt, an einen fid) üermirflid^enben ©inn in ber ©efc^id^te glaubt,
unb gugteid^ \)q§> 9)?enfd)t)eit§teben at§ einen ?(u§fc^nitt au§ bem atl^
gemeinen 9laturteben fafet, ber t)at barin bie 3Sorau§fe|ungen, bie if)n,
menn er nid)t oon bem einen ober bem anbern abfaüen miü, jum
©tauben an einen ®inn in ben fingen überhaupt füt)ren muffen
jum ©tauben, nid)t gum SBiffen unb Semeifen, benn fc^on ber @inn
in ber ©efd^id)te, ja ber ©inn im eigenen 2eben ift nic^t (Bad)t be§
SSiffen§ unb 53emeifen§.
SBa§ tjinbert t)ieran? (Sinb e§ bie fd)tec^ten 58emeife, bie bie
gute (Sai^e fo oerbiic^tig gemalt l^aben, ba& man e§ je^t bem $8er==
10 (Einleitung: SBefen unb 33ebeutung bec ^^ilofopf)ie.
ftanbe, ber bie Seweife oerlDirft, frfjulbig gu fein glaubt, audf) bie
©arfje njegjutuerfen? — SBobet benu ba§ SBunberüc^e f)erau§!äme,
bafj UQcf) biejer 5(njicl^t bie eigenttid^e, le^te ßeiftung unb Slufgobe ber
SSifjenfcfjQft in ber Sßelt borin beftünbe, gu geigen, ha'Q ber ©taube
an @inn unb Söernunft in ben Singen Unfinn unb Stberglaube fei.
3n biefer Üüdjtung Hegt bie SKöglid^feit be§ ^^ r i e b e n §
5n)if(^en Söiffen unb Glauben, änjifdjen ^I)iIofopI)ie unb
9^eIigion, bie S[RögIicf)feit eine§ n)ir!tid^en unb bauernben g^riebeng,
nicfjt eine§ faulen 5lompromiffe§, tuie er tt)of)I auf Ä^often ber SSat)r=
^eit gefd)(offen tt)irb, aud^ ni(f)t eine§ gteidjgültigen ober geringe
fd)ä^igen fid^ au§ bem Söeg get)en§, fonbern eine§ griebenS, ber auf
freier gegcnfeitiger 5Inerfennung beruljt. 2)er erfte ©d^ritt bagu ift
reinlid^e 9lu§einanberfe^ung ber Stufgaben. 3]or allem muB bie 9?eIigion
auff)ören, alter Übung folgenb, in ba§ @efd)äft ber Söiffenfd)aft fidj
eiuäumifdjen. Sie muB ber Unterfudjung ber natürlidjen unb gefd)id^t=
Iid)en SBirüidjfeit öoüe ^reitjeit einräumen, fie barf i^r n)eber ©renjen
gieljen, nod) bie 9^efultate norfdjreiben mollen; hü§> f)ieBe ber 3Siffen=
fd)aft an§ Seben greifen. Unb fie mag e§ tf)un o^ne (Sorge, ha'^ fie
bamit fid) fetber aufgebe. Sie SBiffenfdjaft n)irb nie haS^ ©emüt be§
9J?enfd)en ganj erfüllen, fo wenig al§> fie jemals bie 2ßir!(id^feit bi§
auf ben ©runb erfdjbpfen njirb. S)a§ rt)irb fie befto Ieid)ter er!ennen,
je fidjerer fie bor Übergriffen in it)r eigene^ ©ebiet ift, unb bonn
mirb fie sug(eid) aner!ennen, ha^ fie bie üleligion nid)t erfe|en !ann,
bü^ neben i^rer 5(ufgabe für eine anbere Ülaum ift, bie fie nic^t (Öfen
fann. Sieben ber 3^rage nad^ bem SBa§ unb SBie erl)ebt ber SOienfd^
unt)ermeib(id) bie g^rage nad) bem SBogu. hierauf ^at gmar aucE) bie
^f)i(ofopf)ie ftet§ öerfudjt eine Stntwort gu geben. Stuf bag (SJanje be§
£eben§ bücEenb, üerfudjt fie fein ^id ober ^öd)fte§ @ut §u beftimmen,
unb auf ba§ ©ange ber Singe blidenb, üerfud^t fie e§ in feiner 93e=
5ie()ung jum t)üdE)ften ®ut ,^u faffen. Stber me'^r unb me^r t)at fie
fid^ überzeugt, baB bie§ Unterne{)men mit ben SOiitteln be§ miffenfd^aft-
lidjen @rfennen§ nid)t burd)fü()rbar ift, ha% mit ®oett)e ju reben, bie
(Siiften§, burd) bie menfc^Iid)e ^Sernunft bioibiert, nidjt ot)ne 9f?eft auf:=
get)t. @o bteibt ber Üieligion bie Stufgabe, ben @inn ber Singe,
nidjt mit Gegriffen für ben SSerftaub, aber mit ()eitigen ©innbilbern
für ha§' ©emüt gu beuten.
Sßerf)ättm§ ber ^^iIofopi)ie jur SteUgton unb 9Jiqt{)oIogie. 11
2)a§ gejcfiidjtlicfje $ßerf)ältnt§ Don SBiffenfc^aft, ^^itofop^ie unb
Üieligion fann man nun \o QuSfpredjen. Urfprünglidf) finb alle brei
eins, ^aufate ©rflärung, t^eoretijd)e 5?'on[truftion unb ibeelle S)eutung
ber SSirfdd^feit fallen in ber religiöfen SO?i)tt)oIogie jujammen: bie
©innbilber be§ ^Boüfornnienen bienen sugteicf; al§ ©rflärungSprinsipien
ber 9iatur. '?flod) in ber fcfjoIa[tijd)cn 3:{)eoIogie unb ^fjifofop^ie finb
beibe Elemente ungetreunt; ®ott ha§: f)öc^fte @ut unb ^ugteid; bie
crfte Urfad)e, bie alle SSiffenfd^aften al§ @r!(ärung§prinäip öerwenben,
Slftronomie unb ^Biologie nid)t niinber al§ bie @efd)id)te. 3)ie fort=
fd^reitenbe ©iffereuäierung, lueld^e bie önttuidelung be§ gefd)id)tlic^en
Xük be§ organijd)en 2eben§ überall be{)errjdjt, Ijat and) tytx jur
(Spaltung gcfüf)rt. 3)ie 2öiffenfd)aft t)at fid^ öon ber Sfieligion getöft
unb »erfolgt if)r Qid, bie S3efd}reibung unb !aufa(e ©rflärung be§
2öirflid)en, unbeüimmert um bie 9JiögIic^!eit ber ibeeüen 2)eutung.
S)ie 9?eIigion bietet bem ©tauben i^re ©eutung, unbeüimmert um bie
9}Züg(id)feit einer miffenfdiaftlid^en Äonftruftion; bie 2)ogmenbiIbung,
bie etma§ luie eine begrifflid^e Äonftruftiou be§ @Iauben§ fein wollte,
!t)at aufge'^ört. ß^M'^f)^!^ beiben nimmt eine 9}littelftellung ein bie
^^ilofop^ie. §(u§get)enb üom SSiffen, fnd)t fie a\§> Uuioerfa(miffen=
fd)aft bie ^xaQ,e wad) bem SSefen unb ber ©eftatt ber SBirflic^feit gu
beantworten, ©töfit fie fc^on Itjier an bie ©renjen be§ menfd)Iid;en
@r!ennen§, fo inirb fie nod^ entfdjeibenber feiner Unjulanglid^feit inne
bei ber grage nad} ber Sebeutung ober bem ©inn aller 3)inge; fie
erfennt bie Unmöglic^feit, au§ einem üorau§gefe|ten «Sinn bie g^orm,
ober umge!el)rt au§ ber @eftalt ber 2Birf(i(^feit if)ren eint)eit{id)en
©inn abzuleiten: bie SSelt ift ein 9}?i)fterium, beffen gel^eimeu @inn
bem ^erjen gu offenbaren fie ber SSerwalterin ber 9)hjfterien, ber
Üieügion, überlofet.
S)ie Stnerfennung biefer Differenzierung ift bie Sebingung be§
3^rieben§. 2Ser baran arbeitet fie rüdgängig ju mad)en, roer bie
S33iffenfd)aft wieber bem S)ogma untermerfen, ober mer ben ©tauben
in SBiffen auflöfen miQ, ber öertiert feine 9}Züf)e unb ^inbert an feinem
%üi ein gebei^Iidjes 9Sert)äItni§.
Db ber griebe üor ber Xf)ür ftef)t? ®ie ßdd)m fdjeinen günftig.
2)ie ^t)iIofopf)ie ^at löngft bie ^anb jum ^rieben geboten. (S§ ift
ber eigentliche 5lngelpun!t ber ^f)iIofopf)ie ^ant§: äöiffen unb ©tauben
12 (Sinlettung: SSejen unb 93ebeutung ber ^^ilojopiiie.
3tüei gunftionen, bie, beibe im Söefen be§ SJienfc^en angelegt, neben
einonber 9iaum i)Qben. 93eiben if)r 9?e(f)t ju üerfrf)Qffen, bem SSiffen
gegen ben SfeptijiSmuS §ume§, bem ©lauben gegen bie bogmottidje
9^egQtion im SRaterialiSmug, bae i]'t bie Summe jeine§ Unternehmen?.
Um bem ölauben 9^aum ju jdjaffen, ift e§ aber aurf) notmenbig, ben
pofitioen ^Dogmatismus ber SSolff^icfien ^t)iIojop^ie meg^ufcfiaffen : mit
bem pofitioen ^Dogmatismus fte^t unb fällt ber negatioe. S)a§ meint
Äant, tt)enn er fagt: „id) muBte ha^ SBiffen auff)eben, um bem ©tauben
^^Ia| gu machen." ®iefe§ SBiffen ift md)t haS^ SSiffen ber 2Biffen=
icf)aft, fonbern ha§ oorgeblic^e Söiffen ber tranfcenbenten @cf)uIpf)iIo=
fopt)ie unb (2(i)uItf)eoIogie, bereu ortfjoboje ^orm jene fe|erifc^en
g^ormen notmenbig fjerüorbringt, namentticf) bann, irenn fie burd) bie
StaatSgematt gefc^ü^t tt)irb. 5Darum pit Äant e§ ber ^ürforge ber
Sfiegierung für bie 2öiffenf(^aften unb bie S[)Zenfrf)en für meit gemäßer,
„bie greit)eit einer folc^en Äritif gu begünftigen, moburd) bie ißernunft-
bearbeitungen allein auf einen feften ^u^ gebracht »erben !i)nnen, al§
ben Iäd)erlic^en 2)efpoti§mu§ ber «Schulen ju unterftü|en, roeldje über
öffentüc^e @efat)r ein Iaute§ ©efd^rei erf)eben, menn man i^re (2pinn=
roeben gerrei^t, oon benen bod) ta§> 'j^ublifum niemals D^otij genommen
()at unb bereu 3}erluft e§ atfo auc^ niemals füt)Ien fann" (5?orrebe jur
2. Stuft, ber Äritif ber r. ^ern.). "^ad) bem üorübergef)enben ?fiM=
faü in ben SntetlettuatiSmuS, ber burd) bie ^errfc^aft ber ^egelfdjen
^^^ilofop^ie be§eid)net ift, übt bie Äantifd)e ^t)i(ofopf)ie gegenmärtig
mieber ben breiteften SinftuB; fie t)at auf ber einen Seite ber fpefu=
(atioen ^^itofopljie, auf ber anberen bem bogmatifdjen 9J?ateriaIiSmuS,
bie beibe, »enn auc^ in t)erfd)iebener 5(bfic^t unb 9f?ic^tung, ben ©tauben
burc^ baS SSiffen auf^utjeben unb überftüffig §u machen üor^atten, ein
ßnbe gemad)t, unb eS finb nid)t btoB ^^itofopt)en , fonbern aud)
^f)t)fifer unb ^^t)t)fiotogen, bie ^eutjutage au bie Ä'antifc^e ^fjitofopl^ie
fid) onle^nen. SSenn nun aud) 58erfd)iebene SSerfd)iebeneS barauS fic^
aneignen, unb menn für mand)e hk Berufung auf bie (5rfenntniStf)eorie
ÄantS im ©runbe nid)tS anbereS ift, a(S eine fe^r meittäufige @nt=
fd)utbigung barüber, ba& fie überhaupt feine pofitioen ©ebanfen über
©Ott unb bie 2öett t)aben, fo barf bod) angenommen merben, ha^ bie
neuertid)e 5IuSbreitung biefeS ©ebanfenfreifeS im ganzen auS ber
58er^ältni§ ber ^^üojopl^ie jur 9teIigion unb SlJi^t^oIogie. 13
Sfleigung f)erüorgef)t, ouf tiefer ©runbloge §um f^rieben ber 2Biffenjd)Qft
mit ber Üteügion §u gelangen.
Sine parallele gur §üt§breitung ber ^f)iIofopf)ie ß'ont^ in
S^eutfc^Ianb bilbet bie S(u§breitung be» ^ofitiüi§mn§ in granfreid)
unb ©nglanb. @o entfdjieben biefe 9tid)tung bie 5^eüormnnbung ber
2öifjenj(^aft burd) bie Äird)e ablehnt, ebenfo entfdjieben erfennt fie
anbererfeit§ an, boB ba§ Söiffen, im ©ebiet be§ Sfielatiüen eintieimifd^,
nid)t bi§ auf ben tiefften @runb ber 2)inge reicht, unb boB ?lu§brüde
für eine anbcre Seite unfereS 3nnenteben§, für ein gefüf)I§mäBige§ 58er=
f)ä(tni§ 5ur 3öirflid)feit, mie e§ non je^er bie Sfteligion bot, 5U finben
ein 93ebürfni§ bleibt. C^ 0 m t e unb üt e n a n , 9)t i U unb (Spencer
fommen hierin überein.
5(uf ber anberen Seite ift eine feit furjem in ber proteftantifc^en
Srf)eo(ogie fo bebeutfom l^erdortretenbe Senjegung at§ t)offnung§üoIIe§
Slnseidjen ju begrüben, ic^ meine bie Semegung, rcelc^e barauf abhielt,
bem 3)ogma eine neue Steüung unb Sebeutung im !ird)üdjen Seben gu
geben. Gegenüber ber ^Infdjauung, bie in bem 2)ogma ben SluSbrud
tfjeoretifc^er 2öa^r()eiten fat), benen burd) ei'egetifdj-tjiftorifc^e S3en)ei§-
füfjrnng, ober burdj ontoIogifd)=fo§moIogifd)e 5(rgumente ein ioiffenfd)aft=
lidjer Unterbau, ober burd) Spefulation eine begriffüdje 2lu§tegung
gegeben Serben fönne unb muffe, miti bie neue 9^idjtung if)m bie 93e=
beutnng einer gormel geben, bie nid)t foiüot)( ben 5ßerftanb atg ben
SBillen binbet, bie nic^t beraei§bare 5lu§fagen über gefd)id)tlid)e ober
natürlidie äöirflic^feit, fonbcrn 93efenntniffe ju abfolut anerfannten, ta^'
©emüt erfüllenben unb bem SBillen ßiel unb 9iid)tung gebenben ©ütern
entf)ätt. ?rn Suttjer anfnüpfenb, ber mit ber 55ermerfung ber fd)o(aftifc^en
^t)i(ofop^ie unb 3'.t)eotogie bie falfd)e (Sin^eit oon ©tauben unb Söiffen
öermarf, roiU fie bie proteftontifdje 2;()eoIogie au§ bem 3ntefle!tuali§mu§
ber Ort^oboyie, au§ ber üerftanbeSmäBigen S)emonftrier:= unb Softem-
fuc^t, in bie fie atSbalb lieber jurüdfiel, t)erau§äief)en, um ha§^ t'ixdy
Iid)c Seben auf ben ^oben be§ (Soangeüum» non ber ©rlöfung burd)
©tauben unb Siebe gu fteüen.
So fommt man fid) üou beiben Seiten entgegen. 3""^ ^rieben
fc^eint nur crforbcriid), ha^ fid) bie 5l'ird)e cntfd)(ieBt, aufrid)tig unb
of)ne 3\üd()alt ber 2Biffenfd)aft 5U geben, wag ber 323iffenfd)aft ift. Sie
14 (Einleitung: SSSefen unb 93ebeutung ber $f)iIofopf)ie.
f)at fid;, tt)enig[ten§ auf proteftantifc^em ©ebiet, QÖmä^Iicfj barem ge=
funben, bem Äoifer ober bem Staate ju geben, ira§ be§ Staates ift; man
barf annehmen, fie lüirb fid; auc§ barcin finben, bem SSerftanbe gu
geben, tt)a§ be§ ^erftanbeS ift, b. {). it)m ba§ gan5e ©ebiet ber natura
lidjen unb gefc^ic^tücfjen SSirfüdjfeit ju freiefter ©rforfc^ung rücft)aIt(o§
einzuräumen unb anjuerfennen, ha'^ fie meber 9)ätte( norf) örunb ^abe,
ber auf bem SSege tniffenfdjaftlidjer gorfd)ung gemonnenen 6rfenntni§
in irgenb einem Stüd entgegenzutreten, ^onn merben ^i)i(ofop^ie
unb SSiffenfd^aft aufhören, im ©tauben eine 33eeinträd)tigung ber (Sr=
fenntniS gn fet)en, öietmetjr mit @oett)e befennen: „^aS fc^önfte ©lud
be§ benfenben SJienfc^en ift, ha§i (Srforfd)(ic^e gu erforfc^en unb ha^
Unerforfd^Iic^e ruf)ig 5U üerefjren.'" *)
SSaä biefe f)offnung5reid)e 5Cusfid)t ju trüben geeignet ift, ha^
ift ber abfolut re(igion§=feinbIid)e ÜiabifaliSmuS, ber gegenwärtig in
ber breiten äJJaffe ber S3eöi)Iferung um fic^ greift. S)ie geinbfdjoft,
bie üorbem unb noc^ oor einem 9JZenfd)enaIter burd) bie obrigteitlidie
33eöormunbung in ben Greifen ber ©ebilbeten erregt mürbe, ift je^t
auf bie üon poIitifd)er unb gefellfc^aftlid)er Unäufriebenf)eit erregten
äJJaffen übergegangen. 9(ud; fjier beruft man fid) auf bie 3Biffen=
fc^aft: fie Ijabe gezeigt, ha'B 9?e(igion nid)t§ al§ ein Überlebfei au§
ber Äinb^eitsepodje ber 9)?enf(^t)eit fei, ha§i nur nod) burc^ bie poIi=
tifc^en unb fo^ialen 3ntereffen ber ^errfc^enben klaffen gef(^ü|t unb
erf)alten merbe. @§ ift biefelbe ^Täufi^ung, ber frütjer bie Sourgeoifie
*) SJiit §inföcifung auf ben fürjlid) ouggebroc^enen Äampf um ha§ 3IpoftoIifum
ift gum SSorftet)enben bemertt rcorben, baß ftd) bie ißrop^eäcif)ung be§ eroigen
iJriebenS aud) t)ier roieber all Säufdiung erroiefen i)abe. — So Ieid)t gebe ic^ bie
3Sorau6fid)t bod^ nid)t preil. %a§ f)abe ic^ nid)t ermattet, i>a'\i bie 9iic^tung, bie
in ber S^eologie oor einem 9JJenfc^enaIter ^errfd^enb roax, o^nc weiteren Äam^f
i>a§ gelb räumen roerbe; ber Söinter äicf)t and) nid)t ab, otjwc nod) mit einigen
Scfineeftürmen bem 5rü£)Iing hcn ©ingug ftrettig p madjen. ^ilber ber grü^Iing
fommt bod). Unb f)ierin mac^t mic^ ber ^roteftfelbjug ber alten Drt^obojic fo
wenig irre, ba'ß id) barin öietmel^r ein günftigeS 3^^"^^" erblicfe; füfitte fie fic^
nitf)t in i^rem 2;ofein bebrofjt, fie würbe nic^t mit folc^em ßifer bie SCBäi^ter auf
bie SJJauern nifen. 2lber fie mertt, baß bie Sage gejäfilt finb, bafe bie Qugenb
if)ve 9leif)en oerläBt, unb fo fudjt fie burd) hm Slneber^all ber ^^rotefte fic^ im
(Stauben an i^re grofee Qai)l ju ftärfen, bie ®egner ju erid)reden unb wenn
mögli^ ba§ Unabwenbbare abjuwenben.
aSer£)äItni§ ber ^43f)ilofopf)ie ju ben 3Biifenfc^aften. 15
unterlag; ber §qB gegen bog politifd^e Sftegiment, ba§ mit ber S^irdje
öerbünbet njar, Juenbete fidj gegen bie IjReligion unb mad)te au§ bem
Unglauben einen politifd^en ©lauben^artifel. ©o erjd)eint je^t ber
2lt^ei§nui§ a(§ ®(anben§artifel ber ©o^iotbemofratie. @g i[t ber
unige!et)rte ^atec^i§mu§. Unb tt)ie bie alte ®ogniatif, jo i[t oud)
biefe neue, negative 3^ogmatif miffenfcf^aftsfeinblidj, infofern fie ben
©eift ber ^ritif unb be§ ß^^^if^^^ "^ i^^^" Dogmen gefangen nimmt.
®er $JJame 5(ntipfaffen, ben ein gü^rer ber fo5iaIiftifrf)en Partei
jüngft oon gemiffen ^ei^fpornen ber Sttf)ei§mu§bogmatif ge6rancf)te,
ift in ber jTljat burd)au§ begeicfinenb. %n ficfj [te^t bie 9ie(igion ben
politifc^en unb fo^iaten ^arteigegenfö^en üöllig neutral gegenüber;
ber ©taube an @ott ift mit bem ©tauben an bie 9JJeufd)t}eit unb
if)re 93eftimmung gn brüberlidjem ©emeinfd)aft§Iebeu burd)au§ öer-
eiubar; unb nur bie fettfamfte S^erfennuug faun bem (£()rifteutum
eine järtlid^e (Sd^mäd^e für bie Üieid^en unb SSof)Igeborenen jufd^reiben.
^reilid) ift biefe SSerfennung nid)t aüein unb nic^t urfprüngti^ bei
ber ©o^ialbemofratie t)eimifd;.
Snjmifdjen ift ber §a& ta unb wirb feine folgen ^aben. Ü6er=
munben merben fann er nur baburd), ha'^ ber ©taube feine 223at)rt)eit
bemeift nid)t burd) §aB unb 33erac^tung unb ^e^ergerid)te, foubern
burc^ redjtfdjoffene g^rüdjte ber ©eredjtigfeit unb ßiebe. ^a§ C£^riften=
tum fetbft aber, ba§ fo üiete (StaatäumttJäljungen unb Ä^utturn)anb=
tungen, fo öief D^ei^e unb !ööt!er überlebt t)at, wirb aud) bie ©türme
überteben, beuen bie europöifc^en 35ütfer je^t cntgegeuäugetjeu fi^einen.
3a, mer mei^, ob nid)t feine 33efreiung oon ber Umftammerung mit
ben Sntereffen ber t)errfd)enben ©efettfc^aftsftaffen bie S3ebingung für
eine neue unb grofee (Sntmicfetuug feineS Seben§ ift?
2. 3)a§ SSert)ältm§ ber ^^ttofop^ie ju ben 2!ßiffenfc^aften.
Wit ben 3Biffenfd)aften i)at bie ^t)itofopt)ie, mie fc^on angebeutet
mürbe, at§ 5tu§gang§punft bie nerftanbegmö^ige Stuffaffuug ber 3Birf=
tid)feit gemein; fie ift SSiffenfdjoft. 2öa§ unterfc^eibet fie oon ben
anberen SSiffenfc^afteu?
3mei 2tufid)ten fdjeinen junödjft mögtid). SBiffenfd)aften untcr=
fdjeiben fid) burd) itjren ©egenftanb unb if)re g^orm. 5)er Unterfd)ieb
ber ^t)itofopt)ie üon ben anbern SSiffenfc^aften fdjeint bemnad) ent=
16 ©inleüung: SBejen unb SBebeutung ber ^^itofopf)ie.
tüeber in bem @egen[tanb, mit bem fie ficJ) bejd)äftigt, ober in bei-
rrt, tüie fie if)u bet)anbelt, gefudjt luerben ^u muffen. Seibe 3(nfi(i)ten
ftnb Qufgeftellt trorbeii. dlad) ber crften f)Qt bie ^f)i(ofopt)ie ein it)r
eigentümliche^ 2Birf(icf}feit§gebiet, ha§> tion feiner onbern SBiffenfi^aft
in ^^(nfprudf) genommen mirb; in einer (Sinteihtng ber 2Biffenfd)aften
fommt fie bemnad) al5 eine ben übrigen foorbinierte (SinjelmiffenfdiQft
oor. 9cad) ber onberen S(nfid)t ()at fie bie ©egenftänbe mit ben anbern
2Biffenf(^aften gemein, befjanbelt fie aber auf eigene Slrt unb ift alfo
burc^ if)re SOIettjobe oon i^nen unterfd)ieben.
3;)ie le^tere 5Infid)t n^ar in ber erften ^älfte biefe§ 9ai)rt)unbert5
bei uns t)errf(^enb, e§ ift bie 5(nfid)t ber fpefulatioen ^t)iIofopt)ie.
5Die ganje 3BirfIid)!eit, fo nimmt biefe an, ift ©egenftanb einer boppe(=
ten 53et)anb(ung, einer pt)ilofopt)ifd)en unb einer n)iffenfd)aftlid)en, einer
fpehilatioen unb einer empirifd)en. ^n ben beiben großen öebieten
ber menfd^lic^en ®rfenntni§, ber Statur unb ber ö)efd)id)te, f)aben ttjir
neben einanber 9^aturmiffenfdjaft unb S^aturp^ilofop^ie, @efd)id)t§n)iffen=
fd)aft unb @efd)id)t5pt)iIofoptjie. S)ie S(ufgabe ber 2Biffenfd)aft ift,
burdj mettjobifdje (grfat)rung ^unbe üon ben ST^atfac^en ^u erwerben,
bie Slufgabe ber ^{)i(o)op{)ie bagegen, burd) ein i^r eigentümlid)e§
S^erfat)ren bog eigentlidje Söefen unb ben inner ften ^ufonime^flinö ^^r
fj;iuge bar^ulegen.
9)?it bem (Glauben an bie fpefulatioe 9}Jett)obe ift biefe 2lnfid)t
au^geftorben. Unfere 3^^* glaubt uic^t met)r an bie äliöglidjfeit,
burd) bialeftifdje S3egriffgeutiüidelung bie ©ebanfen ober ben «Sinn
ber Söirflidjfeit a priori gu erfennen. @ie fennt, mie nur eine 3Kir!=
lid)!eit, fo nur eine 3Bal)rt)eit unb einen SSeg §u it)r: bie benfenbe
ßrfal^rung. Grfa{)rung§tofe§ Senfeu füfjrt fo menig ^nx ©rfenntniö
ber äBirflidifeit, at^ gebanfenlofe ©rfaiirung. ^er ^^t)iIofopt) {)at feine
via regia §ur ©rfenutuis; bie reine (Spefutation ift in 2öaf)rf)eit nidjtö
üi§> eine üerjerrte 9ief(ej:ion über (ärfenntuiffe, bie uueingeftanbener
(Srfaf)ruug nerbanft luerbeu.
@iebt e§ feine befonbere p(}itofopf)ifd)e 9J?ett)obe, fo fdjeiut bie
jweite 9(nfid)t übrig ju bleiben, ha^ ^()itofopt)ic burd) itjreu befonberen
©egenftanb oon ben anbern SBiffenfd)aften fidj unterfdjeibe. SDiefe
5(nfid)t ift je^t oort)errfc^eub. Unb fo ^at man benn auf mancherlei
SSeife üerfucf)t, ber ^t)iIofop^ie ein eigentümlicf)e§ Öiebiet ab^ugreuäen.
8Jerf)äItm§ ber «ß^ilofopfiie ju ben aSiffenjc^aftcn. 17
9Mc^ einer gegeniüärtig äiemlicf) f)äufig öoilommenben 5(nfidjt ift ber
bejonbere ©egenftonb ber ^i)itofopt)ie bas ©rfennen. ^ant ^at, tüenn
tüir ^. i^ifc^er gtauben tüollen, ha^ Sßerbienft, ber ^f)iIojop()ie ^u
einer fidjeren ©tellung unter ben Söiffenjdjaften üerfjolfen gu I)aben,
inbem er if)r ein be]onbere§ ©ebiet öerfdjQffte, ha§> feine onbere S33iffen=
fd)Qft in ^nfprnd) nimmt, nämtic^ ha^ (Srfennen. „Dbjeft ber (Srfa^rung
finb bie 2)inge, Objeft ber ^^ilojop^ie ift bie (Srfa^rnng, überhaupt
bie 3:^Qtja(^e ber menjc^lic^en (SrfenntniS."*)
S(nbere ttjoüen ber ^^iIojop{)ie im ©egenja^ ju ber 9^aturnjiffenfd)Qft
ha^ ©ebiet ber inneren @rfaf)rnng junjeifen, fie erüären [ie al§ @eifteg=
lüiffenfdiaft. @o 2ipp§ in ben @runbtf)atfad^en ber ^ft)d^oIogie (©. 3).
S(. SiJring bogegen je|t bie ^f)i(ofopt)ie otS bie Unter jud)ung ber
©iiter nnb SSerte ben übrigen 2öiffenfd)aften entgegen, bie fid^ mit bem
SSirftid^en bejdjäf tigen; in feiner pt)iIojopt)ifd)en ©üterle^re (1889) mirb
bie Ülotmenbigfeit biejer Seftimmung burd^ begrifflid^e unb ^iftorifd)e
^etradjtung bargelegt. (Sine ältere, meit üerbreitete 5ln[ic^t, bie auf
gemiffe SBeife ouf 5lri[toteIe§ jnrücEgelit, erftärt bie ^t)itojopt)ie al§ bie
2öiffenfdf)aft öon ben erften ^rin^ipien ober öon ben allgemeinen @runb=
begriffen nnb 95orau§fe^ungen ber (Sin^elmiffenfd^aften.
9}är fdjeinen oud^ biefe $8erfud)e, bie ^f)iIofopf)ie gegen bie (Sin^el^
tüiffenfdjaften abgugrenjen, begrünbeten Sebenfen ju unterliegen. 2Siffen=
fd^aft öom (Srfennen foll bie ^f)iIofop^ie fein. 5tber eine fotd)e 3Siffen=
fd)aft '^at ja löngft einen anberen 9camen: Sogi! ober (Srfenntni§tf)eorie.
SBarum foll fie biefen 9kmen gegen einen anbern öertaufd^en, nod)
ba^u gegen einen, ber fdjon eine onbere unb jmor Weitere 53ebeutung
{)at; benn nadf) bem !^er!bmmlid)en ©prad^gebraud^ ift bie Sogi! ober
(£rfenntni§tf)eorie eine pl^ilofopf)ijd)e SDi^giplin neben anberen. Unb
ba^felbe gilt gegen bie beiben folgenben (Srflörungen. 3)ie Unterfudjungen
über ba§ geiftig=gefdjid)ttid^e Seben pflegen mir im ®egenfa| ^u ben
S^aturmiffenfdjaften ©eifte^miffenfc^aften ^u nennen, unb fo {)eifet bie
*) (5Jeic^id)te ber neueren ^fjifof. III-^ 16. ^fjm fttmtnt 91. Stiehl bei in
jeincr Slntritt^rebe über roi|ienfd)aftlid^e unb nid^toiffenfd^aftlid^e ^^ilof. (je^t aud)
in bem SBerf: ber pl^ilo']. ^ritiji^mug u. f. 93ebeutung für bie pofitiüe 3Bi[fen»
fc^aft II, 2 (5. 1 ff.): unnjiffenfcljaftlicf) ift bie <)3f)itofop:^ie, bie nad) ber 9lrt ber
grie(^ifc!f)en über aüe ®inge räfonniert, tt)iffenfci)aftlid^ bagegen bie «ß^itofop^ie, bie
fid) feit fiocfe neben ben anberen SBiffenfc^aften aU bie 333iffenfcf)aft öom ©rfennen
fonftituiert I)at.
t'a Ulfen, Ciiileitiing. 6. Olufl. 2
18 (Einleitung: SBefen unb SBebcutung bet ^:^iIofop:^te,
Unterfud^ung ber ©üter unb SSerte mit üblid^em Spornen (St^if ober
bilbet einen Xeil biefer SBiffenfc^aft. (£tf)i! aber unb bie übrigen ®eifte§*
tt)iffenid)aften finb nid)t bie ^{)iIofopf)ie, jonbern nod) f)erfömmüd)em
Sprachgebrauch Xeite ber ^f)i(ofopf)ie.
2Bo§ enblic^ bie ©rftörung ber ^^ilofop^ie all SSiffenfc^aft öon
ben ^rin^ipien anlangt, tt)ie fie g. 33. Überweg an bie @pi|e feiner
@efct)ict)te ber ^^i(ofopt)ie fteüt, \o mxh e§ oietleic^t unoermeibüc^
fein, ouf genjiffe SSeife barauf jurücfäufommen. 2)ennoc^ fann man
fie in biefer g^orm nid^t gelten laffen. ^mx\i wegen i^rer Unbe=
ftimmtt)eit: wo ^ören bie ^rinjipien, bie ©runbbegriffe, non benen
bie ^t)iIofopt)ie f)anbeln foü, auf, wo fängt ba§ ©ebiet ber anbern
SSiffenfc^aften an? <Bo\i bie ^f)i(ofop^ie öom Söefen ber SWaterie,
ber ^raft, ber Bewegung, oon 3taum unb ßdi t)anbeln? ^f^un, bann
mu^ fie wot)! auc^ öon ben allgemeinen (Sigenfc^aften ber 9Katerie
unb öon ben allgemeinen ®efe|en ber Bewegung ^anbeln; unb bamit
märe fie benn mitten im ©ebiet ber ^^t)fif. @otI bie ^:^i(ofop^ie
oom SBefen ber (Seele, be§ 2eben§, oon ben '»Prinzipien be§ 9^ecf)t§ unb
be§ (Staates l)anbeln? STber wo ift bann bie ©renge gegen bie ^olitif,
bie 9^ec^t§miffenfct)aft, bie Biologie, bie ^fl^c^ologie ju jie^en? Offen=
bar tann fie nur burd^ SBittfür, nid^t burd) Segriffe beftimmt werben ;
wa§ al§ prinzipielle ^rage anjufel^en ift, toa^» nicf)t, ift (5acf)e be§
zufälligen ©tanbpun!t§. SDie ^ringipien be§ ^fanbrecl)t§ ober bei
2Iutorre(^t§ finb fo gut Prinzipien, all bie bei ®igentuml= ober bei
(Staatlrec^tl. — (Sobonn aber: wo^er foll benn bie ^^ilofop^ie if)re
SSiffenfc^aft um bie Prinzipien nef)men? (Sie fod ben empirifc^en
SSiffenfc^aften, fo wirb gefagt, i^re unbefe^enen (^runbbegriffe erftären.
5(ber wie foU fie zur @r!enntnil biefer ^inge fommen? (5otI fie bie
aJiaterie burct) bie SOlittel ber S3eobacf)tung unb bei ©fperimenti erforfcf)en?
5(ber auf biefem SBege fucfjen ja auc^ ^^t)fif «nb ß^emie bal SSefen
ber Wakxk. §at bie ^t)tIofop^ie feine anberen SlJiittel, fo ift ja
offenbar, \)a% biefe SSiffenfctjaften feine ^fjilofoptjie brauchen, um z^
erfaf)ren, wal el mit ber 9J?aterie auf fidj f)at. Unb burc^ bie Sin*
rebe, ta^ fie baburc^ „bie Stuf gäbe unb bamit bal SSefen unb ben
53egriff einer empirifc^en 2öiffenfd)aft überfdiritten",*) würben fie fic^
*) §arnt§, <ßI)i(oj. Einleitung in bie enct)f(opäbie bet ^^^fi! üon Saroten § 89.
SSer^ältniS bec ^^ilofop^ie ju ben SBiffenjc^aften. 19
fd^lüerlicf) jurüd^alten lafjen; tt)a§ gel^t un§, irürben fie fagen, biefe
öon einem brausen (Stef)enben ganj uniüiUfürücf) aufgerirfjtete ©renje an?
Dber ^ot ^^Kofop^ie einen anbern 2öeg snr @r!enntni» be§ SSejen§
ber ®inge, al§ bie 2öi[fenjcf)Qften'? 3^amit fämen mv auf bie (Sr=
flörung surürf, bie njir eben oerroorfen ^aben. —
5lber tva^ bleibt bann für ein Unterfd^ieb jttjifc^en ber ^f)iIojop^ie
unb ben übrigen 2öifjenfcf)aften? SBenn fie tüeber burd) eine befonbere
3)Zetf)obe noc^ bnrd^ einen befonberen ©egenftanb öon ifjnen unter*
frf)ieben ift, bann muB fie ja mit if)nen gufammenfallen.
Sn ber Zi^at ift bie§ meine Slnfid^t. '^f)itofopf)ie ift üon ben
SSiffenfc^aften nicf)t ju trennen, fie ift nirf)t§ onbereS oI§ ber S n =
begriff alter n)iffenf(^aft(id)en ©rfenntniS. 5tl(e
Söiffenfd^aften finb ©lieber eine§ einf)eit(id)en (St}fteml, einer universitas
scientiarum , beren ©egenftanb bie gefamte SKirüid^feit ift, ®iefe§
nie öoltenbete (Si)ftem, an bem bie Saf)rtaufenbe bauen, ha§> ift bie
^f)ilofop^ie. Sebe 3ßiffenfd)aft erforfd^t einen beftimmten 5Iu§fci^nitt
ober öuerfd^nitt ber SBirfüc^feit; bie ^^t)fif betrachtet bie Söirflic^feit,
fofern fie förperüd^ ift unb gemiffe otlgemeine SSerl^altunglweifen
geigt; bie ^Biologie betrod^tet bie Seben§oorgänge, bie on berfelben
SJJoterie fid^ abfpielen; bie ^ft)d^oIogie betrad^tet haS: S33ir!(idE)e öon
einer anberen ©eite, foforn e§ im Sen)uBtfein für firf) ift: inbem tt)ir
aüe biefe Srtenntniffe in ein§ faffen, um eine 3lnttt)ort ouf bie ^rage
§u geben, n)a§ t§> mit ber 9Sir!(idE)feit überhaupt auf fid^ ^aht, l^aben
mir ^(jilofop^ie.
SDJit einem Silbe: bie SBirflid^feit ift bem SJZenfc^engeifte al§ ein
großes Sf^ötfel aufgegeben. 5tIIe einzelnen SBiffenfd^aften geben 5Be=
ftimmung§ftü(fe; ber ^öerfudj, bie Söfung be§ 9Rätfe(§ au§§ufpred^en,
ben Sd^Iüffet gu bem mysterium magnum be^ 2)afein§ ju finben,
ha^ ift bie ^f)iIofop^ie.
5(uf biefe Stuffaffung fül^rt ouc^ ber @prad)gebraudf). ^^ilofopl^ie
ift nac^ ii)m nid)t eine ©inselmiffenfcfiaft, fonbern ein Inbegriff, ein
Softem öon Söiffenfc^aften. man pflegt Sogif, 9)?etap^^fif, (Stt)if al§
STeile ber ^f)iIofop:^ie ju begeid^nen. Tlaw mufe nur einen ©rf)ritt
weiter gefjen unb fagen: audfj ^f)t)fi! unb S^emie unb 93ioIogie nnb
^o^mologie, furj alle 2Biffenfrf)aften get)5ren jur ^f)ilofopf)ie.
3Jlan mirb einmenben: ift boS ^f)i(ofopt)ie, fo ift fie eine un=
20 (Sinleitung: Sefen unb Sebeutung ber ^^ilojop^te.
möglid^e @ac^e. 3öer luollte biefe 5(ufgabe ü6ernef)men? 2Ber mi3rf)te,
inbem er firf) einen ^^i(ofopt)en nennt, [ic^ ba^n befennen, bo^ er ben
Inbegriff ber n^iffenfc^aftlii^en ©rfenntnis befi^e ober and) nur erftrebe?
9}Jü&te nid^t, ttjer e§ nerjudjte, öon bem 2)i(ettanti$niu§, um mit
SDörtng gu reben, ^rofeffion machen?
Stf) antftiorte auf biefe (Sinwenbung mit einer O^rnge: fte^t e§ mit
irgenb einer SSiffenfcfiaft anber§? @iebt e§ in unferer ^dt einen
dJlann, ber fitf) einen ^£)t)fifer ober ^iftorifer nennen mocfite in bem
©inn, boB er bie ^f)t)fif ober bie ©efdjid^te innef)abe? ©onbern nur
in bem «Sinn mirb er fic^ ben 91amen geben, hal^ er an ber ©rfenntntg
ber DIatur ober ber @ef(i)id)te on irgenb einem ^unft arbeite. 9^un,
in biefem ©inn aflein mirb benn oud^ ber ^^i(ofopf) fagen: er ftrebe,
fo öiel e§ bem 9)ienfd)en gegeben fei, nad) einer (Sr!enntni§ ber
SBirfIid)!eit überhaupt.
S)od) id) möchte, ef)e xd) f)ierauf näf)er eingel^e, gnerft burc^ eine
gefcf)id)t(ic^e Ueberfi(f)t geigen, ha'^ ber eben auf geftellte Segriff
ber ^f)i(ofop^ie t)iftorifc!) ber allein gutreffenbe ift. S)ie Seftrebungen,
lueld^e öon je^er mit bem 9iamen ^^iIofopt)ie begeic^net morben finb,
gingen ftet§ auf bie§ ^id, auf eine ein{)eitlid;e, allumfaffenbe 2BeIt=
erfenntni§. S)urd^ eine gefdjic^tlid^e 9lad)tt)eijung fann freilid) ber
Segriff ber ^^ilofopl)ie nid)t eigen tlid) feftgeftellt merben; bie Segriffe
toon SBiffenf Gräften finb Segriffe oon Aufgaben unb in le^ter 'äh\id)t
alfo tion f)ier aug ju fonftruieren; üielleidjt finb alle bi§f}erigen Ser=
fud^e in bie Srre gegangen ober fud)en eine unmöglidje ©ac^e. Sntmer=
()in fann aber eine foldje gefc^idjtlidje 9^ec^tfertigung uns oor bem Sor=
njurf f^ü^en, baB unfere ßrüärung eine miüfürlidje ^rioatbefinition fei.
2)a§ Söort ^^iIofopf)ie ift griec^ifc^en llrfprung^, unb gttjar ift
e§ nidjt al§ ted)nifd)er Stusbrud in hk SBett gefommen, fonbern gel^i3rt
urfprünglid) bem atigemeinen (Sprad^gebraud) an. ©o begegnet el bem
fiefer §erobot§ in jener befannten 6r3äf)(ung oon ber Segegnung
be§ ©olon mit ^röfu§. Äröfu§ begrüßt ben 3Ü()ener: bae ©erüd^t
t}on feiner 2öei§f)eit unb feinen SBanberungen fei fd)on ju if)m ge=
brungen: ,M^ bu pf)iIofopt)ierenb einen grofien %dl ber (Srbe um ber
Setrad^tung mitten befudjt ^aft." Offenbar ftet)t ha^^ „um ber Se=
trac^tung mitten" ^ier als Srftärung bes Vütsbruds „p^i(ofopf)ierenb";
maö ben ©olon jum „pf)i(ofopf)ifd)en" SBanberer madjt, ift eben ber
gSerf)äItnti ber <ßf)tIofop^te ju ben Sa3i)fenj(f)aften. 21
erftaunlid^e Umftanb, bo^ er auf feinen ßü^en nic^t, tt)ie ber §anbel§-
mann ober ber ßriecjSmann, einen proftifd^en 3^^^ ^^ ^"9^ '^^*-
Sn Q^nüdjem Sinne ttiirb ba^ ifiSort ^tjilofop^ie oon X^ucijbibeS,
3fo!rQte§ n. 2t. ^ur 93e§eid)nung einer allgemeinen ti)eoretif(f)en Silbung,
im Unterfc^ieb öon ber ted)nijd}=praftifc^en, ge6raud)t.*)
SSenn ttjir je^t oon griediifc^er ^^f)i(ofopf)ie reben, pftegen xü'w
nid)t an (5oIon unb bie atlgemeine Silbnng ber 2(tt)ener, fonbern an
jene lange 9?eif)e oon 9Jiännern §n benfen, an beren ©pi^e nac^ alter
Überlieferung ber 9J?iIefier ^f)ale§ ftefjt. SBarum Reifet 3:^ale§ ein
^fjilofopl], unb worin beftef)t feine ^^i(ofopf)ie? 9JJan tonn e§ mit
einem SBort fagen: borin, ha^ er eine allgemeine 2;f)eorie ber SSirflic^-
feit auffteüt: au§ bem Söaffer feien aUe Singe entftanben, in§ SSaffer
fe^rten fie §urüd. (5§ ift eine fet)r einfadje X^eorie, ober eben boc^
eine 2;^eorie, ein erfter SSerfnc^, olle Singe wiffenfc^oftlic^ gu erüären.
So§feIbe gilt oon ben 9Zad)fotgern; nid)t ba§ SBoffer finbet ein 5(nberer,
fonbern bie Suft, ober ha^ ^euer, ober oier Uretemente, ober bie 'jJttome
finb ba§ ollgemeine ^rin§ip ber 2Sirfüd)feit; ber Q^erfuc^, einen foldjen
©ebonfen burc^ bie gange 2öir!Iid)feit burc^^ufü^ren , ha^^ ift bie
^^ilofop^ie be§ |)era!(it, be§ ©mpeboüeS, be§ Semofrit. SSon
befonberen SBiffenfc^often neben ber ^f)iIofopf)ie ift {)ier natürlich nod)
gar nid)t bie Üiebe.
5Der S^iame ^^i(ofopt) ift übrigen^ biefen SO^önnern erft noc^=
träglid^ beigelegt ttjorben, fie würben früt)er SBeife {oocpol, oocpiöral)
ober im befonberen ^toturforfd^er {cpvoioXöyoi) genannt. @rft bie
DJiönner, bie um ben 9^amen be§ @o!rate§ fic^ fommeln, f)oben ben
^Tugbrud jum ©c^ulterminn§ gemacht, ^^pioto unb 5triftote(e§ mit if)ren
©enoffen unb @d)ülern nennen fid) ^f)iIofop^en. 2öa§ bebeutet bo^
SSort nun f)ier? Sei ^toto wirb e§ junädift burd) einen ©egenfo^
näf)er beftimmt, ben ©egenfo^ gum (5opt)iften. SBa§ unterfdjeibet
beibe? Ser (5op:^ift erfc^eint in ber plotonifc^en Sorftellung al§ ein
•) ©teilen bei Überrueg, ©runbrife ber Qf>t\ä)\6)it ber ^^ofop^ie, am
2tnfang be§ erpen SSonbeS. S8gl. oucft bte Tarlegurg beä Segriff^ ber ^^ilofop^ie
unter ben ©ried^en am ©ingang öon geller § @efd)icf)te ber griec^ijd^en ^l^ilofop^ie.
^6) bemerfe nod), ta!^ ic^ über bal 5ßer^ältni§ öon ^^ilofop^ie unb 5lBifjenf(^aft
in bem l^ier feftge^altenen Sinn fcI)on in Sttenariug' Sierteljo^r^ic^rift für ^^i(o=
jop^ie, 93b. I, 15—50 (1876) ge^anbelt ^obe.
22 Sinleitung: SBefen unb 33ebeutung ber ^^Üojop^ie.
dJlaxm, ber qI§ 2BanberIef)rer burd^ bie ©täbte äief)t, um burd) Unter=
ricf)t in allen gur 33ilbung ge{)örigen SSiffenfdEjoften unb fünften,
BejonberS in ber S^tebefunft, ®elb ^u ernjerben. ör t)at qIjo einen
proftifc^en ßtütd im 5(uge, nid^t „um ber ^Betrachtung tüiöen", fonbern
atö |)anbel§mann jietit er burc^§ Sanb, al§ ^anbelsmonn mit SBifjen.
Unb Xük ber 2ef)rer, jo £)at fein (Sd^üler einen praftifc^en 3^^^- ^i^
fauft ha% SSifjen, um baburd^ feine bürgerlirf)e (Stellung, feinen @in=
ftufe, fein SSermögen gu me'^ren. 2)er ^^ilofopl) bagegen ift retner
Setrad^ter ber ®inge, er treibt fein ©emerbe unb ']üd)t feinen ©eminn,
bie 6rfenntni§ ber ^inge ift fein einziger ^rvtd. ©ofrateg ift ha^'
t^pifd^e 35orbiIb; bie 2Saf)rl)eit fucEjen unb Srrtum unb @(f)ein jerftören
ift feine SebenSaufgabe; feine O^reube ift, geliebte Jünglinge in freiem
inteUeftuellen 23erfef)r gu gteid)em «Streben ^u entjünben. ®abei
liegt etmas üon fofratifcl)er S^onie in bem Slusbruc!: bie ^rotagora^
unb ©orgiaö laffen e§ fic^ gefallen, SBeife {oorpol, aocptorai) §u
l)eiBen, ©o!rate§ unb feine Süuger lel)nen e§ aii, für Sn^aber ber
3Beill)eit ju gelten; 2iebl)ober ber 3öei§l)eit ift ein njeniger anfprud^^»-
öoüer yiamt.*)
®a§ 35erl)äÜni§ ber ^l)ilofDpl)ie ^ur 2Siffenfcf)aft bleibt auc^ in
biefem Äreife ba§ alte; fie ift and) l)ier ber eint)eitlicl)e i^nbegriff aller
mal)ren (£rfenntni§. ^Die SSiffenfc^aften finb nid^t aufeer unb neben
il|r, fonbern al§ ©lieber in if)r. ^lato {)at feine f^ftematifd; burd)*
gefül)rte ©lieberung ber SSiffenf Gräften; er benft über aüe 2)inge, über
bie 9iatur ber Äörper, bie ©eftalt be§ Äosmog, bas SSefen beg (Staats,
ber (Seele, ber £uft, ber Siebe, ber D^ebefunft, ber @rfenntni§: ha^
aüeS ift feine ^f)ilofopf)ie. Sir ift o tele § l)at guerft aüe. (SrfenntniS in
gäc^er georbnet unb bie einzelnen f^ftematifd^ abge^anbett, bie Sogif,
bie ^^tifif, bie ^ft)d^ologie, bie ÄoSmologie, bie ßoologie, bie 'SRtta-
*) 93etbe SJJomente fül^rt bie Überlieferung übrigen? icf)on auf ^t)tl^agora§
jurücf. (Sr joE §uerft, ben Siamen eine? SBeifen able^nenb, fic^ einen 5ß^iIoio|):^en
genannt :^aben: 9?iemanb fei Jtieife, all ®ott; unb jugteict) bie SBürbe be? $^iIo=
foppen in bie reine 93etrad^tung gefegt f)aben: „Sa? Seben gleid^t einem geft*
fc^aufpiel ; gu fold^em fontmen bie Ginen, um an ben SBettfämpfen fid^ ju beteiligen,
bie ?Inbern, um §anbel gu treiben, bie Seften at? Qu\ö^aüet. ©benfo im 2eben;
bie gemeinen Staturen ge^en auf bie Qaqb naö) 9tuf)m unb ®elb, bie ^ß^ilofop^en
nac^ SSo^r^eit." (93ei 2)iogene§ Saertiu?, Prooem 8; VIII, 1, 6.)
SSer^ältniS ber ^^itofopf)ic gu ben Saäifjenjd^often. 23
p^ilfif, bie @tf)if, bie ^oütü, bie Öfonomif, bie fRet^orif, bie ^oetü:
fie bilben in if)rer @ejamtl)eit fein pl)itojopf)i](^e§ @t)ftem, unb auBer=
{)alb ber ^t)i(ojop^ie giebt e§ feine SBiffenfd)Qft im eigentlidtjen ©inn.
SDenn @ejc^id)te i[t feine Söiffenjc^aft, afle SBiffenfrf)aft f)Qt e§ mit bem
Slügemeinen ober mit Segriffen ju t|nn. Unb 9J?atf)ematif tritt ha^
burcf) in gettjiffer SBeife Qn§ ber Üieilje f)erau§, baB fie ni^t, menigftenä
nid)t unmittelbar, bog SSirflid^e jum ©egenftanb l^ot.
2)a§ ift bie Sebeutung be§ SSorteS ^^ifofop^ie auf bem Soben,
Jüo fie urfprüngüd^ tjeimifd) ift: bie S^lic^tung auf uniüer feile (Sr=
fenntniä unb bie rein tl)eoretifd^e Slbfic^t finb if)re mefentlidjen
9JJerfmate. ^f)iIofopf)ie ift (Selbftjttjecf, nic^t 9J2itteI ju einem aufeer
if)r liegenben Qmcd. Unb gmar, fo fügen ^^toto unb 2(riftoteIe§ f)in§u,
ber le^te unb Ijödjfte Qwtd, benn in ber ooUenbeten (SrfenntniS be§
©eienben erfüüt ber SOJenfd) feine natürlictje ober göttlid^e 33eftimmung:
al§ Setrarf)ter unb SluKeger feiner Söerfe l^at @ott if)n in bie SSelt
f)inein gefteüt.
Sn ber fpäteren Qtxi tritt im Segriff ber ^f)iIofopt)ie mel^r unb
mef)r ein ©lement ^eroor, ba'i^ if)m übrigen^ nie fremb mar: ^f)iIofop^ic
tnirb jur Seseidinung für bie (Srfenntni§ ber legten ßebeng^mecfe unb
für bie t)ierburd^ beftimmte ©inne^ri^tung unb 2eben§füt)rung, bie
be§ SBeifen. 5Do(f) bleibt babei ta^ ÜJZoment ber uniöerfeüen (£rfennt=
ni§, ber (Sinfirf)t in bie 9ktur ber 2)inge überhaupt unb be§ $IRenfd)en
im befonberen, bie n)efentlicf)e Sorauöfe^ung.
®a§ 9J?itteIaIter ^at, in ben ©puren be§ 5lriftoteIe§ gef)enb,
an biefem Segriff ber ^f)itofopt)ie oI§ ber (£inf)eit ber n)iffenfc^aft=
lid^en (grfenntni§ feftgefjolten. (£r ift aud^ in ber S^eu^eit bi§ ^um
Stnfang biefe§ 3o^rf)unbert§ in unöeränberter Geltung geblieben, ^ür
bie 9fieu§eit ein paar S'Zad^meifungen.
ßwei SOZönner pflegen an ber ©pi^e ber neueren ^l^ilofop^ie atl
Urf)eber ober al§ erfte Sflepröfentanten ber beiben großen burc^ bie
ganje golge^eit f)inburc^gef)enben Ütic^tungen genannt ju merben: ber
(Sngtänber ^^ranci^ Sacon unb ber t^ranjofe 9iene SDe§carte§.
tiefer ift ber Segrünber ber rationoliftifd^'-metapfitififc^en, jener ber
Vorläufer ber empiriftif(f)=pofitiöiftifc^en (Sntmicfelunggrei^e. Sn beiben
fRei^en bleibt bie ^luffaffung oon bem Sßer^ältniS ber ^^i(ofopf)ie ^n
ben SSiffenfdfjaften biefelbe.
24 Sinteitung: SBefen unb 93ebeutung ber ^^tlofop^ie.
iBacon unter jd^eibet ^iftoriirfie unb p^iloiop^ii'd^e ober triffeu=
fd^oftlicfje @rfenntni§; jene gef)t auf ha§: ^onfrete unb Ginjelne, ^^^iIo=
fopf)ie ober SSiffenfci^Qft bagegen I)Qt e§ mit allgemeinen Segriffen ju
tt)un; jene entfpringt au§ bem ®ebäd^tni§, bieje ift bie gunftion ber
SBernunft. S)ie "iptjiloiopfjie ober 3Bifjenjd)aft teilt er bann, nac^bem
er noc^ bie injpirierte ^^eologie al§ eine befonbere örfenntni^art ab=
gefonbert l^at, entfpredjenb ben brei £)bje!ten be§ 33erftanbe§, @ott,
S^latur, SJienfc^ in brei ßmeige: natürliche 3;l)eologie, SIntljropologie
(pf)Qfifcf)e mit SOiebi^in, unb pft)d)if(^e, morunter bie öJeifteSroiffenfcfiafteu
überfjaupt begriffen finb) unb 9iaturpt)ilofopl)ie.*) ®ie (Einteilung, fo
unplänglicf) fie fonft fein mag, geigt ouf jeben %aü, boB Sacon alle
n)iffenidjaftlid)e @r!enntni6 unter ben 33egriff ber ^l)ilofop:^ie gu bringen
t)orl)at. ?tuBert)al6 bleibt nur bie (55efd)ic^te (unb bie 2)icf)tung), eben
barum, loeit fie nic^t SBiffenfdjoft ift.
@an§ ebenfo umfaßt bei 2)e§carteg ber Segriff ber 'ip§ilofopl)ie
alle miffenf(i)oftlic^e (Sr!enntni§. Sein fi)ftematifcl)e§ ^auptmerf füljrt
ben ^itel: Principia Philosophiae; e§ entl)ält im erften Surf) eine
furje 5lb^anblung ber er!enntni§tt)eoretifc^en unb metap^t)fif(^en fragen,
im groeiten bie ^ringipien ber mec^anifc^en ^'^t)fi!, im britten bie
Kosmologie, im Gierten eine Üiei^e oon p^t)fifatifrf)en, c^emifc^en, pf)t)fio=
logifrf)en ©rflärungen. Sßir mürben ein berortige§ SSerf üielleirf)t am
erften eine (gnct)!lopöbie ber 9Zaturmiffenfc^aften nennen. 3n ber 35or=
rebe erflärt er felbft bie ^^ilofopljie al§ ben Inbegriff ber menfc^lirfjen
2öiffenfrf)aft. 5Il§ i£)re ^auptteile nennt er 1) bie äRetapf)t)fif, 2) bie
^^t)fi!, 3) bie terf)nifd^en 3Siffenfrf)aften, borunter im befonberen bie
ajJebiäin, bie 2«ed)anif, bie (Stf)if.**)
*) De dignitate et augmentis scientiarum II, 1: historiam et expe-
rientiam pro eadem re habemus, quemadmodum etiam philosophiam et
scientias. — — Historia proprie individuorum est — philosophia individua
dimittit, sed notiones ab illis abstractas cotnplectitur. — III, 1 : pbilo-
sophiae objectum triplex: Deus, Natura, Homo. Convenit igitur partiri philo-
sophiam in doctrinas tres: doctrinam de numine, d. de natura, d. de homine.
**) Philosophiae voce sapientiae Studium denotamus, et per sapientiam
non solum prudentiam in rebus agendis intelligimus, verum etiam per-
fectam omnium earum rerum, quas homo novisse potest scientiam.
Philosophiae prima pars Metaphysica est, ubi continentur principia cognitionis,
altera pars est Physica, in qua inventis veris rerum materialium principiis,
SSer^ältnii ber ^^ilofo^jl^ie ju ben SBiffenjd^often. 25
2)ieje 5(u[faffung ber ^fjilofop^ie bleibt in ber ^^olgejeit in ben
beiben ©ntmicfelungSreifien unüeränbcrt. Scf) greife ein paar Seijpiele
{jerauei. Xf)oma§ §obbe§ erf(ärt am ©ingang feiner Sogit bie
ipf)iIofopf)ie at§ bie hnxd) rid)tige§ 2)enfen abgeleitete (Srfenntniö ber
SBirfungen ober @rfd)einnngen au^ i{)ren Urfad)en. S^r ^ki ift, ttjie
bei ^acon unb ®e»carte§, bie ^errfd^aft über bie ^Dinge ju unferen
3tDecfen: scientiam propter potentiam. ^^xz ^^auptteile finb: bie
9JJatf)ematif, bie DJaturiüiffenfdjaft, bie eigentlich erft mit Gopernicu»,
©alilei unb ^oroei) beginnt, unb bie philosophia civilis, bie nicf)t
ölter fei, a(§ fein S3ud^ de cive. DZidjt ^ur ^^ilofopt)ie get)ört bie
Stbeotogie, natürlidie unb geoffenborte, unb bie ®efd)idjte, 9laturgefcf)ic^te
wie poIitifrf)e ®efcf;id)te, aU hjeldje alle nic^t SBiffenfd)aften finb.
(Sbenfo braud)t Sot)n Sode ha^ SBort ^f)iIofopt)ie aB g(eid)be=
beutenb mit 2Biffenfd)aft. 2l(§ itjre ^auptgiueige bejeid^net er: Physica
ober natural philosophy, Practica, beren §auptteit bie @tt)if, Seraiotica,
bereu mid)tigfte§ ©tüd bie Sogif. *) 2)aB audj er bie 9^aturpt)i(ofop]^ie
für ta§> eigentlid^e ^auptftüd ber ^^itofop^ie ^ölt, get)t au§ bem 33or=
mort p bem „SSerfud; über ben menfd^üd)en ^erftanb" beutlid; genug
■fieröor: fein S^rgeij ge^e nur barauf, a(§ ein .^onblonger allerlei
©d^utt öon bem Soben gu entfernen, auf bem 9}?eifter roie 33ot)(e,
@Qben()am, §m)gl)en§, DJemton if)re bauernben 33aun)erfe auffüf)rten.
SDerfetbe (Sprod)gebraud) ift in ben Greifen ber efa!ten ^orfd^ung
^eimifd^. 9kn)ton nennt fein 2öerf: Naturalis philosophiae principia
mathematica. SDer 9Jiatt)ematifer 3ÖatIi§ fpridjt in einer ©c^rift Dorn
Sahire 1696 über bie ©rünbung ber ^önig(id)en @efellfd)aft ber SBiffen-
fd^aften: „Unfer ©efd^äft n)ar, mit 5(u§fd)luB ber ttjeologifd^en unb
poUtifd)en 5tngetegenf)eiten, p'^iIofopf)if(^e g^orfd^ungen unb maS bai)in
gei)ört, ju befpred^en, nömlid) ^{)i)fif, Stnatomie, Geometrie, ^(ftronomie,
9lautif, ©tatü, ä)Jagneti§mu§, St)emie, 3}?ed)anif unb naturn)iffenfd}aft=
generatim examinatur, quomodo totum Universum sit compositum, deinde
speciatim, quaenam sit natura hujus terrae, aeris, aquae, ignis, magnetis et
aliorum mineralium. Deinceps quoque singulatim naturam plantarum,
animalium et praecipue hominis examinare debet, ut ad alias scientias
inveniendas, quae utiles sibi sunt, idoneus reddatur, — — quae ad tres
praecipuas revocantur, Medicinam, Mechanicara atque Ethicam.
*) Essay on human understanding, IV, 21. ^m SSorwort l^eifet e^:
philosophy, which is nothing but the troe knowledge of things.
26 Einleitung: SCßefen unb 93ebeutung bet ^t)iIofop^ie.
lic^e (Syperimente. 2ötr bejprac^en ben Kreislauf be§ SIut§, bie S8enen=
ÜQppen, bie fopernifanifc^e §l)pot^eje, bie ^J^atur ber Äometen unb neuer
©lerne, bie 2;rabanten be§ Jupiter, SSerbefferung ber gernrofjre unb
©cfjteifung ber ®(äfer gu bie[em ßttiecE, bo§ ®en)id}t ber ßuft, bie
9}Jöglic^feit ober Unmijglid^feit be§ vacuum unb be§ horror vacui unb
anbere @Q(f)en, bie in bem S3ereid^ ber, tt)ie man bamalS fagte, „neuen
^f)iIofopf)ie" gehörten, bie jeit ben ß^iten be§ Florentiner^ ©olilei unb
be§ (Snglönberg S3aco oon Sßerulam in Italien, ^ranfreic^, j[)eutfd)Ianb
unb Quberen Xeiten be§ 5(u§(Qnb§ öielföltig angebaut föorben i[t, ebenjo
tt)ie and) bei un§ in ©nglanb."*)
Sn gteid^er SSeife i[t ber alte S3egri[f in ber fontinentaten
^f)itofopf)ie, bie bem S)e§carte§ ot§ g^ü^rer folgt, geblieben, ©pinoja
öer[te!)t unter einem (Stiftern ber ^t)iIofopf)ie ha§> einljeitticfie ©t)ftem
aüer tt)iffenfc^aftlict)en ®rfenntni§, bo§ ber ein^eitlicf)en 2Sir!Iid)feit,
Natura sive Deus, entfpric^t. ©ein ^auptujer! nennt er nid^t
©t)ftem ber ^£)iIojop^ie, fonbern Ethica, n^eil ber eine ^auptämeig
ber ^i)i(ofop^ie, bie philosophia naturalis, barin fef)It ober nur mit
einigen Sel)nfä^en im 2. 53ucf) ongebeutet ift. ßeibnig, ber auf
allen Öiebieten ber miffenfd)oftIi(^en 3^orf(f)ung, ber gefc^id)t(i(i)en
Cluellenforfcfiung, n^ie ber 9)?at^emati! unb ^^^fi! t)eimifd) ift, !^at üon
ber abfoluten ©eftatt ber 3Biffenf(^aft ober ber ^f)iIofopt)ie ganj bie=
felbe SSorftellung raie ©pino§o; er benft fie fid) al§ ein bemonftratioeS
@t)ftem, in bem mit Segriffen oermittelft eine§ 3^ic§enfl)ftem§, öf)nlid^
Xük in ber 5trit^metif, gered^net mirb. Sn biefem ©inne rebet er
einmal bon einer Encyclopedie demonstrative.**)
G{)r. SSoIff, ber bie moberne ^f)iIofop^ie juerft in ein fd)ul=
mäßiges ©i)ftem gebradjt t)at, beginnt feine 31bt)anblung über boS
SBefen ber ^f)iIofop^ie am ©ingong ber Sogi! mit ber Unterfd)eibung.
ber f)iftorifc^en unb pt)iIofop{)ifcl^en (Sr!enntni§: jene giebt ha§ SBa§,
biefe ha^ SSarum: cognitio eorum, quae sunt vel fiunt, historica,
cognitio rationis eorum, quae sunt vel fiunt, philosopbica dicitur.
SSer bie bIo|e Srt)atfad)e (nudam facti notitiam) mi% ha^ ha^
SBaffer im gluBbett abmört§ fliegt, f)at eine !^iftorifd)e ©rfenntnig;
*) Sitiert bei §ujlet), «Reben unb Sluffä^e, beutfd) ü. 5r. ©c^uläe, ©. 3.
**) Opera philos. ^^erou^geg. öon Q. @. ©rbmann, ©. 169.
SSerfjältnt^ bn $:^itofopt)ie gu ben SBiffenjdöoften. 27
eine pl)iIofopt)iid[)e bagegen, tuer ba tüeife, bo^ bie§ burtf) bie S^Zeigung
be§ 33oben§ unb ben 5)ruc! ber oberen SSofferteile auf bie unteren
bewirft tt)irb, 5l(§ britte @rfenntni§art fügt er bie mQt{)emQtif(i)e
t)in3u, bie bie @röBenoert)ättniffe beftimmt. S)ie ^^ilofop^ie üerwertet
übrigens and) bie f)iftorif(^e uub matf)ematifcf)e (SrfenntniS. — ^m
britteu Kapitel n^irb oon ben ^auptteilen ber ^f)i(ofop[)ie gefjQubelt;
it)rer finb brei: bie nQtürIirf)e STtjeoIogie, bie ^jt)tf)oIogie, bie "i^titifi!;
njo^u brei 9iormn)iffenfcI)afteu fommen: bie Sogif, bie prottifrfie
^I)iIofop^ie in Slulet)nung an bie ^fi)rf)otogie, bie Technologie in %n=
Ief)nung an bie ^^l}t)fi!. ^ier^u fommt nodj bie Ontotogie als bie
2öiffenf(f)aft oon ben allem ©eienben gemeinfamen Seftimmungen.
9)?an fie^t, überall bilbet bie 9^aturtt)iffenfd)aft ben einen großen
^auptteil, ja bei mand)en i[t fie bie eigentlici^e ©ubftauä ber ^^ilofopf)ie;
unb überall ift i^re (SrfenntniSart bie eigentlid^e g^orm ber luiffen^
fc^aftü(f)=pt)iIofopt)ijd)en 6r!enntni§ überhaupt. ®ie ®eifte§iüiffenfct)aften
f uc^t man nacf) i^rem ^orbilb jur SSiffenfc^aft gu erf)eben, mie e§ 5. 33.
SDatjib §ume in feiner „Stb^anblung über bie menfd^Iidje Dtatur" fid^
fc^on auf bem %xid auSbrüdticf) a(§ ^id fe^t.
5turf) bem 19. Qa^rtjunbert ift biefe ^etradjtungSttjeife nic^t
fremb geworben, in (Snglanb unb g^ranfreicf) ift fie gett}öt)nli(f) ge=
bUeben. Sd^ erinnere an bie philosophie positive 21. ßomte'S
unb an ha§> @t)ftem ber ft)ntf)etifct)en ^^iIofopt)ie Herbert (Spencer' S.
^ür ßomte ift bie ^t)iIofop'^ie ber @ubftan§ nad^ nid^t oerfrfjieben
oon ben SSiffenfct)aften, fie ift ha^ unioerfeüe Sertiufetfein über Qn=
ftanb, (Snttt)ic!elung, ^id unb SJJet^obe ber tt)iffenfc^aftlid)en gorfrfjung
in if)ren üerfdE)iebenen 3^^i9^"- ^^^ fc^"^ befonbere Slufgabe be=
trad)tet ßomte, bie SSiffenfd;aft oon ben f Opiaten ^^pnomenen gut
«Stufe ber pofitioen 2Siffenfd)aft übergufüfiren, weld^e für i>a^ ©ebiet
ber aftronomifd^en, pt)t)fifalifd)en, c[)emifd)en, pf)QfioIogifc^en ^f)änomene
öon ben Ölaturwiffenfdiaften fd)on früher erreidit ift; eS ift baSfelbe
3iel, baS fid) fdjon §ume für bie @eifte§tt)iffenfdjaften geftedt l^atte.
— Unb offenbar ift ©pencer'S f^ntl^etifc^e ^t)iIofopf)ie im ganzen unb
großen nac^ bemfelben @cf)ema angelegt, ©r erüärt ^t)itofopf)ie als
bie le^te unb {jödjfte @int)eit tt)iffenfd^aftüd)er ©rfenntniS: „SSiffen
ber niebrigften 2(rt ift nod^ nid)t oereint)eitlid)te (SrfenntniS, SBiffen»
fdjaft ift teilroeife oereinf)eitIic^te (SrfenntniS, ^t)iIofopf)ie ift ooßfommen
28 Einleitung; SBefen unb 93ebeutung ber ^t)iIo)op^ie.
t)erein'^e{t(i(f)te (Srfenntni§."*) SSenn unter ben Xtxkn be§ 8t)ftem§
neben ber ^f^d^ologie unb Biologie nid)t and) bie ^f)t)fi! oorfommt,
\o erflärt ber ^erfaffer bie§ fetbft für suföüig.
@r[t \)a§> neungel^nte 3af)r^unbert l^ot in bie fiebere Überlieferung
SSerwirrung gebradjt; in ©eutjd^Ionb ift e§ jeitnjeilig ju einer 2Iuf=
faffung ber ^f)iIo]opf)ie gefommen, bie fie öon ber SBiffenjc^aft ööllig
trennte, ja if)r gert)iffermQ^en entgegenfe^te.
®ie Slbn^eid^ung beginnt mit ^ant; feine Unterfd^eibung öon (Sr=
!enntni§ a priori unb a posteriori ift ber 2tu§gang§punft. Unter
jener üerfte^t er @rfenntni§, ujetd^e bie SSernunft rein au§ fic^ felber ju
fd^öpfen üermag, tt)äf)renb jur le^teren (Srfa^rung ^injufommen muB.
S)afe e§ foldje a priori gett)iffe ©ä|e, bie bennod^ objeftiüe @üttig!eit
f)Qben, giebt, ift ber eigenttidje ©egenftanb ber 33en)ei§fü^rung in ben
erften beiben großen ^bfdjuitten ber Äritif ber reinen 35ernunft, ber
Stftf)eti! unb ?{nalt)tif. S(m (Singang ber ^{)t)fi! begegne man, fo meint
^ant, berartigen Sälen, 5, 33. bie Quantität ber Wlatmt öeränbert fid)
nid)t, bie 2Bir!ung ift bei ber 33emegung§übertragung ber Urf ad^e
gleid) u. f. f. Sine ft)ftemotifd)e ^Darftellung aller (Srfenntniffe a priori
Wäre nun ba§, tt)a§ man SD^etapf)t)fif ober '»p^ilofop^ie im ed^ten unb
eigentüd)en (Sinne nennen foüte. S)er Umftanb, „ha'^ biefe Unterfdjeibung
ber jroei ©lemente unferer (£r!enntni§, bereu bie einen ööllig a priori
in unferer ©eujalt finb, bie anberen nur a posteriori au§ ber {Srfaf)rung
genommen lüerben fönnen, felbft ben Senfern öon ©emerbe bi§t)er fet)r
unbeutüd) blieb,'' l)abe fo lange bie richtige Slbgrenjung ber ^t)i(ofopf)ie
gegen bie empirifd)en äöiffenfc^aften öerf)inbert.**)
S)amit ift benn bie ^^iIofopf)ie jum erften Tlal ifjrem S3egriff
nac^ öon ben SBiffenfc^aften loggelöft unb auf fic^ geftellt. greilic^
tt)ar e§ nun gar nid)t ^ant§ SJJeinung, ha"!^ biefe apriorifd^e ^^ilofop^ie
bie eigentlid)e Summe unferer ©rfenntniS entf)alte unb gegen bie
empirifd^en SSiffenfdjaften f)od^mütig §u fein Urfad)e ()obe. Snt @egen*
teil, eigentlid) enttjalten bie @ä|e ber „reinen 9^aturmiffenfc^aft" für fid^
uod^ gar feine @rfenntni§ ber SBirflid^feit; e§ finb ajiomatifc^e ©ä^e,
bie erft baburd), ha'^ fie gur 33egreifnng be§ gegebenen 9J?annigfaItigen
ber (Smpfinbung bienen, Sebeutung unb (£rfenntni§n)ert erf)alten; of)ne
*) ©tjftem ber j^nt^et. «ßf)tIoj. (beutfd) öon SSetter) 93b. I, § 37.
**) ^ttil ber reinen Vernunft, SJJet^obente^re, 3. §aupt[t.
S?er^Itni§ bet ^^ilofopl^ie ju ben SBiffenjc^aften. 29
btefe§ blieben fie leere ©djemoto einer möglicfjen @rfaf)rung. @§ i[t
gerabe ^Qnt§ ?Ibfid)t, bie reale ober tronfcenbente 9JJetQpt)t)fif, bie rotio^
nale j£f)eoIogie, Äo^mologie unb "^ji)d)otogie SBotffS, burc^ feine ^ritif
5u nernic^ten unb eine bloB formale 9JZetapt)t)fi! on if)re <5telle gu jeljen.
5Iber n)a§ bie @ej(f)id)te fo oft jeigt, trat and) f)ier ein: oul=
gcfprodjene ©ebanfen t)aben SBirfungen unb ©d^idfale, bie oon ber
5(bfid)t be§ Urf)eber§ nic^t abf)ängig finb. 5lont tt)urbe wiber feinen
Söiflen ber 3?ater ber fpehilatiöen ^{)iIofopI)ie. 2lu§ bem ^'antifd)en
©runbfal;, ba^ bie g^ormen be§ ®enfen§ äugleid) ©efe^e ber ^f^atur
iibert)aupt al§ be» Inbegriffs ber ©rfdjeinungen finb, entraidelte fic^
jene ^f)i(ofopt)ie, bie au§ ber DZatur be§ SSorfteHenS bie ganje SSelt,
9iatur unb @efd;id)te, burd) immanente, bialeftifd^e 33egriff§enttt)idelung
abzuleiten unternat)m. (S§ ift ber gemeinfame @runbd)orafter ber
^^ilofop^ien 3^id)te§, @d)eUing§, |)egel§, bafe fie burd) ein neues ^er=
fahren rein begrifflid^en ^enfenS, unabJjängig oon ber (Srfat)rung unb
ben empirifdjeu SBiffenfdjaften, ein ©tiftem abfoluter ©rfenntniS ber
2Birf(idjfeit f)eroorbringen ju fönnen überzeugt finb. „2)ie 3Siffen=
fc^afteleljre," fagt g^ic^te,*) ,. fragt fc^Iec^terbingS nid)t noc^ ber @r=
fat)rung unb nimmt auf fie fd^Ied^terbingS feine Üiüdfid^t. ©ie mü^te
n)at)r fein, rnenn eS auc^ gar feine ®rfat)rung geben fönnte unb fie
ipäre a priori fidjer, ba'& alle mögliche fünftige (Srfa^rung fi(^ nad)
ben burd) fie aufgefteflten @efe|en würbe rid^ten muffen." ©benfo
erflärt er am Eingang ber @runb§üge be§ gegennjörtigen ßeitalterS,
„h^^ ber ^f)iIofopf) of)ne 9^üdfid)t auf irgenb eine (Srfafjruug unb
fd)Ied)tf)in a priori fein ©efdjäft (t)ier bie ^onftruftion ber @efd)id;te)
treibe unb bie gefamte ^dt unb oüe möglid)en @pod;en berfelben
a priori muffe bef (^reiben fönnen."
Su gleid)er Sßeife, lüie g^id^te bie @efd}id)te a priori bebu^iert,
fonftruiert ©djetting bie Statur a priori, inbem er gelegenttid^ gegen
bie „blinbe unb ibeentofe 5lrt ber 9Jaturforfd^ung, bie feit bem 5yer=
berbeu ber ^f)ilofopI)ie burdj 23acon, ber ^f)t)fif burd) 58o^Ie unb Diemton
allgemein fidj feftgefe^t I}at", feinen ßom auSläBt.**) Sn ^egel
erreidjt bie fpefulotiöe ^f)iIofop^ie if)re SöoHenbung; bie gan^e S[öirf=
Iid)feit mirb uou i^m au§ ^Begriffen fonftruiert; 3Birflid)feit unb 3Sa^r=
') ®runbrife t>c§ (StgentümUd)en ber 2Biiienf(()aft§Ief)re § 1.
*) Sbcen äu einet $^ilof. bec Vlatnx (1797), 3Ber!e, I. ^2lbt., II. 70.
30 ©inicitung: SBejen unb SBebeutung ber ^^ilofop'^ie.
f)eit fallen in feinem (Sijftem ^ufammen. ^Daneben ftef)en bie empirifc^en
SSiffenfd)Qften; nic^t ex principiis, au§ bem 33egriff, fonbern ex datis,
burd) äuBerlic^e ^unbe, fammeln fie allerlei Kenntnis be§ Singetnen.
SDie eigentliche (Srfenntni§ ber 2BirfIi(f)!eit ift bie pf)iIofop{)ifd)e; if)re
g^orm, bie biaieüifdje Segrifflentmicfelung, ift ni(^t§ anbere§ ot§ bie
fubjeftioe 2öieberf)o(ung be§ objeftiüen ©ntttjidelungSprojeffeS ber Sbee,
ha^ ift ber Sßirflic^feit felbft.
9^oc^ nie f)ütte bie ^f)ifofopf)ie eine fo ftolge Sprache gefütjrt.
Sßöüig auf fic^ felbft rufienb, ^atte fie bie SSiffenfdjoften, beren fie
früfjer al§ it)rer Drgane fid) bebient f)atte, nunmet)r au§ bem ^ienft
entlaffen, fie beburfte itjrer nic^t me^r, fie ^atte jenen „fönigüdjen
2öeg" jur (Sr!enntnig entbedt, unb brachte nun felbft au§ fid^ f eiber
bie abfotute (Srfenntnil ber Singe juftanbe. Ser alte Segriff ift atfo,
wenn man tüiH, and) {)ier er()alten: ^^iIofopf)ie ber Inbegriff aller
eigentlid) niiffenfdjaftlidien (SrfenntniS; aber mit einem Unterfd)ieb:
frül)er get)örte bie njiffenfc^aftlidje g^orfd)ung, befonberS bie natura
tt)iffenfd)aftlid)e, baju, je|t mar fie al5 ein oormiffenfd)aftlid)e§ 58er=
fahren au§gefd)ieben.
Snbeffen, tk Slüte ber fpefulatioen ^^iIofopl)ie mar nid)t oon
langer Sauer. @eit ben brei^iger ^a^t^en nal)m i^r 5lnfef)en rafc^ ab
unb anlegt fiel fie unb mit il)r alle ^l)ilofopt)ie in tieffte 35erad)tung.
©§ mirften manche Urfac^en §ufammen, i^ren ©tur^ fo plö^Iic^ unb fo
tiernic^tenb ^n mad)en. (gntfc^eibenb mar boc^ bie gegenfä^lic^e (Stellung,
meldte fie felber ju ber miffenfd§aftlid)en gorfc^ung eingenommen ^otte.
9fiatur= unb @efd)ic^t§forfd^ung, beibe feit ben ^man^iger Sal)ren in
fräftigftem 2öoc^§tum begriffen, entzogen ber fpefulatioen ^Ijilofop^te
mel)r unb mef)r Sic^t unb Öuft, ha§: ^ei^t Sßertrauen unb Seilnatime
be§ ^eranmad)fenben @efd)le(^t§. Unb biefeS öergalt nun ber ^l)ilo=
fopt)ie alle bie @eringfd)ä|ung, mit ber oon ber (Spefulotion bie
miffenfc^aftlic^e gorfc^ung gelegentlid) mar Uhad)t morben: ^l)ilofopl)ie
fei gar nid)t SBiffenfd)aft, fei übert)aupt feine ernftl)aft ju nel)menbe
Saä)t, fonbern eine fop^iftifd)e gertigfeit, oon ben Singen im all=
gemeinen mit einem gctt)iffen @d)ein oon @inn unb $ßernunft gu reben,
eine ©auflerfunft, burc^ 9J?ifdjung oon allgemeinen S^egriffen allerlei
bunfle unb tieffinnige örafelfprüc^e äuftaube ^u bringen, ^um (Srftaunen
für müßige 2eute.
SSer^ältniä bet iß^ilofop^ie ju ben SBiffenjd^often. 31
@o mar bie ^f)iIofop^ie in einer betrübten Sage. 3^ren alten
93efi|, ben Inbegriff miffenfdjaftlic^er (grfenntni§, f)atte fie beifeite
gelegt, um einem ^öf)eren nad^^ujagen, ber reinen @rfenntni§ a priori.
:3e^t war i^r biefe mitfamt ber bialeftijc^en 9}Jetf)obe ätt)ifd)en ben
g^ingern verronnen. SSie ber t^unb in ber g^bel, ber narf) bem
©cfiatten fc^nappenb, bo§ i^ki']d), ba§ er jnjifc^en ben ßö^nen ^atte,
oerlor, ftanb fie nun ha unb f)atte nichts. 3Sa§ tf)at fie in biefer
Sage? 2)a§ (gebotene ttJöre gemefen, bie fpefulatiöe ^f)i(ofop^ic al§
eine epifobifd;)e 3rrfaf)rt ju be^eic^nen unb auf i^ren alten Segriff
jurücfjugetien. SD^ufete ber 5(nfpruc^ aufgetjoben n^erben, bafe fie ein
befonbere§ 95erfaf)ren, bie erfenntni§ ber 3SirfIicf)feit §u gewinnen,
befi^e, fo mor bamit bie S^tüdfetir §u ber alten 5Iuffaffung oou i^rem
Söer^ältni» gu ben Söiffenfi^aften geforbert.
@ie t:^at e§ nidjt. Unb bie Urfarf)e liegt nic^t fern: it)re i8er=
treter fanben nic^t ben SJJut, gu bem alten 53egriff jurüdgufetjren,
er fc^ien allgu fc^mere, ja unerträgti(f)e SSerpfIid)tungen aufjulaben.
Schienen fie boc^, wenn fie ^f)i(ofopt)ie al§ Inbegriff ber wiffen^
fd^aftüd^en (Srfenntni§ erflörten, bomit jn fagen, bafe fie in if)rer
^erfon fo etwal befäfeen. Unb wer fjätte fid) bem ^of)ngeIäd)ter au§=
fe|en mögen, \)a§> fotc^e S3ef)auptung l^eröorgerufen f)ätte?
5rül)er war ba§ anber§ gewefen. ^ie gried)ifd)en 'iptiilofopfien
t)ätten fid) o{)ne weitere^ §u fold^er 2)eutung i{)re§ S^iomen» befannt;
in ber 2f)at, fo f)ätten ®emofrit ober ?triftoteIe§ gefagt, etwaä
berartigeS wie eine unioerfeHe SSiffenfd^aft ber ®inge befäßen ober
fud^ten fie. Unb bie mittelalterli(^en ^f)iIofopf)en wären ebenfo wenig
üon biefer g^orberung be§ 33egriff§ ^urüdgewic^en; and) 5(Ibertu»
unb St^oma§, ja fd)tieBn(^ jeber jüngfte magister artium, ber eben
fein biennium erfüllte — auf ben mittela(terlid)en Unioerfitäten
2)eutf(^Ianb§ mu^te jeber 9JZagifter nac^ ber Promotion §wei ^a^re
über '>pf)i(ofopf)ie lefen — würbe fid) ju bem Segriff befannt unb
gefagt {)aben: atlerbing§ er glaube, foweit e§ benn bem 9JJenfc^en übcr=
f)aupt mög(idf) fei, mit ben SBiffenfc^aften fid) fo öertraut gemacht ju
f)aben, bo^ er fic^ auf gewiffe Söeife aB i^ren 3nf)aber bejeic^nen
bürfe. ^at er bod^, um „9J?eifter" gu werben, aüe iJSerfe „be§
^t)ilofopf)en" burd^auS ftubiert, unb je^t war er fö^ig unb bereit,
jebeS §u erüären, wenn e§ burd^ 2Baf)(, Umgang ober So§ (bie 5tu§-
32 Stnleitung: SBejen unb Söebeutung bet ^^ilofop^ie.
(ojung ber ^öüd^er unter ben lefenben 9}kgi[tern lunr an ben mittel^
otterlic^en Unioerfitüten ni(f)t ungen)öf)nlic^) an if)n gelangte. 5)arum
l^iefe er ja „SOIeifter ber Slünfte" (magister artium), ha^ er fie aüe
Ie{)ren fonnte, 9DJat{)ematif unb 3([tronomie jo gut al§ ^^i)fi! unb SOJeto^
p^tifif, Sogt! unb D^^etorif, ®tf)if unb ^oütü, er felbft eine üeine '^ad)-
bilbung unb Äopie be§ erften großen SD^eifter§, be§ §(ri[toteIe§. Unb
basjelbe l^ätte ourf) ber 2)oftor ber ^f)i(ojopf)ie be§ 16. unb noc^ be§
18. Sot)rf)unbert§ gejagt, 'änd) 9JJeIanrf)tf)on Ia§ über alle SBiffen=
fd^aften, bie ben Umfrei» ber pf)iIo|opt)iic^en g^afultät erfüllen, unb be=
fdjrieb jie nie'^renteils in (ange gangbaren :liet)rbücf)ern. Unb noc^ im
öorigeu 3af)rt)unbert lehrte (£§r. SSoIff fomo^t SOktf)emati! unb ^t)t)fif,
qI§ Sogif unb ^ft)d}oIogie, praftifc{)e ^^^i(ofopt)ie unb ©taat^miffen^
fc^aften. 'änd) ^aut la§> über 9)latt)ematif unb 9Iaturtt)if]enfd)aften unb
t)ätte n)ot)I and) einen Set)r[tuf)I ber ^f)i)fif unb ber 9}latt)ematif, ber
5Iftronomie unb ber ©eograp^ie nid)t abgele{)nt, ttienn er if)m angeboten
lüorben ujöre; nur bie ^^rofeffur ber ^oefie mit ber ^flic^t, ju Iateiniid)em
unb beutfrf)em $öer§bau anzuleiten, fd)Iug er aus, al§> fie an i^n !am.
Uns fommen biefe ®inge fettfam unb unmöglid) öor. Unb
freilief) finb fie je^t unmög{i(^. ®ie miffenfc^aftlic£)e g^orfd^ung ^at
firfj im Sauf be§ legten 3af)rf)unbert§ in§ unermefeüdie oer^meigt unb
fpe^ialifiert. 2)ie alte professio historiarum, meift mit ber professio
poeseos ober eloquentiae, ber ^f)i(oIogie nad) unferem @prad}gebrauc^,
ober and) ber professio moralium t)ereinigt, t)at fidj in ein ^u^enb
öon 2et)rfäd)ern ober met)r gefpalten. Sn gleidjer SSeife ober noc^
ftärfer ^at fid) bie professio be^ alten physicus burc^ Teilung t)er=
mefjrt. SSou bem ^t)i)fifu§ ber alten Unioerfität ermartete man nic^t
öiet weniger, al^ baB er über alle 2)inge am ^immel unb auf ßrben
Slusfunft erteilen !önne. Se|t ift ba§ ©ebiet in eine oon ^a^x §u
Sa^r fteigenbe ^ai)i oon g^äd^ern jerlegt unb jebe§ ber 3^äd)er nimmt
bie 5(rbeit5fraft eine§ 9)?anne§ gan^ in 5(nfprud), faum bafe er auf ben
näcf)ft angrenjenben ©ebieten nod) einigermaßen bie gortfc^ritte ber
^orfdjung §u öerfolgen imftanbe ift. Gin SSedjfel ber 2ef)rfäd}er, mie
er nod) im öorigeu 3af)rf)unbert burd^ 5Iuffteigen in bie beffer be=
folbeten ©teilen ^äufig 'mar, finbet nirgenbg metjr ftatt.
S)urd) biefe Sage ber SDinge i)at fid) nun auc^ bie '>p^i(ofopf)ie
tf)ren Segriff beftimmen laffen. 2)a e§ nid)t mef)r mögüd) ift, ^^^ilofop^
SBerl^ättniä ber ^^ilofo^fjie ju ben SBtffenfc^aften. 33
in bem ©inne eine§ Su^aberä aller tüiffenfrfjoftlid^en (Sr!enntni§ 511
fein — rettnng§Io§ njürbe ja, rtjer \o etroaS öerjud^te, bem Urteil jene§
alten 35erfe§ öerf allen:
SSiele ^inge hju^t' er freilid^,
9lber alle rouBt' et ^dited^t —
fo furf)t mon nad) einer (Srflärung ber ^§iIojop{)ie, bei ber man
^^ilofop^ bleiben fann. @r[te Sebingnng ift, tal^ fie nid^t alle 3öiffen=
fc^aften einfdjüe&t, üor allem nirfjt bie jogenannten ejalten 2Biffen=
jc^aften. Unb biefer DZeigung ber ^l^ilojopl^en gnr 5tu§fd)IieBnng !ommt
bie D^eignng ber äBiffenjdjaften, fid) oon ber ^^ilofopt)ie (oS^uIöjen, ent=
gegen; es gilt nit^t eben a(§ SSorjug einer 2[Bi[fenfd)aft, ju ben pf)i(o=
jop^ijd^en gejäfilt jn lüerben. ^f)t)jif, ßl^emie, 5lftronomie, ^f)QfioIogie,
Zoologie füt)(en fid) al§> felbftänbige SBiffenfd^aften, fie moßen nid^t gum
©ebiet ber ^^iIofopf)ie ge'^ören, ebenfo wenig h)ie ^^ilologie unb @e=
fd^id^te, bie aud^ fd)on au^er^alb be§ alten S3egriff§ ber ^^ilofopl^ie
lagen. Slber auc^ ^olitif unb Cfonomi! (9lationaIöfonomie) gäf)Ien nid)t
mef)r §u ben „pf)iIofopt)ifd^en" SSiffenfc^aften; furj, aKe SSiffenfd)aften,
bie at§ felbftönbige ^^ädjer fid^ burd^gefe^t f)aben, finb au§ bem otten
33erbanbe au^gefd^ieben unb gehören nic^t me^r ^ur ^^ilofopl^ie. ®e=
blieben finb i^r bie SDi^^ipIinen, bie fid^ bi§l^er nid^t at§ felbftönbige
^orfd^ungSgebiete ab^ufdiüeBen üermod^ten, meift fotd^e, bie überl^aupt
oerbädjtig finb, feine eigentlid)en 2ßiffenfd)aften werben ^u fönnen, alfo
etma: bie 9Jfetap!^l)fif, bie (Stf)if, bie 5(ft^etif, bie Sogi! unb (grfenntnig=
tf)eorie, bie ^fi)c^o(ogie (bie freilid^ je^t gern „ejafte" SBiffenfd^aft
merbcn möd^te unb bann üermutlid^ aud^ nid)t me^r eine p^ilofop^ifd^e
äBiffenfc^aft bleiben wirb), bie ^äbagogif, bie @efd^idjt§p^iIofop^ie, unb
worüber fonft an beutfdjen Uniuerfitäten „p^i(ofop!t)ifd^e" S^ortefungen
gehalten werben.
gür biefen Inbegriff non SBiffenfd^aften, bie eigentlid) nod^ feine
finb, f)at man nun einen einigenben 93egriff gefud)t unb fo jene oben
erwähnten (Srflärungen ^uftanbe gebrad^t: ^fjitofop^ie ift bie Seigre oon
ber ^orm be§ (SrfennenS — um ben Sn'^alt auSjufdjtieBen; ober
©eifteöwiffenfd^aft — um WenigftenS bie 9Zaturwiffenfd;aften fern ju
galten; ober SBiffenfd^aft oon ben ^ringipien — um fid^ wegen be§
(Sinjelnen 5U entfdjulbigen, unb wie jene brüd)igen (Srflürungen fonft
f)etBen mögen, bie offenbar tauter i8erlegent)eit§au§fünfte finb.
»iJaulfen, Ginleitung. 6. 3lufl. 3
34 Einleitung: SBefen unb 33ebeutung ber ^^ilofopl^ie.
Wix ai']o fc^eint nun, bo^ bie ^f)iIoiopt)ie roieber SJJut faffen unb
if)ren alten Segriff fierfteüen mufe: ^^iIofop{)ie ber Inbegriff aller
n)if]en]c^aftlirf)en @rfenntni§. 80 forbert e§ bie @ejc^i(^te; burrf) Saf)r-
taufenbe alte§ .^erfommen ift biefer Segriff \o befeftigt, bofe jebe anbere
©rflärung mit ber ©efc^ic^te unb bem @prarf)ge6raurf) in SBiberftreit
fommt 80 forbert e§ aber auc^ bie Statur ber (Soc^e felbft, unb
f)ierauf get)e id) nun noc^ mit einem SBort ein.
SDie SBiffenfc^aften finb nidE)t ein zufällig gufammengeroürfelteS
2(ggregat, fonbern ein einf)eitlic^e§ ©an^eS. 2öie bie Sßirfüdjfeit felbft
nirfjt ein 5(ggregat, fonbern ein eint)eitlid;eg ©angeS ift, beffen ©lieber
burd^ beftänbige unb allgemeine SBec^felmirfung oerbunben finb, fo
Bilbet auc^ bie @rfenntni§ ber 2Bir!Iic^feit ein ein^eitlid^eS @t)ftem.
®o§ fcfjIieBt ©üeberung nic^t aug, nur ift ©üeberung ni(i)t Trennung
unb 3foIierung, fonbern eben lebenbige Segie^ung oller 2:ei(e auf
ta§i @anäe. ^ie§ Serf)ältni§ fommt praftifcf) gur (Srfdieinung in ber
2;§otfac^e, ta'^ jebe SSiffenfc^aft ber onberen al» §ülf§tt)iffenf(f)aften
bebarf; fie fann if)re Stufgobe nid)t in ber 3foIierung löfen. S^ber
3tr>eig ber 9^aturtt)iffenfc^aft fe|t bie übrigen Dorau§: bie Siologie
ß{)emie unb ^^t)fif; aber aud) umge!ef)rt bebarf bie ^f)t)fi! ber ^f)t)fio=
logie, in ber Optif unb 5(fuftif §. S. laufen if)re ©renken ineinanber.
©benfo fe|t jeber 3^^^9 gefrf)id)t(ic£)er gorfc^ung bie übrigen oorauS.
5lber aud) 9^atur= unb ®efc^id)t§n)iffenfc^aft fönnen einanber nid)t
entbef)ren. ®ie ©efd^ic^te fe^t bie ®eograpf)ie, für bie 3^it^^cE)^^ung
aud^ bie Stftronomie öorau§; bie (Sprac^iDiffenfd^aft berüf)rt fid; mit
ber ^f)t)fioIogie ; bie Slrc^äologie bebarf gelegentlich ber §ülfe ber
©eotogie unb ©eognofie. Umgefetjrt fönnen bie S^aturmiffenfdjaften,
rcenn fie auc^ unabf)ängiger finb, nid)t ber f)iftorifd)=pt)i(oIogifc^en
gorfd)ung entbef)ren. Wan pflegt je|t bie @eograpf)ie gu ben 9^atur=
roiffenfd^aften gu rechnen. Tiit 9xed)t; aber ot)ne bie @efd)id)t§funbe,
bie über bie Seränberungen ber örboberf(öd)e in f)iftorifd)er 3^^^ be=
rid)tet, mürbe it)r eine mefentlid)e .^ülfe fet)Ien. 80 bebarf auc^ jebe
SBiffenfc^oft, ha fie felbft nur in einem ^iftorifc^en ©ntroidelungS«
progefe befte^t, ber Erinnerung an i^re eigene ®efd)id)te, roenn benn
nid)t für bie fi^ftematifd;e S)arfteüung, fo bod) für bie allgemeine
Orientierung über il)re ©teUung unb Sebeutung im ©anjen be§ geiftig=
gefd)i(^tlid)en Sebens; man ad)te nur barauf, einen mie breiten 'Siaum
ißertjältnig ber ^^ilojop^ie ju ben 2ßi|ienjct)often. 35
in ^umboIbt§ ÄoSnio» bie gefrf)i(i)t(irf)e (Seite einnimmt. 5lu(^ für
ben Unterridjt f)at bie ©efcfiid^te ber SSiffenfi^aft eine grofee Sebentung,
bie freilief) je^t nirf)t überall, and) nicf)t auf unferen Uniöerfitäten, bie
it)r gebüfjrenbe S8eacf)tung finbet. (Snblicf) fei baran erinnert, boB alle
iEBiffenfrfiaften mit ber ^fijc^ologie unb ber ©rfenntni^tl^eorie in 93e=
jieljung ftef)en unb fiel) auf biefen Gebieten berüljren. Ser Segriff
einer (Sinf)eit ber SBijfenf rf)aften ift bemnacf) nid^t eine tt)iüfürlirf)e
(Srfinbung, fonbern ein notroenbiger ©ebanfe; ber (Sin{)eit be§ ÄoSmoö
entfpridjt bie ibeelle öinljeit eine» aßumfaffenben (£rfenntni§fQftem§. Unb
l)ierfür ift nun ^l}ilojopt)ie ber gejdjidjtticf) gegebene iRame; eg ift
3öilltür, biefem Segriff feinen 9'ianten ober biefem Flamen feine alte
Sebeutung gu nel)men. —
Slber, fo erl)ebt fidj nun ber fdjon ermätjute (Sinraaub, fann e§
bann ^^l)ilofopl)ie geben? SBirb nid)t bie (Sac^e burc^ bie ©rflärung
unmögüd) gemacht? SSer Ijätte nun ben Mut, jum S^iamen eine§
^t)iIofopl)en fi(^ ju befennen? Unb ift nic^t aud^ an fid^ eine 2t)eorie
be» Unioerfum» eine unmi3glidje @ad)e, für ben 3)Jenfd)engeift loenigftenS?
®o ettt)a§ mod)te %[)ak§> noc^ unternehmen, ber 3Jiut pflegt am Slnfang
beg SBegeg am größten ^u fein. 5lber je^t, nac^bem ^meitaufenbjä^rige
5lrbeit bie ©röfee be'c Unterne^meuio gezeigt ^at, finb mir befd)eibener
geworben unb frol), menn nur t)ie unb ha ein ©tüd ber Sßirfli^feit
unferer (SrfenntniS fid^ ergiebt.
.^ierauf ift §u antmorten: ol)ne ^i^^if^^ ift ^l)ilofopt)ie al» eine
fertige unb abgefc^loffene 3;l)eorie be§ Unioerjumg meber jur ^tit uor*
l)onben, uod^ mirb fie jemals erreid)t roerben. 5lber bo§ Ijinbert nic^t
bie ©ültigfeit be» Segriffg; berfelbe ©inmanb läpt fid) gegen jebe
S33iffenfd)aft ridjten. (S§ giebt and) nidjt 5(ftronomie ober ^^l)i)fif ober
^f)t)fiologie a{§> fertige» unb abgejdiloffene», nur nod) §u übertiefernbeS
unb ju lernenbeS Softem. SDie Segriffe ber SSiffenjdjaften finb Se=
griffe nic^t üon empirijd^ gegebenen Singen, fonbern Segriffe uon
Stuf gaben. Unb bie ©ültigfeit biefer Segriffe berufjt barauf, bafe
bie Slufgabe ridjtig be§eid)net ift, it)re Söfung mag nun fo roeit fort=
gefd^ritten fein, al» fie will; ja, luenn fie nod) gor nid)t begonnen märe,
behielte ber Segriff feine ©ültigfeit. ßr ift, fo fönnte man mit Sln=
letjuung an ß'antS (Spradjgebrauc^ fagen, eine Sbee, b. l). ein Segriff,
bem in ber empirifd^en SSBirflid^feit niemal» ein fongruierenber @egen=
36 ©inlettung: SBejen unb S3ebeutung ber ^^tlofop^te.
ftanb gegeben werben fann. S)Q§jeI6e gilt öon bem 53egriff ber ^f)ito=
fopf)ie; er ift ein ricf)tiger unb gültiger, fofern bie Aufgabe einer ©in=
^eit aller ßrfenntniä gegeben ift.
Unb ebenfo iüenig tüerben wir nun baburd^ un§ irre macf)en taffen,
ba§ boc^ niemanb alle 2öifjenfcf)Qft in fid^ faffen unb befi^en fönne.
öewiB nic^t, werben wir jagen; aber giebt e§ benn l^eutgutage einen
Äopf, ber alle naturwi)fenf(^aftlicf)e ober alle pl)iloIogifc^=gej(^icf)tlic^e
(SrfenntniS auf5unel)men imftanbe ift? Unb bocf) reben wir üon ^l)ilo=
logen unb ^iftorifern unb $l)Qfifern, nid^t Sul)ciber ber SBiffenfci^aft,
fonbern ^^orfd^er auf il)rem ©ebiet mit bem 9^amen begeic^nenb. (Sbenfo
braud^en Wir nun aud) ben S^lamen be§ ^^ilofop^en, er be^eidfinet einen
SlRann, ber nad) einer einl)eitlidf)en unb uniüerfellen örfenntniä ber
SBirflic^feit ftrebt. @o fagt t§> ja t)ier au§brü(flic^ ber finnreiclje
?tame: cpudoocpos, ein £iebl)aber, nid^t ein 5öefi|er ber @rfenntni§.
9Zac^ einer fc^on erwähnten Überlieferung foll ^t)tl)agora§, eben
um ha^ Slnmofeenbe, ba§ in bem D^Jomen be§ Sßeifen {öocpög) liegt,
ab^uwe^ren, fic^ einen ^l)ilofop^en {fpüööo(pos) I)aben genannt wiffen
wollen.
Gin ^f)ilofopl) wäre alfo l)iernad^ jeber wiffenfd^aftlicl)e ^orfc^er,
in bem bie 3bee ber (5inl)eit aller ©rfenntniä lebenbig ift, fein engeres
^orfcf)ung5gebiet mag gelegen fein, wo e§ will, in ber ^l)t)fif ober ber
^fi)cl)ologie, in ber 51ftronomie ober ber @ef(f)icl)te. 2)en allein, ber fic^
grunbfö^lidj unb t^atfödfjlid^ auf ein engeS ©ebiet einfd^lie^t, ber üon
nidjt» weiB unb wiffen will, als üon feinen Ciobice§ unb Sesarten,
feinen ©öuren unb S3ofen, ben werben wir nid^t einen ^^ilofop^en
nennen, nic^t weil fein gorfcE)ung§gebiet nic^t gum ÖJebiet ber ^l)ilo=
fopl)ie gel)ört, (infofern fönnte er ber (2ocl)e nimmermef)r entrinnen),
fonbern weil er felbft nic^t ben inneren §abitu§ l)at, ber ben gorfc^er
gum ^^ilofopf)en mac^t. 9hc^t ber ©toff, fonbern bie gorm, bie
@eifte§ricf)tung mai^t ben ^l)ilofop^en.
jDamit, f(f)eint mir, wäre bem Dramen feine alte S3ebeutung unb feine
alte @f)re gurücfgegeben. 9iein t^eoretifc^e 31bficl)t unb uniüerfelle
9^icl)tung ber 3^orfcf)ung, 'Oa^ war es, Xüa^ bei ben ®riecf)en ben ^t)iIo=
fopl)en öon einem bloBen SOZat^ematifer ober SOJebijiner unterfc^ieb.
oben ha^ ift aurf) t)eute, fo fel)r ber Slnblicf ber wiffenf^aftlid^en 3Belt
feitbem fic^ oeränbert l)at, bas Äenngeic^en be§ ^f)iIofop^en: bie §in»
gäbe an bie reine 33etracf)tung unb bie ^Ric^tung auf "^a^ 5111gemeine.
aScrl^öUniS bet ^f)ilofop^ie 5U ben aBiffenjd^aften. 37
Scf) meine, ha^ füngt bod^ auc^ in nnferem ©pracfigebraucf) wodj
überall burcf) ; einen ÜJ?ann, n)ie ®arnjin, ber mit emfigfter Semüfjung
ben jTfjatjadjen nacf)gef)t, bem nirf)t§ ju gering für feine Stnfmerf jam!eit
ift, ber aber anbererfeit§ für bie meiteften 33e§ief)ungen <Sinn f)at unb
alle§ in§ ©rofee unb ©anje menbet, nennen njir einen pf)iIofopf)ifc^en
Sf^aturforfdjer. Unb in bemfetben (Sinne merben tt»ir SS. 0. ^umbolbt
einen p^i(ofopf)if(i)en ®prac^= unb @efd;ic^t§forfc^er nennen. 2Ber
bagegen eng im engen ^rei§ fid) einfc^tiefet, njer nur öon feinem
fpe^ieüen i^ad) mi^ nnb ttjiffen Xü'iü, ben nennen mir einen un-
pf)iIofopf)ifcf)en ^opl oielleic^t auc^ einen banaufifc^en ©mpirifer ober
(Spejialiften. ^erftef)t er fein gac^, meif; er mit feinem §anbmerf§=
,^eug für bie 3öiffenf(f)aft brauchbarem ÜJJaterial ju 2;age gu förbern,
fo roerben mir ifju al§ einen nü|ticf)en 5(rbeiter \)0<i) fd^ä|en, bod)
aber meinen, etmaS fe^Ie it)m, nümlid) ber ^bf)ere, freiere (Sinn für
bie SDinge. Unb hierbei mirb e§ gar feinen Unterfd)ieb mad)en, auf
metdiem Gebiet er arbeitet, ob er mit matt)ematif(^en gormetn ober
mit fiiüogiftifc^en Figuren, mit Slrbeiten über bie ^ifc^e Sapan§ ober
mit pft)d)opf)l)fifd)en $8erfud)en über bie ßeit ber Slpperjeption fid;
befd)äftigt. ©§ fann and) einer ®efd)id)te ber ^^iIofop{)ie fd)reiben,
of)ne ein ^^itofop^ §u fein. 9^id)t ber (Stoff, fonbern bie f^orm mac^t
ben P)itofopf)en.
5(ud) bie anbere (Seite ber SSortbebeutung ift unferem (Sprad)^
gebrauch nic^t gan^ fremb gemorben. SSenn mir bei einem SJJann
eine grofee 35ertiefung in feine ©ebanfen, unb bamit äufammenl)angenb
eine gemiffe (Sntfernung öon ber SSett unb if)ren Seftrebungen, einen
gemiffen 9}?angel an praftifdjem ©efd^id, eine gemiffe ©teic^güttigfeit
gegen ba§ §aben unb Letten maf)rnef)men, bann fagen mir, oieüeidit
mit einem leifen Hinflug öon ßädjetn, ta§^ fei ein redjter ^f)i(ofopl^.
Unb anbererfeitS ift un§ bie ©ntrüftung üerftänblid^, mit ber (Sd^open^
i)auer öon ber (Srniebrigung ber ^f)i(ofopf)ie ju einem (Semerbebetrieb
fprid)t; et)er, fo empfinben mir, mag e§ einem (Sf)emi!er ober einem
'äx^t nad)gefet)en merben, menn er au§ feiner SSiffenfc^aft @olb mad)t.
3n jüngfter ßeit fet)rt aud^ in ®eutfd)tanb bie ^:pf)i(ofopt)ie ju
i^rem alten Segriff jurüd. ©0 ertlürt SS. SSunbt ^^itofop^ie at§
„bie allgemeine SSiffenf^aft, meldte bie burd) bie (ginäelmiffenfc^aften
öermittelten allgemeinen (£r!enntniffe ju einem miberfpru^älofen (5t)ftem
38 (Stniettuug: S5?efen unb 33ebeutung ber ^^ilofop'^ie.
§u oereinigen f)Qt."*) 2)ie (Srllärung l^at offenbar bie S^ee ber @int)eit
aller tt)iffenfcf)aftlicf)en (gr!enntnt§ jur 3Sorau§fe|ung, unb äöunbt ttjürbe
nid^t bagegen fein, taS^ ooüenbete (Softem mit bem 9fiamen ber ^f)i(o=
fop^ie SU benennen, ebenfo »enig aud) gegen bie ^orberung, ba| ber
„^PofopV' mit ben ®in§etrt)iffenf(i)aften nid)t blo^ al§ Ä^oftgänger,
fonbern auf irgenb einem ©ebiete al§ ^Mitarbeiter üer!el)re. Unb
ged)ner, 2o^e, g. St. 2ange befennen fic^ gu berfetben Stnfc^auung :
ßufammenbiegung ber p{)Qfi!aIifcf)en unb ber geiftig=gef^i(^tlid)en 3;t)at=
fachen ju einem einf)eitlic^en 2öettfl)ftem ift ha§^ Ie|te ßiel, grünb(i(f)e§
©tubium ber Sßiffenfc^aften ber SBeg ba^u.
Wit ber 9lü(ffe^r §u bem alten begriff ber ^fjitofop^ie finb ^mei
Irrtümer abgelef)nt, bie fid) an bie fotfc^e Sluffaffung if)re§ SSefen§
anfcf)IieBen: ber S^rtum, bafe e§ ^f)iIofop'^ie o^ne Sßiffenfdjaft,
unb ber onbere, bafe e§ SSiffenfc^aft oijue ^I)ilDfop^ie geben !önne.
®er erfte Sri^tum öermirrte §ur 3eit ber fpetulatiöen ^f)itofop'f)ie
bie ^öpfe. äJ^it unfrud^tbarer 9JJüt)faI unternat)m man au§ einigen
aügemeinften Segriffen, ©ubjeft unb Dbje!t, S^totur unb ®eift, ©ein
unb SSerben, pf)i(ofopt)ifc^e (St)fteme fjerouS^ufpinnen. tiefer Irrtum
ift gegenmärtig fo gut mie auSgeftorben; fieüeid^t !ommt ein 9left
öon it)m ^in unb mieber einmal in ©eftalt ber äReinung öor, al§ ob
ein befonbereä ©tubium ber ^^f)iIofop^ie mögüd^ fei, of)ne ein ©tubium
ber 2öiffenf(f)aften, etmo burd) S3efd)äftigung mit ber ®efd)id)te ber
^f)iIofopt)ie. (Sin foId)e§ ©tubium, fo Ief)rreid) e§ an fid^ fein fann,
njirb notmenbig unfrud)tbar unb leer bleiben, hjenn e§ nid^t burd)
tt)iffenfd)aftlid^e ©tubien auf anberen (Gebieten ergänzt löirb, @in
red)tfd)affener 'ipt)ilofop^ ma^t fid^ an bie Singe felbft. :3ft e§ aud^
unmögtid), überall felbftäubiger g^orfdjer gu fein, fo muB er bod)
irgenbwo mit ben g^üfeen auf eigenem 33 oben ftel^en. (Srft bamit ge=
ujinnt er ein gute§ ©emiffen; erft bamit geminnt er in miffenfd^aft(id)en
*) ©Dftem ber ^ß^itojop^te (1889) ©. 21. ^n biefem gebanfenreic^en unb
bebeutenben SBer! tfat SBunbt bie ©umme unferer tutffenfd^aftlid^en @rfenntm§ ^u
sieben, fotüte tt)re nottrenbigen 9Sorau§fe^ungen unb tl)re legten Äonfeguensen §u
entoideln unternommen. 5)ie centrale ©teEung bartn nimmt bie SJietopl^tjfif ein,
beren Slufgabe ba'^in be[timmt mirb, ba^ fie bie SSerbinbung ber X^afiaä^en naäf
bem ^rinjip bon ®runb unb Srolge nid^t, wie bie ©injetmiffenfd^aften, „auf be=
ftimmtc ©rfa^rungfgebiete einfc^ränft, fonbern ouf bie ©efamt^eit atter gegebenen
(Srfa'^rung au^jube'^nen ftrebt" (58ortt)ort).
58er]^ältnt§ ber ^^ilofop^ie ju ben aSiffenjc^aften. 39
2)ingen überhaupt ein Urteil, erft baburc^ hjirb er and) fäfjig, bie
©ebanfen anberer fetbftänbig auf^ufoffen unb if)re gorjd^ungen für
fi(^ ju gebrauchen. S)ie 2öaf)( be§ ®e6iet§ fte^t frei, e§ mag
innerf)alb ber (5)eifte§tt)iffen)d^aften ober ber ^Raturnjiffenfd^aften ober
an ben ©renjen beiber in ber ^{)t)fiotogie unb ^ft)c!^otogie liegen;
tt)ie nad^ einem atten SSort alle Söege nad) Sf^om führen, fo führen
in ben 2öiffenf(f)aften alle SBege gur ^§iIofopt)ie, nur feiner burd^
bie ßuft.*)
@efäf)rlic!^er at§ biefer Irrtum ift unferer 3^^t ber anbere, ba^i
e§ 2Biffenfd)aft of)ne ^^ilofopl^ie geben fönne. (Sr {)ängt mit ber
?lnfid^t jufammen, halfi ^{)i(ofo|)l^ie eine befonbere SSiffenfd^aft fei,
tüie jebe anbere, nur etnja eine treniger gut begrünbete, eine luftige
SSiffenfdjaft üon ben Singen, bie ber ejaften ^orfd^ung nid^t 5U=
gängtid^ finb. (S§ fef)It nidjt an Seuten, bie bie 93erül^rung mit il^r
flietien, at§ ob baüon eine ©d^mäd)ung be§ 2Bir!Iid)!eit§finne§ 5U be=
fürd)ten märe: ${)t)fif, f)üte bic^ oor ber SO^Jetapl^^fif! — @o be=
red^tigt ber 9?at ift, fofern er öor übereiltem ©^ftematifieren, un*
frud^tbarem «Sc^ematifieren ober @inmifd)ung meta|)f)QfifdE)er Snter*
pretation in bie pf)t)fifc^e (Srüörung ber (£rfd)einungen marnt, fo
unberedjtigt mirb er, menn er bie SBiffenfc^aften abgalten miü, fid^
le^te unb aßgemeinfte ©ebanfen über il^r ©ebiet ju bitben unb biefe
mit ben legten (Srgebniffen anberer SSiffenfd^aften in SSe^iel^ung ju
fe^en. ®a§ f)iefee nicE)t§ anberel al§ ber 5ßulgärmetapt)t)fi! bie S(uf==
gäbe ber allgemeinen Äonftruftion ber S)inge überloffen unb jugleid^
ben 2öiffenfd)aften bie innerfte STriebfraft au§bredE)en. Od^IieBIid^
t)aben bod^ alle SBiffenfc^aften in ber ^^i(ofopf)ie il^re ein^eitlidie
SBur^el, unb menn fie fid^ oon biefer SSurjel überf)aupt loMiJfen, fo
[terben fie ah. SBa§ mir gule^t mit aßer SBiffenfd^aft motten, ha§ ift
nid)t bie @r!tärung biefer ober jener oereingelten (Srfd^einung, nid^t
*) E. Renan, Fragments philosophiques p. 292: philosopher c'est con-
naitre l'univers. L'univers se compose de deux mondes, lo monde physique
et le monde moral, la nature et l'humanite. L'etude de la nature et de
l'humanite est donc toute la philosophie. — — Le penseur suppose Verudit
et, ne füt-ce qu'en vue de la severe discipline, de l'esprit, il faudrait faire
peu de cas du philosophe, qui n'aurait pas travaille une fois dans sa vie
ä eclaircir quelque point special de la science.
40 (Einleitung: SBefcn unb SBebeutung ber ^f)iIofop:^ie.
bie ©rfenntni^ bieje§ ober jene§ befonberen ®ebiet§, fonbern bie (Sr=
fenntniS ber 32ßir!Iicf)feit überhaupt. S)er Xrieb, auf bie g^rage nad)
ber ^fjQtur unb ber S3ebeutung ber ^in^t überhaupt 5(nttt)ort ju finben,
^Qt bie tr)iffenfrf)Qfttid^e g^orfi^ung ober bie ^^iIofopf)ie urfprüngtic^
in§ Sajein gerufen; bie 9lotttienbig!eit ber 5(rbeit§tei{ung f)at fie bann
in einzelne gor]"d)ung§gebiete ju gerlegen ge§tt)ungen; bie SlJceinung ift
nic^t, fie baburcf) jur Sjolierung aufguforbern, fonbern fie gejc^itfter
gu mad^en, an if)rem Steil an ber £öfung ber ©efamtaufgabe gu
arbeiten. ®a§ t!^eoretifrf)e Sntereffe, ha^ bie SebenSfraft jeber äBiffen»
fd^oft ausmacht, i[t if)r ^Tnteit an ber ^f)i(ofop{)ie, ha^ tt)a§ fie gur
Söfung ber g^rage nac^ ber 9Zatur ber 35inge überf)aupt beizutragen
öermag.
jDa§ ift gang beutüd^, wenn man nid^t fo fei)r auf bie perfönlic^e
©mpfinbung ber einjelnen ^orfd^er, al§> auf bie gefamte gefc^ic^tlidfie
@ntrt)i(felung einer SE)i§3iptin ac^tgiebt. 2öa§ ift e§, ha^ gegenwärtig
hk Biologie in ben 3)ZitteIpunft ber naturn)iffenfc^aftlid)en 3^orf(^uug
fteHt, bQ§ fie antreibt, gerabe ben nieberften formen be§ Seben§ mit
mifroffopijd^er unb oft mifrotogifcf) frfjeinenber g^orfi^ung nad)äugef)en ?
Offenbar bie Hoffnung, auf biefem Sßege bem großen @et)eimni§ be§
Sebeng unb feiner (Sntwidelung auf (Srben auf bie ©pur gu fommcu.
Stn ben taufenb formen ber gfecE)ten unb ^ilge, ber 9J?oneren unb
Snfuforien an fid) würbe un§ fcf)WerIic^ fo gar oiet gelegen fein. @§
fann fic^ im engeren Ärei§ ein fport§mä6ige§ Sntereffe an bem uu*
enblid^ kleinen auSbilben; aber baüon fann eine SSiffenfc^aft uic^t
auf hk 2)auer (eben. — Ober man nef)me bie Stftronomie; mit
unermüblidiem gleife fammelt fie S3eoba(f)tungen, trögt bie Drter oon
^unberttaufenben oon ©ternen in i^re STafelu ein, bered)net bie
58a{)nen oon Kometen unb (Sternfd)nuppenfc^tt)ärmen, entbecft neue
^lanetoiben unb fo§mif(f)e 91ebel, prüft 2icf)tftärfe unb (Speftrum:
woju? Um be§ ©ingelnen willen? Offenbar nid)t, fonbern weil wir
i^offen, unfere (Sinfid^t in bie ^onftitution unb bie (Sntwidelung be§
Unitierfum§ über!E)aupt auf biefem SSege ,^u oertiefen. giele biefer
Stutrieb fort, Ijörte biefe f^rage auf, un§ gu befdjöftigen, fo würbe ba§
58eobad)ten unb 9fted)nen auf unferen ©ternwarten balb aud) gum
©tiUftanb fommen. 2)ag Sinjelne fann praftifd)=tec^nifc^e§ Sntereffe
!§aben, wie in ber S^emie bie Stuffinbung neuer 3ufammenfe|ungen;
SSerfjöItnig ber 5ß{)iIojopf)ie ju ben aBiffenfd^aften. 41
aber bo» tt)eoretijc^e Sntereffe, inorin bie SSiffenjcf)aft al§ folc^e lebt,
gef)t auf ba§ aflgemeine, ift bie ©eite, lüomit fie ber ^f)i(ofop{)ie ju«
getuenbet ift.
®Q§ ift felbft in ben gefc^id)t(ic^en 2öiffenjd)aften nic^t onberS.
Obn)oI)I f)ier ha^ ©inselne, luenigftenS boS un§ 9^äd^fte unb 33er=
manbte, unmittetbarere 33ebeutung für un§ f)Qt, fo ift bod^ aud^ f)ier
ba§ Ie|te, alle gorf(f)ung belebenbe Sntercffe bie groge md) bem
Söo^er unb SBof)in be§ gefd)i(^tlic^en Seben§ überhaupt. SSürbe un§
biefe ^roge gleichgültig, fo tt)ürbe oucf) bie @efrf)ic^t§forfd)ung er(af)meu.
Unb biefelbe ^ffiirfung UJÜrbe eintreten, tt)enn Ujir auf jene 3^rage
eine un§ ööüig befriebigenbe Sintttjort Ratten; bann prte bie g^orfd^ung
ebenfalls auf. ®a§ 9J^itteta(ter jeigt e§. ©§ n^ar im Sefi^ einer
aüe feine 5(nfprüc^e befriebigenben @efd)irf)t§pf)i(ofopf)ie: jlüifdien
©rfjöpfung unb ©erid^t lag ha^ ßeben ber SJJenfd^fieit, burd^ bie großen
(Sreigniffe ber t)eiligen @efd)id^te n)ie ein gett)a(tige§ 2)ronia in 5Wte
geg(iebert, f(ar unb überfef)bar öor feinen ^ugen. (Sben barum t)atte
ha§: SJJittelalter feine @efd^idjt§forfc^ung, e§ mufete alle§ SBefentlic^e
unb SSiffen§tt)erte; njoju bem Uner'^ebtidf)en unb ©leidEigüItigen nad)«
ge^en? SSir finb nid^t in fo gtüdftid^ningtüdlid^er Sage, unb barum
finb n^ir @efrf)id^t§forfdf)er gettjorben; n^ir oerad^ten and) ha§> kleine
unb Unfdjeinbare nid^t, tüir {)eben jebe§ SrudjftüdE einer alten ^^apier=
rolle ober eines mit ßeidfien bebedten ^iegelfteineg auf, e§ mag, om
red)ten Crte eingefügt, ein @tüd alten ßeben§ unb 5Den!en§, ein @tüd
einer untergegangenen ©prodE)e auft)eüen unb bamit auf ben Sßeg, ben
unfer (S5efdjled;t bisher auf (Srben ^urüdgetegt t)ot, einen neuen (Sd)immer
üon Sidjt merfen.
Sn biefem @inne fann man fagen: ^t)iIofopt)ie ift ha§: centrale
^euer, bie @onne, oon ber bie belebenbe SSärme auf oüe SBiffen^
fd)aften au§ftraf)(t. 5)er ©oben ber ^orfd^ung tuirb überaü nur baburd)
anbaufäf)ig, ba'^ er öon biefen @tra{)Ien burd^brungen n)irb. Unb bie
einjetne 5lrbeit tt)irb um fo größere unb reifere g^rudjt tragen, je me^r
be§ lebenbigen ©onnenfd)einö fie if)rem S3oben guäuteiten mei^. .^in=
gegen, wer unbefümmert um ßid^t unb SBärme auf ®eratett)ot)I ben
S3oben ^adt unb grübt, mo er gerabe einen ^lat^ finbet, ber üjirb
bürftige unb l^arte grü(^te ernten. (Sine 2öiffenfdf)aft aber, ber bie
S3ejiel^ung §ur ^I)iIofopf)ie ober ber @inf)eit be§ SSiffenl überfjaupt
42 Umleitung: SBefen unb 93ebeutung ber ^f)itofopI)ie.
üerloren ginge, bie müBte, tuie ein ©orten, bem bQ§ Sonnenlicht q6=
gejdjnitten i[t, in§ Äraut jd)teBen, o^ne e§ gunt Stütjen unb grudjttragen
ju bringen; ot)ne Silb, fie müBte an fruc^ttofer ©pi^finbigfeit ober finn*
lofer ©toffontjäufung untergel)en. ^ont nennt einmal fotd)e ©ele^rforn*
feit eine ct)!Iopifci^e, i'^r fet)Ie ein Singe: „boS Stuge näntlid^ ber
n)Qt)ren ^t)i(ojopt)ie, um bie SJienge be§ I)i[tori)d;en 2Bifjen§, bie grac^t
üon t)unbert Kometen, sttjedmä^ig gu benü^en." (Slntt)ropoIogie, § 58.)
2(ber mo bleiben benn bei biejer Stuffoffung bie „^adjpf)iIo-
jopf)en"? 9^un, mir fommt üor, qI§ {)ätte fd)on baS 2Bort einen
ettt)a§ njunberlic^en ^lang, nid)t öiel anberS, al§ nienn man anbererjeit§
Quc^ öon S)umm!öpfen üon i^ad) reben ttjoüte. ®§ giebt, fo n^erben mir
fagen, miffenjc^aftlid^e gorfd)er mit pt)iIofopt)ijc^em ©eift unb o^ne
iolc^en; ^f)t)fi!er, Slftronomen, ^^ft)d)oIogen, Biologen, ^iftorifer, 9J?eta=
ptl^füer, (Soziologen, äJJoratiften, fie alle fönnen biefen ©eift ^aben ober
nid^t f)aben. ^^iIofopf)ie at§ „©pe^ialfad)" giebt e§ nid)t. ®od) mag
man bem je^t i)errfc^enben @prad)gebraud) baburd) entgegenfommen, ba^
man ^l^ilojoptjie im engeren ©inn öon ber ^tjilofop^ie in jenem
allgemeinen ©inn unterfd)eibet. ©o jc^eibet SlriftoteIe§ eine „erfte
^{)iIofopt)ie" au§ bem ®ef amtgebiet au§; i{)re Stuf gäbe ift bie (5r=
örterung gemiffer aügemeinfter fragen tjinjic^tlic^ ber Söirflic^feit, ha^,
tt)a§ n)ir je^t 9)?etapl)t)fi! ^u nennen pflegen. Unb on fie fd^üeBen fic^
bie erfenntni§tl)eoretifd)en Unterfud)ungen an, bie mit ben ontologifc^en
unb !o§motogifc|en nuäertrennüc^ öer!nüpft finb. SBiü man fo S[Reta=
p^t)fi! unb er!enntni§tf)eorie al§ ^f)iIofopI)ie im engeren
©inne au§fd)eiben, bann muB man aber fogleid) ^in^ufügen: auf
feine SBeife fönnen fie öon ben übrigen 3öiffenfc^aften abgetrennt unb
ifotiert merben. (Sin purus putus metaphysicus — unb öon bem
©rfenntniSt^eorifer gilt ganj baSfelbe — ift ein Unbing, ober ein
leerer Sßortmac^er. 9lur bie 2Siffenfd)aften, Statur* unb ©eifteSmiffen^
fd)aften, geben ha§^ SJJateriat, über ha§: ©eienbe überhaupt unb bie
SBett im ganzen ju urteilen; nur bie Söiffenfc^aften geben SSerantaffung
unb ©toff 5U erfenntni§tf)eoretifd)en Unterfud^ungen. Unb fo bliebe
e§ aud) f)iernad) babei, ha^ jemanb um fo mef)r 93eruf jum „%ad)-
pf)iIofop^en" f)ätte, je met)r er auf ben beiben großen Gebieten ber
miffenfdiafttic^en ^orfd^ung, ber matf)ematifcl§=naturn)iffenfc^aftüd)en unb
ber pt)ilotogifd)=f)iftorifc^en, f)eimifd) ftjöre.
Sßer^ä(tnt§ ber <ß^iIofop^ie ju ben aSiffenjd^aften. 43
SBoHte oBer nun jemanb jagen: e§ bleibe ^iernac^ bie „^ad)=
pt)i(oiop^te" ein anmaBticf)e§ Unternehmen, benn niemanb öermöge biejer
gorberung gererfjt ju n^erben, \o iüäre \)a§> Ie|tere ja ot)ne tt)eitere§
jujugeben. 2öa§ aber bie Stnma^ung anlongt, fo tiefee ficf) hod) audf)
eine milbere Sluffaffung finben. ©I i[t jc^on ^ii SInfang bemertt
njorben, bafe bie Silbung (e^ter 2(nfid^ten über bie Strogen, tt)eld^e
wir al§ metapljiififcfie unb erfenntni§tf)eoretifcl^e bejeic^nen, nic^t ettt)a§
i[t, n)a§ mon nac^ SBillfür tl^nn ober (offen !ann. Stgenb eine 9}?eta-
pt)^fi!, irgenb eine 5(nfic^t über ba§ Söefen ber 2)inge, über @ott unb
SBelt, über ba§ 9Ser^ä(tni§ unferer (Sr!enntni§ jur ^^ir!tid)feit, mod)t
fic^ jeber 93ienf(i), ber nidEjt bloB ot§ animalifc^=bebürftige§ SSefen
lebt, äöenn bem fo ift, fo wirb man aud^ anerfennen muffen, ha'^
e§ beffer ift, einmal gefammelte 5tufmer!famfeit auf biefe fragen §u
rid^ten, aU fie ber ©elegen'^eit unb bem Qn^aU gu überlaffen. S3ietet
fid^ nun jemanb bagn an, bie ©rgebniffe biefe§ feinet 9^adjbenfen§
mit§uteiten, fo !ann man hierin ^roar Slnma^ung finben, biefelbe
5(nmaBung, bie aud^ in ber 33eröffentti(i)ung üon 33erfen liegt, in
benen ber S)ic^ter feine eigenften ©riebniffe unb @efüf)Ie anSfpric^t.
Wan !önnte barin aber aurf) eine 5(rt oon Slufopferung erblichen, ba'^
jemanb, ftatt fid^ auf bie SOZitteilung oon ©rgebniffen fpejieüer gorfd^ung
ein§uf(i)rän!en, bereit ift, allgemeine ©ebanfen, bie ber S^iatur ber (Baä^c
nad^ mef)r fubjeftiü unb nid)t in bemfelben (Sinne bettjeiSbar finb,
ber öffentlid^en Beurteilung preiszugeben unb gugleic^ fid) mitteibigen
©pottreben au§§ufe|en: er fd^eine eine 9?eigung §u f)aben, über 5S)inge
gu reben, oon benen er nichts tt)iffe, ha^ f)eiBt nic^t at§ gac^mann,
fonbern nur al§ Dilettant Uiiffe. ^n einer Q^\t tt)enigften§, bie ben
9Jamen eine§ ^Dilettanten ober bloBen ßieb^aberg aB fdt)tt)ere Se=
ftf)impfung eine§ n)iffenfd^aftlicf)en (ScfjriftfteüerS braucht, unb bie anberer»
feit§ über ben 9}langel an ^ufammen^ängenben allgemeinen ®eban!en
fo leidet ficf) tröftet, toie bie unfrige, foßte man glauben, ha^ e§ für
einen 9)Zaun, ber auf feinen guten 9?amen etttiaS t)ält, ni(f)t oiel S5er=
locfenbe» ^aben fönnte, aB „ga(^p()i(ofop^" fid) oerne^men su laffen.
®odf) finben fid^ immer ftiieber fold^e Sente. SSie e§ immer
mieber SDid^ter giebt, bie, ungemarnt burcfj baS- @d)idfo( fo oieler
SSorgönger, if)re ®eifte§tinber ber ftumpfen 9Zeugier unb bem §of)n=
getäd^ter ber S8orübergef)enben ausfegen, fo mvh e§ oud^ immer njieber
44 ©inleitung: aOSejen unb 93ebeutung ber ^^ilofop^te.
ßeute geben, bie bereit finb, mit bem atten (Xf)r. SBoIff it)re „öebanfen
üon ©Ott, ber 2öe(t unb ber (Seele be§ 9J?enf(^en, and) allen 2)ingen
überf)aupt" ber ©c^abenfreube ber 93orfic^tigen, ber ßureditnieifung
ber 93effertt)iiienben, bem 51cf)ieläucfen ber Kenner, bem ©eläc^ter ber
9J?enge preigjugeben. 5^ieUeid)t bürfen fie jid) barüber tröften mit
bem ©ebanfen, bo^ fie bod) nic^t oijm einigen 9^u|en für ha§ ge=
meine SSefen finb. Seiften fie fonft nicf)t§, fo teiften fie bocE) bie§,
boB fie an ben testen ^rvtä aller gorfcfiung erinnern: eine X^toxk
be§ UniöerfumS. ^ie Ginselwiffenfctjaften fommen Ieid)t in ©efa^r,
bie§ ^ki aul ben Stugen gu öerlieren; öon jebem ©injelnen auf neue§
unb immer neues Singeine {)ingen)iefen, öergeffen fie om @nbe gang,
ttjorauf fie urfprüngüi^ ausgingen. @5 ergel)t i^nen umgefe{)rt Ujie
bem (2of)ne bes ßi§, ber ausging feine§ S3ater§ (Sfelinnen §u fucf)en
unb ein ßönigreid^ fanb; bie n3iffenfrf)aftli(f)e g^orfcfiung, bie aussog
eine Xf)eorte bes Unioerfums §u fuc^en, ift äute|t jufrieben unb frof),
ujenn fie S^egenmürmer finbet unb in 9iu^e jergliebern fann. Unb
»irb \f)x einmal fetber über if)rem fritifc^en ^eftreben ober if)rer
encheiresis naturae bang, fo befc^ttjic^tigt fie fic^ olsbolb mit all=
gemeinen Sieben: für ben n^a^ren g^orfcEjer fei nichts gu ftein, ober:
gu allgemeinen öebanfen fei es noc^ §u frü^, erft muffe bie (Sinjel«
forfc^ung gu (Snbe gebracht fein.*)
5)er 9J?etapl)t)fifer märe bann bie Unrul)e, bie bem SSerfin!en
ber n)iffenicl)aftlicl)en g^orfc^ung in quietiftifcf)en ©pegialiSmuS entgegen^
mirfte. Seine 5Iufgabe im ©efamtbetrieb ber 3öiffenfcf)aft möre, bie
Sbee be§ legten ßielS aller gorfc^ung lebenbig §u erhalten, oielleic^t
*) ®er ©pra(f)forfd^er <Bä)tdä)ix, ber übrigen^ jelber nicf)t p ben Cuietiften
gel^örte, rfiarafterifiert in feiner fleinen 5(6^anblung über bie S)artrinid)e X^eorit
unb bie (2prarf)n5iifenfd^aft (1863) bteje SfJeiguug unjerer Qdt: „Wan erträgt mit
größter ®emüt§rui)e ben SlJiongel eine§ bem Stanbe unferer fd)arfen unb genauen
Sinjelforfc^ung entipred)enben pf)itoiop^iicf)en St)[tem§ in ber Überzeugung, boB öor
ber §anb ein foIcf)e§ noc^ nid)t geid^affen rtjerben fönne, bielme^r mit bem SSerfuc^e
jetner §erfteEung gewartet werben muffe, bi§ bermaleinft eine genügenbe gülle
guöerläffiger Beobachtung unb fidierer (Srfenntniffe aul allen (Sphären be§
menf(f)ü(^en 2Biffen§ borliegt." SBem fällt babei ni(i)t ber ^orajifc^e 93auer§mann
ein, ber am Ufer bei &Iuffe§ fte:^t unb toarten toill, big er abgelaufen ift?
At ille
Labitur et labetur in omne volubilis aevuin.
Einteilung unb (Srunbprobteme ber ^^ilojop^te. 45
üüii) in jetner ^erfon bie Unäulänglicf;feit ber menfd^Iid^en Äroft jur
©rreid^ung be§ 3^^^^^ barsufteüen, ober ju geigen, ha'i^ ber 9}Jenjc!^en=
geift Quf bem SSege ber ^orfd^ung nicf)t anS (Snbe ber ®inge gelangt,
unb ha'B audf) ®(auBe unb S)icl^tung if)r Ü^erfjt f)aben. 5lnbererfeit§ f)ätte
er bie Stufgabe, ben ®inf(uB ber wiffenfc^aftlid^en ^orjd^ung auf bie
2BeItanfd)ouung ju üermitteln. Unterbleibt bieg, bleibt bie lüiffenjc^afts
lid^e g^orfd^ung in if)rer ^ßereinsetung, fe^It e§ on einer ernfttjaften
^f)iIofop^ie, \o n)irb balb mit bem «SpegioliSmuS ber Dbffuranti§mu§
i)a§> gelb befierrfd^en. Unb bamit ftiären n)ir bei bem, föa^ ^ant
einmal im Unterfd^ieb üom ©c^ulbegriff ben SSeltbegriff ber ^(^ilofoptiie
nennt: „^£)i(ojopl^ie bie SSiffenfd)aft üon ber 93e5ie^ung aller (SrfenntniS
auf bie tt)efentlicl)en ß\ütde ber menfd^ticfien Sßernunft".
2)a§ SBefen aber be§ ^^i(ofop()en, ha§> maS ben gorfc^er jum
^§itofopf)en mac^t, f)at ©oet^e, ber S)i(ijter=^f)ilofopf) öon @otte§
©naben, im Xaffo gejeid^net:
©ein D{)r bermmmt ben ©inflang ber 9Zatur;
2Ba§ bie ©efd^ic^te reicf)t, bo§ Seben giebt,
©ein Sufen nimmt e§ gtcid^ unb roiCig auf;
®a§ ttjeit 3£i^[treute jommelt fein ©emüt,
Unb fein &t\m belebt ba§ Unbelebte.
3. Einteilung unb ©runbprob ferne ber '^i)Uo\o\)t)k,
SJian fann alle mögüd^en tt)iffenftf;aftlid)en Unter furfjungen unter
brei ©efic^t^punfte bringen: fie betreffen entweber bie 9Jatur be§
äBirflicf^en, ober bie gorm be§ @r!ennen§, ober bie bem ^anbeln ge=
ftellten Stufgaben.
©0 fommt man auf bie alte, in ber fpäteren gried^ifd^en ^^ilo-
fopf)ie üblidje (Einteilung ber SBiffenf(f)aften in ^{)t)fi!, Sogi! unb
et^ü: ^f)i)fiE bie Söiffenfc^aft oon ber S^^atur ber ^inge, ßogif bie
SSiffenf(f)aft, bie baS' @i1ennen felbft nac^ ©eiten ber gorm jum ©egen=
ftaub ^at, (St^i! bie 2Biffenfcf;aft üon ben ©ütern unb 2öerten, oon
bcu Stufgaben beä ^anbelng unb ben ^rinjipien be§ Urteilend.
Sn ber 'H^at finb l)iermit bie testen Drte njiffenfd^aftlid^er
Überlegungen übertjaupt be§eidjnet. ®ie 9Zamen freilidj t)aben gum
Xeil eine SSerjc^icbung i^rer Sebeutung erlitten. 9Zur ha§ SBort
46 ©inleitung: SSejen unb SSebeutung ber ^^ilofop^ie.
(Stl)if 6raucf)en n^ir oud) tjeute itod^ in feinem alten @tnn. ^Dagegen
{)a6en bie beiben onbern eine engere Sebeutung angenommen. Wit
bem Slamen Sogif Be§eic^nen mir je|t gettJÖfjnücf) nur bie Unterfu^ung
gemiffer formoler Sßer{)ältniffe be§ begrifflirfjen 2)enfen§. S)ie allgemeinften
©rmägnngen über Dcatur, Sebeutung unb Urfprung be§ ©rfennen§
pflegen toxi unter bem Xitel ber ©r!enntni§tf)eorie gu beJjonbeln.
'>Rod) mef)r ift bie Sebeutung be§ 9Zamen§ ^f)t)fif in§ Snge
gejogen. S3ei ben ©riechen ift ^f)t)fif bie SBiffenfc^aft öon ber 9latur
ber 2^inge überf)aupt, ju if)r gehört auc^ bie Grfenntni§ ber organifcEien
äBelt unb beS (Seelenleben^. SBir t)aben junäc^ft au§ bem 33egriff
ber SfJatur bie geiftige äöelt au§gefd)(ofien; bie ^f)i)fif ober 9latur=
lel^re ^at e§ tebig(i(^ mit ber förperlii^en >)latnx ^u tf)un. Stieben
if)r ftef)t bie ^f^cfplogie ot§ bie äöifienfc^aft oon ber 9ktur be§
feelifc^en 2eben§. 3)ann aber f)at fic^ ber 33egriff nocf) meiter oer=
engt, ^f)t)fif bebeutet nur noc^ einen Stusfdjnitt aus ber Se^re oon
ben ^lörpern, bie Unterfuc^ung ber atlgemeinften SSerl^altungsmeifen
aller moteriellen SIemente ift i^r ©ebiet; neben it)r befc^äftigen fic^
bie C£f)emie, bie 9JiineraIogie, bie ^Biologie u. f. f. mit befonberen
$ßert)a(tung5meiien ber Störper. Ser griecf)ifcf)en 33ebeutung ber ^^t)fif
entfpridjt in unferem Spra^gebrauc^ einigermaßen ber dlamt 3)Zeta =
pt)r)iif. 2öir pflegen bamit te|te unb allgemeihfte Unterfuc^ungen
über bie Statur ber S)inge über{)aupt, ber förperlicfjen fotoof)! als ber
feelifcf)en gu bejeidjnen, Unterfud)ungen, bie auf @runb aller ©ingel»
forfd)ung, mie fie burd) ^^i)\)\ii unb '!|?ft)c^oIogie getrieben mirb, eine
@efamtanfid)t oon ber 9latur ber SSirf(id)feit ^u geminnen fuc^en. —
©0 !(ingt e§ uns je^t auc^ au§ ber (5tt}mo(ogie be§ 9?amen5 entgegen,
SO?etapt)t)fif eine §SBiffenfd)aft, bie über bie ^f)i)fif unb i^re Sf^atur-
betrad)tung f)inausge{)t. Urfprünglic^ liegt ha§! allerbingä nid)t in
bem SBort; es ift aufgefommen al§ 2:ite( einer Schrift be§ 2(riftoteIe§,
bie oon if)rem Sßerfaffer fe(bft al§ „erfte ^t)i(ofopf)ie" begeic^net mirb;
fie mürbe SO?etap^t)fif genannt nac^ bem £rt, ber if)r fpäter in ber
Sammlung ber oriftotelifc^en Schriften t)inter ber ^{)t)fi! angemiefen
mar. — 353ir merben alfo im folgenben ha§: Söort in ber 33ebeutung
braud)en, baB e§ bie S^erfuc^e bejeidjnet, bie Summe unferer @rfennt=
niö ber ^inge in aügemeinfte SInfidjten oon ber iRatur ber 2Birfüc^=
!eit äu fallen. 'äi§> it)re eigentlid)e innerfte Stufgabe fann man be=
©inteilung unb ®runbprobIeme ber ^ifilofop^ie. 47
gelegnen: bie p^t)ftf(i)e unb bie geiftige SSelt, ober iüa§ auf ba§feI6e
f)inau»fünimt, bie faufote unb bie finale Betrachtung ber SSirfücfifeit
in (£in§ äufammen gu biegen.
2(uf bie iJrage, ob eine folc^e SSifjenjcf)aft überhaupt möglief) fei,
gef)e ic^ nac^ bem, toa§> t)orf)er über bie 9}?i3gtic^feit ber 'ipf)i(ofop{)ie
ou§gefüJ)rt Sorben ift, nid)t ireiter ein. SSon ber er!enntni§=tt)eoretif(^=
pofitiüiftifcf)en 9iid)tung wirb bie 9JZögIi(f)feit ber 9J?etap()i:)fif oerneint,
fie muffe al§ eine grofee gefcf)irf)tli(f)e 33erirrung be§ äl?enfrf)engeifte§
angefel^en werben; bie pofitioen SSiffenfd^often unb bie (Srfenntni§tf)eorie
erfd^öpften ben UmfreiS be§ SSifebaren. Sn ber 2;^at, öerfte^t man
unter 9JJetap^t)fi! bie SSiffenfrfjaft oon ben fingen, bie aufeerfjalb oßer
mijglicfjen ©rfafirung liegen, ober bie ^onftruftion ber SSirflic^feit
a priori in einem S3egriff§fl5ftem, bann mirb if)re ^^it öorüber fein.
^Dagegen wirb äRetap^t)fif in bem oben be^eidineten ©inne nie au§=
fterben; ber SSerfud^, auf bie legten O^ragen, bie bem ©eift burd) bie
äöirfüd^feit aufgegeben finb, eine 5(ntmort gu geben, wirb fo lange
wieberJjoIt werben, oI§ t{)eoretifrf)e§ ^ntereffe gum ^JiacEjbenfen über bie
Singe antreibt. Ob man biefe SSerfud^e 2Biffenfrf)aft nennen wiü ober
nic^t, f(f)eint jiemlicf) gleid^gültig ; ta^ bie (Subjeftioität be§ SDenferg
f)ier eine größere Üioüe fpielt, al§ in ber 9J?atf)ematif ober ^f)t)fif, ift
o^ne weitereg jujugeben; ebenfo, ba'^ nicfjt ein ebenfo fontinuierü(i)e§
^ortfd^reiten in ber ©efc^ic^te ber 3)?etapt)t)fif ju finben ift, wie in
ber @efd)irf)te ber eyaften SSiffenfi^aften. 2)a§ fann aber nid)t ^inbern
anguerfennen, ba^ bie ?}ragen, bie man metap^gfifcf) ^u nennen pflegt,
aufgegeben unb bomit alfo ber Ort einer folc^en Unterfud^ung abgeftedt
ift. Man fann freific^ biefe O^ragen aud^ in ber (£rfenntniltf)eorie
abfjanbetn, man fönnte i^nen, wenn man wolfte, auc^ in ber ^ft)cE)ofogie
ober in ber ^^^fif einen Crt üerfdjaffen; aüe (Einteilung ber SSiffen-
fcf)aften ift gule^t äuföüig. SJär wifl e§ aber ouf feine SSeife jwecf*
mä^ig erfcfjeinen, biefen Unterfuc^ungen i^re relatiüe ©elbftiinbigfeit ju
nehmen unb fie gelegentlid) in einem anbern 3iifQ'"nt^"^iii^9 o^ä"=
l^anbetn. 93ef)anbelt man 5. 93. biefe ^^^agen in ber (Srfenntni§tf)eorie,
fo f)at ba§ lebiglicf) bie i^olQt, bafe fie unter einem unbeciuemen unb
fcfjiefen ©efidjt^punfte oorfommen.*)
*) Sinfic^tige Söemerfungen übet ?iotiüenbigteit unb ?Iufgabe ber 2Retapf)t)fif
finbet ber Sefcr bciQ. SBolfelt, einfü^rmig in bie $f)iIojopf)ieber ©egenrcart (1891),
48 Einleitung: SSejen unb 93ebeutung ber ^^ilofop^ie.
Sn jebem ber brei großen ßlDeige ber ^f)ifofopt)ie füf)rt bie
Unterfud)ung auf hjenige le^te ©runbprobleme. Scf) lüill fie ^ier furj
im 3uiammenf)ang entirirfeln, fie bejeidjnen äugleid) ben ©egenftanb
ber folgenben Söetrad^tungen.
5Iuf stDei Ie|te fragen tüirb bie Setrad^tung be§ äöirflid)en ober
bie 9JletQpt)t)[if gefüljrt, ic^ nenne fie 1) bQ§ ontologifrfie, 2) \)a§>
JoSmotogifd^e ober t^eologifc^e Problem.
3)a§ ontotogifiie Problem mxh hnxd) bie ^roge au^gebrücft:
njorin befielt bie 9Jatur be§ SBirf liefen aU folcfjen? 5(uf bieje ^rage
fdjeint §unäd)ft eine einfache 5(nttt)ort nicf)t möglid^; ta§! 2Bir!Ii(i)e tritt
un§ nic^t qI§ ein gleicfjartigeö entgegen. Sßerfcfjiebene SSiffenfdiaften
geigen ein üötlig ungleict)artige§ SBirflic^eS. ^er ^f)t)fif fteüt e§ fid^
bar all Sörper, ber ben 9iaum erfüllt unb im 'Sianin fid^ bettjegt; otle
it)re S3emüt)nngen finb borauf gerirfjtet, bie 9?aturerfc^einungen auf gefe|=
mäßige Sen^egungen raumerfütlenber Xeilc^en jurücf^ufüfiren. 5I(§ ein
üöüig anbereS tritt nn§ ha^ äBir!(id)e in ben ©eifteSraiffenfc^aften ent=
gegen; e§ erfc^eint t)ier al§ empfinbenb, öorftellenb, benfenb, fü^Ienb,
ftrebenb, ttJoßenb; öon SSenju^tfein^oorgängen l^onbelt bie ^f^d^ologie,
(Srfd^einnngen, bie mon nid)t fef)en, greifen, meffen, nocf) überhaupt all
im 9flaum fic^ begebenbe SSorgänge !onftruieren fann.
2Bie oerf)atten fic^ biefe beiben formen be§ SBirftic^en gu einonber?
S3efte^t bie 2Bir!üd)!eit anl 3tt)ei üöüig öerfdjiebenen SIrten be§ 2öirf=
lidjen? Ober loffen fidf) jene beiben formen, bie p^^fifc^e unb bie
pft)(^ifd)e, auf eine äurüc!füf)ren.
S)ie SSerf(i)iebent)eit ber 5tntmorten auf biefe ^^rage ergiebt bie
üerfc^iebenen metoptitififd^en (Stanbpunfte, meiere man mit bem 9Zamen
be§ S)uali§mu§, be§ 5DJaterialiömu§, be§ ©pirituaUsmus ober
Sbeali§mu§ begeic^net.
S)uali§mu§ IjeiBt bie 5tnfid^t, melcf^e befjauptet: e§ giebt gmei
t)eterogene 5(rten bes SSirüidjen, p)d 2(rten oon ©ufaftanjen,. förpertic^e
unb geiftige, au§gebet)nte unb ben!enbe. S)er gemeine SOJenfd^enüerftanb
mit toeIrf)er (Sd^rift bie t)ier borliegenbe übiv'i^aupt monc^e 93erüt)rung§punfte i)at.
^ä) üettüeife I}ier and) auf bie Sinleitung in bie ^t)iIofopi)ie öon D. Äülpe, bie
eine jur £rientierung fefir bvanä)baxt ft)ftematif^e Überfielt über atle pt)ilo«
fop{)ijc^en Siggiplinen unb i^re gefc^ict)tüc^e (Jntroicfelung, fott)ie übet bie in it)nen
Ijeröorgetretenen 9ti(^tungen be§ ©enfen^ bietet.
(Sinteitung unb ©runbprobleme ber ?ß]^iIo|opt)ie. 49
finbet hi^ auf biefen Xag in biefer Söfung beö ontologifcfien 'proB(em§
mn Ieid^te[ten 93efriebigung.
Sie ^^ilofop^ie jeigt jeber^eit eine Dieigung über ben SDualigmuä
{)inau§ gu einem 9Jioni§mu§ §u fommen. Sie eintriebe ba^u Hegen
auf ber ^anb; bie ©in^eit ber 3Sirfli(f)!eit i[t fo gro^ unb greifbar,
ha^ fie bie ^uföntmenje^ung au§ gttjei üijllig üerfd^iebenartigen ©(erneuten
felbft obgulefinen fdjeint. Saju !ommt bie Steigung bee 3)en!en§ gur
Vereinfachung ber SBirüid^feit; bie Singe erüöreu, fjeifet bie mannig=
foc^en @rfd)einungen auf einfädle ^rin^ipien ^urücEfü^ren.
5Iuf boppelte SBeife !ann ber ®in^eit§brang fein ^\ti erreidjen;
man füf)rt enttt)eber bie geiftigen Sßorgänge auf bie förperlid^en gurücf
unb fagt: Körper unb Seftjegung ift ha^ an firf) SBirflid^e, bie S3ett)ufet=
jeinSüorgänge finb bloB eine (Srftf)einung§forni öon SSorgöngen, bie an
fic^ pfl^fifalifd^er 9latur finb; bann f)aben n)ir ben 9}JateriaIi§mu§.
Dber man füf)rt bie pl^tjfifalifc^en (Srf (Meinungen auf $8emuBtfein§=
oorgänge jurücE unb fagt: geiftige 35orgänge finb ha§^ an ficl§ SSirf[i(f)e,
bie p!^t)fifci^e SSelt ift eine blofee (Srfd)einung§form jene§ n^irflid; SSirf-
liefen; bann ^aben wir ben @ptrituaU§mu§ ober SbealiSmug.
Saneben bleibt eine öierte 3JZiJgüd)feit; man fann fagen: bie D^atur
be§ SSirflid^en an firf) öermögen mir überfjaupt nic^t §u erfennen. be-
geben finb un§ äunödjft bie beiben formen, ha§> ^lörperlirfje unb ha^^
<5)eiftige; mir mi)gen aber annef)men, ba^ fie nur öerfdjiebene ©rfc^einungs^
formen eine§ un§ unerrei(f)baren SBirÜic^en finb. StgnoftigiämuS
lann man biefe Stnficfit nennen.
So^ groeite gro^e ^^roblem ber SiJietapfjljfif ift ha^ fo§mo =
Iogif(^e ober tfjeologifd^e. @§ mirb au^gebrücEt burcf) bie O^rage:
melrf)e Vorftellung foden mir ung oon bem ^nfammenfiang aüer Singe
madjen? meldte ©eftalt f)at bie 2öir!Iic^feit al§> ©anseS? 5ltomi§mu§,
S^ei§mu§, ^antf)ei§mu§ finb oerfdiiebene S3eantmortungen biefer
^rage.
2Iuf ben erften Süd ftellt fid) bie SBirflic^feit ai§> eine 5ßielt)eit
jelbftönbiger Singe bar, bereu jebe§ §mar in Sejiefjung ^u anberen
ftef)t, aber feinem Safein nad) unabf)ängig für fi(^ beftel^t. Siefe
^Tufic^t ift äu @nbe gebadet im SttomismuS: bie 3Bir!üc^!eit ift ein
Aggregat oieler, felbftänbiger, unentftanbener unb unoergöngtid^er Ur=
elemente; burd) mannigf ad)e Sßerbinbung entftef)en au§ i^nen, gteidifam
■■IJ au (feil, Sinleituiig. ö. Ülufl. 4
50 (Einleitung: SSefen unb SSebeutung bet ^f)iIofop^ie.
qI§ 3)inge jlnetter Crbnung, bie Singe ber getüc^nlicfjen SQIeinung. —
S)er Sttomi§mu§ ober ^Iurali§mu§ ift nid)t notroenbig materiaüftifc^,
in ber SD^onaboIogie 2ei6ni§en§ l^oben npir eine fpirituaüftiic^e ^orm.
Slucf) an biefem ^unft f)at bie ^^t)iIofop^ie oon jef)er eine Steigung
gejetgt, über bie ^ielijcit ju einer (Sinf)eit ^inauS^ngel^en. 2)ie (Sin=
f)eitlirf)feit uub ßufammenj'timmung ber SBett erfdjeint fo groB, ba^ fie
ntd^t qI§ ba§ (Srgebnig be§ gufäßigen 3"i<intmen!ommen§ einonber
obfolut frember (Elemente begriffen ftierben fann. Sn boppelter ©eftalt
tritt bie moniftifd)e 2öeltanf(f)auung auf; entn^eber leitet fie bie (£in=
t)eit unb 3"iQn^"^^"l'^i^"ni"^^9 ^^^ Singe au§ ber (ginwirfung einer
nad) eint)eitlic^em ^lan t^ätigen, baumeifterlic^en Sntelligenj ah, bann
^oben n^ir ben 2;!)ei§mu§. Ober fie trägt bie @inf)eit norf) tiefer
in bie Singe t)inein unb behauptet: bie Söirfücfjfeit ift überljaupt ein
eingigeg, ein§eitüd)e§ SBefen, eine @ubftQn§, bie ^ieltjeit ift nur a(^
©üeberung in ber @inf)eit be§ 2Sefen§; bann l^aben mir ben ^an=
tt)ei§mu§. S3on ^njei fünften aus wirb bie ^^iIofopf)ie auf biefe
5(nfc^auung gefüf)rt. 33om ©otte^begriff au§ fommt bie tt)eo(ogifd^e
©pefutation ba^in: ift @ott, tt)ie eö bie monott)eiftifcf)e ®otte§Iet)re
fagt, ©rf)öpfer atler Singe au§ nic§t§, bann ift er in 2Sa()ri)eit allein
feienb, bie Singe finb bann burrf) i^n unb in i(}m; fie fi)nnen nidjt
au§ it)m f)erau§ unb gegen if)n felbftänbigeS Safein gewinnen. 2(nberer=
feit§ !ommt oom Skturbegriff au^^ bie pfiQfüalifdje Setrarfjtung auf
benfelben ©ebanfen ber 2Befen§einf)eit. ©tef)en alle Singe in aUge=
meiner unb beftänbiger SSecf)fettt)irfung, fo fctjüe^en fic^ alle SSorgänge
§u einem einzigen, aüumfaffenben Vorgang, bem einf)eitli(^en SSeltlauf,
äufammen, unb bamit ift ber 93egriff ber ©in^eit beffen, ha^ \\d) öer=
änbert, ber Segriff ber (Sinljeit ber ©ubftanj gegeben.
5lud) bie @rfenntni§t:^eorie mirb auf jraei Ie|te Probleme
geführt, mir fönnen fie nennen ha^ Problem be§ SSefen^ unb ba^
"Problem be§ UrfprungS ber ©rlenntni^.
Sa§ erfte mirb auggebrüdt burd) bie g^rage: mas ift ha§> @r=
fennen? §ierauf geben 9^eali§mu§ unb SbealiSmu^ ober ^l)äno =
nienali§mu§ öerfd^iebene ^Intmorten. Ser 9fteali§mu§ fiel}t in il)r eine
aböquate Slbbitbung ber SSirflid)!eit; im mal)ren (Srfennen fommen bie
Singe ebenfo öor, mie fie in ber Sßirllic^feit finb, nur notürlid) o^ne
bie 2öir!lid)feit felbft. Ser Sbeati^muS I)ätt biefe Sluffaffung für eine
©nteilung ber ©runbprobleme ber ^f)iIofop^ie. 51
gonj mmtöglicfie; tüie fann @r!ennen 5lbbilbung unb gleirfjfam S33ieber=
^olung ber ^inge lein? (Srfennen ift ein innerer, pft)d)ifdf)er S^orgong,
tt)ie fotite jluifdjen i()m unb ben 3)ingen brausen S(f)nü(^feit ftattfinben?
Unb wenn fie ftattfänbe, fönnten "mix e§ nirfjt wiffen; mv fönnen nicf)t
au§ un§ f)erau§treten unb unfere SSorftellungen mit ben fingen öer=
gteid^en.
®ie gnjeite g^rage ift: mie fommt ©rfennen überl^aupt ^uftanbe?
Slurf) fie giebt gur (Sntftefjung eines burrf) bie ganje @efrf)i(i)te ber
^f)i(ofop^ie ^inburcf)ge!^eubcn @egenfat^e§ ber Stnfid^ten 33eran(Qffung,
be§ ©egenfatieg üon @mpiri§mu§ unb 9fiatiünati§mu§. ®er
(Smpiri§mu§ leitet alte @r!enntni§ au§ ber SBo^rneljmung ah; @r=
fa^rung ift bie einzige Quelle ber ®rfenntni§, @rfaf)rung aber beftet)t
in Kombination oon SBa{)rne^mungen. ^er ÜiationaIi§mu§ bef)ouptet
bagegen: alte eigentlid^ tniffenfdjaftlic^e @r!enntni§ fe^t ein anbere§
^rinjip oorauS, t)a^ nid^t au§ ber 32Sa^rnet)mung ftammen fann.
5tIIgemeiuf)eit unb Sf^otiuenbigfeit, mie fie am ftrengften bie SOlat^ematif
bietet, tük fie aber oon jeber SBiffenfdjaft erftrebt n)irb, !ann nie au§
ber (Srfaf)rung fommen, bie immer nur geigt, maS in biefem g^all, nirf)t
ma§ in jebem galt gefdjiet)t. (5igenttic^e SBiffenfd^aft entfpringt au§
bem 95erftanbe, ber 93egriffe bitbet unb it)re S3e§ie{)ungen oerfotgt nad)
ber i^m urfprüng(id) eigenen inneren @efe|mäBig!eit.
S)ie Uuterfudjungen ber (£tt)i! !ommen auf eine le^te pringipieüe
groge ^üvM: n^orauf berntjen gute^t atte 2Sertunterfd)iebe, im be=
fonberen bie 2Bertnnterfd)iebe gmifdien menjd)lid)en ^anblungen unb
Ö)efinnungen? ^wti Stnfid^ten ftetjen fid) gegenüber; bie eine behauptet:
auf 2öir!ungen für bie SebenSgeftaltnng: gut ift, maS güuftige,
fd^tedjt ift, ma§ ungünftige g^olgen für bie ßebenSgeftaltung be§
©injetnen unb ber @efamtt)eit ^at, bereu ÖJtieb er ift. ®a§ ift bie
teteotogifd^e Stnfid^t. Sie anbere Stuftest, man !ann fie bie forma =
tiftifc^e nennen (fie wirb audj bie intuititiiftifc^e genannt, im
@egenfa| §ur utititarifd)en, mie man in (Sngtaub bie teIeotogifd)e
(Stt)if nennt), bet)auptet: gut unb bofe finb abfotute Duatitäten oon
§anbtung§meifen unb SBiüenlriditungeu, bie nur wahrgenommen unb
anerfannt, aber nid)t eigenttidj abgeteitet unb begrünbet werben fönnen.
ipat bie erfte 5tnfid)t red)t, fo ergiebt fid) eine neue grage: metdjer
SebenSinfjatt ift e§, burd) beffen |)erbeifüt)rung ober ^förberung
52 ©inleitung: SBefen unb SBebeutung ber 5ß^iIo)opf)ie.
günftige üon ungünftigen Söirfungen unterfd^ieben irerben? tnas ift
ha^ ^öcfifte unb Ie|te ^ki menid)Ii(f)en ©trebens? SBirb hierauf ge=
antiüortet: @efüf)Igerregungen ber ßuft ober bes @(ü(fö, jo f)aben
tüir ben §eboni§mu§. Söirb bagegen ba§ ßiel in eine objettioe
Sebensgeftaltung unb ßebensbetfiätigung gefegt, io f)aben wir eine
Slnfcfjauung, für bie e§ an einem i)er!ömmlic!^en 5(u§brucf fe'£)It; icf)
tüill fie, mit Srinnerung an ben Urjprung biefer ?(n]cf)ouung in ber
ariftotelijcfien ^{)i(ojopf)ie, (Snergi§mu§ nennen; ba? t)öcf)fte @ut ift
yolle Entfaltung unb üollenbete Setf)ötigung aüer menid)Iicf)en Sugenben
unb Xüc^tigfeiten, am meiften ber ^öc^ften.
Sdf) beginne mit ben metap{)i)ftfc§en Problemen. @ie ftnb e§, bie
ben 9JJenfcf)engeift §uerft ^ur ^t)ilofopf)ie antreiben, freilief) finb fie fo
mit ben Problemen bes @rfennen§ t)ertt)arf)jen, ha'!^ e§ üielfad) notroenbig
mirb, ©rgebniffe erfenntni5tt)eoretifcl)er 93etracf)tungen, 5. 33. über ha§i
SBefen öon Ütaum unb ßeit, oon ©ubftantialität unb ^aufalitöt öorau5=
gune^men. ^vnbeffen mürbe e§ nid)t anber§ get)en, roenn mir bie
(Srfenntni»t^eorie öoranftellten; mir müßten bann oielf ad) metap^t)fifc^e
2£)eorien öorausfe^en. @l fd^eint mir barum jmecfmäBig, bei ber
natürti(f)en Crbnung ber gefdiic^tlid^en Sntmicfelung gu bleiben, nac^
ber erft bie metapiii^fifcfien 33erlegent)eiten bie Unterfud)ung über bie
9latur be^ örfennens f)erüorgetrieben ^aben.
frptes "^uc^.
f te ^vobhmi htv P«tit))l)t)rtH.
3(i) gebe ober etixjaS ouf ben ur)prünglicf)en Sktur^
tnftinft ber 9Jtenyd)en unb gtaube, ba§ ntd)t§ tüof)r
jetn fann, maä nid^t auc^ gut ift ju glauben, am
tr)a^r[ten ober ba^, trag am be[ten. f^reilicf) auc^
in bem, ima§ man für gut 'ijäü, laxm man irren,
ober einmal mufe i>od) ein ^untt fommen, tüo ber
SKenfc^ fic^ felbft glaubt.
(Jed^ner, 3enbaüej'ta.
«ortüort XIV.
€rjies Kapitel.
§11$ 0nt0lii0!r<4^ ^vcbitm.
1. ^nv gefc^i^tltc^ctt Onenttcrung.
2)er 5(u§gang§pun!t alleS ^f)Uofop^ieren§ i[t bie gemeine
tDkinung; bas^ gilt üon ber (Snttüiifelung be§ ^en!en§ in ber @e=
jamtf)eit, irie im einzelnen Snbidibuum. Sn einer jur ©infü^rung in
t)ie "pfiilofop^ie beftimmten (Sd)rift inirb e§ ba'^er gnjecfmäBtg fein, oon
if)r au§ängef)en.
Stuf bie t^rage nacf) ber 9?atur be§ SSirflic^en qI§ fotc^en mirb
tie gemeine SSorftellnng jnnädift mit ber ^inmeifung auf bie fidjtbaren
iinb greifbaren 2)inge antmorten: bie 5?'örpern)elt ift ha^ SÖSirflidie.
15)ennocf) ift fie nidf)t eigentlidj materialiftifcf); ber 3Jiateriaügmu§ ift
«rft ein ©rjeugniä be§ miffenfc^afttic^en 9iac^benfen§. Sene !ennt
neben ben Körpern nod) ein 2BirfU(f)e§ öon anberer Strt, bie (Seele.
Sn ben tebenben Körpern ift etma§, boS nict)t Slörper, h)enigften§
nic^t eigentlid^ 5lörper ift. @§ giebt tt)O^I !eine ©prad^e, bie nic^t
«in äöort f)at für bog, mag mir @eele nennen, unb bamit biefem
^tma§ SSirflid)!eit unb SSefen^eit §uerfennt. 2)en Urfprung ber SSor=
fteHung oon ber @eele al§ einem befonberen SBefen mirb man etma
in folgenbcn 2:f)atfoc^en gu fudjen f)oben. Unter ben Körpern tritt
■ein midjtiger unb in bie Singen fallenber Unterfdjieb f)eroor, ber Unter^
jc^ieb oon lebenben unb leblofen Körpern. 3ene bemegen fid) burd)
t)en eigenen SBiUen, biefe bagegen fönnen fid^ nid)t oon felbft bemegen,
fonbern bebürfen be§ Slnfto^eS oon aufeen. 3)te Urfadje biefe^ llnter=
jd)iebe§, fo folgert bie SQJeinung, muB barin liegen, ba^ in ben leben*
t)igen Körpern ein @tma§ ift, ta§^ miß unb bemegt, empfinbet unb
füf)It; i>a^ ift bie ©eele.
^ap aber biefe ein befonbere§, felbftänbige§ Söefen unb nic^t eine
fclofee Ätaft ober ©igenfc^aft ift, barauf füt)rt eine anbere STtjatfadie,
56 I- S3ucf): aJleto^j^^ft!. 1. Kapitel: S)a§ ontologifdje «Problem.
bie auf bie primitioe öebanfenbilbung über'^QUpt einen tiefgef)enben
(SinfluB übt: bie ©rfc^einung be§ 2obe§. dJlit bem Xobe oerliert ber
lebenbe Körper jenen SSorjug üor ben leblofen Körpern, er njirb
füpo§ unb bewegungSlog. SSie !ommt t)a§? mas {)at firf) im 2;obe
gugetragen? Ser Körper ift nod) berfelbe, lüie im 31ugenblic! oorf)er;
er ift äuBerlid; unöerminbert unb unüeränbert, nur bie eigene 33emegung
fef)tt. (S§ mufe olfo, ba§ ift bie no^e liegenbe Folgerung, ba^ S3e=
njegenbe, bie ©eele, if)n oerloffen I)aben. Sie ift alfo un!örpertic^,
fonft müfete it)r Sßerluft fic^tbar fein, unb fie ift ein felbftünbigeS SSefen;
fie beroeift e§ eben baburc^, boB fie oon bem Seibe fic^ trennt unb ju
ejiftieren fortfährt. 2)enn f)ierin ftimmt bie (Srfa^rung aller Sßölfer
überein, ba^ bie @eele nic^t im 3;obe unterget)t; fie fann nocf) erfcf)einen
unb n)ir!en. 2öo{)in bie Stnt^ropotogie blicft, tritt if)r ber 2'otenfult
entgegen, ein fieserer S8emei§ be§ @Iauben§ an Safein unb fortleben
ber abgefd)iebenen (Seele. Um ba§ ^^idjtjeienbe giebt fid) niemanb
äJiü^e. — Übrigen^ ift auc^ tt)äf)renb beg ßeben§ seittoeilige Trennung
ber ©eete nom Seibe eine auf primitiöer ^ulturftufe gen)bf)nlid)e SSor=
fteflung. Sm @d)Iaf liegt ber £eib aurf) bemegung^Iog ha; aber bie
©eele ift nidjt untt)ätig, fie fie^t, f)ört, füt)tt unb erlebt mand)mal er=
ftauntidje Singe. (Sie träumt, fogen tt)ir; bie primitioe SSorfteÜung
aber beutet biefe Sf)atfa(f)e anberS: bie (Seele oerlä^t im (Sd^laf ben
£eib unb manbelt eigene SSege, roobei i^r benn eben ba§ juftöfet, toa^
fie nad) unferer 3lu§brucf§meife träumt.
2Ba§ nun bag SSefen ber (Seele nac^ ber primitioen ^^orftellung
anlangt, fo läfet e§ fid) etuja fo beftimmen: fie ift ein ^auc^artige^
SSefen, fid)tbar, aber nid)t greifbar, oon ber ©eftolt be§ ÖeibeS, wie
fein bleibenber fubftantieller Sd)atten. Ser 3ufammenl)ang be§ Seben§
mit bem 5ltem ift offenbar ber Stnla^, ha^ in fo oieten ©pradien bie
Seele al§ ^auc^wefen (ipv/)), animus) be^eic^net mxh. ©eienbe^
$8ilbni§ ober feienbe ©ic^tbarfeit be§ Seibe§, ol)ne ^örperlid)feit, ol)ne
Unburd)bringlid)feit unb Sd)mere, fo lönnte man fie befinieren. (So
befc^reibt §omer bie abgefd)iebenen ©eelen ober ©eifter, fo molt fie
ber mittelalterliche Wlakx, fo ftellt fie auc^ ^eute noc^ bie @efpenfter=
furdjt oor. Sabei fe^lt il)nen nidjt bie i5äl)igfeit ju fpufl)after 2Sirf=
famfeit unb oor allem ein, menn aud^ oeränberteg unb f)erabgefe|te§,
Innenleben mit (Srinnerung unb öefül^l.
1. Qnx gefd^id)tUd^en Drientierung. 57
SBoIItc man bie ontoIogifd)e ^luffaffung ber gemeinen SJJeinung
üaffifijieren, fo miifete mon jie al§ einen Dagen ®uali§mu§ be*
jeidjnen. 5)ie Körper finb ba^ eigentlirf) SBirfüdje, baneben giebt e§
aber jeneg SSirHidje jrtjeiter Crbnung, förperartige SSejen o^ne eigent*
lid^e ^örperlid^feit, bie joiüotjt in ben Körpern aU wirffame Äraft fic^
betf)ätigen, a{§> and) für fid) a(§ abgefdiiebene (SJeifter ejiftieren.
^ie p^iIoiopf)ifd)e ^luffaffnng ber SBirflid^feit i[t, n)ie fd)on be=
merft, überall burd^ ba§ ©treben jum 9JJoni§mu§ gefennjcid^net; bie
2öirfnd)!eit ün§ einem ^rinjip abzuleiten, bie inannigfad)en g^ornien
be§ ©eienben auf eine Urform 5urüdäufüf)ren, ha§: ift ein ©runbtrieb
be§ pI}iIofop{)ifc^en S)enfen§. 3^^^ O^ormen be§ ontoIogifd)en 9}Joni§mu§
ergeben fid), jenac^bem man öon ben ^tjatfac^en ber äußeren, fidjtbaren
2öett ober ber inneren 3Be(t aulge£)t: 9JJateria(i§mu§ unb
Spiritualismus. Sener be{)auptet: S^örper ober S3en5egungen finb
bie Urform beS 2öir!Iid^en, auS i^nen finb auc^ bie X^atfadjen beS
SBa^rne^men», S)enfenS unb SBolIenS ju erüären. 3)er Spiritualismus
ober SbealiSmuS bagegen behauptet: bie Xfiatfad^en beS Innenlebens,
mie fie im ©elbftbemu^tfein fic^ barftellen, finb baS erfte unb eigentliche
2öir!Iid)e; ©ebanfen !ann man nidjt als ^robuft ber SOZaterie, mof)!
aber umgefef)rt bie SJJaterie a(S ^^robuft beS ©enfenben fonftruieren;
bie Ä'örpermelt ift (Srfd)einung.
S(m Eingänge ber gried)ifd)en ^f)i(ofopt)ie treten unS bie beiben
ontoIogifd)en 2;t)eorien in einem ^aor fraftootter unb fü^ner Genfer
entgegen, in 3^emo!rit unb ^^lato. ^^ener fütjrt alleS 3SirfIid)e
auf bie S(tome unb baS Seere gurüd. ^leinfte, unteilbare, aber
auSgebefinte Ä'örper finb bie Urbeftanbtcile ber SSirflic^feit, auS it)rer
S3emegung laffen fid) alle 91aturüorgänge erflören, bie f)immlifcl^en
mie bie irbifi^en, unb unter biefen auc^ bie 2ebenSerfd)einungen mit
©infd^tu^ beS 2ßa!^rnef)menS unb S)en!enS. ^^lato bagegen f)at ben
9JJut, als ber erfte im 5lbenblanbe ben (Gebauten ju (Snbe ^u
benfen: bie Körper finb nid)t nur nic^t baS eigentlich 3Bir!Iid)e,
fonbern fie finb eigentlid^ überf)aupt nidjt mirflict), nic^t an fid^
mirftidj, fie finb (Srfd)einungen eines anbern. 2)aS an fid) 2SirfIict)e
ift geiftiger 9latur, bie SBelt ift an fic^ felbft ein Softem feienber
©ebanfen (Sbeen). ^m begriff(id)en SDenfen erfofet ber @eift biefeS
maf)rt)aft 35}irf(i(^e, tt)öt)renb bie finnücf)e Q3orfteIIung an ben nid)t
58 I- S3ud^: SJletap^^fif. 1. tapitel: ®a§ ontotogijdie Problem.
feienben, fonbern lüerbenben unb oergefienben, burcfi ben Sfioum oer^
ftreuten 9lac^bilbern ber Sbeenirelt, ben förperlid)en 2)mgen ober (£r=
fc^einungen flebt.
SIriftoteleg näf)ert fi(^ toieber mef)r ber gemeinen SSor[teüung.
2Bte er in ber (Erörterung p^iJoiopbifrfjer Probleme oft oon i^rer
^arftellung im «Sprad^gebraudj QU5get)t, \o !et)rt er and) mit feiner
öntjc^eibung gern ^u i^r jurüc!; er liebt nic^t bie icf)ro|fen nnb ein=
jeitigen ©ebanfen, »ie fie ben großen einiamen 5Denfern äujagen.
(Seine ^^f)i(ojop{)ie t)at bie ftar!en unb jc^n)ad)en Seiten einer SSer=
mittlungsp^ilojopfiie. 3eine Cntologie i[t ein sunt SbeoIiSmuS
netgenber 2)UQli§mu§. 'am SInfang be§ gtueiten Sucres jeine§
SSerfg über bie 8ee(e erftärt er if)r SSejen: fie ift bie ^orm eine§
organifrf)en ÄörperS. ^ie örüärung erinnert an bie 53orfteüung ber
gemeinen 9}?einung. ^i)t @inn ift oUerbings ein tieferer; bie @eele
ift nirf)t ber ©cfjattenriB be§ Seibes, nic^t bie äußere ftereometrifc^e,
fonbern bie innere, funftionelle g^orm ift gemeint: ba§ mirfenbe
unb geftattenbe SebenÄprin^ip. SlüeS ha§, moburrf) fid) ein (ebenber
£)rgQni§mu§ oon einem leblofen Körper unterfc^eibet, ift Srf)ätig!eit
ber Seele: öntmicfelung, Stoff mec^fel, fpontane 33ett)egung, öm=
pfinbung, 93ege^ren, S^enfen unb oernünftigeS 3Boüen. 2(u§ ben
Stoffteiten, aug benen ein organifdjer Äörper beftei)t, laffen fid^ feine
gunftionen nid)t ableiten, fie finb bie 53etf)ätigung eine§ befonberen
SebensprinjipS, ha§: ift bie Seele; fie marf)t ben Äörper erft gn bem,
was er ift. 2)ie 9J?aterie bietet bloB bie 9}?ögticf)!eit bes £eben§, mie
ta^ §otä bie 3J?ög(icf)feit eine§ 53ogen§, ber SDJarmor bie 9Jiögticf)feit
eines ©i(btt)er!§ bietet; aber erft bie gorm madjt aus bem möglichen
Söilbwerf ha5 mirfüdje. So moc^t bie Seele au§ organifd)er SJiaterie
ben lebenben 2eib. — Wlan fief)t, öon ben beiben ^rin^ipien ift
bie 3^orm ba§ mef entließe, ber Stoff ha^ zufällige unb fe!unbäre;
jene ift ba§ eigentliche 2Ba§ be§ 2)inge§, biefe ha§: 3Sorau§. 5(n fid)
ift bie SOiaterie überhaupt unbeftimmte unb unfaßbare 9JJögIid)feit ;
erft hüxd) bie f^^orm n^irb fie gu einem beftimmten, geftalteten, faB=
baren 3Bir!Iid)en. Unb im ©ebanfen öotte§, ber feine 3J?Dglid)feit,
fonbern reine ^orm, nämlic^ reines S)en!en ift, tt)irb ^ute^t bie
9Jkterie überf)aupt aufgehoben, of)ne boB ober boc^ mit biefem @e=
bauten nun fo entfc^ieben ©ruft gemad^t mürbe, mie e§ ^lato tf)at. (S§
1. Qnt gejd^i^tlic^en Drientierung. 59
giebt feine ^tjilojop^ie, bie ber gemeinen SBorfteüung mel^r entgegen
fäme, q(§ bieje (Srflärung oder SDinge au§ ^orni unb ©toff, Qn§ Ä'raft
unb 2J?iJgIic()!eit. 2)ie ©cf}rofff)eit be§ platonifdjen SbeoIiSmug i[t barin
fo weit Qbgefd)n}äd)t, ba'^i ber gejunbe 9)?enj(f)enüer[tanb i^n erträgt.
9)?an rairb annef)men bürfen, boB if)re ^augtid)teit gur (Sct)utpf)iIofopf)ie,
bie fie bnrd) lange Saflrf)unberte ben)äf)rt ^at, f)iermit äujammenfjängt.
®ie moberne '*pt)i(ojopt)ie Jüanbelt auf ben ^^faben, iue(ct)e bie
großen griecf)ijci^en SDenfer geba'^nt t)aben: 5DuaIi§mn§, 9}?ateriali§mu§,
Spiritualismus finb bie tt)ieberM)renben ©runbformen.
@ie beginnt bei GartejiuS mit ber fc^örfften 3i^fpi|u"9 ^^^
S)uali§mu§: 5?örper unb @eete 5tt)ei ööÜig unoergteidjlidje g^ormen be§
Sßirflidjen, Äörper ein SSefen, befjen einzige 93e[timmt^eit bie Stu§=
be^nung, Seele ein SBefen, beffen einzige 33e[timmtf)eit ha§> ®en!en ober
bie Sett)U§tt)eit ift. Corpus = res extensa, mens = res cogitans,
ha§> finb bte beiben ber gonjen ßarte[ianijd)en ^I)iIojo|)l)ie ju ©runbe
liegenben Definitionen.
Der neue Segriff be§ ^i3rperS ift ber frühere. Durd) ©atilei
luar ber 92aturtüiffcnfd)aft eine neue ©runbanfdjauung gugefüljrt luorben:
93emegung entfteljt unb oergel)t nid)t; tt)ie ein ruf)enber Körper of)ne
(Sinlüirfung oon an^en in 9iul)e bleibt, fo be'^ätt ein beluegter Körper
feine Semegung mit gteid^cr 9?ic^tung unb ®efd;n)inbigfeit in§ Un=
enblidje bei. Die ariftotelifc^e ©d)uIpt)iIofopf)ie beS 9J?itteIatter§ l^atte
gmar bie Körper fctbft im natürlidjen Sauf ber Dinge nic^t entftef)en
unb üergetjen laffcn, an bem S^erfc^minben oon 58eiücgung bagegen
feinen StnftoB genommen, fo menig e§ ber gefunbe äJJenfdjenoerftanb
t^ut, geigt e§ boc^ bie aütäglid^fte @rfa!£)rung; unb fo mag benn n)ot)I
aud) 93emegung, bie üorf)er nid)t üorl}ouben loar, etma bnrd) D()ätig=
!eit ber @eelc, urfprünglid) entfte^en. DeScarteS eignet fid) bie neue
©alileifdje 5(ufd)auung an; t)a§> Quantum ber 93ett)egung, fo formuliert
er fie, ift im Uniucrfum fonftant, e§ finbet iueber 5]erme^rung nod^
Sßerminberung, fonbern lebiglic^ Übertragung ftatt, unb gmar nur bei
Serüt)rung, b. t). burd) Drud ober (StoB- Damit ift ha^ Sljiom
gegeben; afle S^aturoorgänge finb o^ne 5lu§nat)me burd; Drud unb
@tofi gu crüären, oud) bie SebenSprojeffe im organifdjeu Slörper; bie
^^i)fioIogie ift 9J?ed)anif ber SebenSoorgäuge. Die jugefjörige
negatioe formet ift: bie ©eele ift fein naturttjiffenfc^afttidjeS
60 I- 33u(^: metap\)t)\it. 1. tapitel: 2)a§ ontoIogifcf)e Problem.
©rüärungSpringip; ber ^f)i)f{fer qI§ folc^er »eife nichts öon if)rem
2)afein, er fäüt üon feiner SSiffenfrfiaft ob, inenu er, wie e§ bie @d)ul=»
pf)i(oiopf)ie tt)at, (£rnäf)rung, SSadjStum, SSewegung be§ 2eibe§ üon
if)r f)erleitet.
2)ie ^et)rfeite ber mecfjaniftifc^en ^f)iifi! unb ^f)t)[iDlogie ift eine
rein fpirituaU[tif(f)e ^jt)(i)oIogie: fönnen 35orgänge be§ Ieibli(f)en
2eben§ nic^t au§ ber 2£)ätig!eit ber Seele erÜärt werben, \o ift bie
©rüärung be§ ®en!en§ au§ pt)t)fifd)en 3Sorgängen natürlich ebenfo un=
möglich; Bewegung bewirft Bewegung, aber fie fann niemals einen
33ewufetieingt)organg gur äöirhmg f)aben; jie müBte fonft in i^m oer=
fc^winben, bog Reifet auft)ören, pi)t)\i\d) ha ju fein. 2)q§ ift gegen ha^
erfte 5(fiom ber ^f)t)fi!. 3)a ober onbererfeits bie 2Sir!nd)feit be§
2)enfen5 nicfjt bezweifelt werben !ann, oieImet)r boS gewiffefte ift, ha^
e§ übertjQupt giebt, fo ift e§ notwenbig, Ijierfiir ein eigene^, öom Körper
ööüig oerfdjiebeneg ^ringip ansunefjmen, ba§ ift ber ©eift (mens). @o
beginnt bie moberne ^f)i(ofopf)ie, QU§get)enb öon ber mec^oniftifc^en
^f)i)fif, mit ber fc^roffften gormutierung be§ S)uali§mu§, worin it)r
benn übrigens, freilief) üon gang onberen SSoranSfefeungen QU§gef)enb,
auc^ bie fc^olaftifdje ^f)i(ofopf)ie mit ber Set)re Don rein fpirituellen
@ubftan§en üorangegangen war.
5tber ber 3)uali§mu§ ift nict)t ha^^ (e|te SBort ber mobernen
^t)iIofopf)ie. Sa, ber auf bie ©pi|e getriebene ©uaüSmus frf)Iägt
g(eict)fam oon felbft in 3J?oni§ntu§ um. SJJan fann ben ^unft genau
bezeichnen, oon wo ber ®ruc!, ber gum 9JioniSmu§ füt)rt, au§get)t;
e§ ift bie grage nac^ bem 2?erpltni§ biefer beiben Slrten be§ SSirflic^en
p einanber. (g§ bleibt eine Xfjatfadie, ha^ ^wifc^en SSorgängen im
Körper unb in ber Seele regelmäßige 33e3ief)ungen ftattfinben; ben
witlfürlicf)en Bewegungen entfprec^en @efü^{§= unb SSiüenSerregungen,
ben Erregungen ber (SinneSwerfjeuge entfpred^en (Smpfinbungen unb
2öaf)rnet)mungen. SBie ift ha§> 33ert)ältni§ gu fonftruieren, wenn e§,
nacf) ben ^rinjipien ber neuen mec^aniftifc^en ^i)\)\it nid)t met)r al§
SBec^felwirfung gebockt werben fann? ^ierouf giebt ©ptnoja bie
3(ntwort: bann muß man e§ at§ Sbentität beftimmen. ^ijrper unb
(Seele finb nicf)t abfolut öerfcfjieben, fie finb t)ietmef)r eben baSfetbe
2)ing oon jWei Seiten gefefjen; ein 93ewegung§öorgang unb ein
S3ewuBtfein§üorgang finb im ©runbe berfelbe 33orgong, boS eine Wal
1. Qüx gej^ic^ttid)en Orientierung. 61
tion aufeen, boS anbere StRat öon innen geje^en. Unb bie§ 93er^ältniö
gef)t bur^ bie gange 2öir!tidjfeit f)inburcf). Sie 3öir!lid)!eit, bie ein
eingigeö einf)eit(ic^c§ 2Befen, eine Subftang bilbet, nennen tt)ir jie dlatiix
ober ©Ott, entfaltet if)ren 2öejen§in!^aU unter ^XDti öJeftoIten, in ber
©eftatt einer ÄörperttJelt (sub attributo extensionis), unb ber @e[tatt
einer Sen)U&tfein»n5eIt (sub attributo cogitationis). Sßon f)ierau§
n)irb nun jene 2{)atjarf)e ber regelmäßigen ^ßegie^ung ol^ne 2Bed)feI=
wirfung begreiflief;; gttjijdjen ber pl)i)fif(^en unb |3fi)(^if(^en äöelt finbet
ein ^aratlelismuS [tatt, in ber 5Irt, ha^ jeber ßi'ftß^^'^ ober 95organg
(modus) in beiben uorfommt: irag in ber Äörpernjelt al§ ^Bewegung
(modus extensionis) üorlommt, ba§> erfc^eint anbererfeit§ in ber 93e=
Wußtjein^njelt al§> (Smpfinbung ober ^orftellung (idea, modus cogi-
tationis). Sßon SSedjfetoirfung ift babei natürlid^ nid)t bie 9iebe:
neben einanber, nid)t burd; einanber finb bie beiben Strien oon $ßor-
gangen. Sebe ber beiben SQSelten, bie pf)l)fifd)e unb bie pfi)d)ifd)e,
bilbet einen in fid) ge]d)loffenen ^aufaläufanimenljang. Unb ^ujar ift
ber ^aralleli§mn§ ein unio er feiler: e§ giebt fdjlec^terbingS feinen 33e-
lüuBtfeinäoorgang, bem nidjt ein SettjegungSoorgang entfprädje, ober
aud) umgefel)rt: e§ giebt fdjledjterbingg feinen Senjegung^öorgang in
ber i)tatur, bem nid;t ein 33ett)uBtfein§oorgang entfprädje. SlUe S)inge,
fo brüdt Spinoza biefe ^onfequeng einmal au§, finb befeelt, omnia
quamvis diversis gradibus animata. 3)ie §ugef)örige Umfe^rung
lautet: alle ©eelen finb inforporiert.
®ic 9)ietopl)l)fif, bie ©pinoga in ben wenigen furzen ©ä^en ber
St^if umriffen ^at, fann bem, ber bie ©ntmidelung be§ mobernen
Xcnkn^ im ©angen überfd^out, al§ bie üorireggenommene Söfung ber
Slufgobe erfdjcinen. 9}Zel)r unb mel^r grauitieren bie ©ebanfen gegen
biefe Slnfc^auung^ineife, am fic^tbarften in ber ^^^ilofopl)ie, neuerbing§
nät)ern fic^ if)r aber auc^ bie ^l)i)fiologen unb Biologen, freilid) nic^t
feiten, of)nc bie Äonfeguengen beutlidj gu feljen.
(S§ njirb bie§ in ber S^olge ttjeiter anägufü^ren fein, ^pier
möchte id^ nur auf eineS nod^ aufmerffom madjen: e§- fonn ein foldjer
paralleliftifdjer äRonii^mug nadj gmei (Seiten umgebogen werben, nad§
ber (Seite be» 9Jtateriali»mu§ unb nod^ ber be§ Sbeali§mu§. 2)en
9faturforfd;ern, bereu Stufmerffamfeit ber Äörpermelt jugemenbet ift,
liegt bie erfte Umbicgung nal^e. Man fann .^obbeg aU i^ren pl^ilo=
62 I- 33uci^: 9Ketapl}t)nf. 1. Kapitel: ®a§ ontotogij(f)e Problem.
jop'^ildjen ^ü!f)rer anje^en. S3ei ben ^^itojopfien i[t bie Umbiegung
im Sinne be§ SbeaU§nui§ gemö^ntid). Seibnij get)t biefen Sßeg:
genjiB finb 2lu§bef)nung unb Senju^tfein bie beiben großen formen
be§ 2)ajein§; ober nid^t in gleicher SBeife finb fie 5üi§brudE be§ 2Befen§
ber SSidIirf)feit, bie gei[tige äöelt ift ber eigentlii^en D^atnr be§ 2Sir!=
liefen nä^er. S)ie legten Elemente ber SSirfüc^feit, bie SUJonoben, finb
an unb für fid) SBefen üon fee(ifd)er Df^otur; 93egef)ren unb (ämpfinbung
finb i^re urfprüngüdjen Seftimmungen, 2(u»bel)nung ift eine fefunbäre
unb gufäüige S3eftimmung, eine @rfdjeinung§', aber nidjt eigentlidj eine
@ein§n)eife beg SSirflidjen.
5(uf biefelbe Umbiegung tuirb g(eid)äeitig S3er!elel) burd) bie
erfenntni§tI)eoretif^e ^Betrachtung geführt: ba^ SSefen be§ Körpers
läfet fid^ in SSot)rneI)mung§in()aIte auflöfen. 2)iefe ^etrad)tung bringt,
mit bem gunefimenben ©ettjic^t ber @rfenntnigtf)eorie, immer met)r
burc|; fie liegt ber beutfdjen ^§i(ofopf)ie, feitbem i^x ^ant bie
fritifdje 9f?ef(ej:ion auf bie 9iatur ber @r!enntni§ aufgegttjungen, burd^^
n)eg ju ©runbe: bie ^^örperlüelt ift (grfdjeinungsform besfelben SSirf-
lic^en, ha^ in ber geiftigen SSelt fein eigentlidieS SSefen offenbort,
^ierin fommen einanber fo frembe, ja feinbfelige S)en!er, mie .^egel,
©d)üpenl)auer, Senefe äufammen. (Sinen paratleliftifdjen 9}?oni§=
mu§ mit ibealiftifdjem SSor^eidjen, fo etttja fönnte man bie in ber
^f)i(ofop()ie feitbem t)errfdjenbe 9}Zetapt)i)fif bejeidinen. 2)aneben giebt
e§ freiüdj, befonber§ in ben Greifen ber ^'Jaturforfdjung, aud) ben
93?oni§mug mit materiatiftifdjem SSorgeic^en. Unb ber reine (Srfenntni§==
tljeoretüer bleibt am liebften auf bem @taubpun!te ftef)en, über ben
auc^ Siant nidjt f)inau§ ttjiU: ^örpermett unb SerouBtfeingttjelt üer=
fd)iebene erfdjeinungäformen be§ an fid) 2Bir!(ic^en, ha§: toir nidjt er=
fennen, aber atg ein^eitüc^eä unb glcid)artige§ tiorau^fe^en fönnen.
®o§ tt)äre ber (gtanbpunft be§ agnoftijiftifdjen 9JJoni§mu§, auf ben
fic!^ aud) .^erbert (Spencer ftetlt.
9^ac^ biefer tjiftorifc^en Orientierung treten mir in bie foc^tic^e
Erörterung be§ ^roblemS ein. Sd) n^ill babei oon einer Sarfteüung
unb ^ritif ber materialiftifc^en Sluffaffung, bie fic^ felber gern al§ bie
eigentüct) miffenfdjaftlic^e, aU ha§> ©rgebnil ber mobernen 9iaturmiffen=
fdjaft barfteüt, augget)en.
2. S)er S!RoteriaH§mu§ unb feine 93egrünbung. 63
2. 3)cr 9}ZoteriaItgmu§ unb feine 'ii^egrünbung.*)
9JJit bem Spornen be§ 9!}ZQteriati§mu§ lüirb f)ier ai\o biejenige
ontotogifdjc X^eorie be^eid^net, bie auf bte ^roge narf) ber '^atnx be§
SSirftid^en anttrortet: ha^» (geienbe qI§ jolc^e^ i[t Körper, feine 336-
[timmungen finb S{u§bef)nung unb Unburrf)bringüc^feit; feine erfte unb
eigentlidje S3et!§ätigung§form ift Settjegung. 2(u§ biefen ^rinjipien
fönnen unb muffen alle S8orgänge in ber ^öirflic^feit erflärt tt)erben,
im befonberen aud^ bie fogenannten SemuBtfeinSüorgonge.
®er le^te ^unft, bie ßurüdfü^rung ber pfQdf)ifd^en 35orgänge auf
p'f)t)fif^e, ift bie eigentlicf)e ST^efe be§ SJjQterialiSmuS. @ie mirb öon
if)m etmo in folgenber SBeife begrünbet.
(So ift eine burd^ bie @rfa{)rung gegebene Xfiatfad^e, bafe pft)df)ifd^e
SSorgiinge nur in engfter i^erbinbung mit geft)iffen pt)l)fifc^en SSorgängen
überf)aupt üorfommen. «So öiel lüir ujiffen fi3nnen, finb nur organifd)e
ober nielmetir nur tierifdje Körper Sräger ber ^^elüuBtfeinSöorgänge, im
befonberen erfdfjeinen biefe an bie 2;l)ätigfeit be§ 9leröenft)ftem§ gefnüpft.
hieraus folgt, ha"^ bie SBiffenfc^aft in ber 33efonberf)eit biefer Ä'örper
bie Urfadje jener S3orgänge fud)en mu^: feeüfd^e SSorgönge finb a[§>
eine g^unftion be§ 9?eröenfl)ftem§ auf^ufaffen.
2)er gett)ö^nnd;e 9[Renfd)enöerftanb 30g au§ berfelben ^!^atfad)e
eine anbere g^otgerung; er folgerte, mie im üorigen Kapitel au§gefüt)rt
ift: alfo ift in ben Stieren ein befonbereS (Stlra§, eine ^raft ober ein
Söefen, ha§: biefe Jßorgönge bewirft. — ®a§ ift bie ?Xu§!unft, fo fagt
ber materiaüftifc^e ^t)iIofop^, auf bie ha§> üorlüiffenfc^aftIid)e 5)en!en
überaß fällt; mo if)m eine ©ruppe öon eigentümli^en (Srfc^einungen
entgegentritt, ha nimmt e§ ju if)rer ©rüörung eine befonbere Straft
ober ein SSefen an. @o füf)rt ha^ primitine ®en!en bie (grfd)einungen
be§ ©emitterS auf einen ^Donnergott, ber im ^imrnel feinen @i^ t)at,
*) ©ine gef(f)icf)tlid)e Xarftellung ber moteriatiftifd)en ^^iloi'op^ie giebt ta^i
öortreffIid)e 333erf öon g. ST. Sänge, (55efd)id)te be§ 9KatenaUgmu§ unb tritif
jeiner 93ebeiitung in ber ©egeniüort, 2 33be., 5. 3tuf(. 1896. ®er Sefer finbet ^ier
umfid)tig|'te gefc^id)tlicf)e StufEIärung über SGBefen unb futturf)iftoriid)e (£nttt)i(felung^=»
bebingungen be§ Watenali§mu§. ©eine 93eäief)ungen ju ben 9Jaturtt)ifjenf(f)aften,
äu 2:f)eoIogie unb ^ird)e, foniie 5ur ®efellfd)aft unb if)ren Scftrebungen werben
aüfeitig bargelegt, ©ine 58iograpI)ie be§ tren'Iidjen 9[fZanneg i[t türjlii^ oon
D. 2t. (Söiffen (1891) üeröffentlid)! roorben.
64 I- 5Buc^: SKetap^^fü. 1. Sapitel: S)a§ ontologif^e «ßrobtem.
bie (grfc^einungen ber ^ran!t)eit auf einen Äran!l)eit§[toff gurüd. St)m
folgenb, erüärte eine lange l^errfd^enbe Dlatiirptiilofop^ie ha§> Steigen
be§ SSaffers in ber ^runnenrö^re au§ einem horror vacui, bie 35or=
gonge bes organifd^en 2eben§ au§ einer Bejonberen 2ebens!raft. Unb
nadj bemfelben @d)ema werben nun auc^ bie SenjuBtieinSöorgänge oI§
StuBerungen eine§ befonberen ^rinjipS, ber Seele, erflärt. 9latürüd^
i[t bamit auc^ t)ier nirfjt§ getüonnen; ©eele ift nicf)t§ al§ eine vis occulta,
eine ad hoc angenommene, im übrigen unbe!annte ^raft ober Sßefen^eit,
ebenjo n)ie ber horror vacui. S)ag teufen ou§ einer ©eele erfiären,
ift gauä basfelbe, mie mit ben gelef)rten S)oftDren ber Schule beim
9J?oIiere bie Stfjatfarfie, ha'^ Opium einfd^täfert, barau§ erflären, ta^
eine @d^(af mad)enbe Äraft borin fi|t.
5Die tt}ifienfd)oftIicf)e g^orfdjung, fo fö^rt ber 9)JoteriaIi§mu§ fort,
unterjdjeibet fid) öon ber üormiffeufd^oftüc^en 2)en!meife baburdj, ha^
fie bie (grfdjeinungen nic^t au§ SSefen unb Gräften, fonbern au§ anberen
oorongefjenben unb g(eid)5eitigen ©rfdieinungen er!(ört. (Srflören ^ei^t
in ber Sloturmiffenfdjoft: bo§ @eje^ angeben, nod^ bem biefe (£r=
fc^einung mit anberen (£rjd)einungen uertnüpft ift, fo boB if)r (Sin=
treten au§ bem Eintreten ber onberen üor^ergefef)en merben fonn. ®o
erflört bie tt)iffenfd)aftlic^e 9J?eteoro(ogie ba§ ©emitter, inbem fie biefe
©rjdjeinung einer größeren ©ruppe gleid)artiger (Srfd)einungen einfügt,
b. f). ben 93ü^ als eleftrifc^en gunfen erfennt, unb nun bie Se-
bingungen feiner @ntftet)ung, b. f). bie 55orgänge, meiere ber eleftrifd^en
Spannung unb ©ntlobung in ber 9(tmo§pf)äre oorangef)en unb fie be=
gleiten, auffucbt.
S)iefetbe Stufgabe ^ot bie SBiffenfd)aft mit 93e5ug auf bie $8emu&t=
fein^oorgünge: fie t)ot bie regelmäßig ooronge^enben unb begleitenben
@rfd)einungen §u fudjen, um fo ben noturgefe^möBigen 3ufammen^ang
biefer ©rfdjeinungen gu beftimmen. 2)ie begleitenben unb üorongetjenben
(Srfdjeinungen finb nun eben, mie bie (Srfof)rung §eigt, p^t)fio(ogifd),
^ßorgönge im ©e^irn unb Sierüenfiiftem. 2)emnod^ ift bie 5lufgobe ber
SBiffenfc^oft, an ©teile ber ^^feubomiffenfdjoft „^ftjc^otogie" mit if)ren
öormiffenfd)ofttid)en ^rin^ipien „Seele" unb „Seeleu!räften", and)
f)ier bie naturmiffenfc^afttid^e ©rflärung burd)§ufü^ren: miffenfdjaftüd^e
^fgd)oIogie ift ^t)t)fioIogie.
SDos märe ha^ formelle ^rin§ip. 2Ba§ nun bie Sad)e anlangt.
2. %n 3RateciaIi3mu§ unb feine 93egrünbung. 65
fo fanii man lüeiter ge{)en unb fagen: bic fogenannten 93eiüuBtfein§=
borgänge, bie firf) äuuädjft oIs fo eigenartige unb uni}ergleid)ücl^e an--
fünbigen, finb in 3Bir!Iirf)feit !eine§n)eg§ etnjaS fo Sefonbereg; öielmetjr
!ann bie 3Silfenfd)aft in i(}nen nur gemiffe eigentümlid) mobifiäierte
5öett)egung§öorgänge erblicfen; bie pft)cf)ijd)en Vorgänge finb an fid),
objeftio ktrad)tet, nicf)t» onbere§ aU pt)t)fioIogijd;e 9]orgänge.
®a§ fann in folgenber Söeife [treng beriefen merben. 5Do§
oberfte ^ringip ber ganzen neueren 9?ahmri[fenjd)aft i[t ba§> ^rinjip
ber ©r^altung ber (Energie: bie Summe ber iDirfHcTjen S3ert)egung unb
ber 53emegungsfraft ift fonftant. (S§ finbet [tatt Übertragung unb Um-
formung üon Bewegung, DJJaffenbeiuegung mirb in 2}JoIe!uIarbemegung,
lebenbige Äraft in ©pannfraft umgefe^t, aber fie ift barin o^ne ^ti'
luft erhalten unb lä^t fid) barauS mieber fjerftellen. 9hm liegen
fülgenbe beiben g-ätle oor: e^ tritt üon au^en Semeguug in ba§> 9JerDen=
fnftem ein; Suftfdjmingungen, bie öou einer angefd)Iagenen ©lode au§=
get)en, treffen ben @e^br§nerüen unb erregen I)ier einen p^t)fioIogif(^en
^rojeB, ber nac^tüei^Iid) burdj bie 9ieröenfafern big gum (£entral=
organ fortgepflanzt njirb. 3Sir finb bi§f)er nic^t imftanbe, it)n ^ier
bi§ in feine testen SBanblungen gu nerfotgen, smeifeüoS öerfd)minbet
er nid)t übert)aupt. ®Ieid)seitig, fo miffen mir auf anberem Söege, tritt
eine (Smpfiubung ein, e§ mirb ein 2:on gehört. 3Bir fc^IieBen: bie
(Smpfinbung ift nid)ti§ anbere^, al§ ber im (Sentrolorgan burd^ ben
peript)erifd)en 9^ei§ au^gelöfte uerööfe 35organg.
©benfo liegt ber umgefe^rte '»^ro^efe oor. S<^ ftrede bie ^anb
au§ unb ergreife einen ©egenftanb; bie ^^^l^fiologie erftärt ben 95or=
gang: eine SßerÜir^ung ber 3)hiefelfafern ift bie nöd)fte Urfad^e ber
®rel)ung ber ©lieber in ben ©elenfen; fie felbft tritt mieber al§
SSirfung eine§ burd) bie gaferu ber motorifd^en DIeroen zugeleiteten
SmpuIfeS ein, ben mir bi§ in boi ßentralorgan gurüdoerfolgen fönnen.
^ier ent§iet)t er fic^ einftroeiten genauer pt)t)fioIogif(^er 5tb(eitung. 3^a=
gegen tritt and) ^ier mieber jene ©rfd^einung auf, ha'^ gleidfi^eitig auf
anberem Söege i)a§: ©tattfiuben eine§ pft)d)ifdjen $8organg§, einer üon
©efü^len unb ^orftellungen begleiteten SSißengerregung beobad^tet
tuirb. 2Bir fdjiiefseu: ber pft)d^ifd)e S8organg ift an fidj ein pl)i)fif(^er
5öorgang, uämlidj eben berfelbe, ber al§ Urfad^e ber ^nueröation ber
motorifc^en Dleroenfafern uorauSgefe^t merben mu^. 2)enn barauf
>l>aulfcn, (iinlcitinig. 6. Süifl. 5
66 I- 33uc^: aJJetop^^fif. 1. ^apM: ®a§ ontologifc^e 5JSrobIem.
mufe bte nQturtDiffenid)aft(id^e Betrachtung burc^au§ Befielen, boft eine
|}f)Qftf(f)e SSirfimg eine p^QJ'ijcfie Urfad^e f)Q6en muß. SSoüte man
julaffen, ha'B eine blo^e Slbfid^t qI§ jolcfje, als blo&er SelüuBtfein^^
öorgang, eine Belegung oerurfacEjen fann, fo ttjäre bamit boS @runb=
prin^ip ber 9ktumifienf(f)aft aufgegeben, unb bann n:)äre ein (Snbe
nirf)t abgujetjen. Äann ein bloßer @eban!e ein ©efjirnmolefül beft)egen,
bann !ann er ebenfo gut 93erge üerfe^en ober ben 9JZonb ou§ feiner
S3af)n teufen; ha§> eine ift genau fo oerftänblic^ ober unüerftänblic^
tüie ba^i anbere.
3)iefe 33ett)ei!^f üt)rung , bie alfo auf ber SSorongfe|ung beruf)t,
bafe bie fogenannten Sewu^tfeingüorgänge oI§ ©tieber bem p^t)fifrf)en
Kreislauf be§ organifd)en £eben§ eingefügt finb, fann burd) biologifd^e
unb fosmologifdje 33etrad^tungen oerftärft unb überrebenber gemad)t
werben.
StRan raeift auf bie St^atfod^en ber öerglei(^enben Stnatomie
f)in; fie geigen einen burc^göngigen ^aralleli§mu§ gn)ifd)en ber ®nt=
tt)idelung be§ 9Zerüenft)ftem§ unb be§ (Seelenleben^: @ef)irn unb Sntettigenj
h}ad)fen burd) bie gange auffteigenbe 9^ei^e be§ tierifd^en SebenS gleic^=
ntäfeig mit einanber. 5)er äRenfd^ ftef)t, tt}ie burd) ^nteüigeng, fo burd)
©röfee unb burd^ innere (Sutinidelung beg ®ef)irn§, befonberS be§ ®roB=
f)irng, an ber ©pi^e be§ 2;ierreid)§. 3ft fein Öie^irngettiid)t and) nid)t
ha§> abfolut größte, ba§ @ef)irn g. S. be§ Elefanten übertrifft ba^ feine
ettt)a um ba§ ©reifad^e, fo ift bod^ bog 55erf)ältni§ §ur ©efamtmaffe
be§ ÄorperS oiel günftiger, fein ©eföid^t betrögt ungeföfir ben oiergigften
STeil be§ @efamtgen)id)t§, n)äf)renb e§ beim ©lefanten faum ein fünf=
f)unbertftet erreid)t. S(üerbing§ giebt e§, namentlid^ unter ben 5?iJge(n,
gäüe, in benen aud^ ha^ relatioe ö5ef)irngett)id)t be§ 9Jienf(^en über=
troffen mirb, bod^ finb ta§> offenbar Slugnafjmeföüe, bie burd) bie
obnorme Seid)tigfeit be§ SSogelförperS erflörlid^ finb. Unb o^ne ^^^eifel
ift haS: menfdjiidje @ef)irn baburd) allen 2:ierl)irnen überlegen, ha^
hü§> @roBf)irn, ha^^ eigentlid)e Drgan ber Snteüigeng, an ©röfee unb
an innerer @ntn)idelung if)nen meit ooranftel^t.
SDerfelbe ^araHeli^mus mieberfjott \xd) innerf)alb ber 9J?enfd^en-
n^ett: @ef)irn= unb Äulturentmidelung ber 3iaffen ftef)en in gleid)em
35erf)ättni§. Unb auc^ innerhalb ber Sfiaffe, fo laffen bie (Srgebniffe
gaf)(reid)er ÜJJeffungen ber @d)äbelfapa§ität bebeutenber 9J?änner fdjlieBen,
2. 2)er SWaterialigmuS unb jcinc SSegrünbung. 67
entfprid^t I)ol)er geiftiger Begabung eine ben 3)urrf)idinitt übertreffen be
®ef)irnenttDicfeIung ; tüie beim anbererfeit^ 93Iöbfinn unb 3)?tfrocepf)aIie
ober ©etjiruüerfümmerung ^ujammen auftreten. Sltfo, fo fdjeinen aUe
biefe X^atjac^en ju fageu, bie ©eele ift ha§> @el)irn.*j
9^i(^t minber geigen p^t)fiotogifd)e unb pat^ologifc^e 93erfu(^e
unb Söeobad^tungen biefen engften 3wfani'"'^i^^)Q"g ^on ©e^irn unb
(Seele, ^ebe Störung ober 3]er(e|ung be§ ©e^irnö t)at Störungen
be§ feelifc^en Sebenö jur ^olge. 9J?au trägt Stieren bQ§ @ef)irn fcf)i(^t=
hjeife ab ober jerftört gewiffe ^eile; bie golge ift ha^^ g(eid)5eitige
Slugfollen gettjiffer pft)d)ifd)er gunftionen. 3ufättige 35ern)unbungen
beim SJJenfc^en t)aben eben folc^e SBirfungeu. 3n allen pfi)cf)iatrifc^en
SSerfen finbet man §af)Ireicf)e Beobachtungen über pft)rf)ifcf)e Störungen,
bie infolge oon äußeren $8erle^ungen beö @e^irn§ eintraten. Sin
^nod^enfplitter bringt in§ @e^irn, al§ pfijdjifdje SSirfung tritt nirfjt
nur eine Störung ber intetleftuellen 2;f)ätig!eit, fonbern aud) eine
üoflftönbige Sßerönberung be§ (£f)ara!ter§ ein, ber Äranfe ift mife=
trouifdj, üerfdjloffen, eigenfinnig. SUJit ber (Entfernung be» Änod)en=
fplitterg oerfd^minbet aud) bie pft)d)ifc^e Beränberung. Sbenfo finbet
im ©reifenalter regelmäßig .^erabfegung ber geiftigen Xfjätigfeit, oft
big 5um oollen ^ertuft be§ Urteils ftatt (dementia senilis); bie ana=
tomifdje Unterfud^ung ergiebt, baß Schrumpfung unb (Sutortung be§
®el)irn§ Urfacf)e ift. Sebe ®eifte§fronf^eit, ha^ ift bie Überzeugung
ber {)eutigen naturn)iffenfd)aft(id) gefd^ulten ^fl)d)iatrie, ift @et)irn*
fran!^eit, ob biefe nun burd) bie auatomifd^e Uuterfud^ung nad;gemiefen
njerben !ann ober nic^t. 9(Ifo bo§ @et)irn ift bie Seele.
hierauf füf)rt aud) bie foSmoIogifd^e Betrachtung. @§ gab
eine 3^^^/ fo te^rt bie neuere Ä'o^mologie, rao eö fein organifd)e§
Seben auf ber (Srbe, alfo aud^ !ein Seelenleben, feine fogenannten
Beinu^tfeinloorgänge gab. Sn, e§ gab eine ^dt, wo e§ aud) feine
(Srbe gab. SS3a» mir je^t unfer ^tanetenfi)ftem nennen, 'Oü§' f)atte in
ferner Urzeit bie (5)eftalt einer ungefjeuren @a§= ober Slebclmaffe.
Snbem biefe SOiaffe um i^re 3((^fe rotierte, bilbete fi^ eine Stnfcf)meIIung
am Stquator; bei fortfc^reitenber Schrumpfung löfte fic^ biefe oom
*) (Sine tnappe. ^ujanimenftenung ber tuic^tigften Säten ou§ ber p^^fifd)en
2lnt:^ropoIogte giebt £). ^efd)elg trefflid)e SSöIfertunbe im gmeiten Äapitel.
5*
68 I- S3ud^: Wetapi)t)\il 1. to^itel: S)a§ ontoIogtjd)e «ßroblem.
3entratförper al§ freifrfjroebenber 9ling, unb aus bem 9iing würbe burc§
^erreifeung ein jeI6[tänbiger Äörper. tiefer ^rojel lüieber^olte fic§
unb fo entftanb haQ ©tjftem ber um bie @onne als ß^^^^^^^^örper
rotierenben Planeten, ©iner biefer Planeten i[t unjere förbe. Ur=
fprüngüd) ein glutflüfüger Sropfen foSmijdjer 9)laterie, füf)Ite fie fid^
Q((mäf)(icf) fo tt)eit ab, bofe fid) eine fefte Ütinbe Bilbete unb ber SSafjer»
banipt fid) äu SBaffer üerbic^tete. Se^t erft !onnte organifd)e§ Seben
entfielen; in primitiüfter ©eftalt, in windigen ^rotoplagmoflümpc^en
trat eö juerft auf; aümäfjtidj geluannen biefe ^örperd)en innere ©truftur,
es entftanben 3^üen mit §ülle unb ^ern unb ber 3^ä{)ig!eit, fid) burd)
Teilung gu öermet)ren unb ju einem komplizierten (Softem §ufammen=
guorbnen. 9}ht ber fortfdireitenben SDifferenjierung ber Steile, it)rer
Umbitbung gu ungleidjartigen Organen, jdjritt sugleid) bie äuBere
S)ifferenäterung fort, bie ©ntnjidelung mannigfaltiger formen ber
Sebemefen. (Snb(id) erf)ob fid) au§ einem ^^^^9^ ^^^ öietgeftattigen
Stierreid)^ ber 9J?enfc^ unb erlangte ein erft langfam, bann immer
xa]d)ti luac^fenbeg Übergemidit über bie anberen ©lieber, fo bafs it)m,
als er anfing, über feine §er!unft fid) ^u befinnen, eine SSermanbt*
fd)aft mit ber nieberen Söelt ööüig ungtaublid^ t>or!am, unb er fic^
eine üornef)mere 5lbfunft ausfann. 5Die Öiaturlüiffenfd^aft f)at biefen
S^raum jerftort; fie geigt, bafe er nid)t al§> @ötterfol)n in üollenbeter
©eftalt in bie fertige unb feiner töortenbe ©d)öpfung eingetreten ift
fonbern ül§> ein armer (Staubgeborener, müf)fam mit (^(eidjgeborenen
um bie ©yiftenj fiimpfenb, fid) emporgerungen ^at. lln§äf)iige föene=
rationen, öon benen feine (^efd)id)te berid)tet, finb ba()ingefun!en, bi§
enblid) im 5lampf um§ S)afein bie gange Organifation unb befonberS
fein (^et)irn fomeit fic^ entrtiidelte, ha'iß e§ gum 2;räger eines geiftig*
gefd)idjtlid)en ßebenS tt)erben fonnte.
2)a§ ift bie $8ergangen()eit beS @eifte§ auf (Srben, be§ einzigen,
öon bem mir miffen. Unb bie 3iifu"ft'^
S)ie fo§mifd)e ^f)i)fif, fo fagt man, läfet uns nidjt im ^tt'ßif^^'
ta^ ba§ Seben unb mit i()m ber ©eift, mie fie einen Stnfang get)obt
()üben, fo auc^ ein (Snbe nef)men njerben. (S§ mirb bie 3^it fommen,
mo e§ feine ©onne am ^immel metjr geben mirb. S^i'e 2ßärme-
menge ift nid)t unenblid) groB; ^a fie beftänbig auSgiebt oljue ent=
fpred)enben @rfa^, fo muB fie fic^ erfd)öpfen. Söngft e^e e§ gefd)et)en
2. S)er Wtatei\al\§mn§ unb feine 93egrünbung. 69
fein wirb, i[t bie (Srbe erftarrt. SDie Duelle aller Setnegung unb aUe§
Seben§ auf it)rer Oberflöclje i[t bie (Sonnentt)ärme; eine öerfiältnigmäfeig
geringe ^Serminberung ber 3Bärnieäuful)r ift ausreicf)enb, junäd^ft ba§
organifcfie Seben t)erfd)rt)inben ju machen; gule^t ttjirb ber gan^e @rb:=
Üjrper regung§lofer, eifiger (Srftarrung ant)eimfaüen.
©olc^e 5(uöfüt)rungen finb luoljt geeignet, einen übernjältigenben
@inbrucE öon ber Älein^eit unb ©eringfügigfeit be§ Sebens ju geben.
2öie ein Saib 83rot fiel) mit einem ©d^immelüberjug, einer SSelt lebenber
^f tanken, bebedt, fo bebecft firf) bie (ärbe in einem 9}Zoment il)rer
langen (Sntujicfelung mit einer Söelt lebenber Organismen, barunter
and), als eine ©pietart biefer 93ilbungen, ber Wltnid). '^ad) furgem
Slufblüf)en finft biefe SSelt ftjieber in§ 9^i(^t§ ^urücf, an§> bem fie tarn;
©ine§ allein bleibt: bie emige 3J?aterie unb bie ®efe|e il)rer Semegung.
3iöif(^en ber unenblid;en 3Sergangenl)eit, in ber e§ fein Seben gab, unb
ber unenblid)en ßu'^unft, in ber e§ fein Seben geben tüirb, taud)t ber
5tugenbltd ber (SJegenlnart unb be§ Seben§ auf, ein 5lugenblid, n^enn
mir il^n and; mit 3af)rmillionen meffen unb nid)t ouSmeffen; unb in
biefem 5(ugenblid jeigt ein fleiner ^eit ber unenblid^en SJfaterie jenes
mnnbcrlid^e ^f)önomen be§ ^^oSpljoreSgierenS gleid^fam, ha^^ mir ©elbft-
bemujstjein ober geiftigeS Seben nennen — ein furjeS 3^M"cl)^^^iP^^^' "^^^^
fo groB unb mic^tig e§ nn§ oorfommen mag, für haS^ groBe Uuioerfum
ein fdjled^t^in uner^eblid^eS Skcibeuä ift. S)ie 9Jiaterie unb bie 93e=
megung ift ha§i 2öirftid)e, unb jene feltfame S.^erfleibung, in ber bie
Semegung einen 5Iugenblid auftritt, bebeutet für ha§> Uuiöerfum fo
öiel mie nichts — „ha^ furje ©piet einer (SintagSfliege, fdimebenb
über bem SOJeer ber ©migfeit unb Unenbtidjfeit."*)
*)Subtt)tgS3üd)ner, ttoft unb Stoff; 16. ^lufl. (1888) ©. 239. ®ieie§
SBer! fann man immer nod) aU tt)pifd^e ^arfteüung ber materioIiftifrf)en SBeIt=
anfcf)(mung in unferer $opuIarpI)iIofo:pt)ie onfet)en, obmof)! ber SBerfaffcr felbft bie
SSejeicfinung be§ iÖiateriaU§mu§ für feinen ©tonbpunft ablehnt; nid^t mit Unrecht,
benn bie ©runbbegriffe ftnb fo unbeftimmt nnb oielfältig, bo^ mon ftc beina:^e
unter jebe metapf)t}fifcl^e Kategorie bringen fnnn. ?nö fefte ^jJunfte treten aüein
■^eröor: e^ giebt feinen ®ott imb feine Qvoedt in ber 9fatur, unb e§ giebt feine
befonbere (seetenfnbftanj mit Unfterblic^feit unb grei^eit. — Wan mag ba§ 95ud)
in pf)itofopf)if(i^er ^infic^t 'geringmertig, man mag feine 93e{)anblung§raeife unb
feinen ©til unerfreuli(^, fein Ungefd^icf im bcgrifflicfien 3)enfen unerträglicf) finben,
fo bleibt bod^ bie £f)otfo(^e, ha'^ i§ feit 1855 in 16 3luf(agen oon bem beutfc^en
70 I- 93uc!^: ajietap^qftf. 1. Kapitel: ®a§ ontologifd^e «Problem.
3. Über btc prttfttf(^cn ^onfequcnjcn bc§ SJZatcrittltSmuS.
©iner Prüfung be§ tt)eoretifd)en 2ßert§ ber foebert bargelegten
Stnfic^t fc^irfe icf) ein paar allgemeine Söemerfungen oorouf.
ßuerft ein SBort über bie 9kigung bes 9}?ateriali§mn§, ha^ ©eiftige
(lerob^ufe^en unb mit einer gemifjen @eringfd)ä|ung qI§ einen uner=
f)eblid§en unb unmefentficfien 9ZebenerfoIg bes 9ZaturIauf§ angufefien.
S)em gegenüber märe p fagen: mie grofe ober mie ffein bie
'SioUt fein mag, bie ha§, mo§ mir geiftigeS Seben nennen, im Unit3erjum
fpielt, für un§ ift e§ auf jeben %a\i ha§> ©innige, ma§ biefer 2Sirf=
lic^feit Sebeutung unb SSert giebt. ©teilen mir un§ eine SSett
öor of)ne jene bem Stnfdjein nod) fo geringfügigen 23orgänge be§
(Smpfinbenä unb S)enfen§, be§ 2öotIen§ unb güt)ten§, eine SSelt, öon
ber nicf}t§ ju fagen märe, al§ ma§ 3lftronomie unb ^^iifif öon i^r ,^u
fagen miffen. Unb fteüen mir uns nun meiter oor, mir mürben oon
aufeermeltlirf)en Ü^äumen ^er in biefe SSelt oon lauter feelentofen
«publüum gefauft unb getejen, aucf) in 13 frembe Sprachen überje^t unb l^ier
tüieberum in ja'^treicEien 2{uflagen gefauft unb gelefen tnorben ift. @g fonn ^ier*
nad) jebenfatlS ben 2tnfprucf) ergeben, ^u ben für bie jweite §älfte unfereg ^af)t'
I}unbert§ d)arafteriftiid)en ©rfcfieinungen gerechnet ju werben; benn eine 3eit tüirb
me^r burd^ bie 93üc^er gefenn^eic^net, bie fie lieft, aU bie fie fc^reibt. Qn feiner
:3ugenb ^atte ba§ S3ud^ feinen eigentlichen S8erbreitung§be§irf in bent gebilbeten,
mit ber Äirc^e unb if)rem 58e!enntni§ gerfaüenen SRittelftanbe; je^t ift e§ längft
in bie niebercn ®efenid)Qft§frf)id^ten gebrungen, e§ gehört jefet jum ^anbtrerfiäeug
foäialbemofratifc^er 3Banberprebiger. i^ragt man fic^, »eld^en SSorjügen ba§ 33ucf)
feine grofee SSerbreitung unb SBirffamteit üerbanft, fo föirb man auf jmci ©türfe
fommen: e§ bietet erften§ eine Stenge in po}3uIärer gorm mitgeteilter naturit)iffen=
fdjaftlic^er Senntniffe, ätreiteng SSerac^tung ber ^irdb^r ^cr S^eologie unb be§ 33e«
Ienntniffe§. gür jene ift ber £efer, mie billig, banfbar, unb biefe erttiirbt bem
SBerfaffer SBertrauen unb Si^mpattiie: er erfd^eint oI§ S3orfämpfer ber e^rlicb^n
Seute in bent guten Äampf gegen fiüge, $8erbummung, Unfreif)eit unb Unred)t.
Sine Ijöd^ft natf)ben!Iid)e Sttjatfadie für jebermann, er mag nun felbft jur ftircf)e
unb ^Religion fte'^en mie er tüiH. ^n berfelben Slbfid^t ift ein jüngere^, nid^t minber
crfoIgreid)e§ 3Berf geeignet, ba§ 9Jacf)benfen ju erregen: äJiaj 9?orbou, 5)ie
fonöentioneüen Sügen ber £ulturmenfcf)^eit. (13. Slufl. 1889.) SIuc^ biel 93uc^
ift meber nac^ ^nfiatt nod) gorm irgenbwie fierüorragenb; fein ;3n:^alt ift nichts
a[§ bie ^unbertmal reieberfiolte SBerfic^erung, baß unfer ganjeS Seben unb ©enfen
Süge ift. 9Iber gerobe biefer Umftanb föirb e^ einmal einer ^offentlid^ glüdtid^eren
3ufunft fo rätfel!^oft mad)en: mofi^tv benn feine Stnjie^ung^fraft? 2)rücfte e§
mirftid^ ba§ Selbfibetnufetfein biefer 3cit au^'^
3. S)ie profttjc^en Äonfequenjen be§ WlatmaliSmnä. 71
Körpern I)ineinc}efüf)rt, unb mm gefeilte \id) ju iin§ ein mat^ematijrf)er
^^t)fifer unb finge an un§ bicfe 2öelt ju bemonftrieren; bie 2BeIt=
förper mit if)ren Straffen unb g^ormen unb iöenjegungen, bie geo=
Iogif(f)en unb meteorologifcfjcn 5ßorgänge, bie auf jebem fid^ abfpielten,
bie aHmäf)(id^e ©eftaltung ber Cberfläd)e burrf) unterirbijd^e unb ober-
irbifd)e Gräfte: fo tt)ürben luir mo^I eine gute SBeile mit Sntereffe
atlebem jutjören unb ^ujefien. SSenn aber jener fo§mifc^e ^t)t)fifer
nur immer fortfüfjre, neue @onnenji)fteme üorgunel^men unb auf bie=
jelbe Slrt un§ §u bemonftrieren, bann n)ürbe fid^ einige Ungebulb
unferer bemöd^tigen unb tüir UJÜrben fragen: ober ttjo^u ift benn bie§
alle§? tt)a§ bebeutet biefe§ ©piet gebollter SÜiaffen? Unb »enn unfer
gü^rer uu» bann fragenb anfä'£)e: „SBo^^u? ic^ oerfte^e bie O^rage
ni^t; ha§> ift bie äöir!Iicf)!eit felbft unb meiter ift überall nid^tS oon
il^r §u bericfjten"; fo mürben mir un§ üermirrt unb enttöufdjt ab»
menben unb fagen: menn baS^ mirflidE) olleS ift, ma§ öon ber 2Bir!Iid)=
feit 3U fagen ift, menn fein ©inn in bem @an§en ift, au^er ber
matf)ematifc^en ©efe^mä^igfeit, nun, fo f)aben mir genug üon ifjr ge=
fef)en; mir meinten, je^t foHe bie (Sotfje erft fommen. Unb menn
unter un§ ein materiatiftifdjer ^f)iIofo|)f) märe, fo mürbe and) er fic^
nicf)t anber§ öerf)alten. 2tu(^ fein Sutereffe an ber SSelt f)ängt
fdf)üeBlid^ boran, bo^ in if)r jene @e^irnpf)änomene mit if)rem fubjeftioen
9ftef(ej \\d) finben unb ^u bem erftaunlidf)en 33organg jufammen^
fc^tieBen, ben mir geiftige§ unb gefc^id^tlirf)e§ 2eben nennen. In praxi
natürlid; burd^auS, aud^ er betradf)tet praftifd^ alle SDinge al§ SSerf-
jeuge unb 2)arfteIIung§mitteI be§ ©eifte^; and) if)m ift ber Seib Organ
unb @t)mboI ber @eele; and) if)m liegen alle ^w^dc im geiftig=
gejd)idjtlid)en Seben. 3Iber and) rein tf)eoretifd) ift if)m ber ©eift ber
SJJittelpunft ber S)inge; er mag bemonftrieren, ha'^ ba§ Stuftaudjen
be§ ©eifteg ein öerfd^minbenbe§ DJioment in ber foSmifc^en @nt=
midelung ift; fef)(te biefe§ SJioment, fo mären aud^ i^m bie SBeltförper
nid)t mid^tiger, al§ bie @anbförner, mit benen am ©traube be§ 9}Jeere§
SBinb unb Sßeüen i^r ©piel treiben.
2öie fe^r ber ®eift bem @eift ba§ Sutereffante on ber SBelt
ift, ha^ tritt in ber S3erteilung ber miffenfd)aftlid)en Strbeit an bie
beiben Seiten ber 3[öirftidf)feit, bie Diatur unb bie ®ejd)id^te, greifbar
^n Slage. 3öenn man au^ unfern großen Sibüot^efen aüe§ au§fonberte,
72 I. 95uc^: 3Jlttap^\it 1. Äopitel: S>a§ ontologifc^e «ßroblem.
tüaö firf) auf ba§ gei[tig=gefd)i(i)tltd^e fiebert be§ 9)?enfc^en beriet)!, alle§,
tüQg gur @efd)ic^te unb ^^ilologie, gur ^olitif unb SUioral, jur 3;^eo=
logte unb ^t)i(ofop^ie, gur @efellj(^aft§= unb 9^ed)t§tt)iffenjtf)Qft, §ur
SD'Jebiäin unb Xec^nif ge'^ört, e§ lüürbe ein fe{)r bejd^eibener Sfleft
bleiben. Dber man ftreic^e an§> unfern großen üielbänbigen @nct)=
f(opäbien unb ÄonoerfationMei-ici§ biefetben 5(rti!el unb beE)aIte nur,
tt)a§ fid) auf 3(ftrouomie unb ^f)t)fif, (If)emie unb S[RineraIogie berief)!:
ber SfJeft tüirb in ein bünneS Sänbd^en gef)en. Unb fcfiwerlid) tüirb
f)ierin jemals eine Slnberung eintreten. S)em 9[Renf(^engeift »irb
immer ber SD?enfrf)eugeift ha§> unmittelbar 93ebeutenbe an ber 2SirfIic^=
feit bleiben.
©ine gmeite 93emerfung mibme icf) ber O^rage na^ ben ^^olgen
be§ 9JiaterioIi§mu§ für ÜJioral unb 2eben§fü{)rung. @» ift eine
meit üerbreitete Stnficfit, ba^ ber 3J?ateria(i§mu» moraüfc^ geföf)rlicf)e
folgen ^ahz. SDIit ber Ü^eügion ^erftöre er aud) bie ©itttidjfeit unb
ben ©tauben an Sbeale. ©eine praftifd^e llonfequen^ fei: bie ^ugenb
ift ein leerer 2[öoI)n, ba§ ©en^iffen eine ©rille, unb ha§i ©ittengefe^
eine ©rfinbung ber Pfaffen; bie mot)re Seben^meis^eit ift: ha§' Seben
genießen, unb an firf) bringen, ma§ man friegeu fann.
Sc^ glaube nirf)t, bafe man biefer Hnfid^t beitreten fann, tnenigftenS
nid)t in biefer gorm. 2)ie 2eben§füf)rung eines ^JJanneS mirb uicf)t
burd) metapf)t)fifc^e 3SorfteIIungen über bie 9latur be§ 2BirfIid)en,
fonbern ttjefentlid) burd^ 9laturtriebe unb S^orafter, (Srjiefiuug unb
SebenSlage beftimmt. S3efte^t bennod) . ein ßufommeu^ang jiuifdjen
bem tf)eoretifd^en unb bem, toaS man praftifd)en 9J^ateriaIi§mu§ nennt,
fo mirb er nid)t baburd) suftanbe fommen, ba^ bie 3J?etapf)Qfif ba^^
Seben, fonbern baburd), ha^ ha^ Seben bie 9JMapf)t}fif beftimmt. ©in
leeres unb gemeines Seben !^at bie Xenbeng, ^unödjft eine ni^ififtifc^e
ßebensanfdjauung fieroorjubringen; if)re 3^9^ \^^^' uiebrige ©c^ö^ung
beS SebenS unb feiner Seftimmung, 33erfennung unb ^Serfpottung ber
ebleren ©eiten ber 9J2enfd}ennatur, 58er(uft ber @f)rfurd)t öor fittlidjer
unb geiftiger ©röfee, Unglaube unb §o!^n für alle ibeaten 33eftrebungen.
Unb eine fold)e nitjitiftifd^e Stuffaffung beS SebenS f)at bann allerbingS
eine natürüd)e Hinneigung §u einer materialiftifc^en 3BeItanfd)auung;
fie mirb fid) gern an ba^ „Ergebnis ber äöiffenfd)aft" anle|neu, ha'^
bie SSelt, toie bie @efd)ic^te, ein ©piel finnlofen 3ufaüS fei; blinbe
3. S)ie praftifd^en ^onfequcngen be§ Tlatet\al\§mvi§. 73
Gräfte füf)rten bie 3ttome jufammcn, um fie im närf)[ten 5(ugcn6Iicf
ebenfo gteirfjgültig lüieber gu jerftreuen. Umgefe()rt ^ot ein tüdjtigc»
unb red)tjci^affeiie§, ein gute§ unb groBeS Seben eine notürlirfie !quu
ncigung ju einer ibeati[tifc^en SOZetapfjt^fif; e§ finbet @rf)ebung unb
S^tu'^e in einer 2öe(tQnjrf)auung, iüeld)e feine tjöd^ften 3'^^^ ""'' ^beale
qI§ bie Gräfte barftcUt, in benen bie SSirfüd^feit felbft gcgrünbet i[t.
3)ie S3ermitte(ung get)t audj {)ier burd^ ha§ gei[tig=gefd^icfjtlicf)e Seben:
QU§ bem ©treben nad) großen ^kkn ermäc^ft ber ©laube an bie
.^errfdiaft ber Sbeen, an h(i§> SSalten einer 3Sorfe{)ung im gefd)id}t(id)en
Seben ber 9JZenfd)f)eit, unb biefer ©taube geminnt fid) in ber 3]or=
ftellung, ba^ bie 2öirflid)feit überljanpt in Sbeen gegrünbet, ha\i bie
SSelt ®otte§ SSerf fei, einen tt)eoretifd)en Unterbau.
9^id)t überall feigen fid) biefe Sienbenjeu burd); e§ giebt red)t=
fd)affene Seute genug, bie bei einer materialiftifd^en 9}Jetapf)t)fif ftef)en
bleiben, unb e§ giebt umge!et)rt Seute, bie tro| einem ibeatiftifc^=
pt)itofop()if(^en ober fird)tidjen @lauben^befenntni§, nidjt blofe ber
Sippen, fonbern and) be§ SSerftanbe^, in ifjrem Seben niebrigen,
finnIid)=egoiftifd)en 2J?otit)en folgen. Slber bod) ift eg fo: bie großen
gormen ber SebenSrid^tung t)aben eine 9leignng, fid) in ber angebeuteten
SBeife mit ben großen formen ber ^orfteöung^njett ^u umgeben.
Slu§ ben tiefften Erfahrungen feine§ (Eigenleben» oerfuc^t ein jeber,
fo gut er öermag, (Sinn unb S3ebeutung be§ Seben§ unb ber 2Sirf=
lidjfeit überf)aupt ju beuten.
greilidj, e§ finbet bann auc^ eine Sfiüdroirfung ber SSettüorftellung
auf bie SebenSanfd^aunng ftatt. 2)er SBiße tt)irb baburd) feiner felbft
fidlerer, baB er mit einer pfammenftimmenben S^orftellungymelt fid^
umgiebt. Unb nor aflem fann eine gro^e unb plö^tidje SBanblung
in ber 95orfteIIung§me(t einen erf)eblid)en (Sinfluf; auf bie £eben§=
geftaltung üben, ©in junger SJZann, bem ©djule unb (£Iternt)au§ bie
S^orftellungen ber ßird)enlef)re eingeprägt ()aben, tritt in eine neue
Umgebung. Sn ber gabrü, in ber ^anblung, auf ber ©d^ule ober
Unioerfittit fommt er mit oufgeflärten ^ameraben in $8erüt)rung, er
Kernt bie popu(är=n)iffenfc^aft(id)e Sitteratur fennen, morin Dhtur unb
(^efd)id)te uom ©tanbpunft ber ^einbfi^aft gegen ^Iberglauben unb
^faffentum bet)anbelt wirb. Unb nun fällt e§ if)m wie @d)uppen öon
ben Singen: ha§ ift ja aUt^i ©d)tt)inbel, lt)a§ man mir al^ Ä1nb in§
74 I. 93u(^: 5öietappf. 1. Äapitel: ®a§ ontotogtfc^e «ßrobtem.
Öirn gepflanzt f)Qt; bie SBett tft oon (5iüig!eit f)er, ber SJJenfd) ift
nichts Qnbere§, a(§ eine bejonber§ enttoicfelte Tierart, bie (2ittengefe|e
unb t)a§> ^5enfeit§ finb eine (Srfinbung ber Pfaffen, bie "Dummen
§u frfireden. — Sin jolc^er Umfturj in ber 3Sor[telIung§tt)eIt rtirb
benn freilirf) nicf)t ot)ne 9^ücfn)irfung auf ha^ ßeben bleiben. Der neue
Slufgeflärte lüirb nun weiter p^ilojop^ieren: ha e§ feinen @ott unb
fein Senfeit§ giebt, fo fann ic^ alfo tf)un unb loffen, n)a§ mi^ ge*
lüftet; erlaubt ift, \va^ gefällt. <vene Seute, bie fo fef)r bafür finb, ba^
bem „5ßo(f" bie 9ieIigion eri)alten njerbe, t)alten e§ für i^re ^erjon jo
and) nic^t anbers. — Unb nun beginnt er, anfangs öielleicf)t nic^t of)ne
inneres SBiberftreben, ju tf)un, n)o§ burd^ 9^eIigion unb aJJorat öerboten
Xüax} bie Dliebertretung ererbter Sitte unb bie S]erad)tung be§ ©eiuiffenS
n)irb if)m gum ftol^en 3^i(i)^" ^^^ ^^^^i^^^t unb Slufflärung.
jDoB biefer SSorgong mirftid) ftattfinbet, ift gar nid)t zweifelhaft,
er trögt fid) afle Xage um un§ l^er in toufenbföltiger 2Sieberf)oIung
§u. SSieüeicfjt giebt es in unferer ^dt feiten ein Seben, bem ein ber=
artiges ^iäfonnement gan^ fremb bliebe. 2(ber, unb has^ ift nun weiter
f)inäu§ufügen, bamit wirb eS nic^t wat)r. Die SSerwerfung be§ @itten=
geje^eS ift nid^t bie logifcfie Äonfepueng einer materialiftif(^en
2Birfnrf)feitStt)eDrie, fonbern oietme^r bie ^otge einer faifcfien SSor =
ftetlung üon ber Statur beS ©ittengefe^eS, ber Q^orftetlung
nämtid), an ber unfer llnterrid)t nid)t unfc^ulbig ift, baß ha§: (Sitten=
gefe| nicf)tS fei atS eine Summe üon wiüfürü^en (Geboten unb SSerboten,
mit benen ein überirbifc^er 2Si(Ifürt)errj(f)er unS bej(f)Wert ^ahe. Sei
biefer ^orftellung fällt bann freiließ mit bem ©tauben an ha§> Dafein
eines fotcf)en Sßiüfür^errjd^erS and) bie 53ebeutung feiner angeblichen @e=
böte. Slber biefe S3orfteIIung ift faljcf); baS (Sittengefe| ift nid)t unferer
Statur fremb; eS ift unS nic^t, wie am SInfang beS Saf)rt)unbertS ben
3Sötfern (SuropaS bie ß'ontinentalfperre, oon einem @ewoIt^errjcf)er ouf=
erlegt, gu taujenb ©ütern unb greuben ben 3"9öng wef)renb; eS ift
öielmeljr baS @efe| unfereS SöefenS felbft. Die ©efe^e ber 9Jiorat finb
9^aturgefe|e. 9Jian mag il)nen eine tranfcenbente Sebeutung beilegen
ober nic^t, junäc^ft finb fie auf jeben ^all 9kturgefe|e beS menfcf)lic^en
2ebenS in bem (ginne, bais fie bie S3ebingungen feiner @efunbl)eit unb
2Bo{)lfa^rt barftellen. S^acf) bem natürlicf)en Saufe ber Dinge bringt
i^re Übertretung über 3Sölfer unb ßinjelne Unf)eil unb SSerberben,
wäl)renb il)re 33efolgung 2S3ol)lfa^rt unb gerieben mit fic^ fü^rt.
3. 2)ie praftii'd^en Äon|equenjen be# aJJoterialiömug. 75
2)ie§ gu leugnen liegt in ben metQpt)t)ftfd^en Gegriffen be§
9JJateriQ(i»mu§ gor fein 5tn(afe öor. SDie (5rfat)rung, bie un§ anbere
Sf^aturgcie^e fennen Iet)rt, beletjrt and) ()ierüber. 2öer bie ©eje^e ber
©tatif nirf)t beacfjtet, beffen 33au [türjt ein, er mag über jene ©efe^e
ben!en, ttjie er miü. 2öer bie ©efe^e ber mebiäinifrfjen ^iätetif über=
tritt, ber büßt mit Übelbefinben unb Äranf^eit, er mag an bie @ültig=
feit jener ®efe|e glauben ober nirf)t. ©benfo wer bie ©efe^e ber
Stßoral übertritt, ber jafitt bafür mit eigenem SebenSglücf, baran wirb
burd) feine SOleinung nic^t^ geänbert. SSer bie ^f(id)ten gegen ha§>
Eigenleben nerad^tet, wer ber UnmäBigfeit unb 5(u§]d)meifung fid) über=
läfet, ber jerftbrt bie ©runbbebingungen ber eigenen 2Bof)Ifaf)rt. SSer
bem S[)?üBiggang unb ber @enuBiud)t fid) ergiebt, meinenb, fein ©lud
auf biefem SSege ju finben, ber wirb am (Snbe in ÜberbruB unb
SebenSefel untergef)en; ha§: ift ein bioIogifd^eS @efe^ ber 9)^enfd)ennatur,
fo gut al§ ha^ anbere, baß gelingenber SE^titigfeit bie ßuft folgt, unb
ha"^ burd) Übung bie Gräfte wac^fen. (Snblid) wer bie ©ebote ber
fogiaten SOJoral übertritt, ber ftört §unäd)ft ba^ Seben anberer, er büfet
aber auc^ felber bafür al§ fojialeS SSefen. $ESer gegen feine Umgebung
rüdfic^t§Io§, ()od)mütig, nieberträd)tig, bo§^oft ift, ber ruft 5lbneigung
unb ^afe unb bas biefen @efüt)Ien entfpredjenbe SSer^alten f)erüor;
baran änbern feine SOJeinungen über bie 9Zatur ber 9J?ora(gefe|e gar
nid)t§. S§ giebt aber niemanben, bem bie§ üöUig gleidigültig wäre;
e§ giebt feinen 9Jienfd)en auf ber SBett, ber nid)t ber Ükht unb be§
Sßertroueu§ feiner Umgebung bebürfte, bem nid)t 9JäBtrauen unb |)afe
an fid) peinlich unb in if)ren f^olgen nerberblid) wären. Unb felbft
bann, wenn e§ jemanb gelänge, Unred)t unb S'Hebertradit unbemerft
unb unoergolten ju oerüben, würbe nic^t alle 9tüdwirfung ausbleiben;
e§ bliebe bie Slngft t)or ber Stufbedung; benn e§ ift eine wunberlid)e
3:t)atfad)e, bafe, wer etwas §u üerbergen f)at, immer glaubt, oon ben
anbern beobad)tet unb gefef)en ju werben. (5d)ulbbewufetfein mai^t
einfam. Unb feilte e§ jemanb burc^, aüc Se^ie^ungen ju anberen
abjufdiütteln, fo wäre er nod) oor einem nic^t fid)er, öor bem $Rid)ter
in il)m fclber. @r mag, bon ber 53egierbe geblenbet, fid) einen 3lugen=
blid barüber täufd)en, bafe er bei fid) baS ©ewiffen mit ben legten
SBurjeln auSgeriffen l)abe, e§ wirb eines XageS wieber ha fein unb
üernel)mlic^ 3u i^m reben. SBenn bie leibenfc^aftlid)e ^egierbe geföttigt
76 I- 33ucf): 5[Retapf)t)fif. 1. Äapitel: ®a§ ontologtfd)e Problem.
ift, lüenn bann Erinnerung iinb 93ej'innnng ^erüortreten, ober njenn
mit gunefjmeubem Sllter üvü'\t unb SOhit nadjlnffen, bann tritt ha§>
SSilb oergongener ^'inge beänftigenb cor bie (geele. @§ bürfte fc^Iie&=
lief) bod) feinen 9J?enf(f)en geben, ber mit @efüt)Ien ber 93efriebigung
auf ein Seben üoü 9^icf)tigfeit unb (SJemein^eit, t)oü 2üge unb geigfjeit,
oott 33o§f)eit unb 9Ziebertracf)t jurücf^ubficfen nermöcfjte; tüenig[ten§
bürfte e§ für niemanb ratfam fein, e§ barauf anfommen ^u (äffen.
^a§ öeben oon fogenannten Sebemäunern unb i()ren Jüeibücfjen ?ßartnern,
ober üon ©aunern unb Schürfen, großen unb ffeincn, wirb nic^t leicht
breit unb offen befcf)rieben, »eber üon if)nen fefbft nocf) öon onberen.
SBenn e§ gef(f)ä^e, unb e§ tüäre üiefleirfjt feine unnü^e 5trbeit, e§ föürbe
bo(^ nid)t Ieicf)t jemonb ha§i 93uc^ mit ber (Smpfinbung au§ ber ^onb
legen: boS war ein g(üc!Ii(^e§ unb bege^ren§tt)erte§ 2eben. Unb wenn
e§ aße äuBeren Erfolge erreicf)t, wenn e§ ftraffoS atleS oerübt unb
alle§ genoffen fjätte, fo Würbe e§ bennoc^ nic^t leidjt einem ^etrad)ter
o(§ ein fcf)öne§ unb wünfc^engwerteg SebensIoS erfdjeinen.
2{Ifo, fo fange bie SSeft ift, wie fie ift, unb bie menfc^ficf)e Statur
bfeibt, wie fie bisher war, werben au^ bie gittengefe^e in ©eftung
bfeiben, man mag nun bie SSirffid^feit aus ?ftomen ober au§ im=
materieffen «Subftanjen ober wie immer fonftruieren. 2)ie Sfufgabe,
bie ber 9}iateria(i§mu§ fid) f)ier oüein fteflen fanu, ift bie: ^weifeüoS
gegebene ST^atfadjen mit feinen SDJittefn ju erffäreu, §at er Sfted^t,
ift hü^ Seefenfeben eine ^unftiou bes @ef)irn§, fo wirb e§ für if)n
fic^ barum f)anbefu, auc^ bie ©efe^e ber 9}?oraf, ebenfo wie bie ber
ßogif, af§ eine etgentüm(id)e Einrichtung be§ menfc^fid)en (5ief)irn§
barjuftetfen; er wirb tierfud)en muffen gu geigen, wie biefe ©truftur
ber SRinbenfubftan,^, biefe i^onftitution gewiffer ©angfieuäeffen Urf ad)e
fofd)er Seftrebungen unb @efüf)(e, fofd)er Urteife über frembeS unb
eigene^ SSer^aften fei. 5f(§ Siofog mag er fiin^ufügen, wie biefe Ein=
rid)tung, nidjt minber afs bie übrigen Einrid)tungen be§ organifc^en
@t)ftem§, im Sinne ber Erhaltung be§ SnbioibuumS unb ber ©attung
wirfe. Unb bie @a(^e in§ ^raftifd)e weubenb, mag er fid) 9JJüf)e
geben, auf feine p^tjfiofogifd^e Erfenntni§ be§ (55ef)irn§ eine @t)mnaftif
unb Siätetif ber „9J?orafgangfien" ober ber „@ewiffen§region" gu be=
grünben, um fo enbfid^ einmaf bie Er5ief)ung§fef)rc auf eine „wiffen-
fc^aftfid)e" ©runbfoge §u [teilen.
4. tritif be§ 3Rateriali§mu§. ^aroEetilmuS be§ ^^^fifd^en unb ^jt)c^ifd)en. 77
Si§ ba§ gelungen ift, n)irb fidj oud^ ber SJ^ateriatift mit jenen
„prooiforifd^en" ©efe^en bereifen muffen; er fjat gar feinen ®runb,
boio nicfjt 5u tl)un; bie Ungültigfeit ber 9)ioraIgefe^e ift fd)Ied)terbing§
feine logifdjc Ä'onfequeng ber 5tnfi(f;t, ha^ olleS SSirfIirf)e Körper ober
gunftion eine§ Körpers ift. (gö mag fein, ta^ ()in nnb n)ieber bei
materialiftifdjen ©djriftftellern eine DK'ignng fid) finbet, üon SJioral unb
©emiffen mit einer gemiffen 9JiiBQd)tung 5U reben, al§ oon fingen,
oon benen bie „SSiffenfdjaft" gu I)QnbeIn feine SSerontaffung l^abe; ber
S^leigung, ®inge, bie ber SJonftruftion burd) bie eigene 2;f)eorie (Sdjinierig^
feit mad)en, geringfdjä^ig 5U be()anbeln ober fie über£)aupt gu überfel)en,
begegnet man überall. ®a§ ift §uföllig. 3)er antife 9J?ateriaIi§mu§, ber
überhaupt pf)ilofopf)ifcl^er, b. f). unioerfetter in feiner !:öetrad)tnng ift,
al§ ber 9}?ateriü(i§mug moberner ^Ürgte unb ^f)t)fioIogen, t)at gerabe in
ber dJloml fein ßiel; unb nur Unfunbe fonn meinen, ha'^ bie 9JioraI
S)emofrit§ ober (5pifur§ mit einer Moxai ber 3ü9^^ofigfeit etmaS
gemein ^ahz; ©i^^iplin be§ ®emüt§ ift e^, njoju fie anleitet.
Unb nun nod} eine Semerfung. 9Jian oergeffe nidjt, ha^ bie 33e=
fampfung einer gegnerifdjen 'Xf)eorie ou§ if)ren gefä^rlidjen 3^oIgen allemal
einen übten ©inbrud mad)t; fie ermedt ben 5lrgtüot)n, ha'\i man cor
einer tf)eoretifd)en Prüfung fid) fdjeue; man preift eine 2lnfid)t nid)t
oI§ bie gute an, fo lange man glaubt, it)re 2[Bat)rf)eit bemeifen ^n
fönnen. Unb julel^t liegt bod) bie (Sad)e übertjaupt fo, ha'^ nur ber
Srrtum geföfjrlid) ift; bie SDinge finb, mie fie finb; mie foüten un§
mafjre Sßorftellungen öon iljuen fd)aben ober falfc^e nü^en?
4. ^rtttf bc§ ^OJatertttliSmuö. *i)3araUeItftifd)e 3:f)eortc üon bem 58ers
l^iiltnie beö ^^f^yfifc^cn unb ^4^fyd)ifd)cn,
2Bir menben un§ nun ^nx ^^rüfung be^ tf)eoretifd)en 2Serte§ ber
materialiftifdjen 2f)eorie. Sft bie Sef)auptung ma()r, ha^ alle§ SBirf-
üd^e Körper ober Set^ätigung eine§ Äörper^ ift?
^d) mill gteid) befennen, ha'iii id) midj baoon nic^t überzeugen
fann. 6§ mag biefe Slnfic^t für bie ^to^dt ber 9'?aturforfd)ung au§=
reidien; bie äöirflidjfeit übertjaupt gu fonftruieren, ift fie nid)t ^ulönglid).
S)ie unioerfeüe ober pf)i(ofop()ifd)e S3etrad)tung ber Söirtlidjfeit fommt
erft in einer ibealiftifdjen ^t)eorie gur 9iuf)e, bie in bem ©eelifd;=
©eiftigen ba§ mot)rf}aft äöirflid)e fiefjt.
78 I- S3uc^: SKetop^tjftf. 1. tapitel: ®a§ ontotogifc^e Problem.
©§ ift ^eutjutage üblirf), tnettigftenS in pf)iIofDpf)ifc^en Greifen, bie
Un§ulängücf)feit be§ 9JJateriQli§mu5 üor aflem burd) erfenntni§tf)eo =
retijcfje ©rtoägung bar§ut()un; Siant gilt al§ jein befinitiöer Überrüinber;
burdE) ben erfenntni§tf)eDretifc^en SbeatiSmuS, ber Sftaum unb
3eit ju formen ber jubjeftioen ?(nfd)auung unb bamit bie Körper ju
©rjc^einungen mac^e, f)Qbe er ben bogmatijdjen ä)?QteriQli§mu§ für alle
pf)iIofopf)if(i) S)enfenben für immer unmöglich gemarfjt. 60 urteilt
^. 21. Sänge, ber @efrf}i(i)t§f(^rei6er be§ 9J?QteriQli§mu§: noc^ ^ant§>
l^ritif fei biefer eigentüct) ein 2(nad^roni§mu§. @o preift (2cf)openf)auer
bie fritifd)e ^f)iIofopt)ie: fie ijahc bie gro§e 2öa§rf)eit gur Rettung ge=
brad^t: !ein Dbjeft of)ne ©ubjelt; boS abfurbe beginnen be§ 9J?ateria*
Ii§mu§ befte^e aber eben in bem SSerfucf), ha§: (Subjeft erft au§ bem
Objeft abzuleiten.
^d) tjalte biefe Setracfjtung für burd^auS njatjr, luilt aber an biefer
©teüe nid^t nät)er barauf eingefjen, fonbern bie§ ber er!enntni§t^eoretifcf}en
53etrad^tung beg gn^eiten 33u(^§ öorbeJ)aIten. .^ier bemerfe ict) nur:
ber materiaüftifd^en 9}?etapf)t)fi! mirb bur(^ bie Sefinnung auf ha§>
SBefen unferer ftnnüc£)en @rfenntni§ o^ne ^^^^f^^ befinitio ein (Snbe
gemadjt. ©ie ^eigt, ha'^ bie Körper, meit entfernt, hü§> einzige
abfolut 2öirf(id)e gu fein, übert)aupt feine abfolute SSirflid^feit ^oben;
Äörpern !ommt nur eine relatioe ©i'iftens §u, näniüd) bie ©i'iftenj oon
Srfd^einungen für ein fo organifierteS ©ubjeft. ^i)\: ganjeS SSefen ift
2Baf)rnef)mung§inf)aIt; ein Körper ift njei^ ober fdjmors, njeic^ ober t)art,
^at ©eftalt unb ^u§bef)nung, nimmt einen 9^aum ein unb leiftet bem
(Sinbringen in biefen D^iaum äöiberftanb, alle biefe Seftimmungen
fommen i^m ^u mit 93e5ief)ung auf ein ©ubjeft mit folc^er ©innlid^=
feit unb 3nteUigen§: of)ne ^unge fein ®efcf)macf, ot)ne ^uge fein Sicfit
unb feine ^arbe, ofjue ©innlid^feit unb S3erftanb fein S^Jaum unb fein
Äörper, of)ne (Subjeft fein Dbjeft. 2)a§ ift ein ©ebanfe, oon beffen
2Sa^r()eit jeber, ber biefen 1)ingen nadE)benft, firf) überzeugen mu^.
©^openfjauer fpi^t if)n einmal in g^orm eine§ @efprädE)§ gmifdien
bem ©ubjeft unb ber 9JZaterie in folgenber SBeife §u. 3)ie äJJaterie
fpricf)t: „id^ bin unb aufeer mir ift nirf)t§. 2)ie SSelt ift meine oor=
übergef)enbe gorm. 2)u bift ein bIo^e§ 9?efultat eineg 2ei(§ biefer
gorm unb burc^auS zufällig. — ^lod) menige Stugenblicfe, unb bu bift
nid)t mef)r. Sdj aber bleibe oon Saljrtaufenb ju Sof)t^taufenb." SBorauf
4. Äritif be§ 2JJotcnoU§mu§. ^axaMi^mvi§ be§ ^f)t)fifc^en unb «ßfQd)iid)en. 79
ha§> (Subjeft: „®iefe unenblid^e ^^it, tt)e((f)e ju bouern bu bid) rü()m[t,
i[t, luie bcr unenblirf)e 9iQum, bcu bu füllft, bl'o^ in meiner 35or[teIIung,
in ber bu bic^ barfteüft, bie bic^ aufnimmt, moburd) bu ju oKererft bi[t." *)
Snbeffen f)alte ic^ e§ nid)t für jmecfmäBitj, bie SBiberlegung ber
materialiftifdjen SSeltonfd^auung mefentüd; ober allein ber erfenntni§=
t^eoretifc^en Ü^efteyion §u überlaffen. (Sine ^etrad;tung, irie bie
üben angefüt)rte, ift njo^l geeignet §u überrafdjen unb üieüeidjt
gu erjdjüttern, aber nidjt fo (eid)t inirb e§ it)r gelingen, eine
baucrnbe Überzeugung gn begrünben. 2ßem fie gum erftenmal begegnet,
ber wixh (eid)t bie Smpfinbung t)aben, al§ fei er nur überrumpelt
morben: fagen freilid) faffe fidj ta^, unb üielleidjt fei e§ fd)tt)er ober
unmöglid), bie 9iebe ju n^iberlegen; aber ina^r fei fie barum bod) nidjt.
©onbern mafjr bleibe e§ bod), ha'i^ bie 2Be(t oor mir unb meiner 58or =
ftellung ttjar, ha^ (Sonne, 9Jionb unb Sterne nebft ber @rbe üort)anben
maren, ef)e ein 5tuge t)a war, fie gu fe^en. Sobatb ber Süd ber
5Infd)auung§n)e(t fid) lieber gumenbet, !ef)rt mit übertüättigenber ddladjt
ber ©taube gurüd, ha'Q fie, bie folibe ^^örperwelt, bod) eben bie äöirf=
Iid)feit ift unb i^rem S)afein nad) öon bem öorfteüenben Subjeft nid)t
abl^ängt. 2Sie Stntöug bei ber 33erüt)rung mit ber @rbe, fo gerainnt
ber 9J?ateriaIigmn§ bei ber 58erüf)rung mit ber ?Infdiauung feine ^raft
rtjieber. @§ mag ta§> immert)in eine Sdjtnädje be§ gefunbcn 9J^enfd^en=
oerftanbe§ fein, bem beim abftraften teufen ber Sttem au§get)t, unb
9J?et)nert mag 9?ed)t ^aben, menn er finbet, e§ fei eine§ ber „unbe*
bingteften 9?eaftion§mitteI auf bie 2)enffät)igfeit eine§ 9J?enfd;en, ob er
bie Unii)irf(id)feit ber SSett in ben formen, wie fie burd) unfere @et)irn=
ttjätigfeit gefd^affen loerbe, begreifen fijnne ober nid)t".**) 3)ennod) roirb,
mer eine mirflidje Überjengung oon ber Unjutänglii^feit ber materia=
tiftifd^en SSirfIid)feit§tt)eorie fieroorbringen tt)iü, nid)t gut t^un, bei
erfenntni§tt)eoretifd)en ©rnjögungen ftet)en ju bleiben. Stuf bem Soben
ber 9}Zetapt)t)fi! ober ber 9kturpf)iIofopf)ie ift ber 9J?ateriaIiÄmu§ ent=
ftanben unb eintjeimifc^; t)ier muB il)n auffudjen, mer if)n befiegeu mill.
Stuf biefen S3oben lüoüen roh im folgenben ung ftellen.
2)ie SEtjefe be§ 9)?ateriali§mu§ ift alfo ber Sa^: and) bie 33emufet-
feinööorgönge finb gunftionen ber Ü}?aterie; fie laffen fid) a(§ 2f)ätig=
*) SBeÜ unb SBiOe aU SBorfteQung, 93b. II, 1. Aap.
») ^it)d)iatne (1884) 3. 170.
80 I- S3ud^: Wttap1^t)\xt 1. tapitel: 5)a§ ontologifdie Problem.
!eiten be^ gfJeroenjijftemS, at§ SSirfungen öon S^erüenprojeffen ))t)^fto=
logifd) erüären. — 3[t tiefe S3ef)auptung begrüntet?
hiergegen i[t neuerbingS öon ^f)t)fiologiid)er (Seite üielf ad)
SBiter)pru(^ erf)okit- Worten: e§ fei turrf)au§ ni(f;t mögticfj, 33en)nBt=
feinSoorgänge qu§ 33ett)egung§üorgiingen jn erftären, unt taranf fomme
tod) eine ptjtjfiotogijdje (grüärnng ^ntel^t f)inan§. S)n 33oi§=9iel)mont
{)ot fic^ §um loeit^in oernet)mbaren 3Sortfiif)rer bieje§ 3Biberfprnd)§
gentQdjt. ^n ter üietgenannten Stbljontlnng „über tie ©renken te^
9taturer!ennen§" fü()rt er au§: pl)l)fifd)e SSorgiinge jinb o()ne 5tu§nQ^me
pt)l)jijd) 5u erflären nnt t)ier giebt e§ feine ©renje ter ©rüarbarfeit; e§
giebt oiele §ur ^^it nnerflörte, aber feine an fid) unerfliirlidjen ®inge.
S)er ©rftürnng ter SebenSöorgänge, ter ®ntftef)nng ter erften Organismen
mit ten SUütteln ter 9^atnrn?ifjenjdjaften [teljt prinzipiell nid)t§ im SBege.
5Iber mit tem erften 33etnn^tfein§e(ement, mit ter primitioften ®m=
pfintnng tritt etma§ anf, ta§ ter notunüifjenfdjoftlidjen ©rflärnng fid)
fd)Ied}tf)in ent^ietjt. „®a§ Seinn^tfein ift on§ feinen materiellen 33e=
tingungen nidjt erfUirtic^." „2)ie aftronomifdje Kenntnis te§ @ef)irn§,
tie f)öd)[te, tie mir taoon erlangen fönnen, entf)üttt un§ nid)t§ al§
bemegte 9J?aterie. ®urd) feine ^u erfinnente ^tnortnung oter ^emegnng
materieller Xeildjen aber lä^t fic^ eine 93rücfe in§ Üieid) tes 93emuBt=
fein§ fc^lagen." ®r fc^lie^t mit ter empt)atifd) abgegebenen ©rflärung:
„^n 93e5ug anf tie ^atfel ter ^örpermelt ift ter S^aturforfdjer löngft
gemöl)nt mit nuinnüdjer ©ntfagnng fein ignoraraus ouS^ufprec^en. Sn
9iüdfid)t anf tie turdjiaufene fiegreid^e S3at)n, trägt i£)n tabei ta§ ftille
S3emuf3tfein, taB, mo er je^t nic^t mei^, er menigftenS unter Umftänten
miffen fönnte nnt tereinft öietleidjt miffen mirt. Sn 53e3ng auf ta§
9fiätfet aber, ma§ 9JJaterie nnt Äraft feien, nnt roie fie ^u teufen
öermögen, mufe er ein für alle mol gu tem fdjWerer abjugebenten
Sßaf)rfprud) fid) entfdjüeBen: ignorabimus."*)
*) übet bie ©rettäeu be§ 9kturer!ennen§ (7. 9(ufr. 1891) <B. 40 ff. S)te ®e=
f(^id)te biefe^ SBortrageS üom ig. 1872 itnb eine goi-tfe^ung ber ®t§fuffton giebt
ein s»üeiter SBortrag öom gafire 1880: „2;ie ficben Seltrötfel." ^d^ ge^e auf biefe
Darlegungen et>üa§ mijev ein, weit fie in ben ftrcifeu ber ^JJoturforfc^er ^(uffefien
gemad)t I)aben unb öiel erörtert lüorben finb; mon luirb fie al§ ein tt)pifd}e§ S3eifpiel
für eine t)ier hjeit verbreitete SCenftoeife anfet)en bürfen. — ©anj äf)nlid) Ijotte fid)
fürs pöor ber engtifd)e ^t)t)fiter Sijnbatt in einem 1868 auf einer 9?aturforfc^er=
terfammtung getjattenen $8ortrag au'jgefpro^en. ^d} teile bie braftifd)en SBenbungen
4. Äritif beä SKoterialtämuS. ^axaMx^muä beä ^^^fifc^en unb «ßf^c^ijc^en. 81
90?an t}at in tiefer 93etrad;tung eine SBiberlegung beä ä)Meriaü§=
mu§ er6Ii(ft, unb üieHeic^t i[t fie aud} fo gemeint. (Sie fc^eint mir
aber fjier^u nid^t au!§reici^enb; fie trifft nicf)t eigentlich ben ^unft, mo
ber SOJateriatiömug öermunbbor i[t, njenigftenö nur unfidjer unb nebenfier.
©in mQteriaIi[tifd)er ^t)iIofop^ fijnnte auf biefe (Sinrebe in folgenber
Söeife ermibern: dlad) jenen Darlegungen ift ber ^mifcfien un§ unb
bem 5ßerfaffer ber ©renken be§ SfiaturerfennenS ftreitige ^unft allein
ber, ob 93emuBtfein§norgänge au§ ben materiellen Sebingungen er =
f(ärlid) finb ober nid)t; mir bejahen, er oerneint bie ^rage. SDa-
gegen befte^t jmifc^en un^ ooüe§ ®inöerftänbni§ barüber, ba^ ha^
Semufetfein öon materietten 33ebingungen ab f) an g ig ift; and) er füf)It
fid^ toeit ergaben über „^Dogmen unb alterSftoI^e ^f)i(ofop!^eme" mit
i{)rem ©lauben an eine befonbere (Seelenfubftans; and) er fie^t „in
taufenb gälten materielle ^Sebingungen ba§> ©eifteSleben beeinfluffen".
(Seinem unbefangenen Sücf jeigt \\d) !ein ©runb gu begmeifeln, ha^
mirttic^ bie „(SinneSeinbrüde ficfi ber fogenannten (Seele mitteilen"
(©. 45); e§ brängt fid) i^m bie 53ermutung auf, „ba^ bie (Seele all
attmä^Iid^eS Ergebnis gemiffer materieller Kombinationen entftanben ift"
(@. 47); er finbet an 95ogt§ „@e!retion§gIeid)ni§"- nic^t ju tabeln,
„ha'ß bie Seelentt)ätigfeit al§ (Sr,^eugni§ ber materießen Sebingungen
im ®ef)irn ^ingefteüt mirb. ^^^efjter^aft erfdjeint nur, ha'^ e§ bie SSor=
fteßung ermecft, a(§ fei bie Seelentf)ätigfeit ou§ bem S3au be§ @e§irn§
i^rer 'Otatur nad) fo begreiflid), mie bei ^inreid)enb fortgefd^rittener
Kenntnis bie 5tbfonberung au§ bem Sau ber ©rufe fein mürbe" ((S. 50).
Sllfo, nic^t bie X^atfad;e ber Sebingt^eit, fonbern allein i^re Segreiflid^=
mit, in bie er ben (Sebonfen fa§t: „®er Übergang öon ber SOiec^oni! beg ®c{)irnl
3U ber entjpred^enben 2:t)ätig!eit beä Seroufitfeinl x\t unbenfbar. QüQtqthm, bofe
ein bestimmter motetularer Söorgang gleidjjeitig im ®e!^irn ftattfinbet, fo befi^en mir
bod^ nid)t ba§ geiftige Drgan, n^etc^eg un§ befätiigt, burd) irgenb einen S)enfproäe§
öom einen jum anbern überäuge:^en. ©ie treten jufammen auf, aßein mir föiffen
nidit warum? SSären unfere ©eele unb ©inne fo entroicEelt unb erleud^tet, i>a%
mir bie 9)ZoIe!üle be^ ®ef)irn§ felbft fe'^en unb füllen fönnten, mären mir fä'^ig,
allen i^ren 58emegungen, i§rer Gruppierung unb il^ren eleftrifdien (Sntlabungen,
menn el bereu giebt, ^u folgen, unb mären mir auf^ genauefte beEannt mit ben
entfprerfienben ^uftänben üon ©ebanfen unb ©efü^Ien, fo mären mir ioä) fo meit
aU je entfernt öon ber iJöfung be§ 9tätfet§: mie finb biefe p^tjfifalifd^en 2;^at=
fad)en mit ben %^at)aä)cn bei Semu^tfeinl üerlnüpft?" (Fragmente au§ ben
9?aturmiffenf(iöaften ©. 143.)
>lia ulicii, CSinleitung. ü. äluft. 6
82 I- 33u(^: ^ttap^i^^il 1. Kapitel: 3)a§ ontologifd^e «ßroblent.
!eit tt)irb Beonftanbet; lüir tüiffen, baB Bewegungen $öett)uBtfein§=
Dorgänge oerurfadjen, nur bog wie bleibt ewig rätfelfiaft.
SSießeid)!, fo !önnte ber ntateria{iftiid)e 9JZetapf)t)fifer nun fort=
fahren, ift bem fo; wie e§ bie 3JJoIefüIe anfangen ^u benfen, ba'B wiffen
wir nicf)t unb werben es öieüeirfjt nie wiffen. 'aber wiberfä^rt un»
l^ierin etwa§ Sonberlii^eS? 33eftef)t naturwiffenf^aftlidje @rf(ärung
irgenbwo in ber Darlegung be§ §ergang§, wie e§ bie Urf ad}e anfängt,
bie SSirfung ^eröor^nbringen? 3)ie $f)t)fi! erflärt sat)Ireid)e (£r=
fd^einungen au§ bem @raöitation§gefe|, haS^ fallen be§ ©teines, ba§
f^üeBen bei ^ad:)e^, ha^ Steigen be§ fiuftballon^, bog gtuten unb
(Sbben bei 9}ieerel, bie Bewegung ber Planeten; fie tf)ut e§, inbem fie
geigt, baB alle biefe Bewegungen unter ber allgemeinen g^ormel bei
©raöitationlgefe^el begriffen finb. 2(ber geigt fie, wie Slörper fic^
über{)aupt angießen, ober warum fie nad^ jener g^ormel fic^ gegen-
onber gu bewegen tenbieren? ©ang unb gar nid)t. Unb ebenfo wenig
erflört bie G^emie, warum biefe (Elemente fic^ in biefem Berf)ältnil,
ober warum fie über{)aupt fid) oerbinben: aui^ fie fagt nur ba§> 2)aB,
nic^t bal 2öie ober SBarum. Unb nic^t anberl fte^t e§ fd^üeßlid^
aud) mit ber 9}Jed)anif: wie ein Körper beim ßufammenfto^ mit einem
anbern el anfängt, feine Bewegung auf biefen gu übertragen, bal erüärt
fie nid)t, fie bringt lebiglic^ ba§^ t^atfädilic^e Bert)a(ten auf eine g^ormel.
5tIfo, eine (Srfdjeinung erflären Reifet in ben 91aturwiffenf(^aften überall
nid)tl anberel, all eine g^ormel finben, unter ber fie atl ^aU begriffen
ift, mit bereu .^ülfe fie üorf)ergefe{)en, berechnet, unter Umftänben and)
t)erbeigefüf)rt werben !ann. — ^ierin ift übrigenl and) S)u Boil=
9fiet)monb berfetben 2(nfid)t: rvaS' ^raft ift, ober wot)er bie Bewegung
urfprünglic^ fommt, ha§> ift ebenfo wie bas SBefen ber 3Jiaterie auc^
if)m ein tranfcenbentel Problem.
Sllfo, fo fc^Iiefet nun ber materialiftifc^e ^^ilofop^, etwal anberel
barf man natürlid) and) md)t erwarten ober forbern, wenn el fid)
um bie (Srüärung ber Bewu^tfeinloorgänge f)anbe(t. ^m Sinne ber
Slaturwiffenfdjaft finb fie erüärt, wenn e§ gelingt, gormetn gu bilben,
nad) benen if)r (Eintreten infolge anberer Borgänge, etwa beftimmter
pt)i)fioIogifd)er Borgänge im @ef)irn, üoranlgefef)en werben fann.
SBenn wir wüßten: auf biefe beftimmten Borgänge in ben ^tU^n unb
Seitungifafern bei @ef)irnl erfolgt jebelmat biefe BorfteEung ober
4. Äritif be§ 2J?ateriali§mu§. «ParotteliSmug beg ^fiijfijclien unb «PfQd)ifd)en. 83
ein ©efü^I oon biejer 5(rt unb ©tärfe, bann toüBten ton QÜeS, raa§
löir qI§ wiffenjdjaftltdfje ^orjcfjer üBerfiaupt n^iffen mollen. SSie e§
bem pf)i)fio(oL3ifcf)en S^organg gelingt, eine ©mpfinbung fierooqnbringen,
ha^ md)t ju n)i[fen fann nn§ nid)t befc^ttjeren, fo lange wiv aud)
nid^t miffen, mie eine 93en)egung bie anbere f)eröor6ringt. i)hin ftef)t
aber prinzipiell bem md)t§> im 2öege, bo^ e§ einmal ber ®ef)irn=
p^tifiologie gelingt, berartige g^ormetn ju erreichen. Ob e§ tt)atfocl^=
lirf) baf)in fommen Jüirb, ob fie einmal imftanbe jein tt)irb, bie S3e=
lüegungen ber @et)irnmofefü(e bargnfteüen, aU beren Sötrfung biefe
beftimmte ©mpfinbung ober gar ein beftimmter ©ebanfenoorgang ein=
tritt, bog mag fef)r fraglich fein. Slber mirb aud) nur bie 3JJögIi(^!eit
angegeben, fo ift bamit bie 93?ögti(^!eit einer p^tjfifcfjen (Srftärung ber
93erou§tfein§üorgänge zugegeben, in bemfelben ©inn, in bem hü§: 2öort
©rflärung in ben Slatnrmiffenfc^aften übertjaupt gebroud^t tuirb.
©0 fd)eint mir, fünnte ber 9JJateriaIi§mu§ jener ©inrebe fic!^ er=
mehren.*) SSitl mon fie ttjirflirf) trcffenb mad^en, fo muB man fie anbers
faffen; man mufe fagen, unb barauf giett fie offenbar eigentlid) ob: e»
fonn feine g^ormeln geben, meldte pf)t)fifcf)e unb pft)rf)ifd)e ^^organge fo 5U=
fommenfoffen, toie in ben ®efe|en ber QJJed^onif SemegungSoorgönge äu=
fammengefofet finb; ober mit onberen SSorten: ätt)ifd)en pf)t)fifd^enunb
pft)d)ifd)en SSorgöngen finbet fein Äoufo(öerf)ä(tni§ ftott;
33en)u^tfein§t)orgänge finb njeber Sßirfungen nod) Urfod^en
pf)t)fifdf)er $ßorgänge.**)
Unb f)ier liegt nun oüerbing^ ber Stnfang oom @nbe be§ aJJote-
rioIi§mu§. ^reilid) erft ber 5tnfong.
*) SBüc^ner beutet eine berartige 93etrad)tung an, ^raft unb Stoff <B. 316.
**) 2)u S3oi§=5Ret)ntonb t)ot felbft gelegentlid) anä) biefe ^^ormel; mitten unter
ben oben angefül)rten Stellen, bie ba§ ®enfen aU @r5eugni§ moterieHer „SSe«
bingungen" barfteüen, finben fid^ and) Sinterungen, in benen bie UnmögU(i)feit,
eg oI§ (Srgeugnil p^i^fifdier Urjadien anjufcf)en, au^gefprodien tnirb: „93ett)egung
fann nur 93en)egung erzeugen ober in potentielle ©nergie jurüdf fic^ üerrcanbeln.
Sie me^aniid)e Urfac^c ge^t rein auf in ber ntec^anifc^en Söirhmg. Sie neben
ben matericEen SSorgängen im ®el)irn ein^erge^^enben geiftigen 5Borgänge entbehren
alfo für unferen SSerftanb be§ 5ureict)enben ®runbe^. Sie fielen oufsertialb be§
SiaufoIgefe^eiS" (S. 45); ma§ offenbar befagen tüiH: aufeer^alb bei medianifdien
Äoufal5ufammenf)ange§, aU auf tüeldien allein ber „Saplacefd)e ®eift" eingeübt ift.
3m öorigen ^at)rf)unbert märe norf) jebem ^f)t)fifer ber Unterf(i)ieb biefer gormein
geläufig geroefen; bie 3?erfäumung ber ^:^ilofop:^ie rä^t ficf).
6*
84 I. 93uc^: 3)letap^9fif. 1. tapitel: 3)a§ ontotogifc^e Problem.
Um bies gu geigen, i[t e§ aber §unä(f)[t geboten, aud) bte moteria^
liftifdjen ^f)i(o)opf)en gu einer genaueren ^^eftftellung if)rer eigentüdien
S3e^auptung anpfjalten, 2(ucf) bei i[)nen begegnet man regelmäßig
t)erfd)iebenen g^ormeln, bie at§ g(eic!)bebeutenbe gebrandet merben. 9Jian
!ann fie auf gmei ©runbformen ,^urücffü^ren. 1) ^öemu^tfeingüorgänge
finb äöirfungen pt)Qfijc^er S^orgänge; 2) 93emuBtfein§t)orgänge
finb an fid), ober objeftio betrad)tet, nichts anbereS at§ pt)t)jif(f)e
SSorgänge im @ef)irn. 33eibe g^ormeln gef)en bei unferen materiati[tif(^en
©(f)rift[tellern beftänbig burrf)einauber. ©o erftärt Süd^ner einmal
bie jeelifcf)en ©rjc^einungen für SSSirfungen ber (55ei)irntf)ötigfeit:
mie fie aus materiellen Kombinationen t)erborge£)en, mag immerhin
fraglid) fein, e§ genügt ju tt)iffen, ,M^ materielle SSen^egungen burd)
SSermittelung ber @inne§organe auf ben ©eift mirfen unb S3emegungen
in bemfetben öeranlaffen, unb ta'^ biefe le^teren l^inmieber materielle
Semegungen in S^eroen unb SJJusfeln erzeugen." ©leid) baneben finbet
ft(^ aber aud^ bie gmeite g^ormel: „^a§ Senfen fann unb muß al§
eine befonbere 3^orm ber allgemeinen DIaturbemegung an-
gefef)en merben, tt)e(d)e ber ©ubftang ber centralen SZeröenelemente
ebenfo c^arafteriftifd) ift, mie bie Semegung ber 3ufammen§iel)ung ber
SJJuäfelfubftanj ober bie 93emegung bes 2id}tö bem 3SeItätf)er". Unb
bieg fei, fö^rt er fort, nid)t bloß eine g^orberung ber Sogif, fonbern
neuerbingg auc^ efperimentett bemiefen, nömlid) burc^ bie SSerfui^e,
ttjeld^e bartf)un, ha"^ bie pft)d^if(^en ^rogeffe ober S)en!bemegungen ßeit
gu it)rem Stblauf brauchen. „S)arau§ folgt ber notmenbige ©djiuß,
ta^ ber pf^d^ifc^e ober 3)en!aft in einem auigebef)nten, Sßiberftanb
leiftenben unb 5ufammengefe|ten ©ubftrat ftattfinbet, unb baß bafjer
ein fotd)er 5(ft nid^t§ anbere^ ift, a(§ eine g^orm ber 33e=
iüegung." 2)ogfeIbe mirb audj burd^ bie 3:^atfadje bemiefen, bafs bie
Slnfunft eineg (SmpfinbungseinbrudS im @el)irn „bafelbft eine fof ortige
Söärmefteigerung f)erüorruft unb jmar augenbtidlic^!! 2)amit ift alfo
bemiefen, ha)i pft)d}ifd)e 2;^ätigfeit nichts anberes ift ober fein fann, al§
bie gmifd^en ben 3^üen ber grauen ^irnrinbe gefd)e^enbe S(u§ftra^Iung
einer öon öuBeren ©inbrüden eingeleiteten 93emegung." Über bie
S^latur biefer 93emegung finb anbere 58erfud)e na()e baran, un§ auf^u^
flären, jene 93erfud)e, bie geigen, „bafe bie im 9ceröeu erzeugte ©teftrigität
abnimmt ober gang öerfc^minbet, fobalb ber 9Zerö eine pl^tifiotogifdje
4. ftrit« be§ ajiaterioItSmug. <ßorolIeH§mug beg «ß^Qftfc^en unb $jt)c^tfd)en. 85
^unftion ausübt: bieje§ beiueift unmiberlegüc^, ha^ gf^eröenfraft ober
9Zeröentf)ätigfeit gteirf)bebcutcnb ift mit umgetüanbelter (Steftrisität. " *)
9J?it berfelbcn ©oppelformct ^at ein bänifdier ^:pf)t)fioIog eine
materiaüftifdje ^fjeorie ber Stffefte gegeben.**) 9?ac^ ber gettii3f)nü(i)en
SSorfteUung trete guerft ber 5tffeft, j. S. i5"i^<^t "^^ ^i" ^^^"^^ ^^=
n)nBtjein§öorgang ein; biefer bettjirfe bann eine 9fteit)e pf)i)fioIogifc^er
58orgänge, bie $8Iäffe, ba§ gittern n. f. f. ^er ^f)i)[ioIog fe^rt bie
©adle um: bie Gemütsbewegung ift nid)t bie Ur jadje, fonbern üielme'^r
bie SSirfung bc» Brperlic^en ^ßorgongS, nämlid) eine§ pf)t)fio(ogijd)en
35organg§ im üafomotorifc^en ®t)[tem. Ober mit ber anbern 5oi^"i^t-
bie ©emütsbemegung befte^t eigentlich au§ ben funftionetlen Störungen
im Körper. 2)ie gangbare 5{nfd)ouung, ,M'^ ^^e SDJobififation be§
fectijc^en 3u[tanbe§ ber eigentliche 5Iffe!t fei, bie maljre greube, 5:rauer,
mäljrenb bie förperlidjen (Srfdjeinungen nur S'Jebenptjänomene finb, bie
jmar nie fet)Ieu, aber bod^ an unb für fid^ unnjefentlid) finb," n)irb
nermorfen unb gezeigt, boB ber rein feeüfcf)e §Iffe!t eine überftüfftge
^i)pot^efe ift; „moS bie äJJutter, bie über if)r tote§ ^inb trauert, füf)It,
ift in 2öir!tict)teit bie 3«übig!eit unb ©cf)tafft)eit it)rer 9}lu§!eln, bie
*) Äraft unb Stoff, (S. 295, 297, 300 ff. 9Kan mufe bie 3tbfcf)mtte ®ef)irn
unb Seele, ®ebanfe, 93ett)uBtfein, gang tefen, um bie f)eiIIo)e SSerttJirrung su em^
)}finben, njorin bie legten 93egriffe t)ier öerjt^njimnten. ©§ finb brei Sitten öon
SSorfteüungen über ba§ SSert)ättni§ öou 'Senfen unb SSettjegung, bie ju einem un»
auflö§tid)en GJemirr üerfd^Iungen finb: 1) ®eban!e ift 93emegung; 2) (Sebanfe ift
SBirfung öon 33ctt)egungen; 3) ®cban!e ift unlösbar üerfnüvft mit 58emegung,
„®enfen unb SluSbe^nung fönnen nur a\§ giüei Seiten ober ®rfc^einung§weifen
einel unb beSfelben ein^eitlidien 2Befeng betrad}tet werben" (S. 300), n)etd)e§ SBefen
bcnn feiner eigentUd^en JJotur nad) un§ unbefannt bleibt (S. 3, 316). Influxus
pliysicus, ^oraüeligmuS, ^bentitöt, ober: gemeine SSorftetlung, Spinoga, ^ant,
ba§ taumelt alle§ roie betrunfen burd)einanber. 5)a6 biefer ^Rann auf jebem 93latt
bie „<ß^ilofopl)en" bcfd)impft, al§ iicute, bie bie (^»abt l)ätten, bie einfad)ften unb
flarften ®inge t>md) einen SBuft :^od)trabenber, int)altleerer SBorte in ißeririrruna
ju bringen, wirb man l^iernad) geiui^ in Drbnung finben.
S8ogt nennt unter ben 9Jiitteln, bie jum ßinfc^läfern geeignet feien, auc^
„fpe!ulatit)=p:^ilofopl)ifd)e 93üci^er". 3^ieüei(^t ttJÖre e§ bod} anä) für i^n ratfam ge^
roefen, einmal biefeg (£influffe§ fi^ ju cnne^ren unb ben iyerl)onblungen St)ino30§
ober Staute über biefe ®inge mit 2lufmertfam!eit ju folgen. (£ä ^ätte it)n mög«
lid)er SSeife bor ber glei(^en SJerrairrung bmaijtt, bie fid) aud^ bei i^m finbet;
fiel)e bie p^i)fiologifc^en Briefe 4. 9lufl., 1876 S. 354.
**) e. Sänge, Über ©emütgbettjegungen, beutfd) öon Äuretla (1887).
86 I- S3uc^: Wletapf)t)\il 1. ^apM: ®al ontologifc^e Problem.
Äälte if)rer blutleeren §aut, ber ajiongel tf)re§ (5)e()irn§ an ^roft gu
!(arem unb fcfinellem Renten, bies alles erf)etlt oon ber SSorfteHung ber
Urjadje biefer ^f)änomene. 9J?an ne£)me bei bem (Srjd)rocfenen bie
fürper(i(f)en @t)mptome fort, laffe feinen ^u(s ruf)ig f(f)(agen, feinen
f8[\d feft fein, feine g^arbe gefunb, feine 93ett)egungen fdjneU unb fid)er,
feine @cban!en flar, n)a§ bleibt bann nocf) öon feinem ©d^rec!
übrig?"
SBenn ber 3RateriaIi§mu§ an ber ,^n5eiten Formulierung feiner
5:{)efe entfcfjloffen feftf)ält, bann ift er burc^auS unmiberleglic^. S)er
©a|: (55eban!en finb eigentürf) nichts anbere§ als Semegungen im
@et)irn, @efüf)Ie finb niditS anbere§ al§ !örperlicf)e Sßorgänge im
öafomotorifdjen ©t)ftem, ift üöUig unn)iberleglic^, freilid), nid;t meit
er n^afir, fonbern n^eil er abfolut finnloS ift. ^a§ Sinntofe teilt mit
ber 2öaf)r!)eit ben ^Sorgug, ha^ es nic^t n^iberlegt werben fann. @in
@ebanfe, ber im ©runbe nid}t§ anbere§ als eine Bewegung ift, ift
ein ©ifen, baS^ eigentlich oon ^olj ift. ^Dagegen ift nid)t gu bi§putieren;
man fann nur fagen: i^ oerftet)e unter einem ©ebanfen einen @e=
banfen unb nid)t eine S3emegung oon @e{)irnmoIe!üIen, unb ebenfo
be^eidine id) mit ben Sßorten ßorn unb 2(ngft eben ben ßoi^n unb
bie Stngft felbft, unb nid)t eine SSerengung ober ©rmeiterung ber
SIutgeföBe. SDiefe Ie|teren 3}orgänge mögen aud^ ftattfinben unb
immer ftattfinben, mann jene ftattfinben, aber fie finb nid)t @eban!en
ober öefüt)(e; mon mag fie ^in unb Ijer menben, mie man miü, in
ber 33emegung ftedt gar nid)tg oon bem @eban!en. 2)er gemeine
Warm meiB ja gar ni(^t§ oon ber öet)irnbemegung ober bem oafo=
motorifdjen ^ßorgang, aber er meife oon bem 3oi^n unb oon ben @e=
bauten, unb eben biefe meint er, menn er baoon fprid)t, unb nid)t etma§
anbereg, mooon nur ber ^f)i)fioIog meife, unb ber nid)t rec^t. Ober
mirb etma ber ^f)t)fioIog, nad)bem feine SSiffenfc^aft etmag genaueres
tjon jenen !örperlid)en S3orgöngen ermittelt f)aben mirb, übert)aupt nidjt
mef)r oon @eban!en unb @efüf)ten reben, fonbern nur noc^ oon bem,
mas fie im (Srunbe unb eigentlid^ ober objeftio betrad)tet finb, nämlidj
Semegungen? mirb er, menn e§ i{)m miberfatjren follte, fid^ gu oer=
lieben, ni^t me^r feine Siebe befennen, fonbern ber S)ame oon bem
entfpred)enben üafomotorifd;en ^ro^eB, ober, mit 5;t)nball ju reben, oon
ber rechts gemunbenen ©piratbemegung in feinem §irn reben, meinenb,
4. trttit bei SWnterioliämuS. '^ataM\§mu§ beg ^fi^fifd^en unb «JJf^c^iic^cn. 87
\>a^ er bamit alle§ gefagt unb bie ©adje nad) if)rer eigentlid^en 2öir!-
lidjteit begeidinet f)abe? ®a§ i[t ja offenbarer Unfinn.
Sllfo, foU überf)aupt eine SDi^fuffion möglich fein, fo mu^ ber
SOJaterialiSmuS juerft bie g^ormel faden laffen: ©ebanfe ift 93ett)egung.
(SJebanfe ift nidjt Bewegung, fonbern @ebanfe. SOZögüc^ bagegen
ift, ba"^ er ju einer 33ett)egung in irgenb einem regelmäßigen unb
angebbaren 9Sert)ö(tni§ ftet)t. ßeigt bie§ bie ©rfal^rung, fo ift bie
5Iufga6e, bie Statur biefer öejiefjung feftjuftellen.
ßiüei gormen be§ S3erf)ältniffe§ ättjifc^en pf)t)fifd)en unb pfl)d^ifd)en
©reigniffen finb benfbar, nad)bem xoxx ba§> SSerf)ö(tni§ ber ^bentität
au^gefdjieben I}aben: es fann entn^eber ein Urfad^oer^öItniS ftatt=
finben, ober ein 3]ert)ö(tni§ be§ blofien geitlidjen 9lebeneinanber.
@o t)aben bie beiben !on!urrierenben p^ilofoptjifc^en 2;{)eorien über ta^
58erf)ättni§ öon Seib unb ©eele feit bem fiebjefinten Saf)i^^unbert bie
(Bad)t gefaßt, bie X^eorie ber SBedjfe(töir!ung (influxus physicus)
unb bie 3;;t)eorie be§ D!fafiona(i§mu§ ober be§ ^oratleliSmuS.
9hir ätt)ifd)en biefen beiben S3orftelIung§tt)eifen ift bie 2Sat)I. SSenn
ic^ mic^ nid^t irre, inirb fid) ber $02ateriati§mu§ nun für bie erftere
Stuffaffung entfd)eiben: S3ett)ußtfein§oorgänge finb 2öir!ungen ber
förperüd)en 33orgänge, njäf)renb feine oben ertt)öf)nten p{)i)fioIogifc^en
ßritifer fid^ ber STfieorie be§ ^arotIeIi§mu§ juneigen, freilid^ of)ne ben
©ebanfen tt)ir!Ii(^ burd^jufü^ren.
äJ^ad^en mir un§ §uerft bie beiben 5tuffoffungen öödig !Iar.
©enfen mir un§, mit 2eibni§, ben ©djäbel eine§ STiereS ober eine§
9)?enfd)en fo groß mie eine 9Jcü^(e; man fann barin ^erumge^en unb
bie 33orgänge im @ef)irn beobad^ten, mie man bie Söemegungen be§
©angmerfg, ha§> Sneinanbergreifen ber 9töber in ber 9J2üt)(e beobad^ten
fann. 2öie müßte bei jeber ber beiben S^orfteüunggmeifen bem S8e==
obad^ter ber ©e'^irnprogeß fidj barfteücn?
2)er 5tnt)änger ber paralleliftifd^en STfieorie muß offenbar
golgenbes ju fe^en ermarten: bie pf)i)fifd)en ^ßorgänge im ©e^irn
bilben einen in fid) gefdjtoffenen .taufaläufammenfjang; nirgenbg tritt
ein ©lieb ein, ba§ nidf)t in gleidjer SSeife mie jebeS anbere p^i)fifd)er
9Jatur njäre. $8on pfijdjifd^en 35orgängen, oon S5orfteHungen unb @e=
banfen, möre fo menig ju fef)en, njie bei ben Semegungen ber 9}?üf)Ie.
Sin Manu gef)t über bie (Straße. ^lö^tid; mirb er mit feinem
88 I- 33ud^: 9Keta^^t)ftf. 1. Äopitel: ®og ontologij^e *ßrobIem.
S^ameit angerufen, er bre^t fic^ um unb gef)t auf ben Stnrufer ju.
®er üollfomniene ^{)t)fioIog tt)ürbe ben ganjen ^ßorgang rein mecfianifc^
fonftruieren. (Sr mürbe geigen, wie bie pf)t)fijc^e SBirfung ber @cf)QÜ=
njetlen auf ba^ @e{)5r§organ einen fieftimmten ^Zerüenoorgang im ®e{)ör§=
nerüen erregte, tt)ie biefer gum ßentralorgon fortgepflauät tt)urbe, \ük
er t)ier beftimmte p^tififdje ^Sorgönge auSlöfte, bie fdiüefeüd) jur
SnnerüQtion genjiffer ©ruppen motorijcfier Dfierüen führten, qI§ beren
(Snberfolg bie SSenbung unb Semegung be§ 5^örper§ in ber S^id^tung
eintrot, öon Xüo bie (Sd^oümeüen !amen. Stile biefe Sßorgänge fd^Iie^en
fic^ gu einem lüdenlofen pf)t)jifc^en ^roge^ jujammen. ©aneben ging
ein anberer ^rogefe ^er, üon bem ber ^^I)t)fioIog at§ folc^er nichts fie^t
unb nid)t§ gu ttiiffen braud)t, üon bem er aber at§ ben!enber, feine
2öa^rnef)mungen interpretierenber äTfenfd) meife: @e£)ör§empfinbungen,
bie Sßorfteüuugen unb ©efü^Ie f)erüorriefen; ber Stngerufene ^örte feinen
DIamen, er n^enbete fid) um, Urf)eber unb M\\(i)t beg 9^ufe§ gu er*
fahren, er erbüdte einen alten 58e!anuten unb ging auf it)n gu, if)u gu
begrüben. 3)iefe SSorgänge ge()en neben bem pt)t)fifd)en Slblauf t)er, of)ne
in if)n einzugreifen; SBat)rnef)muug unb Sßorfteüung bilben nic^t ©lieber
ber p^t)fifd)en Äaufatrei^e.
S(nber§ bagegen nützte bie Sad)t fic^ barfteüen, tt)enn bie
Xt)eorie ber Sßedjfeltt)ir!ung red)t f)ätte. ©in 2lnf)änger biefer
S^eorie mu^ ermarten, ha^ ber pt)t)fifd)e SSerlauf nn gemiffen fünften
eine Unterbrechung geigt, ba nämüd), mo at§ ©lieber be§ Äaufal*
gufammenf)ang§ bie pft)c^ifc^en ©reigniffe eintreten, ^ft bie 9fieröen*
bettjegung Urfad)e ber ©mpfinbuug, fo mufe fie aU Semegung öer-
fdiminben unb ftatt if)rer bie (gmpfinbung eintreten. S)ie Semegung
ber 5i'ugel A t)at bie ^öemegung ber ^ugel B gur 2Bir!ung, bos t)ei^t:
bie erfte S3emegung oerfc^minbet, ftatt it)rer tritt eine beftimmte gleic^
groBe 58emegung ber gmeiten ^ugel ein. (Sine Bewegung bringt eine
(grmärmung I)erüor, ha§: Reifet: bie Seluegung üerfc^minbet, ftatt iljrer
tritt ein beftimmte^ Cluantum SSärme auf. ©ben bagfelbe müBte
alfo in unferem gaü eintreten: anftatt ber öerfd^munbenen S3emegung
eine ©mpfinbung ober S^orfteüung nou beftimmter Sntenfität unb
Dualität al§ i^x Stquiüalent. 3)ie ä^orfteüung aber ift nid)t @egen=
ftanb ber S3eobad)tung öon aufeen; SSorfteltungen ober ®efüf)Ie !önnen
oI§ fold^e nid)t gefef)en ober übertjoupt mit ben 58eobad)tunggmitteIn
4. tritif be§ aKotenali§mu§. ^ataUel\§mu§ be§ «ß^tjfijd^en unb ^ftjd^tfc^en. 89
ber 9^aturforfcf)ung nad^gelüiefen inerbeit. ^ür ben ^fjtjfüer al§ fold^en
lt)äre bemnacf) im Äaufoläufammeufjang t)ier eine Surfe, e§ fel)(te ein
©lieb in bem p^i)fifdjen Slblauf. — SSoUte unfer materialiftifdfier
^f)iIofopf) bie§ nicfit zugeben, lüollte er befjaupten, bofe bic S8or[teIIuitg
QitbererfeitS and) ein ^;pf)t)fifrf)e§ fei, eine irgenb n^eld^e gorm ber
iöetüegnng, fo fiele er bamit natürlicf) üon feiner ^i^orauSfe^ung ob
unb träte auf bie @eite ber p a r a 1 1 e ü ft i f (f) e n Xi)eorie über. S)enn
tüäre e§ fo, fo f)ätte nun ber 9kturforfd()er qI§ fotd^er felbftoerftänblid^
bloB mit bem ^fji)fif(f)en ^u t!)un unb fönnte e§ ööüig üernadjlöffigen,
bofe ber SSorgong jur Segleiterfd^einung einen 93en)uBtfein§öorgQng
f)ätte. (S§ tt)öre bann eben ^(quiöalent unb SBirfung ber pi)t)fifd)en
Vtrfacfie bie p'^Dfifi^e SBirfung unb !eine§n)eg§ bie (Smpfinbung al§
fold^e.
2)a§ finb bie beiben mög(id)en SSorfteüungSmeifen; Ujeldjer ent=
fprirfjt bie SBirflirfifeit?
hierüber fann, aU über eine ^rage, bie S^atfad^en betrifft,
allein burtf) (Srfa^rung entfdjieben ttJerben. Sin fid^ finb fie beibe
benfbar. — ^at bie ©rfatjrnng entf(f)ieben ? — Sc^ benfe uid)t, boB
jemanb wirb behaupten ttjollen, e§ feien entfc^eibenbe 93eobad)tungen
angeftellt, n^oburd) bie eine 35orfteIIung au^gefc^Ioffen, bie anbere not=
n:)enbig gemad)t ujerbe; öielleid^t ttjerben fie aud) nid)t gemad)t
tüerben. 53eobad)tung unb ©Eperiment finb biefen un^ugänglidjften
unb üerttjideltften Vorgängen be§ orgonifdjen 2thm§> gegenüber jiemlic^
of)nmöd)tig.
5Dennod) Ujirb ein 9Jaturforfd^er nid^t lauge im 3^^if^^ f^i"^
lüetd)er SBorftetlung er ben ^or^ug geben foll. ©r luirb fügen, bie
Sinologie ber gangen @rfal}rung meife if)n auf bie 5Iunat)me ber
Kontinuität ber pt)t)fifd)en ^rogeffe aud^ on biefem ^unft; bie 3ln=
na^me einer Umfe^ung oou 5öett)egung nidt)t in eine anbere gorm ber
Serteguug, nid^t in potentielle pf)i)fifd)e Energie, fonbern in etiua^,
\oa§> pf)t)fifd) überhaupt nid^t ift, fei eine ^wi^^tung, ber er uid)t
folgen fönne. Umfe|ung öon Sen^eguug ober Kraft in S)en!en, in
reine 93ett}uBtfeiu§t)Drgänge, ha§: iräre für bie naturn)iffeufd)aftlic^e
93etrad;tuug eigentüd) nid)t§ anbere§ a(§ S^ernidjtuug oou (Snergie; unb
ebeufo ft)äre Urfprung öon ^öeinegung au§ einem rein ©eiftigen, etina
ber SSorftetlung eine§ ©rnjünfd^ten, für bie ^l)t)fif fo gut rvk (Snt=
90 I- 93uc^: SReta^j^^fü. 1. Sapüel: ®ag ontologtfc^e «ßroblem.
ftel^ung qu§ ntd^tg. S)emnQd^ fei fein ßntfd)IuB gefönt, er fönne nid^t
umi)in, ber paralleliftiftfien 2;f)eorie bor ber onberen, bie ein 5l'aufQl=
t)eri)ä(tnig onnefime, ben S3or§ug gu geben. — 33ielleid)t entfcf)üeBt fic^
in ber dlot biefe§ SDilemmaS oud) ber moterialiftiic^e 9Jietap^Qfifer ju
ber pQrQl(eIi[tifd)en §i)pot^efe überzugeben; lieber q(§ auf boS ®eje|
ber (Srf)altung ber pf)i)[ijd)en Energie, wirb am (Snbe and) er auf bie
^ormel üergic^ten: bie 33en:)uBtfeingüorgänge finb eine 3ßir!ung ber
:pf)t)fifd^en Orgonifation. 2Sa§ f)inbert benn aud), tt)irb er etwa fagen,
fie (lU eine S3eg(eiterfd)einung ber @et)irnüorgänge ju faffen? 2)a§
^erpltnig bleibt babei hod) im wefentlic^en basfelbe: geiftige Slorgänge
ein gelegentlidjer, nun nidjt (Srfolg, ober üleflej pt)i)fifd)er 33orgänge.
Sa, oieüeid^t lüirb er fogen, ba§ fei im ©runbe gerabe feine 2tnfid)t.
2)er ©e^irnuorgong haS^ Dbjeftiüe, (Smpfinbung, 53orftelIung, ®efüt)I
ber fubjeftioe S^efley. ©o Heft man bei 33üdjner: „Sen!en unb 2(u§=
bet)nung jwei Seiten ober @rfd)einung§ftieifen eine§ unb beSfelben ein=
fieitlic^en 2Befen§" (@. 300), „®eift unb 9latur ift in le^ter 2inie ba§=
felbe," „Sogif unb 9}?ed^oni§mu§ finb basfelbe, unb bie Vernunft in ber
9?atur ift auc^ bie SSernunft be§ 2)enfen§" (©. 127).
S33ir fe|en bemnad) im golgenben bie paraUeIiftifd)e SEt)eorie oI§
gugeftanben üorou§ unb inoUen im nädjften Kapitel it)re ^onfeguen^en
entmideln. ^c^ erinnere babei nod)mal5 baran, ba§ wir biefe jtf)eorie
mit einem er!enntni§t^eoretifd)en 3Sorbet)aIt annehmen: bem 35or=
bet)a(t nämlid), ha^ ben beiben ©eiten, bem ^t)t)fifd^en unb bem
'jpf9d)ifd)en, nidjt in gleidjem ©inne 2BirfIid}!eit §ufommt. Sd) werbe
fpdter §u geigen öerfuc^en, baB allein bem ^fl)d)ifd)en SSirf(id)feit in
abfolutem ©inn, ber Äörperwelt aber nur in retatiüem ©inn gufommt,
al§ bloBer (Srfd)einung.
§ier mö(^te id) aber nod) mit ein paor ©tridjen bie gefci^id)t=
lid^e (Sntwidelung ber 2t)eorie be§ ^aralIeU§mu§ anbeuten. 2)aB fie
üon ©pinoga guerft in if)ren allgemeinen 3"9^" ausgeprägt worben
ift, würbe fd)on oben (©. 60) bewerft. Seibnig ^at fie in§ Sbea=
liftifd^e umgebogen, wogu ©pinoja, tro| mandjer Anläufe, fidj nid^t
entfc^liefeen fonnte: bie Sarftellung ber SSirflidjfeit aU ^örperwett
blo§ ein phaenomenon in ber finnlidjen 35orftenung, wä^renb ber
^öerftanb ha§> wirflii^ SBirflic^e erfennt al§ ein ©tjftem oon feelenartigen
SSefen^eiten (9)Zonaben). 2eibni§ l)at nod; §wei weitere SSorgüge: er
4. ftritif be§ SJJateriaU^mug. ^arattelt§mu§ bei? ^:^t)fifdf)en unb ^ßf^c^ifd^en. 91
()at ben 93egriff be§ u n 6 e lü u [3 1 e n jeelifd^en SSorgongS eingefüf)rt,
tuomit ber uniüerjelle ^oratleliSmug eigentUrf) er[t burcf)füf)rbQr lüirb;
unb er oermeibet (Spino^oS falfd^e ^ertüenbung be§ 'ipnraHelilmus ber
S(ttribute jur Söjung ber erfenntni§t{)eoretii(^eu ^rage nad) bem $8er=
{)ä(tni§ öon 3)enfen unb ©ein. — ^ont bleibt mit feiner metapf)t)fijcf)en
SöeltanjdjQuung im ÖJrunbe auf bem 93oben ber Seibni^ifdjen 9}ietQ=
pf)l)fif ftef)en, bod; fü^rt if)n feine auf bie Segrünbung eine§ erfenntni§=
tf)eoretifd)en 9\ationaIi§mu§ gerid)tete fritifd^e Unterfud;ung ba5u, auc^
bie pfi)d)ifd)e Seite be§ 2BirfIid)en ^ur bloßen (Srfdieinung fjerab^ufe^en,
fo ta^ mx ^ier auf einen rein pf)änomenatiftifc^en ^araüeligmuS
fämen unb nun folgenbe Steitje I)ätten: bei ©pinoga beibe Seiten real,
bei Seibnig bie geiftige Seite real, bie materielle pijönomenal, bei ^ant
beibe Seiten p^önomeual. Sn ber fpeMatinen 'p^ilofop^ie bringt aU--
halb bie aud; hd Äant al§ Unterftrömung öor^anbene ibeatiftifdje
3)Zetapt)l}ftf mieber burd). S d) 0 p e n ^ a u e r giebt ber paraüeliftifc^en
^Infd^auung eine bebeutfame SSenbung, inbem er bie Snnenfeite ber
SSirflic^feit al§ SSille beftimmt: bie ^örpermelt nur bie (Srfdieinung
belfelben, ma§ im Selbftbemu^tfein a(§ ha§>, npa§ e§ eigentlich ift, al§
SBille, fid) barfteüt. Sn unferer ßeit I)at ^ed^ner, mit 2tnlet)nung
an Sc^elling unb Spinoza, bie paraüeliftifdje 2;f)eorie wieber rein
naturpt)itofop()ifc^ entmidelt unb fie feiner uniöerfetlen pft)c§o-pt)t)fifd)en
58etrad)tung §u ©runbe gelegt. Sn benfelben Spuren bemegt fid)
SS u n b t , nur ha'i^ bei it)m bie er!enntui5t^eoretifd)e 'jRefteyion bie
ibealiftifdie Ö3runbanfd)auung ftärfer f)eroortreten löfet. Unter ben
^^ft)c^oIogen ber ©egenmart, bie üon biefer Stnfd^auung au^ge^en, nenne
id) pffbing (^ft)c^otogie in Umriffen, 2. Slufl. 1893), SobI (2et)rbud)
ber ^fijd)., 1896), ®bbingf)au§ (©runbsüge ber ^fl)d)o(ogie, 1897).
5n§ ©egner ber paralleliftifd)en Slnfid^t unb 2Int)änger ber 2öed)fel=
h)irfung mögen Sigmart, Wlad), Stumpf genannt fein. ^iir^Iid) ift
bie paraüetiftifdje 2;§eorie einer au§füf)rlid)en 5l'riti! öon g^r. @rt)arbt
(bie 2Bed)fetmir!uug siKifdjen Seib unb Seele, 1897) unterjogen itjorben.
Sd) fanu nid)t finben, ba^ if)re Söiberlegung if)m gelungen ift; in ber
gorm, in ber fie t)ier, in ber fie je|t in ber Sieget be!)auptet mirb,
ber ibeatiftifc^en, n)irb fie üon feiner ^ritit überljaupt nid^t getroffen.
Sinb Körper (grfdjeinungen, fo fönnen fie natürlid) mit bem, tt)a§
erfc^eint, nid^t in SBed)feImir!ung ftel^eu. 5tber aud^ tt)enn man fid) auf
92 I- 33uc^: 9Jietopt|^fif. 1. ^apM: ®o§ ontologifcfie Problem.
ben realifttfc^en @tanbpun!t fteüt, fc^eint e§ mir bie SJJajime ber natura
n)iffenfcf)aftticfjen g^orfrfjumj bleiben 311 muffen: pfitififc^e Vorgänge finb
Qui pfitififd^en Urfad^en ^u erflären, nnb anbererfeitS: fie fönnen nur
3öir!ungen {)Qben, bie ber pf)t^fifd)en SSelt angef)ören. 8inb pft)cf)ifcf)e
SSorgänge qI§ fold^e niä)t in ber önBerIi(f)en 5(nfcf)auung borftellbar, fo
finb fie für ben $f)t}fifer qI§ fotd^en nid^t üorf)anben, unb er ttjirb fid)
fträuben, fie bem ÄQufat§ufammenf)ang ein^ureitjen. @inb fie aber aucf)
in ber finntief) n)at)rne{)mbaren SSelt iiorf)anben, al§> irgenb ttjelc^e
p'fltjfifc^en S^orgänge ober ßuftönbe, fo n^irb er fid^ lebiglid^ an biefe
(Seite if)re§ ©ofeinS galten. 3)er @q^: QÜe§, tüa§> in ber pt)t)fifc^en
Sßelt xoixtt, ift, mit feinen Urfad)en unb 3Sir!ungen, Qt§ ©lieb in ber
Söelt ber finnlii^en 9(nfd)auung öor^onben, fdf)eint mir eine unaufgebbare
Sßorau§fe|ung aEer pf)t)fifcf)en ^orfd)ung. ©§ ift bieg haS» Stücf, morin
ber 9}jQteriaIi§mu§ rerf)t ^at, man fönnte if)n ben @runbfa| be§
formolen ober !ritifc^en 3JJaterioIi0mu§ nennen, ©iebt e§ in ber
p^l5fif(f)en SSett Sßirfungen non Urfad^en, bie rein pft)d)ifd)er 9^atur finb
unb umgefef)rt, fo ftet)en mir prinzipiell auf bem 33oben be§ ©piriti§=
mu§: e§ giebt SSirfIicf)e§, ha§> auf feine SBeife p^Qfifrf) ift, aber bod)
2öir!ungen in ber p^t)fifc£)en SSelt tjaben !ann. ß^^^l"^^^ biefen beiben
Stnfid^ten fc^eint e§ mir fein 9}?ittlere§ gn geben. ®er ®uati§mu§ mit
gmei fjeterogenen SSirftid^feitselementen, rein pt)t)fifd)en unb rein
pfi}c^ifd)en, bie einen einf)eitli{f)en ^Zaturpfammenfjang bilben, mag an
fi(^ möglicE) fein; ma§ idf) ^ier allein behaupte ift bie§: bie 9latur=^
forfdfjung fann ficf) fd^merlidj bamit befreunben, fie mirb immer bem
SD'iaterialigmuS ben S^orjug geben. Unb fo mirb e§ ber ^tjitofop^ tf)un,
nur \)a^ er bem 9)?ateria(i§mu§, mit ^ont, ein SSorgeic^en giebt: biefe
gan^e pf)i)fifd^e SSirflid^feit nur (Srfc^einung.
5. ®ie Äottfcqucnjcn ber poraUeltfttfc^cn 3;^eorte. Stttbefeelung.
3tnei ©ä|e finb mit ber Srf)eorie be§ ^aralleli§mu§ gegeben:
1. ^f)^fifd^e SSorgönge finb niemals SSirfung pfi)c^ifc^er; unb 2. pft)(f)ifc^e
33orgänge finb niemals SSirfung pf)t)fifd)er 93orgänge.
9JJit bem erften @o^ ift gefagt: ber lebenbe Körper ift ein 5(utomat.
(£r unterfd)eibet ficf) oon einer 3J?afrf)ine burdC) bie unenblic^e Äom=
püfation feiner 3ufammenfe^ung; aber alle feine ßeiftungen finb 5u(e|t
au§ benfelben ©runbfräften ju erflören, mit benen ber 9laturforfd)er
5. 2)ie Äonfequenjen ber paraHeliftifd^en %^toxit. Slübefeelung. 93
überhaupt arbeitet. (S§ giebt ^ier feine STuSna^men; aud) bie fom=
pli^ierteften Seiüecjungeu lebenber Körper, and) bie finnreic^[ten 5trbeiten
unb ^QnbfuuQen be§ ü)?eu]cf)en finb of)ne alle 9iü(ffirf)t auf feelifrf)e
Vorgänge lebiglidj qI§ pf)t)[tfci^e 9?eaftionen eine§ fold^en unb jo
bi^iponierten ti3rperli(i)en ©t)[tem§ auf fo(cf)e pf)i)fifc^en Ü^eije an5ufef)en.
Gin .^unb ncrfolgt einen §afen, er loirb bur^ bie Söittcrnng unb
ba§ ©efidjt gleid)fam angezogen. Sie Seujegung i[t rein p'^tjfifd^ gu
erftären, nid^t anber§ n?ie bie 33eiregung ber (Sonnenblume, bie bem
Sid)t fidj guujenbet, ober be§ ^(aneten, ber um bie ©onne rotiert; bie
SSirfung unb ®egeniüir!ung ift fompli^ierter, aber fie liegt bort tok
{)ier rein in ber pf)i)fifcfjen SBelt unb ift mit ben SJiitteln ber pf)t)fifd)en
SBiffenfdjaften §u fonftruieren. ©in ©(^riftftelter fdjreibt ein 33ucf), ein
S3aumeifter baut mit f)unbert Arbeitern ein §ou§, ein g^elb^err fd)Iägt
mit ^unberttaufenb Sotbaten eine (Bd)laä)t: ber üollfommene ^I)t)fioIog
mürbe alle biefe SSorgänge al^ P^^fifc^ bebingte au§ ber ^onftitution
biefer Körper, biefer 9Zernen= unb 2J?u§!etft)fteme, unb anbererfeit§ ber
'iRatüx ber einfaüenben Üieige fonftruieren. ©r mürbe un§ ben Sßerfaffer
ber Äritif ber reinen SBernunft q(§ eine Strt Ufjrmerf bemonftrieren;
bei biefer 3}i§pofition ber @e!^irn§ellen, i^rer SSerbinbungen unter ein=
anber unb mit motorifdjen 9lerüen, mußten foId)e auf bie 9ie|f)aut, auf
bie Jaftneroen ber ^^inger mirfeube Sf^ei^e fold^e ^emegungen öeran=
lüffen, prinzipiell nid)t anber§ mie bei einem (Sdjreibautomoten ober
einer ©pielbofe. SSon ©ebanfen unb bergleic^en märe bei jener Semon=
ftration garniert bie 9ftebe; ber ^f)i)fioIog fönnte barum miffen, ha^ and)
fo etma§ ftattfinbet, aber für feine SDemonftration mürbe er baoon feinen
©ebraud^ mad)en roollen unb bürfen, ©ebanfen fönnen fo menig bie
Ringer bemegen, al§ fie ben 9J?onb au§ feiner Sat)n gn teufen oermögen.
@§ ift nidjt 3U ermarten, ha'<5 jener ^t)i)fio(og einmal fommt; ba^
Spiet ber ©e^^irnmolefülc, metd§e§ bie ©ebaufenarbeit ber ^ritif ber
reinen 95ernunft begleitete, mirb nie feinen 9^emton finben; aber oßer=
bing§ märe gu bef)aupten: lebiglic^ biefeS ©piel, unb nid;t bie ©ebanfen,
finb Urfac^e ber Söemegungen, burd) meldte bie Sdjriftjeidjen ouf ba^
'i^apier gebrad)t merben.
Slber ha^ ift ja Unfinn, mirb ber gefuube SOJenfd^enüerftanb fagen,
unb üielleidjt mirb nun audj ber eine ober anbere ^^t)fio(og mit if)m
irre: ta§i fann ja fein Stutomat leiften; bog fann nid)t of)ne ®enfen
94 I. 93ud^: SJKetapfi^iif. 1. Äopitel: ®aä ontologiicfie «Problem.
unb 5t6fid)t erüärt tüerbeti. — S^Jun, bann mu& man ficf) beutlic^ machen,
ha'ß man bamit 511 ber ^f)eorie ber SSecfijetlüirfung surücffel!)rt unb bann
olfo aucf; jene !Srf)irierigfeiten in ben ÄQuf nef)men muB: bie ©ntfte^ung
öon 33en)egnng au§ etn)Q§, tt)a§ P^Qfif^^ ü6erf)aupt nidjt ba i[t, unb
eBenfo bie Umraanblung üon Seujegung in rein @ei[tige§. Sntiüeber —
ober; el giebt f)ier fein SOIitt(ere§.
3Sa§ aber bie Unfäf)igfeit be§ ^örper§ ju jolc^en „automatiirfjen"
ßeiftungen anlangt, fo fann man barauf mit ©pinogo antworten:
bi§t)er Ijat noc^ niemanb bie ©renje beffen gefunben, ma§ ber Körper
üU fo(d)er (eiften fönne. @r meift auf bie Dlac^twanbler tyn, bie ot)ne
SettJU^tfein unb (Scbanfen bie fompligierteften 33ett)cgungen ou§füf)ren.
§eute ptte er nielleidjt auf bie t)t)pnotifd)en S^orgönge f)ingen)ieien,
etma auf bie poftl)t)pnotifdje SSirfung ber ©uggeftion. öiner ^erfon
tt)irb im I)t)pnotifd)en @d)Iaf ber 5(uftrag gegeben, morgen SJJittag um
ätt)ölf Ut)r in ein beflimmte^ .^au§ §u ge{)en unb mit bem 2afd)entud)
jum ^enfter I}inau§ ju minfen. Sie meife nic^t§ oon bem Stuftrag,
fie t)at feine Erinnerung an ba§, ma§ im f)t)pnotifd)en Bi^f^Q""^ ^^^
if)r üorging, aber tt)enn bie ©tunbe ha ift, madjt fie fid^ auf ben
Sßeg unb üoü^ieljt ben Stuftrag. 2Sie anberS läfet fid) ber S^organg
fonftruieren, al§> ha§> man annimmt, bie SSorte be§ ."ptjpuotifeurS ^aben
bem ©eljirn eine beftimmte 2)i§pofition gegeben, unb nun mirb burd)
ben ©lodenfdjtag bie 9^eit)e öon Semegungen auggelöft, nidjt anberS
tt)ie bie Semegungen ber 3Sederuf)r, tvmn ber ^ÜQ^i bie eingefteßte
(Stunbe überfdjreitet. Xa'^ nnenblidj oiet fomplijiertere Stuötöfnngen
ftattfinben fönnen, ai§> roh mit unferen ü}?afd)inen erreichen, ift nic^t
überrafdjenb. Tlit ben fünffjunbert ober taufenb äJäUionen ^eüen ber
§irnrinbe, bie alle mieber au§ ungejätitten, überaus fompliäierten unb
üerfc^iebenartigen c^emifd)en SDZolefüIen sufammengefe^t unb burd^
5af)IIofe 2eitung§baf)nen mit einanber oerbunben finb, wirb fid) ja
etma§ gang anbereg mad)en (offen, al§ mit ben paar 9fläbern unb
Rebeln unferer DJkfdjinen, unb menn in Sßirflidjfeit unfere ^f)t)fio=
logen bamit nodj fo gut wie gar nid)t§ madjen fönnen, fo ift bod)
ber ^l)antafie bamit ein gren^entofer Spielraum eröffnet. — S)a§ muB
man übrigen^ auf aüe ^älle fidj bcutlidj machen: wenn bie Seete bei
jenen Jöorgängen al§ Urfad)e beteiligt ift, fo ift fie e§ boc^ nid)t burd)
i()re 6rfenntni§; fie bewirft bie Bewegungen, 5. S. ber ^^inger be§
5. 2)ie Äonfequenäen ber ^aroITelij'tifii^en S^eorte. Slttbejeelung. 95
©d^reibenben, firfjerlidf) nic^t burrf) eine (Sinfidjt in bie 9Zatnr unb
i^oge ber S^eröen unb 9J?u§feIn, fonbcrn auf eine objolut gel)eimni§=
ootte Söeife. 2)ie ©eele bettjegt bie ©lieber, boi^ ^ie^e bemnarf) im
©runbe nur mit onbern SBorten jagen: ic^ meife nid^t, mie ber Körper
Bewegt mirb. 3tuf feine 2öeije fann bie 3n5ecfmäfeig!eit ber Semegungen
burcf) bemühte, öon (Srfenntniö ber ÜJüttel geleitete ßttjecftptigfeit ber
<Seete erffärt tt)erben. —
®amit tt)äre alfo ber S^Jaturforfc^ung bie gan^e ^örpermett o{)ne
©injd^ränfung jur nnbebingten S^erfügung geftellt. (Sie mag nun jagen,
für meine ^mde ijt hc[§> 3Sirfli(f)e nidjtS al§ Körper, aüe Vorgänge in
ber Statur jinb mit meinen 3J?itte(n, finb ou^jdilieBIic^ au§ ^Bewegungen
unb $8emeg!räjten ber materiellen ©lemente ju erflären; bie cf)t)potf)eje
einer Seele, eine§ ®eijte§, eine§ @otte§, mit benen jrüf)er bie ^§t}jif
operierte, \)abt id) nic^t nötig; nirgenbg jüf)rt mid) bie 5?aujatrei^e auf
tt\Da§, Wag nic^t ber p^i)jijc^en 2Be(t angefiörte; ja, mürben mir jolc^e
2)inge non anbergmofier jnr 55erfügung gefteUt, jo mürbe ic^ borf) gar
feinen ©ebraud) üon it)nen mad^en wollen unb föunen.
2)a§ Wäre bie eine ©eite ber ©ad^e. ^ä) jollte benfen, and) ber
9JJateriaIi§mu§ l^ätte Urjadje, bamit aufrieben ^u fein. —
SSir wenben un§ nun gu ber anberen Seite, ju bem ^weiten
@a|, ber oben at§ ^onjequens ber paralletiftijc^en 3:f)eorie be^eic^net
würbe: pjt)c^ijd)e Vorgänge finb nidjt Söirfungen p^Qjijc^er Sßorgänge.
ör ift nur bie ^el^rjeite be§ erjten (Sa^e§, genau jo begrünbet, jo ein=
Ieud)tenb al§ jener: fönnte ein ©ebanfe SSirfung oon Bewegungen
jein, jo ijt jd)tedjterbing§ nid)t abäuje^en, warum eine Bewegung
nic^t SBirfung eine§ ©ebanfenS jein joüte. @e^en wir gu, xoa^ für
Folgerungen au§ if)m fidj ergeben, ^d) fürdjte, fie werben nic^t blofe
ben 9[}?etapf)Qjifern be^ 9iJ?ateriaIi§mu§, jonbern ouc^ ben ^t)i)jioIogen
etwag jd)Wer eingeben. Sc^ je{)e aber nic^t, wie barum fjerumgu^
fommen ift.
^d) f)öre bie Sd)(äge einer @tode. ®a§ ift bie SSirfung, jagt
bie gewöf)nlid)e Betradjtnng, ber ©rgitterung ber ßujt; bie ©rregung
be§ ®e^i.ir§nerüen ijt Urjad^e ber Snipfinbung. ®a§ ift nnmi3glid),
jagt unjere Sfieorie; eine ©mpfinbung ijt ein pji)d)ijd^er i^organg,
fann aljo nic^t äöirfung einer Bewegung jein. 5(ber wooon ijt fie
benn bie äöirfung? 2)enn ha^ fie eine Söirfung, uid)t ein ifolierter.
96 I- S9uc^: Ttetapf)t)\il 1. Äopitel: ®a§ ontologifc^e «ßroblem.
bem ®efe^ ber Äaufalitöt nicfjt unterliegenber SSorgang ift, nehmen
borf) alte an; aud^ biejenigen, bie an 3SilIen§frei{)eit glauben, betrachten
(Smpfinbungen a(§ nerurfad^t. SSoburd) alfo ift bie ©mpfinbung t)er=
urfadjt? 93on einem in ber (Seele be§ §örer§ üorI)ergef)enben 93e=
tuuBtfeinöüorgang? Stber offenbar nic^t, benn fie tritt in geitüdjer
j}o(ge auf jeben beliebigen 53en)uBtiein§öorgang ein. @§ mu^ atfo
bie Urfarfjc auBerI)aIb ber eigenen S3en)uBtfein§§u[tänbe gejuckt lüerben.
5ttfo bod) bie ©diallraeden, n)el(i)e üon ber angefd^tagenen (SJIocfe au§'
gc^en? Ober giebt e§ noc^ eine anbere 9J?ögücf)!eit?
Sn ber %^at, e§ giebt noc^ eine anbere 3JJögIi(f)!eit; e§ ift bie
^Qpott)eje ©pinojaä unb g^erfjnerg, bie §Q]30tt)efe be§ uniüerfellen
^araUeliSmug: fein pfi)d)ifrf)er SSorgang of)ne begleitenbe 53etüegung,
fein ^öemegunggoorgang of)ne begleitenben pftjc^ifd^en 33organg. ^enn
n)ir biefe ^l)potf)efe annet)men, bann ift einteuc^tenb, ta'^ mir um
jene @c^tt)ierigfeit f)erumfommen; bann ujerben mir fagen: bie 23e=
itjegungen, bie üon ber &lodt au^gel^en, f)aben lebiglid) 9^eroen=
erregungen unb ©e^irnüorgänge jur Söirfung; bie ©mpfinbung bagegen
ift bie SSirfung ber jene (Srjitterungen ber 3JioIefüIe begleitenben
inneren SSorgänge.
Sd) beeile mid^ fjinäu^ufügen: n)ir fennen biefe inneren SSorgänge
nid^t, gegeben finb un§ bie S3ett)egungen, nid)t il)re pfi)d)ifd^eu 33egleit=
erfrf;einungen. 2)ie finb un§ blo^ an einem ^unft gegeben, im ©elbft-
beroufetfein, beffen SSorgänge mir aU S3egleiterfd^einungen ber 'iSox-
gänge im 9^eröenfl)ftem unfere§ 2eibe§ fonftruieren. 3)agegen ift un§
bie 5(uBenmeIt nur öon ber pt)i)fifd)en Seite, al§ bemegte ^örpermelt
gegeben; bie Snnenfeite benfen mir {jin^u. ^raftifc^ mirb ba^er an
unferer ^onftruftion ber S^orgänge burc^ jene ^l)potf)efe nid)t§ ge=
önbert; mir merben nac^ mie üor fagen: bie ©d^aümellen üerurfadien
SToncmpfinbungen, ber 9^abelftid) üerurfad)t Sd^merg. 9Zur in einer
legten Überlegung merben mir un§ ein für afle Wai fagen: jene
?5orme(n finb im ©runbe ungenaue Husbrüde; eigenttid^ müBte e§
t)eiBen: bie un§ uidjt gegebenen 95orgänge, bereu p^Qfifd)e§ Siquioalent
jene p^t)fifatifc^en ober d^emifdjen S]orgänge finb, finb bie Urfac^en
biefcr pfl)d)ifdjen SSorgänge. @§ ftef)t bamit, um einen oft gebraudjteu
3]ergteic^ gu mieber^olen, mie mit ber ^opernifanifd)en 2:^eorie; mir
mad)en un§ ein für aüe 9JJaI ha^^ SSerf)äItui§ flar, unb fahren bann
5. 5)te Sonjequenäcn ber ^jarQUeliftijd^en S^corie. 2lQ6e|eeIung. 97
riif)ig fort, in ber alten SBeife oon Slufgang unb Untergang ber ©onne
ju reben. ©o f)ier: 3^^^ ©eiten ber S33ir!(id)feit finb gteic^ au§=
gebe()nt, jebem SDZoment ber einen entfpridf)t ein SDJoment ber anberen
@ctte, ben pf)^ftfcf)en S5orgängen a, b, c entjpred^en bie pfl)rf)ifcf)en
Sßorgänge a, ß, y. ©in faufaleS SSerf)äItni§ finbet an firf) nur
5tt)ifdE)en ® liebern berfelben 9fieit)e ftott; \iOi un§ aber nid)t bie ©lieber
beiber 9iei^en tü(fenIo§ gegeben finb, jonbern balb auf ber einen, balb
auf ber anbern @eite ©lieber auffallen, fo fubftituieren wir bafür
©lieber ber anberen Steige.
5l(fo, praftijd) wirb unfere 5tuffaffung ber Sßorgänge burd) jene
^tipot^efe eigenttid^ ni(f)t öeränbert. ^Dagegen i[t leidet ju fe^en, 'ti^'^
fie für unfere 3BeItanfd)auung allerbingS fet)r bebeutfame g^olgen t)ätte.
223ir n)ären bamit auf ben Soben einer ibealiftifdjen SSeltanfd^auung
übergetreten. 2)enn "^o.^ liegt auf ber §anb, finb bie pt)l)fifd^e unb
bie pfQd)ifrf)e ©eite ber SBirf(id)!eit gleid^ au§gebef)nt, bann ttjerben tuir
fagen: bie pfi)d)ifd^e ©eite ift bie SDarftellung ber 3Bir!Iid^feit, tt)ie fie
felbft für fid^ felber ift, bie pf)^fifd^e ©eite fin!t bagegen gur äußeren
@rfd)einung ^erab. %tx g^ortfd^ritt tion ©pinoga ju Seibnij ift in
biefer Stbfid^t unoermeiblid). —
2öie ftef)t e§ nun aber mit biefer SSorfteßung? Sft fie me'^r
al§ ein blofeeS 2tu§funft§mittel, um jener ©d^tt)ierig!eit ber 2öeci^fel=
njirhing gmifd^en Seib unb ©eele ju entgegen? Sft fie mirüid^ eine
glaubliche 5(nfidjt öon ber 9?atur ber S)inge? fann man mit ber S^or-
fteüung ©ruft mad)en, bafe nid^t btoB einigen öerein^elten, fonbern
aüen förperlid)en S5orgängen irgenb toeld^e inneren SSorgönge parallel
gef)en? Offenbar ift \iQ& bie S'arbinalfrage ber Dntologie. ^Die ^nt=
mort auf bie ^^rage nac^ ber 2(u§be^nung ber S3efeelung ift
ber ^unft, an bem bie metop!)l)fifd^en SSeItanfidf)ten eigentlid^ aui=
einanber gef)en.
^ie gemeine S^orftellung unb i^r folgenb bie in ben Greifen
ber ^^t^fifer ^errfd^enbe Slnfd^auung ift mit ber iJrage nadj ber 2(ug=
bef)nung beö ©eelentebenS fdjuell fertig: S3emu^tfein§dorgänge finb $8e*
gleiterfdjeinungen oon ©el^irnüorgängen; 2;ier!örper finb bie einzigen
jTrüger feelifd)en ßeben§; alle übrigen Körper finb bloB Körper.
(£§ liegt auf ber ^anb, '^«x^ tt)ir mit biefer 5(ntttJort auf bem
33oben einer materiaüftifc^en SSettanfd^auung fte^en bleiben, ^ie S3e=
>i>a Ulfen, ßinleitiing. 6. 3liif[. 7
98 I. 93uc^: ^etap^^\it. 1. Äopitel: ®a§ ontologifc^e «ßroblem.
JüuBtfein^üorgänge 6Iei6en bann oereingelte S'Jeknöorgönge be§ 9^atur=
lQuf§, fie ftnb für ben 9'^aturforjcl^er föunberlic^e SInomalien, mit benen
er ni(i)te 9?ec^te§ gu beginnen ttJeiB- (Sr !ann fie nic^t Io§ werben, i^re
SSir!Iid)feit ift ja unbeftreitbar; aber fie öerurfad)en i{)m Unbe^^agen;
of)ne fie n^äre ha§> @l)ftem bewegter Körper, ha^ er SBelt ober Statur
nennt, gong bur(f)ficf)tig unb rational; fie nötigen if)n ju jenem fatalen
ignorabimus. 2)a§ einzig Sröftlicfje babei ift, boB e§ mit it)nen bod^
nid^t öiel auf fid^ E)at; fie ftören ben D^iaturtauf wenigfteng nid)t,
unb gro^e S3ebeutung ift biefen oereinjelten, in ber SlJioffe tier=
fdiminbenben SSorgängen üom fo^mifi^en @tanbpun!t au§ offenbar
nic^t beizulegen.
Sft bamit bie 'Bad)t erlebigt, bann behält ber 3Jiateriati§mu§ aud)
bei ber paraüeliftifi^en 2tnfirf)t im roefentlid^en red)t.
2)ie ^^iIofopf)en t)aben nun bei biefer ©riebigung ber ©ac^e fid^
niemals beruhigen wollen. Sei if)nen ift öon jeiier eine 0?eigung be=
merüid), jenen SSorgängen eine größere 53ebeutung beigutegen. Sßon
ben 5{nfängen ber gried^ifct)en ^^iIofop{)ie bi§ auf unfere Xage ^at bie
pt)iIofopt)ifrf)e, t)a§^ t)ei^t bie unioerfelle 33etrac^tung ber 3Sirf(id^!eit
über bie pf)t)fi!aIif(^=aftrDnomif(^e 2(nfitf)t f)inau§gefüt)rt unb bem 2Birf=
lid^en im ©anjen wie im (Singelnen ein innere^, ibeelle§, geiftigeS
^ringip supgefeUen für notwenbig erad)tet. ^(ato unb StriftoteleS,
<Spino§a unb Seibni^, Serfelel) unb ß'ant, (Sc^etling unb @^opent)auer,
So|e unb g^ec^ner, fomeit iljre @ebau!en im übrigen auSeinanber gef)en,
barin fommen fie alle überein, ha'^ ha^ ©eiftige nirf)t jene Spotte eines
oerein§e{ten S^ebenoorgangS in ber Söelt fpielt, ha'i^ öielme^r alleS
^örperlidfje .^inmeifung ift auf ein 5tnbere§, ein inneres, SntcüigibleS,
für fid) ©eienbeS, haS^ bem oermanbt ift, maS mir im eigenen Innern
erleben. 2Ber biefe 2(uffaffung teilt, baB bem ©eiftigen bie Sebeutung
eines uniüerfellen unb toSmifdjen 3[öirfIi(^!eit§prinäipS jufommt, ber
fte^t, wie er im übrigen bie <Baäit fid) jure^tlegen mag, auf ©eiten
beS objeftiöen SbealiSmnS.
^d) wiü im fotgenben nic^t einen S3eweiS für bie 2öaf)r^eit
biefer Slnfdjauung oerfud)en, e§ ift mit bem 33emeifen auf bem 93oben
ber 9Jietapf)i)fi! eine mifeüdEie Bad)^, aber ein paar 93etrad)tungen
üorlegen, bie auf einen folc^en S(bfd)IuB unfrer äöeltanfc^auung t)in=
,^ubräugen fc^einen. ©ie mögen, wenn fie weiter nidjtS bebeuten, als
5. ®ie Äonjequenjen ber paraHeliftiic^en S^eorie. Slflbefeelung. 99
rationes dubitandi gegenüber bem f)arten ®ogniati§mul ber gemeinen
SlJJeinung unb ber p{)t)fifQÜjcf)en ^^eltanfi(f)t gelten.*)
2Btr befinnen un§ pnädjft auf boS leitenbe ^rinjip. 5(uf lüelcfjem
äöege ttiirb über ha§> 58orfommen feelijc^er S^orgänge überf)aupt ent=
jcf)ieben? ©^ ift Ieicf)t ju jel^en: unmittelbar mirb if)rer SÖirflic^feit
ein jeber nur an einem ^unft inne, uämlicf) im eigenen Setbftbemufsta
fein. SoB auBer ben Smpfinbungen, Sßorftellungen, 2öiIIen§erregungen,
bie \d) in mir erlebe, ü^nlirf)e 93orgöngc in ber SSelt Dorfommeu, fann
id) nie burd) unmittelbare Söeobad^tung miffen. Sa^ mein SJac^bar
füf)It unb benft, meife ic^ nic^t burc^ Beobachtung, fonbern burd^ einen
gcf)Iufe; atte§, mas id^ fef)e, ift pf)t)fifcf)e 6rfcf)einung. ^d) fe^e 93e=
megungen, ©ebörben, t)öre Saute, bie oon einem bem meinigen äf)n=
lidien Körper au§gef)en, aber icf) fet)e feine ©efü^Ie unb 33orfteIIungen,
*) ^d) möd)te ben Sefer Ijter auf eine fletne @d)nft f^e(f)ner§ anfmerffam
machen: „Über bie (Seelenfrage" (1861). gediner nennt ba§ Scf)ri[tcf)en auf bem
3:itel: einen (Sang burd^ bie fic^tbarc SSelt, bie unfid)tbare gu finben. Siefer oft
angetretene ®ang ift nie mit größerer (5irf)erf)eit üoQenbct njorben. Qn erftaun=
Iid)cr SSeife oereinigt g^cfiner bie 93efonnent)eit be§ ?iaturforfc^er§ mit ber alt*
feitigen Umfi(^t be§ $^iIofopt)en nnb ber bett)egü(J)en ^^antafie be§ Xid^ter^. S)ie
Stulbet)nung be§ Seelenleben^ ift ha^^ gentrale Problem feiner ^^ilofop^ie. @r
bc^anbelt e? befonber§ in Lianna, ober über ba^ Seelenleben ber ^flange (1848),
in 3fnb-?loefta ober über bie 5^inge be§ §immel§ unb be§ igenfeit? (3 iöbe., 1851);
er berüf)rt e§ in ben Elementen ber $fl5d)opt)t)fif (2 33be., 1860) unb giebt eine
äufammenfaffenbe, fefir fafelidie unb bünbige Darlegung feiner 3tnfid)t in bem ge=
nennten 33üd)lein über bie ©eelenfrage. ©ine lefete, abfrf)lie§enbe SarfteEung feiner
'^itlilofopfiie in i^rem ©egenfa^ gegen SOZateriaIi§mu§ unb ®ualiimu§ giebt er in
ber „2;age^anfid)t gegenüber ber 9fo(^tanfi(i)t" (1879). — 3lai)t oermonbt ift
gecfiner^ 3(nfd)auung mit ber ©{f)openf)auerg, beffen ^l)iIofopt)ie ju i^rem
gentralbogma bie Sf)efe f)at: toa§ in ber ^ßorftellung a\§ Äörperroelt un§ cntgegen=
tritt, ba^felbe ift an fid) ein ©eelenartige^, nämlid) SSiQe. 3n ©d)open^auer»
Sßerfen, befonberS in ber fleinen Schrift „Über ben 25iIIen in ber Siatur", finbet
man 3aI)Ircicbe (gteüen au§ naturmiffenftf)oftnd)en Sc^riftfteEern, bie gteidifam o^ne
SBiffen unb miber SÖBiüen für biefe 5fnfd)ouung ß^ugni^ ablegen. 3Ba§ getaner
bor @cf)opent)auer öorau§ t)at, ba§ ift oor allem bie flare ©infic^t, bafi bie üorau§=
gefegte ^nnenmelt niclf)t ^ur (Srflärung ber pf)t)fifc!^en 22elt bienen fann, in ber
S'örpermelt gelten nur pf)t)fifc^e ßrflärunggprinjipien. 93ei Sc^openl^auer begegnet
man überall ber 9Jetgung, baä metap^t)fifcl^e ^rinjip, ben SBiEen, §ur ^iatur*
crflärung gu mifebrou^en. Wogegen :^at @c^openf)auer ouf feiner Seite ben SSor=
teil einer ooluntariftif(f)en ^itict)oIogie; morauf fpäter jurücfäufommen ift.
7*
100 I- 33uc^: mücüi)^t)[d. 1. Kapitel: 2)a§ ontologtjc^c «ßroblem.
unb fein 9)?ifrojfop ober Xeteffop fann mir baju "Ejelfen. ^ie ®e^üt)Ie
nnb ©ebanfen benfe id§ f)in§u, inbem id^ qu§ ber ^{)nlicf)!eit ber (eib=
tid)en 3]orgänge, bie ic^ jef)e, bQ§ ©ofein Qf)nli(f)er gei[tiger 3Sorgänge,
bie id^ nid^t fefje, folgere.
2ßie ireit reicht biefe ^^olgerung? 3)ie getDöf)nti(f)e 9}Jeinung
anttüortet mit ^uöerfic^t: \o todi tierifd^eS Seben reicht; 2iere finb be=
feelte SBefen, alle übrigen 3)inge, SOfletoIIe, (Steine, ^flanjen finb nid^t
befeelt, fie finb blofee Körper, .^öc^ftenä fönnten nod) bie ^ftanjen in
^rage !ommen, boc^ ift bos eigentlich) and) fc^on !eine ernft^afte gi^age;
bie ^flanjenfeele ift ein Xraum ber finblic^en ^^antafie.
9Jiir will üorfommen, boB ber ßuöerfitfit, mit ber biefe ^nfidE)t
fid) qI§ bie fetbftnerftänblic^e unb allein möglirfie giebt, bie ©tärfe
i{)rer ©rünbe nid^t entfprict)t; ja, fie berut)t im ©runbe auf reiner
mmnv.
3uerft, ttjie toeit reicht bie ^iermelt? Sft fie burc^ eine fefte
©renje oon ber übrigen ^örperwelt, befonberg oon ber ^ftangenmelt
gefd^ieben? ^ie gemeine SJieinung fe|t e§ üorauS; in brei reinlict)
gejc^iebene ü^eidie teilt fie mit alten ©diulbegriffen bie 5?örperlt)elt:
STierreic^, ^flansenreicf) unb 9)iineralreicfj. 51ber bie neuere Biologie
^at jene feften ©renken üermifcl)t, fie fiel)t fiel) auc^ l)ier auf ben
ölten @a| gefül)rt, ha^ bie S^iatur feine (Sprünge mac^t. Xier= unb
^ftanjenmelt, fo beutlid^ fie auf pf)erer (gntmidelungäftufe unter=
fd)ieben finb, berühren fid) an ber ÖJrunblage. e§ giebt 3al)lreid^e
niebere Sebensformen, bie meber al§ eigentlicl)e Xiere, nocl) al§ eigent=
üd^e ^f langen c^arafterifiert finb; man l)at für fie eine eigene ©ruppe,
bie ©ruppe ber ^rotiften, gebilbet, ein 3^if^^"^^i^/ ^^^ fi^ 9^9^"
ben Unterfdjieb öon ^flan§e unb Xier neutral oerl)ält. @iebt e§
gmifc^en 2;ier= unb ^flansenmelt feine fefte ©renje, muB mon fie q1§
gtoei Sifte, bie auf einem (Stamm gemad)fen finb, anje^en, fo ift bie
grage nid)t ab5ulel)nen: finb auc^ bie ^flan^enförper 2;räger feelifd^en
Sebens? ®en Xieren geftet)en alle ein Innenleben ,^u, felbft ben
nieberften formen, fo weit fie fid) aud) üon ben ^öl)eren entfernen;
fann man fie auc^ ben ^rotifteu, ben ^flanjentieren ober 2;ierpflanäen,
in meiere fic^ bie Siermelt allmäl)Iid) üerliert, nic^t ot)ne SSiUfür ab=
fprec^en, fo liegt bie Folgerung auf ber §anb: e§ giebt, mie feine
fefte ©ren^e ber Sierttjelt gegen bie ^flauäenmelt, fo auc^ für bie
5. S)ie tonfequenjen bcr parallcUftijd^en $;^eoric. Slffbcfeclung. 101
Sejeelung feine fefte ©renge; bie Sefeelung mag fid) über bie gon§e
organifdie Söelt au§be|nen.*)
3J?an tüirb jagen: bie 9J?ögüd)!eit täfet fic^ öießeic^t nic^t be=
[treiten. 5)er äöiffenjc^aft jicmt e§ aber nid)!, mit 3Jiögticf)!eiten ju
fpielen; fie öerlangt ^i^atfadien. Siegen folc^e f)ier cor?
^d) meine, aüerbingö liegen fie üor; nur muB man natürtid)
nii^t bie ^Sorjeigung be§ Seelenleben^ einer ^flanje »erlangen. 2öie
man bei SOJenfc^en unb STieren jufrieben i[t, au§ ber 5(f)nlic^!eit
pf)t)fij(^er SebenSüorgänge auf ä^nlid^e innere 5Sorgänge ju fc^IieBen,
fo muB man e§ au^ f)ier fein. @in jttjingenber 33ett)ei§ ift ja anc^
bort nid^t möglich; finbet jemanb ben 5(naIogiefd)Iu& allju unfitfjer,
logifc^ genötigt werben fann er nitf)t, bal ©afein eine§ Seelenlebens
bei :3nfuforien, SSürmern, g^röfdfien, ^anindfien jujugeben. Säfet er
aber bie Sd^IuBart f)ier of)ne njeitereS ju, unb ha^ tJ)un ja alle, fo
ift nid)t ab§ufef)en, rt)e§l^atb fie bei ^flanjen ot)ne »eitere? au§gefrf)Ioffen
fein foH. 3)enn offenbar geigen bie ^flanjen mit ben Spieren eine
tt)eitget)enbe Stfinüd^feit in ben fic^tboren 2eben§oorgängen: (£rnät)rung,
2Bacf)§tum, Stufbau an§ ^tütn at§ (SIementargebitben, gortpftanjung
bur(^ ^eime, bie oon elterlid^en Organismen fid) loSlöfen, (Sntmidelung
unb %oh finb ben ^ftansen mit ben Stieren gemein; wie benn auc^
bie Sprad)e überall ben ^flonjen fo gut wie ben STieren leben unb
*) e. §aecfel, 5«otütltc^e (5cf)öpfung§gejd)ic^te, 8. Slufl. (1889), ®. 414 ff.,
neigt baju, in pflangenartigen Drgauilmen bie Urform aUeS Sebeng ju fet)en;
„ba§ 3ooP^'J^i"'J ^ft aua ^:^i)topIa5ma burc^ 2lrbeit§tt)ecf)fel cntftanDen, ba nur
biefe^ te^tere imftanbe ift, unmittelbar auä anorganifdEien 33ebingungen burd) ©in*
roirlung he§ ©onnenIi(^tg ju entfielen." Sierifdie Organismen entftonben fo, ba§
unter jenen erften Sebettjefen einige baju übergingen, organifd^e SJiaterie ju
affimilieren unb bann bie gä^igfeit einbüßten, burd) unorganifd)e SJiaterie fic^ gu
ernö^ren (425, 431). ?Jad) SBunbt (@t)ftem ber ^^^^ilofop^ie ©. 503 f., 334 f.)
finb bagegen bie einfac^ften Sebemefen in it)rer gunttionSform mie in ber 9tic^tung
be§ (Stofftt)ec^feI§ al§ einfod)fte Siere anäufel^en, öon t^nen finb bie ^ßflanjen al^
(S.i}loxop^tjU er^eugenbe Organismen abgejttjeigt. i^ux unfern Qtoiä ift biefer Unter^«
fd)ieb gteidigültig. Mc^t unintereffante 58eobad)tungen über boS „Seelenleben" ber
«ßrotiften bieten bie pft)d)op^t)fioIogifc^en ©tubicn üon 9Jt. SSerföorn (1889). 3tuf
®runb ber 33emegungSoorgänge mirb t)ier ben ^rotiften bie ©runbform pfijdiifc^en
2eben§, (Smpfinbung unb SBille, föenngleid) o^^ne eigentlid)e§ Seroufetfein, juge»
fc^rieben: SReaftionSbetoegungen auf ^Reige finb baS ^Ingeic^en berfelben pft)d)ifc^en
93egteiterfc^einungen, bie in entroidettfter gorm üon unS felbft erlebt nierben.
102 I- S3ud^: 2Jietaj)^l)ft!. 1. Äapitel: ®o§ ontologijd^e ^xobUm.
fterben gufdjreibt. SBorum jotiten ben gleidjarttgen fic^tbaren SSor=
gangen nid^t äf)nlicf)8 unfic^tbare entjpred)en? S)ie 33erneinung ift hod)
minbe[ten§ ntd^t jelbfinerftänblic^. Qnt Gegenteil, fönnte man mit
ged^ner jagen, \vk ein §au§ für einen Seniofjner i[t, jo ift ein lebenber
Körper für eine ©eele. 2)ie ßumutung, einen Xierförper, ein ^ferb
ober einen §unb, für einen feelentofen Stutomaten angufe^en, wetd^e
Stnfid^t man ben (Sartefianern nacfifagt, {)at einlas überaus 33efrembli(^e§ ;
ja fpu!t)aft unb grauenüoll würbe un§ ein foIcf)er Äörper oI)ne ©eele
oorfommen. Safe aber bie ^flanjen btoB leere Öie^äufe finb, foüten
n)ir für felbftoerftönblid^ l)a(ten?
(S§ lüirb ertt)ibcrt: ha§> fei bloB eine üage unb fpielenbe SInatogie.
— 9^un, fo bejeic^ne man genau, tt)a§ benn ber Stnatogie fef)It, um
ben ©cfjIuB auf ein Innenleben ftattf)aft ju mad)en. 2tn ttjelc^e
gun!tionen, ujelrfje ^enngeic^en, bie ben 'pflanzen abgef)en, ift ba§>
Innenleben gefnüpft? — 'SRan ttjeift auf ben S)?angel eine§ 9fieröen =
ft)ftem§ unb ©e^irnS t)in. ^ecEiner antwortet: ober aud) bie
nieberften Spiere f)oben fein 9teroenft)ftem. Unb überfjaupt taugt ber
©c^tuB nid)t§; er ift nad^ bem «Sd^ema gemacht: ^ferbe, §unbe, Jl^a|en
l^aben 53eine unb fönnen of)ne biefe fid) ni^t bewegen, atfo !önnen
©efc^öpfe o^ne S3eine fid^ nid^t beroegen. @d)Iangen unb Söürmer
wiberlegen ben ©d^Iui können biefe o^ne 33eine fid^ bewegen, fo
mögen auc^ ^flanjen o^ne S^ieroen ein Seelenleben t)aben.
Stber, fagt ber Ungläubige, ben ^flangen fei^tt bie fpontane
^Bewegung, bie wir an allen Vieren beobachten. — SSirfüd^? SSenbet
nid^t bie ^flan§e S3(üten unb Slätter nac^ bem Sid)t, fd^idt fie nid)t
bie Söur^eln baf)in, wo fie 9ia!^rung, bie 9ian!en bat)in, wo fie Unter=
ftü|ung finbet? ^attet fie nic^t bei 9^od^t ober bei Üiegen bie Stuten
unb öffnet fie bem (gonnenfdjein? S3ewegen fid^ nidf)t mandje ^flan^en^
!eime frei im SSaffer um|er, wogegen bie Siere im erften @tabium
embr^onifd^er (Sntwidelung nod^ nic^t§ oon ber freien 33eWeg(id;feit
bei auggebilbeten 2;ieres geigen? — Stber, erwibert jener, ha§> finb
nid)t fpontane Bewegungen, fonbern med^anifc^ bebingte 9ftea!tionen
auf pf)t)fifalifd^e (Sinwir!ungen. — Sa, finb wir nic^t in bem oorigen
^bfdjuitt übereingefommen, aud) aüe SSorgönge im Jiertörper atä rein
pt)t)fifalifc^ bebingt anjufe^en? Sefte^en nidf)t eben ^t)i)fioIogen unb
materialiftifdje ^t)iIofopt)en t)ierauf, ba^ aud; bie fpontanen Bewegungen
5. 5)ie Äonfequenäen ber parattelifttfc^en 2;^eone. 3IIIbe|eeIung. 103
ber Xierc ntd^t qu§ ©mpfinbungen unb ®efüf)ten ertlärt, fonbern al§
pt)t)[ifalifd; bebingte S^eaftionen etne§ foldjen 5?örper§ auf fold^e Sfteije
aufgefaßt lüerben? —
S^atürtic^, Unterjcf;iebe jlpifc^en Stieren unb ^ftan^en [inb ha unb
foHen ntrfjt geleugnet werben; auf ben Pieren (£ntn)icEeIung§ftufen
treten fie fic^tbar genug ^erüor. 5luBer ber 35erfcl^iebent)eit in ber
Üiid^tung be§ ©toffroec^feB tritt bejonberg ein Unterf(^ieb l^erüor, ben
SB u n b t betont: in bem 2(ufbau ber ^flan^e f)errf(i)t ba^ W^WP ^er
®Ieid;artigfeit unb ber 9Iebenorbnung ber (Slementarorgani^men, ttJö^renb
in ber tierifcfjen SSett ba§ ^rinjip ber Sifferenjierung unb Unterorbnung
f)errfcfjt (©i)[tem ber ^^itofop^ie, (S. 588). Offenbar {)ängt bamit 5U=
fammen, nja§ ^ed^ner ^eroorf)ebt: bie ^ftanje entfoltet fid^ nad^
oufeen, bröngt jur OberfläcE)e, fudjt mit toufenb 33Iättern unb Slüten
ben 3"90"9 h^ ^^^^ "^^"^ 2uft, njäf)renb ber ©tanim ober (Stengel
innen üer^oljt ober ganj ^ot)I n)irb unb nur fo weit erl^alten bleibt,
al§ 5ur ©tü^e notwenbig i[t. 5)a§ STier bogegen fd^Iie^t fid^ nai^
au^en burd^ .^aut unb §aar, @d)uppen unb ^an^er ab unb entnjidett
fid^ nad) innen, wo ftd^ bie öitalen Organe unb g^unftionen entfalten;
bie Berührungen mit ber HuBenmelt merben auf ein paor fünfte be-
fd)ränft unb im 9Zeroenfl)ftem ber ganje ßeib jentralifiert unb in§
(Sngfte jujammengeäogen.
Stber iöerjc^iebent)eit ift !ein 33emei§ gegen bie Sefeett^eit über=
^aupt, fie mag a(§ ^inbeutung auf eine 55erfd)ieben§eit auc^ be§
Innenlebens gefaxt werben, auf eine ben ^flan^en eigentümtic^e §in=
neigung §ur Üte^eptiüität unb begentralifierte @ftenfität, mäf)renb ha^
tierifd^e ©eelenteben met)r Spontaneität unb jentralifierte Sntenfitöt
jeigt. ged^ner finbet ben Unterfd)ieb gmifc^en bem Seelenleben be§
SOlanneS unb ber i^van ^ier mieber, nur ift er auf ber f)ö^eren @tufe
nnenblid) gefteigert unb uertieft. SJZan mag hierüber benfen, wie
man will; fd)IieB(id^ bleiben ja aüe Unterne!^mungen, ha^ Innenleben
ber ^flan^e au» itjrer änderen (Srfd^einung §u beuten, taftenbe 35er=
fud)e; wobei benn gu bemerfen, ha'i^ e§ unS mit ber SDeutung be§
tierif^en ©eetenlebenS, befonber§ be§ nieberen nic£)t eben oiet anberg
get)t; toa?» eine Gualle innerlid^ erlebt, ober wie einer Üiaupe ober
einem @d)metterling ju 9}?ute ift, baüon wiffen wir im ©runbe ouc^
nic^t oiel. 2)arin aber ^at ged)ner, wie mir fd)eint, burdiauö rec^t:
104 I- 33u(^: Sßetop^^fil- 1. Äopitel: ®a§ ontologijd^e «ßroblem.
berfelbe ©runb, ber un§ ^ier befttmmt, gum förperlic^en ßeben, ba§
Ujir fef)en, ein Snnenteben, ba§ wir nidjt jeljen, tiinsujubenfen, ber
gilt für bie ganje SBett organifdjen Seben§, aud) für bie ^flangen.
^ei^t e§ fonft: probatio incumbit affirmanti, fo möchte man t)ier
fagen: ber S3ett)ei§ liegt bem ob, ber bie 33ered)tigung be§ S(na(ogie=
f(i)Iuffe§ leugnet. @r mu| jeigen, tüarum er f)ier nid)t gilt, fonft ift
feine Söerneinung SBillfür.*) —
2tm ©d^IuB biefer 93etra(f)tung ergebt fttf) bie toeitere grage: finb
toir am @nbe, ift ber ^aroIIeüSmuS ^npifd^en p'^tjfifdjen unb pfi)ct)ifd)en
SBorgöngen eingefc^ränft auf bie organifd)e SBelt? Dber \)at e§ einen
©inn, mit ben oben genannten ^^ilofop^en gu fogen: er gilt unein=
gefc^rönft; foireit p^tjfifc^e SSorgönge gegeben finb, fo ttjeit finb fie
^inmeifungen auf ein innere^ ©ein?
3^ beute ein paar Sfiatfodien an, bie njenigftenS ha§> geigen
mögen, ha'^ bie O^rage nid^t fo abfurb ift, n)ie fie ber gemeinen SSor=
fteltung junödjft üor!ommt. SDie orgonifd)en unb bie unorganifd^en
Körper bitben nic^t §n)ei getrennte Söetten, fonbern ein ein^eitlid)e§,
burc^ beftänbige SSec^felmirfung oer!nüpfte§ ©an^eS. 2)er ©ubftanj
nad) ift übert)oupt fein Unterfd^ieb; bie organifc^en Körper finb au§
benfelben S3eftanbteilen aufgebaut, üü§> benen bie unorganifd^en beftef)en.
®er ^o^tenfloff, ©tief ftoff, SSafferftoff, ©auerftoff, au§ bem ein ^flanjen*
ober 3^ier!örper befte^t, ift gong berfelbe, ben njir in unorganifdjen
SSerbinbungen antreffen. Drganifation ift alfo ein ßuftonb, in ben bie
3JJaterie eintreten fann, ber ^uf^o"^ ^"^^^ labilen @teic^gen)i(i)t§, in
bem bie ©toffteile, bei gfeid^bleibenber g^orm, beftänbig med)fetn. S3e=
ftönbig geben bie organifd)en Körper ©toffe an bie 5(uBentt)eIt ab unb
*) S)ie SBilHür in ber 93e^onbIung biefer grage tritt 3. 93. bei S33. ^o\U
mann (Sel^rbud) ber ^ftjd^ologie I, 99) fef)r beuttid) p Sage. ®r finbet bie 9Iu3*
bet)nung ber 33efeetung in ba§ ®cbiet ber ^jTanjen „un^njecImöBig." SSenn ben
^flanjen aud) gen^iffe entferntere Sinologien gu ben tierifd)en ignftinftbettjegungen
md)t obgefprod)en roerben fönnten, fo ntal^ne bocf) bie Unfic^er^eit boju, „lieber bie
entfernten 3lnaIogien abgubredien, atä bie 33eftimmtt)eit bei ©eelenbcgriffi aufäu=
geben." 2lti ob e§ barauf anfäme, ben „©eelenbegriff", bei beffen 93ilbnng bie
§erbartif(i)e ^ft)d^oIogie aUerbingS „nur ben 3!Jienfd)en unb bie ^öd)ft organifierten
äiere im 2tuge l^atte", auf jeben gaE gn retten, ftatt it)n nad) ben Sfjatfadien ju
ftreden. S)ie SlJJenfdien* unb Sierfeete würbe ja nii^t ©(i)oben leiben burd) bie
33efeetung ber ^^flonjen, fonbern nur ein frf)ab:^ofter 93egriff.
5. S)ie tonfequenjen bet paraUeUftifc^en Siieorie. Slübefeelung. 105
net)men neue auf. Sn längerer ßeit finbet ein ooüftänbiger SSec^fel be§
©toffe§ ftatt, neue Elemente erjdjeinen je^t a(§ Präger be§ organifrf)en
tt)ie be§ feelif(i)en SebenS. — ferner, e§ entfietjen be[tänbig neue Xier*
unb ^ftan^enförper. @in paar ^anböoll Äörner in bie (Srbe gelegt, geben
einen ©c^effel SBeijen; ein ÜJJäufepaar mit bem SSeijen allein gelaffen,
öernpanbelt it)n in furgem in .^unberte non lebenben, empfinbenben,
befeelten 5Eier!i3rpern. SSo^er f ommen bie Seelen '? SSaren fie irgenbtt)0
präefiftent unb fut)ren nun in bie bereiten Äi3rper'? ober finb jie, wenn
jene SSor[telIung bem 9fiaturforj(f)er allgu abftofeenb i[t, burcf) Teilung
ber ©Iternfeele entftanben? g^reilid) and) eine feltfame unb fdjwer gu
realifierenbe SSor[telIung.
Unb irofjer !am ha§> erfte Seelenleben überhaupt? 2)ie 33io(ogie
fie^t fid) auf bie 2(nnat)me geführt, hal^ baö organifdje ;^eben auf
ber @rbe einen erften Stnfang gehabt, unb bafe bie erften 33ilbungen
au§ unorganifc^er äJJaterie fponton, burc^ elterntofe Beugung, ^eroor=
gegangen feien. 2öof)er nun ba§ feelifd)e SebenV Sft bie erfte @efüt)I§=
regung im erften ^rotopIa§mafIümp(^en ein abfolut 9fJeue§, t)a§> bisher
auf !eine SBeife in ber äBirftid)feit fid) fanb, ouf ha^ nichts öon ferne
t)inbeutete? 3)a§ wäre benn freilid) ein abfotuteS „Sßelträtfel"; e§ wäre
eine (Sntftef)ung au§ nid)t§, bie in ber 2;l}at geeignet ift, ben 9latur=
forfc^er auf§ f)öd)fte ju überrofd)en, faum minber, al§ wenn er genötigt
würbe ju benfen, aud^ ba§ ^rotopIaSmaflümpc^en felbft fei au§ nic^t^
entftanben. — Stber warum will er fid) nid)t auf biefetbe SSeife, wie l)ier,
fo aud) bort be§ Unbenfbaren erwel)ren'? ®ie organifd^en Körper lä^t
er auö öor^er öor^anbenen Elementen entftel)en; in neue, fomplijiertere
S^erbinbungen eintretenb, werben fie ju neuen überrafdjenben Seiftungen
befät)igt. äöarum madjt er nid)t biefelbe nat)eliegenbe S3orau^fe|ung aud)
für bie anbere Seite: in ben (Slementen war feiml)aft aud^ ha§> Snnen=
leben oorf)anben, ha§i nun in ben neuen ^öilbungen in t)öf)erer (Snt=
faltung un§ entgegentritt? — Sn ber 3:l)at, ber §i)lo§oi§mu§ ift eine
ber neuen Biologie faft unwiberftetjlid) fidj aufbrängenbe 95orftellung.
^oedel öerbient nid)t 2:abel, ba^ er ben 9Jhit l)at, fie at§ notwenbige
SBorau§fe^ung auäuerfennen. Stud) ^üc^ner f)at fie aufgenommen:
er nimmt an, „ha^ i^er 9Jfaterie nid)t btoB pf)i)fifalifc^c, fonbern aud)
geiftige Prüfte innewot)nen, unb ha^ biefe überall in bie ©rfc^einung
treten, wo fid) bie notwenbigen S3ebingungen äufommenfinben." (S. 66.)
106 I- SSuc^: 9Äet^apf)^ft!. 1. tapitel: ®a§ ontologifd^c «ßroblem.
5l6er, fagt man, bleibt e§ nid)t hoä) unbenfbar: bte tote unb
ftarre äRaterie Präger eine§ feelijcf)en 2eben§? Unb fe{)It ^ier nirf)t
eben ha^, tt)Q§ un§ nadj bem nortjin 5(u§gefü^rten allein bered^tigt,
auf ein Innenleben gu fcf)tieBen, bie 5i{)nlicf)feit ber pfjijfifdjen Sßorgänge
mit benen be§ eigenen 2eibe§? 3^el)It f)ier nid^t jebe jpontane, üon
innen f)en)orbred)enbe 9?egfam!eit?
Wix fc^eint, ha'^ man \\d) biefe UnbenfbarMt erft felbft gefd^affen
^at, nämlid^ burd^ ben n^iltüirlirfj gebilbeten 33egriff ber StJJaterie.
9kcf)bem man bie 9)?aterie a{§> ein Stggregat öon 5Üomen, abfotut
garten unb ftarren Mö^c^en, bie of)ne aüe innere 33e[timmung unb
nur bnrd) @toB unb 2)ruc! ben^eglid) finb, fonftruiert {)at, finbet man
e§ bonn l^inter^er unbenfbar , ha^ fie innere 93eftimmungen i^abt
unb fid^ üon innen {)erau§ bemege. 3(ber ma§ nötigt benn ju jener
gaffung be§ ^Begriffs? ^id)t bie $f)atfad)en. ®ie geigen nid)t§ üon
jenen abfolut ftarren, inerten, paffiöen 3ltomen, bie ben @toB öon
auBen abmarten; fie geigen nn§ nur Seile ber äJ^aterie mit fpontaner,
üon innen t)erüorbred)enber, menn ou(^ nid)t ifolierter, fonbern auf
bie Umgebung belogener Sf^egfamfeit. (Sin SSaffertropfen füllt gur (Srbe;
ttja§ ftö^t ober gietjt if)n? ®ie (Sdiroere ober ba§ @efe| ber @raüi=
tation? 5(ber \)a§> ift ja nichts al§ bie t)inter^er !ommenbe ^Formulierung
feinet 9Serf)aIten§. Sm galten nimmt er bie gorm einer ^uget an;
irag nötigt bie STeite §u fold^er Slnorbnung? (Sr fäHt auf einen @tein
unb gerflieBt auf ber Dberfläd^e ober bringt in bie fleinften Sfliffe feiner
©truftur ein; mu^ er erft bagu üon au^en gegmungen merben? ®ie
STemperatnr finft unter 9h:ll, bie 2;eile unfere§ Sropfen^ orbnen fid^
gu einer gierlid^en (SiSbtume; werben fie üon einer äußeren ©emalt
in biefe gorm f)ineiugeftoBen? SBir fe^en tt}enigfteu§ nid)t§ baüon,
fonbern gang fpontan orbnen fie fid^ felbft nad) jenem ©d)ema, unb
ebenfo fpontan fef)ren fie, tuenn bie STemperatur fteigt, in bie ftüffige
gorm gurüd . Dber fie !ommen mit einem ©tücE @if en in S3erül)rung ;
biefeg bebedt fic^ in !urgem mit einem gelben Sf^oft; feine Elemente
^aben fidj au§ iljrer bi^^erigen S^erbinbung gelöft unb mit bem (Sauer=
ftoff unb Söafferftoff be§ 2Baffer§ ju einem neuen Körper, bem .^i)brojt)b,
üereinigt. Sind) l)ier ift üon einer äußeren, nötigenben ©emalt gar
ni^t§ gu fel)en. S3on einer 2(ngiel)ung reben bie Sf)emi!er, mit einem
Söort, ba§ aud^ ben ^^t)fifern feit 9iett)ton geläufig ift. @o nötigen
5. S)ie Äonfequenäen ber paroIIeli[tijrf)en S^eorie. StUbefeelung. 107
gteid^fom bie 2^atJQ(f)en i^re 5tnerfennuug tt)enig[ten§ im SBort audj
SBiberirilligen unb 9(nber§ben!enben ob.
5(Ijo überall fpontaue 9iegfam!eit; jene träge, ftarre, nur burd^
@toB 6ert)egti(f)e Tlakxk ift ein ^fiantom, ha^ nid)t ber Seobodjtung,
fonbern ber begrifflid)en 8pefuIation jein S)afein üerbanft. 6§ [tammt
QU§ ber ariftoteliicl^=f(^ola[tij^en 'pt^ilofopfjic, welche bie SOlaterie, nad^-
bem fie aöe Äraft ober ^orm reinlid) abgefonbert f)atte, alg bog
f(f)(e(ljtf)in ^affitie übrig tie&. SSon f)ier f)Qt e§ ®e§carte§, bem e§ für
jeine rein matfiematifd^e ^onftruftion ber ^^ijfi! bequem fam: bie
9)jQterie ofjne alle inneren Gräfte, bie reine res extensa, bereu einzige
Seftimmung in ber Stu§be^nung be[tel)t. — ®ie moberne 9^aturtt)iffen=
fc^aft lüeife öon jenem abfolut toten unb ftarren SSefen gar nid)t§ mel)r.
S^re 9}^otetüle unb 5Itome jinb ©ebilbe oon größter innerer Ä'ompli=
fation unb S3ett)eglicl)feit. ^unberte nnb toufenbe oon Sttomen finb
im 9Kole!ül gu einem ©l)[tem oerbunben, ha§: in ber ^öemegung feiner
Xeile gegen einanber ein me^r ober minber bauernbeS ©leic^gemidjt
erf)ält, ha§> gleichzeitig üon anberen 33emegungen burc^jittert loirb,
oon foldien, bie un§ at0 Sid^t unb SSörme jur ßmpfinbung !ommen,
oon anberen, bie in ben eleltrifd^en Vorgängen erfc^einen, ha§^ enblid^
mit ber naiveren Umgebung unb ber'fernften g^ijfternnjelt in beftänbiger
SSecfifetoirfung [tef)t. S[t i>a bie grage finnloS: ob biefem ttjunber-
baren ©piet pt)i}fifdjer Gräfte unb S3ett)egungen ein «Spiel innerer
SSorgönge entfprid)t, ha§i bem oerioaubt ift, meiere» ha^ Spiel ber
Steile im organischen Äi3rper begleitet? Sft nid)t am (^nt)e jene Sln=
§iel)ung unb 5lb[tofeung, oon ber ^l)t)[if unb 6l)emie reben, mef)r al§
ein Sßort, i[t ein (glement oon 3Sa£)rf)eit in ber 93etrac^tung be§ ölten
(£mpebo!le§, ha'B Siebe unb §a|3 bie bemegenben Strafte in aEen ^Dingen
finb? 9^atürti(^ nid)t Siebe unb .^oB, wie 3)Zenfd)en fie empfinben
unb Xiere, ober bod) ein im legten ©runbe $ßern)anbte§, eine irgenb
lt)eld)e triebartige Biegung?
(S§ ift bemerfen§tt)ert, boB biefer ®eban!e, ju bem bie ^^^ilofopljen
immer eine Hinneigung gegeigt f)oben, unb jmor nic^t nur pl)antaftifd^e
3;räumer, fonbern fo bebäd)tige ^öpfe ftiie Spinoza unb Seibnig, mie
gedjuer unb Solje unb unter ben Sebenben SBunbt, lauter SOJönner,
benen mon eine ^Ibneigung gegen naturn)iffenfd)oftlicf)=medjaniftif(j^e
?luffaffung ber SDinge nid)t gum SSorn)urf machen fonn, bofe biefer
108 I- 33ucl): Wtttap^ij^it 1. Sapttel: ®o§ ontologifc^e «Problem.
©ebanfe neuerbingg ouc^ in ben Greifen ber 9^aturforjc^er Üiaum ju
gewinnen beginnt. (S§ fei geftattet, t)ierfür ein paar ß^uö^iiffc mit=
guteilen.
3n feiner gebanfenreid^en 5(b!^anblung über bie ©c^ranfen ber
naturn)ifjenj(^aftli(^en (£r!enntni§ (abgebrucft im ^nf)ang ber merf)anif(^=
pt)l)fio(ogif(i)en Xfjeorie ber 2lbftommung§Iet)re, 1884) befennt ficf) ber
iöotanüer (£. ü. S^ägeli entfct)ieben gu bem ©ebanten ber 3(übejeelung.
(gr füfjrt au§, ha^, raie e§ feine abfolute Muft §tt)ifc^en organijc^er
unb unorganifc^er äJJaterie giebt, fo oudj feine liluft gn^ifcfien befeelten
unb unbefeelten Äörpern; ber DZaturforjc^er fönne nicf)t umt)in oorau§=
äuje|en, ha^ ba§, tt)a§ in ben öerttjitfelteren Silbungen erfc^eint, in ben
Elementen angelegt fei. 3)ie Sinologie in ber 9^eif)e ber pf)t)fif(f)en
Srfi^einungen mod)e gleid^e Interpretation auf innere SSorgänge not=
menbig. „9}iit ben Ü^eigbeujegungen in ber f)ö^eren STierttielt ift beutlid^
(Smpfinbung oerbunben. 2Bir muffen biefelbe aucf) ber nieberen Tierwelt
§ugeftef)en, unb tt}ir ^aben feinen (J^runb, fie ben ^flansen unb ben
unorganifc^en Körpern abäufprecf)en. 2)ie (Smpfinbung öerfe^t un§ in
ßuftänbe be§ ^ef)agen§ unb be§ 9JiiBbef)agen§. 3m allgemeinen ent[tel)t
ha^ @efüf)l ber Suft, ttjenn ben natürlichen trieben Sefriebigung ge«
ttjö^rt, ba§ @efül)l be§ ©c^mergeS, n^enn bie Sefriebigung üerfagt
tt)irb. S)a alle materiellen ^ßorgänge au§ 33emegungen ber 9Jiolefüle
unb (Slementatome ^ufammengefe^t finb, fo muffen Suft' unb «Schmer j
in biefen fleinften .2:eilen if)ren ©il3 l)aben. 3)ie (Smpfinbung ift eine
Sigenfdiaft ber (gimei^molefüle, unb mrm fie biefen julommt, muffen
mir fie auc^ benen ber übrigen (Stoffe gugeftelien. — 2öenn bie
aJiolefüle etma§ befi^en, ba§i ber ©mpfinbung, menn auc^ noc^ fo fern,
üermanbt ift, fo muB e§ 2Bol)lbef)agen fein, menn fie ber Slngie^ung
ober 5lbftoBung, il)rer Zuneigung ober Stbneigung folgen fönnen, SJJife*
bel)agen, menn fie gu einer gegenteiligen S3emegung ge^mungen merben.
@o fd)lingt fid) bas nämliche geiftige 33anb burc^ alle materiellen @r=
fcf)einungen. ®er menfd)licl)e öJeift ift nidjtä anbereS al§ bie f)ö(i)fte
öntmicfelung ber geiftigen ^ßorgänge, meiere bie ^Zatur überall beleben
unb bemegen, ouf unferer @rbe."
®enfelben ©ebanfen f priest ^r. 3 öl In er au§. Sn einer Stb*
Ijanblung über bie allgemeinen (äigenfcl)aften ber äRaterie (in bem SSerf
über bie Kometen, 3. 5lufl., @. 105 ff.) erörtert er bie gur 33egreifacf)feit
5. 3)ie Äonfequenjen ber poraUetiftijci^en Sl^eorie. SlDbefeelung. 109
ber 9?atur notlüenbigen SSorau^fe^ungen. @r ftnbet, bie ©mpfinbungen
[teilen un§ üor bie Sllternatiüe, „entlüeber auf it)re S3egreifüd^feit
für immer ^u üerjic^ten ober bie allgemeinen (Sigenjd^aften ber SJjQterie
:^t)potf)etifd^ um eine foIcEie gu öerme^ren, njeld^e bie einfad^[ten unb
elementarften Sßorgänge ber 9?Qtur unter einen gefe^mä^ig bamit öer=
bunbenen @mpfinbung§pro5e& [teilt. " (Sr [inbet, ha^ mir bie g^ä^igfeit
ber (Smpfinbung auf bie l^öl^er organifierte 9}iaterie einf(i)ränfen, fei
lebigticf) eine ^olge baüon, ta'Q \)a§> SJZaterioI unferer 3nbu!tion aflju
mangelhaft fei: „SBären mir imftanbe öermöge feiner ou§ge6ilbeter
(Sinnesorgane bie gruppenmeife georbneten 9JJoIefuIarbemegungen eineg
^rt)[tatt§ 5U Beobad^ten, menn er an irgenb einer ©teile gemaltfam
öerte^t mirb, mir mürben mofjrfd^ einlief unfer Urteil, i>a'^ feine S3e=
megungen abfotut oljue gleid^^eitige Erregung üon (Smpfinbungen [tatt=
finben, al§ ein unentf(f)tebene§ ober jebenfallS fel^r I)t)potf)etifrf)e§
jurücEmeifen." (£r füf)rt meiter^in biefen @eban!en fo au§: „5tIIe
5trbeit§Ieiftungen ber 9iaturroefen merben burd) bie (gmpfinbung ber
Suft unb Unluft beftimmt, unb groar fo, ha'^ bie 93emegungen inner=
f)atb eines abgefdjtoffenen ©ebietS oon ©rfd^einungen fiel) fo oer^atten,
als ob fie ben unbemuBten ßn^ed »erfolgten, bie Summe ber Untuft=
empfinbungen auf ein SOiinimum gu rebngieren." Sn allen materiellen
95orgängen finbet entmeber SSermanblung öon (Spannfraft in lebenbige
^raft ober boS umge!e^rte ftatt; nimmt man an, bie erfte Seiftung fei
mit ßuft, bie anbere mit Untuft tierfnüpft, fo mürbe 3Serminberung oon
Unluft atSbann ftattfinben, menn innerl)alb eines bemegten (St)ftemS bie
Slnjal^I ber ^ufontmenftöBe auf ein SJiinimum rebujiert mürbe; unb
bat)in mü^te alfo bie Xenbenj gerid^tet fein, menn bie ©mpfinbungen
praftifd;e Sebeutung ^aben fottten.
2öaS oon naturmiffenfdjaftlid^er ©eite auf biefe 3Infid)t t)inbrängt,
baS ift, baB man bie organifd^e unb bie unorganifdie SBelt nid^t auS
einanber reiben fann, fie bilben bie einljeitlic^e 9Jatur. ©eitbem bie
Biologie bie SebenSfraft als bejonbereS ^ringip, baS in ben organifd)en
Körpern gu ben pt)i^fifd)en Gräften fjinsuföme, öermorfen f)at, ift baS
£eben in bie elementaren ©ebilbe, auS benen ber DrganiSmuS beftetjt,
I)inabgebrungen. 6S beftef)t nun ^mifdien ben Setf)ätigungeu ber
beiben gönnen ber ^örpermett !ein prinzipieller Unterfd)ieb mef)r. @S
finb 5ute|t biefelben Gräfte, bie in ben nnorganifdjen, mie in ben
110 I. 99ud^: 9JJetapf)^fif. 1. Äapitel: S)a§ ontologifc^e Problem.
organijc^en Körpern lüirtjam finb, nur bo^ fie ^ier in f)öcE)ft eigen=
tümlid^er unb üerlüidelter Kombination auftreten. Sind) ift in ber ^orm
ber Söirfjamfeit fein Unter jdjieb: aüe Körper tt)erben burdj innere
Gräfte, aber auf äuBeren Slnlo^ benpegt. Sei ben organifd)en pflegen
ttjir, megen ber S^erfdjieben^eit bes S(nftoBe5 unb ber SBirfung, bie
innere Kraft in ben ^orbergrunb ju ftetlen, bei ben unorganifd)en
bagegen ben äußeren SlnlaB- 5lber an fid) ift fein Unterschieb: luenn
ein Üiei^ be§ @ef)i3r§nerüen ein Sier gum 2(ufipringen bringt, fo ift hü^
fo gut eine pf)i}fifc^e SBirfung rein pf)t)fi]c^er Urfad)en, als menn eine
benjegte äJJoIefüIgruppe eine anbere burdj 2toB in Semegung fe^t.
©inb nun bie Semegungen in bem einen gall mit ©mpfinbungg»
oorgängen begleitet, fo ift nid)t abgufeljen, ujarum fie e§ nidjt ouc^ in
bem anberen '^üli fein fönnen.
Sn ber 2^at, e§ ift nur ein altes SSorurteil, ha§ öiele ^f)t)fifer
nod) f)inbert, bie§ §u fe{)en. Wü ber größten (£ntfc^iebenf)eit öern)irft
2)u S3oi5 = 9f?eijmonb bie Seben^fraft: es fommen in ben CrganiSmen
ben ©toffteilc^en feine neuen Kräfte §u; es finb bie alten Kräfte, bie
aud) l)ier allein njirffam finb. 2)al)er ift „bie Sd^eibung jujifd^en ber
fogenannten organifc^en unb ber unorganifc^en 2BeIt gan^ »illfürlic^.
2;iejenigen, tt:)eld)e fie Qufred)t ju erf)alten ftreben, meldje bie Strlel)re
Don ber ifebensfraft prebigen, unter meldjer gorm, tt)eld)er täufdjenben
Sßerfleibung e§ aud) fei, fold)e Köpfe finb, mögen fie fid) beffen oer=^
fiebert f)alten, nie bi§ an bie @ren,^en unfereS 2)enfen§ oorgebrungen."*)
d)l\x fd)eint, man tl)ut bem berül)mten ^l)t)fiologen fein Unredjt, wenn
man behauptet, ha'B bie ©renken unferer 9^iaturerfenntni§ ha, mo er fie
mit feinem Ignorabimus oufrid)tet, aud; nod) nidjt liegen. §at er
red)t mit ber 53ef)auptung, bafs im lebenben Körper feine neuen Kräfte
l)in§ufommen, fo l)at er nic^t rec^t mit ber anbern, baB in ber erften
©mpfinbung eines tierifd^en Körpers ein obfolut neues, bi£l)er uner=
l^örteS ©lement in bie 2öirflid)feit eingetreten fei.
3u ber naturpl)ilofop^ifd)en 33etradjtung fommt al§ jmeiteS SOJotiö,
ha^ in unferer 3^^^ bem öebanfen ber Slübefcetung jutreibt, bie er=
fenntnistljeoretifc^e @rtt)ägung, bie aümäl)lid) aud) in ben Kreifen ber
^l)t)fifer ben alten naiuen 9iealismu§ §u untergraben angefangen l)at.
*) S)u SBoig-gte^monb, gteben II, 17.
5. 2)ie Äonfequenjen ber ^jaroQeUftifc^en S^eorie. 3lllbefeelung. Hl
©inb Ä'ör|3er (Srjc^einungen, ^orftedungen ber 3ßir!üc|!eit in unferer
©iitnltc^feit, bie al§ joldje nidjt abfolute, fonbern relatiüe (£i-i[ten5
fjaben, jo erf)ebt ficfj bie g^-age: )üa§ ift bog, iüqS erjd^eint, on fidj?
Ober fommt if)m nur relotiöe (Si'iftens ju? 3[t bie Äi3rpertt)ett reine
^fianto^magorie in meinem 33emuBticin? ®a§ ^at nie jemanb gebad)t
unb mirb nie jemanb ben!en. 2(tfo muB ha^> iüa§ un§ als Ä'örper
erjdjeint, and^ etraaS an unb für fid^ fein. 2Sa§ ift e§ an fid)? —
2)o§ fönnen mir nid)t njiffen, fagt ^ant. — §I6er, an einem ^un!t
menigftcn§ miffen mir e§: jeber meife um fid^, rao§ er ift, au^er bem,
ha'^ er anberen unb aud) fid) felbft at§ ein organijdjer Körper erfdjeint;
er meife um fid^ at§ ein fü^Ienbeg, moUenbeS, empfinbenbeS, ben!enbe§
SSefen. Unb bie§ ift e§, ma§ er fein eigentlid)e§ ©elbft nennt. Unb
üon biefem ^unft au§ beutet er nun bie SSelt aufeer fid): gleidje (Sr=
fc^einungen beuten ouf gteid§e§ innere^ (Sein. Sebem Körper, ber in
iifintid^er Söeife aU ein relatiü in fid) gefd)Ioffene§ @i)ftem üon (Sr=
fd)einungen unb ^etf)ätigungen fid) barftellt, legt er ein äf)nlid^e§ relatiü
in fic^ gefdj(offene§ Innenleben bei; bem 3)?enfd)en, bem Xier geben
alle eine ©eele. 5[)er ^tjitofopf) fielet, e§ giebt feinen ©runb f)ier ftet)en
ju bleiben, ja !eine 9}?öglid)!eit; benn bie 58el)auptung: gemtffe S)inge
finb blüfe Ä'örper, fül^rt eben auf jenen unertröglid)en ©tanbpuntt beg
Sttufioni§mu§. ©r f)at jugleid) ben 9JJut, ba§ ^arabo;L-e gu fagen:
aüe H'örper finb befeelt, omnia, quamvis diversis gradibus, animata.
(5ine "^flanse ift ein £ebemefen, alfo ein pf^d)opf)i)fifd)e§ ©t)ftem; eine
^elle ift in gemiffem (Sinn ein felbftänbigeS Sebemefen, alfo mirb non
i^r ba^felbe gelten; ein 9}Jotefü( ift ein relatiü in fi(^ gefd)Ioffene§
(St)ftem üon förperlidjen (Srfd^einungen, eine 3SieI^eit üon 2;eiten in
engfter 33e§iet)ung, in mannigfad^er 33emegung gegen einanber unb äu=
gleid) aU @efamtt)eit in 53e5iet)ung gur Umgebung: aud) biefe^ ©piel
förpertidjer Vorgänge mirb nod) al§ 5(nbeutung eine§ «Spiels innerer
Siorgönge §u f äffen fein. SSir fönnen biefe innere SBelt nid)t in con-
creto üorftellen, aber mir fonftruieren fie in fdjematifdjem @ntmurf
at§ gleic^ auggebet)nt mit ber pl^^fifc^en SSelt.
^d) berühre f)ier nod^ eine 3^rage, auf bie mir fpäter üon anberer
Seite jurüdfommen werben: giebt e§, mie niebereS, umfaßtes, fo aud)
f)öt)ere§, umfaffenbere§ (Seelenleben, aU ha§, ma§ mir erleben?
3Sie unfer 2eib bie ßtUm at§ @(ementarorgani§men umfaßt, fo nef)men
112 I. 33uc^: SDietop^^fif. 1. Äapitel: ®a§ ontologifd^e Problem.
Jüir an, umfaßt unjer ©eelenleben ha§> innere SeBen ber (Slementar=
gebilbe, e? einjc^tieBenb in ben ßuiammen^ang feinet benjufeten unb
unbettJUBten 33e[tQnbe§. Unjer ßeib ift felbft mieber Jeil einer f)öi)eren
©in^eit, i[t ©lieb be§ ©efamtfebeng unfereä Planeten unb mit it)m
eingegliebert in ein umfafjenberes foSmifcfjeS <£t)ftem, gule^t eingegüebert
in ha5 5III. ^vft aucf) unfer Seelenleben einer f)ö^eren ©in^eit, einem
umfafienberen SeiüUBtfein5Jt}ftem eingegüebert? ©inb bie einzelnen
^immelsförper, um hierbei junäcfjft [te^en gu bleiben, Sräger eine§
cin^eitlid)en Innenlebens? Sinb bie ®e[tirne, ift bie Srbe ein befeelteä
SSefen? 2}ie S^ic^ter jprec^en mm ©rbgeift; i[t bos met)r ai§> eine
poetifd^e 9J?etQpf)er? S)ie gried^ijtfien ^f)iIoiopf)en, aud) ^lato unb
5(riftote(eS, miffen öon ©eftirnfeelen; ift ha§ met)r a(§ ber Ie|te
SSiberfc^ein eines JraumeS finbtid)er ^^antofie?*)
GS raäre öermeffene 2^orf)eit, oon biejen 2)ingen in bogmatijc^en
gormein unb 5öemeiSfüf)rungen §u f)anbeln. 2)oc^ jcfieint mir, ift ein
negatiüer 2)ogmatiSmuS nic^t me{)r am ^Ia|. 2Ser bie ©rbe bloB öom
ölobuS ^er atS eine ßugel aus -pappe, ober auS bem Sucf) als einen
großen Älumpen mit glü^enb=flüffigem Innern unb einer bünnen ftarren
9^inbe fennt, bem mirb freilief) frf)on bie g^rage Iäd)erlic^ unb abfurb
norfommen. 3Ber bagegen in ber SSirflic^feit fetbft lebt, bem mirb eS,
lüenn er mit ein lücnig ^^antafie auSgeftattet ift, nid^t gar fo munberlii^
üorfommen, bie örbe als ein großes belebtes Sßejen öor^ufteöen. ged^ner
lebt in bem (Sebanfen. 3n immer neuen SBenbungen forbert er feine
3eitgenoffen auf, boc^ einmal aus bem Srf)taf auf^ufteljen unb f)e[Ien
5(ugeS bie 2)inge ^u betrachten: lebt benn bie örbe nid)t mirflic^ ein
@ef amtleben? ©inb nic^t alle it)re 2:eile, baS ffüffige innere unb bie
fcfte Ü^inbe, ber C^ean unb baS Suftmeer, §u einem großen ©ansen
5uiammengefcf}Ioffen, baS in allen feinen 2:ei(en mannigfaltig unb bocf)
gufammenftimmenb fid^ regt? i^bbt unb g^lut, STag unb 9^ad^t, Sommer
*) @§ j(^eint übrigen!, baß jroii'cfien bem (Srbgeift in ®oetf)e§ genjaltiger,
öimmel, Srbe unb Unterwelt umfd)tieBenber Sichtung unb ben ®e[tirngeiftern ber
gried)iid)en $f)iloio))f)ie aud) ein f)i[torijd)cr ^ujammenfjang ftattfinbet; er wirb
burtf) bie p^antaftijc^en fo^mologiidien Spefulationen ber 9foturpf)iIoiop:^en be^
iecf)§ef)nten ^al^rfiunbertl, wie beg $aracel)u§, be§ SIgrippo tion 9Jette§^eim, öer«
mittelt, üon benen ®oct^e»i5aul't bie 2lftralgei[ter unb bie ganje magiic^*ipiritualiftifcf)e
Siaturauffaffung f)at, ober al! i^r ^eitgenofje mit i^nen teilt.
5. Die tonjequenjen ber ^jaraüeliftifd^en 2;^eone. Mbefeetung. 113
unb SSinter, füib e§ nidjt 2eben§r^Qtt)men, äfintic^ benen, bie boS
(Sinjetleben erlebt, ober üielmefjr nehmen r.ic^t bie Stiere unb ^flanjen
mit i^ren fleinen rt)i)tt)mifd)en SebenSnorgäugeu an bem großen Seben
ber @rbe teil, fpiegelt fid^ nid^t in i^rem @(^lafen unb 2Bad)en, 93tüt)en
unb SSelfen, (Sntftel^en unb 95erge^en ta^ £eben ber (Srbe ? 3)ie (Srbe
i[t ja nid)t blofe ber @tü|puuft, auf bem bie lebenben SBejen, n)ie
Körner auf ber STenne, firf; zufällig finben, fonbern ber 3)Zutterfd^oB,
au§ bem fie f)eroorge^en. Xier= unb ^ffauäennjeÜ finb ©rjeugniffe
ber @rbe, [ie bleiben ©lieber unb Organe if)re§ 2eben§, fo gut wie
bie QcUcn ©lieber unb Drgane be§ fieibeS. S)er ©eolog !on[truiert
bie ©efc^id^te ber @rbe au§ ber §anb ber ©puren ber organiftf)en
äßefen, bie fie in jeber (Spod^e l^eröorbra(^te, ber ©eograp'^ bejcf)reibt
bie (Srbe burdf) bie c^arafteriftifcfien SebenSformen jeber ^om; fie finb
beftimmenb für ben ©inbrutf, ben fie auf ba^ ©emüt mad)t unb in nidjt
unerl)eblidf)em 9}?aB aud) für it)re ©eftalt; if)r Seben ift ein Xeilpro^eB
beg ®efamt(eben§, bie SJJaterie rinnt in beftönbigem ©trom burc^ bie
organifd^en Körper, 2öie follte nid)t ha§> SBefen, ha^ aUe lebenben
unb befeelten SSefen Ijeröorbringt unb al0 Steile feine§ 2eben§ in fid)
^egt, felber (ebenbig unb befeelt fein?
3^reilid), auf einen @inn, ber bem Seben unb Soeben ber Singe
nid)t aufgetfjan ift, mad^en berartige Setrad^tungen ttjenig (Sinbrud.
(5r ttjirb fagen: §eige mir ba§> ©el^irn unb bie 9?eröen ber (Srbe, fo
n)in id) aud§ an if)re @ee(e glauben. — 5lIfo rt)ir!Iid^, ttjenn ber @rb=
förper au^er ben Ö)e'[)irnen aller Xiere nod) ein befonbereS @et)irn für
fid) ^ätte, unb Singen unb C^ren, unb §er§ unb ÜJJagen, unb 5lrme
unb Seine, unb ^aut unb §aar, bann ttjürbeft aud) bu i^n für ein
befeelte§ Söefen t)alten? 3lber fiel) ju, ein xvk unfinnige^ 2)ing eine
(Srbe in biefer ©eftalt UJÖre: ein 2ier brandet einen SJiunb unb einen
9J?agen, aber bie (Srbe al§ @an§e§ braucht i^n nid^t, benn fie l)at nid^t
nijtig, (Stoffe öon au^en aufguneljmen; ein ^ier brandet 5tugen unb
C^ren, um bie 33eute gu jagen unb bem DZad^fteüer ^u entgeljen, aber
bie @rbe oerfolgt nid)t, noc^ n^irb fie oerfolgt; ha^ %m braudjt ©e^irn
unb 5)ieroen, um feine S3en)egungen ber Umgebung an^upaffen, bie @rbe
finbet il)ren 2öeg burd) ba§ SBeltoß oljue fold^e i^ülfe.
5lber, fagft bu, it)re Sen)egung ift ja augenfd)einlid^ rein p^l)fifcl)
bebingt, fie folgt in einförmigem Ärei^lauf bem @efe^ ber @d)n)ere.
'^aulf eil, (iiiilettung. ü. Shtfl. 8
114 I. 93uc^: aJJetap:^^ftf. 1. Äopitel: ®a§ ontologijc^e «ßroblem.
— Unb lüa§ !önnte fie beffereS tf)un, welche Seiregung wäre ange=
mefjener, il)r gu öerfd^affen, Iüq^ fie braudjt, 2icf)t unb 2öärme in oei**
fd^iebenem 9JJa^ unb r{)t)tl)mtjcfjem SSerfjfel, um ha§> il)r eigentümüi^e
SeBen gu entrtJtcfetn unb ju reifen? ©oüte fie wie ein 2ier balb
I)ier{)in balb bortf)in faf)ren unb bQjUjifd^en träge liegen? Ul\o UJoIIe
i!§r bod) nid)t öorfc^reiben, n)Q§ njiber i^re Statur unb if)re !o§mifd)e
Stellung i[t. .^at fie bod^ an mannigfach gebrodjener Söemegung genug
auf i^rer Dberflöc^e: bie S3emegung in Suft unb SSaffer, in Xier= unb
^ftanjenförpern. ^^xt 33e§ief)ungen aber gur StuBentüelt ^at fie auf
jene Söeife auf§ fcf)önfte unb angemeffenfte geregelt. — Ober fd^tiefet
@efe|möBig!eit ber 93ert)egung at§ foWje bie ?(nnat)me au§, ha'^ ha§^
otfo 33ett)egte Xräger oon S3en)ufetfein§0Drgängen fei? 9^un, bann giebt
e§ ja für unfere ^^t)fiotogen unb befonber§ für bie materialiftifd)en
^f)iIofopf)en unter i^nen überf)aupt feine befeelten Slörper; beftet)en fie
eben hoä) fo bringenb barauf, ha'^ aße £eben§üorgänge auf bie natur=
gefe|mä^ige Semegung ber fteinften Xeite 3urücfgefüf)rt n:)erben muffen.
2)ocf) id^ öergirfite barauf, biefe ®inge meiter au§äufüt)ren. äöer
if)nen nad^f)angen mag, finbet in g^erfjnerS 3^"^=^^^^^ftfl finnreid^fte
Einleitung. Sn immer neuen SBenbungen ttjirb bem Sefer bie (Srbe
al§ ein ein^eittic^e§ SBefen öor 5{ugen geftellt, in bem fi(^, »ie in
jebem organifd)en Körper, 33ielf)eit unb öintjeit burd)bringen unb be=
bingen. „S)ie (Srbe ift ein in g^orm unb (Stoffen, in B^^^f- unb
2Bir!ung§beäügen gum ©anjen ein!)ettlic^ gebunbeneS, in inbiöibueüer
(Sigentümlid^!eit fidE) in firf) abfdE)IieBenbe§, in firf) !reifenbe§, anbern
ö^inüd^en, hod) mdjt gleid^en ©efc^öpfen relatiü felbftänbig gegenüber^
tretenbe§, unter Anregung unb SJJitbeftimmfEieit burdf) eine EIuBeniüelt
fic^ au§ firf) felbft entfa(tenbe§, eine unerfc^öpf(icf)e SJJannigfaltigfeit
teils gefe^tirf) n?ieberfet)renber, teil§ unbererf)enbar neuer SSirfungen au§
eigener ^üüe unb (Srf)öpfer!raft gebörenbeS, burrf) äußere Sflöttgung
f)inburrf) ein (Spiet innerer g^rei^eit entmicEelnbeS, im Singetnen n)ed^fetn=
be§, im ©angen bleibenbeg @efrf)öpf, wie unfer Seib. Ober üielmetjr,
fie ift e§ nid^t nur ebenfo, fonbern unfögüd^ mef)r, ift alleä ha§> gang,
ttjoüon unfer Seib nur ein ©lieb, aUt^ ba§ bauernb, tt)a§ unfer Seib
nur im 8Sorbeigef)en, üerl}ält firf) bain \ük ein ganzer $8aum ^um
einzelnen @rf)aft, ein bauernber fieib ju einem öergönglirfjen fleinen
Organ." (3enb=3(oefta I, 179.)
5. 2)ie Soufequenjen ber paraHeUftifdien 2;t)eorie. 5tö6efeelung. 115
2)aB biefe ©ebanfen nidjt gum 53e[tanb iinferer tüiffenfcf)aftlid^en
(SrfenntniS tjefjören, i[t natürtid) and) gediner nid)t üerborgen. 2Bir
fönnen ha^ organifdje Scben eine» Planeten lüdjt barftelleit, irie ha§>
einer ^jTanje, ober jein Innenleben bejc^reiben, ttiie ba^ eine! Spfienjcfien.
(S§ bleiben für nn§ unbeftimmte S^orftetlnnggfdjeinata, bie rair feine
Hoffnung f)aben, jemals mit feften Segriffen ju faffen ober mit fonfreten
2(nfd)anungen jn erfüllen, gür eigentlich n)iffenfd)QftIid)e Slrbeit ift
f)ier fein Soben. ®ocl^ leiften fie eine§: fie erinnern un§ boran, bofe
bie aftronomifdj4if)t)fifaIifc^e Setrac^tnng nic^t bie leiste unb f)öd)fte
S3etrad)tung ber Singe überf)au^t ift, ttjenn fie and) bie Ie|te ift, bie
mir in miffenfdjafttid)er 5(rbeit bnrc^füfjren !önnen. Unb in gemiffer
SBeife finb fie geeignet, gmifdjen ber miffenfdjafttidjen nnb ber reügiijfen
5tnfd^auung eine 93rüde gu fdjiagen. 3)enn natürlid), finb bie ^imm«
lifdjen ^ijrper q(§ folc^e STröger eine§ einf)eitlid)en «Seetenlebeng, in
bem bQ§ (Seelenleben aller Xeitmefen aU 9J?oment aufgehoben ift, fo
merben mir t)ier nidjt ftefjen bleiben, fonbern fie fclbft mieber al§
©lieber eine§ größeren ©an^en, eine§ !o§mifd)en 5inteben§ auffaffen.
5Der alte ©ebanfe ber SSettfeele ift ber natürlid)e ©d^Iufeftein biefer
ganzen SSettbetradjtung: jebe§ förperlid^e (Softem ^iröger ober Seib
eines SnnentebenS, haS^ SBeltfiiftem Seib ober örfc^einung Ö5otte§. ^{}n
erreidjt nid)t ha§> äöiffen; ber ©laube beftimmt fein SBefen mit an=
fc^aulid)en Symbolen; bod) befeitigt biefe S8etrad)tung ben negatioen
SDogmatilmus einer rein p!^i]fifalifd)en SBettanfic^t.
S)a§ mar auc^ 5lont§ Stbfii^t. Snbem er bie 9iatur für ßr*
fc^einung erflörte, moüte er bem ©lanben an ha^ Übermefen, ha^ in
ber 9ktur fic^ offenbort, bie Saf)n frei madjen. Slber er üerfd)mäl)te
bie SO^ittelftufen, er oerfd)mä^te bie 5(nfnüpfung an ta^' (Segebene;
feine fdjroffe ©egenüberftellung üon (Srfd)einung unb S)ing an fid)
bricht bie Srüde ^mifdien Söiffen unb ©tauben oötlig ab. ^ed)ner
baut fie mieber auf; er get)t üom Dlöd^ften unb Sefannteften, bem 3d)
unb feiner Soppetgeftalt aU @eele unb ßeib au§, um in beftünbiger
Steigerung jum §i3c^ften unb gernften fortgugefien.
®og mären bie 5lonfequenäen, auf meiere bie paralleliftifc^e ^^eorie
üon bem 95erl)ältni§ be§ ^:pf)t}fifd)en unb ^:pfi)d)ifd)en gefütjrt mirb.
Unb l)iermit märe benn bie materiaüftifc^e 2öe(tonfid)t übermunben;
übermunben freilid) nidjt in bem @inn, bafe fie übertjaupt falfd) unb
116 I. 33uc^: ^üap^t)\it. 1. Äapitel: S)ai ontologifd^e Problem.
grunbto§ tüäre; 'oa'^i i[t fie geiüiB nid)t, i!E)re ^orberung, bafe aUe§
SSirftic^e pf)i)ftfcfj bargeftetit fei, i[t oöllig begrünbet, unb e§ irirb i^r
üon ber bargelegten 5(nicfjauung burc^aus entfproc^en; für ben ^^i)fifer
ift ha^ Unioerfum al« ein alle SBirflidjfeit uinfd)üeBeuber pt)t)fif(^er
3ufammeuf)ang borau5§ufe|en. Übertüunben ober ift ber SOkterialiSmus
in bem @inn, bofe er fid} uns je^t alg eine einfeitige, ber (Srgön^ung
fällige unb bebürftige S3etrarf)tung ber 2[öirflid)!eit barftellt : alle f örper=
lic^e Sßirflidjfeit ift burrf)ou§ unb überaß .^inn^eifung auf eine Snnen=
ttjelt, bie ber öerraanbt ift, bie tt)ir in un§ felber erleben. Unb aUer=
bing§ tt)erben njir nun fagen: in ber Snncnttjelt, bie un§ freiließ nur
an einem ^unft unmittelbar gegeben ift, im (Selbflbemu^tfein, barüber
l^inaus erreid)en mir fie nur burc| ftet§ unfi^ere Interpretation unb
jenfeitS ber S^iermelt nur burrf) fc^ematifierenbe ÄonftruWon unb burcf)
ibeatifierenbe ©timboüf, in ber ^nnenmelt offenbart ficf) bie 9ktur
be§ SSirfüdjen, mie e§ an unb für fid) ift; bie ^"örpermelt ift im
©runbe nur eine gufäüige 2(nfid)t, eine unaböquate 2)arfteüung ber
2SirlIid)feit in unferer @innlid)!eit.
2)a§ ift bie ®runbanfd)auung be§ SbeoIi§mu§. 8ie ift, üon
ben Stagen ^latos an bi§ auf bie ©egenmart, allgemein c^ara!terifiert
burd) bie §mei (Stüde: bie Äörpermelt ift (Srfd)einung ; ba§, ma§ in
it)r erfdjeint, ift ein unferem Snnenteben 9]ermanbte§.
SSorin liegt ber ©runb, bafe biefe Slnfc^auung, bie ben ^tjilofop^en
fo geläufig ift, ber gemeinen 3SorfteIIung fo befremblid^ unb ungtaub=
lid) oorfommt?
S)er näd)fte ©runb ift of)ne ^n^^^t^'^ ^^^f "^«^B bie gemeine ^ox-
fteUung oon ber finnlic^en 2Infd)auung be^errfc^t mirb. 2öirflic^ ift
nur, ma§ man fie^t; maS man nid)t fief)t, ift nid)t. ®a§ ift ba§
@d)ema, monad) überall gefolgert mirb. @o ()ier: mir fel)en bie
5(uBenfeite, bie Snnenfeite fel)en mir nid)t, mir muffen fie Ijinjubenfen.
So meit bie g^olgerung burd) bie Xljatfai^en un§ aufge^mungen mirb,
sieben mir fie; mo nur noc^ abftrafte Srmägungen gur 3^ortfüt)rung
ber g^olgerung anl)alten, ha läfet ha^ gemeine teufen ben graben al5:=
batb fallen. SDie ßumutung, über ha§> (begebene l)inau§ in ber 9ftid)=
tung, bie if)m burd) bas begebene felbft angebeutet mirb, meiter gu
beuten, let)nt es als pt)antaftif(^e, feine 9iut)e ftörenbe Ungeprigleit
inftinftiü ab.
6. aSejen ber ©eete. QnteEeftuoIijtifdje unb öoIuntarifttjcf)e «pj^diologte. 117
3u tiefer ^Iräg^eit be§ S)enfeng fommen bann aber pofitioe
^inberniffe, bie ber ibealiftijd)en Slnfic^t ben 2öeg »erlegen. (5§ finb
öor aüem faljc^e SSorflelhmgen oon bem SSefen unb ber metap{)t)fifd)en
Constitution be§ jeelifc^en ßebeng. ®ie beiben folgenben 2lbfd)nitte
holten fie ju befettigen fuc^en.
6» 3Son bcm Sßefen ber Seele, ^nteaeftualtfttfc^e unb ooluntartftifc^c
'«:)>ft)c^oIogte. ®a^ Unbewußte.
S)ie 5tuffoffung ber geft)ö^nlicf)en ^orftellung üon bem SSejen
ber ©eele leibet an einem boppetten SJJangel; fie f)at eine falfc^e SSor=
fteHung 1) oon ber metop^t)fifc^en Conftitution be§ ©eelennjefenS,
2) Don bem pf)änomeno(ogifc^en ^ntjalt be§ (Seelenlebens. S<^
^anW gnerft üon bem §meiten ^un!t.
3lDei ?trten feeüfd)er S3orgänge treten un§ im ©elbftbewuBtfein
entgegen: S^orftetlungen unb 2Si((en§erregungen; bemnarf) legen
mir ber ©eele jmei ©eiten bei, anteiligen 5 unb SBillen. 211§ 53e«
tljätigungen ber Sntelligenj fe^en mir an ha§ (gmpfinben, 2BaI)rnel)men,
33orftetlen, ®enfen, al§ Setl^ötigungen ber • 2Billen§fpl)äre (Streben,
STriebempfinbung, Segierbe, SSotten, §anbeln mit ben begleitenben @e=
füf)l§erreguugen.
Sn ber beutfdjen ^;pfi)cl)ologie ift ftatt ber alten ßmeiteilung bie
3)reiteilung üblicf) geworben: 2)enfen, gül)len unb SSollen. SUiir fc^eint,
nic^t äum SSorteil beS SSerftänbniffeS feelifd)er 3)inge. öS ift l)ier
nicfit ber Ort auf bie <Bad)t nä()er einjuge^en, irf) bemerfe nur, ba^
bie SoSlöfung be§ gü^lenS unb 2BolIen§ oon eiuanber eine unmögliche
(Sad^e ift. Stuf primitiver öntmicfelung^ftufe fiub fie ein§: fein @e=
füt)l, \)a§ nic^t jugleic^ SöiüenSantrieb märe, unb feine 2ßiüen§erregung,
bie nicftt im @efüf)l jum Semu^tfein fäme. 9hir auf ber f)öcf)ften
@ntmi(felung§ftufe be§ feelifcfjen SebenS, im 9J?enfd^en, finbet in ge-
miffem SDiafee eine So§li3fung be§ @efüf)l§ 00m SSiüen ftott; bie
äft^etifcfjen ©efü^le finb beino^e ofjue haS^ SOloment be§ SSilIen§an=
triebet, reine (Stimmung§gefüf)le oljue Sntpul§. Unb bi§ ju einem
gemiffen @rabe finbet ^ier auc^ ftatt 333illen§beftimmtf)eit o^ne @efül)l§=
erregung; ber oernünftige SSiUe faun ol^ne unb gegen finnlid^e SCriebe
bie S3etf)ütigung burc| ^^^^fö^^o"^^" beftimmen.
118 I- S3uci): aJJetop^tjfü. 1. Äopitel: ®ag ontologtjc^e «Problem.
polten n^ir prinzipiell an ber ^^Jeiteirung feft, fo erf)ebt fid) bie
Jöeitere ^yrage: iüie üer^atten fid) bie beiben ©eiten be§ Seelenleben^
,gu einanber? ©inb fie gleidj urfprünglid), ober ift eine öon if)nen
a(§ bie primäre unb n)ur§ell}afte Set^ätigung an^ufefien, an tt)eld)e
bie anbere fid) ai§> fefunbäre (Sntttiidelung anfd^Iiefet? ®er gemeinen
SSorftellung liegt am näc^ften bie 5Iuffaffung, bafe ba§ ^orftellen bie
erfte nnb eigentlid) c^ara!teri[tijd^e gunftion ber @eete fei, njogegen
©efü^t nnb 33egef)ren ai§> ein @elegentlid)e§ unb ©efunbäreS erfd)cint,
bo5 t)in unb tt)ieber at§ 9^ebenn)ir!ung be§ SSorfteüungglaufS üorfommt:
too§ bie 58or[teüung al§ gut ober jdjlec^t bejeidinet, ha§> mac^t fid)
bonn ber Sßitle auf gu bege!)ren ober äu f[ief)en. 2tuc^ bie ^fi)d)oIogie
gefjt öielfad) üon biejer 5(nfd)aunng au§; id) mill fie bie intelleftua*
liftifdje nennen, ^erbart Ijat fie fijftematifd) burdjgefütjrt. ©eine
^fljc^ologie ift ein 33erfud), äße S3en)uBtfein§üorgönge an§ SSorfteüungen
unb ii)ren 35ert)ättniffen abguteiten. SSorfteüungen finb i^m bie Ur*
demente beg ©eelenlebenS; fie bet)arren, §iet)en fid; an unb ftofeen fid)
ab, l)emmen unb öerbinben fid), Ujie bie (Elemente ber ^i^rperttelt.
®ie Slufgabe ber ^ft)C^oIogie ift it)m, bie ©efe^e ber SSorfteIIung§=
bettjegungen gu formulieren unb au§ i{)nen bie übrigen $8orgänge gu
erflären.
Sn jüngfter ßeit neigt bie ^fljdjologie mel)r unb met)r ba§u, ben
Söillen al§ bie primäre unb fonftitutiüe ©eite be§ ©eelenlebenS, bie
SuteÜigeng bagegen a(§ eine fe!nnbäre ©ntnjidelnng ju betrad)ten. @§
ift ©d)opent)ouer, ber f)ierin oorange^t. (Sr fiel)t im Söillen bie
@runbfun!tion ber ©eete, bie öon ber 35orfteIIung nid)t obgeleitet
tt)erben fonn, üielme^r urfprünglid; o!)ne SSorfteßung ober Sutelligens
überhaupt al§ blinber S)rang ober SErieb auftritt unb erft mit auf=
fteigenber (Entmidelnng bie Sntelligeuä fidj al§ SBerfäeug anbitbet.*)
*) Sd^opttitjaucx Bef)anbelt bieg ©runbbogma feinet $t)iIofopf)ie im
§ltieiten 93ud^ feineg §ou:ptlüer!eg; e§ i[t bie geniale Intuition feiner i^ugenb, bie
burd) alle ®ebiete ber 3Bir!Iicf)feit burcfijufü'^ren eigentlich ben Qn^alt aller feiner
Schriften auSmad^t. (Sine fef)t !(ore 33eleu(i)tung be§ ®ebanfen§ giebt bie Heine
©c^rift über ben SBiüen in ber 9iotur. S)ie neuere ^f^c^otogie, bie mc^r a\§ bie
früf)ere tion bioIogif(i)en @efict)t§pun!ten fic^ leiten läfst, I)at fid^ ber 2tnf(i)auung
(5c^openf)auer§ immer mef)r angenäf)ert. §ier ift namentlid) SB unb t gu nennen:
wie ©c^open'^auer, fe^t er bie urfprünglid^e Setptignng be§ ©eeliftf)en in ben
Srieb, unb betont überall bie enge 93e§iel)ung ber pf^c^ifdien $8orgänge, aud^ bercr,
6. SEßeien ber ©eele. SnteQe^tufl^iftiftilc unb üoluntoriftifd^e ^f^d^ologte. 119
Wiv i[t nid)t ^treifet^aft, boB ©rf)Open^auer mit feiner erftaun=
lidjen Ä'roft ffarer unb tiefbringenber ^nfd^aunng t)ier ein befferer
güf)rer i[t, a(§ ^erbortS bof)renber, auf begriffli(i)c 5(nali)fe unb @t)n=
t{)efe gerichteter ©(i)arffinn. 9^ur fo lange mon au§fcf)IieBüc^ bie 5ßor=
gonge im entmicEetten menfdjiidjen Semu^tfein im STuge \)at, !ann e§
fd)einen, at§ fei ha§> ^orfteHen ber eigentlid^e, nur gelegentlid^ burd^
®efül)tg= unb SSiüenSerregungen unterbrodjene Snf)oIt be§ (Seelenleben^.
9tid)tet man ben S3Ii(f auf bie gan§e grofee lebenbe unb befeelte SSelt,
fo (endetet atsbalb ein, mie fefunbär bie ^oüt ber intelligent neben
bem SBillen ift.
Snnertjolb ber nie bereu SCiermelt mirb fc^merlid^ jemanb
baranf fatlen, ben Suljalt be§ ©eeten(ebeu§ mefenttid^ in bie g^unftionen
ber S^orfteüungSfeite gu fe^en. Sn ben nieberften gormen tierifd^en
£eben§ mirb öon Sntedigeuä überijaupt faum bie Sftebe fein; eine Duaöe,
ein ^o(i)p, ein Snfuforium mirb mot)I nid)t§ öorftelten unb ben!en;
fie miffen meber öon fic^ nod) öon ber SluBenmelt; blinber S)rang be=
ftimmt bie 2eben§bet()ätigung, faum üiel onberS alg in ber unorganifd)en
SBelt blinbe Gräfte bie 53emegung beftimmen. 2öie ber SSaffertropfen
fällt, b. t). mit beftimmter ^efd)Ieunigung auf für^eftem äöege gegen
fein ^id, ben (Sdjmerpunft ber ©rbe, fid) bemegt, of)ne oon ber (£rbe
bie ber S^orftellunggfeite angehören, jum SBiüen. — ©ine emfi(f)ttge Erörterung
beä ©eclenlebcnä ber Stere aug biefem ®ef{d^t§punft ftnbet man in ber ©dirift
üon @. §. ©d)neiber: S)er tierifcf)e SSille (1880). — 3loä) mag barauf :^inge=
miefen fein, i>a^ auf getriffe aBeifc ©rf)o:pen:^auer§ Sfjeorem öon bem ^rimat beä
SBiQeng burcf) S^ont^ Seijre öom ^rimot ber praftifd^en Sßernunft borau^gcnommen
ift. ®ie ©ad^e f)ängt f)ier äufammeu mit ber JReaftion gegen bie Überfd^ä^ung
be§ 5ßerftanbe§, ber Söiffenfd^oft unb ber tfjeoretifd^en Silbung, föie fie bie 9^eu§eit
feit ber ©pod^e ber fogenannten 2ßieberf)erfteIIung ber 3Biffenfd^aften be^errfrfite.
S)iefer großen Sieaftion, tüeid)e mit Stouffeau beginnt unb aU Dteaftion gegen
bie Sluftlärung in ber Siomanti! fulminiert, ge{)ören fomot)! Äont aU ©c^open-
^auer on. ®er le^terc t)ot mit feiner Se^re bon ber abfoluten Irrationalität beä
SSettprinäipg bie SWetapI)l)fif ber Diomanti! gefd^rieben. — Stud^ biel mag ange^
beutet fein, bafe bie grofsen SBanbtungen in ber Sj;f)eoIogie ober ber 3luffaffung oom
SBefen ber 9^eIigion l^iermit aufä engfte 3ufamment)ängen. S>ernunftt^eotogie ober
fpefulatiöe 9ieligiongpi)iIofop^ie unb inteKeftuotiftifd)e $ft)d^ologie ge{)ören pfommen,
ebcnfo me pofitiDiftifdje S^eologie unb üoluntariftifd^e <ßft)c^oIogie. 2)ie jüngft
:^ert)ortretenbe SBenbung ber 3:f)eoIogie §um ^ofitiüigmuä ftel^t mit ber ooIuntO'«
riftifdf)en $ft)c^oIogie ber ^eit in ^ufammen^ong.
120 I- 33uc^: aJietapl^Qfif. 1. ÄapiteL ®o§ ontologifdie Problem.
unb bem @rat)itation§geje| ju tüiffen, ober n)ie feine Xeild^en of)ne
SSorfteHung öon bem geometrifd^en @efe^ fid^ in ber ^^rijftallifQtion
nacf) bem beftimmten ©d^ema orbnen, \o regt iinb knjegt ficE) bQ§
lebenbe SBejen beinalje mit berjelben ©id^ertjeit gegen fein ßiel, @r=
f)attnng bei ßigentebenl unb (Sr^oltung ber ©attung. ^ier fo menig
wk bort ift bog objeftiüe ^kl aii6) fubjeüioe 5lbfid)t, ha^ Zkx mei^
nicfjt um fic^ unb feine ßebenSbebingungen, unb ebenfomenig um 9^arf)*
fommen unb ©attung. Xriebempfinbungen unb @efü{)I§erregungen
finb bie inneren Segleiterfd^einungen ber SebenSoorgönge, nid)t 33or=
QU0fidjt ber ^kk unb Ginfic^t in bie 9J?itteI.
2(nmäf)(ic§ tt)ärf)[t in ber auffteigenben 9iei^e be§ tierifd)en 2eben§
bem SSitten bie Sntelligenj an. Wlit ber gunefimenben ^omptifation
be§ Organismus unb feiner gunftionen, mit ber Srn^eiterung feiner
S3eäie^ungen gur Umgebung treten ©inneSorgane unb 9leroenft)[tem
auf; mit i^nen, fo nei)men mir an, als bie Snnenfeite, (gmpfinbung
unb 3Bal)rnei)mung. S)ie Snftinftbemegungen treten nun unter ben
leitenben ©influ^ ber 2Ba^rnef)mung; nic^t jmar mirb ha^ 3^^^ üorauS=
gefef)en, nod) bie 3:t)ätig!eit als SO'iittel erfannt unb gemö^It, bie S3iene
meiB nichts oon ber 33rut unb öom SSinter unb ^at !eine ®infirf)t in
bie SSorgänge ber @rnäf)rung, aber fie mirb bei oller Stljätigfeit, bei
ber 5Iuffuc^ung ber 53Iüten, bem S3au ber ^tUcn, ber Fütterung ber
S3rut burd) 2Ba^rnet)mungen unb (Spuren oon ©rinnerung, bie fid}
p'^tifiologifdj als S^leröenpro^effe unb ©iSpofitionen barfteüen, geleitet.
Sn ben Ijö^eren !Jieren entmidelt fidj mit bem ©e^irn baS ©ebödjtniS,
bamit ift erft bie äHöglidjteit eineS primitiöen SßocftellungSlebeuS ge=
geben. S^ic^t bloB bie 5E3af)rnef)mung beS ©egenroärtigen, fonbern aud^
bie SSorftellung beS ^Vergangenen unb ßi^^ünftiö^" ü^t nun auf bie
SBillenSbet^ätigung (Sinflufe; unb bamit finbet §ugteic^ ein Stnfang oon
Überlegung unb SSiüfür ftatt.
Sm SJienfc^en enbtid) !ommt eS jum ^en!en, ^um Operieren
mit abftra!ten SSorfteüungen. 2Sä{)renb baS 5:ierbemu^tfein, fo oiel
mir üermuten !önnen, fic^ über Slffociationen !onfreter 2tnfdjauungS=
fompleje nid)t ert)ebt, erreidjt ber 9J?enfc^, mit ^ilfe ber <Sprad)e, in
ber bie ©efamt^eit i^r 2)en!en obje!tioiert unb mitteilbar mad)t, fo meit
bie §errfd)aft über bie Stnfd)auung, ba^ er atS ©etbft oon it)r fic^
toSlöft unb fie atS Dbje!t fid) gegenüber fteüt. (SelbftbemuBtfein unb
6. SBefen ber ©ecle. ^nleHeftuaUftifd^e unb boluntoriftifd^e ^j^d^ologic. 121
obieftiüeä SSeltbeiüu^tfein finb Äorrefate. 3"9^^ic[) überjd^out er mit
erlüeitertem ^eiyuBtjein fein Seben a(§ öanjeS unb beftimuit in einigem
9J?aBe feinen Sn^alt burrf) ©ebanfen, bnrcf) leitenbe 3^ecfe unb @runb=
fä^e. ®er SSille erfc^eint ^ier al§ burcf)brungen mit Sntelligeng, au§
animaüjdjen STrieben ift ein öernünftiger SSille gemorben.
Überblicken loir bie SntiüicEeluug im ©anjen, fo fönnen n)ir
aljo fügen: ber SBitle ift ber urfprünglic^e unb in gen^iffem Sinne
fonftante '^aitox be§ ©ee(enteben§; lüir finben i^n am (Snbe ber Ülei^e
auf biefelben großen ßiele gerirfjtet, n^ie am Stnfang: (Sr^attung unb
Entfaltung be§ (Sigen(eben§ unb ber ©attung. ^ie ^nteüigens ift
ber fefunbäre unb oariable ga!tor, ber aU Organ bem SSiUen an-
gebilbet mirb.
©alfelbe SSerf)äItni§ §rt)ifcE)en SSille unb ^nteüigens tritt and)
in ber (Sntnjicfetung be§ (SinjetmefenS un§ entgegen, entfpredjenb jener
formet ber neuen Biologie, baB bie ontogenetifd)e (Sntnjidelung bie
pf^l)(ogenetif(f)e mieber^olt. Seber SJJenfd^ tritt a(§ blinber, inteüeft^
lofer SSille in bie SBelt. 2)er ©äugling ift ganj SSitle, • fräftige
3;riebe äußern fid) in {)eftigen SeUjegungen, bie 9Serrirf)tungen finb
mit Iebf)often organifrfien ©efü^Ien begleitet; aber bie 35orftelIung§feite
fe^It noc^ gan§, bie Settjegungen finb blinbe Ü?eflej= unb Snftinft=
bemegungen. Stber alsbalb beginnt auc^ bie SnteUigen^ fid) ju ent*
tt)i(feln, anfangenb mit ber Setfjätigung ber (Sinne. S)er Xaftfinn
tritt in 2;t)iitigfeit, er übernimmt guerft bie Seitung ber Semegungen;
33erüf)rung§empfinbungen löfen beftimmte 93emegungen be§ 5lopfe§,
bann auc§ ber §anb au§, unb balb folgen bie übrigen Sinne. 9J?it
bem ©ebäd^tniS unb ber (Erinnerung in ^oi^^ be§ SBieberfennen»
beginnt ha§> iöorfteHungSleben fidj gu entfalten; gute^t fommt mit bem
Spred)en hü§^ S)en!en unb wirb aümäfilic^ 3um oberften regulierenben
^rinjip be§ ^anbe(n§. Stifo aud) f)ier: SBiße bie primitiüe; inuräel^
I)afte gunftion, Snteüigenj ba§ im SSerlauf be§ Sebenl angebitbete
Sßer!§eug.
oben biefeS 93ert)ältni§ finbet nun SdjOpenf)auer and) hnxd) bie
pft)d)otogifd)e Beobachtung bes entn^idelten menfd^Iid^en Seelenleben^
beftötigt. ®a§ tritt junäd^ft entfd^eibenb barin f)erüor, ba^ ber SBiße
e§ ift, ber bem Seben überf)aupt ha^ ^id fe|t, md)t ber 35erftanb;
bie ?(ufgabe be§ '^'erftanbeö ift, bie 9JJitteI unb SBege ju bem Qki ju
122 I. 93uc^: SKetap^^ftf. 1. ^apM: ®o§ ontologiidie Problem.
finben, tuo^in ber SSitte lütü. Sebe§ leöenbe SBefen ftellt [id^ q1§ ein
fo ober fo beftimmter, auf ein joI^e§ 2eben, eine jolcf;e 3f{eit)e üon
(SntiüicEelungen nnb S3et{)ätignngen gerii^teter fon!reter Sßille bar: ein
3(b(er, ein Sijrae i[t ein auf biefeS be[timmte ßeben geridjteter SSiüe,
er tt)in e§ abfofut, nic^t auf ©runb einer (SrfenutuiS feines 2Berte§.
(55an§ ebenfo ber 9Jienfd): aud^ er w'xti ein fo beftimmteS Seben leben,
abfolut, nid)t auf ©runb einer öoraufge^enben @r!enntni§ feine§ 2Berte§.
5t(§ !onfreter, burd) bie 5ibftammung au§ biefem 3SoIfe, biefer gamilie
beftimmter SSitle tritt er in§ S)afein; nicf)t§ n)iffeub üom Seben unb
feinem Snf)alt, treibt biefer feim!)afte SSitte immer neue ^Triebe, fie
!ommen nad) einanber, Xük bie ^Triebe einer ^flanje: ber Xrieb gu
gelten, §u üettern, gu fpre(f)en, gu fpielen, mit ^ferben unb ©olbaten,
ober mit puppen unb Kleibern, gu bauen ober ju !od)en, @ef(f)id)ten
5u pren unb ju erjagten, bie ®inge 5U fef)en unb gu begreifen; bann
bri(f)t enbtid) am (Snbe be§ Knabenalter^ pli3^1id§ al§ ein neuer un=
erhörter Xrieb bie Steigung sunt anbern @efd)Ied)t !E)ert)or unb bitbet
eine 2Sei(e ein @runbtt)ema be§ SnneuIebenS. SI(Imäf)tid) brängen
fi(^ bann bie SEriebe be§ 9JJaune§aIterg in ben ^orbergrunb; Strbeit
unb (ärmerb, (Stellung unb ^nfeljen für fidj unb bie 9^ad)fommen
n)erbeu bie großen 5(uge(egen{)eiten be§ ßebens, bi§ enbtid) bie SnooIu=
tiou beginnt, unb ber STob ben S(bfd)(uB madjt. S)iefe gan§e (Snt-
ftiidelung üoE^iefit fic^ nid)t burd) bie Srf)ätig!eit be§ oorauSbtidenben
^erftanbeS, e§ benft fid) niemanb feinen Sebenslauf, feine Sntmidelung
au§, um fie bann, nad)bem ber SSerftanb bie SSortrefflid^feit erfannt,
auszuführen, foubern er erlebt fie unb munbert fid; felbft, mie if)m
gefc^ie!)t. SlüerbingS finbet beim SJJenfd^en in gemiffem ©inne SSoraus-
na^me be§ SebenS in ber 33orfteIIung ftatt; bem ^^'naben, bem 3üng=
ling fdjttjebt eine 5{ufgabe, fc^mebt ein Sbeat oor, ha§> feine (Snt=
rtidelung unb S3etf)ätigung mitbeftimmt; aber ha^ Sbeal ift nic^t ein
^robuft be§ SSerftanbeS, fonbern be§ 2Bi((en§, ber in if)m fid^ felber
anfc^aut. S)er SSerftanb mad)t feine Sbeate, er f)at auc^ feine @m=
pfinbung für Sbeole, er fennt nur bie Kategorien mirf(ic§ unb un-
n)irflid); mert unb unmert finb Kategorien beS SSiüenS. SBeffen
SSitle für ha§: Sbeal nidjt empfäugtid^ ift, ber wirb burc^ feine beut=
tid^fte S^orfteltung nidjt bemegt; nur auf ben Ujirft bie 53orfteüung,
beffen SKiüe in feiner ©runbrid^tung mit bem i^beal gnfammenftimmt.
6. SEßejen ber ©eele. SnteUcItualiftifi^e unb öoluntarifttfc^e ^f^c!^oIogie. 123
3)erfeI6e ^rimat be§ 2BitIen§, ber in ber 33e[timmnng be§
gonjen 2eben§in^alt§ ^erüortritt, geigt \\d) nun and) an iebem ^unft
be§ intelleÜueHen Seben§. 3(uf jeber (Stufe fteüt fic^ ber 3Ser=
ftanb a\§> bn§ SBerfgeug bar, ha§> im 2;ien[t be§ SBilleng fte{)enb in ber
Umgebung Umfcf)au f)ölt, wie ber SSiÜe fein ^ki am beften unb
leid^teften erreidje. Überall geigt fid) aU ha§> ^errfd)enbe in ber S^or*
[teüung»melt unb i()ren Settjegungen t)a§^ Sutereffe, i)a§> fjeifst ber äöille.
@l ift ba§ ein ßiebling^ort ber ©c^open'^auerfdjen 9fiet(ej:ion. SSa§ be=
fdjäftigt ben $öor[tanb ber Stielen beftönbig? 2)a§ gro^e ©efdjäft,
S3orteiIe gu erfpätjen unb 9iad)teite abguföcnben. Ütein tf)eoretiid^e§
Sntereffe ift i^uen fremb unb unbefanut; wo i^r SSille nidjt beteiligt
lüirb, bo ttjeiB aud^ i^r S3erftanb nid^tS §u madjen, fie langn^eiten fidj.
3)ie Sangemeile ftief)enb, fudjen fie in ber ©efeUfdjaft Erregungen für
ben SSiüen, ^latfd) unb Söfterung bient bem ^Xücd, unb menn alle§
erfd)öpft ift, mufe ha§> ©piel auSfjelfen, bie müßigen ©tunben mit
üeinen SBilleuöerregungen, mie fie bie med^fetuben ®emiuu= unb 95er=
luftdjanceu bieten, gu erfüllen. 9hir bei menigen bringt e§ ber Sn=
telleft 5U Reiten gur ^^reitjeit üom ®ienft be§ 2Biüen§, unb bei (Singetnen
trägt fid^ ha§: (Srftaunlidje gu, ta"^ bie tfieoretifdie ^eitua^me an ben
fingen ha§i praftifdfie Sutereffe gang in ben .^iutergruub brängt; ha§>
finb bie @enic§. ©ie erfd)einen eben barum ber DJJaffe aU eyceutrifdj
ober oerrücft, benn toa§> t)dU SSerrüdt^eit anber§ al§ bie Singe nid^t
fef)en ober oernadjtäffigen, bie alle SBelt fiet)t unb fud)t, unb bafür
anbere SDinge fetjeu, bie atle SSelt nid)t fiet)t'?
SSenu and) @d)open^auer§ Serebfamfeit I)ier übertreibt — ein
anbermat fief)t er ha§> aiid) felbft, tfjeoretifd^eg Qutereffe ift feinem
30?eufd)en gang fremb, ba§ Sutereffe für 9J?etap^i)fif, religiöfe ober
pt)itofopf)ifd)e, ift fogar bem äJJeufd)en mefentlid) — fo ift hod) baran
md)t gu gmeifetu, ha'iß er mit ber Slnfid^t im 9?ed)t bleibt, ha^ and)
bie 33orftcnuug§meIt burdjge^eub§ oom SSillen Stutrieb unb 9iid()tung
empfängt, ©o geigt e§ fid} überall; ber SSille bef)errfd)t bie 2öat)r*
nef)muug, inbem er bie ?iufmerffamfeit beftimmt; unter ben Üieigen,
bie unterfc^ieb§(o§ bie @inne treffen unb (Smpfinbungen erregen, trifft
er bie ?tu§maf)(, in§ ^emu^tfein bringt nur ober bod) oorgugSlreife
ha^, was gu unferen ß^^ecten unb Slufgaben in freunblid^er ober feinb=
Iid)er Segie^ung fte{)t. S)er äöiüe bef)errfc§t ha^ @ebödjtni§, tt)ir t)er=
124 I. S3uc^: 3Jittap^^\it 1. Äo^itel: 3)og ontoIogi|d)e «ßtoblem.
geffen, iraS un§ ni(i)tö angebt, tt)ir Be{)a(ten, wag für ben Söillen
bauernb non 2Bicf)tigfeit i[t. Ser SSlKe 6e^err]d)t ben Sßorftellungg-
tauf, unfere ©ebonfen grauitieren be[tänbig gegen ben augen61i(flicf)en
©c^merpunft unjerer Sntereffen, rt)ir benfen an ba§, tt)Q§ un§ lieb
unb npert, ober üerljaBt unb bebro^(idf) ift. Ser SßiKe übt beftänbig
Sinflu^ auf ha^^ Urteil, er beftimmt 3)ingen unb S3orgängen, ©rünben
unb Seireifen iJ)r ©eiüic^t unb it)re 33ebeutung; in praftifdjen 5)ingen
liegt bie Bad)t auf ber ^onb, {)at ba§ ^ntereffe ober bte Steigung
entjdjieben, fo finben firf) atsbalb (Srünbe, bie bie ßntfc^eibung rec^t=
fertigen. 3(ber aud^ in bie tf)eoreti]d)en Urteile tt^irft ber Sßiüe bt-
ftänbig hinein. SJian benfe an bie Sluffaffung ber @efc^id)te; e§ giebt
fein er{)eblic^e§ (Ereignis, oon bem nid)t fo biete Sluffaffungen unb
S)arfteIIungen oortianben finb, aU Parteien, bie fic^ mit it)m noc^ be=
fcf)äftigen. dJlan nef)me bie ®ejc^icf)te ber 9^eformation ober bie ber
frangöfifc^en 9fiet}oIution; ja felbft (Säfar unb ^erüteS unterliegen noc^
biefem @eie|. 3?on !)ier au§ (endetet ein, tük entfc^eibenb ber 2Si(Ie
5um STufbau ber ganzen SSeltanfc^auung mitiüirft; man fann fagen:
er ift ber Sau^err, ber öeftalt unb 6til angiebt, bie Snteüigenj f)at
bie 9^ot(e be§ ausfütjrenben 33aumeifter§. ©anj beutlid^ ift ha^ in
ben 9fieIigionen; fie finb überall ein Spiegel be§ SSiUens, ber fie fc^afft;
bie tieffte SSillenericfjtung eine§ SSo(fe§ objeftioiert ficf) in bem 3öefen
unb SBiüen feiner öJötter ober feinet (^otteS. S(ud) in ber ^t)iIofopt)ie
fc^eint bie§ SSer^ältniS noc^ überall burcf); ic^ fomme fjierauf in ber
g^olge gurücf.
2)a5 ttjöre bemnad^ bie ^orfteltung oon bem feetifd^en Seben,
auf bie toir burc^ biologifcfie unb pfi)cf)oIogif(^=t)iftorif(i)e S3etrad}tung
gefü{)rt merben. ^ie Urtf)atfarf)e jebes (Seelenlebens ift ein fonfreter,
beftimmt gerichteter SBitle. 2)ie Urform be» SSilienS ift ber Jrieb,
beffen förperlicf)e SDarftellung ein Organft)ftem mit feiner Set^ätigungS-
tenben^ ift. Sm 33emu^tjein erjc^eint ber Xrieb als gefül)lter ^rang,
auf {)öt)erer Stufe als S3egierbe ju beftimmter £eben§betl)ätigung.
Sßenn S)rang ober 33egierbe Erfüllung finbet, tritt ein ®efüf)l ber
Sefriebigung, im anberen O^all ein @efü{)l bei UnbeljagenS ein; in
2uft= unb Sc^merjgefülilen roirb ber SSille feiner felbft, feiner ^f^ic^tung
unb feines augenblicf liefen ^i^f^'^"'^*^^/ fomie feines 55erl)ältniffeS ju
feiner Umgebung inne. 2luS bem @efül)I erf)ebt fiel) in allmäljlicfier
6. S33ejen ber ©eele. ^nteHeltualiftifd^e unb tioIuntorijtt|d^c ^ßj^d^ologte. 125
önttricEetung bie 6r!ennntni§. 2)ie ©inne^enipfinbiing ift antijipierteä
organif(^e§ ©efü^I; bie ©efdfimacESempfinbung nimmt bie ®efüt)te
üorauö, lüeld^e bie 2(ufnQ{)me einer 9iaf)rnng in bie förperlid)e ©u6=
ftong begleiten, unb njirb fo jur Beraterin be§ 9iat)i-ung§triet)e§; ber
©ernct), ber bie S3eute üon ferne tt)ittert, läBt fi^ aU fernn^irfenber
©efd^macf bejei^nen. Sn ii^nlidjem 58ert)ältni§ [tetjen jum STaftfinn
ber @ef)ör§= unb ®efi(^t§finn, fie finb glei(f)jam g^ormen be§ 2;a[ten§
in bie ^^erne; ftellt ber Xaftfinn bem 3öiIIen bie näd)fte Umgebung
bar, jo fe|en i'^n (55ef)ör unb @efid)t gu ber ferneren Umgebung in
S3e5ie^ung unb birigieren bie S3ett)egung im ©inne ber 3(npaffung, ha§>
künftige ju errei(f)en, bem ^einblidjen fid) ju ent^ie^en, hjobei benn
ber Unterfc^ieb f)eröortritt, ha^ ba§ Huge ber fpä^enbe SSerfoIger, boS
C^r ber fiorc^enbe Söäd^ter ift. Tlan pflegt ©mpfinbung unb (5}efüf)t
fo ju unterfd)eiben, boB biefeS fic^ aU rein fubjettiüe DJiobififotion be§
33efinbeng, bie Smpfinbung ober qI§ ©ömbot eine§ Dbjettiüen barftetle.
9JJit 9?ecf)t, bod) fet)(t fd)on im ®efü§( ba§ objeftiöe 9J?oment nid)t
ganj, jebeS 2uft= unb Sc^merjgefüf)! ift nid)t bloB Suft ober ©c^merg
überf)aupt, fonbern ein beftimmteS, in^attüd^ bifferenjierteS ®efüt)I;
unb anbererfeitS fet)tt ber ©mpfinbung nirgenbS ha^ fubjeftiüe 9}?oment
gong, e§ ift al§ @efü^t§betonung barin, eine §inbeutung ouf it)ren
Urfprung au§ bem @efüf)t.
SSorfteüung unb SDenfen enblid) ift eine ttjeitere öntföidelung in
berfetben Üiidjtung. ©ie bet)nen bie Se^ietjungen be§ SSiüenS gu feiner
Umgebung nod) n^eiter au§, inbem fie üor allem oud^ ba§ geitlid)
Sterne ^ineinbe^ieljen. SD'Jan üjnnte ben 35erftanb gerabeju al§ bie
g^ä^igfeit erflären, im begebenen t)a§> nod^ nic^t begebene gu fe{)en,
au§ gegentt)ärtigen (Srfd^einungen ouf ©runb beobadjteter 3"foi^i^c"'
{)änge Üinftige (£rfd)einungen üorau§§unef)men, um fie ju 9)Jotit)en
gegenttjörtiger 6ntfd)IieBungen gu madjen.
©0 etnja ftellt fid^ einer üoluntariftifd^en ^fi)d)o(ogic (£nt=
Jüidelung unb Seftanb be§ ©ee(enleben§ bar. ©djopenl^auer mad^t
nun biefe ^ftic^ologie jum Unterbau feiner ibeatiftifd^en 9J?etapt)t)fit.
Sn ber %'i)ai, e§ fc^eint mir nid)t gtt)eifeIt)oft, ta^ fie beffer oI§ eine
inteüeftuaüftifdie ^fi)dp(ogie fid; '^ierju fd^idt. 2Ser im 93orftelIen
unb S)enfen bie ©runbfunftionen ber ©eele fie^t, bem n^irb e§ immer
unmöglid^ üor!ommen, in ben ^flanjen befeelte SSefen anjuerfennen,
126 I- 33uc|: aJJetap^^fü. 1. Äopitel: ®a§ ontologt|d)e Problem.
ober gar in ben Setüegungen unorganifd^er Körper ^titgeid^en jeelifcfier
SSorgänge gu fe^en. @inb aBer 5föttIen§öorgänge bie Urform feelijd)cr
SSorgänge, SBiüenSüorgänge of)ne 3?or[te(Iung unb of)ne (Selbft6ett)ufet=
fein, bann befte{)t jene gro^e ^Inft ni(^t mef)r, bie ba§ benfenbe SBefen
oon ben 9^aturfräften trennt, bann mag, mie ben SebenSoorgängen
in tierifc^en Seibern ein (Stiftern oon trieben mit entfpre(f)enben
@efül)I^erregungen parallel get)t, fo auct) ben ^flan^enleben ein ä^n*
lic^eg, nur Leiter ^erobgefe^teS Innenleben entfpredjen, ja fogar ein
S5ertt)anbteö in ben fpontanen 9iegungen ber unorganifcE)en 5lörper,
in djemifdjen unb frijftallinijcfjen ^ro^effen, in 5Ittraftion§- unb 9ftepul=
fionsüorgängen erjcfjeinen. Unb oielteid^t finbet nun bie gemeine
äReinnng, ha'^ fie fetbft gar nic^t fo weit baüon entfernt gen^efen fei,
fo etrt)a§ ju benfen, inbem fie allen Körpern al§ it)r inneres Sßefen
Gräfte beilegte; eine ^raft aber fei nichts anbereS al§ eine 2:enben§
gu beftimmter 33etf)ätigung, unb fomme bemna(^ it)rem allgemeinen
SBefen narf; mit einem unbenju^ten SSitten überein. —
Srf) fdjüe^e ^ier eine 33emer!ung über ha^» S3erf)ä(tui§ ber pft)cf)if(^en
SBorgäuge gum 93en)uBtfein on: !ommt feelifdjen 93orgängen ftet§
Settju^tfein gu ober giebt e§ auc^ unbenjuBte ober unter*
benjufete (SIemente be§ feelifdien SebenS?*)
(So üiel idj fe^e, fommt feine ^ji)d)oIogie um bie S3eja^ung ber
le^teren ^rage {)erum, bie bemühten ©femente bilben nur einen üeinen
2:ei( be§ SeetentebenS. 9}?an !ann bie 3]orgänge im 58emuBtfein ben
SBellen oergteid)en, bie bie Oberfläche eine§ 2eid)e§ !räufeln. S3on ber
gefamten äöaffermaffe ift iebergeit nur ein üeiner 2;eit am SSeHenfpiet
unmittelbar beteiligt, bennod) ift fie bie 9]orau§fe|ung bafür unb
n)irft ouf ©rö^e unb (5)efd)minbig!eit ber Sen:)egung beftimmeub ein.
©beufo beruljen bie S3orgänge im S3en)uBtfein auf einem Untergrunb
uubetouBten, ober n^enn mon lieber XüiU, unterbeuju^ten Seelenleben^,
ba§ fie trägt, an§: bem fie fid) erf)ebeu, burc^ hü§> if)re Sen^egung be=
ftimmt n)irb. ^er genii3^nli(^e Sprad)gebrauc^ fe|t bie§ überall un=
befangen üorauS, er re(^uet beftäubig mit biefem unben)uBteu 58eftanb.
*) Sßgl. ^tergu SBunbt, Softem ber ^fiiloj. 551 ff. (Sine güQe öon 2f)at=
jadien au§ bem ©ebiet beä unbemuBten ©eelenleben§ giebt @. öon §artntonn im
er[ten SSanb ber 5ßf)iIofop{)ie be§ Unbeiuu^ten, mo man aud) bie Umriffe einer @e=
jc^id^te ber Sef)re bom Unbercu^ten finbet.
6. SBejen ber ©eele. ^nteHcftuoIiftiic^e unb öoluntariftifd^e ^ßjqdiologie. 127
9}ian fagt üon jemanbem, er befi^e eine grünblid^e Kenntnis ber alten
©pracfjen, bamit meinenb, ha^ er SBortjcfja^ unb ©rammatif freilid)
ni(f)t be[tänbit3 im Settju^tfein f)abe, eine unmüglidje ^adj^, lüot)! ober
al§ nnbetnuBten unb bod) jebergeit njirfjamen unb, wenn nötig, and)
in§ 33ett)uBtfein §u rufenben Sefi^, nid)t onberS a\§> er SOhisfeln unb
9leroen ()Qt, and) menn er fic eben nid)t braud)t. Unb ebenfo rebet
man non Hoffnungen unb 33efürd)tungen, 9Jeigungen unb 5(bneigungen
qI§ einem beftänbigen, menn aud) nid^t beftönbig im Semn^tfein oor=
I)Qnbenen Q^eftanb feetifdien ßeben^, ber fein S^afein in jebem 2{ugen=
blicf burd^ bie DIatur unb 9^id)tung ber bemuBten @efüt)(e unb Se=
ftrebungen beineift.
Sßie ift biefer ^öeftanb unben)uBten feelifd^en ßeben§ ju !on=
ftruieren? 2öie befte()t ein SSiffen, ein SSoIIen, inenn e§ md)t im 93e-
touBtfein ift?
S)ie ^t)i)fiotogen fuc^en un§ bie ©odje in ber Seife oorfteUbar
§u mod^en, bafe fie fagen: unbeinu^te SSorftellungen finb oorlianben
nidjt qI§ Siorfteüungen; eine unbemuBte ^orfteüung tt)äre eine 35or=
ftellung, bie nic^t öorgeftellt njirb, ein ^öl§erne§ (Sifen; ober fie finb
oorl^onben al§ S)i§pofitionen ber ©angtiengeüen'ber ^irnrinbe. SSenn
eine (Erregung, bie oon einem ©inneSorgan au§gef)t, jum @e{)irn fort=
gepflanzt tnirb, fo n^irb fie üon einem ben)uBten 3Sorgang, einer 2Ba^r=
netjmung etroa, begleitet. 3ft bie (Erregung öorüber, fo öerfd^minbet
ber S3en}uBtfein§t)organg al§ fotd)er öollftänbig; e§ bleibt ober eine
©pur be§ pf)i)fioIogifd)en Vorgangs guriid, eine bauernbe 95eränberung
ber erregten ßetlen. ®a§ ift eigentlid) bie unbenju^te SSorfteüung.
SBirb nun biefeS fo bisponierte (Sebiet ber nerööfen ©ubftanj burd)
irgenb eine Steigung oon innen ober öon aufien auf§ neue erregt, fo
mirb aud) jene ^Sorftellung mieber bewußt. 5(uf biefe SSeife meinen
bie ^f)QfioIogen um ben i^nen wiberujärtigen Segriff einer unbenjuBten
SBorfteüung I)erum5u!ommen, unb bod) ^u !^aben, ma§ unerIäBtid)e
95orau§fe|ung ber Äonftruftion ber Sen)uBtfein§üorgänge ift.*)
*) Unter ben ^fi^fiologen betont bejonber? ber ßnglänber ajhiubltei) in
jeiner ^t}t)iioIogie unb ^atl^ologie ber ©eele bie Unentbe^rlic^teit ber 2(nna^me un=
bcttJuBten Seelenleben^, um bann 5U jagen: ba§ Unbemufete finb bie ®e^irnbilpo=
fitionen, unb t)ierou§ bann »weiter 5U folgern, ba^ alle 'ißfqcfiologie, bie nid)t mit
®e{)irnbi§pofitionen operiere, nid)t§ tougt. ©0 läfet er S- ©t. SO'iill I)ort an, ba^
er nod^ mit ber alten abgelebten introfpeftiüen 2Ret!^obe, ftatt mit ber objeftiüen,
128 I- 93uc^: äRetapf)i)fi!. 1. Äapitel: 2)oi ontologifc^e «ßtobtem.
©egen bie pf)t)]"io{ogifc^e Äonftruftion qI§ foldje i[t nirf)t§ ein=
guirenben; e» luirb aU geluiB angenommen njerben bürfen, boB eine
bauernbe 33eränberung ber neroöjen ©ebilbe burcf) Erregungen [tatt-
finbet. ^nbererfeits ober ift, menigftenö bei ber öon un§ gu ©runbe
gelegten paralleliftifd^en 2:f)eorie üon bem SSer^ättnig bes ^it)(f)if(i)en
§nm ^^i)fijd)en, bie <Bad)t bamit nic^t Q6gett)Qn; h)ir »erben nic^t
um^in !önnen, ben unbeluuBten Elementen be§ ©eelenlebeni and)
pit)d)ifc^e @i'i[ten§ beizulegen, ©o n^enig Juir onerfennen tonnten, ta'B
ber (Srregunggoorgang im 9lerüenft)[tem ber 93en)uBtjein§t)organg feI6[t
jei, jo wenig n^erben mir je^t zugeben fönnen, ha'^ eine beftimmte
S)ispo[ition einer ©onglien^^elle eine unbettJuBte 3?or[teIIung fei ober
für eine fotd^e eintreten fönne. SBoHen njir nic^t unfere allgemeine
Slnjrfjouung je^t fal^ren laffen, fo muffen wir fagen: nerüi3fe 2;i§|J0=
fitionen ^aben pl)i}fifd)e 2Bir!ungen, aber nid)t pfi)d)ifd)e; fie tonnen
ben Stblauf erneuter ^leröenerregungen beftimmen, aber ni(f)t bie 9Zatur
unb ben SSerlauf üon ^^orfteüungen. ^|?ft)(f)ifcfje SSirfungen fe^en
pfi)c^ifct)e Urfact)en öoraus; finb biefe Urfacfjen nirfjt im Sewu^tfein,
fo muffen wir fie al§ unberauBtes ^^fQcf)if(i)e§ tonftrnieren, unb biefe§
muB alfo c;i:iftieren, benn non entis nullus efiFectus. 2öer bogegen
mit 9lert)enbi§pofitionen bie 33orgänge ber ^ffociation unb Ü^eprobuttion
ber 3}or[teltungen gu erflären unternimmt, ber tann bann audj au§
S3en?egung§üorgängen pfi)d)if(i)e ^rogeffe überhaupt obleiten, unb um=
gefef)rt. @r te^rt jur SEtjeorie be§ influxus physicus gurücf.
Stuf bie O^rage aber: wie benn eine „unbewußte" S^orfteüung
ej:iftiere? tonnte man antworten: nidjt anber^, al§ ein Xon, ber nid)t
gehört, eine g^arbe, bie nid^t gefetjen, ein Äörper, ber öon niemanbem
wat)rgenommen wirb, ^ebermonn nimmt an, baB in feinem ©c^öbet
ein ©etjirn mit ^ieroenjellen unb i^ren Sispofitionen ej:iftiert, obwot)!
Weber er felbft, no(^ ein anberer e§ gefe^en t)at; er ift überzeugt,
man würbe e§ unter Umftänben fetjen, unb barum fagt er: es e^-iftiert.
iöeftel)t ha§i 3)afein für bie ©anglieuäellen unb itjre S)i§pofitionen in
p^^ftologifdieii Mttijohe arbeite. — 3"^) möd)te iro^I raiffen, trie üiel öon bem
jeelijc^^geiftigen Seben be§ Wenfdjen einer »ü^te, ber e§ nur au§ ben Sraftaten
ber ®e:^irnp^t)fioIogen feunte. ©o üiel icb fe^e, entplt bie ®e^irnpi)t)fio[ogie bi§»
I)er faft nur Probleme, aber feine Söfungen, nid)t einmal ^f)t))'ioIogiic^e, gejc^meige
benn pj^c^oIogiid)e.
6. SBefen ber ©eele. ^ntcHeftualiftijd^e unb boIuntortfii|(^e ^ßftjd^ologic. 129
ber Ü)?ögtid)!eit, Jüaf)rgenommen ju tüerben, \o !ann man
jagen: eben fjierin i)e[tef)t ha§> ^afein ber nnbett)u6ten ^orfteünngen,
in ber StRöglii^fett bewuBt jn werben. (S§ finb potentielle innere
2öa^rnef)mungen, gon^ ebenfo n^ie jene pt)i)ftfd)en 9Jiomente potentielle
äußere SBa^rne^mnngen jinb.
Wan fann aber auc^ jagen, unb öielleid^t i[t ba§ bie on=
gemejfenjte g^orm, fid^ bie 5)inge §urec^t ju legen, ba§> Unbeinufete ift
nic^t ein abfohlt D^MditbeinuBteg, fonbern nur ein m i n b e r 33 e tt) u ^ t e § ,
ein öietleidit bi§ §ur nölligen Unmerflicf)feit f)erabgefe|te§ 93en)uBte§.
3)enn auf \c\)z i£3eife tt)irb man bat)in gefüt)rt, quantitatiüe Unterfd^iebe
in ber 93ett)uBtf)eit an^une^men. ßwd SSorgänge njerben gleichzeitig
n^a^rgenommen; jenmnb beobad^tet mit gefponnter S(ufmerffam!eit burd^
ein SJZifroffop unb empfinbet gleichzeitig bie 33erüf)rung ber (Stell*
fc^raube mit ben gingern; ptjue ßttjeifet !ommt ben ©efid^tgmafjr-
ne^mungen grij^ere Sntenfität ber 33en)uBt^eit gu. Unb ebenfo giebt
e§ grobueße Unterfd^iebe ber Unbett)uf;t^eit, njenn man fo fagen barf.
©in S3orfonimni§, t)a§: mid^ üor einer Sßiertelftunbe lebhaft erregte, i[t
je|t nic^t me'^r im SemuBtfein, id^ benfe an onbere 3)inge; boc^ wirft
e§ nod^ narf) in ber «Stimmung, bie e§ erregte, Wirb aud^ burd^ irgenb
eine affociotiüe |)ilfe augenbliiilic^ in§ S3ewu^tfein gurücfgerufen. (£g
ift nid)t meljr bemufet, ober bod[) aud^ nic^t fo nnbemu|t, wie ein
9Sorfommni§, bo§ mir öor einem SSierteIjaf)r ober oor einem Safjrge'^nt
juftieB, beffen ic^ mirf) foum mit 9Küf)e unb nur fe^r unbeftimmt
ober and) gar nid^t me^r erinnere. — Unb baju wäre benn nod) ^u
bemerfen, ba^ bie Sntenfität be§ Söewu^tfeinS nic^t blo^ für bie
einäetnen Elemente ungleich ift, fonbern auc^ im ©angen (Scf)Wanfungen
geigt; el wed)feln im (Seelenleben 5lugenb(idfe eine§ gellen unb um=
faffenben mit foM^en eine§ engen unb bumpfen Sewu^tfeinS. Xäglid^e
(Sd)Wonfungen treten ein, forrefponbierenb mit ben üegetatioen ^rogeffen.
3u if)nen fommen bie (Sc^wanfungen, welche bie ®efamtentwic!ching
be§ £eben§ begleiten; üon einem ÜJiinimum am Anfang be§ ilebenS
ert)ebt fic^ ba§ 33ewu^tfein ju einem 9)Zai-imum, \)a§^ etwa mit ber
üoßen förperlic^en 9teife erreicf)t wirb, um fpäter erft langfam, bann
rafdier ju fin!en. .^iernad) fönnen wir nun fogen: bo§ Unbewußte
ift nic^t etwo§, ha§^ für ha§> Sewu^tfein überl^aupt gar nid^t öor=
f)anben ift, fonbern e§ ift ha^ minber 33ewuBte in feinen öerfc^iebenen
"^Ja Ulfen, (SiiUeitmig. 6. 2tufl. 9
130 I. 93u(^: mttap1)t)\il 1. tapitel: S)a§ ontologijcfie «ßroblem.
?I6ftufungen, bi§ {)erab gur üölligen UnmerHid^feit imb UnnQ(f)lrei§bQr=
feit. (Sin (Seelenleben ujirb gebilbet qu§ ber ®eJQmtf)eit ber betrübten
unb unterbeftJuBten (Elemente. SDie 33orgänge int ^öetruBtjein tt)erben
jeben Slugenblid beftimmt burcf) ha§> 3ujammenn)ir!en afler (Stemente,
üon ben eben meift bett:)uBten bi§ ^erab jn ben üöllig üergeffenen, bie
bo(^ Quc^, fofern fie ben ^abitu§ be§ (Seelenleben^ beftimmen, nicf)t
gong untüirffam unb unnjirflic^ gen)orben finb.
g^änbe aber ein ^^t)[ioIog (S(^rt)ierig!eiten in ber pfit^fiologifd^en
^onftruÜion biefer SSorfteflung, meinenb, nur tüenn Erregungen ber
©el^iruäeüen ftattfinben, fönne Sert)uBtjein al§ 33egteiterjc^einung ein=
treten, ru^enbe ®i§pofitionen feien ni(f)t Xräger non Sen)uBtfein§=
öorgängen, mie {)erQbgefe|t immer man ficf) bieje öor[teIIen möge, \o
n^ürbe ic^ jagen: e§ tjinbert ja gar nidjtS ^u benfen, ba'^ alle ßellen
ber §irnrinbe beftänbig in Xl)ötig!eit finb. Sa, auf foldje 55orfteIIung
mirb man bod^ üon ollen ©eiten geführt. (Sine (SJangliensette ift bod)
D^ne ^meifel nic^t aU ein ru!^enbe§ 5ltom, fonbern al§ Präger eine§
(St)ftem§ mannigfac^fter, nie raftenber innerer Bewegungen anzufeilen;
beftänbig finbet ^^^f^lu^^S ^^^ S^eubau, beftänbig 2öed^felmir!nng mit
ber näl)eren unb entfernteren Umgebung ftatt, unb in jeber Set^ätigung
fommt bie innere Äonftitution unb ®i§pofition ber Qtüt §ur 2)ar=
fteKung. (£§ ttJürbe bann ber t)erabgefe|ten 5;l)ätig!eit ein t)erabgefe|te§
Wlü^ öon Bemu^tfein entfprec^en. S(f) follte beulen, ha^ bem ^l)t)fiD=
logen biefe S^orftellungSmeife eigentlirf) gan^ gelegen fein müfete. (£t)er
müfete e§ it)m Sd^mierigfeiten mad^en, bie umgele^rte S3orftellung, ha^
nur einige wenige Elemente pft)tf)ifd^ mirflirf) finb, gu fonftruieren.
(Sinb bie pl)t}fiologifd^en ^ßorgönge in ber ©eljirnrinbe überl)aupt mit
pft)c^ifcl)en ^rojeffen begleitet, fo muffen mir \a ein überaus lompli-
jierteS ©piel foldjer erwarten, unb nic^t blo^ bie wenigen S^orgänge,
bie ben bünnen „SSorftellungSfaben" ber ^ft)dfjologen auSmad^en. Dber
foHten wirllid^ in jebem Slugenblid nur einige wenige ':^iUtn erregt
unb in Stljätigfeit fein unb bie übrigen in^wifd^en wie ©aubförner
am ©tranbe otjue innere Xljätigfeit müfeig liegen? Unb wenn ba§
nid^t benfbar ift, warum follte benn il)re (Srregung pft)dt)ifcl) überljoupt
unfrndfitbar fein?
®aB aber in SBirfliclifeit ha^ (Seelenleben in jebem 5lugenblidE
ein t)öcljft mannigfaches unb lomptijierteS Spiel oon mel)r unb minber
6. SBefen ber <Seete. ignteHeftualiftifd^e unb öoluntorijiifd^e <ßft)d^oIogie. 131
beiüuBten S3orgängen aufiüeift unb nid^t bloB jene bürftige eingliebrige
9?eif)e, wie fie narf) einigen ^jl)df}oIogen bie „(Snge bes 93ett)uBtjein§"
allein julaffen \oU, barüber lä^t unbefangene 33e[innung hod) nic^t in
ßroeifel. 3cf) fi^e im STtjeater unb folge ber 9(uffü()rung eine§ 8tii(f§.
3al)Irei(^e Sfleifjen pfQc^ifdjer ^rojeffe fpielen fic^ neben einanber ah,
mit mef)r ober minber @törfe im 93en:)ufetfein auftretenb. 3cf) f)obe
@e^ör§empfinbungen, fie folgen in langer 9^eit)e, au§ if)nen f)eben ficf)
am meiften biejenigen f)eroor, bie id) at§ bie hieben ber (3d)aufpie(er
auffaffe unb in 3Sorfteflungen unb (Sebanfen umfe^e, bod^ fjöre ic^ ba=
jmifc^en auc^ bie ©c^ritte auf ber S3ü^ne, \)a§> 9^aufc^en ber iUeiber,
bie Sen^egungen meiner felbft unb meiner Sf^adfibarn. 9lebenf)er gefjt
eine ebenfo fomplisierte Üiei^e oon ®efid^t§maf)rne()mungen, id) über=
fe^e bie ganje 93ü^ne mit i^ren ©eforationen unb i^rer ©infaffung,
ic^ fe{)e bie Semegungen, ha^ SQJienenfpiel ber 2)arfte(Ier, ben Sßorber-
grunb bilben bie ^öpfe unb §üte meiner SSorbermönner, auc^ fie fe{)e
id) fo meit, baB mir jebe ftär!ere Semegung aupEt. S)iefe beiben
Üiei^en gef)en neben einanber ;^er, nid)t fo, ba^ if)re ©lieber inter=
mittierenb fid) ablöften, fonbern jebe ift für fid) öoüftänbig, menn aud^
beftimmte ©lieber balb ber einen, balb ber anberen ba§ Übergett)id)t
im 93emuBtfein {)oben. 2luf ©runb beiber Ureigen bitbet fid) nun bie
§auptreit)e, bie am meiften Semu^tfein {)at unb am tiefften fid) ein=
prägt: bie 'Sid^t ber SSorftellungen, me(d)e ftc^ auf ba^ ®ramo felbft
mit feiner ^onblung unb feinen G^arafteren bejiefjt. ^n jebem 5tugen=
blid ftet)t im äJiittelpunft bie SßorftellungSgruppe, bie burd) bie eben
je^t gef)i3rte ©injel^ ober SSed^felrebe angeregt mirb. Snt 53en:)uBtfein
ift aber natiirlid^ nic^t bloB haS^ SBort ober ber ©a|, ber eben gefprod)en
mirb, fonbern in abgeftufter ©tärfe and) atleS Söorangegangene; hü§>
einzelne SBort, ber einzelne ©a§ ^at ja alö folc^er gar feinen be=
ftimmten ©inn, er tt)irb oerftanben nur baburc^, t>a^ er aB ^eil
biefeg ©anjen, a\§> Slufeerung biefer ^erfon bei biefer (Gelegenheit gegen
biefe beftimmte anbere ^erfon aufgefaßt mirb; ein Semufetfein, ha^
gleid^jeitig immer nur eine SSorftellung f äffen fönnte, märe über-
haupt nid)t fä^ig, eine üiebe ober gar ein <BtM ju faffen. @Ieid)=
geitig finb in meinem ^emu^tfein @efüt)(e mannigfac^fter 5(rt, ©efü^Ie
ber Spannung ober Sangemeile, ber ©r^ebung ober 9}JiBad^tung, ber
äftf)etifd)en Sefriebigung ober be§ Unbehagens; audf) fie finb nid)t
132 I- 93ud^: Wletapi^t)\il. 1. tapitel: ®a§ ontotogtfd^e Problem.
§lüij(i)en bie ©lieber ber 2Sa!^rnef)mung§= unb 58or[tenung§rei()e ein=
gefprencjt, jonbern bilben einen eigenen ^^'['^"^^^"^"Ö ^ ^^^^ ^^^^
ftärfer balb jd)ltiäd)er im 93etüuBfein ficf) jur ©ettung bringt. S)en
[tänbigen ^intergrunb enblirf) bieje§ ©pielS öon 58ett)u|tfein§öorgängen
bilbet eine g^ülle üon S3erüf)rung§= unb S3en)egung§emptinbungen, \vo=
burii) ic^ ber Sage, ©teltung unb Settegung meinet 2eibe§ unb feiner
Seite inne n^erbe. S3egleitet finb fie üon ber nidjt minber großen güüe
ber ®emeingefüf)Ie, bie gttjar al§ einzelne !aum in§ 93en)uBtjein fommen,
in it)rer ©efamttjeit aber ai§> @emeingefüt)t ober SebenSftimmung ben
Untergrunb bilben, auf bem bie gange ®efüf)l§tt)elt aufgetragen er=
fc^eint: 9Diübig!eit unb @(f)Iafft)eit ober ^rifc^e unb (glaftigitot, be=
friebigteS Söe^agen be§ gangen @t)ftem§ ober ftörenbe ©efü^Ie ber
§i|e ober ^älte, ber @rfd)Dpfung ober ber Überfättigung unb Sn-
biöpofition unb fo fort.
Sitten ha§^ ift gleidjgeitig im Söeiru^tfein, unb bagu ift e§ be=
gleitet üon bem 93en)uBtfein, §u biefem inbiüibueüen ©eelenleben gu
gehören: ic^ njei^ jebergeit um mid) felbft, tt)er id) bin unb mof)er ic^
!omme, in n^elc^er (Stellung unb Umgebung id) lebe, ttjelc^e Stufgaben
unb ^flidjten ic^ ^abt; nidjt im einzelnen ift e§ eben ©egenftanb ber
5tufmer!fam!eit ober be§ 9^ad)ben!en§, aber bod) ift e§ al§ ein immer
53ereite§ ba, in jebem Sewuptfein^üorgang at§ ba§ 3d) fic^ felber
gegenttjörtig.
©0 ftetlt fic^ ber Sn'^alt be§ S8emuBtfein§ in jebem 5lugenblid
bar: eine gro^e ^^üüe bon ©tementen finb gleidigeitig bemüht, freiließ
nid)t gteic^ benju^t; jebergeit ftef)t eine eng begrenzte @ru|)pe al§ ftärfft*
bemühte im SJJittelpunft, um fie gruppieren fic^, anfangt mit rafc^
abnef)menber 53en)ufetfein§ftär!e, bie übrigen. 2(ber nur einen 5lugen=
blid bauert bie S^onfteüation; ba§ Semu^tfein^majimum ift gleid)fam
bemeglid), tt)ie eine SSelle läuft e§ über bie SSiel^eit ber (Elemente ()in,
balb biefe§ balb jene§ gum ©ipfel f)ebenb.
aj^an fann mit SSunbt ben Su^alt be§ Semu^tfeing mit bem
Snt)a(t be§ <Sef)fetbe§ üergleidjen. (Sine groBe äJ^enge üon ObjeÜen
ift gleichzeitig im ©etjfetb, baüon fte^t ein geringer Xeil im S3Iidpun!t
unb uiirb mit größter S)eutlid)!eit gefetjen; bie übrigen njerben aud)
gefe^en, aber mit einer 2)eutlid)feit, bie mit ber (gntfernung üom 93Iid=
puntt abnimmt. Söenn man ben S3Iid auf ein aufgefd)Iagene§ Sud)
7. SBejen b. ©eele: ?Iftuatiftifcf)e u. fubftantiQÜftifc^e Sluffoffwng- ®ife int Seibe. 133
rid)tet, \o überfiel)t man ha^ ganje 93(Qtt mit ieinen ^^ii^^"' "ii"'"
fief)t Qucf) nod) bie Umgebung, ben 2:ifcf) nnb bie @egen[tänbe, bie
baranf liegen, bi§ fc^IiefsüdC) am Üianbe be§ (Sef)felbe§ bie 33i(ber ber
®inge ganj öerfc^ttjimmen. 3tber and^ ta§> 58(att mit feinen S3uc^[toben
fie^t man nirf)t mit gleicher ®eutlid^!eit; fijiert man ba§ Stuge auf
einen beftimmten S3uc^ftaben unb üerfud)t nun, otjne if)m 58ett)egung
§u geftatten, bie angrengenben 33u(f)ftaben ^u erfennen, fo finbet man,
ha"^ man !aum nocf) ben britten ober öierten nac^ beiben (Seiten beut--
tid) fiet)t. ®ie übrigen ftierben nur nod) al§ unbeftimmte 9J?affe ge=
fef)en, man unterfdjeibet etttja nod^ einen großen ^^ud^ftaben a(§ fotdjen,
ober ein fett gebrucfte§ SSort, ober eine §a%ei(e, !ann aber bie ein=
seinen 3ßi<i)S" ^^^^ ^^^^ erfennen. ©id) felbft überlaffen, bef)arrt
aber ha^' S(uge nid)t auf einem "i^unft; über bie ^^i^^" f)infliegenb,
bringt e§ in fd)nener 3^o(ge bie eingetnen ßeic^en auf einen Slugenblid
auf ben ^^unft be§ beutlid)ften @e!^en§ unb gen)innt fo ein beutlid)e§
Silb bes ©anjen.
'^f)nüd) ift e§ mit bem S3ett)uBtfein. 5Iud) l^ier t)aben rt)ir ein
meiteg (Set)felb, mit gafilreidien (Stementen erfüllt, barin einen SIid=
pun!t, ben in jebem Slugenblid ein engbegrengter Snf)a(t einnimmt, -
um i{)n gruppieren ftd§ bie übrigen Sn^alte, mit rafd^ abnet)menber
5)euttid)!eit üorgefteüt, bi§ fid^ am 9f?anbe bie Umriffe oerlieren; ber
93IicEpunft ift aud) f)ier bewegüd), er eilt über bie Dbjefte f)in, i)tht
eineg nad) bem anbern f)erau§ unb gcioinnt fo bie ^rnfc^auung be§
@an§en. Sludj ba§ SOie^r ober 3Jfinber uon ^elligfeit überhaupt, wk
e§ für ba§ (Se^felb bebingt ift burd^ bie äußere Sidjtquelle, moburc^
bie Dbje!te beleud^tet merben, fe^rt tjier in ben oerfdfjiebenen Sntenfitöt«-
groben be§ Seuju^tfeing überhaupt micber.
7. SSott bem Sßcfen bec Seele: 9Cft«aItfttfd^e unb fubftanttaliftifi^e
9tuffaffung. S^r <St^ im Setbe.
Sn ben Greifen, bie bem 9J?aterioti§mu§ nidjt anf)augen, ift etma
folgenbe 35orftetIung oon bem metap^Qfifd)en Söefen berSeele ^errfd^enb:
bie @eete ift eine einfad)e, unan§gebe()nte, immaterielle
©ubftang; al§ fotd^e ift fie abfolut befjarrlid) unb unöergönglic^; fie
ift SEräger oon Gräften, moburd) fie bie 93emuBtfein§oorgönge bemirft;
enblid), fie t)at an einem beftimmten ^unft be§ ©efjirni if)ren @i|,
134 I- 33uc^: 9Ketap^Qfit 1. Kapitel: Sa§ ontoIogtj(i^e Problem.
öon bem [ie mit bem Selbe in einem 3lu§tQUJ(f) öon SBidungen ftet)t.
— S)iefe S(n[i(f)t gef)t, ttjie SBnnbt geigt,*) burd) 33ermittelung ber
SSoIffifdjen ^t)i(ofopt)ie, bie im ^^italter ber 5(nf!(ärung bie allgemeine
93ilbung bel)errjc^te, auf ®e§carte§ gurütf, beffen ^f)i(ojop^ie f)ierin
Xük in anbeten fünften, tro^ ©pinoja unb ^ant, fic^ ot§ eine fe^r
bauertjafte enniefen I)at. S^i' SSorteil ift, ha^li fie ber gemeinen SSor=
ftettung mit iliren t)anblicf)en S3egriffen naf)e bleibt.
äJJit g^edjner unb SSunbt bin ic^ ber Überzeugung, ha'ii bie§
feine l^altbare ober oud^ nur möglid^e Sßorftetlung i[t. @§ giebt feine
für fidl) feienbe, bet)orrIidje, immoterielle ©eelenfubftans;
haS: S)afein ber ©eele ge^t in bem ©eetenkben auf, f)ebt man bie
pft)(i)ifdjen SSorgänge auf, fo bleibt fein (Subftontiale al§ Sfiüdftanb.
®a§ ©eetenatom i[t md}t§> al§ ein Sffüdftanb überlebter 9JJetap^t)fif.
5luf ben Segriff ber ©ubftans überijanpt mirb uns bie erfenntni§=
t{)eoretifd)e S3etrac^tung fpöter gurüdfüljren ((S. 367 ff.); icf) üerroeife barauf
al§ ouf eine notmenbige (Srgängung ber ^ier gegebenen Erörterung be§
^robtemg. Sin biefer ©teile mag ha^ ^olgenbe genügen. ®ie im=
materielle unb beljarrlid^e ©eelenfubflang ift nid^t ©egenftanb ber un=
mittelbaren SBaI)rneI)mung, ber inneren fo menig mie ber äußeren,
begeben finb im (Selbflbemu^tfein nur mec^felnbe ß^ftänbe unb S5or=
günge; ba§ bel)arrlict)e ©ubftantiole mirb Ijiuju gebacf)t. 2öa§ nötigt
l^ierju? ©eine Slnmälte fagen: l^iergu nötigt unmittelbare ®enf=
notmenbigfeit; eine (gmpfinbung, ein ©efü^I, ein ©ebanfe fann nid)t
für fid) beftef)en, fo menig mie eine 33emegung, fie fe^en einen Sröger
üorou§, ha§> ift bie ©ubflan^. 5In einer förderlichen ©ubftanj aber
moüen bie 93en)U^tfein§oorgänge nic^t ^aften; man öerfuc^e e§, in ber
inneren Slnfd^auung ein @efül)l, eine SSorftellung einem SItom ober
einer ©ruppe öon SItomen angulieften, unb man mirb bie UnooKäiePar«
feit empfinben; ba§ ©in^eitlid^e miH an bem Stu§gebel)nten unb ZtxU
boren nid)t §aften. 3^oIgIidj mu^ man eine unauSgebe^nte ober einfad)e
©ubftanj als Xröger be§ ©eelenlebenS anneljmen, baburdj mirb aüein
feine innere @inl)eit fafelic^ unb üerftänblid).
®aB bie SInI)eftung eine§ ©efü^lS ober eine§ ®ebanfen§ an einen
au§gebel)nten Körper fid) nidjt oot[§ieI)en löBt, ift o^ne 3^^^^f^^ toa^x.
Slber nun mad§e man mit ber unau§gebef)nten ©ubftang benfelben
*) S« einem Stuffafe: (Se^irn unb (Seele, in ben ©ffa^g (1885) ©. 89 ff.
V.SBeyenb. ©eele: 2tftuali[tifc^e u. fubftantioUftifdie Sluffoffung. ©i^ imüeibe. 135
5ßerfu(f); man üerjud^e fid^ anjd^auüd) §u mo^en: bie $8or[teEung §. S.
t)on bem Xurmbau ju 33abet ober üom SDorlüiniSmu^ unb feinem S5er=
i)ältni§ 5ur 9ieIigion unb älioral an ober in einer unQU§gebef)nten
©ubftan^. Scf) benfe, man wirb ganj biefetbe UnDoHgieParfeit em=
pfinben. — 9J?an lüirb oiellcicfjt jagen, anfdjanticf) jei ta^: Serf)ältni§
freilief) nic£)t, fonbern nur benfbar; eine au§gebef)nte @ubftan§ fei felbft
nid()t aufd^aulic^. — 9^un, fo mö(f)te i(f) tt)of)t ttiiffen, lüorin benn ber
gebadjte Snf)alt biefeä (Subftantiale Befte^t. Sn ber ^^mmaterialität
unb (Sinfod)^eit? aber ba§ finb la lauter 9legationen, bie etraa§ ah-
Ief)nen, aber nid^t^ beilegen; au§ 9Jegationen fann man bod^ nid)t ein
2öirfIicE)e§ mad^en. Dber in ber S3el)arrlirf)feit unb ©elbftänbigfeit?
?(ber bo§ finb formale S3eftimmungen, bie feine Slntmort auf bie ^^rage
nadE) bem 2Bal geben. — Cber beftefjt ber Snf)a(t eben im ^üf)(en
unb 3)enfen felbfl? aber ha§> gü^Ien unb 2)enfen foüte ja ein blo^e^
Sfccibeuä, eine üorüberge^enbe jEf)ütigfeit ber ©eelenfubftanä fein; n^ir
aber tuottten miffen, ma§ fie felber an unb für fid^ ift. Dber beftef)t
ba§ SBefen ber ©ubflan^ in i^ren ^tccibenjen? 3iun, bann mären mir
einig, bann mären mir eben bei ber Slnfid^t: ha^ SSefen ber @eele
befteljt in ifjrem ßeben, befteljt in ben @efüf)Ien imb ©ebanfen felbft.
— Ober ift ha^ ©ubftantiale ein unbefannteS, emig hinter ber ©cene
bleibenbeS, meber burtf) ^nfd^auung noc^ burdf) ©enfen gu beftimmenbeS
Srgenbetmaä, ein „^ing an ficf)"? — ©o möchte icf) raol)( miffen,
ma§ ein foIdf)e§ gänjlirf; unbefannte§ Si'genbetmaS leiften fann, um
©efü^len unb ©ebanfen, menn fie nidE)t für fic§ mirflid) fein fönnen,
3ur SSirf(irf)feit ju öerf)elfen.
SBir bleiben alfo fte^en bei bem, ma§ mir miffen: bie Seele ift
bie im 53emuBtfein jur @inf)eit ^ufammen gefaxte $8ielf)eit feetiftf)er
(Srfebniffe; üon einem ©ubftantiale aufeer, hinter, unter ben S^orfteüungen
unb @efüf)Ien miffen mir auf feine SSeife etma§ ju jagen.*)
*) »ortreff lid) jeigt SBunbt (@t)ftem ber ^^iIofo<jI)ie ©. 289 ff.), wie un=
möglief) bie Slntüenbung be§ ©ubftaiiäbegriffi auf bie ©eele ift. S)er 53egriff ber
Subftanj ift auf bem (Scbiet ber Äörpertrelt entftanben; l^ier ^ot er einen be»
ftimmten angebbaren Sinn; bie 3Itome finb ba§ abfolut befjarrlid^e unb na^
Ouantität unb Gualität unöeränberlidje ©ubftrat ber materietten SBelt; oHe SSer=
änberung ift auf ben SBed^fel in ber Stnorbnung unb 93ett)egung ber SUome äurütf*
äufüliren ; bo§ ift bie 9)ioj;ime ber ??aturtt)iffenfc^aft. Überträgt man biefen Segriff
auf bo^ Seelenleben, fo Dernicf)tet man enttueber ben 93egriff ober jerftört t>a§ Seben.
136 I- 33ud): äßeta^j^^fü. 1. ÄQpitel: ®o§ ontoIogt)cf)e «ßroblem.
S)a^ e§ fofd^en Überlegungen gelingen jollte, ben gefunben
90^enfc^ent)er[tanb unb jeine 9}ZetQpf)i)fi!er fogteid^ üon ber Sntbe^rüd^feit
be§ (Seelenfubftantiale ju überzeugen, i[t nid^t anäune^men. @r wirb
fortfaf)ren gu fagen: aber ein (Sefüt)! !ann boc^ raeber jein norf) ge=
badjt werben ot)ne einen, ber e§ fü'f)tt, unb fo je^t eine 95orfteüung
ein fubftantielleS ©ubjeft öorau§, ha§> jie r)Qt unb öorftetlt. Sr f)at
{)ierin aud) nid)t unrecht, nur mi^öerftei)t er feine eigene gorberung
unb \nd)t für fie in bem ©ubftantiale eine unmögti(f)e unb üergeblidje
53efriebigung. 2Ba§ jene gorberung eigeutUd) tt)ill, i[t bie§: eine SSor=
ftetlung (ober ein ®efüt)I) fommt nie öereinjett öor, fonbern immer
nur im ßufammenfjang eine§ ganzen ®eelenleben§; i)ier i)at
fie i{)ren Drt in ber 2öir!Ii(i)feit, fie getjört ba^u qI§ ein in biefem
3ufammenI)Qng notnjenbigeS @Iieb. Unb e§ f)inbert nun gar nid)t§,
im :^er!ömmlic^en (Sprachgebrauch) bleibenb, p fagen: bie @eete ^at
SSorfteüungen unb ©ebanten, in i^r regen fid^ ®efüf)te unb S3e=
ftrebungen. 2öir meinen bamit baSfelbe, ma§ alle 3Bett tt)atfäc^ticf)
bamit fagt: ha^ biefe Gebauten unb (5Jefüf)(e in biefem beftimmten
3ufammenf)ang eines inbiüibueüen ©eelenlebenS auftreten, unb ha^
fie im SBemufetfein mit bem ^Semu^tfein biefeS 3ufammen{)ange§ ouf=
treten, ©s ^inbert auc^ gar nidjtS ju fagen: bie @eele ift gegenüber
ben einzelnen S3orgängen bie ©ubftan^, bie fie f)eröorbringt unb trägt;
gemiB, o^ne bie§ ganje (Seelenleben Wäre biefe einzelne ömpfinbung
ober 3SorfteIIung aucf) nic^t in ber 2BirfIicf)!eit; and) ift ha^^ ©äuge
ein relatiö S3et)arrlic^e§ unb @elbftänbige§ gegenüber bem ©iuäelnen.
S)ie Seele ift ni(^t unüeränberlid^ unb be^arrticE), tüie ta§ SItom, bielme^r ift be=
ftänbige innere Söonblung für fie (J)ara!teriftifd) ; fie !et)rt niemals, tt)ie ba§ Sttom,
bo§ fi^ aug einer SSerbinbung löft, a\§ biefelbe in ben üorigen Suftanb jurüd.
2ttfo !ann man bie ©eele nid^t in bemfetben ©inn (Subftanj nennen, wie bog 9ttom.
93efte^t man aber barauf, raie e§ §erbart tf)ut, fe^t man it)r SKefen in eine einfadie
unb abfolut unöeränbertidie Qualität, unb fief)t bann in ben SSorfteHungen , ®e=
banfen, 93eftrebungen btofe jufällige, burd) bie manbeinben äuBeren ^Relationen be*
bingte erfc^einungen ber Subftauä, bie i^r innere^ SBefen ni(f)t anget)en, fo jerftört
man bie ©eele: e§ föirb bonn „alle§ mag in unferem inneren ©rieben SBirflidifeit
unb 3Bert befi^t, in einen leeren Schein üerflüd)tigt, um aU (£rfa^ ben mertlofcn
(öd^emen einer ©ubftang 5urüd§ubel)atten, bie burc^ if)re abfolute 93el)arrlic^!eit für
ii)re üöKige Seerl)eit entfd^äbigen foH." — ^rf) ^abc über ben ©ubftansbegriff in bem
^ier feftgel)altenen ©inne fc^on in einem Stuffa^ in ber SSiertelja^rlfd^rift für
miffenfd)aftl. <ߣ)iloiop^ie, 1876, gel)anbelt.
7. SQ3efen b. ©eete: 2lftualiftifct)e u. jubjtantioUftiid^e ^tuffoffung. 6i^ im Setbe. 137
SUleint man nun ober norf) für ha§> ©anje ttjieber etne§ Xräger» jiir
3(n^eftung, einer immateriellen unb punftuetlen @eeIenfuBftan§ ju 6e-
bürfen, bamit e§ nid^t in§ Seere falle, fo ertt)ibere irf) mit ber 'Qta^t:
ob benn ein foIdjeS ©ubftantiate nid^t aud^ tttieber eine§ 2;räger§ be-
bürftig fei? SJJir njiü öorfommen, gar fef)r; rt)ie ein §erbartifd)e§
„9^eale" fid^ in ber 2öirflidf)!eit be{)aupten !ann, ift mir immer bo§ größte
unter ben 9flätfe(n feiner Ü)?etapl^t)fi! geblieben. (Soll ein „Xräger"
für ba§i (Seelenleben gefunben tt)erben, fo mu^ man i^n nidjt in einem
ifolierten, ftarren SSirf(icfj!eit§f(ü|c^en fudjen, \)a§> man „abfohlt fe^t,"
fonbern in bem umfaffenben ©anjen, an§ bem, an bem unb in bem
e§ ift. SOZit (Spinoja: bie @ee(e ift ein modus on ber einen (Subftang,
bem Stflmirflidjen ober @ott; ©Ott ift bie (Subftan,^, unb ou^er itjni
giebt e§ feine ©ubftanj, im testen unb abfotuten (Sinne, giebt e§ nic^t§,
ba§ an fid^ fein unb begriffen inerben fann. ^ie aber oon bem
©eetenfubftantiale fid^ nid)t trennen !önnen, follten fi(^ fragen: mie fie
®ott beuten moHen? ob aud) a(§ eine einf ad)e ©ubftang, bie bann
fdo^ aud) an einem ^unft be§ Uniüerfum§ i^reu (Si^ f)aben muB,
lüie bie ©eele an einem ^un!t be§ 2eibe§? Ober ift für ®otte§
SSefen biefe 2Int)eftung an ein „9ieale" nid^t notmenbig? 'iJhin, bann
tt)irb fie e§ für ein menfd)(id)e§ (Seelenteben audj nid;t fein: ift @otte§
SBefen nur al§ reine 5lftualität ju beuten, fo mirb aud^ ha^ SSefen
ber ©eele a(§ ?(ftualität gebadjt werben fönnen. S)od^ t)ierüber mirb
nod^ in ber ^otge ,^u tjanbeln fein.
§ier lege id) uod) ein paar 33emerfungen über bog SSefen ber
SOJaterie ein. 3ene§ fjöl^erne @ee(enatom ber gemeinen 9}?einuug
entfprid^t if)rer ebenfo tiöt^ernen SSorfteltung t)on ber ^onftitution ber
SDJaterie: fie befte^t au§ legten, unteilboren, obfolut tjarten, ftarren,
trägen, qualitatio beftimmung§tofeu Äörperd)en; eine SSorftelluug, bei
ber benn aüerbingS ber ©ebanfe ber StUbefeelung abfurb genug er=
fdieiut: follte mirflid^ in jebem biefer üeiuen auSgebe^nten ?(tome nun
aud^ noc^ ein unau§gebef)nte§ (Seelenatom fi|en? g^'^^^^*^ abfurber ift
bie (Sad^e aud^ ni(^t, al§ für ba^ (Seelenatom in bem unenbtid)en
Söirrfat ber ftet§ med)felnben au§gebet)nten 5(tome, bie ben 2eib bitbeu,
einen (Si^ ^u fudjen. Sd^ meine aber, jener 5(tombegriff fetbft ift
gerabe fo oiel ober fo menig mert mie ber Segriff be§ unau§gebe^nten
(Seelenfubftantiate. ®ie 9^aturmiffenfd^aft f)at mit i^m fo meuig ^u
138 l- 33ud^: müap^i)^it 1. Äapitel: 2)a§ ontologifc^e Problem.
tf)un, tt)ie bie ^ji)djoIogte mit bem (Seelenatom. 3öq» fie üorouSfe^t,
finb le^te ©lemente, üon beneit fie in i{)rer örflärung an§ge§en !ann;
ob biefe (SIemente ob Joint le^te, ftorre, unteilbare ^örperdjen feien,
baran f)at fie gar fein Sntereffe, fo raenig bie ?trit{)meti! ein Qntereffe
baran i)at, ha'^ bie in Sfiedfinnng gefegten Giner abfolut leljte unb un*
teilbare Ginf)eiten feien. Sm Gegenteil, mirb fie fagen, e§ I)inbert
nidjtö, jebe (£inf)eit in anberer ^infidjt tt)ieber al§ 33iel^eit §u fe|en,
jeber ©iner ^at äet)n ßefjntel, unb jebe§ 3^^^*^^ ^^^^ tt)ieber in 5et)n
3e^ntet jerlegt merben, o^ne ©nbe. (2o mögen auc^ bie ^tome, mit
benen bie ^Zaturmiffenfdjaft al§ mit (Sinern redjnet, in einer anberen
33etracf)tung mieber oI§ üielfac^ äufammengefe^te, geglieberte @i)fteme
mit inneren 33emegungen fid^ barfteüen. ©pefulationen moberner
(Eljemifer öeranfcf)Iagen bie ^a^i ber DJioIefüte in einem ^ubifäentimeter
auf ätnanäig SErillionen, it)ren S)urd^meffer auf tt)emger aU ein
9[)?iüionteI SOäüimeter, bag @en)irf)t eine§ 2BafferftoffmoIe!ü(§ auf ben
öierten Xeil eines Ouabrilliontel oon einem ©ramm.*) Man fief)t,
nad)bem mir un§ foraeit öon allem, ma§ anfi^aulirf) oorgeftettt merben
fann, entfernt t)aben, oerfc^Iögt e§ nidjtS, nun aud) mieber bie Steile
biefer Xeile in ät)nüd)er SSeife ju gertegen; e!c fommt btofe barauf an,
ob haS: 33ebürfni§ einer begriff Iid)en ^onftruftion ber ^Tfiatfadien bagu
aufforbert. @§ giebt f)ier fein .^inberniS für ben g^ortfdjritt ber Leitung
unb ©lieberung, fo menig mie ein foldjeä bem 2{ftronomen in ber fort=
fdjreitenben Grmeiternng be§ UnitierfumS begegnet. ®ie §Inatt)fi§ f)at
eS fo gut mit einem Unenblidjen jn tf)un mie bie @t)ntf)efi§. Unb
nod^ meniger ^at bie S^aturmiffenfdjaft an ber inneren SBeftimmungS-
tofigfeit, 2rägf)eit unb (Starrl^eit be§ SttomS ein Sntereffe. 3m @egen=
teit, auf atle SBeife f)at fie ein Sntereffe baran, ben (e|ten Steilen ber
9Jiaterie bie 33eftimmungen beizulegen, bie notmenbig finb jur ©rftärung
ber (Srfdjeinungen, ha§i finb, nad) ber üblidjen gaffung, bie Itöfte,
moburd) fie fid) betf)ätigt. 3nbe§ ^inbert fie nid)t§, bei biefen Gräften
fte^en gu bleiben, Äraftein^eiten al§ ba§ fiepte, morauf bie S(nalt)fe
fül^rt, §u fe|en. 5Der C£f)emifer Oftmalb f)at in einem bemerfen§=
merten 3}ortrag (bie Überminbung be§ miffenfc^ofttid^en 9}JateriaIi§mu§,
1895) ben S^aturmiffenfc^aften bie ©rfe^ung beS atomiftifc^en burc|
*) 8. mtt)tt, 9Koberne S^eorien ber ©Hernie, 5. Stufl. (1884) ©. 131 ff.
7. SBejen b. ©eele: Slftualiitifc^e u. jubftonttoIi[lif(^e ?luffaffung. ©i§ im Seibe. 139
ba^: energetifd^e Stiftern bringenb empfof)(cn. @r fü^rt qu§:
bie 9^üturn)iffcnjcf)aft crfdjlrert fid) unnötit3 itjrc Slufcjabe, luenn fie fid)
bie Stufgabe fteüt: alle ^JJaturöorgänge auf 33ett)egungen unb Sagerungen
ftarrer Sltome juri'Kfjufüfjren. (Sie befd)n)ert fic^ baburd) lebiglid; mit
fragujürbiger 2J^etap^i)fif, bie i^r bafür nid)t§ al§ Sdjnjierigfeiten 5u=
äie^t, BefonberS im ©ebiet ber 2eben§oorgänge unb ber allgemeinen SSt1t=
anfd^auung. 3)er ^f)l)fifer f)at es in 3Sirf(id)feit mit nichts aU mit
Energien, (Energien in t)erfd)iebener ^orm unb ©rö^e ju tt)un. 33on
bem ®eban!enbing 9J{aterie ^at er gar feine Urfadje ©ebraud) 5U
madien. „2öa§ in bem 93egriff ber SJJoterie ftedt, ift erftenS bie
SOZaffe, b. i). bie ^apa^ität für SemegungSenergie, ferner bie 9^aum=
erfüllung ober bie S^olumenenergie, meiter ha§ ©emic^t ober bie in ber
allgemeinen Sd)mere gu Stage tretenbe befonbere 2(rt üon ßagerenergie,
unb enbüd) bie d^emifc^e ©nergie. (S§ fjanbett \\d) immer nur um
Snergie, unb benfen mir un§ bereu Derjc^iebene 3(rten oon ber 9Jkterie
fort, fo bleibt nic^t§ übrig" (28).
^ie Diaturmiffenjdjaft mürbe, menn fie bieje S3etrad)tung§meife
fid) aneignete, auf ben 2Seg gurüdfetiren, ben it)r oor f)unbert Satiren
^ant gemiefen t}at: feine bi)namifd)e Xtieorie ber 9J?aterie f)atte eben
biefe 2(bfi(^t, bie f(^Ied)te DJJetap^tifif be§ 5(tomi§mu§, mit abfolut
ftarren 5ttomen unb abjotut efiftierenbem leeren Üiaum, ab^uttjun,
Sd) meine, fie mürbe bamit in einen SSeg einlenfen, ber ifir mandien
falfdjen ®ong er f parte, ber fie cor aüem audi oon ber Hinneigung
5um meta|)t)i)fifc^en 9Jkteriali§mu§ befreien mürbe, bie itir je^t, nadi
gelegentlidier Slbfage, immer nadigef}t. — Sooiel jur SSerftänbigung
über ben 33egriff ber SJMterie. Stuf ben 93egriff ber Äraft merbe idi
fpüter in ber erfenntnii^t^eoretijd^en Erörterung äurüdfommen, um gu
geigen, ba^ Äraft nur befiniert merben fann burc^ bie SBirfungen, in
benen fie erfc^eint. —
5^on tiieraug moUen mir nun oerfuc^en, bie alte 3^rage nac^ bem
Si^ ber Seele im Seibe gu beantmorten. SBir ntad)en un§ äu=
erft ben Sinn ber ^^rage beutlidi. (g§ liegt auf ber §anb, ha^ bei
ber eben angebeuteten Sluffaffung oon bem SSefen ber Seele oon einem
Si^ in bem Sinne eine§ 9iaume§ ober eine§ Orte§ im $Raum, in bem
fie ift, übertiaupt nid)t bie 3Rebe fein fann. Sm Ü^aum finb ÄiJrper
unb gefd)efien 93emegungen, nidit aber 33emu^tfein§oorgänge; e§ tiat
140 I- 93uc^: SRetap^ijftf. 1. Äapitel: ®al ontologtfd^e «ßroblem.
feinen ©tnn gu jagen: ein @eban!e ober ein ©efü^t ift f)ier ober bort,
erftrecft fid) burcf) biejen ober jenen Xeit be§ Üiaumeg. ©ebonfen finb
nidjt im @e{)irn, nic!^t mef)r ai§> im äJJagen ober im 9}Zonbe. ®a§
eine ift nid^t ungereimter a(§ \ia^ onbere. Snt (55ef)irn get)en p^i)fi=
otogifc^e ^rojeffe oor fid) unb nid)t§ anbereg. 2öenn nun bie @ee(e
nidjtS ift qIö bie ©in^eit be§ (Seelenlebens, fo !ann fic natürti^ ebenfo
toenig einen Sfiaum einnehmen. 2)er ©inn ber ^rage wad) bem @i|
ber (Seele !ann olfo nur ber fein: njeldie pf)t)fif(^en SSorgänge im Seibe
finb e§, mit benen feelifc^e SSorgänge oerfnüpft finb? 2Bir würben
oben (im üierten 2{bjd)nitt) auf bie Slnfic^t gefüf)rt, bofe gmifc^en (eib=
Iid)en unb feeüfdjen SSorgängen ein 55erf)ältni§ be§ „^araüelismuS"
ftattfinbe; biefer ^araüetigmuS f)at nid)t§ mit einem räumlid^en 9^eben==
einanber gu tf)un; er bebeutet nur: menn ein beftimmter pft)d)ifd)er
^rojeB ftattfinbet, bann läuft gleichzeitig ein pf)i)fijc^er ^^ßro^eB ab, ben
man al§ Segleiterjc^einung ober al§ pt)l)fifd}e§ ^quioalent be§ pjt)d)ifd^en
bezeichnen fann. 2)ie O^rage nac^ bem ©i^ ber (Seele bebentet alfo:
ttjeldie ^rogeffe finb bie§, unb mo finben fie ftatt? Sm gongen ßeibe,
ober in einem STeil be§ 2eibe§, bem ®et)irn, ober fd)tie^Iic^ in einem
einzigen Clement be§ ®ef)irn§'?
©er gemeinen SSorftellung liegt e§ am näd)ften gu fagen: ber
gange Seib ift (Si| ber Seele, fie ift überall im ßeibe, t)at er boc^
überaß (Smpfinbung.
5ßietleicf)t !ommt biefer S^orfteüung me'^r SSal)r!^eit gu, at§ if)r
unfere ^t)t)fio(ogen gugugeftetjen geneigt finb. 3n ber 3;^at, ic^ glaube,
ba^ mir fcf)IieBIic§ gu if)r gurüdgefüf)rt merben. 3it"öd)ft fc^einen
aüerbing§ bie 2;t)atfacf)en gu einer anberen Slnfid)t gu nötigen. Scf)on
bie aHtögtid^e (Srfa^rung, bie aud) ber gemeinen ^^orftellung nid)t ent=
gef)en tonnte, geigt, bafe oerfd)iebene Xeite be§ ßeibe§, mie für ha§>
leibliche, fo aucf) für ba§ feetifdie Seben oon oerfc^iebener 3Bicf)tigfeit
finb: ber SSerluft eine§ ?Irme§ ober Seines foftet nic^t ha§> Seben unb
minbert nidEjt ba§: feetifcf)e 3)afein; bagegen {)at bie ßei-'f^örung be§
§ergen§ ober be§ ®ef)irnS ba§ 5(bftcrben be§ SeibeS unb ha§ 2luf=
l^ören be§ (Seelenlebens gur ^olge. 2Uigenfd)einti(^ ift ha§ bie %^at'
facfie, bie oon jef)er angetrieben ^at, nod^ nacf) einem befonberen (Si|
ber (Seele im ßeibe gu fud^en unb it)n eben in jenen auSgegeid^neten
Organen gu finben. Sine Leitung beS ©eelenmefenS fetbft in oerfct)iebene
7. SBefen b. ©eele : Slftualiftijc^e u. jubftontialij'tifc^e 3tuffaffung. ©ife im Setbe. 141
Ä'räfte, (Seiten ober Ztik, entjpred)enb ben öer]*d)iebenen ^unftionen,
füf)rt bann jur 5>erteilung auf bie öerf^iebenen IeibUd)en Organe; in
ber p(atonifrf)en ^fqdiologie I)aben njir hierfür ein finnrei(^e§ ©djema:
im ^opf f)at bog 2)enfenbe feinen @i|, im ^er^en ber ^ö^ere, geiftige
SöiHe, ber in ben fpegififd) menfdjüdjen ^(ffeften fid) äufiert, unter bem
3lüerd^feü enblid^ bie finntid)=animalif(^en STriebe. Sn ber ^ieujeit
f)aben bann anotomifdje unb pf)i)[io(ogiidje Unterfnd)ungen ju ber un§
je^t fo geläufigen Stnfid^t gefüf)rt, baf; bie feelifd^en Vorgänge in engfter
Sejietjung jum 9Zerüenfi)ftem, im befonberen jum ©el^irn ftet)en. 3)ie
93erü^rung ber Dberfläd^e be» SeibeS, bie ©rregung ber (Sinnesorgane
burd^ p^l)fifd)e Speise bett)ir!t nid;t unmittelbar, loie ha§> gemeine (Selbft=
beiüuBtfein auSfagt, an Ort unb (Stelle eine ©mpfinbung; üielmet)r
fommt biefe nur bann juftanbe, njenn bie Erregung burd) unoerle^te
9?erüenfafern jum ©e^irn fortgeflan^t n)irb. Sft bie Seitung unter-
brodjen, mxh ber Sf^ero, in bem fid^ bie zentripetale ©rregung fort=
pflanzt, burd^fd^nitten, fo betoirü bie peripljerifc^e (ärregung !eine @m=
pfinbung met)r. ©benfo t)ört bie fpontane 93en3egung auf, wenn bie
nerüöfe 33erbinbung eine§ ®Iiebe§ mit bem ßentralorgan unterbrodjen
ift. 2tIfo, fd)tieBt man, ift ber (Si| ber (Seele im @et)irn.
©nbüdj füf)ren jene metapfjiififc^en (SrWägungen, bie ber (Seele
bie ©eftalt einer eiufadjen, mit bem Seibe in Söec^felioirfung fte^enben
(Subftanj geben, ju bem Söeftreben, it)r einen (Si| in einem eng be=
grenzten ©ebiet, am liebften in einem einzigen ^un!t be§ ®e^irn§ ^n=
gufdjreiben, xüo fie bie SSirfungen be§ Seibe§ empfange, unb oon tt)o
au§ fie auf i^n mirfe. 2)e§carte§ ift barin oorangegangen, unb ha^
ganje ad)t5et)nte Saf)rf)unbert neigt, if)m folgenb, gu biefer 5(uffaffung.
9iad)bem fie im ß^^^alter ber fritifc^en unb fpefulatioen ^f)iIofop^ie
mitfamt ber (Seelenfubftauä anberS gecidjteten Stnfd^auungen geitmeilig
f)atte meid)en muffen, tritt fie bei § erb ort unb feiner ©c^ule, fon^ie
bei So^e, tt)ieber in if)re alte ©eltung.*)
*) 9Jad) bem Sßorgang §erbart§ ($ji)d^oIogie alä SBiffenf^aft II, 461) ift aüd)
So^e (9JJebi3imjd)e ^fi)d)oIogie ©. 115 ff.) geneigt, bie ©eele in ber SßaroI§6rü(fe,
aU einem 2)urd)gang§punft ga^Ireid^er |)irnnerüen, an^ufiebeln. Sin befonbetS
gebitbeteS pt)ilfioIogif^e§ Drgan, in bol alle äuleitenben Dkröen münbeten, fd)eint
i^m für biefe 5(nna{)me nicf)t erforberlic^ ; eä reid)e :^in, tüeun fie alle in ein nerüöfeS
$arend^i)m einftra!^lten , ba^ ber aUfeitigen Sßerbreitung ber Erregungen feinen
142 I- S3uc^: 3Jletap^t)fif. 1. Äapitel: ®a§ ontologtjd^e «ßroblem.
2Ba5 ^uTiäd^ft biefe (enteren S3emüf)ungen anlangt, einen einzigen
^unft im G)ei)irn aufjufinben, an bem allein bie (Seele unmittetBar
gegenträrtig fei ober wirfe, fo beru{)en fie, tt)ie mir fc^eint, allein auf
©rünben ber 9J?eta|3{)t)fif, nid)t auf 2:l)atjacf)en ber ^ft)c^ologie ober
^^t)fiotogie. Sf)t ©runb ift bie metap{)^fifd)e 33orau5iel3ung, ha'B bie
(Seele eine einfarf)e au5bef)nung§(ofe Su6ftan§ fei. Gebeutet bie Un=
au5gebet)ntf)eit eigenKicf) audf) llnräumü(i)!eit überhaupt, fo ftrebt bie
5{nfcf)auung bocfj immer mieber fie aU ^unft üor^uftellen unb oerlangt
nun für biefen bie Sofalifierung im 9iaum. g^ällt bagegen ba§ «Seelen-
atom, fo fällt bamit gugteii^ ber eintrieb jur punftuellen Sofalifierung
fort. 3ft bie Seele nic^t§ anbere§, oI§ ha§> (Seelenteben felbft, fo liegt
gar fein StntaB oor, bie pt)t)fifcf)en ^egteiterfrfjeinungen lieber in einem
^unft ober einem engbegrengten 33e5irf, als in einem beliebig meiten
©ebiet be§ leiblichen 2eben§ ftottfinben gu laffen. 6§ ift fcf)mer öer*
ftänblicfj, marum 2o|e an ber 9leigung ^üx punftuellen Sofalifierung
ber Seele im @e^irn feft^ält, nad)bem er it)re SSorausfeßung, ha§>
ftarre (Seetenatom be§ alten Spiritualismus, eigentlich aufgegeben ^at;
aucf) i!^m ift bie (Seele äule|t nid^tS anbereS al§ bie „lebenbige (äinf)eit
be§ ficf) felbft faffenben 93emu§tfein§".*)
(Sdtjeibet fo bie aJ?etapt)t)fi! für bie ^öeanttoortung ber g^rage ou§,
fo bleiben ^ft)c^oIogie unb ^^^fiologie. SSon i^nen ift bie erftere
a(§ folc^e gegen jebe Stusbilbung ber SSorfteüung gleichgültig. ?(uf
feine Söeife f)ängt bie (äinf)eit be§ SeiuuBtfeinS unb bie llnräumlid)=
feit be§ Seelenleben^ als folc^en mit ber (äinfacf)f)eit unb SIuöbe^nung§=
lofigfeit bes matt)ematifcf)en ^unfteg jufammen. ©as ©elbftbemuBtfein
meiB unmittelbar überhaupt nid^t§ oon begleitenben ^Zeröenoorgöngen
unb Don itirer Sofalifation. — G§ bleibt bie ^fji^fiologie. Unb it)r
liegt gmeifellol bie SBorftellung nä^er, ha'^ bie 23egleiterfc^einungen ber
feelifc^en SSorgänge fiel) über größere ©ebiete ausbreiten. @§ ift müf)=
SBiberftanb mel)r entgegenfe^e unb fie ba^er mit ifirer SBirfung fielet and) bie
Subftanj ber ©eele erreichen laffe. 2)iefeg ®ebiet in ber Ütinbeniubftonj ber §emi»
fpf)ären gu iud)en, trelc^e ben I)eutigeii $^i)fioIogen am ef)eften ftc^ empfehlen würbe,
ijält if)n i^on bie 3{u§bef)nung unb bie ^oppeIf)eit biefe§ Organa ab, bem er nur
bie Slufgabe ftetlt, qI§ frafterjeugenber SIpparat bie gunftionstfiätigteit ber 9?eröen
gu unterhalten. — Sine (Srörterung ber grrage öom Stanbpunft ber §erbartiid)en
2)ietap:^t}l'i! unb $it)d)ologie bei SSolfmonn, 2ef)rbu(^ ber ^it)c^oIogie, 1, 76 ff.
*; Siefje feine legte 5(u§einanberfegung mit gecfiner, SRetap^tiftf S. 480.
7. SSejen b. ©eele : SlftUQli[tifd)e u. jub[tantialtfttfd)e 2tuffaffung. ©ig im Seibe. 143
unb marteröolten 95erfuc^en allmäfjlid) gelungen, wenigften^ in einigen
(Stüden regelmäßige sge^ie^ungen jtüifcfien pft)(fjif(f)en ^unftionen unb
beftimmten ©e^irnpartieen feft^uftellen. ©o nermag man begrenzte
©ebiete ber ,g)irnrinbe ^u be^eid^nen, bereu gunftion Sebingung für
haS' Qü\tanhdommtn ber nerjc^iebeuen 8iune§n)o^rne^mungen unb if)rer
(Srinnerungen , be§ ©predjenS unb be§ (Sprad)tierftänbniffe§ finb,
5Direfter S3eoba(^tung bleiben biefe Singe frei(id) entzogen; aber ba§
©fperiment an S'.ieren unb bie patfjologijdje Unter]uc!^ung an äJ^enjc^en
geigen regetmäßige ßufammenftimmung ber ßerftörung beftimmter
©ebiete ber ©e^irnfubflanj mit ©torung ober 5(uf^ebung beftimmter
pjild^ijc^er ^^i^^tionen. (5§ ift bie nädjftliegenbe Deutung biefer Z^aU
fad)en, ba'B bie pf)t)[io(ogifd^e gunftion biefer Xeile \)a§^ pf)i)fifci^e
^iquioalent ber entfpred)enben pfljdjifd^cn 9]orgänge ift. @§ bleibt
freilid) eine mögliche ^el)auptung, hafi mir barin nur mittelbare
GrregungSbebingungen für einen irgenbmeldjen bi^^er nic^t auf§eig=
baren ^un!t gu fef)en Rotten; waS märe auf biefem ©ebiete ju be=
Raupten uid)t möglid^? aber einftmeilen fpridjt non pt)i)fioIogijd)er
©eite nid)t§ bafür. ®em ^f)^fiologen brängt fid) öielme^r überall
ber 3?erfud) auf, aud) bie einfad^ften feelifd)en S^orgönge, einen 51tt
tüieberfenneuben SBal)rne^men§, eine baburd^ au^gelöfte SSiüenlregung,
bie in einer fpontanen 33en)egung münbet, al§ einen ausgebreiteten
SIenienprojeB ju !onftruieren, an bem gatllreid^e (Slemente gleidjmäßig
beteiligt finb, oljue ha'^ er Urfad^e ^ätte, ben feelifc^en 33organg nä^er
an bie g^unftion eine§ einzigen unter biefen (Slementen al§ an bie aller
übrigen gu fnüpfen.*)
*) ©inen SJerjud^ onjc^auIid)er Äonftruftion folcfier SJerüenöorgänge, irie fic
ettua eine ®efid)t§traf)rne^mung unb boran fid) anid)Iie§enbe 9tbn)ef)rbercegung bc*
gleiten, finbet man bei SO'iet)nert, $ft)d)iatrie (1884) 145 ff. ©rgebniffe efperi»
menteHer 93eobod^tungen an §unben unb 2lffen bei SUiunf, bie 5un!tionen ber
®ro^t)irnrinbe (2. 91. 1890). ©oüiel fd)eint burd) biefe Sßerfuc^e feftgeftetit ju fein,
ba^ bie g^iftörung engbegrenjter ^ortieen ber Stinbenfubfianj bie 9(uff)ebung be»
ftimmter engbegrenster pji)d)ifc^er j^unftionen §ur i^olge :^ot; fo ijat bie ©jftirpierung
ber f)interen ©pi|e beg §interf)aupttappeng bie Stuf^ebung ber gäfjigfeit, beEannte
®egenftänbe mieber ju erfennen, jur grotge, unb gwar f)ebt einfeitige ^erftörung
biefe f^ä^^igfeit nur für ta§' eine, ta§ gegenüberlicgcnbe 2tuge auf, ber |)unb fiet)t,
aber er erfennt nid)t, ma§ er fief)t. 'üUmäfjüd) finbet 92eubilbung biefer gätjigfeit
ftatt, er lernt ttjieber „fef)en", b. i). tnxd) ®efic^t§empfinbung auf bie 92atur beä
144 I- Su«^- 9Äeta})^Qftf. 1. Äapttel: ®a§ ontologifc^e 5ßroblem.
Übrigens liegt auf ber §anb, ba^ ein ^erbortifd^eS ©eetenreate
ben ^l}i)fioIogen nocf) öon onberer @eite !^er ein fdin^erer ©tein be§
5tn[toBe§ märe. SSie öertjölt e§ fid) §um (Stoff mec^fel? ©oüiel ber
^^t)fioIog fiet)t, ift feelifc^eS Seben überall nic^t an einen ftarren
SBeftanb non (Elementen, fonbern an il)ren beftänbigen SBec^fet gefnüpft.
^ft bo§ ©eelenreale baüon anSgenommen, fo baB e§ allein einen
bauernben 93eftanb bilbet unb feinen Ort nirf)t öerläfet, n)äl)renb aüe
übrigen Sflealen in beftänbigem glu^ finb? Unb n^ie öer^ält e§ firf) gn
©ebnrt unb Xob? Sft e§ ein an fiel) gteidigeltenbeS (Slement, ha^ nur
burd) eine beoorgugte Stellung gu jener ^eröorragenben ©ntttjidelung
gefül)rt mirb? Unb tüa§> tt)irb ou§ il)m, ttjenn e§ burdj ben %oh be§
Selbes biefer Umgebung beraubt tühh? — ©nblid) ift auc^ ha§>
bemer!en§njert, baB jene älteren 5ßerfud^e, einen ^un!t im ®el)irn gu
begeidjnen, beffen ßßi'f^öi^ung unmittelbor ben Siob §ur g^olge l)ätte,
alle fel)lgefd)lagen finb. S)er 2eben§!noten g^lonrenS' ejiftiert nid)t,
bie ßerftörung jeber Partie be§ ®e^irn§ ft)irb überlebt, menn fie nur
nic^t allgu großen Umfang erreicht.*)
Sf^ac^ allem ift e§ begreif tid) genug, ba'^ in ben Greifen ber
^t)t)fiologen bie 9leigung jur ausgebreiteten Solalifierung ber Seelen=
norgänge bie t)errfd)enbe ift: jebem pfij^ifd^en 58organg entfpric^t ein
nerööfer 'iprojefe in me^r ober minber auSgebeljuten ^artieen be§ @e=
l)irnS, üor^üglid) ber SRinbenfubftanj.
^ann ober muB man l)ier fteljen bleiben? ober ift eS geboten,
meiter gu geljen unb mit ^ e d) n e r unb 3S u n b t §u ber alten 5luf=
faffung äurüdsufe^ren, ha^ ber Si| ber Seele ber ganje lebenbe Körper,
baB ba§ g a n 3 e e i n ^ e i 1 1 i dj e l e i b l i d) e 2 e b e n ba§ p ^ i) f i f c^ e
Slquioalent beS ganzen einl)eitlidjen Seelenlebens
fei? — Sd) glaube, man muB fid) baju entfdjlie^en.
DbjeftS folgern. 93Ieibt Ijierbei aud) bie ©eutung üielfad^ bunfel, itnb i[t and) bie
fucceffiüe S3efe^ung ber QeUtn mit (£rinnerung§bilbern, bol borläufige Seerbleiben
Don QtUcn, burd^ bie bann bie S'Jeubilbung be§ @ebä(i)tni)fe§ mögtid^ merben foll,
ba§ ^IbroKen öon 5(ffociotion§reit)en burd) refIe!torifd)e SReigung einer 'Sidtjt bon
gellen u. f. f. einftföeilen nid)t§ aU fpefutatibe $t)^fioIogie (bie übrigen^ ouffoHenb
an 58ene!e^ fpefulotiüe ^ft)d)oIogie erinnert), fo ift bod^ begreiflid^ , ta'^ fold^e
2;i)atfad)en ouf ^f)t)fioIogen einen unn^ibcrfte'^Udjen 9tntrieb gur ausgebreiteten
Sotalifirung ber pfQ(^if(^en gunftioncn üben.
*) gec^ner, Elemente ber 5ßfi)c^opf)nfif ©. 899 ff.
7. SEBefen b. 6eele : Slftualiftifd^e u. fubfiantialiftif^e Sluffafjung. ©i^ im Seibc. 145
3unäd)[t füdrt f)ierauf jd^on bie burcfigängige ©in^eit be§ leib»
Iid)en SebenS: »o ift bie ©ren^e ber 33efeelung, tüenn wir fie benn
nid)t in einen einzigen ^unft öerlegen bürfen? (Sg erjc^eint faum
mögtic^, inner tjolb beg 9ZerDenft)ftem§ ein beftimmt umgren^teä ©ebiet
angjujonbern, um allein an beffen Erregungen pfi)d)i)c^e 33egleit=
erfc^einungen ju fnüpfen, n)ät)renb ä^nlidje Sßorgänge jenfeitS biefer
(SJrenje eine \o\d)c 93ebeutung nidjt f)aben fotlten. Unb ba§ 9Zeröen=
ft)[tem ift njieber in feinem pt)i)fioIogifc^en Seben, feiner (Srnäf)rung,
fo innig mit bem ganzen leiblidjen Seben üernjac^fen, ba^ audj feine
Sfolierung in ^infidjt auf haS^ pfijc^ifdje Seben n}iUfürüc^ erfc^einen
muB. Überf)aupt, fängt man einmol an, im 2äht Steile auS^ufdieiben,
bie nid)t unmittelbar gum feelifc^en Seben in Sejie^ung fte^en, fonbern
it)m nur aU äußere 2öer!äeuge bienen, bann »irb man aUmöf)Iid) auf
bie monabologifc^e Stnfic^t jurüdgebrängt. 5IIfo bie ^noc^en unb
Sänber nnb 9)iu§fetn, fo njürbe biefe bann fagen, galtet auc^ i^r für
nid^tä aU einen öuBerIid)cn 9LRed^ani§mu§, beffen bie @eele fid) be=
bient, im @runbe nidjt anber§, mie eineg ^ebelg ober gIofd)enäuge§;
ha^ 9^erüenft)ftem allein ift %xäQtx be§ feelifdjen ßebeng. Slber bie
perip^erifdjen SIerüen nid)t; fie bienen offenbar bloB at§ 2eitung§=
bahnen, alfo a(§ öufeere SSerfäeuge. ö§ bleiben bie 3^"tratorgane
be§ D^eröenf^ftemä al§ 3;;räger be§ feelifc^en SebenS. 5lber aud) biefe
nict)t gan§; bie 3^afern ttjerben auc^ t)ier biefelbe gunftion ^aben, at§
£eitunggbat)nen ju bienen, fie gehören alfo §um äu|eren ÜJZedjaniämug.
<Bo bleiben bie ©anglienjeUen, befonberS bie großen SOkffen ber §irn=
rinbe. Stber tt)a§ ^inbert, bie S3etrad)tung fort§ufe|en unb ju fagen,
baf5 aud) bie ©anglien niieber nur al§ 9JätteI bienen; 5ßerfud)e unb
patt)oIogifdje Sefunbe geigen ja, ha'i^ fein einziger Xeil be§ ©efjirn^
für ben 33eftanb be§ (Seelenleben^ unentbe!§rf)Iic^ ober unerfe|Ii^ ift.
©olt bod) unter Umftänben Regenerierung ber ganzen einen §emifpf)äre
o'^ne beträc^ttidje (SinbuBe be§ (Seelenleben» ertragen merben; alfo mar
aud) fie nur ein äußeres unb nid^t unentbel)rlid;e§ 9)iittel, Unb mie
foll man fid^ ha^ S3er!^ältni§ ber beiben .^emifpf)ören jum (Seeten=
leben oorfteßen? 9J?üBten mir nid)t, menn fie unmittelbar Zväg^tx be«
(Seelenlebens mären, b. 1). menn ben p^t)fifd)en 3Sorgängen in i^nen
unmittelbar iöemu§tfein§öorgönge entfpräc^en, eine regelmäßige 3)oppeI=
^cit aud) ber pfi)d)ifd)en SBorgänge ermarten? 2)a^er ift geraten, im
»paulfen, (liiUeituiig. ü. Shifl. 10
146 I- S5ud^: SKetap'^l^fif. 1. Kapitel: ®a§ ontologifc^e «ßroblem.
letblic^eit Seben mit ©infc^Iu^ be§ 9^ertienjt)ftem§ üBert)aupt nicf)t§ a(§
ein @t)ftem äußerer StRittel, al§ einen 9Jiec^ani§mu§ ju fef)en, beffen
bie an firf) immaterielle ©eele fid^ bebient, um mit ber Umgebung in
mannigfacf)[te 93eäie^ung ju treten.
®ie ©arf)e jdjeint bemnac^ ouf entmeber — ober ju ftet)en: ent=
meber man betrad^tet ben gangen Seib mitjamt bem SIerüenfijftem at§
ein ©tiftem üon äußeren 3JJittetn ber Seele, ober man jiet)t in bem
gangen leibüdjen ßeben bie firf)tbare ®ar[tellung ober ha§> pt)t)TOe
tquitialent be§ Seelenlebens. (Sine Teilung beg SeibeS, \o bafe allein
beftimmte ^artieen, etma bie 9linbenfubftanä be§ ®et)irn§, Präger
feelifc^er SSorgänge mären, !ann für eine erträgüdie SluSfunft fc^mer=
(ic^ gelten, können mir nun, au§ ben früher angebeuteten ©rünben,
gu ber er[ten Stnficljt nicf)t 5urücffef)ren, fo muffen mir un§ entfdjlie^en
§u fogen: ha^ P^t)fifcl)e Siquioalent be§ feelifc^en 2eben§ ift bie (5}efamt=
^eit ber p:^t)fiologifd)en ßebenSproseffe; jebem pl)i)fifcf)en 9J?oment ent=
fpric^t ein ^ft)cl^ifcl)eg, ber ^aralteli§mu§ ift burdigöngig. Sfiatürlid),
id) mieberf)ole e§, nicl)t ein lofaler ^aralleli§mu§: überaü bo, mo fid^
ein pt)t)fif(^er Sßorgang gutrögt, finbet and) ein pft)cl)if(^er ftatt, ha§>
ift eine finnlofe ^^ormel; fonbern ein ibeetter: einem bnrd)bringenben
33erftanbe, bem in gleicher Söeife ber gefamte leiblicl)e 35erlauf unb
ber gefamte innere SSerlauf offen läge, märe e§ möglid), §u jebem
5?organg im leiblichen ßeben einen !orrefponbierenben SSorgang im
feelifc^en Seben nadigumeifen, einen bemühten ober unterbemufeten.
gür jenen burc^bringenben SSerftanb mürbe fid) ein Seelenleben ja
nid)t in ber ©eftalt ber bünnen ^ette oon bemühten SSorfteüungen
barftellen, fonbern al§ eine unenblic^ fompligierte 9J?annigfaltig!eit
gleid)geitiger bemühter unb minber ober unterbemuBter SSorgänge; bem
eint)eitlid)en ©efamtoerlanf ber leiblichen ßebenSprogeffe mit feinen
jaPofen 2;eilt>orgängen entfpröc^e ein ©efamtoerlanf feelifcl)en 2eben§
oon gleicher Äompligiertl)eit unb gleictier 5lbftufung ber ^ebeutung, bie
in ben Stufen ber S3emufett)eit erfdjiene.
Sluf biefe Slnfic^t fdjeint and) bie biologifcl)e unb bie ent=
midelung§gefcl)id)tlict)e 93etrad)tung gu fül)ren. 3n ben nieberften
formen tierifc^en ßebenS finben mir !ein 9^ertienfl)ftem, haS^ feelifcf)e
ßeben baran gu t)eften. ®er Körper ber ^rotiften meift übert)aupt
nid)t§ oon einem ßentrum auf, in ha§^ man ben Si| be§ Seelenlebens lieber
7. SBefen b. ©eele: Slftuatiftifrfie u. fubfiantialiftifc^e Stuffofjung. ©i§ int Seibe. 147
Qlg an jeben onbern ^unft be§ ©t)[tem§ öerlegen foUte. S)er gonje
Körper erjd^eint al§> eine Hnfjäufung gtetdiförmiger unb gleich
funftionierenber organifc^er ©ub[tan§. SSirb fie geteilt, fo ift jeber
3;eit Ieben§fät)ig unb übt alle biefelben ^unftionen rt)ie ha§^ ©an^e,
reagiert auf Steige, nimmt 9kf)rung auf, baut ein ©e^äuje u. f. f. „Snt
^rotiften!5rper befteijt fein ein^eit(id^e§ pft)rf)ifd^e§ Zentrum, ber ©i^
ber pfi)(^if(f)en 5^orgänge ift öielmetjr jebe§ fteinfte ©tücEc^en ^roto=
ptaSma."*) Sft ber organifd)en 3JJaterie urfprünglic^ an jebem fünfte
33efeelt(3eit eigen, fo ift nid^t obsufetjen, ttjie fie biefelbe fpäter foHte
ööllig eingebüfot ()aben; ^^"t^Q^^f^^'^ii'iS "^^^ P()^f^f<i)e» SebengprogeffeS
auf f)öf)eren (£ntit)i(felung§ftufen ift mit llmbilbung be§ 2eben§ ber
STeile begleitet, aber nid)t mit 95ernici^tung. «Sollte nic^t auf pfi)d;ifc^em
©ebiet ein St^nlic^eS ftattfinbcn. Slucf) baran toäre ju erinnern, bafe
ha§> pf)i)fifd)e S)afein jebe§ ßcbemefen§ norf) immer in ©eftalt einer
3etle, ber befrurf)teten ©i^eüe, beginnt. ^Beginnt bemnad^ ber
pf)tlfio(ogif(f)e SebenSprogeB o^ne ein bifferengiierteö 9?eröenfl)ftem, unb
beginnt mit bem pl)l)fioIogifc^en Seben gugleid^ ha^ pfi^c^ifd^e Seben
(ober meldten fpäteren 3^itpunft fijnnte man o^ne SSillfür bofür er=
fe|en ?), fo möre auf ber erften ®tufe beg götallebeng nod^ immer ba§
pft)cf)ifcl^e Seben an ben gefomten leiblichen SebenSprojefe gefnüpft.
jDem na()e üegenben (Sinmanbe, ha'^ mir bod^ t^atföcf)Iicf) oon
folc^er unitierfeüen ^orrefponbenj nic^t§ müßten, 0ielmef)r taufenb S8or^
gänge be§ leiblidfien Seben§ ol^ne begleitenben 53ett)u^tfeinst)organg
blieben, märe burd) bie ^inmeifung auf bie frühere 23etrad^tung
(@. 126 ff.) gu begegnen: nidjt aUt§>, ma§ (SIement be§ Seelenlebens
ift, braudjt barum ©egenftanb ber Selbftroa^rnei)mung im ^öemufetfein
ju fein. Sm 33emuBtfein ift nur ein überaus geringer Xeil be§ ge-
famten Seelenlebens, \)a§> mir bod; oorauSfe^en muffen, um bie 55or=
gänge im ©emu^tfein gu fonftruieren. S)en leibüdien SSorgängen, bie
nidjt in bemühten Seelenoorgängen if)re 33egleiterfd)einung l^aben,
merben unbemufete ober unterbemu^te entfprec^en. 3)ie oegetatioen
^^ro^effe, bie innerorganifd^en SSorgänge beS beftänbig ablaufeuben
@toffmed)fetS in allen Steilen beS £eibeS, mit ben entfpred^enben
©anglienerregungen beS fi)mpatf)ifd^en S'JeroenfQftemS, l^aben an irgenb
*") 'S)l Sßerworn, ^^jft)C^o=»p^t)fioIo9ifd)e ^ßrotiftenftubien ©. 211,
10^
148 I- S3uc^: mttapi)t)\it. 1. Äapitel: 2)ag ontologifc^e Problem.
tt)e(d;en minimalen ©efütjISerregnntjen unb ©trebungen i'^re pfijdjifrfien
5(quit)Qlente; ober biefe bleiben nnter ber @rf)tt)eüe be§ 33ett)uBtjein§;
nnr eine ©ummierung oller fommt etoa in ©eftalt eine! @emein=
gefü^lS, einer organijd)en Sebenöftinimung gum 33elüuBtjein, ober bilbet
üie(mef)r ben mei[t !aum merflidjen ^intergrnnb aller 53ett)nBtfein§=
üorgänge. ^nx nnter befonberen llm[tänben ergeben fid) einzelne @e=
füt)Ie au§ jener ©ruppe ju einer ©tär!e, ha'i^ jie in§ Sefönfetfein
fommen, eg gefd)ief)t regelmäßig bann, n^enn irgenb irelc^e ©törnngen
5U bebro^Iid^er ^ö^e anmad)jen unb eine Stbijitfe forbern, fo in ben
@efüt)Ien be§ §unger§, be§ Surftes, ber 9J?übig!eit, ber Sltemnot ober
in @efü{)Ien ber Sefriebigung, inenn bem $8er(angen entfprod)en mirb.
Sn biefem 3^alle, tt)ürben tt)ir nun annefjmen, finbet aud) ein ent=
fpred^enber pfjQfiologifc^er 35organg in bem centralen Sleroenfviftem [tatt,
tt)äf)renb in ber Sfiegel bie SSorgänge be§ ©toffwedjfelg im engeren Ärei§
nerloufen unb \)a§> @e!)irn nidjt in 9JätIeibenj(^aft jietien.
dagegen führen ßwiammenftöße be§ Ieibtid}en 2ihtx[§: mit ber
äußeren Umgebung in ber 9f?egel gu 9Jerüenerregungen, bie bi§ gum
©e^irn fortgepflanzt merben. 33erür)rungen ber Oberflädje be§ Körpers
treffen überall auf ©ubigungen oon fenfiblen 9Zeroen, bie bie ©rregung
bem 3'^ntralorgan jufü^ren. 83efonber§ au§ge§eid)nete fünfte ber Dber-
flädje finb bie @inne§organe ; ein fomplijierter Stpparat pfton^t jebe
leifefte ©rregung, g. 33. burc^ Stttjermellen ober (£r§itterungen ber ßuft,
gum @et)irn fort. Studj biefe Erregungen finb nid)t alle mit beU)ußten
pfl)c^ifd)en ä^orgängen begleitet, bie taufenb Serül)rung§= unb ©e=
njegungSempfinbungen, bie Oon ber gangen 5^örperoberfläd;e beftänbig
erregt merben, bleiben meift unter ber ©djmelle be§ Semußtfein^; fie
finb oort)anben, mie fid) in ber S)ireftion ber Haltung unb 33emegung
be§ Äörperö geigt, il)r äöegfall ^at Unfid)erl)eit ber S^emegungen gur
golge; fie fönnen aud) jebergeit in§ Semußtfein ert)oben merben, fo=
balb fid) bie ?lufmerffam!eit barauf ridjtet; aber in ber Siegel bleiben
fie unterberoußt. ©benfo bleiben auc^ taufenb (Sinne^empfinbungen, bie
ha^ 5Iuge unb Of)r un§ in jebem Slugenblid anführt, unterbemufjt,
mir fet)en unb ()i)ren mit 93emußtfein in ber Siegel nur ba§, ma§ gu
unferen augenblidlid)en Slufgaben in Segietjung ftel)t. §at bie 3luf«
gäbe überl)aupt leine Se§iel)ung gur SluBenmelt, beulen mir etma über
ein abftrafteg Problem nac^, ober t)angen mir ber S3orftellung einer
7. SBefen b. ©eele: Slftualiftifc^e u. fubftantioIifHfctie 2tuffaffung. Si^ im Seibe. 149
fernen 9}ergangenf)eit nci6), bann fe^en unb ^ören wir geitroeilig über=
l^QUpt nicf)t§; haS' fjeifet, bte Sf^eroenerregnngen unb bie ®ef)irnt)orgänge
finb Quc^ bann oor^anben, unb and) bie |)]i)d)ifdjen Slquiüalente fef)(cn
ni(f)t; njir irerben beffen inne, wenn mx \)iö^üd) au§ unferen 2;räumen
aufgeftört werben, n^ir erinnern un§ gang beutlid^, ujirüid) bie» ober
jenes eben SSergangene, bie ©daläge ber ©(ocfe, getjört gu f)aben, c§
gelingt jogor, fie nod^ nac^träglid) gu äätjlen; aber fie öermod^ten fic^
unter biefen Um[tönben nicfjt in§ SemuBtjein 5U erfjeben.
Stugenfc^eiutic^ i[t bie§ eine für ben ßeben§f)au§f)aU ber l^ö!)eren
Stiere rt)ol)It{)ötige ober nielme^r notttjenbige (Sinrirf)tung : bie inner=
organifcf)en 5ßerricf)tungen erregen t)a§> 6erebrofpinaIft)ftem in ber Siegel
nid^t, unb ebenfo bleiben il^re pf^cfiifd^en Siquiüalente unter ber (3rf)tt)eIIe
be§ Seft)u§tfein§. dagegen irerben bie 33e5ief)ungen pr 2(uBcntt)eIt
burc^ 9^eröenerregungen, bie fid^ regelmäßig gum ß^^ntratorgan fort=
pflanzen, repräfentiert, unb i^re pft)d^ifd^en Stquioalente ^aben eine
größere S3enjuBtfein§nä^e: notürtid), bie (grljaltung be§ 2iere§ t)ängt
ttjefentlid^ oon ber rid)tigen S^eaftion auf bie öußerc Umgebung ah;
Slnpaffung feiner 93en)egungen an bie SSorgänge ber Stußennjelt ift für
ein 2ier bie große fiebenSaufgabe. (S§ fielet l^iermit ät)nlid), wie mit
einem Sßotf§fi3rper. ®ie inneren 33orgänge, bie fid^ auf ben (Stoffe
werfet begieljen, bie mirtfc^aftlid^e ^ptigfeit ber (ginjelnen, i^r
Familienleben, ta^ »erläuft im engften f rei§, e§ !ommt nid)t gum
©efomtbemußtfein, e§ ift alterbing§ in feiner «Summe o(§ Untergruub
be§ @efamtbert)uBtfein§ beftänbig oorl^anben, alle bie fleinen Seiben
unb gi^euben ber (Singeinen bitben and) etwaS mie eine Seben^ftimmun^
beg S3otfe§. S)agegen ift ein 33ot! für bie Serü^rungeu mit ber
STußenmelt ungemein fenfibel, jeber ©rengoorfaü ge^t burtf) alle
ßeitungen, unb beftänbig tjord^en taufenb Ct)ren nac^ bem (Staube ber
internotionateu Regierungen in ber 3)ipIomatie.
®a§ (SerebrofpinaIft)ftem ()at nun bie 5hifgabe, bie äußeren $8er=
^ältniffe be§ Organismus gu regulieren. Seine peripf)erifrf)en @nbi-
gungen finb für bie leifefte Serü^rung burdi Suft unb 2ltt)erttJeflen
empfiubüc^; Sf^erüenf afern, bie ifolierenbe SeitungSba^nen barfteflen,
fül^ren bie Erregungen unöermifc^t gum |]eutraIorgau, biefeS enblid^
fteßt ein St)ftem öon Organen bar, meld)e burdj bie Siieroenerregungen
bauernbe 2)iSpof{tionen annef)men. S)urd^ biefe ©iSpofitionen, bie, oon
150 I- 93uc^: Tlttapi)t)\it 1. Äa^itel: ®a§ ontoIogtfd)e ^robtem.
hex p\i)ä)i\(i)tn Seite gefe!E)en, ba§ ©ebäd^tniS bilben, lüirb bann bei
fotgenber Ülei^ung foiüot)! ber nerböfe SSorgang im ^^^^^ralorgon
(pit)d^ijd;: bie Slpperjeption) aU bie 9iea!tion (ber @ntf(i)InB) be[timmt.
Sie Ä^on^entrierung auf bieje 53erüt)rungen unb 9fiea!tiDnen f)at bie
Sjolierung gegen bie innerorganifdjen (Erregungen gur 3Sorau§je|ung,
ober pfl)d)if(^, bie @nt[tet)ung einer SSor[teüung§n)eIt, bie ©nüüicEetung
eines gciftigen SebenS fe^t eine gen^iffe Slbjdjlie^ung be§ SenjuBtjeinä
gegen bie organifi^en @efüf)Ie t)orau§.
S)ie (Sntmidelung märe bann f o gu !on[truieren : auf ber nieberften
@tufe tierifc^en ßebenS ift bie Senfibilität für Sfteije über ben ganzen
Seftanb be§ 2eibe§ gteic^möBig öerbreitet; bie S8erüt)rung an jebem
^unft ruft eine lo!aIe ober allgemeine S3emegung§reaftion f)eröor; jeber
^ßorgang ift begleitet mit irgenb einem pft)cf)ifcl^en Stquiüalent, ha^ Ujir,
aug unferem Seelenleben hinein interpretierenb, ül§> @efüt)I unb ©trebung
beuten, ©benfo finb bie innerorganifdjen 33orgänge mit entfprecfjenben
pft)d)ifd)en SSorgängen begleitet. Sine äufammen^angglofe unb in=
bifferenjierte SSiett)eit folcfjer 3IugenbIi(i§üorgänge, ha§> ift bie g^orm
be§ niebrigften Seelenlebens. SJJit ber auffteigenben (Sntmidetung
merben bie 93e§ie^ungen §ur Slufeenmett immer mannigfaltiger unb oer-
micEetter, bie Stufgobe ber 2ebenSert)attung forbert immer mannig-
faltigere unb feinere Slnpaffung beS S3ert)alten§ an bie ßuftänbe unb
SSorgönge ber StuBenmeÜ. 5(IS Organ für biefe Seiftung mirb ba§
9'Jerüenft)ftem auSgebilbet; in if)m mirb bie Senfibilitöt für (Erregungen
burd) bie StuBenmelt immer met)r gefteigert unb bifferenjiert, unb in
bemfelben 9Jiafee fd)rumpft fie in ben übrigen STeilen ber organifd)en
Subftanj. SJÜt ber ^^^t^o^ifa^ion ber Senfibilität ge^t bie ber 9fie-
a!tion§betüegungen §anb in §anb; bie ßentralorgane be§ 9^eroenft)ftem§
finb regutierenbe Äontroüapparate, burd) meldte bie urfprünglidj 011=
gemeine 9iea!tionSfät)ig!eit ber organifdjen ©ubftan^ eingefdjränft mirb.
— 3)iefem (EntmidelungSprose^ be§ organifd^en SebenS ge^t ber be§
feelifd)en jur Seite; burd^ bie StuSbilbung ber (Empfinbungen unb beS
@ebäd)tniffe§ ttjerben bie organifc^en ®efüf)Ie immer mef)r {)erabgebrüdt,
ba§ Spiet ber S^orftellungen beginnt unb mit it)m ha§ Semufetfein im
eigentlidjen Sinne, ha§> nid)t o^ne bie 93e5iet)ung eines pft)d)ifd)en
Clements auf ein ®an§eS gebadjt iüerben fann.
S(^ !omme ^um Sc^Iufe biefer ganzen 93etrad)tung. Se|t man
Seelenleben unb bemühtes 2)en!en gleid;, bann fommt man bal)in,
7. SBefcn b. ©eele: Stttuoliftifd^e u. jubftantioltftifc^e SluffoffunS- ©i& int fieibe. 151
tt)of)in bie dortefianer burc^ if)re ©rflärung ber @eek al§ res cogitans
gefüf)rt luurben: ben Vieren, übert)aupt ben untermenfcl^Iirf)en SSefen
bie ©eete abjufprec^en. Sft bagegen and) im 9}?enjrf)enleben ba§ be=
lüuBte :^or[teüen unb ^Denfen nirfjt ba§ @Qn§e, giebt e§ unter ber
Dberflödje ein unterben^uBteö (Seelenleben, fo f)inbert nid^til ,^u benfen,
ha'^ e§ oud) Seelenleben giebt, in bem e§ ju einem Semufetfein in ber
SSeife menjdjlid^en @elb[tben)u§tfein§ überhaupt nid^t fommt. @elb[t=
bemuBtjein je^t 2Se(tbeh)uBtjein mit ou^gebe^nter Erinnerung, ja
©attungSerinnerung, b. f). gef(^icf)tlid)e§ SeUJU^tfein öorau§: ©elbft=
bemu^tfein im eigentlicfien ©inne t)at ha§> ^d) nur al§ gef(i)ic^tlicf)e§
SBefen. @o tt\üa§^ werben mir ben STieren nic^t §uf einreiben; and) bos
flügfte Xier fönnte jeine Seben§gej(^irf)te nic^t ergäfilen. ^^x <See(en=
leben mirb bem äf)nlid^ fein, ta^ mir in un§ unterhalb be§ felb[t=
bemufiten SDenfen§ unb 2öolIen§ ontreffen. (S§ mirb, in aümät)(idf;er
?tb[tufung, bie 35or[teIIung§feite mef)r unb met)r fd^minben, bie @r=
innerung immer fürjer, bie 2BQf)rnet)mung immer bürftiger merben;
bomit mirb and) ber SSiüe immer mef)r bie gorm öorau§fcf)auenber
3ielfe|ung, bemühten SSerlangeng ober 93ege'^ren§ üerlieren, big f(f)IieB=
lid) aU Snf)alt be§ (Seelenlebens nichts al§ ein inomentaneS STrieb-
gefüf)! bleibt, ha§> bnxd) bie 93erül^rung mit ber Umgebung au^gelöft
mirb. innere SSorgönge üon joldjer Hrt mären aU bie Segleiterjcfjeinungen
5U ben Semegunggüorgängen and) jenjeitS ber ©renje be§ organifc^en
Sebenä §u fonftruieren.
®amit märe benn gegenüber ber materialiftijd)en eine ibeoüftifd^e
ober fpirituali[tijd)e Ontotogie begrünbet. ©ie beruht mefentlid^
auf ber paraüeliftifdjen Xt)eorie üon bem 33er;^ättni§ be§ ^^l)fifrf)en unb
^fi)(^ifd)en, unb auf ber ootuntariftifd^en ^ft)d)o(ogie. S^ren Slbfdjlu^
aber finbet fie in ber moniftifd^en Söfung be§ !o§moIogifc^en ^roblemS,
5u bem mir un§ nun menben.
gtoeites Kapitel.
1. S^otfac^cn unb .^^pot^efen.
®ie ^rage narf) bem SSefen be§ 2öirfli(i)en mac^t ha§> ontologifdie
^ro6Iem au§. ®a§ fo§mo(ogifcf)e Problem i[t bie ^rage nadj bem
3ufammenf)ang be§ SBirflicfien unb feiner ©ejamtgeftaltung.
ScE) be^eidine §unäd^[t bie Srf)atfacl^en, tüoburd) bie O^rage aufgegeben
lüirb.
®er gemeinen SSorfteüung erfc^eint bie SSelt al§ eine 53ierf)eit
felbftänbiger Singe, beren jebe^ fein Safein unabf)ängig öon oüen
übrigen f)at ?(llerbing§ bleiben fie nid^t üöüig gleichgültig neben ein=
anber, fie [tei)en in Sejieljungen gu einanber, fie lüirfen auf ein =
anber. Sorf) ift biefer 3i^fömmenf)ang burcf) Sßec^fe(n:)irhing für ta§>
Safein jebe§ (SIementg an fid) entbe^rtid).
3^affen tt)ir bie @arf)e etma§ genauer in§ 2luge, fo ergeben fld)
ein paor bemer!en§luerte weitere Sf^atfac^en. 3^^^*^ 2ßir!en unb
ßeiben finbet nid)t bloß gelegentlid) unb ^in unb mieber, fonbern
beftönbig unb allgemein ftatt. Seber Seil ber SSirfüd)feit ftef)t
mit jebem anbern in unau^gefe^ter SSec^felmirfung. Bo (e§rt bie
^f)t)fif. (Sin ^i^Qetftein füllt oom Sad;. SBir fageu, bie (Srbe ^ie^t
if)n mit einer ber 9J?affe entfpred)enben ^raft an; ha^ i)eifet: feine
S3emegung mirb in jebem 3J?oment beftimmt burd) bie ^^'e§ief)ung aller
feiner Seile ^u allen Seilen, bie ben Körper ber Srbe au§mad)en.
SBüre bie SJJaffe ber (ärbe fleiner, ober märe ein Xeil jeitmeilig un=
tt)ätig, fo mürbe bie Semegung be§ 3i^9<^^ftein§ eine anbere fein; auf
bem 9}lonbe fiele er mit geringerer, auf bem Jupiter mit größerer (55e=
fd)roinbig!eit. (Sbenfo mirfen alle Seile be§ (Steint auf bie ©rbe,
inbem fie il)r einen eintrieb gur S3emegung in ber 9ftid}tung auf ben
gemeinfamen @d^merpun!t erteilen. (?§ ftellt fid^ un§ alfo bie Se=
1. 3;f)at|ad^en unb ^t^pot^efen. 153
tüegung be§ ©teine§ al§ ein Steil einer ©efamtbenjegung bar, bie er
mit ollen ^Teilen ber @rbe gegen einen gemeinjamen ßi^^pi"^^* <Jii^=
fü()rt, ben (Sd^n^erpnnft bes ©i)[teni§, ©leidjjeitig [te{)t bie§ (Si)[tem
gn einem größeren ©t)[tem in bemfelben SSerf)äItni§; jebe SSeränberung,
bie in it)m fidf) gnträgt, bie !Iein[te Verlegung be§ ©djinerpunftä mirft
anf bie Semegnng be§ gefamten ^Ianetenft)ftem§ jnrücE. Unb biefe§
[te^t iüieber in SSecfjfetoirfung mit einem n^eiteren ^rei§, einem
9}?il(f)[trQBenfl)[tem, ju befjen .^onftruftion freilief) nn§ bie ^t)Qtfad)en
nodj fe{)(en. Stifo: ade 9}?Qffentei(rfjen, bie neben einanber im 9iQum
finb, bilben ein eint)eitlid)e§ ©l)ftem mit einer einfjeitlirfjen 93elDegung,
in ber jebe Senjegung eine§ XeilS ot§ SEeilbehjegung befrf)(offen unb
beftimmt i[t.
2?erjelbe 3iif'^'"'n^"^)'^"9/ ^^^ ^^^ S3ert)egungen im 9Raum §u
einer aUumfaffenben ©in^eit gufQmmenjd^fieBt, befc^üe^t fie and) §ur
(Sinf)eit in ber ^di. ®er |]iegel[tein würbe burd) einen ©türm
t)om '^ad) geworfen. Ser Suftftrom ift bie 2öir!ung ber üerfdjiebenen
@rtt)ärmung öerfd^iebener ^eile ber ©rboberflädje; biefe Urfac^e felbft
ift wieber bie S23ir!ung früherer Umftänbe, ber Sett)blfung, ber 9^ieber=
fc^täge, ber 9J?eere§ftrömungen, ber ©eftattung ber (Srboberpd)e unb
i^rer Bewegung, unb fo fort in§ Unenblid^e. §ätte ein üollfommener
Üled^ner bie SDJaffen unb i§re Sage unb Bewegung gegen einanber in
irgenb einem beliebig fernen ßeitpuntt ber ^ergangent)eit genau in
Stnfdjtag gu bringen oermod)t, fo wäre er aud^ imftanbe gewefen, ba§
(Sintreteu biefe§ ©reigniffeS jn biefer ß^it an biefem Ort t)orau§=
gufef)en, wie ber 5Iftronom ha^ ©intreten be§ 9J?onbe§ in ben (£rb=
fdjatten auf bie ©efunbe öorauS beredjuet.
2Bir Werben atfo auf bie g^ormel geführt: alle 33ewegnngen in
ber unenblid)en ^txt unb beut unenblidjen 9\aum bilbeu in 2öaf)rf)eit
eine einzige Bewegung; bie Ä^ör^3erwelt ift ein ein^eitlidjeg
©^ftem mit einer einzigen S3ewegung, gu ber fid) alle ©injel*
bewegungen aU mit bem ©anjen gefeilte STeite nertjalten. Ober mit
Seibnij: „jeber Körper fpürt aUeS, toa§' fid) in ber ganzen SSelt ereignet,
fo baB jemanb, ber aüeS fief)t, in jebem einzelnen lefen föunte, wa§
fic^ überall begiebt unb baju atteg, wa§ fid^ begeben I)at unb begeben
wirb, inbem er in bem Gegenwärtigen ta^^ in ßdt unb 9taum g^erne
wat)rnimmt." (9JionaboIogie, § 61.)
154 I. 93uc^: mttapi)t)]il 2. Kapitel: ®o§ Io§moro9ifrf)=tf)eoIogifc^e «ßroblem.
Sine 5rt)ette 3:f)QtJQd^e, bie in ber ßonftitution Der SSelt bebeut*
fant ^eröortritt, ift bie ^errfc^oft allgemeiner ®efe|e. ©o groB
ift bie ©leic^artigfeit ber Elemente, bn§ bog Sßer^olten aller, tüenigftenS
nac^ gettjifjen ©eiten, burcf) einfädle Formeln au§gebrücft ttjerben fann.
Sie @efe|e ber 2)?ec^anif, ober ba§ ®raüitation§gefe^ jinb, \o nehmen
njenigftenS ^f)t)fi! unb Slftronomie an, ber genoue 5tuöbrucf für ba§>
Sßerf)oIten jebe§ 9J?ajjenteiId)en§, ha^ irgenbnjo im unenblidjen 9ioum
fic^ finbet, irgenbujann in ber unenbtidjen ßeit t^ätig i[t; jebe§ fönnte
on bie ©teile jebe§ ber 3J?affe nacf) gleicfien jubftituiert werben, o'E)ne
baB eine S3eränberung im äöeltlouf einträte. Sieje ^omogeneitöt aller
2;ei(e ber 2öir!lic^feit ift offenfior für nnfer SDenfen ni(f)t eine not=
rtjenbige; e§ n^äre bur(f)an§ benfbar unb bei ber 3Sorau§fe|ung, ha^
bie Sßelt ou§ bieten abfolut felbftänbigen Elementen befielt, eigentlicl)
eine nal)e liegenbe (SrttJartung, ha'B biefelben alle ntögtid)en SSerf(^ieben=
f)eiten be§ Sßer]|alten§ S^igen. ®onn xoäxt 9laturtt)iffenfc^aft in bem
je^igen ©inne nic^t möglid), üieüeic^t überljaupt nirf)t möglirf). 2)oB
e§ ber ^aii ift, ift für unfer 2)enfen ein glücltidjer ^iif^ü-
^ier^u fommt enblicf) eine britte bebeutfame 2:f)atfac^e: bie
!o§mifdje ©lieberung ber 233irtlic§feit. ®a§ gro^e ein^eittidfie
©i^ftem, bo§ Uiir bie SSelt nennen, geigt eine 9leigung gu einer
eigentümlid^en 5(norbnung feiner ^eile, bie S^ieigung nämlid), fic^ in
fleinere, relatiö in fid^ gef(f)loffene ©tifteme, mit einer ebenfo relotiö
gefd^loffenen 33en)egung§ein^eit §u gliebern. ®a§ umfaffenbfte ©t)ftem,
ha§, un§ überfel)bar ift, ift unfer ^lanetenfijftem; felbft ein retatio
in fid^ gef(f)loffene§ STeilfijftem eine§ ©t)ftem§ f)öl)erer Drbnung, gliebert
e§ fid) ttjieber in üeinere (£inf)eiten, bie §immel§förper, bie fid^ gum
2;eil felbft njieber al§ oielgliebrige !o§mifd)e ©tifteme, Planeten mit
Trabanten unb Usingen, barfteEen. Seber biefer jTeile geigt, wit bo§
gange ©onnenfi)ftem, g^llifd^e Semegung unb einf)eitlid)e (gntujidelung :
jeber <^immel5förper bemegt fid) in periobifd^en Umläufen um bie
eigene Std)fe unb um ben ^^^l^Q^^örper; gugleid) burdjläuft er eine
9Reif)e bon ©ntmidelungSftufen, bie fic^ gu einer einl)eitlid)en ®e=
fdjid^te gufammenfdjlie^en. g^ür bie @rbe finb xd'xx imftanbe, if)re
6ntn)idelung§gef(^id)te njenigftenS im Umri^ gu ffiggieren. ?tuf ber
(Srbe, bem eingigen un§ näf)er befannten §immel§forper, treten un§
n)ieber üerfleinerte ?Ibbilbungen gleidjfam jener fo§mif(^en ©in^eiten
1. S^atfod^eti unb §^potf)ejeu. 155
entgegen, bte Organismen. SSie 9Kifrofo§men njieber^olen fie t)a^
SilbungSgefet^ ber 9J?af rofo§men , fie [teilen f leine ein^eitlid^e, ge=
glieberte (Si)fteme bar mit einer 9tei^e periobifc^ mieberfef)renber 35er=
änberungen, SIntumlauf, 5(tmung, ©toffmec^fel, @eneration§med)feI,
bie üon einer einljeitlidjen ©efamtentmidelung (Geburt, ©ntmicfeinng,
HIter, STob) nmfd)Ioffen hjerben. Überaü laufen biefe Sßeränberungen
in relatiü gefditoffener ©in^eit ah, aber mit 53e5ief)ung auf W $8e=
tt)egungen in bem größeren (Stiftern: bie ^f tanken unb Siere fügen
fid^ mit it)ren gijüifdjen SebenSpro^effen ben 5t)!Iifd^en S3emegungen
be§ (SrbförperS ein; ber ©enerationätt^ed^jcl folgt im ganzen bem
SSed^fet ber Saf)re§äeiten, alfo ber SSemegung um ben ß^i^^^'Q^fö^P^i^^
bie fiebenSbet^ätigung unb ber ©toffttjec^fel fte^en gu bem SBed^fe
üon 2:ag unb 9Zad)t, alfo ber Sld)fenbref)uug, in engfter S3eäief)ung.
©nbtid^ löft bie ^t)t)fioIogie bie lebenben Körper mieber in fleinere
(Sinfjeiten, bie ^tikn, ouf, bie nod^malS in üerfleinertem SJJaBftab
benfelben mi!ro!o§mifc^en ß{)arafter ^^eigen. Unb 5ute|t geigt bie
(Sf)emie, baB aüe Körper, organifc^e unb unorganifd^e, ou§ üeinen
©t)ftemen beftet)en, ben SJJoIefüIen, bie fie mieber a{§> ein @piet üor=
aufgefegter Steile !onftruiert, ber 5ttome. §ier bleibt bie 5(nat^fe
einftmeiten fte^en, ber 3"^""ft überlaffenb, and^ bie Sltome mieber at§
5ufammeugefe|te ©tifteme gu fonftruieren. — ©o ftellt unS bie 9latur=
n)iffenfd)aft bie 3Sir!Iic^!eit al§> einen burd^göngig ein^eitüd^en unb
burdjgängig gegüeberten ^olmo§ bar.
(5§ ift leidjt gu fetjen, ha'^ bie geiftige äBelt, fo üiel lüir öon
if)r erfennen, benfelben ߧaro!ter geigt, (Sinf)eit unb ©lieberung finb
aud) l^ier bie ^erüortretenben ©runbgüge. (S§ giebt in ber geiftig=
gefd^id§tlid)en 2BeIt fo menig mie in ber p^t)fifd^en üereingette (Stemente,
lnelmet)r fdjIieBen fid) aUe gu einer (Sinfjeit geiftig=gefd)id)ttid)en ßeben§
jufammen. Man ne^me ein beliebige^ (Singeüeben. ©ein ^xü)ait tamx
nid)t befdjrieben merbeu, al§> burc^ (Einfügung in ben gefd)id)ttid;en
3ufommen^ang; bie gange 3^itgefdjid}te unb bie gange SSergangen^eit
ift barin, unb auf bie gonge 3"^i^i^ft 9^^^" ^i^ SBirfungen. (Sine
^öiograptjie SeffingS fann nidjt gefc^rieben merben, ot)ne ta"^ ^^riebrid^
ber @roBc unb Voltaire, (Söge unb (SJottfc^eb, Seibnig unb ©pinoga
barin tiorfommen. Stber jeber tiefer 9lameu ftellt Ujieber in neuen
Regierungen gu ^^itgenoffen unb SSorfafiren; bie gange gefdjid)tlid^e
156 I.93uc^: SJtetap^^fif. 2. Sapitel: ®a§ fo^mologifdi-t^eologifd^e Problem.
SBett be§ ftebgefjnten unb oi^tjefinten 3of)r^unbert§ bringt 'hinein, unb
nur burd) Sötüfür fann i>a§ (Singelne f)erau§gelö[t unb für firf) bar=
geftellt loerben. Unb bie ©ntftidelung ber S^eujeit f)ängt n^ieber Quf§
innigfte mit S^enoiffance unb SfJeformation, mit SUättelalter unb 5IIter=
tum gufammen; unb im ©ried^entum berüt)rt firf) ha§> Slltertum mit
beut Orient; alle biefe ®inge finb bie S^orausfe^ung be§ geiftigen Sn-
f)Qlt§, meldjen mir bo§ Seben Sefjingg nennen. Man fiet)t, bie gei[tig=
gejcf)ict)tlic^e SSelt ift eine (Sint)eit, mie bie pf)i)fif(i)e SSelt: 5(üe§ in
jebem unb jebe§ in aüem!
Unb ebenjo geigt fid^ ouc^ ^ier bie DIeigung jur S3ilbung üeiuerer
relatiü gejc^Iofjener Greife: bie SJlenjctifieit gliebert fid) in 5ßölfer,
bereu jebe§ eine ©in^eit geiftigen fiebenS bilbet, in firf) §ufQmmen=
gefc^Ioffeu burc^ bie ®int)eit ber ©prarfje, morin ber geiftige Qn^alt
fic^ objeftioiert; bie SSöIfer glieberu firf) mieber in (Stämme, biefe in
Öonbfrfjaften, bie 2anbfrf)aften in einzelne Orte, bie Orte in gamitien,
jebe biefer ©ruppen ein ein^eitfirfjer, relatio in firf) gefc^Ioffener 2ebeng=
frei§ mit eigener @efc^irf)te unb eigentümlichem geiftigen 3nt)Qlt. 2^ie
leiten (gint)eiten bilben bie Subiüibuen, in bereu jebem bie größeren
Äreife gu einer einzigen, fo nur einmal üorfommeuben Sitbung inneren
2eben§ fpegialifiert finb.
5(Ifo, bie SBirflic^feit ftetlt, fo öiel mir fe^en tonnen, ein ein=
t)eitlirf)e§, gegüeberteS, t)on @efe|en burrf)gängig bet)errfrf)te§ ©l^ftem
bar, einen Äo§mo§. Sa§ ift bie S^atfac^e. Unb nun erf)ebt firf) bie
g^rage: mie f ollen mir biefe Xt)atfarf)en beuten ober fonftruieren? SSo*
t)er fommt e§, ha^ bie SSelt nirf)t eine rf)aotifrf)e S^iel^eit gegen ein=
anber abfolut gteirfjgültiger (Elemente ift, benfbar märe ja aurf) ba§;
mot)er fommt bie !o5mifrf)e DIatur be§ 2BirfIirf;en, bie (Süeberung unb
bie ßufammenfc^IieBung aller 3)inge gu einem einzigen großen 2)urrf)=
einaubcr unb ^üreinanber?
(ä§ giebt brei SSerfurf)e, biefe§ Problem ju löfen, brei fo^mo*
Iogifrf)e §t)potf)efeu: ben ?(tomi§mu§, ben antt)ropomorpf)ifrf)en
^f)ei§mu§ unb ben ^ant^ei^mug.
S)er S(tomi§mu§ (ber nirf)t notmenbig materiaüftifrf) ift, auc^
eine ftreng burrf)gefüt)rte SOJonaboIogie gehört t)iert)er) nimmt an, ha^
hnxd) hü§> btoBe sufäUige S^ebeueinanber an firf) ööüig felbftänbiger
Urelemente ber Schein ber eiuf)eit entftef)t. ©in urfprüngtirf)er innerer
2. atomifttld^e unb teIeoIogii(!^=t:^eiftiycf)e 9taturer!tärung. 157
3ufammen^ang ber SItome ejiftiert überhaupt nid)t, aber inbem fie,
an fid^ gteidjtjültig gegeneinonber, fid) im leeren 9iQum belüegen unb
begegnen, entftet)en jene oorüberge^enben 55erbinbungen, bie tüir 2)inge
unb 3ufammenf)änge üon Singen nennen; inbem unenblid) oiele Stemente
im unenblidjen 9?aum unb in ber unenblid)en 3^^* fid) burdjein*
Quber beiüegen, müfjen alle möglidjen Kombinationen ^eitttieilig tt)ir!lic^
ttjerben.
S)er antf)ropomorpt)ifd)e X{)ei§mu§ befjauptet bagegen: e§ i[t
nidjt benfbar, boB bie (5inf)eit, ©lieberung unb Drbnung ber SBirfüd)«
feit ein ©rgebni» be§ ßufatlg ober blinbgefe|mäfeiger 93ett)egung ift;
bie i^orm ber SSett ift nur burd) bie SBirffamfeit einer nad) ß^^cEen
tätigen, ©lieberung unb S3erlauf in ©ebanfen oorau^netjmenben bau=
meifterlic^eu Sutelligeng ju erflüren.
3)er ^^antt)eilmu§ eublid) fei^t ba^^ ^rinjip ber (Sin^eit at§ ein
ber 3SeIt immanente^. 25ie SSirftic^feit ift ein ein§ige§ SSefen; nid)t
bie ßint)eit, fonbern bie SSieU)eit ift fe!unbär. Ober, bie ©lemente ber
3Bir!(ici^!eit finb nidjt felbftänbige Singe, bereu Summe haS^ &an^c
auSmadjt, fonbern fie finb burc^ ha^^ ©anje gefe|te 9J?omente, in ifjm
feienbe S3eftimmungen ober 9}?obififationen feine§ SBefenS.
2. Sttomiftifc^e unb tcIcologif^4^eifttfd)e 9?aturcrfliirung,
Sie Erörterung ber fonfurrierenben ^t)pott)efen beginne id) mit
ber SarfteHung be§ ®cgenfa|e§ ber atomiftifd)en unb ber tf)eiftifd)en
§t)potf)efe, unb ^Xüqx junädjft in ber ©eftatt, luie er Sa'^rtaufenbe
lang ha§> Senfen ber ÜJ^eufdjen be()errfd)t f)at, t)a§t f)eiBt otjue 9iüd=
fidjt auf bie SSeränberuug be§ ^robIem§, wdd]t in unferem Soi)r=
t)unbert bie entwidelung^gefdjic^tlidie Biologie unb 5!o§moIogie mit
fic^ geführt fjaben. (S§ finb bie beiben ^^(nfd)auungen, bie bem ge=
loütjulidjen Senfen and) {jeute nod) am näd^ften liegen; ber 5(tomi§=
mu§ ift oor^errfd^enb in ben Greifen ber naturluiffeufc^aftlidjen Sitbung,
ber anttjropomorp^ifdje sn)ei§mu§ in ben Greifen, bie unter bem @iu=
fluB ber !ird)Iidjen ^^iIofopt)ie ftel^en. SSo^u ic^ benn gleid) bemerfe,
ba^ bie Äirdjentetjre in einem luefenttic^en ©tüd üon ber 5tnfidjt, bie
id) mit bem 9cameu be§ antf)ropomorpt)ifcf)en 2;f)ei§mu§ be^eidjne, fid)
unterfdjeibet, barin niimüd), baB fie feine fetbftünbig feienbe 9J?aterie
annimmt, ha^ fie @ott nid)t al§ 93aumeifter, fonbern at§ ©djöpfer
158 I-83ud^: 3J?etapf)t)fiE. 2. ^apitth S)o§ !o§moIogijd)4f)eoIogifd)e 5ßrobIem.
ber SSelt au§ niii)t§ anfielt. 3)nmit nähert jie ftrf) ber brüten 5(uf=
foffung, ber pant^eiftijdjen, \o fef)r, bafe fie begriff(icf) öon iJ)r nic^t
getrennt tüerben fann: ein SBefen, ha'^ olle übrigen on^ nidjt» erfdjafft,
i[t notttjenbig \)a§> einzig felb^tänbige ober Jt)Qf)r{)Qft jieienbe SBefen.
Singen, bie oon it)m erjdjaffen nnb im Safein erfjalten merben, fommt
if)m gegenüber feine ©elbftönbigfeit gu; fie finb im ^er^ältni^ ,^u @ott
93et§ätigungen unb Seftimmungen feine§ SBefenS. Sie Stllmac^t !ann
atleg, nur nid^t ifjren ®efd)üpfen ©elbftänbigfeit fid^ felbft gegenüber
geben, fie müBte it)nen benn bie Unerfd)affent)eit geben fönnen.
Ser Qntf)ropomorpf)ifd)e Sf)eilmu§, um mit feiner SQr=
[telinng gu beginnen, ftü^t fid) etma auf folgenbe S3ett)ei§füf)rung, fie
ttjirb bie teteotogifc^e genonnt.
Überall, wo wir eine S^ieUjeit üon (Elementen, bie ifjrem Sofein
nac^ oon einanber unabhängig finb, fo angeorbnet finben, "öa^ fie
burc^ i^x 3ufattimentt)irfen regelmäßig einen finn= ober mertooUen
(grfotg I)erüorbringen, ha ne!)men mir an, ha'iß bie Stnorbnnng ber
Seile burc^ eine Snteüigenj bemirft fei, bie, ben ©rfolg a(§ ^md
moüenb, bie ßufammenfügung ber Seile oI§ 9J?itteI \n§> 2Ser! fe|te.
3n einer Ut)r j. 33. finb mk Seile: 9ftäber, Qap\m, Steine, ßeiger,
Zifferblatt, geber, fo gufammengefügt, baf? if)r ßufammenmirfen eine
gleidjförmige ^emegung ber ^tiQ^x §ur golge t)at, moburd) bie Ut)r
§u einem geeigneten 2öer!§eug ber ^eitnteffung mirb. Sebermann, ber
ben 3med fennt unb bie SInorbnnng ber Seile fielet, fd)lieBt fogleid)
mit 3uoerfid)t auf einen Urfprung biefe§ Singe§ au§ Äunft unb 2(b=
fid)t. Unb menn er auf einer unbemoljuten Snfel eine Xii)v ober aud)
nur ein Sruc^ftüd eineS 3af)nrabe§ fänbe, fo mürbe er alsbalb fagen:
I)ier maren 9Jienfd)en; nic^t ber ^ufatl Ijat bie Elemente fo sufammen»
gefül)rt, fonbern menfc^lid)e Slbfidjt.
9^un, eben biefer goü liegt in ber ^ainx im großen üor. SSir
finb nic^t ^lugenjengen ber erften Slnorbnung ber Seile gemefen; aber
überall begegnen un§ (5r§eugniffe be§ 9^aturlauf§, bie (Sräeugniffen
menfc^lidier ^unft unb 51bfid)t fo fef)r gleidjen, baß mir auf äf)nlid)en
Urfprung, auf bie S^tigteit einer boumeifterlic^en Sutelligeng ju
fdjließen genötigt merben. SSor allem gilt ba§ oon ben ßebemefen.
©ie gleidien in Sau unb !iierrid)tung feljr fompliäierten 9J?afd)inen.
Sie Seile: Ä^nodjen, 9)iu§feln, S3änber, 9krüen, ©efäße, §er§, Sunge,
2. Sltomifttfd^e unb teteologifc^^^eiftifd^e 9Zaturer!(äning. I59
S3Iut, ÜJJogen, §Qut, ^aore u. f. tu. ftnb jo sufamniengefügt, boB il)re
2Bed)jetft)ir!ung jenen ©rfolg, ben n)ir ßekn nennen unb qI§ finn=
unb wertooü, ja ot§ bie ^orau§je^ung aller SBerte erfennen, jur golge
f)at. Unb jeber biefer Steile ift ttjieber jufommengefe^t unb §eigt bie=
fe(6e erftaunlid^e §{npa[fung oieter 2;eile gur (Srmögücf)ung einer für
iia§> ©ange notoenbigen ^'"»ftion. StRan nef)me hü§^ ^uge. 3)a f)aben
mir äuer[t bie 9le^f)aut mit ben (Snbigungen ber ^afern be§ optifc^en
9krüen, erftaunlid) fompliäierte @ebi(be, raie ba§ 9}?ifroffop jeigt, ge=
eignet, üon jenen leifeften ©rfc^ütterungen, ben 2i(f)tmeUen, erregt ju
merben unb i()re Erregung burdj bie ^Zeröenfajern bem ®el)irn jn-
§ufüf)ren. Sie allgemeine Sid^tempfinblicfjfeit mürbe aber gut Drien=
tierung in ber SBirfüc^feit menig nü|(id) jein, menn nic^t fd^arf um-
riffene Silber ber Cbjelte auf bie Ütetina gemorfen mürben. SDie§
bemirft ber borgetagerte optifcfie SIpparat: burd) §ornf)aut, ßinfe,
©laSförper merben bie einfaüenben Sidjtftra^Ien fo gebrochen, baB fie
ein frf)arfe§, öerfleinerteS, unige!ei)rte§ Silb be§ ®egenftanbe§ auf bie
9^e|f)aut geid^nen. Ser bemegtid^e @cf)irm ber Sn§ mit ber centralen
Öffnung ber ^upitle, ber bie trübenben ©traf)Ien, bie burd^ ben üianb
ber Sinfe getjen mürben, abf)ält, bie 5(u§!(eibung ber 3lugenpi)Ie mit
frfimaräem 'ißigment, ein fompü§ierte§ 9)iu§fet= unb 9^erüenft)ftem, mo=
burd) bem Stuge bie 5lccommobation an öerfd^iebene Entfernung ber
Dbjette fomie aüfeitige 33emegtid^feit in ber 5Iugenf)ö^Ie öerlief)en mirb,
öoüenben feine Sraud)bar!eit. (Snblid) ift ba§ gan^e fo mid)tige Drgan
auf§ forgtic^fte öermafirt; eingebettet in eine ^uod)enl)öf)Ie be§ (Sd^äbelS,
mirb e§ nod) burd) ßiber, SSimpern, fronen gegen allerlei anfällige
©d^äbtidjfeiten gefd^ü^t.
SBa§ un§ f)ier entgegentritt, mieberf)oIt fidj im Organismus
taufenbf ad); jebeS Organft)ftem jeigt biefelbe fünftlic^e ^ufammen*
fügung einer S^iel^eit öon 2;ei(en ju einem SSerfjeug, beffen 3:f)ätig=
feit bie (Srf)a(tung be§ £eben§, fei e§ beS SubioibuumS, fei eS ber
3(rt, ermöglichen l^ilft. Se tiefer mit neuen UnterfudjungSmitteln
5(natomie unb ^Biologie in ben Sau unb bie gunftioneu be§ SeibeS
einbringen, befto erftaunlid^er mirb bie <Bad)c; immer grijfeer mirb öor
unferen 2(ugen bie SJompIifation, immer tiefer bringt bie (Slieberung,
immer mannigfadjer mirb bie Silbung. Stber in bemfelben ÜKaBe
mäd)ft ba^ SBunber ber ßufommenftimmung ber 2:eite gum ©ongen,
160 I- 33udE): ajietapf)t)fif. 2. Äapitcl: ®og !o§moIogii(^4f)eoIogifc!^e ißroblem.
ber Slnpaffung be§ ©anjen an feine Umgebung; jebe (Smeiterung unb
Söertiefung ber @r!enntni§ füf)rt bie Biologie gu tieferer Ginfidjt in
bie innere @in{)eit be^ ^lang, ber bie ©eftaltung be{)errfd)t. 2ßie ein
2trci^ite!t ber dlatm, fo ruft Srenbetenburg, ber Erneuerer ber
ariftotelifdjen Seleologie in biefem Sat)rf)unbert, bert)unbernb qu§, ent=
ujirft (Euüier qu§ bem ^toed bie Wlittd unb bog ©efüge be§ 93aue§
einer Sierart.*) (Sin paar 93ruc^ftürfe öom ©felett einer auggeftorbenen
Tierart finb ou§reid)enb, ben 9JJei[ter ben ^(an be§ ©anjen erfennen,
ha^ Zkx nacf) S3au unb SSerric^tung bor unfern Stugen n)ieber ^er=
ftellen ^u (offen. —
SBie finb bie lebenben SSefen entftanben? Se^t entftefjen fie
burd^ 3^"9""9 ^"^ 3Saci^§tum; bie g^orm n^irb burct) ;^ererbung öon
elterlichen Snbiüibuen abgeleitet. 5Iber inie finb fie urfprünglid) ent=
ftanben?
^uf biefe g^rage giebt ber atomiftifd)e SOiaterialigmug bie 'änU
irort: burrf) ein fpontane§ 3^iön^"i^"t^^ff^" öon S(tomen, bie firf) nad;
allgemeinen pt)t)fifa(tfd)en Ö5efe|en beujegen. Sm unenblid)en SIblauf
blinb notttjenbiger ^emegungen muffen alle möglid)en Slnorbnungen ber
(Elemente fi^ öermirllic^en, barunter getegentlid) aud^ biejenigen, bie in
ben 2ier= unb ^flanjenformen üorliegen; taufenb Kombinationen
mod)ten mieber verfallen, enblic^ mußten bod) and) einmal fold)e juftanbe
fommen, bie fid) ju erl)a(ten unb fortäupflan^en öermod)ten.
Sft ha§> benfbar? fragt ber SEeleolog; ober menn benfbar, ift
e§ möglich ^u glauben, ha\i fo etiuaö fidj mirflid; zugetragen ^at?
3n irgenb einem 3^itpun!t famen olfo an irgenb einem Ort, l)ier auf
bem nadten (Srbboben, ober im ©djlamm, ober im 2Baffer, ober in
ber £uft, olle bie (Elemente jufammen, bie einen Slbler ober einen
^oififdj ober einen ßömen bilben: ha ftonb er, plö^lid) 5ufommen=
geioe()t, mit ^ant unb ^ooren, mit 5tugen unb Dl)ren, mit ^ö^i^en
unb Äroüen, mit ^erj unb 5Ibern unb freifenbem 93lut barin? S)ie
nermegenfte ^l)antafie oerfud)e fid; boron, ben ^ergong auszumalen!
Unb mon beben!e: in bemfelben glüdlidien Stugenblid mu^ berfelbe
3ufatl oud^ noc^ eine Sömin gumege bringen unb §iüor on eben bem=
felben Ort, benn fonft märe ber groBe Söurf \a nod) üergeblid^ ge=
") 2ogt)d)e Unterfud)ungeit, 2. 2t. 1862, II, 8.
2. 3ttomi)'tiic^e unb teIeoIogii(^4t)ei[tifc!^e 9?aturerflärung. 161
luejen! Unb notürüc^ aitcf; ein ^eutetier, eine ©ajelle, ober alfo ein
©Q^eüen^jaar, ober oie(niet)r eine tjan^e "^(njaf)! üon paaren, auSreic^enb
äur Fütterung, bi§ bie Fortpflanzung für (Srfa^ geforgt t)Qtte.
SQJon njirb geftefjen muffen, n)enn \)a§ nid)t unglaublid) ift, bann
giebt e§ ouf ber iSSelt überl)anpt nichts Unglaubliche^. Unb bie ©ac^e
tt)irb um md]t§> glaubücfier, menn man etma, ben ©puren be§ Smpe-
bofIe§ folgenb, erft bie Xeile einzeln für fi^ entfielen löBt, Strme
unb 33eine ofjne Üiumpf, klugen unb Cfiren of)ne Äopf, um biefe bann
fid) finben unb, ujenn ju einanber paffenb, fid) bauernb öerbinben ju
laffen. 5(riftotete§ f)at oi^üig red)t, menn er biefer 35orfteüung
ben ©ebanfen entgegenfteüt: ha^^ ©anje ift früher al§ bie Xeile, an
unb au§ bem ©an^eu madjfeu bie Seife, unb e§ giebt für fie feine
anbere 2(rt ber ©ntfte^ung. 3^aö üeinfte §aar mirb uid^t entfielen,
aU auf bem Körper, §u bem e§ gefjört, unb menn man noc^ fo lange
bie ?Itome burd)einanber fdjüttelt. Unb nun follen mir gar glauben,
ha^ bie ^aare eine§ Sömenfelle^, nac^bem fie einzeln entftanben unb
gu ^unberttaufenben einzeln burd) bie SSelt gefd^mirrt maren, pB^Iid^
eineö Xage§ in eine §aut äufammen fuf)ren, jebe§ in ha^ präftabitierte
£od) fid) fügenb? 5^a märe bod) nod) I)unbertmal glaublicher, baf, eine§
2age§, etma burc^ ein (Srbbeben, taufeube oon ©eftein^trümmern gerabe
fo abgerieben unb jufammengerüttett mürben, ta'Q fie einen borifc^en
Stempel unb ein anbermal einen gotifd)en ®om barfteUten, ober ha'^
jemanb, 9Jiiüionen oon 2:i)pen au§ einem großen Bad au§fd;üttenb,
enblic^ einmal e§ erreid^te, ha'^ fie gerabe rc^t ^ufammenfielen, um
eine SIia§ ober eine 2J[nei§ ^u bilben.
Sn ber %^ai, jenen 35orfteIIungen gefdjie^t fein Unred^t, menn
Slriftoteleö fie einmal bem St: vereben 2^runfener oergleid^t unb ben
2(nojagora§ preift, ber mit bem ©ebanfen: S5ernunft fei e§, bur^
bie Crbnung in ba§> (Sf)ao§ gebradfjt fei, mie ein 9iüd^terner bajmifdien
trete unb un» auf ben ^oben oernünftiger unb benfbarer ©ebanfen
fteüe.*)
3^ür un§ ^at biefer ßJebanfe be§ S{nai-agora§ nic^t^ i)Jeue» unb
Überrafd^enbe», er fd^eint un§ naf)e liegenb, unb mannen fommt er
*) 9lriftotete!§ SUfetapf). I, 4 (984 b 15): vovv di] ng aincov hilvai
Kcc^dniQ iv Tolg Jwo/g y.ccl iv zf] cpvoai xov ai'ziov xov yioOfiov vial rrjg ra|fci)s
Ttctarjg, otov vqcpcov tcpccvr] nag shij käyovzag roi/g ttqotbqov.
'liaulfen, ßinleitung. 6. Siufl. 11
162 I- 33u^: 3D?etapI)t)fi!. 2. Äo^itel: S)o§ fogmoIogijc{)=^tf)eoIo9ij^e Problem.
l^eutjutage trioiat öor. 5Iber bamatS tuor er eine Sntbec!ung. ®ie
©Otter be§ griedjifc^en SSoIf§glQu6en§ tüoren ni(i)t ©djöpfer ober
93t(bner, fonbern ®efdE)öpfe ber SBett; ha^ bie SSelt ha§> 3öerf eine§
@etfte§ jein fönne, tnor ben ®rie(f)en urjprünglic^ eine gan^ frembe
SSorfteüung. 2Sa§ bie gried^ifc^e ^f)iIofop()ie bem, ber jte mit gefdjid)t=
Ii(f)em ©inn betrad)tet, fo an§ie^enb mad)t, ha§> i[t eben bieg, bo^ man
in it)r fiet)t, tt)ie bem äJJenfd^engeift a(lmäf)Iic^ ha§> ©taunen über bie
SQSett fommt. ®er gen)öf)nlic^e SJJenfd) [tount nidjt über bie ®inge;
fie finb if)m öon Hein auf üertrout, n)a§ märe baran munberbar?
SDqB ©onne, 9JJonb unb ©terne auf= unb untergetjen, ha'^ ^ftonjen
unb Xiere ent[te{)en unb modijen, nun, bo§ mar immer fo, ma§ märe
baran auffallenb? (grft bem ^fjilofop^en !ommt bie ©acf)e munberbar
öor; ober öielmef)r, ha'i^ einer über ta§^, mag bigfjer aüer SSelt felbft=
oerftänblid) oor!am, in (Staunen unb 9^acl^benfen fiel, ha^ mod^t it)n §um
•pfjilofop^en, ba§ Staunen ift ber ?lu§gang§|)unft ber ^f)ilofopf)ie. SSie
ift ha^ ^immelggebäube entftanben? unb mie finb urfprünglic^ ^ftanjen
unb Stiere entftanben? 3J?it biefen fragen nad) bem Urfprung ber
großen unb ber !(einen SBelt beginnt bie griedjifd^e ^t)iIofopt)ie. Unb
if)re erften 5lntmorten finb jene 33erfuc^e, bie Statur au§ irgenb meldjen
53efd)affent)eiten unb 93emegungen üon ©toffen gu erftären.
Slnajagorag nun tüar e§, bem ^uerft bie Unben!6ar!eit biefer
@eban!en §um S3emu^tfein fam. 3e uk^x fie !(ar unb beftimmt
formuliert mürben, mie e§ ^ule^t burdj bie ^fiitofoptiie ber 2(tomiften
gefc^etjen mar, befto beutlid;er trat if)re Unmöglid^feit ju Xage. Unb
fo fprad^, angefid)t§ ber matt)ematifc^en @efe^mä§ig!eit be§ 2öeftbaue§
unb ber emigen Orbnung ber f)immlifd^en 53emegungen, Slnajagorag
jum erftenmal in ber griec^ifd)en SSelt ben fotgenreid^en ©ebanfen
au§: au§ bem @eift allein !ann biefe Drbnung ftammen. ^lato
unb Striftoteteg f)aben ben @eban!en aufgenommen, er ift ber
?lngelpunft if)rer SSeltanfdjauung : nid^t btinbe 93emegung, fonbern bie
^raft eines ouf ha§> @ute gerid)teten @ebanfen§ giebt ben fingen,
fie aUgegenmärtig burd)bringenb, if)re ©eftatt unb SBir!(id^!eit. greitid)
muB bagu ein „Ruberes" öorauggefe^t merben, ba§ bie „©ebanfen"
einerfeitg in fid^ aufnimmt, anbererfeitS freilid) aud^ i^re reine 2Iu§=
füf)rung f)emmt, ein irrationaler Qaltox neben bem rationalen,
t)a§' ift bie SJ^aterie. Unb bamit ift benn §ug(eid) bie ©c^mierigfeit.
2. Sltomiftifc^e unb teIeoIogifd)=t:^etftifd)e 9?oturerfIärung. 163
tüdd^e ber neuen ST^eorie anf)ängt, gegeben: njie öerf)ätt fid^ ber @e=
banfe gum @toff? »rofjer bie 3}?arf)t, bie er üBer i^n übt? §at bie
foSmijc^e S^ernunft, wk ber menfd^tic^e Söerfmeifter, Slugen unb ^änbe?
3;renbelen6urg fpric^t (Sog. Unt. @. 74) bie ©cf)n)ierigfeit \o au§:
„3Bir beobad)ten nirgenb§ in ber dlatnx ben ^unft, an n^eld^em ber
©ebanfe bie ^'raft faffe unb ergreife unb feinen ^tti'^'f^" entgegenfü^re,
unb bie ©pefulation üermag il)n nirgenbg gu geigen. ®ie 93etrQd)tung,
njelcfje ben inneren ß'mzd fu(f)t, grünbet bQ§ Sbeale im Ü^ealen, aber
if)r fef)It nod^ bie (Srienntnil, wk ha^^ Sbeale in§ 9^ea(e !omme, in§
9iea(e ^ineintrete. SDer menfci^tic^e @eban!e be§ ß^^f^^^ üerfügt über
bie au»füf)renbe §onb, unb fie leitet ben realen 3Sorgang ein: für ben
58organg in ber 9?atur bricht an biefem Drte bie Übereinftimmnng
ah, unb üorne^mlid) in biefe Sude ber @r!enntni§ tüirft fid^ ber
ßitJeifel, ber ben ßtüid ungläubig betrad^tet. (£§ ift nidfjt nnmöglicf),"
fügt er refigniert 'Ejinju, „baB fid^ nirf)t unfere (Srfenntni§ ergänse;
für je^t genüge e§, gu tt:)iffen, waS tt)ir erfennen unb \vü§> wiv nid^t
er!ennen."
^n ber %t)at, e§ ift biefe „ßücEe ber (Srfenntni^," burc^ bie ber
3tneifel immer mieber einbrang unb bie te(eo(ogifcf)e (Srflärung ber
9ktur beunruf)igte. @ine (Srflärung au§ einem ©ebanfen, beffen SDa-
fein empirifdE) nic^t natf)gemiefen unb beffen SSirffamfeit pf)t)fi!alifd[)
ober pt)QfioIogif^ nid^t !onftruiert werben fann — e§ ift nid)t be=
fremblid^, menn ber 9laturforf(^er bamit nidE)t§ ju mad^en muBte unb
barum immer n)ieber auf ben medjaniftifdfjen (SrflärungSüerfurf) fid^
gurücfgemiefen fol^. @o unma^rfrfjeinüi^ bie empeboüeifd^e (Srffärung
ber (Sntftef)ung organifd)er Söefen ausfegen mag, e§ ift bod) ein S8er=
fud^, ben 93organg anfcEiauüdf) barjuftellen; inbem bie te(eoIogifcf)e (Sr=
flörung auf anfc^autid^e ÄonftruÜion üergidf)tet, öergidjtet fie auf eine
naturttjiffenfdjaftlid^e SrHärung überhaupt.
So ift ha§^ 3)ilemma ber mei^aniftifd^en unb ber teIeo =
logifdjen 9Zaturanfid)t gegeben; e§ get)t burc^ bie ganje ©efc^id^te
ber "iptjilofop^ie. ^n ber antifen ^f)iIofopf)ie nimmt bie ©d^ule
©pifurö bie atomiftifc^^medjaniftifc^e i)kturpt)i(ofop()ie ®emofrit§
gegenüber ber oon ©ofrateS auSge^enben ibeaüftifd)4eIeoIogifdE)en
©pe!uIation Ujieber auf. Sn ber ^^ilofop^ie ber ^fJenjeit föüt ha^
nor^errfdjenbe Sntereffe an ber ^kturmiffenfc^aft ju ©unften jener
11*
164 I. 93uc^: ajieto^^^fi!. 2. Äapitel: ®ag foSmoIogijc^^^eoIogifd^e Problem.
Stuffoffung in bie SBagfc^ote. Tlii bem ®urrf)briugen ber neuen !o§=
mifd^en unb p!^l)fi!atifd)en Slnf(f)auungen im jedj^efinten unb fiebjetjnten
SQt)rf)unbert tritt eine ftorfe 5l6neigung gegen bie teteologifc^e 9flQtur=
erftärung t)erüor, tt)eM)er bie öom SQJittelalter ererbte ©djuIpl)ilofopt)ie
im Stnfd^IuB an ben !ird^Iirf)en Sef)rbegriff unb an bie Qriftotelifdje
^^iIofDp!)ie nur mütifam lüiberftanb. ©ie ift qI§ Senbenj fidjtbar
bei S3acon unb S)e§carte§; [ie fe|t fid^ rein burd§ bei ©pinoja,
ber bie Sf^aturerftärung qu§ ßmeden j(f)Ie(i)ttjin öermirft. ®ann tritt
freilief) wieber eine 9^ü(fftri3mung ein; im Qd^t§et)nten 3öt)rl^unbert Ijat
bie teteologifc^e 9^Qturauffaffung mieber ba§> Übergewicht. Sn ber
^oputarp^itofopf)ie ber beutfd^en Wie ber englijd^en ^t)itojop{)ie bieje§
3eitQlter§ ift bie S^iaturerflärung au§ ben SIbfid)ten einer fupranaturaten
S3ernunft üieüeid^t naiöer burd)gefüt)rt, a\§> je juüor. (S§ t)ängt ba§>
einerfeitS pfammen mit bem allgemeinen fouäiliotorifc^en ßf)arafter be§
Saf)r^unbert§, wie er in feinen beiben g^ütjrern auf pt)iIofopf)ifd)em
©ebiet, in Seibnig unb Sode, f)eröortritt. S)ann aber trug baju
Wot)t auc^ ber Umftanb bei, baB bie fleine SSett, bie Söelt ber lebenben
Söefen, ber medjaniftifdjen ©rflärung fo fel^r öiel t)artnödigeren SSiber=
ftanb leiftete, al§ im erften (5iege§raufdj bie moberne 9laturwiffenfd)aft
erwartet f)atte. Wlan muB 2)e§carte§' pf)t)fiotogifdje Slb^anblungen
lefen, um ju empfinben, wie guüerfiditlid) bie mit ben neuen ^rin^ipien
anSgerüftete ^f)iIofopt)ie an bie (Srttärung ber SebenSüorgänge ging,
überzeugt, ha"^ e§ i^r in fur^em gelingen muffe, jebeä ®ef)etmni§
be§ 2eben§ burc^ bie 5tufäeigung feine§ ÜKed)oni§mu§ aufjubeden.
(Statt beffen füt)rten 5Inatomie unb ^t)t)fioIogie, namenttid) feitbem
fie burd) ha§> SJiifroffop unterftü|t würben, in immer neue unb
tiefere @ef)eimniffe. SBie ratloS ftetjen wir tjeute üor bem 9JJed)a=
ni§mu§ be§ Sterben ft)ftem§, beffen Stptigfeit 2)e§carte§ fo einfad) ju
erüören wei^. ©o gefd^al) e§, bafe aud) bie 9Zaturforjdjer, wenn fie
nid)t gerabe gur teleologifdjen Stnfidjt fid) be!annten, fie bod) Wegen
SRangetS einer befferen paffieren liefen. 9^od) in ber erften ^älfte
be§ neunäetjuten Scif)rf)unbert§ erfd^eint bie atomiftifd^=med)aniftijd)e
S^Jaturauffaffung faft auSgeftorben. SSitaIiftifd)=teIeDlogifdje S^orftellungen,
wie fie etwa, wenn wir üon ber fpefulatioen ^()iIofopt)ie abfetjen,
STrenbetenburg öertritt, waren aud) in ben Greifen ber Diatur-
forfd)ung üor^errfdjenb.
3. Äritif be§ teleologifd^en »ettjeijeS. 165
Sn ber 2f)at, bliebe iin§ nur bie Söa'^I ätüifc^en @mpebof(e§
unb 3lnai-agorQ§, bann fönnte bie @ntf(f)eibung !aum 3rt)eife(f)Qft fein.
2)qB ^iere unb ^flangen fo o^ne weitere» einmal burrf) ein 3«fflnin^e"=
fallen ber 2;ei(e foHten entftanben fein, ift unb bleibt unglaublii^.
^a§ füf)Iten ouc^ fo fritifrfje ^öpfe tt)ie Voltaire unb §ume. ©o
menig fie im übrigen ber teteotogifd^en ^^iIofopf)ie ber ^ät einzuräumen
geneigt tt)aren, fo fc^ien i^nen boc^ bie Seugnung ber ^Xütdc in ber
organifd^en SBett unb bie rein mecf)anifd)e ©rflärung be§ ßebenS eine
au§firf)t§(ofe (£ac^e. j^reilic^ entging it)nen bie ©c^mäcf)e ber teleo«
logifc^en 5tnfic^t ebenfo raenig. Unb fo fof)en fie fidj f)ier oor ein
unli3§bare§ Dilemma geftellt.
@rft mit ber neuen bioIogifcf)en 5(nfct)auung, bereu jüngfte (gnt=
midelung an ©arminS 9^amen gefnüpft ift, fc^eint fid) ein 5(u§n)eg
menigftenS au§ ben nädjften unb brücfenbften (Sc^wierigfeiten ju ergeben.
ef)e ic^ ober l^ierauf einge'^e, möchte id) über bie alte teteologifc^e
Sen^eiSfül^rung ein paar fritifct)e 33emerfungen madjen; bie @acl^e f|at
boc^ auc^ f)eute nodj nic^t bloB gefc^ic^tüc^e§ Sutereffe.
3. ^rtttf bc§ teleologifc^cn ^eweifeö.
(Sine allgemeine Semerfung über ben Sßert be§ teleologifd^en
S3en3eife§ für 9^eligion unb 9}Jetapl^t)fi! mag bie fritifc^e (Erörterung
einleiten.
;3n manchen Greifen beftef)t tt)of)( aud) {)eute nod) bie 9Zeigung,
in biefer 93ett)eiöfüf)rung, bereu eigentliches ®emonftranbum alfo ber
©0^ ift : bie (SJeftaltung ber ^i3rpertt)elt fann nid)t o^ne bie Stunat)me
einer nad) Slbfic^ten ttjirfenben Urfad)e er!(ärt ft)erben, ein ©tue! be§
pf)iIofop^ifdjeu Unterbaues ber 2t)eoIogie ober gor eine unentbet)rlic^e
@tü|e be§ ©otteSgloubenS, unb folglich in feiner Äritif einen Singriff
ouf bie 9?eIigion ju fe^en.
3Jiir fommt cor, boB bie Sfleligion ou biefen toSmoIogifdien
©pefulotionen gor nid)t intereffiert ift. ©ie ruf)t fo ujenig auf einer
§t)pot()efc über ben Urfprung ber lebenben Söefen, o(S auf einer
beftimmten 5(nfid)t oon ber oftronomifc^en (S^eftolt ber SBelt. ^\t fie an
biefen Singen überf)aupt intereffiert, fo ift e§ allein an ber objc!tioen
Söü^rtjeit unb ber fubjeftiöen 3Bof)rt)aftigfeit unfereS (Srfennenl. &t=
fö^rlid) ift it)r, tok oüen menfd)(id)eu Singen, ber ^unb mit bem
166 I- 33ud^: metap^X)\il 2. Äopitet: ®a§ !o§inoIo9ifd^4f)eoIogtfc^e Problem.
Srrtum unb ber 2üge. 3)ie ^ird^e foHte au§ if)rem unglüdli(f)en
Äampf gegen bie neue ÄoSmoIogie int fteb^etjnten Sat)rf)unbert \o oiel
gelernt f)aben, ha^ e§ für fie unter feinen Umftänben rotfam ift, fic^
mit einem lüiffenfd)Qftti(^en (St)[tem jolibarijdj ^u üerbinben. 2l(§ bie
Äurie bie ariftoteIijd^=ptoIemäifd)e ^o^mologie §um @Iauben§QrtifeI
erflärte, legte jie bie Sljt an bie SSur^eln be§ S^irc^engtouBenS; jeber
@d)lQg, ber bie faljdje jtf)eorie traf, traf nun auc^ bie Äird^e. (Sben
biefelbe 2Bir!ung muB eintreten, tüenn bie ^ird^e eine gewiffe biologifcfje
5lnficE)t äuni 93eftanbtei( iE)rer Se^re erüärt. Ober üielmet)r, biefe
2Bir!ung liegt ja fidjtbar gu Xage in ber ^Uieinung berer, bie im
®arn)ini§mu§ ha^ enblidje Snbe ber Sfteligion gefommen fe^en: 3)artt)in
i^aht, inbem er bie mofaifd)e @c§öpfung§gefd}idjte famt Stbam unb @oa
befeitigte, äugleid) bie „§t)pot^efe eine§ ®otte§", bie bie Kosmologie
fc^on längft entbe!t)ren gelernt l^abe, nun aud) für bie 33ioIogie über*
ftüffig gemacht. SSon Sugenb auf angeleitet unb gett)öf)nt, ha§> S)afein
(SJotteä al§ gegrünbet unb gefidjert burd) bie teteotogifc^e S3en)ei§fü^rung
auäufefjen, üertnerfen fie je^t, ha ber alte Semeil it)nen tierbäd)tig ge=
morben ift, aud) bie ©ac^e felbft. (S§ giebt für eine gute ^a(i)t nichts
@eföf)rlid)ereg af§ fdjlei^te Semeife.
@§ fd)eint, ha'^ Karmin felber etmaS berartigeS begegnet ift:
mit bem 3]ertrauen §u ^a(et)'§ Evidences ging if)m aud) bie 9^eIigion
öerloren. ©o fagt er einmal: „SDer alte S3eniei§grunb üom ßmed in
ber Slatur, wk if)n ^a(et) auffteHt, unb mie er mir früher fo ent=
fd)eibenb fd)ien, fd)Iägt je^t fe^I; mir fönnen §. 33. je^t nid)t mef)r
folgern, ta'i^ ba§ munberfd)öne ©d^toB einer 5meifd)atigen SJfiufdjel üon
einem intelligenten SSefen gebitbet fein mu^, mie bie Singet einer Stl)ür
t)on einem SD^enfd)en." *) „heutigen Xage§," Reifet e§ weiter, „mirb ber
S3emei§grunb für bie ©fiftenj eine§ intelligenten ®otte§ au§ ber tief
innerlict)en Überzeugung unb ben ©efül^len t)ergenommen, ttjelc^e bie
meiften ^erfonen an fid) erfahren." grüf)er £)obe er aud§ biefe
(Smpfinbungen get)abt unb fei baburd) ^i^nt ©tauben an @ott unb
Unfterblid)!eit geführt morben; fo l)abe ber brafitianifd)e Urmalb it)n
religiös geftimmt. „Se|t aber mürbe bie groBortigfte ©cenerie feine
berartigen Überzeugungen unb (Smpfinbungen in meiner (Seele ent=
") e^. SDar»in§ Seben öon \. (Sof)n, gr. 25artt)tn, 2)eutjc^e SluSgabe I, 284 ff.
3. Äritif be§ teleologijdöen 93ett)eije§. 167
[te{)en (offen. 'SRan fönnte gon^ jutreffenb fagen, ha^ itf) tt)ie ein
9)ienfcf; bin, ber farbenbtinb gen^orben ift." (Sin anbermal ertt)äf)nt
er, boB i^m aud^ ber ©inn für ^oefie aümäljüc^ gefcf)tt)unben fei, ein
53en)ei§ für bie au^börrenbe SBirhing, meirfje Qnf)a(teube ttjiffenfdjoftlici^e
3^orf(f)ung auf bie ©eele augjuüben üermag. 2)ie ©ac^e ift ober
offenbar bur^ bie urfprüngtic^e inteüeftuatiftifcfie 9f?id^tung feiner
reügiöfen Über5eugungen, n)ie fie ber 3ugenbunterrid)t begrünbet f)atte,
öorbereitet n^orben; er l^at \}a^ @efüf)I, mit falfcf)en 2f)eorien unb
S3ert)eifen betrogen njorben gu fein, unb barum ftet)t er nun bem ganzen
reügiöfen SSefen mit SJJifetrauen gegenüber. Offenbar ein 33egegni§,
ha^ fid) toufenbfältig um un§ n)ieberf)oIt. Unb barum ift e§ eine
£eben§frage für bie Äirc^e, ha^ fie jur SSiffenfcfiaft in ein richtiges
33ert)ä(tni§ !ommt, fie ge()t an bem 9J?iBtrauen ^u ©runbe, bo§ fie
gegen bie äöiffenfcf)aft t)egt unb »ieberum oon if)r erfä()rt. 5Do§
ricf)tige $ßert)ä(tni§ befte^t aber nid^t etttja barin, ba^ fie jeber^eit bie
neueften 2;^eorien annimmt, fonbern iia'^ fie oon n^iffenfc^aftlic^*
pt)i(ofopf)ifd)en 3:t)eorien fid) oöllig unabhängig mad)t. 2Ba§ ic^ bringe,
muB fie fagen, gilt, ob nun Sopernicu§ ober ^toIemäu§, ob SDartt)in
ober '^tgaffij re^t i)at; ha§> ©oongelium ift unb f)at fein @t)ftem ber
^o^mologie unb 33ioIogie, e§ ift bie ^rebigt oom 'iRtid) @otte§, tiaS^
im ®emüt unb ßeben ber 9J?enf(^en mirflid^ merben mill. @§ ftü^t
fid) nid)t auf unerflörlic^e Si^aturbegeben^eiten unb 9JJirafeI, fonbern
auf bie @rfal)rungen be§ §er§en§, ha§> in i()m gerieben unb ©eligfeit finbet.
Sn ber X^at, id) bin überzeugt, ba'l^ bem ©fauben an @ott unb
fein 9teid) gu unferer ßt\t, menigftenS in ben Greifen ber ttjiffen*
fdjaftlid) ©ebilbeten, faum etmaS fo gefä^rlic^ ift, tt)ie ber SSerfud;,
bem 35erftanbe ben antt)ropomorpf)ifdjcn 2:f)ei§mu§ al§ miffenf(^aftlid)
notmenbige 2SeIttt)eorie — in loeldiem ©inne ber 5Int^ropomorpl)i§mu§
möglid) ift unb immer bleiben ttjirb, ha^ mirb fic^ fpöter ergeben —
burd) üerattete unb ber naturiniffeufd^aftlid^en fyorfd)ung in ben SBeg
tretenbe Semei§füf)rung aufzunötigen. ®a§ ^füd^tmiffen ift immer eine
fd)(e(^te ©tü|e; fid) baran feftjuf lammern, erfc^eint al§ Steigung gum
Dbffuranti§mu§ , ber bie Unmiffen^eit jur Unterlage ber ^faffen=
(jerrfdjaft mad^t: nam sciunt, quod sublata ignorantia Stupor, h. e.
unicum argumentandi tuendaeque autoritatis medium, quod habent,
tollitur (Spinoza, Eth. L, Appendix).
168 I. 93ud^: 9!Jietapt)t)ftf. 2. topitel: ®ag fogmoIogijd)4^eoIogtfd)e ^toblem.
Unb ebenfo tüenig, h)ie jene teIeoIogifcf)e S3en)et§fü^rung, tüelc^e
Süden in ber S^aturerüärung au§ |.')f)t)j{fd)en Urfadjen annimmt nnb
Qufjuc^t, um baburc^ bte Slotmenbigfeit ber 2Innat)me nidjtp^ijfifcfjer
Urfad^en bar^utfiun, gur Unterftü^ung ber Sfleügion geeignet ift, taugt
fie and) pr llnter[tii|ung einer ibeoliftifdjen ^i)iIofopt)ie, einer teteo=
logifd^en 2öeltanjd)auung. ©ie füf)rt lebigtid) ^ur ßeugnnng ber
ßinede in ber 2Sir!(idjfeit ü6erf)aupt. (Sine 9^Qtnrpt)i(ojopt)ie, bie
{)eut5utage an ber Unburd)fü^rbarfeit ber pf)t)fifd)en ©rüärung fe[tt)ölt,
erfc^eint tebigüc^ a(§ eine 33erbünbete ber „faulen SSernunft", bereu
2(u§trei6ung ha^ erfte Sntereffe ber n)iffenjc^aftlid)en gorfc^ung ift.
®a§ ift ber bered)tigte 2;riumpf) be§ 2)arrt)inigmu§, bofe er ber ignava
ratio \)a§^ ©ebiet, ha^ fie am meiften aU if)r eigene^ anja^, ba§: @e=
biet ber SebenSerjdjeinungen, entriffen unb ber ^orjd)ung auf einem
neuen SSege eröffnet I)at. Über bie 33ernid)tung be§ 3^^cEgebanfen§
in ber 2öett fönute ja niemanb ©enugt^uung empfinben; aber über
bie S^iiebertage ber ignava ratio tuirb jeber, ber tt)eoretifc^e§ Sntereffe
f)at, g^reube empfinben.
darüber täufdje man fic^ nic^t: bie Siatur^iffenfc^aft !ann unb
n)irb fi(^ oon it)rem SSeg nid)t ujieber obbringen laffeu, eine rein
pf)t)fifalifdje (Srflärung aller 9flatnrerfc^einungen ju fud)en. @§
mag taufenb SDinge geben, bie fie gegenluärtig nid)t erftären fann,
aber ba§ prinjipieüe Stfiom, ha^ e§ auc^ für fie eine natürlid)e Ur=
fad)e unb atfo eine naturtDiffenfd)aftüc^e erflärnng gebe, mirb fie
nid)t n)ieber fa{)ren laffen. 3)af)er mirb eine ^t)iIofopI)ie, bie barauf
befte^t, gemiffe 9Jaturöorgönge !önnten nic^t of)ne üieft pl^tififalifd) er=
ftört merben, fonbern mad)ten bie Stnua^me ber 2Bir!ung eine§ meta=
p^t)fifd)en ^rinjipS ober eines fupranaturalen 2(gen§ notujenbig, bie
SRaturmiffeufc^aft jur unoerföfin liefen Gegnerin f)aben. Sn ^^rieben
fann fie mit i§r nur teben, ttjenn fie fid) ber @inmifd)ung in bie
faufale (grüärung ber 9laturerfdjeinungen grunbfä|Iidj entf)ölt
unb t)ier bie S'^aturnjiffeufdiaft ruf)ig i^ren äöeg bi§ ^u (gnbe ge^en
lüfet. — Ober bliebe bann für ^f)i(ofopf)ie fein 9laum übrig? SSäre
für eine 3J?etapt)l)fif nid)t§ mef)r gu tf)un, n)äre mit ber 33oIIenbung
ber naturmiffenfdjaftlic^en ©rflärung unfer t^eoretifd)e§ Sntereffe an
ber Söirflidjfeit erfdiöpft? Sc^ benfe, auf feine SBeife. ©onbern nun
erf)ebt fid) eine neue ^rage: ma§ bebeutet bie§ aüe§? SSenn bie
3. Äritif beg teleologiid^en SSejoeijcg. 169
5([tronomie bie !o§mijc^en 5ßorgänge öofiftänbig au§ pt)t)fifalifc^en (55e=
jc^en erflärt f)ätte, tuenn bie S^iolotjie un§ ebenfo ben Urfprung unb
ben 9}?ec^Qni§mu§ ber organifcljcn Scbengprojeffe o{)ne 9f?e[t entt)üUt
I)ättc, bann bliebe bie ^^roge: ltiQ§ ift ber ©inn biefe§ ganzen ©piet§
t)on Gräften, tt)Q§ i[t ba§, lüa§ in jenen toufenb ©eftaltnngen unb
^ettjegungen ber SlörperWelt un§ entgegentritt? Dber i[t hahd non nid)t§
weiterem überfiaupt gu reben, i[t bie Äörpertoelt bie gan§e SSirtticfjfeit
unb mit ber pt)t)[ita(if(^en @r!(ärung alle§ erlebigt? 9hin, tjierüber
l)Qben n)ir un§ \d)on in bem oorauSgel^enben S^opitel über ba^ onto=
logi jd)e Problem öerftönbigt. 33ieneid)t barf man jagen: e§ ^at nie
einen ^JJenfd^en gegeben unb wirb nie einen geben, ber mirflidf) f)ierbei
fic^ berut)igt l^ätte. SBa§ ha^ naturwiffenjc^aftlic^e ®enfen im
93?ateria(i§mu§ eigentlich abteljuen miti, ha§: i[t nic^t baS^ S)afein eiue§
weiteren, eine§ ibeellen Sul)alt§ ber SBirf(icf)!eit, au^er bem p{)t)fifalifd)en
33eftanb, fonbern bie 95erwenbung jene§ ibeeüen Snt)att§ §ur pt)t)fi=
falifdjen ©rflärung. ?ln firfj finbet jwifc^en mecf)ani[tifc^er ©rflärung
unb ibeali[tifd)er Suterpretation gar !ein ®egenfa| [tatt. 3)er 2Biber=
ftreit ent[tef)t erft, wenn bie ibealiftijdje Suterpretation bie faufale @r=
flörung erje^en unb überftüffig madien Witt.
9}?it einem SBilbe: e§ ^anble fic^ um ein Statt mit ßeidjen be=
brudten ^apier§. ßwei fragen giebt e§ auf: wie [inb bie ßeic^en
auf bem Rapier gnftanbe ge!ommen? unb: wa§ bebeuten fie? 2luf bie
erfte ^rage wirb mit ber Sefd^reibung ber ©eräte unb Hantierungen in
einer ^ruderei geantwortet; auf bie anbere ^rage mit ber Darlegung
ber ©ebanfen, bie burd) bie ^eiti)^" bebeutet werben. @an§ wie f)ier
bie beiben Slntworten neben einanber 9fiaum !^aben unb nid)t eine an
bie ©tette ber anbern treten fann, fo aud^ in ber er!enntni§ ber
gflatur. ®ie pr)t)fi!oIifd)e (Srttärung ift notwenbig, aber fie erlebigt
nid^t atte ^^ragen, e§ bleibt bie grage noc^ bem ©inne. 5tnbererfeitl
!ann ber SSerfud) ber Interpretation be» ©inne§ nic^t an bie ©tette
ber faufalen (Srflärung treten. 3Serfud)t er e§, fo wirb ber 9iatur=
forfd)er ha§> ablehnen unb fagen: baS' fei e§ gar nic^t, wonad) er ge=
frogt {)abe; waS^ er at§ Dkturforfdier wiffen wotte, fei nid)t ber ©inn,
fonbern ber Hergang bei ber Silbung ber ßeic^en, gteic^fam ber
9J?ed)ani§mu§ ber ®ruderei. — (S§ wäre ein t^oric^teS SOäfeüerftönbniS,
wenn ber 9J?etapt)t)fifer meinte, i)ierouf mit bem |)inwei§ auf bie @e-
170 I. 93uc^: SRetop^J^fif. 2. Kapitel: 2)og fo§mologifc^4:§eologifd^e «Problem,
banfen antworten gu fönnen; nod) tf)örid^ter freilid^, ttjenn ber $RQtur=
forjd^er biefem Unterfangen bamit rt)ef)ren gu muffen gtanbte, ha^ er
bie ©ebanfen, bie 93ebeutfamteit ber ß^it^^i^^ überf)aupt leugnete.
Sllfo: §ine§ mu^ pt)^fifcf) juge^en unb erüört werben;
unb: Stiles mn^ metapf)t)fifrf) betrad)tet unb gebeutet werben.
®a§ ift bie g^ormel, in ber ^^tjfifer unb 9}Zetap:^t)fiter überein!ommen
fönnen; wobei benn baf)ingefteEt fein mag, wie gro^ auf beiben (Seiten
ber 9fteft bleibt, unb auf weld^er er größer ift. ®ie g^einbfc^aft 3Wifd)en
beiben fommt öon ber ^fJeigung §u Übergriffen. 2(uf Seiten be§ 9fiatur=
forf(^er§ erfc^eint fie aB 9^eigung gur 9^egation be§ 9Jietop§l)fifd^en
überhaupt: e§ giebt nur ^t)t)fifc^e§, ha§^ SBirflic^e f)at feine anbere
(Seite, a(§ bie mir jugefetjrte. ?luf ©eiten be§ 9JJetopf)l)fi!er§ al§
9Jeigung, bem ^^t)fifer ein irgenbwie großes 9laturgebiet ab^uftreiten,
um e§ allein metapf)t)fifd) gu erflören.
Unb ^ier ift benn freilief) gu gefte^en, ha^ bie 9J?etapt)l)fi!er ju
biefer ©inmifc^ung in bie pf)t)fifcJ)e (Srflärung öon jefjer einen ftarfen
unb faft unwiberftef)Iid)en §ang gezeigt unb baburcf) immer wieber
bie abfolute 51blef)nung ber 9J?etap{)t)fif im 9}?ateriali§mu§, a\§> ber
SlbfoIutfe|ung be§ ^t)l)fifd)en, f)eröorgerufen fjaben. ©iefer §ang tritt
in jener breiten unb rebfeligen natürlidjen X^eologie be§ üorigen
Sat)rf)unbert§ f)ert)or, wo bie 5(uf§eigung be§ „9hi^en§" ober ber „'äh-
fid^t be§ ©c^öpferS" ftatt einer (Srftärung bienen foüte. (£r tritt in
onberer SBeife ^eroor in ber ^odfjmütigen ®eringf(f)ä|ung, mit wet(f)er
bie fpefulatiüe ^^ilofoptjie bie empirifc^e 9^aturforfd)ung im
ganzen jwar aU eine, wenn aud^ inferiore ©eifteSt^ätigfeit gelten lieB,
bei (SJeIegen()eit aber auc^ ^ured^t wie§ unb eine§ befferen be{ef)rte; f)atte
fie bocf) ben ©iun ber <Bad)t begriffen, wie follte fie alfo nid^t, wenn
e§ ja bie 2J?üf)e Iof)nte, oudj ben urfad)üd)en ^ufanimenfjoug barjulegen
üermi3genb fein? Wan begegnet if)r ober oud^ bei folc^en ^f)iIofopt)en,
bie grunbfä^lirf) ha§> S3erf)ä(tui§ äwifd)en pf)t)fifd)er @r!lärung unb meto=
p^t)fifd)er Interpretation ri(f)tig f äffen. @o j. 93. bei (Srf)openl)auer.
Sm gongen ift feine S(nfid)t öon bem ^erf)ältni§ ber ^t)i)fif unb SDZeta=
pf)t)fif bie oben angebeutete. ^ber bouebeu ift er bod) ftets bereit, bem
^§t)fifer ing ^anbwer! gu pfufdjen, ba§ ijn^t mit einer metap^i)fifc^en
©rflörung eine maugeinbe pf)l)fifd)e ju erfe^en. (Sigentlid) beftet)t ^wifdien
bem 9Jietapf)t)fifdjen (bem SBillen) unb bem ^t)t)fifc^en fein Urfadjöer«
3. trtttf be§ teleologijc^en 93ett)eifeS. 171
f)öltniö; ein foIc^eS finbet [tatt 5tt)ifd)en ben Dbjelten, aber nid^t 5rt)ifd)en
®ing on fitf) iinb (^rfd^einung: „'^hn barf, [tott eine p^Qfifaü jdje (Sr=
üärung gu geben, jid) fo n^enig auf bie Objeftioationen be§ 2öiüen§
berufen al§ auf bie ©d)öpfer!raft @otte§. S)enn bie ^^^fi! »erlangt
llrfac^en: ber SBiüe ift aber nie Urfadje." „2)ie Sitiologie ber 9Jatur
unb bie ^^ilofop^ie ber 9Jatur tl)un einanber nie 5(bbruc^, fonbern
get)en neben einanber l^er, benfelben ©egenftanb au§ üerfc^iebenem @e=
fic^t§pun!t betrad)tenb." SDann aber ift er boc§ tuieber fe^r ouf @r=
fd)einungen au§, bie ber ^^ijfifer nid;t ju erftören öermiJge, §. $8. bie
Seben^oorgänge; er entrüftet fid^ über bie „ftupibe 3tb(eugnung ber
i^eben§!raft", unb ben SSerfud^, „bie @rfd}einungen be§ SebenS au§
pf)t)fifa(ifcl^en unb d^emifdjen Straften ju erflären, biefe aber mieber au§
bem mec^anifd^en SSirfen ber 9J?aterie, Sage, ©eftalt unb Semegung
erträumter 5(tome entftef)en gu laffen". „@efe^t, biefeS ginge an, fo
UJÖre freilid) afleS erflärt unb ergrünbet, ja äule|t auf ein 9fied)enej:empel
§urüdgefüt)rt, inetdje^ benn \)a§: Slüerljeiligfte im STempel ber 2ßei§t)eit
n)öre." ©o gebietet f)ier bie 9J?etapf)i)ftf ber ^^t)fi! ober 5ttioIogie ber
9Zatur §alt, um felbft bie @ac^e in bie §anb ju nehmen.*)
*) SBelt aU aSiUe unb SBotftellung I, §§ 24 ff. man öergtetd^e aud) bie
©teHe im „^Bitten in ber 9Jatur" (Slb^dinitt: bergteid)enbe Slnotomie), wo er Samord
burd^ 3)Jetapf)i)fif üerbeffert: jener f)obe nämli(^ bie (Snttridelung ber lebenben 3Befen
nid^t ben!en fönnen al§ in ber Qdt, burcf) ©ucceffion; aui TiaxiQd an ^antif(^er
®rfenntni§t^eorie '^obe er nimmer ouf ben ®ebon!en fommen fönnen, i>a'\i ber SBiUe
be§ Sierel, atg S)ing au fid), auBer ber Qdt liege unb bod) ©eftalt unb Drgonifation
be[timme. — 9Son f)ierau§ i[t aud^ ©d)openI)auer§ ^"tereffe an aEerlei abnormen
(grfc^einungen, tierijd)em 9Jiagnetigmu§, |)ellfe:^en, fi)mpat^etifd)en turen u. f. ttj.
üerftönbUd^: I)ier ift bie $t)t)fif gu Snbc, bagegen üermag bie 5Ketapt)i)fi! mit bem
burd^ 9iaum unb Qdt nid)t gebunbenen SEBitlen bie 2)inge ju fonftruieren, unb in=
fofern finb jene (Jrf(^einungen $8eftätigungen ber 2;t)eorie. — 2tuf bieje SOSeife ge*
fd)ie:^t ei§, ba'ß aud} bie $^i(ofopt)ie ®d)open:^auerl bem SfJaturforfc^er t)erböd)tig
mirb, bem fie fonft jo meit entgegenfommt.
Unb ganj berfelbe Um[tanb ift an ber $:^itop:^ie be§ Unbemufeten
bem ^^t)fifer abfto^enb; aud^ fie beruft fid) auf ßüden im pt)t)fifc^en taufal^ufommen«
i)angc, um borin ba§ meta:pf)i)fifc^e ^rinjip be§ UnberouBten onaufiebeln. ü. Jport*
monn ^ot übrigen^ felbft bie beutlidifte ©infid^t in boi? SSer^ltnig. Qu ber Sd^rift
„2)o§ UnbemuBte öom (Stonbpunft ber ^cfcenbenjttjeorie", bie er juerft ononi)m
beröffentlid^te, ftellt er fid) gonj ouf ben ©tonbpunü ber 9?aturforfd^ung : oEe 9Zatur=
öorgönge V^^ififff) bebingt. ign ben SSorbemerfungcn, mit benen er biefe ©d^riftbonn
unter eigenem SZomen mieber t)at obbruden laffen ($t)iIof. b. UnbeU). 10. 3IufI. IIT,
172 I. 93uci): Wlttap^t)\il 2. ^apM: ®a§ fo^mologifc^^t^eologifc^e «Problem.
S(f) gel^e nun auf bie teteologifdje $8en:)et§fü^rung mit ein paar
fritijdjen 58emerfungen ein. ©ie behauptet aljo: gettjiffe ©rfdjeinungen
ber Statur, 6efonber§ bie organifdjen Q3itbungen feien nirf)t rein pf)t)[ifd)
5U erüären. S^re 5(f)nlic^!eit mit SBerfen menfd)Ii(f)er ^unft unb 516=
fid^t fei fo groB, ha'^ fie nur qI§ ein ®t)ftem üon SOättetn unb ^rvtätn,
ha§: feine 5(norbnung einem intelligenten SSefen üerbanfe, erflärt werben
fönnten. Unb bemnad; muffe bie ganje 9latur, ha jene 53ilbungen mit
if)r in untrennbarem 3ufamment)Qng [täuben, a\§> boS SSer! einer
Snteöigen^ angefef)en merben.
©olt ber 33emei§ nid^t bei ber bloßen Sßerneinung ber SJJöglic^'
feit einer pf)t)fifd)en (Srüärung ftet)en bleiben, tuiü er eine pofitiöe
Srtieorie ber SSirÜic^feit njerben, fo finb it)m jmei ?Iufgaben gefteHt:
1) ben 3tt3ed barjutegen, ben jene intelligent im Sluge t)atte; 2) ju
geigen, boB bie 9ktur ein angemeffene§ ©^ftem üon 9JMttetn gu
feiner (5rreid)ung ift.
2öa§ ben ^tütd anlangt, fo moKen mir un§ §unäd)[t an ber 5Iu§»
!unft genügen laffen, auf bie aüe Seleologie immer l)inau§!ommt: er
beftet)e in bem 2öol)l lebenber Söefen; „@ott ^at aüeS um ber Sebenbigen
miüen unb biefe ju i^rem 2ßol)l erfd^affen," fo formuliert B. 9f?eimaru§
in feiner im oorigen SQl)rt)unbert ^oc^ angefe^enen teleologifdjen 9^atur=
pl)ilofo|3t)ie ben Qwtä ber 2)inge.*)
40 ff.), fpttd)! er fidE) über ben SIKangel fernes urfprüngltd^en Slu§gong§pun!te§ bal^in
ou§: ber forrefturbebürftige ^un!t ber ${). b. Unb. fei, bo| fie in ber 2)urd^füf)rung
bie mec^onifd^e SSermittetung unterfci)ä^e ober gonj überfef)e. @r ptte fagen foHen;
nid^t überfef)e, fonbern bie llnäulänglid)feit ber med)anifd)en SSerurfac^ung gunt 93e*
n)ei§ für bie 9?otoenbigfeit ber ©intrirfung bei Unbetuu^ten mad^e. 333enn er je^t
ba§ 93effere mei^, ttjarum tä^t er bod) ben unglücEHd^en 9(ulgang§punft fielen?
SBeil „bie x^xaQt boä) nur bon fefunbärer 3!öid)tigfeit ift"? ®a§ ift eine feltfame
2(u§rebe im SJlunbe eineS Mannte, ber fo großen SBert barauf legt, mit ber S^iatur*
forfd)ung fid) gu öerftänbigen. Siegt bie ©adE)e bieHeid^t fo, ba§ er bo§ SOBer!, ia§
it)n einft über 9Jod)t pm berül^mten äJlonne mod^te, je^t nid)t fallen laffen fann,
obmof)! er in biefem roie in onbern fünften öon i^m fid) innertid) loSgelöft ^at?
3)cnn auc^ mit bem $effimi§mu§ fdbeint e§ nid)t unäfinlidf) gu ftet)en, menigftenä
geigt er in feinen ipättxen ©d)riften bie ?Jeigung, aucE) if)n all ein ablölborel ©tüd
bei ©^fteml §u be^nbeln, mit beffen 2Ib{et)nung bog ©t)ftem ebenfo menig foHe,
wie mit ber Slblcl^nung ber 3(nfid^t, ba§ ha§ Unbenjufete fid^ nidE)t nur in, fonbern
auc^ neben ber natürtid^en SBermittelung äußere.
*) S. Dieimarul, 2)ic öorne^mften SBafir^^eiten ber natürlidf)en ^Religion,
3. 3t. (1766) ©. 300.
3. Äriti! beg teleotogifd^en Seiüeifeg. 173
SBie fteJjt e§ nun mit ber SSermittelung? (Stellt ftd^ ber
unBefangenen SSetradjtuntj bie Statur aU ein ®t)[tem öon 9J?itteIn 511
biefem ^w^d bar? Scf; fürdjtc, el iuiire eine f)arte Sütfgabe, bem, ber
bie Überzeugung ni(^t mitbringt, fie angubemonftrieren. 9)?Qn ad^te
juerft auf ba§ 3?erfat)ren ber ^Jtatur in ber cf)eriiorbringung ber lebenben
SBejen; gleicht e§ in ber g^orm mcnfdjlidjer ß^^cE^^J'itiGf*-'^*'^ SBenn
ein 9J?ann, um einen §afen ju fc^ie^en, SOäUionen @en)et)rläufe nad)
allen Üiid^tungen in§ 33Iinbe abfeuerte, ttjürbe jemanb bie§ ein jn^ed»
mä^igeä 2?erfa'^ren, §afen gu erlegen, nennen?*) 9hin, ha^ 93erfa^ren
ber 9^atur in ber ^ernorbringung lebenber SBefen ift nic^t gang un=
ä^nlid); fie fe|t taufenbe öon Äeimen in bie SSelt, um einen 5U Dotier
®ntn)idelung ju bringen. (Sin einziger ttjeibtid^er g^ifd^ fe^t in einem
Sa^re l^unberttoufenb (gier ah. 2Benn afle biefe Seben^feime gebieten,
fid) entmidelten unb entfprec^enbe 9Zad)fommenfd)aft tjintertieBen, fo
tt)ürben olle (SJettJöffer in wenig :3at)ren öon ^^ifc^en erfüttt fein, ©ie
finb eg nid)t; unb ebenfo luenig ift bie @rbe öott öon §afen ober
ßaninc^en, obmo^I and) f)ier, wie man beredjuet ^at, bie 9^adjfommen
eines einzigen ^aare§ in njenigen Satiren ju 9JfiEionen anmad)fen
mürben, menn alle fic^ ert)ielten. S)ie Urfadje ift, •ha'<^ öon taufenb
2eben§feimen nur einer am Seben bleibt; bie anbern getjen auf ben
öerfd^iebenen ©tufen ber (gntmidelung, obmotjl fie an fid^ lebenSfäi^ig
finb, au§ SERangel an günftigen (SntmidelungSbebingungen mieber gu
©runbe. Untergang ift bie ü?egel, (Sr^altung unb (Sntmidetung bie
2lu§nat)me. ®ic gemöt)nlid)e S3etradjtung überfiel)t ba§, fie fie()t nur
bie günftigen g^öüe. 3)ie ungünftigen treten eben nid)t in bie (Sr=
f^einung. @§ gefjt f)ier, mie bei ber ßotterie, auf einen großen ^Treffer
fommen taufenb 9iieten. Stber bie DZieten mad)en nidjt öon fid) reben,
öon bem großen So§ bagegen fprid)t aüe SBelt; unb ba^er fie^t ba^
©eminnen fo ma'^rfd^einlid) au§. S^on ber Sogt! eines 9Jianne§ aber,
ber §u bemeifen unternöf)me, ha^ ha^ ßotteriefpiet ein gmedmä^igeS
Sßerfat)ren fei, fi(^ ein 35ermögen ju ermerben, mürben mir bennoc^
feine aüäu günftige 9)Zeinung un§ bilben. 9hin, el märe biefelbe Sogif,
mit ber bie überlebenben gifdje unb ^aninc^en, ober if)r naturpt)iIo=
fopt)ifd)er ?tnma(t ben Semei§ ^n füljren t)ätte, ba^ bie 9ktur eine
^) 2)al 5BiIb bei %. 3t. Sänge, ®efd). beä 9Jkt. II, 246.
174 I. 93uc^: meta\)'i)t)\il 2. Äopitel: ®o§ fo§motogifcfi4^eoIogifc^e Problem.
ätüedmä^ige SSeranftoItung jei, um g^ijd^e unb ^'anindjen l^eröoräuBrütgen.
Sener (Sd^iffer, öon bem bei Gicero erää^lt lüirb, lüar ein befjerer
Sogifer. 51(1 man i^m gurebete, fiel) burcf) ein ©elübbe beim 9J?eergott
gegen <S(i)iffbrucl^ gu üer[t(f)ern, unb auf bie fielen Silbniffe f)inn)ie§,
bie üon (Geretteten al§ 2Beif)gefd)en!e im Xempel aufgefjangen njaren,
erttjiberte er mit ber ^rage: unb n^o finb bie Silbniffe berer, bie um=
gefommen finb?
©in SSerteibiger ber Seteologie, ber üon 3)artt)in gelernt ^at,
möchte ermibern: ber Über jd)ufe ber Sebensfeime ift notiüenbig, um ben
^ampf um§ SDafein ju untertjalten, moburct) bie Steigerung ber g^orm
bemirft wirb. — 3Bof)(. SIber nun ad^te man auf bie g^orm, in ber
ber %oh bie StuSieje öo{l5iet)t. Sie 6^o(era fommt über t)a§^ ßanb;
fie rafft 2t(te unb Sunge, SSeife unb 3Jarren, ©efunbe unb ^ron!e,
®tar!e unb S^rüppet t)intneg, oI)ne großen Unterfc^ieb §u mad^en. @§
mag fein, ha'Q bie Starfen unb ^Vernünftigen fid^ burcE)fcijnittüd^ ettt)a§
nnberftanb§fä£)iger ermeifen. S)ennocE) n)irb mon fagen muffen: e§ ift
ein fet)r plumpes unb un§uöer(öffige§, ein med^onifd^eS ®urd^fd^nitt»=
öerfatjren, beffen formelle ^medmöfeigfeit, mit menfd)lid§em äJioBftab
gemeffen, nicfjt eben auf t)o{)er ©tufe fte^t.
Dber man ad)te auf bie 2;f)atfarfjen, bie ^aecfet unter bem ^itet
ber ®l)§teIeo(ogie gefammelt f^at: mofier bie nu^Iofen ober fd)äbüd)en
53ilbungen im Organismus, mie ber SSurmfortfa^ be§ 93Iinbbarm§,
ber, fo üiel mir fe^en, niemonb jum 9^u|en, taufenben gum qualooHen
^erberben mirb?
Dber man ad^te auf 'J^atfai^en, bie man geograpf)ifdE)e unb
foSmifdje ®t)§te(eotogieen nennen fönnte. (S§ liegt auf ber .^anb, bafe
jene te(eoIogifd)e 9^aturpf)i(ofopf)ie, menn fie ben Sau unb bie (Sin*
rid)tung ber lebenben SBefen burd; bie (äinmirhing einer !o§mifd)en ober
fupramunbanen intelligent erftären mill, auc^ bie @eftalt ber (Srbe
unb anlegt be§ gangen !o§mifdjen (Si)ftem§ au§ ben S(bfid)ten jener
Snteüigeng !^erleiten mu^. (Siebt eS eine teIeoIogifd)e (55eograpt)ie?
lonn e§ fie geben? greiüd), e§ giebt %dU ber (Srboberftädie, bie fic^
gur SSofjuftötte tebenber SBefen oortrefftidi fc^iden. Stber nid)t meniger
giebt e§ meite öJebiete, bie fid) für biefen ^wed oöUig unfrudjtbor
ermeifen. Tlan mag babei öon ben au§gebef)nten ^olargonen, ober
öon ben meiten StReereSfläd^en nod^ abfeljen, jene mögen burd^ foimifd^e
3. ^itif bei teteologifc^en 93ettJei|e§. 175
D^otttjenbigfeit, bieje biird) teleologifrfie 9f?ü(J[id)t ouf bie flimatijiiien
SSerf)Q(tniffe ber kontinente geredjtfertitjt fein, audfj finb fie ja felbft
nid^t of)ne SeBen. 5I6er ido^h ber ungeheure äöüftengürtel, ber fid)
bnrd) bie beiben großen kontinente ber alten SBelt f)in§ief)t? SieB \i(i}
bie @af)ara nidjt üermeiben? @§ jc^eint, of)ne groBe SJiii^e; wenn ber
SDieerbufen, ber Italien gegenüber in ben 9lorbranb ?Ifrifa§ eingefdjnitten
ift, ein paar fjunbert äReilen tiefer geführt märe unb fic^ f)ier, lüie ein
gnjeiteS mittellänbifc^eg SJieer, ä^ntid) etwa ber Oftjee in ©uropa, mit
mannigfaltigen lüften öerjmeigte, menn ba^u ben ©ebirgen biefeS un=
gefügigen Kontinents eine etmaS anbere Sage nnb ©lieberung gegeben
märe, jo märe bamit eine ganje neue 2öelt §u geminnen gemefen.
Wan bemunbert bie ©lieberung @riec^enlanb§ ober @uropa§, aber ift
e§ nidjt, a(§ ob alte ßunft unb (Sorgfalt f)ier aufgegangen unb für
bie nnge{)euren fianbmaffen SlfienS, S(frifa§, 5(uftralien§ menig ober
feine 2;eilnaf)me übrig geblieben fei? (S§ mag fein, bafe eine öoüfommenere
©infidjt al§ bie unfere ha§^ Üiätfet §u löfen öermag. §ier aber Ijanbelt
e§ fic^ um einen S3emei§, um eine 3^t)eorie, unb eine foId)e fann man,
mie §ume einmal fagt, nidjt madjen aug bem, ma§ man nid)t meiB,
fonbern nur au§ bem, ma§ man mei^.
Unb mie ftet)t e§ mit ber teleologifd^en Kosmologie? @iub
aud^ bie anbern ^immelSförper, finb aud) nur bie übrigen ^(aneten
unfereS (5i)ftem§ gu SBofinftätten beS SebenS geeignet? Dber finb fie
in äf)nüd)er Sßeife, mie jene Kontinente, üeruac^täffigt? Sßir '^aben
!eine äliittet, bie 5^age ju beantmorten. SBie nun, menn jemanb eS
leugnete? SBenn er mat)rfd)einli(^ gu machen müBte, ha'^ menigftenS
mand^e unter biefen Körpern ^u Prägern be§ Seben§ nid)t geeignet
feien, ha^ unfere @rbe if)rer g(üc!(id^en (Steüung im @t)ften ben 35or=
jug be§ SebenS öerbanfe, unb ha'i^ bie übrigen ^taneten, obmo't)!
fie fo gut mie jene organifierbare 9)?aterie im Überfluß tjätten, au§
SD^angel ober Übermaß an ©onnenmärme ober anberen Sebingungen
e§ nid)t ^um Seben ju bringen üermödjten? (S§ fann niemanb
biefen SemeiS führen, bie formen unb 93ebingungen be§ irbif^en
ßebenS finb nidjt 33ebingungen be§ ßebenS überfjaupt; aber e§ fann aud)
niemanb ben 53emei§ für ba§ Gegenteil f üf)ren, unb bamit ift gegeben, bafe
el nid)t (Sinficfjt, fonbern SSilltür ift ju bet)aupten: hü§: Uniüerfum fei
ein jum ßmed ber Semof)nung burd^ tebenbe SBefen eingerid)teter Sou.
176 I- 93uc^: Tlttap^t)\il 2, ftapitel: ®o§ fogmoIogtfc^=t^eoIogifc^e Problem.
SSenn man ein @Iq§ mit einem ^ftanjenanfgn^ ber Suft ju-
gänglic^ ^infteüt, bann entft)icfelt fic^ in fnrgem eine SBelt tebenber
SSefen borin, eine SSelt öon Snfuforien, bie it)ren 9^amen eben öon
bem 5tu[guB i)aben. 3)ie S3iologen fagen un§: bie Äeime ju foldjen
SSejen [inb in ber ßnft allöerbreitet; finben fie einen giinftigen 33oben,
n^ie in jenem ^flonäenQufguf?, fo !ommen fie §nm Sekn. SBenn biefe
Stiere SfZoturpfiilofopljen ttjören, fo könnten fie fo f(i)üeBen: nnfer
SDafein ift allein burd) biefe befonbere 3ufammenfe|nng unb Tempe-
ratur be§ großen äHeereS, in bem n)ir fo glücflid^ finb ju leben, mög=
lid^. @§ muB bal)er angenommen njerben, ha'^ nnfer 9Jleer unb feine
tt)eitere Umgebung, tt)enn e§ eine fold^e geben foüte, burcl) einen
(gdjöpfer, ber nnfer fieben njoKte, gemacl)t ift. — SSenn biefe Xiere
nun aber in @rfol)rung bräcf)ten, baB in bemfelben Slugenblid, in bem
fie burd) einen glüdlid^en Suftgug in jeneg SSaffergla§ gett)orfen
njurben, 3J?iEionen ebenfo leben§fät)iger Ä^ime baneben fielen unb üer«
barben: UJÜrben fie auc^ bann on it)rer teleologifc^en ^l)ilofopl)ie feft=
t)alten? Unb tt)ürben mir, menn fie t§> tljäteu, il)re ßogi! loben?
@o ftel)t e§ mit ber Söfung biefer (Seite ber 5lufgabe, ber
S)emonftration ber S^^atur aU eine§ angemeffenen @t)ftem§ üon 9J?itteln
jum ßmed be§ SDafeinS lebenber SSefen. SSir rid)ten nun unfere 2tuf=
merffam!eit ouf ben üorauggefe|ten Q'mtd.
Sn ber %1)üt mirb feine menfd)lid)e Xeleologie i^n mo anberg
fud^en fönnen, al§ in bem SDafein lebenber SSefen; o^ne ßeben märe
bie SBelt un§ abfolut gleid)gültig unb nntierftänblid). ®ie Stufgabe
ber Slbfid)teuteleologie märe nun alfo, ^n jeigen, ba'i^ gerabe biefe
ßebemelt, mie fie un§ vorliegt, bem t)öd)ften ßrocd entfprid^t, ha§
abfolute @ut barfteltt. @ie mirb gu geigen ^aben, ha^ alle bie taufenb
formen ber STiere unb ^flangen gur Sßermirflid^ung be§ Sßertmay imum§,
ber beften SSelt, erforberlid) finb. Sft fo etma§ jemals geleiftet, ift
e§ auc^ nur üerfud)t morben ? .^at man, mie un§ ber Interpret einer
SDidjtung bie innere ^fiotmenbigleit jeber ^erfon, jeber ^anblung, jebe^
5luftritt§, jeber ^^ik be§ 2)rama§ baräuftellen oermog, fo bie innere
9^otmenbig!eit jeber ^ier= ober ^flangenart aufgezeigt? §at man ein=
leud)tenb gemacht, ta^ etma§ fet)len mürbe, menn fie megfiele?
Dber ift ba§ nid)t nötig? ;3ft bie 53ebeutung unb ber SBert
jeber f$orm ot)ne meitereS einleud)tenb, empfinben mir fie unmittelbar
3. Äritif öeg teleologifc^en Seioei^eä. 177
at» eine 93erei(fjerung ber SBIrflid^leit? — Offenbar ift ba§> nid^t ber
gall; menn n)ir anfangen lüoUten, biejentgen ßebensformen, beren 3Sert
unjere (Smpfinbnng oI)ne n^eitere ^rage gelten läBt, aufäU5ä{)(en, tt)ir
lüiiren balb am (Snbe, njenigftenS bei ben Vieren. ®ie 3'^'^'^ ^^^
Strien, bie un§ erfreulid) unb njertöoß finb, ift ffein, oergüc^en mit
ber unenbüd)en «Srfjar ber SSefen, bie un§ üi)Uig gteid^gültig ober
njiberttJärtig unb uert^a^t finb. SDer SSegfalt öon tanfenb formen
beffen, n)a§ ha freud;t unb fleud^t, würbe un§ nirf)t im minbeften
!ränfen; njer nid)t ßoolog ift, würbe if)n !aum bemerfen, unb felbft
unter bcn ßoologen ütelleic^t nur ber ©pe^ialift. ^a, ja^treic^e formen
be!o SebenS fönnen luir nid;t o^ne SöibenniHen unb @rauen betrachten,
id) erinnere nur ou bie parafitifd)en (Sinftengen, bie im ober am Seibe
anberer i^r 2öefen Ijaben. 2öie ber menfd)lid)en (Smpfinbung ein
großer Steil ber SEierluelt oorfommt, ba§ jeigt ber Umftanb, boB man
feine Urfjeberfd^aft einft unbefangen bem STeufel gufi^ob. SDie 5!ir(^en-
teljre ^ilft fid) bamit, ha^ fie jlnifcften ®ott unb bie 9latur, wie fie
je^t ift, ben ©ünbenfaü fel^t, mit bem ba» S3erberben in ©otteä
©djöpfung t)ereingebrod)en fei.
9iun, aEe jene ©efd^öpfe, weld^e bie outgäre ßoologie mit bem
.^od)fd)ä^ung nidjt auSbrüdenben Flamen be§ Ungeziefern jufammenfaBt,
finb mit gteid)er (Sorgfalt üon ber D^atur gebilbet. ®er (Sougrüffel
ber SSan^e foü, wie Eingeweihte üerfic^ern, ein Wahres SBunberwerf
ber Jted^ni! fein. (S§ liegt auf ber §anb, ta^ man burd^auS benfelben
©djluf3 §ief)en muis, wie au§ bem S3au be§ menfd)Iid)en STuge^. @§
liegt aber aud^ auf ber §onb, ha'^ wir bamit üor ein neuen un»
gef)eure§ Sf^ätfel geftellt finb: wie fann ein ©eift, oon beffen ted^nifdjer
Sntelligeuä wir eine fo groBe ^ßorfteltung nun bilben müßten, auf ha§>
jE)afein biefer ©efdjöpfe äöert legen?
SJieüeid)! wenbet jemanb ein: nid)t borauf fomme en an, baf;
wir imftanbe feien, jene Silbungen in i^rem SBert ^u öerfte^en.
SDa§ fei ein Überreft ber engen S3etrad)tung ber alten antt)ropo =
jentrifd^en Xeteologie, bie ben SBert aüer SDinge au§ i^rer 33e-
jietjung jum 9)?enfd^en ableitete. S(n i^re ©teile fei bei ©infic^tigen
längft eine anbere 33etrac^tung§weife getreten, bie immanente STeleo^
logie. (Sie frage nidjt nod^ bem Sf^n^en ober 2öert einer Strt für ben
9}Zenfd)en, fonbern betradjte jebeä ©efdjijpf oI§ (Setbftgwed. Um feiner
*lJaulicn, giulcitung. ti. 3iuf[. 12
178 I. S3u^: aRetop^^ftf. 2. Äopitet: S)o§ Io§nto(ogtid^4f)eologiid)e <Probtem.
jelbft tüillen feienb, fei fein ©ofein gered)tfertigt, wenn e§ üon i^m
fetber mit 93efriebigung empfunben ttierbe.
9Zef)men tt)ir an, e§ fei fo, bann ttjäre otjo gu beroeifen, bofe
innere Drganifation nnb äußere Umgebung fid^ überall ai§> ein ©^[tem
öon 9}litteln p bem ßmed barftedten, ben lebenben SBefen il)r jDafein
gu einem befriebigenben unb glücElirfien ju macfjen. Sft biefer 33e=
mei§ geführt morben? !ann er gefüf)rt werben? ^ä) glaube nid^t.
Sa, e§ märe mot)I nid)t fdjmer, bie Sf)atfac^en fo baräuftellen, \)a'^
barau§ e^er bie @lei(f)gültig!eit be§ Urhebers gegen biefen ßxotd ju
oermuten märe.
2)a§ Seben oüer Stiere ift ein beftänbiger ^ampf um§ ®afein,
b. ^. um bie ßeben^bebingungen. ®er ^ampf enbigt üermuttid) für
bie groBe SUiel^rgo'^I mit bem Unterliegen, lange beüor bie innere
2eben§fä^ig!eit erfd)öpft ift. SSon taufenb keimen fommt t)ieüeict)t nic^t
einer gur (Sntmicfelung unb öon ^unbert entmi(felten 3Sefen erreicht
mof)( nid^t eines fein natürliche? 2eben§enbe; \)a§: ßeben ber übrigen
mirb burcf) irgenb meiere Ungunft ber äußeren SßerfjäUniffe gemattfam
abgef(f)nitten, burc^ junger unb groft unb Unfäüe otler Slrt, öor
allem bnrc^ einen fd)redli(ljen UnfoCl: e§ faßt bem g^einbe jur S3eute.
S)a§ ift ni(f)t ein 5{u§na'^mefaü, ben man entfd)nlbigen möcf)te, fonbern
regelmäßige Suftitution, bie meiften 2:iere bienen beftimmnngSmäßig
anbern gur Sla^rung; if)r ßeben ift beftäubige ^Ind^t unb Stbme^r, fei
e§ öor ftärferen SSerfoIgern, fei e§ bor Üeinen parafitiftf)en 2öiber=
fadjcrn. SBarum biefe (5inrid£)tung, menn Sefriebigung ober &iM
ber Qtütd mar? SSarum nid)t allen auf anbere STrt bie @rnäf)rung
möglid^ marfjen, burd^ '»Pftangenfoft ober auc^ burd^ unmittelbare
9(ffimi(ierung unorganifrf)er ©toffe in geeigneten S3erbinbungen? SSarum
fie gerabe auf bie 9Jiitgefd)öpfe anmeifen? Söarum bie lebenben ßeiber
felbft gum $Jiä!t)rboben unb STräger an if)rem Seben 5et)renber geinbe
madfien?
Ser unbefangenen S3etract)tung be§ 93iologen merben bie 2!^at=
fad^en öiefleid)t überhaupt in gan§ anberem ßid^t erfdjeinen: Suft unb
©(^merj nicf)t 3^^(f unb Übel, fonbern SJ^ittel ^um 3^^^ '^^^ 2eben§=
ert)altung. S)urd^ ben ©dfimerj merbe iia§> %m angetrieben, firf) bem
Sinftufe be§ ©d^äblidjen, ß^^f^örenben gu entjiefien, burrf) bie fiuft
angelocft, bo§ 9lü|Iic^e, (Srf)aUenbe gu fud^en. Unb fo öiel er fe^en
3. tritif beg teleologifc^en SSetoeifeg. 179
fönne, öertoenbe bie '^latnx beibe WiM, o^ne ein§ oorju^tel^en; foüte
aber ein§ üorgegogen tuerben, jo fei e§ iro^t ef)er ber ©d)mer§. 2)er
^wed olfo, auf ben bie 5Jiatur abfiele, fd^eine bie (Srfjaltung be§ £eben§
§u fein, unb stuor me^r al§ bie (Srf)a(tung be§ SnbioibuumS bie @r*
f)altung ber 5lrt. ^ie ^ernorbringung unb (Srfjaltung ber S(rttt)pen
[teile firf) bemnoc^ al§ bo^ tfjatfäd^Iic^e Qki ber SfJatur bor.
^Domit ftänben Xüiv bann mieber oor jenem Ütätfel: mic fann ba§
3)afein aller biefer Seben^formen ber ßxütd eine§ bem unfern äf)nlic^en
®eifte§ fein? 5(uf biefe O^rage antworten: jebe§ STier fei Selbftämecf,
f)eiBt lebiglid^ ouf ben ©tumpffinn fpefulieren, ber fid^ mit einem
SSort abfpeifen (öBt. ©e^t man einfatf) bie 2öirflid^!eit, fo mie fie
ift, aU abfoluten ß^^i^^ ^Q"" ift e§ allerbingS feine ^unft, nad^ju^
meifen, ha^ bie 9iatur ein genau angepaßtes ©gftem öon SJJitteln ^ur
©rreic^ung biefeS ßmdt§> ift. (Sinb bie ^iefelfteine am 9J?eere§ufer
„©elbftjmerfe", bann !ann man aurf) au§ if)nen ben Urfprung ber
9?aturorbnung in einem nad) 2tbfid)ten mirfenben @eift bemeifen;
natürlidf), eS mußte bie ganje (Srbe fo gebaut fein, ha^ 9J?eer mußte
burc^ Söinb unb SSetter, (Sonne unb 9}?onb gerabe fo bemegt ftierben,
hü'^ biefe 2SelIenfrf)(äge mit biefer ©tärfe unb 9fiirf)tung jeben (Stein
trafen. Diimmerme^r f)ätte er fonft gerabe biefe ®efta(t, bie er t)at,
geminnen !i)nnen. — ^dj gefte^e, baß mir bie alte ant^ropo^entrifd^e
STeleoIogie oou f)ierau§ öor ber immanenten, bie i^r gegenüber fo üor*
nef)m ju tt)un pflegt, nodj immer ben S^orjug ju oerbienen fd^eint:
^ier ert)alten mir bod§ eine oerftänblidje, wenn aud^ nid^t gulänglic^e
Stntmort auf bie 3^rage nad) bem SSeltjroecO; bie immanente öerfuc^t
un§ mit einem bloßen SBort: Selbft^roedE, objufpeifen.
5)iel fü^rt un§ auf bie ^^^ge: mie ftel)t e§ mit bem ^md unb
feiner (£rreid)ung in bem ©ebiet ber SSirfIid)!eit, mo mir am beut=
lidjften fe'^en unb am fidjerften urteilen, in ber 9J?enfd)enmeIt? Sft
etma bie ©efd^id^tsteleologie in ber Söfung ber Stuf gäbe glücflidjer
gemefen al§ bie 9MturteIeoIogie? Sßon jefier t)aben bie 5ßölfer unb bie
©injelnen in ben (Sd)idfalen, bie fie erlebten, in ben «Siegen, bie fie
errangen, in ben 9?ieberlagen, bie fie erlitten, in bem ©lud mie in
bem Unglüd, haS^ über fie fam, bie (Sinmirfung ber ®ötter, ben ^^inger
ber 3}orfet)uug erblidt. Sft e§ ber ®efd)id)t§pf)i(ofop()ie gelungen,
biefen ©tauben in ein miffenfd)aftlid)e§ (Srfennen ju oermanbeln?
12*
180 I-33uif): a)?etop^^fif. 2. Äopitel: S)ag fo§moIogiic^=t^eoIo9iicf)e Problem.
®ie 5(ufgabe einer teleologischen @ei(^icf)t§p'E)ilDiopI)ie fäüt ber
gorm naii) mit ber ber 9ZQturte(eo(ogie äujammen; fie mü^te juerft
ben Qfücd bes gejd^ic^tlid)en 2eben§ barlegen nnb fobann ä^igen, ha%
ber ©ong ber @efci^i(f)te ber gerabe SBeg gu biefem ßiel i[t.
Stuf bie ^rage nad; bem ßiel ert)alten mir allgemeine gotmeln
§ur 5(ntiüort non ber SIrt: ^tütd ber ©efc^tc^te fei bie üoUe ©nt»
tt)i(fehing ber Sbee ber 9}?enjc^f)eit ober ber Humanität, bie @nt=
faltung aller it)rer Gräfte unb Einlagen in einer mannigfaltigen unb
l)armonifcf)en 93ilbung, ober bie .^ineinbilbung ber Vernunft in bie 9latur,
ober ein Seben ooll Sugenb, 2Bei§§eit, 2iebe unb &{M, furg, ber
^immel auf ©rben. — @ut, e§ fei fo; nun aber erwarten mir meiter,
hü'i^ man un§ bieg ooüfommene 2eben in concreto barfteUe, ba^ man
un§ bie fc^ematifd)en Umriffe mit einer au§gefül)rten 3^i<^niing erfülle,
un§ bie Silbung ber einzelnen 33ölfer befcfireibe, benn bie oollfommene
Silbung ber SO^enfdilieit mirb bocfj 3}iell)eit unb SD^annigfaltigfeit ber
Sßölfer nicfjt ausfdjlie^en; ha'^ man bei einem jeben üon feiner Üieligion,
feiner ^l)ilofop^ie unb SSiffenfdjaft, feiner ßitteratur unb Äunft, feinen
gefellfc^aftlid)en unb ftaatlid)en ©inrid^tungen , feinem Familienleben
unb feiner (Srjieljung in feiner üoUenbeten ©eftalt eine beutlidje 3}or=
ftellung gebe. Ober ift ha^ eine unmi3glid)e 8ac^e, unmöglid) nid)t
nur, meil unfere (£r!enntni§ ober ^f)antafte nic^t für bie Slufgabe
au§reid)t, fonbern unmöglid) aud), meil es ein ßkl in biefer ©eftalt
gar nidjt geben fann, meil haS^ £eben, menigfteuö iia§> ßeben auf (ärben,
nur in ber Semegung ift, unb nid)t in einem bel)arrlid)en ßiif^onbe?
2)ann märe alfo bie Stufgabe, ben gefc^id^tlid)en S^erlauf felbft in allen
feinen 3;eilen al§ abfolut mertöotl nad)5umeifen, §u geigen, mie jeber
in il)m finnooll gum ©angen fidj fügt, ä^nlic^, mie in einem 6po§
ober S)rama jeber STeil bur^ eine un§ üerftänblid)e innere 9^otmenbigfeit
geforbert mirb. ©§ märe bann jebes einzelne gugleid) SJiittel §um
3med unb 2'eil be§ Qrütd§>.
Offenbar bebarf es aud) l)ier nur ber 33egeid)nung ber Slufgabe,
um i^rer Untösbarfeit inne §u merben. ©ine folc^e @efd)id)t§pl)ilofopt)ie
müBte uns geigen, mie jebe§ ber 35öl!er in biefer 9ktur, in biefer Um=
gebung, in biefer 9^ad)barfd)aft anberer ^^ölfer leben mufete, nidjt um
gu erleben, ma§ e§ erlebte, unb um gu merben, ma§ c§ gemorben ift;
benn bas ift freilid) felbftoerftänblid), bie öried)en mären anbere ge=
3, Äritif beg teleologijrfien Setoeifeg. 181
ftiorben, tüenn fie in t)a§^ SubuSlanb, unb bie 9JZongoIen anbere, trenn
fie an ba§ ägäifd^e 9)Jeer öerfdjiagen ttjorben mären; fonbern geigen,
wk e6en biefe Umgebung, biefe Berührungen mit anberen 3Sö(tern,
biefe ©c^idfale fein gefrf)id)tli(i)e§ Seben fo öoüfommen unb in'Eialtreicf)
a(§ möglidj gemad)t f)aben. @ie mü^te §. 93. jeigen, mie jur öoü^
fommenen ©rfüüung ber beutf(f)en ©efd^id^te, ber l^öc^ften Entfaltung
beutfcf)en SBefenS, erforberlirf) mar: bie 9^ad§barfc^aft ber g^rangofen
unb Sftuffen, ber breiBigja^rige Ä'rieg unb bie SEeilung ^oIen§, bie
©rfinbung ber Sucfjbrucferfunft unb be§ 93ranntmeinbrennen§, mie e§
au§ bem (Sinn notmenbig mar, ha^ mit bem S3eginn ber ^Deformation
bie ST^ronbefteigung ^arl§ V., mit bem @rf(f)einen ber ^ritif ber
reinen Sßernunft unb ber Sf^öuber @d)i(Ier§ ber %ob £effing§ §u=
fammenfiel.
2öa§ in SSirflid^feit in biefer Slbfi(^t unternommen morben i[t,
t)a§ ift, menn mir oon ber fpe!u(atiöen @efd)id^t§pf)iIofopt)ie abfef)en,
bie bie ?{ufgabe gelöft ju Ijaben glaubt, menn fie bie SSölfer unb Reiten
nad) einem fd^ematifdjen Seitfaben aufgejä^It unb jebem gum 3^^«^^"/
ba'^ e§ burd) ben btaleftifd)en ^rogeB ^inburd^gegangen .fei, eine ©tifette
mit einem @tid)mort aufgeflebt f)at, nid)t§ meiter, at§ ha^ man einzelne
bebeutenbe ©reigniffe f)erau§gegriffen unb mit i^ren gefd^ic^tlic^en 93e=
bingungen at§ Qxö^de unb DJiittel üerfnüpft ^at. ©o ift e§ üblid) ge=
morben, ha§> römifc^e Üieid) al§ proüibentiette ^Vorbereitung be§ 6^riften=
tum§, ober bie f)umaniftifd)e ©emegung ai§> ^Vorbereitung ber 9f?efor=
motion ju betrachten; fd)on Sut^er pI)iIofopf)iert fo: niemanb ^abt
bi§f)er gemußt, moju @ott bie (Sprachen ^aU I)erfür!ommen (äffen,
je|t fef)e alle Söelt, ha'B e§ um be§ (Söangelium§ millen gefc^efien fei,
— ©ic^erlid), ot)ne biefe§ 3u|öi^^"isi^^r^ffßn mürbe ber gefd^id^tlic^e
SSertauf ein anberer gemefen fein. Ob bo§ ein Unglüd gemefen märe?
Ob ha^' geitmeilige ßufammengetjen £utf)er§ mit ^utten unb ben
übrigen g^einben ber „bunfeln äJ^änner" ein ©lud mar? SBer miß
el fagen; !ann boc^ niemanb ben Sauf ber SDinge !onftruieren, ber
bei teilmeifer SSeränberung ber g^a!toren ge!ommen möre. SSir fönnen
fagen: ber gefd)id3ttid)e 93erlauf, mie er fid) mirüid) gugetragen ^at,
mar nidjt ber einzig möglid)e; aber mir fönneu nid)t ba§ SO^ii^glid^e mit
bem SBirflid^en öergleid)en unb fagen: unter allen mügtid)en SBegen
mar biefer ber bcfte. 9Jian laffe ben Sauernfrieg eine anbere SSenbung
182 I- S3ut3^: Wletapf)t)'\it. 2. ^apitd: S)a§ foSmoIogijci^^^eoIogijd^e «ßroblem.
nehmen, man lafje be§ doIumbuS ©cfiiffe untergef)en, man loffe ^arl
ben @roBen oon ben (SadEjjen erfcf)Iagen njerben, ober man laffe bie
<2traBe Don ©ibraltac gefd^Ioffen unb bagegen bie ßanbenge üon (Suej
eine bequeme Seeftra^e jein, unb bie gange ©ejcfiicljte ber europäij(f)en
Sßöltemelt nimmt eine anbere @e[ta(t an. Cb eine fcf)Iimmere ober
befjere? S^iemanb termag e§ gu jagen. SSir fönnen glauben, ha'Q
e§> gut i[t, tt)ie e§ ge!ommen ift, unb ba§u leitet unl ein natürUcf)er
i^nftinft, ber uns hü§i 2öirf(id)e al§ ta§' DIotmenbige unb ha^ ©en^o^nte
al§ ha§> @ute fjingune^men treibt; aber trir fönnen el ni(f)t beroeifen.
2)o§ fann nur bie f)arm(ofe 33ef(f)ränftt)eit meinen, bie über bem 2Sirf=
lid^en ha§: im ecfjoB ber DJ^iJgli^feit gebliebene Slnbere überf)aupt nictit
fief)t; ober bie glücEüc^e ©elbftgufriebenfieit ber fpefulatioen SHet^obe,
bie in if)ren 33egriffen bie ttjettbemegenben Prüfte, „3been" genannt,
ju be[i|en glaubt, bie ber ^uf^^^Ö^^^ten be§ SSirüic^en, fie mögen
fallen, mie fie sollen, fid) bebienen, Dt)ne baburdj au§ if)rer präftabi=
lierten Sa^n gebraciE)t ju merben.
Übrigeng ift bemerfenemert, ba^ faft bei allen Sreigniffen, bie
groBe gefd)ici^tücf)e SSenbungen f)erbeifü^rten, jmei 2(uffaffungen fid)
gegenüber fteljen: eine fie^t hü§> Ereignis al§ gut, bie anbere aB
fc^Iimm an. dJlan net)me bie ^arftellung ber 9?eformation bei ^ro=
teftanten unb ^atf)oIifen, bort erfcfjeint fie ai§> bie (Srrettung be§ beutfd^en
SSoIfes au§ S3erfommenf)eit unb Äned^tfct)aft, f)ier al§ ber Stnfang
aller ^Bermirrung unb Sluflöfung, au§ ber un§ l)eran§§ufü^ren bie
Äirdie eben je|t mieber einen !räftigen 5(nlauf nimmt. Dber mon
neljme bie 2)arftellung ber frauäöfifrfjen Sieüolution bei SDemofraten
unb 9iot)aliften. Ober man loffe bie ©efdiid^te ber Suben oon ben
^anaanitern, bie @efd)i(^te ber ©panier oon ben (Sarazenen, bie @e=
fc^ic^te ber Gnglänber oon ben 23ölfern, bie in allen SSeltteilen oon
if)nen vertreten unb umgebracht raorben finb, gefd^rieben merben: e§
ȟrben im gangen biefelben (Sreigniffe oorfommen, aber mit umge!el)rtem
3]orgei(i)en oerfe^en, ein 3^^cl)en, baB toir e§ in ber 2Sertfd)ä|ung nic^t
mit objeftioer ©rfenntniS, fonbern mit fubjeftioen (Smpfinbungen gu
tf)un l)aben.
SBaö bennocf; eine gemiffe ©inmütigfeit in bie Sluffaffung bringt,
ba§ ift ber Umftanb, ha^ bie (5Jef(f)i(^te gule^t nur me^r oon einer
©eite gefc^rieben toirb, nämlic^ oon ben überlebenben ©iegern, bie
3. tritif beS teleologijd^en Setoeijeg. 183
^oten ftnb ftiQe Seute. ®a0 gilt and) öon benen, bie in ben inneren
kämpfen unterlietjen. SSäre bie Gegenreformation burdjgefü^rt inorben,
fo tt)ürbe bie @e]c^id)te ber Ü^eformation im @ebä(i)tni§ ber äJJenfd^en
fid^ äf)nli(f) mie je|t bie ber n^iebertäuferifd^en Senjegung au§nef)men.
©0 gefd^ie^t e§, bo^ ber geid)idjttic^e 33erlauf, inbem er ben ©ieger
kgünftigte unb bie ©egenmart ^erbeifüf)rte, qI§ eine 9tei[)e öon Fügungen
be§ ^immel§ erfc^eint. 3Sirb bann nocf) ber SSorf)ang, ber oor ber
3u!unft f)ängt, mit ben eigenen Hoffnungen unb 3bea(en bematt, fo
ift e§ !ein Söunber, nienn bie @arf)e ftimmt, unb bie ganje @ejct)icf)te
qI§ ber gerabe SSeg gum präbeterminierten ßiel fid^ barftetit. — (Sben
biefer Umftanb ift e§ aud), ber bie tf)eotogifc^en @efct)ic^t§pt)iIofopf)en
t)at barüber f)inmegfet)en taffen, mie feltfam im ©runbe bie ®efd£)idjte
be§ jübifd;en ^olte^ ausläuft. 91od) ber otten Slnfd^auung ift bie
göttlidie 3^üt)rung gerabe bei biefem ^olf am fidjtbarften, ja mir ^aben
in ber ^eiligen ©djrift bie aut^entifd)e ^Darlegung be§ SSegeic, ben @ott
fein auSermä^Iteä Sßol! führte. @r t)at it)m ha§> Sanb unb bie 9^ac^bar=
öölfer gur Umgebung beftimmt, er ermecEt it)m 9iid)ter unb ^roptjeten
unb üerfiet)t biefe perfijnlid) mit Snftruftionen, er greift in bie (Sd)idfale
be§ SSoIfeS beftänbig mit fjilfreid^en 3Bunbertt)aten ein, om Üioten
SJieer unb im Sager ber Stffqrer öor Serufatem; enblid^ f)at er if)m
3a^rf)unberte lang prebigen unb njeiSfagen laffen öon einem 9}ieffia§,
ben er fenben merbe: unb hü§> (Snbe ift, ba§ bie§ 33oIf ben 3J?effia§,
aU er nun erfd)eint, nerupirft unb bann fetber oon ©Ott a(g uneräie^bar
öermorfen merben mn^.
9Zodj beutlidjer n)irb bie Unmöglid^feit teIeotogifd)er ^onftruftion
ber ©efc^ide im (£ in Belleben. Qn aüen ßeiten ift bie ^^ügung
ber ©d)idungen im eigenen Seben für ben einzelnen bie le^te unb
tieffte Urfadje beö ©taubenS an eine leitenbe ^^orfe^ung geroefen. 5ln
anfd^einenbe ßiiföü^ fnüpften fic^ bebeutnngSöolIe SebenSmenbungen, au§
fdjmerer 9iot unb 58ebröngni§ erijffnete fid; ein nngefel)ener Stu^n^eg,
felbft ttjibrige 93egebniffe füf)rten am @nbe t)eilfame g^otgen t)erbei; bu
fiefjft, ba'B nid)t bu felbft mit öorfd^auenber 93ernunft bein Seben gu
gutem ^iä gefüt)rt ^aft unb fprid)ft mit (gfjrfurc^t: ma§ ift be§ ÜJh'ufc^en
Äinb, baB bu fein gebenfeft, unb be§ 9)Jenfdjen ©o^n, ha^ bu feiner
bi(^ annimmft!
©udjft bu nun aber ben ©tauben in (Er!enntni§ um§umanbe(n.
184 I. 33u(^: 9!Jietap:^^fif. 2. tapitel: ®o§ fo§motogtfd^4:^eoIogifc^e ^Problem.
fo türmen fic^ halt bie @d^tt}ierig!eiten unb 3^^^!^^ berge^ocf). 3^ret=
üd), alleg ina» tarn, i)at beigetragen 5U bem je^igen ßuftanb {)in5ufitf)ren.
:3ft er benn aber ber beftmöglic^e? @ntiprid)t bein ßeben in feinem
ganzen 55erlauf beinem 3bea[? SSar eine öoüere, ^öf)ere, reinere (£r=
füUung nid^t benfbar? Unb mie ftef)t e§ mit benen, bie übert)aupt im
Seben gefrfieitert finb? Cber giebt es folc^e nidjt? Sas ^ie^e aü§u
fe^r ben STtiatjadjen in§ (Mefid)t jdjtagen. SBoran lag e§? .^at e§
f)ier bie leitenbe ^anb an fidj fetjlen laffen. Cber mirft bu ben 9J?ut
f)aben gu jagen: bie 2eben§nm[tönbe unb 8cf)i(ffale maren aud^ für
folc^e bie beften, bie fie f)aben tonnten; menn fie e§ tro^bem §u einem
recf)tfrf)affenen unb tüchtigen fieben nid)t brod^ten, fo lag e§ nur an
i^nen f eiber; jebe SBerönberung ber Umftänbe, ber Grjiefiung, ber ®e-
fellfd)aft f)ätte noc^ frf)limmere§ Sßerfe^Ien gur ^^olge ge()abt?
Sd^ glaube nic^t, ba'^ fid^ jemanb finben wirb, bie 53erteibigung
biefer 55:f)efe ju übernet)men. ©onbern, wenn mir irgenb etma§ in
biefen SDingen fet)en, fo ift e§ boc^ bie§: fo oer^meifelte 92aturanlagen
finb feiten, baB if)nen bei feiner ©eftaltung ber fiebensbebingungen
ein erträgIidE)e§ Seben möre abäugeminnen gemefen. Sn fe()r oielen
g^äüen meinen mir beutlid^ p fel)en: nirf)t an bem SSillen unb SBefen
felbft lag e§, menn e§ nidjt ^n red)ter ©ntfaltung fom, fonbern an
ber Ungunft ber Umftänbe, fei e§ an grimmiger Strmut unb D^iebrig*
!eit ber 33erl)ältniffe, ober an Üppigfeit unb S[Ranget an ernften, ben
SSitlen bröngenben unb ^erausforbernben 5Iufgaben, ober an [tumpf-
finniger 3;eiInaf)mIofigfeit ber Umgebung, ober an liftiger S3erfül^rung
burd^ fd^Ied)te ©enoffen.
5tIfo t)on einer @infidE)t in bie teIeoIogifd)e D^otmenbigfeit fann
aud) auf biefem ©ebiet nid)t bie 9^ebe fein. ®er (glaube mag, menn
er am @nbe ber Saufbalju gurücfblidt auf bie oieloerfdjiungenen Seben§=
toege, bie er gefül)rt morben ift, mit 3)anf eine f)öf)ere Seitung barin
öeref)ren; aber üon einer (SrfenntniS f)ier gu reben märe 5ßermeffenl)eit.
— ©0 urteilt aud) bas religiijfe @efüf)I. ©5 f priest: mie unbegreifüd^
finb feine @erid)te unb unerforfd)Ii(^ feine SBege! benn mer ^at be§
§errn (Sinn erfonnt? ober mer ift fein Sf^atgeber gemefen? fügt aber
bem $8efenntni§ be§ Diic^tmiffens gleid) ha§> 33efenntni§ be§ @Iauben§
fjinju: S3on il)m unb burd§ if)n unb ju i§m finb aüt ®inge. SI)m
fei (g^re in (gmigfeit! (mm. 11, 34 ff.)
3. Äritif bei teleologtfrfien 93ett)etfe§. 185
©§ tüirb ni(i)t nötig fein, nocfj be§ breiteren ju erörtern, ob bie
®e|d)icf)t§teteo(ogie erfolgreidjer fein lüürbe, menn fie anftatt objeftiüer
Seben^geftaltnng im (Sinne menfd)(icf)er Sßoüfommenf)eit bie oßgemeine
©lücEfeligfeit at§ ba§ ßiet feiste unb nun ^u jeigen unternähme, ha^
l^ierauf bie 2;f)atfarf)en q(§ S[Ritte( belogen mären. SBie menig eine
foI(f)e Stnfcfjauung ber allgemeinen ßeben§[timmung unb dfo mo^I aud^
ber SSatjr^eit entfprerfjen mürbe, bofür genügt e§, auf eine Xf)atfacf)e
t)ingumeifen: bie bciben Ü^eligionen, meldte bie meiften Sefenner jäljten,
(Sfiriftentum unb Subbt)i§mu§, finb, menigften§ in i()rem Urfprung,
®rtöfung§reIigionen; fie üerf)eiBen nid)t ©lücffeligfeit, fonbern ©rlöfung
t3om Übel, ni(f)t burc^ Kultur unb ^efriebigung aüer Sebürfniffe,
fonbern burd) (Srtöfung non ber 93egierbe, burdE) (Sriöfung öom Söillen
gu leben, öom (Streben narf) irbifd^en ©ütern, 9^eid)tum, @f)re unb
Söotluft. Sl)i' Urteil über ben Suftmert be§ irbifc^en ßeben§ ift ein=
ftimmig: Seben ift Seiben; Sünbe unb ©lenb finb ber Sn^att be§
Seben§ be§ natürtidjen 9}?enfd)en. ^eleologifc^ gered)tfertigt mirb, nac^
d^riftlidier Slnfd^auung, ta^ irbifdje Seben allein baburd), ha'^ e§ §u
einem f) öderen, bem jenfeitigen Seben in 23e5iet)ung ftef)t; nid)t al§
©elbftjmed, fonbern aU 95orbereitung§= unb ^rüfungSjeit für ha^ emige
Seben t)at e§ Sinn unb 58ebeutung. SSomit benn ä"g^cic^ Ö^fcigt ift,
ha^ fie eine teleologifc^e ^onftru!tion be§ 90^enfd)enteben§ burc^ 2öiffen=
fdjoft nid)t für mögüd) ^ält, ha^ jenfeitige Seben ift nid^t ©egenftanb
ber SSiffenfdjaft, fonbern beg (5)Iauben§.
greilid), haS^ \)at nic^t üerf)inbert, ba^ nid)t fpäter, aU ha§>
G^riftentum in ein pofitioereS Sßert)ättni§ gur SSelt getreten mar unb
eine diriftüdje ^l)i(ofop^ie entftanb, aud^ eine teIeoIogifd)e ®ef(^id)t§=
pt)i(ofopt)ie auf biefem ^oben guftanbe !am, t)k ^a§^ gefd)id^tIidE)e
Seben aU Sßerlauf §u jenem tranfcenbenten 3^^^ fonftruierte; bie SSer=
mifdE)ung be§ Xranfcenbenten unb be§ Smpirifdjen ift ja für bie gange
(Sutmidetung ber SSiffenfdjoft unter bem übermäd^tigen (SinftuB be§
!irdjlid}=religiöfen Seben§ c^arafteriftifd). Unb man !ann aud^ guge*
ftef)en, ha^ bie (^efd)id)t§teIeoIogie ein formell öolIenbetere§ Softem
at§ in ber firc^Iidjen ^t)iIofopt)ie nie erreidjt ^at: ber ^immet unb
bie emige Setigfeit ha§ grofee (£nb§ie( be§ gefd)id)tlic^en Seben§, bie
erbe fein biegfeitiger Sdjaupla^; fein 93?ittetpun!t bie ajJenfc^merbung
®otte§ unb bie ©rünbung be§ ®otte§reic^§ auf (grben; bie ganje
186 I- 33uc^: SUletap^^fü. 2. Äopitel: ®o§ fogmologifc^4{)eologijc^e Problem.
SSorjeit ju biejem großen gentrolen (Ereignis ^inftrebenb, bie gan^e
golge^eit üon i^m beftimmt unb erfüllt; ber ganje SSertauf eingefaßt
oon ber SSettfdjöpfung auf ber einen, bem jüngften @erid)t auf ber
anberen Seite — in ber %^at eine fo einfache nnb grofee ^{)i(ofop|ie
ber @ef(i)irf)te, hafy roir au§ unferer S^atlofigfeit nid^t ot)ne ein @efüf)t
be§ 9^eibe§ borauf gurüdblicfen fönnen. 3Sa§ finb §egel§ ober (Somteä
bürre ^bftrottionen gegen biefe fronfret4ebenbige Stnfc^auung. f^reilid^,
njir muffen e3 trogen. Un^ fef)tt bie Unbefangenheit, mit ber bo§
9J?itteIalter ©tanben unb SBiffen in (Sin§ §ufammen fcfjmiebete. Uu§
fe()(t audj bie @nge feinet ®efid)t§freifeg. SBie fein !o§mifc^er §ori§ont
burd^ bie neue Slftronomie, fo ift fein f)iftorif(^er ^orijont, ber mefent=
lid) burd) bie @efd)i(^te be§ alten S3unbe§ unb, feit ber SBenbe ber
ßeiteu, burdj hk ©ef^i^te ber SJirc^e beftimmt loar, burd) bie an ben
Humanismus fid) aufnüpfeube gefd)i(^tlid^e ^^orfd^ung aufgefjoben morben.
Sn§ ©renjenlofe ift enblid; ber ^uSblid burd^ bie jüngften fprüd)=
gefdjid^ttid;en unb bio(ogifd)en g^orfc^ungen erweitert. 9^id)t bie SBiöfür
menfd)Iid)er ©ebanfen, bie 2;t)atfac^en felbft f)aben ben 9fta^men beS
alten @t)ftem§ §erfprengt; e§ ift oergeblid), bie 53rud)ftücfe mieber jum
9ting einer te(eoIogifd)en 2)emonftration jufammen ^u fügen.
ßietien ujir bie ©umme. SBeber bie ^iatur^ nod^ bie ®efd)id)t§=
teleologie f)at ben SSert einer tt)iffenfd)aft(id)en ST^ieorie; fjierüber fann
feit ber 5üif^ebung ber geo= unb outJiropo^eutrifdjen SSeltaufc^auung
\\d) feine ernftf)afte ^f)i(ofopf)ie mt^x einer STäufd^ung Eingeben. Me
93emeife, bie ben SSerftanb nötigen moüen, in ber Söeltorbnung bie
SBirfung eine§ nad^ un§ faßbaren 5Ibfidjten t^ötigen ©eiftel auäuerfennen,
bleiben unenblic^ meit hinter ber 5lufgobe einer miffenfdjaftli(^en 93emeiS»
füf)ruug ^urüd. —
2Ba§ tro^bem fo lange Qdt f)inburc^ bie (Gebauten immer mieber
in jene Üiic^tung jurüd teufte, ba§ mar üor aüem bie abfolute 9flat=
lofigfeit, in meldje bie 9laturpI)iIofopf)ie burd^ bie g^rage nad) bem
erften Urfprung ber lebenben 3Befen oerfe|t mürbe. 2)aB ber ^ü\aü
bie Sltome einmal gerabe fo follte äufommeugemürfelt ^ahn\, ba§ blieb
bod) unglaublich. Unb fo fc^ien nur bie anbere ^uSfunft übrig
§u fein.
greitid), für ben 9^aturforfd)er mar bamit bod) gar nichts ge=
monnen. S)en SBert einer befriebigeuben (Srftärung ober and) nur
3. tritif beg teleologifcfien 93eit)etje§. 187
einer braudiboren ^tipofEieje l^ot fie nie ge'Eiabt. (Sine ©rfd^einung
im Sinne ber 9laturraiffenjc^aft er!(ären fiei^t, fie al§> naturgefe^mäBige
SBirfung befannter Gräfte aufzeigen. 9lun ift Snteüigen^ allerbingS
ein befannte§ 2(gen§, nämlidj in ber ©eftalt, in ber fie in 9Jienfcf)en
unb STieren auftritt. ^Tagegen ift fie al§ fo§mifcf)e§ 2(gen§ feine§tt)eg§
befannt. ®er 9laturforfcf;er, bem man fagt: ^flan^en unb Xiere finb
urfprünglid^ öon einer Sntelligeng gemacht worben, wirb bal^er gtei(^
ertt)ibern: fo ^»^igt mir 9latur unb 2öir!ung§meife biefer Sntelligenä,
jeigt mir, mo, tüann unb oor allem auf melcfje SSeife fie bie organiftf)en
SSefen gebilbet !^at. 33ermi3gt if)r bo§ nid^t, fommt if)r nidjt über ben
ollgemetnen (Bat^ ^inau§: bei ber Drbnung ber SSelt ift ein ©eift im
(Spiel gemefen, bann ift mir bamit atterbing§ gar nid^t§ get)oIfen.
@ine fold^e, ^u einmaliger SSirfung angenommene ^raft, öon bereu
Statur unb SSirfungSmeife im übrigen nidjt§ befannt ift, ba§^ ift eine
vis occulta im eigentlic^ften 8inn. Sn meinen klugen ift e§ baf)er
einerlei, ob if)r auf bie g^rage uac^ bem erften Urfprung ber lebenben
SBefen antmortet: ein ©eift f)at fie gemadjt, tt)ir miffeu nidfjt, auf meldte
SBeife unb !euneu auc^ fein SSefen uid^t meiter; ober ob if)r fagt: wir
tüiffen nid^t, mie fie entftanbeu finb.
Unb, fo !önnte er t)in§ufügen: if)r fagt, blinbe 9^atur!räfte !önnen
fein Iebenbe§ SSefen bilben; aber id) fef)e ja tägtic^, ha^ fie e§ t^un.
Sd) lege ein @ameu!orn in bie @rbe, unb e§ mäc^ft ein §alm barau§;
bie .^enne legt ein (Si, unb nad^ ein paar 2öod)en 33rüten!l !ommt
ein ^ut)n borau§. ^d} !ann §mar nid)t alle Gräfte unb 3ßir!ungen,
bie babei beteiligt finb, im einzelnen barlegeu; aber fo t)iel meine id^
bod) §u fe^en, ha^ babei feine Überlegung unb feine geiftige 2öirffam=
feit ftattfinbet, Weber bei ber 33ilbung be§ @amenforn§ ober be§ @i§
unb be§ ^eim§, nod) beim brüten unb 2öad)fen. können je^t blinbe
Gräfte gegebenen ©toff in lebenbigeu Samen umluanbeln unb au» i^m
wieber ein (ebenbige§ 2ßefen f)eroorge!^eu laffeu, warum nidjt urfprüng=
lid)? Ober, war bamalS bie 9}?itwirfung einer Sntetligeus uotwenbig,
warum je}5t uid)t eben fo gut? S)urdf)au§ müßtet if)r bann ouc^ fagen:
wir fönnen ba§ 2öod)§tum be§ ^ü^nd)en§ im @i uic^t begreifen; alfo
ift uotwenbig, eine intelligent, einen ©eift auäuneljmen, ber nodf) alle
2age in all ben taufeub (Siern unb keimen, bie ber ZaQ f)erüorbringt,
burc^ abfidjtlidje Slnorbnung bie ©toffteile fo §ufammenfül)rt, bofe
188 I. 93ud^: aJJetopti^fif. 2. Äapitet: 3)o§ !o§moIogijd^-tf)eoIogtj(f)e Problem.
barauS ein Ie6enbe§ @ejd)öpf irirb. Unb bann njirb e§ nocf) notoenbig
bleiben, baB eben btefer @ei[t auc^ bie Semegungen ber 2eile im
lebenben 5lörper bettjirft, benn bon blinben Gräften bürfte bie Seiftung
nid^t ern^artet njerben; bie inteüettueüen Gräfte ber Sßefen felbft ober
finb offenbar nic^t bie Urfac^e; n)a§ t)erftef)t ba^ eben au§gef(i)(ü|)fte
,^ü^nd)en üon SJJuSfeln, S^eroen nnb SSerbauung? Sa vok öicl üer*
ftef)t ber ^jljfiolog baoon?
4. ®tc ©tttttJtrfcUtugSt^coric.
(Sine neue (Spod^e in ber 53ef)anblung be§ Problem? beginnt mit
bem ®urd)bringen ber neuen biotogifd)en S(nfcf)auung in nnferer ßeit;
bie (£ntmicfe(ung§tt)eorie eröffnet einen 5(u§meg au§ jenem S)i(emma.
@ie giebt ber natürlid^en ober fpontanen (gntftef)ung ber Sebemefen
eine ©eftatt, in ber fie öorftetibar mirb. ©ie nimmt befanntüc^ an,
ha^ bie 5;iere nnb ^ftangen nic^t in ber @efto(t, in ber ton fie je^t
fe{)en, eine§ Xage§ ptöpd) fertig au§ unorganifc^er 9JJaterie {)ert)or=
gingen, fonbern betrachtet fie a(§ bie ©rgebniffe eine§ langen 58ilbung§*
projeffeS. S^Jic^t nur bie Snbiöibuen, oucJ) bie 5(rten {)aben @nt-
tttirfelung; ou§ einer ober au§ ttjenigen Urformen einfarf)fter @tru!tur
finb, unter bem 3wjö"in^enn)irfen äußerer unb innerer UrfacEjen, all^
mäf)Iirf) bie mannigfarf)en unb lompligierten S3ilbungen entftanben.
Snfofern biefe 2(nfic^t eine lange ^flei^e üon 3:^atfac]^en beizubringen
öermag, bie auf fie {)inmeifen, ift fie bie erfte ,^t)pütf)efe, bie ben
formellen 5(nforberungen an eine miffenfdiaftlic^e ©rflörung entfprid)t.
®ie frühere 5tug!unft, meiere bie 5(rten ber ^iere unb ^flansen burd>
eine üon au§en formenbe Sutelligens urfprünglid) ^erüorgebrac^t merben
liefe, ift bamit a{§> naturt)iftorifc^e Xt)eorie enbgültig befeitigt, befeitigt
nic^t burd^ SBiberlegnng, fonbern mie jebe überlebte 3::^eorie befeitigt
tüirb: burd^ ha§> 2)afein ber retfitmäfeigen Sfloc^fotgerin, ber befferen
Srf)eorie.
®er ©rfte, ber biefe SSorfteüunggmeife miffenfc^aftlic^ burdjgu^
füf)ren unternahm, mar ber fran^öfifc^e Siolog be Samarcf in feiner
Philosophie zoologique (1809). Sn üermanbten S3a^nen bemegten
fid^ bie ©ebanfen gleidiseitiger beutfd)er 9loturpt)iIofop^en, ©c^eHing,
Ofen, ©oet^e. Sie ei'afte ^^orfc^ung üertjielt fid) gunäc^ft fpröbe gegen
fo ou§fd)meifenbe ^^pot^efen. ®er S3oben mufete erft beffer üorbereitet
4. 2)ie @ntn)icEeIung§tf)eone. 189
toerben. 2)ie§ gefdjaf) üor allem burrf) bie (SntttJicEelung ber Geologie
uub Paläontologie. Sie äaljlreidjen auSgeftorbenen SebenSformen, bie
nad) unb nad^ an§ 2icf)t traten, mod^ten e§ gur @ett)i^f)eit, ba'^ bie
organijd)e 2öe(t im Sanfe ber Reiten oon großen Sßeränberungen be=
troffen njorben ttjor. ^ür bie alte antfjropomorp^ifc^e @r!(ärnng§n)eife
njaren bie neuen X{)atfadjen ebenfo oiele @d)n3ierig!eiten; fie nötigten
jur 5lnnal)me großer Äataftrop^en mit tt)ieber!^oIter 3^^[törnng ber
organifdjen SSelt, unb ebenfo oft n)iebert)oIter @d)öpfung, eine 3tnnaf)me,
bie benn frei(id) ben 5tntf)ropomorpf)i§mug, inbem fie i^n oollenbet,
gugteid) ad absurdum füf)rte: tt)ie unjulönglidje unb n)eggett)orfene Sßer»
fudje erfdjienen nun bie anSgeftorbenen g^onnen. ©leidigeitig entjog
bie Geologie biefer SSorftellung ben 53oben; fie ging unter Si^että
5üt)rung ju ber 5Infd^auung über, ha^ bie (Srbe if)re ©eftalt nid)t fo
fet)r einmaligen, gettialtfamen ^ataftroptjen, al§ ber (Summierung reget=
mäßiger SSir!ungen berfelben iU'äfte, bie nodj ^eute t^ätig finb, in
langen geologifdjen ß^it^^i^ii'nei^ üerban!e.
<Bo xoax bie ^dt üorbereitet für bie gro^e llmn^ölgung in ben
biologifdjen Slnfdjauungen, bie fid) an ben 9Jamen oon (S{)arle§
3)arn)in fnüpft. ®a!§ SSerf, in bem er bie neue ^f)eorie guerft
barlegte: Über bie (Sntftet)ung ber 5trten burd^ natürüd^e ^^ctjtüja^I
(1859), be^eidjuet ben 33eginn einer neuen (Spo^e nid^t blo^ in ber
93ioIogie; e§ ^at mit bem fotgenben SSerf: 5Ibftammung be§ SOknfdjen
(1871), auf bie gefamte ^ettanfd)auung, oor allem auf bie gefdjid^t=
lid)en SSiffenfdjaften, mit ©infdjluB ber ^oliti! unb 9Koral, einen be=
beutfamcn ©influB geübt. Sd) oerfndje bie |)auptpun!te ju begeidinen.
3)artt)ini? SSerbienft bcftel)t nidjt in ber erften ^onjeption be§
®eban!en§ ber ©ntloidelung überhaupt, aud) nid)t eigentlid) in ber
(Sntbedung ber Urfac()en ber ^Transmutation ; er l)at felbft in einer
einleitenben f)iftorifdf)en ©fisje mit ber freien unb freubigen Slnerfennung
fremben SßerbienfteS, bie it)n aU miffenfd)aftlid^en ß^arafter fo lieben§=
mert mad)t, gegeigt, njie alle feine ©ebanfen, lüenigftenS in Slnfö^en
unb ©puren, fd^on oor il)m au§gefprod)en finb; fonbern in ber S)urd)=
füljrung unb Erprobung biefer ©ebanlen in ber SSelt ber 2;t)atfad)en.
2)ie 83ereinigung genialer Ä'ombinationSgabe, Iritifdjer iöefonnent)eit unb
erftaunlidjer 33el)arrlid)feit tjat i^n befäl)igt, au§ gerftreuten @ebon!en
unb 2:f)atfac^en eine 3:tjeorie ober oielme^r ein gorfd^ungSpringip gu
190 I- 33ud^: S[«etopf)^fif. 2. tapitel: ®a§ fo§mologifd)=tf)eologifd)e «ßroblem.
bilben, beffen g^rud^tbarfeit anä) in fremben §änben ber befte 53ett)ei§
feiner Sebeutung ift.
®a§ Srangmutation^pringip, Welches Samin aU bie eigentlich
BettJegenbe ^roft in ber ©ntmicfelung ber Sebeniformen f)infteüt, ift
ber Äampf um§ ©ajein unb bie f)ierauf beru!)enbe natürliche ßudEjtmat)!.
5Die prinzipielle ^rage, um bie e§ firf) ^onbelt, ift (rtjenn mir
5unä(f)[t üon ber erften (Sntfte^ung organijc{)en 2eben§ abfef)en) bie:
!önnen au§ öorijanbenen Sitten neue Strien ent[tef)en? ®ie alte
33ioIogie üerneinte bieg^rage; bie (Srfafjrung geigt, ha'^ bie 9lac^!ommen
ftet§ ben ©räeugern gleidjen. 5lIIerbing§ finben !(eine Slbtt^eidjungen
in ©eftolt, ©rö^e, ^^orbe u. f. tti. ftott; aber biefe [teilen ficf) aU
«Sc^njanfungen um ein Wlitkl bar, ha^ fic^ nict)t üeränbert, ha^ ift
ber 2(rttt)pu§. ®ie Strtttjpen finb fonftant; ha§: ift hü§: (^runbgefe^
ber olten S3ioIogie.
3)armin§ S(ufmer!fam!eit n)enbete fic^ früt) einem ©ebiet gn, »üo
jene fleinen 5(bmeic^ungen eine bebeutenbe 9(?o((e fpieten, e§ ift ba§^
©ebiet ber bomeftigierten SEiere unb ^flangen. S3ei ben §au§tieren unb
^ulturpftangen finb bie 5lbn)eid^ungen nic^t nur jafjtreid) unb bebeutenb,
fonbern aud^ gu bteibenben Stijpen, ben Slbarten ober Sf^affen befeftigt;
bie ^ferbe, Sf^inber, @cl)afe, ©d^meine, §unbe, §ü^ner, Sauben, unb
ebenfo bie ^ntturpflanjen, bie Obftbäume, S3Iumen, Slornarten, !ommen
in überaus mannigfaltigen unb abmeid^enben formen üor, bie bod^
alle auf eine mitbe Urform a[§> gemeinfame (Stommform gurüdmeifen.
Unb uod) olle Xage entfte^en unter ber §anb ber ©ärtner unb ßüdjter
neue g^ormen, neue Spielarten oon 33lumen, Zanhen, .öunben u. f. rt).
SSie gefd)ief)t ha§:? S^iun, be!anntlid) burd) ßud^tmalil. 9JJan möl^lt
unter ben oorljanbenen Snbiüibuen gur g^ortpf laujung biejenigen au§,
bie gemiffe ern)ünfd)te @igenfdt)aften in oorgüglidiem äJJafee befi|en,
eine @igentümlicf)feit be§ ©efieberS, feine SBolle, gülle bei gleifcl)es,
©d^neUigfeit ober £raft u. f. m. Unter ben 9^ad)fommen, bie bie elter-
lidien ©igenfdjaften erben, mäl)lt man mieber nad^ bemfelben @efid^t§=
punft ou§, unb fo erreidit man in oerl)ältnigmäBig furjer Qüt burc^
©ummierung fleiner Unterfc^iebe fo betröd^tlid^e 5ot:mänberungen, mie fie
5. 93. englifcl)e Üiinber, ©c^afe, ©d^melne gegenüber ber Stammform geigen.
9lun, fagt Karmin, ebenfo oerföljrt bie 9^atur im großen: fie ift
bie größte 3ü<i)t€rin. 2Iuc^ fie wäljtt für bie gortpflangung ber 5(rt
4. ®ie (5ntJt)tcfeIunglt:^eone. 191
bie Snbiüibuen qu§; QÜerbingS gefd^ie^t bte 5Iit§lraf)t nicf)t in
g^orm ber Überlegung, unb ber leitenbe @efic^t§pun!t i[t md)t, lüie
bort, eine äuBerlid^e ?Jü|tid)feit für ben ÜJ?enfd^en, fonbern bie imma=
nente ^Jü^Iid^feit, nämlid) für bie (Sr^attung be§ SnbiüibuumS unb
ber 5(rt.
®ie 9latur§üc!^tung öongiefit fid^ auf folgenbe SBeije. 3)q§ Seben
ift für bie Sebeujefen ein 6eftänbige§ klingen um bie 2eben§bebingungen.
SDie ^a\){ ber ©efdfjöpfe, bie leben unb fid^ erhalten njoüen, ift immer
größer af§ bie ßai}{ ber ^lä^e an ber ^iofet ber 9^atur, eine ^otgc
ber t)erfrf)it)enberifd;en ^erüorbringung ber SebenSfeime. 5J)ie 5i^urf)t=
barfeit ber SIrten ift fe!^r üerfd)ieben; aber e§ giebt feine 3(rt, non
ber nid^t unter günftigen Umftänben ein einzige? ^aar imftanbe UJöre,
in einigen Sal}rf)unberten bie @rbe mit feinen 92arf)fommen gu füUen.
®oB biefer (Srfolg nid^t eintritt, liegt an ber ©parfamfeit ber Seben§=
bebingungen; in bem um biefe entbrennenben ^'ampf unterliegt bie
grofee äRefirjaf)! oorjeitig. 9hm ift aber eine fernere jtf)atfad)e, ha'^ß bie
^nbiöibuen einer 5lrt nid^t mit üöllig gteid^en Ä'röften in ben ^ampf
eintreten; e§ finben mannigfadf)e fteine Sfbmeid^ungen ltatt. 2)ie
3^otge ift, \)a^ in bem ^ampf biejenigen Snbioibuen am meiften 5lu§=
fid^t ^aben fiegreid^ ju beftef)en, bereu ?(braeid)ungen SSorjüge finb;
Übertegen'^eit mirft Iebenerf)a(tenb. @§ fönnen bie öerfdiiebenften
(Sigenfd^aften fein, bie Überlegenf)eit begrünben, ein 9J?ef)r an ©tärfe,
©d^nelligfeit, g^inbigfeit, Snteüigeuj, ein SSorjug ber <Bd}u^- ober Stn-
griff^toaffen, eine geringere Semerfbarfeit ober größere 2öiberftanb§=
föf)igfeit gegen @d^äblid)feiten aller Strt: jeber biefer SSorteite mog
feinen Sufjaber bei einem Äampf überlegen, bei einer ^Uid)t erfolg»
rei(^, in ^roft ober ^ungerSnot auSbauernb mad^en, mo minber ht-
günftigte umfommen. — (gben bamit t)aben biefelben Snbiüibuen and)
bie meifte 5Iu§fid^t, gafjireidie DZad^fommen ^u ^interlaffen, unb inbem
fie auf biefe i^re 5tu§ftattung öererben, gefrf)ief)t e§, ha^, ma§ junäd^ft
inbioibueller ^^or^ug mar, admötjüc^ 5ur ©attungSeigenfd^aft mirb:
bie ben ßebenSbebingungen am beften ongepafeten Subitjibuen beftimmen
ben 5(rtti)pu§. @in einfeitige§ Übermaß in ber (Sntmirfelung gemiffer
ßigenfd^aften, §. 33. ber ©rö^e, ober ber Bewaffnung, ober ber
©djueüigfeit, fann babei nid)t ^erau§fommen, meil fotdje ha§> aU=
gemeine ©leid^gemid^t ftörte unb bamit bie 2eben§fäf)igfeit ^erabfe^te;
192 I- 33u^: aJietap^^ftf. 2. to^jüel: 2)o§ folmoIogt)c^4t)eologif^e Problem.
ein tiertftfier §au§t)Qlt muB, lüie ein n)irtjc^aft(irf)er ober politijc^er
^ausr^alt, feine Seiftnngen anf bie oerjc^iebenen gunftionen nad) bem
9)iaB ifjrer 2öicf)tigfeit üerteilen: auf 2Se()rt)Qftigteit, 53ett)cg(icf)!eit,
9Zert)entf)ätig!eit u. \. m.
3(uf biefe 2ßeife aljo fann (Steigerung im Sinne ber immanenten
3it)e(fmäBigfeit, auffteigenbe ©ntmidelung ftattfinben, ot)ne baB e§ jur
(Srftärung einer üon au^en eingreifenben intelligent bebarf. Unb mit
ber Steigerung finbet gugleid) S^itferenjierung ber Xl)pen [tott. S)a§
jcmeilig mögliche SO^ojimum oon i]eben mirb hnxd) Spaltung in oer=
fdjiebenartige 2:i)pen mit üerfcfjiebenen 53ebürfnijfen unb üerfc^iebener
Crganifation ert)öf)t; e§ f)aben mef)r Snbiöibuen öon t)erj(i)iebenen
S(rten, a(§ üon einer S(rt nebeneinanber 9iaum, meil fie in bie freien
^(ä|e ficf) mit met)r Üiaumerfparnis tjineinpoffen. 3)armin ^eigt, mie
für ^flangen bieg @efe| gültig i[t. 5(bn)eicf)ung oon ber SRittelform
mit 58eäief)uug auf bie fiebenSbebingungen ift ein erf)altenber unb
batjer ortbilbenber 35orteiI. ^amit I)öngt jufammen ha§> ßinge^en
ber SOiittelformen; bie ©jtreme ftet)en in nid)t fo fd^arfer Äonfurrenj.
%ü6) fjier tt)irb aümöfiüd) ein @(ei(i)gemi(f)t§§uftanb erreid^t, bei bem
boä unter biefen ©efamtbebingungen mögli(f)e SebenSmajimum befte^t.
9Zeben unb mit bem ^^rinjip ber Siaturgücfjtung, ba§ er in ben
58orbergrunb ftetlt, erfennt übrigen^ Sarmin anbere ^rinjipien al§
mitmirfenb an, fo bü§^ ^rinjip, ha^ Samara al§ bie tt)efentlid)e Ur=
fac^e ber Slbänberung anfa^: S3eränberungen in ben 33erf)ä(tniffen ber
@rboberf(ä(f)e; fie nötigen burd^ 33eränberungen in ben 2eben§=
bebingungen gu SSerönberungen in ber gunftion; unb öeränberter @e=
braud) ber Crgane füJ)rt enblid^ gn 33eränberungen in ber Organifotion.
3n bemfelben Sinne mirfen SSanberungen, gu benen ber Äampf um§
3)afein ben 5(nfto& giebt, inbem er jur ^(usbreitung brängt. Unb
a(§ ätneiteS mitgeftaltenbel ^rinjip nennt S)artt)in ha§ ^nnjip ber
forretütioen 35eränberungen. Gin DrganilmuS ift ein ein!^eitlid^e§
SSefen, ha§i an feinem ^^unft geänbert merben !ann, o^ne ha'Q fom=
penfierenbe SSeränberungen an anberen Steilen notmenbig merben. SSie
man an einem S)reiecf feine Seite ober feinen SSinfel oeränbern fann,
ot)ne ha]i anbere Seiten unb SSinfet in SOiitleibenfdjaft gebogen merben,
fo fann im Drgani§mu§ fein Xeil für fic^ üeränbert merben. S)ie
93erftärfung eine§ XeifS be§ Sfelettg §. 93. madjt forrefponbierenbe
4. 2)ie (StitJuidelungStl^eorie. 193
Sßeränberiingen ber übrigen Xeile notioenbig, frfjon um ba§ äußere
©(eic^geiüidjt (jer^ufteüen. S^ielfarf) [inben ^ier allerbing§ Seäiefjungen
[tott, bereu Ülotraeubigfeit uu5 feine§tt)eg§ eiuteu(^tet, fo 3. 58. ^ujifc^en
ber ©utmicfelung ber @eidjted)tlorgQue uub gteidjäeitigeu auberen SSer=
Quberuugeu im §a6itu§ uub ber ©rjrfjeiuuug.
Sa§ märeu bie XraugmutatiouSpriu^ipien ber ueueu SE^eorie.
Sft bomit ba§ ^robtem ber @ut[tef)uug ber 5Irteu aufgelüft?
Soor allem mirb ^ier juerft eiue§ 5U bemerfen feiu, nja§ nic^t
immer geuügenb beachtet ju ujerbeu jc^eiut; bie erfle Söorauäfe^ung
aüer Sutmicfeluug, o^ue bie jene ^riujipien gar !eiueu 5{ufo^puu!t
für if)re SBirfjamfeit t)ätteu, ift uatürlicf) ber 2öiüe jum ^thm, ber
SSiße jum ^ampf iini§ S)ajeiu iu allen äöefen, bie an ber @nt=
iüicfetuug beteiligt fiub. ©ie erteiben bie (SntmidEetung ni(f)t paffio,
fie werben uirf)t, tüie bie Äiejelfteine im ^ad), burd) mec^onijcf) mir!eube
Urfac^eu üon aufeen in bie neue ^orm ^ineingefto^en. 33ielme{)r i[t
if)re eigene innere Slttiüität bie abjolute Sebinguug ber äöirffamfeit
ber natürlichen ßuc^tnjaf)!. 5Der Äampf um§ SE)afein mirb ben Sn=
bioibuen nirfjt öon au^en auferlegt, fonbern i^r eigener SBitte ift e§,
if)n ju fämpfen, uub o^ne biefen Söiüen, ben SBiüen ^nr (gr^altung
uub ®etf)ötigung be§ (Sigenleben§ uub gur ©rgengung unb (grt)altung
öon Sf^adifommen, märe natürüd) öon einem ^ampf um§ SDafein
überall nid)t bie 'Sieht. Uub jmar ift biefer SSille ^um 2tbtn bie
abfohlt urfprünglid)e 33oran§fe^ung; er fann nic^t erft mieber au§
natürlidjer ßi^^^tma^l abgeleitet merben. 9}?an müfete benn annef)men
motten, ha^ erft organifd^e 33ilbungen entftanben feien, in benen er
nod) nid)t öorfjanben mar, bie fid) inbifferent gegen Grtjattung be§
@igeuteben§ uub ber ©attung öer^ielten, ha^ aber bann burcf) zu-
fällige i^ariation and) einmal Snbiöibuen mit erften Ü^egungen foldjer
^Triebe entftauben, uub ha'^ biefe baburd) befäf)igt morben feien, bie
anbereu, bie nod) o^ne ben Xrieb ^ux örnä^rung unb Fortpflanzung
maren, ju öerbrängen.
Söei mam^eu ©arminianern tritt eine gro^e 9leigung "^eröor,
bieg ZU überfel)eu. ®a§ beliebtefte Schema ber natürlidien ßudjtmaf)!
ift ba^' einer rein med)auifd}en 2(u§lefe, mie e§ etma bie erfd)einung
ber ?lupaffuug mancher 3ufe!ten an iljreu SM^rboben iu garbe, ®e=
ftatt uub ^eic^nung (bie fogeuannte mimicry) barbietet. 2)ie Snfe!ten
*lJaulien, ßiuleitung. ü. Stufl. 13
194 I- 93ut^'- SJietap^^fiE. 2. Kapitel: 5)a§ !o§moIogifcf)4f)eoIogifd^e Problem.
erleiben ^ier rein paffiö bie UmBilbung be§ ?Irttt)pu5; bie aBftedienbften
tt)erben jcberjeit {)erau§gepicft, unb ]o bleiben äule|t allein bie gleicf)-
forbigen übrig. Sluf äf)nlicf)e Söeife joUen bie Ääfer auf äRobeira
bie g^Iügel oerloren f)Qben: „ber 5läfer, ber am njenigften flog, ent=
meber meil jeine ^(üge( am roenigften entmicfelt rvaxtn, ober ttjeil er
ber inbolentefte 'mar, f)atte bie meifte Slusfidjt, bie anberen jn überleben,
tt)ei( er nid)t in§ 9J?eer gen)ef)t ttrnrbe; n}äf)renb bie jenigen Ääfer, tt)eld)e
am liebften flogen, am erften in bie (See getrieben unb öernidjtet
würben." (ßntftet). ber 5(rten, ©.161.) S)a Ijier üon einem ©treben,
burcf) ©tillfi^en ber ©efatir gu entgefien, fcf)merücf) bie Sflebe fein
fann, fo fanb bie Umbilbung be§ S(rttt)pu5 burrf) bie rein poffiü er-
littene 2{u§mer,3(Ung ftatt. 2(ber ha§> ift offenbar nur eine auc^ öor=
fommenbe ^^orm ber natürlidjen ^^i^fj^^^Q^^; W"^ ift ^^^ 5^ampf um§
S)afein eine reine SOJetap^er. ^a§ ift er nic^t überall, üielme^r ift
in ber Ü^egel bie S3orauefe|ung ber (5rl)altung ha^ ©treben nad) ®r=
l)altung, fei e§ im SBettbemerb mit ßonfurrenten, ober o^ne foldjen.
3)ie bie§ überfel)en, mögen an ein äBort Öoetf)e§ erinnert fein, ba§
freilid) nid^t urfprünglid) für fie gemeint ift:
^ein toßere§ SSerfef)n fann fein,
(5Jieb[t einem ein geft unb läbft if)n nid^t ein.
9^atürlic^ ift bei bem SSillen gar nic^t an etma§ Übernatürlid)e§
gu benfen, ba§^ gelegentlich unb fpufl)aft in bie ßörpermelt hinein
lüirfte. ^^^i)fifd) märe bie ©a(^e nad) jenem in ber ontotogifd;en
S3etradjtung gemonnenen ©d)ema fo gu fonftruieren: ber SSille jum
Seben ift eben basfelbe, oon innen gefet)en, ma§ äuBerlic^ bem ^l)t)fifer
ol§ ein organifierter S!örper entgegentritt, ^ie pl)t)fifd)e 2;l)atfac^e,
bie burd) ben 5lu§brud: äöiHe ^um Scben, Xrieb gur ©rnäl)rung unb
Fortpflanzung begeidjnet mirb, ift bie ^^enbeng eineä organifdjen Körpers,
auf beftimmte Sfieije mit 33ett)egungen unb inneren 33et^ätigungen ju
reagieren, bie im ©inne ber @rl)altung be§ ©t)ftem5, biefe§ inbioibuellen
2eibe§ unb biefer 2(rt, tnirfen. ®ie Aufgabe, bie Statur eine§ fold^en
©t)ftem§ in concreto bar^uftellen, bleibt ben ^l)l)fiologen überlaffen;
il)re 3Birflid)feit ift ja nid)t jmeifelljaft, fie liegt in jebem ©amenforn,
in jebem befrudjteten @i greifbar öor un§, es ift nid)t5 anbere§ all
eine fonfrete ©ntmidelnngStenbeng, b. f). ein ©t)ftem oon Gräften, bie,
fobalb gemiffe äußere 3?erl)ältniffe gegeben finb, äöärme, geudjtigfeit
4. 5)te (5ntttJicfeIung§tf)eorte. 195
11. f. ttJ. in ber oorbeftimmten 9?icf)tung fid^ bet^ätigen. 06 e§ jemaf§
getingelt mirb, bie eigentiimlid^e ^Kombination oon ^U(ofefulQr!räften
bar^uftellen, bie in einem SBei^enforn ober in ber ©djale eine§
§ül)nerei§ eingefrf)Ioffen liegt, mag baf)in geftetit fein. !3^aB bie ?(uf-
gäbe fcf)on gelöft, ha"^ in ©ariüin „ber 9iemton be§ ®rag^atm§",
beffen 9)?öglid}feit Äant einmal in SIbrebe fteüt, erf(f)ienen fei, vok
^aerfel fagt, n^ürbe Darwin felbft geroife am entfd^iebenften ^urütf*
gettjiefen {)aben.
Unb nun erfjebt fid) Ijier bie njeitere O^rage: ift bie immanente
Stenbin^aud) allein für fid) imftonbe, @nttt)idelung unb (Steigerung
be§ 3trtti)pu§ lu beluirfen, ober fe^t biefe ftet§ ^ampf um§ Safein
unb natürtid^e |]ud)tiüa()t ooraug? ä)är fc^eint, e§ fte^t ber erfteren
2(nnaf)me fein §inberni§ im SBege. ^m Snbioibnnm finbet ja o^ne
3tt)eifel etmag berartige§ ftatt. ®ie innere 5(ntage beftimmt fpontan
bie (Snttoirfelung in ber präftabilierten 9tid)tung. Sa§ Subioibunm,
ha^: beim XJebenSanfang bie ©eftalt ber ©attung in unfertiger gorm
I)at, erreid)t bie ooüenbete ©eftalt mefentUd) burd) S3et^ötigiing feiner
^'räfte unb Stniagen, wo^u fpontaner 3;rieb füfjrt. ®a§ gi(t üon ben
negetatiöen, mie uon ben animalifd^en 3^un!tionen; burd) 23etf)ötigung
erlangen bie im 9Zeugeborenen angelegten Organe i^re üollenbete 5tu§=
bilbung. Unb gmar braud)t bie 33etf)ätigung nidjt einmal überaß
burd) bie 9?ot be§ 33ebürfniffe§ er§mungen §u werben, fie brid}t oon
innen I)ertior, oft gnerft in fpielenber g^orm, loobei bie Umftänbe nur
al§ 3(nrei§ unb 9}Kiglid)feit mirfen. Sft nun, mie in ber inbioibuetlen,
fo aud^ in ber ©attungSentluidetung bie immanente Stenben^ nic^t
bloB überall bie erfte ^orau^feljung ber ©ntroidelung, fonbern aud)
für fid) auSreid^enb, eine auffteigenbe (Entfaltung einzuleiten? SBürbe
aud^ ha, wo ^ampf uni§ SDafein unb natürlid)e 3iirf)tiöal)l nid)t mirft,
gleid)n)ot)l ein Übergang p neuer, ootlfommnerer, gefteigerter @e=
ftaltnng ftattfinben !önnen? Sd) meine n)ol)l.
i5ed)ner beutet einmal folgenbe Überlegung an. ®er §a^n
l^at ©poren, g^ebermä^ne unb ^amm, mä^renb bie ^enne fie nid)t
t)at. ^^artnin erfläre bie <Ba<i)Q fo: burd) anfällige 33ariation ent=
ftanbene ?lnfä^e biefer (Sinrid^tung gaben bem Qn^aber im ^ampf
eine Überlegenljeit; inbem in einer langen ^olge oon Generationen
ftet§ bie in biefer 3^id)tung beft anSgeftatteten §ä^ne bie ©egner
13*
196 I. 93uc^: aJletapl^ft!. 2. Kapitel: 2)o§ fo§motogiic^=t^eologif(^e Problem.
fd)Iugen, fanb allmä^Iid) bie öoüftänbige SüiSmerjung be§ unbett)et)rten
unb bie [^^ijierung be§ je^igen Xt^puS ftatt. ged)ner meint, lüenn
alle 3^^'f^i^^^^'^*""9^" ^^^ ^iere, aud) bie inneren, burd) foldie
igummierung pfättiger SSariationen erflärt ttjerben joüten, \o n?erbe
ber S3or[te(Iung fd)tt)inbetn. „3(^ benfe üie(mef)r, als bie Organifation
noc^ Ieid)ter üeränberlicf) tt)Qr, t)ermod)te bog pft)<i)iic^e ©treben, bem
@egner im ^ampf tüd3tig jujufelen, ber ßorn, ber nocf) ^eute ben
Sporn in Stfjätigteit je^t, bieje Xeile burd) ?lbänberung ber SilbungS*
projeffe, n^enn nid)t an ben fertigen .öä^nen f)erooräutreiben, \o bod)
bie 2(niage bagu ben keimen unb fjiermit ben 9Zad)fommen ein^u^
pftansen, mobei ic^ natürlich bie pjt)d)ifc^en S3eftrebungen nur qI§ bie
inneren (gr]d)einungen ber pf)t)fi](^^organif(^en anfe^e."*)
Sn ber X^at, ic^ fe^e nidjt, waS biejer S3etrac^tung entgegen
fte'^t. 2)er Xrieb §ur Settjätigung ber 9(nlage ujirft ja überall gu*
gleid^ aU S^rieb §ur @e[taltbilbung, ha^ Snbiüibuum ert)ält jeine au§^
geprägte, fertige ©eftalt burc^ bie 33etf)ätigung. ginbet nun auc^
S^ererbung ber erft)orbenen ©igenjd^aften ftott — unb biefe n^irb ja
nid)t überf)anpt ausgemerzt werben fönnen, wenn oud) immertjin ba§
(Srttiorbene neben bem ©rerbten für bie S^ererbung eine \d)x befc^eibene
9ftoIIe fpielen mag — h)irft alfo ber erworbene elterüdje ^abituS auf
ben Äeim unb bamit auf bie (Sntwidetung ber 9lad)fommen mit=
beftimmenb ein, fo beftimmte bemnad) jule^t Sirieb unb 33et{)ätigung
aller Snbiöibuen in ber langen 9ieif)e ber Generationen ben §trttl)pu§;
bie notürIid)e ßucf^twa^t wäre bonn nur ein ben ^roje^ unter[tü|enbeg
unb befdjIeunigenbeS SJJoment.
SDie @od)C ift auc^ SDarwin nic^t fremb. 5luf bie grage: wo^er
bie inbiüibuetlen Sßariationen fommen, bie ben 5lngriff§punft für bie
uatürttd)e 3"ct)twal3l bilben, gef)t er nid)t ein. @§ t)inbert il)n nic^t§
an§unef)men, ba'B biefe SBariationen nid)t abfolut in§ Sünbe unb
33Iaue ge^en, fonbern bü^ fie gleidjfam tenbengiöS finb, b. t). in ber
ü^ic^tung ber 5Inpaffung unb Steigerung be§ ®attuug§tl)pu§ liegen.
^ie §äf)ne werben nie eine Sf^eigung gezeigt {)aben, aud) einmal in
ber 9^id)tung gu oariieren, ha)] fie S(nfä|e gur S^Ioffen» ober ^uf*
*) fjed^net, einige ^tttn jur (Sd^öpfung^«» unb ©ntloidelungSgefc^id^te ber
Drganigmen (1873) 6. 72.
4. ®ie (Sntttjicfelungät^eorie. 197
bilbung l^eroorgebrac^t l^ätten, bie bann erft qI§ unüorteiIf)afte
SSariationen im ^ampf um§ S)afein lüieber aii^gemerjt tüerben mußten,
©onbern bie S^artationen bemegten fid^ in ber D^idjtimg beg ßtoerf-
mäßigen. ®ie „ßielftrebigfeit" be§ Snbioibuum§, bie ja in allen
feinen 93et()ätigungen fo snjeifello^ l^eröortritt, erftredt fiel) and) auf
bie 3Irtti)pen. 2Bie ha§> @i ober ba§ jugenblic^e ^nbioibnum für bie
(Sntnjicfelung in beftimmter 9^id)tung präbeterminiert unb mit feinem
SBillen barauf geridjtet ift, fo !onnte man auc^ üon ben 5(rtti)pen in
statu nascendi fagen: fie finb auf bie Sntmideinng in beftimmter
Sf^id^tung angelegt unb mit bem SBillen geridjtet. ®er SSille, nidjt
ein öorauSfefjenber, burd^ Slbfic^ten geleiteter, fonbern ein in ^Trieb-
empfinbungen fid^ än^ernber, in allen Snbiöibuen ber Strt fid; regenber
Söiüe niäre bann in te|ter Stbfid^t ber 93ilbner ber gorm. 2öie
^^^fiognomie unb §abitu§ be§ ermad)fenen ü)?enfc^en in gemiffem
©inne fein eigene^ SSerf ift, bie IjabitueK gemorbene @ebörbe, Haltung,
2;l)ätig!eit, fo märe bie organifdje 3^orm überall in gemiffem ©inne
ha^ SSer! be§ äBiüeng.
SSunbt l^at (in bem Softem ber ^t)ilofop:^ie, ©. 325 ff.) biefen
@eban!en an§gefül)rt. ^Itle organifd)en 3;^ätigfeiten finb urfprünglid)
2Billen§betl)ätigungen. Sn ben erften S3ilbnngen beruljen and) bie
üegetatioen g^nnftionen auf 2;riebt)anblnngen; „ba^ ^roto^oon erfd^eint
al§ ein in allen feinen teilen nad) SBiüenSimpulfen l)anbetnbe§
SBefen: mie beinalie jeber ^eil bem anbern gleidimertig ift, fo ift e§
and) in feiner ganzen ßeibe^maffe ein einziger, oon einljeitlicfien
SBillenSaften beftimmter Organismus." Snbem aber bie i8etl)ötigung
eine S)i§pofition f)interläBt unb in bem DrganiSmuS al§ öabituS
fii'iert mirb, bringt fie bleibenbe unb burd) 93ererbung übertragbare
©trufturüerönberungen f)eröor. Saburd^ mirb biefe 93etl)ätigung
med^anifiert unb ber SBiUe für neue, t)öl)ere ^ettjätigung entlaftet,
ätjulid) mie mir aud) auf ^ö'^erer @ntmidelung§ftufe urfprünglid) min=
fürlic^e in gemot)nt)eit§mäfeige unb §ule^t in automatifcf)e 2;l)ätig!eit
übergeljen fel)en. @o märe bie Drganifation gleidjfam erftarrte
Söillen§tf)ätig!eit. 9?atürlid) finb bie (Srfolge nid^t öorljer in einer
SSorfteltung als 5lbfid)t üorljanben gemefen; ber Söille mar in jebem
Stugenblid allein auf biefe S3etl)ätiguug geridjtet. Slber bie Söirfungen
gingen über hü§: näd^fte 3^^^ l)inauS; ein 33erl)ältniS, baS mir aud)
198 I. 33u(i): 9Keta)3t)t)fi!. 2. Kapitel: ®a§ !o§moIogtf(i)4{)eotogif(^e Problem.
nod) auf ber I)öcf)ften @ntlüi(JeIung§[tufe, im geiftig^gefd^iditlid^en Seben
tüieberfinben, rao ebenfalls bie SSirfungen regelmäßig über bie näd^ft
getuoUten ^kk ^inauSge^en. @o ent[tef)en Sitten, 9flecf)t§normen, fefte
SebenSformen aller 2(rt; ber Söiüe ift unmittetbor attein auf ein
näcfjfteS gegenmärtigeS ^iel gerirf)tet, ober burrf) bie 93etf)ätigung bringt
er äugteirf; at§ unbcabfidjtigten ©rfolg ©ertiö^nung, ^räbispofition,
§abitu§, äule|t fefte, übertragbore g^orm ^erüor. SBunbt t)ot für
biefeS eigentümliche 5ßer^ättni§ ben S3egriff ber ^eterogonie ber
^wecfe gebilbet.
Sn biejem ©inne !ann man nun outf) bie ÖJeftoIt ber (ebenben
SBefen aU 6rgebni§ einer 3roec!tt)ättg!eit be§eirf)nen, ber ^üJecfttiätigteit
nämli(^ oller an ber (Sntmidelung beteiligten Snbiüibuen. 5ln feinem
^unft ber öntmicfelung mar eine 53orftellung oon ber fünftigen g^orm
üor^onbcn, bennodj ober ift fie ha§> ©rgebniS be§ 2Sillen§ unb (Strebend
felbft, unb fofern fein jebe§molige§ 3^^^ ^^ ^^r Sftic^tung be§ burd^
bie ©eforntcntmicfelung erreichten objeftiöen 3^^^^^ ^^^9^ ^ft haS' 3^^^
ouc^ ein fubjeftiü gemollte§.
Sßog mir in ber nieberen SBelt in unbeftimmter SSeife öermuten
unb fdjemotifcl) fonftrnieren, ba§ tritt un§ in ber geiftig=gefcl)i(f)tli(^en
SBelt beutlidjer, ejpligierter entgegen. 3n ber menfdjlidjen 2öelt ift
e§ fid}er ber SBille, ber bie (SJeftnlt be§ SBefenS beftimmt; unb
äiuar fdjmebt ^ier bie ©eftolt, menigfteuS in ben allgemeinen Umriffen,
and) ber ^orftellung ol§ 3^^^ ^or Singen; mir nennen fie al§ fold)e
Sbeol. S)em (Singelnen mie bem SSol! fdjmebt mel)r ober minber
beftimmt ein Sbeol üollfommener Söilbung öor, unb bie§ Sbeol mirft
gcftaltenb ouf bie ©ntmidelung be§ eigenen 3Sefen§ unb, burd^ (Sr*
gieljung, oud) auf bie iilebengform ber S'iadjfommen. ©o fe^t fid) t)ier
ber äöitlc felbft in bie 2öir!lid)feit, inbem er bie Sbee feinet SSefenS
t)ermirflid)t.
• 5{ud} biefe 53etrad)tung ift übrigen^ 2)armin nid)t fremb. 9JJan
fonn fie in bem ^rinjip üorgebilbet finben, ha§> in feinem jmeiten .gioupt»
merf, ber Slbftammung be§ SÜZenfdjen, eine fo große SftoUe \pkit, in
ber gefd)led)tlid)en 3u(^tmal)l. @§ ift bort eine große ^ixüz üon
2:t)atfad)en sufammengeftellt, bie auf bie Slnfdjouung fül)ren, baß @igen=
tümtidjfeiten ber ©eftolt unb ©rfdjeinung be§ ä)cänn(^en§ eine Söirfung
ber Slu§mat)l finb, bie ha^^ SSeibctien unter ben 93emerbern übt. Snt
4. ®ie enttt)tdeIung§tf)eorie. 199
SBeibd^en lüäre bemnarf) gleidfijant ba§ ©attungSibeal unbett)uBt bor=
{)anben unb in ber 33eöof5ugung ber luännlicfien Snbiuibuen, bie if)ni
am meiften ficf) aniiäf)erii, luirffam. Unb eben biefelbe Qbee mag bonn
and; auf bie 58ilbung ber g^rud)t ge[tattenb einn^iden; raobei e§ mieber
ben ^f)l)fioIogen überlaffen bleibt, bie „Sbee" pfitjfiologifdj oI§ eine
beftimmte ^onftitution be§ Dierüenjljftemä ^u fonftruieren, bie in folc^en
Üieoftionen gegen 33en)erber, in foI(f)er (Sintt)irfung auf bie 93ilbung§=
progeffe be§ g^ötallebenS fid) bet^ätigt.
^a§ mag jur ^enn^eidjuung ber neuen 5(nfdjauung öon bem
Uriprnng ber organifdjen Söelt f)ier genügen. @§ fangen i^r noc^
5aI)Ireid^e ?}ragen unb ©djiüierigfeiten an: wk bie @ntftef)ung ber erften
ßebemefen oorjuftellen fei? äöie bie 3]ererbung ftattfinbe? 9öie ha§
geilen ber üoraugjufefeenben ^afjllofen ouSgeftorbenen S[RitteIformen in
ber paKiontoIogifdjen Überlieferung gu erüären fei? Ob nid)t über^anpt
neben ber 5Ibänberung burdj ffeinfte Übergänge aud) fprungtneife Um=^
bilbung angenommen werben muffe, um bie großen morpfjologifd^en
Unterfd)iebe ber t)erfd)iebenen 3;i)pen ju erflären, nietete fprungweife
§(nberung be§ (Sd)ema§ benn am erträglid)ften fo fonftruiert njerben
möchte, boB nnter ungen)i3{)nlid)en 2eben§bebingungen eine üon bem
elterlid^en Xi)pu§ abmeid)enbe Sleimbilbung öorfomme (fogenannte
l^eterogene ßeugung)? (S§ liegt aufeerfialb meiner Äompetenj, auf biefe
Singe njeiter einjuge^en. SD^anc^e§ SfJätfel mirb bie ^^^t nod) auf=
liefen, mand)e§ mirb nermutüdi immer ungelöft bleiben. Wlan mn^
nur nid^t in ungelöften 2(ufgaben SBiberlegnngen ber Z^toxk fe^en
moüen. @inc Jfjeorie in bem Sinne, ha'^ fie auf aüe fragen, bie
man t}infid)ttic^ ber 53itbung ber organifdjen SSefen erfjeben fann,
eine oöllig befriebigenbe Stntlüort gn geben öermöd)te, ift bie @nt=
midelungSf^eorie nid)t unb mirb fie oermnttid) nie merben. (Sine
tüdentofe ©efdjidjte ber ©ntmideinng ber organifd)en Söett auf unferem
Planeten mirb c§ üorau§fidjtIi(^ nie geben, bie 3^it9"ifis ^^^ ®nt=
midelung, bie un§ öorliegen, finb gu bürftig. ©ie (SrfenntniS ber atl=
gemeinen ^rinjipien nnb ein fc^ematifdjer (Sntmnrf ber 53ilbung§*
gefd)id)te, mobei benn auc^ ber @rfaf)rnng§fat^, ha'i^ bie ©ntroidelung
be§ Snbit)ibuum§ eine üerfürgte 3Siebert)o(ung ber @attung§entmidelung
ift, güt)rerbienfte (eiftct, ha§^ njirb fo §iemlid) ba§ fein, ma§ Ijier ju
Ijoffen ift. Übrigen^ fte^t e§ ja auf anberen Gebieten ni(^t anberi;
200 I- 93ud): äJJetap^tjfü. 2. Kapitel: S)a§ Io§motogi|d)4f)eotogifd^e Problem.
bie ©eologie tarnt Qud^ nid)t jebe (Sr^ö^iirtg unb 35ertiefitng ber (Srb*
rinbe, unb bie SOZeteoroIogie triebt jebe ©djlranfung im Suftmeer er-
üären. ©djtiefeürf) ift bie 2(ufgabe jeber SSiffenfc^aft eine unenbüdje.
2)arn)in t)at bie 93ioIogie jo ttienig öollenbet, bafe er fie öielmefjr üor
neue unge{)eure ^lufgoben geftetit Ijot. (Soöiel aber barf mau jagen:
bie @ntn)i(feIung§tf)eorie ift in bem ©inne lüirüiif) eine Ztjtoxk, ha^ fie
ein ^riu^ip ber 9iad)forjd}ung begrünbet l)at, luelc^eS gu föirtlirf)en
uatnrtüi[fenfrf)aftlirf)en (£injid)teu auf biefem ©ebiete füt)rt. SDa§ fann
man üon ber älteren t^l)pott)efe, bie au§ ber ©inttjirfnug einer öon
aui3en nad) $tbfid)ten JT)ir!enbeu Snteüigeuä erftört, auf !eine äöeifc
behaupten; fie mar nie etma§ me^r at§ eine $ßerlegenf)eit§au§!unft, bie
bnrd) ha§^ oben beäeid)nete rattofe SDilemma: ©ntfteljung burd) jufäüigeg
^ufammenfaüen öon 5(tomen, ober SUbung burd) Sntelligenj, auf=
gebrängt mürbe. SSa§ fie mirüid) leiftete, ha^ mar, ma§ äöörter auc^
fonft leiften, bafi fie ha§> erfte (Srftaunen unb bie erfte grageluft be-
fdjmid^tigte, !eine gute Seiftnng für eine miffenfd^aftlidje ^t)potf)efe. S)ie
neue §l)potf)efe bemeift i^ren SBert eben barin, ha'^ fie immer neue
g^ragen aufgiebt unb gu itjrer Söfung anreiht. SQiit bem alten Xeno-
pf)ane§ mag and) Karmin fagen:
geigten bie ®ötter bocf) mdf)t ben ©terblid^en oEe§ bon ?Infong;
©onbern fie fuc^en eä jelbft unb finben aÜmäfiUc^ haä 33ef|'re.
5. ®te ©ntmirfelung im ©ebtct be§ geifttg-gefc^i^tltc^cn 8ebcn§,
3)a§ bie geiftig=gefd)id)tlidje SBelt in ifjren 93ilbungen grofee %^\u
Iid)!eit mit ber organifc^en SSelt geigt, ift oft bemerft morben. 3!5on
ben Reiten ^Iato§ f)er ift e§ üblid^, ben ©taat al§ einen äRenfd^eu im
grofeen ju betrad)ten. 'ä. @c^ äffte fü^rt in feinem großen unb geift=
öollen 2Ber!: „Sau unb £eben be§ fojiaten 5?örper§" bie ^ergteid^ung
ber @efenfd)aft mit einem natürlidjeu Drgani§mu§ bi§ in§ eingelnfte
au§. (5benfo ift e§ üb(id), bie (Sprodje al§ einen Crgani§mu§ gu be=
jeidinen, liieUeidjt fagte man paffenber: ein Drganft)ftem, ha§> bem
Organismus eineS 35oIfe§ angef)ört. Sn ber ^^at liegt bie ^omotogie
auf ber iQanh; mie im orgauifdjen Körper, fo |aben mir auc^ t)ier eine
gro^e SSiet^eit uugteidjartiger 2;ei(e, bie regelmäßig ju einem finnooüen
©efamterfolg äufammenmirfen.
5. ®ie @nttt)icfelung im GJebiet beä geiftig*gefd)ttf)tlic^en £eben§. 201
Dleljmen xoix bie ©prarf)e. ötne gro§e SSielfieit üon ung(eid^=
artigen STeilen luirft §u einer ©efamtleiftung, ber lebenbigen Siebe, su=
fammen, bie \id) augenfd)einlic^ a{§ mertüoüe ober gmecfmäBige Seiftung
für ben Sträger be§ Drgan§, ein S^olf, ermeift: ot)ne fie ttjöre ein ein=
^eitlid^eä geiftigeä Seben, wäre ha§> 2c6en eine§ S3o(fe§ überhaupt nid)!
möglidj. STaujenbe üon SSörtern, bie man ben ^tütn t)erg(eid)en fann,
ou§ benen ficf) ber förperlidje Organi§nui§ oufbaut, finb in ber @pra(f)e
gu gemeinfamer g^nnftion öereinigt; bie ©efanitfieit ber SSörter teilt fid^
in bie Slnfgabe, ben gefamten @d^a| eineä $ßoIfe§ an ©ebanfen unb
©efü^ten in Santgebilben ju öerfinn(icE)en, jebeS SBort l^at innert)a{b
ber @e|amtf)eit feine beftimmte, begrenzte Slufgabe, feine S3ebentung.
S)er organifd)e Sfjarafter ber @prad)e erfd^eint fobann in ben eigen=
tümlid)en gormetementen. ®ie üerfdjiebenen SBortarten (©ubftantio,
5Ibjeftiö, SSerb u. f. tt).) entfpred)en ben großen Gattungen ber SSor»
ftetinngen; fie brüden burd§ if)re gorm bie ßwgefjiJrigfeit be§ Segeidineten
5U ben fingen, @igenfd)aften ober 95orgängen an§. Sebe§ SSort ift
n)ieber ou§geftattet mit einem tjödjft finnreidjen 9}?ed)ani§mn§, rtjobnrd)
e§ feine Söejie'tinngen gu ben Elementen, mit benen e§ in SSerbinbnng
tritt, fidjtbar gu mad)en befäfjigt ift, jenem (St)ftem fteiner 3^ormüer=
änbernngen, bie tt)ir S)e!Iination unb Konjugation nennen. @o ftellt
fid^ bie ©pradje al§ ein f)öd)ft fonipligierter unb gugleid) erftounüd)
fidler funftionierenber S(pparat bar, um atle mi3glid)en ©ebanfen unb
®efül)(e bi§ in bie üeinften 9hiancierungen auSjubrüden, ein Söerfgeng
üon einer g^eintjeit unb ^öoüenbung, ta'^ bagegen bie Üinftüc^fte 9J?afd)ine
al§ ein einfadjeS ©erat erfd^eint.
SBie ift biefer Organi§mu§ entftanben? Se^t pflanzt er fid) fort
burd) etterlidje Beugung, bie 5iinber lernen bie ©prad)e üon ben (gltern,
aber lüie entfte^t eine Sprache urfprüngüd)? 2)urc^ Bufaü, inbem
balb ber eine, balb ber anbere bei @elegent)eit ein Sautgebilbe f)erüor=
ftie^, ba§ üerftanben unb feftge^atten unb fo gn einem 9Jomen eine§
S)inge§ ober Vorgangs tt)urbe? ®a§ ift offenbar unfinnig. 5ttfo »irb
bie ©pradje burd) ^bfid)t unb ©rfinbung entftanben fein. <Bo erftärte
ber 9fiationati§mu§ be§ üorigen Sof)^f)unbert§, bem 9iationaIi§mu§ be§
StttertumS folgenb, bie @ac^e. ®ie a)?enfdjen, fo p^itofop^iert in feinem
SSerfud) über ben Urfprung ber ©prad^e (1772) ber fpätere StRarburger
^rofeffor ^iebemann, lebten guerft in tierifc^em 3"ftßn^e, biefer
202 I. S3uc^: 9Retap^9[tf. 2, Äapitet: ®og foimologi)c^=t]^eologtjc^e Problem.
tnar unbequem uub 6e)rf)tüerlic^ ; man lüurbe nodf) einer beffereu 2eben§=
ort begierig, ha§i trieb ,^ur ^Bereinigung, unb bamit ent[tanb ha§> 33e=
bürfnis eine§ ^er[tanbigung§mittel». „d)lan üerfiet njotjrfc^einlic^
j^uerft auf bie ©prod^e ber ©ebärben. ^lüein e» fonnte nid)t lange
\üäi}xen, fo muBte man bie Unjulänglic^feit biejer Sprache ein]e^en.
5^ie SJIenfc^en bemerftcn, baB bie ©emütsbemegungen i{)nen Xöne ab=
abtocften. Sie luurben and) geroaljr, ha^ bie Xiere berfelben mit gutem
@rfo(g firf) bebienten. 2öa§ mar natürlid)er, al§> ta'^ fie fuc^ten, fic^
bieie Sntbecfung ^u 9hi|e gu mad)en unb bie 2öne ju ^^ic^^" ^W^
öebanfen ^u gebrauchen? '"^j
Uns fommen jolc^e ßrmägungen einigermaßen fomijc^ oor, fie
f(ingen faft mie eine öon ben ^onmntifern auf bie Slufflärung gemad)te
^orobie. Unb boc^ ift biefe (Srflärung gegenüber ber ©rflärung ber
organiic^en SBelt au» ber 2t)ätigfeit einer fosmijc^en ^nteüigenj im
3]ortei(, fie recfjnet bod) mit einer gegebenen unb befannten Urfad^e.
g^reilic^, eben biefer Vorteil ift es, ber ju if)rem 9larf)tei( ausfc^lägt;
bie Urfa^e ift un§ aü^u mof)! befannt, aU ba'B mir foldje SBirfung
öon tf)r erwarten foUten. 2öie ift e§ benn nun, fo fragen mir f)ier
gicirf) meiter, be§ nöE)eren bei biefer ©rfinbung fjergegangen? §at
cine§ 2age§ unter ben noc^ fpracf)fojen 9}lenfcf)en ein befonberS an*
fd)(ägiger Äopf ficf) f)tngefe|t unb eine (gpradje au5gebQd)t, mie f)eut*
jutage einer ba§ 33oIapüf au§gebad)t f)af? (ärfanb er im Stillen für
fic^ bie taufenb ^tarnen ber S^inge, @igenfd)aften, 93orgänge, 33e3ief)ungen,
ha^ 2;ef linieren unb konjugieren, unb überrafd)te bann mit bem
fertigen ®i)ftem feine ©enoffen, geigte i^nen bie 9lü§lid)feit ber ©ad^e
unb i^ren (Mebraud^ unb überrebete fie fo, bie Spradie ju lernen unb
an^uneljmen? Wan fiel)t, e§ märe faum nod) erftaunlic^, menn nun
hinzugefügt mürbe, ba'^ biefer felbe SOZann ebenfo oorljer auc^ fd)on
*) 33ei £). Steint:^al, ^et Urfprung ber Sprod^e im 3U'ömmen'^ong
mit ben testen gragen aQe§ SSiffen^. (4. 21. 1888, ©. 6 ff.) Sie Meine le^rreic^e
<2^rift giebt eine Überfid)! übet bie ©efdiic^te ber ©praci^jdjöpfunggt^eorien bi§ jur
©egenroart, mit 2{nbeutungen ber eigenen Sfieorie be§ 93erfafferä. S)ie pfijc^ologifc^en
©runblagen biefer ijat 3teintf)al au5füf)rHd; bargefteßt in feiner ©inleitung in bie
^<ni(i)oIogie (2. 21. 1881), bem erften Seit einel 2(briffe§ ber ©pracfiniiffenfcfiaft.
Umriffe ber fonfrct'^^iftorifc^en 2(u§fü^rung in ber Sfaffififation ber ^auptiäd)Iid)ften
%t}pen be§ Sprachbaus (1860).
5. 3)ie (gnttütdelung im ©ebiet be§ geiftig^gef^id^tUd^en SebenS. 203
ben 35er[tQnb erfunben unb biirc^ Überrebimg ben anbern beigebrad)t
l^ätte. — 5(rbeiteten alfo biele äujammen an bem Söerf? SBurbe etwa,
worauf man I)eute geirife al§ba(b uerfallen würbe, eine Hommiifion
gur (Srfinbung ber @pracE)e eingefe^t? Ober t)aben bie Dielen öer=
einjelt gearbeitet, lieferte batb biefer, batb jener einen 93eitrag, ein
S)u^enb 9Jamen ober einige ^räpofitionen? unb bann erfanb einer
ha§> S)e!Iinieren, üieüeidjt erft btofe bie erfte 2)efIination, unb barauf
ein anberer bie groeite u. f. f., bi§ bie tner ober fünf SDeftinationen
ober wie üiele fonft beijamnien waren? Unb burdj ben guten (grfotg
aufgemuntert, !am bann einer auf§ 5?'oujugieren unb braii)te ba§
5(ftiüum guftanbe, unb ein anberer fügte ba§ ^affiöum t)in3U, unb
ein dritter ftügelte ben 5tonjunftio au§? Unb für§ @ried)ifd)e erjann
ein befonberS wi^iger Äopf nocf) ben Cptatio baju? unb ein Querfopf
ftreute bie unregelmäßigen 93erba ein? — 2)a§ ift bie 9iiditung, in ber
3:iebemann ber ®üd]i weiter nac^gefjt, nur t)a^ er ^ule^t immer wieber
ba§ ^rinjip ber ©rfinbung öerleuguet unb 9iot unb 3"fQ^^ ^^^ <Ba<i)i
bewirten löfet.
9)lan fiei)t, wir ftetjen t)ier genau öor bemfelben 2)ilemma, wie
oben: ift bie Sprache, finb bie Siere burrf) ^ii\a\i ober burc^ plan«
mäßige (Srfinbung entftanben? öin drittes fcfjeiut e§ uirf)t ^u geben,
unb bocJ) ift beibeä gleict) unoorfteübar.
5Die ©pracEjWiffenfc^aft ift ber ©rfjwierigfeit juerft §err ge«
worben unb jwar genau auf bemfelben äöege, ben bann fpäter bie
^Biologie eingefc^Iageu t)at. S)ie Urjadje, bie ^u jenem !f)ei(Iofen 2)ilemma
füf)rte, war bie ^orftellung, ha'B bie ©pradjen, ebenfo wie bie Strien
ber Xiere unb ^ftansen, unüernnber(id)e, ftarre SSefentjeiten feien.
©0 fjattcn bi§f)er bie ©rammatiter bie ©ad^e angefet)«n: eine (Spradje
ift ein ftarreS, ein für aüemal fertiget Snftrument, ha^ bie ©rammati!
befd)reibt, unb tu beffen ©ebrand) fie unterweift. ®ie gefc^idjtlid^e
Setrad)tung§weife, bie um bie SSenbe be§ adjtjetjuten Sat)rt)unbert§
unter bem ©influß be§ großen unb allgemeinen 9iücffd)(age§ gegen ben
ftarren ÜiationaliSmnS ber Sluftlärung auf allen Gebieten fic^ erf)ob,
unb ber auf bem ©ebiet ber @pra(^forfd)ung burd) ä)iänner wie
3B. ü. ^umbolbt, 93opp, bie beiben ©rimm bie 93at)n ge=
brod)en worben ift, f)at jene alte SSorftettung öon bem SBefen ber
(Sprad)e gänjtid) befeitigt. @ie füfirte ju ber (grfenntniS, ha^ eine
204 I. 93u(i^: 3Ritapht)\il 2. tapttel; ®o§ !o§mologtic^4^eoIogtjd^e «ßroblem.
(Sprache nicf)t ein fertiget, oon ©efc^ted^t §u @ef(f)Ierf)t oererbte§
SSerfjeug, jonbern eine ftet§ nen erzeugte ^"i^^tion fei, ober mit
§unibolbt§ SluSbrucf, nic^t ein ergon, Jonbern eine energeia. ©o
fief)t nun bie tjeutige 2ingui[tif in einer ©prac^e eine mit bem 33otf§=
leben fel6[t fortttJät)renb iJire ©eftalt änbernbe g^unftion, bie gegen=
märtige (5Je[taIt ha§: (Ergebnis :3at)rtaufenbe langer (£nttt)i(felung unb
gugleirf) 5iu§gQng§punft für neue 33i(bungen. — dJlan fief)t, e§ ift
ganj biefelbe SSorftetlung, weldje bie neue ^Biologie auf bie Xier= unb
^ftanjenformen überträgt.
S)ie @prad)lüiffenf(i)aft l^at nun aber ben großen S^orteil, baf3
fie ben (Snttt)i(fetung§pro§eB, ober tt)enigften§ ein @tü(f baöon, wirflid^
cor Stugen ^ot; bie SSanblung ber gefrf)id)tlid)en Organismen get)t
fc^neller al§ bie ber pf)t)fif(^en öor fic^. 3Sir !ennen bie ©eftalt,
wd&jt bie beutf(i)e (Sprache oor fünff)unbert ober taufenb Satiren t)atte;
mir f)aben im @otifd)en mieber eine um ein IjalbeS Saf)rtaufenb
ältere g^orm. Su ben fcf)riftlid}en ©enfmälern liegen gteid^fam Sßer=
fteinerungen ber älteren ©prac^formen öor, unb jtnar Sßerfteinerungen
t)on fet)r öiel größerer SBoUfommen^eit, aU fie in ben paIäontoIogifcf)en
Ü^eften bem ^Biologen gur S5erfügung ftef)en: ^ier ein paar üereinjette
93rud)ftücfe, jum Xeil nur ©puren ber e{)emaligen Sebeneformen, bort
gmar auc^ nid)t bog öoUe Seben, 5!iang unb 9(ccent (äffen fid) nur
ungefot)r erraten, aber t)ert)ättni§mäfeig bod) eine unöergleid)lid) öoll*
ftänbige 2)arftenung be§ 53aueg unb ber ^^unftion ber ©pradje. Sbenfo
liegt un§ bie (Sntmidelung ber lateinifdien ©pradje burc^ einen 3^^*-
räum öon mef)r at§ graei Sat)i^taufenben oor. Unb t)ier fe^en mir oor
unfern fingen ben ^ro§eB ber Sitbung neuer ©prad^en fic^ ooüjie^en:
bie frangöfifdje, italienif(^e, fpanifc^e ©pradje finb Xöd^ter ber einen
9Jiutter, bie übrigens baneben aud) felbft als ©pradje ber ^irdje unb
ber ©ele^rfamfeit am Seben blieb. 2)ie oergIeid)enbe ©prad)miffen=
fd)aft enb(id) getjt noc!^ oiel meiter: fie unternimmt e§, beinaf)e aüe
©prägen, bie in ©uropa gefprodjen werben unb gefprodjen morben
finb, nebft ben ©pradien ber ^erfer unb Suber, ats gef(^id)tlid)e
SBanblungen einer gemeinfamen Urfprad)e ber arifc^en SSölfer bar=
aufteilen.
§ier !^aben mir atfo, maS bie 5i^ritifer beS SDarminiSmuS auf
biologifc^em ©ebiet nod) oermiffen: bie Silbung neuer Wirten, jmifdjen
5. 2)ie ©ntwicfelung im ®ebiet be§ geiftig^gefd^ic^tlidien £eben§. 205
benen friirf)t6are ^reujung nid^t me^r ftattfinbet. fiateinifdf) unb
3^ran§öfijc^ ober ©panifc^, üom ©riec^ifd^en, ^olnijdjen, SE)eutj(^en
nirf)t äu rebeu, finb nidjt 5(barten ober ®iale!te einer ©pradje, fonbern
üerjd^iebene ©prac^en, §n)ifd)en benen feine frucf)tbare SSermif(^ung,
fein gegenfeitige§ 95er[tänbni§ me()r [tattfinbet. 2öie finb f)ier bie
neuen 5Irten entftanben? 9lun, n^ir fefjen e§, fie bitben firf) burc^
QUmäf)Ii(^e (Summierung f (einer SSeränberungen ; abfid)tlid)e§ (grfinben
ober Umbilben fpielt babei jo gut n^ie feine üiotle. ^Dagegen fann
man eben jene ^rin^ipien im ©piel finben, bie in ber S3io(ogie al§
Urjad^en ber Umbilbung ongeje^en merben. ^a§ 33er(angen, burd)
artitulierte Saute öebanfen unb ©efü^Ie au^jubrüden ober oietme{)r
anberen üerftänbtic^ ju machen, oertritt f)ier ben aügemeinen SSillen
gum Seben. S)ie jur 93eränberung brängenben (SIemente finb einer=
feit§ 93erü^rung unb $ßermifd)ung mit fremben @prad)en, anbererfeitg
bie beftönbige SSeränberung in ber Snnenmett, in ber Söelt ber @e=
banfen unb @efüf)Ie, bie mit bem @eneration§n)edjfeI §ufamment)ängt;
fie füfjrt bie STenbeng gum SBariieren in ben Söörtern unb formen mit
fid). Unter biefen 33oriationen merben bann, mie in einem Äampf um§
SDafein, bie jrt'SffnmBigften au§gelefen unb in ben allgemeinen (Sprad^-
gebrauch aufgenommen. 2)ie mefentlidjen Slk^ftäbe ber ^luedmäfeigfeit
finb: ^ürje unb Seic^tigfeit ber StuSfpradje, ®eutlid)feit unb S8e=
ftimmt^eit be§ 5Iu§brud§, enblid) S?raft unb 9^adjbrüd(id)feit ber 9f?ebe,
bie üor allem and) in ber 3^ät)igfeit jur ®efüt)I§entlabung unb (Sefüt)!^'
erregung befte{)t.
Stuf biefe SSeife erfolgt Sntmidelung einer @prad)e im (Sinne
ber formalen ^^^^"löBigfeit, ofine eigenttid) abfidjttic^e Silbung.
MerbingS nidjt buri^ eine med)anifd) roirfenbe SluSlefe; an jebem
^unft mirb burc^ ein mef)r ober minber beroufeteS @efd)mad§= ober
SSerftanbe§urteiI über bie Xaugüdjfeit ber Sf^eubilbung entfd^ieben.
9tber bie ©efamtentmidelung mirb nidjt üon öorau§fef)enber Stbfic^t
geleitet. ©§ ift bie Stufgabe ber ®efd)ic^te jeber einzelnen (Sprache,
bie SSanblung it)re§ ^^ormen^ unb seBortfc^a|e§ im einzelnen bar=
julegcn unb au§ folc^en @efid)t§punften ju ertlären. 93ei ber Saut*
unb gormenbilbung merben pf)t)fiologiid)e ®i§pofitionen eine er^eblid)e
Ü^oüe fpielen; in ber ©ntmidelung ber fi)ntaftifd)en gormen tritt be=
fonberS ha§: Streben nad) ®eutlid)feit fjerüor, in ber 93i(bung be§
206 I- 93ud): Tittap^\)\il 2. tapitel: 3)o§ folmoIogtfd)=tt)eoIogifcf)e Problem.
SBortjc^a^eS unb ber 9?ebeirenbungen ift neben ,g)Qnbli(f)!eit unb Se=
ftimmt^ett aud) bie plaftifi^e unb gefü{)I§erregenbe Äraft oon großer
5öebeutung. S3i§ gu einem gen)iffen ©rabe n^irb oon f)ier au§ aud^
eine öerglei(f)enbe Slbfci^ä^ung be§ 2Berte§ oerjrf)iebener ©pradjen mög«
lic^ fein. @o ttjirb man §. 33. allgemein fagen bürfen, ha'ii an Iogij(i)er
^ßoQfommen^eit bie ^ioc^terfprod^en be§ Sateinijdjen ber 9J?utter über=
legen finb ; bie ©rfe^ung ber 3)efIination§enbungen burrf) Präpositionen,
bie regelmäßige 58ermenbung be§ ^ronomenS nnb ber ^ilf^geitmörter
in ber Konjugation, ebenfo bie S3inbung ber SBortfoIge geben ber 9^ebe
größere S3e[timmtJ)eit unb 3)urd)fi(f)tig!eit. g^reilid; njirb fie bamit
gugleid) l^ärter unb trocEener.*)
äJJit benfelben 9Jiitte(n, au§ benfelben Kräften unb ^enbenjen,
hk nod) f)eute bie Umbilbung ber @pradE)e bestimmen, erflärt bie
©prac^miffenfc^aft aud) bie uriprünglid)e ©nifteljung ber fo funftmäßig
unb abfidjtüd) auSfe^enben glefion. @o läßt fid^ g. ©. erfennen, tt)ie
bie Konjugation ber inbogermonijd^en @prad)en burc^ allmäf)üc^e SSer--
jc^meljung früfjer jelb[tänbiger Soutgebilbe juftonbe ge!ommen ift.
2)er fleftierenben ©pra^e ging eine ©tufe ber ©prad)entmidetung
öor^er, bie nur unoeränberlic^e unb felbftänbige Söörter, bie fogenannten
SBurgeln, befaß. S)ie üergteidienbe ©rammatif le^rt un§ in ben
^erfonalenbungen ha^^ oerfürgte unb öerftümmelte, §um unfetbftänbigen
©uffij genjorbene ^erfonalpronomen erfennen. ^n ber gried)if(^en
Konjugation auf mi ift bie urfprünglic^e ^orm nod§ njofjt erfennbar,
bie (Snbung mi fommt üom Pronomen ber erften ^erfon, mie e§ in
ben casibus obliquis öorliegt; ebenfo ha^ urfprüngüd)e si ber gmeiten,
ha§' ti ber britten ^erfon. '^lod) burd)fid)tiger ift bie ©ac^e im
©anSfrit. Snbem in ber edenben 9^ebe bie 'pronominalmurgel mit
ber S3erbalmur,^el burc^ ben Stccent ,^um einfjeitlidjen Sautgebilbe gu«
fommengefaßt unb bann hü§> tonlofe ©uffif mdjx unb mef)r gefürjt
mürbe, entftanb bie ^lejcion.
(Snblid) magt fid) bie ©pradjmiffenfd^aft aud) an ha§> le^te
Problem, hü§> bie Drganifation aufgiebt, ba§ Problem ber generatio
*) STttäie^enbe 93etroc^tungen übet bie itmbilbenben Ärö^te bei ö. b. ©abeten^,
®te (2t)ra(i)tx)ii'jenjc^aft, i^re Slufgabe, 9[Retf)oben unb bi^^erigen (grgebniffe (1891).
S)ie 58ebeutung ber ©efü^lsfeite in ber ®prad)entnjicfelung öerfotgt ein intereffanteä
Sud) Don Ä. 95rud^monn, $iti(^oIogifd)e ©tubten jur ©^)ra(f)gejcf)ic^te (1888).
5. S)ie (Snttüitfelung im ®ebiet be§ geiftig^gefd^ic^ttidien Sebenä. 207
aequivoca, ber (Sntfte^uiig be§ Drcionifd^en au§ bem Unorganifcfjen.
tS§ nimmt auf i()rem ©ebtet bie gorm an: wie finb bie SBurjeln,
jene er[ten artifulierten Sauttjelnlbe, in benen bie nod) fleinonSloie
Urfprad^e S^amen üon S)inc3en nnb S^orgöngen h^\a% urfprüngli(^
t)eroorgebracf)t lüorben? ^ie @efd)id;te jttjar läfet un§ ^ier üöUig im
©tid); fie erreid^t nirgenbö bie 5Infänge. 3)od) !önnen roir öerjud^en,
an ber ^anb ber Biologie, mit §itfe ber ^^t)[ioIogie unb ^fi)d)oIogie,
ben 9?organg in einer jd)emQtiid}en 5?on[tni!tion un§ ?^u öerbeutlidjen.
Sll§ er[ter 5(u»gang§punft ber 2autjt)mboIif, bie in ber ©pradje i^re
^öc^fte ©ntlDidelung erreid)t, ftellt fid) ber biologijdjen 93etrQC^tnng
ber Ü^eifeylaut bar; atle ftarfen inneren Erregungen tt)erben unftiill^
fürlid) mit mannigfadjen Xönen begleitet. (So finben hjiv e§ fd)Dn in
ber 3:iern)ett; mit ber Semegung nnb ©ebärbe tritt ber 3;on, burc^
bie (Sinn^irfung ber (Srregung auf bie Sltmung bettjirft, ot§ ^eg{eit=
erjdjeinnng innerer Sßorgänge auf: ©c^merj, Suft, 9]erlangen, §tng[t
löfen mannigfad) abgeftufte 5:öne au§. ®er 9ieflei-laut rairb üfjue
5lbfid)t gnm 2;räger ber 9)?itteilnng, inbem er in ben ?Irtgenoffen
fi)mpat^ifc^e ®efüf)I§erregnng erujedt. Slber auc^ at§ ab[id)tlic^ ge-
brauchtes 9J?ittel ber Q]er[täubignng begegnet nn§ fc^on in ber 5:iertt)elt
ber Saut; ber §unb f)at eine gan^e SÜdijt öon ^önen, jd)reieu, winfetn,
fnurren, f)euten, beßen, unb in jebem toieber eine gange ©!ala, bie er
befonber§ im S5er!e^r mit aJJenfdjen mit einer gettjiffen Überlegung gur
^unbgebung innerer ^Sorgänge öertt)enbet.
@e^en tt)ir bieje gorm ber Santfi)mboIif aud^ bei bem ^ßerfat^ren
be§ 9}fenfdjen öorauS, fo tt)äre nun bie ?(ufgabe, au§ biefer g(eid;fom
noc^ nnorganifdjen Sautmaterie bie organifierte ©prad)e tjernorgetjen
gu laffen. 2öa§ bie menjd)Iid)e (5prad)e öon jener noranSgeje^ten
Urform unterfdjeibet, ift tt^ejentlid) ein doppeltes: bie ^rtifutation
ber Saute unb bie 35ern)enbung ber Sautgebilbe al§ (St)mboIe für Db=
je!te. |)ierbur(^ tüöre fc^on jene üorausgefe^te Urform ber Sprache,
bie nur in ber Stneinanberrei^ung nnoeräuberlid^er Sautgebilbe beftanb,
üon aller 3;ierfprac^e beutlic^ getrennt. Sie ^ierfpradje, tnenn n)ir
fie fo nennen tüollen, ^at feine Slrtifutation, unb it)re Saute t)aben
feine objeftioe 33ebeutung, ha§, ^ei^t, fie finb Segleiterfdjeiuungen unb
(Symbole für fubjeftioe 2i5iIIen§= unb @efüf)I§erregungen, aber fie finb
nid)t Flamen für 3}inge unb 35orgänge. 9}?enfd)Iid)e ©prac^e f)aben
208 I- S3ucö: Wtttap^^\il 2. tapitel: ®a§ !olmoIogif(^=t^eoIogifd^e Problem.
tütr ha, tüo ein ortifuIierteS ßautgebilbe af§ dlamt für ein ®ing ober
einen S}organg gebraucht ftiirb; ber ©enf^er ober ber «Sd^rei gef)ört
nidjt gur <Sprad)e. Sind) ber @pra(f)e ift baS SJJoment ber jubjeftioen
Erregung m<i)t fremb genjorben, e§ tritt in Ätang unb 53etonung ^er-
üor, aber ha^ SSort at§ folc^eg, unb fd^on bie SSurget ift ein SSort,
ift ßeid^en für einen beftimmten SSorfteIIung§int)Qtt. SRon fönnte bem=
narf) bie Stuf gäbe ber ßinguifti! auc^ fo be5ei(^nen: bie (£utftet)ung
einer ^^orfteHung^fpradie in artifuüerten Sautgebilben au§ einer un-
artifuUerteu SBitlenSjpradje gn bejd^reiben.
S)ie allgemeinen S3ebingungen für bie Söfung biefer 5tufgabe,
bie übrigeng tt)oi)t nie ol^ne 9f?eft aufgef)en n)irb, werben ^f)t)fioIogie
unb ^f^diologie §u bieten Ijaben. Sene wirb ttxva borauf tjinineifen,
ha^ ber 3}?enf(f) burrf) bie aufrerfjte Stellung bie S3ruft frei be!am
unb bamit bie 9Jiögüd^!eit ber feineren 9lüoncierung unb ber 5lrti=
fulation be§ Saut§; baB ferner bind) bie 5(u§bilbung ber ^önbe ber
9J?unb enttaftet njurbe, ber bei Stieren oielfad) oud^ at§ ©reiforgan
bienen mu^. ®ie ^[t)rf)oIogie mirb barauf fjinineifen, baB ha§> ®e=
meinfd^aft^teben beim SOJenfdien, bor allem bebingt burd^ bie un=
gen)öf)n(id) lange Sugenb, ein befonberg inniges werben muBte, unb
ha'!ß f)ierin ber ftarfe STrieb gur SJ^itteilung, ber ben SO^enfd^en au§=
jei^net, feinen ©runb finbet; fie tt)irb ferner auf bie (Snttt)i(fe(ung be§
intedeftuetten Seben§ {)inn)eifen, ha§i in ber 9J?annigfa(tig!eit ber 2;t)ätig=
feiten, gu ber bie .^anb bie 9}?öglid)!eit bot, n)ie in ber Sebf)aftig!eit
ber gefeüigen 33e5iet)ungen förberüdEje Umftänbe fanb, 2)er größere
Üieidjtum geglieberter 58orfteUungen unb ha§: gefteigerte 9J?ittei(ung§=
bebürfni§ mögen fo al§ bie beftänbig tt)irffamen eintriebe jur feineren
unb reidieren ^uSbilbung ber Sautft)mboIif angefef)en njerben.
SBie nun im eingetnen bie (Sntttjidelnng gef(f)al^, npie in ber
(Sprache ber Girier bie 2Bur,^eI da gum Dkmen für geben, sta für
ftefjen, reg für richten, gerabe mad)en, njurbe, mie plu bie Sejietiung
gum SSaffer unb luk gum 2id)t erlangte, biefe g^rage mirb nie anber§
al§> mit bem §inn)ei§ auf 9)?ögtid)!eiten beantwortet werben. 35er=
muttic^ wirb man immer wiebcr auf bie atte ^uSfunft fidf) jurüd«
gewiefen fefjen, bie erften be§eid)nenben Saute oon ben Xönen f)er=
guleiten, wetd)e bie SSorgänge unb 2)inge fetber f)eröorbringen; ruft
bod) and) je^t nod^, öor atlem im erften SebenSaÜer, ber getjörte %on
5. 2)ie ©nttüictelung im ©ebiet beg geifttg^gefc^id^ttic^en Se6en§. 209
bie 9?ac^bilbung mit ber 3""S^ gleid^fam al§ Stnttüort auf ben
5(nruf f)erüor. hierbei mögen, wie iieuerbingS betont njorben ift, bie
menfd)lid)en 2:f)ätigfeiten unb bie S^öne, bie fie ^eröorbringen, ober
mit benen fie oon ben Jptigen, befonberg aucf) oon gemeinfdiaftlid)
ST^ätigen, begleitet merben, in erfter 9teif)e jur (Sntftel)ung oon SSur^el^
mortem SSeranlaffung gegeben f)aben. SSor ein §inrei(f)en urfprüngiicf)
mit einem reftejartigen Slnruf da begleitet, mie man eg ja nod) bei
Äinbern beobad^ten fann, fo begreift man, mie ber Sout gum regel-
mäßig gebraud)ten unb oerftanbenen Sautäeic^en merben fonnte, fo oft
ber jTrieb, bie SSorftetlung be§ 2)arreici^en§ unb @eben§ im anberen
ju ermecEen, fid) geltenb mad)te; mobei benn felbftüerftänblid) für bie
genauere ^uterpretation be§ (Gemeinten ©ebärbe unb @eftu§ im meiten
Umfang ju §ilfe !amen. Unb fo meinen mir mof)I auc^ in bem plu,
\)a§> and) unferem fließen, g^luB ju ©runbe liegt, nod) ben Xon §u
t)ören, ben \)a^ SSaffer giebt, menn man einen ©tein f)ineinmirft, ober
menn e§ fict) lebhaft bemegt. 3n 5tnlef)nung an berartige erfte ^öilbungen
mod)te bann bie SSur^elbilbung fid) aud^ über bie an fid^ nid^t pr*
baren ^ßorgänge ou§breiten, mobei benn eine gemiffe gefü^tSmöBige
©leic^artigfeit be§ ©inbrudö bie fiautfombinotion f)erüor5ubringen bei=
getragen f)aben mag: ein SBort mie bli^en {)at ja and) für unä
onomatopoetifd^en SSert, e§ märe unmöglid), e§ burd§ frad^en jn erfe^en;
unb fo fönnte an bie (Stelle oon fiic^t nid)t 2)un!el, oon Siebe unb
ßuft nidjt ©rimm unb ®ram treten, oI)ne unfer onomatopoetifd)e§
©efü^I äu beleibigen. Unb au§ fold^en Urmur^eln mo(^teu bann burc^
bifferengierenbe 5Iu§fprad)e, bie ber SDifferen^ierung ber urfprüngtid^
fel)r unbeftimmten $8ebeutung folgte, fefunbäre äöuräeln entftel)en; auä
einer SBurjel mar ober mr, bie, oieüeidit ben Son an einanber
geriebener Körper miebergebenb, reiben, gerreiben bebeutete, mochte ein
mal (moöon bie 9}^üt)le in ben europäifd)en ©prad)en ben 9Zamen ^at)
unb ein marj = abreiben, reinigen, ^erüorgeljen, unb fo eine un=
enblic^e ^ülle oon Slbleitungen au§ einer Urmurjel entfpringen.*)
2)amit mag e§ nun fteljen, mie e§ mitt, e§ mirb ^ier ja immer
für ^Vermutungen unb Einfälle ein freier Summelpla^ bleiben, ma§
am @nbe lein fo gar großes Unglüd ift, menn mir aUeg ganj genau
*) aii. 9KülIer, Sßortefungen über bie 333i|ienfd)aft ber ©prad^e, Deutfd^ bon
93ötger, 2. Stufl. II, 346 ff.
$d Ulf eil, ßtnleitimg. ü. Stufl. 1^
210 ^- S3ud^: 9Jtetopf)l)fif. 2. Äa^jitel: ®o§ !o§moIogiid)4f)eoIogifd^e 5ßrobIem.
tDü^ten, irer würbe bann nod^ ©prodjforfcfjer lüerben mögen? — auf
jeben g^aU tuirb man bie§ fogen bürfen: mir fef)en, mie oud) bie
erften Stnföntje ber @prad)e o^ne planmäßige Srfinbung unb 3ujammen=
fügung mie burif) eine Strt generatio aequivoca ent[te{)en fonnten.
Slbfirfjtlidje ©rfinbung mirb baran nur jef)r geringen Slnteil geijabt
f)aben. Unb jo fonb oucfj bie SSeiterbitbung ftatt; in bem Wla'^t,
oI§ fid^ bie ^ßorftellungsmelt entmicfelte unb öom SBiflen retatio löfte,
in bemfelben WaU tündß mit i^r, nidjt burdf) bemühte unb abftc|tlicf)e
3;^ätigfeit, if)re tautlidje (Srfdjeinung, bie Sprache, örft auf ^ot)er
geiftiger ©ntmidetunggftufe entftel)t bie Sf^efleyion über bie @prad)e;
unb mit if)r beginnt bie Steigung, burd) Sßillfür in bie ©ntmidelung
einzugreifen, übrigens mef)r im ©inne ber ©r^altung al§ ber gort=
bitbung; bie @rommatif ift fonferüatiü, jie tritt ber natürtidjen Steigung
gum SSariieren entgegen.
(Sben baSfelbe S3itbung§gefe|, ha^ un§ in ber (Sntmidelung ber
©prad)e entgegentritt, be^errfc^t nun ha§: ganje geiftig=gefd)id)tüd)e
ßeben; alle feine Silbungen entfteljen burd^ eine 5trt fpontanen
SBad)§tum§, nid)t burd) planmöBige ©rfinbung.
Wan ne^me ha§ praftifdje ©ebiet, bie Sntmidelung üon ©itte,
^e(i)t unb (Staat. ®ie (Sittengefe^e finb nid)t oon SKoraüften
erfunben, fo menig mie bie logifd^en ©efe^e üon ben ßogifern, bie
grammatifi^en öon ben ©rammatüern auSgebad^t unb öorgefdjrieben
finb. ©itten finb allgemeine g^ormen be§ §anbeln§, bie in ben ftereot^pen
9ftea!tionen ber tierifdjen Suftinfte if)re Urform t)aben; inbem fie im
9)?enfd)en gum Semufetfein !ommen, entftet)t ba§ ©emiffen, \)a§> \\ä)
bann mit bem geiftigen ßeben felbft entmidelt. ®ie 9}?oraIpt)iIofop!^ie
entmidelt, erftört unb begrünbet bie (Sittengefe^e, aber fie erfinbet fie
nic^t. Unb nidjt anber§ ftet)t e§ mit bem 9^ec^t; e§ ift nic^t eine
(Srfinbung ber Suriften ober ber ©efe^geber, fonbern e§ mäd)ft mit
bem gefamten SSotMeben al§ bie äußere g^orm feiner ®emeinf(^aft.
Urfprünglic^ ein ©tüd ber ©itte, mirb e§ auf einer gemiffen (5nt=
midetungSftufe au0 ber @umme ber allgemein öerbinbti^en £eben§=
unb StjätigfeitSformen {)erau§gelöft unb al§ eigentlid^e§ ©ebiet gefell=
fd^aftlid}en ß^'anges !onftituiert. SSon ha ob ift e§ aüerbingS @egeu=
ftanb bemußter Bearbeitung, neben bem ungefdjriebenen 9^ec^t entfte^t
gefd)riebene§ D^ed^t, unb gute^t fielet in ben großen ^ufammenfaffungen
5. 5;ic ©nttüidelung im ®ebiet be§ geifttg=gefc^id^tl^en ßebenä. 211
ober ^obififationeu i>a§^ 9?ed)t iüie etlüa§ @emacE)te§ au§. SSer bie
©arf)e gefd^ic^tlid^ betradjtet, ber fief)t bod), ha'^ and) f)ier bal SRod^en
nid^t auf bie ©ubftans be§ 9Red^t§, auf bie Üied^tgüerfoffung im gau§en
gel^t, e§ l^anbett fid) babei im ©ruube immer nur um ft)ftematifierte
Sn!orporationen be§ ©eltenben unb Überlieferten, mit jetreiligen !(einen
Stupoffuugen on bie fid^ toanbeluben SebenSbebingungen eine§ SSotfe§.
S5on ben ÜleditSöerfaffungen gilt, ma§ r>on ben ©taatSöerfaffnngen,
bie ja übrigens nur ein «Stüd ber allgemeinen 9ftec^t§üerfaffnng finb,
gefügt mirb: ba^ fie nidjt gemacht n^erben, fonbern ujac^fen. — Unb
boSfetbe gilt öon bem @taat überl^aupt; er ift nic^t, tt)ie ber 9^ationati§*
mu§ be§ öorigen Sat)rf)unbert§ bie ©adje anfat), eine ju beftimmten
ßmeden anSgebad^te S}eranfta(tung, bie bann burcf) Stbftimmung unb
93efd)üi^ eines 2;age§ eingeführt ft»urbe, fonbern er ift bie gemadjfene
SebenSform eines $ßoIfe§, als beren Urform man baS menf d)üd)e
Slnalogon ber tierifd)en ^erbe anfef)en fann. %nd) t)ier überfe^en wir
njenigftenS baS te|te ©tüd beS ©ntmidelnngSprojeffeS f)inlängtic|, um
5U er!ennen, Ujie menig bie beftef)enbe g^orm unfereg ©taateS im gangen
baS ©rgebniS planmäßiger ©rfinbung ift. Überolt mar bei ber Umbilbung
S3erftanb unb Überlegung t^^ätig, aber nur in bem @inne, ha'^ fie jeber*
jeit bie 5In|3affnngen beS Seftetjcnben an neue Sebürfniffe unb 2(n^
fd)auungen fud)ten. Unb fdjtieBIic^ fpietten felbft hierbei bunüe Suftinfte
oft eine größere Atolle atS überlegenber SSerftanb.
Sa fogar im t^eoretifdjen ©ebiet, bem eigenften ber Sntelligenj,
mo 5tbfid)t unb ©rfinbung bie größte 9lolte fpielen gu muffen
fc^einen, fte^t eS nid)t oiel anberS; auc^ bie äöif f enf c^af ten
finb nidjt nac^ einem ^lan erfunben unb auSgefüf)rt morben, fonbern
burd) 2Bad)Stum entftanben. 5tlS it)re feimf)afte Urform erfdjeint bie
mt)t^oIogifd^e ß'oSmogonie, ein erfter ro^er Umriß eineS einheitlichen
©anjen ber SBettoorfteHung. SlnS i^r entmidett fid) bie ^t)i(ofopf)ie,
unb bie ^f)iIofopt)ie treibt bann in [langfamem 2öad)Stum bie
einsetnen SBiffenfdjaften als ©lieber auS fid^ ^eroor. ®iefe gange
ein^eitlid)e ©ntmidelung ift nidjt burd^ einen menj:!; liefen 95erftanb
auSgebad)t unb norgegeii^net morben, mie ein Saumeifter bie Slrbeit,
bie taufenb §änbe in Saljrjelinten auSfüf)ren, oorgeic^net, fonbern e§
l^at fic^ ber ^eim ber ertenntnis mit einer 5trt oon innerer ^loU
tt)enbig!eit entfaltet; allerbingS nic^t außer, fonbern in bem 3Serftonb
14*
212 I. 93ucf): ajietap^^fi!. 2. ßo^itel: S)ag !ogmoIogtfc^=t^eoIogtfc^e Problem.
ber einzelnen, bo(^ jo, baB feiner öon biejen ha§ ©ange unb ben SSeg
ber ©ntiüidelung überfat). ®er einteilte g^orfdjer unb 5)en!er arbeitet
g(eirf)fam im S)unfeln, er über[ief)t nirf)t, tüie feine Strbeit firf) ber ®e=
jamtentraidelung einfügt, tt)enigften§ nid)t narf) oorn; fie mag in neuen
Äöpfen ju neuen Stufgaben, neuen @eban!en 35eranlaffung geben, er
mei^ nicf)t, öon melc^er 2Irt fie fein merben. (S§ ift bie aüernütägüc^fte
@rfaf)rung in ber ©efd^idjte be§ menfd)Iicf)en ®en!en§, bafe ein (^thanU
in auberen köpfen böUig anbere ©ebanfen erregt, alg fein Urt)eber
t)ort)atte. 2[öa§ ber (Sinjelne tf)un fann, haQ ift, bie üorf)anbenen @e=
bauten fidj, fo gut er !ann, aneignen unb fie für fid; felbft in ber
Stuffaffung ber 2Birftid)!eit frud)tbar mad)en; ob unb tnie Spätere feine
5lrbeit üermerten merben, iia§> bleibt it)m bun!el. SSobei man benn
t)ieüeid)t fagen barf: je tt)eniger er an anbere, an ßeitgenoffen unb
3u!uuft, beutt, je met)r er bloB bie (Baä)^ im 5luge t)at, befto frudjt=
barer mirb feine Slrbeit fein. Unb and) \)aä !ann man fagen: je
größer unb frud^tborer bie ©ebanfeu, befto meniger finb fie al§ plan*
mäßige (Srfiubungen in bie SBelt gefommeu; S^^emton t)at fid^ nic^t
öorgenommen, i)a§> ©raoitationSgefe^, ober SDartt)in bie ©ntmidetungS*
ttjeorie, ober ©d)open^auer bie üoIuntariftifd;e ^f^diologie unb 9Jieta=
p'^^fif §u erfiuben. S)ie großen ©ebanfen entftefjen burd^ eine 2trt
geiftiger ^on^eption, nid^t burdj ein t)anbtt)erf§mäBige§ SIu§beu!en. @ie
tommen ft)ie oon fetbft, toenn i^re ßeit ha ift. SDie Prüfung unb
2)urd()füt)rung gefdiietjt bann oüerbingS burd) planmäßige 5(rbeit. @§
ftet)t bamit üt)nlid^ mie mit einer Siunftfdjöpfung ober einer ®id)tung;
aud| fie mirb nid)t nad) einem ^lau augefertigt, foubern mädjft oon
innen l£)erau§ burd) (Sntfattung eiueS 5leim§. S)ie bürftigen 9J?ac^tt)er!e
merben uac^ einem $Ian angefertigt; ba ift erft bie allgemeine 5lbfid)t,
etma§ gu mad^en; bann mirb nad) einem ©toff uub nad) einer g^orm
Umfd^au getjalten. @o entftef)en bie 9fJad)al)muugeu, bie jebe§mal mie
^itge au§ ber (Srbe fd^ießen, fo oft einmal ein SBerf allgemeine Sluf«
merffamfeit erregt unb 9Jlobe mirb, ^abrif arbeiten, aber feine Ä\inft=
loerfe. @o entfte^en auc^ in ber 2öiffenfd)aft bie g^abrifarbeiten, hk
Slu§ftettuug§leiftungen ber ©iffertationeufabrifen, bie ^ärrnermerfe ber
Kommentatoren, bie gufammenfaffeubeu uub abfdiließenben 2el)rgebäube
ber Siegiftratoren ber Söiffenfc^aft; audj fie beginnen mit ber allgemeinen
^bfid)t, etma§ gu mad)en, ba§: ben SSerfaffer üorteill)aft befannt
5. ®ie ©nttüidelung im ©ebiet be§ geifttg«=gefc^i(^tU(i^en Sebenl. 213
maä)t; bann beginnt bie SoQb nad) einem freien ©toff, unb i[t er
gtürfltd^ gefunben, bie ptnnmäBige 3Serarbeitung nad) bem (Schema.
2)agegen bie großen, bem (Srfennen neue 2öege öffnenben ©ebanfen,
bie werben nid)t gemacEit unb erfunben, jonbern fommen mie bur(^
Eingebung.
Unb tt)ie bie ^i3c^[te 3Sir!famfeit ber Sntetltgenä ni(f)t bie gorm
bei planmäßigen unb abficfjtiic^en 9)?a(^en§ J)at, fo ift aucf) bie Sn*
teßigenj felbft in if)rem Urfprung nidjt ein ©rgebniS planmäßiger
5(rbeit. SDer SSerftanb ift nicf)t gemacht, fonbern gemac^fen. ®§ I)at
nid)t unter ben nod) üerftanbtojen 9J?enfcf)en einer, bie S'Jü^Iidjfeit ber
©ac^e er!ennenb, ha^^ folgern unb @d)Iießen, bie begriffe unb Urteile
oulgebac^t, fonbern e§ i[t raie ein gei[tige§ Sf^aturprobuft in allmä'^üdjem
2öad)§tum guftanbe gefommen. 21I§ bie Urform be§ 25er[tanbe§ !ann
man ben Snftinft anje^en, jene erftaunlidie gäf)igfeit, nod^ nic^t feien«
be§ at§ feienb t)orau§5une^men unb al§ 9J?otio in SSirffamfeit treten
gu (äffen. 5tu§ bem Snftinft enttt)idelt fid) aümäfilid) ber SSerftanb,
inbem bie ftereott)pen Üleaftionen aufgelodert merben, unb bemegtic^e
Überlegung jmifdjen ben einzelnen ©liebern ber ^ei^e f)in unb ^er§u«
laufen beginnt. ®er ©nberfolg mirb aU ßmed, bie ^^ätigfeit aU
WliM öorgefteüt, bamit fiaben mir in primitiofter gorm bie (Srtenntnil
öon Urfadje unb SSirfuug.
@o gilt atfo für alle (Seiten be§ geiftig=gefd)id)tlid^en Öeben§:
nid^t ooraugfd^auenbe 33ernuuft bilbet nad^ 5Ibfid)ten unb ^täneu ba§>
9lotmenbige unb ^^^edmäßige, fonberu e§ entftef)t allmä^tic^, mie bie
formen be§ orgauifdjen Seben§, burc^ ein fpontoneS ^Sac^Stum. Unb
ma§ für bie eingetnen Organe unb .^eniorbriugungen gilt, ha§^ gilt auc^
öon ben gefc^ic^tlidjen Sebemefeu felbft. ©in 93ot! erlebt ein einfjeit*
Iid)e§ ßeben; \^ht ©efdjidjtsbarfteüung, fie mag e§ felbft miffen ober
md)t, ftellt e§ oI§ (Sint)eit bar; inbem fie ben SSerlauf ber ©cfc^ic^te
in ^erioben gtiebert, trägt fie ben ©ebaufen ber orgauifdieu @int)eit
{)inein. Seberjeit t)at fid) bie $ßergleid)ung eine§ a^oltslebenl mit
einem Snbinibuallebeu aufgebröugt: bie großen ©tufen, Äinb{)eit,
Sugenb, 9JJaunI)eit, ©reifenalter fe^reu f)ier mieber, ober, fo !aun man
oud) bie @ad)e umfe{)ren, ba§ ®ruubgefe| ber (Sntmidehing eines
SSoMebenS mieber{)oa fic^ im einjeneben. SfJun, ein 5SoI! ben!t fic^
nid)t fein Seben aug, um e§ bann nac^ einem ^lan ju öoüenben,
214 I- 33ud^: aKetap^^fü. 2. Kapitel: 2)ag fo§moIogtfd^=t^eoIogx)d^e ^ßroblem.
fonbern es ern)ärf)[t QKmät)tt(f), if)m jetber unbeiruBt; erft ber xM^
blicfenbe §iftoriter fief)t bie Gin^eit unb ßiijoi^n^^t^ft^nti^iing borin.
Unb nirf)t anber^ fte^t e§ mit bem ©injelleben. 3^er 9J?enicfj benft
fidj ni(i)t feinen Sebenslauf Qn§. 3n ben Süngüngsjafiren benft man
tt)of)(, man je|e ficf) ein 3^^^^ mad)e einen ^lan unb ttierbe baburd)
ha§> Seben geftalten unb auf bie Söett rairfen. Sie Sugcnb ift ratio=
naliftifd) in i^rer ^nfdjauung, fie glaubt an ©ebanfen unb i()re 9J?arf)t,
bie SBirflidjfeit um^ngeftalten; alle 9iet)oIutionen finb öon Jünglingen
ausgegangen. ®a§ 5Xlter mirb l)iftorifc^ auc^ in feinem 3)enfen; e§
fielet, n)ie menig es ha^^ eigene Seben gemadjt l)at, tüie es burd) 'Um=
gebung unb @d)irffat unb mand)en anfangs unfdjeinbaren S^i^aU ge=
ftaltet ttiorben ift. S5or aüem tritt ber grofee, gefc^idjtlid) überfommene
£ebensinl)alt immer bebeutfamer fjeröor. S)er Jüngling meint tuof)!,
mit il)m gelje bie SBelt eigentlid) erft an, unb er muffe fie au§ feinem
^opf neu gebären; je länger man lebt, befto me^r mirb man inne,
ipie gering bie Entfernung ift, bie man üon bem S(u§gang§punft, bem
ber Jüngling einft mofjlgemut unb mit großen planen ben binden
!ef)rte, ^urüdgelegt t)at
Unb nun bie ©umme: ha^ abfid)tlid)e SJiac^en, ba§ 5(nfertigen
nad^ planen fpielt audj in ber geiftig=gefd)id)tlid)en SSelt !eine fo gar
grofee 9ioUe. ®a§felbe 33ilbung§gefe^ ermeift fid) mie in ber leiblid)en fo
in ber geiftigen SSelt als ^errfdjenb; nid)t burdj oorbenfenben 33erftanb,
fonbern burd^ fpontane (Entfaltung au§ feiml)aften Slnföngen entftel)en
bie organifdjen 53ilbungen in ber 9?atur mie in ber ©efdjidjte. SSad)fen,
nidjt machen, ift bie örnnbfategorie ber SSirflidjfeit; and) bie 3Ber!e be§
9JJenfd)engeifte§ geigen im großen bie g^orm be§ abfidjtSlofen Söerbens:
haS' nad) Slbfii^ten machen ift nur eine fleine S^ebenform be§ SSerben§.
6, Unsulänglidjfeit einer atomtftifc^cu 5!J?etapI)i;fif. ^Begriff
ber äöed)fe(iüirfung.
SSir bliden auf ben 3Iu5gang§pun!t biefer 93etrad)tung jurüd.
S)rei formen bes äöeltbegriff§, brei fosmologifd)e ,^t)pDtljefen erfdjienen
un§ ben!bar: ber antt)ropomorp^ifd)e Xf)eismu§, ber 51tomi§mu§ unb
ber ^üntf)ei§mu§.
3)ie 3)arlegungen ber üorigen S(bfd)nitte Ijaben ju geigen gefudjt,
ba^ bie erfte .^i)potf)efe, meit entfernt, eine bemiefene 2;f)eorie gu fein,
6. UnäulängU(f)feit einer otomiftifd)en 9JJetapf)^fif. 93egriff ber 9!Bed^|eItt)irfung. 215
üBerf)aiipt ntcfjt bie g^orm einer iüiffeu|cl^QftIid)en Xt)eorie f)at. 2)ie 5Iuf=
faffung ber notürticfjen luib ber gejd)idjtli(f)en 2öirtlid)feit, bie in ber 2{n=
nomine einer baumeifterlidjen SnteHigens, oon ber nad) einer nn§ faßbaren
5(bfid)t ba§ ©anje planmäßig ^nfammengefügt jei, i(}ren S(bjc^tuB fonb,
i[t bnrd; eine jüngere ^Inffajfung, bie enttt)idelnng§gejd)ic^t(id)e, an oKen
^nnften üerbriingt. Unb e§ ^üäre eine blo^e Selbfttänfc^ung, inenn
man annehmen wollte, e§ fönne nad) bem SSegfall ber 5ßorou§fe|ungen
on jener 3(nfid)t bennodj fe[tgefjatten werben. ®qB aber bie entn)idetung§=
gef(^id^tlid)e Setradjtnng aU norübergeljenbe 9Jiobe, wie einige meinen,
wieber üerfdjWinben werbe, ift wenig gfanblid); fie mag no(^ mand)e
SSanbtungen burd)§nmad)en l)aben, aber ber ant^ropomorpfjijdje St§ei§=
mu§ wirb, jo fange wifjenfdjaftlidje Snterejfen 2(n§f(^Iag gebcnb bleiben,
if)r !ein ©ebiet wieber abgewinnen.
@g ert)ebt \id) nun bie 3^rage: welche unter ben beiben übrig
bleibenben !o§moIogijd)en 33or[tel(ungen oerbient ben S^or^ug ? Sntfprid^t
ber 2(tomi§mn» ober ein pant()ei[tijd)er SJZoni^mug hm jtf)atjadjen beffer?
Sn weiten Greifen t)errfd)t gegenwärtig bie ^tnfid^t, baB ein
materiaüftifd^er 5(tomi§mu§ bie burd^ bie SSiffenfdjaft un§ aufgenötigte
SSeItanfid)t fei, 2)uvd) 5)arwin fei bie einzige i^m bi§f)er anfjangenbe
(Sd)Wierigfeit befeitigt; e§ ftelje je^t ber ^onftru!tion ber 2Be(t au§
Sltomen !ein Wefentüd^e§ -giinbernig ntefjr entgegen. 33ei STnfiängern
unb ©egnern Sarwin§ ift biefe SJJeinung öerbreitet: bie SSorauSfe^ung
ober bie Ie|te gofgerung au§> feiner ^Betrachtung fei bie öntbe^rlid^feit
@otte§ ober eine§ (Sin^eitSprin^ipg, fei bie (Srftörbarfeit ber SSirflid^-
!eit au§ ber naturgefe^üdjen SSed^felwirfung ber Steile.
^d) t)alte ha^ für einen Srrtum; burd^ bie GntwidelnngSle^re
wirb eine atomiftifdje 9J?etap^i)fif Weber öorau»gefe^t nod) begünftigt.
©ie !^at übertjaupt feine fo enge Segiefinng jnr 9)Zetapf)i)fif, al§ üorauS-
gefegt jn werben pflegt; fie ift, wie jebe Grftärnng befonberer ^^at*
fad)en, mit einer ibealiftifd)^pantf)eiftifd)en S(?etap^i)fif fo gut öerträglid^,
wie mit einer materiatiftifdj=atomiftifd)en. Sie (Sntfdjcibung jwifdjen
biefen beiben formen ber SBeltanfdjanung ift oon allgemeineren @r=
wägungen abtjängig. Unb biefe fi^einen mir nun nic^t barauf I)in-
gubeuten, ha^ bie Söfung be§ SSeIträtfeI§ in ben 3(tomen ju fud;en ift;
t)ielme()r finbe id) mid^ oon allen Seiten auf bie anbere §tnfid)t l^in=
gewiefen. ^d) beute bie Erwägungen an, bie für midj beftimmenb finb,
216 I. 93uc^: 3Jlttap^t)\il 2. Äapitel: ®o§ foSmoIogt|c^4^eoIogtyc^e «Problem.
of)ne für fie bie £raft gtüingenber 33eiüeiie in ^Infpruc^ gu nehmen.
5rie 3eit bürfte überhaupt üorüber fein, lüo man glaubte, mit logijd^en
2)emonftrQtionen bie 91otit)enbigfeit biejeS ober jene» 2Se(t6egriff§ au§=
mad^en ju fönnen. 5)ie Setüeife für bie le^en ©ebanfen über bie
^inge tüerben im mefentlicfjen barauf f)inau§fommen, baB man jeigt,
tük bie 2^f)atiac^en auf einen fotc^en SlbfdjIuB unferer 33erfu(f)e, fie gu
fonftruieren, f)inn)eifen ober gleic^fam gegen jene ©ebanfen fonoergieren.
— SSorau§gefe|t bleibt {)ier iia§i (ärgebni§ unferer ontologifc^en Se=
trai^tung. (Sie führte un» ju ber Überzeugung, bafe bie materiaüftifd^e
5(nfic^t jur Söegreifung ber 2SirfIicl)feit nic^t ausreiche, oieImef)r an=
genommen werben muffe, ha'Q bem ^^t)fifd)en überall ein ^ft)d)iid}e§
entfpredje ober §ur ©eite ge^je. S3orerft aber ftellen mir un§ auf ben
@tanbpun!t ber pf)t)fif(f)en 33etracf)tung.
Sd^ erinnere äunödjft baran, ha'^ 5{tome nid)t gegebene Xf)atfad)en
ober Dbjefte finb; fie finb nid^t ©egenftanb mirfüdjer ober oud) nur
möglid^er 33eobad^tung. ©egeben finb bie Körper ober oielme^r bie
eint)eitlid)e Äörpermelt; biefe löft ha§> S)enfen ^unädjft in einzelne ®inge
ober Körper auf, bie a(§ einf)eit(i(^ bemegte ober ruf)enbe fid) bar=
ftellen. 2^ie Körper verfallen mieber in STeile, ein ©tücE treibe läBt
fid) in ©tücfe bredjen, in Staub gerreiben, of)ne hafi ein ©nbe ber
^eilbarfeit erreicht märe; bie Cualitöt ber Xeite bleibt babei bie g(eid)e
mie bie bee ©angen. (Sobann aber löfet fid^ biefelbe treibe aud) in
ungleidiartige Steife ^erlegen, in bie d)emifd)en (SIemente, Äalf unb
5iot)(enfäure, unb biefer mieber in ßof)Ie unb Sauerftoff. 2(uf ha^^ S(tom
al§ ein empirifdf) aufjeigbareS Cbjeft fommt man aber aud) fo nid^t.
3)er Segriff be§ 5{tom§ ift lebiglidj al§ ein ^ülfSbegriff gur tonftruf=
tion p{)t)fifalifd)er unb d)emifd)er XEiatfadjen gebitbet morben; er be-
zeichnet ben (e|ten ^^unft, ben bie analijfierenbe 3?etradE)tung be§ ßt)e*
miferS bisher erreicht !^at.
S)er metap^tififd)e 2(tomi§mu§ nun !el^rt bie (Bafi)t um; er be-
l^auptet: ber ßnbpunft ber 2{noIt)fe ift ha§^ ßnbe ber Singe ober alfo
üielme!)r ber erfte unb abfolute Anfang ber 3SirfIid)feit; bie 2Be(t ift
Zufammengefe|t an§ SItomen, au§ abfolut un^erftörbaren unb abfotut
felbftönbigen f leinen ßörperd)en.
Sa§ ift nid^t metjr beredjtigt, al» menn jemanb bäd)te: S3ud)=
ftoben finb bie erften abfolut felbftönbigen Urbeftanbteik, au§ benen bie
6. Unäulänglid^teit einer atomiftijc^en 9Jietap;^Q[if. 93egriff ber 3Bec^fetiDirfung. 217
9flebe äufammeiujefelt ift. SSieüeicl)! [teilt fic^ in bem 5topf eme§
Änaben, ber eben bie loteinifdje ©vammatif git erlernen begonnen I)at,
bie ©adjc jo bor: bie loteinifcfie Spradje beftet)t, n^ie jebe (Sprache,
ans Söörtern, bie SBörter Qn§ (Silben, bie ©Üben an§ Suc^ftoben,
unb biefe finb olfo bie n)irfürf)en legten Seftanbteile, gteicfifam bie
§ttome, au§ benen bie @prad)e ^njammengeje^t i[t. — |>ier bebarf e§
nnr ber S3efinnnng, um ba§^ ^atfc^e ber SSorfteUung ^u er!ennen. Sn
2öa^rf)eit ift natürlich allein bie (ebenbige Ü^ebe; SBiJrter, ©üben,
Suc^ftoben [inb 5tb[traftionen, bie a(§ folc^e in ber SSirfIirf)!eit nic^t
üorfommen. S)er ©rammatifer gerteilt bie Ü^ebe in einzelne SSörter
unb Saute; bie Sefcf)reibung !ann nicf)t ha§> ©ange auf einmal geben,
fie gerlegt e§ ba'^er unb lä^t bann au§ ben Seilen alImä()Ud^ ha^
®an§e entftetjen. Stber in 2öirflid)feit ift e§ natürlid^ nicfjt fo; bie
(Sprarf)e f)at nic^t bamit begonnen, \)a^ man erft eingetne Saute ober
93ucf)ftaben fprad^, a unb b unb c, bann fie gu ©itben unb 3Börtern
jujammenfaBte unb enblic^ bie SSörter jum ©o| an einanber fügte,
©onbern bie ©pracfje ttjar immer nur mirflid) im ßufammen^ang
lebenbiger Siebe; nur in ber grammatifct)en Betrachtung finb Bu(f)=
ftaben unb SSörter ettua^ für ficf) feienbe^, tonnen bodj bie 93u(i)ftaben
gröBtenteitö nid[)t einmal für fid) gefprod)en werben. Unb ganj baSfelbe
gilt aud^ öon bem (Seelenleben. Sind) t)ier tommt ja bie SOZeinung
nor, al§ fei e§ etmaS au§ S^orftellungen, ©mpfinbungen, @efüt)Ien,
at§ ben felbftänbigen (gtementen, ßufaminengefe^teS. 5Iud) ^ier ift biefe
Söorfteüung abfurb; in 2ßirfüd)teit ift allein ba§ eintjeitlidje ©ange, ta^^
nur öon ber ^ft)d)otogie für bie Setrod}tung in einzelne ©eiten unb
(Stemente jertegt mirb. Sa mon !ann meiter ge^en unb fagen: uid)t
einmal bie (Sinselfeete ift aU ein (SelbftänbigeS gegeben, gegeben ift
ba§ ©efamtleben unb in if)m ba§ (Sin.^ellebeu al§ ein SCeil ober @Iieb.
9Jlan !ann e§ in ber S3etrad^tung ifolieren, aber man !ann e§ nid)t
at§ ein urfprünglid) fetbftönbige§ ©lement in ber SSirflic^feit antreffen,
um au§ ber Bereinigung Bieter ein ®an§e§ jufammengufe^en. (So
meinte ber atte 9fiationaIi§mu§ : ba§ Bolf ein 5?ompofitum üon Subi=
üibuen. Slber 5triftoteIe§ t)at and) f)ier rec^t: ba^ ©ange ift üor ben
Seiten, bie Seite finb burc^ ha§> ©anje.
9^un, eben bagfelbe gilt auc^ in ber pf)t)fif(^en SSelt: ha^ 3ttom
ift ein Stbftrattum, mie ber Budjftabe; \o ttjenig al§ biefer tonimt e§
218 I- S3ud^: 2Ketap:§^fiI. 2. Äa^jitel: S)a§ !o§mologiid^4^eoIogifd)e ^ßroblem.
allein unb ijoliert in ber 2Bir!Iid)!eit üor; \o iüenig als ein ftummer
^onjonant, ift e§ ein für \xd) ejiftierenbeS ober ejiftenäfii^igeS Objeft.
Wan nerfud^e bocl), e§ qI§ foId)e§ üorsuftellen. 3Sie fiet)t e§ au§?
S[t e§ au§gebef)nt, n^ie ein Siörper? 33eja!)t man mit bem antifen
5Itomi§mu§ bie ^rage, \o ergiebt fic^ jogteid^ bie g^olge, ha^ e§ teil*
bar i[t. 2Sa§ an§gebet)nt ift, ha§> f)at Xeile, bie anfeer einanber finb;
fo liegt e§ im 93egriff, ob tt)ir bie STeilnng üoIl5iet)en fönnen ober
nic^t. Sann ift e§ aber au(f) nidit ein metap{)l)fifdj Ie|te§ ein{)eitlid)e§
SBefen, fonbern gan^ in bemfelben ©inn mie ber Körper §ufammen=
gefegt. — S^iimmt man bem Sttom bie 2(u§bef)nung, fe|t man e§ bem
^nnft gleicf), luie e§ bie mat^ematiftfie ^fjt)fif für if)re ^Xütdt tt)ut
unb t^un mog, fo er!)ebt fic^ für ben materiaüftifd)en 9)ietap^t}fifer,
ber i)a§> Sttom §um abfotuten SSeltprinjip machen lüill, bie üerlegene
grage, ttjorin benn fein SSefen beftet)e? SBa§ ift ein feienber ^un!t?
@agt man: ein @t)ftem oon Gräften, fo voivh i^m bamit, öon anberen
<Srf)iüierig!eiten abgefe^en, bie ©elbftänbigfeit genommen, ©ine ^raft
ift nur ttjirflid^, fofern fie mirft; SSirfen aber fel^t öoranS ein
anberes, auf hü§^ gert)ir!t lüirb. Dfjue bie§ anbere fann beiunad) hü§>
Ä'raftatom meber ha fein nod^ begriffen merben. — Unb morauS beftef)t
ber leere 9?aum gmifdjen ben 5(tomen? — äöenn man öerfnc^t, auf
biefe ^^ragen fid) eine 5(ntmort gu geben, Ujirb man oietleidjt finben,
bafe bie 5tu§funft ßantg, bie ^ontinuität§t)t)pot()efe, metdje ben S^taum
fontinuierlidj, luenn audj mit nerfc^iebener ^ntenfitöt erfüllt fein lö^t,
UjenigftenS geeignet ift, einer Üiei^e fet)r luftiger g^ragen ein (Snbe §u
machen. Sluf jeben g^all aber mirb man fic^ überzeugen, baB e§ mit
ben Sltomen, fo einfach bie ©adje anfangs au§fiel)t, boc^ nid)t fo glott
abgemad)t ift. @ie Ijaben iljren guten ©ebraud) al§ S^onftru!tion§=
l)ülfen in ber ^^ijfil unb d^emie, unb biefe mögen fid) i^ren S3egriff
äured)tlegen, mie e§ i^ren ß^^^ct^" ongemeffen ift. Stber üon Atomen
ül§> öon ben gegebenen legten, felbftänbigen Elementen ber 2Bir!(id)feit
§u rcben oermag nur, mer oljne über bie <Baii)t nadjgebadjt gu ^aben,
fid^ öon einer ber S(nfd;auung fid^ einfdjmeidielnben Slnalogie leiten
lä^t: mie eine Wlantx an§> ^ka,d\tmmx befielet, fo befielt ein 3i^9ct=
ftein mieber au§ Heineren ^i^Ö^^fleinen, bi§ man julel^t auf le|te
ßiegelfteine fommt, bie fo Hein finb, bafi e§ fic^ nid)t mel^r ber äJJülje
öerlol)nt, über i^re 9iatur fic^ ben ^opf gu jerbred^en.
6, Unsulänglidjfeit einer otomiftifd^cn SÄetapi^tjfif. 93egriff ber SEßecl^feliüirfung. 219
Sei) erinnere t)ier an eine 53etracf)tnng, bie ber 9JJetapIjt)[i!
^o^e§ geläufig ift: 2Bir!Ii(^!eit !ommt bein ©in^etnen nur in ber
©efamtfjeit ber Singe ju, inoronf t§> tt)ir!t unb luoüon e§ leibet.
Sie gemeine S3or[teIIung meint "öa^ einzelne Sing ot)ne 9lüdffi(f)t auf
jeine Söirfungen für fid) fetten ju tonnen. Sa§ ift eine Säufd^ung;
ein Sing, bog nicfjt mirft, ift nid;t; nur a(§ ©lieb be§ ©anjen \)at
e§ 2Birf(ict)!eit; 235ir!(id)feit bebeutet für e§: in QSejietiungen be§ 2Sirten§
unb SeibenS ftetjen. —
(Sine jmeite 33etrad^tung, bie auf basfelbe ^ki füt)rt, get)t oon
bem 93egriff be§ SBirfenS unb Seiben^ fetbft au§. Ser gejunbe
9}?enfc^enüerftQnb braudjt biefe 93egriffe täglirfj, oI)ne fonberlidje
©djiuierigteiten barin gu finben. (Sr ftellt fic^ bie ©adje etwa fo oor:
gum SBirfen unb 2eiben get)i3ren ^mei Singe, bereu jebe^ feine 2öirf(i(f)=
feit für fid) tjat. 9(ber nun gefcl^iet)t e§, boB e§ ungeadjtet feiner
©etbftänbigfeit eine SSerönberung feine§ ßuftanbeS crfäf)rt, bie ni^t in
if)m felber begrünbet ift; njir fagen : e§ erleibet einen CSinflu^, ber mn
au^en, oon bem anberen Singe tjerfommt. Unb ebenjo übt e§ feiner=
feit§ ouf \)a^ anbere (SinftuB au§.
(S§ ift öon jeljer \)a§i ©d^idfol ber ^^ilofop^ie, an bem 5(nftoB
gu nehmen, tt)a§ aüer ^elt gan^ unanftöBig unb einleudjtenb ift,
nodum in scirpo quaerere. ©0 fragt fie f)ier: n)a§ t)eifet ha^ bod^
eigentlid), einen (Sinflu^ üben? S[Ran fagt: ber 9JZonb übt einen
ßtnfluB auf bie (Srbe, er gietjt 5. 23. bie ©ettjöffer be§ 0§ean§ an fid^
unb beluirft baburd; bie ©rjdjeinung üon @bbe unb g^lut. SBag ge=
fd)iet)t ^ier? löft fid) öon bem SDfonbe etraaä üh, fd;mimmt burc^ ta^
Seere f)inüber jur ©rbe, f)ängt fid) an bie SSaffcrteile be§ 9}?eere§
unb t)ebt fie bem SO^onb entgegen? ®et)t oon bem 9J?onbe ein 2(u§fIuB
au§, ber, nad^ allen (Seiten gIeid)mäBig fid) aulbreitenb, ben ütaum
erfüllt unb gleidjjam abjucl)t, unb loo er einen Ä'örper, groB ober flein,
antrifft, fid) alsbalb an il)n l)ängt unb il)n gegen ben SRonb äiel)t
ober ftö^t? Ober inie f ollen mir ba§ 53orfid^gel)en ber (Sinmirfung
fonft üorftellen? Sft ber SDioub mit ber @rbe, ift jebe§ 9)?affenteild)en
mit jebem anbern burd) ein unfidjtbare» ©eil ober 53anb oertnüpft,
moburd) e» ba§ anbere ^u fiel) 5iel)t? — 9iun, oon aüebem mei^ bie
^l)l)fit gar nichts. 2Ba§ fie un§ tt)irflic^ fagt, menn fie bie ^lut=
melle eine SBirfung ber Sln^ie^ung^traft be§ 9JJonbe§ nennt, ift bieg:
220 I. 93u^: 3Ketapf)^ftf. 2. topitel: 5)o§ fogmologtfd^-ttieologif^e Problem.
bie Bewegung ber SSaffermaffen, bie lüir ^lut unb (S6be nennen, tritt
regelmäBig mit regetmöBigen S^eränberungen ber Stellung be§ 9}ionbe§
jur (Srbe ein: fie entjpric^t nad) gorm unb ©rö^e ben gallbemegungen
auf ber @rbe. Unb gang ebenfo fagt ber ©a|: alle 9J?affenteild)en
graöitieren gegen einanber, nicljtS ol§ bie§: njann unb wo immer §tt)ei
SOiaffen in einem beftimmten räumli(f)en $ßert)ältni§ ju einanber [teilen,
ha finbet ouf beiben Seiten eine üon ber ©rö^e ber äJJajje unb ber
(Entfernung abhängige 2;enben§ gur S3en5egung gegen ben gemeinfamen
©d^merpunft [tatt. Unb enblid^, ber (Sa|: A unb B ftel)en in
SBec^felroirfung, ^ei^t: mann A in ben ßuftanb a eintritt, bann tritt
B in ben 3uftcinb b ein unb umgefe^rt. Ütegelmöfeige unb
fpontone ^itf'i^^n^^^ftimmung ber SSeränberungen
0 n ö e r f cf) i e b e n e n fünften ber SB i r ! l i cf) f e i t , taS^ ift
alleg, ma§ mir oon SSecl)felmirfung miffen. ^on ^uSflüffen unb
(Sinflüffen, öon 58änbern unb SSerfnüpfungen, öon 9lötigung unb
3mang ift tjier gar feine Stiebe.
^ßielleic^t ermibert ein $l)t)filer: e§ mag fein, bafe in bem ge=
mäl)lten 93eifpiel bie (Sacfie fo liegt; mir fönnen, menigften§ einftmeilen,
bie (Srat)itation§erf(f)einungen nur befd^reiben unb matliematifd) formu=
lieren, nictjt aber erflären; boc^ mag bie ß^it fommen, mo aud^ eine
©rflärung ber Grfcfjeinungen au§ Urfad^en möglidj mirb.
®ut, nehmen mir an, bie ßsit fei ha; e§ fei gelungen, bie an=
fcfjeinenb unüermittelte gernmirfuug ber ©raöitotion auf eine belannte
^orm ber 9Za^mir!ung gurücfgufüliren, fagen mir, um Qk'iä) ha^ le^te
3iel naturroiffeufdjaftlic^er (Srflärung gu nehmen, auf (Stofe ober S)ruc!:
müBten mir bann, ma§ gmifc^en ben bei ber SBir!ung beteiligten
Körpern nor ficlj ge^t, auBer ber gufammenftimmenben $8emegung?
Sa miire auc^ nur bie öielen ^l)t}fifern fo tierl)afete gernmirfung be=
feitigt? ©ine bemegte ^Bitlarbfugel trifft eine rul)enbe unb überträgt
auf fie, mie mir fagen, bie eigene 93emegung. (Sel)en mir l)ier einen
(SinfluB übergel)en, fe^en mir bie Semegung überfpringen? $8erül)rt
etma je ein Sltom ber bemegten ^ugel je eine§ ber anbern unb über=
giebt it)m babei feine Semegung? Slber bie kugeln berühren fid^ ja
bloB mit einem gang fleinen 2:eil i^rer Cberfläc^eu. Soft fid) alfo
etma oon jebem Sltom feine Semegung ah unb manbert, immer auf
ein nädift angreuäenbeS überge^enb, in ber 9^i(i)tung auf ben S3e-
6. Ungulängtic^feit einer otomiftifc^en 9Ketap^t)fif. 93egciff ber SBecf)feItt)irIung. 221
rü{)rung§pun!t beiber 33äQe biirc^ ben Körper be§ erften ^inburd^ unb
breitet fic^ bann ebenfo über ben glreiten au§, hi§ jebeS 33ett)egung§*
dement lüieber ein 5(tom gefnnben f)at, ba§ e§ nun mit ber i^m eigenen
«Ri(f)tung unb ©efc^ttjinbigfeit fortfüt)rt? ^d) ben!e, e§ ift nidit nötig,
bie ntunberlic^en Sßerlegenl^eiten Quläufüt)ren, in irelc^e eine folc^e
Sßorftellung gerät.
$8ereinfad)en inir nun ben galt noc^ tüeiter; je|en n)ir ftatt ber
beiben Sälle ^mei 5Itome, ein belüegteS, boS burd) @toB ein ruf)enbe§
in Semegung fe^t unb nun felber [tili fte^t. ©et)en n?ir t)ier, n^ie ein
einftuB üon A auf B übergefjt? §at fic^ etn^o bie SettJegung tüie
eine §aut öon bem erften abgeloft unb an ha§: gujeite anget)ängt, e§
mit fortreifeenb? 5lber bie 93emegung ift ja nichts törperlic^eg, nicf)t§
©ubitontietteg, bag fic^ loSlöfen unb für fic^ fein !ann. 2Ba§ t)at
fic^ alfo 5tt)ifc^en ben beiben Sttomen zugetragen? 3c^ ben!e, e§ ift
auf alle SBeije ha§> ©eratenfte, 5U be!ennen: mx Ujiffen e§ nic^t; bo§
einzige, n)a§ wir ttjiffen, ift bie 3:t)atfad)e, ha^ in einem erften ß^itraum
eine Sen^egung üon A ftattfaub, ba^ biefe in einem geujiffen QdU
pun!t, bem ber S8erül)rung, aufhörte, unb bafe gteictiseitig eine gleid^e
SSemegnug öon B begann; enblid), ha^ im gteidjen galt immer bo§
@Ieirf)e fid) äutrögt. 5tber bon einem nieiteren 2Bie be§ §ergang§
wiffen wir f)ier fo n^enig aU bei ber Söen^egungSübertragung §tüifd)en
ben fic^ ftofeenben SiHarbbäHen ober bei ben §immel§fijrpern, bie fic^
auäiel^en unb gegenfeitig if)re $8a^n beftimmen. SSed^felttjirhing ift ein
äßort, ha§^ gar feinen anberen Sutjatt t)at al§: regelmäßig toX'\
refponbierenbe Sßeränberung. 3)er einzige SSorteil, ben bie ^
mecf)anifrf)e Semegung§übertragung üor anberen formen ber SBedjfet«
tuir!ung oorau§ l)at, ift, ba| fie bie un§ geläufigfte unb oertrautefte
gorm ber SSirfung ift; n)ir felbft bemegen unb geftalten bie ^i3rper
burd) (Stoß unb S)rud. 5tn fid) ift fie nic^t oerftänblic^er, in i^rer
inneren 9}ZögIid)!eit unb Sf^otmenbigfeit ober bem 2Sie i^re§ §ergang§
nid)t burd)fid)tiger al§ jebe anbere.*)
*) %a^ fetnmirfenbe 9lnate:^ung§!rnft ganj ebenfo begreiflid^ ober imbegreif»
lid) ift, Jtjie bie Sßirfung burd) ©toB ober 2)rucf, geigt göHner in einer ?lb^onb=
tung über SBirtung in bie gerne im erften 93anb ber raiffenfd^ottüd^en Stb^anblungen.
(Sr beruft fid) auf ^ant§ SJ^etopt). 9lnfong#grünbe ber 9Jaturtt)iff., ttjo bie 9Jlateric
au§ 9tn3iei)ung§' unb S(bftoBung§!räften ertlört wirb, unb ttjo e§ Reifet: „bie urf|)rüng-
222 I- S3uc^: SKetap^tifif. 2. Äapitel: S)a§ !ogmo(o9ifcf)=tf)eoIogti(i)e Problem.
9?od^ bcutli(f)er ift bie Unangemeffen^eit jener falfd^en SSorfteHung
üont l?au]atüerf)ä(tni§, aU ob bie Urjacfje bie SSirfung üor fic^ t)er
ftieBe iinb nötigte, in ber pfi)cf)ij(^en SBelt. 2öir njenben ben £QujaI=
begriff aü6) auf bie SSorgänge be§ inneren 2eben§ an. S<^ ]ef)e ein
S3itb au§> ber .^eimot; e§ fü^rt Erinnerungen au§ ber Sugenbjeit in§
S3eniuBtfein, öefü{)(e ber Söc^mut, ber Seljnjudjt ern)a(i)en, e§ entftefjt
ha§> Verlangen, jene SBett »lieber gu fef)en, unb wirb frfineU sutn
@ntfcf)luB. 5((Ie 2Se(t ift barüber einig, ha'^ n^ir f)ier einen urfäc^-
lidjen ^ujonimen^ang f)aben, ob n^ir itju nun in bie erften unb unauf*
lö^Iic^en eiementar§uiammen^änge aufäulöfen öermögen ober nicf)t.
©icfier ift, bo^ tnir bobei nid)t§ oon S'^vaxiQ unb Slötigung beobod^ten,
womit jebe§ Glement ha§ fotgenbe öor fic^ ^er triebe unb gleic^fam in
bie 2SirfIi(i)feit ober ins S3en)UBtjein fjineinftie^e; fonbern gang fpontan
ftf)IieBt fic^ bQ§ eine an ha§> anbere. (Sid)er ift quc^, baB »ir nic^t
imftanbe finb, bie Sejic^ung als ben!nDttt}enbig §u erfennen; wir fef)en
nur bie 2;^atfad)e: wenn ein fo beftimmter 2Sa^rne^mung§inf)a(t in
biefem SewuRtfein gegeben ift, bann ftfjIieBen fic^ beftimmte 25or=
ftellungSgruppen unb @efüf)Iserregungen an. 2öie es ober bie 3öaf)r=
ne{)mung mat^t, eine Sßorftedung fierüorjubringen, ober wie burd^ bie
93orftelIung ein öefü^I erregt wirb, barüber wiffen wir fd)(ed)terbingg
nichts weiter ju fagen; unb bie ^f)i}fio(ogen mögen ha^ §unbeget)irn
germartern, fo oiel fie wollen, fie werben and) nicf)t§ barüber erfa{)ren.
Sie Xt)atfa(f)e, baB, . wann ha§: eine ©(ement eintritt, auc^ haS^ anbere
eintritt ober einzutreten tenbiert, ift alte§, wa§ wir wiffen.
S)aoib §ume ift ber erfte, ber biefe Betrachtung über ha^
SSefen ber ^aujatität burd)gefüf)rt tjat, unb haS' giebt feiner „Unter*
fuc^ung über ben menfcfjlic^en S^erftanb" bie bebeutjome Stellung in
ber ®ef(^icf)te ber ^f)ilofopl)ie. 3n bem S5er^ältni§ oon Urfad)e unb
SSirfung, fo geigt er, finbet bie einbringenbfte 2lnali)fi§ gar nichts
oon 9?otwenbigfeit, Weber eine 9]otwenbigfeit be§ 2;enfen§, fo ba^
etwa au§ bem Segriff ber Urfadie bie SSirfung logifcl) gefolgert
werben !önnte, noc^ einen B^^^^G' iüoburcf) ba§> wirfenbe (Clement bem
leibenben eine ^ßerönberung aufnötigte; e§ ift überf)aupt !ein S3anb,
lirfie Slnjiel^imgSfrQft ift nit^t im minbeften unbegreiflicher aU bie urfprünglirf)e
Surürfftoßung. ®ie bietet fic^ nur nic^t fo unmittelbar ben Sinnen bar oI§ bie
Unburc^bringlic^feit" (2. §ptft., 2fi)x]ai^ 7. 5{nm.).
6. llnäuIängUd)feit einet atomiftifdien 3Rttap^t)\xl. ^Begriff ber SS^ed^jeltrirfung. 223
feine innere 35erfnüpfnng graifcfien llrjadje nnb 2öir!ung nac^lüei^Bor,
ttjoburd) it)r ^nfönimenljang für \)a§^ S)en!en notmenbig gemadjt ttiürbe.
2l(Ie§ n)a§ xv'iv tt)i[jen, i[t ha§ regelmäßige ßufammen oon
(S r j cf) e i n n n g e n in ber 3 ^ ^ *• — ^ a n t i[t f)ierin mit §ume
einer SQJeinung: ber Snt)alt ber 9(u§fage, ta^ smijc^en jmei ®r-
j(f)einungen ein Urja(i)üer(}ättni§ be[te{)e, ift allein if)r regelmäßige^
ßufammen in ber ßät; nic^t minber entfc^ieben aU §ume leugnet er, ta'^
bog ©enfen qu§ bem Segriff ber Urfad^e bie SSirfung ableiten, ober ba§>
©efe^ ber ^aufalität auf ben (Sa| üom SBiberfprud) 5urü(ifüf)ren fönne.
Übrigeng ift ber ©ebonfe auci^ ber älteren, ber metapi)t)fifd)en
9?ic^tung in ber mobernen ^t)iIofopt)ie nic^t fremb. $8or allem f)at
Seibnij, inbem er bie 2öecf;felmirfung gmifd^en ben 2BirfIid)!eit§=
etementen burd) bie p r ä ft a b i I i e r t e Harmonie erfe^t, im Öjrunbe
benfelben ©ebanfen. ®in Übergong öon (Sinpffen au§ einem ®ing
in ha§> SBefen be§ anbern ift oud^ if)m eine abfurbe Sßorfteüung; bie
SJJonaben finD ni(f)t auSgebe^nte SSefen mit genftern nnb Spüren, burc^
bie „(Sinftüffe" f)inein f parieren !i)nnten. 2öa§ mirüid^ ftattfinbet, ift
concomitance, begteitenbe, forrefponbierenbe S3eränberung: menn
an einem ^unft ber SBir!(id)feit eine SSeränberung fid) juträgt,
bann finben entfpred^enbe S5eränberungen an anberen fünften,
ja im ©runbe an allen anberen fünften ftatt. S)urd) ben Dccafiona=
ü§mu§ mor biefe Sjorfteüung vorbereitet morben; er I)atte an einem
^un!t snnädjft bog „innere 93anb" nid)t finben fijnnen, t>a§> Urfadje
nnb 2Bir!ung öer!nüpft, nämlic^ in bem S3ert)ältni» oon Seib unb @eete.
ßeibnij oeraügemeinert, ben ©puren be§ ©piuojo folgenb, biefe 33e=
tradjtung; er üermirft ben infiuxus physicus nid)t bloß t)ier, fonbern
überall: fpontan ftimmen alle ®inge mit i{)ren SSeränberungen äufammen.
Ober, t)a^ Sanb, \)a§, ämifd)en Urfad)e unb SSirfung ftattfinbet, ift
ni^t ein jufäUigeS unb befonbereS, fonbern e§ ift ha§^ allgemeine unb
mefentlidje Söanb, ha§: alle 2öir!(id)!eit§etemente üerbinbet; fie finb ein=
anber gar nid^t fremb unb äußerlid), fonbern fie finb ©lieber eine!
SBefenS: ©Ott ift ba§ Sanb, ta§^ aüe S)inge mefenttic^ oerbinbet, er
ift bag ^^efen, in bem alle ein§ finb.
Sn unferer ßeit ^at ßol^e biefe ®eban!en mieber aufgenommen
unb ^nm 5tngelpunft feiner 9[Retapf)t)fif gemad)t.*) Wlit §ume befte^t
*) aJiifrofoimoS I, 412 ff., III, 481; @#ent ber 2J{etapt)t)ftf 134 ff.
224 I. 93u(^: SUletap^tjfif. 2. Äapitel: S)al fo3moIogifcf)4^eoIogifc^e <ßrobIem.
er, irenn er auc^ bie 3tnfnüpfung an beffen @mpirilmu§ nic^t fuc^t,
auf ber ßufäüigfeit oHer llrfad)t)erf)ältmffe für unfer 2)en!en, auf ber
Unmöglicfjfeit, ein ^öanb gtüifd^en Urfadje unb SSirfung auf^uäeigeu.
9JJit Seibnig, ben er \d)ä^i unb gern oI§ ^üt)rer anerfennt, jiefit er
au§ biefer Setrad^tung biefelben weit reid)enben Folgerungen. @r
finbet bei ber 5ßorau§fe|ung be§ S(tomi§mu§ bie 2::^atfa(f)e ber SBed^fel*
tt)ir!ung fd)Ied)tt)in uubegreiflid^ unb unfonftruierbar. S3eftünbe bie
3SirfIirf)!eit, njie jene Ztjzoxk annimmt, n)ir!Ii(^ au§ einer S3iel^eit
abfolut felbftönbiger ©ubftangen, bann toäxt bie S^atfac^e be§ 3"*
fammenftimmenS ifjrer SSeränberungen fd^Iec^tf)in unbegreiflich. Sft
jebeS 5ttom, jebe§ äBirflicfjfeitSelement ein ®ing für ficf), in feinem
S)afein unb 2öefen ööHig unabpngig, tt)ie fäme t§> bann baju, mit
feinem 5ßerl)alten nac^ anberen fid) gu ri(i)ten? 2)ann mü&te man
ermarten, ha'iß ein \ttt^ feinen eigenen SBeg, unbefümmert um bie
übrigen, gef)e.
Ober njirb e§ etma huxd) bie 9laturgefe|e genötigt? Stber biefe
finb ja nid)t au^er ober über ben Singen, fonbern in it)nen, finb
(ebigüd^ 5tu§bru(J if)re§ tf)atfäd)Iic^en Sßer^altenö. (S§ nötigt fie tt)irf=
lic^ gar nid)t§, anberg gu fein unb fid^ §u öerf)alten, al§ e§ in if)rer
eigenen 9latur liegt. @§ ift nicf)t bie Sln^iefiunggfraft ber @rbe, nocf)
ba§ ©rabitationSgefe^, ba§ ben äJJonb in feiner 33af)n um bie @rbe
fefttjält, fonbern e§ ift mirfüd) fo ju fagen fein eigener guter Söitte;
luenn er einmal bie Sa^n oerlie^e unb bie STangentiatriifitung ein=
fc^Iüge, e§ tt)ürbe if)m oon ber örbe unb bem ©raöitation^gefe^ nid^tg
gefcE)ef)en. @r folgt lebiglid^ feiner eigenen Statur ober SfJeigung, ttjenn
er bie frummlinige S3a'^n innet)ält, mit beftänbiger Slblenfung öon ber
geraben gegen bie (Srbe. Unb bagfelbe gilt überall, bie 9kturgefe|e
nötigen nirf)t bie 2)inge, fonbern finb SluSbrucf it)re§ fpontanen SSer-
f)altenl. ®ie erüären nid^t, njarum bie SDinge fid§ fo üerf)alten,
fonbern fagen nur mit allgemeiner formet, mie fie fid^ oertjalten.
Sie finb nid^t bie 2öfung be§ 9ftätfel§, fonbern fie felbft finb ba^
Sn ber Xt)at, ber 5ttomi§mu§ foHte fic^ einmal mit 2o|e bie
Furage oorlegen: mo^er fommt boct) ben oielen ©ubftanjen jene @leid^=
förmigfeit beg 35erl)alten§, ba^ e§ auf allgemeine gormein gebracht
werben fann? 3Sarum oerl)ält fic^ nid)t jebe anber§, menn fie boc^
6. Unäulängli^feit einer atomiftiid^en 9Retap^t)ft!. ^Begriff ber 9Be(^felJrtrfung. 225
gänsitcf) unoBl^ängig öon ben übrigen S^ojein unb SSefen !E)Qt? 2)ie
®leicl)fi3rmigfeit fijnnte il^ii auf eine anbete ^orfteUung leiten. SSenn
man über ein ®ebirg§ti)al ^erftreut eine grofee SUJenge ©efteintrümmer
fänbe, bie alle üöUig gleidje 33ejcfjaffent)eit geigten, bann njürbe man
öermuten, e§ jeien 33rucf)[tücfe eine§ ef)emaUgen ©angen. ©ollte in
nnjerem galle etmaS Siljnlic^eg gelten? (Sollten bie anfc^einenb felb»
ftänbigen Seite ber SSelt nicf)t anrf), nun freiüd) nid)t krümmer eine§
et)emaligen ©anjen, fonbern lebenbige ©lieber eine§ feienben einf)eit=
tieften 2Befen§ fein?
So^e gie^t bieje Folgerung. 2Bec^je(iüir!ung unb 9kturgefe|=
mäBigfeit iüeifen barauf I)in, ha^ bie ©(emente be§ 3öetttauf§ fid) nid)t
\o fremb unb fern finb, al§ ber 5ltomi§mu§ annimmt. 93erftänblid)
h)irb bie uniüerfeüe 9^üdfid)tnal)me aller auf afle im ©runbe nur
bann, menn njir annehmen, fie alle finb ©lieber eine§ einf)eitlid)en
2öefen§, einer einzigen (Subftanj. ^m organifc^en Körper fommen
feine ifolierten ^öeränberungen oor, jebe SSeränberung an einem ^unft
forbert !orrefponbierenbe 33eränberungen aüer übrigen Steile. @o ift
aud) bie SBelt ein ein{)eitlidje§ ©tjftem, bol nirgenbS ifolierte 53or*
gonge gutäfit, jeber fte^t in 53e5ie^ung ju atten übrigen, ift bie an
biefem ^un!t erforberte 2;eiloeränberung gur ©efamtüeränberung be§
©anjen. SIennen mir ha^ ©ange, ha§: 5tn=eine, mit ©pinoga ©Ott,
fo gefd)ät)e alle Söedjfelmirfung in ©ott, inbem bie Seujegung an jebem
^un!t feine» SBcfen§ mit ber aller übrigen §ufammenftimmte gur ein=
tieitlid^en ©efamtbemegung.
©0 fü^rt bie 2l)atfod)e ber uuiöerfellen SSed^felmirtung, menn
man il)r nadjgel)t unb bie Segriffe ju (Snbe ben!t, auf ben ©ebanfen
ber einl)eit ber äBirflidjfeit: e§ giebt nur ein einheitliches SBefen,
mit einer einf)eitlic^en unb in fid) äufammenftimmenben ^öef^ätigung;
bie einzelnen Singe finb nur 9}Jomente feines SßefenS, i^re burd)
SBec^felmirlung beftimmten Settjätigungen finb in SBirHid^fcit 2lnS=
fd)nitte au§ einer einljeitlic^en ©elbftbemegung ber ©ubftanj. Ober
in ^'antifd)er SRebemeife: bie allgemeine 2G3ec^felmir!ung im mundus
sensibilis ift uuitas phaenomenon, ber eine unitas noumenon ber
©ubftanj im mundus intelligibilis entfprid^t.
dürfen mir nun, biefe 33etradjtung mit bem Ergebnis unferer
ontologifd^en Erörterung, nad) ber alle S^orgänge in ber ß'örpermelt
«^aulfeii, eiiileitung. 6. 2UifI. 15
226 I- S3ud): S[Wetap^t)[if. 2. Kapitel: SDa§ !o§ntologijd)4^eoIogiid^e Problem.
ekn fo öiele ^inttjeife auf innere SSorgänge finb, oerfnüpfenb, in ber
@inl§eit aller fo§mifc§en 53en3egungen burd^ SBed)feItt)ir!ung eine ©pie=
gelang ber inneren ßufammenftimmung be§ ein^eitlid^en Innenlebens
eines geiftigen 5tn=®inen erbtiifen? SSir f)ätten bann bie 3Infc^auung,
tt)et(f)e mit bem S^amen ^antt)ei§mu§ bejeic^net n^irb; man fann fie
and) SJionotl^eiSmuS im [trengen ©inn be§ 2öort§ nennen: ©ott
allein ift; alleS nja§ ift, ift burd^ ®ott, unb in @ott.
(S^e \d) biefe ^rage ju beantmorten üerfurfje, get)e ic^ gnöor
auf ha§: SSerf)ä(tniS öon ^aufaütät unb ginaütät mit einigen S3e=
merfungen ein.
7. ^aufalttät unb %malität
@S mürbe fd^on oben (@. 168) bemerft, ha^ bie Slblef)nung
be§ ant^ropomorpljifcf^en 2;f)ei§mu§ unb feiner (SrHärung be§ 92atur=
laufS au§ Stbfic^ten nid^t gleic^bebeutenb fei mit ber 2lblef)nung einer
teleologifc^en 3Bettanfcf)auung. Qnbem mir biefe Betrachtung ^ier
mieber aufne{)men, frogen mir guerft: moburd^ ift übertjaupt ein ß\i=
fammen^ang oon Stementen al§ ein teIeoIogifdE)er c^arafterifiert? ®a§
2öort felbft fagt: baburd^, ha'^ i§re Slnorbnung ober Semegung a(§
ouf ein 3^^t (reAos) gerid)tet fid^ barfteüt. 5II§ ^id aber betradE)ten
mir ben ©rfotg ber SInorbnung ober S3emegung bann, menn ein äßille
auf if)n gerichtet mar, öon bem fein Eintreten autf) mit Sefriebigung
empfunben mirb. .^injujufügen ift babei erftenS, bafe ber faufate
3ufammen{)ang ber ©(emente nid^t auSgefd^toffen, fonberu öorau§gefe|t
mirb; jeber teleologifc^e 3ufo"^"^^"^ö"9 ^f* SUfl^^ic^ ein faufater.
3tt)eiten§, ba^ 5tbfic^tlicf)feit in bem S3egriff ber g^inaütöt nid^t ein=
gefrf)(offen ift; e§ ift nic^t notmenbig, baB ba§ ßizi öorf)er in ber
SSorfteKung ift, unb ba^ bie Semegung nacf) einem fertigen ^$tan
gefd^iel^t. 33on einem geiftoollen 9^aturforfd£)er ift für biefen S3egriff
ber ßtt^'ScEi^öligfeit o^ne Slbfic^t bie 93e5eic§nung ^^^U^i^^^^G^ ^^t
gebitbet morben.*)
®eut(itf) liegt t)a§> SSefen teIeoIogifdE)er ßufammen^änge in ben
Sßorgängen beS Innenlebens ju 2age, unb "fiier ift i^r eigentlirfier
*) t. e. ö. 93a er, ©tubien au§ bem ©ebiet ber Sloturmffenfd^aften (1876).
^n mel)reren gebanlenretc^en Stbfjanblungen tüirb f)ter bie „Xdeopfjobit" ber
mobernen li)?aturforid)ung befäm^jft, unb bie Unöermeibtid)!eit teleologifd^er Se«
traditung ber orgonifdien SOBelt gegeigt.
7. taufalttät unb ginalität. 227
Drt. %ü<i) bie feetijc^en 3Sorgänge fte^en in faufater Segiefjung §u
einonber. (5ine 2Bal)rnef)mung, eine 33orfteUung ruft eine anbere
$8or[teIIung ^eroor, if)r Eintreten ift Ur]ad)e be§ öintretenS ber jn^eiten;
eine ©efü^Igerregung, ein S^erlangen beftimmt bie 5(ufmerfjamfeit unb
giebt bcm SSorfteüung^ablauf eine anbere SBenbung. 5(ber berfelbe
93or[telIung6lQuf ift sugteirf) teleologifcf) beftimmt; bie S(ffociation§*
projeffe füf)ren gu einem (Srfotg, ber in ber 9fticf)tung bei SBiüenS
liegt, ju einer Ü^ei^enbitbung, bie öon i^m at§> eine finn= unb n)ert=
ooüe mit Sefriebigung empfunben mirb. 2)obei i[t bie§ 3*^^ ^^^)^
öorfjer in ber S^orftedung, menigften§ nid^t all ein fertig aulgebad)te§,
bo§ bann nadjträgüc^ in bie SSirftic^feit gefegt mürbe. @in Sau=
meifter entmirft ben ^^(an eine! ^aufel; nad)bem el auf bem Rapier
fertig ift, führen el bie 9)?aurer unb ß^^t^^i^^^ ^QcE) ^^"^ ^^o" "^
§oIj unb Stein au§. ®er ^lan felbft aber ift nic^t mieber nac^
einem üor'fier fertigen ^tan gemacht morben; bennorf) ift bie geiftige
5(rbeit bei ^aumeifterl natürlich fo gut mie bie ber ^anbmerfer
teleologifc^ bebingt. ©in SRebner f)ölt eine Üiebe; er ift angegriffen
morben, er miU fid) oerteibigen unb ben ©egner üernid^ten; nun f tiefen
bie ©ebanfen, bie Slrgumente if)m ^u; bie ©leid^niffe unb 9Rebe=
menbungen, bie (Stic^mörtcr unb (iitate, bie 53olf)eiten gegen hm
©egner unb bie ßiebenimürbigfeiten gegen bie §örer fteöen fid^ ein
mie üon felbft. G§ ift ha§i $8anb ber Slffociaticn, an bem jebel
ooraulgef)enbe jebel nadjfolgenbe ^erbeigiefit, aber oon taufenb möglid^en
affociatiöen 3>erbinbungen erroeift fid^ in jebem 5lugenbü(f bie mirffam,
bie jum ^kl fü^rt. So ift ber gan^e ßufammenfjang ber 9^ebe 5U=
gteic^ !aufal unb teleologifd) bebingt; ber Söiüe giebt ^ule^t bie 9iid)tung
unb empfinbet ben gelingenben 33er(auf mit lebhafter 33efriebigung.
9]id)t überall ift ber Sßorftetlunglüerlauf fo jielftrebig, mie t)ier; el
giebt aud^ oage, ^ieflofe 5(ffociation§bemegungen ; im STraum, in ber
©eifteljerrüttung erlangen fie bie ^errfd)aft. 5(ber im gefunben
geiftigen 2eben ift bie Seftimmung bei SSorfteHungltaufl burc^ ha^
3ttiedfnotmenbige überall fic^tbar.
3n jebem geiftigen ©anjen t)aben mir balfelbe 3"ifli"J"^" öon
urfad)tic^er unb teleologifc^er Sejiefjung ber Elemente. Sn einer
3(rgumentation, einer 2)id)tung ift jeber 2;ei( ein pm ©anjen, §ur
5(ulfü^rung ber Sbee ^Jiotmenbige», ift an feinem Drt ein ti vno-
15*
228 I. 33ud^: Wlitap'i)^\il. 2. tapitel: 2)a§ !o§inoIogijc^=t^eoIogii(^e Problem.
■dsosojs dvapiaiov; gugteic^ ift er ein burd) affociatiüc SSerbinbung
SSerurfad^teg. ^aujote ^ebingt^eit unb innere, ä[t()etifd)e, logijc^e
9lottt)enbig!eit getjen jujommen. ®nrd)lQuft man bie 9ieif)e öon öorne,
fo fie^t man, n)ie jebeg ©(ement jebe§ nadjfolgenbe f)er6eifüf)rt.
S)nrd)tänft man fie in umge!ei)rter Sf^eiljenfolge, nom önbe ^er, \o
fie^t man, föie ber 5lu§gang alles üoranfgetjenbe, bi§ §um Anfang
6ef)errfd)t: ha^ 2)emon[tranbnm befjerrfdjt ben @ang ber ganjen
2lrgumentation, ber 5Iu§gang be§ SDramaS n)ir!t fd)on auf bie (5j|30=
fition. (So ift ha§> Setzte gugleid; bo§ ®rfte, üon bem bie S3ett)egung
antjebt, haS' TeAog ift, mit 5lriftoteIe§, gugteic^ ha§: ödsv i) uivr^öig;
üon it)m angezogen, ftredt fid^ allcl i ^ m entgegen. 9^id;t burd^ @to^
öon hinten, fonbern burd) fpontaneS (Streben i\m\ ßiel !ommt im
geiftigen ßeben bie 93en)egung juftanbe; "^a^ ßiel aber ift nid)t \>a%
önBerlic^e (5nbe, fonbern ha^ üermir!Iid)te ©an^e, bie öoüenbete
@inf)eit ber S)id^tung, ber 33en)ei§fü^rung, ber Sflebe, ift bie @nteled)ie
be§ S(riftoteIe§.
S)a§felbe, voa^ öon einzelnen geiftigen ©rgeugniffen gilt, gilt
oud^ öon bem Seelenleben al§ ©angem. (Sin gefunbeS äJZenfdjenleben
bilbet ein in fid) gefdjloffeneS ©angeS, eine finnöotle ©infjeit; e§ ift
nid^t eine Sfteifje öon ßufällen, nidjt ein med)anifc^e§ ©efdjiebe üon
93emuBtfein§elementen, fonbern eine burd^ innere 9lottt)enbig!eit üer=
bunbene üielgtiebrige @inl)eit, ä^nlid) einer üielftimmigen nnb üiel=
teiligen S^onbic^tung. SBtr !önnen iüol)l nidjt jebeg (Slement al§ ein
teleologifd) notloenbigeS fonftruieren, mie tt)ir e§ in einer 3)idf)tung
!i)nnen. ©§ greift ein, n^aS tt)ir ßufaH nennen. Stber tt)ir fönnen
nidjt um'^in, ba§ ©anje fo gu betrachten; jeber S3iograpl) fie^t ha^
Seben feines .g)elben al§ ein burd) innere, öerfteljbare SfJotmenbigfeit
üerfnüpfteS (S^angeS an; jebem ftellt bie eigene (Srinnerung feine SSer=
gangen^eit unter biefem ©efid^tSpunft bar. Unb in jebem Slugenblicf
empfinbet ber Sebenbe ha^ Seben al§ ein fidj ftreden nad^ bem, maS
üorne ift. 9^ic^t burc^ fd^ieben unb flogen üon l)inten gefdjie^t bie
93eroegung, fonbern gleicEifam burd) ein gejogen lüerben gum ^\z\.
2)a§ 3iel aber ift bie Erfüllung ber Sbee. ®a§ Silb be§ Warnte
ift in ber @eele be§ Slnaben bie üerborgene S^riebfraft, bie bie @nt=
faltung be^errfdit; bie Sbee eineS Seben§tüerfe§, bie fid) felbft erft in
unb mit bem ßeben entfaltet, giebt ber Sfiätigfeit be§ HJJanneS 9ftic^''
7. Äaufalität unb ginalttät. 229
tiing unb ^raft. 3^^t[^i^e6igteit ift ber ef)ara!ter alleS gejunben Seben§.
Unb baSfelBe gi(t and) üon bem 93oIf§(eben. 5(ud) biejeS Bewegt fic^,
nicf)t burc^ 2)ruc! ober @toB gefcfjoben, jonbern angezogen üon einer
Qbee gteic^fam feiner üonfommenen ^öilbung. 9Jicf)t fo, ba^ eine ein=
facfje, burd)jid)tige, in allen gteid)artig öorf)anbene ^ßorftellung fie 6e=
ftimmte, fonbern im lebenbigen 3Sec^fe(fpie( monnigfadjfter S3e[trebungen
ttjirft \\d) \)a§' SSefen be§ ffiolfeg au§; aber in allen ift eine ^bee ba§>
buxd) ^tn^ie^nng Sen^egenbe, in oöen ift irgenbiüie bie jufünftige
53ilbnng bei !ißoIfe§ gegentPörtig. ^öe ©ruppen, alle Parteien erblicfen
in bem grauenben 9JforgennebeI ber ^^^^""ft unbeftimmt umriffene,
fdjimmernbe 33ilber be§ S3oIIfommenen unb werben öon biefen S3ilbern
unrt)iberftef)Iid^ angezogen.
S(Ifo, i?aufa(ität unb ginotitöt ge^en im geiftig=gefc^ic^tlid;en
Seben aufammen; fpontaneS ßufammenfommen einer 33ielf)eit öon
(gtementen ^u einer 9^eif)e, in ber jebeö ©lieb mit innerer, togifc^*
äftf)etifd)-etf)ifd;er 9lotmenbig!eit gefegt ift, ha§: ift ber (S^arafter gei=
ftiger Semegung.
§ierin liegt, \)a^ will id) im Sßorüberge^en anmerfen, iua§ an
bem SBiberftanb gegen beterminiftifc^e 3:f)eorien bered)tigt ift. SSenn
ta^ SBefen ber Äoufalität in einer äußeren S^^otwenbigfeit beftünbe,
weld^e bie innere Slotwenbigfeit angfd^töffe, bann l^ätten biejenigen
red)t, bie fid) gegen ifjre Stnmenbung §ur ^onftru!tion ber geiftigen
SBelt fträuben. 9lur follten fie bann weiter geljcn, al§ fie gu tl)un
pflegen: bann gilt ha§: ÄoufaIgefe| nic^t bloß nidjt für ben SBitlen,
fonbern für ha§ gange Seelenleben gilt e§ nid^t. gofet mon ober ben
Segriff ber ß'aufalität rid^tig, oerfteljt mon barunter mit §ume unb
Seibnij nichts a(§ ©efe^maßigfeit, b. ^. regelmäßige ^ufammenftimmnng
ber SSeränberung üieler Elemente, bann liegt ouf ber §anb, baß fie in
ber geiftigen Söelt nidjt minber gilt ci{§> in ber Sf^atur. SOZog t)ier bie
Ütegetmäßigfeit fc^merer gu erfennen ober auf (Slementorgefe^e jurüd^
Sufüf)ren fein, o{§ in ber 9Zatur, fo ift boc^ offenbar, baß fie nid)t
fel)lt. §ier fo wenig wie bort !ommen ifolierte ober gefe^lofe (SIemeute
oor; jebe§ fte'^t in beftimmter S3e5ie^ung gu onberen, oorauSgeljenben,
gteid)§eitigen unb nadjfolgenben ©lementen. 2Bir fönnen biefe 33e=
gietjungen fo gut wie nirgenbS auf red)nung§mäßige gormein bringen,
ober if)r S)ofein tritt überall gu 3:oge. @tillfdjWeigenb§ wirb öon oHen
230 I- 35ud^: 33lttap^\)\it 1. Kapitel: ®a§ fo§mologtjd^=t^eotogijd^e Problem.
t)orau§geje|t: unter üöüig gleidjen inneren unb änderen Umftänben
njürbe QÜemat baSjelbe erfolgen, njürbe auf ben gteid)en '^d^ bie
gleidje SSorfteüung, bie gleid)e @efüf)(§erregung unb 2ßiUen§beftrebung
als 9^ea!tion eintreten. 9Jiit ber ridjtig öerftanbenen ^aufatität ftet)t
nun aber bie greif)eit feinegmegs in SSiberfprud); ^reitjeit ift nic^t
©efe^tofigfeit. 5ln einer g^reitjeit be§ inneren £eben§, bie gteic^bebeutenb
mit ®efe^= unb 3iiJa"it"e"^)ö^^9iofig!eit feiner (Elemente tnäre, I)at bie
(Stf)i! n)at)rlic^ fein Sntereffe. ^m ©egenteit, ha^ Stuftreten abfolut
bejie^iungStofer ©[erneute, üereinjetter 35oIitionen, bie of)ne faufalen
3ufaniment)ang mit bem S3orIeben unb ber g^otge^eit mären, ba^ märe
ßerrüttung be§ SSiüeng, ja üödige ^^^f^örung be§ feeüfdjen 2öefen§.
(SJäbe e§ übert)aupt feine Seftimmung be§ Sf^acEifoIgenben burd) ba^
SSor'^ergetienbe, bann gäbe e§ natürlich and) feine Übung unb feine
(£rfa!^rung, feine Söirffamfeit üon ©runbfä^en unb @ntfd)(üffen, öon
ßrjiefjung unb öffentlichen Drbnungen. Dfjue Slaufaütät feine ginofität.
2Sie ftef)t e§ nun mit bem 33er^ältni§ ber liaufalität unb
ginatität in ber pf)i)fifd)en SBett? @ef)en fie auc^ f)ier miteinanber?
ober ift in ber S^latur oon ginalität, üon innerer 9Zotmenbigfeit über=
l^aupt nid^t bie 9f?ebe?
@§ ift bie ()errf(^enbe Hnfid)t; fie erbtidt in ber 9latur mof)I
äußere, nic^t aber innere 9^otmenbigfeit. 9)?ec^anifc^e 93emegung§==
Übertragung ift if)r bie Urform ber 9iaturmirffamfeit, Don einer teIeo=
logifdjen 9^otmenbigfeit miU fie bagegen überaü nidjte miffen; „Steleo^
pt)obie", barin f)at ö. 33aer offenbar redjt, ift für fie djarafteriftifd).
äRir fc^eint, er f)at and) barin redjt, ha'^ er ben @runb hierfür nic^t
in ber Statur, fonbern in ber gurdjt ber 9?aturforfc^er üor einer
fatfc^en STeleoIogie finbet. S)ie Üeleopfjobie ift bie 9^eaftion gegen
bie alte 2lbfid)tenteIeoIogie, bie eine faufate ßrffärung ab(et)nte unb
erfe^en moHte.
SBir erinnern un§ §unäd)ft beffcn, ma§ mir im üorigen Stbfdjuitt
al§ mirflidjen Sn^att beS Urfad)üerf)ältniffe§ in ber pt)i)fifdien 2öelt
fanben: 3Bed)feImirfung ift nidjts al§ forrefponbierenbe ^eränberung;
üon ©inftüffen unb ^^ötigung ift babei gar feine Üiebe. Stttgemeine
SBec^fetmirfnng aller ^eile be§ Unioerfum§, ha§> ift ber 5üi§brud für
bie Sljatfadje, baB bie SSelt ein einljeitlidjeS (Softem mit einfjeitlic^er
Semegung bilbet, in ber jebe S3emegung jebeS STeilS afs ein an
r. S^aufatität unb ginalitöt. 231
feinem Drt juge^örige^, mit ben Semegimgen aller üBrigen Steile
§u)Qmmen[timmenbe§ ©lieb fid) einfügt. SOJan fann e§ nid)t ftar!
genug betonen: 91otmenbigfeit i[t im logifd^en SDen!en, ober ni(^t in
ber 9lQtur; alle 9latnrgefe^mä^igfeit i[t nid)t§ ot§ fpontane 3ufommen=
ftimmnng oller Steile.
Unb 5iüar ift and; ^ier bie ßiif^nimenftimmung eine njed^felfeitige;
ha§> S3orange^enbe beftimmt ha§ 9cad)folgenbe; aber ebenjo gut !onn
man and^ fogen: ba§> 9kd)folgenbe beftimmt hü§ 33oranget)enbe. S)ie
©rmärmung ber ©tube ift eine 2Sir!ung be§ geljeijten £)fen§; aber
n)ir lijnnen ebenfo richtig fagen: bie Söärmeoufna^me burd) bie Um=
gebung ift Urf adje ber Slbfüt)lung be§ Dfen§. ®er <StoB, ben ein Körper
gegen einen anbern fül)rt, ift Urfad^e ber 33emegnng be» jn^eiten; aber
ebenfo richtig ift: bie 93emegung be§ geftofeenen ^iJrperS ift bie Urfadje,
bafi ber fto^enbe bie 53emegung öerliert ober §ur 9ftul)e !ommt. 2Bo e§
un§ nid)t um .^eröorbringung, fonbern um Hemmung einer 93emegung
gu tt)un ift, ta faffen iuir bie ^ad)t fo. Sllfo allgemein, ol^ne bie
Urfadje ft)äre bie Sßirfung nid^t, aber ebenfo njenig UJöre ol)ne bie
2Bir!ung bie Urfadje.
S)ie t^rage ift nun: ftellt ber ^aufalgufammenliang in ber Stufen-
n^elt ebenfo wk in ber Sunenmelt gugleidj einen gi^fl^äi^ffln^n^^i^^flns
bar? finbet and) Ijier innere teleologifc^e S3e§iel)ung ^mifdien ben
©liebern ber 9teit)e ftatt? — (S§ giebt einen ^unft, mo alle SBelt
bie ©adje fo anfiel)t, haS^ ift ha§> Seben. SDie 2eben§üorgänge bilben
einen ßufammenl^ang üon Urfad)en unb SBirfungen, fie finb an jebem
^unft burd^ naturgefe|mäBige 2Sedjfeln)ir!ung oKer Xeile bebingt, aber
jugleidj finb fie „jielftrebig" in bem (Sinn, ba'^ fie gu einem eint)eit=
tid)en ©ouäen fid) §ufammenfd)lieBen, bem Seben, haSi xoxv nic^t um=
l)in fönnen al§ ha^ ^id angufeljen, bem aUe g^unftionen al§ SOZittel
bienen. Sie Sagb, bie Ergreifung ber S3ente, i^re SSerje^rung unb
S^erbauung finb Urfadje ber £eben§er^altung, aber ^ugleid^ ift boä
Seben ^iel unb jene gunltionen SJZittel jum ßiel. Unb finb e§ bie
gunftionen, fo finb e§ audj bie Organe; ift \)a§: (Sel)en um be§ £eben§
ttjiHen, fo finb aud) bie fingen um be§ ©e^en§ mitten, unb tiiergu finb
fie bann mol)l aud) im götalleben gebilbet.
Slber nein, fagt ber gtDedfd^eue 9Mturp^ilofoplj, nur bie erfte
§älfte be§ (Sa^e§ ift richtig: ha§> Xiev fie^t, meil e§ Stugen l^at,
232 L93ucf): 3nttap^t)\il 2. Kapitel: S)o§ !o§moIogijc^4^eoIogtfc{)e «Problem.
ober bie 5Iugen ftnb iiid)t ta, bomit e§ fie{)t, e§ ftöBt, roeil e§ §örner
f)Qt, aber e§ ^ot nidE)t .^örner, bantit e§ fid) lt)ef)ren unb fto^en föniie.
5E)a§ i[t uttberedjtigter 5(nt^ropomorpfji§mu§. ^ie ^eleotogie ift 9^er=
fel^rung unb S5erberbintg ber faufalen, b. t). bei* lt)af)ren 9latur=
betradjtung, fie fteüt bie 2)inge auf ben ^'opf; fo urteilen bil auf
biefeu 2ag mit bem atten Sucres unfere niaterialiftifd)=med^aniftifd)en
9Jaturp^iIofop^en.*)
@ie foHten fortfof)ren unb fagen: nic^t borum ftöfet ber ©tier,
um feinen ©egner ju bemältigen, fonbern mei( er \t'6^i, fällt ber
anbere ^u Soben; nid)t barum fpinnt bie ©pinne il)r 9Ze^, um Obliegen
ju fangen, fonbern meil ba^ 9^e^ ha, bleiben S^i^Ö^J^ ^^i" ^a«9en,
unb mei( bie ^reBmerf^enge ber ©piune ha finb, gerät bie Obliege
t)inein, unb m'ü e§ einmal fo meit gefommen ift, mirb fie meiter in§
:3nnere beförbert unb üerbaut; öon ^^^^cE^" ^[^ ^^^^^ überall feine
9ftebe, fonbern nur üon 5!aufal§ufammenf)ängen. Unb menn e§ bei
ber ©pinne fo ift, fo foüten fie ben @eban!en gu (Enhc ben!enb fagen,
fo mirb e§ beim 9}ienfdjen aud) nid)t anber§ fein; auc^ er flicht nidjt
bo§ S^le^, um ^ifd^e ju fangen, fonbern meil fid) feine ."pänbe fo be--
tnegen, berfdjlingen fic^ bie gäben ^nm 9le|, unb meil ha^ 9^e| fo
burdj§ SBaffer gebogen mirb, merben mit i^m bie g^ifdie !^erau§=
gebrad)t.
S5iel(eid)t njirb l^ier bod^ aud^ bem ämedfdjeuen ^()l)fi!er bie Büd)e
gu munberlic^. (5r mirb [agen: nein, beim 9Jknfd)en ift mirflid) ^\vcd=
tt)ätigfeit öorf)anben, I^ier fjaben mir SBoKeu unb SSorfteüen be§
ßietS a(§ 5(nfang ber 9^ei{)e, unb barum ift f)ier bie ^aufalreifje
gugteii^ giuatreifje.
&nt; nehmen mir bie§ junädift fo an. Stber foöte bann nic^t
für bie ©pinne baSfelbe gelten? S)er materialiftifdjc ^f)i(ofop^ be=
fte^t bod^ fonft fo entfdjieben baranf, ha'i^ ber SJ^eufd) ein ©lieb ber
5tierrei{)e fei. SSarum fidj tjier untreu merben? 2Sa§ fef)(t benn
ber ©pinne, ha'^i if)re 2eben§bet^ätigung anber§ beurteilt merben müBte?
5)a§ SSoIIen unb S^orftellen be§ ßielg? 9^un, ha^ SBollen bod) fc^mer=
*) Lucretius, De rerum natura, IV, 830:
Omnia perversa praepostera sunt ratione,
Nil ideo quoniam natumst in corpoi'e, ut uti
Possemus, sed quod natumst id procreat usum.
7. Äaufalität unb ginalität. 233
(icf), man mü^te i^r bemt hci§ Snnenteben überhaupt Qbjprerf)en. 5({jo
ba§> S^orftellen, bie 33orau§ftc^t bc§ (Srfolgeg. Unb barum alfo fef)Ite
if)rem 5:^uu ber (5^ara!ter ber 3wecf t(jättg!eit ? ®er »rürbe if)m er[t
gufommen, wenn fie nad) öorauggegongener Überlegung ju fid^ fagte:
Seben be[te^t im ©toffwecf)jet, e§ forbert boljer ben @rfal3 öerbrauc^ter
©toffe burd^ 9^a§rung; ^^^liegen finb ein 9^af)rung§mittel, nnb 9le^e ein
d)l'ütd fliegen gu fangen? — Sfber e§ liegt ja auf ber .^anb, ha^
unter biefer S3ebingung aud^ üon ber menfd)lid()eu 2;f)ätigfeit nur ein
geringer %ei[ für änjedmäfeig gehalten lüerben fbnnte. 3]om (Stoffe
lüecfijet unb bem notluenbigen Srfal^ unb ber ©eeignetfjeit biefer ober
jener Stoffe §u biefem ßmecfe meiB unfer O^ifd^er am ©übe nid^t oiel
mefir a(§ bie ©pinnen. ©otlen irir alfo fagen: fo reidf)t aud^ ^ier
bie g^inatität nicfjt njeiter; SZel^e ftecfjteu unb 3^ifdf)e fangen ift Qm&
ttjätigfeit, aber beim flauen unb ©djiingen unb 93erbauen ift öon einem
^luecfe nidjt me^r bie 9f?ebe, t)ier t)aben mir e§ lebig(id) mit ^aufa(=
reiften, nidjt mit teleologifd^en Ü^eiljeu ju tf)un? SSirb erft bei bem
^^ijfiologen, ber öon bem Hergang beim 5?auen unb Sßerbauen aud^
eine SSorfteHung ^at, bie ©ac^e jur ^^^edtfiätigfeit? Sd) benfe, biefe
^Trennung ber menfdjtid^en ßebenSprogeffe in jmedmäBige unb ^md=
lofe, in foldje, bei benen ^aufalität unb ^inaütät, unb fo(d^e, bei
benen nur ^aufatität ftattfinbet, ift boc^ all^u obfurb.
9^un, gilt beim 9J?enfd^en, ha% ba§: ganjeSeben aU teleologifd^er
^roje^ aufgefaßt iücrben muB, tueil unb jofern e§ einem SBiöen ent-
fprid)t, and) o'^ne baB ha^^ ßiet unb bie SSermittetung gon§ in bie
5ßorfteüung fäüt, fo mirb baSfetbe auc^ in ber S^iermelt gelten. Unb
finb bie 2;f)ätig!eiten §ie(ftrebig, bie auf bie (Srf)attung be§ @igenleben§
gcrid^tet finb, fo luerben e§ bie nid)t minber fein, bie ouf bie (Srtjoltnng
ber ©attung aU it)r obje!tioe§ ßiet gerid^tet finb, ha^ SIeftbauen unb
©iertegen unb ^Brüten unb §egen ber 93rut, unb n)a§ nod^ ba^u gef)ürt.
Unb ift ha§ ber ^aü, fo mirb man aud^ bie (Sntmicfelung unb Organ=
bitbung nidjt anberg anfefjen !önnen.
Sn ber 2;^at, e§ ift auf aöe SBeife unmögtid^, ta^ eine ju be«
ftreiten, ot)ne and) ba§ anbere ju leugnen; e§ ift unmöglid), bie menfd§==
lid^eu 2;f)ätigfeiten für §ielftrebige angnfe^en, oljue ba^felbe aud^ für
bie tierifdjen jujutaffen; unb mieber ift e§ unmöglid), e§ für bie fo=
genannten animatifd^en unb tt)ill!ürlid)en 2;f)ätigfeiten gu^utaffen, ot)ne
234 I. 93uc^: ^etap1^t)\il 2. Äa^JÜel: a)o§ !o§moIogiic^4^eoIogijd^e «Problem.
e§ Qucf) für bie öegetotiöen ^roäeffe Qn§unet)men, Die ja nid^t MoB
bie tt)ejentticf)e 93orau§je^ung jener finb, fonbern qu(^ nirgenbS rein
üon il)nen abgetrennt werben fönnen; beibe g^ormen ber Sebensprojeffe
lanfen jo überall in einanber. Unb n^ieber, lä^t man bie teleologifd^c
93etraci^tung für bie öegetatioen S3orgänge in ber Xierföelt §u, fo fann
man fie ber ^ftansentt^elt nicf)t fernt)alten; e§ finb ja biefelben
S5orgänge.
Sft man aber fo n^eit gegangen, fo Jüirb e§ fc^mer fein t)ier
fte^en ^u bleiben. S^ie lebenben Söefen finb ja nid)t üon aufeen in
biefe SSelt ^ineingefcfjneit, fonbern fie finb i^r legitimes (SräeugniS:
fie finb au§ ben ötementen gebitbet, bie ben Körper ber (Srbe ou§=
machen; fie finb entftanben unter bem (SinfluB ber !o§mif(f)=teüurif(^en
©efamttage. ®iefe ^ifcfie !onnten nur in biefem 9J?eer unb biefe
2;ierme{t nur auf biejer Grbe unb unter biefer Sonne entftef)ett.
(Sine ^^onfpiration aller ®inge ttiar erforberlid^, biefe Sebemefen {)eröor=^
zubringen. „S)iefe§ 3;ierreic^", fo füf)rt o. Saer au§, „fann nicf)t be=
fteJien oljue ha§> ^flan^enreicf), biefeS mieber nid^t, otjne ha'^ ha§' 3^el§=
gerüfte ber @rbe an feiner Cberf(äcf)e burc^ pt)t)fifo(ifc^e unb (f)emifd^e
(äinwirfung in locferen 93oben jerrieben npar; ferner aber wivh t)or=
au§gefe|t, boB biefer 33oben non ßeit gu ^dt oon Siegen getränft
njirb; ber Siegen fann nur fallen, menn ta^ SSaffer üorf)er oon ber
Suft aufgenommen, geI)oben unb bann burd) 2öec|fet ber SSörme
mieber auggefd)ieben wixh; ha§> SBaffer fann ttjieber nid^t gef)oben
merben, o'^ne ha'Q bie Grbe üon ber (Sonne befc^ienen unb ermannt
mirb: e§ ift alfo für ben geringften ©rastjalm mirftirf) ha§i gon^e
^tanetenjt)ftem mit feinen SInorbnungen unb Söemegungen, bie gonje
®efe|mäBigfeit ber Statur erforberIi(^." (S§ ift, mie ber S^id^ter fagt,
ber mie fein anberer üon ber (Sinfjeit ber SSirftidjfeit burd)brungen
ift, @oetf)e:
, 2)a§ ©täubd^en, fetbft ber unfrurfitbare (stein,
Qnbem er fein ©ejeg ijat, muß er roirfeu
Unb t(}ätig für haä gvo^e ©anje fein.
©0 bef)nt fid^ bie ßi^^ft^^^^S^eit, menn man fie einmal an einem
^unft ^ugetaffen f)at, über bie gan^e Platin au§. (S§ ift SBittfür,
einerfeitg barauf ju beftet)en, ba^ ber 9}Zenfd) and) nur ein @tüd be§
otigemeinen 9^aturlauf§ fei, ba^ er nid^t ejemteS ©ebiet, ein imperium
7. Äaufolität unb ginalität. 235
in imperio bitbe, bann aber anbererjeit§ gegen jebe Setrad)tnng ber
dlatnv unter bem ©efid^tepunft ber f^inaütät oI§ eine ööllig unju^
läjfige antf)ropomorpf)ifd}e Dhituranffaffung ju proteftieren. 35erfä^rt
bie 91atur an einem ^unft antf)ropomorpf)ifcl^, unb ha^ löBt firf) ja
nid^t beftreiten, jo ift nic^t ab^nfefjen, rt)e§f)alb etoa§ 5i[f)nlid)e§ fonft
fo abjolut au§gefdj(offen fein foüte.
S(ber, fagt ber jlüedjdieue Dkturpfjifofop^, au^er^atb ber organifc^en
SSelt fef)(t ja bai- '^vinjip, of)ne ha§^ oon einem Qmd überl^aupt nidjt
bie 9iebe fein fann, nömlid) Innenleben unb SBille.
S)aniit tüären ftiir benn am eigentlid;en Urfprung be§ 3[Biber=
ftanbeS gegen bie teleologifc^e 9?aturan[ic^t : e§ ift bie materialiftifc^e
Sluffaffung ber 9latnr al§ einer Slnl^äufiing toter, nad) @efe|en
med^anifdj beuiegter 5(tome. Unb in biefer S3orau§fe|ung !ommt nun
bie alte S{bjid)tenteIeoIogie mit ber med)aniftiid)en St^eorie tiöüig über»
ein; auc^ fie fe^t bie 9^atur aU eine SJ^affe (eblofen, trögen ©toffeS,
fügt ober bann fjiuju: eben barum fann bie 9^atur nimmermehr fic^
fetber bie SInorbnuug gegeben t)aben, in ber tt)ir fie finben; e§ ift
baf)er notrtjenbig, auBer ber DIatnr uod) einen S^erftanb an§unef)men,
ber ben ©toff nad) 5Ibfi(^ten jufammengefügt f)at. — Unb gegen biefe
2(nnot)me empört fid^ nun tuieber ta^ tfjeoretifd^e ©eiüiffen be§ 9ktur=
forfc^erg: non fotd)em äufeerlidieu (Singreifen eines ©eifteS wiffen Wir
nid)t§, unb e§ würbe nid)t§ erHören, e§ ift ein bto^eS asylum ignorantiae.
©omeit mit 9ied}t. Unb nun get)t man weiter unb leugnet bie ^m&
urfad)en überf)aupt, aud^ in ber organifdjen SSelt. §ier ftö^t man
bann aber auf bie eben ongebeuteten abfurben Äonfequeuäen; unb baran
f)eftet fid) mieber bie 5(bfic^tcnteIeoIogie. ©o wirb man enb(o§ im
Ciirfel umgetrieben.
@ine 9?ettung au§ biefen ^rrgängen ift, fo üiel idj fef)e, nur auf
einem SBege erreidjbar: man muB bie '^orau§fe|ung aufgeben, ha'fi bie
Sflatnx au§ totem ©toff beftet)t, man mufe fid) auf ben Soben ber oben
(©. 83 ff.) entwidelteu ontologifd^en %t}mk be§ ^araüeliSmuS fteUen:
fo weit bie pt)i)fifd)e SSett reidjt, fo weit reicht and) bie Innenwelt,
reidjt bie SSillenSwelt. ®ann fann man fagen: in ber pl)i)fifc^en SSelt
f)errfd)t, eigentüd) gefprod)en, nur pf)i)fifalifc^e ^aufaütiit, aber in ber
begteitenben Innenwelt t)errfd)t überaß äugleid) ginalitöt. ®ie
medianiftifc^e 9Iaturpt)iIofopt)ic I)at red)t: aüe 9latuniorgänge, auc^ bie
236 I- S3uc^: ajietop^^fif. 2. ^apM: ®a§ fo§moIogif(^4{)eoto9if(^e «Problem.
be§ £eBen§, (äffen firf) rein p{)t}fifa(if(f; erftären, e§ finbet feine ®in=
mifd^ung einer intelligenten Urfac^e ftott. 3(6er ©pinoja ^at md)
red^t: atle pt)i)fifQ(ifrf)en ^Sorgänge finb ."pinlüeifnngen auf begleitenbe
innere Vorgänge, nnb jftjifd^en biefen finbet ein teleologifctjer ^wfonimen*
^ang [tatt. Unb mit Se^iel^ung auf biefe§ Innenleben, beffen (5r=
fd^einnng fie finb, fönnen luir nun andj ben pl)t)fifc^en 53orgängen einen
teleotogifcfjen dljarafter beilegen. 9JJan nef)me ein 33eifpiel. ®er
^^t)fi!er er!(ärt un§ ba^ Drgetfpiel, e§ ge{)t bobei alle§ ganj medianifc^
ju; ^ier finb bie pfeifen mit folc^er unb folcfjer ßinridjtung, I)ier ift
komprimierte ßuft; nun mirb biefe klappe geöffnet, bie ßuft ftrömt in
bie pfeife unb fe^t bie Suftfäule in fotd^e ©c^minguugen. Unb bann
tritt ber ^t)t)fioIog f)inäu unb bemonftriert un§ ebenfo ben Organiften;
^ier ^aben tt)ir ein fo bi§ponierte§ ©e^irn unb 9Zerüenft)ftem; burc^
\)ci§i 2(uge f ollen biefe Üiei^e, auSge^enb oon bem 9^otenbIatt unb ber
^laoiatur, f)inein, fie löfen, oI§ rein p^t)ftfd§e Urfadjen ujirfenb, bie
fReaftion au§, ha'^ ber ^^inger bie haften in biefer 3^otge ^erunterbrüdt.
— ®o§ ift bie pf)t)fifrf)e @eite. ^ie (2acf)e :^at aber no(^ eine anbere
Seite: bie ®efid)t§= unb @el)ör§empfinbungen unb bie [^reube on ben
^önen unb on ber SDZelobie. Unb biefe 'Sl^\i)^ i)at einen inneren,
teleotogifdjen ^ufamment)ong ber ©lieber. Unb fie ift nun boc^ bie
eigeutlict) n^efenttidje ©eite ber ®ad)i. Unb ber ^rojeB im 9^eroen=
fl)ftem be§ Organiften ift nur feine öuBere ©idjtbarfeit. Unb nun
nennen mx , mit guläffiger 9Ib6ret)iatur be§ 5(u§brud§, oud^ biefe
p()i)fifdjen S^orgönge, in benen innere lieben§üorgänge erfc^einen, Q'm^d'
tljötigfeiten, bo§ Drgetfpielen unb ba§ 9lotenfd)reiben, bog 9^e|efled)ten
unb f^ifdjefangen. Unb fo fc^reiben tt)ir bem orgonifdjen fieben über=
(joupt 3iüedmäBigfeit ju, nid)t al§ ob e§ üon ou^en burd) ein benfenbe»
Sßefen äufammengefd)oben mürbe, fonbern med e§ Grfdjeinung eines
mit innerer S^Jotmenbigfeit fid^ entfottenben Innenlebens ift. S)ie er=
fc^einenbe ßielftrebigfeit be§ (eibtid^en ßebenS ift bie (Spiegelung ber
mirHid^en ßi^^fli^s^iöf^it ßi"^^ Innenlebens.*)
*) ©pinoga traut ftd) nic^t, an§ bem ^araUeüSmug biefe Folgerung
gu ätef)en; er i[t in bie 93cfämpfung ber 3(bi'i(jf)teuteIeo(ogie §u jef)r öcrrannt. 9(5er
Seibnij jie^t fie, mit unbefangenerem SSticE bie 2)inge betrad)tenb: Les ämes
agissent selon les loix des causes finales par appetitions, fins et moyens.
Les Corps agissent selon les causes efficientes ou des mouvements. Et les
7. Seaufolität imb fjinaütät. 237
Unb bieg SßerljQltni?, fo luürbcn tüir nun, bie ®ü(tig!eit jener
imferer ontologijdjen 93etrad[)tung t»ürau§]c^enb, fortfafjren, i[t ntrf;t
ein 3ufäüige§ unb nereinjelteg, fonbern ein frf)led)tf)in QÜgemeineg; nicf)t
MoB einige wenige ^enjegungtonorgänge in ber dlatüx, bie fogenannten
njillfürlidjen Semegungen ber Stiere, fonbern alte 33enjegnng§üorgänge
finb mit inneren 5öorgängen begleitet, bie mit benen ';Üt)nüd)!cit f)aben,
bie mir in nn§ erleben. SBitle, fo glaubten tüir mit @(f)open()auer
fagen ^u bürden, i[t haS^, n)o§ in allen pf)i)fifd}en S8orgängen jur @r=
fdjeinung fommt, in ben ßeben^projeffen ber 2;iere unb ber ^ftan^en,
aber oud) in ben Sewegungen ber nnorganifi^en Äi3rper, nid)t ein
Sßiße, une unfer non S3orftelIung bnrd)(eud)teter Sßiüe, aber bod) SSiUe
in einem aügemeinften Sinn, fo ha^ blinber Xxkh unb üor[teIIungc^=
toje§ (Streben mit barunter begriffen finb. 3sft i>(x§> eine sulöffige 9]or=
ftetlung, fo mü^te allen 9Zaturt)orgängen, fofern fie @rfd)einung eineö
3Sißeu§ finb, audj bie @igentümlid)!eit be§ SBiüenS, bie ^i^^ftrebigfeit,
eigen fein. Unb fofern bie 2SiUen§einf)eiten nieberer Drbnung äu=
fammengefafet finb ju t)i3J)erer unb jule^t ju einer l^ödiften unb testen
2öiIIeu§einl)eit, fo tuürbe bie ganje D^atur a{§> ©rfdjeinuug eine§ ein=
I)eitli(^en ßmedfijftemS anjufefjen fein. ö5otte§ Sebeu ttjäre bann ber
Ort aller 3^uede, in if)m märe jebe§ 2öirf(i(^fcitÄmoment mit finnöotler
DZotmenbigfeit gefe|t, feine ©elbftoermiilUd^ung ober @nteted)ie märe
©rnnb unb ßi^^ o^er ®inge.
g^reilid), fo märe gleid) fjin^ujufügen, mir fönnen biefe ^etrod;=
tung nid)t Doü^iefien, mir fönnen nid^t bie gan^e 3Bir!Iid)feit öon ber
Snnenfeite faffen. Unferer (Srtenntni§ ift gunädift ifjre 5(uBenfeite
gugemenbet. 3)at}er I)at für unfere 3Siffeufd)aft bie faufale 2(uffaffuug
fo fe^r ba^ Übergemidjt. Sie te(eoIogifd)e Deutung ift !aum me^r
at§ ein ^oftulot, ober aU eine unbeftimmte 9JlögIid)feit; mir bered)nen
bie SSemegungen ber Planeten, aber bie ,*parmonie ber @pl)ören faßt
unfer Ötjr nid)t. 2;er ^erfud), bie Orbnung ber 9^itur au§ bcm
©inn 5U üerftet)en, fütjrt un§ nur §um Semufetfein unferer Unfäf)ig!eit,
burd^ bie (Srfdjeinung jum ©inn ^inburdjjubringen. S)af)er ^at bie
9Zaturforfd)nng red)t baran getf)an, boB fie auf bie rein faufale 336"
trad)tung fic^ surüdge^ogen f)at. 9hir baran t^ut fie nidjt red)t, bafe
deux regnes, celui des causes efficientes et celui des causes finales, sont
harmoniques entre eux (SOlonaboIogie, § 79).
238 I-93uc^: «DJetap^t^ftf. 2. Äapitel: S)o§ fo§moIogijd^4f)eotogtfd)e Problem.
fie bie Unmöglic^feit einer teleologifcfien S^^aturerflarung nid)t in hü§>
©ubjeft, fonbern in bie S)in9e Derlegt, ha^ fie nic^t jagt: ber Qmä
ber 9Zatnr i[t für unfer (Srfennen tranfcenbent, fonbern: e§ ift fein
ßtoecE unb ©inn barin.
S)rei S^ragen, fagt Ä. o. Saer einmal in ben oben ertt)ä'E)nten
2(uffä|en, i:^aht ber DIaturforfdjer überaß gu beantnjorten: mag ober
tt)ie? ttjoburc^? ttjofür ober moju? 3c^ meinerfeit§ re^ne e§ bem
0iaturforfc^er al§ folc^em nirf)t a(§ SSorttJurf an, njenn er bie Ie|te
^rage füllen läU «n^ fßii^ 2Ber! get^an ju f)aben glaubt, n^enn er
bie S^atfoc^en befcfjrieben unb if)ren urfac^Iic^en ^iifommenfiang bar=
gelegt {)ot. 3lber at§ 3Kenfc^ fteüt aüerbingä auc^ er unüermeiblic^
nod^ bie britte g^rage: wogu? SBir finben in unferem eigenen Seben
bie Äotegorie be§ SSofür ober SBogu, unb eg gefc^ie^t unöermeiblidj,
ha'^ mir fie aud^ in bie 9ktur um un§ t)ineintragen. Sn bie 2eben§=
^rojeffe fietjt tt)atfäcf)ü(^ jebermann einen teleologifc^en ßufammenfjang
fjinein; niemanb bleibt babei ftef)en, alle 3]orgänge in einem 3:ierleben
al§ gleid) mirflic^e unb gfeic^ geltenbe ©lieber einer Ä'aufalfette an=
5ufet)en, fonbern er t)ebt barin gemiffe ©lieber al§ bie betonten ^ö^e=
punfte I)erüor, um bie firf) bie übrigen in §ielftrebigem ßufammenfiang
gruppieren, ©in Sufeft burc^Iäuft eine 9flei^e oon öntmicfelungSftufen ,
e§ ift als Gi, al§ 9^aupe, al§ ^uppe, al§ (Sdimetterling, um bann im
@i üon neuem ben Kreislauf gu beginnen; mir fagen, ha^^ @d)metter=
Iing§(eben ift ber §öt)epunft in biefer ©ntmicfelung, bie anberen S)afein§=
formen finb SBorftufen ober notmenbige SSorausfe^ungen baju. Unb
gan§ ebenfo mürben mir in ber ©ntmidelung eines ^(aneten= ober
SonnenfriftemS, menn mir fie gong überfä^en, in ä§nüc^er SSeife einen
^ö^epun!t als ^ielpunft unterfc^eiben. Stber freiüct) bemeifen läBt
fic^ ha§ nic^t. 2)ie Stufen beS 2eben§ be§ SnfeftS fic^ gleid) mir!=
iic^; unb ber ©dimetterüng ift fo gut Sebingung ber ©ntfte^ung be§
(Si§ al§ ha^ ei be§ (Sd)metterling§. 2öer ha§> (Si ober bie 9flaupe
fc^öner unb bebeutenber finbet, al§ ben Schmetterling, ber fann nicf)t
miberlegt merben. Unb felbft menn einer bef)aupten moltte, \)a§> ^äuflein
Jünger, hü^ ein Xier im Sauf be§ 2eben§ probugiert unb fdilieBtic^
burrf) feinen üermefenben ßeidjuam üerme^rt, fei ha§> ßiä, auf bo§ e§
eigentlid) mit bem Seben abgefe^en fei, fo !önnte er nidjt miberlegt
merben. Sßießeic^t mürbe ein 9}?ann, ber burc^ @uanof)anbeI reic^
7. taufolität unb ginalttät. 239
getüorben ift, fotd^e S3etrQcf)tung gar nid^t \o unüernünftig finben; ta^
bie Urireltbäume geluac^fen finb, um un§ mit Äo^Ien gu üerjorgen,
ift ja eine gettjö^nlicfie SSetrac^tung. 9^id^t onberS ftef)t e§ ober auc^
mit einem 9J?enfcf)en= ober mit einem 53o(f Sieben: mer ben ©aumenreij
unb anbere finnlic^e ©enüffe als ben {)öcf)[ten Sn'^alt be§ SebenS em=
pfinbet, ber fann nid)t miberlegt merben; unb menn jemanb für SSert-
unterfdjiebe ber üerfd^iebenen ßebenSbetljätigungen überl^aupt feine
©mpfinbung f)ätte, n^enn it)m alle gleid) mi(i)tig ober gleid) bebeutungS^
Io§ üorfämen, fo fönnte it)m bie Gmpftnbung nict)t anbemonftriert
merben. SBir Ijaben e§ alfo ^ier jule^t nic^t mit einer objeftiüen
©rfenntniS, fonbern mit einer auf fubje!tioen ®efü'f)Ien be«
ru^enben SluSjeic^nung gemiffer (SIemente öor anbern gu t^un.
Söem bie SSiIIeuS= unb ©efü^tSfeite gan^ fe{)Ite, unb mer beS{)aIb
{jierfür gar fein ^erftänbniS f)ätte, mer bloßer reiner Sßerftanb
märe, ber mürbe aüerbingS gar nirf)t ju einer teleologifdien
$8etracf)tung fommen ober für fie SSerftöubniS gewinnen fönnen.
3^m märe jebeS gleid) micfitig ober unmicfitig, ober üielmet)r:
überf)anpt nidjt mirf)tig ober unmid)tig, fonbern nur mirflic^. Slüe
^räbifamente, bie SSertoer^ältniffe auSbrüden, mären if)m gänjtic^
unfaßbar.
Sn gemiffem @inne mad)t fid) ber 9kturforfc^er gu einem fotc^en
abftraften reinen Sßerftanb, unb er muB es tf)un, um feiner 5Iufgabe,
ber reinen ©arftedung ber objeftioen faufalen 93e§iel§ungen, gercdjt §u
merben. 9lur muB er nun nid)t meinen, boB bie SSoHfommenfjeit be§
9kturforf(^er§ aU fold^en, fic^ üon Steigungen unb 5lbneigungen gon^
frei äu f)atten, auc^ bie S3otIfommenf)eit be§ 9}?enfc^en al§ folc^en fei.
gür ben 9J?enfc^en al§ fo(d)en ift (Smpfängtic^feit unb $ßerftänbni§ für
SSertunterfdiiebe, ift bie gäf)igfeit, baä @ute unb Sööfe, bo§ ©d)öne
unb §äBtid)e, ha§^ ©rofee unb kleine ju unterfd)eiben unb §n empfinben,
burdjau§ mefentlid); ber 3]er(uft biefer gäf)igfeit märe gleic^bebeutenb
mit bem Sßerüift ber ^erfönüc^feit felbft; ha^ Stbftraftum S5erftanb
allein mad)t feinen 5[Renfd)en.
2)ie eigentlidie SarftellungSform biefer jmeiten, ber äft^etifc^*
teIeoIogifd)en ^iffoffung ber SBirflidjfeit, ift ^unft unb ©id^tung.
Sf)re eigentlidje Seiftung beftef)t barin, baB fie burc^ §eröorf)ebung
unb Steigerung gemiffer ßüge bie Söebeutung eine§ 9Zaturmefen§
240 I-93u(f): äRetop^i)[if. 2. topitel: ®og !o§moIogtfd)=t^eoIogtfc^e «ßroblem.
ober einer geiftig-gefd^tc^tlicfien Snttotcfelung geigen unb faf3li(f) madien.
Sn ber 2)entung be§ 2Serte§ ber S[Bir!Iirf)!eit f)at Qudj bie 9^ e ( i g i o n
if)r SBefen, unb bar um i[t fie mit ^'un[t unb S)irf)tung auf§ engfte öer=
fnüpft, tt)ie e§ benn outf) bie S{nt§ropoIogie überall geigt. ^ünftlerijc^=
retigiöfe Deutung unb n)iffeufd)Qftti(f)e (Srflörung bilben bemnocE) einen
©egenfo^, ober nicf)t einen QU§fd)tieBenben. S)iefe n)enbet fid^ an ben
SSerftanb, fie n^iü bie 2Sir!tic^!eit otjue Sftüdfic^t auf fubjeftiüe 2Sert=
unterf(i)iebe unter allgemeine 93egriffe unb ^ormeln foffen. Sene ba=
gegen tt)enbet fid^ an bie S3i(Ien§feite, an ha§> ®efüf)I, fie tt)iU bie
SBertbegietjungen äunäd)ft im SJfenfd^enleben, fobann in ber 2SirfIid)!eit
übert)aupt §ur (Smpfinbung bringen, fie miti ^idt unb Sbeole geigen,
bie ot§ 9J?a^ftäbe haS^ Söerturteil, al§ 3J?otiöe ben SSillen leiten, unb
oI§ begtücfenber Sn'^alt ha§: ®emüt erfüllen. @ben biefe S3erfd)iebent)eit
ber §Iufgaben weift fie ni(f)t auf feinblid^en ©egenfa^, fonbern ouf
frieblic^e örgängung f)in.
SBir berüf)ren un§ f)ier mit bem, n^aS ST. Sauge in bem
@d)IuBfapiteI ber @efd;ici^te be§ ä)^aterioti§mu§ über bie gulöffige unb
unöermeiblic^e Sbealifierung ber 2Birf (id^feit fagt. 9^id)t ba§> ift
bie äJJeinnng, ha^ e§ ratfam unb guläffig fei, firf) ettt)a§ öorgumadE)en
unb bie 2öir!Ii(f)feit gleidifam umgulügen. S)ie g^ertigfeit, nicf)t gu
fef)en, tt)a§ ift, unb gu fef)en, tt)a§ nic^t ift, fo tjöufig fie ficf) finbet,
üor allem aucf) bei ^olitifern unb ©efe^gebern, ftaatlic^en tok tixä)=
lid^en, ift bocl) nicfjt eben unter bie menfdjlicl)en 35ollfommen^eiten gu
re(f)nen. 2)agegen ift e§ für einen 9}Zenfcf)en, fofern er nid^t bloB einen
^'opf, fonbern and) ein §erg §at, unüermeiblid^, bal^ er gu bem 2Sirf=
lidjen fid^ au§ttäl)leub unb mertfc^ä^enb üerljält, unb wieberum, bofe
er in bem, tt)Oi§ er ertt)äl)lt ^at, ha^ 2ßefentlidf)e unb eigentlich 2öirf=
lid^e fie^t. @o Italien mir e§ mit ber 5luffaffung einer ^erfon, ha^
§erg fagt un§, ma§ fie eigentlich unb i^rem mal)ren SBefen nad^ fei;
fo galten mir e§ mit einem Si^olf, fo Ijalteu mir e§ mit ben S)ingen
überhaupt. SBir ibealifieren fie, inbem bie Siebe bie 3üge au^=
mäl)lt, burd) bie mir i§r SBefen beftimmen. Unb nun erfdjeint
un§ bieg SSefen ober bie innere 3^orm, mit 5lriftotele§ §u reben,
gugleid) at§ 3^^^ ^^^ bemegenbe Urfadje ber @ntftel)ung unb Se=
tljötigung; e§ bemegt aber, inbem e§ Verlangen erregt {uivei Oi£
iQcbflEVOv).
8. $antf)eigmul unb aBeltjeele. 241
8. ^ant^et§mu§ unb SSeltfecIe.
SBir fommeu nun auf bie oben geftellte ^rage jurürf: t[t aüeä
(Streben unb SBoüeu, luie e§ in ben toufeub formen ber 3Sirfticf)feit
niclgeftottig un§ entgegentritt, äule^t ^ur @inf)eit eine§ SSefen§ unb
SSiltenS sufammengefaBt? entjpric^t ber (Sin^eit ber pt)l)[ifd)en 2Se(t in
uniücrfeller 3Bedf)feInjirfnng eine @int)eit be» Snnenteben^, in beffen
(gelbftbeiuegung unb @elb[tüern3ir!(id)ung aüeä einzelne Seben unb
©treben befdjloffen i[t? ®ie ^öeja^ung biejer g^rage ergiebt bie !o§=
mologifdje ,s3l)potf)efe be§ i b e a ti ft i j dj e n ^ a n t ^ e i § m u §. S^
faffe i()re oügemeinften ©runb^üge in ein paar gormein äufammen.
1) S)ie SSirtüd;feit i[t ein eint)eitli(^e§ SBejen; bie @in§elbinge
I)aben nidjt abfolute @elbftänbig!eit, fie Ijaben S)aiein unb SSefen in
bem Sl(I=(Sinen, bem ens realissimum et perfectissimum, beffen met)r
ober minber fetbftänbige ©lieber fie finb. — Sn ©pino§ag g^ormel:
bie 3JSirfIid)!eit ift eine ©nbftans, bie S)iuge finb in itjr gefegte
S[Robififatiouen if)re§ 2Befen§.
2) ®a§ 2Sefeu be§ S(H=(Sinen offenbart fidj un§, fo ttjeit e§
überfjaupt offenbor tuirb, in ben beiben (Seiten ber 2Sir!(idj!eit, ber
9Zatur unb ber @efd)id)te. — Sn @pino§o§ formet: bie (Snbftanj
entiüirfelt fid) un§ faßbar unter ^w^i Stttributen, bem ber 3(u§be^nung
unb bem be§ 93 ettju fetfein §. SBelc^er ©a^ bann burd) erfeuntm§=
tf)eoretifc!^e Q^eftefion ba^in umgebogen wirb, bafe bie geiftige 2BeIt ba^
eigentlid) unb an fid) (Seienbe, bie ^örperttjelt aber feine ©rfdjeinnng
unb jDarftellung in unferer ©innlidjfeit ift.
3) 2)ie uniüerfeße 2öed)feln)irfung in ber Slörpertuelt ift bie (Sr»
fd)einung ber inneren, ä ft f) e t i f d) => t e ( e o t o g i f dj e n 9iotn)enbig=
!eit, mit ber hü§> 5(ll=@ine feinen 2Befen§gef)aIt in einer 95ic(f)eit non
gufammenftimnienben 9Jlobififationen, in einem ^o§mo§ fon!reter Sbeen
(SOionaben, (£nteled)ien) entfaltet. ®iefe innere Sf^otwenbigfeit ift äu=
gleid; abfolutc grcif)eit ober ©elbftoern)irf{id)ung. — 93ei ©p in 05a:
bie ©ubftauä ift causa sui ober causa libera; fie entfaltet if)r Söefen
mit innerer (©pino^a fagt, logifdj^motl^ematif^er) ^otttjenbigfeit. —
Sft biefe S(nfd)auung begrünbet? Wlan ttjirb nad) allem, rva^
t>orau§gegangen ift, nidjt eruiarten, ha^ idj fie nun nodj bnrdj 93elüeife,
bie ben )ii>erftanb jttiiugen, ju begrünben unternehme. Söorum e§ fic^
allein Ijanbeln !ann, ta§> ift ju geigen, ha% rva ben 5(nbeutnngen ber
^auIfcK, ßiiüeitung. ti. Sdifl. 16
242 I. S3u(^: SÄetop^^fü. 2. Äopitel: 2)a§ folntoIogtfc^=t§eoIogijc^e «ßroblem.
^inge aufmerffam unb offenen (Sinnet nacf)ge^t unb bem (Sinbruc!
ber 2öir!(icf)feit unbefangen \\dj ^ingiebt, auf foIcE)e Ie|te ©ebanfen
gefü£)rt ttjirb.
Sc^ erinnere an bie 5(u§gang§|)un!te ber in ben üorau§ge^enben
^ilbfd^nitten angebeuteten Betrachtungen: an bie (Sinfjeit ber pf)t)fif(i)en
2öett in uniöerfeller SBedjfeduirfung unb allgemeiner ©efe^möBigfeit;
an bie (Spontaneität in ber ^ufammenftimmung aüer Xeile, e§ giebt
feine 9lotn)enbigfeit in ber Statur, g^erner an bie Unabf)ängfeit ber
SSirflidjfeit aB eine» ©ansen öon äußerer ©enjalt; i^re 33ert)egung
!ann nur al§> fpontane 93ett)egung üon innen I)erou§ !on[truiert ujerben,
e§ giebt feine Äraft auBerf)aIb ber SSirflic^feit, öon ber fie i^r burd)
©toB mitgeteilt fein föunte, Sd) erinnere an bie ©oppefgeftatt, in ber
ha^ SSirfüc^e ha, mo e§ un§ am meiftcn aufgefdjtoffen ift, nömlirf) in
bem eigenen SBefen, un§ entgegen tritt, al§ Seib unb 8ee(e, unb bie
barau§ flieBenbe 55ermutung, ba'B Äörperlid^feit überall §intt)eifung
auf eine begleitenbe Snnerlidjfeit fei. ^d) erinnere enblid^ an bie „3iel=
ftrebigfeit", bie un§ in bem üeinen SSrudjftücf ber 2Sirf(id)feit entgegen=
tritt, oon bem mir etma§ me^r al§> eine bloB aftronomifd)e Kenntnis
^aben; mon tf)ut ben 2;I)otfad)en nic^t ©ematt an, menn man fie mit
ber fpefulatioen '!p()itofopt)ie, bie übrigen^ barin nur ben ©puren ber
allgemeinen 5(nfd)auung folgt, fo fonftruiert: bie Sntmidelung ber
(Srbe ftrebt §um Seben, ha§> Seben jum Semu^tfein, ha§> ©emuBtfein jum
©eift, ba§ geiftig==gefd)ic^t(ic^e Seben ift 3tt?f<iniitterpunft be§ Grben==
bofeinS, atfo, menn ber @d)Infe oom STeil auf§ ©ange gilt: ein f)ö(^fte§
geiftige§ Seben ift ^^edmittelpnnft be§ ®afein§ über()aupt. SSoIIte
aber jemanb f)iergegen eiumenben: nid)t einmal auf @rben fei, fo oiel
mir fät)en, ha^ geiftige Seben ba§ ßiet unb ha§^ bleibenbe @ut; 'okU
me^r fönne e§ nur a(§ ein !(einer, ^aih nerfdjminbenber ß^üifd^enfatt
augefet)eu merben, benn be§ Stuf^ören be§ "Sebenä unb be§ (5}eifte§ fei
bie unentrinnbare ^otge ber fo§mifd}en (Situation, fo mürbe un§ ha^
uid)t irre mad;en. SBenn e§ fo märe, fo mürben mir fagen: 93Iüte
unb Seben einer ^flange ge'tit oud) oorüber, mä^renb ber ©toff fid)
erf)ält; ba§ f)inbert un§ nid)t, im Seben unb $8IüI)en if)r Q\d gu fef)en.
©0 mag bie (Srbe aud) einmot oerblüfjen unb fterben, bod) mar ßeben,
geiftigeg !Beben, ha§> Qki ber ©ntmidetung. Unb e» ge^t ja nid)t ter=
loren bamit, ha'ii e§ ^u einem (^nhe fommt; ba^ 2öirflid)e mirb nic^t
8. <pant^eilmu§ unb 2BeIt[eeIc. 243
üernidjtet bnburd), hafi e§ in bie Q^ergangen^eif üBergef)!; bog 5ßer-
gangene bleibt üietmefjr ein etüiger ^öeftonbteil ber 3Birf(ic^teit, bereit
8ein ja nicf)t in bem Stngenblid ber ©egenn^art eingejdjloffen ift. —
Übrigens, mal wiffen tt)ir öon ben (5cf)icfialen, bie ber ©rbe nnb bem
(2onnenfl)[tein beyor[tef)en? <Sie mögen in größere Greife {jineingejogen
werben nnb ju gri3Berer 3ii^unft bernfen fein, al§ fidj nnfere fo§mifrf)en
^^tjfifer ^ente tränmen (offen, ©iebt e§ feinen llr§n[tanb für bie
SBirüic^feit, fonbern nnr einen legten ^unft für nnfere gorfdjnng, fo
mirb el mit bem (Snbjnftanb nidjt onberS ftefjen; bie ©renje nnfereä
SBi^el i[t nidjt bie (Srenje ber SBirflidjfeit. S)ie (SintogSfliege mag,
menn bie ©onne nntergel^t nnb il^r Seben mit ber fjereinbredjenben
9Jad)t enbet, benfen: nnn ift a\k§> au»; ba^ Sidjt erlifdjt für immer,
nnb bie ganje SSelt üerfinft in j^infterniS unb ©rftarrung. ®er SRenfd^,
ber fo üiele (Sonnen finfen nnb mieber anfge^en fa§, foHte gelernt
f)aben jn glauben, ha^ im Unenblid)en 9?at unb 9JJi)gIid)feit ^u mand)en
fingen ift, bie er nidjt fiet)t.
Surfen wir nnn, folc^e Betrachtungen olle in einem legten ©e*
bonfen jufommenfdilieBenb, fogen: mo§ wir im deinen im ©igenteben
fe^en, mo§ mir im 2eben ber @rbe noc^ gu er!ennen glouben, t)a^
gilt üon ber SSirfüc^feit überijoupt, fie fjot ifjr 3^^^ u"^ Söefen in
einem einleben, einem unenblid)en unb ewigen geiftigen
Öeben, beffen gülle alte nnfere 33egriffe nnenblic^ weit f)inter fid^
löBt, üon beffen SBefen wir ober bodj im SSefen be§ eigenen ©eifteä
einen gd)immer (joben?
Sd) meine, wir bürfen eS, unb bürfen bo^u fogen: e§ giebt feine
^(nfidjt, bie un§ bie 2öirflid)feit einfacher unb einleuc^tenber ju fon=
ftrnieren geftattete. SSor ollem wirb aflein bei biefer 5lnfid)t bie %^aU
fod)e, um bereu ©inorbnung in bie SSirfüdjfeit e§ fic^ bei oHer ^()iIo=
fopf)ie benn boc^ eigentlich f)onbett, bie 2:^otfoc^e be§ Sebeu§, fouftruier=
bar; bo§ feelifcf)=geiftigc Seben erf)ö(t erft ^ierburd) bie gn i^m ftimmenbe
Umgebung; fein Urfprung unb fein 3)ofein in ber ©efomtwirftidjfeit
wirb erft bei biefer 9(ufid)t fo^bor. 33ei ber 9{ufidjt be§ otomiftifd)en
^?JkteriaIilmu§ erfd)eint bo» geiftige Seben o(§ eine feltfome 9(nomoüe
in ber SSirfüc^feit; mon fonn eS nid)t befeitigen, feine Söirflic^feit ift
ja nnbeftreitbor, ober e§ ftört bie 3;f)eorie; wenn e§ nidjt Wäre, bann
würbe bie (Srflörung be§ UnioerfumS glott anfgef)en; fo bleibt ein
16*
244 I. S3ud^: 5IKeto|)t)t)fiE. 2. Äopitel: ®a§ fo§inoIogtfd)=tt)eoIogifd^e 5ßrobIem.
itnBequemer ^^eft, unb mand^e finb jo oufridjtig mit ®u Soi§=3Rei)monb
gu geftef)en: @eete, 33ett)ufetiem, ©eift feien bei i^rer SBeltanfidjt ein
„abjoIuteS SSetträtfel". 93et nnferer ?Iniicf;t bagegen barf ber @eift
fid) ^eimijdj füljlen in ber 2Birfüc^!eit, borf fid) füf)ten al§ ^leifd)
üon i^rem g^Ieifd^ unb Sein üon if)rem S3ein. 3d) glaube nid)t, baB
e§ einen ftärferen 33ett)ei§ gegen bie 3iitÄngtid}!eit einer 2öeltanjid)t
geben fonn, al§ ha^ jie boS SDafein be§ @eifte§ für etmaS abfolut
SftätfeUjafteS gu erftären genötigt ift. Unb onbererfeitS »ü^te ic^
nid)t, \va§> es für ben 9}Zenfd}engeift für einen übergeugenberen
93ett)eig für bie 2Bat)rf)eit einer SBeltanfidjt geben fönnte, qI§ baB er
bobei fic^ felbft in ber SSirüic^feit gteid;fom n^ie gu §aufe §u fütjlen
Her mag.
SaB biefer SInfdjauung tf)atfädjtid) eine überjeugenbe ^raft inne
lDof)nt, ujie feiner anberen, bafür giebt bie erftaunlid)e ©inmütigfeit
3eugni§, mit ber in it)r ha^ menfd)(id^e ®en!en, n^enn n)ir non einigen
pt)iIofopt)ierenben ^^t)fifern abfef)en, t^n legten unb abfd)tieBenben
5lu§brud für ba§ ©an^e ber ®inge gefunben ^at. Sm äJJorgenlanb
h)ie im SIbenblonb, im Slltertum wie in ber SJeujeit, !onöergieren bie
@eban!en ber freieften unb tiefften 2)en!er gegen biefe§ ßi^t. Sn
einem ibealiftifdjen ^ant^eilmu§ ift ha§: 9^ad}ben!cn ber großen ^ultur=
bölfer bes Often§ über bie SSelt 5ur 9iuf)e gefommen. Su einer üer=
njanbten ®eban!enbilbung !^at aud) ber gried^ifdje @eift in ber pIotonifdj=
ariftoteiifdjen ^^itofopt)ie feine SSeltformel gefunben: hk 2Bir!üd)!eit
ein einl)eitüd)e§ SSefen, eine abfolute @inl)eit alle§ ©eiftigen unb ®uten.
3u biefer 5Infdjauung tüirb aud) ha§> mittelalter(id)e ®enfen, faft !ann
man fagen, miber SSillen Ijingejogen. Qu i§r feiert enblid) ba^ moberne
®en!en, wo e§ am freieften unb füfjnften fid) entfaltet, jeber ßeit mieber
äurüd. Sruno unb ©pino^a lüerben i^r burdj bie neuen !o§moIogif(^=
naturn}iffenfd)afttid)en Ö5eban!en, bie fpefulatiüe ^E)i(ofopf)ie ber jDeutfd)en
burd^ bie neue Stuffaffunggmeife be§ gefd)id)tlid)en £eben§ jugefütjrt:
bie SBir!üc^feit ein ein^eitlidjeS ©eifte§(ebeii, beffen un§ fid)tbare§ ©tüd
bie (Sntmidelung be§ (Seelenlebens unb ju^ödjft be§ menfd)lid^=gefd)ici^t=
lid^en 2eben§ auf (Srben ift. —
3ur 3eit ber ^errfd^aft ber fpefutatiüen ^f)i(ofop^ie erblidte man
in biefer 5(nfc^auung, in ber bie SBirflidjteit fid) felbft ai§' ®eift er=
fafit unb begriffen ^aht, bie abfolute 2Bat)rf)eit, unb nmn ^n^eifelte nid)t
8. «ßantf)ei§mu§ «nb SBeltleele. 245
baron, ba^ fte Beftimmt jei, and) bie allgemeine SBafjrfieit ju iDerben;
man f)at fte bie geljeime Religion ber ©ebilbeten genannt, überzeugt,
ha^ fie atlmäf)(icf) and) in bie Greife bringen »erbe, bie einftiüeifen
bie SSa^rfjeit nnr in ber gorm ber Sßorftedung jn faffen t)ermi3rf)ten.
(S§ i[t gnnöcfjft anbers gefommen. ©onjeit gegeniüärtig nnter ben @e==
bilbeten üon pfjitojop^ifcljer SBettanfdjauung überijaupt nocf) bie Üiebe
i[t, (bie meiften bereifen ficfj o^ne eine jo(d)e,) bürfte fie e^er in ber
9iic^tung cine§ naturiüiffenfcfjaftlic^ gericfjteten 9J?aterioti§mu§ ober
eine» erfenntni§t^eoreti)d) äugeflu^ten ©feptiäiSmug ju fudjen fein.
S)ie pf)t)fifalif(f)e ^Infic^t ber 2)inge ^at bie poetifdj=fpefiitatiöe 33e=^
tradjtung nerbriingt. Unferen 9iatnrforfd)ern aber ift ber ©ebonfe
eine§ Innenlebens ber SSirflidjfeit meift üi^öig fremb gen^orben. !5)ie
S^orftetlung üon einer SSeltfeele, einem geiftigen 2UI=2BirfIid)en, einem
mundus intelligibilis, erfdjeint if)nen ebenfo, lüie bie S^orfteüung
ant^ropomorpljer ©ötter, a(§ ein finblid)er ^raurn; fie ^oben biefe
$t)potf)efe nidjt nötig, fie fi.ninen bie SBelt an§ 5(tomen unb pfiijfifaüfdjen
Gräften erüären, etwa jenen Keinen 9teft, bie Sett)u^tfein§oorgänge im
©el^irn lebenber SBefen, aufgenommen. 2!)ie SBiffenfd)aft, fagt man,
ift in ha§i 9JJanne§a(ter eingetreten; fie geftattet fid) nid)t me^r ha^
finblidje Spiel foI(^er p^antaftifdjen ©pefulationen; wer ein Verfangen
barnad^ f)at, mag fie bei pf)dofopt)ifd)en 9tad)5iigtern fudjen. Unb bie
i)ffcntlid)e üJieinung ber @ebi (beten, burd; bie ^w^^^'ficfj^ '"^^ ^^^ '^^^
natura(iftifd)e SSeltanfdjanung ai§> ba§ ©rgebniS ber Ülaturroiffeufdjaften
auftritt, eingefd^üc^tert, fd^ömt fid) §u $ßorfteüungen fid^ §u befeunen,
bie nid)t ben naturlüiffenfd)aftUd)en Stempel tragen.
@§ liegt mir oöltig fern, jene ©ebanfen SSibermittigeu burd)
33ett)ei§füf)ruug aufnötigen ju lüollen; id; fjalte ein foIdjeS Unternef)men
für f)offnung§Io§ ober üielme'^r für gängtic^ unmögtid^. 2Bi(l jemanb
bei ber aftrouomifd3=p^t)fifaIifdjeu 5(ufid)t ber SSelt fte^en bleiben, fo
fann man il)u aus biefer Stellung nidjt l)erau»uötigcu. (Sr mag
fagen: ha§> ift e§, \va§> wir wiffen, oon bem anberen wiffeu wir nichts!
93ewuBtfein§oorgänge finb oerein.^elte (Srjdjciuuugen in lebenben 2öefen;
ob il)uen weitere, fo§mifd)e 5^ebeutung äufommt, baoon föunen wir
uidjtS wiffen; mit metapl)l)fifdjen .s^i^potljefeu aber gebe id) inid) md)t
ab. Sn bieftr Stellung ift er unangreifbar, ^tngreifbar bagegen wirb
er, fobalb er weiter gef)t unb fagt: ma^^ wir uidjt wiffen, ift aud)
246 I- S3utf): 2Jletap^t)fif. 2. ta^Jitel: S)o§ foSmoIogijd^'t^eotogiic^e 5ßrobIcm.
nid^t öorfianben, tüa§ 3(ftronomie unb ^f)9fif un§ (ef)ren fönnen, i[t
aßeö, lüa§ uom Unioerjum überfjaupt 511 fagen ift.
(Sinem joldjen negativen 2)ogmati§mu§ begegnet man t)ieüei(i)t
am ^medmöBigften mit Strogen; ber ^^rogenbe ift gegen ben 93e=
l^anptenben auf biefem ©ebiete, vok jc^on .^ume bemerft unb öor if)m
@o!rate§ faf), immer im S^orteil. ^Hfo nidjt mat)r, njerben mir
fragen, bu meißt, ma§ e§ mit ber SBclt auf firf) f)at, baB e§ eine
gro^e 5(nfamm(ung üon 5ltomen i[t, unb ha'^ babei öon (Seete unb
©eift feine 9^ebe ift, außer in biejen paar @e{)irnen, bie bie Grbe
unb öielleicfit nod) biefer unb jener anbere SBeltförper gelegentlich
{)eröorbringt. SBoranf beruf)t bocfj bieje» bein SBiffen? S)arauf, ta'B
bu üon einer Sßeltfeele ober etmaS ät)nli(f)em nie etmas gefe^en tjaft?
SIber J)aft bu benn bie @eele eines 2;iere§ ober eines 9J?enfcf)en ge=
fe^en? Unb bod) glaubft bu an i^r 2)afein. Söarum bod)? — 9^un,
barum, mei( idj l^ier ®et)irn unb 9^eroen fe()e. — 33 ortreff (id^; unb
alfo mürbeft bu an eine SBeltfeete and) g(au6en, menn man bir nur
ba§ 2SeIt[)irn unb bie 9lert)en geigte? Unb nermutüd) müBte bann
bie 3Se(t, menn fie ein ©e^irn l^ätte, and) fingen l^aben unb O^ren
unb 53eine unb ^^lügel ober 3^(offen, unb ein 9iüdgrat unb §er§ unb
9}?agen? ^(fo menn bies altes bir gegeigt mürbe, menn bie 2öe(t bie
©eftatt eines unermefetidj großen 33oge(§ ober SBalfifdje» ober ©lefanten
f)ätte, menn fie faute unb üerbautc, mie anbere Xiere, bann mürbcft
bu aud) benfen: ha muB eine (Seele brin fein?*j
9lun, ha^i märe benn frei(id) ein erftaunli(^ munberlic§e§ 2öefen.
95ielleid)t läßt fid) bod; audj einem ^t)i)fioIogen gtaublid^ mad)en, ha^ bie
SSeltfeele, menn e§ benn eine fold^e giebt, nid)t übel gett)an f)at, fid)
nic^t in foId)er ©eftatt gu in!orporieren. 9Zatürüd), ein 2;ier braudjt
ha^ aüe§: Seine, barauf fidj gu ftüt^en unb fidj gu bemegen, unb
SUiagen unb 3öf)ne, bie 9^of)rung §u »erarbeiten, unb Singen, bie Seute
ju erfpä()en, unb ein ß^^tralnerüenftiftem, feine 93emegungen ber
*) 'S)u 58ot§'9te^monb läßt ben 9?aturforfcf)er , bebor er in bie 2(nnQf)me einer
SBeltieete roilligen fönne, »erlangen, „ba'^ iijm irgenbmo in bet SBelt, in 9Zeu=
rogtia gebettet, mit marmem arteriellen S3Iut unter richtigem SDrucf gefpeift unb
mit angemeffenen Sinnesneröen unb Organen berfe^en, ein bem geiftigen S8er=
mögen ioId)er ©eele entipredienbe^ Äonüotut bon ®angtien§eEen unb 9?erben=»
fafern gegeigt würbe" (förengen be3 9?aturerfennen§ ©. 50).
8. <ßant^etämu§ unb SSeltfeele. 247
STuBentrelt ansupaffen. Slber boö STE f)at adeS ba§ nic^t nötig, lueber
eine (Stü^e, borauf gn [lef)en unb ^u gef)en, nocf) eine ©inridjtung für
ben (Stoffwecfjfel, nocf; 5(ugen unb D^ren, benn e§ f)at nicf)t§ ouBer
fid) 5U fef)en unb ju ^ören, unb jo tt)irb e§ aI)o auc^ ein ®ef)irn unb
9?erüen nicfjt braudjen. Ober l^ätte e§ tro^bem biejen gnnsen 5(pparat
fid) Qujc^Qffen foUen, nur um Qud^ einem auf ber|)öf)e bei ^ijrrtjonigmuS
ftel)enben 9laturfor]d)er be§ neunzehnten Saf)rf)unbert§ glaubf)aft ju
mad)en, boB bie SSirflid^fcit nod^ nic^t am @nbe fei, ujo ber 2op(acefd)e
(SJeift am (Snbe i[t?
Ober f)ätte e§, irenn benn oudj ni(^t bie ©eftalt eine§ großen
Stieres, boc^ menigftenS bie ®efta(t eine§ einzigen groBen, 5ufammen=
fjiingenben 5?örper§, ttwa einer ^ngcl, annehmen foUen, um and^ jenem
pi)rrf)onifc^en ©eift bie Vermutung eines ein^eitlidjen Innenlebens als
gutäffig erfc^einen ju laffen? SBürbe er ttjeniger STnftoB an biefer
Söorfteltnng nef)men, wenn baS Uuiöerfum ein ^ontinuum Bitbete, ftatt
eines ©t)ftemS öon ^ijrpern, bie burd^ ben unerme^tidjen 9^oum §er=
ftreut finb ? Sft ber hierin ju Xage tretenbe 9)?angel an einfjeit baS
^^inberniS? — Slber n^oburd) !^at ein STierforper @int)eit? burd) bie
^ontiguität aller Steile? Offenbar nidjt, fonbern burc^ bie funftionelte
Sintjeit aüer Seite. 33erü§ren fid^ etnjo bie 9)^otefüte, bie baS ©e^irn
eines SEiereS auSmad^en? @ie mögen burd^ Stbftänbe getrennt fein,
bie if)ren SDurd^meffer um ein 93etiebigeS übertreffen. SSerben bie
^tome als auSbet)uungStofe 5ltaftpun!te gebockt, bann finb \a bie Stb«
ftänbe unenblid) gro^ im 3Serg(eid^ jum 2)urd)meffer. 5(tfo ber SIZanget
an 5loutiguität ift burc^anS fein ^inberniS ber (5inf)eit; ob bie Seite
burd) SOlitliontet üon 3)?ittimetern ober burd) 9}?itIionen üon SOJeiten
getrennt finb, baS ift gleidjgültig, menn fie nur eine 58en)egungSeint)eit
bilben. Unb baS t£)un ja bie SSeltförper, fomeit n)ir fet)en, im
ftrengften @inne. Ober ift bie Semegung ^u einfad^ unb gteidiförmig ?
können nur fo fomptijierte SöemegungSftjfteme, n)ie bie tierifd)en 5^örper
eS finb, für belebt unb befeett angefe^en merben? g^edjuer ern)ibert
(Sbeen gu einer @d^öpfungSgef^id)te @. 106): „(So oerttjicEelt unfere
@et)irne finb unb fo fef)r man geneigt fein mag, an biefe 35ern)icEeIung
eine §öt)e geiftiger (Sigeufd^aften ^n tnüpfen, fo ift bie SBelt nnfäglid^
öermidetter, inbem fie eine Si^ermidelung aüer in fie einget)enben 35er=
tnidelungen, barunter unfer (55ef)irn fetbft, ift; lüarum nid;t atfo au^
248 I- 33u(f): 3netap^t)\it. 2. Kapitel: ®a§ foSmoIogifc^-t^eoIogiicfie ^ßroblem.
noc^ f)öf)ere geiftige @igeni(i)Qften an tiefe f)öf)ere S^erroicfelung fnüpfen?
2)er 93au unb Slusbau beS .^tmme(§ evfcfieint nur einfarfj, menn man
6(oB auf bie großen 9JZafien, ntdjt auf bereu 5(u§arbeitung unb 55er=
!ettung arfjtet. S)ie SSeltförper finb borf) feine rof)en gleid)f5rmigen
Stumpen, unb bie Se^ie^ungen oon Sii^t unb Scfiraere greifen ^tnifdjen
i^nen in mannigfacf)fter unb oerluicEeltfter SSeife burcl). 3^a^ aber
\)a^ 33iere in ber SBelt fidj and) einheitlich gruppiert, gufammenfaBt
unb gliebert, miberfprirfjt nidjt bem ©ebanfen, fonbern [timmt nur
baju, hü^ es ficf) entfprec^enb geiftig jufammenfaBt."
Sn ber 2:t)at, xoa§: ^inbert, in einem '^(aneten eine (Sanglien=
geüe be§ 2BeIti^irn§ gu erblicfen? Sft er gu gro&? Stber raorum
foüte ha§ 2SeItf)irn nirf)t größere ^^tlen bitben, al§ ein 2;ierf)irn.
Cber ftimmt feine 3ufciminenfe|ung nicfjt bagu? ßs finben fid^ ja
biefelben ©toffe barin, Äofjte unb ©auerftoff unb ©ticfftoff unb
ßifen unb ^f)D§p{)or unb ja^freidie onbere ba^u; unb taufenbfad)e
SBed)feIn)irfung gef)t ^mifdjen itjuen f)in unb £)er, ä^n(id) mie e§ in
einem ©anglion aud) ber galt fein mag. ^a, mer meiß, mie groB
unb einleuc^tenb bie 2i[f)nlid)feit un§ erfd)einen ftiürbe, tt)enn mir nur
bas ©anglion f)in(äng(i(^ gu üergröBern, feine Struftur gu ernennen,
bie taufeub formen ber 33emegung in feinem Sunern ju beobachten
üermöcf)ten. 9^ägeli beutet in ber fcf)on früher ermätjuten 2(bf)anb=
(ung über bie ©djranfen ber naturmiffenfc^aftlidjen SrfenntniS,*) morin
er überall auf§ ftärffte bie enipirifcf)e iycgrenjttjeit unferer (Srfenntni§
gegenüber bem Unenblidjen, fomof)! bem unenblid) ©roHen a(» bem
unenblic^ kleinen, f)eroort)ebt, eine foIcf)e 93etrad)tung an: „SSie bie
Xeilbarfeit nidjt aufbort, fo muffen mir nac^ 5InaIogie beffen, ma§
mir im ganzen 83ereid) unferer @rfaf)rung beftätigt finben, annehmen,
baß aud) bie ^iiiflirimenfe^ung ou§ inbiuibueüen, üon einanber ge-
fonberten STeiten nacf) unten fid) cnblos fortfe^e. (Sbenfo finb mir
genötigt, eine enbtofe 3"iQn^^^i^!s|""g ^^^d} oben ^u immer größeren
inbiüibuelten (Gruppen norausjufe^en. 2^ie SSeltförper finb bie 9JJo(efü[e,
meldte fid^ ju ©ruppen nieberer unb f)öf)erer Orbnung oereinigeU; unb
unfer ganje§ ^iyfternfiiftem ift nur eine 9}^o(efütgruppe in einem un=
enblic^ üiel größeren öan^en, haQ mir uns at» einljeitüdjen Crgani§=
*) ÜJJed)omid) = p^9ftotogijd)e Sfieorie ber 2lb[tammunggle|re (1884) (S. 572.
8. «pont^eigmug unb SBeltleele. 249
nui§ unb inieber nur q(§ STeild^en eine§ notf) größeren ©onjen t)or=
aufteilen {jobeu."
S)er ^f)i)[tfer ttjirb jagen: ha^ finb ja blo^e ^f)antaften. 9hiu,
fie geBeu fid) uid)t für öiel inet)r; aber bie ^fjantafie ^ot aud) if)r
S^ec^t unb ifjre 5(ufgabe, uub tt)äre eg f)ier aud) nur bie, ben 33erftanb
an feine ©djranfen gu erinnern. Sn einer ß^it tt)o bie SSiffenfdjaft
fo fef)r jum fatten 53ef)agen im (gnbtidjen neigt, irirb hü^ feine über=
fütffige <Bad)t fein. 3)ie iuiffenfd)aftlidje gorfd)ung fotl ru{)ig il)ren
SBeg ge^en, unbefümmert um bie ^Ijontafien. 9(ber fie joll nid)t
fagen: e» giebt nid)t§ in ber 2öe(t, oB n)o§ unfere ^{)l)fio(ogen unb
^oSmoIogen öon if)r iniffen. (S§ mag taufenb ®inge am §imme( unb
auf (grben geben, nou benen fid) bie @d)ultt)ei§f)eit ju unferer ß^it fo
menig träumen läfet, tuie ,^u ben 2;agen §am(et§, ja nielleidjt je^t
meniger oI§ bamal§. SJ^eint fie bod), ba§ 3:räumen je|t beinafje gan§
abgeftellt ju fjaben: bi§ auf einen f (einen 9^eft getegentlidjen S(ber=
glaubeng lauter aufgeklärte Seute, bie an bie ^f)i)fi! unb an bie $Itome
unb an ein paar Söelträtfel glauben, meiter aber fid) feine ©ebanfen
über bie Singe madjen.
2)ie 9Zaturiüiffenfd)aft fönnte burd; i^re eigene ©efc^idjte fid)
belehren laffen; ma§ finb nic^t in ben legten paar Sa^r^unberten burc^
ha§' 9J?ifroffop auf (Srben, burdj ha§: Seleffop am §immel für SSunber
entbcdt morben. .^ätte man einem mitte(atterlid)en ^^t)fifer üon
SJüldjftrafjenfijftem unb foSmifdjer Gntmidelung, üon bem ^aii be§
S(uge§ unb ber ^SettJegung be§ Sid)te§ erjä^It, Xüa§> in unferen @c^ul=
büc^ern ftef)t, er ^ätte barin nichts al§ 2;räume einer überspannten
^^antafie gefef)en. (Sollten mir nidjt, menn mir in ben 93efi^ oon
ä^nüc^en §ülf§mitteln für bie ©rfenntniS ber Snnenmelt fämen, ober
menn un§ bie (^aU be§ @eelenlefen§ gegeben mürbe, auc^ ^ier er»
ftaunlidie ©ntbedungen ju mad)en Ijaben? .^at altein bie ^örpermelt
immer neue Söunber auf§umeifen? ober mürbe nic^t bie Sun^n^oelt, menn
unjer 5luge aufgetf)an mürbe, fie ju fef)en, nodj oiel erftounlic^eren
Üieidjtum be§ 3nf)att§, gein'^eit ber ©lieberung, ©röfee ber ßufammen^
f)änge seigen?
©idjerlid), mir ^aben nic^t jenen ©inn; mir fudjen, mü^fam am
Seitfaben ber 5lnalogie bud)ftobierenb, bie feelifd)e Sebeutung ber Körper
unb Äörperformen gu erraten; nur in ber menfd)lidjen SBelt bringen
250 I. S3ud): Wlttap^t)ß. 2. Sta^pikh 25al foämologtjdi^l^eotogiic^e «ßroblem.
tv'ix e§ 5U einiger ^ertigleit; auf bie iintermenld)Iid)e jßSelt fällt tuenig^
ften§ nodj ein <Sc£)immer, bie übermenfd^Iidje SSelt bagegen uermögen
Xülx gor nidjt gu erfennen, unjer ßrfennen ge()t nid)t über unfer ©rieben
t)inQU§: (Sott begreifen ^ie^e (Sott fein. 5(ber nirf)t iDeife fdjeint e§,
njeil unfer %nQt nic^t bat)in reidit, gn fagen, bort ift niditS. ^Dogmotifdje
9^egation ift nic^t geringere 33ermeffenf)eit, a[§> pofitioer S)ogmati§mnä.
§IRit @f)rfurd^t üor bem Unenblic^en unb Unergrünbtic^en, bem Cueü
unb ^\d QÜeä SebenS unb @ein§, ftet)en, ha§ ift e§, moS 9J?enfd)en
geziemt.
S^üdert, ber finnige unb tiefe ®euter ber 9latur unb be§
£eben§, brüdt einmal bieg ®efül)l frommer 6^rfurd;t gegen ba§ gro&e
(55e^eimni§ be§ S)afein§ in folgenben Sßerfen au§.
©in 58orf)ang ^ängt öorm §eUigtume,
©efticft mit bunten 93ilbern
SSon Ster unb ^ßflanje, ©tetn unb 93{ume,
%\t @otteg ©roBe jdiilbern.
2)ie §(nba(^t tnieet anjubeten
SSor biefcn reichen galten.
Sin 2icf)t[trat)I Ijinter ben Sapeten
Sßerfläret bie ©eftalten.
^ä) neige mid) gum ticf[ten ©aume
Unb ÜiB if)n nur mit S3eben,
9)iir faßt nic^t ein im füfinften Sraume,
®en SSortjang megju^eben.*)
3Sa§ aber ha§> 9}erl)ältni§ bes (ginjelgeifteS gum 2lü=@eift an=
langt, fo njürben luir e§ irgenbn)ie gu faffen oerfudien muffen nad)
bem ®d)emo be§ ^erl)ältniffe§, in bem jum (Sinjelgeift feine einzelnen
DJJomente ftel)en. SBie l)ier bie einzelnen (Mefüljle, Seftrebungen, @e=
bauten bem größeren ß^föw^i^^^^^^i^Ö '^^^ (SJanjen eingegliebert finb,
fo ujöre mieber ha§> gan§e (Seelenleben aU eingegliebert in ben aü-
nmfaffenben 3iifaii^"t^i^^Qii9 ^^^ 2eben§ (5)otte§ ansufeljen, eingegliebert
üielleid)t burd; eine lange Äette oon äJJittelgliebern. S)amit ttjüre i^m
feine ©elbftänbig!eit, natürlid) eine retatioe, nid^t genommen. 2öie
ber einzelne STrieb ober Stffelt, bie einzelne (Sebanlenrei^e ober SSor=
ftellungggruppe in unferem «Seelenleben eine gemiffe Selbftänbigfeit
t)at unb bod) babei bem (55an5en angel)ijrt unb gum ©anjen mirft, fo
*) ©ejammelte ®ebic^te. VI. ©. 195.
8. <pont^ei§mu§ unb 28clt|eele. 251
lüürbe ein ganjeS ©eelenleBen mit einer bem reid^eren Snt)alt ent=
jpredienben größeren (Selt)[tänbig!eit bem ttieiteren ßufammen'^ang ein»
gefügt fein. S)ie ©lieberung be§ 5lörperli(f)en märe bie 2)Qr[tetInng
biefeS $öerf)ättniffe§ in ber (Srjd^einnngSmett: bie organijdje ßtUt ein
relatiü felbftönbigeS ©lieb eine§ Scibe§, ber felbft mieber aU ein ab'
{)ängige§ unb bocfj SUflIeid; fet6[tänbige§ ©lieb ^unädjft bem 2eben ber
©Qttung, mit it)r bem Seben ber @rbe Qnget)ört unb mit biejem mieber
Weiteren 3uiantmen{)ängcn eingegliebert i[t.
SDqB loir !ein unmittelbare^ 53emu§tjein üon bie[er (Singtieberung
unjere» (5eetenleben§ in ben größeren ßufantmenfjang ^aben, bemei[t
nidjtS gegen fein ©tattfinben; ha§> ©anje überfietjt ben 2^eil, ber Xt\l
ober nid^t ha§> ©Qu^e. Sine ©el^irnjelle, menn fie ein ein^eitlid^eS
Innenleben mit S3emuBtfein f)aben follte, mürbe and) nid)t ha§> (Seelen=
leben be§ 9J?enf(^en unb itjr S5erf)ä(tnil ju if)m unmittelbar empfinben.
©0 !önnen mir nid)t mit intuitiüem SBiffen unfereS SBerpItniffe§ gu
ben übergeorbneten SebenSfreifen inne merben. ®od^ üermögen mir in
abftra!tcr (£r!enntni§ gu fef)en, boB unfer ©eelenteben nidjt ein abfolut
fetbftänbigeS ift, fonbern uon größeren 3iiiQn^"'£"^ängen umfdjioffen
mirb. ©eine näd)fte Umgebung, ha§> gefc^id^tlidje ßeben beg S5oI!e§,
öermijgen mir noc^ in einigem 9}JaBe gu faffen. 5tud) faffen mir ben
3«fammenl)ang be§ leibüdjen 2eben§ mit ber umgebenben 9latur, öon
ber e§ gel)egt unb getragen mirb. 5lber mir fönnen nidjt biefe 9Iatur
in @eift umfe|en, unb nun unfer ©eelenleben al§ eingefdjloffen in
ben pft)d;ifd)en ^itföuimeuljang erf äffen, ober mit tant§ Sln^brud,
ung ot§ noumenon bem inneren 3uiQtti"i^"^)Qi^9 ^^^ noumena, al§
©lieb bem mundus intelligibilis einfügen. §ier bleibt ha§> 2Biffen
bei fd)ematifd)er ^^'onftruftion fte'^en.
SBa§ ober haS^ S3eben!en anlangt, \)a^ bei biefer 5tuffaffung audj
ba§ galfdje, 35er!et)rte unb 335fe bem 3uf'ii"i"c«'f)ong be§ göttlidjcn
£eben§ eingefügt märe, fo bemerle id) t)ier nur, ha^ biefer ©djmierig=
!eit bisher nod) fein ^-i^erfud; ber 5?'onftruftion ber 2öirttidj!eit |)err
geworben ift. Sd) !omme barauf jurüd, meife aber nod) barouf ^in,
baB wir ba§ ©d)ema für bie ^onftruftion aud) fjier bem eigenen
Innenleben entnelimen !öunten: e§ gefd)iel)t mo^I, bo§ un§ ein Svr=
tum, ein falfc^e^ Seftreben lange nad^ge^t, bis e§ bem ©eelenleben
gelingt, feiner §err ju merben unb e§ auS^ufto^en, nic^t oljue ta^
252 I- S3ud^: SRetapfj^fif. 2. Kapitel; ®o§ foSmoIogifrfj-tfieoIogifc^e Problem.
wir nun baburd^ an (Srfa^rung unb Äroft gelüonnen Ratten. 3Ba§
luäre ein ®en!er, ber iiidjt burc^ bie Irrtümer ber ßeit gegangen njäre?
Sa, e§ gefrfjieijt and), ha'ii in unferm Innern ein banernber 2Siber[treit
entgegengeje^ter S3e[tre6ungen nnb eintriebe, einanber njiberftrebenber
@eban!en nnb ©efütjle fic^ finbet, o{)ne ta"^ ttiir bie ®i§t)arnionie
anf^ntöfen üermögenb jinb; ift bod) ber ÖJegenfalj öon ®ei[t unb O^Ieijd)
eine ber atlgemeinften nnb tiefften (grfaf)rungen be§ 9Jienjc§engefc^Ied)t§.
©0 mijgen inir ben!en, boB e§ and} in @otte§ Seben an inneren
®egenfä|en nidjt fef){t, nur ha'\i ^ier jule^t alle @egenfä|c nnb aüc
S)i§^Qrmonien ber 2öirflid)feit in eine gro^e |)armonie anfge(ö[t jinb,
eine Harmonie, bie freilid) in feinet [terblic^en 3J?enfdjen Dt)r ge=
!ommen i[t.
(^nbtidj f)ätten wir, um anc^ ha§> nodj ^u bemerfen, in bem
53el)a(ten be§ Vergangenen in ber Erinnerung ha§> ©djenia für bie
bauernbe ?(ngef)i3rigfeit ber (Sinjeljeele gnm ©efamtgeift. Unfterb^
(id)!eit in bem @inn ber (gmigfeit i[t ja unäiüeifet{)aft eine not-
njenbige SSorfteüung; ha^ ein ©eetenleben abfolut üerge^e, ift auf
jebe SBeife nnbenfbor. (Sin 33organg fann ja nid^t baburd^ nnmirtlid)
njerben, ha'\i er in bie SSergangenfjeit übergefjt. SSäre ha§^ ber ^aü,
Ujöre ha^ SSergangene fd)(ed)tf)in unb in jebem (Sinne untuirtlidj,
ebenfo uniuirflid) mie ha§, maS nie \vax, fo gäbe e§ offenbar über-
f)anpt feine SSirfüdjfeit; benn in ber ©egenmart fann fie nid)t fein,
biefe ift ein ansbe^nungSlofer 3^itpun!t. SSie ift nun mein (Seelen=
leben, ba§ ber SSergangen^eit angeljört? SBir fogen: e§ ift in ber
Erinnerung, unb baburc^ fjat e§ gleid^fam an bem weiteren Sterben
fortbauernb tei(, baburd^ bleibt if)m and) bie ^ejiefiung gur ®egen=
Wart, gänbe nun ein äfjnlidjeS $ßerf)ältni§ gmifdien bem EingeHeben
unb bem (Sefamtgeift ftatt, bann f)ätten mir barin ein bauernbe§
S)ofein unb SBirfen be§ (SinsellebenS and) nad) bem §(bfdj(uB burd)
ben Stob. (S§ bliebe at§ ein nuDerlierbareg Element be§ gottlidjen
SebenS unb S3emufetfein§. Unb nidjt§ I)inberte ^u benfen, bofs it)m
audj retatioe ©ctbftänbigfeit unb Semn^tfeinlein^eit innerhalb be§
©onjen bliebe. E§ finb foldje öebanfen, bie getaner in bem
gmeiten 23anb be§ 3^»^=^^^ftö ^"^^ i" ^^^ „Süc^tein üom Seben
nac^ bem Xobe" (3. ST. 1887) au§füf)rlid; entmidett; ic^ fann t)ier
nur barauf f)inmeifen.
9. ®a§ SSer^ältniä be§ vantf)eiftifd)en ®otte§begrip jur ^Religion. 253
9. ®al 23crpltnt§ bc§ ^jontpiftifd^cn ©ottcSbegrip jur ^fcngion.
Sm üorigen ?I6fd^nitt ift ber S^erfuc^ gemarf)t, ba§ 3Serf)Qltni§
ber pQiitljeiftijdjeu SBeltüorfteüung 5ur naturiüiffenjc^Qftlidjen Sdifioffung
ju Iie[timnien. Sdj füge nun eine 93etracf)tung über i()r 3Serpltni§
gur ^ieltgion f)inäu. 3[t ber ^ant{)ei§mu§ mit 9teIigion, boä f)eifet
belli inneren ^abitii^ ber ^Jteligiojitiit, nid)t mit biejer ober jener ®og^
matif ober Ä1rd)enletjre, üerträglid)?
S)ie Söeantmortung ber grage je^t eine S3er[tänbigung über ha§>
SSefen ber ^^eügion üoronl. Sarum fjierüber jnerft ein SSort.
üteligion i[t nidjt ein Söiffen; e§ giebt ein SBijfen oon ber Ü^eligion,
Df^eligionSgejdjidjte nnb 9ieIigion§pt)i(ojopI)ie, aber boS i[t nidjt bie
Üieligion. Religion ift ondj nic^t ein §anbeln; e§ giebt ein ^onbeln,
in bem Sflcligion fidj barftellt, bie ^ultt)anblnngen, aber fie finb nidjt
bie 9ieligion. S)ie Dieligion jelbft t)Qt it)r Sßefen in einem eigenen
|)abitu§ be§ ®emüt§; jmei ©eiten treten barin l^erüor, §tt)ei f)abitneUe
©efü^Ilftimmnngen; id) nenne fie Semut unb ßuüerfidjt,
(Spotte §furd;t unb ©ottoertrauen.
®emut ift bie (Smpfinbung be§ Steinen gegen ha^ ®ro^e, be§
(5nblid)en gegen bog Unenblidje. 3)er 9JJenfdj finbet fid) mitten t)inein
gefteüt unb öon allen Seiten umgeben unb getragen oon bem Uuenb=
lidjen. ^k Unenblidjfcit be§ 9^aume§ unb ber !I}inge breitet fid) ring§
um i^n aul, er felbft in i^r ein öerfdjminbenber ^unft. (Sbenfo bef)nt
fid) enblog oor i^m unb I)inter itjiu bie ßeit jur ©migfeit; fein Seben
bcbentet in djr einen oerfdjminbenben ^uuft. (gin feienbeS 9lid)t§ im
unermeBlidKu 2U1, ha§ ift ber 9}knfd). Unb meil if)m bie§ S3ert)ä(tni§
gum Söemu^tfein fommt, barum ^at er Ü^eligion. S)a§ ^ier f)at feine
9teIigion, meil e§ nid)t jum 33emuBtfein feiner felbft unb feinet 55er=
tjältniffc» äur 3öirflid)!eit fommt; c§ erteibet ha^ Seben, of)ne feiner
im ganjen inue gu merben. 3m a)knfc^en brid)t mit bem ©elbft* unb
2öe(tbemuBtfein ba§ ©cfül)! ber eigenen Äleintjeit, DZic^tigfeit, 3Ser=
gängtidjfeit Ijeroor. Stnftaudjenb au§ bem S)unfel an§ Sidjt ber ©oune
lebt er, abf)öngig üon ben taufcnb Unfällen be§ 333elt(auf§, einen 5tugen=
blid, bann ftö^t i^n ber Zo\) iüieber in bie 9lad)t ber S^ergeffenfjeit
f)inab. 2)a§ ift eine in aüer religiöfen S)id)tung immer mieber^
fel)renbe 93ctrad)tung; nirgeub^ ift fie manuigfadjer unb bemegcnber
anSgebrüdt al§ in ber ^oefie be§ 5Uten 2eftament§. @ie fef)lt aber
254 I. 93u(^: 'iatttap^t)\\t 2. Kapitel: S)a§ folmologifd^4^eologtf(i^e Problem.
QUd) ben ©riechen nic^t. S3ei .g)omer, bei ben S^ragifern üingt fie
oft an: raie bie 33Iätter be§ SBatbe§, \o ftnb bie ©efdjledjter ber
a«enfd)en.
®a0 i[t bie eine (Seite ber reügiöfen @efüt)l§[timmung; (S(^Ieier=
mad^er f)ebt fie f)erüor unter bem 9kmen be§ fd)(e(i)t()innigen 5(6=
f)ängigfeit»gefü^(§.
S)ie anbere Seite ift bie ßuü erficht, ba§ SSertrouen, bo^ hü§>
Unenbtid^e borf) nic^t btoB ha§> Übergroße unb SlUgemattige, fonbern
gugteid) ha§> Stllgute fei, boB id^ e§ onerfennen unb mid) it)m mit
QÜein, tnaS mir lieb unb lüert ift, ruf)ig auüertrauen fann. hierin
beftef)t eigentlid) ba§ SBefen be§ religiöfen Ö5Iauben§. ©loube be=
beutet in ber 9ieIigion nid)t ein 9J?einen, ein minber gettjiffeg Söiffen
ober 3^ürn3a^r{)atten, tt)ie Jüir freiließ ha^ SBort aud; gebrondjen; ber
religiijfe ©taube bebeutet bie unmittelbare @ert)iBI)eit be§ Ö5emüt§, ha'^
"Oa^ SßirfUdje aug bem ©uten !ommt, ha'^ aüe§ maä gefc^ief)t, §unt
Seften, §u meinem 33eften bienen mu^. tiefer @(oube berufet ni^t
auf t(}eoretifd)en Unter fuc^ungen unb 53emeifen, er !ommt nid)t au§
bem 33erftanb, fonbern au§ bem SBillen. ©o fogt e§ ber 5tpofteI: „ber
staube ift eine gemiffe ^ii^^^i^f^c^t beffen, bos man t)offet unb nid)t
gmeifelt an bem, ba§ man nid^t fietjet;" alfo eine pvaltifc^e 3uüerfid)t,
bie nidjt auf bem ©efjen unb (Srfennen, fonbern auf bem ^offen unb
SSolIen beruf)t.
©0 braudjen xoiv ha§: SSort aud^ fonft. ©ine 9}lutter glaubt an
it)r ^inb. Sf}r ©o^n get)t mand)en SSeg unb mand)en Srrtoeg; bie
anbern öerlieren ha^ S^ertrauen: au§ bem mirb nidjtS. S)ie 9J?utter
aber {)ä(t ben ©tauben feft: er mirb mieber gured)t fommen. ©ie
t)at !eine ©rünbe bafür, fie !ann e§ nid)t bem ßtt^'^^f^^tiben, etma au§
tieferer pfi)d)otogifd)er (Srfenntni§ feines 2Befen§, bemeifen; fie glaubt
nid)t mit bem S3erftanb, fonbern mit bem ^er^en; i()r Beben §ängt an
if)rem ©tauben, borum !ann fie oon itjm nid)t (äffen. @o gtaubt
ein äRann an fein 3So(t. ör fie()t manc()e§, ma§ i()m nidjt gefä((t,
Unrecht unb Süge unb ©djeinmefen, freüe(()aften Übermut unb pi3be(=
f)afte ©emein^eit, aud^ bei fo(d)en, bie nic^t ^um ^öbet fid) 5ä()(en.
®ennod) oerliert er nic^t ben ©tauben; haS, ift nidjt ha§^ SBefen be0
S]o(fe§, fonbern ein itjm eigenttidj frember S(u§mudj§. Sm ©runbe ift
e§ bod) ein redjtfd)affene§ unb tüd)tige§, ein tt)at)r()afte§ unb treues
9. 2)03 SSerf)äItm§ bei pontfieiftifdien ©otteSbegriffä jur Sieligion. 255
33o(f, e§ tüirb bog SZic^ticje unb SBiberlic^e qu§ feinem SSejen au§=
ftogen. @r faiin e§ nid[)t kmeifen, lueber biirrf; ©tatiftif, nod) burd^
©efd^tdjte; and) er glaubt nidjt mit bem 33er[tanbe, fonbern mit bem
.^eräen, mit feinem äöefen unb SBillen. (Sr mü^te of)ne biefen ©lauben
an fid; felber, an feiner SBirffamfcit, an feinem Seben nerjiueifeln; er
fonnte ein Seben, unter tuibrigen Sügentaröen bie einzige füljlenbe
33ruft, ni(i)t ertragen, borum glaubt er an fein SSotf.
Sn biefe Drbnung getjört audj ber religiöfe ©laube. 5üidj er
beru'fit nidjt im 55erftanbe, fonbern im SBefen unb SBiQen. (Sein Snf)alt
ift, gauä allgemein auSgebrüdt, bie ^uoerfidjt, ha'^ bie 3Bir!(id^!eit, al§
bereu ©lieb id^ mid) finbe, einen öernünftigen, guten, t)on mir an=
crfennbaren (Sinn Ijobe, bafe 2BeIt unb ©djidfol nidjt ein §aufe blinber
unb jiellofer 3ufßtte finb, fonbern burd^ eine Sbee be§ @uten beftimmt
raerben, burd^ @ott, ben S(Itmir!Iid)en unb ^üguten. S)iefe ßwöerfidjt
erfdfjeint in erfter, nod) ro'£)er ©eftaft fd)on im primitiöften ©ö^enbienft,
e§ ift bie ^i^öerfidjt, ha^ e§ 9JJäc^te be§ @uten in ober über ber
SBirflid^feit giebt, bie ba§ ©c^ümme abjumenben, ba§> künftige unb
(5)ebeif)Iidf)e in bie Sa^n §u lenfen oermi3genb finb. Sie ^at eine üoll*
fommenere g^orm in bem ©ötterglauben ber großen gefd)ic^tlid)en SSöIfer
gewonnen: ©ötter, geiftige unb gute SSefen, finb e§, bie SBeltlauf unb
3J?enfcf)enfd)idfat in i^ren Rauben galten unb mit unmiberfte^Iidjer
^raft bo§ ü^edjte unb @ute fd^ü^en. Sf)ve le^te ^orm erf)ölt biefe
ßuöerfic^t in bem ©tauben on eine oßmaltenbe 55orfef)ung, o't)ne beren
SlMüen nid)t§ gefd)ief)t, burc^ beren äöiöen atleS, maS gefd)ie^t, jum
©Uten gelenft ujirb. Se^iefjt fid) ber ©(aube gunädjft auf haS^ eigene
2eben unb feine näd)fte Umgebung, baB if)m nidjts juftoBen !önne,
mo§ i^m nid)t jum Seften bienen muffe, ha'\i and) UngUid unb ^rübfat
nic^t §um SSerberben, fonbern a(§ ßücfjtigung ober Prüfung jum ^eil
ju fiit)ren beftimmt feien, fo erweitert er fid) notmenbig auf bie größeren
Greife. 5tud) meinem SSotf iüiberfä{)rt neben bem ©uten anfd^eincnb
(Sdjlimme§, aber auc^ if)m, fügt ber ©taube, ift 92ot unb 9iieberlage
nidf)t 5um Unfieit, fonbern jum Segen beftimmt; erft in ber 'iflot ent=
falten fid) ade feine Gräfte unb Xugenben, unb bie 9ÜeberIage fü^rt
e§ jur 53efinnung auf fein eigentlid)e§ unb toafjreS äöefen. Unb fo
mit ber 3J?enfc^{)eit: julet^t finb alle i^re Sdjidfale 5üf)rungen ju
bem großen ßiel, ber Erfüllung if)rer göttlichen SBeftimmung; ba§
256 I. S3uc^: Wtttapf)t)\il 2. tapitel: ®og folmologifc^-t^eologiic^e «ßrobkm.
Sfieic^ @otte§, mit bem 5Iu§bruc! bei c^riftlicfien ®{auben§, ift ba§ 3^^^'
fein SBerbeu ber eigentüdje Sii^jatt ber SSeltgejrfjicfite. 5I(jo, bofe bie
SBir!üc^!eit für bie f)öcf)ften @üter ber 9}ienid)f)eit nid^t nur ^aum
^Qt, fonbern baB fie auf fie angelegt ift, bafe in ber SBelt nidjt eine
blinbe unb äuBere, fonbern eine innere, teleologifc^e D^otmenbigteit
l^errfd^e, hafj bie natürliche SSeltorbnung im örunbe eine fittlic^e
SSeltorbnung ift, ha§> ift in aügemeinfter formet ber Snf)a(t be§
@Iau6en§ an @ott. 2(t()ei5mu§ aber luäre bie Seugnung nic^t
ber 33etDei56arfeit, fonbern ber 33erecfjtigung biefe§ Q3(auben§, »äre bie
bogmatifdje Set)auptung: e§ giebt feine fittlidje, fonbern nur eine
natürlidie SBeltorbnung.
2)iefer ©taube ift nicfjt eine tf)eoretifc^e (Sinfic^t, er erlüöc^ft nidjt
ou§ teIeotogifd)er Beweisführung, fei e§ au§ ber @efd)id)te ober au§
bem Seben be§ (äin^elnen; er berut)t überhaupt ni(^t eigentlid) auf
©rünben, fonbern auf einer pra!tifd)en ?iotrtienbig!eit: er mad^t bo§
2eben unb im befonberen ha^ Seiben erträg(id). 2)a§ 2;ier erleibet
ftumpf finnig unb gebanfenloS, n)a§ über e5 fommt; ber 9}?enf{^, ber fid;
©ebanfen über bie SDinge unb has» Seben nmc^t, befreit fid) üon bem
2)ru(f be§ ©(^merjes unb bem größeren S)rucf ber SIngft baburc^, ta^i
er ben Sdjidfalen einen G3ebanfen unterlegt, ßr öermi3(^te ba» Seben
nic^t äu ertragen, tt)enn er bie SSett üt§ einen ungetjeueren ü}?e^ani§*
mu§ unb fic^ all ©pietbatl blinber Äräfte betrad)ten müBte.
2^aB biefer ©taube nic^t beroiefen, fonbern nur geglaubt ttjerben
fann, barüber ift hüQ C£t)riftentum nid)t im ^^^U^^- ^^^ I}eiligen
®d)riften fagen c§ an ^unbert Stellen: öotte» Söege finb nid)t unfere
SSege, feine Sf^atfc^lüffe finb unerforfd)lidj. Sag ^eißt: menn mir
@d)icffal unb SSeltlauf gu nmdjen Ratten, bann mürben mir, auc^ ber
einfid)tigfte unb moljlmeinenbfte, an l)unbert Crten hk SDinge anberS
fügen, al§> fie mirflid) get)en. Un§ fc^eint e§ oft, al§ ob ein blinber
9hturlauf 5erfti3renb in ba§ Seben einbredje unb bie l)i3i^ften ^Wtdz
gleichgültig burdjfreuge; uns fd)eint ber Verlauf ber ©efcl)icf)te f)äufig
genug bem <Bd)kd)kn bie Cbertjanb ^u üerfdjaffen. Sn mandjen gälten
urteilen mir felbft l)interl)er anber§; mir machen bie (Srfal)rung, ha}i,
mas anfangs als SdjlimmeS erfct)ien, im meiteren ^ßerlauf fic^ alS^ eine
mol)ltl)ätige gügung erraeift; an foldjen (irfaljrungen ridjtet ficf) ber
ölaube ouf, er erinnert fid^ il)rer gern, um baburdl) ben (äinbrucf gegen=
9. 2)a§ 8?ert)ältntg bei pont^eiftiic^en @otte§6egriff§ jur Sieligion. 257
tüärtiger Sf^ot §u übertniiiben. Stber er meint nid^t, qu§ if)nen einen
tfjeoretiicf) genugt^uenben S3ett)ei§ machen §u !önnen. Sie umgefet)rte
©rfotirung, bafe 9Jot unb (glcnb ba§ 2eben Qurf) innerlidj üerbittert unb
üeröbet, ober ha'^ jrf)ein6are§ @lü(f gum SSerberben unb jraar gum un=
Ijeüboren 3Serberben fü^rt, 95ölfer n^ie einzelne, ttJöre ber ftet§ bereite
®egenbeU)ei§ gegen olle S^erfud^e einer St^eobicee, bie ben 2S3ert einer
betüiejenen 2;f)eorie in Slnjprucfj nehmen wollte.
®er ©laube aber lä^t fic^ nic^t irre macfien. (5r giefjt fid) bem
gegenüber auf bie Sejd)ränftf)eit raenfd)Ii(^er (Sr!enntni§ jurüd: @otte§
©ebanfen finb t)'öi)tv ai§> unjere ®eban!en. ®a§ eine bleibt bem
©laubigen unter allen Umftönben gemife: benen, bie ®ott lieben, muffen
alle S)inge jum S3eften bienen. S)iefe ßuöerfid^t üerläBt i^n aud; im
Untergang aller irbifd)en |)offnungen nid)t. 2)er SSerftanb ftef)t baneben
unb öermag e§ nid)t §u faffen. @r loiberfpridjt nid)t; er fie^t tüof)(,
mie unfidjer \thc§: Urteil über ba^, toa^ gut unb fd^timm für einen
9}?enfd)en ober ein S5oIf ift, bleibt. (Sr entf)ält fid^, gmeifelt unb fd^meigt.
2)er ©taube aber gef)t getroft tjinburd^; unbebürftig be§ SeU)eife§, un=
jugänglid; bem ßiüeifel, ruf)t er im SSefenmilten be§ ©laubigen: bie
2öirflid)!eit muB fo fein, ha'^ 16) unb aüe^, tt)a§ mir ba^ ^öd^fte unb
ßiebfte ift, barin beftetjen fann.
2)a§ ift in allgemeiner ^^ormet ber Snfialt be§ reügiöfen ©laubenä.
Sn ber S®ir!Iid)feit !ommt er nid)t in biefer abftra!ten ^^orm, fonbern
nur in !onfreten iöerförperungen öor. 3u ben anfc^aulidjen SSor=
fteüungen unb @i)mboIen ber gefd)id)tlic^en 9ieIigionen, in ber finnlid)=
überfinnüd^en 2(u§gefta(tung einer jenfeitigen SfiSelt burd) bie ^^antafie
roirb ber ©taube fafelid) unb trabierbar, ja eigentlid^ erft ganj glaub=
lid). SSor allem mirb er bamit ber ß'unft unb 3)id)tung jugänglid),
ber eigentlidjen ^Bermittlerin be§ Unau»fprec^tidjen unb Überbegrifflid)en.
greilid) aud^ bem refleftierenben ®enfen tüirb bomit ber ©loube
gugönglidj. Snbem biefeg bie S^Jatur jener jenfeitigen SBelt unb i^r
$yer^ältni§ ^ur bieSfeitigen mit ^Begriffen ju faffen fudjt, entftetjt eine
©taubenS I e I) r e ; unb inbem bie ©tauben§gemeinfcE)aft ben Snt)alt ber
©taubengref)re in oerbinblic^e g^ormetn fafet, entftet)en SDogmen ober
i8efenntniöforme(n. ©o ift e§ ber ü^eligion 3efu ergangen; in bie
p(}i(ofopf)ierenbe tieüeniftifdie SSelt hineingetragen, gemann fie eine f^orm,
bie t)a§> 2JJiBöerftönbni§ t)eroorrufen Jonnte, al§ fei ba^ 6t)riftentum
^aulfcn, (Einleitung. G. Slufl. 17
258 L^nä): mttap^i)\il 2. ^apxttU 2)o§ togmologtfc^-t^eologtjc^e «Problem.
njefentlid) eine 2el)re, bie, n^ie eine ^()iIofopf)ie, tt)eoretijcf)en SBert ^obe
unb mit bent 35erftanbe anfgenomnicn ujerben fönne unb muffe.
^m ©runbe ift ba§ bodj nirf)t bie 3J?einung. ©igentlid^ tüiü
ha§> 23efenntni§ ber liird)e, mie e§ in ben brei Strtifeln feine aiU
gemeinften f^ormeln gefnnben ^ot, bod) nidjt eine 5^erftanbe§einfidjt,
fonbern eine praftifd)e @en)iBf)eit augfpredjen, in ber fid) bie ©emeinbe
6f)rifti ein§ mei^. SSenn fie im erften Slrtifel fid^ sunt ©lauben an
©Ott ben 33ater, ©diöpfer ^immel§ nnb ber (Srben, 6e!ennt, fo kbeutet
ha§> bodj nidjt eigentlich eine tfjeoretifdje (£rfenntni§, gu ber man burd)
tt)iffenfd)aftlid)e Unterfni^nng geführt n^erbe, fonbern eine nnmittelbare
®ett)ifef)eit, ha'^ bie SSelt nid^t öom Bufotl, ober, mie einige meinen,
öom Stenfel, fonbern öon ®ott unb §u ©Ott, bem Sttlgnten, ift. Unb
njenn im jnjeiten Strtifel bie ßfjriftenlEieit fic^ gum ©lanben an Sefum
©f)riftum, ben (So^n &>otk§>, geboren öon ber Jungfrau Wlaxm, be=
fennt, fo tt)ilt fie bamit bod^ nid^t fogen, ha'iß fie öon einer gefd)id)t=
lid^en 3;^Qtfad^e ober gar einer naturtjiftorifd^en Stnomolie eine fid()ere
^unbe ^ahi, fonbern fie niill i^re unmittelbare ©etuife^eit auSfpred^en,
bafe in Sefu§ ©Ott fic^ t)at offenbart im S^teifdj, ha'^i in i()m ber
SUlmödjtige unb 5ttlgute feinem SBefen nad) fid) barftellt, tt)ie e§ in ber
©eftalt eine§ 9J?enfd^enfot)ne§ fid) barfteüen !ann: ein 9J?ann, ber
gor nid^tä für fid^ ftiiü, ber alten otteS ©nte t^ut, ofjue 5)an! gu
begef)ren, ber oüeS S3itterfte unb ©d)mät)(id)fte leibet, oljne ^n l^offen
unb gu flud^en, ha^ ift ©ott, ©ott in 9)ienfd)engefta(t. „©ut fein,
fagt @at)onaroIa, f)eiBt ©ute§ t!^un unb S3i3fe§ leiben unb barin au§-
l)alten bi§ gum @nbe." Unb ebenfo brüdt ber britte 5trtifel eine
praftifdje ©en:)iBf)eit au§, bie ©emifetjeit, boB bie 9}?enfd)§eit gum 9fleid^
©otte§, 5ur emigen ©emeinfd^aft be§ §ei(§ unb ber ^eiligen berufen
ift, unb ha'^ in ber ©emeinf(^aft aller mafjren (£f)riftu§jünger ber ©eift
©otteg luirffam unb lebenbig fein ttjirb, fo lange auf (Srben 9J?enfd)en=
fjergen fdjtagen.
Sllfo ni(^t ein pt)i(ofop^ifdje§ ©t)ftem, nidjt ein tt)eoIogifdje§
S)ogma ober gar ein gefpenftiger Oieft alten 5Ibergtauben§ ift ber
©laube be§ 6f)riftentum§, fonbern eine unmittelbare unb lebenbige
©emiBtjeit be§ ^ersenS öon bem SBefen be§ ©uten unb feiner 33e'
beutung in ber 3[öir!(id)!eit. 2)iefen ©louben fann e§ tjeute fo gut
geben al§ gu ben ßeiten ßutf)er§ ober 5tuguftin§ ober ber jünger,
9. 2)a§ SSer^ältniS be§ pont^eiftifd^en ®otte§begrip jur SReligion. 259
bie Scfum leibhaft mit fingen faf)en. 93eftünbe ber ®(Qu6e be§
6f)riftentitm§ in allerlei 9}?eiuinigen unb 2e^rfä^en, bann f)ätten bie=
jenigen redE)t, bie e§ längft tot gejagt fjaben, 2et)rjci^e nnb 9)ieinnngen
f)a6en nid^t jo lange fieben^bauer. SBeftünbe ha^ 6f)ri[tentnm in bem
bncfiftäblid^en ^üruia^r^alten ber ^öefianptnng, ba^ öor fünftanfenb
unb etlichen Sof)ren bie 3BeIt au§ nicfjtg gemacht n^urbe, ha'^ bie erften
SiJZenfd^en 5Ibam unb @öa l^ieBen, boB jener au§ einem ©rbenftofe,
bieje an§ einer Ü^ippe 2(bam§ gemacfjt mürbe, baB fie in einem fdjönen
©arten mofjnten, in bem and) ®ott felbft mo^( einmal in ber ^ül^Ie
fic^ erging, bi§ fie eines STageS üon einer Schlange fic^ bereben tiefen,
bie 3^rüd)te öon einem beftimmten 5(pfetbaum §u effen unb bafür
üon bem erzürnten @ott au§ bem ^arabieS geftofeen unb nebft allen
it)ren 9larf)!ommen mit Seiben unb Stob beftraft mürben; beftünbe ha^
(Sfiriftentum in bem ^ürma'^rt)a(ten biejer unb ä^ntid^er S)inge,
5. 33. ber (5)ej(i)itf)ten, bie üon Sefu üaterlojer ©eburt er^öfilt merben,
ober ber mirafulöfen i^rmaubhing üon SBaffer in Si^ein, ober ber
(Sättigung oon fünftaufenb 9Jienfd)en mit einigen Riffen 93rot§, ober
in bem 5ürmaf)r!^atten ber X^eoreme öon ben stnei Staturen ober
ben brei ^erfonen in einem Söejen, ober be§ S^'^eoremS, baB ®ott
ber 9]ater ben STob @otte§ be§ (Sot)nel ^ahc herbeiführen muffen, um
bamit feiner @ered)tig!eit genügenbe Sufee für SlbamS $öerfc^ulbung
§u oerfdEjaffen, ober ber 93e'^auptung, ba^ eine gemiffe (Sammlung öon
(Scfiriften nicfjt au§ bem (55eift gläubiger unb frommer ?0?enfc^eu
ftamme, fonbern bnrdj ein nidjt nä^er befannteS 5^erfaf)ren, genannt
Snfpiration, öon ©Ott f eiber 0 erfaßt fei, unb ha^ bat)er jebe ßeite
biefer Sd^riften für buc^ftäbtidie unb l^eilige SBaf)r^eit get)alten
merben muffe: beftünbe in bem gürtüotir^alten biefer Singe ber
©taube be§ ßtjriftentumS, bann märe e§ freiüd^ einem nad)ben!enben
unb freigefinnten 9}?anne ju unferer ß^it unmöglid^, i'^n gu glauben.
S(ber \)Q§^ ift meber ber ©taube be§ ßf)riftentum§, nod) ift e§ bie
Üteligion Sefu. Unb menn bie SSorftef)er aller Ä'onfeffioneu betjaupten,
ba^ bie§ ber d)riftlid)e ©taube fei, unb bofe, mer it)n nid^t l)ah^, an
(Sfjrifto unb an ber Seligfeit feinen Xeil 1)a^t, e§ mirb barum nidjt
maf)r; aud; ift burd^ ta^ ^nx'toa^xi)a\ttn biefer STinge noi^ niemals
jemonb feiig gemorben; mof)I ober !^at bie ßird^e burd) bie gorberung
be§ ©laubenS an SOJenfd^enmeinungen mond)en el)rtid)en 9J^ann au§
17*
260 J- 93u(^: 9Jietap^^fi!. 2. Kapitel: ®ag fo§molo9i)cf)4^eologiic^e «ßroblem.
if)rer 9JJitte getrieben unb ttjut e§ noc^ alte Stoge. SDarf idf) bie
gormel bes S3efenntni[fe§: SejuS ber So^n ®otte§, iiidjt al§ einen
§{u5bru(f religio jer ^oefie neljmen, mnB \d) bamit jagen: idj bin,
etiua burc§ f)i]"torifcf)e ßeugniffe baüon überzeugt worben, ha^ es bei
feinem in bie SBelt kommen anberS angegangen i[t, oI§ bei ben anberen
SDfenfc^en, fo mirb au§ bem freien nnb freubigen 33efenntni§ gn ber
einzigen ©röBe biefes 3)ianne§ ein geän)ungene§, ba§ ©ett)iffen peinigenbe§
Safagen gu einem negatiüen ©o|, beffen 3nf)alt pofitio §u f offen
feinem SDIenfdjen gegeben ift; ha§> 33efenntni§ tüirb jn einer ^ormel,
mit ber in 3Jßa^r^eit nichts als bie 33ereitmi(Iigfcit jur abfoluten, and)
mit bem Sntetleft ju teiftenben @ubje!tion unter ha^ befte^enbe Äird)en=
regiment ausgebrüdt mirb.
3)arf \d) bagegen ha^ SBort fpred)en unb meinen, mie id) e§
tierftet)en unb faffen fann, bonn mag id), unbeirrt burd^ ben (Spott
ber Sßeröd)ter unb ben ^ü^ ber ^üter be§ $8ud)ftabenjod)e§, aud) f)eute
no(^ mid^ 5um ©lauben an ©ott, ber fid) in Sefu offenbart ^at, be=
fennen. Su Sefu Seben unb (Sterben ift mir ber @inn be§ 2eben§,
ift mir ber 8inn ber S)inge über!)aupt aufgegongen, ha^ aber nenne id)
@ott unb ©otteg örfd)einung, \va§> mir ha§^ Seben mögtidj mad)t
unb feine 33ebeutung §eigt: fo fann ber aufri^tigfte, maf)rf)aftigfte
unb freiefte äHann ^eute fo gut aB gu irgenb einer ^dt fprec^en.
bringt man nun ober tt)eiter in i^n unb oerlongt, boB er fic^ ferner
befenne §um „ötouben" an aüe jene ^inge, an bie öaterlofe ©eburt
3efu unb bie unbeftedte (Empfängnis feiner 9)?utter, ober on bie
SSieberbelebung unb ^immelfo'^rt feine§ geftorbenen unb begrabenen
SeibeS, an ha§> „mit, unter unb bei" feine§ „magren" Seibes unb
33(ute5 im Orot unb SBein, fo mirb er fid) obmenben unb fogen: öer=
fc^ont mic^, mir oerftefjen un§ nid)t. 2öoüt \i)x ober ftreiten, fo gefjt
■gu Stjäontinern unb Sttefonbrinern.*)
*) ^ä) möcf)te ben fiejer ^ier auf bai trenUrf)e SBerf einel niebetlänbifd^en
S^eologen oufmerffont matten: 9iauttient)off, 9teUgion§p:^iIofop:^ic, überfe^t üon
§anne (1889). ®te f)ter ongebeutete 2{nfi(f)t ift mit ber bort aufgeführten Don
bem SBejen ber Sfteligion im ttjejentlidien cini'timmig. 2t(§ atlgemeinfter 3nf)cift be§
öilaubeng njirb barin bie Suöerfid)t begeic^net, bo^ bie SSelt fo fei, bo^ ba^
(Sittengefe^ barin ^etrfc^en fönne. Stilgemeine SSorauSfe^ung f)ierfür fei eine teleo»
fogifc^e 3Bettonfd^auung. Qm 9?eUgion tnerbe ober biefer ©laube erft baburci^, bofe
9, 5^ag Sßetf)ättmg beä pant^ciftiicfien ©ottefbegrip jut SRcIigion. 261
SSir fe^ren nun ju unferer ^rage surücE: ift ein jolc^er ©faube
mit ber oben angebeuteten moniftifcfjen SSorfteüung üon ber ^onftitution
ber 2Birf(icf)feit oerträglid)? W\x fdjeint auf aüe SBeife. 3SielIeirf)t
ift ein praftifdjer ©laube an haS^ @ute mit feiner foSmotogifdjen
S^orftellung unöertväglid); tüenigften§ i[t e§ eine nid^t ju be^lueifehibe
STfiatfarfje, boB and; SJiänner, bie in ber 9)ietapf)l)[if fidj ju ben
aj?Qteria(iften ääf)Ien, ju einem unbebingten ©tauben on bie 3""f"nf^
be§ 9J?enfd)engefd)ted)t§ unb feinet gortfd^ritt^ in ©eredjtigfeit unb
2Sat)r()eit fidj befennen. (Sie müßten bann, um biefen ©tauben mit jener
StRetaptjtiji! ju oereinigen, fagen: bie 5{tome feien sufäüig gerabe jo
geftattet unb angeorbnet, ba'^ fie mit med)aniid)er 91otmenbig!eit ba§
t)i3c^[te ®ut üermirftidjen müBten, ma§ freilidj immer ein etma§ über»
rajdjenber ©rfotg bleibt. 9}let)r !ommt, jo inirb man fagen bürfen,
einem jolc^en ©tauben eine ^t)itojop^ie entgegen, meiere in ber SBirf*
Iid)!eit ein mit innerer, teleologifc^er 9^ottt)enbig!eit fid) entmide(nbe§
Sttlleben erbtidt. 3}er ^ant^ei§mu§ ift nidjt eine Ü^eligion, fonbern
eine foSmotogifd^e ^ijpot^efe, bie ben ©efamteinbrud miebergcben n:)i(I,
ben bie SSirftii^feit auf ben benfenben 9JJenfc^en mad)t. Stber nidjt mit
Unred^t tuirb man fagen, ha'^ ber ©taube, ber in bem ^tttmirftidjen
ba§ Stllgute fietjt, barin eine it)m entgegenfommenbe ^orftetlung finbet.
2f)eoIogifd)e ^ritifer ber ^t)itofopt)ie pftegen hierüber aüerbingS
anberer 5(nfid)t gu fein; fie neigen gu ber Sefjauptung, nur eine
S^orfteKung oon ber 3Bett fei mit Ü^etigion üertriigtic^, nämüdj bie
Sßorfteüung eine§ 2;t)ei§mu§, ber ©Ott oI§ ein öon ber 2öett getrennte^
SBefen fe^t. ©er ^antt)ei§mug fei nid)t minber irreligiös, at§ ber
3(tomi§mu§; rt)a§ er ©ott nenne, fei fein ©ott, fonbern bie 9]atur
ober ba§ Stil, unb e» fei ein bloßer 9JHBbrau(^ be§ ^JiamenS ©otte§,
njenn @pino§a Deus sive natura fage. ©Ott fomme ^erfönlid) =
feit 5n, ber ^atnx ober bem Stil nic^t; bamit fei bie fefte ©renje
gegeben; i^ht '>ptjitofopf)ie, bie nid)t ©ott a(§ perfönlic^el SSefen
fe^e, fei irretigiöS.
i^n bie bid^tenbe ^l^antafie in 93ilber unb St)mboIe fa§t. Slud^ SB. Senberl
Sßerf: ba§ S5?efen ber ^Religion unb bie ®runbgefe|e ber girdienbilbung (1886)
temcgt fic^ in äf)nlid)en SSa^nen: 9fieIigion ift ber ®Iaube an bie Sliöglic^feit be§
iieben^ibeoli, if)n bringt aU ibeelteä ^eiU unb §iilflmittel gegen bie Übel unb
^emmnilje ber SBirllic^feit ber ©eIbftert)ottung§trieb überaE unb not>renbig l^eroor.
262 I- S3uc^: 9Jietop^t)ftf. 2. Kapitel: S)ag fogntoIogti(f)4t)eoIogii(^e Problem.
ö§ n)irb ratjom fein, aud) f)ier bie Erörterung mit ber fofratijc^en
$8orfrage ^n beginnen: wa§> bebeutet ^er jönlid)teit ? 9flid)t n^a^r, tt)ir
legen fie äunäcfjft äJ^enfctjen bei, Xieren ober leblojen fingen fommt
fie nid)t gu; fie i[t bie^orm menfc^Iic|en Innenlebens. SSir
fönnen fie ettt)a erftären at§ jelbftbeujuBteS unb üernünftigeS SDenfen
unb SSoIIen.
S)ie iJrage lüäre nun: f)at bog Innenleben beg S(ü=(Sinen bie=
felbe g^orm? 3öir werben antworten: lüir maBen un§ nid^t an, bie
innere Dtotur be§ 2(Uiüirf(idjen erfctjöpfenb §u beftimmen, ein nic^t
minber ^offnungölofes Unternehmen, als menn ein 2öurm über gorm
unb Sn^alt menfd^Ii(f)en ÖJeiftesIebens 2)efinitionen geben moltte. SIber
nic^t of)ne örunb l^erben mir fagen: ber llnterfdjieb ,^mifcf)en menfdj=
lirfjem unb göttüdjem Innenleben muffe aUerbingS groB unb burd)=
greifenb fein, fo groB, ha'Q an feinem fünfte ©leic^artigfeit ftattfinben
!önne. Söeber iia§: SBotlen nod) \)a^ S)en!en be§ 2((I=6inen, menn njir
benn überfjaupt non feinem SBoilen unb S!)enfen reben bürften, fönne
burdj bie Äategorie unfereä Sßefen§ gefaßt merben.
2005 ännäd)ft bo§ 2öot(en ontongt, fo f)at es bei un§ feinen
Urfprung in trieben unb 93egierben, mie fie ber £oge eines be=
fc^ronften unb bebürftigen SBefens ongemeffen finb. 2)er oernünftige
SBille ift nid)t§ onbereS olö eine 5(rt ©elbftregulierung ber Striebe burd)
SSernunft. 2)em 5tü=®inen fönnen mir berortige gunftionen nid)t gu»
fd)reiben; unbebürftig, {)ot er oud^ fein S3egel)ren unb alfo oud) feinen
äöillen im meufdjtidjen Sinn. Xa^n fet)It es an S)ingen oufeer it)m,
Quf bie er fid^ richten fonnte. — 5)ie Xf)eoIogen brüden bies au§,
inbem fie @ott StIIgenugfomfeit beilegen. — (äbenfo menig fonn
il)m ^anbeln mie einem SJJenfc^en jutommen. S^on ben 2;f)eologen
mirb il)m a\§> f)anbelnbem SSefen 2(11 m od; t gugefdirieben. 9hm, bo§
^onbeln eines ollmädjtigen äöefeuS ift uid)t bloB bem Umfang, fonbern
ber ^rt noc^ üon unferm .^anbeln oerfdjieben. Unferm .^onbeln ift
ber ©egenfo^ oon Stbfic^t unb Slusfüljrung, oon ^xvtd unb 9JiitteI
mefentlid); mir machen erft eine SSorftellung oon etmoS, mag nod) nid)t
ift, bann bringen mir bie 2)inge, bie iljrem ^ofein nod; oon un§
unabhängig finb, fie gteidjfam überliftenb, bal)in, ha}i fie unfern ßnieden
fidj fügen. Sn @ott muB SBolIen unb ^Vollbringen jufommenfollen, er
benft unb e§ gefd^iefjt: bie 2öirflid)feit ift fein mollenbeS unb feienbeä
9. ®a§ S8er^äUni§ beä |)aut^eiftiid)en ©otteäbegriffl juc Steligion. 263
3)enfen, ober mit (Spinoza, ift bie (Syplifotion feiner actuosa essentia.
— S^idjt anberg [tef)t e§ aiidj mit ben moraliidjen ©igenfdjaften
be§ ä)^'nfdjcn, fie fl3nuen nidjt auf ©ott übertragen iperben; e§ ift bei
if)m uon ^flidjten unb Sugenben !eine 9?ebe. ©elbftbe^errfc^ung,
9)?äBig!eit, Siapferfcit fe^en ^öegierbe unb gurdjt, ©erec^ttgfeit unb
SBoljIuioüen fe^en ©etbftbefd^ränfung unb ^(ufopferung eigener 9lei=
gungen öorau§. @ott muB 9J?enfci^ tt}erben, um bormfier^ig unb gütig,
tok ein 9}?enfd^, fein ju fönnen.
(Sben bo^felbe gilt aber and) üon ber intellef tuelten @eite.
Unfer (Srfennen gefjt au§ öon ben ©innen. 5luf ©runb oon 2Baf)r=
ne^mnngen bilben wix Segriffe, bereu 93ebeutung allein barin befte£)t,
ha'^ luir burdj fie SInfdjauungen begreifen, @elbft üon unferem eigenen
SKefen ^aben tüiv nidjt auf anbere 2Seife ©rfenntnig. Unb nod) einc§
ift unferem 'teufen ttjefentlidj: bie (Sntgegenfe^ung öon i^c^ unb 9Zid)tid),
unfer ©elbftbeiimBtfein ift an ben ©egenfat^ oon ^sd) unb Slu^enlnelt
gebunben. ®em 5(U=Sinen fonimt alle§ bie§ nidjt gu. 3)ie X^eologen
legen ©ott Slüttjiffenfjeit bei. @§ ift if)nen nidjt entgangen, ha^
Slünjiffentieit oon unferem SBiffen nid)t bloB bem Umfang, fonbern ber
%xt nad) unterfd^ieben ift: ®otte§ 2)enfen, fagt bie fdjolaftifc^e ^{)i(o=
fopljie, ift nidjt bi§fnrfio, burd) i^egriffe, fonbern intuitio; aber intuitio
nic^t, lüie unfer anfdjaulidjeä ©rfennen, ha§> an 'Sianm unb ^^dt ge=
bunben ift, fonbern Ö)ott fd)aut alle ®inge mit einem 33nd, haS^
Sßergangene unb ha§> ßufünftige luie bü§ ©egeumärtige. ä)ian fiet)t,
bafe mir oon einem fold^en ©rfennen ober 93emuBtfein feine S5or=
ftelinng Ijaben, e^ finb bem menfdjlid^en ©rfennen feine @d)ranfen
genommen, aber bie S3eftimmtt)eit ift bamit jugleidj genommen, ©in
intuitioer 35erftanb ift ein Ieere§ Sdjema, i)aä tt}ir nidjt ju erfüllen
üermögen.
Sft e§ f)iernadj unmögtidj, ©ott bie ©eftaU menfdjiidjen (Seelen =
lebenS beijutegen, fo mirb eg and^ nidjt möglich fein, if)m ^erfönlid)feit
in ber 58ebeutnng be^ 2Sort§, in ber wir el öon 9}Zenfdjen braud^en,
beizulegen. 9lur irenn mir bem 93egriff alle menfdjlid^e 93efd^rän!tt)eit
nehmen, öertiert bie Sadje etma§ üon i^rer 5XnftöBigfeit; aber mir
nehmen ifjm bamit äuglcic^ allen Snljatt, alle 53eftimmtt)eit.
S)ie§ mürbe allgemein §ugeftanben merben, menn nidjt bie 33e»
forgni§ beftnnbe, e§ geljc @ott etma§ an SBürbe üerloren, menn itjui
264 I. S3ud^: 3Retapf}t)\it. 2. Kapitel: ®a§ foSmoIogifd^-t^eoIogifc^e «Problem.
ba§> ^röbifot eine§ perfönüd^en SSefen§ üorent^olten irerbe; e§ Bliebe
bann nur übrig, i^n ein unperj5nti(f)e§ SBejen ju nennen, unb bantit
ft)ürbe er in bie 'Steit^i ber nntermenjcf}Iid)en SBefen tjefteüt.
5t6er bieje ^eforgniS ift grunbloS. Ser ^ant^ei§mu§, mie er
{)ier gefaxt njirb, ben!t nicf)t baran, ®ott ettt)a§ ju nefimen ober ab=
jujprec^en, anber§ al§ menfcfjticfje 53efdjrän!tt)eit. 9iur barum ^ä(t
er e§ für unjuläifig, @ott burd) ben begriff ber ^erjönlic^feit ^u be=
ftimmen, n)eil biefer für bie unenblid;e ^üUe unb ^iefe feine§ SSefenä
gu eng ift. Um ober jener S3eforgni§ ein (Snbe gu nrndjen, !önnte er
©Ott ein überperf önli(^e§ Söefen nennen, nid^t um fein SSefen
boburd) ju beftimmen, fonbern um anjubeuten, bo^ er ®otte§ SSefen
in ber Ülic^tung ber Steigerung, nidjt ber SOJinberung menfd)Iic^=
geiftigen 2eben§ fudje. Unb er fönnte Ijinjnfügeu: in biefem (Sinne
nefjme er aud) feinen 5InftoB baran, menn jemonb ©ott ein perföntidjeS
SSefen nennen n^olle. ®a menfd)üc^^geiftige§ Seben ha§> ^öc^fte unb
33ebeutenbfte ift, tt)a§ mx !ennen, fo tonnen mir aud) (Sott, njenn n)ir
tion it)m eine 93orfteIIung un§ madien njollen, nur burc^ menfc^=
lid)e§ SSefen in t)öd)fter Steigerung üorfteüen. SBenn bie ^unft ©ott
bar^uftetten unternimmt, fo giebt fie if)m bie (eiblid^e ©eftatt eine§
aJJenfdjen, nic^t in ber äJJeinung, baj3 ©Ott in 2Bir!(id)!eit bie förper=
Iid)e gorm eine§ 9Jknfd)en ^ahi, fonbern tt)eit \)a^ eble 9J?enfd)enantti|
für un§ bie t)öd)fte unb bebeutenbfte förperlid)e ©eftalt ift. Sn thtn
bemfelben ©inne tonnen mir ©Ott auc^ bie geiftige ©eftalt beilegen,
bie mir an ben beften unb größten SOieufdjen oere^ren. SSenn mir oon
feiner §eitig!eit, 2öci§f)eit, ©üte unb ©eligfeit reben, fo finb ba§ ft)ut=
bolifc^e S(u§brüde, bie nid^t fein SBefen mie boS SBefen eine§ 9)Zenfd)en
begriffüd) beftimmen, fonbern unferer ^orfteüung bie Sfxic^tnng anbeuten,
in ber mir e§ fud^en.
S)a§ ift ber mögtid^e unb unüermeiblic^e ^Inttiro^*
pomorpf)i§mu§ aller Sieligion. 3ßir !ennen feinen onberen
©eift als irbifdj=menfc^Iic^en, borum fteüen mir audj ©ott al§ fo(d)en
oor, nid^t meil er an fid) felber fo ift, fonbern meit unfere SSor=
ftellungen nid^t über unfer ©rieben ^inaugreidf)en. Unb barum gef)t
biefer ?tntfjropomorpl}i§mu§ notmenbig meiter; \the§i Sßolt giebt ©ott
bie ©eftalt, bie feinen ^ßorftellungen oon ©üte unb ©d)önt)eit, SSürbe
unb ^eiligfeit entfprid)t. @§ ift, mie ©oetf)e fagt:
9. ®a§ aSer^ältmS bc§ pant^eiftifdien ®otte§begriff§ jur ^Religion. 265
3m i^nnecn ift ein Untöetjum oiid^,
®a^er ber Sßölfer Iöblicf)er ©ebrauc^,
®a§ jegltd^cr bag 93e[tc, tra^ er feiint,
©r ®ott, ja feineu ®ott benennt,
S'^m §immet unb ©rben übergiebt,
^tyi fürchtet unb »üomöglic^ liebt.
Sn einem folrfjcn fi)mbonjd)en ^Xntf)r opomorp^i§mu§
reidfjeu ficf; pt)i(ofopf)ijcl^e§ SDenfen unb religiöjer ®Iauk bie §anb.
2)a§ SBiffen erl^ebt bagegen feinen ©injprutf); üon feinen eigenen 3Sor=
auSfe^ungen auf ben Segriff bc§ StH=(Sinen geführt, ben e§ bocTj nid^t
inf)attlirf; ju beftimmen üermag, überlädt e§ bem bidjterifd) fdjaffenben
$ßoI!§geift ober bem religiöfen @eniu§, un§ faBüd)e 35orfteQungen unb
93ilber bofür §u prägen. SInbererfeitS liegt e§ bem retigiöfen ©lauben
öi3Uig fern, feine ©t)mbo(e für ftiiffenfd^aftlid^e ^Begriffe gu fjalten;
fte finb etn)Q§ unenbüdj §öf)ere§ unb SebeutfornereS al§ miffeufdioftlid^e
^Begriffe unb g^ormeln, fo öiel f)öf)er, a(§ ©ott ()öf)er ift, ai§> menfd^=
Iid)e§ STienfen unb ^Begreifen. Unfriebe bridjt jmifdjen ^^iIofop!E)ie
unb 9^etigion erft bann au§, njenn entttjeber bie ^()irofop!)ie ben
©tauben auggnfdjtieBen trad^tet, be^aupteub: bie ^Begriffe ber 3Biffen=
fd)aft umfpannten unb erfd)öpften bie SSirftid)!eit, unb jene ©t)mbote
feien finbtid^e Xröume, bie entmeber übert)aupt feinen SSert t)ätten
ober bo(^ nur für ha§> 33ot!, ba§ ni(^t in S3egriffen benfen fönne.
Dber menn eine 9^etigion ober üietmet)r eine Äirdjengemeinfd)aft i^re
©i)mbote für ^Begriffe unb i^rc ©taubenSartifet für miffenfd)afttid}
betüeisbare SBa^r'^eiten au§giebt, unb nun üon atlen ^enfern oertangt,
tafi fie eben biefe SSermedifetung begeben, bei ©träfe, für ^e|er ober
2(tt)ei[ten getjalten gu n^erben. Sn bciben gäflen entftef)t töbtidje geinb=
fc^aft. ©egen einen ©tauben, ber fid) für attein güttige SBiffenfdjaft
giebt, empört fic^ ber SSerftanb. ©egen eine ^t)itofop^ie, meiere bem
©tauben unb ber ®id)tung feinen 9?aum gönnt, empört fidj ©emüt
unb ^tjantafie. dagegen ein ©taube, ber nid)t§ anbereS fein n)iß,
at§ ein ©taube, unb eine ^t)itofopf)ie, bie ftd^ ber ©renken menfd^«
tidjer @rfenntni§ bemüht ift, bie l^aben neben einanber 9^aum. S)er
(Siuäctne unrb, nac^ feiner inbinibuetten 5lntage unb 93itbung, mel^r
ber einen ober me^r ber anberen (Seite juneigen, lüie er aud^ met)r
für gorjdjung unb SBiffcnfc^aft, ober mel^r für ^unft unb ©ic^tung
begabt unb intereffiert fein fann; aber er fann unb foü für beibe
266 I.33u(^: SIKetapl^^ftf. 2. 5?opttel: ®a§ Iolmologifd)=t^eologif(i)e ^robtem.
©eiten be§ geiftigen 2eben§ S3erftänbni§ uub ^Ic^tuug tjaben. ^q§
ift bie 2(ujd)auung, ber an ber legten großen äöenbe ber Reiten ^ant
bie SoJin gebrocfjen ^at. ©d^Ieiermad^er l^ot fie ber 2;I)eotogie
äugefüt)rt. Sc^ !omme barauf ^urüii, !ann mir aber nicf)t derfagen,
au§ ben 9f?eben über bie Religion jc^on I)ier eine (Stelle einzufügen,
©d^Ieiermad^er bejpridjt bie 9}JögIid)feit , mit einem pljilofopl^ijdjcn
^ant^eiSmng religiöfen ©lauben ^u bereinigen ; er jagt: menn ber
^anttjeift e» Her jcfjmätie , bie @ottf)eit perfonlic^ gu benfen, \o !önne
bieg jeinen ©runb f)üben, „in einem bemütigen SetüuBtjein üon ber
S3efd)ränttf)eit perjonlic^en SemuBtjeinS überf)anpt unb bejonber§ audj
be§ an bie ^erjöntidjfeit gebunbenen 33emuBtfein§." Ob jemanb ©ott
:perfönlid) benfe ober nidjt, ha§^ f)ange mejentlid) üon ber 9^id}tung
feiner ^(jantafie ah; unb fdjüeBIid; feien beibe S3orfteUung§arten nid)t
fo gar n^eit. auSeinanber, „nur ha^ man in bie eine nidjt ben Xob
{ha§> ftorre tote (Sein) ^ineinbenfen muB, au§ ber anbern aber alle
3J?ü^e reblid) anmenben, bie ©djran!en ^inmeggubenfen." Sßer aber,
fügt er ^jin^u, burdjau» barauf betjarre, bie ^römmigfeit al§ abhängig
üon bem S8efenntni§ §ur 55orfteUung üon ber ^erfönlidjfeit @otte§ ju
fetten, ber fönne fid) nidjt meit umgefefjen tjaben in bem ©ebiet ber
grömmigfeit; ja, bie tieffinnigften Sßerfe ber eifrigften 3Serteibiger feine§
eigenen ©taubenS müßten il)m fremb geblieben fein. (Sdjieiermadjer
benft an bie ä)h)fti!er. —
Sie üblidjen 33egriffe, mit benen über 2;f)ei§mu§ unb ^antf)ei§mu§
geftritten mirb, finb bie begriffe 2 r a n f c e n b e n j unb ^mmanen^;
ber jrt)ei§mu§ lel^re bie S^ranfcenbens, ber ^ant^ei§mu§ bie Smmanen^
(55otte§ in ber SSett. Um bie oben borgelegte Stnfic^t nod) mit biefen
^Begriffen ju be^eidjnen, fo mürbe idj fagen: ^mmaneng unb Xran§-
cenbeuä finb nid)t fid) au§fd)IieBenbe ©egenfä^e. ®er Xf)ei§mu§ !ann
bie 3mmanen5 öotteS in ber SSelt nid)t augfc^Iiefeen; ift ®ott (Sd^öpfer
unb (Srt)alter aller S)inge, fo ift e§ feine Äraft in ben Singen, bie
iljuen in jebem Slugenblid bie Sßirflidjfeit giebt. StnbererfeitS fdjlieBt
ber pl}itofopt)ifd^e ^antl)ei§mu§ bie 2;ranfcenben§ nic^t au§, ®ott unb
Statur fallen nidjt fdjledjttjin äufammen. 2)a§ gilt nadj Seiten ber
Duantität; bie 9ktur, bie mir fe^en, ift enblid), @ott ift unenblic^, fie
geljt in itjm auf, aber er gel)t nidjt in i^r auf; bie SBelt, bon ber
unfere ^olmologie mei^, ift ein 2ro|:)fen öon bem O^ean ber 2öirllic^=
9. ®og SBer^öItniä beg pontf)eiftijcf)en ©otte^fiegrip jur Sieligion. 267
feit. 2)a§ gilt oud) nad^ ©eiten ber Ouatität; ba§ SBefen ber 2)inge,
ipie e§ fici§ ung barfteüt, fonn ®ott nidjt überf)aupt fremb jein; aber
@otte§ 2Befent)eit felbft i[t unenblid), fie lüirb nidjt erfd)i3pft burd)
bie Seftimmungen be§ 2SirfIid)en, bie iuir feigen, burd) Körper unb
(^eift, burd) ?(u§be^nung unb 2)enfen, ober tt)ie mir bie allgeniein[ten
Dualitäten ber SBirüidjfeiten ueuueu lüolleu. 5(Ifo ©Ott i[t tran§=
ceubeut, jofern fein unenblici^e§ Söefeu bie uu§ gegebene SSirflidjfeit
unenblid) überfteigt. ©§ i[t Stbgütterei, ®otte§ SSejeu in ber uu§ ge-
gebenen 9?atur unb bem SBefen ber Kreatur aufgef)en ju loffen.
©oldjer S(bgötterei ift übrigen^ ber ))^iIofopf)ifd)e ^^antf)ei§mu§ in
ber Üieget ferner al§ ber 2;f)ei§mu§, ber, inbem er ha§: SSefen ®otte§
burdj ^räbifaniente bc§ menfdjlic^eu 2Befeu§ begriffli^ beftinimt, nid^t
feiten gu einer falfi^en Smmanen^ eine bebentlidje S^ieigung jeigt. —
^\m, lüirb ein 5(nf)änger ber alten Ortl)obofie fagen, ha§ oüeä
flingt ganj fdjön unb gut; unb toenn man'§ f)ört, mi)d)t'g leiblid^
fdjeinen; e§ ftel)t aber bodj immer fdjief barum. äöa§ ha§^ religiofe
®emüt üerlangt, hü§> ift ein ©ott, gu bem el in ein p e r f ö n 1 i d) e §
$i5 e r ^ ö U n i § treten !aun. (Sin f old)e§ ift möglid), wenn @ott al§
perfönlidje^ ßinäelmefen aufser unb über ber SSelt ftel)t, e§ ift nic^t
möglid^ 5U jenem Slü^ßinen ober 2tll=äöirflidjen. Unb \üa§ ha§
religiöfe ©emüt weiter üerlangt, ha§> ift ein ©ott, ber mit feinen
©efdjöpfen füt)lt unb il)re ©ebete f)ört, ber in ber 9^ot fid^ i^rer
erbarmt unb al§ ."pelfer nal)e ift. 2)a§ fann ein ©ott, ber al§ 2BeIt=
lenfer über bem ^fiaturlauf ftetjt; aber «Spinozas ©ubftan^ erl)i3rt feine
©ebete unb tf)ut feine SSunber.
2öa§ ben erften ^unft ontangt, fo märe f)ier luieber ba^felbe ju
fügen, tüa§ foeben bei (Erörterung ber O^rage: ob ©ott felbft ein
perfönlidjeS SBefen fei, gefagt mürbe. (Sin perfönlidje§ $8erl)ältni§ ift
gunädjft ein SSer^ältni», mie e§ öon 9Jienfd) gu 9J?enfdj beftefjt, ein
93erf)ältni§, bei bem gegenfeitiger 5(u»taufd) üon ©ebanfen, ©efüfjleu
unb ßeiftungen ftattfinbet. Safe eben ba^felbe ä^erljältniS smifc^en
einem $Dtenfd)en unb ©ott ftattfinben fönne, mirb bod^ auc^ ber
ocrmcgenfte 5(ntl)ropomorpl)i§mu§ bebenflid) finben §u bef)aupten;
ober f)at jenmub ben SJJut ju fagen, e§ beftelje l)ier eben ba)§felbe
SSerl)ältni§, mie gmifdien ©Iteru unb Äinbern, ^mifd^en g^reunben unb
Öcac^barn ?
268 I- 93ucf): SWetap^i^fif. 2. Kapitel: ®a§ fo§moIogifd)=t^eoIogifc^e «ßroblem.
SSir fönnen aber, of)ne ber 8prQcf)e ©etrolt anjutfiun, bog SBort
Quc^ in einem n)eiteren ©inne brauchen. äBir ttjerben bag SSerl)äItni§
eine§ ä)?anne§ ju feinem 55oIfe bocf) tuo^ e^er ein perji3nIidE)e§ nennen
qIS ein nnperjönUrf)e§; anf jeben g^oll ift e§ für fein ©mpfinben nnb
3)enfen, für fein ^anbetn nnb Seben öon größter Sebentnng. 2)ie
ftärfften eintriebe fommen i^m bat)er; nm feines S]o{fe» inißen arbeitet
nnb !ämpft ber ^ilb; im ©(anben, ha'^ e§ if)m jnr görberumg nnb
(Sfire gereiche, nimmt ber po(itifc^e 3J^ärtl)rer auc^ 9)äBac^tnng nnb
SSerfoIgnng anf fic^. 5Son feinem ^olfe ernjartet ber ^icf)ter i8er=
ftönbniS nnb frenbigen SBiberljaü, nnb er tnei^ nnb füf)It e§, tt)enn
er bie $8oIf§feeIe mit feinem SSort getroffen f)at. 9lun, in einem
äf)nlic^en, freilid) nod^ tiiel nnbeftimmteren ©inne fann man ha^ 53er=
l^ättni» beg frommen ^u ©Ott ein perfönlic^eS nennen. Or füfjrt
fein Seben gur (S^re @otte§; fid)er, mie foüte nic^t jebe gute l^at
unb jebe§ reine nnb fd^öne ßeben @ott gu (S{)ren gereidjen? 3)er
^reuäfatirer füf)(te fic^ a\§> Streiter (Sotte§, ber äJJiffionar al§ 5Irbeiter
am 33an feine§ 9fleic^e§; er ift bei SBof)Igefa(Ien§ @otte§ gemi^, n)ie
foßte er nict)t? unb tuie foHte er nid)t in biefem 33ettJU&tfein Äraft
nnb Sroft unb ©eligfeit finben?
§tber ber @ott be» ^antt)ei§mu§ f)at ja feine @efüt)te; n)ie fann
bei bem unfüf)Ienben 5IH=Sinen oon SBo^fgefallen bie D^iebe fein? —
Sa, mu§ benn ha§, ^lH-ßine ober ber 2ItI=(Sine — öielleidjt giebt e»
Sente, bie am ^ant^ei§mu§ üor altem barum StnftoB nehmen, ttjeil er
gegen ha§^ grammatifd^e genus gleichgültiger ift, al§ i^nen ertaubt
fc^eint — muB @ott nac^ jener ?(nffaffung übertjaupt unfü^Ienb fein?
^ä) meine, eine pant^eiftifc^e ^^fiilofop^ie brandjt bie§ nict)t ^njugeben:
ift ©Ott bie SSirflidjfeit aU einf)eitlidje§, für fic^ feienbeg Innenleben,
fo lüirb auc^, n)a§ an irgenb einem ^unft ber 2Birf(id)feit fic^ äuträgt,
für ©Ott at§ ein äJJoment feinet SBefen§ 93ebeutung t)oben. §reilid),
fie töxxh fidj t)üten, ©ott menfd)Iic^e§ ©efü^I beizulegen, aber nid)t
minber n^irb fie fidj tjüten, ©ott überhaupt etmaS abjufpredien. SSon
ber Siebe unb ber ©eligfeit ©otteg fpric^t ©pinoga, nic^t meinenb,
boB bie pat^ofogifc^en 3«ftönbe be§ S!)?enfc^en fid) ebenfo bei ©ott
finben, tt)ot)I aber meinenb, ha^, lna§ in ben (Sinjetoefen fid) finbe,
in bem SSefen be§ Unenblidjen angelegt fein muffe, au§ bem fie
ftammen. 2)er ha^ Sluge gemadjt f)at, foüte ber nid)t fet)en, ber ha^
9. S)a§ 9SerI)äItm§ beg pant^eiftii'c^en ©otte^begriffg jur SReligion. 269
Df)r gemacfjt t)Qt, foflte ber ni(f)t f)ören? @o tonnten n)ir f)ier jagen:
ber t)ü§^ ßjefüfjl gemacE)! t)at, foUte ber nidjt fütjlen? Slber tt)ie bort
fcf)en nnb ^ören, \o lüirb t)ier füt)len nicf)t im eigentlidjen ©tnne ge=
braucht. Sarum finb bie ?lu§brü(fe nid)t finnIo§, e§ finb Q^ejeidjnungen,
bie ben SBert öon ©tjmbolen für bQ§ Unan§ben!Iid)e nnb UnQU§'
fprec^tic^e fjaben. ©o meint e§ bie ©d)ri[t: ®ott iüot)net in einem
ßid)t, bo niemanb äufommen fann. S)ie notürtid^e 2f)eotogie meinte
©Ott mit i^ren ©ebanfen jn begreifen; fie fprac^ üon ©ott beinalje,
tuie man öon einem Kollegen fpridjt, beffen ©ebanfen man oöüig be=
greift nnb prüft. jDa§ 5ßerl)ä(tni§ bee grommen jn @ott |tef)t nid;t
anf Segreifen, fonbern auf ©lanben.
^ber, fagt man, n)ie ftcfjt e§ benn mit ©ebetler^ijrnng nnb
2B n n b e r t ^ u n ? 2)amit fommen mir erft ju bem eigenttidjen Äern
ber üieligion; einen Reifer in ber 'Slot öertangt ba§ bebriingte ©cmüt,
ber ba§i Übel öon it)m abmenbet, mit bem ber 9kturlauf e§ bebrof)t.
S)al aber fann nnr ein @ott, ber über bem 9ZaturIanf ftel)t, nid)t
einer, ber fid) in i^m manifeftiert.
Sd^ ben!e, ©pinoja mürbe anf folc^e (Sinrebe etma ermibern:
allerbingS feien ba§ @emüt§bebürfniffe, beren 93efriebigun9 non ©Ott
ju ermarten feine ^f)iIofop^ie ntd)t ermuntere. (Sr mage nid)t ju
benfen, tü'^ bnrdj ha§> S(n§fpred)en eine§ 2Bunfd}e§ SSeränberungen im
9ZaturIanf fjerbeigefül^rt merben fönnten. 3)al ©ebet, a\§> ein innerer
Sßorgang in ber ©eele, möge SBirfnngen im (Seelenleben l^aben; aber
ha'^ bahnxd) etma ein 93Ii^ftral)I ober eine Stngel ans ber Sat)n ge-
brad)t, ober, mie bnrd) ba§ ©ebet be§ @Iia§, geuer oom ^immet follte
Ijerabgejogen merben, I)alte er nic^t für gtaublid).
Sn ber %i)ai, f)ier f)anbelt e§ fidj um eine grage nidjt ber
(Sdjöiuing nnb 2)entung, fonbern ber 2SirfIid;!eit oon X^atfad^en;
finb ©ebete ein 9JhtteI, fei e§ nun ein regetmäfeig ober ein äumeilen
mirffame» dJliM, um 3lnberungen im 9caturlauf ^erbei^nfüfiren ?
S}urd) ©rünbe a priori !ann in ber <Bad)t nidjt cntfd)ieben werben,
meber für nod) gegen feine SSirffam!eit. ®ie (Sntfc^eibung märe
bemnad} auf erfaf)rung§mä&igcm SSege, etma burd) ®i-periment, mie
e§ einft ber ^ropt)et ®Iia§ ben ^rieftern be§ '-Baal aufnötigte, ober
tiietleic^t burd) ein ftatiftifc^eS 95erfal)ren ^erbei^ufü^ren. 9}?an fönnte
ja an fo etma§ benfen: ob fic^ eine regelmäßige 53e5iel)ung jmifc^en
270 I- S3uc^: 5Wetapf)»)fi!. 2. ^o^jitel: ®o§ !o§mologifc]^4^eologi|c^e «ßroblem.
ber ^äuftgfett öon ©etoitterfcfjaben unb ber 9?eigung 311 jener tran§=
cenbenten ^orm ber ^Ibtrel^r, bie ja tno^I für nerfdjiebene ©egenben
öerfrfjtebeu groB ift, l^erau^ftelle, ob 5. 33. bie ©ro^ftäbte t)äufiger at§
bo§ platte Sanb t)eimgefuc^t tüürben? ober ob avi\ anbere Sßorgänge,
§agetjcf)(Qg, SSiel^fterben unb S(^nttd)e§, für bie gelber unb S8ief)ftänbe
öerfdjiebener unb !)ierin üerfdjieben üerfa^reuber Slod^barn ein (Sinflufe
nadjttieisbar fei? ober ob, feitbem iia§> ©ebet, bog off entfiele unb
prioate, um (Sd^u| gegen ^ran!f)eit unb %oh, gegen ^eftitenj unb
teure 3^^* feltener geujorben fei, eine entfpredjenbe ßuna^me biefer
S)inge unb eine entfprect)enbe 5I6na|me ber burd)fd^nittlic§en 2eben§=
bauer ftattgefunben ^abe? ^d) glaubt nic^t, ha^ bie g^orberung
einer berartigen $8en)ei§fül)rung irgenbtt)o geneigtem (55el)ör begegnen
njürbe, t)ietleid)t n)irb frf)on bie bloBe @rft)äf)nung ber 9J?ögIid)!eit
oon manchem al§ ^rofanation empfunben, ein ^(njeidjen, ba^ ber
©taube nic^t auf Unterfuc^ung unb Beobachtung ruf)t, fonbern if)r
öort)ergef)t unb jeber Prüfung burd; @rfal)rung au§ bem SSege gu
gefjen entfd)toffen ift.
Übrigens ift njot)t nid)t jttjeifel^aft, boB biefer @(aube im rofdjen
3urüdtt)eid)en begriffen ift. Urfprüngtid^ finben tuir if)n allgemein
oerbreitet, e§ ift moljt einer ber ätteften unb attgemeinften ®tauben§=
artifel be§ 3JJenfc^engefc^Iec^l§, ha^ ba§i 5(u§fpred)en gemiffer f^ormetn
unb ta§: 93ege^en geroiffer §onbIungen ein 9)?ittel fei, Übeln gu
n^efjren unb ©üter gu gert)innen; in bem 9J?aBe, a\§> bie (SrfenntniS
ber S)inge fid^ gemehrt f)at, ift er ,5urüdgett)id)en. ©iditbar ift biefer
9?üdgang in ber europöifdjen SSöIfermcIt feit bem 93eginn ber mobernen
naturmiffenfd^aftlidjen g^orfdjung. Sn bem 9JJoBe, a[§> bie 9J?eteoro*
logie bie SSorgänge am .^immel, at§ ^fjl^fiotogie unb ^att)otogie
bie SSorgänge im leibtidjen £eben aufgeljellt f)aben, in eben bem
9KoBe t)aben notürlic^e @d^u|= unb Heilmittel bie übernatürlid^en
^urüdgebröngt. 2Sir fönnen nid)t ftreng bemeifen, ha'i^ ber natürlidje
^'oufaläufammentjong o^ne 5tu§na^men unb Süden ift, aber njir f)aben
un§ met)r unb mef)r getoöfint, e§ oorauS^ufe^en.
Unb fdjüefslid), wir tjaben Ujofjt !eine Urfac^e un^ufrieben ju
fein, ha'iii e§ fo ift. 9}Jag e§ im einsetnen ^aU ^art fein, baB ber
S^aturlanf unerbitt(id) ift, im gangen lüürben n^ir bod) nidjt mollen
!önnen, ha^ bie @efe^möBig!eit ber SSiüfür ^la^ mad)e. SSenn ber
9. ®a§ SBer^ältntg beg pantf)eifttjc^ctt ©otteäbegrip gut «Religion. 271
im ©ebet auggefprodjene SQSunfd^ eine§ 9}?enfcf)eu Söerge iierfe|eu unb
bie (Sonne gnm (Stehen bringen ober Siegen nnb ©onnenjd)ein, fieben
unb 2ob niQcfien fönnte, ioir luiirben babei nicf)t getoinnen. 5(uf
©rfennen unb 3lrbeiten raeift un§ bie SBirfüc^feit f)in, unb bog i[t
Qud^ bol nnjerer 9Zatnr 5(ngeineffene. 9iur einem SBillen, ber gan^
in (5jotte§ SBillen aufgegangen märe, fönnten n^ir fnrdjKoS eine joldje
@ema(t über bie ^inge anoertraut fe^en. 9hin, ein fo(d)er SßiUe n)i(t
ja nichts, a\§> toa^ ®ott tt)iß, unb ha§> gefd)iet)t gen)i|.
2)aB ba§ (i()rifteutum bie 9^eignng be5 natürlid)en 9}?enjd)en,
Srfolge in ber finnlid^en SBelt, bie er burd) natürliche 9}?ittel nidjt
gn erreid)en nernmg, auf übernatürlidjem 2öege bnrc^ä^f^l^"' "i'ijt
eben begünftigt, liegt auf ber §anb. S)a§ SBefen be§ G^riftentum§
ift 5(bmenbung be§ .fiergenS non hm irbijc^en ©ütern, mie fie ber
natürlid)e ält'enfd) erftrebt, unb |)innienbung ju ben (jimmlifdjcn unb
ettjigen ©ütern ; nid)t irbifd)e§ &>{M unb SSo^terge^en, f onbern g^riebe
mit unb in (55ott öerf)eiBt 3efu§ feinen Jüngern. ®em eutfpridjt i^r
©ebet; mit feiner Üiic^tung auf innere, geiftige @üter be^eidjuet e§
eigeutlidj ha§> (Snbe be§ otten ^aubergebet^, ujie eg au§ ber Segef)rlid^=
!eit unb ."pülflofigfeit be§ finnlidjen SO^enfd^en urfprüng(id) ^erüorging.
(Seine 33orau§fe|ung ift: euer ^immlifdjer S3ater mei^, ha'<ß i^r be§
aßcS bebürfet, unb fein (Scbtu^fati lautet: nidjt mein SBille, f onbern
bein SSiÜe gefdje^e. S^lidjt ^e^mingung be§ 9^aturlauf§ burd) über«
uatürlidje SDJittel ift fein ^id, fonbern Se^mingung be§ eigenen §er§en§,
ha§', ein tro^igeS unb üerjagteä 3)ing, fi(^ in ba§ @(^ic!fat nid^t gu
finben unb §u fügen öermag.*) —
Stber, fo ergebt fid) nun ein weiterer (Sinmanb, inbem ber
^autf)ei^5mn§ ®ott unb SBirfüdjfeit g(eid)fe|t, ()ebt er bie ßigeufdjaft
@otte§ auf, moburd; allein er (3ott ift: bie abfolute ©üte unb §eilig=
feit. Sd) fann unb foU nid)t bie 9iatur ober bie 3Bir!(id)feit , njie
*) SUiit kibenid)aftli(^er 93erebjam!cit trenbet fid) gi'^te in feiner 3(ppettotion
Qn ba§ ^ublitum im 9ttt)eigmu§ftreit gegen bie förniebrignng ber d)rifttiif)en ^Religion
guni 5auberifd)en ©ö^enbienft: „"oa^ (Stiftern, in tt)eld)em öon einent übermäd)tigen
SBefen ©lücffeligfeit erttjartet tt)irb, ift ha§ (Stiftern ber §(bgötterei nnb be§ 65ö^en»
bienfte§ unb fo alt ai§ ha§ ntenfrf)Iid^e Söerberben"; bie d)riftnd)e 9tetigion fei bem
anf§ fd)ärffte entgegcngcfe^t, fie öerfprecfie bem finntic^cn 9)?enf(^en fd}lcd)terbing§
ni(^t# Don irbifc^er ©lüdfeligfcit.
272 I. 33ud^: 3Rttap'^t)\it 2. ^apM: ®a§ foSmoIogifd^^tl^eoIogij^e «ßroblem.
fie in emptriji^er S3reite üor mir liegt, üeref)ren ober an fie glauben.
SDie SSelt, wie fie ift, ift gar nid)t ef)rtt)ürbig; ba§ 9^i(f)tige unb
S8öje ift barin ebenfo n^irfüd), njie ha^ ©ute. S)er ^antf)ei§mu§
öern)iftf)t ben Unterfd)ieb öon gut unb böfe, er fe|t alle§ 2Öir!(ici§e
al§ göttlid^, qI§ äJJanifeftation be^ 2(ü=Sinen, unb bamit öernidjtet er
ben @otte§begriff.
Sd) ermibere: ba§> ift ein 9JiiBt)erftänbni§; auf feine SSeife wirb
un§ burc^ bie panti)eiftijcf)e SöeltDorftetlung zugemutet, aüe§ tt)a§ ift
unb gefd)ief)t für üollfommen unb göttüct) ^u t)alten unb gu oeref)ren.
5{tlerbing§ fe|t fie üorau§, ha^ nid)t§ 23irflic^e§ @ott überfiaupt
fremb fei; aber öotteS SBefen felbft bleibt tranfcenbent. SItleS S8er=
göngti(f)e, fo !önnen wir mit @oetf)e fagen, ift ein @(eic{)ni§; ober
nic^t jebe§ ©leic^nig ift bir faßbar; barum wäl)tft bu aus, woS bu
faffeft, unb erblicfft barin eine Offenbarung göttlid^en äöefen^; onbere^
läffeft bu auf fic^ beruf)en.
^imm ein 93ilb. a«it @efüf)ten ber ^ietät ftef)ft bu beinern SSoK
gegenüber. S^u fangft in beiner Sugenb unb fingft nod): Sd) f)ab' micf)
ergeben mit §er§ unb mit §anb, ^u leben unb ju fterben für§ beutfd)e
SSaterlanb. SSa§ ift benn bie§ SSaterlanb, bie§ beutfd)e S^olf, bem
bu bic^ felbft, beine ^raft unb bein Seben wei^ft? Sft e§ bie ®e=
famt^eit ber Ginjelnen, bie bu fennft, benen bu begegneft? ©inb e§
bie Seute, mit benen ber tägticf)e 35er!et)r bid) ^ufammenfütirt, mit
benen bu ©efc^öfte mai^ft ober im S(mt gu t^un f)aft? ©ewife nid;t;
an ben meiften unter i{)nen gef)ft bu gleichgültig oorüber, unb an
manchen ärgerft bu bii^. Sft e§ ber fleinere ÄreiS, mit bem bu
nä^er öerbunben bift, finb e§ bie 58efannten unb guten g^reunbe, bie
Kollegen unb ^ßorgefe^ten? §offentIid) ift mani^er barunter, ben bu
adjteft unb wert tjöttft, bod) wei^t bu wat)rfdjeinlid), wenn bu üon
if)m fpric^ft, noc^ manches, toa^» il^m jur SSoI(fommen{)eit fe^It, unb für
fie gu leben unb gu fterben, nein, baQ ift bodj eigentlich nid)t beine
SJieinung. Unb bodj ift es ein gan§ wat)re§ ®efüt)t, mit bem bu haä
Sieb fingft. SSo ift aljo biefeS beutjdje Sßol!? @g ift in bem ^er§en
beiner äJiutter, e§ ift in ber Sprache, bie fie bid^ gelehrt, e§ ift in
bem Sieb, ha§^ bir gu Serben bringt, e§ ift in bem Stngefic^t beine§
^inbe§, e§ ift in ber Sreue eines g^reunbeS, in ber Siebe eine§ 2Seibe§,
auc^ ou§ ben blauen 3tugen eineS fremben Äinbe§, ha^ am SBegronb
9. 3)a§ Sßerf)ättmä beg pont^eij'tifd)en ©otte^begrip jur «Religion. 273
fpicit, fcfjaut e§ bid^ an; e§ i[t in jcbem SSort ber 2ef)re unb 3Sei§t)eit,
ba§ ein treuer Seigrer ^u bir gejprodjen, e§ ift im 5lnben!en on beine
Xoten, eg ift im 93ilb ber großen äliänner, bercn äöejen bicf) empor=
gehoben, beren ®eban!en bic^ bereichert ^oben: e§ ift fetbft ein $8ilb,
bQ§ bu bir gemacfjt, ein ^beafiuefen, beffen 3^3^ "^u «w^ ^t^m Siebften,
heften unb (£()rroürbigftcn, maS bir begegnete, pfommengetragen ^oft.
Unb nun fprid^ft bu, aüe§ übrige beifeite laffenb: ha§ ift mein 5ßoIf,
hci§^ ift, mag e§ eigenttid; ift, morin fein maf)re§ SSefen jur @rjd;einung
fommt, nirfjt erjcf)öpft, benn unenblid^e 9teid)tümer unb unenblidje ^tiefen
bleiben mir öerborgen.
9iun, ebenfo ^ältft bu e§ mit ber 2öir!Iid)!eit überf)aupt. 2Ba§
in 'Slatnv unb ©efdjidjte bid; om tiefften ergreift unb am meiften be=
feiigt, ha^ faffeft bu in ein S3ilb jufammen unb fpric^ft: i)a§> ift ba^
eigentlid^e SSefen, ber tieffte Sinn unb @et)oIt ber äöirf(id)!eit. 3)u
ftef)ft üor ber finfenben @onne unb trinfft i^r Sidjt, bu atmeft ^xn^-
linggluft unb füt)(ft \)a§ Soeben ber 9Zotur, bu fie^ft ha^ fproffenbe
@rün unb bie unenblic^c ^üUe ber SBefen, bie fid^ t)armonifd) regen,
bu fc^auft bie 93erge unb ha§> SOZeer, ben §immel unb bie emigen
©terne unb fpric^ft: ha^ ift @otte§ SSer!; bu liefeft bie SSerfe ber
großen SDi^ter unb (Se^er aller $8ölfer unb ßeiten, bu oerfudjft bie
@eban!en nac^subenfen unb bie emigen $8ilber ju faffen unb füt)ift
ben Obem be» @eifte§ @otte§ barin. ®u f)örft ha§> (Soangetium, bu
nerjenfft bid) in bie SBorte unb ha^ Seben Sefu, bu erlebft bie ®e-
fd)ic^te feines ßeibenS unb (Sterbend, unb bu fpridjft mit bem Haupt-
mann: SSaf)rIid;, biefer ift ein frommer SOMnn unb @otte§ <Bo^tt
gemefen. §ier ge^t bir ber Sinn be§ SebenS, ber (Sinn ber 2)inge
auf, ha^ ift e§, moburd^ unb mo^u bie SSirflidjfeit ift.
greilidf), baneben ift aud) ba^ anbere, ba^ 9lid)tige, ha§> ©emeine,
ba^ 33öfe. Sieben Sefu ber ^odjmut unb §aB ber ©d)riftgelef)rten,
bie fatte @elbftgered)tigfeit ber ^tjarifäer, bie fdjnöbe ©efäüigfeit be§
^^rofurator» ber G)ered)tigfeit, ber fidj bei ber ä)kffe liebenSmürbig
mad)t, bie SOJorbluft eine§ uerblenbeten ^öbelS, bie ©emeinf)eit eine§
^serröterS unb bie ^djwädjt eine§ 93erleugner§, ha§> aüel ift aud) ba
unb ift ebenfo mirflidj. S)ennodj fagft bu: ba§ 3BefentIid)e an jenem
gefd)idjtlidjen §ergang ift e§ nidjt, ba^ 2BefentIid)e ift ba§ ßeben unb
(Sterben bei Unfdjutbigen unb ©ered^ten, ba§> ift ba^ groBe, bie SSelt
'IJauIicn, tStnlcituitg. G. Shtfl. 18
274 I-93uc^: 2Jietapf)t)[if. 2. ta^itel: S)a§ fo^moIogii(i)*t:^eoIogifd^e ^robtem.
Betüegenbe (SreigniS, alle§ übrige ift nur Df^eknlüer! unb 9LRitteI, gur
^eröeifüfjrimg unb ©arftellung nottoenbig; aber md)t qI§ ein @tü(f
unb 3;ei( baüon.
^atürlic^, ha§ ift SBillfür. SBer nic^t \o füf)It, bem fannft bu
e§ nid^t beftieifen. 2öer ha fagt, ber ^ned§t 50Jatc§ul ober ber frä^enbe
^al)n finb ebenfo ttjirflic^, ^ier ift fein Unterfrf)ieb, ber eine SBeöor*
gugung recf)tfertigte, ben fannft bu nicf)t nötigen. (S§ ift nic^t ber
33erftanb, fonbern ha§> ©emüt, bo» ben Unterfd)ieb macf)t; bem ^er=
ftanb ift jebe§ SBirflid^e gteicE) tt)irf(ic£); ben Unterfd)ieb jtt)ifc^en bem
Söic^tigen unb Unmi(f)tigen, bem SSefentlidjen unb ^uföüigen, ben
mac^t nicfjt ber Sntelleft, fonbern ber SBiüe. 2)a§ §er§ fagt bir,
n)a§ ha^ eigentlich unb njafjr^oft ©eienbe unter ber unenblid^en ^üße
bei SSirftid^en fei. 2Ber übertjaupt fein ^erj f)ätte, wer blofeer, reiner
SSerftanb märe, bem märe alle§ gteid) micfitig, ober oieImef)r alleä
gleid^ ni(f)t§fogenb. 22Ser fein ^erj öerloren, fein @emüt oermüftet
'i)at, bem $8(afierten gef)t e§ fo.
Sllfo in biefer 2(bfi(f)t mac^t ber Unterfd^ieb ber foSmotogifc^en
SSorftellung, bie fid^ jemanb über Urfprung unb Söeftanb ber 3Sirf(id)=
feit mad^t, gar feinen Unterfd^ieb; eine 2(u§maf)( beffen, morin er
ben eigentüdEien Sinn ober ha^ mof)re SSefen ber S)inge finbet, mirb
ber ^ant{)eift fo gut mie ber Xf)eift macfjen; unb er mirb fie mai^en,
nid^t geleitet oon foSmoIogifdjen ©pefulationen, fonbern oon ber un=
mittelbaren 5(nteilnaf)me, mel(^e bie 2)inge feinem öemüt abgeminnen.
5tnbere @ntfd|eibung§grünbe f)at and) ber X^t\\t md)t Unb menn er
auf @runb ber S3tbel urteilt, fo ift e§ ple|t bod^ bie Sebeutung, bie
ba§ Sudj felbft unb fein Snf)a(t für if)n t)at; unb menn er burdf) eine
Äird^e fid) bie 2)inge beuten (äfet, fo beruht bereu Stutorität barauf,
ba'^i fie i^m auf irgenb eine SSeife aB bie abfolut bebeutenbe gefcE)id)t'
lid^e SebenSform fid^ barfteüt.
2(ber in ber ^onftruftion biefer 2)inge, meint mand^er, ift ber
2f)ei§mu§ im SSorteil. 2)er ^anttjeilmuS muB auc^ ba§ Übet unb
ha^ S35fe ou§ feinem S(ll=@inen entfpringen (äffen; bamit mirb alfo
immer mieber bie ©teüung @otte§ gum ©uten unb S3öfen gmeifel^aft.
S)er X^eiSmu» löft @ott fo meit oon ber SSelt, ha^ er oon ber Un=
äulänglid)feit ber empirifd)en SSirftic^feit entlaftet mirb.
©emife, aber nur um einen ^rei§ ift biefe ©ntlaftung gu f)aben:
9. 2)o§ SSerpItnil bei pant^eiflif^en ©ottegbegrip jur SReltgion. 275
•
um ben ^rei» be§ ^ u a ( i § m u ^. SSeitn man giüet urfprüng(i{f)e
'jprinjipteit annimmt, bann !ann man aßcrbingg für alles 9J?iBfäIIige
bie S3erantiüortung bem böfen ^rinjip, ber 9J?aterie ober bem Teufel
auflaben unb 6et)ält bann ha§> anbere ^rin^ip al§ ©runb für afle§
©Ute unb SBofiltjefäüige. 3(6er biefen ^rei§ f)at befanntlidj bie
^irc^en(ef)re nid^t 3al)(en njollen. Sfjr ST^eigmu» f)at ba^er in biefem
©tücf cor bem ^antfjei§mu§ gar feinen 58orteil norauS. §at @ott alte
©inge au§ nitf)t§ erfd^affen, fo finb unb bleiben fie fein SBerf; unb
alle 9?erfuc^e, bie Unoontommen^eiten ber gegebenen 3Se(t öon if)m
auf ein anbereS abäuioatäen, finb nertorene 9J?üfie, ben 35erftanb ^aben
fie nie unb nirgenbö befriebigt. Cb mon im freien äöillen be§ SD^enfcfien
ober eines gefoHenen Snget» bie erfte Urfad^e be§ Übel§ unb be§ 93i)fen
.fucf)t, ber 35erftanb ftiirb immer einen 8d^ritt n^eiter ge^en unb nac^
ber Urfacfje biefer erften Urfadjc fragen; unb t)at ber SUJenfdf) ober ber
ßnget eine llrfac^e ber ©jiftens, fo tt)irb er aud^ bie Urfadf)e feiner
9Jatur bort fud;en unb fie etma mit 5. S3öf)me in einem bunffen
Urgrunbc in ©Ott finben, menn er fie nid^t mit Seibnig in eine meta=
p^t)fifc^e ©djranfe feiner @d)i3pfung§!raft fe^en raifl.
(Sf)er tt)irb mon fagen fönnen: bem ^antt)ei§mu§ füllt eine er=
trögtid^e ^onftruftion biefer 2^atfad)en leidjtcr. @r fann cntmeber mit
Spinoza 3Birftid)feit unb 9.^oüfommenf)eit für gteid^bebeutenbe 93egriffe
erftüren unb bo§ fc^einbare ^Jic^tgufammenfallen beiber auf unfere ju«
fälligen begriffe nom ©uten unb Sd)(ed)ten, 33ot(fommenen unb lln=
nollfommenen äurüd"füf)ren; ober er !ann mit bem eootutioniftif d)en
'^^antfjei§mu§ ben (Sntluideluuggproje^ ber 3Sirflidj!eit für bie fort-
fd^reitenbe, fidj fteigernbe (Selbftnermirflidjung ber ^bee erflören, fo
ha^ bas ^BoIIfommene am (Snbe, nid)t am 5(nfang fei. Xer SBert
biefer ©ebanfenbilbungen mag im übrigen fein, wetdjer er miß, fie
l^aben nid)t bie öerle^enbe (Spi^e, bie ber isorfteltung inne mof)nt:
ein allmiid^tiger unb aüe ^inge oor^erfef)enber SBille "^at au§ abfoluter
SSiüfür biefc Söelt al§ abfoüit gute inS 2)afeiu gerufen; aber eben
biefe SBelt ift bann burdf) ben au§ abfoluter SSitIfür eine§ ©efc^öpfeg
erfolgten 5lbfaII fo nerberbt njorben, ha'^ fie at§ .^errfdf)aftligebiet be§
2;eufety betra(^tet merben mu^. 5t(» ßucilio 9>auini einft bie 93e=
trad^tung aufteilte, bie S- @t. 9)i i 1 1 in feinen poftf)umen @ffat)§ über
Ü^eligion mieberl)olt: ©Ott mill, bafe alle 9)?enfd)en feiig n^erben, ber
18*
276 I- 58u^: a)?eta:p^^ft!. 2. topM: ®a§ foSmoIogifc^-t^eoIogijc^e ^Problem.
Xeufel, boB [te otle üeiioreu ge^en; ba aber alle Ungläubigen, alle
^e|er al§ foldje öertoren finb, non ben ©üebern ber Äircf)e aber uod)
alle, bie in einer ^^objünbe ober in Unfrieben mit ber Äirc^e fterben,
\o ift ba§ Ergebnis, ha^ in ungetjeuer überlüiegenbem SOiafee be§
Teufels äöitle gejc^ie^t — ha nerbrannte man i^ auf bem «Scheiter*
l^aufen, eine ?Xrt ju argumentieren, bie lüeber ben ^erftanb überzeugt,
nod) ha§> §er5 berul^igt. Scfj w'iü nic^t behaupten, bafe bie eben an=
gebeuteten Überlegungen pantl^eiftifd^er S;t)eobicee ha§' (ei[ten, aber fie
fjaben hoä) ettoog Sef(^n)id)tigenbe§. Übrigens ^aben bie tl)ei[tifc^en
^ßerfuci^e ber Xtjeobicee f(f)tie^Iicfj ät)nlicf}e 2öege eingejdjiagen: bie 9iebe
üon ber Unmirflicf)!eit be§ 93ö]en, ober ber ölaube an bie enblic^e
SBieberbringung aller ®inge tüeifen eben ba^in.
10. ©ef^tc^tttc^e GntüJtifclung bei* &ottt§' unb SScItüorfteöung.
SDer !ritifd)=bogmatijd^en S3e^anb(ung be§ !o§mo(ogifdj=tt)eoIogifcl^en
Problems (äffe id} bie Umrifje einer gefdjidjtlidjen S)ar[tellung folgen.
Sd) l)cibt fd)ou gefagt, ha^ mir bie ©ntmidelung be§ menfdjlid)en
2)en!en§ in ber SfJic^tung ouf einen ibealiftifd)en 9)?oni§mu§ fid) ^n
bemegen fdjeint: einerfeitS mirb auf ifjn bie miffenfd3aftIid)=p!^iIofop^ijd)e
S3etrad)tung gefüljrt, anbercrfeitS münbet bie Gntluidelung ber religiöfen
SSeltauffaffung in einen 3JJonotl)ei§mu§, ber, menn er begrifflich burdj=
gefüfjrt mirb, ©Ott alle önbtidjfeit unb 93efd)rän!tf)eit, bamit aber
and; bie Seftimmtljeit beg (Snblid)en nimmt unb für eine neben @ott
felbftänbige SSelt feinen ^aum läfet; »irb ber äJJonotl)ei§mu§ gu @nbe
gebadet; fo fäüt feine aügemeinfte 3Se(tformeI mit ber be§ ^antf)ei§mu§
jufammen: uövos 6 deög, @ott allein ift.
Über bie Söa^r^eit einer SBeltformel fann natürlid) nic^t burc^
gefd)id)tlid)e S3etrad)tung entfd)ieben merben. ©ennod^ ift ber gefd)i(^t=
lid^e S^emeiS, ttjenn man biefe 93etradjtung fo nennen mill, nid)t oljue
^ebeutung, mie e§ benn alle ^l)ilofopl)en baburc^ anerlennen, ha'\i fie
bie eigene 2öeltanfd)auuug al§ ^^^^P^^^^t ^^^ bisljerigen pl)ilofopl)ifdien
(Sntmidelung barguftellen lieben, ©o gut loie §eget ober Somte i^re
^l)ilofopl)ie als ha§ notlucnbige ®nbe ber 9\eil}e !onftruieren, t^un e§
aud) geuerbadj unb Südjuer. 9Jiit ü^ec^t; mo es fid; um bie Gr=
!enntniS einjelner 2:^atfadjen ber gefd^idjtlidjeu ober ber p^l)fifd;en
10. ©efd^iditlirfie ©ntoidelung bcr ®otte§= unb gBeltöorftcöung. 277
SSeÜ f)Qnbe(t, ha tüirb ber f^^orfc^er attein ber met^obtfd^en Unter=
judjung trauen unb forbcrn, ba^ utan i^r bie (Sntfdjeibung augldjüeB«-
lief) ükrlaffe. 2öo e§ jid) aber um bie legten ST^inge f)anbelt, roo e§
gilt, ben ©ejamteinbrud niieber^ugebcn, \)tn bie Söelt auf ben 9J?enjc^en=
geift madf)t, ba trirb bem (Sinjelnen bie 3(nle^nuug an baS^ (55ejamt=
ben!en SebürfniS, ba n)irb e§ if)m wid^tig, ben consensus gentium,
ober ujenn ba§ nidfit möglidf) ift, fo bod) ben consensus historiae ^u
geujinneu, ba§ fieifet \id) ju überzeugen, bof? feine ©ebanfen eigenttid)
ba§ gefudjte 3^^^ finb, auf ha§ bie bisherige (Snttt)idelung mit innerer
9lotmeubig!eit fü^rt.
3J?an pflegt in ber S^laturgefdjic^te ber 9?eIigion brei ©runbformen
ober ©tufen in ber (Sutmidelung be§ (^otte§gIauben§ ju unterfdjeibeu :
g'etifc^i§mu§ ober ©piriti§mu§ (audj 5(uimi§mu§, 9Mturi§mu§
genannt), ^oIt)tf)ei§mu§ unb 9J?onotf)ei§mu§. ©emeinfam ift
allen ber ©taube an ein Überfiuntid^eS, t)a§> in ber fiuutid^en 2Belt
burd) feine SBirfungen fid) betr)ätigt; oerfdjieben ift bie ©eftolt, bie
fie bem Überfinnlii^en unb feiner SSirffamfeit geben. ®er t^eti =
fc^i§mu§ ober ©piriti§mu§ ^at jum Verbreitungsgebiet bie DJatur-
oölfer aller ©rbteile. @ein 33egleiter ift ber ©(^amani§mu§, haS^
ßauberprieftertum. (Sin O^etifc^ (oom portugiefifdjen feitiyo, Stmulett,
3boI) ift ein beliebiger ©egenftanb, in bem eine ßanberfroft, ein
©eift fi^t. (Sin (Stein, ein ©djerben, ein Ä'noc^en, ein Q^ünbet Ä'räuter
ober ^aare, ein rot) gefdjuil^te» ^ilb wirb oon bem ÜZeger am Seibe
getragen ober in ber §ütte aufgehängt, e§ tt)erben i()m irgenbioeldje
5(ufmer!fam!eiten ermiefen, ©peifen unb (SJetröufe oorgefe^t, bafür
mirb (Srfüünng oon 2öitnfd)en at§ ©egenteiftung ermartet, 9(bmef)r
oon 5?ranff)eit, böfem ßauber, 9JüBgefc^id alter 2(rt. ^äufc^t biefe
(SrttJartung, fo njirft man ben O^etifd^ al§ unfröftig meg unb fud^t in
ben ^efi| eine§ mirffameren gu gelangen. ®ie .^crftellung unb
Sef)anblung oon ^etifdjen ift bie grofee SSiffenfdjaft ber ^iniöerpriefter,
bie über bie (SJeifter ©etualt t)aben. 5(uc^ ^iere, $8äume, ,^aine,
93erge, ©tröme, ©een, ha^^ Wctv, ber SO^onb, bie ©onne merben oiet=
fad) at§ ©i^ oon C^eiftern angefefjen unb mit futtifd^en .^aubtungen
umloorben. ©ef)r gemötjnlid^ ift aud), ha"^ ben abgefdjiebenen ©eelen
ber S5orfaf)ren SSeret)rung gemibmet loirb. ©ubiidj !ommen, mef)r in
ber 9iebe aU im Ä'ult, aud^ (55ötter oor, bie mt)tf)oIogifd^=fo§mogonifdjen
278 I. S3uc^: aJietop^ljfif. 2. Äopitel: ®ag Io§mologtid^=tf)eologtfc^e Problem.
©^arafter f)aben, e§ ift bie 9lebe üon ©Ottern ober tion einem @ott,
ber bie SBelt unb bie 3)Zenfc^en urfprüngtid^ gemacl)t ^at — @§ ift
im mejentüd^en biejelbe ©eftolt, in ber bie 9^eIigion§üor[teUungen bei
Siegern nnb Snbianern, bei ben norbajiatijd)en S^ölfern unb ben ^e=
h)of)nern ber Quftralif(f)en Snfelmelt auftreten. getifd^iSmuS unb ©c^ama-
niömuS finb bie am ftärfften ^erüortretenben Elemente, baneben Stnfänge
foSmogonifc^er 9)^t)t^oIogie unb f)in unb n^ieber bie Sftebe oon einem
großen ©eift ober @ott, ber aüe S)inge gemacht 'tfobt, uon bem im
befonberen oudj bie SOZenfcfjen abftammen; gelegentüd; aud^ bie SSenbung,
ha'\i bie alten unb großen ©ötter oon ben neuen unb fteineren üer=
brängt n}orben feien.*)
gragt man nad) bem SSefen be§ „©öttüc^en", ha§ !£)ier öere'E)rt
Ujirb, fo ift e§ fdjmer ju beftimmen, Unbeftimmtfjeit be§ 2öefen§ unb
Unäuoerläffigfeit ber SSir!fom!eit ift für biefe ©tufe d)ara!teriftifd).
(Sin ^5rrtum ift e§ ju meinen, ha^ biefe§ zufällige fid^tbare S)ing
©egenftonb be§ ^utt§ fei; überall ift ein Überfinnlid;e§, ein „Greift",
auf ben unb burd; ben getnirft mirb. ^lad) ber 5(nfic^t be§ Siegers
„fi|t in jebem finnlid)en Singe ein @eift, ober !ann bod^ barin fi|en
unb §mar in ganj unfdjeinbaren ©egenftänben ein fef)r großer unb
mäd)tiger." liefen @eift benft er fid) nic§t gebunben an ha^ förper=
lid^e ®ing, er f)at nur feinen gett3öt)nlic^en ober f)auptfäd^(id^ften @i|
in i^m (2öai^ II, 174). ®aB e» bem 9leger nidjt an S3egabung
für 9JJetapt)i)fi! fef)It, geigt eine ebenbort (S. 188) mitgeteilte ®efc^id)te:
„®in Dieger, ber einem 33aum Sßere^rung ermieS unb ©peife barbrac^te,
ttjurbe barauf oufmerffam gemadjt, ha^ ber S3aum bod^ nid)t§ effe.
(Sr oerteibigte fic^ bagegen mit ber §{ntmort: O ber 5öaum ift nid)t
g^etifd), ber g^etifc^ ift ein @eift unb unfid)tbar, aber er l)at fid) ^ier
in biefen S3oum niebergelaffen. greiüc^ fann er unfere förperlid)en
©peifen nid)t oer§et)ren, aber er geniest i)a§> ©eiftige baoon unb löfet
ha§i ^örperlidje, meld)e§ mir fef)en, gurüd."
S)ie smeite ©runbform ift ber ^otl)t^ei§mu§. 3^r Unter==
fd^ieb gegen bie erfte befte^t barin, ha^ bos Überfinnüd)e t)ier bie
©eftalt perfönlid^er SSefen t}at: ftatt ber ®ö^en, ber oageu, öer*
*) 9?ac^tüeijungen bei %i). SBai^, 2{ntf)ropotogie ber 9JaturööI!er: II, 167 ff.
für bie gjeger, III, 177 ff. für bie ^nbianer, V, 134 für bie SIKifronefier, VI, 229 ff.
für bie ^oU)nefier.
10. ©ei'c^ic^tUd^e ©nttcicfelung ber ®otte§» unb aBeltoori'teHung. 279
gängüd^en, namen» unb geftoltloien Snforporotionen üon ßawi'ci^fTäften,
l^oben irir f)icr ©ötter, bauernbe, feftgeftaltete, perjönlicfie, gefd^ii^tlic^e
SSejen. 2)ie gnecf)ijd)e ©ötterlrelt fteÜt un§ biefe gornt in ber öol(=
fommenften SSeije bor; jebe§ ©lieb be§ @ötterreid^§ ift ein njof)I
d^arafterifierteS, gei(^i(f)tücf)e§ 3Befen; i^re ©eftalt, bie leibfid^e tt)ie bie
geiftige, geigt bie atlgemeinen 3^9^ ^^^ 9)Zenf(i)ennatur, hod) finb e§
er^öf)te 9JJenfcf)en, o^ne bie (£(i)ranfen ber @terblirf)en. @ie untere
liegen nicf)t ben 9Jaturgeie|en, bie unjer ©ajein Be{)errirf)eu; Ü^aum,
3eit unb Äaufaütät f)aben für bie ©ötter feine ©ültigfeit. Sie finb
nid^t überfjaupt förperloje SBejen, aber fie fönnen jebe @e[tatt an=
nehmen, fie finb nicfjt ottgegennjürtig, aber fie finb, h)0 fie ttjoüen, o^ne
«nfere fd^raerfällige Crt^bemegung, fie finb nid^t jeittog, aber fie altern
unb fterben nicf)t, if)r Seben ift endige Sugenb; fie finb nid^t aümäd^tig,
aber if)r 2ßunfd§ beftimmt bie 2Sirf(i(^!eit of)ne bie umftänb(id()e 33er=
mittelung menfd£)Iid^en 3Öirfen§.
5)er eigentli(i)e S^erbreitungsbejirf be§ ^oIt)tf)ei§mul ift bie Sugenb=
geit ber g e f cf) i c^ t ( i cf) e n $öö(f er. 93ei allen Sßölfern, bie Präger ge=
fd^id^tlid^en Sebenl n^aren, finben ttjir eine in ben ©runbjügen ber
griedjifdjen ä^nlirf; geftaltete ©ötterlüplt, bei Sigljptern unb Semiten,
bei ^5nbern unb ^erfern, bei ©ermanen unb (Slaöen. ^n ber neuen
SBelt finb bie Stämme, bei benen Slnfönge gefd^icfitürfien 2eben§ !E)eröor=
treten, bie Sett)o{)ner SDieiifoS unb ^eru§, gugteic^ baburd; ausgezeichnet,
ba'iß fie eine ©ötternjelt ^eroorgebracf)t ()aben.
®a§ 3i^Ü^"^"^^"t^'^tfci^ ift i^if^t jufällig: bie gefc^ic^tlid^e @ötter«=
toelt ift bie tranfcenbente (Spiegelung be§ eigenen gefc^ic^tlid^en SebenS.
Sm 5etifdf)i§mug fpiegelt fic^ bie nnftäte g-urcfit unb Segierbe be§
Sfiaturmenfd^en; of)ne bauernbe ©ebanfen unb Erinnerungen, o^ne
ßebenSgiel unb ^"Ocak, bie über ha^^ finnlicf)e (Sinjeüeben {jinauSge^en,
lebt er im 5lugenbli(f, ben 93ebürfniffen feiner finnlidien 9Jatur unter==
tt)an. ^^m fetber gleid[)en feine ©btter, e§ finb öergänglic^e Slugen«
büdSbilbungen, tt)ie bie gurdjt unb S3egierbe, bie fie ^eritorbringt. 8o
gleiten and) bie ©ötter ber gu gefc^idf)tlid)em ßeben ermad)ten ^Bölfer if)ren
(Srjeugern: mie bie bauernbe ©emeinfdjaft ber in gamilien gegüeberten
5SöIferfd)aft ben (Singetnen an bem gefd^id)tlid^en Sebcn bes ©angen
5lnteil giebt unb fie baburc^ über bie Siergänglidjfeit be§ animalifc^en
S)afein§ ergebt, fo merben bie ©ötter §u gefc^id^tlidjen SSefen, bie in
280 I-33ucf): SRetopf)t)fif. 2. ta^itel: ®o§ !o§moIogiid)=t^eoIogiic^e «Problem.
bouernben S3eäief)ungen ju etnanber unb gu ben ÜJJenfdjen fte^en. 9J?it
bem $ßo(f ttjerben audj feine ©ötter fe^^oft, neben bem @tabtf)au§ er=
f)ebt [tc^ ber Slempel al§ banernber 2öo{)nji| be§ (55otte§.
Setraditen tt)ir boS SBefen ber @ötter genauer, \o lafjen fic^
brei (SIemente barin unterfc^eiben, bie im S3ett)uBtfein be§ öläubigen
natürlich eine ungejrf)iebene (Sinf)eit perfiJnlic^en 2eben§ bilben: fie
finb 1) perfonifigierte ßouberfräfte, 2) perjonifigierte
9^oturgen)aIten, 3) perf onif ijierte Sbeolbilber.
Sn bem er[ten ©tücf tritt bie 33ern?anbtj(f)aft mit bem 3^etijd)i§mul
t)ert)or: burcf) (Sinftjirfung ouf bie ©otter !ann man inbireft auf ben
Dktuiiauf eintoirfen; ^ultljanblungen finb SJiittel, um ouf übernatür=
lid^e SSeife fic^ gu üerfdjaffen, ma§ bie natürlicf)en Gräfte be§ 9}Jenf(^en
ni(f)t fid^ern. Sn ber mirüid^en Ü^eligion ift bie§ überall ba§ erfte unb
tt)id^tigfte @tüc!; nidjt in ber 3)?t)tt)oIogie lebt bie mirflic^e 9leIigion,
fonbern im ^ult; @efunbl)eit unb S^eic^tum, (Srnte= unb Äinberfegen,
@ieg unb @Iücf unb bie gro^e 2Biffenfd)aft ber 3ufunf^ ^^^^ if^ c^/
Jüa§ alle ©laubigen überall mit ©ebeten unb Opfern non ben ©Ottern
ju erlangen trachten. S^ürgeubS fe^lt z§> on einer ^riefterfc^aft, bie
fa(f)t)erftänbig bie fünfte be§ Äult§ unb ber 3ufunft§forfcf)ung übt;
nirgenbS and) an allerlei SlbergtaubenSartifeln unb ^Qw^ermitteln, bie
fid) burc^ nid)t§ üom ^etifd)i§mu§ unterfdjeiben.
3iüeiten§ finb bie ©ötter perfonifijierte 9?aturgett)alten ober =mefen.
®a§ ift bie @eite, mit ber bie SO?t)tl)ologen fid) öorgugSmeife befdjöftigten.
3eul ift ber lid^te ^immel ober bie §immel§fraft, bie fic^ im SSetter,
üor aüem im S3li|ftral)l, manifeftiert, Demeter bie fruchtbare (Srbe, bie
betreibe unb ^rüd)te au§ i^rem @d)oB Ijeroorge^en läBt, ^ofeibon ha§
3JJeer ober bie 9JJeer!raft, ber (Srbumgürter unb @rberfd)ütterer, Slpoüon
unb SlrtemiS bie beiben großen gefdjlnifterlic^en ©eftirne be§ 2oge§=
unb 9'^a(^tl)immel§. dJlxt unerfd)i3pflid^er ^^^^udjtbarfeit '^at bie griedjifdje
^^antafie bie taufenb ©eftalten bann in taufenbfältige Se^ie^ungen
§u eiuanber unb ^u ben 3)?enfd)en gebrad)t; inbem fic^ bie ^üqz be§
9^aturmefen§ mit menfd^lidjen S^Qtn üerfd)lingen , entfielt bo§ bunte
©ercebe ber 9J?t}tl)en. ®ie 5lnalt)fe be§ gorfc^er^ untcrfdjeibet barin
antl)ropomorpl)if(^=fi)mbolifd)e Sluffaffung oon 9laturerfd)einungen, um=
gepf tankte l)iftorifc!^e (Srinnerungen , ©tamme^fageu unb Segenben ber
Ä'ultftätten, eti)mologifd)e unb geograpl)ifd)e Fabeleien, unb mül^t fic|
10. ®tiä)iä)tiiä)c ©ntmidelung ber ®ottel= unb SOBeltöorftellung. 281
an bem l^offnungSlofen Unternehmen, bie gcf(i)id)t(id^e Sntwicfetnng biefer
SBett 6(oB gu legen, ober bem ^offnung§Ioferen, fie ^u fi)ftematifci)er
©in^eit ju bringen.
(Snblicf) f)aben bie ©ijtter nod) eine britte ©eite: fie finb per^
fonifijierte Sbeale, fie ftellen bem 35oIf feine Sbeen öon menfd^lirfier
^oIIfommenf)eit in fonfreten ©eftalten öor fingen. Qm^ ift bQ§ ^shccil
be§ ^errfd^enben 3)?Qnne§, Sßürbe unb ä)?arf)t, auf Äraft unb 9ierf)t
gegrünbet, finb bie (Elemente feinet SßefenS. Sn bem S3ilbe 2tpolIon§
ift bie Sbee be» griedjifc^en ^o(fe§ non einem t)of)en unb freien ®eifte§=
leben borgeftellt, geiftige g^rcifieit unb 93efonnenf)eit finb in if)m ju
uoüenbeter 2{u§gleidf)ung ge6racf)t; bie SQZufen finb feine 23egleiterinnen.
©0 finb ^ero, 5ttl^ene, 2(pf)robite %'qpm n)ei6(irf)er S5oüfommenf)eit.
Unb tuir bcrel^ren
Sie Unftert)Iid)en,
2U§ lüären fie 9J?enf(^en,
Söäteti im ©roßen,
3So§ ber SBefte im Steinen
Sfiut ober mi^te.
(£f}e ic^ gum 9JJonot^et§mu§ micf) n)enbe, ge^e id^ l^ier mit einer
Semerfung auf bie O^rage ein: ob 3^etifcf)i§mu§, ^oIt)t^ei§niu§ unb
9JJonotf)ei§mu§ nicf)t bIo& al§> brei begriff(irf) unterfdjiebene ®runb=
formen, fonbern aurf; al§ geitlid^ auf einanber folgenbe (Snttt)i(felung§=
ftufen an^ufefien finb, im befonberen : ob 3^etifcfji§mu§ überall bie ^tiU
lid^ öorange^enbe Urform ber Dieligion n^ar? benn ha"^ ber TlonO'
t{)ei§mu§ aus bem ^oI^tI)ei§mn» at§ fetner Q^orftufe fid; gefd^id^tlid^
cntnjidett, fd^eint nidjt 5tt)eifetf)aft. 3ene S(nfid)t ift, tt)ie Tia^
SOJütler*) geigt, feit ber 9Kitte be§ öorigen Sa^t^l^unbertS in (Geltung
gefommen, nac^bem Bt§ bof)in bie t^eologifd^e 5lnfid)t f)errfd)enb ge=
luefen irar, ba^ man im ^oIt)tf)ei§muÄ unb ^etifd)i§mu§ getrübte unb
Derberbte (Srinnerungen au§ ber urfprüng(id)en, reinen, monot^eiftifc^en
Urrcligion §(bam§ nor fid) l^abe. SO?. SOiülter tefjut gnjar bie (entere
3(nfid)t al§ unmiffenfd)aftli(^ ab, n^ill aber auc^ bie erfte nid^t gelten
laffen: getifdji§mu§ fei nirgeub§ urjprünglidj, fonbern oerfommener
Überreft einer urfprünglidjen f)ö^eren 5(uffaffung be§ ®öttlid()en; bei
*) SK. SJiüIIer, Sßorlefungen über ben Ursprung unb bie 6nttt)icfetung ber
^Religion (1880), ©. 62 ff. ©. aud) D. ^Pfleiberer, 9tetigion§pt)itofopt)ie auf ge=
jc^ic^ttic^er ©runbtage (1884), II, 3 ff.
282 1. SBuc^: Wttap^t^lil 2. Kapitel; S)ag logmologiic^-tl^eologifd^e «Problem.
finfenber @e[ittung fei ber ^ötjere, geiftige (Sinn ber Äultug^anblungen
öerloren gegangen nnb nnn al§ (e^ter 9^e[t bie „^erefjrung öon «StöcEen
unb Steinen" übrig geblieben.
3n ber %^at, öerfte^t man unter ^etifd)i§mn§ ben Äult !brper=
lidtjer, „geiftlojer" ©egenftänbe, unb jo ettt)a§ mag ja aud^ üor=
fommen, bei ©injetnen unb bei f)erabge!ommenen (Stämmen, bann f)at
W. Wlixütx o^m ßlneifel red^t: ein folcfjer finnlojer getijd^i§mu§ je|t
„^Inte^ebentien" üoraug, bie if)n möglid) machten, a(§ beren „geiftlofer"
9fte[t er nad^ S3erlu[t be§ (Sinnet übrig geblieben i[t. 3Ser[te{)t man
ober unter 3^etijd^i§mu§, mie oben gejd)e^en i[t, unb me e§ nad^ 2Bai|,
auf ben fic^ aud) dJl. SUJüüer beruft, allein ben ST^atfad^en entfprid)t,
ben ^utt öon ©eiftern ober spirits, bie in einem beliebigen @egen=
ftanb if)ren geitmeiligen ©i^ fiaben, fo liegt bie (Sad)e bod^ anber§.
Sft bem gefdE)itf)t(id^en Seben ber ^ulturüölfer eine @ntmicfelung§=
ftufe ungefd^id)tlid)en ober oorgefd^id^tlid^en Seben^ oor=
aufgegangen, fo mirb man nid^t um^in !i3nnen, aud^ ben gefdiidjttidjen
©Ottern eine (SntmidelungSftufe ungef(^id§tli(^er @ötter öoraufgetjen
gu laffen. S)enn fdimerlic^ giebt e§ in biefen Singen etma§ ®emiffere§
al§ ben allgemeinen (Sa|, bo^ im SBefen ber ©ötter ha^ äBefen be§
SSoIfeS, ba§> fie öere^rt, fid^ mieberfpiegett. Ungefd)id)tlidje ©ötter finb nun
eben jene oagen, oergänglidjen, geftatttofen „@eifter" be§ 5etifd)i§mu§.
®em miberfpric^t, fooiel id^ fe'^e, aud) bie inbifd^e Ü^eligionS'
gefc^id^te nic^t. 50?. SJJüIIer nennt bie ältefte un§ in ber religiöfen
Sitteratur ber Suber errei^bare (SdE)id)t „^enotf)ei§mu§": ha§i @ött=
lid^e in oielen unb üerönberlid^en geifterf)aften D^aturgematten, unter
benen balb bie eine, halb bie anbere al§> bie erfte unb §öd^fte ^erüor=
tritt. 2öie er fie barfteüt, mirb man fie a(§ eine ÜbergangSform oom
primitiöen ©eifterglauben jum fpäteren ^oIt)t^eiömu§ ber Snber mit
feinen perfönlidj=gefd)idjtlid^en ©Ottern anfe^en fönnen. 3t)r mag eine
t)iftorifd) nid)t bezeugte (Sntmidetung§ftufe üorangegangen fein, bie
gan^ unter ben üblichen 33egriff be§ fetifd)iftifd)en ©piriti§mu§ fiel.
@efc^id)tlidje Sen!mäler f)inter(äBt ja ber ^etifdji^muS ber DZatur ber
(Sad)e nad) nid)t, nur Übertebfel bleiben erhalten; unb benen begegnet
ber 3tntf)ropoIog freilid^ überall.*)
*) ^n ber l^omerifdien SBelt tft bon ©eelenfult unb SBirfutigen obgeid)iebener
©eeten auf bie bieSfettige SBelt nirgenbg bie 9iebe; bie Sotentrelt ift öon ber SBelt
10. ®efc!^td^tU(^e (SntttJtdelung ber ®ottel» unb SBeltborftettung. 283
2(uf biefet6e 2tn[ici^t fdjeint bod^ Qud^ jeber SSerjud^, bie O^ragc
nad^ bem erften U r f p r u 1U3 b e § ö I a u 6 e it § an © ö 1 1 e r ober
übernatürlirfje Söefeu 5U löfen, ^inäufüf)ren.
$ßon brei fünften qu§ {)Qt man ben Ursprung ber 9?eIigion jn
erflären nnternommen. ©in er[ter ^erfuc^ ge'^t öon bem tf)eoretifd^en
Strieb, öon bem S?aujalitöt§bebürfni§ be§ 9}?enfci^en an§. (So beginnt
D. ^efcf;et in feiner 3]ölferfunbe ben 5(b](f)nitt über bie Üieligion
mit bem <Ba^: „Hnf allen ©efittung^ftufen unb bei allen SOZenid^en-
ftiimmen merben religiöfe Smpfinbungen [tet§ oon bem gleid^en inneren
SDrang erregt, nämlid; bem ^ebürfni§, für jebe (Srfc^einung unb S8e=
gebenf)eit eine Urfad^e ober einen Urf)eber gu erfpä^en." Unb am
©d^IuB tt)ieber()oIt er biefen @a|, l^insufügenb, bei geringen 35erftanbe§=
fräften befriebige fdf)on ein getifd^ i)ü§ ^aufalität§bebürfni§. Sie erfte
unb bem äJienfc^en nädfjfte g^orm ber Ä'aufalität fei er felbft ai§> f)anbeln=
be§ SSefen; mit biefer Kategorie blicfe er in bie SSelt t)inau§ unb
faffe nun aüe 93orgänge am .^immel unb auf Srben ai§> ^anbtungen
n^ollenber 3Sefen auf; fo entflet)e bie 9JZt)tt)oIogie alö ein @räeugni§
ant^ropomorp^ifdjer Slpperjeption.
(Sine anbere (SrHörung nimmt nid^t bie Sntelligenj, fonbern ben
SSiüen, nid^t ha§ t!)eoretifd^e, fonbern bie praftifd^en S3ebürfniffe jum
5tu§gang§punft. @o ßubmig geuerbad^ in feinem Sud^ über
t)a^ SBefen ber Ü^eligion; übrigen^ l^at er an 2). i^ume, ©pinoja,
§obbe§ 33orgänger, unb neuerbing? in biefer allgemeinften Ütidfjtung
feiner Söetrad^tung §at)(reid)e 9^acf)foIger. 9^ac^ g^euerbai^ ift 3a"berei
ber Sebenben reinlidE) getrennt, ß. Siol^be (^i^c^e, ©eelcnfult unb Unfterbüdifeiti«
glaube bei ben ®ried)en, 1890) geigt aber au§ jofilreid^en ©puren unb Überlebfeln,
tt)ie biefer ©tufe eine anbere öortjergegangen ift, tüo anä) bie ©riedjen ben ©tauben
unb bie 2fut(f)t üor „(Seiftern", foroie ben barau§ entfpringenben ©eelenfult tonnten.
SRot)be bringt bie 3?eränbernng ber ©eifter mit ben SBanberungen unb bem Über«
gang öon ber älteren Sitte be§ 93egrabenl gum Seic^enüerbrenncn in ,3u[ammen'
t)ang. ®ur(f) bie SSerbrennung tuirb ber Doppelgänger ber ^\t)ä)e. gerftört unb
bamit äugleic!^ biefe öollftänbig unb befinitiü Don bem ^rbijc^en gefc^ieben, fo bo§
fie nun au§fd)lie§Ii(i) bem bunften Sd)attenreid^ be§ ^ab^^ angef)ört unb ba? f)elte
unb jonnige ®ie§feitg nicf)t met)r gu ftören üermag. @o f)aben fid) bie @ried)en
ber {)omerijcf)en 3^it öon ber ©pufmeltber spirits befreit, ^n einer fpäteren,
religiöfer geftimmten 3eit finb auc^ in ©riec^enlanb jene äiefte uraUen ®lauben§
im §eroen= unb ©eelenfutt lieber aufgelebt.
284 I- S3ucf): mttap^t)\xl 2. Kapitel: ®o§ fo§mologifc^4^eologifc^e «ßroblem.
ba§ SSejen oller urfprüitgticfien 9fteIigton, bie ÖJötter [inb SBunjcfjlüefen,
it)re Seftimmung ift, bem SOienfdjen SBünfcfje 311 erfüllen, bie er ftc^
fel&er nicf;t gu erfüllen oermog. 3Sie bie 9Jot bie 9)?utter aller fünfte
ift, fo aud^ ber ^'unft be§ ^oubernS. 3)ie 9(toüe ber intelligent ift
babei fe!nnbär, fie fuppebitiert bem Seilten bie SSermittelung, bie SSor=
ftellung eine§ „@eifte§" ober „(^otte§", b. t). einer übernotürlid^en
51'raft, auf bie er tt)ir!en unb baburd) inbireft fid) in ber DIatur burcl)=
fe|en !ann.
®er britte 5lu§gang§|3un!t ift ber ©lauBe an ba§ fortleben ber
abgeftfjiebenen (Seelen. Herbert ©pencer ftellt biefen ^un!t in
ben SSorbergrunb; feine 9^aturle^re ber 9f?eligion (im erften S3anb ber
^rinjipien ber (Soziologie) fdjlieBt mit ber 53el)auptung, „boB 3lt)nen=
üerel)rung bie SSurjel aller S^eligion ift."
©ooiel id) fel)e, ftet)en biefe ©rflärungen nidit in bem SSert)ältni§
be§ entmeber — ober, fonbern ergänzen einanber. 2Sa§ gunöc^ft bie
Slnfid^t ^efd)el§, bie intelteftualiftifdie 5lnfic^t, bie auc§ ben @rflärungl=
öerfuc^en ber 9}?t)tt) otogen meift gu ©runbe liegt, anlangt, fo ift fie
ollein offenbor nidjt gureic^enb; fie mutet ber Sntclligen§ ober bem
^oufalitöt§bebürfni§ be§ primititien 9J?enfd)en oKäUüiel gu. SSäre ber
SJ^enfd^, mie in ber (Sd^öpfungäfoge ber @enefi§, mit ber gon=^en
geiftigen 5lu§ftattung ber ©egenmort, ober gor mit erl)öt)ten Gräften,
nur nod^ ot)ne Äenntniffe, eines 2;oge§ plö^li^ in bie SSelt getreten,
bonn mödjte in ber Srijot (Staunen fein erfteS @efül)l unb bie ^roge
nod) bem Urljeber biefer Singe feine erfte (Sorge gemefen fein. Sft
er ober au§ nieberen 2eben§formen !^eroorgegongen, bann merben mir
bem Staunen unb ber SSermunberung am Stnfong feiner Soufbotin
f(^merlid) eine gro^e SloKe gufdjreiben bürfen; mie einbrudSloS an
einem rein finnlid;en SSefen jene !^immlifd)en @rfd)einungen, bie uad)
ben 3Rt)tl)ologen guerft ben ß'oufolitötstrieb in Xl)ätig!eit fe^en follen,
Sonnenaufgang unb 9J?orgeurüte, ginfterniS unb ©emitter, abgleiten,
ha§: ä^igen un§ aüe Xoge bie stiere. @rft ein t)oä) entmicfelteS geiftige§
3Befen bringt e§ jum (Srftounen über jene feiner 2Sal)rnet)mung löngft
gemi3l)nlid)eu SSorgänge. S(^ gloube, boB bie Äotegorie be§ „®eifte§"
öor^anben fein mu^te, el)e bie mt)tt)ologif(^e 5luffaffung oon Sonne
unb 9}?onb, oon (Sturm unb Söolten, oon ©rbe unb Wtcv über'^oupt
möglich mar. Unb bo f(^eint mir nun nic^t ^meifel^aft, baB ^. (Spencer
10. ©efc^ic^tlid^e (SittiDicfelung ber ®otte§* unb SBeltöorfteQung. 285
recf;t ^at, wenn er bie erfte Sßorftellung Don einem @ei[t überfjaupt
aii§> bem gefpenfter^aften fortleben ber Xoten f^ernimmt. 3)a§ üon
i{)m in ungemeiner 9?eid)^altig!eit sufammengebrac^te nnb öortrefflid^
georbnete antfjropologifdje DJJaterial jeigt, iüie allgemein verbreitet biejer
©laube ift, unb mad^t äugtcid) einleurfjtenb, n)ie er ent[teljen nnb gum
Stu§gang§pnnft eine§ allbefeetenben §(nimi§mu§, einer antf)ropomor=
pl^ifcf^en Slpperjeption ber 9?aturoorgänge, gule^t einer nn)t^ijd)en
9lQturanffaffnng ttierben fonnte.
S)Qnn ober wirb weiter einlencfjtenb, mie in einem woUenben
2Sejen ber ©eiftergtanbe STu^ganggpunft ber pra!tifcf)en 9Rei()e, ber
ßauberei nnb be§ Änlt^, tuerben fonnte. ®ie Urform be§ ^nU§> fdjeint
überall gu fein, ha^ ben ©eiftern ber 5(bgefcf)iebenen Stnrebe nnb Stnteil
am Tlaf)l geboten n)irb. 2Bie aber bie föeifter fetbft nicf)t in bem
gemö^nticf}en Sinn tüirfli(^e SBefen finb, fo t)at oud) ber Sßerfetjr mit
if)nen einen eigentümlidjen, man mi3djte fagen fpuftjaften Gfjarafter;
fie oergeltiren bie ©peifen nid)t njirHid), n)ie ein Sebenber, nod^ geben
fie ber 9^ebe eine bem Dfjr vernehmbare STntmort. 33atb Ijier, balb
bort, balb in biefer, balb in jener ©eftalt erfc^einenb, nidjt an bie
©efe^e ber Störperlic^feit, be§ 9ftaume§ unb ber ^dt gebunben, üben
fie fpuf^afte, übernatürlid)e !^irfungen. SSer nur bie Ä'unft tnü^te,
fie §u feinen ©unften ju ftimmen, ber mi3d)te rto^I mandje» burd^ fie
bemirfen !önnen, tt)0§ fonft unmöglid; ift. Söer fie nur red^t gn fragen
oerftünbe, bem möd)ten fie mol^I mand)e§ offenbaren, ma§ fonft niemanb
ttjiffen !ann, öor allem aud) bie 3w^U"ft finb fie bod) felbft nidjt in
ber ßeit, n)enigften§ nidjt eigentlidt).
@o ift bie 9}Zi)gIid)!eit ber ß^ii^crei gegeben. (Sie gur olIöer=
breiteten SBirflidjfeit, ©djamaui§mu§ unb Dpfer!u(t, 5(ngurentum unb
OraMmefen gu einem n)efentlic[)en Seftanbteil menfdjüd)er £eben§=
betfjätigung gu modien, ha^ ift, barin f)at geuerbad) rec^t, ha§>
SSer! be§ SSiüenS. S)er SDrang, feinen SBitten bnrdjgnfeleu, ift ha;
md)t minber finb bie taufenb §emmniffe unb ©djranfen ha, bie fid)
burc^ natürtidje 3Bir!fam!eit nidjt tuoden überminbeu laffeu; eublid)
ift ha§^ brenueube ^ßerlaugen ha, bie 3"^iinft üorf)er ju fefjen, aber
in nuburdjbringlic^eS ®unfel öertjüllt fie fidj bem ©terblidjen. 2)a
bietet fidj nun bie Ä'ategorie be» @eifte§ unb feiner übernatürlid)en
SSirffamfeit unb SBiffenfdjoft; iljrer fid) bemädjtigenb, bringt ber in
286 I- 33u(i): Wlctap^t)\il 2. Kapitel: ®ag fogmologifc^^^eologijcfie «ßroblem.
ber Slot erfinberijd^e SSille jene uuenblic^e 9}tanmgfaltig!eit überfinn*
Iid;er ober tranjceubenter ^anblungen unb ^orfc^ungen f)eroor, benen
aut^ro|)oIogijc!§e unb gefrfjid^tlicf^e gorjcfjung ouf @d)ritt unb Xrttt
begegnet. SBäre bie 9fJot uidjt jo bringenb unb ber SBide gum Seben
nid^t fo ftar!, jo tüiirbe ber ©eifterglaube nid§t jene ungeljeure S3e«
beutung für bie geiftig-gefcfiidjtlidje (Snln^idelung erlangt ^aben. S)a§
|a^ f(f)on ©pinoga: „SBenn bie 9)?enf(f)en", fo beginnt bie 35or==
rebe jum t{)eoIogif(i)=poIitifc^en ^roftat, „ade itjre 5(ngelegenf)etten
mit fi(f)erem ©ntfd^IuB gu Ien!en üermöd^ten, ober tüenn if)nen ba^
@Iüd immer günftig n:)äre, fo gäbe e§ feinen SIberglauben. 2Bei(
fie aber burc^ bie dloi oft üöüig rattog gemad)t merben unb bei=
naf)e ftet§ um ungemiffer ©lüd^güter mitten, bie fie ma^toS be-
gehren, jmifd^en gurd^t unb Hoffnung jämmerlich l^in unb t)er
fdjmanfen, fo greift i§r @eift beftänbig nac^ jebem ©tauben unb
Slberglanben."
@nbli(^ aber ift and; bie intene!tuatiftifdje Stuffaffung ber 90^t)tf)o=
logen nid^t o!t)ne ein äJJoment ber 2öa^rf)eit. SSenn Herbert ©pencer
bie gange (Söttermett, mit bem alten @u^emeru§, unmittelbar auf üer»
gbtterte Slt)nen unb Könige gurüdfüf)ren mill, fo mirb e§ ben
SO^t)tf)oIogen nidjt fd^mer, bie Un§nlänglict)!eit biefer ©rflärung gu
geigen. ßeuS unb Demeter, ^tpoüon unb S(rtemi§, Subra unb SRubra,
9}Jitt)ra unb S3aruna finb gemife nidjt üergötterte Könige unb Königinnen.
9JJit mef)r Sfled^t mirb man fie perfonifigierte ober nergotterte 9latur=
h'äfte nennen. S)ie erfte 9!Jiöglidj!eit ber (Sutfte^ung liegt freilid^ aud^
für fie in bem ©tauben an bo§ g^ortleben ber Stotcn; aber nad^bem
bie Kotegorie be§ ®eifte§ einmal ha ift, löft fie fic^ oon i^rem
llrfprungSort Io§ unb mirb gum §(u§gang§pun!t neuer, fetbftänbiger
Söilbungen, inbem D^aturborgänge fpiritiftifd) interpretiert ober antf)ro=
pomorp^ifc^ appergipiert merben. 2Sie fic^ biefer ^roge^ im ein-
gelnen üoßgogen t)at, mie bie ©eifter gu perfonifigierten 9latur=
gematten ober bie 9^aturgematten gu inforporierten ©eiftern gemorben
finb, ha§> lä^t fid) natürticf) nidjt in concreto nad^meifen, mir fönnen
bie @efd)id§te ber eingelnen ©ötter nidjt bi§ gu il^rer ©eburt in ber
93oI!§feeIe öerfolgen. 2Ba§ mir oerfud)en !önnen, ba§ ift, bie pfljdjo^
togifdje 3}iögtid)!eit im allgemeinen begeid^nen. Unb ha mag man
benn mit 9Jf. SKüIter and) an bie ©emalt beuten, meiere bie
10. ©efdiid^tltc^e entraicEelung ber ®otteg* unb SBeltüorfteKung. 287
urfprüngnc^e, alle§ perfonifi^ierenbe ©procfie über ba§ ®en!en übte,
fte forberte gleitfifam beftänbig bie ^^p^antafie ^erau§, 511 ben ^J^atur«
oorgängen, ^um Sonner, gum Ülegen, ^nm (Stnvm, ein ©ubjeft, ein
Söefen, ha^ bie§ tf)ut, fjin^ujubenfen. SBas anber§ foQte aber bie§
Söefen fein, aU ein @eift, wie er and) in ben naf)en unb greifbaren
irbifc^en Singen fi|t? ^nbem bann änjifrfien bem ©eift unb ber ®r=
fd^einung be§ Singet, in bem er feinen ©i^ 'i)at, innere Se^ie^ungen
geftiftet n^erben, n^irb er gum S^^aturgeift, §ur perfonifijierten 9'?atur=
fraft: 5(potIon ober 9JZitf)ra hjirb jum allfcf)enben, bie gin[terni§ öer-
fc^eud)enben, mit feinen Pfeilen weithin treffenben (5onnen= unb ßid)t=
gott, 3eu§ ober Snbra gum §immeIlgott, ber bie Gräfte ber §i)t)e in
ber ^anb f)ött, bie SBotfen fammelt, regnet unb fcfineit unb üor allem
ben gelt)attigen S(i|ftro^( fc^leubert. Snbem nun sugteirf) bie poetifrf)^
religiöfe ^f)antafie in ont()ropomorpt)ifdjer Seutung ber äuBeren (Sr=
fc^einungen auf innere, moralifd^e ß^ft^i^^s unb 35orgänge i^r 2Ber!
tl^ut, entfte^en bie @ötter, jene erftaunlid^en SBefen, in benen eine
p^l)fifrfj=fo§mifc^e unb eine geiftig=gefc^ic^tü(^e (Seite ju fo fettfam
loiberfprudiSöoIIer ©inf)eit oerbunben finb. —
SBir n)enben un§ nun ^u ber britten unb legten ©runbform
ber üieligion, bem 9}?onotf)ei0mu§. (Sein SSerbreitungSbejir! ift
bie fortgefdirittenere Ö)eifte§!ultur ber gefd^ic^tlicfjen 35ö(ter. (£^ara!te=
riftifd^ ift für bie großen monotf)eiftifci^en Sfieligionen guerft if)re @nt=
fte^nng in gefd^idjtUcf)er ^^it unb burcf; gefdjic^ttid^e ^erfön=
ti(f)!eiten; fobann bie $ßer geiftigung be§ @öttlid)en. Sie
©Otter finb ftnnti(i)=überfinnli^e Sßefeu; ber 9J?onotf)ei§mu§ ftreift bie
finnlidje (Seite gauj ob, ®ott ift @eift, unfbrperlic^, geftottIo§, unfa^=
bar ber finnlirfjen ©inbilbung. Samit fcbiüinbet bie gange antfjropo-
morpf)ifd)e (gin!(eibung ber tranfcenbenten SBelt, n)enigften§ im ^rin§ip,
UJenn benn aud) bie SO^enge fid^ bie 35erfinntid^ung be§ ©eiftigen nid^t
entreißen Ui|t. 9J?it ber menfd^Iidjen S8efd)rän!t^eit fc^njinbet gugteic^
bie (Sjifteng al§ ©iuäellüefen; ha§> (Sinjelnjefen ift ein in 9?aum unb
3eit begrenztes SBefen; ein SBefen, \)a§^ biefe @d^ran!en nijüig ab^
gemorfen ^at, l^ört auf ein ©ingetoefen ju fein; ®ott ift ha^ 3Sefen,
ba§ eine StUnjefen, beffen Ä'raft unb SSefen alle Üiöume unb
3eiten burd)bringt unb erfüllt. Unb (jicrmit fdjiuinbet enblic^ ein
meitere»: bie n a t i 0 n a I c Sefd^ränftf)eit. Sie Götter be§ ^oft)t^ei§mu»
288 I.93ud^: Tittap^t}\it 2. tapitel: ®a§ foimologiic^^t^eologiicfie Problem.
finb ©Otter biefeS 93oIfe§, anbere S^blfer i)aben anbcre öötter. 2)er
eine (^ott, ber SSettgott, ift ber attein ipaf)re @ott, neben bem e§
anbere ©ötter nirf)t giebt Sl'ie monot^eiftijdjen Üieligionen (jaben alle
ben Srieb jur internationalen ^ropaganba, ber ben poIi}tf)eiftiid}en
fef)It. SSo^I trngen and) (^riedien unb Ü^ömer if)re ©ötter in frembe
Sänber, aber bie (Seelen frember S3i31fer if)nen nnter^an jn mad}en,
blieb ein it)nen frember ©ebante. Xci S3efef)rung5brong, auf mannig=
fad)e SBeife, burd) SJäffion unb Äreugjug fic^ äuBernb, ift ben mono=
tf)eiftifd)en üieligionen eigen.
Ser 9}Zonotf)ei5mu§ erfd)eint gefc^idjtüdj als gortfdjritt über
ben ^oIi)t£)ei§mu§. Snnerf)alb ber gried)ifc^en SSelt lä^t fid^ bie
(Sntmideluug einigermaBen üerfotgen. ®ie öorfc^reitenbe geiftige 93ilbung
übt auf ben antf)ropomorp^ifcf)en ^oIt)tt)ei5mu5 eine auflöfenbe Söirfung
au§. Sie alten öi^tter üermögen fo menig hm Stnforberungen be§
üorgefc^rittenen moraIifd)en, al§ be§ lt)eoretif(^en ^ert)uBtfein§ met)r
äu genügen.
^unädjft mad)t fid) eine ^^enbenj bemerfbor, aus i^rem mora =
Hfd)en SSefen bie 3^9^ au55ufd)eiben, bie bem empfinblidjeren 336-
nju^tfein unerträgtid) werben. 3inb bie öotter tt^irflic^, als lüas bie
35eref)rung ber öläubigen fie faBt, ©rünber ber Crbnung, @eber be§
©Uten, ^üter be§ 9^ec^t§ unb ber 8itte, fo fann unb barf if)nen nid)t
alleg gufommen, was in (Sage unb 9JZt)tt)0ö if)neu beigelegt lüirb.
^riefter unb ^t)itoiopt)en, 3^ic^ter unb 5lünftter arbeiten an bem
SäuterungsprogeB, burd) ben feit bem fedjften Scif)rf)unbert bie mi)tf)ifd)=
antt)ropomorpf)ifdjen unb bie äauberifc^=fetifd)iftifc^eu ßiiQt aus bem
SSefen ber ©btter ausgemerzt werben.*) 2)amit gef)t bie öntwidetung
in ber S^id^tung ber (Sint)eit gufammen. Dhmmt öomer feinen ?(nftoB
baran, ha^ bie ©ötter, wie fie unter fid) in geinbfdjuft unb ge^be
(eben, fo aud) in bie 2(ngelcgenf)eiten ber SÜJenfc^en fid^ in entgegen^
gefetztem Sinne einmifd)en, fo wirb oon einer fpäteren ^nt fotdjer
3wiefpatt al§ unerträgtid) empfunben. 2:a§ öute unb 9ied)te ift Gines
unb fann mit fid) nid;t in SSiberftreit fein, barum fönnen audj bie
©Otter nur einmütig unb in einem (Sinne fid) bet^ötigen. 9äd)t
junäd^ft bie metüpf)9fifc^e (Sin^eit be§ göttlidjen SSefen§, aber bie Gin=
") 2. (Scfimibt, 2)ie etf)tf ber alten ®ned)en, I, 133 ff-
10. ®ejd^td)tlt(f)e enttuidelung bet ©ottel* unb gBeltöorftettung. 289
mütigfeit be§ @öttemiüen§ ift ein etfjijcfies ^oftulat. Sn ber 93e=
geic^nung M^ ©öttlidje" {rd deiov), bie feit i^erobot geroöf)nüct) ift,
^at ficfj bie gorbening ber (Einheit einen fprac^Iic^en Slusbrucf oer=
f(f)Qfft, ber bie $ßiel()eit ber äöefen, man fonn (x\x6) jagen, ber 9iamen
ober ber ^erfoneu (Üioüen ober ®rfrf)einung§formen), nid)t auSfc^üefet.
2)enn biefe {)ätte freilief) ba§ religiöfe @efüf)( be§ griedjifcfjen 95oIfe§
nic^t entbefjren mögen. „2)ie gonje (Sd^onfjeit, bie ganje SBärme, bie
ganje @rf)ebnng feiner Ü^eligion 6eruf)t i^m — unb ouc^ iin§ toud^t
fie in ber SSiebererfaffung nur aljo in i^rer oollen §errli(f)feit auf
— tuejentlicf) auf ber ©öttertüelt, bereu ©eftalten oom ^immel burd)
bie örbe in SlUgegennjart unb teilne^menber ©efc^öftigfeit il)r eigene^
feligeö Seben einzeln unb äufammen führen, an ben menfdjlic^en Sie6=
lingen unb i^ren @ejd;icfen liebenb, madienb, ftrafenb, orbnenb fid^
beteiligen;" ein ftrenger S[)?onottjei§mu§ loäre ben alten öried)en mit
feiner erfältenben Öbe al§ 5ltf)ei§mu§ erfdjienen.*)
(So bleibt ber ^ott)t^ei§mu§ moralifc^ möglid^. Sn feiner
(Sjiften^ lüirb er bagegeu bebrofjt burd) bie (Sntttiidelung ber 1 1) e o r e =
tifc^en «Spefulation. S)er ^w^, ttjetc^er ber griec^ifdjen ^^itofopfjie
an ber ©eftatt ber SBirfIid)feit üon Sinfang an oor aüem ing Stuge
fiel, tt?ar bie öinl)eit ber Statur. 5(uf bie 5(uffinbung be§ eint)eit*
liefen ^rinjipö ber 2öirflid)feit finb alle $8emü^ungen ber älteften
^^ilofop^ie gerichtet, Sft bie§ ^^ringip ein geiftig=perfi3n(id)e§, fo !ann
es nur ein einziges fein, ©er Ä^o§mo§ fie^t nid)t mie ein 2)ing
au», an bem oiele gearbeitet ^aben, fonbern loie "t^a^ SBerf einer all=
luaüenben ^ßernunft. Sn ber eleatif(^en ©pefulation fc^eint bie ^f)i(o-
fop^ie mit bem oolf^tümlid^en ^o(t)t^ei§mu§ §uerft entfd^ieben feinblid)
äufammengeftoBen ä« fein. 9Zod) loeniger tonnten bie alten ©ötter
oor ber feit bem oierten Sa'^rtjunbert rafdj fid; entwidetnben pofitioen
SBiffenfd^aft beftefjen. ©in 3eitalter, bo§ ßootogie unb 33otanif, Slna-
tomie unb ^f)t)fio(ogie treibt, fann in ben ol^mpifd^en ©ottern nur
gabelioefen erbliden. 2}er SBiffenbe fann fie, bem Äonflift mit ber
überlieferten 3]oIf§reIigion au^meid^enb, fdjonenb be^anbeln, er fann
fie umbeuten unb an i^nen fidj äftfjetifd) erbauen ober fie in Snter-
munbien anfiebeln, mo fie ben ^^taturlauf nic^t ftijren, aber er fann
nid)t met)r an fie glauben.
*) Ä. SeljrS, «populäre STutfäge aug bem mtertum, ©. 148 ff.
^autfen, Gtnleitung. G. 2luf[. 19
290 I- 93uc^: Wetap^t)\il 2. Kapitel: 3)o§ fo§moIogtfc^4^eoIogi|c§e Problem.
SE)ie p!^i(ofopf)ijd^e SSeltanfd^auung , lüeld^e nu bie @teKe ber
ntt)tf)oIogtid^en tritt unb in gettJtffem (Sinne bie alte ©ötterreügion
erfe|t, ift ein ibealiftijrf)er ^ontf)ei0mu§. Sd) miü bie ge=
f(f)i(i)tlic^e 6ntn)ic!elung biefer 5(nfcf)auung, bie 6i§ ouf unjere SCage
eine ber ©runbformen be§ ®en!en§, um nic^t gu fogen bie ©runbform
be§ pf)i(ofop^ifd)en S)en!en§ im Slbenbtonbe Bilbet, mit ein paar ©trieben
anbeuten.*)
S)ie ^f)i(oiop^ie ^latons ift bie erfte tt)ir!(id^e ®urc^füf)rung
biejer 5(njd^anung. 2lIIerbing§ t)at fie neben fic^ eine onbere Stuf=
foffung ber 5ß3irfü(i)teit, i^ren @egenfa|: ben materioliftijc^en
Sttomi§mu§ Semo!rit§. S)od^ f)at jrfjon in ber antifen SSelt,
nod) me't)r im SJJtttetalter unb in ber 9^eu§eit bie öon ^(oto au§=
ge^enbe 9fti(i)tung ha§ Ü6ergenii(i)t; ja fie ift f)ier, inbem fie in bie
£e{)rii)fteme ber Äircfie einging, freiüd^ mit fef)r ftarfen Umbiegungen,
5U einem Clement ber gen)ö^nli(^en 33orfteUung gemorben, ber fie ur-
fprünglic^ fo feinbfelig entgegentritt. 3^ie 2:f)atjatf)en, öon benen fie
au§ge{)t, finb bem griedjifc^en 3)eufen gemein: bie in ber S^otur, üor
allem am ^immel, t)errjc^enbe finuüolle Crbnung, unb bie in ber
SOMfdjenmett, im (Sinselleben tt)ie im Seben ber SSöIfer, maltenbe
@ered)tig!eit. 2)iefe Sfjatfadjen, bie aud) S)emofrit unb (äpifur nid)t
leugnen, fonbern auf it)re SSeije gu erftären judien, beutet ^lato,
mand^e ©ebanfen grü'^erer öermertenb unb meiter füf)renb, in feiner
Sbeentf)eorie: bie SBir!lic^!eit ift in 2Baf)rf)eit nid)t§ anbereS at§
ein ein^eitIid)e§!St)ftemfeienber, (^ufammenftimmenber
©ebonfen.
S)a§ ift bie unget)eure ^arabojie, mit ber fid) ha^ pf)itojopf)ifc^e
SDen!en im ^benblanbe befinitio üon ber gemeinen 9J?einung (oSrei^t.
2)ie „9J?einung", bie bie 2Bir!(id)feit nur burd^ bie ©inne fief)t, bleibt
bei ber Sßorftellung ftel^en: bie SBelt beftel^t aus einem Stggregat öon
Singen, bie im 'Sianm finb unb fid) bemegen, in ber ^dt entfte^en
*) ^ä) mac^e auf bie fnoppe unb babei bod) reichhaltige unb fo§(id)e Sar*
[tellung ber ©ejc^ic^te ber alten $:^iIojopt)ie öon SB. SBinbelbanb oufmerffam,
bie pjammen mit einer föertüollen ©rgängung, mit ®. @üntt)er§ Umri^ ber
®ef(i)id^te ber 9Jiatf)ematif, SJaturraii'jenjdjoft unb f oSmotogie, bie (Sntwicfelung be§
gned)ijci)en Senfen^ pr 2(nj(^auung bringt. 8ic bilbet einen Seil (V, 1) beg
^onbbud)g ber üaffifdien 2{Itertum§=Sffii)'ienid)aft, :^r§g. tjon Q. TOüüer.
10. ©ejd^id^tlid^e (Sntnjidelung ber ®otte§= unb aBeltborftettung. 291
unb berge^en. ®er ^fjirofopf), ber bie Sßirfli(i)feit nic^t burc^ bie
©inne, fonbern burcf) ben SSerftanb fief)t, erfennt [ie in i^rer SBa^r=
fieit; er erfaßt fie in ber bioleftifrfien «Spefulntion, in ber benfenben
93etra(i)tung, al§ ha^, iüa§ fie an fic^ ift: al§ ein feienbe§, jeit* unb
raum(ofe§, en^igeS unb unüerönberlici^eS ®ebaufenfi)[tem. 2öie eine
^id^tung, eine ^f)iIojop^ie, ein geometrifd)e§ (g^fteni qI§ ein jeienbe§
@ebanfenji)[tem i[t, jo bie 3Sir!(i(f)feit an ficfj, ber kööuos vorjvös, ber
mundus intelligibilis. SSie bort eine Sßielt)eit öon 9)?omenten burd)
innere, logifcfie ober äfttjetifdje 9Zottt)enbigfeit ^ur (5inf)eit öerbunben
ift unb qIö foldie jeittoS beftef)t, lüä^renb ha^ fubjeftibe 93ett)u^tfein
fie freilid) nur in geitlid^er Sciregung ^u erfafjen nermag, fo befte{)t
aud^ bie feienbe 2öe(t q(§ eine 35iel^eit burd^ Iogifd)=äftf)etifd)e 9^ot=
ttjenbigfeit innerlid) oerfnüpfter ©ebanfeu ober Sbeen. (Selbfttierftänb=
tid) beftef)t \)<x% 5)afein für einen ©ebanfen im ©ebaditlüerben, unb
fo öefte^t \ia^ ^afein ber 2Bir!Iidj!eit an fid) felber in bem etoigen
©ebadjtuierben be§ ein(}eit(idjen @ebanfenfl)ftem§, ober in bem @elbft=
BeUJuBtfein ber Sbee, bie bie 2Bir!(idjfeit ift, ober, fo fönnen \mx aud)
fagen, in bem lebenbigen ^ürfid)fein ®otte§, ber bo§ Stüupirüid^e unb
\i(i% 5ragute ift.
©0 beult ber ^fjilofop^ bie SSirüic^feit; er öerfud^t e§, bie
feienben ©ebanfen, bie ©ebaufen, bie "Qa^ SSefeu @otte§ ober be§ 2öirf=
Iid)en au^mac^en, nadjpbenfen. greiüt^, er fie^t bie 2SirfIic£)!eit oud)
auf anbere SSeife, er fief)t fie, mie bie auberen, aud) burd) bie @inne,
unb "iia erfd^eint fie i^m, xoxt jenen: al§ ein S(ggregat im 9f?oum 5er=
ftreuter, in ber ßeit fid) önbernber, entfteljenber unb oergel^enber 2)inge.
5lber i^n täufd^t ber @d)ein nid^t; er rteil, 'iia'^ ha^ ©eienbe nid)t
werben unb »ergeben fanu. Übrigens f(^immert burd) biefe @r*
fd)einung§melt \i(x^ mirfüd) SSirflid^e bodj überall burd^. 5üid; in ber
räumlic^:=5eitlid^en SSelt ift überatt bem 5tuge bei SBiffenben bie Sbee
erfennbar; in allen fingen ift ein rationaler, geiftiger ^aftor barin,
er ift al§ motfjematifd^e ©efe^möBigfeit in ber Crbuuug bc» ^immüfd^en
(St}ftem§, als teteologifdjer, finunoüer ^iM'oinmenfjaug ber ©lieber unb
ber 3^un!tionen in ben lebeuben SSefen. 5nierbiug§ ift er f)ier gleid)=
fam üerbedt ober gehemmt burd) ein „StubereS", einen irrationalen
gaftor; in allen förperlid)en Singen ift neben bem, Voa§> an i^nen
rational, begrifflid) unb barum begreiflid^ ift, neben ber ^orm ober
19*
292 I- S3uc^: mttapi^tjß. 2. Äapitel: 2)ag fo§moIogij(^4^eologifc^e «Problem.
bem ©efe^müBigen, ein ©eftalt^ iinb 33egriffIofe§, taS^ bem S)en!en
abfotut unburd)bnng(ic^ i[t, boS i[t boS, woburcf) jte räumücf) au§ge=
bef)nt finb. ©igentüdj i[t bie§ „3Jubere", ba e§ nidjt ber ®ebQnfen=
tüelt angeljört, aud) nid)t iüirfltc§, el t[t ein f-n) bv, ein Hofeer ©i^ein.
Snbejfen erf)äU e§ in ben naturpt)i(ofop{)ifd)en ^arfteUungen, bejonberS
im 2;imäu§, bod) luieber eine 5(rt öon 2SirfIic!^!eit, e§ wirb qI§ „ü)iit=
urfadje" neben ber eigentlid^en Urfad^e, ben feienben ©ebonten, bie
l^ier nun gu geftattenben 3^^^9^'^'^i^^^^ n^erben, gur ©rüarung ber
finnlid)en SSelt gebraud)t, öor aEem um bie (Störungen unb W^Sv-
bitbungen i^m gur Sa[t gu legen. Sn ber eigentlidjen Setradjtung
f)angen freiließ bie Unüollfommenfieiten nic^t ber 2öirflid)!eit \tih\i,
fonbern bloB unjerer finnlid^en ^Sorftellung ber Sßirflid^feit an. 2Sirf=
lic^feit unb SSotI!ommenf)eit jinb jdjon l^ier, mie fpäter realitas unb
perfectio, ibentifd;e S3egriffe: @ott, ber (ebenbige, für fic^ feienbe, einen
unenblidjen 9fteid§tum innerer 93e[timmungen in fid) fjegenbe SBettgebonfe,
ift §ugleid) ha^ Sltln^irfenbe unb \iCi^ 2(IIgute.
(S§ finb not) üermanbte ©ebanfen, in benen bie Striftotelifdie
^(}iIofopf)ie ben Slbfc^IuB i^rer 2öeltbetrad)tung finbet. g^reilid) §Irifto=
te(e§ felbft empfinbet unb betont ben (^egenfo^; er fie^t if)n öor altem
barin, bo^ er uidjt, ttjie ^(ato, bie feienben ©ebanfen bon ber SSir!=
lic^feit feparieren tüilt: nid)t au^er unb neben ben 3)ingen finb bie
„Sbeen", fonbern in ben S)ingen at§ bie feienben, in if)nen öerUjir^
üd)ten ^tt^edgebanfen. Dber anber§ ausgebrüdt (benn biefe 2)arfteEung
ttjürbe ^lato a[§ eine i|m frembe ableljnen, bie Sbeen finb nid)t etmos
neben einem 5(nberen, fonbern fie finb eben i^ix^ Söirüii^e): bem
S(riftoteIe§ ift bie SBelt ber finntidj gegebenen (Sin^elbinge bie n)af)re
SBelt; ber köö,uos y.ladrjTÖs, "^ie Söert ber 3}ietf)eit, be§ 2öerben§ unb
SSergefjens, bie ^lato ai§> einen btofsen ©djein, ben bie feienbe @e»
ban!enix)ett in unfere ©innlid^feit Ujirft, fonftruierte, ift if)m bie 2öir!=
Iid)!eit felbft; fie ift if)m ©egenftanb feinet tt)eoretifdjen 3ntereffe§
unb feiner unermüblidjen Dlad^forfc^ung. 5(ber in ber mirflic^en
(Srüärung ber 3)inge, in ber 9}Jetap^t)fif unb 9Jaturpt)iIofopf)ie, bleibt
er boc^ gan^ in ben ©puren feinet 2ef)rer^. Sn allen fingen finbet
aud^ er ein boppelteS, einen rationalen gaftor, bie „g^orm"', bie ^bee,
ben 3n)edgebanfen , unb ein irrationales, ha^^ „Stnbere", bie 9D?aterie,
bie an fid^ geftaltloS, unbegrifflid^ unb unbegreiflidj , in ©ebanfcn
10. ®efd)icf)tlitf)e entttjidelung ber ®ottel= unb SSeltoorfteHung. 293
nid^t auflösbar ift. 3n bem SSer^ältniS öon ©eete unb ßei6 f)a6en
jrir ba§ ©d^erno ber 5[)oppetf)eit aller SDiuge in bem [ignififanteften
goß üor un§, bie (Seele ber rationale unb ibeeüe gaftor beg 2ebe=
tt)efen§, bie 3J?aterie, au§ ber fie ben Scib baut, ber irrationale ^aftor.
Unb aud^ i{)m i[t ber rotionale gaftor, wie er ha^ eigentlich @r!enn=
bare an bem 3)ing i[t, fo aud) ha§ eigentlich SBir!(icf)e; bie SJJaterie
ift für fic^ ein 9iic^tfeienbe§ ober ein blofe 9}?i3gtic^e§, ha^ erft burcf)
bie Hufnafime ber Sbee ober be§ 3^f<J9cban!en§ gu einem beftimmten
fonfreten SSirüidfjen njirb. ^reitid^, aud^ ber ^^Jedgebanfe ift nid^t an
unb für fic^ ttjirftidf), er njirb e§ erft in feiner S3ern)irflic^ung im
Stoff, ^oä) erljölt fcf)(ieBIid^, im Ie|ten 2(bfd)(uB feiner ©ebanfen
in ber ST^eotogie, ber ibeelle g^aftor bie (Stellung be§ allein unb für
ficf) SBirfüd^en; aße Sbeen finb jute^t befd^Ioffen in ber einen allum=
faffenben Sbee, in bem SSeltgebanfen ober ber SSettform, ba§ ift in
©Ott. ©Ott aber ift reine f$^orm of)ne SJJaterie, actus purus; unb
bie fjorm feiner 3SirfIid£)!eit ift ha§ reine 3)en!en; fein ®ofein ift
t}a^ 5[)en!en be§ abfotuten S)en!inl^a(t§ {v(jt]Ois vo/jöecog), bie «Selbft«
üerujirflic^ung ber Sbee, bie bie 2öirf(ic^!eit ift, im (SelbftbeujuBtfein.
— 3)a§ ift ganj ber ©ebanfe ^Iato§: ha^ einf)eitlirf)e , für fid^
feienbe, fic^ fetber im ©enfen bertnirflic^enbe Sbeenfl)ftem ift bie abfo^
Inte SBirfücfjfeit, ®ott bie (Sinf)eit be§ S)en!en§ unb be§ (SeinS. ©in
Unterfcf)ieb UJÖre nur barin, ba% S(riftoteIe§ Sbeen be§ Snbioibuellen
f)at, UJö^renb bei ^fato nur bie Gattungen in ber tt)ir!lid)en ©ebanfen»
njett üorfommen, nid^t ha§^ ©inäelne; bod) l^ält and) ^^lato biefen
©ebanfen nid^t überall feft, in ben ©eelen f)at audt) er „inbioibuelle
Sbeen." Unb ebenfo ft)ürbe er in ber ariftotelifd^en S^affung be§
^er^ältniffeS öon @ott unb 9catur feine ©ebanfen n^ieber erfennen:
bie ganje Statur gielflrebig, fid^ ftrecfenb nad^ bem ©uten; ha^ ©ute
aber ift nid^t etma§ auBer if)r, fonbern bie eigene oollenbete ©eftalt.
<So UjenigftenS im 9J?enfdjen: ha^^ ©ute ift für i^n nid)t§ anbereS a(§
bie oollenbete 58ermir!lidE)ung ber Sbee be§ SOJenfdjcn in einer inbi-
üibuellen ©eftalt. Sm ©runbbegriff ber @tf)i! fommen beibe mieber
üöüig überein.
Sn bemfetben @eban!engeleife bleibt andj bie «Stoa. (Sine an=
ttjaltenbe 95ernunft, bie mit i^rer eigenen inneren @efc^mäBig!eit bie
gan§e SBir!Iid)feit buri^bringt unb überall ©eftalt unb Drbnung, ha^
294 t. ^nä): '>mttap^t)\it. 2. ^apittl: ®a§ !oämotogtfcf)-t§eoIogijc^e «Problem.
SSernünfttge unb @ute, fd^afft, ift ha§> Ie|te Söeltprinäip ober bie
SStrflid^feit felbft in if)rem eigentlid)en SBejen. Sieben biefem ibeellen
ober rationalen g^aftor ber 2BirfIirf)feit fennen oncf) bie ©toifer ha^
„Stnbere", neben bent ^ßernünftigen ba§> körperliche; aber in etwaS
genjaltfamer SSeife fucfien fie be§ S)uoü§mn§ Jüieber §err gu werben,
inbem fie üerfidjern: ha§> ^Vernünftige fei jugleicf) aud) ha§> Äörperlidje,
ober umgefeljrt, ha§> materielle ^rin^ip, "Oa^ Urfeuer, an§ bem aHe§
to'ixh, nnb in ba^ olleS ficf) auflöft, ift gugleid; ba§ ibeelte ^rin§ip,
bie Stüöernunft. ©ief)t man öon ber etma§ £)arten Formulierung ab,
fo ift offenbar ein öernünftiger ©inn in biefer 33etrad)tung. (£§ ift
im ©runbe baSfelbe, ma§ fpätere ^^iIofopf)en mit ber 2ef)re üon bem
^oraüe(i§mu§ öon 2)enfen unb S(u§be!)nung ober ber Sbentität be§
Sbealen unb 9iea(en erreidjen njollen, ober it)a§ ^(ato baburd^ errei(f)te,
ba'fi er bie Äörperlidjfeit al§> Schein betradjtete: nämlid) eine moniftifc^e
Dntologie.
Sn ber tt)eofopt)ifd^en @pe!utation, morin bie gried^ifd^e ^f)iIo=
fopf)ie am legten 6nbe auslöuft, finb bie @runb§üge be§ ibealiftifd)en
^antf)eigmu§ bod^ überall erfennbar. (E^ mxh bie Xranfcenben^
@otte§ betont, fein SSefen liegt jenfeitS aller gegebenen Seftimmungen,
aud^ jenfeitS ber 53eftimmungen beg ®eifte§. 5)od) bleibt ber ©eift
ha§> if)m Dlädjfte, ber ©ebanfe ift feine erfte Offenbarung; unb feine
formalen S3eftimmungen finb bie alten: ®ini)eit unb @utf)eit. (Siner
ber leisten Genfer ber alten ^elleniftifdjen 2BeIt, ber ^eripatetifer
©impIiciuS, mag §um @c^IuB biefe gemeinfome ©runbanfc^auung
ausfprec^en. ©ein Kommentar pm §anbbüc^Iein (SpiftetS beginnt mit
fotgenben ©ö|en: „SlUer ®inge Ouell unb Urfprung ift ha§ ©ute.
S)enn ha§> ift Urfprung unb ßiet (ißer ®inge, nad; bem alle§ t)inftrebt
unb fic^ ftrecEt. Unb oon if)m felber bringt bo§ @ute oHe SDinge
^eröor, bie erften unb bie mittleren unb bie legten. 2)ie erften aber
unb if)m nödjften bringt e§ ii^nlic^ if)m felber l)erüor, bie eine @utf)eit
üiele ©utt)eiten, bie eine (äinfad^ljeit unb ©in^eit, bie über allen @in=
(leiten ift, öiele (Sinljeiten, ber eine Urfprung oiele Urfprünge. ®enn
baSfelbige ift Sin§ unb Urfprung unb @ut unb ®ott."
ßu einem ä^nlic^en ßiel l^at bie Sntn^idelung ber @otte§= unb
SBettgebanfen, baran mödfite id^ bod) mit einem SBort erinnern, auc^
bei bem gro&en öftlid^en ^xotxQ ber arifdjen Sßölfermelt, bei ben
10. ©efc^ic^tlic^e ©ntoidelung ber ®otte§- unb SßJeltborftettung. 295
ignbern, geführt. S^acfjbem ber inbijdje ®ei[t juerft mit jc^öpferiic^er
^^antofie in ben S)eöa§ eine Sßelt (euc^tenber unb einiger ©ötter
f)ert)orge6racf)t t)ütte, er^ob er fidj im pf)i(ofopt)ijc^en 9k(i)ben!en gur
prinäipieüen Seugnung ber 3Sir!Iirf)!eit ber öielen ©eftolten unb Giemen
be§ ©öttlid^en, um im 33 r a ^ m q n ein einiget abfolute^ @elb[t ber
Sßelt §u erfennen. S)o§ 93raf)man f)at nid^t mel)r bie goi"!" ^^^
©ingel^Sc^, e§ tüirb al§ 9^eutrum über ben ©egenjo^ ber ©efdjlec^ter
{)inau§gef)oben; e§ i[t ber überinbioibucüe, überfinnlidje, überjeienbe
2(H=@ei[t, ber in ber (gin^elieele in gebunbener, gerteider, üerfinnlic^ter
©eftalt erfc^eint: „ber Kliman, ba§: ©elbft in bir, i[t boS ma^re
S3ra^man, öon bem bu nur auf eine ^dt entfrembet morft burd) @e*
burt ober ^ob, ha^ h'id) aber mieber in fid) aufnimmt, fobalb bu nur
ju if)m unb ju bir jelbft fommft." 3)aneben blieb übrigen^ ber
^oÜ)tt)ei§mug unb ber Opferfult in ungeftürter 5tner!ennung. Sn
einer ^ödift eigentümlidjen, auc^ für ha§: S^erftänbuiS unferer gejc^ic^t=
lidjen 2öe(t lefjrrcidjen SBeife finb I)ier bie oerfc^iebencn (gntluidetnng»^
ftufen be§ 33oIf§geifte§ a(§ (Sntmidelunggftufen and) be§ ein^etleben^
ermatten: „Seber fromme religiöfe ©ebanfe, ber einmal in Snbien fein
äöort, feinen 5lulbrud gefunben, ber einmal al§ f)eilige§ gamiüenftüd
öon ®efd)(ed)t ju @efc^Ied)t üererbt loorben n^ar, blieb, unb ber ganje
9(ieic^tum ber brei ^iftorifd^en ^erioben, ber 5!inbt)eit, be§ 9)lanne§^
unb be§ ®reifenalter§" (repräfentiert in ber Sitteratur: bie Slinbfieit
burd) bie meiften oebifc^en §t)mnen, bie 9JJanne§jaf)re burdj bie
Sriif)mana§, ba^ ©reifenatter burc^ bie Upanij^aben) „mürbe ba^u
öermenbet, um bie öerfd)iebeuen 93ebürfniffe be§ ^er^enS unb ©eifteg
für jeben einzelnen in feiner Äinbf)eit, in feinem 9Jianne§= unb ®reifen=
alter ju befriebigen. — 6§ giebt nodj immer braljmanifd^e gamilien,
in benen ber @oI)n bie alten ^eiligen 2ieber 2Bort für S33ort au§=
ttjenbig lernt, in benen ber Sater täglid; feine I)eiligen ^füdjten unb
Dpfer üerridjtet, mät)renb ber ©ro^oater alle ©ebründje unb Zeremonien
für eitel I)iilt, in ben öebifc^en ©öttern nidjtS al§ 9kmen fiefjt für
ha^, mal, mie er meiB, über alle 9iamen ift, unb 9iuf)e fuc^t, mo fie
allein jn finben, in ber Ijöd^ften pl)ilofopt)ifd)cn @rfenntni§, bie für
il)n äugleid; bie l)öd;fte Üieligion ift. ©ie ift Vedänta, bal (Snbe,
ta^ ^k\, bie (Srfüüung bei gangen Veda."*)
*) 51^. aJiüHer, SSortefungen über ben Urf^)rung unb bie ©nttüicfelung ber
SRetigton, ©. 406, 412.
296 I-95urf): 9[Jletapf)t)ftf. 2. Äopüel: S)o§ fo§mologiid)4^eologiid^e ^tobkm.
(S^e lüir ben tüeiteren SSerlouf be§ ®en!en§ im 5t6enblanbe öer=
folgen, i[t e§ notlüenbig, auf ben gtüeiten groBen 3"f^i^B, ber feine
geiftige SSelt beftimmt, einen '^üd ju n}erfen, auf bie (Snttt)idelung
ber monot^eiftifcfjen SSeltanfcfjouung bei einem femitifcfien ©tamm, bem
SSoIf 3 § t: a e (. S^lid^t auf fpefulatioem, fonbern auf praftifcf)=religiöfem
SBege ift {)ier baS^ 3^^^ erreicf)t. S§ entfpric^t ha^ ber gangen SIntage
be§ 5ßoIfe§, bie ben !onträren ®egenfa| §ur 2(nlage be§ fjellenifrfjen
3SoI{§ barfteüt. Siegt bie befonbere ^Begabung ber ©riechen auf ber
©eite ber Sntelligens, in einer f)ötf)ft empfänglidjen @innüc^!eit unb
einem erftounü^ ben)egti(^en SSerftanbe, fo liegt bie befonbere Se=
gabung be§ iSraelitifd^en 3SoIfe§ in bem (Srnft unb ber ^iefe, ttjomit
e§ bie moralifdien unb religiöfen 5Dinge erfaßt. ®en ^f)i(ofopf)en ber
©rieben entfprecfien bie ^rop^eten 3§rael§, ©eftalten oon einer (gerben
^roft unb (^xö^t, n»ie fie !ein anbere§ S5oI! aufgutoeifen ^at. SSon
(SIia§, ber am Stnfang ber 9^eil)e fte{)t, bi§ auf ben 2;äufer, ber fie
befd^üe^t, ift ber gemeinfame @runb§ug be§ ^ropf)etentum§ ber, ha^
e§, ber ©timme ©otteg in feinem Innern folgenb, ber 2öelt unb bem
SSoI!, ben 9?eic^en unb ©roBen, ben 9J?a(f)tl§abern bei .g)ofe ober bei ber
öffentlid^en 3J?einung, bem Überlieferten unb §errfd;enben in Seben
unb ©otte^bienft ftrafenb entgegentritt, ba'i^ e§ ha§> 95oIf an feiner
Sbee, ta^ auSermä^tte SSoIf ®otte§ §u fein, mi^t unb gu leidet be=
finbet: ftatt in ©ered^tigfeit, Siebe unb SDemut öor euerm ©Ott ju
manbeln, öerad^tet if)r ben Geringen, freffet ber SSitmen unb SSaifen
@ut unb ge^et anbern ©Ottern nacf), bie ben Süften eure§ ^erjenS
S^aum raffen. Unb üon ^ier au§ finbet ber ^roptjet bann bie ^Deutung
ber ©efc^id£)te, er geigt ®otte§ §anb in ben ©efcfjicfen ber ^öikx.
S)ie ®efct)ic^t§pt)ilofop^ie, fo fönnte man fagen, ift bie ©d^öpfung
S§raet§, mie äJZattjematif unb Kosmologie bie ber ©riechen, greilid),
e§ ift nic^t eine beliebte SBiffenfc^aft, i|re ^rebigt finbet feine mot)I=
geneigten §örer, barum ift (Sinfamfeit unb Slu^fto^ung bo§ So§ be§
^rop^eten unb bie SSüfte fein Üiüdgug.
95ei feinem Eintritt in bie öef(f)idf)te finben tüir ha§^ Sßol! S^rael
auf bem ©tanbpun!t eines nic^t ttjeoretifc^en, aber pra!tif(^=futtifc^en
9Jionotf)ei§mu§, ben man üielleid)t al§ ©ingotterei am gutreffenbften
begeidinet. ®o§ erfte ©ebot: Su foHft nic^t anbere ©ötter f)aben
neben mir, öerbietet nict)t ben ©tauben an ha§ ©afein anbcrer ©ötter,
10. @efd^i(^tUd)e enttricfelung ber ®otte§=» unb SOSeltüorfteaung. 297
ha§^ e§ üietmef)r öorQU§je|t, jonbern if)ren ^ult; S^rael foQ Sa'^öe
ollein bienen, fo irirb er feinem S]o(f f)e(fen gegen feine oranger.
S(uf tnelc^em SSege ba^ Sßotf öon bem früheren, in feinen Über=
lieferungen nod) überall bnrd^fd^immernben ^oIi)tf)ei§mu§ ofler ©emiten
jn bem QU§f(f){ieB(icf)en Stnlt be§ einen @otte§ gefommen ift, ift ge-
fc^id^tlirf) faum gu erfennen. 2)agegen lä^t fid) bie ©ntnjicfeinng oon
ber ©ngötterei gum SOZonofEieiSmuS in ber borliegenben Sitteratur
öerfolgen. ©ie ift baS' gemeinfome SSerf be§ ^riefter= unb ^rop^eten*
tum§. Übrigens liegt fie in ber ^onfequen^ be§ erften SdjritteS, bog
Sßolf ^at gleidjfam ein Sntereffe baron, feinen @ott jum einzig npafjren
©Ott ü6erf)aupt, ben einen S^iotionalgott gum SSeltgott gu mad)en.
Sn ben ^falmen, in ben ^ropt)eten, in ber ©(^öpfung§gefd)id)te ift
Soflöe nid^t me^r allein ber ®ott S§rael§, fonbern ber einzig n)al)re
©Ott ü6erf)aupt, ber @ott, ber ^immel unb (Srbe gemacht ^at; bie
©Otter ber anberen 3Sötfer finb bloBe ©ö^enbilber, öon ^olj unb
©tein gemadjt, !raft= unb n}efentofe Sbote. SIl§ SJiomente in biefer
©ntn^idetung treten l^erüor ^uerft bie 3ßntralifierung beS ^utt§ burd)
ha§> Äi?nigtnm unb ^rieftertum, fobann bie 9}Joratifierung, ®enatu=
rierung unb enblid^ S)enationalifieruug be§ ©otte§begriff§ burc^ ha§>
^ropt)etentum. Unter bem Sinbrud ber großen gefd)id)tüc^en ©d)id=
fale be§ SSoIfeg gen)innt in ben ^rop()eten bie Über§engung ©eftalt,
ha'Q Sa^öe nid)t ein ©ott ift, ber mit bliuber ©unft ober 3Sorein=
genommenl)eit bem ^olfe S^rciel ergeben ober burd) äußeren ©ienft ju
beftec^en ift; nidjt bie 9Zad^!ommen 2lbra^am§, nid^t bie Dpferer §u
Serufalem, fonbern bie ©ered^ten finb fein 9Solf. „9J?eineft bu, ber
,^err \)aht ©ef allen an öiel tanfenb SBibbern? ober am Ct, wenn
e§ gleich unääl)lige @tri3me üoß lüären? @§ ift bir gefagt, 9}2enfd),
tt)a§ gut ift unb tt)a§ ber §err bein ©Ott öon bir forbcrt, nämlidl)
©otte§ SSort {)atten unb Siebe üben unb bemütig fein üor beinem
©Ott" (SD?id)a 6, 7 f.). 2:^ut S§rael nic^t feinen SSiüen, fo ift e§ nic^t
mel)r fein $ßoIf, er wirb e§ öerwerfen. „^ie ^ropl)eten tonnten e§
faffen, ta'B Saf)öe ha^ non i^m gegrünbete Sßolf unb 9fleid) je|t öer-
nid)te. 3" oberft war er i^nen ber ©ott ber ©ereditigfeit. ©ott
S§raet§ nur infofern, at» S^tael feinen ©ered)tig!eit§anfprüc^en ge*
nügte; fie feierten atfo bie f)ergebrad)te ^Inorbnung ber beiben gunba«
mentalartifel be§ ©lauben§ um. S)aburc^ würbe Sa^ioe ber ©efo^r
298 I- 93u(^: SWetap^^fif. 2. Äapitel: 2)o§ !ogmoIogiic^=t§eoIogi)cf)e Problem.
entjogen, mit bei* 2öelt gu follibieren unb an il)r ^u jd^eitern, bie
§errf(f)Qft be§ 9iiecf|t§ reidjte nod) weiter aU bie ber 2(fjl)rer. SDie§
t[t ber ett)if(i)e S[)?onotf)ei§mu§ ber ^ropf)eten, fie glauben an bie jitt=
lid^e SBeltorbnung, an bie ausnal^msloie ©eltung ber @ered)tigfeit
at§ ober[ten @eje|eg für bie ganje ^Äelt."*)
SSoUenbet ftiurbe ber ^ro^eB ber 2)enaturierung unb ®e=
nationalifierung be§ jübiirfjen SDbnotfieismuö im (£t)riftentum.
Sefug gie'^t bie le^te Äonjeguenj: ha§^ 9^eicf) ©ottes i[t überf)aupt nidit
öon biefer SSett. Sa§ Subentum, au^ bie ^rop^eten, f)ielten baran
feft: bem öered^ten müjfe ee in bie f er SBelt gelingen, aud^ ba§
ißotf S^rael ttjerbe, töenn e§ Salfiöe re^tjd^affen biene, tt)ieber auf=
gerid^tet, ba§ Sf^eic^ ®aüibg f)erge[tellt n^erben. Sefus löBt biefe
meffianifc^e Hoffnung fahren, er löfet and) bie S^orausje^ung ber
jübijc^en grömmigfeit fahren, baB e§ gule^t bem öeredE)ten in biefer
SGSett tt)o§I gef)e, unb ha'\i ber Ungererfjte gu (Scf)anben lüerbe. „SD'iein
Sfteid^ i[t nict)t üon biejer SBett"; unb jo ift e§ ba§ 9^eic^ öotteg
nict)t, e§ t)at gar feine Stf)nlicf)feit mit bem alten 9ieic^ 2)at)ib§, ober
übert)aupt mit bem, tt)a§ bem natürlichen DJ^eufd^en §errlic^ unb groB
unb begef)ren§n)ert üorfommt. ®a§ 9^eid^ &ottt§> i[t in bir, eine ber
SSelt üerborgene unb if)r unüerftänblic^e ^ütle ber ©eligfeit unb be§
g^riebenS, es f)at gar nicf)tö mit ben ©ütern, meld)e bie SSett geben
unb nehmen fann, §u tt)un, 5trmut unb @cE)anbe in ber SBelt finb
mit i^m gar U)of)I üertrögtidf). 3)a§ 9ieid^ Ö5otte§ ift in ber @emein=
jd^aft ber öläubigen unb ^eiligen, in ber ©emeinbe ber jünger 3eju,
bie al§ g^rembtinge f)in unb l^er burrf) bie Dleic^e biejer SBelt gerftreut
leben, of)ne an if)nen teil ju l^aben ober gu judfjen. ®a§ Ü^eidf)
@otte§ i[t enblidE) bie eloige jenseitige, ni(^t in ber Qät unb nic^t im
S^aum bejd)(ofjene §err(ic^!eit ®otte§, bie bie (Seinen jet)en merben,
toenn feine ^f^atur unb feine SSelt mel^r jein irirb. —
Unter bem SinfluB biefer beiben formen be§ SOZonot^ei§mu§,
be§ jübiid)=cfjrij'tlidjen unb be§ griedfjifi^eu, ift nun bie öotte§= unb
Sßeltoorftetlung gebilbet UJorben, metdfie in ber Ü\vd)t unb mit if)r in
*) ^. SBelltiaujen, ^briß ber ®ei(^i(^te ^§xad^ unb ^ubol in ben
©flauen unb SSororbeiten, I, 50. %\t Cuellenuntcriuctiung mit iijxet f)öd)[t ein=
Ieud)tenben fton[truftion ber ©ntmicfelung beä Iult§ unb ber Srobition in begfelben
SSerfa)fer§ @efd)id^te Q^raelg.
10. ®e|c^ic^tüc^e (gnttuicfefung bcr ©ottei- unb SBeltborfteaung. 299
bei- europäifcf;en Sßölfertüelt ^ervjdjenb geworben ift. 5ßon S^vaet
[tammeit bie praüijcfjn-eligiöjen 33e[timmungen im ©otteSbegriff: ®ott
ift fjeilig unb gerecht, aber and) in C£f)ri[to gnäbig unb barm^eräig.
95on ben ©riechen fommt bie fpe!utatiüe ober nietapt)t)fifc^e (Seite:
Uuenblicfjfeit, 5^aiüei5t)eit, 5ian)irfjamfeit, StUgenugiamfeit, furj, bie
S3e[timmungen, burcfj iüelcf)e er jum S(ll=(5inen wirb, burd) hü§^ unb
in bem alte§ ift, n^aS 3)QJein unb ^Befen f)Qt. Hu§ bem ftet§ tt)ieber=
tjolten Sßerjud), bie gried^ifcfje ^I}iIofopf)ie unb ÄoSmoIogie mit ber
d)ri[tli(^en 9^etigion in einem gefdjioffeneii 2ef)rgebäube gu bereinigen,
ift bie djriftüd)=firc^Iic^e 2;^eoIogie unb ^f)iIofopt)ie entftanbeu. ^i)xt
pf)ito|opf)ifd)e ©runbanfdjauung ift ein m o n i ft i f d) e r X f) e i § m u §.
®ie Äirc^e, al§ proftifdieS Snftitut, betont ben 3:f)ei§mu§: öott ein
perfönlic^eg, fupranaturaleS, ei-tramunboneS äöefen, ha§> mit bem
SOZenfc^en in perföntidjen ^erfe^r tritt; in ber gemeinen ^ßorftellung
lüirb er gu einem oi31Iig antfjropomorp^ifdjen SSefeu, mit menfd)en=
äf)nlic^en ©efü^Ien unb 53eftrebungen. Sn ber (gpefulation bagegen
tritt ha§> moniftifdje ©(erneut f)erüor. Soluie man oerfud)t, ben 53egriff
eines 2öefen§, boS olle übrigen urfprüngtic^ qu§ nid)t§ gefd)Qffen f)Qt,
unb beffen Sßille allein fie im S)afein erf)ält, gu beftimmen, ergiebt
fid), hü"^ e§ ha^ einzige felbftänbige äöefen ift, unb bofe neben ii)m für
Qubere felbftönbige SKefen fein 9^aum Bleibt. ®er 9JJonot^ei§mu§
nimmt bie 33ebeutung an, bo^ ®ott oüein ift, er ge^t in ^ont^eiSmuS
über: @ott ber Slü^eine.
®urd; bie ganje @efd)idjte ber ^irc^e lä^t fid) oerfolgen, luie
fid) biefe beiben 3:riebe, ber reügiöfe unb ber fpefulatiöe, auf mauuig-
fac^fte Söeife bebrängen unb burd)bringen. Sidjttid; g. 33. bei
StuguftinuS, in beffen mäd)tiger 9lotur beibe triebe in großer
@tär!e ongelegt finb. 2)er 9ieupIatoni§mu§ füt)rte it)n au§ ben Srr=
gongen be§ 9Jiauid)äi§mu§ l^erauS, unb üou baf)er bleibt if)m ber $8e=
griff ©otteS al§ be» Slümirüidjen: e§ giebt !ein «Sein aU in (Sott,
auBer i()m ift nur ha§> 9Zid)tfein. S^iefer afo§miftifd)e ^;]3antt)ei5mu§
ift itjm aber, mit §arnad§ SluSbrud, nur bie ©ruubierung, auf mld)t
er nun bie auS innerften Seben§erfat)ruugen gertjonnene d^riftlidje 5(n=
fc^auung aufträgt: jene§ f)öd)fte ©ein ift bas al§ allmächtige Siebe
auf ben Söiüen n)ir!enbe l)eilige @ute.*)
*) 3t. §ornad, Setirbucf) ber ©ogntengefd^ic^te III, 101 ff.
300 l-^nä): ^ttapi)t)\il 2. ta^itel: S)a§ fogmoIogijd)4^eoIogifd^e «ßroblem.
S)urc^ bie ganje Qbenblänbifdje ^f)eoIogie tüirfen biefe ©ebonfen
nod); überall ha, tro ba§ jpefulatioe Sntereffe ftärfer tüirb, tritt al§=
botb aud) ber pantf)ei[tijcfje begriff jdiärfer f)erüor. ©o fd)on im
SOZittetalter, tüo bie Äird^e immer mieber SSeronloffung finbet, gegen
pantf)eiftifd)e SSenbungen ber 2ef)re, fei e§ rationoliftifdier, jei e§
mi)ftiid)er S^idjtung, einjujc^reiten.*) (So in üerftärftem dJla^^, feitbem
mit bem beginn ber DZeugeit ber !ird^Iid)e £ef)rämang feinen 9^ad)bru(i
mef)r unb mef)r einbüßte unb ha§: t^eoretifd)e Snterejfe ftärler mnrbe.
9?or allem mirfte bie grofee Umgeftaltnng ber !o§mifc§en SSorftedungen
in biefem (Sinn; inbem fie ha§^ begrenzte §immel§gebäube gerftörte,
entzog fie ber ant!£)ropomorpt)ifd^en (^otteSöorftellung bie 5(nle'^nung
an bie finnlic^e Stnfd^annng. 9J?an barf fagen: fomeit bie moberne
^f)iIofopf)ie frei nad) eigener Steigung it)re Greife 5ief)t unb nid)t burd)
ben äußeren ober inneren 5^rud be§ !ird)(ic^en (St)[tem§ ober anberer*
feitg burc^ ben 93ann be§ naturn)iffenfd)oftüd)en ®enfen§ get)emmt
tt)irb, ift fie pantfjeiftifd^ ober monot^eiftifd) in bem (Sinne jener g^ormel:
©Ott allein ift, judvog 6 deög.
Sd) berü{)re bie ^auptpunfte ber gefc^id^tlid^en ©ntwidelung.**)
*) 2llg eine ^ßrobe ber ntl)fttf(i)=pontf)eiftifd)en ©enftueife je^e td) ben Slnfang
ber au§ bem bierje^nten ^af)r^unbert ftammenben „beutfc^en S^eologte" (2fu§g.
g. Pfeiffer, 1851) 1)\tt^tx: „5)q§ SSoUfommene i[t ein SBejen, ba§ in fiö) unb in
feinem Sffiejen alle SBefen begriffen unb &ef(f)toffen f)at, unb of)ne boS unb au^er
bem fein voai)Xt^ SBefen ift, unb in bem aKe ®inge \^t SBefen fjaben; benn e§ ift
alter Singe SBefen; unb ift in if)m felber unföonbelbar unb unbeweglich unb ttjanbctt
unb bewegt alle onberen Singe. Sfber 'i>a^ ©eteilte ober "üa^ UnöoIIfommene ift
"bas,, "iid^ au§ biefem SSoHfommenen feinen Urfprung t)at ober wirb, wie ein ©lanj
ober @cf)ein, ber ba ausfliegt ou§ ber Sonne. Unb bag fjeifjt Äreatur. Unb otter
biefer (Seteilten ift feinet ba§ SßoHfommene. Sbenfo ift audf) bo§ SSoUfommene
ber ©eteilten fein§. Sic ©eteilten finb begreiflich, erfennbar unb auSfpredilic^;
aber ba§ SSoflfommene ift allen Jireaturen in il}rer Äreatürlid^feit unbegreiflicl),
unaugfprec!^lic^ unb unerfennbar. Sarum Ijat 'aa^ 58oIlfommene feinen ?Jomen,
benn eg ift biefer fetne§. — ©oll 'üa^ 3?ollfommene in einer ßreatur befanut werben,
"üa mu^ ^reatürlicl)!eit, ®efc^affenl)eit, :5cf}l)eit, (5elbftf)eit unb bergleid)en alleä
oerlorcn ge^en unb junidite werben."
**) ^d^ öerweife ben Sefer auf bie öortrefflic^e SarfteHung ber ®efcf)id)te ber
9Religion§p^ilofop^ie im erften $8anb bon D. ^fleiberer§ 9teligion§p^ilofop^ie
(1884). 9Zo(^ nenne icf) ig. ®. ©rbmann, ©runbri^ ber ©efc^ic^te ber ^f)ilofop^ie
(1. 2t. 1896); 3ft. galcfenberg, ©efc^ic^te ber neueren iß^ilofop^ic (3. 21. 1898);
3i. Süden, bie fiebenSonfcfiouung ber großen Senfer (1890).
10. ©efd^irfitlid^e entiridelmig ber ®otteä= unb SBettüorfteEung. 301
Sm fieb^eljnten Sat)tl)unbert Ijat ha§^ moberne 2)en!en, nacfjbem
ifjm ba§ groBe 9ietioIution§ia^rf)unbert bie '^aljn frei gemad)t l)Qtte,
bie ci*[ten großen (Si)[tembilbungen ^uftanbe gebradjt. 2)e§carte§ unb
.^obbe§ fonn man qI§ bie 5(nfüf)rer, jenen ber t:E)eoretijdjen, biefen
ber proftijdjen ^^ilofoptjie ber DJeu^eit betracfjten. SDorf) bleibt ®e§=
carteS in ber 9}ietQpf)t)fif nod^ firfjtlicfj burd; hü§> 53eftreben gebunben,
eine ber Äirdje unanfti3Bige Öebanfenbilbung ju erreirfjen; ^obbe§
ober ift in erfter Sinie poIitij(f)er, in imikv uaturtüijfenjdjaftlic^er
2)enfer, bie 9)?etapf)t)fi! n)irb ouc^ bei if)m nid)t fdb[tänbig. 3n
(Spinoza bagegen l^aben mx ben erften großen 9}^etQp^l)fifer ber
9leuäeit; unbefümmert um bie Qdt unb i^re f^orberungen, ben!t er
in ber (Sinjamfeit feiner S)ad^fammer feine @eban!en ju önbe. 9)lit
Haren fcfjarfen 93egriffen formuliert feine (Stfji! bie Seigre eine§ fon=
fequenten ^antl)ct§mu§: @ott ift ba§ ©eienbe, haS^ eine felbftänbige
SBcfen ober bie ©ubftang, bie SBelt ift immanente Entfaltung feineS
SBefenS. 5Die Singe, meldte bie in ber finnlic^en SBaf)rnef)mung be=
fangene gemeine Söorfteüung für felbftänbige 3Befen anfieljt, finb nic^t
in 2öa'^rf)eit fetbftönbig, ber $8erftanb erfennt in i^nen abf)ängige
iSeftimmungen be§ Stn=@inen, 9J?obififationen ber ©ubftans, bie allein
in if)r SBefen unb Safein ^aben. Ober tüili man lieber, bem (Sprac^=
gebraurfj nä{)er bleibenb, @ott bie Urfadje ber Singe nennen, fo muB
man f)in3ufügen: er ift nid^t Urfad)e, tt)ie ein ßinjelbing Urfodje be§
anbern ift, taS^ neben if)m fetbftänbigeS Safein !^at, fonbern er ift
bie immanente Urfac^e aller Singe, fo ba^ er in it)nen ober Dielme^r
fie in il)m bleiben; er ift Urfadie nidjt bloB il^rer gorm unb Semegung,
fonbern it)re§ SSefenS unb Safein§. SBa§ aber ba§> Söefen ©otte»
felbft anlangt, fo meifen bie beiben ©runbformen be§ SSirflidjen, bie
unferem 35erftanbe fid) barbieten, bie förpertic^c unb bie geiftige äöelt,
auf gmei ©eiten feineS 3öefen§ f)in, bie tt)ir i^m at§ SIttribute beilegen
bürfen: §(u§bet)nung unb 93emuBtfein; unb mir !önnen bemnad) @ott
ein au§gebef)nte§ unb ein benfenbeS Söefen (res exteusa — res cogitans)
nennen. Sod^ gilt aud^ f)ier, ba^ mir bie StuSbrüde üon ®ott nid)t
in bemfelben ©inn, mie oon ben (Siuäetbingen, braudjen bürfen. Ö)Ott
ift Körper, aber nic^t, mie ha§ einjetne förperlidjc Sing, begrenzt, ge=
ftaltct, bemcgtidj, er ift ha§: einljeitlidje ^rinjip ber Äörpermelt. @ott
ift ©eift, bod; nidjt mie ein (Sinjelgeift, mir bürfen i()m nid;t 35orfteüen,
302 I. 33ud^: 3Retap^^fif. 2. tapitel: ®a§ folmoIogtfd^=tt|eoIogiid^e Problem.
(Srnpfin^en, g^ü^Ien, SBoIIen Beilegen. (5r i[t \)a§> einf)eitlic^e ^rittäip
ber 23cft)UBtfein§iueIt, aber if)m fommen nic^t bie Seftimmungen ^u,
mit benen fie im Gnbüdfien erjc^eint.
9?ä§ere Seftimmung unb Segrengung erhalten biefe ^Begriffe
burcf) bie angrensenben ©egenjä^e, auf ber einen (Seite ben antf)ropo=
morpt)ifrf)en 2f)ei5mu§, auf ber anbern (Seite ben materiaüftifcfjen
S(tomi§mu5. ®en erften öcgenfo^ betont Spinoza oft unb ftarf. S)er
gemeine antf)ropomorpf)ifcfje 2;f)ei§mu§ lä^t @ott tt)ie einen 9JJenfc^en
nad) 5(bfi(f)ten U)ir!en. G» i[t leidjt gu fe^en, baB biefe 5(uffaffung üon
@ott mit bem ^u (fnbe gebodjten 9J?onotf)ei5mu5 nirfjt uerträgüc^ ift;
ein atlmäc^tiger ©djöpfer i)at nidjt erft leere S(bfid)ten, um fie bann
^interf)er burc^ biefe unb jene 9JZitteI gu üerluirflid)en; ta§> ift bie
SSirfungSmeife enblidjer SSefen, bie eine i^nen gegenüber felbftänbige
SBirflic^feit nad) if)ren ©ebanfen umbiegen. Schaffen ift oom 9JJad)en
nai^ 5(bfic^ten fpe^ififc^ oerfd)ieben; bie (entere Kategorie get)ört bem
^^oh)tt)ei§mu§ an: @i3tter finb, n)ie 9J?enfd)en, 3Befen, bie auf ^inge,
bie if)rem S)afein uad) oon it)nen nidjt abhängig finb, nad^ 2Ibfi(^ten
öon auBen einiüirfen. ^nm DJbnot^eismuS bagegen ge'^ört bie Kategorie
be§ (Schaffens au§ nid)t§; ift @ott allein urfprünglid) unb burd) fic^
felbft, fo fann fein SSirfen nur bie ^orm be» (Schaffens f)aben, ha^
bie SSirflidjfeit nad) SSefen unb S^afein fe^t, freiließ nic^t mit ber
SBirfung, baB biefe nun felbftänbig iöm gegenüberftänbe; ha§^ ift ba§>
©innige, tüaS @ott nid)t fann, S)inge machen, bie oon if)m unabf)ängig
finb. 3d)öpfung ift Sntwidehing in ©Ott. 9}üt ber g^ormel Deus
sive Natura fteüt Spinoza ben pt)iIofopt)if(^en Segriff @otte§ ber
gemeinen 95orfte((ung gegenüber.
SSeniger oft unb ftarf tjebt er ben anberen ©egenfa^ fieroor, hm
©egenfa^ gegen ben atomiftifd)en S{t£)ei5mu§. 5^er ©runb n^irb borin
liegen, ha"^ in ber ^^ilofopfjie jener ßeit biefer @egenfa| faum cor-
!^anben ift. .^ätte Spinoza t)orau§gefef)en, ba^ ein ^Q^i-'^unbert lang
9(ttjei§muö unb 9latura(i§mu§ i)a§^ (Stid)lüort für feine ^t)iIofopI)ie
werben foilten, ober ^ätte er unfere 3;age erlebt, n)0 ber atomiftifdie
2(tf)ei§mu§ fo taut unb entfd)ieben al§ bie öor ber 2öiffenfd)aft allein
mi3g(id)e SSeltanfic^t bejeidjnet njirb, fo mödjte er n)of)I auf bie Um=
fet)rbarfeit jener ^ormel mit me^r DIadjbrud f)ingett)iefen f)aben:
Natura sive Deus. 8id)erlid), möchte er gefagt f)aben, id^ weiB nic^tg
10. &t\^iä)tüä)t (Sntttjicfelung ber ®otte§= unb SSeUoorftellung. 303
öon einem ®ott, ber jenfeit§ ber SBelt ic^ iüei§ nic^t luetc^e Wixtiid)^
feit f)at. Stber umge!ef)rt fenne id) jene SBett nidjt, hjetc^e bie
ailoteriüliften au§ unääfjligett fleineu abfolut felbftänbigen (Subftanjen,
ben Sttomen, äujammenfe^en. ®q§ ollererfte unb atlert3en)iffe[te, lua§
mir ber ^erftanb öon ber SSelt auljagt, i[t bie§, ba^ fie nidjt ein
äufäßigeS 9Zebeneinanber üieler ©ubftauäen, fonbern eine @int)eit ift,
in ber jebeS (Singetne burd^ ha§> ©anje abfolut beftimmt ift, aljo eine
©ubftan^, bie burd) if)r äöejen unb in i()rem SSejen bie SSiet^eit über=
^aupt erft je|t. Sft ha§' 9Konot^ei§mu§, unb ic^ n^üBte nidjt, n)a§
man mit biefem 9Zamen anberg meinen fann, n^enn man nidjt in bie
5lnjdjauung§n)eife be§ ^ott)t^eigmu§, ber bie ©ötter a(§ (ginjelroefen
neben anbern anfielt, ^urüdfallen wiii, fo i[t mein (Si)ftem öoHenbeter
9}?onot^ei»mu§: ®ott ein unb a{k§.
greilid^, feine ^eitgenojfen ju überzeugen Ujöre i^m nic^t gelungen;
fie unirben fortgefahren f)aben, i^n ber 5ßermifd)ung ®otte§ mit ber
9?atur, be§ 5(t^ei§mu§ unb 9^aturali§mu§ ju befc^ulbigen. SSörter,
fagt .S^obbeS einmal, bienen nic^t allein baju, S3egriffe ju bejeidiuen,
fonbern auc^ Urteile au§äubrüden; fo ttjenig ber 9^ame ^tt)ei§mu§
geeignet ift, bie SBettanfdjaunng ©pinojaS ^u be^eidjnen, fo mo^t ttiar
er geeignet, Slbfd)eu auS^ubrücfeu unb ^u erregen. Über ein ^ai)v=
^unbert lang mar bie (Stf)if ba^ üerrufenfte p^iIofopf)ifc^e SBer!, ein
über borrendus, unb fein 55erfoffer ein SDZann mit bem ßeid^en ber
S^ermerfung an ber ©tirn.
®ie beiben ^f)itofop(}en, benen ba^ ac^tgctiute Sat)i't)unbert folgt,
finb Sode unb ßeibuij. 58eibe lehnen «Spinoza ah, Seibni^ aul=
brüdlid^, Sode ftiUfc^meigenb. Söeibe fud^en eine ^f)i(ofop^ie unb
fiaben fie nac^ ber Überzeugung if)rer 3^^^ gefuuben, meldje bie
neuen miffenfd)aft(id)en (Srfenntniffe mit bem alten ©tauben beffer
tiereinigt.
Seibnizen» ©ebanfenbitbung ift burc^meg burd) t)a§: 93er=
l)ättni§ ZU (Spinoza beftimmt. 9ladjbem er anfangt bcbeutenbe pofitiüe
(ginmirfung oon bem fräftigen unb rüdfidjtStofen 3)enfer erfahren,
im befonberen bie metap()t)fifdjen ^onfequenzen ber fartefianifc^en
9iaturp()ilofopf)ie beutüc^ eingefe^en fiatte, mürbe e» fpäter, ai§> ber
jugenbtic^e impetus pbilosopbandi burd) bie 95orfidit unb Üiüdfic^t
be§ ^otitifer§ gemäßigt mürbe, feine ^auptforge, öon bem „profanen"
304 I. 93u^: aKetop^ijft!. 2. ^apitd: 2)a§ foSmoIogiic^-t^eoIogifc^e Problem.
(Spinoza unb jetnen unsuläffigen öebaufen fic^ lo^subenfen.*) S)a§ i[t
bie 33e[timmiing ber SJJoixaben, fie foUen btenen ben ^Qutf)ei§mu§
gu übertüinbeu: ©pino^o i)Qtte red}t, s'il n'y avait point de monades.
2)ie HJZonaben treten §tt)iid)en @ott unb bie DZatur unb t)inbevn it)r
^nfammenfallen. ^ie 9)Zonaben finb bie legten felbftänbigen ©lemente
ber SSirflicfjfeit, metap§iijijd)e 'ißunfte, unau^gebeljute, fpirituelle 5Itome.
§(n fi^ ober für ben 93erftanb finb fie burc^ inneres ßeben ((Smpfinbung
unb ©treiben) beftimmt; öon ouBen gefe{)en, in ber öerttjorrenen $ßor=
ftellung ber 3innlic^feit, fteüt fid) ein ^ufammen^ang üon SUJonoben
aU ein Qu§gebel)nter ^i3rper bar. ©o fonimen alfo ben DJJonaben bie
beiben Stttribute ber ©pino^iftifcEien (Subftong gu, cogitatio unb extensio,
Spiritualität unb SJiaterialität, oUerbingS nun fo, ba^ bie ©pirituo=
lität i^r SBefen, bie 9J2ateriaIität nur bie @rf(f)einung auSmoc^t,
tt}ä§renb bei ©pino^a beibe Seiten al§ gleidjbebeutenbe neben einanber
gefteHt finb, ja fofern corpus unb res überaü gleic^ gefe|t ttjerben, ber
5(u§bef)nung l)ier gleict)fam me^r Üiealität gegeben n)irb.**) 2)ie
3)Zonaben gleid^en ber ®ubftan§ ©pino^aS ferner barin, boB jebe üon
innen f)erau§ ben Snfjalt it)re5 2Sefen§ entfaltet, o£)ne (Sinnjirtungen
Don aufeen gu empfangen, olfo geroiffermoBen causa sui ift. Stllerbing»
gefrfjiet)t ha^ in präftabitierter ßuf'^nimenftimmung mit ben (£nt=
tüidelungen aller übrigen.
Samit ift benn ber ^ant^eiSmuS otjue 3^eifel grünblic^ über=
n)unben; bie eine mafrofo§mifct)e (gubftang ®pino§a§ ift in unjäfitige
mitrofoSmifd^e ©nbftanjen jerfi^Iagen, üon benen jebe für fid) fein
unb betrad)tet werben !ann, ja bereu Izh^ eigentlid) fid) felbft für bie
(2ubftan§ fc^tec^tt)in anfe^en müBte. 2(ber foft möd^te man fagen,
allju grünblic^ ift ba§ SSerf gettjan; au§ ber ©!t)na be§ ^ant^eiSmuä
finb n)ir in bie (Et)an)bbi5 be§ S(tomi§mu§ unb S(t§ei§mu§ geroten.
Unb nun fuc^t \\d) £eibni§ biefer ©efa^r gu enrel^ren, inbem er ju
ben t)ielen ©ubftangen, au» benen bie 2Sirt(id)feit beftet)t, eine „not=
*) ®a^ Sßerf)ältmg tft jüngft auf ©runb ber Cuellen einget)enb bargelegt
in bem SBer! öon S. ©tein, Seibniä unb ©pinoga (1890).
**) ©pinoga erüört mens burc!^ corpus, fie ift ni(^t§ onbereä al§ bie Qhte
eineg beftimmten einjelnen Sörper^, ber if)r Dbjeft ift (gtf). II, 11, 13). Seibniä
erflärt umgete^rt corpus burct) mens: ift bort mens nihil aliud quam idea
corporis, fo ift l^ier corpus nitiil aliud quam idea mentis, ober man fönnte auc^
fogcn: mens phaenomenon sive objective existens.
10. @eic^t(f)ttid)e (SntnjidEelung ber @otte§* unb SBeltüorfteUung. 305
luenbige Subftan.V' ^injufügt, bereit „Gffenj bie ©yifteuä einfrf)lieBt",
unb bann löeiter 6et)auptet: biefe ©ubftan^, ©Ott genannt, fei „bie
urjprünglid^e @inf)eit ober bie Urfubftanä; alle gefcf;affenen ober ah'
geleiteten SOJonaben feien if)re örjeugniffe nnb ttJürben gteidjfam burd^
beftönbige 5(u§ftraf)Iungen oon Sfugenbücf ju 9IugenMic! öon if)r f)erüor=
gcbracfjt." *)
9hin, mürbe ©pinoja fagen, ift es bir mit biefem ©ebanfen
ernft, bann fönnen tüir un§ »ertragen ; beine Urfubftanj ift bann eben
ha^, n)a§ id^ bie ©ubftanj fcf)Iecf)tf)in, unb i{)re g^ntgurationen, bie
geroöt)nlicf)en SOJonaben, finb ungefäf)r baSfelbe, \va§> icf; modi nenne,
benen icf) benn relatide (Setbftänbigfeit unb ©in^eit gern gugeftefie.
Unb ebenfo fiube icf), tt)a§ ben S)etermini§mu§ anlangt, gttjifd^en un§
feinen ttjef entließen Unterfdjieb; non medjanifdjer 9ZDtn)enbig!eit
(necessite brüte) ift aud) in meinem @l)ftem feine Siebe, fonbern oon
einer begrifflid^=mat^ematifd)en, olfo einer ibeellen 9lottt)enbigfeit, ein
Q3egriff, oon bem, foüiel xä) fe^e, aud^ bu bid) nid^t loSmac^ft: ha§:
SDJai-imum fompoffibler 9ieaütät ober 55oIIfommenf)eit n^irb bei bir
ja aud^ burd) eine 5(rt 5öegriff§falfüt im intellectus infinitus, eine
„metapf)i)fifdje SOZed^anü", ermittelt unb ju SSege gebrad^t. Um Dkmcn
aber mag id^ uidjt ftreiten, nod) ttieniger um ben Sdjein ber (55ut=
gefinntl)eit mid) bemühen.
Sode fudE)te unb fanb bie 2(u§g(eid)ung ber neuen SSiffenfdjaft
mit ber Äird)enle'^re auf anberem SSege; nid^t 9Ketapf)i3fif, fonbern
er!enntniltf)eoretifd^e Äritif ber SOZetap^Qfif erfd)ien if)m at§ ber redete
SBeg 5um 3^^^^- ®i^ ä^iöt ^(^^ unfere @rfenntni§ notn^enbig auf (Sr=
fafjrung eingefd)ränft ift; (Srfal^rung aber umfpannt unb erfd^öpft
nid^t bie 9Bir!üd^feit; fo bleibt neben ber SBiffenfd^aft 'Siaxim für ben
©tauben. (S§ ift ha§^ bie 93ctradjtung§tüeife, meldje in ©nglanb bi§
in§ neunjetjute 3af)r()unbert ()inein ^errfd^eub geblieben ift. @ie t)at
nid)t fetten einen etma§ fümmerlid^en CEf)arafter angenommen: ftrenge
@ntf)a(tfamfeit im 3)enfcn, nerbunben mit fird^enpoIitifd[)er Crtl^obojie
al» ©runbtage gefellfdjaftlidjer Dlefpcftabilität. 2)a§ S)ogma biefer
©ntfjaltfamen unb Üiefpeftablen ift: mir f)aben auf ber einen Seite
bie SBiffenfd^aften, 9)Zat^ematif unb ^f)i)fif, ^fi)djoIogie unb Unter=
*) 9JionaboIogte, §§ 38 ff., Opera philosophica, ed. grbmann, @. 708.
spaulfen, (Einleitung. 0. 8(ufl. 20
306 I. SSud): Tlttap^t)^it 2. Äo^ttel: ®o§ Io§moIogi|cf|»t{)eoIogijc§e «ßroblem.
f Hebungen über ben ntenjd^Od^en $ßer[tanb; auf ber anbern ©eite f)aben
n}ir bie 39 3(rtiM; bagegen 9J?etapf)t)fif ^oben lüir nid^t, Qucf) braud)eu
unb iroüen tüir fie nic^t, ftott if)rer bienen un§ eben bie 39 2(rtiM.
5ruf tf)nen beruf)t bie Sirdje, unb bie ^irdf)e ift ein (Stücf ber „be[ten
S^erfafjung". 2Ser ba§ nicfjt einfiel)!, bem ift ni(f)t gu l^elfen; er ift
öerböc^tig, nic^t gu ben rejpeüoblen SJJitgliebern ber ©efellfcfjQft ju
gehören. — 5((fo t)ierüber ift njeiter nid)t§ gu fagen. §Dct)ften§ ift
e§ geftattet, burd) 33emü|ung um pl^ilofop^ifc^e, naturn)iffenfd^aftücf)e,
^iftorifdje 93en:)eife (evidences) öon alten (Seiten bie DIotwenbigteit unb
Unangreifbarfeit ber ^ird^enlet)re bargntfiun. — Sode (}ot mit feinem
@m|3iri§mn§ unb ^ofitiüigmuä biefer @ntt)altfam!eit im 2)en!en bie
53af)n geebnet, ©agu f)at er aud^ ha^ Seifpiel gegeben, mie man tro^
grunbfä|Ii(^er @ntt)altfamfeit bennod^ getegenttirf) mot)Igefinnte 9J?eta=
pt)t)fi! madjen fönne: ha§: ® afein eine§ „einigen, f)öd)ft mädjtigen unb
meifen Sßefen§" miü er mit „matt)emotifdjer @id)ert)eit" bemeifen
(Essay, IV, 10), ma§ i^m eine fd)orfe, ober nid)t unöerbiente S^Üige
üon ^ant juge^ogen t)at.
@o ift bie fon^iliatorifd^e Ü^ic^tung eingeleitet, bie ha§' ac^tje^nte
Sat)rt)unbert bet)errfd)t; Seibnij ift in ®eutfd)tanb, Sode in (Sngtanb,
batb aud^ in i^vantxäd), ber gro^e S^tome. 93eibe fommen in bem
Seftreben überein, bie neuen Söiffenfdjaften mit ber otten ©ogmati!
5U öerfö^nen. S)er auf ben Unioerfitäten nod) tierrfc^enben ©d)o(aftif
^aben fie beibe ben 9flüden gemenbet, beibe finb ^nt)änger unb ßieb=
t)aber ber mobernen SBiffenfc^aften; aber beibe bemeifen baneben bie
S8ernunftgemäBt)eit be§ (Glaubens. Seibnig fdjreibt de la conformite
de la foi avec la raison; Sode bemeift the reasonableness of
Christianity. Sie ^auptartifet ber ©taubenSteljre, ha^ Safein ®otte§
unb bie Unfterblid^feit ber (Seele, fann bie ^t)i(ofopf)ie mit itjren
eigenen 9JiitteIn bemeifen, baneben giebt e§ freitid^ auc^ ©loubenS*
artifel, bie fie nic^t beroeifen !ann, bie au§ ber Offenbarung ftammen.
Sod) fann bie ^^itofop^ie and) hierfür nodj etmaS teiften; fann fie
nid^t if)re 3Sa^rf)eit, fo fann fie boc^ it)re 9Jii3gIid)feit bemeifen:
fides non contra, sed supra rationem. (Sine me^r al§ einmal öon
Seibnig gepriefene Sauglid)feit unter ben üielen Xaugtid^feiten feiner
^^iIofopf)ie ift bie: bafe fie für bie äRöglidjfeit ber Sran^fnbftantiation
9iaum t}aU, im Sntereffe ber Sßerftäubigung mit bem ^at^oligigmug.
10. ®eid)id)tlic^e (Sntrotdelung bec ®otte§« unb SBeltüorfteEung. 307
®ie ^{§äipltn, trelcfje e§ mit ben burd^ bie 53ernunft allein
betreisbaren ©laubenSortifetn gu tf)iin fjot, i[t bie jogenante natür =
I i ^ e ober $ö e r n u n f 1 1 () e o ( o g i e , im Unterfdjieb üon ber theologia
revelata. ©ie i[t boä cigenttidje ^auptftüd ber ^f)i(o]opf)ie be§
üorigen Saf)rf)«nbert§. @ie betücift erftenS boS 5Dajein ®otte§,
Qu§ f^eoretifrfien unb praftijc^en ©rünben. ^ie t^eoretifd^en ©rünbe
f ommen auf bie beiben 93ett)ei§fü^rungen ^inau§, bie ^ont a[§> f o § =
m 0 1 0 g i f c^ e n unb p f) i) f i f o = t ^ e o I o g i j dj e n $8ert)ei§ unterfd^eibet.
?(u§ ber ^ebingtt)eit unb ßi^f'ißio^^it be§ SSirflid^en in ber 9Zatur
fdjUe^t ber fo§mo(ogifd)e 53en)ei§ auf ha§: 5)afein eine§ unbebingten
unb notwenbigen SBefenS; unb mit §itfe ber pf)l)fifo4|eologifd)en 33e=
tradjtung mirb bann bie 9lotur biefe§ 2Be)en§ näf)er beftimmt burd)
bie 'i^räbifate ber SBei§f)eit unb ©iite. Snbem bie neuen 2öiffenfd)aften
einerfeit§ bie ©efe^mä^igfeit be§ SSeItIauf§ bartegen unb anbererfeit§
in bie ß^^cfmäfeigfeit ber organifd^en Silbungen immer tiefer ein=
bringen, ftellen fie fid) fclbft in ben ®ien[t einer „tiernünftigen"
Xf)eoIogie.
2)ie ^f)iIofopf)ie bemeift jmeitenS bie Unfterbüd^f eit ber
©eele. 5{u§ ber ©in^eit be§ SelbftbetouBtfeinS ujirb bie (£infad)f)eit
ber ©eele, au§> ber 9iatur einer einfadjen, immateriellen ©ubftanj fo=
bann ibre Unauf(D§Iid)feit unb Unjerftörbarfeit gefolgert unb biefe ber
Unfterblidjfeit g(eid)gefe|t. S)aäU f ommen bie praftifdjen ©rünbe: ta§>
5]erlangen fernerer (gntmidelung ber im 9JJenfd§en angelegten ©oben unb
bie g^orberung ber auSgteidjenben ®ered)tig!eit fe^en ein sufünftigeS
Seben unb einen Üiid^ter nad) bem Xobe oorau§. Sa, fetbft bie gemeine
(Stjrlid^feit unb ber S3eftanb ber bürgerlidjeu ©efeüfdjaft märe o^ne
biefen ©tauben nidjt gefi^ert. S;a§ frect)e Söort: „SSeun e§ feinen
©Ott gäbe, müBte man it)n erfinben", brüdt biefen ©ebonfen quo, ber
ja übrigens aud) unferer ßeit nid)t fremb gemorben ift.
3)a§ ift bie 2öettanfd)auung be§ 3^^talter§ ber S(uftlärung. @ie
bcrut)t auf einem ßompromife gtuifdien ber X^eologie unb ben neuen
SBiffenfdjafteu. ®a§ auf bem ^oben ber neuen SBiffenfdjaften ermadjfene
moberne teufen giebt in ber 3^affung be§ ®otte§begriff§ nad): @ott
ein fnpramunbaneS äöefen, ba^ nad) 5lbfid^t unb ^lan bie 2öelt unb
bie 3J^enfc^en gemacf)t unb fein ®efe^ if)nen oorgefd^rieben I)at. 2)ie
SCfjeoIogie giebt if)rerfeit§ in bem ^unft ber ©efe^mäfeigfeit be» '^lainv=
20*
308 I. S3uc^: S[Retopf)i))"if. 2. ftapitel: S)a§ fo§ntoIogijc^=t^eoIogiic^e Problem.
laufe nady, bie SSunber, früt)er ber §aupt6eU)ei§ ber Sf^eligion, tüerbcn,
o6lrof)I bie ^§tIofopI}ie, tnenn'S not t^ut, quc^ für fie einen Crt I)at
(supra, non contra ratiouem), aümäljlicf) als ein mit bem ©eift ber
3eit nid^t me'^r üerträglidieö ©tütf bes olten ©Iauben§ aufgegeben.
Gine inunbertljätige 3Sorjel)ung, fo geigt ber alte (Samuel 9ieimarue in
bemfelben Kapitel, tt^orin er bie „9Zicfjtigfeit ber ßroeifel gegen bie
göttliche SSorfel^ung" bartf)ut, „tüäre beibee ben 33oI(fommen'E)eiten ©ottes
unb feiner 2öer!e entgegen unb ben 9)ienf(^en felbft nidjt erfprieBÜcf),
noc^ if)rer 95oIIfommen^eit unb Xugenb förberüc^."*) Unb bie Xl^eo*
logie felbft gen)öt)nt fid} allmä^ücl, bie 3Bunber erft ju entbef)ren, enb=
üc^, in bem entfc^iebenen 9^ationa(i§mu§, ftc^ tf)rer ju fc^ömen unb ju
entlebigen.
5)ie Stuflöfung biejes Äompromifjes erfolgte gegen ©übe be§ ad)t=
geeinten Saf)rt)unbert5; unb gmar n^urbe es, tt)ie e§ burd) ein 2)en!er=
^aor beutfdjer unb englifd^er 9ktionaIität eingeleitet luorben n^ar, burd)
ein eben foIdjeS aufgelöft: §ume unb Äant begeic^nen ha§^ (Sube. gaft
gteid)5eitig erfdiienen Uant^ Äritif ber reinen 9]ernunft (1781) unb
§umel poftf)ume Dialoge über bie natürliche Dieligion (1780). Seibe
SBerfe untergietjen bie natürlidie Üieligion ober üielmeljr bie p^itofopt)ifd)e
ST^eoIogie einer üernidjtenben Äritif: bie fogenannte S3ernunfttt)eo(ogie
ift eine ^feubomiffenfdjaft; e§ ift auf feine SBeife mijglid), bas S^afein
eineg ej-tramunbanen 2öeltfd)bpfer§ unb bie Unfterbtid^feit ber @eele
au§ 35ernunftgrünben gu bemeijeu.
§ume ge§t uon einer empiriftifd^en (Srfenntni§tf)eorie au§; barum
!E)ä(t er fic^ bei ^öelueifen a priori nid§t auf. 2)er einzige 5{nfa| gu
einem Verneig ift ber teIeo(ogifd)e; aber gu einem njirüidjeu ^öetoeis
fef)(t if)m nid)t weniger ats allee. Sie (£ntftel)ung einer Sßelt liegt
gänglic^ auBer^atb unferer Srfa^rung; gmiidjeu menjdjüdier Äunfttfjätig-
feit unb einer @d)öpfung ou§ nid^te fe^tt es burd§au§ an jeber 5Ina=
logie; ber ^md ber Söelt ift un§ burd)au§ nidjt f(ar: n3eld)e ^orfteüung
üon ber 5Ibfid)t be§ ©c^öpferS mir gu ©runbe legen mögen, ©lud,
*) ©, 9?eitnoru§, ®ie üorne:^mi"ten 2Ba^r:^eiten ber natürUcf)en 9teIigion,
kap. IX. § 14 ff. 9teimaru§ ift befanntü^ and) ber Sßerfaffer ber SSoIfenbüttler
fjragmente; bie Beiben Seiten ber ^f)iIoiop:^ie be§ oorigen 3'i^r^itnbert§, bie ber
„natürlichen" 9teIigion jugeroenbete unb bie ber „offenborten" ^Religion abgemenbete,
fommen bei i:§m gu fe!^r beutlid)er ©rfcf)einung.
10. ®e|d^id^tli(^c (Sntroicfelung ber ©ottcl* unb aBeUtJorfteöung. 309
Ä'ultur, 35onfommenf)eit (ebenber SiBejen, tjegen jebe bietet bie SBirfüd)^
feit unenbli^ üiele Snftanjen. SSäreu tuir üon bem 5)afeiu eine§ nU*
raeijeu unb allguteu 8c^öpfer§ anber§n)ot)er unterrid;tet, fo luürben
loir ber 93eld)ränftf)eit imfcrer (Srfenntni» jene Ülätjel jur £a[t legen.
SIber barouf barf jid^ bie 53ernunftt{)eoIogie nirf)t surüdjietjen; fie miß
ja eben aul ber öorliegenben SBirflid^feit bie 9?Qtur if)re§ Urhebers
erft ableiten; fcfjIieBen fönnen tt)ir aber nur au§ bem, wa^ wir ttjiffen,
nic^t au§ bem, tt)a§ wir nid^t tt)i[fen.
^'ant§ 5Iu§gong§pun!t i[t ein anberer, aber in biejem ©tue!
fommt er ju bemjelben (Srgebni§: ade S}erfud)e, t)a§> 5)afein ®otte§
unb bie Un[terblicf)feit ber @ee(e au§ t^eoretifdjen ©rünben ju beujeifen,
finb oergeblidE). @r gef)t fie ber 9^eit)e nacf) burd) unb §eigt überall
i(}re Unäutängli(f)feit. ®er ©c^IuB au§ ber (Sinf)eit bei 53elüuBtfein§
auf bie (Sinfacl^!)eit einer (Seelenfubftanj unb tt)eiter auf bie Unjer^
ftörbarfeit biefer unb bie g^ortbauer perfönüc^en Seben§ unb 93elt)uBt=
feinS ift nid)t§ al§ eine Ü^ei^e oon (Srfdfiteic^ungen. ®er ontologifdje
^ett)ei§ für ba§ ©afein ©otteS ift nidjt me()r ttjert: au§ bem S3egriff
®otte§ tt)iE er fein SDafein beujeifen; bem ens realissimum !ommen
feinem 53egriff nad) aüe pofitioen ^räbifote §u, alfo ouc^ ha^ SDafein.
5tber S^afein ift nic^t ein begrifflid)e§ 9J?er!mat, n^ie ©d^mere, @röf3e,
35>ei»f)eit, @üte, e§ fann bal^er nid)t in einem analQtifdjen Urteil au§
bem (SubjettSbegriff enttt)idelt n^erben. Stile (Sfiftentiatfäl^e finb fQn=
t()ctifd^ unb fönnen nur burd) @rfa()rung belüiefeu ttjerben. S)er fo§-
motogifd^e 93ett3ei§ fdjlie^t öom Sebingten auf ein UnbebingteS unb
finbet bie§ in einem SSefen, beffen SDafein nid)t burc^ ein anberel,
fonbern in fid) fetber notwenbig ift. Slber ber regressus in ber ^aufal==
rei^e fü^rt immer nur gu einem S3ebingenben, nadj beffen Sebingungen
mieber ju fragen aufgegeben ift; e§ ift reine SBillfür, irgenbmo biefe
^rage nid^t §u ert)eben unb jn oerficf)ern, nmn fei beim Unbebingten
angelangt. ®ie örfa^rung wenigftenS fann nie auf ein foIc^eS führen.
5(Ifo müßte t§> burdj feinen 33egriff a(§ ein an fid^ notwenbigcg ©ein
erfannt ttjerben; ber fo§mo(ogifd)e Semei§ münbet bcmnad) in ben onto=
Iogifdf)en. ®er pt)t)fifo=tt)eo(ogif(^e enblid; füfjrt, roie weit er nun immer
führen mag, iebenfaül nidjt jn mef)r a(» bem 33egriff eine» 3BeItbau=
meifter« für ben befc^riinften ßrei§ unferer (Srfatjrung, nic^t aber gu
bem fird)Iid)en 2ef)rbegriff eine§ ©c^öpferS aller 2)inge au§ nichts.
310 I- 33uc^; Wittap^\)ß. 2. tapitel: 25o§ fo§moIogiid^4t)eoIogUd^e ^toblem.
Übrigen^ ift fragtief), ob bie gan^e ßi^^cfmäBigfeit ber 9^otur met)r ai^
eine fubjeftiüe, unserem S^erftanbe gemäße Setrodf)tung ift. ^llfo üoit
einer lüifjenfd^aftlidjcn GrfenntniS biefer ®inge burcf) bie fpefulatiüe
SSernunft ift nidjt bie Ütebe.
§ume bleibt bei bem negatiöen (iTgebni§ fte{)en; er beutet nur
getegenttid) an, baf? iljm, njenn er über!)aupt für eine !o§mDtogifd)e
5tnfidjt fid) entfdjeiben müBte, feine annef^mbarer erfdjeinen tt)ürbe, a(§
bie ber otten ^f)i(ofopl}en, „ttjeldje ber SBelt ein einiget, if)rem SBefen
Qngef)örige5 ^ringip ber Drbnung äufd)reiben" (im fedjften 2)iaIog).
S?ant, bei bem übrigen^ unter ber Cberflcid)e ber er!enntni§tf)eoretifd)en
Stnfid)t überall bie alte ibealiftifdj = pantf)eiftifd)e 9}?etapt)t)fif burd)=
fd^iminert — ber @eban!e, ben er in ber (Sd^rift üon bem einzig
mögüdjen 33einei§grunb ju einer Semonftration be§ S)afein§ ®otte§
(1763) au^füfjrt: ©ott ber einige Inbegriff aüeg S[RögIid^en unb barnm
aud§ aüeg SSirflidjen, ha§> nur aB S3efdjrän!ung in itjm gebad)t inerben
fann, ift if)m nie fremb gemorben — ^ant f)Qt ber negatiuen (Snt=
fc^eibung in ber 5?riti! ber reinen SSernunft einen pofitioen 2tbfd)tuf3
in ber praftifdjen ^f)iIofop^ie I^injugefügt; bie Sbeen üon ®ott,
^reit)eit unb Unfterblidjfeit , bereu Ü^ealität bem 55erftanbe nid)t
bemonftriert inerben !ann, finb bennod) ha§: aüergeloiffefte 8tüd einer
an ben %[^at\ad)en ber prattifdjen S5crnunft fidj orientierenben 2BeIt=
anfd)auung. (5§ finb feine tf)eoretif(^ braudjbaren Segriffe, moburc^
mir bie 9iatur auf f äffen unb erftären fönnen; in ber ^f)t)fif ift mit
bem Segriff @otte§, in ber @efd)idjte mit bem Segriff ber
greifieit nichts ansufangen. 'ähzv bie 9Zatur ift nid)t bie SSirffid;^
feit felbft, fie ift nid)t§ aU ber Inbegriff möglicher ©rfc^einungen.
Sn bem ^ftid^tbegriff tritt un§ nun eine Drbnung ber Singe ent=
gegen, bie mir innerlid) nidjt umljin fönnen, o(§ eine unbebingt
geltenbe an5ufel)en. ©o entftefjt bie Sbee einer abfotuten SSelt*
orbnung, bie fjöfjer unb gleid)fam mirf lieber ift at§ bie Scoturorbnung;
unb biefer SSeltorbnung geijören mir burdj bie praftifd)e Sernunft
in un§ felber on.
9J?an fann fogen: mit biefem ©ebanfen nimmt ^ant bie ur=
fprünglidjfte !5:enbenj ber Iutf)erifdjen 9ieformation mieber auf unb
fül)rt fie §u @nbe burdj, bie SoSlöfung be§ reügiöfen @Iauben§
V)on bem tfieoretifd^en SSiffen. 3Ba§ fintier an ber fd)olaftifd)en.
10. ©efd^id^tltd^e (Snttüidelung ber ®otte§- unb 2ßcltoor[tellung. 311
bü§ f)eiBt an ber auf allen Uniüerfitäten mit Approbation ber ßirdie
gelef)rten 2:^eoIogie fo anftöfeifl fanb, \)a§^ xvav bie Söermijd)ung be§
SSorteS öotte» mit ber ^:pt)itojopt)ie h^§> „gottlofen Reiben" 5XriftoteIe§.
®ie S^ernunft au§ ber ^t)eoIogie au^ä^^^if^" ""^ ^^" ©louben auf
fic^ felbft 5U [teilen, mar fein erfte§ Unternet)men. Aber ber @eban!e
fam noc^ gu früf); balb bante and; bie proteftantifc^e Xf)eotogie mieber
an bogmatifc^en ©t)ftemen, in benen 9}?etap^t)fif unb Offenbarung ^u.
einem eintjeitlic^en Sau oerarbeitet mürben. Unb bü§ ift begreiflich
genug: bie gan^e mittelatterlic^e 2Siffenfcf)aft unb ^I)i(ofopf}ie , il)re
geo5entrifd)e ÄoSmoIogie unb bie bamit gegebene anttjropo^entrifdje
Söeltanfc^auung, if)re efflefiojentrifdje ö)efc^id)tgfonftru!tion, aüeS ba§
forberte bringenb Ijerau^, bie miffenfd;üftlid)e 3SeIter!enntni§ jur Unter=
läge für ben ©lauben gu madjen. 6^ mußten erft bie ©runblageu
ber mittelalterlichen SSeItanfct)ouung abgebrochen merben; fo longe fie
ftanben, ftanb and) if)re ^:pE)i(ojopI)ie unb il}re „natürüdje" Sl^eologie.
SDieS gefdjal) oümäljüdj im !i5crlauf ber auf ßut()er folgenben Sal)r*
tjunberte. ®ie fopernifanifdje ^oSmotogie brang im fieb^etjuten Sa^v=
^unbert langfam burc^; neue p^ijfifatifc^e, pt)l)fioIogifct|e unb biologifdje
Anfdjauungen gemannen 9^aum; ber {)iftorifd^e ^origont ermeiterte fid;
burc^ bie innere 33erüf)rung mit ber Sßelt be§ Cften§ unb bes 2Beften§,
ber 2SeIt ber S^ergangenfjeit unb ber äöelt ber Bufunft. S)ie %l)aU
fadjen fprengten überall ben 9hng be§ mittelalterlidjen @l)ftem§. Au§
biefer neuen 2age 50g Slant mit fieserer §anb bie ^onfequen§: bie
miffenfdjaftlic^e SSetter!enntniö, mie fie fict) nun einnml geftattet {)at,
fann nid^t qI§ Unterbau für ben ©tauben üermenbet merben. ©oH
religiöfer ©taube bleiben, fo mufi er auf eine neue ©runbtage gefteüt
merben, unb biefe ift allein gu finben in ben Xfiatfadjen ber fitttic^en
SBelt. 2utf)er tjatte ben ©tauben grünbcn moUen auf ben gefd;riebenen
S8ucf)ftaben unb auf bezeugte gefct)idjtlid)e %^ai\ad)tu. üant grünbet
it)n auf eine emig lebenbige unb gegenmärtige Xtjatfac^e: auf taS^ fitt=
lid)e SöemuBtfein. 2)iefeg unb biefey allein füf)rt un§ über bie 9Jatur=
orbnung I)inau§, jmar nici)t burc£) SBiffen unb Söemeife, moI)t aber im
praftifdjen ©tauben. — ©0 ift t)ier bie gorberung ber ^Deformation
mirtlicf) bnrdjgefü^rt: nict)t pt)iIotogifd)e unb ^iftorifd)e 93emei§füljrung
au§ tanonifdjcn Südjcrn, nid)t pt)i)fifc^e unb metapt)l)fifd)e @pe!uIation,
auc^ nid)t eine äußere Autorität ift ber ©runb bei ©laubenS; er ftef)t
312 I.Sud): mttapijiiiit. 2. Kapitel: S5og fogmoIogiirf)=t^eoIogiic^e Problem.
auf \\d) jelber; ber SBille §um @uten ift ber @runb bes @(aukn§ an
bog ©Ute, ba§ f)eiBt an &oü.*)
33on ber S^iefe ber lImiDä(§ung, tt)e(cf)e bie fritijd)e ^^f)i(ojop^te
in ben köpfen {)ert)orrief, macf)en mir un§ je|t nic^t leidEit me^r eine
gureic^enbe 3]or[teÜung. 2^ie notürüi^e Xf)eo(ogie n^ar bem ai^t^e^nten
Sa§rf)unbert bie ©runblage jeines gangen 5)enfens, ja, ](f)ien if)m bie
ßJrunblage be§ gangen Se6en§ gu jein; fie antaften f)ie^ alle göttüdje
unb menfcfjlicfje Crbnung ouf ben Äopf [teilen. 3)?an f)öre einen ']o
frei benfenben 9J?ann mie Sßielanb:**) „S^er ölaube an ©Ott ni(i)t
nur a(ö bie er[te örunburfacfje aller S^inge, jonbern and) a(g unum=
frf)ränften unb (jöcfjften ©efe^geber, Sf^egenten unb 9^icfjter ber 3}?enjcf)en
mac^t, nebft bem Cölauben an einen fünftigen ßwfto"^ "Q^ ^^^^ Xoht,
bie erften örunbartifel ber ü^etigion an». 2)ie]en ©tauben auf aüe
mögliche SSeife §u befräftigen unb §u unterftü^en ift eine§ ber ttjürbigften
unb nü^ticf)ften ©efdjäfte ber ^t)i(ofopt)ie, ift in 3lü(ificf)t ber Unent=
bef)rü(f)feit beSfelben fogar ^flicfjt; i^n angufe(f)ten unb burc^ aüe
2(rten üon ^tt'eifeln unb @cf)eingrünben in ben ©emütern ber SJJenfi^en
ttjanfenb gu mad^en ober gar umguftoBen, fann nid)t nur gu gar nichts
f)etfen, fonbern ift im ©runbe um gar nichts beffer, a[§> ein öffentlicher
S(ngriff auf bie ©runböerfaffung be5 Staate^, monon bie 9leIigion
einen n^efentüc^en %ül au§mad)t, unb auf bie öffentliche 9f?ul)e unb
©idier^eit, bereu Stü^e fie ift. 3cf) trage alfo fein S3ebenfen, meinem
unmafegeblidjen 9iat an ben Äönig ober g^ürften, ber mid) (föiber alle§
93ermuten) nac^ 50 3al)ren etwa über biefe Singe um 9?at fragen
füllte, noc^ biefen Slrtifel l)ingugufe|en: ha\i ha^ ungereimte unb ärgerlidie
disputieren gegen ha§, 3^afein ©otte§ ober gegen bie angenommenen
S3eft)eife besfelben, ftienn man feine beffere gu geben l)at, imgleic^en ha^
öffentliche Seftreiten ber 2ef)re öon ber Unfterblic^feit ber Seele für ein
^(ttentat gegen bie 9Jienfc^l)eit unb gegen bie bürgerliche ©efellfdjaft erflärt
unb burc^ ein ausbrücflic^eS @trafgefe| oerboten n)erben foUte."***)
*) (Sine ctngc^enbe SJarfteÜung ber frttii(^en ^f)i(ofopliie ijahc id) in ber
(Sammlung ^^i{oiop^iid)er ftlQi'jifer (j^rommanng SSerlogj gegeben: gmmonuel ftant,
fein geben unb feine Se^re. 2. Sluflage 1899.
**) Über ben ©ebrourf) ber SSernunft in @laubengia(^en im Jieutfd^en iKerfur
öon 1788 (2Ser!e, ^empelfc^e 2tu§gabe XXXII, 336 f.).
***) Sn geberg 6eIb[tbiograpf)ie (S- ®. §• geberi Seben, 9?otur unb
®runbfä|e, 1825) mag man nadjtefen, lüie tief bie Umrcäl§ung in alle perfönlic^en
10. @efd)id^tltd^e ©ntreicfelung bet @otte§== unb SBeltoorfteaung. 313
^er SBiberfpruc^ ber 5((ten tüor üergeblicf). ^ont ^atte bie ^dt
itnb if)r tieffte» ^ebürfni^5 erfaßt. 5^ie jüngeren empf anbei: : f)ier jet
bal erlöfenbe SSort gefprodien, bie Reffet jene§ Äompromiffe» ätuijd)eu
äBtffen unb @Iaukn sevriffen; je^t bürfe bol SSiffen furd)tIol feinen
SSeg gu @nbe burdjmeffen, bie üieligion ^abe in bem ^er^en it)r un=
nerlierbareS ©ebiet. 5(uf bem burd) bie Sf^ieberlcgung ber „9]ernunft=
tf)eoIogie" frei geworbenen Soben baute nun bie $(}i(ofopf)ie, ber neuen
5reif)eit fro^, al^batb mit freubigem SBetteifer ibealiftifcfj-pantf)eiftifrf)e
(Si)fteme. ®ie ^f)i(ofop{)ie be§ neunse^nten Sat)rt)unbert§, im befonberen
bie beutfc^e, al§ bie füljnfte unb freiefte, ift burd; unb burdj panttjeiftifd)
ober monot^eiftifc^ in bem (Sinne ber g^ormel: ®ott aflein ift, alle§
ina§ ift, ift unb muB begriffen luerben in ©Ott.
Übrigen^ ift bemerfenSujert, baB ben ^t)i(ofopt)en bie ^ic^ter
öorangeeilt ttjaren. Sefftng, §erber, ®oetf)e f)atten fic^ ^u
©pino^a befannt, al§ bie ^^itofopfjen (man fe^e 5. S. ben Umri^ ber
©efdjid^te ber natürlid)en Xt)eo(ogie in geber§ Sogif unb S)ietapl)t)fif)
öon iijm nod) „n^ie oon einem toten §unbe" rebeten. ßeffing geftet)t
Socobi in einer Unterrebung ein :3af)r öor feinem 2;obe: „®ie ortf)o=
boren begriffe öon ber @ottt)eit finb nid^t niet)r für mic^, id) !ann
fie nic^t genießen. Tv uai jtuvI i^d) tueiB nichts auberl!" Unb
aU ber g^reunb öertüirrt erttjibert: er fei ge!ommen, um fid) bei if)m
§ilfe gegen ben ©pino^a ju I)oIen, antn^ortet Seffing: „^Serben fie
lieber gan§ fein g^reunb. @§ giebt feine anbere ^t)itofop{)ie al§ bie bc§
©pino^a.''*) ^erber folgt mit feiner ©d)rift: ©ott, einige ©efpräc^e
über ©pinojaä ©ijftem (1787). Unb @oet^e§ erfte ©idjtungen finb ganj
burd^tränft öon pant!t)eiftifd)em 9^aturgefü^( unb D^aturanfd^auung.
2Ba§ tt)är' ein ®ott, ber nur öon au^en ftie§c,
Snt Äreil ba§ 310 am gfinger laufen lie^e.
unb UmberfttätSöerl^ältniffe eingriff, g^^^r war lange ein beliebter unb berüf)niter
Se^rer ber ^i)i(ofop:^ie an ber ©öttinger Uniberfität geroefen ; "iia brad^te bo§ Stuf*
fommen ber Äantifdien ^f)iloiopI)ie in ben ocf)täiger ^at)ren i{)n bei 5lotIegen unb
©tubenten fo in SJiißac^tung, "iia!^ er freitoitlig fein Sef)ramt nieberfegtc unb bie ©tobt
»erlief. 9lud) mirb öon f)ierau§ bie Stiatfod^e boc^ DerftänbUd)er, bafe ben preufeifc^en
©taatllenfern, bie bem großen f^riebrid) folgten, bei ber <Ba<iit fo öngftlid) mürbe,
ba^ fie gegen Äant§ reIigionlpf)iIofopf)if(^e S5orIefnngen einfci^ritten.
*) %■ §• Sacobi, Über bie Se:^re be§ ©pinoja in 93riefen an |)errn äJiofe»
9JienbeI§fo^n. 1785.
314 1. 58uc^: aKetap^tjfü. 2. ffo:pitet: ®a§ fo§moIogtfc^=tf)eoIogifcf)e «ßroblem.
;3f)m äiemt'g bie SBelt im ^nnern ju bejtjegen,
Statut in fic^, fidf) in 9Jatur p I)egen,
©0 ba^, föa§ in i{)m lebt unb ttjebt unb \\t,
92ie feine ^raft unb feinen ®eift bergifst.
S)em ©türm unb Srang in ber Sitteratur folgt bann ber
(Sturm unb ^rong in ber ^l)i(ofopf)ie. 2Bie neue ©toQten unb ®t)nQ[tien
in ber gleichzeitigen grof3en politijcCien Sfieüolution mit jebem So^r
auftauchten unb oerfdjmanbeu, fo bradjte in 2)eutfd^taub jeber neue
g^rü^Iing ber SBelt einen neuen fpefulatinen ^t)iIofop^en unb ein
ueue§, mit bem 3(nfpru(^ auf abfolute SBeltljerrfdjoft anftretenbeS
©l)ftem. (Sinig finb alle in ber unüertjo^Ieneu 33eradjtung ber otten
tfjeologifdjen unb pf)iIofopf)ifd)en Drt^obojie, einig audj in ber Sftid^tung,
in ber fie bie neue 2Bat)rf)eit fud)en. S)ie atte ^t)iIofopf)ie ift beiftifd)er,
bie neue pant^eiftifd^er 9}ZonotI)ei§mug. S)er ®ei§mu§ fe^t ®ott
al§ fnpramunbaneä SSefen; er f)at bie SSelt mit allem, ma§ barinnen
ift, nac^ einem ^(an gemadjt unb auBer fid) gefe|t, nun läuft fie an
bem graben ber 9Zaturgefe|e ah, nidjt anber§ oI§ eine SiJJafdjine, bie
ein gefd)idter SJJeifter ju einem Beftimmten ^tütd aufgeftellt ^at. 2)iefe
iBorftellung üon @ott unb SSelt fommt ben neuen ^f)iIofopt)en nnfäglid^
platt unb gemein öor; fie gefjört bemfelkn platten 9f?ationaIi§nui§ an,
ber in ber geiftig=gefd)id)tlid)en SBelt a(Ie§ au§ flauen unb 2lbfid)ten
einzelner ableitet: bie Sprache unb bie 9ieIigion, \)a§> 9fied)t unb ben
Staat, alteä f)aben erfinberifdje 9Jienfd)en um ber großen 9^ü|tid;!eit
biefer S)inge mitlen auSgebad^t unb in§ SSer! gefegt; unb um berfelben
S'^ü^tic^feit ober S{nue!)mlic^feit ttjitlen verfertigen, nod) ber 93orftelIung
ber rationaliftifdjen 5lftf)etif, bie ^oeten ©ebidjte, bie Äünftler Söilb^
mer!e, bie 9)?ufi!er Xonmer!e. Unb eben je^t finb biefe 5tufge!(ärten
barüber, bie üollfonimene ©r^ie^ung gu erfinben unb bie üoHfommene
©taat^oerfaffung au§5uben!eu, um öermittelft ifjrer bann ben not^
fommeneu äRenfdjen §u madjen, mie Söagner in ber Üietorte ben
homunculus, otjue bie gemeine ^kturfraft, burc^ SSerftanb unb ^unft
erzeugt. 9^ac^ biefem if)rem eigenen S3ilbe ^aben fie fid^ nun and^ ein
S3ilb oon @ott gemadjt: er ift ber groBe DJJedjanifer, ber biefeS groBe
^uppenttjcater ber SBelt au§gebact)t unb angefertigt ^at.
S)ie Söerad^tung biefer 5(nfd)auung§meife ift ha^ erfte Äenugeid^en
be§ neuen 3eita(ter§. §t(§ organifdje SSeltanfdjauung fe|t e§ feine
©ebanfen ber med^auifd)en ber Stufflärung cutgegen; bie Kategorie
10. ®efd)id)tlicf)e (Snttt)tc!clung ber ®otteä- unb SlBeltborftellung. 315
be» 9JZacf)en§ nad; 5l6fiditen lüirb abflettiau, an i^re ©teile tritt bie
ovgonijdje ßutrairfetinu-j. 9(m evftcu tioU,^tet)t fic^ ber Umfd^wung Quf
bem äft^etijdjen ©ebiet, ^un[t unb 3)idjtuiig cnt[te{)t nidjt burd) %\u
fertigung md) einem ^lan, ha^ i)eiBt ed)te unb ur)prüugüd)e Äunft
unb 2)id)tung, benn bie ^Berje, njetdjc üon ben professores poeseos
unb il)rcn «Sdjülern ^u f)o^er ^erjonen (^Geburtstagen unb onbern
@elegenl)eitcn angefertigt lüerben, mögen immerfjin mit .^ülfe nou
©ottfdjebcnS ^idjtfunft ober einer anbern üernünftigen Einleitung gu^
ftanbe gebradjt werben; aber eine mirftidje ®id)tung mäc^[t üon innen
fjeranS, luie ein orgauifdjeS ©ebilbe mit innerer 9iotroenbig!eit jidj
entfaltenb. @o alle ^oIf§bid)tung, \o bie größte ^idjtung einer SSotf§=
fecle, feine Ü^eügion. § erber ift e§ nor allem, ber bie neue S(uf=
faffung geiftig=gefd)id)tlic^er ^inge Ief)rt, unb in ® o e 1 1) e erfc^eint
ber 3^id)ter nou ®otte§ ober ber Diatur ©naben in Ieibl)aftiger ©eftatt.
Stjren 2(bfd)IuB finbet biefe neue Slnfdjaunng aller S)inge in bem neuen
©otteSbegriff, in bem 53egriff ©pinojaS: @ott hax> Sdl^ßine, haS' in
ber 9iatur unb ©efdjidjte fid) offenbart. SSie ein Organismus, ober
mie eine poetifdje Sbee, fo entfaltet fidj ©otteS SBefen mit innerer,
ä[tf)etifd)-te(eo(ogifd)er DJotmenbigfeit in bie gülle ber ©eftatten beS
SBir!Iid)en. 3^ie Sciftung ber ^^i(ofopf)ie ift, ha^ fie biefen ^ro^e^
ber Selbftentfaltung beS 5(bfoIuten in ber bialeftifd^en ©elbftentfaltung
be§ iöegriffS barlegt.
g^ i dj t e mar eS, ber bie neuen ©ebanfcn ^uerft ^nm Sßernid)tung§=
fampf gegen bie alten ^Begriffe füfjrte. §atte Saut bie Segriffe be§
Deismus öon ®ott unb Unfterblid)feit fdjonenb bef)anbett unb fie of)ne
eigentlidje innere Umbilbung in fein (2i)ftem miebcr jugelaffen, nur
iljr Q^orjeic^en neränbcrnb: nidjt ttjeoretifd) gültige 33egriffe, fonbern
prattifd) notmenbige Sbeen, fo unternimmt e§ t^idjte, bie 93egriffe
fetbft als untauglidje, ja nidjtsmürbige auS ber SBelt gu fdjaffen.
@r finbet, fie ftammcn auS bem ßnbämoniSmnS, unb bamit ift baS
äJermerfungSurted bcfiegelt: G)ott ift nadj ber 35orfte(Iung ber natür=
üd)en 2:^eoIogie ein ©in^elmefen neben anberen, beffen eigentlidje 58e-
ftimmung ift, bem finnlid)en 9J?enfdjen in biefem ober bodj in jenem
ßeben jur ©lüdfeligfeit ju nerf)elfen. hiergegen empijrt fic^ ^idjteS
fierber, um nid)t ^u fagen, fanatifdjer 9}?ora(iSmuS; ein fold^er @ott
ift nic^t ©Ott, fonbern ein @ö^e. SUlein in ber moraIifd;en 3Be(t i[t
316 I- 33uc^: mttap^))\il 2. £opttel: ®a§ JoSmoIogifc^^^eoIogifc^e Problem.
@ott; in ber Stimme ber ^f(ic^t in beinern Snnern offenbart fic^ ein
Überfinnli(f)e§, ha§ ift @ott. 2I6er biefeg Ü6erfinntid)e nnn ttjieber
5U einer befonberen ©ubftang, ha§: l^eiBt, nod^ ber (Sinfid^t ber fritifdjen
^^ilojop^ie, §u einem in Qdt nnb 5Ranm feienben unb n^irfenben
SBefen gu machen, ha§> @liic!felig!eit fcfiaffen foK, ha^ ift gönsticf)
tt)iberf|)re(f)enb unb unmögtirf). Sn ber Appellation an ha^ ^nblifum,
in ber er ficfj ber gegen if)n erf)obenen 5Inf(age be§ 3(tf)ei§mu§ er=
we^rt, fpi|t er ben ©egenfa^ ber neuen ^t)i(ofopt)ie gegen bie olte
pt)i(ofop^ifc^e Ortl)oboj;ie §u fjeftigfter ?Inf(age gu: ber eubämoniftifc^e
2)ogmati§mu§, ber in ber natürlid)en 5lf)eoIogie fein SBeltj^ftem t)er0Dr=
gebradjt ()at, jene ^[)i(ofop^en, bie „ben Unenblid)en in einen enbtic^en
33egriff foffen unb bie 2Bei§!£)eit ®otte§ bettmnbern, bofe er a(Ie§ gerabe
fo eingerichtet ^at, rt)ie fie fetbft e§ oudj gemod)t []ätten," ober bie
i^n junt SSeltridjter madjen, ber hü^ Safter ftraft unb bie Sugenb
mit ©lücffeligfeit belohnt, in metc^er ^unüion er fic| ha^ SSerbienft
ermirbt, „mangelf)often ^oli^eianftatten na^guljelfen/' ba§ finb bie
n)ir!(id)en S{t§eiften. „@in @ott, ber ber Söegier bienen foU, ift ein
oeröc^tlid^eg, ein böfe§ SSefen, benn er unterftü|t unb üeremigt haS'
menfdjiidje SSerberben unb bie §erobn:)ürbigung ber S3ernunft. (Sin
fold^er ©Ott ift ganj eigentlid) ber ^ürft biefer SSelt." tiefem bienen
jene; „fie finb baf)er bie mafjren S{tt)eiften, fie finb gänä(id) of)ue ®ott
unb t)aben fid) einen Ijeillofen @ö|en gefdjaffen. 2)afe ic^ biefen i^ren
@ö|en nidjt ftatt be§ n^a^ren @otte§ n)ill gelten laffen, bie§ ift, ma§
fie S(tt)ei5mu§ nennen."
9Jiit ber großen ^Beübung, meldje in bem ßeben 5id)te§ burd)
biefe (Stellungna't)me gu ben ^errfdjenben SSorftedungen f)erbeigefü^rt
tt)urbe, ber (Sntlaffung au§ feiner Jenaer ^rofeffnr unb ber Über=
fiebetung nad^ 93erlin, tritt and) eine SSenbung in ber 9^id)tung feine§
^enfens ein. ßtoar bie ®runbanfd)aunng bleibt biefelbe: ber Stu§=
gang§= unb ®tü|pun!t jeber über bie p^ljfüalifd^e SInfi(^t fid^ er!^eben=
ben SSettanfc^auung finb bie (Srfal)rungen bes fitttid)en 2eben§; fie
fütjren ^um ©tauben an ein Überfinulidje§, ha^ freilid) nid)t at§ ein
(Sinjeltoefen ober eine befonbere ©ubftan^ gebodjt tuerben barf. Slber
er üoll^ietit eine grontüerönberung: bi§f)er loar feine 5(ngriff§front
gegen bie ftaat5firc^Iid;e Crt^obo^ne in ^^§iIofopI)ie unb 2^^eo(ogie ge=
richtet; je|t n)irb fie gegen bie negatioe Stufftärung gettjenbet. @o
10. ®efd^id^tli(^e entiüidelung ber ®otte§= unb aSeltöorfteaung. 317
erl^otten feine S^orftellungen einen pofitioeren (5f)Qra!ter; n)Q§ ®ott
nnb göttlid^eg Seben in iföaljvtieit fei, letjt er in ben 9^eben einem
gebilbeten ^ublifnm bor, ha§^ if)m nic^t fo )ef)r ein ^imd an @(anbenö=
artüeln, qI§ ein 3"^eni9 ön ©louben mitzubringen fdjeint.
3n bem ^al^r be§ 5(t^eilmu§[treite§ (1799) erjcfjienen aud)
© d^ t e i e r m 0 d^ e r § Sieben über bie Ü^eligion an bie ©ebilbeten unter
if)ren 9]eröd^tern. ®ie fagen ficf; nitfjt minber entfd)ieben non ben
überlieferten ^öorftellungen ber pf)iIofopf)ifcf)=fird^Iid)en Crtfjoboi'ie Io§.
9cirf)t in ber Seigre unb nicf)t im .^anbeln ift bie 9ieIigion urfprüngticfj,
fonbern im ©efü^t; in it)nt luirb ha§> Gnbtirf)e be§ llnenblid;en unb
©inigen unmittelbar inne. Sebe§ mof)re ©efül^I, ha§> au§ bem ©angen
be§ ©emütö fid^ ergebt unb auf ha§: ©an^e ber S)inge belogen mirb,
ift religii)§; bie ®f)rfurd^t, bie Semunberung, bie f^reube, bie Siebe,
bie 5)anfbarfeit, bie ®emut, bie Stnbad;t, bie burdj eine 33erüt)rung
mit 9catur- unb 9J?enfdjenIeben erregt n)irb, n)irb §ur 9icgung ber
grömmigfeit, fofern in unb mit biefen ßiuäelnen „ha§i ©anje al§ bie
Offenbarung @otte§ un§ berüljrt unb atfo nidjt (äinjetneS unb (5ub=
\id)t§>, fonbern eben @ott, in meldjem ja allein and) ha^^ Sefonbere
ein unb alleS ift, in unfer Seben eingef)t, unb fo and) in un§ felbft
nid)t etma biefe ober jene einzelne ^unftion, fonbern unfer gange^
SBefen, tt)ie n)ir bamit ber SBelt gegenübertreten unb ,^ug(eid^ in i^r
finb, atfo unmittelbar ha§> ©öttlii^e in ung, burd) ha^ @efül)l erregt
luirb unb ^ernortritt." dagegen „bie gemö^nlid)e 95orfteIIung oon
©Ott at§ einem einzelnen Söefen aufeer ber 3Sett unb t)inter ber SSelt
ift nid^t bal ein§ unb alle§ für bie Sfteügion, fonbern nur eine feiten
ganz reine, immer aber un^ureid^enbe 5(rt fie au§äufpred)en. SBer fid)
einen foldjen begriff geftattet auf eine unreine 2öeife, meil e§ nömlid)
gerabe ein foldjeg SBefen fein muB, ha§ er foU braudjen fiJnnen ju
STroft unb §ülfe, ber !ann einen fo(ct)en @ott glauben, o^ne fromm gu
fein. — Unb ebenfo ift ha^ ^\d unb ber (£f)ara!ter eine§ retigiöfen
2eben§ nid)t bie Unfterblic^feit, mie Diele fie münfdien unb an fie
glauben, jene Unfterblid)feit onfeer ber ß^it "nb {)inter ber ßeit, ober
nielme^r nur nad^ biefer ^ät, aber bod) in ber ^txi, fonbern bie
Unfterbüdjfeit, bie mir fd^on in biefem jeitli^en Sebcn unmittelbar
()abeu !i3nneu, unb bie eine 5Iufgabe ift, in bereu Söfung mir immer*
fort begriffen finb. 9)2itten in ber (Snblid)!eit ein§ merben mit bem
318 I. S3ud): SWetap^^f. 2. Äapitel: ®og fo^mologifc^^fieologiic^e 5ßroHem.
Unenblic^en unb elüig jein in jebem 5(ugenblicfe, ta§> \\t bie Un[ter6=
lic^feit ber ^^eltgion."
Sil 8 d} e I ti n g folgt bem in o r a I i [t t j cf) e n ein natura»
liftifdjer ^antt)ei»muö. 3^ie 9iatur ift if)m nirfjt ein btoBer Sd^ein,
ben bas ^d; n^irft, jonbern, lüie bem Spinoja, bie eine «Seite ber
SBirftic^feit, beren anbere Seite ber öei[t, beffen Entfaltung bie @e=
fi^ic^te ift. ®a§ 3bentität§ft)ftem, U)ie e§ §. 33. in ben S^orlefungen
über \)a§> ©ijftem ber ^f)i(ofop^ie üom Sa^re 1804 öorliegt, fdjIieBt
fid^ on ©pinojal Kategorien fo eng an, ba^ faft jeber <Ba1§ ber @tf)if
barin njieber üor!ommt. 5(I§ feine näd)fte 5(ufgabe fie^t Sc^eüing an,
bie SSiffenfdjaft bon ber 9Jatur aus bem ftägtidjen ßuftai^'^ß/ ^" ^ßi^
fie bem jngenbtic^en ^^itofop^en fic^ §u befinben fd)eint, emporgu^ieben,
ben Raufen ^ufäUiger unb jerftreuter Äenntniffe in ein @i)ftem rationaler
(Sinfic^ten gu uermanbeln. 3^a§ ßid ift, bie gefamte DIatur al§ ein
ein^eit(id)el, burd) innere, logifc^^äftfjetifc^e DZotmenbigfeit bet)errfc^te§
(St)ftem baräuftellen ober bie in ifjm feienbe ä^ernunft an ben Xag ju
bringen.
§egel§ ^t)ilDfopt)ie enbiid^ fjat man nid)t unfdjidlic^ (ogifdjen
^ünt^ei§mn§ genannt. (Sie ge^t barauf au§, bie DZatur unb ©efc^idjte
in einem allnmfaffenben St)ftem al§ bie mit innerer logifc^er ober
bialeftifc^er Diotmenbigfeit fid) üollgie^enbe Setbftentfaltung ber Sbee,
beö ibecUen 3SirfIid)feit§gef)aIt§, gu begreifen. SSie in bem @eift be§
S'iditerä bie Sbee einer 3)i(^tung, be» §amtet, be§ ^^aiift, fid^ in eine
33ie(f)eit öon 9JZomenten, öonbtungen, ^erfonen entfaltet, um enblidE) at§
ein ein!^eit(id)e^ Öjan^eö üor nnl ju ftetjen, in bem jebe§ (Sinjelne feinen
notU)enbigen Drt {)at, fo ift bie SBelt ober bie SBirüic^feit, bie in 9latur
unb (Sefd)idjte öor un§ fic^ ausbreitet, ein einf)eitüdje§ öan^es, in bem
jebe§ Gin§elne feine Stelle mit (ogifd)=äftf)etifd)er Slotujenbigfeit ein=
nimmt. SBie tt)ir eine Sid)tung bann gu nerfte^en meinen, wenn n)ir
fe^en, ttjie gur SDarfteüung ber einen ^bee jebe Scene, jeber Sßorgang
erforberlic^ ift, fo ha'^ ein 5{u§fal( ai§i eine merftic^e ßüde empfunben
mürbe, fo fjätten mir eine üoUtommene (SrfenntniS ber großen QÖtU
lid^en 2;i(^tung, bie mir bie SSelt nennen, menn mir in berfelben
SBeife jebe natürlidje ^orm unb 5lraft, jebe gefc^idjtüdje S3ilbnng a(§
ein jur 2;arfteUung bes ©anjen innerlich notraenbiges 9J?oment bar=
ftellen fönnten. S)a0 leiften bie SSiffenjdjaften nic^t, ja fie ge^en
10. ©ejc^ic^tlic^e entroidelung ber ®otte§- unb SSeltöorftellung. 319
ni(i)t einmal barauf qu§. 3)ie Skturroiffeufdjaften bringen 3:f)atia(f)en
§nfammen nnb judf)cn fie unter gormein ju becjreifen, i;)el(i)e Blofe
ändere ßnjammentjänge auSbrüden, bie itaufatgefele; ober fie laffen
bie 2:^atiad)cn unb bie ©efe^e a(§ blinbe brutale g^^ta [tetjen. Unb
nid^t anbcr§ (jalten e§ bie gejc^idjtlic^en gorfcfiungen, and) fie bringen
enblofe 9}iaffen oon 2f)atfac^en sufamnien, iierfucf)en fid) aud) an einer
Strt faufaler 5lonftruttion, aber bie ^^rage nadj bem Sinn biefer J^at=
fachen beantworten aud) fie nic^t, ja fie fteüen fie nic^t einmal 3)a^
ift nun bie 5(ufgabe ber ^^Ijilofopl^ie. SBa§ bebeutet bie 9^atnr? morin
liegt bie innere 9iotmenbigfeit all ber S^orgiinge unb iljrer ©efe^e,
ber medjanifdjen, ber d^emifd)en, ber organifc^en? n)a§ bebeutet bie
©cfdjidjte im öan^en, raas ift ber ©inn, ber fid) in i^r ausbrüdt?
luoju mußten alle bieje 33ölfer, bie (5f)inefen unb Snbcr, bie ^erfer
unb ^ilgl)pter, bie ®ried)en unb üiömer über bie ©rbe geljen unb in
Staat unb Üied)t, in Üxeligion unb ^unft fold^e (äntmidetung erleben?
^a§ finb bie fragen, auf loeldje bie §egelfd)e ^l)ilofopl)ic bie 51ntmort
geben mitl. ©ie Juill fagen, loa» ein jebe§ eigentlidj ift, inbem fie
feinen ©inn im ©an^en ber S^inge aufzeigt. Unb inbem fie fo ben
einen hü§^ 5111 burd)bringenben ©inn, bie Sbee ber Sßirflidjfeit, ent=
föidelt, ftellt fie @otte§ SBefen unb Seben felbft bar: @ott ift nic^tä
anbere§, al§ ber eine, feieube, lebenbige, jum ©elbftbemuBtfein fic^
entmideinbe SBeltgeban!e. 5lber aud) bie äöirflidjfeit ift nichts anbereä,
niimlidj bie SBirflidjleit, Xük fie an fid^ f eiber ift: fie ift ganj lebenbige,
fid) entfaltenbe, im ©elbftbemuBtfein fid) felbft erfaffenbe Sbee; ein tote§,
ftarreg, bloB feienbeS ©ein ou^er ber Sbee fommt nid)t in ber 2Bir!«
Iid)feit, fonbern nur in ben oergeblidjen Siorfteßungen einer in §lb=
ftroftionen ujol^nenben ^l)ilofopl)ie oor. Unb barum ge^t bie äöelt
in ben ©ebanfen ber n)al)ren ^l)ilofop()ie auf, tt)eil fie felbft ©ebanfe
ift. — ©0 !ef)rt in ^egel bie moberne ^l)ilofopl)ie 5U i^rem 2lu§=
gangSpunft in ber platonif(^»ariftotclifd)en ^l)ilofopI)ie jurüd: bie 3Sirf=
Iid)feit ift ein äum ©elbftbemujstfcin fid; entfaltenbe^ (^ebanfenfi)ftem,
vör)öis vorioecjg; bie ^^ilofopl)ie ift ^0.% 9lad)benfen ber objeltioen
©ebanfenbcmegung.
3)ie 3^^^ iuo biefe @eban!en bie geiftige SBelt ®eutfd)lanbc^ be=
{)errfd)ten, mo bie allezeit be§ 9kuen begierige ^ugenb Ijerbeiftrömte,
um ben ^lugenblid be§ ©rmac^enS be§ abfoluten @eifte§ gum öoüen
320 I. 93uc^: SüKetap'^^fif. 2. Äopitel: ®a§ fo§moIo9ifc^«t:^eoIogticf)e «Problem.
©elbftbetüu^tfein mitzuerleben, i[t läitgft hatj'm. ®ie bialeftifc^e 9lac^=
bilbung ber (Selbftbeiüegung ber Sbee ift üerfctjotlen. ®er glaube,
baB 8d)eIIing§ ober ^egelS ^f)i(ojop'^ie bie 9?atur unb ®ejdf)idjte in
i^rer innern 9Jotn)enbigfeit \o burcfjjidjtig gemadjt ^ahi, wie un§ ein
trefflidjer ©rüärer ein ®rama @f)Q!e]peare§ ober ®oet^e§ burdjfidjtig
mad)t, ift un§ faum me^r üerftänblid); xdix t'ömmx barin nid)t üiet
me^r aU eine luiUfürüdj fdjematifierenbe 2(norbnung ber allgemeinen
formen ber SBirüidjfeit erbliden. Unb gan^ befremblid) ift un§ ber
^oc^mut, mit bem biefe nnbeftimmten Sf^effeyionen über bie 2öirfüd)teit
im allgemeinen, bie mie mogenbe Giebel balb biefe, balb jene ©eftalt
annelimen, jid^ gegen bie mijjenjdjaftlidjc gorfdjung al§> bie unenblid)
ttjidjtigere unb t)ornet)mere Seiftung ergeben.
(Sine§ ift ber beutfdjen ^t)i(oiopf)ie bennod) geblieben: bie @e=
famtanfdiauung ber 3Birftid)!eit, oon ber bie (Spehilation ausging.
9(ud^ mir jucken noc^ ben HbfdjtuB ber @eban!en, auf bie un§ bie
S3etradjtung ber 2öir!Iid)!eit fü^rt, in berfelben 9?ic^tung: ein ibealifti=
fc^er 9}?ono= ober ^antf)ei§mu§, ba§ ift ber ß^elpunft, gegen ben bie
®eban!en ber träftigften unb befonnenften 2)enfer and) t)eute nod} fon=
öergieren. g^ e c^ n e r unb S o 1^ e mögen at§ bie güt)rer auf biefem
2Bege genannt fein. So^e fuc^t bem Qiä burd^ abftraft=metapl)i)fif(^e§
Sfiäfonnement fid) ^n nähern; gefc^ic^tS- unb retigion5pt)iIofopf)ifd)e 53e=
trad)tungen merben jur llnterftü^ung ()erange5ogen. 3^ed)ner bleibt
9^oturpf)ilofop§, in ber fidjtbaren 2Se(t fuc^t unb finbet er überall
©tjmbole be§ Unfidjtbaren.
3og'E)after unb mie oon ferne ftet)enb beutet bod^ audj bie
pofitiüiftifd)e 9^id)tung auf biefe§ ^iä I)in. §. (Spencer mag al§
i^r ^lepräfentant reben. 3n einer bemer!en§merten $8etradjtung, mit
ber er bie S^arftellung ber religiö§=fird)üc§en (gnttüidetung in ber
(Soziologie (§ 659 f.) abfd)IieBt, füf)rt er au§, ha^ haS^ (Srgebni§ ber
miffenfdjaftlic^en örforfdjung ber 2Bir!(id)!eit feineSmegs ba^ @nbe ber
religiöfen S^orftellungen überl^aupt bebeute. „inmitten oll biefer ©e-
{)eimniffe, bie bem g^orfc^er um fo gefjeimnisöoller merben, je met)r er
über fie nad)ben!t, bleibt it)m ftet§ bie ©emiB^eit, ha^ er ftc^ einer
unenblidjen unb emigen (änergie gegenüber befinbet, ber afle§ ®afein
entftrömt." SSas ift biefe Energie? „®a§ Gnbergebnil ber Spefulation,
bie fd)on oom primitioen 9}ienfc^en (in ber ©eftalt beg Stnimismuä)
10. Oefc^ic^tlic^e entioicfelung ber ®otte§- unb Söeltöorfteaung. 321
begonnen i[t, i[t alfo, hü}^ bic 9)?acf)t, njetc^e ficf) in bem ganjen al§
materielle 35JeIt unterjdjiebenen Uniüerfum !unbgiebt, ein§ i[t mit ber
9D?ad)t, bie in ber ^orm non 93en;nBtiein an^ unferem eigenen Snnern
f)eroorc|uint." „3Benn ber 9iaturforfdjer fief)t, ttiie bie feften S^örper,
fo tot fie erjc^einen, fid^ bodj gegen nnenblid) frf)tt)acfje Gräfte empfinb=
(ic^ jeigen, luenn bo» ©peftroffop i^m beiueift, mie geiüiffe SOioIefüIe
Quf ber (grbe (jQrmonijd^ fd[)lüingen mit foldjen onf fernen ©eftirnen,
tuenn fic^ if)m bie Überzeugung aufbrängt, ha% jeber ^unft im fHanm
üon unjätjligen (Sd)mingungen erfüllt ift, bie it)n jeben 5(ugenb(ic! nad)
QÜen 9iid)tungen burd^eifen, bann neigt er gelüife öiel meniger ^u ber
S^orftellung uon einem UniDerfum, bü§ nur au§ toter SDZaterie befte^t,
a(§ 5U ber S3orfteIlung oon einem Uninerfum, ba§ aüüberaü belebt ift,
nid^t §tt)ar belebt in bem gemö^nüd)en befcE)ränften, mof)I aber belebt
in einem allgemeineren @inn."
©amit tt)irb aud) ^ier fRaum für fi)mboIifd)en 5Intl)ropomorpt)iö*
mu§ unb ibealifierenbe metapf)i]fif dje 93egriff§bid)tung, wie fie 5(. Sauge,
ber Vertreter be§ ^ofitioiÄmuS in ^eutfdjlanb, für unentbef)rlidj ^ielt.
^erfdjiebene SSege treffen am felben ^iel äufammen.
Überbliden wir jum (2d)(u^ ben ©efamtüeiiauf ber longen @e=
banfenbemegung, fo lä^t er fid) fo au»fpred)en. 2)ie üleligion f)at
me^r unb met)r bie (itemente au§gefd)ieben, bie am 5lnfang im ^orber=
grunb ftanben: bie t^eurgifd)e ^ra!ti! unb bie mi)tf)otogifcE)=!o§mogonifd^en
Fabeleien. S« bem 9)?aBe al§ mit fteigenber allgemeiner Ä'ultur bie
tuiffenfc^aftlic^e 9^aturerfenntni§ unb bie l^ierauf beruJieube tedjnifd)e
9taturbef)errfd)ung junimmt, in bemfetben 9J?afee üerfdjwinbet ba§ alte
3auber= unb gabelmefen. S)agegen tritt me^r unb me^r ba§ et^ifd)e
9)?oment, haS^ urfprünglid) nur neben{)er gef)t, in ben ^öorbergrunb, ha^
SSefen be^ ©öttlidjen wirb beftimmt burc^ ha^ fittlid;e @ute. 5(nberer=»
feit§ §ief)t fid) bie SSiffenfd)aft mef)r unb me^r öon bem Gebiet ber
Ü^etigion gurüd. 2)ie bogmatifdje Crttjobo^-ie, bie mit Gegriffen, bereu
9}JögIidjfeit menigftenS für tf)eoretifd) beweisbar galt, bie dlatnv be§
Senfeitigeu 5U beftimmen trachtete, ift ebenfo wie bie natürlidje Xf)eo=
logie be§ ad)täe§nten Sflf)rt)unbert§, bie auf bemfetben 53obeu ftanb, nur
ba^ fie ben ^rei§ be§ beweisbaren enger 50g, aufgegeben. S(ud) bie
pt)i(ofopl)ifd^e ©pefulation, bie bic 2öirflid)feit mit abfohlten Segriffen
§u erfd)üpfen badjte, ift aufgegeben. 5^ie ^f)iIofopf)ie ift befdieibener
»CiiiilftMt, Ginleituug. ü. 3hifl. 21
322 I- 93uc^: Wlttap^\)\it. 2. Äopitel: ®ol !o§moIogtfc^=t:^eotogtfcf)e «ßroblem.
genjorben; bod^ glauBt fie gu fef)en, ta^ bie Xf)Qtjac§en imfer 3)enfen
anleiten, eine Ie|te allumfaffenbe 2Befen§einf)eit be§ SBirflid^en an§u=
nef)men, eine ©in^eit, bie nicfit äufeerlid^e nnb zufällige @in{)eit eine§
mec^anijd^en ©t)ftem§ fein fann, fonbern noclj Strt ber inneren @inf)eit
eines geiftigen SBefenS gu ben!en ift. 2luf bie 5lu§fü^rung biefeS ®e=
ban!en§ ober tiergidjtet fie; fie ü6er(äBt feine ßrfüllnng ber f(^öpferifd)en
SDidjtung be§ religiöfen ®enin§. @r giebt, vok ein fc^affenber Äünftler,
ber Sbee be§ SBoIIfommenen anfdjauüd^e ©eftalt; er beutet burc^ SBorte
unb ST^aten, burc^ 2ef)re unb Seben ben ©inn be§ großen @e^eimniffe§,
ha§: roh Sßirüi^feit nennen. —
Sei) U)ei^ h5ot)(, öon anberen n)irb SSerlouf unb Qki ber ge=
fd§irf)tli(i)en 6ntn)i(fe(ung anberS aufgefaßt. Sßiele finb mit 2. 3^euer =
had) überzeugt, bie grofee @r!enntni§ unfereS Scif)rf)unbert§ fei bie,
hü'B nidjt ©Ott ben 9}Zenfd)en, fonbern ber SOZenfd) ®ott
gef(f)affen l)ahi. Sf)nen ftiirb bie I)ier gegebene Darlegung alt=
mobifd) unb rücfftönbig üorfommen.
Sd^ tt^ill nienmnb in ber ^^ifi^iei^en^eit mit feinen ©ebanfen ftören.
S)od^ !ann id^ mir bie 53emer!ung nidjt oerfagen, bafe mir bie SSaf)r-
l^eit ber erften g^ormet bie ber gmeiten nid^t ausgufdE)üeBen fd^eint. SdE)
bin gong bereit ben @q| ^upgeben: ber SDZenfd) ^at @ott gefdjaffen,
nämlid^ in feiner 35orftelIung unb gmar nad) feinem eigenen ^Bilbe.
SDomit ift aber ber anbere (Sa| nid^t untierträgtid): ©ott f)at ben
9}?enfd)en nad^ feinem Silbe gefc£)affen, nun aber nid^t blofe in ber
9]orfteUung, fonbern in ber 2Birf(id)!eit. ®er SlRenfd), fagt jene ^^t)iIo=
fopt)ie, ift ein ^robuft ber 9iatur. ©idjerlid). ?Iber ma§ ift ba§, bie
^Zatur? Sin großer §aufe oon unenblid) !(einen ©onbförnern? Unb
au§ i^nen follten burd^ blo^e 9lebeneinanbertagerung fül^Ienbe unb
ben!enbe SSefen tjeroorge^en? 3)a n^irb bodj moi)I, mit ©oettje ju
reben, ettt)a§ S{non^me§ babei im ©piet gettjefen fein. — Unb ein iüenig
!önnte jene ^^ilofop^en, bie ba§ önbe be§ (SotteSgtaubens fdf)on mit
§änben §u greifen meinen, bod) and) ber Umftanb ftu|ig mad)en, baB
alfo nad^ if)rer Xfieorie bie (Srgeugung, Umbilbung unb enblidje 3Iu§=
ftofeung einer pt)antaftifc^en ©inbilbung ben mefentlid)en Snf)alt ber
gangen bi§l)erigen 3)^enfd)f)eit§gefd)idf)te au§gemad)t ^abe. ®enn ba§
ift ja eine ungmeifel^fte ^f)atfad)e, ha^ alle gröBten gefd)ic&tlidt)en
Semegungen religiöfer 9^atur maren; Subbt)i§mu§, ßf)riftentum,
10. ®eic^ict)tUd)e (Sntoicfelung bec ®otteg» unb gBeltöorfteUung. 323
9J?u^ammebQni§mu§, Sfieformation, bog finb bie größten SE^emota ber
bi§f)erigen @efd)icf)te. (Sollten bie 3Be(t unb ber ÜJJenfdientjeift wirflic^
jo fettfam eingeridjtet fein, ha^ fie beim ßiij^nimentreffen mit einanber
tjerabe ben großen Irrtum jeugen mußten?
5(ber bie 3"^""^ i'^S^'" Ü*^/ ^^^ Q^W «nenblidje ß^^^ii^ft Q^^öxt
ber öon 33ornrteit unb ?(6erg(Quben gereinigten SSernunft, gel)ört bem
t)on ^tjantafie unb ®id)tung nicf)t geblenbeten reinen SSiffen. — ^d)
roeiB nic^t, moS ben geiftigen Snf)Qtt ber 3"^unft au§mac^en tt)irb.
2)orf) mürbe id) nid)t miberfprec^en, raenn jemanb bef)auptete: bie S8or=
[teüung, ha^ bie 2öirtlid)feit in 2ÖQ^ri)eit nic^tä qI§ ein Stgglomerot üon
fei)r tieinen Äörperd)en )et, merbe einmal fünftig lebenben @ejd)(ed)tern
al§ eine ©pifobe feltfomfter ißerirrung be§ 3J?enfdjengei[te§ erfd)einen.
9(uf einen 5Iugenb(id, mit bem 3}?aB[tab ber 3at)rt)unberte gemefjen,
^abe ber er[taunlidje gortjdjritt mat()cmQtijd)=pf)l)fifa(iid)er örfenntniS,
äufammentreffenb mit Ä^onfeffion§ämang unb politifd^em ^erberben ber
Sfidigion, in mand)en 5iöpfen eine fotdje ^Serblenbung ju SBege gebrad)t,
hü^ fie in ben Söafju gefallen feien, ber ©eift fei etmaö ber SBirflidjfeit
abfolut grembe§, unb e§ fei nöUig rätfeU)aft, mie er eigentlid) Ijaht
t)erein !ommen ÜJnnen. Gegenüber foldjer 35erirrung, bie nodj bo^u
mit bem ftoljen Semufetfein, auf bem ©ipfel menfc^lidjer Sitbung gu
ftctjen, aufgetreten fei, fo roerbe einmal bie B^^unft urteilen, erfdjeine
i^r ber ärmfte ©ö^enbiener, ber üor einem @eift in ben fingen fic^
auf bie Änie merfe, al§ ein SBefen, bem bod) eine ^l^uung üon bem
SBefen ber 3)inge aufgegangen fei.
^d) M einmal irgcnbmo ein Sßort oon Sean ^aul: „2Bie fid)
bie 3Bolfen fo oiel anmaßen, al§ geljörten fie ^um §immel unb ju ttn
©ternen, inbe§ fie un» nid)t üiel ferner fte^en al» unfer groftatem."
^a§> SSort mag auc^ oon ben 9J?einungen berer gelten, bie ben un«
enbtidien §immel oor bem Stiebet i^rer furzen ©ebanfen nic^t fe^en
unb nun behaupten, e§ gebe gar feinen Apimmel, ha§^ fei nur ein alter
Stberglaube, niemals Ijabe itju jemanb gefe^en.
Will erfc^eint ber negatioe 3)ogmati§mu§ be§ 9JJateriali»mu§
lebiglid) al^^ ba§ ©egenftücf beö pofitiüen Dogmatismus ber alten tf)eo»
togifdjen Crtl)oboi-ie. 3^eibe !ommen überein in ber Sluffaffung ber
Dieligion als einer Summe bud)ftäblid) ju faffenber, mit bem i^crftanb
oufjuneljmenber 2el)rfä|e, nur \)a^ ber erfte nein fagt, too ber sroeite
21*
324 I. SSud^: Wtttap^\it 1. topitel: ®a§ foSntoIogijdEi-t^eotogiid^e «ßroblem.
ja fagt. ©ie !ommen überein in bem f)Qrten 3nteüe!tuaü§mu§, ber für
3)icf;tung unb Ännft feinen (sinn t)Qt. ©ie fommen oft oncf) überein
in einem garten äUoroIismuS, ber für Snbioibualität unb greil)eit be§
beifügen feinen (Sinn ^at; fie fomnien enblirf) überein in einem I)errfcf)=
fü(f)tigen ^nnati§mu§, ber üon jebermonn abjolute Unterioerfung unter
bie eigenen ^efenntni^formeln, negatioe wie pofitiüe, forbert.
11. ®a§ ^evf)ältnU von SBtffcn unb ©lauben.
Sn einer ©c^IuBbetrac^tung möchte ic^ nod) meine Stnfic^t über
ha§> im S3i§f)erigen lüieber^ott berüf)rte S3ert)ä(tni§ oon ^^ilofopf)ie unb
Ületigion, üon SBiffen unb ©tauben, ^ufammenfaffenb bartegen.
^t)itofopf)ie ift nic^t 9?etigion unb fann nid)t an i^re ©teile treten,
©ie tt)iü nid;t ein ölaube fein, fonbern ein SBiffen. 2)ennod) enthält
jebe ^^ifojopf)ie, fofern fie ^()i(ofop()ie in bem alten ©inn, 2Be(t= unb
SebenSanfc^auung, fein lüitl, ouc^ ein ölement be§ ©laubenS in fid;,
bo§ bie SSiffenfc^aft al§ fotc^e nidit enttjält. Sebe ^^itofop^ie ge^t
gule^t barauf f)inau§, ©inn in bie ®inge gu bringen ober oielme^r
ben ©inn, ber in ben SDingen ift, auf^uäeigen. S)iefer ©inn ift ober
im legten @runbe immer eine (Bad)z nidjt be§ 2Siffen§, fonbern be§
SBiüenS unb @Iauben§. 2ßa§ bem ^f)iloiopf)en felber ha^ Ijödjfte @ut
unb le^te ^kl ift, ha§> fief)t er in bie SSelt als i^r @ut unb Qki
f)inein unb meint e§ nun aud^ burd) t)interf)erfommenbe Söetrad^tung
aU foldjeg barin gu finben. Sn biefem ©inne ift has^ 5(uguftinifd)e
SSort: fides praecedit ratiouem eine allgemein menfd^Iid^e SBa^r^eit,
ja ber eigenttid)e ©c^Iüffel gum Sßerftänbni^ aller ^t)ilolopl)ie.
®ie ^ad}t liegt auf ber ^anb bei aller ibealiftifc^en ^^ofopfiie.
5Da§ ^kl, bem bie SSirflid)feit ^uftrebt, ha§^ ift bie gemeinfame @runb=
Überzeugung alle§ objeftioen Sbeali§mu§, ift ha§: ju fiel) felber fommen
ber äöirflidjfeit: an fidj ©ebanfe feienb, loill fie fic^ ül§ bas, tt)a§ fie
an fid^ ift, erfaffen, al§ ©ebanfen ober Sßernunft n)iffen. S)ie ^egelfdjen
gormein begeidinen bie ©runbanfdjauung biefer SDenfmeife ju allen
Reiten. ®a§ emige gürfid)jein ber ^been, has ®enfen be§ abfoluten
2)enfinl)alt§, mit bem ariftotelifdjen 2lu§brud, ift ®runb unb ßid ber
SBirfüd^feit, ja, ift bie SBirflic^feit fclbft.
S)er le|te ©runb biefer Überzeugung liegt l)ier nun offenbor in
bem eigenen ©rieben. 3!)em 5lriftoteleg mie bem ^loto tt)ar
11. S)o§ SBer^ältniä üon SQSiffen unb ©tauben. 325
^^ilofop^ie bie fiöd^fte 5tnge(egenl)eit be§ eigenen öeBeng. 5((fo ift fte,
fo fonftrnieren fie bie Sadjc in ber @tf)if, ber l)ödj[te 3nf)alt unb ha^
I)öcf)fte ®ut be§ menfcf)Iid^en fiebenS, aljo, fo folgert bie SOZetap^nfi!
weiter, ha^^ f)örf)fte 3^^^ oüe§ Seben§ unb 3)afein§ überhaupt. ^a§
SlIItt)irf(idf)e, bie @ottf)eit, ift nacfj bem @rf)ema be§ fleinen @ebanfen=
benferS aU ber gro^e ©ebanfenbenfer gebaut. (Sbcnfo ift für girf)te
ober ^egel ^f)iIofopf)ie bie n)id)tigfte unb bebeutenbfte unter oüen
^fiatfac^en, bie bie 2Be(t überf)aupt bietet; folglich ift hci^ 2)en!en ©runb
unb 3iel, ja ha§: eigentücfje ©ein ber 2öelt. .^ätte man ^idjte gefragt,
n)et(^e§ Ereignis er für ba§ roid)tigfte be^ 18. SaJ)vf)unbert§ ober auc^
ber neueren ^ni überf)aupt ^olte, er ttjürbe tt)of)( feinen ^ugenblicE
gezögert ^aben gu antworten: ha§: 5(uffommen ber 2öiffenfc^aftg(et)re,
bie mit ^ant anfange. Sn ben üieben über bie ©runbjüge be§ gegen*
Wörtigen ßeitatterS fonftruiert er ha§> ©anje ber ®ef(i)ic^te; fie bre{)t
fiel) um bie neue ^^i(ofopf)ie al§ if)ren 5tngelpunft: bie groBe SSenbe ber
ßeiten, ber Übergang öon ber abfteigenben gur auffteigenben 58eroegung
wirb burc^ ha§' ©intreten ber 2ranfcenbentaIpf)i(ofopf)ie be^eidjnet; in
it)r beginnt bie S^ernunft, bie fic^ on bie 9?otur üerloren ^atte, fic^
felber mieber gu gewinnen. S3ci .^ e g e I münbet ebenfo ber SBeltprogefe
unmittelbar in feiner ^;pf)iIofop^ie; in it)r erreicht bie 2öirf(idj!eit ba0
3iel i^rer ©elbftbewegung, ha§^ abfotute ©elbftbewuBtfein. (2o inter«
pretiert ber ^l)itofop^ \)a§> Unioerfum au§ fic^ felbft unb feinen ^ödiften
Jöeftrebungen. 3}er SSeltproseB nimmt feineu SBeg immer mitten burd)
ben Äopf be§ ^f)i(ofop()en fjinburd).
S)ie <Bad)t ftet)t nid)t anberS bei @c^open()auer, bem
5tntipoben §eget§. 2(ud) er interpretiert bie Söett au§ feinem eigenen
SSefen; im eigenen fieben^äiel ge^t if)m ha^ ßiel ber 2öelt auf. ®ie
3BeIt al§ SBtae unb SBorfteüung nennt er fein ^auptwerf; er felbft
ift ta§^ dJlohdi ber SBelt; i^re beiben (Seiten finb bie Seiten feine§
eigenen äöefenS, ^nteüigens unb SSiüe. Unb h(i§> ^erl)ältni§ biefer
beiben (Seiten gu einanber, ha^^ er in fid; felber erlebt, fief)t er in bie
SSett überf)aupt f)inein: bie Snteüigenä ba§ lidjte unb freubige SSefen,
ber SBiüe ba§ bunlle, bünbe, beget)renbc, fürd)tenbe, neibenbe, f)affeube,
clenbe unb unfelige SSefen. S^ie Snteüigeuä üerfdjafftc i{)m bie großen
unb reinen greuben feines 2eben§, ber S53iae bie täglid)en fteinen unb
großen Reiben. ®arum, oom SSiüen erloft unb reine ^nteüigen^ werben,
326 I. 93uc^: SRetap^tjfi!. 2. Kapitel: ®a§ !o§moIogifc^4^eoIogtfd)e «ßroblem.
bQ§ i[t ein 3^^^^ auf§ innigfte ju tüünj(i)en. Unb nun fie^t er biefe§
3iel auc^ in bie Söelt tjinein. Sft fie in i^rem Ursprung blinber,
brangüoüer, ungeftümer, unjeliger Söiüe, jo treibt biejer qu§ fic^ bie
Sntelligenä ^erüor, unb borin ba§> erlöfenbe ^rin^ip: burd) bie ©rfenntniS
feines eigenen 2öefen§ !ommt ber SSille ^nx 35erneinung jeiner |e(b[t
unb bomit gum ^^rieben. ©o geigt e§ bie ©ejc^idjte; in ben großen
©rlöfungSreligionen, (5()ri[tentum unb 33ubbf)i§mu§, crreid)t bie 9D?enfd)=
i)eit bQ§ ^iti if)re§ 2eben§, bie (Sriöjung oom äöillen. <So ge'^t oud)
t)ier bem ^{iiIofopt)en qu§ bem eigenen ©rieben ber ©inn ber SSett auf.
Sludj bie pofitiöiftijc^e unb materiQliftifdje ^^iIofopf)ie oerpit fid^
in biefer Slbfid^t nic^t anber§. 2)er ^ofititii§mu§, n^ie er öon 3L Somte
anSgebilbet i[t, Witt gunädift reine§ SBiffen, blo^e ©t)ntf)eje atter tt)iffen=
fd^aftlidjen (SrfenntniS fein. Slber and) er mif^t ©lemente be§ @(auben§
{)inein; e§ gefd)iel)t gunäc^ft in ber ®efd)id)t§pt)i(ofop()ie; fie ^at f)ier
mie überatt bie g^orm, ha'B fie bie @efd)id)te al§ SSeg gu einem 3^^^
barfteüt. ®ie§ 3^^^ ^^^^B ber ^f)itofop^, unb ha§: ift eigentlid) feine
gro^e 2Biffenfd)aft, barin tjat er ben ©djiüffet gum ®e^eimni§ ber
SBelt. S)a§ ift c§> and), n)a§ ifjm bie jünger äufül^rt; Ujie fid) früt)er
bie gläubige 9J?enge um Drofet unb ^ropf)eten brängte, fo bröngt fie
fic^ je|t §u ben ^t)i(ofop^en, um öon if)nen gu tjören, n^otjin ber SBeg
fü()rt, tt)a§ in ber 3it^u"ft ^i^Qt. ßomteS ^t)iIofopt)ie ift gang auf
@efd^idjt§p!^itofop()ie gerid)tet, ein ^ßerfud^, ben bisherigen SBeg ber
5!J?enfd;l}eit im 3iifQ"^J^isr^^ö^^9 M^ überbliden unb öon {)ierau§ bie
Sftidjtung gu beftimmen, in ber fid^ bie fernere ©efdjidjte bemegen inirb.
^urd) ha§> @efe| ber brei Stufen tohh ber Ort unb bie Slnfgabe ber
©egenmart beftimmt. S^te Slufgabe ift natürlid) eben bie, an meldie
ber ^^ilofopl) gerabe bie §anb legt, ober bie er eben fo glüdlid^ toav,
im UmriB gu Ii3fen, atfo ^ier bie 93egrünbung ber pofitioen $f)i(ofopf)ie
a(§ ber befinitiüen g^orm ber menfd^Iid^en (SrfenntniS, unb bie 336-
grünbung ber pofitiüen ^olitif, bie al§ ©t)ftem ebenfattS fertig ift, e§
wirb fic^ oon nun ah um bie 3)urd)fül)rung in ber 2Bir!(id)!eit f)anbeln.
©0 läuft aud) f)ier ber SBeltprogeB mitten burd^ haS, §irn be§ ^^iIo=
fopI)en; nid^t o^ne e§ ein menig gu oerrüden: Somte füllte unb be=
naf)m fidj in feinen fpäteren 3ctf)ren a\§> ber .^ol)epriefter ber 9JJenfd)=
tjeit, ber, in ber 2in!en bie 33ergangent)eit, in ber 9Rec^ten bie 3^^^""ft
Ijattenb, i^re @efd)ide mögt unb ten!t. 9?ietteid)t ift eS eine bie Xrag=
11. 2)a§ 3Jerf)äItnig öon 5lBtffen unb ®touben. 327
traft be§ ntenfd^Iicf)en ®ef)irn§ überfteigenbe ßumutung, e§ jum S[RitteI=
pun!t ber SSeltbeiregung 511 nmdjen.*)
2)er 9}?ateriali§mu§ le^nt bie 3)eutung ber SBelt au§ einem
©inn grunbfä^Iid) ob, fie ^at feinen ©inn, jonbern nur äufäüig unb
gelegentlirf) gefd^ietjt e§, iia^ (SinnüoIIeS ent[tef)t; sufäüig unb gelegentlid)
fommen 9}Jote!üIe in einem ^irn jo sufammen, ha"^ eine SDic^tung ober
eine ^f)iIojopt)ie ba§ @rgebni§ i[t. 2)ennoc^ fe^tt e§ aud) i^m nirf)t
an 9JJomenten be§ ®(auben§. Sind) bie ^f)itojopf)en be§ 9JJateriQli§mu§
treten at§ ^^rop{)eten auf, aiid) fie ^ben bie gro^e 2öiffenjcf)aft ber
93ergangent)eit unb ber ^ii^^ii^ft- ®o beutet 2. geuerbad^**) ben
©laubigen bie @efd)id^te. „®ie bi§f)erige fogenannte neuere 3^^^ ^f*
ba§ proteftantifdje SOJittelalter, in bem xoix, nur mit falben 9iegationen
unb 33e{)elfen, bie ri3mifd;e ßircfje, ha§: ri3mifdje Siedet, \)a§> peinlid^e
ÄriminoIred)t, bie Uniüerfitäten in altem ®d)nitt u. f. xü. beibehielten.
9JZit ber ^luflofung be§ ßf)riftentum§ be§ ^roteftanti§mu§ at§ einer
ben ®eift beftimmenben religiöfen SOJod^t unb 3Baf)rl)eit finb luir in bie
neue 3^it eingetreten. 5)er ©eift ber ^t\t ober ber 3^^^^ii^ft ^[^ ^^^
beg Ü?eoIi§mu§. — 5In bie ©teile be§ ®Iauben§ ift ber Unglaube ge=
treten, an bie ©teile ber 5öibel bie 33ernunft, an bie ©teile ber Sf^eügion
unb ^ird^e bie ^olitü, an bie ©teile be§ .^immelS bie (Srbe, beg @e=
bet§ bie Slrbeit, ber §ötle bie materielle 9^ot, an bie ©teile be§ S^riften
ber 3)?enfc^." ^amit ift nun bie S^otn^enbigleit einer neuen ^l)ilofopI)ie
gegeben, benn jebe 3eit bebarf einer eigenen ^45t)ilofopI)ie. „S)ie 9Jegation
be§ (5l)rifteutum§ loar bi§^er eine unberauBte, je^t erft ujirb fie eine
ben)u|te unb gett)ollte, um fo meljr al§ fic^ ha^ (Sl)riftentum vermengt
f)at mit ben §emmniffen be§ n)efentlid)en ^riebe§ ber je^igen ^J^enfc^-
^eit, ber politifd;en greil)eit. 3)ie betou^te 9^egation begrünbet eine
*) Sobt ftem in ber ®eid)icf)te ber (St^if (II, 102 ff.) mit St. ©omte feineu
beutfd)en 3eitgeno)fen St raufe jufamuten: wie jener fii^ alä ben Segrüuber ber
SKenfdil^eitgreligion auf bem Sitel feiner fpäteren ©c^riften anfünbigte, aud^ einen
Äult nebft totenber unb ^eiligen für bie neue 9teIigion auäbod^te, fo ftiftete Äroufe
im igaljre 1808, im einfamen Itimmerlein aKein mit feinen ®eban!en, einen
„Wenfdjfjeit^bnnb" unb beginnt t)on ba ou eine neue ^eriobe unfere§ @efd)Ied^tä
unb eine neue 3eitre(^nung.
**) Sn einem Stuffo^: ©runbfä^e ber ^^ofopl^ie (1842 3), bei ®rün,
S. fjeuerbod), 33rieftt3ecf)fel unb Sfad^Iafe, ©. 411 ff.
328 I- S3ud^: S!Ketapf)t)fi!. 2. Äa:pitel: ®ag !o§TnoIogij(^4f)eoIogifd^e ^Problem.
neue Qdt, bie 9^ottt)enbig!ett einer neuen offenherzigen, ni(f)t me"E)r c^rift-
Iicf;en, entfdjieben uncEiriftlic^en ^f)i(ofop{)ie." Unb biefe neue, öon
ber ßeit geforberte ^f)iIofop^ie bietet nun g^euerBad^, eine reaüftifd)e,
Qtl^eiftifdEie unb bemofratifdje ^f)ifofopf)ie, gnjeifenoä niirb fie fiegreic!^
bie SSett erobern unb if)r ben SBeg gum §ei( loeifen. — ©o tt)ivb ber
Unglaube jetbft ^u einem neuen ©tauben.
9JZan fiet)t, aud) ^ier ift bie ^f)i(ofopt)ie nid)t ein ©r^eugniS be§
bloBen SSerftanbe§, fonbern ber gangen ^erfönlic^teit; ber SSiüe, bie
©mporung gegen eine etenbe öegenn^art giebt i^r 9licf)tung unb
£eibenfd)aft.
@§ n)öre md)t fd)n>er gu geigen, inie ba^felbe bei neueren ^t)i(0'
fopt)en biefer 9iicE)tung, bei S)üt)ring, bei ben ©ogialiften ber g^all ift.
2öie 3orn unb (Sutrüftung einft bem Suöenal 3Serfe eingaben, fo geben
fie bi§ auf biefen Xag ©ebanfen ein. 2Sa§ bie ©laubigen be§
aRateriaIi§mu§ überzeugt, ha^ finb nidjt fo fet)r ©rünbe, nidjt bie
Sen^eife au§ SBiffenfdjaft unb SO^etaptjtjfif, ai§> bie ©mpfinbung, ha^
ber 9J?ateriati§mu§ am entfc^Ioffenften bie SSeltanfc^auung befämpft,
bie it)nen at§ bie ©runbtage ber beftef)enben $ßerf)ältniffe, al§ bie
©runbtage ber SSett be§ UnredjtS, ber ßüge, ber ©ettjalt erfd)eint.
ßine ^f)iIofopt)ie ber ©efc^ic^te unb eine S^eutung ber 3"^^^!* ^f^ auc^
f)ier ha^ §erg ber ^^ptjilofop^ie, unb bog §erg biefe§ §ergen§ finb Sbeen
oon 9^ec^t, ^rei^eit, 2Kot)Ifaf)rt, bereu $ßertt)ir!tid)ung in einer neuen
Orbnung ber menfc^Iidjen S)inge Stufgabe ber Gegenwart unb 3nt)a(t
ber ßutunft ift. @o fonftruiert ber S3egrünber ber „materialiftifc^en
©efc^ic^tgouffaffung", tarl mav^, bie ©ntwidetung be§ n)irtfd)aft=
lidjen 2eben§ at§ 93emegung gegen ha^ 3^^^ ^i^^cr fogiatiftifdien ®e=
fellfdjaftSorbnung; ber ®i-propriation ber Strbeiter, womit bie ©efellfdjaft
begann, folgt je^t bie ©fpropriation ber (SfpropriateurS , bie Um=
wanbtung be§ prioaten in Äotleftioeigentum, unb bamit luirb ha§> ßid
erreid)t, bie burd)gängige Crganifierung be§ tt)irtfd)afttic^en 2eben§; mit
ber Drganifierung ber ^robuftion beginnenb, mirb fie in ber Orga=
nifierung ber Sßerteilung fic^ öolleuben. St^nlid) beutet griebrid) (Engels,
mit neueften Xt)eorieen ber Stnt^ropologie bie alten ©ebanfen ftü^enb,
bie ®efd)id)te at§ einen ein^eitli(^en 9]erlauf, ber, ou§get)enb oon einer
SRaturorbnung ber ©efellfd)aft mit 9J2utterred)t unb foüeftioiftifdjer
§au§^attung, burd) bie ^eriobe bei ßtoangS unb ©taate mit 9Sater=
11. 3)a§ SBerf)äItm§ öon Sßiffen unb ©lauben. 329
rec^t unb ^riooteigentum, enbtic^ ju einer freien (^efetlfdjaft^oerfaj'fnng
mit ÄoKettiöeigentuni nnb freier ^i^nii^isttöereinignng jurüdf ü^rt. *)
@o ift überalt iiaS^ ^iihm'\t^ihta{ ber fefte ^unft, Don bem bie
^Deutung ber @efc^icf)te anSgel^t. SSon f)ierQU§ werben bie 'ipnnfte ber
5ßergangen()eit beftimmt, bie öon maBgebenber ^ebentung finb, unb
bnrd) biefe ^nn!te luirb bann bie Äuröe gelegt, bie bcn £anf be§
gefcl)i(f)t(id)en 2eben§ befd)reibt. 2)af)er mad^t fic^ ftht 9^eubilbung
a(§balb an bie „Unnucrtung" ber gefdjidjttic^en SBerte; fie bebarf
if)rer für i^re @e]d)idjt§p()iIofop^ie. SOlon benfe an bie Ütenaiffance,
bie ü^eformation, bie frangöfifd^e Ü^eöotution, an ben DIationatoerein
unb ha§> neue beutfdje Üteic^ anf preu§ifd)er ©runblage: jebe 9'Jeu=
bilbung ift burd) eine Umttjertnng ber gefc^id)ttid^en SSerte i^rer eigenen
inneren ^iotlüenbigfeit geiüifj geworben, ©o n^irb e§ je^t ber So^ialiS^
mu§. SSa§ fonft ben DJienfd^en qI§ gro^ unb njid^tig erfd)ien, bie
X^efen ßutt)er§, ber Xag öon Seipjig ober ©eban, i)ü§: fd^rumpft, öon
bem neuen ©tanbpunft gefe^en, gn einem gan§ orbinären 2:age§=
ereigni§ gufammen. dagegen erf)ält ein öon anberen !oum bead)tete§
95orfommni§ bie 33ebentung eineö in ber 2BeItgef(^id)te epoc^emad^enben
(Sreigniffe§, S?. 9}?arj' fommuniftifd)e§ 9}Janifeft, bie ©rünbung be§ all»
gemeinen beutfdien 5lrbeiteroerein§ burd^ Saffalle u. f. f. S)er alte Xrieb
jeber neuen Partei, fidj eine eigene ßeitredjnung, einen neuen S?a(enber
mit neuen ^eiligen ju mad)en, tritt un§ and) I}ier mieber entgegen.
@o abfurb einem ©löubigen alter Orbnung bie neue SSertung
öoilommt, fo gtaubfjaft erfd^eint fie ben ©laubigen; nur eine§
motten fie nidE)t glauben: bo^ e§ ©taube ift unb nid)t SSiffen,
morauf i^re 2lnfid)t ber SDinge beruht: mir fef)en ja bod) gan§ beuttid),
bie @efd;icf)te in ber Üiidjtung auf ha§i Qid fid^ bemegen; bie „2öiffen=
fd)aft" ift ha§> britte SBort ber «So^ialbemofratie. — g^reitid) it)r ftettt
eud) an§ ßkl, mie follte eud) nun nid)t bie ©efd^idjte auf eud) fid)
äujubemegen fdjeinen? Stber ma§ eud) auf biefen ^unft gefteüt l)at,
ba§> mar nid)t bie 3Biffenfd)aft, fonbern Siebe unb ^a^, ^ertongen
unb Stbfdjeu, nid)t ber Sßerftanb, fonbern ber SBitte. 3Ber nic^t eure
Siebe unb euren §aB, eure |)offnnngen unb ^beate teitt, bem fönnt
i^r bie 3Ba!t)rt)eit eurer ^Betrachtung nidf)t bemeifen. 3§i" fönnt nur
*) ^x. (SngelS, ®er Urjprung ber giioi^iß/ ^e§ ^riboteigentumS unb be§
©taote§. 3. 31. 1890.
330 I. 93uc^: Wtttapf}t)\it. 2. Äapitel: ®a§ fogmoIogifc^=t^eoIogifd)e Problem.
auf bie 3"^""ft ^^^^ berufen, aber hü§> ift eben ha§ (Sigenc, ha^ bie
ßufunft nur bem ©(auben, nic^t bem Söijl'en offen liegt. @§ mag
fein, ha"^ nad) fünf^unbert Sahiren, tüenn bann bie neue Drbnung ber
3:;inge ba ift, febem 5(uge bie 5Infänge ber großen Urnnjöl^ung in il)rer
Sebeutung erfennbar finb. @o finb je^t jebem bie SInfänge be§
d^riftentumS in it)rer gefc^i(i)tlid)en Sebeutfamfeit er!ennbar, unb felbft
bem SBiberiüilligen prägt unfere ßeitredjnung if)re Sebeutung ein. ^ätte
aber bama(§, üor 1900 Saf)ven, jemanb einem gried)if(^en ^f)i(ofopf)en
ober einem römifcf)en .^iftorifer gefagt: oon ber üor furjer 3^it ^^'
folgten ©eburt eine;? armen 5inäb(einö im jübif(i)en Sanbe mirb einmal
bie ganje europäifdie ^ölfermelt ben Einfang if)rer ßeitrec^nung batieren,
fo mürbe er oermutlic^ an bem gefunben S3erftanbe be§ ^rop^eten ge-
gmeifelt unb auf jeben gaü e§ abgeletjut {)aben, in eine (Srt)rterung
ber äJJögIicf)!eit ober 2Bat)rf(f)einIid)!eit biefer ^nfic^t fid) einplaffen.
©§ fd)eint mir einftmeilen mit ber neueften Umbotierung ber ßdU
redjnung nid)t mefentlid) anber§ gu ftet)en.
2)as nimmt ber @ad;e nichts oon i^rer 33ebeutung; nid^t bo§
Söiffen, fonbern ber ©laube tf)ut SSunber; freilid) nidjt jeber @(aube,
fonbern nur ber redjte ©taube, ber ha^, tt)a§ fommen miU, bioinierenb
oorauSnimmt. ^been, fagt .^egel, finb bie mirfenben Slräfte ber ®e=
fd)id)te. 200^1; beun Sbeen, oon bem, \va§> fommen foü, finb bie be=
megenben Gräfte in ben ^eftrebungen unb ©ebanfen ber 9Jienf^en.
3)ae mirb fo bleiben, fo lange 9}?enfd)en nic^t oom ©enufe ber (^egen-
mart, fonbern auf Hoffnung ber 3"^"^^!^ kben. Unb fo lange mirb
üud) ber ©laube im 9}?enfd)enleben feine 9f?olIe fpielen.
Sn biefem @inne ift alfo ©taube ein ©tement, ja iia§i eigentliche
^^ormprin^ip jeber ^Ijilofoptjie. ®er ©taube an bie 3"^"^ft fonnt
bie §tuffaffung be§ gefd)idjttid)en 2eben§, unb bie ^t)itofopt)ie ber ©e=
fd)ic^te formt bie Sßeltanfd)auung eines 9JJenfc^en. 9iid)t bie Stftronomie
formt bie 2Bettanfd)auung, fie giebt bto§ ein altgemeineS @c^emo ber
3Birftid)feit; nid)t bie ^^t)fi! beftimmt bie 5tuffaffung oom SBefen bes
2Bir!tid)en, fie giebt für bie ted)nifd)e 93et)anbtung ber Singe not=
menbige ^anbtjaben; nidjt bie Söiotogie beftimmt bie ?tuffaffung oom
ßeben, fie giebt ein paor ©runbftric^e jur Se^eidjuung be» aügemeinen
Drte§ be§ äReufdjen in ber 2öir!tid)!eit: ma§ bie 93ebeutung be§ £eben§,
mos ha§, 2öefen be§ äöirttic^en, ma§ ©runb unb 3iet ber 223ett fei,
11. S)o§ 9Set^ä(tm§ öon Söiffen unb ©louben. 331
barüBer evf)oIt fid^ äute^t ein jeber STu'Stunft au§ ber ©ejdjid^te, al§
ber nädjften itnb eigentnrf)en Umgebung be» (Seiftet. 2)ie Äonftruttion
unb Deutung aber be§ geiftig=gejd)i(i)ttirf)en 2e6cn§, bie fommt nirfjt
au§ ber SBijjenfcfiaft öom SSergangcnen, fonbern au§ ber Sbee öom
Sßotlfommeuen, bie jeber mitbringt. @ie jagt if)m, njo^in bie Semegung
ge^t, unb joiüie er iiü§> tüei^, entbecft er auc^, mo^er fie fommt; unb
tt)ei& er, n)a§ e§ mit ber @ejcl^irf)te auf firf) {)at, jo meiB er audj balb,
tr)Q§ e§ mit ber 9^atnr unb ber 2Be(t überhaupt auf '\\d) f)at. Sa§
mir SBid^tige ift ha?: Sßefentlic^e an ber 2öelt, nad) biefem 8d)ema
^at ber menjd)Iid)e ©ei[t ju allen ^tikn gef(^(oijen, unb er n?irb c§
fdjmerüd) nerlernen, el fei benn, ha% einmal Äopf unb §er§, intelligent
unb SBiUe gn ni3nig getrennter §au§^altung überget)en füllten. <Bo
lange fie in ber alten ©emeinfd^aft leben, mirb e§ bleiben mie bi§t)er:
toaS ben Söillen nid^t erregt, tra§ ju feinen ^wtäen unb Stufgaben,
gu feinen S^ealen feine 33e5ief)ung f)at, ha§> öermag bie 5Iufmerffamfeit
nid^t gu erregen, ba§ mirb überfef)en unb fällt alfo für bie S3ilbung
ber SSorftellung t)on ber SSirflid^feit au§. ©o mirb notmenbig ha^^
Sßidjtige jum SBef entti(^en unb ba§ SBefentlid^e gum allein
Sßir flicken. SSie bie ©d^nede if)r .^au§ baut, paffenb auf ben
Seib, fo baut fic^ ber SSiüe bie SBeltanfdjauung, au§ ber er bie S)inge
betradjtet unb ouf fie mirft.*)
©er eben bargelegte ©ebanfe bilbet, mie fd^on oben gezeigt
Ujurbe, ben eigenttid)en SIngelpunft ber Äantifdjen ^l^ilofop^ie.
S)ie tiefften unb Süt^fd^fag gebcnben eintriebe empfängt bie 3Be(t:=
*) SSortrefftid) ift btejer ®ebanfe, ba^ bie SBeItanfd)ouung in bem geic^icf)t='
lid^en 93eit)u^tfein ber 3!J?enfc^f)eit i^re SCBurjeln ^abi, in bem balb bergeffenen 2Ber!
S3unfen§: ©ott in ber ®efcl}i(^te (1857) au^gefü^rt. igd) fann mir nid)t öerfagcn,
au» ber fd^önen SSorrebe eine ©teile einzufügen: „®ie 3lf)nung eine§ göttlid) ge=
orbneten unb ®öttlid)e§ offenbarenben @onge§ ber 2öeltgefd)ic{)te ift bie urfprüngticbe
göttlicf)e ?tu§ftattung be§ 9J}enfci)en. @r erfennt fid) bon Stnfong nic^t blofe all (£iner
unter SSieten, fonbern aU QJtieb einer Stetige bon ©ntroidelungen feine§ eigenen
2öefen§. 2)a§ Urbefönfetfein bei SHenfcl^en ift, ba% aUel fieben, ha§ ©ingetne unb
ba^ SSoIfltümlicbe, fic!^ gur 9J?enfc^beit entroicfelt nad) einem ®efe^, meld)el in itjm
felbft liegt, aber feinen geitlidien SJJittelpunft ^at in ber 9Jtenfd)f)eit, feinen eroigen
in ber ®ott^eit. 3)iefel 2BeItberon^tfein, b. f). bicfel roeltgefdiid}tlid)e 33erou§tfein
®ottel, ba?' 93eron§tfein @ottel in ber SBeltgcfd)id)te, ift jugleid) ba§ angeftammte
®efüf)I bei 9?er:^ältniffel he?- einjclnen dS^ be§ 9Jiifro!olmol, ber ©ottelroelt im
kleinen, jum 3[)(atrofolmol, jur ©ottelroelt im ®ro^cn, unb sum ?III."
332 I- 33uc^: SOJetapti^fi!. 2. Kapitel: ®ag !o§moIogtjc^4^eoIogifc^e Problem.
Qtifdiauung uid)t au§ bem S^erftonbe, fie !ommen an§> ber SBtIIen§=
feite, aii§ ber pvaftijdjen SSeruunft. ®er ©hübe an bie 9J?ögti(i)feit
unferer legten ßmetfe, an bie 9)?ijglicl)!eit be^ f)öd)[ten @utg in ber
SSirüiditeit i[t eigentüd) ber fefte ^nn!t in ber Söilbnng ber SBett*
onfdjanung. Sn ber 2ef)re öon ben ^oftulaten unb bem Primat ber
praftifdjen $ßernunft I)at ^ant biefen ©ebonten in jeine gormetfpra(f)e
gefaxt. 2öir mürben nun jagen: nic^t mit einer ^^orberung t)aben tuir
e§ ^ier §u tf)un, bie einem ben ©tanben m§> ©etuiffen jcf)iebt, jonbern
mit einer 2;i)atjad)e; e§ glaubt nienmnb unb niemanb fonn glouben,
bafe bie SSirflirfjfeit üöüig gleichgültig ober gar feinbjelig jei gegen
ha^, iüaS tl)m ha§: Ie|te ßtel unb t)öc^fte @ut i[t. 3}?ag jemanb
prinzipiell bie 33ered)tigung be§ ©laubenS an bie 9^üc!ftc^tnaf)me ber
SBir!Iirf)!eit auf meufcf)lic^e SBerte leugnen, tljatjädjlic^ fe|t er boc^
it)re 3ufammen[timmung üorauS. 5(nc^ ber 9J^ateriaIi[t glaubt an
ben @ieg ber guten ®adß, an bie Übermadjt ber Vernunft, ber
2Bar)rf)eit, be§ 9^ed)t§, — glaubt alfo an eine moralifc^e 2öelt=
orbnung. 5tud) ber ^effimi[t glaubt jule^t an ben @ieg be§ Sefferen,
fofern er an bie ©rlöfuug öom Übel gtaubt: \)a§> S^Ziditfein, haS^ !ommt,
i[t jo gegen t>a§> ©ein ba§ 93effere. ©o ftuben lüir ©tauben auc^
bei benen, bie prinzipiell atte§ ©tauben üermerfen unb nur ba§ (£r=
fennen moEen gelten lafjen. (Sie äiet)en fetber nid)t bie 5?onfequenä
i^reg @runbja|e§, ober aubererjeitS, fie leugnen bie 9ied)tmäBig!eit
beffeu, mag fie boc^ f eiber t()un: nämlid) burd) ©louben an bie ^\u
fünft über ha^ SSiffen f)inau§ge^en.
5lant§ Unternefimung ging nun eben ba'^in, ha§: ^^d)t biefe§
tt)atfäd)Iic^ allgemeinen 3Sert)atten§ gegenüber ber grunbfö^ü^en
Seugnung feftzufteHen. ©r mU bem ©lonben an t)a^ „^tiä) ber
ßwede" fein gute§ 9flec§t gegen bie prinzipielle Verneinung im bog*
matifd)en StttjeiSmuS üerfdiaffen. 5tber nid)t burdj tt)eoretifc^e 33emei§=
fü^rung. 2)a5 tüar bag alte 33erfat)ren; man I)atte burd) ajJetapt)t)fif,
burc^ ^eteologien unb Sfieobiceen, nac^zumeifen unternommen, i)a^
mirflid) ha§> ©ute in ber äöir!rid)!eit bie tjerrfdjenbe Wa6)t fei. ®ie§
Sßerfatjren giebt taut al§ ein uumi3gtid)e§ auf; ein objeftioer Semeig,
ber ben SSerftanb uijttgte, ift t)ier ber 9^atur ber ©ac^e nac^ unmöglidj;
jebem Seujeiä fann ein gteic^ ftarfer ©egeubelueiS entgegengefe^t
werben. @§ giebt aud; I)ier eine 3)iale!ti! mit 5tutiuomien. Unb bie
11. ®a§ SSerl^ältntg bon 583tffen unb ©louben. 333
5(uf(öiung biejer bialeüijc^en Antinomie liegt in berfelben Söenbung,
ttjorin Äant bie 5Iuf(öjung ber to»moIogijd)eu 5(ntinomien entberft:
ber Streit iüirb cntfdiieben burd) bie 53erlegung auf einen anbern
^oben. ^Qum unb ßeit, ^aujatität unb ÖJotiuenbigfeit finb nur im
(Subjeft, bamit t)erjd;n)inben bie bioleftifc^en ^tntinomien, bie Don ber
Sßoraulje^ung ausgingen, fie feien 93eftimmungen ber 2)inge an fic^.
©0 giebt e§ andj SBerte nur für ha^ (Subjeft; aber, unb ba§ ift
nun ber entf(^eibenbe ^unft, nirfjt für ben SSerftanb, fonbern nur für
ben SBiüen, für bie „praftifrf)e" S3ernunft. Unb nun leitet i()n bie
Slnalogic tt)eiter: bie 9Zatur ift nad) ber Siriti! ber reinen 35ernunft
nid^t§ anbereö a(§ ein burc^ bie gefe|mäBige gunftion unferer Sntelligeuä
georbnete§ 3t)ftem üon @rfd)einungen; eben barunt Ijaben bie formen
unferer Sutelligcn^ bie 33cbeutung unb ©ültigfeit üon allgemeinen unb
notmenbigen SeftimmungSftüden unferer 9Jaturer!enntni§ ober olfo
ber dlütüT felbft. Sn berfelben SBeife, fügt bann bie ^ritif ber
praftifd)en Vernunft tjin^u, !ommt nun and) ben Seftimmungen ber
Sßiüengfeite unfere§ Söefen» bie ^öebeutung unb @ü(tig!eit üon aU^
gemeinen unb notiüenbigen SeftimmungSftüden unferer äöeltanfd)auung
§u. 2Sie ba§ Q^erftanbesgefe^ ber ^aufatität bie ©runblage unfereS
®(auben§ an bie DJaturorbnung ift, fo ift ba§: ©ittengefe^ bie (S5runb=
läge unferes @Iauben§ an eine moralifdje Söeltorbnung. ©oireit hü§>
©ittengefe^ al§ ibentifd)er 2{u§bruc! ber gefe^gebenben SSernunft an=
erfannt mirb unb gilt, fo meit gilt ber ©taube an ha§> Üicid^ ber
ßwede, beffen ©efe^gebung eben ha§^ ©ittengefe^ ift.
SDkn mag an ber 5(rt, n^ie ^ant biefen ©eban!en einfüt)rt unb
burd)fül)rt, ^nftofe netjmen. ®er ©runbgebanfe ift burc^auS beredjtigt.
©inem SBefen, hü§> feinen Söiüen t)ättc, fonbern reiner 35erftanb njöre,
bem tt)äre e§ uötlig unniöglid^, bie 33ebeutung ober and) nur ben ©inn
eine§ 3fiei(^e§ ber ßmede unb einer fittüdjen SBeltorbnung al§ feiner
inneren @efel3mäBig!eit bar^^uttiun. Slber für einen SOIenfdjen mit einem
menfd^Iidjen, burdj bie tjöc^ften ^rvcdc ber 9}?enfdjf}eit beftimmten Söillen
ift ber ©taube an eine fittlid;e SBeltorbnung natürlich unb notroenbig.
Unb biefer ©laube mirb notroenbig ber ©d^tufeftein feiner ganzen 2öelt=
anfc^auung. @§ ift unüermeiblid), ha'^ unferer ^f)i(ofop^ie, loie bie
ßüge unferer ^ntelligeuä, fo aud; bie 3üge unferer äöillenS fid^ ein-
brüden. Unb ttjir ^aben nid^t me'^r Urfad^e, hierin eine 53erfätfd)ung
334 I. S3uc^: Wetap^t}\il 2. tapitel: Sag fogmoIogiic^=t^eoIogi)c^e «ßroblem.
unferer SBeÜanjdjauung gu erblitfen, a(§ in ber räumIicf)=5eit(trf)4QufaIen
g^orm unfereS GrfennenS. Unjere ^f)i(ofopf)ie i[t meujrfiUdje ^^t)i(ojopt)ie,
aU SJ^enfcfjen tönucn tuir eine anbere lueber t)a6en nodj ertragen.*) —
3)er negotioe 2)ogmati!§nin§ »irb gegen bieje S3etra(i)tung ein=
»enben: ba§ f)eiBe einen notürlirfien ^ef)kr unfereS ^enfens jum
^rtn^ip ergeben. @§ fei freiließ fo, baB tnir geneigt finb ^n glauben,
toa§> Xüix rvim\d)m. SDie 5(nfgabe ber ^f)i(ojop^ie unb 3Si]jenfd)aft fei
aber eben, bie (Srfenntnis non bem (iinftuB be§ SßiUenS §u befreien.
Urfprünglidj fei ber SSille gan^ f)errf(f)enb unb beftimme ooüftänbig
bie Sluffaffung ber 2)inge; fo fei ber üielgeftaltige SIberglaube entftan=
ben, üon bem 2(ntt)ropoIogie unb ®efd)i(f)te nn§ ßunbe geben. Slffmö^=
lid) I)abe in ber Sßiffenfc^aft ber S^erftanb fid^ fo loeit burd^gefe^t, ha'B
an bie ©teile ber intereffierten SDeutung geraiffenljaftc 53eobac^tung unb
unbefangene SCnerfennung ber 2;l)atfad)en getreten fei. 2)ie 2Biffenfd)aft
geige nun überall, baB ber S^aturlouf gor nic^t, mie finblidie ^f)antafie
fid) ausmalte, unferem SSiüen ju millen fei ober fid) biegen laffe, mU
me^r oi^llig gleidjgültig gegen menfdjtidje Slbfidjten feinen (Sang get)e,
allein ben emigen, großen ©efe^en folgenb. ^Ifo mogu fidj täufdjen,
iDOgu SDinge ben!en, bie nid^t finb? 3)ie ®inge gu nel)men mie fie
finb, ha§> ift 3Bei2if)eit unb Sapferfeit gugleid). @§ fann ja feinen
©eminn bringen, fid) falfdjen Sßorftellungen {jinjugeben.
8id)ertic^ nic^t. Unb of)ne ^^^^ifet ift e§ eine (£rfaf)rung, bie an
jebem Stag auf§ neue gemad)t mirb, baB ber DIaturlauf unfere 5tbfid^ten
burdjfreujt unb and) ba§, maS un§ lieb unb n)ert ift, gerftört. Stber
*) @g ift biefer $unft ber Äantifc^en ^^ilofo^jfjic, ben neuerbingl bie
proteftantifc^e Stfjeologie gum 2(ulgang^piinft i^rer 9teIigion!§6etrac^tung nimmt.
^d) i)abe i'c^on früfjcr auf bie SBerfe üon Stauttjen^off unb SSenber f)ingett)iefen. ^c^
nenne I)ier nod) ein aubere§ bebeutenbeig SBerf: ig. Äaftan, ®ie S[öaf)rf)eit ber d)rift*
liefen 9ieItgion (1888). Sie Seföeiäfüfjrung wirb barauf gcftetit: ein t^eoretijd)
graingenber !öcroeig für bie SÖSatjr^eit be§ d)rift{id)en ©tauben^ ift unmöglid); ttjeber
auf bem pt)i(oIogifcf)4}iftorifd)en SiBege ber Sd^riftbemeife ber alten Drt^obojie, noc^
burd) bie p^ilofop^ifdje Spefulation fann bem SSerftanbe bie 2Bat)r^eit biefe§ ©faubeng
beraiefen ttierben; ber einzig möglidje Seraeig ift bie an ben ganjen SOJenfd^en fid)
roenbenbe Darlegung, ha^ bie ^hit öon einem gef(^id)tlid)en 93eruf unb Qkl beg
9Kenfd)^eit§(ebeng ober bie notroenbige ^hee. öon einem ^öd)ften ®ut in bem bieg»
fettigen unb jenfeitigen ®otte§retc^ beg ß^riftentumg if)re ©rfüHung ftnben. SBobei
id) benn nid)t öerf)ef)Ien will, ba^ id) meber be§ SßerfafferS 3{blef)nnng aCer SWeta^-
pt)t)fif, noc^ feine gorm ber ©infü^rung beg Übernatürli^en mir anzueignen oermog.
11. ®al Sßerf)ältm§ Don SBiffen unb ©lauben. 335
i[t bamit fd^on ausgemacht, ha§> bie SSirÜtd^feit nid)t bloB im einzelnen,
fonbern and) im ganzen, nicfjt 6Io^ gegen gelegcnttid^e (Sinjelabfid^ten,
fonbern gegen unfere legten unb §öcf)ften ^tücdc \\d) gteid^gültig »er-
f)ött, unb ba^ olfo ber ©lanbe an eine „ morali jd}e SBeltorbnung" eine
mutmiUige ^änjcfjung ift?
(5§ ift nid^t meine 9(b[icf)t, I)ier in eine (Erörterung ber alten
grogen nad) ber Statur unb 33ebeutung be§ Ü6el§ unb ber 9Högü(f)feit
einer St^eobicee ein^ngefjen. ^lofe mit einer O^rage mill i^ crmibern:
mie müBte bcnn bie SSelt bejdjaffen fein, bamit jener ©laube menigftenS
a(§ möglicl)er jugelaffen inerben fönnte? 9J?üBte etma ber ^JJaturlanf
jebem SSnnfrf) fügfam fein ober if)m fcfjon §ut)or!ommen? Ratten n^ir
bann Urfadje ju benfen, ha^ ber DIaturlauf burd; eine 33orfcf)ung gu
unferm heften gelenft n^erbe? 2. S3iid)ner meint (^raft unb Stoff
(S. 236): „Unfinnig müfete ber jenige fein, ber im Srnft bef)aupten
moHte, bie (Srbe fei üon einer allmeifen unb aügütigen 9Sorjef)ung ot§
ein paffenDer 2öo()npIa| cingeridjtet n^orben! S^hir bie än^erfte ^In-
ftrengung feiner ^'örper= unb (S^eifteSfrüfte mad)te e§ bem SDJenfdjen
überhaupt möglid^, unter beftönbiger SÖebro^ung burdj taufenb ©efatjren
auf berfelben ju ej;iftieren." 5IIfo nur bann Ratten mir ein '?fizd)t, an
eine ^orjel^ung ^u gtauben, menn un§ bie 9^atur o^ne Slnftrengnng
unferer Gräfte ju leben möglidj madjte? SBenn e§ !eine 5lrbeit unb
!cin 9}?ij5lingen, feine ß'ranf^eit unb feinen Zoh gäbe, menn bie (Srbe
haS' @d)laraffenlanb märe, bann unb nur bann bürften mir glouben,
fie fei eines moljlmoüenben ®otte§ (Sdjöpfung?
greilid^, mir träumen olle einmol ben Sroum öon einem Sonbe,
in bem e§ feine 5(rbeit unb feine Unruhe, fein Übel unb fein 33öfe§
giebt, ben fefjulid^en Siraum üom ^arabieS. Xod) fönnen mir madjeub
mof)t foöiel fe^en, ba^ ha§^ ^arabieS nic^t für un§ märe, fo lange mir
finb, mie mir finb. 3Bir paffen ^ur (Srbe, nid)t jum ^arabieS. @ine
SSett, in ber e§ SSiberftänbe unb §cmmniffe, SJiiBüugen unb Übet gar
widjt gäbe, märe feine SBett für un§; mo bliebe ha 'tRaim für fräftigcS
SBoHen unb tapferes .^onbetn, für ernften ^ampf unb glorreichen
(Sieg? @ut ift für mid) eine Umgebung, bie meinen Gräften ange=
meffene Stufgaben ftctlt; gut ift für ein ^öolf, gut ift für bie 3)Jenfdj=
f)eit eine SSelt, bie burc^ SBiberftäube i^re 5(n(agen unb Ä'räfte f)erauS=
forbert unb cntmidelt. Df)ne äöiberftänbe, natürliche unb moraIifcf)e,
336 I- 33ud): Tletap^t)\il 2. Stapitü: S)a§ !o§moIogifc^=>t^eoIogii^e «ßrobtem.
gäbe e§ feine 5(utgQben unb feine S(rbeit, gäbe e§ überhaupt fein Seben
unb feine @ejd)id)te. ^Jßer 2eben unb ®ej(f)i(i)te, menicfjlidje§ 2eben,
njill, ber n)iU Qud) bie SSiberftänbe, iriU and) baS Übet unb 33öie,
nic^t um if)rer jelbft millen , aber a(§ S3ebingung menjdjlirf)er
3SiUen§betl}ätigung unb 5(rbeit, al§ Übung»materiQl für Gräfte unb
^ugenben. ^m Übung ber Gräfte gu bienen i[t bie äöelt be[timmt,
nidjt jum pajfiöen Öenießen.*)
iii\o, mv betüeijen luill, bafe bie SSelt icf)(ec^t ift, ber mu^ be=
meijen, ba^ fie f)ieräu md)t taugt, boB fie bem Ginjelnen unb ber @e=
fomt^eit nidjt bie geeigneten Stufgaben [tetit, ha]i ber 9Jknfd) jur Snt=
fattung feiner DIaturanlagen eine anbere SSelt brandete. Ober minbeftenS
mü^te er nadjroeifen, ha"^ eine anber§ geftattete äöelt biejen unferen
testen ^xutdm befjer a(g bie unglücftidjer Sßeije n)irftid)e entsprochen
f)ätte. 53i§ bas geteiftet, bi§ uns bie beffere 3BeIt, befjer nid)t burd)
5(bn)efenf)eit biefer ober jener Unbequemlidjfeiten unb SBiberftänbe,
fonbern beffer ^ur 33DÜenbung ber menfdjtic^en 5tn(agen überf)aupt,
beutlidj üorge^eidjnet ift, n^irb man un§ erlauben bei bem ©tauben ju
bet)arren, ba^ für unfere 9Zatur, tt)ie fie ift, bie 2öelt, tt)ie fie ift, eine
angemeffene, ja bie befte SBett ift. 9^id)t bet)a upten toir bie§ einsufe^en
ober bemeifen §u f tonnen; mir fjaben nid)t ^ur S^ergteic^ung anbere
mögtidje SSetten unb anbere möglidje 9JZenfc^ennaturen; aber ha§: be=
Raupten mir: e§ giebt feine (Sinfidjt, bie bem ©tauben entgegenftünbe,
tü^ biefe SSett, mie fie ift, für un§ angemeffen unb gut ift, ha'^ bie
SBege, bie bie 9}^enfd^§eit, bie jeber üon uns gefüt)rt morben ift, gute
2Bege, öotteg SSege finb. (5§ giebt feine Xt)eobicee aU äBiffenfdjaft;
aber eben fo menig giebt e§ eine miffenfdjaftlidje ^tntit^eobicee. ^er
S^erftanb üerf)ält fidj inbifferent gegen ha§^ ^^^robteni, ob bie Söelt gut
ober fd;(ed}t ift.
Cber, fo barf man bod) (jin^ufügen, menn er überhaupt t)ier
Partei nimmt, bann fann es nid)t für bie Stuftest fein, ha^ bie 2öirf=
lidjfeit fdjtedjt, für ben DJienfdjen fd)Ied)t unb uupaffenb ift. 2Ber ber
neuen biotogifd)en 2t)eorie anf)ängt, ber fd)eint boc^ e§er auf bie anbere
S(nfid)t gefüt)rt ^u merben. 3ft ber DJ^enfd) nid)t oon ouBen auf bie
@rbe gefegt morben, fonbern mit it)r fetbft gemorben unb gemac^fen.
*) 3)er Sejer finbet bieje 2(nbeutungen weiter au^gefüfirt in meinem @t)[tem
ber mi)\t (4. 2tu[I. 1896, I, 292 ff.).
11. 2)ai SBer^ältniä üon SOäiffen unb ©louben. 337
fo fd^cint bie 3«fantmen[timmung feiner Sktur mit feiner Umgebung
a priori notttjenbig ju fein: er ift bann biefer Umgebung mit feinem
ganzen SBefen angepaßt, er müBte in jeber anbern SBelt ficf; beplaciert
öorfommen. ^tUe feine Gräfte unb 2;üd)tig!eitcn, ja fein SSefen unb
Söille, feine (Sinne unb fein $ßerftanb felbft finb für bie @rbe unb bie
SebenSbebingungen, bie fie bietet, gebilbet, \vk foüte fie alfo nidjt für
biefe§ SBefen ongemeffen unb gut fein? SSar fie if)m feine gütige
9)^utter'? 9hin, fie ()at i^n burc^ mancfje ^arte Sd^nle gefüf)rt. Slber
öielleid^t mar e§ eben ha§, \va§> i^m not tf)at. Ober mei^t bu e§
beffer? (So tommen mir ouf bie gorberung jurüc!: fonftruiere au§
bem unenblid)en äRi3g(i(^en bie SSelt, bie für bie ©rgie^ung be§ äRenfd^en
beffer gemefen miire unb met)r geleiftet f)ätte.
5turf) baran mag boc^ erinnert fein, ha'^ nad^ ber hierin ein=
ftimmigen Grfatjrung ber S3ö(!er ha^, maä bie SHoral oB bo§ ®ute
unb 9ierfjtfd;affene barftellt, fic^ in ber SSirf(id)feit a(§ ha^^ @rf)altenbe
unb görbernbe, ha^ Söfe bagegen al§ ha^ ^emmenbe unb ß^i^ftörenbe
barfteUt, im ßeben ber @in§elnen unb im ßeben ber 3SöI!er. Snt
WngenbUd !ann e§ anber§ fdieinen; bo feiert Unred^t unb Süge
mand)en 2:riumpf); ober, ba§ (gnbe trägt bie Saft, fo fagt in taufenb
Sprüdjmörtern bie 2Bei§{)eit ber 35ölfer. Unb in it)rer gefc^id)ttic^en
(Srinnerung finben fie bafür bie Seftätigung. ®a§ ©ro^e unb ©ute
mar jmar in ber ©egenmart oft oerfannt unb unterbrüdt, mät)renb
ta^ 9?id)tige unb (Sc^einbore unb Sdjted)te in ©eltung unb 5tnfe^en
ftanb. 5lber bie ©efc^id)te läfet fie bie grollen taufc^en, fie mac^t aüer
SSelt ftar unb beutüd), ha^ ^a§^ 9^ic^tige, fo fd)einbar e§ mar, nidjtig,
unb \)a§> ©Ute, fo fd)Iid)t unb unfc^einbor e§ anfangs mar, haS: 3öirf=
lidje unb Sebeutenbe ift. S)em Sdjledjten mag ber Xüq geljijren, bem
Sßa^ren unb ©uten getjört bie Smigfeit. S)a§ ift oor aüem bie grofee
2et)re be§ e()riftentnm§: burd) Sierfotgung, 9)?örtl)rertum unb ^ob ge^t
ber äöeg ^ur §errlid)feit. Xrinmpijierenb fragt fein ©laube: Xob,
mo ift bein Stachel, §ölle, mo ift bein Sieg ? 5)aS Übel unb ba§ Söfe
{)at feine äRac^t über bie, bie in @otte§ §anb finb. (S§ fann fie
öufeerlid) treffen, aber nid)t innerüd^ überroinben, unb fo bient e§ allein
gur 93erf)errlid)ung be§ 9Zamen§ @otte§ an i^nen. —
^d) üerraatjre mid^ jum (Sdjiufe nod)maI§ gegen ha^ Wi^=
t)erftänbni§, al§ ob folc^e S3etracf)tungen ju einem ben ^erftanb
!lSa Ulfen, Giuleitung. 6. ätiifl. 22
338 I- S3ud): mttap^t)\il. 2. ta^ttel: S)ag foSmoIogifdi^^eoIogiic^e «Problem.
gtüingenben t^eoretifc^en 53eWei§ QuSreid^ten, ober al§ ob burc^ [te
©taube imb 9(leIigion erzeugt inerben fönnte ober müBte. ©ie ^aben
kbigtirf) bie Sebeutung, boB fie gegen ben negotioen 2)ogmQti§mu§
einer rein pf)t)fi!aüfc^en SSettanjdjauung boS Urteil in ^reit)eit fe^en.
9fteIigion entspringt nid)t qu§ bem ®en!en, fonbern qu§ bem ©rieben.
®a§ gilt für ben ©ingelnen, n)ie für bie Sßöüer. ßeben unb ^ob
finb bie großen ^rebiger ber Üieügion; unb fo lange fie prebigen
ttjerben, fo lange njirb Sfieligion auf (Srben nicfit au§fterben.
®rei ©efü^te finb e§, in benen öor aüem bie Ütcligion i^re en)ig
lebenbigen 2Bnr§eIn t)at, fie luerben oon Seben unb 2ob immer tt)ieber
in ben ^erjen ber SJZenfdEien f)erüorgebrad)t: bie 5lngft, bie be =
njunbernbe f^reube unb bie ©nttäuf c^ ung. (Srft ttjenn
biefe ©efü^te ou§fterben, n)irb bie SRetigion fterben, mirb für \)a§^
reine SSiffen ber Stag gefommen fein.
5lngft unb S^iot ift bie erfte ÜBurgel ber Ü^eligion; fie t)oben
ben SJJenfc^en ha§> ßauhtxn getetjrt, haS^ tt)ir oben al§ bie Urform
ber Sejieljung ju einem Überfinnlic^en fanben. 9lod) je|t finb Se6en§=
angft unb XobeSnot bie ftorlen eintriebe, bie ben SJJenfc^en auf bie
^niee inerfen unb if)n treiben, 3iif^i^<i}t 3" fu(i)en oor ber ^f^atur bei
etUJoS, n)a§ über ber 9Zatur ift. 2lm ftörtften bie ^obe^angft, fei e§
um hü§> eigene, fei e§ um ein geliebtes anbereS ßeben; in ber Stngft
öor ber SSernid^tung !tammert fic^ ba§ ©emüt an ein @tt)ige§ unb
Übern)ir!Iic^e§, ha^ nidit ber SSernidjtnng unterliegt.
3^ r e u b e unb 53 e m u n b e r u n g ift eine anbere SBurjel ber
9?eIigion. Sugenbfrifd)e unb ®efunbf)eit, fjoffnungSüoHe 3:^ätig!eit
unb frof)e§ Gelingen erzeugt eine freubige (Stimmung, bie in
®an! überjuge^en ftrebt. Sf^eine S^aturbetrac^tung ftimmt jur ?lnbad)t,
bie bie 9latur al§ ^inmeifung auf ein §ö{)ere§, beffen äöer! unb
Offenbarung fie ift, auffaßt. «Sinnenbe ^ßertiefung in bie SBerfe be§
®eifte§, in bie ©d)öpfungen ber ^unft unb 5)ic^tung, in \>a^ ßeben
großer unb guter, tapferer unb tjeiliger SJJenfdjen erfüllt ha§> ^erj
mit ben @efül)len be§ ©c^önen unb ©r^abenen, ber S3ett)unberung
unb SSerel)rung, unb aud^ biefen ®efül)len ift e§ eigen, i^m bie
Sflic^tung nad) oben ju geben auf ein SlltguteS unb SßoülommeneS,
beffen Slbglanj allel «Sdjöne unb @ute auf (Srben ift. ®a§ ift @oetl)e§
^fteligion:
11. S)a§ SSer^ättniä öon SBiffen unb ©lauben. 339
Sit unfrei 58iifen§ $Retne tüogt ein Streben,
<Bid) einem §öf)crn, ^Reinem, UnOefannten
Slug 3)anfbarfeit freiwillig ^injugeben,
©nträtfelnb fid) bem eföig Ungenannten;
9Bir fieifien'ä: fromm fein!
Sine britte SSur^el ber retigtöfeu empfinbung ift bie (Snt =
täufc^ung unb 3SeItmübig!eit. Sn ben (SrIöfungSreltgionen
tritt biefe ©eite [tar! unb beuttic^ f)eroor. 2)a§ ßeben unb bie SBett
r)ielten nic^t, roü§> fie bem jugenblid^ |)offenben üerjproc^en; bittere
(gnttäufcfiung, grimmige ^eue nagt am ^erjen, ha rettet e§ fid; cor
Sßergmeiflung unb Seben§e!el burd) bie gluckt au§ biefer SSelt ju einer
befferen SBelt, ttjirft e§ fid), ftiefjenb öor ber §ärte unb ©eI6ftgerec^tig=
feit, ber ©emein^eit unb galfdj^eit ber SJJenfc^en, an ®otte§ ^erj.
Sn Qller ibealiftifc^en ^fjilofoptjie ift etttjaS üon biefer (Smpfinbung;
bei ^lato, bei gierte üingt fie an. 2)ie ©ntrüftung über bie Söelt
unb bie 9}?enfc^en, tote fie finb, treibt bie Sßel^auptung f)erüor: biefe
SBelt ift gar nic^t bie n)ir!Ii($e SSett, fie !ann e§ nic^t fein, fie ift ^u
gering baju: e§ giebt, e§ mufe geben eine reinere, fjöljere Sßelt jenfeitS
biefe§ ®unftfreife§ ber ©inn(id)!eit. — 2Sem bliebe biefe (gmpfinbung
ganj fremb? (Stmo§ üon bem contemtus mundi, ber im ß^riftentum
fo ftar! Ijerüortritt, empfinbet ttJot)I jebei ^öf)er geftimmte ©emiit. SDie
SOfJenfd^en finb nid)t, tuie ünblic^eS 35ertrauen fie oorauSfe^te; tjinter
bem fd^i3nen @d)ein, mit bem fie fic^ ^u umgeben miffen, öerbirgt fic^
gemeine» (Streben unb niebrige ©efinnung; mit bem (Sdjönen unb
©Uten ift e§ if)nen fein (Srnft, fleine ^wtdz unb niebrige ?(bfic^ten
öerfolgen fie felbft unb fe|en fie bei anberen oorau§; ha^ ©roBe unb
SBortrefflic^e erfüllt fie mit 9^eib, ernfte unb gro^e Seftrebungen er*
meden bei i^nen SJJiBtrauen unb §aB, unb ein unbarmfjerjigeS ©erid)t
ergefjt über ben, ber nid^t mit ifjuen bo§ kleine groB, ha§^ '^c^^^^ ed^t,
ben ©d)ein SSatjr^eit nennen miü. SDa menbet fid^ ha^ ^erj mit
STrauer unb ©ntrüftung ab unb beruft fic^ öon bem ©eric^t ber
SEJJenfdjen auf einen f)öf)eren unb gered^tercn Ü^idjter; fidj ©otte§ ge=
tröften unb nid§t auf eitle unb beftec^üc^e 2)^enf(^en, nid)t auf bie
creatura fallax bauen, mirb \)a§: ©efe| feinet Seben§. @§ ift auf
(Srben nid)t§ ©roBe§ gefd)ef)en, mo nic^t üon biefer (Smpfinbung etma0
lebenbig mar. — Unb meldjem £eben bliebe eine anbere (Snttäufdfiung
crfpart: bu ftrebteft nad) ben fingen biefer SSelt, nad) ©elb unb ©ut,
22*
340 I.SSuc^: Tletap^t)\it. 2. ^o^iitei: ®o§ fogmoIogi)c^4f)eorogiid)e «ßrobtem.
na<i) (Sf)re unb (Stellung, nad) ©enuB unb 2öof)lIeben, unb bu madift
nun audj bie taujenbmal gemod^te (Srfo^ruug, bo^ fie ni(i)t ba§ ^erj gu
fättigen vermögen; bu trug[t bid^ mit großen Singen, bu bac^teft bie
(Sdji3nt)eit, bie 2öa't)r^eit ^n erjagen unb finbe[t bid) nad) mandjem langen
Sßeg unb Umtüeg in Irrtum unb gin[terni§; bu 5og[t einmal au§ für
9iedjt unb grei^eit ju [treiten, aber bu bi[t mübe unb nadjgiebig ge*
lüorbcn unb f)aft beinen ^rieben mit ber SSelt gemad^t. 5tud) bieje @nt=
täujdjung loirb jum eintrieb, nad) einem §öf)eren aulsufdjaueu, mirb jur
©e^nfudjt nad) einer ©rlöfung öon biefem gangen finnlid)=5eitlid)en Sßefen.
S(üe§ Qrbifc^e fommt bem tüeltmüben ©emüt fc^at unb öbe üor, unb
e§ fpridjt mit bem 3}id)ter, bem nid)t§ 9}?enfd)Iic^e§ fremb geblieben i[t:
'^ä) id) bin be§ Sreiben? mübe!
SBog foE aü ber ©c^merj unb Suft?
©ü^er i^riebe,
^omm, a^ !omm in meine $8ruft!
®a§ finb bie ©efüljle, bie ba§ SSertaugen nad) 9^eligion im
9)?enfd)enf)er5en I)ert)ortreiben. ©o lange fie nid^t ganj burd^ fette
@id)erf)eit unb Sl'uIturt)od)mut, burdj ©elbftbemunberung unb ^%antiner«
tum oerbröngt merben, mirb bieg 35erlaugen [tetiS neu feimen.
(Srfüüung aber finbet e§ allein in einer gegebenen, gefd§id)t =
I i d) e n 9ieIigion, uid)t in auSgebad^ten ©ebanteu ober Silbern, bie fid^
ber öingelne erfinbet. S)a§ ©etbfterbadjte ift ein SSidfürlid^eS, ha§i man
behalten unb aud) beifeite t^un !ann. 35on ber 9fietigion aber oerlangt
ber 9Kenfc^ eben bie§, ha'i^ fie t^n über fid^ felbft unb feine SSillfür
ergebe unb i^n auf einen feften unb öerläf3li^en (^ruub fteüe. liefen
bietet aücin eine gefd)id)tlidje Üteligion, ber ®Iaube, in bem bie 5ßäter
tebten unb ftarben. Sie großen ©ijmbole, bie ]d)on bem ßinbe ben
@inn ber SSett beuteten, bie merbeu, menn fid^ ba§ retigiöfe SebürfniS
regt, im S3etüuBtfein mieber tebeubig; fie ftellen fid) nun bem ©emüt
qI§ ha§> ^efte unb (Slüige bar, al§> ha§i allein SöerläBIic^e im (Sd)manfen
ber ajieinungen. Sie 2et)rgebäube ber ^t)itofop^en, bie Sf)eorien ber
©ete^rten, bie ©t)fteme ber S^eologen öerge^en, mie jmifc^en SIbenb unb
ÜJ^orgen bie SSotfeu !ommeu unb ge^en, inbeS bie großen ©t)mboIe
bleiben, mie bie Sterne be§ §immel§, menn fie aud; auf Slugenblide
t)on ben oorüberäiel^enben Sßolfen bem Slid üerbedt ujerben.
Sem SSauberer, ber aug bem .^odjgebirge in bie (Sbene 5urucf=
fef)rt, merben §unäd^ft bie ©ipfel burd) bie näheren ^ßorberge uerbedt;
11. S)o§ SSerfiältnig üon SBifjen unb ®Iouben. 341
tu bem 9}?a&e, Qt§ er fic^ tüeiter entfernt, finfen bie Sßorberge ^ujommen
unb am @nbe ragen einjam über bie ineitc (Sbene ^er bie fc^neeigeu
©pi^en. ©0 get)t e§ bem 9J?enfrf)enfinb mit ber D^eligiou. SSerben
5uuä(^[t burd^ bie gütte neuer ©iubrücfe, ujeldje 2öelt unb Seben auf
ben in bie SBett fjinau^tretenbcn Jüngling madjen, bie erften großen
Sugenbeinbrücfe gurüdgebrängt unb n)oI)t gan^ unfid[)tbar gemacl)t, ]o
beginnt, nienn bie ^Qit be§ 9iücf61i(fen§ !ommt, n)enn bie elterlid^e
©eneration abftirbt unb neue§ junget Seben firf) gu ben eigenen
^üfeen regt, bie (Srinnerung an bie S»genb unb ^eimat mdd^tig
tjernor^utreten ; unb mit i^nen !ommt bann bie Srinnerung an bie
geiftige .^eimat, an bie SBett ber 53i(ber unb ^njd)auungen, in ber
ba§ 58ett}uBtfein be§ ^inbe§ lebte. Unb inbem jeljt ber groBe @inn
biejer SDinge ber burc^ mannigfarfie ßeben§erfaf)rung bereid)erten ©ee(e
aufgefjt, ent[te{)t äugteidf) ber Xrieb, jie fortjupflansen unb burc^ Über=
lieferung ber großen ge^eimni§ooIl=offenbaren SBaf)r^eiten bie äu=
fünftigeu @efci^Iecf)ter mit bem Seben ber SSorfat)ren ju öerfnüpfen.
(So roirb ber ^eim ber Sfieligion üon ®efd)tcd^t ju (5Jefcf)Iedjt fort=
gepflanzt; t)a§> Seben bringt i^n gur ©ntiDicfetung, nid^t überaß auf
glei(f)e SBeife, unb mand)er ^eim get)t überfjaupt nid)t auf; aber
generatio aequivoca finbet f)ier fo ineuig lüie fonft in ber organifdjen
unb gefc^id)ttid)en 3BeIt ftatt.
Sfteligion giebt e§ nur unb fann e§ nur geben in ©eftalt ber
gefd)id)t(id) geworbenen, in @i)mbo(en unb f)eiligen §anblungen au§=
geprägten fonfreten 3Sotf§reIigionen. Sine obftrafte Sfteligion, lüie man
fie unter bem 5;itel einer SSernunft= ober 9^aturreIigion gefud^t ^at,
ift nid)t möglid); fofern bei einzelnen benfenben SOfenfd;en fo tiwa^'
üor!ommt, ift e§ ein Überreft, ein le^ter SSieberfd^ein einer ooUen
fon!ret=mirf(id^en 9?eIigion.
SSortrefflid) fagt f)ierüber Ütenan in ber gebanfenreic^en ?(b=
l^anblung über bie 9}?etapl)i)fif unb i^re 3^1'^""^^ (Fragments philo-
sophiques <B. 327): „®en 2)eigmu§ mirb feine 3)urd)fid)tigfeit ftet^
oerf)inbern eine 9?etigion ju n)erben. ©ine 9?eIigion, meldf)e fo !Iar
njöre mie bie ©eometrie, mürbe feine Siebe unb feinen §aB erregen.
®og aber allein fd)afft ein Sanb ämifdjen ben 9}^enfd)en, ma§ eine
freie unb perfönlic^e 2Baf)I einfd)tieBt: je eoibenter eine SBaf)rf)eit
ift, befto meniger mad)t man fid^ ou§ if)r: Seibenfdjaft erregt nur,
342 I. SSud^: Wittap^t)\it 2. Äapttel: ®al fo§mologti(^=t^eologiic^e <}5robIem.
tt)a§ bunfel ift, benn bie ©üiben^ fc^üeBt bie inbiöibuelle SSa^I au§."
3)er !ritifd)e ^tjilojop!) ttiirb ba^er nidjt t)erjucf)en, „bie 9^eIigion ifjter
bejonberen @(auben§artife( ^u entfteiben; er glaubt nic^t, baß man
burd^ Slnalt)fe ber üerj(f)iebenen Sfieligtonen auf bem örunbe be§
(5(f)mel5tieget§ bie äöa^r^eit finben lüürbe. (Sin joIrf)er 35erjucf) lüürbe
nur ha§i 9ii(f)t§ unb ba§ ßeere ergeben; \tht§> ®ing ^at feinen SBert
nur in feiner eigentümlichen, für un§ c^orafteriftifc^en gorm. (Sr
nimmt jebeS <St)mboI für ha^, was e§ ift, für einen eigentümlichen
'ämhxnd eines (Sefüf)I§, ha§: nic^t täufäjt. Sie 2Saf)rf)eit eineS (Si)mboI§
ftef)t eben barum nicf)t im 3?ert)ä(tni§ ä^i i^^^^i^ öinfa(i)f)eit. Sn ben
Saugen be§ Seiften müfete ber S^tam für bie befte Religion gelten;
in ben 5(ugen be» fritifcf)en ^^^ilofopf)en ift ber 3§(am eine fet)r bürftige
Üieligion, melcf)e bem 9JZenfcI)engefcf)Iecfjt mef)r 93i3fe5 al§ ö5ute§ gebraci)t
f)Qt. Saffen mir bie Sf^eligionen oon ©ott reben unb £)üten mir un§, in
ber ^bftc^t, fte ju öereinfacfien, fie ju gerftören. 9iüf)men mir un§ nicf;t
unferer ÜberIegenlE)eit; if)re g^ormeln fiub nur um ein geringe^ met)r
mi)tf)ifdj, als bie unfrigen, unb fie Ijaben große 53or§üge, bie mir nie
erreichen. (Sine formet ift eine (^renje unb ber $8eftreitung auSgefe^t;
ein .^timnnS, eine Harmonie fiub e§ nid^t, benn fie entfjalten feine Sogif
unb IjQben nichts 2)i§putierbare§ an fidj. Sie Sogmen ber ^att)olifen
ftoBen un§ ob, if)re alten Siirdjen finb unfer (StttgücEen. Sie S3e=
fenntniffe ber ^^roteftouten finb uns g(eicf)gültig, bie ^erbe ^oefie if)re§
©ottesbieufteö jie^t un§ Iebf)aft an. Sa§ Subentum fagt un» menig
5U, aber feine alten ^falmen fprec^en ixod) ^u unferm ^er^en."
Sie§ follten biejenigen nic^t üergeffen, bie burcf) ^t)iIofopt)ie eine
neue Sieligion ju ^immern bemüht finb. (Sine 9ieIigion beftetjt nict)t
aus begrifflidjen gormein, fonbern aus fonfreten Sijmbolen; (St)mbole
föunen aber nicf)t genmd^t merben, fie tonnen nur burd; gefct)icf)tlid)e§
SSac^Stum entftef)en. (Sine 9ieligion fann neue (Elemente aufnet)men,
ber alte (Stamm fann neue (Sprößlinge treiben, aber fie entfte|t nicf)t
burd) generatio aequivoca; mic f)at ha^^ (£l)riftentum in allen fünften,
im (Glauben mie im £ult, bie 33erfnüpfung mit ber D^eligion S^raetS
feftgef)alten, Wix fc^eint, e§ muB jeben, ber für bie ^oefie ber (3t'
fd)id)te audj nur ein leife§ 9?erftänbni§ Ijat, unenblid^e 2angemeile mit
(Salinen unb gröfteln überfommen, menn er gegen eine mirflid^ ge=
fcf)id)tlic^e Üieligion bie S^erfudje fünftlic^er S^eubilbung, mie 5. 93.
11. 2)ag Sßer^ältnig öon SBiffen unb ©lauben. 343
6omte§ Üieligion ber Humanität mit if)ren Segriffen unb g^ormeln,
i^ren ©ijmBoIen unb if)rem Ä^utt f)ätt.*)
Unb Qurf) ba^ follten bie (Stifter neuer Üieligionen nid)t üergeffen,
boB eg ot)ne ba§ Xranf cenbente !eine 3?eIigion giebt. ^Die S3e=
jie^ung jum Sranfcenbenten abftreifen, liei^t bie Ü?e(igion jerftören.
SBir !önnen einen (ebenben äJcenfc^en ober eine gefdjictjtlidje "iperfön^
Iid)!eit lieben unb üerel)ren, aber religiöfe (Sf)rfurd;t fbunen wir nur
öor einem metempirijd)en, einem übermirflidjen SSefen empfinben.
Sebe§ ttjirfüdje SBefen t)at ©djraufen, bem Sbeal altein fef)(t ha^
91egatioe. (Sin gefd)id)tlid)e§ SBefen !ann ©egenftanb religiöfer 33er=
cl^rung nur baburd) inerben, ha'^ e§ ou§ ber empirifdjen SBett ^erau§*
get)oben unb in bie SSett ber !^ic^tung, ber ^beate, ber (St)mboIe öer-
fel5t wirb. Ratten n)ir ftott ber üier ©öangelien eine üierbäubige
93iograp^ie Sefu, bie un§ bi§ in§ Äteinfte aüeS berid)tete, luaS er
jeben 2;ag gett)an unb gefprod^en t)ot, ber (Sinbrud ouf ha§> @enfüt
lüürbe unenblid) üiel geringer fein. 2)ie Siograp^ie njürbe ben
9}?enfd)en mit all feiner S3ebingt:^eit geigen; bie ©öangelien bieten un§
wenige groBe unb ert)abene 3^9^/ ^^^ fleinen ßüge ber alltäglid)cn
S[IJenfd^Iid)feit fet)Ien ober finb nur leife angebeutet; fo fefjen mir in
Sefu i)a§> 33ilb @otte§, be§ Übermirflic^en, Übergeftaltigen, Unenblid^en.
^a§ ift ba§ Sf^ed^t unb bie 9^otmenbig!eit ber SSergottung Sefu im
©tauben ber Äird)e: ber ©egenftanb unferer religiöfen 33ere^rung ift
nid^t ber empirifd^e 9J?enfd), fonbern ift ®ott, ber in biefem 9J?enfd^en
un§ erfdjienen ift unb ben SSeg gum Seben unb jur ©eligfeit geigt.
S)er ^ofitiüi§mu§ glaubt, ba| ber 9}Jenfc^ ben Qüq gum lln=
enbüc^en unb STranfcenbenten, ber bie bisherige Ü^eligion d)arafterifiert,
abguftreifen im 93egriff ift. Sd) ^atte ba§> für eine jEänfdjung. ®a§
§inau§ftreben in unbeftimmter (Sel)nfud)t nad) einem Unenblidf)en unb
SlUguten ift ein bem 9J?enfd^en eingeborener unb unöerlierbarer 2)rang.
*) 9J?an je'^c bie SKitteilungen über biefen ^unft in einet an intereffanten
X^atjad^en reid^en ©tubie bon bem :3efuitcn §. ©ruber, (Somte unb ber ^ofiti«
öi§mu§ (1890) unb öerfciume nid^t, anä) bie jmeite ©tubie be§felben 3Serfafferl:
ber ^ofitiöilmug bom Sobe ?t. ©omtel bi§ auf unjere Sage (1891) nadf)äulefen;
tnon finbet f)ier eingef)enbe ÜJiitteilungen über ha§ ganje ÄuItceremonieH ber ortf)o=
bojen ^ofitiöiften in f^ranfreic!^ unb (Snglanb. SBir fjaben l^ier fiiturgie, ©ebet,
©oframente, SBaKfalirten, nur ®ott fe^It; ftatt feiner roirb in ben ®ebetcn, oud^
in ber Sefung ber Imitatio Cliristi, „9Jienfc^^eit" gefegt.
344 I-33uc^: SJietap^^fü. 2. Äo^itel: 3)a§ !ogmoIogi|cf)4^eoIogifc^e <ßrobtcm.
@r finbet in ben ©ütern unb ©eftolten ber (Srbe, ber erfotirfiaren
SSirüic^feit, nic^t öoHe ©ättigung; e§ fommen trenigftenS ©tunben, tüo
oHeS Si^bifd^e unb 3^itlitf)e tf)m gering unb !(ein ttjirb, wo bie ©ef)n=
fud^t nad^ einem ©tüigen unb Unbergönglidien i^n ergreift. Unb nic^t
bloB bem ©emüt, oud) bem Snteüeft mirb bie gegebene 2öir!(id)feit ju
enge: tt)enn bu nun Ujirüid^ olle SBiffenjdjoft UJÜ^teft, tüenn bu auf
alle Strogen, um tt)etd^e bie ©efd^icfit^funbigen unb bie Slaturforfdjer
fic^ ra[tIo§ bemüt)en, bie Stntmort tjätteft, inaS märe e§ ©rofeeS? SenfeitS
be§ SSi^baren unb Sßorfteltbaren unb (Sagbaren i[t ha^ SBirüic^e unb
SSolüommene. (Seltener a(§ in ben STagen 3^anft§, ber fpefulatiüen
^t)iIofopt)ie unb ber 9ftomantif, manbeln ben l^eutigen SJ^eufd^en joldje
Stimmungen an; ha§> ©enügen im 9läd)ften unb kleinen ift für ben
©eift ber ©cgenmart be^eid^nenb. (S§ mar e§ and) für ba§ ßeitalter ber
Stuftlärung; ^lar^eit unb 9^ü^tic^feit tnar feine ^reube. Slber ber
^enbelfd^tag be§ gefdjid)ttid)en £eben§ bradjte auf bie Hufüörung ©turnt
unb ®rang, Stomantif unb 9J?t)fti!. §at öielleid)t aud) ^eute ba§>
^enbel fd)on feinen äuBerften ^un!t erreicht unb ift im S^üdfc^mung
begriffen? S)ie Überfd)ä^ung menigften§ ber miffenfc^oftüd^en 3^orfdE)ung
unb if)rer Seiftungen bürfte ifjren ^öf)epunft überfdjritten f)aben; unb
bie S3emunberung ber Üxeatpoüti! fd^eint aud) merHid) nadjäulaffen. (Sin
SSerlangen nac^ einem neuen, reid^eren, freieren, geiftigeren Seben§in^a(t
fc^eint fid), nad) mand)en (St)mptomen gu urteilen, in ben 3}öl!ern be§
3tbenblanbe§ mieber §u regen: bie ©e^nfudjt nad) leitenben Sbeen, bie
(Se{)nfud^t nac^ Üleügion .*) 9)?ag fid) ber ©eift geitmeilig an ha§>
3eitlid)e unb S3ergänglid)e ganj gu öerlieren fdjeinen, e§ fommt bie ^^it,
mo er aß ber ®inge, benen er atemtoS nadjjagte, mübe mirb, tt)o er,
geföttlgt öon 9iationaIreid)tum unb prunfenbem @enuB, öon D^u^m unb
allgemeiner S3i(bung, fid) mieber auf fid) felbft unb baS: ©mige befinnt.
%o^ ift e§ jebem eingeboren,
2)o§ fein ®efü^t :^inauf unb tjortt)ärt§ bringt,
SÖSenn über un§, im blauen 9toum öerloren,
S^r fd^metternb Sieb bie Serd)e fingt,
*) ®oB % bc Sog orbe§ ®eutfcf)e ©d)riften (3. ?tufl. 1891) burdijubringen
beginnen, ift ein foldieg ©l)mptom; ber 5ltem ber ^ufunft ift in it)nen. ®a§ l^orte
Urteil über bie Sattfieit ber ©egenföart im ©emeinen unb Steinen berüt)rt roie
ber f)erbe Suftjug, ber bem Stufgang ber ©onnc üort)erget)t.
11. ®o§ 9Seri|ältm§ oon SBiffen unb ©tauben. 345
9Benn übet fc^roffcn i^irf)tenf)ül)en
®er Stbter ausgebreitet jc^luebt,
Unb über glücken, über ©een
®er Sranicf) nod^ ber §eimat ftrebt.
Sn bicjem ©inne i[t bie Dleligion mit ^f)i(o)opf)ie, ©laubcn mit
freieftem 2)en!en üereinbar. Ü^eügion forbevt nidjt §u benfen, \va§>
nid)t gebockt tüerben fann, fonbern ju glauben, luaS bem ©ernüt, bem
SSiUen entjpridjt, bem SDenfen nirf)t miberjpvidjt. —
SBotjer tommt benn ober ber flaffenbe SBiberjpruc^ ätüijc^en bem
©tauben unb ber SBiffenfc^aft, gttjifdjen ben iüirflid)en Über;\eugungen
unb bem 9fteIigion§be!enutni§, ber bie grofee Äranff)eit unjerer ^dt
au§mad)t? Cffenbar bot)er, baB au§ ber 9ieIigion ein pjeubo=
tt)iffenfc^oftti(^e§ ©t)[tem gemad)t ift, unb für beffen ^ormeln unbebingte
SInerfennung geforbert lüirb. @egen bie Unteriüerfung unter fo[d)e oon
9J?enjdjeni)änben gemad)te Dogmen letjut fid^ ber ^reiljeitSfinn unb ha§
empfinbtidjere tt)eoretijd)e ®en)iffen ber 9^eu§eit auf. (Sine ölte 9^ebe
fdliebt ben Unglauben auf ben f(^ted^ten SSitlen, ber fid^ ber f)eilfameu
3ud)t nidjt unterrtjerfen wolle. ^ie(Ieid)t fommt audj fo etwas oor.
Slber ba§ wäre mutwillige (Selbfttäufdjung, wenn man auf biefe Urfad^e
alle (Sntfrembung oon ber ^irdje unb allen Söiberftaub gegen ben
©lauben fd)ieben wollte. ®aran glaubt auBerf)alb ber engen Greife,
in benen jene 9^ebe l)erüorgebrad)t ift, längft niemaub met)r, bafe nur
fd)led)te Si)?enfd;eu im fird)lic^en Sinn ungläubig finb; alle SBelt wei§,
hü% faft oHe bie SOMuner, bie unfer Söol! al§ feine geiftigen ^üt)rer
unb al§ gute, wal)rl)afte unb tapfere 9J?änuer oereljrt, ha^ ®oett)e unb
@d)iUer, Äant unb ^ic^te — unb weld^en DIamen müfete man Ijier
ni(^t nennen? — ben firdjlid^ Ungläubigen ^uju^ä^len finb.
5(lfo uidjt l)ier liegt bie Urfadje ber weitoerbreiteten 5lbueigung
gegen 9ieligion unb Ä^irdfie; fie liegt barin, bafe im 92amen ber ^Religion
Unterwerfung nid;t unter ©otteS ©ebot, fonbern unter 9JJenfd)enfa^ung
geforbert wirb; ha§> 93e!enntni§ erfdjeiut al§ ein Sod), ben ©e^orfam
gu prüfen, al§ ber SSeg gum praemium servitutis, ju 5Imt unb Se=
förberung. '^a§> erzeugt ben .spafe. 5)ie Ijeiligcn @dE)riften müßten ja
für jeben, ber Sinn für ha^ @infad)e unb SSatjre, für ba§ ®roBe unb
©rtjabene Ijai, an^ieljeub unb erbaulid) fein. 3Sa§ fie fo manchem gteic^=
gültig ober oerlja^t mac^t, ha^ ift, ha^ man fie il)m nidjt ju freier
5tneignuug be§ it)m ÖJemäBen überlädt, fonbern il)u mit ber gorberuug
346 i- 33ud^: S!Jietap^t)fi!. 2. Äapitel: ®og fogmologifc^-tfieotogtfd^e Ißroblem.
bebrängt, barin inspirierte, bucfjftäMic^ ttia^re 93elet)rungen über nQtür=
üd^e unb f)i[torifd)e ^t)at^c^en ju fef)en. SJian ben!e an bie ßage ber
öielen Xaufenbe öon ße^rern, bie täglid) bie 'i^ein leiben, leljren gu
ntüffen, ttJo§ fie nirf)t glauben, unb nid)t jagen gn bürfen, ira§ fie
beuten. 2)ie alten ft)mboIifdjen .^aubluugeu, ge{)eiligt burc^ bie (Sf)r=
furdjt ber 3al)rtaufenbe, müßten ja jebem, ber aud) nur für gejd)ic^t=
Iid)e§ Seben 8inn l^ot, e^rtoürbig unb l^eilig jein; fie fiub unerträglirf)
geworben burc^ polijeilidien ß'manQ unb gubringlidje 33orfdjriften über
has^, inaS man babei beuten unb empfinben foll ober nidjt barf. ®a§
@Iauben§befenntni§, aU freies 58e!enntni§, ha^ man ber großen burc^
bie Scif)rtaufenbe gef)enbeu fittlid)en ßebenSgemeiufdjaft, bie in 3efu§
ben Sringer be§ §eil§ fieljt, angeboren, in itjr (eben unb fterben UJoHe,
tt)ürbe SEaufenben au§ ber ©eele fommen, bie if)m nun mit Mi^'
trauen unb Slbneigung gegenüber fteljen, meil man bie brei Strtifel
i^nen a(§ Ä'inbern burdj StuSmenbigternen, al§ ^noben burd) ©rüären,
al§ Sünglingen burdj 5tbnötigung be§ öffenttidjen 33e!enntniffe§ 5u=
tüiber gemalt t)at.
' ®er ©laube ift feiner 9^atur nad) bie gartefte, freiefte unb inner=
Iid)fte 2eben§bet()ätigung. ©ie ftirbt ab, wo S^ötignug, 93Zenfd)en=
furdjt unb ^otiti! in§ ©piet fommen. Sa§ ift bie offenbarfte aller
2öa:^rl^eiten, bie bie ®efd)id)te ber abenblänbifc^en 33blfer (ef)rt, frei(id)
eine 2Saf)rf)eit, bie ben politifdjen äJJenfdjen f dinier eingebt: inaS fi3nnen
tüir benn t^un, um bem ^olt bie Ü^etigion §u ert)alten? — Sc^ t^eife
es maljrlid; nidjt, e§ fei benn bie§, ha^ if)r bei ber ^^rage ber (Er-
haltung ber Üietigion an endj fetbft §uerft benft.
weitem ^uc^.
Die
^infeifenöe^.
Sie erfenntnistfieoretiicfjen fragen [teilen gegenlüärtig — ober
üielleirf)t barf mau f(i)on jagen, [tanben bi§> nor fursem, beim ein
Umfdjlüung i[t in le^ter ^dt unöerfennbar — im 2)littelpunft be§
pt)iIojopf)ifrf)en SntereffeS. Sie f)atten bie 5(ufmerfjam!eit üon ben
metQpl)i)fifdjen Strogen oielfadf) gang abgelenft; manchen j(f)ien bie 5Iuf=
gäbe ber ^()iIoiopf)ie in (Srfenntni»t()eorie überl)anpt aufjuge^en.
9Jiinbeften§ aber, glaubte nion, muffe aüen meiteren (Erörterungen
bie er!enntni§tf)eoretifd^e Unterfucfjung ber ^^ä^igteiten unb ©renken be§
(Sr!enncn§ öoraufgef)en.
SDie ©efdjidjte ift nid)t biefen 2Beg gegangen. S)ie ^f)iIofop^ie
t)at überalt mit 9}Zetapt)t)fif begonnen; fragen nad^ ber ©eftalt unb
©ntfte^ung be§ Unioerfumg, nad) 'dlatm unb Urfprung be§ ©eienben,
nad) bem SSefen ber Seele unb i()rem 5öer()ältni§ §um ^eibe bilben bie
erften ©egenftönbe be§ pt)itofopt)ifd)en 9hd)ben!en§. (Srft nadj langer
93efd^äftigung mit foId)en Strogen tritt bie ^^rage nac^ bem SBefen be§
(£r!ennen» unb feiner 9Jiögtidjfeit überfjaupt ^erüor. @ie mirb ^eröor-
getrieben burdj bie äiuiefpältigen ?(nfid)ten, auf meldje ba§ 9Zad)benfen
über bie pf)i)fifc^en unb metapf)l}fif(^en fragen fü^rt. 3)er ß^^iefpalt
brängt bie ^^^age auf: ift e§ bem menfd)(ic^en 55erftanbe überf)aupt
mögtid), jene O^ragen §u löfen? 3)ie (Srfenntni§tt)eorie entrt)idelt fid)
al§> fritifdje 9flef(ej:ion über bie 9JJetap{)t)fif. ©o ift ber @ang ber Ö)e=
fd)id)te im 5Utertum, fo mieber in ber Sileujeit.
®ie griedjifdje ^^tIofopf)ie beginnt mit !o§moIogifd) = natur=
p^ilofopt)ifd)en @pe!uIationen. 5)ie ionifd)e, bie eleatifc^e, bie atomiftifd;e
^^ilofop^ie finb in erfter Sinie metapt)l}fifd)e @i)fteme. (S§ fef)It nid)t
an einer 5tnfid)t über ha§> SSefen unb ben Urfprung ber (Sr!enntni§,
aber fie bleibt abljöngig oon ber 9J?etapt)i)fif. Unb ätjulid^ fte^t bie
<Bad)t in ben großen begrifflid)=fpefulatiöen ©i)ftemen be§ ^tato unb
§triftote(e§; bie ©rfenntni^tl^eorie fel^tt nid)t, aber fie n)irb gteidjfam
350 n. SBud): (gr!enntm§t^eor. «Probleme. 1. ÄQpttel: ®a§ «ßroblem be§ SBejenä.
öom (Stanbpunft ber SJJetap'^ljfif bef)anbelt: ha§> (Srfennen finbet fid^
aud^ in ber Sßirftic^feit, iinb fo ent[tef)t bie SIufgaBe, jeinen Crt ju
befttmmen. ßrft in ben jpäteren afabemifi^en unb jfeptif(^en Scfjulen
tritt bie {^i^QQ^ «öd^ ber 3J?5g(id)feit be§ @r!ennen§ unb ber @ett)iBf)eit
in ben SSorbergrunb, nad^bem fie juerft öon ben ©opfjiften allgemein
gefteüt tüax.
(gbenfo beginnt bie moberne ^{)i(ofopf)ie mit metapt)t)jifrf)en
©t)ftembilbungen; ha^ fieb§ef)nte Saf)rf)unbert mit jeinen großen
©tjftematifern, 5)e§carte§, §o6be§, ©pino^a, Seibnij gleirf)t borin bem
fünften 3Q'§rl)unbert ü. ß^r. Hucf) f)ier fe^It bie er!enntni§t^eorie
nid^t, über fie njirb üom @eficf)t§pnn!t ber 9JJetapf)t)fif fonftrniert. SDiit
S. ß 0 c! e § 3Serfuct) über ben menfc^lidjen 3Serftanb njirb bie (Srfenntni§=
t^eorie fetbftänbig; fie entfte^t, wie bie ^ßorrebe ju biefem SSerfe
§eigt, at§ fritifcf)e 9^ef(ei-ion über bie 9JJetap^i)fit ^unädift über bie
l[)errf(^enbe @cf)ulmetapf)t)fif, bie mit if)ren leeren S3egriffen ben SSerftanb
berbunfelt unb bie ©rfenntnis ^emmt, hod) aud^ über bie 9}?etap!)t)fi!
ber mobernen @t)fteme, befonberS be§ ®e§carte§. S^r ^id ift, bie
©egenftänbe möglicher (Sr!enntni§ ju ermitteln unb bie ©renken ber
(Sr!enntni§ ob^uftetfen; möglicher SSiffenfdjaften finbet fie üier: 9}Zatf)e=
mati! unb 9}?oraI al§ bemonftratitie, ^^t)i)fi! unb ^^ft)c^oIogie oI§ er=
faf)rung§mäBige 2[öiffenfrf)aften. gür 9l)?etQp{)i)fit ift eigentlid) fein 9?aum,
menn man nid^t eben bie üieftejion über bie @rfenntni§ barunter t)er=
ftefjen miß. 5(n ßode fcf)tieBt ficf) 3). ,g)ume. Sn ber franjöfifd^en
^^iIofop!C)ie ift 5(. d o m t e ber ^auptoertreter biefer 2tnfirf)t, nad) if)m
mirb fie ^ofitiüiSmuS genannt. ®er beutfc^en ^^ilofopfjie ift fie, nic^t
o^ne beträd)tlic^e Umbilbungen, burd) S- ^ant angeeignet morben,
fie ^ei^t bei it)m ^ritijiSmnä. ®er neuen 9J?etap^i)fif, me(d)e ouf er*
fenntni§tt)eoretifc^er ©runblage üon ber fpefutatiüen ^^r)ifofopf)ie auf^»
gerichtet mürbe, fomie il^rem 9iarfjfoIger, bem bogmatifd)en SOZoteriati§=
mu§, ift bann in bem 5J?eu!antiani§mug mieber bie fritifc^e Sfteftejion
ber (Sr!enntni§t^eorie gefolgt.
©ine Einleitung in bie ^f)iIofopf)ie ift barauf ^ingemiefen, ben
f)iftorifd)en 2öeg jn ge()en unb mit ber 9J?etap^l)fi! ju beginnen, '^^a^n
!ommt, ha^ für ba§> allgemeine Qntereffe bie 9}?etapl)t)fi! immer bie
erfte ©teile einnef)men mirb. Übrigens bin id) ber Hnfidjt, ha^ bie
metapl)t)fifd)en fragen auf jeben galt eine felbftünbige 53et)anbtung
(Sinleitenbeg. 351
erforbern unb nid^t bitrcf} erfenntni§t^eoretifd^e (Srträgungen erje^t
lüerben fönnen; fie fef)ren, wo man e» tierfu^t, unter anbevem Xitd
unb in unbequemerer Raffung n^ieber. ^ant f)Qt ber beutfi^en ^f)i(o=
fopf)ie fein gute§ Seijpicl bamit gegeben, ber er ber 9}ietQp!^i)[if bie
(Setbftänbigfeit genommen unb fie in bie erfenntnilt^eoretifcfje Untere
jud^ung ^ineinge^tuängt t)at; bie ?}rageu ber ^^ftjc^ologie, SloSmotogie
unb ^f)eo(ogie njerben in ber ^iatefti! mef)r beseitigt unb abgen:)iefen,
al§ be^anbelt unb geloft.
Srf) Witt im f^olgenben b(o§ ein paar Umriffe erfenntni§=
ttjeoretifc^er 93etrQdjtung geben, fo öiel all mir erforberlic^ unb Qui=
reidjenb erfdjeint, über bie 9catur biefer Unterfudjungen im allgemeinen
ju orientieren unb ber öorauSgegangenen metapljijfijcfjen Se^anblung
ber pf)iIojopf)if(fjen Probleme bie non biefer Seite notiuenbigen ©r=
gän^ungen ju geben. — SSir üergegenirärtigen un§ §unärf)ft bie §aupt»
Probleme ber @r!enntni§t^eorie unb if)re mögtidjen Söfungen.
5(uf ^n^ei te^te fragen gefjen, luie fdjou oben (Seite 50) an=
gebeutet ttjorben, bie erfenntni§tf)eoretifc^en Unterfudjungen f)inau§, bie
^rage nac^ bem SBefen unb bie ^rage nad^ bem llrfprung be§
(Srfennen§: roa^ ift (Srfennen? unb rt)ie tt)irb (Sr!enntnig ge=
ttjonnen? Sebe biefer O^ragen giebt §ur @ntftef)ung eine§ großen ®egen=
fa|e§ ber 5tnfd^auungen S^erantaffung: SfieaülmuS unb SbealilmuS
(^'^änomenati^muS) finb bie beiben entgegengefe|ten ©runbformeu
ber Seantnjortung ber erften, (Sulpirid mu§ unb 9iationa(i§mu§
ber jtüeiten g^rage.
^uf bie ^rage nad) bem Sßefen ber @r!enntni§ giebt ber
Ü?eaHlmu§ bie 2(nttt)ort: (Srfennen ift 5(bbilbung ber 2Öitf(ic^feit,
bie 93orfteIIung ift bem ®ing oollfommen iifjulidj, fie ift ein alterum
idem be§ 2)inge§, nur ofjne bie Singfjeit ober 2Sir!Iic^feit. — ®er
SbealilmuS ober ^{)änomenaIi§mu^ bagegen bef)auptet: ^or=
fteüungen unb SDinge, S)enfen unb Sein finb burc^au§ üerfdiieben unb
nöllig unnergteid^bar.
Sluf bie ^rage nadj bem llrfprung ber (SrfenntniS giebt ber
S e u f u a t i § m u § ober (S m p i r i § m u § bie 5(nttt)ort : atlcS (Srf ennen
entfpringt au§ ber 233af)rne{)mung, fei e§ äuBerec ober innerer; burd^
Kombination öon 2Baf)rne^mungen entftef)t ©rfa^rung; burd^ ©amm=
hing unb Bearbeitung ber (Srfaf)rung entfte'^t SBiffenfdjaft. — 3)er
352 11. aSuc^: edenntniöt^eor. Probleme. 1. Kapitel: 2;a§ «ßrobtem be§ 38ejen§.
9f?ationaH§mu§ bagegen 6et)auptet: alle eigentlidje ober njiffen«
jd^afttidje (SrfenntniS entfpringt au§ ber ^öernunft, b. I). ait§ immanenter
(Sntlüicfelung öon Folgerungen an§ urjprüngUd) gelüiffen ^rinjipien, bie
ni(f)t ou§ ber Srfa^rung [tammen.
3)a jebe @rfenntni§tf)eorie auf beibe O^ragen ontn^orten unb atfo
5U beiben ©egenjä^en ©tellung nef)men muf?, \o tx^alkn tt)ir ein
oiergIiebrige§ ©(fiema mi)glid;er ©runbformen ber @rfenntni§t{)eorie.
(g§ finb:
1) Üiealiftif rf)er @mpiri§mu§; feine S3et)anptung ift: Ujir
ernennen bie 3)inge bnrrf) bie SBat)rnet)mung, tt)ie fie an fid) felber
finb. — @§ ift bie Stnfdjanung, bie ber gemeinen SS o r ft e 11 u n g
am näd)ften fommen bürfte.
2) 9tea(iftif(f)er 9iationaIi§mu§; feine 93ef)ouptung ift:
lüir ertennen bie Singe, mie fie finb, aber nic^t burc^ bie (Sinne,
fonbern nur burc^ bie 58ernnnft. — (S§ ift bie 5(nfc^üuung, bie ben
großen metapr)t)fifdjen ©tjftembilbungen eigen ift: ^toto, ©pino§o,
§ e g e I bef)aupten olle eine abäquate @rfenntni§ ber SSir!lid)feit buri^
Vernunft.
3) Sbeatiftifdier ©mpiriSmuS; feine 93e^au|)tung ift:
tüir n)iffen um hk Singe nur burdj 2G3at)rne|mung, freitid) giebt biefe
!eine abäquate (Srfenntni§. — (S§ ift bie er!enntni§tt)eoretifc^e ^ritif
ber rationatiftifc^=metapI)t)fifd)en ©l)fteme, tt)eldjer biefe 5tuffaffung an=
ge{)ört; §ume ift i^r fonfequentefter 5ßertreter.
4) Sbealiftif d)er üiationaliSmuS; feine S3e^auptung ift:
n)ir tonnen bie SSirf(id)!eit a priori burd) reine 53ernunft erfennen,
freitid) nic^t, loie fie an fid) ift, fonbern nur, loie fie un§ erfd^eint, unb
gttjor nur ber gorm nac^. — Sa§ ift bie 5tnfd)auung ^ant§.
^on ben @ef(^id)t§fd)reibern ber ^t)iIofopf)ie pflegt nod) eine ^orm
ber @r!enntni§t^eorie aufgefiit)rt jn tüerben: ber @feptiäi»mu§;
feine 33et)auptung fei: wir fönnen überf)oupt nid)t§ erfennen. ,^in
unb loieber giebt fid) aud^ nod) jemanb bie SUJü^e, biefe 5(nfid)t gu
iniberlegen. ®§ fdjeint mir überflüffige W^^. SSenn e§ jemals
irirfüd^en @!epti§i§mu§ gegeben I)at, fo ift er bod^ in ber DZen^eit
auSgeftorben. (£§ giebt f)ier feinen ^(}iIofopt)en, ber baran ätt'eifelte,
ha^ e§ tt)irf(id)e0 SBiffen giebt, ta^ \\d) oom Slid^tnjiffen unterfc^eibet.
(Sinleitenbeg. 353
Tlan pflegt auf §iime q(§ SScrtreter be§ ©fepti§i§mu§ f)inäulüeijen.
|)ume fpielt ollerbingS mit bem ^(uöbnic!, er ift burrf) bie W}^-
üerftänbniffe feiner 5luffaffung tjinlänglic^ bofür geftroft tuorben; e§ ift
if)m ober nie eingefallen ju behaupten, e§ gebe feine äBiffenfc^aft. (Sr
f)ot nur bef)auptet einerfeit§, bafe bie notürIid)e ST^eotogie mit it)ren
SSeroeifen be§ S)afein§ ®otte§ unb ber Unfterblirf)!eit ber ©eele feine
SSiffenfc^aft fei; onbererfeitS, boB e§ unmögtid) fei, oon St^atfacfjen
anber§ al§ burd) (Srfatjrung ju miffen, unb bafe e§ eben barum feine
allgemeine unb notmenbige @rfenntni§ öon Xfjatfacfjen geben fiJnne. —
e§ ift ilant, ber §ume jum (gfeptifer geftempelt f)at, gegen ben er bie
2öiffenfd)aften ober bie a«i3güd)feit ber aKetapf)l)ftf, ber ^^^fif unb
felbft ber 'i)3ktf)ematif retten muffe. 3Bag bie reine ajJatliematif an=
langt, fo beruf)t ^ant§ Urteil über §ume§ ©feptigi^muS auf reinem
9JüBt»erftönbni§; ma§ bie 9Jietap^t)fif anlongt, fo oermirft er nic^t
minber at§ §ume bie rationale ^t)eologie, to^mologie unb ^ftjdjologic.
e§ bleibt bie ^fjQfif; f)ier geben beibe §u, e§ giebt eine foId)e äöiffeu=
fdjaft; oerfdjieben ift nur bie 2(nfid)t über bie ^^orm unb bie 9iatur
ber ©etui^f^eit i^rer (Sä|e: ^ant meint, e§ feien barunter abfolut aH=
gemeine unb notmenbige @ä^e (fQntI)etifd)e Urteile a priori), mäfjrenb
^ume auc^ bie ©runbfä^e nur aU auf ©rfo^rung ruf)enbe, präfumtio
oügemeine (Sä^e gelten laffen mü; ein Unterfc^ieb ber STnfic^ten, ber
nidjt smedmälig burd; ben ^u§brud bejeidinet mirb : §ume leugne bie
9)?i3gnd)feit ber ^^i)fif überfjaupt.
(Soüiel id; fe^e, ftet)t e§ mit ben übrigen fogenonnten ©feptifern
äf)nUd); fie leugnen nidjt bie ajJöglic^feit ober ba§> ®afein ber 2Siffen=
fc^aften, fonbern betonen nur bie Sefc^ränftfjeit unb Ungemifef)eit
menfc^Iidjer 3Biffenfd)oft, oergüdjcu mit einem möglichen Sbeat ber
@rfenntni§, mie e§ in einem gijtttidjen ©eift 2Birf(id)feit f)aben mag.
S)er ©fepti^igmug innerf)alb ber mobernen ^f)iIofopf}ie rid)tet fic^
überoU eigentüd) gegen bie 5lnmaBungen ber tranfcenbenten ©pefutotion;
er jeigt ein boppeIte§ ©efidjt, fofern er entraeber ben retigiöfen ©tauben
ober bie empirifc^e govfdjung gegen bie Übergriffe ber ©pefulation
oerteibigt.
*15 a u l i e n , (Siiileitung. 6. ^lufl. 23
€rftes Kapitel.
1. ®ie tbcaltfttfcfic ©ebanfcnrct^c.
3um 5(u§gant35punft nef)men 4üh audf) t)ier bie gemeine 3Sor=
fteßung. 3f)t @tanbpunft ift ein na in er 9Rea(i§mu§. ©ie ift
überzeugt, ha^ nnjere 5^orftetIungen ben fingen gleichen, rt)ie Kopien
ben Driginofen, nämlirf) bie tt)af)ren; bie falfcf^en finb eben barum falfc^,
ta^ fie nicfjt treue 5(66ilber be§ 2ßir!Iid)en [inb. (S§ befinben unb 6e-
njegen fid) alfo brausen im 9Raum Körper, fie finb au§gebef)nt, unburrf)=
bringlic^, ^oben ©eftolt, g^arbe, @ejd)ma(f, @eruc^ u. f. ft).; a[k§> ba§
finb obfotute (Sigenfrf)Qften, bie fie burrf) bie (Sinne unferer 3SorftelIung
gfei(f)fam etnbrücfen.
SDie ern^adjenbe 9'?efle;rion füf)rt gu allerlei 3^^'^it^^^- ®i^ @inne
täufc^en, tt)enigften§ gutueilen, ber (Stab im SBaffer erfcfieint bem 2(uge
gebrod^en. ^ier !orrigiert ber ^ioftfinn bie 2;äufd)ung, irer fontrottiert
aber ben Xaftfinn? ^er ?^ieberfranfe fief)t unb f)ört ^inge, bie nic^t
finb, aber i^m finb bie -öaüuäinationen SBa^rnetjmungen. 5J)er
5:räumenbe glaubt an bie SBirüidjfeit beffen, nja§ ber j^raum i^m
tiorgaufelt. 2öo ift ha^ Kriterium, an bem man .^aüujinationen unb
Iräume oon tüirÜid^en SBaf)rne()mungen unterfd)eiben fann? STer
^ieberfranfe f)ä(t ficfj ja nic^t für frau!, unb ber Xräumenbe ttjeife
nichts babon, ta'^ er träumt; jo e§ gefi^iel^t njo^t, baB man träumt:
bie^mal ift'§ aber borf) fein j^raum, hü^ id) fliege ober einen (5cf)a^
finbe, fonbern mirflid)e 3SirfIic^!eit. — Cber ha§> begrifftid^e teufen
le^nt fi^, um fein beffereS 9ftec§t barjuttjun, gegen bie finnlirf)e 2öa^r=
nef)mung auf; bie 33emegung ift nirf)t benfbar, argumentiert 3^"o,
alfo fann fie and) nic^t mirflicf) fein; e§ mü^te ein £i3rper benn jugleic^
an einem Orte fein unb aud) nid)t fein fönnen. Sltfo täufd;en un§
1. S)te ibealiftifd^e ©ebanfenreil^c. 355
bie ©inne, bie uti§ bie SBorftellung ber 93eh)egung geben. Unb ^toto
nimmt ba§ 2(rgnment auf: at§ n^erfaenb unb oergetjenb ftellt bie 2SQ{)r=
nef)mung bie 2Birf(id)feit bar, b. f). qI§ jugleic^ jeienb unb nic^t feienb.
S)Q ba§ nidjt gebQrf)t werben fann, fonn e§ aud^ nid^t mirflid^ fein;
folglid) ift bie gan^e finnlidje 5(nfid)t ber 3)inge eine gro^e 3;äufd)ung.
2ßaf)rf)eit ift nur im begriffüd^en ^enfen, \)a§> e§ mit unoeränberlidien
fingen gu tf)un l^at, mie bie äKat^ematif.
Sn ber Sieugeit finb an bie ©teile foldier Q^einerfrogen unb
bioleüifdjen SIrgumente bie auf @ i n n c § p f) t) f i o I o g i e beruf)enben
©rmägungen über ben ßf)arafter ber normalen 3Sat)rnef)mung getreten.
(Sie I)aben ben nainen 9?eali§mu§ ooüftänbig gerftört. Wan fann fie
etma fo fd^ematifieren. SBir nennen eine 9^o^rung gefunb, eine grud^t
n)oI)Ifd)medenb. SSa§ {jeißt ha^? ift bie @efunbf)eit in ber S^afjrung
ober ber 2öof)(gefd)mad im 5lpfet? Offenbar nid)t, ha^ fielet aud) ber
gefunbe SOienfdjenöcrftanb, fonbern in bem, ber i^n i^t; in bem Stpfel
ift nur etma eine Äraft, ben @efd)mad§finn fo ju affigieren. 22Sir
nennen ben ßucfer fü^; liegt bk Bad)t f)ier onber^*? SSielleic^t n^irb
bie gemeine $ßorfteIIung {)ier bebenüic^: ber ^ndtx ift bod) njirflid^
f eiber fü§. — greilidf) ift er; aber tt)o§ bebeutet ha§>? 2ßenn if)r
genauer jufel^t, hod} nid)t§ anbere§ al0: n)enn er auf bie ^VLXiQt
!ommt, fd^medt er fü^. SBenn er nid^t füfe fd)medte, würbet il^r nid)t
fagen, er fei fü§. 2)a» Sc^meden ober ift bod) inieber nidjt in bem
3uder, fonbern in eud;; in if)m mog eine ^raft, eine 93efd)affen^eit
fein, ftield^e mad^t, ha'B il)r biefen ©efd^mad f)abt. @öbe e§ über=
f)aupt feine 3ii"9^' fo fd^medte and) nidE)t§ n^eber fü§ noc^ bitter,
fo gäbe e§ ©ü^igfeit unb 93itterfeit überf)aupt nidijt auf ber SSelt.
Unb baSfelbe mxh nun auc^ oon ben Dualitäten gelten, meldte Sluge
unb O^r ma'^rnel^men. (SJäbe e§ !ein OI)r, fo gäbe e§ feine Xöne,
fttäre fein 5Iuge, fo ft)ären Sid^t unb Sorben nid^t. 2:en SJ^ingen
fann man nur eine $Befd^affenI)eit ober eine ^raft jufd^reiben, bie
(Sinnesorgane fo §u erregen, bo^ in bem S3en)ufetfein biefe ©mpfinbungen
entftel)en. Unb biefe ^raft !^at ja bie moberne 9laturmiffcnfd)aft er=
mittelt: mir niiffcn, ba§, ma§ bie 2!onempfinbung ^erüorruft, ift eine
njeüenfijnnige Semegung ber Suft ober eine§ onberen elaftifdien 9J?e=
bium§; ba§, n)a§ bie Sid)tempfinbung erregt, ift bie oSjiüatorifdie S3e=
megung be§ Slt^erg.
23*
356 II. mä): (5r!enntmgtf)eor. «ßrobleme. 1. tapitel: ®a§ Problem be§ SBefettg.
§ier pflegt bie er!enntni§tf)eoretifd^e 9^efIej:ion gunörfjft ^dt ju
mod^en, toir Rotten bann folgenbe SSorfteüung. 2)ranBen im 'Staum
finb 5lörper, fie finb ou^gebe^nt, unbnrdjbringlid), 6ert)egüd), mit allerlei
Gräften ausgestattet. 9li(i)t aber gehören if)nen bie Ouatitöten ber
@inne§empfinbung a{§> (Sigenfd^aften an, oietmet)r finb biefe allein im
(Subjcft, in ben ©ingen finb nur bie Prüfte, fie ^u erregen. Hub
^n^ar finbet gwifcljen biefen 5lräften unb ben SBirfungen burd)au§ feine
5il)nlid^!eit ftatt. 2)er 5^on gleicht nic^t ben ®rf)rt)ingnngen ber Suft,
U)elcf)e ben ©el^örSneröen erregen; unb fo ift haS^ 2xd}t ben 5(tt)ern)ellen
nicfit äl)nlid); and) ift ha§: ©rün nic^t ein Stbbilb ber ^onftitution
bes ÄiJrperS, ber grüne§ Si(f)t refleftiert. ®ie @mpftnbung§qualitäten
finb lebiglirf) ©ijmBole be§ 2ßir!lid)en, uic^t anber§, njie S3udjftakn
@t)mbDle ber Saute, 253i3rter <B\)\nbok ber SSorftellungen finb, aber
nic^t ät)nlidje Stbbitbungen.
(S§ ift bie§ ber ©tanbpunft, auf bem bie er!entni§tf)eoretifc^e
9?eflefion bes fieb^el)nten SaljrIjunbertS fte^en blieb. ®e§carte§,
ÖobbeS, ©pinoja, Sode !ommen hierin überein: bie finnlid^en
Oualitäten finb nur im S3eJnuBtfein be§ (Subje!t§, brausen aber finb
benjegte Körper, ttjoburd) fie erregt ujerben. Sode l)at biefe Stnfd)auung
in ber Unterfdjeibung ber primären unb fetunbären Qualitäten for=
mutiert. SDie primären Dualitäten finb Slusbet)nung, Unburcl^bringlid)=
!eit, 2eilbar!eit, 33emegung, fie fommen bem Körper on unb für fid^
gu, tt)ie fd)on barau§ l)eroorget)t, ba^ fie allen Körpern, and^ ben
fleinften teilen, unb unter allen Umftänben gufommen. 2)ie fe!unbären
■Dualitäten, ftjie g^arbe, ©efd^mad, @erud^ unb äl)nlid)e§, fommen ben
Körpern nid^t on unb für fid) felbft, fonbern nur in SSe^ietjung auf
unfere ©innlid^feit gu. — Slnf bemfelben ©tanbpunft öerljarren and)
^eute nod) oiele ^Ijljfiologen unb ^f)ilDfopl)en.
Sd) glaube nid)t, ta^ e§ möglich ift, l)ier ftet)en gu bleiben.
®ie Uuterfdjeibuug primärer unb fefunbärer Dualitäten lä^t fid) nidjt
t)alten; 5lu§bel)nung, ©olibität, Settjegung finb ebenfo inenig abfolute
33eftimmungen ber S)inge wie garben unb Zöm. ©iefelbe Setrad^tung,
bie un§ ba^in fü^rt, bie fefunbären Dualitäten in ha^ ©ubjeft gu
öertegen, nötigt un§ aud), bie ©ubjeftioität ber fogenannteu primären
Duolitäten anäunet)men.
ßuerft, mir fommen 5U if)rer 9]orftellung auf bemfelben SSege,
1. 3)te ibealtftijd)e ®cbon!enreif)e. 357
biircfj 3Saf)rne^mung, ober rt)enigjten§ nid^t o^m 3[öa^rnef)mung. Of)ne
@ef{(i)t§f{nn unb Xaftfinn mürbe non 3Iu§bef)nung unb ©oübität \ü
irenig bie Siebe fein, wie o!^ne (Sepr üon Stönen. gingieren ujir
einen 9J?enfd^en, bem aufeer bem @efid)t§finn aud^ bie Saft= unb 336=»
ttjegung^enipfinbung oon Einfang an öi3üig fehlte, ber nie bie 33en3egung
ber eigenen ©lieber unb if)re ^emmung burd§ bie Umgebung gefüf)tt
^ätte, fo tt)ürbe e^ ebenfo unmi3glid) fein, i^m beutlid^ ju mad^en,
IDQ§ ein Körper, n^ie einem S3Iinben, tt)a§ rot ober blau fei. 5lIfo
Äörperlirf;teit ift 2öaf)rne()mung§int)att.
©obann gilt and) f)ier, ebenfo tt)ie bei ben fefunbären Dualitäten:
bie 2Bat)rne{)mung entnimmt nid^t i{)ren ^rHjatt paffio quI ber 3tu§en»
mit, fie bringt i^n oieImef)r fpontan ^eröor. S)ie gen)öf)nlirf)e äJJeinung
tt)irb geneigt fein bie ©ad^e fo anjufe^en: bie 5(u§bef)nung n^irb nn=
mittelbar rezipiert, "öaS^ Singe nimmt fläcf)en!^afte Silber ber au^»
gebef)nten Körper auf, bie allgemeine Sftaumanfc^auung aber lüirb burd£>
2tb[tra!tion üon ben auSgebe^nten 3Baf)rne^mung§biIbern gertjonnen.
— (Einige Sefinnung an ber §anb ber ^^t)fiotogie §eigt ba§ S^rige
biefer SSorftetlung. 2luf ber 9^e^t)aut wirb aüerbingS ein au§gebef)nte§
Silb be§ @egenftanbe§ entworfen, aber biefe§ Sitb ift nid)t bie 3SaI)r=
net)mung. (Sine folc^e fommt erft guftanbe, wenn bie Erregungen,
'wil<i)t bie Sic^tftrat)Ien in ben Snborganen be§ @et)neroen in ber
^e|^aut bewir!en, burd^ bie gafern biefe§ 5Reroen gum ©e^irn ge=
leitet werben. 3Ba§ aber gum ©e^irn geleitet wirb, ha^ ift natürlid^
nid)t ha§> 9le^f)autbilb; Weber ift bieg Silb ablösbar, noc^ fönnen bie
DZeröenfafern Silber transportieren. Unb fetbft wenn ba§ Silb ab^
gelöft unb ftüc!wei§ bnrd^ bie einzelnen g^afern be§ ©efineroen, wie
burd^ 9^o^rpoftIeitung, in§ ©e^irn übertragen unb l^ier wieber ^u=
fammcngefe^t werben fi3nnte, fo wäre bamit nod) nidjt§ gewonnen,
benn im ©e^irn ift e§ finfter. Unb wenn Sic^t f)ineingebrad)t würbe,
fo wäre bie (Bad)t nod) oergebtid^: nun Wäre wieber ein Singe not=
wenbig, ha§> Silb auf§ufaffen, unb ein @el)irn, e§ auf§unel)men. Sllfo
ba§ au§gebe{)nte Sitb Wirb auf jeben gaü, el mag mit ber SluSbcljunng
in ber Slufeenwelt ftel^en wie e§ will, nic^t au§ ber Slnfeenwelt auf=
genommen, fonbern bei @elcgent)eit irgenb einer Erregung neu l)eroor=
gebrad)t, gan^ ebenfo wie ^on unb garbe. Unb nid)t anberS fte^t e§
mit ben (Sinbrüden be§ 5:aftfinne§; auc^ burc| bie STaftneroen fönnen
358 11. 93ud^: ©rfcnntniSt^eor. Probleme. 1. fa^ittet: ®a§ «ßroBIem bei SBefeni.
ni(f)t fertige, au^gebefjnte Kopien ber Körper ins Setüufetfein beförbert
tüerben. ßo|e ^ot in ber „9J?ebi§inijc^en ^fiic^ologie" biefe SDinge
f)öd^[t übergeugenb bargelegt; nic^t au§gebet)nte Silber, jonbern qnatitatiü
öerfd^iebene Erregungen, bie burcf) bie einzelnen ^afern ber (Sinne§=
nerüen jum ©e^irn geleitet werben, finb e§, auf (Srunb beren bie «Seele
fe(6[t \)a§i 3Bat)rnef)mung5biIb aufbaut. Sßir tjaben bemna(^ ebenjo
wenig ©runb, bie Slusbe^nung al§ abfolute Se[timmtf)eit ober ®igen=
jdjaft ber 2)inge felbft anguiefjen, wie gcii^^^ ober ©efc^macf.
S)amit fällt ha§> objeftiöe Safein be§ ^iJrperS fetbft. (Sin Körper,
fo müßten wir tjiernad) fagen, ift ein jubjeÜiDeS ©ebilbe, ba§ auf
@runb irgenbwe(d)er Erregungen üon unferer intelligent ^eröor=
gebrad^t wirb. 2öir fjaben minbeften§ feinen ©runb §u behaupten,
baB ein unferer S^orftellung üon einem Körper äf)nlid)eg (£twa§ aud;
auBer unferer 35orftelIung5We(t üor{)anben fei. SIu§bef)nung, @oIi=
bität, 93ewegung finb in berfelben SSeife, wie ©erüc^e unb ©efdjmöcfe,
färben unb STöne als bloBe ©t)mbo(e einer tranfcenbenten 2Sirf(id)feit
an^ufe^en.
S)er erfte, ber biefe Äonfequeuä ber erfenntnistt)eoretifd^en Qiefleiüon
über bie Siatur ber 2[Baf)rnet)mung erfannte unb rüc!f)aItIo§ gog, war
&. S3er feiet): Körper finb 25orfteUungen, i^r Sofein befte^t im
2Sa§rgenommenwerben (esse est percipi). Übrigen^ war üu6) bie
ältere, metapf)i)fifd)e 9^id)tung, öon anberen @efid)tspunften au^ge^enb,
biefer 2Infd)auung wieberf)oIt nal^e gefommen; fo ©pinoja unb be=
ftimmter Seibni^. @o in ber gried)ifd)en ^t)i(ofopf)ie ^lato; fie
faf)en fic^ alle auf ha§: 2;l)eorem gefül)rt, ha'^ bie räumlid)e SBelt ni^t
bie abfolute 2öirf(id)feit fein fann, 2(u§bef)nuug unb Xeilbarfeit ift mit
obfoluter 3öirflid)feit nid)t üereinbar. 33erfelei)g gefdjic^tlid)e Sebeutung
ift, ha^ er ben erfenntnistf)eoretifd)en ^bealiSmus §ur ©runblage bei
metapl)i)fifd)en 3beali§mu§ gemad)t l)at.
Sn bie beutfc^e ^^^ilofopf)ie l)at ^ a n t biefe Setrac^tungSweife
eingefül)rt: bie Äörperwelt ober bie gan^e 9Jatur ift fubjeftio bebingte
©rfdieinungswelt. Unb in ber 3^oIge wirb aud) f)ier ber erfenntnis*
t{)eoretifd)e 3beali§mu5 gum 5tusgangspunft bes metapt)t)fifdjen ^bealiS*
mu§; in gewiffer SSeife fd)on bei Äant felber, obwof)t f)ier bie 9J?eta=
pl)i)fif, §wiic^en ßrfenntnistf)eorie unb SlJJoral eingeflemmt, nid^t §u
felbftönbigem 2)afein fommt; fel)r entfd;ieben bagegen in ber fpefulatioeu
1. ®ie ibealtftijd^e ®ebonf enteilte. 359
^^ilojop^ie, nic^t minber and) hd @(f)openf)Qiier unb ^erBart unb
ii)ren ^Jacfjfolgeni.
93emerfen»tt)ert i[t übrigen^, boj^ Äant feine fiejer auf ben
^fjanomeimli^muS üon einem anbern 5Iu§gang5pun!t füt)rt unb, njie
€§ f Geeint, felbft gefüt)rt tüorben ift, öon ber !ritifd)en üiefteinon nüm=
M; über ba§ SBefen üon Üiaum unb 3^it- ^^^ ^f^ berüiaum
an unb für fid)? ®ie gemeine StReinung, bie if)n für an ficf) lüirfüc^
t)ü(t, fteüt it)n etma a(§ ein Ieere§ öefäB öor, lüorin bie SDinge finb
unb fid^ bewegen; bie 2)inge f bunten f etilen, fo bliebe nod^ ber leere
fRaum qI§ an unb für ficfi feienbe 2Birtlid)feit. Stber fobalb man mit
biefer QSorfteüuug ernft gu mad^en t)erfu(f)t, erfjeben fic^ 33erge üon
(5d)tt)ierig!eiten. 2Sa§ ift benn biefer leere Staum? nja» mad^t, baB
ha, tt)o bloB ber leere 9iaum ift, me{)r ift üi§> nidfjtS? Ober ujorauö
beftef)en bie SSänbe biefeö ©efäfeeS? Dber f)at e§ überf)aupt feine
SSänbe, ift es unbegrenzt? @g muB inof)t, benn ben 9iaum aU be=
grenzt öoräuftellen, ift ja oöüig unmi3güd), jebe ©renje roeift unnjiber«
ftef)(id^ auf ein Senfeit§. 9^un, ein ©eföfe, ba^ feine SSänbe f)at, unb
öon bem man überf)aupt nid)t fagen fann, tva^ ee ift, unb njoburd)
e» fid^ öom 9Zic^t§ unterfd^eibet, ba§ ift boc^ ein fef)r munberlidje^
SBirf(id)e§, unb ßant Ijot nid)t unred^t, menn er es „ein feienbe§
Unbing" nennt. — Diic^t beffer ftef)t e§ mit ber 3^it^ ^^^ kaen
öefäB, lüorin alle (Sreigniffe finb. Sa, f)ier n)irb bie 'Bad)^ nod;
tt)unberlid}er. 2)ie ßeit beftef)t au§ 35ergangenf)eit unb 3iif««ft/ bie
burd^ ben ben)egtid)en ^unft be§ 3e|t getrennt finb. SDa bie S3er=
gangenf)eit nid)t me^r, bie ßii'fii^ft a^er noc^ nid)t ift, fo möre bie
3eit ein 2öirflid)es, ba§ ans ^njei ^ätften beftef)t, bie beibe nidjt
iuirflid^ finb.
5(u§ allen biefen ©d^mierigfeiten, fo finbet ßant, taudjt auf, mer
fidj entfd)IieBt jn fagen: Üiaum unb ßeit finb nidjt feienbe 2ßirflid)=
feiten, a[§> meiere fie in ber ^(jQt feienbe Unbinge roären, fonbern fie
finb 2(nfdjauung»formen be§ ©ubjeftl. 2)er Ütaum ift bie g^orm ber
äußeren Slnfdiauung, ta^^ f)ei&t bie üon bem ©ubjeft l^erüorgebradjte
Drbnung ber ©mpfinbungen be§ @eftdjt§= unb STaftfinneS, auf roeldfje
and) alle übrigen @inne§empfinbungen belogen tuerben. (Sbenfo ift bie
3eit bie gorm be§ inneren ®inne§. 9ZatürIid^ finb biefe ^nfd)auung§=
formen nidjt 5U benfen ot§ fertige leere ©c^nblaben, fie beftetjen nur
360 n. SSurfi: erfenntntSttieor. «Probleme. 1. Äopttel: 2)o§ Problem be§ 2Befen§.
in ber ^unftion ber 5tnorbnung aller Elemente mit 33e5ief)ung auf
einanber, einer g^nnftion, bie Qud) nidf)t angeboren ift, jonbern im 35er=
lauf be§ 2eben§, menn and) ouf ererbter ©runblage, erttjorben ober
ouSgebilbet n}irb. 2)er leere 9laum unb bie leere ^t\t mören f)iernad)
bie 5ßor[telIung öon ber altgemeinen 9}?ögli(^!eit, Körper unb Se-
megungen unb innere SSorgiinge mit Sejietiung auf einanber in fotdjer
beftimmten SBeife gu orbnen. SDamit öerfdjtninbet aud^ bie munberlic^e
©djmierigfeit ber g^^age: ob 9fiaum unb 3^^^ enblid) ober unenblid^
feien? 2Sir merben fagen: meber — nod). SSie man tion ber ßo^ten-
rei^e meber fagen !ann, fie ift enblid;, noc^, fie ift unenblid), fonbern,
fie fann oon jebem ^un!t beliebig meiter geführt merben, fo fte^t e§
aud^ mit SRanm unb ß^it: öu jebem ^un!t ift e§ möglich, beliebig
nad) allen (Seiten meiter ^u gel)en; bie a)?öglid)!eit ber (St)ntf)efi§ in
^aum unb ßeit ftö^t nirgenbS auf ein ^inberni^, fo menig mie bie
9[Ri3glic^!eit meiterer 5lbbition; unb ebenfo ftö^t bie 2lnall)fi§ nic^t auf
le^te ^eile, fo wenig mie bie 3)iöifiou.
^ant faBt bie (Summe feiner (ärmägungen in bie gormel: 9?aum
unb 3^it Ijaben empirifd^e Slealität, aber tranf cenbentale
3 b e a li t ä t. gür unfere Slnfd^auung ber 2Birflid)!eit finb 9fiaum unb
3eit altgemeine unb notmenbige 95orau§fe^ungen, unb barum gilt, ma§
üon Sf^aum unb ß^it überl)aupt gilt, aud) üon ber S^latur, meiere nichts
ift ol§ mit (grfd)einungen erfüllter Sflanm unb erfüllte ß^it. 5lber e§
gilt nic^t oon ben S)ingen, mie fie an fid^ finb. 2Sir "^aben feine
Urfad^e ju benfen, boB bie Orbnung unferer (gmpfinbungen eine abfolute
Drbnung ber an fid; feienben SSirflid)!eit ift. Ober, menn mir bie
Soc^e fonfreter au§brüden mollen: n)ir !önnen benfen, ha^ e§ äßefen
giebt, bie, mie anbere Sinnesorgane unb 2[BQl)rnef)mung§inl)alte, fo
aud^ anbere formen ber Drbnung ber (Stemente t)aben al§ mir. SSir
fönnen un§ eine Sntelligens beulen, für bie meber ba§ S^or unb 9Zad),
noc^ ba§ 5lu^er unb Sieben ©inn unb 58ebeutung l)at. Sie 3;eile einer
maf^enmtifdien 3)emonftration ober 9fted)nung finb nic^t auBer einanber
im 9fiaum, il)re @t)mbole, bie ß^icfien, finb e§, ober bie gaftoren felbft
finb e§ nidjt; fo finb fie auc^ nic^t oor ober nac^ einanber; b. l). in
bem SemuBtfein beffen, ber bie 9fted)nung nadjred^net, treten fie nad)
einanber auf, aber t)a§> ift zufällig, an fid) finb fie gugleid) ober oiel=
me'^r ot)ne Jöe^ieljung jur ß^it überl^aupt. pr ein öollfommeneg S3e=
1. 3)ie ibeali[tifrf)e ®ebanfenreif)e. 361
tDuBtjcin lüären btof; bie inneren begrifflirfjen ^e^ie^ungen ber (Stemente
üor^anben, otjiie alle ^eimi)(i)ung üon Üiöumlidjfeit unb 3<^itücf)teit.
^enfcn mv un§ nun, bie SDinge felbft feien ettt)Q§ ^o^^^^'^^^^B^^f ""^
eö be[tünben jn^ifdien if)nen äfjnlid^e innere Schiebungen, ioie ätt)ijd)en
ßalfiten, fo njüre bie ooHfommenfte ^luffaffung ber SSirflidifeit bie
eines äRot^ematiferS, ber QÜe biefe (Stemente unb it)re Söejietjungen mit
einem eingigen ^üd ober ©ebonfen umfaßte. Unb fe|en wir nun
ferner, ba§ SSirfüc^fein ber SBirflic^feit beftünbe in biefem ©eboc^t:'
trerben, fo f)ätten mir ben S3egriff, ben ^ant jur Drientierung einfü()rt,
ben Segriff eine§ intellectus archetypus, eineg fd)öpferifcf)en
unb unfinnlid)en ^enfen§. dagegen ift nun unfere (Srfenntni§ ber
^ir!üc^feit iiu^erlic^ unb zufällig; unfere Sntelligenj fcf)Qfft nidjt bie
SBirtlidjfeit, fonbern fie n^irb burc^ bie Serü^rung mit ber üortjanbenen
angeregt gur ^eröorbringung öon ©nipfinbungen, bie nid)t fo fef)r bie
9latur ber ^inge, al§ unfere Statur auSbrüden. @o fa^t fie aud)
nic^t bie feienben Sejietjungen ber 3)inge, bie innere matt)ematifd)=
logifc^e, ober äftt)etifdj=teIeoIogifd)e Orbnung ber SBir!Iid^!eit§eIemente,
fonbern ftatt beffen bringt fie bie öuBere, räumüd^^geitüdie Orbnung
ber ©mpfinbungen ^eröor.
5(n biefe 93etrad)tung fdjlie^t fid^ bei ^ant bann bie meitere an,
ha^, mt unfere 3(nfd)auung§formen, fo aud) bie S)en!formen nur
empirifd)e, nidjt aber tranfcenbente ©ültigfeit f)aben. ^aufalität unb
©ubftantiatität, bie beiben üornefjmften Kategorien, finb fubjeftio not=
menbige SInorbnungSformen unferer Slnfdjauungen, aber nid)t ©fifteuä'
formen ber abfoluten SSirf(id)feit.
Unb bamit fd^eint benn bie Konfequen^ eine§ fd^Iec^t^in allgemeinen
^f)änomena(i§mu§ gegeben gu fein: bie SorftetlungSmelt bedt fid) an
feinem ^un!t mit ber SSirflidjfeit; ttjeber oon ber 5luBenn)eIt, nodj
üon ber 3nnentt)ett giebt e§ eine abäquate ®r!enntni§.
(Sin le^ter ©djritt ift nodj ben!bar: bie 5(uf gebung ber 5)inge an
fic^. Wüw fagt, ^idjtc ^abc I)iermit ben Kantifc^en ©ebanfen gu
@nbe gebockt, ^enn in SBatjrljeit feien bie S)inge an fidj mit ben
SorauSfe^ungen KantS unoerträgtidj; o^ne bie ®inge au fidj fönne
man nic^t in ba§ ©ijftem tjinein!ommen, aber mit itjuen nidjt barin
bleiben, begeben feien un§ Sorftellungen; tt)ie öon biefen ju ben
S)iugen an fid^ fommen? Kant fage: biefe affigierten un§. 5llfo, nac^
362 II. 93u(^: ©rlenntnist^eor. ^Probleme. 1. tapitel: 2)o§ 5ßrobIetn be§ SBefenS.
bem ®efe| ber S^aujatitöt folgere er üon ©mpftnbungen a(§ SSirfungen
auf 2)inge an fid^ qI§ Urjac^en. 3lber er jelb[t {)abe bie g^olgerung
unmöglid^ gemo(f)t, inbem er bem ^aujolgefe^ nur eine empirif(f)=
immanente, ober feine tronfcenbente 93ebeutung gugefte^e.
2)a§ iüöre benn ber Ie|te erreirfjbare ^unft, ein objotuter
^f)änomenaIi§mu§: meine SSor[teIIung§n)ett ift bie 3BirfIid)!eit jelbft,
barüber f)inQU§ i[t nid^t§.
2. SBicbcr^erfteflung ber reoliftif^en Stuffaffung für bie ^nnentoelt.
öiner Prüfung ber pf)änomenaIi[tif(f)en ®ebQnfenreif)e frf)i(fe id^
gunädfjft eine 53emer!nng über ben legten ^un!t iiorau§. Wan6)e
breite ?(u§fü()rnng in ber er!enntni§tt)eoretijrf)en Sitterotur ber @egen=
ttiort fönnte bie 'Badjt \o erfrfjeinen lojfen, qI§ ob mir mirfltd) in
©efa^r mären benfen ju muffen: bie Summe meiner SSa^rnetimungen
unb 33orftenungen ift bie SBelt, unb an^erbem giebt'g übert)QUpt nidjtS
SBirflic^eS. — Scf) ben!e, biefe ©efatjr ift mirüic^ nid^t grofe; e§ f)Qt
niemals einen gefunben unb oieüeic^t and) feinen franfen ^opf ge=
geben, bem e§ audfj nur einen Stugenblicf jraeifel^aft gemefen möre,
ob e§ eine SBett unabfjöngig üon feinen eigenen SSorfteünngen gäbe.
§Iud) i^ic^te ift nie eingefallen §u meinen, ha'^ er, Sof)ann ©otttieb,
unb feine ©ebanfen bie gange 2öirf(id^!eit feien. (S§ mirb bemnorf)
andE) bie SBiberlegung be§ fogenannten @otipfi§mn§ einftmeilen für
eine überftüffige S[Rüf)e getjolten merben bürfen. 2)ie O^rage ift nid)t:
giebt e§ 3)inge au^er meiner S^orfteltung^melt? fonbern: ma§ bebeutet
bie S3ef)auptung unb mie fommt ber ©taube an eine unabf)ängig üon
meinen SSorftellnngen ejiftierenbe Sßirflidjteit, ber idj felbft mit meinen
SSorftellungen a{§> ein üerfrf)minbenb fteiner Steil eingefügt bin, äuftanbe?
SSenn ha§t ^dt) üon ber Sßelt bod) nur burd) feine eigenen SSorfteüungen
meiB, mie fommt e§ ba§n, barüber f)inau§ ju gelten ju einer obfotut
feienben 3SirfUd)feit?
Sd) ^alte e§ aber für gmedmä^ig, juüor auf bie anbere ^roge
eingugefjen: ift bie S3et}auptung be§ ^f)änomenati§mu§ begrünbet, ba'i^
unfere (SrfenntniS an feinem ^unft ntit ber SBirflid^feit fidj bedt, ba'Q
mir eine abäquate (£rfenntni§, fo menig üon unferem eigenen Innern,
atg üon ber SSelt aufeer un§ fjaben?
2. aBieber^erfteHung ber reoIifti)(^en Stuffaffung für bie ignnentrett. 363
ßuerft ein SSort über ©inn iiub Sebeutung ber i^rage. 9Kon
l)at gejagt, ber ^()änomenali§mu§, \vk i()n ^ont Iet)rt, fei eigent(id)
ein tro[tlojer (Sfeptiäiemn§; iuq§ bleibt für (Sr!enntni§, Juenn id) nicf)t
einmal mein @elb[t erfenne, mc e§ an fid) ift? Ä^ant§ ^riti! t)ebe
eigentlidj ba§ Sßiffen überl)anpt anf. Tlan {)at jogar gau[t§ Ä'ummer:
id) fe^e, baB lüir nidjt§ miffen fönnen, ha^^ mill mir jdjier ba§ §erj
üerbrennen, mit ^ant§ Ätitif in 3ufoi"i"^"^"9 bringen mollen.
@oId)e klagen unb 35ortüürfe finb ganj grunbtoS. $öor allem
ift 5U fagen: feine STfjeorie ber Grfenntni§ önbert an bem Seftanb nnb
äöert nnjerer ©rfenntniS ha^' minbefte. ®ie 2Bifjenjdjaften bleiben
nad) tt)ie nor, maS fie finb; üon einer 5(ufl)ebung ober ß^i^ftörung be§
SSiffen§ bnrc^ eine tl)eoretifd)e 9fleflej:ion über ba§ SSiffen fann nid)t
bie Üxebe fein. Unb and) bie Sebeutung ber äöiffenfdjaften für un§
bleibt biefelbe, ttjeber i^r praftifdjer nod) i^r t^eoretifd)er SBert mirb
burd) bie tritit üerminbert. Unfere 5Iftronomie, ^l)t)fi!, ^fl)(^ologie,
®efdjid)te finb un§, tua§ fie finb, nnb leiften nn§, \va^ fie leiften, gan^
oljne alle Sf^üdfic^t anf ben 3tn§fall einer nac^tröglidjen erfenntni§=
tl)eoretifd)en Überlegnng, wie fie benn auc^ in ber gefd)id)tlid)en (£nt=
midetnng üon i^r auf feine SBeife al§ abl)ängig erfc^einen.
33ielteidjt l)ängt ta§i SÜlifeöerftänbnig mit einem fd)iefen 5(u§brud
^nfammen. Wim fa|t \vo^\ Äant§ 2lnfid)t in bie formet: ujir er=
fennen nur bie ©rfdjeinung, aber in ta§ innere SBefen ber 2)inge
üermbgen mir nid^t einjubringen. ®amit fdjeint benn ein beftimmter
S[J?angel unferer ßrfenntni^, ber angegeben unb befeitigt luerben fönnte,
Uienn nur unfer 5ßerftanb erujeitert unb erf)etlt mürbe, angebeutet §u
fein. Sßenn mir fagen: ha§> SBefcn be§ 9lorblid)tg ober ber ©leftrigität
ift nod) unerfannt; ober: id) bin mir über ba§ SBefen biefe§ 3Kanne§
nid)t flar, fo mirb bamit ein 9)?angel bejeidjuet; rviv fennen einftmeilen
nur bie ändere @rfd)einung, aber nidjt bie legten Urfadjen; ober: i(^
meiB, mie ber 9Jhnn au§fief)t, meld)e (Stellung er in ber @efellfd)aft
einnimmt, aber fein Citjarafter, feine Ö5runbfä|e, feine Slnfc^auungen
finb mir nic^t befannt, id) n^eife bal^er nid)t, meffen id) mid) oon i^m
oerfe^en foll. SSeiB id) bie§ alleS, fenne ic^ il)n au§ langem, freunb*
fd)aftlid)em ^erfe^r, bin id) gemi^, toie er im gegebenen gall f)anbeln
unb urteilen iDirb, bann fagc id): fein SBefen ift mir mol)l befannt.
@an5 etmal anbere^ bagegen bebeutet bie Unterfd^eibung oon
364 11- S3uc^: ©rfenntnist^eor. «Probleme. 1. ^apittU S)al «ßroblem bei aBefenS.
©rfd^einung unb 2)ing an fic^ in ber @r!enntni§tf)eorie. S)ie oHer-
öollfommenfte @r!enntni§ be§ DflotureüS, be§ S^araÜers, be§ S3orIeben§
eines 9Jianne§, fo ba^ ic^ jein SSer^alten mit ber ©i(i)erf)eit öorau§«
fagen fönnte, tt)ie eine 9Jionbfin[terni§, wäre nac^ ber Ä'antijd^en S3e=
trad^tnng borf) nid^tg qI§ @r!enntni§ ber (Srj(^einungen; oon ber @eete
jelb[t, if)rem Sln=ficf}, it)rem 3Sq§ ober SSejen !äme nichts borin oor.
2öie fte^t e§ nun mit biejer 23ef)auptung, ha% wir bie 2)inge
nur mie fie erfc^einen, nic£)t wie fie an jid) finb, erfennen? S[t fie
begrünbet? @e!^en tt)ir §unäcl^[t auf bie (Sr!enntni§ be§ eigenen
Innenlebens ein. 'äud) I)ier, jo njirb beJjouptet, muffe gmifd^en
@rfd)einung unb ®ing an fifCj unterfd^ieben lüerben. ®q§ 3d) erfenne
QU(^ id) fetbft nid)t, inie e§ an fid^ ift, fonbern nur »ie e§ fid^ er=
fd^eint. ®a§ S{n=fidj ber @eele, bie in ben Senju^tfeinSoorgängen
erfd;eint, bleibe ber (SrfenntniS fo unburdjbringlid^, wie bo§ 5ln=fi(^
ber S)inge, bie at§ bewegte Äörperwett im S3eWu^tfein oorfommen.
Sft biefe S3ef)ouptung begrünbet?
^ä) glaube nid^t, ha"^ wir Urf adje t)aben, bie§ an^uerfennen.
3tüeiertei wirb ^ier bef)auptet: erftenS, ha"^ e§ au^er ober hinter ben
^ewuBtfeinSüorgängen, al§ ben (grfct)einungen beS (Seelenleben^, nun
nod) bie ©eete fetbft aB ®ing an fid) gebe; sweitenS, ha'^ wir biefeS
S)ing an fid) nid^t erfennen. — ^ie§ 3^^^^^ if^ ofjue B^^if^^ wa^r:
toa^ wir öon unferem ©etbft erfennen, finb in ber %^at immer jene
Sßorgänge bei (Smpfinbeng, SSorfteüenS, %ü\)k\\§>, @treben§; niemals
aber fommt in unferem ©elbftbewuBfeinS ein ®ing Seele ober Sd)
üor. 5lber, fo ift nun gteic^ ^inguäufügen: bie erfte 33ef)auptung ift
grunbloS; ein befonbereS ®ing „«Seele" giebt eS überfioupt nid)t in
ber 2Birf(id)feit; ber S3egriff einer ©eele, bie al§ ®iug au fic^, ab^
gefef)en öon bem (Seelenleben, id) weil nidjt wel^e Sßirflid^feit f)ötte,
ift ein leerer 33egriff. ®ie (Seele felbft ift nid^tS anbereS, als bie ©in-
^eit beS (Seelenlebens; i^r S)afein ge^t auf in if)ren „örfd^einungen",
einen bunflen, bem ©rfennen unburdjbriuglid)en SfieaütätSrüdftanb giebt
eS überijaupt nidjt.
(SS ift baS ein fo entfd)eibenber ^unft für bie ©rfenntnist^eorie
unb 9Jietapf)t)fif, ha'^ id) f)ierauf, nadjbem fd^on oben ((S. 134 ff.) biefe
Stuffaffung eingefüljrt worben ift, nod)matS in etwaS auSfüf)rIid^erer
^etradjtung barauf jurüdfomme. Söer überhaupt gu einer gefunben
2. SOBieberfjerj'tellung ber realiftifc^en 2(uffaffung für bie :3nnentt)elt. 365
^^iIofopf)ie !ommen tüitt, ber muB einmal biefem ©efpenft einer „@eele
an \\d)" ^n Seibe ge^en.
"^lad) ber 3Sor[tcünng ber gemeinen ä)?einung ^at bie 3BirfIi(i)!eit
etiüo folgenbe ©truftur. (£§ giebt brei Wirten ober «Stufen be§
SSirf Iicf)en: 1) 2BirfIid)e§ erfter Drbnung, ba§> finb bie ®inge
ober (S u b ft a n ä e n ; 2) SSirf Iidje§ jnieiter Crbnung, ta§> finb bie
(Sigenfcfjaften ober Gräfte; 3) 2Sir!Ii(^e5 britter Orbnung,
ha^ finb bie 3;f)ätig!eiten, (Sreigniffe, Sejiefiungen.
§J(m menigften @elbftänbig!eit t)at ha§> SBirüidfie britter Drbnung;
2;f)ätigfeiten ober (Sreignifje bebürfen jnm SBirflidjmerben eine§ anbern,
bur^ ba§ fie üorübergefjenb in§ SDofein etngefüt)rt merben, ba§ finb
bie Gräfte. 5(ber and) bie Prüfte ober ©igenfrfjaften fijnnen nic^t für
fid) eyiftieren, fie bebürfen ttjieber eine§ anbern, an bem fie finb, haS^
finb bie ©ubftanjen. ®iefe allein ruf)en auf fid^ fetbft unb bebürfen
feine§ onbern sunt SDafein; fie finb ba^er ba§ eigentlid) SSirflid^e.
Unter ben ©nbftanjen pflegt bie SSutgörmetap^^fif lüieber, bem
dartefiuS folgenb, p)d Slrten gu unterfd)eiben: ÜJrperüd^e ober au§=
gebe^nte, unb geiftige ober benfenbe, bie unan§gebel)nt finb. 5Der
S3erfd)ieben'^eit it)re§ 3[öefen§ entfpredjen oerfd)iebene Gräfte. Stn=
gemeine Gräfte ober (Sigenfd^aften be§ ßörperS finb Unburd)bringlic^=
feit, @ci^tt)ere, d)emifd)e 5tffinitäten, furg 5lttra!tion§= unb 9iepuIfion§=
!röfte; al§ Äröftc ber Seele bagegen mören ©mpfinbungSoermogen,
©ebäd^tnig, ®inbi(bung§!raft, 33egef)rnng§nermögen, @efüt)I§üermögen,
$föille an^nfeljen.
Sft ha^ eine faltbare ^ßorfteüung oon ber inneren ^onftitution
ber SBirf lid^feit ? Sflidjten mir jnnädjft auf ha^: gmeitc ©tieb ber Stetige
bie 2(ufmerffamfeit, auf bie Sigenf d)aften ober Gräfte, ©inb
fie mirflid) ein an fid), abgefe^en oon ber (Srfd)einung ober Sett)ätigung,
feienbe§ ©lement ber SSirfIid)feit? 9Zet)men mir einen beliebigen 5!i)rper,
ein Stüd treibe. @§ f^at eine SiKenge oon Gräften ober (Sigenfd^aften.
®a ift guerft bie ßigenfdjaft ber Unburd)bringlid)feit ober bie ^raft,
anbere Körper oon bem (Sinbriugen in ben Sf^aum, ben e§ einnimmt,
abju^alten; ba ift bie (Sigeufd^aft ber SBei^e ober bie Äraft, auf=
fallenbeö £id)t auf beftimmte SSeife ju ref(e!tieren; ferner bie (Sigen=
fdjaft ber Sd)mere ober \)k ^raft, auf feine Unterlage einen SDrud
au§5uüben, ober, menn bie Unterftü|ung entfernt mirb, eine beftimmte
366 n. 93uc^: erfenntni^t^eor. Probleme. 1. tapitcl: ®a§ «Problem be§ SBejenä.
93en)egung auszuführen; e§ ^at feruer bie ©igeujdjaft eineä ©d^reib«
materia(§ ober bie Äraft, auf einer ^afet ttjeiBe ©triebe ju machen.
2öa§ bebeutet ba»? ©i|en alle biefe ©igenfd^aften ober Gräfte als
befonbere 2Sir!lid)feiten in ber treibe brin, fann man fie barin fef)en
ober fonftmie beobad^ten? ©i|t ha bie ^raft beS ©trid^emadEjenl, ober
genauer, bie ^raft, wei&e (Stri(f)e auf eine fc^ttjarge SCafel gu machen,
als ein eigentümlicfjeS, ftetS gegenn)ärtigeS, be^arr(id)eS SSirf(id)!eitS-
dement in ber treibe? Unb natürlid^ in ber Stofet eine entjprerf)enbe
^raft ober g^ätjigfeit, beftri(f)en ^n werben. Unb fi|t ebenfo in ber
§anb neben taufenb anbern ßtäften au(^ bie Scfjreibfraft unb jttjar
in oielfacfier ©eftalt: als ßreibe=, ®riffel=, geberfcfireibfraft? a(S beutfc£)e,
tateinifdje, griec^ifc^e S3uc^[taben=(Scf)reibfraft? SDaS meint hod) niemanb;
fonbern bie treibe f)at bie Stroft, ©tridje ju machen, baS f)eiBt nichts
a(S: menn fie über eine rauf)e Oberf(ä(i)e Ijingefü^rt wirb, bann töfen
fid^ 2^eild)en loS unb bleiben an ber %a\d gongen, bie ©pur ber
Bewegung geigenb. Sie ©triebe finb nid)t in ber treibe unb ebenfo
wenig fi^t eine ©tri^fraft brin, fonbern wir fefjen oorauS, waS unter
gewiffen Umftänben gefd)e^en wirb; biefe öorauSgefe^enen Greigniffe,
wir nennen fie mögliche, faffen wir äufammen, fubftantioieren fie
unb legen fie ber treibe ats permanenten S3efi^ bei. Unb ebenfo
ftefjt eS mit ben übrigen Gräften; wir fetjen norauS, ha'^ bie treibe
unter fotd^en Umftänben fo fic^ oerf)atten, in einem beftimmten 9}?aB
fid) bewegen, brüden, ober einem anbern Körper ®efd)teunigung gu*
fügen wirb. Siefe üorauSgenommenen S3orgänge fubftantioieren wir
unb legen fie bem Körper als ©djwerfraft bei. Unb nid)t anberS
t)erf)ö{t eS fid) mit ber (ebenbigen Siraft beS bewegten ÄörperS; bie
5lrbeitSteiftung, bie wir oon if)m erwarten, legen wir a(S ^raft in
i^n hinein, ^raft ift alfo nid)t ein befonbereS, e^-iftierenbeS SBirflidjeS,
fonbern eine S)en!form, burd) bie wir ben 3ufammenf)ang ber (£r=
fd)einungen oorfteüen. S)efiniert wirb eine ßraft burd) if)re mögüd)e
SSirfung ober StrbeitSleiftung; iE)ren üoUfommenen SluSbrud finbet
bie ©rfUirung in einem D^aturgefe^, baS bie @ri3&e ber mög(id)en
Sefd)(eunigung einer beftimmten 9J?affe auSfagt.*)
*) ©. bie ©rörterung be^ 93egriff§ ber ftraft bei 'i^eä)nex, pf)t)ftf. unb
p^ilor ?ItomenIe^re, 177 ff., unb bei SBunbt, Stiftern ber ^^tlof. 297 ff. SSergl.
anö) §eImI)oI^, populäre roiffenfc^aftlic^e SJortröge, 2. «peft @. 190.
2. SBieter^erjiettung bet realiftif^en Sluffaffung für bie Snnennjelt. 367
S6enjo üer^ott e§ fid^ mit ben Gräften ber geiftigen Subftan^en.
§ier ift bie @ad)e iiocf) ein(eurf)tenber. 3Bir fprerf)en öon morolifc^en
Gräften, einer ^raft ber (Se(b[t6e(}errjrf)ung, ber Xapferfeit. 5llle§ ttjaä
tüir bamit jagen, ift, bafe njir don einem 9J?anne ein be[timmte§ Sßer-
fialten in ber ®efQf)r, in ber ^^erfnc^nng ermarten. 333ir meinen nid)t,
ha'i^ bie @elb[tbe{)errfd)ung qI§ ein eigentümliches, bingortigeS (Stma§
in ber @ee(e fi^e. 9^irf)t anberS [te^t e§ mit ©ebäd^tniS, ^^erftanb,
SBitle unb ben übrigen ©eelenüermögen. S)ie ^j^d^ologie t)at ha^
(ängft geje^en; unter ben ®eutfc^en f)Qt befonberS ^erbart biefen
^unft betont: bie ©eelenüermögen [inb nidjt befonbere 2ßirf(ic^feit§=
etemente, qu§ benen qI§ Urfad^en erftürt merben fann, Jonbern ha^
SBirflidje finb SSorftettungen, 93eget)rungen, @efüt)(e, unb bie 5{ufgabe
ber SBiffenfc^oft be[tef)t barin, bie gefe^mäfeigen ^Sejiefiungen biefer
5Sorgänge barsuftellen. ©oUte jemanb norf) öon ben Gräften a(§ be=
fonberen, ben Subftanjen infjärierenben 3Birf{id^!eit§eIementen [icf) nidjt
trennen !i3nnen, ber mag benn an ber Sofung öon allerlei 58e?;ier=
fragen fid; öer[udjen: wirft bie ^raft immer? ma§ madjt fie, menn
fie nid)t mirft? ftnb bie Gräfte burd^ ben gon§en Üiaum öerbreitet,
ben ber Körper einnimmt? unb luie finb in ben unau§gebef)nteu (Bnh'
ftanjen bie Gräfte uutergebradjt ober mit i^nen öerbunben?
göUt ba§> gjiittelgtieb, bie Gräfte, au§, fo bleiben für bie ^on=
ftruftion ber 3Bir!tid)feit bie (gnbftansen unb bie ©reigniffe. SBie ftef)t
e§ nun mit ben ©ubftauäen? <B'mh fie ein bejonbereS 2ßir!(id^e§
neben ben ^Iccibenjen?
^Bleiben tuir junädift bei ber (Seetenfubftauä. Wan meint: au^er
ben (Smpfinbungen, 5SorftetIungen, @efüt)(en, Seftrebungen beftet)e nun
nod^ al§ ein befonbere§ 2Sirflid^e§ ober, mit bem §erbartifd^en 9Iu§=
brudf, at§ ha^ Sfteole, bie ©ee(e f eiber; bie S^emuBtjeinlöorgänge feien
nur 58etf)ätigungen ber Seele, nid)t aber bie Seele fetbft; fie mödjten
fommen ober gefjen, fie fönnten aud^, tt)enigften§ jeitmcilig, ganj an^=
fallen; bie ©eelenfubftanj bteibe babei in unüeränberter unb unöer=
minberter SSirf(idE)feit beftet)en.
(5§ fdjeint mir ööUig unmöglicf), an biefer 58orfte(Iung feft*
§uf)alten. 3)ie Seeteufubftauäen finb gan^ baSjelbe, \va§ bie Seelen»
fröfte finb, ^ijpoftafierungen öon Vorgängen, fie finb gleic^fam §i)po=
ftafieruugen in ^wcikv ^oteng; bie Seelenfubftan^ ift \)ü^ 35ermögen
368 II. 93uc^: (5rfenntni§t^eor. «Probleme. 1. Kapitel: ®a§ «ßroblem be§ SBefenei.
ber Sßermögen, ha§> ©eneratoermögen ju jenen (Spegialoermogen. 2Bie
bie 5!raft nur beftniert werben fann burc^ i()re 2Strfungen, jo fonn
bie (Sub[tan5 nur befintert tuerben burc^ bie Gräfte: jie ift nic^t§
anbere§ at§ ein Inbegriff üon Gräften, al\o gule^t ein Inbegriff öon
möglichen (Sreigniffen. ®a§ Sofeiu ber @eele befte{)t in if)rem Seben,
in ber @in£)eit auf einanber belogener pjt)(^iic!^er SSorgänge; ne{)men
mir bieje Xüzq, \o bleibt fein 9^üd[tanb. Seuju^tfeingüorgänge [inb ha§>
an unb für fidj 2Bir!(ic§e, fie bebürfen nid)t eine§ anbern, eines @eelen=
fubftantiate, ba^ if)nen erft ^ur SBirfüi^feit Reifen ober fie in ber
2öir!(id)feit galten unb tragen müBte; fo etmaS giebt e§ überfjaupt ni(f)t.
2)em gefunben SOZenfdjenöerftanb n^irb ber ^Serjicfit auf ein foI(f)e§
f)altenbe§ unb tragenbeS ©tinaS junädift a{§> eine ^arte, ja oI§ eine gan§
unerfüllbare gorberung üorfommen. (Sine ©mpfinbung ober ein @efüf)l
fanu bocfj nidjt abfolut eyiftieren, e§ muB ein empfinbenbe§ ober
füf)(enbe5 SSefen ba fein, bo§ fie ^at; ein SSorfteüen o'^ne einen, ber
norftellt, f(f)on bie (Spracf)e tt)eift bie ßumutung §urü(i. Unb ttjie tt)ill
man oI)ne (geele 3:l)atfad^en , lüie bie @int)eit bes Sett)uBtfein§ , bie
Stufmerffamfeit , bie @eIbftbeobad)tung ober bie 8elbftbef)errfd)ung
fonftruieren?
9iun, natürlid) giebt e§ eine Seele, unb auf feine SBeife fjanbett
e§ fid) barum, fie gu befeitigen, fonbern allein barunt, fid) barüber
ju oerftönbigen, rüaS^ fie ift. 9lid^t ift fie, fo lüirb f)ier bel)auptet, ein
unoeränberlidjeS, ftarreS, abfolut bef)arrli(^e§ ^ealität§pünftd)en, ba^,
an unb für fid) e^-iftierenb, ben Gräften unb Siorgöngeu ai§: 5tnf)alt§punft
in ber 2Birftid)feit biente, fonbern fie ift bie @inf)eit be§ Seelenleben^,
bie @efanitl)eit auf einanber belogener beiüuBter unb unterbeiou&ter
innerer S^orgänge felbft, an ober in ber jeber einzelne al§ ein §uge=
^örige§ ©lieb be§ ©anjen ift unb gewußt n)irb. :3ene üorau§gefe|ten
Srödc^en allgemeinen 9?ealitätÄftoffe§ bagegen ejiftieren überf)aupt nid)t
in ber 3Sirflid)feit, fie finb nid)t§ als Ijtipoftafierte Schatten falfc^er
metapl)t)fifd)er Segriffe.
®aB nnfer Senfen an bem für fic^ feienben (Seelenfubftantiale
nic^t einen fo foftbaren unb unentbel)rlid)en Sd)a^ befi^t, wie bie
5ßulgärmetapl)t)fif glaubt, baoon überzeugt man fic^ üielleid)t am erften,
menn man fid) einmal ju bem 3Serfuc^ nötigt, auf fragen, mie bie
folgenben, fid) eine 3lntwort ju geben. Sßorin befielt ha§ 2Sefen
2. 2Bteber]^er[teIIung ber tealiftijc^en Sluffafjung für bie gnnenttjelt. 369
jeneg (Seelenfubftantiale ? @§ mufe bocf) etiraS an fic^ @eienbe§ fein,
obgefefjen üon feinen 5Iccibengen, benn e§ joü ja bie 33orQU§je^ung
biefer jein. 2Ba§ ift e§ oljo? Slannft bu e§ jagen'? Dber get)t e§
bir, tt)ie einft £oc£e, q(§ er ben begriff ber ©ubfionj überlegte: er
finbet, fie fei ein Srgenbettt)a§, befjen Söejen nid)t angegeben raerben,
fönne.*) 9iun, jo wirft bu bocf) beutüdj mad^en fönnen, tt)a§ fie tf)ut
ober leiftet? — ^iatürlid), fie ift ber SCräger, bem bie Stcciben^en an=
l^angen ober inf)ärieren. — 5Iber xoa^ bebeuten biefe 5lu§brü(fe? Sc^
tt)ei6 njo^l, n)a§ e§ bebeutet, tt}enn bu fagft: ein ^ferb trägt einen
Üieiter; trägt bie (Seele ebenfo it)ren ©ebanfen? ober ^ängt if)r eine
£eibenfd)aft an, wie bie garbe ber Seinraanb? — S)u fagft, ta^ finb
unpaffenbe Silber. — ^Jlun, fo jeige bie 2(nfrf)auung, bie ^ier burd^
bie SSorter bejeicfinet ujirb. SSirft bu titoa fagen: bie§ fei f)ier ge»
meint, ba'^ bie @ubftan§ bie Stccibenjen au§ if)rem SBefen l^eroorbringt
ober ficf) in it)nen üerttjirflidjt ? 5tber fiet) ju, ob t)iermit gef)oIfen
ift. ^d) ttjeiB n)ot)l, wal eg bebeutet, wenn bu fagft: ein Saum
bringt Slüten unb grüd)te ^erüor, ein Ä'eim üerujirflid^t fid) in ber
(Snttt)ic!elung öon 3:rieben, Keimblättern u. f. tt). Slber »a^ e§ fjeiBt:
ein immaterielle^ Srgenbetwal bringt Sorfteflungen unb @efül)le au§
fid) t)eroor, baä mi^ id) ma^rlid) nid^t. Wix fd)eint, e§ finb lauter
leere SSörter, lauter Stnnjeifungen auf einen 6inn, ben bie 3tnfd;auung
fid) njeigert ein§utbfen.
Slber, fagft bu, bie (Sinl^eit be§ @eIbftbemuBtfein§ mirb boc^
allein burd^ eine einf)eitlid)e unb bet)arrlid^e (Seelenfubftanj erflörlid).
Sd) gefte{)e, ic^ oermag auc^ nic^t ju faffen, ma§ l^ier^u ba§ @ub=
ftantiale f)elfen foü. @§ ift eine Z\)at\ad)t, baB bie Vorgänge be§
Snnenlebeng nidjt ifoliert auftreten, unb ba^ jeber mit bem SerauBtfein
*) effai) II. tap. 23: „SBenn jemonb ficf) jelber prüfen lüiH ^infic^tlid)
feines 93egriff§ üon einer reinen ©ubftanj im aEgemeinen, fo wirb er finben, er
f)at öon i^r feine anbere SBorfteEung, oI§ bie Sfnnal^nte eine§ unbeftimmten 2räger§
ber Cualitäten, bie in uni einfacf)e SBorftettungen beroirfen." — SBürbe er gefragt,
ttJoS biefer Sräger ift, bem bie Qualitäten abf)ärieren, „fo roäre er nid^t in öiel
befferer Soge, al§ jener ^nbier, ber bef)auptete, bie 3BeIt merbe oon einem großen
©lefanten getrogen. 'äU mon if)n meiter frogte, morouf ber ©lefont fte^e?
antwortete er: ouf einer großen S^ilbfröte. ^o mon ober meiter in i^n brong,
ttjooon benn bie brcitrücfige ©cf)itbfröte getragen roerbe? gab er gurSfntmort: üon
irgenbrooS, er wiffe nid^t ttjoi."
*13aulieu, Ginleituug. ü. SUifl. 24
370 il- S3ud^: ©rfenntniät^eor. Probleme. 1. Äapttel: ®a§ Problem be§ 3Sßejen§.
ber 3w9^^örigfeit ju bem einf)eit(id^en @an§en btefeS inbioibueden
£eben§ erlebt rairb. SSie jo ettüoS gejc^e^en fann, bo» »eiB icf) nicfjt
gu fagen, fo tüenig aU id) ju jagen ineiB, tuie SeiüuBtjein ü6erf)aiipt
mogIi(^ ift, bQ§ ober meine icf) beut(id) ju je^en: jener angenommene
„Präger," jene^ Svgenbtüos, ha§> man ©eelenfubftan^ tituliert, ^itft
auf feine SSeife bie Qad)t begreifüd)er §u marfjen; e§ n^äre felbft ein
9flötfel, aber ni(i)t bie 2öfung eines 9?ötiel§. — Unb joKte ettüa fd)on
baburi^, ha'B bie SSorgänge a, b, c bemjelben A „inf)ärieren," ba»
S3emuf)tiein if)rer ©in^eit belt)ir!t merben? 5(ber bann müfete ja 8e(bft-
betüUBtjein bie gorm aller ^ufammenfafiung öon Slccibenjen in einer
<Sub[tan5 jein. (£§ mu^ alfo norf) eine befonbere Dualität ber ©eelen-
jubftan,?, ^in§u!ommen, um if)re Stcciben^en ju ©liebern einer 53erauBt=
feinsein^eit gu matten. Unb fo märe bemnatfj bieje Cualität auf§u=
geigen, trenn ha^ gubftantiale etma§ Reifen foü. Stljo, fo öiel ic^
fe^e, oerüeren mir mirfüc^ gar nichts, menn mir bieje§ „Srgenbma§,
irf) meiB ni^t ma§" fahren laffen.
DZatürlic^ merben mir nun nictjt fagen: alfo giebt e§ feine Seele,
Jonbern oielme^r: @eete ift bie auf ni^t meiter fagbare SBeife gur
(£inf)eit üerbunbene Q3ietf)eit innerer (Sriebniffe. Unb am @pracf)gebrauci)
merben mir gar nid)t§ änbern, mir merben nad) mie üor oon ber
8eele reben unb üon SSorgängen, bie in if)r fic^ gutragen, üon @e=
banfen, bie fie hervorbringt, unb üon inneren 9f^egungen, bie fie f)egt
ober ab(ef)nt. 2öir merben un§ aud) nid)t fd)euen, ha§^ SSort ©ubftanj
oon ber Seele gu braudien unb Don it)ren ^uftänben unb öigenfdjaften
§u reben; felbft ha^ oerpönte SBort ©eelenoermögen merben mir nidjt
oermeiben. @5 tjanbelt fid) nur barum, ein für allemal unS beutlic^
gu mad)en, mas mir bamit meinen. Unb es mirb fic^ bann ^erau§=
ftellen, bafe alle jene l)erfömmlid)en Segeidjuungen in ber 2:f)at einen
guten Sinn l)aben, nur nid)t ben, ben eine üom pl)t)fifalijd)en Sltomi§mu§
mißleitete 9Jfetapl)i)fif i^nen beilegt. 9lennen mir Subftang bas, ma§
felbftänbigeS SDafein l)at (mit Spinozas g^ormel: id quod in se est
et per se concipitur), fo fommt ber Seele allerbingS Subftantialität,
ben einzelnen Vorgängen ^Iccibentalität (in alio esse et per aliud
concipi) gu; fie finb unb merben begriffen nur in bem ganzen Seelen=
leben. ©§ ift eine 5:l)atfad)e, ha^ ©mpfinbungen, 35orftellungen,
©ebanfen, Seftrebungen niemals, fooiel mir miffen, oereinjelt in ber
2. SEßieberfierftcIIung ber reaUftifdien 5tuffaffung für bie ^nnentDelt. 371
SBirf(id^!eit öor!ommen, fonbern immer nur all ©lieber in einer
fold^en ©efamt^eit innerer S3orgänge, bie wir ein ©eelenleben nennen,
llnb jn^ar entfielt biefe§ nid)t, n)ie ein Sompofitum, qu§ ben t)orf)er
fertigen einzelnen Elementen, fonbern ha^ ©anje ift, um jeneS SBort
be§ SlriftotelcS nocf)maI§ gu n)ieberf)o(en, öor ben ^^eiten: bie einzelnen
(Elemente luerben gteidifam öon bem ©angen al§ gu if)m ge{)örige, jur
©arftellung feiner felbft erforberlid^e ü)?omente f)eroorgebrac^t ober mit
innerer SfJotn^enbigfeit gefegt.
©in S3ilb mad^t iia§> ^er^ältni» beutlic!^. (Sine ©procEie be[tcf)t
an§> SSörtern; unb gmor be[tefjt fie nur in ber ®efQmtt)eit ber Söörter
unb formen; nimmt man alle SSörter meg, fo ift aud) bie @prarf)e
nirf)t mef)r; fie Beftel)t nic^t all ein befonberel 2Birflic^e§, eine 'Bprad)-
fubftang neben ben SSörtern. 5(ber onbererfeitS ift fie nic^t ein
^ompofitum ou§ ben üorfjer feienben einzelnen Söörtern, wk eine 9}?auer
au§ ben fertigen ©teinen gufammengefe^t upirb. ©onbern bie ©prodje
bringt beftänbig SBörter f)eröor ober oern^anbett fie bem 33ebürfni§
entfpredt)enb ; jebel SBort ift ein jufäHigeS, öergängticE)e§ Stccibenl, ba^
fie fcf)afft, umbilbet unb enblid) tt)ieber falten (öBt. (Sbenfo ift eine
3)irf)tung nid^t ein ^ompofitum au§ eingelnen SSerfen, aber aud) ift
fie nid)t auBer ben einzelnen 53erfen ai§> eine für ficE) feienbe (Subfton^.
fonbern fie ift in if)nen, borf) fo, bafj bie Sbee be§ QJan^en ha§> ©ingelne
fe|t ober im ©inäelnen ficf) entfaltet. — 9^un, auf biefelbe SBeife ift
bie Seele ni(i)t auBer ober unter ben S3emuBtfein§üorgangen, al§ ein
^arte», ftarrel, unücränberlidjeS '\Rcak, fonbern fie ift allein in i^nen,
aber freilief) nirf)t fo, ta^ fie au§ ben oorfjer fertigen unb felbftänbigen
(SIementen §ufammengefe|t n^ürbe, fonbern fo, ha"^ fie bie einzelnen
©(emente ^eroorbringt unb fidj in if)nen oerrairflirfjt. ®ie Sbee be§
©anjen fe^t aud) t)ier ha§: (Sin^elne: ein ®eban!e, ein ©efü^I, ein 9Ser=
langen, e§ !ann in biefer beftimmten ©eftalt nur in biefem ßeben öor-
fommen unb begriffen ttjerben, oerplt fid^ alfo gu if)m wie ein 5(cciben§
§ur ©ubftanj.
Sft fo gegenüber bem einzelnen ^eiüufetfeinSetement aU einem
anf)angenben, unfelbftänbigen unb oorübergetjenben haS' gange ©eelen=
leben ein fclbftönbigeg unb bauernbeS SSefen, eine ©ubftang, fo !ann
man nun freilid) f)ier nid^t ftet)en bleiben, fonbern muB biefe§ ©ange
wieber al§ unfelbftänbigeS unb obf)ängige§ ©lieb eineS größeren ©angen
24*
372 n. 33u(^: (Sr!enntmltI)eor. «Probleme. 1. Äopitel: S)ag «ßroblem be§ SOScfenä.
fonftruieren; ba» Snbiöibudleben öer^^äü fid; äum SSolf Sieben tüieber
tüie ein 5lcciben§ jur ©ubftanj. 2)a§ 3SoIf ober bie ißolfsfeete i[t nur
in ben ©injelfeeten, aber mieber nid^t \o, ha^ fie au§ i^nen §ujammen=
gefegt ttJÜrbe, jonbern fo, boB fie fie qu§ fic^ f)erüürbringt unb in
if)nen fid^ öertt)irf(id^t. Unb »ieber fügt ficE) ein 93oIf§Ieben einem
grijfeeren Seben ein, bem 9Jienf(f)^eit§Ieben, unb mit biefem ift e§ ein=
gef(f)Ioffen in ha§> einfieitlidje ©efomtleben ber (Srbe, beffen öu|ere (£r=
fd^einung bie pf)t)fifd^e @rbgefd)id§te in ben Umriffen befcE)reibt. (Snblid^
aber füeBt aüe§ Seben au§ einem üllumfoffenben Seben, bem eint}eit*
liefen Seben @otte§. Unb bamit mären mir auc^ üon biefer Seite t)er
bei bem @eban!en angelangt: ®ott ift bie ©ubftan§, ha^ eine einzige,
maf)rl)aft felbftänbige, burd^ fid) feienbe SSefen, ju bem fi^ aße§ einzelne
2Bir!Iid;e al§ unfetbftänbigeg 5Iccibenö uerfjält. —
S)er eben au§gefüf)rte @eban!e ift nic^t neu; ja man fann fagen,
er gel)t burc^ bie gan^e ©efc^ic^te ber ^^i(ofopt)ie. 3d) raitt l^ier nic^t
feine @efd)id^te fd^reiben, bod^ beute id^ ein paor ^un!te an.
5Durc^ erfenntni§tf)eoretif(^e 5(nalQfe ift SD. §ume auf it)n geführt
morben; mie er bie Diebel jerftreut f)at, mit benen ber S3egriff be§
2Bir!en§ in ber ©d^ulmetop^l^fif umgeben ift, fo t)at er aud^ \)a§: @e=
fpenft eines hinter bem Seelenleben öerborgenen ©eetenfubftantialeS
öerbannt. Sn feinem erften SBer!, ber 51bf)anblung über bie menfd^ti(^e
9iZatur, unterwirft er in ben te|ten Slbfdjuitten beS erften S3ud)eS ben
hergebrachten metapf)t)fifd§en Segriff einer @eelenfubftan§ ber ^ritif.
(Sr finbet an if)m gar nid^t§ faltbares ; e§ fei üöHig unmögüd^, aud)
nur ben ©inn ber ^rage ju öerftet)en: ob SSorfteüungen in einer
materiellen ober immateriellen ©ubfianj in!t)ärieren? gefc^meige benn,
ba^ er fid^ üon ber 9lotmenbig!eit ber S(nnaf)me einer immateriellen
©ubftauä, um at§ STröger öon SSorftetlungen ju bienen, überzeugen
fönne. (Sr giefie e§ ba^er üor, bei bem fte{)en gu bleiben, ma§ gegeben
fei: eine burd) @ebäd§tni§ unb faufale Se^ieljungen jur C£inf)eit §u=
fammengef afete $8ielf)eit üon S3emuBtfeinSüorgöngen. „(5§ giebt ^f)iIo=
fopf)en", tjeifet e§ in einer oft angefüt)rten ©teile, „meldje meinen, mir
feien in jebem Slugenblide un§ innigft beffen bemüht, maS mir unfer
©elbft nennen, mir füllten fein SDafein unb feine g^ortbauer im SDofein
unb feien mit met)r als bemonftratiüer @emifel)eit feiner ooüfommenen
Sbentitöt unb (Sinfad)I)eit gemi^." @r I)abe nid^t ba§ ®Iüd, foldje
2. SBieberl^erftellung ber realiftijd^en 2Iuffaffung für bic ^nnentoett. 373
Seo6Q(f)tiingen 511 mod^en; „fo oft ic^ in ba§>, h)Q§ ic^ mein ©elbft
nenne, einbringe, [tofee id) immer auf bie eine ober onbere befonbere
^erjeption, SSärme ober Äülte, Sic^t ober ©chatten, Siebe ober §aB.
SfJiemoIg fann icE) ba» ©elbft ol^ne eine ^ergeption erfafjen unb niemals
etma§ anbereS al§ bie ^erjeption bemerfen."
95on meta|)^^fif(i)er ©pefulation au§ge^enb mar ©pino^a, beffen
X^zoxk übrigen^ §ume in feine eben ermäf)nte Erörterung üerf(ocf)ten
f)at, §ur Umbilbung be§ ©ubftan§begriff§, ober ju feiner 5tuf^ebung
in bem gemeinen ©inn gefommen. SDie (Sinjelbinge finb nicf)t ©ub=
ftanjen, fonbern Stcciben^en (modi); bo§ gilt oon ben Körpern mie oon
ben ©eelen: ©ubftan^, felbftänbig, ift nur @ott, ber Inbegriff ber
3öir!(id)feit; jiiht§> einzelne 3Birf(irf)e ift in bem Stü^ßinen a(§ ein 5tb=
gängiges unb 93ef(f)rän!te§ mit logifd^^maf^ematifdfier 9?otmenbigfeit ge=
fe^t. ©elbftoerftänblicf) ift @otte§ ©ubftantialitöt nicf)t nad) bem
©c^ema eine§ au§gebef)nten ^örperatom§ ober eine§ unauSgebe^nten
©eeIenatom§ ju beulen, ©eine ©inlEjeit beftet)t nicf)t in Äontiguitöt
ober ^unftualität, fonbern ift bie (Sinfieit einer :5bee, bie in einer
Sßiel^eit oon SOZomenten fidf) oernjirflirfit. — Slud^ ßeibnij, ber i)a§>
SSefen ber ©ubftanj in Gräfte fe^t, unb äule|t bie oielen enblicf)en
©ubftan§en in bie (Sint)eit ber einen ©ubftonj sufommenfafet, bleibt im
Öirunbe innerhalb biefer ^Infc^auung.
3Son ^ume au§gef)enb, fielet fid^ .^ant auf bie 93etra(f)tung ge=
fü{)rt, ba^ ©ubftantialitöt unb Snpreng al§ 3)en!form, nid^t al§
(Sfiftenjform angufcl^en feien. S)amit ift bie ^.^orfteHung, q1§ fei bie
©ubftauä ein an unb für fid) feienbeS SSirfüd)e§, natürlid^ aufgegeben,
©ubftanj ift tiaS' ^erburabte ber 6 r f d) e i n u n g. ®ann mirb freilid)
burd^ bo§ 2)ing an fid), ta§> t)inter ben ßrfd^einungen fteden foü, bie
©od^e mieber einigermaßen oerbunfett; e§ f)at ^in unb mieber ben 5(n=
fdE)ein, al§ fei ha^ ®ing an fid) bie oerborgene ©ubftang, ha§> „3rgenb=
ma§, idj meiß nic^t ma§" Sode§. — §ier fe^t nun i^id)te ein, unb
ba^ ift bie eigentliche Sebeutung feiner oielberufenen 9(uff)ebung be§
®inge§ an fic^: ©ein ift Seben, Innenleben, bo§ ift t^id)te§ @runb=
anfdf)auung; ein tote§, ftarre§, abfolut bef)arrlid^e§ ©ein, ein ©eelen=
atom hinter bem ©eelenleben giebt'S nid)t; eine bloß feienbc ©nbftan^
ift fo menig in ber gciftigen 9öelt mie in ber förperlid^en, bie ja über=
t)oupt fein abfotuteS ®afein ()at, fonbern nur eine ©piegelung ber
374 n. 93ud^: erfenntniStl^eor. «ßroblente. 1. Äapitel: ®og Ißroblem be§ 2öefen§.
Snnennjelt i[t. Unb biefer ©ebanfe bleibt bie ©runboorausje^ung ber
ganzen fpefulatitien ^f)i(o jop()ie, in ber man feinen @d)ritt
tf)un fann, o{)ne i^n fic^ ju eigen gemacht ju {)aben. 33on {)ier ^at
it)n ßo^e; mit (Sntfdf)ieben^eit üeririrft er bie Sßorfteüung öon einem
allgemeinen SSirflid^feitsftoff, üon bem ein ©tü(f(f)en in jebem 2öirf=
lid^en qI§ fein innerster Äern verborgen fein muffe; bie <£eele ift if)m
ni(i)t§ Qnbere§ al§ eine feienbe, auf unbegreiflid^e Söeife in ber g^orm
n)irfung§fä()iger ©elbftänbigfeit gefegte Sbee, unb gar nic^t fc^eint fie
i^m eines n:)eiteren S(n^att§pun!teö ju bebürfen, um mirfüd) ju fein.
(Sbenfo bleibt ged)ner in biefer 2(nfd)auung unb neuerbings befennt
ficf) 3S u n b t ^u if)r mit bem aftuellen (Seelenbegriff.*) S)er 2tu§brucf
lüeift auf ben actus purus ber Sc^olaftüer, auf bie reine (Snteled)ie
be§ S( r i ft 0 1 e 1 e § gurüc! : öott ift actus purus, nidjt tote§ ©ein, fein
3Befen ift ha§> eirige 3)enfen bes abfoluten @ebanfen§, welcher bie
2Sirf(id)feit ift. Unb bamit fommen mir benn auf ben legten Urfprung
biefer gangen öebanfenbilbung jurücE, auf ^ lato, ben großen 5Be=
grünber ber abenblänbifd)en ^t)ilofopt)ie: bie SBirüicfjfeit ift eine Sbeen^
tuelt, ein feienbeS ©ebanfenfijftem, unb biefe ©ebanfen finb ha^ ttjirflic^
SSirflidjc felbft unb bebürfen feineg Stnbern, an bem unb burd) ha^
fie mären, ^ie Sbeen finb ja nid)t ftarre 53ilber, bie n^ie ftumme
£}Igi3|en ber Sßelt §ufc^auen, foubern ein lebenbiger Snf)Qlt, mie er
fid)tbar in ber ©eele aU folc^er fid) barftellt.
2öie fommt e§ boc^, ha^ bie gemeine SßorfteHung gegen bie Qu--
mutung, biefen ©ebanfen ^n benfen, fo (ebtjaft fid) fträubt? ®enn
bie erfte ©mpfinbung, inenn man i^m jum erften Wlai begegnet, ift
ja oI)ne 3^^^f^^ ^^s- ^^^ ^1^ unbenfbar, ein @eban!e muB an einer
©eelenfubftanj fein, fonft üerfinft er in§ Seere. Unb e§ I)ilft menig,
menn man bie @ebred)ü(^feit biefer (Stü|e §eigt; bie Ük(gärmeta=
p!)i)fif, bie übrigens nid)t allein bei ^öt)lern unb ß^^G^^öi^ßni^ern fid)
finbet, befteljt bod) barauf, of)ne ein Si^genbmaS, ha^ il)n trögt, ot)ne
ein 2öirflid)feit§flö^c^en, n^oran er befeftigt ift, ift feine SBirflic^feit
unbenfbar. SSielleic^t ift ber Urfprung biefer Unbenfbarfeit in 3^olgen=
bem gu fudjen.
Wan fann gttjei 5(rten öon 2)enfnotmenbigfeit unterf (Reiben: bie
*) So^e, ajiifrotogmog ü, 143, 111,531. mttap^t)\it, 109,480. geebnet,
Sttomcnle^re 114. SBunbt, ©Qftem bec ^fiilof. 289, 585.
2. SBiebetfierj'tellung ber reoliftijd^en Sluffoffung für bie SnncntoeU. 375
ec^te ober Iogijcf)e unb bie fotjc^e ober pft)(^oIogifcf)e. Sene
fommt jebem formell rirf)tig gefolgerten (Sa| ju; wer bie ^rämiffen
Qnerfannt tjat, fanu fid) bann ber ^onflufion nic^t ent^ieljen. 2)ie
unechte ober pfi)d)oIogifdje 9iotiüenbig!eit bogegen entfpringt qu§ ber
@etoöf)nung; tDQ§ luir oft ober immer fe^^en, f)ören, benfen, erfc^eint
un§ jute^t qI§ notlrenbig, fein ©egenteil al§ unmöglich. 5tl§ bem
^önig öon <Biam oon einem ^oflönbifdien ©efanbten erää()It n)urbe:
in feiner ^eimot merbe ba§ SSoffer gu 3^^^^^ ^Q^t ""^ f^^^ f^^
boB man barauf ge()cn fönne, fom bem ^önig bie (SQrf)e oöllig un=
ben!bar iinb unmöglich oor. .Spätte er in feiner Sugenb fd)oIaftifcf)e
^i)iIofopt)ie ftnbiert, fo njürbe er fid; oermutlid) nic^t oerfagt ^oben,
bie Unmöglidjfeit audj §u bemeifen : flüffig fein get)ijre gum SSefen be§
SBofferg, otfo fei e§ unmögüd), ba^ e§ ftarr merbe.
©iefer 5trt oon 9^otn)enbigfeit begegnet man überall. 2Ba§ ic^
nie gefef)en ^aU, ift unmögtidj, ba§ ift ha^ gro^e ^rinjip, oon bem
\)a§^ Urteil be§ 2)urd)fc^nitt§üerftanbel bel)errfd)t mirb. (Sin 9Jiann
oon S3ilbung, ber felbft feine 9fteIigion ^ot unb oud) nie Seute gefefjen
!^at, bie mirflid) Üietigion Ratten, glaubt nid)t, baB fo ettt)a§ überf)aupt
möglich fei; e§ !ann nur §eucl^elei unb betrug fein, im beften galt
©elbftbetrug. ©in ^^ijfiolog, ber niemals f)t)pnotifc^e ©rfd^einungen
beobad)tet f)atte, erflörte mit ß^^öerfidjt aüe berartigen SDinge für un=
möglid). 2)urd) biefetbe 2)en!notnjenbig!eit raerben bie SSorfteüungen
oon ber ß^^w^ft gebunben: ma§ (jeute nid)t ift, fanu unb loirb niemals
fein. @§ giebt feine gro^e ^eräuberung im gefd)id^tlid)en 2eben, bereu
Unmöglidjfeit nic^t öor^er flar bemiefen toorben »äre: of)ne ©flaoerei
ift geiftige Kultur unbenfbar; of)nc ^rügel ift ©iSgipün in ber 9Irmee
unbenfbar; ofjue ben lateinifc^en 5(uffa^ ift \)a§' ®t)mnafium unbenfbar.
5)iefelbe Senfnotmenbigfeit bef)errfc^t aud^ bie gemeine ^^t)fif.
@in fdjlnerer Körper, ber nic^t uuterftü^t wirb, mu& faüen, e§ ift un=
benfbar, ha'^ er frei fd)tt)cbenb an feinem Drt bleibt. S}a bie (£rbe
ein fdjioerer Körper ift unb nid^t fäUt, wie ber 5(ugenfd;ein Iel)rt, fo
mu^ fie unterftü^t fein; ta^ ift ber Slu§gang§punft oüer primitioen
Kosmologie. Wlan lö^t fie bafjer etwa auf bem SSaffer fc^mimmen,
ober, wie jener fdjon erwäf)nte inbifc^e ^^itofopf), oon einem großen
(glefanten getragen werben unb ftü^t biefen etwa wieber auf eine
©c^ilbfröte unb fo fort, bis ber %xa%zx mübe wirb ju frogen.
376 II. Sud): erfenntniSt^eor. Probleme. 1. Äopitel: 2)o§ «ßroblem bei SCßefenS.
9^un, ganj üon berfelben 5Irt ift bte 9^ottDenbig!eit be§ @eelen=
l'uBftantialeg. 2)ie finnüd^e 2(nfc^auung ^etgt uns beftdnbig alle @tgen=
](f)Qften unb SSorgönge an einem Stoff ^aftenb: garbe, ©eiütc^t,
SBärme, Setregung finb immer an einem Körper, einem greifbaren
(Stoff, ^olglid) muffen aud) 55orftelIungen unb ©ebanfen an einem
Stoff fein. 2:iefer Stoff ift für bie gemeine S^orftellung natürlirf)
5unä(f)ft ber ßeib. iJiun geigt fid) aber eine tt)unberlicf)e Sd^mierigfeit.
2)ie ^ft)d)ifd^en SSorgänge ujollen fid) an ben au§gebet)nten Stoff nid^t
anlief ten taffen; mie ift e§ üorjuftetlen, ein @efüf)t ber Siebe ober be§
§affe§ in ober an einem ®e{)irn ober einer @ang(ienäelle? 3ft ha^i
@efüt)I felbft oerteilt über bie ausgebefinte 3J?affe? S^Jimmt ber Segriff
be§ ^reife§, net)men bie ^arallelenfäle einen 9f^aum im ®ef)irn ein?
(£§ mag fein, baB, wenn ber ©ebanfe gebadet n^irb: bie Üuabratur
be§ ßi'^^^^^ ^f* unmöglid), eine 9f?ei^e öon Semegungen ober d^emifd)en
Umfe|ungen ober was immer für Vorgänge burd^ me{)r ober minber
ausgebetjute Partien ber grauen SuBftans oertaufen, aber ha§> ift bod)
nid)t ber ©ebanfe felbft; biefer fonn offenbar nid^t al§ ein im 9iaum
jerftreuter Vorgang öorgefteüt ujerben. 2)iefe SdE)roierigfeit ift e§, bie
jur Sitbung be§ Segriff e§ einer befonberen Seelenfubftanj gefüt)rt f)at;
ber gemöt)nü(^e au§gebet)nte Stoff ift ^ier nid)t üerrtienbbar, auf einen
Stoff überhaupt fann man nid^t nergiditen; folglid) mu^ es einen un=
au§gebef)nten ober immateriellen Stoff geben, ba§ ift bie
Seelenfubftanj.
greilid), bie immaterielle Subftang bleibt ein munberlic^eS SBefen;
tt)a§ fie mit ber einen §anb gab, iia§> nimmt fie mit ber anbern,
2)a^er bleibt bie Steigung, biefen unmirflic^en Sd^atten eine§ Stoffe
gegen ben mirflid^ greifbaren Stoff n)ieber eingutaufdien, ba ujeiB man
bod), Xüo unb mie. Wlan fann überall beobadjten, mie bie natürlid)e
Steigung bes ®en!en§ bie fpiritueüe Subftang immer lieber §u materia-
lifieren, als einen feinen, gang ätt)erifd)en Stoff fid) oorguftellen ftrebt.
^amit ift erft bem SBort ein anfc^aulid^er Sinn gegeben; ha^ un=
au5gebel)nte, immaterielle Seelenatom bietet ber Stnfd^auung gar feinen
2(nl)alt. ®af)er fällt ber Spiritualismus, ber ein Seeleufubftantiale
nötig l)at, immer roieber in ben ü)?ateriali§mu§ gurüd. — Su ber
Tf^ai, mer nid)t beulen fann, baB ein ©ebanfe aU ein für fic^ feienbeS
SBirflic^eS ol^ne 21nl)eftung an ha§> Subftantiale efiftiert, ber bleibt
2. aSJieberl^erftenung bcr reaUfti)d^en 5luffaffung für bic Innenwelt. 377
notmenbig in ber moteriaüftifcfien Stnfd^auung, er mag fid^ bagegen
[träuben, wie er luill. 2öir!Iid) burd)gefüf)rter (Spiritualismus ift nur
möglich, irenn man auf jenen ©djatten be§ !örperlid)en @toffe§ üer=
giertet unb pft)d)ijc^e 95orgönge ebenfo ot§ frei in ber Sßirflidjfeit
fdiujebenb betracf)tet, wie wir un§ gewöhnt f)aben, bie §immel§förper
a(§ frei im 9\aum fdjWebenb üoräufteden. —
2Bir fetjren nun ju ber 5^'age gurüd, öon ber wir ausgingen:
erfennen wir unfer eigene^ innere, wie e§ an fic^ i[t? SSir antworten:
fic^erlid), e§ ift im SewuBtfein, wie e§ an fid) i[t. ®efüt)te, Se*
ftrebungen, ^orftellungen, ©ebanfen werben gefüt)It, öorgeftellt, gebadjt,
wie fie an fic^ finb: i^r (Sein ift ja nid)t§ anbereS, aU i^r @efüt)It=
unb ©ebad^twerben. Sft nun bie @eele nid)t§ anbere§, al§ ha§^ (2eelen=
leben felbft, bleibt f)inter i^m !ein bunfle§, unburc^bringlid)e§ (Seelen-
otom at§ 9iüc!ftanb, fo werben wir alfo fagen: bie Unterfdjeibung oon
©rfc^einung unb 2)ing an fid) !^at !£)ier überf)aupt feinen ©inn. (Sein
unb erfannt werben fallen f)ier in ein§ jufammen. Sn empirifc^er
|)infi(^t ift allerbingS aud) bie (£r!enntni§ öon bem eigenen Sdj eine
befd)rän!te unb mange(f)afte. $ßon bem üergangenen Seben ert)alten
fic^ im @ebäc^tni§ nur Fragmente, bie unter bem öinflufe beffen,
xoa^ eben im Sßorbergrunb be§ SewuBtfeinS fte^t, balb fo, balb anber§
§u einer ©efamtanfid^t gufammengefügt unb gebeutet Werben; unb be=
ftänbig fpieten fid) unter ber (Schwelle be§ SewufetfeinS taufenb ^or*
gänge ab, bie nur gelegentlich iljre ©djatten in§ SewuBtfein werfen
ober mit ©türungen in t)a§^ bewußte ^orfteüungS^ unb @efüf)llleben
tlinüberwirfen. ©agu ift bie B^^^^^^f* ^«i^^^I; ^^\^ aUmöf)tid) entf)üüt
im gortfc^ritt be§ 2eben§ haS^ eigene ^sd) fic| fetber, nid)t feiten feine
eigenen Söorftettungen unb (Erwartungen öon fic^ täufdienb. (S§ ift
bemnac^ of)ne 3^^if^^ ^^"^ i^^^ ^^^^ au§gebef)ntere unb tiefere (Sr=
fenntniS meinet Selbft benfbar, at§ id) fie befi^e; bi§ gu einem ge=
wiffen ©rabe wirb foId)e unter Umftänben fogar burd) einen anberen
aRenfc^en erreidjt; ber Siograp^, ber ben Vorteil f)at, haS^ gan§e
Seben abgefd)Ioffen mit feinen ^orau§fe^ungen unb feinen SBirfungen
auf anbere §u überfe^en, urteilt oft flarer unb fieserer, ai§> ber ^etb
felbft. 2(ber bog atleS bebeutet nur eine empirifc^e 33efc^rän!tf)eit
ber (Selbfterfenntnil; oon einer tranfcenbentalen bagegen, oon einer
Unterfd)eibung §wifd)en 5ln=fid) unb ©rfc^einung ift ^ier überall nid)t
378 n. S3ud^: erfenntnisit^eor. Probleme. 1. Äapttel: Soi «Problem beg aSejenS.
bie Sflebe. Unb fomit tüäre ^ier ein erster, fefter ^un!t für bie
realiftijdfie 5Infid^t öon ber @rfenntni§ raieber geiüonnen; icE) er =
fenne bie 2BirfIid)feit, njie jie an fic^ ift, foweit id)
jelber fie bin.
Wü einem Söort berühre id) ein 53ebenfen, ba§ gegen biefe
S3ef)auptung au§ einer früheren Setrad)tung entnommen toerben möchte.
S)ie 3^it/ fagten wir mit Äant, i[t nicfjt eine objolut jeienbe £)rbnung
ber abfohlten 3Bir!Ii(f)feit, fonbern eine fnbjeftiüe SlnfcEiauungsform;
unb ic^ glaube nid)t, boB tüir biefe 5Infic^t ^urücfne^men fönnen;
bie ßnt lä^t fid^ nur als eine Crbnung, in bie mir bie SemufetfeinS-
elemente jufammenfügen, !onftruieren, e§ bleibt benfbar, ha^ für eine
anbere Sntelligeng bie Orbnung be§ 3Sorf)er unb 9lac^f)er nid)t gilt ober
fo nid^t gilt, fie mag bie äöirflic^feit ,^eitIo§, sub specie aeternitatis,
mit Spinoza» 5(uöbrucf, anfcE)auen. Xa mir nun unfer Innenleben
notmenbig al§ geitlic^en SSerlauf öorftellen, fo frf)eint bamit bie ^t)äno=
menalitöt aud) in unfere SelbfterfenntniS I)ineinäufommen.
Sei) ermibere: aucf) f)ier f)anbett e§ fid) bod) me^r um eine
empirifcf)e, al§ um eine tranfcenbentale 33efc^ränft^eit, man fann nidjt
fagen, ba'^ unfere ©rfenntniS be§ eigenen Innenlebens baburd) g(eid)=
fam oerfätfc^t mirb. Sene abfolute intelligent, meiere bie 2BirfIid)!eit
üU jeittog beftef)enb auffaßte, mürbe in meinem Seben boc^ nid)t
eigentlid) einen anbern Snf)att erblicfen. 2öäre ha^ ber ^all, bann
mürbe id) fagen: ha^ bin id^ nid^t mef)r, bie ^^önomenalität ober
3nabüC)uatt)eit ift bann ni(^t auf meiner, fonbern auf jener (Seite.
Sene angenommene abfotute Sntelligenj fiefjt nidjt etmaS anberes bem
:3n^att nad^, fie fie^t nur anber§, fie fief)t benfelben Snf)alt mit um=
faffenberem, mit aüumfaffenbem S3Iicf. SSer ben jäf)rlid)en ©onnen»
umtauf ber ßrbe mit einem 33Iicf überfä^e, mie unfer Stuge bie
©dimanfnng eines ©efunbenpenbelS fiet)t, ober mer bie SntmicEetung
eines ^(anetenft)ftemS überfä^e, mie mir ha§> 21uffcf)metlen unb SSer-
melfen einer S31üte fe^en, für htn mären 3cil)rtaufenbe ein Stugenblid
ber ©egenmart. 33or bem ^uge beS ©migen oerfrfjminbet bie ßeit
überf)aupt. ©ein Slicf fielet 33ergaugeneS unb 3"fünftigeS in ©ins;
er fie^t in jebem $untt alle llrfad)en unb alle SSirlungen, ha^ f)eiBt,
er fief)t bie 2Öirftid)teit atS ein eintjeitlidjeS öan^eS, alS ein ibeeüeS
©t)ftem, in bem jebeS SDbment burdj ha^ ©an^e bebingt ober sunt
3. 2)te ©rfenntni^ ber STuBemüelt. 379
@an§en notiüenbig ift. ©in Änobe, ber ju lejen anfängt, f{e'£)t erft nur
Suc^ftaben, allmäf)li(^ SBörter, bann lernt er 8ö^e 5ufammenfe|en
unb it)ren Snf)alt faffen, unb äule^t erreid^t e§ ber 9JZann, ein 53uc^
al§ einen einzigen großen ©ebanfen aufjufaffen, ber feinen Snl^alt
in einer Sßieltjeit non 9Jionienten entfaltet. S)er 3ufammenf)ang biefer
SJZomente ift nnn für i^n fein jeitücfjer, fonbern ein innerlicher; eine
logifc^e ober äftl)etifd)e 'Diotn^enbigfeit umfpannt alle Steile unb njeift
jebem feinen Ort an. @o fiet)t ®ott alle 2)inge: ^ü'a ^eitlid^e 2(u§=
einonber tierliert fiel) üor ber inneren 53ejie§ung, ber inneren S3e«
bingungSorbnung, mit 2o^t ^u reben (S[Rifrofosmu§ III, 599), in ber
in feinem Semu^tfein ha^ g^ernfte unb SflädEifte oer!nüpft ift. Unfer
armeö Semufetfein mü^t fid) ah, SSörter unb ^dUn ju umfpannen,
felbft feinen eigenen Sut)alt üermag e§ nur, burd^ fucceffiöeS 2)urd^*
taufen in ber (Erinnerung gu erf äffen; unb öon ben taufenb 33e*
5ief)ungen, in benen e§ fte{)t, föUt nur ()ie unb ha ein 9J?oment mit
l^inein, ton feinen Urfarfjeu unb nod^ me!§r oon feinen SSirfungen
ttjeife e§ faum in ben aügemeinften Umriffen. Unfer 2eben gleicfjt bem
5;appen in einem Irrgarten; ®otte§ (Sr!enntni§ unfere§ £eben§ gleidjt
ber 5(nfid^t beffen, ber öon oben ^ineinfiet)t unb alle 3Serfcf)(ingungen
mit einem ^ölicf überfcfjout.
3. ®te ©rfenntnt§ ber Stu^cnwelt.
35ie STuBenttjett ift ber S^orfteüung oI§ eine SSelt bemegter
Körper gegeben. Äörper aber, fo mar ha§i @rgebni§ ber er!enntni§*
t^eoretifdjen 9iefIei-ion, oon ber mir ausgingen, finb ©rfc^einungen,
fubje!tioe ©ebitbe, beren Suf)alt 3Sa^rnef)mung§= unb 3^orftenung§=
etemente finb. SlUe§ ma§ mir oon einem Körper auSfagen fi)nnen,
ha^ er füB, ifeiB, fc^mer, au§gebef)nt, unburdfibringlid), im 3Baffer
löSlid^, in biefe c^emifd)en (Stemente jertegbar ift, fommt ^utefet immer
auf (ämpfinbungSqualitäten unb 2Sa^rnet)mung§iut)aIte ^inau§. Äörper=
lic^e Objefte finb permanente ©enfibilien, it)r SSefen befte^t in ben
t)erfd)iebenen Seiten itjrer ©enfibilität. Ober mit S- ®t. SOHH:
S^örper finb permanente Ü)?i)glid}feiten ber (Smpfinbung.*) 235enn ic^
*) ig. ©t. SJiill, An Examination of Sir W. Hamiltons philosophy
(1865), Ch. XL
380 n. aSuc^: erfenntniSt^eor. «ßrobleme. 1. Äapttel: 2)a§ Problem be§ aBejeni.
fage: bies !örperlic^e ®ing eyiftiert, \o ^ü^t ha§, auf feinen eigent=
lid^ften 5(u§bruc! §urütfgefüf)rt: id) bin überzeugt, ha'^ foIrf)e unb folc^e
2ÖQf)rne!^mungen in folifiem ß^W^^^^^^^^^Ö ntögüc^ finb. SBenn \6)
fage: ^ier liegt ein <BtM Rapier, fo f)eifet ta^: id) \)aht biefe ®efid^t§=
ttjal^rne^mungen, icf) neunte an, ha'^ id^ biefe unb biefe ^^oftma^r^
ne^mungen ^aben föürbe, »enn ic^ biefe Bewegungen ausführte. ^6)
fage, n^enn icf) bas ^intmer oerlaffe: brin auf bem ^lifcf) liegt ein Statt
Rapier; ba§> Reifet »ieber: ict) bin überzeugt, ujenn ic^ ober aurf) ein
anberer t)ineinge^t, fo njirb er bie§ ober ha§> fet)en unb füt)Ien !önnen.
©laubte id) ha§> nid^t, fo tt)ürbe i^ jene 33et)auptung nid^t macE)en;
fänbe id) t)ineinget)enb e§ nid^t fo, fo ttJÜrbe id) fagen: haQ ^opier
ift tt)eggef ommen ; glaubte id) md)t, ha^ e§ nod^ irgenbmo möglid)
ftiäre, biefe 2Sat)rnef)mungen gu madjen, fo mürbe id) fagen: ha^^ 'papier
ejiftiert nidjt met)r, njenigftenS nid)t in feiner alten ©eftalt; unb glaubte
id^ nid^t, bafe e§ mijglid^ märe, irgenbmo feine Überrefte in ^orm oon
%\d)t ober S[Rober irgenbmie §ur finnlid^en SSat)rnet)mung gu bringen,
fo mürbe ic^ fagen: e§ t)at übertjaupt aufget)ört mirftidf) ^u. fein. 9(Ifo
überall bleibt bit Sejietiung auf bie 2Ba^rne!^mung: ÜJJögtid^feit ber
2Bat)rnet)mung meinen mir, menn mir oon ber 3SirfIid)feit förperüd^er
S)inge reben. ©an^ fo miü e§ auc^ ^ant.
Slber, mirb ber gefunbe 3)?enfd)enoerftanb fagen, t}a§> Rapier
bleibt bod^, aud) menn id^ ouff)öre ma^r§unef)men ; bie Elemente, au§
benen e§ beftet)t, merben nod) ta fein, menn e§ längft fein ßeben
me^r auf ber örbe giebt, mie fie benn aui^ maren, et)e e§ Seben
unb (Smpfinbung gab. — @emi^; nur ift bie Sebeutung ber 2tu§fage,
ber @inn be§ ^röbifats „mirflid)" aud^ f)ier fein anberer al§ ber:
menn ein empfinbenbe§ unb üorftellenbeg SSefen ha gemefen märe, bann
mürbe e§ fold^e unb foldje 2Sa^rnef)mungen fjaben mad)en fönnen,
mürbe bie (Srbe etma a(§ glutflüffige SOIaffe gefet)en ^aben unb barin
aud^ ben Äot){enftoff, ber bann burc^ taufenb Transformationen enbtid^
in bies Rapier überging. Stber auf feine SBeife mirb man biefen
93e5ief)ung§punft, ein fo beftimmte§ 53emufetfein, überhaupt Io§; man
fann e§ al§ regelmäßige unb allgemeine ^i^orauSfe^ung in jebem
einzelnen g^all üernad)täffigen, aber man fann e§ nid)t überf)aupt bei
©eite bringen, ßinem förperlic^en Sing S)afein unb Seftimmungen
beilegen, fjeifet immer, e§ at§ Inbegriff mögtid)er SSa^rne^mungen für
3. ®ie erfenntnig ber Slufeentuett. 381
ein mög(icf)e§ Seluufetfein fe|en; of)ne SSa^irne'fintung unb SerauBtjein
!ein Körper. Körpern fommt bemnatf) nur relatioe, nic^t objolute
©fiftenj ju; ober mit 5lant§ Slu^brucf, fie finb Grfdjeinungen für ein
„Sett)uBtjein überf)aupt."
©ntfpric^t biefem relatiüen ®afein, bem ®aiein für ein Senjufet-
fein, ein abfoIuteS ^afein, ein 2)aiein an unb für fic^ ? @inb bie ör=
fcf)einungen, bie n^ir Körper nennen, .^inweifungen auf ein 2öirflic^e§,
\)a§ otjue alle 9iüc!fic^t auf mein SSettJu^tfein 5)afein {)at?
5ltle 9JJenf(f)en finb baüon überzeugt. Sebermann glaubt, bafe
bie äöett met)r al§ eine ^^anta§magorie in feinem 58ett)uBtfein, boB
bie erfc^einenbe ^örpermelt auf ein Stn-ficf), t)a§' in if)r erfd^eint, f)in-
toeift. 233a§ ift bie§ 2tn=fic^? Äant fagt: mv ttjiffen e§ nic^t unb
!önnen e§ nic^t miffen; e§ ift ha^^ notwenbige Senfeitg be§ SerauBtfein^,
ha^ Xranfcenbente. — Siegt bie ©ac^e roirüid) fo hoffnungslos? ^d)
meine nic^t. 3<i) glaube, man barf mit ©(i)open{)auer unb mit
aller ibeaüftifc^en ^^f)i(ofopf)ie fagen: etmaS oon bem, tt)a§ ba§ 2Bir!=
lid^e an fid) f eiber ift, n^iffen mir aüerbingS; öon ben lebenben @e=
fd^öpfen ttjenigftenS glauben alle ju ttjiffen, tüa§> fie an fic^ finb.
©egeben finb fie un§ als Körper mit eigentümlidjer ©truftur unb
mannigfadjen äußeren unb inneren S3ett)egungöüorgängen; aucf) bie ein=
bringenbfte pf)i}fiotogif(f)e Unterfud)ung geigt nicfjts anbereS. SennodE)
gtaubt jebermann, ba§ f)ier no^ etwa» anbereS n)irt(ic^ ift, ba^ ift ein
Innenleben, oergleidjbar bem, baS er in fid^ f eiber erlebt.
äöaS ift ber ©runb biefer Slnnaljuie? Offenbar ^at ©d^open^ouer
red§t, n)enn er ben @runb bafür in ber X^atfac^e finbet, ha^ mir un§
felbft auf boppelte äöeife gegeben finb. 3c^ »ei^ unt mid) ganj un*
mittelbar als ein molIenbeS, fü^IenbeS, empfinbenbeS, norftellenbeS
SSefen. StnbererfeitS bin idj mir als förperlic^eS SSefen gegeben, ic^
nefime meinen Seib n)ot)r unb ftelle i^n öor otS ein forperlidieS Cbjeft
unter ben übrigen. 9Zun finbet ^mifc^en 53orgängen beS Innenlebens
unb beS leiblid^en SebenS regelmäßige Äorrefponben^ ftatt; ©efüljle
toerben öon Sßeränberungen im Slutumlauf unb in ber ^örperl^altung,
Striebe unb 33eftrebungen Don Seroegungen beS DrganfljftemS im (Sin=
jelnen ober im ©anjcn begleitet; (Sinmirhingen auf ben Seib erfd^einen in
inneren S^orgiingen, in @efüt)ten ober ©mpfiubungen. Sllfo mein leiblid^eS
Seben ift ber ©piegel meines (Seelenlebens; baS leiblid)e Crganft)ftem ift
382 IL S8u^: ecfenntm§t^eor. «Probleme. 1. Kapitel: ®a§ «ßrobtem bei SBejenä.
bie äuBerlicf) wahrnehmbare ^arftellung be§ SBillens unb fetne§ 5:rieb-
j^ftem^, ber Seib i[t bte @icf)tbarfeit ober bie (Srj(f)einung ber Seele.
2)aö ^d), ha§, auf jolcfie Söeije ftcf) jetber als ^oppelraefen ge=
geben ift, »irb nun ber ©d^Iüffet §ur S)eutung ber SIuBennjelt. ©c^open^
f)auer erinnert an bie jn}eifprad^ige Snj(i)rift üon Üiofette, burc^
njelc^e bie Gntäifferung ber ägiiptij(f)en .*pierog(t)pf)enjc^rift guerft mög=
lief) tourbe. 3Bie f)ier ha§> Sf^ebeneinanber be^jelben Sn^alt§ in be=
fannter unb unbefannter Sd^rift ^ur 2^eutung ber unbefannten 3^^"^^"
führte, \o mxh ba§ 9Zebeneinanber ber 3nnen* unb StuBenfeite ber
Söirflidjfeit im Eigenleben jum Scfjlüjjel für bie 2)eutung ber S(uBen=
feite überf)aupt; mir lernen bie !örperlicf)en formen unb Sßorgönge
o(§ ©Qmbole innerer ^ßorgänge auffaffen. 9JJenfcf)en gegenüber
bringen mir e§ gu einer erftaunüc^en (Sicf)erf)eit ber 5)eutung; jebe
53emegung, jeber G5eftu§, jebe 3"cf"i^9 ^^^ @efid)t§mu5feln mirb un§
gum oerftänbIi(f)en @t)mboI eine§ inneren S8organg§; bei ber Siebe
öergeffen mir überf)aupt, baB mir e§ mit (2t)mbolen gu tf)un ^aben,
mir meinen unmittelbar ©ebanfen ^^u f)i3ren ober ^u lefen; mir muffen
un§ erft barauf befinnen, ha"^ atleS, ma§ öon au^en ^n un§ fommt,
nic{)t5 als Sufterfdjütterungen finb, bie öon einem Körper burrf) einen
eigentümlichen SJiec^anismu» f)eroorgebracf)t merben; unb ebenfo befte^t
alleg, ma§ ein S3u(f) unferer 2öat)rne^mung barbietet, lebiglid) in fteinen
?{nt)äufungen üon 2^rucferfd)märje auf meinem Rapier, ©ebanfen
fteden fo menig §mif(f)en ben blättern eine§ 33ucf)e§, mie fie burif)
bie ßuft f)erü6erfd)mirren ^u unferem C^r; bie ©ebanfen erzeugt ber
öefer ober ^orer burcf) Interpretation jener an fic^ gor ni(f)t ge*
banfenf)aften 3i)mboIe. Sögen bie ©ebanfen fertig im Surf), fo baB
man fie nur t)erau55unet)men braurfjtc, fo bebürfte e§ ja aurf) feiner
Snterpretationstunft, aurf) gäbe e§ feine 9J?einung§nerfrf)iebenf)eit über
ben Snf)a(t.
2Bie meit reicht nun biefe Seutung? — (S§ töfet firf) feine fefte
©renje gietjen; im allgemeinen fann man fagen: bie S)eutbarfeit ber
fi3rperli(^en Söett nimmt in bem 9J?aBe ah, als bie fi3rpertirf)en SSor=
gonge an 5tf)nlic^feit mit ben SSorgängen meines (eiblid^en 2eben§ oer=
lieren. Se größer bie Si§nürf)feit unb je näf)er ber $8erfet)r, befto
firf)erer ift bie 3Iu§(egung. 'am beften oerftef)en mir unfere näd^fte
Umgebung; mit abne^menber (Sirf)erf)eit bie (Stamme§= unb 35oIf§genoffen.
3. %\t erfenntnig ber StuBenirett. 383
^ie ©lieber eine§ fremben Sßot!e§ Bieten ber Deutung fc^on beträc^ttidje
©djiüierigfeiten, namentlich) U)q§ bie feinere, geiftigerc (Sntwicfelung ber
Snneniüelt onlongt: erft burrf) ben müf) Jörnen ^roje^ ber (Erlernung
ber ©prac£)e ttjerben ttjir in ben Sefi| be§ micfjtigften @ebanfenft)tnboI-
ft)ftem§ gefegt, unb meift bleibt biefer Sefi| mef)r ober minber unt)oü=
!ommen; für bie feineren @rf)attiernngen ber S3or[tel(nng§= nnb @cfüt)l§-
tüelt reicht bie Snterpretation§!nnft nirfjt ju; nur njer burrf) langet
Seben mit bem fremben S^olf nern)äd)ft unb gleidjfam ein ©lieb bel=
felben njirb, ertongt jenes feine SöerftänbniS, ha§: mir für bie Snnen=
melt be§ eigenen 5]oI!e§ t)Qben. Übrigen^ jie^en auc^ innerhalb be§
9SoIf§ gefellfdiafttic^e Trennungen bem $ßerftänbni§ mef)r ober minber
fd)arfe ©rengtinien. 9^oc^ öiel uuüoüfommener ift ha§> 35erftänbni§
jmifc^en oerfijiebenen Siaffen, öerfdjiebcnen ^ulturf reifen; eS fängt t)ier
an auf bie gröberen Umriffe be§ SßorftelIung§= unb @efüt)I§Ieben§ fic^
einäufcfiränfen. Steigen mir jur 2:iermelt f)erab, fo fällt mit ber
©pradie ba§^ feinfte (Si)mboIfl)ftem, in bem fid) befonberS bie SSor*
ftellungSfeite be§ Innenlebens objeftitjiert, überf)aupt fort, baf)er mir
un§ nur fe^r unbeftimmte SSorfteüungen oon biefer ©eite beS tierifdjen
Innenlebens 5U machen öermögen. ^ßerftänbüc^er bleibt unS bie SSiüenS^
feite; bie gleidjartigen Organf^fteme unb i§re 35errid)tungen beuten mir
auf gleid)artige ^Triebe unb ®efüf)I§erregungen. 3n bem SJZoBe mie
bie ©leid^fi^rmigfeit beS OrgQnft)ftemS abnimmt, in bemfelben SOia^e
nimmt and) bie ^orm beS S3erftef)enS ab; in ber nieberen 2;iermelt
reid)t bie 5InaIogie nur nod) auS, um bie gröbften Umriffe eines 3nnen=
lebenS erfennen ju laffen. 3u ber ^ftauäenmett lä^t bie gäljigfeit
beS 25erftcf)enS noc^ met)r nad) unb in ber unorganifd)cn oerfc^minbet
auc^ ber le^te @d)immer; bie ^örpermelt ^ört ^ier ganj auf, ein unS
entzifferbares Symbol eineS SunenlebenS gu fein. 2)aB aber in 2öir!=
Iid)!eit audj fjier nod) eine 3nnenfeite oorfjanben ift, barauf füt)rt bod),
mie früljer bie mctap{)t)fifd)e Setradjtung, meiere ben beftönbigen Qu=
fammcnljang beS unorganifdjen unb organifd)en 3}afeinS betonte, fo l^ier
bie erfenntniStl^eoretifd)e 53etrad)tuug. Sagen, bie unorganifc^en Körper
feien btoB Körper, f)ei^t fagen, ba^ fie nur relatiöe ©i'tftenj f)aben unb
übertjaupt nid)t etmaS an fic^ finb. SBer baS nidjt fogcn mitl, mirb p=
geben muffen, bafe aud) bie Elemente ber unorganifdjen 9J?aterie @i)mboIe
eines S(n=fi(^ finb, beffen S3eftimmung mir nur in ber Sfiidjtung fudjen
384 n. $Bu(^: erfenntm§tf)eor. «Probleme. 1. Äopitet: 2)ag «ßroblem bei SBefeng.
fönnen, bie un§ burrf) bie ©nttüicfetung angezeigt rairb, bie biefe§ Stn^fic^
in ber tierijd^en SSelt nimmt.
2)a§ (Snbe biejer Setrad^tung tuäre alfo: irf) erfenne ba§
SSirüic^e, mie e§ an jic^ ift, fomeit ic^ jelbft e§ bin,
unb jofern e§ eben ha^ ift ober bem äf)nlic^ ift, n)a§
ic^ bin, nämlic^ ©eift. ®a§ ift bie SSa{)r{)eit jener alten Diebe
ber grie(f)iidf)en ^{)iIofop()ie: ha§: ©leic^e rairb nur burd) ba§ ©leid^e
erfannt.
Semerten^mert ift babei ein eigentümlid^eS 3Seri)öÜni§ §mifd)en ber
äußeren ober pf)änomenaIen GrfenntniS unb bem auf Interpretation
beruf)enben SSerftänbniS ber ©rfc^einungen. SJJan !ann e§ ju ber
^arabojie gufpi^en: je me^r ujir bie 2)inge begreifen, befto
lueniger oerftet)en mir fie, unb umgefef)rt. 2Sir begreifen am
beften bie Sßorgönge in ber unorganiic^en 2Selt, t)a§> ^ei^t, mir finb
t)ier imftanbe, fie burd) fo ftrenge begrifflid^e gormetn ^u faffen, ha'B
fie bered^enbar merben. S)ie 2eben§pro§effe fe^en ber begriff(icl^=matf)e-
matifdien Formulierung unb Sered^nung fef)r öiel größeren Söiberftanb
entgegen, bie 33ioIogie arbeitet burd)meg mit empirifc^en ©efe^en, bie auf
bie legten elementaren 9Jaturgeie|e o^ne 9Reft gurücfäufü^ren fic^ bi§{)er
nocf) immer al§ uuburd)füf)rbar ermiefen f)at. 2tm unberedjenbarften
ift ber SJJenfct); bat)er man bis auf biefen SEag nid)t aufget)ijrt f)at,
fein §anbe(n überhaupt für geie|Io§ ober für SBirfungen eine§ gefe^=
tofeu 2(gen§, be§ fogenannten freien SSiüeng, anjufefjen, momit jeine
33egreifüd)!eit, feine g^aparfeit burd^ ben 33egriff übert)aupt in Stbrebe
gefteüt ift. Umgefef)rt aber üerf)ält e§ fic^ mit bem 5ßerftef)en;
menid)ticf)e§ 2eben allein oerftef)en mir gang; in ber @efd)ic^te ift bo§
äJkjimum be§ S3erftet)en§; e§ nimmt ah in ber Zoologie unb Sotanif
unb erlifd)t gang in ber ^l)t)fi! unb Slftronomie, mo ha§i matf)ematifd)e
Segreifen am nollfommenften ift.
ßufammenfaffenb fönnen mir mit einem Silbe fagen: bie 2BeIt
ift in einer an 3^^<^^n überreichen (^e^eimfd)rift gejc^rieben. 3ebe§
ßeid^en, jebe§ me^r ober minber felbftänbige förperlicf)e ©t)ftem be-
beutet einen ©ebanfen @otte§, eine fonfrete 3bee, bie ein 9J?oment ber
einen großen aüumfoffenben Sbee ber 3Sir!Iid^feit ift. Son biefen be=
beutungSooIIen S^idjm oerftel)t ber 3)?enid)engeift einige menige mit
einiger ©id)erf)eit ju entziffern, e§ finb bie ©ijmbole be§ menfd^Iidj=
3. ®ie erfenntnig ber STuBenttJelt. 385
geiftigen ßeben§, bie feine näd)[te SebenSumgebung bilben. Slnbere
geigen mit biefen eine gen?iffe S3ertt)anbt)c^Qft, bie 2;i)pen be§ organifd)en
2eben§ ber @rbe, bocf) i[t f)ier fdjon bie (Sntgifferung — man benfe
an bie Snftinfte ber Stiere — fef)r nnoollfommen. ©nblid) finb mir
umgeben mit einer unabfet)baren SJJenge öon 3^^^^"^ ^^^^" 2)ajein mir
jmar bemerfen, beren @inn [id) aber jebem S^erfurf) ber ©nt^ifferung
entjiel^t, hü§> ift bie 2öe(t ber p^t)fi!aIijdE)=cfjemifcfjen nnb ber a[tro=
nomifdjen St^atfac^en. —
9)?it einem SBort ge()e idj nnn nocf; auf bie 3^rage ein: mie
entftetjt ber ©laube, ha'^ eine oon meiner Söorftellung
unobf)ängige SSirf lid^feit ha ift? Unmittelbar gegeben finb
mir nnr meine Semufetfeinlöorgänge; mie !ommt e§, hü'^ ict) barüber
ju einer tranfcenbenten Söirflid^feit ^inau§ge{)e unb mic^ nnb mein
93emuBtfein mit feinem 3nf)alt al§ ein abhängiges ©lieb biefer feienben
SSelt fe^e?
©einer allgemeinen 9)Zögtidj!eit nad) berutjt biefer (glaube mo!£)I
auf ben (Sriebniffen, bie ha^ ^d) al§ moUenbeS SSefen mac^t.
ignbem e§ feiner eigenen Seftrebungen unb i^rer Xenbeng inne mirb,
mirb e§ gugleid^ l^emmenber SSiberftiinbe inne. Sie (Srmortung§oor=
fteHungen, in benen e§ bie 3iif""ft t>orau§nimmt, merben burd) bie
mirf(id)e 2Ba^rnel)mung getäufd)t, ber $ßorfteHung§oerIauf mirb öon
feiner fpontanen 9^id)tung abgebröngt, Stbfid^ten merben burd)freuät,
93emegungen nerfefjlen i^r ^id; innere (Sriebniffe non biefer 5(rt finb
gemil bie erfte 53ebingung ber ^onftruftion ber 3Birf(id)feit nad) bem
©c^ema öon ^6) unb 9^ic^tid). 2öo fie ganj fehlten, ha mürbe e§ ju
biefer Gntgegenfe^ung überljoupt nid)t fommen. ©in bloB oorfteüenbeg
SBefen, beffen ^ßorftellungen o^ne @efü()I§betonung mären, ober ein
SÖSefen, beffen SBille fic^ abfotut burdjfe^te, bem fic^ jeber gemollte Sßor=
fteflung§inf)alt fogleic^ al§ ma^rgenommene 2BirfIic^!eit barftedte, ba§
mürbe bie ^orftellung einer objeftiöen 3öirflid)feit jenfeitS feiner ^or=
ftetlung^melt nidjt fierüorbringen, e§ mürbe feine 25orfteÜungen oor=
fteüen unb feine @eban!en benfen, mie ein äJJat^ematifer feine g^ormeln
unb Figuren benft.
2)ie meitere S)urc^fü§rung ber (Sntgegenfe^ung öon ^d) unb DJic^tic^
in ber 2öirflid)feit§anfdjauung bürfte bann mefentlid) folgenbe SOZomente
ju ifirer 33orau§fe|ung f)aben.
«Baulfen, Ginleitmig. 6. ÜUift. 25
386 n. 93u(^: erfenntniStl^eor. «Probleme. 1. topitel: 2)og «Problem be§ SSejeng.
1) i5){e Unterfdjeibung be§ eigenen 2eibe§ öon ben übrigen
Körpern, ^er eigene Seib, ber gunäd^ft burc!^ finnlid;e SßQljtne'^mung,
ni(f)t anberS ol^ bie anbern 5iörper, gegeben ift, genjtnnt notroenbig
eine einzigartige Stellung jci)on boburd^, bo| feine 33en)egungen unb
S3erü^rungen mit anbern Körpern ju SBißenSerregnngen unb ©efü^Ien
in einer unmittelbareren S3e§ief)ung fte'^en, al§ bie 93en)egungen unb
S3erü^rungen onberer Körper; ferner baburd), ha^ bie 2öaf)rne^mung
feiner SEeile unb S3en}egungen ben beftänbigen, ibentifc^en ^intergrunb
für bie 2Sa'f)rnef)mung aller anbern bilbet.
2) ®ie Unterfcfjeibung ber m ö g I i cf) e n üon ben ttj i r f I i d^ e n
SE5a't)rne^mungen, ber fonftanten @ e n f i b i ti e n oon ben öorüber==
get)enben ©enfationen, ober, mit ^ant, ber (£ r f rfj e i n u n g e n
üon ben (Smpfinbungen. ^nä) baQ ift eine Unterfd)eibung, bie
jebermann mad)en lernt, ^d) fe^e einen ©egenftanb, fd)IieBe bann bie
fingen unb fel^e it)n nun nidjt; ober ic^ bin überzeugt, icf; fann i^n
jeben Stngenbticf mieber fe'^en; ber SSerfud) ift bie ftet§ bereite S3e=
ftätigung ber Überzeugung. Sc§ öerlaffe mein .^aus, meinen SSo^nort,
fef)e taufenb frembe ®inge, babei bin id^ überzeugt, ba^ gu §aufe nod^
olleg an feinem ^(a| fte^t, ha^ fjeiBt, ha^ id) jeberjeit, »enn ic^ biefe
drtStierönberung au^fü^rte , alle jene be!annten 3)inge tüieberfef)en
fönnte. Unb menn id) f)eim!ef)re, finbet es fid) fo; unb nun gef)t e§
mit ber SSelt brausen ebenfo, fie ftefjt ha, ber SBiebererneuerung burd^
2öaf)rnet}mung ftet§ gen)ärtig. ©o baue id) eine SSelt au§ möglid)en
Sßa^rnef)mungen auf, unb bie mirflid^en 2öat)rnef)mungen erfd)einen
a(§ ein öerfc^minbenber 2(usfd)nitt an§: ben möglichen. 2)iefe mijglid)en
SSaf)rnef)mungen finb nun eben ha§', nja§ in gemöf)nlid§er ü^ebe bie
objettiüe 2öirflid)feit fjeifit; unb bie mirflic^en 2Sof)rnef)mungen werben
aU ©inrairfungen biefer objeftiöen SSeÜ auf ha§: Semu^tfein be§ @ub*
jeftS !onftruiert: bie ©enfibitien Urfad)e ber Senfationen.
2)a§ Übergemid^t, ha^ fo bie SSelt ber möglichen über bie wirf*
lid^en SBa^rne^mungen gewinnt, fann man bann mit % (St. SJJiH*)
etwa auf fotgenbe SSeife erflären. Sie möglid^en 2öat)rnef)mungen
ober bie ©rfdieinungen, im Unterfdjieb öon ben wirfüdien 3Sal^r=
nel^mungen, finb bef)arrlid^ unb unabf)öngig oon ber SSiflfür. 2)ie
*) An examination of Sir W. Hamiltons philosophy, ®. 192 ff.
3. ®ie erfenntniä ber 2lu6enttjeU. 387
ttjirf liefen SBa^rnefjmungen tüecf)fetn öeftänbig, ber S8etüuBtfein§in{)aIt
ift in jebem 5(ugenBIicf ein anberer, unb jiüar i[t ber SSedjfel obfiängig
öon meiner SSillfür, jebe SSenbung be§ 5(uge§ füf)rt einen anbern Sn^ott
l^erBei. S)agegen bie möglirf)en SSafjrne^mungen, bie ©enfibilien,
finb Bef)Qrrti(^ unb unofitjäng oon ber 2öiQfür; n)äf)renb id) bie n)irf=
lirfien SBaf)rne^mungen ieber^eit üerfc£)tüinben laffen fann, finb bie mög=
lid^en im großen unb ganzen beftänbig; id) fann ber 2Baf)rnet)mung
be§ 9J?onbe§ am §immet mic^ jeben S(ugenblic! entjie^en, aber bie
9}?öglic^feit, if)n bort ju jef)en, fann id^ nicf)t ebenfo befeitigen. Somit
l^ängt gufammen, ba'^ bie möglidjen SSa^rne^mungen unb if)re 3"=
jammen^änge für öerfc^iebene ©uBjefte gemeinfam finb, bie mirflid^en
nid^t; fomie, boB ta§i ©intreten ber mijgüd^en 2Baf)rne^mungen 6ered^en=
bar ift, ha§ ber njirflid^en nic^t. SBann ber 9J?onb fidjtbar n^erben,
b. t). aufgef)en wirb, löfet ficf) berecfinen, bagegen auf feine SBeije, n^ann
unb ob ber (Singeine i^n mirflic^ fef)en n^irb. 2)at)er aüe SSiffenfc^aft
allein ben möglid^en SSaf)rnef)mungen ober ben (Srfd^einungen unb i^ren
3ufamment)ängen nadifrogt, nic^t aber ben jufäüigen ßufammen^ängen
ber ft)irflid)en SSa^rneljmungen im ©näelbeUiuBtfein : S^^aturgefe^e
finb gormein, biefonftante^gejie^ungen ber ©rfd) einungen
barfteüen, im Unterfdjieb oon 5tffoäiationenbonS8orftetIungen
im f üb jeftiüen Semufetfein.
@o entftef)t bie S^orfteüung einer objeftioen SSelt. Sem SemuBt=
fein bleibt biefe pfl)c^otogifd)e SSermittelung oöüig fremb; bie ^örper=
toelt ftefjt i^m gegenüber aU abfolut feienbe 2BirfIid)feit. @rft bie
erfenntni§tI)eoretifc^e 9^efIejion fül)rt auf bie S3etrad)tung, ta^ ber not=
njenbige 33e5iel)ung§punft für biefe objeftiüe SBelt, mie taut fagt, ein
„Semufetfein überl)aupt", ein fonftruftioe§, mit ft)ntl)etifdjen gunftionen
au§geftattete§ (Subjeft ift; unb ha^ I)inter ber ©rfdjeinung noc^ ein
on fid^ @eienbe§ öorauSgefe^t luerben muB, beffen (St)mboI bie (Sr=
fc^einung ift. 2öa§ bie§ fein fönne, ift im ^Sorigen angebeutet ujorben:
ein für fid; feienbe§ Sunenleben erfüllt allein bie Sebingung be^ ob=
foluten Safeinl.
25=
gtreitcs Kapitel.
Sie g^roge nad) bem Ursprung ber (£r!enntni§ giebt pr (Snt-
fte'f)ung bes ©egenfa^eS öon 9tationaIi§mu§ unb @m|)iri§mu§
(ober @enfualilmu§j SSeranlafjung. ^er (£mpiri§mu§ leitet QÜe
(Sr!enntnt§ an§> ber 2Ba§rnef)mung ab; ber 3flationati§mug bagegen be=
t)auptet: rt)iffenfd)aft(ic^e (Sr!enntni5 fann überfjaupt nidjt au§ ben ©innen
fontmen, \i)v i[t Sdigemeinfieit unb 9^ottt)enbigfeit Ujefentlirf), ai]o i[t fie
ein (ärjeugniS be§ 53er[tanbe§.
Sd^ üerfud^e bie 33ebeutung ber beiben 2;^eorien unb meine
Stellung gu i^nen in g^orm einer gefd^icfjtüc^en ^Darlegung flar gu
machen.'")
1. ®ci: 9iattona(t§mu§.
2)er @tQnbpun!t ber gemeinen 9J?einung in biefer 5^age, jott)eit
benn überaß baoon bie Stiebe fein !ann, tt)irb bem @enjuali§mu§ am
nä(f)ften fommen: unjere Kenntnis ber S)inge [tommt aus ber finntic^en
3SaI)rnei)mung.
©obalb fic^ bie ^t)iIofopt)ie üon ber gemeinen 3öe(tüorfteIIung
Io§Iö[t unb if)r entgegenfteüt, ent[tef)t bie rotionaliftifc^e X^eorie. ®ie
^f)iIoiopt)ie nimmt für fid) einen anberen Urfprung in SInfprucf), al§
fie ber gemeinen SJIeinung 5ugeftet)t; biefe möge in ber Xi^at it)re ^unbe
ber 2)inge au§ ben ©innen geminnen, miffenfcfjoftüdje (är!enntni§ ba-
gegen ober ^f)i(ofopf)ie ftamme feine§meg§ aus ber 3Sat)rnet)mung,
fonbern au§ bem 2)enten ober ber S3ernunft.
*) SSgl. 21. SRief)!, ®et p^ilojop^ifd^e tritiäi^mu? unb ^eine 93ebeutung für
bie po[ttiöe SBiffenfc^aft. ^cf) l^abt über f ant§ (£rtenntntltf)eorie unb if)re ge=
j(f)ic^tU(^e (Steßung in meiner Snttridelung^gefc^ic^te ber Äantijc^en ©rfenntniS»
tf)eorie (1875) unb neuerbing^ in einer ©eiamtbarftellung beä S^ftentl Q. Äant,
\. Seben u. )'. iJe^re, 2 2t. 99) eingef)enb ge^anbelt.
1. ®er fRaüomü§mu§. 389
.^ierin !ommen bie erften groBen @t)[tembi(bungen ber gried^ifcfien
^f)iIofop^ie ade überein. @o öerfdjieben if)re §(n[id)t über boS SOSejen
ber 5)inge ift, in ber Slnfic^t finb fie einig, ha^ bie S2?a!^rf)eit nic^t
au§ ben ©innen fomme. ©o jc£)itt ^eroflit bie 6inne: jd)Iec^te
ßeugen finb ben 9J?enfd)en 5Iugen unb Dl^ren foId)er, bie nicfjt \pxad)=
funbige ©eelen ^aben; er meint, \)a'Q nur ber burrf) bie ©inne belehrt
n)irb, ber mit fritifcf^em 35er[tanb i^re 5tu§JQgen ju interpretieren meiB-
S^od^ fcfjärfer fpric^t bie ^f)i(ojop]^ie ber SIeoten ben ©innen unb
ber SOZeinung bie 3Baf)rf)eit ah; biefe i[t allein im SSer[tanbe, jene er=
jeugen nur einen trügerifcf)en ©d^ein, fie geigen ha§> (Sine unb ©eienbe
a(§ $8iele§, 33ett)egte§, 3Berbenbe§ unb 95erge^enbe§. 3^"o unter=
nimmt burrf) ©enfen bie Unbenfbar!eit, atfo llnmöglirf)!eit unb llnn)irf=
lic^feit ber finnlid^en SBelt barjutfiun. 9Zirfjt minber fommen bie beiben
anberen Slntipoben, ©emofrit unb ^Tato, f)ierin überein, bofe ber
SBerftanb attein gur SBar)r'^eit fü^re, nid^t bie 335a^rnef)mung. 9catürlirf),
bie ©inne fef)en meber hk %tomc nod) bie Sbeen, bie fiet)t allein ber
ißerftonb, ber burd^ bie SlJJannigfoItigfeit ber (£rfrf)einungen gu ben
legten ©rünbcn, bem eigentlid^ 2öirf(irf)en, burd^bringt.
(Sbenfo finb bie erften großen ©ijfteme ber mobernen ^f)iIofop'^ie
in ber @rfenntni§tt)eorie rotionaliftifd^: ®e§corte§, §obbe§,
©pinojo, Seibuig. @ie gelten au§ üon ber äJJat^ematif; eine
mat^ematifc^e ^f)t)fif, gule^t eine mat^ematifrf)e SBeltttjeorie ift il)r ßkl
9latürli(f) fann eine fo(d;e, fo raenig tt)ie bie reine 3Jfatf)ematif felbft,
burd£) 3Baf)rnet)mug ober (Srfatjrung ^uftanbe gebrad^t luerben. ^ierju
!ommt nod^ ein 2öeitere§: bie neue ^^ilofopl^ie foll, n)enigften§ bei
einigen ber neuen ^{)iIofopl^en, ebenfo tok bie alte ©rf)uI'p^iIofop^ie,
aud^ al§ rationale 2;^eo(ogie bienen unb ha§: 5)afein @otte§ unb bie
Unfterblid^feit ber ©eele bemeifen; njogu benn freiürf) bie @rfaF)rung
nidE)t f)inreid|t. S)ie§ Sßer^öItniS l)Qt ber rationaliftijd^en @r!enntni§=
tf)eorie ben 9tuf ber guten ©efinnung eingetragen, iüäf)renb ber
(Smpiri§mu§ bi§ auf biefen Stag profaner ©efinnung berbärf)tig ift;
aurf) l^ente norf) ift e§, UJenigftenS in S^entfd^Ionb, übtirf) §u fageu:
ber (5mpiri§mu§ fü{)rt jum 9Jiateriati§mu§ unb 5tt^ei§mu§.
®er Üiationaü§mu§ ift alfo bie erfte g^orm ber n)iffenfc^aftürf)en
Gr!enntni§t^eorie; er ift aU if)re erfenntni§tt)eoretifd^c 9iec^tfertigung
öon ben großen metapf)t)fifrf)en ©ijftembitbungen f)eroorgebrad)t njorben.
390 II. 93ud^: er!enntm§t^eor. Probleme. 2. ^ap.: S)o§ «Problem be§ UrfprungS rc.
SDer @mpiri§mu§ ift späteren UrjprungS; er entfielt in ®e[tQlt ber
Slritt! ber metopti^fifd^en ©ijfteme unb i^rer (är!enntni§t{)eorie.
3d) enttüirfele sunäcfift bie rationaliftifdje ST^eorie in ben @runb=
gügen. 3f)re S3el)auptung ift aljo: alle eigent(i(i)e ober tt)iffenj(i)aftü(^e
@r!enntni§ tt)irb üom S^erftanbe burd§ immanente (Sntttjidelung au§
nrfprüngüd) gewifjen, nid^t burd^ 2Ba^rneI)mung gettjonnenen ober
burrf) @rfo{)rnng fontroüierbaren ^rin^ipien f)eröorgebrad)t. S)a§ SSor=
öilb biefe§ SSerfo^ren§ bietet bie 9JJat^emoti!. — ßroti ^^rogen bröngen
fid) auf, unb it)re Seontwortung mad)t eigentlich bie (gr!enntni§tf)eorie
be§ 9f{ationaIi§mu§ au§: 1) SBie !ommen toir ju jenen erften ^rin=
jipien, ben aBfohiten ?tu§gong§pun!ten be§ 2öiffen§? 2) 2öie !ommt e§,
boB ein foIdjeS bnrd) reine 5ßerftaube§t^ätig!eit !onftruierte§ @i)ftem
un§ objeftiöe ör!euntni§ ber SBir!Iidj!eit üerfdjafft? 3)enn ba§ ift
bod) bie Sl6fid)t aller Sßiffenfd^aft, bie 2SirfIid)!eit bar^ufteHen; offenbor
aber ift bie Übereinftimmung eine§ foId)en apriorifc^en @eban!enfl)ftem§
mit ber mirüic^en SSelt nic^t felbftoerftänblid), fonbern im ©runbe
fet)r überrafc^enb.
SJJan !ann brei ©runbformen be§ 9f?ationa(i§mu§ unterfd^eiben,
fie finb unterfd)ieben burc^ bie oerfd)iebene SSeantinortung biefer beiben
fragen: ben metapt)t)fifd)en, ben matljematif d)en, ben
formalen 9iationaIi§mu§. ^lato, ©pinoja, Ä'ant mögen bie
brei ©runbformen repräfentieren.
5)er metapf)l)fifc^e 9flotionoli§mu§ beruljt auf ber $8orau§=
fe|ung, ha^ bie 2BirfIid)feit on fid^ fetbft ©ebanfe ift; borum !ann
fie bnrd) reine§ teufen erfannt merben. @§ ift ^(oto, ber, burd^
eleatifd)e ©pefulation öorbereitet, jum erfteumal biefen ©ebanfen §um
©runbpfeiler eine§ großen p't)iIofopt)ifd)en (S^ftemS gemadjt I)at. ®er
fefte Drientierung§pun!t ift i^m bie Überzeugung: bie SSelt ber finn=
liefen 2Sat)rne'^mung ift nid^t bie tt)irflid)e 2Be(t, bie 2Bir!Iid)!eit an
fid) ift ein feienbeS S8egriff§= ober ©ebonfenf^ftem, eine Sbeenmelt.
2Bie fommen mir gu if)rer (5r!enntni§? ^atoS 5lntmort ift nid)t
eigentlid) er!enntni§tf)eoretifd), fonbern ein @tüd£ feiner 9Jcetap'^t)fi!:
bie ©eele ift etma§, ma§ mit bem mirf(id) SSir!tid)en urfprüngüd^e
2Befen§gemeinfd)aft t)at. ©ie ift felbft S)enfen ober ©eift, nämlid^
eigentlid) ober on fid). Sn il)rem irbifc^en S)ofein erfdjeint fie nic^t
al§ bo§, ma§ fie eigentlich ift, al§ reine§ ®en!en; f)ier ift i^r SBefen
1. ®er SRationoIi§mu§. 391
öerl^üHt ober entfteHt burd^ bie S3eimijcE)itng beg ©innlid^en, ber SSa'^r=
itet)mung unb 23egierbe. 5(6er bie§ irbifdje Seben i[t blo^ eine ^fjafe
il^reS 2)QJein§; fie je(6[t War öor ber Snforporierung unb n)irb nad)
ber Söfung öom 2eibe fein. Sn bem leiblofen ®ajein ift fie eigent(icf),
h)a§ fie ift, unb ftefjt t)ier in unmittelbarem 58erfef)r mit bem lüirfticf)
SSirflidjen, frfjauenb bie Sbeen, iia§> tjei^t, benfenb bie feienben ©ebanfen.
Sn bem Ieiblirf)en Seben ift if)r 2)enfen getrübt burc^ bie ©innlic^feit.
2ßie 93?enf(f)en, fo fagt jene§ berühmte 53itb in ber Stepublif, bie in
einer §öf)Ie, ben Ü^ücEen gegen ben (Singang gettienbet, gefeffelt fi|en,
auf ber 9^ücfroanb bie @rf)otten ber ©inge öorbeijie^en feljen, bie ficf)
bronzen öor bem Eingang üorüber beroegen, fo fi^t bie (Seele in ber
§öf)(e be§ Seibe§ unb fief)t allerlei ©d^atten ber S)inge, bie burd^ bie
Öffnungen be§ Seibeg, bie Stugen unb D^ren, öon üorüber^ie^enben
SDingen lEjineingettiorfen n^erben. (Sin (Scf)immer be§ eigentlid^en
SDenfen§ ift i^r atlerbingS geblieben, tt?ie eine (Erinnerung au§ jenem
^uftanbe ber Seiblofigfeit unb be§ ^ellfef)en§. Unb if)re 5(ufgabe in
biefem Seben ift nun, fort)eit al§ möglich ha§> SDenfen frei ju mac£)en
öon ber @inntid)feit, bie e§ mit Schein unb 93Ienbn)er! öerfd^üttet ^at.
SOiatt)ematif unb 3)iale!tif, bie beiben großen formen be§ begrifftid^en
5[)en!en§, finb fjier^u ber 2Seg.
5(uf bie ^riti! biefe§ Ü^ationati§mu§ unb bie Sfniäufe ju einer
bem (5mpiri§mu§ näf)er fommenben ©rfenntni§tf)eorie, tt)ie fie bei
51 r i ft 0 1 e t e § fidj finben, n^ill id) nid^t eingeben. ^riftoteleS f)at
^ier, ein fo {)arter unb oft unbilliger Sftic^ter ^tatoS er ift, boc^ gar
nid^tg (55an§e§ an bie ©teße gu fe^en geUJuBt: ein STnfa^ §u einer
empiriftifdjen STtjeorie, au§ feiner Beobachtung ftammenb, unb ein
Slnfa^ 5U einer rotionaliftifd)en Xf)eorie, au§ ber (St)IIogiftif ftammenb,
bleiben uuöermittett neben einanber fte{)en. dagegen ttiiü id^ barauf
t)inn)eifen, ttiie bie ^latonifdje 5(nfd)auung in ber fpefulatiöen ^f)i(o=
fop^ie unfereS Sai)tf)unbert§ erneuert Ujorben ift. SBei §egel finben
toir biefelbe ©runbanfc^auung: bie 3Bir!Iid)!eit ift an fic^ @eban!e,
eine mit innerer 9Jottt)enbig!eit fid) entfaltenbe Sbee; tia§' öotlfommene
(Srfennen beftet)t in bem 9Zad)benfen ber feienben (55ebanfen; in ber
bialeftifd^en 53ett)egung be§ t>^iIofopt)ifd)en 3)en!en§ n)ieberf)o(t fid^ ober
öielmel^r erfaßt fid) felbft mit @eIbftben)uBtfein bie in (ebenbiger @etbft=
bettjegung feienbe abfolute Sbee.
392 n. 93uci): (grfenntmät^eor. Probleme. 2. Äop. : S)a§ Problem be§ Urfprungg zc.
(Sine gtüeite g^orm be§ 9f?atiDnati§mu§ i[t ber nt atfjemattf dfie
9fiationaIi§mu§ be§ fiebgefinteu Satjrfjunbertg. ßr unterfdjeibet jic^ oon
bem ^(atonijc^en boburcl), bafe er immanent bleibt, ©eine 33ef)anptung
ift: aUt SSiffenfd^aft, im bejonberen unb junMjft bie D^aturmiffenjdjaft,
fann unb muB bie gorm ber 9JjQtf)ematif, b. Ij. bie gorm eine§ qu§
^rinjipien abgeleiteten bemon[tratioen (Si)[tem§ annefjmen. ^e§ =
carteg unb §obbe§ begegnen fid) in biefer @runböorau§je|ung;
©pinoga f)at in feiner (St{)i! ben SBerfud) i^rer förmlichen Surc^*
fü^rung gemacht; Seibnig, ber fic^ fc^on mit ber injwifclen f)eröor=
getretenen empiriftifcf)en ßtiti! auSeinanber fe^t, |at fie mit @infd)rän=
fungen feftju'^alten gefud^t.
S)ie Stntmort auf bie beiben oben bejeidfineten S^ragen be§
üiationaliSmug geftattet fic^ ^ier nun fo. 2(uf bie grage nac^ ber
9^otur ber erften ^ringipien be§ bemonftratiüen (SrfennenS antwortet
®elcarte§ \üot){ and) mit berSSenbung: e§ feien angeborene Sbeen.
^er SluSbruc! ftammt an§: ber ^Iatonifd)en ^t)iIofopf)ie; aber e§ ift
nur ber alte 9^ame, nic^t ber alte (Sinn. Se§carte§ n)eiB nichts üon
^räefifteng unb Erinnerung. SSa§ er meint, ift bie§: e§ giebt
ßr!enntni§elemente, bie burcf) ben SSerftanb urfprünglid) f)erüor=
gebrad)t ttjerben unb feiner 53eftätigung burc^ ßrfaf)rung bebürfen.
(So ^eigt e§ bie 9J?atI)emati!. S^re ^rin^ipien finb Definitionen unb
Stjiome; beiber SBa{)r^eit beruf)t nid)t auf SBa^rne^mung unb ^e=
obacfjtung. ®ie Definitionen be§ 9)iatf)ematifer§ finb 53egriffe, bie ber
SSerftanb abfotut fe^t; nicf)t auf gegebene 2öaf)rnef)mung , fonbern
lebiglic^ auf feine gun!tion felbft blidenb, fe^t er ben ©egriff be§
Greifes unb ber Dangente, ber ^oten^ unb be§ 2ogarit{)mu§. @o finb
Stfiome (Sä^e, bereu ©ültigfeit nid)t burc^ ©rfa^rung bemiefen uiirb,
fonbern bie, fobalb fie begriffen finb, auc^ at§ abfolut einteurf)tenb
oom QSerftanbe aner!annt n^erben.
Da§ ift nun überall bie gorm eigentlid)er 2BiffenfcE)aft. (So
äunäcf)ft ber ^{)t)fif; fie ift eigentlich nicf)t5 al§ ein S^tiQ ber 9}iatf)e=
matif. De§carte§' '»ß^itofop^ie ift in erfter ßinie eine ©ebanfenbilbung
äu bem 3tt)ed, bie S[RögIic^!eit einer rein mat^ematifcfjen ^f)t)fif bar=
5Utt)un. 3u biefem ©übe ujirb ha§> SSefen be§ ^örper§ auf bie reine
5lu§bef)nung eingefd)rän!t; er ^at feine anberen 33eftimmungen al§
geometrifdje, feine inneren S3eftimmungen; bamit ift er ber rein
1. ©er gtationoligmug. 393
ntatfjematijd^en Sel^anbtung unterluorfen. Corpvis est res extensa, ba§f
i[t nun eine mati)ematifd)e S)efinition, nic^t anber§ qIö bie 5)efinition
be§ 2öinfe(§ ober ^reife§. @6enfo öer'^ätt e§ firf) mit bem SSegriff
ber ©eele: mens est res (mere) cogitans. ©a^u !ommen nun ?Ijiome,
5. 93. ber ©q^ oon ber (ärf)altung ber (Sub[tau§: ha§ Ouantum ber
3J?Qterie trirb tt)eber öermef)rt nocf) üerminbert; ober ber @q^ öon ber
(Srl^altung ber ^roft: ha^ Ouantum ber Senjegung ift unoeränberlid);
e§ finbet ftjeber (Sntftetjung nocf) SSernicfjtung Don 93en)egung ftatt,
fonbern nur Übertragung oon einem Körper auf onbere. 5(uf ©runb
biejer ^Definitionen unb Stfiome ift nun bie 3laturmiffenfcf)aft al0
bemonftratioeS @t)ftem ber 9)?ec^anif ju entmideln. ®ie 93ebeutung
ber 2Baf)rne^mung ift hierbei prinzipiell biefetbe, toie für bie ©eometrie :
fie !ann ben erften HnftoB §ur Silbung oon Segriffen unb (Sä^en
geben. 5lber erft mit ber SDemonftration t)aben mir eigentlicf)e, 000=
enbete 2öiffenfd)aft.
©amit ift nun audj bie Antwort auf bie onbere t^rage gegeben:
mof)er bie Übereinftimmnug eine§ fotd^en rein immanent entmicEelten
(Stiftemö oon £e^rfö|en mit ber 2ßirf tic^feit ? ®e§carte§ antwortet:
tüie bie mat^ematifd^en Segriffe bie @en:)äf}r i^rer ©üttigteit in fic^
felbft tiaben unb feiner Seftätigung burcf) (Srfa^rung bebürftig finb,
fo and] biefe Definitionen. Su ^orm eine§ allgemeinen ©a|e§ fpric^t
er biefe 5Inficfjt au§: ma^r ift, tuo§ \d) Uax unb beutlid) einfet)e.
Seber in fidj flare unb beutlid^e Segriff f)at eben in biefer feiner
S)en!barfeit ober 9JUig(id)!eit bie @elnäf)r feiner ®ü(tig!eit; quidquid
clare ac distincte percipio, verum est; ein @a|, ber beutli(^ feinen
Urfprung au§ bem matl^ematifc^en Deuten oerrät.*)
*) ^n ber britten ber Meditationes de prima philosophia crfcf)eint biefer
©0^ ai§ abgeleitet ou§ bem cogito ergo sum. ®o^ ift notürlic^ ©d^ein; toie benn
biefe gange ©ntlridelung Dom abfoluten 3*^£^f^l h^^ abfoluten ©eroi^^eit be§
cogito ergo sum unb ber f)ierou§ gefolgerten ©jiftens ®otteä unb feiner 3Ba^r=»
t)aftig!eit, bie bann föieber ben Unterbau für bie ®ert)iB{)eit aller wiifenfc{)oftli(^en
©r!enntnii bitben foll, eine :^intert)er fommenbe unb ^ö(^[t überftüffige ®ubftru!tion
Dörfer feftfte{)enber ©ebanfen ift. ®iefe öort)er feftfte^enben ©ebanten finb aber:
bie SDZat^eniati! ift obfolute 3Siffenfd)aft, an it)r gemeffen finb alle bi§f)erigen SBiffen»
fc^aften, fo befonberS bie aJJetap:^i)fif unb bie ®d^ulpf)i}ftf, ungen^iß ober öietme:^r
überfjaupt nid)t aBiffenfd)aften. ©ic fönnen e§ aber werben, wenn man fie matf)e=
matifc^ madjen fann. ®a§ gef)t nun, feit ©alitei, für bie $^t)ftf; bie gefieimen
394 n. 93uc^: erfenntniSt^eor. Probleme. 2, Aap.: ®a§ Problem beg Ursprungs ic.
Sn öotlenbeter 2)urc^fü^rung tritt un§ biefe 5tnjrf)ouung in bem
pf)iIofop^ifcfjen ©t)ftem © p i n o 5 o § entgegen. Ethica more geo-
metrico demonstrata, fo fünbigt ficf) fein ^auptltierf an. 9J2it
eijerner 58e^arrlicfj!eit ift bie matf)ematifcf)e f^orm burdigefüfirt; oIIc
SSiffenfdjaften, bie 9JJetQp^l)fif, bie ^f)i)fi! (burd) ein paar 2e^nfä|e
im jnjeiten ^urf) angebentet), bie ßrfenntni^t^eorie, bie ^fl)(i)oIogie,
bie @t^if mit ben ©runbbegriffen ber ©taat§Ief)re finb nad) bem
geometrifd)en (Schema be!)anbe(t. SebeS Snd) beginnt mit ^Definitionen
unb 5(?:iomen, e§ folgen Se^rfä^e unb Senjeife, ßorollarien unb ©d)oIien,
bie ganje ^t)ilofopf)ie ein (2t)ftem benfnotn^enbiger formen, au§ ben!=
notmenbigen Gegriffen unb 5(jiomen abgeleitet. — ^ie SIntmort anf
bie f^rage nad^ ber Übereinftimmung biefe§ S^ftemS mit ber SSirflid^*
!eit giebt (Spinoza au§ feiner 9J^etap^t)fif. ®er ^aradeli^mug ber
beiben 5(ttri6ute, be§ 2)en!en§ unb ber 5{u§be{)nung, mirb gur @ub=
ftruftion ber GrfenntniSt^eorie oermenbet: e§ ift ba§felbe unb eine
SBefen ber ©uöftonj ober be§ Stünjirfüc^en, ha§ fid) in ber ft^örper«
tt)elt unb in ber ©ebonfenmett in einem (Softem üon SO^obififationen
barfteüt. Unb barum entfpric^t bie Orbnung unb 95erbinbung in ber
©ebanfenmelt ber Drbnung unb SSerbinbung in ber ^örpertüelt; ma§
^ier al§ Urfac^e unb SSirfung erfc^eint, ha^ ift bort (^runb unb golge:
sequi unb causari ift im ©runbe ba§felbe.*)
2. ®er ©mptri§ntu§.
®ie ^ritif biefe§ motf)ematifd)en 9^ationaIilmu§ ift ^iftorifd)
burc^ bie jmeite gro^e (Snttt)ide(ung§reit)e ber mobernen "pfiilofop^ie
Gräfte unb Sntitäten toerjc^tüinben :^ier unb mot:^ematijd^e ^onftruftion unb 9ted^nung
tritt an bie ©teile, ign gejüiffer SBeife ge:^t e§, finbet 3)egcavte§ bann weiter, anä)
für bie SOietap^i^fit ; aud^ :^ier fann man geroifje begriffe mit absoluter ®ültig!eit
bilben, j. 93. ben Segriff eineg oHerrealften 2Sefen», eineä ens realissimum sive
perfectissimum; bie neue 5ß^t)fif brängt felbft ouf biefen 93egriff einer obfoluten
®int)eit ber SBirflic^feit f)in. Unb nun tt)irb in ber fi)ftematifd)en S^arfteHung biefer
93egriff jum (Jcfftein gemad^t, nicl)t ol^ne Iei(i)t erfennbare Stbfic^t.
*) Ethica II, 7: Ordo et connexio idearum idetn est, ac ordo et
connexio rerum. SSSogu benn freiließ gu bemerten, ba'^ ber pf»)cf)opt)t)fifc^e ^aroöe=
Ii§mu§ gmifc^en 58ett)nBtfein5üorgängen unb Sfierüenproäeffen I)ier of)ne aüe§ 'Siidjt
gu einem erfenntniittjeoretijdjen ^^3aralleli§mul gmifdien logifdjen 33egriffgfom=
binotionen unb naturgefe^mäfiigen Semegungen umgebogen roirb.
2. ®er em^jirigmug. 395
öon§ogen tuorben, burd) ben engltfrfien empirt§mu§. S- ßorfe
iiub ®. §ume finb feine ^auptoertreter.
2)ie ©runbanfdjQuung biejer 9^id)tung i[t: el giebt jtüei i()rem
SSefeit unb if)rer 9JJetf)obe nad) uerfdji ebene Strien öon
SBif fenf d;aften, rein begriff lid)e, wie bie 9J?atf)emati!, unb
gegenftän blicke, n)ie ^{)t)fi! unb ^f^diologie. ®er Irrtum be§
^Nationalismus Beftef)t barin, ba^ er blofe eine gorm ber 2Siffenfd)aft,
bie motf)ematifd)e, fennt unb nod^ it)rem (Schema ade SSiffenfdjoften
gcftalten lüiü. S)a§ ift ein unmögüdjeS Unternehmen; bie S£^atfac^en=
iniffenfdjaften, Sf^atur^ unb @eifte§tt)iffenf(^often, finb nac^ Su^alt unb
9J?et^obe non ber 9JJat{)emati! burdjauS üerfdjieben.*)
2)ie 9Jiatf)emati! ift baburc^ d)ara!terifiert, ha^ fie feine 58e^aup=
tungen über S)ofein unb ^erf)alten be§ SBirüid^en, fonbern lebiglid)
über folgen au§ Segriffen aufftellt. 3)ie ©eometrie fogt nid)t: biefe
gigur ift ein ^rei§, biefer Körper ift eine Ä'ugel, unb feine Seiüegung
^at bie ©eftalt einer öQipfe, fonbern: au§ ber S)efinition be§ ^reife§,
ber (Se^ne, folgen biefe unb biefe Slonfequeuäen. 333er bie Definition
aner!ennt, ber muB aud) bie Folgerungen anerfennen, er ift logifdj ge=
bunbeu; ob e§ Singe in ber Söirflidjfeit giebt, bie bem Segriff ent=
fpred)en, ift tjierbei oijllig gleichgültig.
©anj QuberS fte{)t e§ mit ber anbern ©ruppe öon SSiffenfc^aften,
ber gegenftönblidjen. 'ipi)l)fi! unb ^fijd^ologie tootlen un§ Ief)ren, tt)ie
fic^ 5Dinge, bie unabtjängig non unferen Segriffen ba finb, t)erf)alten.
äöie fönnen ttjir Ijierüber etft)a§ tuiffen? Ser @mpiri§mu§ antrtjortet:
nur burd) @rfof)rung. (5§ ift tiöüig unmijglid^, au§ bem Segriff be§
SSüfferg unb ber äöärme abzuleiten, )x>a§> gefdje^en lüirb, luenn ba^
2;f)ermometer auf ÖZuü fintt ober auf {)unbert @rab fteigt, ober au§
bem Segriff eine§ ^örper§ ju entlüideln, tt)a§ gefd^e^en toirb, xotxm
man it)m feine Unterftü^ung nimmt. S^^ur bie 2öaf)rnef)mung be(e!^rt
un§, ba^ er bann fönt, ber Segriff lüBt un§ gan^ ratloS. 'änä) ber
*) Sie Uuterfd)eibung öon bentonftrotiöer unb erfa^rung^mäfeiger, auf SBa'^r*
nefimung beru{)enber ©rfenntni» liegt ber ganjen 58etrad)tung be^ öierten 58ud)eä
öon So(fe§ @[fa^, bem eigentlichen §ouptftücf be§ SBerf^, ju ©runbc, o^ne ha'ß
e§ i>od) ju einer ^räjifen Formulierung be§ Unterfc^iebl fommt. Stein unb Hat
fteßt |)umel Enquiry bie nnterfrf)eibung oll 9tus!ganglpunft ^in {^ap. 4 unb
Äop. 12 ©c^IuB).
396 n. 93uc^: erfenntnigtfieor. ?ßrobIeme. 2. Äop.: 3)o§ Problem bei UrfprungS ic.
öollfommenfte 3Serftanb, jagt §ume, ber Sßer[tanb SIbam§ üor bem
gaü, f)ätte if)m nt(f)t jagen !önnen, boB er, raenn er in§ SSafjer fiele,
unterfinfen unb erfticfen luürbe; ja nicfjt einmal fönnte er it)m offen=
baren, tüa§> gejcfje^en tt)erbe, tüenn ein bettjegter Äörper mit einem
ruf)enben äujammenjtöBt. Unb ebenjo menig öermag bie ^jQd^ologie
au§ einem objolut geje^ten S3egrijj ber (Seele ob^uleiten, ba^ fie fü^lt
unb begef)rt, folgert unb jc^üe^t, ober öorau^^ujefien, ba'i^ Suft»
jd)n}ingungen eine jTonempfinbung, ein Xvnd auf§ 5tuge 2icf)tempfinbung,
ein (Srf)tag in§ ©efic^t ein 3orngefiit)I au§Iöft. 5IUe§ ha^ njijjen mir
nur au§ @rfo{)rung.
S- 2o(fe f)at biefe S3etrad^tung begonnen. (Er üerjucf)t narf)=
gumeijen, mie alle unjere Segriffe aus ber @rfat)rung ftammen. SO^it
einer mef)r a(§ nötigen ®rünblid)feit mad)t er firf) in bem erften Suc^
be§ S3erju^§ über ben menjc^Iic^en 93erftanb baran §u geigen, ba^ bie
SOZenjc^en mirfüc^ nidjt mit angeborenen 3been jur SSelt fommen,
eine ^f)atjacf)e, über bie t3ieneid)t fein ^f)i(ojopf), jebenfaü^ ^e§carte§
nic^t, belef)rt gu merben broud)te. ©er mirflii^e @egenja| ber STn^
fi(f)ten ift ein anberer: 2)e§carte§ bef)auptet, e§ fei möglief), in ber
^fjtifif unb ^jtjcfjofogie, ganj ebenjo mie in ber 3[)'?atf)ematif, Segriffe
ju bilben, bereu öüftigfeit ober 2Saf)rf)eit burc^ if)re innere 9J?ögIic^=
feit bemiejen merbe. 2;ie§ leugnet ßocfe. 2)er Segriff be§ Körpers,
bie S)efinition: corpus est res mere extensa, ober bie ^Definition:
mens est res mere cogitans, mag innerlich möglirf), ffar unb beutlic^
benfbar fein, bamit ift über if)re ©ültigfeit nocf) nid^tS ausgemacht;
man fann aud^ einen golbenen Serg ficf) flar unb beutlic^ oorftellen.
2)ie Sßa^rf)eit ber Segriffe oller 3Bifjenjc^aften, bie oon X^atjoi^en
f)anbe(n, berufjt allein barauf, ha^ in ber 5(njcf)auung jolcfje Zi)aU
\ad)tn unb ß^M'^nii^ß^^'i^^Gs gegeben jinb. 2)amit ift meiter gegeben,
ha'^ bie Segriffe ber gegenftänbli(f)en SBijjenjc^aften nicf)t bie fefte
5Ibgejc^fojjenf)eit ber mat^ematiji^en f)aben fönnen: jie bleiben ber
©rmeiterung unb Umbifbung burcfj jortgeje^te Seobadjtung au5geje|t.
Sm Segriff ®oIb finb alle bi§f)erigen Seobadjtungen über biejen
Körper äujammengefa^t : er f)abe bieje ^arbe, biejec- jpejifijc^e öemicfit,
t)erf)ält fic^ jo ^u med)anijdjen, d)emijd)en, tfjermijdjen öinmirfungen.
ö§ ift möglich, boB weitere Seobac^tung neue ßigenjc^aften fennen
Ief)rt; e§ ift and) möglid), ba^ mir einen Körper fennen lernen, ber
2. ®er empiriämuS. 397
alle (Stgenjcf;Qften be§ (^oIbe§ f)at, nur bofe fein (Sc^melgpunft etttjaS
!^ö{)er ober tiefer liegt. 2öir lüürben bann unfern Segriff fo ernjeitern,
ha^ er biefe St6lüeicl)ung juIäBt. ^er mot^emotifdie begriff bagegen
ift gefdjtoffen : eine S^igur, in ber bie Ü^abien nid^t gQn§ gleirf) finb, ift
!ein Ärei§, eine ßinie, bie einen ^teis an mef)r al§ einem ^unft be=
rüf)rt, ift feine STongente. (So fte^t e§ nun audj mit jenen Segriffen,
bie 2)e§carte§ ber ^^t)fi! unb ^ft)d)o(ogie ju ©runbe legen n)i(I, fie
finb nic^t obgefi^Ioffene, matl^ematifdje, fonbern offene, empirifd^e S3e=
griffe. 5)elcQrte§ erflärt: ein Körper ift ein ®ing, beffen SSefen in
ber 5Iu§be^nung, eine @eele ein 2)ing, beffen äSefen in SetnufetfeinS*
erfdjeinungen (cogitatio) aufgefjt, benn id) fann ein foId^e§ 3)ing ftor
unb beutlid) beuten, ^reilid; fann id) ha§i', aber menn mir nun bie
©rfafjrung geigte, 'öa'B ba^felbe ®iug, hü§: au§gebef)nt ift, aud; benft,
lt)enigften§ gelegentlid^, ober ha'i^ eben bagfelbe S3Sefeu, ba^ benft, aui^
forperlid^e 9}laffen in Semegung fc^t, fönnte id; haS^ nid)t aud) benfen?
unb lüäre e§ bann nod) geraten, bei ben obigen ^Definitionen fte^en ju
beiben? Offenbor bod) nid)t, fonbern bann ttJören e§ jur Segreifung
ber Xf)atfad)en, tt)ie fie finb, untauglid)e Segriffe. 5tIfo, alle gegen=
ftänblidjen Segriffe finb offene Segriffe, fie finb in beftäubiger Se=
tt)egung, fid) ber in ber Seobadjtung gegebenen ^f)atfadjenmelt genauer
angupaffen. 3Jiit foId)en Segriffen ift ein bemonftratioeS Serfaf)ren,
\ük mit matfjematifdjen Segriffen, unmöglich.
Sode betont oft: bie formell ooüfommenfte ®rfenntni§ ift bie
nmtl)emotifd)e. (Sr bebauert bie engen ®ren5en biefer ©rfenutni^meife,
bie er ouBer in ber eigentfi(^en äJiat^ematif nur nod^ in ber Wioval
für mögtid) l^ält: aber mir muffen anerfennen, bie gegenftänbtic^en
SBiffenfd^aften, mie ^f)i)fif, ©tjemie, ^ft)djoIogie, laffen fic^ nad; jenem
©d)ema nidjt bef)anbeln, f)ier finb Seobad^tung unb ©jperiment not=
ttJenbig.
2). §ume f}at biefe Setradjtuug aufgenommen unb ^u @nbe ge-
füf)rt. Sm 9J?itte(pnnft feiner furjeu, fdilic^ten, aber in^a(treid)en
Unterfuc^ung über ben menfdjtidjen Serftanb ftef)t bie Unterfudinng
bei Segriffs üon Ur f ad; e unb Söirfung. 3)a§ ^aufalgefe|
mar immer ein ^auptftü^pnnft be§ 9iationati§mu§, au§ ber Urfac^e
meinte man bie SBirfung ableiten ju fönnen; ha^' Serf)ältni§ öon Vix=
fodje unb Söirfung ift boSfelbe, mie \)a§> Serf)ältni§ oon ©runb unb
398 II. 93ud^: (Srlenntmltfieor. «Probleme. 2. Äop.: 2)al Problem be§ UrjprungS ic.
golge (sequi = causari). §ume geigt, ba^ bie§ ein iSrrtum i[t; an
ber §anb be§ ^aujalgefe^e§ folgern i[t etn)a§ ganj anbere§, al§ on
ber ^anb be§ Iogifd)en ©efe^el oom SBiberfpruc^ fcf)üefeen. ^DaS S3er-
t)ältni§ öon Urjadje unb SSirfung ift überhaupt fein logifc^eS, burd§
reines S)en!en erfaßbares. Urfad^e unb Söirfung njerben in ber ^^t)fif
unb ^jt)c^oIogie örjd)einungen genannt, bie in bem S5er§öÜni§ fon=
ftanter ^ufeinonberfolge in ber ßeit ftet)en. ®ie SSa^rnef)mung ber
geitlidfien Stufeinanberfolge ift ha§: Singige, xoa§> ()ier ttjirfüd) beoba(^tet
njirb; eine innere SSerfnüpfung ber (5rf(f)einungen, eine 9lot =
menbigfeit, ttJeld^e fie öerbinbet, ift minbeftenS nic^t ©egenftanb
ber ^öeobadjtung. ^d) nefjme tnaljr, ha^i ouf biefen SSorgang ein anberer
folgt, ic^ ern^arte, ha'^i tü§> nädjftemal auf benfelben 35organg berfelbe
folgen wirb; baS ift ber SInfang ber faufalen Stuffaffung. So finben
Wh e§ bei ben Stieren; auc^ fie n)erben burd) @rfat)rung flüger; e§
gef(f)ie^t in ber angebeuteten SBeife: ber SBo^rnel)mung einer beftimmten
^ufeinanberfolge üon ©reigniffen folgt bei bem äöieberoorfommen beS
erften @reigniffe§ bie ©rtnartung ober SSorau§firf)t beS gleiten. 33eim
9J?enfc^en ift bieg $8erf)a(ten U)eiter auSgebilbet; nidjt jebe n^a^rge^
nommene Slufeinanberfotge beftimmt un§ gur ©rnjartung if)rer 2Sieber=
fef)r, n)ir lernen atlmäfjlig bie fonftanten ^otgeüerpltniffe ber (Sr-
fdjeinungen au§ ben §ufäüigen unb Iö§Iid)en angifd^eiben; aber bie Ie|te
©runblage bleibt biefelbe. ?üif feine SSeife ift e§ möglid^, burd)
Iogifd)e§ ©daließen au§ bem Segriff ber Urfadje bie SBirfung ^erou§=
anbringen. 9J?an ne^me hü§> einfod)fte S3eifpie(: bie Semegung eine§
Körpers in biefem Zeitraum ift bie Urfac^e ber g(eid)en Semegung im
näc^ften ^^^traum; auf feine SSeife fann id^ ha§> burd^ einen Iogif(^en
@d)(uj3 f)erau§bringen. 2(u§ bem (Sa|: biefer Ä'i3rper bemegt fid^ in
biefer ©efunbe mit fold^er ©efdjminbigfeit unb 9tid)tung, folgt logifc^
überfiaupt gar nid^tS, außer ber Unma^rl^eit beS ©egenteilS, aber gor
nidjts barüber, n^aS in ber f o t g e n b e n ©efunbe gefd^e^en mirb. 3d^
er m arte, auf förunb bi§f)eriger S3eobad^tung, baß biefer Körper im
folgenben ß^itraum mit gleid^er ©efd^minbigfeit unb in gleid^er Ü^idf)=
tung einen gleid) großen Staum burd^meffen mirb. 5(ber biefe @r=
njartung f)at feine ®enf not inen bigfeit, mie ein mat^ematifd^er
@a^. Sd) fann and) benfen, ha^ bie 33emegung, fei eS plö^üc^, fei
e§ aHmöfilid^, öon fetber auff)ört, ober in eine beliebige Sflic^tung um=
2. ®er empin§mu§. 399
biegt. ®ic bil^erige ©rfafirung l^ot regelmäßig iene§ 9?er^atten erfennen
laffen, \)a^ lüir in bem Xrägf)eitggeje^ formulieren; ober e» i[t feine
logijdöe 91ottt)enbig!eit, ba^ bie ßufunft ber 95ergangenf)eit gleichen muß.
Überhaupt, fagt §ume, unb ba§ i[t bie oügemeinfte gormel feiner 33e^
tracfitung: e§ giebt fc^Iec^terbingS feine 2:f)atfaclje, beren 9Jid^tfein nidji
benfbor ober logifc^ möglich märe. ®al 9lic^tfein jebeS SiörperS, t)a§i
Sf^icfitgelten jebe§ 9lQturgeje^e§ ift benfbar, benn t)a§> S^liditfein ber SBelt
überfjaupt ift bentbar.
§ierau§ ergiebt fid^ benn bie ^^olge: in ben gegen ftänblicfien
Söiffenfd^aften, mie ^^iifif unb ^fucfjologie, giebt e§ feine im
ftrengen ©inn allgemeinen unb notmenbigen 2Ba^r=
'Reiten. @§ giebt f)ier nur präfumtiü allgemeine @ä^e, jebcr
gilt mit bem felbftüerftänblid^en Qii\a^: öorbe^attüdj ber $8erid)tigung
burc^ nacf)fotgenbe ©rfa^rung. 3)ie ©ä^e ber 9)ZatI)emat()if finb abfotut
allgemein unb notraenbig; burc^ feine 58eoba(^tung fann ber (Sa|, ha'^
bie ©nmme ber SSinfel im ebenen 3)reiec! jmei 9ied)te beträgt, er=
f (füttert ober üeränbert merben; er ift mit ben Segriffen felbft al^
logifcf) notmenbige golge gefegt. 5)agegen giebt e§ feinen (Sa| in ber
^()^fif ober ^fi)djo(ogie, ber biefe S^Jotmenbigfeit befäße. %üä) ha§
^aufalgefe^ fetbft mac^t f)ierüon feine 5(u§naf)me; e§ ift nur ein
präfumtit) gültiger ©a^, ha^ ftrenge ÜiegelmäBigfeit in ber 5tufein=
anberfolge ber 9^aturerfcf)eiuungen Ijcrrfdjt. Senfbar, logifdj möglid)
ift and), ha^ (Srfdjeinungen, bie nötlig be^icfiungslol §u allen t)oran=
gef)enben unb nadjfolgenben finb, eintreten, ©otdje ©rfdjeinungen
ttjürben mir SBunber nennen. SBunber finb bemnac^ otjue ßmeifel
mögtid^, für unfer 3)enfen gerabe fo mögtidj, mie Sri)atfad)en, bie fic^
nod) unferen Dlaturgefe^en erflären, b. f). bem 9laturäufammenf)ang
nac^ Ü?egeln einorbnen laffen. ®ie grage ift nid)t eine grage ber
9Ki)gtid}feit, fonbern ber SBirflic^feit: finb ^f)atfad)en, bie al§ SSunber
betrachtet merben müßten, mirfüd) beobad)tet morben? ^ume fet^t biefer
93ef)auptung fef)r entfdjiebenen 3^^if*^^ entgegen; nad; feinem ®afür=
f)atten f)ot bie 5(nnaf)me, ha^ bie angeblichen SBunber, mo nidjt eine
:p{)t)fifaüfd)e, fo bodj eine pfi)d)oIogifd)e (Srflärung gulaffen, fo große
2Baf)rfdjeinIic^feit, baß fie praftifd^ ber @emißf)eit gteid; gefteHt merben
fann. Sie ©rfafjrung, ha^ menfd)Iid)e ßeugniffe auf Säufdjuug, mid*
fürlidier ober unmiUfürlic^er, beruf)en, ^aben mir fo oft gemacht, baß
400 II. Surf): etfenutnilt^eor. Probleme. 2. ^ap.: ®a§ ^ßroblent beg Urfprungä k.
e§ un§ Diel möglicher öor!ommt, ein behauptete! SSunber t)ierQuf
^urücf^ufül^ren , aU bie (^runboorau§fe|ung QÜer unferer 9lac^=
fori(f)ung, bie @efe|mä§ig!eit be§ 9JaturäufammenI)angg, aufzugeben,
^ieje 53orou§fe^ung ift freiü^ nic^t logijrf) notnjenbig, aber fie i[t fo
t)ielfad) burc^ bie X^otfadjen be[tötigt, fie ^at fid^ fo oft bei genauerer
Beobachtung aud) angeblidjen SSunbern gegenüber beftötigt, baB
n)ir ein ^td)i f)aben, neuen SBunbern gegenüber a priori ungläubig
äu fein.
S)a§ ift bie (5r!enntnigtt)eorie be§ (£mpiri§mn§. ^f)r gegenüber
unternimmt e§ ^ant, ben ^Nationalismus, allerbingS in bebingter unb
befc^rän!ter g^orm, lieber ^ersuftellen.
3. ®er formalifttfc^e 9?ationaIt§mu§ Äant§.
S)ie g^rage, um bie eS fid) in bem (Streit jtüifd^en 3fiationaIilmu§
unb @mpiri§mu§ ^anbelt, ift nad) bem Obigen bie: giebt eS (£r!enntni§
t)on ©egenftänben a priori ober au» reiner SSernunft? S)er Sftatio-
naIiSmuS bejatjte bie Bef)auptung: burd) reineS teufen geminnen »ir
eine abfolute (SrfenntniS ber Singe, bie burd) bie (Sinne nid)t möglich
ift. S)er (SmpiriSmuS öerneinte bie g^rage: (SrfenntniS öon @egen=
ftänben t)aben mir lebigüd) burd^ 2Sat)rne^mung, momit benn gegeben
ift, baB tt)ir feine abfolute ©rfenntniS t)aben.
^antS (Steüung ift baburd) gegeben, ha'^ er üon jeber ber beiben
entgegengefe^ten 3^^eorien bie nac^ feiner 2lnfid)t mat)re §älfte nimmt
unb biefe beiben ^älften gu einer neuen Stieorie üereinigt; gegen ^umeS
©mpiriSmuS fteüt er ha§i alte SDogma be§ ^Nationalismus mieber f)er:
eS giebt ©rfenntniS üon ©egenftänben a priori; gegen ben
Nationalismus beS Seibniä=3BoIffifd)en @l)ftemS fügt er ^inju: ober
(ErfenntniS ber Singe nur mie fie erfd)einen, ni(^t mie fie
an fic^ finb. Sie SSerbinbung beS ^^änomenaliSmuS ober SbealiS-
muS mit bem ÜNationaliSmuS ift ber eigentlidj d)ara!teriftifd^e ^ug ^'^^
ilantifd^en (SrfenntniSttjeorie, bist)er mar ber 9NationaüSmuS immer
reatiftifd) gemefen, mötjrenb ber ©mpiriSmuS bei 93er!elei) unb ^ume
ibealiftifc§ gemorben mar.
Sie erfte ^ölfe ber Ätitif ber reinen 3?ernunft, bie Stfttjetif
unb 3(nalt)tif, ift bem SSerfud; gemibmet, auf biefer ©runblage ein
neues erfenntniSt^eoretifc^eS (Softem gn etridjten. Sie jmeite ^ölfte,
3. ®er formoUftijdie 9iationaIigmu§ tont§. 401
bie SDialeftü, enttt)i(fe(t au§fiif)rli(^ ta^ i8er{)ältni§ ber neuen ^§iIo=
\opty<i ä« ^er alten 9}?etQp^t)fif: [ie seigt bie Unmögticfifeit ber rein
rationalen ^ftjc^oiogie, ÄoSmoIogie unb Xf)eotogie, bie Unmögticf) =
feit, n^enn man fo will, eine§ reali[tif^en 9tationaIi§mu§, noc^=
bem bie erfte §älfte bie 9}J i3 g li d^ ! e i t eine§ p f) ö n o m e n a H [t i f d) e n
iRationaü§mu§ entnjidelt ^at. — SBir f)aben e§ ^ier junädjft nur mit
ber erften .^älfte, ber bebingten SBiebertjerfteüung be§ 9f?ationaIi§mu§,
3U tl^un.
dla(i) §ume joü e§ ükr ^^atfac^en überhaupt !eine aügemeineu
unb notmenbigen Urteile geben; aßen unferen 9Zaturgefe|en , ben
©efe^en ber Wk(i)amt, wie benen ber 6f)emie unb ^f)t)fioIogie, ja
bem Äaufalgefe^ jelbft fotl nur präfumtioe 5lßgemeingü(tigfeit äu=
!ommen. 5Da§ ift, fagt ^ant, oollftänbiger ©feptijiSmuS; bann
giebt e§ übertjaupt fein eigentüdieS SSiffen me^r; benn bem SBifjen
ift, im Unterfc^ieb üon ben ^ffociationen, tt)ie fie auc^ ba§ 2ier l^at,
^IIgemeinf)eit unb 91ottt)eubigfcit eigen. So, §ume§ ©fepti^iömuS
bleibt nic^t auf ^f)i)fi! unb 9J?etapt)t)fif eingefc^ränft, er erftrecft fic^
notn)enbig aud) auf bie SOZat^ematif. 3)amit fü^rt er fid; felbft ad
absurdum; ha^ tf)atfäd)Iid)e 5Dafein biefer SBiffenfd)aft geigt, ba'Q bie
^rinjipien be§ (£mpiri§mu§ unjulänglid) finb. (£§ ^anbelt fic^ alfo
eigentlid^ nur barum ju jeigen, wie biefe SSiffenfd^aften möglid) finb.
SSie ift reine 9J?at{)ematif , mie ift reine ^laturmiffeufc^aft, mie ift
9J?etap^l)fit möglid)? Ober, bie ^'^oge in allgemeiner ^^ormel gefteüt:
tüie finb f t)ntf)etif(^e Urteile a priori möglid)? Sal t)eiBt,
erfenntnilt^eoretifd), ni(^t pfljdjologifd) möglid); mit anberer gormel:
töie fann @ä^en, bie nic^t au§ @rfaf)rung ftammen (Urteilen
a priori), unb bie aud) nid)t logifc^e ^Folgerungen (aual^tif c^e
Urteile) finb, ha§ 9?ec^t unb ber äöert objeftioer @r!enntni§
(ft)nt^etifc^er Urteile) jufommen?
S)a§ ift Äant§ Problem, ©eine ^ntn^ort ift: objeftiüe ©ültigfeit
fann fold^en @ö^en nur baburd) gutommen, t>a^ ber S^erftanb bie
Dbjefte, oon benen er fie auSfagt, felbft tjcroor bringt; er
erfennt bie ©egenftönbe a priori, fomeit er fie felber f)eröorbringt.
5J)a§ tfjut er in ber SOJatljematif; f)ier finb bie Dbjefte nad) Segriffen
fonftruierte reine STnfc^auungen. S)ie S8efc^affenf)eiten unb Söejietjuugen
öon Sinien, SB infein, ©reieden unb Greifen fann ber ©eometer in
*J}aulien, ßinleitung. 6. SUitl. 26
402 n. 93uc^: (grfenntmätfieor. ^Probleme. 2. ^op.: 3)a§ Problem be§ Uri>rung§2C.
fl)ntt)etiftf)en Urteilen a priori barlegen, tt»ei[ er bie DBjefte felbft
f)erborbrtngt. Sn gettjiffem (Sinne gilt aber ba§felbe oucf) üon ber
^l)t)[if. ®ie ©egenftänbe beg ^^l)fi!er§ finb S^Joturerjc^einungen; @r=
fc^einungen aber finb auf gemiffe SSeife ^robu!te be§ ©ubjeftg, bem
fte erfcl)einen, nnb ol§ folcf)e merben fie iljrer allgemeinen gorm mä)'
bnxä) bie Slatur unb S3ett)ätigung§n3eife be§ @ubje!t§ bebingt fein,
©ofern ttiir alfo unter Statur ben Inbegriff oon @rjrf)einungen üer=
ftef)en, unb bie ^fujfif ^at e§ nur mit 9latur in biefem ©inn §u
tl)un, !ann e§ audj eine apriorifcfie @r!enntni§ ber ^atur unb aller
9laturgegenftänbe geben, nämlicf) nac^ ©eiten ber allgemeinen gorm
it)rer (Srfdfieinbarfeit. — Wogegen !ann e§ eine @rfenntni§ a priori
ber 9^atur nic^t geben, nienn man unter 9^atur öerfte^t eine abfolutr
unb ol)ne alle 93e5ief)ung §um erlennenben ©ubjeft ejiftierenbe 2öir!=
lid)!eit. S5on ben ©ingen, n)ie fie on fid) felbft finb, unabljängig oom
©ubje!t, fann ber SSerftonb natürlich nicl)t§ a priori n)iffen. greilic^
fann er öon i^nen aud^ nici)t§ a posteriori erfal)ren, benn um öon
i^nen etma§ ^n erfaljren, müßten fie ja in unjere 33orfteC(ung eingef)en,
olfo (grfdl)einungen merben. Unb alfo ift 9J?etapt)i)fi!, menn man
borunter, tt}ie l)erfömmlic^, bie (5r!enntni§ ber 3)inge an fic^ öerftel)!,
überhaupt nirf)t möglic^. 9Ji5glic^ ift fie nur, menn man barunter
nicl)t§ nerftel)t al§ „reine Slaturlüiffenfcliaft", b. 1). eine allgemeine
^{jänomenologie ber 9^atur.
®a§ ift ber @eban!engang be§ 5l'ontifc^en 9Rationali§mu§, njie
er am prägifeften in ben ^ r o I e g o m e n e n 5 u einer j e b e n
fünftigen 9)Jetap:^t|ft!, ber @rläuterung§= unb SSerteibigung§=
fdjrift, bie er ber Ätiti! ber reinen SSernunft folgen lie^, jur ®ar=
ftellung fommt. Sluf gemiffe SBeife jeigt bieje ©c^rift bie Xenbenj
be§ Äantifcf;en ^DenfenS om beutlicl)ften, fie lö^t ben @egenfa| gegen
^ume am fc^ärfften Ijeröortreten. @§ ift bie SBirfung ber Slufna^me,
n)elcf)e bie ^ritil ber reinen 3Sernunft bei ben beutjrf)en ßeitgenoffen
gefunben l)atte; ilinen maren üor allem bie ibealiftifd^en unb ffep=
tifd^en ßüge aufgefallen, bie rationaliftifd)e ©eite tjotten fie überfe^en.
©ie bemerften nur ben ®egenfa| gegen il)re eigenen @eban!en, gegen
bie Ijerrfc^enbe ©rf)ulpt)ilojopt)ie, nidjt ben Ö5egeni"a| gegen ^ume§
©mpiri§mu§; biefer mar i^nen eben fremb, fie l^atten fiel) burd) |)ume§
ffeptijdje ^etrad)tungen bi§l)er in il)rem ©enügen an ber rationalen
3. ®er formaUftijd)e Üiotionalilmuä ^ant§. 403
5tf)eotogie, ß^oSmoIogie unb ^jljdjologie be§ SSoIffifd)en @t)ftem§ auf
feine SSeije [tören (äffen.
5Inbererfeit§ finb atlerbingl in biefer 3)arfteIIung bie urfprüng*
lid^en ©ebanfen I){n unb lüteber ettüaS öerfd^oben. SBenn ^ter bie
9}Jatt)emati! unb ^f)t)fif ge(egentlirf) aU 6e[tef)enbe unb gültige SBiffen=
fc^often, bie einer erfenntni§tt)eoretifcf)en 9ied)tfertigung il)rer 9}iögü(f)=
ieit eigentlicf) gar nic^t bebürfen, {)inge[tetlt njerben, fo ift ha^ freiüd^
gegen bie urfprünglicfje 9JJeinung. 2)er 5(u§gang§punft be§ ^riti^ig*
mu§ ift oielme^r: biefe SSiffenfd^aften finb ^wax üor^anben, aber fie
finb in i^rer objeftioen ©ültigfeit burc^ §uine§ (Sfepfiä bebro^t;
bie Slufgobe ift, fie ju retten, b. i\. i^re objeftioe ©ültigfeit gu
begrün ben. S^re 3:^atfäcl^Ii(i)!eit bebeutet nicf)t§ al§: e§ treten
genjiffe Sä^e, bie ben Gtjarafter ber Stllgemeinfjeit unb 9^ot =
ft)en big feit in ^Infprud) nef)men, gugteicf) mit bem 2(nfprud) auf
gegen ft anblicke ©ültigfeit ouf. SOhn ne^me einen @a^ wie ben:
'SJtakxk entfielt unb üergeljt nicfjt. 3)er (Sa^ giebt fid) a(§ ein oH*
gemeines unb notiuenbigS Urteit, muB olfo, menn er e§ mirflid^ ift,
a priori fein, benn @rfaf)rung füf)rt nidjt jur 5tngemeint)eit unb 9?ot=
ftienbigfeit, barüber ift ^ant mit ^ume üöllig einöerftanben. 5(nberer=
feitS ift e§ ein Urteil, haS^ gegenftönblic^e ©üttigfeit beanfprudjt, b. i).
fogt: fo etmaS fann in ber SBirftic^feit nidjt oorfommen. ®§
ift nid)t ein anaü)tifc^e§ Urteil, mie etma ber @a^: jeber 5?örper
ift au§gebel)nt, ber 3:eil ift f (einer ai§> ba» ©an^e; fonbern ein
fi)nt()etifd)e§ Urteit, ein (gjiftentiatjal}. — (Sbenfo ber @a^: e§ ge=
fd)iel)t nidjt§ of)ne Urfodje; er nimmt in Stnfprud), äiifl^^i^ ^i"
allgemeine» unb notmenbigeS Urteil unb ein Urteil non gegen=
ftänblid)er ©ültigfeit gu fein. Unb fo fteljt e§ aud) mit ben 5(i-iomen
ber Geometrie, bie ^^tjfifer legen it)nen o^ne weiteres auc^ gegen-
ftänbtid)e ©ültigfeit bei. ©benfo fel5en fie auc^ oorauS, ba^ bie
aus ^Definitionen unb Sli'iomeu entmidelten Set)rfä^e unb bie mit
i^rer §ülfe angefteüten Seredjnungen nid)t bloB in ber ^^ed^nung,
fonbern aurf) in ber äöirflic^feit rid)tig finb, bo| bie 9ktur ber
^inge ber matf)ematifcf;en erfenntniS unterworfen ift. — äöie fonn
biefe ?(nnaf)me begrünbet werben? 2öie fann bewiefen werben, ha^
jene ©ä^e üon ber (Sr^altung ber 9)?aterie ober oon ber angemeinen-
91oturgefe^mäBigfeit nid)t bloB, wie §ume will, SSorauSfe^ungen tion
26*
404 n. SBud^: ©rfenntnistl^eor. «Probleme. 2. top.: ®a§ Problem be§ Urf))rung§ zc.
präfumtioer Slögemeingültigfeit, jonbern lüirflid) notroenbige unb aii-
gemeine Slaturgeje^e finb?
Äant ontttjortet fiierouf mit jener jrfjon angebeuteten S3erid)tigung
be§ ^Begriffs ber ©rfa^rung. ®ie gemeine SSorfteüung, in fenjualiftijc^en
3:^eorien begrifflich) formuliert, üerfte^t unter örfat)rung bie paffioe
Slufnafime üon (Sinbrücfen ber SBirflic^feit. S)ie @eele ift it)r, mit
fiocfe§ 5Iu§brucf, ein Statt mei^e^ Rapier, auf ba§> bie ^inge it)re
3eirf)en machen. 9^atürli(f), ha§^ Rapier !ann nid;t a priori wiffen,
meiere ßeid^en e§ aufnef)men tt)irb; unb ift bie @eete ein foId)e§ 2)ing
unb befte^t ©rfatjrung in einem ät)nlict)en 33erf)a(ten, fo ift a priori
örfenntniS unb bamit Slügemein^eit unb 9lotmenbigfeit ber @r!enntni§
unmöglid). Stber biefe $ßorau§fe|ung ift falfc^. @rfenntni§, aud^
(Srfat)rung§erfenntni§, ift nic^t ein paffiö au§ ber äußeren 3Bir!(id^!eit
ouf genommener Suf)alt, fonbern ein ©rseugniä fpontaner Xt)ätig!eit
ber Oeele. 2lIIerbing§ nid)t einer obfolut fpontanen ^t)ötig!eit, e§
finbet ftatt ©rregung gur Srf)ätig!eit burdj bie Umgebung; aber „(Sr=
fatirung" fommt erft baburd^ guftanbe, hal^ bie „?Iffeftionen" burc^
bie Sutelügeuä bearbeitet unb geformt merben. @rfat)rung ift nic^t ein
^ufäüig äufammengemürfetter §aufe, ein „©ewül^I" öon Smpfinbungen,
fonbern ein (Softem nacf) @runbfä|en üerfnüpfter örfcfjeinungen. ©o
ftellen mir ja bie 9Jatur, ben ©egeuftanb ber ©rfa^rung, üor: a(§ ein
einf)eitli(^e§, üon ®efe|en be!§errfc^te§ ©tiftem oon SEfiatfac^en.
9iun, biefe 2::f)atfa(j|e, ha^ bie ^Zatur me^r al§ ein üermorrener
§aufe üon (Smpfinbungeu, rot, fü^, feft, flüffig, üon allerlei Oualität
unb Quantität ift, \)a}i fie ein fijftematifd) aufgebautes unb geglieberteS
©anjeä ift, bo§ ift nid)t bie SSirfung ber ©mpfinbung, ober bo§ S3er=
bienft ber (Sinbrüde, fonbern e§ ift ba§ SBerf ber Snteßigenj. S)ie
Sntelligenj mit i^ren beiben ©eiten, ©innlidjfeit unb SSerftaub, fa^t
unb formt, orbnet unb gliebert jene§ gegebene 9J?annigfa(tige ber (£in=
brüde burd) i^re eigentümlichen 3:f)ätig!eiten, bie man al§ 3^ u u f t i o n e n
ber ©t)nt{)efiö, ^^fammenf äffen be§ ßerftreuten unb 9JZannig='
faltigen jur @in{)eit bejeidinen !ann. 9^atürlid) muffen nun biefe
3^un!tionen ber Suteüigeng in if)rem (£räeugni§, ber @rfat)rung, an
jebem ^un!t üorl^anben fein al§ if)re formale 93eftimmt^eit; unb eben
barum !ann bie D^atur nadj ©eiten ber g^orm a priori erfaunt merben.
SQ3ie man bie @eftatt ber Singe, bie mit berfelben ©djabtone angefertigt
8. 3)er formoltftifd^e 9?ottonali§mu§ Äant§. 405
ftnb, a priori tüei^, fo fann man alle (Sr5eugniffe ber menfc^Itrfien
SnteUigen^, b. t). bte gange 9iatur unb atle ©egenftänbe barin, ber
^orm nacf) a priori er!ennen.
(Srfennen aber fann man, tt)a§ an ber S^iatur au§ ber form^»
gebenben ^^ätigfeit ber Sntetligens ftamnit, an ber Ö(eic§f5rmig!eit be§
SOZannigfattigen. 3)ie (Srfüüung be§ 9iaum§ mit 233iber[tanb leiftenben
Gräften i[t für üerfcfiiebene Drte unb t)erfd)iebene ßeiten üerf(^ieben,
bie Dualitäten med^feln, aber ber 9ftaum jetbft mit feinen 33eftim=
mungen ift überall unb immer berfelbe, fo boB jeber Ort für jeben
anbern eintreten fann; fo ift bie 3^^* überotl unb immer biefelbe, fo
nerfd^ieben bie Erfüllung ift. @o ift aucf) bie allgemeine ©truftur ber
Söirflid^feit überall biefelbe; bie Urfad)en unb SBirfungen finb mannig^
faltig, aber ha^^ Ä'aufalüer^ättni§ felbft ift überaß baSfelbe, gleid)
geltenb gu jeber ßeit unb an jebem Drt. Unb fo finbet fid^ at§ ein
anbere§ ©rnnbfcfiema ber SSirf lic^f eit ha§' $ßerl^ältni§ üon © u b ft o n §
unb 3lccibenä, oon Sef)arrlid^em unb 2öed^fe(nbem.
Snbem ßant biefer formalen @eite ber @rfaf)rung na(^gef)t,
überall auf bie in aller (Srfa^rung ibentifcf)en ÄonftruftionSfaftoren
ad^tenb, fommt er auf jmei 5Irten üon gormelementen, er nennt fie
Stnfd^auuug§= unb ©enfformen. Slnfd^auung^formen finb eben
bie gmei: Sfiaum unb 3^i^l ^i^ ©enfformen, er nennt fie ^ote =
gorien, bringt er, mit §ütfe ber formalen Sogif unb i^rer (Sin=
teilung ber Urteile, auf bie runbe ^^^blfjaf)!. D^aum unb ^zit finb
atfo nicf)t feienbe SSirflidjfeiten, aud^ nid^t on fic^ mirf(id)e Crbnungen
ber an firf) feienben SDinge, fonbern bem ©ubjeft eigentümliche g^unftionen
ber @t)ntf)efi§ be§ mannigfaltigen (£mpftnbung§inf)a(t§. Slüe (Sm=
pfinbungen tt)erben ^n bem ein^eit(idf;en ©anjen be§ 3^itöerlauf§
gufammengeorbnet, fo ba& jebe ju jeber in ber Segietjung be§ 3^9^^^^^
ober eine§ beftimmten geitlidEien SlbftanbeS fte'^t. 5tlle (Smpfinbungen
ber äußeren ©inne werben in ben einf)eitltc^en 3iM'o"^i^^"^o"9' ^^"
wir bie räumticf)e 2BeIt nennen, eingeorbnet. @o entfteljt burdj bie
^unftion ber Sofatifierung unb ber Xemporaüfierung, menn bie SBort-
bitbung geftattet ift, bie eint)eitlic§e anfcf)aulicf)e örfd^einung^melt. Unb
in bemfelben Sinne finb aud^ bie 2)enffunftionen formen ber 5(n=
orbnung ber Slnfc^auungen, unb gmar if)rer Drbnung in ber Qt\t.
©er ju ©runbe liegenbe allgemeine @runbfa| ^ei^t: 2lße @rfcf)einungen
406 n. SBud^ : erfenntniät^eor. ^Probleme. 2. ^ap. : ®a§ ^roBIem be§ UrfprungS tc.
fielen if)rem ©ofein noc^ a priori unter ülegetn ber 93e[timmung if)re§
S8erl)ä(tnijje§ unter einanber in einer 3^^*- ^lüe ©rfc^einungen,
fo lautet bann ba§ ®efe^ ber ©ubftanjialität im bejonberen, entI)o(ten
haS' S3et)arrlid)e al§ ben ©egenftanb felbft unb ha§> SBanbelbare al§
beffen blo^e Seftimmung; unb ba§ @efe^ ber ^aufatität: 5(Ue§ tt)o§
gejc^ief)t (anhebt ju fein), je^t etn)a§ üorauS, tnorauf e§ nad) einer
91 e gel folgt. (Sdjujerer w'ixh e§ it)m, bie übrigen gefin Kategorien
al§ ©truüurelemente ber SSirflic^Mt nadj^uweifen, bie meiften finb
SüdenbüBer. —
gügen wir nun no(^ bie 5:f)eorie biefeg neuen 9^ationoIi§mu§
unferem ©c^enio ein, fo fönnen tüir jo fogen. Huf bie ^rage nad)
ber 92atnr ber ^rin§ipien ber rationalen (Srfenntni§ antwortet Kant:
fie finb üort)anben al§ 53etf)ätigung§n)eifen, at§ fi)ntf)etifd)e g^unftionen,
bie bie ^nteüigen^ überoll unb in immer ibentifd)er SBeife übt. Sene
matt)emotifd)en unb p^t)fifaltfc^en Styiome finb gormein, meld)e bie
g^unftion auSbrüden, unb infofern finb fie ^ringipien einer @r!enntni§
a priori. 2)ie g^uuftioneu finb nid)t angeboren, fie werben üielmef)r,
wie atle gunftionen, im ßaufe be§ Seben§ auggebilbet; aber barum
fommen fie nid)t non aufeen, burc^ ©inbrüde, in un§ f)inein, bie @in=
brüde finb nur @elegen{)eit§urfac^en ii)xtv ©ntwidetung. (S§ ift ba§
bie Stntwort, auf bie fc^on Seibnig in feinen neuen Sßerfuc^en über
ben menfd)Iid)en S3erftanb, bie er 2ode§ Sßerfud)en entgegenfteßte, ge=
fü{)rt Worben war. Nihil est in intellectu, quod non antea fuerit
in sensu, fo fagt ber ®mpiri§mu§ unb I)at barin gang redjt; ober
f)in5U§ufügen ift: nisi intellectus ipse; olteS ftammt au§ ber (5r=
fat)rung, nur nic^t bie gö^igfeit (Srfal)rungen gu madjen.
2)amit ift bie Stntwort auf bie jweite grage fdjon mitgegeben;
fie lautete: wie fönnen ©ä|e, o!t)ne au§ ber @rfa{)rung §u ftammen,
bennod) gegenftänblidje @ü(tigfeit l)aben ? 2)ie tranfcenbentate 2)ebu!tion,
bie übrigeng feine§weg§ ein 9}?ufter oon ^röäifion unb KIarf)eit ift,
gietjt fie mit müt)famen 2Bieber()oIungen au§ ben gegebenen Sßorau§=
fe^ungen I)erau§: ©ö^e, 'mcid)t bie ft)ntf)etifd)en gunftionen unferer
@innlid}!eit unb unfereS $ßerftanbe§ auSbrüden, ^aben eben baburd^
jugteic^ bie Öültigfeit oon D^Jaturgefei^en, fofern wir unter S^iatur eben
bo§ oerftef)en, tüü§ alle SSelt tt)atfäc^Ud; mit biefem Flamen bejeidinet:
ben Inbegriff öon ©rfc^einungen. 9f?aum unb ß^i* f^"^ öIs formen
3. ®er formaliftifc^e «RottonaliSmuä Äont§. 407
unserer 2tnfd;Quung suöleid) nottüenbige g^ormen ber 9^Qtur, e§ !ann
nidjtg ®egen[tanb unjerer 5(nfd)auung fein, bog nidjt in 9iaum unb
3eit ttJöre. StCIe @rjd)einungen finb eytenjiöe ©röfeen, fo lautet ber
erfte (SrfQ^rungSgrunbfa^, ba^ „5tj:tom ber 5(njd)auung"; unb barum
gilt, fo !önnte bie gortje^ung (outen, olleS tuaS üon ber ©fteufitöt
überl^Qupt Qu§gemad)t ttjerben fann, i^re Kontinuität unb Homogenität,
i()re Unbegrengtl^eit unb unenblidje Xeilborfeit, and) öon ber rtiirflic^en
IfiJelt. Ober, aUe§ n)a§ bie reine 9JZQtt)emQtif öon 9fiaum= unb @rö§en=
t)er()ä(tniffen Qu§mad)t, ta§> gilt o{)ne n)eitere§ and) üon allen fingen,
fofern fie Üiäumli^eit unb ©rö^e f)aben. (£6enfo: raa§ bie tran§=
jcenbentafe i]ogi! öon ber S}laiüv be§ 35er[tanbe§ auSmad^t, ha§' gilt oud)
öon ben 5)ingen, fofern fie für ben ^erftanb über^oupt öorf)anben finb;
ift ba§> Äaufalgefel ein @efe| be§ reinen SSerftonbe§, fo ift e§ eben
tantit gugteid) ein 9fiatnrgefe^. „2}er ^ßerftanb fd)öpft feine ®efe|e
nidit ou§ ber S^^atur, fonbern f(^reibt fie biefer öor."
9}iit einem fet)r einteud^tenben S3ergleid^ ftellt Kant in ber Sßorrebe
^ur jnjeiten ?(uf(age ber Kritif bie SBenbung, bie er ber (Srfenntniö*
ti^eorie gegeben t)ahe, mit ber SSenbung ber oftronomifd)en SSeltanfidjt
burd) 6opernicu§ jufammen. 33i§f)er f)atte man bie ©rfd^einungen
<im ^immet burd^ bieSemegung ber f)immlifd)en Körper um bie Srbe
€r!(ört; 6opernicu§ fonftruierte fie einfadjer burd^ bie 5lnnal)me einer
93emegung be§ S3eobad)ter§. Slf)nüd^ ()atte ber (Smpiri§mu§ bie (Sr=
fenntnig au§ einer @inmir!ung ber SDinge ouf bie Suteüigenj erüärt;
^ant bagegen fonftruirt bie ör!enntni§, inbem er bie ®tnge „fel)r
iriberfinnifd)" nad) unferen Gegriffen fid} ridjten (äfet: ha§: ®en!en
bringt bie Objefte ber gorm nad§ aüererft t)erüor. oben barum !ann
€§ fie infomeit auc^ a priori erfennen unb atfo in oügemeinen unb
Tiotmenbigen ©ä|en feine @rfenntni§ formulieren. 2)ie ^tyiome ber
Geometrie, ha^^ Kaufalgefe|, finb notmenbig unb allgemein gültig für
olle ©egenftänbe unferer Grfotjrung.
©egeben ift bomit auf ber onbern @eite ol§ bie gugeprige
^ülfte biefeS 9^ationoli§mu§, boB e§ feine rationofc (Srfenntni^ geben
tonn, mo eine fold;e Söeftimmung ber ©egenftänbe burd^ ben ^ßerftonb
ni^t ftattfinbet. S)ie „®inge on fic^ felbft" unterliegen notürlid; nid)t
ber fi)ntl)etifd)en gun!tion unferer Snteüigen§, unb borum ift Wtta=
p()t)fif in beut alten «Sinne, rationale @rfenntni§ ber obfolnten 2öir!=
408 n. 93ud^: (Srfenntm§tf)eor. «Probleme. 2. Aap.: ®a§ Problem beg Urfprungg tc.
üd^teit, unmöglich. SDie 5(u§fü^rung biefe§ 3:^ema§, bQ§ übrigen^
fd^on in ber ^Inol^tif überoü geftreift tüirb, bilbet ben Sn^alt ber
äiüeiten ^älfte ber Ätitif, ber ©iaieftif. ©ie ^ßigt mit manchen
foft unerträgüc^eu ©c^ief^eiten unb @eU)Qttt£)ätig!eiten ber S)ar[tellung,
wie bie Sßerjucfie, in einer rationalen ^fljc^ologie, Ä'oSmoIogie nnb
Xf)eoIogie ben SSerftanb unb feine ©enfformen jur ©rfenntniS be§
SSejenS ber S)inge jetbft gu öerttjenben, fet)ljdj(agen mußten, hierauf,
fowie auf bie 53erfuc^e, ben „Sbeen", benen i^re fonftitutiöe ©ültigfeit
genommen i[t, „regulatitie" 93ebentung für bie fpefulatiöe unb praftifc^e
©ültigfeit für ben SSiüen n)ieber3ugen3innen, ift t)ier nictit m'ikx ein*
jugefien.
dagegen mijd^te ic^ noc^ bie ^antifc^e 5tnfid)t burcf) eine
©djlu^formel {enngeic^nen, bie i^m fetbft geläufig ift, lüenn er fie
and), foöiel ic^ ttjeiB, nirgenb§ auSbrüdlic^ formuliert t)at: bie menf(^ =
lidje Suteüigens ftet)t in ber 9Jiitte gn^ifc^en tierifc^er unb gött =
lieber Sntelligen§. S)a§ (grfennen be§ Siere§ befte{)t qu§ einem
„®ett)üt)I oon ömpfinbungen", 5n)ifd)en benen gelegentlich affo^iatioe
Sejietiungen ftattfinben; e§ !ommt aber nid)t gur ©ntgegenfe^ung öon
©ubjeft unb Dbjeft, 3c^ unb Statur, e§ ift barum nid;t obje!tiiie§,
nid)t gegenftänblid)e§, überf)oupt atfo nid)t eigentliches ©rfennen,
fonbern rein fubje!tiöer SSorfteöungSöerlauf. Stuc^ ba^ göttliche
er!ennen ift fein objeftiöeä: ber göttlicfje SSerftanb ift, fo beuten irir
ben Segriff, burc§ fein S)en!en Urtieber ber SBirfIicf)feit, fie ftef)t if)m
nicf)t at§ ein it)m grembeS, begebenes gegenüber; ber iutellectus
archetypus ift „anfcl)auenber SSerftanb" ; feine ®eban!en finb feienbe,
fon!rete Sbeen, nicf)t abftrafte 93egriffe, eine aJJenfdjenfeele ift ein
„©ebanfe" @otte§. S)a§ S)en!en be§ fc^affenben Sitünftterg fann ben
Segriff öerbeutlidjen; unb tt)ie f)ier, fo fte{)en and) in ®ott alle @e=
bauten in einem inneren, äft^etifcf)=teteotogifct)en ßufontmen^ang. ®a§
menfct)Iicf)e ©rtenneu bagegen ift objettiöeS ©rtennen; e§ ift
begreife nbe§ Ä^onftruieren eine§ begebenen. 5lu§ bem
gegebenen SOJannigfaltigen ber (Smpfinbung mad)t bie menfct)Iic^e
Snteüigeuä burdj bie it)r eigentümtic£)en f9ntt)etifd)en gunttionen ber
Stnfcf)auung nnb be§ S)en!en§ ba§ eintjeitUd;e, üon ®efe|eu be^errfdjte
®t)ftem öon ©egenftönben, haS^ luir SfJatur nennen. ®ie ©egenftönbe
finb it)rer gorm nad) nur burd) ben 35erftanb, aber bem 2)afein
4, Äritifd^c Stnmerfungen ju tantS (£rIenntm§t^eorie. 409
iiQc^ er!ennt haS^ ©ubjeft üjiten UnoBpngigfett öon fid^ ^u unb
fe^t fidj 5U it)nen als OOjeft unter Cbjeften in naturgeje^mä^ige
93eäief)ung.
4. Ärittfd^e 2(nmcrfungen ju ÄantS erfenntntgt^eonc.
Snbem irf) bie im öorigen 5Ibfd)nitt borgelegte 5?Qntifc^e ^^eorie,
ber e§ ttJeber an (Scf)Qrffinn nocl) an 2;ieffinn fef)(t, einer Prüfung
unterjietje, n^iü irf) ä^nöc^ft, föa§ mir an if)r unfjattbar erfdjeint, fo
f(ar unb prä^ife oI§ möglich begeidjnen, um bann, ma§ an if)r bleibenb
mertöDÜ i[t, am (SditnB l^ernorjnfieben.
3cf) (afje äitnäd^ft 3). ^ume, gegen ben fic^ ^antg Äriti! in
erfter Sinie ricf)tet, feine @ad;e gegen Äant füf)ren. 3ft burd) ^ant
bie 58et)auptung miberlegt, in ber |)ume bem (gmpiri^mug feine (e^te
gormel gegeben I)atte: e§ giebt feine @rfenntni§ oon STfjatfac^en burd)
reine Sßernunft, unb barum giebt e§ über 2;^atjacl^en feine fd)tecl^tl)in
atigemeinen unb notttjenbigen , fonbern nur präfnmtiü allgemein»
gültige Urteile? ^at Äant f)iergegen bie SO^ogüdjfeit eigentlich atl=
gemeiner unb notmenbiger @ä^e in ber 9Zaturmifjenfd)aft mirflid) be=
miefen?
Sn SDeutjd^tanb l)at bie§ lange für ausgemacht gegolten, ^d^ bin
nid^t ber 9}?einung; id^ glaube nid)t, ha'^ ^ume genötigt ift, bie§ an=
juerfennen. ^d) miü öerfudjen, il)n feine S^^efe, in bem beäeid)neten
@inn, gegen Äant öerteibigen gu loffen.
SBa§ gunöd^ft bie Slrgumentation ber ^rolegomena au§ bem 3Sor=
f)anbenfein „tnirflidjer unb jugleid^ gegrünbeter unb feiner ©ebuftion
bebürftiger reiner ©rfenntniffe a priori" in ber reinen S[Ratl)ematif
unb 9^aturmiffenfcf)aft, bie benn auä) in bie fpäteren 5lu§gaben ber
^ritif felbft übergegangen ift, anlangt, fo mürbe ^ume fie mit Üiec^t
al§ eine petitio principii abgelel)nt f)aben. ^tvai bie 2;l)atfäd)lic^feit
biefer SBiffenfd^aften, fo mürbe er tjaben fagen fönnen, fei ja nid)t §u
bejmeifeln; mof)( aber muffe man fragen, unb gerabe i>a§^ fei feine 3^rage
gemefen, in meld;eni «Sinne i^ren @ä|en objeftiüe ©ültigfeit jufomme?
(Sr, §ume, fei auf bie ^nfidjt gefüf)rt morben, ha^ bie SDIatljematif
al§ folcfje überf)aupt gar nid^t gegenftnnblicf)e Öültigfeit in Stnfpruc^
nel)me. SDie ©eometrie fage nid)t§ über bie äöirflid^feit au§; fofern aber
410 11. 33uc^: er!enntni§t^eor. Probleme. 2. top.: ®a§$tobtem beäUrfprunggjc.
if)re @Q|e gur 58eftimmung ber 2öir!Iid)!eit, §. S8. in aftronomifd^en
iöererfjnungen, öerlüenbet ttjurben, f)örten fie auf apobiftijdjen (Ifjorofter
511 f)a6eu unb nätjmen f)i)pott)etiici^en an: fofern ber pf)i)jijrf)e '^anm
bent geometrtfc[)en entfprid^t, fofern bie SOIeffungen üon Entfernungen
unb SBinfeln richtig finb, f)at ber SUJonb biefen ^bftonb, bieje ©röfee,
biefe S3en)egung u. f. xo. 2^ie ©ä|e ber Trigonometrie ptten apo=
biftifc^e ®ett}iBt)eit, ober feinem @q| ber Slftronomie fomme foIrf)e
5U. ®ie Slllgemeinfieit unb Slotmenbigfeit ber reinen S[Ratf)emQtif
berufie eben barauf, boB fie fic^ ganj innerf)alb ber S3egriffgn)e(t be=
Wege. S)ie ^f)t)fif bagegen, bie @rfenntni§ ber anfc|aulid)en 3öirf=
ü(f)!eit geben ujoüe, öergidjte eben bamit auf 2(ttgemeinf)eit unb 9iot=
tt)enbig!eit, b. f). im ftrengen @inn, benn präfumtiöe 5tngemeinf)eit
gefte^e er 5. 33. ben ©efe^en ber SJlecEjani! natürlich fo gut ^n n)ie
jebermann, unb bamit aucf) S^otraenbigfeit in bem gemeinen @inn bc§
SBort§, nur eben nid)t bie ^(llgemein^eit unb 9^otmenbigfeit matf)e=
matifd^er ©ä|e.
Äaut fage einmal: er l\aht bie 9Jietap{)i)fif (ba§ ift bie reine
9laturmiffenfc^aft) in bie gute @efeüfcf)aft ber 9J?atf)emati! gebrad)t.
3n ber X^at, fie !önne in feiner befferen fein; nur f)ätte er nic^t ben
n)efentnc^en Unterfd)ieb gmifc^en if)nen oermifc^en foUen. ®a§u aber
fei eben bie gormel üon if)m erfunben: ft)ntf)etifcf)e Urteile
a priori; unter bem gmeibeutigen 9hmen „ft)nt^etifcf)" faffe er bie
rein matf)ematifc^en unb bie p^i)fifalifcf)en (2ö^e gufammen. S)urc^ bie
gonj unbeftimmte unb untauglicf)e Unterfc^eibung „analt)tifd)er unb
ft)ntf)etifci^er" Urteile f)abe er ben beftimmten Unterfc^ieb üon Urteilen
über bie SSerf)ä(tniffe öon 33egriffen unb Urteilen über ha§> SSer^alten
üon ©egenftänben bei ©eite gebracht unb baburd) bie Unterfu(i)ung
tieitloö üernjirrt; bie (3ä|e ber ^f)t)fif mürben nun ai§> gteid^artige
(Sä|e mit benen ber reinen 3)?atf)ematif gufammengefteüt. greiüd)
oud) nid^t fonfequent. 3)enn baneben bleibe auc^ immer bie ridjtige
g^affung: nid)t, mie ift r e i n e , fonbern mie ift a n g e m e n b e t e SJJat^e»
matif möglid^? @o üor aflem in ber tranfcenbentalen S)ebuftion ber
SD?atf)ematif, bie unter bem ^itel „Hjiome ber Sfnfdjauung" in ber
5(nalt)tif fidj finbe. §ier trete ber eigentlidie ©ebanfe Slantg üößig
ffar fjerüor: angemenbete 9JJatf)ematif ift möglid^, med „bie empirifdje
S(nfd)auung nur burc^ bie reine (be§ 9iaume§ unb ber ßeit) möglich
4. Äritifd^e ?tnmerfungen 5U ÄantI (grfenntniSt^eorie. 411
i[t; unb olfo tüa§ bte Geometrie non biejer fagt, o{)ne SBiberrebe aud^
üon jener gilt unb bie ^u§ftüd)te, aU tt)cnn (^egenftänbe ber (Sinne
ntd^t ben Siegeln ber ^onftruftion im 9iaume gemöfe jein bürden, tt)eg=
fallen." Unb ebenfo in ber tranfcenbentaten 5Debuftion ber reinen
9^aturtt)iffenjrf)Qft, wo auf biejelbe SBeije ben ©runbiä^en be§ reinen
SSerftanbeS objeftiüe ©ültigfeit baburd) üerjcfiofft njerbe, ha^ ha§> empirifc^e
®enfen ber @egen[tänbe nur burdE) \)a§ reine teufen mögtid) fei.
^rüft man nun, fo tt)ürbe §ume Ijaben fortfahren !önnen, biejen
eigentlichen ©ebonfen 5lant§: @r!enntni§ a priori unb atfo allgemeine unb
notnjenbige ©rfenntni^ öon St^atfad^en ift mög(irf) burd§ bie opriorifi^en,
nirf)t au§ ber (Srfa^rung abgeleiteten fi)ntt)etifc^en gunftionen, fo erweift
er fid^ freiüd^ aud^ nidjt al§ ftid^tjattig. ©eben mx ^u, föie xdxx benn
ot)ne 3^^^ifß^ muffen, baB e§ berartige fi)ntt)etifcf)e g^unftionen giebt,
unb ba^ fie für ben §Iufbau unferer @rfaf)rung§tt)elt oon tt)ejentli(f)er
93ebeutung finb, fo erf)eben fid) bodj gegen bie 5?!antifd)e S3etrad)tung
fd;tt)ere Sebenfen.
3uerft ergebt fic^ bie ^^rage: auf n)eld)e SSeife njiffen tt)ir um
bie ft)ntf)etifd)en 3^un!tionen, a priori ober burd^ (Srfa^rung? Äant
get)t an biefer ^rage üorüber; unb bod^ ift otjue i^re 33eantmortung
in feinem ©inn feine 9)lüt)e üergeblidj. §aben lüir feine apriorifd^e
Sr!enntni§ ber gunftionen, unb id^ wüBte nid^t, n)eld)en ©inn man,
aud^ innerf)atb be§ Ä'antifd)en ®eban!en!reife§ bleibenb, mit biejem 9(u§=
brud üerbinben fönnte, miffen wir um fie nur burd; (Srfal^rung, natür=
lid^ burd) innere, antf)ropoIogifd^e (5rfaf)rung, bann !^ötten bie ®runb=
fä^e, in benen bie ^orm biefer ^unftionen befiniert njirb, bod) n^ieber
nur empiri jd^e ©ültigfeit. ®ie 5öef)auptungen: Ü^aum unb 3<^it finb
Stnfd^auungSformen ber menfd)tid^en @innUd^!eit, bie Kategorien finb
3)en!formen be§ menfd^tid^en ^ßerftanbe», UJären nun ©eneralifationen
ber Slnt^ropologie; unb bie a^iomatifd^en @ä^e, bie bie Statur unferer
fRaumanfdjauung ober unferer UrteiI§funftionen a\§> ©efei^ ber 3Sir!=
Iid)feit au§fpred)en, blieben jule^t @ä^e empirifd)en Urfprung§ unb
empirifc^er ®ültig!eit; e§ t)aftete i^nen bie fetbftoerftänbüc^e 93ebingung
an: foweit bie fl)ntf)etifd)en g^un!tionen ibentifd) bleiben. 6§ bliebe
benfbar, ha'iii e§ SJJenfdjen ober menfdf)enät)ntid)e 3Bejen mit abtüeidienben
formen ber Sntettigens gäbe, e§ bliebe benfbar, ha^ bie Sntelligenj
felbft fic^ Ujanbelte, ba'Q unfere 9cad)!ommen, ba'^ id) felb|t gu anberen
412 n. SBucf): er!enntm§t^eor. Probleme. 2. Aap.: S)a§ Problem be§ Ursprungs zc.
SluffoffungSformen überginge; ginge ic^ etoa ju einer üierbimenfionaten
9fiaumanf(f)Qunng über, fo tt)ürben bie 5tjiome au§ ber alten Sflaum-
anfdjauung if)re gegenftänblic^e ©ültigfeit öerlieren. Tian mag ^a§i
für jo untt)a{)rjc^einlic^ {)alten, tüie man mill, e§ bleibt benfbar; unb
bamit ift ber S3emei§ für bie ftrenge 3lltgemein^eit unb Sf^otttjenbigteit
jener @runbfä|e öerloren. @ie ftjürben gelten mit ber ^laufet: jo
lange unb fo ttieit fRanm, ^dt unb Kategorien in biefer beftimmten
©eftalt Äon[tru!tion§fa!toren ber @rfd|einung§meü finb.
SSon S. t^r. 5rie§ tft in feiner „9?euen Kritit ber 35ernunft"
bie ^rage, bie Kant umgef)t, aufgemorfen unb im Sinne be§ @mpiri§=
mu§ beantwortet ttjorben: (Sr!enntni§ ber gormelemente ber @r!enntni§
l^aben mir nur burc^ ©rfa^rung. Tim f)at gefagt: grie§ oerberbe
bamit Kant§ ©ebanfen; bie fritifc^e ^t)iIofop^ie ge^e nidjt auf bie
pft)c^oIogif(f)e Sf^arfimeifung einer ant^ropoIogifcf)en Stf)atfad^e au§,
fonbern auf bie tranfcenbentale Unterfuc^ung ber 9JJögIi(i)!eit ber (Sr*
fa^rung. Unb bie geminne man nic^t, inbem mon beobad^te, ma§ bk
3J?enfd)en mirflid^ t()un, fonbern inbem man fic^ auf bo§ befinne, ma§
in jeber (Sr!enntni§ al§ uotmenbiger, nic^t o^ne i^re 2Iuff)ebung eliminier^
barer S3eftanbteit anerfannt merben muB, auf bie afiomatifrfien Elemente
ber t£r!enntni§, al§ meldte fid; benn bie ft)nt^etifd)en @runbfä|e er=
geben, bie bie 'Ratnx ber 9iaum= unb ß^^taufd^auung, fotoie ber 3)en!*
formen auSfpred^en: o^ne SSorouSfe^uung it)rer ©ültigfeit ift ©rfa^rung
überall unmöglid).
®ang red^t, fo tüiß e§ Kant Slber, fo mürbe §ume ermibern,
ha§> ift eben bie petitio principii; ic^ leugne ben afiomatifdjen
ß^aralter be§ Kaufalgefe^eg in bem Kontifd^en ©inne, unb gleidjmo^I
l^alte id) ©rfal^rung für möglid^, (Srfo^rung, mie mir fie in ben
SSiffenfdjaften mirflid) l^oben, uid)t jmar al§ ©ijftem ftreng not=
menbiger unb allgemeiner, fonbern präfumtiü aflgemein gültiger @ä§e.
hierfür braudjt ber ^^t)fifer mirftid^ feine 33orau§fe^ung, al§ bie
pröfumtioe Slügemeingültigfeit ber tranfcenbentalen (5Jrunbfä|e.
(Sr mirb ru^ig §ugeben fönnen, nid)t nur, ba'i^ eine Söclt benfbar
ift, für bie g. S. unfer Kaufalgefe^ feine Sebeutung ^ötte, fonbern
aud), ha% in unferer Söett ieben $Iugenbtid ein (£reigni§ eintreten
fann, ha§> fid^ nidjt nad) bem Kaufalgefe^ fonftruieren täfet, eine
^emeguug j. 33., bie oöüig ifoliert, be^iefjungglo^ SU allen ooran=
4. Äritijcfie Stnmerfungen ju SantS (Stfenntni§t:^eone. 413
ge'£)enben imb natfjfotgenben ftattfinbet. 3:f)Qtföcf)Iicf) tüürbe ber ^f)t)ftfer,
tüenn i^m ein joIdjeS SSorfommnig tüirf(id) begegnete, nic^t auff)5ren,
nadf) feiner Urfad)e unb feiner 2Bir!ung ju fucfien, er n)ürbe e§ alfo
gar nid^t al§ fotd^eS erfennen ober onerJennen; ober ben!bar bleibt,
ia^ el njirüic^ feine Urfac^e unb !eine 3Bir!nng Ijot, unb benfbar
bleibt and), ha^ mx burd; bie ttjieberl^olte (Srfaf)rung böUig ergebni§=
lofer 9lac^forfc^ung nad) Urfac^e unb SBirfung gemiffer (Srfc^etnungen
bennoc^ aümä^Iid) beftimmt tüürben, bie Kategorie ber ^aufaütät nic^t
niet)r auf fie anjun^enben. — Unb ebenfo [tef)t e§ mit ben ai-iontotifd^en
©ä^en au§ ber Statur be§ 9iaume§: Ujir fe^en üorou§, bafe ber pf)i)fifc^e
füaum bem geometrifc^en öötlig entfpric^t, tüie biefer, fontinuierlic^
unb f)omogen ift. Slber benfbar bleibt, boB er e§ ni(^t ift; benfbar
bleibt 5. 5Ö. ein pf)t)fifdjer 'Siamn mit inneren Ungleidjartigfeiten. 2öir
fe|en oorauS, ha^ eine $8emegung, fofern fte feinen pfit^fifc^en SBiber»
ftanb finbet, mit gleid^er @efd^n)inbigfeit fortbauert. Unb tt)o ba^
nidit ftattfinbet, wo ein Körper an ©efc^n^inbigfeit oerliert, ha fetten
tüir oorau§, t)ü^ er burd) irgenb irefc^e pf)t)fifd)en Prüfte beeinflußt
ttjirb. ®§ bleibt aber benfbar, ha^ bie S3orau§fe^ung nic^t gutrifft,
ta^ öerfd^iebene 9?äume al§ foldje öerfi^iebene Permeabilität l^aben,
ha'^ im 9^aum aU f oId)em fid^ g(eid)fam metapf)t)fifd)e Uneben-
f)eiten finben. 2öir würben aud) f)ier, tnenn jemanb burd) foldje
5lnna^me etma bie SSerlangfamung einer fo§mifd)en S3emegung 5U er==
flären tiorfd;Iüge, nidjt barauf eingeben, fonbern barauf befte^en, e§
feien un§ unbefannte SSiberftänbe im (Spiel; unb fc^merlic^ fönnten
tüir babei be§ Srrtum§ überführt merben. SDennod^ ift benfbar, ha^
e§ ein S^t-tum märe. Unb me'^r ift nidjt erforberlic^, Ä'antS S8emei§=
füfjrung §u ftürjen.
SBoüte man nun aber bem gegenüber fagen: ^ant f)obe eben
bargetf)an, baß ber p^tjfifc^e Sf^aum üon bem geometrifc^en nidjt
üerfc^ieben fei, t>a'^ e§ bie rein fubjeftiüe 9iaumanfdjauung fei, in
ber bie ganje 9iatur au^gefpannt fei, fo märe f)icrauf foIgenbe§ ^u
ermibern.
5UIerbing§, ^ant fe^t öorau§, ha^ 9?aum, 3^^* unb Kategorien
rein fubjeftiüe f^aftoren ber ©rfenntnil finb unb al§ folc^e 5ttlgemein=
f)eit unb DIotmenbigfeit für oHeS, maS ©egenftaub beg @ubjeft§ merben
mog, f)aben. 5lber, mit meld^em fRec^t? (Sr fetbft fonftruiert mieber
414 n. 93u(^ : (Srlenntm^t^eor. Probleme. 2. tap. : ®a§ Problem be§ UrfprungS k.
alle ©rfenntniS qu§ glrei ^aftoren, ber 9latur be§ ©ubjeftS unb ben
Stffeftionen, bie e§ bitrcf) bie ®inge erleibet. 2öie lüill er beibe rem=
lic^ trennen? 2)a§ ^robuft allein, bie ^orftetlnngsmelt, i[t gegeben,
tt)ie ttjiU er au§ bem ^robuft aöein bie gaftoren beftimmen? Slant
jelbft [teilt bie Se^auptung anf: „bejonbere 9^Qtnrgefe|e" !önnten
!eine§n)eg§ allein ou§ bem reinen S^erftanbe t)ergeleitet n^erben, f)ier§u
jei „t£rfal)rnng" nötig. D^tun, njenn gum ®rat)itation§geje| „(Srfafirung"
fjingufommen mnfe, marum nid)t aucf) pm ^'auiafgefe|? 2Benn gu
jeber beftimmten 2o!aIijation, 5. 93. ber geograp{)ijc^en ober aftro=
nomijdjen, „@rfat)rnng" notmenbig ift, n^arunt nicl)t jur 93ilbung ber
SRanmüorftellung felbft? SSenn aber für bie ^eröorbringung ber 9Raum=
üorfteEnng bie 9latur ber 2Sir!Iicf)feit an ficfj mitbe[timmenb ift, bann
mürbe ja baefelbe ©ubje!t, in eine anbere SSelt öerfe^t, eine anbere,
mit unferem 9^anm üielleic^t gar nid}t vergleichbare SlnfdjanungSform
f)eroorbringen. Unb fo mit ben S)en!formen; baSjelbe ©ubjeft, in eine
anbere Umgebung öerje|t, ftjürbe nieUeid)t einen gan§ anberen S3egriff
üon 9laturgeie|mäBig!eit, ober auc^ gar feinen, tjeroorbringen. Unb
bamit n)äre benn aucf) :^ier bie gofge gegeben, ba'^ e§ feine f(^(e(j^tf)in
allgemeinen unb notn^enbigen Urteile über ^^atfacf}en geben fönne; bie
©runbjä^e njürben bann ©üttigfeit ^aben, joraeit ber 95er[tanb eine
ber unjrigen gleicfiartige äöirftidjfeit oorfänbe; barüber f)inau§ nic^t.
2Bie eine Sßelt benfbar ift, bie unferer SuteÜigens nicf)t jur |)eroor=
bringung be§ ©raüitation§gefe^e§ SSeranlafjnng gäbe, fo aucf) eine 2öeft,
in ber fie hü§ ^aufalgefe^ nid)t entmicfeft fjätte.
©0 fönnte §ume fein X^eorem, ha^ e§ über 2§atfacf)en feine
allgemeinen unb notmenbigen 8ä^e gebe, gegen Haut oerteibigen. Unb
er fönnte f)inäufügen : ixitmi jemanb berartige (Sriüägungen oon 2)enfbar=
feiten unb 9JJDgIicf)feiten überftüffig finbe, für bie SBett, in ber n^ir
nun einmal lebten, feien unfere 9fiaumanfcf)auung unb unfere ®enf=
gefe^e angemeffeue 5Iuffaffung§formen, fo l)abe er, §ume, nichts bagegen;
muffe bann aber barauf f)inmeifen, ha^ if)m ^ant§ „Ü^ettung ber
3Siffenfcf)aften" gegen ben (Sfepti^iSmuS minbeften§ ebenfo überffüffig
erf(i)eine. gür ade unfere tf)eoretifc^en unb vraftifcf)en ^medt fei bie
Sluffaffuug be§ Äaufalgefe|e5 at§ ber fid)erften ©eneralifation unferer
ganzen 6rfaf)rung genau fo anSreic^enb, wie ß'ant§ apriorifc^e§ 2)enf*
gefe^. (Sr fei fo menig geneigt, SIu§naf)men oom ßoufaIgefe| anju^
4. Srttifcfie SInmerfungen ju Äant§ erfenntni§t^eorie. 415
nehmen tüie ^ant; oorgeBIicfien SSunbern trürbe er ta§> ^Qufatgefe^
ebenfo wie biejer at§ „ojiomatifc^en" <Ba^ entgegen f)Qlten.
(Sobonn aber Ijätte §ume üermutlid) nod) auf ein anbere§ aut=
mer!jam gemadjt, nja§ ben ©enjinn ber Äanttfc^en Ütettung oijllig
iUuforifc^ mac^t. ^ant geftefjt felbft ju, ba& bie (SrfenntniS jebe§
befonberen 5öerI)äUnijfe§ öon Ur]ad)e unb 3Bir!ung nur burrf)
(Erfahrung mögtirf) ift. .^ierin ift er mit §ume ööüig einer S(nfi(f)t,
er teilt gar nid)t bie 5Inid)auung be» älteren 9^atiDnati§mu§, ber el
für möglid; I)iclt, au§ bem 33egriff ber Urfac^e bnrd; blofeeä Renten
in einem „anali)tifd)en" Urteil bie beftimmte Söirfung abguteiten.
5tIfo jebe§ einzelne Äanjott)erf)äItni§, jebeS Dcaturgefe^ unferer SO^edianif
unb ^^t)fif ift aud) nad; ^ant ein empirifc^e§ ©efel^ unb f)at al§>
foId)e§ feine matf)ematifd)e Stügemeinljeit unb Dlotluenbigfeit. ^Blofe
haS: ^aufatgefe^ felbft, bie gormel: atle§, ma§ gefc^ieljt, fe|t etttjaS
öorau§, n)oranf e§ nadi einer Siegel folgt, foü rein a priori unb alfo
allgemein unb notttjenbig fein. 9lun, bamit lüäre benn in ber Stfjat
nergweifelt njenig gewonnen; aüeS, n)a§ Ujir nun tt)üfeten, wäre: jebel
(SreigniS folgt regelmäßig auf irgenb ein onbereS; auf raeld^e§?
\)a§> müßten n)ir erft burd; ©rfatjrung lernen. Unb Ijier bliebe benn
immer bie $OZögüd)!eit einer befferen 33e(el)rung burd) nad^folgenbe
Srfo^rung offen. SBir UJÜrben gnjor ttjiffen: n^enn bie§ ou§ ber @r=
fatjrung abgeleitete SSerf)äItni§ ber O^olge ein Äaufalüerf)ä(tni§ ift,
bann ift eg unauflöslid; unb allgemeingültig, aber niemals !önnten
mir abfolut fidler fein, ha'^ mir ein mirflidieS 5?aufaIoert)äItni§ cor
un§ f)aben, nidjt eine bloß zufällige unb auflösbare golge. @o liegt
e§ 5. S. bem gefunben älJenfc^euüerftanb naf)e, auf ©runb ber ©r=
faf)rung ein allgemeines 9Iaturgefe| §u bitben: bie gallgefd§minbig!eit
ber Körper ift obtjängig öon i^rem fpejififci^en ©emic^t. ^ie ^f)t)fi!
forrigiert biefe g-ormet: fie gilt nur unter einer Sebingung, nämtid)
ber, ba^ ha§ fallen burd) ein äöiberftanb leiftenbeS 9}iebium gefd;iet)t;
mirb biefer Umftanb befeitigt, 5. 33. burd) ^erfteüung eineS luftleeren
9?aume§, fo fallen alle Körper mit gleidjer ©efdjminbigfeit. 9^un,
ebenfo bleibt eS benfbar, ha^ aud; hü§> ©rauitationSgefe^ oufgelöft
mirb: nur unter einer Sebingung, 5. 33. etma beS 33or^anbenfeinS
eines 5ltf)erS ober einer eteftrifd^en (Spannung, graoitieren bie Steile
ber ponberabten 9Jkterie gegen einanber; gelänge eS biefen (äinftuß ju
416 n. Sdnd): ©rfenntnigt^eor. Probleme. 2. Äop.: ®a§ Problem be§ UrfprungS k.
eliminieren, fo rt)ürben bie ©rfd^einungen ber ©raüitation auff)ören.
©elbft bQ§ ©eje^ ber (Srt)Qttung ber Sertjegung ober ber 9J?Qterie
mac^t fjieröon feine ^lusnofime: e§ bleibt 5. 33. benfbor, bafe beftänbig
9Jkterie unb Bewegung öerloren gef)t, aber burcl) eine un§ unbe!annte
Urfotfie, etnja ein tronjcenbenteS SSefen, beftänbig in gleichem 9JjQBe
erfe^t wirb; wenn bie 2;^ätig!eit biefe§ 2öefen§ aufhörte, njürbe ber
(Sd)tt)unb fidjtbar n^erben. ®a§ i[t eine übttig lüillfürlic^e, aber e§ i[t
eine benfbare SSorfteÜung.
5I(fo, fönnte ^ume jagen, möge ^ant bie ftrenge 5(llgemein*
gü(tig!eit be§ ^anfa(geje|e§ and) gerettet f)aben, bie ^f)t)[i! ^ätte feinen
©eminn baoon; alle if)re ©efe^e blieben empirijc^e ©efe^e üon nur
präfumtiüer SIQgemeingüÜigfeit. ®er mit fo großem 5lpparat an-
geftellte SSerfud) einer „9flettung ber 2Bifjenfd)aften gegen ben @fep^
tijiSmul" frfieine if)m bemnacf) in feinem (Srgebni§ rec^t befc^eiben, um
ni(i)t §u jagen bürftig auszufallen.
©nblicf) aber §ätte ^ume in feiner ^titif nod) einen ^unft in§
Singe f äffen fönnen: bie ganje ^'antifc^e SIrgumentotion bricf)t in ber
W\tk entgttjei. ^ant mufete eigentlich fagen unb fo fagt er aurf)
anfangt: gegeben finb nur oe reinreite (SmpfinbungeU mit quaüta=
tioer ^eftimmtf)eit, bagegen ift alle SSerbinbung, alle S(norb =
nung auf bie fi)nt^etijc^en gunftionen be§ ©ubjeftS jurücf zuführen;
burc^ bie 5(nfd}auung§formen unb Kategorien, bie ja nur ai§> 5unf=
tionen ber 3}erfnüpfung unb Stnorbnung oorf)anben finb, mirb jebem
©lement fein Ort im ßuJaniJ^^n^ai^Ö ^^^ D^^oturganäen beftimmt. ^or
biefer Konfequeuji feiner 3Sorau§fe^ung ift Ä'ant bann aber gurücf*
gemidjen. 3n ber tranfcenbentalen S)ebuftion löBt er gu, baB bie
geitüc^e 5(ufeinanberfo(ge ber (äreigniffe auS „(^rfa^rung" ftammt,
ha^ gur ©rfenntnig befonberer Sf^aturgefele „(Srfaf)rung" f)in5U=
fommen muffe, „^uf mef)rere ©efe^e aber, al§ bie, auf benen eine
9fi a t u r überhaupt, al§ ®efe|mäBigf eit ber ©rfc^einungen in
9^aum unb Qdt, beruf)t, reicf)t ha§> reine ^ßerftanbegoermögen nic^t ju,
burd) blo^e Kategorien ben @rfd)einungen a priori ©efe^e üorsu*
fc^reiben. Sefonbere @efe|e, mei( fie empirifc^ beftimmte (!) @r»
frf)einungen betreffen, fönnen baüon nidjt üoüftänbig abgeleitet merben.
®§ mufe (Srfat)rung baju fommen " <Bo fd)tieBt bie traufcen»
bentale ©ebuftion, fid) felber mitten ent§n)eibred)enb. Kann unb mufe
4. Äritiid^e 5tnmerfungen ju Äont§ ©rfenntni^t^eorie. 417
überhaupt ^u äeitlt(f)er ?(norbniing „Grfafining" niittrirfen, lüo i[t bie
©renje? 33ebQrf ber ^ßerftonb ^ur 93ilbung ber biotogtid^en ©ene^
ratifationcn, ber ci^emifd)en ?}ormeIn, ber p{)t)j'ifatijc^en (5Jeje|e ber
^,SrfQt)rung", luorum follte nid^t für bie ©eje^e ber Äaufalität unb
©ubftansialität ba^felbe gelten? SBeil fie allgemein unb notoenbig
finb? Stber ha^^ [te^t ja eben in 3^rage.
2öie I)eino§ ber Srud), tt)ie unmöglid^ e§ ift, au§ ben reinen
33er[tanbe§begriffen ober ben fijnf^etifc^en gunftionen be§ Sßerftanbe§
unb jenen „empirijdjen 33e[timmungen" ber (Srjdjeinungen bie eint)eit=
lidje @rfat)rung, wie fie in ben SSiffeufc^aften üorliegt, §u fonftruieren,
ha^: jeigt fid) an jebem ^unft. 9Jian lefe bie tranfcenbentate ®e=
buftion in i^ren unenbli(^en jd^Ieppenbeu 2Bieberf)oIungen, tt)o immer
ba§ ©übe unb ber SInfaug lüiber einanber [inb, biejer mit ber SSorau§=
fe|ung: @t)ntf)e[i§ fommt au§ bem SSerftanb, unb jene§ mit ber nod^=
l^infenben (Sinjcf)rän!ung: aber bejonbere SSerfnüpfung ftammt au§
ber „(Srfafjrung", in iüe(d;en boppeI[innigen 33egriff \)a^ gange @(enb
t)erf)üllt i[t. Tlan ad)te auf jene SSerfud^e, reine SIpperjeption unb
empiri jdje Hfiogiation au§ einanber ju f)alten unb ujieber §u öereinigen;
ober man adjte auf bie oerglüeifelten ^öerfuc^e im Kapitel oom
©d)emati§mu§ ber reinen 93erftanbe§begriffe , bie ©t)nt^efi§ be§
^enfen§ in bie finnlid)e ©tjnt^efiS ber ©mpfinbungen in ber ßeit
I)inein5ubringen; ober auf bie nid^t minber oer^njeifelten S3erfu(^e
ber ^rotegomena (§ 20), an§> „2Sa^rnet)mung§urteiIen" „@rfaf)rung"
gu machen. Sd^ glaube nid^t, baB ein SO^enfd) fid) rüf)men !ann,
biefe ©ebanfen tüirüid) ju oerfte{)en, b. f). beuten ju fijnnen. 3?er=
ftefien !ann man fie nur pfQc^oIogifd) , inbem man bie üerfc^iebenen
eintriebe, bie ba§ Äantifd;e 2)enfen nac^ üerfdjiebeneu Seiten au§-
einonber äief)en, aufzeigt.
SDem gegenüber werben wir nun alfo fagen: e§ ift eine gan^
gerechtfertigte 33e^auptung 5lant§, ha^ @rfa§rung nid)t ein paffio 5hif*
genommenes, fonbern ein (SrjeugniS ber ©innli^feit unb be§ 93erftanbe§
ift. 9}Jan fann and) fagen: bie Suteüigeuä probugiert bie 9Zatur felbft,
a(g Inbegriff gefel3mäBig nerfnüpfter (Srfc^einungen. Stber, fo mu§
man ^injufügen, fie probugiert fie gan§ unb gar auf beut einen unb
gelben SSege, burc^ Seobadjtung unb Dkd^benfen. Sn Sa^rtaufenbe
langer Strbeit f)at ber menfdjüd^e ©eift burd^ 2öaf)rne^mung unb '^ad)'
'iJ au Ifeit, (äinleituug. G. Siufl. 27
418 n.S3ud^: ©rfenntniSt^eor. «Probleme. 2. Äop.: S)a§ <ßrobtembe§UrfprunglK.
ben!en, burd^ ^orfd^ungSreifen unb pf)iIoto9ifcfj4)i[torijd)e Unterjud^ung^
biirrf; mifro= unb te(ejfopifcE)e 33eoba(i)tung unb matfjematijcEie @pe!uIation,
biircfj pf)i)fifaüj(f)e ©yperimente unb burcfj begriffliche 2)ebu!tion bie
D^otur, b. t). t)a§> SSeltbilb, tt)te tttir e§ gegenttjärtig fe^en, I)erüorgebrac^t.
§ier ift fein ^nnft, ttjeber in ber ^onftitution be§ ßo§mo§ uod^ in
ber inneren ©efe^möBigfeit beg 9^aturlQuf§, wo nicf)! 33eobac^tung unb^
^larfjbenfen Ratten §ufammenrt)ir!en muffen. S)ie obfolute ©onberung
„empirifc^er" unb „apriorifdjer" (Elemente ift nöllig unou§füf)rbar.
2(ud) ba^' ^aufolgefel ift ein „empirifc^e§" ®efe|, nic^t in bem Sinne,
'öa'^ e§ bem S^erftanb öon au^en märe imprimiert morben, ba§ finbet
an feinem ^^un!t ftatt, raoJ)! aber in bem ©inne, ha"^ e§ Beobachtung
iiorou§fe|t, ebenfo gut tük ein beliebiges @efe^ ber Sf)emie ober 93ioIogie.
SDer ®runb uufere§ ©laubenS an bie allgemeine 9^aturgefe|mä&ig!eit
ift im ©runbe fein anberer, al§ ber ©runb be§ @lauben§ an bie
5(ügemeingültigfeit ber Sf^egel, ba"^ jeber 9}?enfd^ einen Spater unb eine
SJhitter !^at; nidjt eine „apriorifd^e S^otmenbigfeit", fonbern bie (Sr=
faf)rung ift feine (gtü^e. freilief; nicl)t bie gemeine (Srfaf)rung, fonbern
bie tt)iffenf(^aftlid§e ®rfaf)rung. S)ie gemeine @rfaf)rung fe|t gar nirf)t
bie '^lUgemeingültigfeit be§ Äaufalgefe|e§ oorauS; fie red)net audl) fjente
nocf) mit bem ßn^aU unb ber SSillfür; fie l)at abfoluteS (Sntfte^en unb
SSergeljen fo oft ma^rgeuommen, ha^ fie baran gar feineu 5lnftoB
nimmt. (Srft bie Sßiffenfcl)aft f)at ben S3egriff ber S^iaturgefelmöfiigfeit
f)erOorgebracf)t. SSorauf fid) ftü^eub? 9^uu of)ne ßmeifel onf bie
jt^atfad^e, ha'Q fie überaü ha, mo fie ben S)ingen mit genauerer ^Se*
obad)tung nä^er trat, urfädf)lidf)e 3ufammenf)änge eutbedte ober nad)«
meifen fonnte, mie fc^eiubareS ©ntftef)en unb SSerge^cn in 2öaf)rf)eit
bod) nur Übergang üorfjaubener Semegung unb üorljanbenen ©toffes
in neue g^ormeu tüax. Unb biefe taufenbmat mieberijolte (Srfaf)ruug
formuliert fie nun in ben ayiomatifdjen <Sä|en, meldje bie allgemeine
Dlaturgefe^mä&igfeit ausbrüden, unb fagt: and) ha mo mir bie Urfod^e
ober ha§^ @efe^ nodj nii^t fennen, ift e§ oorf)aubcn. §ätte fie aber
bie begeid^nete (Srfal)rung nie unb nirgenb gemad^t, fo mürbe auc^ öon
biefen ^Ifiomen nid)t bie 9fiebe fein.
®§ ift f)iermit ein ^unft berührt, auf ben idj nod) etma§ näf)er
eingebe. Äant gef)t öon einer biologifd)eu 5tnfdjauung au§, bie für
feine ßdt bie gegebene mar: bie Sf^atur ber Sebemefen ift unüeränber=
4. Sritijci^e Stnmerfungen ju Santa (Jrfenntniät^eorie. 419
lic^. So [inb i^m and) bie 5Infd^Qiiitng§= unb S)en!fornien bie ?tul=
ftottung einer fonftantcn Drganifattou ber SnteUigenä.
S)ie heutige Slnt^ropologie tuirb biefe Setradjtung nid)t qI§ eine
gnlänglid^e gelten taffen. (S§ giebt nicf;t§ atifolnt SeftnnbigeS in ber
organifdjen 3BcIt; aUt§> in i^r ift geworben unb ade» i[t manbelbar.
3)ie förderliche Organifatton, hü§> 9Jeroenfl)[tem ift burd) eine lange
SfJei^e non Umbilbnngen genjorben. ®a§feI6e njirb al]o and) öon ber
intelleftuellen Drganijation gelten. Üiaum, ^ät unb ^aufalität finb
nid^t ein urfprünglid^er eiferner Seftanb ber menjd^Iidjen intelligent,
fonbern [ie finb öon ber ©attung im Sauf i'^reS langen 2eben§ all=
niäf)Iid) entluidelt iuorben, wk fie benn anc^ oon bem Snbioibuum,
freilid) auf ©runb ererbter Stniage unb unter S3eip(fe ber elterlidien
Generation enttt)icEett n)erben. Slm fid)t6arften bie ^^unftion ber fau=
falen Sluffaffung ber 2öir!(id)!eit: fie n)irb oon bem Snbioibunm er=
lernt, nidjt anberS aU 9iec^nen unb Sprechen. ®a!E)er e§ and) yer=
fdjiebene Snbioibuen in ber §anb;^abung ber ^aufatfunftion üerfd)ieben
weit bringen, mond)e fommen nid)t über bie näd)ften, praftifd^ tüid)tigen
^aufal^ufammen^änge tjinauS, unb ber 93egriff einer ftrengen unb all=
gemeinen 9laturgefel3mäBig!eit bleibt üielen überfjaupt fremb.
SSie mir im Snbioibuum bie ßntmidelung ber Äaufatfunftion
beobachten fönnen, fo liegt un§ auc^ if)re (Sntfte^ung in ber ©ottung
im UmriB gefdjidjtlic^ oor Stugen. Sn primitiüer @efta(t finben mir
fie fdjon bei ^öfjer fte^enben Vieren, fie lernen i^r 33erl)alten ben S3or=
gongen in ber Umgebung anpaffen, fie werben burc^ ßrfa^rung ftüger.
(S§ gefdjie^t offenbar in ber ^orm, ha"^ bie Stufeinanberfolge oon 9Sor=
gongen fid^ einprägt; beim Eintreten be§ S(nteceben§ wirb, burdj eine
S(rt oon unabfi^tlid)er g^ofgerung, bo§ Gonfequenl oorauSgenommen
unb ba^ praftifc^e 33 erhalten burd^ bie 95orau§naf)me beftimmt. Unb
in einigem Umfang finbet and) bie umgetet)rte ^orm ber Folgerung
ftott: ha§' (Sonfequen§ ift ©egenftonb ber Segierbe, e§ fü^rt ha§
5(nteceben§ in§ Semufitfein, al§> 9JJittet gum ^rvtä; ber ^unb, bem
nmn bie ^unft be§ S(ufmarten§ beigebracht {)at, inbem man feine erften
Seiftungen burc^ einen guten Siffen lo'^nte, braudjt nun bie ^unft a(§
SOlittel ä"i" 3^0^'i- ®'^ 3^orme(, nad) ber er folgert, wenn er fie aud)
nic^t oI§ @a^ formuliert, ift: auf bagfetbe 5lnteceben§ folgt baSfelbe
(5onfequen§, wenn aud^ nid^t jebeSmal, fo barf man e§ bod^ immer erworten.
27*
420 n. 93ud^: (Jrfenntm§tf)eor. «ProMeme. 2. Äo^.: ®a§<ßrobkmbe§Urfprung§2C.
®a§ menfcfjtic^e gotgern ^ot urfprüngtid) feine anbete ®e[talt;
ja man !ann jagen: niete a)ienf(^en fommen ü6ert)aupt ni(i)t prinzipiell
barükr f)inan§, wenn fie and) ba§ 35erfaf)ren au§gebef)nter unb fieserer
alö \)ü§^ üügftc 3:ier üben, ©o beftef)t bie gange öoIfStümUc^e 9JJebi§in,
if)re ^atljologie, ST^erapie unb ®iüteti! au§ beobaditeten (jei e§ rid)tig
ober faljd) beobachteten) ^^olgen: lüenn man bie§ tl)ut, bann ertöltet
man fidj, ober fjolt jic^ gieber, ttjenn man gieber ^at, muB man
fc§mi|en ober einnehmen. Sei mand)en gef)t ha§: 53ebürfni§ einer
faufalen (Srüörnng über foldje ßufammen^änge überhaupt nidjt ^inan§.
Sind) nehmen fie nid)t meiter 2In[toB baran, inenn haS^ 9Jiittel nidjt in
jebem gaü f)i(ft; if)r Äaufalgefet^ berlangt ha§> nid;t, feine formet märe:
auf ba§felbe folgt in ber 9ftegel baSfelbe, e§ !ann aber §umeilen anc^
anberS fommen. Sn ber Zf)at entfpridjt biefe gormel gang mot)I bem
nädiften 93ebürfni§; ^a§: praftifc^e Seben t)at e§ ftet§ mit jenen fompli»
gierten ß^^jommen^öngen §u t{)un, bie nur burd; Siegeln mit 5tu§=
natjmen, nidjt burd^ ftreng allgemeine ©efe^e gefaxt merben fönnen;
ber Sauer ^at mit bem SBetter unb mit organifdjen SebenSüorgöngen
gu tl)un, bie fid) nic^t berechnen, fonbern nur nac^ jener formet ooraug=
fe^en laffen, ber ^anbmerfer mit SJZaterial unb SSerfgeugen, bie niemals
ööllig gteidje ©truftur tjaben, ber ßef)rer, ber Seamte mit menfd^Iid^en
Sf^aturen, bie gmar im aügemeinen einanber g(eid)en, aber bod) if)re
Sefonber^eiten Ijaben unb baf)er nid^t gteic^möBig auf biefelbe @in=
mirfung reagieren.
3a, man fann fagen: ouc^ bie SSiffenfdjaft ift eigentlid^ erft feit
loenigen Sal)rl)unberten gu einer fc^örferen ^^affung be§ ^aufatgeje|e§
gefommen. ^ie oriftoteIijd)e ^t)iIojop^ie begnügt fic^ noc^ mit einer
Sluffaffung ber Urfad)Ii(^!eit, bie and) unfontroflierbare 2tu§na(}men
gutä^t; unter bem Xitel oon ^uf^IIen merben fie §urüdgefüf)rt ouf
ben unbeftimmten, begriffe unb gefe^Iofen gaftor be§ S^aturprogeffeS,
bie SO^aterie, mä^renb bie @efe|mäBigfeit bem anbern gaftor, bem
begriff(id)en SKefen, eigen ift. 2)af)er fann bie SSiffenfd^aft, fomeit
biefer ftörenbe ^aftor eingreift, über ba§^ „in ber Siegel" nidjt fjinau§=
fommen. ©rft bie moberne ^I)t)fif fjat ben Segriff ber 9kturgefe^=
mö^igfeit fdjarf burc^gefüfjrt; bie ©eje^e ber SO^edjanif finb ba§ tt)pifcl^e
Seifpiel ber ©efe^möfeigfeit überhaupt gemorben. S(uf ©runb ber
^f)l)fif ift ber ©ebanfe ber ftreng allgemeinen unb auSnafjmSfofen
4. Äritifrfie 2tnmer!ungeu gu tanti (£t!enntm§t:^eorie. 421
(55efe|mäfj{gfeit alle§ (^ejcf)ef)en§, fotüol)! in ber 2tu|enn)e(t a(§ and) in
ber Snnenttjelt, überhaupt er[t anSgebitbet ttjorbcn; '5)e§carte§ jief)! bie
^onfequenj für bie Slu^ennjelt, im bejonberen ouc^ für ta§^ biologifc^e
©ebiet, §obbe§ unb ©pino^a QUd^ für bie Snnennjelt: bog SBoüen
unb 3^üt)len folgt ebcnfo au§na'^m§Iofen ©efe^en n)ie bie Settjegungen
ber Äörperroelt.
SSie ift bie S(u§bi(bung ber ^'onfolfunftion im menfdjlidien Sßer=
ftanbe gef(i)ef)en? Tlan tann t)ieranf 5unäd)ft antnjorten: burd^ bie
5(u§bilbung ber j}äf)igfeit, tompleye ST^atfacfien in if)re Komponenten
ju jerlegen. 2)a§ tierifd^e SDenfen, n^enn ujir fein folgern fo nennen
ttJoUen, beftef)t in Stffojiationen fomptejer Sßorgönge ober Slnfdjauungen.
(Sin ^ferb, ba§ auf einem .§of einmal gute§ ^utter gefunben, biegt
noc^ nac^ Seilten, menn e§ besfetben 2öege§ fommt, mieber ein; bie
gefomte £)rtIidE)!eit ift i^m mit gutem g^utter affojiert. 93ei bem
9Jienfcf)en ift biefelbe ^tffojiation tt)ir!fam; aber er folgt i^r nid^t of)ne
njeitere»; er überlegt erft, ob je|t baSfetbe ju erwarten ift, tt)ie bamal§:
ob nod^ berfelbe Sewo^ner ha ift, ob biefelben Umftänbe oor^anben
finb, bie i^m bomaI§ bie gute 2rufnat)me üerfrfjafften. ®er ßootog
3J?i)biu§ erjätilt irgenbnjo Don folgenbem 33erfud;. Su ein SSaffer-
becfen, "öa^ burc^ eine @Ia§fdf)eibe in jujei gegen einanber abgefc^Ioffene
^ölften geteilt tüar, mürbe auf bie eine (Seite ein ^ecfjt, auf bie
anbere aüertei !(eine§ ©etier, mie e§ i^m fonft jur Seute bient, ge=
tl^an. ^er §ed[jt fuf)r al^botb auf bie 2;iere ^u, erf)ie(t jebod), ftatt
be§ erwarteten SiffenS, an ber @la§frf)eibe einen empfinblidjen ©toB.
9ladf)bem fidf) biefeg öfters tt)ieberf)oIt f)atte, lernte er enblid^ auf bie
93eute öer^ic^ten. ^ad) einigen SBoc^en luurbe bie ®Ia§fd}eibe ^erauS»
genommen; ber ,g)edE)t fd^mamm je^t frei unter bem übrigen ©etier
uml^er; aber er lieB fid) nidf)t beifommen, auf fie Io§5ufaI)ren. (Sr
t)atte offenbar fid) ein „92aturgefe^" gemad^t: auf biefe 2:iere ftofeen,
t)at einen ©djiag auf ben 9iacf)en ^nx ^olge. (Sin SDJenfd^ in äfjulid^er
Sage n)ürbe bie fonipleje ^^olge in it)re einfad^en Elemente aufjulijfen
ftreben. @r n^ürbe fid^ fagen: ber ©c^tag, ben bu ert)ältft, ift meüeidjt
nid)t eine %o\Qt ber DZatur biefer 93eute, fonbern irgcnb eine» ben
2(ugen freilid) nidjt fid)tbaren §inberniffel. @r mürbe fid) alsbatb
baran mad)en, bie Statur be§ §emmniffe§ mit ber toftenben §onb ju
ermittetn, unb bann öerfudien, e§ §u entfernen ober ju überfteigen.
422 II. S3ud^: er!enntni§t^eor. Probleme. 2. Äa^j. : ®a§ «ßroblem be§ Urf^rungS 2C.
^iergu Ijätte in biefem %a[l and) eine enttt)i(fettere tierifi^e Snteüigenj
QuSgereidjt. %ha im allgemeinen ift ha^ tierijcf)e SSertjoIten unb ha^
®en!en, üon bem e§ geleitet lüirb, im Unterfdjieb oom menjdjüc^en,
baburd) djorafterifiert, bo^ e§ mit [tereotljpen Folgerungen unb §anb=
(ungen auf !om|)Iei*e Situationen ober SSorgänge reagiert. S)a§ menfc|«
lid^e 2)enfen unb in ber ?}otge ba§ menfdjiidje ^anbetn i[t bemeglid)er;
e§ jerlegt ben %a[l in mefentlid^e g^attoren unb jufätlige Umftönbe
unb fommt \o gur SluSfd^eibung edjter, fonftanter ©equen§en öon 5U=
fälligen unb üorüberge^enben Kombinationen.
(S§ liegt ouf ber §anb, ha'iß biefe gä^ig!eit auf§ engfte mit ber
(Sigentümlid)!eit §ufamment)ängt, n^orin man öon je ben S^orjug be§
menfdjiidjen Sen!en§ üor bem tierifdjen gefefien f)at: bem begriffe
liefen S)en!en. S)a§ SSejen be§ Begriff lid^en ^enfen§ beruht ouf
ber ^(uflöfung ber 5(njdjauung§!ompIeje; e§ beftel}t in ber inneren
Drganifierung ber 2(nfc^auung; 2tnalt)fi§ unb ©t)ntf)efi§ finb bie
beiben «Seiten be§ ^ro^effeS. ^m S3egriff merben bie einzelnen Seiten
ber 2(nfd)auung für fid) gefegt unb bann im Urteil mieber in 93e=
5ief)ung gu einanber gebracht. S)er fdimere Stein fin!t im SBaffer
unter, ba§ naffe ^olg brennt nid)t: ein fo einf adje§ 3Bal)rnef)mung§*
urteil fe|t bod) eine gemoltige intelleftneUe 5Irbeit üorauS. S)o§ 5Iuge
be§ 9J?enf(^en fiet)t nid)t mel)r at§ ha§> be§ 2iere§; aber ma§ im
STierbemuBtfein at§ ein ftumpfer 5lnfd)auung§!ompIei- bleibt, hci§i löft bie
menfdjlid^e Sutelligenä in eine S3ielt)eit üon Komponenten auf, bie fie
bann mieber gu einem eintjeitüdjen Sljftem gufammenfügt. Sie fe^t ha^
SDing fetbft für fid), bann feine (Sigenfdjaft, ebenfo bie S3emegung, fie
löft mieber uon ber 93etuegung bie Sflidjtung, bie ©efdiminbigfeit ab;
bann fa^t fie ade biefe 9JJomente be§ @efamtöorgang§ im Urteil gu
einem ©an^en äufammen, aber einem gegtieberten (Jansen, in bem nun
jebe§ (Sinselne feine beftimmte Stelle tjot. Offenbar ift allein burd)
biefe Organifierung ber ?Infd)auung, meld)e bie einbringenbe 5(natt)fi§
gur SSoraugfe^ung Ipt, bie @rfenntni§ üon 9'iaturgefetjen moglidj ge»
morben. örft nad^bem ou§ ber 5tnfd)auung eine§ bemegten Körpers
bie be^arrenbe Subftan^ unb ber oorübergeljenbe Siorgang ber Semegung,
au§ ber S3emegnng miebcr bie 3fiid)tung f)eran§ge(öft unb relatiü für
fid) gefe|t mar, fonnte ber 35erftanb jur (gr!enntni§ be§ @raüitation§*
gefe|e§ ober be§ 23ef)arrung§gefe|e§ fortfdjreiten. ®ie Sd)öpfung jeneg
4. Äritifc^e Srnmetfungen ju Äont§ @rfenntni§t:^eorie. 423
©tjftemS öon Segriffen unb Kategorien, boS in ber ©prad^e feine
objeüiue ©arftellnng ^ot, bie bnrdjgängige Strtifutotion ber 2Sir!Ii(fj=
!eit, ttjeld^e ber ^(rtüulation ber SRebe entfprid)t, ha§i ift bie unge=
fjeure §lrbeit, lueldje ber SÜlenfcfjengeift nerric^tet f)Qt, ef)e er an bie
tüiffenf(i)aftlicf)e (grforfc^ung ber ®inge fid) moc^en fonnte. Set^t ge=
n^innt ber ßin^etne in ben erften paar 2e6en§iat)ren mit ber Sprache
biefen ©rtrag ber 5lrbeit nngejätjüer Generationen oon SSorfa{)ren bei=
naf)e müf)eIo§, um bann in ben folgenben beiben Satjrgefjnten bie 3Sor=
öottfommnung, me((^e biefe§ Segrifffijftcm burc^ ha§i miffenfd^aftlic^e
^en!en erf)alten ^at, burd) ben (Sd)u(nnterrid)t fid) anjneignen.
geragt man nad) ben $öebingnngen biefer (Sntnjidelung ber
tf)eoretif(^eu ^äf)igfeiten im 9}Jenfd)en, fo ftierben fie ja in feiner ganjen
pft)d^o=pt)l)fifd)en StuSftattung gu fud)en fein. (Sine f)öc^ft bebeutfame
S^oHe fpielte babei of)ne 3^cif^^ ^i^ .^anb. 2)ie @inne§orgone geigen
!aum eine befonbere Segünftigung be§ 9JZenfd^en, bogegen beft|t er in
ber §anb ein erftauntic^e§ 2öerf§eug ber llnterfud)ung. @ie trennt
unb öerbinbet in ber SBirflid^feit bie ®inge unb (Sigenfc^aften ober
ßnftänbe; fie giebt unb nimmt einem Ki3rper ©eftalt, Sage, Semegung,
Q^arbe. SBie f)iIfIo§ ftef)en bagegen bie SSierfüBIer üor ben Singen,
nur ein SSerf^eug gum (ärfaffen befi^enb, bie ^ä{}M. Kein SBunber,
ha'^ bie 2)inge if)rem 3Serftanb fo ftumm bleiben unb beinat)e nur gu
if)rem 9}?agen gu reben fd^einen. ^Dagegen beadjte man, mie fc^on
ha§> üeine Kinb mit ber .^anb an ben Singen experimentiert, fie ^in
unb ^er ttjenbet unb befiet)t, anffteüt unb umftoBt, ^erlegt unb ^u«
fammenfe^t. Siefe praftifdje 5(nali)fi§ unb (5t)nt^efi§, n)eld)e bie §anb
an ben Singen übt, miebertjolt fid^ in ber 5(nali)fi§ unb @t)ntt)efi§,
n)eld)e ber 95erftanb an ben 5(nfdjauungen übt. Sen SSerf^eugen ber
§anb entfpred)en bie 93egriffe be§ SSerftanbel. äJJit Üiedjt ^at man
gum nnterfi^cibenben 9J?er!maI be§ SDJenfdjen öon ben Siercn bie§ beibe§
genommen, ha'^ß er SSerfjeuge madjt, unb ha'^ er mit 33egriffen bentt;
e§ ^ängt mirüii^ auf§ engfte §ufammen. SDo§ aftiöe ^erfjolten be§
9}?enfd)en gu ben 5(nfd;auungen, bie i)a§^ Sier paffio an fidf) uorüber=
äietjen Ui^t, berut)t feiner erften 9JJ5gücf)feit nad) auf bem Sefi^ ber
.^anb, bie ftet§ bereit ift in ben 5lb(auf ber (Srfd^einungen ei-perimen=
tierenb einzugreifen. Sa§ (Syperiment be§ 9hturforfd^er§ ift nur eine
SBeiterbitbung be§ primitioen @i-perimentieren§ ber Kinber()anb. Unb
424 n. S3uc^: ©rfenntnigt^eor. 5ßro5Ieme. 2. Aap. : 2)ag Problem beä Urf^jrungä 2C.
irer Ttid^t all ßinb mit ben 3)ingen auf btefe SBeife fjanbgemein ge=
irorben i[t, ber lernt fte in feinem £eben nic^t fennen, unb tüenn er
nüe 93urf)n)ei5f)eit ber SSelt in feinem ^opf oerfammelte.
Äel^ren mir nun gu unferer 33etrad§tung jurücf, fo n^erben ttjir
alfo fagen: öom Stanbpunft ber (Sntmic!eIungetI)eorie !ann öon einer
abfoluten Stpriorttät gewiffer gu^^tionen überatt nic^t bie D^ebe fein.
Sflaum, ^dt unb Kategorien finb fo gut wie Stugen, D^ren, @et)irn
im S3erlauf ber Gntmiifelung angebtibet. @ie gepren je|t, n?ie biefe,
gur erblid^en Slulftattung bes Snbiüibuums, menigftenl in gemiffem
(Sinne, Xük man aud^ ba§ gan^e mit ber Sprache überlieferte Q3egriff§=
fi^ftem mit §um gefct)i(f)tli(^en @rbe be§ (Sin^elnen rect)nen muB, e§
finbet ftc^ längft in feinem S3efi|, menn er anfängt felbft §u benfen^.
es bilbet gleid)fam bie a priori ^^^^Qt gu ber ©rtenntniS, bie er im
weiteren Sauf be§ £eben§ erwirbt. (£§ ift ja auc^ gar fein 3^ßifctf
ha'^ burd) biefeS a priori feine 2BeItan]d)auung überall beftimmt wirb;
er apper^ipiert mit ben überfommenen 2(nf(^auung5= unb 2)enfformen,
was immer feiner Sluffaffung ficf) barbietet. 5Inbererfeit§ werben wir
freiließ nic^t meinen, ha'B biefe§ geiftige S3efi|tum in bem @inne
a priori fei, bafe es als ein @t)ftem abfolut ftarrer unb jur 2Birf(ic^=
feit an fic^ ööüig begie^ungslofer g^ormen bie Statur ber intelligent
ausmacht. 33ielmef)r werben wir fagen: wie alle Organe in ber S3e-
rü^rung be§ 2ebewefen§ mit ber Umgebung unb angemeffen §ur Um=
gebung gebilbet finb, fo auc^ ha^ atlerwic^tigfte unb feinfte Organ,
bie Sntelligen§. SBie @cf)WimmfüBe nur in einer SBaffergegenb unb in
beftönbiger S3erüf)rung mit bem SBaffer, Ol)ren nur in einer Um=
gebung, bie Schallwellen fortpflanzt, entftet)en fonnten, fo fonnten bie
inneren goi^wen unferer 2lnfd)ouung unb unferel 2)enfen§ nur in ber
Umgebung entfielen, wie fie unfere SBelt bietet, g^reilidj wir fönnen
f)ier nid^t bie 5lngemeffenf)eit, wie bei ben S(^wimmfüBen, aufzeigen,
wir fönnen nirf)t, aus unferer Sßorftellungswelt ^inauStreteub, fie mit
ber wirflicl)en SBelt üergleidjen; aber, wenn wir überl)aupt ha^ Subjeft
unb feine Sutelligeng in einer feienben '^ät fic^ entwicfeln laffen, fo
werben wir nid)t umt)iu fönnen, bie SSelt al§> mitwirfenb bei ber
93ilbung ber intelligent §u beulen.
Unb ba^ Wäre alfo ber Scf)lu6: ^ant ^at fein erfteS unb eigent*
lid)e§ ßiel, auf ba§ bie 53ewei§fül)rung ber 2lftl)etif unb Stnalt)tif ge=
4. ^ittfd^e Slnmerfungen ju tanti ©rfenntniitfieone. 425
richtet ift, nicf)t erreid^t; bie SDfZögticfifeit ber @r!enntni§ öon 3:f)QtJQcf)en
aug „reiner 93ernunft" unb bomit bie 9J?ög(id)feit ftreng allgemeiner
unb notttjenbiger Urteile über 5:^atjac^en i[t i^m nicf)t gelungen §a
betoeifen. 3n biejem ^^unft bef)Q(t ber ©mpirigmu^ §ume§ gegen if)n
red^t. —
5tnbererfeit§ enthält nun ^ant§ (gr!enntni§tf)eorie eine 9ieif)e öon
tDertöotlen unb bleibenben ©(erneuten, unb bie mödjte icf) nun
nod^ fur§ ^ert)orf)eben.
33or allem jc^ärft fie bie njic^tige SSa{)r^eit ein, bafe ©rfenntni^
nid)t eine (Sammlung oon „(Sinbrüden", joubern ein (Sräeugni§ jpon^
taner ^t)ätigfeit be§ @ub|e!t§ ift. S)er ©mpiri^muS f)at eine Steigung
ju jenem 9JiiBöer[tänbni§: bie (Seete urfprüngtic^ ein 93(att n^ei^e^
Rapier, morauf bie 2)inge burc^ bie @inne if)re 3eicfje" eintragen.
3)ieje 5lnftrf)t jc^Ieppt fic^ öon bem jenfnoliftifdien 9J?aterioti§mu§ be&
9ntertum§, ber öon ber Cberpc^e ber ®inge n^ie §äutcf)en fic^ ah=^
löjenbe feine !örperlid)e ^öilbc^en in ha^ ©enforium eimüanbern liel,,
burc^ fenjuali[tif(^e unb empiri[tifd)e Xf)eorien biä ouf bie ©egenmart fort.
S)ie ööüige Unäulänglid^feit einer folcfien 58etrad)tung, bie ha§r
©ubjeft gu einem paffioen ®efäB für ©inbrücfe madjt, ftellt ^ant§
5:f)eorie öorgüglid^ ang Sid)t. ©§ giebt fd)Ied)terbing§ gar nid)t§ in
unferer ©rfenntniS, ba§ fo öon au^en in bie ©eele fjiueinmanberte.
@c^on bie blo^e (gmpfinbung, 2id)t, 2on, ©efdimad, mirb if)r nic^t
öon auBen eingebrüdt, fonberu öon i^r, bei ber 33egegnung mit ber
Umgebung, (leröorgebroc^t a(§ etmaä, ha^ fo überhaupt nur in if)x al&
if)r eigenes er§eugni§ ift. 2)ie§ fe^t ^ant al§ allgemein anerfannt
öorau§; bagegeu betont er: ouc^ bie aUgemeinen formen ber finnlic^=
anfdjaulic^en SSelt, 9^aum unb 3eit, fiub öom Subjeft fpontan fjeroor^
gebrad)te Drbnungen, feine§meg§ aber Stbbrud eine§ an fic^ feienben
leeren 9taume§ ober leerer ßeit. ZsW SSir!Iid)feit beftef)t aüein in
ber lebenbigen gunttion be§ ©ubjeftS, eine SSieIf)eit öon (5mpfinbung§=
elementen §ur (Sin()eit einer 5(nfd)auung sufammen^ufaffen.
9Bir fönneu nid)t umljin ju benfeu, ha^ bie an fic^ feieube
3öir!nd)!eit, gu ber ba§ 8ubje!t in einer urfprüuglic^en unb nidjt
meiter befinierbaren 33e5iel)uug ftef)t, ju biejer 5(rt i()rer ^orftetlnng
irgenbmie 5?eranlaffung mirb, löir mögen it)r „inteüigibte" Drbnungen
gufd^reiben, ber unfere S(nf(^auung§formen irgeubmie forrefponbiereu;
426 IL 93ud^: erlenntnilt^eot. ^Probleme. 2. top.: S)a§ Problem beäUrlprungSic.
aber biefe 2(nicf)auung§formeit fetbft ftnb nirfjt Smpreffionen, jonbern
Schöpfungen be§ 8ubjeft§. Unb bamit ift gegeben, ba^ auc^ bie
©egenftänbe ber 5IuBennpe(t felbft eine Sd)öpfung be§ Subjefts [inb;
bie Körper unb i^re ^öeujegungen finb örjc^einungen.
9loc^ fid^tbarer gi(t basfelbe öon ben 93egriffen. (Sin 93egriff
i[t nicf)t eine SInfammlung üon Ginbrücfen, ein 5([Igemeinbi(b, in bem
bie gemeinjomen ßüge ficfj üerftärft, bie abloeidjenben öernjifcfjt !)aben,
n^ie nmn fotrfje neuerbings auf ber pfiotograpfjijcfien ^(atte, bie man
n)ieberf)oIt äf)n(icf)en Cbjeftcn ausjefet, ^erfteüt unb )o ben 2;t)pug be§
S(r,5te5, be? @ei[t(i(f)en mecfjanijdj J)erau§bringt. 2er 33egriff ej:i[tiert
nur a[§> bie lebenbige g^unftion be§ 93egreifenö einer 9}?annigfaltigfeit
üon 5{nicfjauungen. 93ei ben allgemeineren ^Begriffen liegt bie @acf)e
gang auf ber §anb; !aun man ficf) etma norf) barüber täufd^en, i>a^
ber 93egriff bes S(pfe(§ nad^ S(rt jener ®emeinpf)otograp{)ien paffio
im ©ebäc^tnis aufgef)oben fei, obmo^t e§ bod) and) f)ier fc^on feine
(Sd)mierigfeit f)aben möd)te, ein „öemeinbilb" großer unb fleiner,
roter unb grüner, runber unb ecfiger Sipfel ju SBege gu bringen, fo
ift ja bie Unmög(idjfeit eines @emeinbilbe§ öon Dbft überhaupt, worin
2{pfe( unb Äirfc^en unb DKlffe unb Steigen u. f. m. gIeid)ermaBen bar=
geftedt mären, abfolut einleucf)tenb. Unb nun gar haS^ ©emeinbilb
einer gruc^t ober eine§ ßörperS ober eines S^inge§ überhaupt, ober
ta§> @emeinbi(b ber ^arbe, ber ©eftalt, ber ©röfee, ber ©efd^minbigfeit,
ber Siicfjtung, ber (5inl)eit, ber 93ie(^eit, ber 2öirfü(i)!eit, ber 9JJögü^=
feit, ber 3]erneinung! (£§ ift ftar, ha'iß begriffe non biefer Sirt nidjt
burd^ irgenb eine S(rt öon p^otograpf)ifdf)em ^ßerfa^ren entfte^en fi)nnen;
fie beftet)en überhaupt nic^t in 3^orm öon anfc[)auücf)en 93itbern, fonbern
nur in ber Xt)ätigfeit bes ^egreifenS, bes Cperierens mit einer 3SieI=
f)eit möglicher Stnfc^auungen, mobei benn in gemiffem «Sinne ta^^ SBort
ober ein anbere§ ^^^^^n ^^^ Subftitut ber ^ßorftettung bient. g^reiüd^,
of)ne 3{nf(i)auungen gäbe e§ and) biefe Segriffe nid^t, unb if)re 33e=
beutung liegt allein barin, ha^ es bie 5(nf(^auungen giebt, bie mir
bnr(^ fie begreifen ober be^errfdien.
Sßir merben a(fo fagen: atle (Srfenntni§ ift Stf)ätigfeit be§ SuB^
jeftä unb als fo(d)e a priori, ^reitidj a priori nid)t in bem Sinne,
ha^ fie ein abfolut begie^ungslofer innerer Vorgang märe; mie alle
S3etl)ätigung, fo ift auc^ bie 58etl)ätigung ber intelligent burd) bie
4, Äritif(^e Stnmerfungen ju ÄantS (Srfenntniit^eone. 427
9^atur ber 5)inge, auf bie fie fid) ricE)tet, mitbebingt. (Srnpfinbungen
finb 93et^ätigungen be§ ©ubjeÜS, ju beneu c§ biirc^ bie Umgebung
^erauSgeforbert luirb, ber Qiei^ be[timmt bie Cuatität ber Smpfinbung
mit; bie ©mpfinbung wirb lüieber jum Üteig, ber bog ©ubjeft jur
.^eruorbringung ber 5(njd;auung, tk 5In]cfjauuug 511m 9fleig, ber e§
gur .S^erüorbringung be§ begriffücfien ©l)[tem§ f)erau§forbert. SOlait
fonn alfo and) jagen: alle (Srfenntni§ i[t a posteriori, bol gilt öon
ben f)DC^[ten Kategorien tt)ie oon ber primitinften (5mpfinbung. —
5)a§ will im ©runbe and) Siant; e§ giebt fein wirüidjeS (Srfennen,
worin nid)t beibe§ wäre, ein apriorijdieS unb apo[teriorijd)e§ G(e=
ment; 3(nfd)ouungen o^ne 93egriffe [inb blinb, Segriffe ot)ne 'an-
fc^auungen finb leer. 9hir ha"^ jene» Problem, gewiffen @ä^en, ben
„]i)ntl)etifdjen (55runbjä|en beg reinen 33erftanbe§", 2ingemein|eit unb
9btwenbig!eit gugleid) mit ber gegenftänblid)en ©ültigfeit ju retten,
i^n baran feftt)alten lie^, 'öa'i^ gewiffen Elementen reine unb abfolute
SIprioritöt jufomme.
S)Qmit ift äugteid; ein anbereS gegeben. 9JJit Kant unb mit
aßen S^iationaliften bi§ gurüd ju jenen erften griedjifc^en ^f)i(ofop!^en
werben wir fagen: wiffenfdjaftlidje ©rfenntniS fommt nidjt au§ ben
©innen, fonbern au» bem $ßerftanbe; nic^t burc^ SSafjrnel^mung,
fonbern burd^ begrifflid)e§ 2)enfen wirb fie t)ert)orgebrad)t. g^reilic^,
ber pt)iIofopt)ifd)e @mpiri§mu§ bebarf t)ierüber nid^t ber Sele^rung.
§ume unb S- @t. SOliü wußten wo"^!, wetd)e Qiolle ben ©innen,
Weld)e bem 5)enfen in ber SSiffenfdjaft äufomme; .!pume Ijätte feine
2;^eorie ber @rfenntni§ unb SJJiÜ fein ©t)ftem ber inbuftiüen
9J?ett)obe gejdjrieben, wenn fie ber ^ilnfid)t gewefen wären, ha'ii 5(ugen
unb Of)ren bie eigentlichen Drgane ber wiffenfd)aftlid)en (SrfenntniS
feien, 'änd) Sacon ift nidjt in bem ©inne Gmpirift, ha'^ er all
ber erfte feine 3^^*9^i^offeu barauf aufmerffam gemadjt f)ätte, fie
müßten bie Slugen aufmad)en, wenn fie non ben fingen etwaS
erfaljren wollten. Sm ©egcnteil: er mad)t barauf aufmerffam, bafe
e§ nid^t bamit getrau ift, baB man 3öaf)rnef)mungen fammelt; freiließ
muB man aud^ ha§> tf)un, aber bann folgt erft bie eigentlid) wiffen>
fd^aftlid)e 5(rbeit, bie inductio vera. ®ie fdjled^te Snbuftion, bie
inductio per enumerationem simplicem , bie begnügt fid^ bamit
einige gäüe aufäujäfikn unb bann ein aCfgemeineS ®efe| barauf gu
428 II. 93u(^: ©rfenntniät^eor. 5ßrobIeme. 2. top.: S)a§ Problem beg Urjprung§ 2C.
marfien. SBa§ 93acon gefeiftet ju l^okn meint, bal i[t bie (Sr=
finbung einer 9}?et^obe, auf @runb üon (Sinjelbeobac^tnngen njirflic^
atlgemeingültige Urteile gu bilben, b. ^. 2öiffenjd)Q|t ^eröorjnbringen.
Ob er l^ierin glüdftid^ tüor, ift eine anbere 5^age, aber bie ?(ufgabe
f)at er ridjtig gefef)en.
Sn ber %i}at, nur bie oberflächliche S3etrac^tung fann babei
[te^en bleiben, ha'^ n)i[fenf(f)aftlicf)e @rfenntni§ au§ ber 2Baf)rnef)mung
flamme. 9^id^t bie @inne f)aben dopernicuS §um 33egrünber ber
mobernen Slftronomie, ober @ali(ei jum Söegrünber ber mobernen
Diaturmiffenfc^aft gemacfjt, fonbern ber ^^erftanb; ja man !önnte, mit
Erinnerung an ^tato, fagen: nur burdj ^uf Hebung be§ ©innen=
fc^ein§ finb fie jur SSa{)rf)eit burd^gebrungeu. 2)en ©innen ober bem
in ber 2Ba^rnef)mung öerf)arrenben 9JZenfc^en ift bie geo^entrifctie
Stnfdjauung, ift bie ariftotelifc^e Unterfdjeibung leicfjter unb fcf)tt)erer
Äörper, oon benen jene eine Senbenj ^aben nai^ oben, biefe nad)
unten ficf) §u betoegen, unb gmar nac^ bem Wa^ i^rer Seicf)tigfeit
ober (Sc^mere, biet einteucf)tenber, al§ bie 2ef)re ber fjeutigen SBiffen^
fc^aft. ©0 aud^ ber @a^ ber ariftotelifdjen 3JJec§anif: bie burd) äußere
©ettjalt bemirften 33en)egungen pren oon felber auf, menn bie burc^
ben ©toB mitgeteilte ®efc{)n)inbig!eit aufgejefirt ift. ©o geigt e§ bie
tägliche „(£rfa()rung." @§ ift ha^ über bie 2Ba^rnet)mung f)inau§=
ge^enbe 2)enfen, t)a§> gu neuen STnfiditen fütjrt, freiließ inbem e§ bie
Sßaf)rne^mung a(§ Q3eobacE)tung in feinen ®ienft nimmt. ®a§ S)en!en
löft bie mannigfacJ)en Bewegungen be§ ©teigen§ unb g^aüenS, be§
SSurfä unb ©tofeeS, bie bie alte ^^Qfif, ber SSaf)rnet)mung folgenb,
einfad) al§ abfolute Jfiatfadjen f)innat)m, in i^re Komponenten auf;
fo erftärt fie bie n)ir!Iicf)e 33en)egung eine§ geftofeenen Äijrperl au§
bem 3uiQi^i»e»tt3ir!en ber S3e^arrung§tenben5 unb be§ SSiberftanbeS,
»eichen er fortraä^renb gu überminben tjat, bie n)ir!Iic^e gallbemegung,
ob fie nun a[§> ^(ufmärtg^ ober aU Stblüärtsbeioegung in bie @r=
fc^einung tritt, au§ ber allgemeinen ©raüitationl* unb S3ef)arrung§=
tenbeug im 3"fQninienn:)ir!en mit ber ftatifc^en Senbeng be§ 9J?ebium§.
©0 löfte 9^ett)ton bie ^immlifdjen 33en)egungen auf, inbem er fie auf
ba§ ßufammenlüirfen einer urfprünglid^en 2:augentialben)egung mit ber
@rat)itation§tenben§ gu^^üdfüflfte. 2)ie alte K'oömologie ^tte aud^
^ier einfad) bie 2Ba()rue^mungen, ttiie fie fid) bieten, formuliert: bie
4. Äritifd^e 3tnmerlungen ju ÄontS (SrlenntniSt^eorie. 429
Setüegung ber I)immtiirf)en Körper i[t bie einfadje, gleichförmige, eiüige
^rei§belDegiing.*)
Stifo 3Biffenjd)Qft fteüt firf) überall bar al§ ba§ SSerf beg öon
ber finnlidjen 3Bat)rne^mung \\d) emanäipiereiiben Diadjbenfeng; bie
SBal^rne^mung ift in ber SSeobadjtung ober bem ©jperiment ^n einem
grt)ar unentbef)rli(fjen, aber burd)an§ fefunbären 3)?oment Ijerabgebrüdt.
Se lueiter bie SSijjenjcf)aft \\d) enüüidelt, be[to uner{)ebtid)er ift bie
üioHe ber 9Baf)rnet)mung. @ef)r fidjtbar ift biefer ^ro^eB ber 3"^"^^=
briingung ber SSatjrnefjmung gegentt)ärtig in ben biologifdjen 3Biffen=
fdjoftcn. ^f)i)fioIogie nnb @nttt)ideIung§tf)eorie tjaben begonnen, bie
alten „befd)reibenben" SSiffenfdjaftcn, bie 2Baf)rne^mungen fammelten,
in @eban!enf^fteme um^nn^anbetn. (So fann man andj oon SDarminS
^f)eorie fagen, bn^ fie in bemfelben Sinne „n^iberfinnifd)" ift, in bem
^'ant einmal bie (£opernicanifd)e Xtjeorie fo nennt; fie n)iberfprid)t ber
2Baf)rt)eit ber 2öa^rnet)mung, boB ber 5Irttt)pn§ !onftant fei. ©ogar
bie @efd)id)te geigt fid) oon biefer Xenbeng ergriffen, an§ einer @amm=
lung oon 2öa^rnel)mungen (Erinnerungen unb 3e"9"ifffi^) \^^ i" ^i"
@t)ftem einfet)barer 3Saf)rf)eiten umjun^anbeln; bie Se'tire oon ben @e=
fe^en be§ mirtfc^aftlid^en 2eben§ f)at ben ?(nfang gemad^t, nnb offenbar
ift if)r (SinflnB auf bie ©eftattung ber gefdjidjtüdjen 2Siffenfd)aften im
fdjneüen Steigen. 5(ugenfd)einlic^ finb bie @efe|e ber DJalionalöfonomie
nid)t au§ einer 5tnfammlung oon 3Baf)rnet)mungen fjeroorgegangen,
fonbern ha§> bebuftioe 5)en!en ^ot fie gefnnben. Sa man !ann meiter
gef)en unb fagen, and) bie @efdjic^t§forfc^ung gewinnt i^re @infid)ten
nid)t burd^ ©ammtung oon ßeugniffen; n^er nid^t a priori weife, tt)a§
fid) angetragen l^at, ben !önnen e§ bie ßengniffe nic^t teuren; wer
nid)t äu fudjen weife, finbet nidjtS, wer nic^t jn fragen weife, bem
geben bie Oueüen feine Slntwort, fonbern überfd)ütten it)n mit einem
SSirrfal oon ©erüc^ten unb SJ^einungen. i^va^tn aber fonn nur, wer
weife, worum fid)'§ :^anbe(t. ©ang red;t fagt ber atte ^eraflit: Sßiet=
!unbe ä^ugt ni(^t SSerftanb.
*) So^e, Sogt!, ©. 585: ®ie ©äge bev aKedjanif finb gefunbeu tcorben,
„ntd)t out 3eugni§ loiebert)oltet SBa^rnef)mungcn, fonbern burr^ eine @eban!en=
arbeit, bie in einem borgeftetlten reinen gaQ mit unmittelbarer Sttar^eit ha§ Setbft«
berftänblid^e faf)." ^^re eüibenj, Ijeifet e§ fpäter (596), ift nid)t eine logifc^e,
fonbern eine üftf)etifrf)e, fie I)at nid)t an ber ®enfnnmögUd)teit, fonbern on ber
eüibenten 3lbfurbität \i)xt§ fontrabiftorifc^en ®cgenteil§ if)ren ^^rüfftein.
430 II. 93ud^: er!enntni§tf)eor. Probleme. 2. top.: ®a§ Problem be§ Urfprung§ zc.
Snblid^ erinnere tcf) §um (Sd)Iu§ nodjmolS an ben ©ebanfen, ber
ben 9(ngelpun!t ber Äantifdjen ^Pofoptjie bilbet: (£r!enntni§ ift
eine Q^unftion beSSubjeÜä, aber ni(f)t bie einzige unb
nid§t bte tt}ttf)tigfte. Sie ift un§ gegeben ^ur praftijd^en Orien=
tierung in ber 3Be(t, nnb boju reidjt fie f)in, nidjt aber i[t fie ge=
geben unb nid)t reidjt fie tjin gu einer abjotuten 2)urd)bringnng ber
SBirfüdjfeit, gur S(uf(öiung gleid)jam ber SBelt in ©ebanfen. hierin
ift 5lant mit ^ume einig: eine abjolute (SrfenntniS ber 2Kir!(id)!eit
ift unmöglid^. ®a§ ttjar ber Srrtum be§ alten 9aationa(igmu§ ober
Dogmatismus; er meinte gugteic^, in biefe (£rfenntni§ bie SBürbe be§
S[Renfd)en unb ben ^nh^votd beg Sebeng fe^en gu follen. tiefem
SBiffenjc^aft§^0(^mut, in bem Sd)uIpt)ifoiopt)ie unb fdjolaftifc^e St)eotogie
übereinfommen, tritt Äant mit ber nieberfd)logenbften ^riti! entgegen:
e§ giebt feine SSifjenfdjaft be§ 5tbfoIuten ober beg Überfinnlidjen. ®§
giebt ein 5(bfotute§ unb Überfinnlic^eS, aber e§ liegt jenfeitS möglicher
@r!enntni§; fritifdje 93efinnung geigt un§, ha^ unfere ßrfenntniS
auf ha§> ©ebiet be§ ©inntidjen ober mi3glid)er ßrfa^rung eingefd)rän!t
ift, anbererfeitS freiließ Quci§ bie§, ba^ unfere @rfaf)rung§me(t nidjt bie
2BeIt ber S)inge an fic^ fetber ift. ©o meit fü^rt un0 bie t^eoretifd^e
Vernunft.
©inen (Sdjritt meiter fü^rt bie pra!tifd)e Vernunft, fü^rt un§
eine ^f)i(ofopf)ie, bie nid)t bei ber tfjeoretifd^en ©pefulation über bie
9Zatur ftef)en bleibt, fonbern ben aJJenfc^en öon feiten feiner $8e-
ftimmung in§ Singe faßt. Unb ha§: ift erft ^f)i(ofopt)ie im I)öd)ften
Sinn, ^t)i(ofopf)ie in if)rem SSeltbegriff, im @egenfa| gur ^f)iIofo|3t)ie
im (Sinne be§ ©djutbegriffS. ©ie geigt un§, bafj bie Seftimmung unb
bie SBürbe be§ SO^enfc^en nic^t gule^t im SBiffen, fonbern in ber
SSiüenSfeite liegt. §ier liegen auc^ bie tiefften SSnrgeln unfereS SBefenl,
im ©emiffen, im Semu^tfein be§ @ittengefe^e§ merben mir if)rer inne.
Snbem mir unmittelbar gemife finb, mit biefer tiefften (Seite unfereä
SBefen§ in ber 2öirf(id)!eit felbft gegrünbet gu fein, nidjt ber Df^atur,
mie fie ben ©innen unb bem SSerftanb er]d)eint, fonbern ber abfoluten
SSirflic^feit felbft anguge^ijren, entfpringt ber ©taube an eine abfotute
3mecforbnung ber Dinge, eine fittlidje SSettorbnung, üon ber bie 9^atur=
orbnung nur ein äuBerlidjer SSiberjd)ein ift. 3n ber Üieligion fe|t
ber ©eift, ma§ if)m felber bo§ §öd)fte unb S3efte ift, al§ 5(u§flu& be§
4. Ärtttfcf)e Slnmerfungen ju tant§ ©rfenntnist^eorie. 431
tiefften ®runbe§ ber 2Sir!ürf)feit, fn^t er bie SBirf(id)feit a(§ (Srfcfjeinung
eineö 9fteid)e§ ber S'^v^dc, al§ ©djöpfiuuj unb SBirhing^bereic^ @otte§.
(Sine Sßerirrung ift e§, lüenn man nun fjinter^er meint, ben ©lauBeu
ben^etjen unb bem SSerftonbe aufzwingen §u fi3nnen. 2)iefe 35erirrung
ruft bann al§ 9\eattion ben negatioen 2)ogmati§mu§ be§ materialiftifcfjen
Ht^eilmn§ {)eröor. ®ie fritifc^e ^i)i(ofopf)ie geigt bie gleidje lln=
mi3glid)!eit be§ pofitioen unb be§ negatiüen Dogmatismus. (Sben bamit
Begrünbet fie bie 9J?i3gtici^feit beS ©laubenS, eineS ©(auBenS, ber aßein
unb oI)ne allen ^emeiS im SBillen ru^t: icf; !önnte nicf)t (eben, nii^t
frei otmen unb tüirfen in einer SBelt, bie nichts als eine unge()eure
finn= unb feelentofe SDJafdjine tnöre, barnm fann ic^ nidjt glauben,
ba^ eS fo mit il)r fid) nertjält, barnm glaube id^, ha^ fie bie Dffen=
barnng eineS Htlujeifen unb Stüguten ift, auc^ luenn meine 5(ugen i^n
nidjt fel)en unb mein ^erftanb ii)n nid)t faffen !ann.
Jlnßang.
@§ ift eine ^{)atfQc^e, bo^ ber SO^enfd) gum ^onbetn burcf) SO^otiue
beftimmt ttjirb, bie bie ©eftott eine§ ^ttjecfg, b. f). ber 9Sor[teflung eme§
biirrf) ba§ §anbetn gu erreidjenben @ute§ f)aben. @o ent[tet)t bie
groge: tüü§ ift ber Ie|te Qwed ober bQ§ I)ö(i)fte @ut, um beffen
tüillen alle§ übrige er[trebt wirb? 5luf biefe g^rage giebt ber ^ebo =
iii§mu§ jur SIntraort, bie Suft; [ie ift ha§, um beffen lüillen QÜe§
anbere gettjollt n^irb. St)m tritt eine anbere 2(nfi(f)t entgegen, bie ha^
^öc^fte @ut nidjt in fubjeftioe @efüf)(§erregungen, fonbern in einen
objeftiöen 2eben§in!)alt, ober, ba Seben 53ett)ötigung ift, in eine
beftimmte 51 rt ber £eben§bett)ätigung fe^t; e§ fei geftottet,
biefe ^nfic^t (5nergi§mn§ ju nennen.
(S§ ift eine ^meite S^atfadje, ha^ bie 9JZenfd)en über boS 35er-
tjolten nnb ^anbeln, frembeS unb eigene^, urteilen; e§ gefc^ie^t
bnrd) bie ^räbifate gut unb böfe. SSerf)aIten unb ©efinnung eine§
SlJienfc^eu erregen bei bem ^uf^J'^«^^* Ö5efü()le be§ SBotitgefoUeng
ober be§ SJ^iBfoHeng; tnerben bie @efüf)Ie habituell, fo entfte{)en
bie ^ffe!te ber $ßeref)rung ober SSerac£)tung. Segie^en fid) bie ©efü^Ie
auf bQ§ eigene ©elbft, unb fein oergongeneS ©ein unb 3Ser^alten,
fo nennen UJir fie 9fleue ober @ett)iffen§unrnt)e, ober umge!et)rt @elbft=
ac^tung unb ©einiffenSfrieben. 93e3ie^en fie fid) auf mbglid)e§, gu^
fünftigeS ^anbeln, fo nennen tt)ir fie ^:pftic^tgefüt)(, ®efüf)I be§ @oIIen§
ober Si^iditfoüenS. S)ie ganje ©eite unfere§ äöefenS, inoburd) toir un§
urteilenb gu un§ felbft qI§ ujollenben ober f)anbelnben äöefen oer^alten,
IjeiBt @en:)iffen.
(£§ entfte'^t bie grage: tt}ot)er entnimmt biefeS Urteil, ha§
5unäc^ft aU oöHig unabhängig üon bem Urteif über ba§ mir 9^ü^(id)e
*) S)ie folgenben Slnbeutungen f)aben mef)t bie 3tbftcf)t, ben Drt ber et^tfdf)en
Unterjudiungen onjubeuten oll if)n aufzufüllen. 5)er Sefer, ber \id) bafür interefftert,
tüie ic^ biefe Singe anfet)e, finbet eine oulfü:^rIid)e S)arfteIIung in meinem ©t)flcm
ber et^ü. (4. Srufl. 1896.)
®ic «Probleme btt (St^tf. 433
ober ©d^äbtic^e erfd)eint, feine ScftimnumgSgrünbe? ft)a§ ift ber 9J?Qfe=
[tob, an bem ©efimumg iinb öanblung auf if)rcn morodfc^en
Söert geprüft trerben? 5(uf biefe f^rage giebt e§ loieber eine boppelte
2tnttt)ort: 1) SDkBftab be§ moralifcf^en 2Bert§ ift bog @ittengefe|, ba§
jeber in fid^ trägt; gut ift ein ■g)Qnbetn, bei bem ber SSiüe burc^ bie
9^ü(ffid)t auf ha§ ©ittengefe^ beftimmt wirb. 2) SJ^a^ftob ift bie
Sßirfnng ber ^anblung für bie SSo^Ifofirt aller, auf bie if)re 2Bir!ung
fid) erftredt. 2)a§ ift ber Unterfd^ieb ber f ormaliftif d^en unb ber
teleologifd^en 9J?oroIpf}itofopI)ie.
2^er ©egenfa^ öon §eboui§mu§ unb (Snergi§mu§ ift ber
©runbunterfrfjieb, ber bie griedjifrfjen 9JJorotfi)fteme bef)errfd^t: 5lriftipp
unbGpifur ftef)en auf ber erften, ^^(ato, Slriftoteleö, bie@toa
auf ber gipeiten Seite, ^n ber mobernen ^^iIofopf)ie neigen gum
^eboni§mu§ öor allem bie 2(nf)änger be§ englifd)en (Smpiri§mu§ unb
ber analijtif^en ^ft)d^oIogie ; S. 93 entkam unb Sante§ ÜJJill finb
feine fonfequenteften 93ertreter. ®ie pft)djo(ogifd^e §Inatt)fi§, fo finben
fie, geigt, ba^ allei ^anbeln au§naf)m§Io§ burd^ ba^ 9J?otiü beftimmt
tt)irb, £uft ju gettjinnen unb ©rfjmerä g^i öermeiben. ©in 9}Ja?.;imum
t)on Suft unb ein SOZinimum öon Unluft ift bemnad^ ta§> notwenbige
ßid be§ menfd^tid^en 2öitlen§. — S)er (änergi§mu§ ift in mannigfad)en
formen vertreten burcf; §obbe§, ©pinoga, ©f;afte§bun),
Seibniä, SSoIff: ©elbfterf)attung unb @elbftburd^fe|ung, ^reitjeit
be§ üernünftigen ©elbft im n)af)ren SDenfen, ^armonifd[)e Entfaltung
unb Sett)ätigung aller Gräfte, 95on!ommenf)eit, ba^ finb g^ormeln biefer
Sluffaffung. 9?euerbing§ fommt bie eöotutioniftifdE)e SDZoralp^ilofop^ie
auf biefe Hnfidfit: ein gettjiffer 2eben§ti)pul unb feine ^et^ätigung ift
ba§ tf)atfä(f)Ii(f)e ßid aüeg 2eben§ unb ©trebenS.
3(^ glaube, bafe ba§> 9iedE)t auf ber Seite be§ (Snergi§mu§ ift.
^ie anatt)tifd^e ^fi)(f)o(ogie ift im Irrtum, n)enn fie meint, bie $ßor=
ftellung non Suft (idea of pleasure) fei überalt ha§i SOZotiü menfrfjlic^cn
SSillens; e§ ift eine fatfc^e S:l)eorie be§ SBi(Ien§, bie if)n gteidjfam erft
burd) Erfahrung üon Suft= unb Untuftgefü^Ien entftefjen löfet. (S§ ift
nid[)t fo, ha'^ erft burc^ Sia'^rnngSaufnatime ober ®efd)Ie(^t§funftion
ein Suftgefü^I belrirft tt)irb, ba'Q bann t)inter^er au§ ber Erfahrung
ber Suft bi: örnjartung unb au§ ber Srraartung ber auf jene 2)inge
gerid^tete Xrieb entfpringt; aurf; ift e§ nicf)t fo, ba^ erft Un(uftgefüt)Ie
'IJautfcn, Ginleituitg. (5. ätufl. 28
434 Sln^ong.
burd^ jene g^unüion Beseitigt unb bann burd^ bieje (Srfafirung ber
bauernbe 2;rieb begrünbet tt)irb. (Sonbern ber SCrteb i[t bie urfprüng=
Iirf)e SSejengbeftimmtfjeit, im $8elüu&tjein tritt er nid)t otS ©djmerg,
fonbern q(§ gefül^tter S)rang, oB 58erlangen ober Suft ju jold^er
S3etf)ätigung Quf, unb nun er[t entfielt ein 2u[tgefüf)I, wenn ber STrieb
fic^ burd)fe|t, ein ©cfimer^gefüf)!, n^enn er gef)emnit wirb. SSiire
nid)t ber Strieb, jo wäre üon ßu[t unb Unluft nid)t bie 9Rebe. Unb
ni(f)t Quberä i[t e§ mit ben ^ö^eren SBitlen^antrieben : ber 3)rang gu
beftimmter 33etf)ätigung, gum laufen unb jpringen, gum fpielen unb
fc^affen, gum fämpfen unb f)errjc^en, pm ben!en unb bicfiten tritt ju
feiner ß^^t ii" Seben {)eröor, ol)ne boB ©c^mer§gefüf)Ie öorfjergingeu,
auf bereu 93efeitigung e§ babei abgefe^en märe, ober gar 2uftgefüf)Ie
in ber 95orftetIung at§ ßiel ber Setljätigung gebadet mürben. 2)em-
nad) fagen mir: ba§ ßkl, auf ba§> ber SSille gerid^tet ift, beftef)t nid^t
in einem 9J?aj:imum öon 2uftgefüt)Ien, fonbern in ber normalen 5tu§=
Übung ber £e6eu§betf)ätigung, auf bie bie 2(rt angelegt ift. 33eim
SJienfc^en mirb bie Siic^tung ber Seben^bet^ätigung im großen burd^
ben Snf)alt ber gefd}id^t(irf)en ßebeu§einf)eit beftimmt, morau§ ber
©injelue al§ ©üeb tjeroormädfjft. ^ier gefd)ief)t e§ aud^, ba^ mit ber
auffteigenben ©ntmidelung ht§> 55orfteüung§Ieben§ ber objeftioe 2eben§=
int)att, auf ben ber SSiUe geridfjtet ift, in§ 33emu&tfein tritt; ber
2eben§tt)pu§ mirb jum oorgeftellten SebenSibeal (Sine irgenbmeldje
objeftioe 2öefeu§geftaltung unb ßebensbettjätigung, tü^ 2thm be§
Ärieger«, be§ gorfd)er§, be§ ^eiligen, ber ©attin unb 9J^utter, ber
barmherzigen ©c^mefter, mirb, in inbioibueller 3(u§bi(bung, ha§> ßki^
\)ü§ ben SSiüen an§ie{)t. 2)er ©rfütlung be§ ^iä§ folgt Sefriebigung,
9}?iBftimmung uub innerer Unfriebe folgt bem SSerfetjten.
^ie ^(ufgabe ber Gt^if mirb nun bie fein, in allgemeinen ßüQtn
bie ^orm be§ 9J?enfd)enIeben§ bar^uftellen, morouf feine Statur angelegt
ift. SZatürtid^ fonn fie nid)t ben ßebenSin^alt ober ha§i Sbeal benx
©ingeluen in concreto üorftetleu, ba§ ift bie <Ba6)t ber fd)öpferif{^eu
9^atur uub in gemiffem @inne ber Äunft; bie SBiffenfdjaft befd)ränft
fid^ barauf, bie allgemeinen g^ormen gu befd^reiben, innertjatb bereu
allein ein menfd)Ud) ootltommeneS, ben meufdjlid^en äÖiUen erfüttenbe^
unb bauerub befriebigenbeS Seben möglid) ift. (S§ gefd)iet)t in ber
Xugenb= unb ^f(id^ten(et)re, bie übrigeng in if)rer !onfreteu StuSfü^rung
3)ie ^Probleme ber et:^tf. 435
ftet§ burd) SSot! unb ßcit be[timmt tüirb. 2)ie (Stf)i! ^at bemnac^ sunt
2eben ein ä^n(tcf)e§ $ßer()äUni§ \vk bie ©rammotif jur @prad)e, bie
?lft^etif 5ur S?unft, bie 3)iätetit jum leiblidjen 2ebeii, fie bejeidjnet bie
formen be§ aj?i3güd)en unb 3uläj[igen, ba§ nun »ieber ntannigfottigfte
erfüdiutg juläfet. ®q§ Q^oüfonimene i[t, tt)te ba§ @cf)i3ne, nic^t ein
uniformer 2;t)pu§, jonbern unenblic^e 3}?QnnigfaItigfeit inbiüibueller
©Übung. — SSa§ aber \)a§ fittlid) (Sc^(ed;te ober ha^ S3öje anlangt,
fo wirb bie ®tf)if e§ tonftruieren, lüie bie mebi^inifdie ^iäteti!
(Störungen, (Sd)n)ä(^en, S[RiBbiIbungen !on[truiert; wie tjier biefe Sßor=
!ommniffe aU golge öon äußeren Hemmungen unb Störungen angefefjen
werben, bie ber Senben^ ber Slnlage §u normaler (Sntwideüing ^uwiber
waren, fo wirb bie etf)if i^aS^ Sdjled)te unb 93öfe nid)t auf ben eigent=
liefen SBiden be§ 3Befen§ fetbft, ber bietmefir al§ auf normale (Snt=
faltung unb 33et^ötigung im Sinne menfdjlidjer 33onfommen^eit gerid^tet
angufe^en ift, fonbern ouf ungünftige (5utwidelung§bebingungen jurüc!-
füf)ren, unter benen bie Einlage ocrÜimmerte unb äJJiBbilbungen erlitt.
S)aB ba§ 33üfe gegen ben eigentlichen SSefenwillen ift, boB aud) in bem
böfen 9)?enfc^en auf bem @runbe feine§ SSefenS bie Suft gum SBiüen
®otte§ ift, ba§ fommt, fo wirb fie ^in^nfügen, barin gur (grfc^einung,
baB e§ ftet§ üon innerem Unfrieben begleitet ift ; e§ ift ba§ bie Üteaftion
be§ ©runbwiUenS gegen bie einzelnen Stugenblicf^erregungen ober gegen
f)t}pertrop^ifd) entwidelte Seiten be§ STriebtebenS, bie i^m gleic^fam
©ewatt antf)un. ®amit ift bo» biätetifd)e S5erfaf)ren üorgegeidjnet:
bie ungünftigen Umftäube, bie jur Söerbitbung fiif)rten, befeitigen unb
bem Söefcnwillen gegen bie ?tu§wü(^fe burd^ Sefd^neibung unb Unter»
ftü^ung 5U §ülfe fommen. —
3Sir wenben un§ ju bem ©egenfa^e ber teleologifdjen unb
ber formaIiftifd)en 9JJoraIp'^iIofopf)ie. ®ie erfte ift in ber
gried}ifd)en ^^ilofoptjie eint)eimifd) ; man ift einig barüber, ha^ ber
2Sertiinterfd)ieb ber fittlic^en SSerl^altungSweifen ^uletjt auf ber 93er-
fc^iebenf)eit ber SSirfungen beruht, weldje bie oerfdjiebenen ^ert)a(tung§=
weifen f)erooräubringen tenbieren; alle fonftruieren bie (Stf)i! au§ bem
®efic^t§pun!t be§ t)öd)ften ®ute§, ba§ alle atg (änbämouie beftimmen.
®er burd) ha§^ (5f)riftentum beftimmten SO?oraIp^i(ofop()ie liegt bie
anbere gorm näljer: ba§ ©ute unb ©öfe wirb beftimmt nic^t burc^
93e§ie^ung be§ §anbe(n§ ju einem ßwecf, fonbern gu einem abfolut
28*
436 ansang.
gültigen @e|e^, bem ©efefe @otte§, lüie e§ bie ^ircf)e Iet)rt. ®ie
moberne ^^i(oiopI)ie fe^rt in ber erften Gpoc^e ^ur teleologiic^en
SefjanblungSweije jurüc!; »ir finben fie bei ©pinoga nnb SBoIff,
bei @f)afteöburt) unb §ume. öine mächtige Üieaftion gegen bie
„eubämoniftifc^e" äJJoral gu öunften ber formaIiftiid)en beginnt mit
ftant, fie mirft in ber beutjcfjen ^f)i(ojopf)ie bi§ auf biefen 3:ag naä).
3n ber %\)at ^at bie formaüftifc^e 5UioraIp()ifofopt)ie gunäc^ft etft)a§
fe^r Ginleuc^tenbeS: nic^t burc^ bie 2öir!ungen ttjirb eine ^anblung gut
ober böfe, fonbern fie ift e§ an unb für ficf); Süge, Setrug ift an fid)
fd)(ec^t, of)ne 9iücffirf)t ouf bie Söirfungen, unb fo ift 9Rerf)tf(^affen^eit
unb (2elbft6ef)errf(^ung an fic^ gut. Cber, mit ßant: ein guter SSiÜe
ift ha^ ©innige, mas an unb für fic^ gut ift, er ^at abfoluten SBert,
gan§ unabhängig oon bem, roas er in ber SSelt au§rid)tet unb burd^=
fe|t. — Sie ^öeljauptung fjat if)ren guten (Sinn. S)oc^ ift e§ un*
möglidj t)ier fte^en §u bleiben. Tlan fagt: gerecfit ^anbeln ift gut
unb ungered)t f)anbe(n ift böfe, einerlei, tt)elcf)e SBirfungen bie öanb=
lung in SSirflidjfeit fjat; bie ©efinnung, nic^t bie ftetg ungemiffe 2öir=
!ung, entfd)eibet. — ©etüi^, werben mir fagen, über ben moraüfc^en
3Sert biefer ein^etnen ^anblung entft^eibet allein bie @efinnung, luorouS
fie f)erüorging. 2(ber mürbe oon geredjt unb ungerecht aui^ bann bie
9^ebe fein, menn bie ^anblungen eines aj^enfdjen überf)aupt gar feine
Söirfungen auf hü§> (Ergeben anberer t)ätten unb ^aben fönnten? Dffen=
bar nidjt. Soll nun tro|bem ber Söert be§ .^anbe(n§ ooüftänbig unb
in jeber SSe^^iefiung unabf)ängig oon feinen 3Sir!ungen fein? iJBürben
mir ba§ Unrec^tt^un auc^ bann fd)Ie(^t unb Dermerfüc| nennen, menn
es jeber^eit unb feiner dlatux nad) nic^t nad)teitig, fonbern förberfic^
auf ha^ (Srget)en aller 33etei(igten einmirfteV äBenn e§ ber Süge eigen
märe, bem SSelogenen äured)t ju t)elfen unb bem fiügner SSertrauen ju
geminnen, bliebe e§ tro^bem babei: lügen ift böfe? 3öäre bie§ Urteil mie
ein aj:iomatif(^er @a^ ober mie ein SSa^rne^mungSurteil, für ha^ ein
@runb überfjaupt nic^t angegeben merben fann? Cber ift es möglid),
einen ©runb bafür anzugeben, marum e§ beffer ift, mäfeig unb be=
fonnen, gerecht unb mal)r^aftig, friebfertig unb mot)lmollenb gu fein, at§
ba§ Gegenteil?
3d) meine, es giebt einen ©runb, e§ ift eben ber, ben in taufenb
<Sprid)mörtern bie Srfafjrung aller S3ölfer au§fprid}t: Süge unb Unred)t
2)ie Probleme bet et^if. 437
unb Übermaß i[t bet Seilte ^ßerberben, an if)nen ge^t ber ©inäelne, an
i^nen tje^en aiid^ bie Siölfer ju ©runbe; unb umgefe^rt, @erec^tig!eit
unb Sefonnenfjeit finb ^fabe be§ ^eil§. 3n ber Xf)at, zugegeben, bo^
|)anblungen Söirfungen für ha§ @rgef)en f)Qben unb bann hod) leugnen,
ta'^ bie 2öir!ungen beftimmenb für if)ren 2Bert finb, ha§> gleicht einiger^
maBen jener Xeteopljobie, bie fagt: ttjeil n)ir 5(ugen fjaben, fel)en ttjir,
aber ni(f)t baben n)ir 5(ugen, bamit n^ir fe^en. @o ^ier: STugenben
finb Iebenert)altenb, Safter finb tebengerftijrenb, aber ba§ Urteil über
ifjren SBert f)ängt baüon nidfit ah.
®ie Stufgabe ber (St{)if njirb nun eben bie fein, bie teleologif^e
18etrad)tung im einzelnen burd^^ufü^ren unb ju jeigen, mie burd)
Sugenben Seben, menfc!^Iid^=geiftige§ Seben, ermatten unb geförbert, burc!^
Safter bagegen gef)emmt unb gerftört tt)irb. Sfteblid^feit ift gut unb
S)iebftaf)t in jeber gorm ift fdjterfjt; benn ®iebftat)t ftört §uerft ba^
Seben be§ S3eftof)lenen, fobann ba^ be§ ©tef)tenben, er bringt itju um
ben @egen ber 5(rbeit, ein 2)ieb arbeitet nid^t; enblid^ ^erftört er, foöiel
an if)m ift, bie (Sid^erf)eit be§ (Sigentumg, bamit ben (SigentumSerlüerb,
S5ölfer o^ne (Sigentum§ficfjer^eit üerarmen; (Eigentum aber ift bie @runb=
öorauSfe^ung aller ^öf)eren (Sntnjicfetung menfcE)tid^=geiftigen Seben§.
@o ift bie 2öat)rf)aftig!eit gut, Süge fd^Iec^t, meil fie, aufeer ben
©törungen, bie fie im engften ^reil f)erüorbringt, ber Söufd^ung be§
^Belogenen, ber Sfo^ierung be§ SügnerS, bie fefunbäre SBirfung ^at,
ha§^ 3Sertrauen unter 9LlZenfcf)en überf)aupt gu ^erftören; 3Sertrauen aber
ift bie ©runbbebingung meufd^Iid^en (^emeinfc^aftSlebeni; unb n^ieber,
o'^ne @emeinfd)aft fein eigentlich) menfc^Iid^eS Seben. (gbenfo ift (S^e=
brurf) unb Unjudjt fcfited^t, meil fie bo§ (äigenteben dermüften unb ge=
funbe§ g^amitienteben, bie SSurjel gefunben 9)?enfd)enleben§ überhaupt,
ju jerftören tenbieren; unb umgefefirt, !eufd^ unb jüdjtig leben in
SBorten unb SBerfen ift gut, meit Iebenerf)attenb, im pf)l)fifd;en unb im
geiftigen @inn. Unb fo überall: gemiffe SSert)a(tung§tt)eifen finb gut,
fofern fie bie STenbenj ^aben, menfd)Iid)e Seben^güter ^u erljalten unb
gu mef)ren, anbere finb nermerfüd) unb fd)(edjt, med fie bie Xenbenj
l^aben, bie 93ebingiingen eines gefunben, fdjönen, unb geiftig reid)en
9J?enfd^enIebcn§ §u gerftören. (Sofern nun SSo^lfa^rt mit ®efüf)(cn
ber SBefriebigung, ^erfümmerung unb Untergang mit Unluftgefü^ten
empfunben mirb, fann man aud^ fagen: Stugenb ift ber SSeg jum ©lud.
438 Stn^ang.
Softer jum Ungtütf. 2)ie ßu[t folgt, nad) ber einfielt beg 5lriftote(e§,
ber öoüenbeten 2;f)ätigfeit als ein unBeQbfid)tigter 9lebenerfoIg.
Sc^ füge ein paar Stnmerfungen t)inän, biefe 5(nfcf)auung gegen
93ä&oerftänbniffe unb (äinmenbungen gu fd)ü|en. ^ie ^ßerrairrung, bie
an biefem ^unft f)errfdjt, fcf)eint mir wefentlid) baüon ab^u^ängen, ba^
man md)t ^raifc^en bem boppe(ten Urteil, gu bem jebe ^onbtung SSer-
antaffung giebt, unterjcfieibet: bem fubjeftiöen über ben fittlicf;en
äöert be§ SSillenS, ber in if)r erfdieint, unb bem objeftiöen über
ben SSert ber Sanblnngsmeife als foId)en. 2)a§ erftere get)t allein ouf
bie ©efinnung: eine §anblung ift moraüfc^ gut, n^enn fie aus einem
guten, b. l). burc^ ha§i S3ett)u^tfein ber ^flid)t beftimmten SBillen !ommt,
it)re folgen mögen fein, n^ie fie moUen. 3Iber bie (Stt)if ^at e§ nid)t
Ijiermit aUein unb nic^t üorjugsroeife §u tt)un; gemi^ mufe fie mit
Äant fagen unb betonen, bafe ber fittlic^e SSert be§ 9JJenfd)en nid)t
abt)ängt oon bem, tt)a§ er in ber SSelt auSrid^tet unb burdjfe^t, fonbern
üon ber Streue, mit ber er tf)ut, ma§ er als feine ^ftidjt empfinbet
unb erfennt. 2(ber it)re eigentlid)e Slufgabe ift bie anbere: ben ob =
jeüiüen SBert ber ^anblungen unb 55ert)altung§n)eifen gu ermitteln.
"S^iefer aber ift nic^t abf)ängig oon ber ©efinnung. S)er 2^iebftaf)( be§
drifpinuS, um ein alte§ 3d)ulbeifpiel gu gebrauchen, ftammt au§ einem
guten SBiüen unb ift infofern eine gute Xtjat, aber er ftetlt g(eid)=
geitig eine oermerfüc^e .^anblungsmeife bar, njeil 2)iebftof)( al§ folc^er,
unabf)ängig oon ber 9J?einung be§ 8teI)Ienben, bie öigentumSorbnung
untergräbt. — Übrigen§ get)t and) haQ Urteil über bie fubjeftioe @e=
finnung gute^t auf teleologifc^e Segrünbung gurüd; ein guter SSiüe
ift äule|t bod) gut, ttieil er gu etraaS gut ift, nömlid) meil er bie
^enbenj ^at, gu einem SSerf)aIten unb ^anbeln §u beftimmen, ba§
objeftiöen SSert l)at, b. t). auf ba§ Seben im (ginne menfd)üd)er 33oII=
fommen^eit toirft.
yid) bemerfe ferner, baB ber SOZa^ftab, an bem bie 50'?oral=
pf)iIofopf)ie ben SSert ber S^er^altungsroeifen mifet, nid)t aud) ha^
ajiotio be§ ^anbelns ift ober fein !ann. S)ie mirf(id)en 9}?otit)e be§
^anbelns finb Dieigungen, @en)ot)nf)eiten, örunbfä|e, beftimmte fonfrete
3n)ede, Sßorfteüungen oon bem, XDa§> ^füd)t unb gejiemenb ift. (So
ift e§ unb fo mirb e§ immer fein; bie adgemeine Stbfic^t, bie 2öoJ)I=
fa^rt be§ 9J?enfc^engefd^Ied)t§ ^u beförbern, mirb nie ha^ Wloüt) be§
S)te Probleme ber (St^ü. 439
^onbetnS lüerben; fie !ann e§ nidjt fein, fdE)ün borum nic^t, loeif bie
t)!öof)tfat)rt be§ 9}?enfd)engefd)(ecl)t§ nicf)t in concreto üorgefteüt njerben
foun, fobann weil bie 9^ed)nnng, wie bie SSirfungen biejer beftimmten
t^anblung fic^ ^u jenem legten Qxoed üerf)alten, nie ausgeführt werben
fann. S)ie 3Sir!ungen jeber ^onbtung gef)en in§ Unenblid)e, fd^on
bie bireften S^olgen für ben ^anbetnben unb feine Umgebung finb
nid^t QU§5ured)nen, nod) weniger bie inbireften, man benfe an bie
^irfuug burc^ 33eifpiel, @ett)i3f)nung, SSererbung. äJZüBte üor bem
^ntfc^IuB bie 33erecf)nung aller mi3glid)en günftigen unb ungünftigen
Söirfungen öoüenbet werben, fo würbe e§ nie §um ^anbeln fommen.
SDa^er ha^ abgefürjte $ßerfa{)ren; .^anblungen finb in ber 9?egel
automatifc^e Üieaftionen, bie ol^ne öiel Üted^nung burd) bie
llrnftünbe, ben ?(n(a& auSgelöft werben; für bie g^orm ber Dteaftion
finb bie eben genannten SOZomente entfc^eibenb: Steigungen unb @e«
wof)nf)eiten, (Sitten unb @runbfä|e. S)a^er bie grofee S3ebeutung ber
Einübung richtiger, b. ^. im allgemeinen gwedmöfeiger ober im @inne
ber äöot)Ifaf}rt wirfenber §(utomati§men für t)a§ Seben.
Unb f)ier ift nun bemerfenSwert, ba'^ bie ÄoIIettiöwefen, üI§> beren
©lieber bie Snbiüibuen erfd)einen, bie 3]ölfer, mit ber aßen organifdjen
SBefen eigenen immanenten ^n^^tfmäBigfeit, für bie ßöfung beftimmter
£eben§aufgaben fid^ automatifd)e 9^eaftion§formen anbilben, ha^ finb
bie ©itten, worunter f)ier alle für bie ©lieber eine§ Sßotf§!örper§
öerbinblid^en §anblung§= unb 33erwattung§weifen, mit SinfdjIuB ber
red)tlid^en SebenSformen, oerftanben werben. (S§ wirb baburd^ ben
Snbiöibuen bie unlösbare Stufgabe ber S3ered)nung ber SSirfungen ah^
genommen. Sie fjonbeln nun, wie ©itte unb Ü^ei^t öorfd^reibt, unb
finb baburd) fowot)! ber UngewiBf)eit ber Ü^ed^nung Dor ber .^anblung,
al§ ber Unfid^erJjeit über bie folgen nod) ber ^anblung überhoben;
fie fjaben auf jeben ^aü gef)anbe(t, wie ein red)tfdjaffener, ein „fittlic^er"
9)?ann in foId)er Sage £)anbe(n mufe. SSie im tierifd^en ßeben ben
Snbioibuen \)a^ 5(u§ben!en unb S3ered)nen be§ für bie (Srtjaltung unb
Fortpflanzung be§ SebenS 9Zü|Iid)en unb D^Jotwenbigen burd^ bie
Snftinfte erfpart wirb, fo ben SOZenfc^en burd) bie ©itten. 2Bie bort
bie ererbten automatif(^en 9iea!tion§formen bie 58ett)ätigung im alU
gemeinen im ©inne ber (Srtjaltung be» SnbioibuumS unb ber ©attung
beftimmen, fo fjier bie auf ©runblage ererbter Snftinfte burc^ (Sr=
440 3rnf)ong.
giel^ung ongebifbeten ©itten; unb eBenfo n}entg, mie bort, ftnbet audf)
f)ier urfprüngtid) eine @r!enntni§ ber 3^^^<fntQBig!eit be§ ^anbe(n§
wad) ber (Sitte [tatt. S)er S^aturmenfd} lueiB um bie @itte, ba^
geidjnet if)n öor bem ^ier au§, ba§ um ben Sn[tin!t nid)t toeife; ober
er ireiB nic^t, tuarum bie ©itte gilt: fie i[t aU objeftioe, aber nid^t qI§
jubjeftiüe Sßernunft in if)m. (är[t bie Sflefiejion, bie in ber @tt)i! §um S(b=
jdt)IuB fommt, fütjrt gur @infirf)t in bie teleologifc^e 9lottt)enbigfeit ber ©itte.
$ßon {)ierau§ ergiebt fic^ bie SZatur be§ ®en)iffen§. 3)a§
(S5ett)iffen ift in feinem Ursprung nid;t§ anbereS qI§ ba§ SSiffen um bie
Sitte; ber (Singelne meiB, melrf)e§ 35erf)a{ten, j. 33. gegen bog onbere
©ejc^Ie^t, it)m burcf) bie ©itte öorgej(f)rieben wirb; burd^ bie @r=
jietjung, burcf) ba§ Urteil ber ©efeüfctjaft über ha§: Hnftdnbige unb
Unanftänbige, burrf) ba§> 9fiec^t unb bie ©trafen, enblic^ burd) retigiöfe
Gebote ift it)m öon !Iein ouf eingeprägt, ttjie er ficf) oert)aIten f o IL
2(n biefeS ©oll plt er \)a§^ Sft q1§ an bie ftetS gegenmärtige unb
unbebingt üerbinblicEie Sf^orm, e§ maf)nt unb treibt an, ei marnt unb
ftraft. 3)a§ Soll ift babei nicf)t etmo§ bem eigenen SSiüen grembeS;
er felbft iniü, boB bie S^lorm gelte, ba§ bie Sitte befolgt merbe, er
üerlangt e§ ftet§ bon ben anberen, er w'iü ja, ba^ bie ®efamtt)eit,
\)a§> gefdjicEitlid^e 2ebett)efen, gu bem er gel) ort, fid^ ert)alte unb lebe.
'^ux gufäHig unb gelegentlidf) entftel^t §mif(^en bem ©oß unb bem
augenbIi(fticE)en ^ßerlangen, ber ifoüerten Segierbe, 3^MP<^ft. g^reilid^
!ommt eben bann ha§> ©oH am ftär!ften jum 93emuBtfein; unb fo
fonnte e§ fi^einen, aU fei ber ©egenfa^ gn^ifcfien ^flitf)t unb 3?eigung
eine für bie ©ittlic^teit abfolut mefentlirfje ©rfd^einung.
Stuf ^ö^erer (Snttt)icfefung§ftufe nimmt bo§ ©emiffen eine neue
3^orm an, el ioirb ^ier, entfpredjenb ber Snbioibualifierung be§ geiftigen
Sebeng, i\i einem inbioibueHen Seben^ibeal, ha§> \id) fogar gegen bie
©itte erf)eben fann. Sn aßen großen 9?eformationen be§ fittlid^=
religiöfen SebenS ift bie§ gefd^e^en, unb ha§, ift ber fdjmerfte tragifdje
^onftüt: im ^ompf für eine ^öt)ere ©itt(id)feit ber gemeinen geltenben
©ittlidjfeit entgegentreten unb üon i§r bo§ Urteil empfangen. Sefu§
unb feine jünger ^aben biefen ^'ampf ge!ämpft: ©itte unb @efe|,
Xempet unb <Bahhati) finb nic^t ha§: §öd)fte, t)öf)er ift ba§ 9^eic^ ®otte§.
Unb barum ift ber 53ürger bei ®otte§reid)§ über bem @efe|.
tarnen- nnö ^ac^regiffer.
3r.
Stffefte 85.
2tnoyogoro§ 161 f.
2fnt^ropomorp^i§mu§ 235, 264 ff.; f.
anä) S^ei^mug.
?IriftoteIe§ 22, 42, 58, 107, 161 f., 228,
240, 292 f., 324, 374, 391.
Slffojiation 227.
9af)eilmu§ 14, 256, 303.
Sttont 137, 216 ff.
3Itomigmug 49, 156, fcitif be§ 31.
214 ff.
Stuge 159.
3luguftinug 299, 324.
SIuBentüelt 379 ff., 385 ff.
Sdacon 23, 427.
93aer, (S. Ä. b. 230, 238.
begriff 426.
93egriffUd^e§ Senfen 422.
93enber 261.
93erfelet) 62, 358.
SBetDuBtfein 126 ff.
SBö^me 275.
93öfe, ba§, 184, 274 f., 335 ff., 435.
93ru*mann 206.
93üd)ner 69, 88 f., 90, 105, 335.
93itbbf)ilmu§ 185.
$8unfen 331.
S^riftentum 15, 185, 256, 258, 271,
288, 338 ff.
Somte 13, 27, 326, 348, 350.
5?orit)in 37, 165 ff, 189 ff., 215.
3)emofnt 57.
©cnfen 120, 422, 428.
©e^carteg 23 f., 59, 107, 164, 392 f.
©etermini^mug 229.
®ic^tung 239.
®ogmen 257.
%ötinq 17, 20.
©uati^mug 58 f.
5)uboi§=«Het)monb 80 f., 83, 110, 246.
Sü^ring 328.
3)t)§teIcoIogie 174.
em^ebofle? 161.
empiriSmug 50, 351 ff., 388 ff., 394 ff.,
409 ff., 425 ff.
(£nergi§mu§ 52, 432 ff.
(SngetS, ^r. 328 f.
®ntttii(feIung§tf)eorie 188 ff.
grfaf)rung 388, 404, 415 ff.
(Srfenntniltfieone 42, 46, 50, 78, 110 f.,
351 ff.
(Srüären, naturtüiffenfd^afttid^eg 64, 82,
168 f.
m^it 51, 74, 432 ff.
(Sucfen 300.
gad)pt)ilofop^ 42 f.
galcfenbcrg 300.
gediner 38, 54, 91, 96, 99, 102 f., 112,
114 f., 134, 144, 195, 247, 252,
310, 374.
442
Sachregister.
geber 312.
getifc^i^mug 277 ff., 280 ff.
geuerbad), S. 283, 322, 327 ff.
gtcf)te 5, 29, 271, 815 ff., 325,
361 f., 373.
ginalität 226 ff.
gifc^er, ft. 17.
grteg 412.
®,
©abelen^, ü. b. 206.
©alilei 59.
®ebet 269.
©ebäc^tnig 120, 150.
©e^irn 66 ff., 87 f., 141.
@ejc^icf)t§p^iIoiop^ie 179 ff., 185, 324 ff.
©ejegmäßigfeit 153 f., 224, 419 f.
©eftirnfeelen 112.
(Setüiffen 210, 432, 440.
©lauben 9 f., 253 ff., 324 ff.
®oetf)e 14, 112, 194, 234, 264, 313,
338 f.
©Ott 11, 261 ff.
@riec^ifd)e ^^ilofop^ie 5, 20 f., 31, 289 f.,
294, 349, 389.
©ruber 343.
©untrer, S. 290.
^.
§aec!d 101, 105, 174, 195.
§anb 423.
^ornacf, 2t. 299.
§artmann, ü. 126, 171.
|)ebonilmu§ 52, 432 ff.
^egel 29, 62, 318 f., 324, 330, 391.
^eraflit 389.
iperbart 104, 118, 136 f., 141, 144, 867.
Berber 313 f.
§obbeä 25, 61, 301.
^öffbing 91.
§oroj 44.
|)umboIbt, SJß. ü. 37, 203.
§ume 27, 222, 308 ff., 350, 353 f.,
372, 395 ff-, 401 ff., 409 ff.
SbeaU§mu§ 49, 50, 97 f., 116, 324,
352 ff., 354 ff.
Sbee 35, 290 ff.
Sean $aul 323.
;5efug 258 ff., 440.
^mmaneng 266.
Snber 295.
Snteaigenj 117, 211.
Intellectus archetypus 361, 408.
SnteEeftuoIiÄmug 13, 118, 167, 324.
SobI 327.
Sübifc^e§ Sßolf 183, 296 ff.
Qugenbalter 214.
tafton 334.
tont 12, 17, 27, 32, 42, 45, 62, 78,
115, 119, 218, 221, 251, 266,
308 ff., 332 ff., 850, 358 ff., 373,
387, 400 ff., 424 ff.
toufofgefel 407, 412, 415, 419 ff.
toufolität 152, 213, 219 ff., 226 ff.
tirc^e, 5ßer^ältnt§ jur ^^ilof. u. SBiff.
7, 13, 166.
toämotogte 67 f., 154 f.
togmologifc^e Probleme 49, 152 ff.
troft 365 ff.
troufe 327.
Sogorbe 344.
Somorcf 188.
Songe, (5. 85.
Songe, ^. 91. 38, 63, 78, 173, 240, 321.
2eibniä 26, 50, 62, 87, 90, 164, 223,
236, 275, 303 ff., 358, 373, 406.
ä\pp§ 17.
Socfe 25, 164, 305 ff., 350, 369, 395 ff.
©ac^regifter.
443
So&e, 38, 141 f, 219, 223, 225, 320,
374, 879, 429.
Sucrea 232.
Suft 432 ff.
Sut^er 13, 310.
fit)ea 189.
Wl.
gWarj;, t. 328 f.
5matenoli§mug 49, 57, 63 ff., proft.
Äonfequenäen 70 ff., triti! b. gjt. 77,
243.
ajiaterie 106, 137, 358.
5DiatI)ematif 401, 403, 407, 409 ff.
2Jied)aniftijd)e 9?aturerf(ärung 59, 163,
168 ff., 314.
SKelonc^t^on 32.
ÜJJetap^ljfit 42, 44, 46 ff., 168 f., 350 f.
aßetjec 138.
SKe^nert 79, 143.
mm, S- ©t. 13, 275, 379 ff., 386.
SKimicrt) 193.
aRitteloUetUc^e «^J^ofop^ie 23, 31, 41,
185, 311.
ajjöbiug 421.
aJJoberne «ßf)itofop^ie 7, 23, 163, 301 ff.,
350, 389.
SKoni^niuä 49, 57.
2«onot^eigmu§ 277 ff ., 287 ff., 298 f., 303.
9KoraIp^iIofop^ie f. ©t^if.
aRüÜer, m. 209, 281 ff., 295.
2JJi)ftifer 300.
5«ägeU 108, 248.
dhnion 25, 428.
9h!)iU^mug 72.
Siorbau 70.
»Jotraenbigfeit 229, 375 ff.
O.
CccafionoIt^muS 87.
Dntologifc^e Probleme 48, 55 ff.
Dftroalb 138.
<ßantf)ei§mu§ 50, 157, 225, 241 ff.
SSermtniä äur 9ieUgton 261 ff.
«ParaEeliftifc^e Sfieorie 61, 87 ff., 146.
«ßejdiet 67, 283.
^flonaenjeele 101 ff.
«ßfleiberer 281, 300.
$iänomenaUlmu§ 50, 351, 362 ff.
«ß^tIofopI)ie, SBefen 1 ff., 19, SSerpltnig
äur ateligion 3 ff., 11, 265, 323 ff.
5ßIato 21 f., 57, 141, 162, 290 ff., 324,
355, 358, 374, 390 f.
<ßoIt)t^eigmu§ 278 ff., 287 ff.
^ofitiöiimuä 13, 343, 350.
^rop^eten 296.
«ßrottften 100 f., 146 f., 197.
9iotionaU§mu§ 50, 307, 351, 388 ff.,
400 ff.
9taunianfd)auung 357 ff., 413.
9iautt)cnI)off 260.
9fteaUämu§ 354 ff., 362 ff.
9?eimarug 172, 308.
atetigion 3 ff., 10, 240, SBefeit 253 ff.,
338 ff., @efd)id)tüd)e entwicfelung
276 ff., aScrf)ältnt§ sur <pf)Uof. unb
5Eßiffenf(^. 3 ff., 165 ff., 324 ff.
«Renon 13, 39, 341.
9?ief)I 17.
«Ro^be 283.
9ioufjeau 119.
SRudert 250.
^.
©aüonarola 258.
©cfiäfftc 200.
©dieüing 29, 318.
©d^Iei^et 44.
@d)Ieicrmad)er 266, 317.
©dimibt, ü. 288.
©t^neiber 119.
444
©od^regifter.
©c^opentiauer 37, 62, 78, 99, 118,
121 f., 125, 170 f., 237, 325, 381 f.
©eele 55, 117, 2Iu§be:^nung be§ (5eelen=
lebend 97 ff., S8er^ältm§äum93ett)u6t-
fein 126 ff., @i^ ber ©. 139, ©eelen-
fubftans 133 f., 364 ff.
©etbftbeirufetiein 151.
©enfuttU^rnui 388.
©impüctug 294.
©innesempfinbung 125, 148, 355 ff.
425, 427 ff.
©ttten 439.
©ittengefel 74, 210.
©!eptiät§mu§ 852 f., 401.
©ofrate§ 5, 21.
©oUpfigmug 362.
©oton 20.
©op^tften 21.
©oaiatbemofratie 14, 328 f.
©pefulatibe 5t5^itofop:^ie 1, 16, 29 f., 88,
244, 816 ff., 374.
©pencer 13, 27, 62, 284 ff., 320 ff.
©pinoga 26, 60 f., 90, 96, 164, 241 f.,
261 f., 269, 275, 286, 301, 373, 394.
©pintualt§mu§ 49, 57, 60.
©prac^e 120, 200.
Staat 200, 208.
©temt^al 202.
©ubftanj 134 ff., 367 ff.
©i)ntf)etifd^e Urteile a priori 401, 410.
Seteotogte 157 ff., 165 ff., 168, 177,
SSer^ältnig jur ÄoufoUtät 226 ff.
Seleologifc^e et^if 435 ff.
Seteop^obic 230.
^^aleg 21.
%i)d§mn§ 50, 157 ff., 266, 299.
S^eobicee 885.
S^eologie 18, 49.
Siebemann 201.
Sronfcenbenj 266 ff., 343 ff.
Srenbelenburg 160, 168 f.
u.
Uebemeg 18.
UnbeföuBte 126, 147.
Unfterblicl)!eit 252, 307.
SBonini 275.
Sßernunftt^eologie 307.
SBerftonb 125.
Sßemorn, m. 101, 146.
Sßogt, g. 81, 85.
^ßoltelt 47.
Sßolfmonn 104.
aSoIuntoriftifdie ^f^cf)oIogte 119 ff.
SBa^rncf)mung 427 ff.
Sßed)felmrfung 152 ff.
Söeü^aufen 298.
2BeItfeeIe 241 ff.
SBielanb 312.
SBiöe 117 ff., 125, 198.
mmüt 120.
SBinbelbanb 290.
2Biffenfc|oft 85, STufgabe 64, 82, 168,
Urfprung 211, 421 ff., SSer^äItni§
äur SRel. 7, 10 ff., 824 ff., SBer^ältnig
jur SQBaf)rnet)mung 427 ff.
Söolff 26, 32, 44.
SEßunbt 38, 91, 101, 103, 118, 126,
132, 184 f., 144, 197, 374.
3eenopt)oneg 200.
X,
3.
3eitanfd)auung 359, 878.
3eno 354.
3ielftrebig!eit 197, 226, 242.
Zöllner 108, 221.
3ttjeifcl 6.
jttiilrelm gtvl^ (3Se(Terri1)e ^udiaaiiöfuim) ^erUtt W., JinRIlraße 33/34.
mit einem
üon
13i-ofe|for an bcr Uniücrfitdt Jöcrltii.
Witttt vttbtffertt unb ufrmtljrt« ;3(uflflgc.
1896. 67 Sogen (Srofe ®ftao. gel;. U m., gebb. in £eint». 15 JTl.
SSon jitiei ?J3unften fd)eint ba§ aller Drten neu ftc^ rcgenbe ^ntercffe für
bie St^if auljugcl^en: einerfcitS füt)ven bic immer bringlic^er auftrctenbcn $ro=
bicme bc§ jojialen £cbcn§ t)a^ Jiadibcnfeu auf bie legten 5^09^" na*^ SOißfe unb
Drbnung aller irbiid)=menfd)Uc^en Sßerte gurücf; anbcrerfcttä treiben bie neuen
bioIogii(|en Stnidiauungen gur erneuten ^.)irüfung unb ju Söerfuc^en ber 3ieu=
bcgrünbung auci^ ber moralp^tlofop^ifc^en ?lnidE)auungen an. SBoju benn noc^
al^ ©rittet fommt, ta'^ bie ©runblage, lücldjc bie alte 2)ogmati! unferer SBcIt= uub
£eben§anjc^auung barbot, mit i^r iclb[t mc^r unb me^r ing SBanfen geraten i[t.
®a§ tjorliegenbe 2Ber! nimmt ju aücn biefen ?^ragen Stellung. Stu^ge^enb
üon ben neuen biologifcftcn unb foäiologiid&en 3(nfc^auungen, fud)t e» bie (Sitten*
gcjegc a\§ 9iaturgefegc be§ nienfdiUc^cn SBefenä 5U bcgrünbcn in bem ©inn, ba^
i^re 5""e^'"'Itun9 "^^^ natürliche 93cbingung ber SBo^lfaftrt, b. 1^. einc§ gcfunbcn,
tüchtigen, j^önen unb glüdli^en üchniä für ben ©inscinen mie für bic ÖJcfamt^eit
ift. @§ fcf)Iie6t firf) bemna^ in ber gorm an bie ältefte gorm bcr rciffcnfc^aft*
Iid)cn ©t^if übcrl)au4)t, an bie tcIeoIogt)d)e 5ötoraIp^iIofopf)ie ber @rie(^en, im be=
fonberen be§ 2triftoteIe§ an. ®oc^ bemüht cg fic^ ni^t minber, bcr äJcrinnerlic^ung
unb 3}ertiefung, bie unfcre moralifd^cn 2lnfcf)ouungen burd) baS ©t)riftentum er*
fot)ren ^aben, gerecht gu tocrben.
2Jer !öerfaffer menbct fic^ mit biefem SScrf ntd^t blo^ nnb nid)t junädift
an bic ®elcf)rtcn, fonbcrn an aüe, bie ben großen fragen bcä 2eben§ ernfte^
9?ac^benfen gu mibmcn gefonnen finb. (£r be^anbelt nic^t allein unb ni^t eor*
jugäroeife bie obftraftcn Probleme ber p^ilofoptjifc^cn ©t^it, fonbcrn ge:^t überaß
auf bie fonfrctcn tJragcn ein, meiere unfere Qdt unb unfcre 3?crt)ältniffc un§
oufgeben. So fc^eint eg eine nicfit leere :poffnung, ba^ ha^ 93uc^ auc^ in beu
Greifen berer, bie mitten im t^ätigen ätben flehen, unter Se^rcrn unb (5ccl=
forgern, unter 33eamten unb Sirjten, unter benfcnbcn SJJännern unb f^raueit
iJreunbe gewinnen rocrbe.
Über ben Snt)flJt ii" einjelnen orientiert ba§ no(^ftef)cnbe SSerjcic^ni§.
Srftct 93anb.
©inlcituufl. SBefen unb Slufgabe ber (St^it.
93egriff — ©teüung im ®i)ftcm bcr SSiffcnfdioften — Stufgabe — 9)iet^obe —
Sittengefeg unb 9Jaturgcfe& — 23egriff ber 58ollfommcn^cit — SlQgemein*
gültigteit ber ©t^i! — *45rattifd^cr SBert.
"Etiles Budj.
|(mvi^ einer dSefdiidtte lietr^eben«iinrd)rtuun0 unXf ^«valpUHofopifU*
©rpcs ÄJjyitel. S)ie Scbcnsanfc^auung unb 9)ioralp^ilof opI)ie ber
&tiedjtn.
^31nfc^auung be§ griec^ifc^en S^olteö oom :^öd)ftcn ®ut — ©ofrateS — ^lato —
SIriftoteleg — ©totfcr — Spifur — ®emeinfame G^arafterjüge ber griec^. St^if.
^mütts fiapitcl. Sic SebcnSanfdöauung be§ S:^riftentum§.
®og S^riftentum ift jupranaturo!tftii(^ — ©eringldiä^ung be§ 3Bi[fen§ — ber
notütlid^en Sugenben — bcr %ap^nhit — ber ©erecötigfeit — 58er:^ältni§
gunt Staat — jum Scbenggenufe unb jur Äunft — gum JReic^tum — jut
(J^re unb ©clbft)d)ä§ung — Söarmfjcrjlgfeit bie c^riftltc^e Xugenb — SSer*
:^ältnt§ gut gomilie — ®a§ etotge Seben — ®ie libcraliftifc^e SIuffa[futtg
bc§ K^riftcntumg.
Jlrittcs fiopitßl. Sie 93efet)rung bcr olten 233elt gum Sl^riftentum.
Urteil ber olten Sßclt über bo§ St)riftcntum — Untergang ber antifen ©ittlid^»
feit im röm. 9tcid) — 3)a§ moralifd^e ©clbfibetüufetfein bcr Äaifcrjeit;
©piftct, aJiarcug 'ölureliug, ber SficuptatoniSmuS — Söerlangen na^ (Srlöfung^*
religion — Überlcgcnf)eit bc§ (Jf)riftentum§ — Sinologe @nttt)icfclung in ber
inbtic^en 3BeIt.
DicrtCB ßnpttcl. S)a§ SJJitteloItcr unb feine Seben§onjd)auung.
®ic Scfebrung ber gcrmanifct)eit SBöIfcr — Sebenäempfinbung unb 2ebcn§»
fü{)rung — ®er S^Icruä — ©ci'c^i^tlidje 9Jottt)enbig!eit für bie Kird^c, bie
SBcIt in Jid) aufzunehmen.
fünftes Äflpitel. 2)ic ntoberne Seben^onfdiauung.
9?aturaliftif(i)cr G^orofter bcr S^Jcujctt; 3Rcnaiffance — ^Reformation — ©4ä|ung
bcö 2Biffen§ — %v. 33ocon unb fein 3ufunft^traum — di. 2)eäcortc§ unb
fein Kulturprogramm — ®ic moberne Stoat^miffcnfcfiaft, %i). ^obbe§ —
Seibnig — (Sel'bftgefü^t ber 9ceuäeit — S)a§ 19. Saf)r{)unbert; «peffimi§mu§
— 9Jic^fd)eonigmu§ — SSerf)äItni§ jum ßt)rtftcntum.
S«d))Us fiapitel. St)riftlic^e unb moberne 9[RoroIpt)iIof optjie.
©t)riftlicf)e 9[JJoraIp^iIofop:^ie — K'at^olifc^e SKoralttjeoIogie — 2}Joberne SJtoroI*
p^iIofopf)ic — 2:^. §obbe§ — ©pinoga — ®f)afte§burt) — ^umc, S3cntt)am,
MiU, — ©pcncer — Seibnig, SBoIff — Äant — @pe!uloti0e ^^ilofopt)ie,
©d)Ieierma(^er — ^crbart — @d)opcn^auer — D^euefte Sitteratur.
gweifes Sud;.
©rfiesÄupitd. ®utu. fc^Iec^t. Xelcologifc^eu. formaliftifdic Stuf f off ung.
2)ie möglichen Sluffaffung^toeifcn — Sie teleologifc^e 2Iuffaffung — ®ub=
jeftiO'formale unb objcfttü materiole ^Beurteilung — ®cr 3trc(f :^eiligt ba^
SJiittcI — ®ie S3ebeutfamfeit bcr einjelnen §anblung — 5Borläufige 2lblef)nung
bc§ (£goi§mu§ — Summe.
3m£tt£0 ßflpitcl. Sag :^öd)fte ®ut. ^eboniftif c^e u. cnergiftifcf)e Stuffof fg.
Krittf be» §eboni§mu§: 2uft nid)t Qxoed bei §anbeln§ — noc^ Befreiung
üon Scbmerj — Sricbe, bie auf fdEimerjIidje S3etl)ötigung gcrid)tct finb — 33e«
beutung ber Suft öom biologifdien ©tanbpunft — ^ofitiöe Scftimmung bei
f)öct)ften ®utel — ®efd)id^tlid)e 33cftätigung.
Urittes ßopitd. ®cr ^cffimilmul.
^cffimilmul all ©timmung unb S^eorie — ^eboniftifc^e 58ett)cilfüt)rung —
SWoroIiftifc^e 93ctt)eilfüf)rung — ®efcf)ic^tlpf)iIofop{)ifc^e 33etDeilfü^rung in
:^cboniftifct)er — in moraliftifdjer 2lbfici)t — ©umme.
liiertes fiapitüi. 'iS)a§ Übel, ba^ Söfe unb bie Stjeobicee.
Stjeobicee — ^^Dfifc^e Übel - 9JZoraIifc^e Übel — ber Sob.
iFünftcö Äflpitcl. $flid)t unb ©cmiffen.
Urfprung be§ ^f(icf)tgcfü{)ll — $flid)t unb 9ieigung — S?antl Stnficbt über
ha§ S3er:^ältnil oon ^flic^t unb JJeigung — 9ted)t unb Unrecht ber intuitioen
(St^i! — Sol ®ett)iffen, Urfprung unb ©eltung — Snbioibuolifterung bei
ßJewiffenl — SJZoroIiftif^er 9?i^ililmul — 3"!« ©prac^gebrauc^.
Scri))ics ßapitcl. (Sgoilmul unb 2IItruilmul.
Sein obfoluter ©egenfa^ — 2ttle §anblungen greifen mit ifjren 5Eßirfungen —
unb mit ii)ren STiotioen über ben ®egenfa^ über — 2Birf(irf)el 58erf)ä(tnil —
Db bie oltruiftifcbcn SBitlenlantriebe im gune^mcn finb?
Siebentes ßnpitel. Sugenb unb @Iüd.
SBir!ung heä SSer^altenl auf ba§ ©rge^^en — SBirfung be§ 6rgef)enl ouf ben
S^aroftcr.
;3(il}Us Äopttcl. ®a§ 9Ser^äItnt§ ber Wotal jur ^Religion.
$ifton)ci)er 3ufanii"en^ang, feine Ucfadien unb SBirfungen — DiJottDcnbigct
innerer 3ufammcnt)ang — Sßcrl)ältni5 öon afjcligion unb SBiffenf(^aft — 2)er
Ünflcrblidjfeitägloube.
ItCUntfS ßöpttcl. 5)ie grci^eit bc§ SBillenS.
^iftorijdie Orientierung — Darlegung bor %i)at\aiiitn — 3)ie SBcrontWortlid)"
feit — 2)ic wirflic^e 58ebcutung ber ntenjcf)lid)en {^rcil^cit.
gtnciter 58anb.
Drittes Sud).
I. ^tc *4}flirf)tcn bcfli eimelncu «jcflen ftdj fclbft unb bie inbibibitciliftifd^cn Sugenben.
Einleitung. SBcfen ber SEugcnb.
ClBrflcs ßnpitcl. ©elbftbet)crrjc^ung.
(Sclbftbe^errfd)ung — SJJä&igfeit; StSfefc — SSefd^eibcnl^eit — ^apferfeit —
«c^orrlicbfeit unb ®ebulb — ®eta[fen{)cit - SBei§f)cit.
3t0«itC0 finpitcl. S)a§ leibliche Sebcn.
93eftimmung begjelbcn — (Srnö^rung; Srunfju^t — Soba! — SBo'^nung —
Kleibung — ©picl unb ?Irbeit.
ülrittCB finpitel. S)a§ roirtfdiaftlid^e Scbcn.
®tc S3eruf§arbeit notwcnbig für bie SOäo^Ifa^rt be§ ©igentcbenS — ^flicftt gegen
bte ©efamti^eit — ®ci§ unb SScrfctinjcnbung — ©ojialbfonomifi^e Sßirfung
ber Sißcrfc^njenbung — 2trmut unb 3ftcid)tum.
Witttes üavi^ti. ®a§ gciftige Scbcn unb bie SSilbung.
8Q3efcn unb Scbeutung ber @rfenntni§ — 58ilbung, Überbilbung, Igalbbilbung
— SBefen unb 93ebeutung ber tunft — Stellung ber S?unft in ber QJegenroort.
fünftes Änpitd. @f)rc unb et)rliebc.
aSefen ber e:^re — 93ebeutung ber (Sl^rc für bie moroUfd^e (Sntroidclung —
e^rlicbe al§ ©tolä — et)rliebe atg ®emut — ©elbftgefüf)! unb ©clbft*
erfenntniS — Sefd^eibenl^eit — ®a§ ^ueü.
SjrijjifS ßnpitcl. S)er Scibftmorb.
2)ie 2;t)atfad^cn — ^a^ Urteil barüber — ®ic Urfad^en.
II. 1:ie ^iflidjtcn gegen anbcre unb bie fosialcn Sugcnben.
Sijljjntcs ßnpitcl. SJiitlcib unb SBo^lwoHen.
S)a§ SDiitleib — ®q§ SBo^IwoHen.
;2Crijtcs ßnpitd. ®ie ®crcd)tigfeit.
S5?cfen unb 9?QturgrunbIagc ber ®cred)tig!eit — S^rc 93cbcutung — DJotttJcnbig''
feit einer pofitiöcn 3tcc^t^orbnung — ©träfe unb ©trafred^t — ^flid^t t>a^
SRed)t äu ücrtcibigcn, frembe§ unb eigene? — (Sro^ntut unb 5Sergcbung — ®o§
^rinjip ber 3te^t§bilbung — 9tcct)t unb SJioral infongruent, S^otunrec^t —
^urücfbteibeu be§ SRe(^t§ hinter ben fjorberungen ber ä)torol.
neuntes ßnpttel. Sie $Räc^ftcntiebe.
93eftinimung unb SSegrenjung ber 'ißflid)t— S)a§ ^Itinof engeben — ®ic 33ebeutung
ber gjäd^ftenliebc — ©antbarfeit — Siebe ju ^ciniat, jum SSoIf, jur 9JZenfd)f)eit.
5cljntCi5 Äapitel. ®ie SBa^rf)oftigfcit.
9Jegotit)e ©eite: ®ic Sügc — roarum üerhjerflid) ? — Sßerleumbung,
©d&mcid)elci, ^eud^etei — 3[Jieineib — 9iottügc — SBo^cr ber 9iigori§mu§ ? — $o=>
f itiüe ©eitc: ®ie 3Bat)rf)aftigfcit — im 33er^ältni§ jum (ginäclnen — im öffentlid^en
SBafir^cit^bienft — SSarum bie neuen S5?a^r{)citen ücrfolgt njerben — inmiefcrn bie§
notroenbig ift? — Ob gerftörung be§ Irrtum? unter aflcn Umftänben geboten fei.
Oicttcs Bucfj.
^it formen iira C)$ettteinri^aft«Ub«it«.
I. ®te ^nmilic.
gomilie \)a§ Urelement ollcr formen be§ ®emeinf(^aftl(ebeng — 5luf i^r beruht
®efrf)icbtlid^fcit be§ menfcf)Iid)en Sebcn§ — S8er^öltni§ ber ®atten — eitern
unb Äinbcr; (Srjic'^ung — gamilic bie ©c^ule ber moralifdien 2;ugenben —
e^elofigfcit unb ßölibat — 9Jionogamie — e^efd)eibung — S^efrei^eit —
grauenemonäipation, Urfad)en biefer Söeftrebungcn — 3. ©t. Wiü il)r ^Inföatt
— tritif feiner 9Infid)t — SiuSftc^ten — ®ejd^lec^tli^e ©ittlid^feit — ®ie
^roftttution — ®o§ ©eftnberocfen.
II. (^eieüigteit unb ^reunbfdiaft.
SBebeutung ber ©efeHigfett — ®ejcQtge 2:;ugenbcn unb Softer — 2)ie gcfeHigen
gormen — 33erfct)iebent)eit ber SBölIer in ^infid^t auf bo§ gefeüige geben —
S)cr Umgang mit bor Statur — Sie grcunbf^aft.
III. ^n§ HJirtf^oftlicljc Seben unb bic (öcfcUfrfjaft.
CBr|ics ©flpitcl. 2)a§ Eigentum unb bie @igcntum§orbnung.
Söebeutung bc§ 6igcntum§ — Urfprung be§ @igcntum§rec^t§ — 93ebingt^eit
unb S8eränbcrlic^!ett beSfelbcn.
^mtitt$ Änpitd. ©efellfd^aft unb OJefcIIfd^aftgorbnung.
SBefen ber ©cfellfci^aft — SBirfung auf bie Sebenägcftaltung — ®ie ®efen=
f(j^oft§orbnung — ®te fopitaliftif^e ®efetlfc§oft§orbnung; i^r Urfprung —
Statiftif^ei — äufoninicn^ang mit ber Iibcraliftifcf)en ^olitif — Sinflu^ ouf
bie Seben^geftaltung; Steigerung beg 9tationaIreid)tum§ — 3Sermef)rung be§
Proletariats — 9Kittt)irfenbe Umftönbc — SBirtf(^aft§frifen — ®ie foäiale
t^ragc — Ob bie ©efeüfc^aft bemofratifcfter wirb?
Drittes üav'itsL ©oäialiämu§ unb fojialc 9f{cform.
®er ©ojialigmuS, ®efci^ict)tlicftc§ — ^olitifc^eg Programm ber ©oäialbemofratie
— S)ie atec^tgfragc unb bie gragc ber ®ere(^tig!eit — 2)oS fojioliftifdie @efell=
fc^aft§progromm — 3JtögIicf)e ©ritjartungen oon feiner SSermirfiii)ung —
Utopiftifd)c $t)antaficn — 2)oö ®Iei(i^eit§prinäip unüerträglicf) mit ber £ebcn§»
fä^igfeit einer fojialiftifc^en ®efeEfc^aft — Db grci^eit bor ^eruf§ma:^t möglid)?
— S)ie neue ©efeHj^aftSorbnung tann nic^t buxdi politifc^e Sieüolution cnt*
ftel^en — 3unet)menbe ©o^ialifierung ber ^robuftion unb moc^fenbc StuS:
bef)nung ber ©taatg= unb ©emcinbet^ätigfeit tt)äf)renb ber legten Qa^rfiunberte
— SBirb oud^ in gufunft mac^fcn — ®ie Dorauäfic^tlic^en 2öirtungen biefer
©ntroidelung — 2trbeiterfc^u|gcfc^gcbung — ?lnbcrc ©tütfc ber fo^iolcn
9teform — Wrbeitergilben — S)a§ Sojialiftengefe^.
IV. ®cr ^taat,
(!Br)ies iänpitcl. SBefen unb Urfprung be§ ©taot§.
Segriff bei Staats — Stbfolutiftifcfte X^eorie — Siberaliftif^e 2;^eorie —
SluSgIcicftung ber @egenfä|e in ber SBirfUc^feit — SBarum in ber griec^ifc^en
^t)i(ofop^ie bie libcroliftifd^e S^^eorie fe^It — Urfprung bc§ ©taatS.
3mcttes Änpitd. 2)ie ©taatSform ober bie SScrfoffung.
®ie SSerfaffungSformen übcrt)aupt — SBebingungen i^reS 93cfte^enS — JRcform
unb atcöoiution — 2)a§ Königtum — ©eine 93ebcutung — S)ie fonftitutioneüe
Sßonarc^ie — ^arlamentarif(j|c ^Regierung — ha^ SBa^trcc^t.
Srtttcs Äapitcl. Umfang unb ©rcnjen ber ©taotSt^ötigtett.
®te 'Qotmd §umboIbtS unb SJtillS — Stnbere gormcl — Sßac^Stum ber
©taatSt^ätigfcit auf bem ©ebiet bei tt)irtfcl^_aftIi{|=gefcQfd^oftnc^en — ©in*
fc^ränfung auf bcm ©ebiet be§ geiftig»»religi5)en 2ebcn§.
^t. "^dUffeit, 3)oö tRcnrgtjmnuftum unb hie ^uitittniftifc^c
«ilbttttg. 1889. ©e^eftet 80 $f.
SBcrfe bcffelbcn SSerfafferS in onbcrem S3erlag.
— ©cf^icljtc bcct Qeic^vten Unterrirfitö auf bcn bcittfctjcn <^tf)ulen unb
Uniticrfttäten tiom iUudgottg he^ W^littclaUet^ bi§ ^uv ^egenhiatt
Srccite umgearbeitete u. fe^r oerme^rte Siuflogc. 2 93bc. 85 JBogen. 30 Wt.
Seipjig, $ßcit & So. 1896.
I. Söb.: ®er gclef)rte Unterricht im Qcic^cn beS alten |)umoniSmuS. 1450—1740.
Il.Sb.: ®er gelehrte Unterricht im 3ci<i)en beS 9teu^umaniSmu§. 1740—1892.
— Immanuel Äant. Sein Scbcn unb feine Sc^re, gronin'Qnn^ $^iIo=
fop^ifc^e tloffifer, 93b. VII. 3meitc STufloge. 26 Siogen. 4 m. Stuttgart,
grommann. 1899.
■Drucf üon J^eobor ^lofmaun iit ®era.
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DATE DUE
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GAYLORD
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UC SOUTHERN REGIONAL LIBRARY FACv ' •
A 000 448 602 3