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Full text of "Einleitung in die Philosophie"

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University  of  CdÜföW^^ 

IRVINE 


f  tuUttung 

in  bie  . 


^^ifofop^ic 


K'  h(  \o  Sop^UJl 


bon 


5Ftictirirf|  ^aiilfcn, 

*|5rofe[for  an  Ucr  Uniocrfttdt  Serliit. 


^edftfte   Äuffagc. 


Berlin. 

SSerlog  non  2Birf)e(m  §er^ 

1899. 


Bt) 


2)a§  SBo^re  tuar  fc^on  längft  gefunben^ 
§at  cble  (Seifterfc^aft  ücrbunben, 
®o8  olte  SBa^re,  fa^  e§  on. 

®oett)e. 


^nrntatt  fur  tvfttn  ^n^a^t. 


yi\d)t  eine  neue  ^f)iIofop^ie  ift  e§,  wa§  f)ier  bem  £efer  geboten 
mirb,  fonbern  eben  ba§,  nja§  ber  Xitel  anfünbigt:  eine  (Sinfü^rung  in 
bie  ^fjilojopfiie.  2Ba§  ic^  burd)  SSorIejungen,  bie  id)  unter  bem  gleid)en 
STitel  jeit  einer  0?eif)e  üon  ^af)xm  gegolten  fjobe,  meinen  ßu'^örern 
5U  leiften  bemüf)t  genjefen  bin,  ha^  UJÜnjc^t  bie§  53ud)  feinen  Sefern 
ju  bieten;  e§  n)ill  fie  anleiten,  bie  testen  großen  Probleme,  bie  bie 
SSelt  bem  ben!euben  3J?enfc^engeift  oufgiebt,  fic^  at§  %xaQtn  üorjulegen, 
unb  bie  großen  ©ebaufen,  mit  benen  bie  geiftigen  gü^i^ei'  ^er  9}Zenjc^= 
t)eit  ficf;  biefe  ^^^^agen  beoninjortet  ()Qben,  nad)5nbenfen. 

Sine  fold^e  Einleitung  fijnnte  bie  gorm  eine§  f)iftorifc^en  Seri(f)t§ 
f)aben.  @ie  fann  aber  aucfj  bie  ^orm  einer  ©igfujfion  biefer  S^ragen 
unb  ®ebon!en  f)aben.  ^d)  f)ahc  bie  Ie|tere  ^orm  gett)äf)(t,  ober  t)ie(= 
me^r  nic^t  gemä^It,  fie  ^at  fitf)  mir  a(§  bie  allein  möglidje  üon  felbft 
ergeben.  9cur  wer  ^u  ben  pt)ifofop^ifcf)en  Problemen  unb  if)ren 
Söfungen  felbftänbig  ©teüung  genommen  §at,  !ann  fie  anbern  barlegen; 
unb  ttjieber,  wie  !önnte  er  e§  tf)un,  of)ne  feine  Einfielt  unb  fein  Urteil 
in  bie  ^arftellung  einftiefeen  ju  loffen?  ^d)  will  alfo  nidjt  bloB  bie 
Probleme  unb  bie  möglid)en  unb  in  ber  ©efdjidjte  f)eriiorgetretenen 
fiöfungen  üorlegen,  fonbern  ^ugteid)  bie  5tuf(öfung,  bie  id)  für  bk 
rid^tige  ^alte,  jur  STuerfennung  bei  bem  Sefer  ju  bringen  fuc^en.  Unb 
fo  wirb  er  atfo  bod)  eine  ^^^dofop^ie  in  biefen  33(ättern  fiuben. 

Um  offen  ju  oerfal^ren  unb  i^m  bie  (Steüungnaf)me  ju  ber  im 
O^ofgenben  entwidelten  ^f)iIofop^ie  ju  erleidjtern,  will  id)  fie  gteid^  Ijier 
mit  einigen  ©tridjen  fennseidjnen. 

®ie  5(nfc^auung,  ber  nad^  meiner  2(nfid;t  bie  (Sntwidehing  be§ 
p!^iIofop{)ifd)en  ®enfen§  juftrebt,  bie  3?id§tung,  in  ber  bie  SBal^r^eit 
liegt,  bejeid^ne  id)  mit  bem  9kmen  be^  i  b  e  a  I  i  ft  i  f  (^  e  n  äJi  o  n  i  §  m  u  §. 
jDie  @egenfä|e,  burdj  bie  biefe  5(nf(^auung  begrenzt  unb  beftimmt 
wirb,    finb   ber   fupranaturaüftif dje   5DuaIi§mu§    unb    ber 


IV  SSortDort. 

atomiftifc^e  DJJaterioItSmug.  Sener  ift  bie  qu§  ber  mittel= 
alterlic^en  3d}oIafttf  überfommene,  in  ber  proteftantijdjen  DIeuidjoIafti! 
6i§  in§  adjtjcl^ute  3at)r^unbert  fortc|epf(Qnäte  Sd)ulpt)i(oiopf)ie  ber 
ßircE)enIef)re;  fie  trennt  Körper  unb  öeift  aU  giüei  nnr  äufäüig  unb 
geitiüeiüg  üerbunbene  Subftangen,  fie  judjt  @ott  unb  DZatur  al§  jtoei 
einonber  frembe  Sßirflidjfeiten  an§>  cinonber  gu  t)alten.  2:;er  Qtomi[tijd)e 
ÜKoteriaUsmuS  bagegen  ift  bie  ^f)i(ojopf)ie,  in  ber  bie  feit  bem  fie6= 
geeinten  3Qi)tf)unbert  aufgefommene  med)nniftifd)e  S^aturerftärung  nic^t 
bloB  i^re  eigenen  (e^ten  53orau5iefeungen,  fonbern  bie  legten  @eban!en 
über  bie  2öe(t  überfjaupt  fie^t. 

9}?ün  fann  bie  ganje  @efc^i(^te  ber  neueren  ^f)iIofop{)ie  qI§  ben 
fortgefeiten  S^erfud^,  über  biefen  ©egenfa^  fjinauSgufommen,  fonftruieren. 
5)er  überfommcne  Supranoturnlismus  ftellt  @ott  qI§  ein  ejtramunbaneS 
unb  antf)ropomorpf)e§  ßin^elwefeu  ber  SBelt  gegenüber  unb  läfet  i^n, 
nadjbem  er  fie  erft  in  einem  beftimmten  3eitpunft  aus  ni(^t§  gemacht, 
bann  noc^  gelegentlich  auf  fie  einiuirfen.  S::iefer  Slnfc^aunng  tt)urbe 
burd)  ha§>  Sluffommen  ber  mobernen  9iaturn)iffenf(^aft  mel)r  unb  nief)r 
ber  SSoben  unter  ben  güBen  fortge^ogen.  ®as  ^rin^ip  ber  9^atur= 
forfdjung  ift  bie  9iaturgefe|mäBigfeit  be§  öefc^ef)en§.  Gin  ©ebiet  nod^ 
bem  onbern  würbe  biejem  ^^rinjip  untermorfen,  unb  fo  fe^te  fic^  qU= 
mäf)lid)  ber  ©ebonfe  unn)iberftel}Iid)  burc^:  alle  Vorgänge  in  ber  9ktur 
fiub  als  ßrfolg  gefe|mäf3ig  niirfenber  Äröfte  ju  betrad)ten.  2)iefem 
®eban!en  giebt  nun  ber  S)?ateriati5mu§,  in  ber  9J?einung,  bamit  bie 
le^te  ^lonfequen^  ber  iniffenfdjaftlidjen  (Srfenntnis  ber  S^inge  gu  §ief)en, 
bie  ^orm  einer  9)?etapI)Qfif:  bie  ganje  SBirfüc^feit  ift  nichts  al§  ein 
©tiftem  blinb  mirfenber  ptjtjfifdjer  5^räfte.  2)a§  alte  fupranaturaliftifdje 
(St)ftem  njeljrte  fid)  f)iergegen  teif§  mit  bem  überfommenen  9iüft^eug 
ontologijc^'fosmologifdjer  (Spehdation,  cor  allem  aber  mit  $ßerbäd)tigung 
unb  ^Verunglimpfung  ber  materiaüftifdjen  ^{)i(ofopt)ie  unb  je  nac^bem 
an^  ber  neuen  SBiffeufd^aften  a(§  gottlofer,  aud)  bem  Staat  unb  ber 
@efenfd)aft  gefäl)rlid)er  DIeuerungen. 

S[)ie  ^f)iIofopl^ie  nun  fudjt  biejen  ©cgenfai^  innerlid)  ju  über= 
irinben;  fie  fud)t  überall,  unb  man  !ann  fagen,  ha§>  ift  ba§  bemcgenbe 
StRoment  in  ber  ganzen  öntmidelung  ber  neueren  ^f}iIofopf)ie,  bie 
religio fe  SSeftonfc^auung  unb  bie  ttjiffenfc^aft(id)e 
9^  a  t  u  r  e  r  f  I  ä  r  u  n  g   mit   e  i  n  a  n  b  e  r   u  e  r  t  r  ä  g  I  i  d)  §  u  m  a  d)  e  n. 


SBorttJort.  V 

dlüd)  ber  ?(nfirf)t  tiieler  tuirb  boS  l^eiBen,  bie  Quobratur  be§  ßirfelS^ 
fucf)en.  —  33ieneid)t  ^ot  bie  S(u[t3abe  I)iermit  eine  geroiffe  ^il[f)nlirf)feit; 
tüie  t)ier  nur  5Innä^erung§njerte  ju  erreidjen  finb,  \o  ge^t  aud)  bort 
bie  ©a(^e  üiel(eicf)t  niemals  rein  auf.  2(uf  jeben  g^aü  ober  inuB  man 
e§  a(§  gejc^icf)ttid)e  Xf)atfarfje  anerfennen,  ba'B  ^a§  p^ilDJop^ifd)e  Senfen 
ber  legten  brei  Sa^rt)unberte  auf  biefe§  ^\d  gerid)tet  UJar. 

@ein  Stu^ganggpuntt  unb  feine  S3orau§fe^ung  ift  bie  moberne 
9?aturn)iffenfd)oft  unb  if)r  ®runbgeban!e,  bie  allgemeine  9Mturgefe|= 
mäBigfeit  be§  ©efd^e^enS.  3Sa§  biefen  ©ebanfen  nid^t  anerfennt,  liegt 
au^ert)alb  biefer  ß"ntmi(felung§rei{)e.  ©eine  jn^eite  (Srunbüber§eugung 
ift  bie:  ha^,  njo§  un§  bie  9^aturn)iffenfd)aften  über  bie  2öir!nd)feit 
lefjren,  nirf)t  aüe§>  ift,  voa§>  üon  if)r  ^u  fagen  ift,  bafe  bie  SBir!(id)!eit 
noc^  ein  2Inbere§  unb  9J?e^rere§  ift,  a(§  eine  narf)  ben  ®efe{3en  ber 
9Jiecf)auif  bettjegte  ^örperttjelt.  Sluf  fefjr  öerfdjiebene  SBeife  ^at  man 
bieg  Stnbere  unb  SOJe'firere  ju  beftimmen  ober  aurf)  feine  Unbeftimmbarfeit 
gu  bemeifen  gefucf)t,  aber  anerfannt  t)aben  e§  im  ©runbe  alle.  2Ser  e§ 
nid)t  anerfennt,  fte'^t  ebenfalls  au&erl)alb  ber  eigentlid^en  @ntU)i(fetung§= 
reifje  ber  neueren  ^^ilofoptjie. 

©entließ  treten  beibe  ßixQt  in  ben  beiben  großen  9^i(^tungen 
f)eröor,  in  benen  fic^  bie  ^t)ilofopt)ie  be§  ftebje^nten  unb  ac^tjel^nten 
Sa^rf)unbert§  bemegte.  ®ie  ratio naIiftifc^  =  metapt)Qfif(^e 
@nttr)icEeIung§reif)e,  bereu  ^auptnertreter  ®e§carte§,  ©pinoga 
unb  Seibnij  finb,  gef)t  öon  ber  5tner!ennung  ber  SSa^r^eit  ber 
neuen  pf)t)fifc^en  äöeltanf  icf;t  au§,  um  fie  bann  burd)  eine 
metapf)t)fif ci£)e  ^Infid^t  gu  ergangen.  ®ie  in  ©ngtaub  einljeimifc^e 
e  m  p  i  r  i  ft  i  f  (^  =  p  0  f  i  t  i  0  i  ft  i  f  (^  e  @ntU)i(ielung§reil)e ,  burc^  2  o  (f  c , 
i8er!elet),  §ume  repräfentiert,  ge^t  üon  berfelben  ^orauSfe^ung 
au§,  mirb  aber  burc^  erfenntni§tl)eoretifd)e  Ü^efte^non  auf  bie  5(nftcl^t 
gefü:^rt,  ha^  bie  pfjtifüalifc^e  5(nfic^t  ni(i)t  bie  abfotute  2öir!lic^feit, 
fonbern  eine  suföUige  Stnfic^t,  eine  ^rojeftion  ber  2öir!lid)feit  auf 
unfere  ©innlidjfeit  fei.  Sn  Ä^aut  begegnen  unb  burd)bringen  fic^  bie 
beiben  ^Infidjten  auf  r)Dd)ft  eigentümliche  SBeife;  oor  allem  aber  batiert 
uon  i^m  bie  bebentfame  SBenbnng,  bie  ben  ^rieben  glüifc^en  ber  religiöfen 
2Beltanfid)t  unb  ber  miffenfdjaftlidjen  9Zaturer!lärung  baburc^  gu  er= 
reichen  fud^t,  bo^  fie  ba§  religiöfe  Sßerfjalten  non  ber  inteHeftuetlen 
gunftiou  lo§li3ft  unb  auf  bie  SSiüenlfeite  grünbet. 


VI  SSortDort. 

(Sigentümlid^  geftattet  fi(^  bie  ©a(^e  im  neunäet)nten  ^ai)X' 
f)unbert.  ®ie  Gntiüicfelung  be§  p'^iIojopf)ifd)en  2)en!en§  ^erfaßt, 
tüenig[ten§  in  2)eutic^(Qnb,  in  brei  beutücf)  an§>  einonber  tretenbe 
@pod)en.  S)a§  erfte  S)ritte(  gefjört  ber  fpefulatioen  ^f)i(ofop^ie; 
fie  ift  ber  9]erfu^,  bie  pf)t)fii(^e  SöeÜanfid^t  burcf)  eine  fpefulatiö= 
inetapf)l)fijd)e  Deutung  Quf  ein  ©eiftig^Sogifd^es  ni(f)t  bloB  ^u  ergänzen, 
Jonbern  ööHig  gu  übern)ältigen.  3ni  jn^eiten  drittel,  tuo  bie  ^fjilofop^ie, 
nad)  bem  fyeljljdjlogen  ber  jpefulQtiöen  Unternef)mung,  gleicfimä^ig  öon 
innerer  9JJutIo[igfeit  nnb  äußerer  SJJifeac^tnng  gebrücft  ift,  ergebt  fid^ 
bie  pt)t)fifalijdje  5Infid)t  nnb  je|t  fid)  in  einer  materioliftif d)en 
SO?etap;^l)[i!  al§  oBfoInte  2Bal)rf)eit.  Sis  auf  biefen  Züq  ift  biefe 
Stnfid)t  in  breiten  Greifen  ber  ©ebilbeten,  neuerbingg  ond^  ber  pm 
9'^ac^benfen  über  it)re  Sage  ermoditen  3)?affen  l^errjdjenb.  daneben  ift 
aber  im  legten  Sirittel  be»  3a^rf)unbert§  aud^  bie  ^^^iIojopf)ie  au§ 
it)rer  2et()argie  ju  neuem  ßeben  ern)ad)t,  nnb  ()at  fid^  on  bie  alte 
Stuf  gäbe  gemad)t:  bie  pf)t)fifalijd)e  Slnfid^t  nid)t  gu  üerbrängen  ober  §u 
übermättigen,  fonbern  burd^  eine  weitere  unb  tiefere  5Infid)t  ber  3Sir!(id^= 
!eit,  burd^  eine  9}Map^t)fi!  §u  ergangen  unb  gu  öoltenben.  ^^ec^ner 
unb  £o|e  mögen  all  QSertreter  ber  älteren,  Sänge  unb  SBunbt 
einer  jüngeren  Generation  genannt  fein. 

$ßerfu(^e  id)  bie  pf)iIofopI)ifd^e  Sage  ber  ©egeninart,  bie  in 
if)r  tjeroortretenben  9ftid)tung§Iinien,  nod)  etma§  genauer  ju  begeic^nen, 
fo  finbe  id^  bie  folgenben. 

S)ie  ^f)i(ojopf)ie  ber  ©egenmart  ift: 

1)  p  t)  änomen  aliftif  d)  =  pofitiüiftifc^;  i^r  erfenntnis^ 
tf)eoretifd^e§  SefenntniS  lautet:  e§  giebt  feine  abfolute  @r!enntni§  ber 
3öirflid)feit;  am  menigften  ^aben  n)ir  eine  foldje  in  ber  ^f)t)fif;  bie 
^örpernjelt  ift  ©rfdieinungsmelt.  —  @ie  Ief)nt  fid)  f)iermit  in  3)eutfd^' 
lanb  an  Saut  an. 

2)  ©ie  ift  ibealiftifd)  =  moniftifc^.  S^r  metapf)i)fifc^e§ 
93efenntni§  lautet:  fofern  eine  S3eftimmung  be§  SBefenS  be§  Söirflid^en 
an  fid)  t3erfud^t  ttjerben  fann,  ift  fie  ber  Söelt  ber  inneren  @rfaf)rung 
gu  entnehmen;  in  ber  geiftig=gefd)id^tlid^en  Söelt  entfaltet  bie  SBirfüdi^ 
feit  für  uns  am  üerftänblid)ften  ober  üielmef)r  allein  nerftänbti(^  i^ren 
eigentlichen  ö)et)alt.  S)er  le^te  ©ebanfe,  auf  ben  ttiir,  ben  «Spuren 
ber  Stf)atfac§en  nad^gef)enb,  gefüfjrt  werben,  ift  ber:  ba§:  9BirfIid)e,  ba^ 


SBorroort.  VII 

in  ber  ßörpemelt  unferen  ©innen  \\d)  at§  ein^eitlidjeS  93en)egnng§ft)ftem 
barftetlt,  i[t  (Srjdfieinung  eine§  geiftigen  5ni=2eben§,  ha^  a\§>  (Sntwicfelung 
eine§  einfjeitlicfjen,  freilid)  nnfere  53egriffe  nnenblid)  ttjeit  überfteigenben 
©inneg,  einer  ficf)  felbft  evfoffenben  3bee,  ju  benfen  ift.  3n  biejem 
<BtM  f)ält  [ie  an  ben  allgemeinen  Umriffen  ber  oon  ^ant  au§gef)enben 
^eltanfdjauung  ber  fpefulatiüen  '!pf)i(ofop^ie  ober  oielme^r  aller  ibea= 
Ii[tifrf)en  ^^itojop^ie  feit  ^(ato  feft. 

3)  ©ie  tpenbet  fic^  oon  ber  inteüettnaliftifd^en  ju  einer  ooIun  = 
tariftif  rf)en  Stuffaffnng.  3""öd^[t  in  ber  ^jljd^ologie;  f)iertn  ift 
^uerft  ber  (Sinflufe  @d^opent)auer§,  jnjeitenS  \)a§i  june^menbe  @en:)ic!)t 
ber  neuen  biologijc^en  i8etrarf)tung  §u  erfennen.  ©obann  aber  bringt 
biefc  S(uffa[fung  and)  in  ber  9J?etapf)t}fif  unb  2SeItanf(f)auung  oor. 
Unb  f)ier  !onimt  i()r  jene  ^antijdje  Söenbung  entgegen,  bie  bem  SSillen 
feinen  legitimen  (SinfluB  in  ber  SSeltanfd^ouung  wafiren  njilt.  5tud^ 
bie  proteftantifd^e  Stf)eo(ogie  ift  unter  biefen  (äinftüffen  in  bem  Über= 
gang  oom  SnteöeftualiSmu»  jum  5ßoIuntari§mu§  begriffen. 

4)  ©ie  n}enbet  fidj  einer  eooIutioniftifc^  =  teIeotogifd^en 
Setrad)tung§n)eife  §u.  2)ie  SSirfungen  ber  neuen  Äo^mologie  unb  S3io= 
logie  ftra^ten,  njie  auf  bie  ^ft)d)oIogie  unb  9Zaturpf)iIofopt)ie,  fo  aud^ 
ouf  bie  äRetapf)t)fi!  au§;  t)ier  !ommt  i^nen  ber  ibealiftifd^e  DJZoni^mus 
entgegen,  ©obann  ^aben  fie  begonnen  bie  praftifd^e  ^f)i(ofop{)ie 
3U  burd)bringen:  @tf)if  unb  ©o^iologie,  9^ed^t§-  unb  ©taatste^re  finb 
im  93egriff,  bie  alte  Iogifd)=forma(iftifd)e  Sef)anblung  obäufdjütteln  unb 
an  if)rer  ©teile  bie  ooIuntariftifc[)=teIeoIogifc^e  33etrad)tung§tt)eife  burc^- 
anführen:  ber  ^md  be^errfd)t  ha§^  Seben,  alfo  U^irb  auc^  bie  2Biffen= 
fdjaft  oom  2eben,  fomol^t  be§  (ginsetnen  all  ber  ©efamt^eit,  biefer 
Kategorie  fid)  bebienen  muffen. 

5)  Su  3ufammen^ang  ftef)t  biefeS  SD^oment  enbtid^  noc^  mit  einem 
3ug,  loelc^er  ber  ganzen  ^^ilofop^ie  bei  neunäet)nten  Sa^r^unbertl 
im  ©egenfa^  ju  ber  öoraufgegangenen  ^eriobe  \)a^  ©epräge  giebt: 
bie  ^id)tung  auf  bie  ®efd^id)te.  2)ie  ältere  ^f)iIofop^ie  ru^t 
auf  mat^ematifd;=naturn)iffenfd)aft(id)er  Setrad)tung  ber  2öirflid)feit; 
fie  ift  abftraft=rationatiftifc^.  ®ie  fpefulatioe  ^^ilofop^ie  ge^t  au§ 
öon  ber  ^onftruftion  ber  geiftig=gefd;ic^tlid)en  2öett;  fie  üerfudit  bann 
aud)  bie  Statur  gleidifom  gefd)id)t(id^  gu  fonftruieren,  UJenigftenl  in 
einem  togifdj=genetifc^en  ©i^ematilmul.    ^ie  9?aturtt)iffenfd)aften  finb 


Vm  SJorttJort. 

biefem  3^9^  Gefolgt  unb  f)aben  in  ber  foemiic^en  unb  biotogifcfjen 
SntiDicfehingstfjeorie  bie  9htur  n)irf(id)  geidjicf)t(id^  befjanbelt.  G§  ift 
Qugenicf)einlicf),  wie  fie  f)ierburd)  ber  alten  Semüt)ung  ber  ^f)i(oiopf)ie, 
bie  pf)tinic^e  nnb  bie  geiftig=geic^ic^tüd;e  3Se(t  in  eine  einf)eitlid)e  @e= 
famtanicfiauung  ^uiammenjubiegen,  in  bie  ©änbe  arbeiten. 

^Q»  ift  bie  ':'Ki(f)tung,  in  ber  mir  bie  ^f)i(ojop^ie  gegenwärtig  fid^ 
ju  bewegen  id)eint;  auf  jeben  ^aü  ift  es  bie  Sf^ic^tung,  in  ber  bie  f)ier 
üorgetrogenen  ©ebanfen  fic^  bewegen.  — 

2{ul  ber  angebeuteten  Stellung  ber  ^f)i(ofopf)ie  jwifc^en  ber 
reügiöjen  21>e(tanfd)auung  nnb  ber  merf)anifcf)en  92aturerflärung  ergiebt 
fid^  i^re  fd)Wierige  Sage:  bie  D^olle  be§  5ßermitt(er§  ge^t  ()ier,  wie 
überall,  leicht  in  einen  Äampf  mit  §wei  g^ronten  über.  2(uf 
ber  einen  Seite  ift  fie  ben  Eingriffen  ber  fupranaturaliftifcf)en  2f)eoIogie 
ausgefegt;  fie  wirb  bef(f)u(bigt,  bie  Slutorität  ber  fird)ü(^  anerfannten 
unb  ftaatticf)  gefc^ü|ten  2e^re  ju  untergraben.  S(m  SInfang  ber 
^J^eujeit  würbe  nocf)  regelmäßig  bie  Staatsgewalt  jur  Unterbrücfung 
p{)i(ofop^ifcfjer  3rrlet)ren  in  5(nfprud)  genommen,  nid)t  fetten  mit 
Srfolg.  .^eutjutage  ift,  wenigftens  auf  proteftantifc^em  ©ebiet,  biefe 
^^raris  fo  gut  wie  ouf gegeben;  allerbings  erft  feit  f argem,  unb  in 
manchen  Greifen  fe^It  e»  auc^  je^t  nocf)  nid)t  an  ber  D^^eigung,  ber 
'»p{)iIofopf)ie  bie  ^oli^ei  auf  ben  .^ats  ju  [}e|en.  2Öer  ^ätte  md)t  noc^ 
in  jüngfter  3^it  bie  SInflage  gehört,  bie  Sogialbemofratie  fei  nic^t 
eine  fojiak  unb  poIitifrf)e  ^^artei,  fonbern  eine  2SeItanfd)auung,  if)r 
^ogma  ber  5Itf)ei5mu5,  unb  if)re  eigenttic^en  Stnpftanjer  bie  ungläubigen 
^^rofefforen;  worauf  man  benn  bem  Staatsanwalt  bie  ßonfequen§  ju 
jief^en  überließ.  Unb  ber  ^atfiotigiSmus  f)ä(t  offiziell  and)  f)eute  nocf) 
bie  mittelalter(icf)e  5{uffaffung  feft,  ha^  es  bie  ^f(id}t  ber  geifttic^en  unb 
wettlidjen  Cbrigteit  fei,  bie  ^^f)i(oioiif)ie  §u  überwachen  unb  je  nacf)bem 
§u  unterbrücfen;  ber  Unterfcf)ieb  ift  nur,  baß  ber  weltlicfje  ^rm  fic^ 
gegen  bie  Sle^erei  nicf)t  mit  ber  alten  2SilIfäl)rigfeit  in  33ewegung 
bringen  lä^t. 

5(uf  ber  anbern  Seite  wirb  bie  ^^ilofopl)ie  bon  ben  Sßertretern 
einer  rein  p^t)fifalifd}en  SSeltanfic^t  angefeinbet.  Xk  „^f)itofopf)ie= 
profefforen",  feit  Sct)0penl)auer  bie  beftoerleumbeten  9JJenfcf)en,  werben 
a(»  ^^riefter  ^weiter  5llaffe  ner^öl)nt,  bie  angeftellt  feien,  ber  ßirc^e  im 
^ompf  gegen  bie  2öiffenfcf)aft  jn  fefunbieren,  als  2eute,  bie  bafür  be§at)lt 


SJottDort.  IX 

hJürben,  ber  Sncjenb  burd^  allerlei  biinffe  unb  abftrufe  ©rörtentngen  bie 
^öpfe  §u  üerlDirren,  um  fie  mit  9[)?i§trauen  gegen  bie  SöifjenfdjQft  §u 
erfüllen  unb  fie  bem  5Iutorität§g(Quben  in  bie  5{rme  ju  treiben. 

@§  ift  nicf;t  meine  5lbfirf)t,  bie  'ip^i(ofopf)ie  gegen  bieje  Sßornjürfe 
ju  oerteibigen,  ober  ^u  unterfudjen,  ob  unb  mie  öiel  3Saf)rf)eit  barin 
fein  mag.  9}?ir  lag  nur  baran,  i^re  Urfocf;e  in  ber  gefd;idjt(id)  ge= 
gebenen  (Stellung  ber  neueren  ^t)i(ofop^ie  ju  seigen.  ©ie  ttjerben 
bauern,  fo  lange  bie  Urfac^e  bauert,  hci§^  ^ei^t,  fo  (ange  ber  feinb(id)e 
©egenfa^  smifd^en  ber  ^irdjenlefjre  unb  ber  Söiffenfdjaft  bauert.  So 
(ange  mirb  bie  ^irdje  gegen  eine  ^t)i(ofopf)ie  eifern,  bie  bie  ^on= 
fequenjen  ber  SSiffenfd^aft  gegen  bie  überlieferte  2ef)re  geltenb  mad^t, 
mef)r  at§  gegen  bie  miffenfd^aftlid^e  Sinselforfdjung,  bie  ber  DIatur  ber 
<Ba6)c  nad)  nur  an  einen  engen  ^rei§  fic^  menbet,  aud^  leidjt  bem 
ßufammenftofe  mit  ber  Äird)en(ef)re  augmeidjen  !ann.  Unb  ebenfo 
lange  mirb  öon  ber  anberen  (Seite  ber  SSerbadit  ber  inneren  Unma(}r= 
^eit  gegen  eine  ^fjitofop'^ie  fid)  menben,  bie  oon  ©renken  ber  menfc^= 
(i(^en  (Sr!enntni§  unb  Don  bem  Sf^edjt  einer  religiöfen  SSeltanfd^auung 
neben  ber  tt)iffenfd)aftlid)en  3^orfd)ung  rebet.  Unb  um  fo  fd^mieriger 
mirb  if)re  Sage,  je  met)r  jener  ©egenfa^  an  (Sd[)ärfe  junimmt.  „3)er 
9}Zateriati§mu§  ift  \)a§i  notmenbige  Korrelat  be^  3efuiti§mu§:  ta^ 
SSaffer  in  biefen  fommunijierenben  Sf^ö^ren  fte^t  ftet§  gleid)  fjod^;" 
bie§  Sßort  ^aul  be  2agarbe§  njirb  man  überall  in  ber  @efd)icE)te  be= 
ftätigt  finben;  e§  gilt  oon  bem  proteftantifdjen  3efuiti§mu§  fo  gut  a(§ 
oon  bem  fatl^oüfc^en.  Sebe  $8erfteifung  be§  Äonfeffion§ätüange§  fteigert 
bie  Erbitterung  auf  Seiten  ber  Oppofition  unb  fteigert  auf  beiben 
(Seiten  bie  Erbitterung  gegen  bie  ^l)ilofopl)ie:  bie  ^ird)e  nerfotgt  in 
i^r  bie  gefä^rlid^erc  S^orfämpferin  be§  Unglaubens,  ber  9?abifali§mu§ 
fiel)t  in  i^r  eine  nn^uüerläffige  ober  treulofe  S3unbe§genoffin,  bie  ouc^ 
im  jenfeitigen  Sager  ©e^ietiungen  unterl)ält.  (5rft  mit  ber  35erföf)nung 
ber  Söiffenfdjaft  unb  be§  @lauben§,  worunter  benn  nid)t  ein  Sijftem 
ber  ©ogmatif  ju  oerfte^en  ift,  mirb  bie  ^^ilofop^ie  felber  ^rieben 
Ijoben.  Si§  bal)in  Jüirb  e§  if)re  9(ufgabe  bleiben,  unbe!ümmert  um 
bie  ©efdjoffe  oon  beiben  Seiten  auf  if)rem  Soften  jmifd^en  ben  beiben 
feinblidjen  |)eert)aufen  auSjnljalten,  i()r  Sd)ilb  ein  gute§  ©emiffen,  iljr 
SBa^lfpruc^:  feinem  ju  eigen,  ot§  allein  ber  2Bal)rl)eit. 

3nm  SdjluB  noc^  ein  SBort  über  bie  93e:^anblung§tt)eife. 


X  SSortDort. 

3(^  f)abe  mir  überall  ^roei  ?(ufgaben  geftetit:  1)  bie  pt)iIo= 
fopf)ij(f)en  Probleme  mit  if)ren  mög(icf)en  5(uflöfungen  ju  entft)i(fe(n 
unb  äugleicf)  bie  Söjung  barjulegen  unb  ju  begrünben,  bie  mir  ai§>  bie 
rid)tige  erjrf)eint;  2)  bie  geirf)i(^tlid)e  ©ntmicfetung  be§  p^^ilojop^ijd^en 
2)en!en§  an  jebem  ^unft  irenigftenS  mit  einigen  ©tricf)en  anäubeuten. 
3)aB  beibe  33etracf)tnngen  regelmäßig  ju  bem  gteicfjen  3^^^  füf)ren,  ge- 
jd)iet)t  mof)I  burd^  eine  ^rt  prä[tabi(ierter  Harmonie;  fo  Weit  id)  ie()e, 
^at  bi§{)er  noc^  jeber  S)en!er  jeine  @eban!en  einerfeit^  at§  bie  burdf) 
bie  3:f)atia(^en  geforberte  fiöfung,  anbererjeit§  aud)  a{§  bas  ßiel  ber 
gefd^idjtlidien  ©ntmicEetung  felber  empfunben  nnb  anberen  einlencfjtenb 
gn  macfjen  geju(^t.  9iatürlic§,  bie  ?(u§ma^(  ber  ge)c^icf)tüd)  bebeut= 
famen  fünfte,  lüobnrd^  bie  SRirfjtungsünien  ber  ßntmidelung  beftimmt 
merben,  gefc^ie^t  fcf)lieBüd)  immer  nad)  ber  ß^jammenftimmung  mit 
ben  eigenen  öebanfen;  mie  nac^  bem  alten  SBort  ber  SDIenfc^  ta§i 
SOZaB  ber  2)inge  i[t,  jo  finb  bie  eigenen  @eban!en  ha^  9)?aB  ber 
fremben. 

5(uf  einen  Sßormurf  bin  ic^  gefaBt:  ha'^  ic^  bie  3Serfc^iebenf)eiten 
ber  ibealiftifdien  8r)[tembi(bungen  gu  jef)r  üernad)täjfige  ober  burd^ 
t)armonifierenbe  2)Qrfte(Iung  nnterbrürfe.  ^d)  i)ah^  biefem  SSormurf 
nic^t  auSroeic^en  mollen.  (Ss  f)anbe(te  jid)  ^ier  nur  barum,  in  großen 
Umriffen  bie  öaiiptjüge  ber  ©ebanfenbilbung  gejdjidjtüd)  nod^^umeifen, 
babei  mußten  bie  Unterfd)iebe  jurüdtreten.  ^lato  unb  2tri[toteIe§, 
(Spinoza  unb  Seibni^,  §nme  nnb  5^ant,  3^ed)ner  unb  2o|e  finb  gemiB 
fef)r  öerjc^iebene  ©eifter,  unb  aui^  bie  Unterfc^iebe  if)rer  pf)i(o= 
fopf)ifc^en  8t)[teme  finb  groß;  it)nen  felbft  erjd)ienen  fie  fo.  Unb 
bod)  fann  e§  ongemeffen  fein,  einmal  bie  Unterfd)iebe  ju  überfe^en 
unb  nur  bie  großen  gemeinfamen  3^9^  ^eroortreten  §u  (äffen,  ^m 
geograp^ifdjen  Unterridjt  legen  mir  bem  Schüler  ^uerft  harten  cor, 
bie  nur  in  groBen  ^ÜQtn  bie  Umriffe  ber  Sauber  unb  9J?eere,  bie 
.^auptgebirggfijfteme  unb  bie  großen  Söafferabern  geigen,  ©pegial^ 
farten  mit  maffeut)aftem  Xetail  mürben  if)n  nur  üermirren.  Wiv 
!ommt  üor,  baB  e§  bem  (2(^ü(er  mit  ber  @ejd)id)te  ber  ^f|i(ofop^ie 
nid)t  fetten  ät)nlic^  gef)t;  mirb  fie  i^m  g(eid)  mit  ben  enblojen  großen 
unb  fleinen  3Serfc^iebent)eiten  ber  ^nfid)ten  unb  33emei§füf)rungen  üor- 
gelegt,  fo  ift  ber  Srfotg  Ieid)t  ratlofe  5^ermirrung  unb  ha§:  @nbe  ein 
t)eilIofer  SfeptigiSmuS :    bie  Se^re   ber  ®ejc^id)te    ber  ^^ilofop^ie   fei, 


Söoriüort.  XI 

ha'^  l)ier  jeber  lüiber  ben  anbern  fei  unb  ai\o  ha§>  gonje  Unternetjinen 
ergebnislos  ouStoufe. 

2)em  gegenüber  n)ünjcf)en  bie  I)ier  gebotenen  gefrf)ic^tlic^cn  5ln= 
beutungen  bie  Überzeugung  ju  erujetf en,  ha^  bie  jo  öiele  Scif)rf)unberte 
alte  5Irbeit  be§  pf)iIofop^ijcf)en  9Zad)ben!en§  nid^t  öergebüd^  gettjefen 
i[t,  öielme{)r  gu  einer  in  ben  großen  ©runb^ügen  einftimmigen  2öelt= 
anfid^t  \ü^vt,  beren  93ilb  \\d)  immer  fd^ärfer  herausarbeitet.  Sie 
(5Jefrf)id)te  ber  ^£)iIoiopf)ie  ift  ebenjo  gut  als  bie  @efdf)irf)te  jeber  anbern 
SBiffenfdjaft  ber  3Beg  §ur  2BaI)rf)eit.  ^reilic^  fef)It  eS  aii6)  ^ier  nic^t 
au  Slbluegeu  unb  Umiuegeu.  — 

©outen  Kenner  fic^  f)erbei(affen,  bieS  53ud)  ju  lejen  unb  bann 
urteilen,  ha^  fie  babei  if)re  9^erf)nung  nicfjt  gefunben  I)ätten,  fo  tüirb 
midf;  ba^  md)t  atlgu  fe^r  jctjuiersen;  ic^  bin  in  meinem  Seben  nocf) 
niemanb  begegnet,  ber  Kennern  etmaS  red^t  gemacht  f)ätte,  §umat  in 
2)eutid^(anb,  t>a^  an  Kennern  auf  allen  ©ebieten  beS  SBiffenS  fo  reid^ 
ift.  9J?irfj  aber  motten  fie  nidE)t  auflagen,  ta'^  id)  fie  getäufct)t  f}ah^: 
eine  Einleitung  mirb  ja  md)t  für  Kenner  gefd^riebeu. 

SSenn  boS  58udt)  atten  ^^^örern  in  bie  §änbe  !onimt,  fo  bitte 
id)  fie,  eS  als  einen  ©ruB  beS  35erfafferS  unb  eine  Srinnerung  an 
einft  gemeinfam  oerlebte  (Stunben  gu  betrad^ten.  ©ern  gebe  id)  mic^ 
auct)  ber  i^offuung  tjin,  boB  bem  einen  unb  anbern  ßefer  meiner  (Stf)if 
bie  f)ier  üorgelegten  Setrad)tungen  eine  nidf)t  uuermüufdjte  Srgäuäung 
mancf)er  bort  nur  angebeuteteu  @eban!enreif)en  bieten. 

@tegli|  bei  $8 er I in,  6.  5(uguft  1892. 


^0vm0vi  ptv  MiUn  '^n^itt^t. 


Sie  britte  Huftage  ift  ein  unöeränberter  Stbbrurf  ber  jtoeiten,  bie 
ou(i)  nur  gang  geringfügige  ^(nberungen  gegen  bie  erfte  aufn)ie§, 

Stm  Eingang  ber  neuen  5(uflage  fann  id^  nur  lüieber^olen,  wa§> 
ha§>  Sßornjort  jur  gnieiten  jagte:  (S§  freut  mid),  ba'i^  in  einer  fo  ouf= 
geregten  unb  nad)  Stufregung,  befonber§  nad^  aufregenber  Se!türe, 
öerlangenben  3^it  ein  jo  ttjenig  aufregenber  93uc^  wie  ha§>  üorliegeube 
fo  öiele  Sefer  unb  g^rennbe  gettjonnen  f)at.  @§  f(f)eint  bemnac^  unferer 
3eit  an  SieBtiakrn  be§  ,alten  2ßaf)ren'  bod^  nirf)t  fo  fe^r  gu  fe'£)Ien, 
at§  jemanb  annehmen  fönnte,  ber  nur  nad^  bem  (Sinbrucf  urteilte,  ben 
bie  @(f)aufenfter  unferer  33udt)^onbIungen  mit  i()ren  !reu5  unb  quer 
befd£)rie6enen  unb  in  allen  färben  fd£)reienben  UmfdE)Iägen  mad^en. 

g^reilid^  ift  nun  au^  bie  ^a\)l  berer  gen^adjfen,  bie  fid^  üi§> 
Kenner  über  baic  33udt)  5U  ©eric^t  gefegt  unb  e§  oerttjorfen  ^aben. 
3rf)  fann  e§  nicf)t  für  meine  "»Pflid^t  anfef)en,  ben  Sefer  f)ier  mit  ben 
eingetnen  be!annt  ju  madt)en.  Sm  ganjen  treten  unter  if)nen  beutüc^ 
erfennbar  jmei  (Gruppen  ^eröor:  auf  ber  einen  ©eite  bie  Stnf)änger 
ber  ,n)iffenfc^aftlid)en  ^f)iIofopf)ie',  benen  bie§  S3ud^  gu  menig  (Strenge 
be§  ^enfenl  unb  ^u  tiiet  9^ad)giebigfeit  gegen  rücEftänbige  ^^antaftereien 
5U  enthalten  fdjeint;  auf  ber  anbern  (Seite  bie  Stnf)önger  be§  33e= 
!enntni§glauben§,  bie  barin  ,tro^  einiger  d)riftIidE)er  SflebenSarten'  im 
©runbe  eine  ^t)iIofopf)ie  be§  Unglaubens  finbeu.  Überein  fommen 
beibe  in  bem  SSDrn)urf  ber  Unentfd^ieben^eit  unb  ^otbljeit:  ttjöre  ber 
Sßerfaffer  ein  flarer  ^opf  ober  ein  entfd^iebener  ßl)ara!ter,  fo  mürbe 
er  auf  einer  Seite,  natürlid)  auf  unferer,  fte^en;  fo  ^in!t  er  auf 
beiben  (Seiten. 

(S§  entfprid^t  bie§  genau  ber  Sage,  mie  fie  in  ber  35orrebe  jur 
erften  Sluflage  bejeidinet  ift;  e§  ift  ber  Ä^ampf  mit  jmei  gi-'onteu,  ben 
bie  ^t)iIofopf)ie  nun  fd)on  feit  brei^unbert  Sat)ren  fü^rt:  bie  (Snt= 
fd)iebenen   f)üben   unb   bie   ©ntfdjiebenen   brüben;    bie  ^f)itofopf)ie  in 


SBortDort.  .         XIII 

ber  9)?itte,  öon  Beiben  ongefeinbet.  3d^  muB  babei  an  eine  alte 
Stnefbote  benfen.  ßmei  Sftitter  famen  über  bie  g^arbe  eines  ©d^ilbeS 
in  ©treit,  ber  eine  jagte,  er  ift  meiB,  ber  anbere,  er  i[t  fcf)n)arä.  Unb 
öon  erbittertem  SBortinec^jel  hm  e§  balb  §u  blutigen  ©d^Iögen.  @in 
britter,  ber  üorüberging,  unb  erfuf)r,  njorum  e§  fic^  f)anb(e,  bemerüe: 
aber  fet)t  if)r  benn  nidjt,  ber  (Sdjilb  ift  ja  auf  ber  einen  «Seite  n^eiB, 
auf  ber  anberen  fdjtuar^.  —  SSa§,  rief  ber  eine  ber  Ä^ämpfenben,  ber 
^ert  !ann  tüot)(  fc^roar^  unb  n^eife  nid^t  unterfcf;eiben?  9Zein,  fdjrie  ber 
anbere,  er  traut  ficf)  nirfjt  fc^U^ar^  fd^mars  unb  tt)eiB  weiB  ju  nennen, 
um  eg  mit  feinem  ju  oerberben.  Unb  fo  machten  fic^  beibe  äunäc^ft 
über  ben  unberufenen  3SermittIer  f)er. 

©tegli^,  6.  5tuguft  1894. 


^nirntari  fur  ftA}^Un  llufiiig^* 


S(6geje^en  öon  ein  paar  fleinen  ßiifö^ß"  unb  formellen  Sinterungen 
i[t  bie  neue  Stuflage  ein  unüerönbeter  Slbbrucf  ber  früheren. 

©tegli^,  13.  Wäxi  1899. 

iJriebric^  ^aulfen. 


gn^aCf. 


©tnlettung.     Söefcn  uitb  $8cbeuhtng  bcr  ^^iio^opi)k,  geite 

1.  Xa§  9Ser^äÜni§  ber  ^^iIo|opf)te  jur  ^Religion  unb  SK^t^oIogie  ....  3 

2.  ®a§  58er^ältni§  ber  ^^ilofop^te  ju  ben  SBiffcnjd^aften 15 

3.  ©inteilung  unb  ©runbprobleme  ber  ^^itojo^j^^ie 45 

erstes  Äopttel.    S)o§  ontotogtfd)e  Problem. 

1.  3ui^  gefd)id^tli(i)en  Drientierung 55 

2.  S)er  2RateriaUäntu§  unb  feine  58egrünbung 63 

3.  Über  bie  proftifd^en  f  onfepuenjen  be§  Ttatmali^mni 70 

4.  tritif  be§  3!)iaterialilmu5.    <ßaraIIeUftifc!^e  2;^eorte  üon  bent  SSerl^ältnil 

beg  <ß^^fifd)en  unb  <ßfi)d)ii(^en 77 

5.  ^onfequeuäcn  ber  poraUeliftifc^en  %^eoxk.    HUbefeelung 92 

6.  SSom  SBefen  ber  Seele.  ;3ntetleftuali[tif(^e  unb  t)oIuntariftifd)e  ^f^d^ologie, 

S)aä  Unbetüufete 117 

7.  SSon  bem  SBefen  ber  ©eele:  Slftuoliftiji^e  unb  fub[tontialifttf(^e  ^tuffaffung. 

S^r  @i&  im  Seibe 133 

3tt)eite§  ^opitel.    S)a§  fo§moIogi|d^=t^eoIogijd^e 
Problem. 

1.  2:f)atfQd)en  unb  §i)pot§eien 152 

2.  Sltomiftijdie  unb  teIcoIogifd^4{)eiftifd^c  9iaturerflärung 157 

3.  Äritif  te§  teteotogtfdjen  Semeifeä 165 

4.  S)ie  (Sntnjidelung^t^^eorie 188 

5.  5^ie  ©ntiüidelung  im  ®ebiet  be§  geiftig*gef(f)ic!^tlt(i)en  Seben§ 200 

6.  Un3uIängUd)feit   einer  atomiftijc^en  9J?etap:^i)[if.     93egriff    ber  SDSed^fel* 

ttJirfung 214 

7.  Äaufolität  unb  ginalität 226 

8.  «ßont^ei^mug  unb  SBcttfeele 241 

9.  S)a^  S8erf)ältni§  be§  pont^eiftifd^en  ®otte§begrip  jur  ^Religion  ....  253 

10.  ®efd)irf)tlid^e  ©ntwicfelung  ber  ®otteä=  unb  SBeltüorfteQung 276 

11.  ®a§  18er]^ältni§  öon  SBiffen  unb  ©louben 324 


XVI  Sn^alt. 

3tr)ctte§  33u(^.     S)tc  ^roBIcme  ber  CrfenntniSt^corte. 

(£inleitenbe§. 

©rfteS  tapitel.    ®a§  ^robtem  bei  2Se)enä  ober  "Oa^  S8er^ältni§ 
ber  ©rfenntnil  gur  SBirflic^feit. 

1.  '2!ie  ibealiftifd^e  ®eban!enreif)e 354 

2.  2Bieberf)erfteüung  ber  reali[tif(±)ett  ^luffoi'jung  für  bie  ignnentuelt  ....     362 
8.  ®te  ©rfenntnig  ber  Stu^ennjelt 379 

3h)eite§  Äopttel.    2)a§  Problem  beä  Uri^jrungg 
ber  ©rfenntnil. 

1.  ®er  9tationaIilmug 388 

2.  ®er  empirilmug 394 

8.  5)er  formaltftijc^e  «RotionaUlmuS  ^atit§ 400 

4.  Srttijrf)e  SInmerhtngen  ju  tant§  Srfenntnilt^^eorie 409 

2(nl)ang.     ®ie  Probleme  ber  (St^if 432 


^mfeifung. 


(Sä  gab  eine  ßeit,  unb  [ie  liegt  nod)  nic^t  \o  gar  lueit  t)intei' 
iinl,  wo  bie  2(n[id)t  lueit  öerbreitet  toar,  ^i)i(ofop^ie  fei  eine  (Baä^z, 
bie  fid)  überlebt  (}abe;  an  i{)re  ©teile  feien  bie  pofitiöen  3[Bi[fenfd)aften 
getreten.  2(t§  eine  2Irt  33orftufe  ber  n)iffenjci^aftlicf)en  ©rfenntnig 
möge  fie  it)re  3^it  unb  if)r  fRed^t  gef)abt  Ijoben;  je^t  bagegen  feien 
jene  SSerfudje,  burd^  allgemeine  ©pefulationen  gur  ©rfenntniä  ber 
SSelt  unb  ber  S)inge  §u  gelangen,  überlebt  unb  abget^an.  9hir  al§ 
ein  unfd)äbtid)e§  ©piet  für  unfrud^tbare,  ju  eigentlich  miffenfrf)aft(id^er 
Slrbeit  nid)t  angelegte  Äöpfe  möge  fie  nod)  eine  SSeile  ein  l)armlofe§ 
®afein  friften,  !eine§meg§  aber  fönne  bie  93efd^äftigung  mit  i^r  Stilen, 
bie  auf  miffenfd)aftlid)e  58ilbung  Slufprud)  machen,  al§  ^flid)t  5uge= 
mutet  njerben. 

(S§  !ann  ^ier  unerörtert  bleiben,  ob  bie  ^t)ilüfop^ie  an  biefer 
9)iiBad)tung,  ber  fie  um  bie  9Jätte  beg  3al)rt)unbert§  oerfaüen  loar, 
felbft  einige  ©c^ulb  ^atte.  (£§  ift  a  priori  n)al)rfc^einlic^.  9Jirgenb§ 
mar  bie  ®eringfd)ö^ung  l)örter  al§>  in  S;:'eutf erlaub;  fie  trat  l)ier  ein 
in  jeitlidjer  ?^olge  auf  bie  ^errfc^aft  ber  fpe!ulatioen  ^l)ilofopl)ie; 
e§  liegt  nal)e,  einen  urfäd)lid)en  3"fßniment)ang  ju  oermuten  unb  in 
ber  ^-Berad;tung  aüer  ^ljilofopl)ie  bie  Üieaftion  gegen  bie  ©elbftüber- 
l)ebung  ju  erbliden,  mit  ber  bie  fpefulatioe  ^^ilofopljie  unb  i^re 
Sünger  bie  miffenfdjaftlidje  gorfdjung  nic^t  minber  ale  ben  gefunben 
SUJenfc^enoerftanb  beleibigt  t)atten.  Sauge  l)atte  fic^  ber  beutfc^e  ßefer 
burdj  l^artc  äöorte  einfc^üdjtern,  burd)  trüben  Sieffinn  imponieren 
unb  burd;  ben  S^ormurf  ber  ©eidjtigfeit  ba§,  ma§  er  oerftanb,  üer= 
bäd)tig  nwdjen  laffen;  enblid)  fa^te  er  boc^  ein  iperj  unb  entfd)lofe 
fid)  nun  alle§  gering  ju  fdjäl^en,  ma§  an  jene  peinlid;en  Erinnerungen 

*t>a Ulfen,  Ginlcituitg.    (i.  Sliifl.  1 


Einleitung:  SBejen  nnb  SBebeutung  hex  ^^ilojo^^ie. 


rührte.  §ätte  §egel  ÄantS  Hlter  erreidjt,  jo  {)ätte  er  jetber  nod) 
ben  9?ü(ifcf)Iag  erlebt.  (Statt  feiner  litten  nun  anbere,  »ie  gec^ner 
unb  So^e,  unter  ber  ©teirfigültigfeit,  bie  fie  nid^t  öerjdf)ulbet  unb  nid)t 
üerbient  {)Qtten. 

Sn5tt)ifd)en  ift  eine  neue  ^^^t  ^erbeigefommen.  3[t  Qucf)  bie 
SSerad^tung  ber  ^§iIojopt)ie  nod;  nic^t  au§ge[torben,  \o  barf  man  bod^ 
jagen,  fie  ift  für  ba^  (e|te  ^Drittel  be§  3fll)t^f)unbert§  nid)t  me()r 
d)arafteriftifcE),  »ie  fie  t§>  für  ha§>  ^meite  mar.  2)ie  ^^i(ofopt)ie  f)at 
begonnen  üon  ber  öffentlid^en  @eringfd)ä|ung  fic^  gu  erf)oIen;  fie  ge= 
minnt  mieber  bie  2ei(naf)me  größerer  Greife;  im  befonberen  ift  and) 
if)r  Sßer{)ättni§  jur  miffenfd)aftlid)en  ^orfd^ung  mieber  ein  freunblid)ere^ 
gemorben. 

@ö  fet)rt  bamit  ber  natürlidje  ßuftanb  §urüd.  S)enn  in  2öa^r= 
f)eit  ift  ^f)iIofopf)ie  fo  menig  eine  ®ad)e,  bie  fid)  überlebt  ^at,  ober 
bie  bloB  einige  leere  unb  abftrufe  Äöpfe  angef)t,  ha^  fie  üielmet)r  eine 
Stngetegenf)eit  aller  ^zikn  unb  atter  3JJenfd^en  ift.  Sa,  man  !ann 
fogen,  ^t)iIofop^ie  ift  nid^t  eine  ©ac§e,  bie  man  ^aben  ober  auc^ 
nid)t  ^aben  fann,  auf  gemiffe  Söeife  f)at  jeber  äJJenfc^,  ber  fic^  über 
bie  3)umpf{)eit  tierifc^en  S)af)inleben§  erljebt,  eine  ^f)iIofop^ie.  @^ 
fragt  fic^  bloB,  ma§  für  eine,  ob  eine  au§  einigen  zufälligen  2öiffen§= 
fragmenten  unb  ©ebanfenfpüttern  äufammengejimmerte,  ober  eine  burd)* 
backte  unb  auf  ollfeitiger  ^etradjtung  ber  2SirfIid)feit  beru^enbe. 

2Sa§  ta§^  inteüeftueHe  Beben  be§  9JJenf(^en  oon  bem  ber  ^iere 
unterfdieibet,  ha^  ift  bie  gäf)ig!eit  ju  tfjeoretifc^er  S3etrad)tung  unb  tk 
9(lic^tung  auf  ba^  ©ange.  3)a§  Xier  fie{)t  unb  t)ört,  f)at  aud)  mo^t 
^Borfteßungen  unb  Erinnerungen,  aber  e§  öermeitt  nidjt  babei;  fie 
fommen  unb  get)en  üereinjelt,  mie  e§  ber  9Zatur(auf  fügt,  fie  f)aben 
i{)re  Sebeutung  nur  aB  9J?otioe  für  ben  Sßiöen.  Sm  9JJenfc^en  rei^t 
fid)  bie  inteüeftueüe  2^ätig!eit  oom  ®ienft  be§  Sebürfniffeg  Io§;  ba§ 
tf)eoretifc^e  Sntereffe  ermac^t;  er  fammelt  unb  betrodjtet  bie  (SIemente,. 
meldte  bie  2Baf)rnef)mung  bietet,  unb  fommt  nid^t  jur  9fiuf)e,  h\§>  er 
fie  gu  einer  einf)eitlid)en  ©efamtanfi^auung  ber  Singe  üerfnüpft  unb 
ergänzt  f)at.  2)ie  Siedinif  löfet  fid)  am  (Singelmiffen  genügen;  ba^ 
tf)eoretifd)e  Sntereffe  ift  auf  ha§>  ©anje  gerid)tet.  <So  entftel)t  ^^i(o= 
fopf)ie.  8ie  ift  im  aügemeinften  ©inne  be§  2Borte§  nid)t§  anbereS, 
all  ber  ftet§  miebert^olte  3Serfuc^,  ein@an§e§t)on$BorfteHungen 


SSerf)äItni§  bcr  ^^ilofop^ie  jur  SReligion  unb  3[J?i:)tf)oIo9te.  3 

uiib®ebanfen  über  ©eftott  unb  3iifan^i"ßJ'^fl"9f  ü^^^ 
©inn  unb  ^ebeutung  aller  2)inge  ju  gewinnen. 

(Sg  i[t  offenbar,  bafe  in  biefem  (Sinne  jebe§  SSolf  unb  jeber  äJJenfc^, 
inenigftenS  jeber  normal  entnjicfelte  SJJenfdj  ^^p^ilofopfjie  f)at.  5turf)  ber 
einfache  ajJann  au§  bem  $8oIfe  f)at  eine  ^^i(ofop{)ie;  fein  Äatec^i§mu§ 
mag  if)m  bie  ©runbjüge  h%u.  geliefert  ^aben;  er  toeife  eine  2(nttt)ort 
auf  bie  grage  nocf)  Urfprung  unb  Seftimmung  ber  SBelt  unb  be§ 
9)Jenfrf)enIeben§.  3n  biefem  @inne  i)ah^n  anä)  bie  Sf^aturoölfer  eine 
^fjilofop^ie;  aucf;  ber  Snbianer  unb  9ieufeelänber  ^atte  fid)  eine  SSor- 
ftellung  üon  bem  Sßeltgansen  unb  feinem  räumlichen  Stufbau  gemarf)t, 
er  njufete  eine  Stntmort  auf  bie  ^rage  nac^  bem  2Sof)er  unb  2Bof)in 
ber  Singe  unb  faf)  gtuifdien  ben  !o§mifrf)en  Gegebenheiten  unb  bem 
menfdjiirfien  Seben  einen  finnöoUen  3ufonimenf)ang. 

3n  biefem  ©inne  ift  alfo  ^fjilofop^ie  eine  allgemein  menfc^Iic^e 
g^unftion.  @o  ttjeit  e§  geiftigeS  Seben  giebt,  fo  ujeit  giebt  e§  and) 
^f)i(ofopf)ie. 

1.  ®a§  SSerl^ättm^  ber  ^^ilofop^ie  jur  ^{eltgton  unb  9Kt;t^oIogtc. 

2)er  übliche  ©prac^gebraud)  fafet  nun  freiließ  ben  Segriff  ber 
^^ilofopfjie  enger.  2Bir  pflegen  nid)t  mef)r,  njie  e§  früfjerem  ©pradi« 
gebraud)  aüerbingS  geläufig  mar,  bon  einer  ©efdjid^te  ber  ^^iIofopt)ie 
üor  ber  Sünbftut  ju  reben ;  aud)  nennen  mv  ben  3nf)alt  be§  llated)i§^ 
mu§  ober  bie  S^orftellungen  ber  S'^aturoölfer  oom  Sßeltgangen  nid)t 
^§itofopf)ie,  fonbern  unterfd)eiben  fie  öon  biefer  aB  9JiQtf)oIogie  ober 
9^eIigion.  Dlatürlid)  ift  eg  nid)t  meine  S(bfid)t,  biefe  Unterfdjeibung 
aufjufieben  ober  ju  oermifdjen;  oieIme{)r  miü  ic^  oerfudjen,  fie  ju 
befinieren  unb  baburd^  auc^  ta^  SSefen  ber  ^f)iIofop§ie  nöt)er  §u  be= 
ftimmen. 

Sn  gmei  (Stüde  läfet  fid)  ber  llnterfd)ieb  faffen,  c§  ift  ein  Unter* 
fc^ieb  be§  ©ubjeftg  unb  ber  ^unftion.  2Sa§  ben  erften  Unterfc^ieb 
anlangt,  fo  ift  (5ub|e!t  ober  Xräger  ber  mt)tf)o(ogifc^en  SBettüorftedung 
ber  ©efomtgeift,  ber  ^f)iIofopt)ie  ber  ©injelgeift.  SSo  mir  immer  oon 
^f)itofop{)ie  reben,  ha  ift  fie  ha^^  (SräeugniS  inbioibuetler  ©eifte^arbeit; 
e§  giebt  feine  ^f)iIofop^ie  of)ne  einen  ^^{)iIofopf)en;  borum  mirb  fie 
nad^  feinem  9lamen  genannt:  ptatonifd^e,  fpinojiftifdje,  fantifc^e  'ipf)iIo= 


ßinfeitung:  SBejen  unb  93ebeutung  ber  ^^ilojop^ie. 


fopf)ie.  9}Jt)t^oIo9ie  bagegen  gel^t,  h)ie  Sage  unb  ©pradje,  nid)t  au§ 
beiruBter  Strbeit  eines  (Sin^elnen  Ijerüor,  fonbern  ift  ein  GrgeugniS  beg 
©ejonitgeiftes.  2öie  es  feinen  ßrfinber  ber  Sprodje  giebt,  fo 
aucf)  nic^t  ber  urfprünglidien  mt)t^ifdf)n-eligiöien  2BeItanjd)auung,  bie 
übrigeng  in  if)rem  Urjprung  mit  (Sprache  unb  Sichtung  auf»  engfte 
^ufoinmenl^ängt.  55on  einem  Stifter  ber  ägijptifcfjen  ober  ber  griecfjifdien 
S^eligion  rebet  in  unferem  3af)rf)unbert  niemanb  mei)r.  S)ie  cfjriftlic^e 
ober  bie  mu^ammebanifcfie  üieligion  i)at  einen  Stifter;  aber  t)ier 
^anbett  e§  fid)  nid)t  um  bie  urfprünglicf)e  ^erüorbringung  einer  oor= 
f)er  nicfjt  üorljanbenen  S^orfteüungsttjelt,  jonbern  nur  um  eine  Um= 
bilbung,  bie  übrigens  meniger  auf  bie  t^eoretijd^e,  al§  auf  bie  praftifcfie 
Seite  get)t. 

2!er  95eric^iebenf)eit  be§  ©ubjeftS  entjpric^t  bie  5ßerjd)ieben^eit 
ber  ^unftion.  ^^i(ofopt)ie  Ujirb  burcf)  bie  2{rbeit  be§  forf(f)enben 
unb  benfenben  SSerftonbeS  f)erüorgebrac^t;  bie  mi)tf)if(^=religiöfe  3SeIt= 
anfcf)auung  ift  ein  örgeugnis  ber  bid)terifcf)en  ^^antafie,  roetdfie  bie 
gegebenen  2(nf(i)auungen  fombiniert,  ergänzt  unb  aus  ber  33eäie^ng  ju 
einer  oon  if)r  gefcf)affenen  tranfcenbenten  SSelt  beutet.  S(üe  (äreigniffe 
am  ^immet  unb  auf  ber  @rbe  loerben,  menn  auc^  nidfit  in  ft)ftematifc^er 
SDurcf)füt)rung,  fo  bocf)  gelegentlich  als  3Siüensbett)ätigungen  jenfeitiger 
$yiäcf)te  aufgefaßt,  bie  gu  bem  Scf)  in  freunbtid)er  ober  feinblicf)er  Se= 
gie^ung  ftef)en,  görberung  ober  Hemmung  feiner  3^^^^^  oerfieifeen. 
2Iüe  ßrftärung  ber  Singe  f)at  bie  g^orm  ber  Deutung  bes  SBarum 
unb  SBo^u. 

3^ie  ^f)itofop§ie  bagegen  beginnt  mit  ber  oerftanbeSmäfeigen 
S(uffaffung,  bie  baburcf)  c^arafterifiert  ift,  ha^  fie  bie  Singe  nimmt, 
rcie  fie  finb.  Sn  erfter  Sinie  auf  bie  grage  nac^  bem  2Bo§  unb  SBie, 
ftatt  ber  grage  nac^  bem  SSo^u  gericf)tet,  fud)t  fie  3unäd)ft  bie  er= 
fc^einungen  al§  fotc^e  unb  i^re  93e§iet)ungen  in  3ftaum  unb  Qdt  feft« 
aufteilen.  9(uf  biefem  3Sege  gelangt  fie  §ur  Grfenntnis  gefe^möfeiger 
3ufammenf)änge  unb  mit  it)rer  §ilfe  üerfud)t  fie  bann  mit  fortfcf)reitenber 
Sßo[(fommenf)eit  bie  Äonftruftion  ber  Singe  im  öroBen.  Sas  ift  ba§ 
miffenfd)aftli(^e  5ßerfat)ren.  ^t)iIofop§ie  ift  urfprünglic^  gar  nicf)tö 
anbereS  al§  miffenfc^aftlictie  (Srfenntniö  ber  Söirttic^feit,  im  Unterfcf)ieb 
ober  im  ©egenfa^  gur  nu)tt)ifcfj-re(igiöfen  SBettDorftetlung. 

Samit  ift  gegeben,  baß  bie  gönn,  in  ber  ^t)iIofopt)ie  unb  mijtl)if(i)= 


SSer^ältnt^  ber  i(Ji)iIofopt)ie  gut  Sieligion  unb  9KQtI)oIogie.  5 

retigiijjc  SSeÜnorftellung  bem  (Sinjelnen  inneiro{)iien,  t)erfrf)teben  i[t: 
an  ber  ^f)iIojop^ie  ^at  ba§  Snbioibuum  burc^  SD en!en,  an  9J?t)tt)oIogte 
unb  Üietigion  burc^  ©tauben  %d{.  (Sine  geglaubte  ^t)itofop§ie  ift 
ein  innerer  SBiberfprucf; ,  nic^t  minber  eine  erbad^te  9?etigion.  ®a§ 
gitt  aud^  Pon  ben  fiöd^ften  9ftetigion§formen,  ber  (Sin^etne  t)at  an  i^nen 
2;eit  nic^t  at§  benfenbeS  unb  forfc^enbeS  Snbioibuum,  fonbern  at§  ©lieb 
eine§  $ßotfe§,  eines  gefdjic^ttic^en  SebenSf reifet;  fte  ift  in  if)m  tteientticf) 
al§  etn)a§,  ha§  er  empfangen  ^at;  wogegen  i^m  ^t)itofopf)ie,  auc^  wenn 
if)r  ©ebanfengefiatt  nict)t  juerft  öon  it)m  f)eroorgebract)t  roorben  ift,  al§ 
etujaS  öon  it)m  (Erarbeitetes  erfcf)eint,  ba§  er  ftjot)!  aucf)  burc^  eignes 
2)enfen  f)ätte  urfprünglid)  l^erüorbringen  fönnen.  — 

5ruS  bem  angebeuteten  inneren  SSerf)öItniS  ber  ^^itofop'^ie  unb 
9^eIigion  fällt  Sid)t  auf  bie  in  ber  (SJefc^id^te  beS  geiftigen  SebenS  fo 
bemer!enSmert  l^eroortretenbe  ^^tjatfad^e,  ^a'^  5n)ifcf)en  it)nen  öielfad^  ein 
feinbtidier  (55egenfa^  ^errfc^t.  Sn  i^ren  beiben  großen  @ntmi(fe= 
lungen,  im  5(Itertum  unb  in  ber  ^Jteujeit,  fte'^t  bie  abenblönbifd)e  *i]ßt)il0' 
foptjie  meift  in  einem  gefpannten  5Ser^öItniS  jur  überlieferten  religiöjen 
2Be(tanfrf)auung,  ha^  nid^t  feiten  in  offene  3=einbfelig!eit  ausbricht.  S«  ber 
@efc^irf)te  ber  griec^ifc^en  ^^t)i(ofopt)ie  ift  ha^  befanntefte  Seifpiet  feinb= 
lid^en  ^wf^^i^n^^J^fto&C'S  bie  ^Verurteilung  unb  §inrict)tung  beS  (SofrateS 
als  SBeräc^terS  ber  (Spötter  unb  SßerberberS  ber  ^ugenb.  3)od)  fte{)t 
ber  ^aü  nirf)t  gang  öereingelt  ta.  Unb  in  ber  Sf^eujeit  n^eift  bie  ©e» 
fc^irfjte  ber  ^^iIofopt)ie  !aum  ein  Statt  auf,  baS  nic^t  öon  Ä'ämpfen, 
inneren  unb  äußeren,  ergä'^Ite.  2)ie  9]orfämpfcr  unb  53a^nbred^er  ber 
neuen  (Seban!en  finb  alle  öon  offiziellen  unb  freitnilligen  ^ütern  ber 
überlieferten  Se^re  befämpft  unb  öerfolgt  ujorben,  raie  fie  beun  aud^ 
i^rerjeitS  alS  ©egner  beS  ^errjdienben  ©liftemS  firfj  füllten,  ^d)  er= 
innere  nur  an  53runo  unb  ©alilei,  an  5)eScarteS  unb  ©pino^a,  an 
^obbeS  unb  ßocfe,  an  35oItaire  unb  Ütouffeau,  an  ßeibnij  unb  SSoIff, 
an  ^ant  unb  5^id)te:  fie  aüe  finb  als  g^einbe  bef)anbelt  morben,  fei  eS 
inbem  man  fie  in  ^erfon  öerfotgte  unb  beftrafte,  ober  i^re  «SdEiriften 
öerbot  unb  burd^  ben  Reuter  öerbrennen  tieB,  ober  menigftenS  i^rer 
S]ef)rt^ötigfeit  mit  SSerboten  unb  Sßerbäd^tigungen  nac^  oben  unb  nacf) 
unten  entgegentrat.  3)er  ^ampf  ift  aud^  gegenlüärtig  nod^  nidjt  er= 
Iojcf)en,  menngleid^  bie  alten  9JJitte(  meift  aufeer  ©ebraucf)  gefommen 
finb.    5lud^  f)eute  nod^  tt)irb  eine  neue  ^^iIofopt)ie  nid^t  blofe  auf  i^re 


6  Einleitung:  SEßefen  unb  93ebeutung  ber  ^l^iloi'opl^ie. 

2öa^rf)eit,  fonbern  ebenjo  auf  if)re  SSerträglidjfeit  mit  ber  gettenben 
Se^re  geprüft  unb,  wenn  fie  in  biefer  Prüfung  nidjt  be[tef)t,  al§  fc^(ecf)t 
unb  üerberblid^  öerujorfen. 

2)ie  Urjac^e  be§  feinbfeligen  33erf)ältniffe§  liegt  offenbar  in  ber 
no^en  Sßernjanbtfdjaft.  @§  ift  ber  üamp]  feinblidjer  Vorüber  ober 
olfo  ©c^ttjeftern.  S)ie  ältere  üerlongt  Stnerfennung  i^rer  5Iutorität, 
bie  jüngere  ftrebt  fid)  biefer  gu  entjie^en,  fie  lüill  nid)t  me^r  aU 
ancilla  theologiae  bienen,  fonbern  frei  unb  felbftänbig  il^r  SSerf 
treiben.  (5§  ift  ^ute^t  ber  Äampf  be§  SnbioibuumS  um  feine  ^rei^eit 
gegen  ben  öefamtgeift.  Überall  finbet  bie  ^E)iIofopl)ie  bei  i^rem  (änt= 
fte^en  bie  ältere,  au§  bem  ßolIe!tioben!en  entfprungene  g^orm  ber  2BeIt= 
anfdjouung  öor.  S)er  ©efamtgeift  ift  älter  alg  ber  inbiöibuelle;  ouf 
primitioer  SntmidelungSftufe  ift  bie  (Gattung  atle§,  ta^  3nbioibuum 
bIoBe§  ©yemptor  ber  (Gattung;  mie  im  ^anbeln  unb  Urteilen  burd) 
bie  ©itten,  fo  ift  e§  im  S)en!en  burd^  bie  religiöfen  S^orfteüungen  unb 
@eban!en  ber  ©efamt^eit  gebunben;  bie  SJJöglidjfeit  befonberer  @e- 
banfen  liegt  if)m  oöüig  fern.  S(ümäf)tid)  aber  finbet  mit  ber  auf= 
[teigenben  ©ntroidetung  S^ifferenjierung  unb  Snbiöibualifierung  ftott. 
@§  !ommt  ber  SJJut,  etma§  befonberer  gu  fein  unb  bamit  aud)  ber 
SOJut,  befonbere  (Sebanfen  gu  "^aben.  ^ie  Sßermunberung  ift  nad^ 
SIriftoteleS,  ber  ßmeifel  nad)  2)e§carte§  ber  §lnfang  ber  ^f)iIo= 
fopt)ie.  93eibe§  ift  ein§,  ba§  Slufroad^en  nämlid)  be§  inbioibuellen 
S)enfen§,  ha^  bi§f)er  burd)  bie  atlgemeinen  ©ebanfen  befd)mid)tigt 
ober  im  ©d)Iaf  gef)alten  morben  mar.  (^egen  ben  ß^^if^^  ober  bie 
SSermunberung  unb  it)ren  35erfud),  fid)  neue  unb  befonbere  @eban!en 
über  bie  SBelt  unb  bie  5)inge  §u  mad)en,  erf)ebt  fic^  nun  ba^  olte 
allgemeine  S)en!en  at§  gegen  eine  fettfame  unb  unerf)örte  Stumafeung: 
marum  miüft  bu  bir  uid)t  an  ben  anerkannten  unb  oon  ben  S5or= 
fa'^ren  überlieferten  ©ebanfen  genügen  laffen?  Sa§  ift  freüel^afte 
Überf)ebung,  bie  gu  unterbrüden  9?ed)t  unb  ^f(id)t  ift;  um  fo  mel)r 
al§  bie  Überfc^reitung  ber  allgemeinen  ©ebanfen  boc^  nur  ber  Über= 
fc^reitung  ber  Sitte  ben  2öeg  ebnen  ober  i^r  gur  S3efd)önigung 
bienen  fott. 

Sn  ber  atten  SBett  fef)It  e§  ben  33eftrebungen,  fid^  ber  ^^iIo= 
fopt)ie  ^u  ermefiren,  an  3ufammen()ang  unb  Äonfepuenj;  meber  mar 
bie  mt)tf)ifc^=retigiöfe  SBeltanfc^auung   innerlid)   ju  einem   eint)eitüd)en 


SSerpItni^  ber  ^^iIofopf)ie  jur  SReligton  unb  SK^tl^oIogte.  7 

<St)j'tem  burcficjebitbet,  noc^  l^atte  fie  eine  äußere  Drganifation,  bie  fie 
n)e{)rf)aft  unb  njiberftQnb§fä{)ig  gemad;t  Ijötte.  ^al^er  bie  ^^ilojop^ie 
^ier  bolb  öoQe  ^rei^eit  erreidjte.  5lnberg  lag  bie  ©Qd)e  in  ber  0ieu« 
jeit.  S)ie  (f)ri[tlic^e  Üieligion  !f)at,  f(f)on  im  Slltertum  unb  bann  ttjieber 
im  3J?ittetaIter,  \o  öiel  ^t)i(ofopfjie  in  fic^  aufgenommen,  ba^  fie  felbft 
«in  atlumfaffenbeg  2ef)rfl)ftem  bilbet,  t)a§>  feinen  9?aum  für  freie 
©ebanfenbilbung  läfet.  ^n  ber  Äird^e  mit  if)rem  SSermaItung§ft)ftem 
unb  i!^rem  Unterric^t^ttJefen  f)at  fie  bie  äußere  Organifation,  njoburd^ 
fie  befähigt  ift,  aÜgegenmärtig  5(bmeid)ungen  in  ber  Se^re  fogteid^  gu 
6emer!en  unb  i^r  mit  gefammelter  Autorität  entgegenzutreten.  2)arum 
ift  ^ier  ber  ^ampf  fo  üiel  ^ei§er  unb  länger  gemefen.  @r  ift  f)ier 
!eine§meg§  fd^on  beenbet,  njenngteic^  in  unferer  Qdt  bie  ^orberung 
ber  Untermerfung  ber  ^f)i(ofop()ie  unter  bo§  firdjlid^e  ßel^rftjftem  faum 
me!^r  prinzipiell  gefteltt  njirb,  menigfteng  nid)t  ouf  proteftantifc^em 
^oben.  (Sine  Steigung  baju  regt  fid^  freiließ  aud)  l^ier  nod^  f)in  unb 
tnieber,  unb  tt)enn  e§  einmal  gelingen  foüte,  bie  tf)eoIogifd^en  g^afultöten 
unter  bie  ürd^Iidie  5tutorität  jurüdgubringen,  bann  UJÜrbe  öorauSfid^t* 
lic^  ber  ^erfud)  nidjt  lange  auf  fid^  märten  laffen,  aud)  bie  ^f)iIofop^ie 
mieber  unter  Äontroüe  ju  fteHen.  (Sinftmeilen  ift  baju  aUerbingS  ge= 
ringe  3(u§fic^t. 

2öie  mirb  biefer  ^ampf  au§get)en?  SBirb  er  emig  bauern? 
Söirb  er  gu  frieblic^em  SluSgleid^  führen?  Ober  mirb  er  mit  bem 
befinitiüen  Unterliegen  ober  bem  Untergang  einer  ber  Gegnerinnen 
enben? 

Sn  meiten  Greifen  ift  heutzutage  bie  Ie|tere  5lnfid)t  bie  fjerrfc^enbc. 
^ie  9?eIigion,  fo  glaubt  man,  ift  im  51u§fter6en  begriffen;  SSiffen^ 
fc^aft  unb  ^^ilofopf)ie  ^aben  if)r  bie  äBurjeln  abgegraben,  ta^  (Snbe 
tüirb  bie  SlKeinfierrfc^aft  ber  Söiffenfdjaft  fein. 

Sd^  oermag  mic^  biefer  51nfid)t  nid)t  burd^auS  anzufc^lie^en. 
Sn  einem  beftimmten  ©inne  ttiirb  fie  Stedjt  t)aben:  bie  ölte  ml)tl)if(^e 
^luffaffung  ber  ^fJatur  ift  o^ne  3^^^f^^  ^nt  3«rüclroeid)en  begriffen, 
^er  ©laube  an  ©ötter  unb  3)ämonen,  bie  al§  (Sinselmefen  irgenbmo 
(Syifteng  ^aben  unb  burc^  gelegentlid)e  (Singriffe  ben  faufalen  ßufammen- 
f)ang  be§  Skturlaufs  unterbrechen,  ift  im  Slu^fterben  begriffen  unb 
n?irb  nic^t  mieber  tebenbig  merben,  e§  fei  benn,  ba^  SSiffenfc^aft  unb 
ipi)ilofop^ie  im  ?Ibenblanb  ttjieber  erlöfd;en.    5Iuc^  mac^t  e§  l)ier  feinen 


8  Einleitung:  2Befen  unb  93ebeutung  ber  ^^ilofopl^ie. 

itjefentfic^en  Unterf(i)ieb,  ob  man  öiele  berartige  SBefen  ober  nur  ein 
einziges  annimmt. 

dagegen  glaube  id)  nicf)t,  hcL'B  bomit  gugleid)  bie  9f?eIigion  a\\^^ 
fterben  njirb.  Stf)  glaube  nid^t,  baB  bie  SO^enfdj^eit  jemals  it)r  innere! 
5ßerf)ältni§  gur  SBir!(ic^!eit  auf  ba§  tt)iffenfcf)aftlirf)e  Srfennen  einjd)ränfen 
mirb.  SSäre  ber  9}?enfc^  ein  rein  intelleftuetleS  SSefen,  bann  möcf)te 
er  [id\  an  ben  S3ru^[tü(fen  üon  (Srfenntni§  genügen  loffen,  »eld^e  bie 
n)iffenftf)aftlici^e  g^orfd^ung  nad)  unb  nacf)  ^ujammentrögt.  Stber  er  ift 
nicfjt  bloßer  S3er[tanb,  er  ift  auc^  unb  oor  oüem  ein  UJoQenbeg  unb 
füf)(enbe§  SSefen.  Unb  in  biefer  @eite  feine§  2öefen§  ^at  bie  9fieIigion 
if)re  tiefften  SBur^etn.  (55efüf)Ie  ber  ®emut,  ber  @f)rfurdE)t,  ber  tSe^n» 
fud)t  na^  bem  ^ollfommenen,  mit  ber  fein  ^er^  in  ber  Slnfc^auung 
ber  9?atur  unb  ber  @efd)id)te  erfüllt  tt^irb,  beftimmen  fein  innere! 
S3er!£)ä(tni§  ^ur  SBirflid^feit  unmittelbarer  unb  tiefer,  al§  e§  bie  ^Begriffe 
unb  g^ormeln  ber  SBiffenfc^oft  öermögen.  3(u§  iiinen  ertt)äcf)ft  bie 
ßuüerfic^t,  ha^  bie  SSelt  nirf)t  ein  finnlofe!  ©piel  bünber  ^raft,  fonbern 
bie  Offenbarung  eine!  ©uten  unb  ©rofeen  fei,  bafe  er  freubig  al!  ein 
feinem  eigenen  innerften  SBefen  SSerUjanbte!  anerfennen  bürfe.  ®enn 
ba^  ift  boc^  ha^  eigentlicf)e  SSefen  jebc!  religiöfen  ©tauben!,  bie  3"* 
üerfic^t,  ha^  in  bem,  ma!  irf)  at!  ha§>  §öd)fte  unb  93efte  liebe  unb 
öere'tjre,  ba!  eigentlid^e  SBefen  ber  2Sir!Iid)feit  ficf)  mir  offenbart,  bie 
®en3ifet)eit,  ha'^  ha^  @ute  unb  ^^ollfommene,  morauf  ba!  tieffte  @ef)ncn 
meine!  SBiüen!  gerichtet  ift,  ®runb  unb  ^ki  aller  3)inge  ift. 

®iefe  ©enji^fieit  !ommt  nicfit  au!  ber  3Siffenfcl)aft,  barum  fann 
2öiffenfd)aft  fie  aud^  nid^t  aufl)eben.  ©ie  f)at  it)re  SBurgeln  nicf)t 
im  SSerftanb,  fonbern  im  SSillen.  ®er  9]erftanb  urteilt  überhaupt 
ni(f)t  burd^  bie  ^räbifate  gut  unb  fdl)led)t,  ujertöoll  unb  unmert,  er 
unterfd^eibet  mirüid^  unb  unmirflid),  mafir  unb  falfd).  @r  ift  ein 
gegen  SBert  unb  Unrtjert  gleid^gültiger  9?egiftrierapparat  be!  3Birtlid^en. 
SDer  9}?enf(f)  aber  ift  mef)r  al!  ein  9f?egiftrierapparat  be!  SSirflidEjen, 
barum  f)ot  er  nid^t  blofe  2Siffenfd)aft,  fonbern  aud^  ©id^tung  unb 
^unft,  ©taube  unb  ^Religion.  (Sinen  ^un!t  njenigften!  giebt  e!, 
mo  jeber  über  t)a^  blo§e  SBiffen,  ta§>  Sftegiftrieren  non  jtf)atfacf)en, 
'^inau!gel)t,  ha§:  ift  fein  eigene!  ßeben  unb  feine  3wf"Jift:  er  legt 
einen  Sinn  in  fein  ßeben  unb  giebt  if)m  bie  Sftic^tung  auf  etma!, 
ttjo!  nod^  nidjt  ift,   ober  fein   wirb,   burcf)   feinen  SSiüen   fein   n)irb. 


ißer:^ältm§  ber  <)3^tIofopt)ie  gur  9fleUgton  unb  9Kt)tI)oIogie.  9 

@o  entfpringt  tf)m  neben  bem  SBiffen  ein  ©laube;  er  gtanbt  an  bie 
$ßertt)irflidjung  biefe§  feine§  Seben^jielS,  luenn  anber§  e§  if)m  Srnft 
barum  ift.  S)Q  aber  jein  Seben^jiel  nid)t  ein  ifotierte§  ift,  fonbern 
in  bem  gefd)id)tücf)en  ßeben  feine§  SSoI!e§,  jule^t  ber  9J?enfc^t)eit  be= 
jd^toffen  ift,  fo  glanbt  er  ancf)  nn  bie  3"fiinft  feines  S5oIfe§,  an  bie 
fiegreid)e  3wf""ft  "^^^  Söaljren  nnb  9fied)ten  unb  ©uten  in  ber 
3J?enfd}f)eit.  SBer  immer  fein  ßeben  an  eine  <Ba(i)t  fe|t,  gtanbt  an 
feine  <Ba6:)i,  nnb  biefer  Glaube,  fein  58efenntni§  mag  im  übrigen  fein, 
tt)eld)e§  e§  miü,  ^at  immer  etiüo§  oon  ber  g^orm  einer  9f?eIigion. 

(Se^t  fo  ber  ©laube  junäd^ft  innert)alb  ber  @efd)id)te  jmifdjen 
bem  SSirflidjen  unb  SSertüoUen  einen  inneren  3ufammen{)ang,  fief)t 
er  in  i^r  etma§  mie  eine  ben  3)ingen  felbft  innemo^nenbe  5ßernnnft 
ober  ©erec^tigfeit  für  ba§  S^ied^te  nnb  ©ute  Partei  net)men  unb  e§ 
fiegreid^  gegen  aüe  miberftrebenben  SDJäd^te  t)inau§füf)ren ,  fo  füt)rt 
oon  f)ier  au§  ein  natürlid^er  ^ortfc^ritt  meiter.  2)a§  menfd^Iid)= 
gefd^id)ttid)e  Seben  ift  h)ieber  nid^t  ein  ifoIierteS,  e§  ift  in  ben  an= 
gemeinen  S'Joturlauf  fo  eingebettet,  ha^  e§  auf  feine  SSeife  baoon 
gelöft  n^erben  fann.  @ilt  nun  bort  ha^  @efe|,  ha^  bie  2Baf)rt)eit 
gegen  bie  ßüge,  haS'  9^ed^t  gegen  ha§>  Unred)t,  hav  öute  gegen  ba§ 
Söfe  tro|  bem  entgegenftef)enben  ©d)ein  im  ©runbe  unb  auf  bie  2)aner 
ba§:  @tar!e  unb  @iegreid)e  ift,  mie  foüte  e§  nid)t  äutäffig  fein,  bie§ 
3Sert)äItni§  atigemein  ju  fe^en  unb  an  eine  bie  gange  2Sirftid)feit 
umfaffenbe  SOZad)t  be§  ©uten  gu  gtauben?  5tm  menigften,  fd)eint  e§, 
f Otiten  bem  biejenigen  miberfpredjen ,  bie  fo  entfd)ieben  bie  ®efe^= 
möBigfeit  be§  SBetttaufS  unb  bie  @ingefd)toffent)eit  ber  @efd)i(^te  in 
ben  attgemeinen  9Jaturtauf  bef)aupten.  2öer  an  einen  ftetigen  ^ort^ 
fd^ritt,  an  einen  fid)  üermirflid^enben  ©inn  in  ber  ©efc^id^te  glaubt, 
unb  gugteid^  \)q§>  9)?enfd)t)eit§teben  at§  einen  ?(u§fc^nitt  au§  bem  atl^ 
gemeinen  9laturteben  fafet,  ber  t)at  barin  bie  3Sorau§fe|ungen,  bie  if)n, 
menn  er  nid)t  oon  bem  einen  ober  bem  anbern  abfaüen  miü,  jum 
©tauben  an  einen  ®inn  in  ben  fingen  überhaupt  füt)ren  muffen 
jum  ©tauben,  nid)t  gum  SBiffen  unb  Semeifen,  benn  fc^on  ber  @inn 
in  ber  ©efd^id)te,  ja  ber  ©inn  im  eigenen  2eben  ift  nic^t  (Bad)t  be§ 
SSiffen§  unb  53emeifen§. 

SBa§  tjinbert  t)ieran?  (Sinb  e§  bie  fd)tec^ten  58emeife,  bie  bie 
gute  (Sai^e  fo  oerbiic^tig  gemalt  l^aben,   ba&  man  e§  je^t  bem  $8er== 


10  (Einleitung:  SBefen  unb  33ebeutung  bec  ^^ilofopf)ie. 

ftanbe,  ber  bie  Seweife  oerlDirft,  frfjulbig  gu  fein  glaubt,  audf)  bie 
©arfje  njegjutuerfen?  —  SBobet  benu  ba§  SBunberüc^e  f)erau§!äme, 
bafj  UQcf)  biejer  5(njicl^t  bie  eigenttid^e,  le^te  ßeiftung  unb  Slufgobe  ber 
SSifjenfcfjQft  in  ber  Sßelt  borin  beftünbe,  gu  geigen,  ha'Q  ber  ©taube 
an  @inn  unb  Söernunft  in  ben  Singen  Unfinn  unb  Stberglaube  fei. 
3n  biefer  Üüdjtung  Hegt  bie  SKöglid^feit  be§  ^^  r  i  e  b  e  n  § 
5n)if(^en  Söiffen  unb  Glauben,  änjifdjen  ^I)iIofopI)ie  unb 
9^eIigion,  bie  S[RögIicf)feit  eine§  n)ir!tid^en  unb  bauernben  g^riebeng, 
nicfjt  eine§  faulen  5lompromiffe§,  tuie  er  tt)of)I  auf  Ä^often  ber  SSat)r= 
^eit  gefd)(offen  tt)irb,  aud^  ni(f)t  eine§  gteidjgültigen  ober  geringe 
fd)ä^igen  fid^  au§  bem  Söeg  get)en§,  fonbern  eine§  griebenS,  ber  auf 
freier  gegcnfeitiger  5Inerfennung  beruljt.  2)er  erfte  ©d^ritt  bagu  ift 
reinlid^e  9lu§einanberfe^ung  ber  Stufgaben.  3]or  allem  muB  bie  9?eIigion 
auff)ören,  alter  Übung  folgenb,  in  ba§  @efd)äft  ber  Söiffenfd)aft  fidj 
eiuäumifdjen.  Sie  muB  ber  Unterfudjung  ber  natürlidjen  unb  gefd)id^t= 
Iid)en  SBirüidjfeit  öoüe  ^reitjeit  einräumen,  fie  barf  i^r  n)eber  ©renjen 
gieljen,  nod)  bie  9^efultate  norfdjreiben  mollen;  hü§>  f)ieBe  ber  3Siffen= 
fd)aft  an§  Seben  greifen.  Unb  fie  mag  e§  tf)un  o^ne  (Sorge,  ha'^  fie 
bamit  fid)  fetber  aufgebe.  Sie  SBiffenfdjaft  n)irb  nie  haS^  ©emüt  be§ 
9J?enfd)en  ganj  erfüllen,  fo  wenig  al§>  fie  jemals  bie  2ßir!(id^feit  bi§ 
auf  ben  ©runb  erfdjbpfen  njirb.  S)a§  rt)irb  fie  befto  Ieid)ter  er!ennen, 
je  fidjerer  fie  bor  Übergriffen  in  it)r  eigene^  ©ebiet  ift,  unb  bonn 
mirb  fie  sug(eid)  aner!ennen,  ha^  fie  bie  üleligion  nid)t  erfe|en  !ann, 
bü^  neben  i^rer  5(ufgabe  für  eine  anbere  Ülaum  ift,  bie  fie  nic^t  (Öfen 
fann.  Sieben  ber  3^rage  nad^  bem  SBa§  unb  SBie  erl)ebt  ber  SOienfd^ 
unt)ermeib(id)  bie  g^rage  nad)  bem  SBogu.  hierauf  ^at  gmar  aucE)  bie 
^f)i(ofopf)ie  ftet§  öerfudjt  eine  Stntwort  gu  geben.  Stuf  bag  (SJanje  be§ 
£eben§  bücEenb,  üerfudjt  fie  fein  ^id  ober  ^öd)fte§  @ut  §u  beftimmen, 
unb  auf  ba§  ©ange  ber  Singe  blidenb,  üerfud^t  fie  e§  in  feiner  93e= 
5ie()ung  jum  t)üdE)ften  ®ut  ,^u  faffen.  Stber  me'^r  unb  me^r  t)at  fie 
fid^  überzeugt,  baB  bie§  Unterne{)men  mit  ben  SOiitteln  be§  miffenfd^aft- 
lidjen  @rfennen§  nid)t  burd)fü()rbar  ift,  ha%  mit  ®oett)e  ju  reben,  bie 
(Siiften§,  burd)  bie  menfc^Iid)e  ^Sernunft  bioibiert,  nidjt  ot)ne  9f?eft  auf:= 
get)t.  @o  bteibt  ber  Üieligion  bie  Stufgabe,  ben  @inn  ber  Singe, 
nidjt  mit  Gegriffen  für  ben  SSerftaub,  aber  mit  ()eitigen  ©innbilbern 
für  ha§'  ©emüt  gu  beuten. 


Sßerf)ättm§  ber  ^^iIofopi)ie  jur  SteUgton  unb  9Jiqt{)oIogie.  11 

2)a§  gejcfiidjtlicfje  $ßerf)ältnt§  Don  SBiffenfc^aft,  ^^itofop^ie  unb 
Üieligion  fann  man  nun  \o  QuSfpredjen.  Urfprünglidf)  finb  alle  brei 
eins,  ^aufate  ©rflärung,  t^eoretijd)e  5?'on[truftion  unb  ibeelle  S)eutung 
ber  SSirfdd^feit  fallen  in  ber  religiöfen  SO?i)tt)oIogie  jujammen:  bie 
©innbilber  be§  ^Boüfornnienen  bienen  sugteicf;  al§  ©rflärungSprinsipien 
ber  9iatur.  '?flod)  in  ber  fcfjoIa[tijd)cn  3:{)eoIogie  unb  ^fjifofop^ie  finb 
beibe  Elemente  ungetreunt;  ®ott  ha§:  f)öc^fte  @ut  unb  ^ugteid;  bie 
crfte  Urfad)e,  bie  alle  SSiffenfd^aften  al§  @r!(ärung§prinäip  öerwenben, 
Slftronomie  unb  ^Biologie  nid)t  niinber  al§  bie  @efd)id)te.  3)ie  fort= 
fd^reitenbe  ©iffereuäierung,  lueld^e  bie  önttuidelung  be§  gefd)id)tlic^en 
Xük  be§  organijd)en  2eben§  überall  be{)errjdjt,  Ijat  and)  tytx  jur 
(Spaltung  gcfüf)rt.  3)ie  2öiffenfd)aft  t)at  fid^  öon  ber  Sfieligion  getöft 
unb  »erfolgt  if)r  Qid,  bie  S3efd}reibung  unb  !aufa(e  ©rflärung  be§ 
2öirflid)en,  unbeüimmert  um  bie  9JiögIic^!eit  ber  ibeeüen  2)eutung. 
S)ie  9?eIigion  bietet  bem  ©tauben  i^re  ©eutung,  unbeüimmert  um  bie 
9}Züg(id)feit  einer  miffenfdiaftlid^en  Äonftruftion;  bie  2)ogmenbiIbung, 
bie  etma§  luie  eine  begrifflid^e  Äonftruftiou  be§  @Iauben§  fein  wollte, 
!t)at  aufge'^ört.  ß^M'^f)^!^  beiben  nimmt  eine  9}littelftellung  ein  bie 
^^ilofop^ie.  §(u§get)enb  üom  SSiffen,  fnd)t  fie  a\§>  Uuioerfa(miffen= 
fd)aft  bie  ^xaQ,e  wad)  bem  SSefen  unb  ber  ©eftatt  ber  SBirflic^feit  gu 
beantworten,  ©töfit  fie  fc^on  Itjier  an  bie  ©renjen  be§  menfd)Iid;en 
@r!ennen§,  fo  inirb  fie  nod^  entfdjeibenber  feiner  Unjulanglid^feit  inne 
bei  ber  grage  nad}  ber  Sebeutung  ober  bem  ©inn  aller  3)inge;  fie 
erfennt  bie  Unmöglic^feit,  au§  einem  üorau§gefe|ten  «Sinn  bie  g^orm, 
ober  umge!el)rt  au§  ber  @eftalt  ber  2Birf(i(^feit  if)ren  eint)eit{id)en 
©inn  abzuleiten:  bie  SSelt  ift  ein  9}?i)fterium,  beffen  gel^eimeu  @inn 
bem  ^erjen  gu  offenbaren  fie  ber  SSerwalterin  ber  9)hjfterien,  ber 
Üieügion,  überlofet. 

S)ie  Stnerfennung  biefer  Differenzierung  ift  bie  Sebingung  be§ 
3^rieben§.  2Ser  baran  arbeitet  fie  rüdgängig  ju  mad)en,  roer  bie 
S33iffenfd)aft  wieber  bem  S)ogma  untermerfen,  ober  mer  ben  ©tauben 
in  SBiffen  auflöfen  miQ,  ber  öertiert  feine  9}Züf)e  unb  ^inbert  an  feinem 
%üi  ein  gebei^Iidjes  9Sert)äItni§. 

Db  ber  griebe  üor  ber  Xf)ür  ftef)t?  ®ie  ßdd)m  fdjeinen  günftig. 
2)ie  ^t)iIofopf)ie  ^at  löngft  bie  ^anb  jum  ^rieben  geboten.  (S§  ift 
ber  eigentliche  5lngelpun!t  ber  ^f)iIofopf)ie  ^ant§:  äöiffen  unb  ©tauben 


12  (Sinlettung:  SSejen  unb  93ebeutung  ber  ^^ilojopiiie. 

3tüei  gunftionen,  bie,  beibe  im  Söefen  be§  SJienfc^en  angelegt,  neben 
einonber  9iaum  i)Qben.  93eiben  if)r  9?e(f)t  ju  üerfrf)Qffen,  bem  SSiffen 
gegen  ben  SfeptijiSmuS  §ume§,  bem  ©lauben  gegen  bie  bogmottidje 
9^egQtion  im  SRaterialiSmug,  bae  i]'t  bie  Summe  jeine§  Unternehmen?. 
Um  bem  ölauben  9^aum  ju  jdjaffen,  ift  e§  aber  aurf)  notmenbig,  ben 
pofitioen  ^Dogmatismus  ber  SSolff^icfien  ^t)iIojop^ie  meg^ufcfiaffen :  mit 
bem  pofitioen  ^Dogmatismus  fte^t  unb  fällt  ber  negatioe.  S)a§  meint 
Äant,  tt)enn  er  fagt:  „id)  muBte  ha^  SBiffen  auff)eben,  um  bem  ©tauben 
^^Ia|  gu  machen."  ®iefe§  SBiffen  ift  md)t  haS^  SSiffen  ber  2Biffen= 
icf)aft,  fonbern  ha§  oorgeblic^e  Söiffen  ber  tranfcenbenten  @cf)uIpf)iIo= 
fopt)ie  unb  (2(i)uItf)eoIogie,  bereu  ortfjoboje  ^orm  jene  fe|erifc^en 
g^ormen  notmenbig  fjerüorbringt,  namentticf)  bann,  irenn  fie  burd)  bie 
StaatSgematt  gefc^ü^t  tt)irb.  5Darum  pit  Äant  e§  ber  ^ürforge  ber 
Sfiegierung  für  bie  2öiffenf(^aften  unb  bie  S[)Zenfrf)en  für  meit  gemäßer, 
„bie  greit)eit  einer  folc^en  Äritif  gu  begünftigen,  moburd)  bie  ißernunft- 
bearbeitungen  allein  auf  einen  feften  ^u^  gebracht  »erben  !i)nnen,  al§ 
ben  Iäd)erlic^en  2)efpoti§mu§  ber  «Schulen  ju  unterftü|en,  roeldje  über 
öffentüc^e  @efat)r  ein  Iaute§  ©efd^rei  erf)eben,  menn  man  i^re  (2pinn= 
roeben  gerrei^t,  oon  benen  bod)  ta§>  'j^ublifum  niemals  D^otij  genommen 
()at  unb  bereu  3}erluft  e§  atfo  auc^  niemals  füt)Ien  fann"  (5?orrebe  jur 
2.  Stuft,  ber  Äritif  ber  r.  ^ern.).  "^ad)  bem  üorübergef)enben  ?fiM= 
faü  in  ben  SntetlettuatiSmuS,  ber  burd)  bie  ^errfc^aft  ber  ^egelfdjen 
^^^ilofop^ie  be§eid)net  ift,  übt  bie  Äantifd)e  ^t)i(ofopf)ie  gegenmärtig 
mieber  ben  breiteften  SinftuB;  fie  t)at  auf  ber  einen  Seite  ber  fpefu= 
(atioen  ^^itofopljie,  auf  ber  anberen  bem  bogmatifdjen  9J?ateriaIiSmuS, 
bie  beibe,  »enn  auc^  in  t)erfd)iebener  5(bfic^t  unb  9f?ic^tung,  ben  ©tauben 
burc^  baS  SSiffen  auf^utjeben  unb  überftüffig  §u  machen  üor^atten,  ein 
ßnbe  gemad)t,  unb  eS  finb  nid)t  btoB  ^^itofopt)en ,  fonbern  aud) 
^f)t)fifer  unb  ^^t)t)fiotogen,  bie  ^eutjutage  au  bie  Ä'antifc^e  ^fjitofopl^ie 
fid)  onle^nen.  SSenn  nun  aud)  58erfd)iebene  SSerfd)iebeneS  barauS  fic^ 
aneignen,  unb  menn  für  mand)e  hk  Berufung  auf  bie  (5rfenntniStf)eorie 
ÄantS  im  ©runbe  nid)tS  anbereS  ift,  a(S  eine  fe^r  meittäufige  @nt= 
fd)utbigung  barüber,  ba&  fie  überhaupt  feine  pofitioen  ©ebanfen  über 
©Ott  unb  bie  2öett  t)aben,  fo  barf  bod)  angenommen  merben,  ha^  bie 
neuertid)e   5IuSbreitung    biefeS   ©ebanfenfreifeS    im    ganzen    auS    ber 


58er^ältni§  ber  ^^üojopl^ie  jur  9teIigion  unb  SlJi^t^oIogie.  13 

Sfleigung  f)erüorgef)t,  ouf  tiefer  ©runbloge  §um  f^rieben  ber  2Biffenjd)Qft 
mit  ber  Üteügion  §u  gelangen. 

Sine  parallele  gur  §üt§breitung  ber  ^f)iIofopf)ie  ß'ont^  in 
S^eutfc^Ianb  bilbet  bie  S(u§breitung  be»  ^ofitiüi§mn§  in  granfreid) 
unb  ©nglanb.  @o  entfdjieben  biefe  9tid)tung  bie  5^eüormnnbung  ber 
2öifjenj(^aft  burd)  bie  Äird)e  ablehnt,  ebenfo  entfdjieben  erfennt  fie 
anbererfeit§  an,  boB  ba§  Söiffen,  im  ©ebiet  be§  Sfielatiüen  eintieimifd^, 
nid)t  bi§  auf  ben  tiefften  @runb  ber  2)inge  reicht,  unb  boB  ?lu§brüde 
für  eine  anbcre  Seite  unfereS  3nnenteben§,  für  ein  gefüf)I§mäBige§  58er= 
f)ä(tni§  5ur  3öirflid)feit,  mie  e§  non  je^er  bie  Sfteligion  bot,  5U  finben 
ein  93ebürfni§  bleibt.  C^  0  m  t  e  unb  üt  e  n  a  n ,  9)t  i  U  unb  (Spencer 
fommen  hierin  überein. 

5(uf  ber  anberen  Seite  ift  eine  feit  furjem  in  ber  proteftantifc^en 
Srf)eo(ogie  fo  bebeutfom  l^erdortretenbe  Senjegung  at§  t)offnung§üoIIe§ 
Slnseidjen  ju  begrüben,  ic^  meine  bie  Semegung,  rcelc^e  barauf  abhielt, 
bem  3)ogma  eine  neue  Steüung  unb  Sebeutung  im  !ird)üdjen  Seben  gu 
geben.  Gegenüber  ber  ^Infdjauung,  bie  in  bem  2)ogma  ben  SluSbrud 
tfjeoretifc^er  2öa^r()eiten  fat),  benen  burd)  ei'egetifdj-tjiftorifc^e  S3en)ei§- 
füfjrnng,  ober  burdj  ontoIogifd)=fo§moIogifd)e  5(rgumente  ein  ioiffenfd)aft= 
lidjer  Unterbau,  ober  burd)  Spefulation  eine  begriffüdje  2lu§tegung 
gegeben  Serben  fönne  unb  muffe,  miti  bie  neue  9^idjtung  if)m  bie  93e= 
beutnng  einer  gormel  geben,  bie  nid)t  foiüot)(  ben  5ßerftanb  atg  ben 
SBillen  binbet,  bie  nic^t  beraei§bare  5lu§fagen  über  gefd)id)tlid)e  ober 
natürlidie  äöirflic^feit,  fonbcrn  93efenntniffe  ju  abfolut  anerfannten,  ta^' 
©emüt  erfüllenben  unb  bem  SBillen  ßiel  unb  9iid)tung  gebenben  ©ütern 
entf)ätt.  ?rn  Suttjer  anfnüpfenb,  ber  mit  ber  55ermerfung  ber  fd)o(aftifc^en 
^t)i(ofop^ie  unb  3'.t)eotogie  bie  falfd)e  (Sin^eit  oon  ©tauben  unb  Söiffen 
öermarf,  roiU  fie  bie  proteftontifdje  2;()eoIogie  au§  bem  3ntefle!tuali§mu§ 
ber  Ort^oboyie,  au§  ber  üerftanbeSmäBigen  S)emonftrier:=  unb  Softem- 
fuc^t,  in  bie  fie  atSbalb  lieber  jurüdfiel,  t)erau§äief)en,  um  ha§^  t'ixdy 
Iid)c  Seben  auf  ben  ^oben  be§  (Soangeüum»  non  ber  ©rlöfung  burd) 
©tauben  unb  Siebe  gu  fteüen. 

So  fommt  man  fid)  üou  beiben  Seiten  entgegen.  3""^  ^rieben 
fc^eint  nur  crforbcriid),  ha^  fid)  bie  5l'ird)e  cntfd)(ieBt,  aufrid)tig  unb 
of)ne  3\üd()alt  ber  2Biffenfd)aft  5U  geben,  wag  ber  323iffenfd)aft  ift.    Sie 


14  (Einleitung:  SSSefen  unb  93ebeutung  ber  $f)iIofopf)ie. 

f)at  fid;,  tt)enig[ten§  auf  proteftantifc^em  ©ebiet,  QÖmä^Iicfj  barem  ge= 
funben,  bem  Äoifer  ober  bem  Staate  ju  geben,  ira§  be§  Staates  ift;  man 
barf  annehmen,  fie  lüirb  fid;  auc§  barcin  finben,  bem  SSerftanbe  gu 
geben,  tt)a§  be§  ^erftanbeS  ift,  b.  {).  it)m  ba§  gan5e  ©ebiet  ber  natura 
lidjen  unb  gefc^ic^tücfjen  SSirfüdjfeit  ju  freiefter  ©rforfc^ung  rücft)aIt(o§ 
einzuräumen  unb  anjuerfennen,  ha'^  fie  meber  9)ätte(  norf)  örunb  ^abe, 
ber  auf  bem  SSege  tniffenfdjaftlidjer  gorfd)ung  gemonnenen  6rfenntni§ 
in  irgenb  einem  Stüd  entgegenzutreten,  ^onn  merben  ^i)i(ofop^ie 
unb  SSiffenfd^aft  aufhören,  im  ©tauben  eine  33eeinträd)tigung  ber  (Sr= 
fenntniS  gn  fet)en,  öietmetjr  mit  @oett)e  befennen:  „^aS  fc^önfte  ©lud 
be§  benfenben  SJienfc^en  ift,  ha§i  (Srforfd)(ic^e  gu  erforfc^en  unb  ha^ 
Unerforfd^Iic^e  ruf)ig  5U  üerefjren.'"  *) 

SSaä  biefe  f)offnung5reid)e  5Cusfid)t  ju  trüben  geeignet  ift,  ha^ 
ift  ber  abfolut  re(igion§=feinbIid)e  ÜiabifaliSmuS,  ber  gegenwärtig  in 
ber  breiten  äJJaffe  ber  S3eöi)Iferung  um  fic^  greift.  S)ie  geinbfdjoft, 
bie  üorbem  unb  noc^  oor  einem  9JZenfd)enaIter  burd)  bie  obrigteitlidie 
33eöormunbung  in  ben  Greifen  ber  ©ebilbeten  erregt  mürbe,  ift  je^t 
auf  bie  üon  poIitifd)er  unb  gefellfc^aftlid)er  Unäufriebenf)eit  erregten 
äJJaffen  übergegangen.  9(ud;  fjier  beruft  man  fid)  auf  bie  3Biffen= 
fc^aft:  fie  Ijabe  gezeigt,  ha'B  9?e(igion  nid)t§  al§  ein  Überlebfei  au§ 
ber  Äinb^eitsepodje  ber  9)?enf(^t)eit  fei,  ha§i  nur  nod)  burc^  bie  poIi= 
tifc^en  unb  fo^ialen  3ntereffen  ber  ^errfc^enben  klaffen  gef(^ü|t  unb 
erf)alten  merbe.    @§  ift  biefelbe  ^Täufi^ung,  ber  frütjer  bie  Sourgeoifie 


*)  SJiit  §inföcifung  auf  ben  fürjlid)  ouggebroc^enen  Äampf  um  ha§  3IpoftoIifum 
ift  gum  SSorftet)enben  bemertt  rcorben,  baß  ftd)  bie  ißrop^eäcif)ung  be§  eroigen 
iJriebenS  aud)  t)ier  roieber  all  Säufdiung  erroiefen  i)abe.  —  So  Ieid)t  gebe  ic^  bie 
3Sorau6fid)t  bod^  nid)t  preil.  %a§  f)abe  ic^  nid)t  ermattet,  i>a'\i  bie  9iic^tung,  bie 
in  ber  S^eologie  oor  einem  9JJenfc^enaIter  ^errfd^enb  roax,  o^nc  weiteren  Äam^f 
i>a§  gelb  räumen  roerbe;  ber  Söinter  äicf)t  and)  nid)t  ab,  otjwc  nod)  mit  einigen 
Scfineeftürmen  bem  5rü£)Iing  hcn  ©ingug  ftrettig  p  madjen.  ^ilber  ber  grü^Iing 
fommt  bod).  Unb  f)ierin  mac^t  mic^  ber  ^roteftfelbjug  ber  alten  Drt^obojic  fo 
wenig  irre,  ba'ß  id)  barin  öietmel^r  ein  günftigeS  3^^"^^"  erblicfe;  füfitte  fie  fic^ 
nitf)t  in  i^rem  2;ofein  bebrofjt,  fie  würbe  nic^t  mit  folc^em  ßifer  bie  SCBäi^ter  auf 
bie  SJJauern  nifen.  2lber  fie  mertt,  baß  bie  Sage  gejäfilt  finb,  bafe  bie  Qugenb 
if)ve  9leif)en  oerläBt,  unb  fo  fudjt  fie  burd)  hm  Slneber^all  ber  ^^rotefte  fic^  im 
(Stauben  an  i^re  grofee  Qai)l  ju  ftärfen,  bie  ®egner  ju  erid)reden  unb  wenn 
mögli^  ba§  Unabwenbbare  abjuwenben. 


aSer£)äItni§  ber  ^43f)ilofopf)ie  ju  ben  3Biifenfc^aften.  15 

unterlag;  ber  §qB  gegen  bog  politifd^e  Sftegiment,  ba§  mit  ber  S^irdje 
öerbünbet  njar,  Juenbete  fidj  gegen  bie  IjReligion  unb  mad)te  au§  bem 
Unglauben  einen  politifd^en  ©lauben^artifel.  ©o  erjd)eint  je^t  ber 
2lt^ei§nui§  a(§  ®(anben§artifel  ber  ©o^iotbemofratie.  @g  i[t  ber 
unige!et)rte  ^atec^i§mu§.  Unb  tt)ie  bie  alte  ®ogniatif,  jo  i[t  oud) 
biefe  neue,  negative  3^ogmatif  miffenfcf^aftsfeinblidj,  infofern  fie  ben 
©eift  ber  ^ritif  unb  be§  ß^^^if^^^  "^  i^^^"  Dogmen  gefangen  nimmt. 
®er  $JJame  5(ntipfaffen,  ben  ein  gü^rer  ber  fo5iaIiftifrf)en  Partei 
jüngft  oon  gemiffen  ^ei^fpornen  ber  Sttf)ei§mu§bogmatif  ge6rancf)te, 
ift  in  ber  jTljat  burd)au§  begeicfinenb.  %n  ficfj  [te^t  bie  9ie(igion  ben 
politifc^en  unb  fo^iaten  ^arteigegenfö^en  üöllig  neutral  gegenüber; 
ber  ©taube  an  @ott  ift  mit  bem  ©tauben  an  bie  9JJeufd)t}eit  unb 
if)re  93eftimmung  gn  brüberlidjem  ©emeinfd)aft§Iebeu  burd)au§  öer- 
eiubar;  unb  nur  bie  fettfamfte  S^erfennuug  faun  bem  (£()rifteutum 
eine  järtlid^e  (Sd^mäd^e  für  bie  Üieid^en  unb  SSof)Igeborenen  jufd^reiben. 
^reilid)  ift  biefe  SSerfennung  nid)t  aüein  unb  nic^t  urfprüngti^  bei 
ber  ©o^ialbemofratie  t)eimifd;. 

Snjmifdjen  ift  ber  §a&  ta  unb  wirb  feine  folgen  ^aben.  Ü6er= 
munben  merben  fann  er  nur  baburd),  ha'^  ber  ©taube  feine  223at)rt)eit 
bemeift  nid)t  burd)  §aB  unb  33erac^tung  unb  ^e^ergerid)te,  foubern 
burc^  redjtfdjoffene  g^rüdjte  ber  ©eredjtigfeit  unb  ßiebe.  ^a§  C£^riften= 
tum  fetbft  aber,  ba§  fo  üiete  (StaatäumttJäljungen  unb  Ä^utturn)anb= 
tungen,  fo  öief  D^ei^e  unb  !ööt!er  überlebt  t)at,  wirb  aud)  bie  ©türme 
überteben,  beuen  bie  europöifc^en  35ütfer  je^t  cntgegeuäugetjeu  fi^einen. 
3a,  mer  mei^,  ob  nid)t  feine  33efreiung  oon  ber  Umftammerung  mit 
ben  Sntereffen  ber  t)errfd)enben  ©efettfc^aftsftaffen  bie  S3ebingung  für 
eine  neue  unb  grofee  (Sntmicfetuug  feineS  Seben§  ift? 

2.  3)a§  SSert)ältm§  ber  ^^ttofop^ie  ju  ben  2!ßiffenfc^aften. 

Wit  ben  3Biffenfd)aften  i)at  bie  ^t)itofopt)ie,  mie  fc^on  angebeutet 
mürbe,  at§  5tu§gang§punft  bie  nerftanbegmö^ige  Stuffaffuug  ber  3Birf= 
tid)feit  gemein;  fie  ift  SSiffenfdjoft.  2öa§  unterfc^eibet  fie  oon  ben 
anberen  SSiffenfc^afteu? 

3mei  2tufid)ten  fdjeinen  junödjft  mögtid).  SBiffenfd)aften  untcr= 
fdjeiben  fid)  burd)  itjren  ©egenftanb  unb  if)re  g^orm.  5)er  Unterfd)ieb 
ber  ^t)itofopt)ie   üon   ben    anbern  SSiffenfc^aften   fdjeint  bemnad)  ent= 


16  ©inleüung:  SBejen  unb  SBebeutung  ber  ^^itofopf)ie. 

tüeber  in  bem  @egen[tanb,  mit  bem  fie  ficJ)  bejd)äftigt,  ober  in  bei- 
rrt, tüie  fie  if)u  bet)anbelt,  gefudjt  luerben  ^u  muffen.  Seibe  3(nfi(i)ten 
ftnb  Qufgeftellt  trorbeii.  dlad)  ber  crften  f)Qt  bie  ^f)i(ofopt)ie  ein  it)r 
eigentümliche^  2Birf(icf}feit§gebiet,  ha§>  tion  feiner  onbern  SBiffenfi^aft 
in  ^^(nfprudf)  genommen  mirb;  in  einer  (Sinteihtng  ber  2Biffenfd)aften 
fommt  fie  bemnad)  al5  eine  ben  übrigen  foorbinierte  (SinjelmiffenfdiQft 
oor.  9cad)  ber  onberen  S(nfid)t  ()at  fie  bie  ©egenftänbe  mit  ben  anbern 
2Biffenf(^aften  gemein,  befjanbelt  fie  aber  auf  eigene  Slrt  unb  ift  alfo 
burc^  if)re  SOIettjobe  oon  i^nen  unterfd)ieben. 

3;)ie  le^tere  5Infid)t  n^ar  in  ber  erften  ^älfte  biefe§  9ai)rt)unbert5 
bei  uns  t)errf(^enb,  e§  ift  bie  5(nfid)t  ber  fpefulatioen  ^t)iIofopt)ie. 
5Die  ganje  3BirfIid)!eit,  fo  nimmt  biefe  an,  ift  ©egenftanb  einer  boppe(= 
ten  53et)anb(ung,  einer  pt)ilofopt)ifd)en  unb  einer  n)iffenfd)aftlid)en,  einer 
fpehilatioen  unb  einer  empirifd)en.  ^n  ben  beiben  großen  öebieten 
ber  menfd^lic^en  ®rfenntni§,  ber  Statur  unb  ber  ö)efd)id)te,  f)aben  ttjir 
neben  einanber  9^aturmiffenfdjaft  unb  S^aturp^ilofop^ie,  @efd)id)t§n)iffen= 
fd)aft  unb  @efd)id)t5pt)iIofoptjie.  S)ie  S(ufgabe  ber  2Biffenfd)aft  ift, 
burdj  mettjobifdje  (grfat)rung  ^unbe  üon  ben  ST^atfac^en  ^u  erwerben, 
bie  Slufgabe  ber  ^{)i(o)op{)ie  bagegen,  burd)  ein  i^r  eigentümlid)e§ 
S^erfat)ren  bog  eigentlidje  Söefen  unb  ben  inner ften  ^ufonime^flinö  ^^r 
fj;iuge  bar^ulegen. 

9)?it  bem  (Glauben  an  bie  fpefulatioe  9}Jett)obe  ift  biefe  2lnfid)t 
au^geftorben.  Unfere  3^^*  glaubt  uic^t  met)r  an  bie  äliöglidjfeit, 
burd)  bialeftifdje  S3egriffgeutiüidelung  bie  ©ebanfen  ober  ben  «Sinn 
ber  Söirflidjfeit  a  priori  gu  erfennen.  @ie  fennt,  mie  nur  eine  3Kir!= 
lid)!eit,  fo  nur  eine  3Bal)rt)eit  unb  einen  SSeg  §u  it)r:  bie  benfenbe 
ßrfal^rung.  Grfa{)rung§tofe§  Senfeu  füfjrt  fo  menig  ^nx  ©rfenntniö 
ber  äBirflidifeit,  at^  gebanfenlofe  ©rfaiirung.  ^er  ^^t)iIofopt)  {)at  feine 
via  regia  §ur  ©rfenutuis;  bie  reine  (Spefutation  ift  in  2öaf)rf)eit  nidjtö 
üi§>  eine  üerjerrte  9ief(ej:ion  über  (ärfenntuiffe,  bie  uueingeftanbener 
(Srfaf)ruug  nerbanft  luerbeu. 

@iebt  e§  feine  befonbere  p(}itofopf)ifd)e  9J?ett)obe,  fo  fdjeiut  bie 
jweite  9(nfid)t  übrig  ju  bleiben,  ha^  ^()itofopt)ic  burd)  itjreu  befonberen 
©egenftanb  oon  ben  anbern  SBiffenfd)aften  fidj  unterfdjeibe.  SDiefe 
5(nfid)t  ift  je^t  oort)errfc^eub.  Unb  fo  ^at  man  benn  auf  mancherlei 
SSeife  üerfucf)t,  ber  ^t)iIofop^ie  ein  eigentümlicf)e§  Öiebiet  ab^ugreuäen. 


8Jerf)äItm§  ber  «ß^ilofopfiie  ju  ben  aSiffenjc^aftcn.  17 


9Mc^  einer  gegeniüärtig  äiemlicf)  f)äufig  öoilommenben  5(nfidjt  ift  ber 
bejonbere  ©egenftonb  ber  ^i)itofopt)ie  bas  ©rfennen.  ^ant  ^at,  tüenn 
tüir  ^.  i^ifc^er  gtauben  tüollen,  ha^  Sßerbienft,  ber  ^f)iIojop()ie  ^u 
einer  fidjeren  ©tellung  unter  ben  Söiffenjdjaften  üerfjolfen  gu  I)aben, 
inbem  er  if)r  ein  be]onbere§  ©ebiet  öerfdjQffte,  ha§>  feine  onbere  S33iffen= 
fd)Qft  in  ^nfprnd)  nimmt,  nämtic^  ha^  (Srfennen.  „Dbjeft  ber  (Srfa^rung 
finb  bie  2)inge,  Objeft  ber  ^^ilojop^ie  ift  bie  (Srfa^rnng,  überhaupt 
bie  3:^Qtja(^e  ber  menjc^lic^en  (SrfenntniS."*) 

S(nbere  ttjoüen  ber  ^^iIojop{)ie  im  ©egenja^  ju  ber  9^aturnjiffenfd)Qft 
ha^  ©ebiet  ber  inneren  @rfaf)rnng  junjeifen,  fie  erüären  [ie  al§  @eifteg= 
lüiffenfdiaft.  @o  2ipp§  in  ben  @runbtf)atfad^en  ber  ^ft)d^oIogie  (©.  3). 
S(.  SiJring  bogegen  je|t  bie  ^f)i(ofopt)ie  otS  bie  Unter jud)ung  ber 
©iiter  nnb  SSerte  ben  übrigen  2öiffenfd)aften  entgegen,  bie  fid^  mit  bem 
SSirftid^en  bejdjäf tigen;  in  feiner  pt)iIojopt)ifd)en  ©üterle^re  (1889)  mirb 
bie  Ülotmenbigfeit  biejer  Seftimmung  burd^  begrifflid^e  unb  ^iftorifd)e 
^etradjtung  bargelegt.  (Sine  ältere,  meit  üerbreitete  5ln[ic^t,  bie  auf 
gemiffe  SBeife  ouf  5lri[toteIe§  jnrücEgelit,  erftärt  bie  ^t)itojopt)ie  al§  bie 
2öiffenfdf)aft  öon  ben  erften  ^rin^ipien  ober  öon  ben  allgemeinen  @runb= 
begriffen  nnb  95orau§fe^ungen  ber  (Sin^elmiffenfd^aften. 

9}är  fdjeinen  oud^  biefe  $8erfud)e,  bie  ^f)iIofopf)ie  gegen  bie  (Sin^el^ 
tüiffenfdjaften  abgugrenjen,  begrünbeten  Sebenfen  ju  unterliegen.  2Siffen= 
fd^aft  öom  (Srfennen  foll  bie  ^f)iIofop^ie  fein.  5tber  eine  fotd)e  3Siffen= 
fd)aft  '^at  ja  löngft  einen  anberen  9camen:  Sogi!  ober  (Srfenntni§tf)eorie. 
SBarum  foll  fie  biefen  9kmen  gegen  einen  anbern  öertaufd^en,  nod) 
ba^u  gegen  einen,  ber  fdjon  eine  onbere  unb  jmor  Weitere  53ebeutung 
{)at;  benn  nadf)  bem  !^er!bmmlid)en  ©prad^gebraud^  ift  bie  Sogi!  ober 
(£rfenntni§tf)eorie  eine  pl^ilofopf)ijd)e  SDi^giplin  neben  anberen.  Unb 
ba^felbe  gilt  gegen  bie  beiben  folgenben  (Srflörungen.  3)ie  Unterfudjungen 
über  ba§  geiftig=gefdjid)ttid^e  Seben  pflegen  mir  im  ®egenfa|  ^u  ben 
S^aturmiffenfdjaften  ©eifte^miffenfc^aften  ^u  nennen,  unb   fo  {)eifet  bie 

*)  (5Jeic^id)te  ber  neueren  ^fjifof.  III-^  16.  ^fjm  fttmtnt  91.  Stiehl  bei  in 
jeincr  Slntritt^rebe  über  roi|ienfd)aftlid^e  unb  nid^toiffenfd^aftlid^e  ^^ilof.  (je^t  aud) 
in  bem  SBerf:  ber  pl^ilo'].  ^ritiji^mug  u.  f.  93ebeutung  für  bie  pofitiüe  3Bi[fen» 
fc^aft  II,  2  (5.  1  ff.):  unnjiffenfcljaftlicf)  ift  bie  <)3f)itofop:^ie,  bie  nad)  ber  9lrt  ber 
grie(^ifc!f)en  über  aüe  ®inge  räfonniert,  tt)iffenfci)aftlid^  bagegen  bie  «ß^itofop^ie,  bie 
fid)  feit  fiocfe  neben  ben  anberen  SBiffenfc^aften  aU  bie  333iffenfcf)aft  öom  ©rfennen 
fonftituiert  I)at. 

t'a Ulfen,  Ciiileitiing.    6.  Olufl.  2 


18  (Einleitung:  SBefen  unb  SBebcutung  bet  ^:^iIofop:^te, 

Unterfud^ung  ber  ©üter  unb  SSerte  mit  üblid^em  Spornen  (St^if  ober 
bilbet  einen  Xeil  biefer  SBiffenfc^aft.  (£tf)i!  aber  unb  bie  übrigen  ®eifte§* 
tt)iffenid)aften  finb  nid)t  bie  ^{)iIofopf)ie,  jonbern  nod)  f)erfömmüd)em 
Sprachgebrauch  Xeite  ber  ^f)i(ofopf)ie. 

2Bo§  enblic^  bie  ©rftörung  ber  ^^ilofop^ie  all  SSiffenfc^aft  öon 
ben  ^rin^ipien  anlangt,   tt)ie  fie  g.  33.  Überweg  an  bie  @pi|e  feiner 
@efct)ict)te   ber  ^^i(ofopt)ie  fteüt,  \o  mxh   e§   oietleic^t   unoermeibüc^ 
fein,  ouf  genjiffe  SSeife  barauf  jurücfäufommen.    2)ennoc^   fann  man 
fie  in   biefer  g^orm   nid^t   gelten  laffen.     ^mx\i  wegen   i^rer  Unbe= 
ftimmtt)eit:   wo    ^ören  bie  ^rinjipien,   bie   ©runbbegriffe,   non  benen 
bie  ^t)iIofopt)ie  f)anbeln  foü,  auf,  wo  fängt  ba§  ©ebiet   ber  anbern 
SSiffenfc^aften   an?    <Bo\i   bie  ^f)i(ofop^ie   öom  Söefen   ber  SWaterie, 
ber  ^raft,  ber  Bewegung,  oon  3taum  unb  ßdi  t)anbeln?    ^f^un,  bann 
mu^   fie   wot)!   auc^   öon  ben   allgemeinen  (Sigenfc^aften   ber  9Katerie 
unb  öon  ben  allgemeinen  ®efe|en  ber  Bewegung  ^anbeln;  unb  bamit 
märe  fie  benn   mitten  im  ©ebiet   ber  ^^t)fif.    @otI  bie   ^:^i(ofop^ie 
oom  SBefen  ber  (Seele,  be§  2eben§,  oon  ben  '»Prinzipien  be§  9^ecf)t§  unb 
be§  (Staates  l)anbeln?    STber  wo  ift  bann  bie  ©renge  gegen  bie  ^olitif, 
bie  9^ec^t§miffenfct)aft,  bie  Biologie,  bie  ^fl^c^ologie  ju  jie^en?    Offen= 
bar  tann  fie  nur  burd^  SBittfür,  nid^t  burd)  Segriffe  beftimmt  werben ; 
wa§  al§   prinzipielle  ^rage   anjufel^en  ift,   toa^»  nicf)t,   ift  (5acf)e   be§ 
zufälligen  ©tanbpun!t§.     SDie  ^ringipien    be§   ^fanbrecl)t§    ober   bei 
2Iutorre(^t§  finb  fo  gut  Prinzipien,   all  bie  bei  ®igentuml=  ober  bei 
(Staatlrec^tl.  —  (Sobonn  aber:  wo^er  foll  benn  bie  ^^ilofop^ie  if)re 
SSiffenfc^aft   um   bie  Prinzipien   nef)men?    (Sie   fod  ben   empirifc^en 
SSiffenfc^aften,  fo  wirb  gefagt,  i^re  unbefe^enen  (^runbbegriffe  erftären. 
5(ber  wie  foU  fie  zur  @r!enntnil  biefer  ^inge  fommen?    (5otI  fie  bie 
aJiaterie  burct)  bie  SOlittel  ber  S3eobacf)tung  unb  bei  ©fperimenti  erforfcf)en? 
5(ber  auf  biefem  SBege  fucfjen   ja  auc^  ^^t)fif  «nb  ß^emie  bal  SSefen 
ber  Wakxk.    §at   bie  ^t)tIofop^ie   feine   anberen   SlJiittel,    fo   ift   ja 
offenbar,  \)a%  biefe  SSiffenfctjaften   feine  ^fjilofoptjie  brauchen,  um  z^ 
erfaf)ren,   wal  el  mit  ber  9J?aterie  auf  fidj  f)at.    Unb  burc^  bie  Sin* 
rebe,  ta^   fie  baburc^    „bie  Stuf  gäbe  unb   bamit  bal  SSefen  unb  ben 
53egriff  einer  empirifc^en  2öiffenfd)aft  überfdiritten",*)   würben   fie  fic^ 


*)  §arnt§,  <ßI)i(oj.  Einleitung  in  bie  enct)f(opäbie  bet  ^^^fi!  üon  Saroten  §  89. 


SSer^ältniS  bec  ^^ilofop^ie  ju  ben  SBiffenjc^aften.  19 

fd^lüerlicf)  jurüd^alten  lafjen;  tt)a§  gel^t  un§,  irürben  fie  fagen,  biefe 
öon  einem  brausen  (Stef)enben  ganj  uniüiUfürücf)  aufgerirfjtete  ©renje  an? 
Dber  ^ot  ^^Kofop^ie  einen  anbern  2öeg  snr  @r!enntni»  be§  SSejen§ 
ber  ®inge,  al§  bie  2öi[fenjcf)Qften'?  3^amit  fämen  mv  auf  bie  (Sr= 
flörung  surürf,  bie  njir  eben  oerroorfen  ^aben.  — 

5lber  tva^  bleibt  bann  für  ein  Unterfd^ieb  jttjifc^en  ber  ^f)iIojop^ie 
unb  ben  übrigen  2öifjenfcf)aften?  SBenn  fie  tüeber  burd)  eine  befonbere 
3)Zetf)obe  noc^  bnrd^  einen  befonberen  ©egenftanb  öon  ifjnen  unter* 
frf)ieben  ift,  bann  muB  fie  ja  mit  if)nen  gufammenfallen. 

Sn  ber  Zi^at  ift  bie§  meine  Slnfid^t.  '^f)itofopf)ie  ift  üon  ben 
SSiffenfc^aften  nicf)t  ju  trennen,  fie  ift  nirf)t§  onbereS  oI§  ber  S  n  = 
begriff  alter  n)iffenf(^aft(id)en  ©rfenntniS.  5tl(e 
Söiffenfd^aften  finb  ©lieber  eine§  einf)eit(id)en  (St}fteml,  einer  universitas 
scientiarum ,  beren  ©egenftanb  bie  gefamte  SKirüid^feit  ift,  ®iefe§ 
nie  öoltenbete  (Si)ftem,  an  bem  bie  Saf)rtaufenbe  bauen,  ha§>  ift  bie 
^f)ilofop^ie.  Sebe  3ßiffenfd)aft  erforfd^t  einen  beftimmten  5Iu§fci^nitt 
ober  öuerfd^nitt  ber  SBirfüc^feit;  bie  ^^t)fif  betrachtet  bie  Söirflic^feit, 
fofern  fie  förperüd^  ift  unb  gemiffe  otlgemeine  SSerl^altunglweifen 
geigt;  bie  ^Biologie  betrod^tet  bie  Seben§oorgänge,  bie  on  berfelben 
SJJoterie  fid^  abfpielen;  bie  ^ft)d^oIogie  betrad^tet  haS:  S33ir!(idE)e  öon 
einer  anberen  ©eite,  foforn  e§  im  Sen)uBtfein  für  firf)  ift:  inbem  tt)ir 
aüe  biefe  Srtenntniffe  in  ein§  faffen,  um  eine  3lnttt)ort  ouf  bie  ^rage 
§u  geben,  n)a§  t§>  mit  ber  9Sir!(idE)feit  überhaupt  auf  fid^  ^aht,  l^aben 
mir  ^(jilofop^ie. 

SDJit  einem  Silbe:  bie  SBirflid^feit  ift  bem  SJZenfc^engeifte  al§  ein 
großes  Sf^ötfel  aufgegeben.  5tIIe  einzelnen  SBiffenfd^aften  geben  5Be= 
ftimmung§ftü(fe;  ber  ^öerfudj,  bie  Söfung  be§  9Rätfe(§  au§§ufpred^en, 
ben  Sd^Iüffet  gu  bem  mysterium  magnum  be^  2)afein§  ju  finben, 
ha^  ift  bie  ^f)iIofop^ie. 

5(uf  biefe  Stuffaffung  fül^rt  ouc^  ber  @prad)gebraudf).  ^^ilofopl^ie 
ift  nac^  ii)m  nid)t  eine  ©inselmiffenfcfiaft,  fonbern  ein  Inbegriff,  ein 
Softem  öon  Söiffenfc^aften.  man  pflegt  Sogif,  9)?etap^^fif,  (Stt)if  al§ 
STeile  ber  ^f)iIofop:^ie  ju  begeid^nen.  Tlaw  mufe  nur  einen  ©rf)ritt 
weiter  gefjen  unb  fagen:  audfj  ^f)t)fi!  unb  S^emie  unb  93ioIogie  nnb 
^o^mologie,  furj  alle  2Biffenfrf)aften  get)5ren  jur  ^f)ilofopf)ie. 

3Jlan  mirb  einmenben:  ift   boS  ^f)i(ofopt)ie,   fo  ift   fie   eine  un= 


20  (Sinleitung:  Sefen  unb  Sebeutung  ber  ^^ilojop^te. 

möglid^e  @ac^e.  3öer  luollte  biefe  5(ufgabe  ü6ernef)men?  2Ber  mi3rf)te, 
inbem  er  firf)  einen  ^^i(ofopt)en  nennt,  [ic^  ba^n  befennen,  bo^  er  ben 
Inbegriff  ber  n^iffenfc^aftlii^en  ©rfenntnis  befi^e  ober  and)  nur  erftrebe? 
9}Jü&te  nid^t,  ttjer  e§  nerjudjte,  öon  bem  2)i(ettanti$niu§,  um  mit 
SDörtng  gu  reben,  ^rofeffion  machen? 

Stf)  antftiorte  auf  biefe  (Sinwenbung  mit  einer  O^rnge:  fte^t  e§  mit 
irgenb  einer  SSiffenfcfiaft  anber§?  @iebt  e§  in  unferer  ^dt  einen 
dJlann,  ber  fitf)  einen  ^£)t)fifer  ober  ^iftorifer  nennen  mocfite  in  bem 
©inn,  boB  er  bie  ^f)t)fif  ober  bie  ©efdjid^te  innef)abe?  ©onbern  nur 
in  bem  «Sinn  mirb  er  fic^  ben  91amen  geben,  hal^  er  an  ber  ©rfenntntg 
ber  DIatur  ober  ber  @ef(i)id)te  on  irgenb  einem  ^unft  arbeite.  9^un, 
in  biefem  ©inn  aflein  mirb  benn  oud^  ber  ^^i(ofopf)  fagen:  er  ftrebe, 
fo  öiel  e§  bem  9)ienfd)en  gegeben  fei,  nad)  einer  (Sr!enntni§  ber 
SBirfIid)!eit  überhaupt. 

S)od)  id)  möchte,  ef)e  xd)  f)ierauf  näf)er  eingel^e,  gnerft  burc^  eine 
gefcf)id)t(ic^e  Ueberfi(f)t  geigen,  ha'^  ber  eben  auf geftellte  Segriff 
ber  ^f)i(ofop^ie  t)iftorifc!)  ber  allein  gutreffenbe  ift.  S)ie  Seftrebungen, 
lueld^e  öon  je^er  mit  bem  9iamen  ^^iIofopt)ie  begeic^net  morben  finb, 
gingen  ftet§  auf  bie§  ^id,  auf  eine  ein{)eitlid;e,  allumfaffenbe  2BeIt= 
erfenntni§.  S)urd^  eine  gefdjic^tlid^e  9lad)tt)eijung  fann  freilid)  ber 
Segriff  ber  ^^ilofopl)ie  nid)t  eigen tlid)  feftgeftellt  merben;  bie  Segriffe 
toon  SBiffenf Gräften  finb  Segriffe  oon  Aufgaben  unb  in  le^ter  'äh\id)t 
alfo  tion  f)ier  aug  ju  fonftruieren;  üielleidjt  finb  alle  bi§f}erigen  Ser= 
fud^e  in  bie  Srre  gegangen  ober  fud)en  eine  unmöglidje  ©ac^e.  Sntmer= 
()in  fann  aber  eine  foldje  gefc^idjtlidje  9^ec^tfertigung  uns  oor  bem  Sor= 
njurf  f^ü^en,  baB  unfere  ßrüärung  eine  miüfürlidje  ^rioatbefinition  fei. 

2)a§  Söort  ^^iIofopf)ie  ift  griec^ifc^en  llrfprung^,  unb  gttjar  ift 
e§  nidjt  al§  ted)nifd)er  Stusbrud  in  hk  SBett  gefommen,  fonbern  gel^i3rt 
urfprünglid)  bem  atigemeinen  (Sprad^gebraud)  an.  ©o  begegnet  el  bem 
fiefer  §erobot§  in  jener  befannten  6r3äf)(ung  oon  ber  Segegnung 
be§  ©olon  mit  ^röfu§.  Äröfu§  begrüßt  ben  3Ü()ener:  bae  ©erüd^t 
t}on  feiner  2öei§f)eit  unb  feinen  SBanberungen  fei  fd)on  ju  if)m  ge= 
brungen:  ,M^  bu  pf)iIofopt)ierenb  einen  grofien  %dl  ber  (Srbe  um  ber 
Setrad^tung  mitten  befudjt  ^aft."  Offenbar  ftet)t  ha^^  „um  ber  Se= 
trac^tung  mitten"  ^ier  als  Srftärung  bes  Vütsbruds  „p^i(ofopf)ierenb"; 
maö  ben  ©olon  jum  „pf)i(ofopf)ifd)en"  SBanberer  madjt,  ift  eben   ber 


gSerf)äItnti  ber  <ßf)tIofop^te  ju  ben  Sa3i)fenj(f)aften.  21 

erftaunlid^e  Umftanb,  bo^  er  auf  feinen  ßü^en  nic^t,  tt)ie  ber  §anbel§- 
mann  ober  ber  ßriecjSmann,  einen  proftifd^en  3^^^  ^^  ^"9^  '^^*- 
Sn  Q^nüdjem  Sinne  ttiirb  ba^  ifiSort  ^tjilofop^ie  oon  X^ucijbibeS, 
3fo!rQte§  n.  2t.  ^ur  93e§eid)nung  einer  allgemeinen  ti)eoretif(f)en  Silbung, 
im  Unterfc^ieb  öon  ber  ted)nijd}=praftifc^en,  ge6raud)t.*) 

SSenn  ttjir  je^t  oon  griediifc^er  ^^f)i(ofopf)ie  reben,  pftegen  xü'w 
nid)t  an  (5oIon  unb  bie  atlgemeine  Silbnng  ber  2(tt)ener,  fonbern  an 
jene  lange  9?eif)e  oon  9Jiännern  §n  benfen,  an  beren  ©pi^e  nac^  alter 
Überlieferung  ber  9J?iIefier  ^f)ale§  ftefjt.  SBarum  Reifet  3:^ale§  ein 
^fjilofopl],  unb  worin  beftef)t  feine  ^^i(ofopf)ie?  9JJan  tonn  e§  mit 
einem  SBort  fagen:  borin,  ha^  er  eine  allgemeine  2;f)eorie  ber  SSirflic^- 
feit  auffteüt:  au§  bem  Söaffer  feien  aUe  Singe  entftanben,  in§  SSaffer 
fe^rten  fie  §urüd.  (5§  ift  eine  fet)r  einfadje  X^eorie,  ober  eben  boc^ 
eine  2;^eorie,  ein  erfter  SSerfnc^,  olle  Singe  wiffenfc^oftlic^  gu  erüären. 
So§feIbe  gilt  oon  ben  9Zad)fotgern;  nid)t  ba§  SBoffer  finbet  ein  5(nberer, 
fonbern  bie  Suft,  ober  ha^  ^euer,  ober  oier  Uretemente,  ober  bie  'jJttome 
finb  ba§  ollgemeine  ^rin§ip  ber  2Sirfüd)feit;  ber  Q^erfuc^,  einen  foldjen 
©ebonfen  burc^  bie  gange  2öir!Iid)feit  burc^^ufü^ren ,  ha^^  ift  bie 
^^ilofop^ie  be§  |)era!(it,  be§  ©mpeboüeS,  be§  Semofrit.  SSon 
befonberen  SBiffenfc^often  neben  ber  ^f)iIofopf)ie  ift  {)ier  natürlich  nod) 
gar  nid)t  bie  Üiebe. 

5Der  S^iame  ^^i(ofopt)  ift  übrigen^  biefen  SO^önnern  erft  noc^= 
träglid^  beigelegt  ttjorben,  fie  würben  früt)er  SBeife  {oocpol,  oocpiöral) 
ober  im  befonberen  ^toturforfd^er  {cpvoioXöyoi)  genannt.  @rft  bie 
DJiönner,  bie  um  ben  9^amen  be§  @o!rate§  fic^  fommeln,  f)oben  ben 
^Tugbrud  jum  ©c^ulterminn§  gemacht,  ^^pioto  unb  5triftote(e§  mit  if)ren 
©enoffen  unb  @d)ülern  nennen  fid)  ^f)iIofop^en.  2öa§  bebeutet  bo^ 
SSort  nun  f)ier?  Sei  ^toto  wirb  e§  junädift  burd)  einen  ©egenfo^ 
näf)er  beftimmt,  ben  ©egenfo^  gum  (5opt)iften.  SBa§  unterfdjeibet 
beibe?    Ser  (5op:^ift  erfc^eint  in  ber  plotonifc^en  Sorftellung  al§  ein 


•)  ©teilen  bei  Überrueg,  ©runbrife  ber  Qf>t\ä)\6)it  ber  ^^ofop^ie,  am 
2tnfang  be§  erpen  SSonbeS.  S8gl.  oucft  bte  Tarlegurg  beä  Segriff^  ber  ^^ilofop^ie 
unter  ben  ©ried^en  am  ©ingang  öon  geller  §  @efd)icf)te  ber  griec^ijd^en  ^l^ilofop^ie. 
^6)  bemerfe  nod),  ta!^  ic^  über  bal  5ßer^ältni§  öon  ^^ilofop^ie  unb  5lBifjenf(^aft 
in  bem  l^ier  feftge^altenen  Sinn  fcI)on  in  Sttenariug'  Sierteljo^r^ic^rift  für  ^^i(o= 
jop^ie,  93b.  I,  15—50  (1876)  ge^anbelt  ^obe. 


22  Sinleitung:  SBefen  unb  33ebeutung  ber  ^^Üojop^ie. 

dJlaxm,  ber  qI§  2BanberIef)rer  burd^  bie  ©täbte  äief)t,  um  burd)  Unter= 
ricf)t  in  allen  gur  33ilbung  ge{)örigen  SSiffenfdEjoften  unb  fünften, 
BejonberS  in  ber  S^tebefunft,  ®elb  ^u  ernjerben.  ör  t)at  qIjo  einen 
proftifc^en  ßtütd  im  5(uge,  nid^t  „um  ber  ^Betrachtung  tüiöen",  fonbern 
atö  |)anbel§mann  jietit  er  burc^§  Sanb,  al§  ^anbelsmonn  mit  SBifjen. 
Unb  Xük  ber  2ef)rer,  jo  £)at  fein  (Sd^üler  einen  praftifc^en  3^^^-  ^i^ 
fauft  ha%  SSifjen,  um  baburd^  feine  bürgerlirf)e  (Stellung,  feinen  @in= 
ftufe,  fein  SSermögen  gu  me'^ren.  2)er  ^^ilofopl)  bagegen  ift  retner 
Setrad^ter  ber  ®inge,  er  treibt  fein  ©emerbe  unb  ']üd)t  feinen  ©eminn, 
bie  6rfenntni§  ber  ^inge  ift  fein  einziger  ^rvtd.  ©ofrateg  ift  ha^' 
t^pifd^e  35orbiIb;  bie  2Saf)rl)eit  fucEjen  unb  Srrtum  unb  @(f)ein  jerftören 
ift  feine  SebenSaufgabe;  feine  O^reube  ift,  geliebte  Jünglinge  in  freiem 
inteUeftuellen  23erfef)r  gu  gteid)em  «Streben  ^u  entjünben.  ®abei 
liegt  etmas  üon  fofratifcl)er  S^onie  in  bem  Slusbruc!:  bie  ^rotagora^ 
unb  ©orgiaö  laffen  e§  fic^  gefallen,  SBeife  {oorpol,  aocptorai)  §u 
l)eiBen,  ©o!rate§  unb  feine  Süuger  lel)nen  e§  aii,  für  Sn^aber  ber 
3Beill)eit  ju  gelten;  2iebl)ober  ber  3öei§l)eit  ift  ein  njeniger  anfprud^^»- 
öoüer  yiamt.*) 

®a§  35erl)äÜni§  ber  ^l)ilofDpl)ie  ^ur  2Siffenfcf)aft  bleibt  auc^  in 
biefem  Äreife  ba§  alte;  fie  ift  and)  l)ier  ber  eint)eitlicl)e  i^nbegriff  aller 
mal)ren  (£rfenntni§.  ^Die  SSiffenfc^aften  finb  nid^t  aufeer  unb  neben 
il|r,  fonbern  al§  ©lieber  in  if)r.  ^lato  {)at  feine  f^ftematifd;  burd)* 
gefül)rte  ©lieberung  ber  SSiffenf Gräften;  er  benft  über  aüe  2)inge,  über 
bie  9iatur  ber  Äörper,  bie  ©eftalt  be§  Äosmog,  bas  SSefen  beg  (Staats, 
ber  (Seele,  ber  £uft,  ber  Siebe,  ber  D^ebefunft,  ber  @rfenntni§:  ha^ 
aüeS  ift  feine  ^f)ilofopf)ie.  Sir  ift  o  tele  §  l)at  guerft  aüe.  (SrfenntniS  in 
gäc^er  georbnet  unb  bie  einzelnen  f^ftematifd^  abge^anbett,  bie  Sogif, 
bie  ^^tifif,   bie  ^ft)d^ologie,  bie  ÄoSmologie,  bie  ßoologie,   bie  'SRtta- 


*)  93etbe  SJJomente  fül^rt  bie  Überlieferung  übrigen?  icf)on  auf  ^t)tl^agora§ 
jurücf.  (Sr  joE  §uerft,  ben  Siamen  eine?  SBeifen  able^nenb,  fic^  einen  5ß^iIoio|):^en 
genannt  :^aben:  9?iemanb  fei  Jtieife,  all  ®ott;  unb  jugteict)  bie  SBürbe  be?  $^iIo= 
foppen  in  bie  reine  93etrad^tung  gefegt  f)aben:  „Sa?  Seben  gleid^t  einem  geft* 
fc^aufpiel ;  gu  fold^em  fontmen  bie  Ginen,  um  an  ben  SBettfämpfen  fid^  ju  beteiligen, 
bie  ?Inbern,  um  §anbel  gu  treiben,  bie  Seften  at?  Qu\ö^aüet.  ©benfo  im  2eben; 
bie  gemeinen  Staturen  ge^en  auf  bie  Qaqb  naö)  9tuf)m  unb  ®elb,  bie  ^ß^ilofop^en 
nac^  SSo^r^eit."    (93ei  2)iogene§  Saertiu?,  Prooem  8;  VIII,  1,  6.) 


SSer^ältniS  ber  ^^itofopf)ic  gu  ben  Saäifjenjd^often.  23 

p^ilfif,  bie  @tf)if,  bie  ^oütü,  bie  Öfonomif,  bie  fRet^orif,  bie  ^oetü: 
fie  bilben  in  if)rer  @ejamtl)eit  fein  pl)itojopf)i](^e§  @t)ftem,  unb  auBer= 
{)alb  ber  ^t)i(ojop^ie  giebt  e§  feine  SBiffenfd)Qft  im  eigentlidtjen  ©inn. 
SDenn  @ejc^id)te  i[t  feine  Söiffenjc^aft,  afle  SBiffenfrf)aft  f)Qt  e§  mit  bem 
Slügemeinen  ober  mit  Segriffen  ju  t|nn.  Unb  9J?atf)ematif  tritt  ha^ 
burcf)  in  gettjiffer  SBeife  Qn§  ber  Üieilje  f)erau§,  baB  fie  ni^t,  menigftenä 
nid)t  unmittelbar,  bog  SSirflid^e  jum  ©egenftanb  l^ot. 

2)a§  ift  bie  Sebeutung  be§  SSorteS  ^^ifofop^ie  auf  bem  Soben, 
Jüo  fie  urfprüngüd^  tjeimifd)  ift:  bie  S^lic^tung  auf  uniüer feile  (Sr= 
fenntniä  unb  bie  rein  tl)eoretifd^e  Slbfic^t  finb  if)re  mefentlidjen 
9JJerfmate.  ^f)iIofopf)ie  ift  (Selbftjttjecf,  nic^t  9J2itteI  ju  einem  aufeer 
if)r  liegenben  Qmcd.  Unb  gmar,  fo  fügen  ^^toto  unb  2(riftoteIe§  f)in§u, 
ber  le^te  unb  Ijödjfte  Qwtd,  benn  in  ber  ooUenbeten  (SrfenntniS  be§ 
©eienben  erfüüt  ber  SOJenfd)  feine  natürlictje  ober  göttlid^e  33eftimmung: 
al§  Setrarf)ter  unb  SluKeger  feiner  Söerfe  l^at  @ott  if)n  in  bie  SSelt 
f)inein  gefteüt. 

Sn  ber  fpäteren  Qtxi  tritt  im  Segriff  ber  ^f)iIofopt)ie  mel^r  unb 
mef)r  ein  ©lement  ^eroor,  ba'i^  if)m  übrigen^  nie  fremb  mar:  ^f)iIofop^ic 
tnirb  jur  Seseidinung  für  bie  (Srfenntni§  ber  legten  ßebeng^mecfe  unb 
für  bie  t)ierburd^  beftimmte  ©inne^ri^tung  unb  2eben§füt)rung,  bie 
be§  SBeifen.  5Do(f)  bleibt  babei  ta^  ÜJZoment  ber  uniöerfeüen  (£rfennt= 
ni§,  ber  (Sinfirf)t  in  bie  9ktur  ber  2)inge  überhaupt  unb  be§  $IRenfd)en 
im  befonberen,  bie  n)efentlicf)e  Sorauöfe^ung. 

®a§  9J?itteIaIter  ^at,  in  ben  ©puren  be§  5lriftoteIe§  gef)enb, 
an  biefem  Segriff  ber  ^f)itofopt)ie  oI§  ber  (£inf)eit  ber  n)iffenfc^aft= 
lid^en  (grfenntni§  feftgefjolten.  (£r  ift  aud^  in  ber  S^eu^eit  bi§  ^um 
Stnfang  biefe§  3o^rf)unbert§  in  unöeränberter  Geltung  geblieben,  ^ür 
bie  9fieu§eit  ein  paar  S'Zad^meifungen. 

ßwei  SOZönner  pflegen  an  ber  ©pi^e  ber  neueren  ^l^ilofop^ie  atl 
Urf)eber  ober  al§  erfte  Sflepröfentanten  ber  beiben  großen  burc^  bie 
ganje  golge^eit  f)inburc^gef)enben  Ütic^tungen  genannt  ju  merben:  ber 
(Sngtänber  ^^ranci^  Sacon  unb  ber  t^ranjofe  9iene  SDe§carte§. 
tiefer  ift  ber  Segrünber  ber  rationoliftifd^'-metapfitififc^en,  jener  ber 
Vorläufer  ber  empiriftif(f)=pofitiöiftifc^en  (Sntmicfelunggrei^e.  Sn  beiben 
fRei^en  bleibt  bie  ^luffaffung  oon  bem  Sßer^ältniS  ber  ^^i(ofopf)ie  ^n 
ben  SSiffenfdfjaften  biefelbe. 


24  Sinteitung:  SBefen  unb  93ebeutung  ber  ^^tlofop^ie. 

iBacon  unter jd^eibet  ^iftoriirfie  unb  p^iloiop^ii'd^e  ober  triffeu= 
fd^oftlicfje  @rfenntni§;  jene  gef)t  auf  ha§:  ^onfrete  unb  Ginjelne,  ^^^iIo= 
fopf)ie  ober  SSiffenfci^Qft  bagegen  I)Qt  e§  mit  allgemeinen  Segriffen  ju 
tt)un;  jene  entfpringt  au§  bem  ®ebäd^tni§,  bieje  ift  bie  gunftion  ber 
SBernunft.  S)ie  "iptjiloiopfjie  ober  3Bifjenjd)aft  teilt  er  bann,  nac^bem 
er  noc^  bie  injpirierte  ^^eologie  al§  eine  befonbere  örfenntni^art  ab= 
gefonbert  l^at,  entfpredjenb  ben  brei  £)bje!ten  be§  33erftanbe§,  @ott, 
S^latur,  SJienfc^  in  brei  ßmeige:  natürliche  3;l)eologie,  SIntljropologie 
(pf)Qfifcf)e  mit  SOiebi^in,  unb  pft)d)if(^e,  morunter  bie  öJeifteSroiffenfcfiafteu 
überfjaupt  begriffen  finb)  unb  9iaturpt)ilofopl)ie.*)  ®ie  (Einteilung,  fo 
unplänglicf)  fie  fonft  fein  mag,  geigt  ouf  jeben  %aü,  boB  Sacon  alle 
n)iffenidjaftlid)e  @r!enntni6  unter  ben  33egriff  ber  ^l)ilofop:^ie  gu  bringen 
t)orl)at.  ?tuBert)al6  bleibt  nur  bie  (55efd)ic^te  (unb  bie  2)icf)tung),  eben 
barum,  loeit  fie  nic^t  SBiffenfdjoft  ift. 

@an§  ebenfo  umfaßt  bei  2)e§carteg  ber  Segriff  ber  'ip§ilofopl)ie 
alle  miffenf(i)oftlic^e  (Sr!enntni§.  Sein  fi)ftematifcl)e§  ^auptmerf  füljrt 
ben  ^itel:  Principia  Philosophiae;  e§  entl)ält  im  erften  Surf)  eine 
furje  5lb^anblung  ber  er!enntni§tt)eoretifc^en  unb  metap^t)fif(^en  fragen, 
im  groeiten  bie  ^ringipien  ber  mec^anifc^en  ^'^t)fi!,  im  britten  bie 
Kosmologie,  im  Gierten  eine  Üiei^e  oon  p^t)fifatifrf)en,  c^emifc^en,  pf)t)fio= 
logifrf)en  ©rflärungen.  Sßir  mürben  ein  berortige§  SSerf  üielleirf)t  am 
erften  eine  (gnct)!lopöbie  ber  9Zaturmiffenfc^aften  nennen.  3n  ber  35or= 
rebe  erflärt  er  felbft  bie  ^^ilofopljie  al§  ben  Inbegriff  ber  menfc^lirfjen 
2öiffenfrf)aft.  5Il§  i£)re  ^auptteile  nennt  er  1)  bie  äRetapf)t)fif,  2)  bie 
^^t)fi!,  3)  bie  terf)nifd^en  3Siffenfrf)aften,  borunter  im  befonberen  bie 
ajJebiäin,  bie  2«ed)anif,  bie  (Stf)if.**) 


*)  De  dignitate  et  augmentis  scientiarum  II,  1:  historiam  et  expe- 
rientiam  pro  eadem  re  habemus,  quemadmodum  etiam  philosophiam  et 
scientias.  —  —  Historia  proprie  individuorum  est  —  philosophia  individua 
dimittit,  sed  notiones  ab  illis  abstractas  cotnplectitur.  —  III,  1 :  pbilo- 
sophiae  objectum  triplex:  Deus,  Natura,  Homo.  Convenit  igitur  partiri  philo- 
sophiam in  doctrinas  tres:  doctrinam  de  numine,  d.  de  natura,  d.  de  homine. 

**)  Philosophiae  voce  sapientiae  Studium  denotamus,  et  per  sapientiam 
non  solum  prudentiam  in  rebus  agendis  intelligimus,  verum  etiam  per- 
fectam  omnium  earum  rerum,  quas  homo  novisse  potest  scientiam. 
Philosophiae  prima  pars  Metaphysica  est,  ubi  continentur  principia  cognitionis, 
altera  pars  est  Physica,  in  qua  inventis  veris  rerum  materialium  principiis, 


SSer^ältnii  ber  ^^ilofo^jl^ie  ju  ben  SBiffenjd^often.  25 

2)ieje  5(u[faffung  ber  ^fjilofop^ie  bleibt  in  ber  ^^olgejeit  in  ben 
beiben  ©ntmicfelungSreifien  unüeränbcrt.  Scf)  greife  ein  paar  Seijpiele 
{jerauei.  Xf)oma§  §obbe§  erf(ärt  am  ©ingang  feiner  Sogit  bie 
ipf)iIofopf)ie  at§  bie  hnxd)  rid)tige§  2)enfen  abgeleitete  (Srfenntniö  ber 
SBirfungen  ober  @rfd)einnngen  au^  i{)ren  Urfad)en.  S^r  ^ki  ift,  ttjie 
bei  ^acon  unb  ®e»carte§,  bie  ^errfd^aft  über  bie  ^Dinge  ju  unferen 
3tDecfen:  scientiam  propter  potentiam.  ^^xz  ^^auptteile  finb:  bie 
9JJatf)ematif,  bie  DJaturiüiffenfdjaft,  bie  eigentlich  erft  mit  Gopernicu», 
©alilei  unb  ^oroei)  beginnt,  unb  bie  philosophia  civilis,  bie  nicf)t 
ölter  fei,  a(§  fein  S3ud^  de  cive.  DZidjt  ^ur  ^^ilofopt)ie  get)ört  bie 
Stbeotogie,  natürlidie  unb  geoffenborte,  unb  bie  ®efd)idjte,  9laturgefcf)ic^te 
wie  poIitifrf)e  ®efcf;id)te,  aU  hjeldje  alle  nic^t  SBiffenfd)aften  finb. 

(Sbenfo  braud)t  Sot)n  Sode  ha^  SBort  ^f)iIofopt)ie  aB  g(eid)be= 
beutenb  mit  2Biffenfd)aft.  2l(§  itjre  ^auptgiueige  bejeid^net  er:  Physica 
ober  natural  philosophy,  Practica,  beren  §auptteit  bie  @tt)if,  Seraiotica, 
bereu  mid)tigfte§  ©tüd  bie  Sogif.  *)  2)aB  audj  er  bie  9^aturpt)i(ofop]^ie 
für  ta§>  eigentlid^e  ^auptftüd  ber  ^^itofop^ie  ^ölt,  get)t  au§  bem  33or= 
mort  p  bem  „SSerfud;  über  ben  menfd^üd)en  ^erftanb"  beutlid;  genug 
■fieröor:  fein  S^rgeij  ge^e  nur  barauf,  a(§  ein  .^onblonger  allerlei 
©d^utt  öon  bem  Soben  gu  entfernen,  auf  bem  9}?eifter  roie  33ot)(e, 
@Qben()am,  §m)gl)en§,  DJemton  if)re  bauernben  33aun)erfe  auffüf)rten. 

SDerfetbe  (Sprod)gebraud)  ift  in  ben  Greifen  ber  efa!ten  ^orfd^ung 
^eimifd^.  9kn)ton  nennt  fein  2öerf:  Naturalis  philosophiae  principia 
mathematica.  SDer  9Jiatt)ematifer  3ÖatIi§  fpridjt  in  einer  ©c^rift  Dorn 
Sahire  1696  über  bie  ©rünbung  ber  ^önig(id)en  @efellfd)aft  ber  SBiffen- 
fd^aften:  „Unfer  ©efd^äft  n)ar,  mit  5(u§fd)luB  ber  ttjeologifd^en  unb 
poUtifd)en  5tngetegenf)eiten,  p'^iIofopf)if(^e  g^orfd^ungen  unb  maS  bai)in 
gei)ört,  ju  befpred^en,  nömlid)  ^{)i)fif,  Stnatomie,  Geometrie,  ^(ftronomie, 
9lautif,  ©tatü,  ä)Jagneti§mu§,  St)emie,  3}?ed)anif  unb  naturn)iffenfd}aft= 


generatim  examinatur,  quomodo  totum  Universum  sit  compositum,  deinde 
speciatim,  quaenam  sit  natura  hujus  terrae,  aeris,  aquae,  ignis,  magnetis  et 
aliorum  mineralium.  Deinceps  quoque  singulatim  naturam  plantarum, 
animalium  et  praecipue  hominis  examinare  debet,  ut  ad  alias  scientias 
inveniendas,  quae  utiles  sibi  sunt,  idoneus  reddatur,  —  —  quae  ad  tres 
praecipuas  revocantur,  Medicinam,  Mechanicara  atque  Ethicam. 

*)    Essay    on   human    understanding,    IV,   21.     ^m  SSorwort    l^eifet   e^: 
philosophy,  which  is  nothing  but  the  troe  knowledge  of  things. 


26  Einleitung:  SCßefen  unb  93ebeutung  bet  ^t)iIofop^ie. 

lic^e  (Syperimente.  2ötr  bejprac^en  ben  Kreislauf  be§  SIut§,  bie  S8enen= 
ÜQppen,  bie  fopernifanifc^e  §l)pot^eje,  bie  ^J^atur  ber  Äometen  unb  neuer 
©lerne,  bie  2;rabanten  be§  Jupiter,  SSerbefferung  ber  gernrofjre  unb 
©cfjteifung  ber  ®(äfer  gu  bie[em  ßttiecE,  bo§  ®en)id}t  ber  ßuft,  bie 
9}Jöglic^feit  ober  Unmijglid^feit  be§  vacuum  unb  be§  horror  vacui  unb 
anbere  @Q(f)en,  bie  in  bem  S3ereid^  ber,  tt)ie  man  bamalS  fagte,  „neuen 
^f)iIofopf)ie"  gehörten,  bie  jeit  ben  ß^iten  be§  Florentiner^  ©olilei  unb 
be§  (Snglönberg  S3aco  oon  Sßerulam  in  Italien,  ^ranfreic^,  j[)eutfd)Ianb 
unb  Quberen  Xeiten  be§  5(u§(Qnb§  öielföltig  angebaut  föorben  i[t,  ebenjo 
tt)ie  and)  bei  un§  in  ©nglanb."*) 

Sn  gteid^er  SSeife  i[t  ber  alte  S3egri[f  in  ber  fontinentaten 
^f)itofopf)ie,  bie  bem  S)e§carte§  ot§  g^ü^rer  folgt,  geblieben,  ©pinoja 
öer[te!)t  unter  einem  (Stiftern  ber  ^t)iIofopf)ie  ha§>  einljeitticfie  ©t)ftem 
aüer  tt)iffenfc^aftlict)en  ®rfenntni§,  bo§  ber  ein^eitlicf)en  2Sir!Iid)feit, 
Natura  sive  Deus,  entfpric^t.  ©ein  ^auptujer!  nennt  er  nid^t 
©t)ftem  ber  ^£)iIojop^ie,  fonbern  Ethica,  n^eil  ber  eine  ^auptämeig 
ber  ^i)i(ofop^ie,  bie  philosophia  naturalis,  barin  fef)It  ober  nur  mit 
einigen  Sel)nfä^en  im  2.  53ucf)  ongebeutet  ift.  ßeibnig,  ber  auf 
allen  Öiebieten  ber  miffenfd)oftIi(^en  3^orf(f)ung,  ber  gefc^id)t(i(i)en 
Cluellenforfcfiung,  n^ie  ber  9)?at^emati!  unb  ^^^fi!  t)eimifd)  ift,  !^at  üon 
ber  abfoluten  ©eftatt  ber  3Biffenf(^aft  ober  ber  ^f)iIofopt)ie  ganj  bie= 
felbe  SSorftellung  raie  ©pino§o;  er  benft  fie  fid)  al§  ein  bemonftratioeS 
@t)ftem,  in  bem  mit  Segriffen  oermittelft  eine§  3^ic§enfl)ftem§,  öf)nlid^ 
Xük  in  ber  5trit^metif,  gered^net  mirb.  Sn  biefem  ©inne  rebet  er 
einmal  bon  einer  Encyclopedie  demonstrative.**) 

G{)r.  SSoIff,  ber  bie  moberne  ^f)iIofop^ie  juerft  in  ein  fd)ul= 
mäßiges  ©i)ftem  gebradjt  t)at,  beginnt  feine  31bt)anblung  über  boS 
SBefen  ber  ^f)iIofop^ie  am  ©ingong  ber  Sogi!  mit  ber  Unterfd)eibung. 
ber  f)iftorifc^en  unb  pt)iIofop{)ifcl^en  (Sr!enntni§:  jene  giebt  ha§  SBa§, 
biefe  ha^  SSarum:  cognitio  eorum,  quae  sunt  vel  fiunt,  historica, 
cognitio  rationis  eorum,  quae  sunt  vel  fiunt,  philosopbica  dicitur. 
SSer  bie  bIo|e  Srt)atfad)e  (nudam  facti  notitiam)  mi%  ha^  ha^ 
SBaffer  im  gluBbett  abmört§  fliegt,  f)at  eine  !^iftorifd)e  ©rfenntnig; 


*)  Sitiert  bei  §ujlet),  «Reben  unb  Sluffä^e,  beutfd)  ü.  5r.  ©c^uläe,  ©.  3. 
**)  Opera  philos.  ^^erou^geg.  öon  Q.  @.  ©rbmann,  ©.  169. 


SSerfjältnt^  bn  $:^itofopt)ie  gu  ben  SBiffenjdöoften.  27 

eine  pl)iIofopt)iid[)e  bagegen,  tuer  ba  tüeife,  bo^  bie§  burtf)  bie  S^Zeigung 
be§  33oben§  unb  ben  5)ruc!  ber  oberen  SSofferteile  auf  bie  unteren 
bewirft  tt)irb,  5l(§  britte  @rfenntni§art  fügt  er  bie  mQt{)emQtif(i)e 
t)in3u,  bie  bie  @röBenoert)ättniffe  beftimmt.  S)ie  ^^ilofop^ie  üerwertet 
übrigens  and)  bie  f)iftorif(^e  uub  matf)ematifcf)e  (SrfenntniS.  —  ^m 
britteu  Kapitel  n^irb  oon  ben  ^auptteilen  ber  ^f)i(ofop[)ie  gefjQubelt; 
it)rer  finb  brei:  bie  nQtürIirf)e  STtjeoIogie,  bie  ^jt)tf)oIogie,  bie  "i^titifi!; 
njo^u  brei  9iormn)iffenfcI)afteu  fommen:  bie  Sogif,  bie  prottifrfie 
^I)iIofop^ie  in  Slulet)nung  an  bie  ^fi)rf)otogie,  bie  Technologie  in  %n= 
Ief)nung  an  bie  ^^l}t)fi!.  ^ier^u  fommt  nodj  bie  Ontotogie  als  bie 
2öiffenf(f)aft  oon  ben  allem  ©eienben  gemeinfamen  Seftimmungen. 

9)?an  fie^t,  überall  bilbet  bie  9^aturtt)iffenfd)aft  ben  einen  großen 
^auptteil,  ja  bei  mand)en  i[t  fie  bie  eigentlici^e  ©ubftauä  ber  ^^ilofopf)ie; 
unb  überall  ift  i^re  (SrfenntniSart  bie  eigentlid^e  g^orm  ber  luiffen^ 
fc^aftü(f)=pt)iIofopt)ijd)en  6r!enntni§  überhaupt.  ®ie  ®eifte§iüiffenfct)aften 
f uc^t  man  nacf)  i^rem  ^orbilb  jur  SSiffenfc^aft  gu  erf)eben,  mie  e§  5. 33. 
SDatjib  §ume  in  feiner  „Stb^anblung  über  bie  menfd^Iidje  Dtatur"  fid^ 
fc^on  auf  bem  %xid  auSbrüdticf)  a(§  ^id  fe^t. 

5turf)  bem  19.  Qa^rtjunbert  ift  biefe  ^etradjtungSttjeife  nic^t 
fremb  geworben,  in  (Snglanb  unb  g^ranfreicf)  ift  fie  gett}öt)nli(f)  ge= 
bUeben.  Sd^  erinnere  an  bie  philosophie  positive  21.  ßomte'S 
unb  an  ha§>  @t)ftem  ber  ft)ntf)etifct)en  ^^iIofopt)ie  Herbert  (Spencer' S. 
^ür  ßomte  ift  bie  ^t)iIofop'^ie  ber  @ubftan§  nad^  nid^t  oerfrfjieben 
oon  ben  SSiffenfct)aften,  fie  ift  ha^  unioerfeüe  Sertiufetfein  über  Qn= 
ftanb,  (Snttt)ic!elung,  ^id  unb  SJJet^obe  ber  tt)iffenfc^aftlid)en  gorfrfjung 
in  if)ren  üerfdE)iebenen  3^^i9^"-  ^^^  fc^"^  befonbere  Slufgabe  be= 
trad)tet  ßomte,  bie  SSiffenfd;aft  oon  ben  f Opiaten  ^^pnomenen  gut 
«Stufe  ber  pofitioen  2Siffenfd)aft  übergufüfiren,  weld^e  für  i>a^  ©ebiet 
ber  aftronomifd^en,  pt)t)fifalifd)en,  c[)emifd)en,  pf)QfioIogifc^en  ^f)änomene 
öon  ben  Ölaturwiffenfdiaften  fd)on  früher  erreidit  ift;  eS  ift  baSfelbe 
3iel,  baS  fid)  fdjon  §ume  für  bie  @eifte§tt)iffenfdjaften  geftedt  l^atte. 
—  Unb  offenbar  ift  ©pencer'S  f^ntl^etifc^e  ^t)iIofopf)ie  im  ganzen  unb 
großen  nac^  bemfelben  @cf)ema  angelegt,  ©r  erüärt  ^t)itofopf)ie  als 
bie  le^te  unb  {jödjfte  @int)eit  tt)iffenfd^aftüd)er  ©rfenntniS:  „SSiffen 
ber  niebrigften  2(rt  ift  nod^  nid)t  oereint)eitlid)te  (SrfenntniS,  SBiffen» 
fdjaft  ift  teilroeife  oereinf)eitIic^te  (SrfenntniS,  ^t)iIofopf)ie  ift  ooßfommen 


28  Einleitung;  SBefen  unb  93ebeutung  ber  ^t)iIo)op^ie. 

t)erein'^e{t(i(f)te  (Srfenntni§."*)  SSenn  unter  ben  Xtxkn  be§  8t)ftem§ 
neben  ber  ^f^d^ologie  unb  Biologie  nid)t  and)  bie  ^f)t)fi!  oorfommt, 
\o  erflärt  ber  ^erfaffer  bie§  fetbft  für  suföüig. 

@r[t  \)a§>  neungel^nte  3af)r^unbert  l^ot  in  bie  fiebere  Überlieferung 
SSerwirrung  gebradjt;  in  ©eutjd^Ionb  ift  e§  jeitnjeilig  ju  einer  2Iuf= 
faffung  ber  ^f)iIo]opf)ie  gefommen,  bie  fie  öon  ber  SBiffenjc^aft  ööllig 
trennte,  ja  if)r  gert)iffermQ^en  entgegenfe^te. 

®ie  Slbn^eid^ung  beginnt  mit  ^ant;  feine  Unterfd^eibung  öon  (Sr= 
!enntni§  a  priori  unb  a  posteriori  ift  ber  2tu§gang§punft.  Unter 
jener  üerfte^t  er  @rfenntni§,  ujetd^e  bie  SSernunft  rein  au§  fic^  felber  ju 
fd^öpfen  üermag,  tt)äf)renb  jur  le^teren  (Srfa^rung  ^injufommen  muB. 
S)afe  e§  foldje  a  priori  gett)iffe  ©ä|e,  bie  bennod^  objeftiüe  @üttig!eit 
f)Qben,  giebt,  ift  ber  eigenttidje  ©egenftanb  ber  33en)ei§fü^rung  in  ben 
erften  beiben  großen  ^bfdjuitten  ber  Äritif  ber  reinen  35ernunft,  ber 
Stftf)eti!  unb  ?{nalt)tif.  S(m  (Singang  ber  ^{)t)fi!  begegne  man,  fo  meint 
^ant,  berartigen  Sälen,  5,  33.  bie  Quantität  ber  Wlatmt  öeränbert  fid) 
nid)t,  bie  2Bir!ung  ift  bei  ber  33emegung§übertragung  ber  Urf ad^e 
gleid)  u.  f.  f.  Sine  ft)ftemotifd)e  ^Darftellung  aller  (Srfenntniffe  a  priori 
Wäre  nun  ba§,  tt)a§  man  SD^etapf)t)fif  ober  '»p^ilofop^ie  im  ed^ten  unb 
eigentüd)en  (Sinne  nennen  foüte.  S)er  Umftanb,  „ha'^  biefe  Unterfdjeibung 
ber  jroei  ©lemente  unferer  (£r!enntni§,  bereu  bie  einen  ööllig  a  priori 
in  unferer  ©eujalt  finb,  bie  anberen  nur  a  posteriori  au§  ber  {Srfaf)rung 
genommen  lüerben  fönnen,  felbft  ben  Senfern  öon  ©emerbe  bi§t)er  fet)r 
unbeutüd)  blieb,''  l)abe  fo  lange  bie  richtige  Slbgrenjung  ber  ^t)i(ofopf)ie 
gegen  bie  empirifd)en  äöiffenfc^aften  öerf)inbert.**) 

S)amit  ift  benn  bie  ^^iIofopf)ie  jum  erften  Tlal  ifjrem  S3egriff 
nac^  öon  ben  SBiffenfc^aften  loggelöft  unb  auf  fic^  geftellt.  greilic^ 
tt)ar  e§  nun  gar  nid)t  ^ant§  SJJeinung,  ha"!^  biefe  apriorifd^e  ^^ilofop^ie 
bie  eigentlid)e  Summe  unferer  ©rfenntniS  entf)alte  unb  gegen  bie 
empirifd^en  SSiffenfdjaften  f)od^mütig  §u  fein  Urfad)e  ()obe.  Snt  @egen* 
teil,  eigentlid)  enttjalten  bie  @ä|e  ber  „reinen  9^aturmiffenfc^aft"  für  fid^ 
uod^  gar  feine  @rfenntni§  ber  SBirflid^feit;  e§  finb  ajiomatifc^e  ©ä^e, 
bie  erft  baburd),  ha'^  fie  gur  33egreifnng  be§  gegebenen  9J?annigfaItigen 
ber  (Smpfinbung  bienen,  Sebeutung  unb  (£rfenntni§n)ert  erf)alten;  of)ne 


*)  ©tjftem  ber  j^nt^et.  «ßf)tIoj.  (beutfd)  öon  SSetter)  93b.  I,  §  37. 
**)  ^ttil  ber  reinen  Vernunft,  SJJet^obente^re,  3.  §aupt[t. 


S?er^Itni§  bet  ^^ilofopl^ie  ju  ben  SBiffenjc^aften.  29 


btefe§  blieben  fie  leere  ©djemoto  einer  möglicfjen  @rfaf)rung.  @§  i[t 
gerabe  ^Qnt§  ?Ibfid)t,  bie  reale  ober  tronfcenbente  9JJetQpt)t)fif,  bie  rotio^ 
nale  j£f)eoIogie,  Äo^mologie  unb  "^ji)d)otogie  SBotffS,  burc^  feine  ^ritif 
5u  nernic^ten  unb  eine  bloB  formale  9JZetapt)t)fi!  on  if)re  <5telle  gu  jeljen. 

5Iber  n)a§  bie  @ej(f)id)te  fo  oft  jeigt,  trat  and)  f)ier  ein:  oul= 
gcfprodjene  ©ebanfen  t)aben  SBirfungen  unb  ©d^idfale,  bie  oon  ber 
5(bfid)t  be§  Urf)eber§  nic^t  abf)ängig  finb.  5lont  tt)urbe  wiber  feinen 
Söiflen  ber  3?ater  ber  fpehilatiöen  ^{)iIofopI)ie.  2lu§  bem  ^'antifd)en 
©runbfal;,  ba^  bie  g^ormen  be§  ®enfen§  äugleid)  ©efe^e  ber  ^f^atur 
iibert)aupt  al§  be»  Inbegriffs  ber  ©rfdjeinungen  finb,  entraidelte  fic^ 
jene  ^f)i(ofopt)ie,  bie  au§  ber  DZatur  be§  SSorfteHenS  bie  ganje  SSelt, 
9iatur  unb  @efd;id)te,  burd)  immanente,  bialeftifd^e  33egriff§enttt)idelung 
abzuleiten  unternat)m.  (S§  ift  ber  gemeinfame  @runbd)orafter  ber 
^^ilofop^ien  3^id)te§,  @d)eUing§,  |)egel§,  bafe  fie  burd)  ein  neues  ^er= 
fahren  rein  begrifflid^en  ^enfenS,  unabJjängig  oon  ber  (Srfat)rung  unb 
ben  empirifdjeu  SBiffenfdjaften,  ein  ©tiftem  abfoluter  ©rfenntniS  ber 
2Birf(idjfeit  f)eroorbringen  ju  fönnen  überzeugt  finb.  „2)ie  3Siffen= 
fc^afteleljre,"  fagt  g^ic^te,*)  ,. fragt  fc^Iec^terbingS  nid)t  noc^  ber  @r= 
fat)rung  unb  nimmt  auf  fie  fd^Ied^terbingS  feine  Üiüdfid^t.  ©ie  mü^te 
n)at)r  fein,  rnenn  eS  auc^  gar  feine  ®rfat)rung  geben  fönnte  unb  fie 
ipäre  a  priori  fidjer,  ba'&  alle  mögliche  fünftige  (Srfa^rung  fi(^  nad) 
ben  burd)  fie  aufgefteflten  @efe|en  würbe  rid^ten  muffen."  ©benfo 
erflärt  er  am  Eingang  ber  @runb§üge  be§  gegennjörtigen  ßeitalterS, 
„h^^  ber  ^f)iIofopf)  of)ne  9^üdfid)t  auf  irgenb  eine  (Srfafjruug  unb 
fd)Ied)tf)in  a  priori  fein  ©efdjäft  (t)ier  bie  ^onftruftion  ber  @efd)id;te) 
treibe  unb  bie  gefamte  ^dt  unb  oüe  möglid)en  @pod;en  berfelben 
a  priori  muffe  bef (^reiben  fönnen." 

Su  gleid)er  Sßeife,  lüie  g^id^te  bie  @efd}id)te  a  priori  bebu^iert, 
fonftruiert  ©djetting  bie  Statur  a  priori,  inbem  er  gelegenttid^  gegen 
bie  „blinbe  unb  ibeentofe  5lrt  ber  9Jaturforfd^ung,  bie  feit  bem  5yer= 
berbeu  ber  ^f)ilofopI)ie  burdj  23acon,  ber  ^f)t)fif  burd)  58o^Ie  unb  Diemton 
allgemein  fidj  feftgefe^t  I}at",  feinen  ßom  auSläBt.**)  Sn  ^egel 
erreidjt  bie  fpefulotiöe  ^f)iIofop^ie  if)re  SöoHenbung;  bie  gan^e  S[öirf= 
Iid)feit  mirb  uou  i^m  au§  ^Begriffen  fonftruiert;  3Birflid)feit  unb  3Sa^r= 


')  ®runbrife  t>c§  (StgentümUd)en  ber  2Biiienf(()aft§Ief)re  §  1. 

*)  Sbcen  äu  einet  $^ilof.  bec  Vlatnx  (1797),  3Ber!e,  I.  ^2lbt.,  II.  70. 


30  ©inicitung:  SBejen  unb  SBebeutung  ber  ^^ilofop'^ie. 

f)eit  fallen  in  feinem  (Sijftem  ^ufammen.  ^Daneben  ftef)en  bie  empirifc^en 
SSiffenfd)Qften;  nic^t  ex  principiis,  au§  bem  33egriff,  fonbern  ex  datis, 
burd)  äuBerlic^e  ^unbe,  fammeln  fie  allerlei  Kenntnis  be§  Singetnen. 
SDie  eigentliche  (Srfenntni§  ber  2BirfIi(f)!eit  ift  bie  pf)iIofop{)ifd)e;  if)re 
g^orm,  bie  biaieüifdje  Segrifflentmicfelung,  ift  ni(^t§  anbere§  ot§  bie 
fubjeftioe  2öieberf)o(ung  be§  objeftiüen  ©ntttjidelungSprojeffeS  ber  Sbee, 
ha^  ift  ber  Sßirflic^feit  felbft. 

9^oc^  nie  f)ütte  bie  ^f)ifofopf)ie  eine  fo  ftolge  Sprache  gefütjrt. 
Sßöüig  auf  fic^  felbft  rufienb,  ^atte  fie  bie  SSiffenfdjoften,  beren  fie 
früfjer  al§  it)rer  Drgane  fid)  bebient  f)atte,  nunmet)r  au§  bem  ^ienft 
entlaffen,  fie  beburfte  itjrer  nic^t  me^r,  fie  ^atte  jenen  „fönigüdjen 
2öeg"  jur  (Sr!enntnig  entbedt,  unb  brachte  nun  felbft  au§  fid^  f eiber 
bie  abfotute  (Srfenntnil  ber  Singe  juftanbe.  Ser  alte  Segriff  ift  atfo, 
wenn  man  tüiH,  and)  {)ier  er()alten:  ^^iIofopf)ie  ber  Inbegriff  aller 
eigentlid)  niiffenfdjaftlidien  (SrfenntniS;  aber  mit  einem  Unterfd)ieb: 
frül)er  get)örte  bie  njiffenfc^aftlidje  g^orfd)ung,  befonberS  bie  natura 
tt)iffenfd)aftlid)e,  baju,  je|t  mar  fie  al5  ein  oormiffenfd)aftlid)e§  58er= 
fahren  au§gefd)ieben. 

Snbeffen,  tk  Slüte  ber  fpefulatioen  ^^iIofopl)ie  mar  nid)t  oon 
langer  Sauer.  @eit  ben  brei^iger  ^a^t^en  nal)m  i^r  5lnfef)en  rafc^  ab 
unb  anlegt  fiel  fie  unb  mit  il)r  alle  ^l)ilofopt)ie  in  tieffte  35erad)tung. 
©§  mirften  manche  Urfac^en  §ufammen,  i^ren  ©tur^  fo  plö^Iic^  unb  fo 
tiernic^tenb  ^n  mad)en.  (gntfc^eibenb  mar  boc^  bie  gegenfä^lic^e  (Stellung, 
meldte  fie  felber  ju  ber  miffenfd§aftlid)en  gorfc^ung  eingenommen  ^otte. 
9fiatur=  unb  @efd)ic^t§forfd^ung,  beibe  feit  ben  ^man^iger  Sal)ren  in 
fräftigftem  2öoc^§tum  begriffen,  entzogen  ber  fpefulatioen  ^Ijilofop^te 
mel)r  unb  mef)r  Sic^t  unb  Öuft,  ha§:  ^ei^t  Sßertrauen  unb  Seilnatime 
be§  ^eranmad)fenben  @efd)le(^t§.  Unb  biefeS  öergalt  nun  ber  ^l)ilo= 
fopt)ie  alle  bie  @eringfd)ä|ung,  mit  ber  oon  ber  (Spefulotion  bie 
miffenfc^aftlic^e  gorfc^ung  gelegentlid)  mar  Uhad)t  morben:  ^l)ilofopl)ie 
fei  gar  nid)t  SBiffenfd)aft,  fei  übert)aupt  feine  ernftl)aft  ju  nel)menbe 
Saä)t,  fonbern  eine  fop^iftifd)e  gertigfeit,  oon  ben  Singen  im  all= 
gemeinen  mit  einem  gctt)iffen  @d)ein  oon  @inn  unb  $ßernunft  gu  reben, 
eine  ©auflerfunft,  burc^  9J?ifdjung  oon  allgemeinen  S^egriffen  allerlei 
bunfle  unb  tieffinnige  örafelfprüc^e  äuftaube  ^u  bringen,  ^um  (Srftaunen 
für  müßige  2eute. 


SSer^ältniä  bet  iß^ilofop^ie  ju  ben  SBiffenjd^often.  31 

@o  mar  bie  ^f)iIofop^ie  in  einer  betrübten  Sage.  3^ren  alten 
93efi|,  ben  Inbegriff  miffenfdjaftlic^er  (grfenntni§,  f)atte  fie  beifeite 
gelegt,  um  einem  ^öf)eren  nad^^ujagen,  ber  reinen  @rfenntni§  a  priori. 
:3e^t  war  i^r  biefe  mitfamt  ber  bialeftijc^en  9}Jetf)obe  ätt)ifd)en  ben 
g^ingern  verronnen.  SSie  ber  t^unb  in  ber  g^bel,  ber  narf)  bem 
©cfiatten  fc^nappenb,  bo§  i^ki']d),  ba§  er  jnjifc^en  ben  ßö^nen  ^atte, 
oerlor,  ftanb  fie  nun  ha  unb  f)atte  nichts.  3Sa§  tf)at  fie  in  biefer 
Sage?  2)a§  (gebotene  ttJöre  gemefen,  bie  fpefulatiöe  ^f)i(ofop^ic  al§ 
eine  epifobifd;)e  3rrfaf)rt  ju  be^eic^nen  unb  auf  i^ren  alten  Segriff 
jurücfjugetien.  SD^ufete  ber  5(nfpruc^  aufgetjoben  n^erben,  bafe  fie  ein 
befonbere§  95erfaf)ren,  bie  erfenntni§  ber  3SirfIicf)feit  §u  gewinnen, 
befi^e,  fo  mor  bamit  bie  S^tüdfetir  §u  ber  alten  5Iuffaffung  oou  i^rem 
Söer^ältni»  gu  ben  Söiffenfi^aften  geforbert. 

@ie  t:^at  e§  nidjt.  Unb  bie  Urfarf)e  liegt  nic^t  fern:  it)re  i8er= 
treter  fanben  nic^t  ben  SJJut,  gu  bem  alten  53egriff  jurüdgufetjren, 
er  fc^ien  allgu  fc^mere,  ja  unerträgti(f)e  SSerpfIid)tungen  aufjulaben. 
Schienen  fie  boc^,  wenn  fie  ^f)i(ofopt)ie  al§  Inbegriff  ber  wiffen^ 
fd^aftüd^en  (Srfenntni§  erflörten,  bomit  jn  fagen,  bafe  fie  in  if)rer 
^erfon  fo  etwal  befäfeen.  Unb  wer  fjätte  fid)  bem  ^of)ngeIäd)ter  au§= 
fe|en  mögen,  \)a§>  fotc^e  S3ef)auptung  l^eröorgerufen  f)ätte? 

5rül)er  war  ba§  anber§  gewefen.  ^ie  gried)ifd)en  'iptiilofopfien 
t)ätten  fid)  o{)ne  weitere^  §u  fold^er  2)eutung  i{)re§  S^iomen»  befannt; 
in  ber  2f)at,  fo  f)ätten  ®emofrit  ober  ?triftoteIe§  gefagt,  etwaä 
berartigeS  wie  eine  unioerfeHe  SSiffenfd^aft  ber  ®inge  befäßen  ober 
fud^ten  fie.  Unb  bie  mittelalterli(^en  ^f)iIofopf)en  wären  ebenfo  wenig 
üon  biefer  g^orberung  be§  33egriff§  ^urüdgewic^en;  and)  5(Ibertu» 
unb  St^oma§,  ja  fd)tieBn(^  jeber  jüngfte  magister  artium,  ber  eben 
fein  biennium  erfüllte  —  auf  ben  mittela(terlid)en  Unioerfitäten 
2)eutf(^Ianb§  mu^te  jeber  9JZagifter  nac^  ber  Promotion  §wei  ^a^re 
über  '>pf)i(ofopf)ie  lefen  —  würbe  fid)  ju  bem  Segriff  befannt  unb 
gefagt  {)aben:  atlerbing§  er  glaube,  foweit  e§  benn  bem  9JJenfc^en  übcr= 
f)aupt  mög(idf)  fei,  mit  ben  SBiffenfc^aften  fid)  fo  öertraut  gemacht  ju 
f)aben,  bo^  er  fic^  auf  gewiffe  Söeife  aB  i^ren  3nf)aber  bejeic^nen 
bürfe.  ^at  er  bod^,  um  „9J?eifter"  gu  werben,  aüe  iJSerfe  „be§ 
^t)ilofopf)en"  burd^auS  ftubiert,  unb  je^t  war  er  fö^ig  unb  bereit, 
jebeS  §u  erüären,  wenn  e§  burd^  2Baf)(,  Umgang  ober  So§  (bie  5tu§- 


32  Stnleitung:  SBejen  unb  Söebeutung  bet  ^^ilofop^ie. 

(ojung  ber  ^öüd^er  unter  ben  lefenben  9}kgi[tern  lunr  an  ben  mittel^ 
otterlic^en  Unioerfitüten  ni(f)t  ungen)öf)nlic^)  an  if)n  gelangte.  5)arum 
l^iefe  er  ja  „SOIeifter  ber  Slünfte"  (magister  artium),  ha^  er  fie  aüe 
Ie{)ren  fonnte,  9DJat{)ematif  unb  3([tronomie  jo  gut  al§  ^^i)fi!  unb  SOJeto^ 
p^tifif,  Sogt!  unb  D^^etorif,  ®tf)if  unb  ^oütü,  er  felbft  eine  üeine  '^ad)- 
bilbung  unb  Äopie  be§  erften  großen  SD^eifter§,  be§  §(ri[toteIe§.  Unb 
basjelbe  l^ätte  ourf)  ber  2)oftor  ber  ^f)i(ojopf)ie  be§  16.  unb  noc^  be§ 
18.  Sot)rf)unbert§  gejagt,  'änd)  9JJeIanrf)tf)on  Ia§  über  alle  SBiffen= 
fd^aften,  bie  ben  Umfrei»  ber  pf)iIo|opt)iic^en  g^afultät  erfüllen,  unb  be= 
fdjrieb  jie  nie'^renteils  in  (ange  gangbaren  :liet)rbücf)ern.  Unb  noc^  im 
öorigeu  3af)rt)unbert  lehrte  (£§r.  SSoIff  fomo^t  SOktf)emati!  unb  ^t)t)fif, 
qI§  Sogif  unb  ^ft)d}oIogie,  praftifc{)e  ^^^i(ofopt)ie  unb  ©taat^miffen^ 
fc^aften.  'änd)  ^aut  la§>  über  9)latt)ematif  unb  9Iaturtt)if]enfd)aften  unb 
t)ätte  n)ot)I  and)  einen  Set)r[tuf)I  ber  ^f)i)fif  unb  ber  9}latt)ematif,  ber 
5Iftronomie  unb  ber  ©eograp^ie  nid)t  abgele{)nt,  ttienn  er  if)m  angeboten 
lüorben  ujöre;  nur  bie  ^^rofeffur  ber  ^oefie  mit  ber  ^flic^t,  ju  Iateiniid)em 
unb  beutfrf)em  $öer§bau  anzuleiten,  fd)Iug  er  aus,  al§>  fie  an  i^n  !am. 

Uns  fommen  biefe  ®inge  fettfam  unb  unmöglid)  öor.  Unb 
freilief)  finb  fie  je^t  unmög{i(^.  ®ie  miffenfc^aftlic£)e  g^orfd^ung  ^at 
firfj  im  Sauf  be§  legten  3af)rf)unbert§  in§  unermefeüdie  oer^meigt  unb 
fpe^ialifiert.  2)ie  alte  professio  historiarum,  meift  mit  ber  professio 
poeseos  ober  eloquentiae,  ber  ^f)i(oIogie  nad)  unferem  @prad}gebrauc^, 
ober  and)  ber  professio  moralium  t)ereinigt,  t)at  fidj  in  ein  ^u^enb 
öon  2et)rfäd)ern  ober  met)r  gefpalten.  Sn  gleidjer  SSeife  ober  noc^ 
ftärfer  ^at  fid)  bie  professio  be^  alten  physicus  burc^  Teilung  t)er= 
mefjrt.  SSou  bem  ^t)i)fifu§  ber  alten  Unioerfität  ermartete  man  nic^t 
öiet  weniger,  al^  baB  er  über  alle  2)inge  am  ^immel  unb  auf  ßrben 
Slusfunft  erteilen  !önne.  Se|t  ift  ba§  ©ebiet  in  eine  oon  ^a^x  §u 
Sa^r  fteigenbe  ^ai)i  oon  g^äd^ern  jerlegt  unb  jebe§  ber  3^äd)er  nimmt 
bie  5(rbeit5fraft  eine§  9)?anne§  gan^  in  5(nfprud),  faum  bafe  er  auf  ben 
näcf)ft  angrenjenben  ©ebieten  nod)  einigermaßen  bie  gortfc^ritte  ber 
^orfdjung  §u  öerfolgen  imftanbe  ift.  Gin  SSedjfel  ber  2ef)rfäd}er,  mie 
er  nod)  im  öorigeu  3af)rf)unbert  burd^  5Iuffteigen  in  bie  beffer  be= 
folbeten  ©teilen  ^äufig  'mar,  finbet  nirgenbg  metjr  ftatt. 

S)urd)  biefe  Sage  ber  SDinge  i)at  fid)  nun  auc^  bie  '>p^i(ofopf)ie 
tf)ren  Segriff  beftimmen  laffen.    2)a  e§  nid)t  mef)r  mögüd)  ift,  ^^^ilofop^ 


SBerl^ättniä  ber  ^^ilofo^fjie  ju  ben  SBtffenfc^aften.  33 

in  bem  ©inne  eine§  Su^aberä  aller  tüiffenfrfjoftlid^en  (Sr!enntni§  511 
fein  —  rettnng§Io§  njürbe  ja,  rtjer  \o  etroaS  öerjud^te,  bem  Urteil  jene§ 
alten  35erfe§  öerf allen: 

SSiele  ^inge  hju^t'  er  freilid^, 

9lber  alle  rouBt'  et  ^dited^t  — 
fo  furf)t  mon  nad)  einer  (Srflärung  ber  ^§iIojop{)ie,  bei  ber  man 
^^ilofop^  bleiben  fann.  @r[te  Sebingnng  ift,  tal^  fie  nid^t  alle  3öiffen= 
fc^aften  einfdjüe&t,  üor  allem  nirfjt  bie  jogenannten  ejalten  2Biffen= 
jc^aften.  Unb  biefer  DZeigung  ber  ^l^ilojopl^en  gnr  5tu§fd)IieBnng  !ommt 
bie  D^eignng  ber  äBiffenjdjaften,  fid)  oon  ber  ^^ilofopt)ie  (oS^uIöjen,  ent= 
gegen;  es  gilt  nit^t  eben  a(§  SSorjug  einer  2[Bi[fenfd)aft,  ju  ben  pf)i(o= 
jop^ijd^en  gejäfilt  jn  lüerben.  ^f)t)jif,  ßl^emie,  5lftronomie,  ^f)QfioIogie, 
Zoologie  füt)(en  fid)  al§>  felbftänbige  SBiffenfd^aften,  fie  moßen  nid^t  gum 
©ebiet  ber  ^^iIofopf)ie  ge'^ören,  ebenfo  wenig  h)ie  ^^ilologie  unb  @e= 
fd^id^te,  bie  aud^  fd)on  au^er^alb  be§  alten  S3egriff§  ber  ^^ilofopl^ie 
lagen.  Slber  auc^  ^olitif  unb  Cfonomi!  (9lationaIöfonomie)  gäf)Ien  nid)t 
mef)r  §u  ben  „pf)iIofopt)ifd^en"  SSiffenfc^aften;  furj,  aKe  SSiffenfd)aften, 
bie  at§  felbftönbige  ^^ädjer  fid^  burd^gefe^t  f)aben,  finb  au§  bem  otten 
33erbanbe  au^gefd^ieben  unb  gehören  nic^t  me^r  ^ur  ^^ilofopl^ie.  ®e= 
blieben  finb  i^r  bie  SDi^^ipIinen,  bie  fid^  bi§l^er  nid^t  at§  felbftönbige 
^orfd^ungSgebiete  ab^ufdiüeBen  üermod^ten,  meift  fotd^e,  bie  überl^aupt 
oerbädjtig  finb,  feine  eigentlid)en  2ßiffenfd)aften  werben  ^u  fönnen,  alfo 
etma:  bie  9Jfetap!^l)fif,  bie  (Stf)if,  bie  5(ft^etif,  bie  Sogi!  unb  (grfenntnig= 
tf)eorie,  bie  ^fi)c^o(ogie  (bie  freilid^  je^t  gern  „ejafte"  SBiffenfd^aft 
merbcn  möd^te  unb  bann  üermutlid^  aud^  nid)t  me^r  eine  p^ilofop^ifd^e 
äBiffenfc^aft  bleiben  wirb),  bie  ^äbagogif,  bie  @efd^idjt§p^iIofop^ie,  unb 
worüber  fonft  an  beutfdjen  Uniuerfitäten  „p^i(ofop!t)ifd^e"  S^ortefungen 
gehalten  werben. 

gür  biefen  Inbegriff  non  SBiffenfd^aften,  bie  eigentlid)  nod^  feine 
finb,  f)at  man  nun  einen  einigenben  93egriff  gefud)t  unb  fo  jene  oben 
erwähnten  (Srflärungen  ^uftanbe  gebrad^t:  ^fjitofop^ie  ift  bie  Seigre  oon 
ber  ^orm  be§  (SrfennenS  —  um  ben  Sn'^alt  auSjufdjtieBen;  ober 
©eifteöwiffenfd^aft  —  um  WenigftenS  bie  9Zaturwiffenfd;aften  fern  ju 
galten;  ober  SBiffenfd^aft  oon  ben  ^ringipien  —  um  fid^  wegen  be§ 
(Sinjelnen  5U  entfdjulbigen,  unb  wie  jene  brüd)igen  (Srflürungen  fonft 
f)etBen  mögen,  bie  offenbar  tauter  i8erlegent)eit§au§fünfte  finb. 

»iJaulfen,  Ginleitung.    6.  3lufl.  3 


34  Einleitung:  SBefen  unb  33ebeutung  ber  ^^ilofopl^ie. 

Wix  ai']o  fc^eint  nun,  bo^  bie  ^f)iIoiopt)ie  roieber  SJJut  faffen  unb 
if)ren  alten  Segriff  fierfteüen  mufe:  ^^iIofop{)ie  ber  Inbegriff  aller 
n)if]en]c^aftlirf)en  @rfenntni§.  80  forbert  e§  bie  @ejc^i(^te;  burrf)  Saf)r- 
taufenbe  alte§  .^erfommen  ift  biefer  Segriff  \o  befeftigt,  bofe  jebe  anbere 
©rflärung  mit  ber  ©efc^ic^te  unb  bem  @prarf)ge6raurf)  in  SBiberftreit 
fommt  80  forbert  e§  aber  auc^  bie  Statur  ber  (Soc^e  felbft,  unb 
f)ierauf  get)e  id)  nun  noc^  mit  einem  SBort  ein. 

SDie  SBiffenfc^aften  finb  nidE)t  ein  zufällig  gufammengeroürfelteS 
2(ggregat,  fonbern  ein  einf)eitlic^e§  ©an^eS.  2öie  bie  Sßirfüdjfeit  felbft 
nirfjt  ein  5(ggregat,  fonbern  ein  eint)eitlid;eg  ©angeS  ift,  beffen  ©lieber 
burd^  beftänbige  unb  allgemeine  SBec^felmirfung  oerbunben  finb,  fo 
Bilbet  auc^  bie  @rfenntni§  ber  2Bir!Iic^feit  ein  ein^eitlid^eS  @t)ftem. 
®o§  fcfjIieBt  ©üeberung  nic^t  aug,  nur  ift  ©üeberung  ni(i)t  Trennung 
unb  3foIierung,  fonbern  eben  lebenbige  Segie^ung  oller  2:ei(e  auf 
ta§i  @anäe.  ^ie§  Serf)ältni§  fommt  praftifcf)  gur  (Srfdieinung  in  ber 
2;§otfac^e,  ta'^  jebe  SSiffenfc^aft  ber  onberen  al»  §ülf§tt)iffenf(f)aften 
bebarf;  fie  fann  if)re  Stufgobe  nid)t  in  ber  3foIierung  löfen.  S^ber 
3tr>eig  ber  9^aturtt)iffenfc^aft  fe|t  bie  übrigen  Dorau§:  bie  Siologie 
ß{)emie  unb  ^^t)fif;  aber  aud)  umge!ef)rt  bebarf  bie  ^f)t)fi!  ber  ^f)t)fio= 
logie,  in  ber  Optif  unb  5(fuftif  §.  S.  laufen  if)re  ©renken  ineinanber. 
©benfo  fe|t  jeber  3^^^9  gefrf)id)t(ic£)er  gorfc^ung  bie  übrigen  oorauS. 
5lber  aud)  9^atur=  unb  ®efc^id)t§n)iffenfc^aft  fönnen  einanber  nid)t 
entbef)ren.  ®ie  ©efd^ic^te  fe^t  bie  ®eograpf)ie,  für  bie  3^it^^cE)^^ung 
aud^  bie  Stftronomie  öorau§;  bie  (Sprac^iDiffenfd^aft  berüf)rt  fid;  mit 
ber  ^f)t)fioIogie ;  bie  Slrc^äologie  bebarf  gelegentlich  ber  §ülfe  ber 
©eotogie  unb  ©eognofie.  Umgefetjrt  fönnen  bie  S^aturmiffenfdjaften, 
rcenn  fie  auc^  unabf)ängiger  finb,  nid)t  ber  f)iftorifd)=pt)i(oIogifc^en 
gorfd)ung  entbef)ren.  Wan  pflegt  je|t  bie  @eograpf)ie  gu  ben  9^atur= 
roiffenfd^aften  gu  rechnen.  Tiit  9xed)t;  aber  ot)ne  bie  @efd)id)t§funbe, 
bie  über  bie  Seränberungen  ber  örboberf(öd)e  in  f)iftorifd)er  3^^^  be= 
rid)tet,  mürbe  it)r  eine  mefentlid)e  .^ülfe  fet)Ien.  80  bebarf  auc^  jebe 
SBiffenfc^oft,  ha  fie  felbft  nur  in  einem  ^iftorifc^en  ©ntroidelungS« 
progefe  befte^t,  ber  Erinnerung  an  i^re  eigene  ®efd)id)te,  roenn  benn 
nid)t  für  bie  fi^ftematifd;e  S)arfteüung,  fo  bod)  für  bie  allgemeine 
Orientierung  über  il)re  ©teUung  unb  Sebeutung  im  ©anjen  be§  geiftig= 
gefd)i(^tlid)en  Sebens;  man  ad)te  nur  barauf,  einen  mie  breiten  'Siaum 


ißertjältnig  ber  ^^ilojop^ie  ju  ben  2ßi|ienjct)often.  35 

in  ^umboIbt§  ÄoSnio»  bie  gefrf)i(i)t(irf)e  (Seite  einnimmt.  5lu(^  für 
ben  Unterridjt  f)at  bie  ©efcfiid^te  ber  SSiffenfi^aft  eine  grofee  Sebentung, 
bie  freilief)  je^t  nirf)t  überall,  and)  nicf)t  auf  unferen  Uniöerfitäten,  bie 
it)r  gebüfjrenbe  S8eacf)tung  finbet.  (Snblicf)  fei  baran  erinnert,  boB  alle 
iEBiffenfrfiaften  mit  ber  ^fijc^ologie  unb  ber  ©rfenntni^tl^eorie  in  93e= 
jieljung  ftef)en  unb  fiel)  auf  biefen  Gebieten  berüljren.  Ser  Segriff 
einer  (Sinf)eit  ber  SBijfenf rf)aften  ift  bemnacf)  nid^t  eine  tt)iüfürlirf)e 
(Srfinbung,  fonbern  ein  notroenbiger  ©ebanfe;  ber  (Sin{)eit  be§  ÄoSmoö 
entfpridjt  bie  ibeelle  öinljeit  eine»  aßumfaffenben  (£rfenntni§fQftem§.  Unb 
l)ierfür  ift  nun  ^l}ilojopt)ie  ber  gejdjidjtticf)  gegebene  iRame;  eg  ift 
3öilltür,  biefem  Segriff  feinen  9'ianten  ober  biefem  Flamen  feine  alte 
Sebeutung  gu  nel)men.  — 

Slber,  fo  erl)ebt  fidj  nun  ber  fdjon  ermätjute  (Sinraaub,  fann  e§ 
bann  ^^l)ilofopl)ie  geben?  SBirb  nid)t  bie  (Sac^e  burc^  bie  ©rflärung 
unmögüd)  gemacht?  SSer  Ijätte  nun  ben  Mut,  jum  S^iamen  eine§ 
^t)iIofopl)en  fi(^  ju  befennen?  Unb  ift  nic^t  aud^  an  fid^  eine  2t)eorie 
be»  Unioerfum»  eine  unmi3glidje  @ad)e,  für  ben  3)Jenfd)engeift  loenigftenS? 
®o  ettt)a§  mod)te  %[)ak§>  noc^  unternehmen,  ber  3Jiut  pflegt  am  Slnfang 
beg  SBegeg  am  größten  ^u  fein.  5lber  je^t,  nac^bem  ^meitaufenbjä^rige 
5lrbeit  bie  ©röfee  be'c  Unterne^meuio  gezeigt  ^at,  finb  mir  befd)eibener 
geworben  unb  frol),  menn  nur  t)ie  unb  ha  ein  ©tüd  ber  Sßirfli^feit 
unferer  (SrfenntniS  fid^  ergiebt. 

.^ierauf  ift  §u  antmorten:  ol)ne  ^i^^if^^  ift  ^l)ilofopt)ie  al»  eine 
fertige  unb  abgefc^loffene  3;l)eorie  be§  Unioerjumg  meber  jur  ^tit  uor* 
l)onben,  uod^  mirb  fie  jemals  erreid)t  roerben.  5lber  bo§  Ijinbert  nic^t 
bie  ©ültigfeit  be»  Segriffg;  berfelbe  ©inmanb  läpt  fid)  gegen  jebe 
S33iffenfd)aft  ridjten.  (S§  giebt  and)  nidjt  5(ftronomie  ober  ^^l)i)fif  ober 
^f)t)fiologie  a{§>  fertige»  unb  abgejdiloffene»,  nur  nod)  §u  übertiefernbeS 
unb  ju  lernenbeS  Softem.  SDie  Segriffe  ber  SSiffenjdjaften  finb  Se= 
griffe  nic^t  üon  empirijd^  gegebenen  Singen,  fonbern  Segriffe  uon 
Stuf  gaben.  Unb  bie  ©ültigfeit  biefer  Segriffe  berufjt  barauf,  bafe 
bie  Slufgabe  ridjtig  be§eid)net  ift,  it)re  Söfung  mag  nun  fo  roeit  fort= 
gefd^ritten  fein,  al»  fie  will;  ja,  luenn  fie  nod)  gor  nid)t  begonnen  märe, 
behielte  ber  Segriff  feine  ©ültigfeit.  ßr  ift,  fo  fönnte  man  mit  Sln= 
letjuung  an  ß'antS  (Spradjgebrauc^  fagen,  eine  Sbee,  b.  l).  ein  Segriff, 
bem  in  ber  empirifd^en  SSBirflid^feit  niemal»  ein  fongruierenber  @egen= 


36  ©inlettung:  SBejen  unb  S3ebeutung  ber  ^^tlofop^te. 

ftanb  gegeben  werben  fann.  S)Q§jeI6e  gilt  öon  bem  53egriff  ber  ^f)ito= 
fopf)ie;  er  ift  ein  ricf)tiger  unb  gültiger,  fofern  bie  Aufgabe  einer  ©in= 
^eit  aller  ßrfenntniä  gegeben  ift. 

Unb  ebenfo  iüenig  tüerben  wir  nun  baburd^  un§  irre  macf)en  taffen, 
ba§  boc^  niemanb  alle  2öifjenfcf)Qft  in  fid^  faffen  unb  befi^en  fönne. 
öewiB  nic^t,  werben  wir  jagen;  aber  giebt  e§  benn  l^eutgutage  einen 
Äopf,  ber  alle  naturwi)fenf(^aftlicf)e  ober  alle  pl)iloIogifc^=gej(^icf)tlic^e 
(SrfenntniS  auf5unel)men  imftanbe  ift?  Unb  bocf)  reben  wir  üon  ^l)ilo= 
logen  unb  ^iftorifern  unb  $l)Qfifern,  nid^t  Sul)ciber  ber  SBiffenfci^aft, 
fonbern  ^^orfd^er  auf  il)rem  ©ebiet  mit  bem  9^amen  begeic^nenb.  (Sbenfo 
braud^en  Wir  nun  aud)  ben  S^lamen  be§  ^^ilofop^en,  er  be^eidfinet  einen 
SlRann,  ber  nad)  einer  einl)eitlidf)en  unb  uniüerfellen  örfenntniä  ber 
SBirflic^feit  ftrebt.  @o  fagt  t§>  ja  t)ier  au§brü(flic^  ber  finnreiclje 
?tame:  cpudoocpos,  ein  £iebl)aber,  nid^t  ein  5öefi|er  ber  @rfenntni§. 
9Zac^  einer  fc^on  erwähnten  Überlieferung  foll  ^t)tl)agora§,  eben 
um  ha^  Slnmofeenbe,  ba§  in  bem  D^Jomen  be§  Sßeifen  {öocpög)  liegt, 
ab^uwe^ren,  fic^  einen  ^l)ilofop^en  {fpüööo(pos)  I)aben  genannt  wiffen 
wollen. 

Gin  ^f)ilofopl)  wäre  alfo  l)iernad^  jeber  wiffenfd^aftlicl)e  ^orfc^er, 
in  bem  bie  3bee  ber  (5inl)eit  aller  ©rfenntniä  lebenbig  ift,  fein  engeres 
^orfcf)ung5gebiet  mag  gelegen  fein,  wo  e§  will,  in  ber  ^l)t)fif  ober  ber 
^fi)cl)ologie,  in  ber  51ftronomie  ober  ber  @ef(f)icl)te.  2)en  allein,  ber  fic^ 
grunbfö^lidj  unb  t^atfödfjlid^  auf  ein  engeS  ©ebiet  einfd^lie^t,  ber  üon 
nidjt»  weiB  unb  wiffen  will,  als  üon  feinen  Ciobice§  unb  Sesarten, 
feinen  ©öuren  unb  S3ofen,  ben  werben  wir  nid^t  einen  ^^ilofop^en 
nennen,  nic^t  weil  fein  gorfcE)ung§gebiet  nic^t  gum  ÖJebiet  ber  ^l)ilo= 
fopl)ie  gel)ört,  (infofern  fönnte  er  ber  (2ocl)e  nimmermef)r  entrinnen), 
fonbern  weil  er  felbft  nic^t  ben  inneren  §abitu§  l)at,  ber  ben  gorfc^er 
gum  ^^ilofopf)en  mac^t.  9hc^t  ber  ©toff,  fonbern  bie  gorm,  bie 
@eifte§ricf)tung  mai^t  ben  ^l)ilofop^en. 

jDamit,  f(f)eint  mir,  wäre  bem  Dramen  feine  alte  S3ebeutung  unb  feine 
alte  @f)re  gurücfgegeben.  9iein  t^eoretifc^e  31bficl)t  unb  uniüerfelle 
9^icl)tung  ber  3^orfcf)ung,  'Oa^  war  es,  Xüa^  bei  ben  ®riecf)en  ben  ^t)iIo= 
fopl)en  öon  einem  bloBen  SOZat^ematifer  ober  SOJebijiner  unterfc^ieb. 
oben  ha^  ift  aurf)  t)eute,  fo  fel)r  ber  Slnblicf  ber  wiffenf^aftlid^en  3Belt 
feitbem  fic^  oeränbert  l)at,  bas  Äenngeic^en  be§  ^f)iIofop^en:  bie  §in» 
gäbe   an  bie  reine  33etracf)tung  unb  bie  ^Ric^tung  auf  "^a^  5111gemeine. 


aScrl^öUniS  bet  ^f)ilofop^ie  5U  ben  aBiffenjd^aften.  37 

Scf)  meine,  ha^  füngt  bod^  auc^  in  nnferem  ©pracfigebraucf)  wodj 
überall  burcf) ;  einen  ÜJ?ann,  n)ie  ®arnjin,  ber  mit  emfigfter  Semüfjung 
ben  jTfjatjadjen  nacf)gef)t,  bem  nirf)t§  ju  gering  für  feine  Stnfmerf jam!eit 
ift,  ber  aber  anbererfeit§  für  bie  meiteften  33e§ief)ungen  <Sinn  f)at  unb 
alle§  in§  ©rofee  unb  ©anje  menbet,  nennen  njir  einen  pf)iIofopf)ifc^en 
Sf^aturforfdjer.  Unb  in  bemfetben  (Sinne  merben  tt»ir  SS.  0.  ^umbolbt 
einen  p^i(ofopf)if(i)en  ®prac^=  unb  @efd;ic^t§forfc^er  nennen.  2Ber 
bagegen  eng  im  engen  ^rei§  fid)  einfc^tiefet,  njer  nur  öon  feinem 
fpe^ieüen  i^ad)  mi^  nnb  ttjiffen  Xü'iü,  ben  nennen  mir  einen  un- 
pf)iIofopf)ifcf)en  ^opl  oielleic^t  auc^  einen  banaufifc^en  ©mpirifer  ober 
(Spejialiften.  ^erftef)t  er  fein  gac^,  meif;  er  mit  feinem  §anbmerf§= 
,^eug  für  bie  3öiffenf(f)aft  brauchbarem  ÜJJaterial  ju  2;age  gu  förbern, 
fo  roerben  mir  ifju  al§  einen  nü|ticf)en  5(rbeiter  \)0<i)  fd^ä|en,  bod) 
aber  meinen,  etmaS  fe^Ie  it)m,  nümlid)  ber  ^bf)ere,  freiere  (Sinn  für 
bie  SDinge.  Unb  hierbei  mirb  e§  gar  feinen  Unterfd)ieb  mad)en,  auf 
metdiem  Gebiet  er  arbeitet,  ob  er  mit  matt)ematif(^en  gormetn  ober 
mit  fiiüogiftifc^en  Figuren,  mit  Slrbeiten  über  bie  ^ifc^e  Sapan§  ober 
mit  pft)d)opf)l)fifd)en  $8erfud)en  über  bie  ßeit  ber  Slpperjeption  fid; 
befd)äftigt.  ©§  fann  and)  einer  ®efd)id)te  ber  ^^iIofop{)ie  fd)reiben, 
of)ne  ein  ^^itofop^  §u  fein.  9^id)t  ber  (Stoff,  fonbern  bie  f^orm  mac^t 
ben  P)itofopf)en. 

5(ud)  bie  anbere  (Seite  ber  SSortbebeutung  ift  unferem  (Sprad)^ 
gebrauch  nic^t  gan^  fremb  gemorben.  SSenn  mir  bei  einem  SJJann 
eine  grofee  35ertiefung  in  feine  ©ebanfen,  unb  bamit  äufammenl)angenb 
eine  gemiffe  (Sntfernung  öon  ber  SSett  unb  if)ren  Seftrebungen,  einen 
gemiffen  9}?angel  an  praftifdjem  ©efd^id,  eine  gemiffe  ©teic^güttigfeit 
gegen  ba§  §aben  unb  Letten  maf)rnef)men,  bann  fagen  mir,  oieüeidit 
mit  einem  leifen  Hinflug  öon  ßädjetn,  ta§^  fei  ein  redjter  ^f)i(ofopl^. 
Unb  anbererfeitS  ift  un§  bie  ©ntrüftung  üerftänblid^,  mit  ber  (Sd^open^ 
i)auer  öon  ber  (Srniebrigung  ber  ^f)i(ofopf)ie  ju  einem  (Semerbebetrieb 
fprid)t;  et)er,  fo  empfinben  mir,  mag  e§  einem  (Sf)emi!er  ober  einem 
'äx^t  nad)gefet)en  merben,  menn  er  au§  feiner  SSiffenfc^aft  @olb  mad)t. 
3n  jüngfter  ßeit  fet)rt  aud^  in  ®eutfd)tanb  bie  ^:pf)i(ofopt)ie  ju 
i^rem  alten  Segriff  jurüd.  ©0  ertlürt  SS.  SSunbt  ^^itofop^ie  at§ 
„bie  allgemeine  SSiffenf^aft,  meldte  bie  burd)  bie  (ginäelmiffenfc^aften 
öermittelten  allgemeinen  (£r!enntniffe  ju  einem  miberfpru^älofen  (5t)ftem 


38  (Stniettuug:  S5?efen  unb  33ebeutung  ber  ^^ilofop'^ie. 

§u  oereinigen  f)Qt."*)  2)ie  (Srllärung  l^at  offenbar  bie  S^ee  ber  @int)eit 
aller  tt)iffenfcf)aftlicf)en  (gr!enntnt§  jur  3Sorau§fe|ung,  unb  äöunbt  ttjürbe 
nid^t  bagegen  fein,  taS^  ooüenbete  (Softem  mit  bem  9fiamen  ber  ^f)i(o= 
fop^ie  SU  benennen,  ebenfo  »enig  aud)  gegen  bie  ^orberung,  ba|  ber 
„^PofopV'  mit  ben  ®in§etrt)iffenf(i)aften  nid)t  blo^  al§  Ä^oftgänger, 
fonbern  auf  irgenb  einem  ©ebiete  al§  ^Mitarbeiter  üer!el)re.  Unb 
ged)ner,  2o^e,  g.  St.  2ange  befennen  fic^  gu  berfetben  Stnfc^auung : 
ßufammenbiegung  ber  p{)Qfi!aIifcf)en  unb  ber  geiftig=gef^i(^tlid)en  3;t)at= 
fachen  ju  einem  einf)eitlic^en  2öettfl)ftem  ift  ha§^  Ie|te  ßiel,  grünb(i(f)e§ 
©tubium  ber  Sßiffenfc^aften  ber  SBeg  ba^u. 

Wit  ber  9lü(ffe^r  §u  bem  alten  begriff  ber  ^fjitofop^ie  finb  ^mei 
Irrtümer  abgelef)nt,  bie  fid)  an  bie  fotfc^e  Sluffaffung  if)re§  SSefen§ 
anfcf)IieBen:  ber  S^rtum,  bafe  e§  ^f)iIofop'^ie  o^ne  Sßiffenfdjaft, 
unb  ber  onbere,  bafe  e§  SSiffenfc^aft  oijue  ^I)ilDfop^ie  geben  !önne. 

®er  erfte  Sri^tum  öermirrte  §ur  3eit  ber  fpetulatiöen  ^f)itofop'f)ie 
bie  ^öpfe.  äJ^it  unfrud^tbarer  9JJüt)faI  unternat)m  man  au§  einigen 
aügemeinften  Segriffen,  ©ubjeft  unb  Dbje!t,  S^totur  unb  ®eift,  ©ein 
unb  SSerben,  pf)i(ofopt)ifc^e  (St)fteme  fjerouS^ufpinnen.  tiefer  Irrtum 
ift  gegenmärtig  fo  gut  mie  auSgeftorben;  fieüeid^t  !ommt  ein  9left 
öon  it)m  ^in  unb  mieber  einmal  in  ©eftalt  ber  äReinung  öor,  al§  ob 
ein  befonbereä  ©tubium  ber  ^^f)iIofop^ie  mögüd^  fei,  of)ne  ein  ©tubium 
ber  2öiffenf(f)aften,  etmo  burd)  S3efd)äftigung  mit  ber  ®efd)id)te  ber 
^f)iIofopt)ie.  (Sin  foId)e§  ©tubium,  fo  Ief)rreid)  e§  an  fid^  fein  fann, 
njirb  notmenbig  unfrud)tbar  unb  leer  bleiben,  hjenn  e§  nid^t  burd) 
tt)iffenfd)aftlid^e  ©tubien  auf  anberen  (Gebieten  ergänzt  löirb,  @in 
red)tfd)affener  'ipt)ilofop^  ma^t  fid^  an  bie  Singe  felbft.  :3ft  e§  aud^ 
unmögtid),  überall  felbftäubiger  g^orfdjer  gu  fein,  fo  muB  er  bod) 
irgenbwo  mit  ben  g^üfeen  auf  eigenem  33 oben  ftel^en.  (Srft  bamit  ge= 
ujinnt  er  ein  gute§  ©emiffen;  erft  bamit  geminnt  er  in  miffenfd^aft(id)en 

*)  ©Dftem  ber  ^ß^itojop^te  (1889)  ©.  21.  ^n  biefem  gebanfenreic^en  unb 
bebeutenben  SBer!  tfat  SBunbt  bie  ©umme  unferer  tutffenfd^aftlid^en  @rfenntm§  ^u 
sieben,  fotüte  tt)re  nottrenbigen  9Sorau§fe^ungen  unb  tl)re  legten  Äonfeguensen  §u 
entoideln  unternommen.  5)ie  centrale  ©teEung  bartn  nimmt  bie  SJietopl^tjfif  ein, 
beren  Slufgabe  ba'^in  be[timmt  mirb,  ba^  fie  bie  SSerbinbung  ber  X^afiaä^en  naäf 
bem  ^rinjip  bon  ®runb  unb  Srolge  nid^t,  wie  bie  ©injetmiffenfd^aften,  „auf  be= 
ftimmtc  ©rfa^rungfgebiete  einfc^ränft,  fonbern  ouf  bie  ©efamt^eit  atter  gegebenen 
(Srfa'^rung  au^jube'^nen  ftrebt"  (58ortt)ort). 


58er]^ältnt§  ber  ^^ilofop^ie  ju  ben  aSiffenjc^aften.  39 

2)ingen  überhaupt  ein  Urteil,  erft  baburc^  hjirb  er  and)  fäfjig,  bie 
©ebanfen  anberer  fetbftänbig  auf^ufoffen  unb  if)re  gorjd^ungen  für 
fi(^  ju  gebrauchen.  S)ie  2öaf)(  be§  ®e6iet§  fte^t  frei,  e§  mag 
innerf)alb  ber  (5)eifte§tt)iffen)d^aften  ober  ber  ^Raturnjiffenfd^aften  ober 
an  ben  ©renjen  beiber  in  ber  ^{)t)fiotogie  unb  ^ft)c!^otogie  liegen; 
tt)ie  nad^  einem  atten  SSort  alle  Söege  nad)  Sf^om  führen,  fo  führen 
in  ben  2öiffenf(f)aften  alle  SBege  gur  ^§iIofopt)ie,  nur  feiner  burd^ 
bie  ßuft.*) 

@efäf)rlic!^er  at§  biefer  Irrtum  ift  unferer  3^^t  ber  anbere,  ba^i 
e§  2Biffenfd)aft  of)ne  ^^ilofopl^ie  geben  fönne.  (Sr  {)ängt  mit  ber 
?lnfid^t  jufammen,  halfi  ^{)i(ofo|)l^ie  eine  befonbere  SSiffenfd^aft  fei, 
tüie  jebe  anbere,  nur  etnja  eine  treniger  gut  begrünbete,  eine  luftige 
SSiffenfdjaft  üon  ben  Singen,  bie  ber  ejaften  ^orfd^ung  nid^t  5U= 
gängtid^  finb.  (S§  fef)It  nidjt  an  Seuten,  bie  bie  93erül^rung  mit  il^r 
flietien,  at§  ob  baüon  eine  ©d^mäd)ung  be§  2Bir!Iid)!eit§finne§  5U  be= 
fürd)ten  märe:  ${)t)fif,  f)üte  bic^  oor  ber  SO^Jetapl^^fif!  —  @o  be= 
red^tigt  ber  9?at  ift,  fofern  er  öor  übereiltem  ©^ftematifieren,  un* 
frud^tbarem  «Sc^ematifieren  ober  @inmifd)ung  meta|)f)QfifdE)er  Snter* 
pretation  in  bie  pf)t)fifc^e  (Srüörung  ber  (£rfd)einungen  marnt,  fo 
unberedjtigt  mirb  er,  menn  er  bie  SBiffenfc^aften  abgalten  miü,  fid^ 
le^te  unb  aßgemeinfte  ©ebanfen  über  il^r  ©ebiet  ju  bitben  unb  biefe 
mit  ben  legten  (Srgebniffen  anberer  SSiffenfd^aften  in  SSe^iel^ung  ju 
fe^en.  ®a§  f)iefee  nicE)t§  anberel  al§  ber  5ßulgärmetapt)t)fi!  bie  S(uf== 
gäbe  ber  allgemeinen  Äonftruftion  ber  S)inge  überloffen  unb  jugleid^ 
ben  2öiffenfd)aften  bie  innerfte  STriebfraft  au§bredE)en.  Od^IieBIid^ 
t)aben  bod^  alle  SBiffenfc^aften  in  ber  ^^i(ofopf)ie  il^re  ein^eitlidie 
SBur^el,  unb  menn  fie  fid^  oon  biefer  SSurjel  überf)aupt  loMiJfen,  fo 
[terben  fie  ah.  SBa§  mir  gule^t  mit  aßer  SBiffenfd^aft  motten,  ha§  ift 
nid)t   bie  @r!tärung    biefer    ober  jener   oereingelten  (Srfd^einung,  nid^t 


*)  E.  Renan,  Fragments  philosophiques  p.  292:  philosopher  c'est  con- 
naitre  l'univers.  L'univers  se  compose  de  deux  mondes,  lo  monde  physique 
et  le  monde  moral,  la  nature  et  l'humanite.  L'etude  de  la  nature  et  de 
l'humanite  est  donc  toute  la  philosophie.  —  —  Le  penseur  suppose  Verudit 
et,  ne  füt-ce  qu'en  vue  de  la  severe  discipline,  de  l'esprit,  il  faudrait  faire 
peu  de  cas  du  philosophe,  qui  n'aurait  pas  travaille  une  fois  dans  sa  vie 
ä  eclaircir  quelque  point  special  de  la  science. 


40  (Einleitung:  SBefcn  unb  SBebeutung  ber  ^f)iIofop:^ie. 

bie  ©rfenntni^  bieje§  ober  jene§  befonberen  ®ebiet§,  fonbern  bie  (Sr= 
fenntniS  ber  32ßir!Iicf)feit  überhaupt.  S)er  Xrieb,  auf  bie  g^rage  nad) 
ber  ^fjQtur  unb  ber  S3ebeutung  ber  ^in^t  überhaupt  5(nttt)ort  ju  finben, 
^Qt  bie  tr)iffenfrf)Qfttid^e  g^orfi^ung  ober  bie  ^^iIofopf)ie  urfprüngtic^ 
in§  Sajein  gerufen;  bie  9lotttienbig!eit  ber  5(rbeit§tei{ung  f)at  fie  bann 
in  einzelne  gor]"d)ung§gebiete  ju  gerlegen  ge§tt)ungen;  bie  SlJceinung  ift 
nic^t,  fie  baburcf)  jur  Sjolierung  aufguforbern,  fonbern  fie  gejc^itfter 
gu  mad^en,  an  if)rem  Steil  an  ber  £öfung  ber  ©efamtaufgabe  gu 
arbeiten.  ®a§  t!^eoretifrf)e  Sntereffe,  ha^  bie  SebenSfraft  jeber  äBiffen» 
fd^oft  ausmacht,  i[t  if)r  ^Tnteit  an  ber  ^f)i(ofop{)ie,  ha^  tt)a§  fie  gur 
Söfung  ber  g^rage  nac^  ber  9Zatur  ber  35inge  überf)aupt  beizutragen 
öermag. 

jDa§  ift  gang  beutüd^,  wenn  man  nid^t  fo  fei)r  auf  bie  perfönlic^e 
©mpfinbung   ber  einjelnen  ^orfd^er,  al§>  auf  bie  gefamte  gefc^ic^tlidfie 
@ntrt)i(felung  einer  SE)i§3iptin   ac^tgiebt.    2öa§  ift  e§,   ha^  gegenwärtig 
hk  Biologie  in  ben  3)ZitteIpunft  ber  naturn)iffenfc^aftlid)en  3^orf(^uug 
fteHt,  bQ§  fie  antreibt,  gerabe  ben  nieberften  formen  be§  Seben§  mit 
mifroffopijd^er  unb  oft  mifrotogifcf)  frfjeinenber  g^orfi^ung  nad)äugef)en  ? 
Offenbar  bie  Hoffnung,   auf  biefem  Sßege  bem  großen  @et)eimni§  be§ 
Sebeng  unb  feiner  (Sntwidelung  auf  (Srben   auf  bie  ©pur  gu  fommcu. 
Stn  ben  taufenb  formen   ber  gfecE)ten  unb  ^ilge,   ber  9J?oneren  unb 
Snfuforien  an  fid)  würbe  un§  fcf)WerIic^  fo  gar  oiet  gelegen  fein.    @§ 
fann  fic^   im  engeren  Ärei§  ein  fport§mä6ige§  Sntereffe  an  bem  uu* 
enblid^  kleinen   auSbilben;   aber   baüon   fann   eine  SSiffenfc^aft   uic^t 
auf    hk    2)auer    (eben.  —  Ober   man   nef)me   bie   Stftronomie;    mit 
unermüblidiem  gleife   fammelt  fie  S3eoba(f)tungen,  trögt  bie  Drter  oon 
^unberttaufenben    oon    ©ternen    in   i^re   STafelu    ein,    bered)net    bie 
58a{)nen    oon    Kometen   unb    (Sternfd)nuppenfc^tt)ärmen,    entbecft  neue 
^lanetoiben    unb    fo§mif(f)e  91ebel,    prüft  2icf)tftärfe    unb  (Speftrum: 
woju?    Um  be§  ©ingelnen  willen?    Offenbar  nid)t,  fonbern  weil  wir 
i^offen,  unfere  (Sinfid^t   in  bie  ^onftitution  unb   bie  (Sntwidelung  be§ 
Unitierfum§  über!E)aupt  auf   biefem  SSege   ,^u  oertiefen.     giele  biefer 
Stutrieb  fort,  Ijörte  biefe  f^rage  auf,  un§  gu  befdjöftigen,  fo  würbe  ba§ 
58eobad)ten   unb   9fted)nen   auf   unferen  ©ternwarten   balb    aud)   gum 
©tiUftanb   fommen.    2)ag  Sinjelne  fann  praftifd)=tec^nifc^e§  Sntereffe 
!§aben,  wie   in  ber  S^emie  bie  Stuffinbung   neuer  3ufammenfe|ungen; 


SSerfjöItnig  ber  5ß{)iIojopf)ie  ju  ben  aBiffenfd^aften.  41 

aber  bo»  tt)eoretijc^e  Sntereffe,  inorin  bie  SSiffenjcf)aft  al§  folc^e  lebt, 
gef)t  auf  ba§  aflgemeine,  ift  bie  ©eite,  lüomit  fie  ber  ^f)i(ofop{)ie  ju« 
getuenbet  ift. 

®Q§  ift  felbft  in  ben  gefc^id)t(ic^en  2öiffenjd)aften  nic^t  onberS. 
Obn)oI)I  f)ier  ha^  ©inselne,  luenigftenS  boS  un§  9^äd^fte  unb  33er= 
manbte,  unmittetbarere  33ebeutung  für  un§  f)Qt,  fo  ift  bod^  aud^  f)ier 
ba§  Ie|te,  alle  gorf(f)ung  belebenbe  Sntercffe  bie  groge  md)  bem 
Söo^er  unb  SBof)in  be§  gefd)i(^tlic^en  Seben§  überhaupt.  SSürbe  un§ 
biefe  ^roge  gleichgültig,  fo  tt)ürbe  oucf)  bie  @efrf)ic^t§forfd)ung  er(af)meu. 
Unb  biefelbe  ^ffiirfung  UJÜrbe  eintreten,  tt)enn  Ujir  auf  jene  3^rage 
eine  un§  ööüig  befriebigenbe  Sintttjort  Ratten;  bann  prte  bie  g^orfd^ung 
ebenfalls  auf.  ®a§  9J^itteta(ter  jeigt  e§.  ©§  n^ar  im  Sefi^  einer 
aüe  feine  5(nfprüc^e  befriebigenben  @efd)irf)t§pf)i(ofopf)ie:  jlüifdien 
©rfjöpfung  unb  ©erid^t  lag  ha^  ßeben  ber  SJJenfd^fieit,  burd^  bie  großen 
(Sreigniffe  ber  t)eiligen  @efd)id^te  n)ie  ein  gett)a(tige§  2)ronia  in  5Wte 
geg(iebert,  f(ar  unb  überfef)bar  öor  feinen  ^ugen.  (Sben  barum  t)atte 
ha§:  SJJittelalter  feine  @efd^idjt§forfc^ung,  e§  mufete  alle§  SBefentlic^e 
unb  SSiffen§tt)erte;  njoju  bem  Uner'^ebtidf)en  unb  ©leidEigüItigen  nad)« 
ge^en?  SSir  finb  nid^t  in  fo  gtüdftid^ningtüdlid^er  Sage,  unb  barum 
finb  n^ir  @efrf)id^t§forfdf)er  gettjorben;  n^ir  oerad^ten  and)  ha§>  kleine 
unb  Unfdjeinbare  nid^t,  tüir  {)eben  jebe§  SrudjftüdE  einer  alten  ^^apier= 
rolle  ober  eines  mit  ßeidfien  bebedten  ^iegelfteineg  auf,  e§  mag,  om 
red)ten  Crte  eingefügt,  ein  @tüd  alten  ßeben§  unb  5Den!en§,  ein  @tüd 
einer  untergegangenen  ©prodE)e  auft)eüen  unb  bamit  auf  ben  Sßeg,  ben 
unfer  (S5efdjled;t  bisher  auf  (Srben  ^urüdgetegt  t)ot,  einen  neuen  (Sd)immer 
üon  Sidjt  merfen. 

Sn  biefem  @inne  fann  man  fagen:  ^t)iIofopt)ie  ift  ha§:  centrale 
^euer,  bie  @onne,  oon  ber  bie  belebenbe  SSärme  auf  oüe  SBiffen^ 
fd)aften  au§ftraf)(t.  5)er  ©oben  ber  ^orfd^ung  tuirb  überaü  nur  baburd) 
anbaufäf)ig,  ba'^  er  öon  biefen  @tra{)Ien  burd^brungen  n)irb.  Unb  bie 
einjetne  5lrbeit  tt)irb  um  fo  größere  unb  reifere  g^rudjt  tragen,  je  me^r 
be§  lebenbigen  ©onnenfd)einö  fie  if)rem  S3oben  guäuteiten  mei^.  .^in= 
gegen,  wer  unbefümmert  um  ßid^t  unb  SBärme  auf  ®eratett)ot)I  ben 
S3oben  ^adt  unb  grübt,  mo  er  gerabe  einen  ^lat^  finbet,  ber  üjirb 
bürftige  unb  l^arte  grü(^te  ernten.  (Sine  2öiffenfdf)aft  aber,  ber  bie 
S3ejiel^ung   §ur  ^I)iIofopf)ie   ober   ber  @inf)eit   be§  SSiffenl  überfjaupt 


42  Umleitung:  SBefen  unb  93ebeutung  ber  ^f)itofopI)ie. 

üerloren  ginge,  bie  müBte,  tuie  ein  ©orten,  bem  bQ§  Sonnenlicht  q6= 
gejdjnitten  i[t,  in§  Äraut  jd)teBen,  o^ne  e§  gunt  Stütjen  unb  grudjttragen 
ju  bringen;  ot)ne  Silb,  fie  müBte  an  fruc^ttofer  ©pi^finbigfeit  ober  finn* 
lofer  ©toffontjäufung  untergel)en.  ^ont  nennt  einmal  fotd)e  ©ele^rforn* 
feit  eine  ct)!Iopifci^e,  i'^r  fet)Ie  ein  Singe:  „boS  Stuge  näntlid^  ber 
n)Qt)ren  ^t)i(ojopt)ie,  um  bie  SJienge  be§  I)i[tori)d;en  2Bifjen§,  bie  grac^t 
üon  t)unbert  Kometen,  sttjedmä^ig  gu  benü^en."  (Slntt)ropoIogie,  §  58.) 
2(ber  mo  bleiben  benn  bei  biejer  Stuffoffung  bie  „^adjpf)iIo- 
jopf)en"?  9^un,  mir  fommt  üor,  qI§  {)ätte  fd)on  baS  2Bort  einen 
ettt)a§  njunberlic^en  ^lang,  nid)t  öiel  anberS,  al§  nienn  man  anbererjeit§ 
Quc^  öon  S)umm!öpfen  üon  i^ad)  reben  ttjoüte.  ®§  giebt,  fo  n^erben  mir 
fagen,  miffenjc^aftlid^e  gorfd)er  mit  pt)iIofopt)ijc^em  ©eift  unb  o^ne 
iolc^en;  ^f)t)fi!er,  Slftronomen,  ^^ft)d)oIogen,  Biologen,  ^iftorifer,  9J?eta= 
ptl^füer,  (Soziologen,  äJJoratiften,  fie  alle  fönnen  biefen  ©eift  ^aben  ober 
nid^t  f)aben.  ^^iIofopf)ie  at§  „©pe^ialfad)"  giebt  e§  nid)t.  ®od)  mag 
man  bem  je^t  i)errfc^enben  @prad)gebraud)  baburd)  entgegenfommen,  ba^ 
man  ^l^ilojoptjie  im  engeren  ©inn  öon  ber  ^tjilofop^ie  in  jenem 
allgemeinen  ©inn  unterfd)eibet.  ©o  jc^eibet  SlriftoteIe§  eine  „erfte 
^{)iIofopt)ie"  au§  bem  ®ef  amtgebiet  au§;  i{)re  Stuf  gäbe  ift  bie  (5r= 
örterung  gemiffer  aügemeinfter  fragen  tjinjic^tlic^  ber  Söirflic^feit,  ha^, 
tt)a§  n)ir  je^t  9)?etapl)t)fi!  ^u  nennen  pflegen.  Unb  on  fie  fd^üeBen  fic^ 
bie  erfenntni§tl)eoretifd)en  Unterfud)ungen  an,  bie  mit  ben  ontologifc^en 
unb  !o§motogifc|en  nuäertrennüc^  öer!nüpft  finb.  SBiü  man  fo  S[Reta= 
p^t)fi!  unb  er!enntni§tf)eorie  al§  ^f)iIofopI)ie  im  engeren 
©inne  au§fd)eiben,  bann  muB  man  aber  fogleid)  ^in^ufügen:  auf 
feine  SBeife  fönnen  fie  öon  ben  übrigen  3öiffenfc^aften  abgetrennt  unb 
ifotiert  merben.  (Sin  purus  putus  metaphysicus  —  unb  öon  bem 
©rfenntniSt^eorifer  gilt  ganj  baSfelbe  —  ift  ein  Unbing,  ober  ein 
leerer  Sßortmac^er.  9lur  bie  2Siffenfd)aften,  Statur*  unb  ©eifteSmiffen^ 
fd)aften,  geben  ha§^  SJJateriat,  über  ha§:  ©eienbe  überhaupt  unb  bie 
SBett  im  ganzen  ju  urteilen;  nur  bie  Söiffenfc^aften  geben  SSerantaffung 
unb  ©toff  5U  erfenntni§tf)eoretifd)en  Unterfud^ungen.  Unb  fo  bliebe 
e§  aud)  f)iernad)  babei,  ha^  jemanb  um  fo  mef)r  93eruf  jum  „%ad)- 
pf)iIofop^en"  f)ätte,  je  met)r  er  auf  ben  beiben  großen  Gebieten  ber 
miffenfdiafttic^en  ^orfd^ung,  ber  matf)ematifcl§=naturn)iffenfc^aftüd)en  unb 
ber  pt)ilotogifd)=f)iftorifc^en,  f)eimifd)  ftjöre. 


Sßer^ä(tnt§  ber  <ß^iIofop^ie  ju  ben  aSiffenjd^aften.  43 

SBoHte  oBer  nun  jemanb  jagen:  e§  bleibe  ^iernac^  bie  „^ad)= 
pt)i(oiop^te"  ein  anmaBticf)e§  Unternehmen,  benn  niemanb  öermöge  biejer 
gorberung  gererfjt  ju  n^erben,  \o  iüäre  \)a§>  Ie|tere  ja  ot)ne  tt)eitere§ 
jujugeben.  2öa§  aber  bie  Stnma^ung  anlongt,  fo  tiefee  ficf)  hod)  audf) 
eine  milbere  Sluffaffung  finben.  ©I  i[t  jc^on  ^ii  SInfang  bemertt 
njorben,  bafe  bie  Silbung  (e^ter  2(nfid^ten  über  bie  Strogen,  tt)eld^e 
wir  al§  metapljiififcfie  unb  erfenntni§tf)eoretifcl^e  bejeic^nen,  nic^t  ettt)a§ 
i[t,  n)a§  mon  nac^  SBillfür  tl^nn  ober  (offen  !ann.  Stgenb  eine  9}?eta- 
pt)^fi!,  irgenb  eine  5(nfic^t  über  ba§  Söefen  ber  2)inge,  über  @ott  unb 
SBelt,  über  ba§  9Ser^ä(tni§  unferer  (Sr!enntni§  jur  ^^ir!tid)feit,  mod)t 
fic^  jeber  93ienf(i),  ber  nidEjt  bloB  ot§  animalifc^=bebürftige§  SSefen 
lebt,  äöenn  bem  fo  ift,  fo  wirb  man  aud^  anerfennen  muffen,  ha'^ 
e§  beffer  ift,  einmal  gefammelte  5tufmer!famfeit  auf  biefe  fragen  §u 
rid^ten,  aU  fie  ber  ©elegen'^eit  unb  bem  Qn^aU  gu  überlaffen.  S3ietet 
fid^  nun  jemanb  bagn  an,  bie  ©rgebniffe  biefe§  feinet  9^adjbenfen§ 
mit§uteiten,  fo  !ann  man  hierin  ^roar  Slnma^ung  finben,  biefelbe 
5(nmaBung,  bie  aud^  in  ber  33eröffentti(i)ung  üon  33erfen  liegt,  in 
benen  ber  S)ic^ter  feine  eigenften  ©riebniffe  unb  @efüf)Ie  anSfpric^t. 
Wan  !önnte  barin  aber  aurf)  eine  5(rt  oon  Slufopferung  erblichen,  ba'^ 
jemanb,  ftatt  fid^  auf  bie  SOZitteilung  oon  ©rgebniffen  fpejieüer  gorfd^ung 
ein§uf(i)rän!en,  bereit  ift,  allgemeine  ©ebanfen,  bie  ber  S^iatur  ber  (Baä^c 
nad^  mef)r  fubjeftiü  unb  nid)t  in  bemfelben  (Sinne  bettjeiSbar  finb, 
ber  öffentlid^en  Beurteilung  preiszugeben  unb  gugleic^  fid)  mitteibigen 
©pottreben  au§§ufe|en:  er  fd^eine  eine  9?eigung  §u  f)aben,  über  5S)inge 
gu  reben,  oon  benen  er  nichts  tt)iffe,  ha^  f)eiBt  nic^t  at§  gac^mann, 
fonbern  nur  al§  Dilettant  Uiiffe.  ^n  einer  Q^\t  tt)enigften§,  bie  ben 
9Jamen  eine§  ^Dilettanten  ober  bloBen  ßieb^aberg  aB  fdt)tt)ere  Se= 
ftf)impfung  eine§  n)iffenfd^aftlicf)en  (ScfjriftfteüerS  braucht,  unb  bie  anberer» 
feit§  über  ben  9}langel  an  ^ufammen^ängenben  allgemeinen  ®eban!en 
fo  leidet  ficf)  tröftet,  toie  bie  unfrige,  foßte  man  glauben,  ha^  e§  für 
einen  9)Zaun,  ber  auf  feinen  guten  9?amen  etttiaS  t)ält,  ni(f)t  oiel  S5er= 
locfenbe»  ^aben  fönnte,   aB  „ga(^p()i(ofop^"  fid)  oerne^men  su  laffen. 

®odf)  finben  fid^  immer  ftiieber  fold^e  Sente.  SSie  e§  immer 
mieber  SDid^ter  giebt,  bie,  ungemarnt  burcfj  baS-  @d)idfo(  fo  oieler 
SSorgönger,  if)re  ®eifte§tinber  ber  ftumpfen  9Zeugier  unb  bem  §of)n= 
getäd^ter  ber  S8orübergef)enben  ausfegen,  fo  mvh  e§  oud^  immer  njieber 


44  ©inleitung:  aOSejen  unb  93ebeutung  ber  ^^ilofop^te. 


ßeute  geben,  bie  bereit  finb,  mit  bem  atten  (Xf)r.  SBoIff  it)re  „öebanfen 
üon  ©Ott,  ber  2öe(t  unb  ber  (Seele  be§  9J?enf(^en,  and)  allen  2)ingen 
überf)aupt"  ber  ©c^abenfreube  ber  93orfic^tigen,  ber  ßureditnieifung 
ber  93effertt)iiienben,  bem  51cf)ieläucfen  ber  Kenner,  bem  ©eläc^ter  ber 
9J?enge  preigjugeben.  5^ieUeid)t  bürfen  fie  jid)  barüber  tröften  mit 
bem  ©ebanfen,  bo^  fie  bod)  nic^t  oijm  einigen  9^u|en  für  ha§  ge= 
meine  SSefen  finb.  Seiften  fie  fonft  nicf)t§,  fo  teiften  fie  bocE)  bie§, 
boB  fie  an  ben  testen  ^rvtä  aller  gorfcfiung  erinnern:  eine  X^toxk 
be§  UniöerfumS.  ^ie  Ginselwiffenfctjaften  fommen  Ieid)t  in  ©efa^r, 
bie§  ^ki  aul  ben  Stugen  gu  öerlieren;  öon  jebem  ©injelnen  auf  neue§ 
unb  immer  neues  Singeine  {)ingen)iefen,  öergeffen  fie  om  @nbe  gang, 
ttjorauf  fie  urfprüngüi^  ausgingen.  @5  ergel)t  i^nen  umgefe{)rt  Ujie 
bem  (2of)ne  bes  ßi§,  ber  ausging  feine§  S3ater§  (Sfelinnen  §u  fucf)en 
unb  ein  ßönigreid^  fanb;  bie  n3iffenfrf)aftli(f)e  g^orfcfiung,  bie  aussog 
eine  Xf)eorte  bes  Unioerfums  §u  fuc^en,  ift  äute|t  jufrieben  unb  frof), 
ujenn  fie  S^egenmürmer  finbet  unb  in  9iu^e  jergliebern  fann.  Unb 
»irb  \f)x  einmal  fetber  über  if)rem  fritifc^en  ^eftreben  ober  if)rer 
encheiresis  naturae  bang,  fo  befc^ttjic^tigt  fie  fic^  olsbolb  mit  all= 
gemeinen  Sieben:  für  ben  n^a^ren  g^orfcEjer  fei  nichts  gu  ftein,  ober: 
gu  allgemeinen  öebanfen  fei  es  noc^  §u  frü^,  erft  muffe  bie  (Sinjel« 
forfc^ung  gu  (Snbe  gebracht  fein.*) 

5)er  9J?etapl)t)fifer  märe  bann  bie  Unrul)e,  bie  bem  SSerfin!en 
ber  n)iffenicl)aftlicl)en  g^orfc^ung  in  quietiftifcf)en  ©pegialiSmuS  entgegen^ 
mirfte.  Seine  5Iufgabe  im  ©efamtbetrieb  ber  3öiffenfcf)aft  möre,  bie 
Sbee  be§  legten  ßielS  aller  gorfc^ung   lebenbig  §u  erhalten,  oielleic^t 


*)  ®er  ©pra(f)forfd^er  <Bä)tdä)ix,  ber  übrigen^  jelber  nicf)t  p  ben  Cuietiften 
gel^örte,  rfiarafterifiert  in  feiner  fleinen  5(6^anblung  über  bie  S)artrinid)e  X^eorit 
unb  bie  (2prarf)n5iifenfd^aft  (1863)  bteje  SfJeiguug  unjerer  Qdt:  „Wan  erträgt  mit 
größter  ®emüt§rui)e  ben  SlJiongel  eine§  bem  Stanbe  unferer  fd)arfen  unb  genauen 
Sinjelforfc^ung  entipred)enben  pf)itoiop^iicf)en  St)[tem§  in  ber  Überzeugung,  boB  öor 
ber  §anb  ein  foIcf)e§  noc^  nid)t  geid^affen  rtjerben  fönne,  bielme^r  mit  bem  SSerfuc^e 
jetner  §erfteEung  gewartet  werben  muffe,  bi§  bermaleinft  eine  genügenbe  gülle 
guöerläffiger  Beobachtung  unb  fidierer  (Srfenntniffe  aul  allen  (Sphären  be§ 
menf(f)ü(^en  2Biffen§  borliegt."  SBem  fällt  babei  ni(i)t  ber  ^orajifc^e  93auer§mann 
ein,  ber  am  Ufer  bei  &Iuffe§  fte:^t  unb  toarten  toill,  big  er  abgelaufen  ift? 

At  ille 
Labitur  et  labetur  in  omne  volubilis  aevuin. 


Einteilung  unb  (Srunbprobteme  ber  ^^ilojop^te.  45 

üüii)  in  jetner  ^erfon  bie  Unäulänglicf;feit  ber  menfd^Iid^en  Äroft  jur 
©rreid^ung  be§  3^^^^^  barsufteüen,  ober  ju  geigen,  ha'i^  ber  9}Jenjc!^en= 
geift  Quf  bem  SSege  ber  ^orfd^ung  nicf)t  anS  (Snbe  ber  ®inge  gelangt, 
unb  ha'B  audf)  ®(auBe  unb  S)icl^tung  if)r  Ü^erfjt  f)aben.  5lnbererfeit§  f)ätte 
er  bie  Stufgabe,  ben  ®inf(uB  ber  wiffenfc^aftlid^en  ^orjd^ung  auf  bie 
2BeItanfd)ouung  ju  üermitteln.  Unterbleibt  bieg,  bleibt  bie  lüiffenjc^afts 
lid^e  g^orfd^ung  in  if)rer  ^ßereinsetung,  fe^It  e§  on  einer  ernfttjaften 
^f)iIofop^ie,  \o  n)irb  balb  mit  bem  «SpegioliSmuS  ber  Dbffuranti§mu§ 
i)a§>  gelb  befierrfd^en.  Unb  bamit  ftiären  n)ir  bei  bem,  föa^  ^ant 
einmal  im  Unterfd^ieb  üom  ©c^ulbegriff  ben  SSeltbegriff  ber  ^(^ilofoptiie 
nennt:  „^£)i(ojopl^ie  bie  SSiffenfd)aft  üon  ber  93e5ie^ung  aller  (SrfenntniS 
auf  bie  tt)efentlicl)en  ß\ütde  ber  menfd^ticfien  Sßernunft". 

2)a§  SBefen  aber  be§  ^^i(ofop()en,  ha§>  maS  ben  gorfc^er  jum 
^§itofopf)en  mac^t,  f)at  ©oet^e,  ber  S)i(ijter=^f)ilofopf)  öon  @otte§ 
©naben,  im  Xaffo  gejeid^net: 

©ein  D{)r  bermmmt  ben  ©inflang  ber  9Zatur; 
2Ba§  bie  ©efd^ic^te  reicf)t,  bo§  Seben  giebt, 
©ein  Sufen  nimmt  e§  gtcid^  unb  roiCig  auf; 
®a§  ttjeit  3£i^[treute  jommelt  fein  ©emüt, 
Unb  fein  &t\m  belebt  ba§  Unbelebte. 


3.  Einteilung  unb  ©runbprob ferne  ber  '^i)Uo\o\)t)k, 

SJian  fann  alle  mögüd^en  tt)iffenftf;aftlid)en  Unter furfjungen  unter 
brei  ©efic^t^punfte  bringen:  fie  betreffen  entweber  bie  9Jatur  be§ 
äBirflicf^en,  ober  bie  gorm  be§  @r!ennen§,  ober  bie  bem  ^anbeln  ge= 
ftellten  Stufgaben. 

©0  fommt  man  auf  bie  alte,  in  ber  fpäteren  gried^ifd^en  ^^ilo- 
fopf)ie  üblidje  (Einteilung  ber  SBiffenf(f)aften  in  ^{)t)fi!,  Sogi!  unb 
et^ü:  ^f)i)fiE  bie  Söiffenfc^aft  oon  ber  S^^atur  ber  ^inge,  ßogif  bie 
SSiffenf(f)aft,  bie  baS'  @i1ennen  felbft  nac^  ©eiten  ber  gorm  jum  ©egen= 
ftaub  ^at,  (St^i!  bie  2Biffenfcf;aft  üon  ben  ©ütern  unb  2öerten,  oon 
bcu  Stufgaben  beä  ^anbelng  unb  ben  ^rinjipien  be§  Urteilend. 

Sn  ber  'H^at  finb  l)iermit  bie  testen  Drte  njiffenfd^aftlid^er 
Überlegungen  übertjaupt  be§eidjnet.  ®ie  9Zamen  freilidj  t)aben  gum 
Xeil   eine  SSerjc^icbung    i^rer   Sebeutung    erlitten.     9Zur   ha§   SBort 


46  ©inleitung:  SSejen  unb  SSebeutung  ber  ^^ilofop^ie. 


(Stl)if  6raucf)en  n^ir  oud)  tjeute  itod^  in  feinem  alten  @tnn.  ^Dagegen 
{)a6en  bie  beiben  onbern  eine  engere  Sebeutung  angenommen.  Wit 
bem  Slamen  Sogif  Be§eic^nen  mir  je|t  gettJÖfjnücf)  nur  bie  Unterfu^ung 
gemiffer  formoler  Sßer{)ältniffe  be§  begrifflirfjen  2)enfen§.  S)ie  allgemeinften 
©rmägnngen  über  Dcatur,  Sebeutung  unb  Urfprung  be§  ©rfennen§ 
pflegen  toxi  unter  bem  Xitel  ber  ©r!enntni§tf)eorie  gu  beJjonbeln. 
'>Rod)  mef)r  ift  bie  Sebeutung  be§  9Zamen§  ^f)t)fif  in§  Snge 
gejogen.  S3ei  ben  ©riechen  ift  ^f)t)fif  bie  SBiffenfc^aft  öon  ber  9latur 
ber  2^inge  überf)aupt,  ju  if)r  gehört  auc^  bie  Grfenntni§  ber  organifcEien 
äBelt  unb  beS  (Seelenleben^.  SBir  t)aben  junäc^ft  au§  bem  33egriff 
ber  SfJatur  bie  geiftige  äöelt  au§gefd)(ofien;  bie  ^f)i)fif  ober  9latur= 
lel^re  ^at  e§  tebig(i(^  mit  ber  förperlii^en  >)latnx  ^u  tf)un.  Stieben 
if)r  ftef)t  bie  ^f^cfplogie  ot§  bie  äöifienfc^aft  oon  ber  9ktur  be§ 
feelifc^en  2eben§.  3)ann  aber  f)at  fic^  ber  33egriff  nocf)  meiter  oer= 
engt,  ^f)t)fif  bebeutet  nur  noc^  einen  Stusfdjnitt  aus  ber  Se^re  oon 
ben  ^lörpern,  bie  Unterfuc^ung  ber  atlgemeinften  SSerl^altungsmeifen 
aller  moteriellen  SIemente  ift  i^r  ©ebiet;  neben  it)r  befc^äftigen  fic^ 
bie  C£f)emie,  bie  9JiineraIogie,  bie  ^Biologie  u.  f.  f.  mit  befonberen 
$ßert)a(tung5meiien  ber  Störper.  Ser  griecf)ifcf)en  33ebeutung  ber  ^^t)fif 
entfpridjt  in  unferem  Spra^gebrauc^  einigermaßen  ber  dlamt  3)Zeta  = 
pt)r)iif.  2öir  pflegen  bamit  te|te  unb  allgemeihfte  Unterfuc^ungen 
über  bie  Statur  ber  S)inge  über{)aupt,  ber  förperlicfjen  fotoof)!  als  ber 
feelifcf)en  gu  bejeidjnen,  Unterfud)ungen,  bie  auf  @runb  aller  ©ingel» 
forfd)ung,  mie  fie  burd)  ^^i)\)\ii  unb  '!|?ft)c^oIogie  getrieben  mirb,  eine 
@efamtanfid)t  oon  ber  9latur  ber  SSirf(id)feit  ^u  geminnen  fuc^en.  — 
©0  !(ingt  e§  uns  je^t  auc^  au§  ber  (5tt}mo(ogie  be§  9?amen5  entgegen, 
SO?etapt)t)fif  eine  §SBiffenfd)aft,  bie  über  bie  ^f)i)fif  unb  i^re  Sf^atur- 
betrad)tung  f)inausge{)t.  Urfprünglic^  liegt  ha§!  allerbingä  nid)t  in 
bem  SBort;  es  ift  aufgefommen  al§  2:ite(  einer  Schrift  be§  2(riftoteIe§, 
bie  oon  if)rem  Sßerfaffer  fe(bft  al§  „erfte  ^t)i(ofopf)ie"  begeic^net  mirb; 
fie  mürbe  SO?etap^t)fif  genannt  nac^  bem  £rt,  ber  if)r  fpäter  in  ber 
Sammlung  ber  oriftotelifc^en  Schriften  t)inter  ber  ^{)t)fi!  angemiefen 
mar.  —  353ir  merben  alfo  im  folgenben  ha§:  Söort  in  ber  33ebeutung 
braud)en,  baB  e§  bie  S^erfuc^e  bejeidjnet,  bie  Summe  unferer  @rfennt= 
niö  ber  ^inge  in  aügemeinfte  SInfidjten  oon  ber  iRatur  ber  2Birfüc^= 
!eit  äu  fallen.    'äi§>  it)re  eigentlid)e  innerfte  Stufgabe   fann   man   be= 


©inteilung  unb  ®runbprobIeme  ber  ^ifilofop^ie.  47 

gelegnen:  bie  p^t)ftf(i)e  unb  bie  geiftige  SSelt,  ober  iüa§  auf  ba§feI6e 
f)inau»fünimt,  bie  faufote  unb  bie  finale  Betrachtung  ber  SSirfücfifeit 
in  (£in§  äufammen  gu  biegen. 

2(uf  bie  iJrage,  ob  eine  folc^e  SSifjenjcf)aft  überhaupt  möglief)  fei, 
gef)e  ic^  nac^  bem,  toa§>  t)orf)er  über  bie  9}?i3gtic^feit  ber  'ipf)i(ofop{)ie 
ou§gefüJ)rt  Sorben  ift,  nid)t  ireiter  ein.  SSon  ber  er!enntni§=tt)eoretif(^= 
pofitiüiftifcf)en  9iid)tung  wirb  bie  9JZögIi(f)feit  ber  9J?etap()i:)fif  oerneint, 
fie  muffe  al§  eine  grofee  gefcf)irf)tli(f)e  33erirrung  be§  äl?enfrf)engeifte§ 
angefel^en  werben;  bie  pofitioen  SSiffenfd^often  unb  bie  (Srfenntni§tf)eorie 
erfd^öpften  ben  UmfreiS  be§  SSifebaren.  Sn  ber  2;^at,  öerfte^t  man 
unter  9JJetap^t)fi!  bie  SSiffenfrfjaft  oon  ben  fingen,  bie  aufeerfjalb  oßer 
mijglicfjen  ©rfafirung  liegen,  ober  bie  ^onftruftion  ber  SSirflic^feit 
a  priori  in  einem  S3egriff§fl5ftem,  bann  mirb  if)re  ^^it  öorüber  fein. 
^Dagegen  wirb  äRetap^t)fif  in  bem  oben  be^eidineten  ©inne  nie  au§= 
fterben;  ber  SSerfud^,  auf  bie  legten  O^ragen,  bie  bem  ©eift  burd)  bie 
äöirfüd^feit  aufgegeben  finb,  eine  5(ntmort  gu  geben,  wirb  fo  lange 
wieberJjoIt  werben,  oI§  t{)eoretifrf)e§  ^ntereffe  gum  ^JiacEjbenfen  über  bie 
Singe  antreibt.  Ob  man  biefe  SSerfud^e  2Biffenfrf)aft  nennen  wiü  ober 
nic^t,  f(f)eint  jiemlicf)  gleid^gültig ;  ta^  bie  (Subjeftioität  be§  SDenferg 
f)ier  eine  größere  Üioüe  fpielt,  al§  in  ber  9J?atf)ematif  ober  ^f)t)fif,  ift 
o^ne  weitereg  jujugeben;  ebenfo,  ba'^  nicfjt  ein  ebenfo  fontinuierü(i)e§ 
^ortfd^reiten  in  ber  ©efc^ic^te  ber  3)?etapt)t)fif  ju  finben  ift,  wie  in 
ber  @efd)irf)te  ber  eyaften  SSiffenfi^aften.  2)a§  fann  aber  nid)t  ^inbern 
anguerfennen,  ba^  bie  ?}ragen,  bie  man  metap^gfifcf)  ^u  nennen  pflegt, 
aufgegeben  unb  bomit  alfo  ber  Ort  einer  folc^en  Unterfud^ung  abgeftedt 
ift.  Man  fann  freific^  biefe  O^ragen  aud^  in  ber  (£rfenntniltf)eorie 
abfjanbetn,  man  fönnte  i^nen,  wenn  man  wolfte,  auc^  in  ber  ^ft)cE)ofogie 
ober  in  ber  ^^^fif  einen  Crt  üerfdjaffen;  aüe  (Einteilung  ber  SSiffen- 
fcf)aften  ift  gule^t  äuföüig.  SJär  wifl  e§  aber  ouf  feine  SSeife  jwecf* 
mä^ig  erfcfjeinen,  biefen  Unterfuc^ungen  i^re  relatiüe  ©elbftiinbigfeit  ju 
nehmen  unb  fie  gelegentlid)  in  einem  anbern  3iifQ'"nt^"^iii^9  o^ä"= 
l^anbetn.  93ef)anbelt  man  5.  93.  biefe  ^^^agen  in  ber  (Srfenntni§tf)eorie, 
fo  f)at  ba§  lebiglicf)  bie  i^olQt,  bafe  fie  unter  einem  unbeciuemen  unb 
fcfjiefen  ©efidjt^punfte  oorfommen.*) 

*)  Sinfic^tige  Söemerfungen  übet  ?iotiüenbigteit  unb  ?Iufgabe  ber  2Retapf)t)fif 
finbet  ber  Sefcr  bciQ.  SBolfelt,  einfü^rmig  in  bie  $f)iIojopf)ieber  ©egenrcart  (1891), 


48  Einleitung:   SSejen  unb  93ebeutung  ber  ^^ilofop^ie. 

Sn  jebem  ber  brei  großen  ßlDeige  ber  ^f)ifofopt)ie  füf)rt  bie 
Unterfud)ung  auf  hjenige  le^te  ©runbprobleme.  Scf)  lüill  fie  ^ier  furj 
im  3uiammenf)ang  entirirfeln,  fie  bejeidjnen  äugleid)  ben  ©egenftanb 
ber  folgenben  Söetrad^tungen. 

5Iuf  stDei  Ie|te  fragen  tüirb  bie  Setrad^tung  be§  äöirflid)en  ober 
bie  9JletQpt)t)[if  gefüljrt,  ic^  nenne  fie  1)  bQ§  ontologifrfie,  2)  \)a§> 
JoSmotogifd^e  ober  t^eologifc^e  Problem. 

3)a§  ontotogifiie  Problem  mxh  hnxd)  bie  ^roge  au^gebrücft: 
njorin  befielt  bie  9Jatur  be§  SBirf liefen  aU  folcfjen?  5(uf  bieje  ^rage 
fdjeint  §unäd)ft  eine  einfache  5(nttt)ort  nicf)t  möglid^;  ta§!  2Bir!Ii(i)e  tritt 
un§  nic^t  qI§  ein  gleicfjartigeö  entgegen.  Sßerfcfjiebene  SSiffenfdiaften 
geigen  ein  üötlig  ungleict)artige§  SBirflic^eS.  ^er  ^f)t)fif  fteüt  e§  fid^ 
bar  all  Sörper,  ber  ben  9iaum  erfüllt  unb  im  'Sianin  fid^  bettjegt;  otle 
it)re  S3emüt)nngen  finb  borauf  gerirfjtet,  bie  9?aturerfc^einungen  auf  gefe|= 
mäßige  Sen^egungen  raumerfütlenber  Xeilc^en  jurücf^ufüfiren.  5I(§  ein 
üöüig  anbereS  tritt  nn§  ha^  äBir!(id)e  in  ben  ©eifteSraiffenfc^aften  ent= 
gegen;  e§  erfc^eint  t)ier  al§  empfinbenb,  öorftellenb,  benfenb,  fü^Ienb, 
ftrebenb,  ttJoßenb;  öon  SSenju^tfein^oorgängen  l^onbelt  bie  ^f^d^ologie, 
(Srfd^einnngen,  bie  mon  nid)t  fef)en,  greifen,  meffen,  nocf)  überhaupt  all 
im  9flaum  fic^  begebenbe  SSorgänge  !onftruieren  fann. 

2Bie  oerf)atten  fic^  biefe  beiben  formen  be§  SBirftic^en  gu  einonber? 
S3efte^t  bie  2Bir!üd)!eit  anl  3tt)ei  üöüig  öerfdjiebenen  SIrten  be§  2öirf= 
lidjen?  Ober  loffen  fidf)  jene  beiben  formen,  bie  p^^fifc^e  unb  bie 
pft)(^ifd)e,  auf  eine  äurüc!füf)ren. 

S)ie  SSerf(i)iebent)eit  ber  5tntmorten  auf  biefe  ^^rage  ergiebt  bie 
üerfc^iebenen  metoptitififd^en  (Stanbpunfte,  meiere  man  mit  bem  9Zamen 
be§  S)uali§mu§,  be§  5DJaterialiömu§,  be§  ©pirituaUsmus  ober 
Sbeali§mu§  begeic^net. 

S)uali§mu§  IjeiBt  bie  5tnfid^t,  melcf^e  befjauptet:  e§  giebt  gmei 
t)eterogene  5(rten  bes  SSirüidjen,  p)d  2(rten  oon  ©ufaftanjen,.  förpertic^e 
unb  geiftige,  au§gebet)nte  unb  ben!enbe.    S)er  gemeine  SOJenfd^enüerftanb 


mit  toeIrf)er  (Sd^rift  bie  t)ier  borliegenbe  übiv'i^aupt  monc^e  93erüt)rung§punfte  i)at. 
^ä)  üettüeife  I}ier  and)  auf  bie  Sinleitung  in  bie  ^t)iIofopi)ie  öon  D.  Äülpe,  bie 
eine  jur  £rientierung  fefir  bvanä)baxt  ft)ftematif^e  Überfielt  über  atle  pt)ilo« 
fop{)ijc^en  Siggiplinen  unb  i^re  gefc^ict)tüc^e  (Jntroicfelung,  fott)ie  übet  bie  in  it)nen 
Ijeröorgetretenen  9ti(^tungen  be§  ©enfen^  bietet. 


(Sinteitung  unb  ©runbprobleme  ber  ?ß]^iIo|opt)ie.  49 

finbet  hi^  auf  biefen  Xag  in  biefer  Söfung  beö  ontologifcfien  'proB(em§ 
mn  Ieid^te[ten  93efriebigung. 

Sie  ^^ilofop^ie  jeigt  jeber^eit  eine  Dieigung  über  ben  SDualigmuä 
{)inau§  gu  einem  9Jioni§mu§  §u  fommen.  Sie  eintriebe  ba^u  Hegen 
auf  ber  ^anb;  bie  ©in^eit  ber  3Sirfli(f)!eit  i[t  fo  gro^  unb  greifbar, 
ha^  fie  bie  ^uföntmenje^ung  au§  gttjei  üijllig  üerfd^iebenartigen  ©(erneuten 
felbft  obgulefinen  fdjeint.  Saju  !ommt  bie  Steigung  bee  3)en!en§  gur 
Vereinfachung  ber  SBirüid^feit;  bie  Singe  erüöreu,  fjeifet  bie  mannig= 
foc^en  @rfd)einungen  auf  einfädle  ^rin^ipien  ^urücEfü^ren. 

5Iuf  boppelte  SBeife  !ann  ber  ®in^eit§brang  fein  ^\ti  erreidjen; 
man  füf)rt  enttt)eber  bie  geiftigen  Sßorgänge  auf  bie  förperlid^en  gurücf 
unb  fagt:  Körper  unb  Seftjegung  ift  ha^  an  firf)  SBirflid^e,  bie  S3ett)ufet= 
jeinSüorgänge  finb  bloB  eine  (Srftf)einung§forni  öon  SSorgöngen,  bie  an 
fic^  pfl^fifalifd^er  9latur  finb;  bann  f)aben  n)ir  ben  9}JateriaIi§mu§. 
Dber  man  füf)rt  bie  pl^tjfifalifc^en  (Srf (Meinungen  auf  $8emuBtfein§= 
oorgänge  jurücE  unb  fagt:  geiftige  35orgänge  finb  ha§^  an  ficl§  SSirf[i(f)e, 
bie  p!^t)fifci^e  SSelt  ift  eine  blofee  (Srfd)einung§form  jene§  n^irflid;  SSirf- 
liefen;  bann  ^aben  wir  ben  @ptrituaU§mu§  ober  SbealiSmug. 

Saneben  bleibt  eine  öierte  3JZiJgüd)feit;  man  fann  fagen:  bie  D^atur 
be§  SSirflid^en  an  firf)  öermögen  mir  überfjaupt  nic^t  §u  erfennen.  be- 
geben finb  un§  äunödjft  bie  beiben  formen,  ha§>  ^lörperlirfje  unb  ha^^ 
<5)eiftige;  mir  mi)gen  aber  annef)men,  ba^  fie  nur  öerfdjiebene  ©rfc^einungs^ 
formen  eine§  un§  unerrei(f)baren  SBirÜic^en  finb.  StgnoftigiämuS 
lann  man  biefe  Stnficfit  nennen. 

So^  groeite  gro^e  ^^roblem  ber  SiJietapfjljfif  ift  ha^  fo§mo  = 
Iogif(^e  ober  tfjeologifd^e.  @§  mirb  au^gebrücEt  burcf)  bie  O^rage: 
melrf)e  Vorftellung  foden  mir  ung  oon  bem  ^nfammenfiang  aüer  Singe 
madjen?  meldte  ©eftalt  f)at  bie  2öir!Iic^feit  al§>  ©anseS?  5ltomi§mu§, 
S^ei§mu§,  ^antf)ei§mu§  finb  oerfdiiebene  S3eantmortungen  biefer 
^rage. 

2Iuf  ben  erften  Süd  ftellt  fid)  bie  SBirflic^feit  ai§>  eine  5ßielt)eit 
jelbftönbiger  Singe  bar,  bereu  jebe§  §mar  in  Sejiefjung  ^u  anberen 
ftef)t,  aber  feinem  Safein  nad)  unabf)ängig  für  fi(^  beftel^t.  Siefe 
^Tufic^t  ift  äu  @nbe  gebadet  im  SttomismuS:  bie  3Bir!üc^!eit  ift  ein 
Aggregat  oieler,  felbftänbiger,  unentftanbener  unb  unoergöngtid^er  Ur= 
elemente;  burd)  mannigf ad)e  Sßerbinbung  entftef)en  au§  i^nen,  gteidifam 

■■IJ  au  (feil,  Sinleituiig.    ö.  Ülufl.  4 


50  (Einleitung:  SSefen  unb  SSebeutung  bet  ^f)iIofop^ie. 

qI§  3)inge  jlnetter  Crbnung,  bie  Singe  ber  getüc^nlicfjen  SQIeinung.  — 
S)er  Sttomi§mu§  ober  ^Iurali§mu§  ift  nid)t  notroenbig  materiaüftifc^, 
in  ber  SD^onaboIogie  2ei6ni§en§  l^oben  npir  eine  fpirituaüftiic^e  ^orm. 

Slucf)  an  biefem  ^unft  f)at  bie  ^^t)iIofop^ie  oon  jef)er  eine  Steigung 
gejetgt,  über  bie  ^ielijcit  ju  einer  (Sinf)eit  ^inauS^ngel^en.  2)ie  (Sin= 
f)eitlirf)feit  uub  ßufammenj'timmung  ber  SBett  erfdjeint  fo  groB,  ba^  fie 
ntd^t  qI§  ba§  (Srgebnig  be§  gufäßigen  3"i<intmen!ommen§  einonber 
obfolut  frember  (Elemente  begriffen  ftierben  fann.  Sn  boppelter  ©eftalt 
tritt  bie  moniftifd)e  2öeltanf(f)auung  auf;  entn^eber  leitet  fie  bie  (£in= 
t)eit  unb  3"iQn^"^^"l'^i^"ni"^^9  ^^^  Singe  au§  ber  (ginwirfung  einer 
nad)  eint)eitlic^em  ^lan  t^ätigen,  baumeifterlic^en  Sntelligenj  ah,  bann 
^oben  n^ir  ben  2;!)ei§mu§.  Ober  fie  trägt  bie  @inf)eit  norf)  tiefer 
in  bie  Singe  t)inein  unb  behauptet:  bie  Söirfücfjfeit  ift  überljaupt  ein 
eingigeg,  ein§eitüd)e§  SBefen,  eine  @ubftQn§,  bie  ^ieltjeit  ift  nur  a(^ 
©üeberung  in  ber  @inf)eit  be§  2Sefen§;  bann  l^aben  mir  ben  ^an= 
tt)ei§mu§.  S3on  ^njei  fünften  aus  wirb  bie  ^^iIofopf)ie  auf  biefe 
5(nfc^auung  gefüf)rt.  33om  ©otte^begriff  au§  fommt  bie  tt)eo(ogifd^e 
©pefutation  ba^in:  ift  @ott,  tt)ie  eö  bie  monott)eiftifcf)e  ®otte§Iet)re 
fagt,  ©rf)öpfer  atler  Singe  au§  nic§t§,  bann  ift  er  in  2Sa()ri)eit  allein 
feienb,  bie  Singe  finb  bann  burrf)  i^n  unb  in  i(}m;  fie  fi)nnen  nidjt 
au§  it)m  f)erau§  unb  gegen  if)n  felbftänbigeS  Safein  gewinnen.  2(nberer= 
feit§  !ommt  oom  Skturbegriff  au^^  bie  pfiQfüalifdje  Setrarfjtung  auf 
benfelben  ©ebanfen  ber  2Befen§einf)eit.  ©tef)en  alle  Singe  in  aUge= 
meiner  unb  beftänbiger  SSecf)fettt)irfung,  fo  fctjüe^en  fic^  alle  SSorgänge 
§u  einem  einzigen,  aüumfaffenben  Vorgang,  bem  einf)eitli(^en  SSeltlauf, 
äufammen,  unb  bamit  ift  ber  93egriff  ber  ©in^eit  beffen,  ha^  \\d)  öer= 
änbert,  ber  Segriff  ber  (Sinljeit  ber  ©ubftanj  gegeben. 

5lud)  bie  @rfenntni§t:^eorie  mirb  auf  jraei  Ie|te  Probleme 
geführt,  mir  fönnen  fie  nennen  ha^  Problem  be§  SSefen^  unb  ba^ 
"Problem  be§  UrfprungS  ber  ©rlenntni^. 

Sa§  erfte  mirb  auggebrüdt  burd)  bie  g^rage:  mas  ift  ha§>  @r= 
fennen?  §ierauf  geben  9^eali§mu§  unb  SbealiSmu^  ober  ^l)äno  = 
nienali§mu§  öerfd^iebene  ^Intmorten.  Ser  9fteali§mu§  fiel}t  in  il)r  eine 
aböquate  Slbbitbung  ber  SSirflid)!eit;  im  mal)ren  (Srfennen  fommen  bie 
Singe  ebenfo  öor,  mie  fie  in  ber  Sßirllic^feit  finb,  nur  notürlid)  o^ne 
bie  2öir!lid)feit  felbft.    Ser  Sbeati^muS  I)ätt  biefe  Sluffaffung  für  eine 


©nteilung  ber  ©runbprobleme  ber  ^f)iIofop^ie.  51 

gonj  mmtöglicfie;  tüie  fann  @r!ennen  5lbbilbung  unb  gleirfjfam  S33ieber= 
^olung  ber  ^inge  lein?  (Srfennen  ift  ein  innerer,  pft)d)ifdf)er  S^orgong, 
tt)ie  fotite  jluifdjen  i()m  unb  ben  3)ingen  brausen  S(f)nü(^feit  ftattfinben? 
Unb  wenn  fie  ftattfänbe,  fönnten  "mix  e§  nirfjt  wiffen;  mv  fönnen  nicf)t 
au§  un§  f)erau§treten  unb  unfere  SSorftellungen  mit  ben  fingen  öer= 
gteid^en. 

®ie  gnjeite  g^rage  ift:  mie  fommt  ©rfennen  überl^aupt  ^uftanbe? 
Slurf)  fie  giebt  gur  (Sntftefjung  eines  burrf)  bie  ganje  @efrf)i(i)te  ber 
^f)i(ofop^ie  ^inburcf)ge!^eubcn  @egenfat^e§  ber  Stnfid^ten  33eran(Qffung, 
be§  ©egenfatieg  üon  @mpiri§mu§  unb  9fiatiünati§mu§.  ®er 
(Smpiri§mu§  leitet  alte  @r!enntni§  au§  ber  SBo^rneljmung  ah;  @r= 
fa^rung  ift  bie  einzige  Quelle  ber  ®rfenntni§,  @rfaf)rung  aber  beftet)t 
in  Kombination  oon  SBa{)rne^mungen.  ^er  ÜiationaIi§mu§  bef)ouptet 
bagegen:  alte  eigentlid^  tniffenfdjaftlic^e  @r!enntni§  fe^t  ein  anbere§ 
^rinjip  oorauS,  t)a^  nid^t  au§  ber  32Sa^rnet)mung  ftammen  fann. 
5tIIgemeiuf)eit  unb  Sf^otiuenbigfeit,  mie  fie  am  ftrengften  bie  SOlat^ematif 
bietet,  tük  fie  aber  oon  jeber  SBiffenfdjaft  erftrebt  n)irb,  !ann  nie  au§ 
ber  (Srfaf)rung  fommen,  bie  immer  nur  geigt,  maS  in  biefem  g^all,  nirf)t 
ma§  in  jebem  galt  gefdjiet)t.  (5igenttic^e  SBiffenfd^aft  entfpringt  au§ 
bem  95erftanbe,  ber  93egriffe  bitbet  unb  it)re  S3e§ie{)ungen  oerfotgt  nad) 
ber  i^m  urfprüng(id)  eigenen  inneren  @efe|mäBig!eit. 

S)ie  Uuterfudjungen  ber  (£tt)i!  !ommen  auf  eine  le^te  pringipieüe 
groge  ^üvM:  n^orauf  berntjen  gute^t  atte  2Sertunterfd)iebe,  im  be= 
fonberen  bie  2Bertnnterfd)iebe  gmifdien  menjd)lid)en  ^anblungen  unb 
Ö)efinnungen?  ^wti  Stnfid^ten  ftetjen  fid)  gegenüber;  bie  eine  behauptet: 
auf  2öir!ungen  für  bie  SebenSgeftaltnng:  gut  ift,  maS  güuftige, 
fd^tedjt  ift,  ma§  ungünftige  g^olgen  für  bie  ßebenSgeftaltung  be§ 
©injetnen  unb  ber  @efamtt)eit  ^at,  bereu  ÖJtieb  er  ift.  ®a§  ift  bie 
teteotogifd^e  Stnfid^t.  Sie  anbere  Stuftest,  man  !ann  fie  bie  forma  = 
tiftifc^e  nennen  (fie  wirb  audj  bie  intuititiiftifc^e  genannt,  im 
@egenfa|  §ur  utititarifd)en,  mie  man  in  (Sngtaub  bie  teIeotogifd)e 
(Stt)if  nennt),  bet)auptet:  gut  unb  bofe  finb  abfotute  Duatitäten  oon 
§anbtung§meifen  unb  SBiüenlriditungeu,  bie  nur  wahrgenommen  unb 
anerfannt,  aber  nid)t  eigenttidj  abgeteitet  unb  begrünbet  werben  fönnen. 
ipat  bie  erfte  5tnfid)t  red)t,  fo  ergiebt  fid)  eine  neue  grage:  metdjer 
SebenSinfjatt    ift    e§,    burd)    beffen    |)erbeifüt)rung    ober    ^förberung 


52  ©inleitung:  SBefen  unb  SBebeutung  ber  5ß^iIo)opf)ie. 

günftige  üon  ungünftigen  Söirfungen  unterfd^ieben  irerben?  tnas  ift 
ha^  ^öcfifte  unb  Ie|te  ^ki  menid)Ii(f)en  ©trebens?  SBirb  hierauf  ge= 
antiüortet:  @efüf)Igerregungen  ber  ßuft  ober  bes  @(ü(fö,  jo  f)aben 
tüir  ben  §eboni§mu§.  Söirb  bagegen  ba§  ßiel  in  eine  objettioe 
Sebensgeftaltung  unb  ßebensbetfiätigung  gefegt,  io  f)aben  wir  eine 
Slnfcfjauung,  für  bie  e§  an  einem  i)er!ömmlic!^en  5(u§brucf  fe'£)It;  icf) 
tüill  fie,  mit  Srinnerung  an  ben  Urjprung  biefer  ?(n]cf)ouung  in  ber 
ariftotelijcfien  ^{)i(ojopf)ie,  (Snergi§mu§  nennen;  ba?  t)öcf)fte  @ut  ift 
yolle  Entfaltung  unb  üollenbete  Setf)ötigung  aüer  menid)Iicf)en  Sugenben 
unb  Xüc^tigfeiten,  am  meiften  ber  ^öc^ften. 

Sdf)  beginne  mit  ben  metap{)i)ftfc§en  Problemen.  @ie  ftnb  e§,  bie 
ben  9JJenfcf)engeift  §uerft  ^ur  ^t)ilofopf)ie  antreiben,  freilief)  finb  fie  fo 
mit  ben  Problemen  bes  @rfennen§  t)ertt)arf)jen,  ha'!^  e§  üielfad)  notroenbig 
mirb,  ©rgebniffe  erfenntni5tt)eoretifcl)er  93etracf)tungen,  5.  33.  über  ha§i 
SBefen  öon  Ütaum  unb  ßeit,  oon  ©ubftantialität  unb  ^aufalitöt  öorau5= 
gune^men.  ^vnbeffen  mürbe  e§  nid)t  anber§  get)en,  roenn  mir  bie 
(Srfenntni»t^eorie  öoranftellten;  mir  müßten  bann  oielf ad)  metap^t)fifc^e 
2£)eorien  öorausfe^en.  @l  fd^eint  mir  barum  jmecfmäBig,  bei  ber 
natürti(f)en  Crbnung  ber  gefdiic^tlid^en  Sntmicfelung  gu  bleiben,  nac^ 
ber  erft  bie  metapiii^fifcfien  33erlegent)eiten  bie  Unterfud)ung  über  bie 
9latur  be^  örfennens  f)erüorgetrieben  ^aben. 


frptes  "^uc^. 


f  te  ^vobhmi  htv  P«tit))l)t)rtH. 


3(i)  gebe  ober  etixjaS  ouf  ben  ur)prünglicf)en  Sktur^ 
tnftinft  ber  9Jtenyd)en  unb  gtaube,  ba§  ntd)t§  tüof)r 
jetn  fann,  maä  nid^t  auc^  gut  ift  ju  glauben,  am 
tr)a^r[ten  ober  ba^,  trag  am  be[ten.  f^reilicf)  auc^ 
in  bem,  ima§  man  für  gut  'ijäü,  laxm  man  irren, 
ober  einmal  mufe  i>od)  ein  ^untt  fommen,  tüo  ber 
SKenfc^  fic^  felbft  glaubt. 

(Jed^ner,  3enbaüej'ta. 
«ortüort  XIV. 


€rjies  Kapitel. 


§11$  0nt0lii0!r<4^  ^vcbitm. 

1.  ^nv  gefc^i^tltc^ctt  Onenttcrung. 

2)er  5(u§gang§pun!t  alleS  ^f)Uofop^ieren§  i[t  bie  gemeine 
tDkinung;  bas^  gilt  üon  ber  (Snttüiifelung  be§  ^en!en§  in  ber  @e= 
jamtf)eit,  irie  im  einzelnen  Snbidibuum.  Sn  einer  jur  ©infü^rung  in 
t)ie  "pfiilofop^ie  beftimmten  (Sd)rift  inirb  e§  ba'^er  gnjecfmäBtg  fein,  oon 
if)r  au§ängef)en. 

Stuf  bie  t^rage  nacf)  ber  9?atur  be§  SSirflic^en  qI§  fotc^en  mirb 
tie  gemeine  SSorftellnng  jnnädift  mit  ber  ^inmeifung  auf  bie  fidjtbaren 
iinb  greifbaren  2)inge  antmorten:  bie  5?'örpern)elt  ift  ha^  SÖSirflidie. 
15)ennocf)  ift  fie  nidf)t  eigentlidj  materialiftifcf);  ber  3Jiateriaügmu§  ift 
«rft  ein  ©rjeugniä  be§  miffenfc^afttic^en  9iac^benfen§.  Sene  !ennt 
neben  ben  Körpern  nod)  ein  2BirfU(f)e§  öon  anberer  Strt,  bie  (Seele. 
Sn  ben  tebenben  Körpern  ift  etma§,  boS  nict)t  Slörper,  h)enigften§ 
nic^t  eigentlid^  5lörper  ift.  @§  giebt  tt)O^I  !eine  ©prad^e,  bie  nic^t 
«in  äöort  f)at  für  bog,  mag  mir  @eele  nennen,  unb  bamit  biefem 
^tma§  SSirflid)!eit  unb  SSefen^eit  §uerfennt.  2)en  Urfprung  ber  SSor= 
fteHung  oon  ber  @eele  al§  einem  befonberen  SBefen  mirb  man  etma 
in  folgenbcn  2:f)atfoc^en  gu  fudjen  f)oben.  Unter  ben  Körpern  tritt 
■ein  midjtiger  unb  in  bie  Singen  fallenber  Unterfdjieb  f)eroor,  ber  Unter^ 
jc^ieb  oon  lebenben  unb  leblofen  Körpern.  3ene  bemegen  fid)  burd) 
t)en  eigenen  SBiUen,  biefe  bagegen  fönnen  fid^  nid)t  oon  felbft  bemegen, 
fonbern  bebürfen  be§  Slnfto^eS  oon  aufeen.  3)te  Urfadje  biefe^  llnter= 
jd)iebe§,  fo  folgert  bie  SQJeinung,  muB  barin  liegen,  ba^  in  ben  leben* 
t)igen  Körpern  ein  @tma§  ift,  ta§^  miß  unb  bemegt,  empfinbet  unb 
füf)It;  i>a^  ift  bie  ©eele. 

^ap  aber  biefe  ein  befonbere§,  felbftänbige§  Söefen  unb  nic^t  eine 
fclofee  Ätaft  ober  ©igenfc^aft  ift,   barauf   füt)rt  eine  anbere  STtjatfadie, 


56  I-  S3ucf):  aJleto^j^^ft!.    1.  Kapitel:  S)a§  ontologifdje  «Problem. 


bie  auf  bie  primitioe  öebanfenbilbung  über'^QUpt  einen  tiefgef)enben 
(SinfluB  übt:  bie  ©rfc^einung  be§  2obe§.  dJlit  bem  Xobe  oerliert  ber 
lebenbe  Körper  jenen  SSorjug  üor  ben  leblofen  Körpern,  er  njirb 
füpo§  unb  bewegungSlog.  SSie  !ommt  t)a§?  mas  {)at  firf)  im  2;obe 
gugetragen?  Ser  Körper  ift  nod)  berfelbe,  lüie  im  31ugenblic!  oorf)er; 
er  ift  äuBerlid;  unöerminbert  unb  unüeränbert,  nur  bie  eigene  33emegung 
fef)tt.  (S§  mufe  olfo,  ba§  ift  bie  no^e  liegenbe  Folgerung,  ba^  S3e= 
njegenbe,  bie  ©eele,  if)n  oerloffen  I)aben.  Sie  ift  alfo  un!örpertic^, 
fonft  müfete  it)r  Sßerluft  fic^tbar  fein,  unb  fie  ift  ein  felbftünbigeS  SSefen; 
fie  beroeift  e§  eben  baburc^,  boB  fie  oon  bem  Seibe  fic^  trennt  unb  ju 
ejiftieren  fortfährt.  2)enn  f)ierin  ftimmt  bie  (Srfa^rung  aller  Sßölfer 
überein,  ba^  bie  @eele  nic^t  im  3;obe  unterget)t;  fie  fann  nocf)  erfcf)einen 
unb  n)ir!en.  2öo{)in  bie  Stnt^ropotogie  blicft,  tritt  if)r  ber  2'otenfult 
entgegen,  ein  fieserer  S8emei§  be§  @Iauben§  an  Safein  unb  fortleben 
ber  abgefd)iebenen  (Seele.  Um  ba§  ^^idjtjeienbe  giebt  fid)  niemanb 
äJiü^e.  —  Übrigen^  ift  auc^  tt)äf)renb  beg  ßeben§  seittoeilige  Trennung 
ber  ©eete  nom  Seibe  eine  auf  primitiöer  ^ulturftufe  gen)bf)nlid)e  SSor= 
fteflung.  Sm  @d)Iaf  liegt  ber  £eib  aurf)  bemegung^Iog  ha;  aber  bie 
©eele  ift  nidjt  untt)ätig,  fie  fie^t,  f)ört,  füt)tt  unb  erlebt  mand)mal  er= 
ftauntidje  Singe.  (Sie  träumt,  fogen  tt)ir;  bie  primitioe  SSorfteÜung 
aber  beutet  biefe  Sf)atfa(f)e  anberS:  bie  (Seele  oerlä^t  im  (Sd^laf  ben 
£eib  unb  manbelt  eigene  SSege,  roobei  i^r  benn  eben  ba§  juftöfet,  toa^ 
fie  nad)  unferer  3lu§brucf§meife  träumt. 

2Ba§  nun  bag  SSefen  ber  (Seele  nac^  ber  primitioen  ^^orftellung 
anlangt,  fo  läfet  e§  fid)  etuja  fo  beftimmen:  fie  ift  ein  ^auc^artige^ 
SSefen,  fid)tbar,  aber  nid)t  greifbar,  oon  ber  ©eftolt  be§  ÖeibeS,  wie 
fein  bleibenber  fubftantieller  Sd)atten.  Ser  3ufammenl)ang  be§  Seben§ 
mit  bem  5ltem  ift  offenbar  ber  Stnla^,  ha^  in  fo  oieten  ©pradien  bie 
Seele  al§  ^auc^wefen  (ipv/)),  animus)  be^eic^net  mxh.  ©eienbe^ 
$8ilbni§  ober  feienbe  ©ic^tbarfeit  be§  Seibe§,  ol)ne  ^örperlid)feit,  ol)ne 
Unburd)bringlid)feit  unb  Sd)mere,  fo  lönnte  man  fie  befinieren.  (So 
befc^reibt  §omer  bie  abgefd)iebenen  ©eelen  ober  ©eifter,  fo  molt  fie 
ber  mittelalterliche  Wlakx,  fo  ftellt  fie  auc^  ^eute  noc^  bie  @efpenfter= 
furdjt  oor.  Sabei  fe^lt  il)nen  nidjt  bie  i5äl)igfeit  ju  fpufl)after  2Sirf= 
famfeit  unb  oor  allem  ein,  menn  aud^  oeränberteg  unb  f)erabgefe|te§, 
Innenleben  mit  (Srinnerung  unb  öefül^l. 


1.  Qnx  gefd^id)tUd^en  Drientierung.  57 


SBoIItc  man  bie  ontoIogifd)e  ^luffaffung  ber  gemeinen  SJJeinung 
üaffifijieren,  fo  miifete  mon  jie  al§  einen  Dagen  ®uali§mu§  be* 
jeidjnen.  5)ie  Körper  finb  ba^  eigentlirf)  SBirfüdje,  baneben  giebt  e§ 
aber  jeneg  SSirHidje  jrtjeiter  Crbnung,  förperartige  SSejen  o^ne  eigent* 
lid^e  ^örperlid^feit,  bie  joiüotjt  in  ben  Körpern  aU  wirffame  Äraft  fic^ 
betf)ätigen,  a{§>  and)  für  fid)  a(§  abgefdiiebene  (SJeifter  ejiftieren. 

^ie  p^iIoiopf)ifd)e  ^luffaffnng  ber  SBirflid^feit  i[t,  n)ie  fd)on  be= 
merft,  überall  burd^  ba§  ©treben  jum  9JJoni§mu§  gefennjcid^net;  bie 
2öirfnd)!eit  ün§  einem  ^rinjip  abzuleiten,  bie  inannigfad)en  g^ornien 
be§  ©eienben  auf  eine  Urform  5urüdäufüf)ren,  ha§:  ift  ein  ©runbtrieb 
be§  pI}iIofop{)ifc^en  S)enfen§.  3^^^  O^ormen  be§  ontoIogifd)en  9}Joni§mu§ 
ergeben  fid),  jenac^bem  man  öon  ben  ^tjatfac^en  ber  äußeren,  fidjtbaren 
2öett  ober  ber  inneren  3Be(t  aulge£)t:  9JJateria(i§mu§  unb 
Spiritualismus.  Sener  be{)auptet:  S^örper  ober  S3en5egungen  finb 
bie  Urform  beS  2öir!Iid^en,  auS  i^nen  finb  auc^  bie  X^atfadjen  beS 
SBa^rne^men»,  S)enfenS  unb  SBolIenS  ju  erüären.  3)er  Spiritualismus 
ober  SbealiSmuS  bagegen  behauptet:  bie  Xfiatfad^en  beS  Innenlebens, 
mie  fie  im  ©elbftbemu^tfein  fic^  barftellen,  finb  baS  erfte  unb  eigentliche 
2öir!Iid)e;  ©ebanfen  !ann  man  nidjt  als  ^robuft  ber  SOZaterie,  mof)! 
aber  umgefef)rt  bie  SJJaterie  a(S  ^^robuft  beS  ©enfenben  fonftruieren; 
bie  Ä'örpermelt  ift  (Srfd)einung. 

S(m  Eingänge  ber  gried)ifd)en  ^f)i(ofopt)ie  treten  unS  bie  beiben 
ontoIogifd)en  2;t)eorien  in  einem  ^aor  fraftootter  unb  fü^ner  Genfer 
entgegen,  in  3^emo!rit  unb  ^^lato.  ^^ener  fütjrt  alleS  3SirfIid)e 
auf  bie  S(tome  unb  baS  Seere  gurüd.  ^leinfte,  unteilbare,  aber 
auSgebefinte  Ä'örper  finb  bie  Urbeftanbtcile  ber  SSirflic^feit,  auS  it)rer 
S3emegung  laffen  fid)  alle  91aturüorgänge  erflören,  bie  f)immlifcl^en 
mie  bie  irbifi^en,  unb  unter  biefen  auc^  bie  2ebenSerfd)einungen  mit 
©infd^tu^  beS  2ßa!^rnef)menS  unb  S)en!enS.  ^^lato  bagegen  f)at  ben 
9JJut,  als  ber  erfte  im  5lbenblanbe  ben  (Gebauten  ju  (Snbe  ^u 
benfen:  bie  Körper  finb  nid)t  nur  nic^t  baS  eigentlich  3Bir!Iid)e, 
fonbern  fie  finb  eigentlid^  überf)aupt  nidjt  mirflict),  nic^t  an  fid^ 
mirftidj,  fie  finb  (Srfd)einungen  eines  anbern.  2)aS  an  fid)  2SirfIict)e 
ift  geiftiger  9latur,  bie  SBelt  ift  an  fic^  felbft  ein  Softem  feienber 
©ebanfen  (Sbeen).  ^m  begriff(id)en  SDenfen  erfofet  ber  @eift  biefeS 
maf)rt)aft  35}irf(i(^e,   tt)öt)renb    bie    finnücf)e  Q3orfteIIung    an   ben  nid)t 


58  I-  S3ud^:  SJletap^^fif.     1.  tapitel:  ®a§  ontotogijdie  Problem. 

feienben,  fonbern  lüerbenben  unb  oergefienben,  burcfi  ben  Sfioum  oer^ 
ftreuten  9lac^bilbern  ber  Sbeenirelt,  ben  förperlid)en  2)mgen  ober  (£r= 
fc^einungen  flebt. 

SIriftoteleg  näf)ert  fi(^  toieber  mef)r  ber  gemeinen  SSor[teüung. 
2Bte  er  in  ber  (Erörterung  p^iJoiopbifrfjer  Probleme  oft  oon  i^rer 
^arftellung  im  «Sprad^gebraudj  QU5get)t,  \o  !et)rt  er  and)  mit  feiner 
öntjc^eibung  gern  ^u  i^r  jurüc!;  er  liebt  nic^t  bie  icf)ro|fen  nnb  ein= 
jeitigen  ©ebanfen,  »ie  fie  ben  großen  einiamen  5Denfern  äujagen. 
(Seine  ^^f)i(ojop{)ie  t)at  bie  ftar!en  unb  jc^n)ad)en  Seiten  einer  SSer= 
mittlungsp^ilojopfiie.  3eine  Cntologie  i[t  ein  sunt  SbeoIiSmuS 
netgenber  2)UQli§mu§.  'am  SInfang  be§  gtueiten  Sucres  jeine§ 
SSerfg  über  bie  8ee(e  erftärt  er  if)r  SSejen:  fie  ift  bie  ^orm  eine§ 
organifrf)en  ÄörperS.  ^ie  örüärung  erinnert  an  bie  53orfteüung  ber 
gemeinen  9}?einung.  ^i)t  @inn  ift  oUerbings  ein  tieferer;  bie  @eele 
ift  nirf)t  ber  ©cfjattenriB  be§  Seibes,  nic^t  bie  äußere  ftereometrifc^e, 
fonbern  bie  innere,  funftionelle  g^orm  ift  gemeint:  ba§  mirfenbe 
unb  geftattenbe  SebenÄprin^ip.  SlüeS  ha§,  moburrf)  fid)  ein  (ebenber 
£)rgQni§mu§  oon  einem  leblofen  Körper  unterfc^eibet,  ift  Srf)ätig!eit 
ber  Seele:  öntmicfelung,  Stoff mec^fel,  fpontane  33ett)egung,  öm= 
pfinbung,  93ege^ren,  S^enfen  unb  oernünftigeS  3Boüen.  2(u§  ben 
Stoffteiten,  aug  benen  ein  organifdjer  Äörper  beftei)t,  laffen  fid^  feine 
gunftionen  nid)t  ableiten,  fie  finb  bie  53etf)ätigung  eine§  befonberen 
SebensprinjipS,  ha§:  ift  bie  Seele;  fie  marf)t  ben  Äörper  erft  gn  bem, 
was  er  ift.  2)ie  9J?aterie  bietet  bloB  bie  9}?ögticf)!eit  bes  £eben§,  mie 
ta^  §otä  bie  3J?ög(icf)feit  eine§  53ogen§,  ber  SDJarmor  bie  9Jiögticf)feit 
eines  ©i(btt)er!§  bietet;  aber  erft  bie  gorm  madjt  aus  bem  möglichen 
Söilbwerf  ha5  mirfüdje.  So  moc^t  bie  Seele  au§  organifd)er  SJiaterie 
ben  lebenben  2eib.  —  Wlan  fief)t,  öon  ben  beiben  ^rin^ipien  ift 
bie  3^orm  ba§  mef entließe,  ber  Stoff  ha^  zufällige  unb  fe!unbäre; 
jene  ift  ba§  eigentliche  2Ba§  be§  2)inge§,  biefe  ha§:  3Sorau§.  5(n  fid) 
ift  bie  SOiaterie  überhaupt  unbeftimmte  unb  unfaßbare  9JJögIid)feit ; 
erft  hüxd)  bie  f^^orm  n^irb  fie  gu  einem  beftimmten,  geftalteten,  faB= 
baren  3Bir!Iid)en.  Unb  im  ©ebanfen  öotte§,  ber  feine  3J?Dglid)feit, 
fonbern  reine  ^orm,  nämlic^  reines  S)en!en  ift,  tt)irb  ^ute^t  bie 
9Jkterie  überf)aupt  aufgehoben,  of)ne  boB  ober  boc^  mit  biefem  @e= 
bauten  nun  fo  entfc^ieben  ©ruft  gemad^t  mürbe,  mie  e§  ^lato  tf)at.    (S§ 


1.  Qnt  gejd^i^tlic^en  Drientierung.  59 

giebt  feine  ^tjilojop^ie,  bie  ber  gemeinen  SBorfteüung  mel^r  entgegen 
fäme,  q(§  bieje  (Srflärung  oder  SDinge  au§  ^orni  unb  ©toff,  Qn§  Ä'raft 
unb  2J?iJgIic()!eit.  2)ie  ©cf}rofff)eit  be§  platonifdjen  SbeoIiSmug  i[t  barin 
fo  weit  Qbgefd)n}äd)t,  ba'^i  ber  gejunbe  9)?enj(f)enüer[tanb  i^n  erträgt. 
9)?an  rairb  annef)men  bürfen,  boB  if)re  ^augtid)teit  gur  (Sct)utpf)iIofopf)ie, 
bie  fie  bnrd)  lange  Saflrf)unberte  ben)äf)rt  ^at,  f)iermit  äujammenfjängt. 

®ie  moberne  '*pt)i(ojopt)ie  Jüanbelt  auf  ben  ^^faben,  iue(ct)e  bie 
großen  griecf)ijci^en  SDenfer  geba'^nt  t)aben:  5DuaIi§mn§,  9}?ateriali§mu§, 
Spiritualismus  finb  bie  tt)ieberM)renben  ©runbformen. 

@ie  beginnt  bei  GartejiuS  mit  ber  fc^örfften  3i^fpi|u"9  ^^^ 
S)uali§mu§:  5?örper  unb  @eete  5tt)ei  ööÜig  unoergteidjlidje  g^ormen  be§ 
Sßirflidjen,  Äörper  ein  SSefen,  befjen  einzige  93e[timmt^eit  bie  Stu§= 
be^nung,  Seele  ein  SBefen,  beffen  einzige  33e[timmtf)eit  ha§>  ®en!en  ober 
bie  Sett)U§tt)eit  ift.  Corpus  =  res  extensa,  mens  =  res  cogitans, 
ha§>  finb  bte  beiben  ber  gonjen  ßarte[ianijd)en  ^I)iIojo|)l)ie  ju  ©runbe 
liegenben  Definitionen. 

Der  neue  Segriff  be§  ^i3rperS  ift  ber  frühere.  Durd)  ©atilei 
luar  ber  92aturtüiffcnfd)aft  eine  neue  ©runbanfdjauung  gugefüljrt  luorben: 
93emegung  entfteljt  unb  oergel)t  nid)t;  tt)ie  ein  ruf)enber  Körper  of)ne 
(Sinlüirfung  oon  an^en  in  9iul)e  bleibt,  fo  be'^ätt  ein  beluegter  Körper 
feine  Semegung  mit  gteid^cr  9?ic^tung  unb  ®efd;n)inbigfeit  in§  Un= 
enblidje  bei.  Die  ariftotelifc^e  ©d)uIpt)iIofopf)ie  beS  9J?itteIatter§  l^atte 
gmar  bie  Körper  fctbft  im  natürlidjen  Sauf  ber  Dinge  nic^t  entftef)en 
unb  üergetjen  laffcn,  an  bem  S^erfc^minben  oon  58eiücgung  bagegen 
feinen  StnftoB  genommen,  fo  menig  e§  ber  gefunbe  äJJenfdjenoerftanb 
t^ut,  geigt  e§  boc^  bie  aütäglid^fte  @rfa!£)rung;  unb  fo  mag  benn  n)ot)I 
aud)  93emegung,  bie  üorf)er  nid)t  üorl}ouben  loar,  etma  bnrd)  D()ätig= 
!eit  ber  @eelc,  urfprünglid)  entfte^en.  DeScarteS  eignet  fid)  bie  neue 
©alileifdje  5(ufd)auung  an;  t)a§>  Quantum  ber  93ett)egung,  fo  formuliert 
er  fie,  ift  im  Uniucrfum  fonftant,  e§  finbet  iueber  5]erme^rung  nod^ 
Sßerminberung,  fonbern  lebiglic^  Übertragung  ftatt,  unb  gmar  nur  bei 
Serüt)rung,  b.  t).  burd)  Drud  ober  (StoB-  Damit  ift  ha^  Sljiom 
gegeben;  afle  S^aturoorgänge  finb  o^ne  5lu§nat)me  burd;  Drud  unb 
@tofi  gu  crüären,  oud)  bie  SebenSprojeffe  im  organifdjeu  Slörper;  bie 
^^i)fioIogie  ift  9J?ed)anif  ber  SebenSoorgäuge.  Die  jugefjörige 
negatioe  formet  ift:    bie  ©eele  ift  fein   naturttjiffenfc^afttidjeS 


60  I-  33u(^:  metap\)t)\it.    1.  tapitel:  2)a§  ontoIogifcf)e  Problem. 

©rüärungSpringip;  ber  ^f)i)f{fer  qI§  folc^er  »eife  nichts  öon  if)rem 
2)afein,  er  fäüt  üon  feiner  SSiffenfrfiaft  ob,  inenu  er,  wie  e§  bie  @d)ul=» 
pf)i(oiopf)ie  tt)at,  (£rnäf)rung,  SSadjStum,  SSewegung  be§  2eibe§  üon 
if)r  f)erleitet. 

2)ie  ^et)rfeite  ber  mecfjaniftifc^en  ^f)iifi!  unb  ^f)t)[iDlogie  ift  eine 
rein  fpirituaU[tif(f)e  ^jt)(i)oIogie:  fönnen  35orgänge  be§  Ieibli(f)en 
2eben§  nic^t  au§  ber  2£)ätig!eit  ber  Seele  erÜärt  werben,  \o  ift  bie 
©rüärung  be§  ®en!en§  au§  pt)t)fifd)en  3Sorgängen  natürlich  ebenfo  un= 
möglich;  Bewegung  bewirft  Bewegung,  aber  fie  fann  niemals  einen 
33ewufetieingt)organg  gur  äöirhmg  f)aben;  jie  müBte  fonft  in  i^m  oer= 
fc^winben,  bog  Reifet  auft)ören,  pi)t)\i\d)  ha  ju  fein.  2)q§  ift  gegen  ha^ 
erfte  5(fiom  ber  ^f)t)fi!.  3)a  ober  onbererfeits  bie  2Sir!nd)feit  be§ 
2)enfen5  nicfjt  bezweifelt  werben  !ann,  oieImet)r  boS  gewiffefte  ift,  ha^ 
e§  übertjQupt  giebt,  fo  ift  e§  notwenbig,  Ijierfiir  ein  eigene^,  öom  Körper 
ööüig  oerfdjiebeneg  ^ringip  ansunefjmen,  ba§  ift  ber  ©eift  (mens).  @o 
beginnt  bie  moberne  ^f)i(ofopf)ie,  QU§get)enb  öon  ber  mec^oniftifc^en 
^f)i)fif,  mit  ber  fc^roffften  gormutierung  be§  S)uali§mu§,  worin  it)r 
benn  übrigens,  freilief)  üon  gang  onberen  SSoranSfefeungen  QU§gef)enb, 
auc^  bie  fc^olaftifdje  ^f)i(ofopf)ie  mit  ber  Set)re  Don  rein  fpirituellen 
@ubftan§en  üorangegangen  war. 

5tber  ber  3)uali§mu§  ift  nict)t  ha^^  (e|te  SBort  ber  mobernen 
^t)iIofopf)ie.  Sa,  ber  auf  bie  ©pi|e  getriebene  ©uaüSmus  frf)Iägt 
g(eict)fam  oon  felbft  in  3J?oni§ntu§  um.  SJJan  fann  ben  ^unft  genau 
bezeichnen,  oon  wo  ber  ®ruc!,  ber  gum  9JioniSmu§  füt)rt,  au§get)t; 
e§  ift  bie  grage  nac^  bem  2?erpltni§  biefer  beiben  Slrten  be§  SSirflic^en 
p  einanber.  (g§  bleibt  eine  Xfjatfadie,  ha^  ^wifc^en  SSorgängen  im 
Körper  unb  in  ber  Seele  regelmäßige  33e3ief)ungen  ftattfinben;  ben 
witlfürlicf)en  Bewegungen  entfprec^en  @efü^{§=  unb  SSiüenSerregungen, 
ben  Erregungen  ber  (SinneSwerfjeuge  entfpred^en  (Smpfinbungen  unb 
2öaf)rnet)mungen.  SBie  ift  ha§>  33ert)ältni§  gu  fonftruieren,  wenn  e§, 
nacf)  ben  ^rinjipien  ber  neuen  mec^aniftifc^en  ^i)\)\it  nid)t  met)r  al§ 
SBec^felwirfung  gebockt  werben  fann?  ^ierouf  giebt  ©ptnoja  bie 
3(ntwort:  bann  muß  man  e§  at§  Sbentität  beftimmen.  ^ijrper  unb 
(Seele  finb  nicf)t  abfolut  öerfcfjieben,  fie  finb  t)ietmef)r  eben  baSfetbe 
2)ing  oon  jWei  Seiten  gefefjen;  ein  93ewegung§öorgang  unb  ein 
S3ewuBtfein§üorgang  finb  im  ©runbe  berfelbe  33orgong,  boS  eine  Wal 


1.  Qüx  gej^ic^ttid)en  Orientierung.  61 

tion  aufeen,  boS  anbere  StRat  öon  innen  geje^en.  Unb  bie§  93er^ältniö 
gef)t  bur^  bie  gange  2öir!tidjfeit  f)inburcf).  Sie  3öir!lid)!eit,  bie  ein 
eingigeö  einf)eit(ic^c§  2Befen,  eine  Subftang  bilbet,  nennen  tt)ir  jie  dlatiix 
ober  ©Ott,  entfaltet  if)ren  2öejen§in!^aU  unter  ^XDti  öJeftoIten,  in  ber 
©eftatt  einer  ÄörperttJelt  (sub  attributo  extensionis),  unb  ber  @e[tatt 
einer  Sen)U&tfein»n5eIt  (sub  attributo  cogitationis).  Sßon  f)ierau§ 
n)irb  nun  jene  2{)atjarf)e  ber  regelmäßigen  ^ßegie^ung  ol^ne  2Bed)feI= 
wirfung  begreiflief;;  gttjijdjen  ber  pl)i)fif(^en  unb  |3fi)(^if(^en  äöelt  finbet 
ein  ^aratlelismuS  [tatt,  in  ber  5Irt,  ha^  jeber  ßi'ftß^^'^  ober  95organg 
(modus)  in  beiben  uorfommt:  irag  in  ber  Äörpernjelt  al§  ^Bewegung 
(modus  extensionis)  üorlommt,  ba§>  erfc^eint  anbererfeit§  in  ber  93e= 
Wußtjein^njelt  al§>  (Smpfinbung  ober  ^orftellung  (idea,  modus  cogi- 
tationis). Sßon  SSedjfetoirfung  ift  babei  natürlid^  nid)t  bie  9iebe: 
neben  einanber,  nid)t  burd;  einanber  finb  bie  beiben  Strien  oon  $ßor- 
gangen.  Sebe  ber  beiben  SQSelten,  bie  pf)l)fifd)e  unb  bie  pfi)d)ifd)e, 
bilbet  einen  in  fid)  ge]d)loffenen  ^aufaläufanimenljang.  Unb  ^ujar  ift 
ber  ^aralleli§mn§  ein  unio  er  feiler:  e§  giebt  fdjlec^terbingS  feinen  33e- 
lüuBtfeinäoorgang,  bem  nidjt  ein  SettjegungSoorgang  entfprädje,  ober 
aud)  umgefel)rt:  e§  giebt  fdjledjterbingg  feinen  Senjegung^öorgang  in 
ber  i)tatur,  bem  nid;t  ein  33ett)uBtfein§oorgang  entfprädje.  SlUe  S)inge, 
fo  brüdt  Spinoza  biefe  ^onfequeng  einmal  au§,  finb  befeelt,  omnia 
quamvis  diversis  gradibus  animata.  3)ie  §ugef)örige  Umfe^rung 
lautet:  alle  ©eelen  finb  inforporiert. 

®ic  9)ietopl)l)fif,  bie  ©pinoga  in  ben  wenigen  furzen  ©ä^en  ber 
St^if  umriffen  ^at,  fann  bem,  ber  bie  ©ntmidelung  be§  mobernen 
Xcnkn^  im  ©angen  überfd^out,  al§  bie  üorireggenommene  Söfung  ber 
Slufgobe  erfdjcinen.  9}Zel)r  unb  mel^r  grauitieren  bie  ©ebanfen  gegen 
biefe  Slnfc^auung^ineife,  am  fic^tbarften  in  ber  ^^^ilofopl)ie,  neuerbing§ 
nät)ern  fic^  if)r  aber  auc^  bie  ^l)i)fiologen  unb  Biologen,  freilid)  nic^t 
feiten,  of)nc  bie  Äonfeguengen  beutlidj  gu  feljen. 

(S§  njirb  bie§  in  ber  S^olge  ttjeiter  anägufü^ren  fein,  ^pier 
möchte  id^  nur  auf  eineS  nod^  aufmerffom  madjen:  e§-  fonn  ein  foldjer 
paralleliftifdjer  äRonii^mug  nadj  gmei  (Seiten  umgebogen  werben,  nad§ 
ber  (Seite  be»  9Jtateriali»mu§  unb  nod^  ber  be§  Sbeali§mu§.  2)en 
9faturforfd;ern,  bereu  Stufmerffamfeit  ber  Äörpermelt  jugemenbet  ift, 
liegt  bie  erfte  Umbicgung  nal^e.    Man  fann  .^obbeg  aU  i^ren  pl^ilo= 


62  I-  33uci^:  9Ketapl}t)nf.     1.  Kapitel:  ®a§  ontotogij(f)e  Problem. 

jop'^ildjen  ^ü!f)rer  anje^en.  S3ei  ben  ^^itojopfien  i[t  bie  Umbiegung 
im  Sinne  be§  SbeaU§nui§  gemö^ntid).  Seibnij  get)t  biefen  Sßeg: 
genjiB  finb  2lu§bef)nung  unb  Senju^tfein  bie  beiben  großen  formen 
be§  2)ajein§;  ober  nid^t  in  gleicher  SBeife  finb  fie  5üi§brudE  be§  2Befen§ 
ber  SSidIirf)feit,  bie  gei[tige  äöelt  ift  ber  eigentlii^en  D^atnr  be§  2Sir!= 
liefen  nä^er.  S)ie  legten  Elemente  ber  SSirfüc^feit,  bie  SUJonoben,  finb 
an  unb  für  fid)  SBefen  üon  fee(ifd)er  Df^otur;  93egef)ren  unb  (ämpfinbung 
finb  i^re  urfprüngüdjen  Seftimmungen,  2(u»bel)nung  ift  eine  fefunbäre 
unb  gufäüige  S3eftimmung,  eine  @rfdjeinung§',  aber  nidjt  eigentlidj  eine 
@ein§n)eife  beg  SSirflidjen. 

5(uf  biefelbe  Umbiegung  tuirb  g(eid)äeitig  S3er!elel)  burd)  bie 
erfenntni§tI)eoretif^e  ^Betrachtung  geführt:  ba^  SSefen  be§  Körpers 
läfet  fid^  in  SSot)rneI)mung§in()aIte  auflöfen.  2)iefe  ^etrad)tung  bringt, 
mit  bem  gunefimenben  ©ettjic^t  ber  @rfenntnigtf)eorie,  immer  met)r 
burc|;  fie  liegt  ber  beutfdjen  ^§i(ofopf)ie,  feitbem  i^x  ^ant  bie 
fritifdje  9f?ef(ej:ion  auf  bie  9iatur  ber  @r!enntni§  aufgegttjungen,  burd^^ 
n)eg  ju  ©runbe:  bie  ^^örperlüelt  ift  (grfdjeinungsform  besfelben  SSirf- 
lic^en,  ha^  in  ber  geiftigen  SSelt  fein  eigentlidieS  SSefen  offenbort, 
^ierin  fommen  einanber  fo  frembe,  ja  feinbfelige  S)en!er,  mie  .^egel, 
©d)üpenl)auer,  Senefe  äufammen.  (Sinen  paratleliftifdjen  9}?oni§= 
mu§  mit  ibealiftifdjem  SSor^eidjen,  fo  etttja  fönnte  man  bie  in  ber 
^f)i(ofop()ie  feitbem  t)errfdjenbe  9}Zetapt)i)fif  bejeidinen.  2)aneben  giebt 
e§  freiüdj,  befonber§  in  ben  Greifen  ber  ^'Jaturforfdjung,  aud)  ben 
93?oni§mug  mit  materiatiftifdjem  SSorgeic^en.  Unb  ber  reine  (Srfenntni§== 
tljeoretüer  bleibt  am  liebften  auf  bem  @taubpun!te  ftef)en,  über  ben 
auc^  Siant  nidjt  f)inau§  ttjiU:  ^örpermett  unb  SerouBtfeingttjelt  üer= 
fd)iebene  erfdjeinungäformen  be§  an  fid)  2Bir!(ic^en,  ha§:  toir  nidjt  er= 
fennen,  aber  atg  ein^eitüc^eä  unb  glcid)artige§  tiorau^fe^en  fönnen. 
®o§  tt)äre  ber  (gtanbpunft  be§  agnoftijiftifdjen  9JJoni§mu§,  auf  ben 
fic!^  aud)  .^erbert  (Spencer  ftetlt. 

9^ac^  biefer  tjiftorifc^en  Orientierung  treten  mir  in  bie  foc^tic^e 
Erörterung  be§  ^roblemS  ein.  Sd)  n^ill  babei  oon  einer  Sarfteüung 
unb  ^ritif  ber  materialiftifc^en  Sluffaffung,  bie  fic^  felber  gern  al§  bie 
eigentüct)  miffenfdjaftlic^e,  aU  ha§>  ©rgebnil  ber  mobernen  9iaturmiffen= 
fdjaft  barfteüt,  augget)en. 


2.  S)er  S!RoteriaH§mu§  unb  feine  93egrünbung.  63 

2.  3)cr  9}ZoteriaItgmu§  unb  feine  'ii^egrünbung.*) 

9JJit  bem  Spornen  be§  9!}ZQteriati§mu§  lüirb  f)ier  ai\o  biejenige 
ontotogifdjc  X^eorie  be^eid^net,  bie  auf  bte  ^roge  narf)  ber  '^atnx  be§ 
SSirftid^en  anttrortet:  ha^»  (geienbe  qI§  jolc^e^  i[t  Körper,  feine  336- 
[timmungen  finb  S{u§bef)nung  unb  Unburrf)bringüc^feit;  feine  erfte  unb 
eigentlidje  S3et!§ätigung§form  ift  Settjegung.  2(u§  biefen  ^rinjipien 
fönnen  unb  muffen  alle  S8orgänge  in  ber  ^öirflic^feit  erflärt  tt)erben, 
im  befonberen  aud^  bie  fogenannten  SemuBtfeinSüorgonge. 

®er  le^te  ^unft,  bie  ßurüdfü^rung  ber  pfQdf)ifd^en  35orgänge  auf 
p'f)t)fif^e,  ift  bie  eigentlicf)e  ST^efe  be§  SJjQterialiSmuS.  @ie  mirb  öon 
if)m  etmo  in  folgenber  SBeife  begrünbet. 

(So  ift  eine  burd^  bie  @rfa{)rung  gegebene  Xfiatfad^e,  bafe  pft)df)ifd^e 
SSorgiinge  nur  in  engfter  i^erbinbung  mit  geft)iffen  pt)l)fifc^en  SSorgängen 
überf)aupt  üorfommen.  «So  öiel  lüir  ujiffen  fi3nnen,  finb  nur  organifd)e 
ober  nielmetir  nur  tierifdje  Körper  Sräger  ber  ^^elüuBtfeinSöorgänge,  im 
befonberen  erfdfjeinen  biefe  an  bie  2;l)ätigfeit  be§  9leröenft)ftem§  gefnüpft. 
hieraus  folgt,  ha"^  bie  SBiffenfc^aft  in  ber  33efonberf)eit  biefer  Ä'örper 
bie  Urfadje  jener  S3orgänge  fud)en  mu^:  feeüfd^e  SSorgönge  finb  a[§> 
eine  g^unftion  be§  9?eröenfl)ftem§  auf^ufaffen. 

2)er  gett)ö^nnd;e  9[Renfd)enöerftanb  30g  au§  berfelben  ^!^atfad)e 
eine  anbere  g^otgerung;  er  folgerte,  mie  im  üorigen  Kapitel  au§gefüt)rt 
ift:  alfo  ift  in  ben  Stieren  ein  befonbereS  (Stlra§,  eine  ^raft  ober  ein 
Söefen,  ha§:  biefe  Jßorgönge  bewirft.  —  ®a§  ift  bie  ?Xu§!unft,  fo  fagt 
ber  materiaüftifc^e  ^t)iIofop^,  auf  bie  ha§>  üorlüiffenfc^aftIid)e  5)en!en 
überaß  fällt;  mo  if)m  eine  ©ruppe  öon  eigentümli^en  (Srfc^einungen 
entgegentritt,  ha  nimmt  e§  ju  if)rer  ©rüörung  eine  befonbere  Straft 
ober  ein  SSefen  an.  @o  füf)rt  ha^  primitine  ®en!en  bie  (grfd)einungen 
be§  ©emitterS  auf  einen  ^Donnergott,  ber  im  ^imrnel  feinen  @i^  t)at, 


*)  ©ine  gef(f)icf)tlid)e  Xarftellung  ber  moteriatiftifd)en  ^^iloi'op^ie  giebt  ta^i 
öortreffIid)e  333erf  öon  g.  ST.  Sänge,  (55efd)id)te  be§  9KatenaUgmu§  unb  tritif 
jeiner  93ebeiitung  in  ber  ©egeniüort,  2  33be.,  5.  3tuf(.  1896.  ®er  Sefer  finbet  ^ier 
umfid)tig|'te  gefc^id)tlicf)e  StufEIärung  über  SGBefen  unb  futturf)iftoriid)e  (£nttt)i(felung^=» 
bebingungen  be§  Watenali§mu§.  ©eine  93eäief)ungen  ju  ben  9Jaturtt)ifjenf(f)aften, 
äu  2:f)eoIogie  unb  ^ird)e,  foniie  5ur  ®efellfd)aft  unb  if)ren  Scftrebungen  werben 
aüfeitig  bargelegt,  ©ine  58iograpI)ie  be§  tren'Iidjen  9[fZanneg  i[t  türjlii^  oon 
D.  2t.  (Söiffen  (1891)  üeröffentlid)!  roorben. 


64  I-  5Buc^:  SKetap^^fü.    1.  Sapitel:  S)a§  ontologif^e  «ßrobtem. 

bie  (grfc^einungen  ber  ^ran!t)eit  auf  einen  Äran!l)eit§[toff  gurüd.  St)m 
folgenb,  erüärte  eine  lange  l^errfd^enbe  Dlatiirptiilofop^ie  ha§>  Steigen 
be§  SSaffers  in  ber  ^runnenrö^re  au§  einem  horror  vacui,  bie  35or= 
gonge  bes  organifd^en  2eben§  au§  einer  Bejonberen  2ebens!raft.  Unb 
nadj  bemfelben  @d)ema  werben  nun  auc^  bie  SenjuBtieinSöorgänge  oI§ 
StuBerungen  eine§  befonberen  ^rinjipS,  ber  Seele,  erflärt.  9latürüd^ 
i[t  bamit  auc^  t)ier  nirfjt§  getüonnen;  ©eele  ift  nicf)t§  al§  eine  vis  occulta, 
eine  ad  hoc  angenommene,  im  übrigen  unbe!annte  ^raft  ober  Sßefen^eit, 
ebenjo  n)ie  ber  horror  vacui.  S)ag  teufen  ou§  einer  ©eele  erfiären, 
ift  gauä  basfelbe,  mie  mit  ben  gelef)rten  S)oftDren  ber  Schule  beim 
9J?oIiere  bie  Stfjatfarfie,  ha'^  Opium  einfd^täfert,  barau§  erflären,  ta^ 
eine  @d^(af  mad)enbe  Äraft  borin  fi|t. 

5Die  tt}ifienfd)oftIicf)e  g^orfdjung,  fo  fö^rt  ber  9)JoteriaIi§mu§  fort, 
unterjdjeibet  fid)  öon  ber  üormiffeufd^oftüc^en  2)en!meife  baburdj,  ha^ 
fie  bie  (grfdjeinungen  nic^t  au§  SSefen  unb  Gräften,  fonbern  au§  anberen 
oorongefjenben  unb  g(eid)5eitigen  ©rfdieinungen  er!(ört.  (Srflören  ^ei^t 
in  ber  Sloturmiffenfdjoft:  bo§  @eje^  angeben,  nod^  bem  biefe  (£r= 
fc^einung  mit  anberen  (£rjd)einungen  uertnüpft  ift,  fo  boB  if)r  (Sin= 
treten  au§  bem  Eintreten  ber  onberen  üor^ergefef)en  merben  fonn.  ®o 
erflört  bie  tt)iffenfd)aftlic^e  9J?eteoro(ogie  ba§  ©emitter,  inbem  fie  biefe 
©rjdjeinung  einer  größeren  ©ruppe  gleid)artiger  (Srfd)einungen  einfügt, 
b.  f).  ben  93ü^  als  eleftrifc^en  gunfen  erfennt,  unb  nun  bie  Se- 
bingungen  feiner  @ntftet)ung,  b.  f).  bie  55orgänge,  meiere  ber  eleftrifd^en 
Spannung  unb  ©ntlobung  in  ber  9(tmo§pf)äre  oorangef)en  unb  fie  be= 
gleiten,  auffucbt. 

S)iefetbe  Stufgabe  ^ot  bie  SBiffenfd)aft  mit  93e5ug  auf  bie  $8emu&t= 
fein^oorgünge:  fie  t)ot  bie  regelmäßig  ooronge^enben  unb  begleitenben 
@rfd)einungen  §u  fudjen,  um  fo  ben  noturgefe^möBigen  3ufammen^ang 
biefer  ©rfdjeinungen  gu  beftimmen.  2)ie  begleitenben  unb  üorongetjenben 
(Srfdjeinungen  finb  nun  eben,  mie  bie  (Srfof)rung  §eigt,  p^t)fio(ogifd), 
^ßorgönge  im  ©e^irn  unb  Sierüenfiiftem.  2)emnod^  ift  bie  5lufgobe  ber 
SBiffenfc^oft,  an  ©teile  ber  ^^feubomiffenfdjoft  „^ftjc^otogie"  mit  if)ren 
öormiffenfd)ofttid)en  ^rin^ipien  „Seele"  unb  „Seeleu!räften",  and) 
f)ier  bie  naturmiffenfc^afttid^e  ©rflärung  burd)§ufü^ren:  miffenfdjaftüd^e 
^fgd)oIogie  ift  ^t)t)fioIogie. 

SDos   märe  ha^  formelle  ^rin§ip.    2Ba§  nun  bie  Sad)e  anlangt. 


2.  %n  3RateciaIi3mu§  unb  feine  93egrünbung.  65 

fo  fanii  man  lüeiter  ge{)en  unb  fagen:  bic  fogenannten  93eiüuBtfein§= 
borgänge,  bie  firf)  äuuädjft  oIs  fo  eigenartige  unb  uni}ergleid)ücl^e  an-- 
fünbigen,  finb  in  3Bir!Iirf)feit  !eine§n)eg§  etnjaS  fo  Sefonbereg;  öielmetjr 
!ann  bie  3Silfenfd)aft  in  i(}nen  nur  gemiffe  eigentümlid)  mobifiäierte 
5öett)egung§öorgänge  erblicfen;  bie  pft)cf)ijd)en  Vorgänge  finb  an  fid), 
objeftio  ktrad)tet,  nicf)t»  onbere§  aU  pt)t)fioIogijd;e  9]orgänge. 

®a§  fann  in  folgenber  Söeife  [treng  beriefen  merben.  5Do§ 
oberfte  ^ringip  ber  ganzen  neueren  9?ahmri[fenjd)aft  i[t  ba§>  ^rinjip 
ber  ©r^altung  ber  (Energie:  bie  Summe  ber  iDirfHcTjen  S3ert)egung  unb 
ber  53emegungsfraft  ift  fonftant.  (S§  finbet  [tatt  Übertragung  unb  Um- 
formung üon  Bewegung,  DJJaffenbeiuegung  mirb  in  2}JoIe!uIarbemegung, 
lebenbige  Äraft  in  ©pannfraft  umgefe^t,  aber  fie  ift  barin  o^ne  ^ti' 
luft  erhalten  unb  lä^t  fid)  barauS  mieber  fjerftellen.  9hm  liegen 
fülgenbe  beiben  g-ätle  oor:  e^  tritt  üon  au^en  Semeguug  in  ba§>  9JerDen= 
fnftem  ein;  Suftfdjmingungen,  bie  öou  einer  angefd)Iagenen  ©lode  au§= 
get)en,  treffen  ben  @e^br§nerüen  unb  erregen  I)ier  einen  p^t)fioIogif(^en 
^rojeB,  ber  nac^tüei^Iid)  burdj  bie  9ieröenfafern  big  gum  (£entral= 
organ  fortgepflanzt  njirb.  3Sir  finb  bi§f)er  nic^t  imftanbe,  it)n  ^ier 
bi§  in  feine  testen  SBanblungen  gu  nerfotgen,  smeifeüoS  öerfd)minbet 
er  nid)t  übert)aupt.  ®Ieid)seitig,  fo  miffen  mir  auf  anberem  Söege,  tritt 
eine  (Smpfiubung  ein,  e§  mirb  ein  2:on  gehört.  3Bir  fc^IieBen:  bie 
(Smpfinbung  ift  nid)ti§  anbere^,  al§  ber  im  (Sentrolorgan  burd^  ben 
peript)erifd)en  9^ei§  au^gelöfte  uerööfe  35organg. 

©benfo  liegt  ber  umgefe^rte  '»^ro^efe  oor.  S<^  ftrede  bie  ^anb 
au§  unb  ergreife  einen  ©egenftanb;  bie  ^^^l^fiologie  erftärt  ben  95or= 
gang:  eine  SßerÜir^ung  ber  3)hiefelfafern  ift  bie  nöd)fte  Urfad^e  ber 
®rel)ung  ber  ©lieber  in  ben  ©elenfen;  fie  felbft  tritt  mieber  al§ 
SSirfung  eine§  burd)  bie  gaferu  ber  motorifd^en  DIeroen  zugeleiteten 
SmpuIfeS  ein,  ben  mir  bi§  in  boi  ßentralorgan  gurüdoerfolgen  fönnen. 
^ier  ent§iet)t  er  fic^  einftroeiten  genauer  pt)t)fioIogif(^er  5tb(eitung.  3^a= 
gegen  tritt  and)  ^ier  mieber  jene  ©rfd^einung  auf,  ha'^  gleidfi^eitig  auf 
anberem  Söege  i)a§:  ©tattfiuben  eine§  pft)d)ifdjen  $8organg§,  einer  üon 
©efü^len  unb  ^orftellungen  begleiteten  SSißengerregung  beobad^tet 
tuirb.  2Bir  fdjiiefseu:  ber  pft)d^ifd)e  S8organg  ift  an  fidj  ein  pl)i)fif(^er 
5öorgang,  uämlidj  eben  berfelbe,  ber  al§  Urfad^e  ber  ^nueröation  ber 
motorifc^en   Dleroenfafern   uorauSgefe^t   merben   mu^.     2)enn    barauf 

>l>aulfcn,  (iinlcitinig.    6.  Süifl.  5 


66  I-  33uc^:  aJJetop^^fif.   1.  ^apM:  ®a§  ontologifc^e  5JSrobIem. 

mufe  bte  nQturtDiffenid)aft(id^e  Betrachtung  burc^au§  Befielen,  boft  eine 
|}f)Qftf(f)e  SSirfimg  eine  p^QJ'ijcfie  Urfad^e  f)Q6en  muß.  SSoüte  man 
julaffen,  ha'B  eine  blo^e  Slbfid^t  qI§  jolcfje,  als  blo&er  SelüuBtfein^^ 
öorgang,  eine  Belegung  oerurfacEjen  fann,  fo  ttjäre  bamit  boS  @runb= 
prin^ip  ber  9ktumifienf(f)aft  aufgegeben,  unb  bann  n:)äre  ein  (Snbe 
nirf)t  abgujetjen.  Äann  ein  bloßer  @eban!e  ein  ©efjirnmolefül  beft)egen, 
bann  !ann  er  ebenfo  gut  93erge  üerfe^en  ober  ben  9JZonb  ou§  feiner 
S3af)n  teufen;  ha§>  eine  ift  genau  fo  oerftänblic^  ober  unüerftänblic^ 
tüie  ba^i  anbere. 

3)iefe  33ett)ei!^f üt)rung ,  bie  alfo  auf  ber  SSorongfe|ung  beruf)t, 
bafe  bie  fogenannten  Sewu^tfeingüorgänge  oI§  ©tieber  bem  p^t)fifrf)en 
Kreislauf  be§  organifd)en  £eben§  eingefügt  finb,  fann  burd)  biologifd^e 
unb  fosmologifdje  33etrad^tungen  oerftärft  unb  überrebenber  gemad)t 
werben. 

StRan  raeift  auf  bie  St^atfod^en  ber  öerglei(^enben  Stnatomie 
f)in;  fie  geigen  einen  burc^göngigen  ^aralleli§mu§  gn)ifd)en  ber  ®nt= 
tt)idelung  be§  9Zerüenft)ftem§  unb  be§  (Seelenleben^:  @ef)irn  unb  Sntettigenj 
h}ad)fen  burd)  bie  gange  auffteigenbe  9^ei^e  be§  tierifd^en  SebenS  gleic^= 
ntäfeig  mit  einanber.  5)er  äRenfd^  ftef)t,  tt}ie  burd)  ^nteüigeng,  fo  burd) 
©röfee  unb  burd^  innere  (Sutinidelung  beg  ®ef)irn§,  befonberS  be§  ®roB= 
f)irng,  an  ber  ©pi^e  be§  2;ierreid)§.  3ft  fein  Öie^irngettiid)t  and)  nid)t 
ha§>  abfolut  größte,  ba§  @ef)irn  g.  S.  be§  Elefanten  übertrifft  ba^  feine 
ettt)a  um  ba§  ©reifad^e,  fo  ift  bod^  bog  55erf)ältni§  §ur  ©efamtmaffe 
be§  ÄorperS  oiel  günftiger,  fein  ©eföid^t  betrögt  ungeföfir  ben  oiergigften 
STeil  be§  @efamtgen)id)t§,  n)äf)renb  e§  beim  ©lefanten  faum  ein  fünf= 
f)unbertftet  erreid)t.  S(üerbing§  giebt  e§,  namentlid^  unter  ben  5?iJge(n, 
gäüe,  in  benen  aud^  ha^  relatioe  ö5ef)irngett)id)t  be§  9Jienf(^en  über= 
troffen  mirb,  bod^  finb  ta§>  offenbar  Slugnafjmeföüe,  bie  burd)  bie 
obnorme  Seid)tigfeit  be§  SSogelförperS  erflörlid^  finb.  Unb  o^ne  ^^^eifel 
ift  haS:  menfdjiidje  @ef)irn  baburd)  allen  2:ierl)irnen  überlegen,  ha^ 
hü§>  @roBf)irn,  ha^^  eigentlid)e  Drgan  ber  Snteüigeng,  an  ©röfee  unb 
an  innerer  @ntn)idelung  if)nen  meit  ooranftel^t. 

SDerfelbe  ^araHeli^mus  mieberfjott  \xd)  innerf)alb  ber  9J?enfd^en- 
n^ett:  @ef)irn=  unb  Äulturentmidelung  ber  3iaffen  ftef)en  in  gleid)em 
35erf)ättni§.  Unb  auc^  innerhalb  ber  Sfiaffe,  fo  laffen  bie  (Srgebniffe 
gaf)(reid)er  ÜJJeffungen  ber  @d)äbelfapa§ität  bebeutenber  9J?änner  fdjlieBen, 


2.  2)er  SWaterialigmuS  unb  jcinc  SSegrünbung.  67 

entfprid^t  I)ol)er  geiftiger  Begabung  eine  ben  3)urrf)idinitt  übertreffen be 
®ef)irnenttDicfeIung ;  tüie  beim  anbererfeit^  93Iöbfinn  unb  3)?tfrocepf)aIie 
ober  ©etjiruüerfümmerung  ^ujammen  auftreten.  Sltfo,  fo  fdjeinen  aUe 
biefe  X^atjac^en  ju  fageu,  bie  ©eele  ift  ha§>  @el)irn.*j 

9^i(^t  minber  geigen  p^t)fiotogifd)e  unb  pat^ologifc^e  93erfu(^e 
unb  Söeobad^tungen  biefen  engften  3wfani'"'^i^^)Q"g  ^on  ©e^irn  unb 
(Seele,  ^ebe  Störung  ober  3]er(e|ung  be§  ©e^irnö  t)at  Störungen 
be§  feelifc^en  Sebenö  jur  ^olge.  9J?au  trägt  Stieren  bQ§  @ef)irn  fcf)i(^t= 
hjeife  ab  ober  jerftört  gewiffe  ^eile;  bie  golge  ift  ha^^  g(eid)5eitige 
Slugfollen  gettjiffer  pft)d)ifd)er  gunftionen.  3ufättige  35ern)unbungen 
beim  SJJenfc^en  t)aben  eben  folc^e  SBirfungeu.  3n  allen  pfi)cf)iatrifc^en 
SSerfen  finbet  man  §af)Ireicf)e  Beobachtungen  über  pft)rf)ifcf)e  Störungen, 
bie  infolge  oon  äußeren  $8erle^ungen  beö  @e^irn§  eintraten.  Sin 
^nod^enfplitter  bringt  in§  @e^irn,  al§  pfijdjifdje  SSirfung  tritt  nirfjt 
nur  eine  Störung  ber  intetleftuellen  2;f)ätig!eit,  fonbern  aud)  eine 
üoflftönbige  Sßerönberung  be§  (£f)ara!ter§  ein,  ber  Äranfe  ift  mife= 
trouifdj,  üerfdjloffen,  eigenfinnig.  SUJit  ber  (Entfernung  be»  Änod)en= 
fplitterg  oerfd^minbet  aud)  bie  pft)d)ifc^e  Beränberung.  Sbenfo  finbet 
im  ©reifenalter  regelmäßig  .^erabfegung  ber  geiftigen  Xfjätigfeit,  oft 
big  5um  oollen  ^ertuft  be§  Urteils  ftatt  (dementia  senilis);  bie  ana= 
tomifdje  Unterfud^ung  ergiebt,  baß  Schrumpfung  unb  (Sutortung  be§ 
®el)irn§  Urfacf)e  ift.  Sebe  ®eifte§fronf^eit,  ha^  ift  bie  Überzeugung 
ber  {)eutigen  naturn)iffenfd)aft(id)  gefd^ulten  ^fl)d)iatrie,  ift  @et)irn* 
fran!^eit,  ob  biefe  nun  burd)  bie  auatomifd^e  Uuterfud^ung  nad;gemiefen 
njerben  !ann  ober  nic^t.    9(Ifo  bo§  @et)irn  ift  bie  Seele. 

hierauf  füf)rt  aud)  bie  foSmoIogifd^e  Betrachtung.  @§  gab 
eine  3^^^/  fo  te^rt  bie  neuere  Ä'o^mologie,  rao  eö  fein  organifd)e§ 
Seben  auf  ber  (Srbe,  alfo  aud^  !ein  Seelenleben,  feine  fogenannten 
Beinu^tfeinloorgänge  gab.  Sn,  e§  gab  eine  ^dt,  wo  e§  aud)  feine 
(Srbe  gab.  SS3a»  mir  je^t  unfer  ^tanetenfi)ftem  nennen,  'Oü§'  f)atte  in 
ferner  Urzeit  bie  (5)eftalt  einer  ungefjeuren  @a§=  ober  Slebclmaffe. 
Snbem  biefe  SOiaffe  um  i^re  3((^fe  rotierte,  bilbete  fi^  eine  Stnfcf)meIIung 
am   Stquator;    bei  fortfc^reitenber  Schrumpfung   löfte   fic^   biefe   oom 


*)  (Sine  tnappe.  ^ujanimenftenung  ber  tuic^tigften  Säten  ou§  ber  p^^fifd)en 
2lnt:^ropoIogte  giebt  £).  ^efd)elg  trefflid)e  SSöIfertunbe  im  gmeiten  Äapitel. 

5* 


68  I-  S3ud^:  Wetapi)t)\il    1.  to^itel:  S)a§  ontoIogtjd)e  «ßroblem. 

3entratförper  al§  freifrfjroebenber  9ling,  unb  aus  bem  9iing  würbe  burc§ 
^erreifeung  ein  jeI6[tänbiger  Äörper.  tiefer  ^rojel  lüieber^olte  fic§ 
unb  fo  entftanb  haQ  ©tjftem  ber  um  bie  @onne  als  ß^^^^^^^^örper 
rotierenben  Planeten,  ©iner  biefer  Planeten  i[t  unjere  förbe.  Ur= 
fprüngüd)  ein  glutflüfüger  Sropfen  foSmijdjer  9)laterie,  füf)Ite  fie  fid^ 
Q((mäf)(icf)  fo  tt)eit  ab,  bofe  fid)  eine  fefte  Ütinbe  Bilbete  unb  ber  SSafjer» 
banipt  fid)  äu  SBaffer  üerbic^tete.  Se^t  erft  !onnte  organifd)e§  Seben 
entfielen;  in  primitiüfter  ©eftalt,  in  windigen  ^rotoplagmoflümpc^en 
trat  eö  juerft  auf;  aümäfjtidj  geluannen  biefe  ^örperd)en  innere  ©truftur, 
es  entftanben  3^üen  mit  §ülle  unb  ^ern  unb  ber  3^ä{)ig!eit,  fid)  burd) 
Teilung  gu  öermet)ren  unb  ju  einem  komplizierten  (Softem  §ufammen= 
guorbnen.  9}ht  ber  fortfdireitenben  SDifferenjierung  ber  Steile,  it)rer 
Umbitbung  gu  ungleidjartigen  Organen,  jdjritt  sugleid)  bie  äuBere 
S)ifferenäterung  fort,  bie  ©ntnjidelung  mannigfaltiger  formen  ber 
Sebemefen.  (Snb(id)  erf)ob  fid)  au§  einem  ^^^^9^  ^^^  öietgeftattigen 
Stierreid)^  ber  9J?enfc^  unb  erlangte  ein  erft  langfam,  bann  immer 
xa]d)ti  luac^fenbeg  Übergemidit  über  bie  anberen  ©lieber,  fo  bafs  it)m, 
als  er  anfing,  über  feine  §er!unft  fid)  ^u  befinnen,  eine  SSermanbt* 
fd)aft  mit  ber  nieberen  Söelt  ööüig  ungtaublid^  t>or!am,  unb  er  fic^ 
eine  üornef)mere  5lbfunft  ausfann.  5Die  Öiaturlüiffenfd^aft  f)at  biefen 
S^raum  jerftort;  fie  geigt,  bafe  er  nid)t  al§>  @ötterfol)n  in  üollenbeter 
©eftalt  in  bie  fertige  unb  feiner  töortenbe  ©d)öpfung  eingetreten  ift 
fonbern  ül§>  ein  armer  (Staubgeborener,  müf)fam  mit  (^(eidjgeborenen 
um  bie  ©yiftenj  fiimpfenb,  fid)  emporgerungen  ^at.  lln§äf)iige  föene= 
rationen,  öon  benen  feine  (^efd)id)te  berid)tet,  finb  ba()ingefun!en,  bi§ 
enblid)  im  5lampf  um§  S)afein  bie  gange  Organifation  unb  befonberS 
fein  (^et)irn  fomeit  fic^  entrtiidelte,  ha'iß  e§  gum  2;räger  eines  geiftig* 
gefd)idjtlid)en  ßebenS  tt)erben  fonnte. 

2)a§  ift  bie  $8ergangen()eit  beS  @eifte§  auf  (Srben,  be§  einzigen, 
öon  bem  mir  miffen.    Unb  bie  3iifu"ft'^ 

S)ie  fo§mifd)e  ^f)i)fif,  fo  fagt  man,  läfet  uns  nidjt  im  ^tt'ßif^^' 
ta^  ba§  Seben  unb  mit  i()m  ber  ©eift,  mie  fie  einen  Stnfang  get)obt 
()üben,  fo  auc^  ein  (Snbe  nef)men  njerben.  (S§  mirb  bie  3^it  fommen, 
mo  e§  feine  ©onne  am  ^immel  metjr  geben  mirb.  S^i'e  2ßärme- 
menge  ift  nid)t  unenblid)  groB;  ^a  fie  beftänbig  auSgiebt  oljue  ent= 
fpred)enben  @rfa^,  fo  muB  fie  fic^  erfd)öpfen.    Söngft  e^e  e§  gefd)et)en 


2.  S)er  Wtatei\al\§mn§  unb  feine  93egrünbung.  69 

fein  wirb,  i[t  bie  (Srbe  erftarrt.  SDie  Duelle  aller  Setnegung  unb  aUe§ 
Seben§  auf  it)rer  Oberflöclje  i[t  bie  (Sonnentt)ärme;  eine  öerfiältnigmäfeig 
geringe  ^Serminberung  ber  3Bärnieäuful)r  ift  ausreicf)enb,  junäd^ft  ba§ 
organifcfie  Seben  t)erfd)rt)inben  ju  machen;  gule^t  ttjirb  ber  gan^e  @rb:= 
Üjrper  regung§lofer,  eifiger  (Srftarrung  ant)eimfaüen. 

©olc^e  5(uöfüt)rungen  finb  luoljt  geeignet,  einen  übernjältigenben 
@inbrucE  öon  ber  Älein^eit  unb  ©eringfügigfeit  be§  Sebens  ju  geben. 
2öie  ein  Saib  83rot  fiel)  mit  einem  ©d^immelüberjug,  einer  SSelt  lebenber 
^f tanken,  bebedt,  fo  bebecft  firf)  bie  (ärbe  in  einem  9}Zoment  il)rer 
langen  (Sntujicfelung  mit  einer  Söelt  lebenber  Organismen,  barunter 
and),  als  eine  ©pietart  biefer  93ilbungen,  ber  Wltnid).  '^ad)  furgem 
Slufblüf)en  finft  biefe  SSelt  ftjieber  in§  9^i(^t§  ^urücf,  an§>  bem  fie  tarn; 
©ine§  allein  bleibt:  bie  emige  3J?aterie  unb  bie  ®efe|e  il)rer  Semegung. 
3iöif(^en  ber  unenblid;en  3Sergangenl)eit,  in  ber  e§  fein  Seben  gab,  unb 
ber  unenblid)en  ßu'^unft,  in  ber  e§  fein  Seben  geben  tüirb,  taud)t  ber 
5tugenbltd  ber  (SJegenlnart  unb  be§  Seben§  auf,  ein  5lugenblid,  n^enn 
mir  il^n  and;  mit  3af)rmillionen  meffen  unb  nid)t  ouSmeffen;  unb  in 
biefem  5(ugenblid  jeigt  ein  fleiner  ^eit  ber  unenblid^en  SJfaterie  jenes 
mnnbcrlid^e  ^f)önomen  be§  ^^oSpljoreSgierenS  gleid^fam,  ha^^  mir  ©elbft- 
bemujstjein  ober  geiftigeS  Seben  nennen  —  ein  furjeS  3^M"cl)^^^iP^^^'  "^^^^ 
fo  groB  unb  mic^tig  e§  nn§  oorfommen  mag,  für  haS^  groBe  Uuioerfum 
ein  fdjled^t^in  uner^eblid^eS  Skcibeuä  ift.  S)ie  9Jiaterie  unb  bie  93e= 
megung  ift  ha§i  2öirftid)e,  unb  jene  feltfame  S.^erfleibung,  in  ber  bie 
Semegung  einen  5Iugenblid  auftritt,  bebeutet  für  ha§>  Uuiöerfum  fo 
öiel  mie  nichts  —  „ha^  furje  ©piet  einer  (SintagSfliege,  fdimebenb 
über  bem  SOJeer  ber  ©migfeit  unb  Unenbtidjfeit."*) 


*)Subtt)tgS3üd)ner,  ttoft  unb  Stoff;  16.  ^lufl.  (1888)  ©.  239.  ®ieie§ 
SBer!  fann  man  immer  nod)  aU  tt)pifd^e  ^arfteüung  ber  materioIiftifrf)en  SBeIt= 
anfcf)(mung  in  unferer  $opuIarpI)iIofo:pt)ie  onfet)en,  obmof)!  ber  SBerfaffcr  felbft  bie 
SSejeicfinung  be§  iÖiateriaU§mu§  für  feinen  ©tonbpunft  ablehnt;  nid^t  mit  Unrecht, 
benn  bie  ©runbbegriffe  ftnb  fo  unbeftimmt  nnb  oielfältig,  bo^  mon  ftc  beina:^e 
unter  jebe  metapf)t}fifcl^e  Kategorie  bringen  fnnn.  ?nö  fefte  ^jJunfte  treten  aüein 
■^eröor:  e^  giebt  feinen  ®ott  imb  feine  Qvoedt  in  ber  9fatur,  unb  e§  giebt  feine 
befonbere  (seetenfnbftanj  mit  Unfterblic^feit  unb  grei^eit.  —  Wan  mag  ba§  95ud) 
in  pf)itofopf)if(i^er  ^infic^t  'geringmertig,  man  mag  feine  93e{)anblung§raeife  unb 
feinen  ©til  unerfreuli(^,  fein  Ungefd^icf  im  bcgrifflicfien  3)enfen  unerträglicf)  finben, 
fo  bleibt  bod^  bie  £f)otfo(^e,  ha'^  i§  feit  1855  in  16  3luf(agen  oon  bem  beutfc^en 


70  I-  93uc!^:  ajietap^qftf.     1.  Kapitel:  ®a§  ontologifd^e  «Problem. 

3.  Über  btc  prttfttf(^cn  ^onfequcnjcn  bc§  SJZatcrittltSmuS. 

©iner  Prüfung  be§  tt)eoretifd)en  2ßert§  ber  foebert  bargelegten 
Stnfic^t  fc^irfe  icf)  ein  paar  allgemeine  Söemerfungen  oorouf. 

ßuerft  ein  SBort  über  bie  9kigung  bes  9}?ateriali§mn§,  ha^  ©eiftige 
(lerob^ufe^en  unb  mit  einer  gemifjen  @eringfd)ä|ung  qI§  einen  uner= 
f)eblid§en  unb  unmefentficfien  9ZebenerfoIg  bes  9ZaturIauf§  angufefien. 

S)em  gegenüber  märe  p  fagen:  mie  grofe  ober  mie  ffein  bie 
'SioUt  fein  mag,  bie  ha§,  mo§  mir  geiftigeS  Seben  nennen,  im  Unit3erjum 
fpielt,  für  un§  ift  e§  auf  jeben  %a\i  ha§>  ©innige,  ma§  biefer  2Sirf= 
lic^feit  Sebeutung  unb  SSert  giebt.  ©teilen  mir  un§  eine  SSett 
öor  of)ne  jene  bem  Stnfdjein  nod)  fo  geringfügigen  23orgänge  be§ 
(Smpfinbenä  unb  S)enfen§,  be§  2öotIen§  unb  güt)ten§,  eine  SSelt,  öon 
ber  nicf}t§  ju  fagen  märe,  al§  ma§  3lftronomie  unb  ^^iifif  öon  i^r  ,^u 
fagen  miffen.  Unb  fteüen  mir  uns  nun  meiter  oor,  mir  mürben  oon 
aufeermeltlirf)en   Ü^äumen   ^er    in   biefe    SSelt   oon    lauter    feelentofen 


«publüum  gefauft  unb  getejen,  aucf)  in  13  frembe  Sprachen  überje^t  unb  l^ier 
tüieberum  in  ja'^treicEien  2{uflagen  gefauft  unb  gelefen  tnorben  ift.  @g  fonn  ^ier* 
nad)  jebenfatlS  ben  2tnfprucf)  ergeben,  ^u  ben  für  bie  jweite  §älfte  unfereg  ^af)t' 
I}unbert§  d)arafteriftiid)en  ©rfcfieinungen  gerechnet  ju  werben;  benn  eine  3eit  tüirb 
me^r  burd^  bie  93üc^er  gefenn^eic^net,  bie  fie  lieft,  aU  bie  fie  fc^reibt.  Qn  feiner 
:3ugenb  ^atte  ba§  S3ud^  feinen  eigentlichen  S8erbreitung§be§irf  in  bent  gebilbeten, 
mit  ber  Äirc^e  unb  if)rem  58e!enntni§  gerfaüenen  SRittelftanbe;  je^t  ift  e§  längft 
in  bie  niebercn  ®efenid)Qft§frf)id^ten  gebrungen,  e§  gehört  jefet  jum  ^anbtrerfiäeug 
foäialbemofratifc^er  3Banberprebiger.  i^ragt  man  fic^,  »eld^en  SSorjügen  ba§  33ucf) 
feine  grofee  SSerbreitung  unb  SBirffamteit  üerbanft,  fo  föirb  man  auf  jmci  ©türfe 
fommen:  e§  bietet  erften§  eine  Stenge  in  po}3uIärer  gorm  mitgeteilter  naturit)iffen= 
fdjaftlic^er  Senntniffe,  ätreiteng  SSerac^tung  ber  ^irdb^r  ^cr  S^eologie  unb  be§  33e« 
Ienntniffe§.  gür  jene  ift  ber  £efer,  mie  billig,  banfbar,  unb  biefe  erttiirbt  bem 
SBerfaffer  SBertrauen  unb  Si^mpattiie:  er  erfd^eint  oI§  S3orfämpfer  ber  e^rlicb^n 
Seute  in  bent  guten  Äampf  gegen  fiüge,  $8erbummung,  Unfreif)eit  unb  Unred)t. 
Sine  Ijöd^ft  natf)ben!Iid)e  Sttjatfadie  für  jebermann,  er  mag  nun  felbft  jur  ftircf)e 
unb  ^Religion  fte'^en  mie  er  tüiH.  ^n  berfelben  Slbfid^t  ift  ein  jüngere^,  nid^t  minber 
crfoIgreid)e§  3Berf  geeignet,  ba§  9Jacf)benfen  ju  erregen:  äJiaj  9?orbou,  5)ie 
fonöentioneüen  Sügen  ber  £ulturmenfcf)^eit.  (13.  Slufl.  1889.)  SIuc^  biel  93uc^ 
ift  meber  nac^  ^nfiatt  nod)  gorm  irgenbwie  fierüorragenb;  fein  ;3n:^alt  ift  nichts 
a[§  bie  ^unbertmal  reieberfiolte  SBerfic^erung,  baß  unfer  ganjeS  Seben  unb  ©enfen 
Süge  ift.  9Iber  gerobe  biefer  Umftanb  föirb  e^  einmal  einer  ^offentlid^  glüdtid^eren 
3ufunft  fo  rätfel!^oft  mad)en:  mofi^tv  benn  feine  Stnjie^ung^fraft?  2)rücfte  e§ 
mirftid^  ba§  Selbfibetnufetfein  biefer  3cit  au^'^ 


3.  S)ie  profttjc^en  Äonfequenjen  be§  WlatmaliSmnä.  71 

Körpern  I)ineinc}efüf)rt,  unb  mm  gefeilte  \id)  ju  iin§  ein  mat^ematijrf)er 
^^t)fifer  unb  finge  an  un§  bicfe  2öelt  ju  bemonftrieren;  bie  2BeIt= 
förper  mit  if)ren  Straffen  unb  g^ormen  unb  iöenjegungen,  bie  geo= 
Iogif(f)en  unb  meteorologifcfjcn  5ßorgänge,  bie  auf  jebem  fid^  abfpielten, 
bie  aHmäf)(id^e  ©eftaltung  ber  Cberfläd)e  burrf)  unterirbijd^e  unb  ober- 
irbifd)e  Gräfte:  fo  tt)ürben  luir  mo^I  eine  gute  SBeile  mit  Sntereffe 
atlebem  jutjören  unb  ^ujefien.  SSenn  aber  jener  fo§mifc^e  ^t)t)fifer 
nur  immer  fortfüfjre,  neue  @onnenji)fteme  üorgunel^men  unb  auf  bie= 
jelbe  Slrt  un§  §u  bemonftrieren,  bann  n)ürbe  fid^  einige  Ungebulb 
unferer  bemöd^tigen  unb  tüir  UJÜrben  fragen:  ober  ttjo^u  ift  benn  bie§ 
alle§?  tt)a§  bebeutet  biefe§  ©piet  gebollter  SÜiaffen?  Unb  »enn  unfer 
gü^rer  uu»  bann  fragenb  anfä'£)e:  „SBo^^u?  ic^  oerfte^e  bie  O^rage 
ni^t;  ha§>  ift  bie  äöir!Iicf)!eit  felbft  unb  meiter  ift  überall  nid^tS  oon 
il^r  §u  bericfjten";  fo  mürben  mir  un§  üermirrt  unb  enttöufdjt  ab» 
menben  unb  fagen:  menn  baS^  mirflidE)  olleS  ift,  ma§  öon  ber  2Bir!Iid)= 
feit  3U  fagen  ift,  menn  fein  ©inn  in  bem  @an§en  ift,  au^er  ber 
matf)ematifc^en  ©efe^mä^igfeit,  nun,  fo  f)aben  mir  genug  üon  ifjr  ge= 
fef)en;  mir  meinten,  je^t  foHe  bie  (Sotfje  erft  fommen.  Unb  menn 
unter  un§  ein  materiatiftifdjer  ^f)iIofo|)f)  märe,  fo  mürbe  and)  er  fic^ 
nicf)t  anber§  öerf)alten.  2tu(^  fein  Sutereffe  an  ber  SSelt  f)ängt 
fdf)üeBlid^  boran,  bo^  in  if)r  jene  @e^irnpf)änomene  mit  if)rem  fubjeftioen 
9ftef(ej  \\d)  finben  unb  ^u  bem  erftaunlidf)en  33organg  jufammen^ 
fc^tieBen,  ben  mir  geiftige§  unb  gefc^id^tlirf)e§  2eben  nennen.  In  praxi 
natürlid;  burd^auS,  aud^  er  betradf)tet  praftifd^  alle  SDinge  al§  SSerf- 
jeuge  unb  2)arfteIIung§mitteI  be§  ©eifte^;  and)  if)m  ift  ber  Seib  Organ 
unb  @t)mboI  ber  @eele;  and)  if)m  liegen  alle  ^w^dc  im  geiftig= 
gejd)idjtlid)en  Seben.  3Iber  and)  rein  tf)eoretifd)  ift  if)m  ber  ©eift  ber 
SJJittelpunft  ber  S)inge;  er  mag  bemonftrieren,  ha'^  ba§  Stuftaudjen 
be§  ©eifteg  ein  öerfd^minbenbe§  DJioment  in  ber  foSmifc^en  @nt= 
midelung  ift;  fef)(te  biefe§  SJioment,  fo  mären  aud^  i^m  bie  SBeltförper 
nid)t  mid^tiger,  al§  bie  @anbförner,  mit  benen  am  ©traube  be§  9}Jeere§ 
SBinb  unb  Sßeüen  i^r  ©piel  treiben. 

2öie  fe^r  ber  ®eift  bem  @eift  ba§  Sutereffante  on  ber  SBelt 
ift,  ha^  tritt  in  ber  S3erteilung  ber  miffenfd)aftlid)en  Strbeit  an  bie 
beiben  Seiten  ber  3[öirftidf)feit,  bie  Diatur  unb  bie  ®ejd)id^te,  greifbar 
^n  Slage.    3öenn  man  au^  unfern  großen  Sibüot^efen  aüe§  au§fonberte, 


72  I.  95uc^:  3Jlttap^\it    1.  Äopitel:  S>a§  ontologifc^e  «ßroblem. 

tüaö  firf)  auf  ba§  gei[tig=gefd)i(i)tltd^e  fiebert  be§  9)?enfc^en  beriet)!,  alle§, 
tüQg  gur  @efd)ic^te  unb  ^^ilologie,  gur  ^olitif  unb  SUioral,  jur  3;^eo= 
logte  unb  ^t)i(ofop^ie,  gur  @efellj(^aft§=  unb  9^ed)t§tt)iffenjtf)Qft,  §ur 
SD'Jebiäin  unb  Xec^nif  ge'^ört,  e§  lüürbe  ein  fe{)r  bejd^eibener  Sfleft 
bleiben.  Dber  man  ftreic^e  an§>  unfern  großen  üielbänbigen  @nct)= 
f(opäbien  unb  ÄonoerfationMei-ici§  biefetben  5(rti!el  unb  beE)aIte  nur, 
tt)a§  fid)  auf  3(ftrouomie  unb  ^f)t)fif,  (If)emie  unb  S[RineraIogie  berief)!: 
ber  SfJeft  tüirb  in  ein  bünneS  Sänbd^en  gef)en.  Unb  fcfiwerlid)  tüirb 
f)ierin  jemals  eine  Slnberung  eintreten.  S)em  9[Renf(^engeift  »irb 
immer  ber  SD?enfrf)eugeift  ha§>  unmittelbar  93ebeutenbe  an  ber  2SirfIic^= 
feit  bleiben. 

©ine  gmeite  93emerfung  mibme  icf)  ber  O^rage  na^  ben  ^^olgen 
be§  9JiaterioIi§mu§  für  ÜJioral  unb  2eben§fü{)rung.  @»  ift  eine 
meit  üerbreitete  Stnficfit,  ba^  ber  3J?ateria(i§mu»  moraüfc^  geföf)rlicf)e 
folgen  ^ahz.  SDIit  ber  Ü^eügion  ^erftöre  er  aud)  bie  ©itttidjfeit  unb 
ben  ©tauben  an  Sbeale.  ©eine  praftifd^e  llonfequen^  fei:  bie  ^ugenb 
ift  ein  leerer  2[öoI)n,  ba§  ©en^iffen  eine  ©rille,  unb  ha§i  ©ittengefe^ 
eine  ©rfinbung  ber  Pfaffen;  bie  mot)re  Seben^meis^eit  ift:  ha§'  Seben 
genießen,  unb  an  firf)  bringen,  ma§  man  friegeu  fann. 

Sc^  glaube  nirf)t,  bafe  man  biefer  Hnfid^t  beitreten  fann,  tnenigftenS 
nid)t  in  biefer  gorm.  2)ie  2eben§füf)rung  eines  ^JJanneS  mirb  uicf)t 
burd)  metapf)t)fifc^e  3SorfteIIungen  über  bie  9latur  be§  2BirfIid)en, 
fonbern  ttjefentlid)  burd^  9laturtriebe  unb  S^orafter,  (Srjiefiuug  unb 
SebenSlage  beftimmt.  S3efte^t  bennod) .  ein  ßufommeu^ang  jiuifdjen 
bem  tf)eoretifd^en  unb  bem,  toaS  man  praftifd)en  9J^ateriaIi§mu§  nennt, 
fo  mirb  er  nid)t  baburd)  suftanbe  fommen,  ba^  bie  3J?etapf)Qfif  ba^^ 
Seben,  fonbern  baburd),  ha^  ha^  Seben  bie  9JMapf)t}fif  beftimmt.  ©in 
leeres  unb  gemeines  Seben  !^at  bie  Xenbeng,  ^unödjft  eine  ni^ififtifc^e 
ßebensanfdjauung  fieroorjubringen;  if)re  3^9^  \^^^'  uiebrige  ©c^ö^ung 
beS  SebenS  unb  feiner  Seftimmung,  33erfennung  unb  ^Serfpottung  ber 
ebleren  ©eiten  ber  9J2enfd}ennatur,  58er(uft  ber  @f)rfurd)t  öor  fittlidjer 
unb  geiftiger  ©röfee,  Unglaube  unb  §o!^n  für  alle  ibeaten  33eftrebungen. 
Unb  eine  fold)e  nitjitiftifd^e  Stuffaffung  beS  SebenS  f)at  bann  allerbingS 
eine  natürüd)e  Hinneigung  §u  einer  materialiftifc^en  3BeItanfd)auung; 
fie  mirb  fid)  gern  an  ba^  „Ergebnis  ber  äöiffenfd)aft"  anle|neu,  ha'^ 
bie  SSelt,   toie  bie  @efd)ic^te,  ein  ©piel  finnlofen  3ufaüS  fei;  blinbe 


3.  S)ie  praftifd^en  ^onfequcngen  be§  Tlatet\al\§mvi§.  73 


Gräfte  füf)rten  bie  3ttome  jufammcn,  um  fie  im  närf)[ten  5(ugcn6Iicf 
ebenfo  gteirfjgültig  lüieber  gu  jerftreuen.  Umgefe()rt  ^ot  ein  tüdjtigc» 
unb  red)tjci^affeiie§,  ein  gute§  unb  groBeS  Seben  eine  notürlirfie  !quu 
ncigung  ju  einer  ibeati[tifc^en  SOZetapfjt^fif;  e§  finbet  @rf)ebung  unb 
S^tu'^e  in  einer  2öe(tQnjrf)auung,  iüeld)e  feine  tjöd^ften  3'^^^  ""''  ^beale 
qI§  bie  Gräfte  barftcUt,  in  benen  bie  SSirfüd^feit  felbft  gcgrünbet  i[t. 
3)ie  S3ermitte(ung  get)t  audj  {)ier  burd^  ha§  gei[tig=gefd^icfjtlicf)e  Seben: 
QU§  bem  ©treben  nad)  großen  ^kkn  ermäc^ft  ber  ©laube  an  bie 
.^errfdiaft  ber  Sbeen,  an  h(i§>  SSalten  einer  3Sorfe{)ung  im  gefd)id}t(id)en 
Seben  ber  9JZenfd)f)eit,  unb  biefer  ©taube  geminnt  fid)  in  ber  3]or= 
ftellung,  ba^  bie  2öirflid)feit  überljanpt  in  Sbeen  gegrünbet,  ha\i  bie 
SSelt  ®otte§  SSerf  fei,  einen  tt)eoretifd)en  Unterbau. 

9^id)t  überall  feigen  fid)  biefe  Sienbenjeu  burd);  e§  giebt  red)t= 
fd)affene  Seute  genug,  bie  bei  einer  materialiftifd^en  9}Jetapf)t)fif  ftef)en 
bleiben,  unb  e§  giebt  umge!et)rt  Seute,  bie  tro|  einem  ibeatiftifc^= 
pt)itofop()if(^en  ober  fird)tidjen  @lauben^befenntni§,  nidjt  blofe  ber 
Sippen,  fonbern  and)  be§  SSerftanbe^,  in  ifjrem  Seben  niebrigen, 
finnIid)=egoiftifd)en  2J?otit)en  folgen.  Slber  bod)  ift  eg  fo:  bie  großen 
gormen  ber  SebenSrid^tung  t)aben  eine  9leignng,  fid)  in  ber  angebeuteten 
SBeife  mit  ben  großen  formen  ber  ^orfteöung^njett  ^u  umgeben. 
Slu§  ben  tiefften  Erfahrungen  feine§  (Eigenleben»  oerfuc^t  ein  jeber, 
fo  gut  er  öermag,  (Sinn  unb  S3ebeutung  be§  Seben§  unb  ber  2Sirf= 
lidjfeit  überf)aupt  ju  beuten. 

greilidj,  e§  finbet  bann  auc^  eine  Sfiüdroirfung  ber  SSettüorftellung 
auf  bie  SebenSanfd^aunng  ftatt.  2)er  SBiße  tt)irb  baburd)  feiner  felbft 
fidlerer,  baB  er  mit  einer  pfammenftimmenben  S^orftellungymelt  fid^ 
umgiebt.  Unb  nor  aflem  fann  eine  gro^e  unb  plö^tidje  SBanblung 
in  ber  95orfteIIung§me(t  einen  erf)eblid)en  (Sinfluf;  auf  bie  £eben§= 
geftaltung  üben,  ©in  junger  SJZann,  bem  ©djule  unb  (£Iternt)au§  bie 
S^orftellungen  ber  ßird)enlef)re  eingeprägt  ()aben,  tritt  in  eine  neue 
Umgebung.  Sn  ber  gabrü,  in  ber  ^anblung,  auf  ber  ©d^ule  ober 
Unioerfittit  fommt  er  mit  oufgeflärten  ^ameraben  in  $8erüt)rung,  er 
Kernt  bie  popu(är=n)iffenfc^aft(id)e  Sitteratur  fennen,  morin  Dhtur  unb 
(^efd)id)te  uom  ©tanbpunft  ber  ^einbfi^aft  gegen  ^Iberglauben  unb 
^faffentum  bet)anbelt  wirb.  Unb  nun  fällt  e§  if)m  wie  @d)uppen  öon 
ben  Singen:   ha§  ift  ja  aUt^i  ©d)tt)inbel,  lt)a§  man  mir  al^  Ä1nb  in§ 


74  I.  93u(^:  5öietappf.    1.  Äapitel:  ®a§  ontotogtfc^e  «ßrobtem. 

Öirn  gepflanzt  f)Qt;  bie  SBett  tft  oon  (5iüig!eit  f)er,  ber  SJJenfd)  ift 
nichts  Qnbere§,  a(§  eine  bejonber§  enttoicfelte  Tierart,  bie  (2ittengefe|e 
unb  t)a§>  ^5enfeit§  finb  eine  (Srfinbung  ber  Pfaffen,  bie  "Dummen 
§u  frfireden.  —  Sin  jolc^er  Umfturj  in  ber  3Sor[telIung§tt)eIt  rtirb 
benn  freilirf)  nicf)t  ot)ne  9^ücfn)irfung  auf  ha^  ßeben  bleiben.  Der  neue 
Slufgeflärte  lüirb  nun  weiter  p^ilojop^ieren:  ha  e§  feinen  @ott  unb 
fein  Senfeit§  giebt,  fo  fann  ic^  alfo  tf)un  unb  loffen,  n)a§  mi^  ge* 
lüftet;  erlaubt  ift,  \va^  gefällt.  <vene  Seute,  bie  fo  fef)r  bafür  finb,  ba^ 
bem  „5ßo(f"  bie  9ieIigion  eri)alten  njerbe,  t)alten  e§  für  i^re  ^erjon  jo 
and)  nic^t  anbers.  —  Unb  nun  beginnt  er,  anfangs  öielleicf)t  nic^t  of)ne 
inneres  SBiberftreben,  ju  tf)un,  n)o§  burd^  9^eIigion  unb  aJJorat  öerboten 
Xüax}  bie  Dliebertretung  ererbter  Sitte  unb  bie  S]erad)tung  be§  ©eiuiffenS 
n)irb  if)m  gum  ftol^en  3^i(i)^"  ^^^  ^^^^i^^^t  unb  Slufflärung. 

jDoB  biefer  SSorgong  mirftid)  ftattfinbet,  ift  gar  nid)t  zweifelhaft, 
er  trögt  fid)  afle  Xage  um  un§  l^er  in  toufenbföltiger  2Sieberf)oIung 
§u.  SSieüeicfjt  giebt  es  in  unferer  ^dt  feiten  ein  Seben,  bem  ein  ber= 
artiges  ^iäfonnement  gan^  fremb  bliebe.  2(ber,  unb  has^  ift  nun  weiter 
f)inäu§ufügen,  bamit  wirb  eS  nic^t  wat)r.  Die  SSerwerfung  be§  @itten= 
geje^eS  ift  nid^t  bie  logifcfie  Äonfepueng  einer  materialiftif(^en 
2Birfnrf)feitStt)eDrie,  fonbern  oietme^r  bie  ^otge  einer  faifcfien  SSor  = 
ftetlung  üon  ber  Statur  beS  ©ittengefe^eS,  ber  Q^orftetlung 
nämtid),  an  ber  unfer  llnterrid)t  nid)t  unfc^ulbig  ift,  baß  ha§:  (Sitten= 
gefe|  nicf)tS  fei  atS  eine  Summe  üon  wiüfürü^en  (Geboten  unb  SSerboten, 
mit  benen  ein  überirbifc^er  2Si(Ifürt)errj(f)er  unS  bej(f)Wert  ^ahe.  Sei 
biefer  ^orftellung  fällt  bann  freiließ  mit  bem  ©tauben  an  ha§>  Dafein 
eines  fotcf)en  Sßiüfür^errjd^erS  and)  bie  53ebeutung  feiner  angeblichen  @e= 
böte.  Slber  biefe  S3orfteIIung  ift  faljcf);  baS  (Sittengefe|  ift  nid)t  unferer 
Statur  fremb;  eS  ift  unS  nic^t,  wie  am  SInfang  beS  Saf)rt)unbertS  ben 
3Sötfern  (SuropaS  bie  ß'ontinentalfperre,  oon  einem  @ewoIt^errjcf)er  ouf= 
erlegt,  gu  taujenb  ©ütern  unb  greuben  ben  3"9öng  wef)renb;  eS  ift 
öielmeljr  baS  @efe|  unfereS  SöefenS  felbft.  Die  ©efe^e  ber  9Jiorat  finb 
9^aturgefe|e.  9Jian  mag  il)nen  eine  tranfcenbente  Sebeutung  beilegen 
ober  nic^t,  junäc^ft  finb  fie  auf  jeben  ^all  9kturgefe|e  beS  menfcf)lic^en 
2ebenS  in  bem  (ginne,  bais  fie  bie  S3ebingungen  feiner  @efunbl)eit  unb 
2Bo{)lfa^rt  barftellen.  S^acf)  bem  natürlicf)en  Saufe  ber  Dinge  bringt 
i^re  Übertretung  über  3Sölfer  unb  ßinjelne  Unf)eil  unb  SSerberben, 
wäl)renb  il)re  33efolgung  2S3ol)lfa^rt  unb  gerieben  mit  fic^  fü^rt. 


3.  2)ie  praftii'd^en  Äon|equenjen  be#  aJJoterialiömug.  75 

2)ie§  gu  leugnen  liegt  in  ben  metQpt)t)ftfd^en  Gegriffen  be§ 
9JJateriQ(i»mu§  gor  fein  5tn(afe  öor.  SDie  (5rfat)rung,  bie  un§  anbere 
Sf^aturgcie^e  fennen  Iet)rt,  beletjrt  and)  ()ierüber.  2öer  bie  ©eje^e  ber 
©tatif  nirf)t  beacfjtet,  beffen  33au  [türjt  ein,  er  mag  über  jene  ©efe^e 
ben!en,  ttjie  er  miü.  2öer  bie  ©efe^e  ber  mebiäinifrfjen  ^iätetif  über= 
tritt,  ber  büßt  mit  Übelbefinben  unb  Äranf^eit,  er  mag  an  bie  @ültig= 
feit  jener  ®efe|e  glauben  ober  nirf)t.  ©benfo  wer  bie  ©efe^e  ber 
Stßoral  übertritt,  ber  jafitt  bafür  mit  eigenem  SebenSglücf,  baran  wirb 
burd)  feine  SOleinung  nic^t^  geänbert.  SSer  bie  ^f(id)ten  gegen  ha§> 
Eigenleben  nerad^tet,  wer  ber  UnmäBigfeit  unb  5(u§]d)meifung  fid)  über= 
läfet,  ber  jerftbrt  bie  ©runbbebingungen  ber  eigenen  2Bof)Ifaf)rt.  SSer 
bem  S[)?üBiggang  unb  ber  @enuBiud)t  fid)  ergiebt,  meinenb,  fein  ©lud 
auf  biefem  SSege  ju  finben,  ber  wirb  am  (Snbe  in  ÜberbruB  unb 
SebenSefel  untergef)en;  ha§:  ift  ein  bioIogifd^eS  @efe^  ber  9)^enfd)ennatur, 
fo  gut  al§  ha^  anbere,  baß  gelingenber  SE^titigfeit  bie  ßuft  folgt,  unb 
ha"^  burd)  Übung  bie  Gräfte  wac^fen.  (Snblid)  wer  bie  ©ebote  ber 
fogiaten  SOJoral  übertritt,  ber  ftört  §unäd)ft  ba^  Seben  anberer,  er  büfet 
aber  auc^  felber  bafür  al§  fojialeS  SSefen.  $ESer  gegen  feine  Umgebung 
rüdfic^t§Io§,  ()od)mütig,  nieberträd)tig,  bo§^oft  ift,  ber  ruft  5lbneigung 
unb  ^afe  unb  bas  biefen  @efüt)Ien  entfpredjenbe  SSer^alten  f)erüor; 
baran  änbern  feine  SOJeinungen  über  bie  9Zatur  ber  9J?ora(gefe|e  gar 
nid)t§.  S§  giebt  aber  niemanben,  bem  bie§  üöUig  gleidigültig  wäre; 
e§  giebt  feinen  9Jienfd)en  auf  ber  SBett,  ber  nid)t  ber  Ükht  unb  be§ 
Sßertroueu§  feiner  Umgebung  bebürfte,  bem  nid)t  9JäBtrauen  unb  |)afe 
an  fid)  peinlich  unb  in  if)ren  f^olgen  nerberblid)  wären.  Unb  felbft 
bann,  wenn  e§  jemanb  gelänge,  Unred)t  unb  S'Hebertradit  unbemerft 
unb  unoergolten  ju  oerüben,  würbe  nic^t  alle  9tüdwirfung  ausbleiben; 
e§  bliebe  bie  Slngft  t)or  ber  Stufbedung;  benn  e§  ift  eine  wunberlid)e 
3:t)atfad)e,  bafe,  wer  etwas  §u  üerbergen  f)at,  immer  glaubt,  oon  ben 
anbern  beobad)tet  unb  gefef)en  ju  werben.  (5d)ulbbewufetfein  mai^t 
einfam.  Unb  feilte  e§  jemanb  burc^,  aüc  Se^ie^ungen  ju  anberen 
abjufdiütteln,  fo  wäre  er  nod)  oor  einem  nic^t  fid)er,  öor  bem  $Rid)ter 
in  il)m  fclber.  @r  mag,  bon  ber  53egierbe  geblenbet,  fid)  einen  3lugen= 
blid  barüber  täufd)en,  bafe  er  bei  fid)  baS  ©ewiffen  mit  ben  legten 
SBurjeln  auSgeriffen  l)abe,  e§  wirb  eines  XageS  wieber  ha  fein  unb 
üernel)mlic^  3u  i^m  reben.    SBenn  bie  leibenfc^aftlid)e  ^egierbe  geföttigt 


76  I-  33ucf):  5[Retapf)t)fif.    1.  Äapitel:  ®a§  ontologtfd)e  Problem. 

ift,  lüenn  bann  Erinnerung  iinb  93ej'innnng  ^erüortreten,  ober  njenn 
mit  gunefjmeubem  Sllter  üvü'\t  unb  SOhit  nadjlnffen,  bann  tritt  ha§> 
SSilb  oergongener  ^'inge  beänftigenb  cor  bie  (geele.  @§  bürfte  fc^Iie&= 
lief)  bod)  feinen  9J?enf(f)en  geben,  ber  mit  @efüt)Ien  ber  93efriebigung 
auf  ein  Seben  üoü  9^icf)tigfeit  unb  (SJemein^eit,  t)oü  2üge  unb  geigfjeit, 
oott  33o§f)eit  unb  9Ziebertracf)t  jurücf^ubficfen  nermöcfjte;  tüenig[ten§ 
bürfte  e§  für  niemanb  ratfam  fein,  e§  barauf  anfommen  ^u  (äffen. 
^a§  öeben  oon  fogenannten  Sebemäunern  unb  i()ren  Jüeibücfjen  ?ßartnern, 
ober  üon  ©aunern  unb  Schürfen,  großen  unb  ffeincn,  wirb  nic^t  leicht 
breit  unb  offen  befcf)rieben,  »eber  üon  if)nen  fefbft  nocf)  öon  onberen. 
SBenn  e§  gef(f)ä^e,  unb  e§  tüäre  üiefleirfjt  feine  unnü^e  5trbeit,  e§  föürbe 
bo(^  nid)t  Ieicf)t  jemonb  ha§i  93uc^  mit  ber  (Smpfinbung  au§  ber  ^onb 
legen:  boS  war  ein  g(üc!Ii(^e§  unb  bege^ren§tt)erte§  2eben.  Unb  wenn 
e§  aße  äuBeren  Erfolge  erreicf)t,  wenn  e§  ftraffoS  atleS  oerübt  unb 
alle§  genoffen  fjätte,  fo  Würbe  e§  bennoc^  nic^t  leidjt  einem  ^etrad)ter 
o(§  ein  fcf)öne§  unb  wünfc^engwerteg  SebensIoS  erfdjeinen. 

2{Ifo,  fo  fange  bie  SSeft  ift,  wie  fie  ift,  unb  bie  menfc^ficf)e  Statur 
bfeibt,  wie  fie  bisher  war,  werben  au^  bie  gittengefe^e  in  ©eftung 
bfeiben,  man  mag  nun  bie  SSirffid^feit  aus  ?ftomen  ober  au§  im= 
materieffen  «Subftanjen  ober  wie  immer  fonftruieren.  2)ie  Sfufgabe, 
bie  ber  9}iateria(i§mu§  fid)  f)ier  oüein  fteflen  fanu,  ift  bie:  ^weifeüoS 
gegebene  ST^atfadjen  mit  feinen  SDJittefn  ju  erffäreu,  §at  er  Sfted^t, 
ift  hü^  Seefenfeben  eine  ^unftiou  bes  @ef)irn§,  fo  wirb  e§  für  if)n 
fic^  barum  f)anbefu,  auc^  bie  ©efe^e  ber  9}?oraf,  ebenfo  wie  bie  ber 
ßogif,  af§  eine  etgentüm(id)e  Einrichtung  be§  menfc^fid)en  (5ief)irn§ 
barjuftetfen;  er  wirb  tierfud)en  muffen  gu  geigen,  wie  biefe  ©truftur 
ber  SRinbenfubftan,^,  biefe  i^onftitution  gewiffer  ©angfieuäeffen  Urf ad)e 
fofd)er  Seftrebungen  unb  @efüf)(e,  fofd)er  Urteife  über  frembeS  unb 
eigene^  SSer^aften  fei.  5f(§  Siofog  mag  er  fiin^ufügen,  wie  biefe  Ein= 
rid)tung,  nidjt  minber  afs  bie  übrigen  Einrid)tungen  be§  organifc^en 
@t)ftem§,  im  Sinne  ber  Erhaltung  be§  SnbioibuumS  unb  ber  ©attung 
wirfe.  Unb  bie  @a(^e  in§  ^raftifd)e  weubenb,  mag  er  fid)  9JJüf)e 
geben,  auf  feine  p^tjfiofogifd^e  Erfenntni§  be§  (55ef)irn§  eine  @t)mnaftif 
unb  Siätetif  ber  „9J?orafgangfien"  ober  ber  „@ewiffen§region"  gu  be= 
grünben,  um  fo  enbfid^  einmaf  bie  Er5ief)ung§fef)rc  auf  eine  „wiffen- 
fc^aftfid)e"  ©runbfoge  §u  [teilen. 


4.  tritif  be§  3Rateriali§mu§.   ^aroEetilmuS  be§  ^^^fifd^en  unb  ^jt)c^ifd)en.  77 

Si§  ba§  gelungen  ift,  n)irb  fidj  oud^  ber  SJ^ateriatift  mit  jenen 
„prooiforifd^en"  ©efe^en  bereifen  muffen;  er  fjat  gar  feinen  ®runb, 
boio  nicfjt  5u  tl)un;  bie  Ungültigfeit  ber  9)ioraIgefe^e  ift  fd)Ied)terbing§ 
feine  logifdjc  Ä'onfequeng  ber  5tnfi(f;t,  ha^  olleS  SSirfIirf)e  Körper  ober 
gunftion  eine§  Körpers  ift.  (gö  mag  fein,  ta^  ()in  nnb  n)ieber  bei 
materialiftifdjen  ©djriftftellern  eine  DK'ignng  fid)  finbet,  üon  SJioral  unb 
©emiffen  mit  einer  gemiffen  9JiiBQd)tung  5U  reben,  al§  oon  fingen, 
oon  benen  bie  „SSiffenfdjaft"  gu  I)QnbeIn  feine  SSerontaffung  l^abe;  ber 
S^leigung,  ®inge,  bie  ber  SJonftruftion  burd)  bie  eigene  2;f)eorie  (Sdjinierig^ 
feit  mad)en,  geringfdjä^ig  5U  be()anbeln  ober  fie  über£)aupt  gu  überfel)en, 
begegnet  man  überall.  ®a§  ift  §uföllig.  3)er  antife  9J?ateriaIi§mu§,  ber 
überhaupt  pf)ilofopf)ifcl^er,  b.  f).  unioerfetter  in  feiner  !:öetrad)tnng  ift, 
al§  ber  9}?ateriü(i§mug  moberner  ^Ürgte  unb  ^f)t)fioIogen,  t)at  gerabe  in 
ber  dJloml  fein  ßiel;  unb  nur  Unfunbe  fonn  meinen,  ha'^  bie  9JioraI 
S)emofrit§  ober  (5pifur§  mit  einer  Moxai  ber  3ü9^^ofigfeit  etmaS 
gemein  ^ahz;  ©i^^iplin  be§  ®emüt§  ift  e^,  njoju  fie  anleitet. 

Unb  nun  nod}  eine  Semerfung.  9Jian  oergeffe  nidjt,  ha^  bie  33e= 
fampfung  einer  gegnerifdjen  'Xf)eorie  ou§  if)ren  gefä^rlidjen  3^oIgen  allemal 
einen  übten  ©inbrud  mad)t;  fie  ermedt  ben  5lrgtüot)n,  ha'\i  man  cor 
einer  tf)eoretifd)en  Prüfung  fid)  fdjeue;  man  preift  eine  2lnfid)t  nid)t 
oI§  bie  gute  an,  fo  lange  man  glaubt,  it)re  2[Bat)rf)eit  bemeifen  ^n 
fönnen.  Unb  julel^t  liegt  bod)  bie  (Sad)e  übertjaupt  fo,  ha'^  nur  ber 
Srrtum  geföfjrlid)  ift;  bie  SDinge  finb,  mie  fie  finb;  mie  foüten  un§ 
mafjre  Sßorftellungen  öon  iljuen  fd)aben  ober  falfc^e  nü^en? 

4.  ^rtttf  bc§  ^OJatertttliSmuö.  *i)3araUeItftifd)e  3:f)eortc  üon  bem  58ers 
l^iiltnie  beö  ^^f^yfifc^cn  unb  ^4^fyd)ifd)cn, 

2Bir  menben  un§  nun  ^nx  ^^rüfung  be^  tf)eoretifd)en  2Serte§  ber 
materialiftifdjen  2f)eorie.  Sft  bie  Sef)auptung  ma()r,  ha^  alle§  SBirf- 
üd^e  Körper  ober  Set^ätigung  eine§  Äörper^  ift? 

^d)  mill  gteid)  befennen,  ha'iii  id)  midj  baoon  nic^t  überzeugen 
fann.  6§  mag  biefe  Slnfic^t  für  bie  ^to^dt  ber  9'?aturforfd)ung  au§= 
reidien;  bie  äöirflidjfeit  übertjaupt  gu  fonftruieren,  ift  fie  nid)t  ^ulönglid). 
S)ie  unioerfeüe  ober  pf)i(ofop()ifd)e  S3etrad)tung  ber  Söirtlidjfeit  fommt 
erft  in  einer  ibealiftifdjen  ^t)eorie  gur  9iuf)e,  bie  in  bem  ©eelifd;= 
©eiftigen  ba§  mot)rf}aft  äöirflid)e  fiefjt. 


78  I-  S3uc^:  SKetop^tjftf.    1.  tapitel:  ®a§  ontotogifc^e  Problem. 

©§  ift  ^eutjutage  üblirf),  tnettigftenS  in  pf)iIofDpf)ifc^en  Greifen,  bie 
Un§ulängücf)feit  be§  9JJateriQli§mu5  üor  aflem  burd)  erfenntni§tf)eo  = 
retijcfje  ©rtoägung  bar§ut()un;  Siant  gilt  al§  jein  befinitiöer  Überrüinber; 
burdE)  ben  erfenntni§tf)eDretifc^en  SbeatiSmuS,  ber  Sftaum  unb 
3eit  ju  formen  ber  jubjeftioen  ?(nfd)auung  unb  bamit  bie  Körper  ju 
©rjc^einungen  mac^e,  f)Qbe  er  ben  bogmatijdjen  ä)?QteriQli§mu§  für  alle 
pf)iIofopf)if(i)  S)enfenben  für  immer  unmöglich  gemarfjt.  60  urteilt 
^.  21.  Sänge,  ber  @efrf}i(i)t§f(^rei6er  be§  9J?QteriQli§mu§:  noc^  ^ant§> 
l^ritif  fei  biefer  eigentüct)  ein  2(nad^roni§mu§.  @o  preift  (2cf)openf)auer 
bie  fritifd)e  ^f)iIofopt)ie:  fie  ijahc  bie  gro§e  2öa§rf)eit  gur  Rettung  ge= 
brad^t:  !ein  Dbjeft  of)ne  ©ubjelt;  boS  abfurbe  beginnen  be§  9J?ateria* 
Ii§mu§  befte^e  aber  eben  in  bem  SSerfucf),  ha§:  (Subjeft  erft  au§  bem 
Objeft  abzuleiten. 

^d)  tjalte  biefe  Setracfjtung  für  burd^auS  njatjr,  luilt  aber  an  biefer 
©teüe  nid^t  nät)er  barauf  eingefjen,  fonbern  bie§  ber  er!enntni§t^eoretifcf}en 
53etrad^tung  beg  gn^eiten  33u(^§  öorbeJ)aIten.  .^ier  bemerfe  ict)  nur: 
ber  materiaüftifd^en  9}?etapf)t)fi!  mirb  bur(^  bie  Sefinnung  auf  ha§> 
SBefen  unferer  ftnnüc£)en  @rfenntni§  o^ne  ^^^^f^^  befinitio  ein  (Snbe 
gemadjt.  ©ie  ^eigt,  ha'^  bie  Körper,  meit  entfernt,  hü§>  einzige 
abfolut  2öirf(id)e  gu  fein,  übert)aupt  feine  abfolute  SSirflid^feit  ^oben; 
Äörpern  !ommt  nur  eine  relatioe  ©i'iftens  §u,  näniüd)  bie  ©i'iftenj  oon 
Srfd^einungen  für  ein  fo  organifierteS  ©ubjeft.  ^i)\:  ganjeS  SSefen  ift 
2Baf)rnef)mung§inf)aIt;  ein  Körper  ift  njei^  ober  fdjmors,  njeic^  ober  t)art, 
^at  ©eftalt  unb  ^u§bef)nung,  nimmt  einen  9^aum  ein  unb  leiftet  bem 
(Sinbringen  in  biefen  D^iaum  äöiberftanb,  alle  biefe  Seftimmungen 
fommen  i^m  ^u  mit  93e5ief)ung  auf  ein  ©ubjeft  mit  folc^er  ©innlid^= 
feit  unb  3nteUigen§:  of)ne  ^unge  fein  ®efcf)macf,  ot)ne  ^uge  fein  Sicfit 
unb  feine  ^arbe,  ofjue  ©innlid^feit  unb  S3erftanb  fein  S^Jaum  unb  fein 
Äörper,  of)ne  (Subjeft  fein  Dbjeft.  2)a§  ift  ein  ©ebanfe,  oon  beffen 
2Sa^r()eit  jeber,  ber  biefen  1)ingen  nadE)benft,  firf)  überzeugen  mu^. 
©^openfjauer  fpi^t  if)n  einmal  in  g^orm  eine§  @efprädE)§  gmifdien 
bem  ©ubjeft  unb  ber  9JZaterie  in  folgenber  SBeife  §u.  3)ie  äJJaterie 
fpricf)t:  „id^  bin  unb  aufeer  mir  ift  nirf)t§.  2)ie  SSelt  ift  meine  oor= 
übergef)enbe  gorm.  2)u  bift  ein  bIo^e§  9?efultat  eineg  2ei(§  biefer 
gorm  unb  burc^auS  zufällig.  —  ^lod)  menige  Stugenblicfe,  unb  bu  bift 
nid)t  mef)r.    Sdj  aber  bleibe  oon  Saljrtaufenb  ju  Sof)t^taufenb."    SBorauf 


4.  Äritif  be§  2JJotcnoU§mu§.    ^axaMi^mvi§  be§  ^f)t)fifc^en  unb  «ßfQd)iid)en.     79 

ha§>  (Subjeft:  „®iefe  unenblid^e  ^^it,  tt)e((f)e  ju  bouern  bu  bid)  rü()m[t, 
i[t,  luie  bcr  unenblirf)e  9iQum,  bcu  bu  füllft,  bl'o^  in  meiner  35or[teIIung, 
in  ber  bu  bic^  barfteüft,  bie  bic^  aufnimmt,  moburd)  bu  ju  oKererft  bi[t."  *) 

Snbeffen  f)alte  ic^  e§  nid)t  für  jmecfmäBitj,  bie  SBiberlegung  ber 
materialiftifdjen  SSeltonfd^auung  mefentüd;  ober  allein  ber  erfenntni§= 
t^eoretifc^en  Ü^efteyion  §u  überlaffen.  (Sine  ^etrad;tung,  irie  bie 
üben  angefüt)rte,  ift  njo^l  geeignet  §u  überrafdjen  unb  üieüeidjt 
gu  erjdjüttern,  aber  nidjt  fo  (eid)t  inirb  e§  it)r  gelingen,  eine 
baucrnbe  Überzeugung  gn  begrünben.  2ßem  fie  gum  erftenmal  begegnet, 
ber  wixh  (eid)t  bie  Smpfinbung  t)aben,  al§  fei  er  nur  überrumpelt 
morben:  fagen  freilid)  faffe  fidj  ta^,  unb  üielleidjt  fei  e§  fd)tt)er  ober 
unmöglid),  bie  9iebe  ju  n^iberlegen;  aber  ina^r  fei  fie  barum  bod)  nidjt. 
©onbern  mafjr  bleibe  e§  bod),  ha'i^  bie  2Be(t  oor  mir  unb  meiner  58or  = 
ftellung  ttjar,  ha^  (Sonne,  9Jionb  unb  Sterne  nebft  ber  @rbe  üort)anben 
maren,  ef)e  ein  5tuge  t)a  war,  fie  gu  fe^en.  Sobatb  ber  Süd  ber 
5Infd)auung§n)e(t  fid)  lieber  gumenbet,  !ef)rt  mit  übertüättigenber  ddladjt 
ber  ©taube  gurüd,  ha'Q  fie,  bie  folibe  ^^örperwelt,  bod)  eben  bie  äöirf= 
Iid)feit  ift  unb  i^rem  S)afein  nad)  öon  bem  öorfteüenben  Subjeft  nid)t 
abl^ängt.  2Sie  Stntöug  bei  ber  33erüt)rung  mit  ber  @rbe,  fo  gerainnt 
ber  9J?ateriaIigmn§  bei  ber  58erüf)rung  mit  ber  ?Infdiauung  feine  ^raft 
rtjieber.  @§  mag  ta§>  immert)in  eine  Sdjtnädje  be§  gefunbcn  9J^enfd^en= 
oerftanbe§  fein,  bem  beim  abftraften  teufen  ber  Sttem  au§get)t,  unb 
9J?et)nert  mag  9?ed)t  ^aben,  menn  er  finbet,  e§  fei  eine§  ber  „unbe* 
bingteften  9?eaftion§mitteI  auf  bie  2)enffät)igfeit  eine§  9J?enfd;en,  ob  er 
bie  Unii)irf(id)feit  ber  SSett  in  ben  formen,  wie  fie  burd)  unfere  @et)irn= 
ttjätigfeit  gefd^affen  loerbe,  begreifen  fijnne  ober  nid)t".**)  3)ennod)  roirb, 
mer  eine  mirflidje  Überjengung  oon  ber  Unjutänglii^feit  ber  materia= 
tiftifd^en  SSirfIid)feit§tt)eorie  fieroorbringen  tt)iü,  nid)t  gut  t^un,  bei 
erfenntni§tt)eoretifd)en  ©rnjögungen  ftet)en  ju  bleiben.  Stuf  bem  Soben 
ber  9}Zetapt)t)fi!  ober  ber  9kturpf)iIofopf)ie  ift  ber  9J?ateriaIiÄmu§  ent= 
ftanben  unb  eintjeimifc^;  t)ier  muB  il)n  auffudjen,  mer  if)n  befiegeu  mill. 
Stuf  biefen  S3oben  lüoüen  roh  im  folgenben  ung  ftellen. 

2)ie  SEtjefe  be§  9)?ateriali§mu§  ift  alfo  ber  Sa^:  and)  bie  33emufet- 
feinööorgönge  finb  gunftionen  ber  Ü}?aterie;  fie  laffen  fid)  a(§  2f)ätig= 


*)  SBeÜ  unb  SBiOe  aU  SBorfteQung,  93b.  II,  1.  Aap. 
»)  ^it)d)iatne  (1884)  3.  170. 


80  I-  S3ud^:  Wttap1^t)\xt    1.  tapitel:  5)a§  ontologifdie  Problem. 


!eiten  be^  gfJeroenjijftemS,   at§  SSirfungen  öon  S^erüenprojeffen  ))t)^fto= 
logifd)  erüären.  —  3[t  tiefe  S3ef)auptung  begrüntet? 

hiergegen  i[t  neuerbingS  öon  ^f)t)fiologiid)er  (Seite  üielf ad) 
SBiter)pru(^  erf)okit-  Worten:  e§  fei  turrf)au§  ni(f;t  mögticfj,  33en)nBt= 
feinSoorgänge  qu§  33ett)egung§üorgiingen  jn  erftären,  unt  taranf  fomme 
tod)  eine  ptjtjfiotogijdje  (grüärnng  ^ntel^t  f)inan§.  S)n  33oi§=9iel)mont 
{)ot  fic^  §um  loeit^in  oernet)mbaren  3Sortfiif)rer  bieje§  3Biberfprnd)§ 
gentQdjt.  ^n  ter  üietgenannten  Stbljontlnng  „über  tie  ©renken  te^ 
9taturer!ennen§"  fü()rt  er  au§:  pl)l)fifd)e  SSorgiinge  jinb  o()ne  5tu§nQ^me 
pt)l)jijd)  5u  erflären  nnt  t)ier  giebt  e§  feine  ©renje  ter  ©rüarbarfeit;  e§ 
giebt  oiele  §ur  ^^it  nnerflörte,  aber  feine  an  fid)  unerfliirlidjen  ®inge. 
S)er  ©rftürnng  ter  SebenSöorgänge,  ter  ®ntftef)nng  ter  erften  Organismen 
mit  ten  SUütteln  ter  9^atnrn?ifjenjdjaften  [teljt  prinzipiell  nid)t§  im  SBege. 
5Iber  mit  tem  erften  33etnn^tfein§e(ement,  mit  ter  primitioften  ®m= 
pfintnng  tritt  etma§  anf,  ta§  ter  notunüifjenfdjoftlidjen  ©rflärnng  fid) 
fd)Ied}tf)in  ent^ietjt.  „®a§  Seinn^tfein  ift  on§  feinen  materiellen  33e= 
tingungen  nidjt  erfUirtic^."  „2)ie  aftronomifdje  Kenntnis  te§  @ef)irn§, 
tie  f)öd)[te,  tie  mir  taoon  erlangen  fönnen,  entf)üttt  un§  nid)t§  al§ 
bemegte  9J?aterie.  ®urd)  feine  ^u  erfinnente  ^tnortnung  oter  ^emegnng 
materieller  Xeildjen  aber  lä^t  fic^  eine  93rücfe  in§  Üieid)  tes  93emuBt= 
fein§  fc^lagen."  ®r  fc^lie^t  mit  ter  empt)atifd)  abgegebenen  ©rflärung: 
„^n  93e5ug  anf  tie  ^atfel  ter  ^örpermelt  ift  ter  S^aturforfdjer  löngft 
gemöl)nt  mit  nuinnüdjer  ©ntfagnng  fein  ignoraraus  ouS^ufprec^en.  Sn 
9iüdfid)t  anf  tie  turdjiaufene  fiegreid^e  S3at)n,  trägt  i£)n  tabei  ta§  ftille 
S3emuf3tfein,  taB,  mo  er  je^t  nic^t  mei^,  er  menigftenS  unter  Umftänten 
miffen  fönnte  nnt  tereinft  öietleidjt  miffen  mirt.  Sn  53e3ng  auf  ta§ 
9fiätfet  aber,  ma§  9JJaterie  nnt  Äraft  feien,  nnt  roie  fie  ^u  teufen 
öermögen,  mufe  er  ein  für  alle  mol  gu  tem  fdjWerer  abjugebenten 
Sßaf)rfprud)  fid)  entfdjüeBen:  ignorabimus."*) 


*)  übet  bie  ©rettäeu  be§  9kturer!ennen§  (7.  9(ufr.  1891)  <B.  40  ff.  S)te  ®e= 
f(^id)te  biefe^  SBortrageS  üom  ig.  1872  itnb  eine  goi-tfe^ung  ber  ®t§fuffton  giebt 
ein  s»üeiter  SBortrag  öom  gafire  1880:  „2;ie  ficben  Seltrötfel."  ^d^  ge^e  auf  biefe 
Darlegungen  et>üa§  mijev  ein,  weit  fie  in  ben  ftrcifeu  ber  ^JJoturforfc^er  ^(uffefien 
gemad)t  I)aben  unb  öiel  erörtert  lüorben  finb;  mon  luirb  fie  al§  ein  tt)pifd}e§  S3eifpiel 
für  eine  t)ier  hjeit  verbreitete  SCenftoeife  anfet)en  bürfen.  —  ©anj  äf)nlid)  Ijotte  fid) 
fürs  pöor  ber  engtifd)e  ^t)t)fiter  Sijnbatt  in  einem  1868  auf  einer  9?aturforfc^er= 
terfammtung  getjattenen  $8ortrag  au'jgefpro^en.  ^d}  teile  bie  braftifd)en  SBenbungen 


4.  Äritif  beä  SKoterialtämuS.    ^axaMx^muä  beä  ^^^fifc^en  unb  «ßf^c^ijc^en.    81 


90?an  t}at  in  tiefer  93etrad;tung  eine  SBiberlegung  beä  ä)Meriaü§= 
mu§  er6Ii(ft,  unb  üieHeic^t  i[t  fie  aud}  fo  gemeint.  (Sie  fc^eint  mir 
aber  fjier^u  nid^t  au!§reici^enb;  fie  trifft  nicf)t  eigentlich  ben  ^unft,  mo 
ber  SOJateriatiömug  öermunbbor  i[t,  njenigftenö  nur  unfidjer  unb  nebenfier. 
©in  mQteriaIi[tifd)er  ^t)iIofop^  fijnnte  auf  biefe  (Sinrebe  in  folgenber 
Söeife  ermibern:  dlad)  jenen  Darlegungen  ift  ber  ^mifcfien  un§  unb 
bem  5ßerfaffer  ber  ©renken  be§  SfiaturerfennenS  ftreitige  ^unft  allein 
ber,  ob  93emuBtfein§norgänge  au§  ben  materiellen  Sebingungen  er  = 
f(ärlid)  finb  ober  nid)t;  mir  bejahen,  er  oerneint  bie  ^rage.  SDa- 
gegen  befte^t  jmifc^en  un^  ooüe§  ®inöerftänbni§  barüber,  ba^  ha^ 
Semufetfein  öon  materietten  33ebingungen  ab f) an g ig  ift;  and)  er  füf)It 
fid^  toeit  ergaben  über  „^Dogmen  unb  alterSftoI^e  ^f)i(ofop!^eme"  mit 
i{)rem  ©lauben  an  eine  befonbere  (Seelenfubftans;  and)  er  fie^t  „in 
taufenb  gälten  materielle  ^Sebingungen  ba§>  ©eifteSleben  beeinfluffen". 
(Seinem  unbefangenen  Sücf  jeigt  \\d)  !ein  ©runb  gu  begmeifeln,  ha^ 
mirttic^  bie  „(SinneSeinbrüde  ficfi  ber  fogenannten  (Seele  mitteilen" 
(©.  45);  e§  brängt  fid)  i^m  bie  53ermutung  auf,  „ba^  bie  (Seele  all 
attmä^Iid^eS  Ergebnis  gemiffer  materieller  Kombinationen  entftanben  ift" 
(@.  47);  er  finbet  an  95ogt§  „@e!retion§gIeid)ni§"-  nic^t  ju  tabeln, 
„ha'ß  bie  Seelentt)ätigfeit  al§  (Sr,^eugni§  ber  materießen  Sebingungen 
im  ®ef)irn  ^ingefteüt  mirb.  ^^^efjter^aft  erfdjeint  nur,  ha'^  e§  bie  SSor= 
fteßung  ermecft,  a(§  fei  bie  Seelentf)ätigfeit  ou§  bem  S3au  be§  @e§irn§ 
i^rer  'Otatur  nad)  fo  begreiflid),  mie  bei  ^inreid)enb  fortgefd^rittener 
Kenntnis  bie  5tbfonberung  au§  bem  Sau  ber  ©rufe  fein  mürbe"  ((S.  50). 
Sllfo,  nic^t  bie  X^atfad;e  ber  Sebingt^eit,  fonbern  allein  i^re  Segreiflid^= 

mit,  in  bie  er  ben  (Sebonfen  fa§t:  „®er  Übergang  öon  ber  SOiec^oni!  beg  ®c{)irnl 
3U  ber  entjpred^enben  2:t)ätig!eit  beä  Seroufitfeinl  x\t  unbenfbar.  QüQtqthm,  bofe 
ein  bestimmter  motetularer  Söorgang  gleidjjeitig  im  ®e!^irn  ftattfinbet,  fo  befi^en  mir 
bod^  nid)t  ba§  geiftige  Drgan,  n^etc^eg  un§  befätiigt,  burd)  irgenb  einen  S)enfproäe§ 
öom  einen  jum  anbern  überäuge:^en.  ©ie  treten  jufammen  auf,  aßein  mir  föiffen 
nidit  warum?  SSären  unfere  ©eele  unb  ©inne  fo  entroicEelt  unb  erleud^tet,  i>a% 
mir  bie  9)ZoIe!üle  be^  ®ef)irn§  felbft  fe'^en  unb  füllen  fönnten,  mären  mir  fä'^ig, 
allen  i^ren  58emegungen,  i§rer  Gruppierung  unb  il^ren  eleftrifdien  (Sntlabungen, 
menn  el  bereu  giebt,  ^u  folgen,  unb  mären  mir  auf^  genauefte  beEannt  mit  ben 
entfprerfienben  ^uftänben  üon  ©ebanfen  unb  ©efü^Ien,  fo  mären  mir  ioä)  fo  meit 
aU  je  entfernt  öon  ber  iJöfung  be§  9tätfet§:  mie  finb  biefe  p^tjfifalifd^en  2;^at= 
fad)en  mit  ben  %^at)aä)cn  bei  Semu^tfeinl  üerlnüpft?"  (Fragmente  au§  ben 
9?aturmiffenf(iöaften  ©.  143.) 

>lia  ulicii,  CSinleitung.    ü.  äluft.  6 


82  I-  33u(^:  ^ttap^i^^il    1.  Kapitel:  3)a§  ontologifd^e  «ßroblent. 

!eit  tt)irb  Beonftanbet;  lüir  tüiffen,  baB  Bewegungen  $öett)uBtfein§= 
Dorgänge  oerurfadjen,  nur  bog  wie  bleibt  ewig  rätfelfiaft. 

SSießeid)!,  fo  !önnte  ber  ntateria{iftiid)e  9JZetapf)t)fifer  nun  fort= 
fahren,  ift  bem  fo;  wie  e§  bie  3JJoIefüIe  anfangen  ^u  benfen,  ba'B  wiffen 
wir  nicf)t  unb  werben  es  öieüeirfjt  nie  wiffen.  'aber  wiberfä^rt  un» 
l^ierin  etwa§  Sonberlii^eS?  33eftef)t  naturwiffenf^aftlidje  @rf(ärung 
irgenbwo  in  ber  Darlegung  be§  §ergang§,  wie  e§  bie  Urf ad}e  anfängt, 
bie  SSirfung  ^eröor^nbringen?  3)ie  $f)t)fi!  erflärt  sat)Ireid)e  (£r= 
fd^einungen  au§  bem  @raöitation§gefe|,  haS^  fallen  be§  ©teines,  ba§ 
f^üeBen  bei  ^ad:)e^,  ha^  Steigen  be§  fiuftballon^,  bog  gtuten  unb 
(Sbben  bei  9}ieerel,  bie  Bewegung  ber  Planeten;  fie  tf)ut  e§,  inbem  fie 
geigt,  baB  alle  biefe  Bewegungen  unter  ber  allgemeinen  g^ormel  bei 
©raöitationlgefe^el  begriffen  finb.  2(ber  geigt  fie,  wie  Slörper  fic^ 
über{)aupt  angießen,  ober  warum  fie  nad^  jener  g^ormel  fic^  gegen- 
onber  gu  bewegen  tenbieren?  ©ang  unb  gar  nid)t.  Unb  ebenfo  wenig 
erflört  bie  G^emie,  warum  biefe  (Elemente  fic^  in  biefem  Berf)ältnil, 
ober  warum  fie  über{)aupt  fid)  oerbinben:  aui^  fie  fagt  nur  ba§>  2)aB, 
nic^t  bal  2öie  ober  SBarum.  Unb  nic^t  anberl  fte^t  e§  fd^üeßlid^ 
aud)  mit  ber  9}Jed)anif:  wie  ein  Körper  beim  ßufammenfto^  mit  einem 
anbern  el  anfängt,  feine  Bewegung  auf  biefen  gu  übertragen,  bal  erüärt 
fie  nid)t,  fie  bringt  lebiglic^  ba§^  t^atfädilic^e  Bert)a(ten  auf  eine  g^ormel. 
5tIfo,  eine  (Srfdjeinung  erflären  Reifet  in  ben  91aturwiffenf(^aften  überall 
nid)tl  anberel,  all  eine  g^ormel  finben,  unter  ber  fie  atl  ^aU  begriffen 
ift,  mit  bereu  .^ülfe  fie  üorf)ergefe{)en,  berechnet,  unter  Umftänben  and) 
t)erbeigefüf)rt  werben  !ann.  —  ^ierin  ift  übrigenl  and)  S)u  Boil= 
9fiet)monb  berfetben  2(nfid)t:  rvaS'  ^raft  ift,  ober  wot)er  bie  Bewegung 
urfprünglic^  fommt,  ha§>  ift  ebenfo  wie  bas  SBefen  ber  3Jiaterie  auc^ 
if)m  ein  tranfcenbentel  Problem. 

Sllfo,  fo  fc^Iiefet  nun  ber  materialiftifc^e  ^^ilofop^,  etwal  anberel 
barf  man  natürlid)  and)  md)t  erwarten  ober  forbern,  wenn  el  fid) 
um  bie  (Srüärung  ber  Bewu^tfeinloorgänge  f)anbe(t.  ^m  Sinne  ber 
Slaturwiffenfdjaft  finb  fie  erüärt,  wenn  e§  gelingt,  gormetn  gu  bilben, 
nad)  benen  if)r  (Eintreten  infolge  anberer  Borgänge,  etwa  beftimmter 
pt)i)fioIogifd)er  Borgänge  im  @ef)irn,  üoranlgefef)en  werben  fann. 
SBenn  wir  wüßten:  auf  biefe  beftimmten  Borgänge  in  ben  ^tU^n  unb 
Seitungifafern   bei  @ef)irnl    erfolgt  jebelmat   biefe  BorfteEung   ober 


4.  Äritif  be§  2J?ateriali§mu§.    «ParotteliSmug  beg  ^fiijfijclien  unb  «PfQd)ifd)en.    83 


ein  ©efü^I  oon  biejer  5(rt  unb  ©tärfe,  bann  toüBten  ton  QÜeS,  raa§ 
löir  qI§  wiffenjdjaftltdfje  ^orjcfjer  üBerfiaupt  n^iffen  mollen.  SSie  e§ 
bem  pf)i)fio(oL3ifcf)en  S^organg  gelingt,  eine  ©mpfinbung  fierooqnbringen, 
ha^  md)t  ju  n)i[fen  fann  nn§  nid)t  befc^ttjeren,  fo  lange  wiv  aud) 
nid^t  miffen,  mie  eine  93en)egung  bie  anbere  f)eröor6ringt.  i)hin  ftef)t 
aber  prinzipiell  bem  md)t§>  im  2öege,  bo^  e§  einmal  ber  ®ef)irn= 
p^tifiologie  gelingt,  berartige  g^ormetn  ju  erreichen.  Ob  e§  tt)atfocl^= 
lirf)  baf)in  fommen  Jüirb,  ob  fie  einmal  imftanbe  jein  tt)irb,  bie  S3e= 
lüegungen  ber  @et)irnmofefü(e  bargnfteüen,  aU  beren  Sötrfung  biefe 
beftimmte  ©mpfinbung  ober  gar  ein  beftimmter  ©ebanfenoorgang  ein= 
tritt,  bog  mag  fef)r  fraglich  fein.  Slber  mirb  aud)  nur  bie  3JJögIi(^!eit 
angegeben,  fo  ift  bamit  bie  93?ögti(^!eit  einer  p^tjfifcfjen  (Srftärung  ber 
93erou§tfein§üorgänge  zugegeben,  in  bemfelben  ©inn,  in  bem  hü§:  2öort 
©rflärung  in  ben  Slatnrmiffenfc^aften  übertjaupt  gebroud^t  tuirb. 

©0  fd)eint  mir,  fünnte  ber  9JJateriaIi§mu§  jener  ©inrebe  fic!^  er= 
mehren.*)  SSitl  mon  fie  ttjirflirf)  trcffenb  mad^en,  fo  muB  man  fie  anbers 
faffen;  man  mufe  fagen,  unb  barauf  giett  fie  offenbar  eigentlid)  ob:  e» 
fonn  feine  g^ormeln  geben,  meldte  pf)t)fifcf)e  unb  pft)rf)ifd)e  ^^organge  fo  5U= 
fommenfoffen,  toie  in  ben  ®efe|en  ber  QJJed^onif  SemegungSoorgönge  äu= 
fammengefofet  finb;  ober  mit  onberen  SSorten:  ätt)ifd)en  pf)t)fifd^enunb 
pft)d)ifd)en  SSorgöngen  finbet  fein  Äoufo(öerf)ä(tni§  ftott; 
33en)u^tfein§t)orgänge  finb  njeber  Sßirfungen  nod)  Urfod^en 
pf)t)fifdf)er  $ßorgänge.**) 

Unb  f)ier  liegt  nun  oüerbing^  ber  Stnfang  oom  @nbe  be§  aJJote- 
rioIi§mu§.    ^reilid)  erft  ber  5tnfong. 

*)  SBüc^ner  beutet  eine  berartige  93etrad)tung  an,  ^raft  unb  Stoff  <B.  316. 
**)  2)u  S3oi§=5Ret)ntonb  t)ot  felbft  gelegentlid)  anä)  biefe  ^^ormel;  mitten  unter 
ben  oben  angefül)rten  Stellen,  bie  ba§  ®enfen  aU  @r5eugni§  moterieHer  „SSe« 
bingungen"  barfteüen,  finben  fid^  and)  Sinterungen,  in  benen  bie  UnmögU(i)feit, 
eg  oI§  (Srgeugnil  p^i^fifdier  Urjadien  anjufcf)en,  au^gefprodien  tnirb:  „93ett)egung 
fann  nur  93en)egung  erzeugen  ober  in  potentielle  ©nergie  jurüdf  fic^  üerrcanbeln. 
Sie  me^aniid)e  Urfac^c  ge^t  rein  auf  in  ber  ntec^anifc^en  Söirhmg.  Sie  neben 
ben  matericEen  SSorgängen  im  ®el)irn  ein^erge^^enben  geiftigen  5Borgänge  entbehren 
alfo  für  unferen  SSerftanb  be§  5ureict)enben  ®runbe^.  Sie  fielen  oufsertialb  be§ 
SiaufoIgefe^eiS"  (S.  45);  ma§  offenbar  befagen  tüiH:  aufeer^alb  bei  medianifdien 
Äoufal5ufammenf)ange§,  aU  auf  tüeldien  allein  ber  „Saplacefd)e  ®eift"  eingeübt  ift. 
3m  öorigen  ^at)rf)unbert  märe  norf)  jebem  ^f)t)fifer  ber  Unterf(i)ieb  biefer  gormein 
geläufig  geroefen;  bie  3?erfäumung  ber  ^:^ilofop:^ie  rä^t  ficf). 

6* 


84  I.  93uc^:  3)letap^9fif.    1.  tapitel:  3)a§  ontotogifc^e  Problem. 

Um  bies  gu  geigen,  i[t  e§  aber  §unä(f)[t  geboten,  aud)  bte  moteria^ 
liftifdjen  ^f)i(o)opf)en  gu  einer  genaueren  ^^eftftellung  if)rer  eigentüdien 
S3e^auptung  anpfjalten,  2(ucf)  bei  i[)nen  begegnet  man  regelmäßig 
t)erfd)iebenen  g^ormeln,  bie  at§  g(eic!)bebeutenbe  gebrandet  merben.  9Jian 
!ann  fie  auf  gmei  ©runbformen  ,^urücffü^ren.  1)  ^öemu^tfeingüorgänge 
finb  äöirfungen  pt)Qfijc^er  S^orgänge;  2)  93emuBtfein§t)orgänge 
finb  an  fid),  ober  objeftio  betrad)tet,  nichts  anbereS  at§  pt)t)jif(f)e 
SSorgänge  im  @ef)irn.  33eibe  g^ormeln  gef)en  bei  unferen  materiati[tif(^en 
©(f)rift[tellern  beftänbig  burrf)einauber.  ©o  erftärt  Süd^ner  einmal 
bie  jeelifcf)en  ©rjc^einungen  für  SSSirfungen  ber  (55ei)irntf)ötigfeit: 
mie  fie  aus  materiellen  Kombinationen  t)erborge£)en,  mag  immerhin 
fraglid)  fein,  e§  genügt  ju  tt)iffen,  ,M^  materielle  SSen^egungen  burd) 
SSermittelung  ber  @inne§organe  auf  ben  ©eift  mirfen  unb  S3emegungen 
in  bemfetben  öeranlaffen,  unb  ta'^  biefe  le^teren  l^inmieber  materielle 
Semegungen  in  S^eroen  unb  SJJusfeln  erzeugen."  ©leid)  baneben  finbet 
ft(^  aber  aud^  bie  gmeite  g^ormel:  „^a§  Senfen  fann  unb  muß  al§ 
eine  befonbere  3^orm  ber  allgemeinen  DIaturbemegung  an- 
gefef)en  merben,  tt)e(d)e  ber  ©ubftang  ber  centralen  SZeröenelemente 
ebenfo  c^arafteriftifd)  ift,  mie  bie  Semegung  ber  3ufammen§iel)ung  ber 
SJJuäfelfubftanj  ober  bie  93emegung  bes  2id}tö  bem  3SeItätf)er".  Unb 
bieg  fei,  fö^rt  er  fort,  nid)t  bloß  eine  g^orberung  ber  Sogif,  fonbern 
neuerbingg  auc^  efperimentett  bemiefen,  nömlid)  burc^  bie  SSerfui^e, 
ttjeld^e  bartf)un,  ha"^  bie  pft)d^if(^en  ^rogeffe  ober  S)en!bemegungen  ßeit 
gu  it)rem  Stblauf  brauchen.  „S)arau§  folgt  ber  notmenbige  ©djiuß, 
ta^  ber  pf^d^ifc^e  ober  3)en!aft  in  einem  auigebef)nten,  Sßiberftanb 
leiftenben  unb  5ufammengefe|ten  ©ubftrat  ftattfinbet,  unb  baß  bafjer 
ein  fotd)er  5(ft  nid^t§  anbere^  ift,  a(§  eine  g^orm  ber  33e= 
iüegung."  2)ogfeIbe  mirb  audj  burd^  bie  3:^atfadje  bemiefen,  bafs  bie 
Slnfunft  eineg  (SmpfinbungseinbrudS  im  @el)irn  „bafelbft  eine  fof ortige 
Söärmefteigerung  f)erüorruft  unb  jmar  augenbtidlic^!!  2)amit  ift  alfo 
bemiefen,  ha)i  pft)d}ifd)e  2;^ätigfeit  nichts  anberes  ift  ober  fein  fann,  al§ 
bie  gmifd^en  ben  3^üen  ber  grauen  ^irnrinbe  gefd)e^enbe  S(u§ftra^Iung 
einer  öon  öuBeren  ©inbrüden  eingeleiteten  93emegung."  Über  bie 
S^latur  biefer  93emegung  finb  anbere  58erfud)e  na()e  baran,  un§  auf^u^ 
flären,  jene  93erfud)e,  bie  geigen,  „bafe  bie  im  9ceröeu  erzeugte  ©teftrigität 
abnimmt   ober  gang  öerfc^minbet,  fobalb  ber  9Zerö  eine  pl^tifiotogifdje 


4.  ftrit«  be§  ajiaterioItSmug.    <ßorolIeH§mug  beg  «ß^Qftfc^en  unb  $jt)c^tfd)en.    85 

^unftion  ausübt:  bieje§  beiueift  unmiberlegüc^,  ha^  gf^eröenfraft  ober 
9Zeröentf)ätigfeit  gteirf)bebcutcnb  ift  mit  umgetüanbelter  (Steftrisität. "  *) 
9J?it  berfelbcn  ©oppelformct  ^at  ein  bänifdier  ^:pf)t)fioIog  eine 
materiaüftifdje  ^fjeorie  ber  Stffefte  gegeben.**)  9?ac^  ber  gettii3f)nü(i)en 
SSorfteUung  trete  guerft  ber  5tffeft,  j.  S.  i5"i^<^t  "^^  ^i"  ^^^"^^  ^^= 
n)nBtjein§öorgang  ein;  biefer  bettjirfe  bann  eine  9fteit)e  pf)i)fioIogifc^er 
58orgänge,  bie  $8Iäffe,  ba§  gittern  n.  f.  f.  ^er  ^f)i)[ioIog  fe^rt  bie 
©adle  um:  bie  Gemütsbewegung  ift  nid)t  bie  Ur jadje,  fonbern  üielme'^r 
bie  SSirfung  bc»  Brperlic^en  ^ßorgongS,  nämlid)  eine§  pf)t)fio(ogijd)en 
35organg§  im  üafomotorifc^en  ®t)[tem.  Ober  mit  ber  anbern  5oi^"i^t- 
bie  ©emütsbemegung  befte^t  eigentlich  au§  ben  funftionetlen  Störungen 
im  Körper.  2)ie  gangbare  5{nfd)ouung,  ,M'^  ^^e  SDJobififation  be§ 
fectijc^en  3u[tanbe§  ber  eigentliche  5Iffe!t  fei,  bie  maljre  greube,  5:rauer, 
mäljrenb  bie  förperlidjen  (Srfdjeinungen  nur  S'Jebenptjänomene  finb,  bie 
jmar  nie  fet)Ieu,  aber  bod^  an  unb  für  fid^  unnjefentlid)  finb,"  n)irb 
nermorfen  unb  gezeigt,  boB  ber  rein  feeüfcf)e  §Iffe!t  eine  überftüfftge 
^i)pot^efe  ift;  „moS  bie  äJJutter,  bie  über  if)r  tote§  ^inb  trauert,  füf)It, 
ift  in  2öir!tict)teit   bie  3«übig!eit   unb  ©cf)tafft)eit  it)rer  9}lu§!eln,   bie 

*)  Äraft  unb  Stoff,  (S.  295,  297,  300  ff.  9Kan  mufe  bie  3tbfcf)mtte  ®ef)irn 
unb  Seele,  ®ebanfe,  93ett)uBtfein,  gang  tefen,  um  bie  f)eiIIo)e  SSerttJirrung  su  em^ 
)}finben,  njorin  bie  legten  93egriffe  t)ier  öerjt^njimnten.  ©§  finb  brei  Sitten  öon 
SSorfteüungen  über  ba§  SSert)ättni§  öou  'Senfen  unb  SSettjegung,  bie  ju  einem  un» 
auflö§tid)en  GJemirr  üerfd^Iungen  finb:  1)  ®eban!e  ift  93emegung;  2)  (Sebanfe  ift 
SBirfung  öon  33ctt)egungen;  3)  ®cban!e  ift  unlösbar  üerfnüvft  mit  58emegung, 
„®enfen  unb  SluSbe^nung  fönnen  nur  a\§  giüei  Seiten  ober  ®rfc^einung§weifen 
einel  unb  beSfelben  ein^eitlidien  2Befeng  betrad}tet  werben"  (S.  300),  n)etd)e§  SBefen 
bcnn  feiner  eigentUd^en  JJotur  nad)  un§  unbefannt  bleibt  (S.  3,  316).  Influxus 
pliysicus,  ^oraüeligmuS,  ^bentitöt,  ober:  gemeine  SSorftetlung,  Spinoga,  ^ant, 
ba§  taumelt  alle§  roie  betrunfen  burd)einanber.  5)a6  biefer  ^Rann  auf  jebem  93latt 
bie  „<ß^ilofopl)en"  bcfd)impft,  al§  iicute,  bie  bie  (^»abt  l)ätten,  bie  einfad)ften  unb 
flarften  ®inge  t>md)  einen  SBuft  :^od)trabenber,  int)altleerer  SBorte  in  ißeririrruna 
ju  bringen,  wirb  man  l^iernad)  geiui^  in  Drbnung  finben. 

S8ogt  nennt  unter  ben  9Jiitteln,  bie  jum  ßinfc^läfern  geeignet  feien,  auc^ 
„fpe!ulatit)=p:^ilofopl)ifd)e  93üci^er".  3^ieüei(^t  ttJÖre  e§  bod}  anä)  für  i^n  ratfam  ge^ 
roefen,  einmal  biefeg  (£influffe§  fi^  ju  cnne^ren  unb  ben  iyerl)onblungen  St)ino30§ 
ober  Staute  über  biefe  ®inge  mit  2lufmertfam!eit  ju  folgen.  (£ä  ^ätte  it)n  mög« 
lid)er  SSeife  bor  ber  glei(^en  SJerrairrung  bmaijtt,  bie  fid)  aud^  bei  i^m  finbet; 
fiel)e  bie  p^i)fiologifc^en  Briefe  4.  9lufl.,  1876  S.  354. 

**)  e.  Sänge,  Über  ©emütgbettjegungen,  beutfd)  öon  Äuretla  (1887). 


86  I-  S3uc^:  Wletapf)t)\il    1.  ^apM:  ®al  ontologifc^e  Problem. 

Äälte  if)rer  blutleeren  §aut,  ber  ajiongel  tf)re§  (5)e()irn§  an  ^roft  gu 
!(arem  unb  fcfinellem  Renten,  bies  alles  erf)etlt  oon  ber  SSorfteHung  ber 
Urjadje  biefer  ^f)änomene.  9J?an  ne£)me  bei  bem  (Srjd)rocfenen  bie 
fürper(i(f)en  @t)mptome  fort,  laffe  feinen  ^u(s  ruf)ig  f(f)(agen,  feinen 
f8[\d  feft  fein,  feine  g^arbe  gefunb,  feine  93ett)egungen  fdjneU  unb  fid)er, 
feine  @cban!en  flar,  n)a§  bleibt  bann  nocf)  öon  feinem  ©d^rec! 
übrig?" 

SBenn  ber  3RateriaIi§mu§  an  ber  ,^n5eiten  Formulierung  feiner 
5:{)efe  entfcfjloffen  feftf)ält,  bann  ift  er  burc^auS  unmiberleglic^.  S)er 
©a|:  (55eban!en  finb  eigentürf)  nichts  anbere§  als  Semegungen  im 
@et)irn,  @efüf)Ie  finb  niditS  anbere§  al§  !örperlicf)e  Sßorgänge  im 
öafomotorifdjen  ©t)ftem,  ift  üöUig  unn)iberleglic^,  freilid),  nid;t  meit 
er  n^afir,  fonbern  n^eil  er  abfolut  finnloS  ift.  ^a§  Sinntofe  teilt  mit 
ber  2öaf)r!)eit  ben  ^Sorgug,  ha^  es  nic^t  n^iberlegt  werben  fann.  @in 
@ebanfe,  ber  im  ©runbe  nid}t§  anbere§  als  eine  Bewegung  ift,  ift 
ein  ©ifen,  baS^  eigentlich  oon  ^olj  ift.  ^Dagegen  ift  nid)t  gu  bi§putieren; 
man  fann  nur  fagen:  i^  oerftet)e  unter  einem  ©ebanfen  einen  @e= 
banfen  unb  nid)t  eine  S3emegung  oon  @e{)irnmoIe!üIen,  unb  ebenfo 
be^eidine  id)  mit  ben  Sßorten  ßorn  unb  2(ngft  eben  ben  ßoi^n  unb 
bie  Stngft  felbft,  unb  nid)t  eine  SSerengung  ober  ©rmeiterung  ber 
SIutgeföBe.  SDiefe  Ie|teren  3}orgänge  mögen  aud^  ftattfinben  unb 
immer  ftattfinben,  mann  jene  ftattfinben,  aber  fie  finb  nid)t  @eban!en 
ober  öefüt)(e;  mon  mag  fie  ^in  unb  Ijer  menben,  mie  man  miü,  in 
ber  33emegung  ftedt  gar  nid)tg  oon  bem  @eban!en.  2)er  gemeine 
Warm  meiB  ja  gar  ni(^t§  oon  ber  öet)irnbemegung  ober  bem  oafo= 
motorifdjen  ^ßorgang,  aber  er  meife  oon  bem  3oi^n  unb  oon  ben  @e= 
bauten,  unb  eben  biefe  meint  er,  menn  er  baoon  fprid)t,  unb  nid)t  etma§ 
anbereg,  mooon  nur  ber  ^f)i)fioIog  meife,  unb  ber  nid)t  rec^t.  Ober 
mirb  etma  ber  ^f)t)fioIog,  nad)bem  feine  SSiffenfc^aft  etmag  genaueres 
tjon  jenen  !örperlid)en  S3orgöngen  ermittelt  f)aben  mirb,  übert)aupt  nidjt 
mef)r  oon  @eban!en  unb  @efüf)ten  reben,  fonbern  nur  noc^  oon  bem, 
mas  fie  im  (Srunbe  unb  eigentlid^  ober  objeftio  betrad)tet  finb,  nämlidj 
Semegungen?  mirb  er,  menn  e§  i{)m  miberfatjren  follte,  fid^  gu  oer= 
lieben,  ni^t  me^r  feine  Siebe  befennen,  fonbern  ber  S)ame  oon  bem 
entfpred)enben  üafomotorifd;en  ^ro^eB,  ober,  mit  5;t)nball  ju  reben,  oon 
ber  rechts  gemunbenen  ©piratbemegung  in  feinem  §irn  reben,  meinenb, 


4.  trttit  bei  SWnterioliämuS.    '^ataM\§mu§  beg  ^fi^fifd^en  unb  «JJf^c^iic^cn.    87 

\>a^  er  bamit  alle§  gefagt  unb  bie  ©adje  nad)  if)rer  eigentlid^en  2öir!- 
lidjteit  begeidinet  f)abe?    ®a§  i[t  ja  offenbarer  Unfinn. 

Sllfo,  foU  überf)aupt  eine  SDi^fuffion  möglich  fein,  fo  mu^  ber 
SOJaterialiSmuS  juerft  bie  g^ormel  faden  laffen:  ©ebanfe  ift  93ett)egung. 
(SJebanfe  ift  nidjt  Bewegung,  fonbern  @ebanfe.  SOZögüc^  bagegen 
ift,  ba"^  er  ju  einer  33ett)egung  in  irgenb  einem  regelmäßigen  unb 
angebbaren  9Sert)ö(tni§  ftet)t.  ßeigt  bie§  bie  ©rfal^rung,  fo  ift  bie 
5Iufga6e,  bie  Statur  biefer  öejiefjung  feftjuftellen. 

ßiüei  gormen  be§  S3erf)ältniffe§  ättjifc^en  pf)t)fifd)en  unb  pfl)d^ifd)en 
©reigniffen  finb  benfbar,  nad)bem  xoxx  ba§>  SSerf)ö(tni§  ber  ^bentität 
au^gefdjieben  I}aben:  es  fann  entn^eber  ein  Urfad^oer^öItniS  ftatt= 
finben,  ober  ein  3]ert)ö(tni§  be§  blofien  geitlidjen  9lebeneinanber. 
@o  t)aben  bie  beiben  !on!urrierenben  p^ilofoptjifc^en  2;{)eorien  über  ta^ 
58erf)ättni§  öon  Seib  unb  ©eele  feit  bem  fiebjefinten  Saf)i^^unbert  bie 
(Bad)t  gefaßt,  bie  X^eorie  ber  SBedjfe(töir!ung  (influxus  physicus) 
unb  bie  3;;t)eorie  be§  D!fafiona(i§mu§  ober  be§  ^oratleliSmuS. 
9hir  ätt)ifd)en  biefen  beiben  S3orftelIung§tt)eifen  ift  bie  2Sat)I.  SSenn 
ic^  mic^  nid^t  irre,  inirb  fid)  ber  $02ateriati§mu§  nun  für  bie  erftere 
Stuffaffung  entfd)eiben:  S3ett)ußtfein§oorgänge  finb  2öir!ungen  ber 
förperüd)en  33orgänge,  njäf)renb  feine  oben  ertt)öf)nten  p{)i)fioIogifc^en 
ßritifer  fid^  ber  STfieorie  be§  ^arotIeIi§mu§  juneigen,  freilid^  of)ne  ben 
©ebanfen  tt)ir!Ii(^  burd^jufü^ren. 

äJ^ad^en  mir  un§  §uerft  bie  beiben  5tuffoffungen  öödig  !Iar. 
©enfen  mir  un§,  mit  2eibni§,  ben  ©djäbel  eine§  STiereS  ober  eine§ 
9)?enfd)en  fo  groß  mie  eine  9Jcü^(e;  man  fann  barin  ^erumge^en  unb 
bie  33orgänge  im  @ef)irn  beobad^ten,  mie  man  bie  Söemegungen  be§ 
©angmerfg,  ha§>  Sneinanbergreifen  ber  9töber  in  ber  9J2üt)(e  beobad^ten 
fann.  2öie  müßte  bei  jeber  ber  beiben  S^orfteüunggmeifen  bem  S8e== 
obad^ter  ber  ©e'^irnprogeß  fidj  barfteücn? 

2)er  5tnt)änger  ber  paralleliftifd^en  STfieorie  muß  offenbar 
golgenbes  ju  fe^en  ermarten:  bie  pf)i)fifd)en  ^ßorgänge  im  ©e^irn 
bilben  einen  in  fid)  gefdjtoffenen  .taufaläufammenfjang;  nirgenbg  tritt 
ein  ©lieb  ein,  ba§  nidf)t  in  gleidjer  SSeife  mie  jebeS  anbere  p^i)fifd)er 
9Jatur  njäre.  $8on  pfijdjifd^en  35orgängen,  oon  S5orfteHungen  unb  @e= 
banfen,  möre  fo  menig  ju  fef)en,  njie  bei  ben  Semegungen  ber  9}?üf)Ie. 
Sin   Manu   gef)t   über   bie   (Straße.    ^lö^tid;    mirb   er   mit   feinem 


88  I-  33ud^:  9Keta^^t)ftf.    1.  Äopitel:  ®og  ontologij^e  *ßrobIem. 

S^ameit  angerufen,  er  bre^t  fic^  um  unb  gef)t  auf  ben  Stnrufer  ju. 
®er  üollfomniene  ^{)t)fioIog  tt)ürbe  ben  ganjen  ^ßorgang  rein  mecfianifc^ 
fonftruieren.  (Sr  mürbe  geigen,  wie  bie  pf)t)fijc^e  SBirfung  ber  @cf)QÜ= 
njetlen  auf  ba^  @e{)5r§organ  einen  fieftimmten  ^Zerüenoorgang  im  ®e{)ör§= 
nerüen  erregte,  tt)ie  biefer  gum  ßentralorgon  fortgepflauät  tt)urbe,  \ük 
er  t)ier  beftimmte  p^tififdje  ^Sorgönge  auSlöfte,  bie  fdiüefeüd)  jur 
SnnerüQtion  genjiffer  ©ruppen  motorijcfier  Dfierüen  führten,  qI§  beren 
(Snberfolg  bie  SSenbung  unb  Semegung  be§  5^örper§  in  ber  S^id^tung 
eintrot,  öon  Xüo  bie  (Sd^oümeüen  !amen.  Stile  biefe  Sßorgänge  fd^Iie^en 
fic^  gu  einem  lüdenlofen  pf)t)jifc^en  ^roge^  jujammen.  ©aneben  ging 
ein  anberer  ^rogefe  ^er,  üon  bem  ber  ^^I)t)fioIog  at§  folc^er  nichts  fie^t 
unb  nid)t§  gu  ttiiffen  braud)t,  üon  bem  er  aber  at§  ben!enber,  feine 
2öa^rnef)mungen  interpretierenber  äTfenfd)  meife:  @e£)ör§empfinbungen, 
bie  Sßorfteüuugen  unb  ©efü^Ie  f)erüorriefen;  ber  Stngerufene  ^örte  feinen 
DIamen,  er  n^enbete  fid)  um,  Urf)eber  unb  M\\(i)t  beg  9^ufe§  gu  er* 
fahren,  er  erbüdte  einen  alten  58e!anuten  unb  ging  auf  it)n  gu,  if)u  gu 
begrüben.  3)iefe  SSorgänge  ge()en  neben  bem  pt)t)fifd)en  Slblauf  t)er,  of)ne 
in  if)n  einzugreifen;  SBat)rnef)muug  unb  Sßorfteüung  bilben  nic^t  ©lieber 
ber  p^t)fifd)en  Äaufatrei^e. 

S(nber§  bagegen  nützte  bie  Sad)t  fic^  barfteüen,  tt)enn  bie 
Xt)eorie  ber  Sßedjfeltt)ir!ung  red)t  f)ätte.  ©in  2lnf)änger  biefer 
S^eorie  mu^  ermarten,  ha^  ber  pt)t)fifd)e  SSerlauf  nn  gemiffen  fünften 
eine  Unterbrechung  geigt,  ba  nämüd),  mo  at§  ©lieber  be§  Äaufal* 
gufammenf)ang§  bie  pft)c^ifc^en  ©reigniffe  eintreten,  ^ft  bie  9fieröen* 
bettjegung  Urfad)e  ber  ©mpfinbuug,  fo  mufe  fie  aU  Semegung  öer- 
fdiminben  unb  ftatt  if)rer  bie  (gmpfinbung  eintreten.  S)ie  Semegung 
ber  5i'ugel  A  t)at  bie  ^öemegung  ber  ^ugel  B  gur  2Bir!ung,  bos  t)ei^t: 
bie  erfte  S3emegung  oerfc^minbet,  ftatt  it)rer  tritt  eine  beftimmte  gleic^ 
groBe  58emegung  ber  gmeiten  ^ugel  ein.  (Sine  Bewegung  bringt  eine 
(grmärmung  I)erüor,  ha§:  Reifet:  bie  Seluegung  üerfc^minbet,  ftatt  iljrer 
tritt  ein  beftimmte^  Cluantum  SSärme  auf.  ©ben  bagfelbe  müBte 
alfo  in  unferem  gaü  eintreten:  anftatt  ber  öerfd^munbenen  S3emegung 
eine  ©mpfinbung  ober  S^orfteüung  nou  beftimmter  Sntenfität  unb 
Dualität  al§  i^x  Stquiüalent.  3)ie  ä^orfteüung  aber  ift  nid)t  @egen= 
ftanb  ber  S3eobad)tung  öon  aufeen;  SSorfteltungen  ober  ®efüf)Ie  !önnen 
oI§  fold^e  nid)t  gefef)en  ober  übertjoupt  mit  ben  58eobad)tunggmitteIn 


4.  tritif  be§  aKotenali§mu§.    ^ataUel\§mu§  be§  «ß^tjfijd^en  unb  ^ftjd^tfc^en.    89 

ber  9^aturforfcf)ung  nad^gelüiefen  inerbeit.  ^ür  ben  ^fjtjfüer  al§  fold^en 
lt)äre  bemnacf)  im  Äaufoläufammeufjang  t)ier  eine  Surfe,  e§  fel)(te  ein 
©lieb  in  bem  p^i)fifdjen  Slblauf.  —  SSoUte  unfer  materialiftifdfier 
^f)iIofopf)  bie§  nicfit  zugeben,  lüollte  er  befjaupten,  bofe  bic  S8or[teIIuitg 
QitbererfeitS  and)  ein  ^;pf)t)fifrf)e§  fei,  eine  irgenb  n^eld^e  gorm  ber 
iöetüegnng,  fo  fiele  er  bamit  natürlicf)  üon  feiner  ^i^orauSfe^ung  ob 
unb  träte  auf  bie  @eite  ber  p  a  r  a  1 1  e  ü  ft  i  f  (f)  e  n  Xi)eorie  über.  S)enn 
tüäre  e§  fo,  fo  f)ätte  nun  ber  9kturforfd()er  qI§  fotd^er  felbftoerftänblid^ 
bloB  mit  bem  ^fji)fif(f)en  ^u  t!)un  unb  fönnte  e§  ööüig  üernadjlöffigen, 
bofe  ber  SSorgong  jur  Segleiterfd^einung  einen  93en)uBtfein§öorgQng 
f)ätte.  (S§  tt)öre  bann  eben  ^(quiöalent  unb  SBirfung  ber  pi)t)fifd)en 
Vtrfacfie  bie  p'^Dfifi^e  SBirfung  unb  !eine§n)eg§  bie  (Smpfinbung  al§ 
fold^e. 

2)a§  finb  bie  beiben  mög(id)en  SSorfteüungSmeifen;  Ujeldjer  ent= 
fprirfjt  bie  SBirflirfifeit? 

hierüber  fann,  aU  über  eine  ^rage,  bie  S^atfad^en  betrifft, 
allein  burtf)  (Srfa^rung  entfdjieben  ttJerben.  Sin  fid^  finb  fie  beibe 
benfbar.  —  ^at  bie  ©rfatjrnng  entf(f)ieben  ?  —  Sc^  benfe  uid)t,  boB 
jemanb  wirb  behaupten  ttjollen,  e§  feien  entfc^eibenbe  93eobad)tungen 
angeftellt,  n^oburd)  bie  eine  35orfteIIung  au^gefc^Ioffen,  bie  anbere  not= 
n:)enbig  gemad)t  ujerbe;  öielleid^t  ttjerben  fie  aud)  nid)t  gemad)t 
tüerben.  53eobad)tung  unb  ©Eperiment  finb  biefen  un^ugänglidjften 
unb  üerttjideltften  Vorgängen  be§  orgonifdjen  2thm§>  gegenüber  jiemlic^ 
of)nmöd)tig. 

5Dennod)  Ujirb  ein  9Jaturforfd^er  nid^t  lauge  im  3^^if^^  f^i"^ 
lüetd)er  SBorftetlung  er  ben  ^or^ug  geben  foll.  ©r  luirb  fügen,  bie 
Sinologie  ber  gangen  @rfal}rung  meife  if)n  auf  bie  5Iunat)me  ber 
Kontinuität  ber  pt)t)fifd)en  ^rogeffe  aud^  on  biefem  ^unft;  bie  3ln= 
na^me  einer  Umfe^ung  oou  5öett)egung  nidt)t  in  eine  anbere  gorm  ber 
Serteguug,  nid^t  in  potentielle  pf)i)fifd)e  Energie,  fonbern  in  etiua^, 
\oa§>  pf)t)fifd)  überhaupt  nid^t  ift,  fei  eine  ^wi^^tung,  ber  er  uid)t 
folgen  fönne.  Umfe|ung  öon  Sen^eguug  ober  Kraft  in  S)en!en,  in 
reine  93ett}uBtfeiu§t)Drgänge,  ha§:  iräre  für  bie  naturn)iffeufd)aftlic^e 
93etrad;tuug  eigentüd)  nid)t§  anbere§  a(§  S^ernidjtuug  oou  (Snergie;  unb 
ebeufo  ft)äre  Urfprung  öon  ^öeinegung  au§  einem  rein  ©eiftigen,  etina 
ber   SSorftetlung  eine§  ©rnjünfd^ten,   für  bie  ^l)t)fif   fo   gut  rvk  (Snt= 


90  I-  93uc^:  SReta^j^^fü.    1.  Sapüel:  ®ag  ontologtfc^e  «ßroblem. 

ftel^ung  qu§  ntd^tg.  S)emnQd^  fei  fein  ßntfd)IuB  gefönt,  er  fönne  nid^t 
umi)in,  ber  paralleliftiftfien  2;f)eorie  bor  ber  onberen,  bie  ein  5l'aufQl= 
t)eri)ä(tnig  onnefime,  ben  S3or§ug  gu  geben.  —  33ielleid)t  entfcf)üeBt  fic^ 
in  ber  dlot  biefe§  SDilemmaS  oud)  ber  moterialiftiic^e  9Jietap^Qfifer  ju 
ber  pQrQl(eIi[tifd)en  §i)pot^efe  überzugeben;  lieber  q(§  auf  boS  ®eje| 
ber  (Srf)altung  ber  pf)i)[ijd)en  Energie,  wirb  am  (Snbe  and)  er  auf  bie 
^ormel  üergic^ten:  bie  33en:)uBtfeingüorgänge  finb  eine  3ßir!ung  ber 
:pf)t)fifd^en  Orgonifation.  2Sa§  f)inbert  benn  aud),  tt)irb  er  etwa  fagen, 
fie  (lU  eine  S3eg(eiterfd)einung  ber  @et)irnüorgänge  ju  faffen?  2)a§ 
^erpltnig  bleibt  babei  hod)  im  wefentlic^en  basfelbe:  geiftige  Slorgänge 
ein  gelegentlidjer,  nun  nidjt  (Srfolg,  ober  üleflej  pt)i)fifd)er  33orgänge. 
Sa,  oieüeid^t  lüirb  er  fogen,  ba§  fei  im  ©runbe  gerabe  feine  2tnfid)t. 
2)er  ©e^irnuorgong  haS^  Dbjeftiüe,  (Smpfinbung,  53orftelIung,  ®efüt)I 
ber  fubjeftioe  S^efley.  ©o  Heft  man  bei  33üdjner:  „Sen!en  unb  2(u§= 
bet)nung  jwei  Seiten  ober  @rfd)einung§ftieifen  eine§  unb  beSfelben  ein= 
fieitlic^en  2Befen§"  (@.  300),  „®eift  unb  9latur  ift  in  le^ter  2inie  ba§= 
felbe,"  „Sogif  unb  9}?ed^oni§mu§  finb  basfelbe,  unb  bie  Vernunft  in  ber 
9?atur  ift  auc^  bie  SSernunft  be§  2)enfen§"  (©.  127). 

S33ir  fe|en  bemnad)  im  golgenben  bie  paraUeIiftifd)e  SEt)eorie  oI§ 
gugeftanben  üorou§  unb  inoUen  im  nädjften  Kapitel  it)re  ^onfeguen^en 
entmideln.  ^c^  erinnere  babei  nod)mal5  baran,  ba§  wir  biefe  jtf)eorie 
mit  einem  er!enntni§t^eoretifd)en  3Sorbet)aIt  annehmen:  bem  35or= 
bet)a(t  nämlid),  ha^  ben  beiben  ©eiten,  bem  ^t)t)fifd^en  unb  bem 
'jpf9d)ifd)en,  nidjt  in  gleidjem  ©inne  2BirfIid}!eit  §ufommt.  Sd)  werbe 
fpdter  §u  geigen  öerfuc^en,  baB  allein  bem  ^fl)d)ifd)en  SSirf(id)feit  in 
abfolutem  ©inn,  ber  Äörperwelt  aber  nur  in  retatiüem  ©inn  gufommt, 
al§  bloBer  (Srfd)einung. 

§ier  mö(^te  id)  aber  nod)  mit  ein  paor  ©tridjen  bie  gefci^id)t= 
lid^e  (Sntwidelung  ber  2t)eorie  be§  ^aralIeU§mu§  anbeuten.  2)aB  fie 
üon  ©pinoga  guerft  in  if)ren  allgemeinen  3"9^"  ausgeprägt  worben 
ift,  würbe  fd)on  oben  (©.  60)  bewerft.  Seibnig  ^at  fie  in§  Sbea= 
liftifd^e  umgebogen,  wogu  ©pinoja,  tro|  mandjer  Anläufe,  fidj  nid^t 
entfc^liefeen  fonnte:  bie  Sarftellung  ber  SSirflidjfeit  aU  ^örperwett 
blo§  ein  phaenomenon  in  ber  finnlidjen  35orftenung,  wä^renb  ber 
^öerftanb  ha§>  wirflii^  SBirflic^e  erfennt  al§  ein  ©tjftem  oon  feelenartigen 
SSefen^eiten   (9)Zonaben).    2eibni§   l)at  nod;  §wei  weitere  SSorgüge:   er 


4.  ftritif  be§  SJJateriaU^mug.  ^arattelt§mu§  bei?  ^:^t)fifdf)en  unb  ^ßf^c^ifd^en.  91 

()at  ben  93egriff  be§  u  n  6  e  lü  u  [3 1  e  n  jeelifd^en  SSorgongS  eingefüf)rt, 
tuomit  ber  uniüerjelle  ^oratleliSmug  eigentUrf)  er[t  burcf)füf)rbQr  lüirb; 
unb  er  oermeibet  (Spino^oS  falfd^e  ^ertüenbung  be§  'ipnraHelilmus  ber 
S(ttribute  jur  Söjung  ber  erfenntni§t{)eoretii(^eu  ^rage  nad)  bem  $8er= 
{)ä(tni§  öon  3)enfen  unb  ©ein.  —  ^ont  bleibt  mit  feiner  metapf)t)fijcf)en 
SöeltanjdjQuung  im  ÖJrunbe  auf  bem  93oben  ber  Seibni^ifdjen  9}ietQ= 
pf)l)fif  ftef)en,  bod;  fü^rt  if)n  feine  auf  bie  Segrünbung  eine§  erfenntni§= 
tf)eoretifd)en  9\ationaIi§mu§  gerid)tete  fritifd^e  Unterfud;ung  ba5u,  auc^ 
bie  pfi)d)ifd)e  Seite  be§  2BirfIid)en  ^ur  bloßen  (Srfdieinung  fjerab^ufe^en, 
fo  ta^  mx  ^ier  auf  einen  rein  pf)änomenatiftifc^en  ^araüeligmuS 
fämen  unb  nun  folgenbe  Steitje  I)ätten:  bei  ©pinoga  beibe  Seiten  real, 
bei  Seibnig  bie  geiftige  Seite  real,  bie  materielle  pijönomenal,  bei  ^ant 
beibe  Seiten  p^önomeual.  Sn  ber  fpeMatinen  'p^ilofop^ie  bringt  aU-- 
halb  bie  aud;  hd  Äant  al§  Unterftrömung  öor^anbene  ibeatiftifdje 
3)Zetapt)l}ftf  mieber  burd).  S  d)  0  p  e  n  ^  a  u  e  r  giebt  ber  paraüeliftifc^en 
^Infd^auung  eine  bebeutfame  SSenbung,  inbem  er  bie  Snnenfeite  ber 
SSirflic^feit  al§  SSille  beftimmt:  bie  ^örpermelt  nur  bie  (Srfdieinung 
belfelben,  ma§  im  Selbftbemu^tfein  a(§  ha§>,  npa§  e§  eigentlich  ift,  al§ 
SBille,  fid)  barfteüt.  Sn  unferer  ßeit  I)at  ^ed^ner,  mit  2tnlet)nung 
an  Sc^elling  unb  Spinoza,  bie  paraüeliftifdje  2;f)eorie  wieber  rein 
naturpt)itofop()ifc^  entmidelt  unb  fie  feiner  uniöerfetlen  pft)c§o-pt)t)fifd)en 
58etrad)tung  §u  ©runbe  gelegt.  Sn  benfelben  Spuren  bemegt  fid) 
SS  u  n  b  t ,  nur  ha'i^  bei  it)m  bie  er!enntui5t^eoretifd)e  'jRefteyion  bie 
ibealiftifdie  Ö3runbanfd)auung  ftärfer  f)eroortreten  löfet.  Unter  ben 
^^ft)c^oIogen  ber  ©egenmart,  bie  üon  biefer  Stnfd^auung  au^ge^en,  nenne 
id)  pffbing  (^ft)c^otogie  in  Umriffen,  2.  Slufl.  1893),  SobI  (2et)rbud) 
ber  ^fijd).,  1896),  ®bbingf)au§  (©runbsüge  ber  ^fl)d)o(ogie,  1897). 

5n§  ©egner  ber  paralleliftifd)en  Slnfid^t  unb  2Int)änger  ber  2öed)fel= 
h)irfung  mögen  Sigmart,  Wlad),  Stumpf  genannt  fein.  ^iir^Iid)  ift 
bie  paraüetiftifdje  2;§eorie  einer  au§füf)rlid)en  5l'riti!  öon  g^r.  @rt)arbt 
(bie  2Bed)fetmir!uug  siKifdjen  Seib  unb  Seele,  1897)  unterjogen  itjorben. 
Sd)  fanu  nid)t  finben,  ba^  if)re  Söiberlegung  if)m  gelungen  ift;  in  ber 
gorm,  in  ber  fie  t)ier,  in  ber  fie  je|t  in  ber  Sieget  be!)auptet  mirb, 
ber  ibeatiftifc^en,  n)irb  fie  üon  feiner  ^ritit  überljaupt  nid^t  getroffen. 
Sinb  Körper  (grfdjeinungen,  fo  fönnen  fie  natürlid)  mit  bem,  tt)a§ 
erfc^eint,  nid^t  in  SBed)feImir!ung  ftel^eu.    5tber  aud^  tt)enn  man  fid)  auf 


92  I-  33uc^:  9Jietopt|^fif.    1.  ^apM:  ®o§  ontologifcfie  Problem. 

ben  realifttfc^en  @tanbpun!t  fteüt,  fc^eint  e§  mir  bie  SJJajime  ber  natura 
n)iffenfcf)aftticfjen  g^orfrfjumj  bleiben  311  muffen:  pfitififc^e  Vorgänge  finb 
Qui  pfitififd^en  Urfad^en  ^u  erflären,  nnb  anbererfeitS:  fie  fönnen  nur 
3öir!ungen  {)Qben,  bie  ber  pf)t^fifd)en  SSelt  angef)ören.  8inb  pft)cf)ifcf)e 
SSorgänge  qI§  fold^e  niä)t  in  ber  önBerIi(f)en  5(nfcf)auung  borftellbar,  fo 
finb  fie  für  ben  $f)t}fifer  qI§  fotd^en  nid^t  üorf)anben,  unb  er  ttjirb  fid) 
fträuben,  fie  bem  ÄQufat§ufammenf)ang  ein^ureitjen.  @inb  fie  aber  aucf) 
in  ber  finntief)  n)at)rne{)mbaren  SSelt  iiorf)anben,  al§>  irgenb  ttjelc^e 
p'fltjfifc^en  S^orgänge  ober  ßuftönbe,  fo  n^irb  er  fid^  lebiglid^  an  biefe 
(Seite  if)re§  ©ofeinS  galten.  3)er  @q^:  QÜe§,  tüa§>  in  ber  pt)t)fifc^en 
Sßelt  xoixtt,  ift,  mit  feinen  Urfad)en  unb  3Sir!ungen,  Qt§  ©lieb  in  ber 
Söelt  ber  finnlii^en  9(nfd)auung  öor^onben,  fdf)eint  mir  eine  unaufgebbare 
Sßorau§fe|ung  aEer  pf)t)fifcf)en  ^orfd)ung.  ©§  ift  bieg  haS»  Stücf,  morin 
ber  9}jQteriaIi§mu§  rerf)t  ^at,  man  fönnte  if)n  ben  @runbfa|  be§ 
formolen  ober  !ritifc^en  3JJaterioIi0mu§  nennen,  ©iebt  e§  in  ber 
p^l5fif(f)en  SSett  Sßirfungen  non  Urfad^en,  bie  rein  pft)d)ifd)er  9^atur  finb 
unb  umgefef)rt,  fo  ftet)en  mir  prinzipiell  auf  bem  33oben  be§  ©piriti§= 
mu§:  e§  giebt  SSirfIicf)e§,  ha§>  auf  feine  SBeife  p^Qfifrf)  ift,  aber  bod) 
2öir!ungen  in  ber  p^t)fifc£)en  SSelt  tjaben  !ann.  ß^^^l"^^^  biefen  beiben 
Stnfid^ten  fc^eint  e§  mir  fein  9}?ittlere§  gn  geben.  ®er  ®uati§mu§  mit 
gmei  fjeterogenen  SSirftid^feitselementen,  rein  pt)t)fifd)en  unb  rein 
pfi}c^ifd)en,  bie  einen  einf)eitli{f)en  ^Zaturpfammenfjang  bilben,  mag  an 
fi(^  möglicE)  fein;  ma§  idf)  ^ier  allein  behaupte  ift  bie§:  bie  9latur=^ 
forfdfjung  fann  ficf)  fd^merlidj  bamit  befreunben,  fie  mirb  immer  bem 
SD'iaterialigmuS  ben  S^orjug  geben.  Unb  fo  mirb  e§  ber  ^tjitofop^  tf)un, 
nur  \)a^  er  bem  9)?ateria(i§mu§,  mit  ^ont,  ein  SSorgeic^en  giebt:  biefe 
gan^e  pf)i)fifd^e  SSirflid^feit  nur  (Srfc^einung. 

5.  ®ie  Äottfcqucnjcn  ber  poraUeltfttfc^cn  3;^eorte.     Stttbefeelung. 

3tnei  ©ä|e  finb  mit  ber  Srf)eorie  be§  ^aralleli§mu§  gegeben: 
1.  ^f)^fifd^e  SSorgönge  finb  niemals  SSirfung  pfi)c^ifc^er;  unb  2.  pft)(f)ifc^e 
33orgänge  finb  niemals  SSirfung  pf)t)fifd)er  93orgänge. 

9JJit  bem  erften  @o^  ift  gefagt:  ber  lebenbe  Körper  ift  ein  5(utomat. 
(£r  unterfd)eibet  ficf)  oon  einer  3J?afrf)ine  burdC)  bie  unenblic^e  Äom= 
püfation  feiner  3ufammenfe^ung;  aber  alle  feine  ßeiftungen  finb  5u(e|t 
au§  benfelben  ©runbfräften  ju  erflören,   mit   benen  ber  9laturforfd)er 


5.  2)ie  Äonfequenjen  ber  paraHeliftifd^en  %^toxit.    Slübefeelung.          93 

überhaupt  arbeitet.  (S§  giebt  ^ier  feine  STuSna^men;  aud)  bie  fom= 
pli^ierteften  Seiüecjungeu  lebenber  Körper,  and)  bie  finnreic^[ten  5trbeiten 
unb  ^QnbfuuQen  be§  ü)?eu]cf)en  finb  of)ne  alle  9iü(ffirf)t  auf  feelifrf)e 
Vorgänge  lebiglidj  qI§  pf)t)[tfci^e  9?eaftionen  eine§  fold^en  unb  jo 
bi^iponierten  ti3rperli(i)en  ©t)[tem§  auf  fo(cf)e  pf)i)fifc^en  Ü^eije  an5ufef)en. 
Gin  .^unb  ncrfolgt  einen  §afen,  er  loirb  bur^  bie  Söittcrnng  unb 
ba§  ©efidjt  gleid)fam  angezogen.  Sie  Seujegung  i[t  rein  p'^tjfifd^  gu 
erftären,  nid^t  anber§  n?ie  bie  33eiregung  ber  (Sonnenblume,  bie  bem 
Sid)t  fidj  guujenbet,  ober  be§  ^(aneten,  ber  um  bie  ©onne  rotiert;  bie 
SSirfung  unb  ®egeniüir!ung  ift  fompli^ierter,  aber  fie  liegt  bort  tok 
{)ier  rein  in  ber  pf)i)fifcfjen  SBelt  unb  ift  mit  ben  SJiitteln  ber  pf)t)fifd)en 
SBiffenfdjaften  §u  fonftruieren.  ©in  ©(^riftftelter  fdjreibt  ein  33ucf),  ein 
S3aumeifter  baut  mit  f)unbert  Arbeitern  ein  §ou§,  ein  g^elb^err  fd)Iägt 
mit  ^unberttaufenb  Sotbaten  eine  (Bd)laä)t:  ber  üollfommene  ^I)t)fioIog 
mürbe  alle  biefe  SSorgänge  al^  P^^fifc^  bebingte  au§  ber  ^onftitution 
biefer  Körper,  biefer  9Zernen=  unb  2J?u§!etft)fteme,  unb  anbererfeit§  ber 
'iRatüx  ber  einfaüenben  Üieige  fonftruieren.  ©r  mürbe  un§  ben  Sßerfaffer 
ber  Äritif  ber  reinen  SBernunft  q(§  eine  Strt  Ufjrmerf  bemonftrieren; 
bei  biefer  3}i§pofition  ber  @e!^irn§ellen,  i^rer  SSerbinbungen  unter  ein= 
anber  unb  mit  motorifdjen  9lerüen,  mußten  foId)e  auf  bie  9ie|f)aut,  auf 
bie  Jaftneroen  ber  ^^inger  mirfeube  Sf^ei^e  fold^e  ^emegungen  öeran= 
lüffen,  prinzipiell  nid)t  anber§  mie  bei  einem  (Sdjreibautomoten  ober 
einer  ©pielbofe.  SSon  ©ebanfen  unb  bergleic^en  märe  bei  jener  Semon= 
ftration  garniert  bie  9ftebe;  ber  ^f)i)fioIog  fönnte  barum  miffen,  ha^  and) 
fo  etma§  ftattfinbet,  aber  für  feine  SDemonftration  mürbe  er  baoon  feinen 
©ebraud^  mad)en  roollen  unb  bürfen,  ©ebanfen  fönnen  fo  menig  bie 
Ringer  bemegen,  al§  fie  ben  9J?onb  au§  feiner  Sat)n  gn  teufen  oermögen. 
@§  ift  nidjt  3U  ermarten,  ha'<5  jener  ^t)i)fio(og  einmal  fommt;  ba^ 
Spiet  ber  ©e^^irnmolefülc,  metd§e§  bie  ©ebaufenarbeit  ber  ^ritif  ber 
reinen  95ernunft  begleitete,  mirb  nie  feinen  9^emton  finben;  aber  oßer= 
bing§  märe  gu  bef)aupten:  lebiglic^  biefeS  ©piel,  unb  nid;t  bie  ©ebanfen, 
finb  Urfac^e  ber  Söemegungen,  burd)  meldte  bie  Sdjriftjeidjen  ouf  ba^ 
'i^apier  gebrad)t  merben. 

Slber  ha^  ift  ja  Unfinn,  mirb  ber  gefuube  SOJenfd^enüerftanb  fagen, 
unb  üielleidjt  mirb  nun  audj  ber  eine  ober  anbere  ^^t)fio(og  mit  if)m 
irre:  ta§i  fann  ja  fein  Stutomat  leiften;  bog  fann  nid)t  of)ne  ®enfen 


94  I.  93ud^:  SJKetapfi^iif.    1.  Äopitel:  ®aä  ontologiicfie  «Problem. 

unb  5t6fid)t  erüärt  tüerbeti.  —  S^Jun,  bann  mu&  man  ficf)  beutlic^  machen, 
ha'ß  man  bamit  511  ber  ^f)eorie  ber  SSecfijetlüirfung  surücffel!)rt  unb  bann 
olfo  aucf;  jene  !Srf)irierigfeiten  in  ben  ÄQuf  nef)men  muB:  bie  ©ntfte^ung 
öon  33en)egnng  au§  etn)Q§,  tt)a§  P^Qfif^^  ü6erf)aupt  nidjt  ba  i[t,  unb 
eBenfo  bie  Umraanblung  üon  Seujegung  in  rein  @ei[tige§.  Sntiüeber  — 
ober;  el  giebt  f)ier  fein  SOIitt(ere§. 

3Sa§  aber  bie  Unfäf)igfeit  be§  ^örper§  ju  jolc^en  „automatiirfjen" 
ßeiftungen  anlangt,  fo  fann  man  barauf  mit  ©pinogo  antworten: 
bi§t)er  Ijat  noc^  niemanb  bie  ©renje  beffen  gefunben,  ma§  ber  Körper 
üU  fo(d)er  (eiften  fönne.  @r  meift  auf  bie  Dlac^twanbler  tyn,  bie  ot)ne 
SettJU^tfein  unb  (Scbanfen  bie  fompligierteften  33ett)cgungen  ou§füf)ren. 
§eute  ptte  er  nielleidjt  auf  bie  t)t)pnotifd)en  S^orgönge  f)ingen)ieien, 
etma  auf  bie  poftl)t)pnotifdje  SSirfung  ber  ©uggeftion.  öiner  ^erfon 
tt)irb  im  I)t)pnotifd)en  @d)Iaf  ber  5(uftrag  gegeben,  morgen  SJJittag  um 
ätt)ölf  Ut)r  in  ein  beflimmte^  .^au§  §u  ge{)en  unb  mit  bem  2afd)entud) 
jum  ^enfter  I}inau§  ju  minfen.  Sie  meife  nic^t§  oon  bem  Stuftrag, 
fie  t)at  feine  Erinnerung  an  ba§,  ma§  im  f)t)pnotifd)en  Bi^f^Q""^  ^^^ 
if)r  üorging,  aber  tt)enn  bie  ©tunbe  ha  ift,  madjt  fie  fid^  auf  ben 
Sßeg  unb  üoü^ieljt  ben  Stuftrag.  2Sie  anberS  läfet  fid)  ber  S^organg 
fonftruieren,  al§>  ha§>  man  annimmt,  bie  SSorte  be§  ."ptjpuotifeurS  ^aben 
bem  ©eljirn  eine  beftimmte  2)i§pofition  gegeben,  unb  nun  mirb  burd) 
ben  ©lodenfdjtag  bie  9^eit)e  öon  Semegungen  auggelöft,  nidjt  anberS 
tt)ie  bie  Semegungen  ber  3Sederuf)r,  tvmn  ber  ^ÜQ^i  bie  eingefteßte 
(Stunbe  überfdjreitet.  Xa'^  nnenblidj  oiet  fomplijiertere  Stuötöfnngen 
ftattfinben  fönnen,  ai§>  roh  mit  unferen  ü}?afd)inen  erreichen,  ift  nic^t 
überrafdjenb.  Tlit  ben  fünffjunbert  ober  taufenb  äJäUionen  ^eüen  ber 
§irnrinbe,  bie  alle  mieber  au§  ungejätitten,  überaus  fompliäierten  unb 
üerfc^iebenartigen  c^emifd)en  SDZolefüIen  sufammengefe^t  unb  burd^ 
5af)IIofe  2eitung§baf)nen  mit  einanber  oerbunben  finb,  wirb  fid)  ja 
etma§  gang  anbereg  mad)en  (offen,  al§  mit  ben  paar  9fläbern  unb 
Rebeln  unferer  DJkfdjinen,  unb  menn  in  Sßirflidjfeit  unfere  ^f)t)fio= 
logen  bamit  nodj  fo  gut  wie  gar  nid)t§  madjen  fönnen,  fo  ift  bod) 
ber  ^l)antafie  bamit  ein  gren^entofer  Spielraum  eröffnet.  —  S)a§  muB 
man  übrigen^  auf  aüe  ^älle  fidj  bcutlidj  machen:  wenn  bie  Seete  bei 
jenen  Jöorgängen  al§  Urfad)e  beteiligt  ift,  fo  ift  fie  e§  boc^  nid)t  burd) 
i()re  6rfenntni§;   fie  bewirft  bie  Bewegungen,  5.  S.  ber  ^^inger  be§ 


5.  2)ie  Äonfequenäen  ber  ^aroITelij'tifii^en  S^eorte.    Slttbejeelung.  95 

©d^reibenben,  firfjerlidf)  nic^t  burrf)  eine  (Sinfidjt  in  bie  9Zatnr  unb 
i^oge  ber  S^eröen  unb  9J?u§feIn,  fonbcrn  auf  eine  objolut  gel)eimni§= 
ootte  Söeife.  2)ie  ©eele  bettjegt  bie  ©lieber,  boi^  ^ie^e  bemnarf)  im 
©runbe  nur  mit  onbern  SBorten  jagen:  ic^  meife  nid^t,  mie  ber  Körper 
Bewegt  mirb.  3tuf  feine  2öeije  fann  bie  3n5ecfmäfeig!eit  ber  Semegungen 
burcf)  bemühte,  öon  (Srfenntniö  ber  ÜJüttel  geleitete  ßttjecftptigfeit  ber 
<Seete  erffärt  tt)erben.  — 

®amit  tt)äre  alfo  ber  S^Jaturforfc^ung  bie  gan^e  ^örpermett  o{)ne 
©injd^ränfung  jur  nnbebingten  S^erfügung  geftellt.  (Sie  mag  nun  jagen, 
für  meine  ^mde  ijt  hc[§>  3Sirfli(f)e  nidjtS  al§  Körper,  aüe  Vorgänge  in 
ber  Statur  jinb  mit  meinen  3J?itte(n,  finb  ou^jdilieBIic^  au§  ^Bewegungen 
unb  $8emeg!räjten  ber  materiellen  ©lemente  ju  erflären;  bie  cf)t)potf)eje 
einer  Seele,  eine§  ®eijte§,  eine§  @otte§,  mit  benen  jrüf)er  bie  ^§t}jif 
operierte,  \)abt  id)  nic^t  nötig;  nirgenbg  jüf)rt  mid)  bie  5?aujatrei^e  auf 
tt\Da§,  Wag  nic^t  ber  p^i)jijc^en  2Be(t  angefiörte;  ja,  mürben  mir  jolc^e 
2)inge  non  anbergmofier  jnr  55erfügung  gefteUt,  jo  mürbe  ic^  borf)  gar 
feinen  ©ebraud)  üon  it)nen  mad^en  wollen  unb  föunen. 

2)a§  Wäre  bie  eine  ©eite  ber  ©ad^e.  ^ä)  jollte  benfen,  and)  ber 
9JJateriaIi§mu§  l^ätte  Urjadje,  bamit  aufrieben  ^u  fein.  — 

SSir  wenben  un§  nun  gu  ber  anberen  Seite,  ju  bem  ^weiten 
@a|,  ber  oben  at§  ^onjequens  ber  paralletiftijc^en  3:f)eorie  be^eic^net 
würbe:  pjt)c^ijd)e  Vorgänge  finb  nidjt  Söirfungen  p^Qjijc^er  Sßorgänge. 
ör  ift  nur  bie  ^el^rjeite  be§  erjten  (Sa^e§,  genau  jo  begrünbet,  jo  ein= 
Ieud)tenb  al§  jener:  fönnte  ein  ©ebanfe  SSirfung  oon  Bewegungen 
jein,  jo  ijt  jd)tedjterbing§  nid)t  abäuje^en,  warum  eine  Bewegung 
nic^t  SBirfung  eine§  ©ebanfenS  jein  joüte.  @e^en  wir  gu,  xoa^  für 
Folgerungen  au§  if)m  fidj  ergeben,  ^d)  fürdjte,  fie  werben  nic^t  blofe 
ben  9[}?etapf)Qjifern  be^  9iJ?ateriaIi§mu§,  jonbern  ouc^  ben  ^t)i)jioIogen 
etwag  jd)Wer  eingeben.  Sc^  je{)e  aber  nic^t,  wie  barum  fjerumgu^ 
fommen  ift. 

^d)  f)öre  bie  Sd)(äge  einer  @tode.  ®a§  ift  bie  SSirfung,  jagt 
bie  gewöf)nlid)e  Betradjtnng,  ber  ©rgitterung  ber  ßujt;  bie  ©rregung 
be§  ®e^i.ir§nerüen  ijt  Urjad^e  ber  Snipfinbung.  ®a§  ift  nnmi3glid), 
jagt  unjere  Sfieorie;  eine  ©mpfinbung  ijt  ein  pji)d)ijd^er  i^organg, 
fann  aljo  nic^t  äöirfung  einer  Bewegung  jein.  5(ber  wooon  ijt  fie 
benn  bie  äöirfung?    2)enn  ha^  fie  eine  Söirfung,   uid)t  ein  ifolierter. 


96  I-  S9uc^:  Ttetapf)t)\il    1.  Äopitel:  ®a§  ontologifc^e  «ßroblem. 

bem  ®efe^  ber  Äaufalitöt  nicfjt  unterliegenber  SSorgang  ift,  nehmen 
borf)  alte  an;  aud^  biejenigen,  bie  an  3SilIen§frei{)eit  glauben,  betrachten 
(Smpfinbungen  a(§  nerurfad^t.  SSoburd)  alfo  ift  bie  ©mpfinbung  t)er= 
urfadjt?  93on  einem  in  ber  (Seele  be§  §örer§  üorI)ergef)enben  93e= 
tuuBtfeinöüorgang?  Stber  offenbar  nic^t,  benn  fie  tritt  in  geitüdjer 
j}o(ge  auf  jeben  beliebigen  53en)uBtiein§öorgang  ein.  @§  mu^  atfo 
bie  Urfarfjc  auBerI)aIb  ber  eigenen  S3en)uBtfein§§u[tänbe  gejuckt  lüerben. 
5ttfo  bod)  bie  ©diallraeden,  n)el(i)e  üon  ber  angefd^tagenen  (SJIocfe  au§' 
gc^en?  Ober  giebt  e§  noc^  eine  anbere  9J?ögücf)!eit? 

Sn  ber  %^at,  e§  giebt  noc^  eine  anbere  3JJögIi(f)!eit;  e§  ift  bie 
^Qpott)eje  ©pinojaä  unb  g^erfjnerg,  bie  §Q]30tt)efe  be§  uniüerfellen 
^araUeliSmug:  fein  pfi)d)ifrf)er  SSorgang  of)ne  begleitenbe  53etüegung, 
fein  ^öemegunggoorgang  of)ne  begleitenben  pftjc^ifd^en  33organg.  ^enn 
n)ir  biefe  ^l)potf)efe  annet)men,  bann  ift  einteuc^tenb,  ta'^  mir  um 
jene  @c^tt)ierigfeit  f)erumfommen;  bann  ujerben  mir  fagen:  bie  23e= 
itjegungen,  bie  üon  ber  &lodt  au^gel^en,  f)aben  lebiglid)  9^eroen= 
erregungen  unb  ©e^irnüorgänge  jur  Söirfung;  bie  ©mpfinbung  bagegen 
ift  bie  SSirfung  ber  jene  (Srjitterungen  ber  3JioIefüIe  begleitenben 
inneren  SSorgänge. 

Sd)  beeile  mid^  fjinäu^ufügen:  n)ir  fennen  biefe  inneren  SSorgänge 
nid^t,  gegeben  finb  un§  bie  S3ett)egungen,  nid)t  il)re  pfi)d)ifd^eu  33egleit= 
erfrf;einungen.  2)ie  finb  un§  blo^  an  einem  ^unft  gegeben,  im  ©elbft- 
beroufetfein,  beffen  SSorgänge  mir  aU  S3egleiterfd^einungen  ber  'iSox- 
gänge  im  9^eröenfl)ftem  unfere§  2eibe§  fonftruieren.  3)agegen  ift  un§ 
bie  5(uBenmeIt  nur  öon  ber  pt)i)fifd)en  Seite,  al§  bemegte  ^örpermelt 
gegeben;  bie  Snnenfeite  benfen  mir  {jin^u.  ^raftifc^  mirb  ba^er  an 
unferer  ^onftruftion  ber  S^orgänge  burc^  jene  ^l)potf)efe  nid)t§  ge= 
önbert;  mir  merben  nac^  mie  üor  fagen:  bie  ©d^aümellen  üerurfadien 
SToncmpfinbungen,  ber  9^abelftid)  üerurfad)t  Sd^merg.  9Zur  in  einer 
legten  Überlegung  merben  mir  un§  ein  für  afle  Wai  fagen:  jene 
?5orme(n  finb  im  ©runbe  ungenaue  Husbrüde;  eigenttid^  müBte  e§ 
t)eiBen:  bie  un§  uidjt  gegebenen  95orgänge,  bereu  p^Qfifd)e§  Siquioalent 
jene  p^t)fifatifc^en  ober  d^emifdjen  S]orgänge  finb,  finb  bie  Urfac^en 
biefcr  pfl)d)ifdjen  SSorgänge.  @§  ftef)t  bamit,  um  einen  oft  gebraudjteu 
3]ergteic^  gu  mieber^olen,  mie  mit  ber  ^opernifanifd)en  2:^eorie;  mir 
mad)en  un§  ein  für  aüe  9JJaI  ha^^  SSerf)äItui§  flar,  unb  fahren  bann 


5.  5)te  Sonjequenäcn  ber  ^jarQUeliftijd^en  S^corie.    2lQ6e|eeIung.  97 

riif)ig  fort,  in  ber  alten  SBeife  oon  Slufgang  unb  Untergang  ber  ©onne 
ju  reben.  ©o  f)ier:  3^^^  ©eiten  ber  S33ir!(id)feit  finb  gteic^  au§= 
gebe()nt,  jebem  SDZoment  ber  einen  entfpridf)t  ein  SDJoment  ber  anberen 
@ctte,  ben  pf)^ftfcf)en  S5orgängen  a,  b,  c  entjpred^en  bie  pfl)rf)ifcf)en 
Sßorgänge  a,  ß,  y.  ©in  faufaleS  SSerf)äItni§  finbet  an  firf)  nur 
5tt)ifdE)en  ® liebern  berfelben  9fieit)e  ftott;  \iOi  un§  aber  nid)t  bie  ©lieber 
beiber  9iei^en  tü(fenIo§  gegeben  finb,  jonbern  balb  auf  ber  einen,  balb 
auf  ber  anbern  @eite  ©lieber  auffallen,  fo  fubftituieren  wir  bafür 
©lieber  ber  anberen  Steige. 

5l(fo,  praftijd)  wirb  unfere  5tuffaffung  ber  Sßorgänge  burd)  jene 
^tipot^efe  eigenttid^  ni(f)t  öeränbert.  ^Dagegen  i[t  leidet  ju  fe^en,  'ti^'^ 
fie  für  unfere  3BeItanfd)auung  allerbingS  fet)r  bebeutfame  g^olgen  t)ätte. 
223ir  n)ären  bamit  auf  ben  Soben  einer  ibealiftifdjen  SSeltanfd^auung 
übergetreten.  2)enn  "^o.^  liegt  auf  ber  §anb,  finb  bie  pt)l)fifd^e  unb 
bie  pfQd)ifrf)e  ©eite  ber  SBirf(id)!eit  gleid^  au§gebef)nt,  bann  ttjerben  tuir 
fagen:  bie  pfi)d)ifd^e  ©eite  ift  bie  SDarftellung  ber  3Bir!Iid^feit,  tt)ie  fie 
felbft  für  fid^  felber  ift,  bie  pf)^fifd^e  ©eite  fin!t  bagegen  gur  äußeren 
@rfd)einung  ^erab.  %tx  g^ortfd^ritt  tion  ©pinoga  ju  Seibnij  ift  in 
biefer  Stbfid^t  unoermeiblid).  — 

2öie  ftef)t  e§  nun  aber  mit  biefer  SSorfteßung?  Sft  fie  me'^r 
al§  ein  blofeeS  2tu§funft§mittel,  um  jener  ©d^tt)ierig!eit  ber  2öeci^fel= 
njirhing  gmifd^en  Seib  unb  ©eele  ju  entgegen?  Sft  fie  mirüid^  eine 
glaubliche  5(nfidjt  öon  ber  9?atur  ber  S)inge?  fann  man  mit  ber  S^or- 
fteüung  ©ruft  mad)en,  bafe  nid^t  btoB  einigen  öerein^elten,  fonbern 
aüen  förperlid)en  S5orgängen  irgenb  toeld^e  inneren  SSorgönge  parallel 
gef)en?  Offenbar  ift  \iQ&  bie  S'arbinalfrage  ber  Dntologie.  ^Die  ^nt= 
mort  auf  bie  ^^rage  nac^  ber  2(u§be^nung  ber  S3efeelung  ift 
ber  ^unft,  an  bem  bie  metop!)l)fifd^en  SSeItanfidf)ten  eigentlid^  aui= 
einanber  gef)en. 

^ie  gemeine  S^orftellung  unb  i^r  folgenb  bie  in  ben  Greifen 
ber  ^^t^fifer  ^errfd^enbe  Slnfd^auung  ift  mit  ber  iJrage  nadj  ber  2(ug= 
bef)nung  beö  ©eelentebenS  fdjuell  fertig:  S3emu^tfein§dorgänge  finb  $8e* 
gleiterfdjeinungen  oon  ©el^irnüorgängen;  2;ier!örper  finb  bie  einzigen 
jTrüger  feelifd)en  ßeben§;  alle  übrigen  Körper  finb  bloB  Körper. 

(£§  liegt  auf  ber  ^anb,  '^«x^  tt)ir  mit  biefer  5(ntttJort  auf  bem 
33oben  einer  materiaüftifc^en  SSettanfd^auung  fte^en  bleiben,    ^ie  S3e= 

>i>a Ulfen,  ßinleitiing.    6.  3liif[.  7 


98  I.  93uc^:  ^etap^^\it.    1.  Äopitel:  ®a§  ontologifc^e  «ßroblem. 

JüuBtfein^üorgänge  6Iei6en  bann  oereingelte  S'Jeknöorgönge  be§  9^atur= 
lQuf§,  fie  ftnb  für  ben  9'^aturforjcl^er  föunberlic^e  SInomalien,  mit  benen 
er  ni(i)te  9?ec^te§  gu  beginnen  ttJeiB-  (Sr  !ann  fie  nic^t  Io§  werben,  i^re 
SSir!Iid)feit  ift  ja  unbeftreitbar;  aber  fie  öerurfad)en  i{)m  Unbe^^agen; 
of)ne  fie  n^äre  ha§>  @l)ftem  bewegter  Körper,  ha^  er  SBelt  ober  Statur 
nennt,  gong  bur(f)ficf)tig  unb  rational;  fie  nötigen  if)n  ju  jenem  fatalen 
ignorabimus.  2)a§  einzig  Sröftlicfje  babei  ift,  boB  e§  mit  it)nen  bod^ 
nid^t  öiel  auf  fid^  E)at;  fie  ftören  ben  D^iaturtauf  wenigfteng  nid)t, 
unb  gro^e  S3ebeutung  ift  biefen  oereinjelten,  in  ber  SlJioffe  tier= 
fdiminbenben  SSorgängen  üom  fo^mifi^en  @tanbpun!t  au§  offenbar 
nic^t  beizulegen. 

Sft  bamit  bie  'Bad)t  erlebigt,  bann  behält  ber  3Jiateriati§mu§  aud) 
bei  ber  paraüeliftifi^en  2tnfirf)t  im  roefentlid^en  red)t. 

2)ie  ^^iIofopf)en  t)aben  nun  bei  biefer  ©riebigung  ber  ©ac^e  fid^ 
niemals  beruhigen  wollen.  Sei  if)nen  ift  öon  jeiier  eine  0?eigung  be= 
merüid),  jenen  SSorgängen  eine  größere  53ebeutung  beigutegen.  Sßon 
ben  5{nfängen  ber  gried^ifct)en  ^^iIofop{)ie  bi§  auf  unfere  Xage  ^at  bie 
pt)iIofopt)ifrf)e,  t)a§^  t)ei^t  bie  unioerfelle  33etrac^tung  ber  3Sirf(id^!eit 
über  bie  pf)t)fi!aIif(^=aftrDnomif(^e  2(nfitf)t  f)inau§gefüt)rt  unb  bem  2Birf= 
lid^en  im  ©anjen  wie  im  (Singelnen  ein  innere^,  ibeelle§,  geiftigeS 
^ringip  supgefeUen  für  notwenbig  erad)tet.  ^(ato  unb  StriftoteleS, 
<Spino§a  unb  Seibni^,  Serfelel)  unb  ß'ant,  (Sc^etling  unb  @^opent)auer, 
So|e  unb  g^ec^ner,  fomeit  iljre  @ebau!en  im  übrigen  auSeinanber  gef)en, 
barin  fommen  fie  alle  überein,  ha'^  ha^  ©eiftige  nirf)t  jene  Spotte  eines 
oerein§e{ten  S^ebenoorgangS  in  ber  Söelt  fpielt,  ha'i^  öielme^r  alleS 
^örperlidfje  .^inmeifung  ift  auf  ein  5tnbere§,  ein  inneres,  SntcüigibleS, 
für  fid)  ©eienbeS,  haS^  bem  oermanbt  ift,  maS  mir  im  eigenen  Innern 
erleben.  2Ber  biefe  2(uffaffung  teilt,  baB  bem  ©eiftigen  bie  Sebeutung 
eines  uniüerfellen  unb  toSmifdjen  3[öirfIi(^!eit§prinäipS  jufommt,  ber 
fte^t,  wie  er  im  übrigen  bie  <Baäit  fid)  jure^tlegen  mag,  auf  ©eiten 
beS  objeftiöen  SbealiSmnS. 

^d)  wiü  im  fotgenben  nic^t  einen  S3eweiS  für  bie  2öaf)r^eit 
biefer  Slnfdjauung  oerfud)en,  e§  ift  mit  bem  33emeifen  auf  bem  93oben 
ber  9Jietapf)i)fi!  eine  mifeüdEie  Bad)^,  aber  ein  paar  93etrad)tungen 
üorlegen,  bie  auf  einen  folc^en  S(bfd)IuB  unfrer  äöeltanfc^auung  t)in= 
,^ubräugen  fc^einen.    ©ie  mögen,  wenn  fie  weiter  nidjtS  bebeuten,  als 


5.  ®ie  Äonjequenjen  ber  paraHeliftiic^en  S^eorie.    Slflbefeelung.         99 

rationes  dubitandi  gegenüber  bem  f)arten  ®ogniati§mul  ber  gemeinen 
SlJJeinung  unb  ber  p{)t)fifQÜjcf)en  ^^eltanfi(f)t  gelten.*) 

2Btr  befinnen  un§  pnädjft  auf  boS  leitenbe  ^rinjip.  5(uf  lüelcfjem 
äöege  ttiirb  über  ha§>  58orfommen  feelijc^er  S^orgänge  überf)aupt  ent= 
jcf)ieben?  ©^  ift  Ieicf)t  ju  jel^en:  unmittelbar  mirb  if)rer  SÖirflic^feit 
ein  jeber  nur  an  einem  ^unft  inne,  uämlicf)  im  eigenen  Setbftbemufsta 
fein.  SoB  auBer  ben  Smpfinbungen,  Sßorftellungen,  2öiIIen§erregungen, 
bie  \d)  in  mir  erlebe,  ü^nlirf)e  93orgöngc  in  ber  SSelt  Dorfommeu,  fann 
id)  nie  burd)  unmittelbare  Söeobad^tung  miffen.  Sa^  mein  SJac^bar 
füf)It  unb  benft,  meife  ic^  nic^t  burc^  Beobachtung,  fonbern  burd^  einen 
gcf)Iufe;  atte§,  mas  id^  fef)e,  ift  pf)t)fifcf)e  6rfcf)einung.  ^d)  fe^e  93e= 
megungen,  ©ebörben,  t)öre  Saute,  bie  oon  einem  bem  meinigen  äf)n= 
lidien  Körper  au§gef)en,  aber  icf)  fet)e  feine  ©efü^Ie  unb  33orfteIIungen, 


*)  ^d)  möd)te  ben  Sefer  Ijter  auf  eine  fletne  @d)nft  f^e(f)ner§  anfmerffam 
machen:  „Über  bie  (Seelenfrage"  (1861).  gediner  nennt  ba§  Scf)ri[tcf)en  auf  bem 
3:itel:  einen  (Sang  burd^  bie  fic^tbarc  SSelt,  bie  unfid)tbare  gu  finben.  Siefer  oft 
angetretene  ®ang  ift  nie  mit  größerer  (5irf)erf)eit  üoQenbct  njorben.  Qn  erftaun= 
Iid)cr  SSeife  oereinigt  g^cfiner  bie  93efonnent)eit  be§  ?iaturforfc^er§  mit  ber  alt* 
feitigen  Umfi(^t  be§  $^iIofopt)en  nnb  ber  bett)egü(J)en  ^^antafie  be§  Xid^ter^.  S)ie 
Stulbet)nung  be§  Seelenleben^  ift  ha^^  gentrale  Problem  feiner  ^^ilofop^ie.  @r 
bc^anbelt  e?  befonber§  in  Lianna,  ober  über  ba^  Seelenleben  ber  ^flange  (1848), 
in  3fnb-?loefta  ober  über  bie  5^inge  be§  §immel§  unb  be§  igenfeit?  (3  iöbe.,  1851); 
er  berüf)rt  e§  in  ben  Elementen  ber  $fl5d)opt)t)fif  (2  33be.,  1860)  unb  giebt  eine 
äufammenfaffenbe,  fefir  fafelidie  unb  bünbige  Darlegung  feiner  3tnfid)t  in  bem  ge= 
nennten  33üd)lein  über  bie  ©eelenfrage.  ©ine  lefete,  abfrf)lie§enbe  SarfteEung  feiner 
'^itlilofopfiie  in  i^rem  ©egenfa^  gegen  SOZateriaIi§mu§  unb  ®ualiimu§  giebt  er  in 
ber  „2;age^anfid)t  gegenüber  ber  9fo(^tanfi(i)t"  (1879).  —  3lai)t  oermonbt  ift 
gecfiner^  3(nfd)auung  mit  ber  ©{f)openf)auerg,  beffen  ^l)iIofopt)ie  ju  i^rem 
gentralbogma  bie  Sf)efe  f)at:  toa§  in  ber  ^ßorftellung  a\§  Äörperroelt  un§  cntgegen= 
tritt,  ba^felbe  ift  an  fid)  ein  ©eelenartige^,  nämlid)  SSiQe.  3n  ©d)open^auer» 
Sßerfen,  befonberS  in  ber  fleinen  Schrift  „Über  ben  25iIIen  in  ber  Siatur",  finbet 
man  3aI)Ircicbe  (gteüen  au§  naturmiffenftf)oftnd)en  Sc^riftfteEern,  bie  gteidifam  o^ne 
SBiffen  unb  miber  SÖBiüen  für  biefe  5fnfd)ouung  ß^ugni^  ablegen.  3Ba§  getaner 
bor  @cf)opent)auer  öorau§  t)at,  ba§  ift  oor  allem  bie  flare  ©infic^t,  bafi  bie  üorau§= 
gefegte  ^nnenmelt  niclf)t  ^ur  (Srflärung  ber  pf)t)fifc!^en  22elt  bienen  fann,  in  ber 
S'örpermelt  gelten  nur  pf)t)fifc^e  ßrflärunggprinjipien.  93ei  Sc^openl^auer  begegnet 
man  überall  ber  9Jetgung,  baä  metap^t)fifcl^e  ^rinjip,  ben  SBiEen,  §ur  ^iatur* 
crflärung  gu  mifebrou^en.  Wogegen  :^at  @c^openf)auer  ouf  feiner  Seite  ben  SSor= 
teil  einer  ooluntariftif(f)en  ^itict)oIogie;  morauf  fpäter  jurücfäufommen  ift. 

7* 


100  I-  33uc^:  mücüi)^t)[d.    1.  Kapitel:  2)a§  ontologtjc^c  «ßroblem. 

unb  fein  9)?ifrojfop  ober  Xeteffop  fann  mir  baju  "Ejelfen.  ^ie  ®e^üt)Ie 
nnb  ©ebanfen  benfe  id§  f)in§u,  inbem  id^  qu§  ber  ^{)nlicf)!eit  ber  (eib= 
tid)en  3]orgänge,  bie  ic^  jef)e,  bQ§  ©ofein  Qf)nli(f)er  gei[tiger  3Sorgänge, 
bie  id^  nid^t  fefje,  folgere. 

2ßie  ireit  reicht  biefe  ^^olgerung?  3)ie  getDöf)nti(f)e  9}Jeinung 
anttüortet  mit  ^uöerfic^t:  \o  todi  tierifd^eS  Seben  reicht;  2iere  finb  be= 
feelte  SBefen,  alle  übrigen  3)inge,  SOfletoIIe,  (Steine,  ^flanjen  finb  nid^t 
befeelt,  fie  finb  blofee  Körper,  .^öc^ftenä  fönnten  nod)  bie  ^ftanjen  in 
^rage  !ommen,  boc^  ift  bos  eigentlich)  and)  fc^on  !eine  ernft^afte  gi^age; 
bie  ^flanjenfeele  ift  ein  Xraum  ber  finblic^en  ^^antafie. 

9Jiir  will  üorfommen,  boB  ber  ßuöerfitfit,  mit  ber  biefe  ^nfidE)t 
fid)  qI§  bie  fetbftnerftänblic^e  unb  allein  möglirfie  giebt,  bie  ©tärfe 
i{)rer  ©rünbe  nid^t   entfprict)t;   ja,   fie   berut)t   im  ©runbe  auf  reiner 

mmnv. 

3uerft,  ttjie  toeit  reicht  bie  ^iermelt?  Sft  fie  burc^  eine  fefte 
©renje  oon  ber  übrigen  ^örperwelt,  befonberg  oon  ber  ^ftangenmelt 
gefd^ieben?  ^ie  gemeine  SJieinung  fe|t  e§  üorauS;  in  brei  reinlict) 
gejc^iebene  ü^eidie  teilt  fie  mit  alten  ©diulbegriffen  bie  5?örperlt)elt: 
STierreic^,  ^flansenreicf)  unb  9)iineralreicfj.  51ber  bie  neuere  Biologie 
^at  jene  feften  ©renken  üermifcl)t,  fie  fiel)t  fiel)  auc^  l)ier  auf  ben 
ölten  @a|  gefül)rt,  ha^  bie  S^iatur  feine  (Sprünge  mac^t.  Xier=  unb 
^ftanjenmelt,  fo  beutlid^  fie  auf  pf)erer  (gntmidelungäftufe  unter= 
fd)ieben  finb,  berühren  fid)  an  ber  ÖJrunblage.  e§  giebt  3al)lreid^e 
niebere  Sebensformen,  bie  meber  al§  eigentlicl)e  Xiere,  nocl)  al§  eigent= 
üd^e  ^f langen  c^arafterifiert  finb;  man  l)at  für  fie  eine  eigene  ©ruppe, 
bie  ©ruppe  ber  ^rotiften,  gebilbet,  ein  3^if^^"^^i^/  ^^^  fi^  9^9^" 
ben  Unterfdjieb  öon  ^flan§e  unb  Xier  neutral  oerl)ält.  @iebt  e§ 
gmifc^en  2;ier=  unb  ^flansenmelt  feine  fefte  ©renje,  muB  mon  fie  q1§ 
gtoei  Sifte,  bie  auf  einem  (Stamm  gemad)fen  finb,  anje^en,  fo  ift  bie 
grage  nid)t  ab5ulel)nen:  finb  auc^  bie  ^flan^enförper  2;räger  feelifd^en 
Sebens?  ®en  Xieren  geftet)en  alle  ein  Innenleben  ,^u,  felbft  ben 
nieberften  formen,  fo  weit  fie  fid)  aud)  üon  ben  ^öl)eren  entfernen; 
fann  man  fie  auc^  ben  ^rotifteu,  ben  ^flanjentieren  ober  2;ierpflanäen, 
in  meiere  fic^  bie  Siermelt  allmäl)Iid)  üerliert,  nic^t  ot)ne  SSiUfür  ab= 
fprec^en,  fo  liegt  bie  Folgerung  auf  ber  §anb:  e§  giebt,  mie  feine 
fefte  ©ren^e   ber  Sierttjelt   gegen    bie  ^flauäenmelt,    fo   auc^    für   bie 


5.  S)ie  tonfequenjen  bcr  parallcUftijd^en  $;^eoric.    Slffbcfeclung.       101 

Sejeelung  feine  fefte  ©renge;  bie  Sefeelung  mag  fid)  über  bie  gon§e 
organifdie  Söelt  au§be|nen.*) 

3J?an  tüirb  jagen:  bie  9J?ögüd)!eit  täfet  fic^  öießeic^t  nic^t  be= 
[treiten.  5)er  äöiffenjc^aft  jicmt  e§  aber  nid)!,  mit  3Jiögticf)!eiten  ju 
fpielen;  fie  öerlangt  ^i^atfadien.    Siegen  folc^e  f)ier  cor? 

^d)  meine,  aüerbingö  liegen  fie  üor;  nur  muB  man  natürtid) 
nii^t  bie  ^Sorjeigung  be§  Seelenleben^  einer  ^flanje  »erlangen.  2öie 
man  bei  SOJenfc^en  unb  STieren  jufrieben  i[t,  au§  ber  5(f)nlic^!eit 
pf)t)fij(^er  SebenSüorgänge  auf  ä^nlid^e  innere  5Sorgänge  ju  fc^IieBen, 
fo  muB  man  e§  au^  f)ier  fein.  @in  jttjingenber  33ett)ei§  ift  ja  anc^ 
bort  nid^t  möglich;  finbet  jemanb  ben  5(naIogiefd)Iu&  allju  unfitfjer, 
logifc^  genötigt  werben  fann  er  nitf)t,  bal  ©afein  eine§  Seelenlebens 
bei  :3nfuforien,  SSürmern,  g^röfdfien,  ^anindfien  jujugeben.  Säfet  er 
aber  bie  Sd^IuBart  f)ier  of)ne  njeitereS  ju,  unb  ha^  tJ)un  ja  alle,  fo 
ift  nid)t  ab§ufef)en,  rt)e§l^atb  fie  bei  ^flanjen  ot)ne  »eitere?  au§gefrf)Ioffen 
fein  foH.  3)enn  offenbar  geigen  bie  ^flanjen  mit  ben  Spieren  eine 
tt)eitget)enbe  Stfinüd^feit  in  ben  fic^tboren  2eben§oorgängen:  (£rnät)rung, 
2Bacf)§tum,  Stufbau  an§  ^tütn  at§  (SIementargebitben,  gortpftanjung 
bur(^  ^eime,  bie  oon  elterlid^en  Organismen  fid)  loSlöfen,  (Sntmidelung 
unb  %oh  finb  ben  ^ftansen  mit  ben  Stieren  gemein;  wie  benn  auc^ 
bie  Sprad)e   überall  ben  ^flonjen   fo   gut  wie  ben  STieren  leben  unb 


*)  e.  §aecfel,  5«otütltc^e  (5cf)öpfung§gejd)ic^te,  8.  Slufl.  (1889),  ®.  414  ff., 
neigt  baju,  in  pflangenartigen  Drgauilmen  bie  Urform  aUeS  Sebeng  ju  fet)en; 
„ba§  3ooP^'J^i"'J  ^ft  aua  ^:^i)topIa5ma  burc^  2lrbeit§tt)ecf)fel  cntftanDen,  ba  nur 
biefe^  te^tere  imftanbe  ift,  unmittelbar  auä  anorganifdEien  33ebingungen  burd)  ©in* 
roirlung  he§  ©onnenIi(^tg  ju  entfielen."  Sierifdie  Organismen  entftonben  fo,  ba§ 
unter  jenen  erften  Sebettjefen  einige  baju  übergingen,  organifd^e  SJiaterie  ju 
affimilieren  unb  bann  bie  gä^igfeit  einbüßten,  burd)  unorganifd)e  SJiaterie  fic^  gu 
ernö^ren  (425,  431).  ?Jad)  SBunbt  (@t)ftem  ber  ^^^^ilofop^ie  ©.  503  f.,  334  f.) 
finb  bagegen  bie  einfac^ften  Sebemefen  in  it)rer  gunttionSform  mie  in  ber  9tic^tung 
be§  (Stofftt)ec^feI§  al§  einfod)fte  Siere  anäufel^en,  öon  t^nen  finb  bie  ^ßflanjen  al^ 
(S.i}loxop^tjU  er^eugenbe  Organismen  abgejttjeigt.  i^ux  unfern  Qtoiä  ift  biefer  Unter^« 
fd)ieb  gteidigültig.  Mc^t  unintereffante  58eobad)tungen  über  boS  „Seelenleben"  ber 
«ßrotiften  bieten  bie  pft)d)op^t)fioIogifc^en  ©tubicn  üon  9Jt.  SSerföorn  (1889).  3tuf 
®runb  ber  33emegungSoorgänge  mirb  t)ier  ben  ^rotiften  bie  ©runbform  pfijdiifc^en 
2eben§,  (Smpfinbung  unb  SBille,  föenngleid)  o^^ne  eigentlid)e§  Seroufetfein,  juge» 
fc^rieben:  SReaftionSbetoegungen  auf  ^Reige  finb  baS  ^Ingeic^en  berfelben  pft)d)ifc^en 
93egteiterfc^einungen,  bie  in  entroidettfter  gorm  üon  unS  felbft  erlebt  nierben. 


102         I-  S3ud^:  2Jietaj)^l)ft!.    1.  Äapitel:  ®o§  ontologijd^e  ^xobUm. 

fterben  gufdjreibt.  SBorum  jotiten  ben  gleidjarttgen  fic^tbaren  SSor= 
gangen  nid^t  äf)nlicf)8  unfic^tbare  entjpred)en?  S)ie  33erneinung  ift  hod) 
minbe[ten§  ntd^t  jelbfinerftänblic^.  Qnt  Gegenteil,  fönnte  man  mit 
ged^ner  jagen,  \vk  ein  §au§  für  einen  Seniofjner  i[t,  jo  ift  ein  lebenber 
Körper  für  eine  ©eele.  2)ie  ßumutung,  einen  Xierförper,  ein  ^ferb 
ober  einen  §unb,  für  einen  feelentofen  Stutomaten  angufe^en,  wetd^e 
Stnfid^t  man  ben  (Sartefianern  nacfifagt,  {)at  einlas  überaus  33efrembli(^e§ ; 
ja  fpu!t)aft  unb  grauenüoll  würbe  un§  ein  foIcf)er  Äörper  oI)ne  ©eele 
oorfommen.  Safe  aber  bie  ^flanjen  btoB  leere  Öie^äufe  finb,  foüten 
n)ir  für  felbftoerftönblid^  l)a(ten? 

(S§  lüirb  ertt)ibcrt:  ha§>  fei  bloB  eine  üage  unb  fpielenbe  SInatogie. 
—  9^un,  fo  bejeic^ne  man  genau,  tt)a§  benn  ber  Stnatogie  fef)It,  um 
ben  ©cfjIuB  auf  ein  Innenleben  ftattf)aft  ju  mad)en.  2tn  ttjelc^e 
gun!tionen,  ujelrfje  ^enngeic^en,  bie  ben  'pflanzen  abgef)en,  ift  ba§> 
Innenleben  gefnüpft?  —  'SRan  ttjeift  auf  ben  S)?angel  eine§  9fieröen  = 
ft)ftem§  unb  ©e^irnS  t)in.  ^ecEiner  antwortet:  ober  aud)  bie 
nieberften  Spiere  f)oben  fein  9teroenft)ftem.  Unb  überfjaupt  taugt  ber 
©c^tuB  nid)t§;  er  ift  nad^  bem  «Sd^ema  gemacht:  ^ferbe,  §unbe,  Jl^a|en 
l^aben  53eine  unb  fönnen  of)ne  biefe  fid)  ni^t  bewegen,  atfo  !önnen 
©efc^öpfe  o^ne  S3eine  fid^  nid^t  beroegen.  @d)Iangen  unb  Söürmer 
wiberlegen  ben  ©d^Iui  können  biefe  o^ne  33eine  fid^  bewegen,  fo 
mögen  auc^  ^flanjen  o^ne  S^ieroen  ein  Seelenleben  t)aben. 

Stber,  fagt  ber  Ungläubige,  ben  ^flangen  fei^tt  bie  fpontane 
^Bewegung,  bie  wir  an  allen  Vieren  beobachten.  —  SSirfüd^?  SSenbet 
nid^t  bie  ^flan§e  S3(üten  unb  Slätter  nac^  bem  Sid)t,  fd^idt  fie  nid)t 
bie  Söur^eln  baf)in,  wo  fie  9ia!^rung,  bie  9ian!en  bat)in,  wo  fie  Unter= 
ftü|ung  finbet?  ^attet  fie  nic^t  bei  9^od^t  ober  bei  Üiegen  bie  Stuten 
unb  öffnet  fie  bem  (gonnenfdjein?  S3ewegen  fid^  nidf)t  mandje  ^flan^en^ 
!eime  frei  im  SSaffer  um|er,  wogegen  bie  Siere  im  erften  @tabium 
embr^onifd^er  (Sntwidelung  nod^  nic^t§  oon  ber  freien  33eWeg(id;feit 
bei  auggebilbeten  2;ieres  geigen?  —  Stber,  erwibert  jener,  ha§>  finb 
nid)t  fpontane  Bewegungen,  fonbern  med^anifc^  bebingte  9ftea!tionen 
auf  pf)t)fifalifd^e  (Sinwir!ungen.  —  Sa,  finb  wir  nic^t  in  bem  oorigen 
^bfdjuitt  übereingefommen,  aud)  aüe  SSorgönge  im  Jiertörper  atä  rein 
pt)t)fifalifc^  bebingt  anjufe^en?  Sefte^en  nidf)t  eben  ^t)i)fioIogen  unb 
materialiftifdje  ^t)iIofopt)en  t)ierauf,  ba^  aud;  bie  fpontanen  Bewegungen 


5.  5)ie  Äonfequenäen  ber  parattelifttfc^en  2;^eone.    3IIIbe|eeIung.        103 

ber  Xierc  ntd^t  qu§  ©mpfinbungen  unb  ®efüf)ten  ertlärt,  fonbern  al§ 
pt)t)[ifalifd;  bebingte  S^eaftionen  etne§  foldjen  5?örper§  auf  fold^e  Sfteije 
aufgefaßt  lüerben?  — 

S^atürtic^,  Unterjcf;iebe  jlpifc^en  Stieren  unb  ^ftan^en  [inb  ha  unb 
foHen  ntrfjt  geleugnet  werben;  auf  ben  Pieren  (£ntn)icEeIung§ftufen 
treten  fie  fic^tbar  genug  ^erüor.  5luBer  ber  35erfcl^iebent)eit  in  ber 
Üiid^tung  be§  ©toffroec^feB  tritt  bejonberg  ein  Unterf(^ieb  l^erüor,  ben 
SB  u  n  b  t  betont:  in  bem  2(ufbau  ber  ^flan^e  f)errf(i)t  ba^  W^WP  ^er 
®Ieid;artigfeit  unb  ber  9Iebenorbnung  ber  (Slementarorgani^men,  ttJö^renb 
in  ber  tierifcfjen  SSett  ba§  ^rinjip  ber  Sifferenjierung  unb  Unterorbnung 
f)errfcfjt  (©i)[tem  ber  ^^itofop^ie,  (S.  588).  Offenbar  {)ängt  bamit  5U= 
fammen,  nja§  ^ed^ner  ^eroorf)ebt:  bie  ^ftanje  entfoltet  fid^  nad^ 
oufeen,  bröngt  jur  OberfläcE)e,  fudjt  mit  toufenb  33Iättern  unb  Slüten 
ben  3"90"9  h^  ^^^^  "^^"^  2uft,  njäf)renb  ber  ©tanim  ober  (Stengel 
innen  üer^oljt  ober  ganj  ^ot)I  n)irb  unb  nur  fo  weit  erl^alten  bleibt, 
al§  5ur  ©tü^e  notwenbig  i[t.  5)a§  STier  bogegen  fd^Iie^t  fid^  nai^ 
au^en  burd^  .^aut  unb  §aar,  @d)uppen  unb  ^an^er  ab  unb  entnjidett 
fid^  nad)  innen,  wo  ftd^  bie  öitalen  Organe  unb  g^unftionen  entfalten; 
bie  Berührungen  mit  ber  HuBenmelt  merben  auf  ein  paor  fünfte  be- 
fd)ränft  unb  im  9Zeroenfl)ftem  ber  ganje  ßeib  jentralifiert  unb  in§ 
(Sngfte  jujammengeäogen. 

Stber  iöerjc^iebent)eit  ift  !ein  33emei§  gegen  bie  Sefeett^eit  über= 
^aupt,  fie  mag  a(§  ^inbeutung  auf  eine  55erfd)ieben§eit  auc^  be§ 
Innenlebens  gefaxt  werben,  auf  eine  ben  ^flan^en  eigentümtic^e  §in= 
neigung  §ur  Üte^eptiüität  unb  begentralifierte  @ftenfität,  mäf)renb  ha^ 
tierifd^e  ©eelenteben  met)r  Spontaneität  unb  jentralifierte  Sntenfitöt 
jeigt.  ged^ner  finbet  ben  Unterfd)ieb  gmifc^en  bem  Seelenleben  be§ 
SOlanneS  unb  ber  i^van  ^ier  mieber,  nur  ift  er  auf  ber  f)ö^eren  @tufe 
nnenblid)  gefteigert  unb  uertieft.  SJZan  mag  hierüber  benfen,  wie 
man  will;  fd)IieB(id^  bleiben  ja  aüe  Unterne!^mungen,  ha^  Innenleben 
ber  ^flan^e  au»  itjrer  änderen  (Srfd^einung  §u  beuten,  taftenbe  35er= 
fud)e;  wobei  benn  gu  bemerfen,  ha'i^  e§  unS  mit  ber  SDeutung  be§ 
tierif^en  ©eetenlebenS,  befonber§  be§  nieberen  nic£)t  eben  oiet  anberg 
get)t;  toa?»  eine  Gualle  innerlid^  erlebt,  ober  wie  einer  Üiaupe  ober 
einem  @d)metterling  ju  9}?ute  ift,  baüon  wiffen  wir  im  ©runbe  ouc^ 
nic^t  oiel.    2)arin   aber  ^at  ged)ner,  wie  mir  fd)eint,  burdiauö  rec^t: 


104  I-  33u(^:  Sßetop^^fil-    1.  Äopitel:  ®a§  ontologijd^e  «ßroblem. 

berfelbe  ©runb,  ber  un§  ^ier  befttmmt,  gum  förperlic^en  ßeben,  ba§ 
Ujir  fef)en,  ein  Snnenteben,  ba§  wir  nidjt  jeljen,  tiinsujubenfen,  ber 
gilt  für  bie  ganje  SBett  organifdjen  Seben§,  aud)  für  bie  ^flangen. 
^ei^t  e§  fonft:  probatio  incumbit  affirmanti,  fo  möchte  man  t)ier 
fagen:  ber  S3ett)ei§  liegt  bem  ob,  ber  bie  33ered)tigung  be§  S(na(ogie= 
f(i)Iuffe§  leugnet.  @r  mu|  jeigen,  tüarum  er  f)ier  nid)t  gilt,  fonft  ift 
feine  Söerneinung  SBillfür.*)  — 

2tm  ©d^IuB  biefer  93etra(f)tung  ergebt  fttf)  bie  toeitere  grage:  finb 
toir  am  @nbe,  ift  ber  ^aroIIeüSmuS  ^npifd^en  p'^tjfifdjen  unb  pfi)ct)ifd)en 
SBorgöngen  eingefc^ränft  auf  bie  organifd)e  SBelt?  Dber  \)at  e§  einen 
©inn,  mit  ben  oben  genannten  ^^ilofop^en  gu  fogen:  er  gilt  unein= 
gefc^rönft;  foireit  p^tjfifc^e  SSorgönge  gegeben  finb,  fo  ttjeit  finb  fie 
^inmeifungen  auf  ein  innere^  ©ein? 

3^  beute  ein  paar  Sfiatfodien  an,  bie  njenigftenS  ha§>  geigen 
mögen,  ha'^  bie  O^rage  nid^t  fo  abfurb  ift,  n)ie  fie  ber  gemeinen  SSor= 
fteltung  junödjft  üor!ommt.  SDie  orgonifd)en  unb  bie  unorganifd^en 
Körper  bitben  nic^t  §n)ei  getrennte  Söetten,  fonbern  ein  ein^eitlid)e§, 
burc^  beftänbige  SSec^felmirfung  oer!nüpfte§  ©an^eS.  2)er  ©ubftanj 
nad)  ift  übert)oupt  fein  Unterfd^ieb;  bie  organifc^en  Körper  finb  au§ 
benfelben  S3eftanbteilen  aufgebaut,  üü§>  benen  bie  unorganifd^en  beftef)en. 
®er  ^o^tenfloff,  ©tief ftoff,  SSafferftoff,  ©auerftoff,  au§  bem  ein  ^flanjen* 
ober  3^ier!örper  befte^t,  ift  gong  berfelbe,  ben  njir  in  unorganifdjen 
SSerbinbungen  antreffen.  Drganifation  ift  alfo  ein  ßuftonb,  in  ben  bie 
3JJaterie  eintreten  fann,  ber  ^uf^o"^  ^"^^^  labilen  @teic^gen)i(i)t§,  in 
bem  bie  ©toffteile,  bei  gfeid^bleibenber  g^orm,  beftänbig  med)fetn.  S3e= 
ftönbig  geben  bie  organifd)en  Körper  ©toffe  an  bie  5(uBentt)eIt  ab  unb 


*)  S)ie  SBilHür  in  ber  93e^onbIung  biefer  grage  tritt  3.  93.  bei  S33.  ^o\U 
mann  (Sel^rbud)  ber  ^ftjd^ologie  I,  99)  fef)r  beuttid)  p  Sage.  ®r  finbet  bie  9Iu3* 
bet)nung  ber  33efeetung  in  ba§  ®cbiet  ber  ^jTanjen  „un^njecImöBig."  SSenn  ben 
^flanjen  aud)  gen^iffe  entferntere  Sinologien  gu  ben  tierifd)en  ignftinftbettjegungen 
md)t  obgefprod)en  roerben  fönnten,  fo  ntal^ne  bocf)  bie  Unfic^er^eit  boju,  „lieber  bie 
entfernten  3lnaIogien  abgubredien,  atä  bie  33eftimmtt)eit  bei  ©eelenbcgriffi  aufäu= 
geben."  2lti  ob  e§  barauf  anfäme,  ben  „©eelenbegriff",  bei  beffen  93ilbnng  bie 
§erbartif(i)e  ^ft)d^oIogie  aUerbingS  „nur  ben  3!Jienfd)en  unb  bie  ^öd)ft  organifierten 
äiere  im  2tuge  l^atte",  auf  jeben  gaE  gn  retten,  ftatt  it)n  nad)  ben  Sfjatfadien  ju 
ftreden.  S)ie  SlJJenfdien*  unb  Sierfeete  würbe  ja  nii^t  ©(i)oben  leiben  burd)  bie 
33efeetung  ber  ^^flonjen,  fonbern  nur  ein  frf)ab:^ofter  93egriff. 


5.  S)ie  tonfequenjen  bet  paraUeUftifc^en  Siieorie.    Slübefeelung.        105 

net)men  neue  auf.  Sn  längerer  ßeit  finbet  ein  ooüftänbiger  SSec^fel  be§ 
©toffe§  ftatt,  neue  Elemente  erjdjeinen  je^t  a(§  Präger  be§  organifrf)en 
tt)ie  be§  feelif(i)en  SebenS.  —  ferner,  e§  entfietjen  be[tänbig  neue  Xier* 
unb  ^ftan^enförper.  @in  paar  ^anböoll  Äörner  in  bie  (Srbe  gelegt,  geben 
einen  ©c^effel  SBeijen;  ein  ÜJJäufepaar  mit  bem  SSeijen  allein  gelaffen, 
öernpanbelt  it)n  in  furgem  in  .^unberte  non  lebenben,  empfinbenben, 
befeelten  5Eier!i3rpern.  SSo^er  f ommen  bie  Seelen '?  SSaren  fie  irgenbtt)0 
präefiftent  unb  fut)ren  nun  in  bie  bereiten  Äi3rper'?  ober  finb  jie,  wenn 
jene  SSor[telIung  bem  9fiaturforj(f)er  allgu  abftofeenb  i[t,  burcf)  Teilung 
ber  ©Iternfeele  entftanben?  g^reilid)  and)  eine  feltfame  unb  fdjwer  gu 
realifierenbe  SSor[telIung. 

Unb  irofjer  !am  ha§>  erfte  Seelenleben  überhaupt?  2)ie  33io(ogie 
fie^t  fid)  auf  bie  2(nnat)me  geführt,  hal^  baö  organifdje  ;^eben  auf 
ber  @rbe  einen  erften  Stnfang  gehabt,  unb  bafe  bie  erften  33ilbungen 
au§  unorganifc^er  äJJaterie  fponton,  burc^  elterntofe  Beugung,  ^eroor= 
gegangen  feien.  2öof)er  nun  ba§  feelifd)e  SebenV  Sft  bie  erfte  @efüt)I§= 
regung  im  erften  ^rotopIa§mafIümp(^en  ein  abfolut  9fJeue§,  t)a§>  bisher 
auf  !eine  SBeife  in  ber  äBirftid)feit  fid)  fanb,  ouf  ha^  nichts  öon  ferne 
t)inbeutete?  3)a§  wäre  benn  freilid)  ein  abfotuteS  „Sßelträtfel";  e§  wäre 
eine  (Sntftef)ung  au§  nid)t§,  bie  in  ber  2;l}at  geeignet  ift,  ben  9latur= 
forfc^er  auf§  f)öd)fte  ju  überrofd)en,  faum  minber,  al§  wenn  er  genötigt 
würbe  ju  benfen,  aud^  ba§  ^rotopIaSmaflümpc^en  felbft  fei  au§  nic^t^ 
entftanben.  —  Stber  warum  will  er  fid)  nid)t  auf  biefetbe  SSeife,  wie  l)ier, 
fo  aud)  bort  be§  Unbenfbaren  erwel)ren'?  ®ie  organifd^en  Körper  lä^t 
er  auö  öor^er  öor^anbenen  Elementen  entftel)en;  in  neue,  fomplijiertere 
S^erbinbungen  eintretenb,  werben  fie  ju  neuen  überrafdjenben  Seiftungen 
befät)igt.  äöarum  madjt  er  nid)t  biefelbe  nat)eliegenbe  S3orau^fe|ung  aud) 
für  bie  anbere  Seite:  in  ben  (Slementen  war  feiml)aft  aud^  ha§>  Snnen= 
leben  oorf)anben,  ha§i  nun  in  ben  neuen  ^öilbungen  in  t)öf)erer  (Snt= 
faltung  un§  entgegentritt?  —  Sn  ber  3:l)at,  ber  §i)lo§oi§mu§  ift  eine 
ber  neuen  Biologie  faft  unwiberftetjlid)  fidj  aufbrängenbe  95orftellung. 
^oedel  öerbient  nid)t  2:abel,  ba^  er  ben  9Jhit  l)at,  fie  at§  notwenbige 
SBorau§fe^ung  auäuerfennen.  Stud)  ^üc^ner  f)at  fie  aufgenommen: 
er  nimmt  an,  „ha^  i^er  9Jfaterie  nid)t  btoB  pf)i)fifalifc^c,  fonbern  aud) 
geiftige  Prüfte  innewot)nen,  unb  ha^  biefe  überall  in  bie  ©rfc^einung 
treten,  wo  fid)  bie  notwenbigen  S3ebingungen  äufommenfinben."    (S.  66.) 


106        I-  SSuc^:  9Äet^apf)^ft!.    1.  tapitel:  ®a§  ontologifd^c  «ßroblem. 

5l6er,  fagt  man,  bleibt  e§  nid)t  hoä)  unbenfbar:  bte  tote  unb 
ftarre  äRaterie  Präger  eine§  feelijcf)en  2eben§?  Unb  fe{)It  ^ier  nirf)t 
eben  ha^,  tt)Q§  un§  nadj  bem  nortjin  5(u§gefü^rten  allein  bered^tigt, 
auf  ein  Innenleben  gu  fcf)tieBen,  bie  5i{)nlicf)feit  ber  pfjijfifdjen  Sßorgänge 
mit  benen  be§  eigenen  2eibe§?  3^el)It  f)ier  nid^t  jebe  jpontane,  üon 
innen  f)en)orbred)enbe  9?egfam!eit? 

Wix  fc^eint,  ha'^  man  \\d)  biefe  UnbenfbarMt  erft  felbft  gefd^affen 
^at,  nämlid^  burd^  ben  n^iltüirlirfj  gebilbeten  33egriff  ber  StJJaterie. 
9kcf)bem  man  bie  9)?aterie  a{§>  ein  Stggregat  öon  5Üomen,  abfotut 
garten  unb  ftarren  Mö^c^en,  bie  of)ne  aüe  innere  33e[timmung  unb 
nur  bnrd)  @toB  unb  2)ruc!  ben^eglid)  finb,  fonftruiert  {)at,  finbet  man 
e§  bonn  l^inter^er  unbenfbar ,  ha^  fie  innere  93eftimmungen  i^abt 
unb  fid^  üon  innen  {)erau§  bemege.  3(ber  ma§  nötigt  benn  ju  jener 
gaffung  be§  ^Begriffs?  ^id)t  bie  $f)atfad)en.  ®ie  geigen  nid)t§  üon 
jenen  abfolut  ftarren,  inerten,  paffiöen  3ltomen,  bie  ben  @toB  öon 
auBen  abmarten;  fie  geigen  nn§  nur  Seile  ber  äJ^aterie  mit  fpontaner, 
üon  innen  t)erüorbred)enber,  menn  ou(^  nid)t  ifolierter,  fonbern  auf 
bie  Umgebung  belogener  Sf^egfamfeit.  (Sin  SSaffertropfen  füllt  gur  (Srbe; 
ttja§  ftö^t  ober  gietjt  if)n?  ®ie  (Sdiroere  ober  ba§  @efe|  ber  @raüi= 
tation?  5(ber  \)a§>  ift  ja  nichts  al§  bie  t)inter^er  !ommenbe  ^Formulierung 
feinet  9Serf)aIten§.  Sm  galten  nimmt  er  bie  gorm  einer  ^uget  an; 
irag  nötigt  bie  STeite  §u  fold^er  Slnorbnung?  (Sr  fäHt  auf  einen  @tein 
unb  gerflieBt  auf  ber  Dberfläd^e  ober  bringt  in  bie  fleinften  Sfliffe  feiner 
©truftur  ein;  mu^  er  erft  bagu  üon  au^en  gegmungen  merben?  ®ie 
STemperatnr  finft  unter  9h:ll,  bie  2;eile  unfere§  Sropfen^  orbnen  fid^ 
gu  einer  gierlid^en  (SiSbtume;  werben  fie  üon  einer  äußeren  ©emalt 
in  biefe  gorm  f)ineiugeftoBen?  SBir  fe^en  tt}enigfteu§  nid)t§  baüon, 
fonbern  gang  fpontan  orbnen  fie  fid^  felbft  nad)  jenem  ©d)ema,  unb 
ebenfo  fpontan  fef)ren  fie,  tuenn  bie  STemperatur  fteigt,  in  bie  ftüffige 
gorm  gurüd .  Dber  fie  !ommen  mit  einem  ©tücE  @if en  in  S3erül)rung ; 
biefeg  bebedt  fic^  in  !urgem  mit  einem  gelben  Sf^oft;  feine  Elemente 
^aben  fidj  au§  iljrer  bi^^erigen  S^erbinbung  gelöft  unb  mit  bem  (Sauer= 
ftoff  unb  Söafferftoff  be§  2Baffer§  ju  einem  neuen  Körper,  bem  .^i)brojt)b, 
üereinigt.  Sind)  l)ier  ift  üon  einer  äußeren,  nötigenben  ©emalt  gar 
ni^t§  gu  fel)en.  S3on  einer  2(ngiel)ung  reben  bie  Sf)emi!er,  mit  einem 
Söort,   ba§  aud^  ben  ^^t)fifern  feit  9iett)ton  geläufig  ift.    @o  nötigen 


5.  S)ie  Äonfequenäen  ber  paroIIeli[tijrf)en  S^eorie.    StUbefeelung.       107 

gteid^fom  bie  2^atJQ(f)en  i^re  5tnerfennuug  tt)enig[ten§  im  SBort  audj 
SBiberirilligen  unb  9(nber§ben!enben  ob. 

5(Ijo  überall  fpontaue  9iegfam!eit;  jene  träge,  ftarre,  nur  burd^ 
@toB  6ert)egti(f)e  Tlakxk  ift  ein  ^fiantom,  ha^  nid)t  ber  Seobodjtung, 
fonbern  ber  begrifflid)en  8pefuIation  jein  S)afein  üerbanft.  6§  [tammt 
QU§  ber  ariftoteliicl^=f(^ola[tij^en  'pt^ilofopfjic,  welche  bie  SOlaterie,  nad^- 
bem  fie  aöe  Äraft  ober  ^orm  reinlid)  abgefonbert  f)atte,  alg  bog 
f(f)(e(ljtf)in  ^affitie  übrig  tie&.  SSon  f)ier  f)Qt  e§  ®e§carte§,  bem  e§  für 
jeine  rein  matfiematifd^e  ^onftruftion  ber  ^^ijfi!  bequem  fam:  bie 
9)jQterie  ofjne  alle  inneren  Gräfte,  bie  reine  res  extensa,  bereu  einzige 
Seftimmung  in  ber  Stu§be^nung  be[tel)t.  —  ®ie  moberne  9^aturtt)iffen= 
fc^aft  lüeife  öon  jenem  abfolut  toten  unb  ftarren  SSefen  gar  nid)t§  mel)r. 
S^re  9}^otetüle  unb  5Itome  jinb  ©ebilbe  oon  größter  innerer  Ä'ompli= 
fation  unb  S3ett)eglicl)feit.  ^unberte  nnb  toufenbe  oon  Sttomen  finb 
im  9Kole!ül  gu  einem  ©l)[tem  oerbunben,  ha§:  in  ber  ^öemegung  feiner 
Xeile  gegen  einanber  ein  me^r  ober  minber  bauernbeS  ©leic^gemidjt 
erf)ält,  ha§>  gleichzeitig  üon  anberen  33emegungen  burc^jittert  loirb, 
oon  foldien,  bie  un§  at0  Sid^t  unb  SSörme  jur  ßmpfinbung  !ommen, 
oon  anberen,  bie  in  ben  eleltrifd^en  Vorgängen  erfc^einen,  ha§^  enblid^ 
mit  ber  naiveren  Umgebung  unb  ber'fernften  g^ijfternnjelt  in  beftänbiger 
SSecfifetoirfung  [tef)t.  S[t  i>a  bie  grage  finnloS:  ob  biefem  ttjunber- 
baren  ©piet  pt)i}fifdjer  Gräfte  unb  S3ett)egungen  ein  «Spiel  innerer 
SSorgönge  entfprid)t,  ha§i  bem  oerioaubt  ift,  meiere»  ha^  Spiel  ber 
Steile  im  organischen  Äi3rper  begleitet?  Sft  nid)t  am  (^nt)e  jene  Sln= 
§iel)ung  unb  5lb[tofeung,  oon  ber  ^l)t)[if  unb  6l)emie  reben,  mef)r  al§ 
ein  Sßort,  i[t  ein  (glement  oon  3Sa£)rf)eit  in  ber  93etrac^tung  be§  ölten 
(£mpebo!le§,  ha'B  Siebe  unb  §a|3  bie  bemegenben  Strafte  in  aEen  ^Dingen 
finb?  9^atürti(^  nid)t  Siebe  unb  .^oB,  wie  3)Zenfd)en  fie  empfinben 
unb  Xiere,  ober  bod)  ein  im  legten  ©runbe  $ßern)anbte§,  eine  irgenb 
lt)eld)e  triebartige  Biegung? 

(S§  ift  bemerfen§tt)ert,  boB  biefer  ®eban!e,  ju  bem  bie  ^^^ilofopljen 
immer  eine  Hinneigung  gegeigt  f)oben,  unb  jmor  nic^t  nur  pl)antaftifd^e 
3;räumer,  fonbern  fo  bebäd)tige  ^öpfe  ftiie  Spinoza  unb  Seibnig,  mie 
gedjuer  unb  Solje  unb  unter  ben  Sebenben  SBunbt,  lauter  SOJönner, 
benen  mon  eine  ^Ibneigung  gegen  naturn)iffenfd)oftlicf)=medjaniftif(j^e 
?luffaffung   ber  SDinge  nid)t  gum  SSorn)urf  machen   fonn,   bofe   biefer 


108         I-  33ucl):  Wtttap^ij^it    1.  Sapttel:  ®o§  ontologifc^e  «Problem. 

©ebanfe  neuerbingg  ouc^  in  ben  Greifen  ber  9^aturforjc^er  Üiaum  ju 
gewinnen  beginnt.  (S§  fei  geftattet,  t)ierfür  ein  paar  ß^uö^iiffc  mit= 
guteilen. 

3n  feiner  gebanfenreid^en  5(b!^anblung  über  bie  ©c^ranfen  ber 
naturn)ifjenj(^aftli(^en  (£r!enntni§  (abgebrucft  im  ^nf)ang  ber  merf)anif(^= 
pt)l)fio(ogif(i)en  Xfjeorie  ber  2lbftommung§Iet)re,  1884)  befennt  ficf)  ber 
iöotanüer  (£.  ü.  S^ägeli  entfct)ieben  gu  bem  ©ebanten  ber  3(übejeelung. 
(gr  füfjrt  au§,  ha^,  raie  e§  feine  abfolute  Muft  §tt)ifc^en  organijc^er 
unb  unorganifc^er  äJJaterie  giebt,  fo  oudj  feine  liluft  gn^ifcfien  befeelten 
unb  unbefeelten  Äörpern;  ber  DZaturforjc^er  fönne  nicf)t  umt)in  oorau§= 
äuje|en,  ha^  ba§,  tt)a§  in  ben  öerttjitfelteren  Silbungen  erfc^eint,  in  ben 
Elementen  angelegt  fei.  3)ie  Sinologie  in  ber  9^eif)e  ber  pf)t)fif(f)en 
Srfi^einungen  mod)e  gleid^e  Interpretation  auf  innere  SSorgänge  not= 
menbig.  „9}iit  ben  Ü^eigbeujegungen  in  ber  f)ö^eren  STierttielt  ift  beutlid^ 
(Smpfinbung  oerbunben.  2Bir  muffen  biefelbe  aucf)  ber  nieberen  Tierwelt 
§ugeftef)en,  unb  tt}ir  ^aben  feinen  (J^runb,  fie  ben  ^flansen  unb  ben 
unorganifc^en  Körpern  abäufprecf)en.  2)ie  (Smpfinbung  öerfe^t  un§  in 
ßuftänbe  be§  ^ef)agen§  unb  be§  9JiiBbef)agen§.  3m  allgemeinen  ent[tel)t 
ha^  @efüf)l  ber  Suft,  ttjenn  ben  natürlichen  trieben  Sefriebigung  ge« 
ttjö^rt,  ba§  @efül)l  be§  ©c^mergeS,  n^enn  bie  Sefriebigung  üerfagt 
tt)irb.  S)a  alle  materiellen  ^ßorgänge  au§  33emegungen  ber  9Jiolefüle 
unb  (Slementatome  ^ufammengefe^t  finb,  fo  muffen  Suft'  unb  «Schmer j 
in  biefen  fleinften  .2:eilen  if)ren  ©il3  l)aben.  3)ie  (Smpfinbung  ift  eine 
Sigenfdiaft  ber  (gimei^molefüle,  unb  mrm  fie  biefen  julommt,  muffen 
mir  fie  auc^  benen  ber  übrigen  (Stoffe  gugeftelien.  —  2öenn  bie 
aJiolefüle  etma§  befi^en,  ba§i  ber  ©mpfinbung,  menn  auc^  noc^  fo  fern, 
üermanbt  ift,  fo  muB  e§  2Bol)lbef)agen  fein,  menn  fie  ber  Slngie^ung 
ober  5lbftoBung,  il)rer  Zuneigung  ober  Stbneigung  folgen  fönnen,  SJJife* 
bel)agen,  menn  fie  gu  einer  gegenteiligen  S3emegung  ge^mungen  merben. 
@o  fd)lingt  fid)  bas  nämliche  geiftige  33anb  burc^  alle  materiellen  @r= 
fcf)einungen.  ®er  menfd)licl)e  öJeift  ift  nidjtä  anbereS  al§  bie  f)ö(i)fte 
öntmicfelung  ber  geiftigen  ^ßorgänge,  meiere  bie  ^Zatur  überall  beleben 
unb  bemegen,  ouf  unferer  @rbe." 

®enfelben  ©ebanfen  f  priest  ^r.  3  öl  In  er  au§.  Sn  einer  Stb* 
Ijanblung  über  bie  allgemeinen  (äigenfcl)aften  ber  äRaterie  (in  bem  SSerf 
über  bie  Kometen,  3.  5lufl.,  @.  105  ff.)  erörtert  er  bie  gur  33egreifacf)feit 


5.  3)ie  Äonfequenjen  ber  poraUetiftijci^en  Sl^eorie.    SlDbefeelung.        109 

ber  9?atur  notlüenbigen  SSorau^fe^ungen.  @r  ftnbet,  bie  ©mpfinbungen 
[teilen  un§  üor  bie  Sllternatiüe,  „entlüeber  auf  it)re  S3egreifüd^feit 
für  immer  ^u  üerjic^ten  ober  bie  allgemeinen  (Sigenjd^aften  ber  SJjQterie 
:^t)potf)etifd^  um  eine  foIcEie  gu  öerme^ren,  njeld^e  bie  einfad^[ten  unb 
elementarften  Sßorgänge  ber  9?Qtur  unter  einen  gefe^mä^ig  bamit  öer= 
bunbenen  @mpfinbung§pro5e&  [teilt. "  (Sr  [inbet,  ha^  mir  bie  g^ä^igfeit 
ber  (Smpfinbung  auf  bie  l^öl^er  organifierte  9}iaterie  einf(i)ränfen,  fei 
lebigticf)  eine  ^olge  baüon,  ta'Q  \)a§>  SJZaterioI  unferer  3nbu!tion  aflju 
mangelhaft  fei:  „SBären  mir  imftanbe  öermöge  feiner  ou§ge6ilbeter 
(Sinnesorgane  bie  gruppenmeife  georbneten  9JJoIefuIarbemegungen  eineg 
^rt)[tatt§  5U  Beobad^ten,  menn  er  an  irgenb  einer  ©teile  gemaltfam 
öerte^t  mirb,  mir  mürben  mofjrfd^ einlief  unfer  Urteil,  i>a'^  feine  S3e= 
megungen  abfotut  oljue  gleid^^eitige  Erregung  üon  (Smpfinbungen  [tatt= 
finben,  al§  ein  unentf(f)tebene§  ober  jebenfallS  fel^r  I)t)potf)etifrf)e§ 
jurücEmeifen."  (£r  füf)rt  meiter^in  biefen  @eban!en  fo  au§:  „5tIIe 
5trbeit§Ieiftungen  ber  9iaturroefen  merben  burd)  bie  (gmpfinbung  ber 
Suft  unb  Unluft  beftimmt,  unb  groar  fo,  ha'^  bie  93emegungen  inner= 
f)atb  eines  abgefdjtoffenen  ©ebietS  oon  ©rfd^einungen  fiel)  fo  oer^atten, 
als  ob  fie  ben  unbemuBten  ßn^ed  »erfolgten,  bie  Summe  ber  Untuft= 
empfinbungen  auf  ein  SOiinimum  gu  rebngieren."  Sn  allen  materiellen 
95orgängen  finbet  entmeber  SSermanblung  öon  (Spannfraft  in  lebenbige 
^raft  ober  boS  umge!e^rte  ftatt;  nimmt  man  an,  bie  erfte  Seiftung  fei 
mit  ßuft,  bie  anbere  mit  Untuft  tierfnüpft,  fo  mürbe  3Serminberung  oon 
Unluft  atSbann  ftattfinben,  menn  innerl)alb  eines  bemegten  (St)ftemS  bie 
Slnjal^I  ber  ^ufontmenftöBe  auf  ein  SJiinimum  rebujiert  mürbe;  unb 
bat)in  mü^te  alfo  bie  Xenbenj  gerid^tet  fein,  menn  bie  ©mpfinbungen 
praftifd;e  Sebeutung  ^aben  fottten. 

2öaS  oon  naturmiffenfdjaftlid^er  ©eite  auf  biefe  3Infid)t  t)inbrängt, 
baS  ift,  baB  man  bie  organifd^e  unb  bie  unorganifdie  SBelt  nid^t  auS 
einanber  reiben  fann,  fie  bilben  bie  einljeitlic^e  9Jatur.  ©eitbem  bie 
Biologie  bie  SebenSfraft  als  bejonbereS  ^ringip,  baS  in  ben  organifd)en 
Körpern  gu  ben  pt)i^fifd)en  Gräften  fjinsuföme,  öermorfen  f)at,  ift  baS 
£eben  in  bie  elementaren  ©ebilbe,  auS  benen  ber  DrganiSmuS  beftetjt, 
I)inabgebrungen.  6S  beftef)t  nun  ^mifdien  ben  Setf)ätigungeu  ber 
beiben  gönnen  ber  ^örpermett  !ein  prinzipieller  Unterfd)ieb  mef)r.  @S 
finb   5ute|t   biefelben  Gräfte,   bie  in   ben  nnorganifdjen,   mie   in   ben 


110         I.  99ud^:  9JJetapf)^fif.    1.  Äapitel:  S)a§  ontologifc^e  Problem. 

organijc^en  Körpern  lüirtjam  finb,  nur  bo^  fie  ^ier  in  f)öcE)ft  eigen= 
tümlid^er  unb  üerlüidelter  Kombination  auftreten.  Sind)  ift  in  ber  ^orm 
ber  Söirfjamfeit  fein  Unter jdjieb:  aüe  Körper  tt)erben  burdj  innere 
Gräfte,  aber  auf  äuBeren  Slnlo^  benpegt.  Sei  ben  organifd)en  pflegen 
ttjir,  megen  ber  S^erfdjieben^eit  bes  S(nftoBe5  unb  ber  SBirfung,  bie 
innere  Kraft  in  ben  ^orbergrunb  ju  ftetlen,  bei  ben  unorganifd)en 
bagegen  ben  äußeren  SlnlaB-  5lber  an  fid)  ift  fein  Unterschieb:  luenn 
ein  Üiei^  be§  @ef)i3r§nerüen  ein  Sier  gum  2(ufipringen  bringt,  fo  ift  hü^ 
fo  gut  eine  pf)i}fifc^e  SBirfung  rein  pf)t)fi]c^er  Urfad)en,  als  menn  eine 
benjegte  äJJoIefüIgruppe  eine  anbere  burdj  2toB  in  Semegung  fe^t. 
©inb  nun  bie  Semegungen  in  bem  einen  gall  mit  ©mpfinbungg» 
oorgängen  begleitet,  fo  ift  nid)t  abgufeljen,  ujarum  fie  e§  nidjt  ouc^  in 
bem  anberen  '^üli  fein  fönnen. 

Sn  ber  2^at,  e§  ift  nur  ein  altes  SSorurteil,  ha§  öiele  ^f)t)fifer 
nod)  f)inbert,  bie§  §u  fe{)en.  Wü  ber  größten  (£ntfc^iebenf)eit  öern)irft 
2)u  S3oi5  =  9f?eijmonb  bie  Seben^fraft:  es  fommen  in  ben  CrganiSmen 
ben  ©toffteilc^en  feine  neuen  Kräfte  §u;  es  finb  bie  alten  Kräfte,  bie 
aud)  l)ier  allein  njirffam  finb.  2)al)er  ift  „bie  Sd^eibung  jujifd^en  ber 
fogenannten  organifc^en  unb  ber  unorganifc^en  2BeIt  gan^  »illfürlic^. 
2;iejenigen,  tt:)eld)e  fie  Qufred)t  ju  erf)alten  ftreben,  meldje  bie  Strlel)re 
Don  ber  ifebensfraft  prebigen,  unter  meldjer  gorm,  tt)eld)er  täufdjenben 
Sßerfleibung  e§  aud)  fei,  fold)e  Köpfe  finb,  mögen  fie  fid)  beffen  oer=^ 
fiebert  f)alten,  nie  bi§  an  bie  @ren,^en  unfereS  2)enfen§  oorgebrungen."*) 
d)l\x  fd)eint,  man  tl)ut  bem  berül)mten  ^l)t)fiologen  fein  Unredjt,  wenn 
man  behauptet,  ha'B  bie  ©renken  unferer  9^iaturerfenntni§  ha,  mo  er  fie 
mit  feinem  Ignorabimus  oufrid)tet,  aud;  nod)  nidjt  liegen.  §at  er 
red)t  mit  ber  53ef)auptung,  bafs  im  lebenben  Körper  feine  neuen  Kräfte 
l)in§ufommen,  fo  l)at  er  nic^t  rec^t  mit  ber  anbern,  baB  in  ber  erften 
©mpfinbung  eines  tierifd^en  Körpers  ein  obfolut  neues,  bi£l)er  uner= 
l^örteS  ©lement  in  bie  2öirflid)feit  eingetreten  fei. 

3u  ber  naturpl)ilofop^ifd)en  33etradjtung  fommt  al§  jmeiteS  SOJotiö, 
ha^  in  unferer  3^^^  bem  öebanfen  ber  Slübefcetung  jutreibt,  bie  er= 
fenntnistljeoretifc^e  @rtt)ägung,  bie  aümäl)lid)  aud)  in  ben  Kreifen  ber 
^l)t)fifer  ben  alten  naiuen  9iealismu§  §u  untergraben  angefangen  l)at. 


*)  S)u  SBoig-gte^monb,  gteben  II,  17. 


5.  2)ie  Äonfequenjen  ber  ^jaroQeUftifc^en  S^eorie.    3lllbefeelung.       Hl 

©inb  Ä'ör|3er  (Srjc^einungen,  ^orftedungen  ber  3ßir!üc|!eit  in  unferer 
©iitnltc^feit,  bie  al§  joldje  nidjt  abfolute,  fonbern  relatiüe  (£i-i[ten5 
fjaben,  jo  erf)ebt  ficfj  bie  g^-age:  )üa§  ift  bog,  iüqS  erjd^eint,  on  fidj? 
Ober  fommt  if)m  nur  relotiöe  (Si'iftens  ju?  3[t  bie  Äi3rpertt)ett  reine 
^fianto^magorie  in  meinem  33emuBticin?  ®a§  ^at  nie  jemanb  gebad)t 
unb  mirb  nie  jemanb  ben!en.  2(tfo  muB  ha^>  iüa§  un§  als  Ä'örper 
erjdjeint,  and^  etraaS  an  unb  für  fid^  fein.  2Sa§  ift  e§  an  fid)?  — 
2)o§  fönnen  mir  nid)t  njiffen,  fagt  ^ant.  —  §I6er,  an  einem  ^un!t 
menigftcn§  miffen  mir  e§:  jeber  meife  um  fid^,  rao§  er  ift,  au^er  bem, 
ha'^  er  anberen  unb  aud)  fid)  felbft  at§  ein  organijdjer  Körper  erfdjeint; 
er  meife  um  fid^  at§  ein  fü^Ienbeg,  moUenbeS,  empfinbenbeS,  ben!enbe§ 
SSefen.  Unb  bie§  ift  e§,  ma§  er  fein  eigentlid)e§  ©elbft  nennt.  Unb 
üon  biefem  ^unft  au§  beutet  er  nun  bie  SSelt  aufeer  fid):  gleidje  (Sr= 
fc^einungen  beuten  ouf  gteid§e§  innere^  (Sein.  Sebem  Körper,  ber  in 
iifintid^er  Söeife  aU  ein  relatiü  in  fid)  gefd)Ioffene§  @i)ftem  üon  (Sr= 
fd)einungen  unb  ^etf)ätigungen  fid)  barftellt,  legt  er  ein  äf)nlid^e§  relatiü 
in  fic^  gefdj(offene§  Innenleben  bei;  bem  3)?enfd)en,  bem  Xier  geben 
alle  eine  ©eele.  5[)er  ^tjitofopf)  fielet,  e§  giebt  feinen  ©runb  f)ier  ftet)en 
ju  bleiben,  ja  !eine  9}?öglid)!eit;  benn  bie  58el)auptung:  gemtffe  S)inge 
finb  blüfe  Ä'örper,  fül^rt  eben  auf  jenen  unertröglid)en  ©tanbpuntt  beg 
Sttufioni§mu§.  ©r  f)at  jugleid)  ben  9JJut,  ba§  ^arabo;L-e  gu  fagen: 
aüe  H'örper  finb  befeelt,  omnia,  quamvis  diversis  gradibus,  animata. 
(5ine  "^flanse  ift  ein  £ebemefen,  alfo  ein  pf^d)opf)i)fifd)e§  ©t)ftem;  eine 
^elle  ift  in  gemiffem  (Sinn  ein  felbftänbigeS  Sebemefen,  alfo  mirb  non 
i^r  ba^felbe  gelten;  ein  9}Jotefü(  ift  ein  relatiü  in  fi(^  gefd)Ioffene§ 
(St)ftem  üon  förperlidjen  (Srfd^einungen,  eine  3SieI^eit  üon  2;eiten  in 
engfter  33e§iet)ung,  in  mannigfad^er  33emegung  gegen  einanber  unb  äu= 
gleid)  aU  @efamtt)eit  in  53e5iet)ung  gur  Umgebung:  aud)  biefe^  ©piel 
förpertidjer  Vorgänge  mirb  nod)  al§  5(nbeutung  eine§  «Spiels  innerer 
Siorgönge  §u  f äffen  fein.  SSir  fönnen  biefe  innere  SBelt  nid)t  in  con- 
creto üorftellen,  aber  mir  fonftruieren  fie  in  fdjematifdjem  @ntmurf 
at§  gleic^  auggebet)nt  mit  ber  pl^^fifc^en  SSelt. 

^d)  berühre  f)ier  nod^  eine  3^rage,  auf  bie  mir  fpäter  üon  anberer 
Seite  jurüdfommen  werben:  giebt  e§,  mie  niebereS,  umfaßtes,  fo  aud) 
f)öt)ere§,  umfaffenbere§  (Seelenleben,  aU  ha§,  ma§  mir  erleben? 
3Sie  unfer  2eib  bie  ßtUm  at§  @(ementarorgani§men  umfaßt,  fo  nef)men 


112         I.  33uc^:  SDietop^^fif.    1.  Äapitel:  ®a§  ontologifd^e  Problem. 

Jüir  an,  umfaßt  unjer  ©eelenleben  ha§>  innere  SeBen  ber  (Slementar= 
gebilbe,  e?  einjc^tieBenb  in  ben  ßuiammen^ang  feinet  benjufeten  unb 
unbettJUBten  33e[tQnbe§.  Unjer  ßeib  ift  felbft  mieber  Jeil  einer  f)öi)eren 
©in^eit,  i[t  ©lieb  be§  ©efamtfebeng  unfereä  Planeten  unb  mit  it)m 
eingegliebert  in  ein  umfafjenberes  foSmifcfjeS  <£t)ftem,  gule^t  eingegüebert 
in  ha5  5III.  ^vft  aucf)  unfer  Seelenleben  einer  f)ö^eren  ©in^eit,  einem 
umfafienberen  SeiüUBtfein5Jt}ftem  eingegüebert?  ©inb  bie  einzelnen 
^immelsförper,  um  hierbei  junäcfjft  [te^en  gu  bleiben,  Sräger  eine§ 
cin^eitlid)en  Innenlebens?  Sinb  bie  ®e[tirne,  ift  bie  Srbe  ein  befeelteä 
SSefen?  2}ie  S^ic^ter  jprec^en  mm  ©rbgeift;  i[t  bos  met)r  ai§>  eine 
poetifd^e  9J?etQpf)er?  S)ie  gried^ijtfien  ^f)iIoiopf)en,  aud)  ^lato  unb 
5(riftote(eS,  miffen  öon  ©eftirnfeelen;  ift  ha§  met)r  a(§  ber  Ie|te 
SSiberfc^ein  eines  JraumeS  finbtid)er  ^^antofie?*) 

GS  raäre  öermeffene  2^orf)eit,  oon  biejen  2)ingen  in  bogmatijc^en 
gormein  unb  5öemeiSfüf)rungen  §u  f)anbeln.  2)oc^  jcfieint  mir,  ift  ein 
negatiüer  2)ogmatiSmuS  nic^t  me{)r  am  ^Ia|.  2Ser  bie  ©rbe  bloB  öom 
ölobuS  ^er  atS  eine  ßugel  aus  -pappe,  ober  auS  bem  Sucf)  als  einen 
großen  Älumpen  mit  glü^enb=flüffigem  Innern  unb  einer  bünnen  ftarren 
9^inbe  fennt,  bem  mirb  freilief)  frf)on  bie  g^rage  Iäd)erlic^  unb  abfurb 
norfommen.  3Ber  bagegen  in  ber  SSirflic^feit  fetbft  lebt,  bem  mirb  eS, 
lüenn  er  mit  ein  lücnig  ^^antafie  auSgeftattet  ift,  nid^t  gar  fo  munberlii^ 
üorfommen,  bie  örbe  als  ein  großes  belebtes  Sßejen  öor^ufteöen.  ged^ner 
lebt  in  bem  (Sebanfen.  3n  immer  neuen  SBenbungen  forbert  er  feine 
3eitgenoffen  auf,  boc^  einmal  aus  bem  Srf)taf  auf^ufteljen  unb  f)e[Ien 
5(ugeS  bie  2)inge  ^u  betrachten:  lebt  benn  bie  örbe  nid)t  mirflic^  ein 
@ef amtleben?  ©inb  nic^t  alle  it)re  2:eile,  baS  ffüffige  innere  unb  bie 
fcfte  Ü^inbe,  ber  C^ean  unb  baS  Suftmeer,  §u  einem  großen  ©ansen 
5uiammengefcf}Ioffen,  baS  in  allen  feinen  2:ei(en  mannigfaltig  unb  bocf) 
gufammenftimmenb  fid^  regt?    i^bbt  unb  g^lut,  STag  unb  9^ad^t,  Sommer 


*)  @§  j(^eint  übrigen!,  baß  jroii'cfien  bem  (Srbgeift  in  ®oetf)e§  genjaltiger, 
öimmel,  Srbe  unb  Unterwelt  umfd)tieBenber  Sichtung  unb  ben  ®e[tirngeiftern  ber 
gried)iid)en  $f)iloio))f)ie  aud)  ein  f)i[torijd)cr  ^ujammenfjang  ftattfinbet;  er  wirb 
burtf)  bie  p^antaftijc^en  fo^mologiidien  Spefulationen  ber  9foturpf)iIoiop:^en  be^ 
iecf)§ef)nten  ^al^rfiunbertl,  wie  beg  $aracel)u§,  be§  SIgrippo  tion  9Jette§^eim,  öer« 
mittelt,  üon  benen  ®oct^e»i5aul't  bie  2lftralgei[ter  unb  bie  ganje  magiic^*ipiritualiftifcf)e 
Siaturauffaffung  f)at,  ober  al!  i^r  ^eitgenofje  mit  i^nen  teilt. 


5.  Die  tonjequenjen  ber  ^jaraüeliftifd^en  2;^eone.    Mbefeetung.       113 

unb  SSinter,  füib  e§  nidjt  2eben§r^Qtt)men,  äfintic^  benen,  bie  boS 
(Sinjetleben  erlebt,  ober  üielmefjr  nehmen  r.ic^t  bie  Stiere  unb  ^flanjen 
mit  i^ren  fleinen  rt)i)tt)mifd)en  SebenSnorgäugeu  an  bem  großen  Seben 
ber  @rbe  teil,  fpiegelt  fid^  nid^t  in  i^rem  @(^lafen  unb  2Bad)en,  93tüt)en 
unb  SSelfen,  (Sntftel^en  unb  95erge^en  ta^  £eben  ber  (Srbe  ?  3)ie  (Srbe 
i[t  ja  nid)t  blofe  ber  @tü|puuft,  auf  bem  bie  lebenben  SBejen,  n)ie 
Körner  auf  ber  STenne,  firf;  zufällig  finben,  fonbern  ber  3)Zutterfd^oB, 
au§  bem  fie  f)eroorge^en.  Xier=  unb  ^ffauäennjeÜ  finb  ©rjeugniffe 
ber  @rbe,  [ie  bleiben  ©lieber  unb  Organe  if)re§  2eben§,  fo  gut  wie 
bie  QcUcn  ©lieber  unb  Drgane  be§  fieibeS.  S)er  ©eolog  !on[truiert 
bie  ©efc^id^te  ber  @rbe  au§  ber  §anb  ber  ©puren  ber  organiftf)en 
äßefen,  bie  fie  in  jeber  (Spod^e  l^eröorbra(^te,  ber  ©eograp'^  bejcf)reibt 
bie  (Srbe  burdf)  bie  c^arafteriftifcfien  SebenSformen  jeber  ^om;  fie  finb 
beftimmenb  für  ben  ©inbrutf,  ben  fie  auf  ba^  ©emüt  mad)t  unb  in  nidjt 
unerl)eblidf)em  9}?aB  aud)  für  it)re  ©eftalt;  if)r  Seben  ift  ein  Xeilpro^eB 
beg  ®efamt(eben§,  bie  SJJaterie  rinnt  in  beftönbigem  ©trom  burc^  bie 
organifd^en  Körper,  2öie  follte  nid)t  ha§>  SBefen,  ha^  aUe  lebenben 
unb  befeelten  SSefen  Ijeröorbringt  unb  al0  Steile  feine§  2eben§  in  fid) 
^egt,  felber  (ebenbig  unb  befeelt  fein? 

3^reilid),  auf  einen  @inn,  ber  bem  Seben  unb  Soeben  ber  Singe 
nid)t  aufgetfjan  ift,  mad^en  berartige  Setrad^tungen  ttjenig  (Sinbrud. 
(5r  ttjirb  fagen:  §eige  mir  ba§>  ©el^irn  unb  bie  9?eröen  ber  (Srbe,  fo 
n)in  id)  aud§  an  if)re  @ee(e  glauben.  —  5lIfo  rt)ir!Iid^,  ttjenn  ber  @rb= 
förper  au^er  ben  Ö)e'[)irnen  aller  Xiere  nod)  ein  befonbereS  @et)irn  für 
fid)  ^ätte,  unb  Singen  unb  C^ren,  unb  §er§  unb  ÜJJagen,  unb  5lrme 
unb  Seine,  unb  ^aut  unb  §aar,  bann  ttjürbeft  aud)  bu  i^n  für  ein 
befeelte§  Söefen  t)alten?  3lber  fiel)  ju,  ein  xvk  unfinnige^  2)ing  eine 
(Srbe  in  biefer  ©eftalt  UJÖre:  ein  2ier  brandet  einen  SJiunb  unb  einen 
9J?agen,  aber  bie  (Srbe  al§  @an§e§  braucht  i^n  nid^t,  benn  fie  l)at  nid^t 
nijtig,  (Stoffe  öon  au^en  aufguneljmen;  ein  ^ier  brandet  5tugen  unb 
C^ren,  um  bie  33eute  gu  jagen  unb  bem  DZad^fteüer  ^u  entgeljen,  aber 
bie  @rbe  oerfolgt  nid)t,  noc^  n^irb  fie  oerfolgt;  ha^  %m  braudjt  ©e^irn 
unb  5)ieroen,  um  feine  S3en)egungen  ber  Umgebung  an^upaffen,  bie  @rbe 
finbet  il)ren  2öeg  burd)  ba§  SBeltoß  oljue  fold^e  i^ülfe. 

5lber,  fagft  bu,  it)re  Sen)egung  ift  ja  augenfd)einlid^  rein  p^l)fifcl) 
bebingt,   fie  folgt  in   einförmigem  Ärei^lauf  bem  @efe^   ber  @d)n)ere. 

'^aulf eil,  (iiiilettung.    ü.  Shtfl.  8 


114         I.  93uc^:  aJJetap:^^ftf.    1.  Äopitel:  ®a§  ontologijc^e  «ßroblem. 

—  Unb  lüa§  !önnte   fie  beffereS  tf)un,   welche  Seiregung  wäre  ange= 

mefjener,  il)r  gu  öerfd^affen,  Iüq^  fie  braudjt,  2icf)t  unb  2öärme  in  oei** 

fd^iebenem  9JJa^  unb  r{)t)tl)mtjcfjem  SSerfjfel,  um  ha§>  il)r  eigentümüi^e 

SeBen  gu   entrtJtcfetn   unb  ju   reifen?    ©oüte   fie   wie  ein  2ier   balb 

I)ier{)in  balb  bortf)in  faf)ren  unb  bQjUjifd^en  träge  liegen?    Ul\o  UJoIIe 

i!§r  bod)  nid)t  öorfc^reiben,   n)Q§  njiber  i^re  Statur  unb  if)re  !o§mifd)e 

Stellung  i[t.    .^at  fie  bod^  an  mannigfach  gebrodjener  Söemegung  genug 

auf  i^rer  Dberflöc^e:  bie  S3emegung  in  Suft  unb  SSaffer,  in  Xier=  unb 

^ftanjenförpern.    ^^xt  33e§ief)ungen  aber   gur  StuBentüelt  ^at  fie  auf 

jene  Söeife  auf§  fcf)önfte  unb   angemeffenfte   geregelt.  —  Ober  fd^tiefet 

@efe|möBig!eit   ber  93ert)egung   at§  foWje  bie  ?(nnat)me  au§,    ha'^  ha§^ 

otfo  33ett)egte  Xräger  oon  S3en)ufetfein§0Drgängen  fei?    9^un,  bann  giebt 

e§  ja  für  unfere  ^^t)fiotogen   unb  befonber§  für  bie  materialiftifd)en 

^f)iIofopf)en  unter  i^nen  überf)aupt  feine  befeelten  Slörper;  beftet)en  fie 

eben  hoä)  fo  bringenb  barauf,  ha'^  aße  £eben§üorgänge  auf  bie  natur= 

gefe|mä^ige  Semegung  ber  fteinften  Xeite  3urücfgefüf)rt  n:)erben  muffen. 

2)ocf)  id^  öergirfite  barauf,   biefe  ®inge  meiter  au§äufüt)ren.    äöer 

if)nen  nad^f)angen   mag,  finbet  in  g^erfjnerS  3^"^=^^^^^ftfl  finnreid^fte 

Einleitung.    Sn  immer   neuen  SBenbungen   ttjirb   bem  Sefer   bie  (Srbe 

al§  ein  ein^eittic^e§  SBefen   öor  5{ugen   geftellt,   in   bem   fi(^,  »ie  in 

jebem  organifd)en  Körper,   33ielf)eit  unb  öintjeit   burd)bringen  unb  be= 

bingen.    „S)ie  (Srbe    ift    ein    in  g^orm  unb  (Stoffen,    in  B^^^f-   unb 

2Bir!ung§beäügen  gum  ©anjen   ein!)ettlic^  gebunbeneS,   in  inbiöibueüer 

(Sigentümlid^!eit  fidE)   in  firf)  abfdE)IieBenbe§,  in  firf)   !reifenbe§,   anbern 

ö^inüd^en,  hod)  mdjt  gleid^en  ©efc^öpfen  relatiü  felbftänbig  gegenüber^ 

tretenbe§,  unter  Anregung  unb  SJJitbeftimmfEieit  burdf)  eine  EIuBeniüelt 

fic^    au§   firf)   felbft  entfa(tenbe§,    eine  unerfc^öpf(icf)e  SJJannigfaltigfeit 

teils  gefe^tirf)  n?ieberfet)renber,  teil§  unbererf)enbar  neuer  SSirfungen  au§ 

eigener  ^üüe   unb   (Srf)öpfer!raft   gebörenbeS,    burrf)   äußere  Sflöttgung 

f)inburrf)  ein  (Spiet  innerer  g^rei^eit  entmicEelnbeS,  im  Singetnen  n)ed^fetn= 

be§,  im  ©angen  bleibenbeg  @efrf)öpf,  wie   unfer  Seib.    Ober  üielmetjr, 

fie  ift  e§  nid^t  nur  ebenfo,  fonbern  unfögüd^  mef)r,  ift  alleä  ha§>  gang, 

ttjoüon  unfer  Seib  nur  ein  ©lieb,   aUt^  ba§  bauernb,  tt)a§  unfer  Seib 

nur   im  8Sorbeigef)en,   üerl}ält  firf)   bain  \ük   ein   ganzer   $8aum   ^um 

einzelnen  @rf)aft,   ein   bauernber  fieib   ju   einem   öergönglirfjen  fleinen 

Organ."     (3enb=3(oefta  I,  179.) 


5.  2)ie  Soufequenjen  ber  paraHeUftifdien  2;t)eorie.    5tö6efeelung.       115 

2)aB  biefe  ©ebanfen  nidjt  gum  53e[tanb  iinferer  tüiffenfcf)aftlid^en 
(SrfenntniS  tjefjören,  i[t  natürtid)  and)  gediner  nid)t  üerborgen.  2Bir 
fönnen  ha^  organifdje  Scben  eine»  Planeten  lüdjt  barftelleit,  irie  ha§> 
einer  ^jTanje,  ober  jein  Innenleben  bejc^reiben,  ttiie  ba^  eine!  Spfienjcfien. 
(S§  bleiben  für  nn§  unbeftimmte  S^orftetlnnggfdjeinata,  bie  rair  feine 
Hoffnung  f)aben,  jemals  mit  feften  Segriffen  ju  faffen  ober  mit  fonfreten 
2(nfd)anungen  jn  erfüllen,  gür  eigentlich  n)iffenfd)QftIid)e  Slrbeit  ift 
f)ier  fein  Soben.  ®ocl^  leiften  fie  eine§:  fie  erinnern  un§  boran,  bofe 
bie  aftronomifdj4if)t)fifaIifc^e  Setrac^tnng  nic^t  bie  leiste  unb  f)öd)fte 
S3etrad)tung  ber  Singe  überf)au^t  ift,  ttjenn  fie  and)  bie  Ie|te  ift,  bie 
mir  in  miffenfdjafttid)er  5(rbeit  bnrc^füfjren  !önnen.  Unb  in  gemiffer 
SBeife  finb  fie  geeignet,  gmifdjen  ber  miffenfdjafttidjen  nnb  ber  reügiijfen 
5tnfd^auung  eine  93rüde  gu  fdjiagen.  3)enn  natürlid),  finb  bie  ^imm« 
lifdjen  ^ijrper  q(§  folc^e  STröger  eine§  einf)eitlid)en  «Seetenlebeng,  in 
bem  bQ§  (Seelenleben  aller  Xeitmefen  aU  9J?oment  aufgehoben  ift,  fo 
merben  mir  t)ier  nidjt  ftefjen  bleiben,  fonbern  fie  fclbft  mieber  al§ 
©lieber  eine§  größeren  ©an^en,  eine§  !o§mifd)en  5inteben§  auffaffen. 
5Der  alte  ©ebanfe  ber  SSettfeele  ift  ber  natürlid)e  ©d^Iufeftein  biefer 
ganzen  SSettbetradjtung:  jebe§  förperlid^e  (Softem  ^iröger  ober  Seib 
eines  SnnentebenS,  haS^  SBeltfiiftem  Seib  ober  örfc^einung  Ö5otte§.  ^{}n 
erreidjt  nid)t  ha§>  äöiffen;  ber  ©laube  beftimmt  fein  SBefen  mit  an= 
fc^aulid)en  Symbolen;  bod)  befeitigt  biefe  S8etrad)tung  ben  negatioen 
SDogmatilmus  einer  rein  p!^i]fifalifd)en  SBettanfic^t. 

S)a§  mar  auc^  5lont§  Stbfii^t.  Snbem  er  bie  9iatur  für  ßr* 
fc^einung  erflörte,  moüte  er  bem  ©lanben  an  ha^  Übermefen,  ha^  in 
ber  9ktur  fic^  offenbort,  bie  Saf)n  frei  madjen.  Slber  er  üerfd)mäl)te 
bie  SO^ittelftufen,  er  oerfd)mä^te  bie  5(nfnüpfung  an  ta^'  (Segebene; 
feine  fdjroffe  ©egenüberftellung  üon  (Srfd)einung  unb  S)ing  an  fid) 
bricht  bie  Srüde  ^mifdien  Söiffen  unb  ©tauben  oötlig  ab.  ^ed)ner 
baut  fie  mieber  auf;  er  get)t  üom  Dlöd^ften  unb  Sefannteften,  bem  3d) 
unb  feiner  Soppetgeftalt  aU  @eele  unb  ßeib  au§,  um  in  beftünbiger 
Steigerung  jum  §i3c^ften  unb  gernften  fortgugefien. 

®og  mären  bie  5lonfequenäen,  auf  meiere  bie  paralleliftifc^e  ^^eorie 
üon  bem  95erl)ältni§  be§  ^:pf)t}fifd)en  unb  ^:pfi)d)ifd)en  gefütjrt  mirb. 
Unb  l)iermit  märe  benn  bie  materiaüftifc^e  2öe(tonfid)t  übermunben; 
übermunben  freilid)  nidjt  in  bem  @inn,    bafe  fie  übertjaupt  falfd)  unb 


116         I.  33uc^:  ^üap^t)\it.    1.  Äapitel:  S)ai  ontologifd^e  Problem. 

grunbto§  tüäre;  'oa'^i  i[t  fie  geiüiB  nid)t,  i!E)re  ^orberung,  bafe  aUe§ 
SSirftic^e  pf)i)ftfcfj  bargeftetit  fei,  i[t  oöllig  begrünbet,  unb  e§  irirb  i^r 
üon  ber  bargelegten  5(nicfjauung  burc^aus  entfproc^en;  für  ben  ^^i)fifer 
ift  ha^  Unioerfum  al«  ein  alle  SBirflidjfeit  uinfd)üeBeuber  pt)t)fif(^er 
3ufammeuf)ang  borau5§ufe|en.  Übertüunben  ober  ift  ber  SOkterialiSmus 
in  bem  @inn,  bofe  er  fid}  uns  je^t  alg  eine  einfeitige,  ber  (Srgön^ung 
fällige  unb  bebürftige  S3etrarf)tung  ber  2[öirflid)!eit  barftellt :  alle  f örper= 
lic^e  Sßirflidjfeit  ift  burrf)ou§  unb  überaß  .^inn^eifung  auf  eine  Snnen= 
ttjelt,  bie  ber  öerraanbt  ift,  bie  tt)ir  in  un§  felber  erleben.  Unb  aUer= 
bing§  tt)erben  njir  nun  fagen:  in  ber  Snncnttjelt,  bie  un§  freiließ  nur 
an  einem  ^unft  unmittelbar  gegeben  ift,  im  (Selbflbemu^tfein,  barüber 
l^inaus  erreid)en  mir  fie  nur  burc|  ftet§  unfi^ere  Interpretation  unb 
jenfeitS  ber  S^iermelt  nur  burrf)  fc^ematifierenbe  ÄonftruWon  unb  burcf) 
ibeatifierenbe  ©timboüf,  in  ber  ^nnenmelt  offenbart  ficf)  bie  9ktur 
be§  SSirfüdjen,  mie  e§  an  unb  für  fid)  ift;  bie  ^"örpermelt  ift  im 
©runbe  nur  eine  gufäüige  2(nfid)t,  eine  unaböquate  2)arfteüung  ber 
2SirlIid)feit  in  unferer  @innlid)!eit. 

2)a§  ift  bie  ®runbanfd)auung  be§  SbeoIi§mu§.  8ie  ift,  üon 
ben  Stagen  ^latos  an  bi§  auf  bie  ©egenmart,  allgemein  c^ara!terifiert 
burd)  bie  §mei  (Stüde:  bie  Äörpermelt  ift  (Srfd)einung ;  ba§,  ma§  in 
it)r  erfdjeint,  ift  ein  unferem  Snnenteben  9]ermanbte§. 

SSorin  liegt  ber  ©runb,  bafe  biefe  Slnfc^auung,  bie  ben  ^tjilofop^en 
fo  geläufig  ift,  ber  gemeinen  3SorfteIIung  fo  befremblid^  unb  ungtaub= 
lid)  oorfommt? 

S)er  näd)fte  ©runb  ift  of)ne  ^n^^^t^'^  ^^^f  "^«^B  bie  gemeine  ^ox- 
fteUung  oon  ber  finnlic^en  2Infd)auung  be^errfc^t  mirb.  2öirflic^  ift 
nur,  ma§  man  fie^t;  maS  man  nid)t  fief)t,  ift  nid)t.  ®a§  ift  ba§ 
@d)ema,  monad)  überall  gefolgert  mirb.  @o  ()ier:  mir  fel)en  bie 
5(uBenfeite,  bie  Snnenfeite  fel)en  mir  nid)t,  mir  muffen  fie  Ijinjubenfen. 
So  meit  bie  g^olgerung  burd)  bie  Xljatfai^en  un§  aufge^mungen  mirb, 
sieben  mir  fie;  mo  nur  noc^  abftrafte  Srmägungen  gur  3^ortfüt)rung 
ber  g^olgerung  anl)alten,  ha  läfet  ha^  gemeine  teufen  ben  graben  al5:= 
batb  fallen.  SDie  ßumutung,  über  ha§>  (begebene  l)inau§  in  ber  9ftid)= 
tung,  bie  if)m  burd)  bas  begebene  felbft  angebeutet  mirb,  meiter  gu 
beuten,  let)nt  es  als  pt)antaftif(^e,  feine  9iut)e  ftörenbe  Ungeprigleit 
inftinftiü  ab. 


6.  aSejen  ber  ©eete.    QnteEeftuoIijtifdje  unb  öoIuntarifttjcf)e  «pj^diologte.    117 


3u  tiefer  ^Iräg^eit  be§  S)enfeng  fommen  bann  aber  pofitioe 
^inberniffe,  bie  ber  ibealiftijd)en  Slnfic^t  ben  2öeg  »erlegen.  (5§  finb 
öor  aüem  faljc^e  SSorflelhmgen  oon  bem  SSefen  unb  ber  metap{)t)fifd)en 
Constitution  be§  jeelifc^en  ßebeng.  ®ie  beiben  folgenben  2lbfd)nitte 
holten  fie  ju  befettigen  fuc^en. 


6»  3Son  bcm  Sßefen  ber  Seele,   ^nteaeftualtfttfc^e  unb  ooluntartftifc^c 
'«:)>ft)c^oIogte.     ®a^  Unbewußte. 

S)ie  5tuffoffung  ber  geft)ö^nlicf)en  ^orftellung  üon  bem  SSejen 
ber  ©eele  leibet  an  einem  boppetten  SJJangel;  fie  f)at  eine  falfc^e  SSor= 
fteHung  1)  oon  ber  metop^t)fifc^en  Conftitution  be§  ©eelennjefenS, 
2)  Don  bem  pf)änomeno(ogifc^en  ^ntjalt  be§  (Seelenlebens.  S<^ 
^anW  gnerft  üon  bem  §meiten  ^un!t. 

3lDei  ?trten  feeüfd)er  S3orgänge  treten  un§  im  ©elbftbewuBtfein 
entgegen:  S^orftetlungen  unb  2Si((en§erregungen;  bemnarf)  legen 
mir  ber  ©eele  jmei  ©eiten  bei,  anteiligen 5  unb  SBillen.  211§  53e« 
tljätigungen  ber  Sntelligenj  fe^en  mir  an  ha§  (gmpfinben,  2BaI)rnel)men, 
33orftetlen,  ®enfen,  al§  Setl^ötigungen  ber  •  2Billen§fpl)äre  (Streben, 
STriebempfinbung,  Segierbe,  SSotten,  §anbeln  mit  ben  begleitenben  @e= 
füf)l§erreguugen. 

Sn  ber  beutfdjen  ^;pfi)cl)ologie  ift  ftatt  ber  alten  ßmeiteilung  bie 
3)reiteilung  üblicf)  geworben:  2)enfen,  gül)len  unb  SSollen.  SUiir  fc^eint, 
nic^t  äum  SSorteil  beS  SSerftänbniffeS  feelifd)er  3)inge.  öS  ift  l)ier 
nicfit  ber  Ort  auf  bie  <Bad)t  nä()er  einjuge^en,  irf)  bemerfe  nur,  ba^ 
bie  SoSlöfung  be§  gü^lenS  unb  2BolIen§  oon  eiuanber  eine  unmögliche 
(Sad^e  ift.  Stuf  primitiver  öntmicfelung^ftufe  fiub  fie  ein§:  fein  @e= 
füt)l,  \)a§  nic^t  jugleic^  SöiüenSantrieb  märe,  unb  feine  2ßiüen§erregung, 
bie  nicftt  im  @efüf)l  jum  Semu^tfein  fäme.  9hir  auf  ber  f)öcf)ften 
@ntmi(felung§ftufe  be§  feelifcfjen  SebenS,  im  9J?enfd^en,  finbet  in  ge- 
miffem  SDiafee  eine  So§li3fung  be§  @efüf)l§  00m  SSiüen  ftott;  bie 
äft^etifcfjen  ©efü^le  finb  beino^e  ofjue  haS^  SOloment  be§  SSilIen§an= 
triebet,  reine  (Stimmung§gefüf)le  oljue  Sntpul§.  Unb  bi§  ju  einem 
gemiffen  @rabe  finbet  ^ier  auc^  ftatt  333illen§beftimmtf)eit  o^ne  @efül)l§= 
erregung;  ber  oernünftige  SSiUe  faun  ol^ne  unb  gegen  finnlid^e  SCriebe 
bie  S3etf)ütigung  burc|  ^^^^fö^^o"^^"  beftimmen. 


118         I-  S3uci):  aJJetop^tjfü.    1.  Äopitel:  ®ag  ontologtjc^e  «Problem. 

polten  n^ir  prinzipiell  an  ber  ^^Jeiteirung  feft,  fo  erf)ebt  fid)  bie 
Jöeitere  ^yrage:  iüie  üer^atten  fid)  bie  beiben  ©eiten  be§  Seelenleben^ 
,gu  einanber?  ©inb  fie  gleidj  urfprünglid),  ober  ift  eine  öon  if)nen 
a(§  bie  primäre  unb  n)ur§ell}afte  Set^ätigung  an^ufefien,  an  tt)eld)e 
bie  anbere  fid)  ai§>  fefunbäre  (Sntttiidelung  anfd^Iiefet?  ®er  gemeinen 
SSorftellung  liegt  am  näc^ften  bie  5Iuffaffung,  bafe  ba§  ^orftellen  bie 
erfte  nnb  eigentlid)  c^ara!teri[tijd^e  gunftion  ber  @eete  fei,  njogegen 
©efü^t  nnb  33egef)ren  ai§>  ein  @elegentlid)e§  unb  ©efunbäreS  erfd)cint, 
bo5  t)in  unb  tt)ieber  at§  9^ebenn)ir!ung  be§  SSorfteüungglaufS  üorfommt: 
too§  bie  58or[teüung  al§  gut  ober  jdjlec^t  bejeidinet,  ha§>  mac^t  fid) 
bonn  ber  Sßitle  auf  gu  bege!)ren  ober  äu  f[ief)en.  2tuc^  bie  ^fi)d)oIogie 
gefjt  öielfad)  üon  biejer  5(nfd)aunng  au§;  id)  mill  fie  bie  intelleftua* 
liftifdje  nennen,  ^erbart  Ijat  fie  fijftematifd)  burdjgefütjrt.  ©eine 
^fljc^ologie  ift  ein  33erfud),  äße  S3en)uBtfein§üorgönge  an§  SSorfteüungen 
unb  ii)ren  35ert)ättniffen  abguteiten.  SSorfteüungen  finb  i^m  bie  Ur* 
demente  beg  ©eelenlebenS;  fie  bet)arren,  §iet)en  fid;  an  unb  ftofeen  fid) 
ab,  l)emmen  unb  öerbinben  fid),  Ujie  bie  (Elemente  ber  ^i^rperttelt. 
®ie  Slufgabe  ber  ^ft)C^oIogie  ift  it)m,  bie  ©efe^e  ber  SSorfteIIung§= 
bettjegungen  gu  formulieren  unb  au§  i{)nen  bie  übrigen  $8orgänge  gu 
erflären. 

Sn  jüngfter  ßeit  neigt  bie  ^fljdjologie  mel)r  unb  met)r  ba§u,  ben 
Söillen  al§  bie  primäre  unb  fonftitutiüe  ©eite  be§  ©eelenlebenS,  bie 
SuteÜigeng  bagegen  a(§  eine  fe!nnbäre  ©ntnjidelnng  ju  betrad)ten.  @§ 
ift  ©d)opent)ouer,  ber  f)ierin  oorange^t.  (Sr  fiel)t  im  Söillen  bie 
@runbfun!tion  ber  ©eete,  bie  öon  ber  35orfteIIung  nid)t  obgeleitet 
tt)erben  fonn,  üielme^r  urfprünglid;  o!)ne  SSorfteßung  ober  Sutelligens 
überhaupt  al§  blinber  S)rang  ober  SErieb  auftritt  unb  erft  mit  auf= 
fteigenber  (Entmidelnng  bie  Sntelligeuä  fidj  al§  SBerfäeug  anbitbet.*) 


*)  Sd^opttitjaucx  Bef)anbelt  bieg  ©runbbogma  feinet  $t)iIofopf)ie  im 
§ltieiten  93ud^  feineg  §ou:ptlüer!eg;  e§  i[t  bie  geniale  Intuition  feiner  i^ugenb,  bie 
burd)  alle  ®ebiete  ber  3Bir!Iicf)feit  burcfijufü'^ren  eigentlich  ben  Qn^alt  aller  feiner 
Schriften  auSmad^t.  (Sine  fef)t  !(ore  33eleu(i)tung  be§  ®ebanfen§  giebt  bie  Heine 
©c^rift  über  ben  SBiüen  in  ber  9iotur.  S)ie  neuere  ^f^c^otogie,  bie  mc^r  a\§  bie 
früf)ere  tion  bioIogif(i)en  @efict)t§pun!ten  fic^  leiten  läfst,  I)at  fid^  ber  2tnf(i)auung 
(5c^openf)auer§  immer  mef)r  angenäf)ert.  §ier  ift  namentlid)  SB  unb  t  gu  nennen: 
wie  ©c^open'^auer,  fe^t  er  bie  urfprünglid^e  Setptignng  be§  ©eeliftf)en  in  ben 
Srieb,  unb  betont  überall  bie  enge  93e§iel)ung  ber  pf^c^ifdien  $8orgänge,  aud^  bercr, 


6.  SEßeien  ber  ©eele.   SnteQe^tufl^iftiftilc  unb  üoluntoriftifd^e  ^f^d^ologte.     119 

Wiv  i[t  nid)t  ^treifet^aft,  boB  ©rf)Open^auer  mit  feiner  erftaun= 
lidjen  Ä'roft  ffarer  unb  tiefbringenber  ^nfd^aunng  t)ier  ein  befferer 
güf)rer  i[t,  a(§  ^erbortS  bof)renber,  auf  begriffli(i)c  5(nali)fe  unb  @t)n= 
t{)efe  gerichteter  ©(i)arffinn.  9^ur  fo  lange  mon  au§fcf)IieBüc^  bie  5ßor= 
gonge  im  entmicEetten  menfdjiidjen  Semu^tfein  im  STuge  \)at,  !ann  e§ 
fd)einen,  at§  fei  ha§>  ^orfteHen  ber  eigentlid^e,  nur  gelegentlid^  burd^ 
®efül)tg=  unb  SSiüenSerregungen  unterbrodjene  Snf)oIt  be§  (Seelenleben^. 
9tid)tet  man  ben  S3Ii(f  auf  bie  gan§e  grofee  lebenbe  unb  befeelte  SSelt, 
fo  (endetet  atsbalb  ein,  mie  fefunbär  bie  ^oüt  ber  intelligent  neben 
bem  SBillen  ift. 

Snnertjolb  ber  nie  bereu  SCiermelt  mirb  fc^merlid^  jemanb 
baranf  fatlen,  ben  Suljalt  be§  ©eeten(ebeu§  mefenttid^  in  bie  g^unftionen 
ber  S^orfteüungSfeite  gu  fe^en.  Sn  ben  nieberften  gormen  tierifd^en 
£eben§  mirb  öon  Sntedigeuä  überijaupt  faum  bie  Sftebe  fein;  eine  Duaöe, 
ein  ^o(i)p,  ein  Snfuforium  mirb  mot)I  nid)t§  öorftelten  unb  ben!en; 
fie  miffen  meber  öon  fic^  nod)  öon  ber  SluBenmelt;  blinber  S)rang  be= 
ftimmt  bie  2eben§bet()ätigung,  faum  üiel  onberS  alg  in  ber  unorganifd)en 
SBelt  blinbe  Gräfte  bie  53emegung  beftimmen.  2öie  ber  SSaffertropfen 
fällt,  b.  t).  mit  beftimmter  ^efd)Ieunigung  auf  für^eftem  äöege  gegen 
fein  ^id,  ben  (Sdjmerpunft  ber  ©rbe,  fid)  bemegt,  of)ne  oon  ber  (£rbe 


bie  ber  S^orftellunggfeite  angehören,  jum  SBiüen.  —  ©ine  emfi(f)ttge  Erörterung 
beä  ©eclenlebcnä  ber  Stere  aug  biefem  ®ef{d^t§punft  ftnbet  man  in  ber  ©dirift 
üon  @.  §.  ©d)neiber:  S)er  tierifcf)e  SSille  (1880).  —  3loä)  mag  barauf  :^inge= 
miefen  fein,  i>a^  auf  getriffe  aBeifc  ©rf)o:pen:^auer§  Sfjeorem  öon  bem  ^rimat  beä 
SBiQeng  burcf)  S^ont^  Seijre  öom  ^rimot  ber  praftifd^en  Sßernunft  borau^gcnommen 
ift.  ®ie  ©ad^e  f)ängt  f)ier  äufammeu  mit  ber  JReaftion  gegen  bie  Überfd^ä^ung 
be§  5ßerftanbe§,  ber  Söiffenfd^oft  unb  ber  tfjeoretifd^en  Silbung,  föie  fie  bie  9^eu§eit 
feit  ber  ©pod^e  ber  fogenannten  2ßieberf)erfteIIung  ber  3Biffenfd^aften  be^errfrfite. 
S)iefer  großen  Sieaftion,  tüeid)e  mit  Stouffeau  beginnt  unb  aU  Dteaftion  gegen 
bie  Sluftlärung  in  ber  Siomanti!  fulminiert,  ge{)ören  fomot)!  Äont  aU  ©c^open- 
^auer  on.  ®er  le^terc  t)ot  mit  feiner  Se^re  bon  ber  abfoluten  Irrationalität  beä 
SSettprinäipg  bie  SWetapI)l)fif  ber  Diomanti!  gefd^rieben.  —  Stud^  biel  mag  ange^ 
beutet  fein,  bafe  bie  grofsen  SBanbtungen  in  ber  Sj;f)eoIogie  ober  ber  3luffaffung  oom 
SBefen  ber  9^eIigion  l^iermit  aufä  engfte  3ufamment)ängen.  S>ernunftt^eotogie  ober 
fpefulatiöe  9ieligiongpi)iIofop^ie  unb  inteKeftuotiftifd)e  $ft)d^ologie  ge{)ören  pfommen, 
ebcnfo  me  pofitiDiftifdje  S^eologie  unb  üoluntariftifd^e  <ßft)c^oIogie.  2)ie  jüngft 
:^ert)ortretenbe  SBenbung  ber  3:f)eoIogie  §um  ^ofitiüigmuä  ftel^t  mit  ber  ooIuntO'« 
riftifdf)en  $ft)c^oIogie  ber  ^eit  in  ^ufammen^ong. 


120       I-  33uc^:  aJietapl^Qfif.     1.  ÄapiteL  ®o§  ontologifdie  Problem. 

unb  bem  @rat)itation§geje|  ju  tüiffen,  ober  n)ie  feine  Xeild^en  of)ne 
SSorfteHung  öon  bem  geometrifd^en  @efe^  fid^  in  ber  ^^rijftallifQtion 
nacf)  bem  beftimmten  ©d^ema  orbnen,  \o  regt  iinb  knjegt  ficE)  bQ§ 
lebenbe  SBejen  beinalje  mit  berjelben  ©id^ertjeit  gegen  fein  ßiel,  @r= 
f)attnng  bei  ßigentebenl  unb  (Sr^oltung  ber  ©attung.  ^ier  fo  menig 
wk  bort  ift  bog  objeftiüe  ^kl  aii6)  fubjeüioe  5lbfid)t,  ha^  Zkx  mei^ 
nicfjt  um  fic^  unb  feine  ßebenSbebingungen,  unb  ebenfomenig  um  9^arf)* 
fommen  unb  ©attung.  Xriebempfinbungen  unb  @efü{)I§erregungen 
finb  bie  inneren  Segleiterfd^einungen  ber  SebenSoorgönge,  nid)t  33or= 
QU0fidjt  ber  ^kk  unb  Ginfic^t  in  bie  9J?itteI. 

2(nmäf)(ic§  tt)ärf)[t  in  ber  auffteigenben  9iei^e  be§  tierifd)en  2eben§ 
bem  SSitten  bie  Sntelligenj  an.  Wlit  ber  gunefimenben  ^omptifation 
be§  Organismus  unb  feiner  gunftionen,  mit  ber  Srn^eiterung  feiner 
S3eäie^ungen  gur  Umgebung  treten  ©inneSorgane  unb  9leroenft)[tem 
auf;  mit  i^nen,  fo  nei)men  mir  an,  als  bie  Snnenfeite,  (gmpfinbung 
unb  3Bal)rnei)mung.  S)ie  Snftinftbemegungen  treten  nun  unter  ben 
leitenben  ©influ^  ber  2Ba^rnef)mung;  nic^t  jmar  mirb  ha^  3^^^  üorauS= 
gefef)en,  nod)  bie  3:t)ätig!eit  als  SO'iittel  erfannt  unb  gemö^It,  bie  S3iene 
meiB  nichts  oon  ber  33rut  unb  öom  SSinter  unb  ^at  !eine  ®infirf)t  in 
bie  SSorgänge  ber  @rnäf)rung,  aber  fie  mirb  bei  oller  Stljätigfeit,  bei 
ber  5Iuffuc^ung  ber  53Iüten,  bem  S3au  ber  ^tUcn,  ber  Fütterung  ber 
S3rut  burd)  2Ba^rnet)mungen  unb  (Spuren  oon  ©rinnerung,  bie  fid} 
p'^tifiologifdj  als  S^leröenpro^effe  unb  ©iSpofitionen  barfteüen,  geleitet. 
Sn  ben  Ijö^eren  !Jieren  entmidelt  fidj  mit  bem  ©e^irn  baS  ©ebödjtniS, 
bamit  ift  erft  bie  äHöglidjteit  eineS  primitiöen  SßocftellungSlebeuS  ge= 
geben.  S^ic^t  bloB  bie  5E3af)rnef)mung  beS  ©egenroärtigen,  fonbern  aud^ 
bie  SSorftellung  beS  ^Vergangenen  unb  ßi^^ünftiö^"  ü^t  nun  auf  bie 
SBillenSbet^ätigung  (Sinflufe;  unb  bamit  finbet  §ugteic^  ein  Stnfang  oon 
Überlegung  unb  SSiüfür  ftatt. 

Sm  SJienfc^en  enbtid)  !ommt  eS  jum  ^en!en,  ^um  Operieren 
mit  abftra!ten  SSorfteüungen.  2Sä{)renb  baS  5:ierbemu^tfein,  fo  oiel 
mir  üermuten  !önnen,  fic^  über  Slffociationen  !onfreter  2tnfdjauungS= 
fompleje  nid)t  ert)ebt,  erreidjt  ber  9J?enfc^,  mit  ^ilfe  ber  <Sprad)e,  in 
ber  bie  ©efamt^eit  i^r  2)en!en  obje!tioiert  unb  mitteilbar  mad)t,  fo  meit 
bie  §errfd)aft  über  bie  Stnfd)auung,  ba^  er  atS  ©etbft  oon  it)r  fic^ 
toSlöft  unb  fie  atS  Dbje!t  fid)  gegenüber  fteüt.    (SelbftbemuBtfein  unb 


6.  SBefen  ber  ©ecle.    ^nleHeftuaUftifd^e  unb  boluntoriftifd^e  ^j^d^ologic.     121 


obieftiüeä  SSeltbeiüu^tfein  finb  Äorrefate.  3"9^^ic[)  überjd^out  er  mit 
erlüeitertem  ^eiyuBtjein  fein  Seben  a(§  öanjeS  unb  beftimuit  in  einigem 
9J?aBe  feinen  Sn^alt  burrf)  ©ebanfen,  bnrcf)  leitenbe  3^ecfe  unb  @runb= 
fä^e.  ®er  SSille  erfc^eint  ^ier  al§  burcf)brungen  mit  Sntelligeng,  au§ 
animaüjdjen  STrieben  ift  ein  öernünftiger  SSille  gemorben. 

Überblicken  loir  bie  SntiüicEeluug  im  ©anjen,  fo  fönnen  n)ir 
aljo  fügen:  ber  SBitle  ift  ber  urfprünglic^e  unb  in  gen^iffem  Sinne 
fonftante  '^aitox  be§  ©ee(enteben§;  lüir  finben  i^n  am  (Snbe  ber  Ülei^e 
auf  biefelben  großen  ßiele  gerirfjtet,  n^ie  am  Stnfang:  (Sr^attung  unb 
Entfaltung  be§  (Sigen(eben§  unb  ber  ©attung.  ^ie  ^nteüigens  ift 
ber  fefunbäre  unb  oariable  ga!tor,  ber  aU  Organ  bem  SSiUen  an- 
gebilbet  mirb. 

©alfelbe  SSerf)äItni§  §rt)ifcE)en  SSille  unb  ^nteüigens  tritt  and) 
in  ber  (Sntnjicfetung  be§  (SinjetmefenS  un§  entgegen,  entfpredjenb  jener 
formet  ber  neuen  Biologie,  baB  bie  ontogenetifd)e  (Sntnjidelung  bie 
pf^l)(ogenetif(f)e  mieber^olt.  Seber  SJJenfd^  tritt  a(§  blinber,  inteüeft^ 
lofer  SSille  in  bie  SBelt.  2)er  ©äugling  ift  ganj  SSitle,  •  fräftige 
3;riebe  äußern  fid)  in  {)eftigen  SeUjegungen,  bie  9Serrirf)tungen  finb 
mit  Iebf)often  organifrfien  ©efü^Ien  begleitet;  aber  bie  35orftelIung§feite 
fe^It  noc^  gan§,  bie  Settjegungen  finb  blinbe  Ü?eflej=  unb  Snftinft= 
bemegungen.  Stber  alsbalb  beginnt  auc^  bie  SnteUigen^  fid)  ju  ent* 
tt)i(feln,  anfangenb  mit  ber  Setfjätigung  ber  (Sinne.  S)er  Xaftfinn 
tritt  in  2;t)iitigfeit,  er  übernimmt  guerft  bie  Seitung  ber  Semegungen; 
33erüf)rung§empfinbungen  löfen  beftimmte  93emegungen  be§  5lopfe§, 
bann  auc§  ber  §anb  au§,  unb  balb  folgen  bie  übrigen  Sinne.  9J?it 
bem  ©ebäd^tniS  unb  ber  (Erinnerung  in  ^oi^^  be§  SBieberfennen» 
beginnt  ha§>  iöorfteHungSleben  fidj  gu  entfalten;  gute^t  fommt  mit  bem 
Spred)en  hü§^  S)en!en  unb  wirb  aümäfilic^  3um  oberften  regulierenben 
^rinjip  be§  ^anbe(n§.  Stifo  aud)  f)ier:  SBiße  bie  primitiüe;  inuräel^ 
I)afte  gunftion,  Snteüigenj  ba§  im  SSerlauf  be§  Sebenl  angebitbete 
Sßer!§eug. 

oben  biefeS  93ert)ältni§  finbet  nun  SdjOpenf)auer  and)  hnxd)  bie 
pft)d)otogifd)e  Beobachtung  bes  entn^idelten  menfd^Iid^en  Seelenleben^ 
beftötigt.  ®a§  tritt  junäd^ft  entfd^eibenb  barin  f)erüor,  ba^  ber  SBiße 
e§  ift,  ber  bem  Seben  überf)aupt  ha^  ^id  fe|t,  md)t  ber  35erftanb; 
bie  ?(ufgabe  be§  '^'erftanbeö  ift,  bie  9JJitteI  unb  SBege  ju  bem  Qki  ju 


122  I.  93uc^:  SKetap^^ftf.    1.  ^apM:  ®o§  ontologiidie  Problem. 

finben,  tuo^in  ber  SSitte  lütü.  Sebe§  leöenbe  SBefen  ftellt  [id^  q1§  ein 
fo  ober  fo  beftimmter,  auf  ein  joI^e§  2eben,  eine  jolcf;e  3f{eit)e  üon 
(SntiüicEelungen  nnb  S3et{)ätignngen  gerii^teter  fon!reter  Sßille  bar:  ein 
3(b(er,  ein  Sijrae  i[t  ein  auf  biefeS  be[timmte  ßeben  geridjteter  SSiüe, 
er  tt)in  e§  abfofut,  nic^t  auf  ©runb  einer  (SrfenutuiS  feines  2Berte§. 
(55an§  ebenfo  ber  9Jienfd):  aud^  er  w'xti  ein  fo  beftimmteS  Seben  leben, 
abfolut,  nid)t  auf  ©runb  einer  öoraufge^enben  @r!enntni§  feine§  2Berte§. 
5t(§  !onfreter,  burd)  bie  5ibftammung  au§  biefem  3SoIfe,  biefer  gamilie 
beftimmter  SSitle  tritt  er  in§  S)afein;  nicf)t§  n)iffeub  üom  Seben  unb 
feinem  Snf)alt,  treibt  biefer  feim!)afte  SSitte  immer  neue  ^Triebe,  fie 
!ommen  nad)  einanber,  Xük  bie  ^Triebe  einer  ^flanje:  ber  Xrieb  gu 
gelten,  §u  üettern,  gu  fpre(f)en,  gu  fpielen,  mit  ^ferben  unb  ©olbaten, 
ober  mit  puppen  unb  Kleibern,  gu  bauen  ober  ju  !od)en,  @ef(f)id)ten 
5u  pren  unb  ju  erjagten,  bie  ®inge  5U  fef)en  unb  gu  begreifen;  bann 
bri(f)t  enbtid)  am  (Snbe  be§  Knabenalter^  pli3^1id§  al§  ein  neuer  un= 
erhörter  Xrieb  bie  Steigung  sunt  anbern  @efd)Ied)t  !E)ert)or  unb  bitbet 
eine  2Sei(e  ein  @runbtt)ema  be§  SnneuIebenS.  SI(Imäf)tid)  brängen 
fi(^  bann  bie  SEriebe  be§  9JJaune§aIterg  in  ben  ^orbergrunb;  Strbeit 
unb  (ärmerb,  (Stellung  unb  ^nfeljen  für  fidj  unb  bie  9^ad)fommen 
n)erbeu  bie  großen  5(uge(egen{)eiten  be§  ßebens,  bi§  enbtid)  bie  SnooIu= 
tiou  beginnt,  unb  ber  STob  ben  S(bfd)(uB  madjt.  S)iefe  gan§e  (Snt- 
ftiidelung  üoE^iefit  fic^  nid)t  burd)  bie  Srf)ätig!eit  be§  oorauSbtidenben 
^erftanbeS,  e§  benft  fid)  niemanb  feinen  Sebenslauf,  feine  Sntmidelung 
au§,  um  fie  bann,  nad)bem  ber  SSerftanb  bie  SSortrefflid^feit  erfannt, 
auszuführen,  foubern  er  erlebt  fie  unb  munbert  fid;  felbft,  mie  if)m 
gefc^ie!)t.  SlüerbingS  finbet  beim  SJJenfd^en  in  gemiffem  ©inne  SSoraus- 
na^me  be§  SebenS  in  ber  33orfteIIung  ftatt;  bem  ^^'naben,  bem  3üng= 
ling  fdjttjebt  eine  5{ufgabe,  fc^mebt  ein  Sbeat  oor,  ha§>  feine  (Snt= 
rtidelung  unb  S3etf)ätigung  mitbeftimmt;  aber  ha^  Sbeal  ift  nic^t  ein 
^robuft  be§  SSerftanbeS,  fonbern  be§  2Bi((en§,  ber  in  if)m  fid^  felber 
anfc^aut.  S)er  SSerftanb  mad)t  feine  Sbeate,  er  f)at  auc^  feine  @m= 
pfinbung  für  Sbeole,  er  fennt  nur  bie  Kategorien  mirf(ic§  unb  un- 
n)irflid);  mert  unb  unmert  finb  Kategorien  beS  SSiüenS.  SBeffen 
SSitle  für  ha§:  Sbeal  nidjt  empfäugtid^  ift,  ber  wirb  burc^  feine  beut= 
tid^fte  S^orfteltung  nidjt  bemegt;  nur  auf  ben  Ujirft  bie  53orfteüung, 
beffen  SKiüe  in  feiner  ©runbrid^tung  mit  bem  i^beal  gnfammenftimmt. 


6.  SEßejen  ber  ©eele.    SnteUcItualiftifi^e  unb  öoluntarifttfc^e  ^f^c!^oIogie.      123 

3)erfeI6e  ^rimat  be§  2BitIen§,  ber  in  ber  33e[timmnng  be§ 
gonjen  2eben§in^alt§  ^erüortritt,  geigt  \\d)  nun  and)  an  iebem  ^unft 
be§  intelleÜueHen  Seben§.  3(uf  jeber  (Stufe  fteüt  fic^  ber  3Ser= 
ftanb  a\§>  bn§  SBerfgeug  bar,  ha§>  im  2;ien[t  be§  SBilleng  fte{)enb  in  ber 
Umgebung  Umfcf)au  f)ölt,  wie  ber  SSiÜe  fein  ^ki  am  beften  unb 
leid^teften  erreidje.  Überall  geigt  fid)  aU  ha§>  ^errfd)enbe  in  ber  S^or* 
[teüung»melt  unb  i()ren  Settjegungen  t)a§^  Sutereffe,  i)a§>  fjeifst  ber  äöille. 
@l  ift  ba§  ein  ßiebling^ort  ber  ©c^open'^auerfdjen  9fiet(ej:ion.  SSa§  be= 
fdjäftigt  ben  $öor[tanb  ber  Stielen  beftönbig?  2)a§  gro^e  ©efdjäft, 
S3orteiIe  gu  erfpätjen  unb  9iad)teite  abguföcnben.  Ütein  tf)eoretiid^e§ 
Sntereffe  ift  i^uen  fremb  unb  unbefanut;  wo  i^r  SSille  nidjt  beteiligt 
lüirb,  bo  ttjeiB  aud^  i^r  S3erftanb  nid^tS  §u  madjen,  fie  langn^eiten  fidj. 
3)ie  Sangemeile  ftief)enb,  fudjen  fie  in  ber  ©efeUfdjaft  Erregungen  für 
ben  SSiüen,  ^latfd)  unb  Söfterung  bient  bem  ^Xücd,  unb  menn  alle§ 
erfd)öpft  ift,  mufe  ha§>  ©piel  auSfjelfen,  bie  müßigen  ©tunben  mit 
üeinen  SBilleuöerregungen,  mie  fie  bie  med^fetuben  ®emiuu=  unb  95er= 
luftdjanceu  bieten,  gu  erfüllen.  9hir  bei  menigen  bringt  e§  ber  Sn= 
telleft  5U  Reiten  gur  ^^reitjeit  üom  ®ienft  be§  2Biüen§,  unb  bei  (Singetnen 
trägt  fid^  ha§:  (Srftaunlidje  gu,  ta"^  bie  tfieoretifdie  ^eitua^me  an  ben 
fingen  ha§i  praftifdfie  Sutereffe  gang  in  ben  .^iutergruub  brängt;  ha§> 
finb  bie  @enic§.  ©ie  erfd)einen  eben  barum  ber  DJJaffe  aU  eyceutrifdj 
ober  oerrücft,  benn  toa§>  t)dU  SSerrüdt^eit  anber§  al§  bie  Singe  nid^t 
fef)en  ober  oernadjtäffigen,  bie  alle  SBelt  fiet)t  unb  fud)t,  unb  bafür 
anbere  SDinge  fetjeu,  bie  atle  SSelt  nid)t  fiet)t'? 

SSenu  and)  @d)open^auer§  Serebfamfeit  I)ier  übertreibt  —  ein 
anbermat  fief)t  er  ha§>  aiid)  felbft,  tfjeoretifd^eg  Qutereffe  ift  feinem 
30?eufd)en  gang  fremb,  ba§  Sutereffe  für  9J?etap^i)fif,  religiöfe  ober 
pt)itofopf)ifd)e,  ift  fogar  bem  äJJeufd)en  mefentlid)  —  fo  ift  hod)  baran 
md)t  gu  gmeifetu,  ha'iß  er  mit  ber  Slnfid^t  im  9?ed)t  bleibt,  ha^  and) 
bie  33orftcnuug§meIt  burdjge^eub§  oom  SSillen  Stutrieb  unb  9iid()tung 
empfängt,  ©o  geigt  e§  fid}  überall;  ber  SSille  bef)errfd)t  bie  2öat)r* 
nef)muug,  inbem  er  bie  ?iufmerffamfeit  beftimmt;  unter  ben  Üieigen, 
bie  unterfc^ieb§(o§  bie  @inne  treffen  unb  (Smpfinbungen  erregen,  trifft 
er  bie  ?tu§maf)(,  in§  ^emu^tfein  bringt  nur  ober  bod)  oorgugSlreife 
ha^,  was  gu  unferen  ß^^ecten  unb  Slufgaben  in  freunblid^er  ober  feinb= 
Iid)er  Segie^ung  fte{)t.    S)er  äöiüe  bef)errfc§t  ha^  @ebödjtni§,  tt)ir  t)er= 


124         I.  S3uc^:  3Jittap^^\it    1.  Äo^itel:  3)og  ontoIogi|d)e  «ßtoblem. 

geffen,  iraS  un§  ni(i)tö  angebt,  tt)ir  Be{)a(ten,  wag  für  ben  Söillen 
bauernb  non  2Bicf)tigfeit  i[t.  Ser  SSlKe  6e^err]d)t  ben  Sßorftellungg- 
tauf,  unfere  ©ebonfen  grauitieren  be[tänbig  gegen  ben  augen61i(flicf)en 
©c^merpunft  unjerer  Sntereffen,  rt)ir  benfen  an  ba§,  tt)Q§  un§  lieb 
unb  npert,  ober  üerljaBt  unb  bebro^(idf)  ift.  Ser  SßiKe  übt  beftänbig 
Sinflu^  auf  ha^^  Urteil,  er  beftimmt  3)ingen  unb  S3orgängen,  ©rünben 
unb  Seireifen  iJ)r  ©eiüic^t  unb  it)re  33ebeutung;  in  praftifdjen  5)ingen 
liegt  bie  Bad)t  auf  ber  ^onb,  {)at  ba§  ^ntereffe  ober  bte  Steigung 
entjdjieben,  fo  finben  firf)  atsbalb  (Srünbe,  bie  bie  ßntfc^eibung  rec^t= 
fertigen.  3(ber  aud^  in  bie  tf)eoreti]d)en  Urteile  tt^irft  ber  Sßiüe  bt- 
ftänbig  hinein.  SJian  benfe  an  bie  Sluffaffung  ber  @efc^id)te;  e§  giebt 
fein  er{)eblic^e§  (Ereignis,  oon  bem  nid)t  fo  biete  Sluffaffungen  unb 
S)arfteIIungen  oortianben  finb,  aU  Parteien,  bie  fic^  mit  it)m  noc^  be= 
fcf)äftigen.  dJlan  nef)me  bie  ®ejc^icf)te  ber  9^eformation  ober  bie  ber 
frangöfifc^en  9fiet}oIution;  ja  felbft  (Säfar  unb  ^erüteS  unterliegen  noc^ 
biefem  @eie|.  3?on  !)ier  au§  (endetet  ein,  tük  entfc^eibenb  ber  2Si(Ie 
5um  STufbau  ber  ganzen  SSeltanfc^auung  mitiüirft;  man  fann  fagen: 
er  ift  ber  Sau^err,  ber  öeftalt  unb  6til  angiebt,  bie  Snteüigenj  f)at 
bie  9^ot(e  be§  ausfütjrenben  33aumeifter§.  ©anj  beutlid^  ift  ha^  in 
ben  9fieIigionen;  fie  finb  überall  ein  Spiegel  be§  SSiUens,  ber  fie  fc^afft; 
bie  tieffte  SSillenericfjtung  eine§  SSo(fe§  objeftioiert  ficf)  in  bem  3öefen 
unb  SBiüen  feiner  öJötter  ober  feinet  (^otteS.  S(ud)  in  ber  ^t)iIofopt)ie 
fc^eint  bie§  SSer^ältniS  noc^  überall  burcf);  ic^  fomme  fjierauf  in  ber 
g^olge  gurücf. 

2)a5  ttjöre  bemnad^  bie  ^orfteltung  oon  bem  feetifd^en  Seben, 
auf  bie  toir  burc^  biologifcfie  unb  pfi)cf)oIogif(^=t)iftorif(i)e  S3etrad}tung 
gefü{)rt  merben.  ^ie  Urtf)atfarf)e  jebes  (Seelenlebens  ift  ein  fonfreter, 
beftimmt  gerichteter  SBitle.  2)ie  Urform  be»  SSilienS  ift  ber  Jrieb, 
beffen  förperlicf)e  SDarftellung  ein  Organft)ftem  mit  feiner  Set^ätigungS- 
tenben^  ift.  Sm  33emu^tjein  erjc^eint  ber  Xrieb  als  gefül)lter  ^rang, 
auf  {)öt)erer  Stufe  als  S3egierbe  ju  beftimmter  £eben§betl)ätigung. 
Sßenn  S)rang  ober  33egierbe  Erfüllung  finbet,  tritt  ein  ®efüf)l  ber 
Sefriebigung,  im  anberen  O^all  ein  @efü{)l  bei  UnbeljagenS  ein;  in 
2uft=  unb  Sc^merjgefülilen  roirb  ber  SSille  feiner  felbft,  feiner  ^f^ic^tung 
unb  feines  augenblicf liefen  ^i^f^'^"'^*^^/  fomie  feines  55erl)ältniffeS  ju 
feiner  Umgebung  inne.    2luS   bem  @efül)I  erf)ebt  fiel)  in  allmäljlicfier 


6.  S33ejen  ber  ©eele.    ^nteHeltualiftifd^e  unb  tioIuntorijtt|d^c  ^ßj^d^ologte.    125 

önttricEetung  bie  6r!ennntni§.  2)ie  ©inne^enipfinbiing  ift  antijipierteä 
organif(^e§  ©efü^I;  bie  ©efdfimacESempfinbung  nimmt  bie  ®efüt)te 
üorauö,  lüeld^e  bie  2(ufnQ{)me  einer  9iaf)rnng  in  bie  förperlid)e  ©u6= 
ftong  begleiten,  unb  njirb  fo  jur  Beraterin  be§  9iat)i-ung§triet)e§;  ber 
©ernct),  ber  bie  S3eute  üon  ferne  tt)ittert,  läBt  fi^  aU  fernn^irfenber 
©efd^macf  bejei^nen.  Sn  ii^nlidjem  58ert)ältni§  [tetjen  jum  STaftfinn 
ber  @ef)ör§=  unb  ®efi(^t§finn,  fie  finb  glei(f)jam  g^ormen  be§  2;a[ten§ 
in  bie  ^^erne;  ftellt  ber  Xaftfinn  bem  3öiIIen  bie  näd)fte  Umgebung 
bar,  jo  fe|en  i'^n  (55ef)ör  unb  @efid)t  gu  ber  ferneren  Umgebung  in 
S3e5ie^ung  unb  birigieren  bie  S3ett)egung  im  ©inne  ber  3(npaffung,  ha§> 
künftige  ju  errei(f)en,  bem  ^einblidjen  fid)  ju  ent^ie^en,  hjobei  benn 
ber  Unterfc^ieb  f)eröortritt,  ha^  ba§  Huge  ber  fpä^enbe  SSerfoIger,  boS 
C^r  ber  fiorc^enbe  Söäd^ter  ift.  Tlan  pflegt  ©mpfinbung  unb  (5}efüf)t 
fo  ju  unterfd)eiben,  boB  biefeS  fic^  aU  rein  fubjettiüe  DJiobififotion  be§ 
33efinbeng,  bie  Smpfinbung  ober  qI§  ©ömbot  eine§  Dbjettiüen  barftetle. 
9JJit  9?ecf)t,  bod)  fet)(t  fd)on  im  ®efü§(  ba§  objeftiöe  9J?oment  nid)t 
ganj,  jebeS  2uft=  unb  Sc^merjgefüf)!  ift  nid)t  bloB  Suft  ober  ©c^merg 
überf)aupt,  fonbern  ein  beftimmteS,  in^attüd^  bifferenjierteS  ®efüt)I; 
unb  anbererfeitS  fet)tt  ber  ©mpfinbung  nirgenbS  ha^  fubjeftiüe  9}?oment 
gong,  e§  ift  al§  @efü^t§betonung  barin,  eine  §inbeutung  ouf  it)ren 
Urfprung  au§  bem  @efüf)t. 

SSorfteüung  unb  SDenfen  enblid)  ift  eine  ttjeitere  öntföidelung  in 
berfetben  Üiidjtung.  ©ie  bet)nen  bie  Se^ietjungen  be§  SSiüenS  gu  feiner 
Umgebung  nod)  n^eiter  au§,  inbem  fie  üor  allem  oud^  ba§  geitlid) 
Sterne  ^ineinbe^ieljen.  SD'Jan  üjnnte  ben  35erftanb  gerabeju  al§  bie 
g^ä^igfeit  erflären,  im  begebenen  t)a§>  nod^  nic^t  begebene  gu  fe{)en, 
au§  gegentt)ärtigen  (Srfd^einungen  ouf  ©runb  beobadjteter  3"foi^i^c"' 
{)änge  Üinftige  (£rfd)einungen  üorau§§unef)men,  um  fie  ju  9)Jotit)en 
gegenttjörtiger  6ntfd)IieBungen  gu  madjen. 

©0  etnja  ftellt  fid^  einer  üoluntariftifd^en  ^fi)d)o(ogic  (£nt= 
Jüidelung  unb  Seftanb  be§  ©ee(enleben§  bar.  ©djopenl^auer  mad^t 
nun  biefe  ^ftic^ologie  jum  Unterbau  feiner  ibeatiftifd^en  9J?etapt)t)fit. 
Sn  ber  %'i)ai,  e§  fc^eint  mir  nid)t  gtt)eifeIt)oft,  ta^  fie  beffer  oI§  eine 
inteüeftuaüftifdie  ^fi)dp(ogie  fid;  '^ierju  fd^idt.  2Ser  im  93orftelIen 
unb  S)enfen  bie  ©runbfunftionen  ber  ©eele  fie^t,  bem  n^irb  e§  immer 
unmöglid^  üor!ommen,   in   ben  ^flanjen  befeelte  SSefen  anjuerfennen, 


126         I-  33uc|:  aJJetap^^fü.    1.  Äopitel:  ®a§  ontologt|d)e  Problem. 

ober  gar  in  ben  Setüegungen  unorganifd^er  Körper  ^titgeid^en  jeelifcfier 
SSorgänge  gu  fe^en.  @inb  aBer  5föttIen§öorgänge  bie  Urform  feelijd)cr 
SSorgänge,  SBiüenSüorgänge  of)ne  3?or[te(Iung  unb  of)ne  (Selbft6ett)ufet= 
fein,  bann  befte{)t  jene  gro^e  ^Inft  ni(^t  mef)r,  bie  ba§  benfenbe  SBefen 
oon  ben  9^aturfräften  trennt,  bann  mag,  mie  ben  SebenSoorgängen 
in  tierifc^en  Seibern  ein  (Stiftern  oon  trieben  mit  entfpre(f)enben 
@efül)I^erregungen  parallel  get)t,  fo  auct)  ben  ^flan^enleben  ein  ä^n* 
lic^eg,  nur  Leiter  ^erobgefe^teS  Innenleben  entfpredjen,  ja  fogar  ein 
S5ertt)anbteö  in  ben  fpontanen  9iegungen  ber  unorganifcE)en  5lörper, 
in  djemifdjen  unb  frijftallinijcfjen  ^ro^effen,  in  5Ittraftion§-  unb  9ftepul= 
fionsüorgängen  erjcfjeinen.  Unb  oielteid^t  finbet  nun  bie  gemeine 
äReinnng,  ha'^  fie  fetbft  gar  nic^t  fo  weit  baüon  entfernt  gen^efen  fei, 
fo  etrt)a§  ju  benfen,  inbem  fie  allen  Körpern  al§  it)r  inneres  Sßefen 
Gräfte  beilegte;  eine  ^raft  aber  fei  nichts  anbereS  al§  eine  2:enben§ 
gu  beftimmter  33etf)ätigung,  unb  fomme  bemna(^  it)rem  allgemeinen 
SBefen  narf;  mit  einem  unbenju^ten  SSitten  überein.  — 

Srf)  fdjüe^e  ^ier  eine  33emer!ung  über  ha^»  S3erf)ä(tui§  ber  pft)cf)if(^en 
SBorgäuge  gum  93en)uBtfein  on:  !ommt  feelifdjen  93orgängen  ftet§ 
Settju^tfein  gu  ober  giebt  e§  auc^  unbenjuBte  ober  unter* 
benjufete  (SIemente  be§  feelifdien  SebenS?*) 

(So  üiel  idj  fe^e,  fommt  feine  ^ji)d)oIogie  um  bie  S3eja^ung  ber 
le^teren  ^rage  {)erum,  bie  bemühten  ©femente  bilben  nur  einen  üeinen 
2:ei(  be§  SeetentebenS.  9}?an  !ann  bie  3]orgänge  im  58emuBtfein  ben 
SBellen  oergteid)en,  bie  bie  Oberfläche  eine§  2eid)e§  !räufeln.  S3on  ber 
gefamten  äöaffermaffe  ift  iebergeit  nur  ein  üeiner  2;eit  am  SSeHenfpiet 
unmittelbar  beteiligt,  bennod)  ift  fie  bie  9]orau§fe|ung  bafür  unb 
n)irft  ouf  ©rö^e  unb  (5)efd)minbig!eit  ber  Sen:)egung  beftimmeub  ein. 
©beufo  beruljen  bie  S3orgänge  im  S3en)uBtfein  auf  einem  Untergrunb 
uubetouBten,  ober  n^enn  mon  lieber  XüiU,  unterbeuju^ten  Seelenleben^, 
ba§  fie  trägt,  an§:  bem  fie  fid)  erf)ebeu,  burc^  hü§>  if)re  Sen^egung  be= 
ftimmt  n)irb.  ^er  genii3^nli(^e  Sprad)gebrauc^  fe|t  bie§  überall  un= 
befangen  üorauS,  er  re(^uet  beftäubig  mit  biefem  unben)uBteu  58eftanb. 


*)  Sßgl.  ^tergu  SBunbt,  Softem  ber  ^fiiloj.  551  ff.  (Sine  güQe  öon  2f)at= 
jadien  au§  bem  ©ebiet  beä  unbemuBten  ©eelenleben§  giebt  @.  öon  §artntonn  im 
er[ten  SSanb  ber  5ßf)iIofop{)ie  be§  Unbeiuu^ten,  mo  man  aud)  bie  Umriffe  einer  @e= 
jc^id^te  ber  Sef)re  bom  Unbercu^ten  finbet. 


6.  SBejen  ber  ©eele.    ^nteHcftuoIiftiic^e  unb  öoluntariftifd^e  ^ßjqdiologie.    127 

9}ian  fagt  üon  jemanbem,  er  befi^e  eine  grünblid^e  Kenntnis  ber  alten 
©pracfjen,  bamit  meinenb,  ha^  er  SBortjcfja^  unb  ©rammatif  freilid) 
ni(f)t  be[tänbit3  im  Settju^tfein  f)abe,  eine  unmüglidje  ^adj^,  lüot)!  ober 
al§  nnbetnuBten  unb  bod)  jebergeit  njirfjamen  unb,  wenn  nötig,  and) 
in§  33ett)uBtfein  §u  rufenben  Sefi^,  nid)t  onberS  a\§>  er  SOhisfeln  unb 
9leroen  ()Qt,  and)  menn  er  fic  eben  nid)t  braud)t.  Unb  ebenfo  rebet 
man  non  Hoffnungen  unb  33efürd)tungen,  9Jeigungen  unb  5(bneigungen 
qI§  einem  beftänbigen,  menn  aud)  nid^t  beftönbig  im  Semn^tfein  oor= 
I)Qnbenen  Q^eftanb  feetifdien  ßeben^,  ber  fein  S^afein  in  jebem  2{ugen= 
blicf  burd^  bie  DIatur  unb  9^id)tung  ber  bemuBten  @efüt)(e  unb  Se= 
ftrebungen  beineift. 

Sßie  ift  biefer  ^öeftanb  unben)uBten  feelifd^en  ßeben§  ju  !on= 
ftruieren?  2öie  befte()t  ein  SSiffen,  ein  SSoIIen,  inenn  e§  md)t  im  93e- 
touBtfein  ift? 

S)ie  ^t)i)fiotogen  fuc^en  un§  bie  ©odje  in  ber  Seife  oorfteUbar 
§u  mod^en,  bafe  fie  fagen:  unbeinu^te  SSorftellungen  finb  oorlianben 
nidjt  qI§  Siorfteüungen;  eine  unbemuBte  ^orfteüung  tt)äre  eine  35or= 
ftellung,  bie  nic^t  öorgeftellt  njirb,  ein  ^öl§erne§  (Sifen;  ober  fie  finb 
oorl^onben  al§  S)i§pofitionen  ber  ©angtiengeüen'ber  ^irnrinbe.  SSenn 
eine  (Erregung,  bie  oon  einem  ©inneSorgan  au§gef)t,  jum  @e{)irn  fort= 
gepflanzt  tnirb,  fo  n^irb  fie  üon  einem  ben)uBten  3Sorgang,  einer  2Ba^r= 
netjmung  etroa,  begleitet.  3ft  bie  (Erregung  öorüber,  fo  öerfd^minbet 
ber  S3en}uBtfein§t)organg  al§  fotd)er  öollftänbig;  e§  bleibt  ober  eine 
©pur  be§  pf)i)fioIogifd)en  Vorgangs  guriid,  eine  bauernbe  95eränberung 
ber  erregten  ßetlen.  ®a§  ift  eigentlid)  bie  unbenju^te  SSorfteüung. 
SBirb  nun  biefeS  fo  bisponierte  (Sebiet  ber  nerööfen  ©ubftanj  burd) 
irgenb  eine  Steigung  oon  innen  ober  öon  aufien  auf§  neue  erregt,  fo 
mirb  aud)  jene  ^Sorftellung  mieber  bewußt.  5(uf  biefe  SSeife  meinen 
bie  ^f)QfioIogen  um  ben  i^nen  wiberujärtigen  Segriff  einer  unbenjuBten 
SBorfteüung  I)erum5u!ommen,  unb  bod)  ^u  !^aben,  ma§  unerIäBtid)e 
95orau§fe|ung  ber  Äonftruftion  ber  Sen)uBtfein§üorgänge  ift.*) 


*)  Unter  ben  ^fi^fiologen  betont  bejonber?  ber  ßnglänber  ajhiubltei)  in 
jeiner  ^t}t)iioIogie  unb  ^atl^ologie  ber  ©eele  bie  Unentbe^rlic^teit  ber  2(nna^me  un= 
bcttJuBten  Seelenleben^,  um  bann  5U  jagen:  ba§  Unbemufete  finb  bie  ®e^irnbilpo= 
fitionen,  unb  t)ierou§  bann  »weiter  5U  folgern,  ba^  alle  'ißfqcfiologie,  bie  nid)t  mit 
®e{)irnbi§pofitionen  operiere,  nid)t§  tougt.  ©0  läfet  er  S-  ©t.  SO'iill  I)ort  an,  ba^ 
er  nod^  mit  ber  alten  abgelebten  introfpeftiüen  2Ret!^obe,  ftatt  mit  ber  objeftiüen, 


128         I-  93uc^:  äRetapf)i)fi!.    1.  Äapitel:  2)oi  ontologifc^e  «ßtobtem. 

©egen  bie  pf)t)]"io{ogifc^e  Äonftruftion  qI§  foldje  i[t  nirf)t§  ein= 
guirenben;  e»  luirb  aU  geluiB  angenommen  njerben  bürfen,  boB  eine 
bauernbe  33eränberung  ber  neroöjen  ©ebilbe  burcf)  Erregungen  [tatt- 
finbet.  ^nbererfeits  ober  ift,  menigftenö  bei  ber  öon  un§  gu  ©runbe 
gelegten  paralleliftifd^en  2:f)eorie  üon  bem  SSer^ättnig  bes  ^it)(f)if(i)en 
§nm  ^^i)fijd)en,  bie  <Bad)t  bamit  nic^t  Q6gett)Qn;  h)ir  »erben  nic^t 
um^in  !önnen,  ben  unbeluuBten  Elementen  be§  ©eelenlebeni  and) 
pit)d)ifc^e  @i'i[ten§  beizulegen,  ©o  n^enig  Juir  onerfennen  tonnten,  ta'B 
ber  (Srregunggoorgang  im  9lerüenft)[tem  ber  93en)uBtjein§t)organg  feI6[t 
jei,  jo  wenig  n^erben  mir  je^t  zugeben  fönnen,  ha'^  eine  beftimmte 
S)ispo[ition  einer  ©onglien^^elle  eine  unbettJuBte  3?or[teIIung  fei  ober 
für  eine  fotd^e  eintreten  fönne.  SBoHen  njir  nic^t  unfere  allgemeine 
Slnjrfjouung  je^t  fal^ren  laffen,  fo  muffen  wir  fagen:  nerüi3fe  2;i§|J0= 
fitionen  ^aben  pl)i}fifd)e  2Bir!ungen,  aber  nid)t  pfi)d)ifd)e;  fie  tonnen 
ben  Stblauf  erneuter  ^leröenerregungen  beftimmen,  aber  ni(f)t  bie  9Zatur 
unb  ben  SSerlauf  üon  ^^orfteüungen.  ^|?ft)(f)ifcfje  SSirfungen  fe^en 
pfi)c^ifct)e  Urfact)en  öoraus;  finb  biefe  Urfacfjen  nirfjt  im  Sewu^tfein, 
fo  muffen  wir  fie  al§  unberauBtes  ^^fQcf)if(i)e§  tonftrnieren,  unb  biefe§ 
muB  alfo  c;i:iftieren,  benn  non  entis  nullus  efiFectus.  2öer  bogegen 
mit  9lert)enbi§pofitionen  bie  33orgänge  ber  ^ffociation  unb  Ü^eprobuttion 
ber  3}or[teltungen  gu  erflären  unternimmt,  ber  tann  bann  audj  au§ 
S3en?egung§üorgängen  pfi)d)if(i)e  ^rogeffe  überhaupt  obleiten,  unb  um= 
gefef)rt.     @r  te^rt  jur  SEtjeorie  be§  influxus  physicus  gurücf. 

Stuf  bie  O^rage  aber:  wie  benn  eine  „unbewußte"  S^orfteüung 
ej:iftiere?  tonnte  man  antworten:  nidjt  anber^,  al§  ein  Xon,  ber  nid)t 
gehört,  eine  g^arbe,  bie  nid^t  gefetjen,  ein  Äörper,  ber  öon  niemanbem 
wat)rgenommen  wirb,  ^ebermonn  nimmt  an,  baB  in  feinem  ©c^öbet 
ein  ©etjirn  mit  ^ieroenjellen  unb  i^ren  Sispofitionen  ej:iftiert,  obwot)! 
Weber  er  felbft,  no(^  ein  anberer  e§  gefe^en  t)at;  er  ift  überzeugt, 
man  würbe  e§  unter  Umftänben  fetjen,  unb  barum  fagt  er:  es  e^-iftiert. 
iöeftel)t  ha§i  3)afein  für  bie  ©anglieuäellen  unb  itjre  S)i§pofitionen  in 


p^^ftologifdieii  Mttijohe  arbeite.  —  3"^)  möd)te  iro^I  raiffen,  trie  üiel  öon  bem 
jeelijc^^geiftigen  Seben  be§  Wenfdjen  einer  »ü^te,  ber  e§  nur  au§  ben  Sraftaten 
ber  ®e:^irnp^t)fioIogen  feunte.  ©o  üiel  icb  fe^e,  entplt  bie  ®e^irnpi)t)fio[ogie  bi§» 
I)er  faft  nur  Probleme,  aber  feine  Söfungen,  nid)t  einmal  ^f)t))'ioIogiic^e,  gejc^meige 
benn  pj^c^oIogiid)e. 


6.  SBefen  ber  ©eele.    ^ntcHeftualiftijd^e  unb  boIuntortfii|(^e  ^ßftjd^ologic.    129 

ber  Ü)?ögtid)!eit,  Jüaf)rgenommen  ju  tüerben,  \o  !ann  man 
jagen:  eben  fjierin  i)e[tef)t  ha§>  ^afein  ber  nnbett)u6ten  ^orfteünngen, 
in  ber  StRöglii^fett  bewuBt  jn  werben.  (S§  finb  potentielle  innere 
2öa^rnef)mungen,  gon^  ebenfo  n^ie  jene  pt)i)ftfd)en  9Jiomente  potentielle 
äußere  SBa^rne^mnngen  jinb. 

Wan  fann  aber  auc^  jagen,  unb  öielleid^t  i[t  ba§  bie  on= 
gemejfenjte  g^orm,  fid^  bie  5)inge  §urec^t  ju  legen,  ba§>  Unbeinufete  ift 
nic^t  ein  abfohlt  D^MditbeinuBteg,  fonbern  nur  ein  m  i  n  b  e  r  33  e  tt)  u  ^  t  e  § , 
ein  öietleidit  bi§  §ur  nölligen  Unmerflicf)feit  f)erabgefe|te§  93en)uBte§. 
3)enn  auf  \c\)z  i£3eife  tt)irb  man  bat)in  gefüt)rt,  quantitatiüe  Unterfd^iebe 
in  ber  93ett)uBtf)eit  an^une^men.  ßwd  SSorgänge  njerben  gleichzeitig 
n^a^rgenommen;  jenmnb  beobad^tet  mit  gefponnter  S(ufmerffam!eit  burd^ 
ein  SJZifroffop  unb  empfinbet  gleichzeitig  bie  33erüf)rung  ber  (Stell* 
fc^raube  mit  ben  gingern;  ptjue  ßttjeifet  !ommt  ben  ©efid^tgmafjr- 
ne^mungen  grij^ere  Sntenfität  ber  33en)uBt^eit  gu.  Unb  ebenfo  giebt 
e§  grobueße  Unterfd^iebe  ber  Unbett)uf;t^eit,  njenn  man  fo  fagen  barf. 
©in  S3orfonimni§,  t)a§:  mid^  üor  einer  Sßiertelftunbe  lebhaft  erregte,  i[t 
je|t  nic^t  me'^r  im  SemuBtfein,  id^  benfe  an  onbere  3)inge;  boc^  wirft 
e§  nod^  narf)  in  ber  «Stimmung,  bie  e§  erregte,  Wirb  aud^  burd^  irgenb 
eine  affociotiüe  |)ilfe  augenbliiilic^  in§  S3ewu^tfein  gurücfgerufen.  (£g 
ift  nid)t  meljr  bemufet,  ober  bod[)  aud^  nic^t  fo  nnbemu|t,  wie  ein 
9Sorfommni§,  bo§  mir  öor  einem  SSierteIjaf)r  ober  oor  einem  Safjrge'^nt 
juftieB,  beffen  ic^  mirf)  foum  mit  9Küf)e  unb  nur  fe^r  unbeftimmt 
ober  and)  gar  nid^t  me^r  erinnere.  —  Unb  baju  wäre  benn  nod)  ^u 
bemerfen,  ba^  bie  Sntenfität  be§  Söewu^tfeinS  nic^t  blo^  für  bie 
einäetnen  Elemente  ungleich  ift,  fonbern  auc^  im  ©angen  (Scf)Wanfungen 
geigt;  el  wed)feln  im  (Seelenleben  5lugenb(idfe  eine§  gellen  unb  um= 
faffenben  mit  foM^en  eine§  engen  unb  bumpfen  Sewu^tfeinS.  Xäglid^e 
(Sd)Wonfungen  treten  ein,  forrefponbierenb  mit  ben  üegetatioen  ^rogeffen. 
3u  if)nen  fommen  bie  (Sc^wanfungen,  welche  bie  ®efamtentwic!ching 
be§  £eben§  begleiten;  üon  einem  ÜJiinimum  am  Anfang  be§  ilebenS 
ert)ebt  fic^  ba§  33ewu^tfein  ju  einem  9)Zai-imum,  \)a§^  etwa  mit  ber 
üoßen  förperlic^en  9teife  erreicf)t  wirb,  um  fpäter  erft  langfam,  bann 
rafdier  ju  fin!en.  .^iernad)  fönnen  wir  nun  fogen:  bo§  Unbewußte 
ift  nic^t  etwo§,  ha§^  für  ha§>  Sewu^tfein  überl^aupt  gar  nid^t  öor= 
f)anben  ift,  fonbern  e§  ift  ha^  minber  33ewuBte  in  feinen  öerfc^iebenen 

"^Ja Ulfen,  (SiiUeitmig.    6.  2tufl.  9 


130         I.  93u(^:  mttap1)t)\il    1.  tapitel:  S)a§  ontologijcfie  «ßroblem. 

?I6ftufungen,  bi§  {)erab  gur  üölligen  UnmerHid^feit  imb  UnnQ(f)lrei§bQr= 
feit.  (Sin  (Seelenleben  ujirb  gebilbet  qu§  ber  ®eJQmtf)eit  ber  betrübten 
unb  unterbeftJuBten  (Elemente.  SDie  33orgänge  int  ^öetruBtjein  tt)erben 
jeben  Slugenblid  beftimmt  burcf)  ha§>  3ujammenn)ir!en  afler  (Stemente, 
üon  ben  eben  meift  bett:)uBten  bi§  ^erab  jn  ben  üöllig  üergeffenen,  bie 
bo(^  Quc^,  fofern  fie  ben  ^abitu§  be§  (Seelenleben^  beftimmen,  nicf)t 
gong  untüirffam  unb  unnjirflic^  gen)orben  finb. 

g^änbe  aber  ein  ^^t)[ioIog  (S(^rt)ierig!eiten  in  ber  pfit^fiologifd^en 
^onftruÜion  biefer  SSorfteflung,  meinenb,  nur  tüenn  Erregungen  ber 
©el^iruäeüen  ftattfinben,  fönne  Sert)uBtjein  al§  33egteiterjc^einung  ein= 
treten,  ru^enbe  ®i§pofitionen  feien  ni(f)t  Xräger  non  Sen)uBtfein§= 
öorgängen,  mie  {)erQbgefe|t  immer  man  ficf)  bieje  öor[teIIen  möge,  \o 
n^ürbe  ic^  jagen:  e§  tjinbert  ja  gar  nidjtS  ^u  benfen,  ba'^  alle  ßellen 
ber  §irnrinbe  beftänbig  in  Xl)ötig!eit  finb.  Sa,  auf  foldje  55orfteIIung 
mirb  man  bod^  üon  ollen  ©eiten  geführt.  (Sine  (SJangliensette  ift  bod) 
D^ne  ^meifel  nic^t  aU  ein  ru!^enbe§  5ltom,  fonbern  al§  Präger  eine§ 
(St)ftem§  mannigfac^fter,  nie  raftenber  innerer  Bewegungen  anzufeilen; 
beftänbig  finbet  ^^^f^lu^^S  ^^^  S^eubau,  beftänbig  2öed^felmir!nng  mit 
ber  näl)eren  unb  entfernteren  Umgebung  ftatt,  unb  in  jeber  Set^ätigung 
fommt  bie  innere  Äonftitution  unb  ®i§pofition  ber  Qtüt  §ur  2)ar= 
fteKung.  (£§  ttJürbe  bann  ber  t)erabgefe|ten  5;l)ätig!eit  ein  t)erabgefe|te§ 
Wlü^  öon  Bemu^tfein  entfprec^en.  S(f)  follte  beulen,  ha^  bem  ^l)t)fiD= 
logen  biefe  S^orftellungSmeife  eigentlirf)  gan^  gelegen  fein  müfete.  (£t)er 
müfete  e§  it)m  Sd^mierigfeiten  mad^en,  bie  umgele^rte  S3orftellung,  ha^ 
nur  einige  wenige  Elemente  pft)tf)ifd^  mirflirf)  finb,  gu  fonftruieren. 
(Sinb  bie  pl)t}fiologifd^en  ^ßorgönge  in  ber  ©eljirnrinbe  überl)aupt  mit 
pft)c^ifcl)en  ^rojeffen  begleitet,  fo  muffen  mir  \a  ein  überaus  lompli- 
jierteS  ©piel  foldjer  erwarten,  unb  nic^t  blo^  bie  wenigen  S^orgänge, 
bie  ben  bünnen  „SSorftellungSfaben"  ber  ^ft)dfjologen  auSmad^en.  Dber 
foHten  wirllid^  in  jebem  Slugenblid  nur  einige  wenige  ':^iUtn  erregt 
unb  in  Stljätigfeit  fein  unb  bie  übrigen  in^wifd^en  wie  ©aubförner 
am  ©tranbe  otjue  innere  Xljätigfeit  müfeig  liegen?  Unb  wenn  ba§ 
nid^t  benfbar  ift,  warum  follte  benn  il)re  (Srregung  pft)dt)ifcl)  überljoupt 
unfrndfitbar  fein? 

®aB  aber  in  SBirfliclifeit  ha^  (Seelenleben  in  jebem  5lugenblidE 
ein  t)öcljft  mannigfaches  unb  lomptijierteS  Spiel  oon  mel)r  unb  minber 


6.  SBefen  ber  <Seete.    ignteHeftualiftifd^e  unb  öoluntorijiifd^e  <ßft)d^oIogie.    131 

beiüuBten  S3orgängen  aufiüeift  unb  nid^t  bloB  jene  bürftige  eingliebrige 
9?eif)e,  wie  fie  narf)  einigen  ^jl)df}oIogen  bie  „(Snge  bes  93ett)uBtjein§" 
allein  julaffen  \oU,  barüber  lä^t  unbefangene  33e[innung  hod)  nic^t  in 
ßroeifel.  3cf)  fi^e  im  STtjeater  unb  folge  ber  9(uffü()rung  eine§  8tii(f§. 
3al)Irei(^e  Sfleifjen  pfQc^ifdjer  ^rojeffe  fpielen  fic^  neben  einanber  ah, 
mit  mef)r  ober  minber  @törfe  im  93en:)ufetfein  auftretenb.  3cf)  f)obe 
@e^ör§empfinbungen,  fie  folgen  in  langer  9^eit)e,  au§  if)nen  f)eben  ficf) 
am  meiften  biejenigen  f)eroor,  bie  id)  at§  bie  hieben  ber  (3d)aufpie(er 
auffaffe  unb  in  3Sorfteflungen  unb  (Sebanfen  umfe^e,  bod^  fjöre  ic^  ba= 
jmifc^en  auc^  bie  ©c^ritte  auf  ber  S3ü^ne,  \)a§>  9^aufc^en  ber  iUeiber, 
bie  Sen^egungen  meiner  felbft  unb  meiner  Sf^adfibarn.  9lebenf)er  gefjt 
eine  ebenfo  fomplisierte  Üiei^e  oon  ®efid^t§maf)rne()mungen,  id)  über= 
fe^e  bie  ganje  93ü^ne  mit  i^ren  ©eforationen  unb  i^rer  ©infaffung, 
ic^  fe{)e  bie  Semegungen,  ha^  SQJienenfpiel  ber  2)arfte(Ier,  ben  Sßorber- 
grunb  bilben  bie  ^öpfe  unb  §üte  meiner  SSorbermönner,  auc^  fie  fe{)e 
id)  fo  meit,  baB  mir  jebe  ftär!ere  Semegung  aupEt.  S)iefe  beiben 
Üiei^en  gef)en  neben  einanber  ;^er,  nid)t  fo,  ba^  if)re  ©lieber  inter= 
mittierenb  fid)  ablöften,  fonbern  jebe  ift  für  fid)  öoüftänbig,  menn  aud^ 
beftimmte  ©lieber  balb  ber  einen,  balb  ber  anberen  ba§  Übergett)id)t 
im  93emuBtfein  {)oben.  2luf  ©runb  beiber  Ureigen  bitbet  fid)  nun  bie 
§auptreit)e,  bie  am  meiften  Semu^tfein  {)at  unb  am  tiefften  fid)  ein= 
prägt:  bie  'Sid^t  ber  SSorftellungen,  me(d)e  ftc^  auf  ba^  ®ramo  felbft 
mit  feiner  ^onblung  unb  feinen  G^arafteren  bejiefjt.  ^n  jebem  5tugen= 
blid  ftet)t  im  äJiittelpunft  bie  SßorftellungSgruppe,  bie  burd)  bie  eben 
je^t  gef)i3rte  ©injel^  ober  SSed^felrebe  angeregt  mirb.  Snt  53en:)uBtfein 
ift  aber  natiirlid^  nic^t  bloB  haS^  SBort  ober  ber  ©a|,  ber  eben  gefprod)en 
mirb,  fonbern  in  abgeftufter  ©tärfe  and)  atleS  Söorangegangene;  hü§> 
einzelne  SBort,  ber  einzelne  ©a§  ^at  ja  alö  folc^er  gar  feinen  be= 
ftimmten  ©inn,  er  tt)irb  oerftanben  nur  baburc^,  t>a^  er  aB  ^eil 
biefeg  ©anjen,  a\§>  Slufeerung  biefer  ^erfon  bei  biefer  (Gelegenheit  gegen 
biefe  beftimmte  anbere  ^erfon  aufgefaßt  mirb;  ein  Semufetfein,  ha^ 
gleid^jeitig  immer  nur  eine  SSorftellung  f äffen  fönnte,  märe  über- 
haupt nid)t  fä^ig,  eine  üiebe  ober  gar  ein  <BtM  ju  faffen.  @Ieid)= 
geitig  finb  in  meinem  ^emu^tfein  @efüt)(e  mannigfac^fter  5(rt,  ©efü^Ie 
ber  Spannung  ober  Sangemeile,  ber  ©r^ebung  ober  9}JiBad^tung,  ber 
äftf)etifd)en   Sefriebigung   ober   be§  Unbehagens;   audf)   fie   finb   nid)t 


132  I-  93ud^:  Wletapi^t)\il.    1.  tapitel:  ®a§  ontotogtfd^e  Problem. 

§lüij(i)en  bie  ©lieber  ber  2Sa!^rnef)mung§=  unb  58or[tenung§rei()e  ein= 
gefprencjt,  jonbern  bilben  einen  eigenen  ^^'['^"^^^"^"Ö  ^  ^^^^  ^^^^ 
ftärfer  balb  jd)ltiäd)er  im  93etüuBfein  ficf)  jur  ©ettung  bringt.  S)en 
[tänbigen  ^intergrunb  enblirf)  bieje§  ©pielS  öon  58ett)u|tfein§öorgängen 
bilbet  eine  g^ülle  üon  S3erüf)rung§=  unb  S3en)egung§emptinbungen,  \vo= 
burii)  ic^  ber  Sage,  ©teltung  unb  Settegung  meinet  2eibe§  unb  feiner 
Seite  inne  n^erbe.  S3egleitet  finb  fie  üon  ber  nidjt  minber  großen  güüe 
ber  ®emeingefüf)Ie,  bie  gttjar  al§  einzelne  !aum  in§  93en)uBtjein  fommen, 
in  it)rer  ©efamttjeit  aber  ai§>  @emeingefüt)t  ober  SebenSftimmung  ben 
Untergrunb  bilben,  auf  bem  bie  gange  ®efüf)l§tt)elt  aufgetragen  er= 
fc^eint:  9Diübig!eit  unb  @(f)Iafft)eit  ober  ^rifc^e  unb  (glaftigitot,  be= 
friebigteS  Söe^agen  be§  gangen  @t)ftem§  ober  ftörenbe  ©efü^Ie  ber 
§i|e  ober  ^älte,  ber  @rfd)Dpfung  ober  ber  Überfättigung  unb  Sn- 
biöpofition  unb  fo  fort. 

Sitten  ha§^  ift  gleidjgeitig  im  Söeiru^tfein,  unb  bagu  ift  e§  be= 
gleitet  üon  bem  93en)uBtfein,  §u  biefem  inbiüibueüen  ©eelenleben  gu 
gehören:  ic^  njei^  jebergeit  um  mid)  felbft,  tt)er  id)  bin  unb  mof)er  ic^ 
!omme,  in  n^elc^er  (Stellung  unb  Umgebung  id)  lebe,  ttjelc^e  Stufgaben 
unb  ^flidjten  ic^  ^abt;  nidjt  im  einzelnen  ift  e§  eben  ©egenftanb  ber 
5tufmer!fam!eit  ober  be§  9^ad)ben!en§,  aber  bod)  ift  e§  al§  ein  immer 
53ereite§  ba,  in  jebem  Sewuptfein^üorgang  at§  ba§  3d)  fic^  felber 
gegenttjörtig. 

©0  ftetlt  fic^  ber  Sn'^alt  be§  S8emuBtfein§  in  jebem  5lugenblid 
bar:  eine  gro^e  ^^üüe  bon  ©tementen  finb  gleidigeitig  bemüht,  freiließ 
nid)t  gteic^  benju^t;  jebergeit  ftef)t  eine  eng  begrenzte  @ru|)pe  al§  ftärfft* 
bemühte  im  SJJittelpunft,  um  fie  gruppieren  fic^,  anfangt  mit  rafc^ 
abnef)menber  53en)ufetfein§ftär!e,  bie  übrigen.  2(ber  nur  einen  5lugen= 
blid  bauert  bie  S^onfteüation;  ba§  Semu^tfein^majimum  ift  gleid)fam 
bemeglid),  tt)ie  eine  SSelle  läuft  e§  über  bie  SSiel^eit  ber  (Elemente  ()in, 
balb  biefe§  balb  jene§  gum  ©ipfel  f)ebenb. 

aj^an  fann  mit  SSunbt  ben  Su^alt  be§  Semu^tfeing  mit  bem 
Snt)a(t  be§  <Sef)fetbe§  üergleidjen.  (Sine  groBe  äJ^enge  üon  ObjeÜen 
ift  gleichzeitig  im  ©etjfetb,  baüon  fte^t  ein  geringer  Xeil  im  S3Iidpun!t 
unb  uiirb  mit  größter  S)eutlid)!eit  gefetjen;  bie  übrigen  njerben  aud) 
gefe^en,  aber  mit  einer  2)eutlid)feit,  bie  mit  ber  (gntfernung  üom  93Iid= 
puntt  abnimmt.    Söenn  man  ben  S3Iid  auf  ein  aufgefd)Iagene§  Sud) 


7.  SBejen  b.  ©eele:  ?Iftuatiftifcf)e  u.  fubftantiQÜftifc^e  Sluffoffwng-    ®ife  int  Seibe.     133 

rid)tet,  \o  überfiel)t  man  ha^  ganje  93(Qtt  mit  ieinen  ^^ii^^"'  "ii"'" 
fief)t  Qucf)  nod)  bie  Umgebung,  ben  2:ifcf)  nnb  bie  @egen[tänbe,  bie 
baranf  liegen,  bi§  fc^IiefsüdC)  am  Üianbe  be§  (Sef)felbe§  bie  33i(ber  ber 
®inge  ganj  öerfc^ttjimmen.  3tber  and^  ta§>  58(att  mit  feinen  S3uc^[toben 
fie^t  man  nirf)t  mit  gleicher  ®eutlid^!eit;  fijiert  man  ba§  Stuge  auf 
einen  beftimmten  S3uc^ftaben  unb  üerfud)t  nun,  otjne  if)m  58ett)egung 
§u  geftatten,  bie  angrengenben  33u(f)ftaben  ^u  erfennen,  fo  finbet  man, 
ha"^  man  !aum  nocf)  ben  britten  ober  öierten  nac^  beiben  (Seiten  beut-- 
tid)  fiet)t.  ®ie  übrigen  ftierben  nur  nod)  al§  unbeftimmte  9J?affe  ge= 
fef)en,  man  unterfdjeibet  etttja  nod^  einen  großen  ^^ud^ftaben  a(§  fotdjen, 
ober  ein  fett  gebrucfte§  SSort,  ober  eine  §a%ei(e,  !ann  aber  bie  ein= 
seinen  3ßi<i)S"  ^^^^  ^^^^  erfennen.  ©id)  felbft  überlaffen,  bef)arrt 
aber  ha^'  S(uge  nid)t  auf  einem  "i^unft;  über  bie  ^^i^^"  f)infliegenb, 
bringt  e§  in  fd)nener  3^o(ge  bie  eingetnen  ßeic^en  auf  einen  Slugenblid 
auf  ben  ^^unft  be§  beutlid)ften  @e!^en§  unb  gen)innt  fo  ein  beutlid)e§ 
Silb  bes  ©anjen. 

'^f)nüd)  ift  e§  mit  bem  S3ett)uBtfein.  5Iud)  l^ier  t)aben  rt)ir  ein 
meiteg  (Set)felb,  mit  gafilreidien  (Stementen  erfüllt,  barin  einen  SIid= 
pun!t,  ben  in  jebem  Slugenblid  ein  engbegrengter  Snf)a(t  einnimmt, - 
um  i{)n  gruppieren  ftd§  bie  übrigen  Sn^alte,  mit  rafd^  abnet)menber 
5)euttid)!eit  üorgefteüt,  bi§  fid^  am  9f?anbe  bie  Umriffe  oerlieren;  ber 
93IicEpunft  ift  aud)  f)ier  bewegüd),  er  eilt  über  bie  Dbjefte  f)in,  i)tht 
eineg  nad)  bem  anbern  f)erau§  unb  gcioinnt  fo  bie  ^rnfc^auung  be§ 
@an§en.  Sludj  ba§  SOie^r  ober  3Jfinber  uon  ^elligfeit  überhaupt,  wk 
e§  für  ba§  (Se^felb  bebingt  ift  burd^  bie  äußere  Sidjtquelle,  moburc^ 
bie  Dbje!te  beleud^tet  merben,  fe^rt  tjier  in  ben  oerfdfjiebenen  Sntenfitöt«- 
groben  be§  Seuju^tfeing  überhaupt  micber. 

7.  SSott  bem  Sßcfen  bec  Seele:  9Cft«aItfttfd^e  unb  fubftanttaliftifi^e 
9tuffaffung.  S^r  <St^  im  Setbe. 
Sn  ben  Greifen,  bie  bem  9J?aterioti§mu§  nidjt  anf)augen,  ift  etma 
folgenbe  35orftetIung  oon  bem  metap^Qfifd)en  Söefen  berSeele  ^errfd^enb: 
bie  @eete  ift  eine  einfad)e,  unan§gebe()nte,  immaterielle 
©ubftang;  al§  fotd^e  ift  fie  abfolut  befjarrlid)  unb  unöergönglic^;  fie 
ift  SEräger  oon  Gräften,  moburd)  fie  bie  93emuBtfein§oorgönge  bemirft; 
enblid),   fie  t)at  an  einem  beftimmten  ^unft  be§  ©efjirni  if)ren  @i|, 


134         I-  33uc^:  9Ketap^Qfit    1.  Kapitel:  Sa§  ontoIogtj(i^e  Problem. 

öon  bem  [ie  mit  bem  Selbe  in  einem  3lu§tQUJ(f)  öon  SBidungen  ftet)t. 
—  S)iefe  S(n[i(f)t  gef)t,  ttjie  SBnnbt  geigt,*)  burd)  33ermittelung  ber 
SSoIffifdjen  ^t)i(ofopt)ie,  bie  im  ^^italter  ber  5(nf!(ärung  bie  allgemeine 
93ilbung  bel)errjc^te,  auf  ®e§carte§  gurütf,  beffen  ^f)i(ojop^ie  f)ierin 
Xük  in  anbeten  fünften,  tro^  ©pinoja  unb  ^ant,  fic^  ot§  eine  fe^r 
bauertjafte  enniefen  I)at.  S^i'  SSorteil  ift,  ha^li  fie  ber  gemeinen  SSor= 
ftettung  mit  iliren  t)anblicf)en  S3egriffen  naf)e  bleibt. 

äJJit  g^edjner  unb  SSunbt  bin  ic^  ber  Überzeugung,  ha'ii  bie§ 
feine  l^altbare  ober  oud^  nur  möglid^e  Sßorftetlung  i[t.  @§  giebt  feine 
für  fidl)  feienbe,  bet)orrIidje,  immoterielle  ©eelenfubftans; 
haS:  S)afein  ber  ©eele  ge^t  in  bem  ©eetenkben  auf,  f)ebt  man  bie 
pft)(i)ifdjen  SSorgänge  auf,  fo  bleibt  fein  (Subftontiale  al§  Sfiüdftanb. 
®a§  ©eetenatom  i[t  md}t§>  al§  ein  Sffüdftanb  überlebter  9JJetap^t)fif. 

5luf  ben  Segriff  ber  ©ubftans  überijanpt  mirb  uns  bie  erfenntni§= 
t{)eoretifd)e  S3etrac^tung  fpöter  gurüdfüljren  ((S.  367  ff.);  icf)  üerroeife  barauf 
al§  ouf  eine  notmenbige  (Srgängung  ber  ^ier  gegebenen  Erörterung  be§ 
^robtemg.  Sin  biefer  ©teile  mag  ha^  ^olgenbe  genügen.  ®ie  im= 
materielle  unb  beljarrlid^e  ©eelenfubflang  ift  nid^t  ©egenftanb  ber  un= 
mittelbaren  SBaI)rneI)mung,  ber  inneren  fo  menig  mie  ber  äußeren, 
begeben  finb  im  (Selbflbemu^tfein  nur  mec^felnbe  ß^ftänbe  unb  S5or= 
günge;  ba§  bel)arrlict)e  ©ubftantiole  mirb  Ijiuju  gebacf)t.  2öa§  nötigt 
l^ierju?  ©eine  Slnmälte  fagen:  l^iergu  nötigt  unmittelbare  ®enf= 
notmenbigfeit;  eine  (gmpfinbung,  ein  ©efü^I,  ein  ©ebanfe  fann  nid)t 
für  fid)  beftef)en,  fo  menig  mie  eine  33emegung,  fie  fe^en  einen  Sröger 
üorou§,  ha§>  ift  bie  ©ubflan^.  5In  einer  förderlichen  ©ubftanj  aber 
moüen  bie  93en)U^tfein§oorgänge  nic^t  ^aften;  man  öerfuc^e  e§,  in  ber 
inneren  Slnfd^auung  ein  @efül)l,  eine  SSorftellung  einem  SItom  ober 
einer  ©ruppe  öon  SItomen  angulieften,  unb  man  mirb  bie  UnooKäiePar« 
feit  empfinben;  ba§  ©in^eitlid^e  miH  an  bem  Stu§gebel)nten  unb  ZtxU 
boren  nid)t  §aften.  3^oIgIidj  mu^  man  eine  unauSgebe^nte  ober  einfad)e 
©ubftanj  als  Xröger  be§  ©eelenlebenS  anneljmen,  baburdj  mirb  aüein 
feine  innere  @inl)eit  fafelic^  unb  üerftänblid). 

®aB  bie  SInI)eftung  eine§  ©efü^lS  ober  eine§  ®ebanfen§  an  einen 
au§gebel)nten  Körper  fid)  nidjt  oot[§ieI)en  löBt,  ift  o^ne  3^^^^f^^  toa^x. 
Slber  nun  mad§e    man   mit   ber    unau§gebef)nten  ©ubftang    benfelben 

*)  S«  einem  Stuffafe:  (Se^irn  unb  (Seele,  in  ben  ©ffa^g  (1885)  ©.  89  ff. 


V.SBeyenb.  ©eele:  2tftuali[tifc^e  u.  fubftantioUftifdie  Sluffoffung.  ©i^  imüeibe.     135 

5ßerfu(f);  man  üerjud^e  fid^  anjd^auüd)  §u  mo^en:  bie  $8or[teEung  §.  S. 
t)on  bem  Xurmbau  ju  33abet  ober  üom  SDorlüiniSmu^  unb  feinem  S5er= 
i)ältni§  5ur  9ieIigion  unb  älioral  an  ober  in  einer  unQU§gebef)nten 
©ubftan^.  Scf)  benfe,  man  wirb  ganj  biefetbe  UnDoHgieParfeit  em= 
pfinben.  —  9J?an  lüirb  oiellcicfjt  jagen,  anfdjanticf)  jei  ta^:  Serf)ältni§ 
freilief)  nic£)t,  fonbern  nur  benfbar;  eine  au§gebef)nte  @ubftan§  fei  felbft 
nid()t  aufd^aulic^.  —  9^un,  fo  mö(f)te  i(f)  tt)of)t  ttiiffen,  lüorin  benn  ber 
gebadjte  Snf)alt  biefeä  (Subftantiale  Befte^t.  Sn  ber  ^^mmaterialität 
unb  (Sinfod)^eit?  aber  ba§  finb  la  lauter  9legationen,  bie  etraa§  ah- 
Ief)nen,  aber  nid^t^  beilegen;  au§  9Jegationen  fann  man  bod^  nid)t  ein 
2öirfIicE)e§  mad^en.  Dber  in  ber  S3el)arrlirf)feit  unb  ©elbftänbigfeit? 
?(ber  bo§  finb  formale  S3eftimmungen,  bie  feine  Slntmort  auf  bie  ^^rage 
nadE)  bem  2Bal  geben.  —  Cber  beftefjt  ber  Snf)a(t  eben  im  ^üf)(en 
unb  3)enfen  felbfl?  aber  ha§>  gü^Ien  unb  2)enfen  foüte  ja  ein  blo^e^ 
Sfccibeuä,  eine  üorüberge^enbe  jEf)ütigfeit  ber  ©eelenfubftanä  fein;  n^ir 
aber  tuottten  miffen,  ma§  fie  felber  an  unb  für  fid^  ift.  Dber  beftef)t 
ba§  SBefen  ber  ©ubflan^  in  i^ren  ^tccibenjen?  3iun,  bann  mären  mir 
einig,  bann  mären  mir  eben  bei  ber  Slnfid^t:  ha^  SSefen  ber  @eele 
befteljt  in  ifjrem  ßeben,  befteljt  in  ben  @efüf)Ien  imb  ©ebanfen  felbft. 
—  Ober  ift  ha^  ©ubftantiale  ein  unbefannteS,  emig  hinter  ber  ©cene 
bleibenbeS,  meber  burtf)  ^nfd^auung  noc^  burdf)  ©enfen  gu  beftimmenbeS 
Srgenbetmaä,  ein  „^ing  an  ficf)"?  —  ©o  möchte  icf)  raol)(  miffen, 
ma§  ein  foIdf)e§  gänjlirf;  unbefannte§  Si'genbetmaS  leiften  fann,  um 
©efü^len  unb  ©ebanfen,  menn  fie  nidE)t  für  fic§  mirflid)  fein  fönnen, 
3ur  SSirf(irf)feit  ju  öerf)elfen. 

SBir  bleiben  alfo  fte^en  bei  bem,  ma§  mir  miffen:  bie  Seele  ift 
bie  im  53emuBtfein  jur  @inf)eit  ^ufammen  gefaxte  $8ielf)eit  feetiftf)er 
(Srfebniffe;  üon  einem  ©ubftantiale  aufeer,  hinter,  unter  ben  S^orfteüungen 
unb  @efüf)Ien  miffen  mir  auf  feine  SSeife  etma§  ju  jagen.*) 


*)  »ortreff lid)  jeigt  SBunbt  (@t)ftem  ber  ^^iIofo<jI)ie  ©.  289  ff.),  wie  un= 
möglief)  bie  Slntüenbung  be§  ©ubftaiiäbegriffi  auf  bie  ©eele  ift.  S)er  53egriff  ber 
Subftanj  ift  auf  bem  (Scbiet  ber  Äörpertrelt  entftanben;  l^ier  ^ot  er  einen  be» 
ftimmten  angebbaren  Sinn;  bie  3Itome  finb  ba§  abfolut  befjarrlid^e  unb  na^ 
Ouantität  unb  Gualität  unöeränberlidje  ©ubftrat  ber  materietten  SBelt;  oHe  SSer= 
änberung  ift  auf  ben  SBed^fel  in  ber  Stnorbnung  unb  93ett)egung  ber  SUome  äurütf* 
äufüliren ;  bo§  ift  bie  9)ioj;ime  ber  ??aturtt)iffenfc^aft.  Überträgt  man  biefen  Segriff 
auf  bo^  Seelenleben,  fo  Dernicf)tet  man  enttueber  ben  93egriff  ober  jerftört  t>a§  Seben. 


136         I-  33ud):  äßeta^j^^fü.    1.  ÄQpitel:  ®o§  ontoIogt)cf)e  «ßroblem. 

S)a^  e§  fofd^en  Überlegungen  gelingen  jollte,  ben  gefunben 
90^enfc^ent)er[tanb  unb  jeine  9}ZetQpf)i)fi!er  fogteid^  üon  ber  Sntbe^rüd^feit 
be§  (Seelenfubftantiale  ju  überzeugen,  i[t  nid^t  anäune^men.  @r  wirb 
fortfaf)ren  gu  fagen:  aber  ein  (Sefüt)!  !ann  boc^  raeber  jein  norf)  ge= 
badjt  werben  ot)ne  einen,  ber  e§  fü'f)tt,  unb  fo  je^t  eine  95orfteüung 
ein  fubftantielleS  ©ubjeft  öorau§,  ha§>  jie  r)Qt  unb  öorftetlt.  Sr  f)at 
{)ierin  aud)  nid)t  unrecht,  nur  mi^öerftei)t  er  feine  eigene  gorberung 
unb  \nd)t  für  fie  in  bem  ©ubftantiale  eine  unmögti(f)e  unb  üergeblidje 
53efriebigung.  2Ba§  jene  gorberung  eigeutUd)  tt)ill,  i[t  bie§:  eine  SSor= 
ftetlung  (ober  ein  ®efüt)I)  fommt  nie  öereinjett  öor,  fonbern  immer 
nur  im  ßufammenfjang  eine§  ganzen  ®eelenleben§;  i)ier  i)at 
fie  i{)ren  Drt  in  ber  2öir!Ii(i)feit,  fie  getjört  ba^u  qI§  ein  in  biefem 
3ufammenI)Qng  notnjenbigeS  @Iieb.  Unb  e§  f)inbert  nun  gar  nid)t§, 
im  :^er!ömmlic^en  (Sprachgebrauch)  bleibenb,  p  fagen:  bie  @eete  ^at 
SSorfteüungen  unb  ©ebanten,  in  i^r  regen  fid^  ®efüf)te  unb  S3e= 
ftrebungen.  2öir  meinen  bamit  baSfelbe,  ma§  alle  3Bett  tt)atfäc^ticf) 
bamit  fagt:  ha^  biefe  Gebauten  unb  (5Jefüf)(e  in  biefem  beftimmten 
3ufammenf)ang  eines  inbiüibueüen  ©eelenlebenS  auftreten,  unb  ha^ 
fie  im  SBemufetfein  mit  bem  ^Semu^tfein  biefeS  3ufammen{)ange§  ouf= 
treten,  ©s  ^inbert  auc^  gar  nidjtS  ju  fagen:  bie  @eele  ift  gegenüber 
ben  einzelnen  S3orgängen  bie  ©ubftan^,  bie  fie  f)eröorbringt  unb  trägt; 
gemiB,  o^ne  bie§  ganje  (Seelenleben  Wäre  biefe  einzelne  ömpfinbung 
ober  3SorfteIIung  aucf)  nic^t  in  ber  2BirfIicf)!eit;  and)  ift  ha^^  ©äuge 
ein  relatiö  S3et)arrlic^e§   unb   @elbftänbige§  gegenüber  bem  ©iuäelnen. 


S)ie  Seele  ift  ni(^t  unüeränberlid^  unb  be^arrticE),  tüie  ta§  SItom,  bielme^r  ift  be= 
ftänbige  innere  Söonblung  für  fie  (J)ara!teriftifd) ;  fie  !et)rt  niemals,  tt)ie  ba§  Sttom, 
bo§  fi^  aug  einer  SSerbinbung  löft,  a\§  biefelbe  in  ben  üorigen  Suftanb  jurüd. 
2ttfo  !ann  man  bie  ©eele  nid^t  in  bemfetben  ©inn  (Subftanj  nennen,  wie  bog  9ttom. 
93efte^t  man  aber  barauf,  raie  e§  §erbart  tf)ut,  fe^t  man  it)r  SKefen  in  eine  einfadie 
unb  abfolut  unöeränbertidie  Qualität,  unb  fief)t  bann  in  ben  SSorfteHungen ,  ®e= 
banfen,  93eftrebungen  btofe  jufällige,  burd)  bie  manbeinben  äuBeren  ^Relationen  be* 
bingte  erfc^einungen  ber  Subftauä,  bie  i^r  innere^  SBefen  ni(f)t  anget)en,  fo  jerftört 
man  bie  ©eele:  e§  föirb  bonn  „alle§  mag  in  unferem  inneren  ©rieben  SBirflidifeit 
unb  3Bert  befi^t,  in  einen  leeren  Schein  üerflüd)tigt,  um  aU  (£rfa^  ben  mertlofcn 
(öd^emen  einer  ©ubftang  5urüd§ubel)atten,  bie  burc^  if)re  abfolute  93el)arrlic^!eit  für 
ii)re  üöKige  Seerl)eit  entfd^äbigen  foH."  —  ^rf)  ^abc  über  ben  ©ubftansbegriff  in  bem 
^ier  feftgel)altenen  ©inne  fc^on  in  einem  Stuffa^  in  ber  SSiertelja^rlfd^rift  für 
miffenfd)aftl.  <ߣ)iloiop^ie,  1876,  gel)anbelt. 


7.  SQ3efen  b.  ©eete:  2lftualiftifct)e  u.  jubjtantioUftiid^e  ^tuffoffung.  6i^  im  Setbe.     137 

SUleint  man  nun  ober  norf)  für  ha§>  ©anje  ttjieber  etne§  Xräger»  jiir 
3(n^eftung,  einer  immateriellen  unb  punftuetlen  @eeIenfuBftan§  ju  6e- 
bürfen,  bamit  e§  nid^t  in§  Seere  falle,  fo  ertt)ibere  irf)  mit  ber  'Qta^t: 
ob  benn  ein  foIdjeS  ©ubftantiate  nid^t  aud^  tttieber  eine§  2;räger§  be- 
bürftig  fei?  SJJir  njiü  öorfommen,  gar  fef)r;  rt)ie  ein  §erbartifd)e§ 
„9^eale"  fid^  in  ber  2öirflidf)!eit  be{)aupten  !ann,  ift  mir  immer  bo§  größte 
unter  ben  9flätfe(n  feiner  Ü)?etapl^t)fi!  geblieben.  (Soll  ein  „Xräger" 
für  ba§i  (Seelenleben  gefunben  tt)erben,  fo  mu^  man  i^n  nidjt  in  einem 
ifolierten,  ftarren  SSirf(icfj!eit§f(ü|c^en  fudjen,  \)a§>  man  „abfohlt  fe^t," 
fonbern  in  bem  umfaffenben  ©anjen,  an§  bem,  an  bem  unb  in  bem 
e§  ift.  SOZit  (Spinoja:  bie  @ee(e  ift  ein  modus  on  ber  einen  (Subftang, 
bem  Stflmirflidjen  ober  @ott;  ©Ott  ift  bie  (Subftan,^,  unb  ou^er  itjni 
giebt  e§  feine  ©ubftanj,  im  testen  unb  abfotuten  (Sinne,  giebt  e§  nic^t§, 
ba§  an  fid^  fein  unb  begriffen  inerben  fann.  ^ie  aber  oon  bem 
©eetenfubftantiale  fid^  nid)t  trennen  !önnen,  follten  fi(^  fragen:  mie  fie 
®ott  beuten  moHen?  ob  aud)  a(§  eine  einf ad)e  ©ubftang,  bie  bann 
fdo^  aud)  an  einem  ^unft  be§  Uniüerfum§  i^reu  (Si^  f)aben  muB, 
lüie  bie  ©eele  an  einem  ^un!t  be§  2eibe§?  Ober  ift  für  ®otte§ 
SSefen  biefe  2Int)eftung  an  ein  „9ieale"  nid^t  notmenbig?  'iJhin,  bann 
tt)irb  fie  e§  für  ein  menfd)(id)e§  (Seelenteben  audj  nid;t  fein:  ift  @otte§ 
SBefen  nur  al§  reine  5lftualität  ju  beuten,  fo  mirb  aud^  ha^  SSefen 
ber  ©eele  a(§  ?(ftualität  gebadjt  werben  fönnen.  S)od^  t)ierüber  mirb 
nod^  in  ber  ^otge  ,^u  tjanbeln  fein. 

§ier  lege  id)  uod)  ein  paar  33emerfungen  über  bog  SSefen  ber 
SOJaterie  ein.  3ene§  fjöl^erne  @ee(enatom  ber  gemeinen  9}?einuug 
entfprid^t  if)rer  ebenfo  tiöt^ernen  SSorfteltung  t)on  ber  ^onftitution  ber 
SDJaterie:  fie  befte^t  au§  legten,  unteilboren,  obfolut  tjarten,  ftarren, 
trägen,  qualitatio  beftimmung§tofeu  Äörperd)en;  eine  SSorftelluug,  bei 
ber  benn  aüerbingS  ber  ©ebanfe  ber  StUbefeelung  abfurb  genug  er= 
fdieiut:  follte  mirflid^  in  jebem  biefer  üeiuen  auSgebe^nten  ?(tome  nun 
aud^  noc^  ein  unau§gebef)nte§  (Seelenatom  fi|en?  g^'^^^^*^  abfurber  ift 
bie  (Sad^e  aud^  ni(^t,  al§  für  ba^  (Seelenatom  in  bem  unenbtid)en 
Söirrfat  ber  ftet§  med)felnben  au§gebet)nten  5(tome,  bie  ben  2eib  bitbeu, 
einen  (Si^  ^u  fudjen.  Sd^  meine  aber,  jener  5(tombegriff  fetbft  ift 
gerabe  fo  oiel  ober  fo  menig  mert  mie  ber  Segriff  be§  unau§gebe^nten 
(Seelenfubftantiate.    ®ie  9^aturmiffenfd^aft   f)at   mit   i^m  fo  meuig  ^u 


138         l-  33ud^:  müap^i)^it    1.  Äapitel:  2)a§  ontologifc^e  Problem. 

tf)un,  tt)ie  bie  ^ji)djoIogte  mit  bem  (Seelenatom.  3öq»  fie  üorouSfe^t, 
finb  le^te  ©lemente,  üon  beneit  fie  in  i{)rer  örflärung  an§ge§en  !ann; 
ob  biefe  (SIemente  ob  Joint  le^te,  ftorre,  unteilbare  ^örperdjen  feien, 
baran  f)at  fie  gar  fein  Sntereffe,  fo  raenig  bie  ?trit{)meti!  ein  Qntereffe 
baran  i)at,  ha'^  bie  in  Sfiedfinnng  gefegten  Giner  abfolut  leljte  unb  un* 
teilbare  Ginf)eiten  feien.  Sm  Gegenteil,  mirb  fie  fagen,  e§  I)inbert 
nidjtö,  jebe  (£inf)eit  in  anberer  ^infidjt  tt)ieber  al§  33iel^eit  §u  fe|en, 
jeber  ©iner  ^at  äet)n  ßefjntel,  unb  jebe§  3^^^*^^  ^^^^  tt)ieber  in  5et)n 
3e^ntet  jerlegt  merben,  o^ne  ©nbe.  (2o  mögen  auc^  bie  ^tome,  mit 
benen  bie  ^Zaturmiffenfdjaft  al§  mit  (Sinern  redjnet,  in  einer  anberen 
33etracf)tung  mieber  oI§  üielfac^  äufammengefe^te,  geglieberte  @i)fteme 
mit  inneren  33emegungen  fid^  barfteüen.  ©pefulationen  moberner 
(Eljemifer  öeranfcf)Iagen  bie  ^a^i  ber  DJioIefüte  in  einem  ^ubifäentimeter 
auf  ätnanäig  SErillionen,  it)ren  S)urd^meffer  auf  tt)emger  aU  ein 
9[)?iüionteI  SOäüimeter,  bag  @en)irf)t  eine§  2BafferftoffmoIe!ü(§  auf  ben 
öierten  Xeil  eines  Ouabrilliontel  oon  einem  ©ramm.*)  Man  fief)t, 
nad)bem  mir  un§  foraeit  öon  allem,  ma§  anfi^aulirf)  oorgeftettt  merben 
fann,  entfernt  t)aben,  oerfc^Iögt  e§  nidjtS,  nun  aud)  mieber  bie  Steile 
biefer  Xeile  in  ät)nüd)er  SSeife  ju  gertegen;  e!c  fommt  btofe  barauf  an, 
ob  haS:  33ebürfni§  einer  begriff Iid)en  ^onftruftion  ber  ^Tfiatfadien  bagu 
aufforbert.  @§  giebt  f)ier  fein  .^inberniS  für  ben  g^ortfdjritt  ber  Leitung 
unb  ©lieberung,  fo  menig  mie  ein  foldjeä  bem  2{ftronomen  in  ber  fort= 
fdjreitenben  Grmeiternng  be§  UnitierfumS  begegnet.  ®ie  §Inatt)fi§  f)at 
eS  fo  gut  mit  einem  Unenblidjen  jn  tf)un  mie  bie  @t)ntf)efi§.  Unb 
nod^  meniger  ^at  bie  S^aturmiffenfdjaft  an  ber  inneren  SBeftimmungS- 
tofigfeit,  2rägf)eit  unb  (Starrl^eit  be§  SttomS  ein  Sntereffe.  3m  @egen= 
teit,  auf  atle  SBeife  f)at  fie  ein  Sntereffe  baran,  ben  (e|ten  Steilen  ber 
9Jiaterie  bie  33eftimmungen  beizulegen,  bie  notmenbig  finb  jur  ©rftärung 
ber  (Srfdjeinungen,  ha§i  finb,  nad)  ber  üblidjen  gaffung,  bie  Itöfte, 
moburd)  fie  fid)  betf)ätigt.  3nbe§  ^inbert  fie  nid)t§,  bei  biefen  Gräften 
fte^en  gu  bleiben,  Äraftein^eiten  al§  ba§  fiepte,  morauf  bie  S(nalt)fe 
fül^rt,  §u  fe|en.  5Der  C£f)emifer  Oftmalb  f)at  in  einem  bemerfen§= 
merten  3}ortrag  (bie  Überminbung  be§  miffenfc^ofttid^en  9}JateriaIi§mu§, 
1895)   ben  S^aturmiffenfc^aften   bie  ©rfe^ung   beS   atomiftifc^en   burc| 


*)  8.  mtt)tt,  9Koberne  S^eorien  ber  ©Hernie,  5.  Stufl.  (1884)  ©.  131  ff. 


7.  SBejen  b.  ©eele:  Slftualiitifc^e  u.  jubftonttoIi[lif(^e  ?luffaffung.  ©i§  im  Seibe.    139 

ba^:  energetifd^e  Stiftern  bringenb  empfof)(cn.  @r  fü^rt  qu§: 
bie  9^üturn)iffcnjcf)aft  crfdjlrert  fid)  unnötit3  itjrc  Slufcjabe,  luenn  fie  fid) 
bie  Stufgabe  fteüt:  alle  ^JJaturöorgänge  auf  33ett)egungen  unb  Sagerungen 
ftarrer  Sltome  juri'Kfjufüfjren.  (Sie  befd)n)ert  fic^  baburd)  lebiglid;  mit 
fragujürbiger  2J^etap^i)fif,  bie  i^r  bafür  nid)t§  al§  Sdjnjierigfeiten  5u= 
äie^t,  BefonberS  im  ©ebiet  ber  2eben§oorgänge  unb  ber  allgemeinen  SSt1t= 
anfd^auung.  3)er  ^f)l)fifer  f)at  es  in  3Sirf(id)feit  mit  nichts  aU  mit 
Energien,  (Energien  in  t)erfd)iebener  ^orm  unb  ©rö^e  ju  tt)un.  33on 
bem  ®eban!enbing  9J{aterie  ^at  er  gar  feine  Urfadje  ©ebraud)  5U 
madien.  „2öa§  in  bem  93egriff  ber  SJJoterie  ftedt,  ift  erftenS  bie 
SOZaffe,  b.  i).  bie  ^apa^ität  für  SemegungSenergie,  ferner  bie  9^aum= 
erfüllung  ober  bie  S^olumenenergie,  meiter  ha§  ©emic^t  ober  bie  in  ber 
allgemeinen  Sd)mere  gu  Stage  tretenbe  befonbere  2(rt  üon  ßagerenergie, 
unb  enbüd)  bie  d^emifc^e  ©nergie.  (S§  fjanbett  \\d)  immer  nur  um 
Snergie,  unb  benfen  mir  un§  bereu  Derjc^iebene  3(rten  oon  ber  9Jkterie 
fort,  fo  bleibt  nic^t§  übrig"  (28). 

^ie  Diaturmiffenjdjaft  mürbe,  menn  fie  bieje  S3etrad)tung§meife 
fid)  aneignete,  auf  ben  2Seg  gurüdfetiren,  ben  it)r  oor  f)unbert  Satiren 
^ant  gemiefen  t}at:  feine  bi)namifd)e  Xtieorie  ber  9J?aterie  f)atte  eben 
biefe  2(bfi(^t,  bie  f(^Ied)te  DJJetap^tifif  be§  5(tomi§mu§,  mit  abfolut 
ftarren  5ttomen  unb  abjotut  efiftierenbem  leeren  Üiaum,  ab^uttjun, 
Sd)  meine,  fie  mürbe  bamit  in  einen  SSeg  einlenfen,  ber  ifir  mandien 
falfdjen  ®ong  er f parte,  ber  fie  cor  aüem  audi  oon  ber  Hinneigung 
5um  meta|)t)i)fifc^en  9Jkteriali§mu§  befreien  mürbe,  bie  itir  je^t,  nadi 
gelegentlidier  Slbfage,  immer  nadigef}t.  —  Sooiel  jur  SSerftänbigung 
über  ben  33egriff  ber  SJMterie.  Stuf  ben  93egriff  ber  Äraft  merbe  idi 
fpüter  in  ber  erfenntnii^t^eoretijd^en  Erörterung  äurüdfommen,  um  gu 
geigen,  ba^  Äraft  nur  befiniert  merben  fann  burc^  bie  SBirfungen,  in 
benen  fie  erfc^eint.  — 

5^on  tiieraug  moUen  mir  nun  oerfuc^en,  bie  alte  3^rage  nac^  bem 
Si^  ber  Seele  im  Seibe  gu  beantmorten.  SBir  ntad)en  un§  äu= 
erft  ben  Sinn  ber  ^^rage  beutlidi.  (g§  liegt  auf  ber  §anb,  ha^  bei 
ber  eben  angebeuteten  Sluffaffung  oon  bem  SSefen  ber  Seele  oon  einem 
Si^  in  bem  Sinne  eine§  9iaume§  ober  eine§  Orte§  im  $Raum,  in  bem 
fie  ift,  übertiaupt  nid)t  bie  3Rebe  fein  fann.  Sm  Ü^aum  finb  ÄiJrper 
unb   gefd)efien  93emegungen,  nidit  aber  33emu^tfein§oorgänge;   e§  tiat 


140  I-  93uc^:  SRetap^ijftf.    1.  Äapitel:  ®al  ontologtfd^e  «ßroblem. 

feinen  ©tnn  gu  jagen:  ein  @eban!e  ober  ein  ©efü^t  ift  f)ier  ober  bort, 
erftrecft  fid)  burcf)  biejen  ober  jenen  Xeit  be§  Üiaumeg.  ©ebonfen  finb 
nidjt  im  @e{)irn,  nic!^t  mef)r  ai§>  im  äJJagen  ober  im  9}Zonbe.  ®a§ 
eine  ift  nid^t  ungereimter  a(§  \ia^  onbere.  Snt  (55ef)irn  get)en  p^i)fi= 
otogifc^e  ^rojeffe  oor  fid)  unb  nid)t§  anbereg.  2öenn  nun  bie  @ee(e 
nidjtS  ift  qIö  bie  ©in^eit  be§  (Seelenlebens,  fo  !ann  fic  natürti^  ebenfo 
toenig  einen  Sfiaum  einnehmen.  2)er  ©inn  ber  ^rage  wad)  bem  @i| 
ber  (Seele  !ann  olfo  nur  ber  fein:  njeldie  pf)t)fif(^en  SSorgänge  im  Seibe 
finb  e§,  mit  benen  feelifc^e  SSorgänge  oerfnüpft  finb?  2Bir  würben 
oben  (im  üierten  2{bjd)nitt)  auf  bie  Slnfic^t  gefüf)rt,  bofe  gmifc^en  (eib= 
Iid)en  unb  feeüfdjen  SSorgängen  ein  55erf)ältni§  be§  „^araüelismuS" 
ftattfinbe;  biefer  ^araüetigmuS  f)at  nid)t§  mit  einem  räumlid^en  9^eben== 
einanber  gu  tf)un;  er  bebeutet  nur:  menn  ein  beftimmter  pft)d)ifd)er 
^rojeB  ftattfinbet,  bann  läuft  gleichzeitig  ein  pf)i)fijc^er  ^^ßro^eB  ab,  ben 
man  al§  Segleiterjc^einung  ober  al§  pt)l)fifd}e§  ^quioalent  be§  pjt)d)ifd^en 
bezeichnen  fann.  2)ie  O^rage  nac^  bem  ©i^  ber  (Seele  bebentet  alfo: 
ttjeldie  ^rogeffe  finb  bie§,  unb  mo  finben  fie  ftatt?  Sm  gongen  ßeibe, 
ober  in  einem  STeil  be§  2eibe§,  bem  ®et)irn,  ober  fd)tie^Iic^  in  einem 
einzigen  Clement  be§  ®ef)irn§'? 

©er  gemeinen  SSorftellung  liegt  e§  am  näd)ften  gu  fagen:  ber 
gange  Seib  ift  (Si|  ber  Seele,  fie  ift  überall  im  ßeibe,  t)at  er  boc^ 
überaß  (Smpfinbung. 

5ßietleicf)t  !ommt  biefer  S^orfteüung  me'^r  SSal)r!^eit  gu,  at§  if)r 
unfere  ^t)t)fio(ogen  gugugeftetjen  geneigt  finb.  3n  ber  3;^at,  ic^  glaube, 
ba^  mir  fcf)IieBIic§  gu  if)r  gurüdgefüf)rt  merben.  3it"öd)ft  fc^einen 
aüerbing§  bie  2;t)atfacf)en  gu  einer  anberen  Slnfid)t  gu  nötigen.  Scf)on 
bie  aHtögtid^e  (Srfa^rung,  bie  aud)  ber  gemeinen  ^^orftellung  nid)t  ent= 
gef)en  tonnte,  geigt,  bafe  oerfd)iebene  Xeite  be§  ßeibe§,  mie  für  ha§> 
leibliche,  fo  aucf)  für  ba§  feetifdie  Seben  oon  oerfc^iebener  3Bicf)tigfeit 
finb:  ber  SSerluft  eine§  ?Irme§  ober  Seines  foftet  nic^t  ha§>  Seben  unb 
minbert  nidEjt  ba§:  feetifcf)e  3)afein;  bagegen  {)at  bie  ßei-'f^örung  be§ 
§ergen§  ober  be§  ®ef)irnS  ba§  5(bftcrben  be§  SeibeS  unb  ha§  2luf= 
l^ören  be§  (Seelenlebens  gur  ^olge.  2Uigenfd)einti(^  ift  ha§  bie  %^at' 
facfie,  bie  oon  jef)er  angetrieben  ^at,  nod^  nacf)  einem  befonberen  (Si| 
ber  (Seele  im  ßeibe  gu  fud^en  unb  it)n  eben  in  jenen  auSgegeid^neten 
Organen  gu  finben.    Sine  Leitung  beS  ©eelenmefenS  fetbft  in  oerfct)iebene 


7.  SBefen  b.  ©eele :  Slftualiftijc^e  u.  jubftontialij'tifc^e  3tuffaffung.  ©ife  im  Setbe.    141 

Ä'räfte,  (Seiten  ober  Ztik,  entjpred)enb  ben  öer]*d)iebenen  ^unftionen, 
füf)rt  bann  jur  5>erteilung  auf  bie  öerf^iebenen  IeibUd)en  Organe;  in 
ber  p(atonifrf)en  ^fqdiologie  I)aben  njir  hierfür  ein  finnrei(^e§  ©djema: 
im  ^opf  f)at  bog  2)enfenbe  feinen  @i|,  im  ^er^en  ber  ^ö^ere,  geiftige 
SöiHe,  ber  in  ben  fpegififd)  menfdjüdjen  ^(ffeften  fid)  äufiert,  unter  bem 
3lüerd^feü  enblid^  bie  finntid)=animalif(^en  STriebe.  Sn  ber  ^ieujeit 
f)aben  bann  anotomifdje  unb  pf)i)[io(ogiidje  Unterfnd)ungen  ju  ber  un§ 
je^t  fo  geläufigen  Stnfid^t  gefüf)rt,  baf;  bie  feelifd^en  Vorgänge  in  engfter 
Sejietjung  jum  9Zerüenfi)ftem,  im  befonberen  jum  ©el^irn  ftet)en.  3)ie 
93erü^rung  ber  Dberfläd^e  be»  SeibeS,  bie  ©rregung  ber  (Sinnesorgane 
burd^  p^l)fifd)e  Speise  bett)ir!t  nid;t  unmittelbar,  loie  ha§>  gemeine  (Selbft= 
beiüuBtfein  auSfagt,  an  Ort  unb  (Stelle  eine  ©mpfinbung;  üielmet)r 
fommt  biefe  nur  bann  juftanbe,  njenn  bie  Erregung  burd)  unoerle^te 
9?erüenfafern  jum  ©e^irn  fortgeflan^t  n)irb.  Sft  bie  Seitung  unter- 
brodjen,  mxh  ber  Sf^ero,  in  bem  fid^  bie  zentripetale  ©rregung  fort= 
pflanzt,  burd^fd^nitten,  fo  betoirü  bie  peripljerifc^e  (ärregung  !eine  @m= 
pfinbung  met)r.  ©benfo  t)ört  bie  fpontane  93en3egung  auf,  wenn  bie 
nerüöfe  33erbinbung  eine§  ®Iiebe§  mit  bem  ßentralorgan  unterbrodjen 
ift.    2tIfo,  fd)tieBt  man,  ift  ber  (Si|  ber  (Seele  im  @et)irn. 

©nbüdj  füf)ren  jene  metapfjiififc^en  (SrWägungen,  bie  ber  (Seele 
bie  ©eftalt  einer  eiufadjen,  mit  bem  Seibe  in  Söec^felioirfung  fte^enben 
(Subftanj  geben,  ju  bem  Söeftreben,  it)r  einen  (Si|  in  einem  eng  be= 
grenzten  ©ebiet,  am  liebften  in  einem  einzigen  ^un!t  be§  ®e^irn§  ^n= 
gufdjreiben,  xüo  fie  bie  SSirfungen  be§  Seibe§  empfange,  unb  oon  tt)o 
au§  fie  auf  i^n  mirfe.  2)e§carte§  ift  barin  oorangegangen,  unb  ha^ 
ganje  ad)t5et)nte  Saf)rf)unbert  neigt,  if)m  folgenb,  gu  biefer  5(uffaffung. 
9iad)bem  fie  im  ß^^^alter  ber  fritifc^en  unb  fpefulatioen  ^f)iIofop^ie 
mitfamt  ber  (Seelenfubftauä  anberS  gecidjteten  Stnfd^auungen  geitmeilig 
f)atte  meid)en  muffen,  tritt  fie  bei  §  erb  ort  unb  feiner  ©c^ule,  fon^ie 
bei  So^e,  tt)ieber  in  if)re  alte  ©eltung.*) 


*)  9Jad)  bem  Sßorgang  §erbart§  ($ji)d^oIogie  alä  SBiffenf^aft  II,  461)  ift  aüd) 
So^e  (9JJebi3imjd)e  ^fi)d)oIogie  ©.  115  ff.)  geneigt,  bie  ©eele  in  ber  SßaroI§6rü(fe, 
aU  einem  2)urd)gang§punft  ga^Ireid^er  |)irnnerüen,  an^ufiebeln.  Sin  befonbetS 
gebitbeteS  pt)ilfioIogif^e§  Drgan,  in  bol  alle  äuleitenben  Dkröen  münbeten,  fd)eint 
i^m  für  biefe  5(nna{)me  nicf)t  erforberlic^ ;  eä  reid)e  :^in,  tüeun  fie  alle  in  ein  nerüöfeS 
$arend^i)m  einftra!^lten ,   ba^  ber  aUfeitigen  Sßerbreitung   ber  Erregungen  feinen 


142         I-  S3uc^:  3Jletap^t)fif.    1.  Äapitel:  ®a§  ontologtjd^e  «ßroblem. 

2Ba5  ^uTiäd^ft  biefe  (enteren  S3emüf)ungen  anlangt,  einen  einzigen 
^unft  im  G)ei)irn  aufjufinben,  an  bem  allein  bie  (Seele  unmittetBar 
gegenträrtig  fei  ober  wirfe,  fo  beru{)en  fie,  tt)ie  mir  fc^eint,  allein  auf 
©rünben  ber  9J?eta|3{)t)fif,  nid)t  auf  2:l)atjacf)en  ber  ^ft)c^ologie  ober 
^^t)fiotogie.  Sf)t  ©runb  ift  bie  metap{)^fifd)e  33orau5iel3ung,  ha'B  bie 
(Seele  eine  einfarf)e  au5bef)nung§(ofe  Su6ftan§  fei.  Gebeutet  bie  Un= 
au5gebet)ntf)eit  eigenKicf)  audf)  llnräumü(i)!eit  überhaupt,  fo  ftrebt  bie 
5{nfcf)auung  bocfj  immer  mieber  fie  aU  ^unft  üor^uftellen  unb  oerlangt 
nun  für  biefen  bie  Sofalifierung  im  9iaum.  g^ällt  bagegen  ba§  «Seelen- 
atom,  fo  fällt  bamit  gugteii^  ber  eintrieb  jur  punftuellen  Sofalifierung 
fort.  3ft  bie  Seele  nic^t§  anbere§,  oI§  ha§>  (Seelenteben  felbft,  fo  liegt 
gar  fein  StntaB  oor,  bie  pt)t)fifcf)en  ^egteiterfrfjeinungen  lieber  in  einem 
^unft  ober  einem  engbegrengten  33e5irf,  als  in  einem  beliebig  meiten 
©ebiet  be§  leiblichen  2eben§  ftottfinben  gu  laffen.  6§  ift  fcf)mer  öer* 
ftänblicfj,  marum  2o|e  an  ber  9leigung  ^üx  punftuellen  Sofalifierung 
ber  Seele  im  @e^irn  feft^ält,  nad)bem  er  it)re  SSorausfeßung,  ha§> 
ftarre  (Seetenatom  be§  alten  Spiritualismus,  eigentlich  aufgegeben  ^at; 
aucf)  i!^m  ift  bie  (Seele  äule|t  nid^tS  anbereS  al§  bie  „lebenbige  (äinf)eit 
be§  ficf)  felbft  faffenben  93emu§tfein§".*) 

(Sdtjeibet  fo  bie  aJ?etapt)t)fi!  für  bie  ^öeanttoortung  ber  g^rage  ou§, 
fo  bleiben  ^ft)c^oIogie  unb  ^^^fiologie.  SSon  i^nen  ift  bie  erftere 
a(§  folc^e  gegen  jebe  Stusbilbung  ber  SSorfteüung  gleichgültig.  ?(uf 
feine  Söeife  f)ängt  bie  (äinf)eit  be§  SeiuuBtfeinS  unb  bie  llnräumlid)= 
feit  be§  Seelenleben^  als  folc^en  mit  ber  (äinfacf)f)eit  unb  SIuöbe^nung§= 
lofigfeit  bes  matt)ematifcf)en  ^unfteg  jufammen.  ©as  ©elbftbemuBtfein 
meiB  unmittelbar  überhaupt  nid^t§  oon  begleitenben  ^Zeröenoorgöngen 
unb  Don  itirer  Sofalifation.  —  G§  bleibt  bie  ^fji^fiologie.  Unb  it)r 
liegt  gmeifellol  bie  SBorftellung  nä^er,  ha'^  bie  23egleiterfc^einungen  ber 
feelifc^en  SSorgänge  fiel)  über  größere  ©ebiete  ausbreiten.    @§  ift  müf)= 

SBiberftanb  mel)r  entgegenfe^e  unb  fie  ba^er  mit  ifirer  SBirfung  fielet  and)  bie 
Subftanj  ber  ©eele  erreichen  laffe.  2)iefeg  ®ebiet  in  ber  Ütinbeniubftonj  ber  §emi» 
fpf)ären  gu  iud)en,  trelc^e  ben  I)eutigeii  $^i)fioIogen  am  ef)eften  ftc^  empfehlen  würbe, 
ijält  if)n  i^on  bie  3{u§bef)nung  unb  bie  ^oppeIf)eit  biefe§  Organa  ab,  bem  er  nur 
bie  Slufgabe  ftetlt,  qI§  frafterjeugenber  SIpparat  bie  gunftionstfiätigteit  ber  9?eröen 
gu  unterhalten.  —  Sine  (Srörterung  ber  grrage  öom  Stanbpunft  ber  §erbartiid)en 
2)ietap:^t}l'i!  unb  $it)d)ologie  bei  SSolfmonn,  2ef)rbu(^  ber  ^it)c^oIogie,  1,  76  ff. 
*;  Siefje  feine  legte  5(u§einanberfegung  mit  gecfiner,  SRetap^tiftf  S.  480. 


7.  SSejen  b.  ©eele :  SlftUQli[tifd)e  u.  jub[tantialtfttfd)e  2tuffaffung.  ©ig  im  Seibe.    143 

unb  marteröolten  95erfuc^en  allmäfjlid)  gelungen,  wenigften^  in  einigen 
(Stüden  regelmäßige  sge^ie^ungen  jtüifcfien  pft)(fjif(f)en  ^unftionen  unb 
beftimmten  ©e^irnpartieen  feft^uftellen.  ©o  nermag  man  begrenzte 
©ebiete  ber  ,g)irnrinbe  ^u  be^eid^nen,  bereu  gunftion  Sebingung  für 
haS'  Qü\tanhdommtn  ber  nerjc^iebeuen  8iune§n)o^rne^mungen  unb  if)rer 
(Srinnerungen ,  be§  ©predjenS  unb  be§  (Sprad)tierftänbniffe§  finb, 
5Direfter  S3eoba(^tung  bleiben  biefe  Singe  frei(id)  entzogen;  aber  ba§ 
©fperiment  an  S'.ieren  unb  bie  patfjologijdje  Unter]uc!^ung  an  äJ^enjc^en 
geigen  regetmäßige  ßufammenftimmung  ber  ßerftörung  beftimmter 
©ebiete  ber  ©e^irnfubflanj  mit  ©torung  ober  5(uf^ebung  beftimmter 
pjild^ijc^er  ^^i^^tionen.  (5§  ift  bie  nädjftliegenbe  Deutung  biefer  Z^aU 
fad)en,  ba'B  bie  pf)t)[io(ogifd^e  gunftion  biefer  Xeile  \)a§^  pf)i)fifci^e 
^iquioalent  ber  entfpred)enben  pfljdjifd^cn  9]orgänge  ift.  @§  bleibt 
freilid)  eine  mögliche  ^el)auptung,  hafi  mir  barin  nur  mittelbare 
GrregungSbebingungen  für  einen  irgenbmeldjen  bi^^er  nic^t  auf§eig= 
baren  ^un!t  gu  fef)en  Rotten;  waS  märe  auf  biefem  ©ebiete  ju  be= 
Raupten  uid)t  möglid^?  aber  einftmeilen  fpridjt  non  pt)i)fioIogijd)er 
©eite  nid)t§  bafür.  ®em  ^f)^fiologen  brängt  fid)  öielme^r  überall 
ber  3?erfud)  auf,  aud)  bie  einfad^ften  feelifd)en  S^orgönge,  einen  51tt 
tüieberfenneuben  SBal)rne^men§,  eine  baburd^  au^gelöfte  SSiüenlregung, 
bie  in  einer  fpontanen  33en)egung  münbet,  al§  einen  ausgebreiteten 
SIenienprojeB  ju  !onftruieren,  an  bem  gatllreid^e  (Slemente  gleidjmäßig 
beteiligt  finb,  oljue  ha'^  er  Urfad^e  ^ätte,  ben  feelifc^en  33organg  nä^er 
an  bie  g^unftion  eine§  einzigen  unter  biefen  (Slementen  al§  an  bie  aller 
übrigen  gu  fnüpfen.*) 


*)  ©inen  SJerjud^  onjc^auIid)er  Äonftruftion  folcfier  SJerüenöorgänge,  irie  fic 
ettua  eine  ®efid)t§traf)rne^mung  unb  boran  fid)  anid)Iie§enbe  9tbn)ef)rbercegung  bc* 
gleiten,  finbet  man  bei  SO'iet)nert,  $ft)d)iatrie  (1884)  145  ff.  ©rgebniffe  efperi» 
menteHer  93eobod^tungen  an  §unben  unb  2lffen  bei  SUiunf,  bie  5un!tionen  ber 
®ro^t)irnrinbe  (2.  91.  1890).  ©oüiel  fd)eint  burd)  biefe  Sßerfuc^e  feftgeftetit  ju  fein, 
ba^  bie  g^iftörung  engbegrenjter  ^ortieen  ber  Stinbenfubfianj  bie  9(uff)ebung  be» 
ftimmter  engbegrenster  pji)d)ifc^er  j^unftionen  §ur  i^olge  :^ot;  fo  ijat  bie  ©jftirpierung 
ber  f)interen  ©pi|e  beg  §interf)aupttappeng  bie  Stuf^ebung  ber  gäfjigfeit,  beEannte 
®egenftänbe  mieber  ju  erfennen,  jur  grotge,  unb  gwar  f)ebt  einfeitige  ^erftörung 
biefe  f^ä^^igfeit  nur  für  ta§'  eine,  ta§  gegenüberlicgcnbe  2tuge  auf,  ber  |)unb  fiet)t, 
aber  er  erfennt  nid)t,  ma§  er  fief)t.  'üUmäfjüd)  finbet  92eubilbung  biefer  gätjigfeit 
ftatt,  er  lernt  ttjieber  „fef)en",  b.  i).  tnxd)  ®efic^t§empfinbung  auf  bie  92atur  beä 


144  I-  Su«^-  9Äeta})^Qftf.    1.  Äapttel:  ®a§  ontologifc^e  5ßroblem. 

Übrigens  liegt  auf  ber  §anb,  ba^  ein  ^erbortifd^eS  ©eetenreate 
ben  ^l}i)fioIogen  nocf)  öon  onberer  @eite  !^er  ein  fdin^erer  ©tein  be§ 
5tn[toBe§  märe.  SSie  öertjölt  e§  fid)  §um  (Stoff mec^fel?  ©oüiel  ber 
^^t)fioIog  fiet)t,  ift  feelifc^eS  Seben  überall  nic^t  an  einen  ftarren 
SBeftanb  non  (Elementen,  fonbern  an  il)ren  beftänbigen  SBec^fet  gefnüpft. 
^ft  bo§  ©eelenreale  baüon  anSgenommen,  fo  baB  e§  allein  einen 
bauernben  93eftanb  bilbet  unb  feinen  Ort  nirf)t  öerläfet,  n)äl)renb  aüe 
übrigen  Sflealen  in  beftänbigem  glu^  finb?  Unb  n^ie  öer^ält  e§  firf)  gn 
©ebnrt  unb  Xob?  Sft  e§  ein  an  fiel)  gteidigeltenbeS  (Slement,  ha^  nur 
burd)  eine  beoorgugte  Stellung  gu  jener  ^eröorragenben  ©ntttjidelung 
gefül)rt  mirb?  Unb  tüa§>  tt)irb  ou§  il)m,  ttjenn  e§  burdj  ben  %oh  be§ 
Selbes  biefer  Umgebung  beraubt  tühh?  —  ©nblid)  ift  auc^  ha§> 
bemer!en§njert,  baB  jene  älteren  5ßerfud^e,  einen  ^un!t  im  ®el)irn  gu 
begeidjnen,  beffen  ßßi'f^öi^ung  unmittelbor  ben  Siob  §ur  g^olge  l)ätte, 
alle  fel)lgefd)lagen  finb.  S)er  2eben§!noten  g^lonrenS'  ejiftiert  nid)t, 
bie  ßerftörung  jeber  Partie  be§  ®e^irn§  ft)irb  überlebt,  menn  fie  nur 
nic^t  allgu  großen  Umfang  erreicht.*) 

Sf^ac^  allem  ift  e§  begreif tid)  genug,  ba'^  in  ben  Greifen  ber 
^t)t)fiologen  bie  9leigung  jur  ausgebreiteten  Solalifierung  ber  Seelen= 
norgänge  bie  t)errfd)enbe  ift:  jebem  pfij^ifd^en  58organg  entfpric^t  ein 
nerööfer  'iprojefe  in  me^r  ober  minber  auSgebeljuten  ^artieen  be§  @e= 
l)irnS,  üor^üglid)  ber  SRinbenfubftanj. 

^ann  ober  muB  man  l)ier  fteljen  bleiben?  ober  ift  eS  geboten, 
meiter  gu  geljen  unb  mit  ^  e  d)  n  e  r  unb  3S  u  n  b  t  §u  ber  alten  5luf= 
faffung  äurüdsufe^ren,  ha^  ber  Si|  ber  Seele  ber  ganje  lebenbe  Körper, 
baB  ba§  g  a  n  3  e  e  i  n  ^  e  i  1 1  i  dj  e  l  e  i  b  l  i  d)  e  2  e  b  e  n  ba§  p  ^  i)  f  i  f  c^  e 
Slquioalent  beS  ganzen  einl)eitlidjen  Seelenlebens 
fei?  —  Sd)  glaube,  man  muB  fid)  baju  entfdjlie^en. 


DbjeftS  folgern.  93Ieibt  Ijierbei  aud)  bie  ©eutung  üielfad^  bunfel,  itnb  i[t  and)  bie 
fucceffiüe  S3efe^ung  ber  QeUtn  mit  (£rinnerung§bilbern,  bol  borläufige  Seerbleiben 
Don  QtUcn,  burd^  bie  bann  bie  S'Jeubilbung  be§  @ebä(i)tni)fe§  mögtid^  merben  foll, 
ba§  ^IbroKen  öon  5(ffociotion§reit)en  burd)  refIe!torifd)e  SReigung  einer  'Sidtjt  bon 
gellen  u.  f.  f.  einftföeilen  nid)t§  aU  fpefutatibe  $t)^fioIogie  (bie  übrigen^  ouffoHenb 
an  58ene!e^  fpefulotiüe  ^ft)d)oIogie  erinnert),  fo  ift  bod^  begreiflid^ ,  ta'^  fold^e 
2;i)atfad)en  ouf  ^f)t)fioIogen  einen  unn^ibcrfte'^Udjen  9tntrieb  gur  ausgebreiteten 
Sotalifirung  ber  pfQ(^if(^en  gunftioncn  üben. 

*)  gec^ner,  Elemente  ber  5ßfi)c^opf)nfif  ©.  899  ff. 


7.  SEBefen  b.  6eele :  Slftualiftifd^e  u.  fubfiantialiftif^e  Sluffafjung.  ©i^  im  Seibc.    145 

3unäd)[t  füdrt  f)ierauf  jd^on  bie  burcfigängige  ©in^eit  be§  leib» 
Iid)en  SebenS:  »o  ift  bie  ©ren^e  ber  33efeelung,  tüenn  wir  fie  benn 
nid)t  in  einen  einzigen  ^unft  öerlegen  bürfen?  (Sg  erjc^eint  faum 
mögtic^,  inner tjolb  beg  9ZerDenft)ftem§  ein  beftimmt  umgren^teä  ©ebiet 
angjujonbern,  um  allein  an  beffen  Erregungen  pfi)d)i)c^e  33egleit= 
erfc^einungen  ju  fnüpfen,  n)ät)renb  ä^nlidje  Sßorgänge  jenfeitS  biefer 
(SJrenje  eine  \o\d)c  93ebeutung  nidjt  f)aben  fotlten.  Unb  ba§  9Zeröen= 
ft)[tem  ift  njieber  in  feinem  pt)i)fioIogifc^en  Seben,  feiner  (Srnäf)rung, 
fo  innig  mit  bem  ganzen  leiblidjen  Seben  üernjac^fen,  ba^  audj  feine 
Sfolierung  in  ^infidjt  auf  haS^  pfijc^ifdje  Seben  n}iUfürüc^  erfc^einen 
muB.  Überf)aupt,  fängt  man  einmol  an,  im  2äht  Steile  auS^ufdieiben, 
bie  nid)t  unmittelbar  gum  feelifc^en  Seben  in  Sejie^ung  fte^en,  fonbern 
it)m  nur  aU  äußere  2öer!äeuge  bienen,  bann  »irb  man  aUmöf)Iid)  auf 
bie  monabologifc^e  Stnfic^t  jurüdgebrängt.  5IIfo  bie  ^noc^en  unb 
Sänber  nnb  9)iu§fetn,  fo  njürbe  biefe  bann  fagen,  galtet  auc^  i^r  für 
nid^tä  aU  einen  öuBerIid)cn  9LRed^ani§mu§,  beffen  bie  @eele  fid)  be= 
bient,  im  @runbe  nidjt  anber§,  mie  eineg  ^ebelg  ober  gIofd)enäuge§; 
ha^  9^erüenft)ftem  allein  ift  %xäQtx  be§  feelifdjen  ßebeng.  Slber  bie 
perip^erifdjen  SIerüen  nid)t;  fie  bienen  offenbar  bloB  at§  2eitung§= 
bahnen,  alfo  a(§  öufeere  SSerfäeuge.  ö§  bleiben  bie  3^"tratorgane 
be§  D^eröenf^ftemä  al§  3;;räger  be§  feelifc^en  SebenS.  5lber  aud)  biefe 
nict)t  gan§;  bie  3^afern  ttjerben  auc^  t)ier  biefelbe  gunftion  ^aben,  at§ 
£eitunggbat)nen  ju  bienen,  fie  gehören  alfo  §um  äu|eren  ÜJZedjaniämug. 
<Bo  bleiben  bie  ©anglienjeUen,  befonberS  bie  großen  SOkffen  ber  §irn= 
rinbe.  Stber  tt)a§  ^inbert,  bie  S3etrad)tung  fort§ufe|en  unb  ju  fagen, 
baf5  aud)  bie  ©anglien  niieber  nur  al§  9JätteI  bienen;  5ßerfud)e  unb 
patt)oIogifdje  Sefunbe  geigen  ja,  ha'i^  fein  einziger  Xeil  be§  ©efjirn^ 
für  ben  33eftanb  be§  (Seelenleben^  unentbe!§rf)Iic^  ober  unerfe|Ii^  ift. 
©olt  bod)  unter  Umftänben  Regenerierung  ber  ganzen  einen  §emifpf)äre 
o'^ne  beträc^ttidje  (SinbuBe  be§  (Seelenleben»  ertragen  merben;  alfo  mar 
aud)  fie  nur  ein  äußeres  unb  nid^t  unentbel)rlid;e§  9)iittel,  Unb  mie 
foll  man  fid^  ha^  S3er!^ältni§  ber  beiben  .^emifpf)ören  jum  (Seeten= 
leben  oorfteßen?  9J?üBten  mir  nid)t,  menn  fie  unmittelbar  Zväg^tx  be« 
(Seelenlebens  mären,  b.  1).  menn  ben  p^t)fifd)en  3Sorgängen  in  i^nen 
unmittelbar  iöemu§tfein§öorgönge  entfpräc^en,  eine  regelmäßige  3)oppeI= 
^cit  aud)  ber  pfi)d)ifd)en  SBorgänge  ermarten?    2)a^er  ift  geraten,   im 

»paulfen,  (liiUeituiig.    ü.  Shifl.  10 


146         I-  S5ud^:  SKetap'^l^fif.     1.  Kapitel:  ®a§  ontologifc^e  «ßroblem. 

letblic^eit  Seben  mit  ©infc^Iu^  be§  9^ertienjt)ftem§  üBert)aupt  nicf)t§  a(§ 
ein  @t)ftem  äußerer  StRittel,  al§  einen  9Jiec^ani§mu§  ju  fef)en,  beffen 
bie  an  firf)  immaterielle  ©eele  fid^  bebient,  um  mit  ber  Umgebung  in 
mannigfacf)[te  93eäie^ung  ju  treten. 

®ie  ©arf)e  jdjeint  bemnac^  ouf  entmeber  —  ober  ju  ftet)en:  ent= 
meber  man  betrad^tet  ben  gangen  Seib  mitjamt  bem  SIerüenfijftem  at§ 
ein  ©tiftem  üon  äußeren  3JJittetn  ber  Seele,  ober  man  jiet)t  in  bem 
gangen  leibüdjen  ßeben  bie  firf)tbare  ®ar[tellung  ober  ha§>  pt)t)TOe 
tquitialent  be§  Seelenlebens.  (Sine  Teilung  beg  SeibeS,  \o  bafe  allein 
beftimmte  ^artieen,  etma  bie  9linbenfubftanä  be§  ®et)irn§,  Präger 
feelifc^er  SSorgänge  mären,  !ann  für  eine  erträgüdie  SluSfunft  fc^mer= 
(ic^  gelten,  können  mir  nun,  au§  ben  früher  angebeuteten  ©rünben, 
gu  ber  er[ten  Stnficljt  nicf)t  5urücffef)ren,  fo  muffen  mir  un§  entfdjlie^en 
§u  fogen:  ha^  P^t)fifcl)e  Siquioalent  be§  feelifc^en  2eben§  ift  bie  (5}efamt= 
^eit  ber  p:^t)fiologifd)en  ßebenSproseffe;  jebem  pl)i)fifcf)en  9J?oment  ent= 
fpric^t  ein  ^ft)cl^ifcl)eg,  ber  ^aralteli§mu§  ift  burdigöngig.  Sfiatürlid), 
id)  mieberf)ole  e§,  nicl)t  ein  lofaler  ^aralleli§mu§:  überaü  bo,  mo  fid^ 
ein  pt)t)fif(^er  Sßorgang  gutrögt,  finbet  and)  ein  pft)cl)if(^er  ftatt,  ha§> 
ift  eine  finnlofe  ^^ormel;  fonbern  ein  ibeetter:  einem  bnrd)bringenben 
33erftanbe,  bem  in  gleicher  Söeife  ber  gefamte  leiblicl)e  35erlauf  unb 
ber  gefamte  innere  SSerlauf  offen  läge,  märe  e§  möglid),  §u  jebem 
5?organg  im  leiblichen  ßeben  einen  !orrefponbierenben  SSorgang  im 
feelifc^en  Seben  nadigumeifen,  einen  bemühten  ober  unterbemufeten. 
gür  jenen  burc^bringenben  SSerftanb  mürbe  fid)  ein  Seelenleben  ja 
nid)t  in  ber  ©eftalt  ber  bünnen  ^ette  oon  bemühten  SSorfteüungen 
barftellen,  fonbern  al§  eine  unenblic^  fompligierte  9J?annigfaltig!eit 
gleid)geitiger  bemühter  unb  minber  ober  unterbemuBter  SSorgänge;  bem 
eint)eitlid)en  ©efamtoerlanf  ber  leiblichen  ßebenSprogeffe  mit  feinen 
jaPofen  2;eilt>orgängen  entfpröc^e  ein  ©efamtoerlanf  feelifcl)en  2eben§ 
oon  gleicher  Äompligiertl)eit  unb  gleictier  5lbftufung  ber  ^ebeutung,  bie 
in  ben  Stufen  ber  S3emufett)eit  erfdjiene. 

Sluf  biefe  Slnfic^t  fdjeint  and)  bie  biologifcl)e  unb  bie  ent= 
midelung§gefcl)id)tlict)e  93etrad)tung  gu  fül)ren.  3n  ben  nieberften 
formen  tierifc^en  ßebenS  finben  mir  !ein  9^ertienfl)ftem,  haS^  feelifcf)e 
ßeben  baran  gu  t)eften.  ®er  Körper  ber  ^rotiften  meift  übert)aupt 
nid)t§  oon  einem  ßentrum  auf,  in  ha§^  man  ben  Si|  be§  Seelenlebens  lieber 


7.  SBefen  b.  ©eele:  Slftuatiftifrfie  u.  fubfiantialiftifc^e  Stuffofjung.  ©i§  int  Seibe.    147 

Qlg  an  jeben  onbern  ^unft  be§  ©t)[tem§  öerlegen  foUte.  S)er  gonje 
Körper  erjd^eint  al§>  eine  Hnfjäufung  gtetdiförmiger  unb  gleich 
funftionierenber  organifc^er  ©ub[tan§.  SSirb  fie  geteilt,  fo  ift  jeber 
3;eit  Ieben§fät)ig  unb  übt  alle  biefelben  ^unftionen  rt)ie  ha§^  ©an^e, 
reagiert  auf  Steige,  nimmt  9kf)rung  auf,  baut  ein  ©e^äuje  u.  f.  f.  „Snt 
^rotiften!5rper  befteijt  fein  ein^eit(id^e§  pft)rf)ifd^e§  Zentrum,  ber  ©i^ 
ber  pfi)(^if(f)en  5^orgänge  ift  öielmetjr  jebe§  fteinfte  ©tücEc^en  ^roto= 
ptaSma."*)  Sft  ber  organifd)en  3JJaterie  urfprünglic^  an  jebem  fünfte 
33efeelt(3eit  eigen,  fo  ift  nid^t  obsufetjen,  ttjie  fie  biefelbe  fpäter  foHte 
ööllig  eingebüfot  ()aben;  ^^"t^Q^^f^^'^ii'iS  "^^^  P()^f^f<i)e»  SebengprogeffeS 
auf  f)öf)eren  (£ntit)i(felung§ftufen  ift  mit  llmbilbung  be§  2eben§  ber 
STeile  begleitet,  aber  nid)t  mit  95ernici^tung.  «Sollte  nic^t  auf  pfi)d;ifc^em 
©ebiet  ein  St^nlic^eS  ftattfinbcn.  Slucf)  baran  toäre  ju  erinnern,  bafe 
ha§>  pf)i)fifd)e  S)afein  jebe§  ßcbemefen§  norf)  immer  in  ©eftalt  einer 
3etle,  ber  befrurf)teten  ©i^eüe,  beginnt.  ^Beginnt  bemnad^  ber 
pf)tlfio(ogif(f)e  SebenSprogeB  o^ne  ein  bifferengiierteö  9?eröenfl)ftem,  unb 
beginnt  mit  bem  pl)l)fioIogifc^en  Seben  gugleid^  ha^  pfi^c^ifd^e  Seben 
(ober  meldten  fpäteren  3^itpunft  fijnnte  man  o^ne  SSillfür  bofür  er= 
fe|en  ?),  fo  möre  auf  ber  erften  ®tufe  beg  götallebeng  nod^  immer  ba§ 
pft)cf)ifcl^e  Seben  an  ben  gefomten  leiblichen  SebenSprojefe  gefnüpft. 

jDem  na()e  üegenben  (Sinmanbe,  ha'^  mir  bod^  t^atföcf)Iicf)  oon 
folc^er  unitierfeüen  ^orrefponbenj  nic^t§  müßten,  0ielmef)r  taufenb  S8or^ 
gänge  be§  leiblidfien  Seben§  ol^ne  begleitenben  53ett)u^tfeinst)organg 
blieben,  märe  burd)  bie  ^inmeifung  auf  bie  frühere  23etrad^tung 
(@.  126  ff.)  gu  begegnen:  nidjt  aUt§>,  ma§  (SIement  be§  Seelenlebens 
ift,  braudjt  barum  ©egenftanb  ber  Selbftroa^rnei)mung  im  ^öemufetfein 
ju  fein.  Sm  33emuBtfein  ift  nur  ein  überaus  geringer  Xeil  be§  ge- 
famten  Seelenlebens,  \)a§>  mir  bod;  oorauSfe^en  muffen,  um  bie  55or= 
gänge  im  ©emu^tfein  gu  fonftruieren.  S)en  leibüdien  SSorgängen,  bie 
nidjt  in  bemühten  Seelenoorgängen  if)re  33egleiterfd)einung  l^aben, 
merben  unbemufete  ober  unterbemu^te  entfprec^en.  3)ie  oegetatioen 
^^ro^effe,  bie  innerorganifd^en  SSorgänge  beS  beftänbig  ablaufeuben 
@toffmed)fetS  in  allen  Steilen  beS  £eibeS,  mit  ben  entfpred^enben 
©anglienerregungen  beS  fi)mpatf)ifd^en  S'JeroenfQftemS,  l^aben  an  irgenb 


*")  'S)l  Sßerworn,  ^^jft)C^o=»p^t)fioIo9ifd)e  ^ßrotiftenftubien  ©.  211, 

10^ 


148         I-  S3uc^:  mttapi)t)\it.    1.  Äapitel:  2)ag  ontologifc^e  Problem. 

tt)e(d;en  minimalen  ©efütjISerregnntjen  unb  ©trebungen  i'^re  pfijdjifrfien 
5(quit)Qlente;  ober  biefe  bleiben  nnter  ber  @rf)tt)eüe  be§  33ett)uBtjein§; 
nnr  eine  ©ummierung  oller  fommt  etoa  in  ©eftalt  eine!  @emein= 
gefü^lS,  einer  organijd)en  Sebenöftinimung  gum  33elüuBtjein,  ober  bilbet 
üie(mef)r  ben  mei[t  !aum  merflidjen  ^intergrnnb  aller  53ett)nBtfein§= 
üorgänge.  ^nx  nnter  befonberen  llm[tänben  ergeben  fid)  einzelne  @e= 
füt)Ie  au§  jener  ©ruppe  ju  einer  ©tär!e,  ha'i^  jie  in§  Sefönfetfein 
fommen,  eg  gefd)ief)t  regelmäßig  bann,  n^enn  irgenb  irelc^e  ©törnngen 
5U  bebro^Iid^er  ^ö^e  anmad)jen  unb  eine  Stbijitfe  forbern,  fo  in  ben 
@efüt)Ien  be§  §unger§,  be§  Surftes,  ber  9J?übig!eit,  ber  Sltemnot  ober 
in  @efü{)Ien  ber  Sefriebigung,  inenn  bem  $8er(angen  entfprod)en  mirb. 
Sn  biefem  3^alle,  tt)ürben  tt)ir  nun  annefjmen,  finbet  aud)  ein  ent= 
fpred^enber  pfjQfiologifc^er  35organg  in  bem  centralen  Sleroenfviftem  [tatt, 
tt)äf)renb  in  ber  Sfiegel  bie  SSorgänge  be§  ©toffwedjfelg  im  engeren  Ärei§ 
nerloufen  unb  \)a§>  @e!)irn  nidjt  in  9JätIeibenj(^aft  jietien. 

dagegen  führen  ßwiammenftöße  be§  Ieibtid}en  2ihtx[§:  mit  ber 
äußeren  Umgebung  in  ber  9f?egel  gu  9Jerüenerregungen,  bie  bi§  gum 
©e^irn  fortgepflanzt  merben.  33erür)rungen  ber  Oberflädje  be§  Körpers 
treffen  überall  auf  ©ubigungen  oon  fenfiblen  9Zeroen,  bie  bie  ©rregung 
bem  3'^ntralorgan  jufü^ren.  83efonber§  au§ge§eid)nete  fünfte  ber  Dber- 
flädje  finb  bie  @inne§organe ;  ein  fomplijierter  Stpparat  pfton^t  jebe 
leifefte  ©rregung,  g.  33.  burc^  Stttjermellen  ober  (£r§itterungen  ber  ßuft, 
gum  @et)irn  fort.  Studj  biefe  Erregungen  finb  nid)t  alle  mit  beU)ußten 
pfl)c^ifd)en  ä^orgängen  begleitet,  bie  taufenb  Serül)rung§=  unb  ©e= 
njegungSempfinbungen,  bie  Oon  ber  gangen  5^örperoberfläd;e  beftänbig 
erregt  merben,  bleiben  meift  unter  ber  ©djmelle  be§  Semußtfein^;  fie 
finb  oort)anben,  mie  fid)  in  ber  S)ireftion  ber  Haltung  unb  33emegung 
be§  Äörperö  geigt,  il)r  äöegfall  ^at  Unfid)erl)eit  ber  S^emegungen  gur 
golge;  fie  fönnen  aud)  jebergeit  in§  Semußtfein  ert)oben  merben,  fo= 
balb  fid)  bie  ?lufmerffam!eit  barauf  ridjtet;  aber  in  ber  Siegel  bleiben 
fie  unterberoußt.  ©benfo  bleiben  auc^  taufenb  (Sinne^empfinbungen,  bie 
ha^  5Iuge  unb  Of)r  un§  in  jebem  Slugenblid  anführt,  unterbemufjt, 
mir  fet)en  unb  ()i)ren  mit  93emußtfein  in  ber  Siegel  nur  ba§,  ma§  gu 
unferen  augenblidlid)en  Slufgaben  in  Segietjung  ftel)t.  §at  bie  3luf« 
gäbe  überl)aupt  leine  Se§iel)ung  gur  SluBenmelt,  beulen  mir  etma  über 
ein  abftrafteg  Problem  nac^,   ober  t)angen   mir  ber  S3orftellung  einer 


7.  SBefen  b.  ©eele:  Slftualiftifc^e  u.  fubftantioIifHfctie  2tuffaffung.  Si^  im  Seibe.    149 

fernen  9}ergangenf)eit  nci6),  bann  fe^en  unb  ^ören  wir  geitroeilig  über= 
l^QUpt  nicf)t§;  haS'  fjeifet,  bte  Sf^eroenerregnngen  unb  bie  ®ef)irnt)orgänge 
finb  Quc^  bann  oor^anben,  unb  and)  bie  |)]i)d)ifdjen  Slquiüalente  fef)(cn 
ni(f)t;  njir  irerben  beffen  inne,  wenn  mx  \)iö^üd)  au§  unferen  2;räumen 
aufgeftört  werben,  n^ir  erinnern  un§  gang  beutlid^,  ujirüid)  bie»  ober 
jenes  eben  SSergangene,  bie  ©daläge  ber  ©(ocfe,  getjört  gu  f)aben,  c§ 
gelingt  jogor,  fie  nod^  nac^träglid)  gu  äätjlen;  aber  fie  öermod^ten  fic^ 
unter  biefen  Um[tönben  nicfjt  in§  SemuBtjein  5U  erfjeben. 

Stugenfc^eiutic^  i[t  bie§  eine  für  ben  ßeben§f)au§f)aU  ber  l^ö!)eren 
Stiere  rt)ol)It{)ötige  ober  nielme^r  notttjenbige  (Sinrirf)tung :  bie  inner= 
organifcf)en  5ßerricf)tungen  erregen  t)a§>  6erebrofpinaIft)ftem  in  ber  Siegel 
nid^t,  unb  ebenfo  bleiben  il^re  pf^cfiifd^en  Siquiüalente  unter  ber  (3rf)tt)eIIe 
be§  Seft)u§tfein§.  dagegen  irerben  bie  33e5ief)ungen  pr  2(uBcntt)eIt 
burc^  9^eröenerregungen,  bie  fid^  regelmäßig  gum  ß^^ntratorgan  fort= 
pflanzen,  repräfentiert,  unb  i^re  pft)d^ifd^en  Stquioalente  ^aben  eine 
größere  S3enjuBtfein§nä^e:  notürtid),  bie  (grljaltung  be§  2iere§  t)ängt 
ttjefentlid^  oon  ber  rid)tigen  S^eaftion  auf  bie  öußerc  Umgebung  ah; 
Slnpaffung  feiner  93en)egungen  an  bie  SSorgänge  ber  Stußennjelt  ift  für 
ein  2ier  bie  große  fiebenSaufgabe.  (S§  fielet  l^iermit  ät)nlid),  wie  mit 
einem  Sßotf§fi3rper.  ®ie  inneren  33orgänge,  bie  fid^  auf  ben  (Stoffe 
werfet  begieljen,  bie  mirtfc^aftlid^e  ^ptigfeit  ber  (ginjelnen,  i^r 
Familienleben,  ta^  »erläuft  im  engften  f rei§,  e§  !ommt  nid)t  gum 
©efomtbemußtfein,  e§  ift  alterbing§  in  feiner  «Summe  o(§  Untergruub 
be§  @efamtbert)uBtfein§  beftänbig  oorl^anben,  alle  bie  fleinen  Seiben 
unb  gi^euben  ber  (Singeinen  bitben  and)  etwaS  mie  eine  Seben^ftimmun^ 
beg  S3otfe§.  S)agegen  ift  ein  33ot!  für  bie  Serü^rungeu  mit  ber 
STußenmelt  ungemein  fenfibel,  jeber  ©rengoorfaü  ge^t  burtf)  alle 
ßeitungen,  unb  beftänbig  tjord^en  taufenb  Ct)ren  nac^  bem  (Staube  ber 
internotionateu  Regierungen  in  ber  3)ipIomatie. 

®a§  (SerebrofpinaIft)ftem  ()at  nun  bie  5hifgabe,  bie  äußeren  $8er= 
^ältniffe  be§  Organismus  gu  regulieren.  Seine  peripf)erifrf)en  @nbi- 
gungen  finb  für  bie  leifefte  Serü^rung  burdi  Suft  unb  2ltt)erttJeflen 
empfiubüc^;  Sf^erüenf afern,  bie  ifolierenbe  SeitungSba^nen  barfteflen, 
fül^ren  bie  Erregungen  unöermifc^t  gum  |]eutraIorgau,  biefeS  enblid^ 
fteßt  ein  St)ftem  öon  Organen  bar,  meld)e  burdj  bie  Siieroenerregungen 
bauernbe  2)iSpof{tionen  annef)men.    S)urd^  biefe  ©iSpofitionen,  bie,  oon 


150         I-  93uc^:  Tlttapi)t)\it    1.  Äa^itel:  ®a§  ontoIogtfd)e  ^robtem. 


hex  p\i)ä)i\(i)tn  Seite  gefe!E)en,  ba§  ©ebäd^tniS  bilben,  lüirb  bann  bei 
fotgenber  Ülei^ung  foiüot)!  ber  nerböfe  SSorgang  im  ^^^^^ralorgon 
(pit)d^ijd;:  bie  Slpperjeption)  aU  bie  9iea!tion  (ber  @ntf(i)InB)  be[timmt. 
Sie  Ä^on^entrierung  auf  bieje  53erüt)rungen  unb  9fiea!tiDnen  f)at  bie 
Sjolierung  gegen  bie  innerorganifdjen  (Erregungen  gur  3Sorau§je|ung, 
ober  pfl)d)if(^,  bie  @nt[tet)ung  einer  SSor[teüung§n)eIt,  bie  ©nüüicEetung 
eines  gciftigen  SebenS  fe^t  eine  gen^iffe  Slbjdjlie^ung  be§  SenjuBtjeinä 
gegen  bie  organifi^en  @efüf)Ie  t)orau§. 

S)ie  (Sntmidelung  märe  bann  f o  gu  !on[truieren :  auf  ber  nieberften 
@tufe  tierifc^en  ßebenS  ift  bie  Senfibilität  für  Sfteije  über  ben  ganzen 
Seftanb  be§  2eibe§  gteic^möBig  öerbreitet;  bie  S8erüt)rung  an  jebem 
^unft  ruft  eine  lo!aIe  ober  allgemeine  S3emegung§reaftion  f)eröor;  jeber 
^ßorgang  ift  begleitet  mit  irgenb  einem  pft)cf)ifcl^en  Stquiüalent,  ha^  Ujir, 
aug  unferem  Seelenleben  hinein  interpretierenb,  ül§>  @efüt)I  unb  ©trebung 
beuten,  ©benfo  finb  bie  innerorganifdjen  33orgänge  mit  entfprecfjenben 
pft)d)ifd)en  SSorgängen  begleitet.  Sine  äufammen^angglofe  unb  in= 
bifferenjierte  SSiett)eit  folcfjer  3IugenbIi(i§üorgänge,  ha§>  ift  bie  g^orm 
be§  niebrigften  Seelenlebens.  SJJit  ber  auffteigenben  (Sntmidetung 
merben  bie  93e§ie^ungen  §ur  Slufeenmett  immer  mannigfaltiger  unb  oer- 
micEetter,  bie  Stufgobe  ber  2ebenSert)attung  forbert  immer  mannig- 
faltigere unb  feinere  Slnpaffung  beS  S3ert)alten§  an  bie  ßuftänbe  unb 
SSorgönge  ber  StuBenmeÜ.  5(IS  Organ  für  biefe  Seiftung  mirb  ba§ 
9'Jerüenft)ftem  auSgebilbet;  in  if)m  mirb  bie  Senfibilitöt  für  (Erregungen 
burd)  bie  StuBenmelt  immer  met)r  gefteigert  unb  bifferenjiert,  unb  in 
bemfelben  9Jiafee  fd)rumpft  fie  in  ben  übrigen  STeilen  ber  organifd)en 
Subftanj.  SJÜt  ber  ^^^t^o^ifa^ion  ber  Senfibilität  ge^t  bie  ber  9fie- 
a!tion§betüegungen  §anb  in  §anb;  bie  ßentralorgane  be§  9^eroenft)ftem§ 
finb  regutierenbe  Äontroüapparate,  burd)  meldte  bie  urfprünglidj  011= 
gemeine  9iea!tionSfät)ig!eit  ber  organifdjen  ©ubftan^  eingefdjränft  mirb. 
—  3)iefem  (EntmidelungSprose^  be§  organifd^en  SebenS  ge^t  ber  be§ 
feelifd)en  jur  Seite;  burd^  bie  StuSbilbung  ber  (Empfinbungen  unb  beS 
@ebäd)tniffe§  ttjerben  bie  organifc^en  ®efüf)Ie  immer  mef)r  {)erabgebrüdt, 
ba§  Spiet  ber  S^orftellungen  beginnt  unb  mit  it)m  ha§  Semufetfein  im 
eigentlidjen  Sinne,  ha§>  nid)t  o^ne  bie  93e5iet)ung  eines  pft)d)ifd)en 
Clements  auf  ein  ®an§eS  gebadjt  iüerben  fann. 

S(^  !omme  ^um  Sc^Iufe  biefer  ganzen  93etrad)tung.  Se|t  man 
Seelenleben   unb   bemühtes  2)en!en   gleid;,   bann   fommt  man   bal)in, 


7.  SBefcn  b.  ©eele:  Stttuoliftifd^e  u.  jubftantioltftifc^e  SluffoffunS-  ©i&  int  fieibe.    151 

tt)of)in  bie  dortefianer  burc^  if)re  ©rflärung  ber  @eek  al§  res  cogitans 
gefüf)rt  luurben:  ben  Vieren,  übert)aupt  ben  untermenfcl^Iirf)en  SSefen 
bie  ©eete  abjufprec^en.  Sft  bagegen  and)  im  9}?enjrf)enleben  ba§  be= 
lüuBte  :^or[teüen  unb  ^Denfen  nirfjt  ba§  @Qn§e,  giebt  e§  unter  ber 
Dberflödje  ein  unterben^uBteö  (Seelenleben,  fo  f)inbert  nid^til  ,^u  benfen, 
ha'^  e§  oud)  Seelenleben  giebt,  in  bem  e§  ju  einem  Semufetfein  in  ber 
SSeife  menjdjlid^en  @elb[tben)u§tfein§  überhaupt  nid^t  fommt.  @elb[t= 
bemuBtjein  je^t  2Se(tbeh)uBtjein  mit  ou^gebe^nter  Erinnerung,  ja 
©attungSerinnerung,  b.  f).  gef(^icf)tlid)e§  SeUJU^tfein  öorau§:  ©elbft= 
bemu^tfein  im  eigentlicfien  ©inne  t)at  ha§>  ^d)  nur  al§  gef(i)ic^tlicf)e§ 
SBefen.  @o  tt\üa§^  werben  mir  ben  STieren  nic^t  §uf einreiben;  and)  bos 
flügfte  Xier  fönnte  jeine  Seben§gej(^irf)te  nic^t  ergäfilen.  ^^x  <See(en= 
leben  mirb  bem  äf)nlid^  fein,  ta^  mir  in  un§  unterhalb  be§  felb[t= 
bemufiten  SDenfen§  unb  2öolIen§  ontreffen.  (S§  mirb,  in  aümät)(idf;er 
?tb[tufung,  bie  35or[teIIung§feite  mef)r  unb  met)r  fd^minben,  bie  @r= 
innerung  immer  fürjer,  bie  2BQf)rnet)mung  immer  bürftiger  merben; 
bomit  mirb  and)  ber  SSiüe  immer  mef)r  bie  gorm  öorau§fcf)auenber 
3ielfe|ung,  bemühten  SSerlangeng  ober  93ege'^ren§  üerlieren,  big  f(f)IieB= 
lid)  aU  Snf)alt  be§  (Seelenlebens  nichts  al§  ein  inomentaneS  STrieb- 
gefüf)!  bleibt,  ha§>  bnxd)  bie  93erül^rung  mit  ber  Umgebung  au^gelöft 
mirb.  innere  SSorgönge  üon  joldjer  Hrt  mären  aU  bie  Segleiterjcfjeinungen 
5U  ben  Semegunggüorgängen  and)  jenjeitS  ber  ©renje  be§  organifc^en 
Sebenä  §u  fonftruieren. 

®amit  märe  benn  gegenüber  ber  materialiftijd)en  eine  ibeoüftifd^e 
ober  fpirituali[tijd)e  Ontotogie  begrünbet.  ©ie  beruht  mefentlid^ 
auf  ber  paraüeliftifdjen  Xt)eorie  üon  bem  33er;^ättni§  be§  ^^l)fifrf)en  unb 
^fi)(^ifd)en,  unb  auf  ber  ootuntariftifd^en  ^ft)d)o(ogie.  S^ren  Slbfdjlu^ 
aber  finbet  fie  in  ber  moniftifd^en  Söfung  be§  !o§moIogifc^en  ^roblemS, 
5u  bem  mir  un§  nun  menben. 


gtoeites  Kapitel. 

1.  S^otfac^cn  unb  .^^pot^efen. 

®ie  ^rage  narf)  bem  SSefen  be§  2öirfli(i)en  mac^t  ha§>  ontologifdie 
^ro6Iem  au§.  ®a§  fo§mo(ogifcf)e  Problem  i[t  bie  ^rage  nadj  bem 
3ufammenf)ang  be§  SBirflicfien  unb  feiner  ©ejamtgeftaltung. 
ScE)  be^eidine  §unäd^[t  bie  Srf)atfacl^en,  tüoburd)  bie  O^rage  aufgegeben 
lüirb. 

®er  gemeinen  SSorfteüung  erfc^eint  bie  SSelt  al§  eine  53ierf)eit 
felbftänbiger  Singe,  beren  jebe^  fein  Safein  unabf)ängig  öon  oüen 
übrigen  f)at  ?(llerbing§  bleiben  fie  nid^t  üöüig  gleichgültig  neben  ein= 
anber,  fie  [tei)en  in  Sejieljungen  gu  einanber,  fie  lüirfen  auf  ein  = 
anber.  Sorf)  ift  biefer  3i^fömmenf)ang  burcf)  Sßec^fe(n:)irhing  für  ta§> 
Safein  jebe§  (SIementg  an  fid)  entbe^rtid). 

3^affen  tt)ir  bie  @arf)e  etma§  genauer  in§  2luge,  fo  ergeben  fld) 
ein  paor  bemer!en§luerte  weitere  Sf^atfac^en.  3^^^*^  2ßir!en  unb 
ßeiben  finbet  nid)t  bloß  gelegentlid)  unb  ^in  unb  mieber,  fonbern 
beftönbig  unb  allgemein  ftatt.  Seber  Seil  ber  SSirfüd)feit  ftef)t 
mit  jebem  anbern  in  unau^gefe^ter  SSec^felmirfung.  Bo  (e§rt  bie 
^f)t)fif.  (Sin  ^i^Qetftein  füllt  oom  Sad;.  SBir  fageu,  bie  (Srbe  ^ie^t 
if)n  mit  einer  ber  9J?affe  entfpred)enben  ^raft  an;  ha^  i)eifet:  feine 
S3emegung  mirb  in  jebem  3J?oment  beftimmt  burd)  bie  ^^'e§ief)ung  aller 
feiner  Seile  ^u  allen  Seilen,  bie  ben  Körper  ber  Srbe  au§mad)en. 
SBüre  bie  SJJaffe  ber  (ärbe  fleiner,  ober  märe  ein  Xeil  jeitmeilig  un= 
tt)ätig,  fo  mürbe  bie  Semegung  be§  3i^9<^^ftein§  eine  anbere  fein;  auf 
bem  9}lonbe  fiele  er  mit  geringerer,  auf  bem  Jupiter  mit  größerer  (55e= 
fd)roinbig!eit.  (Sbenfo  mirfen  alle  Seile  be§  (Steint  auf  bie  ©rbe, 
inbem  fie  il)r  einen  eintrieb  gur  S3emegung  in  ber  9ftid}tung  auf  ben 
gemeinfamen  @d^merpun!t  erteilen.     (?§  ftellt  fid^  un§  alfo   bie  Se= 


1.  3;f)at|ad^en  unb  ^t^pot^efen.  153 

tüegung  be§  ©teine§  al§  ein  Steil  einer  ©efamtbenjegung  bar,  bie  er 
mit  ollen  ^Teilen  ber  @rbe  gegen  einen  gemeinjamen  ßi^^pi"^^*  <Jii^= 
fü()rt,  ben  (Sd^n^erpnnft  bes  ©i)[teni§,  ©leidjjeitig  [te{)t  bie§  (Si)[tem 
gn  einem  größeren  ©t)[tem  in  bemfelben  SSerf)äItni§;  jebe  SSeränberung, 
bie  in  it)m  fidf)  gnträgt,  bie  !Iein[te  Verlegung  be§  ©djinerpunftä  mirft 
anf  bie  Semegnng  be§  gefamten  ^Ianetenft)ftem§  jnrücE.  Unb  biefe§ 
[te^t  iüieber  in  SSecfjfetoirfung  mit  einem  n^eiteren  ^rei§,  einem 
9}?il(f)[trQBenfl)[tem,  ju  befjen  .^onftruftion  freilief)  nn§  bie  ^t)Qtfad)en 
nodj  fe{)(en.  Stifo:  ade  9}?Qffentei(rfjen,  bie  neben  einanber  im  9iQum 
finb,  bilben  ein  eint)eitlid)e§  ©l)ftem  mit  einer  einfjeitlirfjen  93elDegung, 
in  ber  jebe  Senjegung  eine§  XeilS  ot§  SEeilbehjegung  befrf)(offen  unb 
beftimmt  i[t. 

2?erjelbe  3iif'^'"'n^"^)'^"9/  ^^^  ^^^  S3ert)egungen  im  9Raum  §u 
einer  aUumfaffenben  ©in^eit  gufQmmenjd^fieBt,  befc^üe^t  fie  and)  §ur 
(Sinf)eit  in  ber  ^di.  ®er  |]iegel[tein  würbe  burd)  einen  ©türm 
t)om  '^ad)  geworfen.  Ser  Suftftrom  ift  bie  2öir!ung  ber  üerfdjiebenen 
@rtt)ärmung  öerfd^iebener  ^eile  ber  ©rboberflädje;  biefe  Urfac^e  felbft 
ift  wieber  bie  S23ir!ung  früherer  Umftänbe,  ber  Sett)blfung,  ber  9^ieber= 
fc^täge,  ber  9J?eere§ftrömungen,  ber  ©eftattung  ber  (Srboberpd)e  unb 
i^rer  Bewegung,  unb  fo  fort  in§  Unenblid^e.  §ätte  ein  üollfommener 
Üled^ner  bie  SDJaffen  unb  i§re  Sage  unb  Bewegung  gegen  einanber  in 
irgenb  einem  beliebig  fernen  ßeitpuntt  ber  ^ergangent)eit  genau  in 
Stnfdjtag  gu  bringen  oermod)t,  fo  wäre  er  aud^  imftanbe  gewefen,  ba§ 
(Sintreteu  biefe§  ©reigniffeS  jn  biefer  ß^it  an  biefem  Ort  t)orau§= 
gufef)en,  wie  ber  5Iftronom  ha^  ©intreten  be§  9J?onbe§  in  ben  (£rb= 
fdjatten  auf  bie  ©efunbe  öorauS  beredjuet. 

2Bir  Werben  atfo  auf  bie  g^ormel  geführt:  alle  33ewegnngen  in 
ber  unenblid)en  ^txt  unb  beut  unenblidjen  9\aum  bilbeu  in  2öaf)rf)eit 
eine  einzige  Bewegung;  bie  Ä^ör^3erwelt  ift  ein  ein^eitlidjeg 
©^ftem  mit  einer  einzigen  S3ewegung,  gu  ber  fid)  alle  ©injel* 
bewegungen  aU  mit  bem  ©anjen  gefeilte  STeite  nertjalten.  Ober  mit 
Seibnij:  „jeber  Körper  fpürt  aUeS,  toa§'  fid)  in  ber  ganzen  SSelt  ereignet, 
fo  baB  jemanb,  ber  aüeS  fief)t,  in  jebem  einzelnen  lefen  föunte,  wa§ 
fic^  überall  begiebt  unb  baju  atteg,  wa§  fid^  begeben  I)at  unb  begeben 
wirb,  inbem  er  in  bem  Gegenwärtigen  ta^^  in  ßdt  unb  9taum  g^erne 
wat)rnimmt."     (9JionaboIogie,  §  61.) 


154    I.  93uc^:  mttapi)t)]il  2.  Kapitel:  ®o§  Io§moro9ifrf)=tf)eoIogifc^e  «ßroblem. 

Sine  5rt)ette  3:f)QtJQd^e,  bie  in  ber  ßonftitution  Der  SSelt  bebeut* 
fant  ^eröortritt,  ift  bie  ^errfc^oft  allgemeiner  ®efe|e.  ©o  groB 
ift  bie  ©leic^artigfeit  ber  Elemente,  bn§  bog  Sßer^olten  aller,  tüenigftenS 
nac^  gettjifjen  ©eiten,  burcf)  einfädle  Formeln  au§gebrücft  ttjerben  fann. 
Sie  @efe|e  ber  2)?ec^anif,  ober  ba§  ®raüitation§gefe^  jinb,  \o  nehmen 
njenigftenS  ^f)t)fi!  unb  Slftronomie  an,  ber  genoue  5tuöbrucf  für  ba§> 
Sßerf)oIten  jebe§  9J?ajjenteiId)en§,  ha^  irgenbnjo  im  unenblidjen  9ioum 
fic^  finbet,  irgenbujann  in  ber  unenbtidjen  ßeit  t^ätig  i[t;  jebe§  fönnte 
on  bie  ©teile  jebe§  ber  3J?affe  nacf)  gleicfien  jubftituiert  werben,  o'E)ne 
baB  eine  S3eränberung  im  äöeltlouf  einträte.  Sieje  ^omogeneitöt  aller 
2;ei(e  ber  2öir!lic^feit  ift  offenfior  für  nnfer  SDenfen  ni(f)t  eine  not= 
rtjenbige;  e§  n^äre  bur(f)an§  benfbar  unb  bei  ber  3Sorau§fe|ung,  ha^ 
bie  Sßelt  ou§  bieten  abfolut  felbftänbigen  Elementen  befielt,  eigentlicl) 
eine  nal)e  liegenbe  (SrttJartung,  ha'B  biefelben  alle  ntögtid)en  SSerf(^ieben= 
f)eiten  be§  Sßer]|alten§  S^igen.  ®onn  xoäxt  9laturtt)iffenfc^aft  in  bem 
je^igen  ©inne  nic^t  möglid),  üieüeic^t  überljaupt  nirf)t  möglirf).  2)oB 
e§  ber  ^aii  ift,  ift  für  unfer  2)enfen  ein  glücltidjer  ^iif^ü- 

^ier^u  fommt  enblicf)  eine  britte  bebeutfame  2:f)atfac^e:  bie 
!o§mifdje  ©lieberung  ber  233irtlic§feit.  ®a§  gro^e  ein^eittidfie 
©i^ftem,  bo§  Uiir  bie  SSelt  nennen,  geigt  eine  9leigung  gu  einer 
eigentümlid^en  5(norbnung  feiner  ^eile,  bie  S^ieigung  nämlid),  fic^  in 
fleinere,  relatiö  in  fid^  gef(f)loffene  ©tifteme,  mit  einer  ebenfo  relotiö 
gefd^loffenen  33en)egung§ein^eit  §u  gliebern.  ®a§  umfaffenbfte  ©t)ftem, 
ha§,  un§  überfel)bar  ift,  ift  unfer  ^lanetenfijftem;  felbft  ein  retatio 
in  fid^  gef(f)loffene§  STeilfijftem  eine§  ©t)ftem§  f)öl)erer  Drbnung,  gliebert 
e§  fid)  ttjieber  in  üeinere  (£inf)eiten,  bie  §immel§förper,  bie  fid^  gum 
2;eil  felbft  njieber  al§  oielgliebrige  !o§mifd)e  ©tifteme,  Planeten  mit 
Trabanten  unb  Usingen,  barfteEen.  Seber  biefer  jTeile  geigt,  wit  bo§ 
gange  ©onnenfi)ftem,  g^llifd^e  Semegung  unb  einf)eitlid)e  (gntujidelung  : 
jeber  <^immel5förper  bemegt  fid)  in  periobifd^en  Umläufen  um  bie 
eigene  Std)fe  unb  um  ben  ^^^l^Q^^örper;  gugleid)  burdjläuft  er  eine 
9Reif)e  bon  ©ntmidelungSftufen,  bie  fic^  gu  einer  einl)eitlid)en  ®e= 
fdjid^te  gufammenfdjlie^en.  g^ür  bie  @rbe  finb  xd'xx  imftanbe,  if)re 
6ntn)idelung§gef(^id)te  njenigftenS  im  Umri^  gu  ffiggieren.  ?tuf  ber 
(Srbe,  bem  eingigen  un§  näf)er  befannten  §immel§forper,  treten  un§ 
n)ieber   üerfleinerte  ?Ibbilbungen   gleidjfam   jener  fo§mif(^en  ©in^eiten 


1.  S^atfod^eti  unb  §^potf)ejeu.  155 


entgegen,  bte  Organismen.  SSie  9Kifrofo§men  njieber^olen  fie  t)a^ 
SilbungSgefet^  ber  9J?af rofo§men ,  fie  [teilen  f leine  ein^eitlid^e,  ge= 
glieberte  (Si)fteme  bar  mit  einer  9tei^e  periobifc^  mieberfef)renber  35er= 
änberungen,  SIntumlauf,  5(tmung,  ©toffmec^fel,  @eneration§med)feI, 
bie  üon  einer  einljeitlidjen  ©efamtentmidelung  (Geburt,  ©ntmicfeinng, 
HIter,  STob)  nmfd)Ioffen  hjerben.  Überaü  laufen  biefe  Sßeränberungen 
in  relatiü  gefditoffener  ©in^eit  ah,  aber  mit  53e5ief)ung  auf  W  $8e= 
tt)egungen  in  bem  größeren  (Stiftern:  bie  ^f tanken  unb  Siere  fügen 
fid^  mit  it)ren  gijüifdjen  SebenSpro^effen  ben  5t)!Iifd^en  S3emegungen 
be§  (SrbförperS  ein;  ber  ©enerationätt^ed^jcl  folgt  im  ganzen  bem 
SSed^fet  ber  Saf)re§äeiten,  alfo  ber  SSemegung  um  ben  ß^i^^^'Q^fö^P^i^^ 
bie  fiebenSbet^ätigung  unb  ber  ©toffttjec^fel  fte^en  gu  bem  SBed^fe 
üon  2:ag  unb  9Zad)t,  alfo  ber  Sld)fenbref)uug,  in  engfter  S3eäief)ung. 
©nbtid^  löft  bie  ^t)t)fioIogie  bie  lebenben  Körper  mieber  in  fleinere 
(Sinfjeiten,  bie  ^tikn,  ouf,  bie  nod^malS  in  üerfleinertem  SJJaBftab 
benfelben  mi!ro!o§mifc^en  ß{)arafter  ^^eigen.  Unb  5ute|t  geigt  bie 
(Sf)emie,  baB  aüe  Körper,  organifc^e  unb  unorganifd^e,  ou§  üeinen 
©t)ftemen  beftet)en,  ben  SJJoIefüIen,  bie  fie  mieber  a{§>  ein  @piet  üor= 
aufgefegter  Steile  !onftruiert,  ber  5ttome.  §ier  bleibt  bie  5(nat^fe 
einftmeiten  fte^en,  ber  3"^""ft  überlaffenb,  and^  bie  Sltome  mieber  at§ 
5ufammeugefe|te  ©tifteme  gu  fonftruieren.  —  ©o  ftellt  unS  bie  9latur= 
n)iffenfd)aft  bie  3Sir!Iic^!eit  al§>  einen  burd^göngig  ein^eitüd^en  unb 
burdjgängig  gegüeberten  ^olmo§  bar. 

(5§  ift  leidjt  gu  fetjen,  ha'^  bie  geiftige  äBelt,  fo  üiel  lüir  öon 
if)r  erfennen,  benfelben  ߧaro!ter  geigt,  (Sinf)eit  unb  ©lieberung  finb 
aud)  l^ier  bie  ^erüortretenben  ©runbgüge.  (S§  giebt  in  ber  geiftig= 
gefd^id§tlid)en  2BeIt  fo  menig  mie  in  ber  p^t)fifd^en  üereingette  (Stemente, 
lnelmet)r  fdjIieBen  fid)  aUe  gu  einer  (Sinfjeit  geiftig=gefd)id)ttid)en  ßeben§ 
jufammen.  Man  ne^me  ein  beliebige^  (Singeüeben.  ©ein  ^xü)ait  tamx 
nid)t  befdjrieben  merbeu,  al§>  burc^  (Einfügung  in  ben  gefd)id)ttid;en 
3ufommen^ang;  bie  gange  3^itgefdjid}te  unb  bie  gange  SSergangen^eit 
ift  barin,  unb  auf  bie  gonge  3"^i^i^ft  9^^^"  ^i^  SBirfungen.  (Sine 
^öiograptjie  SeffingS  fann  nidjt  gefc^rieben  merben,  ot)ne  ta"^  ^^riebrid^ 
ber  @roBc  unb  Voltaire,  (Söge  unb  (SJottfc^eb,  Seibnig  unb  ©pinoga 
barin  tiorfommen.  Stber  jeber  tiefer  9lameu  ftellt  Ujieber  in  neuen 
Regierungen  gu  ^^itgenoffen  unb  SSorfafiren;   bie  gange   gefdjid)tlid^e 


156    I.93uc^:  SJtetap^^fif.  2.  Sapitel:  ®a§  fo^mologifdi-t^eologifd^e  Problem. 

SBett  be§  ftebgefjnten  unb  oi^tjefinten  3of)r^unbert§  bringt  'hinein,  unb 
nur  burd)  Sötüfür  fann  i>a§  (Singelne  f)erau§gelö[t  unb  für  firf)  bar= 
geftellt  loerben.  Unb  bie  ©ntftidelung  ber  S^eujeit  f)ängt  n^ieber  Quf§ 
innigfte  mit  S^enoiffance  unb  SfJeformation,  mit  SUättelalter  unb  5IIter= 
tum  gufammen;  unb  im  ©ried^entum  berüt)rt  firf)  ha§>  Slltertum  mit 
beut  Orient;  alle  biefe  ®inge  finb  bie  S^orausfe^ung  be§  geiftigen  Sn- 
f)Qlt§,  meldjen  mir  bo§  Seben  Sefjingg  nennen.  Man  fiet)t,  bie  gei[tig= 
gejcf)ict)tlic^e  SSelt  ift  eine  (Sint)eit,  mie  bie  pf)i)fif(i)e  SSelt:  5(üe§  in 
jebem  unb  jebe§  in  aüem! 

Unb  ebenjo  geigt  fid^  ouc^  ^ier  bie  DIeigung  jur  S3ilbung  üeiuerer 
relatiü  gejc^Iofjener  Greife:  bie  SJlenjctifieit  gliebert  fid)  in  5ßölfer, 
bereu  jebe§  eine  ©in^eit  geiftigen  fiebenS  bilbet,  in  firf)  §ufQmmen= 
gefc^Ioffeu  burc^  bie  ®int)eit  ber  ©prarfje,  morin  ber  geiftige  Qn^alt 
fic^  objeftioiert;  bie  SSöIfer  glieberu  firf)  mieber  in  (Stämme,  biefe  in 
Öonbfrfjaften,  bie  2anbfrf)aften  in  einzelne  Orte,  bie  Orte  in  gamitien, 
jebe  biefer  ©ruppen  ein  ein^eitfirfjer,  relatio  in  firf)  gefc^Ioffener  2ebeng= 
frei§  mit  eigener  @efc^irf)te  unb  eigentümlichem  geiftigen  3nt)Qlt.  2^ie 
leiten  (gint)eiten  bilben  bie  Subiüibuen,  in  bereu  jebem  bie  größeren 
Äreife  gu  einer  einzigen,  fo  nur  einmal  üorfommeuben  Sitbung  inneren 
2eben§  fpegialifiert  finb. 

5(Ifo,  bie  SBirflic^feit  ftetlt,  fo  öiel  mir  fe^en  tonnen,  ein  ein= 
t)eitlirf)e§,  gegüeberteS,  t)on  @efe|en  burrf)gängig  bet)errfrf)te§  ©l^ftem 
bar,  einen  Äo§mo§.  Sa§  ift  bie  S^atfac^e.  Unb  nun  erf)ebt  firf)  bie 
g^rage:  mie  f ollen  mir  biefe  Xt)atfarf)en  beuten  ober  fonftruieren?  SSo* 
t)er  fommt  e§,  ha^  bie  SSelt  nirf)t  eine  rf)aotifrf)e  S^iel^eit  gegen  ein= 
anber  abfolut  gteirfjgültiger  (Elemente  ift,  benfbar  märe  ja  aurf)  ba§; 
mot)er  fommt  bie  !o5mifrf)e  DIatur  be§  2BirfIirf;en,  bie  (Süeberung  unb 
bie  ßufammenfc^IieBung  aller  3)inge  gu  einem  einzigen  großen  2)urrf)= 
einaubcr  unb  ^üreinanber? 

(ä§  giebt  brei  SSerfurf)e,  biefe§  Problem  ju  löfen,  brei  fo^mo* 
Iogifrf)e  §t)potf)efeu:  ben  ?(tomi§mu§,  ben  antt)ropomorpf)ifrf)en 
^f)ei§mu§  unb  ben  ^ant^ei^mug. 

S)er  S(tomi§mu§  (ber  nirf)t  notmenbig  materiaüftifrf)  ift,  auc^ 
eine  ftreng  burrf)gefüt)rte  SOJonaboIogie  gehört  t)iert)er)  nimmt  an,  ha^ 
hnxd)  hü§>  btoBe  sufäUige  S^ebeueinanber  an  firf)  ööüig  felbftänbiger 
Urelemente  ber  Schein  ber  eiuf)eit  entftef)t.    ©in  urfprüngtirf)er  innerer 


2.  atomifttld^e  unb  teIeoIogii(!^=t:^eiftiycf)e  9taturer!tärung.  157 

3ufammen^ang  ber  SItome  ejiftiert  überhaupt  nid)t,  aber  inbem  fie, 
an  fid^  gteidjtjültig  gegeneinonber,  fid)  im  leeren  9iQum  belüegen  unb 
begegnen,  entftet)en  jene  oorüberge^enben  55erbinbungen,  bie  tüir  2)inge 
unb  3ufammenf)änge  üon  Singen  nennen;  inbem  unenblid)  oiele  Stemente 
im  unenblidjen  9?aum  unb  in  ber  unenblid)en  3^^*  fid)  burdjein* 
Quber  beiüegen,  müfjen  alle  möglidjen  Kombinationen  ^eitttieilig  tt)ir!lic^ 
ttjerben. 

S)er  antf)ropomorpt)ifd)e  X{)ei§mu§  befjauptet  bagegen:  e§  i[t 
nidjt  benfbar,  boB  bie  (5inf)eit,  ©lieberung  unb  Drbnung  ber  SBirfüd)« 
feit  ein  ©rgebni»  be§  ßufatlg  ober  blinbgefe|mäfeiger  93ett)egung  ift; 
bie  i^orm  ber  SSett  ift  nur  burd)  bie  SBirffamfeit  einer  nad)  ß^^cEen 
tätigen,  ©lieberung  unb  S3erlauf  in  ©ebanfen  oorau^netjmenben  bau= 
meifterlic^eu  Sutelligeng  ju  erflüren. 

3)er  ^^antt)eilmu§  eublid)  fei^t  ba^^  ^rinjip  ber  (Sin^eit  at§  ein 
ber  3SeIt  immanente^.  25ie  SSirftic^feit  ift  ein  ein§ige§  SSefen;  nid)t 
bie  ßint)eit,  fonbern  bie  SSieU)eit  ift  fe!unbär.  Ober,  bie  ©lemente  ber 
3Bir!(ici^!eit  finb  nidjt  felbftänbige  Singe,  bereu  Summe  haS^  &an^c 
auSmadjt,  fonbern  fie  finb  burc^  ha^^  ©anje  gefe|te  9J?omente,  in  ifjm 
feienbe  S3eftimmungen  ober  9}?obififationen  feine§  SBefenS. 

2.  Sttomiftifc^e  unb  tcIcologif^4^eifttfd)e  9?aturcrfliirung, 

Sie  Erörterung  ber  fonfurrierenben  ^t)pott)efen  beginne  id)  mit 
ber  SarfteHung  be§  ®cgenfa|e§  ber  atomiftifd)en  unb  ber  tf)eiftifd)en 
§t)potf)efe,  unb  ^Xüqx  junädjft  in  ber  ©eftatt,  luie  er  Sa'^rtaufenbe 
lang  ha§>  Senfen  ber  ÜJ^eufdjen  be()errfd)t  f)at,  t)a§t  f)eiBt  otjue  9iüd= 
fidjt  auf  bie  SSeränberuug  be§  ^robIem§,  wdd]t  in  unferem  Soi)r= 
t)unbert  bie  entwidelung^gefdjic^tlidie  Biologie  unb  5!o§moIogie  mit 
fic^  geführt  fjaben.  (S§  finb  bie  beiben  ^^(nfd)auungen,  bie  bem  ge= 
loütjulidjen  Senfen  and)  {jeute  nod)  am  näd^ften  liegen;  ber  5(tomi§= 
mu§  ift  oor^errfd^enb  in  ben  Greifen  ber  naturluiffeufc^aftlidjen  Sitbung, 
ber  anttjropomorp^ifdje  sn)ei§mu§  in  ben  Greifen,  bie  unter  bem  @iu= 
fluB  ber  !ird)Iidjen  ^^iIofopt)ie  ftel^en.  SSo^u  ic^  benn  gleid)  bemerfe, 
ba^  bie  Äirdjentetjre  in  einem  luefenttic^en  ©tüd  üon  ber  5tnfidjt,  bie 
id)  mit  bem  9cameu  be§  antf)ropomorpt)ifcf)en  2;f)ei§mu§  be^eidjne,  fid) 
unterfdjeibet,  barin  niimüd),  baB  fie  feine  fetbftünbig  feienbe  9J?aterie 
annimmt,   ha^  fie  @ott  nid)t  al§   93aumeifter,   fonbern   at§  ©djöpfer 


158    I-83ud^:  3J?etapf)t)fiE.  2.  ^apitth  S)o§  !o§moIogijd)4f)eoIogifd)e  5ßrobIem. 

ber  SSelt  au§  niii)t§  anfielt.  3)nmit  nähert  jie  ftrf)  ber  brüten  5(uf= 
foffung,  ber  pant^eiftijdjen,  \o  fef)r,  bafe  fie  begriff(icf)  öon  iJ)r  nic^t 
getrennt  tüerben  fann:  ein  SBefen,  ha'^  olle  übrigen  on^  nidjt»  erfdjafft, 
i[t  notttjenbig  \)a§>  einzig  felb^tänbige  ober  Jt)Qf)r{)Qft  jieienbe  SBefen. 
Singen,  bie  oon  it)m  erjdjaffen  nnb  im  Safein  erfjalten  merben,  fommt 
if)m  gegenüber  feine  ©elbftönbigfeit  gu;  fie  finb  im  ^er^ältni^  ,^u  @ott 
93et§ätigungen  unb  Seftimmungen  feine§  SBefenS.  Sie  Stllmac^t  !ann 
atleg,  nur  nid^t  ifjren  ®efd)üpfen  ©elbftänbigfeit  fid^  felbft  gegenüber 
geben,  fie  müBte  it)nen  benn  bie  Unerfd)affent)eit  geben  fönnen. 

Ser  Qntf)ropomorpf)ifd)e  Sf)eilmu§,  um  mit  feiner  SQr= 
[telinng  gu  beginnen,  ftü^t  fid)  etma  auf  folgenbe  S3ett)ei§füf)rung,  fie 
ttjirb  bie  teteotogifc^e  genonnt. 

Überall,  wo  wir  eine  S^ieUjeit  üon  (Elementen,  bie  ifjrem  Sofein 
nac^  oon  einanber  unabhängig  finb,  fo  angeorbnet  finben,  "öa^  fie 
burc^  i^x  3ufattimentt)irfen  regelmäßig  einen  finn=  ober  mertooUen 
(grfotg  I)erüorbringen,  ha  ne!)men  mir  an,  ha'iß  bie  Stnorbnnng  ber 
Seile  burc^  eine  Snteüigenj  bemirft  fei,  bie,  ben  ©rfolg  a(§  ^md 
moüenb,  bie  ßufammenfügung  ber  Seile  oI§  9J?itteI  \n§>  2Ser!  fe|te. 
3n  einer  Ut)r  j.  33.  finb  mk  Seile:  9ftäber,  Qap\m,  Steine,  ßeiger, 
Zifferblatt,  geber,  fo  gufammengefügt,  baf?  if)r  ßufammenmirfen  eine 
gleidjförmige  ^emegung  ber  ^tiQ^x  §ur  golge  t)at,  moburd)  bie  Ut)r 
§u  einem  geeigneten  2öer!§eug  ber  ^eitnteffung  mirb.  Sebermann,  ber 
ben  3med  fennt  unb  bie  SInorbnnng  ber  Seile  fielet,  fd)lieBt  fogleid) 
mit  3uoerfid)t  auf  einen  Urfprung  biefe§  Singe§  au§  Äunft  unb  2(b= 
fid)t.  Unb  menn  er  auf  einer  unbemoljuten  Snfel  eine  Xii)v  ober  aud) 
nur  ein  Sruc^ftüd  eineS  3af)nrabe§  fänbe,  fo  mürbe  er  alsbalb  fagen: 
I)ier  maren  9Jienfd)en;  nic^t  ber  ^ufatl  Ijat  bie  Elemente  fo  sufammen» 
gefül)rt,  fonbern  menfc^lid)e  Slbfidjt. 

9^un,  eben  biefer  goü  liegt  in  ber  ^ainx  im  großen  üor.  SSir 
finb  nic^t  ^lugenjengen  ber  erften  Slnorbnung  ber  Seile  gemefen;  aber 
überall  begegnen  un§  (5r§eugniffe  be§  9^aturlauf§,  bie  (Sräeugniffen 
menfc^lidier  ^unft  unb  51bfid)t  fo  fef)r  gleidjen,  baß  mir  auf  äf)nlid)en 
Urfprung,  auf  bie  S^tigteit  einer  boumeifterlic^en  Sutelligeng  ju 
fdjließen  genötigt  merben.  SSor  allem  gilt  ba§  oon  ben  ßebemefen. 
©ie  gleidien  in  Sau  unb  !iierrid)tung  feljr  fompliäierten  9J?afd)inen. 
Sie  Seile:  Ä^nodjen,   9)iu§feln,  S3änber,  9krüen,  ©efäße,  §er§,  Sunge, 


2.  Sltomifttfd^e  unb  teteologifc^^^eiftifd^e  9Zaturer!(äning.  I59 

S3Iut,  ÜJJogen,  §Qut,  ^aore  u.  f.  tu.  ftnb  jo  sufamniengefügt,  boB  il)re 
2Bed)jetft)ir!ung  jenen  ©rfolg,  ben  n)ir  ßekn  nennen  unb  qI§  finn= 
unb  wertooü,  ja  ot§  bie  ^orau§je^ung  aller  SBerte  erfennen,  jur  golge 
f)at.  Unb  jeber  biefer  Steile  ift  ttjieber  jufommengefe^t  unb  §eigt  bie= 
fe(6e  erftaunlid^e  §{npa[fung  oieter  2;eile  gur  (Srmögücf)ung  einer  für 
iia§>  ©ange  notoenbigen  ^'"»ftion.  StRan  nef)me  hü§^  ^uge.  3)a  f)aben 
mir  äuer[t  bie  9le^f)aut  mit  ben  (Snbigungen  ber  ^afern  be§  optifc^en 
9krüen,  erftaunlid)  fompliäierte  @ebi(be,  raie  ba§  9}?ifroffop  jeigt,  ge= 
eignet,  üon  jenen  leifeften  ©rfc^ütterungen,  ben  2i(f)tmeUen,  erregt  ju 
merben  unb  i()re  Erregung  burdj  bie  ^Zeröenfajern  bem  ®el)irn  jn- 
§ufüf)ren.  Sie  allgemeine  Sid^tempfinblicfjfeit  mürbe  aber  gut  Drien= 
tierung  in  ber  SBirfüc^feit  menig  nü|(id)  jein,  menn  nic^t  fd^arf  um- 
riffene  Silber  ber  Cbjelte  auf  bie  Ütetina  gemorfen  mürben.  SDie§ 
bemirft  ber  borgetagerte  optifcfie  SIpparat:  burd)  §ornf)aut,  ßinfe, 
©laSförper  merben  bie  einfaüenben  Sidjtftra^Ien  fo  gebrochen,  baB  fie 
ein  frf)arfe§,  öerfleinerteS,  unige!ei)rte§  Silb  be§  ®egenftanbe§  auf  bie 
9^e|f)aut  geid^nen.  Ser  bemegtid^e  @cf)irm  ber  Sn§  mit  ber  centralen 
Öffnung  ber  ^upitle,  ber  bie  trübenben  ©traf)Ien,  bie  burd^  ben  üianb 
ber  Sinfe  getjen  mürben,  abf)ält,  bie  5(u§!(eibung  ber  3lugenpi)Ie  mit 
frfimaräem  'ißigment,  ein  fompü§ierte§  9)iu§fet=  unb  9^erüenft)ftem,  mo= 
burd)  bem  Stuge  bie  5lccommobation  an  öerfd^iebene  Entfernung  ber 
Dbjette  fomie  aüfeitige  33emegtid^feit  in  ber  5Iugenf)ö^Ie  öerlief)en  mirb, 
öoüenben  feine  Sraud)bar!eit.  (Snblid)  ift  ba§  gan^e  fo  mid)tige  Drgan 
auf§  forgtic^fte  öermafirt;  eingebettet  in  eine  ^uod)enl)öf)Ie  be§  (Sd^äbelS, 
mirb  e§  nod)  burd)  ßiber,  SSimpern,  fronen  gegen  allerlei  anfällige 
©d^äbtidjfeiten  gefd^ü^t. 

SBa§  un§  f)ier  entgegentritt,  mieberf)oIt  fidj  im  Organismus 
taufenbf ad);  jebeS  Organft)ftem  jeigt  biefelbe  fünftlic^e  ^ufammen* 
fügung  einer  S^iel^eit  öon  2;ei(en  ju  einem  SSerfjeug,  beffen  3:f)ätig= 
feit  bie  (Srf)a(tung  be§  £eben§,  fei  e§  beS  SubioibuumS,  fei  eS  ber 
3(rt,  ermöglichen  l^ilft.  Se  tiefer  mit  neuen  UnterfudjungSmitteln 
5(natomie  unb  ^Biologie  in  ben  Sau  unb  bie  gunftioneu  be§  SeibeS 
einbringen,  befto  erftaunlid^er  mirb  bie  <Bad)c;  immer  grijfeer  mirb  öor 
unferen  2(ugen  bie  SJompIifation,  immer  tiefer  bringt  bie  (Slieberung, 
immer  mannigfadjer  mirb  bie  Silbung.  Stber  in  bemfelben  ÜKaBe 
mäd)ft   ba^  SBunber   ber  ßufommenftimmung   ber  2:eite  gum  ©ongen, 


160    I-  33udE):  ajietapf)t)fif.  2.  Äapitcl:  ®og  !o§moIogii(^4f)eoIogifc!^e  ißroblem. 

ber  Slnpaffung  be§  ©anjen  an  feine  Umgebung;  jebe  (Smeiterung  unb 
Söertiefung  ber  @r!enntni§  füf)rt  bie  Biologie  gu  tieferer  Ginfidjt  in 
bie  innere  @in{)eit  be^  ^lang,  ber  bie  ©eftaltung  be{)errfd)t.  2ßie  ein 
2trci^ite!t  ber  dlatm,  fo  ruft  Srenbetenburg,  ber  Erneuerer  ber 
ariftotelifdjen  Seleologie  in  biefem  Sat)rf)unbert,  bert)unbernb  qu§,  ent= 
ujirft  (Euüier  qu§  bem  ^toed  bie  Wlittd  unb  bog  ©efüge  be§  93aue§ 
einer  Sierart.*)  (Sin  paar  93ruc^ftürfe  öom  ©felett  einer  auggeftorbenen 
Tierart  finb  ou§reid)enb,  ben  9JJei[ter  ben  ^(an  be§  ©anjen  erfennen, 
ha^  Zkx  nacf)  S3au  unb  SSerric^tung  bor  unfern  Stugen  n)ieber  ^er= 
ftellen  ^u  (offen.  — 

SBie  finb  bie  lebenben  SSefen  entftanben?  Se^t  entftefjen  fie 
burd^  3^"9""9  ^"^  3Saci^§tum;  bie  g^orm  n^irb  burct)  ;^ererbung  öon 
elterlichen  Snbiüibuen  abgeleitet.  5Iber  inie  finb  fie  urfprünglid)  ent= 
ftanben? 

^uf  biefe  g^rage  giebt  ber  atomiftifd)e  SOiaterialigmug  bie  'änU 
irort:  burrf)  ein  fpontane§  3^iön^"i^"t^^ff^"  öon  S(tomen,  bie  firf)  nad; 
allgemeinen  pt)t)fifa(tfd)en  Ö5efe|en  beujegen.  Sm  unenblid)en  SIblauf 
blinb  notttjenbiger  ^emegungen  muffen  alle  möglid)en  Slnorbnungen  ber 
(Elemente  fi^  öermirllic^en,  barunter  getegentlid)  aud^  biejenigen,  bie  in 
ben  2ier=  unb  ^flanjenformen  üorliegen;  taufenb  Kombinationen 
mod)ten  mieber  verfallen,  enblic^  mußten  bod)  and)  einmal  fold)e  juftanbe 
fommen,  bie  fid)  ju  erl)a(ten  unb  fortäupflan^en  öermod)ten. 

Sft  ha§>  benfbar?  fragt  ber  SEeleolog;  ober  menn  benfbar,  ift 
e§  möglich  ^u  glauben,  ha\i  fo  etiuaö  fidj  mirflid;  zugetragen  ^at? 
3n  irgenb  einem  3^itpun!t  famen  olfo  an  irgenb  einem  Ort,  l)ier  auf 
bem  nadten  (Srbboben,  ober  im  ©djlamm,  ober  im  2Baffer,  ober  in 
ber  £uft,  olle  bie  (Elemente  jufammen,  bie  einen  Slbler  ober  einen 
^oififdj  ober  einen  ßömen  bilben:  ha  ftonb  er,  plö^lid)  5ufommen= 
geioe()t,  mit  ^ant  unb  ^ooren,  mit  5tugen  unb  Dl)ren,  mit  ^ö^i^en 
unb  Äroüen,  mit  ^erj  unb  5Ibern  unb  freifenbem  93lut  barin?  S)ie 
nermegenfte  ^l)antafie  oerfud)e  fid;  boron,  ben  ^ergong  auszumalen! 
Unb  mon  beben!e:  in  bemfelben  glüdlidien  Stugenblid  mu^  berfelbe 
3ufatl  oud^  noc^  eine  Sömin  gumege  bringen  unb  §iüor  on  eben  bem= 
felben  Ort,   benn  fonft  märe   ber   groBe  Söurf  \a  nod)  üergeblid^  ge= 


")  2ogt)d)e  Unterfud)ungeit,  2.  2t.    1862,  II,  8. 


2.  3ttomi)'tiic^e  unb  teIeoIogii(^4t)ei[tifc!^e  9?aturerflärung.  161 

luejen!  Unb  notürüc^  aitcf;  ein  ^eutetier,  eine  ©ajelle,  ober  alfo  ein 
©Q^eüen^jaar,  ober  oie(niet)r  eine  tjan^e  "^(njaf)!  üon  paaren,  auSreic^enb 
äur  Fütterung,  bi§  bie  Fortpflanzung  für  (Srfa^  geforgt  t)Qtte. 

SQJon  njirb  geftefjen  muffen,  n)enn  \)a§  nid)t  unglaublid)  ift,  bann 
giebt  e§  ouf  ber  iSSelt  überl)anpt  nichts  Unglaubliche^.  Unb  bie  ©ac^e 
tt)irb  um  md]t§>  glaubücfier,  menn  man  etma,  ben  ©puren  be§  Smpe- 
bofIe§  folgenb,  erft  bie  Xeile  einzeln  für  fi^  entfielen  löBt,  Strme 
unb  33eine  ofjne  Üiumpf,  klugen  unb  Cfiren  of)ne  Äopf,  um  biefe  bann 
fid)  finben  unb,  ujenn  ju  einanber  paffenb,  fid)  bauernb  öerbinben  ju 
laffen.  5(riftotete§  f)at  oi^üig  red)t,  menn  er  biefer  35orfteüung 
ben  ©ebanfen  entgegenfteüt:  ha^^  ©anje  ift  früher  al§  bie  Xeile,  an 
unb  au§  bem  ©an^eu  madjfeu  bie  Seife,  unb  e§  giebt  für  fie  feine 
anbere  2(rt  ber  ©ntfte^ung.  3^aö  üeinfte  §aar  mirb  uid^t  entfielen, 
aU  auf  bem  Körper,  §u  bem  e§  gefjört,  unb  menn  man  noc^  fo  lange 
bie  ?Itome  burd)einanber  fdjüttelt.  Unb  nun  follen  mir  gar  glauben, 
ha^  bie  ^aare  eine§  Sömenfelle^,  nac^bem  fie  einzeln  entftanben  unb 
gu  ^unberttaufenben  einzeln  burd)  bie  SSelt  gefd^mirrt  maren,  pB^Iid^ 
eineö  Xage§  in  eine  §aut  äufammen  fuf)ren,  jebe§  in  ha^  präftabitierte 
£od)  fid)  fügenb?  5^a  märe  bod)  nod)  I)unbertmal  glaublicher,  baf,  eine§ 
2age§,  etma  burc^  ein  (Srbbeben,  taufeube  oon  ©eftein^trümmern  gerabe 
fo  abgerieben  unb  jufammengerüttett  mürben,  ta'Q  fie  einen  borifc^en 
Stempel  unb  ein  anbermal  einen  gotifd)en  ®om  barfteUten,  ober  ha'^ 
jemanb,  9Jiiüionen  oon  2:i)pen  au§  einem  großen  Bad  au§fd;üttenb, 
enblic^  einmal  e§  erreid^te,  ha'^  fie  gerabe  rc^t  ^ufammenfielen,  um 
eine  SIia§  ober  eine  2J[nei§  ^u  bilben. 

Sn  ber  %^ai,  jenen  35orfteIIungen  gefdjie^t  fein  Unred^t,  menn 
Slriftoteleö  fie  einmal  bem  St: vereben  2^runfener  oergleid^t  unb  ben 
2(nojagora§  preift,  ber  mit  bem  ©ebanfen:  S5ernunft  fei  e§,  bur^ 
bie  Crbnung  in  ba§>  (Sf)ao§  gebradfjt  fei,  mie  ein  9iüd^terner  bajmifdien 
trete  unb  un»  auf  ben  ^oben  oernünftiger  unb  benfbarer  ©ebanfen 
fteüe.*) 

3^ür  un§  ^at  biefer  ßJebanfe  be§  S{nai-agora§  nic^t^  i)Jeue»  unb 
Überrafd^enbe»,   er  fd^eint  un§  naf)e  liegenb,  unb  mannen  fommt  er 


*)  9lriftotete!§  SUfetapf).  I,  4  (984  b  15):  vovv  di]  ng  aincov  hilvai 
Kcc^dniQ  iv  Tolg  Jwo/g  y.ccl  iv  zf]  cpvoai  xov  ai'ziov  xov  yioOfiov  vial  rrjg  ra|fci)s 
Ttctarjg,  otov  vqcpcov  tcpccvr]  nag    shij  käyovzag  roi/g  ttqotbqov. 

'liaulfen,  ßinleitung.    6.  Siufl.  11 


162    I-  33u^:  3D?etapI)t)fi!.  2.  Äo^itel:  S)o§  fogmoIogijc{)=^tf)eoIo9ij^e  Problem. 

l^eutjutage  trioiat  öor.  5Iber  bamatS  tuor  er  eine  Sntbec!ung.  ®ie 
©Otter  be§  griedjifc^en  SSoIf§glQu6en§  tüoren  ni(i)t  ©djöpfer  ober 
93t(bner,  fonbern  ®efdE)öpfe  ber  SBett;  ha^  bie  SSelt  ha§>  3öerf  eine§ 
@etfte§  jein  fönne,  tnor  ben  ®rie(f)en  urjprünglic^  eine  gan^  frembe 
SSorfteüung.  2Sa§  bie  gried^ifc^e  ^f)iIofop()ie  bem,  ber  jte  mit  gefdjid)t= 
Ii(f)em  ©inn  betrad)tet,  fo  an§ie^enb  mad)t,  ha§>  i[t  eben  bieg,  bo^  man 
in  it)r  fiet)t,  tt)ie  bem  äJJenfd^engeift  a(lmäf)Iic^  ha§>  ©taunen  über  bie 
SQSett  fommt.  ®er  gen)öf)nlic^e  SJJenfd)  [tount  nidjt  über  bie  ®inge; 
fie  finb  if)m  öon  Hein  auf  üertrout,  n)a§  märe  baran  munberbar? 
SDqB  ©onne,  9JJonb  unb  ©terne  auf=  unb  untergetjen,  ha'^  ^ftonjen 
unb  Xiere  ent[te{)en  unb  modijen,  nun,  bo§  mar  immer  fo,  ma§  märe 
baran  auffallenb?  (grft  bem  ^fjilofop^en  !ommt  bie  ©acf)e  munberbar 
öor;  ober  öielmef)r,  ha'i^  einer  über  ta§^,  mag  bigfjer  aüer  SSelt  felbft= 
oerftänblid)  oor!am,  in  (Staunen  unb  9^acl^benfen  fiel,  ha^  mod^t  it)n  §um 
•pfjilofop^en,  ba§  Staunen  ift  ber  ?lu§gang§|)unft  ber  ^f)ilofopf)ie.  SSie 
ift  ha^  ^immelggebäube  entftanben?  unb  mie  finb  urfprünglic^  ^ftanjen 
unb  Stiere  entftanben?  3J?it  biefen  fragen  nad)  bem  Urfprung  ber 
großen  unb  ber  !(einen  SBelt  beginnt  bie  griedjifd^e  ^t)iIofopt)ie.  Unb 
if)re  erften  5lntmorten  finb  jene  33erfuc^e,  bie  Statur  au§  irgenb  meldjen 
53efd)affent)eiten  unb  93emegungen  üon  ©toffen  gu  erftären. 

Slnajagorag  nun  tüar  e§,  bem  ^uerft  bie  Unben!6ar!eit  biefer 
@eban!en  §um  S3emu^tfein  fam.  3e  uk^x  fie  !(ar  unb  beftimmt 
formuliert  mürben,  mie  e§  ^ule^t  burdj  bie  ^fiitofoptiie  ber  2(tomiften 
gefc^etjen  mar,  befto  beutlid;er  trat  if)re  Unmöglid^feit  ju  Xage.  Unb 
fo  fprad^,  angefid)t§  ber  matt)ematifc^en  @efe^mä§ig!eit  be§  2öeftbaue§ 
unb  ber  emigen  Orbnung  ber  f)immlifd^en  53emegungen,  Slnajagorag 
jum  erftenmal  in  ber  griec^ifd)en  SSelt  ben  fotgenreid^en  ©ebanfen 
au§:  au§  bem  @eift  allein  !ann  biefe  Drbnung  ftammen.  ^lato 
unb  Striftoteteg  f)aben  ben  @eban!en  aufgenommen,  er  ift  ber 
?lngelpunft  if)rer  SSeltanfdjauung :  nid^t  btinbe  93emegung,  fonbern  bie 
^raft  eines  ouf  ha§>  @ute  gerid)teten  @ebanfen§  giebt  ben  fingen, 
fie  aUgegenmärtig  burd)bringenb,  if)re  ©eftatt  unb  SBir!(id^!eit.  greitid) 
muB  bagu  ein  „Ruberes"  öorauggefe^t  merben,  ba§  bie  „©ebanfen" 
einerfeitg  in  fid^  aufnimmt,  anbererfeitS  freilid)  aud^  i^re  reine  2Iu§= 
füf)rung  f)emmt,  ein  irrationaler  Qaltox  neben  bem  rationalen, 
t)a§'  ift  bie  SJ^aterie.    Unb   bamit  ift  benn   §ug(eid)  bie  ©c^mierigfeit. 


2.  Sltomiftifc^e  unb  teIeoIogifd)=t:^etftifd)e  9?oturerfIärung.  163 

tüdd^e  ber  neuen  ST^eorie  anf)ängt,  gegeben:  njie  öerf)ätt  fid^  ber  @e= 
banfe  gum  @toff?  »rofjer  bie  3}?arf)t,  bie  er  üBer  i^n  übt?  §at  bie 
foSmijc^e  S^ernunft,  wk  ber  menfd^tic^e  Söerfmeifter,  Slugen  unb  ^änbe? 
3;renbelen6urg  fpric^t  (Sog.  Unt.  @.  74)  bie  ©cf)n)ierigfeit  \o  au§: 
„3Bir  beobad)ten  nirgenb§  in  ber  dlatnx  ben  ^unft,  an  n^eld^em  ber 
©ebanfe  bie  ^'raft  faffe  unb  ergreife  unb  feinen  ^tti'^'f^"  entgegenfü^re, 
unb  bie  ©pefulation  üermag  il)n  nirgenbg  gu  geigen.  ®ie  93etrQd)tung, 
njelcfje  ben  inneren  ß'mzd  fu(f)t,  grünbet  bQ§  Sbeale  im  Ü^ealen,  aber 
if)r  fef)It  nod^  bie  (Srienntnil,  wk  ha^^  Sbeale  in§  9^ea(e  !omme,  in§ 
9iea(e  ^ineintrete.  SDer  menfci^tic^e  @eban!e  be§  ß^^f^^^  üerfügt  über 
bie  au»füf)renbe  §onb,  unb  fie  leitet  ben  realen  3Sorgang  ein:  für  ben 
58organg  in  ber  9?atur  bricht  an  biefem  Drte  bie  Übereinftimmnng 
ah,  unb  üorne^mlid)  in  biefe  Sude  ber  @r!enntni§  tüirft  fid^  ber 
ßitJeifel,  ber  ben  ßtüid  ungläubig  betrad^tet.  (£§  ift  nidfjt  nnmöglicf)," 
fügt  er  refigniert  'Ejinju,  „baB  fid^  nirf)t  unfere  (Srfenntni§  ergänse; 
für  je^t  genüge  e§,  gu  tt:)iffen,  waS  tt)ir  erfennen  unb  \vü§>  wiv  nid^t 
er!ennen." 

^n  ber  %t)at,  e§  ift  biefe  „ßücEe  ber  (Srfenntni^,"  burc^  bie  ber 
3tneifel  immer  mieber  einbrang  unb  bie  te(eo(ogifcf)e  (Srflärung  ber 
9ktur  beunruf)igte.  @ine  (Srflärung  au§  einem  ©ebanfen,  beffen  SDa- 
fein  empirifdE)  nic^t  natf)gemiefen  unb  beffen  SSirffamfeit  pf)t)fi!alifd[) 
ober  pt)QfioIogif^  nid^t  !onftruiert  werben  fann  —  e§  ift  nid)t  be= 
fremblid^,  menn  ber  9laturforf(^er  bamit  nidE)t§  ju  mad^en  muBte  unb 
barum  immer  n)ieber  auf  ben  medjaniftifdfjen  (SrflärungSüerfurf)  fid^ 
gurücfgemiefen  fol^.  @o  unma^rfrfjeinüi^  bie  empeboüeifd^e  (Srffärung 
ber  (Sntftef)ung  organifd)er  Söefen  ausfegen  mag,  e§  ift  bod)  ein  S8er= 
fud^,  ben  93organg  anfcEiauüdf)  barjuftellen;  inbem  bie  te(eoIogifcf)e  (Sr= 
flörung  auf  anfc^autid^e  ÄonftruÜion  üergidf)tet,  öergidjtet  fie  auf  eine 
naturttjiffenfdjaftlid^e  SrHärung  überhaupt. 

So  ift  ha§^  3)ilemma  ber  mei^aniftifd^en  unb  ber  teIeo  = 
logifdjen  9Zaturanfid)t  gegeben;  e§  get)t  burc^  bie  ganje  ©efc^id^te 
ber  "iptjilofop^ie.  ^n  ber  antifen  ^f)iIofopf)ie  nimmt  bie  ©d^ule 
©pifurö  bie  atomiftifc^^medjaniftifc^e  i)kturpt)i(ofop()ie  ®emofrit§ 
gegenüber  ber  oon  ©ofrateS  auSge^enben  ibeaüftifd)4eIeoIogifdE)en 
©pe!uIation  Ujieber  auf.  Sn  ber  ^^ilofop^ie  ber  ^fJenjeit  föüt  ha^ 
nor^errfdjenbe  Sntereffe    an    ber  ^kturmiffenfc^aft   ju   ©unften    jener 

11* 


164    I.  93uc^:  ajieto^^^fi!.  2.  Äapitel:  ®ag  foSmoIogijc^^^eoIogifd^e  Problem. 

Stuffoffung  in  bie  SBagfc^ote.  Tlii  bem  ®urrf)briugen  ber  neuen  !o§= 
mifd^en  unb  p!^l)fi!atifd)en  Slnf(f)auungen  im  jedj^efinten  unb  fiebjetjnten 
SQt)rf)unbert  tritt  eine  ftorfe  5l6neigung  gegen  bie  teteologifc^e  9flQtur= 
erftärung  t)erüor,  tt)eM)er  bie  öom  SQJittelalter  ererbte  ©djuIpl)ilofopt)ie 
im  Stnfd^IuB  an  ben  !ird^Iirf)en  Sef)rbegriff  unb  an  bie  Qriftotelifdje 
^^iIofDp!)ie  nur  mütifam  lüiberftanb.  ©ie  ift  qI§  Senbenj  fidjtbar 
bei  S3acon  unb  S)e§carte§;  [ie  fe|t  fid^  rein  burd§  bei  ©pinoja, 
ber  bie  Sf^aturerftärung  qu§  ßmeden  j(f)Ie(i)ttjin  öermirft.  ®ann  tritt 
freilief)  wieber  eine  9^ü(fftri3mung  ein;  im  Qd^t§et)nten  3öt)rl^unbert  Ijat 
bie  teteologifc^e  9^Qturauffaffung  mieber  ba§>  Übergewicht.  Sn  ber 
^oputarp^itofopf)ie  ber  beutfd^en  Wie  ber  englijd^en  ^t)itojop{)ie  bieje§ 
3eitQlter§  ift  bie  S^iaturerflärung  au§  ben  SIbfid)ten  einer  fupranaturaten 
S3ernunft  üieüeid^t  naiöer  burd)gefüt)rt,  a\§>  je  juüor.  (S§  t)ängt  ba§> 
einerfeitS  pfammen  mit  bem  allgemeinen  fouäiliotorifc^en  ßf)arafter  be§ 
Saf)r^unbert§,  wie  er  in  feinen  beiben  g^ütjrern  auf  pt)iIofopf)ifd)em 
©ebiet,  in  Seibnig  unb  Sode,  f)eröortritt.  S)ann  aber  trug  baju 
Wot)t  auc^  ber  Umftanb  bei,  baB  bie  fleine  SSett,  bie  Söelt  ber  lebenben 
Söefen,  ber  medjaniftifdjen  ©rflärung  fo  fel^r  öiel  t)artnödigeren  SSiber= 
ftanb  leiftete,  al§  im  erften  (5iege§raufdj  bie  moberne  9laturwiffenfd)aft 
erwartet  f)atte.  Wlan  muB  2)e§carte§'  pf)t)fiotogifdje  Slb^anblungen 
lefen,  um  ju  empfinben,  wie  guüerfiditlid)  bie  mit  ben  neuen  ^rin^ipien 
anSgerüftete  ^f)iIofopt)ie  an  bie  (Srttärung  ber  SebenSüorgänge  ging, 
überzeugt,  ha"^  e§  i^r  in  fur^em  gelingen  muffe,  jebeä  ®ef)etmni§ 
be§  2eben§  burc^  bie  5tufäeigung  feine§  ÜKed)oni§mu§  aufjubeden. 
(Statt  beffen  füt)rten  5Inatomie  unb  ^t)t)fioIogie,  namenttid)  feitbem 
fie  burd)  ha§>  SJiifroffop  unterftü|t  würben,  in  immer  neue  unb 
tiefere  @ef)eimniffe.  SBie  ratloS  ftetjen  wir  tjeute  üor  bem  9JJed)a= 
ni§mu§  be§  Sterben ft)ftem§,  beffen  Stptigfeit  2)e§carte§  fo  einfad)  ju 
erüören  wei^.  ©o  gefd^al)  e§,  bafe  aud)  bie  9Zaturforjdjer,  wenn  fie 
nid)t  gerabe  gur  teleologifdjen  Stnfidjt  fid)  be!annten,  fie  bod)  Wegen 
SRangetS  einer  befferen  paffieren  liefen.  9^od)  in  ber  erften  ^älfte 
be§  neunäetjuten  Scif)rf)unbert§  erfd^eint  bie  atomiftifd^=med)aniftijd)e 
S^Jaturauffaffung  faft  auSgeftorben.  SSitaIiftifd)=teIeDlogifdje  S^orftellungen, 
wie  fie  etwa,  wenn  wir  üon  ber  fpefulatioen  ^()iIofopt)ie  abfetjen, 
STrenbetenburg  öertritt,  waren  aud)  in  ben  Greifen  ber  Diatur- 
forfd)ung  üor^errfdjenb. 


3.  Äritif  be§  teleologifd^en  »ettjeijeS.  165 

Sn  ber  2f)at,  bliebe  iin§  nur  bie  Söa'^I  ätüifc^en  @mpebof(e§ 
unb  3lnai-agorQ§,  bann  fönnte  bie  @ntf(f)eibung  !aum  3rt)eife(f)Qft  fein. 
2)qB  ^iere  unb  ^flangen  fo  o^ne  weitere»  einmal  burrf)  ein  3«fflnin^e"= 
fallen  ber  2;ei(e  foHten  entftanben  fein,  ift  unb  bleibt  unglaublii^. 
^a§  füf)Iten  ouc^  fo  fritifrfje  ^öpfe  tt)ie  Voltaire  unb  §ume.  ©o 
menig  fie  im  übrigen  ber  teteotogifd^en  ^^iIofopf)ie  ber  ^ät  einzuräumen 
geneigt  tt)aren,  fo  fc^ien  i^nen  boc^  bie  Seugnung  ber  ^Xütdc  in  ber 
organifd^en  SBett  unb  bie  rein  mecf)anifd)e  ©rflärung  be§  ßebenS  eine 
au§firf)t§(ofe  (£ac^e.  j^reilic^  entging  it)nen  bie  ©c^mäcf)e  ber  teleo« 
logifc^en  5tnfic^t  ebenfo  raenig.  Unb  fo  fof)en  fie  fidj  f)ier  oor  ein 
unli3§bare§  Dilemma  geftellt. 

@rft  mit  ber  neuen  bioIogifcf)en  5(nfct)auung,  bereu  jüngfte  (gnt= 
midelung  an  ©arminS  9^amen  gefnüpft  ift,  fc^eint  fid)  ein  5(u§n)eg 
menigftenS  au§  ben  nädjften  unb  brücfenbften  (Sc^wierigfeiten  ju  ergeben. 
ef)e  ic^  ober  l^ierauf  einge'^e,  möchte  id)  über  bie  alte  teteologifc^e 
Sen^eiSfül^rung  ein  paar  fritifct)e  33emerfungen  madjen;  bie  @acl^e  f|at 
boc^  auc^  f)eute  nodj  nic^t  bloB  gefc^ic^tüc^e§  Sutereffe. 

3.  ^rtttf  bc§  teleologifc^cn  ^eweifeö. 

(Sine  allgemeine  Semerfung  über  ben  Sßert  be§  teleologifd^en 
S3en3eife§  für  9^eligion  unb  9}Jetapl^t)fi!  mag  bie  fritifc^e  (Erörterung 
einleiten. 

;3n  manchen  Greifen  beftef)t  tt)of)(  aud)  {)eute  nod)  bie  9Zeigung, 
in  biefer  93ett)eiöfüf)rung,  bereu  eigentliches  ®emonftranbum  alfo  ber 
©0^  ift :  bie  (SJeftaltung  ber  ^i3rpertt)elt  fann  nid)t  o^ne  bie  Stunat)me 
einer  nad)  Slbfic^ten  ttjirfenben  Urfad)e  er!(ärt  ft)erben,  ein  ©tue!  be§ 
pf)iIofop^ifdjeu  Unterbaues  ber  2t)eoIogie  ober  gor  eine  unentbet)rlic^e 
@tü|e  be§  ©otteSgloubenS,  unb  folglich  in  feiner  Äritif  einen  Singriff 
ouf  bie  9?eIigion  ju  fe^en. 

3Jiir  fommt  cor,  boB  bie  Sfleligion  ou  biefen  toSmoIogifdien 
©pefulotionen  gor  nid)t  intereffiert  ift.  ©ie  ruf)t  fo  ujenig  auf  einer 
§t)pot()efc  über  ben  Urfprung  ber  lebenben  Söefen,  o(S  auf  einer 
beftimmten  5(nfid)t  oon  ber  oftronomifc^en  (S^eftolt  ber  SBelt.  ^\t  fie  an 
biefen  Singen  überf)aupt  intereffiert,  fo  ift  e§  allein  an  ber  objc!tioen 
Söü^rtjeit  unb  ber  fubjeftiöen  3Bof)rt)aftigfeit  unfereS  (Srfennenl.  &t= 
fö^rlid)  ift  it)r,   tok   oüen   menfd)(id)eu  Singen,   ber  ^unb  mit  bem 


166    I-  33ud^:  metap^X)\il  2.  Äopitet:  ®a§  !o§inoIo9ifd^4f)eoIogtfc^e  Problem. 

Srrtum  unb  ber  2üge.  3)ie  ^ird^e  foHte  au§  if)rem  unglüdli(f)en 
Äampf  gegen  bie  neue  ÄoSmoIogie  int  fteb^etjnten  Sat)rf)unbert  \o  oiel 
gelernt  f)aben,  ha^  e§  für  fie  unter  feinen  Umftänben  rotfam  ift,  fic^ 
mit  einem  lüiffenfd)Qftti(^en  (St)[tem  jolibarijdj  ^u  üerbinben.  2l(§  bie 
Äurie  bie  ariftoteIijd^=ptoIemäifd)e  ^o^mologie  §um  @Iauben§QrtifeI 
erflärte,  legte  jie  bie  Sljt  an  bie  SSur^eln  be§  S^irc^engtouBenS;  jeber 
@d)lQg,  ber  bie  faljdje  jtf)eorie  traf,  traf  nun  auc^  bie  Äird^e.  (Sben 
biefelbe  2Bir!ung  muB  eintreten,  tüenn  bie  ^ird^e  eine  gewiffe  biologifcfje 
5lnficE)t  äuni  93eftanbtei(  iE)rer  Se^re  erüärt.  Ober  üielmet)r,  biefe 
2Bir!ung  liegt  ja  fidjtbar  gu  Xage  in  ber  ^Uieinung  berer,  bie  im 
®arn)ini§mu§  ha^  enblidje  Snbe  ber  Sfteligion  gefommen  fe^en:  3)artt)in 
i^aht,  inbem  er  bie  mofaifd)e  @c§öpfung§gefd}idjte  famt  Stbam  unb  @oa 
befeitigte,  äugleid)  bie  „§t)pot^efe  eine§  ®otte§",  bie  bie  Kosmologie 
fc^on  längft  entbe!t)ren  gelernt  l^abe,  nun  aud)  für  bie  33ioIogie  über* 
ftüffig  gemacht.  SSon  Sugenb  auf  angeleitet  unb  gett)öf)nt,  ha§>  S)afein 
(SJotteä  al§  gegrünbet  unb  gefidjert  burd)  bie  teteotogifc^e  S3en)ei§fü^rung 
auäufefjen,  üertnerfen  fie  je^t,  ha  ber  alte  Semeil  it)nen  tierbäd)tig  ge= 
morben  ift,  aud)  bie  ©ac^e  felbft.  (S§  giebt  für  eine  gute  ^a(i)t  nichts 
@eföf)rlid)ereg  af§  fdjlei^te  Semeife. 

@§  fd)eint,  ha'^  Karmin  felber  etmaS  berartigeS  begegnet  ift: 
mit  bem  3]ertrauen  §u  ^a(et)'§  Evidences  ging  if)m  aud)  bie  9^eIigion 
öerloren.  ©o  fagt  er  einmal:  „SDer  alte  S3eniei§grunb  üom  ßmed  in 
ber  Slatur,  wk  if)n  ^a(et)  auffteHt,  unb  mie  er  mir  früher  fo  ent= 
fd)eibenb  fd)ien,  fd)Iägt  je^t  fe^I;  mir  fönnen  §.  33.  je^t  nid)t  mef)r 
folgern,  ta'i^  ba§  munberfd)öne  ©d^toB  einer  5meifd)atigen  SJfiufdjel  üon 
einem  intelligenten  SSefen  gebitbet  fein  mu^,  mie  bie  Singet  einer  Stl)ür 
t)on  einem  SD^enfd)en."  *)  „heutigen  Xage§,"  Reifet  e§  weiter,  „mirb  ber 
S3emei§grunb  für  bie  ©fiftenj  eine§  intelligenten  ®otte§  au§  ber  tief 
innerlict)en  Überzeugung  unb  ben  ©efül^len  t)ergenommen,  ttjelc^e  bie 
meiften  ^erfonen  an  fid)  erfahren."  grüf)er  £)obe  er  aud§  biefe 
(Smpfinbungen  get)abt  unb  fei  baburd)  ^i^nt  ©tauben  an  @ott  unb 
Unfterblid)!eit  geführt  morben;  fo  l)abe  ber  brafitianifd)e  Urmalb  it)n 
religiös  geftimmt.  „Se|t  aber  mürbe  bie  groBortigfte  ©cenerie  feine 
berartigen   Überzeugungen   unb  (Smpfinbungen   in    meiner  (Seele   ent= 


")  e^.  SDar»in§  Seben  öon  \.  (Sof)n,  gr.  25artt)tn,  2)eutjc^e  SluSgabe  I,  284  ff. 


3.  Äritif  be§  teleologijdöen  93ett)eije§.  167 

[te{)en  (offen.  'SRan  fönnte  gon^  jutreffenb  fagen,  ha^  itf)  tt)ie  ein 
9)ienfcf;  bin,  ber  farbenbtinb  gen^orben  ift."  (Sin  anbermal  ertt)äf)nt 
er,  boB  i^m  aud^  ber  ©inn  für  ^oefie  aümäljüc^  gefcf)tt)unben  fei,  ein 
53en)ei§  für  bie  au^börrenbe  SBirhing,  meirfje  Qnf)a(teube  ttjiffenfdjoftlici^e 
3^orf(f)ung  auf  bie  ©eele  augjuüben  üermag.  2)ie  ©ac^e  ift  ober 
offenbar  bur^  bie  urfprüngtic^e  inteüeftuatiftifcfie  9f?id^tung  feiner 
reügiöfen  Über5eugungen,  n)ie  fie  ber  3ugenbunterrid)t  begrünbet  f)atte, 
öorbereitet  n^orben;  er  l^at  \}a^  @efüf)I,  mit  falfcf)en  2f)eorien  unb 
S3ert)eifen  betrogen  njorben  gu  fein,  unb  barum  ftet)t  er  nun  bem  ganzen 
reügiöfen  SSefen  mit  SJJifetrauen  gegenüber.  Offenbar  ein  33egegni§, 
ha^  fid)  toufenbfältig  um  un§  n)ieberf)oIt.  Unb  barum  ift  e§  eine 
£eben§frage  für  bie  Äirc^e,  ha^  fie  jur  SSiffenfcfiaft  in  ein  richtiges 
33ert)ä(tni§  !ommt,  fie  ge()t  an  bem  9J?iBtrauen  ^u  ©runbe,  bo§  fie 
gegen  bie  äöiffenfcf)aft  t)egt  unb  »ieberum  oon  if)r  erfä()rt.  5Do§ 
ricf)tige  $ßert)ä(tni§  befte^t  aber  nid^t  etttja  barin,  ba^  fie  jeber^eit  bie 
neueften  2;^eorien  annimmt,  fonbern  iia'^  fie  oon  n^iffenfc^aftlic^* 
pt)i(ofopf)ifd)en  3:t)eorien  fid)  oöllig  unabhängig  mad)t.  2Ba§  ic^  bringe, 
muB  fie  fagen,  gilt,  ob  nun  Sopernicu§  ober  ^toIemäu§,  ob  SDartt)in 
ober  '^tgaffij  re^t  i)at;  ha§>  ©oongelium  ift  unb  f)at  fein  @t)ftem  ber 
^o^mologie  unb  33ioIogie,  e§  ift  bie  ^rebigt  oom  'iRtid)  @otte§,  tiaS^ 
im  ®emüt  unb  ßeben  ber  9J?enf(^en  mirflid^  merben  mill.  @§  ftü^t 
fid)  nid)t  auf  unerflörlic^e  Si^aturbegeben^eiten  unb  9JJirafeI,  fonbern 
auf  bie  @rfal)rungen  be§  §er§en§,  ha§>  in  i()m  gerieben  unb  ©eligfeit  finbet. 
Sn  ber  X^at,  id)  bin  überzeugt,  ba'l^  bem  ©fauben  an  @ott  unb 
fein  9teid)  gu  unferer  ßt\t,  menigftenS  in  ben  Greifen  ber  ttjiffen* 
fdjaftlid)  ©ebilbeten,  faum  etmaS  fo  gefä^rlic^  ift,  tt)ie  ber  SSerfud;, 
bem  35erftanbe  ben  antt)ropomorpf)ifdjcn  2:f)ei§mu§  al§  miffenf(^aftlid) 
notmenbige  2SeIttt)eorie  —  in  loeldiem  ©inne  ber  5Int^ropomorpl)i§mu§ 
möglid)  ift  unb  immer  bleiben  ttjirb,  ha^  mirb  fic^  fpöter  ergeben  — 
burd)  üerattete  unb  ber  naturiniffeufd^aftlid^en  fyorfd)ung  in  ben  SBeg 
tretenbe  Semei§füf)rung  aufzunötigen.  ®a§  ^füd^tmiffen  ift  immer  eine 
fd)(e(^te  ©tü|e;  fid)  baran  feftjuf lammern,  erfc^eint  al§  Steigung  gum 
Dbffuranti§mu§ ,  ber  bie  Unmiffen^eit  jur  Unterlage  ber  ^faffen= 
(jerrfdjaft  mad^t:  nam  sciunt,  quod  sublata  ignorantia  Stupor,  h.  e. 
unicum  argumentandi  tuendaeque  autoritatis  medium,  quod  habent, 
tollitur  (Spinoza,  Eth.  L,  Appendix). 


168    I.  93ud^:  9!Jietapt)t)ftf.  2.  topitel:  ®ag  fogmoIogijd)4^eoIogtfd)e  ^toblem. 

Unb  ebenfo  tüenig,  h)ie  jene  teIeoIogifcf)e  S3en)et§fü^rung,  tüelc^e 
Süden  in  ber  S^aturerüärung  au§  |.')f)t)j{fd)en  Urfadjen  annimmt  nnb 
Qufjuc^t,  um  baburc^  bte  Slotmenbigfeit  ber  2Innat)me  nidjtp^ijfifcfjer 
Urfad^en  bar^utfiun,  gur  Unterftü^ung  ber  Sfleügion  geeignet  ift,  taugt 
fie  and)  pr  llnter[tii|ung  einer  ibeoliftifdjen  ^i)iIofopt)ie,  einer  teteo= 
logifd^en  2öeltanjd)auung.  ©ie  füf)rt  lebigtid)  ^ur  ßeugnnng  ber 
ßinede  in  ber  2Sir!(idjfeit  ü6erf)aupt.  (Sine  9^Qtnrpt)i(ojopt)ie,  bie 
{)eut5utage  an  ber  Unburd)fü^rbarfeit  ber  pf)t)fifd)en  ©rüärung  fe[tt)ölt, 
erfc^eint  tebigüc^  a(§  eine  33erbünbete  ber  „faulen  SSernunft",  bereu 
2(u§trei6ung  ha^  erfte  Sntereffe  ber  n)iffenjc^aftlid)en  gorfc^ung  ift. 
®a§  ift  ber  bered)tigte  2;riumpf)  be§  2)arrt)inigmu§,  bofe  er  ber  ignava 
ratio  \)a§^  ©ebiet,  ha^  fie  am  meiften  aU  if)r  eigene^  anja^,  ba§:  @e= 
biet  ber  SebenSerjdjeinungen,  entriffen  unb  ber  ^orjd)ung  auf  einem 
neuen  SSege  eröffnet  I)at.  Über  bie  33ernid)tung  be§  3^^cEgebanfen§ 
in  ber  2öett  fönute  ja  niemanb  ©enugt^uung  empfinben;  aber  über 
bie  S^iiebertage  ber  ignava  ratio  tuirb  jeber,  ber  tt)eoretifc^e§  Sntereffe 
f)at,  g^reube  empfinben. 

darüber  täufdje  man  fic^  nic^t:  bie  Siatur^iffenfc^aft  !ann  unb 
n)irb  fi(^  oon  it)rem  SSeg  nid)t  ujieber  obbringen  laffeu,  eine  rein 
pf)t)fifalifdje  (Srflärung  aller  9flatnrerfc^einungen  ju  fud)en.  @§ 
mag  taufenb  SDinge  geben,  bie  fie  gegenluärtig  nid)t  erftären  fann, 
aber  ba§  prinjipieüe  Stfiom,  ha^  e§  auc^  für  fie  eine  natürlid)e  Ur= 
fad)e  unb  atfo  eine  naturtDiffenfd)aftüc^e  erflärnng  gebe,  mirb  fie 
nid)t  n)ieber  fa{)ren  laffen.  3)af)er  mirb  eine  ^t)iIofopI)ie,  bie  barauf 
befte^t,  gemiffe  9Jaturöorgönge  !önnten  nic^t  of)ne  üieft  pl^tififalifd)  er= 
ftört  merben,  fonbern  mad)ten  bie  Stnua^me  ber  2Bir!ung  eine§  meta= 
p^t)fifd)en  ^rinjipS  ober  eines  fupranaturalen  2(gen§  notujenbig,  bie 
SRaturmiffeufc^aft  jur  unoerföfin liefen  Gegnerin  f)aben.  Sn  ^^rieben 
fann  fie  mit  i§r  nur  teben,  ttjenn  fie  fid)  ber  @inmifd)ung  in  bie 
faufale  (grüärung  ber  9laturerfdjeinungen  grunbfä|Iidj  entf)ölt 
unb  t)ier  bie  S'^aturnjiffeufdiaft  ruf)ig  i^ren  äöeg  bi§  ^u  (gnbe  ge^en 
lüfet.  —  Ober  bliebe  bann  für  ^f)i(ofopf)ie  fein  9laum  übrig?  SSäre 
für  eine  3J?etapt)l)fif  nid)t§  mef)r  gu  tf)un,  n)äre  mit  ber  33oIIenbung 
ber  naturmiffenfdjaftlic^en  ©rflärung  unfer  t^eoretifd)e§  Sntereffe  an 
ber  Söirflidjfeit  erfdiöpft?  Sc^  benfe,  auf  feine  SBeife.  ©onbern  nun 
erf)ebt   fid)  eine  neue  ^rage:   ma§  bebeutet   bie§   aüe§?    SSenn   bie 


3.  Äritif  beg  teleologiid^en  SSejoeijcg.  169 

5([tronomie  bie  !o§mijc^en  5ßorgänge  öofiftänbig  au§  pt)t)fifalifc^en  (55e= 
jc^en  erflärt  f)ätte,  tuenn  bie  S^iolotjie  un§  ebenfo  ben  Urfprung  unb 
ben  9}?ec^Qni§mu§  ber  organifcljcn  Scbengprojeffe  o{)ne  9f?e[t  entt)üUt 
I)ättc,  bann  bliebe  bie  ^^roge:  ltiQ§  ift  ber  ©inn  biefe§  ganzen  ©piet§ 
t)on  Gräften,  tt)Q§  i[t  ba§,  lüa§  in  jenen  toufenb  ©eftaltnngen  unb 
^ettjegungen  ber  SlörperWelt  un§  entgegentritt?  Dber  i[t  hahd  non  nid)t§ 
weiterem  überfiaupt  gu  reben,  i[t  bie  Äörpertoelt  bie  gan§e  SSirtticfjfeit 
unb  mit  ber  pt)t)[ita(if(^en  @r!(ärung  alle§  erlebigt?  9hin,  tjierüber 
l)Qben  n)ir  un§  \d)on  in  bem  oorauSgel^enben  S^opitel  über  ba^  onto= 
logi jd)e  Problem  öerftönbigt.  33ieneid)t  barf  man  jagen:  e§  ^at  nie 
einen  ^JJenfd^en  gegeben  unb  wirb  nie  einen  geben,  ber  mirflidf)  f)ierbei 
fic^  berut)igt  l^ätte.  SBa§  ha^  naturwiffenjc^aftlic^e  ®enfen  im 
93?ateria(i§mu§  eigentlich  abteljuen  miti,  ha§:  i[t  nic^t  baS^  S)afein  eiue§ 
weiteren,  eine§  ibeellen  Sul)alt§  ber  SBirf(icf)!eit,  au^er  bem  p{)t)fifalifd)en 
33eftanb,  fonbern  bie  95erwenbung  jene§  ibeeüen  Snt)att§  §ur  pt)t)fi= 
falifdjen  ©rflärung.  ?ln  firfj  finbet  jwifc^en  mecf)ani[tifc^er  ©rflärung 
unb  ibeali[tifd)er  Suterpretation  gar  !ein  ®egenfa|  [tatt.  3)er  2Biber= 
ftreit  ent[tef)t  erft,  wenn  bie  ibealiftijdje  Suterpretation  bie  faufale  @r= 
flörung  erje^en  unb  überftüffig  madien  Witt. 

9}?it  einem  SBilbe:  e§  ^anble  fic^  um  ein  Statt  mit  ßeidjen  be= 
brudten  ^apier§.  ßwei  fragen  giebt  e§  auf:  wie  [inb  bie  ßeic^en 
auf  bem  Rapier  gnftanbe  ge!ommen?  unb:  wa§  bebeuten  fie?  2luf  bie 
erfte  ^rage  wirb  mit  ber  Sefd^reibung  ber  ©eräte  unb  Hantierungen  in 
einer  ^ruderei  geantwortet;  auf  bie  anbere  ^rage  mit  ber  Darlegung 
ber  ©ebanfen,  bie  burd)  bie  ^eiti)^"  bebeutet  werben.  @an§  wie  f)ier 
bie  beiben  Slntworten  neben  einanber  9fiaum  !^aben  unb  nid)t  eine  an 
bie  ©tette  ber  anbern  treten  fann,  fo  aud^  in  ber  er!enntni§  ber 
gflatur.  ®ie  pr)t)fi!oIifd)e  (Srttärung  ift  notwenbig,  aber  fie  erlebigt 
nid^t  atte  ^^ragen,  e§  bleibt  bie  grage  noc^  bem  ©inne.  5tnbererfeitl 
!ann  ber  SSerfud)  ber  Interpretation  be»  ©inne§  nic^t  an  bie  ©tette 
ber  faufalen  (Srflärung  treten.  3Serfud)t  er  e§,  fo  wirb  ber  9iatur= 
forfd)er  ha§>  ablehnen  unb  fagen:  baS'  fei  e§  gar  nic^t,  wonad)  er  ge= 
frogt  {)abe;  waS^  er  at§  Dkturforfdier  wiffen  wotte,  fei  nid)t  ber  ©inn, 
fonbern  ber  Hergang  bei  ber  Silbung  ber  ßeic^en,  gteic^fam  ber 
9J?ed)ani§mu§  ber  ®ruderei.  —  (S§  wäre  ein  t^oric^teS  SOäfeüerftönbniS, 
wenn  ber  9J?etapt)t)fifer  meinte,  i)ierouf  mit  bem  |)inwei§  auf  bie  @e- 


170    I.  93uc^:  SRetop^J^fif.  2.  Kapitel:  2)og  fo§mologifc^4:§eologifd^e  «Problem, 

banfen  antworten  gu  fönnen;  nod)  tf)örid^ter  freilid^,  ttjenn  ber  $RQtur= 
forjd^er  biefem  Unterfangen  bamit  rt)ef)ren  gu  muffen  gtanbte,  ha^  er 
bie  ©ebanfen,  bie  93ebeutfamteit  ber  ß^it^^i^^  überf)aupt  leugnete. 

Sllfo:  §ine§  mu^  pt)^fifcf)  juge^en  unb  erüört  werben; 
unb:  Stiles  mn^  metapf)t)fifrf)  betrad)tet  unb  gebeutet  werben. 
®a§  ift  bie  g^ormel,  in  ber  ^^tjfifer  unb  9}Zetap:^t)fiter  überein!ommen 
fönnen;  wobei  benn  baf)ingefteEt  fein  mag,  wie  gro^  auf  beiben  (Seiten 
ber  9fteft  bleibt,  unb  auf  weld^er  er  größer  ift.  ®ie  g^einbfc^aft  3Wifd)en 
beiben  fommt  öon  ber  ^fJeigung  §u  Übergriffen.  2(uf  Seiten  be§  9fiatur= 
forf(^er§  erfc^eint  fie  aB  9^eigung  gur  9^egation  be§  9Jietop§l)fifd^en 
überhaupt:  e§  giebt  nur  ^t)t)fifc^e§,  ha§^  SBirflic^e  f)at  feine  anbere 
(Seite,  a(§  bie  mir  jugefetjrte.  ?luf  ©eiten  be§  9JJetopf)l)fi!er§  al§ 
9Jeigung,  bem  ^^t)fifer  ein  irgenbwie  großes  9laturgebiet  ab^uftreiten, 
um  e§  allein  metapf)t)fifd)  gu  erflören. 

Unb  ^ier  ift  benn  freilief)  gu  gefte^en,  ha^  bie  9J?etapt)l)fi!er  ju 
biefer  ©inmifc^ung  in  bie  pf)t)fifcJ)e  (Srflärung  öon  jefjer  einen  ftarfen 
unb  faft  unwiberftef)Iid)en  §ang  gezeigt  unb  baburcf)  immer  wieber 
bie  abfolute  51blef)nung  ber  9J?etap{)t)fif  im  9}?ateriali§mu§,  a\§>  ber 
SlbfoIutfe|ung  be§  ^t)l)fifd)en,  f)eröorgerufen  fjaben.  ©iefer  §ang  tritt 
in  jener  breiten  unb  rebfeligen  natürlidjen  X^eologie  be§  üorigen 
Sat)rf)unbert§  f)ert)or,  wo  bie  5(uf§eigung  be§  „9hi^en§"  ober  ber  „'äh- 
fid^t  be§  ©c^öpferS"  ftatt  einer  (Srftärung  bienen  foüte.  (£r  tritt  in 
onberer  SBeife  ^eroor  in  ber  ^odfjmütigen  ®eringf(f)ä|ung,  mit  wet(f)er 
bie  fpefulatiüe  ^^ilofoptjie  bie  empirifc^e  9^aturforfd)ung  im 
ganzen  jwar  aU  eine,  wenn  aud^  inferiore  ©eifteSt^ätigfeit  gelten  lieB, 
bei  (SJeIegen()eit  aber  auc^  ^ured^t  wie§  unb  eine§  befferen  be{ef)rte;  f)atte 
fie  bocf)  ben  ©iun  ber  <Bad)t  begriffen,  wie  follte  fie  alfo  nid^t,  wenn 
e§  ja  bie  2J?üf)e  Iof)nte,  oudj  ben  urfad)üd)en  ^ufanimenfjoug  barjulegen 
üermi3genb  fein?  Wan  begegnet  if)r  ober  oud^  bei  folc^en  ^f)iIofopt)en, 
bie  grunbfä^lirf)  ha§>  S3erf)ä(tui§  äwifd)en  pf)t)fifd)er  @r!lärung  unb  meto= 
p^t)fifd)er  Interpretation  ri(f)tig  f äffen.  @o  j.  93.  bei  (Srf)openl)auer. 
Sm  gongen  ift  feine  S(nfid)t  öon  bem  ^erf)ältni§  ber  ^t)i)fif  unb  SDZeta= 
pf)t)fif  bie  oben  angebeutete.  ^ber  bouebeu  ift  er  bod)  ftets  bereit,  bem 
^§t)fifer  ing  ^anbwer!  gu  pfufdjen,  ba§  ijn^t  mit  einer  metap^i)fifc^en 
©rflörung  eine  maugeinbe  pf)l)fifd)e  ju  erfe^en.  (Sigentlid)  beftet)t  ^wifdien 
bem  9Jietapf)t)fifdjen  (bem  SBillen)  unb  bem  ^t)t)fifc^en  fein  Urfadjöer« 


3.  trtttf  be§  teleologijc^en  93ett)eifeS.  171 

f)öltniö;  ein  foIc^eS  finbet  [tatt  5tt)ifd)en  ben  Dbjelten,  aber  nid^t  5rt)ifd)en 
®ing  on  fitf)  iinb  (^rfd^einung:  „'^hn  barf,  [tott  eine  p^Qfifaü jdje  (Sr= 
üärung  gu  geben,  jid)  fo  n^enig  auf  bie  Objeftioationen  be§  2öiüen§ 
berufen  al§  auf  bie  ©d)öpfer!raft  @otte§.  S)enn  bie  ^^^fi!  »erlangt 
llrfac^en:  ber  SBiüe  ift  aber  nie  Urfadje."  „2)ie  Sitiologie  ber  9Jatur 
unb  bie  ^^ilofop^ie  ber  9Jatur  tl)un  einanber  nie  5(bbruc^,  fonbern 
get)en  neben  einanber  l^er,  benfelben  ©egenftanb  au§  üerfc^iebenem  @e= 
fic^t§pun!t  betrad)tenb."  SDann  aber  ift  er  boc§  tuieber  fe^r  ouf  @r= 
fd)einungen  au§,  bie  ber  ^^ijfifer  nid;t  ju  erftören  öermiJge,  §.  $8.  bie 
Seben^oorgänge;  er  entrüftet  fid^  über  bie  „ftupibe  3tb(eugnung  ber 
i^eben§!raft",  unb  ben  SSerfud^,  „bie  @rfd}einungen  be§  SebenS  au§ 
pf)t)fifa(ifcl^en  unb  d^emifdjen  Straften  ju  erflären,  biefe  aber  mieber  au§ 
bem  mec^anifd^en  SSirfen  ber  9J?aterie,  Sage,  ©eftalt  unb  Semegung 
erträumter  5(tome  entftef)en  gu  laffen".  „@efe^t,  biefeS  ginge  an,  fo 
UJÖre  freilid)  afleS  erflärt  unb  ergrünbet,  ja  äule|t  auf  ein  9fied)enej:empel 
§urüdgefüt)rt,  inetdje^  benn  \)a§:  Slüerljeiligfte  im  STempel  ber  2ßei§t)eit 
n)öre."  ©o  gebietet  f)ier  bie  9J?etapf)i)ftf  ber  ^^t)fi!  ober  5ttioIogie  ber 
9Zatur  §alt,  um  felbft  bie  @ac^e  in  bie  §anb  ju  nehmen.*) 


*)  SBelt  aU  aSiUe  unb  SBotftellung  I,  §§  24  ff.  man  öergtetd^e  aud)  bie 
©teHe  im  „^Bitten  in  ber  9Jatur"  (Slb^dinitt:  bergteid)enbe  Slnotomie),  wo  er  Samord 
burd^  3)Jetapf)i)fif  üerbeffert:  jener  f)obe  nämli(^  bie  (Snttridelung  ber  lebenben  3Befen 
nid^t  ben!en  fönnen  al§  in  ber  Qdt,  burcf)  ©ucceffion;  aui  TiaxiQd  an  ^antif(^er 
®rfenntni§t^eorie  '^obe  er  nimmer  ouf  ben  ®ebon!en  fommen  fönnen,  i>a'\i  ber  SBiUe 
be§  Sierel,  atg  S)ing  au  fid),  auBer  ber  Qdt  liege  unb  bod)  ©eftalt  unb  Drgonifation 
be[timme.  —  9Son  f)ierau§  i[t  aud^  ©d)openI)auer§  ^"tereffe  an  aEerlei  abnormen 
(grfc^einungen,  tierijd)em  9Jiagnetigmu§,  |)ellfe:^en,  fi)mpat^etifd)en  turen  u.  f.  ttj. 
üerftönbUd^:  I)ier  ift  bie  $t)t)fif  gu  Snbc,  bagegen  üermag  bie  5Ketapt)i)fi!  mit  bem 
burd^  9iaum  unb  Qdt  nid)t  gebunbenen  SEBitlen  bie  2)inge  ju  fonftruieren,  unb  in= 
fofern  finb  jene  (Jrf(^einungen  $8eftätigungen  ber  2;t)eorie.  —  2tuf  bieje  SOSeife  ge* 
fd)ie:^t  ei§,  ba'ß  aud}  bie  $^i(ofopt)ie  ®d)open:^auerl  bem  SfJaturforfc^er  t)erböd)tig 
mirb,  bem  fie  fonft  jo  meit  entgegenfommt. 

Unb  ganj  berfelbe  Um[tanb  ift  an  ber  $:^itop:^ie  be§  Unbemufeten 
bem  ^^t)fifer  abfto^enb;  aud^  fie  beruft  fid)  auf  ßüden  im  pt)t)fifc^en  taufal^ufommen« 
i)angc,  um  borin  ba§  meta:pf)i)fifc^e  ^rinjip  be§  UnberouBten  onaufiebeln.  ü.  Jport* 
monn  ^ot  übrigen^  felbft  bie  beutlidifte  ©infid^t  in  boi?  SSer^ltnig.  Qu  ber  Sd^rift 
„2)o§  UnbemuBte  öom  (Stonbpunft  ber  ^cfcenbenjttjeorie",  bie  er  juerft  ononi)m 
beröffentlid^te,  ftellt  er  fid)  gonj  ouf  ben  ©tonbpunü  ber  9?aturforfd^ung :  oEe  9Zatur= 
öorgönge  V^^ififff)  bebingt.  ign  ben  SSorbemerfungcn,  mit  benen  er  biefe  ©d^riftbonn 
unter  eigenem  SZomen  mieber  t)at  obbruden  laffen  ($t)iIof.  b.  UnbeU).  10. 3IufI.  IIT, 


172    I.  93uci):  Wlttap^t)\il  2.  ^apM:  ®a§  fo^mologifc^^t^eologifc^e  «Problem. 

S(f)  gel^e  nun  auf  bie  teteologifdje  $8en:)et§fü^rung  mit  ein  paar 
fritijdjen  58emerfungen  ein.  ©ie  behauptet  aljo:  gettjiffe  ©rfdjeinungen 
ber  Statur,  6efonber§  bie  organifdjen  Q3itbungen  feien  nirf)t  rein  pf)t)[ifd) 
5U  erüären.  S^re  5(f)nlic^!eit  mit  SBerfen  menfd)Ii(f)er  ^unft  unb  516= 
fid^t  fei  fo  groB,  ha'^  fie  nur  qI§  ein  ®t)ftem  üon  SOättetn  unb  ^rvtätn, 
ha§:  feine  5(norbnung  einem  intelligenten  SSefen  üerbanfe,  erflärt  werben 
fönnten.  Unb  bemnad;  muffe  bie  ganje  9latur,  ha  jene  53ilbungen  mit 
if)r  in  untrennbarem  3ufamment)Qng  [täuben,  a\§>  boS  SSer!  einer 
Snteöigen^  angefef)en  merben. 

©olt  ber  33emei§  nid^t  bei  ber  bloßen  Sßerneinung  ber  SJJöglic^' 
feit  einer  pf)t)fifd)en  (Srüärung  ftet)en  bleiben,  tuiü  er  eine  pofitiöe 
Srtieorie  ber  SSirÜic^feit  njerben,  fo  finb  it)m  jmei  ?Iufgaben  gefteHt: 
1)  ben  3tt3ed  barjutegen,  ben  jene  intelligent  im  Sluge  t)atte;  2)  ju 
geigen,  boB  bie  9ktur  ein  angemeffene§  ©^ftem  üon  9JMttetn  gu 
feiner  (5rreid)ung  ift. 

2öa§  ben  ^tütd  anlangt,  fo  moKen  mir  un§  §unäd)[t  an  ber  5Iu§» 
!unft  genügen  laffen,  auf  bie  aüe  Seleologie  immer  l)inau§!ommt:  er 
beftet)e  in  bem  2öol)l  lebenber  Söefen;  „@ott  ^at  aüeS  um  ber  Sebenbigen 
miüen  unb  biefe  ju  i^rem  2ßol)l  erfd^affen,"  fo  formuliert  B.  9f?eimaru§ 
in  feiner  im  oorigen  SQl)rt)unbert  ^oc^  angefe^enen  teleologifdjen  9^atur= 
pl)ilofo|3t)ie  ben  Qwtä  ber  2)inge.*) 

40  ff.),  fpttd)!  er  fidE)  über  ben  SIKangel  fernes  urfprüngltd^en  Slu§gong§pun!te§  bal^in 
ou§:  ber  forrefturbebürftige  ^un!t  ber  ${).  b.  Unb.  fei,  bo|  fie  in  ber  2)urd^füf)rung 
bie  mec^onifd^e  SSermittetung  unterfci)ä^e  ober  gonj  überfef)e.  @r  ptte  fagen  foHen; 
nid^t  überfef)e,  fonbern  bie  llnäulänglid)feit  ber  med)anifd)en  SSerurfac^ung  gunt  93e* 
n)ei§  für  bie  9?otoenbigfeit  ber  ©intrirfung  bei  Unbetuu^ten  mad^e.  333enn  er  je^t 
ba§  93effere  mei^,  ttjarum  tä^t  er  bod)  ben  unglücEHd^en  9(ulgang§punft  fielen? 
SBeil  „bie  x^xaQt  boä)  nur  bon  fefunbärer  3!öid)tigfeit  ift"?  ®a§  ift  eine  feltfame 
2(u§rebe  im  SJlunbe  eineS  Mannte,  ber  fo  großen  SBert  barauf  legt,  mit  ber  S^iatur* 
forfd)ung  fid)  gu  öerftänbigen.  Siegt  bie  ©adE)e  bieHeid^t  fo,  ba§  er  bo§  SOBer!,  ia§ 
it)n  einft  über  9Jod)t  pm  berül^mten  äJlonne  mod^te,  je^t  nid)t  fallen  laffen  fann, 
obmof)!  er  in  biefem  roie  in  onbern  fünften  öon  i^m  fid)  innertid)  loSgelöft  ^at? 
3)cnn  auc^  mit  bem  $effimi§mu§  fdbeint  e§  nid)t  unäfinlidf)  gu  ftet)en,  menigftenä 
geigt  er  in  feinen  ipättxen  ©d)riften  bie  ?Jeigung,  aucE)  if)n  all  ein  ablölborel  ©tüd 
bei  ©^fteml  §u  be^nbeln,  mit  beffen  2Ib{et)nung  bog  ©t)ftem  ebenfo  menig  foHe, 
wie  mit  ber  Slblcl^nung  ber  3(nfid^t,  ba§  ha§  Unbenjufete  fid^  nidE)t  nur  in,  fonbern 
auc^  neben  ber  natürtid^en  SBermittelung  äußere. 

*)  S.  Dieimarul,  2)ic  öorne^mften  SBafir^^eiten  ber  natürlidf)en  ^Religion, 
3.  3t.  (1766)  ©.  300. 


3.  Äriti!  beg  teleotogifd^en  Seiüeifeg.  173 

SBie  fteJjt  e§  nun  mit  ber  SSermittelung?  (Stellt  ftd^  ber 
unBefangenen  SSetradjtuntj  bie  Statur  aU  ein  ®t)[tem  öon  9J?itteIn  511 
biefem  ^w^d  bar?  Scf;  fürdjtc,  el  iuiire  eine  f)arte  Sütfgabe,  bem,  ber 
bie  Überzeugung  ni(^t  mitbringt,  fie  angubemonftrieren.  9)?Qn  ad^te 
juerft  auf  ba§  3?erfat)ren  ber  ^Jtatur  in  ber  cf)eriiorbringung  ber  lebenben 
SBejen;  gleicht  e§  in  ber  g^orm  mcnfdjlidjer  ß^^cE^^J'itiGf*-'^*'^  SBenn 
ein  9J?ann,  um  einen  §afen  ju  fc^ie^en,  SOäUionen  @en)et)rläufe  nad) 
allen  Üiid^tungen  in§  33Iinbe  abfeuerte,  ttjürbe  jemanb  bie§  ein  jn^ed» 
mä^igeä  2?erfa'^ren,  §afen  gu  erlegen,  nennen?*)  9hin,  ha^  93erfa^ren 
ber  9^atur  in  ber  ^ernorbringung  lebenber  SBefen  ift  nic^t  gang  un= 
ä^nlid);  fie  fe|t  taufenbe  öon  Äeimen  in  bie  SSelt,  um  einen  5U  Dotier 
®ntn)idelung  ju  bringen.  (Sin  einziger  ttjeibtid^er  g^ifd^  fe^t  in  einem 
Sa^re  l^unberttoufenb  (gier  ah.  2Benn  afle  biefe  Seben^feime  gebieten, 
fid)  entmidelten  unb  entfprec^enbe  9Zad)fommenfd)aft  tjintertieBen,  fo 
tt)ürben  olle  (SJettJöffer  in  wenig  :3at)ren  öon  ^^ifc^en  erfüttt  fein,  ©ie 
finb  eg  nid)t;  unb  ebenfo  luenig  ift  bie  @rbe  öott  öon  §afen  ober 
ßaninc^en,  obmo^I  and)  f)ier,  wie  man  beredjuet  ^at,  bie  9^adjfommen 
eines  einzigen  ^aare§  in  njenigen  Satiren  ju  9JfiEionen  anmad)fen 
mürben,  menn  alle  fic^  ert)ielten.  S)ie  Urfadje  ift,  •ha'<^  öon  taufenb 
2eben§feimen  nur  einer  am  Seben  bleibt;  bie  anbern  getjen  auf  ben 
öerfd^iebenen  ©tufen  ber  (gntmidelung,  obmotjl  fie  an  fid^  lebenSfäi^ig 
finb,  au§  SERangel  an  günftigen  (SntmidelungSbebingungen  mieber  gu 
©runbe.  Untergang  ift  bie  ü?egel,  (Sr^altung  unb  (Sntmidetung  bie 
2lu§nat)me.  ®ic  gemöt)nlid)e  S3etradjtung  überfiel)t  ba§,  fie  fie()t  nur 
bie  günftigen  g^öüe.  3)ie  ungünftigen  treten  eben  nid)t  in  bie  (Sr= 
f^einung.  @§  gefjt  f)ier,  mie  bei  ber  ßotterie,  auf  einen  großen  ^Treffer 
fommen  taufenb  9iieten.  Stber  bie  DZieten  mad)en  nidjt  öon  fid)  reben, 
öon  bem  großen  So§  bagegen  fprid)t  aüe  SBelt;  unb  ba^er  fie^t  ba^ 
©eminnen  fo  ma'^rfd^einlid)  au§.  S^on  ber  Sogt!  eines  9Jianne§  aber, 
ber  §u  bemeifen  unternöf)me,  ha^  ha^  ßotteriefpiet  ein  gmedmä^igeS 
Sßerfat)ren  fei,  fi(^  ein  35ermögen  ju  ermerben,  mürben  mir  bennoc^ 
feine  aüäu  günftige  9)Zeinung  un§  bilben.  9hin,  el  märe  biefelbe  Sogif, 
mit  ber  bie  überlebenben  gifdje  unb  ^aninc^en,  ober  if)r  naturpt)iIo= 
fopt)ifd)er  ?tnma(t   ben  Semei§   ^n   füljren   t)ätte,   ba^  bie  9ktur  eine 


^)  2)al  5BiIb  bei  %.  3t.  Sänge,  ®efd).  beä  9Jkt.  II,  246. 


174    I.  93uc^:  meta\)'i)t)\il  2.  Äopitel:  ®o§  fo§motogifcfi4^eoIogifc^e  Problem. 

ätüedmä^ige  SSeranftoItung  jei,  um  g^ijd^e  unb  ^'anindjen  l^eröoräuBrütgen. 
Sener  (Sd^iffer,  öon  bem  bei  Gicero  erää^lt  lüirb,  lüar  ein  befjerer 
Sogifer.  51(1  man  i^m  gurebete,  fiel)  burcf)  ein  ©elübbe  beim  9J?eergott 
gegen  <S(i)iffbrucl^  gu  üer[t(f)ern,  unb  auf  bie  fielen  Silbniffe  f)inn)ie§, 
bie  üon  (Geretteten  al§  2Beif)gefd)en!e  im  Xempel  aufgefjangen  njaren, 
erttjiberte  er  mit  ber  ^rage:  unb  n^o  finb  bie  Silbniffe  berer,  bie  um= 
gefommen  finb? 

©in  SSerteibiger  ber  Seteologie,  ber  üon  3)artt)in  gelernt  ^at, 
möchte  ermibern:  ber  Über jd)ufe  ber  Sebensfeime  ift  notiüenbig,  um  ben 
^ampf  um§  SDafein  ju  untertjalten,  moburct)  bie  Steigerung  ber  g^orm 
bemirft  wirb.  —  3Bof)(.  SIber  nun  ad^te  man  auf  bie  g^orm,  in  ber 
ber  %oh  bie  StuSieje  öo{l5iet)t.  Sie  6^o(era  fommt  über  t)a§^  ßanb; 
fie  rafft  2t(te  unb  Sunge,  SSeife  unb  3Jarren,  ©efunbe  unb  ^ron!e, 
®tar!e  unb  S^rüppet  t)intneg,  oI)ne  großen  Unterfc^ieb  §u  mad^en.  @§ 
mag  fein,  ha'Q  bie  Starfen  unb  ^Vernünftigen  fid^  burcE)fcijnittüd^  ettt)a§ 
nnberftanb§fä£)iger  ermeifen.  S)ennocE)  n)irb  mon  fagen  muffen:  e§  ift 
ein  fet)r  plumpes  unb  un§uöer(öffige§,  ein  med^onifd^eS  ®urd^fd^nitt»= 
öerfatjren,  beffen  formelle  ^medmöfeigfeit,  mit  menfd)lid§em  äJioBftab 
gemeffen,  nicfjt  eben  auf  t)o{)er  ©tufe  fte^t. 

Dber  man  ad)te  auf  bie  2;f)atfarfjen,  bie  ^aecfet  unter  bem  ^itet 
ber  ®l)§teIeo(ogie  gefammelt  f^at:  mofier  bie  nu^Iofen  ober  fd)äbüd)en 
53ilbungen  im  Organismus,  mie  ber  SSurmfortfa^  be§  93Iinbbarm§, 
ber,  fo  üiel  mir  fe^en,  niemonb  jum  9^u|en,  taufenben  gum  qualooHen 
^erberben  mirb? 

Dber  man  ad^te  auf  'J^atfai^en,  bie  man  geograpf)ifdE)e  unb 
foSmifdje  ®t)§te(eotogieen  nennen  fönnte.  (S§  liegt  auf  ber  .^anb,  bafe 
jene  te(eoIogifd)e  9^aturpf)i(ofopf)ie,  menn  fie  ben  Sau  unb  bie  (Sin* 
rid)tung  ber  lebenben  SBefen  burd;  bie  (äinmirhing  einer  !o§mifd)en  ober 
fupramunbanen  intelligent  erftären  mill,  auc^  bie  @eftalt  ber  (Srbe 
unb  anlegt  be§  gangen  !o§mifdjen  (Si)ftem§  au§  ben  S(bfid)ten  jener 
Snteüigeng  !^erleiten  mu^.  (Siebt  eS  eine  teIeoIogifd)e  (55eograpt)ie? 
lonn  e§  fie  geben?  greiüd),  e§  giebt  %dU  ber  (Srboberftädie,  bie  fic^ 
gur  SSofjuftötte  tebenber  SBefen  oortrefftidi  fc^iden.  Stber  nid)t  meniger 
giebt  e§  meite  öJebiete,  bie  fid)  für  biefen  ^wed  oöUig  unfrudjtbor 
ermeifen.  Tlan  mag  babei  öon  ben  au§gebef)nten  ^olargonen,  ober 
öon  ben  meiten  StReereSfläd^en  nod^  abfeljen,  jene  mögen  burd^  foimifd^e 


3.  ^itif  bei  teteologifc^en  93ettJei|e§.  175 

D^otttjenbigfeit,  bieje  biird)  teleologifrfie  9f?ü(J[id)t  ouf  bie  flimatijiiien 
SSerf)Q(tniffe  ber  kontinente  geredjtfertitjt  fein,  audfj  finb  fie  ja  felbft 
nid^t  of)ne  SeBen.  5I6er  ido^h  ber  ungeheure  äöüftengürtel,  ber  fid) 
bnrd)  bie  beiben  großen  kontinente  ber  alten  SBelt  f)in§ief)t?  SieB  \i(i} 
bie  @af)ara  nidjt  üermeiben?  @§  jc^eint,  of)ne  groBe  SJiii^e;  wenn  ber 
SDieerbufen,  ber  Italien  gegenüber  in  ben  9lorbranb  ?Ifrifa§  eingefdjnitten 
ift,  ein  paar  fjunbert  äReilen  tiefer  geführt  märe  unb  fic^  f)ier,  lüie  ein 
gnjeiteS  mittellänbifc^eg  SJieer,  ä^ntid)  etwa  ber  Oftjee  in  ©uropa,  mit 
mannigfaltigen  lüften  öerjmeigte,  menn  ba^u  ben  ©ebirgen  biefeS  un= 
gefügigen  Kontinents  eine  etmaS  anbere  Sage  nnb  ©lieberung  gegeben 
märe,  jo  märe  bamit  eine  ganje  neue  2öelt  §u  geminnen  gemefen. 
Wan  bemunbert  bie  ©lieberung  @riec^enlanb§  ober  @uropa§,  aber  ift 
e§  nidjt,  a(§  ob  alte  ßunft  unb  (Sorgfalt  f)ier  aufgegangen  unb  für 
bie  nnge{)euren  fianbmaffen  SlfienS,  S(frifa§,  5(uftralien§  menig  ober 
feine  2;eilnaf)me  übrig  geblieben  fei?  (S§  mag  fein,  bafe  eine  öoüfommenere 
©infidjt  al§  bie  unfere  ha§^  Üiätfet  §u  löfen  öermag.  §ier  aber  Ijanbelt 
e§  fic^  um  einen  S3emei§,  um  eine  3^t)eorie,  unb  eine  foId)e  fann  man, 
mie  §ume  einmal  fagt,  nidjt  madjen  aug  bem,  ma§  man  nid)t  meiB, 
fonbern  nur  au§  bem,  ma§  man  mei^. 

Unb  mie  ftet)t  e§  mit  ber  teleologifd^en  Kosmologie?  @iub 
aud^  bie  anbern  ^immelSförper,  finb  aud)  nur  bie  übrigen  ^(aneten 
unfereS  (5i)ftem§  gu  SBofinftätten  beS  SebenS  geeignet?  Dber  finb  fie 
in  äf)nüd)er  Sßeife,  mie  jene  Kontinente,  üeruac^täffigt?  Sßir  '^aben 
!eine  äliittet,  bie  5^age  ju  beantmorten.  SBie  nun,  menn  jemanb  eS 
leugnete?  SBenn  er  mat)rfd)einli(^  gu  machen  müBte,  ha'^  menigftenS 
mand^e  unter  biefen  Körpern  ^u  Prägern  be§  Seben§  nid)t  geeignet 
feien,  ha^  unfere  @rbe  if)rer  g(üc!(id^en  (Steüung  im  @t)ften  ben  35or= 
jug  be§  SebenS  öerbanfe,  unb  ha'i^  bie  übrigen  ^taneten,  obmo't)! 
fie  fo  gut  mie  jene  organifierbare  9)?aterie  im  Überfluß  tjätten,  au§ 
SD^angel  ober  Übermaß  an  ©onnenmärme  ober  anberen  Sebingungen 
e§  nid)t  ^um  Seben  ju  bringen  üermödjten?  (S§  fann  niemanb 
biefen  SemeiS  führen,  bie  formen  unb  93ebingungen  be§  irbif^en 
ßebenS  finb  nidjt  33ebingungen  be§  ßebenS  überfjaupt;  aber  e§  fann  aud) 
niemanb  ben  53emei§  für  ba§  Gegenteil  f üf)ren,  unb  bamit  ift  gegeben,  bafe 
el  nid)t  (Sinficfjt,  fonbern  SSilltür  ift  ju  bet)aupten:  hü§:  Uniüerfum  fei 
ein  jum  ßmed  ber  Semof)nung  burd^  tebenbe  SBefen  eingerid)teter  Sou. 


176    I-  93uc^:  Tlttap^t)\il  2,  ftapitel:  ®o§  fogmoIogtfc^=t^eoIogifc^e  Problem. 

SSenn  man  ein  @Iq§  mit  einem  ^ftanjenanfgn^  ber  Suft  ju- 
gänglic^  ^infteüt,  bann  entft)icfelt  fic^  in  fnrgem  eine  SBelt  tebenber 
SSefen  borin,  eine  SSelt  öon  Snfuforien,  bie  it)ren  9^amen  eben  öon 
bem  5tu[guB  i)aben.  3)ie  S3iologen  fagen  un§:  bie  Äeime  ju  foldjen 
SSejen  [inb  in  ber  ßnft  allöerbreitet;  finben  fie  einen  giinftigen  33oben, 
n^ie  in  jenem  ^flonäenQufguf?,  fo  !ommen  fie  §nm  Sekn.  SBenn  biefe 
Stiere  SfZoturpfiilofopljen  ttjören,  fo  könnten  fie  fo  f(i)üeBen:  nnfer 
SDafein  ift  allein  burd)  biefe  befonbere  3ufammenfe|nng  unb  Tempe- 
ratur be§  großen  äHeereS,  in  bem  n)ir  fo  glücflid^  finb  ju  leben,  mög= 
lid^.  @§  muB  bal)er  angenommen  njerben,  ha'^  nnfer  9Jleer  unb  feine 
tt)eitere  Umgebung,  tt)enn  e§  eine  fold^e  geben  foüte,  burcl)  einen 
(gdjöpfer,  ber  nnfer  fieben  njoKte,  gemacl)t  ift.  —  SSenn  biefe  Xiere 
nun  aber  in  @rfol)rung  bräcf)ten,  baB  in  bemfelben  Slugenblid,  in  bem 
fie  burd)  einen  glüdlid^en  Suftgug  in  jeneg  SSaffergla§  gett)orfen 
njurben,  3J?iEionen  ebenfo  leben§fät)iger  Ä^ime  baneben  fielen  unb  üer« 
barben:  UJÜrben  fie  auc^  bann  on  it)rer  teleologifc^en  ^l)ilofopl)ie  feft= 
t)alten?    Unb  tt)ürben  mir,  menn  fie  t§>  tljäteu,  il)re  ßogi!  loben? 

@o  ftel)t  e§  mit  ber  Söfung  biefer  (Seite  ber  5lufgabe,  ber 
S)emonftration  ber  S^^atur  aU  eine§  angemeffenen  @t)ftem§  üon  9J?itteln 
jum  ßmed  be§  SDafeinS  lebenber  SSefen.  SSir  rid)ten  nun  unfere  2tuf= 
merffam!eit  ouf  ben  üorauggefe|ten  Q'mtd. 

Sn  ber  %1)üt  mirb  feine  menfd)lid)e  Xeleologie  i^n  mo  anberg 
fud^en  fönnen,  al§  in  bem  SDafein  lebenber  SSefen;  o^ne  ßeben  märe 
bie  SBelt  un§  abfolut  gleid)gültig  unb  nntierftänblid).  ®ie  Stufgabe 
ber  Slbfid)teuteleologie  märe  nun  alfo,  ^n  jeigen,  ba'i^  gerabe  biefe 
ßebemelt,  mie  fie  un§  vorliegt,  bem  t)öd)ften  ßrocd  entfprid^t,  ha§ 
abfolute  @ut  barfteltt.  @ie  mirb  gu  geigen  ^aben,  ha^  alle  bie  taufenb 
formen  ber  STiere  unb  ^flangen  gur  Sßermirflid^ung  be§  Sßertmay imum§, 
ber  beften  SSelt,  erforberlid)  finb.  Sft  fo  etma§  jemals  geleiftet,  ift 
e§  auc^  nur  üerfud)t  morben  ?  .^at  man,  mie  un§  ber  Interpret  einer 
SDidjtung  bie  innere  ^fiotmenbigleit  jeber  ^erfon,  jeber  ^anblung,  jebe^ 
5luftritt§,  jeber  ^^ik  be§  2)rama§  baräuftellen  oermog,  fo  bie  innere 
9^otmenbig!eit  jeber  ^ier=  ober  ^flangenart  aufgezeigt?  §at  man  ein= 
leud)tenb  gemacht,  ta^  etma§  fet)len  mürbe,  menn  fie  megfiele? 

Dber  ift  ba§  nid)t  nötig?  ;3ft  bie  53ebeutung  unb  ber  SBert 
jeber  f$orm  ot)ne  meitereS  einleud)tenb,  empfinben  mir  fie  unmittelbar 


3.  Äritif  öeg  teleologifc^en  Seioei^eä.  177 

at»  eine  93erei(fjerung  ber  SBIrflid^leit?  —  Offenbar  ift  ba§>  nid^t  ber 
gall;  menn  n)ir  anfangen  lüoUten,  biejentgen  ßebensformen,  beren  3Sert 
unjere  (Smpfinbnng  oI)ne  n^eitere  ^rage  gelten  läBt,  aufäU5ä{)(en,  tt)ir 
lüiiren  balb  am  (Snbe,  njenigftenS  bei  ben  Vieren.  ®ie  3'^'^'^  ^^^ 
Strien,  bie  un§  erfreulid)  unb  njertöoß  finb,  ift  ffein,  oergüc^en  mit 
ber  unenbüd)en  «Srfjar  ber  SSefen,  bie  un§  üi)Uig  gteid^gültig  ober 
njiberttJärtig  unb  uert^a^t  finb.  SDer  SSegfalt  öon  tanfenb  formen 
beffen,  n)a§  ha  freud;t  unb  fleud^t,  würbe  un§  nirf)t  im  minbeften 
!ränfen;  njer  nid)t  ßoolog  ift,  würbe  if)n  !aum  bemerfen,  unb  felbft 
unter  bcn  ßoologen  ütelleic^t  nur  ber  ©pe^ialift.  ^a,  ja^treic^e  formen 
be!o  SebenS  fönnen  luir  nid;t  o^ne  SöibenniHen  unb  @rauen  betrachten, 
id)  erinnere  nur  ou  bie  parafitifd)en  (Sinftengen,  bie  im  ober  am  Seibe 
anberer  i^r  2öefen  Ijaben.  2öie  ber  menfd)lid)en  (Smpfinbung  ein 
großer  Steil  ber  SEierluelt  oorfommt,  ba§  jeigt  ber  Umftanb,  boB  man 
feine  Urfjeberfd^aft  einft  unbefangen  bem  STeufel  gufi^ob.  SDie  5!ir(^en- 
teljre  ^ilft  fid)  bamit,  ha^  fie  jlnifcften  ®ott  unb  bie  9latur,  wie  fie 
je^t  ift,  ben  ©ünbenfaü  fel^t,  mit  bem  ba»  S3erberben  in  ©otteä 
©djöpfung  t)ereingebrod)en  fei. 

9iun,  aEe  jene  ©efd^öpfe,  weld^e  bie  outgäre  ßoologie  mit  bem 
.^od)fd)ä^ung  nidjt  auSbrüdenben  Flamen  be§  Ungeziefern  jufammenfaBt, 
finb  mit  gteid)er  (Sorgfalt  üon  ber  D^atur  gebilbet.  ®er  (Sougrüffel 
ber  SSan^e  foü,  wie  Eingeweihte  üerfic^ern,  ein  Wahres  SBunberwerf 
ber  Jted^ni!  fein.  (S§  liegt  auf  ber  §anb,  ta^  man  burd^auS  benfelben 
©djluf3  §ief)en  muis,  wie  au§  bem  S3au  be§  menfd)Iid)en  STuge^.  @§ 
liegt  aber  aud^  auf  ber  §onb,  ha'^  wir  bamit  üor  ein  neuen  un» 
gef)eure§  Sf^ätfel  geftellt  finb:  wie  fann  ein  ©eift,  oon  beffen  ted^nifdjer 
Sntelligeuä  wir  eine  fo  groBe  ^ßorfteltung  nun  bilben  müßten,  auf  ha§> 
jE)afein  biefer  ©efdjöpfe  äöert  legen? 

SJieüeid)!  wenbet  jemanb  ein:  nid)t  borauf  fomme  en  an,  baf; 
wir  imftanbe  feien,  jene  Silbungen  in  i^rem  SBert  ^u  öerfte^en. 
SDa§  fei  ein  Überreft  ber  engen  S3etrad)tung  ber  alten  antt)ropo  = 
jentrifd^en  Xeteologie,  bie  ben  SBert  aüer  SDinge  au§  i^rer  33e- 
jietjung  jum  9)?enfd^en  ableitete.  S(n  i^re  ©teile  fei  bei  ©infic^tigen 
längft  eine  anbere  33etrac^tung§weife  getreten,  bie  immanente  STeleo^ 
logie.  (Sie  frage  nidjt  nod^  bem  Sf^n^en  ober  2öert  einer  Strt  für  ben 
9}Zenfd)en,  fonbern  betradjte  jebeä  ©efdjijpf  oI§  (Setbftgwed.    Um  feiner 

*lJaulicn,  giulcitung.    ti.  3iuf[.  12 


178    I.  S3u^:  aRetop^^ftf.  2.  Äopitet:  S)o§  Io§nto(ogtid^4f)eologiid)e  <Probtem. 


jelbft  tüillen  feienb,  fei  fein  ©ofein  gered)tfertigt,  wenn  e§  üon  i^m 
fetber  mit  93efriebigung  empfunben  ttierbe. 

9Zef)men  tt)ir  an,  e§  fei  fo,  bann  ttjäre  otjo  gu  beroeifen,  bofe 
innere  Drganifation  nnb  äußere  Umgebung  fid^  überall  ai§>  ein  ©^[tem 
öon  9}litteln  p  bem  ßmed  barftedten,  ben  lebenben  SBefen  il)r  jDafein 
gu  einem  befriebigenben  unb  glücElirfien  ju  macfjen.  Sft  biefer  33e= 
mei§  geführt  morben?  !ann  er  gefüf)rt  werben?  ^ä)  glaube  nid^t. 
Sa,  e§  märe  mot)I  nid)t  fdjmer,  bie  Sf)atfac^en  fo  baräuftellen,  \)a'^ 
barau§  e^er  bie  @lei(f)gültig!eit  be§  Urhebers  gegen  biefen  ßxotd  ju 
oermuten  märe. 

2)a§  Seben  oüer  Stiere  ift  ein  beftänbiger  ^ampf  um§  ®afein, 
b.  ^.  um  bie  ßeben^bebingungen.  ®er  ^ampf  enbigt  üermuttid)  für 
bie  groBe  SUiel^rgo'^I  mit  bem  Unterliegen,  lange  beüor  bie  innere 
2eben§fä^ig!eit  erfd)öpft  ift.  SSon  taufenb  keimen  fommt  t)ieüeict)t  nic^t 
einer  gur  (Sntmicfelung  unb  öon  ^unbert  entmi(felten  3Sefen  erreicht 
mof)(  nid^t  eines  fein  natürliche?  2eben§enbe;  \)a§:  ßeben  ber  übrigen 
mirb  burcf)  irgenb  meiere  Ungunft  ber  äußeren  SßerfjäUniffe  gemattfam 
abgef(f)nitten,  burc^  junger  unb  groft  unb  Unfäüe  otler  Slrt,  öor 
allem  bnrc^  einen  fd)redli(ljen  UnfoCl:  e§  faßt  bem  g^einbe  jur  S3eute. 
S)a§  ift  ni(f)t  ein  5{u§na'^mefaü,  ben  man  entfd)nlbigen  möcf)te,  fonbern 
regelmäßige  Suftitution,  bie  meiften  2:iere  bienen  beftimmnngSmäßig 
anbern  gur  Sla^rung;  if)r  ßeben  ift  beftäubige  ^Ind^t  unb  Stbme^r,  fei 
e§  öor  ftärferen  SSerfoIgern,  fei  e§  bor  Üeinen  parafitiftf)en  2öiber= 
fadjcrn.  SBarum  biefe  (5inrid£)tung,  menn  Sefriebigung  ober  &iM 
ber  Qtütd  mar?  SSarum  nid)t  allen  auf  anbere  STrt  bie  @rnäf)rung 
möglid^  marfjen,  burd^  '»Pftangenfoft  ober  auc^  burd^  unmittelbare 
9(ffimi(ierung  unorganifrf)er  ©toffe  in  geeigneten  S3erbinbungen?  SSarum 
fie  gerabe  auf  bie  9Jiitgefd)öpfe  anmeifen?  Söarum  bie  lebenben  ßeiber 
felbft  gum  $Jiä!t)rboben  unb  STräger  an  if)rem  Seben  5et)renber  geinbe 
madfien? 

Ser  unbefangenen  S3etract)tung  be§  93iologen  merben  bie  2!^at= 
fad^en  öiefleid)t  überhaupt  in  gan§  anberem  ßid^t  erfdjeinen:  Suft  unb 
©(^merj  nicf)t  3^^(f  unb  Übel,  fonbern  SJ^ittel  ^um  3^^^  '^^^  2eben§= 
ert)altung.  S)urd^  ben  ©dfimerj  merbe  iia§>  %m  angetrieben,  firf)  bem 
Sinftufe  be§  ©d^äblidjen,  ß^^f^örenben  gu  entjiefien,  burrf)  bie  fiuft 
angelocft,  bo§  9lü|Iic^e,   (Srf)aUenbe  gu  fud^en.     Unb  fo  öiel  er  fe^en 


3.  tritif  beg  teleologifc^en  SSetoeifeg.  179 

fönne,  öertoenbe  bie  '^latnx  beibe  WiM,  o^ne  ein§  oorju^tel^en;  foüte 
aber  ein§  üorgegogen  tuerben,  jo  fei  e§  iro^t  ef)er  ber  ©d)mer§.  2)er 
^wed  olfo,  auf  ben  bie  5Jiatur  abfiele,  fd^eine  bie  (Srfjaltung  be§  £eben§ 
§u  fein,  unb  stuor  me^r  al§  bie  (Srf)a(tung  be§  SnbioibuumS  bie  @r* 
f)altung  ber  5lrt.  ^ie  ^ernorbringung  unb  (Srfjaltung  ber  S(rttt)pen 
[teile  firf)  bemnoc^  al§  bo^  tfjatfäd^Iic^e  Qki  ber  SfJatur  bor. 

^Domit  ftänben  Xüiv  bann  mieber  oor  jenem  Ütätfel:  mic  fann  ba§ 
3)afein  aller  biefer  Seben^formen  ber  ßxütd  eine§  bem  unfern  äf)nlic^en 
®eifte§  fein?  5(uf  biefe  O^rage  antworten:  jebe§  STier  fei  Selbftämecf, 
f)eiBt  lebiglid^  ouf  ben  ©tumpffinn  fpefulieren,  ber  fid^  mit  einem 
SSort  abfpeifen  (öBt.  ©e^t  man  einfatf)  bie  2öirflid^!eit,  fo  mie  fie 
ift,  aU  abfoluten  ß^^i^^  ^Q""  ift  e§  allerbingS  feine  ^unft,  nad^ju^ 
meifen,  ha^  bie  9iatur  ein  genau  angepaßtes  ©gftem  öon  SJJitteln  ^ur 
©rreic^ung  biefeS  ßmdt§>  ift.  (Sinb  bie  ^iefelfteine  am  9J?eere§ufer 
„©elbftjmerfe",  bann  !ann  man  aurf)  au§  if)nen  ben  Urfprung  ber 
9?aturorbnung  in  einem  nad)  2tbfid)ten  mirfenben  @eift  bemeifen; 
natürlidf),  eS  mußte  bie  ganje  (Srbe  fo  gebaut  fein,  ha^  9J?eer  mußte 
burc^  Söinb  unb  SSetter,  (Sonne  unb  9}?onb  gerabe  fo  bemegt  ftierben, 
hü'^  biefe  2SelIenfrf)(äge  mit  biefer  ©tärfe  unb  9fiirf)tung  jeben  (Stein 
trafen.  Diimmerme^r  f)ätte  er  fonft  gerabe  biefe  ®efta(t,  bie  er  t)at, 
geminnen  !i)nnen.  —  ^dj  gefte^e,  baß  mir  bie  alte  ant^ropo^entrifd^e 
STeleoIogie  oou  f)ierau§  öor  ber  immanenten,  bie  i^r  gegenüber  fo  üor* 
nef)m  ju  tt)un  pflegt,  nodj  immer  ben  S^orjug  ju  oerbienen  fd^eint: 
^ier  ert)alten  mir  bod§  eine  oerftänblidje,  wenn  aud^  nid^t  gulänglic^e 
Stntmort  auf  bie  3^rage  nad)  bem  SSeltjroecO;  bie  immanente  öerfuc^t 
un§  mit  einem  bloßen  SBort:  Selbft^roedE,  objufpeifen. 

5)iel  fü^rt  un§  auf  bie  ^^^ge:  mie  ftel)t  e§  mit  bem  ^md  unb 
feiner  (£rreid)ung  in  bem  ©ebiet  ber  SSirfIid)!eit,  mo  mir  am  beut= 
lidjften  fe'^en  unb  am  fidjerften  urteilen,  in  ber  9J?enfd)enmeIt?  Sft 
etma  bie  ©efd^id^tsteleologie  in  ber  Söfung  ber  Stuf  gäbe  glücflidjer 
gemefen  al§  bie  9MturteIeoIogie?  Sßon  jefier  t)aben  bie  5ßölfer  unb  bie 
©injelnen  in  ben  (Sd)idfalen,  bie  fie  erlebten,  in  ben  «Siegen,  bie  fie 
errangen,  in  ben  9?ieberlagen,  bie  fie  erlitten,  in  bem  ©lud  mie  in 
bem  Unglüd,  haS^  über  fie  fam,  bie  (Sinmirfung  ber  ®ötter,  ben  ^^inger 
ber  3}orfet)uug  erblidt.  Sft  e§  ber  ®efd)id)t§pf)i(ofop()ie  gelungen, 
biefen  ©tauben  in  ein  miffenfd)aftlid)e§  (Srfennen   ju  oermanbeln? 

12* 


180    I-33uif):  a)?etop^^fif.  2.  Äopitel:  S)ag  fo§moIogiic^=t^eoIo9iicf)e  Problem. 


®ie  5(ufgabe  einer  teleologischen  @ei(^icf)t§p'E)ilDiopI)ie  fäüt  ber 
gorm  naii)  mit  ber  ber  9ZQturte(eo(ogie  äujammen;  fie  mü^te  juerft 
ben  Qfücd  bes  gejd^ic^tlid)en  2eben§  barlegen  nnb  fobann  ä^igen,  ha% 
ber  ©ong  ber  @efci^i(f)te  ber  gerabe  SBeg  gu  biefem  ßiel  i[t. 

Stuf  bie  ^rage  nad;  bem  ßiel  ert)alten  mir  allgemeine  gotmeln 
§ur  5(ntiüort  non  ber  SIrt:  ^tütd  ber  ©efc^tc^te  fei  bie  üoUe  ©nt» 
tt)i(fehing  ber  Sbee  ber  9}?enjc^f)eit  ober  ber  Humanität,  bie  @nt= 
faltung  aller  it)rer  Gräfte  unb  Einlagen  in  einer  mannigfaltigen  unb 
l)armonifcf)en  93ilbung,  ober  bie  .^ineinbilbung  ber  Vernunft  in  bie  9latur, 
ober  ein  Seben  ooll  Sugenb,  2Bei§§eit,  2iebe  unb  &{M,  furg,  ber 
^immel  auf  ©rben.  —  @ut,  e§  fei  fo;  nun  aber  erwarten  mir  meiter, 
hü'i^  man  un§  bieg  ooüfommene  2eben  in  concreto  barfteUe,  ba^  man 
un§  bie  fc^ematifd)en  Umriffe  mit  einer  au§gefül)rten  3^i<^niing  erfülle, 
un§  bie  Silbung  ber  einzelnen  33ölfer  befcfireibe,  benn  bie  oollfommene 
Silbung  ber  SO^enfdilieit  mirb  bocfj  3}iell)eit  unb  SD^annigfaltigfeit  ber 
Sßölfer  nicfjt  ausfdjlie^en;  ha'^  man  bei  einem  jeben  üon  feiner  Üieligion, 
feiner  ^l)ilofop^ie  unb  SSiffenfdjaft,  feiner  ßitteratur  unb  Äunft,  feinen 
gefellfc^aftlid)en  unb  ftaatlid)en  ©inrid^tungen ,  feinem  Familienleben 
unb  feiner  (Srjieljung  in  feiner  üoUenbeten  ©eftalt  eine  beutlidje  3}or= 
ftellung  gebe.  Ober  ift  ha^  eine  unmi3glid)e  8ac^e,  unmöglid)  nid)t 
nur,  meil  unfere  (£r!enntni§  ober  ^f)antafte  nic^t  für  bie  Slufgabe 
au§reid)t,  fonbern  unmöglid)  aud),  meil  es  ein  ßkl  in  biefer  ©eftalt 
gar  nidjt  geben  fann,  meil  haS^  £eben,  menigfteuö  iia§>  ßeben  auf  (ärben, 
nur  in  ber  Semegung  ift,  unb  nid)t  in  einem  bel)arrlid)en  ßiif^onbe? 
2)ann  märe  alfo  bie  Stufgabe,  ben  gefc^id^tlid)en  S^erlauf  felbft  in  allen 
feinen  3;eilen  al§  abfolut  mertöotl  nad)5umeifen,  §u  geigen,  mie  jeber 
in  il)m  finnooll  gum  ©angen  fidj  fügt,  ä^nlic^,  mie  in  einem  6po§ 
ober  S)rama  jeber  STeil  bur^  eine  un§  üerftänblid)e  innere  9^otmenbigfeit 
geforbert  mirb.  ©§  märe  bann  jebes  einzelne  gugleid)  SJiittel  §um 
3med  unb  2'eil  be§  Qrütd§>. 

Offenbar  bebarf  es  aud)  l)ier  nur  ber  33egeid)nung  ber  Slufgabe, 
um  i^rer  Untösbarfeit  inne  §u  merben.  ©ine  folc^e  @efd)id)t§pl)ilofopt)ie 
müBte  uns  geigen,  mie  jebe§  ber  35öl!er  in  biefer  9ktur,  in  biefer  Um= 
gebung,  in  biefer  9^ad)barfd)aft  anberer  ^^ölfer  leben  mufete,  nidjt  um 
gu  erleben,  ma§  e§  erlebte,  unb  um  gu  merben,  ma§  c§  gemorben  ift; 
benn  bas  ift   freilid)   felbftoerftänblid),   bie  öried)en  mären  anbere  ge= 


3,  Äritif  beg  teleologijrfien  Setoeifeg.  181 

ftiorben,  tüenn  fie  in  t)a§^  SubuSlanb,  unb  bie  9JZongoIen  anbere,  trenn 
fie  an  ba§  ägäifd^e  9)Jeer  öerfdjiagen  ttjorben  mären;  fonbern  geigen, 
wk  e6en  biefe  Umgebung,  biefe  Berührungen  mit  anberen  3Sö(tern, 
biefe  ©c^idfale  fein  gefrf)id)tli(i)e§  Seben  fo  öoüfommen  unb  in'Eialtreicf) 
a(§  möglidj  gemad)t  f)aben.  @ie  mü^te  §.  93.  jeigen,  mie  jur  öoü^ 
fommenen  ©rfüüung  ber  beutf(f)en  ©efd^id^te,  ber  l^öc^ften  Entfaltung 
beutfcf)en  SBefenS,  erforberlirf)  mar:  bie  9^ad§barfc^aft  ber  g^rangofen 
unb  Sftuffen,  ber  breiBigja^rige  Ä'rieg  unb  bie  SEeilung  ^oIen§,  bie 
©rfinbung  ber  Sucfjbrucferfunft  unb  be§  93ranntmeinbrennen§,  mie  e§ 
au§  bem  (Sinn  notmenbig  mar,  ha^  mit  bem  S3eginn  ber  ^Deformation 
bie  ST^ronbefteigung  ^arl§  V.,  mit  bem  @rf(f)einen  ber  ^ritif  ber 
reinen  Sßernunft  unb  ber  Sf^öuber  @d)i(Ier§  ber  %ob  £effing§  §u= 
fammenfiel. 

2öa§  in  SSirflid^feit  in  biefer  Slbfi(^t  unternommen  morben  i[t, 
t)a§  ift,  menn  mir  oon  ber  fpe!u(atiöen  @efd)id^t§pf)iIofopt)ie  abfef)en, 
bie  bie  ?{ufgabe  gelöft  ju  Ijaben  glaubt,  menn  fie  bie  SSölfer  unb  Reiten 
nad)  einem  fd^ematifdjen  Seitfaben  aufgejä^It  unb  jebem  gum  3^^«^^"/ 
ba'^  e§  burd)  ben  btaleftifd)en  ^rogeB  ^inburd^gegangen  .fei,  eine  ©tifette 
mit  einem  @tid)mort  aufgeflebt  f)at,  nid)t§  meiter,  at§  ha^  man  einzelne 
bebeutenbe  ©reigniffe  f)erau§gegriffen  unb  mit  i^ren  gefd^ic^tlic^en  93e= 
bingungen  at§  Qxö^de  unb  DJiittel  üerfnüpft  ^at.  ©o  ift  e§  üblid)  ge= 
morben,  ha§>  römifc^e  Üieid)  al§  proüibentiette  ^Vorbereitung  be§  6^riften= 
tum§,  ober  bie  f)umaniftifd)e  ©emegung  ai§>  ^Vorbereitung  ber  9f?efor= 
motion  ju  betrachten;  fd)on  Sut^er  pI)iIofopf)iert  fo:  niemanb  ^abt 
bi§f)er  gemußt,  moju  @ott  bie  (Sprachen  ^aU  I)erfür!ommen  (äffen, 
je|t  fef)e  alle  Söelt,  ha'B  e§  um  be§  (Söangelium§  millen  gefc^efien  fei, 
—  ©ic^erlid),  ot)ne  biefe§  3u|öi^^"isi^^r^ffßn  mürbe  ber  gefd^id^tlic^e 
SSertauf  ein  anberer  gemefen  fein.  Ob  bo§  ein  Unglüd  gemefen  märe? 
Ob  ha^'  geitmeilige  ßufammengetjen  £utf)er§  mit  ^utten  unb  ben 
übrigen  g^einben  ber  „bunfeln  äJ^änner"  ein  ©lud  mar?  SBer  miß 
el  fagen;  !ann  boc^  niemanb  ben  Sauf  ber  SDinge  !onftruieren,  ber 
bei  teilmeifer  SSeränberung  ber  g^a!toren  ge!ommen  möre.  SSir  fönnen 
fagen:  ber  gefd)id3ttid)e  93erlauf,  mie  er  fid)  mirüid)  gugetragen  ^at, 
mar  nidjt  ber  einzig  möglid)e;  aber  mir  fönneu  nid)t  ba§  SO^ii^glid^e  mit 
bem  SBirflid^en  öergleid)en  unb  fagen:  unter  allen  mügtid)en  SBegen 
mar  biefer  ber  bcfte.    9Jian  laffe  ben  Sauernfrieg  eine  anbere  SSenbung 


182    I-  S3ut3^:  Wletapf)t)'\it.  2.  ^apitd:  S)a§  foSmoIogijci^^^eoIogijd^e  «ßroblem. 

nehmen,  man  lafje  be§  doIumbuS  ©cfiiffe  untergef)en,  man  loffe  ^arl 
ben  @roBen  oon  ben  (SadEjjen  erfcf)Iagen  njerben,  ober  man  laffe  bie 
<2traBe  Don  ©ibraltac  gefd^Ioffen  unb  bagegen  bie  ßanbenge  üon  (Suej 
eine  bequeme  Seeftra^e  jein,  unb  bie  gange  ©ejcfiicljte  ber  europäij(f)en 
Sßöltemelt  nimmt  eine  anbere  @e[ta(t  an.  Cb  eine  fcf)Iimmere  ober 
befjere?  S^iemanb  termag  e§  gu  jagen.  SSir  fönnen  glauben,  ha'Q 
e§>  gut  i[t,  tt)ie  e§  ge!ommen  ift,  unb  ba§u  leitet  unl  ein  natürUcf)er 
i^nftinft,  ber  uns  hü§i  2öirf(id)e  al§  ta§'  DIotmenbige  unb  ha^  ©en^o^nte 
al§  ha§>  @ute  fjingune^men  treibt;  aber  trir  fönnen  el  ni(f)t  beroeifen. 
2)o§  fann  nur  bie  f)arm(ofe  33ef(f)ränftt)eit  meinen,  bie  über  bem  2Sirf= 
lid^en  ha§:  im  ecfjoB  ber  DJ^iJgli^feit  gebliebene  Slnbere  überf)aupt  nictit 
fief)t;  ober  bie  glücEüc^e  ©elbftgufriebenfieit  ber  fpefulatioen  SHet^obe, 
bie  in  if)ren  33egriffen  bie  ttjettbemegenben  Prüfte,  „3been"  genannt, 
ju  be[i|en  glaubt,  bie  ber  ^uf^^^Ö^^^ten  be§  SSirüic^en,  fie  mögen 
fallen,  mie  fie  sollen,  fid)  bebienen,  Dt)ne  baburdj  au§  if)rer  präftabi= 
lierten  Sa^n  gebraciE)t  ju  merben. 

Übrigeng  ift  bemerfenemert,  ba^  faft  bei  allen  Sreigniffen,  bie 
groBe  gefd)ici^tücf)e  SSenbungen  f)erbeifü^rten,  jmei  2(uffaffungen  fid) 
gegenüber  fteljen:  eine  fie^t  hü§>  Ereignis  al§  gut,  bie  anbere  aB 
fc^Iimm  an.  dJlan  net)me  bie  ^arftellung  ber  9?eformation  bei  ^ro= 
teftanten  unb  ^atf)oIifen,  bort  erfcfjeint  fie  ai§>  bie  (Srrettung  be§  beutfd^en 
SSoIfes  au§  S3erfommenf)eit  unb  Äned^tfct)aft,  f)ier  al§  ber  Stnfang 
aller  ^Bermirrung  unb  Sluflöfung,  au§  ber  un§  l)eran§§ufü^ren  bie 
Äirdie  eben  je|t  mieber  einen  !räftigen  5(nlauf  nimmt.  Dber  mon 
neljme  bie  2)arftellung  ber  frauäöfifrfjen  Sieüolution  bei  SDemofraten 
unb  9iot)aliften.  Ober  man  loffe  bie  ©efdiid^te  ber  Suben  oon  ben 
^anaanitern,  bie  @efd)i(^te  ber  ©panier  oon  ben  (Sarazenen,  bie  @e= 
fc^ic^te  ber  Gnglänber  oon  ben  23ölfern,  bie  in  allen  SSeltteilen  oon 
if)nen  vertreten  unb  umgebracht  raorben  finb,  gefd^rieben  merben:  e§ 
ȟrben  im  gangen  biefelben  (Sreigniffe  oorfommen,  aber  mit  umge!el)rtem 
3]orgei(i)en  oerfe^en,  ein  3^^cl)en,  baB  toir  e§  in  ber  2Sertfd)ä|ung  nic^t 
mit  objeftioer  ©rfenntniS,  fonbern  mit  fubjeftioen  (Smpfinbungen  gu 
tf)un  l)aben. 

SBaö  bennocf;  eine  gemiffe  ©inmütigfeit  in  bie  Sluffaffung  bringt, 
ba§  ift  ber  Umftanb,  ha^  bie  (5Jef(f)i(^te  gule^t  nur  me^r  oon  einer 
©eite   gefc^rieben   toirb,   nämlic^    oon   ben  überlebenben  ©iegern,   bie 


3.  tritif  beS  teleologijd^en  Setoeijeg.  183 


^oten  ftnb  ftiQe  Seute.  ®a0  gilt  and)  öon  benen,  bie  in  ben  inneren 
kämpfen  unterlietjen.  SSäre  bie  Gegenreformation  burdjgefü^rt  inorben, 
fo  tt)ürbe  bie  @e]c^id)te  ber  Ü^eformation  im  @ebä(i)tni§  ber  äJJenfd^en 
fid^  äf)nli(f)  mie  je|t  bie  ber  n^iebertäuferifd^en  Senjegung  au§nef)men. 
©0  gefd^ie^t  e§,  bo^  ber  geid)idjttic^e  33erlauf,  inbem  er  ben  ©ieger 
kgünftigte  unb  bie  ©egenmart  ^erbeifüf)rte,  qI§  eine  9tei[)e  öon  Fügungen 
be§  ^immel§  erfc^eint.  3Sirb  bann  nocf)  ber  SSorf)ang,  ber  oor  ber 
3u!unft  f)ängt,  mit  ben  eigenen  Hoffnungen  unb  3bea(en  bematt,  fo 
ift  e§  !ein  Söunber,  nienn  bie  @arf)e  ftimmt,  unb  bie  ganje  @ejct)icf)te 
qI§  ber  gerabe  SSeg  gum  präbeterminierten  ßiel  fid^  barftetit.  —  (Sben 
biefer  Umftanb  ift  e§  aud),  ber  bie  tf)eotogifc^en  @efct)ic^t§pt)iIofopf)en 
t)at  barüber  f)inmegfet)en  taffen,  mie  feltfam  im  ©runbe  bie  ®efd£)idjte 
be§  jübifd;en  ^olte^  ausläuft.  91od)  ber  otten  Slnfd^auung  ift  bie 
göttlidie  3^üt)rung  gerabe  bei  biefem  ^olf  am  fidjtbarften,  ja  mir  ^aben 
in  ber  ^eiligen  ©djrift  bie  aut^entifd)e  ^Darlegung  be§  SSegeic,  ben  @ott 
fein  auSermä^Iteä  Sßol!  führte.  @r  t)at  it)m  ha§>  Sanb  unb  bie  9^ac^bar= 
öölfer  gur  Umgebung  beftimmt,  er  ermecEt  it)m  9iid)ter  unb  ^roptjeten 
unb  üerfiet)t  biefe  perfijnlid)  mit  Snftruftionen,  er  greift  in  bie  (Sd)idfale 
be§  SSoIfeS  beftänbig  mit  fjilfreid^en  3Bunbertt)aten  ein,  om  Üioten 
SJieer  unb  im  Sager  ber  Stffqrer  öor  Serufatem;  enblid^  f)at  er  if)m 
3a^rf)unberte  lang  prebigen  unb  njeiSfagen  laffen  öon  einem  9}ieffia§, 
ben  er  fenben  merbe:  unb  hü§>  (Snbe  ift,  ba§  bie§  33oIf  ben  3J?effia§, 
aU  er  nun  erfd)eint,  nerupirft  unb  bann  fetber  oon  ©Ott  a(g  uneräie^bar 
öermorfen  merben  mn^. 

9Zodj  beutlidjer  n)irb  bie  Unmöglid^feit  teIeotogifd)er  ^onftruftion 
ber  ©efc^ide  im  (£  in  Belleben.  Qn  aüen  ßeiten  ift  bie  ^^ügung 
ber  ©d)idungen  im  eigenen  Seben  für  ben  einzelnen  bie  le^te  unb 
tieffte  Urfadje  beö  ©taubenS  an  eine  leitenbe  ^^orfe^ung  geroefen.  5ln 
anfd^einenbe  ßiiföü^  fnüpften  fic^  bebeutnngSöolIe  SebenSmenbungen,  au§ 
fdjmerer  9iot  unb  58ebröngni§  erijffnete  fid;  ein  nngefel)ener  Stu^n^eg, 
felbft  ttjibrige  93egebniffe  füf)rten  am  @nbe  t)eilfame  g^otgen  t)erbei;  bu 
fiefjft,  ba'B  nid)t  bu  felbft  mit  öorfd^auenber  93ernunft  bein  Seben  gu 
gutem  ^iä  gefüt)rt  ^aft  unb  fprid)ft  mit  (gfjrfurc^t:  ma§  ift  be§  ÜJh'ufc^en 
Äinb,  baB  bu  fein  gebenfeft,  unb  be§  9)Jenfdjen  ©o^n,  ha^  bu  feiner 
bi(^  annimmft! 

©udjft   bu  nun   aber  ben  ©tauben  in  (Er!enntni§  um§umanbe(n. 


184    I.  33u(^:  9!Jietap:^^fif.  2.  tapitel:  ®o§  fo§motogtfd^4:^eoIogifc^e  ^Problem. 

fo  türmen  fic^  halt  bie  @d^tt}ierig!eiten  unb  3^^^!^^  berge^ocf).  3^ret= 
üd),  alleg  ina»  tarn,  i)at  beigetragen  5U  bem  je^igen  ßuftanb  {)in5ufitf)ren. 
:3ft  er  benn  aber  ber  beftmöglic^e?  @ntiprid)t  bein  ßeben  in  feinem 
ganzen  55erlauf  beinem  3bea[?  SSar  eine  öoüere,  ^öf)ere,  reinere  (£r= 
füUung  nid^t  benfbar?  Unb  mie  ftef)t  e§  mit  benen,  bie  übert)aupt  im 
Seben  gefrfieitert  finb?  Cber  giebt  es  folc^e  nidjt?  Sas  ^ie^e  aü§u 
fe^r  ben  STtiatjadjen  in§  (Mefid)t  jdjtagen.  SBoran  lag  e§?  .^at  e§ 
f)ier  bie  leitenbe  ^anb  an  fidj  fetjlen  laffen.  Cber  mirft  bu  ben  9J?ut 
f)aben  gu  jagen:  bie  2eben§nm[tönbe  unb  8cf)i(ffale  maren  aud^  für 
folc^e  bie  beften,  bie  fie  f)aben  tonnten;  menn  fie  e§  tro^bem  §u  einem 
recf)tfrf)affenen  unb  tüchtigen  fieben  nid)t  brod^ten,  fo  lag  e§  nur  an 
i^nen  f eiber;  jebe  SBerönberung  ber  Umftänbe,  ber  Grjiefiung,  ber  ®e- 
fellfd)aft  f)ätte  noc^  frf)limmere§  Sßerfe^Ien  gur  ^^olge  ge()abt? 

Sd^  glaube  nic^t,  ba'^  fid^  jemanb  finben  wirb,  bie  53erteibigung 
biefer  55:f)efe  ju  übernet)men.  ©onbern,  wenn  mir  irgenb  etma§  in 
biefen  SDingen  fet)en,  fo  ift  e§  boc^  bie§:  fo  oer^meifelte  92aturanlagen 
finb  feiten,  baB  if)nen  bei  feiner  ©eftaltung  ber  fiebensbebingungen 
ein  erträgIidE)e§  Seben  möre  abäugeminnen  gemefen.  Sn  fe()r  oielen 
g^äüen  meinen  mir  beutlid^  p  fel)en:  nirf)t  an  bem  SSillen  unb  SBefen 
felbft  lag  e§,  menn  e§  nidjt  ^n  red)ter  ©ntfaltung  fom,  fonbern  an 
ber  Ungunft  ber  Umftänbe,  fei  e§  an  grimmiger  Strmut  unb  D^iebrig* 
!eit  ber  33erl)ältniffe,  ober  an  Üppigfeit  unb  S[Ranget  an  ernften,  ben 
SSitlen  bröngenben  unb  ^erausforbernben  5Iufgaben,  ober  an  [tumpf- 
finniger  3;eiInaf)mIofigfeit  ber  Umgebung,  ober  an  liftiger  S3erfül^rung 
burd^  fd^Ied)te  ©enoffen. 

5tIfo  t)on  einer  @infidE)t  in  bie  teIeoIogifd)e  D^otmenbigfeit  fann 
aud)  auf  biefem  ©ebiet  nid)t  bie  9^ebe  fein.  ®er  (glaube  mag,  menn 
er  am  @nbe  ber  Saufbalju  gurücfblidt  auf  bie  oieloerfdjiungenen  Seben§= 
toege,  bie  er  gefül)rt  morben  ift,  mit  3)anf  eine  f)öf)ere  Seitung  barin 
öeref)ren;  aber  üon  einer  (SrfenntniS  f)ier  gu  reben  märe  5ßermeffenl)eit. 
—  ©0  urteilt  aud)  bas  religiijfe  @efüf)I.  ©5  f priest:  mie  unbegreifüd^ 
finb  feine  @erid)te  unb  unerforfd)Ii(^  feine  SBege!  benn  mer  ^at  be§ 
§errn  (Sinn  erfonnt?  ober  mer  ift  fein  Sf^atgeber  gemefen?  fügt  aber 
bem  $8efenntni§  be§  Diic^tmiffens  gleid)  ha§>  33efenntni§  be§  @Iauben§ 
fjinju:  S3on  il)m  unb  burd§  if)n  unb  ju  i§m  finb  aüt  ®inge.  SI)m 
fei  (g^re  in  (gmigfeit!    (mm.  11,  34  ff.) 


3.  Äritif  bei  teleologtfrfien  93ett)etfe§.  185 

©§  tüirb  ni(i)t  nötig  fein,  nocfj  be§  breiteren  ju  erörtern,  ob  bie 
®e|d)icf)t§teteo(ogie  erfolgreidjer  fein  lüürbe,  menn  fie  anftatt  objeftiüer 
Seben^geftaltnng  im  (Sinne  menfd)(icf)er  Sßoüfommenf)eit  bie  oßgemeine 
©lücEfeligfeit  at§  ba§  ßiet  feiste  unb  nun  ^u  jeigen  unternähme,  ha^ 
l^ierauf  bie  2;f)atfarf)en  q(§  S[Ritte(  belogen  mären.  SBie  menig  eine 
foI(f)e  Stnfcfjauung  ber  allgemeinen  ßeben§[timmung  unb  dfo  mo^I  aud^ 
ber  SSatjr^eit  entfprerfjen  mürbe,  bofür  genügt  e§,  auf  eine  Xf)atfacf)e 
t)ingumeifen:  bie  bciben  Ü^eligionen,  meldte  bie  meiften  Sefenner  jäljten, 
(Sfiriftentum  unb  Subbt)i§mu§,  finb,  menigften§  in  i()rem  Urfprung, 
®rtöfung§reIigionen;  fie  üerf)eiBen  nid)t  ©lücffeligfeit,  fonbern  ©rlöfung 
t3om  Übel,  ni(f)t  burc^  Kultur  unb  ^efriebigung  aüer  Sebürfniffe, 
fonbern  burd)  (Srtöfung  non  ber  93egierbe,  burdE)  (Sriöfung  öom  Söillen 
gu  leben,  öom  (Streben  narf)  irbifd^en  ©ütern,  9^eid)tum,  @f)re  unb 
Söotluft.  Sl)i'  Urteil  über  ben  Suftmert  be§  irbifc^en  ßeben§  ift  ein= 
ftimmig:  Seben  ift  Seiben;  Sünbe  unb  ©lenb  finb  ber  Sn^att  be§ 
Seben§  be§  natürtidjen  9}?enfd)en.  ^eleologifc^  gered)tfertigt  mirb,  nac^ 
d^riftlidier  Slnfd^auung,  ta^  irbifdje  Seben  allein  baburd),  ha'^  e§  §u 
einem  f) öderen,  bem  jenfeitigen  Seben  in  23e5iet)ung  ftef)t;  nid)t  al§ 
©elbftjmed,  fonbern  aU  95orbereitung§=  unb  ^rüfungSjeit  für  ha^  emige 
Seben  t)at  e§  Sinn  unb  58ebeutung.  SSomit  benn  ä"g^cic^  Ö^fcigt  ift, 
ha^  fie  eine  teleologifc^e  ^onftru!tion  be§  90^enfd)enteben§  burc^  2öiffen= 
fdjoft  nid)t  für  mögüd)  ^ält,  ha^  jenfeitige  Seben  ift  nid^t  ©egenftanb 
ber  SSiffenfdjaft,  fonbern  beg  (5)Iauben§. 

greilid),  haS^  \)at  nic^t  üerf)inbert,  ba^  nid)t  fpäter,  aU  ha§> 
G^riftentum  in  ein  pofitioereS  Sßert)ättni§  gur  SSelt  getreten  mar  unb 
eine  diriftüdje  ^l)i(ofop^ie  entftanb,  aud^  eine  teIeoIogifd)e  ®ef(^id)t§= 
pt)i(ofopt)ie  auf  biefem  ^oben  guftanbe  !am,  t)k  ^a§^  gefd)id^tIidE)e 
Seben  aU  Sßerlauf  §u  jenem  tranfcenbenten  3^^^  fonftruierte;  bie  SSer= 
mifdE)ung  be§  Xranfcenbenten  unb  be§  Smpirifdjen  ift  ja  für  bie  gange 
(Sutmidetung  ber  SSiffenfdjoft  unter  bem  übermäd^tigen  (SinftuB  be§ 
!irdjlid}=religiöfen  Seben§  c^arafteriftifd).  Unb  man  !ann  aud^  guge* 
ftef)en,  ha^  bie  (^efd)id)t§teIeoIogie  ein  formell  öolIenbetere§  Softem 
at§  in  ber  firc^Iidjen  ^t)iIofopt)ie  nie  erreidjt  ^at:  ber  ^immet  unb 
bie  emige  Setigfeit  ha§  grofee  (£nb§ie(  be§  gefd)id)tlic^en  Seben§,  bie 
erbe  fein  biegfeitiger  Sdjaupla^;  fein  93?ittetpun!t  bie  ajJenfc^merbung 
®otte§   unb   bie   ©rünbung    be§  ®otte§reic^§   auf  (grben;    bie   ganje 


186    I-  33uc^:  SUletap^^fü.   2.  Äopitel:  ®o§  fogmologifc^4{)eologijc^e  Problem. 

SSorjeit  ju  biejem  großen  gentrolen  (Ereignis  ^inftrebenb,  bie  gan^e 
golge^eit  üon  i^m  beftimmt  unb  erfüllt;  ber  ganje  SSertauf  eingefaßt 
oon  ber  SSettfdjöpfung  auf  ber  einen,  bem  jüngften  @erid)t  auf  ber 
anberen  Seite  —  in  ber  %^at  eine  fo  einfache  nnb  grofee  ^{)i(ofop|ie 
ber  @ef(i)irf)te,  hafy  roir  au§  unferer  S^atlofigfeit  nid^t  ot)ne  ein  @efüf)t 
be§  9^eibe§  borauf  gurüdblicfen  fönnen.  3Sa§  finb  §egel§  ober  (Somteä 
bürre  ^bftrottionen  gegen  biefe  fronfret4ebenbige  Stnfc^auung.  f^reilid^, 
njir  muffen  e3  trogen.  Un^  fef)tt  bie  Unbefangenheit,  mit  ber  bo§ 
9J?itteIalter  ©tanben  unb  SBiffen  in  (Sin§  §ufammen  fcfjmiebete.  Uu§ 
fe()(t  audj  bie  @nge  feinet  ®efid)t§freifeg.  SBie  fein  !o§mifc^er  §ori§ont 
burd^  bie  neue  Slftronomie,  fo  ift  fein  f)iftorif(^er  ^orijont,  ber  mefent= 
lid)  burd)  bie  @efd)i(^te  be§  alten  S3unbe§  unb,  feit  ber  SBenbe  ber 
ßeiteu,  burdj  hk  ©ef^i^te  ber  SJirc^e  beftimmt  loar,  burd)  bie  an  ben 
Humanismus  fid)  aufnüpfeube  gefd)i(^tlid^e  ^^orfd^ung  aufgefjoben  morben. 
Sn§  ©renjenlofe  ift  enblid;  ber  ^uSblid  burd^  bie  jüngften  fprüd)= 
gefdjid^ttid;en  unb  bio(ogifd)en  g^orfc^ungen  erweitert.  9^id)t  bie  SBiöfür 
menfd)Iid)er  ©ebanfen,  bie  2;t)atfac^en  felbft  f)aben  ben  9fta^men  beS 
alten  @t)ftem§  §erfprengt;  e§  ift  oergeblid),  bie  53rud)ftücfe  mieber  jum 
9ting  einer  te(eoIogifd)en  2)emonftration  jufammen  ^u  fügen. 

ßietien  ujir  bie  ©umme.  SBeber  bie  ^iatur^  nod^  bie  ®efd)id)t§= 
teleologie  f)at  ben  SSert  einer  tt)iffenfd)aft(id)en  ST^ieorie;  fjierüber  fann 
feit  ber  5üif^ebung  ber  geo=  unb  outJiropo^eutrifdjen  SSeltaufc^auung 
\\d)  feine  ernftf)afte  ^f)i(ofopf)ie  mt^x  einer  STäufd^ung  Eingeben.  Me 
93emeife,  bie  ben  SSerftanb  nötigen  moüen,  in  ber  Söeltorbnung  bie 
SBirfung  eine§  nad^  un§  faßbaren  5Ibfidjten  t^ötigen  ©eiftel  auäuerfennen, 
bleiben  unenblic^  meit  hinter  ber  5lufgobe  einer  miffenfdjaftli(^en  93emeiS» 
füf)ruug  ^urüd.  — 

2Ba§  tro^bem  fo  lange  Qdt  f)inburc^  bie  (Gebauten  immer  mieber 
in  jene  Üiic^tung  jurüd  teufte,  ba§  mar  üor  aüem  bie  abfolute  9flat= 
lofigfeit,  in  meldje  bie  9laturpI)iIofopf)ie  burd^  bie  g^rage  nad)  bem 
erften  Urfprung  ber  lebenben  3Befen  oerfe|t  mürbe.  2)aB  ber  ^ü\aü 
bie  Sltome  einmal  gerabe  fo  follte  äufommeugemürfelt  ^ahn\,  ba§  blieb 
bod)  unglaublich.  Unb  fo  fc^ien  nur  bie  anbere  ^uSfunft  übrig 
§u  fein. 

greitid),  für  ben  9^aturforfd)er  mar  bamit  bod)  gar  nichts  ge= 
monnen.    S)en  SBert   einer   befriebigeuben  (Srftärung    ober   and)   nur 


3.  tritif  beg  teleologifcfien  93eit)etje§.  187 

einer  braudiboren  ^tipofEieje  l^ot  fie  nie  ge'Eiabt.  (Sine  ©rfd^einung 
im  Sinne  ber  9laturraiffenjc^aft  er!(ären  fiei^t,  fie  al§>  naturgefe^mäBige 
SBirfung  befannter  Gräfte  aufzeigen.  9lun  ift  Snteüigen^  allerbingS 
ein  befannte§  2(gen§,  nämlidj  in  ber  ©eftalt,  in  ber  fie  in  9Jienfcf)en 
unb  STieren  auftritt.  ^Tagegen  ift  fie  al§  fo§mifcf)e§  2(gen§  feine§tt)eg§ 
befannt.  ®er  9laturforfcf;er,  bem  man  fagt:  ^flan^en  unb  Xiere  finb 
urfprünglid^  öon  einer  Sntelligeng  gemacht  worben,  wirb  bal^er  gtei(^ 
ertt)ibern:  fo  ^»^igt  mir  9latur  unb  2öir!ung§meife  biefer  Sntelligenä, 
jeigt  mir,  mo,  tüann  unb  oor  allem  auf  melcfje  SSeife  fie  bie  organiftf)en 
SSefen  gebilbet  !^at.  33ermi3gt  if)r  bo§  nid^t,  fommt  if)r  nidjt  über  ben 
ollgemetnen  (Bat^  ^inau§:  bei  ber  Drbnung  ber  SSelt  ift  ein  ©eift  im 
(Spiel  gemefen,  bann  ift  mir  bamit  atterbing§  gar  nid^t§  get)oIfen. 
@ine  fold^e,  ^u  einmaliger  SSirfung  angenommene  ^raft,  öon  bereu 
Statur  unb  SSirfungSmeife  im  übrigen  nidjt§  befannt  ift,  ba§^  ift  eine 
vis  occulta  im  eigentlic^ften  8inn.  Sn  meinen  klugen  ift  e§  baf)er 
einerlei,  ob  if)r  auf  bie  g^rage  uac^  bem  erften  Urfprung  ber  lebenben 
SBefen  antmortet:  ein  ©eift  f)at  fie  gemadjt,  tt)ir  miffeu  nidfjt,  auf  meldte 
SBeife  unb  !euneu  auc^  fein  SSefen  uid^t  meiter;  ober  ob  if)r  fagt:  wir 
tüiffen  nid^t,  mie  fie  entftanbeu  finb. 

Unb,  fo  !önnte  er  t)in§ufügen:  if)r  fagt,  blinbe  9^atur!räfte  !önnen 
fein  Iebenbe§  SSefen  bilben;  aber  id)  fef)e  ja  tägtic^,  ha^  fie  e§  t^un. 
Sd)  lege  ein  @ameu!orn  in  bie  @rbe,  unb  e§  mäc^ft  ein  §alm  barau§; 
bie  .^enne  legt  ein  (Si,  unb  nad^  ein  paar  2öod)en  33rüten!l  !ommt 
ein  ^ut)n  borau§.  ^d}  !ann  §mar  nid)t  alle  Gräfte  unb  3ßir!ungen, 
bie  babei  beteiligt  finb,  im  einzelnen  barlegeu;  aber  fo  t)iel  meine  id^ 
bod)  §u  fe^en,  ha^  babei  feine  Überlegung  unb  feine  geiftige  2öirffam= 
feit  ftattfinbet,  Weber  bei  ber  33ilbung  be§  @amenforn§  ober  be§  @i§ 
unb  be§  ^eim§,  nod)  beim  brüten  unb  2öad)fen.  können  je^t  blinbe 
Gräfte  gegebenen  ©toff  in  lebenbigeu  Samen  umluanbeln  unb  au»  i^m 
wieber  ein  (ebenbige§  2ßefen  f)eroorge!^eu  laffeu,  warum  nidjt  urfprüng= 
lid)?  Ober,  war  bamalS  bie  9}?itwirfung  einer  Sntetligeus  uotwenbig, 
warum  je}5t  uid)t  eben  fo  gut?  S)urdf)au§  müßtet  if)r  bann  ouc^  fagen: 
wir  fönnen  ba§  2öod)§tum  be§  ^ü^nd)en§  im  @i  uic^t  begreifen;  alfo 
ift  uotwenbig,  eine  intelligent,  einen  ©eift  auäuneljmen,  ber  nodf)  alle 
2age  in  all  ben  taufeub  (Siern  unb  keimen,  bie  ber  ZaQ  f)erüorbringt, 
burc^    abfidjtlidje   Slnorbnung    bie   ©toffteile   fo    §ufammenfül)rt,    bofe 


188    I.  93ud^:  aJJetopti^fif.  2.  Äapitet:  3)o§  !o§moIogijd^-tf)eoIogtj(f)e  Problem. 

barauS  ein  Ie6enbe§  @ejd)öpf  irirb.  Unb  bann  njirb  e§  nocf)  notoenbig 
bleiben,  baB  eben  btefer  @ei[t  auc^  bie  Semegungen  ber  2eile  im 
lebenben  5lörper  bettjirft,  benn  bon  blinben  Gräften  bürfte  bie  Seiftung 
nid^t  ern^artet  njerben;  bie  inteüettueüen  Gräfte  ber  Sßefen  felbft  ober 
finb  offenbar  nic^t  bie  Urfac^e;  n)a§  t)erftef)t  ba^  eben  au§gef(i)(ü|)fte 
,^ü^nd)en  üon  SJJuSfeln,  S^eroen  nnb  SSerbauung?  Sa  vok  öicl  üer* 
ftef)t  ber  ^jljfiolog  baoon? 

4.  ®tc  ©tttttJtrfcUtugSt^coric. 

(Sine  neue  (Spod^e  in  ber  53ef)anblung  be§  Problem?  beginnt  mit 
bem  ®urd)bringen  ber  neuen  biotogifd)en  S(nfcf)auung  in  nnferer  ßeit; 
bie  (£ntmicfe(ung§tt)eorie  eröffnet  einen  5(u§meg  au§  jenem  S)i(emma. 
@ie  giebt  ber  natürlid^en  ober  fpontanen  (gntftef)ung  ber  Sebemefen 
eine  ©eftatt,  in  ber  fie  öorftetibar  mirb.  ©ie  nimmt  befanntüc^  an, 
ha^  bie  5;iere  nnb  ^ftangen  nic^t  in  ber  @efto(t,  in  ber  ton  fie  je^t 
fe{)en,  eine§  Xage§  ptöpd)  fertig  au§  unorganifc^er  9JJaterie  {)ert)or= 
gingen,  fonbern  betrachtet  fie  a(§  bie  ©rgebniffe  eine§  langen  58ilbung§* 
projeffeS.  S^Jic^t  nur  bie  Snbiöibuen,  oucJ)  bie  5(rten  {)aben  @nt- 
tttirfelung;  ou§  einer  ober  au§  ttjenigen  Urformen  einfarf)fter  @tru!tur 
finb,  unter  bem  3wjö"in^enn)irfen  äußerer  unb  innerer  UrfacEjen,  all^ 
mäf)Iirf)  bie  mannigfarf)en  unb  lompligierten  S3ilbungen  entftanben. 
Snfofern  biefe  2(nfic^t  eine  lange  ^flei^e  üon  3:^atfac]^en  beizubringen 
öermag,  bie  auf  fie  {)inmeifen,  ift  fie  bie  erfte  ,^t)pütf)efe,  bie  ben 
formellen  5(nforberungen  an  eine  miffenfdiaftlic^e  ©rflörung  entfprid)t. 
®ie  frühere  5tug!unft,  meiere  bie  5(rten  ber  ^iere  unb  ^flansen  burd> 
eine  üon  au§en  formenbe  Sutelligens  urfprünglid)  ^erüorgebrac^t  merben 
liefe,  ift  bamit  a{§>  naturt)iftorifc^e  Xt)eorie  enbgültig  befeitigt,  befeitigt 
nic^t  burd^  SBiberlegnng,  fonbern  mie  jebe  überlebte  3::^eorie  befeitigt 
tüirb:  burd^  ha§>  2)afein  ber  retfitmäfeigen  Sfloc^fotgerin,  ber  befferen 
Srf)eorie. 

®er  ©rfte,  ber  biefe  SSorfteüunggmeife  miffenfc^aftlic^  burdjgu^ 
füf)ren  unternahm,  mar  ber  fran^öfifc^e  Siolog  be  Samarcf  in  feiner 
Philosophie  zoologique  (1809).  Sn  üermanbten  S3a^nen  bemegten 
fid^  bie  ©ebanfen  gleidiseitiger  beutfd)er  9loturpt)iIofop^en,  ©c^eHing, 
Ofen,  ©oet^e.  Sie  ei'afte  ^^orfc^ung  üertjielt  fid)  gunäc^ft  fpröbe  gegen 
fo  ou§fd)meifenbe  ^^pot^efen.    ®er  S3oben  mufete  erft  beffer  üorbereitet 


4.  2)ie  @ntn)icEeIung§tf)eone.  189 

toerben.  2)ie§  gefdjaf)  üor  allem  burrf)  bie  (SntttJicEelung  ber  Geologie 
uub  Paläontologie.  Sie  äaljlreidjen  auSgeftorbenen  SebenSformen,  bie 
nad)  unb  nad^  an§  2icf)t  traten,  mod^ten  e§  gur  @ett)i^f)eit,  ba'^  bie 
organijd)e  2öe(t  im  Sanfe  ber  Reiten  oon  großen  Sßeränberungen  be= 
troffen  njorben  ttjor.  ^ür  bie  alte  antfjropomorp^ifc^e  @r!(ärnng§n)eife 
njaren  bie  neuen  X{)atfadjen  ebenfo  oiele  @d)n3ierig!eiten;  fie  nötigten 
jur  5lnnal)me  großer  Äataftrop^en  mit  tt)ieber!^oIter  3^^[törnng  ber 
organifdjen  SSelt,  unb  ebenfo  oft  n)iebert)oIter  @d)öpfung,  eine  3tnnaf)me, 
bie  benn  frei(id)  ben  5tntf)ropomorpf)i§mug,  inbem  fie  i^n  oollenbet, 
gugteid)  ad  absurdum  füf)rte:  tt)ie  unjulönglidje  unb  n)eggett)orfene  Sßer» 
fudje  erfdjienen  nun  bie  anSgeftorbenen  g^onnen.  ©leidigeitig  entjog 
bie  Geologie  biefer  SSorftellung  ben  53oben;  fie  ging  unter  Si^että 
5üt)rung  ju  ber  5Infd^auung  über,  ha^  bie  (Srbe  if)re  ©eftalt  nid)t  fo 
fet)r  einmaligen,  gettialtfamen  ^ataftroptjen,  al§  ber  (Summierung  reget= 
mäßiger  SSir!ungen  berfelben  iU'äfte,  bie  nodj  ^eute  t^ätig  finb,  in 
langen  geologifdjen  ß^it^^i^ii'nei^  üerban!e. 

<Bo  xoax  bie  ^dt  üorbereitet  für  bie  gro^e  llmn^ölgung  in  ben 
biologifdjen  Slnfdjauungen,  bie  fid)  an  ben  9Jamen  oon  (S{)arle§ 
3)arn)in  fnüpft.  ®a!§  SSerf,  in  bem  er  bie  neue  ^f)eorie  guerft 
barlegte:  Über  bie  (Sntftet)ung  ber  5trten  burd^  natürüd^e  ^^ctjtüja^I 
(1859),  be^eidjuet  ben  33eginn  einer  neuen  (Spo^e  nid^t  blo^  in  ber 
93ioIogie;  e§  ^at  mit  bem  fotgenben  SSerf:  5Ibftammung  be§  SOknfdjen 
(1871),  auf  bie  gefamte  ^ettanfd)auung,  oor  allem  auf  bie  gefdjid^t= 
lid)en  SSiffenfdjaften,  mit  ©infdjluB  ber  ^oliti!  unb  9Koral,  einen  be= 
beutfamcn  ©influB  geübt.    Sd)  oerfndje  bie  |)auptpun!te  ju  begeidinen. 

3)artt)ini?  SSerbienft  bcftel)t  nidjt  in  ber  erften  ^onjeption  be§ 
®eban!en§  ber  ©ntloidelung  überhaupt,  aud)  nid)t  eigentlid)  in  ber 
(Sntbedung  ber  Urfac()en  ber  ^Transmutation ;  er  l)at  felbft  in  einer 
einleitenben  f)iftorifdf)en  ©fisje  mit  ber  freien  unb  freubigen  Slnerfennung 
fremben  SßerbienfteS,  bie  it)n  aU  miffenfd)aftlid^en  ß^arafter  fo  lieben§= 
mert  mad)t,  gegeigt,  njie  alle  feine  ©ebanfen,  lüenigftenS  in  Slnfö^en 
unb  ©puren,  fd^on  oor  il)m  au§gefprod)en  finb;  fonbern  in  ber  S)urd)= 
füljrung  unb  Erprobung  biefer  ©ebanlen  in  ber  SSelt  ber  2;t)atfad)en. 
2)ie  83ereinigung  genialer  Ä'ombinationSgabe,  Iritifdjer  iöefonnent)eit  unb 
erftaunlidjer  33el)arrlid)feit  tjat  i^n  befäl)igt,  au§  gerftreuten  @ebon!en 
unb  2:f)atfac^en  eine  3:tjeorie   ober  oielme^r  ein  gorfd^ungSpringip  gu 


190    I-  33ud^:  S[«etopf)^fif.  2.  tapitel:  ®a§  fo§mologifd)=tf)eologifd)e  «ßroblem. 


bilben,  beffen  g^rud^tbarfeit  anä)  in  fremben  §änben  ber  befte  53ett)ei§ 
feiner  Sebeutung  ift. 

®a§  Srangmutation^pringip,  Welches  Samin  aU  bie  eigentlich 
BettJegenbe  ^roft  in  ber  ©ntmicfelung  ber  Sebeniformen  f)infteüt,  ift 
ber  Äampf  um§  ©ajein  unb  bie  f)ierauf  beru!)enbe  natürliche  ßudEjtmat)!. 

5Die  prinzipielle  ^rage,  um  bie  e§  firf)  ^onbelt,  ift  (rtjenn  mir 
5unä(f)[t  üon  ber  erften  (Sntfte^ung  organijc{)en  2eben§  abfef)en)  bie: 
!önnen  au§  öorijanbenen  Sitten  neue  Strien  ent[tef)en?  ®ie  alte 
33ioIogie  üerneinte  bieg^rage;  bie  (Srfafjrung  geigt,  ha'^  bie  9lac^!ommen 
ftet§  ben  ©räeugern  gleidjen.  5lIIerbing§  finben  !(eine  Slbtt^eidjungen 
in  ©eftolt,  ©rö^e,  ^^orbe  u.  f.  tti.  ftott;  aber  biefe  [teilen  ficf)  aU 
«Sc^njanfungen  um  ein  Wlitkl  bar,  ha^  fic^  nict)t  üeränbert,  ha^  ift 
ber  2(rttt)pu§.  ®ie  Strtttjpen  finb  fonftant;  ha§:  ift  hü§:  (^runbgefe^ 
ber  olten  S3ioIogie. 

3)armin§  S(ufmer!fam!eit  n)enbete  fic^  früt)  einem  ©ebiet  gn,  »üo 
jene  fleinen  5(bmeic^ungen  eine  bebeutenbe  9(?o((e  fpieten,  e§  ift  ba§^ 
©ebiet  ber  bomeftigierten  SEiere  unb  ^flangen.  S3ei  ben  §au§tieren  unb 
^ulturpftangen  finb  bie  5lbn)eid^ungen  nic^t  nur  jafjtreid)  unb  bebeutenb, 
fonbern  aud^  gu  bteibenben  Stijpen,  ben  Slbarten  ober  Sf^affen  befeftigt; 
bie  ^ferbe,  Sf^inber,  @cl)afe,  ©d^meine,  §unbe,  §ü^ner,  Sauben,  unb 
ebenfo  bie  ^ntturpflanjen,  bie  Obftbäume,  S3Iumen,  Slornarten,  !ommen 
in  überaus  mannigfaltigen  unb  abmeid^enben  formen  üor,  bie  bod^ 
alle  auf  eine  mitbe  Urform  a[§>  gemeinfame  (Stommform  gurüdmeifen. 
Unb  uod)  olle  Xage  entfte^en  unter  ber  §anb  ber  ©ärtner  unb  ßüdjter 
neue  g^ormen,  neue  Spielarten  oon  33lumen,  Zanhen,  .öunben  u.  f.  rt). 
SSie  gefd)ief)t  ha§:?  S^iun,  be!anntlid)  burd)  ßud^tmalil.  9JJan  möl^lt 
unter  ben  oorljanbenen  Snbiüibuen  gur  g^ortpf laujung  biejenigen  au§, 
bie  gemiffe  ern)ünfd)te  @igenfdt)aften  in  oorgüglidiem  äJJafee  befi|en, 
eine  @igentümlicf)feit  be§  ©efieberS,  feine  SBolle,  gülle  bei  gleifcl)es, 
©d^neUigfeit  ober  £raft  u.  f.  m.  Unter  ben  9^ad)fommen,  bie  bie  elter- 
lidien  ©igenfdjaften  erben,  mäl)lt  man  mieber  nad^  bemfelben  @efid^t§= 
punft  ou§,  unb  fo  erreidit  man  in  oerl)ältnigmäBig  furjer  Qüt  burc^ 
©ummierung  fleiner  Unterfc^iebe  fo  betröd^tlid^e  5ot:mänberungen,  mie  fie 
5. 93.  englifcl)e  Üiinber,  ©c^afe,  ©d^melne  gegenüber  ber  Stammform  geigen. 

9lun,  fagt  Karmin,  ebenfo  oerföljrt  bie  9^atur  im  großen:  fie  ift 
bie  größte  3ü<i)t€rin.    2Iuc^   fie  wäljtt  für  bie  gortpflangung  ber  5(rt 


4.  ®ie  (5ntJt)tcfeIunglt:^eone.  191 

bie  Snbiüibuen  qu§;  QÜerbingS  gefd^ie^t  bte  5Iit§lraf)t  nicf)t  in 
g^orm  ber  Überlegung,  unb  ber  leitenbe  @efic^t§pun!t  i[t  md)t,  lüie 
bort,  eine  äuBerlid^e  ?Jü|tid)feit  für  ben  ÜJ?enfd^en,  fonbern  bie  imma= 
nente  ^Jü^Iid^feit,  nämlid)  für  bie  (Sr^attung  be§  SnbiüibuumS  unb 
ber  5(rt. 

®ie  9latur§üc!^tung  öongiefit  fid^  auf  folgenbe  SBeije.  3)q§  Seben 
ift  für  bie  Sebeujefen  ein  6eftänbige§  klingen  um  bie  2eben§bebingungen. 
SDie  ^a\){  ber  ©efdfjöpfe,  bie  leben  unb  fid^  erhalten  njoüen,  ift  immer 
größer  af§  bie  ßai}{  ber  ^lä^e  an  ber  ^iofet  ber  9^atur,  eine  ^otgc 
ber  t)erfrf)it)enberifd;en  ^erüorbringung  ber  SebenSfeime.  5J)ie  5i^urf)t= 
barfeit  ber  SIrten  ift  fe!^r  üerfd)ieben;  aber  e§  giebt  feine  3(rt,  non 
ber  nid^t  unter  günftigen  Umftänben  ein  einzige?  ^aar  imftanbe  UJöre, 
in  einigen  Sal}rf)unberten  bie  @rbe  mit  feinen  92arf)fommen  gu  füUen. 
®oB  biefer  (Srfolg  nid^t  eintritt,  liegt  an  ber  ©parfamfeit  ber  Seben§= 
bebingungen;  in  bem  um  biefe  entbrennenben  ^'ampf  unterliegt  bie 
grofee  äRefirjaf)!  oorjeitig.  9hm  ift  aber  eine  fernere  jtf)atfad)e,  ha'^ß  bie 
^nbiöibuen  einer  5lrt  nid^t  mit  üöllig  gteid^en  Ä'röften  in  ben  ^ampf 
eintreten;  e§  finben  mannigfadf)e  fteine  Sfbmeid^ungen  ltatt.  2)ie 
3^otge  ift,  \)a^  in  bem  ^ampf  biejenigen  Snbioibuen  am  meiften  5lu§= 
fid^t  ^aben  fiegreid^  ju  beftef)en,  bereu  ?(braeid)ungen  SSorjüge  finb; 
Übertegen'^eit  mirft  Iebenerf)a(tenb.  @§  fönnen  bie  öerfdiiebenften 
(Sigenfd^aften  fein,  bie  Überlegenf)eit  begrünben,  ein  9J?ef)r  an  ©tärfe, 
©d^nelligfeit,  g^inbigfeit,  Snteüigeuj,  ein  SSorjug  ber  <Bd}u^-  ober  Stn- 
griff^toaffen,  eine  geringere  Semerfbarfeit  ober  größere  2öiberftanb§= 
föf)igfeit  gegen  @d^äblid)feiten  aller  Strt:  jeber  biefer  SSorteite  mog 
feinen  Sufjaber  bei  einem  Äampf  überlegen,  bei  einer  ^Uid)t  erfolg» 
rei(^,  in  ^roft  ober  ^ungerSnot  auSbauernb  mad^en,  mo  minber  ht- 
günftigte  umfommen.  —  (gben  bamit  t)aben  biefelben  Snbiüibuen  and) 
bie  meifte  5Iu§fid^t,  gafjireidie  DZad^fommen  ^u  ^interlaffen,  unb  inbem 
fie  auf  biefe  i^re  5tu§ftattung  öererben,  gefrf)ief)t  e§,  ha^,  ma§  junäd^ft 
inbioibueller  ^^or^ug  mar,  admötjüc^  5ur  ©attungSeigenfd^aft  mirb: 
bie  ben  ßebenSbebingungen  am  beften  ongepafeten  Subitjibuen  beftimmen 
ben  5(rtti)pu§.  @in  einfeitige§  Übermaß  in  ber  (Sntmirfelung  gemiffer 
ßigenfd^aften,  §.  33.  ber  ©rö^e,  ober  ber  Bewaffnung,  ober  ber 
©djueüigfeit,  fann  babei  nid)t  ^erau§fommen,  meil  fotdje  ha§>  aU= 
gemeine  ©leid^gemid^t  ftörte   unb  bamit  bie  2eben§fäf)igfeit  ^erabfe^te; 


192    I-  33u^:  aJietap^^ftf.  2.  to^jüel:  2)o§  folmoIogt)c^4t)eologif^e  Problem. 

ein  tiertftfier  §au§t)Qlt  muB,  lüie  ein  n)irtjc^aft(irf)er  ober  politijc^er 
^ausr^alt,  feine  Seiftnngen  anf  bie  oerjc^iebenen  gunftionen  nad)  bem 
9)iaB  ifjrer  2öicf)tigfeit  üerteilen:  auf  2Se()rt)Qftigteit,  53ett)cg(icf)!eit, 
9Zert)entf)ätig!eit  u.  \.  m. 

3(uf  biefe  2ßeife  aljo  fann  (Steigerung  im  Sinne  ber  immanenten 
3it)e(fmäBigfeit,  auffteigenbe  ©ntmidelung  ftattfinben,  ot)ne  baB  e§  jur 
(Srftärung  einer  üon  au^en  eingreifenben  intelligent  bebarf.  Unb  mit 
ber  Steigerung  finbet  gugleid)  S^itferenjierung  ber  Xl)pen  [tott.  S)a§ 
jcmeilig  mögliche  SO^ojimum  oon  i]eben  mirb  hnxd)  Spaltung  in  oer= 
fdjiebenartige  2:i)pen  mit  üerfcfjiebenen  53ebürfnijfen  unb  üerfc^iebener 
Crganifation  ert)öf)t;  e§  f)aben  mef)r  Snbiöibuen  öon  t)erj(i)iebenen 
S(rten,  a(§  üon  einer  S(rt  nebeneinanber  9iaum,  meil  fie  in  bie  freien 
^(ä|e  ficf)  mit  met)r  Üiaumerfparnis  tjineinpoffen.  3)armin  ^eigt,  mie 
für  ^flangen  bieg  @efe|  gültig  i[t.  5(bn)eicf)ung  oon  ber  SRittelform 
mit  58eäief)uug  auf  bie  fiebenSbebingungen  ift  ein  erf)altenber  unb 
batjer  ortbilbenber  35orteiI.  ^amit  I)öngt  jufammen  ha§>  ßinge^en 
ber  SOiittelformen;  bie  ©jtreme  ftet)en  in  nid)t  fo  fd^arfer  Äonfurrenj. 
%ü6)  fjier  tt)irb  aümöfiüd)  ein  @(ei(i)gemi(f)t§§uftanb  erreid^t,  bei  bem 
boä  unter  biefen  ©efamtbebingungen   mögli(f)e  SebenSmajimum  befte^t. 

9Zeben  unb  mit  bem  ^^rinjip  ber  Siaturgücfjtung,  ba§  er  in  ben 
58orbergrunb  ftetlt,  erfennt  übrigen^  Sarmin  anbere  ^rinjipien  al§ 
mitmirfenb  an,  fo  bü§^  ^rinjip,  ha^  Samara  al§  bie  tt)efentlid)e  Ur= 
fac^e  ber  Slbänberung  anfa^:  S3eränberungen  in  ben  33erf)ä(tniffen  ber 
@rboberf(ä(f)e;  fie  nötigen  burd^  33eränberungen  in  ben  2eben§= 
bebingungen  gu  SSerönberungen  in  ber  gunftion;  unb  öeränberter  @e= 
braud)  ber  Crgane  füJ)rt  enblid^  gn  33eränberungen  in  ber  Organifotion. 
3n  bemfelben  Sinne  mirfen  SSanberungen,  gu  benen  ber  Äampf  um§ 
3)afein  ben  5(nfto&  giebt,  inbem  er  jur  ^(usbreitung  brängt.  Unb 
a(§  ätneiteS  mitgeftaltenbel  ^rinjip  nennt  S)artt)in  ha§  ^nnjip  ber 
forretütioen  35eränberungen.  Gin  DrganilmuS  ift  ein  ein!^eitlid^e§ 
SSefen,  ha§i  an  feinem  ^^unft  geänbert  merben  !ann,  o^ne  ha'Q  fom= 
penfierenbe  SSeränberungen  an  anberen  Steilen  notmenbig  merben.  SSie 
man  an  einem  S)reiecf  feine  Seite  ober  feinen  SSinfel  oeränbern  fann, 
ot)ne  ha]i  anbere  Seiten  unb  SSinfet  in  SOiitleibenfdjaft  gebogen  merben, 
fo  fann  im  Drgani§mu§  fein  Xeil  für  fic^  üeränbert  merben.  S)ie 
93erftärfung    eine§   XeifS   be§  Sfelettg  §.  93.    madjt    forrefponbierenbe 


4.  2)ie  (StitJuidelungStl^eorie.  193 

Sßeränberiingen  ber  übrigen  Xeile  notioenbig,  frfjon  um  ba§  äußere 
©(eic^geiüidjt  (jer^ufteüen.  S^ielfarf)  [inben  ^ier  allerbing§  Seäiefjungen 
[tott,  bereu  Ülotraeubigfeit  uu5  feine§tt)eg§  eiuteu(^tet,  fo  3.  58.  ^ujifc^en 
ber  ©utmicfelung  ber  @eidjted)tlorgQue  uub  gteidjäeitigeu  auberen  SSer= 
Quberuugeu  im  §a6itu§  uub  ber  ©rjrfjeiuuug. 

Sa§  märeu  bie  XraugmutatiouSpriu^ipien  ber  ueueu  SE^eorie. 
Sft  bomit  ba§  ^robtem  ber  @ut[tef)uug  ber  5Irteu  aufgelüft? 

Soor  allem  mirb  ^ier  juerft  eiue§  5U  bemerfen  feiu,  nja§  nic^t 
immer  geuügenb  beachtet  ju  ujerbeu  jc^eiut;  bie  erfle  Söorauäfe^ung 
aüer  Sutmicfeluug,  o^ue  bie  jene  ^riujipien  gar  !eiueu  5{ufo^puu!t 
für  if)re  SBirfjamfeit  t)ätteu,  ift  uatürlicf)  ber  2öiüe  jum  ^thm,  ber 
SSiße  jum  ^ampf  iini§  S)ajeiu  iu  allen  äöefen,  bie  an  ber  @nt= 
iüicfetuug  beteiligt  fiub.  ©ie  erteiben  bie  (SntmidEetung  ni(f)t  paffio, 
fie  werben  uirf)t,  tüie  bie  Äiejelfteine  im  ^ad),  burd)  mec^onijcf)  mir!eube 
Urfac^eu  üon  aufeen  in  bie  neue  ^orm  ^ineingefto^en.  33ielme{)r  i[t 
if)re  eigene  innere  Slttiüität  bie  abjolute  Sebinguug  ber  äöirffamfeit 
ber  natürlichen  ßuc^tnjaf)!.  5Der  Äampf  um§  SE)afein  mirb  ben  Sn= 
bioibuen  nirfjt  öon  au^en  auferlegt,  fonbern  i^r  eigener  SBitte  ift  e§, 
if)n  ju  fämpfen,  uub  o^ne  biefen  Söiüen,  ben  SBiüen  ^nr  (gr^altung 
uub  ®etf)ötigung  be§  (Sigenleben§  uub  gur  ©rgengung  unb  (grt)altung 
öon  Sf^adifommen,  märe  natürüd)  öon  einem  ^ampf  um§  SDafein 
überall  nid)t  bie  'Sieht.  Uub  jmar  ift  biefer  SSille  ^um  2tbtn  bie 
abfohlt  urfprünglid)e  33oran§fe^ung;  er  fann  nic^t  erft  mieber  au§ 
natürlidjer  ßi^^^tma^l  abgeleitet  merben.  9}?an  müfete  benn  annef)men 
motten,  ha^  erft  organifd^e  33ilbungen  entftanben  feien,  in  benen  er 
nod)  nid)t  öorfjanben  mar,  bie  fid)  inbifferent  gegen  Grtjattung  be§ 
@igeuteben§  uub  ber  ©attung  öer^ielten,  ha^  aber  bann  burcf)  zu- 
fällige i^ariation  and)  einmal  Snbiöibuen  mit  erften  Ü^egungen  foldjer 
^Triebe  entftauben,  uub  ha'^  biefe  baburd)  befäf)igt  morben  feien,  bie 
anbereu,  bie  nod)  o^ne  ben  Xrieb  ^ux  örnä^rung  unb  Fortpflanzung 
maren,  ju  öerbrängen. 

Söei  mam^eu  ©arminianern  tritt  eine  gro^e  9leigung  "^eröor, 
bieg  ZU  überfel)eu.  ®a§  beliebtefte  Schema  ber  natürlidien  ßudjtmaf)! 
ift  ba^'  einer  rein  med)auifd}en  2(u§lefe,  mie  e§  etma  bie  erfd)einung 
ber  ?lupaffuug  mancher  3ufe!ten  an  iljreu  SM^rboben  iu  garbe,  ®e= 
ftatt  uub  ^eic^nung  (bie  fogeuannte  mimicry)  barbietet.    2)ie  Snfe!ten 

*lJaulien,  ßiuleitung.    ü.  Stufl.  13 


194    I-  93ut^'-  SJietap^^fiE.   2.  Kapitel:  5)a§  !o§moIogifcf)4f)eoIogifd^e  Problem. 


erleiben  ^ier  rein  paffiö  bie  UmBilbung  be§  ?Irttt)pu5;  bie  aBftedienbften 
tt)erben  jcberjeit  {)erau§gepicft,  unb  ]o  bleiben  äule|t  allein  bie  gleicf)- 
forbigen  übrig.  Sluf  äf)nlicf)e  Söeife  joUen  bie  Ääfer  auf  äRobeira 
bie  g^Iügel  oerloren  f)Qben:  „ber  5läfer,  ber  am  njenigften  flog,  ent= 
meber  meil  jeine  ^(üge(  am  roenigften  entmicfelt  rvaxtn,  ober  ttjeil  er 
ber  inbolentefte  'mar,  f)atte  bie  meifte  Slusfidjt,  bie  anberen  jn  überleben, 
tt)ei(  er  nid)t  in§  9J?eer  gen)ef)t  ttrnrbe;  n}äf)renb  bie  jenigen  Ääfer,  tt)eld)e 
am  liebften  flogen,  am  erften  in  bie  (See  getrieben  unb  öernidjtet 
würben."  (ßntftet).  ber  5(rten,  ©.161.)  S)a  Ijier  üon  einem  ©treben, 
burcf)  ©tillfi^en  ber  ©efatir  gu  entgefien,  fcf)merücf)  bie  Sflebe  fein 
fann,  fo  fanb  bie  Umbilbung  be§  S(rttt)pu5  burrf)  bie  rein  poffiü  er- 
littene 2{u§mer,3(Ung  ftatt.  2(ber  ha§>  ift  offenbar  nur  eine  auc^  öor= 
fommenbe  ^^orm  ber  natürlidjen  ^^i^fj^^^Q^^;  W"^  ift  ^^^  5^ampf  um§ 
S)afein  eine  reine  SOJetap^er.  ^a§  ift  er  nic^t  überall,  üielme^r  ift 
in  ber  Ü^egel  bie  S3orauefe|ung  ber  (5rl)altung  ha^  ©treben  nad)  ®r= 
l)altung,  fei  e§  im  SBettbemerb  mit  ßonfurrenten,  ober  o^ne  foldjen. 
3)ie  bie§  überfel)en,  mögen  an  ein  äBort  Öoetf)e§  erinnert  fein,  ba§ 
freilid)  nid^t  urfprünglid)  für  fie  gemeint  ift: 

^ein  toßere§  SSerfef)n  fann  fein, 

(5Jieb[t  einem  ein  geft  unb  läbft  if)n  nid^t  ein. 

9^atürlic^  ift  bei  bem  SSillen  gar  nic^t  an  etma§  Übernatürlid)e§ 
gu  benfen,  ba§^  gelegentlich  unb  fpufl)aft  in  bie  ßörpermelt  hinein 
lüirfte.  ^^^i)fifd)  märe  bie  ©a(^e  nad)  jenem  in  ber  ontotogifd;en 
S3etradjtung  gemonnenen  ©d)ema  fo  gu  fonftruieren:  ber  SSille  jum 
Seben  ift  eben  basfelbe,  oon  innen  gefet)en,  ma§  äuBerlic^  bem  ^l)t)fifer 
ol§  ein  organifierter  S!örper  entgegentritt,  ^ie  pl)t)fifd)e  2;l)atfac^e, 
bie  burd)  ben  5lu§brud:  äöiHe  ^um  Scben,  Xrieb  gur  ©rnäl)rung  unb 
Fortpflanzung  begeidjnet  mirb,  ift  bie  ^^enbeng  eineä  organifdjen  Körpers, 
auf  beftimmte  Sfieije  mit  33ett)egungen  unb  inneren  33et^ätigungen  ju 
reagieren,  bie  im  ©inne  ber  @rl)altung  be§  ©t)ftem5,  biefe§  inbioibuellen 
2eibe§  unb  biefer  2(rt,  tnirfen.  ®ie  Aufgabe,  bie  Statur  eine§  fold^en 
©t)ftem§  in  concreto  bar^uftellen,  bleibt  ben  ^l)l)fiologen  überlaffen; 
il)re  3Birflid)feit  ift  ja  nid)t  jmeifelljaft,  fie  liegt  in  jebem  ©amenforn, 
in  jebem  befrudjteten  @i  greifbar  öor  un§,  es  ift  nid)t5  anbere§  all 
eine  fonfrete  ©ntmidelnngStenbeng,  b.  f).  ein  ©t)ftem  oon  Gräften,  bie, 
fobalb  gemiffe  äußere  3?erl)ältniffe   gegeben   finb,   äöärme,  geudjtigfeit 


4.  5)te  (5ntttJicfeIung§tf)eorte.  195 

11.  f.  ttJ.  in  ber  oorbeftimmten  9?icf)tung  fid^  bet^ätigen.  06  e§  jemaf§ 
getingelt  mirb,  bie  eigentiimlid^e  ^Kombination  oon  ^U(ofefulQr!räften 
bar^uftellen,  bie  in  einem  SBei^enforn  ober  in  ber  ©djale  eine§ 
§ül)nerei§  eingefrf)Ioffen  liegt,  mag  baf)in  geftetit  fein.  !3^aB  bie  ?(uf- 
gäbe  fcf)on  gelöft,  ha"^  in  ©ariüin  „ber  9iemton  be§  ®rag^atm§", 
beffen  9)?öglid}feit  Äant  einmal  in  SIbrebe  fteüt,  erf(f)ienen  fei,  vok 
^aerfel  fagt,  n^ürbe  Darwin  felbft  geroife  am  entfd^iebenften  ^urütf* 
gettjiefen  {)aben. 

Unb  nun  erfjebt  fid)  Ijier  bie  njeitere  O^rage:  ift  bie  immanente 
Stenbin^aud)  allein  für  fid)  imftonbe,  @nttt)idelung  unb  (Steigerung 
be§  3trtti)pu§  lu  beluirfen,  ober  fe^t  biefe  ftet§  ^ampf  um§  Safein 
unb  natürtid^e  |]ud)tiüa()t  ooraug?  ä)är  fc^eint,  e§  fte^t  ber  erfteren 
2(nnaf)me  fein  §inberni§  im  SBege.  ^m  Snbioibnnm  finbet  ja  o^ne 
3tt)eifel  etmag  berartige§  ftatt.  ®ie  innere  5(ntage  beftimmt  fpontan 
bie  (Snttoirfelung  in  ber  präftabilierten  9tid)tung.  Sa§  Subioibunm, 
ha^:  beim  XJebenSanfang  bie  ©eftalt  ber  ©attung  in  unfertiger  gorm 
I)at,  erreid)t  bie  ooüenbete  ©eftalt  mefentUd)  burd)  S3et^ötigiing  feiner 
^'räfte  unb  Stniagen,  wo^u  fpontaner  3;rieb  füfjrt.  ®a§  gi(t  üon  ben 
negetatiöen,  mie  uon  ben  animalifd^en  3^un!tionen;  burd)  23etf)ötigung 
erlangen  bie  im  9Zeugeborenen  angelegten  Organe  i^re  üollenbete  5tu§= 
bilbung.  Unb  gmar  braud)t  bie  33etf)ätigung  nidjt  einmal  überaß 
burd)  bie  9?ot  be§  33ebürfniffe§  er§mungen  §u  werben,  fie  brid}t  oon 
innen  I)ertior,  oft  gnerft  in  fpielenber  g^orm,  loobei  bie  Umftänbe  nur 
al§  3(nrei§  unb  9}Kiglid)feit  mirfen.  Sft  nun,  mie  in  ber  inbioibuetlen, 
fo  aud^  in  ber  ©attungSentluidetung  bie  immanente  Stenben^  nic^t 
bloB  überall  bie  erfte  ^orau^feljung  ber  ©ntroidelung,  fonbern  aud) 
für  fid)  auSreid^enb,  eine  auffteigenbe  (Entfaltung  einzuleiten?  SBürbe 
aud^  ha,  wo  ^ampf  uni§  SDafein  unb  natürlid)e  3iirf)tiöal)l  nid)t  mirft, 
gleid)n)ot)l  ein  Übergang  p  neuer,  ootlfommnerer,  gefteigerter  @e= 
ftaltnng  ftattfinben  !önnen?    Sd)  meine  n)ol)l. 

i5ed)ner  beutet  einmal  folgenbe  Überlegung  an.  ®er  §a^n 
l^at  ©poren,  g^ebermä^ne  unb  ^amm,  mä^renb  bie  ^enne  fie  nid)t 
t)at.  ^^artnin  erfläre  bie  <Ba<i)Q  fo:  burd)  anfällige  33ariation  ent= 
ftanbene  ?lnfä^e  biefer  (Sinrid^tung  gaben  bem  Qn^aber  im  ^ampf 
eine  Überlegenljeit;  inbem  in  einer  langen  ^olge  oon  Generationen 
ftet§   bie  in    biefer   3^id)tung   beft    anSgeftatteten   §ä^ne    bie   ©egner 

13* 


196    I.  93uc^:  aJletapl^ft!.  2.  Kapitel:  2)o§  fo§motogiic^=t^eologif(^e  Problem. 

fd)Iugen,  fanb  allmä^Iid)  bie  öoüftänbige  SüiSmerjung  be§  unbett)et)rten 
unb  bie  [^^ijierung  be§  je^igen  Xt^puS  ftatt.  ged)ner  meint,  lüenn 
alle  3^^'f^i^^^^'^*""9^"  ^^^  ^iere,  aud)  bie  inneren,  burd)  foldie 
igummierung  pfättiger  SSariationen  erflärt  ttjerben  joüten,  \o  n?erbe 
ber  S3or[te(Iung  fd)tt)inbetn.  „3(^  benfe  üie(mef)r,  als  bie  Organifation 
noc^  Ieid)ter  üeränberlicf)  tt)Qr,  t)ermod)te  bog  pft)<i)iic^e  ©treben,  bem 
@egner  im  ^ampf  tüd3tig  jujufelen,  ber  ßorn,  ber  nocf)  ^eute  ben 
Sporn  in  Stfjätigteit  je^t,  bieje  Xeile  burd)  ?lbänberung  ber  SilbungS* 
projeffe,  n^enn  nid)t  an  ben  fertigen  .öä^nen  f)erooräutreiben,  \o  bod) 
bie  2(niage  bagu  ben  keimen  unb  fjiermit  ben  9Zad)fommen  ein^u^ 
pftansen,  mobei  ic^  natürlich  bie  pjt)d)ifc^en  S3eftrebungen  nur  qI§  bie 
inneren  (gr]d)einungen  ber  pf)t)fi](^^organif(^en  anfe^e."*) 

Sn  ber  X^at,  ic^  fe^e  nidjt,  waS  biejer  S3etrac^tung  entgegen 
fte'^t.  2)er  Xrieb  §ur  Settjätigung  ber  9(nlage  ujirft  ja  überall  gu* 
gleid^  aU  S^rieb  §ur  @e[taltbilbung,  ha^  Snbiüibuum  ert)ält  jeine  au§^ 
geprägte,  fertige  ©eftalt  burc^  bie  33etf)ätigung.  ginbet  nun  auc^ 
S^ererbung  ber  erft)orbenen  ©igenjd^aften  ftott  —  unb  biefe  n^irb  ja 
nid)t  überf)anpt  ausgemerzt  werben  fönnen,  wenn  oud)  immertjin  ba§ 
(Srttiorbene  neben  bem  ©rerbten  für  bie  S^ererbung  eine  \d)x  befc^eibene 
9ftoIIe  fpielen  mag  —  h)irft  alfo  ber  erworbene  elterüdje  ^abituS  auf 
ben  Äeim  unb  bamit  auf  bie  (Sntwidetung  ber  9lad)fommen  mit= 
beftimmenb  ein,  fo  beftimmte  bemnad)  jule^t  Sirieb  unb  33et{)ätigung 
aller  Snbiöibuen  in  ber  langen  9ieif)e  ber  Generationen  ben  §trttl)pu§; 
bie  notürIid)e  ßucf^twa^t  wäre  bonn  nur  ein  ben  ^roje^  unter[tü|enbeg 
unb  befdjIeunigenbeS  SJJoment. 

SDie  @od)C  ift  auc^  SDarwin  nic^t  fremb.  5luf  bie  grage:  wo^er 
bie  inbiüibuetlen  Sßariationen  fommen,  bie  ben  5lngriff§punft  für  bie 
uatürttd)e  3"ct)twal3l  bilben,  gef)t  er  nid)t  ein.  @§  t)inbert  il)n  nic^t§ 
an§unef)men,  ba'B  biefe  SBariationen  nid)t  abfolut  in§  Sünbe  unb 
33Iaue  ge^en,  fonbern  bü^  fie  gleidjfam  tenbengiöS  finb,  b.  t).  in  ber 
ü^ic^tung  ber  5Inpaffung  unb  Steigerung  be§  ®attuug§tl)pu§  liegen. 
^ie  §äf)ne  werben  nie  eine  Sf^eigung  gezeigt  {)aben,  aud)  einmal  in 
ber   9^id)tung  gu   oariieren,   ha)]   fie   S(nfä|e  gur  S^Ioffen»  ober  ^uf* 


*)  fjed^net,  einige  ^tttn  jur  (Sd^öpfung^«»  unb  ©ntloidelungSgefc^id^te  ber 
Drganigmen  (1873)  6.  72. 


4.  ®ie  (Sntttjicfelungät^eorie.  197 

bilbung  l^eroorgebrac^t  l^ätten,  bie  bann  erft  qI§  unüorteiIf)afte 
SSariationen  im  ^ampf  um§  S)afein  lüieber  aii^gemerjt  tüerben  mußten, 
©onbern  bie  S^artationen  bemegten  fid^  in  ber  D^idjtimg  beg  ßtoerf- 
mäßigen.  ®ie  „ßielftrebigfeit"  be§  Snbioibuum§,  bie  ja  in  allen 
feinen  93et()ätigungen  fo  snjeifello^  l^eröortritt,  erftredt  fiel)  and)  auf 
bie  3Irtti)pen.  2Bie  ha§>  @i  ober  ba§  jugenblic^e  ^nbioibnum  für  bie 
(Sntnjicfelung  in  beftimmter  9^id)tung  präbeterminiert  unb  mit  feinem 
SBillen  barauf  geridjtet  ift,  fo  !onnte  man  auc^  üon  ben  5(rtti)pen  in 
statu  nascendi  fagen:  fie  finb  auf  bie  Sntmideinng  in  beftimmter 
Sf^id^tung  angelegt  unb  mit  bem  SBillen  geridjtet.  ®er  SSille,  nidjt 
ein  öorauSfefjenber,  burd^  Slbfic^ten  geleiteter,  fonbern  ein  in  ^Trieb- 
empfinbungen  fid^  än^ernber,  in  allen  Snbiöibuen  ber  Strt  fid;  regenber 
Söiüe  niäre  bann  in  te|ter  Stbfid^t  ber  93ilbner  ber  gorm.  2öie 
^^^fiognomie  unb  §abitu§  be§  ermad)fenen  ü)?enfc^en  in  gemiffem 
©inne  fein  eigene^  SSerf  ift,  bie  IjabitueK  gemorbene  @ebörbe,  Haltung, 
2;l)ätig!eit,  fo  märe  bie  organifdje  3^orm  überall  in  gemiffem  ©inne 
ha^  SSer!  be§  äBiüeng. 

SSunbt  l^at  (in  bem  Softem  ber  ^t)ilofop:^ie,  ©.  325  ff.)  biefen 
@eban!en  an§gefül)rt.  ^Itle  organifd)en  3;^ätigfeiten  finb  urfprünglid) 
2Billen§betl)ätigungen.  Sn  ben  erften  S3ilbnngen  beruljen  and)  bie 
üegetatioen  g^nnftionen  auf  2;riebt)anblnngen;  „ba^  ^roto^oon  erfd^eint 
al§  ein  in  allen  feinen  teilen  nad)  SBiüenSimpulfen  l)anbetnbe§ 
SBefen:  mie  beinalie  jeber  ^eil  bem  anbern  gleidimertig  ift,  fo  ift  e§ 
and)  in  feiner  ganzen  ßeibe^maffe  ein  einziger,  oon  einljeitlicfien 
SBillenSaften  beftimmter  Organismus."  Snbem  aber  bie  i8etl)ötigung 
eine  S)i§pofition  f)interläBt  unb  in  bem  DrganiSmuS  al§  öabituS 
fii'iert  mirb,  bringt  fie  bleibenbe  unb  burd)  93ererbung  übertragbare 
©trufturüerönberungen  f)eröor.  Saburd^  mirb  biefe  93etl)ätigung 
med^anifiert  unb  ber  SBiUe  für  neue,  t)öl)ere  ^ettjätigung  entlaftet, 
ätjulid)  mie  mir  aud)  auf  ^ö'^erer  @ntmidelung§ftufe  urfprünglid)  min= 
fürlic^e  in  gemot)nt)eit§mäfeige  unb  §ule^t  in  automatifcf)e  2;l)ätig!eit 
übergeljen  fel)en.  @o  märe  bie  Drganifation  gleidjfam  erftarrte 
Söillen§tf)ätig!eit.  9?atürlid)  finb  bie  (Srfolge  nid^t  öorljer  in  einer 
SSorfteltung  als  5lbfid)t  üorljanben  gemefen;  ber  Söille  mar  in  jebem 
Stugenblid  allein  auf  biefe  S3etl)ätiguug  geridjtet.  Slber  bie  Söirfungen 
gingen  über   hü§:  näd^fte  3^^^   l)inauS;   ein   33erl)ältniS,   baS  mir  aud) 


198    I.  33u(i):  9Keta)3t)t)fi!.  2.  Kapitel:  ®a§  !o§moIogtf(i)4{)eotogif(^e  Problem. 

nod)  auf  ber  I)öcf)ften  @ntlüi(JeIung§[tufe,  im  geiftig^gefd^iditlid^en  Seben 
tüieberfinben,  rao  ebenfalls  bie  SSirfungen  regelmäßig  über  bie  näd^ft 
getuoUten  ^kk  ^inauSge^en.  @o  ent[tef)en  Sitten,  9flecf)t§normen,  fefte 
SebenSformen  aller  2(rt;  ber  Söiüe  ift  unmittetbor  attein  auf  ein 
näcfjfteS  gegenmärtigeS  ^iel  gerirf)tet,  ober  burrf)  bie  93etf)ätigung  bringt 
er  äugteirf;  at§  unbcabfidjtigten  ©rfolg  ©ertiö^nung,  ^räbispofition, 
§abitu§,  äule|t  fefte,  übertragbore  g^orm  ^erüor.  SBunbt  t)ot  für 
biefeS  eigentümliche  5ßer^ättni§  ben  S3egriff  ber  ^eterogonie  ber 
^wecfe  gebilbet. 

Sn  biejem  ©inne  !ann  man  nun  outf)  bie  ÖJeftoIt  ber  (ebenben 
SBefen  aU  6rgebni§  einer  3roec!tt)ättg!eit  be§eirf)nen,  ber  ^üJecfttiätigteit 
nämli(^  oller  an  ber  (Sntmidelung  beteiligten  Snbiüibuen.  5ln  feinem 
^unft  ber  öntmicfelung  mar  eine  53orftellung  oon  ber  fünftigen  g^orm 
üor^onbcn,  bennodj  ober  ift  fie  ha§>  ©rgebniS  be§  2Sillen§  unb  (Strebend 
felbft,  unb  fofern  fein  jebe§molige§  3^^^  ^^  ^^r  Sftic^tung  be§  burd^ 
bie  ©eforntcntmicfelung  erreichten  objeftiöen  3^^^^^  ^^^9^  ^ft  haS'  3^^^ 
ouc^  ein  fubjeftiü  gemollte§. 

Sßog  mir  in  ber  nieberen  SBelt  in  unbeftimmter  SSeife  öermuten 
unb  fdjemotifcl)  fonftrnieren,  ba§  tritt  un§  in  ber  geiftig=gefcl)i(f)tli(^en 
SBelt  beutlidjer,  ejpligierter  entgegen.  3n  ber  menfdjlidjen  2öelt  ift 
e§  fid}er  ber  SBille,  ber  bie  (SJeftnlt  be§  SBefenS  beftimmt;  unb 
äiuar  fdjmebt  ^ier  bie  ©eftolt,  menigfteuS  in  ben  allgemeinen  Umriffen, 
and)  ber  ^orftellung  ol§  3^^^  ^or  Singen;  mir  nennen  fie  al§  fold)e 
Sbeol.  S)em  (Singelnen  mie  bem  SSol!  fdjmebt  mel)r  ober  minber 
beftimmt  ein  Sbeol  üollfommener  Söilbung  öor,  unb  bie§  Sbeol  mirft 
gcftaltenb  ouf  bie  ©ntmidelung  be§  eigenen  3Sefen§  unb,  burd^  (Sr* 
gieljung,  oud)  auf  bie  iilebengform  ber  S'iadjfommen.  ©o  fe^t  fid)  t)ier 
ber  äöitlc  felbft  in  bie  2öir!lid)feit,  inbem  er  bie  Sbee  feinet  SSefenS 
t)ermirflid)t. 

•  5{ud}  biefe  53etrad)tung  ift  übrigen^  2)armin  nid)t  fremb.  9JJan 
fonn  fie  in  bem  ^rinjip  üorgebilbet  finben,  ha§>  in  feinem  jmeiten  .gioupt» 
merf,  ber  Slbftammung  be§  SÜZenfdjen,  eine  fo  große  SftoUe  \pkit,  in 
ber  gefd)led)tlid)en  3u(^tmal)l.  @§  ift  bort  eine  große  ^ixüz  üon 
2:t)atfad)en  sufammengeftellt,  bie  auf  bie  Slnfdjouung  fül)ren,  baß  @igen= 
tümtidjfeiten  ber  ©eftolt  unb  ©rfdjeinung  be§  ä)cänn(^en§  eine  Söirfung 
ber  Slu§mat)l  finb,  bie  ha^^  SSeibctien  unter  ben  93emerbern  übt.    Snt 


4.  ®ie  enttt)tdeIung§tf)eorie.  199 

SBeibd^en  lüäre  bemnarf)  gleidfijant  ba§  ©attungSibeal  unbett)uBt  bor= 
{)anben  unb  in  ber  33eöof5ugung  ber  luännlicfien  Snbiuibuen,  bie  if)ni 
am  meiften  ficf)  aniiäf)erii,  luirffam.  Unb  eben  biefelbe  Qbee  mag  bonn 
and;  auf  bie  58ilbung  ber  g^rud)t  ge[tattenb  einn^iden;  raobei  e§  mieber 
ben  ^f)l)fioIogen  überlaffen  bleibt,  bie  „Sbee"  pfitjfiologifdj  oI§  eine 
beftimmte  ^onftitution  be§  Dierüenjljftemä  ^u  fonftruieren,  bie  in  folc^en 
Üieoftionen  gegen  33en)erber,  in  foI(f)er  (Sintt)irfung  auf  bie  93ilbung§= 
progeffe  be§  g^ötallebenS  fid)  bet^ätigt. 

^a§  mag  jur  ^enn^eidjuung  ber  neuen  5(nfdjauung  öon  bem 
Uriprnng  ber  organifdjen  Söelt  f)ier  genügen.  @§  fangen  i^r  noc^ 
5aI)Ireid^e  ?}ragen  unb  ©djiüierigfeiten  an:  wk  bie  @ntftef)ung  ber  erften 
ßebemefen  oorjuftellen  fei?  äöie  bie  3]ererbung  ftattfinbe?  9öie  ha§ 
geilen  ber  üoraugjufefeenben  ^afjllofen  ouSgeftorbenen  S[RitteIformen  in 
ber  paKiontoIogifdjen  Überlieferung  gu  erüären  fei?  Ob  nid)t  über^anpt 
neben  ber  5Ibänberung  burdj  ffeinfte  Übergänge  aud)  fprungtneife  Um=^ 
bilbung  angenommen  werben  muffe,  um  bie  großen  morpfjologifd^en 
Unterfd)iebe  ber  t)erfd)iebenen  3;i)pen  ju  erflären,  nietete  fprungweife 
§(nberung  be§  (Sd)ema§  benn  am  erträglid)ften  fo  fonftruiert  njerben 
möchte,  boB  nnter  ungen)i3{)nlid)en  2eben§bebingungen  eine  üon  bem 
elterlid^en  Xi)pu§  abmeid)enbe  Sleimbilbung  öorfomme  (fogenannte 
l^eterogene  ßeugung)?  (S§  liegt  aufeerfialb  meiner  Äompetenj,  auf  biefe 
Singe  njeiter  einjuge^en.  SD^anc^e§  SfJätfel  mirb  bie  ^^^t  nod)  auf= 
liefen,  mand)e§  mirb  nermutüdi  immer  ungelöft  bleiben.  Wlan  mn^ 
nur  nid^t  in  ungelöften  2(ufgaben  SBiberlegnngen  ber  Z^toxk  fe^en 
moüen.  @inc  Jfjeorie  in  bem  Sinne,  ha'^  fie  auf  aüe  fragen,  bie 
man  t}infid)ttic^  ber  53itbung  ber  organifdjen  SSefen  erfjeben  fann, 
eine  oöllig  befriebigenbe  Stntlüort  gn  geben  öermöd)te,  ift  bie  @nt= 
midelungSf^eorie  nid)t  unb  mirb  fie  oermnttid)  nie  merben.  (Sine 
tüdentofe  ©efdjidjte  ber  ©ntmideinng  ber  organifd)en  Söett  auf  unferem 
Planeten  mirb  c§  üorau§fidjtIi(^  nie  geben,  bie  3^it9"ifis  ^^^  ®nt= 
midelung,  bie  un§  öorliegen,  finb  gu  bürftig.  ©ie  (SrfenntniS  ber  atl= 
gemeinen  ^rinjipien  nnb  ein  fc^ematifdjer  (Sntmnrf  ber  53ilbung§* 
gefd)id)te,  mobei  benn  auc^  ber  @rfaf)rnng§fat^,  ha'i^  bie  ©ntroidelung 
be§  Snbit)ibuum§  eine  üerfürgte  3Siebert)o(ung  ber  @attung§entmidelung 
ift,  güt)rerbienfte  (eiftct,  ha§^  njirb  fo  §iemlid)  ba§  fein,  ma§  Ijier  ju 
Ijoffen  ift.     Übrigen^  fte^t  e§  ja  auf  anberen  Gebieten  ni(^t  anberi; 


200    I-  93ud):  äJJetap^tjfü.  2.  Kapitel:  S)a§  Io§motogi|d)4f)eotogifd^e  Problem. 

bie  ©eologie  tarnt  Qud^  nid)t  jebe  (Sr^ö^iirtg  unb  35ertiefitng  ber  (Srb* 
rinbe,  unb  bie  SOZeteoroIogie  triebt  jebe  ©djlranfung  im  Suftmeer  er- 
üären.  ©djtiefeürf)  ift  bie  2(ufgabe  jeber  SSiffenfc^aft  eine  unenbüdje. 
2)arn)in  t)at  bie  93ioIogie  jo  ttienig  öollenbet,  bafe  er  fie  öielmefjr  üor 
neue  unge{)eure  ^lufgoben  geftetit  Ijot.  (Soöiel  aber  barf  mau  jagen: 
bie  @ntn)i(feIung§tf)eorie  ift  in  bem  ©inne  lüirüiif)  eine  Ztjtoxk,  ha^  fie 
ein  ^riu^ip  ber  9iad)forjd}ung  begrünbet  l)at,  luelc^eS  gu  föirtlirf)en 
uatnrtüi[fenfrf)aftlirf)en  (£injid)teu  auf  biefem  ©ebiete  füt)rt.  SDa§  fann 
man  üon  ber  älteren  t^l)pott)efe,  bie  au§  ber  ©inttjirfnug  einer  öon 
aui3en  nad)  $tbfid)ten  JT)ir!enbeu  Snteüigeuä  erftört,  auf  !eine  äöeifc 
behaupten;  fie  mar  nie  etma§  me^r  at§  eine  $ßerlegenf)eit§au§!unft,  bie 
bnrd)  ha§^  oben  beäeid)nete  rattofe  SDilemma:  ©ntfteljung  burd)  jufäüigeg 
^ufammenfaüen  öon  5(tomen,  ober  SUbung  burd)  Sntelligenj,  auf= 
gebrängt  mürbe.  SSa§  fie  mirüid)  leiftete,  ha^  mar,  ma§  äöörter  auc^ 
fonft  leiften,  bafi  fie  ha§>  erfte  (Srftaunen  unb  bie  erfte  grageluft  be- 
fdjmid^tigte,  !eine  gute  Seiftnng  für  eine  miffenfd^aftlidje  ^t)potf)efe.  S)ie 
neue  §l)potf)efe  bemeift  i^ren  SBert  eben  barin,  ha'^  fie  immer  neue 
g^ragen  aufgiebt  unb  gu  itjrer  Söfung  anreiht.  SQiit  bem  alten  Xeno- 
pf)ane§  mag  and)  Karmin  fagen: 

geigten  bie  ®ötter  bocf)  mdf)t  ben  ©terblid^en  oEe§  bon  ?Infong; 
©onbern  fie  fuc^en  eä  jelbft  unb  finben  aÜmäfiUc^  haä  33ef|'re. 


5.  ®te  ©ntmirfelung  im   ©ebtct  be§  geifttg-gefc^i^tltc^cn  8ebcn§, 

3)a§  bie  geiftig=gefd)id)tlidje  SBelt  in  ifjren  93ilbungen  grofee  %^\u 
Iid)!eit  mit  ber  organifc^en  SSelt  geigt,  ift  oft  bemerft  morben.  3!5on 
ben  Reiten  ^Iato§  f)er  ift  e§  üblid^,  ben  ©taat  al§  einen  äRenfd^eu  im 
grofeen  ju  betrad)ten.  'ä.  @c^ äffte  fü^rt  in  feinem  großen  unb  geift= 
öollen  2Ber!:  „Sau  unb  £eben  be§  fojiaten  5?örper§"  bie  ^ergteid^ung 
ber  @efenfd)aft  mit  einem  natürlidjeu  Drgani§mu§  bi§  in§  eingelnfte 
au§.  (5benfo  ift  e§  üb(id),  bie  (Sprodje  al§  einen  Crgani§mu§  gu  be= 
jeidinen,  liieUeidjt  fagte  man  paffenber:  ein  Drganft)ftem,  ha§>  bem 
Organismus  eineS  35oIfe§  angef)ört.  Sn  ber  ^^at  liegt  bie  ^omotogie 
auf  ber  iQanh;  mie  im  orgauifdjen  Körper,  fo  |aben  mir  auc^  t)ier  eine 
gro^e  SSiet^eit  uugteidjartiger  2;ei(e,  bie  regelmäßig  ju  einem  finnooüen 
©efamterfolg  äufammenmirfen. 


5.  ®ie  @nttt)icfelung  im  GJebiet  beä  geiftig*gefd)ttf)tlic^en  £eben§.        201 

Dleljmen  xoix  bie  ©prarf)e.  ötne  gro§e  SSielfieit  üon  ung(eid^= 
artigen  STeilen  luirft  §u  einer  ©efamtleiftung,  ber  lebenbigen  Siebe,  su= 
fammen,  bie  \id)  augenfd)einlic^  a{§  mertüoüe  ober  gmecfmäBige  Seiftung 
für  ben  Sträger  be§  Drgan§,  ein  S^olf,  ermeift:  ot)ne  fie  ttjöre  ein  ein= 
^eitlid^eä  geiftigeä  Seben,  wäre  ha§>  2c6en  eine§  S3o(fe§  überhaupt  nid)! 
möglidj.  STaujenbe  üon  SSörtern,  bie  man  ben  ^tütn  t)erg(eid)en  fann, 
ou§  benen  ficf)  ber  förperlidje  Organi§nui§  oufbaut,  finb  in  ber  @pra(f)e 
gu  gemeinfamer  g^nnftion  öereinigt;  bie  ©efanitfieit  ber  SSörter  teilt  fid^ 
in  bie  Slnfgabe,  ben  gefamten  @d^a|  eineä  $ßoIfe§  an  ©ebanfen  unb 
©efü^ten  in  Santgebilben  ju  öerfinn(icE)en,  jebeS  SBort  l^at  innert)a{b 
ber  @e|amtf)eit  feine  beftimmte,  begrenzte  Slufgabe,  feine  S3ebentung. 
S)er  organifd)e  Sfjarafter  ber  @prad)e  erfd^eint  fobann  in  ben  eigen= 
tümlid)en  gormetementen.  ®ie  üerfdjiebenen  SBortarten  (©ubftantio, 
5Ibjeftiö,  SSerb  u.  f.  tt).)  entfpred)en  ben  großen  Gattungen  ber  SSor» 
ftetinngen;  fie  brüden  burd§  if)re  gorm  bie  ßwgefjiJrigfeit  be§  Segeidineten 
5U  ben  fingen,  @igenfd)aften  ober  95orgängen  an§.  Sebe§  SSort  ift 
n)ieber  ou§geftattet  mit  einem  tjödjft  finnreidjen  9}?ed)ani§mn§,  rtjobnrd) 
e§  feine  Söejie'tinngen  gu  ben  Elementen,  mit  benen  e§  in  SSerbinbnng 
tritt,  fidjtbar  gu  mad)en  befäfjigt  ift,  jenem  (St)ftem  fteiner  3^ormüer= 
änbernngen,  bie  tt)ir  S)e!Iination  unb  Konjugation  nennen.  @o  ftellt 
fid^  bie  ©pradje  al§  ein  f)öd)ft  fonipligierter  unb  gugleid)  erftounüd) 
fidler  funftionierenber  S(pparat  bar,  um  atle  mi3glid)en  ©ebanfen  unb 
®efül)(e  bi§  in  bie  üeinften  9hiancierungen  auSjubrüden,  ein  Söerfgeng 
üon  einer  g^eintjeit  unb  ^öoüenbung,  ta'^  bagegen  bie  Üinftüc^fte  9J?afd)ine 
al§  ein  einfadjeS  ©erat  erfd^eint. 

SBie  ift  biefer  Organi§mu§  entftanben?  Se^t  pflanzt  er  fid)  fort 
burd)  etterlidje  Beugung,  bie  5iinber  lernen  bie  ©prad)e  üon  ben  (gltern, 
aber  lüie  entfte^t  eine  Sprache  urfprüngüd)?  2)urc^  Bufaü,  inbem 
balb  ber  eine,  balb  ber  anbere  bei  @elegent)eit  ein  Sautgebilbe  f)erüor= 
ftie^,  ba§  üerftanben  unb  feftge^atten  unb  fo  gn  einem  9Jomen  eine§ 
S)inge§  ober  Vorgangs  tt)urbe?  ®a§  ift  offenbar  unfinnig.  5ttfo  »irb 
bie  ©pradje  burd)  ^bfid)t  unb  ©rfinbung  entftanben  fein.  <Bo  erftärte 
ber  9fiationati§mu§  be§  üorigen  Sof)^f)unbert§,  bem  9iationaIi§mu§  be§ 
StttertumS  folgenb,  bie  @ac^e.  ®ie  a)?enfdjen,  fo  p^itofop^iert  in  feinem 
SSerfud)  über  ben  Urfprung  ber  ©prad^e  (1772)  ber  fpätere  StRarburger 
^rofeffor  ^iebemann,  lebten   guerft  in  tierifc^em  3"ftßn^e,  biefer 


202    I.  S3uc^:  9Retap^9[tf.  2,  Äapitet:  ®og  foimologi)c^=t]^eologtjc^e  Problem. 

tnar  unbequem  uub  6e)rf)tüerlic^ ;  man  lüurbe  nodf)  einer  beffereu  2eben§= 
ort  begierig,  ha§i  trieb  ,^ur  ^Bereinigung,  unb  bamit  ent[tanb  ha§>  33e= 
bürfnis  eine§  ^er[tanbigung§mittel».  „d)lan  üerfiet  njotjrfc^einlic^ 
j^uerft  auf  bie  ©prod^e  ber  ©ebärben.  ^lüein  e»  fonnte  nid)t  lange 
\üäi}xen,  fo  muBte  man  bie  Unjulänglic^feit  biejer  Sprache  ein]e^en. 
5^ie  SJIenfc^en  bemerftcn,  baB  bie  ©emütsbemegungen  i{)nen  Xöne  ab= 
abtocften.  Sie  luurben  and)  geroaljr,  ha^  bie  Xiere  berfelben  mit  gutem 
@rfo(g  firf)  bebienten.  2öa§  mar  natürlid)er,  al§>  ta'^  fie  fuc^ten,  fic^ 
bieie  Sntbecfung  ^u  9hi|e  gu  mad)en  unb  bie  2öne  ju  ^^ic^^"  ^W^ 
öebanfen  ^u  gebrauchen? '"^j 

Uns  fommen  jolc^e  ßrmägungen  einigermaßen  fomijc^  oor,  fie 
f(ingen  faft  mie  eine  öon  ben  ^onmntifern  auf  bie  Slufflärung  gemad)te 
^orobie.  Unb  boc^  ift  biefe  (Srflärung  gegenüber  ber  ©rflärung  ber 
organiic^en  SBelt  au»  ber  2t)ätigfeit  einer  fosmijc^en  ^nteüigenj  im 
3]ortei(,  fie  recfjnet  bod)  mit  einer  gegebenen  unb  befannten  Urfad^e. 
g^reilic^,  eben  biefer  Vorteil  ift  es,  ber  ju  if)rem  9larf)tei(  ausfc^lägt; 
bie  Urfa^e  ift  un§  aü^u  mof)!  befannt,  aU  ba'B  mir  foldje  SBirfung 
öon  tf)r  erwarten  foUten.  2öie  ift  e§  benn  nun,  fo  fragen  mir  f)ier 
gicirf)  meiter,  be§  nöE)eren  bei  biefer  ©rfinbung  fjergegangen?  §at 
cine§  2age§  unter  ben  noc^  fpracf)fojen  9}lenfcf)en  ein  befonberS  an* 
fd)(ägiger  Äopf  ficf)  f)tngefe|t  unb  eine  (gpradje  au5gebQd)t,  mie  f)eut* 
jutage  einer  ba§  33oIapüf  au§gebad)t  f)af?  (ärfanb  er  im  Stillen  für 
fic^  bie  taufenb  ^tarnen  ber  S^inge,  @igenfd)aften,  93orgänge,  33e3ief)ungen, 
ha^  2;ef linieren  unb  konjugieren,  unb  überrafd)te  bann  mit  bem 
fertigen  ®i)ftem  feine  ©enoffen,  geigte  i^nen  bie  9lü§lid)feit  ber  ©ad^e 
unb  i^ren  (Mebraud^  unb  überrebete  fie  fo,  bie  Spradie  ju  lernen  unb 
an^uneljmen?  Wan  fiel)t,  e§  märe  faum  nod)  erftaunlic^,  menn  nun 
hinzugefügt  mürbe,  ba'^   biefer   felbe  SOZann   ebenfo   oorljer  auc^  fd)on 


*)  33ei  £).  Steint:^al,  ^et  Urfprung  ber  Sprod^e  im  3U'ömmen'^ong 
mit  ben  testen  gragen  aQe§  SSiffen^.  (4.  21.  1888,  ©.  6  ff.)  Sie  Meine  le^rreic^e 
<2^rift  giebt  eine  Überfid)!  übet  bie  ©efdiic^te  ber  ©praci^jdjöpfunggt^eorien  bi§  jur 
©egenroart,  mit  2{nbeutungen  ber  eigenen  Sfieorie  be§  93erfafferä.  S)ie  pfijc^ologifc^en 
©runblagen  biefer  ijat  3teintf)al  au5füf)rHd;  bargefteßt  in  feiner  ©inleitung  in  bie 
^<ni(i)oIogie  (2.  21.  1881),  bem  erften  Seit  einel  2(briffe§  ber  ©pracfiniiffenfcfiaft. 
Umriffe  ber  fonfrct'^^iftorifc^en  2(u§fü^rung  in  ber  Sfaffififation  ber  ^auptiäd)Iid)ften 
%t}pen  be§  Sprachbaus  (1860). 


5.  3)ie  (gnttütdelung  im  ©ebiet  be§  geiftig^gef^id^tUd^en  SebenS.        203 

ben  35er[tQnb  erfunben  unb  biirc^  Überrebimg  ben  anbern  beigebrad)t 
l^ätte.  —  5(rbeiteten  alfo  biele  äujammen  an  bem  Söerf?  SBurbe  etwa, 
worauf  man  I)eute  geirife  al§ba(b  uerfallen  würbe,  eine  Hommiifion 
gur  (Srfinbung  ber  @pracE)e  eingefe^t?  Ober  t)aben  bie  Dielen  öer= 
einjelt  gearbeitet,  lieferte  batb  biefer,  batb  jener  einen  93eitrag,  ein 
S)u^enb  9Jamen  ober  einige  ^räpofitionen?  unb  bann  erfanb  einer 
ha§>  S)e!Iinieren,  üieüeidjt  erft  btofe  bie  erfte  2)efIination,  unb  barauf 
ein  anberer  bie  groeite  u.  f.  f.,  bi§  bie  tner  ober  fünf  SDeftinationen 
ober  wie  üiele  fonft  beijamnien  waren?  Unb  burdj  ben  guten  (grfotg 
aufgemuntert,  !am  bann  einer  auf§  5?'oujugieren  unb  braii)te  ba§ 
5(ftiüum  guftanbe,  unb  ein  anberer  fügte  ba§  ^affiöum  t)in3U,  unb 
ein  dritter  ftügelte  ben  5tonjunftio  au§?  Unb  für§  @ried)ifd)e  erjann 
ein  befonberS  wi^iger  Äopf  nocf)  ben  Cptatio  baju?  unb  ein  Querfopf 
ftreute  bie  unregelmäßigen  93erba  ein?  —  2)a§  ift  bie  9iiditung,  in  ber 
3:iebemann  ber  ®üd]i  weiter  nac^gefjt,  nur  t)a^  er  ^ule^t  immer  wieber 
ba§  ^rinjip  ber  ©rfinbung  öerleuguet  unb  9iot  unb  3"fQ^^  ^^^  <Ba<i)i 
bewirten  löfet. 

9)lan  fiei)t,  wir  ftetjen  t)ier  genau  öor  bemfelben  2)ilemma,  wie 
oben:  ift  bie  Sprache,  finb  bie  Siere  burrf)  ^ii\a\i  ober  burc^  plan« 
mäßige  (Srfinbung  entftanben?  öin  drittes  fcfjeiut  e§  uirf)t  ^u  geben, 
unb  bocJ)  ift  beibeä  gleict)  unoorfteübar. 

5Die  ©pracEjWiffenfc^aft  ift  ber  ©rfjwierigfeit  juerft  §err  ge« 
worben  unb  jwar  genau  auf  bemfelben  äöege,  ben  bann  fpäter  bie 
^Biologie  eingefc^Iageu  t)at.  S)ie  Urjadje,  bie  ^u  jenem  !f)ei(Iofen  2)ilemma 
füf)rte,  war  bie  ^orftellung,  ha'B  bie  ©pradjen,  ebenfo  wie  bie  Strien 
ber  Xiere  unb  ^ftansen,  unüernnber(id)e,  ftarre  SSefentjeiten  feien. 
©0  fjattcn  bi§f)er  bie  ©rammatiter  bie  ©ad^e  angefet)«n:  eine  (Spradje 
ift  ein  ftarreS,  ein  für  aüemal  fertiget  Snftrument,  ha^  bie  ©rammati! 
befd)reibt,  unb  tu  beffen  ©ebrand)  fie  unterweift.  ®ie  gefc^idjtlid^e 
Setrad)tung§weife,  bie  um  bie  SSenbe  be§  adjtjetjuten  Sat)rt)unbert§ 
unter  bem  ©influß  be§  großen  unb  allgemeinen  9iücffd)(age§  gegen  ben 
ftarren  ÜiationaliSmnS  ber  Sluftlärung  auf  allen  Gebieten  fic^  erf)ob, 
unb  ber  auf  bem  ©ebiet  ber  @pra(^forfd)ung  burd)  ä)iänner  wie 
3B.  ü.  ^umbolbt,  93opp,  bie  beiben  ©rimm  bie  93at)n  ge= 
brod)en  worben  ift,  f)at  jene  alte  SSorftettung  öon  bem  SBefen  ber 
(Sprad)e   gänjtid)  befeitigt.    @ie   füfirte   ju   ber  (grfenntniS,   ha^  eine 


204    I.  93u(i^:  3Ritapht)\il  2.  tapttel;  ®o§  !o§mologtic^4^eoIogtjd^e  «ßroblem. 

(Sprache  nicf)t  ein  fertiget,  oon  ©efc^ted^t  §u  @ef(f)Ierf)t  oererbte§ 
SSerfjeug,  jonbern  eine  ftet§  nen  erzeugte  ^"i^^tion  fei,  ober  mit 
§unibolbt§  SluSbrucf,  nic^t  ein  ergon,  Jonbern  eine  energeia.  ©o 
fief)t  nun  bie  tjeutige  2ingui[tif  in  einer  ©prac^e  eine  mit  bem  33otf§= 
leben  fel6[t  fortttJät)renb  iJire  ©eftalt  änbernbe  g^unftion,  bie  gegen= 
märtige  (5Je[taIt  ha§:  (Ergebnis  :3at)rtaufenbe  langer  (£nttt)i(felung  unb 
gugleirf)  5iu§gQng§punft  für  neue  33i(bungen.  —  dJlan  fief)t,  e§  ift 
ganj  biefelbe  SSorftetlung,  weldje  bie  neue  ^Biologie  auf  bie  Xier=  unb 
^ftanjenformen  überträgt. 

S)ie  @prad)lüiffenf(i)aft  l^at  nun  aber  ben  großen  S^orteil,  baf3 
fie  ben  (Snttt)i(fetung§pro§eB,  ober  tt)enigften§  ein  @tü(f  baöon,  wirflid^ 
cor  Stugen  ^ot;  bie  SSanblung  ber  gefrf)id)tlid)en  Organismen  get)t 
fc^neller  al§  bie  ber  pf)t)fif(^en  öor  fic^.  3Sir  !ennen  bie  ©eftalt, 
wd&jt  bie  beutf(i)e  (Sprache  oor  fünff)unbert  ober  taufenb  Satiren  t)atte; 
mir  f)aben  im  @otifd)en  mieber  eine  um  ein  IjalbeS  Saf)rtaufenb 
ältere  g^orm.  Su  ben  fcf)riftlid}en  ©enfmälern  liegen  gteid^fam  Sßer= 
fteinerungen  ber  älteren  ©prac^formen  öor,  unb  jtnar  Sßerfteinerungen 
t)on  fet)r  öiel  größerer  SBoUfommen^eit,  aU  fie  in  ben  paIäontoIogifcf)en 
Ü^eften  bem  ^Biologen  gur  S5erfügung  ftef)en:  ^ier  ein  paar  üereinjette 
93rud)ftücfe,  jum  Xeil  nur  ©puren  ber  e{)emaligen  Sebeneformen,  bort 
gmar  auc^  nid)t  bog  öoUe  Seben,  5!iang  unb  9(ccent  (äffen  fid)  nur 
ungefot)r  erraten,  aber  t)ert)ättni§mäfeig  bod)  eine  unöergleid)lid)  öoll* 
ftänbige  2)arftenung  be§  53aueg  unb  ber  ^^unftion  ber  ©pradje.  Sbenfo 
liegt  un§  bie  (Sntmidelung  ber  lateinifdien  ©pradje  burc^  einen  3^^*- 
räum  öon  mef)r  at§  graei  Sat)i^taufenben  oor.  Unb  t)ier  fe^en  mir  oor 
unfern  fingen  ben  ^ro§eB  ber  Sitbung  neuer  ©prad^en  fic^  ooüjie^en: 
bie  frangöfifdje,  italienif(^e,  fpanifc^e  ©pradje  finb  Xöd^ter  ber  einen 
9Jiutter,  bie  übrigens  baneben  aud)  felbft  als  ©pradje  ber  ^irdje  unb 
ber  ©ele^rfamfeit  am  Seben  blieb.  2)ie  oergIeid)enbe  ©prad)miffen= 
fd)aft  enb(id)  getjt  noc!^  oiel  meiter:  fie  unternimmt  e§,  beinaf)e  aüe 
©prägen,  bie  in  ©uropa  gefprodjen  werben  unb  gefprodjen  morben 
finb,  nebft  ben  ©pradien  ber  ^erfer  unb  Suber,  ats  gef(^id)tlid)e 
SBanblungen  einer  gemeinfamen  Urfprad)e  ber  arifc^en  SSölfer  bar= 
aufteilen. 

§ier  !^aben  mir  atfo,  maS  bie  5i^ritifer  beS  SDarminiSmuS  auf 
biologifc^em  ©ebiet  nod)  oermiffen:  bie  Silbung  neuer  Wirten,  jmifdjen 


5.  2)ie  ©ntwicfelung  im  ®ebiet  be§  geiftig^gefd^ic^tlidien  £eben§.        205 

benen  friirf)t6are  ^reujung  nid^t  me^r  ftattfinbet.  fiateinifdf)  unb 
3^ran§öfijc^  ober  ©panifc^,  üom  ©riec^ifd^en,  ^olnijdjen,  SE)eutj(^en 
nirf)t  äu  rebeu,  finb  nidjt  5(barten  ober  ®iale!te  einer  ©pradje,  fonbern 
üerjd^iebene  ©prac^en,  §n)ifd)en  benen  feine  frucf)tbare  SSermif(^ung, 
fein  gegenfeitige§  95er[tänbni§  me()r  [tattfinbet.  2öie  finb  f)ier  bie 
neuen  5Irten  entftanben?  9lun,  n^ir  fefjen  e§,  fie  bitben  firf)  burc^ 
QUmäf)Ii(^e  (Summierung  f (einer  SSeränberungen ;  abfid)tlid)e§  (grfinben 
ober  Umbilben  fpielt  babei  jo  gut  n^ie  feine  üiotle.  ^Dagegen  fann 
man  eben  jene  ^rin^ipien  im  ©piel  finben,  bie  in  ber  S3io(ogie  al§ 
Urjad^en  ber  Umbilbung  ongeje^en  merben.  ^a§  33er(angen,  burd) 
artitulierte  Saute  öebanfen  unb  ©efü^Ie  au^jubrüden  ober  oietme{)r 
anberen  üerftänbtic^  ju  machen,  oertritt  f)ier  ben  aügemeinen  SSillen 
gum  Seben.  S)ie  jur  93eränberung  brängenben  (SIemente  finb  einer= 
feit§  93erü^rung  unb  $ßermifd)ung  mit  fremben  @prad)en,  anbererfeitg 
bie  beftönbige  SSeränberung  in  ber  Snnenmett,  in  ber  Söelt  ber  @e= 
banfen  unb  @efüf)Ie,  bie  mit  bem  @eneration§n)edjfeI  §ufamment)ängt; 
fie  füfjrt  bie  STenbeng  gum  SBariieren  in  ben  Söörtern  unb  formen  mit 
fid).  Unter  biefen  33oriationen  merben  bann,  mie  in  einem  Äampf  um§ 
SDafein,  bie  jrt'SffnmBigften  au§gelefen  unb  in  ben  allgemeinen  (Sprad^- 
gebrauch  aufgenommen.  2)ie  mefentlidjen  Slk^ftäbe  ber  ^luedmäfeigfeit 
finb:  ^ürje  unb  Seic^tigfeit  ber  StuSfpradje,  ®eutlid)feit  unb  S8e= 
ftimmt^eit  be§  5Iu§brud§,  enblid)  S?raft  unb  9^adjbrüd(id)feit  ber  9f?ebe, 
bie  üor  allem  and)  in  ber  3^ät)igfeit  jur  ®efüt)I§entlabung  unb  (Sefüt)!^' 
erregung  befte{)t. 

Stuf  biefe  SSeife  erfolgt  Sntmidelung  einer  @prad)e  im  (Sinne 
ber  formalen  ^^^^"löBigfeit,  ofine  eigenttid)  abfidjttic^e  Silbung. 
MerbingS  nidjt  buri^  eine  med)anifd)  roirfenbe  SluSlefe;  an  jebem 
^unft  mirb  burc^  ein  mef)r  ober  minber  beroufeteS  @efd)mad§=  ober 
SSerftanbe§urteiI  über  bie  Xaugüdjfeit  ber  Sf^eubilbung  entfd^ieben. 
9tber  bie  ©efamtentmidelung  mirb  nidjt  üon  öorau§fef)enber  Stbfic^t 
geleitet.  ©§  ift  bie  Stufgabe  ber  ®efd)ic^te  jeber  einzelnen  (Sprache, 
bie  SSanblung  it)re§  ^^ormen^  unb  seBortfc^a|e§  im  einzelnen  bar= 
julegcn  unb  au§  folc^en  @efid)t§punften  ju  ertlären.  93ei  ber  Saut* 
unb  gormenbilbung  merben  pf)t)fiologiid)e  ®i§pofitionen  eine  er^eblid)e 
Ü^oüe  fpielen;  in  ber  ©ntmidelung  ber  fi)ntaftifd)en  gormen  tritt  be= 
fonberS  ha§:  Streben   nad)   ®eutlid)feit   fjerüor,   in  ber   93i(bung   be§ 


206    I-  93ud):  Tittap^\)\il  2.  tapitel:  3)o§  folmoIogtfd)=tt)eoIogifcf)e  Problem. 

SBortjc^a^eS  unb  ber  9?ebeirenbungen  ift  neben  ,g)Qnbli(f)!eit  unb  Se= 
ftimmt^ett  aud)  bie  plaftifi^e  unb  gefü{)I§erregenbe  Äraft  oon  großer 
5öebeutung.  S3i§  gu  einem  gen)iffen  ©rabe  n^irb  oon  f)ier  au§  aud^ 
eine  öerglei(f)enbe  Slbfci^ä^ung  be§  2Berte§  oerjrf)iebener  ©pradjen  mög« 
lic^  fein.  @o  ttjirb  man  §.  33.  allgemein  fagen  bürfen,  ha'ii  an  Iogij(i)er 
^ßoQfommen^eit  bie  ^ioc^terfprod^en  be§  Sateinijdjen  ber  9J?utter  über= 
legen  finb ;  bie  ©rfe^ung  ber  3)efIination§enbungen  burrf)  Präpositionen, 
bie  regelmäßige  58ermenbung  be§  ^ronomenS  nnb  ber  ^ilf^geitmörter 
in  ber  Konjugation,  ebenfo  bie  S3inbung  ber  SBortfoIge  geben  ber  9^ebe 
größere  S3e[timmtJ)eit  unb  3)urd)fi(f)tig!eit.  g^reilid;  njirb  fie  bamit 
gugleid)  l^ärter  unb  trocEener.*) 

äJJit  benfelben  9Jiitte(n,  au§  benfelben  Kräften  unb  ^enbenjen, 
hk  nod)  f)eute  bie  Umbilbung  ber  @pradE)e  bestimmen,  erflärt  bie 
©prac^miffenfc^aft  aud)  bie  uriprünglid)e  ©nifteljung  ber  fo  funftmäßig 
unb  abfidjtüd)  auSfe^enben  glefion.  @o  läßt  fid^  g.  ©.  erfennen,  tt)ie 
bie  Konjugation  ber  inbogermonijd^en  @prad)en  burc^  allmäf)üc^e  SSer-- 
jc^meljung  früfjer  jelb[tänbiger  Soutgebilbe  juftonbe  ge!ommen  ift. 
2)er  fleftierenben  ©pra^e  ging  eine  ©tufe  ber  ©prad)entmidetung 
öor^er,  bie  nur  unoeränberlic^e  unb  felbftänbige  Söörter,  bie  fogenannten 
SBurgeln,  befaß.  S)ie  üergteidienbe  ©rammatif  le^rt  un§  in  ben 
^erfonalenbungen  ha^^  oerfürgte  unb  öerftümmelte,  §um  unfetbftänbigen 
©uffij  genjorbene  ^erfonalpronomen  erfennen.  ^n  ber  gried)if(^en 
Konjugation  auf  mi  ift  bie  urfprünglic^e  ^orm  nod§  njofjt  erfennbar, 
bie  (Snbung  mi  fommt  üom  Pronomen  ber  erften  ^erfon,  mie  e§  in 
ben  casibus  obliquis  öorliegt;  ebenfo  ha^  urfprüngüd)e  si  ber  gmeiten, 
ha§'  ti  ber  britten  ^erfon.  '^lod)  burd)fid)tiger  ift  bie  ©ac^e  im 
©anSfrit.  Snbem  in  ber  edenben  9^ebe  bie  'pronominalmurgel  mit 
ber  S3erbalmur,^el  burc^  ben  Stccent  ,^um  einfjeitlidjen  Sautgebilbe  gu« 
fommengefaßt  unb  bann  hü§>  tonlofe  ©uffif  mdjx  unb  mef)r  gefürjt 
mürbe,  entftanb  bie  ^lejcion. 

(Snblid)  magt  fid)  bie  ©pradjmiffenfd^aft  aud)  an  ha§>  le^te 
Problem,  hü§>  bie  Drganifation   aufgiebt,   ba§  Problem  ber  generatio 


*)  STttäie^enbe  93etroc^tungen  übet  bie  itmbilbenben  Ärö^te  bei  ö.  b.  ©abeten^, 
®te  (2t)ra(i)tx)ii'jenjc^aft,  i^re  Slufgabe,  9[Retf)oben  unb  bi^^erigen  (grgebniffe  (1891). 
S)ie  58ebeutung  ber  ©efü^lsfeite  in  ber  ®prad)entnjicfelung  öerfotgt  ein  intereffanteä 
Sud)  Don  Ä.  95rud^monn,  $iti(^oIogifd)e  ©tubten  jur  ©^)ra(f)gejcf)ic^te  (1888). 


5.  S)ie  (Snttüitfelung  im  ®ebiet  be§  geiftig^gefd^ic^ttidien  Sebenä.        207 

aequivoca,  ber  (Sntfte^uiig  be§  Drcionifd^en  au§  bem  Unorganifcfjen. 
tS§  nimmt  auf  i()rem  ©ebtet  bie  gorm  an:  wie  finb  bie  SBurjeln, 
jene  er[ten  artifulierten  Sauttjelnlbe,  in  benen  bie  nod)  fleinonSloie 
Urfprad^e  S^amen  üon  S)inc3en  nnb  S^orgöngen  h^\a%  urfprüngli(^ 
t)eroorgebracf)t  lüorben?  ^ie  @efd)id;te  jttjar  läfet  un§  ^ier  üöUig  im 
©tid);  fie  erreid^t  nirgenbö  bie  5Infänge.  3)od)  !önnen  roir  öerjud^en, 
an  ber  ^anb  ber  Biologie,  mit  §itfe  ber  ^^t)[ioIogie  unb  ^fi)d)oIogie, 
ben  9?organg  in  einer  jd)emQtiid}en  5?on[tni!tion  un§  ?^u  öerbeutlidjen. 
Sll§  er[ter  5(u»gang§punft  ber  2autjt)mboIif,  bie  in  ber  ©pradje  i^re 
^öc^fte  ©ntlDidelung  erreid)t,  ftellt  fid)  ber  biologijdjen  93etrQC^tnng 
ber  Ü^eifeylaut  bar;  atle  ftarfen  inneren  Erregungen  tt)erben  unftiill^ 
fürlid)  mit  mannigfadjen  Xönen  begleitet.  (So  finben  hjiv  e§  fd)Dn  in 
ber  3:iern)ett;  mit  ber  Semegung  nnb  ©ebärbe  tritt  ber  3;on,  burc^ 
bie  (Sinn^irfung  ber  (Srregung  auf  bie  Sltmung  bettjirft,  ot§  ^eg{eit= 
erjdjeinnng  innerer  Sßorgänge  auf:  ©c^merj,  Suft,  9]erlangen,  §tng[t 
löfen  mannigfad)  abgeftufte  5:öne  au§.  ®er  9ieflei-laut  rairb  üfjue 
5lbfid)t  gnm  2;räger  ber  9)?itteilnng,  inbem  er  in  ben  ?Irtgenoffen 
fi)mpat^ifc^e  ®efüf)I§erregnng  erujedt.  Slber  auc^  at§  ab[id)tlic^  ge- 
brauchtes 9J?ittel  ber  Q]er[täubignng  begegnet  nn§  fc^on  in  ber  5:iertt)elt 
ber  Saut;  ber  §unb  f)at  eine  gan^e  SÜdijt  öon  ^önen,  jd)reieu,  winfetn, 
fnurren,  f)euten,  beßen,  unb  in  jebem  toieber  eine  gange  ©!ala,  bie  er 
befonber§  im  S5er!e^r  mit  aJJenfdjen  mit  einer  gettjiffen  Überlegung  gur 
^unbgebung  innerer  ^Sorgänge  öertt)enbet. 

@e^en  tt)ir  bieje  gorm  ber  Santfi)mboIif  aud^  bei  bem  ^ßerfat^ren 
be§  9}fenfdjen  öorauS,  fo  tt)äre  nun  bie  ?(ufgabe,  au§  biefer  g(eid;fom 
noc^  nnorganifdjen  Sautmaterie  bie  organifierte  ©prad)e  tjernorgetjen 
gu  laffen.  2öa§  bie  menjd)Iid)e  (5prad)e  öon  jener  noranSgeje^ten 
Urform  unterfdjeibet,  ift  tt^ejentlid)  ein  doppeltes:  bie  ^rtifutation 
ber  Saute  unb  bie  35ern)enbung  ber  Sautgebilbe  al§  (St)mboIe  für  Db= 
je!te.  |)ierbur(^  tüöre  fc^on  jene  üorausgefe^te  Urform  ber  Sprache, 
bie  nur  in  ber  Stneinanberrei^ung  nnoeräuberlid^er  Sautgebilbe  beftanb, 
üon  aller  3;ierfprac^e  beutlic^  getrennt.  Sie  ^ierfpradje,  tnenn  n)ir 
fie  fo  nennen  tüollen,  ^at  feine  Slrtifutation,  unb  it)re  Saute  t)aben 
feine  objeftioe  33ebeutung,  ha§,  ^ei^t,  fie  finb  Segleiterfdjeiuungen  unb 
(Symbole  für  fubjeftioe  2i5iIIen§=  unb  @efüf)I§erregungen,  aber  fie  finb 
nid)t  Flamen  für  3}inge  unb  35orgänge.     9}?enfd)Iid)e  ©prac^e  f)aben 


208    I-  S3ucö:  Wtttap^^\il  2.  tapitel:  ®a§  !olmoIogif(^=t^eoIogifd^e  Problem. 

tütr  ha,  tüo  ein  ortifuIierteS  ßautgebilbe  af§  dlamt  für  ein  ®ing  ober 
einen  S}organg  gebraucht  ftiirb;  ber  ©enf^er  ober  ber  «Sd^rei  gef)ört 
nidjt  gur  <Sprad)e.  Sind)  ber  @pra(f)e  ift  baS  SJJoment  ber  jubjeftioen 
Erregung  m<i)t  fremb  genjorben,  e§  tritt  in  Ätang  unb  53etonung  ^er- 
üor,  aber  ha^  SSort  at§  folc^eg,  unb  fd^on  bie  SSurget  ift  ein  SSort, 
ift  ßeid^en  für  einen  beftimmten  SSorfteIIung§int)Qtt.  SRon  fönnte  bem= 
narf)  bie  Stuf  gäbe  ber  ßinguifti!  auc^  fo  be5ei(^nen:  bie  (£utftet)ung 
einer  ^^orfteHung^fpradie  in  artifuüerten  Sautgebilben  au§  einer  un- 
artifuUerteu  SBitlenSjpradje  gn  bejd^reiben. 

S)ie  allgemeinen  S3ebingungen  für  bie  Söfung  biefer  5tufgabe, 
bie  übrigeng  tt)oi)t  nie  ol^ne  9f?eft  aufgef)en  n)irb,  werben  ^f)t)fioIogie 
unb  ^f^diologie  §u  bieten  Ijaben.  Sene  wirb  ttxva  borauf  tjinineifen, 
ha^  ber  3}?enf(f)  burrf)  bie  aufrerfjte  Stellung  bie  S3ruft  frei  be!am 
unb  bamit  bie  9Jiögüd^!eit  ber  feineren  9lüoncierung  unb  ber  5lrti= 
fulation  be§  Saut§;  baB  ferner  bind)  bie  5(u§bilbung  ber  ^önbe  ber 
9J?unb  enttaftet  njurbe,  ber  bei  Stieren  oielfad)  oud^  at§  ©reiforgan 
bienen  mu^.  ®ie  ^[t)rf)oIogie  mirb  barauf  fjinineifen,  baB  ha§>  ®e= 
meinfd^aft^teben  beim  SOJenfdien,  bor  allem  bebingt  burd^  bie  un= 
gen)öf)n(id)  lange  Sugenb,  ein  befonberg  inniges  werben  muBte,  unb 
ha'!ß  f)ierin  ber  ftarfe  STrieb  gur  SJ^itteilung,  ber  ben  SO^enfd^en  au§= 
jei^net,  feinen  ©runb  finbet;  fie  tt)irb  ferner  auf  bie  (Snttt)i(fe(ung  be§ 
intedeftuetten  Seben§  {)inn)eifen,  ha§i  in  ber  9J?annigfa(tig!eit  ber  2;t)ätig= 
feiten,  gu  ber  bie  .^anb  bie  9}?öglid)!eit  bot,  n)ie  in  ber  Sebf)aftig!eit 
ber  gefeüigen  33e5iet)ungen  förberüdEje  Umftänbe  fanb,  2)er  größere 
Üieidjtum  geglieberter  58orfteUungen  unb  ha§:  gefteigerte  9J?ittei(ung§= 
bebürfni§  mögen  fo  al§  bie  beftänbig  tt)irffamen  eintriebe  jur  feineren 
unb  reidieren  ^uSbilbung  ber  Sautft)mboIif  angefef)en  njerben. 

SBie  nun  im  eingetnen  bie  (Sntttjidelnng  gef(f)al^,  npie  in  ber 
(Sprache  ber  Girier  bie  2Bur,^eI  da  gum  Dkmen  für  geben,  sta  für 
ftefjen,  reg  für  richten,  gerabe  mad)en,  njurbe,  mie  plu  bie  Sejietiung 
gum  SSaffer  unb  luk  gum  2id)t  erlangte,  biefe  g^rage  mirb  nie  anber§ 
al§>  mit  bem  §inn)ei§  auf  9)?ögtid)!eiten  beantwortet  werben.  35er= 
muttic^  wirb  man  immer  wiebcr  auf  bie  atte  ^uSfunft  fidf)  jurüd« 
gewiefen  fefjen,  bie  erften  be§eid)nenben  Saute  oon  ben  Xönen  f)er= 
guleiten,  wetd)e  bie  SSorgänge  unb  2)inge  fetber  f)eröorbringen;  ruft 
bod)  and)  je^t  nod^,  öor  atlem  im  erften  SebenSaÜer,  ber  getjörte  %on 


5.  2)ie  ©nttüictelung  im  ©ebiet  beg  geifttg^gefc^id^ttic^en  Se6en§.        209 

bie  9?ac^bilbung  mit  ber  3""S^  gleid^fam  al§  Stnttüort  auf  ben 
5(nruf  f)erüor.  hierbei  mögen,  wie  iieuerbingS  betont  njorben  ift,  bie 
menfd)lid)en  2:f)ätigfeiten  unb  bie  S^öne,  bie  fie  ^eröorbringen,  ober 
mit  benen  fie  oon  ben  Jptigen,  befonberg  aucf)  oon  gemeinfdiaftlid) 
ST^ätigen,  begleitet  merben,  in  erfter  9teif)e  jur  (Sntftel)ung  oon  SSur^el^ 
mortem  SSeranlaffung  gegeben  f)aben.  SSor  ein  §inrei(f)en  urfprüngiicf) 
mit  einem  reftejartigen  Slnruf  da  begleitet,  mie  man  eg  ja  nod)  bei 
Äinbern  beobad^ten  fann,  fo  begreift  man,  mie  ber  Sout  gum  regel- 
mäßig gebraud)ten  unb  oerftanbenen  Sautäeic^en  merben  fonnte,  fo  oft 
ber  jTrieb,  bie  SSorftetlung  be§  2)arreici^en§  unb  @eben§  im  anberen 
ju  ermecEen,  fid)  geltenb  mad)te;  mobei  benn  felbftüerftänblid)  für  bie 
genauere  ^uterpretation  be§  (Gemeinten  ©ebärbe  unb  @eftu§  im  meiten 
Umfang  ju  §ilfe  !amen.  Unb  fo  meinen  mir  mof)I  auc^  in  bem  plu, 
\)a§>  and)  unferem  fließen,  g^luB  ju  ©runbe  liegt,  nod)  ben  Xon  §u 
t)ören,  ben  \)a^  SSaffer  giebt,  menn  man  einen  ©tein  f)ineinmirft,  ober 
menn  e§  fict)  lebhaft  bemegt.  3n  5tnlef)nung  an  berartige  erfte  ^öilbungen 
mod)te  bann  bie  SSur^elbilbung  fid)  aud^  über  bie  an  fid^  nid^t  pr* 
baren  ^ßorgänge  ou§breiten,  mobei  benn  eine  gemiffe  gefü^tSmöBige 
©leic^artigfeit  be§  ©inbrudö  bie  fiautfombinotion  f)erüor5ubringen  bei= 
getragen  f)aben  mag:  ein  SBort  mie  bli^en  {)at  ja  and)  für  unä 
onomatopoetifd^en  SSert,  e§  märe  unmöglid),  e§  burd§  frad^en  jn  erfe^en; 
unb  fo  fönnte  an  bie  (Stelle  oon  fiic^t  nid)t  2)un!el,  oon  Siebe  unb 
ßuft  nidjt  ©rimm  unb  ®ram  treten,  oI)ne  unfer  onomatopoetifd)e§ 
©efü^I  äu  beleibigen.  Unb  au§  fold^en  Urmur^eln  mo(^teu  bann  burc^ 
bifferengierenbe  5Iu§fprad)e,  bie  ber  SDifferen^ierung  ber  urfprüngtid^ 
fel)r  unbeftimmten  $8ebeutung  folgte,  fefunbäre  äöuräeln  entftel)en;  auä 
einer  SBurjel  mar  ober  mr,  bie,  oieüeidit  ben  Son  an  einanber 
geriebener  Körper  miebergebenb,  reiben,  gerreiben  bebeutete,  mochte  ein 
mal  (moöon  bie  9}^üt)le  in  ben  europäifd)en  ©prad)en  ben  9Zamen  ^at) 
unb  ein  marj  =  abreiben,  reinigen,  ^erüorgeljen,  unb  fo  eine  un= 
enblic^e  ^ülle  oon  Slbleitungen  au§  einer  Urmurjel  entfpringen.*) 

2)amit  mag  e§  nun  fteljen,  mie  e§  mitt,  e§  mirb  ^ier  ja  immer 
für  ^Vermutungen  unb  Einfälle  ein  freier  Summelpla^  bleiben,  ma§ 
am  @nbe  lein  fo  gar  großes  Unglüd  ift,  menn  mir  aUeg  ganj  genau 

*)  aii.  9KülIer,  Sßortefungen  über  bie  333i|ienfd)aft  ber  ©prad^e,  Deutfd^  bon 
93ötger,  2.  Stufl.  II,  346  ff. 

$d  Ulf  eil,  ßtnleitimg.    ü.  Stufl.  1^ 


210    ^-  S3ud^:  9Jtetopf)l)fif.  2.  Äa^jitel:  ®o§  !o§moIogiid)4f)eoIogifd^e  5ßrobIem. 

tDü^ten,  irer  würbe  bann  nod^  ©prodjforfcfjer  lüerben  mögen?  —  auf 
jeben  g^aU  tuirb  man  bie§  fogen  bürfen:  mir  fef)en,  mie  oud)  bie 
erften  Stnföntje  ber  @prad)e  o^ne  planmäßige  Srfinbung  unb  3ujammen= 
fügung  mie  burif)  eine  Strt  generatio  aequivoca  ent[te{)en  fonnten. 
Slbfirfjtlidje  ©rfinbung  mirb  baran  nur  jef)r  geringen  Slnteil  geijabt 
f)aben.  Unb  jo  fonb  oucfj  bie  SSeiterbitbung  ftatt;  in  bem  Wla'^t, 
oI§  fid^  bie  ^ßorftellungsmelt  entmicfelte  unb  öom  SBiflen  retatio  löfte, 
in  bemfelben  WaU  tündß  mit  i^r,  nidjt  burdf)  bemühte  unb  abftc|tlicf)e 
3;^ätigfeit,  if)re  tautlidje  (Srfdjeinung,  bie  Sprache,  örft  auf  ^ot)er 
geiftiger  ©ntmidetunggftufe  entftel)t  bie  Sf^efleyion  über  bie  @prad)e; 
unb  mit  if)r  beginnt  bie  Steigung,  burd)  Sßillfür  in  bie  ©ntmidelung 
einzugreifen,  übrigens  mef)r  im  ©inne  ber  ©r^altung  al§  ber  gort= 
bitbung;  bie  @rommatif  ift  fonferüatiü,  jie  tritt  ber  natürtidjen  Steigung 
gum  SSariieren  entgegen. 

(Sben  baSfelbe  S3itbung§gefe|,  ha^  un§  in  ber  (Sntmidelung  ber 
©prad)e  entgegentritt,  be^errfc^t  nun  ha§:  ganje  geiftig=gefd)id)tüd)e 
ßeben;  alle  feine  Silbungen  entfteljen  burd^  eine  5trt  fpontanen 
SBad)§tum§,  nid)t  burd)  planmöBige  ©rfinbung. 

Wan  ne^me  ha§  praftifdje  ©ebiet,  bie  Sntmidelung  üon  ©itte, 
^e(i)t  unb  (Staat.  ®ie  (Sittengefe^e  finb  nid)t  oon  SKoraüften 
erfunben,  fo  menig  mie  bie  logifd^en  ©efe^e  üon  ben  ßogifern,  bie 
grammatifi^en  öon  ben  ©rammatüern  auSgebad^t  unb  öorgefdjrieben 
finb.  ©itten  finb  allgemeine  g^ormen  be§  §anbeln§,  bie  in  ben  ftereot^pen 
9ftea!tionen  ber  tierifdjen  Suftinfte  if)re  Urform  t)aben;  inbem  fie  im 
9)?enfd)en  gum  Semufetfein  !ommen,  entftet)t  ba§  ©emiffen,  \)a§>  \\ä) 
bann  mit  bem  geiftigen  ßeben  felbft  entmidelt.  ®ie  9}?oraIpt)iIofop!^ie 
entmidelt,  erftört  unb  begrünbet  bie  (Sittengefe^e,  aber  fie  erfinbet  fie 
nic^t.  Unb  nidjt  anber§  ftet)t  e§  mit  bem  9^ec^t;  e§  ift  nic^t  eine 
(Srfinbung  ber  Suriften  ober  ber  ©efe^geber,  fonbern  e§  mäd)ft  mit 
bem  gefamten  SSotMeben  al§  bie  äußere  g^orm  feiner  ®emeinf(^aft. 
Urfprünglic^  ein  ©tüd  ber  ©itte,  mirb  e§  auf  einer  gemiffen  (5nt= 
midetungSftufe  au0  ber  @umme  ber  allgemein  öerbinbti^en  £eben§= 
unb  StjätigfeitSformen  {)erau§gelöft  unb  al§  eigentlid^e§  ©ebiet  gefell= 
fd^aftlid}en  ß^'anges  !onftituiert.  SSon  ha  ob  ift  e§  aüerbingS  @egeu= 
ftanb  bemußter  Bearbeitung,  neben  bem  ungefdjriebenen  9^ec^t  entfte^t 
gefd)riebene§  D^ed^t,  unb  gute^t  fielet  in  ben  großen  ^ufammenfaffungen 


5.  5;ic  ©nttüidelung  im  ®ebiet  be§  geifttg=gefc^id^tl^en  ßebenä.        211 

ober  ^obififationeu  i>a§^  9?ed)t  iüie  etlüa§  @emacE)te§  au§.  SSer  bie 
©arf)e  gefd^ic^tlid^  betradjtet,  ber  fief)t  bod),  ha'^  and)  f)ier  bal  SRod^en 
nid^t  auf  bie  ©ubftans  be§  9Red^t§,  auf  bie  Üied^tgüerfoffung  im  gau§en 
gel^t,  e§  l^anbett  fid)  babei  im  ©ruube  immer  nur  um  ft)ftematifierte 
Sn!orporationen  be§  ©eltenben  unb  Überlieferten,  mit  jetreiligen  !(einen 
Stupoffuugen  on  bie  fid^  toanbeluben  SebenSbebingungen  eine§  SSotfe§. 
S5on  ben  ÜleditSöerfaffungen  gilt,  ma§  r>on  ben  ©taatSöerfaffnngen, 
bie  ja  übrigens  nur  ein  «Stüd  ber  allgemeinen  9ftec^t§üerfaffnng  finb, 
gefügt  mirb:  ba^  fie  nidjt  gemacht  n^erben,  fonbern  ujac^fen.  —  Unb 
boSfetbe  gilt  öon  bem  @taat  überl^aupt;  er  ift  nic^t,  tt)ie  ber  9^ationati§* 
mu§  be§  öorigen  Sat)rf)unbert§  bie  ©adje  anfat),  eine  ju  beftimmten 
ßmeden  anSgebad^te  S}eranfta(tung,  bie  bann  burcf)  Stbftimmung  unb 
93efd)üi^  eines  2;age§  eingeführt  ft»urbe,  fonbern  er  ift  bie  gemadjfene 
SebenSform  eines  $ßoIfe§,  als  beren  Urform  man  baS  menf d)üd)e 
Slnalogon  ber  tierifd)en  ^erbe  anfef)en  fann.  %nd)  t)ier  überfe^en  wir 
njenigftenS  baS  te|te  ©tüd  beS  ©ntmidelnngSprojeffeS  f)inlängtic|,  um 
5U  er!ennen,  Ujie  menig  bie  beftef)enbe  g^orm  unfereg  ©taateS  im  gangen 
baS  ©rgebniS  planmäßiger  ©rfinbung  ift.  Überolt  mar  bei  ber  Umbilbung 
S3erftanb  unb  Überlegung  t^^ätig,  aber  nur  in  bem  @inne,  ha'^  fie  jeber* 
jeit  bie  5In|3affnngen  beS  Seftetjcnben  an  neue  Sebürfniffe  unb  2(n^ 
fd)auungen  fud)ten.  Unb  fdjtieBIic^  fpietten  felbft  hierbei  bunüe  Suftinfte 
oft  eine  größere  Atolle  atS  überlegenber  SSerftanb. 

Sa  fogar  im  t^eoretifdjen  ©ebiet,  bem  eigenften  ber  Sntelligenj, 
mo  5tbfid)t  unb  ©rfinbung  bie  größte  9lolte  fpielen  gu  muffen 
fc^einen,  fte^t  eS  nid)t  oiel  anberS;  auc^  bie  äöif f enf c^af ten 
finb  nidjt  nac^  einem  ^lan  erfunben  unb  auSgefüf)rt  morben,  fonbern 
burd)  2Bad)Stum  entftanben.  5tlS  it)re  feimf)afte  Urform  erfdjeint  bie 
mt)t^oIogifd^e  ß'oSmogonie,  ein  erfter  ro^er  Umriß  eineS  einheitlichen 
©anjen  ber  SBettoorfteHung.  SlnS  i^r  entmidett  fid)  bie  ^t)i(ofopf)ie, 
unb  bie  ^f)iIofopt)ie  treibt  bann  in  [langfamem  2öad)Stum  bie 
einsetnen  SBiffenfdjaften  als  ©lieber  auS  fid^  ^eroor.  ®iefe  gange 
ein^eitlid)e  ©ntmidelung  ift  nidjt  burd^  einen  menj:!;  liefen  95erftanb 
auSgebad)t  unb  norgegeii^net  morben,  mie  ein  Saumeifter  bie  Slrbeit, 
bie  taufenb  §änbe  in  Saljrjelinten  auSfüf)ren,  oorgeic^net,  fonbern  e§ 
l^at  fic^  ber  ^eim  ber  ertenntnis  mit  einer  5trt  oon  innerer  ^loU 
tt)enbig!eit  entfaltet;   allerbingS  nic^t  außer,   fonbern  in  bem  3Serftonb 

14* 


212    I.  93ucf):  ajietap^^fi!.  2.  ßo^itel:  S)ag  !ogmoIogtfc^=t^eoIogtfc^e  Problem. 

ber  einzelnen,  bo(^  jo,  baB  feiner  öon  biejen  ha§  ©ange  unb  ben  SSeg 
ber  ©ntiüidelung  überfat).  ®er  einteilte  g^orfdjer  unb  5)en!er  arbeitet 
g(eirf)fam  im  S)unfeln,  er  über[ief)t  nirf)t,  tüie  feine  Strbeit  firf)  ber  ®e= 
jamtentraidelung  einfügt,  tt)enigften§  nid)t  narf)  oorn;  fie  mag  in  neuen 
Äöpfen  ju  neuen  Stufgaben,  neuen  @eban!en  35eranlaffung  geben,  er 
mei^  nicf)t,  öon  melc^er  2Irt  fie  fein  merben.  (S§  ift  bie  aüernütägüc^fte 
@rfaf)rung  in  ber  ©efd^idjte  be§  menfd)Iicf)en  ®en!en§,  bafe  ein  (^thanU 
in  auberen  köpfen  böUig  anbere  ©ebanfen  erregt,  alg  fein  Urt)eber 
t)ort)atte.  2[öa§  ber  (Sinjelne  tf)un  fann,  haQ  ift,  bie  üorf)anbenen  @e= 
bauten  fidj,  fo  gut  er  !ann,  aneignen  unb  fie  für  fid;  felbft  in  ber 
Stuffaffung  ber  2Birftid)!eit  frud)tbar  mad)en;  ob  unb  tnie  Spätere  feine 
5lrbeit  üermerten  merben,  iia§>  bleibt  it)m  bun!el.  SSobei  man  benn 
t)ieüeid)t  fagen  barf:  je  tt)eniger  er  an  anbere,  an  ßeitgenoffen  unb 
3u!uuft,  beutt,  je  met)r  er  bloB  bie  (Baä)^  im  5luge  t)at,  befto  frudjt= 
barer  mirb  feine  Slrbeit  fein.  Unb  and)  \)aä  !ann  man  fagen:  je 
größer  unb  frud^tborer  bie  ©ebanfeu,  befto  meniger  finb  fie  al§  plan* 
mäßige  (Srfiubungen  in  bie  SBelt  gefommeu;  S^^emton  t)at  fid^  nic^t 
öorgenommen,  i)a§>  ©raoitationSgefe^,  ober  SDartt)in  bie  ©ntmidetungS* 
ttjeorie,  ober  ©d)open^auer  bie  üoIuntariftifd;e  ^f^diologie  unb  9Jieta= 
p'^^fif  §u  erfiuben.  S)ie  großen  ©ebanfen  entftefjen  burd^  eine  2trt 
geiftiger  ^on^eption,  nid^t  burdj  ein  t)anbtt)erf§mäBige§  SIu§beu!en.  @ie 
tommen  ft)ie  oon  fetbft,  toenn  i^re  ßeit  ha  ift.  SDie  Prüfung  unb 
2)urd()füt)rung  gefdiietjt  bann  oüerbingS  burd)  planmäßige  5(rbeit.  @§ 
ftet)t  bamit  üt)nlid^  mie  mit  einer  Siunftfdjöpfung  ober  einer  ®id)tung; 
aud|  fie  mirb  nid)t  nad)  einem  ^lau  augefertigt,  foubern  mädjft  oon 
innen  l£)erau§  burd)  (Sntfattung  eiueS  5leim§.  S)ie  bürftigen  9J?ac^tt)er!e 
merben  uac^  einem  $Ian  angefertigt;  ba  ift  erft  bie  allgemeine  5lbfid)t, 
etma§  gu  mad^en;  bann  mirb  nad)  einem  ©toff  uub  nad)  einer  g^orm 
Umfd^au  getjalten.  @o  entftef)en  bie  9fJad)al)muugeu,  bie  jebe§mal  mie 
^itge  au§  ber  (Srbe  fd^ießen,  fo  oft  einmal  ein  SBerf  allgemeine  Sluf« 
merffamfeit  erregt  unb  9Jlobe  mirb,  ^abrif arbeiten,  aber  feine  Ä\inft= 
loerfe.  @o  entfte^en  auc^  in  ber  2öiffenfd)aft  bie  g^abrifarbeiten,  hk 
Slu§ftettuug§leiftungen  ber  ©iffertationeufabrifen,  bie  ^ärrnermerfe  ber 
Kommentatoren,  bie  gufammenfaffeubeu  uub  abfdiließenben  2el)rgebäube 
ber  Siegiftratoren  ber  Söiffenfc^aft;  audj  fie  beginnen  mit  ber  allgemeinen 
^bfid)t,    etma§   gu   mad)en,    ba§:   ben    SSerfaffer    üorteill)aft   befannt 


5.  ®ie  ©nttüidelung  im  ©ebiet  be§  geifttg«=gefc^i(^tU(i^en  Sebenl.        213 

maä)t;  bann  beginnt  bie  SoQb  nad)  einem  freien  ©toff,  unb  i[t  er 
gtürfltd^  gefunben,  bie  ptnnmäBige  3Serarbeitung  nad)  bem  (Schema. 
2)agegen  bie  großen,  bem  (Srfennen  neue  2öege  öffnenben  ©ebanfen, 
bie  werben  nid)t  gemacEit  unb  erfunben,  jonbern  fommen  mie  bur(^ 
Eingebung. 

Unb  tt)ie  bie  ^i3c^[te  3Sir!famfeit  ber  Sntetltgenä  ni(f)t  bie  gorm 
bei  planmäßigen  unb  abficfjtiic^en  9)?a(^en§  J)at,  fo  ift  aucf)  bie  Sn* 
teßigenj  felbft  in  if)rem  Urfprung  nidjt  ein  ©rgebniS  planmäßiger 
5(rbeit.  SDer  SSerftanb  ift  nicf)t  gemacht,  fonbern  gemac^fen.  ®§  I)at 
nid)t  unter  ben  nod)  üerftanbtojen  9J?enfcf)en  einer,  bie  S'Jü^Iidjfeit  ber 
©ac^e  er!ennenb,  ha^^  folgern  unb  @d)Iießen,  bie  begriffe  unb  Urteile 
oulgebac^t,  fonbern  e§  i[t  raie  ein  gei[tige§  Sf^aturprobuft  in  allmä'^üdjem 
2öad)§tum  guftanbe  gefommen.  21I§  bie  Urform  be§  25er[tanbe§  !ann 
man  ben  Snftinft  anje^en,  jene  erftaunlidie  gäf)igfeit,  nod^  nic^t  feien« 
be§  at§  feienb  t)orau§5une^men  unb  al§  9J?otio  in  SSirffamfeit  treten 
gu  (äffen.  5tu§  bem  Snftinft  enttt)idelt  fid)  aümäfilid)  ber  SSerftanb, 
inbem  bie  ftereott)pen  Üleaftionen  aufgelodert  merben,  unb  bemegtic^e 
Überlegung  jmifdjen  ben  einzelnen  ©liebern  ber  ^ei^e  f)in  unb  ^er§u« 
laufen  beginnt.  ®er  ©nberfolg  mirb  aU  ßmed,  bie  ^^ätigfeit  aU 
WliM  öorgefteüt,  bamit  fiaben  mir  in  primitiofter  gorm  bie  (Srtenntnil 
öon  Urfadje  unb  SSirfuug. 

@o  gilt  atfo  für  alle  (Seiten  be§  geiftig=gefd)id)tlid^en  Öeben§: 
nid^t  ooraugfd^auenbe  33ernuuft  bilbet  nad^  5Ibfid)ten  unb  ^täneu  ba§> 
9lotmenbige  unb  ^^^edmäßige,  fonberu  e§  entftef)t  allmä^tic^,  mie  bie 
formen  be§  orgauifdjen  Seben§,  burc^  ein  fpontoneS  ^Sac^Stum.  Unb 
ma§  für  bie  eingetnen  Organe  unb  .^eniorbriugungen  gilt,  ha§^  gilt  auc^ 
öon  ben  gefc^ic^tlidjen  Sebemefeu  felbft.  ©in  93ot!  erlebt  ein  einfjeit* 
Iid)e§  ßeben;  \^ht  ©efdjidjtsbarfteüung,  fie  mag  e§  felbft  miffen  ober 
md)t,  ftellt  e§  oI§  (Sint)eit  bar;  inbem  fie  ben  SSerlauf  ber  ©cfc^ic^te 
in  ^erioben  gtiebert,  trägt  fie  ben  ©ebaufen  ber  orgauifdieu  @int)eit 
{)inein.  Seberjeit  t)at  fid)  bie  $ßergleid)ung  eine§  a^oltslebenl  mit 
einem  Snbinibuallebeu  aufgebröugt:  bie  großen  ©tufen,  Äinb{)eit, 
Sugenb,  9JJaunI)eit,  ©reifenalter  fe^reu  f)ier  mieber,  ober,  fo  !aun  man 
oud)  bie  @ad)e  umfe{)ren,  ba§  ®ruubgefe|  ber  (Sntmidehing  eines 
SSoMebenS  mieber{)oa  fic^  im  einjeneben.  SfJun,  ein  5SoI!  ben!t  fic^ 
nid)t   fein  Seben   aug,   um    e§   bann  nac^  einem  ^lan  ju  öoüenben, 


214    I-  33ud^:  aKetap^^fü.  2.  Kapitel:  2)ag  fo§moIogtfd^=t^eoIogx)d^e  ^ßroblem. 

fonbern  es  ern)ärf)[t  QKmät)tt(f),  if)m  jetber  unbeiruBt;  erft  ber  xM^ 
blicfenbe  §iftoriter  fief)t  bie  Gin^eit  unb  ßiijoi^n^^t^ft^nti^iing  borin. 
Unb  nirf)t  anber^  fte^t  e§  mit  bem  ©injelleben.  3^er  9J?enicfj  benft 
fidj  ni(i)t  feinen  Sebenslauf  Qn§.  3n  ben  Süngüngsjafiren  benft  man 
tt)of)(,  man  je|e  ficf)  ein  3^^^^  mad)e  einen  ^lan  unb  ttierbe  baburd) 
ha§>  Seben  geftalten  unb  auf  bie  Söett  rairfen.  Sie  Sugcnb  ift  ratio= 
naliftifd)  in  i^rer  ^nfdjauung,  fie  glaubt  an  ©ebanfen  unb  i()re  9J?arf)t, 
bie  SBirflidjfeit  um^ngeftalten;  alle  9iet)oIutionen  finb  öon  Jünglingen 
ausgegangen.  ®a§  5Xlter  mirb  l)iftorifc^  auc^  in  feinem  3)enfen;  e§ 
fielet,  n)ie  menig  es  ha^^  eigene  Seben  gemadjt  l)at,  tüie  es  burd)  'Um= 
gebung  unb  @d)irffat  unb  mand)en  anfangs  unfdjeinbaren  S^i^aU  ge= 
ftaltet  ttiorben  ift.  S5or  aüem  tritt  ber  grofee,  gefc^idjtlid)  überfommene 
£ebensinl)alt  immer  bebeutfamer  fjeröor.  S)er  Jüngling  meint  tuof)!, 
mit  il)m  gelje  bie  SBelt  eigentlid)  erft  an,  unb  er  muffe  fie  au§  feinem 
^opf  neu  gebären;  je  länger  man  lebt,  befto  me^r  mirb  man  inne, 
ipie  gering  bie  Entfernung  ift,  bie  man  üon  bem  S(u§gang§punft,  bem 
ber  Jüngling  einft  mofjlgemut  unb  mit  großen  planen  ben  binden 
!ef)rte,  ^urüdgelegt  t)at 

Unb  nun  bie  ©umme:  ha^  abfid)tlid)e  SJiac^en,  ba§  5(nfertigen 
nad^  planen  fpielt  audj  in  ber  geiftig=gefd)id)tlid)en  SSelt  !eine  fo  gar 
grofee  9ioUe.  ®a§felbe  33ilbung§gefe^  ermeift  fid)  mie  in  ber  leiblid)en  fo 
in  ber  geiftigen  SSelt  als  ^errfdjenb;  nid)t  burdj  oorbenfenben  33erftanb, 
fonbern  burd^  fpontane  (Entfaltung  au§  feiml)aften  Slnföngen  entftel)en 
bie  organifdjen  53ilbungen  in  ber  9?atur  mie  in  ber  ©efdjidjte.  SSad)fen, 
nidjt  machen,  ift  bie  örnnbfategorie  ber  SSirflidjfeit;  and)  bie  3Ber!e  be§ 
9JJenfd)engeifte§  geigen  im  großen  bie  g^orm  be§  abfidjtSlofen  Söerbens: 
haS'  nad)  Slbfii^ten  machen  ift  nur  eine  fleine  S^ebenform  be§  SSerben§. 

6,  Unsulänglidjfeit   einer  atomtftifc^cu  5!J?etapI)i;fif.     ^Begriff 
ber  äöed)fe(iüirfung. 

SSir  bliden  auf  ben  3Iu5gang§pun!t  biefer  93etrad)tung  jurüd. 
S)rei  formen  bes  äöeltbegriff§,  brei  fosmologifd)e  ,^t)pDtljefen  erfdjienen 
un§  ben!bar:  ber  antt)ropomorp^ifd)e  Xf)eismu§,  ber  51tomi§mu§  unb 
ber  ^üntf)ei§mu§. 

3)ie  3)arlegungen  ber  üorigen  S(bfd)nitte  Ijaben  ju  geigen  gefudjt, 
ba^  bie  erfte  .^i)potf)efe,   meit  entfernt,  eine  bemiefene  2;f)eorie  gu  fein, 


6.  UnäulängU(f)feit  einer  otomiftifd)en  9JJetapf)^fif.  93egriff  ber  9!Bed^|eItt)irfung.   215 


üBerf)aiipt  ntcfjt  bie  g^orm  einer  iüiffeu|cl^QftIid)en  Xt)eorie  f)at.  2)ie  5Iuf= 
faffung  ber  notürticfjen  luib  ber  gejd)idjtli(f)en  2öirtlid)feit,  bie  in  ber  2{n= 
nomine  einer  baumeifterlidjen  SnteHigens,  oon  ber  nad)  einer  nn§  faßbaren 
5(bfid)t  ba§  ©anje  planmäßig  ^nfammengefügt  jei,  i(}ren  S(bjc^tuB  fonb, 
i[t  bnrd;  eine  jüngere  ^Inffajfung,  bie  enttt)idelnng§gejd)ic^t(id)e,  an  oKen 
^nnften  üerbriingt.  Unb  e§  ^üäre  eine  blo^e  Selbfttänfc^ung,  inenn 
man  annehmen  wollte,  e§  fönne  nad)  bem  SSegfall  ber  5ßorou§fe|ungen 
on  jener  3(nfid)t  bennodj  fe[tgefjatten  werben.  ®qB  aber  bie  entn)idetung§= 
gef(^id^tlid)e  Setradjtnng  aU  norübergeljenbe  9Jiobe,  wie  einige  meinen, 
wieber  üerfdjWinben  werbe,  ift  wenig  gfanblid);  fie  mag  no(^  mand)e 
SSanbtungen  burd)§nmad)en  l)aben,  aber  ber  ant^ropomorpfjijdje  St§ei§= 
mu§  wirb,  jo  fange  wifjenfdjaftlidje  Snterejfen  2(n§f(^Iag  gebcnb  bleiben, 
if)r  !ein  ©ebiet  wieber  abgewinnen. 

@g  ert)ebt  \id)  nun  bie  3^rage:  welche  unter  ben  beiben  übrig 
bleibenben  !o§moIogijd)en  33or[tel(ungen  oerbient  ben  S^or^ug  ?  Sntfprid^t 
ber  2(tomi§mn»  ober  ein  pant()ei[tijd)er  SJZoni^mug  hm  jtf)atjadjen  beffer? 

Sn  weiten  Greifen  t)errfd)t  gegenwärtig  bie  ^tnfid^t,  baB  ein 
materiaüftifd^er  5(tomi§mu§  bie  burd^  bie  SSiffenfdjaft  un§  aufgenötigte 
SSeItanfid)t  fei,  2)uvd)  5)arwin  fei  bie  einzige  i^m  bi§f)er  anfjangenbe 
(Sd)Wierigfeit  befeitigt;  e§  ftelje  je^t  ber  ^onftru!tion  ber  2Be(t  au§ 
Sltomen  !ein  Wefentüd^e§  -giinbernig  ntefjr  entgegen.  33ei  STnfiängern 
unb  ©egnern  Sarwin§  ift  biefe  SJJeinung  öerbreitet:  bie  SSorauSfe^ung 
ober  bie  Ie|te  gofgerung  au§>  feiner  ^Betrachtung  fei  bie  öntbe^rlid^feit 
@otte§  ober  eine§  (Sin^eitSprin^ipg,  fei  bie  (Srftörbarfeit  ber  SSirflid^- 
!eit  au§  ber  naturgefe^üdjen  SSed^felwirfung  ber  Steile. 

^d)  t)alte  ha^  für  einen  Srrtum;  burd^  bie  GntwidelnngSle^re 
wirb  eine  atomiftifdje  9J?etap^i)fif  Weber  öorau»gefe^t  nod)  begünftigt. 
©ie  !^at  übertjaupt  feine  fo  enge  Segiefinng  jnr  9)Zetapf)i)fif,  al§  üorauS- 
gefegt  jn  werben  pflegt;  fie  ift,  wie  jebe  Grftärnng  befonberer  ^^at* 
fad)en,  mit  einer  ibealiftifd)^pantf)eiftifd)en  S(?etap^i)fif  fo  gut  öerträglid^, 
wie  mit  einer  materiatiftifdj=atomiftifd)en.  Sie  (Sntfdjcibung  jwifdjen 
biefen  beiben  formen  ber  SBeltanfdjanung  ift  oon  allgemeineren  @r= 
wägungen  abtjängig.  Unb  biefe  fi^einen  mir  nun  nic^t  barauf  I)in- 
gubeuten,  ha^  bie  Söfung  be§  SSeIträtfeI§  in  ben  3(tomen  ju  fud;en  ift; 
t)ielme()r  finbe  id)  mid^  oon  allen  Seiten  auf  bie  anbere  §tnfid)t  l^in= 
gewiefen.    ^d)  beute  bie  Erwägungen  an,  bie  für  midj  beftimmenb  finb, 


216    I.  93uc^:  3Jlttap^t)\il  2.  Äapitel:  ®o§  foSmoIogt|c^4^eoIogtyc^e  «Problem. 

of)ne  für  fie  bie  £raft  gtüingenber  33eiüeiie  in  ^Infpruc^  gu  nehmen. 
5rie  3eit  bürfte  überhaupt  üorüber  fein,  lüo  man  glaubte,  mit  logijd^en 
2)emonftrQtionen  bie  91otit)enbigfeit  biejeS  ober  jene»  2Se(t6egriff§  au§= 
mad^en  ju  fönnen.  5)ie  Setüeife  für  bie  le^en  ©ebanfen  über  bie 
^inge  tüerben  im  mefentlicfjen  barauf  f)inau§fommen,  baB  man  jeigt, 
tük  bie  2^f)atiac^en  auf  einen  fotc^en  SlbfdjIuB  unferer  33erfu(f)e,  fie  gu 
fonftruieren,  f)inn)eifen  ober  gleic^fam  gegen  jene  ©ebanfen  fonoergieren. 
—  SSorau§gefe|t  bleibt  {)ier  iia§i  (ärgebni§  unferer  ontologifc^en  Se= 
trai^tung.  (Sie  führte  un»  ju  ber  Überzeugung,  bafe  bie  materiaüftifd^e 
5(nfic^t  jur  Söegreifung  ber  2SirfIicl)feit  nic^t  ausreiche,  oieImef)r  an= 
genommen  werben  muffe,  ha'Q  bem  ^^t)fifd)en  überall  ein  ^ft)d)iid}e§ 
entfpredje  ober  §ur  ©eite  ge^je.  S3orerft  aber  ftellen  mir  un§  auf  ben 
@tanbpun!t  ber  pf)t)fif(f)en  33etracf)tung. 

Sd^  erinnere  äunödjft  baran,  ha'^  5{tome  nid)t  gegebene  Xf)atfad)en 
ober  Dbjefte  finb;  fie  finb  nid^t  ©egenftanb  mirfüdjer  ober  oud)  nur 
möglid^er  33eobad^tung.  ©egeben  finb  bie  Körper  ober  oielme^r  bie 
eint)eitlid)e  Äörpermelt;  biefe  löft  ha§>  S)enfen  ^unädjft  in  einzelne  ®inge 
ober  Körper  auf,  bie  a(§  einf)eit(i(^  bemegte  ober  ruf)enbe  fid)  bar= 
ftellen.  2^ie  Körper  verfallen  mieber  in  STeile,  ein  ©tücE  treibe  läBt 
fid)  in  ©tücfe  bredjen,  in  Staub  gerreiben,  of)ne  hafi  ein  ©nbe  ber 
^eilbarfeit  erreicht  märe;  bie  Cualitöt  ber  Xeite  bleibt  babei  bie  g(eid)e 
mie  bie  bee  ©angen.  (Sobann  aber  löfet  fid^  biefelbe  treibe  aud)  in 
ungleidiartige  Steife  ^erlegen,  in  bie  d)emifd)en  (SIemente,  Äalf  unb 
5iot)(enfäure,  unb  biefer  mieber  in  ßof)Ie  unb  Sauerftoff.  2(uf  ha^^  S(tom 
al§  ein  empirifdf)  aufjeigbareS  Cbjeft  fommt  man  aber  aud)  fo  nid^t. 
3)er  Segriff  be§  5{tom§  ift  lebiglidj  al§  ein  ^ülfSbegriff  gur  tonftruf= 
tion  p{)t)fifalifd)er  unb  d)emifd)er  XEiatfadjen  gebitbet  morben;  er  be- 
zeichnet ben  (e|ten  ^^unft,  ben  bie  analijfierenbe  3?etradE)tung  be§  ßt)e* 
miferS  bisher  erreicht  !^at. 

S)er  metap^tififd)e  2(tomi§mu§  nun  !el^rt  bie  (Bafi)t  um;  er  be- 
l^auptet:  ber  ßnbpunft  ber  2{noIt)fe  ift  ha§^  ßnbe  ber  Singe  ober  alfo 
üielme!)r  ber  erfte  unb  abfolute  Anfang  ber  3SirfIid)feit;  bie  2Be(t  ift 
Zufammengefe|t  an§  SItomen,  au§  abfolut  un^erftörbaren  unb  abfotut 
felbftönbigen  f leinen  ßörperd)en. 

Sa§  ift  nid^t  metjr  beredjtigt,  al»  menn  jemanb  bäd)te:  S3ud)= 
ftoben  finb  bie  erften  abfolut  felbftönbigen  Urbeftanbteik,  au§  benen  bie 


6.  Unäulänglid^teit  einer  atomiftijc^en  9Jietap;^Q[if.  93egriff  ber  3Bec^fetiDirfung.   217 

9flebe  äufammeiujefelt  ift.  SSieüeicl)!  [teilt  fic^  in  bem  5topf  eme§ 
Änaben,  ber  eben  bie  loteinifdje  ©vammatif  git  erlernen  begonnen  I)at, 
bie  ©adjc  jo  bor:  bie  loteinifcfie  Spradje  beftet)t,  n^ie  jebe  (Sprache, 
ans  Söörtern,  bie  SBörter  Qn§  (Silben,  bie  ©Üben  an§  Suc^ftoben, 
unb  biefe  finb  olfo  bie  n)irfürf)en  legten  Seftanbteile,  gteicfifam  bie 
§ttome,  au§  benen  bie  @prad)e  ^njammengeje^t  i[t.  —  |>ier  bebarf  e§ 
nnr  ber  S3efinnnng,  um  ba§^  ^atfc^e  ber  SSorfteUung  ^u  er!ennen.  Sn 
2öa^rf)eit  ift  natürlich  allein  bie  (ebenbige  Ü^ebe;  SBiJrter,  ©üben, 
Suc^ftoben  [inb  5tb[traftionen,  bie  a(§  folc^e  in  ber  SSirfIirf)!eit  nic^t 
üorfommen.  S)er  ©rammatifer  gerteilt  bie  Ü^ebe  in  einzelne  SSörter 
unb  Saute;  bie  Sefcf)reibung  !ann  nicf)t  ha§>  ©ange  auf  einmal  geben, 
fie  gerlegt  e§  ba'^er  unb  lä^t  bann  au§  ben  Seilen  alImä()Ud^  ha^ 
®an§e  entftetjen.  Stber  in  2öirflid)feit  ift  e§  natürlid^  nicfjt  fo;  bie 
(Sprarf)e  f)at  nic^t  bamit  begonnen,  \)a^  man  erft  eingetne  Saute  ober 
93ucf)ftaben  fprad^,  a  unb  b  unb  c,  bann  fie  gu  ©itben  unb  3Börtern 
jujammenfaBte  unb  enblic^  bie  SSörter  jum  ©o|  an  einanber  fügte, 
©onbern  bie  ©pracfje  ttjar  immer  nur  mirflid)  im  ßufammen^ang 
lebenbiger  Siebe;  nur  in  ber  grammatifct)en  Betrachtung  finb  Bu(f)= 
ftaben  unb  SSörter  ettua^  für  ficf)  feienbe^,  tonnen  bodj  bie  93u(i)ftaben 
gröBtenteitö  nid[)t  einmal  für  fid)  gefprod)en  werben.  Unb  ganj  baSfelbe 
gilt  aud^  öon  bem  (Seelenleben.  Sind)  t)ier  tommt  ja  bie  SOZeinung 
nor,  al§  fei  e§  etmaS  au§  S^orftellungen,  ©mpfinbungen,  @efüt)Ien, 
at§  ben  felbftänbigen  (gtementen,  ßufaminengefe^teS.  5Iud)  ^ier  ift  biefe 
Söorfteüung  abfurb;  in  2ßirfüd)teit  ift  allein  ba§  eintjeitlidje  ©ange,  ta^^ 
nur  öon  ber  ^ft)d)otogie  für  bie  Setrod}tung  in  einzelne  ©eiten  unb 
(Stemente  jertegt  mirb.  Sa  mon  !ann  meiter  ge^en  unb  fagen:  uid)t 
einmal  bie  (Sinselfeete  ift  aU  ein  (SelbftänbigeS  gegeben,  gegeben  ift 
ba§  ©efamtleben  unb  in  if)m  ba§  (Sin.^ellebeu  al§  ein  SCeil  ober  @Iieb. 
9Jlan  !ann  e§  in  ber  S3etrad^tung  ifolieren,  aber  man  !ann  e§  nid)t 
at§  ein  urfprünglid)  fetbftönbige§  ©lement  in  ber  SSirflic^feit  antreffen, 
um  au§  ber  Bereinigung  Bieter  ein  ®an§e§  jufammengufe^en.  (So 
meinte  ber  atte  9fiationaIi§mu§ :  ba§  Bolf  ein  5?ompofitum  üon  Subi= 
üibuen.  Slber  5triftoteIe§  t)at  and)  f)ier  rec^t:  ba^  ©ange  ift  üor  ben 
Seiten,  bie  Seite  finb  burc^  ha§>  ©anje. 

9^un,  eben  bagfelbe  gilt  auc^  in  ber  pf)t)fif(^en  SSelt:    ha^  3ttom 
ift  ein  Stbftrattum,  mie  ber  Budjftabe;  \o  ttjenig  al§  biefer  tonimt  e§ 


218    I-  S3ud^:  2Ketap:§^fiI.  2.  Äa^jitel:  S)a§  !o§mologiid^4^eoIogifd)e  ^ßroblem. 

allein  unb  ijoliert  in  ber  2Bir!Iid)!eit  üor;  \o  iüenig  als  ein  ftummer 
^onjonant,  ift  e§  ein  für  \xd)  ejiftierenbeS  ober  ejiftenäfii^igeS  Objeft. 
Wan  nerfud^e  bocl),  e§  qI§  foId)e§  üorsuftellen.  3Sie  fiet)t  e§  au§? 
S[t  e§  au§gebef)nt,  n^ie  ein  Siörper?  33eja!)t  man  mit  bem  antifen 
5Itomi§mu§  bie  ^rage,  \o  ergiebt  fic^  jogteid^  bie  g^olge,  ha^  e§  teil* 
bar  i[t.  2Sa§  an§gebet)nt  ift,  ha§>  f)at  Xeile,  bie  anfeer  einanber  finb; 
fo  liegt  e§  im  93egriff,  ob  tt)ir  bie  STeilnng  üoIl5iet)en  fönnen  ober 
nic^t.  Sann  ift  e§  aber  au(f)  nidit  ein  metap{)l)fifdj  Ie|te§  ein{)eitlid)e§ 
SBefen,  fonbern  gan^  in  bemfelben  ©inn  mie  ber  Körper  §ufammen= 
gefegt.  —  S^iimmt  man  bem  Sttom  bie  2(u§bef)nung,  fe|t  man  e§  bem 
^nnft  gleicf),  luie  e§  bie  mat^ematiftfie  ^fjt)fif  für  if)re  ^Xütdt  tt)ut 
unb  t^un  mog,  fo  er!)ebt  fic^  für  ben  materiaüftifd)en  9)ietap^t}fifer, 
ber  i)a§>  Sttom  §um  abfotuten  SSeltprinjip  machen  lüill,  bie  üerlegene 
grage,  ttjorin  benn  fein  SSefen  beftet)e?  SBa§  ift  ein  feienber  ^un!t? 
@agt  man:  ein  @t)ftem  oon  Gräften,  fo  voivh  i^m  bamit,  öon  anberen 
<Srf)iüierig!eiten  abgefe^en,  bie  ©elbftänbigfeit  genommen,  ©ine  ^raft 
ift  nur  ttjirflid^,  fofern  fie  mirft;  SSirfen  aber  fel^t  öoranS  ein 
anberes,  auf  hü§^  gert)ir!t  lüirb.  Dfjue  bie§  anbere  fann  beiunad)  hü§> 
Ä'raftatom  meber  ha  fein  nod^  begriffen  merben.  —  Unb  morauS  beftef)t 
ber  leere  9?aum  gmifdjen  ben  5(tomen?  —  äöenn  man  öerfnc^t,  auf 
biefe  ^^ragen  fid)  eine  5(ntmort  gu  geben,  Ujirb  man  oietleidjt  finben, 
bafe  bie  5tu§funft  ßantg,  bie  ^ontinuität§t)t)pot()efe,  metdje  ben  S^taum 
fontinuierlidj,  luenn  audj  mit  nerfc^iebener  ^ntenfitöt  erfüllt  fein  lö^t, 
UjenigftenS  geeignet  ift,  einer  Üiei^e  fet)r  luftiger  g^ragen  ein  (Snbe  §u 
machen.  Sluf  jeben  g^all  aber  mirb  man  fic^  überzeugen,  baB  e§  mit 
ben  Sltomen,  fo  einfach  bie  ©adje  anfangs  au§fiel)t,  boc^  nid)t  fo  glott 
abgemad)t  ift.  @ie  Ijaben  iljren  guten  ©ebraud)  al§  S^onftru!tion§= 
l)ülfen  in  ber  ^^ijfil  unb  d^emie,  unb  biefe  mögen  fid)  i^ren  S3egriff 
äured)tlegen,  mie  e§  i^ren  ß^^^ct^"  ongemeffen  ift.  Stber  üon  Atomen 
ül§>  öon  ben  gegebenen  legten,  felbftänbigen  Elementen  ber  2Bir!(id)feit 
§u  rcben  oermag  nur,  mer  oljne  über  bie  <Baii)t  nadjgebadjt  gu  ^aben, 
fid^  öon  einer  ber  S(nfd;auung  fid^  einfdjmeidielnben  Slnalogie  leiten 
lä^t:  mie  eine  Wlantx  an§>  ^ka,d\tmmx  befielet,  fo  befielt  ein  3i^9ct= 
ftein  mieber  au§  Heineren  ^i^Ö^^fleinen,  bi§  man  julel^t  auf  le|te 
ßiegelfteine  fommt,  bie  fo  Hein  finb,  bafi  e§  fic^  nid)t  mel^r  ber  äJJülje 
öerlol)nt,  über  i^re  9iatur  fic^  ben  ^opf  gu  jerbred^en. 


6,  Unsulänglidjfeit  einer  otomiftifd^cn  SÄetapi^tjfif.  93egriff  ber  SEßecl^feliüirfung.   219 

Sei)  erinnere  t)ier  an  eine  53etracf)tnng,  bie  ber  9JJetapIjt)[i! 
^o^e§  geläufig  ift:  2Bir!Ii(^!eit  !ommt  bein  ©in^etnen  nur  in  ber 
©efamtfjeit  ber  Singe  ju,  inoronf  t§>  tt)ir!t  unb  luoüon  e§  leibet. 
Sie  gemeine  S3or[teIIung  meint  "öa^  einzelne  Sing  ot)ne  9lüdffi(f)t  auf 
jeine  Söirfungen  für  fid)  fetten  ju  tonnen.  Sa§  ift  eine  Säufd^ung; 
ein  Sing,  bog  nicfjt  mirft,  ift  nid;t;  nur  a(§  ©lieb  be§  ©anjen  \)at 
e§  2Birf(ict)!eit;  235ir!(id)feit  bebeutet  für  e§:  in  QSejietiungen  be§  2Sirten§ 
unb  SeibenS  ftetjen.  — 

(Sine  jmeite  33etrad^tung,  bie  auf  basfelbe  ^ki  füt)rt,  get)t  oon 
bem  93egriff  be§  SBirfenS  unb  Seiben^  fetbft  au§.  Ser  gejunbe 
9}?enfc^enüerftQnb  braudjt  biefe  93egriffe  täglirfj,  oI)ne  fonberlidje 
©djiuierigteiten  barin  gu  finben.  (Sr  ftellt  fic^  bie  ©adje  etwa  fo  oor: 
gum  SBirfen  unb  2eiben  get)i3ren  ^mei  Singe,  bereu  jebe^  feine  2öirf(i(f)= 
feit  für  fid)  tjat.  9(ber  nun  gefcl^iet)t  e§,  boB  e§  ungeadjtet  feiner 
©etbftänbigfeit  eine  SSerönberung  feine§  ßuftanbeS  crfäf)rt,  bie  ni^t  in 
if)m  felber  begrünbet  ift;  njir  fagen :  e§  erleibet  einen  CSinflu^,  ber  mn 
au^en,  oon  bem  anberen  Singe  tjerfommt.  Unb  ebenjo  übt  e§  feiner= 
feit§  ouf  \)a^  anbere  (SinftuB  au§. 

(S§  ift  öon  jeljer  \)a§i  ©d^idfol  ber  ^^ilofop^ie,  an  bem  5(nftoB 
gu  nehmen,  tt)a§  aüer  ^elt  gan^  unanftöBig  unb  einleudjtenb  ift, 
nodum  in  scirpo  quaerere.  ©0  fragt  fie  f)ier:  n)a§  t)eifet  ha^  bod^ 
eigentlid),  einen  (Sinflu^  üben?  S[Ran  fagt:  ber  9JZonb  übt  einen 
ßtnfluB  auf  bie  (Srbe,  er  gietjt  5.  23.  bie  ©ettjöffer  be§  0§ean§  an  fid^ 
unb  beluirft  baburd;  bie  ©rjdjeinung  üon  @bbe  unb  g^lut.  SBag  ge= 
fd)iet)t  ^ier?  löft  fid)  öon  bem  SDfonbe  etraaä  üh,  fd;mimmt  burc^  ta^ 
Seere  f)inüber  jur  ©rbe,  f)ängt  fid)  an  bie  SSaffcrteile  be§  9}?eere§ 
unb  t)ebt  fie  bem  SO^onb  entgegen?  ®et)t  oon  bem  9J?onbe  ein  2(u§fIuB 
au§,  ber,  nad^  allen  (Seiten  gIeid)mäBig  fid)  aulbreitenb,  ben  ütaum 
erfüllt  unb  gleidjjam  abjucl)t,  unb  loo  er  einen  Ä'örper,  groB  ober  flein, 
antrifft,  fid)  alsbalb  an  il)n  l)ängt  unb  il)n  gegen  ben  SRonb  äiel)t 
ober  ftö^t?  Ober  inie  f ollen  mir  ba§  53orfid^gel)en  ber  (Sinmirfung 
fonft  üorftellen?  Sft  ber  SDioub  mit  ber  @rbe,  ift  jebe§  9)?affenteild)en 
mit  jebem  anbern  burd)  ein  unfidjtbare»  ©eil  ober  53anb  oertnüpft, 
moburd)  e»  ba§  anbere  ^u  fiel)  5iel)t?  —  9iun,  oon  aüebem  mei^  bie 
^l)l)fit  gar  nichts.  2Ba§  fie  un§  tt)irflic^  fagt,  menn  fie  bie  ^lut= 
melle  eine  SBirfung  ber  Sln^ie^ung^traft  be§  9JJonbe§  nennt,   ift  bieg: 


220    I.  93u^:  3Ketapf)^ftf.  2.  topitel:  5)o§  fogmologtfd^-ttieologif^e  Problem. 

bie  Bewegung  ber  SSaffermaffen,  bie  lüir  ^lut  unb  (S6be  nennen,  tritt 
regelmäBig  mit  regetmöBigen  S^eränberungen  ber  Stellung  be§  9}ionbe§ 
jur  (Srbe  ein:  fie  entjpric^t  nad)  gorm  unb  ©rö^e  ben  gallbemegungen 
auf  ber  @rbe.  Unb  gang  ebenfo  fagt  ber  ©a|:  alle  9J?affenteild)en 
graöitieren  gegen  einanber,  nicljtS  ol§  bie§:  njann  unb  wo  immer  §tt)ei 
SOiaffen  in  einem  beftimmten  räumli(f)en  $ßert)ältni§  ju  einanber  [teilen, 
ha  finbet  ouf  beiben  Seiten  eine  üon  ber  ©rö^e  ber  äJJajje  unb  ber 
(Entfernung  abhängige  2;enben§  gur  S3en5egung  gegen  ben  gemeinfamen 
©d^merpunft  [tatt.  Unb  enblid^,  ber  (Sa|:  A  unb  B  ftel)en  in 
SBec^felroirfung,  ^ei^t:  mann  A  in  ben  ßuftanb  a  eintritt,  bann  tritt 
B  in  ben  3uftcinb  b  ein  unb  umgefe^rt.  Ütegelmöfeige  unb 
fpontone  ^itf'i^^n^^^ftimmung  ber  SSeränberungen 
0  n  ö  e  r  f  cf)  i  e  b  e  n  e  n  fünften  ber  SB  i  r !  l  i  cf)  f  e  i  t ,  taS^  ift 
alleg,  ma§  mir  oon  SSecl)felmirfung  miffen.  ^on  ^uSflüffen  unb 
(Sinflüffen,  öon  58änbern  unb  SSerfnüpfungen,  öon  9lötigung  unb 
3mang  ift  tjier  gar  feine  Stiebe. 

^ßielleic^t  ermibert  ein  $l)t)filer:  e§  mag  fein,  bafe  in  bem  ge= 
mäl)lten  93eifpiel  bie  (Sacfie  fo  liegt;  mir  fönnen,  menigften§  einftmeilen, 
bie  (Srat)itation§erf(f)einungen  nur  befd^reiben  unb  matliematifd)  formu= 
lieren,  nictjt  aber  erflären;  boc^  mag  bie  ß^it  fommen,  mo  aud^  eine 
©rflärung  ber  Grfcfjeinungen  au§  Urfad^en  möglidj  mirb. 

®ut,  nehmen  mir  an,  bie  ßsit  fei  ha;  e§  fei  gelungen,  bie  an= 
fcfjeinenb  unüermittelte  gernmirfuug  ber  ©raöitotion  auf  eine  belannte 
^orm  ber  9Za^mir!ung  gurücfgufüliren,  fagen  mir,  um  Qk'iä)  ha^  le^te 
3iel  naturroiffeufdjaftlic^er  (Srflärung  gu  nehmen,  auf  (Stofe  ober  S)ruc!: 
müBten  mir  bann,  ma§  gmifc^en  ben  bei  ber  SBir!ung  beteiligten 
Körpern  nor  ficlj  ge^t,  auBer  ber  gufammenftimmenben  $8emegung? 
Sa  miire  auc^  nur  bie  öielen  ^l)t}fifern  fo  tierl)afete  gernmirfung  be= 
feitigt?  ©ine  bemegte  ^Bitlarbfugel  trifft  eine  rul)enbe  unb  überträgt 
auf  fie,  mie  mir  fagen,  bie  eigene  93emegung.  (Sel)en  mir  l)ier  einen 
(SinfluB  übergel)en,  fe^en  mir  bie  Semegung  überfpringen?  $8erül)rt 
etma  je  ein  Sltom  ber  bemegten  ^ugel  je  eine§  ber  anbern  unb  über= 
giebt  it)m  babei  feine  Semegung?  Slber  bie  kugeln  berühren  fid^  ja 
bloB  mit  einem  gang  fleinen  2:eil  i^rer  Cberfläc^eu.  Soft  fid)  alfo 
etma  oon  jebem  Sltom  feine  Semegung  ah  unb  manbert,  immer  auf 
ein  nädift  angreuäenbeS  überge^enb,   in   ber   9^i(i)tung   auf  ben  S3e- 


6.  Ungulängtic^feit  einer  otomiftifc^en  9Ketap^t)fif.  93egciff  ber  SBecf)feItt)irIung.   221 

rü{)rung§pun!t  beiber  33äQe  biirc^  ben  Körper  be§  erften  ^inburd^  unb 
breitet  fic^  bann  ebenfo  über  ben  glreiten  au§,  hi§  jebeS  33ett)egung§* 
dement  lüieber  ein  5(tom  gefnnben  f)at,  ba§  e§  nun  mit  ber  i^m  eigenen 
«Ri(f)tung  unb  ©efc^ttjinbigfeit  fortfüt)rt?  ^d)  ben!e,  e§  ift  nidit  nötig, 
bie  ntunberlic^en  Sßerlegenl^eiten  Quläufüt)ren,  in  irelc^e  eine  folc^e 
Sßorftellung  gerät. 

$8ereinfad)en  inir  nun  ben  galt  noc^  tüeiter;  je|en  n)ir  ftatt  ber 
beiben  Sälle  ^mei  5Itome,  ein  belüegteS,  boS  burd)  @toB  ein  ruf)enbe§ 
in  Semegung  fe^t  unb  nun  felber  [tili  fte^t.  ©et)en  n?ir  t)ier,  n^ie  ein 
einftuB  üon  A  auf  B  übergefjt?  §at  fic^  etn^o  bie  SettJegung  tüie 
eine  §aut  öon  bem  erften  abgeloft  unb  an  ha§:  gujeite  anget)ängt,  e§ 
mit  fortreifeenb?  5lber  bie  93emegung  ift  ja  nichts  törperlic^eg,  nicf)t§ 
©ubitontietteg,  bag  fic^  loSlöfen  unb  für  fic^  fein  !ann.  2Ba§  t)at 
fic^  alfo  5tt)ifc^en  ben  beiben  Sttomen  zugetragen?  3c^  ben!e,  e§  ift 
auf  alle  SBeije  ha§>  ©eratenfte,  5U  be!ennen:  mx  Ujiffen  e§  nic^t;  bo§ 
einzige,  n)a§  wir  ttjiffen,  ift  bie  3:t)atfad)e,  ha^  in  einem  erften  ß^itraum 
eine  Sen^egung  üon  A  ftattfaub,  ba^  biefe  in  einem  geujiffen  QdU 
pun!t,  bem  ber  S8erül)rung,  aufhörte,  unb  bafe  gteictiseitig  eine  gleid^e 
SSemegnug  öon  B  begann;  enblid),  ha^  im  gteidjen  galt  immer  bo§ 
@Ieirf)e  fid)  äutrögt.  5tber  bon  einem  nieiteren  2Bie  be§  §ergang§ 
wiffen  wir  f)ier  fo  n^enig  aU  bei  ber  Söen^egungSübertragung  §tüifd)en 
ben  fic^  ftofeenben  SiHarbbäHen  ober  bei  ben  §immel§fijrpern,  bie  fic^ 
auäiel^en  unb  gegenfeitig  if)re  $8a^n  beftimmen.  SSed^felttjirhing  ift  ein 
äßort,  ha§^  gar  feinen  anberen  Sutjatt  t)at  al§:  regelmäßig  toX'\ 
refponbierenbe  Sßeränberung.  3)er  einzige  SSorteil,  ben  bie  ^ 
mecf)anifrf)e  Semegung§übertragung  üor  anberen  formen  ber  SBedjfet« 
tuir!ung  oorau§  l)at,  ift,  ba|  fie  bie  un§  geläufigfte  unb  oertrautefte 
gorm  ber  SSirfung  ift;  n)ir  felbft  bemegen  unb  geftalten  bie  ^i3rper 
burd)  (Stoß  unb  S)rud.  5tn  fid)  ift  fie  nic^t  oerftänblic^er,  in  i^rer 
inneren  9}ZögIid)!eit  unb  Sf^otmenbigfeit  ober  bem  2Sie  i^re§  §ergang§ 
nid)t  burd)fid)tiger  al§  jebe  anbere.*) 

*)  %a^  fetnmirfenbe  9lnate:^ung§!rnft  ganj  ebenfo  begreiflid^  ober  imbegreif» 
lid)  ift,  Jtjie  bie  Sßirfung  burd)  ©toB  ober  2)rucf,  geigt  göHner  in  einer  ?lb^onb= 
tung  über  SBirtung  in  bie  gerne  im  erften  93anb  ber  raiffenfd^ottüd^en  Stb^anblungen. 
(Sr  beruft  fid)  auf  ^ant§  SJ^etopt).  9lnfong#grünbe  ber  9Jaturtt)iff.,  ttjo  bie  9Jlateric 
au§  9tn3iei)ung§'  unb  S(bftoBung§!räften  ertlört  wirb,  unb  ttjo  e§  Reifet:  „bie  urf|)rüng- 


222    I-  S3uc^:  SKetap^tifif.   2.  Äapitel:  S)a§  !ogmo(o9ifcf)=tf)eoIogti(i)e  Problem. 

9?od^  bcutli(f)er  ift  bie  Unangemeffen^eit  jener  falfd^en  SSorfteHung 
üont  l?au]atüerf)ä(tni§,  aU  ob  bie  Urjacfje  bie  SSirfung  üor  fic^  t)er 
ftieBe  iinb  nötigte,  in  ber  pfi)cf)ij(^en  SBelt.  2öir  njenben  ben  £QujaI= 
begriff  aü6)  auf  bie  SSorgänge  be§  inneren  2eben§  an.  S<^  ]ef)e  ein 
S3itb  au§>  ber  .^eimot;  e§  fü^rt  Erinnerungen  au§  ber  Sugenbjeit  in§ 
S3eniuBtfein,  öefü{)(e  ber  Söc^mut,  ber  Seljnjudjt  ern)a(i)en,  e§  entftefjt 
ha§>  Verlangen,  jene  SBett  »lieber  gu  fef)en,  unb  wirb  frfineU  sutn 
@ntfcf)luB.  5((Ie  2Se(t  ift  barüber  einig,  ha'^  n^ir  f)ier  einen  urfäc^- 
lidjen  ^ujonimen^ang  f)aben,  ob  n^ir  itju  nun  in  bie  erften  unb  unauf* 
lö^Iic^en  eiementar§uiammen^änge  aufäulöfen  öermögen  ober  nicf)t. 
©icfier  ift,  bo^  tnir  bobei  nid)t§  oon  S'^vaxiQ  unb  Slötigung  beobod^ten, 
womit  jebe§  Glement  ha§  fotgenbe  öor  fic^  ^er  triebe  unb  gleic^fam  in 
bie  2SirfIi(i)feit  ober  ins  S3en)UBtjein  fjineinftie^e;  fonbern  gang  fpontan 
ftf)IieBt  fic^  bQ§  eine  an  ha§>  anbere.  (Sid)er  ift  quc^,  baB  »ir  nic^t 
imftanbe  finb,  bie  Sejic^ung  als  ben!nDttt}enbig  §u  erfennen;  wir  fef)en 
nur  bie  2;^atfad)e:  wenn  ein  fo  beftimmter  2Sa^rne^mung§inf)a(t  in 
biefem  SewuRtfein  gegeben  ift,  bann  ftfjIieBen  fic^  beftimmte  25or= 
ftellungSgruppen  unb  @efüf)Iserregungen  an.  2öie  es  ober  bie  3öaf)r= 
ne{)mung  mat^t,  eine  Sßorftedung  fierüorjubringen,  ober  wie  burd^  bie 
93orftelIung  ein  öefü^I  erregt  wirb,  barüber  wiffen  wir  fd)(ed)terbingg 
nichts  weiter  ju  fagen;  unb  bie  ^f)i}fio(ogen  mögen  ha^  §unbeget)irn 
germartern,  fo  oiel  fie  wollen,  fie  werben  and)  nicf)t§  barüber  erfa{)ren. 
Sie  Xt)atfa(f)e,  baB, .  wann  ha§:  eine  ©(ement  eintritt,  auc^  haS^  anbere 
eintritt  ober  einzutreten  tenbiert,  ift  alte§,  wa§  wir  wiffen. 

S)aoib  §ume  ift  ber  erfte,  ber  biefe  Betrachtung  über  ha^ 
SSefen  ber  ^aujatität  burd)gefüf)rt  tjat,  unb  haS'  giebt  feiner  „Unter* 
fuc^ung  über  ben  menfcfjlic^en  S^erftanb"  bie  bebeutjome  Stellung  in 
ber  ®ef(^icf)te  ber  ^f)ilofopl)ie.  3n  bem  S5er^ältni§  oon  Urfad)e  unb 
SSirfung,  fo  geigt  er,  finbet  bie  einbringenbfte  2lnali)fi§  gar  nichts 
oon  9?otwenbigfeit,  Weber  eine  9]otwenbigfeit  be§  2;enfen§,  fo  ba^ 
etwa  au§  bem  Segriff  ber  Urfadie  bie  SSirfung  logifcl)  gefolgert 
werben  !önnte,  noc^  einen  B^^^^G'  iüoburcf)  ba§>  wirfenbe  (Clement  bem 
leibenben  eine  ^ßerönberung   aufnötigte;   e§   ift   überf)aupt  !ein  S3anb, 


lirfie  Slnjiel^imgSfrQft  ift  nit^t  im  minbeften  unbegreiflicher  aU  bie  urfprünglirf)e 
Surürfftoßung.  ®ie  bietet  fic^  nur  nic^t  fo  unmittelbar  ben  Sinnen  bar  oI§  bie 
Unburc^bringlic^feit"  (2.  §ptft.,  2fi)x]ai^  7.  5{nm.). 


6.  llnäuIängUd)feit  einet  atomiftifdien  3Rttap^t)\xl.  ^Begriff  ber  SS^ed^jeltrirfung.    223 

feine  innere  35erfnüpfnng  graifcfien  llrjadje  nnb  2öir!ung  nac^lüei^Bor, 
ttjoburd)  it)r  ^nfönimenljang  für  \)a§^  S)en!en  notmenbig  gemadjt  ttiürbe. 
2l(Ie§  n)a§  xv'iv  tt)i[jen,  i[t  ha§  regelmäßige  ßufammen  oon 
(S r j cf) e i n n n g e n  in  ber  3 ^ ^ *•  —  ^ a n t  i[t  f)ierin  mit  §ume 
einer  SQJeinung:  ber  Snt)alt  ber  9(u§fage,  ta^  smijc^en  jmei  ®r- 
j(f)einungen  ein  Urja(i)üer(}ättni§  be[te{)e,  ift  allein  if)r  regelmäßige^ 
ßufammen  in  ber  ßät;  nic^t  minber  entfc^ieben  aU  §ume  leugnet  er,  ta'^ 
bog  ©enfen  qu§  bem  Segriff  ber  Urfad^e  bie  SSirfung  ableiten,  ober  ba§> 
©efe^  ber  ^aufalität  auf  ben  (Sa|  üom  SBiberfprud)  5urü(ifüf)ren  fönne. 

Übrigeng  ift  ber  ©ebonfe  auci^  ber  älteren,  ber  metapi)t)fifd)en 
9?ic^tung  in  ber  mobernen  ^t)iIofopt)ie  nic^t  fremb.  $8or  allem  f)at 
Seibnij,  inbem  er  bie  2öecf;felmirfung  gmifd^en  ben  2BirfIid)!eit§= 
etementen  burd)  bie  p  r  ä  ft  a  b  i  I  i  e  r  t  e  Harmonie  erfe^t,  im  Öjrunbe 
benfelben  ©ebanfen.  ®in  Übergong  öon  (Sinpffen  au§  einem  ®ing 
in  ha§>  SBefen  be§  anbern  ift  oud^  if)m  eine  abfurbe  Sßorfteüung;  bie 
SJJonaben  finD  ni(f)t  auSgebe^nte  SSefen  mit  genftern  nnb  Spüren,  burc^ 
bie  „(Sinftüffe"  f)inein  f parieren  !i)nnten.  2öa§  mirüid^  ftattfinbet,  ift 
concomitance,  begteitenbe,  forrefponbierenbe  S3eränberung:  menn 
an  einem  ^unft  ber  SBir!(id)feit  eine  SSeränberung  fid)  juträgt, 
bann  finben  entfpred^enbe  S5eränberungen  an  anberen  fünften, 
ja  im  ©runbe  an  allen  anberen  fünften  ftatt.  S)urd)  ben  Dccafiona= 
ü§mu§  mor  biefe  Sjorfteüung  vorbereitet  morben;  er  I)atte  an  einem 
^un!t  snnädjft  bog  „innere  93anb"  nid)t  finben  fijnnen,  t>a§>  Urfadje 
nnb  2Bir!ung  öer!nüpft,  nämlic^  in  bem  S3ert)ältni»  oon  Seib  unb  @eete. 
ßeibnij  oeraügemeinert,  ben  ©puren  be§  ©piuojo  folgenb,  biefe  33e= 
tradjtung;  er  üermirft  ben  infiuxus  physicus  nid)t  bloß  t)ier,  fonbern 
überall:  fpontan  ftimmen  alle  ®inge  mit  i{)ren  SSeränberungen  äufammen. 
Ober,  t)a^  Sanb,  \)a§,  ämifd)en  Urfad)e  unb  SSirfung  ftattfinbet,  ift 
ni^t  ein  jufäUigeS  unb  befonbereS,  fonbern  e§  ift  ha§^  allgemeine  unb 
mefentlidje  Söanb,  ha§:  alle  2öir!(id)!eit§etemente  üerbinbet;  fie  finb  ein= 
anber  gar  nid^t  fremb  unb  äußerlid),  fonbern  fie  finb  ©lieber  eine! 
SBefenS:  ©Ott  ift  ba§  Sanb,  ta§^  aüe  S)inge  mefenttic^  oerbinbet,  er 
ift  bag  ^^efen,  in  bem  alle  ein§  finb. 

Sn  unferer  ßeit  ^at  ßol^e  biefe  ®eban!en  mieber  aufgenommen 
unb  ^nm  5tngelpunft  feiner  9[Retapf)t)fif  gemad)t.*)    Wlit  §ume  befte^t 


*)  aJiifrofoimoS  I,  412  ff.,  III,  481;  @#ent  ber  2J{etapt)t)ftf  134  ff. 


224    I.  93u(^:  SUletap^tjfif.  2.  Äapitel:  S)al  fo3moIogifcf)4^eoIogifc^e  <ßrobIem. 

er,  irenn  er  auc^  bie  3tnfnüpfung  an  beffen  @mpirilmu§  nic^t  fuc^t, 
auf  ber  ßufäüigfeit  oHer  llrfad)t)erf)ältmffe  für  unfer  2)en!en,  auf  ber 
Unmöglicfjfeit,  ein  ^öanb  gtüifd^en  Urfadje  unb  SSirfung  auf^uäeigeu. 
9JJit  Seibnig,  ben  er  \d)ä^i  unb  gern  oI§  ^üt)rer  anerfennt,  jiefit  er 
au§  biefer  Setrad^tung  biefelben  weit  reid)enben  Folgerungen.  @r 
finbet  bei  ber  5ßorau§fe|ung  be§  S(tomi§mu§  bie  2::^atfa(f)e  ber  SBed^fel* 
tt)ir!ung  fd)Ied)tt)in  uubegreiflid^  unb  unfonftruierbar.  S3eftünbe  bie 
3SirfIirf)!eit,  njie  jene  Ztjzoxk  annimmt,  n)ir!Ii(^  au§  einer  S3iel^eit 
abfolut  felbftönbiger  ©ubftangen,  bann  toäxt  bie  S^atfac^e  be§  3"* 
fammenftimmenS  ifjrer  SSeränberungen  fd^Iec^tf)in  unbegreiflich.  Sft 
jebeS  5ttom,  jebe§  äBirflicfjfeitSelement  ein  ®ing  für  ficf),  in  feinem 
S)afein  unb  2öefen  ööHig  unabpngig,  tt)ie  fäme  t§>  bann  baju,  mit 
feinem  5ßerl)alten  nac^  anberen  fid)  gu  ri(i)ten?  2)ann  mü&te  man 
ermarten,  ha'iß  ein  \ttt^  feinen  eigenen  SBeg,  unbefümmert  um  bie 
übrigen,  gef)e. 

Ober  njirb  e§  etma  huxd)  bie  9laturgefe|e  genötigt?  Stber  biefe 
finb  ja  nid)t  au^er  ober  über  ben  Singen,  fonbern  in  it)nen,  finb 
(ebigüd^  5tu§bru(J  if)re§  tf)atfäd)Iic^en  Sßer^altenö.  (S§  nötigt  fie  tt)irf= 
lic^  gar  nid)t§,  anberg  gu  fein  unb  fid^  §u  öerf)alten,  al§  e§  in  if)rer 
eigenen  9latur  liegt.  @§  ift  nicf)t  bie  Sln^iefiunggfraft  ber  @rbe,  nocf) 
ba§  ©rabitationSgefe^,  ba§  ben  äJJonb  in  feiner  33af)n  um  bie  @rbe 
fefttjält,  fonbern  e§  ift  mirfüd)  fo  ju  fagen  fein  eigener  guter  Söitte; 
luenn  er  einmal  bie  Sa^n  oerlie^e  unb  bie  STangentiatriifitung  ein= 
fc^Iüge,  e§  tt)ürbe  if)m  oon  ber  örbe  unb  bem  ©raöitation^gefe^  nid^tg 
gefcE)ef)en.  @r  folgt  lebiglid^  feiner  eigenen  Statur  ober  SfJeigung,  ttjenn 
er  bie  frummlinige  S3a'^n  innet)ält,  mit  beftänbiger  Slblenfung  öon  ber 
geraben  gegen  bie  (Srbe.  Unb  bagfelbe  gilt  überall,  bie  9kturgefe|e 
nötigen  nirf)t  bie  2)inge,  fonbern  finb  SluSbrucf  it)re§  fpontanen  SSer- 
f)altenl.  ®ie  erüären  nid^t,  njarum  bie  SDinge  fid§  fo  üerf)alten, 
fonbern  fagen  nur  mit  allgemeiner  formet,  mie  fie  fid^  oertjalten. 
Sie  finb   nid^t  bie  2öfung  be§  9ftätfel§,  fonbern  fie  felbft  finb   ba^ 

Sn  ber  Xt)at,  ber  5ttomi§mu§  foHte  fic^  einmal  mit  2o|e  bie 
Furage  oorlegen:  mo^er  fommt  boct)  ben  oielen  ©ubftanjen  jene  @leid^= 
förmigfeit  beg  35erl)alten§,  ba^  e§  auf  allgemeine  gormein  gebracht 
werben   fann?    3Sarum  oerl)ält  fic^  nid)t  jebe  anber§,  menn  fie  boc^ 


6.  Unäulängli^feit  einer  atomiftiid^en  9Retap^t)ft!.  ^Begriff  ber  9Be(^felJrtrfung.    225 

gänsitcf)  unoBl^ängig  öon  ben  übrigen  S^ojein  unb  SSefen  !E)Qt?  2)ie 
®leicl)fi3rmigfeit  fijnnte  il^ii  auf  eine  anbete  ^orfteUung  leiten.  SSenn 
man  über  ein  ®ebirg§ti)al  ^erftreut  eine  grofee  SUJenge  ©efteintrümmer 
fänbe,  bie  alle  üöUig  gleidje  33ejcfjaffent)eit  geigten,  bann  njürbe  man 
öermuten,  e§  jeien  33rucf)[tücfe  eine§  ef)emaUgen  ©angen.  ©ollte  in 
nnjerem  galle  etmaS  Siljnlic^eg  gelten?  (Sollten  bie  anfc^einenb  felb» 
ftänbigen  Seite  ber  SSelt  nicf)t  anrf),  nun  freiüd)  nid)t  krümmer  eine§ 
et)emaligen  ©anjen,  fonbern  lebenbige  ©lieber  eine§  feienben  einf)eit= 
tieften  2Befen§  fein? 

So^e  gie^t  bieje  Folgerung.  2Bec^je(iüir!ung  unb  9kturgefe|= 
mäBigfeit  iüeifen  barauf  I)in,  ha^  bie  ©(emente  be§  3öetttauf§  fid)  nid)t 
\o  fremb  unb  fern  finb,  al§  ber  5ltomi§mu§  annimmt.  93erftänblid) 
h)irb  bie  uniüerfeüe  9^üdfid)tnal)me  aller  auf  afle  im  ©runbe  nur 
bann,  menn  njir  annehmen,  fie  alle  finb  ©lieber  eine§  einf)eitlid)en 
2öefen§,  einer  einzigen  (Subftanj.  ^m  organifc^en  Körper  fommen 
feine  ifolierten  ^öeränberungen  oor,  jebe  SSeränberung  an  einem  ^unft 
forbert  !orrefponbierenbe  33eränberungen  aüer  übrigen  Steile.  @o  ift 
aud)  bie  SBelt  ein  ein{)eitlidje§  ©tjftem,  bol  nirgenbS  ifolierte  53or* 
gonge  gutäfit,  jeber  fte^t  in  53e5ie^ung  ju  atten  übrigen,  ift  bie  an 
biefem  ^un!t  erforberte  2;eiloeränberung  gur  ©efamtüeränberung  be§ 
©anjen.  SIennen  mir  ha^  ©ange,  ha§:  5tn=eine,  mit  ©pinoga  ©Ott, 
fo  gefd)ät)e  alle  Söedjfelmirfung  in  ©ott,  inbem  bie  Seujegung  an  jebem 
^un!t  feine»  SBcfen§  mit  ber  aller  übrigen  §ufammenftimmte  gur  ein= 
tieitlid^en  ©efamtbemegung. 

©0  fü^rt  bie  2l)atfod)e  ber  uuiöerfellen  SSed^felmirtung,  menn 
man  il)r  nadjgel)t  unb  bie  Segriffe  ju  (Snbe  ben!t,  auf  ben  ©ebanfen 
ber  einl)eit  ber  äBirflidjfeit:  e§  giebt  nur  ein  einheitliches  SBefen, 
mit  einer  einf)eitlic^en  unb  in  fid)  äufammenftimmenben  ^öef^ätigung; 
bie  einzelnen  Singe  finb  nur  9}Jomente  feines  SßefenS,  i^re  burd) 
SBec^felmirlung  beftimmten  Settjätigungen  finb  in  SBirHid^fcit  2lnS= 
fd)nitte  au§  einer  einljeitlic^en  ©elbftbemegung  ber  ©ubftanj.  Ober 
in  ^'antifd)er  SRebemeife:  bie  allgemeine  2G3ec^felmir!ung  im  mundus 
sensibilis  ift  uuitas  phaenomenon,  ber  eine  unitas  noumenon  ber 
©ubftanj  im  mundus  intelligibilis  entfprid^t. 

dürfen  mir  nun,  biefe  33etradjtung  mit  bem  Ergebnis  unferer 
ontologifd^en  Erörterung,  nad)   ber   alle  S^orgänge  in  ber  ß'örpermelt 

«^aulfeii,  eiiileitung.    6.  2UifI.  15 


226    I-  S3ud):  S[Wetap^t)[if.  2.  Kapitel:  SDa§  !o§ntologijd)4^eoIogiid^e  Problem. 

ekn  fo  öiele  ^inttjeife  auf  innere  SSorgänge  finb,  oerfnüpfenb,  in  ber 
@inl§eit  aller  fo§mifc§en  53en3egungen  burd^  SBed)feItt)ir!ung  eine  ©pie= 
gelang  ber  inneren  ßufammenftimmung  be§  ein^eitlid^en  Innenlebens 
eines  geiftigen  5tn=®inen  erbtiifen?  SSir  f)ätten  bann  bie  3Infc^auung, 
tt)et(f)e  mit  bem  S^amen  ^antt)ei§mu§  bejeic^net  n^irb;  man  fann  fie 
and)  SJionotl^eiSmuS  im  [trengen  ©inn  be§  2öort§  nennen:  ©ott 
allein  ift;  alleS  nja§  ift,  ift  burd^  ®ott,  unb  in  @ott. 

(S^e  \d)  biefe  ^rage  ju  beantmorten  üerfurfje,  get)e  ic^  gnöor 
auf  ha§:  SSerf)ä(tniS  öon  ^aufaütät  unb  ginaütät  mit  einigen  S3e= 
merfungen  ein. 

7.  ^aufalttät  unb  %malität 

@S  mürbe  fd^on  oben  (@.  168)  bemerft,  ha^  bie  Slblef)nung 
be§  ant^ropomorpljifcf^en  2;f)ei§mu§  unb  feiner  (SrHärung  be§  92atur= 
laufS  au§  Stbfic^ten  nid^t  gleic^bebeutenb  fei  mit  ber  2lblef)nung  einer 
teleologifc^en  3Bettanfcf)auung.  Qnbem  mir  biefe  Betrachtung  ^ier 
mieber  aufne{)men,  frogen  mir  guerft:  moburd^  ift  übertjaupt  ein  ß\i= 
fammen^ang  oon  Stementen  al§  ein  teIeoIogifdE)er  c^arafterifiert?  ®a§ 
2öort  felbft  fagt:  baburd^,  ha'^  i§re  Slnorbnung  ober  Semegung  a(§ 
ouf  ein  3^^t  (reAos)  gerid)tet  fid^  barfteüt.  5II§  ^id  aber  betradE)ten 
mir  ben  ©rfotg  ber  SInorbnung  ober  S3emegung  bann,  menn  ein  äßille 
auf  if)n  gerichtet  mar,  öon  bem  fein  Eintreten  autf)  mit  Sefriebigung 
empfunben  mirb.  .^injujufügen  ift  babei  erftenS,  bafe  ber  faufate 
3ufammen{)ang  ber  ©(emente  nid^t  auSgefd^toffen,  fonberu  öorau§gefe|t 
mirb;  jeber  teleologifc^e  3ufo"^"^^"^ö"9  ^f*  SUfl^^ic^  ein  faufater. 
3tt)eiten§,  ba^  5tbfic^tlicf)feit  in  bem  S3egriff  ber  g^inaütöt  nid^t  ein= 
gefrf)(offen  ift;  e§  ift  nic^t  notmenbig,  baB  ba§  ßizi  öorf)er  in  ber 
SSorfteKung  ift,  unb  ba^  bie  Semegung  nacf)  einem  fertigen  ^$tan 
gefd^iel^t.  33on  einem  geiftoollen  9^aturforfd£)er  ift  für  biefen  S3egriff 
ber  ßtt^'ScEi^öligfeit  o^ne  Slbfic^t  bie  93e5eic§nung  ^^^U^i^^^^G^ ^^t 
gebitbet  morben.*) 

®eut(itf)  liegt  t)a§>  SSefen  teIeoIogifdE)er  ßufammen^änge  in  ben 
Sßorgängen   beS  Innenlebens   ju  2age,    unb   "fiier  ift  i^r  eigentlirfier 

*)  t.  e.  ö.  93a er,  ©tubien  au§  bem  ©ebiet  ber  Sloturmffenfd^aften  (1876). 
^n  mel)reren  gebanlenretc^en  Stbfjanblungen  tüirb  f)ter  bie  „Xdeopfjobit"  ber 
mobernen  li)?aturforid)ung  befäm^jft,  unb  bie  Unöermeibtid)!eit  teleologifd^er  Se« 
traditung  ber  orgonifdien  SOBelt  gegeigt. 


7.  taufalttät  unb  ginalität.  227 

Drt.  %ü<i)  bie  feetijc^en  3Sorgänge  fte^en  in  faufater  Segiefjung  §u 
einonber.  (5ine  2Bal)rnef)mung,  eine  33orfteUung  ruft  eine  anbere 
$8or[teIIung  ^eroor,  if)r  Eintreten  ift  Ur]ad)e  be§  öintretenS  ber  jn^eiten; 
eine  ©efü^Igerregung,  ein  S^erlangen  beftimmt  bie  5(ufmerfjamfeit  unb 
giebt  bcm  SSorfteüung^ablauf  eine  anbere  SBenbung.  5(ber  berfelbe 
93or[telIung6lQuf  ift  sugteirf)  teleologifcf)  beftimmt;  bie  S(ffociation§* 
projeffe  füf)ren  gu  einem  (Srfotg,  ber  in  ber  9fticf)tung  bei  SBiüenS 
liegt,  ju  einer  Ü^ei^enbitbung,  bie  öon  i^m  at§>  eine  finn=  unb  n)ert= 
ooüe  mit  Sefriebigung  empfunben  mirb.  2)obei  i[t  bie§  3*^^  ^^^)^ 
öorfjer  in  ber  S^orftedung,  menigften§  nid^t  all  ein  fertig  aulgebad)te§, 
bo§  bann  nadjträgüc^  in  bie  SSirftic^feit  gefegt  mürbe.  @in  Sau= 
meifter  entmirft  ben  ^^(an  eine!  ^aufel;  nad)bem  el  auf  bem  Rapier 
fertig  ift,  führen  el  bie  9)?aurer  unb  ß^^t^^i^^^  ^QcE)  ^^"^  ^^o"  "^ 
§oIj  unb  Stein  au§.  ®er  ^lan  felbft  aber  ift  nic^t  mieber  nac^ 
einem  üor'fier  fertigen  ^tan  gemacht  morben;  bennorf)  ift  bie  geiftige 
5(rbeit  bei  ^aumeifterl  natürlich  fo  gut  mie  bie  ber  ^anbmerfer 
teleologifc^  bebingt.  ©in  SRebner  f)ölt  eine  Üiebe;  er  ift  angegriffen 
morben,  er  miU  fid)  oerteibigen  unb  ben  ©egner  üernid^ten;  nun  f tiefen 
bie  ©ebanfen,  bie  Slrgumente  if)m  ^u;  bie  ©leid^niffe  unb  9Rebe= 
menbungen,  bie  (Stic^mörtcr  unb  (iitate,  bie  53olf)eiten  gegen  hm 
©egner  unb  bie  ßiebenimürbigfeiten  gegen  bie  §örer  fteöen  fid^  ein 
mie  üon  felbft.  G§  ift  ha§i  $8anb  ber  Slffociaticn,  an  bem  jebel 
ooraulgef)enbe  jebel  nadjfolgenbe  ^erbeigiefit,  aber  oon  taufenb  möglid^en 
affociatiöen  3>erbinbungen  erroeift  fid^  in  jebem  5lugenbü(f  bie  mirffam, 
bie  jum  ^kl  fü^rt.  So  ift  ber  gan^e  ßufammenfjang  ber  9^ebe  5U= 
gteic^  !aufal  unb  teleologifd)  bebingt;  ber  Söiüe  giebt  ^ule^t  bie  9iid)tung 
unb  empfinbet  ben  gelingenben  33er(auf  mit  lebhafter  33efriebigung. 
9]id)t  überall  ift  ber  Sßorftetlunglüerlauf  fo  jielftrebig,  mie  t)ier;  el 
giebt  aud^  oage,  ^ieflofe  5(ffociation§bemegungen ;  im  STraum,  in  ber 
©eifteljerrüttung  erlangen  fie  bie  ^errfd)aft.  5(ber  im  gefunben 
geiftigen  2eben  ift  bie  Seftimmung  bei  SSorfteHungltaufl  burc^  ha^ 
3ttiedfnotmenbige  überall  fic^tbar. 

3n  jebem  geiftigen  ©anjen  t)aben  mir  balfelbe  3"ifli"J"^"  öon 
urfad)tic^er  unb  teleologifc^er  Sejiefjung  ber  Elemente.  Sn  einer 
3(rgumentation,  einer  2)id)tung  ift  jeber  2;ei(  ein  pm  ©anjen,  §ur 
5(ulfü^rung  ber  Sbee  ^Jiotmenbige»,   ift  an   feinem  Drt   ein   ti  vno- 

15* 


228    I.  33ud^:  Wlitap'i)^\il.  2.  tapitel:  2)a§  !o§inoIogijc^=t^eoIogii(^e  Problem. 

■dsosojs  dvapiaiov;  gugteic^  ift  er  ein  burd)  affociatiüc  SSerbinbung 
SSerurfad^teg.  ^aujote  ^ebingt^eit  unb  innere,  ä[t()etifd)e,  logijc^e 
9lottt)enbig!eit  getjen  jujommen.  ®nrd)lQuft  man  bie  9ieif)e  öon  öorne, 
fo  fie^t  man,  n)ie  jebeg  ©(ement  jebe§  nadjfolgenbe  f)er6eifüf)rt. 
S)nrd)tänft  man  fie  in  umge!ei)rter  Sf^eiljenfolge,  nom  önbe  ^er,  \o 
fie^t  man,  föie  ber  5lu§gang  alles  üoranfgetjenbe,  bi§  §um  Anfang 
6ef)errfd)t:  ha^  2)emon[tranbnm  befjerrfdjt  ben  @ang  ber  ganjen 
2lrgumentation,  ber  5Iu§gang  be§  SDramaS  n)ir!t  fd)on  auf  bie  (5j|30= 
fition.  (So  ift  ha§>  Setzte  gugleid;  bo§  ®rfte,  üon  bem  bie  S3ett)egung 
antjebt,  haS'  TeAog  ift,  mit  5lriftoteIe§,  gugteic^  ha§:  ödsv  i)  uivr^öig; 
üon  it)m  angezogen,  ftredt  fid^  allcl  i  ^  m  entgegen.  9^id;t  burd^  @to^ 
öon  hinten,  fonbern  burd)  fpontaneS  (Streben  i\m\  ßiel  !ommt  im 
geiftigen  ßeben  bie  93en)egung  juftanbe;  "^a^  ßiel  aber  ift  nid)t  \>a% 
önBerlic^e  (5nbe,  fonbern  ha^  üermir!Iid)te  ©an^e,  bie  öoüenbete 
@inf)eit  ber  S)id^tung,  ber  33en)ei§fü^rung,  ber  Sflebe,  ift  bie  @nteled)ie 
be§  S(riftoteIe§. 

S)a§felbe,  voa^  öon  einzelnen  geiftigen  ©rgeugniffen  gilt,  gilt 
oud^  öon  bem  Seelenleben  al§  ©angem.  (Sin  gefunbeS  äJZenfdjenleben 
bilbet  ein  in  fid)  gefdjloffeneS  ©angeS,  eine  finnöotle  ©infjeit;  e§  ift 
nid^t  eine  Sfteifje  öon  ßufällen,  nidjt  ein  med)anifc^e§  ©efdjiebe  üon 
93emuBtfein§elementen,  fonbern  eine  burd^  innere  9lottt)enbig!eit  üer= 
bunbene  üielgtiebrige  @inl)eit,  ä^nlid)  einer  üielftimmigen  nnb  üiel= 
teiligen  S^onbic^tung.  SBtr  !önnen  iüol)l  nidjt  jebeg  (Slement  al§  ein 
teleologifd)  notloenbigeS  fonftruieren,  mie  tt)ir  e§  in  einer  3)idf)tung 
!i)nnen.  ©§  greift  ein,  n^aS  tt)ir  ßufaH  nennen.  Stber  tt)ir  fönnen 
nidjt  um'^in,  ba§  ©anje  fo  gu  betrachten;  jeber  S3iograpl)  fie^t  ha^ 
Seben  feines  .g)elben  al§  ein  burd)  innere,  öerfteljbare  SfJotmenbigfeit 
üerfnüpfteS  (S^angeS  an;  jebem  ftellt  bie  eigene  (Srinnerung  feine  SSer= 
gangen^eit  unter  biefem  ©efid^tSpunft  bar.  Unb  in  jebem  Slugenblicf 
empfinbet  ber  Sebenbe  ha^  Seben  al§  ein  fidj  ftreden  nad^  bem,  maS 
üorne  ift.  9^ic^t  burc^  fd^ieben  unb  flogen  üon  l)inten  gefdjie^t  bie 
93eroegung,  fonbern  gleicEifam  burd)  ein  gejogen  lüerben  gum  ^\z\. 
2)a§  3iel  aber  ift  bie  Erfüllung  ber  Sbee.  ®a§  Silb  be§  Warnte 
ift  in  ber  @eele  be§  Slnaben  bie  üerborgene  S^riebfraft,  bie  bie  @nt= 
faltung  be^errfdit;  bie  Sbee  eineS  Seben§tüerfe§,  bie  fid)  felbft  erft  in 
unb  mit  bem  ßeben  entfaltet,  giebt   ber  Sfiätigfeit  be§  HJJanneS  9ftic^'' 


7.  Äaufalität  unb  ginalttät.  229 

tiing  unb  ^raft.  3^^t[^i^e6igteit  ift  ber  ef)ara!ter  alleS  gejunben  Seben§. 
Unb  baSfelBe  gi(t  and)  üon  bem  93oIf§(eben.  5(ud)  biejeS  Bewegt  fic^, 
nicf)t  burc^  2)ruc!  ober  @toB  gefcfjoben,  jonbern  angezogen  üon  einer 
Qbee  gteic^fam  feiner  üonfommenen  ^öilbung.  9Jicf)t  fo,  ba^  eine  ein= 
facfje,  burd)jid)tige,  in  allen  gteid)artig  öorf)anbene  ^ßorftellung  fie  6e= 
ftimmte,  fonbern  im  lebenbigen  3Sec^fe(fpie(  monnigfadjfter  S3e[trebungen 
ttjirft  \\d)  \)a§'  SSefen  be§  ffiolfeg  au§;  aber  in  allen  ift  eine  ^bee  ba§> 
buxd)  ^tn^ie^nng  Sen^egenbe,  in  oöen  ift  irgenbiüie  bie  jufünftige 
53ilbnng  bei  !ißoIfe§  gegentPörtig.  ^öe  ©ruppen,  alle  Parteien  erblicfen 
in  bem  grauenben  9JforgennebeI  ber  ^^^^""ft  unbeftimmt  umriffene, 
fdjimmernbe  33ilber  be§  S3oIIfommenen  unb  werben  öon  biefen  S3ilbern 
unrt)iberftef)Iid^  angezogen. 

S(Ifo,  i?aufa(ität  unb  ginotitöt  ge^en  im  geiftig=gefc^ic^tlid;en 
Seben  aufammen;  fpontaneS  ßufammenfommen  einer  33ielf)eit  öon 
(gtementen  ^u  einer  9^eif)e,  in  ber  jebeö  ©lieb  mit  innerer,  togifc^* 
äftf)etifd)-etf)ifd;er  9lotmenbig!eit  gefegt  ift,  ha§:  ift  ber  (S^arafter  gei= 
ftiger  Semegung. 

§ierin  liegt,  \)a^  will  id)  im  Sßorüberge^en  anmerfen,  iua§  an 
bem  SBiberftanb  gegen  beterminiftifc^e  3:f)eorien  bered)tigt  ift.  SSenn 
ta^  SBefen  ber  Äoufalität  in  einer  äußeren  S^^otwenbigfeit  beftünbe, 
weld^e  bie  innere  Slotwenbigfeit  angfd^töffe,  bann  l^ätten  biejenigen 
red)t,  bie  fid)  gegen  ifjre  Stnmenbung  §ur  ^onftru!tion  ber  geiftigen 
SBelt  fträuben.  9lur  follten  fie  bann  weiter  geljcn,  al§  fie  gu  tl)un 
pflegen:  bann  gilt  ha§:  ÄoufaIgefe|  nic^t  bloß  nidjt  für  ben  SBitlen, 
fonbern  für  ha§  gange  Seelenleben  gilt  e§  nid^t.  gofet  mon  ober  ben 
Segriff  ber  ß'aufalität  rid^tig,  oerfteljt  mon  barunter  mit  §ume  unb 
Seibnij  nichts  a(§  ©efe^maßigfeit,  b.  ^.  regelmäßige  ^ufammenftimmnng 
ber  SSeränberung  üieler  Elemente,  bann  liegt  ouf  ber  §anb,  baß  fie  in 
ber  geiftigen  Söelt  nidjt  minber  gilt  ci{§>  in  ber  Sf^atur.  SOZog  t)ier  bie 
Ütegetmäßigfeit  fc^merer  gu  erfennen  ober  auf  (Slementorgefe^e  jurüd^ 
Sufüf)ren  fein,  o{§  in  ber  9Zatur,  fo  ift  boc^  offenbar,  baß  fie  nid)t 
fel)lt.  §ier  fo  wenig  wie  bort  !ommen  ifolierte  ober  gefe^lofe  (SIemeute 
oor;  jebe§  fte'^t  in  beftimmter  S3e5ie^ung  gu  onberen,  oorauSgeljenben, 
gteid)§eitigen  unb  nadjfolgenben  ©lementen.  2Bir  fönnen  biefe  33e= 
gietjungen  fo  gut  wie  nirgenbS  auf  red)nung§mäßige  gormein  bringen, 
ober  if)r  S)ofein  tritt  überall  gu  3:oge.    @tillfdjWeigenb§  wirb  öon  oHen 


230    I-  35ud^:  33lttap^\)\it  1.  Kapitel:  ®a§  fo§mologtjd^=t^eotogijd^e  Problem. 


t)orau§geje|t:  unter  üöüig  gleidjen  inneren  unb  änderen  Umftänben 
njürbe  QÜemat  baSjelbe  erfolgen,  njürbe  auf  ben  gteid)en  '^d^  bie 
gleidje  SSorfteüung,  bie  gleid)e  @efüf)(§erregung  unb  2ßiUen§beftrebung 
als  9^ea!tion  eintreten.  9Jiit  ber  ridjtig  öerftanbenen  ^aufatität  ftet)t 
nun  aber  bie  greif)eit  feinegmegs  in  SSiberfprud);  ^reitjeit  ift  nic^t 
©efe^tofigfeit.  5ln  einer  g^reitjeit  be§  inneren  £eben§,  bie  gteic^bebeutenb 
mit  ®efe^=  unb  3iiJa"it"e"^)ö^^9iofig!eit  feiner  (Elemente  tnäre,  I)at  bie 
(Stf)i!  n)at)rlic^  fein  Sntereffe.  ^m  ©egenteit,  ha^  Stuftreten  abfolut 
bejie^iungStofer  ©[erneute,  üereinjetter  35oIitionen,  bie  of)ne  faufalen 
3ufaniment)ang  mit  bem  S3orIeben  unb  ber  g^otge^eit  mären,  ba^  märe 
ßerrüttung  be§  SSiüeng,  ja  üödige  ^^^f^örung  be§  feeüfdjen  2öefen§. 
(SJäbe  e§  übert)aupt  feine  Seftimmung  be§  Sf^acEifoIgenben  burd)  ba^ 
SSor'^ergetienbe,  bann  gäbe  e§  natürlich  and)  feine  Übung  unb  feine 
(£rfa!^rung,  feine  Söirffamfeit  üon  ©runbfä^en  unb  @ntfd)(üffen,  öon 
ßrjiefjung  unb  öffentlichen  Drbnungen.  Dfjue  Slaufaütät  feine  ginofität. 

2Sie  ftef)t  e§  nun  mit  bem  33er^ältni§  ber  liaufalität  unb 
ginatität  in  ber  pf)i)fifd)en  SBett?  @ef)en  fie  auc^  f)ier  miteinanber? 
ober  ift  in  ber  S^latur  oon  ginalität,  üon  innerer  9Zotmenbigfeit  über= 
l^aupt  nid^t  bie  9f?ebe? 

@§  ift  bie  ()errf(^enbe  Hnfid)t;  fie  erbtidt  in  ber  9latur  mof)I 
äußere,  nic^t  aber  innere  9^otmenbigfeit.  9)?ec^anifc^e  93emegung§== 
Übertragung  ift  if)r  bie  Urform  ber  9iaturmirffamfeit,  Don  einer  teIeo= 
logifdjen  9^otmenbigfeit  miU  fie  bagegen  überaü  nidjte  miffen;  „Steleo^ 
pt)obie",  barin  f)at  ö.  33aer  offenbar  redjt,  ift  für  fie  djarafteriftifd). 
äRir  fc^eint,  er  f)at  and)  barin  redjt,  ha'^  er  ben  @runb  hierfür  nic^t 
in  ber  Statur,  fonbern  in  ber  gurdjt  ber  9?aturforfc^er  üor  einer 
fatfc^en  STeleoIogie  finbet.  S)ie  Üeleopfjobie  ift  bie  9^eaftion  gegen 
bie  alte  2lbfid)tenteIeoIogie,  bie  eine  faufate  ßrffärung  ab(et)nte  unb 
erfe^en  moHte. 

SBir  erinnern  un§  §unäd)ft  beffcn,  ma§  mir  im  üorigen  Stbfdjuitt 
al§  mirflidjen  Sn^att  beS  Urfad)üerf)ältniffe§  in  ber  pt)i)fifdien  2öelt 
fanben:  3Bed)feImirfung  ift  nidjts  al§  forrefponbierenbe  ^eränberung; 
üon  ©inftüffen  unb  ^^ötigung  ift  babei  gar  feine  Üiebe.  Stttgemeine 
SBec^fetmirfnng  aller  ^eile  be§  Unioerfum§,  ha§>  ift  ber  5üi§brud  für 
bie  Sljatfadje,  baB  bie  SSelt  ein  einljeitlidjeS  (Softem  mit  einfjeitlic^er 
Semegung   bilbet,    in   ber   jebe   S3emegung   jebeS   STeilS   afs   ein    an 


r.  S^aufatität  unb  ginalitöt.  231 


feinem  Drt  juge^örige^,  mit  ben  Semegimgen  aller  üBrigen  Steile 
§u)Qmmen[timmenbe§  ©lieb  fid)  einfügt.  SOJan  fann  e§  nid)t  ftar! 
genug  betonen:  91otmenbigfeit  i[t  im  logifd^en  SDen!en,  ober  ni(^t  in 
ber  9lQtur;  alle  9latnrgefe^mä^igfeit  i[t  nid)t§  ot§  fpontane  3ufommen= 
ftimmnng  oller  Steile. 

Unb  5iüar  ift  and;  ^ier  bie  ßiif^nimenftimmung  eine  njed^felfeitige; 
ha§>  S3orange^enbe  beftimmt  ha§  9cad)folgenbe;  aber  ebenjo  gut  !onn 
man  and^  fogen:  ba§>  9kd)folgenbe  beftimmt  hü§  33oranget)enbe.  S)ie 
©rmärmung  ber  ©tube  ift  eine  2Sir!ung  be§  geljeijten  £)fen§;  aber 
n)ir  lijnnen  ebenfo  richtig  fagen:  bie  Söärmeoufna^me  burd)  bie  Um= 
gebung  ift  Urf adje  ber  Slbfüt)lung  be§  Dfen§.  ®er  <StoB,  ben  ein  Körper 
gegen  einen  anbern  fül)rt,  ift  Urfad^e  ber  33emegnng  be»  jn^eiten;  aber 
ebenfo  richtig  ift:  bie  93emegung  be§  geftofeenen  ^iJrperS  ift  bie  Urfadje, 
bafi  ber  fto^enbe  bie  53emegung  öerliert  ober  §ur  9ftul)e  !ommt.  2Bo  e§ 
un§  nid)t  um  .^eröorbringung,  fonbern  um  Hemmung  einer  93emegung 
gu  tt)un  ift,  ta  faffen  iuir  bie  ^ad)t  fo.  Sllfo  allgemein,  ol^ne  bie 
Urfadje  ft)äre  bie  Sßirfung  nid^t,  aber  ebenfo  njenig  UJöre  ol)ne  bie 
2Bir!ung  bie  Urfadje. 

S)ie  t^rage  ift  nun:  ftellt  ber  ^aufalgufammenliang  in  ber  Stufen- 
n^elt  ebenfo  wk  in  ber  Sunenmelt  gugleidj  einen  gi^fl^äi^ffln^n^^i^^flns 
bar?  finbet  and)  Ijier  innere  teleologifc^e  S3e§iel)ung  ^mifdien  ben 
©liebern  ber  9teit)e  ftatt?  —  (S§  giebt  einen  ^unft,  mo  alle  SBelt 
bie  ©adje  fo  anfiel)t,  haS^  ift  ha§>  Seben.  SDie  2eben§üorgänge  bilben 
einen  ßufammenl^ang  üon  Urfad)en  unb  SBirfungen,  fie  finb  an  jebem 
^unft  burd^  naturgefe|mäBige  2Sedjfeln)ir!ung  oKer  Xeile  bebingt,  aber 
jugleidj  finb  fie  „jielftrebig"  in  bem  (Sinn,  ba'^  fie  gu  einem  eint)eit= 
tid)en  ©ouäen  fid)  §ufammenfd)lieBen,  bem  Seben,  haSi  xoxv  nic^t  um= 
l)in  fönnen  al§  ha^  ^id  angufeljen,  bem  aUe  g^unftionen  al§  SOZittel 
bienen.  Sie  Sagb,  bie  Ergreifung  ber  S3ente,  i^re  SSerje^rung  unb 
S^erbauung  finb  Urfadje  ber  £eben§er^altung,  aber  ^ugleid^  ift  boä 
Seben  ^iel  unb  jene  gunltionen  SJZittel  jum  ßiel.  Unb  finb  e§  bie 
gunftionen,  fo  finb  e§  audj  bie  Organe;  ift  \)a§:  (Sel)en  um  be§  £eben§ 
ttjiHen,  fo  finb  aud)  bie  fingen  um  be§  ©e^en§  mitten,  unb  tiiergu  finb 
fie  bann  mol)l  aud)  im  götalleben  gebilbet. 

Slber  nein,  fagt  ber  gtDedfd^eue  9Mturp^ilofoplj,  nur  bie  erfte 
§älfte   be§  (Sa^e§   ift   richtig:    ha§>  Xiev   fie^t,   meil  e§  Stugen  l^at, 


232    L93ucf):  3nttap^t)\il  2.  Kapitel:  S)o§  !o§moIogijc^4^eoIogtfc{)e  «Problem. 

ober  bie  5Iugen  ftnb  iiid)t  ta,  bomit  e§  fie{)t,  e§  ftöBt,  roeil  e§  §örner 
f)Qt,  aber  e§  ^ot  nidE)t  .^örner,  bantit  e§  fid)  lt)ef)ren  unb  fto^en  föniie. 
5E)a§  i[t  uttberedjtigter  5(nt^ropomorpfji§mu§.  ^ie  ^eleotogie  ift  9^er= 
fel^rung  unb  S5erberbintg  ber  faufalen,  b.  t).  bei*  lt)af)ren  9latur= 
betradjtung,  fie  fteüt  bie  2)inge  auf  ben  ^'opf;  fo  urteilen  bil  auf 
biefeu  2ag  mit  bem  atten  Sucres  unfere  niaterialiftifd)=med^aniftifd)en 
9Jaturp^iIofop^en.*) 

@ie  foHten  fortfof)ren  unb  fagen:  nic^t  borum  ftöfet  ber  ©tier, 
um  feinen  ©egner  ju  bemältigen,  fonbern  mei(  er  \t'6^i,  fällt  ber 
anbere  ^u  Soben;  nid)t  barum  fpinnt  bie  ©pinne  il)r  9Ze^,  um  Obliegen 
ju  fangen,  fonbern  meil  ba^  9^e^  ha,  bleiben  S^i^Ö^J^  ^^i"  ^a«9en, 
unb  mei(  bie  ^reBmerf^enge  ber  ©piune  ha  finb,  gerät  bie  Obliege 
t)inein,  unb  m'ü  e§  einmal  fo  meit  gefommen  ift,  mirb  fie  meiter  in§ 
:3nnere  beförbert  unb  üerbaut;  öon  ^^^^cE^"  ^[^  ^^^^^  überall  feine 
9ftebe,  fonbern  nur  üon  5!aufal§ufammenf)ängen.  Unb  menn  e§  bei 
ber  ©pinne  fo  ift,  fo  foüten  fie  ben  @eban!en  gu  (Enhc  ben!enb  fagen, 
fo  mirb  e§  beim  9}ienfdjen  aud)  nid)t  anber§  fein;  auc^  er  flicht  nidjt 
bo§  S^le^,  um  ^ifd^e  ju  fangen,  fonbern  meil  fid)  feine  ."pänbe  fo  be-- 
tnegen,  berfdjlingen  fic^  bie  gäben  ^nm  9le|,  unb  meil  ha^  9^e|  fo 
burdj§  SBaffer  gebogen  mirb,  merben  mit  i^m  bie  g^ifdie  !^erau§= 
gebrad)t. 

S5iel(eid)t  njirb  l^ier  bod^  aud^  bem  ämedfdjeuen  ^()l)fi!er  bie  Büd)e 
gu  munberlic^.  (5r  mirb  [agen:  nein,  beim  9Jknfd)en  ift  mirflid)  ^\vcd= 
tt)ätigfeit  öorf)anben,  I^ier  fjaben  mir  SBoKeu  unb  SSorfteüen  be§ 
ßietS  a(§  5(nfang  ber  9^ei{)e,  unb  barum  ift  f)ier  bie  ^aufalreifje 
gugteii^  giuatreifje. 

&nt;  nehmen  mir  bie§  junädift  fo  an.  Stber  foöte  bann  nic^t 
für  bie  ©pinne  baSfelbe  gelten?  S)er  materialiftifdjc  ^f)i(ofop^  be= 
fte^t  bod^  fonft  fo  entfdjieben  baranf,  ha'i^  ber  SJ^eufd)  ein  ©lieb  ber 
5tierrei{)e  fei.  SSarum  fidj  tjier  untreu  merben?  2Sa§  fef)(t  benn 
ber  ©pinne,  ha'^i  if)re  2eben§bet^ätigung  anber§  beurteilt  merben  müBte? 
5)a§  SSoIIen  unb  S^orftellen  be§  ßielg?  9^un,  ha^  SBollen  bod)  fc^mer= 


*)  Lucretius,  De  rerum  natura,  IV,  830: 

Omnia  perversa  praepostera  sunt  ratione, 
Nil  ideo  quoniam  natumst  in  corpoi'e,  ut  uti 
Possemus,  sed  quod  natumst  id  procreat  usum. 


7.  Äaufalität  unb  ginalität.  233 

(icf),  man  mü^te  i^r  bemt  hci§  Snnenteben  überhaupt  Qbjprerf)en.  5({jo 
ba§>  S^orftellen,  bie  33orau§ftc^t  bc§  (Srfolgeg.  Unb  barum  alfo  fef)Ite 
if)rem  5:^uu  ber  (5^ara!ter  ber  3wecf t(jättg!eit  ?  ®er  »rürbe  if)m  er[t 
gufommen,  wenn  fie  nad)  öorauggegongener  Überlegung  ju  fid^  fagte: 
Seben  be[te^t  im  ©toffwecf)jet,  e§  forbert  boljer  ben  @rfal3  öerbrauc^ter 
©toffe  burd^  9^a§rung;  ^^^liegen  finb  ein  9^af)rung§mittel,  nnb  9le^e  ein 
d)l'ütd  fliegen  gu  fangen?  —  Sfber  e§  liegt  ja  auf  ber  .^anb,  ha^ 
unter  biefer  S3ebingung  aud^  üon  ber  menfd)lid()eu  2;f)ätigfeit  nur  ein 
geringer  %ei[  für  änjedmäfeig  gehalten  lüerben  fbnnte.  3]om  (Stoffe 
lüecfijet  unb  bem  notluenbigen  Srfal^  unb  ber  ©eeignetfjeit  biefer  ober 
jener  Stoffe  §u  biefem  ßmecfe  meiB  unfer  O^ifd^er  am  ©übe  nid^t  oiel 
mefir  a(§  bie  ©pinnen.  ©otlen  irir  alfo  fagen:  fo  reidf)t  aud^  ^ier 
bie  g^inatität  nicfjt  njeiter;  SZel^e  ftecfjteu  unb  3^ifdf)e  fangen  ift  Qm& 
ttjätigfeit,  aber  beim  flauen  unb  ©djiingen  unb  93erbauen  ift  öon  einem 
^luecfe  nidjt  me^r  bie  9f?ebe,  t)ier  t)aben  mir  e§  lebig(id)  mit  ^aufa(= 
reiften,  nidjt  mit  teleologifd^en  Ü^eiljeu  ju  tf)un?  SSirb  erft  bei  bem 
^^ijfiologen,  ber  öon  bem  Hergang  beim  5?auen  unb  Sßerbauen  aud^ 
eine  SSorfteHung  ^at,  bie  ©ac^e  jur  ^^^edtfiätigfeit?  Sd)  benfe,  biefe 
^Trennung  ber  menfdjtid^en  ßebenSprogeffe  in  jmedmäBige  unb  ^md= 
lofe,  in  foldje,  bei  benen  ^aufalität  unb  ^inaütät,  unb  fo(d^e,  bei 
benen  nur  ^aufatität  ftattfinbet,  ift  boc^  all^u  obfurb. 

9^un,  gilt  beim  9J?enfd^en,  ha%  ba§:  ganjeSeben  aU  teleologifd^er 
^roje^  aufgefaßt  iücrben  muB,  tueil  unb  jofern  e§  einem  SBiöen  ent- 
fprid)t,  and)  o'^ne  baB  ha^^  ßiet  unb  bie  SSermittetung  gon§  in  bie 
5ßorfteüung  fäüt,  fo  mirb  baSfetbe  auc^  in  ber  S^iermelt  gelten.  Unb 
finb  bie  2;f)ätig!eiten  §ie(ftrebig,  bie  auf  bie  (Srf)attung  be§  @igenleben§ 
gcrid^tet  finb,  fo  luerben  e§  bie  nid)t  minber  fein,  bie  ouf  bie  (Srtjoltnng 
ber  ©attung  aU  it)r  obje!tioe§  ßiet  gerid^tet  finb,  ha^  SIeftbauen  unb 
©iertegen  unb  ^Brüten  unb  §egen  ber  93rut,  unb  n)a§  nod^  ba^u  gef)ürt. 
Unb  ift  ha§  ber  ^aü,  fo  mirb  man  aud^  bie  (Sntmicfelung  unb  Organ= 
bitbung  nidjt  anberg  anfefjen  !önnen. 

Sn  ber  2;^at,  e§  ift  auf  aöe  SBeife  unmögtid^,  ta^  eine  ju  be« 
ftreiten,  ot)ne  and)  ba§  anbere  ju  leugnen;  e§  ift  unmöglid),  bie  menfd§== 
lid^eu  2;f)ätigfeiten  für  §ielftrebige  angnfe^en,  oljue  ba^felbe  aud^  für 
bie  tierifdjen  jujutaffen;  unb  mieber  ift  e§  unmöglid),  e§  für  bie  fo= 
genannten  animatifd^en  unb  tt)ill!ürlid)en  2;f)ätigfeiten  gu^utaffen,  ot)ne 


234    I.  93uc^:  ^etap1^t)\il  2.  Äa^JÜel:  a)o§  !o§moIogiic^4^eoIogijd^e  «Problem. 

e§  Qucf)  für  bie  öegetotiöen  ^roäeffe  Qn§unet)men,  Die  ja  nid^t  MoB 
bie  tt)ejentticf)e  93orau§je^ung  jener  finb,  fonbern  qu(^  nirgenbS  rein 
üon  il)nen  abgetrennt  werben  fönnen;  beibe  g^ormen  ber  Sebensprojeffe 
lanfen  jo  überall  in  einanber.  Unb  n^ieber,  lä^t  man  bie  teleologifd^c 
93etraci^tung  für  bie  öegetatioen  S3orgänge  in  ber  Xierföelt  §u,  fo  fann 
man  fie  ber  ^ftansentt^elt  nicf)t  fernt)alten;  e§  finb  ja  biefelben 
S5orgänge. 

Sft  man  aber  fo  n^eit  gegangen,  fo  Jüirb  e§  fc^mer  fein  t)ier 
fte^en  ^u  bleiben.  S^ie  lebenben  Söefen  finb  ja  nid)t  üon  aufeen  in 
biefe  SSelt  ^ineingefcfjneit,  fonbern  fie  finb  i^r  legitimes  (SräeugniS: 
fie  finb  au§  ben  ötementen  gebitbet,  bie  ben  Körper  ber  (Srbe  ou§= 
machen;  fie  finb  entftanben  unter  bem  (SinfluB  ber  !o§mif(f)=teüurif(^en 
©efamttage.  ®iefe  ^ifcfie  !onnten  nur  in  biefem  9J?eer  unb  biefe 
2;ierme{t  nur  auf  biejer  Grbe  unb  unter  biefer  Sonne  entftef)ett. 
(Sine  ^^onfpiration  aller  ®inge  ttiar  erforberlid^,  biefe  Sebemefen  {)eröor=^ 
zubringen.  „S)iefe§  3;ierreic^",  fo  füf)rt  o.  Saer  au§,  „fann  nicf)t  be= 
fteJien  oljue  ha§>  ^flan^enreicf),  biefeS  mieber  nid^t,  otjne  ha'^  ha§'  3^el§= 
gerüfte  ber  @rbe  an  feiner  Cberf(äcf)e  burc^  pt)t)fifo(ifc^e  unb  (f)emifd^e 
(äinwirfung  in  locferen  93oben  jerrieben  npar;  ferner  aber  wivh  t)or= 
au§gefe|t,  boB  biefer  33oben  non  ßeit  gu  ^dt  oon  Siegen  getränft 
njirb;  ber  Siegen  fann  nur  fallen,  menn  ta^  SSaffer  üorf)er  oon  ber 
Suft  aufgenommen,  geI)oben  unb  bann  burd)  2öec|fet  ber  SSörme 
mieber  auggefd)ieben  wixh;  ha§>  SBaffer  fann  ttjieber  nid^t  gef)oben 
merben,  o'^ne  ha'Q  bie  Grbe  üon  ber  (Sonne  befc^ienen  unb  ermannt 
mirb:  e§  ift  alfo  für  ben  geringften  ©rastjalm  mirftirf)  ha§i  gon^e 
^tanetenjt)ftem  mit  feinen  SInorbnungen  unb  Söemegungen,  bie  gonje 
®efe|mäBigfeit  ber  Statur  erforberIi(^."  (S§  ift,  mie  ber  S^id^ter  fagt, 
ber  mie  fein  anberer  üon  ber  (Sinfjeit  ber  SSirftidjfeit  burd)brungen 
ift,  @oetf)e: 

,  2)a§  ©täubd^en,  fetbft  ber  unfrurfitbare  (stein, 

Qnbem  er  fein  ©ejeg  ijat,  muß  er  roirfeu 

Unb  t(}ätig  für  haä  gvo^e  ©anje  fein. 

©0  bef)nt  fid^  bie  ßi^^ft^^^^S^eit,  menn  man  fie  einmal  an  einem 
^unft  ^ugetaffen  f)at,  über  bie  gan^e  Platin  au§.  (S§  ift  SBittfür, 
einerfeitg  barauf  ju  beftet)en,  ba^  ber  9}Zenfd)  and)  nur  ein  @tüd  be§ 
otigemeinen  9^aturlauf§  fei,  ba^  er  nid^t  ejemteS  ©ebiet,  ein  imperium 


7.  Äaufolität  unb  ginalität.  235 

in  imperio  bitbe,  bann  aber  anbererjeit§  gegen  jebe  Setrad)tnng  ber 
dlatnv  unter  bem  ©efid^tepunft  ber  f^inaütät  oI§  eine  ööllig  unju^ 
läjfige  antf)ropomorpf)ifd}e  Dhituranffaffung  ju  proteftieren.  35erfä^rt 
bie  91atur  an  einem  ^unft  antf)ropomorpf)ifcl^,  unb  ha^  löBt  firf)  ja 
nid^t  beftreiten,  jo  ift  nic^t  ab^nfefjen,  rt)e§f)alb  etoa§  5i[f)nlid)e§  fonft 
fo  abjolut  au§gefdj(offen  fein  foüte. 

S(ber,  fagt  ber  jlüedjdieue  Dkturpfjifofop^,  au^er^atb  ber  organifc^en 
SSelt  fef)(t  ja  bai-  '^vinjip,  of)ne  ha§^  oon  einem  Qmd  überl^aupt  nidjt 
bie  9iebe  fein  fann,  nömlid)  Innenleben  unb  SBille. 

S)aniit  tüären  ftiir  benn  am  eigentlid;en  Urfprung  be§  3[Biber= 
ftanbeS  gegen  bie  teleologifc^e  9?aturan[ic^t :  e§  ift  bie  materialiftifc^e 
Sluffaffung  ber  9latnr  al§  einer  Slnl^äufiing  toter,  nad)  @efe|en 
med^anifdj  beuiegter  5(tome.  Unb  in  biefer  S3orau§fe|ung  !ommt  nun 
bie  alte  S{bjid)tenteIeoIogie  mit  ber  med)aniftiid)en  St^eorie  tiöüig  über» 
ein;  auc^  fie  fe^t  bie  9^atur  aU  eine  SJ^affe  (eblofen,  trögen  ©toffeS, 
fügt  ober  bann  fjiuju:  eben  barum  fann  bie  9^atur  nimmermehr  fic^ 
fetber  bie  SInorbnuug  gegeben  t)aben,  in  ber  tt)ir  fie  finben;  e§  ift 
baf)er  notrtjenbig,  auBer  ber  DIatnr  uod)  einen  S^erftanb  an§unef)men, 
ber  ben  ©toff  nad)  5Ibfi(^ten  jufammengefügt  f)at.  —  Unb  gegen  biefe 
2(nnot)me  empört  fid^  nun  tuieber  ta^  tfjeoretifd^e  ©eiüiffen  be§  9ktur= 
forfc^erg:  non  fotd)em  äufeerlidieu  (Singreifen  eines  ©eifteS  wiffen  Wir 
nid)t§,  unb  e§  würbe  nid)t§  erHören,  e§  ift  ein  bto^eS  asylum  ignorantiae. 
©omeit  mit  9ied}t.  Unb  nun  get)t  man  weiter  unb  leugnet  bie  ^m& 
urfad)en  überf)aupt,  aud^  in  ber  organifdjen  SSelt.  §ier  ftö^t  man 
bann  aber  auf  bie  eben  ongebeuteten  abfurben  Äonfequeuäen;  unb  baran 
f)eftet  fid)  mieber  bie  5(bfic^tcnteIeoIogie.  ©o  wirb  man  enb(o§  im 
Ciirfel  umgetrieben. 

@ine  9?ettung  au§  biefen  ^rrgängen  ift,  fo  üiel  idj  fef)e,  nur  auf 
einem  SBege  erreidjbar:  man  muB  bie  '^orau§fe|ung  aufgeben,  ha'fi  bie 
Sflatnx  au§  totem  ©toff  beftet)t,  man  mufe  fid)  auf  ben  Soben  ber  oben 
(©.  83  ff.)  entwidelteu  ontologifd^en  %t}mk  be§  ^araüeliSmuS  fteUen: 
fo  weit  bie  pt)i)fifd)e  SSett  reidjt,  fo  weit  reicht  and)  bie  Innenwelt, 
reidjt  bie  SSillenSwelt.  ®ann  fann  man  fagen:  in  ber  pl)i)fifc^en  SSelt 
f)errfd)t,  eigentüd)  gefprod)en,  nur  pf)i)fifalifc^e  ^aufaütiit,  aber  in  ber 
begteitenben  Innenwelt  t)errfd)t  überaß  äugleid)  ginalitöt.  ®ie 
medianiftifc^e  9Iaturpt)iIofopt)ic  I)at  red)t:  aüe  9latuniorgänge,  auc^  bie 


236    I-  S3uc^:  ajietop^^fif.  2.  ^apM:  ®a§  fo§moIogif(^4{)eoto9if(^e  «Problem. 

be§  £eBen§,  (äffen  firf)  rein  p{)t}fifa(if(f;  erftären,  e§  finbet  feine  ®in= 
mifd^ung  einer  intelligenten  Urfac^e  ftott.  3(6er  ©pinoja  ^at  md) 
red^t:  atle  pt)i)fifQ(ifrf)en  ^Sorgänge  finb  ."pinlüeifnngen  auf  begleitenbe 
innere  Vorgänge,  nnb  jftjifd^en  biefen  finbet  ein  teleologifctjer  ^wfonimen* 
^ang  [tatt.  Unb  mit  Se^iel^ung  auf  biefe§  Innenleben,  beffen  (5r= 
fd^einnng  fie  finb,  fönnen  luir  nun  andj  ben  pl)t)fifc^en  53orgängen  einen 
teleotogifcfjen  dljarafter  beilegen.  9JJan  nef)me  ein  33eifpiel.  ®er 
^^t)fi!er  er!(ärt  un§  ba^  Drgetfpiel,  e§  ge{)t  bobei  alle§  ganj  medianifc^ 
ju;  ^ier  finb  bie  pfeifen  mit  folc^er  unb  folcfjer  ßinridjtung,  I)ier  ift 
komprimierte  ßuft;  nun  mirb  biefe  klappe  geöffnet,  bie  ßuft  ftrömt  in 
bie  pfeife  unb  fe^t  bie  Suftfäule  in  fotd^e  ©c^minguugen.  Unb  bann 
tritt  ber  ^t)t)fioIog  f)inäu  unb  bemonftriert  un§  ebenfo  ben  Organiften; 
^ier  ^aben  tt)ir  ein  fo  bi§ponierte§  ©e^irn  unb  9Zerüenft)ftem;  burc^ 
\)ci§i  2(uge  f ollen  biefe  Üiei^e,  auSge^enb  oon  bem  9^otenbIatt  unb  ber 
^laoiatur,  f)inein,  fie  löfen,  oI§  rein  p^t)ftfd§e  Urfadjen  ujirfenb,  bie 
fReaftion  au§,  ha'^  ber  ^^inger  bie  haften  in  biefer  3^otge  ^erunterbrüdt. 
—  ®o§  ift  bie  pf)t)fifrf)e  @eite.  ^ie  (2acf)e  :^at  aber  no(^  eine  anbere 
Seite:  bie  ®efid)t§=  unb  @el)ör§empfinbungen  unb  bie  [^reube  on  ben 
^önen  unb  on  ber  SDZelobie.  Unb  biefe  'Sl^\i)^  i)at  einen  inneren, 
teleotogifdjen  ^ufamment)ong  ber  ©lieber.  Unb  fie  ift  nun  boc^  bie 
eigeutlict)  n^efenttidje  ©eite  ber  ®ad)i.  Unb  ber  ^rojeB  im  9^eroen= 
fl)ftem  be§  Organiften  ift  nur  feine  öuBere  ©idjtbarfeit.  Unb  nun 
nennen  mx ,  mit  guläffiger  9Ib6ret)iatur  be§  5(u§brud§,  oud^  biefe 
p()i)fifdjen  S^orgönge,  in  benen  innere  lieben§üorgänge  erfc^einen,  Q'm^d' 
tljötigfeiten,  bo§  Drgetfpielen  unb  ba§  9lotenfd)reiben,  bog  9^e|efled)ten 
unb  f^ifdjefangen.  Unb  fo  fc^reiben  tt)ir  bem  orgonifdjen  fieben  über= 
(joupt  3iüedmäBigfeit  ju,  nid)t  al§  ob  e§  üon  ou^en  burd)  ein  benfenbe» 
Sßefen  äufammengefd)oben  mürbe,  fonbern  med  e§  Grfdjeinung  eines 
mit  innerer  S^Jotmenbigfeit  fid^  entfottenben  Innenlebens  ift.  S)ie  er= 
fc^einenbe  ßielftrebigfeit  be§  (eibtid^en  ßebenS  ift  bie  (Spiegelung  ber 
mirHid^en  ßi^^fli^s^iöf^it  ßi"^^  Innenlebens.*) 


*)  ©pinoga  traut  ftd)  nic^t,  an§  bem  ^araUeüSmug  biefe  Folgerung 
gu  ätef)en;  er  i[t  in  bie  93cfämpfung  ber  3(bi'i(jf)teuteIeo(ogie  §u  jef)r  öcrrannt.  9(5er 
Seibnij  jie^t  fie,  mit  unbefangenerem  SSticE  bie  2)inge  betrad)tenb:  Les  ämes 
agissent  selon  les  loix  des  causes  finales  par  appetitions,  fins  et  moyens. 
Les  Corps  agissent  selon  les  causes   efficientes   ou    des   mouvements.     Et  les 


7.  Seaufolität  imb  fjinaütät.  237 

Unb  bieg  SßerljQltni?,  fo  luürbcn  tüir  nun,  bie  ®ü(tig!eit  jener 
imferer  ontologijdjen  93etrad[)tung  t»ürau§]c^enb,  fortfafjren,  i[t  ntrf;t 
ein  3ufäüige§  unb  nereinjelteg,  fonbern  ein  frf)led)tf)in  QÜgemeineg;  nicf)t 
MoB  einige  wenige  ^enjegungtonorgänge  in  ber  dlatüx,  bie  fogenannten 
njillfürlidjen  Semegungen  ber  Stiere,  fonbern  alte  33enjegnng§üorgänge 
finb  mit  inneren  5öorgängen  begleitet,  bie  mit  benen  ';Üt)nüd)!cit  f)aben, 
bie  mir  in  nn§  erleben.  SBitle,  fo  glaubten  tüir  mit  @(f)open()auer 
fagen  ^u  bürden,  i[t  haS^,  n)o§  in  allen  pf)i)fifd}en  S8orgängen  jur  @r= 
fdjeinung  fommt,  in  ben  ßeben^projeffen  ber  2;iere  unb  ber  ^ftan^en, 
aber  oud)  in  ben  Sewegungen  ber  nnorganifi^en  Äi3rper,  nid)t  ein 
Sßiße,  une  unfer  non  S3orftelIung  bnrd)(eud)teter  Sßiüe,  aber  bod)  SSiUe 
in  einem  aügemeinften  Sinn,  fo  ha^  blinber  Xxkh  unb  üor[teIIungc^= 
toje§  (Streben  mit  barunter  begriffen  finb.  3sft  i>(x§>  eine  sulöffige  9]or= 
ftetlung,  fo  mü^te  allen  9Zaturt)orgängen,  fofern  fie  @rfd)einung  eineö 
3Sißeu§  finb,  audj  bie  @igentümlid)!eit  be§  SBiüenS,  bie  ^i^^ftrebigfeit, 
eigen  fein.  Unb  fofern  bie  2SiUen§einf)eiten  nieberer  Drbnung  äu= 
fammengefafet  finb  ju  t)i3J)erer  unb  jule^t  ju  einer  l^ödiften  unb  testen 
2öiIIeu§einl)eit,  fo  tuürbe  bie  ganje  D^atur  a{§>  ©rfdjeinuug  eine§  ein= 
I)eitli(^en  ßmedfijftemS  anjufefjen  fein.  ö5otte§  Sebeu  ttjäre  bann  ber 
Ort  aller  3^uede,  in  if)m  märe  jebe§  2öirf(i(^fcitÄmoment  mit  finnöotler 
DZotmenbigfeit  gefe|t,  feine  ©elbftoermiilUd^ung  ober  @nteted)ie  märe 
©rnnb  unb  ßi^^  o^er  ®inge. 

g^reilid),  fo  märe  gleid)  fjin^ujufügen,  mir  fönnen  biefe  ^etrod;= 
tung  nid)t  Doü^iefien,  mir  fönnen  nid^t  bie  gan^e  3Bir!Iid)feit  öon  ber 
Snnenfeite  faffen.  Unferer  (Srtenntni§  ift  gunädift  ifjre  5(uBenfeite 
gugemenbet.  3)at}er  I)at  für  unfere  3Siffeufd)aft  bie  faufale  2(uffaffuug 
fo  fe^r  ba^  Übergemidjt.  Sie  te(eoIogifd)e  Deutung  ift  !aum  me^r 
at§  ein  ^oftulot,  ober  aU  eine  unbeftimmte  9JlögIid)feit;  mir  bered)nen 
bie  SSemegungen  ber  Planeten,  aber  bie  ,*parmonie  ber  @pl)ören  faßt 
unfer  Ötjr  nid)t.  2;er  ^erfud),  bie  Orbnung  ber  9^itur  au§  bcm 
©inn  5U  üerftet)en,  fütjrt  un§  nur  §um  Semufetfein  unferer  Unfäf)ig!eit, 
burd^  bie  (Srfdjeinung  jum  ©inn  ^inburdjjubringen.  S)af)er  ^at  bie 
9Zaturforfd)nng  red)t  baran  getf)an,  boB  fie  auf  bie  rein  faufale  336" 
trad)tung  fic^  surüdge^ogen  f)at.    9hir  baran  t^ut  fie  nidjt  red)t,   bafe 


deux  regnes,   celui   des   causes  efficientes   et    celui   des  causes  finales,  sont 
harmoniques  entre  eux  (SOlonaboIogie,  §  79). 


238    I-93uc^:  «DJetap^t^ftf.  2.  Äapitel:  S)o§  fo§moIogijd^4f)eotogtfd)e  Problem. 

fie  bie  Unmöglic^feit  einer  teleologifcfien  S^^aturerflarung  nid)t  in  hü§> 
©ubjeft,  fonbern  in  bie  S)in9e  Derlegt,  ha^  fie  nic^t  jagt:  ber  Qmä 
ber  9Zatnr  i[t  für  unfer  (Srfennen  tranfcenbent,  fonbern:  e§  ift  fein 
ßtoecE  unb  ©inn  barin. 

S)rei  S^ragen,  fagt  Ä.  o.  Saer  einmal  in  ben  oben  ertt)ä'E)nten 
2(uffä|en,  i:^aht  ber  DIaturforfdjer  überaß  gu  beantnjorten:  mag  ober 
tt)ie?  ttjoburc^?  ttjofür  ober  moju?  3c^  meinerfeit§  re^ne  e§  bem 
0iaturforfc^er  al§  folc^em  nirf)t  a(§  SSorttJurf  an,  njenn  er  bie  Ie|te 
^rage  füllen  läU  «n^  fßii^  2Ber!  get^an  ju  f)aben  glaubt,  n^enn  er 
bie  S^atfoc^en  befcfjrieben  unb  if)ren  urfac^Iic^en  ^iifommenfiang  bar= 
gelegt  {)ot.  3lber  at§  3Kenfc^  fteüt  aüerbingä  auc^  er  unüermeiblic^ 
nod^  bie  britte  g^rage:  wogu?  SBir  finben  in  unferem  eigenen  Seben 
bie  Äotegorie  be§  SSofür  ober  SBogu,  unb  eg  gefc^ie^t  unöermeiblidj, 
ha'^  mir  fie  aud^  in  bie  9ktur  um  un§  t)ineintragen.  Sn  bie  2eben§= 
^rojeffe  fietjt  tt)atfäcf)ü(^  jebermann  einen  teleologifc^en  ßufammenfjang 
fjinein;  niemanb  bleibt  babei  ftef)en,  alle  3]orgänge  in  einem  3:ierleben 
al§  gleid)  mirflic^e  unb  gfeic^  geltenbe  ©lieber  einer  Ä'aufalfette  an= 
5ufet)en,  fonbern  er  t)ebt  barin  gemiffe  ©lieber  al§  bie  betonten  ^ö^e= 
punfte  I)erüor,  um  bie  firf)  bie  übrigen  in  §ielftrebigem  ßufammenfiang 
gruppieren,  ©in  Sufeft  burc^Iäuft  eine  9flei^e  oon  öntmicfelungSftufen , 
e§  ift  als  Gi,  al§  9^aupe,  al§  ^uppe,  al§  (Sdimetterling,  um  bann  im 
@i  üon  neuem  ben  Kreislauf  gu  beginnen;  mir  fagen,  ha^^  @d)metter= 
Iing§(eben  ift  ber  §öt)epunft  in  biefer  ©ntmicfelung,  bie  anberen  S)afein§= 
formen  finb  SBorftufen  ober  notmenbige  SSorausfe^ungen  baju.  Unb 
gan§  ebenfo  mürben  mir  in  ber  ©ntmidelung  eines  ^(aneten=  ober 
SonnenfriftemS,  menn  mir  fie  gong  überfä^en,  in  ä§nüc^er  SSeife  einen 
^ö^epun!t  als  ^ielpunft  unterfc^eiben.  Stber  freiüct)  bemeifen  läBt 
fic^  ha§  nic^t.  2)ie  Stufen  beS  2eben§  be§  SnfeftS  fic^  gleid)  mir!= 
iic^;  unb  ber  ©dimetterüng  ift  fo  gut  Sebingung  ber  ©ntfte^ung  be§ 
(Si§  al§  ha^  ei  be§  (Sd)metterling§.  2öer  ha§>  (Si  ober  bie  9flaupe 
fc^öner  unb  bebeutenber  finbet,  al§  ben  Schmetterling,  ber  fann  nicf)t 
miberlegt  merben.  Unb  felbft  menn  einer  bef)aupten  moltte,  \)a§>  ^äuflein 
Jünger,  hü^  ein  Xier  im  Sauf  be§  2eben§  probugiert  unb  fdilieBtic^ 
burrf)  feinen  üermefenben  ßeidjuam  üerme^rt,  fei  ha§>  ßiä,  auf  bo§  e§ 
eigentlid)  mit  bem  Seben  abgefe^en  fei,  fo  !önnte  er  nidjt  miberlegt 
merben.     Sßießeic^t  mürbe   ein  9}?ann,  ber  burc^   @uanof)anbeI   reic^ 


7.  taufolität  unb  ginalttät.  239 

getüorben  ift,  fotd^e  S3etrQcf)tung  gar  nid^t  \o  unüernünftig  finben;  ta^ 
bie  Urireltbäume  geluac^fen  finb,  um  un§  mit  Äo^Ien  gu  üerjorgen, 
ift  ja  eine  gettjö^nlicfie  SSetrac^tung.  9^id^t  onberS  ftef)t  e§  ober  auc^ 
mit  einem  9J?enfcf)en=  ober  mit  einem  53o(f Sieben:  mer  ben  ©aumenreij 
unb  anbere  finnlic^e  ©enüffe  als  ben  {)öcf)[ten  Sn'^alt  be§  SebenS  em= 
pfinbet,  ber  fann  nid)t  miberlegt  merben;  unb  menn  jemanb  für  SSert- 
unterfdjiebe  ber  üerfd^iebenen  ßebenSbetljätigungen  überl^aupt  feine 
©mpfinbung  f)ätte,  n^enn  it)m  alle  gleid)  mi(i)tig  ober  gleid)  bebeutungS^ 
Io§  üorfämen,  fo  fönnte  it)m  bie  Gmpftnbung  nict)t  anbemonftriert 
merben.  SBir  Ijaben  e§  alfo  ^ier  jule^t  nic^t  mit  einer  objeftiüen 
©rfenntniS,  fonbern  mit  einer  auf  fubje!tioen  ®efü'f)Ien  be« 
ru^enben  SluSjeic^nung  gemiffer  (SIemente  öor  anbern  gu  t^un. 
Söem  bie  SSiIIeuS=  unb  ©efü^tSfeite  gan^  fe{)Ite,  unb  mer  beS{)aIb 
{jierfür  gar  fein  ^erftänbniS  f)ätte,  mer  bloßer  reiner  Sßerftanb 
märe,  ber  mürbe  aüerbingS  gar  nirf)t  ju  einer  teleologifdien 
$8etracf)tung  fommen  ober  für  fie  SSerftöubniS  gewinnen  fönnen. 
3^m  märe  jebeS  gleid)  micfitig  ober  unmicfitig,  ober  üielmet)r: 
überf)anpt  nidjt  mirf)tig  ober  unmid)tig,  fonbern  nur  mirflic^.  Slüe 
^räbifamente,  bie  SSertoer^ältniffe  auSbrüden,  mären  if)m  gänjtic^ 
unfaßbar. 

Sn  gemiffem  @inne  mad)t  fid)  ber  9kturforfc^er  gu  einem  fotc^en 
abftraften  reinen  Sßerftanb,  unb  er  muB  es  tf)un,  um  feiner  5Iufgabe, 
ber  reinen  ©arftedung  ber  objeftioen  faufalen  93e§iel§ungen,  gercdjt  §u 
merben.  9lur  muB  er  nun  nid)t  meinen,  boB  bie  SSoHfommenfjeit  be§ 
9kturforf(^er§  aU  fold^en,  fic^  üon  Steigungen  unb  5lbneigungen  gon^ 
frei  äu  f)atten,  auc^  bie  S3otIfommenf)eit  be§  9}?enfc^en  al§  folc^en  fei. 
gür  ben  9J?enfc^en  al§  fo(d)en  ift  (Smpfängtic^feit  unb  $ßerftänbni§  für 
SSertunterfdiiebe,  ift  bie  gäf)igfeit,  baä  @ute  unb  Sööfe,  bo§  ©d)öne 
unb  §äBtid)e,  ha§^  ©rofee  unb  kleine  ju  unterfd)eiben  unb  §n  empfinben, 
burdjau§  mefentlid);  ber  3]er(uft  biefer  gäf)igfeit  märe  gleic^bebeutenb 
mit  bem  Sßerüift  ber  ^erfönüc^feit  felbft;  ha^  Stbftraftum  S5erftanb 
allein  mad)t  feinen  5[Renfd)en. 

2)ie  eigentlidie  SarftellungSform  biefer  jmeiten,  ber  äft^etifc^* 
teIeoIogifd)en  ^iffoffung  ber  SBirflidjfeit,  ift  ^unft  unb  ©id^tung. 
Sf)re  eigentlidje  Seiftung  beftef)t  barin,  baB  fie  burc^  §eröorf)ebung 
unb  Steigerung   gemiffer  ßüge  bie  Söebeutung  eine§   9Zaturmefen§ 


240    I-93u(f):  äRetop^i)[if.  2.  topitel:  ®og  !o§moIogtfd)=t^eoIogtfc^e  «ßroblem. 

ober  einer  geiftig-gefd^tc^tlicfien  Snttotcfelung  geigen  unb  faf3li(f)  madien. 
Sn  ber  2)entung  be§  2Serte§  ber  S[Bir!Iirf)!eit  f)at  Qudj  bie  9^  e  ( i  g  i  o  n 
if)r  SBefen,  unb  bar  um  i[t  fie  mit  ^'un[t  unb  S)irf)tung  auf§  engfte  öer= 
fnüpft,  tt)ie  e§  benn  outf)  bie  S{nt§ropoIogie  überall  geigt.  ^ünftlerijc^= 
retigiöfe  Deutung  unb  n)iffeufd)Qftti(f)e  (Srflörung  bilben  bemnocE)  einen 
©egenfo^,  ober  nicf)t  einen  QU§fd)tieBenben.  S)iefe  n)enbet  fid^  an  ben 
SSerftanb,  fie  n^iü  bie  2Sir!tic^!eit  otjue  Sftüdfic^t  auf  fubjeftiüe  2Sert= 
unterf(i)iebe  unter  allgemeine  93egriffe  unb  ^ormeln  foffen.  Sene  ba= 
gegen  tt)enbet  fid^  an  bie  S3i(Ien§feite,  an  ha§>  ®efüf)I,  fie  tt)iU  bie 
SBertbegietjungen  äunäd)ft  im  SJfenfd^enleben,  fobann  in  ber  2SirfIid)!eit 
übert)aupt  §ur  (Smpfinbung  bringen,  fie  miti  ^idt  unb  Sbeole  geigen, 
bie  ot§  9J?a^ftäbe  haS^  Söerturteil,  al§  3J?otiöe  ben  SSillen  leiten,  unb 
oI§  begtücfenber  Sn'^alt  ha§:  ®emüt  erfüllen.  @ben  biefe  S3erfd)iebent)eit 
ber  §Iufgaben  weift  fie  ni(f)t  auf  feinblid^en  ©egenfa^,  fonbern  ouf 
frieblic^e  örgängung  f)in. 

SBir  berüf)ren  un§  f)ier  mit  bem,  n^aS  ST.  Sauge  in  bem 
@d)IuBfapiteI  ber  @efd;ici^te  be§  ä)^aterioti§mu§  über  bie  gulöffige  unb 
unöermeiblic^e  Sbealifierung  ber  2Birf (id^feit  fagt.  9^id)t  ba§>  ift 
bie  äJJeinnng,  ha^  e§  ratfam  unb  guläffig  fei,  firf)  ettt)a§  öorgumadE)en 
unb  bie  2öir!Ii(f)feit  gleidifam  umgulügen.  S)ie  g^ertigfeit,  nicf)t  gu 
fef)en,  tt)a§  ift,  unb  gu  fef)en,  tt)a§  nic^t  ift,  fo  tjöufig  fie  ficf)  finbet, 
üor  allem  aucf)  bei  ^olitifern  unb  ©efe^gebern,  ftaatlic^en  tok  tixä)= 
lid^en,  ift  bocl)  nicfjt  eben  unter  bie  menfdjlicl)en  35ollfommen^eiten  gu 
re(f)nen.  2)agegen  ift  e§  für  einen  9}Zenfcf)en,  fofern  er  nid^t  bloB  einen 
^'opf,  fonbern  and)  ein  §erg  §at,  unüermeiblid^,  bal^  er  gu  bem  2Sirf= 
lidjen  fid^  au§ttäl)leub  unb  mertfc^ä^enb  üerljält,  unb  wieberum,  bofe 
er  in  bem,  tt)Oi§  er  ertt)äl)lt  ^at,  ha^  2ßefentlidf)e  unb  eigentlich  2öirf= 
lid^e  fie^t.  @o  Italien  mir  e§  mit  ber  5luffaffung  einer  ^erfon,  ha^ 
§erg  fagt  un§,  ma§  fie  eigentlich  unb  i^rem  mal)ren  SBefen  nad^  fei; 
fo  galten  mir  e§  mit  einem  Si^olf,  fo  Ijalteu  mir  e§  mit  ben  S)ingen 
überhaupt.  SBir  ibealifieren  fie,  inbem  bie  Siebe  bie  3üge  au^= 
mäl)lt,  burd)  bie  mir  i§r  SBefen  beftimmen.  Unb  nun  erfdjeint 
un§  bieg  SSefen  ober  bie  innere  3^orm,  mit  5lriftotele§  §u  reben, 
gugleid)  at§  3^^^  ^^^  bemegenbe  Urfadje  ber  @ntftel)ung  unb  Se= 
tljötigung;    e§   bemegt  aber,    inbem   e§   Verlangen   erregt    {uivei   Oi£ 

iQcbflEVOv). 


8.  $antf)eigmul  unb  aBeltjeele.  241 

8.  ^ant^et§mu§  unb  SSeltfecIe. 
SBir  fommeu  nun  auf  bie  oben  geftellte  ^rage  jurürf:  t[t  aüeä 
(Streben  unb  SBoüeu,  luie  e§  in  ben  toufeub  formen  ber  3Sirfticf)feit 
niclgeftottig  un§  entgegentritt,  äule^t  ^ur  @inf)eit  eine§  SSefen§  unb 
SSiltenS  sufammengefaBt?  entjpric^t  ber  (Sin^eit  ber  pt)l)[ifd)en  2Se(t  in 
uniücrfeller  3Bedf)feInjirfnng  eine  @int)eit  be»  Snnenteben^,  in  beffen 
(gelbftbeiuegung  unb  @elb[tüern3ir!(id)ung  aüeä  einzelne  Seben  unb 
©treben  befdjloffen  i[t?  ®ie  ^öeja^ung  biejer  g^rage  ergiebt  bie  !o§= 
mologifdje  ,s3l)potf)efe  be§  i b e a ti ft i j dj e n  ^ a n t ^ e i § m u §.  S^ 
faffe  i()re  oügemeinften  ©runb^üge  in  ein  paar  gormein  äufammen. 

1)  S)ie  SSirtüd;feit  i[t  ein  eint)eitli(^e§  SBejen;  bie  @in§elbinge 
I)aben  nidjt  abfolute  @elbftänbig!eit,  fie  Ijaben  S)aiein  unb  SSefen  in 
bem  Sl(I=(Sinen,  bem  ens  realissimum  et  perfectissimum,  beffen  met)r 
ober  minber  fetbftänbige  ©lieber  fie  finb.  —  Sn  ©pino§ag  g^ormel: 
bie  3JSirfIid)!eit  ift  eine  ©nbftans,  bie  S)iuge  finb  in  itjr  gefegte 
S[Robififatiouen  if)re§  2Befen§. 

2)  ®a§  2Sefeu  be§  S(H=(Sinen  offenbart  fidj  un§,  fo  ttjeit  e§ 
überfjaupt  offenbor  tuirb,  in  ben  beiben  (Seiten  ber  2Sir!(idj!eit,  ber 
9Zatur  unb  ber  @efd)id)te.  —  Sn  @pino§o§  formet:  bie  (Snbftanj 
entiüirfelt  fid)  un§  faßbar  unter  ^w^i  Stttributen,  bem  ber  3(u§be^nung 
unb  bem  be§  93 ettju fetfein §.  SBelc^er  ©a^  bann  burd)  erfeuntm§= 
tf)eoretifc!^e  Q^eftefion  ba^in  umgebogen  wirb,  bafe  bie  geiftige  2BeIt  ba^ 
eigentlid)  unb  an  fid)  (Seienbe,  bie  ^örperttjelt  aber  feine  ©rfdjeinnng 
unb  jDarftellung  in  unferer  ©innlidjfeit  ift. 

3)  2)ie  uniüerfeße  2öed)feln)irfung  in  ber  Slörpertuelt  ift  bie  (Sr» 
fd)einung  ber  inneren,  ä  ft  f)  e  t  i  f  d)  =>  t  e  ( e  o  t  o  g  i  f  dj  e  n  9iotn)enbig= 
!eit,  mit  ber  hü§>  5(ll=@ine  feinen  2Befen§gef)aIt  in  einer  95ic(f)eit  non 
gufammenftimnienben  9Jlobififationen,  in  einem  ^o§mo§  fon!reter  Sbeen 
(SOionaben,  (£nteled)ien)  entfaltet.  ®iefe  innere  Sf^otwenbigfeit  ift  äu= 
gleid;  abfolutc  grcif)eit  ober  ©elbftoern)irf{id)ung.  —  93ei  ©p in 05a: 
bie  ©ubftauä  ift  causa  sui  ober  causa  libera;  fie  entfaltet  if)r  Söefen 
mit  innerer  (©pino^a  fagt,  logifdj^motl^ematif^er)  ^otttjenbigfeit.  — 

Sft  biefe  S(nfd)auung  begrünbet?  Wlan  ttjirb  nad)  allem,  rva^ 
t>orau§gegangen  ift,  nidjt  eruiarten,  ha^  idj  fie  nun  nodj  bnrdj  93elüeife, 
bie  ben  )ii>erftanb  jttiiugen,  ju  begrünben  unternehme.  Söorum  e§  fic^ 
allein  Ijanbeln  !ann,  ta§>  ift  ju  geigen,  ha%  rva  ben  5(nbeutnngen  ber 

^auIfcK,  ßiiüeitung.    ti.  Sdifl.  16 


242    I.  S3u(^:  SÄetop^^fü.  2.  Äopitel:  2)a§  folntoIogtfc^=t§eoIogijc^e  «ßroblem. 

^inge  aufmerffam  unb  offenen  (Sinnet  nacf)ge^t  unb  bem  (Sinbruc! 
ber  2öir!(icf)feit  unbefangen  \\dj  ^ingiebt,  auf  foIcE)e  Ie|te  ©ebanfen 
gefü£)rt  ttjirb. 

Sc^  erinnere  an  bie  5(u§gang§|)un!te  ber  in  ben  üorau§ge^enben 
^ilbfd^nitten  angebeuteten  Betrachtungen:  an  bie  (Sinfjeit  ber  pf)t)fif(i)en 
2öett  in  uniöerfeller  SBedjfeduirfung  unb  allgemeiner  ©efe^möBigfeit; 
an  bie  (Spontaneität  in  ber  ^ufammenftimmung  aüer  Xeile,  e§  giebt 
feine  9lotn)enbigfeit  in  ber  Statur,  g^erner  an  bie  Unabf)ängfeit  ber 
SSirflidjfeit  aB  eine»  ©ansen  öon  äußerer  ©enjalt;  i^re  33ert)egung 
!ann  nur  al§>  fpontane  93ett)egung  üon  innen  I)erou§  !on[truiert  ujerben, 
e§  giebt  feine  Äraft  auBerf)aIb  ber  SSirflic^feit,  öon  ber  fie  i^r  burd) 
©toB  mitgeteilt  fein  föunte,  Sd)  erinnere  an  bie  ©oppefgeftatt,  in  ber 
ha^  SSirfüc^e  ha,  mo  e§  un§  am  meiftcn  aufgefdjtoffen  ift,  nömlirf)  in 
bem  eigenen  SBefen,  un§  entgegen  tritt,  al§  Seib  unb  8ee(e,  unb  bie 
barau§  flieBenbe  55ermutung,  ba'B  Äörperlid^feit  überall  §intt)eifung 
auf  eine  begleitenbe  Snnerlidjfeit  fei.  ^d)  erinnere  enblid^  an  bie  „3iel= 
ftrebigfeit",  bie  un§  in  bem  üeinen  SSrudjftücf  ber  2Sirf(id)feit  entgegen= 
tritt,  oon  bem  mir  etma§  me^r  al§>  eine  bloB  aftronomifd)e  Kenntnis 
^aben;  mon  tf)ut  ben  2;I)otfad)en  nic^t  ©ematt  an,  menn  man  fie  mit 
ber  fpefulatioen  '!p()itofopt)ie,  bie  übrigen^  barin  nur  ben  ©puren  ber 
allgemeinen  5(nfd)auung  folgt,  fo  fonftruiert:  bie  Sntmidelung  ber 
(Srbe  ftrebt  §um  Seben,  ha§>  Seben  jum  Semu^tfein,  ha§>  ©emuBtfein  jum 
©eift,  ba§  geiftig==gefd)ic^t(ic^e  Seben  ift  3tt?f<iniitterpunft  be§  Grben== 
bofeinS,  atfo,  menn  ber  @d)Infe  oom  STeil  auf§  ©ange  gilt:  ein  f)ö(^fte§ 
geiftige§  Seben  ift  ^^edmittelpnnft  be§  ®afein§  über()aupt.  SSoIIte 
aber  jemanb  f)iergegen  eiumenben:  nid)t  einmal  auf  @rben  fei,  fo  oiel 
mir  fät)en,  ha^  geiftige  Seben  ba§  ßiet  unb  ha§^  bleibenbe  @ut;  'okU 
me^r  fönne  e§  nur  a(§  ein  !(einer,  ^aih  nerfdjminbenber  ß^üifd^enfatt 
augefet)eu  merben,  benn  be§  Stuf^ören  be§  "Sebenä  unb  be§  (5}eifte§  fei 
bie  unentrinnbare  ^otge  ber  fo§mifd}en  (Situation,  fo  mürbe  un§  ha^ 
uid)t  irre  mad;en.  SBenn  e§  fo  märe,  fo  mürben  mir  fagen:  93Iüte 
unb  Seben  einer  ^flange  ge'tit  oud)  oorüber,  mä^renb  ber  ©toff  fid) 
erf)ält;  ba§  f)inbert  un§  nid)t,  im  Seben  unb  $8IüI)en  if)r  Q\d  gu  fef)en. 
©0  mag  bie  (Srbe  aud)  einmot  oerblüfjen  unb  fterben,  bod)  mar  ßeben, 
geiftigeg  !Beben,  ha§>  Qki  ber  ©ntmidetung.  Unb  e»  ge^t  ja  nid)t  ter= 
loren  bamit,  ha'ii   e§  ^u  einem  (^nhe  fommt;   ba^  2öirflid)e  mirb  nic^t 


8.  <pant^eilmu§  unb  2BeIt[eeIc.  243 

üernidjtet  bnburd),  hafi  e§  in  bie  Q^ergangen^eif  üBergef)!;  bog  5ßer- 
gangene  bleibt  üietmefjr  ein  etüiger  ^öeftonbteil  ber  3Birf(ic^teit,  bereit 
8ein  ja  nicf)t  in  bem  Stngenblid  ber  ©egenn^art  eingejdjloffen  ift.  — 
Übrigens,  mal  wiffen  tt)ir  öon  ben  (5cf)icfialen,  bie  ber  ©rbe  nnb  bem 
(2onnenfl)[tein  beyor[tef)en?  <Sie  mögen  in  größere  Greife  {jineingejogen 
werben  nnb  ju  gri3Berer  3ii^unft  bernfen  fein,  al§  fidj  nnfere  fo§mifrf)en 
^^tjfifer  ^ente  tränmen  (offen,  ©iebt  e§  feinen  llr§n[tanb  für  bie 
SBirüic^feit,  fonbern  nnr  einen  legten  ^unft  für  nnfere  gorfdjnng,  fo 
mirb  el  mit  bem  (Snbjnftanb  nidjt  onberS  ftefjen;  bie  ©renje  nnfereä 
SBi^el  i[t  nidjt  bie  (Srenje  ber  SBirflidjfeit.  S)ie  (SintogSfliege  mag, 
menn  bie  ©onne  nntergel^t  nnb  il^r  Seben  mit  ber  fjereinbredjenben 
9Jad)t  enbet,  benfen:  nnn  ift  a\k§>  au»;  ba^  Sidjt  erlifdjt  für  immer, 
nnb  bie  ganje  SSelt  üerfinft  in  j^infterniS  unb  ©rftarrung.  ®er  SRenfd^, 
ber  fo  üiele  (Sonnen  finfen  nnb  mieber  anfge^en  fa§,  foHte  gelernt 
f)aben  jn  glauben,  ha^  im  Unenblid)en  9?at  unb  9JJi)gIid)feit  ^u  mand)en 
fingen  ift,  bie  er  nidjt  fiet)t. 

Surfen  wir  nnn,  folc^e  Betrachtungen  olle  in  einem  legten  ©e* 
bonfen  jufommenfdilieBenb,  fogen:  mo§  wir  im  deinen  im  ©igenteben 
fe^en,  mo§  mir  im  2eben  ber  @rbe  noc^  gu  er!ennen  glouben,  t)a^ 
gilt  üon  ber  SSirfüc^feit  überijoupt,  fie  fjot  ifjr  3^^^  u"^  Söefen  in 
einem  einleben,  einem  unenblid)en  unb  ewigen  geiftigen 
Öeben,  beffen  gülle  alte  nnfere  33egriffe  nnenblic^  weit  f)inter  fid^ 
löBt,  üon  beffen  SBefen  wir  ober  bodj  im  SSefen  be§  eigenen  ©eifteä 
einen  gd)immer  (joben? 

Sd)  meine,  wir  bürfen  eS,  unb  bürfen  bo^u  fogen:  e§  giebt  feine 
^(nfidjt,  bie  un§  bie  2öirflid)feit  einfacher  unb  einleuc^tenber  ju  fon= 
ftrnieren  geftattete.  SSor  ollem  wirb  aflein  bei  biefer  5lnfid)t  bie  %^aU 
fod)e,  um  bereu  ©inorbnung  in  bie  SSirfüdjfeit  e§  fic^  bei  oHer  ^()iIo= 
fopf)ie  benn  boc^  eigentlich  f)onbett,  bie  2:^otfoc^e  be§  Sebeu§,  fouftruier= 
bar;  bo§  feelifcf)=geiftigc  Seben  erf)ö(t  erft  ^ierburd)  bie  gn  i^m  ftimmenbe 
Umgebung;  fein  Urfprung  unb  fein  3)ofein  in  ber  ©efomtwirftidjfeit 
wirb  erft  bei  biefer  9(ufid)t  fo^bor.  33ei  ber  9{ufidjt  be§  otomiftifd)en 
^?JkteriaIilmu§  erfd)eint  bo»  geiftige  Seben  o(§  eine  feltfome  9(nomoüe 
in  ber  SSirfüc^feit;  mon  fonn  eS  nid)t  befeitigen,  feine  Söirflic^feit  ift 
ja  nnbeftreitbor,  ober  e§  ftört  bie  3;f)eorie;  wenn  e§  nidjt  Wäre,  bann 
würbe   bie  (Srflörung    be§  UnioerfumS    glott   anfgef)en;    fo   bleibt  ein 

16* 


244    I.  S3ud^:  5IKeto|)t)t)fiE.  2.  Äopitel:  ®a§  fo§inoIogtfd)=tt)eoIogifd^e  5ßrobIem. 

itnBequemer  ^^eft,  unb  mand^e  finb  jo  oufridjtig  mit  ®u  Soi§=3Rei)monb 
gu  geftef)en:  @eete,  33ett)ufetiem,  ©eift  feien  bei  i^rer  SBeltanfidjt  ein 
„abjoIuteS  SSetträtfel".  93et  nnferer  ?Iniicf;t  bagegen  barf  ber  @eift 
fid)  ^eimijdj  füljlen  in  ber  2Birfüc^!eit,  borf  fid)  füf)ten  al§  ^leifd) 
üon  i^rem  g^Ieifd^  unb  Sein  üon  if)rem  S3ein.  3d)  glaube  nid)t,  baB 
e§  einen  ftärferen  33ett)ei§  gegen  bie  3iitÄngtid}!eit  einer  2öeltanjid)t 
geben  fonn,  al§  ha^  jie  boS  SDafein  be§  @eifte§  für  etmaS  abfolut 
SftätfeUjafteS  gu  erftären  genötigt  ift.  Unb  onbererfeitS  »ü^te  ic^ 
nid)t,  \va§>  es  für  ben  9}Zenfd}engeift  für  einen  übergeugenberen 
93ett)eig  für  bie  2Bat)rf)eit  einer  SBeltanfidjt  geben  fönnte,  qI§  baB  er 
bobei  fic^  felbft  in  ber  SSirüic^feit  gteid;fom  n^ie  gu  §aufe  §u  fütjlen 
Her  mag. 

SaB  biefer  SInfdjauung  tf)atfädjtid)  eine  überjeugenbe  ^raft  inne 
lDof)nt,  ujie  feiner  anberen,  bafür  giebt  bie  erftaunlid)e  ©inmütigfeit 
3eugni§,  mit  ber  in  it)r  ha^  menfd)(id^e  ®en!en,  n^enn  n)ir  non  einigen 
pt)iIofopt)ierenben  ^^t)fifern  abfef)en,  t^n  legten  unb  abfd)tieBenben 
5lu§brud  für  ba§  ©an^e  ber  ®inge  gefunben  ^at.  Sm  äJJorgenlanb 
h)ie  im  SIbenblonb,  im  Slltertum  wie  in  ber  SJeujeit,  !onöergieren  bie 
@eban!en  ber  freieften  unb  tiefften  2)en!er  gegen  biefe§  ßi^t.  Sn 
einem  ibealiftifdjen  ^ant^eilmu§  ift  ha§:  9^ad}ben!cn  ber  großen  ^ultur= 
bölfer  bes  Often§  über  bie  SSelt  5ur  9iuf)e  gefommen.  Su  einer  üer= 
njanbten  ®eban!enbilbung  !^at  aud)  ber  gried^ifdje  @eift  in  ber  pIotonifdj= 
ariftoteiifdjen  ^^itofopt)ie  feine  SSeltformel  gefunben:  hk  2Bir!üd)!eit 
ein  einl)eitüd)e§  SSefen,  eine  abfolute  @inl)eit  alle§  ©eiftigen  unb  ®uten. 
3u  biefer  5Infdjauung  tüirb  aud)  ha§>  mittelalter(id)e  ®enfen,  faft  !ann 
man  fagen,  miber  SSillen  Ijingejogen.  Qu  i§r  feiert  enblid)  ba^  moberne 
®en!en,  wo  e§  am  freieften  unb  füfjnften  fid)  entfaltet,  jeber  ßeit  mieber 
äurüd.  Sruno  unb  ©pino^a  lüerben  i^r  burdj  bie  neuen  !o§moIogif(^= 
naturn}iffenfd)afttid)en  Ö5eban!en,  bie  fpefulatiüe  ^E)i(ofopf)ie  ber  jDeutfd)en 
burd^  bie  neue  Stuffaffunggmeife  be§  gefd)id)tlid)en  £eben§  jugefütjrt: 
bie  SBir!üc^feit  ein  ein^eitlidjeS  ©eifte§(ebeii,  beffen  un§  fid)tbare§  ©tüd 
bie  (Sntmidelung  be§  (Seelenlebens  unb  ju^ödjft  be§  menfd)lid^=gefd)ici^t= 
lid^en  2eben§  auf  (Srben  ift.  — 

3ur  3eit  ber  ^errfd^aft  ber  fpefutatiüen  ^f)i(ofop^ie  erblidte  man 
in  biefer  5(nfc^auung,  in  ber  bie  SBirflidjteit  fid)  felbft  ai§'  ®eift  er= 
fafit  unb  begriffen  ^aht,  bie  abfolute  2Bat)rf)eit,  unb  nmn  ^n^eifelte  nid)t 


8.  «ßantf)ei§mu§  «nb  SBeltleele.  245 

baron,  ba^  fte  Beftimmt  jei,  and)  bie  allgemeine  SBafjrfieit  ju  iDerben; 
man  f)at  fte  bie  geljeime  Religion  ber  ©ebilbeten  genannt,  überzeugt, 
ha^  fie  atlmäf)(icf)  and)  in  bie  Greife  bringen  »erbe,  bie  einftiüeifen 
bie  SSa^rfjeit  nnr  in  ber  gorm  ber  Sßorftedung  jn  faffen  t)ermi3rf)ten. 
(S§  i[t  gnnöcfjft  anbers  gefommen.  ©onjeit  gegeniüärtig  nnter  ben  @e== 
bilbeten  üon  pfjitojop^ifcljer  SBettanfdjauung  überijaupt  nocf)  bie  Üiebe 
i[t,  (bie  meiften  bereifen  ficfj  o^ne  eine  jo(d)e,)  bürfte  fie  e^er  in  ber 
9iic^tung  cine§  naturiüiffenfcfjaftlic^  gericfjteten  9J?aterioti§mu§  ober 
eine»  erfenntni§t^eoreti)d)  äugeflu^ten  ©feptiäiSmug  ju  fudjen  fein. 
S)ie  pf)t)fifalif(f)e  ^Infic^t  ber  2)inge  ^at  bie  poetifdj=fpefiitatiöe  33e=^ 
tradjtung  nerbriingt.  Unferen  9iatnrforfd)ern  aber  ift  ber  ©ebonfe 
eine§  Innenlebens  ber  SSirflidjfeit  meift  üi^öig  fremb  gen^orben.  !5)ie 
S^orftetlung  üon  einer  SSeltfeele,  einem  geiftigen  2UI=2BirfIid)en,  einem 
mundus  intelligibilis,  erfdjeint  if)nen  ebenfo,  lüie  bie  S^orfteüung 
ant^ropomorpljer  ©ötter,  a(§  ein  finblid)er  ^raurn;  fie  ^oben  biefe 
$t)potf)efe  nidjt  nötig,  fie  fi.ninen  bie  SBelt  an§  5(tomen  unb  pfiijfifaüfdjen 
Gräften  erüären,  etwa  jenen  Keinen  9teft,  bie  Sett)u^tfein§oorgänge  im 
©el^irn  lebenber  SBefen,  aufgenommen.  2!)ie  SBiffenfd)aft,  fagt  man, 
ift  in  ha§i  9JJanne§a(ter  eingetreten;  fie  geftattet  fid)  nid)t  me^r  ha^ 
finblidje  Spiel  foI(^er  p^antaftifdjen  ©pefulationen;  wer  ein  Verfangen 
barnad^  f)at,  mag  fie  bei  pf)dofopt)ifd)en  9tad)5iigtern  fudjen.  Unb  bie 
i)ffcntlid)e  üJieinung  ber  @ebi (beten,  burd;  bie  ^w^^^'ficfj^  '"^^  ^^^  '^^^ 
natura(iftifd)e  SSeltanfdjanung  ai§>  ba§  ©rgebniS  ber  Ülaturroiffeufdjaften 
auftritt,  eingefd^üc^tert,  fd^ömt  fid)  §u  $ßorfteüungen  fid^  §u  befeunen, 
bie  nid)t  ben  naturlüiffenfd)aftUd)en  Stempel  tragen. 

@§  liegt  mir  oöltig  fern,  jene  ©ebanfen  SSibermittigeu  burd) 
33ett)ei§füf)ruug  aufnötigen  ju  lüollen;  id;  fjalte  ein  foIdjeS  Unternef)men 
für  f)offnung§Io§  ober  üielme'^r  für  gängtic^  unmögtid^.  2Bi(l  jemanb 
bei  ber  aftrouomifd3=p^t)fifaIifdjeu  5(ufid)t  ber  SSelt  fte^en  bleiben,  fo 
fann  man  il)u  aus  biefer  Stellung  nidjt  l)erau»uötigcu.  (Sr  mag 
fagen:  ha§>  ift  e§,  \va§>  wir  wiffen,  oon  bem  anberen  wiffeu  wir  nichts! 
93ewuBtfein§oorgänge  finb  oerein.^elte  (Srjdjciuuugen  in  lebenben  2öefen; 
ob  il)uen  weitere,  fo§mifd)e  5^ebeutung  äufommt,  baoon  föunen  wir 
uidjtS  wiffen;  mit  metapl)l)fifdjen  .s^i^potljefeu  aber  gebe  id)  inid)  md)t 
ab.  Sn  bieftr  Stellung  ift  er  unangreifbar,  ^tngreifbar  bagegen  wirb 
er,  fobalb   er  weiter   gef)t  unb  fagt:   ma^^  wir   uidjt  wiffen,    ift  aud) 


246    I-  S3utf):  2Jletap^t)fif.  2.  ta^Jitel:  S)o§  foSmoIogijd^'t^eotogiic^e  5ßrobIcm. 

nid^t  öorfianben,  tüa§  3(ftronomie  unb  ^f)9fif  un§  (ef)ren  fönnen,  i[t 
aßeö,  lüa§  uom  Unioerjum  überfjaupt  511  fagen  ift. 

(Sinem  joldjen  negativen  2)ogmati§mu§  begegnet  man  t)ieüei(i)t 
am  ^medmöBigften  mit  Strogen;  ber  ^^rogenbe  ift  gegen  ben  93e= 
l^anptenben  auf  biefem  ©ebiete,  vok  jc^on  .^ume  bemerft  unb  öor  if)m 
@o!rate§  faf),  immer  im  S^orteil.  ^Hfo  nidjt  mat)r,  njerben  mir 
fragen,  bu  meißt,  ma§  e§  mit  ber  SBclt  auf  firf)  f)at,  baB  e§  eine 
gro^e  5(nfamm(ung  üon  5ltomen  i[t,  unb  ha'^  babei  öon  (Seete  unb 
©eift  feine  9^ebe  ift,  außer  in  biejen  paar  @e{)irnen,  bie  bie  Grbe 
unb  öielleicfit  nod)  biefer  unb  jener  anbere  SBeltförper  gelegentlich 
{)eröorbringt.  SBoranf  beruf)t  bocfj  bieje»  bein  SBiffen?  S)arauf,  ta'B 
bu  üon  einer  Sßeltfeele  ober  etmaS  ät)nli(f)em  nie  etmas  gefe^en  tjaft? 
SIber  J)aft  bu  benn  bie  @eele  eines  2;iere§  ober  eines  9J?enfcf)en  ge= 
fe^en?  Unb  bod)  glaubft  bu  an  i^r  2)afein.  Söarum  bod)?  —  9^un, 
barum,  mei(  idj  l^ier  ®et)irn  unb  9^eroen  fe()e.  —  33 ortreff (id^;  unb 
alfo  mürbeft  bu  an  eine  SBeltfeete  and)  g(au6en,  menn  man  bir  nur 
ba§  2SeIt[)irn  unb  bie  9lert)en  geigte?  Unb  nermutüd)  müBte  bann 
bie  3Se(t,  menn  fie  ein  ©e^irn  l^ätte,  and)  fingen  l^aben  unb  O^ren 
unb  53eine  unb  ^^lügel  ober  3^(offen,  unb  ein  9iüdgrat  unb  §er§  unb 
9}?agen?  ^(fo  menn  bies  altes  bir  gegeigt  mürbe,  menn  bie  2öe(t  bie 
©eftatt  eines  unermefetidj  großen  33oge(§  ober  SBalfifdje»  ober  ©lefanten 
f)ätte,  menn  fie  faute  unb  üerbautc,  mie  anbere  Xiere,  bann  mürbcft 
bu  aud)  benfen:  ha  muB  eine  (Seele  brin  fein?*j 

9lun,  ha^i  märe  benn  frei(id)  ein  erftaunli(^  munberlic§e§  2öefen. 
95ielleid)t  läßt  fid)  bod;  audj  einem  ^t)i)fioIogen  gtaublid^  mad)en,  ha^  bie 
SSeltfeele,  menn  e§  benn  eine  fold^e  giebt,  nid)t  übel  gett)an  f)at,  fid) 
nic^t  in  foId)er  ©eftatt  gu  in!orporieren.  9Zatürüd),  ein  2;ier  braudjt 
ha^  aüe§:  Seine,  barauf  fidj  gu  ftüt^en  unb  fidj  gu  bemegen,  unb 
SUiagen  unb  3öf)ne,  bie  9^of)rung  §u  »erarbeiten,  unb  Singen,  bie  Seute 
ju    erfpä()en,    unb    ein    ß^^tralnerüenftiftem,    feine    93emegungen    ber 


*)  'S)u  58ot§'9te^monb  läßt  ben  9?aturforfcf)er ,  bebor  er  in  bie  2(nnQf)me  einer 
SBeltieete  roilligen  fönne,  »erlangen,  „ba'^  iijm  irgenbmo  in  bet  SBelt,  in  9Zeu= 
rogtia  gebettet,  mit  marmem  arteriellen  S3Iut  unter  richtigem  SDrucf  gefpeift  unb 
mit  angemeffenen  Sinnesneröen  unb  Organen  berfe^en,  ein  bem  geiftigen  S8er= 
mögen  ioId)er  ©eele  entipredienbe^  Äonüotut  bon  ®angtien§eEen  unb  9?erben=» 
fafern  gegeigt  würbe"  (förengen  be3  9?aturerfennen§  ©.  50). 


8.  <ßant^etämu§  unb  SSeltfeele.  247 

STuBentrelt  ansupaffen.  Slber  boö  STE  f)at  adeS  ba§  nic^t  nötig,  lueber 
eine  (Stü^e,  borauf  gn  [lef)en  unb  ^u  gef)en,  nocf)  eine  ©inridjtung  für 
ben  (Stoffwecfjfel,  nocf;  5(ugen  unb  D^ren,  benn  e§  f)at  nicf)t§  ouBer 
fid)  5U  fef)en  unb  ju  ^ören,  unb  jo  tt)irb  e§  aI)o  auc^  ein  ®ef)irn  unb 
9?erüen  nicfjt  braudjen.  Ober  l^ätte  e§  tro^bem  biejen  gnnsen  5(pparat 
fid)  Qujc^Qffen  foUen,  nur  um  Qud^  einem  auf  ber|)öf)e  bei  ^ijrrtjonigmuS 
ftel)enben  9laturfor]d)er  be§  neunzehnten  Saf)rf)unbert§  glaubf)aft  ju 
mad)en,  boB  bie  SSirflid^fcit  nod^  nic^t  am  @nbe  fei,  ujo  ber  2op(acefd)e 
(SJeift  am  (Snbe  i[t? 

Ober  f)ätte  e§,  irenn  benn  oudj  ni(^t  bie  ©eftalt  eine§  großen 
Stieres,  boc^  menigftenS  bie  ®efta(t  eine§  einzigen  groBen,  5ufammen= 
fjiingenben  5?örper§,  ttwa  einer  ^ngcl,  annehmen  foUen,  um  and^  jenem 
pi)rrf)onifc^en  ©eift  bie  Vermutung  eines  ein^eitlidjen  Innenlebens  als 
gutäffig  erfc^einen  ju  laffen?  SBürbe  er  ttjeniger  STnftoB  an  biefer 
Söorfteltnng  nef)men,  wenn  baS  Uuiöerfum  ein  ^ontinuum  Bitbete,  ftatt 
eines  ©t)ftemS  öon  ^ijrpern,  bie  burd^  ben  unerme^tidjen  9^oum  §er= 
ftreut  finb  ?  Sft  ber  hierin  ju  Xage  tretenbe  9)?angel  an  einfjeit  baS 
^^inberniS?  —  Slber  n^oburd)  !^at  ein  STierforper  @int)eit?  burd)  bie 
^ontiguität  aller  Steile?  Offenbar  nidjt,  fonbern  burc^  bie  funftionelte 
Sintjeit  aüer  Seite.  33erü§ren  fid^  etnjo  bie  9)^otefüte,  bie  baS  ©e^irn 
eines  SEiereS  auSmad^en?  @ie  mögen  burd^  Stbftänbe  getrennt  fein, 
bie  if)ren  SDurd^meffer  um  ein  93etiebigeS  übertreffen.  SSerben  bie 
^tome  als  auSbet)uungStofe  5ltaftpun!te  gebockt,  bann  finb  \a  bie  Stb« 
ftänbe  unenblid)  gro^  im  3Serg(eid^  jum  2)urd)meffer.  5(tfo  ber  SIZanget 
an  5loutiguität  ift  burc^anS  fein  ^inberniS  ber  (5inf)eit;  ob  bie  Seite 
burd)  SOlitliontet  üon  3)?ittimetern  ober  burd)  9}?itIionen  üon  SOJeiten 
getrennt  finb,  baS  ift  gleidjgültig,  menn  fie  nur  eine  58en)egungSeint)eit 
bilben.  Unb  baS  t£)un  ja  bie  SSeltförper,  fomeit  n)ir  fet)en,  im 
ftrengften  @inne.  Ober  ift  bie  Semegung  ^u  einfad^  unb  gteidiförmig  ? 
können  nur  fo  fomptijierte  SöemegungSftjfteme,  n)ie  bie  tierifd)en  5^örper 
eS  finb,  für  belebt  unb  befeett  angefe^en  merben?  g^edjuer  ern)ibert 
(Sbeen  gu  einer  @d^öpfungSgef^id)te  @.  106):  „(So  oerttjicEelt  unfere 
@et)irne  finb  unb  fo  fef)r  man  geneigt  fein  mag,  an  biefe  35ern)icEeIung 
eine  §öt)e  geiftiger  (Sigeufd^aften  ^n  tnüpfen,  fo  ift  bie  SBelt  nnfäglid^ 
öermidetter,  inbem  fie  eine  Si^ermidelung  aüer  in  fie  einget)enben  35er= 
tnidelungen,  barunter  unfer  (55ef)irn  fetbft,  ift;   lüarum  nid;t  atfo  au^ 


248    I-  33u(f):  3netap^t)\it.  2.  Kapitel:  ®a§  foSmoIogifc^-t^eoIogiicfie  ^ßroblem. 

noc^  f)öf)ere  geiftige  @igeni(i)Qften  an  tiefe  f)öf)ere  S^erroicfelung  fnüpfen? 
2)er  93au  unb  Slusbau  beS  .^tmme(§  evfcfieint  nur  einfarfj,  menn  man 
6(oB  auf  bie  großen  9JZafien,  ntdjt  auf  bereu  5(u§arbeitung  unb  55er= 
!ettung  arfjtet.  S)ie  SSeltförper  finb  borf)  feine  rof)en  gleid)f5rmigen 
Stumpen,  unb  bie  Se^ie^ungen  oon  Sii^t  unb  Scfiraere  greifen  ^tnifdjen 
i^nen  in  mannigfacf)fter  unb  oerluicEeltfter  SSeife  burcl).  3^a^  aber 
\)a^  33iere  in  ber  SBelt  fidj  and)  einheitlich  gruppiert,  gufammenfaBt 
unb  gliebert,  miberfprirfjt  nidjt  bem  ©ebanfen,  fonbern  [timmt  nur 
baju,  hü^  es  ficf)  entfprec^enb  geiftig  jufammenfaBt." 

Sn  ber  2:t)at,  xoa§:  ^inbert,  in  einem  '^(aneten  eine  (Sanglien= 
geüe  be§  2BeIti^irn§  gu  erblicfen?  Sft  er  gu  gro&?  Stber  raorum 
foüte  ha§  2SeItf)irn  nirf)t  größere  ^^tlen  bitben,  al§  ein  2;ierf)irn. 
Cber  ftimmt  feine  3ufciminenfe|ung  nicfjt  bagu?  ßs  finben  fid^  ja 
biefelben  ©toffe  barin,  Äofjte  unb  ©auerftoff  unb  ©ticfftoff  unb 
ßifen  unb  ^f)D§p{)or  unb  ja^freidie  onbere  ba^u;  unb  taufenbfad)e 
SBed)feIn)irfung  gef)t  ^mifdjen  itjuen  f)in  unb  £)er,  ä^n(id)  mie  e§  in 
einem  ©anglion  aud)  ber  galt  fein  mag.  ^a,  mer  meiß,  mie  groB 
unb  einleuc^tenb  bie  2i[f)nlid)feit  un§  erfd)einen  ftiürbe,  tt)enn  mir  nur 
bas  ©anglion  f)in(äng(i(^  gu  üergröBern,  feine  Struftur  gu  ernennen, 
bie  taufeub  formen  ber  33emegung  in  feinem  Sunern  ju  beobachten 
üermöcf)ten.  9^ägeli  beutet  in  ber  fcf)on  früher  ermätjuten  2(bf)anb= 
(ung  über  bie  ©djranfen  ber  naturmiffenfc^aftlidjen  SrfenntniS,*)  morin 
er  überall  auf§  ftärffte  bie  enipirifcf)e  iycgrenjttjeit  unferer  (Srfenntni§ 
gegenüber  bem  Unenblidjen,  fomof)!  bem  unenblid)  ©roHen  a(»  bem 
unenblic^  kleinen,  f)eroort)ebt,  eine  foIcf)e  93etrad)tung  an:  „SSie  bie 
Xeilbarfeit  nidjt  aufbort,  fo  muffen  mir  nac^  5InaIogie  beffen,  ma§ 
mir  im  ganzen  83ereid)  unferer  @rfaf)rung  beftätigt  finben,  annehmen, 
baß  aud)  bie  ^iiiflirimenfe^ung  ou§  inbiuibueüen,  üon  einanber  ge- 
fonberten  STeiten  nacf)  unten  fid)  cnblos  fortfe^e.  (Sbenfo  finb  mir 
genötigt,  eine  enbtofe  3"iQn^^^i^!s|""g  ^^^d}  oben  ^u  immer  größeren 
inbiüibuelten  (Gruppen  norausjufe^en.  2^ie  SSeltförper  finb  bie  9JJo(efü[e, 
meldte  fid^  ju  ©ruppen  nieberer  unb  f)öf)erer  Orbnung  oereinigeU;  unb 
unfer  ganje§  ^iyfternfiiftem  ift  nur  eine  9}^o(efütgruppe  in  einem  un= 
enblic^  üiel  größeren  öan^en,  haQ  mir  uns  at»  einljeitüdjen  Crgani§= 


*)  ÜJJed)omid)  =  p^9ftotogijd)e  Sfieorie  ber  2lb[tammunggle|re  (1884)  (S.  572. 


8.  «pont^eigmug  unb  SBeltleele.  249 

nui§  unb  inieber  nur  q(§  STeild^en  eine§  notf)  größeren  ©onjen  t)or= 
aufteilen  {jobeu." 

S)er  ^f)i)[tfer  ttjirb  jagen:  ha^  finb  ja  blo^e  ^f)antaften.  9hiu, 
fie  geBeu  fid)  uid)t  für  öiel  inet)r;  aber  bie  ^fjantafie  ^ot  aud)  if)r 
S^ec^t  unb  ifjre  5(ufgabe,  uub  tt)äre  eg  f)ier  aud)  nur  bie,  ben  33erftanb 
an  feine  ©djranfen  gu  erinnern.  Sn  einer  ß^it  tt)o  bie  SSiffenfdjaft 
fo  fef)r  jum  fatten  53ef)agen  im  (gnbtidjen  neigt,  irirb  hü^  feine  über= 
fütffige  <Bad)t  fein.  3)ie  iuiffenfd)aftlidje  gorfd)ung  fotl  ru{)ig  il)ren 
SBeg  ge^en,  unbefümmert  um  bie  ^Ijontafien.  9(ber  fie  joll  nid)t 
fagen:  e»  giebt  nid)t§  in  ber  2öe(t,  oB  n)o§  unfere  ^{)l)fio(ogen  unb 
^oSmoIogen  öon  if)r  iniffen.  (S§  mag  taufenb  ®inge  am  §imme(  unb 
auf  (grben  geben,  nou  benen  fid)  bie  @d)ultt)ei§f)eit  ju  unferer  ß^it  fo 
menig  träumen  läfet,  tuie  ,^u  ben  2;agen  §am(et§,  ja  nielleidjt  je^t 
meniger  oI§  bamal§.  SJ^eint  fie  bod),  ba§  3:räumen  je|t  beinafje  gan§ 
abgeftellt  ju  fjaben:  bi§  auf  einen  f (einen  9^eft  getegentlidjen  S(ber= 
glaubeng  lauter  aufgeklärte  Seute,  bie  an  bie  ^f)i)fi!  unb  an  bie  $Itome 
unb  an  ein  paar  Söelträtfel  glauben,  meiter  aber  fid)  feine  ©ebanfen 
über  bie  Singe  madjen. 

2)ie  9Zaturiüiffenfd)aft  fönnte  burd;  i^re  eigene  ©efc^idjte  fid) 
belehren  laffen;  ma§  finb  nic^t  in  ben  legten  paar  Sa^r^unberten  burc^ 
ha§'  9J?ifroffop  auf  (Srben,  burdj  ha§:  Seleffop  am  §immel  für  SSunber 
entbcdt  morben.  .^ätte  man  einem  mitte(atterlid)en  ^^t)fifer  üon 
SJüldjftrafjenfijftem  unb  foSmifdjer  Gntmidelung,  üon  bem  ^aii  be§ 
S(uge§  unb  ber  ^SettJegung  be§  Sid)te§  erjä^It,  Xüa§>  in  unferen  @c^ul= 
büc^ern  ftef)t,  er  ^ätte  barin  nichts  al§  2;räume  einer  überspannten 
^^antafie  gefef)en.  (Sollten  mir  nidjt,  menn  mir  in  ben  93efi^  oon 
ä^nüc^en  §ülf§mitteln  für  bie  ©rfenntniS  ber  Snnenmelt  fämen,  ober 
menn  un§  bie  (^aU  be§  @eelenlefen§  gegeben  mürbe,  auc^  ^ier  er» 
ftaunlidie  ©ntbedungen  ju  mad)en  Ijaben?  .^at  altein  bie  ^örpermelt 
immer  neue  Söunber  auf§umeifen?  ober  mürbe  nic^t  bie  Sun^n^oelt,  menn 
unjer  5luge  aufgetf)an  mürbe,  fie  ju  fef)en,  nodj  oiel  erftounlic^eren 
Üieidjtum  be§  3nf)att§,  gein'^eit  ber  ©lieberung,  ©röfee  ber  ßufammen^ 
f)änge  seigen? 

©idjerlid),  mir  ^aben  nic^t  jenen  ©inn;  mir  fudjen,  mü^fam  am 
Seitfaben  ber  5lnalogie  bud)ftobierenb,  bie  feelifd)e  Sebeutung  ber  Körper 
unb  Äörperformen  gu  erraten;   nur  in  ber  menfd)lidjen  SBelt  bringen 


250    I.  S3ud):  Wlttap^t)ß.  2.  Sta^pikh  25al  foämologtjdi^l^eotogiic^e  «ßroblem. 

tv'ix  e§  5U  einiger  ^ertigleit;  auf  bie  iintermenld)Iid)e  jßSelt  fällt  tuenig^ 
ften§  nodj  ein  <Sc£)immer,  bie  übermenfd^Iidje  SSelt  bagegen  uermögen 
Xülx  gor  nidjt  gu  erfennen,  unjer  ßrfennen  ge()t  nid)t  über  unfer  ©rieben 
t)inQU§:  (Sott  begreifen  ^ie^e  (Sott  fein.  5(ber  nirf)t  iDeife  fdjeint  e§, 
njeil  unfer  %nQt  nic^t  bat)in  reidit,  gn  fagen,  bort  ift  niditS.  ^Dogmotifdje 
9^egation  ift  nic^t  geringere  33ermeffenf)eit,  a[§>  pofitioer  S)ogmati§mnä. 
§IRit  @f)rfurd^t  üor  bem  Unenblic^en  unb  Unergrünbtic^en,  bem  Cueü 
unb  ^\d  QÜeä  SebenS  unb  @ein§,  ftet)en,  ha§  ift  e§,  moS  9J?enfd)en 
geziemt. 

S^üdert,  ber  finnige  unb  tiefe  ®euter  ber  9latur  unb  be§ 
£eben§,  brüdt  einmal  bieg  ®efül)l  frommer  6^rfurd;t  gegen  ba§  gro&e 
(55e^eimni§  be§  S)afein§  in  folgenben  Sßerfen  au§. 

©in  58orf)ang  ^ängt  öorm  §eUigtume, 
©efticft  mit  bunten  93ilbern 
SSon  Ster  unb  ^ßflanje,  ©tetn  unb  93{ume, 
%\t  @otteg  ©roBe  jdiilbern. 

2)ie  §(nba(^t  tnieet  anjubeten 
SSor  biefcn  reichen  galten. 
Sin  2icf)t[trat)I  Ijinter  ben  Sapeten 
Sßerfläret  bie  ©eftalten. 

^ä)  neige  mid)  gum  ticf[ten  ©aume 
Unb  ÜiB  if)n  nur  mit  S3eben, 
9)iir  faßt  nic^t  ein  im  füfinften  Sraume, 
®en  SSortjang  megju^eben.*) 

3Sa§  aber  ha§>  9}erl)ältni§  bes  (ginjelgeifteS  gum  2lü=@eift  an= 
langt,  fo  njürben  luir  e§  irgenbn)ie  gu  faffen  oerfudien  muffen  nad) 
bem  ®d)emo  be§  ^erl)ältniffe§,  in  bem  jum  (Sinjelgeift  feine  einzelnen 
DJJomente  ftel)en.  SBie  l)ier  bie  einzelnen  (Mefüljle,  Seftrebungen,  @e= 
bauten  bem  größeren  ß^föw^i^^^^^^i^Ö  '^^^  (SJanjen  eingegliebert  finb, 
fo  ujöre  mieber  ha§>  gan§e  (Seelenleben  aU  eingegliebert  in  ben  aü- 
nmfaffenben  3iifaii^"t^i^^Qii9  ^^^  2eben§  (5)otte§  ansufeljen,  eingegliebert 
üielleid)t  burd;  eine  lange  Äette  oon  äJJittelgliebern.  S)amit  ttjüre  i^m 
feine  ©elbftänbig!eit,  natürlid)  eine  retatioe,  nid^t  genommen.  2öie 
ber  einzelne  STrieb  ober  Stffelt,  bie  einzelne  (Sebanlenrei^e  ober  SSor= 
ftellungggruppe  in  unferem  «Seelenleben  eine  gemiffe  Selbftänbigfeit 
t)at  unb  bod)  babei  bem  (55an5en  angel)ijrt  unb  gum  ©anjen  mirft,   fo 

*)  ©ejammelte  ®ebic^te.    VI.  ©.  195. 


8.  <pont^ei§mu§  unb  28clt|eele.  251 

lüürbe  ein  ganjeS  ©eelenleBen  mit  einer  bem  reid^eren  Snt)alt  ent= 
jpredienben  größeren  (Selt)[tänbig!eit  bem  ttieiteren  ßufammen'^ang  ein» 
gefügt  fein.  S)ie  ©lieberung  be§  5lörperli(f)en  märe  bie  2)Qr[tetInng 
biefeS  $öerf)ättniffe§  in  ber  (Srjd^einnngSmett:  bie  organijdje  ßtUt  ein 
relatiü  felbftönbigeS  ©lieb  eine§  Scibe§,  ber  felbft  mieber  aU  ein  ab' 
{)ängige§  unb  bocfj  SUflIeid;  fet6[tänbige§  ©lieb  ^unädjft  bem  2eben  ber 
©Qttung,  mit  it)r  bem  Seben  ber  @rbe  Qnget)ört  unb  mit  biejem  mieber 
Weiteren  3uiantmen{)ängcn  eingegliebert  i[t. 

SDqB  loir  !ein  unmittelbare^  53emu§tjein  üon  bie[er  (Singtieberung 
unjere»  (5eetenleben§  in  ben  größeren  ßufantmenfjang  ^aben,  bemei[t 
nidjtS  gegen  fein  ©tattfinben;  ha§>  ©anje  überfietjt  ben  2^eil,  ber  Xt\l 
ober  nid^t  ha§>  ©Qu^e.  Sine  ©el^irnjelle,  menn  fie  ein  ein^eitlid^eS 
Innenleben  mit  S3emuBtfein  f)aben  follte,  mürbe  and)  nid)t  ha§>  (Seelen= 
leben  be§  9J?enf(^en  unb  itjr  S5erf)ä(tnil  ju  if)m  unmittelbar  empfinben. 
©0  !önnen  mir  nid)t  mit  intuitiüem  SBiffen  unfereS  SBerpItniffe§  gu 
ben  übergeorbneten  SebenSfreifen  inne  merben.  ®od^  üermögen  mir  in 
abftra!tcr  (£r!enntni§  gu  fef)en,  boB  unfer  ©eelenteben  nidjt  ein  abfolut 
fetbftänbigeS  ift,  fonbern  uon  größeren  3iiiQn^"'£"^ängen  umfdjioffen 
mirb.  ©eine  näd)fte  Umgebung,  ha§>  gefc^id^tlidje  ßeben  beg  S5oI!e§, 
öermijgen  mir  noc^  in  einigem  9}JaBe  gu  faffen.  5tud)  faffen  mir  ben 
3«fammenl)ang  be§  leibüdjen  2eben§  mit  ber  umgebenben  9latur,  öon 
ber  e§  gel)egt  unb  getragen  mirb.  5lber  mir  fönnen  nidjt  biefe  9Iatur 
in  @eift  umfe|en,  unb  nun  unfer  ©eelenleben  al§  eingefdjloffen  in 
ben  pft)d;ifd)en  ^itföuimeuljang  erf äffen,  ober  mit  tant§  Sln^brud, 
ung  ot§  noumenon  bem  inneren  3uiQtti"i^"^)Qi^9  ^^^  noumena,  al§ 
©lieb  bem  mundus  intelligibilis  einfügen.  §ier  bleibt  ha§>  2Biffen 
bei  fd)ematifd)er  ^^'onftruftion  fte'^en. 

SBa§  ober  haS^  S3eben!en  anlangt,  \)a^  bei  biefer  5tuffaffung  audj 
ba§  galfdje,  35er!et)rte  unb  335fe  bem  3uf'ii"i"c«'f)ong  be§  göttlidjcn 
£eben§  eingefügt  märe,  fo  bemerle  id)  t)ier  nur,  ha^  biefer  ©djmierig= 
!eit  bisher  nod)  fein  ^-i^erfud;  ber  5?'onftruftion  ber  2öirttidj!eit  |)err 
geworben  ift.  Sd)  !omme  barauf  jurüd,  meife  aber  nod)  barouf  ^in, 
baB  wir  ba§  ©d)ema  für  bie  ^onftruftion  aud)  fjier  bem  eigenen 
Innenleben  entnelimen  !öunten:  e§  gefd)iel)t  mo^I,  bo§  un§  ein  Svr= 
tum,  ein  falfc^e^  Seftreben  lange  nad^ge^t,  bis  e§  bem  ©eelenleben 
gelingt,  feiner  §err  ju  merben  unb  e§  auS^ufto^en,   nic^t   oljue   ta^ 


252    I-  S3ud^:  SRetapfj^fif.  2.  Kapitel;  ®o§  foSmoIogifrfj-tfieoIogifc^e  Problem. 

wir  nun  baburd^  an  (Srfa^rung  unb  Äroft  gelüonnen  Ratten.  3Ba§ 
luäre  ein  ®en!er,  ber  iiidjt  burc^  bie  Irrtümer  ber  ßeit  gegangen  njäre? 
Sa,  e§  gefrfjieijt  and),  ha'ii  in  unferm  Innern  ein  banernber  2Siber[treit 
entgegengeje^ter  S3e[tre6ungen  nnb  eintriebe,  einanber  njiberftrebenber 
@eban!en  nnb  ©efütjle  fic^  finbet,  o{)ne  ta"^  ttiir  bie  ®i§t)arnionie 
anf^ntöfen  üermögenb  jinb;  ift  bod)  ber  ÖJegenfalj  öon  ®ei[t  unb  O^Ieijd) 
eine  ber  atlgemeinften  nnb  tiefften  (grfaf)rungen  be§  9Jienjc§engefc^Ied)t§. 
©0  mijgen  inir  ben!en,  boB  e§  and}  in  @otte§  Seben  an  inneren 
®egenfä|en  nidjt  fef){t,  nur  ha'\i  ^ier  jule^t  alle  @egenfä|c  nnb  aüc 
S)i§^Qrmonien  ber  2öirflid)feit  in  eine  gro^e  |)armonie  anfge(ö[t  jinb, 
eine  Harmonie,  bie  freilid)  in  feinet  [terblic^en  3J?enfdjen  Dt)r  ge= 
!ommen  i[t. 

(^nbtidj  f)ätten  wir,  um  anc^  ha§>  nodj  ^u  bemerfen,  in  bem 
53el)a(ten  be§  Vergangenen  in  ber  Erinnerung  ha§>  ©djenia  für  bie 
bauernbe  ?(ngef)i3rigfeit  ber  (Sinjeljeele  gnm  ©efamtgeift.  Unfterb^ 
(id)!eit  in  bem  @inn  ber  (gmigfeit  i[t  ja  unäiüeifet{)aft  eine  not- 
njenbige  SSorfteüung;  ha^  ein  ©eetenleben  abfolut  üerge^e,  ift  auf 
jebe  SBeife  nnbenfbor.  (Sin  33organg  fann  ja  nid^t  baburd^  nnmirtlid) 
njerben,  ha'\i  er  in  bie  SSergangenfjeit  übergefjt.  SSäre  ha§^  ber  ^aü, 
Ujöre  ha^  SSergangene  fd)(ed)tf)in  unb  in  jebem  (Sinne  untuirtlidj, 
ebenfo  uniuirflid)  mie  ha§,  maS  nie  \vax,  fo  gäbe  e§  offenbar  über- 
f)anpt  feine  SSirfüdjfeit;  benn  in  ber  ©egenmart  fann  fie  nid)t  fein, 
biefe  ift  ein  ansbe^nungSlofer  3^itpun!t.  SSie  ift  nun  mein  (Seelen= 
leben,  ba§  ber  SSergangen^eit  angeljört?  SBir  fogen:  e§  ift  in  ber 
Erinnerung,  unb  baburc^  fjat  e§  gleid^fam  an  bem  weiteren  Sterben 
fortbauernb  tei(,  baburd^  bleibt  if)m  and)  bie  ^ejiefiung  gur  ®egen= 
Wart,  gänbe  nun  ein  äfjnlidjeS  $ßerf)ältni§  gmifdien  bem  EingeHeben 
unb  bem  (Sefamtgeift  ftatt,  bann  f)ätten  mir  barin  ein  bauernbe§ 
S)ofein  unb  SBirfen  be§  (SinsellebenS  and)  nad)  bem  §(bfdj(uB  burd) 
ben  Stob.  (S§  bliebe  at§  ein  nuDerlierbareg  Element  be§  gottlidjen 
SebenS  unb  S3emufetfein§.  Unb  nidjt§  I)inberte  ^u  benfen,  bofs  it)m 
audj  retatioe  ©ctbftänbigfeit  unb  Semn^tfeinlein^eit  innerhalb  be§ 
©onjen  bliebe.  E§  finb  foldje  öebanfen,  bie  getaner  in  bem 
gmeiten  23anb  be§  3^»^=^^^ftö  ^"^^  i"  ^^^  „Süc^tein  üom  Seben 
nac^  bem  Xobe"  (3.  ST.  1887)  au§füf)rlid;  entmidett;  ic^  fann  t)ier 
nur  barauf  f)inmeifen. 


9.  ®a§  SSer^ältniä  be§  vantf)eiftifd)en  ®otte§begrip  jur  ^Religion.      253 


9.  ®al  23crpltnt§  bc§  ^jontpiftifd^cn  ©ottcSbegrip  jur  ^fcngion. 

Sm  üorigen  ?I6fd^nitt  ift  ber  S^erfuc^  gemarf)t,  ba§  3Serf)Qltni§ 
ber  pQiitljeiftijdjeu  SBeltüorfteüung  5ur  naturiüiffenjc^Qftlidjen  Sdifioffung 
ju  Iie[timnien.  Sdj  füge  nun  eine  93etracf)tung  über  i()r  3Serpltni§ 
gur  ^ieltgion  f)inäu.  3[t  ber  ^ant{)ei§mu§  mit  9teIigion,  boä  f)eifet 
belli  inneren  ^abitii^  ber  ^Jteligiojitiit,  nid)t  mit  biejer  ober  jener  ®og^ 
matif  ober  Ä1rd)enletjre,  üerträglid)? 

S)ie  Söeantmortung  ber  grage  je^t  eine  S3er[tänbigung  über  ha§> 
SSefen  ber  ^^eügion  üoronl.  Sarum  fjierüber  jnerft  ein  SSort. 
üteligion  i[t  nidjt  ein  Söiffen;  e§  giebt  ein  SBijfen  oon  ber  Ü^eligion, 
Df^eligionSgejdjidjte  nnb  9ieIigion§pt)i(ojopI)ie,  aber  boS  i[t  nidjt  bie 
Üieligion.  Religion  ift  ondj  nic^t  ein  §anbeln;  e§  giebt  ein  ^onbeln, 
in  bem  Sflcligion  fidj  barftellt,  bie  ^ultt)anblnngen,  aber  fie  finb  nidjt 
bie  9ieligion.  S)ie  Dieligion  jelbft  t)Qt  it)r  Sßefen  in  einem  eigenen 
|)abitu§  be§  ®emüt§;  jmei  ©eiten  treten  barin  l^erüor,  §tt)ei  f)abitneUe 
©efü^Ilftimmnngen;  id)  nenne  fie  Semut  unb  ßuüerfidjt, 
(Spotte §furd;t  unb  ©ottoertrauen. 

®emut  ift  bie  (Smpfinbung  be§  Steinen  gegen  ha^  ®ro^e,  be§ 
(5nblid)en  gegen  bog  Unenblidje.  3)er  9JJenfdj  finbet  fid)  mitten  t)inein 
gefteüt  unb  öon  allen  Seiten  umgeben  unb  getragen  oon  bem  Uuenb= 
lidjen.  ^k  Unenblidjfcit  be§  9^aume§  unb  ber  !I}inge  breitet  fid)  ring§ 
um  i^n  aul,  er  felbft  in  i^r  ein  öerfdjminbenber  ^unft.  (Sbenfo  bef)nt 
fid)  enblog  oor  i^m  unb  I)inter  itjiu  bie  ßeit  jur  ©migfeit;  fein  Seben 
bcbentet  in  djr  einen  oerfdjminbenben  ^uuft.  (gin  feienbeS  9lid)t§  im 
unermeBlidKu  2U1,  ha§  ift  ber  9}knfd).  Unb  meil  if)m  bie§  S3ert)ä(tni§ 
gum  Söemu^tfein  fommt,  barum  ^at  er  Ü^eligion.  S)a§  ^ier  f)at  feine 
9teIigion,  meil  e§  nid)t  jum  33emuBtfein  feiner  felbft  unb  feinet  55er= 
tjältniffc»  äur  3öirflid)!eit  fommt;  c§  erteibet  ha^  Seben,  of)ne  feiner 
im  ganjen  inue  gu  merben.  3m  a)knfc^en  brid)t  mit  bem  ©elbft*  unb 
2öe(tbemuBtfein  ba§  ©cfül)!  ber  eigenen  Äleintjeit,  DZic^tigfeit,  3Ser= 
gängtidjfeit  Ijeroor.  Stnftaudjenb  au§  bem  S)unfel  an§  Sidjt  ber  ©oune 
lebt  er,  abf)öngig  üon  ben  taufcnb  Unfällen  be§  333elt(auf§,  einen  5tugen= 
blid,  bann  ftö^t  i^n  ber  Zo\)  iüieber  in  bie  9lad)t  ber  S^ergeffenfjeit 
f)inab.  2)a§  ift  eine  in  aüer  religiöfen  S)id)tung  immer  mieber^ 
fel)renbe  93ctrad)tung;  nirgeub^  ift  fie  manuigfadjer  unb  bemegcnber 
anSgebrüdt  al§  in  ber  ^oefie   be§  5Uten  2eftament§.    @ie  fef)lt  aber 


254    I.  93u(^:  'iatttap^t)\\t  2.  Kapitel:  S)a§  folmologifd^4^eologtf(i^e  Problem. 


QUd)  ben  ©riechen  nic^t.  S3ei  .g)omer,  bei  ben  S^ragifern  üingt  fie 
oft  an:  raie  bie  33Iätter  be§  SBatbe§,  \o  ftnb  bie  ©efdjledjter  ber 
a«enfd)en. 

®a0  i[t  bie  eine  (Seite  ber  reügiöfen  @efüt)l§[timmung;  (S(^Ieier= 
mad^er  f)ebt  fie  f)erüor  unter  bem  9kmen  be§  fd)(e(i)t()innigen  5(6= 
f)ängigfeit»gefü^(§. 

S)ie  anbere  Seite  ift  bie  ßuü  erficht,  ba§  SSertrouen,  bo^  hü§> 
Unenbtid^e  borf)  nic^t  btoB  ha§>  Übergroße  unb  SlUgemattige,  fonbern 
gugteid)  ha§>  Stllgute  fei,  boB  id^  e§  onerfennen  unb  mid)  it)m  mit 
QÜein,  tnaS  mir  lieb  unb  lüert  ift,  ruf)ig  auüertrauen  fann.  hierin 
beftef)t  eigentlid)  ba§  SBefen  be§  religiöfen  Ö5Iauben§.  ©loube  be= 
beutet  in  ber  9ieIigion  nid)t  ein  9J?einen,  ein  minber  gettjiffeg  Söiffen 
ober  3^ürn3a^r{)atten,  tt)ie  Jüir  freiließ  ha^  SBort  aud;  gebrondjen;  ber 
religiijfe  ©taube  bebeutet  bie  unmittelbare  @ert)iBI)eit  be§  Ö5emüt§,  ha'^ 
"Oa^  SßirfUdje  aug  bem  ©uten  !ommt,  ha'^  aüe§  maä  gefc^ief)t,  §unt 
Seften,  §u  meinem  33eften  bienen  mu^.  tiefer  @(oube  berufet  ni^t 
auf  t(}eoretifd)en  Unter fuc^ungen  unb  53emeifen,  er  !ommt  nid)t  au§ 
bem  33erftanb,  fonbern  au§  bem  SBillen.  ©o  fogt  e§  ber  5tpofteI:  „ber 
staube  ift  eine  gemiffe  ^ii^^^i^f^c^t  beffen,  bos  man  t)offet  unb  nid)t 
gmeifelt  an  bem,  ba§  man  nid^t  fietjet;"  alfo  eine  pvaltifc^e  3uüerfid)t, 
bie  nidjt  auf  bem  ©efjen  unb  (Srfennen,  fonbern  auf  bem  ^offen  unb 
SSolIen  beruf)t. 

©0  braudjen  xoiv  ha§:  SSort  aud^  fonft.  ©ine  9}lutter  glaubt  an 
it)r  ^inb.  Sf}r  ©o^n  get)t  mand)en  SSeg  unb  mand)en  Srrtoeg;  bie 
anbern  öerlieren  ha^  S^ertrauen:  au§  bem  mirb  nidjtS.  S)ie  9J?utter 
aber  {)ä(t  ben  ©tauben  feft:  er  mirb  mieber  gured)t  fommen.  ©ie 
t)at  !eine  ©rünbe  bafür,  fie  !ann  e§  nid)t  bem  ßtt^'^^f^^tiben,  etma  au§ 
tieferer  pfi)d)otogifd)er  (Srfenntni§  feines  2Befen§,  bemeifen;  fie  glaubt 
nid)t  mit  bem  S3erftanb,  fonbern  mit  bem  ^er^en;  i()r  Beben  §ängt  an 
if)rem  ©tauben,  borum  !ann  fie  oon  itjm  nid)t  (äffen.  @o  gtaubt 
ein  äRann  an  fein  3So(t.  ör  fie()t  manc()e§,  ma§  i()m  nidjt  gefä((t, 
Unrecht  unb  Süge  unb  ©djeinmefen,  freüe(()aften  Übermut  unb  pi3be(= 
f)afte  ©emein^eit,  aud^  bei  fo(d)en,  bie  nic^t  ^um  ^öbet  fid)  5ä()(en. 
®ennod)  oerliert  er  nic^t  ben  ©tauben;  haS,  ift  nidjt  ha§^  SBefen  be0 
S]o(fe§,  fonbern  ein  itjm  eigenttidj  frember  S(u§mudj§.  Sm  ©runbe  ift 
e§  bod)   ein   redjtfd)affene§   unb  tüd)tige§,    ein  tt)at)r()afte§  unb  treues 


9.  2)03  SSerf)äItm§  bei  pontfieiftifdien  ©otteSbegriffä  jur  Sieligion.      255 

33o(f,  e§  tüirb  bog  SZic^ticje  unb  SBiberlic^e  qu§  feinem  SSejen  au§= 
ftogen.  @r  faiin  e§  nid[)t  kmeifen,  lueber  biirrf;  ©tatiftif,  nod)  burd^ 
©efd^tdjte;  and)  er  glaubt  nidjt  mit  bem  33er[tanbe,  fonbern  mit  bem 
.^eräen,  mit  feinem  äöefen  unb  SBillen.  (Sr  mü^te  of)ne  biefen  ©lauben 
an  fid;  felber,  an  feiner  SBirffamfcit,  an  feinem  Seben  nerjiueifeln;  er 
fonnte  ein  Seben,  unter  tuibrigen  Sügentaröen  bie  einzige  füljlenbe 
33ruft,  ni(i)t  ertragen,  borum  glaubt  er  an  fein  SSotf. 

Sn  biefe  Drbnung  getjört  audj  ber  religiöfe  ©laube.  5üidj  er 
beru'fit  nidjt  im  55erftanbe,  fonbern  im  SBefen  unb  SBiQen.  (Sein  Snf)alt 
ift,  gauä  allgemein  auSgebrüdt,  bie  ^uoerfidjt,  ha'^  bie  3Bir!(id^!eit,  al§ 
bereu  ©lieb  id^  mid)  finbe,  einen  öernünftigen,  guten,  t)on  mir  an= 
crfennbaren  (Sinn  Ijobe,  bafe  2BeIt  unb  ©djidfol  nidjt  ein  §aufe  blinber 
unb  jiellofer  3ufßtte  finb,  fonbern  burd^  eine  Sbee  be§  @uten  beftimmt 
raerben,  burd^  @ott,  ben  S(Itmir!Iid)en  unb  ^üguten.  S)iefe  ßwöerfidjt 
erfdfjeint  in  erfter,  nod)  ro'£)er  ©eftaft  fd)on  im  primitiöften  ©ö^enbienft, 
e§  ift  bie  ^i^öerfidjt,  ha^  e§  9JJäc^te  be§  @uten  in  ober  über  ber 
SBirflid^feit  giebt,  bie  ba§  ©c^ümme  abjumenben,  ba§>  künftige  unb 
(5)ebeif)Iidf)e  in  bie  Sa^n  §u  lenfen  oermi3genb  finb.  Sie  ^at  eine  üoll* 
fommenere  g^orm  in  bem  ©ötterglauben  ber  großen  gefd)ic^tlid)en  SSöIfer 
gewonnen:  ©ötter,  geiftige  unb  gute  SSefen,  finb  e§,  bie  SBeltlauf  unb 
3J?enfcf)enfd)idfat  in  i^ren  Rauben  galten  unb  mit  unmiberfte^Iidjer 
^raft  bo§  ü^edjte  unb  @ute  fd^ü^en.  Sf)ve  le^te  ^orm  erf)ölt  biefe 
ßuöerfic^t  in  bem  ©tauben  on  eine  oßmaltenbe  55orfef)ung,  o't)ne  beren 
SlMüen  nid)t§  gefd)ief)t,  burc^  beren  äöiöen  atleS,  maS  gefd)ie^t,  jum 
©Uten  gelenft  ujirb.  Se^iefjt  fid)  ber  ©(aube  gunädjft  auf  haS^  eigene 
2eben  unb  feine  näd)fte  Umgebung,  baB  if)m  nidjts  juftoBen  !önne, 
mo§  i^m  nid)t  jum  Seften  bienen  muffe,  ha'\i  and)  UngUid  unb  ^rübfat 
nic^t  §um  SSerberben,  fonbern  a(§  ßücfjtigung  ober  Prüfung  jum  ^eil 
ju  fiit)ren  beftimmt  feien,  fo  erweitert  er  fid)  notmenbig  auf  bie  größeren 
Greife.  5tud)  meinem  SSotf  iüiberfä{)rt  neben  bem  ©uten  anfd^eincnb 
(Sdjlimme§,  aber  auc^  if)m,  fügt  ber  ©taube,  ift  92ot  unb  9iieberlage 
nidf)t  5um  Unfieit,  fonbern  jum  Segen  beftimmt;  erft  in  ber  'iflot  ent= 
falten  fid)  ade  feine  Gräfte  unb  Xugenben,  unb  bie  9ÜeberIage  fü^rt 
e§  jur  53efinnung  auf  fein  eigentlid)e§  unb  toafjreS  äöefen.  Unb  fo 
mit  ber  3J?enfc^{)eit:  julet^t  finb  alle  i^re  Sdjidfale  5üf)rungen  ju 
bem   großen   ßiel,   ber   Erfüllung    if)rer   göttlichen  SBeftimmung;   ba§ 


256    I.  S3uc^:  Wtttapf)t)\il  2.  tapitel:  ®og  folmologifc^-t^eologiic^e  «ßrobkm. 

Sfieic^  @otte§,  mit  bem  5Iu§bruc!  bei  c^riftlicfien  ®{auben§,  ift  ba§  3^^^' 
fein  SBerbeu  ber  eigentüdje  Sii^jatt  ber  SSeltgejrfjicfite.  5I(jo,  bofe  bie 
SBir!üc^!eit  für  bie  f)öcf)ften  @üter  ber  9}ienid)f)eit  nid^t  nur  ^aum 
^Qt,  fonbern  baB  fie  auf  fie  angelegt  ift,  bafe  in  ber  SBelt  nidjt  eine 
blinbe  unb  äuBere,  fonbern  eine  innere,  teleologifc^e  D^otmenbigteit 
l^errfd^e,  hafj  bie  natürliche  SSeltorbnung  im  örunbe  eine  fittlic^e 
SSeltorbnung  ift,  ha§>  ift  in  aügemeinfter  formet  ber  Snf)a(t  be§ 
@Iau6en§  an  @ott.  2(t()ei5mu§  aber  luäre  bie  Seugnung  nic^t 
ber  33etDei56arfeit,  fonbern  ber  33erecfjtigung  biefe§  Q3(auben§,  »äre  bie 
bogmatifdje  Set)auptung:  e§  giebt  feine  fittlidje,  fonbern  nur  eine 
natürlidie  SBeltorbnung. 

2)iefer  ©taube  ift  nicfjt  eine  tf)eoretifc^e  (Sinfic^t,  er  erlüöc^ft  nidjt 
ou§  teIeotogifd)er  Beweisführung,  fei  e§  au§  ber  @efd)id)te  ober  au§ 
bem  Seben  be§  (äin^elnen;  er  berut)t  überhaupt  ni(^t  eigentlid)  auf 
©rünben,  fonbern  auf  einer  pra!tifd)en  ?iotrtienbig!eit:  er  mad^t  bo§ 
2eben  unb  im  befonberen  ha^  Seiben  erträg(id).  2)a§  2;ier  erleibet 
ftumpf finnig  unb  gebanfenloS,  n)a§  über  e5  fommt;  ber  9}?enf{^,  ber  fid; 
©ebanfen  über  bie  SDinge  unb  has»  Seben  nmc^t,  befreit  fid)  üon  bem 
2)ru(f  be§  ©(^merjes  unb  bem  größeren  S)rucf  ber  SIngft  baburc^,  ta^i 
er  ben  Sdjidfalen  einen  G3ebanfen  unterlegt,  ßr  öermi3(^te  ba»  Seben 
nic^t  äu  ertragen,  tt)enn  er  bie  SSett  üt§  einen  ungetjeueren  ü}?e^ani§* 
mu§  unb  fic^  all  ©pietbatl  blinber  Äräfte  betrad)ten  müBte. 

2^aB  biefer  ©taube  nic^t  beroiefen,  fonbern  nur  geglaubt  ttjerben 
fann,  barüber  ift  hüQ  C£t)riftentum  nid)t  im  ^^^U^^-  ^^^  I}eiligen 
®d)riften  fagen  c§  an  ^unbert  Stellen:  öotte»  Söege  finb  nid)t  unfere 
SSege,  feine  Sf^atfc^lüffe  finb  unerforfd)lidj.  Sag  ^eißt:  menn  mir 
@d)icffal  unb  SSeltlauf  gu  nmdjen  Ratten,  bann  mürben  mir,  auc^  ber 
einfid)tigfte  unb  moljlmeinenbfte,  an  l)unbert  Crten  hk  SDinge  anberS 
fügen,  al§>  fie  mirflid)  get)en.  Un§  fc^eint  e§  oft,  al§  ob  ein  blinber 
9hturlauf  5erfti3renb  in  ba§  Seben  einbredje  unb  bie  l)i3i^ften  ^Wtdz 
gleichgültig  burdjfreuge;  uns  fd)eint  ber  Verlauf  ber  ©efcl)icf)te  f)äufig 
genug  bem  <Bd)kd)kn  bie  Cbertjanb  ^u  üerfdjaffen.  Sn  mandjen  gälten 
urteilen  mir  felbft  l)interl)er  anber§;  mir  machen  bie  (Srfal)rung,  ha}i, 
mas  anfangs  als  SdjlimmeS  erfct)ien,  im  meiteren  ^ßerlauf  fic^  alS^  eine 
mol)ltl)ätige  gügung  erraeift;  an  foldjen  (irfaljrungen  ridjtet  ficf)  ber 
ölaube  ouf,  er  erinnert  fid^  il)rer  gern,  um  baburdl)  ben  (äinbrucf  gegen= 


9.  2)a§  8?ert)ältntg  bei  pont^eiftiic^en  @otte§6egriff§  jur  Sieligion.      257 

tüärtiger  Sf^ot  §u  übertniiiben.  Stber  er  meint  nid^t,  qu§  if)nen  einen 
tfjeoretiicf)  genugt^uenben  S3ett)ei§  machen  §u  !önnen.  Sie  umgefet)rte 
©rfotirung,  bafe  9Jot  unb  (glcnb  ba§  2eben  Qurf)  innerlidj  üerbittert  unb 
üeröbet,  ober  ha'^  jrf)ein6are§  @lü(f  gum  SSerberben  unb  jraar  gum  un= 
Ijeüboren  3Serberben  fü^rt,  95ölfer  n^ie  einzelne,  ttJöre  ber  ftet§  bereite 
®egenbeU)ei§  gegen  olle  S^erfud^e  einer  St^eobicee,  bie  ben  2S3ert  einer 
betüiejenen  2;f)eorie  in  Slnjprucfj  nehmen  wollte. 

®er  ©laube  aber  lä^t  fic^  nic^t  irre  macfien.  (5r  giefjt  fid)  bem 
gegenüber  auf  bie  Sejd)ränftf)eit  raenfd)Ii(^er  (Sr!enntni§  jurüd:  @otte§ 
©ebanfen  finb  t)'öi)tv  ai§>  unjere  ®eban!en.  ®a§  eine  bleibt  bem 
©laubigen  unter  allen  Umftönben  gemife:  benen,  bie  ®ott  lieben,  muffen 
alle  S)inge  jum  S3eften  bienen.  S)iefe  ßuöerfid^t  üerläBt  i^n  aud;  im 
Untergang  aller  irbifd)en  |)offnungen  nid)t.  2)er  SSerftanb  ftef)t  baneben 
unb  öermag  e§  nid)t  §u  faffen.  @r  loiberfpridjt  nid)t;  er  fie^t  tüof)(, 
mie  unfidjer  \thc§:  Urteil  über  ba^,  toa^  gut  unb  fd^timm  für  einen 
9}?enfd)en  ober  ein  S5oIf  ift,  bleibt.  (Sr  entf)ält  fid^,  gmeifelt  unb  fd^meigt. 
2)er  ©taube  aber  gef)t  getroft  tjinburd^;  unbebürftig  be§  SeU)eife§,  un= 
jugänglid;  bem  ßiüeifel,  ruf)t  er  im  SSefenmilten  be§  ©laubigen:  bie 
2öirflid)!eit  muB  fo  fein,  ha'^  16)  unb  aüe^,  tt)a§  mir  ba^  ^öd^fte  unb 
ßiebfte  ift,  barin  beftetjen  fann. 

2)a§  ift  in  allgemeiner  ^^ormet  ber  Snfialt  be§  reügiöfen  ©laubenä. 
Sn  ber  S®ir!Iid)feit  !ommt  er  nid)t  in  biefer  abftra!ten  ^^orm,  fonbern 
nur  in  !onfreten  iöerförperungen  öor.  3u  ben  anfc^aulidjen  SSor= 
fteüungen  unb  @i)mboIen  ber  gefd)id)tlic^en  9ieIigionen,  in  ber  finnlid)= 
überfinnüd^en  2(u§gefta(tung  einer  jenfeitigen  SfiSelt  burd)  bie  ^^antafie 
roirb  ber  ©taube  fafelid)  unb  trabierbar,  ja  eigentlid^  erft  ganj  glaub= 
lid).  SSor  allem  mirb  er  bamit  ber  ß'unft  unb  3)id)tung  jugänglid), 
ber  eigentlidjen  ^Bermittlerin  be§  Unau»fprec^tidjen  unb  Überbegrifflid)en. 

greilid)  aud^  bem  refleftierenben  ®enfen  tüirb  bomit  ber  ©loube 
gugönglidj.  Snbem  biefeg  bie  S^Jatur  jener  jenfeitigen  SBelt  unb  i^r 
$yer^ältni§  ^ur  bieSfeitigen  mit  ^Begriffen  ju  faffen  fudjt,  entftetjt  eine 
©taubenS  I  e  I)  r  e ;  unb  inbem  bie  ©tauben§gemeinfcE)aft  ben  Snt)alt  ber 
©taubengref)re  in  oerbinblic^e  g^ormetn  fafet,  entftet)en  SDogmen  ober 
i8efenntniöforme(n.  ©o  ift  e§  ber  ü^eligion  3efu  ergangen;  in  bie 
p(}i(ofopf)ierenbe  tieüeniftifdie  SSelt  hineingetragen,  gemann  fie  eine  f^orm, 
bie  t)a§>  2JJiBöerftönbni§  t)eroorrufen  Jonnte,   al§  fei   ba^  6t)riftentum 

^aulfcn,  (Einleitung.    G.  Slufl.  17 


258    L^nä):  mttap^i)\il  2.  ^apxttU  2)o§  togmologtfc^-t^eologtjc^e  «Problem. 

njefentlid)  eine  2el)re,  bie,  n^ie  eine  ^()iIofopf)ie,  tt)eoretijcf)en  SBert  ^obe 
unb  mit  bent  35erftanbe  anfgenomnicn  ujerben  fönne  unb  muffe. 

^m  ©runbe  ift  ba§  bodj  nirf)t  bie  3J?einung.  ©igentlid^  tüiü 
ha§>  23efenntni§  ber  liird)e,  mie  e§  in  ben  brei  Strtifeln  feine  aiU 
gemeinften  f^ormeln  gefnnben  ^ot,  bod)  nidjt  eine  5^erftanbe§einfidjt, 
fonbern  eine  praftifd)e  @en)iBf)eit  augfpredjen,  in  ber  fid)  bie  ©emeinbe 
6f)rifti  ein§  mei^.  SSenn  fie  im  erften  Slrtifel  fid^  sunt  ©lauben  an 
©Ott  ben  33ater,  ©diöpfer  ^immel§  nnb  ber  (Srben,  6e!ennt,  fo  kbeutet 
ha§>  bodj  nidjt  eigentlich  eine  tfjeoretifdje  (£rfenntni§,  gu  ber  man  burd) 
tt)iffenfd)aftlid)e  Unterfni^nng  geführt  n^erbe,  fonbern  eine  nnmittelbare 
®ett)ifef)eit,  ha'^  bie  SSelt  nid^t  öom  Bufotl,  ober,  mie  einige  meinen, 
öom  Stenfel,  fonbern  öon  ®ott  unb  §u  ©Ott,  bem  Sttlgnten,  ift.  Unb 
njenn  im  jnjeiten  Strtifel  bie  ßfjriftenlEieit  fic^  gum  ©lanben  an  Sefum 
©f)riftum,  ben  (So^n  &>otk§>,  geboren  öon  ber  Jungfrau  Wlaxm,  be= 
fennt,  fo  tt)ilt  fie  bamit  bod^  nid^t  fogen,  ha'iß  fie  öon  einer  gefd)id)t= 
lid^en  3;^Qtfad^e  ober  gar  einer  naturtjiftorifd^en  Stnomolie  eine  fid()ere 
^unbe  ^ahi,  fonbern  fie  niill  i^re  unmittelbare  ©etuife^eit  auSfpred^en, 
bafe  in  Sefu§  ©Ott  fic^  t)at  offenbart  im  S^teifdj,  ha'^i  in  i()m  ber 
SUlmödjtige  unb  5ttlgute  feinem  SBefen  nad)  fid)  barftellt,  tt)ie  e§  in  ber 
©eftalt  eine§  9J?enfd^enfot)ne§  fid)  barfteüen  !ann:  ein  9J?ann,  ber 
gor  nid^tä  für  fid^  ftiiü,  ber  alten  otteS  ©nte  t^ut,  ofjue  5)an!  gu 
begef)ren,  ber  oüeS  S3itterfte  unb  ©d)mät)(id)fte  leibet,  oljne  ^n  l^offen 
unb  gu  flud^en,  ha^  ift  ©ott,  ©ott  in  9)ienfd)engefta(t.  „©ut  fein, 
fagt  @at)onaroIa,  f)eiBt  ©ute§  t!^un  unb  S3i3fe§  leiben  unb  barin  au§- 
l)alten  bi§  gum  @nbe."  Unb  ebenfo  brüdt  ber  britte  5trtifel  eine 
praftifdje  ©en:)iBf)eit  au§,  bie  ©emifetjeit,  boB  bie  9}?enfd)§eit  gum  9fleid^ 
©otte§,  5ur  emigen  ©emeinfd^aft  be§  §ei(§  unb  ber  ^eiligen  berufen 
ift,  unb  ha'^  in  ber  ©emeinf(^aft  aller  mafjren  (£f)riftu§jünger  ber  ©eift 
©otteg  luirffam  unb  lebenbig  fein  ttjirb,  fo  lange  auf  (Srben  9J?enfd)en= 
fjergen  fdjtagen. 

Sllfo  ni(^t  ein  pt)i(ofop^ifdje§  ©t)ftem,  nidjt  ein  tt)eoIogifdje§ 
S)ogma  ober  gar  ein  gefpenftiger  Oieft  alten  5Ibergtauben§  ift  ber 
©laube  be§  6f)riftentum§,  fonbern  eine  unmittelbare  unb  lebenbige 
©emiBtjeit  be§  ^ersenS  öon  bem  SBefen  be§  ©uten  unb  feiner  33e' 
beutung  in  ber  3[öir!(id)!eit.  2)iefen  ©louben  fann  e§  tjeute  fo  gut 
geben  al§   gu   ben   ßeiten  ßutf)er§   ober  5tuguftin§   ober  ber  jünger, 


9.  2)a§  SSer^ältniS  be§  pont^eiftifd^en  ®otte§begrip  jur  SReligion.      259 

bie  Scfum  leibhaft  mit  fingen  faf)en.  93eftünbe  ber  ®(Qu6e  be§ 
6f)riftentitm§  in  allerlei  9}?eiuinigen  unb  2e^rfä^en,  bann  f)ätten  bie= 
jenigen  redE)t,  bie  e§  längft  tot  gejagt  fjaben,  2et)rjci^e  nnb  9)ieinnngen 
f)a6en  nid^t  jo  lange  fieben^bauer.  SBeftünbe  ha^  6f)ri[tentnm  in  bem 
bncfiftäblid^en  ^üruia^r^alten  ber  ^öefianptnng,  ba^  öor  fünftanfenb 
unb  etlichen  Sof)ren  bie  3BeIt  au§  nicfjtg  gemacht  n^urbe,  ha'^  bie  erften 
SiJZenfd^en  5Ibam  unb  @öa  l^ieBen,  boB  jener  au§  einem  ©rbenftofe, 
bieje  an§  einer  Ü^ippe  2(bam§  gemacfjt  mürbe,  baB  fie  in  einem  fdjönen 
©arten  mofjnten,  in  bem  and)  ®ott  felbft  mo^(  einmal  in  ber  ^ül^Ie 
fic^  erging,  bi§  fie  eines  STageS  üon  einer  Schlange  fic^  bereben  tiefen, 
bie  3^rüd)te  öon  einem  beftimmten  5(pfetbaum  §u  effen  unb  bafür 
üon  bem  erzürnten  @ott  au§  bem  ^arabieS  geftofeen  unb  nebft  allen 
it)ren  9larf)!ommen  mit  Seiben  unb  Stob  beftraft  mürben;  beftünbe  ha^ 
(Sfiriftentum  in  bem  ^ürma'^rt)a(ten  biejer  unb  ä^ntid^er  S)inge, 
5.  33.  ber  (5)ej(i)itf)ten,  bie  üon  Sefu  üaterlojer  ©eburt  er^öfilt  merben, 
ober  ber  mirafulöfen  i^rmaubhing  üon  SBaffer  in  Si^ein,  ober  ber 
(Sättigung  oon  fünftaufenb  9Jienfd)en  mit  einigen  Riffen  93rot§,  ober 
in  bem  5ürmaf)r!^atten  ber  X^eoreme  öon  ben  stnei  Staturen  ober 
ben  brei  ^erfonen  in  einem  Söejen,  ober  be§  S^'^eoremS,  baB  ®ott 
ber  9]ater  ben  STob  @otte§  be§  (Sot)nel  ^ahc  herbeiführen  muffen,  um 
bamit  feiner  @ered)tig!eit  genügenbe  Sufee  für  SlbamS  $öerfc^ulbung 
§u  oerfdEjaffen,  ober  ber  93e'^auptung,  ba^  eine  gemiffe  (Sammlung  öon 
(Scfiriften  nicfjt  au§  bem  (55eift  gläubiger  unb  frommer  ?0?enfc^eu 
ftamme,  fonbern  bnrdj  ein  nidjt  nä^er  befannteS  5^erfaf)ren,  genannt 
Snfpiration,  öon  ©Ott  f eiber  0 erfaßt  fei,  unb  ha^  bat)er  jebe  ßeite 
biefer  Sd^riften  für  buc^ftäbtidie  unb  l^eilige  SBaf)r^eit  get)alten 
merben  muffe:  beftünbe  in  bem  gürtüotir^alten  biefer  Singe  ber 
©taube  be§  ßtjriftentumS,  bann  märe  e§  freiüd^  einem  nad)ben!enben 
unb  freigefinnten  9}?anne  ju  unferer  ß^it  unmöglid^,  i'^n  gu  glauben. 
S(ber  \)Q§^  ift  meber  ber  ©taube  be§  ßf)riftentum§,  nod)  ift  e§  bie 
Üteligion  Sefu.  Unb  menn  bie  SSorftef)er  aller  Ä'onfeffioneu  betjaupten, 
ba^  bie§  ber  d)riftlid)e  ©taube  fei,  unb  bofe,  mer  it)n  nid^t  l)ah^,  an 
(Sfjrifto  unb  an  ber  Seligfeit  feinen  Xeil  1)a^t,  e§  mirb  barum  nidjt 
maf)r;  aud;  ift  burd^  ta^  ^nx'toa^xi)a\ttn  biefer  STinge  noi^  niemals 
jemonb  feiig  gemorben;  mof)I  ober  !^at  bie  ßird^e  burd)  bie  gorberung 
be§  ©laubenS   an  SOJenfd^enmeinungen   mond)en   el)rtid)en   9J^ann   au§ 

17* 


260    J-  93u(^:  9Jietap^^fi!.  2.  Kapitel:  ®ag  fo§molo9i)cf)4^eologiic^e  «ßroblem. 

if)rer  9JJitte  getrieben  unb  ttjut  e§  noc^  alte  Stoge.  SDarf  idf)  bie 
gormel  bes  S3efenntni[fe§:  SejuS  ber  So^n  ®otte§,  iiidjt  al§  einen 
§{u5bru(f  religio jer  ^oefie  neljmen,  mnB  \d)  bamit  jagen:  idj  bin, 
etiua  burc§  f)i]"torifcf)e  ßeugniffe  baüon  überzeugt  worben,  ha^  es  bei 
feinem  in  bie  SBelt  kommen  anberS  angegangen  i[t,  oI§  bei  ben  anberen 
SDfenfc^en,  fo  mirb  au§  bem  freien  nnb  freubigen  33efenntni§  gn  ber 
einzigen  ©röBe  biefes  3)ianne§  ein  geän)ungene§,  ba§  ©ett)iffen  peinigenbe§ 
Safagen  gu  einem  negatiüen  ©o|,  beffen  3nf)alt  pofitio  §u  f offen 
feinem  SDIenfdjen  gegeben  ift;  ha§>  33efenntni§  tüirb  jn  einer  ^ormel, 
mit  ber  in  3Jßa^r^eit  nichts  als  bie  33ereitmi(Iigfcit  jur  abfoluten,  and) 
mit  bem  Sntetleft  ju  teiftenben  @ubje!tion  unter  ha^  befte^enbe  Äird)en= 
regiment  ausgebrüdt  mirb. 

3)arf  \d)  bagegen  ha^  SBort  fpred)en  unb  meinen,  mie  id)  e§ 
tierftet)en  unb  faffen  fann,  bonn  mag  id),  unbeirrt  burd^  ben  (Spott 
ber  Sßeröd)ter  unb  ben  ^ü^  ber  ^üter  be§  $8ud)ftabenjod)e§,  aud)  f)eute 
no(^  mid^  5um  ©lauben  an  ©ott,  ber  fid)  in  Sefu  offenbart  ^at,  be= 
fennen.  Su  Sefu  Seben  unb  (Sterben  ift  mir  ber  @inn  be§  2eben§, 
ift  mir  ber  8inn  ber  S)inge  über!)aupt  aufgegongen,  ha^  aber  nenne  id) 
@ott  unb  ©otteg  örfd)einung,  \va§>  mir  ha§^  Seben  mögtidj  mad)t 
unb  feine  33ebeutung  §eigt:  fo  fann  ber  aufri^tigfte,  maf)rf)aftigfte 
unb  freiefte  äHann  ^eute  fo  gut  aB  gu  irgenb  einer  ^dt  fprec^en. 
bringt  man  nun  ober  tt)eiter  in  i^n  unb  oerlongt,  boB  er  fic^  ferner 
befenne  §um  „ötouben"  an  aüe  jene  ^inge,  an  bie  öaterlofe  ©eburt 
3efu  unb  bie  unbeftedte  (Empfängnis  feiner  9)?utter,  ober  on  bie 
SSieberbelebung  unb  ^immelfo'^rt  feine§  geftorbenen  unb  begrabenen 
SeibeS,  an  ha§>  „mit,  unter  unb  bei"  feine§  „magren"  Seibes  unb 
33(ute5  im  Orot  unb  SBein,  fo  mirb  er  fid)  obmenben  unb  fogen:  öer= 
fc^ont  mic^,  mir  oerftefjen  un§  nid)t.  2öoüt  \i)x  ober  ftreiten,  fo  gefjt 
■gu  Stjäontinern  unb  Sttefonbrinern.*) 


*)  ^ä)  möcf)te  ben  fiejer  ^ier  auf  bai  trenUrf)e  SBerf  einel  niebetlänbifd^en 
S^eologen  oufmerffont  matten:  9iauttient)off,  9teUgion§p:^iIofop:^ic,  überfe^t  üon 
§anne  (1889).  ®te  f)ter  ongebeutete  2{nfi(f)t  ift  mit  ber  bort  aufgeführten  Don 
bem  SBejen  ber  Sfteligion  im  ttjejentlidien  cini'timmig.  2t(§  atlgemeinfter  3nf)cift  be§ 
öilaubeng  njirb  barin  bie  Suöerfid)t  begeic^net,  bo^  bie  SSelt  fo  fei,  bo^  ba^ 
(Sittengefe^  barin  ^etrfc^en  fönne.  Stilgemeine  SSorauSfe^ung  f)ierfür  fei  eine  teleo» 
fogifc^e  3Bettonfd^auung.   Qm  9?eUgion  tnerbe  ober  biefer  ©laube  erft  baburci^,  bofe 


9,  5^ag  Sßetf)ättmg  beä  pant^ciftiicfien  ©ottefbegrip  jut  SRcIigion.      261 

SSir  fe^ren  nun  ju  unferer  ^rage  surücE:  ift  ein  jolc^er  ©faube 
mit  ber  oben  angebeuteten  moniftifcfjen  SSorfteüung  üon  ber  ^onftitution 
ber  2Birf(icf)feit  oerträglid)?  W\x  fdjeint  auf  aüe  SBeife.  3SielIeirf)t 
ift  ein  praftifdjer  ©laube  an  haS^  @ute  mit  feiner  foSmotogifdjen 
S^orftellung  unöertväglid);  tüenigften§  i[t  e§  eine  nid^t  ju  be^lueifehibe 
STfiatfarfje,  boB  and;  SJiänner,  bie  in  ber  9)ietapf)l)[if  fidj  ju  ben 
aj?Qteria(iften  ääf)Ien,  ju  einem  unbebingten  ©tauben  on  bie  3""f"nf^ 
be§  9J?enfd)engefd)ted)t§  unb  feinet  gortfd^ritt^  in  ©eredjtigfeit  unb 
2Sat)r()eit  fidj  befennen.  (Sie  müßten  bann,  um  biefen  ©tauben  mit  jener 
StRetaptjtiji!  ju  oereinigen,  fagen:  bie  5{tome  feien  sufäüig  gerabe  jo 
geftattet  unb  angeorbnet,  ba'^  fie  mit  med)aniid)er  91otmenbig!eit  ba§ 
t)i3c^[te  ®ut  üermirftidjen  müBten,  ma§  freilidj  immer  ein  etma§  über» 
rajdjenber  ©rfotg  bleibt.  9}let)r  !ommt,  jo  inirb  man  fagen  bürfen, 
einem  jolc^en  ©tauben  eine  ^t)itojop^ie  entgegen,  meiere  in  ber  SBirf* 
Iid)!eit  ein  mit  innerer,  teleologifc^er  9^ottt)enbig!eit  fid)  entmide(nbe§ 
Sttlleben  erbtidt.  3}er  ^ant^ei§mu§  ift  nidjt  eine  Ü^eligion,  fonbern 
eine  foSmotogifd^e  ^ijpot^efe,  bie  ben  ©efamteinbrud  miebergcben  n:)i(I, 
ben  bie  SSirftii^feit  auf  ben  benfenben  9JJenfc^en  mad)t.  Stber  nidjt  mit 
Unred^t  tuirb  man  fagen,  ha'^  ber  ©taube,  ber  in  bem  ^tttmirftidjen 
ba§  Stllgute  fietjt,  barin  eine  it)m  entgegenfommenbe  ^orftetlung  finbet. 

2f)eoIogifd)e  ^ritifer  ber  ^t)itofopt)ie  pftegen  hierüber  aüerbingS 
anberer  5(nfid)t  gu  fein;  fie  neigen  gu  ber  Sefjauptung,  nur  eine 
S^orfteKung  oon  ber  3Bett  fei  mit  Ü^etigion  üertriigtic^,  nämüdj  bie 
Sßorfteüung  eine§  2;t)ei§mu§,  ber  ©Ott  oI§  ein  öon  ber  2öett  getrennte^ 
SBefen  fe^t.  ©er  ^antt)ei§mug  fei  nid)t  minber  irreligiös,  at§  ber 
3(tomi§mu§;  rt)a§  er  ©ott  nenne,  fei  fein  ©ott,  fonbern  bie  9]atur 
ober  ba§  Stil,  unb  e»  fei  ein  bloßer  9JHBbrau(^  be§  ^JiamenS  ©otte§, 
njenn  @pino§a  Deus  sive  natura  fage.  ©Ott  fomme  ^erfönlid)  = 
feit  5n,  ber  ^atnx  ober  bem  Stil  nic^t;  bamit  fei  bie  fefte  ©renje 
gegeben;  i^ht  '>ptjitofopf)ie,  bie  nid)t  ©ott  a(§  perfönlic^el  SSefen 
fe^e,  fei  irretigiöS. 


i^n  bie  bid^tenbe  ^l^antafie  in  93ilber  unb  St)mboIe  fa§t.  Slud^  SB.  Senberl 
Sßerf:  ba§  S5?efen  ber  ^Religion  unb  bie  ®runbgefe|e  ber  girdienbilbung  (1886) 
temcgt  fic^  in  äf)nlid)en  SSa^nen:  9fieIigion  ift  ber  ®Iaube  an  bie  Sliöglic^feit  be§ 
iieben^ibeoli,  if)n  bringt  aU  ibeelteä  ^eiU  unb  §iilflmittel  gegen  bie  Übel  unb 
^emmnilje  ber  SBirllic^feit  ber  ©eIbftert)ottung§trieb  überaE  unb  not>renbig  l^eroor. 


262    I-  S3uc^:  9Jietop^t)ftf.  2.  Kapitel:  S)ag  fogntoIogti(f)4t)eoIogii(^e  Problem. 

ö§  n)irb  ratjom  fein,  aud)  f)ier  bie  Erörterung  mit  ber  fofratijc^en 
$8orfrage  ^n  beginnen:  wa§>  bebeutet  ^er jönlid)teit  ?  9flid)t  n^a^r,  tt)ir 
legen  fie  äunäcfjft  äJ^enfctjen  bei,  Xieren  ober  leblojen  fingen  fommt 
fie  nid)t  gu;  fie  i[t  bie^orm  menfc^Iic|en  Innenlebens.  SSir 
fönnen  fie  ettt)a  erftären  at§  jelbftbeujuBteS  unb  üernünftigeS  SDenfen 
unb  SSoIIen. 

S)ie  iJrage  lüäre  nun:  f)at  bog  Innenleben  beg  S(ü=(Sinen  bie= 
felbe  g^orm?  3öir  werben  antworten:  lüir  maBen  un§  nid^t  an,  bie 
innere  Dtotur  be§  2(Uiüirf(idjen  erfctjöpfenb  §u  beftimmen,  ein  nic^t 
minber  ^offnungölofes  Unternehmen,  als  menn  ein  2öurm  über  gorm 
unb  Sn^alt  menfd^Ii(f)en  ÖJeiftesIebens  2)efinitionen  geben  moltte.  SIber 
nic^t  of)ne  örunb  l^erben  mir  fagen:  ber  llnterfdjieb  ,^mifcf)en  menfdj= 
lirfjem  unb  göttüdjem  Innenleben  muffe  aUerbingS  groB  unb  burd)= 
greifenb  fein,  fo  groB,  ha'Q  an  feinem  fünfte  ©leic^artigfeit  ftattfinben 
!önne.  Söeber  iia§:  SBotlen  nod)  \)a^  S)en!en  be§  2((I=6inen,  menn  njir 
benn  überfjaupt  non  feinem  SBoilen  unb  S!)enfen  reben  bürften,  fönne 
burdj  bie  Äategorie  unfereä  Sßefen§  gefaßt  merben. 

2005  ännäd)ft  bo§  2öot(en  ontongt,  fo  f)at  es  bei  un§  feinen 
Urfprung  in  trieben  unb  93egierben,  mie  fie  ber  £oge  eines  be= 
fc^ronften  unb  bebürftigen  SBefens  ongemeffen  finb.  2)er  oernünftige 
SBille  ift  nid)t§  onbereS  olö  eine  5(rt  ©elbftregulierung  ber  Striebe  burd) 
SSernunft.  2)em  5tü=®inen  fönnen  mir  berortige  gunftionen  nid)t  gu» 
fd)reiben;  unbebürftig,  {)ot  er  oud^  fein  S3egel)ren  unb  alfo  oud)  feinen 
äöillen  im  meufdjtidjen  Sinn.  Xa^n  fet)It  es  an  S)ingen  oufeer  it)m, 
Quf  bie  er  fid^  richten  fonnte.  —  5)ie  Xf)eoIogen  brüden  bies  au§, 
inbem  fie  @ott  StIIgenugfomfeit  beilegen.  —  (äbenfo  menig  fonn 
il)m  ^anbeln  mie  einem  SJJenfc^en  jutommen.  S^on  ben  2;f)eologen 
mirb  il)m  a\§>  f)anbelnbem  SSefen  2(11  m od; t  gugefdirieben.  9hm,  bo§ 
^onbeln  eines  ollmädjtigen  äöefeuS  ift  uid)t  bloB  bem  Umfang,  fonbern 
ber  ^rt  noc^  üon  unferm  .^anbeln  oerfdjieben.  Unferm  .^onbeln  ift 
ber  ©egenfo^  oon  Stbfic^t  unb  Slusfüljrung,  oon  ^xvtd  unb  9JiitteI 
mefentlid);  mir  machen  erft  eine  SSorftellung  oon  etmoS,  mag  nod)  nid)t 
ift,  bann  bringen  mir  bie  2)inge,  bie  iljrem  ^ofein  nod;  oon  un§ 
unabhängig  finb,  fie  gteidjfam  überliftenb,  bal)in,  ha}i  fie  unfern  ßnieden 
fidj  fügen.  Sn  @ott  muB  SBolIen  unb  ^Vollbringen  jufommenfollen,  er 
benft  unb  e§  gefd^iefjt:  bie  2öirflid)feit  ift  fein  mollenbeS  unb  feienbeä 


9.  ®a§  S8er^äUni§  beä  |)aut^eiftiid)en  ©otteäbegriffl  juc  Steligion.      263 

3)enfen,  ober  mit  (Spinoza,  ift  bie  (Syplifotion  feiner  actuosa  essentia. 
—  S^idjt  anberg  [tef)t  e§  aiidj  mit  ben  moraliidjen  ©igenfdjaften 
be§  ä)^'nfdjcn,  fie  fl3nuen  nidjt  auf  ©ott  übertragen  iperben;  e§  ift  bei 
if)m  uon  ^flidjten  unb  Sugenben  !eine  9?ebe.  ©elbftbe^errfc^ung, 
9)?äBig!eit,  Siapferfcit  fe^en  ^öegierbe  unb  gurdjt,  ©erec^ttgfeit  unb 
SBoljIuioüen  fe^en  ©etbftbefd^ränfung  unb  ^(ufopferung  eigener  9lei= 
gungen  öorau§.  @ott  muB  9J?enfci^  tt}erben,  um  bormfier^ig  unb  gütig, 
tok  ein  9}?enfd^,  fein  ju  fönnen. 

(Sben  bo^felbe  gilt  aber  and)  üon  ber  intellef tuelten  @eite. 
Unfer  (Srfennen  gefjt  au§  öon  ben  ©innen.  5luf  ©runb  oon  2Baf)r= 
ne^mnngen  bilben  wix  Segriffe,  bereu  93ebeutung  allein  barin  befte£)t, 
ha'^  luir  burdj  fie  SInfdjauungen  begreifen,  @elbft  üon  unferem  eigenen 
SKefen  ^aben  tüiv  nidjt  auf  anbere  2Seife  ©rfenntnig.  Unb  nod)  einc§ 
ift  unferem 'teufen  ttjefentlidj:  bie  (Sntgegenfe^ung  öon  i^c^  unb  9Zid)tid), 
unfer  ©elbftbeiimBtfein  ift  an  ben  ©egenfat^  oon  ^sd)  unb  Slu^enlnelt 
gebunben.  ®em  5(U=Sinen  fonimt  alle§  bie§  nidjt  gu.  3)ie  X^eologen 
legen  ©ott  Slüttjiffenfjeit  bei.  @§  ift  if)nen  nidjt  entgangen,  ha^ 
Slünjiffentieit  oon  unferem  SBiffen  nid)t  bloB  bem  Umfang,  fonbern  ber 
%xt  nad)  unterfd^ieben  ift:  ®otte§  2)enfen,  fagt  bie  fdjolaftifc^e  ^{)i(o= 
fopljie,  ift  nidjt  bi§fnrfio,  burd)  i^egriffe,  fonbern  intuitio;  aber  intuitio 
nic^t,  lüie  unfer  anfdjaulidjeä  ©rfennen,  ha§>  an  'Sianm  unb  ^^dt  ge= 
bunben  ift,  fonbern  Ö)ott  fd)aut  alle  ®inge  mit  einem  33nd,  haS^ 
Sßergangene  unb  ha§>  ßufünftige  luie  bü§  ©egeumärtige.  ä)ian  fiet)t, 
bafe  mir  oon  einem  fold^en  ©rfennen  ober  93emuBtfein  feine  S5or= 
ftelinng  Ijaben,  e^  finb  bem  menfdjlid^en  ©rfennen  feine  @d)ranfen 
genommen,  aber  bie  S3eftimmtt)eit  ift  bamit  jugleidj  genommen,  ©in 
intuitioer  35erftanb  ift  ein  Ieere§  Sdjema,  i)aä  tt}ir  nidjt  ju  erfüllen 
üermögen. 

Sft  e§  f)iernadj  unmögtidj,  ©ott  bie  ©eftaU  menfdjiidjen  (Seelen = 
lebenS  beijutegen,  fo  mirb  eg  and^  nidjt  möglich  fein,  if)m  ^erfönlid)feit 
in  ber  58ebeutnng  be^  2Sort§,  in  ber  wir  el  öon  9}Zenfdjen  braud^en, 
beizulegen.  9lur  irenn  mir  bem  93egriff  alle  menfdjlid^e  93efd^rän!tt)eit 
nehmen,  öertiert  bie  Sadje  etma§  üon  i^rer  5XnftöBigfeit;  aber  mir 
nehmen  ifjm  bamit  äuglcic^  allen  Snljatt,  alle  53eftimmtt)eit. 

S)ie§  mürbe  allgemein  §ugeftanben  merben,  menn  nidjt  bie  33e» 
forgni§  beftnnbe,   e§  geljc  @ott   etma§  an  SBürbe  üerloren,   menn  itjui 


264    I.  S3ud^:  3Retapf}t)\it.  2.  Kapitel:  ®a§  foSmoIogifd^-t^eoIogifc^e  «Problem. 

ba§>  ^röbifot  eine§  perfönüd^en  SSefen§  üorent^olten  irerbe;  e§  Bliebe 
bann  nur  übrig,  i^n  ein  unperj5nti(f)e§  SBejen  ju  nennen,  unb  bantit 
ft)ürbe  er  in  bie  'Steit^i  ber  nntermenjcf}Iid)en  SBefen  tjefteüt. 

5t6er  bieje  ^eforgniS  ift  grunbloS.  Ser  ^ant^ei§mu§,  mie  er 
{)ier  gefaxt  njirb,  ben!t  nicf)t  baran,  ®ott  ettt)a§  ju  nefimen  ober  ab= 
jujprec^en,  anber§  al§  menfcfjticfje  53efdjrän!tt)eit.  9iur  barum  ^ä(t 
er  e§  für  unjuläifig,  @ott  burd)  ben  begriff  ber  ^erjönlic^feit  ^u  be= 
ftimmen,  n)eil  biefer  für  bie  unenblid;e  ^üUe  unb  ^iefe  feine§  SSefenä 
gu  eng  ift.  Um  ober  jener  S3eforgni§  ein  (Snbe  gu  nrndjen,  !önnte  er 
©Ott  ein  überperf önli(^e§  Söefen  nennen,  nid^t  um  fein  SSefen 
boburd)  ju  beftimmen,  fonbern  um  anjubeuten,  bo^  er  ®otte§  SSefen 
in  ber  Ülic^tung  ber  Steigerung,  nidjt  ber  SOJinberung  menfd)Iic^= 
geiftigen  2eben§  fudje.  Unb  er  fönnte  Ijinjnfügeu:  in  biefem  (Sinne 
nefjme  er  aud)  feinen  5InftoB  baran,  menn  jemonb  ©ott  ein  perföntidjeS 
SSefen  nennen  n^olle.  ®a  menfd)üc^^geiftige§  Seben  ha§>  ^öc^fte  unb 
33ebeutenbfte  ift,  tt)a§  mx  !ennen,  fo  tonnen  mir  aud)  (Sott,  njenn  n)ir 
tion  it)m  eine  93orfteIIung  un§  madien  njollen,  nur  burc^  menfc^= 
lid)e§  SSefen  in  t)öd)fter  Steigerung  üorfteüen.  SBenn  bie  ^unft  ©ott 
bar^uftetten  unternimmt,  fo  giebt  fie  if)m  bie  (eiblid^e  ©eftatt  eine§ 
aJJenfdjen,  nic^t  in  ber  äJJeinung,  baj3  ©Ott  in  2Bir!(id)!eit  bie  förper= 
Iid)e  gorm  eine§  9Jknfd)en  ^ahi,  fonbern  tt)eit  \)a^  eble  9J?enfd)enantti| 
für  un§  bie  t)öd)fte  unb  bebeutenbfte  förperlid)e  ©eftalt  ift.  Sn  thtn 
bemfelben  ©inne  tonnen  mir  ©Ott  auc^  bie  geiftige  ©eftalt  beilegen, 
bie  mir  an  ben  beften  unb  größten  SOieufdjen  oere^ren.  SSenn  mir  oon 
feiner  §eitig!eit,  2öci§f)eit,  ©üte  unb  ©eligfeit  reben,  fo  finb  ba§  ft)ut= 
bolifc^e  S(u§brüde,  bie  nid^t  fein  SBefen  mie  boS  SBefen  eine§  9)Zenfd)en 
begriffüd)  beftimmen,  fonbern  unferer  ^orfteüung  bie  Sfxic^tnng  anbeuten, 
in  ber  mir  e§  fud^en. 

S)a§  ift  ber  mögtid^e  unb  unüermeiblic^e  ^Inttiro^* 
pomorpf)i§mu§  aller  Sieligion.  3ßir  !ennen  feinen  onberen 
©eift  als  irbifdj=menfc^Iic^en,  borum  fteüen  mir  audj  ©ott  al§  fo(d)en 
oor,  nid^t  meil  er  an  fid)  felber  fo  ift,  fonbern  meit  unfere  SSor= 
ftellungen  nid^t  über  unfer  ©rieben  ^inaugreidf)en.  Unb  barum  gef)t 
biefer  ?tntfjropomorpl}i§mu§  notmenbig  meiter;  \the§i  Sßolt  giebt  ©ott 
bie  ©eftalt,  bie  feinen  ^ßorftellungen  oon  ©üte  unb  ©d)önt)eit,  SSürbe 
unb  ^eiligfeit  entfprid)t.    @§  ift,  mie  ©oetf)e  fagt: 


9.  ®a§  aSer^ältmS  bc§  pant^eiftifdien  ®otte§begriff§  jur  ^Religion.      265 

3m  i^nnecn  ift  ein  Untöetjum  oiid^, 
®a^er  ber  Sßölfer  Iöblicf)er  ©ebrauc^, 
®a§  jegltd^cr  bag  93e[tc,  tra^  er  feiint, 
©r  ®ott,  ja  feineu  ®ott  benennt, 
S'^m  §immet  unb  ©rben  übergiebt, 
^tyi  fürchtet  unb  »üomöglic^  liebt. 

Sn  einem  folrfjcn  fi)mbonjd)en  ^Xntf)r opomorp^i§mu§ 
reidfjeu  ficf;  pt)i(ofopf)ijcl^e§  SDenfen  unb  religiöjer  ®Iauk  bie  §anb. 
2)a§  SBiffen  erl^ebt  bagegen  feinen  ©injprutf);  üon  feinen  eigenen  3Sor= 
auSfe^ungen  auf  ben  Segriff  bc§  StH=(Sinen  geführt,  ben  e§  bocTj  nid^t 
inf)attlirf;  ju  beftimmen  üermag,  überlädt  e§  bem  bidjterifd)  fdjaffenben 
$ßoI!§geift  ober  bem  religiöfen  @eniu§,  un§  faBüd)e  35orfteQungen  unb 
93ilber  bofür  §u  prägen.  SInbererfeitS  liegt  e§  bem  retigiöfen  ©lauben 
öi3Uig  fern,  feine  ©t)mbo(e  für  ftiiffenfd^aftlid^e  ^Begriffe  gu  fjalten; 
fte  finb  etn)Q§  unenbüdj  §öf)ere§  unb  SebeutfornereS  al§  miffeufdioftlid^e 
^Begriffe  unb  g^ormeln,  fo  öiel  f)öf)er,  a(§  ©ott  ()öf)er  ift,  ai§>  menfd^= 
Iid)e§  STienfen  unb  ^Begreifen.  Unfriebe  bridjt  jmifdjen  ^^iIofop!E)ie 
unb  9^etigion  erft  bann  au§,  njenn  entttjeber  bie  ^()irofop!)ie  ben 
©tauben  auggnfdjtieBen  trad^tet,  be^aupteub:  bie  ^Begriffe  ber  3Biffen= 
fd)aft  umfpannten  unb  erfd)öpften  bie  SSirftid)!eit,  unb  jene  ©t)mbote 
feien  finbtid^e  Xröume,  bie  entmeber  übert)aupt  feinen  SSert  t)ätten 
ober  bo(^  nur  für  ha§>  33ot!,  ba§  ni(^t  in  S3egriffen  benfen  fönne. 
Dber  menn  eine  9^etigion  ober  üietmet)r  eine  Äirdjengemeinfd)aft  i^re 
©i)mbote  für  ^Begriffe  unb  i^rc  ©taubenSartifet  für  miffenfd)afttid} 
betüeisbare  SBa^r'^eiten  au§giebt,  unb  nun  üon  atlen  ^enfern  oertangt, 
tafi  fie  eben  biefe  SSermedifetung  begeben,  bei  ©träfe,  für  ^e|er  ober 
2(tt)ei[ten  getjalten  gu  n^erben.  Sn  bciben  gäflen  entftef)t  töbtidje  geinb= 
fc^aft.  ©egen  einen  ©tauben,  ber  fid)  für  attein  güttige  SBiffenfdjaft 
giebt,  empört  fic^  ber  SSerftanb.  ©egen  eine  ^t)itofop^ie,  meiere  bem 
©tauben  unb  ber  ®id)tung  feinen  9?aum  gönnt,  empört  fidj  ©emüt 
unb  ^tjantafie.  dagegen  ein  ©taube,  ber  nid)t§  anbereS  fein  n)iß, 
at§  ein  ©taube,  unb  eine  ^t)itofopf)ie,  bie  ftd^  ber  ©renken  menfd^« 
tidjer  @rfenntni§  bemüht  ift,  bie  l^aben  neben  einanber  9^aum.  S)er 
(Siuäctne  unrb,  nac^  feiner  inbinibuetten  5lntage  unb  93itbung,  mel^r 
ber  einen  ober  me^r  ber  anberen  (Seite  juneigen,  lüie  er  aud^  met)r 
für  gorjdjung  unb  SBiffcnfc^aft,  ober  mel^r  für  ^unft  unb  ©ic^tung 
begabt   unb   intereffiert   fein   fann;   aber   er  fann  unb  foü  für  beibe 


266    I.33u(^:  SIKetapl^^ftf.  2. 5?opttel:  ®a§  Iolmologifd)=t^eologif(i)e  ^robtem. 


©eiten  be§  geiftigen  2eben§  S3erftänbni§  uub  ^Ic^tuug  tjaben.  ^q§ 
ift  bie  2(ujd)auung,  ber  an  ber  legten  großen  äöenbe  ber  Reiten  ^ant 
bie  SoJin  gebrocfjen  ^at.  ©d^Ieiermad^er  l^ot  fie  ber  2;I)eotogie 
äugefüt)rt.  Sc^  !omme  barauf  ^urüii,  !ann  mir  aber  nicf)t  derfagen, 
au§  ben  9f?eben  über  bie  Religion  jc^on  I)ier  eine  (Stelle  einzufügen, 
©d^Ieiermad^er  bejpridjt  bie  9}JögIid)feit ,  mit  einem  pljilofopl^ijdjcn 
^ant^eiSmng  religiöfen  ©lauben  ^u  bereinigen ;  er  jagt:  menn  ber 
^anttjeift  e»  Her jcfjmätie ,  bie  @ottf)eit  perfonlic^  gu  benfen,  \o  !önne 
bieg  jeinen  ©runb  f)üben,  „in  einem  bemütigen  SetüuBtjein  üon  ber 
S3efd)ränttf)eit  perjonlic^en  SemuBtjeinS  überf)anpt  unb  bejonber§  audj 
be§  an  bie  ^erjöntidjfeit  gebunbenen  33emuBtfein§."  Ob  jemanb  ©ott 
:perfönlid)  benfe  ober  nidjt,  ha§^  f)ange  mejentlid)  üon  ber  9^id}tung 
feiner  ^(jantafie  ah;  unb  fdjüeBIid;  feien  beibe  S3orfteUung§arten  nid)t 
fo  gar  n^eit.  auSeinanber,  „nur  ha^  man  in  bie  eine  nidjt  ben  Xob 
{ha§>  ftorre  tote  (Sein)  ^ineinbenfen  muB,  au§  ber  anbern  aber  alle 
3J?ü^e  reblid)  anmenben,  bie  ©djran!en  ^inmeggubenfen."  Sßer  aber, 
fügt  er  ^jin^u,  burdjau»  barauf  betjarre,  bie  ^römmigfeit  al§  abhängig 
üon  bem  S8efenntni§  §ur  55orfteUung  üon  ber  ^erfönlidjfeit  @otte§  ju 
fetten,  ber  fönne  fid)  nidjt  meit  umgefefjen  tjaben  in  bem  ©ebiet  ber 
grömmigfeit;  ja,  bie  tieffinnigften  Sßerfe  ber  eifrigften  3Serteibiger  feine§ 
eigenen  ©taubenS  müßten  il)m  fremb  geblieben  fein.  (Sdjieiermadjer 
benft  an  bie  ä)h)fti!er.  — 

Sie  üblidjen  33egriffe,  mit  benen  über  2;f)ei§mu§  unb  ^antf)ei§mu§ 
geftritten  mirb,  finb  bie  begriffe  2 r a n f c e n b e n  j  unb  ^mmanen^; 
ber  jrt)ei§mu§  lel^re  bie  S^ranfcenbens,  ber  ^ant^ei§mu§  bie  Smmanen^ 
(55otte§  in  ber  SSett.  Um  bie  oben  borgelegte  Stnfic^t  nod)  mit  biefen 
^Begriffen  ju  be^eidjnen,  fo  mürbe  idj  fagen:  ^mmaneng  unb  Xran§- 
cenbeuä  finb  nid)t  fid)  au§fd)IieBenbe  ©egenfä^e.  ®er  Xf)ei§mu§  !ann 
bie  3mmanen5  öotteS  in  ber  SSelt  nid)t  augfc^Iiefeen;  ift  ®ott  (Sd^öpfer 
unb  (Srt)alter  aller  S)inge,  fo  ift  e§  feine  Äraft  in  ben  Singen,  bie 
iljuen  in  jebem  Slugenblid  bie  Sßirflidjfeit  giebt.  StnbererfeitS  fdjlieBt 
ber  pl}itofopt)ifd^e  ^antl)ei§mu§  bie  2;ranfcenben§  nic^t  au§,  ®ott  unb 
Statur  fallen  nidjt  fdjledjttjin  äufammen.  2)a§  gilt  nadj  Seiten  ber 
Duantität;  bie  9ktur,  bie  mir  fe^en,  ift  enblid),  @ott  ift  unenblic^,  fie 
geljt  in  itjm  auf,  aber  er  gel)t  nidjt  in  i^r  auf;  bie  SBelt,  bon  ber 
unfere  ^olmologie  mei^,  ift  ein  2ro|:)fen  öon  bem  O^ean  ber  2öirllic^= 


9.  ®og  SBer^öItniä  beg  pontf)eiftijcf)en  ©otte^fiegrip  jur  Sieligion.      267 

feit.  2)a§  gilt  oud)  nad^  ©eiten  ber  Ouatität;  ba§  SBefen  ber  2)inge, 
ipie  e§  fici§  ung  barfteüt,  fonn  ®ott  nidjt  überf)aupt  fremb  jein;  aber 
@otte§  2Befent)eit  felbft  i[t  unenblid),  fie  lüirb  nidjt  erfd)i3pft  burd) 
bie  Seftimmungen  be§  2SirfIid)en,  bie  iuir  feigen,  burd)  Körper  unb 
(^eift,  burd)  ?(u§be^nung  unb  2)enfen,  ober  tt)ie  mir  bie  allgeniein[ten 
Dualitäten  ber  SBirüidjfeiten  ueuueu  lüolleu.  5(Ifo  ©Ott  i[t  tran§= 
ceubeut,  jofern  fein  unenblici^e§  Söefeu  bie  uu§  gegebene  SSirflidjfeit 
unenblid)  überfteigt.  ©§  i[t  Stbgütterei,  ®otte§  SSejeu  in  ber  uu§  ge- 
gebenen 9?atur  unb  bem  SBefen  ber  Kreatur  aufgef)en  ju  loffen. 
©oldjer  S(bgötterei  ift  übrigen^  ber  ))^iIofopf)ifd)e  ^^antf)ei§mu§  in 
ber  Üieget  ferner  al§  ber  2;f)ei§mu§,  ber,  inbem  er  ha§:  SSefen  ®otte§ 
burdj  ^räbifaniente  bc§  menfdjlic^eu  2Befeu§  begriffli^  beftinimt,  nid^t 
feiten   gu  einer  falfi^en  Smmanen^  eine  bebentlidje  S^ieigung  jeigt.  — 

^\m,  lüirb  ein  5(nf)änger  ber  alten  Ortl)obofie  fagen,  ha§  oüeä 
flingt  ganj  fdjön  unb  gut;  unb  toenn  man'§  f)ört,  mi)d)t'g  leiblid^ 
fdjeinen;  e§  ftel)t  aber  bodj  immer  fdjief  barum.  äöa§  ha§^  religiofe 
®emüt  üerlangt,  hü§>  ift  ein  ©ott,  gu  bem  el  in  ein  p  e  r  f  ö  n  1  i  d)  e  § 
$i5  e  r  ^  ö  U  n  i  §  treten  !aun.  (Sin  f  old)e§  ift  möglid),  wenn  @ott  al§ 
perfönlidje^  ßinäelmefen  aufser  unb  über  ber  SSelt  ftel)t,  e§  ift  nic^t 
möglid^  5U  jenem  Slü^ßinen  ober  2tll=äöirflidjen.  Unb  \üa§  ha§ 
religiöfe  ©emüt  weiter  üerlangt,  ha§>  ift  ein  ©ott,  ber  mit  feinen 
©efdjöpfen  füt)lt  unb  il)re  ©ebete  f)ört,  ber  in  ber  9^ot  fid^  i^rer 
erbarmt  unb  al§  ."pelfer  nal)e  ift.  2)a§  fann  ein  ©ott,  ber  al§  2BeIt= 
lenfer  über  bem  ^fiaturlauf  ftetjt;  aber  «Spinozas  ©ubftan^  erl)i3rt  feine 
©ebete  unb  tf)ut  feine  SSunber. 

2öa§  ben  erften  ^unft  ontangt,  fo  märe  f)ier  luieber  ba^felbe  ju 
fügen,  tüa§  foeben  bei  (Erörterung  ber  O^rage:  ob  ©ott  felbft  ein 
perfönlidjeS  SBefen  fei,  gefagt  mürbe.  (Sin  perfönlidje§  $8erl)ältni§  ift 
gunädjft  ein  SSer^ältni»,  mie  e§  öon  9Jienfd)  gu  9J?enfdj  beftefjt,  ein 
93erf)ältni§,  bei  bem  gegenfeitiger  5(u»taufd)  üon  ©ebanfen,  ©efüfjleu 
unb  ßeiftungen  ftattfinbet.  Safe  eben  ba^felbe  ä^erljältniS  smifc^en 
einem  $Dtenfd)en  unb  ©ott  ftattfinben  fönne,  mirb  bod^  auc^  ber 
ocrmcgenfte  5(ntl)ropomorpl)i§mu§  bebenflid)  finben  §u  bef)aupten; 
ober  f)at  jenmub  ben  SJJut  ju  fagen,  e§  beftelje  l)ier  eben  ba)§felbe 
SSerl)ältni§,  mie  gmifdien  ©Iteru  unb  Äinbern,  ^mifd^en  g^reunben  unb 
Öcac^barn  ? 


268    I-  93ucf):  SWetap^i^fif.  2.  Kapitel:  ®a§  fo§moIogifd)=t^eoIogifc^e  «ßroblem. 

SSir  fönnen  aber,  of)ne  ber  8prQcf)e  ©etrolt  anjutfiun,  bog  SBort 
Quc^  in  einem  n)eiteren  ©inne  brauchen.  äBir  ttjerben  bag  SSerl)äItni§ 
eine§  ä)?anne§  ju  feinem  55oIfe  bocf)  tuo^  e^er  ein  perji3nIidE)e§  nennen 
qIS  ein  nnperjönUrf)e§;  anf  jeben  g^oll  ift  e§  für  fein  ©mpfinben  nnb 
3)enfen,  für  fein  ^anbetn  nnb  Seben  öon  größter  Sebentnng.  2)ie 
ftärfften  eintriebe  fommen  i^m  bat)er;  nm  feines  S]o{fe»  inißen  arbeitet 
nnb  !ämpft  ber  ^ilb;  im  ©(anben,  ha'^  e§  if)m  jnr  görberumg  nnb 
(Sfire  gereiche,  nimmt  ber  po(itifc^e  3J^ärtl)rer  auc^  9)äBac^tnng  nnb 
SSerfoIgnng  anf  fic^.  5Son  feinem  ^olfe  ernjartet  ber  ^icf)ter  i8er= 
ftönbniS  nnb  frenbigen  SBiberljaü,  nnb  er  tnei^  nnb  füf)It  e§,  tt)enn 
er  bie  $8oIf§feeIe  mit  feinem  SSort  getroffen  f)at.  9lun,  in  einem 
äf)nlic^en,  freilid)  nod^  tiiel  nnbeftimmteren  ©inne  fann  man  ha^  53er= 
l^ättni»  beg  frommen  ^u  ©Ott  ein  perfönlic^eS  nennen.  Or  füfjrt 
fein  Seben  gur  (S^re  @otte§;  fid)er,  mie  foüte  nic^t  jebe  gute  l^at 
unb  jebe§  reine  nnb  fd^öne  ßeben  @ott  gu  (S{)ren  gereidjen?  3)er 
^reuäfatirer  füf)(te  fic^  a\§>  Streiter  (Sotte§,  ber  äJJiffionar  al§  5Irbeiter 
am  33an  feine§  9fleic^e§;  er  ift  bei  SBof)Igefa(Ien§  @otte§  gemi^,  n)ie 
foßte  er  nict)t?  unb  tuie  foHte  er  nid)t  in  biefem  33ettJU&tfein  Äraft 
nnb  Sroft  unb  ©eligfeit  finben? 

§tber  ber  @ott  be»  ^antt)ei§mu§  f)at  ja  feine  @efüt)te;  n)ie  fann 
bei  bem  unfüf)Ienben  5IH=Sinen  oon  SBo^fgefallen  bie  D^iebe  fein?  — 
Sa,  mu§  benn  ha§,  ^lH-ßine  ober  ber  2ItI=(Sine  —  öielleidjt  giebt  e» 
Sente,  bie  am  ^ant^ei§mu§  üor  altem  barum  StnftoB  nehmen,  ttjeil  er 
gegen  ha§^  grammatifd^e  genus  gleichgültiger  ift,  al§  i^nen  ertaubt 
fc^eint  —  muB  @ott  nac^  jener  ?(nffaffung  übertjaupt  unfü^Ienb  fein? 
^ä)  meine,  eine  pant^eiftifc^e  ^^fiilofop^ie  brandjt  bie§  nict)t  ^njugeben: 
ift  ©Ott  bie  SSirflidjfeit  aU  einf)eitlidje§,  für  fic^  feienbeg  Innenleben, 
fo  lüirb  auc^,  n)a§  an  irgenb  einem  ^unft  ber  2Birf(id)feit  fic^  äuträgt, 
für  ©Ott  at§  ein  äJJoment  feinet  SBefen§  93ebeutung  t)oben.  §reilid), 
fie  töxxh  fidj  t)üten,  ©ott  menfd)Iic^e§  ©efü^I  beizulegen,  aber  nid)t 
minber  n^irb  fie  fidj  tjüten,  ©ott  überhaupt  etmaS  abjufpredien.  SSon 
ber  Siebe  unb  ber  ©eligfeit  ©otteg  fpric^t  ©pinoga,  nic^t  meinenb, 
boB  bie  pat^ofogifc^en  3«ftönbe  be§  S!)?enfc^en  fid)  ebenfo  bei  ©ott 
finben,  tt)ot)I  aber  meinenb,  ha^,  lna§  in  ben  (Sinjetoefen  fid)  finbe, 
in  bem  SSefen  be§  Unenblidjen  angelegt  fein  muffe,  au§  bem  fie 
ftammen.    2)er  ha^  Sluge  gemadjt  f)at,   foüte  ber  nid)t  fet)en,  ber  ha^ 


9.  S)a§  9SerI)äItm§  beg  pant^eiftii'c^en  ©otte^begriffg  jur  SReligion.      269 

Df)r  gemacfjt  t)Qt,  foflte  ber  ni(f)t  f)ören?  @o  tonnten  n)ir  f)ier  jagen: 
ber  t)ü§^  ßjefüfjl  gemacE)!  t)at,  foUte  ber  nidjt  fütjlen?  Slber  tt)ie  bort 
fcf)en  nnb  ^ören,  \o  lüirb  t)ier  füt)len  nicf)t  im  eigentlidjen  ©tnne  ge= 
braucht.  Sarum  finb  bie  ?lu§brü(fe  nid)t  finnIo§,  e§  finb  Q^ejeidjnungen, 
bie  ben  SBert  öon  ©tjmbolen  für  bQ§  Unan§ben!Iid)e  nnb  UnQU§' 
fprec^tic^e  fjaben.  ©o  meint  e§  bie  ©d)ri[t:  ®ott  iüot)net  in  einem 
ßid)t,  bo  niemanb  äufommen  fann.  S)ie  notürtid^e  2f)eotogie  meinte 
©Ott  mit  i^ren  ©ebanfen  jn  begreifen;  fie  fprac^  üon  ©ott  beinalje, 
tuie  man  öon  einem  Kollegen  fpridjt,  beffen  ©ebanfen  man  oöüig  be= 
greift  nnb  prüft.  jDa§  5ßerl)ä(tni§  bee  grommen  jn  @ott  |tef)t  nid;t 
anf  Segreifen,  fonbern  auf  ©lanben. 

^ber,  fagt  man,  n)ie  ftcfjt  e§  benn  mit  ©ebetler^ijrnng  nnb 
2B  n  n  b  e  r  t  ^  u  n  ?  2)amit  fommen  mir  erft  ju  bem  eigenttidjen  Äern 
ber  üieligion;  einen  Reifer  in  ber  'Slot  öertangt  ba§  bebriingte  ©cmüt, 
ber  ba§i  Übel  öon  it)m  abmenbet,  mit  bem  ber  9kturlauf  e§  bebrof)t. 
S)al  aber  fann  nnr  ein  @ott,  ber  über  bem  9ZaturIanf  ftel)t,  nid)t 
einer,  ber  fid)  in  i^m  manifeftiert. 

Sd^  ben!e,  ©pinoja  mürbe  anf  folc^e  (Sinrebe  etma  ermibern: 
allerbingS  feien  ba§  @emüt§bebürfniffe,  beren  93efriebigun9  non  ©Ott 
ju  ermarten  feine  ^f)iIofop^ie  ntd)t  ermuntere.  (Sr  mage  nid)t  ju 
benfen,  tü'^  bnrdj  ha§>  S(n§fpred)en  eine§  2Bunfd}e§  SSeränberungen  im 
9ZaturIanf  fjerbeigefül^rt  merben  fönnten.  3)al  ©ebet,  a\§>  ein  innerer 
Sßorgang  in  ber  ©eele,  möge  SBirfnngen  im  (Seelenleben  l^aben;  aber 
ha'^  bahnxd)  etma  ein  93Ii^ftral)I  ober  eine  Stngel  ans  ber  Sat)n  ge- 
brad)t,  ober,  mie  bnrd)  ba§  ©ebet  be§  @Iia§,  geuer  oom  ^immet  follte 
Ijerabgejogen  merben,  I)alte  er  nic^t  für  gtaublid). 

Sn  ber  %i)ai,  f)ier  f)anbelt  e§  fidj  um  eine  grage  nidjt  ber 
(Sdjöiuing  nnb  2)entung,  fonbern  ber  2SirfIid;!eit  oon  X^atfad^en; 
finb  ©ebete  ein  9JhtteI,  fei  e§  nun  ein  regetmäfeig  ober  ein  äumeilen 
mirffame»  dJliM,  um  3lnberungen  im  9caturlauf  ^erbei^nfüfiren  ? 
S}urd)  ©rünbe  a  priori  !ann  in  ber  <Bad)t  nidjt  cntfd)ieben  werben, 
meber  für  nod)  gegen  feine  SSirffam!eit.  ®ie  (Sntfc^eibung  märe 
bemnad}  auf  erfaf)rung§mä&igcm  SSege,  etma  burd)  ®i-periment,  mie 
e§  einft  ber  ^ropt)et  ®Iia§  ben  ^rieftern  be§  '-Baal  aufnötigte,  ober 
tiietleic^t  burd)  ein  ftatiftifc^eS  95erfal)ren  ^erbei^ufü^ren.  9}?an  fönnte 
ja  an  fo  etma§  benfen:  ob   fic^   eine  regelmäßige  53e5iel)ung   jmifc^en 


270    I-  S3uc^:  5Wetapf)»)fi!.  2.  ^o^jitel:  ®o§  !o§mologifc]^4^eologi|c^e  «ßroblem. 

ber  ^äuftgfett  öon  ©etoitterfcfjaben  unb  ber  9?eigung  311  jener  tran§= 
cenbenten  ^orm  ber  ^Ibtrel^r,  bie  ja  tno^I  für  nerfdjiebene  ©egenben 
öerfrfjtebeu  groB  ift,  l^erau^ftelle,  ob  5.  33.  bie  ©ro^ftäbte  t)äufiger  at§ 
bo§  platte  Sanb  t)eimgefuc^t  tüürben?  ober  ob  avi\  anbere  Sßorgänge, 
§agetjcf)(Qg,  SSiel^fterben  unb  S(^nttd)e§,  für  bie  gelber  unb  S8ief)ftänbe 
öerfdjiebener  unb  !)ierin  üerfdjieben  üerfa^reuber  Slod^barn  ein  (Sinflufe 
nadjttieisbar  fei?  ober  ob,  feitbem  iia§>  ©ebet,  bog  off  entfiele  unb 
prioate,  um  (Sd^u|  gegen  ^ran!f)eit  unb  %oh,  gegen  ^eftitenj  unb 
teure  3^^*  feltener  geujorben  fei,  eine  entfpredjenbe  ßuna^me  biefer 
S)inge  unb  eine  entfprect)enbe  5I6na|me  ber  burd)fd^nittlic§en  2eben§= 
bauer  ftattgefunben  ^abe?  ^d)  glaubt  nic^t,  ha^  bie  g^orberung 
einer  berartigen  $8en)ei§fül)rung  irgenbtt)o  geneigtem  (55el)ör  begegnen 
njürbe,  t)ietleid)t  n)irb  frf)on  bie  bloBe  @rft)äf)nung  ber  9J?ögIid)!eit 
oon  manchem  al§  ^rofanation  empfunben,  ein  ^(njeidjen,  ba^  ber 
©taube  nic^t  auf  Unterfuc^ung  unb  Beobachtung  ruf)t,  fonbern  if)r 
öort)ergef)t  unb  jeber  Prüfung  burd;  @rfal)rung  au§  bem  SSege  gu 
gefjen  entfd)toffen  ift. 

Übrigens  ift  njot)t  nid)t  jttjeifel^aft,  boB  biefer  @(aube  im  rofdjen 
3urüdtt)eid)en  begriffen  ift.  Urfprüngtid^  finben  tuir  if)n  allgemein 
oerbreitet,  e§  ift  moljt  einer  ber  ätteften  unb  attgemeinften  ®tauben§= 
artifel  be§  3JJenfc^engefc^Iec^l§,  ha^  ba§i  5(u§fpred)en  gemiffer  f^ormetn 
unb  ta§:  93ege^en  geroiffer  §onbIungen  ein  9)?ittel  fei,  Übeln  gu 
n^efjren  unb  ©üter  gu  gert)innen;  in  bem  9J?aBe,  a\§>  bie  (SrfenntniS 
ber  S)inge  fid^  gemehrt  f)at,  ift  er  ,5urüdgett)id)en.  ©iditbar  ift  biefer 
9?üdgang  in  ber  europöifdjen  SSöIfermcIt  feit  bem  93eginn  ber  mobernen 
naturmiffenfd^aftlidjen  g^orfdjung.  Sn  bem  9JJoBe,  a[§>  bie  9J?eteoro* 
logie  bie  SSorgänge  am  .^immel,  at§  ^fjl^fiotogie  unb  ^att)otogie 
bie  SSorgänge  im  leibtidjen  £eben  aufgeljellt  f)aben,  in  eben  bem 
9KoBe  t)aben  notürlic^e  @d^u|=  unb  Heilmittel  bie  übernatürlid^en 
^urüdgebröngt.  2Sir  fönnen  nid)t  ftreng  bemeifen,  ha'i^  ber  natürlidje 
^'oufaläufammentjong  o^ne  5tu§na^men  unb  Süden  ift,  aber  njir  f)aben 
un§  met)r  unb  mef)r  getoöfint,  e§  oorauS^ufe^en. 

Unb  fdjüefslid),  wir  tjaben  Ujofjt  !eine  Urfac^e  un^ufrieben  ju 
fein,  ha'iii  e§  fo  ift.  9}Jag  e§  im  einsetnen  ^aU  ^art  fein,  baB  ber 
S^aturlanf  unerbitt(id)  ift,  im  gangen  lüürben  n^ir  bod)  nidjt  mollen 
!önnen,   ha^   bie  @efe^möBig!eit  ber  SSiüfür  ^la^  mad)e.    SSenn  ber 


9.  ®a§  SBer^ältntg  beg  pantf)eifttjc^ctt  ©otteäbegrip  gut  «Religion.      271 

im  ©ebet  auggefprodjene  SQSunfd^  eine§  9}?enfcf)eu  Söerge  iierfe|eu  unb 
bie  (Sonne  gnm  (Stehen  bringen  ober  Siegen  nnb  ©onnenjd)ein,  fieben 
unb  2ob  niQcfien  fönnte,  ioir  luiirben  babei  nicf)t  getoinnen.  5(uf 
©rfennen  unb  3lrbeiten  raeift  un§  bie  SBirfüc^feit  f)in,  unb  bog  i[t 
Qud^  bol  nnjerer  9Zatnr  5(ngeineffene.  9iur  einem  SBillen,  ber  gan^ 
in  (5jotte§  SBillen  aufgegangen  märe,  fönnten  n^ir  fnrdjKoS  eine  joldje 
@ema(t  über  bie  ^inge  anoertraut  fe^en.  9hin,  ein  fo(d)er  SßiUe  n)i(t 
ja  nichts,  a\§>  toa^  ®ott  tt)iß,  unb  ha§>  gefd)iet)t  gen)i|. 

2)aB  ba§  (i()rifteutum  bie  9^eignng  be5  natürlid)en  9}?enjd)en, 
Srfolge  in  ber  finnlid^en  SBelt,  bie  er  burd)  natürliche  9}?ittel  nidjt 
gn  erreid)en  nernmg,  auf  übernatürlidjem  2öege  bnrc^ä^f^l^"'  "i'ijt 
eben  begünftigt,  liegt  auf  ber  §anb.  S)a§  SBefen  be§  G^riftentum§ 
ift  5(bmenbung  be§  .fiergenS  non  hm  irbijc^en  ©ütern,  mie  fie  ber 
natürlid)e  ält'enfd)  erftrebt,  unb  |)innienbung  ju  ben  (jimmlifdjcn  unb 
ettjigen  ©ütern ;  nid)t  irbifd)e§  &>{M  unb  SSo^terge^en,  f onbern  g^riebe 
mit  unb  in  (55ott  öerf)eiBt  3efu§  feinen  Jüngern.  ®em  eutfpridjt  i^r 
©ebet;  mit  feiner  Üiic^tung  auf  innere,  geiftige  @üter  be^eidjuet  e§ 
eigeutlidj  ha§>  (Snbe  be§  otten  ^aubergebet^,  ujie  eg  au§  ber  Segef)rlid^= 
!eit  unb  ."pülflofigfeit  be§  finnlidjen  SO^enfd^en  urfprüng(id)  ^erüorging. 
(Seine  33orau§fe|ung  ift:  euer  ^immlifdjer  S3ater  mei^,  ha'<ß  i^r  be§ 
aßcS  bebürfet,  unb  fein  (Scbtu^fati  lautet:  nidjt  mein  SBille,  f onbern 
bein  SSiÜe  gefdje^e.  S^lidjt  ^e^mingung  be§  9^aturlauf§  burd)  über« 
uatürlidje  SDJittel  ift  fein  ^id,  fonbern  Se^mingung  be§  eigenen  §er§en§, 
ha§',  ein  tro^igeS  unb  üerjagteä  3)ing,  fi(^  in  ba§  @(^ic!fat  nid^t  gu 
finben  unb  §u  fügen  öermag.*)  — 

Stber,  fo  ergebt  fid)  nun  ein  weiterer  (Sinmanb,  inbem  ber 
^autf)ei^5mn§  ®ott  unb  SBirfüdjfeit  g(eid)fe|t,  ()ebt  er  bie  ßigeufdjaft 
@otte§  auf,  moburd;  allein  er  (3ott  ift:  bie  abfolute  ©üte  unb  §eilig= 
feit.     Sd)  fann  unb  foU  nid)t    bie  9iatur  ober   bie  3Bir!(id)feit ,   njie 


*)  SUiit  kibenid)aftli(^er  93erebjam!cit  trenbet  fid)  gi'^te  in  feiner  3(ppettotion 
Qn  ba§  ^ublitum  im  9ttt)eigmu§ftreit  gegen  bie  förniebrignng  ber  d)rifttiif)en  ^Religion 
guni  5auberifd)en  ©ö^enbienft:  „"oa^  (Stiftern,  in  tt)eld)em  öon  einent  übermäd)tigen 
SBefen  ©lücffeligfeit  erttjartet  tt)irb,  ift  ha§  (Stiftern  ber  §(bgötterei  nnb  be§  65ö^en» 
bienfte§  unb  fo  alt  ai§  ha§  ntenfrf)Iid^e  Söerberben";  bie  d)riftnd)e  9tetigion  fei  bem 
anf§  fd)ärffte  entgegcngcfe^t,  fie  öerfprecfie  bem  finntic^cn  9)?enf(^en  fd}lcd)terbing§ 
ni(^t#  Don  irbifc^er  ©lüdfeligfcit. 


272    I.  33ud^:  3Rttap'^t)\it  2.  ^apM:  ®a§  foSmoIogifd^^tl^eoIogij^e  «ßroblem. 

fie  in  emptriji^er  S3reite  üor  mir  liegt,  üeref)ren  ober  an  fie  glauben. 
SDie  SSelt,  wie  fie  ift,  ift  gar  nid)t  ef)rtt)ürbig;  ba§  9^i(f)tige  unb 
S8öje  ift  barin  ebenfo  n^irfüd),  njie  ha^  ©ute.  S)er  ^antf)ei§mu§ 
öern)iftf)t  ben  Unterfd)ieb  öon  gut  unb  böfe,  er  fe|t  alle§  2Öir!(ici§e 
al§  göttlid^,  qI§  äJJanifeftation  be^  2(ü=Sinen,  unb  bamit  öernidjtet  er 
ben  @otte§begriff. 

Sd)  ermibere:  ba§>  ift  ein  9JiiBt)erftänbni§;  auf  feine  SSeife  wirb 
un§  burc^  bie  panti)eiftijcf)e  SöeltDorftetlung  zugemutet,  aüe§  tt)a§  ift 
unb  gefd)ief)t  für  üollfommen  unb  göttüct)  ^u  t)alten  unb  gu  oeref)ren. 
5{tlerbing§  fe|t  fie  üorau§,  ha^  nid)t§  23irflic^e§  @ott  überfiaupt 
fremb  fei;  aber  öotteS  SBefen  felbft  bleibt  tranfcenbent.  SItleS  S8er= 
göngti(f)e,  fo  !önnen  wir  mit  @oetf)e  fagen,  ift  ein  @(eic{)ni§;  ober 
nic^t  jebe§  ©leic^nig  ift  bir  faßbar;  barum  wäl)tft  bu  aus,  woS  bu 
faffeft,  unb  erblicfft  barin  eine  Offenbarung  göttlid^en  äöefen^;  onbere^ 
läffeft  bu  auf  fic^  beruf)en. 

^imm  ein  93ilb.  a«it  @efüf)ten  ber  ^ietät  ftef)ft  bu  beinern  SSoK 
gegenüber.  S^u  fangft  in  beiner  Sugenb  unb  fingft  nod):  Sd)  f)ab'  micf) 
ergeben  mit  §er§  unb  mit  §anb,  ^u  leben  unb  ju  fterben  für§  beutfd)e 
SSaterlanb.  SSa§  ift  benn  bie§  SSaterlanb,  bie§  beutfd)e  S^olf,  bem 
bu  bic^  felbft,  beine  ^raft  unb  bein  Seben  wei^ft?  Sft  e§  bie  ®e= 
famt^eit  ber  Ginjelnen,  bie  bu  fennft,  benen  bu  begegneft?  ©inb  e§ 
bie  Seute,  mit  benen  ber  tägticf)e  35er!et)r  bid)  ^ufammenfütirt,  mit 
benen  bu  ©efc^öfte  mai^ft  ober  im  S(mt  gu  t^un  f)aft?  ©ewife  nid;t; 
an  ben  meiften  unter  i{)nen  gef)ft  bu  gleichgültig  oorüber,  unb  an 
manchen  ärgerft  bu  bii^.  Sft  e§  ber  fleinere  ÄreiS,  mit  bem  bu 
nä^er  öerbunben  bift,  finb  e§  bie  58efannten  unb  guten  g^reunbe,  bie 
Kollegen  unb  ^ßorgefe^ten?  §offentIid)  ift  mani^er  barunter,  ben  bu 
adjteft  unb  wert  tjöttft,  bod)  wei^t  bu  wat)rfdjeinlid),  wenn  bu  üon 
if)m  fpric^ft,  noc^  manches,  toa^»  il^m  jur  SSoI(fommen{)eit  fe^It,  unb  für 
fie  gu  leben  unb  gu  fterben,  nein,  baQ  ift  bodj  eigentlich  nid)t  beine 
SJieinung.  Unb  bodj  ift  es  ein  gan§  wat)re§  ®efüt)t,  mit  bem  bu  haä 
Sieb  fingft.  SSo  ift  aljo  biefeS  beutjdje  Sßol!?  @g  ift  in  bem  ^er§en 
beiner  äJiutter,  e§  ift  in  ber  Sprache,  bie  fie  bid^  gelehrt,  e§  ift  in 
bem  Sieb,  ha§^  bir  gu  Serben  bringt,  e§  ift  in  bem  Stngefic^t  beine§ 
^inbe§,  e§  ift  in  ber  Sreue  eines  g^reunbeS,  in  ber  Siebe  eine§  2Seibe§, 
auc^  ou§  ben  blauen  3tugen  eineS  fremben  Äinbe§,   ha^  am  SBegronb 


9.  3)a§  Sßerf)ättmä  beg  pont^eij'tifd)en  ©otte^begrip  jur  «Religion.      273 


fpicit,  fcfjaut  e§  bid^  an;  e§  i[t  in  jcbem  SSort  ber  2ef)re  unb  3Sei§t)eit, 
ba§  ein  treuer  Seigrer  ^u  bir  gejprodjen,  e§  ift  im  5lnben!en  on  beine 
Xoten,  eg  ift  im  93ilb  ber  großen  äliänner,  bercn  äöejen  bicf)  empor= 
gehoben,  beren  ®eban!en  bic^  bereichert  ^oben:  e§  ift  fetbft  ein  $8ilb, 
bQ§  bu  bir  gemacfjt,  ein  ^beafiuefen,  beffen  3^3^  "^u  «w^  ^t^m  Siebften, 
heften  unb  (£()rroürbigftcn,  maS  bir  begegnete,  pfommengetragen  ^oft. 
Unb  nun  fprid^ft  bu,  aüe§  übrige  beifeite  laffenb:  ha§  ift  mein  5ßoIf, 
hci§^  ift,  mag  e§  eigenttid;  ift,  morin  fein  maf)re§  SSefen  jur  @rjd;einung 
fommt,  nirfjt  erjcf)öpft,  benn  unenblid^e  9teid)tümer  unb  unenblidje  ^tiefen 
bleiben  mir  öerborgen. 

9iun,  ebenfo  ^ältft  bu  e§  mit  ber  2öir!Iid)!eit  überf)aupt.  2Ba§ 
in  'Slatnv  unb  ©efdjidjte  bid;  om  tiefften  ergreift  unb  am  meiften  be= 
feiigt,  ha^  faffeft  bu  in  ein  S3ilb  jufammen  unb  fpric^ft:  i)a§>  ift  ba^ 
eigentlid^e  SSefen,  ber  tieffte  Sinn  unb  @et)oIt  ber  äöirf(id)!eit.  3)u 
ftef)ft  üor  ber  finfenben  @onne  unb  trinfft  i^r  Sidjt,  bu  atmeft  ^xn^- 
linggluft  unb  füt)(ft  \)a§  Soeben  ber  9Zotur,  bu  fie^ft  ha^  fproffenbe 
@rün  unb  bie  unenblic^c  ^üUe  ber  SBefen,  bie  fid^  t)armonifd)  regen, 
bu  fc^auft  bie  93erge  unb  ha§>  SOZeer,  ben  §immel  unb  bie  emigen 
©terne  unb  fpric^ft:  ha^  ift  @otte§  SSer!;  bu  liefeft  bie  SSerfe  ber 
großen  SDi^ter  unb  (Se^er  aller  $8ölfer  unb  ßeiten,  bu  oerfudjft  bie 
@eban!en  nac^subenfen  unb  bie  emigen  $8ilber  ju  faffen  unb  füt)ift 
ben  Obem  be»  @eifte§  @otte§  barin.  ®u  f)örft  ha§>  (Soangetium,  bu 
nerjenfft  bid)  in  bie  SBorte  unb  ha^  Seben  Sefu,  bu  erlebft  bie  ®e- 
fd)ic^te  feines  ßeibenS  unb  (Sterbend,  unb  bu  fpridjft  mit  bem  Haupt- 
mann: SSaf)rIid;,  biefer  ift  ein  frommer  SOMnn  unb  @otte§  <Bo^tt 
gemefen.  §ier  ge^t  bir  ber  Sinn  be§  SebenS,  ber  (Sinn  ber  2)inge 
auf,  ha^  ift  e§,  moburd^  unb  mo^u  bie  SSirflidjfeit  ift. 

greilidf),  baneben  ift  aud)  ba^  anbere,  ba^  9lid)tige,  ha§>  ©emeine, 
ba^  33öfe.  Sieben  Sefu  ber  ^odjmut  unb  §aB  ber  ©d)riftgelef)rten, 
bie  fatte  @elbftgered)tigfeit  ber  ^tjarifäer,  bie  fdjnöbe  ©efäüigfeit  be§ 
^^rofurator»  ber  G)ered)tigfeit,  ber  fidj  bei  ber  ä)kffe  liebenSmürbig 
mad)t,  bie  SOJorbluft  eine§  uerblenbeten  ^öbelS,  bie  ©emeinf)eit  eine§ 
^serröterS  unb  bie  ^djwädjt  eine§  93erleugner§,  ha§>  aüel  ift  aud)  ba 
unb  ift  ebenfo  mirflidj.  S)ennodj  fagft  bu:  ba§  3BefentIid)e  an  jenem 
gefd)idjtlidjen  §ergang  ift  e§  nidjt,  ba^  2BefentIid)e  ift  ba§  ßeben  unb 
(Sterben  bei  Unfdjutbigen  unb  ©ered^ten,  ba§>  ift  ba^  groBe,  bie  SSelt 

'IJauIicn,  tStnlcituitg.    G.  Shtfl.  18 


274    I-93uc^:  2Jietapf)t)[if.  2.  ta^itel:  S)a§  fo^moIogii(i)*t:^eoIogifd^e  ^robtem. 

Betüegenbe  (SreigniS,  alle§  übrige  ift  nur  Df^eknlüer!  unb  9LRitteI,  gur 
^eröeifüfjrimg  unb  ©arftellung  nottoenbig;  aber  md)t  qI§  ein  @tü(f 
unb  3;ei(  baüon. 

^atürlic^,  ha§  ift  SBillfür.  SBer  nic^t  \o  füf)It,  bem  fannft  bu 
e§  nid^t  beftieifen.  2öer  ha  fagt,  ber  ^ned§t  50Jatc§ul  ober  ber  frä^enbe 
^al)n  finb  ebenfo  ttjirflic^,  ^ier  ift  fein  Unterfrf)ieb,  ber  eine  SBeöor* 
gugung  recf)tfertigte,  ben  fannft  bu  nicf)t  nötigen.  (S§  ift  nic^t  ber 
33erftanb,  fonbern  ha§>  ©emüt,  bo»  ben  Unterfd)ieb  macf)t;  bem  ^er= 
ftanb  ift  jebe§  SBirflid^e  gteicE)  tt)irf(ic£);  ben  Unterfd)ieb  jtt)ifc^en  bem 
Söic^tigen  unb  Unmi(f)tigen,  bem  SSefentlidjen  unb  ^uföüigen,  ben 
mac^t  nicfjt  ber  Sntelleft,  fonbern  ber  SBiüe.  2)a§  §er§  fagt  bir, 
n)a§  ha^  eigentlich  unb  njafjr^oft  ©eienbe  unter  ber  unenblid^en  ^üße 
bei  SSirftid^en  fei.  2Ber  übertjaupt  fein  ^erj  f)ätte,  wer  blofeer,  reiner 
SSerftanb  märe,  bem  märe  alle§  gteid)  micfitig,  ober  oieImef)r  alleä 
gleid^  ni(f)t§fogenb.  22Ser  fein  ^erj  öerloren,  fein  @emüt  oermüftet 
'i)at,  bem  $8(afierten  gef)t  e§  fo. 

Sllfo  in  biefer  2(bfi(f)t  mac^t  ber  Unterfd^ieb  ber  foSmotogifc^en 
SSorftellung,  bie  fid^  jemanb  über  Urfprung  unb  Söeftanb  ber  3Sirf(id)= 
feit  mad^t,  gar  feinen  Unterfd^ieb;  eine  2(u§maf)(  beffen,  morin  er 
ben  eigentüdEien  Sinn  ober  ha^  mof)re  SSefen  ber  S)inge  finbet,  mirb 
ber  ^ant{)eift  fo  gut  mie  ber  Xf)eift  macfjen;  unb  er  mirb  fie  mai^en, 
nid^t  geleitet  oon  foSmoIogifdjen  ©pefulationen,  fonbern  oon  ber  un= 
mittelbaren  5(nteilnaf)me,  mel(^e  bie  2)inge  feinem  öemüt  abgeminnen. 
5tnbere  @ntfd|eibung§grünbe  f)at  and)  ber  X^t\\t  md)t  Unb  menn  er 
auf  @runb  ber  S3tbel  urteilt,  fo  ift  e§  ple|t  bod^  bie  Sebeutung,  bie 
ba§  Sudj  felbft  unb  fein  Snf)a(t  für  if)n  t)at;  unb  menn  er  burdf)  eine 
Äird^e  fid)  bie  2)inge  beuten  (äfet,  fo  beruht  bereu  Stutorität  barauf, 
ba'^i  fie  i^m  auf  irgenb  eine  SSeife  aB  bie  abfolut  bebeutenbe  gefcE)id)t' 
lid^e  SebenSform  fid^  barfteüt. 

2(ber  in  ber  ^onftruftion  biefer  2)inge,  meint  mand^er,  ift  ber 
2f)ei§mu§  im  SSorteil.  2)er  ^anttjeilmuS  muB  auc^  ba§  Übet  unb 
ha^  S35fe  ou§  feinem  S(ll=@inen  entfpringen  (äffen;  bamit  mirb  alfo 
immer  mieber  bie  ©teüung  @otte§  gum  ©uten  unb  S3öfen  gmeifel^aft. 
S)er  X^eiSmu»  löft  @ott  fo  meit  oon  ber  SSelt,  ha^  er  oon  ber  Un= 
äulänglid)feit  ber  empirifd)en  SSirftic^feit  entlaftet  mirb. 

©emife,  aber  nur  um  einen  ^rei§  ift  biefe  ©ntlaftung  gu  f)aben: 


9.  2)o§  SSerpItnil  bei  pant^eiflif^en  ©ottegbegrip  jur  SReltgion.      275 

• 

um  ben  ^rei»  be§  ^  u  a  ( i  §  m  u  ^.  SSeitn  man  giüet  urfprüng(i{f)e 
'jprinjipteit  annimmt,  bann  !ann  man  aßcrbingg  für  alles  9J?iBfäIIige 
bie  S3erantiüortung  bem  böfen  ^rinjip,  ber  9J?aterie  ober  bem  Teufel 
auflaben  unb  6et)ält  bann  ha§>  anbere  ^rin^ip  al§  ©runb  für  afle§ 
©Ute  unb  SBofiltjefäüige.  3(6er  biefen  ^rei§  f)at  befanntlidj  bie 
^irc^en(ef)re  nid^t  3al)(en  njollen.  Sfjr  ST^eigmu»  f)at  ba^er  in  biefem 
©tücf  cor  bem  ^antfjei§mu§  gar  feinen  58orteil  norauS.  §at  @ott  alte 
©inge  au§  nitf)t§  erfd^affen,  fo  finb  unb  bleiben  fie  fein  SBerf;  unb 
alle  9?erfuc^e,  bie  Unoontommen^eiten  ber  gegebenen  3Se(t  öon  if)m 
auf  ein  anbereS  abäuioatäen,  finb  nertorene  9J?üfie,  ben  35erftanb  ^aben 
fie  nie  unb  nirgenbö  befriebigt.  Cb  mon  im  freien  äöillen  be§  SD^enfcfien 
ober  eines  gefoHenen  Snget»  bie  erfte  Urfad^e  be§  Übel§  unb  be§  93i)fen 
.fucf)t,  ber  35erftanb  ftiirb  immer  einen  8d^ritt  n^eiter  ge^en  unb  nac^ 
ber  Urfacfje  biefer  erften  Urfadjc  fragen;  unb  t)at  ber  SUJenfdf)  ober  ber 
ßnget  eine  llrfac^e  ber  ©jiftens,  fo  tt)irb  er  aud^  bie  Urfadf)e  feiner 
9Jatur  bort  fud;en  unb  fie  etma  mit  5.  S3öf)me  in  einem  bunffen 
Urgrunbc  in  ©Ott  finben,  menn  er  fie  nid^t  mit  Seibnig  in  eine  meta= 
p^t)fifc^e  ©djranfe  feiner  @d)i3pfung§!raft  fe^en  raifl. 

(Sf)er  tt)irb  mon  fagen  fönnen:  bem  ^antt)ei§mu§  füllt  eine  er= 
trögtid^e  ^onftruftion  biefer  2^atfad)en  leidjtcr.  @r  fann  cntmeber  mit 
Spinoza  3Birftid)feit  unb  9.^oüfommenf)eit  für  gteid^bebeutenbe  93egriffe 
erftüren  unb  bo§  fc^einbare  ^Jic^tgufammenfallen  beiber  auf  unfere  ju« 
fälligen  begriffe  nom  ©uten  unb  Sd)(ed)ten,  33ot(fommenen  unb  lln= 
nollfommenen  äurüd"füf)ren;  ober  er  !ann  mit  bem  eootutioniftif d)en 
'^^antfjei§mu§  ben  (Sntluideluuggproje^  ber  3Sirflidj!eit  für  bie  fort- 
fd^reitenbe,  fidj  fteigernbe  (Selbftnermirflidjung  ber  ^bee  erflören,  fo 
ha^  bas  ^BoIIfommene  am  (Snbe,  nid)t  am  5(nfang  fei.  Xer  SBert 
biefer  ©ebanfenbilbungen  mag  im  übrigen  fein,  wetdjer  er  miß,  fie 
l^aben  nid)t  bie  öerle^enbe  (Spi^e,  bie  ber  isorfteltung  inne  mof)nt: 
ein  allmiid^tiger  unb  aüe  ^inge  oor^erfef)enber  SBille  "^at  au§  abfoluter 
SSiüfür  biefc  Söelt  al§  abfoüit  gute  inS  2)afeiu  gerufen;  aber  eben 
biefe  SBelt  ift  bann  burdf)  ben  au§  abfoluter  SSitIfür  eine§  ©efc^öpfeg 
erfolgten  5lbfaII  fo  nerberbt  njorben,  ha'^  fie  at§  .^errfdf)aftligebiet  be§ 
2;eufety  betra(^tet  merben  mu^.  5t(»  ßucilio  9>auini  einft  bie  93e= 
trad^tung  aufteilte,  bie  S-  @t.  9)i  i  1 1  in  feinen  poftf)umen  @ffat)§  über 
Ü^eligion  mieberl)olt:   ©Ott  mill,   bafe  alle  9)?enfd)en  feiig  n^erben,  ber 

18* 


276    I-  58u^:  a)?eta:p^^ft!.  2.  topM:  ®a§  foSmoIogifc^-t^eoIogijc^e  ^Problem. 

Xeufel,  boB  [te  otle  üeiioreu  ge^en;  ba  aber  alle  Ungläubigen,  alle 
^e|er  al§  foldje  öertoren  finb,  non  ben  ©üebern  ber  Äircf)e  aber  uod) 
alle,  bie  in  einer  ^^objünbe  ober  in  Unfrieben  mit  ber  Äirc^e  fterben, 
\o  ift  ba§  Ergebnis,  ha^  in  ungetjeuer  überlüiegenbem  SOiafee  be§ 
Teufels  äöitle  gejc^ie^t  —  ha  nerbrannte  man  i^  auf  bem  «Scheiter* 
l^aufen,  eine  ?Xrt  ju  argumentieren,  bie  lüeber  ben  ^erftanb  überzeugt, 
nod)  ha§>  §er5  berul^igt.  Scfj  w'iü  nic^t  behaupten,  bafe  bie  eben  an= 
gebeuteten  Überlegungen  pantl^eiftifd^er  S;t)eobicee  ha§'  (ei[ten,  aber  fie 
fjaben  hoä)  ettoog  Sef(^n)id)tigenbe§.  Übrigens  ^aben  bie  tl)ei[tifc^en 
^ßerfuci^e  ber  Xtjeobicee  f(f)tie^Iicfj  ät)nlicf}e  2öege  eingejdjiagen:  bie  9iebe 
üon  ber  Unmirflicf)!eit  be§  93ö]en,  ober  ber  ölaube  an  bie  enblic^e 
SBieberbringung  aller  ®inge  tüeifen  eben  ba^in. 

10.  ©ef^tc^tttc^e  GntüJtifclung  bei*  &ottt§'  unb  SScItüorfteöung. 

SDer  !ritifd)=bogmatijd^en  S3e^anb(ung  be§  !o§mo(ogifdj=tt)eoIogifcl^en 
Problems  (äffe  id}  bie  Umrifje  einer  gefdjidjtlidjen  S)ar[tellung  folgen. 
Sd)  l)cibt  fd)ou  gefagt,  ha^  mir  bie  ©ntmidelung  be§  menfdjlid)en 
2)en!en§  in  ber  SfJic^tung  ouf  einen  ibealiftifd)en  9)?oni§mu§  fid)  ^n 
bemegen  fdjeint:  einerfeitS  mirb  auf  ifjn  bie  miffenfd3aftIid)=p!^iIofop^ijd)e 
S3etrad)tung  gefüljrt,  anbercrfeitS  münbet  bie  Gntluidelung  ber  religiöfen 
SSeltauffaffung  in  einen  3JJonotl)ei§mu§,  ber,  menn  er  begrifflich  burdj= 
gefüfjrt  mirb,  ©Ott  alle  önbtidjfeit  unb  93efd)rän!tf)eit,  bamit  aber 
and;  bie  Seftimmtljeit  beg  (Snblid)en  nimmt  unb  für  eine  neben  @ott 
felbftänbige  SSelt  feinen  ^aum  läfet;  »irb  ber  äJJonotl)ei§mu§  gu  @nbe 
gebadet;  fo  fäüt  feine  aügemeinfte  3Se(tformeI  mit  ber  be§  ^antf)ei§mu§ 
jufammen:  uövos  6  deög,  @ott  allein  ift. 

Über  bie  Söa^r^eit  einer  SBeltformel  fann  natürlid)  nic^t  burc^ 
gefd)id)tlid)e  S3etrad)tung  entfd)ieben  merben.  ©ennod^  ift  ber  gefd)i(^t= 
lid^e  S^emeiS,  ttjenn  man  biefe  93etradjtung  fo  nennen  mill,  nid)t  oljue 
^ebeutung,  mie  e§  benn  alle  ^l)ilofopl)en  baburc^  anerlennen,  ha'\i  fie 
bie  eigene  2öeltanfd)auuug  al§  ^^^^P^^^^t  ^^^  bisljerigen  pl)ilofopl)ifdien 
(Sntmidelung  barguftellen  lieben,  ©o  gut  loie  §eget  ober  Somte  i^re 
^l)ilofopl)ie  als  ha§  notlucnbige  ®nbe  ber  9\eil}e  !onftruieren,  t^un  e§ 
aud)  geuerbadj  unb  Südjuer.  9Jiit  ü^ec^t;  mo  es  fid;  um  bie  Gr= 
!enntniS  einjelner   2:^atfadjen   ber   gefd^idjtlidjeu   ober   ber   p^l)fifd;en 


10.  ©efd^iditlirfie  ©ntoidelung  bcr  ®otte§=  unb  gBeltöorftcöung.        277 

SSeÜ  f)Qnbe(t,  ha  tüirb  ber  f^^orfc^er  attein  ber  met^obtfd^en  Unter= 
judjung  trauen  unb  forbcrn,  ba^  utan  i^r  bie  (Sntfdjeibung  augldjüeB«- 
lief)  ükrlaffe.  2öo  e§  jid)  aber  um  bie  legten  ST^inge  f)anbelt,  roo  e§ 
gilt,  ben  ©ejamteinbrud  niieber^ugebcn,  \)tn  bie  Söelt  auf  ben  9J?enjc^en= 
geift  madf)t,  ba  trirb  bem  (Sinjelnen  bie  3(nle^nuug  an  baS^  (55ejamt= 
ben!en  SebürfniS,  ba  n)irb  e§  if)m  wid^tig,  ben  consensus  gentium, 
ober  ujenn  ba§  nidfit  möglidf)  ift,  fo  bod)  ben  consensus  historiae  ^u 
geujinneu,  ba§  fieifet  \id)  ju  überzeugen,  bof?  feine  ©ebanfen  eigenttid) 
ba§  gefudjte  3^^^  finb,  auf  ha§  bie  bisherige  (Snttt)idelung  mit  innerer 
9lotmeubig!eit  fü^rt. 

3J?an  pflegt  in  ber  S^laturgefdjic^te  ber  9?eIigion  brei  ©runbformen 
ober  ©tufen  in  ber  (Sutmidelung  be§  (^otte§gIauben§  ju  unterfdjeibeu : 
g'etifc^i§mu§  ober  ©piriti§mu§  (audj  5(uimi§mu§,  9Mturi§mu§ 
genannt),  ^oIt)tf)ei§mu§  unb  9J?onotf)ei§mu§.  ©emeinfam  ift 
allen  ber  ©taube  an  ein  Überfiuntid^eS,  t)a§>  in  ber  fiuutid^en  2Belt 
burd)  feine  SBirfungen  fid)  betr)ätigt;  oerfdjieben  ift  bie  ©eftolt,  bie 
fie  bem  Überfinnlii^en  unb  feiner  SSirffamfeit  geben.  ®er  t^eti  = 
fc^i§mu§  ober  ©piriti§mu§  ^at  jum  Verbreitungsgebiet  bie  DJatur- 
oölfer  aller  ©rbteile.  @ein  33egleiter  ift  ber  ©(^amani§mu§,  haS^ 
ßauberprieftertum.  (Sin  O^etifc^  (oom  portugiefifdjen  feitiyo,  Stmulett, 
3boI)  ift  ein  beliebiger  ©egenftanb,  in  bem  eine  ßanberfroft,  ein 
©eift  fi^t.  (Sin  (Stein,  ein  ©djerben,  ein  Ä'noc^en,  ein  Q^ünbet  Ä'räuter 
ober  ^aare,  ein  rot)  gefdjuil^te»  ^ilb  wirb  oon  bem  ÜZeger  am  Seibe 
getragen  ober  in  ber  §ütte  aufgehängt,  e§  tt)erben  i()m  irgenbioeldje 
5(ufmer!fam!eiten  ermiefen,  ©peifen  unb  (SJetröufe  oorgefe^t,  bafür 
mirb  (Srfüünng  oon  2öitnfd)en  at§  ©egenteiftung  ermartet,  9(bmef)r 
oon  5?ranff)eit,  böfem  ßauber,  9JüBgefc^id  alter  2(rt.  ^äufc^t  biefe 
(SrttJartung,  fo  njirft  man  ben  O^etifd^  al§  unfröftig  meg  unb  fud^t  in 
ben  ^efi|  eine§  mirffameren  gu  gelangen.  ®ie  .^crftellung  unb 
Sef)anblung  oon  ^etifdjen  ift  bie  grofee  SSiffenfdjaft  ber  ^iniöerpriefter, 
bie  über  bie  (SJeifter  ©etualt  t)aben.  5(uc^  ^iere,  $8äume,  ,^aine, 
93erge,  ©tröme,  ©een,  ha^^  Wctv,  ber  SO^onb,  bie  ©onne  merben  oiet= 
fad)  at§  ©i^  oon  C^eiftern  angefefjen  unb  mit  futtifd^en  .^aubtungen 
umloorben.  ©ef)r  gemötjnlid^  ift  aud),  ha"^  ben  abgefdjiebenen  ©eelen 
ber  S5orfaf)ren  SSeret)rung  gemibmet  loirb.  ©ubiidj  !ommen,  mef)r  in 
ber  9iebe  aU  im  Ä'ult,  aud^  (55ötter  oor,  bie  mt)tf)oIogifd^=fo§mogonifdjen 


278    I.  S3uc^:  aJietop^ljfif.  2.  Äopitel:  ®ag  Io§mologtid^=tf)eologtfc^e  Problem. 

©^arafter  f)aben,  e§  ift  bie  9lebe  üon  ©Ottern  ober  tion  einem  @ott, 
ber  bie  SBelt  unb  bie  3)Zenfc^en  urfprüngtid^  gemacl)t  ^at  —  @§  ift 
im  mejentüd^en  biejelbe  ©eftolt,  in  ber  bie  9^eIigion§üor[teUungen  bei 
Siegern  nnb  Snbianern,  bei  ben  norbajiatijd)en  S^ölfern  unb  ben  ^e= 
h)of)nern  ber  Quftralif(f)en  Snfelmelt  auftreten.  getifd^iSmuS  unb  ©c^ama- 
niömuS  finb  bie  am  ftärfften  ^erüortretenben  Elemente,  baneben  Stnfänge 
foSmogonifc^er  9)^t)t^oIogie  unb  f)in  unb  n^ieber  bie  Sftebe  oon  einem 
großen  ©eift  ober  @ott,  ber  aüe  S)inge  gemacht  'tfobt,  uon  bem  im 
befonberen  oudj  bie  SOZenfcfjen  abftammen;  gelegentüd;  aud^  bie  SSenbung, 
ha'\i  bie  alten  unb  großen  ©ötter  oon  ben  neuen  unb  fteineren  üer= 
brängt  n}orben  feien.*) 

gragt  man  nad)  bem  SSefen  be§  „©öttüc^en",  ha§  !£)ier  öere'E)rt 
Ujirb,  fo  ift  e§  fdjmer  ju  beftimmen,  Unbeftimmtfjeit  be§  2öefen§  unb 
Unäuoerläffigfeit  ber  SSir!fom!eit  ift  für  biefe  ©tufe  d)ara!teriftifd). 
(Sin  ^5rrtum  ift  e§  ju  meinen,  ha^  biefe§  zufällige  fid^tbare  S)ing 
©egenftonb  be§  ^utt§  fei;  überall  ift  ein  Überfinnlid;e§,  ein  „Greift", 
auf  ben  unb  burd;  ben  getnirft  mirb.  ^lad)  ber  5(nfic^t  be§  Siegers 
„fi|t  in  jebem  finnlid)en  Singe  ein  @eift,  ober  !ann  bod^  barin  fi|en 
unb  §mar  in  ganj  unfdjeinbaren  ©egenftänben  ein  fef)r  großer  unb 
mäd)tiger."  liefen  @eift  benft  er  fid)  nic§t  gebunben  an  ha^  förper= 
lid^e  ®ing,  er  f)at  nur  feinen  gett3öt)nlic^en  ober  f)auptfäd^(id^ften  @i| 
in  i^m  (2öai^  II,  174).  ®aB  e»  bem  9leger  nidjt  an  S3egabung 
für  9JJetapt)i)fi!  fef)It,  geigt  eine  ebenbort  (S.  188)  mitgeteilte  ®efc^id)te: 
„®in  Dieger,  ber  einem  33aum  Sßere^rung  ermieS  unb  ©peife  barbrac^te, 
ttjurbe  barauf  oufmerffam  gemadjt,  ha^  ber  S3aum  bod^  nid)t§  effe. 
(Sr  oerteibigte  fic^  bagegen  mit  ber  §{ntmort:  O  ber  5öaum  ift  nid)t 
g^etifd),  ber  g^etifc^  ift  ein  @eift  unb  unfid)tbar,  aber  er  l)at  fid)  ^ier 
in  biefen  S3oum  niebergelaffen.  greiüc^  fann  er  unfere  förperlid)en 
©peifen  nid)t  oer§et)ren,  aber  er  geniest  i)a§>  ©eiftige  baoon  unb  löfet 
ha§i  ^örperlidje,  meld)e§  mir  fef)en,  gurüd." 

S)ie  smeite  ©runbform  ift  ber  ^otl)t^ei§mu§.  3^r  Unter== 
fd^ieb  gegen  bie  erfte  befte^t  barin,  ha^  bos  Überfinnüd)e  t)ier  bie 
©eftalt  perfönlid^er  SSefen  t}at:   ftatt  ber  ®ö^en,  ber  oageu,  öer* 

*)  9?ac^tüeijungen  bei  %i).  SBai^,  2{ntf)ropotogie  ber  9JaturööI!er:  II,  167  ff. 
für  bie  gjeger,  III,  177  ff.  für  bie  ^nbianer,  V,  134  für  bie  SIKifronefier,  VI,  229  ff. 
für  bie  ^oU)nefier. 


10.  ©ei'c^ic^tUd^e  ©nttcicfelung  ber  ®otte§»  unb  aBeltoori'teHung.        279 

gängüd^en,  namen»  unb  geftoltloien  Snforporotionen  üon  ßawi'ci^fTäften, 
l^oben  irir  f)icr  ©ötter,  bauernbe,  feftgeftaltete,  perjönlicfie,  gefd^ii^tlic^e 
SSejen.  2)ie  gnecf)ijd)e  ©ötterlrelt  fteÜt  un§  biefe  gornt  in  ber  öol(= 
fommenften  SSeije  bor;  jebe§  ©lieb  be§  @ötterreid^§  ift  ein  njof)I 
d^arafterifierteS,  gei(^i(f)tücf)e§  3Befen;  i^re  ©eftalt,  bie  leibfid^e  tt)ie  bie 
geiftige,  geigt  bie  atlgemeinen  3^9^  ^^^  9)Zenf(i)ennatur,  hod)  finb  e§ 
er^öf)te  9JJenfcf)en,  o^ne  bie  (£(i)ranfen  ber  @terblirf)en.  @ie  untere 
liegen  nicf)t  ben  9Jaturgeie|en,  bie  unjer  ©ajein  Be{)errirf)eu;  Ü^aum, 
3eit  unb  Äaufaütät  f)aben  für  bie  ©ötter  feine  ©ültigfeit.  Sie  finb 
nid^t  überfjaupt  förperloje  SBejen,  aber  fie  fönnen  jebe  @e[tatt  an= 
nehmen,  fie  finb  nicfjt  ottgegennjürtig,  aber  fie  finb,  h)0  fie  ttjoüen,  o^ne 
«nfere  fd^raerfällige  Crt^bemegung,  fie  finb  nid^t  jeittog,  aber  fie  altern 
unb  fterben  nicf)t,  if)r  Seben  ift  endige  Sugenb;  fie  finb  nid^t  aümäd^tig, 
aber  if)r  2ßunfd§  beftimmt  bie  2Sirf(i(^!eit  of)ne  bie  umftänb(id()e  33er= 
mittelung  menfd£)Iid^en  3Öirfen§. 

5)er  eigentli(i)e  S^erbreitungsbejirf  be§  ^oIt)tf)ei§mul  ift  bie  Sugenb= 
geit  ber  g  e  f  cf)  i  c^  t  ( i  cf)  e  n  $öö(f er.  93ei  allen  Sßölfern,  bie  Präger  ge= 
fd^id^tlid^en  Sebenl  n^aren,  finben  ttjir  eine  in  ben  ©runbjügen  ber 
griedjifdjen  ä^nlirf;  geftaltete  ©ötterlüplt,  bei  Sigljptern  unb  Semiten, 
bei  ^5nbern  unb  ^erfern,  bei  ©ermanen  unb  (Slaöen.  ^n  ber  neuen 
SBelt  finb  bie  Stämme,  bei  benen  Slnfönge  gefd^icfitürfien  2eben§  !E)eröor= 
treten,  bie  Sett)o{)ner  SDieiifoS  unb  ^eru§,  gugteic^  baburd;  ausgezeichnet, 
ba'iß  fie  eine  ©ötternjelt  ^eroorgebracf)t  ()aben. 

®a§  3i^Ü^"^"^^"t^'^tfci^  ift  i^if^t  jufällig:  bie  gefc^ic^tlid^e  @ötter«= 
toelt  ift  bie  tranfcenbente  (Spiegelung  be§  eigenen  gefc^ic^tlid^en  SebenS. 
Sm  5etifdf)i§mug  fpiegelt  fic^  bie  nnftäte  g-urcfit  unb  Segierbe  be§ 
Sfiaturmenfd^en;  of)ne  bauernbe  ©ebanfen  unb  Erinnerungen,  o^ne 
ßebenSgiel  unb  ^"Ocak,  bie  über  ha^^  finnlicf)e  (Sinjeüeben  {jinauSge^en, 
lebt  er  im  5lugenbli(f,  ben  93ebürfniffen  feiner  finnlidien  9Jatur  unter== 
tt)an.  ^^m  fetber  gleid[)en  feine  ©btter,  e§  finb  öergänglic^e  Slugen« 
büdSbilbungen,  tt)ie  bie  gurdjt  unb  S3egierbe,  bie  fie  ^eritorbringt.  8o 
gleiten  and)  bie  ©ötter  ber  gu  gefc^idf)tlid)em  ßeben  ermad)ten  ^Bölfer  if)ren 
(Srjeugern:  mie  bie  bauernbe  ©emeinfdjaft  ber  in  gamilien  gegüeberten 
5SöIferfd)aft  ben  (Singetnen  an  bem  gefd^id)tlid^en  Sebcn  bes  ©angen 
5lnteil  giebt  unb  fie  baburc^  über  bie  Siergänglidjfeit  be§  animalifc^en 
S)afein§  ergebt,  fo  merben  bie  ©ötter  §u  gefc^id^tlidjen  SSefen,  bie  in 


280    I-33ucf):  SRetopf)t)fif.  2.  ta^itel:  ®o§  !o§moIogiid)=t^eoIogiic^e  «Problem. 

bouernben  S3eäief)ungen  ju  etnanber  unb  gu  ben  ÜJJenfdjen  fte^en.  9J?it 
bem  $ßo(f  ttjerben  audj  feine  ©ötter  fe^^oft,  neben  bem  @tabtf)au§  er= 
f)ebt  [tc^  ber  Slempel  al§  banernber  2öo{)nji|  be§  (55otte§. 

Setraditen  tt)ir  boS  SBefen  ber  @ötter  genauer,  \o  lafjen  fic^ 
brei  (SIemente  barin  unterfc^eiben,  bie  im  S3ett)uBtfein  be§  öläubigen 
natürlich  eine  ungejrf)iebene  (Sinf)eit  perfiJnlic^en  2eben§  bilben:  fie 
finb  1)  perfonifigierte  ßouberfräfte,  2)  perjonifigierte 
9^oturgen)aIten,  3)  perf onif ijierte  Sbeolbilber. 

Sn  bem  er[ten  ©tücf  tritt  bie  33ern?anbtj(f)aft  mit  bem  3^etijd)i§mul 
t)ert)or:  burcf)  (Sinftjirfung  ouf  bie  ©otter  !ann  man  inbireft  auf  ben 
Dktuiiauf  eintoirfen;  ^ultljanblungen  finb  SJiittel,  um  ouf  übernatür= 
lid^e  SSeife  fic^  gu  üerfdjaffen,  ma§  bie  natürlicf)en  Gräfte  be§  9}Jenf(^en 
ni(f)t  fid^ern.  Sn  ber  mirüid^en  Ü^eligion  ift  bie§  überall  ba§  erfte  unb 
tt)id^tigfte  @tüc!;  nidjt  in  ber  3)?t)tt)oIogie  lebt  bie  mirflic^e  9leIigion, 
fonbern  im  ^ult;  @efunbl)eit  unb  S^eic^tum,  (Srnte=  unb  Äinberfegen, 
@ieg  unb  @Iücf  unb  bie  gro^e  2Biffenfd)aft  ber  3ufunf^  ^^^^  if^  c^/ 
Jüa§  alle  ©laubigen  überall  mit  ©ebeten  unb  Opfern  non  ben  ©Ottern 
ju  erlangen  trachten.  S^ürgeubS  fe^lt  z§>  on  einer  ^riefterfc^aft,  bie 
fa(f)t)erftänbig  bie  fünfte  be§  Äult§  unb  ber  3ufunft§forfcf)ung  übt; 
nirgenbS  and)  an  allerlei  SlbergtaubenSartifeln  unb  ^Qw^ermitteln,  bie 
fid)  burc^  nid)t§  üom  ^etifd)i§mu§  unterfdjeiben. 

3iüeiten§  finb  bie  ©ötter  perfonifijierte  9?aturgett)alten  ober  =mefen. 
®a§  ift  bie  @eite,  mit  ber  bie  SO?t)tl)ologen  fid)  öorgugSmeife  befdjöftigten. 
3eul  ift  ber  lid^te  ^immel  ober  bie  §immel§fraft,  bie  fic^  im  SSetter, 
üor  aüem  im  S3li|ftral)l,  manifeftiert,  Demeter  bie  fruchtbare  (Srbe,  bie 
betreibe  unb  ^rüd)te  au§  i^rem  @d)oB  Ijeroorge^en  läBt,  ^ofeibon  ha§ 
3JJeer  ober  bie  9JJeer!raft,  ber  (Srbumgürter  unb  @rberfd)ütterer,  Slpoüon 
unb  SlrtemiS  bie  beiben  großen  gefdjlnifterlic^en  ©eftirne  be§  2oge§= 
unb  9'^a(^tl)immel§.  dJlxt  unerfd)i3pflid^er  ^^^^udjtbarfeit  '^at  bie  griedjifdje 
^^antafie  bie  taufenb  ©eftalten  bann  in  taufenbfältige  Se^ie^ungen 
§u  eiuanber  unb  ^u  ben  3)?enfd)en  gebrad)t;  inbem  fic^  bie  ^üqz  be§ 
9^aturmefen§  mit  menfd^lidjen  S^Qtn  üerfd)lingen ,  entfielt  bo§  bunte 
©ercebe  ber  9J?t}tl)en.  ®ie  5lnalt)fe  be§  gorfc^er^  untcrfdjeibet  barin 
antl)ropomorpl)if(^=fi)mbolifd)e  Sluffaffung  oon  9laturerfd)einungen,  um= 
gepf tankte  l)iftorifc!^e  (Srinnerungen ,  ©tamme^fageu  unb  Segenben  ber 
Ä'ultftätten,   eti)mologifd)e  unb  geograpl)ifd)e  Fabeleien,  unb  mül^t  fic| 


10.  ®tiä)iä)tiiä)c  ©ntmidelung  ber  ®ottel=  unb  SOBeltöorftellung.       281 

an  bem  l^offnungSlofen  Unternehmen,  bie  gcf(i)id)t(id^e  Sntwicfetnng  biefer 
SBett  6(oB  gu  legen,  ober  bem  ^offnung§Ioferen,  fie  ^u  fi)ftematifci)er 
©in^eit  ju  bringen. 

(Snblicf)  f)aben  bie  ©ijtter  nod)  eine  britte  ©eite:  fie  finb  per^ 
fonifijierte  Sbeale,  fie  ftellen  bem  35oIf  feine  Sbeen  öon  menfd^lirfier 
^oIIfommenf)eit  in  fonfreten  ©eftalten  öor  fingen.  Qm^  ift  bQ§  ^shccil 
be§  ^errfd^enben  3)?Qnne§,  Sßürbe  unb  ä)?arf)t,  auf  Äraft  unb  9ierf)t 
gegrünbet,  finb  bie  (Elemente  feinet  SßefenS.  Sn  bem  S3ilbe  2tpolIon§ 
ift  bie  Sbee  be»  griedjifc^en  ^o(fe§  non  einem  t)of)en  unb  freien  ®eifte§= 
leben  borgeftellt,  geiftige  g^rcifieit  unb  93efonnenf)eit  finb  in  if)m  ju 
uoüenbeter  2{u§gleidf)ung  ge6racf)t;  bie  SQZufen  finb  feine  23egleiterinnen. 
©0  finb  ^ero,  5ttl^ene,  2(pf)robite  %'qpm  n)ei6(irf)er  S5oüfommenf)eit. 

Unb  tuir  bcrel^ren 

Sie  Unftert)Iid)en, 

2U§  lüären  fie  9J?enf(^en, 

Söäteti  im  ©roßen, 

3So§  ber  SBefte  im  Steinen 

Sfiut  ober  mi^te. 
(£f}e  ic^  gum  9JJonot^et§mu§  micf)  n)enbe,  ge^e  id^  l^ier  mit  einer 
Semerfung  auf  bie  O^rage  ein:  ob  3^etifcf)i§mu§,  ^oIt)t^ei§niu§  unb 
9JJonotf)ei§mu§  nicf)t  bIo&  al§>  brei  begriff(irf)  unterfdjiebene  ®runb= 
formen,  fonbern  aurf;  al§  geitlid^  auf  einanber  folgenbe  (Snttt)i(felung§= 
ftufen  an^ufefien  finb,  im  befonberen :  ob  3^etifcfji§mu§  überall  bie  ^tiU 
lid^  öorange^enbe  Urform  ber  Dieligion  n^ar?  benn  ha"^  ber  TlonO' 
t{)ei§mu§  aus  bem  ^oI^tI)ei§mn»  at§  fetner  Q^orftufe  fid;  gefd^id^tlid^ 
cntnjidett,  fd^eint  nidjt  5tt)eifetf)aft.  3ene  S(nfid)t  ift,  tt)ie  Tia^ 
SOJütler*)  geigt,  feit  ber  9Kitte  be§  öorigen  Sa^t^l^unbertS  in  (Geltung 
gefommen,  nac^bem  Bt§  bof)in  bie  t^eologifd^e  5lnfid)t  f)errfd)enb  ge= 
luefen  irar,  ba^  man  im  ^oIt)tf)ei§muÄ  unb  ^etifd)i§mu§  getrübte  unb 
Derberbte  (Srinnerungen  au§  ber  urfprüng(id)en,  reinen,  monot^eiftifc^en 
Urrcligion  §(bam§  nor  fid)  l^abe.  SO?.  SOiülter  tefjut  gnjar  bie  (entere 
3(nfid)t  al§  unmiffenfd)aftli(^  ab,  n^ill  aber  auc^  bie  erfte  nid^t  gelten 
laffen:  getifdji§mu§  fei  nirgeub§  urjprünglidj,  fonbern  oerfommener 
Überreft  einer  urfprünglidjen   f)ö^eren  5(uffaffung   be§  ®öttlid()en;   bei 

*)  SK.  SJiüIIer,  Sßorlefungen  über  ben  Ursprung  unb  bie  6nttt)icfetung  ber 
^Religion  (1880),  ©.  62  ff.  ©.  aud)  D.  ^Pfleiberer,  9tetigion§pt)itofopt)ie  auf  ge= 
jc^ic^ttic^er  ©runbtage  (1884),  II,  3  ff. 


282    1.  SBuc^:  Wttap^t^lil  2.  Kapitel;  S)ag  logmologiic^-tl^eologifd^e  «Problem. 

finfenber  @e[ittung  fei  ber  ^ötjere,  geiftige  (Sinn  ber  Äultug^anblungen 
öerloren  gegangen  nnb  nnn  al§  (e^ter  9^e[t  bie  „^erefjrung  öon  «StöcEen 
unb  Steinen"  übrig  geblieben. 

3n  ber  %^at,  öerfte^t  man  unter  ^etifd)i§mn§  ben  Äult  !brper= 
lidtjer,  „geiftlojer"  ©egenftänbe,  unb  jo  ettt)a§  mag  ja  aud^  üor= 
fommen,  bei  ©injetnen  unb  bei  f)erabge!ommenen  (Stämmen,  bann  f)at 
W.  Wlixütx  o^m  ßlneifel  red^t:  ein  folcfjer  finnlojer  getijd^i§mu§  je|t 
„^Inte^ebentien"  üoraug,  bie  if)n  möglid)  machten,  a(§  beren  „geiftlofer" 
9fte[t  er  nad^  S3erlu[t  be§  (Sinnet  übrig  geblieben  i[t.  3Ser[te{)t  man 
ober  unter  3^etijd^i§mu§,  mie  oben  gejd)e^en  i[t,  unb  me  e§  nad^  2Bai|, 
auf  ben  fic^  aud)  dJl.  SUJüüer  beruft,  allein  ben  ST^atfad^en  entfprid)t, 
ben  ^utt  öon  ©eiftern  ober  spirits,  bie  in  einem  beliebigen  @egen= 
ftanb  if)ren  geitmeiligen  ©i^  fiaben,  fo  liegt  bie  (Sad)e  bod^  anber§. 
Sft  bem  gefdE)itf)t(id^en  Seben  ber  ^ulturüölfer  eine  @ntmicfelung§= 
ftufe  ungefd^id)tlid)en  ober  oorgefd^id^tlid^en  Seben^  oor= 
aufgegangen,  fo  mirb  man  nid^t  um^in  !i3nnen,  aud^  ben  gefdiidjttidjen 
©Ottern  eine  (SntmidelungSftufe  ungef(^id§tli(^er  @ötter  öoraufgetjen 
gu  laffen.  S)enn  fdimerlic^  giebt  e§  in  biefen  Singen  etma§  ®emiffere§ 
al§  ben  allgemeinen  (Sa|,  bo^  im  SBefen  ber  ©ötter  ha^  äBefen  be§ 
SSoIfeS,  ba§>  fie  öere^rt,  fid^  mieberfpiegett.  Ungefd)id)tlidje  ©ötter  finb  nun 
eben  jene  oagen,  oergänglidjen,  geftatttofen  „@eifter"  be§  5etifd)i§mu§. 

®em  miberfpric^t,  fooiel  id^  fe'^e,  aud)  bie  inbifd^e  Ü^eligionS' 
gefc^id^te  nic^t.  50?.  SJJüIIer  nennt  bie  ältefte  un§  in  ber  religiöfen 
Sitteratur  ber  Suber  errei^bare  (SdE)id)t  „^enotf)ei§mu§":  ha§i  @ött= 
lid^e  in  oielen  unb  üerönberlid^en  geifterf)aften  D^aturgematten,  unter 
benen  balb  bie  eine,  halb  bie  anbere  al§>  bie  erfte  unb  §öd^fte  ^erüor= 
tritt.  2öie  er  fie  barfteüt,  mirb  man  fie  a(§  eine  ÜbergangSform  oom 
primitiöen  ©eifterglauben  jum  fpäteren  ^oIt)t^eiömu§  ber  Snber  mit 
feinen  perfönlidj=gefd)idjtlid^en  ©Ottern  anfe^en  fönnen.  3t)r  mag  eine 
t)iftorifd)  nid)t  bezeugte  (Sntmidetung§ftufe  üorangegangen  fein,  bie 
gan^  unter  ben  üblichen  33egriff  be§  fetifd)iftifd)en  ©piriti§mu§  fiel. 
@efc^id)tlidje  Sen!mäler  f)inter(äBt  ja  ber  ^etifdji^muS  ber  DZatur  ber 
(Sad)e  nad)  nid)t,  nur  Übertebfel  bleiben  erhalten;  unb  benen  begegnet 
ber  3tntf)ropoIog  freilid^  überall.*) 


*)  ^n  ber  l^omerifdien  SBelt  tft  bon  ©eelenfult  unb  SBirfutigen  obgeid)iebener 
©eeten  auf  bie  bieSfettige  SBelt  nirgenbg  bie  9iebe;  bie  Sotentrelt  ift  öon  ber  SBelt 


10.  ®efc!^td^tU(^e  (SntttJtdelung  ber  ®ottel»  unb  SBeltborftettung.       283 

2(uf  biefet6e  2tn[ici^t  fdjeint  bod^  Qud^  jeber  SSerjud^,  bie  O^ragc 
nad^  bem  erften  U r f p r u  1U3  b e §  ö I a u 6 e it §  an  © ö 1 1 e r  ober 
übernatürlirfje  Söefeu  5U  löfen,  ^inäufüf)ren. 

$ßon  brei  fünften  qu§  {)Qt  man  ben  Ursprung  ber  9?eIigion  jn 
erflären  nnternommen.  ©in  er[ter  ^erfuc^  ge'^t  öon  bem  tf)eoretifd^en 
Strieb,  öon  bem  S?aujalitöt§bebürfni§  be§  9}?enfci^en  an§.  (So  beginnt 
D.  ^efcf;et  in  feiner  3]ölferfunbe  ben  5(b](f)nitt  über  bie  Üieligion 
mit  bem  <Ba^:  „Hnf  allen  ©efittung^ftufen  unb  bei  allen  SOZenid^en- 
ftiimmen  merben  religiöfe  Smpfinbungen  [tet§  oon  bem  gleid^en  inneren 
SDrang  erregt,  nämlid;  bem  ^ebürfni§,  für  jebe  (Srfc^einung  unb  S8e= 
gebenf)eit  eine  Urfad^e  ober  einen  Urf)eber  gu  erfpä^en."  Unb  am 
©d^IuB  tt)ieber()oIt  er  biefen  @a|,  l^insufügenb,  bei  geringen  35erftanbe§= 
fräften  befriebige  fdf)on  ein  getifd^  i)ü§  ^aufalität§bebürfni§.  Sie  erfte 
unb  bem  äJienfc^en  nädfjfte  g^orm  ber  Ä'aufalität  fei  er  felbft  ai§>  f)anbeln= 
be§  SSefen;  mit  biefer  Kategorie  blicfe  er  in  bie  SSelt  t)inau§  unb 
faffe  nun  aüe  93orgänge  am  .^immel  unb  auf  Srben  ai§>  ^anbtungen 
n^ollenber  3Sefen  auf;  fo  entflet)e  bie  9JZt)tt)oIogie  alö  ein  @räeugni§ 
ant^ropomorp^ifdjer  Slpperjeption. 

(Sine  anbere  (SrHörung  nimmt  nid^t  bie  Sntelligenj,  fonbern  ben 
SSiüen,  nid^t  ha§  t!)eoretifd^e,  fonbern  bie  praftifd^en  S3ebürfniffe  jum 
5tu§gang§punft.  @o  ßubmig  geuerbad^  in  feinem  Sud^  über 
t)a^  SBefen  ber  Ü^eligion;  übrigen^  l^at  er  an  2).  i^ume,  ©pinoja, 
§obbe§  33orgänger,  unb  neuerbing?  in  biefer  allgemeinften  Ütidfjtung 
feiner  Söetrad^tung  §at)(reid)e  9^acf)foIger.    9^ac^  g^euerbai^  ift  3a"berei 


ber  Sebenben  reinlidE)  getrennt,  ß.  Siol^be  (^i^c^e,  ©eelcnfult  unb  Unfterbüdifeiti« 
glaube  bei  ben  ®ried)en,  1890)  geigt  aber  au§  jofilreid^en  ©puren  unb  Überlebfeln, 
tt)ie  biefer  ©tufe  eine  anbere  öortjergegangen  ift,  tüo  anä)  bie  ©riedjen  ben  ©tauben 
unb  bie  2fut(f)t  üor  „(Seiftern",  foroie  ben  barau§  entfpringenben  ©eelenfult  tonnten. 
SRot)be  bringt  bie  3?eränbernng  ber  ©eifter  mit  ben  SBanberungen  unb  bem  Über« 
gang  öon  ber  älteren  Sitte  be§  93egrabenl  gum  Seic^enüerbrenncn  in  ,3u[ammen' 
t)ang.  ®ur(f)  bie  SSerbrennung  tuirb  ber  Doppelgänger  ber  ^\t)ä)e.  gerftört  unb 
bamit  äugleic!^  biefe  öollftänbig  unb  befinitiü  Don  bem  ^rbijc^en  gefc^ieben,  fo  bo§ 
fie  nun  au§fd)lie§Ii(i)  bem  bunften  Sd)attenreid^  be§  ^ab^^  angef)ört  unb  ba?  f)elte 
unb  jonnige  ®ie§feitg  nicf)t  met)r  gu  ftören  üermag.  @o  f)aben  fid)  bie  @ried)en 
ber  {)omerijcf)en  3^it  öon  ber  ©pufmeltber  spirits  befreit,  ^n  einer  fpäteren, 
religiöfer  geftimmten  3eit  finb  auc^  in  ©riec^enlanb  jene  äiefte  uraUen  ®lauben§ 
im  §eroen=  unb  ©eelenfutt  lieber  aufgelebt. 


284    I-  S3ucf):  mttap^t)\xl  2.  Kapitel:  ®o§  fo§mologifc^4^eologifc^e  «ßroblem. 

ba§  SSejen  oller  urfprüitgticfien  9fteIigton,  bie  ÖJötter  [inb  SBunjcfjlüefen, 
it)re  Seftimmung  ift,  bem  SOienfdjen  SBünfcfje  311  erfüllen,  bie  er  ftc^ 
fel&er  nicf;t  gu  erfüllen  oermog.  3Sie  bie  9Jot  bie  9)?utter  aller  fünfte 
ift,  fo  aud^  ber  ^'unft  be§  ^oubernS.  3)ie  9(toüe  ber  intelligent  ift 
babei  fe!nnbär,  fie  fuppebitiert  bem  Seilten  bie  SSermittelung,  bie  SSor= 
ftellung  eine§  „@eifte§"  ober  „(^otte§",  b.  t).  einer  übernotürlid^en 
51'raft,  auf  bie  er  tt)ir!en  unb  baburd)  inbireft  fid)  in  ber  DIatur  burcl)= 
fe|en  !ann. 

®er  britte  5lu§gang§|3un!t  ift  ber  ©lauBe  an  ba§  fortleben  ber 
abgeftfjiebenen  (Seelen.  Herbert  ©pencer  ftellt  biefen  ^un!t  in 
ben  SSorbergrunb;  feine  9^aturle^re  ber  9f?eligion  (im  erften  S3anb  ber 
^rinjipien  ber  (Soziologie)  fdjlieBt  mit  ber  53el)auptung,  „boB  3lt)nen= 
üerel)rung  bie  SSurjel  aller  S^eligion  ift." 

©ooiel  id)  fel)e,  ftet)en  biefe  ©rflärungen  nidit  in  bem  SSert)ältni§ 
be§  entmeber  —  ober,  fonbern  ergänzen  einanber.  2Sa§  gunöc^ft  bie 
Slnfid^t  ^efd)el§,  bie  intelteftualiftifdie  5lnfic^t,  bie  auc§  ben  @rflärungl= 
öerfuc^en  ber  9}?t)tt) otogen  meift  gu  ©runbe  liegt,  anlangt,  fo  ift  fie 
ollein  offenbor  nidjt  gureic^enb;  fie  mutet  ber  Sntclligen§  ober  bem 
^oufalitöt§bebürfni§  be§  primititien  9J?enfd)en  oKäUüiel  gu.  SSäre  ber 
SJ^enfd^,  mie  in  ber  (Sd^öpfungäfoge  ber  @enefi§,  mit  ber  gon=^en 
geiftigen  5lu§ftattung  ber  ©egenmort,  ober  gor  mit  erl)öt)ten  Gräften, 
nur  nod^  ot)ne  Äenntniffe,  eines  2;oge§  plö^li^  in  bie  SSelt  getreten, 
bonn  mödjte  in  ber  Srijot  (Staunen  fein  erfteS  @efül)l  unb  bie  ^roge 
nod)  bem  Urljeber  biefer  Singe  feine  erfte  (Sorge  gemefen  fein.  Sft 
er  ober  au§  nieberen  2eben§formen  !^eroorgegongen,  bann  merben  mir 
bem  Staunen  unb  ber  SSermunberung  am  Stnfong  feiner  Soufbotin 
f(^merlid)  eine  gro^e  SloKe  gufdjreiben  bürfen;  mie  einbrudSloS  an 
einem  rein  finnlid;en  SSefen  jene  !^immlifd)en  @rfd)einungen,  bie  uad) 
ben  3Rt)tl)ologen  guerft  ben  ß'oufolitötstrieb  in  Xl)ätig!eit  fe^en  follen, 
Sonnenaufgang  unb  9J?orgeurüte,  ginfterniS  unb  ©emitter,  abgleiten, 
ha§:  ä^igen  un§  aüe  Xoge  bie  stiere.  @rft  ein  t)oä)  entmicfelteS  geiftige§ 
3Befen  bringt  e§  jum  (Srftounen  über  jene  feiner  2Sal)rnet)mung  löngft 
gemi3l)nlid)eu  SSorgänge.  S(^  gloube,  boB  bie  Äotegorie  be§  „®eifte§" 
öor^anben  fein  mu^te,  el)e  bie  mt)tt)ologif(^e  5luffaffung  oon  Sonne 
unb  9}?onb,  oon  (Sturm  unb  Söolten,  oon  ©rbe  unb  Wtcv  über'^oupt 
möglich  mar.  Unb  bo  f(^eint  mir  nun  nic^t  ^meifel^aft,  baB  ^.  (Spencer 


10.  ©efc^ic^tlid^e  (SittiDicfelung  ber  ®otte§*  unb  SBeltöorfteQung.       285 

recf;t  ^at,  wenn  er  bie  erfte  Sßorftellung  Don  einem  @ei[t  überfjaupt 
aii§>  bem  gefpenfter^aften  fortleben  ber  Xoten  f^ernimmt.  3)a§  üon 
i{)m  in  ungemeiner  9?eid)^altig!eit  sufammengebrac^te  nnb  öortrefflid^ 
georbnete  antfjropologifdje  DJJaterial  jeigt,  iüie  allgemein  verbreitet  biejer 
©laube  ift,  unb  mad^t  äugtcid)  einleurfjtenb,  n)ie  er  ent[teljen  nnb  gum 
Stu§gang§pnnft  eine§  allbefeetenben  §(nimi§mu§,  einer  antf)ropomor= 
pl^ifcf^en  Slpperjeption  ber  9?aturoorgänge,  gule^t  einer  nn)t^ijd)en 
9lQturanffaffnng  ttierben  fonnte. 

S)Qnn  ober  wirb  weiter  einlencfjtenb,  mie  in  einem  woUenben 
2Sejen  ber  ©eiftergtanbe  STu^ganggpunft  ber  pra!tifcf)en  9Rei()e,  ber 
ßauberei  nnb  be§  Änlt^,  tuerben  fonnte.  ®ie  Urform  be§  ^nU§>  fdjeint 
überall  gu  fein,  ha^  ben  ©eiftern  ber  5(bgefcf)iebenen  Stnrebe  nnb  Stnteil 
am  Tlaf)l  geboten  n)irb.  2Bie  aber  bie  föeifter  fetbft  nicf)t  in  bem 
gemö^nticf}en  Sinn  tüirfli(^e  SBefen  finb,  fo  t)at  oud)  ber  Sßerfetjr  mit 
if)nen  einen  eigentümlidjen,  man  mi3djte  fagen  fpuftjaften  Gfjarafter; 
fie  oergeltiren  bie  ©peifen  nid)t  njirHid),  n)ie  ein  Sebenber,  nod^  geben 
fie  ber  9^ebe  eine  bem  Dfjr  vernehmbare  STntmort.  33atb  Ijier,  balb 
bort,  balb  in  biefer,  balb  in  jener  ©eftalt  erfc^einenb,  nidjt  an  bie 
©efe^e  ber  Störperlic^feit,  be§  9ftaume§  unb  ber  ^dt  gebunben,  üben 
fie  fpuf^afte,  übernatürlid)e  !^irfungen.  SSer  nur  bie  Ä'unft  tnü^te, 
fie  §u  feinen  ©unften  ju  ftimmen,  ber  mi3d)te  rto^I  mandje»  burd^  fie 
bemirfen  !önnen,  tt)0§  fonft  unmöglid;  ift.  Söer  fie  nur  red^t  gn  fragen 
oerftünbe,  bem  möd)ten  fie  mol^I  mand)e§  offenbaren,  ma§  fonft  niemanb 
ttjiffen  !ann,  öor  allem  aud)  bie  3w^U"ft  finb  fie  bod)  felbft  nidjt  in 
ber  ßeit,  n)enigften§  nidjt  eigentlidt). 

@o  ift  bie  9}Zi)gIid)!eit  ber  ß^ii^crei  gegeben.  (Sie  gur  olIöer= 
breiteten  SBirflidjfeit,  ©djamaui§mu§  unb  Dpfer!u(t,  5(ngurentum  unb 
OraMmefen  gu  einem  n)efentlic[)en  Seftanbteil  menfdjüd)er  £eben§= 
betfjätigung  gu  modien,  ha^  ift,  barin  f)at  geuerbad)  rec^t,  ha§> 
SSer!  be§  SSiüenS.  S)er  SDrang,  feinen  SBitten  bnrdjgnfeleu,  ift  ha; 
md)t  minber  finb  bie  taufenb  §emmniffe  unb  ©djranfen  ha,  bie  fid) 
burc^  natürtidje  3Bir!fam!eit  nidjt  tuoden  überminbeu  laffeu;  eublid) 
ift  ha§^  brenueube  ^ßerlaugen  ha,  bie  3"^iinft  üorf)er  ju  fefjen,  aber 
in  nuburdjbringlic^eS  ®unfel  öertjüllt  fie  fidj  bem  ©terblidjen.  2)a 
bietet  fidj  nun  bie  Ä'ategorie  be»  @eifte§  unb  feiner  übernatürlid)en 
SSirffamfeit  unb  SBiffenfdjoft;    iljrer   fid)  bemädjtigenb,    bringt  ber  in 


286    I-  33u(i):  Wlctap^t)\il  2.  Kapitel:  ®ag  fogmologifc^^^eologijcfie  «ßroblem. 

ber  Slot  erfinberijd^e  SSille  jene  uuenblic^e  9}tanmgfaltig!eit  überfinn* 
Iid;er  ober  tranjceubenter  ^anblungen  unb  ^orfc^ungen  f)eroor,  benen 
aut^ro|)oIogijc!§e  unb  gefrfjid^tlicf^e  gorjcfjung  ouf  @d)ritt  unb  Xrttt 
begegnet.  SBäre  bie  9fJot  uidjt  jo  bringenb  unb  ber  SBide  gum  Seben 
nid^t  fo  ftar!,  jo  tüiirbe  ber  ©eifterglaube  nid§t  jene  ungeljeure  S3e« 
beutung  für  bie  geiftig-gefcfiidjtlidje  (Snln^idelung  erlangt  ^aben.  S)a§ 
|a^  f(f)on  ©pinoga:  „SBenn  bie  9)?enf(f)en",  fo  beginnt  bie  35or== 
rebe  jum  t{)eoIogif(i)=poIitifc^en  ^roftat,  „ade  itjre  5(ngelegenf)etten 
mit  fi(f)erem  ©ntfd^IuB  gu  Ien!en  üermöd^ten,  ober  tüenn  if)nen  ba^ 
@Iüd  immer  günftig  n:)äre,  fo  gäbe  e§  feinen  SIberglauben.  2Bei( 
fie  aber  burc^  bie  dloi  oft  üöüig  rattog  gemad)t  merben  unb  bei= 
naf)e  ftet§  um  ungemiffer  ©lüd^güter  mitten,  bie  fie  ma^toS  be- 
gehren, jmifd^en  gurd^t  unb  Hoffnung  jämmerlich  l^in  unb  t)er 
fdjmanfen,  fo  greift  i§r  @eift  beftänbig  nac^  jebem  ©tauben  unb 
Slberglanben." 

@nbli(^  aber  ift  and;  bie  intene!tuatiftifdje  Stuffaffung  ber  90^t)tf)o= 
logen  nid^t  o!t)ne  ein  äJJoment  ber  2öa^rf)eit.  SSenn  Herbert  ©pencer 
bie  gange  (Söttermett,  mit  bem  alten  @u^emeru§,  unmittelbar  auf  üer» 
gbtterte  Slt)nen  unb  Könige  gurüdfüf)ren  mill,  fo  mirb  e§  ben 
SO^t)tf)oIogen  nidjt  fd^mer,  bie  Un§nlänglict)!eit  biefer  ©rflärung  gu 
geigen.  ßeuS  unb  Demeter,  ^tpoüon  unb  S(rtemi§,  Subra  unb  SRubra, 
9}Jitt)ra  unb  S3aruna  finb  gemife  nidjt  üergötterte  Könige  unb  Königinnen. 
9JJit  mef)r  Sfled^t  mirb  man  fie  perfonifigierte  ober  nergotterte  9latur= 
h'äfte  nennen.  S)ie  erfte  9!Jiöglidj!eit  ber  (Sutfte^ung  liegt  freilid^  aud^ 
für  fie  in  bem  ©tauben  an  bo§  g^ortleben  ber  Stotcn;  aber  nad^bem 
bie  Kotegorie  be§  ®eifte§  einmal  ha  ift,  löft  fie  fic^  oon  i^rem 
llrfprungSort  Io§  unb  mirb  gum  §(u§gang§pun!t  neuer,  fetbftänbiger 
Söilbungen,  inbem  D^aturborgänge  fpiritiftifd)  interpretiert  ober  antf)ro= 
pomorp^ifc^  appergipiert  merben.  2Sie  fic^  biefer  ^roge^  im  ein- 
gelnen  üoßgogen  t)at,  mie  bie  ©eifter  gu  perfonifigierten  9latur= 
gematten  ober  bie  9^aturgematten  gu  inforporierten  ©eiftern  gemorben 
finb,  ha§>  lä^t  fid)  natürticf)  nidjt  in  concreto  nad^meifen,  mir  fönnen 
bie  @efd)id§te  ber  eingelnen  ©ötter  nidjt  bi§  gu  il^rer  ©eburt  in  ber 
93oI!§feeIe  öerfolgen.  2Ba§  mir  oerfud)en  !önnen,  ba§  ift,  bie  pfljdjo^ 
togifdje  3}iögtid)!eit  im  allgemeinen  begeid^nen.  Unb  ha  mag  man 
benn    mit   9Jf.  SKüIter    and)    an    bie  ©emalt    beuten,    meiere    bie 


10.  ©efdiid^tltc^e  entraicEelung  ber  ®otteg*  unb  SBeltüorfteKung.       287 

urfprüngnc^e,  alle§  perfonifi^ierenbe  ©procfie  über  ba§  ®en!en  übte, 
fte  forberte  gleitfifam  beftänbig  bie  ^^p^antafie  ^erau§,  511  ben  ^J^atur« 
oorgängen,  ^um  Sonner,  gum  Ülegen,  ^nm  (Stnvm,  ein  ©ubjeft,  ein 
Söefen,  ha^  bie§  tf)ut,  fjin^ujubenfen.  SBas  anber§  foQte  aber  bie§ 
Söefen  fein,  aU  ein  @eift,  wie  er  and)  in  ben  naf)en  unb  greifbaren 
irbifc^en  Singen  fi|t?  ^nbem  bann  änjifrfien  bem  ©eift  unb  ber  ®r= 
fd^einung  be§  Singet,  in  bem  er  feinen  ©i^  'i)at,  innere  Se^ie^ungen 
geftiftet  n^erben,  n^irb  er  gum  S^^aturgeift,  §ur  perfonifijierten  9'?atur= 
fraft:  5(potIon  ober  9JZitf)ra  hjirb  jum  allfcf)enben,  bie  gin[terni§  öer- 
fc^eud)enben,  mit  feinen  Pfeilen  weithin  treffenben  (5onnen=  unb  ßid)t= 
gott,  3eu§  ober  Snbra  gum  §immeIlgott,  ber  bie  Gräfte  ber  §i)t)e  in 
ber  ^anb  f)ött,  bie  SBotfen  fammelt,  regnet  unb  fcfineit  unb  üor  allem 
ben  gelt)attigen  S(i|ftro^(  fc^leubert.  Snbem  nun  sugteirf)  bie  poetifrf)^ 
religiöfe  ^f)antafie  in  ont()ropomorpt)ifdjer  Seutung  ber  äuBeren  (Sr= 
fc^einungen  auf  innere,  moralifd^e  ß^ft^i^^s  unb  35orgänge  i^r  2Ber! 
tl^ut,  entfte^en  bie  @ötter,  jene  erftaunlid^en  SBefen,  in  benen  eine 
p^l)fifrfj=fo§mifc^e  unb  eine  geiftig=gefc^ic^tü(^e  (Seite  ju  fo  fettfam 
loiberfprudiSöoIIer  ©inf)eit  oerbunben  finb.  — 

SBir  n)enben  un§  nun  ^u  ber  britten  unb  legten  ©runbform 
ber  üieligion,  bem  9}?onotf)ei0mu§.  (Sein  SSerbreitungSbejir!  ift 
bie  fortgefdirittenere  Ö)eifte§!ultur  ber  gefd^ic^tlicfjen  35ö(ter.  (£^ara!te= 
riftifd^  ift  für  bie  großen  monotf)eiftifci^en  Sfieligionen  guerft  if)re  @nt= 
fte^nng  in  gefd^idjtUcf)er  ^^it  unb  burcf;  gefdjic^ttid^e  ^erfön= 
ti(f)!eiten;  fobann  bie  $ßer geiftigung  be§  @öttlid)en.  Sie 
©Otter  finb  ftnnti(i)=überfinnli^e  Sßefeu;  ber  9J?onotf)ei§mu§  ftreift  bie 
finnlidje  (Seite  gauj  ob,  ®ott  ift  @eift,  unfbrperlic^,  geftottIo§,  unfa^= 
bar  ber  finnlirfjen  ©inbilbung.  Samit  fcbiüinbet  bie  gange  antfjropo- 
morpf)ifd)e  (gin!(eibung  ber  tranfcenbenten  SBelt,  n)enigften§  im  ^rin§ip, 
UJenn  benn  aud)  bie  SO^enge  fid^  bie  35erfinntid^ung  be§  ©eiftigen  nid^t 
entreißen  Ui|t.  9J?it  ber  menfd^Iidjen  S8efd)rän!t^eit  fc^njinbet  gugteic^ 
bie  (Sjifteng  al§  ©iuäellüefen;  ha§>  (Sinjelnjefen  ift  ein  in  9?aum  unb 
3eit  begrenztes  SBefen;  ein  SBefen,  \)a§^  biefe  @d^ran!en  nijüig  ab^ 
gemorfen  ^at,  l^ört  auf  ein  ©ingetoefen  ju  fein;  ®ott  ift  ha^  3Sefen, 
ba§  eine  StUnjefen,  beffen  Ä'raft  unb  SSefen  alle  Üiöume  unb 
3eiten  burd)bringt  unb  erfüllt.  Unb  (jicrmit  fdjiuinbet  enblic^  ein 
meitere»:  bie  n  a  t  i  0  n  a  I  c  Sefd^ränftf)eit.     Sie  Götter  be§  ^oft)t^ei§mu» 


288    I.93ud^:  Tittap^t}\it  2.  tapitel:  ®a§  foimologiic^^t^eologiicfie  Problem. 

finb  ©Otter  biefeS  93oIfe§,  anbere  S^blfer  i)aben  anbcre  öötter.  2)er 
eine  (^ott,  ber  SSettgott,  ift  ber  attein  ipaf)re  @ott,  neben  bem  e§ 
anbere  ©ötter  nirf)t  giebt  Sl'ie  monot^eiftijdjen  Üieligionen  (jaben  alle 
ben  Srieb  jur  internationalen  ^ropaganba,  ber  ben  poIi}tf)eiftiid}en 
fef)It.  SSo^I  trngen  and)  (^riedien  unb  Ü^ömer  if)re  ©ötter  in  frembe 
Sänber,  aber  bie  (Seelen  frember  S3i31fer  if)nen  nnter^an  jn  mad}en, 
blieb  ein  it)nen  frember  ©ebante.  Xci  S3efef)rung5brong,  auf  mannig= 
fad)e  SBeife,  burd)  SJäffion  unb  Äreugjug  fic^  äuBernb,  ift  ben  mono= 
tf)eiftifd)en  üieligionen  eigen. 

Ser  9}Zonotf)ei5mu§  erfd)eint  gefc^idjtüdj  als  gortfdjritt  über 
ben  ^oIi)t£)ei§mu§.  Snnerf)alb  ber  gried)ifc^en  SSelt  lä^t  fid^  bie 
(Sntmideluug  einigermaBen  üerfotgen.  ®ie  öorfc^reitenbe  geiftige  93ilbung 
übt  auf  ben  antf)ropomorp^ifcf)en  ^oIt)tt)ei5mu5  eine  auflöfenbe  Söirfung 
au§.  Sie  alten  öi^tter  üermögen  fo  menig  hm  Stnforberungen  be§ 
üorgefc^rittenen  moraIifd)en,  al§  be§  lt)eoretif(^en  ^ert)uBtfein§  met)r 
äu  genügen. 

^unädjft  mad)t  fid)  eine  ^^enbenj  bemerfbor,  aus  i^rem  mora  = 
Hfd)en  SSefen  bie  3^9^  au55ufd)eiben,  bie  bem  empfinblidjeren  336- 
nju^tfein  unerträgtid)  werben.  3inb  bie  öotter  tt^irflic^,  als  lüas  bie 
35eref)rung  ber  öläubigen  fie  faBt,  ©rünber  ber  Crbnung,  @eber  be§ 
©Uten,  ^üter  be§  9^ec^t§  unb  ber  8itte,  fo  fann  unb  barf  if)nen  nid)t 
alleg  gufommen,  was  in  (Sage  unb  9JZt)tt)0ö  if)neu  beigelegt  lüirb. 
^riefter  unb  ^t)itoiopt)en,  3^ic^ter  unb  5lünftter  arbeiten  an  bem 
SäuterungsprogeB,  burd)  ben  feit  bem  fedjften  Scif)rf)unbert  bie  mi)tf)ifd)= 
antt)ropomorpf)ifdjen  unb  bie  äauberifc^=fetifd)iftifc^eu  ßiiQt  aus  bem 
SSefen  ber  ©btter  ausgemerzt  werben.*)  2)amit  gef)t  bie  öntwidetung 
in  ber  S^id^tung  ber  (Sint)eit  gufammen.  Dhmmt  öomer  feinen  ?(nftoB 
baran,  ha^  bie  ©ötter,  wie  fie  unter  fid)  in  geinbfdjuft  unb  ge^be 
(eben,  fo  aud)  in  bie  2(ngelcgenf)eiten  ber  SÜJenfc^en  fid^  in  entgegen^ 
gefetztem  Sinne  einmifd)en,  fo  wirb  oon  einer  fpäteren  ^nt  fotdjer 
3wiefpatt  al§  unerträgtid)  empfunben.  2:a§  öute  unb  9ied)te  ift  Gines 
unb  fann  mit  fid)  nid;t  in  SSiberftreit  fein,  barum  fönnen  audj  bie 
©Otter  nur  einmütig  unb  in  einem  (Sinne  fid)  bet^ötigen.  9äd)t 
junäd^ft  bie  metüpf)9fifc^e  (Sin^eit  be§  göttlidjen  SSefen§,  aber  bie  Gin= 


")  2.  (Scfimibt,  2)ie  etf)tf  ber  alten  ®ned)en,  I,  133  ff- 


10.  ®ejd^td)tlt(f)e  enttuidelung  bet  ©ottel*  unb  gBeltöorftettung.        289 

mütigfeit  be§  @öttemiüen§  ift  ein  etfjijcfies  ^oftulat.  Sn  ber  93e= 
geic^nung  M^  ©öttlidje"  {rd  deiov),  bie  feit  i^erobot  geroöf)nüct)  ift, 
^at  ficfj  bie  gorbening  ber  (Einheit  einen  fprac^Iic^en  Slusbrucf  oer= 
f(f)Qfft,  ber  bie  $ßiel()eit  ber  äöefen,  man  fonn  (x\x6)  jagen,  ber  9iamen 
ober  ber  ^erfoneu  (Üioüen  ober  ®rfrf)einung§formen),  nid)t  auSfc^üefet. 
2)enn  biefe  {)ätte  freilief)  ba§  religiöfe  @efüf)(  be§  griedjifcfjen  95oIfe§ 
nic^t  entbefjren  mögen.  „2)ie  gonje  (Sd^onfjeit,  bie  ganje  SBärme,  bie 
ganje  @rf)ebnng  feiner  Ü^eligion  6eruf)t  i^m  —  unb  ouc^  iin§  toud^t 
fie  in  ber  SSiebererfaffung  nur  aljo  in  i^rer  oollen  §errli(f)feit  auf 
—  tuejentlicf)  auf  ber  ©öttertüelt,  bereu  ©eftalten  oom  ^immel  burd) 
bie  örbe  in  SlUgegennjart  unb  teilne^menber  ©efc^öftigfeit  il)r  eigene^ 
feligeö  Seben  einzeln  unb  äufammen  führen,  an  ben  menfdjlic^en  Sie6= 
lingen  unb  i^ren  @ejd;icfen  liebenb,  madienb,  ftrafenb,  orbnenb  fid^ 
beteiligen;"  ein  ftrenger  S[)?onottjei§mu§  loäre  ben  alten  öried)en  mit 
feiner  erfältenben  Öbe  al§  5ltf)ei§mu§  erfdjienen.*) 

(So  bleibt  ber  ^ott)t^ei§mu§  moralifc^  möglid^.  Sn  feiner 
(Sjiften^  lüirb  er  bagegeu  bebrofjt  burd)  bie  (Sntttiidelung  ber  1 1)  e  o  r  e  = 
tifc^en  «Spefulation.  S)er  ^w^,  ttjetc^er  ber  griec^ifdjen  ^^itofopfjie 
an  ber  ©eftatt  ber  SBirfIid)feit  üon  Sinfang  an  oor  aüem  ing  Stuge 
fiel,  tt?ar  bie  öinl)eit  ber  Statur.  5(uf  bie  5(uffinbung  be§  eint)eit* 
liefen  ^rinjipö  ber  2öirflid)feit  finb  alle  $8emü^ungen  ber  älteften 
^^ilofop^ie  gerichtet,  Sft  bie§  ^^ringip  ein  geiftig=perfi3n(id)e§,  fo  !ann 
es  nur  ein  einziges  fein,  ©er  Ä^o§mo§  fie^t  nid)t  mie  ein  2)ing 
au»,  an  bem  oiele  gearbeitet  ^aben,  fonbern  loie  "t^a^  SBerf  einer  all= 
luaüenben  ^ßernunft.  Sn  ber  eleatif(^en  ©pefulation  fc^eint  bie  ^f)i(o- 
fop^ie  mit  bem  oolf^tümlid^en  ^o(t)t^ei§mu§  §uerft  entfd^ieben  feinblid) 
äufammengeftoBen  ä«  fein.  9Zod)  loeniger  tonnten  bie  alten  ©ötter 
oor  ber  feit  bem  oierten  Sa'^rtjunbert  rafdj  fid;  entwidetnben  pofitioen 
SBiffenfd^aft  beftefjen.  ©in  3eitalter,  bo§  ßootogie  unb  33otanif,  Slna- 
tomie  unb  ^f)t)fio(ogie  treibt,  fann  in  ben  ol^mpifd^en  ©ottern  nur 
gabelioefen  erbliden.  2}er  SBiffenbe  fann  fie,  bem  Äonflift  mit  ber 
überlieferten  3]oIf§reIigion  au^meid^enb,  fdjonenb  be^anbeln,  er  fann 
fie  umbeuten  unb  an  i^nen  fidj  äftfjetifd)  erbauen  ober  fie  in  Snter- 
munbien  anfiebeln,  mo  fie  ben  ^^taturlauf  nic^t  ftijren,  aber  er  fann 
nid)t  met)r  an  fie  glauben. 

*)  Ä.  SeljrS,  «populäre  STutfäge  aug  bem  mtertum,  ©.  148  ff. 
^autfen,  Gtnleitung.    G.  2luf[.  19 


290    I-  93uc^:  Wetap^t)\il  2.  Kapitel:  3)o§  fo§moIogtfc^4^eoIogi|c§e  Problem. 

SE)ie  p!^i(ofopf)ijd^e  SSeltanfd^auung ,  lüeld^e  nu  bie  @teKe  ber 
ntt)tf)oIogtid^en  tritt  unb  in  gettJtffem  (Sinne  bie  alte  ©ötterreügion 
erfe|t,  ift  ein  ibealiftijrf)er  ^ontf)ei0mu§.  Sd)  miü  bie  ge= 
f(f)i(i)tlic^e  6ntn)ic!elung  biefer  5(nfcf)auung,  bie  6i§  ouf  unjere  SCage 
eine  ber  ©runbformen  be§  ®en!en§,  um  nic^t  gu  fogen  bie  ©runbform 
be§  pf)i(ofop^ifd)en  S)en!en§  im  Slbenbtonbe  Bilbet,  mit  ein  paar  ©trieben 
anbeuten.*) 

S)ie  ^f)i(oiop^ie  ^latons  ift  bie  erfte  tt)ir!(id^e  ®urc^füf)rung 
biejer  5(njd^anung.  2lIIerbing§  t)at  fie  neben  fic^  eine  onbere  Stuf= 
foffung  ber  5ß3irfü(i)teit,  i^ren  @egenfa|:  ben  materioliftijc^en 
Sttomi§mu§  Semo!rit§.  S)od^  f)at  jrfjon  in  ber  antifen  SSelt, 
nod)  me't)r  im  SJJtttetalter  unb  in  ber  9^eu§eit  bie  öon  ^(oto  au§= 
ge^enbe  9fti(i)tung  ha§  Ü6ergenii(i)t;  ja  fie  ift  f)ier,  inbem  fie  in  bie 
£e{)rii)fteme  ber  Äircfie  einging,  freiüd^  mit  fef)r  ftarfen  Umbiegungen, 
5U  einem  Clement  ber  gen)ö^nli(^en  33orfteUung  gemorben,  ber  fie  ur- 
fprünglic^  fo  feinbfelig  entgegentritt.  3^ie  2:f)atjatf)en,  öon  benen  fie 
au§ge{)t,  finb  bem  griedjifc^en  3)eufen  gemein:  bie  in  ber  S^otur,  üor 
allem  am  ^immel,  t)errjc^enbe  finuüolle  Crbnung,  unb  bie  in  ber 
SOMfdjenmett,  im  (Sinselleben  tt)ie  im  Seben  ber  SSöIfer,  maltenbe 
@ered)tig!eit.  2)iefe  Sfjatfadjen,  bie  aud)  S)emofrit  unb  (äpifur  nid)t 
leugnen,  fonbern  auf  it)re  SSeije  gu  erftären  judien,  beutet  ^lato, 
mand^e  ©ebanfen  grü'^erer  öermertenb  unb  meiter  füf)renb,  in  feiner 
Sbeentf)eorie:  bie  SBir!lic^!eit  ift  in  2Baf)rf)eit  nid)t§  anbereS  at§ 
ein  ein^eitIid)e§!St)ftemfeienber,  (^ufammenftimmenber 
©ebonfen. 

S)a§  ift  bie  unget)eure  ^arabojie,  mit  ber  fid)  ha^  pf)itojopf)ifc^e 
SDen!en  im  ^benblanbe  befinitio  üon  ber  gemeinen  9J?einung  (oSrei^t. 
2)ie  „9J?einung",  bie  bie  2Bir!(id)feit  nur  burd^  bie  ©inne  fief)t,  bleibt 
bei  ber  Sßorftellung  ftel^en:  bie  SBelt  beftel^t  aus  einem  Stggregat  öon 
Singen,   bie   im  'Sianm  finb   unb  fid)  bemegen,   in  ber  ^dt  entfte^en 


*)  ^ä)  mac^e  auf  bie  fnoppe  unb  babei  bod)  reichhaltige  unb  fo§(id)e  Sar* 
[tellung  ber  ©ejc^ic^te  ber  alten  $:^iIojopt)ie  öon  SB.  SBinbelbanb  oufmerffam, 
bie  pjammen  mit  einer  föertüollen  ©rgängung,  mit  ®.  @üntt)er§  Umri^  ber 
®ef(i)id^te  ber  9Jiatf)ematif,  SJaturraii'jenjdjoft  unb  f  oSmotogie,  bie  (Sntwicfelung  be§ 
gned)ijci)en  Senfen^  pr  2(nj(^auung  bringt.  8ic  bilbet  einen  Seil  (V,  1)  beg 
^onbbud)g  ber  üaffifdien  2{Itertum§=Sffii)'ienid)aft,  :^r§g.  tjon  Q.  TOüüer. 


10.  ©ejd^id^tlid^e  (Sntnjidelung  ber  ®otte§=  unb  aBeltborftettung.        291 

unb  berge^en.  ®er  ^fjirofopf),  ber  bie  Sßirfli(i)feit  nic^t  burc^  bie 
©inne,  fonbern  burcf)  ben  SSerftanb  fief)t,  erfennt  [ie  in  i^rer  SBa^r= 
fieit;  er  erfaßt  fie  in  ber  bioleftifrfien  «Spefulntion,  in  ber  benfenben 
93etra(i)tung,  al§  ha^,  iüa§  fie  an  fic^  ift:  al§  ein  feienbe§,  jeit*  unb 
raum(ofe§,  en^igeS  unb  unüerönberlici^eS  ®ebaufenfi)[tem.  2öie  eine 
^id^tung,  eine  ^f)iIojop^ie,  ein  geometrifd)e§  (g^fteni  qI§  ein  jeienbe§ 
@ebanfenji)[tem  i[t,  jo  bie  3Sir!(i(f)feit  an  ficfj,  ber  kööuos  vorjvös,  ber 
mundus  intelligibilis.  SSie  bort  eine  Sßielt)eit  öon  9)?omenten  burd) 
innere,  logifcfie  ober  äfttjetifdje  9Zottt)enbigfeit  ^ur  (5inf)eit  öerbunben 
ift  unb  qIö  foldie  jeittoS  beftef)t,  lüä^renb  ha^  fubjeftibe  93ett)u^tfein 
fie  freilid)  nur  in  geitlid^er  Sciregung  ^u  erfafjen  nermag,  fo  befte{)t 
aud^  bie  feienbe  2öe(t  q(§  eine  35iel^eit  burd^  Iogifd)=äftf)etifd)e  9^ot= 
ttjenbigfeit  innerlid)  oerfnüpfter  ©ebanfeu  ober  Sbeen.  (Selbfttierftänb= 
tid)  beftef)t  \)<x%  5)afein  für  einen  ©ebanfen  im  ©ebaditlüerben,  unb 
fo  öefte^t  \ia^  ^afein  ber  2Bir!Iidj!eit  an  fid)  felber  in  bem  etoigen 
©ebadjtuierben  be§  ein(}eit(idjen  @ebanfenfl)ftem§,  ober  in  bem  @elbft= 
BeUJuBtfein  ber  Sbee,  bie  bie  2Bir!(idjfeit  ift,  ober,  fo  fönnen  \mx  aud) 
fagen,  in  bem  lebenbigen  ^ürfid)fein  ®otte§,  ber  bo§  Stüupirüid^e  unb 
\i(i%  5ragute  ift. 

©0  beult  ber  ^fjilofop^  bie  SSirüic^feit;  er  öerfud^t  e§,  bie 
feienben  ©ebanfen,  bie  ©ebaufen,  bie  "Qa^  SSefeu  @otte§  ober  be§  2öirf= 
Iid)en  au^mac^en,  nadjpbenfen.  greiüt^,  er  fie^t  bie  2SirfIic£)!eit  oud) 
auf  anbere  SSeife,  er  fief)t  fie,  mie  bie  auberen,  aud)  burd)  bie  @inne, 
unb  "iia  erfd^eint  fie  i^m,  xoxt  jenen:  al§  ein  S(ggregat  im  9f?oum  5er= 
ftreuter,  in  ber  ßeit  fid)  önbernber,  entfteljenber  unb  oergel^enber  2)inge. 
5lber  i^n  täufd^t  ber  @d)ein  nid^t;  er  rteil,  'iia'^  ha^  ©eienbe  nid)t 
werben  unb  »ergeben  fanu.  Übrigens  f(^immert  burd)  biefe  @r* 
fd)einung§melt  \i(x^  mirfüd)  SSirflid^e  bodj  überall  burd^.  5üid;  in  ber 
räumlic^:=5eitlid^en  SSelt  ift  überatt  bem  5tuge  bei  SBiffenben  bie  Sbee 
erfennbar;  in  allen  fingen  ift  ein  rationaler,  geiftiger  ^aftor  barin, 
er  ift  al§  motfjematifd^e  ©efe^möBigfeit  in  ber  Crbuuug  bc»  ^immüfd^en 
(St}ftem§,  als  teteologifdjer,  finunoüer  ^iM'oinmenfjaug  ber  ©lieber  unb 
ber  3^un!tionen  in  ben  lebeuben  SSefen.  5nierbiug§  ift  er  f)ier  gleid)= 
fam  üerbedt  ober  gehemmt  burd)  ein  „StubereS",  einen  irrationalen 
gaftor;  in  allen  förperlid)en  Singen  ift  neben  bem,  Voa§>  an  i^nen 
rational,  begrifflid)  unb  barum  begreiflid^  ift,  neben  ber  ^orm  ober 

19* 


292    I-  S3uc^:  mttapi^tjß.  2.  Äapitel:  2)ag  fo§moIogij(^4^eologifc^e  «Problem. 

bem  ©efe^müBigen,  ein  ©eftalt^  iinb  33egriffIofe§,  taS^  bem  S)en!en 
abfotut  unburd)bnng(ic^  i[t,  boS  i[t  boS,  woburcf)  jte  räumücf)  au§ge= 
bef)nt  finb.  ©igentüdj  i[t  bie§  „3Jubere",  ba  e§  nidjt  ber  ®ebQnfen= 
tüelt  angeljört,  aud)  nid)t  iüirfltc§,  el  t[t  ein  f-n)  bv,  ein  Hofeer  ©i^ein. 
Snbejfen  erf)äU  e§  in  ben  naturpt)i(ofop{)ifd)en  ^arfteUungen,  bejonberS 
im  2;imäu§,  bod)  luieber  eine  5(rt  öon  2SirfIic!^!eit,  e§  wirb  qI§  „ü)iit= 
urfadje"  neben  ber  eigentlid^en  Urfad^e,  ben  feienben  ©ebonten,  bie 
l^ier  nun  gu  geftattenben  3^^^9^'^'^i^^^^  n^erben,  gur  ©rüarung  ber 
finnlid)en  SSelt  gebraud)t,  öor  aEem  um  bie  (Störungen  unb  W^Sv- 
bitbungen  i^m  gur  Sa[t  gu  legen.  Sn  ber  eigentlidjen  Setradjtung 
f)angen  freiließ  bie  Unüollfommenfieiten  nic^t  ber  2öirflid)!eit  \tih\i, 
fonbern  bloB  unjerer  finnlid^en  ^Sorftellung  ber  Sßirflid^feit  an.  2Sirf= 
lic^feit  unb  SSotI!ommenf)eit  jinb  jdjon  l^ier,  mie  fpäter  realitas  unb 
perfectio,  ibentifd;e  S3egriffe:  @ott,  ber  (ebenbige,  für  fic^  feienbe,  einen 
unenblidjen  9fteid§tum  innerer  93e[timmungen  in  fid)  fjegenbe  SBettgebonfe, 
ift  §ugleid)  ha^  Sltln^irfenbe  unb  \iCi^  2(IIgute. 

(S§  finb  not)  üermanbte  ©ebanfen,  in  benen  bie  Striftotelifdie 
^(}iIofopf)ie  ben  Slbfc^IuB  i^rer  2öeltbetrad)tung  finbet.  g^reilid)  §Irifto= 
te(e§  felbft  empfinbet  unb  betont  ben  (^egenfo^;  er  fie^t  if)n  öor  altem 
barin,  bo^  er  uidjt,  ttjie  ^(ato,  bie  feienben  ©ebanfen  bon  ber  SSir!= 
lic^feit  feparieren  tüilt:  nid)t  au^er  unb  neben  ben  3)ingen  finb  bie 
„Sbeen",  fonbern  in  ben  S)ingen  at§  bie  feienben,  in  if)nen  öerUjir^ 
üd)ten  ^tt^edgebanfen.  Dber  anber§  ausgebrüdt  (benn  biefe  2)arfteEung 
ttjürbe  ^lato  a[§  eine  i|m  frembe  ableljnen,  bie  Sbeen  finb  nid)t  etmos 
neben  einem  5(nberen,  fonbern  fie  finb  eben  i^ix^  Söirüii^e):  bem 
S(riftoteIe§  ift  bie  SBelt  ber  finntidj  gegebenen  (Sin^elbinge  bie  n)af)re 
SBelt;  ber  köö,uos  y.ladrjTÖs,  "^ie  Söert  ber  3}ietf)eit,  be§  2öerben§  unb 
SSergefjens,  bie  ^lato  ai§>  einen  btofsen  ©djein,  ben  bie  feienbe  @e» 
ban!enix)ett  in  unfere  ©innlid^feit  Ujirft,  fonftruierte,  ift  if)m  bie  2öir!= 
Iid)!eit  felbft;  fie  ift  if)m  ©egenftanb  feinet  tt)eoretifdjen  3ntereffe§ 
unb  feiner  unermüblidjen  Dlad^forfc^ung.  5(ber  in  ber  mirflic^en 
(Srüärung  ber  3)inge,  in  ber  9}Jetap^t)fif  unb  9Jaturpt)iIofopf)ie,  bleibt 
er  boc^  gan^  in  ben  ©puren  feinet  2ef)rer^.  Sn  allen  fingen  finbet 
aud^  er  ein  boppelteS,  einen  rationalen  gaftor,  bie  „g^orm"',  bie  ^bee, 
ben  3n)edgebanfen ,  unb  ein  irrationales,  ha^^  „Stnbere",  bie  9D?aterie, 
bie  an  fid^   geftaltloS,   unbegrifflid^  unb   unbegreiflidj ,   in   ©ebanfcn 


10.  ®efd)icf)tlitf)e  entttjidelung  ber  ®ottel=  unb  SSeltoorfteHung.        293 

nid^t  auflösbar  ift.  3n  bem  SSer^ältniS  öon  ©eete  unb  ßei6  f)a6en 
jrir  ba§  ©d^erno  ber  5[)oppetf)eit  aller  SDiuge  in  bem  [ignififanteften 
goß  üor  un§,  bie  (Seele  ber  rationale  unb  ibeeüe  gaftor  beg  2ebe= 
tt)efen§,  bie  3J?aterie,  au§  ber  fie  ben  Scib  baut,  ber  irrationale  ^aftor. 
Unb  aud^  i{)m  i[t  ber  rotionale  gaftor,  wie  er  ha^  eigentlich  @r!enn= 
bare  an  bem  3)ing  i[t,  fo  aud)  ha§  eigentlich  SBir!(icf)e;  bie  SJJaterie 
ift  für  fic^  ein  9iic^tfeienbe§  ober  ein  blofe  9}?i3gtic^e§,  ha^  erft  burcf) 
bie  Hufnafime  ber  Sbee  ober  be§  3^f<J9cban!en§  gu  einem  beftimmten 
fonfreten  SSirüidfjen  njirb.  ^reitid^,  aud^  ber  ^^Jedgebanfe  ift  nid^t  an 
unb  für  fic^  ttjirftidf),  er  njirb  e§  erft  in  feiner  S3ern)irflic^ung  im 
Stoff,  ^oä)  erljölt  fcf)(ieBIid^,  im  Ie|ten  2(bfd)(uB  feiner  ©ebanfen 
in  ber  ST^eotogie,  ber  ibeelle  g^aftor  bie  (Stellung  be§  allein  unb  für 
ficf)  SBirfüd^en;  aße  Sbeen  finb  jute^t  befd^Ioffen  in  ber  einen  allum= 
faffenben  Sbee,  in  bem  SSeltgebanfen  ober  ber  SSettform,  ba§  ift  in 
©Ott.  ©Ott  aber  ift  reine  f$^orm  of)ne  SJJaterie,  actus  purus;  unb 
bie  fjorm  feiner  3SirfIid£)!eit  ift  ha§  reine  3)en!en;  fein  ®ofein  ift 
t}a^  5[)en!en  be§  abfotuten  S)en!inl^a(t§  {v(jt]Ois  vo/jöecog),  bie  «Selbft« 
üerujirflic^ung  ber  Sbee,  bie  bie  2öirf(ic^!eit  ift,  im  (SelbftbeujuBtfein. 
—  3)a§  ift  ganj  ber  ©ebanfe  ^Iato§:  ha^  einf)eitlirf)e ,  für  fid^ 
feienbe,  fic^  fetber  im  ©enfen  bertnirflic^enbe  Sbeenfl)ftem  ift  bie  abfo^ 
Inte  SBirfücfjfeit,  ®ott  bie  (Sinf)eit  be§  S)en!en§  unb  be§  (SeinS.  ©in 
Unterfcf)ieb  UJÖre  nur  barin,  ba%  S(riftoteIe§  Sbeen  be§  Snbioibuellen 
f)at,  UJö^renb  bei  ^fato  nur  bie  Gattungen  in  ber  tt)ir!lid)en  ©ebanfen» 
njett  üorfommen,  nid^t  ha§^  ©inäelne;  bod)  l^ält  and)  ^^lato  biefen 
©ebanfen  nid^t  überall  feft,  in  ben  ©eelen  f)at  audt)  er  „inbioibuelle 
Sbeen."  Unb  ebenfo  ft)ürbe  er  in  ber  ariftotelifd^en  S^affung  be§ 
^er^ältniffeS  öon  @ott  unb  9catur  feine  ©ebanfen  n^ieber  erfennen: 
bie  ganje  Statur  gielflrebig,  fid^  ftrecfenb  nad^  bem  ©uten;  ha^  ©ute 
aber  ift  nid^t  etma§  auBer  if)r,  fonbern  bie  eigene  oollenbete  ©eftalt. 
<So  UjenigftenS  im  9J?enfdjen:  ha^^  ©ute  ift  für  i^n  nid)t§  anbereS  a(§ 
bie  oollenbete  58ermir!lidE)ung  ber  Sbee  be§  SOJenfdjcn  in  einer  inbi- 
üibuellen  ©eftalt.  Sm  ©runbbegriff  ber  @tf)i!  fommen  beibe  mieber 
üöüig  überein. 

Sn  bemfetben  @eban!engeleife  bleibt  andj  bie  «Stoa.  (Sine  an= 
ttjaltenbe  95ernunft,  bie  mit  i^rer  eigenen  inneren  @efc^mäBig!eit  bie 
gan§e  SBir!Iid)feit  buri^bringt  unb  überall  ©eftalt  unb  Drbnung,  ha^ 


294    t.  ^nä):  '>mttap^t)\it.  2.  ^apittl:  ®a§  !oämotogtfcf)-t§eoIogijc^e  «Problem. 

SSernünfttge  unb  @ute,  fd^afft,  ift  ha§>  Ie|te  Söeltprinäip  ober  bie 
SStrflid^feit  felbft  in  if)rem  eigentlid)en  SBejen.  Sieben  biefem  ibeellen 
ober  rationalen  g^aftor  ber  2BirfIirf)feit  fennen  oncf)  bie  ©toifer  ha^ 
„Stnbere",  neben  bent  ^ßernünftigen  ba§>  körperliche;  aber  in  etwaS 
genjaltfamer  SSeife  fucfien  fie  be§  S)uoü§mn§  Jüieber  §err  gu  werben, 
inbem  fie  üerfidjern:  ha§>  ^Vernünftige  fei  jugleicf)  aud)  ha§>  Äörperlidje, 
ober  umgefeljrt,  ha§>  materielle  ^rin^ip,  "Oa^  Urfeuer,  an§  bem  aHe§ 
to'ixh,  nnb  in  ba^  olleS  ficf)  auflöft,  ift  gugleid;  ba§  ibeelte  ^rin§ip, 
bie  Stüöernunft.  ©ief)t  man  öon  ber  etma§  £)arten  Formulierung  ab, 
fo  ift  offenbar  ein  öernünftiger  ©inn  in  biefer  33etrad)tung.  (£§  ift 
im  ©runbe  baSfelbe,  ma§  fpätere  ^^iIofopf)en  mit  ber  2ef)re  üon  bem 
^oraüe(i§mu§  öon  2)enfen  unb  S(u§be!)nung  ober  ber  Sbentität  be§ 
Sbealen  unb  9iea(en  erreidjen  njollen,  ober  it)a§  ^(ato  baburd^  errei(f)te, 
ba'fi  er  bie  Äörperlidjfeit  al§>  Schein  betradjtete:  nämlid)  eine  moniftifc^e 
Dntologie. 

Sn  ber  tt)eofopt)ifd^en  @pe!utation,  morin  bie  gried^ifd^e  ^f)iIo= 
fopf)ie  am  legten  6nbe  auslöuft,  finb  bie  @runb§üge  be§  ibealiftifd)en 
^antf)eigmu§  bod^  überall  erfennbar.  (E^  mxh  bie  Xranfcenben^ 
@otte§  betont,  fein  SSefen  liegt  jenfeitS  aller  gegebenen  Seftimmungen, 
aud^  jenfeitS  ber  53eftimmungen  beg  ®eifte§.  5)od)  bleibt  ber  ©eift 
ha§>  if)m  Dlädjfte,  ber  ©ebanfe  ift  feine  erfte  Offenbarung;  unb  feine 
formalen  S3eftimmungen  finb  bie  alten:  ®ini)eit  unb  @utf)eit.  (Siner 
ber  leisten  Genfer  ber  alten  ^elleniftifdjen  2BeIt,  ber  ^eripatetifer 
©impIiciuS,  mag  §um  @c^IuB  biefe  gemeinfome  ©runbanfc^auung 
ausfprec^en.  ©ein  Kommentar  pm  §anbbüc^Iein  (SpiftetS  beginnt  mit 
fotgenben  ©ö|en:  „SlUer  ®inge  Ouell  unb  Urfprung  ift  ha§  ©ute. 
S)enn  ha§>  ift  Urfprung  unb  ßiet  (ißer  ®inge,  nad;  bem  alle§  t)inftrebt 
unb  fic^  ftrecEt.  Unb  oon  if)m  felber  bringt  bo§  @ute  oHe  SDinge 
^eröor,  bie  erften  unb  bie  mittleren  unb  bie  legten.  2)ie  erften  aber 
unb  if)m  nödjften  bringt  e§  ii^nlic^  if)m  felber  l)erüor,  bie  eine  @utf)eit 
üiele  ©utt)eiten,  bie  eine  (äinfad^ljeit  unb  ©in^eit,  bie  über  allen  @in= 
(leiten  ift,  öiele  (Sinljeiten,  ber  eine  Urfprung  oiele  Urfprünge.  ®enn 
baSfelbige  ift  Sin§  unb  Urfprung  unb  @ut  unb  ®ott." 

ßu  einem  ä^nlic^en  ßiel  l^at  bie  Sntn^idelung  ber  @otte§=  unb 
SBettgebanfen,  baran  mödfite  id^  bod)  mit  einem  SBort  erinnern,  auc^ 
bei   bem   gro&en   öftlid^en   ^xotxQ    ber   arifdjen   Sßölfermelt,    bei    ben 


10.  ©efc^ic^tlic^e  ©ntoidelung  ber  ®otte§-  unb  SßJeltborftettung.        295 

ignbern,  geführt.  S^acfjbem  ber  inbijdje  ®ei[t  juerft  mit  jc^öpferiic^er 
^^antofie  in  ben  S)eöa§  eine  Sßelt  (euc^tenber  unb  einiger  ©ötter 
f)ert)orge6racf)t  t)ütte,  er^ob  er  fidj  im  pf)i(ofopt)ijc^en  9k(i)ben!en  gur 
prinäipieüen  Seugnung  ber  3Sir!Iirf)!eit  ber  öielen  ©eftolten  unb  Giemen 
be§  ©öttlid^en,  um  im  33  r  a  ^  m  q  n  ein  einiget  abfolute^  @elb[t  ber 
Sßelt  §u  erfennen.  S)o§  93raf)man  f)at  nid^t  mel)r  bie  goi"!"  ^^^ 
©ingel^Sc^,  e§  tüirb  al§  9^eutrum  über  ben  ©egenjo^  ber  ©efdjlec^ter 
{)inau§gef)oben;  e§  i[t  ber  überinbioibucüe,  überfinnlidje,  überjeienbe 
2(H=@ei[t,  ber  in  ber  (gin^elieele  in  gebunbener,  gerteider,  üerfinnlic^ter 
©eftalt  erfc^eint:  „ber  Kliman,  ba§:  ©elbft  in  bir,  i[t  boS  ma^re 
S3ra^man,  öon  bem  bu  nur  auf  eine  ^dt  entfrembet  morft  burd)  @e* 
burt  ober  ^ob,  ha^  h'id)  aber  mieber  in  fid)  aufnimmt,  fobalb  bu  nur 
ju  if)m  unb  ju  bir  jelbft  fommft."  3)aneben  blieb  übrigen^  ber 
^oÜ)tt)ei§mug  unb  ber  Opferfult  in  ungeftürter  5tner!ennung.  Sn 
einer  ^ödift  eigentümlidjen,  auc^  für  ha§:  S^erftänbuiS  unferer  gejc^ic^t= 
lidjen  2öe(t  lefjrrcidjen  SBeife  finb  I)ier  bie  oerfc^iebencn  (gntluidetnng»^ 
ftufen  be§  33oIf§geifte§  a(§  (Sntmidelunggftufen  and)  be§  ein^etleben^ 
ermatten:  „Seber  fromme  religiöfe  ©ebanfe,  ber  einmal  in  Snbien  fein 
äöort,  feinen  5lulbrud  gefunben,  ber  einmal  al§  f)eilige§  gamiüenftüd 
öon  ®efd)(ed)t  ju  @efc^Ied)t  üererbt  loorben  n^ar,  blieb,  unb  ber  ganje 
9(ieic^tum  ber  brei  ^iftorifd^en  ^erioben,  ber  5!inbt)eit,  be§  9)lanne§^ 
unb  be§  ®reifenalter§"  (repräfentiert  in  ber  Sitteratur:  bie  Slinbfieit 
burd)  bie  meiften  oebifc^en  §t)mnen,  bie  9JJanne§jaf)re  burdj  bie 
Sriif)mana§,  ba^  ©reifenatter  burc^  bie  Upanij^aben)  „mürbe  ba^u 
öermenbet,  um  bie  öerfd)iebeuen  93ebürfniffe  be§  ^er^enS  unb  ©eifteg 
für  jeben  einzelnen  in  feiner  Äinbf)eit,  in  feinem  9Jianne§=  unb  ®reifen= 
alter  ju  befriebigen.  —  6§  giebt  nodj  immer  braljmanifd^e  gamilien, 
in  benen  ber  @oI)n  bie  alten  ^eiligen  2ieber  2Bort  für  S33ort  au§= 
ttjenbig  lernt,  in  benen  ber  Sater  täglid;  feine  I)eiligen  ^füdjten  unb 
Dpfer  üerridjtet,  mät)renb  ber  ©ro^oater  alle  ©ebründje  unb  Zeremonien 
für  eitel  I)iilt,  in  ben  öebifc^en  ©öttern  nidjtS  al§  9kmen  fiefjt  für 
ha^,  mal,  mie  er  meiB,  über  alle  9iamen  ift,  unb  9iuf)e  fuc^t,  mo  fie 
allein  jn  finben,  in  ber  Ijöd^ften  pl)ilofopt)ifd)cn  @rfenntni§,  bie  für 
il)n  äugleid;  bie  l)öd;fte  Üieligion  ift.  ©ie  ift  Vedänta,  bal  (Snbe, 
ta^  ^k\,  bie  (Srfüüung  bei  gangen  Veda."*) 

*)  51^.  aJiüHer,  SSortefungen  über  ben  Urf^)rung  unb  bie  ©nttüicfelung  ber 
SRetigton,  ©.  406,  412. 


296    I-95urf):  9[Jletapf)t)ftf.  2.  Äopüel:  S)o§  fo§mologiid)4^eologiid^e  ^tobkm. 

(S^e  lüir  ben  tüeiteren  SSerlouf  be§  ®en!en§  im  5t6enblanbe  öer= 
folgen,  i[t  e§  notlüenbig,  auf  ben  gtüeiten  groBen  3"f^i^B,  ber  feine 
geiftige  SSelt  beftimmt,  einen  '^üd  ju  n}erfen,  auf  bie  (Snttt)idelung 
ber  monot^eiftifcfjen  SSeltanfcfjouung  bei  einem  femitifcfien  ©tamm,  bem 
SSoIf  3  §  t:  a  e  (.  S^lid^t  auf  fpefulatioem,  fonbern  auf  praftifcf)=religiöfem 
SBege  ift  {)ier  baS^  3^^^  erreicf)t.  S§  entfpric^t  ha^  ber  gangen  SIntage 
be§  5ßoIfe§,  bie  ben  !onträren  ®egenfa|  §ur  2(nlage  be§  fjellenifrfjen 
3SoI{§  barfteüt.  Siegt  bie  befonbere  ^Begabung  ber  ©riechen  auf  ber 
©eite  ber  Sntelligens,  in  einer  f)ötf)ft  empfänglidjen  @innüc^!eit  unb 
einem  erftounü^  ben)egti(^en  SSerftanbe,  fo  liegt  bie  befonbere  Se= 
gabung  be§  iSraelitifd^en  3SoIfe§  in  bem  (Srnft  unb  ber  ^iefe,  ttjomit 
e§  bie  moralifdien  unb  religiöfen  5Dinge  erfaßt.  ®en  ^f)i(ofopf)en  ber 
©rieben  entfprecfien  bie  ^rop^eten  3§rael§,  ©eftalten  oon  einer  (gerben 
^roft  unb  (^xö^t,  n»ie  fie  !ein  anbere§  S5oI!  aufgutoeifen  ^at.  SSon 
(SIia§,  ber  am  Stnfang  ber  9^eil)e  fte{)t,  bi§  auf  ben  2;äufer,  ber  fie 
befd^üe^t,  ift  ber  gemeinfame  @runb§ug  be§  ^ropf)etentum§  ber,  ha^ 
e§,  ber  ©timme  ©otteg  in  feinem  Innern  folgenb,  ber  2öelt  unb  bem 
SSoI!,  ben  9?eic^en  unb  ©roBen,  ben  9J?a(f)tl§abern  bei  .g)ofe  ober  bei  ber 
öffentlid^en  3J?einung,  bem  Überlieferten  unb  §errfd;enben  in  Seben 
unb  ©otte^bienft  ftrafenb  entgegentritt,  ba'i^  e§  ha§>  95oIf  an  feiner 
Sbee,  ta^  auSermä^tte  SSoIf  ®otte§  §u  fein,  mi^t  unb  gu  leidet  be= 
finbet:  ftatt  in  ©ered^tigfeit,  Siebe  unb  SDemut  öor  euerm  ©Ott  ju 
manbeln,  öerad^tet  if)r  ben  Geringen,  freffet  ber  SSitmen  unb  SSaifen 
@ut  unb  ge^et  anbern  ©Ottern  nacf),  bie  ben  Süften  eure§  ^erjenS 
S^aum  raffen.  Unb  üon  ^ier  au§  finbet  ber  ^roptjet  bann  bie  ^Deutung 
ber  ©efc^id£)te,  er  geigt  ®otte§  §anb  in  ben  ©efcfjicfen  ber  ^öikx. 
S)ie  ®efct)ic^t§pt)ilofop^ie,  fo  fönnte  man  fagen,  ift  bie  ©d^öpfung 
S§raet§,  mie  äJZattjematif  unb  Kosmologie  bie  ber  ©riechen,  greilid), 
e§  ift  nic^t  eine  beliebte  SBiffenfc^aft,  i|re  ^rebigt  finbet  feine  mot)I= 
geneigten  §örer,  barum  ift  (Sinfamfeit  unb  Slu^fto^ung  bo§  So§  be§ 
^rop^eten  unb  bie  SSüfte  fein  Üiüdgug. 

95ei  feinem  Eintritt  in  bie  öef(f)idf)te  finben  tüir  ha§^  Sßol!  S^rael 
auf  bem  ©tanbpun!t  eines  nic^t  ttjeoretifc^en,  aber  pra!tif(^=futtifc^en 
9Jionotf)ei§mu§,  ben  man  üielleid)t  al§  ©ingotterei  am  gutreffenbften 
begeidinet.  ®o§  erfte  ©ebot:  Su  foHft  nic^t  anbere  ©ötter  f)aben 
neben  mir,  öerbietet  nict)t  ben  ©tauben  an  ha§  ©afein  anbcrer  ©ötter, 


10.  @efd^i(^tUd)e  enttricfelung  ber  ®otte§=»  unb  SOSeltüorfteaung.        297 

ha§^  e§  üietmef)r  öorQU§je|t,  jonbern  if)ren  ^ult;  S^rael  foQ  Sa'^öe 
ollein  bienen,  fo  irirb  er  feinem  S]o(f  f)e(fen  gegen  feine  oranger. 
S(uf  tnelc^em  SSege  ba^  Sßotf  öon  bem  früheren,  in  feinen  Über= 
lieferungen  nod)  überall  bnrd^fd^immernben  ^oIi)tf)ei§mu§  ofler  ©emiten 
jn  bem  QU§f(f){ieB(icf)en  Stnlt  be§  einen  @otte§  gefommen  ift,  ift  ge- 
fc^id^tlirf)  faum  gu  erfennen.  2)agegen  lä^t  fid)  bie  ©ntnjicfeinng  oon 
ber  ©ngötterei  gum  SOZonofEieiSmuS  in  ber  borliegenben  Sitteratur 
öerfolgen.  ©ie  ift  baS'  gemeinfome  SSerf  be§  ^riefter=  unb  ^rop^eten* 
tum§.  Übrigens  liegt  fie  in  ber  ^onfequen^  be§  erften  SdjritteS,  bog 
Sßolf  ^at  gleidjfam  ein  Sntereffe  baron,  feinen  @ott  jum  einzig  npafjren 
©Ott  ü6erf)aupt,  ben  einen  S^iotionalgott  gum  SSeltgott  gu  mad)en. 
Sn  ben  ^falmen,  in  ben  ^ropt)eten,  in  ber  ©(^öpfung§gefd)id)te  ift 
Soflöe  nid^t  me^r  allein  ber  ®ott  S§rael§,  fonbern  ber  einzig  n)al)re 
©Ott  ü6erf)aupt,  ber  @ott,  ber  ^immel  unb  (Srbe  gemacht  ^at;  bie 
©Otter  ber  anberen  3Sötfer  finb  bloBe  ©ö^enbilber,  öon  ^olj  unb 
©tein  gemadjt,  !raft=  unb  n}efentofe  Sbote.  SIl§  SJiomente  in  biefer 
©ntn^idetung  treten  l^erüor  ^uerft  bie  3ßntralifierung  beS  ^utt§  burd) 
ha§>  Äi?nigtnm  unb  ^rieftertum,  fobann  bie  9}Joratifierung,  ®enatu= 
rierung  unb  enblid^  S)enationalifieruug  be§  ©otte§begriff§  burc^  ha§> 
^ropt)etentum.  Unter  bem  Sinbrud  ber  großen  gefd)id)tüc^en  ©d)id= 
fale  be§  SSoIfeg  gen)innt  in  ben  ^rop()eten  bie  Über§engung  ©eftalt, 
ha'Q  Sa^öe  nid)t  ein  ©ott  ift,  ber  mit  bliuber  ©unft  ober  3Sorein= 
genommenl)eit  bem  ^olfe  S^rciel  ergeben  ober  burd)  äußeren  ©ienft  ju 
beftec^en  ift;  nidjt  bie  9Zad^!ommen  2lbra^am§,  nid^t  bie  Dpferer  §u 
Serufalem,  fonbern  bie  ©ered^ten  finb  fein  9Solf.  „9J?eineft  bu,  ber 
,^err  \)aht  ©ef allen  an  öiel  tanfenb  SBibbern?  ober  am  Ct,  wenn 
e§  gleich  unääl)lige  @tri3me  üoß  lüären?  @§  ift  bir  gefagt,  9}2enfd), 
tt)a§  gut  ift  unb  tt)a§  ber  §err  bein  ©Ott  öon  bir  forbcrt,  nämlidl) 
©otte§  SSort  {)atten  unb  Siebe  üben  unb  bemütig  fein  üor  beinem 
©Ott"  (SD?id)a  6,  7  f.).  2:^ut  S§rael  nic^t  feinen  SSiüen,  fo  ift  e§  nic^t 
mel)r  fein  $ßoIf,  er  wirb  e§  öerwerfen.  „^ie  ^ropl)eten  tonnten  e§ 
faffen,  ta'B  Saf)öe  ha^  non  i^m  gegrünbete  Sßolf  unb  9fleid)  je|t  öer- 
nid)te.  3"  oberft  war  er  i^nen  ber  ©ott  ber  ©ereditigfeit.  ©ott 
S§raet§  nur  infofern,  at»  S^tael  feinen  ©ered)tig!eit§anfprüc^en  ge* 
nügte;  fie  feierten  atfo  bie  f)ergebrad)te  ^Inorbnung  ber  beiben  gunba« 
mentalartifel   be§  ©lauben§  um.    S)aburc^   würbe  Sa^ioe   ber  ©efo^r 


298    I- 93u(^:  SWetap^^fif.  2.  Äapitel:  2)o§  !ogmoIogiic^=t§eoIogi)cf)e  Problem. 

entjogen,  mit  bei*  2öelt  gu  follibieren  unb  an  il)r  ^u  jd^eitern,  bie 
§errf(f)Qft  be§  9iiecf|t§  reidjte  nod)  weiter  aU  bie  ber  2(fjl)rer.  SDie§ 
t[t  ber  ett)if(i)e  S[)?onotf)ei§mu§  ber  ^ropf)eten,  fie  glauben  an  bie  jitt= 
lid^e  SBeltorbnung,  an  bie  ausnal^msloie  ©eltung  ber  @ered)tigfeit 
at§  ober[ten  @eje|eg  für  bie  ganje  ^Äelt."*) 

SSoUenbet  ftiurbe  ber  ^ro^eB  ber  2)enaturierung  unb  ®e= 
nationalifierung  be§  jübiirfjen  SDbnotfieismuö  im  (£t)riftentum. 
Sefug  gie'^t  bie  le^te  Äonjeguenj:  ha§^  9^eicf)  ©ottes  i[t  überf)aupt  nidit 
öon  biefer  SSett.  Sa§  Subentum,  au^  bie  ^rop^eten,  f)ielten  baran 
feft:  bem  öered^ten  müjfe  ee  in  bie f er  SBelt  gelingen,  aud^  ba§ 
ißotf  S^rael  ttjerbe,  töenn  e§  Salfiöe  re^tjd^affen  biene,  tt)ieber  auf= 
gerid^tet,  ba§  Sf^eic^  ®aüibg  f)erge[tellt  n^erben.  Sefus  löBt  biefe 
meffianifc^e  Hoffnung  fahren,  er  löfet  and)  bie  S^orausje^ung  ber 
jübijc^en  grömmigfeit  fahren,  baB  e§  gule^t  bem  öeredE)ten  in  biefer 
SGSett  tt)o§I  gef)e,  unb  ha'\i  ber  Ungererfjte  gu  (Scf)anben  lüerbe.  „SD'iein 
Sfteid^  i[t  nict)t  üon  biejer  SBett";  unb  jo  ift  e§  ba§  9^eic^  öotteg 
nict)t,  e§  t)at  gar  feine  Stf)nlicf)feit  mit  bem  alten  9ieic^  2)at)ib§,  ober 
übert)aupt  mit  bem,  tt)a§  bem  natürlichen  DJ^eufd^en  §errlic^  unb  groB 
unb  begef)ren§n)ert  üorfommt.  ®a§  9^eid^  &ottt§>  i[t  in  bir,  eine  ber 
SSelt  üerborgene  unb  if)r  unüerftänblic^e  ^ütle  ber  ©eligfeit  unb  be§ 
g^riebenS,  es  f)at  gar  nicf)tö  mit  ben  ©ütern,  meld)e  bie  SSett  geben 
unb  nehmen  fann,  §u  tt)un,  5trmut  unb  @cE)anbe  in  ber  SBelt  finb 
mit  i^m  gar  U)of)I  üertrögtidf).  3)a§  9ieid^  Ö5otte§  ift  in  ber  @emein= 
jd^aft  ber  öläubigen  unb  ^eiligen,  in  ber  ©emeinbe  ber  jünger  3eju, 
bie  al§  g^rembtinge  f)in  unb  l^er  burrf)  bie  Dleic^e  biejer  SBelt  gerftreut 
leben,  of)ne  an  if)nen  teil  ju  l^aben  ober  gu  judfjen.  ®a§  Ü^eidf) 
@otte§  i[t  enblidE)  bie  eloige  jenseitige,  ni(^t  in  ber  Qät  unb  nic^t  im 
S^aum  bejd)(ofjene  §err(ic^!eit  ®otte§,  bie  bie  (Seinen  jet)en  merben, 
toenn  feine  ^f^atur  unb  feine  SSelt  mel^r  jein  irirb.  — 

Unter  bem  SinfluB  biefer  beiben  formen  be§  SOZonot^ei§mu§, 
be§  jübiid)=cfjrij'tlidjen  unb  be§  griedfjifi^eu,  ift  nun  bie  öotte§=  unb 
Sßeltoorftetlung  gebilbet  UJorben,   metdfie  in  ber  Ü\vd)t  unb  mit  if)r  in 


*)  ^.  SBelltiaujen,  ^briß  ber  ®ei(^i(^te  ^§xad^  unb  ^ubol  in  ben 
©flauen  unb  SSororbeiten,  I,  50.  %\t  Cuellenuntcriuctiung  mit  iijxet  f)öd)[t  ein= 
Ieud)tenben  fton[truftion  ber  ©ntmicfelung  beä  Iult§  unb  ber  Srobition  in  begfelben 
SSerfa)fer§  @efd)id^te  Q^raelg. 


10.  ®e|c^ic^tüc^e  (gnttuicfefung  bcr  ©ottei-  unb  SBeltborfteaung.       299 


bei-  europäifcf;en  Sßölfertüelt  ^ervjdjenb  geworben  ift.  5ßon  S^vaet 
[tammeit  bie  praüijcfjn-eligiöjen  33e[timmungen  im  ©otteSbegriff:  ®ott 
ift  fjeilig  unb  gerecht,  aber  and)  in  C£f)ri[to  gnäbig  unb  barm^eräig. 
95on  ben  ©riechen  fommt  bie  fpe!utatiüe  ober  nietapt)t)fifc^e  (Seite: 
Uuenblicfjfeit,  5^aiüei5t)eit,  5ian)irfjamfeit,  StUgenugiamfeit,  furj,  bie 
S3e[timmungen,  burcfj  iüelcf)e  er  jum  S(ll=(5inen  wirb,  burd)  hü§^  unb 
in  bem  alte§  ift,  n^aS  3)QJein  unb  ^Befen  f)Qt.  Hu§  bem  ftet§  tt)ieber= 
tjolten  Sßerjud),  bie  gried^ifcfje  ^I}iIofopf)ie  unb  ÄoSmoIogie  mit  ber 
d)ri[tli(^en  9^etigion  in  einem  gefdjioffeneii  2ef)rgebäube  gu  bereinigen, 
ift  bie  djriftüd)=firc^Iic^e  2;^eoIogie  unb  ^f)iIofopt)ie  entftanbeu.  ^i)xt 
pf)ito|opf)ifd)e  ©runbanfdjauung  ift  ein  m  o  n  i  ft  i  f  d)  e  r  X  f)  e  i  §  m  u  §. 
®ie  Äirc^e,  al§  proftifdieS  Snftitut,  betont  ben  3:f)ei§mu§:  öott  ein 
perfönlic^eg,  fupranaturaleS,  ei-tramunboneS  äöefen,  ha§>  mit  bem 
SOZenfc^en  in  perföntidjen  ^erfe^r  tritt;  in  ber  gemeinen  ^ßorftellung 
lüirb  er  gu  einem  oi31Iig  antfjropomorp^ifdjen  SSefeu,  mit  menfd)en= 
äf)nlic^en  ©efü^Ien  unb  53eftrebungen.  Sn  ber  (gpefulation  bagegen 
tritt  ha§>  moniftifdje  ©(erneut  f)erüor.  Soluie  man  oerfud)t,  ben  53egriff 
eines  2öefen§,  boS  olle  übrigen  urfprüngtic^  qu§  nid)t§  gefd)Qffen  f)Qt, 
unb  beffen  Sßille  allein  fie  im  S)afein  erf)ält,  gu  beftimmen,  ergiebt 
fid),  hü"^  e§  ha^  einzige  felbftänbige  äöefen  ift,  unb  bofe  neben  ii)m  für 
Qubere  felbftönbige  SKefen  fein  9^aum  Bleibt.  ®er  9JJonot^ei§mu§ 
nimmt  bie  33ebeutung  an,  bo^  ®ott  oüein  ift,  er  ge^t  in  ^ont^eiSmuS 
über:  @ott  ber  Slü^eine. 

®urd;  bie  ganje  @efd)idjte  ber  ^irc^e  lä^t  fid)  oerfolgen,  luie 
fid)  biefe  beiben  3:riebe,  ber  reügiöfe  unb  ber  fpefulatiöe,  auf  mauuig- 
fac^fte  Söeife  bebrängen  unb  burd)bringen.  Sidjttid;  g.  33.  bei 
StuguftinuS,  in  beffen  mäd)tiger  9lotur  beibe  triebe  in  großer 
@tär!e  ongelegt  finb.  2)er  9ieupIatoni§mu§  füt)rte  it)n  au§  ben  Srr= 
gongen  be§  9Jiauid)äi§mu§  l^erauS,  unb  üou  baf)er  bleibt  if)m  ber  $8e= 
griff  ©otteS  al§  be»  Slümirüidjen:  e§  giebt  !ein  «Sein  aU  in  (Sott, 
auBer  i()m  ift  nur  ha§>  9Zid)tfein.  S^iefer  afo§miftifd)e  ^;]3antt)ei5mu§ 
ift  itjm  aber,  mit  §arnad§  SluSbrud,  nur  bie  ©ruubierung,  auf  mld)t 
er  nun  bie  auS  innerften  Seben§erfat)ruugen  gertjonnene  d^riftlidje  5(n= 
fc^auung  aufträgt:  jene§  f)öd)fte  ©ein  ift  bas  al§  allmächtige  Siebe 
auf  ben  Söiüen  n)ir!enbe  l)eilige  @ute.*) 

*)  3t.  §ornad,  Setirbucf)  ber  ©ogntengefd^ic^te  III,  101  ff. 


300    l-^nä):  ^ttapi)t)\il  2.  ta^itel:  S)a§  fogmoIogijd)4^eoIogifd^e  «ßroblem. 

S)urc^  bie  ganje  Qbenblänbifdje  ^f)eoIogie  tüirfen  biefe  ©ebonfen 
nod);  überall  ha,  tro  ba§  jpefulatioe  Sntereffe  ftärfer  tüirb,  tritt  al§= 
botb  aud)  ber  pantf)ei[tijcfje  begriff  jdiärfer  f)erüor.  ©o  fd)on  im 
SOZittetalter,  tüo  bie  Äird^e  immer  mieber  SSeronloffung  finbet,  gegen 
pantf)eiftifd)e  SSenbungen  ber  2ef)re,  fei  e§  rationoliftifdier,  jei  e§ 
mi)ftiid)er  S^idjtung,  einjujc^reiten.*)  (So  in  üerftärftem  dJla^^,  feitbem 
mit  bem  beginn  ber  DZeugeit  ber  !ird^Iid)e  £ef)rämang  feinen  9^ad)bru(i 
mef)r  unb  mef)r  einbüßte  unb  ha§:  t^eoretifd)e  Snterejfe  ftärler  mnrbe. 
9?or  allem  mirfte  bie  grofee  Umgeftaltnng  ber  !o§mifc§en  SSorftedungen 
in  biefem  (Sinn;  inbem  fie  ha§^  begrenzte  §immel§gebäube  gerftörte, 
entzog  fie  ber  ant!£)ropomorpt)ifd^en  (^otteSöorftellung  bie  5(nle'^nung 
an  bie  finnlic^e  Stnfd^annng.  9J?an  barf  fagen:  fomeit  bie  moberne 
^f)iIofopf)ie  frei  nad)  eigener  Steigung  it)re  Greife  5ief)t  unb  nid)t  burd) 
ben  äußeren  ober  inneren  5^rud  be§  !ird)(ic^en  (St)[tem§  ober  anberer* 
feitg  burc^  ben  93ann  be§  naturn)iffenfd)oftüd)en  ®enfen§  get)emmt 
tt)irb,  ift  fie  pantfjeiftifd^  ober  monot^eiftifd)  in  bem  (Sinne  jener  g^ormel: 
©Ott  allein  ift,  judvog  6  deög. 

Sd)  berü{)re  bie  ^auptpunfte  ber  gefc^id^tlid^en  ©ntwidelung.**) 


*)  2llg  eine  ^ßrobe  ber  ntl)fttf(i)=pontf)eiftifd)en  ©enftueife  je^e  td)  ben  Slnfang 
ber  au§  bem  bierje^nten  ^af)r^unbert  ftammenben  „beutfc^en  S^eologte"  (2fu§g. 
g.  Pfeiffer,  1851)  1)\tt^tx:  „5)q§  SSoUfommene  i[t  ein  SBejen,  ba§  in  fiö)  unb  in 
feinem  Sffiejen  alle  SBefen  begriffen  unb  &ef(f)toffen  f)at,  unb  of)ne  boS  unb  au^er 
bem  fein  voai)Xt^  SBefen  ift,  unb  in  bem  aKe  ®inge  \^t  SBefen  fjaben;  benn  e§  ift 
alter  Singe  SBefen;  unb  ift  in  if)m  felber  unföonbelbar  unb  unbeweglich  unb  ttjanbctt 
unb  bewegt  alle  onberen  Singe.  Sfber  'i>a^  ©eteilte  ober  "üa^  UnöoIIfommene  ift 
"bas,,  "iid^  au§  biefem  SSoHfommenen  feinen  Urfprung  t)at  ober  wirb,  wie  ein  ©lanj 
ober  @cf)ein,  ber  ba  ausfliegt  ou§  ber  Sonne.  Unb  bag  fjeifjt  Äreatur.  Unb  otter 
biefer  (Seteilten  ift  feinet  ba§  SßoHfommene.  Sbenfo  ift  audf)  bo§  SSoUfommene 
ber  ©eteilten  fein§.  Sic  ©eteilten  finb  begreiflich,  erfennbar  unb  auSfpredilic^; 
aber  ba§  SSoflfommene  ift  allen  Jireaturen  in  il}rer  Äreatürlid^feit  unbegreiflicl), 
unaugfprec!^lic^  unb  unerfennbar.  Sarum  Ijat  'aa^  58oIlfommene  feinen  ?Jomen, 
benn  eg  ift  biefer  fetne§.  —  ©oll  'üa^  3?ollfommene  in  einer  ßreatur  befanut  werben, 
"üa  mu^  ^reatürlicl)!eit,  ®efc^affenl)eit,  :5cf}l)eit,  (5elbftf)eit  unb  bergleid)en  alleä 
oerlorcn  ge^en  unb  junidite  werben." 

**)  ^d^  öerweife  ben  Sefer  auf  bie  öortrefflic^e  SarfteHung  ber  ®efcf)id)te  ber 
9Religion§p^ilofop^ie  im  erften  $8anb  bon  D.  ^fleiberer§  9teligion§p^ilofop^ie 
(1884).  9Zo(^  nenne  icf)  ig.  ®.  ©rbmann,  ©runbri^  ber  ©efc^ic^te  ber  ^f)ilofop^ie 
(1.  2t.  1896);  3ft.  galcfenberg,  ©efc^ic^te  ber  neueren  iß^ilofop^ic  (3.  21.  1898); 
3i.  Süden,  bie  fiebenSonfcfiouung  ber  großen  Senfer  (1890). 


10.  ©efd^irfitlid^e  entiridelmig  ber  ®otteä=  unb  SBettüorfteEung.        301 

Sm  fieb^eljnten  Sat)tl)unbert  Ijat  ha§^  moberne  2)en!en,  nacfjbem 
ifjm  ba§  groBe  9ietioIution§ia^rf)unbert  bie  '^aljn  frei  gemad)t  l)Qtte, 
bie  ci*[ten  großen  (Si)[tembilbungen  ^uftanbe  gebradjt.  2)e§carte§  unb 
.^obbe§  fonn  man  qI§  bie  5(nfüf)rer,  jenen  ber  t:E)eoretijdjen,  biefen 
ber  proftijdjen  ^^ilofoptjie  ber  DJeu^eit  betracfjten.  SDorf)  bleibt  ®e§= 
carteS  in  ber  9}ietQpf)t)fif  nod^  firfjtlicfj  burd;  hü§>  53eftreben  gebunben, 
eine  ber  Äirdje  unanfti3Bige  Öebanfenbilbung  ju  erreirfjen;  ^obbe§ 
ober  ift  in  erfter  Sinie  poIitij(f)er,  in  imikv  uaturtüijfenjdjaftlic^er 
2)enfer,  bie  9)?etapf)t)fi!  n)irb  ouc^  bei  if)m  nid)t  fdb[tänbig.  3n 
(Spinoza  bagegen  l^aben  mx  ben  erften  großen  9}^etQp^l)fifer  ber 
9leuäeit;  unbefümmert  um  bie  Qdt  unb  i^re  f^orberungen,  ben!t  er 
in  ber  (Sinjamfeit  feiner  S)ad^fammer  feine  @eban!en  ju  önbe.  9)lit 
Haren  fcfjarfen  93egriffen  formuliert  feine  (Stfji!  bie  Seigre  eine§  fon= 
fequenten  ^antl)ct§mu§:  @ott  ift  ba§  ©eienbe,  haS^  eine  felbftänbige 
SBcfen  ober  bie  ©ubftang,  bie  SBelt  ift  immanente  Entfaltung  feineS 
SBefenS.  5Die  Singe,  meldte  bie  in  ber  finnlic^en  SBaf)rnef)mung  be= 
fangene  gemeine  Söorfteüung  für  felbftänbige  3Befen  anfieljt,  finb  nic^t 
in  2öa'^rf)eit  fetbftönbig,  ber  $8erftanb  erfennt  in  i^nen  abf)ängige 
iSeftimmungen  be§  Stn=@inen,  9J?obififationen  ber  ©ubftans,  bie  allein 
in  if)r  SBefen  unb  Safein  ^aben.  Ober  tüili  man  lieber,  bem  (Sprac^= 
gebraurfj  nä{)er  bleibenb,  @ott  bie  Urfadje  ber  Singe  nennen,  fo  muB 
man  f)in3ufügen:  er  ift  nid^t  Urfad)e,  tt)ie  ein  ßinjelbing  Urfodje  be§ 
anbern  ift,  taS^  neben  if)m  fetbftänbigeS  Safein  !^at,  fonbern  er  ift 
bie  immanente  Urfac^e  aller  Singe,  fo  ba^  er  in  it)nen  ober  Dielme^r 
fie  in  il)m  bleiben;  er  ift  Urfadie  nidjt  bloB  il^rer  gorm  unb  Semegung, 
fonbern  it)re§  SSefenS  unb  Safein§.  SBa§  aber  ba§>  Söefen  ©otte» 
felbft  anlangt,  fo  meifen  bie  beiben  ©runbformen  be§  SSirflidjen,  bie 
unferem  35erftanbe  fid)  barbieten,  bie  förpertic^c  unb  bie  geiftige  äöelt, 
auf  gmei  ©eiten  feineS  3öefen§  f)in,  bie  tt)ir  i^m  at§  SIttribute  beilegen 
bürfen:  §(u§bet)nung  unb  93emuBtfein;  unb  mir  !önnen  bemnad)  @ott 
ein  au§gebef)nte§  unb  ein  benfenbeS  Söefen  (res  exteusa  —  res  cogitans) 
nennen.  Sod^  gilt  aud^  f)ier,  ba^  mir  bie  StuSbrüde  üon  ®ott  nid)t 
in  bemfelben  ©inn,  mie  oon  ben  (Siuäetbingen,  braudjen  bürfen.  Ö)Ott 
ift  Körper,  aber  nic^t,  mie  ha§  einjetne  förperlidjc  Sing,  begrenzt,  ge= 
ftaltct,  bemcgtidj,  er  ift  ha§:  einljeitlidje  ^rinjip  ber  Äörpermelt.  @ott 
ift  ©eift,  bod;  nidjt  mie  ein  (Sinjelgeift,  mir  bürfen  i()m  nid;t  35orfteüen, 


302    I.  33ud^:  3Retap^^fif.  2.  tapitel:  ®a§  folmoIogtfd^=tt|eoIogiid^e  Problem. 

(Srnpfin^en,  g^ü^Ien,  SBoIIen  Beilegen.  (5r  i[t  \)a§>  einf)eitlic^e  ^rittäip 
ber  23cft)UBtfein§iueIt,  aber  if)m  fommen  nic^t  bie  Seftimmungen  ^u, 
mit  benen  fie  im  Gnbüdfien  erjc^eint. 

9?ä§ere  Seftimmung  unb  Segrengung  erhalten  biefe  ^Begriffe 
burcf)  bie  angrensenben  ©egenjä^e,  auf  ber  einen  (Seite  ben  antf)ropo= 
morpt)ifrf)en  2f)ei5mu§,  auf  ber  anbern  (Seite  ben  materiaüftifcfjen 
S(tomi§mu5.  ®en  erften  öcgenfo^  betont  Spinoza  oft  unb  ftarf.  S)er 
gemeine  antf)ropomorpf)ifcfje  2;f)ei§mu§  lä^t  @ott  tt)ie  einen  9JJenfc^en 
nad)  5(bfi(f)ten  U)ir!en.  G»  i[t  leidjt  gu  fe^en,  baB  biefe  5(uffaffung  üon 
@ott  mit  bem  ^u  (fnbe  gebodjten  9J?onotf)ei5mu5  nirfjt  uerträgüc^  ift; 
ein  atlmäc^tiger  ©djöpfer  i)at  nidjt  erft  leere  S(bfid)ten,  um  fie  bann 
^interf)er  burc^  biefe  unb  jene  9JZitteI  gu  üerluirflid)en;  ta§>  ift  bie 
SSirfungSmeife  enblidjer  SSefen,  bie  eine  i^nen  gegenüber  felbftänbige 
SBirflic^feit  nad)  if)ren  ©ebanfen  umbiegen.  Schaffen  ift  oom  9JJad)en 
nai^  5(bfic^ten  fpe^ififc^  oerfd)ieben;  bie  (entere  Kategorie  get)ört  bem 
^^oh)tt)ei§mu§  an:  @i3tter  finb,  n)ie  9J?enfd)en,  3Befen,  bie  auf  ^inge, 
bie  if)rem  S)afein  uad)  oon  it)nen  nidjt  abhängig  finb,  nad^  2Ibfi(^ten 
öon  auBen  einiüirfen.  ^nm  DJbnot^eismuS  bagegen  ge'^ört  bie  Kategorie 
be§  (Schaffens  au§  nid)t§;  ift  @ott  allein  urfprünglid)  unb  burd)  fic^ 
felbft,  fo  fann  fein  SSirfen  nur  bie  ^orm  be»  (Schaffens  f)aben,  ha^ 
bie  SSirflidjfeit  nad)  SSefen  unb  S^afein  fe^t,  freiließ  nic^t  mit  ber 
SBirfung,  baB  biefe  nun  felbftänbig  iöm  gegenüberftänbe;  ha§^  ift  ba§> 
©innige,  tüaS  @ott  nid)t  fann,  S)inge  machen,  bie  oon  if)m  unabf)ängig 
finb.  3d)öpfung  ift  Sntwidehing  in  ©Ott.  9}üt  ber  g^ormel  Deus 
sive  Natura  fteüt  Spinoza  ben  pt)iIofopt)if(^en  Segriff  @otte§  ber 
gemeinen  95orfte((ung  gegenüber. 

SSeniger  oft  unb  ftarf  tjebt  er  ben  anberen  ©egenfa^  fieroor,  hm 
©egenfa^  gegen  ben  atomiftifd)en  S{t£)ei5mu§.  5^er  ©runb  n^irb  borin 
liegen,  ha"^  in  ber  ^^ilofopfjie  jener  ßeit  biefer  @egenfa|  faum  cor- 
!^anben  ift.  .^ätte  Spinoza  t)orau§gefef)en,  ba^  ein  ^Q^i-'^unbert  lang 
9(ttjei§muö  unb  9latura(i§mu§  i)a§^  (Stid)lüort  für  feine  ^t)iIofopI)ie 
werben  foilten,  ober  ^ätte  er  unfere  3;age  erlebt,  n)0  ber  atomiftifdie 
2(tf)ei§mu§  fo  taut  unb  entfd)ieben  al§  bie  öor  ber  2öiffenfd)aft  allein 
mi3g(id)e  SSeltanfic^t  bejeidjnet  njirb,  fo  mödjte  er  n)of)I  auf  bie  Um= 
fet)rbarfeit  jener  ^ormel  mit  me^r  DIadjbrud  f)ingett)iefen  f)aben: 
Natura  sive  Deus.    8id)erlid),  möchte  er  gefagt  f)aben,  id^  weiB  nic^tg 


10.  &t\^iä)tüä)t  (Sntttjicfelung  ber  ®otte§=  unb  SSeUoorftellung.        303 

öon  einem  ®ott,  ber  jenfeit§  ber  SBelt  ic^  iüei§  nic^t  luetc^e  Wixtiid)^ 
feit  f)at.  Stber  umge!ef)rt  fenne  id)  jene  SBett  nidjt,  hjetc^e  bie 
ailoteriüliften  au§  unääfjligett  fleineu  abfolut  felbftänbigen  (Subftanjen, 
ben  Sttomen,  äujammenfe^en.  ®q§  ollererfte  unb  atlert3en)iffe[te,  lua§ 
mir  ber  ^erftanb  öon  ber  SSelt  auljagt,  i[t  bie§,  ba^  fie  nidjt  ein 
äufäßigeS  9Zebeneinanber  üieler  ©ubftauäen,  fonbern  eine  @int)eit  ift, 
in  ber  jebeS  (Singetne  burd^  ha§>  ©anje  abfolut  beftimmt  ift,  aljo  eine 
©ubftan^,  bie  burd)  if)r  äöejen  unb  in  i()rem  SSejen  bie  SSiet^eit  über= 
^aupt  erft  je|t.  Sft  ha§'  9Konot^ei§mu§,  unb  ic^  n^üBte  nidjt,  n)a§ 
man  mit  biefem  9Zamen  anberg  meinen  fann,  n^enn  man  nidjt  in  bie 
5lnjdjauung§n)eife  be§  ^ott)t^eigmu§,  ber  bie  ©ötter  a(§  (ginjelroefen 
neben  anbern  anfielt,  ^urüdfallen  wiii,  fo  i[t  mein  (Si)ftem  öoHenbeter 
9}?onot^ei»mu§:    ®ott  ein  unb  a{k§. 

greilid^,  feine  ^eitgenojfen  ju  überzeugen  Ujöre  i^m  nic^t  gelungen; 
fie  unirben  fortgefahren  f)aben,  i^n  ber  5ßermifd)ung  ®otte§  mit  ber 
9?atur,  be§  5(t^ei§mu§  unb  9^aturali§mu§  ju  befc^ulbigen.  SSörter, 
fagt  .S^obbeS  einmal,  bienen  nic^t  allein  baju,  S3egriffe  ju  bejeidiuen, 
fonbern  auc^  Urteile  au§äubrüden;  fo  ttjenig  ber  9^ame  ^tt)ei§mu§ 
geeignet  ift,  bie  SBettanfdjaunng  ©pinojaS  ^u  be^eidjnen,  fo  mo^t  ttiar 
er  geeignet,  Slbfd)eu  auS^ubrücfeu  unb  ^u  erregen.  Über  ein  ^ai)v= 
^unbert  lang  mar  bie  (Stf)if  ba^  üerrufenfte  p^iIofopf)ifc^e  SBer!,  ein 
über  borrendus,  unb  fein  55erfoffer  ein  SDZann  mit  bem  ßeid^en  ber 
S^ermerfung  an  ber  ©tirn. 

®ie  beiben  ^f)itofop(}en,  benen  ba^  ac^tgctiute  Sat)i't)unbert  folgt, 
finb  Sode  unb  ßeibuij.  58eibe  lehnen  «Spinoza  ah,  Seibni^  aul= 
brüdlid^,  Sode  ftiUfc^meigenb.  Söeibe  fud^en  eine  ^f)i(ofop^ie  unb 
fiaben  fie  nac^  ber  Überzeugung  if)rer  3^^^  gefuuben,  meldje  bie 
neuen  miffenfd)aft(id)en  (Srfenntniffe  mit  bem  alten  ©tauben  beffer 
tiereinigt. 

Seibnizen»  ©ebanfenbitbung  ift  burc^meg  burd)  t)a§:  93er= 
l)ättni§  ZU  (Spinoza  beftimmt.  9ladjbem  er  anfangt  bcbeutenbe  pofitiüe 
(ginmirfung  oon  bem  fräftigen  unb  rüdfidjtStofen  3)enfer  erfahren, 
im  befonberen  bie  metap()t)fifdjen  ^onfequenzen  ber  fartefianifc^en 
9iaturp()ilofopf)ie  beutüc^  eingefe^en  fiatte,  mürbe  e»  fpäter,  ai§>  ber 
jugenbtic^e  impetus  pbilosopbandi  burd)  bie  95orfidit  unb  Üiüdfic^t 
be§  ^otitifer§  gemäßigt  mürbe,  feine  ^auptforge,  öon  bem  „profanen" 


304    I.  93u^:  aKetop^ijft!.  2.  ^apitd:  2)a§  foSmoIogiic^-t^eoIogifc^e  Problem. 

(Spinoza  unb  jetnen  unsuläffigen  öebaufen  fic^  lo^subenfen.*)  S)a§  i[t 
bie  33e[timmiing  ber  SJJoixaben,  fie  foUen  btenen  ben  ^Qutf)ei§mu§ 
gu  übertüinbeu:  ©pino^o  i)Qtte  red}t,  s'il  n'y  avait  point  de  monades. 
2)ie  HJZonaben  treten  §tt)iid)en  @ott  unb  bie  DZatur  unb  t)inbevn  it)r 
^nfammenfallen.  ^ie  9)Zonaben  finb  bie  legten  felbftänbigen  ©lemente 
ber  SSirflicfjfeit,  metap§iijijd)e  'ißunfte,  unau^gebeljute,  fpirituelle  5Itome. 
§(n  fi^  ober  für  ben  93erftanb  finb  fie  burc^  inneres  ßeben  ((Smpfinbung 
unb  ©treiben)  beftimmt;  öon  ouBen  gefe{)en,  in  ber  öerttjorrenen  $ßor= 
ftellung  ber  3innlic^feit,  fteüt  fid)  ein  ^ufammen^ang  üon  SUJonoben 
aU  ein  Qu§gebel)nter  ^i3rper  bar.  ©o  fonimen  alfo  ben  DJJonaben  bie 
beiben  Stttribute  ber  ©pino^iftifcEien  (Subftong  gu,  cogitatio  unb  extensio, 
Spiritualität  unb  SJiaterialität,  oUerbingS  nun  fo,  ba^  bie  ©pirituo= 
lität  i^r  SBefen,  bie  9J2ateriaIität  nur  bie  @rf(f)einung  auSmoc^t, 
tt}ä§renb  bei  ©pino^a  beibe  Seiten  al§  gleidjbebeutenbe  neben  einanber 
gefteHt  finb,  ja  fofern  corpus  unb  res  überaü  gleic^  gefe|t  ttjerben,  ber 
5(u§bef)nung  l)ier  gleict)fam  me^r  Üiealität  gegeben  n)irb.**)  2)ie 
3)Zonaben  gleid^en  ber  ®ubftan§  ©pino^aS  ferner  barin,  boB  jebe  üon 
innen  f)erau§  ben  Snfjalt  it)re5  2Sefen§  entfaltet,  o£)ne  (Sinnjirtungen 
Don  aufeen  gu  empfangen,  olfo  geroiffermoBen  causa  sui  ift.  Stllerbing» 
gefrfjiet)t  ha^  in  präftabitierter  ßuf'^nimenftimmung  mit  ben  (£nt= 
tüidelungen  aller  übrigen. 

Samit  ift  benn  ber  ^ant^eiSmuS  otjue  3^eifel  grünblic^  über= 
n)unben;  bie  eine  mafrofo§mifct)e  (gubftang  ®pino§a§  ift  in  unjäfitige 
mitrofoSmifd^e  ©nbftanjen  jerfi^Iagen,  üon  benen  jebe  für  fid)  fein 
unb  betrad)tet  werben  !ann,  ja  bereu  Izh^  eigentlid)  fid)  felbft  für  bie 
(2ubftan§  fc^tec^tt)in  anfe^en  müBte.  2(ber  foft  möd^te  man  fagen, 
allju  grünblic^  ift  ba§  SSerf  gettjan;  au§  ber  ©!t)na  be§  ^ant^eiSmuä 
finb  n)ir  in  bie  (Et)an)bbi5  be§  S(tomi§mu§  unb  S(t§ei§mu§  geroten. 
Unb  nun  fuc^t  \\d)  £eibni§  biefer  ©efa^r  gu  enrel^ren,  inbem  er  ju 
ben  t)ielen  ©ubftangen,    au»    benen  bie  2Sirt(id)feit  beftet)t,    eine  „not= 


*)  ®a^  Sßerf)ältmg  tft  jüngft  auf  ©runb  ber  Cuellen  einget)enb  bargelegt 
in  bem  SBer!  öon  S.  ©tein,  Seibniä  unb  ©pinoga  (1890). 

**)  ©pinoga  erüört  mens  burc!^  corpus,  fie  ift  ni(^t§  onbereä  al§  bie  Qhte 
eineg  beftimmten  einjelnen  Sörper^,  ber  if)r  Dbjeft  ift  (gtf).  II,  11,  13).  Seibniä 
erflärt  umgete^rt  corpus  burct)  mens:  ift  bort  mens  nihil  aliud  quam  idea 
corporis,  fo  ift  l^ier  corpus  nitiil  aliud  quam  idea  mentis,  ober  man  fönnte  auc^ 
fogcn:  mens  phaenomenon  sive  objective  existens. 


10.  @eic^t(f)ttid)e  (SntnjidEelung  ber  @otte§*  unb  SBeltüorfteUung.       305 

luenbige  Subftan.V'  ^injufügt,  bereit  „Gffenj  bie  ©yifteuä  einfrf)lieBt", 
unb  bann  löeiter  6et)auptet:  biefe  ©ubftan^,  ©Ott  genannt,  fei  „bie 
urjprünglid^e  @inf)eit  ober  bie  Urfubftanä;  alle  gefcf;affenen  ober  ah' 
geleiteten  SOJonaben  feien  if)re  örjeugniffe  nnb  ttJürben  gteidjfam  burd^ 
beftönbige  5(u§ftraf)Iungen  oon  Sfugenbücf  ju  9IugenMic!  öon  if)r  f)erüor= 
gcbracfjt."  *) 

9hin,  mürbe  ©pinoja  fagen,  ift  es  bir  mit  biefem  ©ebanfen 
ernft,  bann  fönnen  tüir  un§  »ertragen ;  beine  Urfubftanj  ift  bann  eben 
ha^,  n)a§  id^  bie  ©ubftanj  fcf)Iecf)tf)in,  unb  i{)re  g^ntgurationen,  bie 
geroöt)nlicf)en  SOJonaben,  finb  ungefäf)r  baSfelbe,  \va§>  icf;  modi  nenne, 
benen  icf)  benn  relatide  (Setbftänbigfeit  unb  ©in^eit  gern  gugeftefie. 
Unb  ebenfo  fiube  icf),  tt)a§  ben  S)etermini§mu§  anlangt,  gttjifd^en  un§ 
feinen  ttjef  entließen  Unterfdjieb;  non  medjanifdjer  9ZDtn)enbig!eit 
(necessite  brüte)  ift  aud)  in  meinem  @l)ftem  feine  Siebe,  fonbern  oon 
einer  begrifflid^=mat^ematifd)en,  olfo  einer  ibeellen  9lottt)enbigfeit,  ein 
Q3egriff,  oon  bem,  foüiel  xä)  fe^e,  aud^  bu  bid)  nid^t  loSmac^ft:  ha§: 
SDJai-imum  fompoffibler  9ieaütät  ober  55oIIfommenf)eit  n^irb  bei  bir 
ja  aud^  burd)  eine  5(rt  5öegriff§falfüt  im  intellectus  infinitus,  eine 
„metapf)i)fifdje  SOZed^anü",  ermittelt  unb  ju  SSege  gebrad^t.  Um  Dkmcn 
aber  mag  id^  uidjt  ftreiten,  nod)  ttieniger  um  ben  Sdjein  ber  (55ut= 
gefinntl)eit  mid)  bemühen. 

Sode  fudE)te  unb  fanb  bie  2(u§g(eid)ung  ber  neuen  SSiffenfdjaft 
mit  ber  Äird)enle'^re  auf  anberem  SSege;  nid^t  9Ketapf)i3fif,  fonbern 
er!enntniltf)eoretifd^e  Äritif  ber  SOZetap^Qfif  erfd)ien  if)m  at§  ber  redete 
SBeg  5um  3^^^^-  ®i^  ä^iöt  ^(^^  unfere  @rfenntni§  notn^enbig  auf  (Sr= 
fafjrung  eingefd)ränft  ift;  (Srfal^rung  aber  umfpannt  unb  erfd^öpft 
nid^t  bie  9Bir!üd^feit;  fo  bleibt  neben  ber  SBiffenfd^aft  'Siaxim  für  ben 
©tauben.  (S§  ift  ha§^  bie  93ctradjtung§tüeife,  meldje  in  ©nglanb  bi§ 
in§  neunjetjute  3af)r()unbert  ()inein  ^errfd^eub  geblieben  ift.  @ie  t)at 
nid)t  fetten  einen  etma§  fümmerlid^en  CEf)arafter  angenommen:  ftrenge 
@ntf)a(tfamfeit  im  3)enfcn,  nerbunben  mit  fird^enpoIitifd[)er  Crtl^obojie 
al»  ©runbtage  gefellfdjaftlidjer  Dlefpcftabilität.  2)a§  S)ogma  biefer 
©ntfjaltfamen  unb  Üiefpeftablen  ift:  mir  f)aben  auf  ber  einen  Seite 
bie  SBiffenfd^aften,  9)Zat^ematif  unb   ^f)i)fif,  ^fi)djoIogie  unb  Unter= 


*)  9JionaboIogte,  §§  38  ff.,   Opera  philosophica,  ed.    grbmann,  @.  708. 
spaulfen,  (Einleitung.    0.  8(ufl.  20 


306    I.  SSud):  Tlttap^t)^it  2.  Äo^ttel:  ®o§  Io§moIogi|cf|»t{)eoIogijc§e  «ßroblem. 


f Hebungen  über  ben  ntenjd^Od^en  $ßer[tanb;  auf  ber  anbern  ©eite  f)aben 
n}ir  bie  39  3(rtiM;  bagegen  9J?etapf)t)fif  ^oben  lüir  nid^t,  Qucf)  braud)eu 
unb  iroüen  tüir  fie  nic^t,  ftott  if)rer  bienen  un§  eben  bie  39  2(rtiM. 
5ruf  tf)nen  beruf)t  bie  Sirdje,  unb  bie  ^irdf)e  ift  ein  (Stücf  ber  „be[ten 
S^erfafjung".  2Ser  ba§  nicfjt  einfiel)!,  bem  ift  ni(f)t  gu  l^elfen;  er  ift 
öerböc^tig,  nic^t  gu  ben  rejpeüoblen  SJJitgliebern  ber  ©efellfcfjQft  ju 
gehören.  —  5((fo  t)ierüber  ift  njeiter  nid)t§  gu  fagen.  §Dct)ften§  ift 
e§  geftattet,  burd)  33emü|ung  um  pl^ilofop^ifc^e,  naturn)iffenfd^aftücf)e, 
^iftorifdje  93en:)eife  (evidences)  öon  alten  (Seiten  bie  DIotwenbigteit  unb 
Unangreifbarfeit  ber  ^ird^enlet)re  bargntfiun.  —  Sode  (}ot  mit  feinem 
@m|3iri§mn§  unb  ^ofitiüigmuä  biefer  @ntt)altfam!eit  im  2)en!en  bie 
53af)n  geebnet,  ©agu  f)at  er  aud^  ha^  Seifpiel  gegeben,  mie  man  tro^ 
grunbfä|Ii(^er  @ntt)altfamfeit  bennod^  getegenttirf)  mot)Igefinnte  9J?eta= 
pt)t)fi!  madjen  fönne:  ha§:  ® afein  eine§  „einigen,  f)öd)ft  mädjtigen  unb 
meifen  Sßefen§"  miü  er  mit  „matt)emotifdjer  @id)ert)eit"  bemeifen 
(Essay,  IV,  10),  ma§  i^m  eine  fd)orfe,  ober  nid)t  unöerbiente  S^Üige 
üon  ^ant  juge^ogen  t)at. 

@o  ift  bie  fon^iliatorifd^e  Ü^ic^tung  eingeleitet,  bie  ha§'  ac^tje^nte 
Sat)rt)unbert  bet)errfd)t;  Seibnij  ift  in  ®eutfd)tanb,  Sode  in  (Sngtanb, 
batb  aud^  in  i^vantxäd),  ber  gro^e  S^tome.  93eibe  fommen  in  bem 
Seftreben  überein,  bie  neuen  Söiffenfdjaften  mit  ber  otten  ©ogmati! 
5U  öerfö^nen.  S)er  auf  ben  Unioerfitäten  nod)  tierrfc^enben  ©d)o(aftif 
^aben  fie  beibe  ben  9flüden  gemenbet,  beibe  finb  ^nt)änger  unb  ßieb= 
t)aber  ber  mobernen  SBiffenfc^aften;  aber  beibe  bemeifen  baneben  bie 
S8ernunftgemäBt)eit  be§  (Glaubens.  Seibnig  fdjreibt  de  la  conformite 
de  la  foi  avec  la  raison;  Sode  bemeift  the  reasonableness  of 
Christianity.  Sie  ^auptartifet  ber  ©taubenSteljre,  ha^  Safein  ®otte§ 
unb  bie  Unfterblid^feit  ber  (Seele,  fann  bie  ^t)i(ofopf)ie  mit  itjren 
eigenen  9JiitteIn  bemeifen,  baneben  giebt  e§  freitid^  auc^  ©loubenS* 
artifel,  bie  fie  nic^t  beroeifen  !ann,  bie  au§  ber  Offenbarung  ftammen. 
Sod)  fann  bie  ^^itofop^ie  and)  hierfür  nodj  etmaS  teiften;  fann  fie 
nid^t  if)re  3Sa^rf)eit,  fo  fann  fie  boc^  it)re  9Jii3gIid)feit  bemeifen: 
fides  non  contra,  sed  supra  rationem.  (Sine  me^r  al§  einmal  öon 
Seibnig  gepriefene  Sauglid)feit  unter  ben  üielen  Xaugtid^feiten  feiner 
^^iIofopf)ie  ift  bie:  bafe  fie  für  bie  äRöglidjfeit  ber  Sran^fnbftantiation 
9iaum  t}aU,  im  Sntereffe  ber  Sßerftäubigung  mit  bem  ^at^oligigmug. 


10.  ®eid)id)tlic^e  (Sntrotdelung  bec  ®otte§«  unb  SBeltüorfteEung.        307 


®ie  ^{§äipltn,  trelcfje  e§  mit  ben  burd^  bie  53ernunft  allein 
betreisbaren  ©laubenSortifetn  gu  tf)iin  fjot,  i[t  bie  jogenante  natür  = 
I  i  ^  e  ober  $ö  e  r  n  u  n  f  1 1  ()  e  o  ( o  g  i  e ,  im  Unterfdjieb  üon  ber  theologia 
revelata.  ©ie  i[t  boä  cigenttidje  ^auptftüd  ber  ^f)i(o]opf)ie  be§ 
üorigen  Saf)rf)«nbert§.  @ie  betücift  erftenS  boS  5Dajein  ®otte§, 
Qu§  f^eoretifrfien  unb  praftijc^en  ©rünben.  ^ie  t^eoretifd^en  ©rünbe 
f ommen  auf  bie  beiben  93ett)ei§fü^rungen  ^inau§,  bie  ^ont  a[§>  f  o  §  = 
m  0 1 0  g  i  f  c^  e  n  unb  p  f)  i)  f  i  f  o  =  t  ^  e  o  I  o  g  i  j  dj  e  n  $8ert)ei§  unterfd^eibet. 
?(u§  ber  ^ebingtt)eit  unb  ßi^f'ißio^^it  be§  SSirflid^en  in  ber  9Zatur 
fdjUe^t  ber  fo§mo(ogifd)e  53en)ei§  auf  ha§:  5)afein  eine§  unbebingten 
unb  notwenbigen  SBefenS;  unb  mit  §itfe  ber  pf)l)fifo4|eologifd)en  33e= 
tradjtung  mirb  bann  bie  9lotur  biefe§  2Be)en§  näf)er  beftimmt  burd) 
bie  'i^räbifate  ber  SBei§f)eit  unb  ©iite.  Snbem  bie  neuen  2öiffenfd)aften 
einerfeit§  bie  ©efe^mä^igfeit  be§  SSeItIauf§  bartegen  unb  anbererfeit§ 
in  bie  ß^^cfmäfeigfeit  ber  organifd^en  Silbungen  immer  tiefer  ein= 
bringen,  ftellen  fie  fid)  fclbft  in  ben  ®ien[t  einer  „tiernünftigen" 
Xf)eoIogie. 

2)ie  ^f)iIofopf)ie  bemeift  jmeitenS  bie  Unfterbüd^f eit  ber 
©eele.  5{u§  ber  ©in^eit  be§  SelbftbetouBtfeinS  ujirb  bie  (£infad)f)eit 
ber  ©eele,  au§>  ber  9iatur  einer  einfadjen,  immateriellen  ©ubftanj  fo= 
bann  ibre  Unauf(D§Iid)feit  unb  Unjerftörbarfeit  gefolgert  unb  biefe  ber 
Unfterblidjfeit  g(eid)gefe|t.  S)aäU  f ommen  bie  praftifdjen  ©rünbe:  ta§> 
5]erlangen  fernerer  (gntmidelung  ber  im  9JJenfd§en  angelegten  ©oben  unb 
bie  g^orberung  ber  auSgteidjenben  ®ered)tig!eit  fe^en  ein  sufünftigeS 
Seben  unb  einen  Üiid^ter  nad)  bem  Xobe  oorau§.  Sa,  fetbft  bie  gemeine 
(Stjrlid^feit  unb  ber  S3eftanb  ber  bürgerlidjeu  ©efeüfdjaft  märe  o^ne 
biefen  ©tauben  nidjt  gefi^ert.  S;a§  frect)e  Söort:  „SSeun  e§  feinen 
©Ott  gäbe,  müBte  man  it)n  erfinben",  brüdt  biefen  ©ebonfen  quo,  ber 
ja  übrigens  aud)  unferer  ßeit  nid)t  fremb  gemorben  ift. 

3)a§  ift  bie  2öettanfd)auung  be§  3^^talter§  ber  S(uftlärung.  @ie 
bcrut)t  auf  einem  ßompromife  gtuifdien  ber  X^eologie  unb  ben  neuen 
SBiffenfdjafteu.  ®a§  auf  bem  ^oben  ber  neuen  SBiffenfdjaften  ermadjfene 
moberne  teufen  giebt  in  ber  3^affung  be§  ®otte§begriff§  nad):  @ott 
ein  fnpramunbaneS  äöefen,  ba^  nad)  5lbfid^t  unb  ^lan  bie  2öelt  unb 
bie  3J^enfc^en  gemacf)t  unb  fein  ®efe^  if)nen  oorgefd^rieben  I)at.  2)ie 
SCfjeoIogie  giebt  if)rerfeit§  in  bem  ^unft  ber  ©efe^mäfeigfeit  be»  '^lainv= 

20* 


308    I.  S3uc^:  S[Retopf)i))"if.  2.  ftapitel:  S)a§  fo§ntoIogijc^=t^eoIogiic^e  Problem. 

laufe  nady,  bie  SSunber,  früt)er  ber  §aupt6eU)ei§  ber  Sf^eligion,  tüerbcn, 
o6lrof)I  bie  ^§tIofopI}ie,  tnenn'S  not  t^ut,  quc^  für  fie  einen  Crt  I)at 
(supra,  non  contra  ratiouem),  aümäljlicf)  als  ein  mit  bem  ©eift  ber 
3eit  nid^t  me'^r  üerträglidieö  ©tütf  bes  olten  ©Iauben§  aufgegeben. 
Gine  inunbertljätige  3Sorjel)ung,  fo  geigt  ber  alte  (Samuel  9ieimarue  in 
bemfelben  Kapitel,  tt^orin  er  bie  „9Zicfjtigfeit  ber  ßroeifel  gegen  bie 
göttliche  SSorfel^ung"  bartf)ut,  „tüäre  beibee  ben  33oI(fommen'E)eiten  ©ottes 
unb  feiner  2öer!e  entgegen  unb  ben  9)ienf(^en  felbft  nidjt  erfprieBÜcf), 
noc^  if)rer  95oIIfommen^eit  unb  Xugenb  förberüc^."*)  Unb  bie  Xl^eo* 
logie  felbft  gen)öt)nt  fid}  allmä^ücl,  bie  3Bunber  erft  ju  entbef)ren,  enb= 
üc^,  in  bem  entfc^iebenen  9^ationa(i§mu§,  ftc^  tf)rer  ju  fc^ömen  unb  ju 
entlebigen. 

5)ie  Stuflöfung  biejes  Äompromifjes  erfolgte  gegen  ©übe  be§  ad)t= 
geeinten  Saf)rt)unbert5;  unb  gmar  n^urbe  es,  tt)ie  e§  burd)  ein  2)en!er= 
^aor  beutfdjer  unb  englifd^er  9ktionaIität  eingeleitet  luorben  n^ar,  burd) 
ein  eben  foIdjeS  aufgelöft:  §ume  unb  Äant  begeic^nen  ha§^  (Sube.  gaft 
gteid)5eitig  erfdiienen  Uant^  Äritif  ber  reinen  9]ernunft  (1781)  unb 
§umel  poftf)ume  Dialoge  über  bie  natürliche  Dieligion  (1780).  Seibe 
SBerfe  untergietjen  bie  natürlidie  Üieligion  ober  üielmeljr  bie  p^itofopt)ifd)e 
ST^eoIogie  einer  üernidjtenben  Äritif:  bie  fogenannte  S3ernunfttt)eo(ogie 
ift  eine  ^feubomiffenfdjaft;  e§  ift  auf  feine  SBeife  mijglid),  bas  S^afein 
eineg  ej-tramunbanen  2öeltfd)bpfer§  unb  bie  Unfterbtid^feit  ber  @eele 
au§  35ernunftgrünben  gu  bemeijeu. 

§ume  ge§t  uon  einer  empiriftifd^en  (Srfenntni§tf)eorie  au§;  barum 
!E)ä(t  er  fic^  bei  ^öelueifen  a  priori  nid§t  auf.  2)er  einzige  5{nfa|  gu 
einem  Verneig  ift  ber  teIeo(ogifd)e;  aber  gu  einem  njirüidjeu  ^öetoeis 
fef)(t  if)m  nid)t  weniger  ats  allee.  Sie  (£ntftel)ung  einer  Sßelt  liegt 
gänglic^  auBer^atb  unferer  Srfa^rung;  gmiidjeu  menjdjüdier  Äunfttfjätig- 
feit  unb  einer  @d)öpfung  ou§  nid^te  fe^tt  es  burd§au§  an  jeber  5Ina= 
logie;  ber  ^md  ber  Söelt  ift  un§  burd)au§  nidjt  f(ar:  n3eld)e  ^orfteüung 
üon   ber  5Ibfid)t   be§  ©c^öpferS   mir  gu  ©runbe  legen   mögen,   ©lud, 


*)  ©,  9?eitnoru§,  ®ie  üorne:^mi"ten  2Ba^r:^eiten  ber  natürUcf)en  9teIigion, 
kap.  IX.  §  14  ff.  9teimaru§  ift  befanntü^  and)  ber  Sßerfaffer  ber  SSoIfenbüttler 
fjragmente;  bie  Beiben  Seiten  ber  ^f)iIoiop:^ie  be§  oorigen  3'i^r^itnbert§,  bie  ber 
„natürlichen"  9teIigion  jugeroenbete  unb  bie  ber  „offenborten"  ^Religion  abgemenbete, 
fommen  bei  i:§m  gu  fe!^r  beutlid)er  ©rfcf)einung. 


10.  ®e|d^id^tli(^c  (Sntroicfelung  ber  ©ottcl*  unb  aBeUtJorfteöung.       309 

Ä'ultur,  35onfommenf)eit  (ebenber  SiBejen,  tjegen  jebe  bietet  bie  SBirfüd)^ 
feit  unenbli^  üiele  Snftanjen.  SSäreu  tuir  üon  bem  5)afeiu  eine§  nU* 
raeijeu  unb  allguteu  8c^öpfer§  anber§n)ot)er  unterrid;tet,  fo  luürben 
loir  ber  93eld)ränftf)eit  imfcrer  (Srfenntni»  jene  Ülätjel  jur  £a[t  legen. 
SIber  barouf  barf  jid^  bie  53ernunftt{)eoIogie  nirf)t  surüdjietjen;  fie  miß 
ja  eben  aul  ber  öorliegenben  SBirflid^feit  bie  9?Qtur  if)re§  Urhebers 
erft  ableiten;  fcfjIieBen  fönnen  tt)ir  aber  nur  au§  bem,  wa^  wir  ttjiffen, 
nic^t  au§  bem,  tt)a§  wir  nid^t  tt)i[fen. 

^'ant§  5Iu§gong§pun!t  i[t  ein  anberer,  aber  in  biejem  ©tue! 
fommt  er  ju  bemjelben  (Srgebni§:  ade  S}erfud)e,  t)a§>  5)afein  ®otte§ 
unb  bie  Un[terblicf)feit  ber  @ee(e  au§  t^eoretifdjen  ©rünben  ju  beujeifen, 
finb  oergeblidE).  @r  gef)t  fie  ber  9^eit)e  nacf)  burd)  unb  §eigt  überall 
i(}re  Unäutängli(f)feit.  ®er  ©c^IuB  au§  ber  (Sinf)eit  bei  53elüuBtfein§ 
auf  bie  (Sinfacl^!)eit  einer  (Seelenfubftanj  unb  tt)eiter  auf  bie  Unjer^ 
ftörbarfeit  biefer  unb  bie  g^ortbauer  perfönüc^en  Seben§  unb  93elt)uBt= 
feinS  ift  nid)t§  al§  eine  Ü^ei^e  oon  (Srfdfiteic^ungen.  ®er  ontologifdje 
^ett)ei§  für  ba§  ©afein  ©otteS  ift  nidjt  me()r  ttjert:  au§  bem  S3egriff 
®otte§  tt)iE  er  fein  SDafein  beujeifen;  bem  ens  realissimum  !ommen 
feinem  53egriff  nad)  aüe  pofitioen  ^räbifote  §u,  alfo  ouc^  ha^  SDafein. 
5tber  S^afein  ift  nic^t  ein  begrifflid)e§  9J?er!mat,  n^ie  ©d^mere,  @röf3e, 
35>ei»f)eit,  @üte,  e§  fann  bal^er  nid)t  in  einem  analQtifdjen  Urteil  au§ 
bem  (SubjettSbegriff  enttt)idelt  n^erben.  Stile  (Sfiftentiatfäl^e  finb  fQn= 
t()ctifd^  unb  fönnen  nur  burd)  @rfa()rung  belüiefeu  ttjerben.  S)er  fo§- 
motogifd^e  93ett3ei§  fdjlie^t  öom  Sebingten  auf  ein  UnbebingteS  unb 
finbet  bie§  in  einem  SSefen,  beffen  SDafein  nid)t  burc^  ein  anberel, 
fonbern  in  fid)  fetber  notwenbig  ift.  Slber  ber  regressus  in  ber  ^aufal== 
rei^e  fü^rt  immer  nur  gu  einem  S3ebingenben,  nadj  beffen  Sebingungen 
mieber  ju  fragen  aufgegeben  ift;  e§  ift  reine  SBillfür,  irgenbmo  biefe 
^rage  nid^t  §u  ert)eben  unb  jn  oerficf)ern,  nmn  fei  beim  Unbebingten 
angelangt.  ®ie  örfa^rung  wenigftenS  fann  nie  auf  ein  foIc^eS  führen. 
5(Ifo  müßte  t§>  burdj  feinen  33egriff  a(§  ein  an  fid^  notwenbigcg  ©ein 
erfannt  ttjerben;  ber  fo§mo(ogifd)e  Semei§  münbet  bcmnad)  in  ben  onto= 
Iogifdf)en.  ®er  pt)t)fifo=tt)eo(ogif(^e  enblid;  füfjrt,  roie  weit  er  nun  immer 
führen  mag,  iebenfaül  nidjt  jn  mef)r  a(»  bem  33egriff  eine»  3BeItbau= 
meifter«  für  ben  befc^riinften  ßrei§  unferer  (Srfatjrung,  nic^t  aber  gu 
bem   fird)Iid)en  2ef)rbegriff   eine§  ©c^öpferS   aller  2)inge  au§  nichts. 


310    I-  33uc^;  Wittap^\)ß.  2.  tapitel:  25o§  fo§moIogiid^4t)eoIogUd^e  ^toblem. 

Übrigen^  ift  fragtief),  ob  bie  gan^e  ßi^^cfmäBigfeit  ber  9^otur  met)r  ai^ 
eine  fubjeftiüe,  unserem  S^erftanbe  gemäße  Setrodf)tung  ift.  ^llfo  üoit 
einer  lüifjenfd^aftlidjcn  GrfenntniS  biefer  ®inge  burcf)  bie  fpefulatiüe 
SSernunft  ift  nidjt  bie  Ütebe. 

§ume  bleibt  bei  bem  negatiöen  (iTgebni§  fte{)en;  er  beutet  nur 
getegenttid)  an,  baf?  iljm,  njenn  er  über!)aupt  für  eine  !o§mDtogifd)e 
5tnfidjt  fid)  entfdjeiben  müBte,  feine  annef^mbarer  erfdjeinen  tt)ürbe,  a(§ 
bie  ber  otten  ^f)i(ofopl}en,  „ttjeldje  ber  SBelt  ein  einiget,  if)rem  SBefen 
Qngef)örige5  ^ringip  ber  Drbnung  äufd)reiben"  (im  fedjften  2)iaIog). 
S?ant,  bei  bem  übrigen^  unter  ber  Cberflcid)e  ber  er!enntni§tf)eoretifd)en 
Stnfid)t  überall  bie  alte  ibealiftifdj  =  pantf)eiftifd)e  9}?etapt)t)fif  burd)= 
fd^iminert  —  ber  @eban!e,  ben  er  in  ber  (Sd^rift  üon  bem  einzig 
mögüdjen  33einei§grunb  ju  einer  Semonftration  be§  S)afein§  ®otte§ 
(1763)  au^füfjrt:  ©ott  ber  einige  Inbegriff  aüeg  S[RögIid^en  unb  barnm 
aud§  aüeg  SSirflidjen,  ha§>  nur  aB  S3efdjrän!ung  in  itjm  gebad)t  inerben 
fann,  ift  if)m  nie  fremb  gemorben  —  ^ant  f)Qt  ber  negatiuen  (Snt= 
fc^eibung  in  ber  5?riti!  ber  reinen  SSernunft  einen  pofitioen  2tbfd)tuf3 
in  ber  praftifdjen  ^f)iIofop^ie  I^injugefügt;  bie  Sbeen  üon  ®ott, 
^reit)eit  unb  Unfterblidjfeit ,  bereu  Ü^ealität  bem  55erftanbe  nid)t 
bemonftriert  inerben  !ann,  finb  bennod)  ha§:  aüergeloiffefte  8tüd  einer 
an  ben  %[^at\ad)en  ber  prattifdjen  S5crnunft  fidj  orientierenben  2BeIt= 
anfd)auung.  (5§  finb  feine  tf)eoretif(^  braudjbaren  Segriffe,  moburc^ 
mir  bie  9iatur  auf f äffen  unb  erftären  fönnen;  in  ber  ^f)t)fif  ift  mit 
bem  Segriff  @otte§,  in  ber  @efd)idjte  mit  bem  Segriff  ber 
greifieit  nichts  ansufangen.  'ähzv  bie  9Zatur  ift  nid)t  bie  SSirffid;^ 
feit  felbft,  fie  ift  nid)t§  aU  ber  Inbegriff  möglicher  ©rfc^einungen. 
Sn  bem  ^ftid^tbegriff  tritt  un§  nun  eine  Drbnung  ber  Singe  ent= 
gegen,  bie  mir  innerlid)  nidjt  umljin  fönnen,  o(§  eine  unbebingt 
geltenbe  an5ufel)en.  ©o  entftefjt  bie  Sbee  einer  abfotuten  SSelt* 
orbnung,  bie  fjöfjer  unb  gleid)fam  mirf lieber  ift  at§  bie  Scoturorbnung; 
unb  biefer  SSeltorbnung  geijören  mir  burdj  bie  praftifd)e  Sernunft 
in  un§  felber  on. 

9J?an  fann  fogen:  mit  biefem  ©ebanfen  nimmt  ^ant  bie  ur= 
fprünglidjfte  !5:enbenj  ber  Iutf)erifdjen  9ieformation  mieber  auf  unb 
fül)rt  fie  §u  @nbe  burdj,  bie  SoSlöfung  be§  reügiöfen  @Iauben§ 
V)on  bem  tfieoretifd^en  SSiffen.    3Ba§  fintier  an  ber  fd)olaftifd)en. 


10.  ©efd^id^tltd^e  (Snttüidelung  ber  ®otte§-  unb  2ßcltoor[tellung.       311 

bü§  f)eiBt  an  ber  auf  allen  Uniüerfitäten  mit  Approbation  ber  ßirdie 
gelef)rten  2:^eoIogie   fo   anftöfeifl   fanb,   \)a§^  xvav  bie  Söermijd)ung  be§ 
SSorteS  öotte»  mit  ber  ^:pt)itojopt)ie  h^§>  „gottlofen  Reiben"  5XriftoteIe§. 
®ie  S^ernunft  au§   ber  ^t)eoIogie  au^ä^^^if^"  ""^  ^^"  ©louben  auf 
fic^  felbft  5U  [teilen,  mar  fein  erfte§  Unternet)men.    Aber  ber  @eban!e 
fam  noc^  gu  früf);  balb  bante  and;  bie  proteftantifc^e  Xf)eotogie  mieber 
an  bogmatifc^en  ©t)ftemen,  in  benen  9}?etap^t)fif  unb  Offenbarung  ^u. 
einem   eintjeitlic^en  Sau   oerarbeitet   mürben.     Unb  bü§  ift  begreiflich 
genug:   bie  gan^e   mittelatterlic^e  2Siffenfcf)aft  unb   ^I)i(ofopf}ie ,   il)re 
geo5entrifd)e   ÄoSmoIogie    unb    bie   bamit   gegebene   anttjropo^entrifdje 
Söeltanfc^auung,  if)re   efflefiojentrifdje  ö)efc^id)tgfonftru!tion,   aüeS  ba§ 
forberte  bringenb  Ijerau^,  bie  miffenfd;üftlid)e  3SeIter!enntni§  jur  Unter= 
läge  für   ben  ©lauben   gu  madjen.    6^  mußten  erft  bie  ©runblageu 
ber  mittelalterlichen  SSeItanfct)ouung   abgebrochen  merben;   fo  longe  fie 
ftanben,  ftanb  and)  if)re  ^:pE)i(ojopI)ie  unb  il}re  „natürüdje"  Sl^eologie. 
SDieS   gefdjal)   oümäljüdj   im  !i5crlauf  ber  auf  ßut()er  folgenben  Sal)r* 
tjunberte.    ®ie  fopernifanifdje  ^oSmotogie  brang  im  fieb^etjuten  Sa^v= 
^unbert  langfam  burc^;  neue  p^ijfifatifc^e,  pt)l)fioIogifct|e  unb  biologifdje 
Anfdjauungen  gemannen  9^aum;  ber  {)iftorifd^e  ^origont  ermeiterte  fid; 
burc^  bie  innere  33erüf)rung  mit  ber  Sßelt  be§  Cften§  unb  bes  2Beften§, 
ber  2SeIt  ber  S^ergangenfjeit  unb  ber  äöelt  ber  Bufunft.    S)ie  %l)aU 
fadjen  fprengten  überall  ben  9hng  be§  mittelalterlidjen  @l)ftem§.    Au§ 
biefer  neuen  2age  50g  Slant   mit  fieserer  §anb   bie  ^onfequen§:   bie 
miffenfdjaftlic^e  SSetter!enntniö,   mie   fie  fict)   nun  einnml  geftattet  {)at, 
fann  nid^t  qI§  Unterbau  für  ben  ©tauben  üermenbet  merben.    ©oH 
religiöfer  ©taube  bleiben,  fo  mufi  er  auf  eine  neue  ©runbtage  gefteüt 
merben,  unb  biefe  ift  allein  gu  finben  in  ben  Xfiatfadjen  ber  fitttic^en 
SBelt.    2utf)er  tjatte  ben  ©tauben  grünbcn  moUen  auf  ben  gefd;riebenen 
S8ucf)ftaben  unb   auf  bezeugte  gefct)idjtlid)e  %^ai\ad)tu.    üant  grünbet 
it)n  auf  eine  emig  lebenbige  unb  gegenmärtige  Xtjatfac^e:  auf  taS^  fitt= 
lid)e  SöemuBtfein.    2)iefeg  unb  biefey  allein  füf)rt  un§  über  bie  9Jatur= 
orbnung  I)inau§,  jmar  nici)t  burc£)  SBiffen  unb  Söemeife,  moI)t  aber  im 
praftifdjen  ©tauben.  —  ©0  ift  t)ier  bie  gorberung  ber  ^Deformation 
mirtlicf)  bnrdjgefü^rt:  nict)t  pt)iIotogifd)e  unb  ^iftorifd)e  93emei§füljrung 
au§  tanonifdjcn  Südjcrn,  nid)t  pt)i)fifc^e  unb  metapt)l)fifd)e  @pe!uIation, 
auc^  nid)t  eine  äußere  Autorität  ift  ber  ©runb  bei  ©laubenS;  er  ftef)t 


312    I.Sud):  mttapijiiiit.  2.  Kapitel:  S5og  fogmoIogiirf)=t^eoIogiic^e  Problem. 

auf  \\d)  jelber;  ber  SBille  §um  @uten  ift  ber  @runb  bes  @(aukn§  an 
bog  ©Ute,  ba§  f)eiBt  an  &oü.*) 

33on  ber  S^iefe  ber  lImiDä(§ung,  tt)e(cf)e  bie  fritijd)e  ^^f)i(ojop^te 
in  ben  köpfen  {)ert)orrief,  macf)en  mir  un§  je|t  nic^t  leidEit  me^r  eine 
gureic^enbe  3]or[teÜung.  2^ie  notürüi^e  Xf)eo(ogie  n^ar  bem  ai^t^e^nten 
Sa§rf)unbert  bie  ©runblage  jeines  gangen  5)enfens,  ja,  ](f)ien  if)m  bie 
ßJrunblage  be§  gangen  Se6en§  gu  jein;  fie  antaften  f)ie^  alle  göttüdje 
unb  menfcfjlicfje  Crbnung  ouf  ben  Äopf  [teilen.  3)?an  f)öre  einen  ']o 
frei  benfenben  9J?ann  mie  Sßielanb:**)  „S^er  ölaube  an  ©Ott  ni(i)t 
nur  a(ö  bie  er[te  örunburfacfje  aller  S^inge,  jonbern  and)  a(g  unum= 
frf)ränften  unb  (jöcfjften  ©efe^geber,  Sf^egenten  unb  9^icfjter  ber  3}?enjcf)en 
mac^t,  nebft  bem  Cölauben  an  einen  fünftigen  ßwfto"^  "Q^  ^^^^  Xoht, 
bie  erften  örunbartifel  ber  ü^etigion  an».  2)ie]en  ©tauben  auf  aüe 
mögliche  SSeife  §u  befräftigen  unb  §u  unterftü^en  ift  eine§  ber  ttjürbigften 
unb  nü^ticf)ften  ©efdjäfte  ber  ^t)i(ofopt)ie,  ift  in  3lü(ificf)t  ber  Unent= 
bef)rü(f)feit  beSfelben  fogar  ^flicfjt;  i^n  angufe(f)ten  unb  burc^  aüe 
2(rten  üon  ^tt'eifeln  unb  @cf)eingrünben  in  ben  ©emütern  ber  SJJenfi^en 
ttjanfenb  gu  mad^en  ober  gar  umguftoBen,  fann  nid)t  nur  gu  gar  nichts 
f)etfen,  fonbern  ift  im  ©runbe  um  gar  nichts  beffer,  a[§>  ein  öffentlicher 
S(ngriff  auf  bie  ©runböerfaffung  be5  Staate^,  monon  bie  9leIigion 
einen  n^efentüc^en  %ül  au§mad)t,  unb  auf  bie  öffentliche  9f?ul)e  unb 
©idier^eit,  bereu  Stü^e  fie  ift.  3cf)  trage  alfo  fein  S3ebenfen,  meinem 
unmafegeblidjen  9iat  an  ben  Äönig  ober  g^ürften,  ber  mid)  (föiber  alle§ 
93ermuten)  nac^  50  3al)ren  etwa  über  biefe  Singe  um  9?at  fragen 
füllte,  noc^  biefen  Slrtifel  l)ingugufe|en:  ha\i  ha^  ungereimte  unb  ärgerlidie 
disputieren  gegen  ha§,  3^afein  ©otte§  ober  gegen  bie  angenommenen 
S3eft)eife  besfelben,  ftienn  man  feine  beffere  gu  geben  l)at,  imgleic^en  ha^ 
öffentliche  Seftreiten  ber  2ef)re  öon  ber  Unfterblic^feit  ber  Seele  für  ein 
^(ttentat  gegen  bie  9Jienfc^l)eit  unb  gegen  bie  bürgerliche  ©efellfdjaft  erflärt 
unb  burc^  ein  ausbrücflic^eS  @trafgefe|  oerboten  n)erben  foUte."***) 

*)  (Sine  ctngc^enbe  SJarfteÜung  ber  frttii(^en  ^f)i(ofopliie  ijahc  id)  in  ber 
(Sammlung  ^^i{oiop^iid)er  ftlQi'jifer  (j^rommanng  SSerlogj  gegeben:  gmmonuel  ftant, 
fein  geben  unb  feine  Se^re.    2.  Sluflage  1899. 

**)  Über  ben  ©ebrourf)  ber  SSernunft  in  @laubengia(^en  im  Jieutfd^en  iKerfur 
öon  1788  (2Ser!e,  ^empelfc^e  2tu§gabe  XXXII,  336  f.). 

***)  Sn  geberg  6eIb[tbiograpf)ie  (S-  ®.  §•  geberi  Seben,  9?otur  unb 
®runbfä|e,  1825)  mag  man  nadjtefen,  lüie  tief  bie  Umrcäl§ung  in  alle  perfönlic^en 


10.  @efd)id^tltd^e  ©ntreicfelung  bet  @otte§==  unb  SBeltoorfteaung.        313 

^er  SBiberfpruc^  ber  5((ten  tüor  üergeblicf).  ^ont  ^atte  bie  ^dt 
itnb  if)r  tieffte»  ^ebürfni^5  erfaßt.  5^ie  jüngeren  empf anbei: :  f)ier  jet 
bal  erlöfenbe  SSort  gefprodien,  bie  Reffet  jene§  Äompromiffe»  ätuijd)eu 
äBtffen  unb  @Iaukn  sevriffen;  je^t  bürfe  bol  SSiffen  furd)tIol  feinen 
SSeg  gu  @nbe  burdjmeffen,  bie  üieligion  ^abe  in  bem  ^er^en  it)r  un= 
nerlierbareS  ©ebiet.  5(uf  bem  burd)  bie  Sf^ieberlcgung  ber  „9]ernunft= 
tf)eoIogie"  frei  geworbenen  Soben  baute  nun  bie  $(}i(ofopf)ie,  ber  neuen 
5reif)eit  fro^,  al^batb  mit  freubigem  SBetteifer  ibealiftifcfj-pantf)eiftifrf)e 
(Si)fteme.  ®ie  ^f)i(ofop{)ie  be§  neunse^nten  Sat)rt)unbert§,  im  befonberen 
bie  beutfc^e,  al§  bie  füljnfte  unb  freiefte,  ift  burd;  unb  burdj  panttjeiftifd) 
ober  monot^eiftifc^  in  bem  (Sinne  ber  g^ormel:  ®ott  aflein  ift,  alle§ 
ina§  ift,  ift  unb  muB  begriffen  luerben  in  ©Ott. 

Übrigen^  ift  bemerfenSujert,  baB  ben  ^t)i(ofopt)en  bie  ^ic^ter 
öorangeeilt  ttjaren.  Sefftng,  §erber,  ®oetf)e  f)atten  fic^  ^u 
©pino^a  befannt,  al§  bie  ^^itofopfjen  (man  fe^e  5.  S.  ben  Umri^  ber 
©efdjid^te  ber  natürlid)en  Xt)eo(ogie  in  geber§  Sogif  unb  S)ietapl)t)fif) 
öon  iijm  nod)  „n^ie  oon  einem  toten  §unbe"  rebeten.  ßeffing  geftet)t 
Socobi  in  einer  Unterrebung  ein  :3af)r  öor  feinem  2;obe:  „®ie  ortf)o= 
boren  begriffe  öon  ber  @ottt)eit  finb  nid^t  niet)r  für  mic^,  id)  !ann 
fie  nic^t  genießen.  Tv  uai  jtuvI  i^d)  tueiB  nichts  auberl!"  Unb 
aU  ber  g^reunb  öertüirrt  erttjibert:  er  fei  ge!ommen,  um  fid)  bei  if)m 
§ilfe  gegen  ben  ©pino^a  ju  I)oIen,  antn^ortet  Seffing:  „^Serben  fie 
lieber  gan§  fein  g^reunb.  @§  giebt  feine  anbere  ^t)itofop{)ie  al§  bie  bc§ 
©pino^a.''*)  ^erber  folgt  mit  feiner  ©d)rift:  ©ott,  einige  ©efpräc^e 
über  ©pinojaä  ©ijftem  (1787).  Unb  @oet^e§  erfte  ©idjtungen  finb  ganj 
burd^tränft  öon  pant!t)eiftifd)em  9^aturgefü^(  unb  D^aturanfd^auung. 

2Ba§  tt)är'  ein  ®ott,  ber  nur  öon  au^en  ftie§c, 
Snt  Äreil  ba§  310  am  gfinger  laufen  lie^e. 

unb  UmberfttätSöerl^ältniffe  eingriff,  g^^^r  war  lange  ein  beliebter  unb  berüf)niter 
Se^rer  ber  ^i)i(ofop:^ie  an  ber  ©öttinger  Uniberfität  geroefen ;  "iia  brad^te  bo§  Stuf* 
fommen  ber  Äantifdien  ^f)iloiopI)ie  in  ben  ocf)täiger  ^at)ren  i{)n  bei  5lotIegen  unb 
©tubenten  fo  in  SJiißac^tung,  "iia!^  er  freitoitlig  fein  Sef)ramt  nieberfegtc  unb  bie  ©tobt 
»erlief.  9lud)  mirb  öon  f)ierau§  bie  Stiatfod^e  boc^  DerftänbUd)er,  bafe  ben  preufeifc^en 
©taatllenfern,  bie  bem  großen  f^riebrid)  folgten,  bei  ber  <Ba<iit  fo  öngftlid)  mürbe, 
ba^  fie  gegen  Äant§  reIigionlpf)iIofopf)if(^e  S5orIefnngen  einfci^ritten. 

*)  %■  §•  Sacobi,  Über  bie  Se:^re  be§  ©pinoja  in  93riefen  an  |)errn  äJiofe» 
9JienbeI§fo^n.    1785. 


314    1. 58uc^:  aKetap^tjfü.   2.  ffo:pitet:  ®a§  fo§moIogtfc^=tf)eoIogifcf)e  «ßroblem. 

;3f)m  äiemt'g  bie  SBelt  im  ^nnern  ju  bejtjegen, 
Statut  in  fic^,  fidf)  in  9Jatur  p  I)egen, 
©0  ba^,  föa§  in  i{)m  lebt  unb  ttjebt  unb  \\t, 
92ie  feine  ^raft  unb  feinen  ®eift  bergifst. 

S)em  ©türm  unb  Srang  in  ber  Sitteratur  folgt  bann  ber 
(Sturm  unb  ^rong  in  ber  ^l)i(ofopf)ie.  2Bie  neue  ©toQten  unb  ®t)nQ[tien 
in  ber  gleichzeitigen  grof3en  politijcCien  Sfieüolution  mit  jebem  So^r 
auftauchten  unb  oerfdjmanbeu,  fo  bradjte  in  2)eutfd^taub  jeber  neue 
g^rü^Iing  ber  SBelt  einen  neuen  fpefulatinen  ^t)iIofop^en  unb  ein 
ueue§,  mit  bem  3(nfpru(^  auf  abfolute  SBeltljerrfdjoft  anftretenbeS 
©l)ftem.  (Sinig  finb  alle  in  ber  unüertjo^Ieneu  33eradjtung  ber  otten 
tfjeologifdjen  unb  pf)iIofopf)ifd)en  Drt^obojie,  einig  audj  in  ber  Sftid^tung, 
in  ber  fie  bie  neue  2Bat)rf)eit  fud)en.  S)ie  atte  ^t)iIofopf)ie  ift  beiftifd)er, 
bie  neue  pant^eiftifd^er  9}ZonotI)ei§mug.  S)er  ®ei§mu§  fe^t  ®ott 
al§  fnpramunbaneä  SSefen;  er  f)at  bie  SSelt  mit  allem,  ma§  barinnen 
ift,  nac^  einem  ^(an  gemadjt  unb  auBer  fid)  gefe|t,  nun  läuft  fie  an 
bem  graben  ber  9Zaturgefe|e  ah,  nidjt  anber§  oI§  eine  SiJJafdjine,  bie 
ein  gefd)idter  SJJeifter  ju  einem  Beftimmten  ^tütd  aufgeftellt  ^at.  2)iefe 
iBorftellung  üon  @ott  unb  SSelt  fommt  ben  neuen  ^f)iIofopt)en  nnfäglid^ 
platt  unb  gemein  öor;  fie  gefjört  bemfelkn  platten  9f?ationaIi§nui§  an, 
ber  in  ber  geiftig=gefd)id)tlid)en  SBelt  a(Ie§  au§  flauen  unb  2lbfid)ten 
einzelner  ableitet:  bie  Sprache  unb  bie  9ieIigion,  \)a§>  9fied)t  unb  ben 
Staat,  alteä  f)aben  erfinberifdje  9Jienfd)en  um  ber  großen  9^ü|tid;!eit 
biefer  S)inge  mitlen  auSgebad^t  unb  in§  SSer!  gefegt;  unb  um  berfelben 
S'^ü^tic^feit  ober  S{nue!)mlic^feit  ttjitlen  verfertigen,  nod)  ber  93orftelIung 
ber  rationaliftifdjen  5lftf)etif,  bie  ^oeten  ©ebidjte,  bie  Äünftler  Söilb^ 
mer!e,  bie  9)?ufi!er  Xonmer!e.  Unb  eben  je^t  finb  biefe  5tufge!(ärten 
barüber,  bie  üollfonimene  ©r^ie^ung  gu  erfinben  unb  bie  üoHfommene 
©taat^oerfaffung  au§5uben!eu,  um  öermittelft  ifjrer  bann  ben  not^ 
fommeneu  äRenfdjen  §u  madjen,  mie  Söagner  in  ber  Üietorte  ben 
homunculus,  otjue  bie  gemeine  ^kturfraft,  burc^  SSerftanb  unb  ^unft 
erzeugt.  9^ac^  biefem  if)rem  eigenen  S3ilbe  ^aben  fie  fid^  nun  and^  ein 
S3ilb  oon  @ott  gemadjt:  er  ift  ber  groBe  DJJedjanifer,  ber  biefeS  groBe 
^uppenttjcater  ber  SBelt  au§gebact)t  unb  angefertigt  ^at. 

S)ie  Söerad^tung  biefer  5(nfd)auung§meife  ift  ha^  erfte  Äenugeid^en 
be§  neuen  3eita(ter§.  §t(§  organifdje  SSeltanfdjauung  fe|t  e§  feine 
©ebanfen  ber  med^auifd)en  ber  Stufflärung  cutgegen;  bie  Kategorie 


10.  ®efd)id)tlicf)e  (Snttt)tc!clung  ber  ®otteä-  unb  SlBeltborftellung.        315 

be»  9JZacf)en§  nad;  5l6fiditen  lüirb  abflettiau,  an  i^re  ©teile  tritt  bie 
ovgonijdje  ßutrairfetinu-j.  9(m  evftcu  tioU,^tet)t  fic^  ber  Umfd^wung  Quf 
bem  äft^etijdjen  ©ebiet,  ^un[t  unb  3)idjtuiig  cnt[te{)t  nidjt  burd)  %\u 
fertigung  md)  einem  ^lan,  ha^  i)eiBt  ed)te  unb  ur)prüugüd)e  Äunft 
unb  2)id)tung,  benn  bie  ^Berje,  njetdjc  üon  ben  professores  poeseos 
unb  il)rcn  «Sdjülern  ^u  f)o^er  ^erjonen  (^Geburtstagen  unb  onbern 
@elegenl)eitcn  angefertigt  lüerben,  mögen  immerfjin  mit  .^ülfe  nou 
©ottfdjebcnS  ^idjtfunft  ober  einer  anbern  üernünftigen  Einleitung  gu^ 
ftanbe  gebradjt  werben;  aber  eine  mirftidje  ®id)tung  mäc^[t  üon  innen 
fjeranS,  luie  ein  orgauifdjeS  ©ebilbe  mit  innerer  9iotroenbig!eit  jidj 
entfaltenb.  @o  alle  ^oIf§bid)tung,  \o  bie  größte  ^idjtung  einer  SSotf§= 
fecle,  feine  Ü^eügion.  §  erber  ift  e§  nor  allem,  ber  bie  neue  S(uf= 
faffung  geiftig=gefd)id)tlic^er  ^inge  Ief)rt,  unb  in  ®  o  e  1 1)  e  erfc^eint 
ber  3^id)ter  nou  ®otte§  ober  ber  Diatur  ©naben  in  Ieibl)aftiger  ©eftatt. 
Stjren  2(bfd)IuB  finbet  biefe  neue  Slnfdjaunng  aller  S)inge  in  bem  neuen 
©otteSbegriff,  in  bem  53egriff  ©pinojaS:  @ott  hax>  Sdl^ßine,  haS'  in 
ber  9iatur  unb  ©efdjidjte  fid)  offenbart.  SSie  ein  Organismus,  ober 
mie  eine  poetifdje  Sbee,  fo  entfaltet  fidj  ©otteS  SBefen  mit  innerer, 
ä[tf)etifd)-te(eo(ogifd)er  DJotmenbigfeit  in  bie  gülle  ber  ©eftatten  beS 
SBir!Iid)en.  3^ie  Sciftung  ber  ^^i(ofopf)ie  ift,  ha^  fie  biefen  ^ro^e^ 
ber  Selbftentfaltung  beS  5(bfoIuten  in  ber  bialeftifd^en  ©elbftentfaltung 
be§  iöegriffS  barlegt. 

g^  i  dj  t  e  mar  eS,  ber  bie  neuen  ©ebanfcn  ^uerft  ^nm  Sßernid)tung§= 
fampf  gegen  bie  alten  ^Begriffe  füfjrte.  §atte  Saut  bie  Segriffe  be§ 
Deismus  öon  ®ott  unb  Unfterblid)feit  fdjonenb  bef)anbett  unb  fie  of)ne 
eigentlidje  innere  Umbilbung  in  fein  (2i)ftem  miebcr  jugelaffen,  nur 
iljr  Q^orjeic^en  neränbcrnb:  nidjt  ttjeoretifd)  gültige  33egriffe,  fonbern 
prattifd)  notmenbige  Sbeen,  fo  unternimmt  e§  t^idjte,  bie  93egriffe 
fetbft  als  untauglidje,  ja  nidjtsmürbige  auS  ber  SBelt  gu  fdjaffen. 
@r  finbet,  fie  ftammcn  auS  bem  ßnbämoniSmnS,  unb  bamit  ift  baS 
äJermerfungSurted  bcfiegelt:  G)ott  ift  nadj  ber  35orfte(Iung  ber  natür= 
üd)en  2:^eoIogie  ein  ©in^elmefen  neben  anberen,  beffen  eigentlidje  58e- 
ftimmung  ift,  bem  finnlid)en  9J?enfdjen  in  biefem  ober  bodj  in  jenem 
ßeben  jur  ©lüdfeligfeit  ju  nerf)elfen.  hiergegen  empijrt  fic^  ^idjteS 
fierber,  um  nid)t  ^u  fagen,  fanatifdjer  9}?ora(iSmuS;  ein  fold^er  @ott 
ift  nic^t  ©Ott,  fonbern  ein  @ö^e.    SUlein  in  ber  moraIifd;en  3Be(t  i[t 


316    I-  33uc^:  mttap^))\il  2.  £opttel:  ®a§  JoSmoIogifc^^^eoIogifc^e  Problem. 

@ott;  in  ber  Stimme  ber  ^f(ic^t  in  beinern  Snnern  offenbart  fic^  ein 
Überfinnli(f)e§,  ha§  ift  @ott.  2I6er  biefeg  Ü6erfinntid)e  nnn  ttjieber 
5U  einer  befonberen  ©ubftang,  ha§:  l^eiBt,  nod^  ber  (Sinfid^t  ber  fritifdjen 
^^ilojop^ie,  §u  einem  in  Qdt  nnb  5Ranm  feienben  unb  n^irfenben 
SBefen  gu  machen,  ha§>  @liic!felig!eit  fcfiaffen  foK,  ha^  ift  gönsticf) 
tt)iberf|)re(f)enb  unb  unmögtirf).  Sn  ber  Appellation  an  ha^  ^nblifum, 
in  ber  er  ficfj  ber  gegen  if)n  erf)obenen  5Inf(age  be§  3(tf)ei§mu§  er= 
we^rt,  fpi|t  er  ben  ©egenfa^  ber  neuen  ^t)i(ofopt)ie  gegen  bie  olte 
pt)i(ofop^ifc^e  Ortl)oboj;ie  §u  fjeftigfter  ?Inf(age  gu:  ber  eubämoniftifc^e 
2)ogmati§mu§,  ber  in  ber  natürlid)en  5lf)eoIogie  fein  SBeltj^ftem  t)er0Dr= 
gebradjt  ()at,  jene  ^[)i(ofop^en,  bie  „ben  Unenblid)en  in  einen  enbtic^en 
33egriff  foffen  unb  bie  2Bei§!£)eit  ®otte§  bettmnbern,  bofe  er  a(Ie§  gerabe 
fo  eingerichtet  ^at,  rt)ie  fie  fetbft  e§  oudj  gemod)t  []ätten,"  ober  bie 
i^n  junt  SSeltridjter  madjen,  ber  hü^  Safter  ftraft  unb  bie  Sugenb 
mit  ©lücffeligfeit  belohnt,  in  metc^er  ^unüion  er  fic|  ha^  SSerbienft 
ermirbt,  „mangelf)often  ^oli^eianftatten  na^guljelfen/'  ba§  finb  bie 
n)ir!(id)en  S{t§eiften.  „@in  @ott,  ber  ber  Söegier  bienen  foU,  ift  ein 
oeröc^tlid^eg,  ein  böfe§  SSefen,  benn  er  unterftü|t  unb  üeremigt  haS' 
menfdjiidje  SSerberben  unb  bie  §erobn:)ürbigung  ber  S3ernunft.  (Sin 
fold^er  ©Ott  ift  ganj  eigentlid)  ber  ^ürft  biefer  SSelt."  tiefem  bienen 
jene;  „fie  finb  baf)er  bie  mafjren  S{tt)eiften,  fie  finb  gänä(id)  of)ue  ®ott 
unb  t)aben  fid)  einen  Ijeillofen  @ö|en  gefdjaffen.  2)afe  ic^  biefen  i^ren 
@ö|en  nidjt  ftatt  be§  n^a^ren  @otte§  n)ill  gelten  laffen,  bie§  ift,  ma§ 
fie  S(tt)ei5mu§  nennen." 

9Jiit  ber  großen  ^Beübung,  meldje  in  bem  ßeben  5id)te§  burd) 
biefe  (Stellungna't)me  gu  ben  ^errfdjenben  SSorftedungen  f)erbeigefü^rt 
tt)urbe,  ber  (Sntlaffung  au§  feiner  Jenaer  ^rofeffnr  unb  ber  Über= 
fiebetung  nad^  93erlin,  tritt  and)  eine  SSenbung  in  ber  9^id)tung  feine§ 
^enfens  ein.  ßtoar  bie  ®runbanfd)aunng  bleibt  biefelbe:  ber  Stu§= 
gang§=  unb  ®tü|pun!t  jeber  über  bie  p^ljfüalifd^e  SInfi(^t  fid^  er!^eben= 
ben  SSettanfc^auung  finb  bie  (Srfal)rungen  bes  fitttid)en  2eben§;  fie 
fütjren  ^um  ©tauben  an  ein  Überfinulidje§,  ha^  freilid)  nid)t  at§  ein 
(Sinjeltoefen  ober  eine  befonbere  ©ubftan^  gebodjt  tuerben  barf.  Slber 
er  üoll^ietit  eine  grontüerönberung:  bi§f)er  loar  feine  5(ngriff§front 
gegen  bie  ftaat5firc^Iid;e  Crt^obo^ne  in  ^^§iIofopI)ie  unb  2^^eo(ogie  ge= 
richtet;   je|t   n)irb   fie    gegen  bie   negatioe  Stufftärung  gettjenbet.    @o 


10.  ®efd^id^tli(^e  entiüidelung  ber  ®otte§=  unb  aSeltöorfteaung.        317 

erl^otten  feine  S^orftellungen  einen  pofitioeren  (5f)Qra!ter;  n)Q§  ®ott 
nnb  göttlid^eg  Seben  in  iföaljvtieit  fei,  letjt  er  in  ben  9^eben  einem 
gebilbeten  ^ublifnm  bor,  ha§^  if)m  nic^t  fo  )ef)r  ein  ^imd  an  @(anbenö= 
artüeln,  qI§  ein  3"^eni9  ön  ©louben  mitzubringen  fdjeint. 

3n  bem  ^al^r  be§  5(t^eilmu§[treite§  (1799)  erjcfjienen  aud) 
©  d^  t  e  i  e  r  m  0  d^  e  r  §  Sieben  über  bie  Ü^eligion  an  bie  ©ebilbeten  unter 
if)ren  9]eröd^tern.  ®ie  fagen  ficf;  nitfjt  minber  entfd)ieben  non  ben 
überlieferten  ^öorftellungen  ber  pf)iIofopf)ifcf)=fird^Iid)en  Crtfjoboi'ie  Io§. 
9cirf)t  in  ber  Seigre  unb  nicf)t  im  .^anbeln  ift  bie  9ieIigion  urfprüngticfj, 
fonbern  im  ©efü^t;  in  it)nt  luirb  ha§>  Gnbtirf)e  be§  llnenblid;en  unb 
©inigen  unmittelbar  inne.  Sebe§  mof)re  ©efül^I,  ha§>  au§  bem  ©angen 
be§  ©emütö  fid^  ergebt  unb  auf  ha§:  ©an^e  ber  S)inge  belogen  mirb, 
ift  religii)§;  bie  ®f)rfurd^t,  bie  Semunberung,  bie  f^reube,  bie  Siebe, 
bie  5)anfbarfeit,  bie  ®emut,  bie  Stnbad;t,  bie  burdj  eine  33erüt)rung 
mit  9catur-  unb  9J?enfdjenIeben  erregt  n)irb,  n)irb  §ur  9icgung  ber 
grömmigfeit,  fofern  in  unb  mit  biefen  ßiuäelnen  „ha§i  ©anje  al§  bie 
Offenbarung  @otte§  un§  berüljrt  unb  atfo  nidjt  (äinjetneS  unb  (5ub= 
\id)t§>,  fonbern  eben  @ott,  in  meldjem  ja  allein  and)  ha^^  Sefonbere 
ein  unb  alleS  ift,  in  unfer  Seben  eingef)t,  unb  fo  and)  in  un§  felbft 
nid)t  etma  biefe  ober  jene  einzelne  ^unftion,  fonbern  unfer  gange^ 
SBefen,  tt)ie  n)ir  bamit  ber  SBelt  gegenübertreten  unb  ,^ug(eid^  in  i^r 
finb,  atfo  unmittelbar  ha§>  ©öttlii^e  in  ung,  burd)  ha^  @efül)l  erregt 
luirb  unb  ^ernortritt."  dagegen  „bie  gemö^nlid)e  95orfteIIung  oon 
©Ott  at§  einem  einzelnen  Söefen  aufeer  ber  3Sett  unb  t)inter  ber  SSelt 
ift  nid^t  bal  ein§  unb  alle§  für  bie  Sfteügion,  fonbern  nur  eine  feiten 
ganz  reine,  immer  aber  un^ureid^enbe  5(rt  fie  au§äufpred)en.  SBer  fid) 
einen  foldjen  begriff  geftattet  auf  eine  unreine  2öeife,  meil  e§  nömlid) 
gerabe  ein  foldjeg  SBefen  fein  muB,  ha§  er  foU  braudjen  fiJnnen  ju 
STroft  unb  §ülfe,  ber  !ann  einen  fo(ct)en  @ott  glauben,  o^ne  fromm  gu 
fein.  —  Unb  ebenfo  ift  ha^  ^\d  unb  ber  (£f)ara!ter  eine§  retigiöfen 
2eben§  nid)t  bie  Unfterblic^feit,  mie  Diele  fie  münfdien  unb  an  fie 
glauben,  jene  Unfterblid)feit  onfeer  ber  ß^it  "nb  {)inter  ber  ßeit,  ober 
nielme^r  nur  nad^  biefer  ^ät,  aber  bod)  in  ber  ^txi,  fonbern  bie 
Unfterbüdjfeit,  bie  mir  fd^on  in  biefem  jeitli^en  Sebcn  unmittelbar 
()abeu  !i3nneu,  unb  bie  eine  5Iufgabe  ift,  in  bereu  Söfung  mir  immer* 
fort  begriffen   finb.     9)2itten  in  ber  (Snblid)!eit  ein§  merben  mit  bem 


318    I.  S3ud):  SWetap^^f.  2.  Äapitel:  ®og  fo^mologifc^^fieologiic^e  5ßroHem. 

Unenblic^en  unb  elüig  jein  in  jebem  5(ugenblicfe,  ta§>  \\t  bie  Un[ter6= 
lic^feit  ber  ^^eltgion." 

Sil  8  d} e I ti n  g  folgt  bem  in  o r a I i [t t  j cf)  e n  ein  natura» 
liftifdjer  ^antt)ei»muö.  3^ie  9iatur  ift  if)m  nirfjt  ein  btoBer  Sd^ein, 
ben  bas  ^d;  n^irft,  jonbern,  lüie  bem  Spinoja,  bie  eine  «Seite  ber 
SBirftic^feit,  beren  anbere  Seite  ber  öei[t,  beffen  Entfaltung  bie  @e= 
fi^ic^te  ift.  ®a§  3bentität§ft)ftem,  U)ie  e§  §.  33.  in  ben  S^orlefungen 
über  \)a§>  ©ijftem  ber  ^f)i(ofop^ie  üom  Sa^re  1804  öorliegt,  fdjIieBt 
fid^  on  ©pinojal  Kategorien  fo  eng  an,  ba^  faft  jeber  <Ba1§  ber  @tf)if 
barin  njieber  üor!ommt.  5(I§  feine  näd)fte  5(ufgabe  fie^t  Sc^eüing  an, 
bie  SSiffenfdjaft  bon  ber  9Jatur  aus  bem  ftägtidjen  ßuftai^'^ß/  ^"  ^ßi^ 
fie  bem  jngenbtic^en  ^^itofop^en  fic^  §u  befinben  fd)eint,  emporgu^ieben, 
ben  Raufen  ^ufäUiger  unb  jerftreuter  Äenntniffe  in  ein  @i)ftem  rationaler 
(Sinfic^ten  gu  uermanbeln.  3^a§  ßid  ift,  bie  gefamte  DIatur  al§  ein 
ein^eit(id)el,  burd)  innere,  logifc^^äftfjetifc^e  DZotmenbigfeit  bet)errfc^te§ 
(St)ftem  baräuftellen  ober  bie  in  ifjm  feienbe  ä^ernunft  an  ben  Xag  ju 
bringen. 

§egel§  ^t)ilDfopt)ie  enbiid^  fjat  man  nid)t  unfdjidlic^  (ogifdjen 
^ünt^ei§mn§  genannt.  (Sie  ge^t  barauf  au§,  bie  DZatur  unb  ©efc^idjte 
in  einem  allnmfaffenben  St)ftem  al§  bie  mit  innerer  logifc^er  ober 
bialeftifc^er  Diotmenbigfeit  fid)  üollgie^enbe  Setbftentfaltung  ber  Sbee, 
beö  ibecUen  3SirfIid)feit§gef)aIt§,  gu  begreifen.  SSie  in  bem  @eift  be§ 
S'iditerä  bie  Sbee  einer  3)i(^tung,  be»  §amtet,  be§  ^^aiift,  fid^  in  eine 
33ie(f)eit  öon  9JZomenten,  öonbtungen,  ^erfonen  entfaltet,  um  enblidE)  at§ 
ein  ein!^eit(id)e^  Öjan^eö  üor  nnl  ju  ftetjen,  in  bem  jebe§  (Sinjelne  feinen 
notU)enbigen  Drt  {)at,  fo  ift  bie  SBelt  ober  bie  SBirüic^feit,  bie  in  9latur 
unb  (Sefd)idjte  öor  un§  fic^  ausbreitet,  ein  einf)eitüdje§  öan^es,  in  bem 
jebe§  Gin§elne  feine  Stelle  mit  (ogifd)=äftf)etifd)er  Slotujenbigfeit  ein= 
nimmt.  SBie  tt)ir  eine  Sid)tung  bann  gu  nerfte^en  meinen,  wenn  n)ir 
fe^en,  ttjie  gur  SDarfteüung  ber  einen  ^bee  jebe  Scene,  jeber  Sßorgang 
erforberlic^  ift,  fo  ha'^  ein  5{u§fal(  ai§i  eine  merftic^e  ßüde  empfunben 
mürbe,  fo  fjätten  mir  eine  üoUtommene  (SrfenntniS  ber  großen  QÖtU 
lid^en  2;i(^tung,  bie  mir  bie  SSelt  nennen,  menn  mir  in  berfelben 
SBeife  jebe  natürlidje  ^orm  unb  5lraft,  jebe  gefc^idjtüdje  S3ilbnng  a(§ 
ein  jur  2;arfteUung  bes  ©anjen  innerlich  notraenbiges  9J?oment  bar= 
ftellen   fönnten.     S)a0  leiften   bie  SSiffenjdjaften  nic^t,   ja   fie    ge^en 


10.  ©ejc^ic^tlic^e  entroidelung  ber  ®otte§-  unb  SSeltöorftellung.        319 

ni(i)t  einmal  barauf  qu§.  3)ie  Skturroiffeufdjaften  bringen  3:f)atia(f)en 
§nfammen  nnb  judf)cn  fie  unter  gormein  ju  becjreifen,  i;)el(i)e  Blofe 
ändere  ßnjammentjänge  auSbrüden,  bie  itaufatgefele;  ober  fie  laffen 
bie  2:^atiad)cn  unb  bie  ©efe^e  a(§  blinbe  brutale  g^^ta  [tetjen.  Unb 
nid^t  anbcr§  (jalten  e§  bie  gejc^idjtlic^en  gorfcfiungen,  and)  fie  bringen 
enblofe  9}iaffen  oon  2f)atfac^en  sufamnien,  iierfucf)en  fid)  aud)  an  einer 
Strt  faufaler  5lonftruttion,  aber  bie  ^^rage  nadj  bem  Sinn  biefer  J^at= 
fachen  beantworten  aud)  fie  nic^t,  ja  fie  fteüen  fie  nic^t  einmal  3)a^ 
ift  nun  bie  5(ufgabe  ber  ^^Ijilofopl^ie.  SBa§  bebeutet  bie  9^atnr?  morin 
liegt  bie  innere  9iotmenbigfeit  all  ber  S^orgiinge  unb  iljrer  ©efe^e, 
ber  medjanifdjen,  ber  d^emifd)en,  ber  organifc^en?  n)a§  bebeutet  bie 
©cfdjidjte  im  öan^en,  raas  ift  ber  ©inn,  ber  fid)  in  i^r  ausbrüdt? 
luoju  mußten  alle  bieje  33ölfer,  bie  (5f)inefen  unb  Snbcr,  bie  ^erfer 
unb  ^ilgl)pter,  bie  ®ried)en  unb  üiömer  über  bie  ©rbe  geljen  unb  in 
Staat  unb  Üied)t,  in  Üxeligion  unb  ^unft  fold^e  (äntmidetung  erleben? 
^a§  finb  bie  fragen,  auf  loeldje  bie  §egelfd)e  ^l)ilofopl)ic  bie  51ntmort 
geben  mitl.  ©ie  Juill  fagen,  loa»  ein  jebe§  eigentlidj  ift,  inbem  fie 
feinen  ©inn  im  ©an^en  ber  S^inge  aufzeigt.  Unb  inbem  fie  fo  ben 
einen  hü§^  5111  burd)bringenben  ©inn,  bie  Sbee  ber  Sßirflidjfeit,  ent= 
föidelt,  ftellt  fie  @otte§  SBefen  unb  Seben  felbft  bar:  @ott  ift  nic^tä 
anbere§,  al§  ber  eine,  feieube,  lebenbige,  jum  ©elbftbemuBtfein  fic^ 
entmideinbe  SBeltgeban!e.  5lber  aud)  bie  äöirflidjfeit  ift  nichts  anbereä, 
niimlidj  bie  SBirflidjleit,  Xük  fie  an  fid^  f eiber  ift:  fie  ift  ganj  lebenbige, 
fid)  entfaltenbe,  im  ©elbftbemuBtfein  fid)  felbft  erfaffenbe  Sbee;  ein  tote§, 
ftarreg,  bloB  feienbeS  ©ein  ou^er  ber  Sbee  fommt  nid)t  in  ber  2Bir!« 
Iid)feit,  fonbern  nur  in  ben  oergeblidjen  Siorfteßungen  einer  in  §lb= 
ftroftionen  ujol^nenben  ^l)ilofopl)ie  oor.  Unb  barum  ge^t  bie  äöelt 
in  ben  ©ebanfen  ber  n)al)ren  ^l)ilofop()ie  auf,  tt)eil  fie  felbft  ©ebanfe 
ift.  —  ©0  !ef)rt  in  ^egel  bie  moberne  ^l)ilofopl)ie  5U  i^rem  2lu§= 
gangSpunft  in  ber  platonif(^»ariftotclifd)en  ^l)ilofopI)ie  jurüd:  bie  3Sirf= 
Iid)feit  ift  ein  äum  ©elbftbemujstfcin  fid;  entfaltenbe^  (^ebanfenfi)ftem, 
vör)öis  vorioecjg;  bie  ^^ilofopl)ie  ift  ^0.%  9lad)benfen  ber  objeltioen 
©ebanfenbcmegung. 

3)ie  3^^^  iuo  biefe  @eban!en  bie  geiftige  SBelt  ®eutfd)lanbc^  be= 
{)errfd)ten,  mo  bie  allezeit  be§  9kuen  begierige  ^ugenb  Ijerbeiftrömte, 
um  ben  ^lugenblid  be§  ©rmac^enS  be§  abfoluten  @eifte§  gum  öoüen 


320    I.  93uc^:  SüKetap'^^fif.  2.  Äopitel:  ®a§  fo§moIo9ifc^«t:^eoIogticf)e  «Problem. 

©elbftbetüu^tfein  mitzuerleben,  i[t  läitgft  hatj'm.  ®ie  bialeftifc^e  9lac^= 
bilbung  ber  (Selbftbeiüegung  ber  Sbee  ift  üerfctjotlen.  ®er  glaube, 
baB  8d)eIIing§  ober  ^egelS  ^f)i(ojop'^ie  bie  9?atur  unb  ®ejdf)idjte  in 
i^rer  innern  9Jotn)enbigfeit  \o  burcfjjidjtig  gemadjt  ^ahi,  wie  un§  ein 
trefflidjer  ©rüärer  ein  ®rama  @f)Q!e]peare§  ober  ®oet^e§  burdjfidjtig 
mad)t,  ift  un§  faum  me^r  üerftänblid);  xdix  t'ömmx  barin  nid)t  üiet 
me^r  aU  eine  luiUfürüdj  fdjematifierenbe  2(norbnung  ber  allgemeinen 
formen  ber  SBirüidjfeit  erbliden.  Unb  gan^  befremblid)  ift  un§  ber 
^oc^mut,  mit  bem  biefe  nnbeftimmten  Sf^effeyionen  über  bie  2öirfüd)teit 
im  allgemeinen,  bie  mie  mogenbe  Giebel  balb  biefe,  balb  jene  ©eftalt 
annelimen,  jid^  gegen  bie  mijjenjdjaftlidjc  gorfdjung  al§>  bie  unenblid) 
ttjidjtigere  unb  t)ornet)mere  Seiftung  ergeben. 

(Sine§  ift  ber  beutfdjen  ^t)i(oiopf)ie  bennod)  geblieben:  bie  @e= 
famtanfdiauung  ber  3Birftid)!eit,  oon  ber  bie  (Spehilation  ausging. 
9(ud^  mir  jucken  noc^  ben  HbfdjtuB  ber  @eban!en,  auf  bie  un§  bie 
S3etradjtung  ber  2öir!Iid)!eit  fü^rt,  in  berfelben  9?ic^tung:  ein  ibealifti= 
fc^er  9}?ono=  ober  ^antf)ei§mu§,  ba§  ift  ber  ß^elpunft,  gegen  ben  bie 
®eban!en  ber  träftigften  unb  befonnenften  2)enfer  and)  t)eute  nod}  fon= 
öergieren.  g^  e  c^  n  e  r  unb  S  o  1^  e  mögen  at§  bie  güt)rer  auf  biefem 
2Bege  genannt  fein.  So^e  fuc^t  bem  Qiä  burd^  abftraft=metapl)i)fif(^e§ 
Sfiäfonnement  fid)  ^n  nähern;  gefc^ic^tS-  unb  retigion5pt)iIofopf)ifd)e  53e= 
trad)tungen  merben  jur  llnterftü^ung  ()erange5ogen.  3^ed)ner  bleibt 
9^oturpf)ilofop§,  in  ber  fidjtbaren  2Se(t  fuc^t  unb  finbet  er  überall 
©tjmbole  be§  Unfidjtbaren. 

3og'E)after  unb  mie  oon  ferne  ftet)enb  beutet  bod^  audj  bie 
pofitiüiftifd)e  9^id)tung  auf  biefe§  ^iä  I)in.  §.  (Spencer  mag  al§ 
i^r  ^lepräfentant  reben.  3n  einer  bemer!en§merten  $8etradjtung,  mit 
ber  er  bie  S^arftellung  ber  religiö§=fird)üc§en  (gnttüidetung  in  ber 
(Soziologie  (§  659  f.)  abfd)IieBt,  füf)rt  er  au§,  ha^  haS^  (Srgebni§  ber 
miffenfdjaftlic^en  örforfdjung  ber  2Bir!(id)!eit  feineSmegs  ba^  @nbe  ber 
religiöfen  S^orftellungen  überl^aupt  bebeute.  „inmitten  oll  biefer  ©e- 
{)eimniffe,  bie  bem  g^orfc^er  um  fo  gefjeimnisöoller  merben,  je  met)r  er 
über  fie  nad)ben!t,  bleibt  it)m  ftet§  bie  ©emiB^eit,  ha^  er  ftc^  einer 
unenblidjen  unb  emigen  (änergie  gegenüber  befinbet,  ber  afle§  ®afein 
entftrömt."  SSas  ift  biefe  Energie?  „®a§  Gnbergebnil  ber  Spefulation, 
bie  fd)on   oom   primitioen  9}ienfc^en  (in  ber  ©eftalt  beg  Stnimismuä) 


10.  Oefc^ic^tlic^e  entioicfelung  ber  ®otte§-  unb  Söeltöorfteaung.       321 

begonnen  i[t,  i[t  alfo,  hü}^  bic  9)?acf)t,  njetc^e  ficf)  in  bem  ganjen  al§ 
materielle  35JeIt  unterjdjiebenen  Uniüerfum  !unbgiebt,  ein§  i[t  mit  ber 
9D?ad)t,  bie  in  ber  ^orm  non  93en;nBtiein  an^  unferem  eigenen  Snnern 
f)eroorc|uint."  „3Benn  ber  9iaturforfdjer  fief)t,  ttiie  bie  feften  S^örper, 
fo  tot  fie  erjc^einen,  fid^  bodj  gegen  nnenblid)  frf)tt)acfje  Gräfte  empfinb= 
(ic^  jeigen,  luenn  bo»  ©peftroffop  i^m  beiueift,  mie  geiüiffe  SOioIefüIe 
Quf  ber  (grbe  (jQrmonijd^  fd[)lüingen  mit  foldjen  onf  fernen  ©eftirnen, 
tuenn  fic^  if)m  bie  Überzeugung  aufbrängt,  ha%  jeber  ^unft  im  fHanm 
üon  unjätjligen  (Sd)mingungen  erfüllt  ift,  bie  it)n  jeben  5(ugenb(ic!  nad) 
QÜen  9iid)tungen  burd^eifen,  bann  neigt  er  gelüife  öiel  meniger  ^u  ber 
S^orftellung  uon  einem  UniDerfum,  bü§  nur  au§  toter  SDZaterie  befte^t, 
a(§  5U  ber  S3orfteIlung  oon  einem  Uninerfum,  ba§  aüüberaü  belebt  ift, 
nid^t  §tt)ar  belebt  in  bem  gemö^nüd)en  befcE)ränften,  mof)I  aber  belebt 
in  einem  allgemeineren  @inn." 

©amit  tt)irb  aud)  ^ier  fRaum  für  fi)mboIifd)en  5Intl)ropomorpt)iö* 
mu§  unb  ibealifierenbe  metapf)i]fif dje  93egriff§bid)tung,  wie  fie  5(.  Sauge, 
ber  Vertreter  be§  ^ofitioiÄmuS  in  ^eutfdjlanb,  für  unentbef)rlidj  ^ielt. 
^erfdjiebene  SSege  treffen  am  felben  ^iel  äufammen. 

Überbliden  wir  jum  (2d)(u^  ben  ©efamtüeiiauf  ber  longen  @e= 
banfenbemegung,  fo  lä^t  er  fid)  fo  au»fpred)en.  2)ie  üleligion  f)at 
me^r  unb  met)r  bie  (itemente  au§gefd)ieben,  bie  am  5lnfang  im  ^orber= 
grunb  ftanben:  bie  t^eurgifd)e  ^ra!ti!  unb  bie  mi)tf)otogifcE)=!o§mogonifd^en 
Fabeleien.  S«  bem  9)?aBe  al§  mit  fteigenber  allgemeiner  Ä'ultur  bie 
tuiffenfc^aftlic^e  9^aturerfenntni§  unb  bie  l^ierauf  beruJieube  tedjnifd)e 
9taturbef)errfd)ung  junimmt,  in  bemfetben  9J?afee  üerfdjwinbet  ba§  alte 
3auber=  unb  gabelmefen.  S)agegen  tritt  me^r  unb  me^r  ba§  et^ifd)e 
9)?oment,  haS^  urfprünglid)  nur  neben{)er  gef)t,  in  ben  ^öorbergrunb,  ha^ 
SSefen  be^  ©öttlidjen  wirb  beftimmt  burc^  ha^  fittlid;e  @ute.  5(nberer=» 
feit§  §ief)t  fid)  bie  SSiffenfd)aft  mef)r  unb  me^r  öon  bem  Gebiet  ber 
Ü^etigion  gurüd.  2)ie  bogmatifdje  Crttjobo^-ie,  bie  mit  Gegriffen,  bereu 
9}JögIidjfeit  menigftenS  für  tf)eoretifd)  beweisbar  galt,  bie  dlatnv  be§ 
Senfeitigeu  5U  beftimmen  trachtete,  ift  ebenfo  wie  bie  natürlidje  Xf)eo= 
logie  be§  ad)täe§nten  Sflf)rt)unbert§,  bie  auf  bemfetben  53obeu  ftanb,  nur 
ba^  fie  ben  ^rei§  be§  beweisbaren  enger  50g,  aufgegeben.  S(ud)  bie 
pt)i(ofopl)ifd^e  ©pefulation,  bie  bic  2öirflid)feit  mit  abfohlten  Segriffen 
§u   erfd)üpfen   badjte,  ift  aufgegeben.    5^ie  ^f)iIofopf)ie  ift  befdieibener 

»CiiiilftMt,  Ginleituug.    ü.  3hifl.  21 


322    I-  93uc^:  Wlttap^\)\it.  2.  Äopitel:  ®ol  !o§moIogtfc^=t:^eotogtfcf)e  «ßroblem. 

genjorben;  bod^  glauBt  fie  gu  fef)en,  ta^  bie  Xf)Qtjac§en  imfer  3)enfen 
anleiten,  eine  Ie|te  allumfaffenbe  2Befen§einf)eit  be§  SBirflid^en  an§u= 
nef)men,  eine  ©in^eit,  bie  nicfit  äufeerlid^e  nnb  zufällige  @in{)eit  eine§ 
mec^anijd^en  ©t)ftem§  fein  fann,  fonbern  noclj  Strt  ber  inneren  @inf)eit 
eines  geiftigen  SBefenS  gu  ben!en  ift.  2luf  bie  5lu§fü^rung  biefeS  ®e= 
ban!en§  ober  tiergidjtet  fie;  fie  ü6er(äBt  feine  ßrfüllnng  ber  f(^öpferifd)en 
SDidjtung  be§  religiöfen  ®enin§.  @r  giebt,  vok  ein  fc^affenber  Äünftler, 
ber  Sbee  be§  SBoIIfommenen  anfdjauüd^e  ©eftalt;  er  beutet  burc^  SBorte 
unb  ST^aten,  burc^  2ef)re  unb  Seben  ben  ©inn  be§  großen  @e^eimniffe§, 
ha§:  roh  Sßirüi^feit  nennen.  — 

Sei)  U)ei^  h5ot)(,  öon  anberen  n)irb  SSerlouf  unb  Qki  ber  ge= 
fd§irf)tli(i)en  6ntn)i(fe(ung  anberS  aufgefaßt.  Sßiele  finb  mit  2.  3^euer  = 
had)  überzeugt,  bie  grofee  @r!enntni§  unfereS  Scif)rf)unbert§  fei  bie, 
hü'B  nidjt  ©Ott  ben  9}Zenfd)en,  fonbern  ber  SOZenfd)  ®ott 
gef(f)affen  l)ahi.  Sf)nen  ftiirb  bie  I)ier  gegebene  Darlegung  alt= 
mobifd)  unb  rücfftönbig  üorfommen. 

Sd^  tt^ill  nienmnb  in  ber  ^^ifi^iei^en^eit  mit  feinen  ©ebanfen  ftören. 
S)od^  !ann  id^  mir  bie  53emer!ung  nidjt  oerfagen,  bafe  mir  bie  SSaf)r- 
l^eit  ber  erften  g^ormet  bie  ber  gmeiten  nid^t  ausgufdE)üeBen  fd^eint.  SdE) 
bin  gong  bereit  ben  @q|  ^upgeben:  ber  SDZenfd)  ^at  @ott  gefdjaffen, 
nämlid^  in  feiner  35orftelIung  unb  gmar  nad)  feinem  eigenen  ^Bilbe. 
SDomit  ift  aber  ber  anbere  (Sa|  nid^t  untierträgtid):  ©ott  f)at  ben 
9}?enfd)en  nad^  feinem  Silbe  gefc£)affen,  nun  aber  nid^t  blofe  in  ber 
9]orfteUung,  fonbern  in  ber  2Birf(id)!eit.  ®er  SlRenfd),  fagt  jene  ^^t)iIo= 
fopt)ie,  ift  ein  ^robuft  ber  9iatur.  ©idjerlid).  ?Iber  ma§  ift  ba§,  bie 
^Zatur?  Sin  großer  §aufe  oon  unenblid)  !(einen  ©onbförnern?  Unb 
au§  i^nen  follten  burd^  blo^e  9lebeneinanbertagerung  fül^Ienbe  unb 
ben!enbe  SSefen  tjeroorge^en?  3)a  n^irb  bodj  moi)I,  mit  ©oettje  ju 
reben,  ettt)a§  S{non^me§  babei  im  ©piet  gettjefen  fein.  —  Unb  ein  iüenig 
!önnte  jene  ^^ilofop^en,  bie  ba§  önbe  be§  (SotteSgtaubens  fdf)on  mit 
§änben  §u  greifen  meinen,  bod)  and)  ber  Umftanb  ftu|ig  mad)en,  baB 
alfo  nad^  if)rer  Xfieorie  bie  (Srgeugung,  Umbilbung  unb  enblidje  3Iu§= 
ftofeung  einer  pt)antaftifc^en  ©inbilbung  ben  mefentlid)en  Snf)alt  ber 
gangen  bi§l)erigen  3)^enfd)f)eit§gefd)idf)te  au§gemad)t  ^abe.  ®enn  ba§ 
ift  ja  eine  ungmeifel^fte  ^f)atfad)e,  ha^  alle  gröBten  gefd)ic&tlidt)en 
Semegungen    religiöfer     9^atur    maren;     Subbt)i§mu§,     ßf)riftentum, 


10.  ®eic^ict)tUd)e  (Sntoicfelung  bec  ®otteg»  unb  gBeltöorfteUung.       323 

9J?u^ammebQni§mu§,  Sfieformation,  bog  finb  bie  größten  SE^emota  ber 
bi§f)erigen  @efd)icf)te.  (Sollten  bie  3Be(t  unb  ber  ÜJJenfdientjeift  wirflic^ 
jo  fettfam  eingeridjtet  fein,  ha^  fie  beim  ßiij^nimentreffen  mit  einanber 
tjerabe  ben  großen  Irrtum  jeugen  mußten? 

5(ber  bie  3"^""^  i'^S^'"  Ü*^/  ^^^  Q^W  «nenblidje  ß^^^ii^ft  Q^^öxt 
ber  öon  33ornrteit  unb  ?(6erg(Quben  gereinigten  SSernunft,  gel)ört  bem 
t)on  ^tjantafie  unb  ®id)tung  nicf)t  geblenbeten  reinen  SSiffen.  —  ^d) 
roeiB  nic^t,  moS  ben  geiftigen  Snf)Qtt  ber  3"^unft  au§mac^en  tt)irb. 
2)orf)  mürbe  id)  nid)t  miberfprec^en,  raenn  jemanb  bef)auptete:  bie  S8or= 
[teüung,  ha^  bie  2öirtlid)feit  in  2ÖQ^ri)eit  nic^tä  qI§  ein  Stgglomerot  üon 
fei)r  tieinen  Äörperd)en  )et,  merbe  einmal  fünftig  lebenben  @ejd)(ed)tern 
al§  eine  ©pifobe  feltfomfter  ißerirrung  be§  3J?enfdjengei[te§  erfd)einen. 
9(uf  einen  5Iugenb(id,  mit  bem  3}?aB[tab  ber  3at)rt)unberte  gemefjen, 
^abe  ber  er[taunlidje  gortjdjritt  mat()cmQtijd)=pf)l)fifa(iid)er  örfenntniS, 
äufammentreffenb  mit  Ä^onfeffion§ämang  unb  politifd^em  ^erberben  ber 
Sfidigion,  in  mand)en  5iöpfen  eine  fotdje  ^Serblenbung  ju  SBege  gebrad)t, 
hü^  fie  in  ben  Söafju  gefallen  feien,  ber  ©eift  fei  etmaö  ber  SBirflidjfeit 
abfolut  grembe§,  unb  e§  fei  nöUig  rätfeU)aft,  mie  er  eigentlid)  Ijaht 
t)erein  !ommen  ÜJnnen.  Gegenüber  foldjer  35erirrung,  bie  nodj  bo^u 
mit  bem  ftoljen  Semufetfein,  auf  bem  ©ipfel  menfc^lidjer  Sitbung  gu 
ftctjen,  aufgetreten  fei,  fo  roerbe  einmal  bie  B^^unft  urteilen,  erfdjeine 
i^r  ber  ärmfte  ©ö^enbiener,  ber  üor  einem  @eift  in  ben  fingen  fic^ 
auf  bie  Änie  merfe,  al§  ein  SBefen,  bem  bod)  eine  ^l^uung  üon  bem 
SBefen  ber  3)inge  aufgegangen  fei. 

^d)  M  einmal  irgcnbmo  ein  Sßort  oon  Sean  ^aul:  „2Bie  fid) 
bie  3Bolfen  fo  oiel  anmaßen,  al§  geljörten  fie  ^um  §immel  unb  ju  ttn 
©ternen,  inbe§  fie  un»  nid)t  üiel  ferner  fte^en  al»  unfer  groftatem." 
^a§>  SSort  mag  auc^  oon  ben  9J?einungen  berer  gelten,  bie  ben  un« 
enbtidien  §immel  oor  bem  Stiebet  i^rer  furzen  ©ebanfen  nic^t  fe^en 
unb  nun  behaupten,  e§  gebe  gar  feinen  Apimmel,  ha§^  fei  nur  ein  alter 
Stberglaube,  niemals  Ijabe  itju  jemanb  gefe^en. 

Will  erfc^eint  ber  negatioe  3)ogmati§mu§  be§  9JJateriali»mu§ 
lebiglid)  al^^  ba§  ©egenftücf  beö  pofitiüen  Dogmatismus  ber  alten  tf)eo» 
togifdjen  Crtl)oboi-ie.  3^eibe  !ommen  überein  in  ber  Sluffaffung  ber 
Dieligion  als  einer  Summe  bud)ftäblid)  ju  faffenber,  mit  bem  i^crftanb 
oufjuneljmenber  2el)rfä|e,  nur  \)a^  ber  erfte  nein  fagt,   too  ber  sroeite 

21* 


324    I.  SSud^:  Wtttap^\it  1.  topitel:  ®a§  foSntoIogijdEi-t^eotogiid^e  «ßroblem. 


ja  fagt.  ©ie  !ommen  überein  in  bem  f)Qrten  3nteüe!tuaü§mu§,  ber  für 
3)icf;tung  unb  Ännft  feinen  (sinn  t)Qt.  ©ie  fommen  oft  oncf)  überein 
in  einem  garten  äUoroIismuS,  ber  für  Snbioibualität  unb  greil)eit  be§ 
beifügen  feinen  (Sinn  ^at;  fie  fomnien  enblirf)  überein  in  einem  I)errfcf)= 
fü(f)tigen  ^nnati§mu§,  ber  üon  jebermonn  abjolute  Unterioerfung  unter 
bie  eigenen  ^efenntni^formeln,  negatioe  wie  pofitiüe,  forbert. 

11.  ®a§  ^evf)ältnU  von  SBtffcn  unb  ©lauben. 

Sn  einer  ©c^IuBbetrac^tung  möchte  ic^  nod)  meine  Stnfic^t  über 
ha§>  im  S3i§f)erigen  lüieber^ott  berüf)rte  S3ert)ä(tni§  oon  ^^ilofopf)ie  unb 
Ületigion,  üon  SBiffen  unb  ©tauben,  ^ufammenfaffenb  bartegen. 

^t)itofopf)ie  ift  nic^t  9?etigion  unb  fann  nid)t  an  i^re  ©teile  treten, 
©ie  tt)iü  nid;t  ein  ölaube  fein,  fonbern  ein  SBiffen.  2)ennod)  enthält 
jebe  ^^ifojopf)ie,  fofern  fie  ^()i(ofop()ie  in  bem  alten  ©inn,  2Be(t=  unb 
SebenSanfc^auung,  fein  lüitl,  ouc^  ein  ölement  be§  ©laubenS  in  fid;, 
bo§  bie  SSiffenfc^aft  al§  fotc^e  nidit  enttjält.  Sebe  ^^itofop^ie  ge^t 
gule^t  barauf  f)inau§,  ©inn  in  bie  ®inge  gu  bringen  ober  oielme^r 
ben  ©inn,  ber  in  ben  SDingen  ift,  auf^uäeigen.  S)iefer  ©inn  ift  ober 
im  legten  @runbe  immer  eine  (Bad)z  nidjt  be§  2Siffen§,  fonbern  be§ 
SBiüenS  unb  @Iauben§.  2ßa§  bem  ^f)iloiopf)en  felber  ha^  Ijödjfte  @ut 
unb  le^te  ^kl  ift,  ha§>  fief)t  er  in  bie  SSelt  als  i^r  @ut  unb  Qki 
f)inein  unb  meint  e§  nun  aud^  burd)  t)interf)erfommenbe  Söetrad^tung 
aU  foldjeg  barin  gu  finben.  Sn  biefem  ©inne  ift  has^  5(uguftinifd)e 
SSort:  fides  praecedit  ratiouem  eine  allgemein  menfd^Iid^e  SBa^r^eit, 
ja  ber  eigenttid)e  ©c^Iüffel  gum  Sßerftänbni^  aller  ^t)ilolopl)ie. 

®ie  ^ad}t  liegt  auf  ber  ^anb  bei  aller  ibealiftifc^en  ^^ofopfiie. 
5Da§  ^kl,  bem  bie  SSirflid)feit  ^uftrebt,  ha§^  ift  bie  gemeinfame  @runb= 
Überzeugung  alle§  objeftioen  Sbeali§mu§,  ift  ha§:  ju  fiel)  felber  fommen 
ber  äöirflidjfeit:  an  fidj  ©ebanfe  feienb,  loill  fie  fic^  ül§  bas,  tt)a§  fie 
an  fid^  ift,  erfaffen,  al§  ©ebanfen  ober  Sßernunft  n)iffen.  S)ie  ^egelfdjen 
gormein  begeidinen  bie  ©runbanfdjauung  biefer  SDenfmeife  ju  allen 
Reiten.  ®a§  emige  gürfid)jein  ber  ^been,  has  ®enfen  be§  abfoluten 
2)enfinl)alt§,  mit  bem  ariftotelifdjen  2lu§brud,  ift  ®runb  unb  ßid  ber 
SBirfüd^feit,  ja,  ift  bie  SBirflic^feit  fclbft. 

S)er  le|te  ©runb  biefer  Überzeugung  liegt  l)ier  nun  offenbor  in 
bem    eigenen  ©rieben.    3!)em    5lriftoteleg    mie   bem   ^loto    tt)ar 


11.  S)o§  SBer^ältniä  üon  SQSiffen  unb  ©tauben.  325 

^^ilofop^ie  bie  fiöd^fte  5tnge(egenl)eit  be§  eigenen  öeBeng.  5((fo  ift  fte, 
fo  fonftrnieren  fie  bie  Sadjc  in  ber  @tf)if,  ber  l)ödj[te  3nf)alt  unb  ha^ 
I)öcf)fte  ®ut  be§  menfcf)Iid^en  fiebenS,  aljo,  fo  folgert  bie  SOZetap^nfi! 
weiter,  ha^^  f)örf)fte  3^^^  oüe§  Seben§  unb  3)afein§  überhaupt.  ^a§ 
SlIItt)irf(idf)e,  bie  @ottf)eit,  ift  nacfj  bem  @rf)ema  be§  fleinen  @ebanfen= 
benferS  aU  ber  gro^e  ©ebanfenbenfer  gebaut.  (Sbcnfo  ift  für  girf)te 
ober  ^egel  ^f)iIofopf)ie  bie  n)id)tigfte  unb  bebeutenbfte  unter  oüen 
^fiatfac^en,  bie  bie  2Be(t  überf)aupt  bietet;  folglich  ift  hci^  2)en!en  ©runb 
unb  3iel,  ja  ha§:  eigentücfje  ©ein  ber  2öelt.  .^ätte  man  ^idjte  gefragt, 
n)et(^e§  Ereignis  er  für  ba§  roid)tigfte  be^  18.  SaJ)vf)unbert§  ober  auc^ 
ber  neueren  ^ni  überf)aupt  ^olte,  er  ttjürbe  tt)of)(  feinen  ^ugenblicE 
gezögert  ^aben  gu  antworten:  ha§:  5(uffommen  ber  2öiffenfc^aftg(et)re, 
bie  mit  ^ant  anfange.  Sn  ben  üieben  über  bie  ©runbjüge  be§  gegen* 
Wörtigen  ßeitatterS  fonftruiert  er  ha§>  ©anje  ber  ®ef(i)ic^te;  fie  bre{)t 
fiel)  um  bie  neue  ^^i(ofopf)ie  al§  if)ren  5tngelpunft:  bie  groBe  SSenbe  ber 
ßeiten,  ber  Übergang  öon  ber  abfteigenben  gur  auffteigenben  58eroegung 
wirb  burc^  ha§'  ©intreten  ber  2ranfcenbentaIpf)i(ofopf)ie  be^eidjnet;  in 
it)r  beginnt  bie  S^ernunft,  bie  fic^  on  bie  9?otur  üerloren  ^atte,  fic^ 
felber  mieber  gu  gewinnen.  S3ci  .^  e  g  e  I  münbet  ebenfo  ber  SBeltprogefe 
unmittelbar  in  feiner  ^;pf)iIofop^ie;  in  it)r  erreicht  bie  2öirf(idj!eit  ba0 
3iel  i^rer  ©elbftbewegung,  ha§^  abfotute  ©elbftbewuBtfein.  (2o  inter« 
pretiert  ber  ^l)itofop^  \)a§>  Unioerfum  au§  fic^  felbft  unb  feinen  ^ödiften 
Jöeftrebungen.  3}er  SSeltproseB  nimmt  feineu  SBeg  immer  mitten  burd) 
ben  Äopf  be§  ^f)i(ofop()en  fjinburd). 

S)ie  <Bad)t  ftet)t  nid)t  anberS  bei  @c^open()auer,  bem 
5tntipoben  §eget§.  2(ud)  er  interpretiert  bie  Söett  au§  feinem  eigenen 
SSefen;  im  eigenen  fieben^äiel  ge^t  if)m  ha^  ßiel  ber  2öelt  auf.  ®ie 
3BeIt  al§  SBtae  unb  SBorfteüung  nennt  er  fein  ^auptwerf;  er  felbft 
ift  ta§^  dJlohdi  ber  SBelt;  i^re  beiben  (Seiten  finb  bie  Seiten  feine§ 
eigenen  äöefenS,  ^nteüigens  unb  SSiüe.  Unb  h(i§>  ^erl)ältni§  biefer 
beiben  (Seiten  gu  einanber,  ha^^  er  in  fid;  felber  erlebt,  fief)t  er  in  bie 
SSett  überf)aupt  f)inein:  bie  Snteüigenä  ba§  lidjte  unb  freubige  SSefen, 
ber  SBiüe  ba§  bunlle,  bünbe,  beget)renbc,  fürd)tenbe,  neibenbe,  f)affeube, 
clenbe  unb  unfelige  SSefen.  S^ie  Snteüigeuä  üerfdjafftc  i{)m  bie  großen 
unb  reinen  greuben  feines  2eben§,  ber  S53iae  bie  täglid)en  fteinen  unb 
großen  Reiben.    ®arum,  oom  SSiüen  erloft  unb  reine  ^nteüigen^  werben, 


326    I.  93uc^:  SRetap^tjfi!.  2.  Kapitel:  ®a§  !o§moIogifc^4^eoIogtfd)e  «ßroblem. 

bQ§  i[t  ein  3^^^^  auf§  innigfte  ju  tüünj(i)en.  Unb  nun  fie^t  er  biefe§ 
3iel  auc^  in  bie  Söelt  tjinein.  Sft  fie  in  i^rem  Ursprung  blinber, 
brangüoüer,  ungeftümer,  unjeliger  Söiüe,  jo  treibt  biejer  qu§  fic^  bie 
Sntelligenä  ^erüor,  unb  borin  ba§>  erlöfenbe  ^rin^ip:  burd)  bie  ©rfenntniS 
feines  eigenen  2öefen§  !ommt  ber  SSille  ^nx  35erneinung  jeiner  |e(b[t 
unb  bomit  gum  ^^rieben.  ©o  geigt  e§  bie  ©ejc^idjte;  in  ben  großen 
©rlöfungSreligionen,  (5()ri[tentum  unb  33ubbf)i§mu§,  crreid)t  bie  9D?enfd)= 
i)eit  bQ§  ^iti  if)re§  2eben§,  bie  (Sriöjung  oom  äöillen.  <So  ge'^t  oud) 
t)ier  bem  ^{iiIofopt)en  qu§  bem  eigenen  ©rieben  ber  ©inn  ber  SSett  auf. 
Sludj  bie  pofitiöiftijc^e  unb  materiQliftifdje  ^^iIofopf)ie  oerpit  fid^ 
in  biefer  Slbfid^t  nic^t  anber§.  2)er  ^ofititii§mu§,  n^ie  er  öon  3L  Somte 
anSgebilbet  i[t,  Witt  gunädift  reine§  SBiffen,  blo^e  ©t)ntf)eje  atter  tt)iffen= 
fd^aftlidjen  (SrfenntniS  fein.  Slber  and)  er  mif^t  ©lemente  be§  @(auben§ 
{)inein;  e§  gefd)iel)t  gunäc^ft  in  ber  ®efd)id)t§pt)i(ofop()ie;  fie  ^at  f)ier 
mie  überatt  bie  g^orm,  ha'B  fie  bie  @efd)id)te  al§  SSeg  gu  einem  3^^^ 
barfteüt.  ®ie§  3^^^  ^^^^B  ber  ^f)itofop^,  unb  ha§:  ift  eigentlid)  feine 
gro^e  2Biffenfd)aft,  barin  tjat  er  ben  ©djiüffet  gum  ®e^eimni§  ber 
SBelt.  S)a§  ift  c§>  and),  n)a§  ifjm  bie  jünger  äufül^rt;  Ujie  fid)  früt)er 
bie  gläubige  9J?enge  um  Drofet  unb  ^ropf)eten  brängte,  fo  bröngt  fie 
fic^  je|t  §u  ben  ^t)i(ofop^en,  um  öon  if)nen  gu  tjören,  n^otjin  ber  SBeg 
fü()rt,  tt)a§  in  ber  3it^u"ft  ^i^Qt.  ßomteS  ^t)iIofopt)ie  ift  gang  auf 
@efd^idjt§p!^itofop()ie  gerid)tet,  ein  ^ßerfud^,  ben  bisherigen  SBeg  ber 
5!J?enfd;l}eit  im  3iifQ"^J^isr^^ö^^9  M^  überbliden  unb  öon  {)ierau§  bie 
Sftidjtung  gu  beftimmen,  in  ber  fid^  bie  fernere  ©efdjidjte  bemegen  inirb. 
^urd)  ha§>  @efe|  ber  brei  Stufen  tohh  ber  Ort  unb  bie  Slnfgabe  ber 
©egenmart  beftimmt.  S^te  Slufgabe  ift  natürlid)  eben  bie,  an  meldie 
ber  ^^ilofopl)  gerabe  bie  §anb  legt,  ober  bie  er  eben  fo  glüdlid^  toav, 
im  UmriB  gu  Ii3fen,  atfo  ^ier  bie  93egrünbung  ber  pofitioen  $f)i(ofopf)ie 
a(§  ber  befinitiüen  g^orm  ber  menfd^Iid^en  (SrfenntniS,  unb  bie  336- 
grünbung  ber  pofitiüen  ^olitif,  bie  al§  ©t)ftem  ebenfattS  fertig  ift,  e§ 
wirb  fic^  oon  nun  ah  um  bie  3)urd)fül)rung  in  ber  2Bir!(id)!eit  f)anbeln. 
©0  läuft  aud)  f)ier  ber  SBeltprogeB  mitten  burd^  haS,  §irn  be§  ^^iIo= 
fopI)en;  nid^t  o^ne  e§  ein  menig  gu  oerrüden:  Somte  füllte  unb  be= 
naf)m  fidj  in  feinen  fpäteren  3ctf)ren  a\§>  ber  .^ol)epriefter  ber  9JJenfd)= 
tjeit,  ber,  in  ber  2in!en  bie  33ergangent)eit,  in  ber  9Rec^ten  bie  3^^^""ft 
Ijattenb,  i^re  @efd)ide  mögt  unb  ten!t.    9?ietteid)t  ift  eS  eine  bie  Xrag= 


11.  2)a§  3Jerf)äItnig  öon  5lBtffen  unb  ®touben.  327 

traft  be§  ntenfd^Iicf)en  ®ef)irn§  überfteigenbe  ßumutung,  e§  jum  S[RitteI= 
pun!t  ber  SSeltbeiregung  511  nmdjen.*) 

2)er  9}?ateriali§mu§  le^nt  bie  3)eutung  ber  SBelt  au§  einem 
©inn  grunbfä^Iid)  ob,  fie  ^at  feinen  ©inn,  jonbern  nur  äufäüig  unb 
gelegentlirf)  gefd^ietjt  e§,  iia^  (SinnüoIIeS  ent[tef)t;  sufäüig  unb  gelegentlid) 
fommen  9}Jote!üIe  in  einem  ^irn  jo  sufammen,  ha"^  eine  SDic^tung  ober 
eine  ^f)iIojopt)ie  ba§  @rgebni§  i[t.  2)ennoc^  fe^tt  e§  aud)  i^m  nirf)t 
an  9JJomenten  be§  ®(auben§.  Sind)  bie  ^f)itojopf)en  be§  9JJateriQli§mu§ 
treten  at§  ^^rop{)eten  auf,  aiid)  fie  ^ben  bie  gro^e  2öiffenjcf)aft  ber 
93ergangent)eit  unb  ber  ^ii^^ii^ft-  ®o  beutet  2.  geuerbad^**)  ben 
©laubigen  bie  @efd)id^te.  „®ie  bi§f)erige  fogenannte  neuere  3^^^  ^f* 
ba§  proteftantifdje  SOJittelalter,  in  bem  xoix,  nur  mit  falben  9iegationen 
unb  33e{)elfen,  bie  ri3mifd;e  ßircfje,  ha§:  ri3mifdje  Siedet,  \)a§>  peinlid^e 
ÄriminoIred)t,  bie  Uniüerfitäten  in  altem  ®d)nitt  u.  f.  xü.  beibehielten. 
9JZit  ber  ^luflofung  be§  ßf)riftentum§  be§  ^roteftanti§mu§  at§  einer 
ben  ®eift  beftimmenben  religiöfen  SOJod^t  unb  3Baf)rl)eit  finb  luir  in  bie 
neue  3^it  eingetreten.  5)er  ©eift  ber  ^t\t  ober  ber  3^^^^ii^ft  ^[^  ^^^ 
beg  Ü?eoIi§mu§.  —  5In  bie  ©teile  be§  ®Iauben§  ift  ber  Unglaube  ge= 
treten,  an  bie  ©teile  ber  5öibel  bie  33ernunft,  an  bie  ©teile  ber  Sf^eügion 
unb  ^ird^e  bie  ^olitü,  an  bie  ©teile  be§  .^immelS  bie  (Srbe,  beg  @e= 
bet§  bie  Slrbeit,  ber  §ötle  bie  materielle  9^ot,  an  bie  ©teile  be§  S^riften 
ber  3)?enfc^."  ^amit  ift  nun  bie  S^otn^enbigleit  einer  neuen  ^l)ilofopI)ie 
gegeben,  benn  jebe  3eit  bebarf  einer  eigenen  ^45t)ilofopI)ie.  „S)ie  9Jegation 
be§  (5l)rifteutum§  loar  bi§^er  eine  unberauBte,  je^t  erft  ujirb  fie  eine 
ben)u|te  unb  gett)ollte,  um  fo  meljr  al§  fic^  ha^  (Sl)riftentum  vermengt 
f)at  mit  ben  §emmniffen  be§  n)efentlid)en  ^riebe§  ber  je^igen  ^J^enfc^- 
^eit,  ber   politifd;en  greil)eit.     3)ie   betou^te  9^egation   begrünbet  eine 


*)  Sobt  ftem  in  ber  ®eid)icf)te  ber  (St^if  (II,  102  ff.)  mit  St.  ©omte  feineu 
beutfd)en  3eitgeno)fen  St  raufe  jufamuten:  wie  jener  fii^  alä  ben  Segrüuber  ber 
SKenfdil^eitgreligion  auf  bem  Sitel  feiner  fpäteren  ©c^riften  anfünbigte,  aud^  einen 
Äult  nebft  totenber  unb  ^eiligen  für  bie  neue  9teIigion  auäbod^te,  fo  ftiftete  Äroufe 
im  igaljre  1808,  im  einfamen  Itimmerlein  aKein  mit  feinen  ®eban!en,  einen 
„Wenfdjfjeit^bnnb"  unb  beginnt  t)on  ba  ou  eine  neue  ^eriobe  unfere§  @efd)Ied^tä 
unb  eine  neue  3eitre(^nung. 

**)  Sn  einem  Stuffo^:  ©runbfä^e  ber  ^^ofopl^ie  (1842  3),  bei  ®rün, 
S.  fjeuerbod),  33rieftt3ecf)fel  unb  Sfad^Iafe,  ©.  411  ff. 


328    I-  S3ud^:  S!Ketapf)t)fi!.  2.  Äa:pitel:  ®ag  !o§TnoIogij(^4f)eoIogifd^e  ^Problem. 

neue  Qdt,  bie  9^ottt)enbig!ett  einer  neuen  offenherzigen,  ni(f)t  me"E)r  c^rift- 
Iicf;en,  entfdjieben  uncEiriftlic^en  ^f)i(ofop{)ie."  Unb  biefe  neue,  öon 
ber  ßeit  geforberte  ^f)iIofop^ie  bietet  nun  g^euerBad^,  eine  reaüftifd)e, 
Qtl^eiftifdEie  unb  bemofratifdje  ^f)ifofopf)ie,  gnjeifenoä  niirb  fie  fiegreic!^ 
bie  SSett  erobern  unb  if)r  ben  SBeg  gum  §ei(  loeifen.  —  ©o  tt)ivb  ber 
Unglaube  jetbft  ^u  einem  neuen  ©tauben. 

9JZan  fiet)t,  aud)  ^ier  ift  bie  ^f)i(ofopt)ie  nid)t  ein  ©r^eugniS  be§ 
bloBen  SSerftanbe§,  fonbern  ber  gangen  ^erfönlic^teit;  ber  SSiüe,  bie 
©mporung  gegen  eine  etenbe  öegenn^art  giebt  i^r  9licf)tung  unb 
£eibenfd)aft. 

@§  n)öre  md)t  fd)n>er  gu  geigen,  inie  ba^felbe  bei  neueren  ^t)i(0' 
fopt)en  biefer  9iicE)tung,  bei  S)üt)ring,  bei  ben  ©ogialiften  ber  g^all  ift. 
2öie  3orn  unb  (Sutrüftung  einft  bem  Suöenal  3Serfe  eingaben,  fo  geben 
fie  bi§  auf  biefen  Xag  ©ebanfen  ein.  2Sa§  bie  ©laubigen  be§ 
aRateriaIi§mu§  überzeugt,  ha^  finb  nidjt  fo  fet)r  ©rünbe,  nidjt  bie 
Sen^eife  au§  SBiffenfdjaft  unb  SO^etaptjtjfif,  ai§>  bie  ©mpfinbung,  ha^ 
ber  9J?ateriati§mu§  am  entfc^Ioffenften  bie  SSeltanfc^auung  befämpft, 
bie  it)nen  at§  bie  ©runbtage  ber  beftef)enben  $ßerf)ältniffe,  al§  bie 
©runbtage  ber  SSett  be§  UnredjtS,  ber  ßüge,  ber  ©ettjalt  erfd)eint. 
ßine  ^f)iIofopt)ie  ber  ©efc^ic^te  unb  eine  S^eutung  ber  3"^^^!*  ^f^  auc^ 
f)ier  ha^  §erg  ber  ^^ptjilofop^ie,  unb  bog  §erg  biefe§  §ergen§  finb  Sbeen 
oon  9^ec^t,  ^rei^eit,  2Kot)Ifaf)rt,  bereu  $ßertt)ir!tid)ung  in  einer  neuen 
Orbnung  ber  menfc^Iidjen  S)inge  Stufgabe  ber  Gegenwart  unb  3nt)a(t 
ber  ßutunft  ift.  @o  fonftruiert  ber  S3egrünber  ber  „materialiftifc^en 
©efc^ic^tgouffaffung",  tarl  mav^,  bie  ©ntwidetung  be§  n)irtfd)aft= 
lidjen  2eben§  at§  93emegung  gegen  ha^  3^^^  ^i^^cr  fogiatiftifdien  ®e= 
fellfdjaftSorbnung;  ber  ®i-propriation  ber  Strbeiter,  womit  bie  ©efellfdjaft 
begann,  folgt  je^t  bie  ©fpropriation  ber  (SfpropriateurS ,  bie  Um= 
wanbtung  be§  prioaten  in  Äotleftioeigentum,  unb  bamit  luirb  ha§>  ßid 
erreid)t,  bie  burd)gängige  Crganifierung  be§  tt)irtfd)afttic^en  2eben§;  mit 
ber  Drganifierung  ber  ^robuftion  beginnenb,  mirb  fie  in  ber  Orga= 
nifierung ber Sßerteilung  fic^  öolleuben.  St^nlid)  beutet  griebrid)  (Engels, 
mit  neueften  Xt)eorieen  ber  Stnt^ropologie  bie  alten  ©ebanfen  ftü^enb, 
bie  ®efd)id)te  at§  einen  ein^eitli(^en  9]erlauf,  ber,  ou§get)enb  oon  einer 
SRaturorbnung  ber  ©efellfd)aft  mit  9J2utterred)t  unb  foüeftioiftifdjer 
§au§^attung,   burd)  bie  ^eriobe  bei  ßtoangS  unb  ©taate  mit  9Sater= 


11.  3)a§  SBerf)äItm§  öon  Sßiffen  unb  ©lauben.  329 

rec^t  unb  ^riooteigentum,  enbtic^  ju  einer  freien  (^efetlfdjaft^oerfaj'fnng 
mit  ÄoKettiöeigentuni  nnb  freier  ^i^nii^isttöereinignng  jurüdf ü^rt.  *) 

@o  ift  überalt  iiaS^  ^iihm'\t^ihta{  ber  fefte  ^unft,  Don  bem  bie 
^Deutung  ber  @efc^icf)te  anSgel^t.  SSon  f)ierQU§  werben  bie  'ipnnfte  ber 
5ßergangen()eit  beftimmt,  bie  öon  maBgebenber  ^ebentung  finb,  unb 
bnrd)  biefe  ^nn!te  luirb  bann  bie  Äuröe  gelegt,  bie  bcn  £anf  be§ 
gefcl)i(f)t(id)en  2eben§  befd)reibt.  2)af)er  mad^t  fic^  ftht  9^eubilbung 
a(§balb  an  bie  „Unnucrtung"  ber  gefdjidjttic^en  SBerte;  fie  bebarf 
if)rer  für  i^re  @e]d)idjt§p()iIofop^ie.  SOlon  benfe  an  bie  Ütenaiffance, 
bie  ü^eformation,  bie  frangöfifd^e  Ü^eöotution,  an  ben  DIationatoerein 
unb  ha§>  neue  beutfdje  Üteic^  anf  preu§ifd)er  ©runblage:  jebe  9'Jeu= 
bilbung  ift  burd)  eine  Umttjertnng  ber  gefc^id)ttid^en  SSerte  i^rer  eigenen 
inneren  ^iotlüenbigfeit  geiüifj  geworben,  ©o  n^irb  e§  je^t  ber  So^ialiS^ 
mu§.  SSa§  fonft  ben  DJienfd^en  qI§  gro^  unb  njid^tig  erfd)ien,  bie 
X^efen  ßutt)er§,  ber  Xag  öon  Seipjig  ober  ©eban,  i)ü§:  fd^rumpft,  öon 
bem  neuen  ©tanbpunft  gefe^en,  gn  einem  gan§  orbinären  2:age§= 
ereigni§  gufammen.  dagegen  erf)ält  ein  öon  anberen  !oum  bead)tete§ 
95orfommni§  bie  33ebentung  eineö  in  ber  2BeItgef(^id)te  epoc^emad^enben 
(Sreigniffe§,  S?.  9}?arj'  fommuniftifd)e§  9}Janifeft,  bie  ©rünbung  be§  all» 
gemeinen  beutfdien  5lrbeiteroerein§  burd^  Saffalle  u.  f.  f.  S)er  alte  Xrieb 
jeber  neuen  Partei,  fidj  eine  eigene  ßeitredjnung,  einen  neuen  S?a(enber 
mit  neuen  ^eiligen   ju  mad)en,   tritt  un§  and)   I}ier  mieber  entgegen. 

@o  abfurb  einem  ©löubigen  alter  Orbnung  bie  neue  SSertung 
öoilommt,  fo  gtaubfjaft  erfd^eint  fie  ben  ©laubigen;  nur  eine§ 
motten  fie  nidE)t  glauben:  bo^  e§  ©taube  ift  unb  nid)t  SSiffen, 
morauf  i^re  2lnfid)t  ber  SDinge  beruht:  mir  fef)en  ja  bod)  gan§  beuttid), 
bie  @efd;icf)te  in  ber  Üiidjtung  auf  ha§i  Qid  fid^  bemegen;  bie  „2öiffen= 
fd)aft"  ift  ha§>  britte  SBort  ber  «So^ialbemofratie.  —  g^reitid)  it)r  ftettt 
eud)  an§  ßkl,  mie  follte  eud)  nun  nid)t  bie  ©efd^idjte  auf  eud)  fid) 
äujubemegen  fdjeinen?  Stber  ma§  eud)  auf  biefen  ^unft  gefteüt  l)at, 
ba§>  mar  nid)t  bie  3Biffenfd)aft,  fonbern  Siebe  unb  ^a^,  ^ertongen 
unb  Stbfdjeu,  nid)t  ber  Sßerftanb,  fonbern  ber  SBitte.  3Ber  nic^t  eure 
Siebe  unb  euren  §aB,  eure  |)offnnngen  unb  ^beate  teitt,  bem  fönnt 
i^r  bie  3Ba!t)rt)eit    eurer  ^Betrachtung   nidf)t   bemeifen.    3§i"   fönnt  nur 


*)  ^x.  (SngelS,  ®er  Urjprung  ber  giioi^iß/  ^e§  ^riboteigentumS  unb  be§ 
©taote§.     3.  31.  1890. 


330    I.  93uc^:  Wtttapf}t)\it.  2.  Äapitel:  ®a§  fogmoIogifc^=t^eoIogifd)e  Problem. 

auf  bie  3"^""ft  ^^^^  berufen,  aber  hü§>  ift  eben  ha§  (Sigenc,  ha^  bie 
ßufunft  nur  bem  ©(auben,  nic^t  bem  Söijl'en  offen  liegt.  @§  mag 
fein,  ha"^  nad)  fünf^unbert  Sahiren,  tüenn  bann  bie  neue  Drbnung  ber 
3:;inge  ba  ift,  febem  5(uge  bie  5Infänge  ber  großen  Urnnjöl^ung  in  il)rer 
Sebeutung  erfennbar  finb.  @o  finb  je^t  jebem  bie  SInfänge  be§ 
d^riftentumS  in  it)rer  gefc^i(i)tlid)en  Sebeutfamfeit  er!ennbar,  unb  felbft 
bem  SBiberiüilligen  prägt  unfere  ßeitredjnung  if)re  Sebeutung  ein.  ^ätte 
aber  bama(§,  üor  1900  Saf)ven,  jemanb  einem  gried)if(^en  ^f)i(ofopf)en 
ober  einem  römifcf)en  .^iftorifer  gefagt:  oon  ber  üor  furjer  3^it  ^^' 
folgten  ©eburt  eine;?  armen  5inäb(einö  im  jübif(i)en  Sanbe  mirb  einmal 
bie  ganje  europäifdie  ^ölfermelt  ben  Einfang  if)rer  ßeitrec^nung  batieren, 
fo  mürbe  er  oermutlic^  an  bem  gefunben  S3erftanbe  be§  ^rop^eten  ge- 
gmeifelt  unb  auf  jeben  gaü  e§  abgeletjut  {)aben,  in  eine  (Srt)rterung 
ber  äJJögIicf)!eit  ober  2Bat)rf(f)einIid)!eit  biefer  ^nfic^t  fid)  einplaffen. 
©§  fd)eint  mir  einftmeilen  mit  ber  neueften  Umbotierung  ber  ßdU 
redjnung  nid)t  mefentlid)  anber§  gu  ftet)en. 

2)as  nimmt  ber  @ad;e  nichts  oon  i^rer  33ebeutung;  nid^t  bo§ 
Söiffen,  fonbern  ber  ©laube  tf)ut  SSunber;  freilid)  nidjt  jeber  @(aube, 
fonbern  nur  ber  redjte  ©taube,  ber  ha^,  tt)a§  fommen  miU,  bioinierenb 
oorauSnimmt.  ^been,  fagt  .^egel,  finb  bie  mirfenben  Slräfte  ber  ®e= 
fd)id)te.  200^1;  beun  Sbeen,  oon  bem,  \va§>  fommen  foü,  finb  bie  be= 
megenben  Gräfte  in  ben  ^eftrebungen  unb  ©ebanfen  ber  9Jienf^en. 
3)ae  mirb  fo  bleiben,  fo  lange  9}?enfd)en  nic^t  oom  ©enufe  ber  (^egen- 
mart,  fonbern  auf  Hoffnung  ber  3"^"^^!^  kben.  Unb  fo  lange  mirb 
üud)  ber  ©laube  im  9}?enfd)enleben  feine  9f?olIe  fpielen. 

Sn  biefem  @inne  ift  alfo  ©taube  ein  ©tement,  ja  iia§i  eigentliche 
^^ormprin^ip  jeber  ^Ijilofoptjie.  ®er  ©taube  an  bie  3"^"^ft  fonnt 
bie  §tuffaffung  be§  gefd)idjttid)en  2eben§,  unb  bie  ^t)itofopt)ie  ber  ©e= 
fd)ic^te  formt  bie  Sßeltanfd)auung  eines  9JJenfc^en.  9iid)t  bie  Stftronomie 
formt  bie  2Bettanfd)auung,  fie  giebt  bto§  ein  altgemeineS  @c^emo  ber 
3Birftid)feit;  nid)t  bie  ^^t)fi!  beftimmt  bie  5tuffaffung  oom  SBefen  bes 
2Bir!tid)en,  fie  giebt  für  bie  ted)nifd)e  93et)anbtung  ber  Singe  not= 
menbige  ^anbtjaben;  nidjt  bie  Söiotogie  beftimmt  bie  ?tuffaffung  oom 
ßeben,  fie  giebt  ein  paor  ©runbftric^e  jur  Se^eidjuung  be»  aügemeinen 
Drte§  be§  äReufdjen  in  ber  2öir!tid)!eit:  ma§  bie  93ebeutung  be§  £eben§, 
mos  ha§,  2öefen  be§  äöirttic^en,   ma§  ©runb   unb  3iet   ber  223ett  fei, 


11.  S)o§  9Set^ä(tm§  öon  Söiffen  unb  ©louben.  331 

barüBer  evf)oIt  fid^  äute^t  ein  jeber  STu'Stunft  au§  ber  ©ejdjid^te,  al§ 
ber  nädjften  itnb  eigentnrf)en  Umgebung  be»  (Seiftet.  2)ie  Äonftruttion 
unb  Deutung  aber  be§  geiftig=gejd)i(i)ttirf)en  2e6cn§,  bie  fommt  nirfjt 
au§  ber  SBijjenfcfiaft  öom  SSergangcnen,  fonbern  au§  ber  Sbee  öom 
Sßotlfommeuen,  bie  jeber  mitbringt.  @ie  jagt  if)m,  njo^in  bie  Semegung 
ge^t,  unb  joiüie  er  iiü§>  tüei^,  entbecft  er  auc^,  mo^er  fie  fommt;  unb 
tt)ei&  er,  n)a§  e§  mit  ber  @ejcl^irf)te  auf  firf)  {)at,  jo  meiB  er  audj  balb, 
tr)Q§  e§  mit  ber  9^atnr  unb  ber  2Be(t  überhaupt  auf  '\\d)  f)at.  Sa§ 
mir  SBid^tige  ift  ha?:  Sßefentlic^e  an  ber  2öelt,  nad)  biefem  8d)ema 
^at  ber  menjd)Iid)e  ©ei[t  ju  allen  ^tikn  gef(^(oijen,  unb  er  n?irb  c§ 
fdjmerüd)  nerlernen,  el  fei  benn,  ha%  einmal  Äopf  unb  §er§,  intelligent 
unb  SBiUe  gn  ni3nig  getrennter  §au§^altung  überget)en  füllten.  <Bo 
lange  fie  in  ber  alten  ©emeinfd^aft  leben,  mirb  e§  bleiben  mie  bi§t)er: 
toaS  ben  Söillen  nid^t  erregt,  tra§  ju  feinen  ^wtäen  unb  Stufgaben, 
gu  feinen  S^ealen  feine  33e5ief)ung  f)at,  ha§>  öermag  bie  5Iufmerffamfeit 
nid^t  gu  erregen,  ba§  mirb  überfef)en  unb  fällt  alfo  für  bie  S3ilbung 
ber  SSorftellung  t)on  ber  SSirflid^feit  au§.  ©o  mirb  notmenbig  ha^^ 
Sßidjtige  jum  SBef  entti(^en  unb  ba§  SBefentlid^e  gum  allein 
Sßir flicken.  SSie  bie  ©d^nede  if)r  .^au§  baut,  paffenb  auf  ben 
Seib,  fo  baut  fic^  ber  SSiüe  bie  SBeltanfdjauung,  au§  ber  er  bie  S)inge 
betradjtet  unb  ouf  fie  mirft.*) 

©er  eben  bargelegte  ©ebanfe  bilbet,  mie  fd^on  oben  gezeigt 
Ujurbe,  ben  eigenttid)en  SIngelpunft  ber  Äantifdjen  ^l^ilofop^ie. 
S)ie    tiefften    unb  Süt^fd^fag    gebcnben  eintriebe   empfängt    bie   3Be(t:= 


*)  SSortrefftid)  ift  btejer  ®ebanfe,  ba^  bie  SBeItanfd)ouung  in  bem  geic^icf)t=' 
lid^en  93eit)u^tfein  ber  3!J?enfc^f)eit  i^re  SCBurjeln  ^abi,  in  bem  balb  bergeffenen  2Ber! 
S3unfen§:  ©ott  in  ber  ®efcl}i(^te  (1857)  au^gefü^rt.  igd)  fann  mir  nid)t  öerfagcn, 
au»  ber  fd^önen  SSorrebe  eine  ©teile  einzufügen:  „®ie  3lf)nung  eine§  göttlid)  ge= 
orbneten  unb  ®öttlid)e§  offenbarenben  @onge§  ber  2öeltgefd)ic{)te  ift  bie  urfprüngticbe 
göttlicf)e  ?tu§ftattung  be§  9J}enfci)en.  @r  erfennt  fid)  bon  Stnfong  nic^t  blofe  all  (£iner 
unter  SSieten,  fonbern  aU  QJtieb  einer  Stetige  bon  ©ntroidelungen  feine§  eigenen 
2öefen§.  2)a§  Urbefönfetfein  bei  SHenfcl^en  ift,  ba%  aUel  fieben,  ha§  ©ingetne  unb 
ba^  SSoIfltümlicbe,  fic!^  gur  9J?enfc^beit  entroicfelt  nad)  einem  ®efe^,  meld)el  in  itjm 
felbft  liegt,  aber  feinen  geitlidien  SJJittelpunft  ^at  in  ber  9Jtenfd)f)eit,  feinen  eroigen 
in  ber  ®ott^eit.  3)iefel  2BeItberon^tfein,  b.  f).  bicfel  roeltgefdiid}tlid)e  33erou§tfein 
®ottel,  ba?'  93eron§tfein  @ottel  in  ber  SBeltgcfd)id)te,  ift  jugleid)  ba§  angeftammte 
®efüf)I  bei  9?er:^ältniffel  he?-  einjclnen  dS^  be§  9Jiifro!olmol,  ber  ©ottelroelt  im 
kleinen,  jum  3[)(atrofolmol,  jur  ©ottelroelt  im  ®ro^cn,  unb  sum  ?III." 


332    I-  33uc^:  SOJetapti^fi!.  2.  Kapitel:  ®ag  !o§moIogtjc^4^eoIogifc^e  Problem. 

Qtifdiauung  uid)t  au§  bem  S^erftonbe,  fie  !ommen  an§>  ber  SBtIIen§= 
feite,  aii§  ber  pvaftijdjen  SSeruunft.  ®er  ©hübe  an  bie  9J?ögti(i)feit 
unferer  legten  ßmetfe,  an  bie  9)?ijglicl)!eit  be^  f)öd)[ten  @utg  in  ber 
SSirüiditeit  i[t  eigentüd)  ber  fefte  ^nn!t  in  ber  Söilbnng  ber  SBett* 
onfdjanung.  Sn  ber  2ef)re  öon  ben  ^oftulaten  unb  bem  Primat  ber 
praftifdjen  $ßernunft  I)at  ^ant  biefen  ©ebonten  in  jeine  gormetfpra(f)e 
gefaxt.  2öir  mürben  nun  jagen:  nic^t  mit  einer  ^^orberung  t)aben  tuir 
e§  ^ier  §u  tf)un,  bie  einem  ben  ©tanben  m§>  ©etuiffen  jcf)iebt,  jonbern 
mit  einer  2;i)atjad)e;  e§  glaubt  nienmnb  unb  niemanb  fonn  glouben, 
bafe  bie  SSirflirfjfeit  üöüig  gleichgültig  ober  gar  feinbjelig  jei  gegen 
ha^,  iüaS  tl)m  ha§:  Ie|te  ßtel  unb  t)öc^fte  @ut  i[t.  3}?ag  jemanb 
prinzipiell  bie  33ered)tigung  be§  ©laubenS  an  bie  9^üc!ftc^tnaf)me  ber 
SBir!Iirf)!eit  auf  meufcf)lic^e  SBerte  leugnen,  tljatjädjlic^  fe|t  er  boc^ 
it)re  3ufammen[timmung  üorauS.  5(nc^  ber  9J^ateriaIi[t  glaubt  an 
ben  @ieg  ber  guten  ®adß,  an  bie  Übermadjt  ber  Vernunft,  ber 
2Bar)rf)eit,  be§  9^ed)t§,  —  glaubt  alfo  an  eine  moralifc^e  2öelt= 
orbnung.  5tud)  ber  ^effimi[t  glaubt  jule^t  an  ben  @ieg  be§  Sefferen, 
fofern  er  an  bie  ©rlöfuug  öom  Übel  gtaubt:  \)a§>  S^Ziditfein,  haS^  !ommt, 
i[t  jo  gegen  t>a§>  ©ein  ba§  93effere.  ©o  ftuben  lüir  ©tauben  auc^ 
bei  benen,  bie  prinzipiell  atte§  ©tauben  üermerfen  unb  nur  ba§  (£r= 
fennen  moEen  gelten  lafjen.  (Sie  äiet)en  fetber  nid)t  bie  5?onfequenä 
i^reg  @runbja|e§,  ober  aubererjeitS,  fie  leugnen  bie  9ied)tmäBig!eit 
beffeu,  mag  fie  boc^  f eiber  t()un:  nämlid)  burd)  ©louben  an  bie  ^\u 
fünft  über  ha^  SSiffen  f)inau§ge^en. 

5lant§  Unternefimung  ging  nun  eben  ba'^in,  ha§:  ^^d)t  biefe§ 
tt)atfäd)Iic^  allgemeinen  3Sert)atten§  gegenüber  ber  grunbfö^ü^en 
Seugnung  feftzufteHen.  ©r  mU  bem  ©lonben  an  t)a^  „^tiä)  ber 
ßwede"  fein  gute§  9flec§t  gegen  bie  prinzipielle  Verneinung  im  bog* 
matifd)en  StttjeiSmuS  üerfdiaffen.  5tber  nid)t  burdj  tt)eoretifc^e  33emei§= 
fü^rung.  2)a5  tüar  bag  alte  33erfat)ren;  man  I)atte  burd)  ajJetapt)t)fif, 
burc^  ^eteologien  unb  Sfieobiceen,  nac^zumeifen  unternommen,  i)a^ 
mirflid)  ha§>  ©ute  in  ber  äöir!rid)!eit  bie  tjerrfdjenbe  Wa6)t  fei.  ®ie§ 
Sßerfatjren  giebt  taut  al§  ein  uumi3gtid)e§  auf;  ein  objeftioer  Semeig, 
ber  ben  SSerftanb  uijttgte,  ift  t)ier  ber  9^atur  ber  ©ac^e  nac^  unmöglidj; 
jebem  Seujeiä  fann  ein  gteic^  ftarfer  ©egeubelueiS  entgegengefe^t 
werben.     @§  giebt  aud;  I)ier  eine  3)iale!ti!  mit  5tutiuomien.    Unb  bie 


11.  ®a§  SSerl^ältntg  bon  583tffen  unb  ©louben.  333 

5(uf(öiung  biejer  bialeüijc^en  Antinomie  liegt  in  berfelben  Söenbung, 
ttjorin  Äant  bie  5Iuf(öjung  ber  to»moIogijd)eu  5(ntinomien  entberft: 
ber  Streit  iüirb  cntfdiieben  burd)  bie  53erlegung  auf  einen  anbern 
^oben.  ^Qum  unb  ßeit,  ^aujatität  unb  ÖJotiuenbigfeit  finb  nur  im 
(Subjeft,  bamit  t)erjd;n)inben  bie  bioleftifc^en  ^tntinomien,  bie  Don  ber 
Sßoraulje^ung  ausgingen,  fie  feien  93eftimmungen  ber  2)inge  an  fic^. 
©0  giebt  e§  andj  SBerte  nur  für  ha^  (Subjeft;  aber,  unb  ba§  ift 
nun  ber  entf(^eibenbe  ^unft,  nirfjt  für  ben  SSerftanb,  fonbern  nur  für 
ben  SBiüen,  für  bie  „praftifrf)e"  S3ernunft.  Unb  nun  leitet  i()n  bie 
Slnalogic  tt)eiter:  bie  9Zatur  ift  nad)  ber  Siriti!  ber  reinen  35ernunft 
nid^t§  anbereö  a(§  ein  burc^  bie  gefe|mäBige  gunftion  unferer  Sntelligeuä 
georbnete§  3t)ftem  üon  @rfd)einungen;  eben  barunt  Ijaben  bie  formen 
unferer  Sutelligcn^  bie  33cbeutung  unb  ©ültigfeit  üon  allgemeinen  unb 
notmenbigen  SeftimmungSftüden  unferer  9Jaturer!enntni§  ober  olfo 
ber  dlütüT  felbft.  Sn  berfelben  SBeife,  fügt  bann  bie  ^ritif  ber 
praftifd)en  Vernunft  tjin^u,  !ommt  nun  and)  ben  Seftimmungen  ber 
Sßiüengfeite  unfere§  Söefen»  bie  ^öebeutung  unb  @ü(tig!eit  üon  aU^ 
gemeinen  unb  notiüenbigen  SeftimmungSftüden  unferer  äöeltanfd)auung 
§u.  2Sie  ba§  Q^erftanbesgefe^  ber  ^aufatität  bie  ©runblage  unfereS 
®(auben§  an  bie  DJaturorbnung  ift,  fo  ift  ba§:  ©ittengefe^  bie  (S5runb= 
läge  unferes  @Iauben§  an  eine  moralifdje  Söeltorbnung.  ©oireit  hü§> 
©ittengefe^  al§  ibentifd)er  2{u§bruc!  ber  gefe^gebenben  SSernunft  an= 
erfannt  mirb  unb  gilt,  fo  meit  gilt  ber  ©taube  an  ha§>  Üicid^  ber 
ßwede,  beffen  ©efe^gebung  eben  ha§^  ©ittengefe^  ift. 

SDkn  mag  an  ber  5(rt,  n^ie  ^ant  biefen  ©eban!en  einfüt)rt  unb 
burd)fül)rt,  ^nftofe  netjmen.  ®er  ©runbgebanfe  ift  burc^auS  beredjtigt. 
©inem  SBefen,  hü§>  feinen  Söiüen  t)ättc,  fonbern  reiner  35erftanb  njöre, 
bem  tt)äre  e§  uötlig  unniöglid^,  bie  33ebeutung  ober  and)  nur  ben  ©inn 
eine§  3fiei(^e§  ber  ßmede  unb  einer  fittüdjen  SBeltorbnung  al§  feiner 
inneren  @efel3mäBig!eit  bar^^uttiun.  Slber  für  einen  SOIenfdjen  mit  einem 
menfd^Iidjen,  burdj  bie  tjöc^ften  ^rvcdc  ber  9}?enfdjf}eit  beftimmten  Söillen 
ift  ber  ©taube  an  eine  fittlid;e  SBeltorbnung  natürlich  unb  notroenbig. 
Unb  biefer  ©laube  mirb  notroenbig  ber  ©d^tufeftein  feiner  ganzen  2öelt= 
anfc^auung.  @§  ift  unüermeiblid),  ha'^  unferer  ^f)i(ofop^ie,  loie  bie 
ßüge  unferer  ^ntelligeuä,  fo  aud;  bie  3üge  unferer  äöillenS  fid^  ein- 
brüden.    Unb  ttjir  ^aben  nid^t  me'^r  Urfad^e,  hierin  eine  53erfätfd)ung 


334    I.  S3uc^:  Wetap^t}\il  2.  tapitel:  Sag  fogmoIogiic^=t^eoIogi)c^e  «ßroblem. 

unferer  SBeÜanjdjauung  gu  erblitfen,  a(§  in  ber  räumIicf)=5eit(trf)4QufaIen 
g^orm  unfereS  GrfennenS.  Unjere  ^f)i(ofopf)ie  i[t  meujrfiUdje  ^^t)i(ojopt)ie, 
aU  SJ^enfcfjen  tönucn  tuir  eine  anbere  lueber  t)a6en  nodj  ertragen.*)  — 

3)er  negotioe  2)ogmati!§nin§  »irb  gegen  bieje  S3etra(i)tung  ein= 
»enben:  ba§  f)eiBe  einen  notürlirfien  ^ef)kr  unfereS  ^enfens  jum 
^rtn^ip  ergeben.  @§  fei  freiließ  fo,  baB  tnir  geneigt  finb  ^n  glauben, 
toa§>  Xüix  rvim\d)m.  SDie  5(nfgabe  ber  ^f)i(ojop^ie  unb  3Si]jenfd)aft  fei 
aber  eben,  bie  (Srfenntnis  non  bem  (iinftuB  be§  SßiUenS  §u  befreien. 
Urfprünglidj  fei  ber  SSille  gan^  f)errf(f)enb  unb  beftimme  ooüftänbig 
bie  Sluffaffung  ber  2)inge;  fo  fei  ber  üielgeftaltige  SIberglaube  entftan= 
ben,  üon  bem  2(ntt)ropoIogie  unb  ®efd)i(f)te  nn§  ßunbe  geben.  Slffmö^= 
lid)  I)abe  in  ber  Sßiffenfc^aft  ber  S^erftanb  fid^  fo  loeit  burd^gefe^t,  ha'B 
an  bie  ©teile  ber  intereffierten  SDeutung  geraiffenljaftc  53eobac^tung  unb 
unbefangene  SCnerfennung  ber  2;l)atfad)en  getreten  fei.  2)ie  2Biffenfd)aft 
geige  nun  überall,  baB  ber  S^aturlouf  gor  nic^t,  mie  finblidie  ^f)antafie 
fid)  ausmalte,  unferem  SSiüen  ju  millen  fei  ober  fid)  biegen  laffe,  mU 
me^r  oi^llig  gleidjgültig  gegen  menfdjtidje  Slbfidjten  feinen  (Sang  get)e, 
allein  ben  emigen,  großen  ©efe^en  folgenb.  ^Ifo  mogu  fidj  täufdjen, 
iDOgu  SDinge  ben!en,  bie  nid^t  finb?  3)ie  ®inge  gu  nel)men  mie  fie 
finb,  ha§>  ift  3Bei2if)eit  unb  Sapferfeit  gugleid).  @§  fann  ja  feinen 
©eminn  bringen,  fid)  falfdjen  Sßorftellungen  {jinjugeben. 

8id)ertic^  nic^t.  Unb  of)ne  ^^^^ifet  ift  e§  eine  (£rfaf)rung,  bie  an 
jebem  Stag  auf§  neue  gemad)t  mirb,  baB  ber  DIaturlauf  unfere  5tbfid^ten 
burdjfreujt  unb  and)  ba§,  maS  un§  lieb  unb  n)ert  ift,  gerftört.    Stber 


*)  @g  ift  biefer  $unft  ber  Äantifc^en  ^^ilofo^jfjic,  ben  neuerbingl  bie 
proteftantifc^e  Stfjeologie  gum  2(ulgang^piinft  i^rer  9teIigion!§6etrac^tung  nimmt. 
^d)  i)abe  i'c^on  früfjcr  auf  bie  SBerfe  üon  Stauttjen^off  unb  SSenber  f)ingett)iefen.  ^c^ 
nenne  I)ier  nod)  ein  aubere§  bebeutenbeig  SBerf:  ig.  Äaftan,  ®ie  S[öaf)rf)eit  ber  d)rift* 
liefen  9ieItgion  (1888).  Sie  Seföeiäfüfjrung  wirb  barauf  gcftetit:  ein  t^eoretijd) 
graingenber  !öcroeig  für  bie  SÖSatjr^eit  be§  d)rift{id)en  ©tauben^  ift  unmöglid);  ttjeber 
auf  bem  pt)i(oIogifcf)4}iftorifd)en  SiBege  ber  Sd^riftbemeife  ber  alten  Drt^obojie,  noc^ 
burd)  bie  p^ilofop^ifdje  Spefulation  fann  bem  SSerftanbe  bie  2Bat)r^eit  biefe§  ©faubeng 
beraiefen  ttierben;  ber  einzig  möglidje  Seraeig  ift  bie  an  ben  ganjen  SOJenfd^en  fid) 
roenbenbe  Darlegung,  ha^  bie  ^hit  öon  einem  gef(^id)tlid)en  93eruf  unb  Qkl  beg 
9Kenfd)^eit§(ebeng  ober  bie  notroenbige  ^hee.  öon  einem  ^öd)ften  ®ut  in  bem  bieg» 
fettigen  unb  jenfeitigen  ®otte§retc^  beg  ß^riftentumg  if)re  ©rfüHung  ftnben.  SBobei 
id)  benn  nid)t  öerf)ef)Ien  will,  ba^  id)  meber  be§  SßerfafferS  3{blef)nnng  aCer  SWeta^- 
pt)t)fif,  noc^  feine  gorm  ber  ©infü^rung  beg  Übernatürli^en  mir  anzueignen  oermog. 


11.  ®al  Sßerf)ältm§  Don  SBiffen  unb  ©lauben.  335 

i[t  bamit  fd^on  ausgemacht,  ha§>  bie  SSirÜtd^feit  nid)t  bloB  im  einzelnen, 
fonbern  and)  im  ganzen,  nicfjt  6Io^  gegen  gelegcnttid^e  (Sinjelabfid^ten, 
fonbern  gegen  unfere  legten  unb  §öcf)ften  ^tücdc  \\d)  gteid^gültig  »er- 
f)ött,  unb  ba^  olfo  ber  ©lanbe  an  eine  „ morali jd}e  SBeltorbnung"  eine 
mutmiUige  ^änjcfjung  ift? 

(5§  ift  nid^t  meine  9(b[icf)t,  I)ier  in  eine  (Erörterung  ber  alten 
grogen  nad)  ber  Statur  unb  33ebeutung  be§  Ü6el§  unb  ber  9Högü(f)feit 
einer  St^eobicee  ein^ngefjen.  ^lofe  mit  einer  O^rage  mill  i^  crmibern: 
mie  müBte  bcnn  bie  SSelt  bejdjaffen  fein,  bamit  jener  ©laube  menigftenS 
a(§  möglicl)er  jugelaffen  inerben  fönnte?  9J?üBte  etma  ber  ^JJaturlanf 
jebem  SSnnfrf)  fügfam  fein  ober  if)m  fcfjon  §ut)or!ommen?  Ratten  n^ir 
bann  Urfadje  ju  benfen,  ha^  ber  DIaturlauf  burd;  eine  33orfcf)ung  gu 
unferm  heften  gelenft  n^erbe?  2.  S3iid)ner  meint  (^raft  unb  Stoff 
(S.  236):  „Unfinnig  müfete  ber  jenige  fein,  ber  im  Srnft  bef)aupten 
moHte,  bie  (Srbe  fei  üon  einer  allmeifen  unb  aügütigen  9Sorjef)ung  ot§ 
ein  paffenDer  2öo()npIa|  cingeridjtet  n^orben!  S^hir  bie  än^erfte  ^In- 
ftrengung  feiner  ^'örper=  unb  (S^eifteSfrüfte  mad)te  e§  bem  SDJenfdjen 
überhaupt  möglid^,  unter  beftönbiger  SÖebro^ung  burdj  taufenb  ©efatjren 
auf  berfelben  ju  ej;iftieren."  5IIfo  nur  bann  Ratten  mir  ein  '?fizd)t,  an 
eine  ^orjel^ung  ^u  gtauben,  menn  un§  bie  9^atur  o^ne  Slnftrengnng 
unferer  Gräfte  ju  leben  möglidj  madjte?  SBenn  e§  !eine  5lrbeit  unb 
!cin  9}?ij5lingen,  feine  ß'ranf^eit  unb  feinen  Zoh  gäbe,  menn  bie  (Srbe 
haS'  @d)laraffenlanb  märe,  bann  unb  nur  bann  bürften  mir  glouben, 
fie  fei  eines  moljlmoüenben  ®otte§  (Sdjöpfung? 

greilid^,  mir  träumen  olle  einmol  ben  Sroum  öon  einem  Sonbe, 
in  bem  e§  feine  5(rbeit  unb  feine  Unruhe,  fein  Übel  unb  fein  33öfe§ 
giebt,  ben  fefjulid^en  Siraum  üom  ^arabieS.  Xod)  fönnen  mir  madjeub 
mof)t  foöiel  fe^en,  ba^  ha§^  ^arabieS  nic^t  für  un§  märe,  fo  lange  mir 
finb,  mie  mir  finb.  3Bir  paffen  ^ur  (Srbe,  nid)t  jum  ^arabieS.  @ine 
SSett,  in  ber  e§  SSiberftänbe  unb  §cmmniffe,  SJiiBüugen  unb  Übet  gar 
widjt  gäbe,  märe  feine  SBett  für  un§;  mo  bliebe  ha  'tRaim  für  fräftigcS 
SBoHen  unb  tapferes  .^onbetn,  für  ernften  ^ampf  unb  glorreichen 
(Sieg?  @ut  ift  für  mid)  eine  Umgebung,  bie  meinen  Gräften  ange= 
meffene  Stufgaben  ftctlt;  gut  ift  für  ein  ^öolf,  gut  ift  für  bie  3)Jenfdj= 
f)eit  eine  SSelt,  bie  burc^  SBiberftäube  i^re  5(n(agen  unb  Ä'räfte  f)erauS= 
forbert  unb  cntmidelt.    Df)ne  äöiberftänbe,   natürliche  unb  moraIifcf)e, 


336    I-  33ud):  Tletap^t)\il  2.  Stapitü:  S)a§  !o§moIogifc^=>t^eoIogii^e  «ßrobtem. 

gäbe  e§  feine  5(utgQben  unb  feine  S(rbeit,  gäbe  e§  überhaupt  fein  Seben 
unb  feine  @ejd)id)te.  ^Jßer  2eben  unb  ®ej(f)i(i)te,  menicfjlidje§  2eben, 
njill,  ber  n)iU  Qud)  bie  SSiberftänbe,  iriU  and)  baS  Übet  unb  33öie, 
nic^t  um  if)rer  jelbft  millen ,  aber  a(§  S3ebingung  menjdjlirf)er 
3SiUen§betl}ätigung  unb  5(rbeit,  al§  Übung»materiQl  für  Gräfte  unb 
^ugenben.  ^m  Übung  ber  Gräfte  gu  bienen  i[t  bie  äöelt  be[timmt, 
nidjt  jum  pajfiöen  Öenießen.*) 

iii\o,  mv  betüeijen  luill,  bafe  bie  SSelt  icf)(ec^t  ift,  ber  mu^  be= 
meijen,  ba^  fie  f)ieräu  md)t  taugt,  boB  fie  bem  Ginjelnen  unb  ber  @e= 
fomt^eit  nidjt  bie  geeigneten  Stufgaben  [tetit,  ha]i  ber  9Jknfd)  jur  Snt= 
fattung  feiner  DIaturanlagen  eine  anbere  SSelt  brandete.  Ober  minbeftenS 
mü^te  er  nadjroeifen,  ha"^  eine  anber§  geftattete  äöelt  biejen  unferen 
testen  ^xutdm  befjer  a(g  bie  unglücftidjer  Sßeije  n)irftid)e  entsprochen 
f)ätte.  53i§  bas  geteiftet,  bi§  uns  bie  beffere  3BeIt,  befjer  nid)t  burd) 
5(bn)efenf)eit  biefer  ober  jener  Unbequemlidjfeiten  unb  SBiberftänbe, 
fonbern  beffer  ^ur  33DÜenbung  ber  menfdjtic^en  5tn(agen  überf)aupt, 
beutlidj  üorge^eidjnet  ift,  n^irb  man  un§  erlauben  bei  bem  ©tauben  ju 
bet)arren,  ba^  für  unfere  9Zatur,  tt)ie  fie  ift,  bie  2öelt,  tt)ie  fie  ift,  eine 
angemeffene,  ja  bie  befte  SBett  ift.  9^id)t  bet)a upten  toir  bie§  einsufe^en 
ober  bemeifen  §u  f tonnen;  mir  fjaben  nid)t  ^ur  S^ergteic^ung  anbere 
mögtidje  SSetten  unb  anbere  möglidje  9JZenfc^ennaturen;  aber  ha§:  be= 
Raupten  mir:  e§  giebt  feine  (Sinfidjt,  bie  bem  ©tauben  entgegenftünbe, 
tü^  biefe  SSett,  mie  fie  ift,  für  un§  angemeffen  unb  gut  ift,  ha'^  bie 
SBege,  bie  bie  9}^enfd^§eit,  bie  jeber  üon  uns  gefüt)rt  morben  ift,  gute 
2Bege,  öotteg  SSege  finb.  (5§  giebt  feine  Xt)eobicee  aU  äBiffenfdjaft; 
aber  eben  fo  menig  giebt  e§  eine  miffenfdjaftlidje  ^tntit^eobicee.  ^er 
S^erftanb  üerf)ält  fidj  inbifferent  gegen  ha§^  ^^^robteni,  ob  bie  Söelt  gut 
ober  fd;(ed}t  ift. 

Cber,  fo  barf  man  bod)  (jin^ufügen,  menn  er  überhaupt  t)ier 
Partei  nimmt,  bann  fann  es  nid)t  für  bie  Stuftest  fein,  ha^  bie  2öirf= 
lidjfeit  fdjtedjt,  für  ben  DJienfdjen  fd)Ied)t  unb  uupaffenb  ift.  2Ber  ber 
neuen  biotogifd)en  2t)eorie  anf)ängt,  ber  fd)eint  boc^  e§er  auf  bie  anbere 
S(nfid)t  gefüt)rt  ^u  merben.  3ft  ber  DJ^enfd)  nid)t  oon  ouBen  auf  bie 
@rbe  gefegt  morben,   fonbern  mit  it)r  fetbft  gemorben  unb  gemac^fen. 


*)  3)er  Sejer  finbet  bieje  2(nbeutungen  weiter  au^gefüfirt  in  meinem  @t)[tem 
ber  mi)\t  (4.  2tu[I.  1896,  I,  292  ff.). 


11.  2)ai  SBer^ältniä  üon  SOäiffen  unb  ©louben.  337 

fo  fd^cint  bie  3«fantmen[timmung  feiner  Sktur  mit  feiner  Umgebung 
a  priori  notttjenbig  ju  fein:  er  ift  bann  biefer  Umgebung  mit  feinem 
ganzen  SBefen  angepaßt,  er  müBte  in  jeber  anbern  SBelt  ficf;  beplaciert 
öorfommen.  ^tUe  feine  Gräfte  unb  2;üd)tig!eitcn,  ja  fein  SSefen  unb 
Söille,  feine  (Sinne  unb  fein  $ßerftanb  felbft  finb  für  bie  @rbe  unb  bie 
SebenSbebingungen,  bie  fie  bietet,  gebilbet,  \vk  foüte  fie  alfo  nidjt  für 
biefe§  SBefen  ongemeffen  unb  gut  fein?  SSar  fie  if)m  feine  gütige 
9)^utter'?  9hin,  fie  ()at  i^n  burc^  mancfje  ^arte  Sd^nle  gefüf)rt.  Slber 
öielleid^t  mar  e§  eben  ha§,  \va§>  i^m  not  tf)at.  Ober  mei^t  bu  e§ 
beffer?  (So  tommen  mir  ouf  bie  gorberung  jurüc!:  fonftruiere  au§ 
bem  unenblid)en  äRi3g(i(^en  bie  SSelt,  bie  für  bie  ©rgie^ung  be§  äRenfd^en 
beffer  gemefen  miire  unb  met)r  geleiftet  f)ätte. 

5turf)  baran  mag  boc^  erinnert  fein,  ha'^  nad^  ber  hierin  ein= 
ftimmigen  Grfatjrung  ber  S3ö(!er  ha^,  maä  bie  SHoral  oB  bo§  ®ute 
unb  9ierfjtfd;affene  barftellt,  fic^  in  ber  SSirf(id)feit  a(§  ha^^  @rf)altenbe 
unb  görbernbe,  ha^  Söfe  bagegen  al§  ha^  ^emmenbe  unb  ß^i^ftörenbe 
barfteUt,  im  ßeben  ber  @in§elnen  unb  im  ßeben  ber  3SöI!er.  Snt 
WngenbUd  !ann  e§  anber§  fdieinen;  bo  feiert  Unred^t  unb  Süge 
mand)en  2:riumpf);  ober,  ba§  (gnbe  trägt  bie  Saft,  fo  fagt  in  taufenb 
Sprüdjmörtern  bie  2Bei§{)eit  ber  35ölfer.  Unb  in  it)rer  gefc^id)ttic^en 
(Srinnerung  finben  fie  bafür  bie  Seftätigung.  ®a§  ©ro^e  unb  ©ute 
mar  jmar  in  ber  ©egenmart  oft  oerfannt  unb  unterbrüdt,  mät)renb 
ta^  9?id)tige  unb  (Sc^einbore  unb  Sdjted)te  in  ©eltung  unb  5tnfe^en 
ftanb.  5lber  bie  ©efc^id)te  läfet  fie  bie  grollen  taufc^en,  fie  mac^t  aüer 
SSelt  ftar  unb  beutüd),  ha^  ^a§^  9^ic^tige,  fo  fd)einbar  e§  mar,  nidjtig, 
unb  \)a§>  ©Ute,  fo  fd)Iid)t  unb  unfc^einbor  e§  anfangs  mar,  haS:  3öirf= 
lidje  unb  Sebeutenbe  ift.  S)em  Sdjledjten  mag  ber  Xüq  geljijren,  bem 
Sßa^ren  unb  ©uten  getjört  bie  Smigfeit.  S)a§  ift  oor  aüem  bie  grofee 
2et)re  be§  e()riftentnm§:  burd)  Sierfotgung,  9)?örtl)rertum  unb  ^ob  ge^t 
ber  äöeg  ^ur  §errlid)feit.  Xrinmpijierenb  fragt  fein  ©laube:  Xob, 
mo  ift  bein  Stachel,  §ölle,  mo  ift  bein  Sieg  ?  5)aS  Übel  unb  ba§  Söfe 
{)at  feine  äRac^t  über  bie,  bie  in  @otte§  §anb  finb.  (S§  fann  fie 
öufeerlid)  treffen,  aber  nid)t  innerüd^  überroinben,  unb  fo  bient  e§  allein 
gur  93erf)errlid)ung  be§  9Zamen§  @otte§  an  i^nen.  — 

^d)  üerraatjre  mid^  jum  (Sdjiufe  nod)maI§  gegen  ha^  Wi^= 
t)erftänbni§,    al§    ob    folc^e   S3etracf)tungen    ju    einem    ben   ^erftanb 

!lSa Ulfen,  Giuleitung.    6.  ätiifl.  22 


338    I-  S3ud):  mttap^t)\il.  2.  ta^ttel:  S)ag  foSmoIogifdi^^eoIogiic^e  «Problem. 

gtüingenben  t^eoretifc^en  53eWei§  QuSreid^ten,  ober  al§  ob  burc^  [te 
©taube  imb  9(leIigion  erzeugt  inerben  fönnte  ober  müBte.  ©ie  ^aben 
kbigtirf)  bie  Sebeutung,  boB  fie  gegen  ben  negotioen  2)ogmQti§mu§ 
einer  rein  pf)t)fi!aüfc^en  SSettanjdjauung  boS  Urteil  in  ^reit)eit  fe^en. 
9fteIigion  entspringt  nid)t  qu§  bem  ®en!en,  fonbern  qu§  bem  ©rieben. 
®a§  gilt  für  ben  ©ingelnen,  n)ie  für  bie  Sßöüer.  ßeben  unb  ^ob 
finb  bie  großen  ^rebiger  ber  Üieügion;  unb  fo  lange  fie  prebigen 
ttjerben,  fo  lange  njirb  Sfieligion  auf  (Srben  nicfit  au§fterben. 

®rei  ©efü^te  finb  e§,  in  benen  öor  aüem  bie  Ütcligion  i^re  en)ig 
lebenbigen  2Bnr§eIn  t)at,  fie  luerben  oon  Seben  unb  2ob  immer  tt)ieber 
in  ben  ^erjen  ber  SJZenfdEien  f)erüorgebrad)t:  bie  5lngft,  bie  be  = 
njunbernbe  f^reube  unb  bie  ©nttäuf  c^  ung.  (Srft  ttjenn 
biefe  ©efü^te  ou§fterben,  n)irb  bie  SRetigion  fterben,  mirb  für  \)a§^ 
reine  SSiffen  ber  Stag  gefommen  fein. 

5lngft  unb  S^iot  ift  bie  erfte  ÜBurgel  ber  Ü^eligion;  fie  t)oben 
ben  SJJenfc^en  ha§>  ßauhtxn  getetjrt,  haS^  tt)ir  oben  al§  bie  Urform 
ber  Sejieljung  ju  einem  Überfinnlic^en  fanben.  9lod)  je|t  finb  Se6en§= 
angft  unb  XobeSnot  bie  ftorlen  eintriebe,  bie  ben  SJJenfc^en  auf  bie 
^niee  inerfen  unb  if)n  treiben,  3iif^i^<i}t  3"  fu(i)en  oor  ber  ^f^atur  bei 
etUJoS,  n)a§  über  ber  9Zatur  ift.  2lm  ftörtften  bie  ^obe^angft,  fei  e§ 
um  hü§>  eigene,  fei  e§  um  ein  geliebtes  anbereS  ßeben;  in  ber  Stngft 
öor  ber  SSernid^tung  !tammert  fic^  ba§  ©emüt  an  ein  @tt)ige§  unb 
Übern)ir!Iic^e§,  ha^  nidit  ber  SSernidjtnng  unterliegt. 

3^  r  e  u  b  e  unb  53  e  m  u  n  b  e  r  u  n  g  ift  eine  anbere  SBurjel  ber 
9?eIigion.  Sugenbfrifd)e  unb  ®efunbf)eit,  fjoffnungSüoHe  3:^ätig!eit 
unb  frof)e§  Gelingen  erzeugt  eine  freubige  (Stimmung,  bie  in 
®an!  überjuge^en  ftrebt.  Sf^eine  S^aturbetrac^tung  ftimmt  jur  ?lnbad)t, 
bie  bie  9latur  al§  ^inmeifung  auf  ein  §ö{)ere§,  beffen  äöer!  unb 
Offenbarung  fie  ift,  auffaßt.  «Sinnenbe  ^ßertiefung  in  bie  SBerfe  be§ 
®eifte§,  in  bie  ©d)öpfungen  ber  ^unft  unb  5)ic^tung,  in  \>a^  ßeben 
großer  unb  guter,  tapferer  unb  tjeiliger  SJJenfdjen  erfüllt  ha§>  ^erj 
mit  ben  @efül)len  be§  ©c^önen  unb  ©r^abenen,  ber  S3ett)unberung 
unb  SSerel)rung,  unb  aud^  biefen  ®efül)len  ift  e§  eigen,  i^m  bie 
Sflic^tung  nad)  oben  ju  geben  auf  ein  SlltguteS  unb  SßoülommeneS, 
beffen  Slbglanj  allel  «Sdjöne  unb  @ute  auf  (Srben  ift.  ®a§  ift  @oetl)e§ 
^fteligion: 


11.  S)a§  SSer^ättniä  öon  SBiffen  unb  ©lauben.  339 

Sit  unfrei  58iifen§  $Retne  tüogt  ein  Streben, 

<Bid)  einem  §öf)crn,  ^Reinem,  UnOefannten 

Slug  3)anfbarfeit  freiwillig  ^injugeben, 

©nträtfelnb  fid)  bem  eföig  Ungenannten; 

9Bir  fieifien'ä:  fromm  fein! 
Sine  britte  SSur^el  ber  retigtöfeu  empfinbung  ift  bie  (Snt  = 
täufc^ung  unb  3SeItmübig!eit.  Sn  ben  (SrIöfungSreltgionen 
tritt  biefe  ©eite  [tar!  unb  beuttic^  f)eroor.  2)a§  ßeben  unb  bie  SBett 
r)ielten  nic^t,  roü§>  fie  bem  jugenblid^  |)offenben  üerjproc^en;  bittere 
(gnttäufcfiung,  grimmige  ^eue  nagt  am  ^erjen,  ha  rettet  e§  fid;  cor 
Sßergmeiflung  unb  Seben§e!el  burd)  bie  gluckt  au§  biefer  SSelt  ju  einer 
befferen  SBelt,  ttjirft  e§  fid),  ftiefjenb  öor  ber  §ärte  unb  ©eI6ftgerec^tig= 
feit,  ber  ©emein^eit  unb  galfdj^eit  ber  SJJenfc^en,  an  ®otte§  ^erj. 
Sn  Qller  ibealiftifc^en  ^fjilofoptjie  ift  etttjaS  üon  biefer  (Smpfinbung; 
bei  ^lato,  bei  gierte  üingt  fie  an.  2)ie  ©ntrüftung  über  bie  Söelt 
unb  bie  9}?enfc^en,  tote  fie  finb,  treibt  bie  Sßel^auptung  f)erüor:  biefe 
SBelt  ift  gar  nic^t  bie  n)ir!Ii($e  SSett,  fie  !ann  e§  nic^t  fein,  fie  ift  ^u 
gering  baju:  e§  giebt,  e§  mufe  geben  eine  reinere,  fjöljere  Sßelt  jenfeitS 
biefe§  ®unftfreife§  ber  ©inn(id)!eit.  —  2Sem  bliebe  biefe  (gmpfinbung 
ganj  fremb?  (Stmo§  üon  bem  contemtus  mundi,  ber  im  ß^riftentum 
fo  ftar!  Ijerüortritt,  empfinbet  ttJot)I  jebei  ^öf)er  geftimmte  ©emiit.  SDie 
SOfJenfd^en  finb  nid)t,  tuie  ünblic^eS  35ertrauen  fie  oorauSfe^te;  tjinter 
bem  fd^i3nen  @d)ein,  mit  bem  fie  fic^  ^u  umgeben  miffen,  öerbirgt  fic^ 
gemeine»  (Streben  unb  niebrige  ©efinnung;  mit  bem  (Sdjönen  unb 
©Uten  ift  e§  if)nen  fein  (Srnft,  fleine  ^wtdz  unb  niebrige  ?(bfic^ten 
öerfolgen  fie  felbft  unb  fe|en  fie  bei  anberen  oorau§;  ha^  ©roBe  unb 
SBortrefflic^e  erfüllt  fie  mit  9^eib,  ernfte  unb  gro^e  Seftrebungen  er* 
meden  bei  i^nen  SJJiBtrauen  unb  §aB,  unb  ein  unbarmfjerjigeS  ©erid)t 
ergefjt  über  ben,  ber  nid^t  mit  ifjuen  bo§  kleine  groB,  ha§^  '^c^^^^  ed^t, 
ben  ©d)ein  SSatjr^eit  nennen  miü.  SDa  menbet  fid^  ha^  ^erj  mit 
STrauer  unb  ©ntrüftung  ab  unb  beruft  fic^  öon  bem  ©eric^t  ber 
SEJJenfdjen  auf  einen  f)öf)eren  unb  gered^tercn  Ü^idjter;  fidj  ©otte§  ge= 
tröften  unb  nid§t  auf  eitle  unb  beftec^üc^e  2)^enf(^en,  nid)t  auf  bie 
creatura  fallax  bauen,  mirb  \)a§:  ©efe|  feinet  Seben§.  @§  ift  auf 
(Srben  nid)t§  ©roBe§  gefd)ef)en,  mo  nic^t  üon  biefer  (Smpfinbung  etma0 
lebenbig  mar.  —  Unb  meldjem  £eben  bliebe  eine  anbere  (Snttäufdfiung 
crfpart:  bu  ftrebteft  nad)  ben  fingen  biefer  SSelt,  nad)  ©elb  unb  ©ut, 

22* 


340    I.SSuc^:  Tletap^t)\it.  2.  ^o^iitei:  ®o§  fogmoIogi)c^4f)eorogiid)e  «ßrobtem. 

na<i)  (Sf)re  unb  (Stellung,  nad)  ©enuB  unb  2öof)lIeben,  unb  bu  madift 
nun  audj  bie  taujenbmal  gemod^te  (Srfo^ruug,  bo^  fie  ni(i)t  ba§  ^erj  gu 
fättigen  vermögen;  bu  trug[t  bid^  mit  großen  Singen,  bu  bac^teft  bie 
(Sdji3nt)eit,  bie  2öa't)r^eit  ^n  erjagen  unb  finbe[t  bid)  nad)  mandjem  langen 
Sßeg  unb  Umtüeg  in  Irrtum  unb  gin[terni§;  bu  5og[t  einmal  au§  für 
9iedjt  unb  grei^eit  ju  [treiten,  aber  bu  bi[t  mübe  unb  nadjgiebig  ge* 
lüorbcn  unb  f)aft  beinen  ^rieben  mit  ber  SSelt  gemad^t.  5tud)  bieje  @nt= 
täujdjung  loirb  jum  eintrieb,  nad)  einem  §öf)eren  aulsufdjaueu,  mirb  jur 
©e^nfudjt  nad)  einer  ©rlöfung  öon  biefem  gangen  finnlid)=5eitlid)en  Sßefen. 
S(üe§  Qrbifc^e  fommt  bem  tüeltmüben  ©emüt  fc^at  unb  öbe  üor,  unb 
e§  fpridjt  mit  bem  3}id)ter,  bem  nid)t§  9}?enfd)Iic^e§  fremb  geblieben  i[t: 

'^ä)  id)  bin  be§  Sreiben?  mübe! 

SBog  foE  aü  ber  ©c^merj  unb  Suft? 

©ü^er  i^riebe, 

^omm,  a^  !omm  in  meine  $8ruft! 

®a§  finb  bie  ©efüljle,  bie  ba§  SSertaugen  nad)  9^eligion  im 
9)?enfd)enf)er5en  I)ert)ortreiben.  ©o  lange  fie  nid^t  ganj  burd^  fette 
@id)erf)eit  unb  Sl'uIturt)od)mut,  burdj  ©elbftbemunberung  unb  ^%antiner« 
tum  oerbröngt  merben,  mirb  bieg  35erlaugen  [tetiS  neu  feimen. 

(Srfüüung  aber  finbet  e§  allein  in  einer  gegebenen,  gefd§id)t  = 
I  i  d)  e  n  9ieIigion,  uid)t  in  auSgebad^ten  ©ebanteu  ober  Silbern,  bie  fid^ 
ber  öingelne  erfinbet.  S)a§  ©etbfterbadjte  ift  ein  SSidfürlid^eS,  ha§i  man 
behalten  unb  aud)  beifeite  t^un  !ann.  35on  ber  9fietigion  aber  oerlangt 
ber  9Kenfc^  eben  bie§,  ha'i^  fie  t^n  über  fid^  felbft  unb  feine  SSillfür 
ergebe  unb  i^n  auf  einen  feften  unb  öerläf3li^en  (^ruub  fteüe.  liefen 
bietet  aücin  eine  gefd)id)tlidje  Üteligion,  ber  ®Iaube,  in  bem  bie  5ßäter 
tebten  unb  ftarben.  Sie  großen  ©ijmbole,  bie  ]d)on  bem  ßinbe  ben 
@inn  ber  SSett  beuteten,  bie  merbeu,  menn  fid^  ba§  retigiöfe  SebürfniS 
regt,  im  S3etüuBtfein  mieber  tebeubig;  fie  ftellen  fid)  nun  bem  ©emüt 
qI§  ha§>  ^efte  unb  (Slüige  bar,  al§>  ha§i  allein  SöerläBIic^e  im  (Sd)manfen 
ber  ajieinungen.  Sie  2et)rgebäube  ber  ^t)itofop^en,  bie  Sf)eorien  ber 
©ete^rten,  bie  ©t)fteme  ber  S^eologen  öerge^en,  mie  jmifc^en  SIbenb  unb 
ÜJ^orgen  bie  SSotfeu  !ommeu  unb  ge^en,  inbeS  bie  großen  ©t)mboIe 
bleiben,  mie  bie  Sterne  be§  §immel§,  menn  fie  aud;  auf  Slugenblide 
t)on  ben  oorüberäiel^enben  Sßolfen  bem  Slid  üerbedt  ujerben. 

Sem  SSauberer,  ber  aug  bem  .^odjgebirge  in  bie  (Sbene  5urucf= 
fef)rt,  merben  §unäd^ft  bie  ©ipfel  burd)  bie  näheren  ^ßorberge  uerbedt; 


11.  S)o§  SSerfiältnig  üon  SBifjen  unb  ®Iouben.  341 

tu  bem  9}?a&e,  Qt§  er  fic^  tüeiter  entfernt,  finfen  bie  Sßorberge  ^ujommen 
unb  am  @nbe  ragen  einjam  über  bie  ineitc  (Sbene  ^er  bie  fc^neeigeu 
©pi^en.  ©0  get)t  e§  bem  9J?enfrf)enfinb  mit  ber  D^eligiou.  SSerben 
5uuä(^[t  burd^  bie  gütte  neuer  ©iubrücfe,  ujeldje  2öelt  unb  Seben  auf 
ben  in  bie  SBett  fjinau^tretenbcn  Jüngling  madjen,  bie  erften  großen 
Sugenbeinbrücfe  gurüdgebrängt  unb  n)oI)t  gan^  unfid[)tbar  gemacl)t,  ]o 
beginnt,  nienn  bie  ^Qit  be§  9iücf61i(fen§  !ommt,  n)enn  bie  elterlid^e 
©eneration  abftirbt  unb  neue§  junget  Seben  firf)  gu  ben  eigenen 
^üfeen  regt,  bie  (Srinnerung  an  bie  S»genb  unb  ^eimat  mdd^tig 
tjernor^utreten ;  unb  mit  i^nen  !ommt  bann  bie  Srinnerung  an  bie 
geiftige  .^eimat,  an  bie  SBett  ber  53i(ber  unb  ^njd)auungen,  in  ber 
ba§  58ett}uBtfein  be§  ^inbe§  lebte.  Unb  inbem  jeljt  ber  groBe  @inn 
biejer  SDinge  ber  burc^  mannigfarfie  ßeben§erfaf)rung  bereid)erten  ©ee(e 
aufgefjt,  ent[te{)t  äugteidf)  ber  Xrieb,  jie  fortjupflansen  unb  burc^  Über= 
lieferung  ber  großen  ge^eimni§ooIl=offenbaren  SBaf)r^eiten  bie  äu= 
fünftigeu  @efci^Iecf)ter  mit  bem  Seben  ber  SSorfat)ren  ju  öerfnüpfen. 
(So  roirb  ber  ^eim  ber  Sfieligion  üon  ®efd)tcd^t  ju  (5Jefcf)Iedjt  fort= 
gepflanzt;  t)a§>  Seben  bringt  i^n  gur  ©ntiDicfetung,  nid^t  überaß  auf 
glei(f)e  SBeife,  unb  mand)er  ^eim  get)t  überfjaupt  nid)t  auf;  aber 
generatio  aequivoca  finbet  f)ier  fo  ineuig  lüie  fonft  in  ber  organifdjen 
unb  gefc^id)ttid)en  3BeIt  ftatt. 

Sfteligion  giebt  e§  nur  unb  fann  e§  nur  geben  in  ©eftalt  ber 
gefd)id)t(id)  geworbenen,  in  @i)mbo(en  unb  f)eiligen  §anblungen  au§= 
geprägten  fonfreten  3Sotf§reIigionen.  Sine  obftrafte  Sfteligion,  lüie  man 
fie  unter  bem  5;itel  einer  SSernunft=  ober  9^aturreIigion  gefud^t  ^at, 
ift  nid)t  möglid);  fofern  bei  einzelnen  benfenben  SOfenfd;en  fo  tiwa^' 
üor!ommt,  ift  e§  ein  Überreft,  ein  le^ter  SSieberfd^ein  einer  ooUen 
fon!ret=mirf(id^en  9?eIigion. 

SSortrefflid)  fagt  f)ierüber  Ütenan  in  ber  gebanfenreic^en  ?(b= 
l^anblung  über  bie  9}?etapl)i)fif  unb  i^re  3^1'^""^^  (Fragments  philo- 
sophiques  <B.  327):  „®en  2)eigmu§  mirb  feine  3)urd)fid)tigfeit  ftet^ 
oerf)inbern  eine  9?etigion  ju  n)erben.  ©ine  9?eIigion,  meldf)e  fo  !Iar 
njöre  mie  bie  ©eometrie,  mürbe  feine  Siebe  unb  feinen  §aB  erregen. 
®og  aber  allein  fd)afft  ein  Sanb  ämifdjen  ben  9}^enfd)en,  ma§  eine 
freie  unb  perfönlic^e  2Baf)I  einfd)tieBt:  je  eoibenter  eine  SBaf)rf)eit 
ift,    befto  meniger  mad)t   man   fid^   ou§  if)r:    Seibenfdjaft  erregt  nur, 


342    I.  SSud^:  Wittap^t)\it  2.  Äapttel:  ®al  fo§mologti(^=t^eologiic^e  <}5robIem. 


tt)a§  bunfel  ift,  benn  bie  ©üiben^  fc^üeBt  bie  inbiöibuelle  SSa^I  au§." 
3)er  !ritifd)e  ^tjilojop!)  ttiirb  ba^er  nidjt  t)erjucf)en,  „bie  9^eIigion  ifjter 
bejonberen  @(auben§artife(  ^u  entfteiben;  er  glaubt  nic^t,  baß  man 
burd^  Slnalt)fe  ber  üerj(f)iebenen  Sfieligtonen  auf  bem  örunbe  be§ 
(5(f)mel5tieget§  bie  äöa^r^eit  finben  lüürbe.  (Sin  joIrf)er  35erjucf)  lüürbe 
nur  ha§i  9ii(f)t§  unb  ba§  ßeere  ergeben;  \tht§>  ®ing  ^at  feinen  SBert 
nur  in  feiner  eigentümlichen,  für  un§  c^orafteriftifc^en  gorm.  (Sr 
nimmt  jebeS  <St)mboI  für  ha^,  was  e§  ift,  für  einen  eigentümlichen 
'ämhxnd  eines  (Sefüf)I§,  ha§:  nic^t  täufäjt.  Sie  2Saf)rf)eit  eineS  (Si)mboI§ 
ftef)t  eben  barum  nicf)t  im  3?ert)ä(tni§  ä^i  i^^^^i^  öinfa(i)f)eit.  Sn  ben 
Saugen  be§  Seiften  müfete  ber  S^tam  für  bie  befte  Religion  gelten; 
in  ben  5(ugen  be»  fritifcf)en  ^^^ilofopf)en  ift  ber  3§(am  eine  fet)r  bürftige 
Üieligion,  melcf)e  bem  9JZenfcI)engefcf)Iecfjt  mef)r  93i3fe5  al§  ö5ute§  gebraci)t 
f)Qt.  Saffen  mir  bie  Sf^eligionen  oon  ©ott  reben  unb  £)üten  mir  un§,  in 
ber  ^bftc^t,  fte  ju  öereinfacfien,  fie  ju  gerftören.  9iüf)men  mir  un§  nicf;t 
unferer  ÜberIegenlE)eit;  if)re  g^ormeln  fiub  nur  um  ein  geringe^  met)r 
mi)tf)ifdj,  als  bie  unfrigen,  unb  fie  Ijaben  große  53or§üge,  bie  mir  nie 
erreichen.  (Sine  formet  ift  eine  (^renje  unb  ber  $8eftreitung  auSgefe^t; 
ein  .^timnnS,  eine  Harmonie  fiub  e§  nid^t,  benn  fie  entfjalten  feine  Sogif 
unb  IjQben  nichts  2)i§putierbare§  an  fidj.  Sie  Sogmen  ber  ^att)olifen 
ftoBen  un§  ob,  if)re  alten  Siirdjen  finb  unfer  (StttgücEen.  Sie  S3e= 
fenntniffe  ber  ^^roteftouten  finb  uns  g(eicf)gültig,  bie  ^erbe  ^oefie  if)re§ 
©ottesbieufteö  jie^t  un§  Iebf)aft  an.  Sa§  Subentum  fagt  un»  menig 
5U,  aber  feine  alten  ^falmen  fprec^en  ixod)  ^u  unferm  ^er^en." 

Sie§  follten  biejenigen  nic^t  üergeffen,  bie  burcf)  ^t)iIofopt)ie  eine 
neue  Sieligion  ju  ^immern  bemüht  finb.  (Sine  9ieIigion  beftetjt  nict)t 
aus  begrifflidjen  gormein,  fonbern  aus  fonfreten  Sijmbolen;  (St)mbole 
föunen  aber  nicf)t  genmd^t  merben,  fie  tonnen  nur  burd;  gefct)icf)tlid)e§ 
SSac^Stum  entftef)en.  (Sine  9ieligion  fann  neue  (Elemente  aufnet)men, 
ber  alte  (Stamm  fann  neue  (Sprößlinge  treiben,  aber  fie  entfte|t  nicf)t 
burd)  generatio  aequivoca;  mic  f)at  ha^^  (£l)riftentum  in  allen  fünften, 
im  (Glauben  mie  im  £ult,  bie  33erfnüpfung  mit  ber  D^eligion  S^raetS 
feftgef)alten,  Wix  fc^eint,  e§  muB  jeben,  ber  für  bie  ^oefie  ber  (3t' 
fd)id)te  audj  nur  ein  leife§  9?erftänbni§  Ijat,  unenblid^e  2angemeile  mit 
(Salinen  unb  gröfteln  überfommen,  menn  er  gegen  eine  mirflid^  ge= 
fcf)id)tlic^e  Üieligion   bie  S^erfudje    fünftlic^er   S^eubilbung,    mie   5.  93. 


11.  2)ag  Sßer^ältnig  öon  SBiffen  unb  ©lauben.  343 

6omte§  Üieligion  ber  Humanität  mit  if)ren  Segriffen  unb  g^ormeln, 
i^ren  ©ijmBoIen  unb  if)rem  Ä^utt  f)ätt.*) 

Unb  Qurf)  ba^  follten  bie  (Stifter  neuer  Üieligionen  nid)t  üergeffen, 
boB  eg  ot)ne  ba§  Xranf cenbente  !eine  3?eIigion  giebt.  ^Die  S3e= 
jie^ung  jum  Sranfcenbenten  abftreifen,  liei^t  bie  Ü?e(igion  jerftören. 
SBir  !önnen  einen  (ebenben  äJcenfc^en  ober  eine  gefdjictjtlidje  "iperfön^ 
Iid)!eit  lieben  unb  üerel)ren,  aber  religiöfe  (Sf)rfurd;t  fbunen  wir  nur 
öor  einem  metempirijd)en,  einem  übermirflidjen  SSefen  empfinben. 
Sebe§  ttjirfüdje  SBefen  t)at  ©djraufen,  bem  Sbeal  altein  fef)(t  ha^ 
91egatioe.  (Sin  gefd)id)tlid)e§  SBefen  !ann  ©egenftanb  religiöfer  33er= 
cl^rung  nur  baburd)  inerben,  ha'^  e§  ou§  ber  empirifdjen  SBett  ^erau§* 
get)oben  unb  in  bie  SSett  ber  !^ic^tung,  ber  ^beate,  ber  (St)mboIe  öer- 
fel5t  wirb.  Ratten  n)ir  ftott  ber  üier  ©öangelien  eine  üierbäubige 
93iograp^ie  Sefu,  bie  un§  bi§  in§  Äteinfte  aüeS  berid)tete,  luaS  er 
jeben  2;ag  gett)an  unb  gefprod^en  t)ot,  ber  (Sinbrud  ouf  ha§>  @enfüt 
lüürbe  unenblid)  üiel  geringer  fein.  2)ie  Siograp^ie  njürbe  ben 
9}?enfd)en  mit  all  feiner  S3ebingt:^eit  geigen;  bie  ©öangelien  bieten  un§ 
wenige  groBe  unb  ert)abene  3^9^/  ^^^  fleinen  ßüge  ber  alltäglid)cn 
S[IJenfd^Iid)feit  fet)Ien  ober  finb  nur  leife  angebeutet;  fo  fefjen  mir  in 
Sefu  i)a§>  33ilb  @otte§,  be§  Übermirflic^en,  Übergeftaltigen,  Unenblid^en. 
^a§  ift  ba§  Sf^ed^t  unb  bie  9^otmenbig!eit  ber  SSergottung  Sefu  im 
©tauben  ber  Äird)e:  ber  ©egenftanb  unferer  religiöfen  33ere^rung  ift 
nid^t  ber  empirifd^e  9J?enfd),  fonbern  ift  ®ott,  ber  in  biefem  9J?enfd^en 
un§  erfdjienen  ift  unb  ben  SSeg  gum  Seben  unb  jur  ©eligfeit  geigt. 

S)er  ^ofitiüi§mu§  glaubt,  ba|  ber  9}Jenfc^  ben  Qüq  gum  lln= 
enbüc^en  unb  STranfcenbenten,  ber  bie  bisherige  Ü^eligion  d)arafterifiert, 
abguftreifen  im  93egriff  ift.  Sd)  ^atte  ba§>  für  eine  jEänfdjung.  ®a§ 
§inau§ftreben  in  unbeftimmter  (Sel)nfud)t  nad)  einem  Unenblidf)en  unb 
SlUguten  ift  ein  bem  9J?enfd^en  eingeborener  unb  unöerlierbarer  2)rang. 


*)  9J?an  je'^c  bie  SKitteilungen  über  biefen  ^unft  in  einet  an  intereffanten 
X^atjad^en  reid^en  ©tubie  bon  bem  :3efuitcn  §.  ©ruber,  (Somte  unb  ber  ^ofiti« 
öi§mu§  (1890)  unb  öerfciume  nid^t,  anä)  bie  jmeite  ©tubie  be§felben  3Serfafferl: 
ber  ^ofitiöilmug  bom  Sobe  ?t.  ©omtel  bi§  auf  unjere  Sage  (1891)  nadf)äulefen; 
tnon  finbet  f)ier  eingef)enbe  ÜJiitteilungen  über  ha§  ganje  ÄuItceremonieH  ber  ortf)o= 
bojen  ^ofitiöiften  in  f^ranfreic!^  unb  (Snglanb.  SBir  fjaben  l^ier  fiiturgie,  ©ebet, 
©oframente,  SBaKfalirten,  nur  ®ott  fe^It;  ftatt  feiner  roirb  in  ben  ®ebetcn,  oud^ 
in  ber  Sefung  ber  Imitatio  Cliristi,  „9Jienfc^^eit"  gefegt. 


344    I-33uc^:  SJietap^^fü.  2.  Äo^itel:  3)a§  !ogmoIogi|cf)4^eoIogifc^e  <ßrobtcm. 

@r  finbet  in  ben  ©ütern  unb  ©eftolten  ber  (Srbe,  ber  erfotirfiaren 
SSirüic^feit,  nic^t  öoHe  ©ättigung;  e§  fommen  trenigftenS  ©tunben,  tüo 
oHeS  Si^bifd^e  unb  3^itlitf)e  tf)m  gering  unb  !(ein  ttjirb,  wo  bie  ©ef)n= 
fud^t  nad^  einem  ©tüigen  unb  Unbergönglidien  i^n  ergreift.  Unb  nic^t 
bloB  bem  ©emüt,  oud)  bem  Snteüeft  mirb  bie  gegebene  2öir!(id)feit  ju 
enge:  tt)enn  bu  nun  Ujirüid^  olle  SBiffenjdjoft  UJÜ^teft,  tüenn  bu  auf 
alle  Strogen,  um  tt)etd^e  bie  ©efd^icfit^funbigen  unb  bie  Slaturforfdjer 
fic^  ra[tIo§  bemüt)en,  bie  Stntmort  tjätteft,  inaS  märe  e§  ©rofeeS?  SenfeitS 
be§  SSi^baren  unb  Sßorfteltbaren  unb  (Sagbaren  i[t  ha^  SBirüic^e  unb 
SSolüommene.  (Seltener  a(§  in  ben  STagen  3^anft§,  ber  fpefulatiüen 
^t)iIofopt)ie  unb  ber  9ftomantif,  manbeln  ben  l^eutigen  SJ^eufd^en  joldje 
Stimmungen  an;  ha§>  ©enügen  im  9läd)ften  unb  kleinen  ift  für  ben 
©eift  ber  ©cgenmart  be^eid^nenb.  (S§  mar  e§  and)  für  ba§  ßeitalter  ber 
Stuftlärung;  ^lar^eit  unb  9^ü^tic^feit  tnar  feine  ^reube.  Slber  ber 
^enbelfd^tag  be§  gefdjid)ttid)en  £eben§  bradjte  auf  bie  Hufüörung  ©turnt 
unb  ®rang,  Stomantif  unb  9J?t)fti!.  §at  öielleid)t  aud)  ^eute  ba§> 
^enbel  fd)on  feinen  äuBerften  ^un!t  erreicht  unb  ift  im  S^üdfc^mung 
begriffen?  S)ie  Überfd)ä^ung  menigften§  ber  miffenfc^oftüd^en  3^orfdE)ung 
unb  if)rer  Seiftungen  bürfte  ifjren  ^öf)epunft  überfdjritten  f)aben;  unb 
bie  S3emunberung  ber  Üxeatpoüti!  fd^eint  aud)  merHid)  nadjäulaffen.  (Sin 
SSerlangen  nac^  einem  neuen,  reid^eren,  freieren,  geiftigeren  Seben§in^a(t 
fc^eint  fid),  nad)  mand)en  (St)mptomen  gu  urteilen,  in  ben  3}öl!ern  be§ 
3tbenblanbe§  mieber  §u  regen:  bie  ©e^nfudjt  nad)  leitenben  Sbeen,  bie 
(Se{)nfud^t  nac^  Üleügion .*)  9)?ag  fid)  ber  ©eift  geitmeilig  an  ha§> 
3eitlid)e  unb  S3ergänglid)e  ganj  gu  öerlieren  fdjeinen,  e§  fommt  bie  ^^it, 
mo  er  aß  ber  ®inge,  benen  er  atemtoS  nadjjagte,  mübe  mirb,  tt)o  er, 
geföttlgt  öon  9iationaIreid)tum  unb  prunfenbem  @enuB,  öon  D^u^m  unb 
allgemeiner  S3i(bung,  fid)  mieber  auf  fid)  felbft  unb  baS:  ©mige  befinnt. 

%o^  ift  e§  jebem  eingeboren, 
2)o§  fein  ®efü^t  :^inauf  unb  tjortt)ärt§  bringt, 
SÖSenn  über  un§,  im  blauen  9toum  öerloren, 
S^r  fd^metternb  Sieb  bie  Serd)e  fingt, 


*)  ®oB  %  bc  Sog orbe§  ®eutfcf)e  ©d)riften  (3.  ?tufl.  1891)  burdijubringen 
beginnen,  ift  ein  foldieg  ©l)mptom;  ber  5ltem  ber  ^ufunft  ift  in  it)nen.  ®a§  l^orte 
Urteil  über  bie  Sattfieit  ber  ©egenföart  im  ©emeinen  unb  Steinen  berüt)rt  roie 
ber  f)erbe  Suftjug,  ber  bem  Stufgang  ber  ©onnc  üort)erget)t. 


11.  ®o§  9Seri|ältm§  oon  SBiffen  unb  ©tauben.  345 

9Benn  übet  fc^roffcn  i^irf)tenf)ül)en 
®er  Stbter  ausgebreitet  jc^luebt, 
Unb  über  glücken,  über  ©een 
®er  Sranicf)  nod^  ber  §eimat  ftrebt. 

Sn  bicjem  ©inne  i[t  bie  Dleligion  mit  ^f)i(o)opf)ie,  ©laubcn  mit 
freieftem  2)en!en  üereinbar.  Ü^eügion  forbevt  nidjt  §u  benfen,  \va§> 
nid)t  gebockt  tüerben  fann,  fonbern  ju  glauben,  luaS  bem  ©ernüt,  bem 
SSiUen  entjpridjt,  bem  SDenfen  nirf)t  miberjpvidjt.  — 

SBotjer  tommt  benn  ober  ber  flaffenbe  SBiberjpruc^  ätüijc^en  bem 
©tauben  unb  ber  SBiffenfc^aft,  gttjifdjen  ben  iüirflid)en  Über;\eugungen 
unb  bem  9fteIigion§be!enutni§,  ber  bie  grofee  Äranff)eit  unjerer  ^dt 
au§mad)t?  Cffenbar  bot)er,  baB  au§  ber  9ieIigion  ein  pjeubo= 
tt)iffenfc^oftti(^e§  ©t)[tem  gemad)t  ift,  unb  für  beffen  ^ormeln  unbebingte 
SInerfennung  geforbert  lüirb.  @egen  bie  Unteriüerfung  unter  fo[d)e  oon 
9J?enjdjeni)änben  gemad)te  Dogmen  letjut  fid^  ber  ^reiljeitSfinn  unb  ha§ 
empfinbtidjere  tt)eoretijd)e  ®en)iffen  ber  9^eu§eit  auf.  (Sine  ölte  9^ebe 
fdliebt  ben  Unglauben  auf  ben  f(^ted^ten  SSitlen,  ber  fid^  ber  f)eilfameu 
3ud)t  nidjt  unterrtjerfen  wolle.  ^ie(Ieid)t  fommt  audj  fo  etwas  oor. 
Slber  ba§  wäre  mutwillige  (Selbfttäufdjung,  wenn  man  auf  biefe  Urfad^e 
alle  (Sntfrembung  oon  ber  ^irdje  unb  allen  Söiberftaub  gegen  ben 
©lauben  fd)ieben  wollte.  ®aran  glaubt  auBerf)alb  ber  engen  Greife, 
in  benen  jene  9^ebe  l)erüorgebrad)t  ift,  längft  niemaub  met)r,  bafe  nur 
fd)led)te  Si)?enfd;eu  im  fird)lic^en  Sinn  ungläubig  finb;  alle  SBelt  wei§, 
hü%  faft  oHe  bie  SOMuner,  bie  unfer  Söol!  al§  feine  geiftigen  ^üt)rer 
unb  al§  gute,  wal)rl)afte  unb  tapfere  9J?änuer  oereljrt,  ha^  ®oett)e  unb 
@d)iUer,  Äant  unb  ^ic^te  —  unb  weld^en  DIamen  müfete  man  Ijier 
ni(^t  nennen?  —  ben  firdjlid^  Ungläubigen  ^uju^ä^len  finb. 

5(lfo  uidjt  l)ier  liegt  bie  Urfadje  ber  weitoerbreiteten  5lbueigung 
gegen  9ieligion  unb  Ä^irdfie;  fie  liegt  barin,  bafe  im  92amen  ber  ^Religion 
Unterwerfung  nid;t  unter  ©otteS  ©ebot,  fonbern  unter  9JJenfd)enfa^ung 
geforbert  wirb;  ha§>  93e!enntni§  erfdjeiut  al§  ein  Sod),  ben  ©e^orfam 
gu  prüfen,  al§  ber  SSeg  gum  praemium  servitutis,  ju  5Imt  unb  Se= 
förberung.  '^a§>  erzeugt  ben  .spafe.  5)ie  Ijeiligcn  @dE)riften  müßten  ja 
für  jeben,  ber  Sinn  für  ha^  @infad)e  unb  SSatjre,  für  ba§  ®roBe  unb 
©rtjabene  Ijai,  an^ieljeub  unb  erbaulid)  fein.  3Sa§  fie  fo  manchem  gteic^= 
gültig  ober  oerlja^t  mac^t,  ha^  ift,  ha^  man  fie  il)m  nidjt  ju  freier 
5tneignuug  be§  it)m  ÖJemäBen  überlädt,  fonbern  il)u  mit  ber  gorberuug 


346    i-  33ud^:  S!Jietap^t)fi!.  2.  Äapitel:  ®og  fogmologifc^-tfieotogtfd^e  Ißroblem. 

bebrängt,  barin  inspirierte,  bucfjftäMic^  ttia^re  93elet)rungen  über  nQtür= 
üd^e  unb  f)i[torifd)e  ^t)at^c^en  ju  fef)en.  SJian  ben!e  an  bie  ßage  ber 
öielen  Xaufenbe  öon  ße^rern,  bie  täglid)  bie  'i^ein  leiben,  leljren  gu 
ntüffen,  ttJo§  fie  nirf)t  glauben,  unb  nid)t  jagen  gn  bürfen,  ira§  fie 
beuten.  2)ie  alten  ft)mboIifdjen  .^aubluugeu,  ge{)eiligt  burc^  bie  (Sf)r= 
furdjt  ber  3al)rtaufenbe,  müßten  ja  jebem,  ber  aud)  nur  für  gejd)ic^t= 
Iid)e§  Seben  8inn  l^ot,  e^rtoürbig  unb  l^eilig  jein;  fie  fiub  unerträglirf) 
geworben  burc^  polijeilidien  ß'manQ  unb  gubringlidje  33orfdjriften  über 
has^,  inaS  man  babei  beuten  unb  empfinben  foll  ober  nidjt  barf.  ®a§ 
@Iauben§befenntni§,  aU  freies  58e!enntni§,  ha^  man  ber  großen  burc^ 
bie  Scif)rtaufenbe  gef)enbeu  fittlid)en  ßebenSgemeiufdjaft,  bie  in  3efu§ 
ben  Sringer  be§  §eil§  fieljt,  angeboren,  in  itjr  (eben  unb  fterben  UJoHe, 
tt)ürbe  SEaufenben  au§  ber  ©eele  fommen,  bie  if)m  nun  mit  Mi^' 
trauen  unb  Slbneigung  gegenüber  fteljen,  meil  man  bie  brei  Strtifel 
i^nen  a(§  Ä'inbern  burdj  StuSmenbigternen,  al§  ^noben  burd)  ©rüären, 
al§  Sünglingen  burdj  5tbnötigung  be§  öffenttidjen  33e!enntniffe§  5u= 
tüiber  gemalt  t)at. 

'  ®er  ©laube  ift  feiner  9^atur  nad)  bie  gartefte,  freiefte  unb  inner= 
Iid)fte  2eben§bet()ätigung.  ©ie  ftirbt  ab,  wo  S^ötignug,  93Zenfd)en= 
furdjt  unb  ^otiti!  in§  ©piet  fommen.  Sa§  ift  bie  offenbarfte  aller 
2öa:^rl^eiten,  bie  bie  ®efd)id)te  ber  abenblänbifc^en  33blfer  (ef)rt,  frei(id) 
eine  2Saf)rf)eit,  bie  ben  politifdjen  äJJenfdjen  f dinier  eingebt:  inaS  fi3nnen 
tüir  benn  t^un,  um  bem  ^olt  bie  Ü^etigion  §u  ert)alten?  —  Sc^  t^eife 
es  maljrlid;  nidjt,  e§  fei  benn  bie§,  ha^  if)r  bei  ber  ^^rage  ber  (Er- 
haltung ber  Üietigion  an  endj  fetbft  §uerft  benft. 


weitem  ^uc^. 


Die 


^infeifenöe^. 


Sie  erfenntnistfieoretiicfjen  fragen  [teilen  gegenlüärtig  —  ober 
üielleirf)t  barf  mau  f(i)on  jagen,  [tanben  bi§>  nor  fursem,  beim  ein 
Umfdjlüung  i[t  in  le^ter  ^dt  unöerfennbar  —  im  2)littelpunft  be§ 
pt)iIojopf)ifrf)en  SntereffeS.  Sie  f)atten  bie  5(ufmerfjam!eit  üon  ben 
metQpl)i)fifdjen  Strogen  oielfadf)  gang  abgelenft;  manchen  j(f)ien  bie  5Iuf= 
gäbe  ber  ^()iIoiopf)ie  in  (Srfenntni»t()eorie  überl)anpt  aufjuge^en. 
9Jiinbeften§  aber,  glaubte  nion,  muffe  aüen  meiteren  (Erörterungen 
bie  er!enntni§tf)eoretifd^e  Unterfucfjung  ber  ^^ä^igteiten  unb  ©renken  be§ 
(Sr!enncn§  öoraufgef)en. 

SDie  ©efdjidjte  ift  nid)t  biefen  2Beg  gegangen.  S)ie  ^f)iIofop^ie 
t)at  überalt  mit  9}Zetapt)t)fif  begonnen;  fragen  nad^  ber  ©eftalt  unb 
©ntfte^ung  be§  Unioerfumg,  nad)  'dlatm  unb  Urfprung  be§  ©eienben, 
nad)  bem  SSefen  ber  Seele  unb  i()rem  5öer()ältni§  §um  ^eibe  bilben  bie 
erften  ©egenftönbe  be§  pt)itofopt)ifd)en  9hd)ben!en§.  (Srft  nadj  langer 
93efd^äftigung  mit  foId)en  Strogen  tritt  bie  ^^rage  nac^  bem  SBefen  be§ 
(£r!ennen»  unb  feiner  9Jiögtidjfeit  überfjaupt  ^erüor.  @ie  mirb  ^eröor- 
getrieben  burdj  bie  äiuiefpältigen  ?(nfid)ten,  auf  meldje  ba§  9Zad)benfen 
über  bie  pf)i)fifc^en  unb  metapf)l}fif(^en  fragen  fü^rt.  3)er  ß^^iefpalt 
brängt  bie  ^^^age  auf:  ift  e§  bem  menfd)(ic^en  55erftanbe  überf)aupt 
mögtid),  jene  O^ragen  §u  löfen?  3)ie  (Srfenntni§tt)eorie  entrt)idelt  fid) 
al§>  fritifdje  9flef(ej:ion  über  bie  9JJetap{)t)fif.  ©o  ift  ber  @ang  ber  Ö)e= 
fd)id)te  im  5Utertum,  fo  mieber  in  ber  Sileujeit. 

®ie  griedjifdje  ^^tIofopf)ie  beginnt  mit  !o§moIogifd)  =  natur= 
p^ilofopt)ifd)en  @pe!uIationen.  5)ie  ionifd)e,  bie  eleatifc^e,  bie  atomiftifd;e 
^^ilofop^ie  finb  in  erfter  Sinie  metapt)l}fifd)e  @i)fteme.  (S§  fef)It  nid)t 
an  einer  5tnfid)t  über  ha§>  SSefen  unb  ben  Urfprung  ber  (Sr!enntni§, 
aber  fie  bleibt  abljöngig  oon  ber  9J?etapt)i)fif.  Unb  ätjulid^  fte^t  bie 
<Bad)t  in  ben  großen  begrifflid)=fpefulatiöen  ©i)ftemen  be§  ^tato  unb 
§triftote(e§;   bie  ©rfenntni^tl^eorie  fel^tt   nid)t,   aber  fie  n)irb  gteidjfam 


350    n.  SBud):  (gr!enntm§t^eor.  «Probleme.    1.  ÄQpttel:  ®a§  «ßroblem  be§  SBejenä. 

öom  (Stanbpunft  ber  SJJetap'^ljfif  bef)anbelt:  ha§>  (Srfennen  finbet  fid^ 
aud^  in  ber  Sßirftic^feit,  iinb  fo  ent[tef)t  bie  SIufgaBe,  jeinen  Crt  ju 
befttmmen.  ßrft  in  ben  jpäteren  afabemifi^en  unb  jfeptif(^en  Scfjulen 
tritt  bie  {^i^QQ^  «öd^  ber  3J?5g(id)feit  be§  @r!ennen§  unb  ber  @ett)iBf)eit 
in  ben  SSorbergrunb,  nad^bem  fie  juerft  öon  ben  ©opfjiften  allgemein 
gefteüt  tüax. 

(gbenfo  beginnt  bie  moberne  ^{)i(ofopf)ie  mit  metapt)t)jifrf)en 
©t)ftembilbungen;  ha^  fieb§ef)nte  Saf)rf)unbert  mit  jeinen  großen 
©tjftematifern,  5)e§carte§,  §o6be§,  ©pino^a,  Seibnij  gleirf)t  borin  bem 
fünften  3Q'§rl)unbert  ü.  ß^r.  Hucf)  f)ier  fe^It  bie  er!enntni§t^eorie 
nid^t,  über  fie  njirb  üom  @eficf)t§pnn!t  ber  9JJetapf)t)fif  fonftrniert.  SDiit 
S.  ß  0  c!  e  §  3Serfuct)  über  ben  menfc^lidjen  3Serftanb  njirb  bie  (Srfenntni§= 
t^eorie  fetbftänbig;  fie  entfte^t,  wie  bie  ^ßorrebe  ju  biefem  SSerfe 
§eigt,  at§  fritifcf)e  9^ef(ei-ion  über  bie  9JJetap^i)fit  ^unädift  über  bie 
l[)errf(^enbe  @cf)ulmetapf)t)fif,  bie  mit  if)ren  leeren  S3egriffen  ben  SSerftanb 
berbunfelt  unb  bie  ©rfenntnis  ^emmt,  hod)  aud^  über  bie  9}?etap!)t)fi! 
ber  mobernen  @t)fteme,  befonberS  be§  ®e§carte§.  S^r  ^id  ift,  bie 
©egenftänbe  möglicher  (Sr!enntni§  ju  ermitteln  unb  bie  ©renken  ber 
(Sr!enntni§  ob^uftetfen;  möglicher  SSiffenfdjaften  finbet  fie  üier:  9}Zatf)e= 
mati!  unb  9}?oraI  al§  bemonftratitie,  ^^t)i)fi!  unb  ^^ft)c^oIogie  oI§  er= 
faf)rung§mäBige  2[öiffenfrf)aften.  gür  9l)?etQp{)i)fit  ift  eigentlid)  fein  9?aum, 
menn  man  nid^t  eben  bie  üieftejion  über  bie  @rfenntni§  barunter  t)er= 
ftefjen  miß.  5(n  ßode  fcf)tieBt  ficf)  3).  ,g)ume.  Sn  ber  franjöfifd^en 
^^iIofop!C)ie  ift  5(.  d  o  m  t  e  ber  ^auptoertreter  biefer  2tnfirf)t,  nad)  if)m 
mirb  fie  ^ofitiüiSmuS  genannt.  ®er  beutfc^en  ^^ilofopfjie  ift  fie,  nic^t 
o^ne  beträd)tlic^e  Umbilbungen,  burd)  S-  ^ant  angeeignet  morben, 
fie  ^ei^t  bei  it)m  ^ritijiSmnä.  ®er  neuen  9J?etap^i)fif,  me(d)e  ouf  er* 
fenntni§tt)eoretifc^er  ©runblage  üon  ber  fpefutatiüen  ^^r)ifofopf)ie  auf^» 
gerichtet  mürbe,  fomie  il^rem  9iarfjfoIger,  bem  bogmatifd)en  SOZoteriati§= 
mu§,  ift  bann  in  bem  5J?eu!antiani§mug  mieber  bie  fritifc^e  Sfteftejion 
ber  (Sr!enntni§t^eorie  gefolgt. 

©ine  Einleitung  in  bie  ^f)iIofopf)ie  ift  barauf  ^ingemiefen,  ben 
f)iftorifd)en  2öeg  jn  ge()en  unb  mit  ber  9J?etap^l)fi!  ju  beginnen,  '^^a^n 
!ommt,  ha^  für  ba§>  allgemeine  Qntereffe  bie  9}?etapl)t)fi!  immer  bie 
erfte  ©teile  einnef)men  mirb.  Übrigens  bin  id)  ber  Hnfidjt,  ha^  bie 
metapl)t)fifd)en   fragen   auf  jeben  galt   eine   felbftünbige   53et)anbtung 


(Sinleitenbeg.  351 


erforbern  unb  nid^t  bitrcf}  erfenntni§t^eoretifd^e  (Srträgungen  erje^t 
lüerben  fönnen;  fie  fef)ren,  wo  man  e»  tierfu^t,  unter  anbevem  Xitd 
unb  in  unbequemerer  Raffung  n^ieber.  ^ant  f)Qt  ber  beutfi^en  ^f)i(o= 
fopf)ie  fein  gute§  Seijpicl  bamit  gegeben,  ber  er  ber  9}ietQp!^i)[if  bie 
(Setbftänbigfeit  genommen  unb  fie  in  bie  erfenntnilt^eoretifcfje  Untere 
jud^ung  ^ineinge^tuängt  t)at;  bie  ?}rageu  ber  ^^ftjc^ologie,  SloSmotogie 
unb  ^f)eo(ogie  njerben  in  ber  ^iatefti!  mef)r  beseitigt  unb  abgen:)iefen, 
al§  be^anbelt  unb  geloft. 

Srf)  Witt  im  f^olgenben  b(o§  ein  paar  Umriffe  erfenntni§= 
ttjeoretifc^er  93etrQdjtung  geben,  fo  öiel  all  mir  erforberlic^  unb  Qui= 
reidjenb  erfdjeint,  über  bie  9catur  biefer  Unterfudjungen  im  allgemeinen 
ju  orientieren  unb  ber  öorauSgegangenen  metapljijfijcfjen  Se^anblung 
ber  pf)iIojopf)if(fjen  Probleme  bie  non  biefer  Seite  notiuenbigen  ©r= 
gän^ungen  ju  geben.  —  SSir  üergegenirärtigen  un§  §unärf)ft  bie  §aupt» 
Probleme  ber  @r!enntni§t^eorie  unb  if)re  mögtidjen  Söfungen. 

5(uf  ^n^ei  te^te  fragen  gefjen,  luie  fdjou  oben  (Seite  50)  an= 
gebeutet  ttjorben,  bie  erfenntni§tf)eoretifc^en  Unterfudjungen  f)inau§,  bie 
^rage  nac^  bem  SBefen  unb  bie  ^rage  nad^  bem  llrfprung  be§ 
(Srfennen§:  roa^  ift  (Srfennen?  unb  rt)ie  tt)irb  (Sr!enntnig  ge= 
ttjonnen?  Sebe  biefer  O^ragen  giebt  §ur  @ntftef)ung  eine§  großen  ®egen= 
fa|e§  ber  5tnfd^auungen  S^erantaffung:  SfieaülmuS  unb  SbealilmuS 
(^'^änomenati^muS)  finb  bie  beiben  entgegengefe|ten  ©runbformeu 
ber  Seantnjortung  ber  erften,  (Sulpirid mu§  unb  9iationa(i§mu§ 
ber  jtüeiten  g^rage. 

^uf  bie  ^rage  nad)  bem  Sßefen  ber  @r!enntni§  giebt  ber 
Ü?eaHlmu§  bie  2(nttt)ort:  (Srfennen  ift  5(bbilbung  ber  2Öitf(ic^feit, 
bie  93orfteIIung  ift  bem  ®ing  oollfommen  iifjulidj,  fie  ift  ein  alterum 
idem  be§  2)inge§,  nur  ofjne  bie  Singfjeit  ober  2Sir!Iic^feit.  —  ®er 
SbealilmuS  ober  ^{)änomenaIi§mu^  bagegen  bef)auptet:  ^or= 
fteüungen  unb  SDinge,  S)enfen  unb  Sein  finb  burc^au§  üerfdiieben  unb 
nöllig  unnergteid^bar. 

Sluf  bie  ^rage  nadj  bem  llrfprung  ber  (SrfenntniS  giebt  ber 
S  e  u  f  u  a  t  i  §  m  u  §  ober  (S  m  p  i  r  i  §  m  u  §  bie  5(nttt)ort :  atlcS  (Srf ennen 
entfpringt  au§  ber  233af)rne{)mung,  fei  e§  äuBerec  ober  innerer;  burd^ 
Kombination  öon  2Baf)rne^mungen  entftef)t  ©rfa^rung;  burd^  ©amm= 
hing   unb   Bearbeitung   ber  (Srfaf)rung  entfte'^t  SBiffenfdjaft.   —   3)er 


352    11.  aSuc^:  edenntniöt^eor.  Probleme.   1.  Kapitel:  2;a§  «ßrobtem  be§  38ejen§. 

9f?ationaH§mu§  bagegen  6et)auptet:  alle  eigentlidje  ober  njiffen« 
jd^afttidje  (SrfenntniS  entfpringt  au§  ber  ^öernunft,  b.  I).  ait§  immanenter 
(Sntlüicfelung  öon  Folgerungen  an§  urjprüngUd)  gelüiffen  ^rinjipien,  bie 
ni(f)t  ou§  ber  Srfa^rung  [tammen. 

3)a  jebe  @rfenntni§tf)eorie  auf  beibe  O^ragen  ontn^orten  unb  atfo 
5U  beiben  ©egenjä^en  ©tellung  nef)men  muf?,  \o  tx^alkn  tt)ir  ein 
oiergIiebrige§  ©(fiema  mi)glid;er  ©runbformen  ber  @rfenntni§t{)eorie. 
(g§  finb: 

1)  Üiealiftif rf)er  @mpiri§mu§;  feine  S3et)anptung  ift:  Ujir 
ernennen  bie  3)inge  bnrrf)  bie  SBat)rnet)mung,  tt)ie  fie  an  fid)  felber 
finb.  —  @§  ift  bie  Stnfdjanung,  bie  ber  gemeinen  SS  o  r  ft  e  11  u  n  g 
am  näd)ften  fommen  bürfte. 

2)  9tea(iftif(f)er  9iationaIi§mu§;  feine  93ef)ouptung  ift: 
lüir  ertennen  bie  Singe,  mie  fie  finb,  aber  nic^t  burc^  bie  (Sinne, 
fonbern  nur  burc^  bie  58ernnnft.  —  (S§  ift  bie  5(nfc^üuung,  bie  ben 
großen  metapr)t)fifdjen  ©tjftembilbungen  eigen  ift:  ^toto,  ©pino§o, 
§  e  g  e  I  bef)aupten  olle  eine  abäquate  @rfenntni§  ber  SSir!lid)feit  buri^ 
Vernunft. 

3)  Sbeatiftifdier  ©mpiriSmuS;  feine  93e^au|)tung  ift: 
tüir  n)iffen  um  hk  Singe  nur  burdj  2G3at)rne|mung,  freitid)  giebt  biefe 
!eine  abäquate  (Srfenntni§.  —  (S§  ift  bie  er!enntni§tt)eoretifc^e  ^ritif 
ber  rationatiftifc^=metapI)t)fifd)en  ©l)fteme,  tt)eldjer  biefe  5tuffaffung  an= 
ge{)ört;  §ume  ift  i^r  fonfequentefter  5ßertreter. 

4)  Sbealiftif d)er  üiationaliSmuS;  feine  S3e^auptung  ift: 
n)ir  tonnen  bie  SSirf(id)!eit  a  priori  burd)  reine  53ernunft  erfennen, 
freitid)  nic^t,  loie  fie  an  fid)  ift,  fonbern  nur,  loie  fie  un§  erfd^eint,  unb 
gttjor  nur  ber  gorm  nac^.  —  Sa§  ift  bie  5tnfd)auung  ^ant§. 

^on  ben  @ef(^id)t§fd)reibern  ber  ^t)iIofopf)ie  pflegt  nod)  eine  ^orm 
ber  @r!enntni§t^eorie  aufgefiit)rt  jn  tüerben:  ber  @feptiäi»mu§; 
feine  33et)auptung  fei:  wir  fönnen  überf)oupt  nid)t§  erfennen.  ,^in 
unb  loieber  giebt  fid)  aud^  nod)  jemanb  bie  SUJü^e,  biefe  5(nfid)t  gu 
iniberlegen.  ®§  fdjeint  mir  überflüffige  W^^.  SSenn  e§  jemals 
irirfüd^en  @!epti§i§mu§  gegeben  I)at,  fo  ift  er  bod^  in  ber  DZen^eit 
auSgeftorben.  (£§  giebt  f)ier  feinen  ^(}iIofopt)en,  ber  baran  ätt'eifelte, 
ha^  e§  tt)irf(id)e0  SBiffen  giebt,  ta^  \\d)  oom  Slid^tnjiffen  unterfc^eibet. 


(Sinleitenbeg.  353 


Tlan  pflegt  auf  §iime  q(§  SScrtreter  be§  ©fepti§i§mu§  f)inäulüeijen. 
|)ume  fpielt  ollerbingS  mit  bem  ^(uöbnic!,  er  ift  burrf)  bie  W}^- 
üerftänbniffe  feiner  5luffaffung  tjinlänglic^  bofür  geftroft  tuorben;  e§  ift 
if)m  ober  nie  eingefallen  ju  behaupten,  e§  gebe  feine  äBiffenfc^aft.  (Sr 
f)ot  nur  bef)auptet  einerfeit§,  bafe  bie  notürIid)e  ST^eotogie  mit  it)ren 
SSeroeifen  be§  S)afein§  ®otte§  unb  ber  Unfterblirf)!eit  ber  ©eele  feine 
SSiffenfc^aft  fei;  onbererfeitS,  boB  e§  unmögtid)  fei,  oon  St^atfacfjen 
anber§  al§  burd)  (Srfatjrung  ju  miffen,  unb  bafe  e§  eben  barum  feine 
allgemeine  unb  notmenbige  @rfenntni§  öon  Xfjatfacfjen  geben  fiJnne.  — 
e§  ift  ilant,  ber  §ume  jum  (gfeptifer  geftempelt  f)at,  gegen  ben  er  bie 
2öiffenfd)aften  ober  bie  a«i3güd)feit  ber  aKetapf)l)ftf,  ber  ^^^fif  unb 
felbft  ber  'i)3ktf)ematif  retten  muffe.  3Bag  bie  reine  ajJatliematif  an= 
langt,  fo  beruf)t  ^ant§  Urteil  über  §ume§  ©feptigi^muS  auf  reinem 
9JüBt»erftönbni§;  ma§  bie  9Jietap^t)fif  anlongt,  fo  oermirft  er  nic^t 
minber  at§  §ume  bie  rationale  ^t)eologie,  to^mologie  unb  ^ftjdjologic. 
e§  bleibt  bie  ^fjQfif;  f)ier  geben  beibe  §u,  e§  giebt  eine  foId)e  äöiffeu= 
fdjaft;  oerfdjieben  ift  nur  bie  2(nfid)t  über  bie  ^^orm  unb  bie  9iatur 
ber  ©etui^f^eit  i^rer  (Sä|e:  ^ant  meint,  e§  feien  barunter  abfolut  aH= 
gemeine  unb  notmenbige  @ä^e  (fQntI)etifd)e  Urteile  a  priori),  mäfjrenb 
^ume  auc^  bie  ©runbfä^e  nur  aU  auf  ©rfo^rung  ruf)enbe,  präfumtio 
oügemeine  (Sä^e  gelten  laffen  mü;  ein  Unterfc^ieb  ber  STnfic^ten,  ber 
nidjt  smedmälig  burd;  ben  ^u§brud  bejeidinet  mirb :  §ume  leugne  bie 
9)?i3gnd)feit  ber  ^^i)fif  überfjaupt. 

(Soüiel  id;  fe^e,  ftet)t  e§  mit  ben  übrigen  fogenonnten  ©feptifern 
äf)nUd);  fie  leugnen  nidjt  bie  ajJöglic^feit  ober  ba§>  ®afein  ber  2Siffen= 
fc^aften,  fonbern  betonen  nur  bie  Sefc^ränftfjeit  unb  Ungemifef)eit 
menfc^Iidjer  3Biffenfd)oft,  oergüdjcu  mit  einem  möglichen  Sbeat  ber 
@rfenntni§,  mie  e§  in  einem  gijtttidjen  ©eift  2Birf(id)feit  f)aben  mag. 
S)er  ©fepti^igmug  innerf)alb  ber  mobernen  ^f)iIofopf}ie  rid)tet  fic^ 
überoU  eigentüd)  gegen  bie  5lnmaBungen  ber  tranfcenbenten  ©pefutotion; 
er  jeigt  ein  boppeIte§  ©efidjt,  fofern  er  entraeber  ben  retigiöfen  ©tauben 
ober  bie  empirifc^e  govfdjung  gegen  bie  Übergriffe  ber  ©pefulation 
oerteibigt. 


*15  a  u  l  i  e  n ,  (Siiileitung.    6.  ^lufl.  23 


€rftes  Kapitel. 


1.  ®ie  tbcaltfttfcfic  ©ebanfcnrct^c. 

3um  5(u§gant35punft  nef)men  4üh  audf)  t)ier  bie  gemeine  3Sor= 
fteßung.  3f)t  @tanbpunft  ift  ein  na  in  er  9Rea(i§mu§.  ©ie  ift 
überzeugt,  ha^  nnjere  5^orftetIungen  ben  fingen  gleichen,  rt)ie  Kopien 
ben  Driginofen,  nämlirf)  bie  tt)af)ren;  bie  falfcf^en  finb  eben  barum  falfc^, 
ta^  fie  nicfjt  treue  5(66ilber  be§  2ßir!Iid)en  [inb.  (S§  befinben  unb  6e- 
njegen  fid)  alfo  brausen  im  9Raum  Körper,  fie  finb  au§gebef)nt,  unburrf)= 
bringlic^,  ^oben  ©eftolt,  g^arbe,  @ejd)ma(f,  @eruc^  u.  f.  ft).;  a[k§>  ba§ 
finb  obfotute  (Sigenfrf)Qften,  bie  fie  burrf)  bie  (Sinne  unferer  3SorftelIung 
gfei(f)fam  etnbrücfen. 

SDie  ern^adjenbe  9'?efle;rion  füf)rt  gu  allerlei  3^^'^it^^^-  ®i^  @inne 
täufc^en,  tt)enigften§  gutueilen,  ber  (Stab  im  SBaffer  erfcfieint  bem  2(uge 
gebrod^en.  ^ier  !orrigiert  ber  ^ioftfinn  bie  2;äufd)ung,  irer  fontrottiert 
aber  ben  Xaftfinn?  ^er  ?^ieberfranfe  fief)t  unb  f)ört  ^inge,  bie  nic^t 
finb,  aber  i^m  finb  bie  -öaüuäinationen  SBa^rnetjmungen.  5J)er 
5:räumenbe  glaubt  an  bie  SBirüidjfeit  beffen,  nja§  ber  j^raum  i^m 
tiorgaufelt.  2öo  ift  ha^  Kriterium,  an  bem  man  .^aüujinationen  unb 
Iräume  oon  tüirÜid^en  SBaf)rne()mungen  unterfd)eiben  fann?  STer 
^ieberfranfe  f)ä(t  ficfj  ja  nic^t  für  frau!,  unb  ber  Xräumenbe  ttjeife 
nichts  babon,  ta'^  er  träumt;  jo  e§  gefi^iel^t  njo^t,  baB  man  träumt: 
bie^mal  ift'§  aber  borf)  fein  j^raum,  hü^  id)  fliege  ober  einen  (5cf)a^ 
finbe,  fonbern  mirflid)e  3SirfIic^!eit.  —  Cber  ha§>  begrifftid^e  teufen 
le^nt  fi^,  um  fein  beffereS  9ftec§t  barjuttjun,  gegen  bie  finnlirf)e  2öa^r= 
nef)mung  auf;  bie  33emegung  ift  nirf)t  benfbar,  argumentiert  3^"o, 
alfo  fann  fie  and)  nic^t  mirflicf)  fein;  e§  mü^te  ein  £i3rper  benn  jugleic^ 
an  einem  Orte  fein  unb  aud)  nid)t  fein  fönnen.     Sltfo  täufd;en  un§ 


1.  S)te  ibealiftifd^e  ©ebanfenreil^c.  355 


bie  ©inne,  bie  uti§  bie  SBorftellung  ber  93eh)egung  geben.  Unb  ^toto 
nimmt  ba§  2(rgnment  auf:  at§  n^erfaenb  unb  oergetjenb  ftellt  bie  2SQ{)r= 
nef)mung  bie  2Birf(id)feit  bar,  b.  f).  qI§  jugleic^  jeienb  unb  nic^t  feienb. 
S)Q  ba§  nidjt  gebQrf)t  werben  fann,  fonn  e§  aud^  nid^t  mirflid^  fein; 
folglid)  ift  bie  gan^e  finnlidje  5(nfid)t  ber  3)inge  eine  gro^e  3;äufd)ung. 
2ßaf)rf)eit  ift  nur  im  begriffüd^en  ^enfen,  \)a§>  e§  mit  unoeränberlidien 
fingen  gu  tf)un  l^at,  mie  bie  äKat^ematif. 

Sn  ber  Sieugeit  finb  an  bie  ©teile  foldier  Q^einerfrogen  unb 
bioleüifdjen  SIrgumente  bie  auf  @  i  n  n  c  §  p  f)  t)  f  i  o  I  o  g  i  e  beruf)enben 
©rmägungen  über  ben  ßf)arafter  ber  normalen  3Sat)rnef)mung  getreten. 
(Sie  I)aben  ben  nainen  9?eali§mu§  ooüftänbig  gerftört.  Wan  fann  fie 
etma  fo  fd^ematifieren.  SBir  nennen  eine  9^o^rung  gefunb,  eine  grud^t 
n)oI)Ifd)medenb.  SSa§  {jeißt  ha^?  ift  bie  @efunbf)eit  in  ber  S^afjrung 
ober  ber  2öof)(gefd)mad  im  5lpfet?  Offenbar  nid)t,  ha^  fielet  aud)  ber 
gefunbe  SOienfdjenöcrftanb,  fonbern  in  bem,  ber  i^n  i^t;  in  bem  Stpfel 
ift  nur  etma  eine  Äraft,  ben  @efd)mad§finn  fo  ju  affigieren.  22Sir 
nennen  ben  ßucfer  fü^;  liegt  bk  Bad)t  f)ier  onber^*?  SSielleic^t  n^irb 
bie  gemeine  $ßorfteIIung  {)ier  bebenüic^:  ber  ^ndtx  ift  bod)  njirflid^ 
f eiber  fü§.  —  greilidf)  ift  er;  aber  tt)o§  bebeutet  ha§>?  2ßenn  if)r 
genauer  jufel^t,  hod}  nid)t§  anbere§  al0:  n)enn  er  auf  bie  ^VLXiQt 
!ommt,  fd^medt  er  fü^.  SBenn  er  nid^t  füfe  fd)medte,  würbet  il^r  nid)t 
fagen,  er  fei  fü§.  2)a»  Sc^meden  ober  ift  bod)  inieber  nidjt  in  bem 
3uder,  fonbern  in  eud;;  in  if)m  mog  eine  ^raft,  eine  93efd)affen^eit 
fein,  ftield^e  mad^t,  ha'B  il)r  biefen  ©efd^mad  f)abt.  @öbe  e§  über= 
f)aupt  feine  3ii"9^'  fo  fd^medte  and)  nidE)t§  n^eber  fü§  noc^  bitter, 
fo  gäbe  e§  ©ü^igfeit  unb  93itterfeit  überf)aupt  nidijt  auf  ber  SSelt. 
Unb  baSfelbe  mxh  nun  auc^  oon  ben  Dualitäten  gelten,  meldte  Sluge 
unb  O^r  ma'^rnel^men.  (SJäbe  e§  !ein  OI)r,  fo  gäbe  e§  feine  Xöne, 
fttäre  fein  5Iuge,  fo  ft)ären  Sid^t  unb  Sorben  nid^t.  2:en  SJ^ingen 
fann  man  nur  eine  $Befd^affenI)eit  ober  eine  ^raft  jufd^reiben,  bie 
(Sinnesorgane  fo  §u  erregen,  bo^  in  bem  S3en)ufetfein  biefe  ©mpfinbungen 
entftel)en.  Unb  biefe  ^raft  !^at  ja  bie  moberne  9laturmiffcnfd)aft  er= 
mittelt:  mir  niiffcn,  ba§,  ma§  bie  2!onempfinbung  ^erüorruft,  ift  eine 
njeüenfijnnige  Semegung  ber  Suft  ober  eine§  onberen  elaftifdien  9J?e= 
bium§;  ba§,  n)a§  bie  Sid)tempfinbung  erregt,  ift  bie  oSjiüatorifdie  S3e= 
megung  be§  Slt^erg. 

23* 


356    II.  mä):  (5r!enntmgtf)eor.  «ßrobleme.   1.  tapitel:  ®a§  Problem  be§  SBefettg. 

§ier  pflegt  bie  er!enntni§tf)eoretifd^e  9^efIej:ion  gunörfjft  ^dt  ju 
mod^en,  toir  Rotten  bann  folgenbe  SSorfteüung.  2)ranBen  im  'Staum 
finb  5lörper,  fie  finb  ou^gebe^nt,  unbnrdjbringlid),  6ert)egüd),  mit  allerlei 
Gräften  ausgestattet.  9li(i)t  aber  gehören  if)nen  bie  Ouatitöten  ber 
@inne§empfinbung  a{§>  (Sigenfd^aften  an,  oietmet)r  finb  biefe  allein  im 
(Subjcft,  in  ben  ©ingen  finb  nur  bie  Prüfte,  fie  ^u  erregen.  Hub 
^n^ar  finbet  gwifcljen  biefen  5lräften  unb  ben  SBirfungen  burd)au§  feine 
5il)nlid^!eit  ftatt.  2)er  5^on  gleicht  nic^t  ben  ®rf)rt)ingnngen  ber  Suft, 
U)elcf)e  ben  ©el^örSneröen  erregen;  unb  fo  ift  haS^  2xd}t  ben  5(tt)ern)ellen 
nicfit  äl)nlid);  and)  ift  ha§:  ©rün  nic^t  ein  Stbbilb  ber  ^onftitution 
bes  ÄiJrperS,  ber  grüne§  Si(f)t  refleftiert.  ®ie  @mpftnbung§qualitäten 
finb  lebiglirf)  ©ijmBole  be§  2ßir!lid)en,  uic^t  anber§,  njie  S3udjftakn 
@t)mbDle  ber  Saute,  253i3rter  <B\)\nbok  ber  SSorftellungen  finb,  aber 
nic^t  ät)nlidje  Stbbitbungen. 

(S§  ift  bie§  ber  ©tanbpunft,  auf  bem  bie  er!entni§tf)eoretifc^e 
9?eflefion  bes  fieb^el)nten  SaljrIjunbertS  fte^en  blieb.  ®e§carte§, 
ÖobbeS,  ©pinoja,  Sode  !ommen  hierin  überein:  bie  finnlid^en 
Oualitäten  finb  nur  im  S3eJnuBtfein  be§  (Subje!t§,  brausen  aber  finb 
benjegte  Körper,  ttjoburd)  fie  erregt  ujerben.  Sode  l)at  biefe  Stnfd)auung 
in  ber  Unterfdjeibung  ber  primären  unb  fetunbären  Qualitäten  for= 
mutiert.  SDie  primären  Dualitäten  finb  Slusbet)nung,  Unburcl^bringlid)= 
!eit,  2eilbar!eit,  33emegung,  fie  fommen  bem  Körper  on  unb  für  fid^ 
gu,  tt)ie  fd)on  barau§  l)eroorget)t,  ba^  fie  allen  Körpern,  and^  ben 
fleinften  teilen,  unb  unter  allen  Umftänben  gufommen.  2)ie  fe!unbären 
■Dualitäten,  ftjie  g^arbe,  ©efd^mad,  @erud^  unb  äl)nlid)e§,  fommen  ben 
Körpern  nid^t  on  unb  für  fid)  felbft,  fonbern  nur  in  SSe^ietjung  auf 
unfere  ©innlid^feit  gu.  —  Slnf  bemfelben  ©tanbpunft  öerljarren  and) 
^eute  nod)  oiele  ^Ijljfiologen  unb  ^f)ilDfopl)en. 

Sd)  glaube  nid)t,  ta^  e§  möglich  ift,  l)ier  ftet)en  gu  bleiben. 
®ie  Uuterfdjeibuug  primärer  unb  fefunbärer  Dualitäten  lä^t  fid)  nidjt 
t)alten;  5lu§bel)nung,  ©olibität,  Settjegung  finb  ebenfo  inenig  abfolute 
33eftimmungen  ber  S)inge  wie  garben  unb  Zöm.  ©iefelbe  Setrad^tung, 
bie  un§  ba^in  fü^rt,  bie  fefunbären  Dualitäten  in  ha^  ©ubjeft  gu 
öertegen,  nötigt  un§  aud),  bie  ©ubjeftioität  ber  fogenannteu  primären 
Duolitäten  anäunet)men. 

ßuerft,   mir    fommen   5U  if)rer  9]orftellung    auf  bemfelben  SSege, 


1.  3)te  ibealtftijd)e  ®cbon!enreif)e.  357 

biircfj  3Saf)rne^mung,  ober  rt)enigjten§  nid^t  o^m  3[öa^rnef)mung.  Of)ne 
@ef{(i)t§f{nn  unb  Xaftfinn  mürbe  non  3Iu§bef)nung  unb  ©oübität  \ü 
irenig  bie  Siebe  fein,  wie  o!^ne  (Sepr  üon  Stönen.  gingieren  ujir 
einen  9J?enfd^en,  bem  aufeer  bem  @efid)t§finn  aud^  bie  Saft=  unb  336=» 
ttjegung^enipfinbung  oon  Einfang  an  öi3üig  fehlte,  ber  nie  bie  33en3egung 
ber  eigenen  ©lieber  unb  if)re  ^emmung  burd§  bie  Umgebung  gefüf)tt 
^ätte,  fo  tt)ürbe  e^  ebenfo  unmi3glid)  fein,  i^m  beutlid^  ju  mad^en, 
IDQ§  ein  Körper,  n^ie  einem  S3Iinben,  tt)a§  rot  ober  blau  fei.  5lIfo 
Äörperlirf;teit  ift  2öaf)rne()mung§int)att. 

©obann  gilt  and)  f)ier,  ebenfo  tt)ie  bei  ben  fefunbären  Dualitäten: 
bie  2Bat)rne{)mung  entnimmt  nid^t  i{)ren  ^rHjatt  paffio  quI  ber  3tu§en» 
mit,  fie  bringt  i^n  oieImef)r  fpontan  ^eröor.  S)ie  gen)öf)nlirf)e  äJJeinung 
tt)irb  geneigt  fein  bie  ©ad^e  fo  anjufe^en:  bie  5(u§bef)nung  n^irb  nn= 
mittelbar  rezipiert,  "öaS^  Singe  nimmt  fläcf)en!^afte  Silber  ber  au^» 
gebef)nten  Körper  auf,  bie  allgemeine  Sftaumanfc^auung  aber  lüirb  burd£> 
2tb[tra!tion  üon  ben  auSgebe^nten  3Baf)rne^mung§biIbern  gertjonnen. 
—  (Einige  Sefinnung  an  ber  §anb  ber  ^^t)fiotogie  §eigt  ba§  S^rige 
biefer  SSorftetlung.  2luf  ber  9^e^t)aut  wirb  aüerbingS  ein  au§gebef)nte§ 
Silb  be§  @egenftanbe§  entworfen,  aber  biefe§  Sitb  ift  nid)t  bie  3SaI)r= 
net)mung.  (Sine  folc^e  fommt  erft  guftanbe,  wenn  bie  Erregungen, 
'wil<i)t  bie  Sic^tftrat)Ien  in  ben  Snborganen  be§  @et)neroen  in  ber 
^e|^aut  bewir!en,  burd^  bie  gafern  biefe§  5Reroen  gum  ©e^irn  ge= 
leitet  werben.  3Ba§  aber  gum  ©e^irn  geleitet  wirb,  ha^  ift  natürlid^ 
nid)t  ha§>  9le^f)autbilb;  Weber  ift  bieg  Silb  ablösbar,  noc^  fönnen  bie 
DZeröenfafern  Silber  transportieren.  Unb  fetbft  wenn  ba§  Silb  ab^ 
gelöft  unb  ftüc!wei§  bnrd^  bie  einzelnen  g^afern  be§  ©efineroen,  wie 
burd^  9^o^rpoftIeitung,  in§  ©e^irn  übertragen  unb  l^ier  wieber  ^u= 
fammcngefe^t  werben  fi3nnte,  fo  wäre  bamit  nod)  nidjt§  gewonnen, 
benn  im  ©e^irn  ift  e§  finfter.  Unb  wenn  Sic^t  f)ineingebrad)t  würbe, 
fo  wäre  bie  (Bad)t  nod)  oergebtid^:  nun  Wäre  wieber  ein  Singe  not= 
wenbig,  ha§>  Silb  auf§ufaffen,  unb  ein  @el)irn,  e§  auf§unel)men.  Sllfo 
ba§  au§gebe{)nte  Sitb  Wirb  auf  jeben  gaü,  el  mag  mit  ber  SluSbcljunng 
in  ber  Slufeenwelt  ftel^en  wie  e§  will,  nic^t  au§  ber  Slnfeenwelt  auf= 
genommen,  fonbern  bei  @elcgent)eit  irgenb  einer  Erregung  neu  l)eroor= 
gebrad)t,  gan^  ebenfo  wie  ^on  unb  garbe.  Unb  nid)t  anberS  fte^t  e§ 
mit  ben  (Sinbrüden  be§  5:aftfinne§;  auc^  burc|  bie  STaftneroen  fönnen 


358    11.  93ud^:  ©rfcnntniSt^eor.  Probleme.   1.  fa^ittet:  ®a§  «ßroBIem  bei  SBefeni. 

ni(f)t  fertige,  au^gebefjnte  Kopien  ber  Körper  ins  Setüufetfein  beförbert 
tüerben.  ßo|e  ^ot  in  ber  „9J?ebi§inijc^en  ^fiic^ologie"  biefe  SDinge 
f)öd^[t  übergeugenb  bargelegt;  nic^t  au§gebet)nte  Silber,  jonbern  qnatitatiü 
öerfd^iebene  Erregungen,  bie  burcf)  bie  einzelnen  ^afern  ber  (Sinne§= 
nerüen  jum  ©e^irn  geleitet  werben,  finb  e§,  auf  (Srunb  beren  bie  «Seele 
fe(6[t  \)a§i  3Bat)rnef)mung5biIb  aufbaut.  Sßir  tjaben  bemna(^  ebenjo 
wenig  ©runb,  bie  Slusbe^nung  al§  abfolute  Se[timmtf)eit  ober  ®igen= 
jdjaft  ber  2)inge  felbft  anguiefjen,  wie  gcii^^^  ober  ©efc^macf. 

S)amit  fällt  ha§>  objeftiöe  Safein  be§  ^iJrperS  fetbft.  (Sin  Körper, 
fo  müßten  wir  tjiernad)  fagen,  ift  ein  jubjeÜiDeS  ©ebilbe,  ba§  auf 
@runb  irgenbwe(d)er  Erregungen  üon  unferer  intelligent  ^eröor= 
gebrad^t  wirb.  2öir  fjaben  minbeften§  feinen  ©runb  §u  behaupten, 
baB  ein  unferer  S^orftellung  üon  einem  Körper  äf)nlid)eg  (£twa§  aud; 
auBer  unferer  35orftelIung5We(t  üor{)anben  fei.  SIu§bef)nung,  @oIi= 
bität,  93ewegung  finb  in  berfelben  SSeife,  wie  ©erüc^e  unb  ©efdjmöcfe, 
färben  unb  STöne  als  bloBe  ©t)mbo(e  einer  tranfcenbenten  2Sirf(id)feit 
an^ufe^en. 

S)er  erfte,  ber  biefe  Äonfequeuä  ber  erfenntnistt)eoretifd^en  Qiefleiüon 
über  bie  Siatur  ber  2[Baf)rnet)mung  erfannte  unb  rüc!f)aItIo§  gog,  war 
&.  S3er feiet):  Körper  finb  25orfteUungen,  i^r  Sofein  befte^t  im 
2Sa§rgenommenwerben  (esse  est  percipi).  Übrigen^  war  üu6)  bie 
ältere,  metapf)i)fifd)e  9^id)tung,  öon  anberen  @efid)tspunften  au^ge^enb, 
biefer  2Infd)auung  wieberf)oIt  nal^e  gefommen;  fo  ©pinoja  unb  be= 
ftimmter  Seibni^.  @o  in  ber  gried)ifd)en  ^t)i(ofopf)ie  ^lato;  fie 
faf)en  fic^  alle  auf  ha§:  2;l)eorem  gefül)rt,  ha'^  bie  räumlid)e  SBelt  ni^t 
bie  abfolute  2öirf(id)feit  fein  fann,  2(u§bef)nuug  unb  Xeilbarfeit  ift  mit 
obfoluter  3öirflid)feit  nid)t  üereinbar.  33erfelei)g  gefdjic^tlid)e  Sebeutung 
ift,  ha^  er  ben  erfenntnistf)eoretifd)en  ^bealiSmus  §ur  ©runblage  bei 
metapl)i)fifd)en  3beali§mu§  gemad)t  l)at. 

Sn  bie  beutfc^e  ^^^ilofopf)ie  l)at  ^  a  n  t  biefe  Setrac^tungSweife 
eingefül)rt:  bie  Äörperwelt  ober  bie  gan^e  9Jatur  ift  fubjeftio  bebingte 
©rfdieinungswelt.  Unb  in  ber  3^oIge  wirb  aud)  f)ier  ber  erfenntnis* 
t{)eoretifd)e  3beali§mu5  gum  5tusgangspunft  bes  metapt)t)fifdjen  ^bealiS* 
mu§;  in  gewiffer  SSeife  fd)on  bei  Äant  felber,  obwof)t  f)ier  bie  9J?eta= 
pl)i)fif,  §wiic^en  ßrfenntnistf)eorie  unb  SlJJoral  eingeflemmt,  nid^t  §u 
felbftönbigem  2)afein  fommt;  fel)r  entfd;ieben  bagegen  in  ber  fpefulatioeu 


1.  ®ie  ibealtftijd^e  ®ebonf enteilte.  359 

^^ilojop^ie,  nic^t  minber  and)  hd  @(f)openf)Qiier  unb  ^erBart  unb 
ii)ren  ^Jacfjfolgeni. 

93emerfen»tt)ert  i[t  übrigen^,  boj^  Äant  feine  fiejer  auf  ben 
^fjanomeimli^muS  üon  einem  anbern  5Iu§gang5pun!t  füt)rt  unb,  njie 
€§  f Geeint,  felbft  gefüt)rt  tüorben  ift,  öon  ber  !ritifd)en  üiefteinon  nüm= 
M;  über  ba§  SBefen  üon  Üiaum  unb  3^it-  ^^^  ^f^  berüiaum 
an  unb  für  fid)?  ®ie  gemeine  StReinung,  bie  if)n  für  an  ficf)  lüirfüc^ 
t)ü(t,  fteüt  it)n  etma  a(§  ein  Ieere§  öefäB  öor,  lüorin  bie  SDinge  finb 
unb  fid^  bewegen;  bie  2)inge  f bunten  f etilen,  fo  bliebe  nod^  ber  leere 
fRaum  qI§  an  unb  für  ficfi  feienbe  2Birtlid)feit.  Stber  fobalb  man  mit 
biefer  QSorfteüuug  ernft  gu  mad^en  t)erfu(f)t,  erfjeben  fic^  33erge  üon 
(5d)tt)ierig!eiten.  2Sa§  ift  benn  biefer  leere  Staum?  nja»  mad^t,  baB 
ha,  tt)o  bloB  ber  leere  9iaum  ift,  me{)r  ift  üi§>  nidfjtS?  Ober  ujorauö 
beftef)en  bie  SSänbe  biefeö  ©efäfeeS?  Dber  f)at  e§  überf)aupt  feine 
SSänbe,  ift  es  unbegrenzt?  @g  muB  inof)t,  benn  ben  9iaum  aU  be= 
grenzt  öoräuftellen,  ift  ja  oöüig  unmi3güd),  jebe  ©renje  roeift  unnjiber« 
ftef)(id^  auf  ein  Senfeit§.  9^un,  ein  ©eföfe,  ba^  feine  SSänbe  f)at,  unb 
öon  bem  man  überf)aupt  nid)t  fagen  fann,  tva^  ee  ift,  unb  njoburd) 
e»  fid^  öom  9Zic^t§  unterfd^eibet,  ba§  ift  boc^  ein  fef)r  munberlidje^ 
SBirf(id)e§,  unb  ßant  Ijot  nid)t  unred^t,  menn  er  es  „ein  feienbe§ 
Unbing"  nennt.  —  Diic^t  beffer  ftef)t  e§  mit  ber  3^it^  ^^^  kaen 
öefäB,  lüorin  alle  (Sreigniffe  finb.  Sa,  f)ier  n)irb  bie  'Bad)^  nod; 
tt)unberlid}er.  2)ie  ßeit  beftef)t  au§  35ergangenf)eit  unb  3iif««ft/  bie 
burd^  ben  ben)egtid)en  ^unft  be§  3e|t  getrennt  finb.  SDa  bie  S3er= 
gangenf)eit  nid)t  me^r,  bie  ßii'fii^ft  a^er  noc^  nid)t  ift,  fo  möre  bie 
3eit  ein  2öirflid)es,  ba§  ans  ^njei  ^ätften  beftef)t,  bie  beibe  nidjt 
iuirflid^  finb. 

5(u§  allen  biefen  ©d^mierigfeiten,  fo  finbet  ßant,  taudjt  auf,  mer 
fidj  entfd)IieBt  jn  fagen:  Üiaum  unb  ßeit  finb  nidjt  feienbe  2ßirflid)= 
feiten,  a[§>  meiere  fie  in  ber  ^(jQt  feienbe  Unbinge  roären,  fonbern  fie 
finb  2(nfdjauung»formen  be§  ©ubjeftl.  2)er  Ütaum  ift  bie  g^orm  ber 
äußeren  Slnfdiauung,  ta^^  f)ei&t  bie  üon  bem  ©ubjeft  l^erüorgebradjte 
Drbnung  ber  ©mpfinbungen  be§  @eftdjt§=  unb  STaftfinneS,  auf  roeldfje 
and)  alle  übrigen  @inne§empfinbungen  belogen  tuerben.  (Sbenfo  ift  bie 
3eit  bie  gorm  be§  inneren  ®inne§.  9ZatürIid^  finb  biefe  ^nfd)auung§= 
formen  nidjt  5U  benfen  ot§  fertige  leere  ©c^nblaben,  fie  beftetjen  nur 


360    n.  SSurfi:  erfenntntSttieor.  «Probleme.   1.  Äopttel:  2)o§  Problem  be§  2Befen§. 

in  ber  ^unftion  ber  5tnorbnung  aller  Elemente  mit  33e5ief)ung  auf 
einanber,  einer  g^nnftion,  bie  Qud)  nidf)t  angeboren  ift,  jonbern  im  35er= 
lauf  be§  2eben§,  menn  and)  ouf  ererbter  ©runblage,  erttjorben  ober 
ouSgebilbet  n}irb.  2)er  leere  9laum  unb  bie  leere  ^t\t  mören  f)iernad) 
bie  5ßor[telIung  öon  ber  altgemeinen  9}?ögli(^!eit,  Körper  unb  Se- 
megungen  unb  innere  SSorgiinge  mit  Sejietiung  auf  einanber  in  fotdjer 
beftimmten  SBeife  gu  orbnen.  SDamit  öerfdjtninbet  aud^  bie  munberlic^e 
©djmierigfeit  ber  g^^age:  ob  9fiaum  unb  3^^^  enblid)  ober  unenblid^ 
feien?  2Sir  merben  fagen:  meber  —  nod).  SSie  man  tion  ber  ßo^ten- 
rei^e  meber  fagen  !ann,  fie  ift  enblid;,  noc^,  fie  ift  unenblid),  fonbern, 
fie  fann  oon  jebem  ^un!t  beliebig  meiter  geführt  merben,  fo  fte^t  e§ 
aud^  mit  SRanm  unb  ß^it:  öu  jebem  ^un!t  ift  e§  möglich,  beliebig 
nad)  allen  (Seiten  meiter  ^u  gel)en;  bie  a)?öglid)!eit  ber  (St)ntf)efi§  in 
^aum  unb  ßeit  ftö^t  nirgenbS  auf  ein  ^inberni^,  fo  menig  mie  bie 
9[Ri3glic^!eit  meiterer  5lbbition;  unb  ebenfo  ftö^t  bie  2lnall)fi§  nic^t  auf 
le^te  ^eile,  fo  wenig  mie  bie  3)iöifiou. 

^ant  faBt  bie  (Summe  feiner  (ärmägungen  in  bie  gormel:  9?aum 
unb  3^it  Ijaben  empirifd^e  Slealität,  aber  tranf cenbentale 
3 b e a li t ä t.  gür  unfere  Slnfd^auung  ber  2Birflid)!eit  finb  9fiaum  unb 
3eit  altgemeine  unb  notmenbige  95orau§fe^ungen,  unb  barum  gilt,  ma§ 
üon  Sf^aum  unb  ß^it  überl)aupt  gilt,  aud)  üon  ber  S^latur,  meiere  nichts 
ift  ol§  mit  (grfd)einungen  erfüllter  Sflanm  unb  erfüllte  ß^it.  5lber  e§ 
gilt  nic^t  oon  ben  S)ingen,  mie  fie  an  fid^  finb.  2Sir  "^aben  feine 
Urfad^e  ju  benfen,  boB  bie  Orbnung  unferer  (gmpfinbungen  eine  abfolute 
Drbnung  ber  an  fid;  feienben  SSirflid)!eit  ift.  Ober,  menn  mir  bie 
Soc^e  fonfreter  au§brüden  mollen:  n)ir  !önnen  benfen,  ha^  e§  äßefen 
giebt,  bie,  mie  anbere  Sinnesorgane  unb  2[BQl)rnef)mung§inl)alte,  fo 
aud^  anbere  formen  ber  Drbnung  ber  (Stemente  t)aben  al§  mir.  SSir 
fönnen  un§  eine  Sntelligens  beulen,  für  bie  meber  ba§  S^or  unb  9Zad), 
noc^  ba§  5lu^er  unb  Sieben  ©inn  unb  58ebeutung  l)at.  Sie  3;eile  einer 
maf^enmtifdien  3)emonftration  ober  9fted)nung  finb  nic^t  auBer  einanber 
im  9fiaum,  il)re  @t)mbole,  bie  ß^icfien,  finb  e§,  ober  bie  gaftoren  felbft 
finb  e§  nidjt;  fo  finb  fie  auc^  nic^t  oor  ober  nac^  einanber;  b.  l).  in 
bem  SemuBtfein  beffen,  ber  bie  9fted)nung  nadjred^net,  treten  fie  nad) 
einanber  auf,  aber  t)a§>  ift  zufällig,  an  fid)  finb  fie  gugleid)  ober  oiel= 
me'^r  ot)ne  Jöe^ieljung  jur  ß^it  überl^aupt.    pr  ein  öollfommeneg  S3e= 


1.  3)ie  ibeali[tifrf)e  ®ebanfenreif)e.  361 

tDuBtjcin  lüären  btof;  bie  inneren  begrifflirfjen  ^e^ie^ungen  ber  (Stemente 
üor^anben,  otjiie  alle  ^eimi)(i)ung  üon  Üiöumlidjfeit  unb  3<^itücf)teit. 
^enfcn  mv  un§  nun,  bie  SDinge  felbft  feien  ettt)Q§  ^o^^^^'^^^^B^^f  ""^ 
eö  be[tünben  jn^ifdien  if)nen  äfjnlid^e  innere  Schiebungen,  ioie  ätt)ijd)en 
ßalfiten,  fo  njüre  bie  ooHfommenfte  ^luffaffung  ber  SSirflidifeit  bie 
eines  äRot^ematiferS,  ber  QÜe  biefe  (Stemente  unb  it)re  Söejietjungen  mit 
einem  eingigen  ^üd  ober  ©ebonfen  umfaßte.  Unb  fe|en  wir  nun 
ferner,  ba§  SSirfüc^fein  ber  SBirflic^feit  beftünbe  in  biefem  ©eboc^t:' 
trerben,  fo  f)ätten  mir  ben  S3egriff,  ben  ^ant  jur  Drientierung  einfü()rt, 
ben  Segriff  eine§  intellectus  archetypus,  eineg  fd)öpferifcf)en 
unb  unfinnlid)en  ^enfen§.  dagegen  ift  nun  unfere  (Srfenntni§  ber 
^ir!üc^feit  iiu^erlic^  unb  zufällig;  unfere  Sntelligenj  fcf)Qfft  nidjt  bie 
SBirtlidjfeit,  fonbern  fie  n^irb  burc^  bie  Serü^rung  mit  ber  üortjanbenen 
angeregt  gur  ^eröorbringung  öon  ©nipfinbungen,  bie  nid)t  fo  fef)r  bie 
9latur  ber  ^inge,  al§  unfere  Statur  auSbrüden.  @o  fa^t  fie  aud) 
nic^t  bie  feienben  Sejietjungen  ber  3)inge,  bie  innere  matt)ematifd)= 
logifc^e,  ober  äftt)etifdj=teIeoIogifd)e  Orbnung  ber  SBir!Iid^!eit§eIemente, 
fonbern  ftatt  beffen  bringt  fie  bie  öuBere,  räumüd^^geitüdie  Orbnung 
ber  ©mpfinbungen  ^eröor. 

5(n  biefe  93etrad)tung  fdjlie^t  fid^  bei  ^ant  bann  bie  meitere  an, 
ha^,  mt  unfere  3(nfd)auung§formen,  fo  aud)  bie  S)en!formen  nur 
empirifd)e,  nidjt  aber  tranfcenbente  ©ültigfeit  f)aben.  ^aufalität  unb 
©ubftantiatität,  bie  beiben  üornefjmften  Kategorien,  finb  fubjeftio  not= 
menbige  SInorbnungSformen  unferer  Slnfdjauungen,  aber  nid)t  ©fifteuä' 
formen  ber  abfoluten  SSirf(id)feit. 

Unb  bamit  fd^eint  benn  bie  Konfequen^  eine§  fd^Iec^t^in  allgemeinen 
^f)änomena(i§mu§  gegeben  gu  fein:  bie  SorftetlungSmelt  bedt  fid)  an 
feinem  ^un!t  mit  ber  SSirflidjfeit;  ttjeber  oon  ber  5luBenn)eIt,  nodj 
üon  ber  3nnentt)ett  giebt  e§  eine  abäquate  ®r!enntni§. 

(Sin  le^ter  ©djritt  ift  nodj  ben!bar:  bie  5(uf gebung  ber  5)inge  an 
fic^.  Wüw  fagt,  ^idjtc  ^abc  I)iermit  ben  Kantifc^en  ©ebanfen  gu 
@nbe  gebockt,  ^enn  in  SBatjrljeit  feien  bie  S)inge  an  fidj  mit  ben 
SorauSfe^ungen  KantS  unoerträgtidj;  o^ne  bie  ®inge  au  fidj  fönne 
man  nic^t  in  ba§  ©ijftem  tjinein!ommen,  aber  mit  itjuen  nidjt  barin 
bleiben,  begeben  feien  un§  Sorftellungen;  tt)ie  öon  biefen  ju  ben 
S)iugen  an  fid^  fommen?  Kant  fage:  biefe  affigierten  un§.    5llfo,  nac^ 


362    II.  93u(^:  ©rlenntnist^eor.  ^Probleme.  1.  tapitel:  2)o§  5ßrobIetn  be§  SBefenS. 

bem  ®efe|  ber  S^aujatitöt  folgere  er  üon  ©mpftnbungen  a(§  SSirfungen 
auf  2)inge  an  fid^  qI§  Urjac^en.  3lber  er  jelb[t  {)abe  bie  g^olgerung 
unmöglid^  gemo(f)t,  inbem  er  bem  ^aujolgefe^  nur  eine  empirif(f)= 
immanente,  ober  feine  tronfcenbente  93ebeutung  gugefte^e. 

2)a§  iüöre  benn  ber  Ie|te  erreirfjbare  ^unft,  ein  objotuter 
^f)änomenaIi§mu§:  meine  SSor[teIIung§n)ett  ift  bie  3BirfIid)!eit  jelbft, 
barüber  f)inQU§  i[t  nid^t§. 


2.  SBicbcr^erfteflung  ber  reoliftif^en  Stuffaffung  für  bie  ^nnentoelt. 

öiner  Prüfung  ber  pf)änomenaIi[tif(f)en  ®ebQnfenreif)e  frf)i(fe  id^ 
gunädfjft  eine  53emer!nng  über  ben  legten  ^un!t  iiorau§.  Wan6)e 
breite  ?(u§fü()rnng  in  ber  er!enntni§tt)eoretijrf)en  Sitterotur  ber  @egen= 
ttiort  fönnte  bie  'Badjt  \o  erfrfjeinen  lojfen,  qI§  ob  mir  mirfltd)  in 
©efa^r  mären  benfen  ju  muffen:  bie  Summe  meiner  SSa^rnetimungen 
unb  33orftenungen  ift  bie  SBelt,  unb  an^erbem  giebt'g  übert)QUpt  nidjtS 
SBirflic^eS.  —  Scf)  ben!e,  biefe  ©efatjr  ift  mirüic^  nid^t  grofe;  e§  f)Qt 
niemals  einen  gefunben  unb  oieüeic^t  and)  feinen  franfen  ^opf  ge= 
geben,  bem  e§  audfj  nur  einen  Stugenblicf  jraeifel^aft  gemefen  möre, 
ob  e§  eine  SBett  unabfjöngig  üon  feinen  eigenen  SSorfteünngen  gäbe. 
§Iud)  i^ic^te  ift  nie  eingefallen  §u  meinen,  ha'^  er,  Sof)ann  ©otttieb, 
unb  feine  ©ebanfen  bie  gange  2öirf(id^!eit  feien.  (S§  mirb  bemnorf) 
andE)  bie  SBiberlegung  be§  fogenannten  @otipfi§mn§  einftmeilen  für 
eine  überftüffige  S[Rüf)e  getjolten  merben  bürfen.  2)ie  O^rage  ift  nid)t: 
giebt  e§  3)inge  au^er  meiner  S^orfteltung^melt?  fonbern:  ma§  bebeutet 
bie  S3ef)auptung  unb  mie  fommt  ber  ©taube  an  eine  unabf)ängig  üon 
meinen  SSorftellnngen  ejiftierenbe  Sßirflidjteit,  ber  idj  felbft  mit  meinen 
SSorftellungen  a{§>  ein  üerfrf)minbenb  fteiner  Steil  eingefügt  bin,  äuftanbe? 
SSenn  ha§t  ^dt)  üon  ber  Sßelt  bod)  nur  burd)  feine  eigenen  SSorfteüungen 
meiB,  mie  fommt  e§  ba§n,  barüber  f)inau§  ju  gelten  ju  einer  obfotut 
feienben  3SirfUd)feit? 

Sd)  ^alte  e§  aber  für  gmedmä^ig,  juüor  auf  bie  anbere  ^roge 
eingugefjen:  ift  bie  S3et}auptung  be§  ^f)änomenati§mu§  begrünbet,  ba'i^ 
unfere  (SrfenntniS  an  feinem  ^unft  ntit  ber  SBirflid^feit  fidj  bedt,  ba'Q 
mir  eine  abäquate  (£rfenntni§,  fo  menig  üon  unferem  eigenen  Innern, 
atg  üon  ber  SSelt  aufeer  un§  fjaben? 


2.  aBieber^erfteHung  ber  reoIifti)(^en  Stuffaffung  für  bie  ignnentrett.    363 

ßuerft  ein  SSort  über  ©inn  iiub  Sebeutung  ber  i^rage.  9Kon 
l)at  gejagt,  ber  ^()änomenali§mu§,  \vk  i()n  ^ont  Iet)rt,  fei  eigent(id) 
ein  tro[tlojer  (Sfeptiäiemn§;  iuq§  bleibt  für  (Sr!enntni§,  Juenn  id)  nicf)t 
einmal  mein  @elb[t  erfenne,  mc  e§  an  fid)  ift?  Ä^ant§  ^riti!  t)ebe 
eigentlidj  ba§  Sßiffen  überl)anpt  anf.  Tlan  {)at  jogar  gau[t§  Ä'ummer: 
id)  fe^e,  baB  lüir  nidjt§  miffen  fönnen,  ha^^  mill  mir  jdjier  ba§  §erj 
üerbrennen,  mit  ^ant§  Ätitif  in  3ufoi"i"^"^"9  bringen  mollen. 

@oId)e  klagen  unb  35ortüürfe  finb  ganj  grunbtoS.  $öor  allem 
ift  5U  fagen:  feine  STfjeorie  ber  Grfenntni§  önbert  an  bem  Seftanb  nnb 
äöert  nnjerer  ©rfenntniS  ha^'  minbefte.  ®ie  2Bifjenjdjaften  bleiben 
nad)  tt)ie  nor,  maS  fie  finb;  üon  einer  5(ufl)ebung  ober  ß^i^ftörung  be§ 
SSiffen§  bnrc^  eine  tl)eoretifd)e  9fleflej:ion  über  ba§  SSiffen  fann  nid)t 
bie  Üxebe  fein.  Unb  and)  bie  Sebeutung  ber  äöiffenfdjaften  für  un§ 
bleibt  biefelbe,  ttjeber  i^r  praftifdjer  nod)  i^r  t^eoretifd)er  SBert  mirb 
burd)  bie  tritit  üerminbert.  Unfere  5Iftronomie,  ^l)t)fi!,  ^fl)(^ologie, 
®efdjid)te  finb  un§,  tua§  fie  finb,  nnb  leiften  nn§,  \va^  fie  leiften,  gan^ 
oljne  alle  Sf^üdfic^t  anf  ben  3tn§fall  einer  nac^tröglidjen  erfenntni§= 
tl)eoretifd)en  Überlegnng,  wie  fie  benn  auc^  in  ber  gefd)id)tlid)en  (£nt= 
midetnng  üon  i^r  auf  feine  SBeife  al§  abl)ängig  erfc^einen. 

33ielteidjt  l)ängt  ta§i  SÜlifeöerftänbnig  mit  einem  fd)iefen  5(u§brud 
^nfammen.  Wim  fa|t  \vo^\  Äant§  2lnfid)t  in  bie  formet:  ujir  er= 
fennen  nur  bie  ©rfdjeinung,  aber  in  ta§  innere  SBefen  ber  2)inge 
üermbgen  mir  nid^t  einjubringen.  ®amit  fdjeint  benn  ein  beftimmter 
S[J?angel  unferer  ßrfenntni^,  ber  angegeben  unb  befeitigt  luerben  fönnte, 
Uienn  nur  unfer  5ßerftanb  erujeitert  unb  erf)etlt  mürbe,  angebeutet  §u 
fein.  Sßenn  mir  fagen:  ha§>  SBefcn  be§  9lorblid)tg  ober  ber  ©leftrigität 
ift  nod)  unerfannt;  ober:  id)  bin  mir  über  ba§  SBefen  biefe§  3Kanne§ 
nid)t  flar,  fo  mirb  bamit  ein  9)?angel  bejeidjuet;  rviv  fennen  einftmeilen 
nur  bie  ändere  @rfd)einung,  aber  nidjt  bie  legten  Urfadjen;  ober:  i(^ 
meiB,  mie  ber  9Jhnn  au§fief)t,  meld)e  (Stellung  er  in  ber  @efellfd)aft 
einnimmt,  aber  fein  Citjarafter,  feine  Ö5runbfä|e,  feine  Slnfc^auungen 
finb  mir  nic^t  befannt,  id)  n^eife  bal^er  nid)t,  meffen  id)  mid)  oon  i^m 
oerfe^en  foll.  SSeiB  id)  bie§  alleS,  fenne  ic^  il)n  au§  langem,  freunb* 
fd)aftlid)em  ^erfe^r,  bin  id)  gemi^,  toie  er  im  gegebenen  gall  f)anbeln 
unb  urteilen  iDirb,  bann  fagc  id):  fein  SBefen  ift  mir  mol)l  befannt. 

@an5   etmal    anbere^   bagegen   bebeutet   bie  Unterfd^eibung   oon 


364    11-  S3uc^:  ©rfenntnist^eor.  «Probleme.  1.  ^apittU  S)al  «ßroblem  bei  aBefenS. 

©rfd^einung  unb  2)ing  an  fic^  in  ber  @r!enntni§tf)eorie.  S)ie  oHer- 
öollfommenfte  @r!enntni§  be§  DflotureüS,  be§  S^araÜers,  be§  S3orIeben§ 
eines  9Jianne§,  fo  ba^  ic^  jein  SSer^alten  mit  ber  ©i(i)erf)eit  öorau§« 
fagen  fönnte,  tt)ie  eine  9Jionbfin[terni§,  wäre  nac^  ber  Ä'antijd^en  S3e= 
trad^tnng  borf)  nid^tg  qI§  @r!enntni§  ber  (Srj(^einungen;  oon  ber  @eete 
jelb[t,  if)rem  Sln=ficf},  it)rem  3Sq§  ober  SSejen  !äme  nichts  borin  oor. 

2öie  fte^t  e§  nun  mit  biejer  23ef)auptung,  ha%  wir  bie  2)inge 
nur  mie  fie  erfc^einen,  nic£)t  wie  fie  an  jid)  finb,  erfennen?  S[t  fie 
begrünbet?  @e!^en  tt)ir  §unäcl^[t  auf  bie  (Sr!enntni§  be§  eigenen 
Innenlebens  ein.  'äud)  I)ier,  jo  njirb  beJjouptet,  muffe  gmifd^en 
@rfd)einung  unb  ®ing  an  fifCj  unterfd^ieben  lüerben.  ®q§  3d)  erfenne 
QU(^  id)  fetbft  nid)t,  inie  e§  an  fid^  ift,  fonbern  nur  »ie  e§  fid^  er= 
fd^eint.  ®a§  S{n=fidj  ber  @eele,  bie  in  ben  Senju^tfeinSoorgängen 
erfd;eint,  bleibe  ber  (SrfenntniS  fo  unburdjbringlid^,  wie  bo§  5ln=fi(^ 
ber  S)inge,  bie  at§  bewegte  Äörperwett  im  S3eWu^tfein  oorfommen. 
Sft  biefe  S3ef)ouptung  begrünbet? 

^ä)  glaube  nid^t,  ha"^  wir  Urf adje  t)aben,  bie§  an^uerfennen. 
3tüeiertei  wirb  ^ier  bef)auptet:  erftenS,  ha"^  e§  au^er  ober  hinter  ben 
^ewuBtfeinSüorgängen,  al§  ben  (grfct)einungen  beS  (Seelenleben^,  nun 
nod)  bie  ©eete  fetbft  aB  ®ing  an  fid)  gebe;  sweitenS,  ha'^  wir  biefeS 
S)ing  an  fid)  nid^t  erfennen.  —  ^ie§  3^^^^^  if^  ofjue  B^^if^^  wa^r: 
toa^  wir  öon  unferem  ©etbft  erfennen,  finb  in  ber  %^at  immer  jene 
Sßorgänge  bei  (Smpfinbeng,  SSorfteüenS,  %ü\)k\\§>,  @treben§;  niemals 
aber  fommt  in  unferem  ©elbftbewuBfeinS  ein  ®ing  Seele  ober  Sd) 
üor.  5lber,  fo  ift  nun  gteic^  ^inguäufügen:  bie  erfte  33ef)auptung  ift 
grunbloS;  ein  befonbereS  ®ing  „«Seele"  giebt  eS  überfioupt  nid)t  in 
ber  2Birf(id)feit;  ber  S3egriff  einer  ©eele,  bie  al§  ®iug  au  fic^,  ab^ 
gefef)en  öon  bem  (Seelenleben,  id)  weil  nidjt  wel^e  Sßirflid^feit  f)ötte, 
ift  ein  leerer  33egriff.  ®ie  (Seele  felbft  ift  nid^tS  anbereS,  als  bie  ©in- 
^eit  beS  (Seelenlebens;  i^r  S)afein  ge^t  auf  in  if)ren  „örfd^einungen", 
einen  bunflen,  bem  ©rfennen  unburdjbriuglid)en  SfieaütätSrüdftanb  giebt 
eS  überijaupt  nidjt. 

(SS  ift  baS  ein  fo  entfd)eibenber  ^unft  für  bie  ©rfenntnist^eorie 
unb  9Jietapf)t)fif,  ha'^  id)  f)ierauf,  nadjbem  fd^on  oben  ((S.  134  ff.)  biefe 
Stuffaffung  eingefüljrt  worben  ift,  nod)matS  in  etwaS  auSfüf)rIid^erer 
^etradjtung  barauf  jurüdfomme.     Söer  überhaupt  gu  einer  gefunben 


2.  SOBieberfjerj'tellung  ber  realiftifc^en  2(uffaffung  für  bie  :3nnentt)elt.     365 

^^iIofopf)ie  !ommen  tüitt,  ber  muB  einmal  biefem  ©efpenft  einer  „@eele 
an  \\d)"  ^n  Seibe  ge^en. 

"^lad)  ber  3Sor[tcünng  ber  gemeinen  ä)?einung  ^at  bie  3BirfIi(i)!eit 
etiüo  folgenbe  ©truftur.  (£§  giebt  brei  Wirten  ober  «Stufen  be§ 
SSirf Iicf)en:  1)  2BirfIid)e§  erfter  Drbnung,  ba§>  finb  bie  ®inge 
ober  (S  u  b  ft  a  n  ä  e  n ;  2)  SSirf Iidje§  jnieiter  Crbnung,  ta§>  finb  bie 
(Sigenfcfjaften  ober  Gräfte;  3)  2Sir!Ii(^e5  britter  Orbnung, 
ha^  finb  bie  3;f)ätig!eiten,  (Sreigniffe,  Sejiefiungen. 

§J(m  menigften  @elbftänbig!eit  t)at  ha§>  SBirüidfie  britter  Drbnung; 
2;f)ätigfeiten  ober  (Sreignifje  bebürfen  jnm  SBirflidjmerben  eine§  anbern, 
bur^  ba§  fie  üorübergefjenb  in§  SDofein  etngefüt)rt  merben,  ba§  finb 
bie  Gräfte.  5(ber  and)  bie  Prüfte  ober  ©igenfrfjaften  fijnnen  nic^t  für 
fid)  eyiftieren,  fie  bebürfen  ttjieber  eine§  anbern,  an  bem  fie  finb,  haS^ 
finb  bie  ©ubftanjen.  ®iefe  allein  ruf)en  auf  fid^  fetbft  unb  bebürfen 
feine§  onbern  sunt  SDafein;  fie  finb  ba^er  ba§  eigentlid)  SSirflid^e. 
Unter  ben  ©nbftanjen  pflegt  bie  SSutgörmetap^^fif  lüieber,  bem 
dartefiuS  folgenb,  p)d  Slrten  gu  unterfd)eiben:  ÜJrperüd^e  ober  au§= 
gebe^nte,  unb  geiftige  ober  benfenbe,  bie  unan§gebel)nt  finb.  5Der 
S3erfd)ieben'^eit  it)re§  3[öefen§  entfpredjen  oerfd)iebene  Gräfte.  Stn= 
gemeine  Gräfte  ober  (Sigenfd^aften  be§  ßörperS  finb  Unburd)bringlic^= 
feit,  @ci^tt)ere,  d)emifd)e  5tffinitäten,  furg  5lttra!tion§=  unb  9iepuIfion§= 
!röfte;  al§  Äröftc  ber  Seele  bagegen  mören  ©mpfinbungSoermogen, 
©ebäd^tnig,  ®inbi(bung§!raft,  33egef)rnng§nermögen,  @efüt)I§üermögen, 
$föille  an^nfeljen. 

Sft  ha^  eine  faltbare  ^ßorfteüung  oon  ber  inneren  ^onftitution 
ber  SBirf lid^feit  ?  Sflidjten  mir  jnnädjft  auf  ha^:  gmeitc  ©tieb  ber  Stetige 
bie  2(ufmerffamfeit,  auf  bie  Sigenf d)aften  ober  Gräfte,  ©inb 
fie  mirflid)  ein  an  fid),  abgefe^en  oon  ber  (Srfd)einung  ober  Sett)ätigung, 
feienbe§  ©lement  ber  SSirfIid)feit?  9Zet)men  mir  einen  beliebigen  5!i)rper, 
ein  Stüd  treibe.  @§  f^at  eine  SiKenge  oon  Gräften  ober  (Sigenfd^aften. 
®a  ift  guerft  bie  ßigenfdjaft  ber  Unburd)bringlid)feit  ober  bie  ^raft, 
anbere  Körper  oon  bem  (Sinbriugen  in  ben  Sf^aum,  ben  e§  einnimmt, 
abju^alten;  ba  ift  bie  (Sigeufd^aft  ber  SBei^e  ober  bie  Äraft,  auf= 
fallenbeö  £id)t  auf  beftimmte  SSeife  ju  ref(e!tieren;  ferner  bie  (Sigen= 
fdjaft  ber  Sd)mere  ober  \)k  ^raft,  auf  feine  Unterlage  einen  SDrud 
au§5uüben,  ober,  menn  bie  Unterftü|ung  entfernt  mirb,  eine  beftimmte 


366    n.  93uc^:  erfenntni^t^eor.  Probleme.  1.  tapitcl:  ®a§  «Problem  be§  SBejenä. 

93en)egung  auszuführen;  e§  ^at  feruer  bie  ©igeujdjaft  eineä  ©d^reib« 
materia(§  ober  bie  Äraft,  auf  einer  ^afet  ttjeiBe  ©triebe  ju  machen. 
2öa§  bebeutet  ba»?  ©i|en  alle  biefe  ©igenfd^aften  ober  Gräfte  als 
befonbere  2Sir!lid)feiten  in  ber  treibe  brin,  fann  man  fie  barin  fef)en 
ober  fonftmie  beobad^ten?  ©i|t  ha  bie  ^raft  beS  ©trid^emadEjenl,  ober 
genauer,  bie  ^raft,  wei&e  (Stri(f)e  auf  eine  fc^ttjarge  SCafel  gu  machen, 
als  ein  eigentümlicfjeS,  ftetS  gegenn)ärtigeS,  be^arr(id)eS  SSirf(id)!eitS- 
dement  in  ber  treibe?  Unb  natürlid^  in  ber  Stofet  eine  entjprerf)enbe 
^raft  ober  g^ätjigfeit,  beftri(f)en  ^n  werben.  Unb  fi|t  ebenfo  in  ber 
§anb  neben  taufenb  anbern  ßtäften  au(^  bie  Scfjreibfraft  unb  jttjar 
in  oielfacfier  ©eftalt:  als  ßreibe=,  ®riffel=,  geberfcfireibfraft?  a(S  beutfc£)e, 
tateinifdje,  griec^ifc^e  S3uc^[taben=(Scf)reibfraft?  SDaS  meint  hod)  niemanb; 
fonbern  bie  treibe  f)at  bie  Stroft,  ©tridje  ju  machen,  baS  f)eiBt  nichts 
a(S:  menn  fie  über  eine  rauf)e  Oberf(ä(i)e  Ijingefü^rt  wirb,  bann  töfen 
fid^  2^eild)en  loS  unb  bleiben  an  ber  %a\d  gongen,  bie  ©pur  ber 
Bewegung  geigenb.  Sie  ©triebe  finb  nid)t  in  ber  treibe  unb  ebenfo 
wenig  fi^t  eine  ©tri^fraft  brin,  fonbern  wir  fefjen  oorauS,  waS  unter 
gewiffen  Umftänben  gefd)e^en  wirb;  biefe  öorauSgefe^enen  Greigniffe, 
wir  nennen  fie  mögliche,  faffen  wir  äufammen,  fubftantioieren  fie 
unb  legen  fie  ber  treibe  ats  permanenten  S3efi^  bei.  Unb  ebenfo 
ftefjt  eS  mit  ben  übrigen  Gräften;  wir  fetjen  norauS,  ha'^  bie  treibe 
unter  fotd^en  Umftänben  fo  fic^  oerf)atten,  in  einem  beftimmten  9}?aB 
fid)  bewegen,  brüden,  ober  einem  anbern  Körper  ®efd)teunigung  gu* 
fügen  wirb.  Siefe  üorauSgenommenen  S3orgänge  fubftantioieren  wir 
unb  legen  fie  bem  Körper  als  ©djwerfraft  bei.  Unb  nid)t  anberS 
t)erf)ö{t  eS  fid)  mit  ber  (ebenbigen  Siraft  beS  bewegten  ÄörperS;  bie 
5lrbeitSteiftung,  bie  wir  oon  if)m  erwarten,  legen  wir  a(S  ^raft  in 
i^n  hinein,  ^raft  ift  alfo  nid)t  ein  befonbereS,  e^-iftierenbeS  SBirflidjeS, 
fonbern  eine  S)en!form,  burd)  bie  wir  ben  3ufammenf)ang  ber  (£r= 
fd)einungen  oorfteüen.  S)efiniert  wirb  eine  ßraft  burd)  if)re  mögüd)e 
SSirfung  ober  StrbeitSleiftung;  iE)ren  üoUfommenen  SluSbrud  finbet 
bie  ©rfUirung  in  einem  D^aturgefe^,  baS  bie  @ri3&e  ber  mög(id)en 
Sefd)(eunigung  einer  beftimmten  9J?affe  auSfagt.*) 


*)  ©.  bie  ©rörterung  be^  93egriff§  ber  ftraft  bei  'i^eä)nex,  pf)t)ftf.  unb 
p^ilor  ?ItomenIe^re,  177  ff.,  unb  bei  SBunbt,  Stiftern  ber  ^^tlof.  297  ff.  SSergl. 
anö)  §eImI)oI^,  populäre  roiffenfc^aftlic^e  SJortröge,  2.  «peft  @.  190. 


2.  SBieter^erjiettung  bet  realiftif^en  Sluffaffung  für  bie  Snnennjelt.     367 

S6enjo  üer^ott  e§  fid^  mit  ben  Gräften  ber  geiftigen  Subftan^en. 
§ier  ift  bie  @ad)e  iiocf)  ein(eurf)tenber.  3Bir  fprerf)en  öon  morolifc^en 
Gräften,  einer  ^raft  ber  (Se(b[t6e(}errjrf)ung,  ber  Xapferfeit.  5llle§  ttjaä 
tüir  bamit  jagen,  ift,  bafe  njir  don  einem  9J?anne  ein  be[timmte§  Sßer- 
fialten  in  ber  ®efQf)r,  in  ber  ^^erfnc^nng  ermarten.  333ir  meinen  nid)t, 
ha'i^  bie  @elb[tbe{)errfd)ung  qI§  ein  eigentümliches,  bingortigeS  (Stma§ 
in  ber  @ee(e  fi^e.  9^irf)t  anberS  [te^t  e§  mit  ©ebäd^tniS,  ^^erftanb, 
SBitle  unb  ben  übrigen  ©eelenüermögen.  S)ie  ^j^d^ologie  t)at  ha^ 
(ängft  geje^en;  unter  ben  ®eutfc^en  f)Qt  befonberS  ^erbart  biefen 
^unft  betont:  bie  ©eelenüermögen  [inb  nidjt  befonbere  2ßirf(ic^feit§= 
etemente,  qu§  benen  qI§  Urfad^en  erftürt  merben  fann,  Jonbern  ha^ 
SBirflidje  finb  SSorftettungen,  93eget)rungen,  @efüt)(e,  unb  bie  5{ufgabe 
ber  SBiffenfc^oft  be[tef)t  barin,  bie  gefe^mäfeigen  ^Sejiefiungen  biefer 
5Sorgänge  barsuftellen.  ©oUte  jemanb  norf)  öon  ben  Gräften  a(§  be= 
fonberen,  ben  Subftanjen  infjärierenben  3Birf{id^!eit§eIementen  [icf)  nidjt 
trennen  !i3nnen,  ber  mag  benn  an  ber  Sofung  öon  allerlei  58e?;ier= 
fragen  fid;  öer[udjen:  wirft  bie  ^raft  immer?  ma§  madjt  fie,  menn 
fie  nid)t  mirft?  ftnb  bie  Gräfte  burd^  ben  gon§en  Üiaum  öerbreitet, 
ben  ber  Körper  einnimmt?  unb  luie  finb  in  ben  unau§gebef)nteu  (Bnh' 
ftanjen  bie  Gräfte  uutergebradjt  ober  mit  i^nen  öerbunben? 

göUt  ba§>  gjiittelgtieb,  bie  Gräfte,  au§,  fo  bleiben  für  bie  ^on= 
ftruftion  ber  3Bir!tid)feit  bie  (gnbftansen  unb  bie  ©reigniffe.  SBie  ftef)t 
e§  nun  mit  ben  ©ubftauäen?  <B'mh  fie  ein  bejonbereS  2ßir!(id^e§ 
neben  ben  ^Iccibenjen? 

^Bleiben  tuir  junädift  bei  ber  (Seetenfubftauä.  Wan  meint:  au^er 
ben  (Smpfinbungen,  5SorftetIungen,  @efüt)(en,  Seftrebungen  beftet)e  nun 
nod^  al§  ein  befonbere§  2Sirflid^e§  ober,  mit  bem  §erbartifd^en  9Iu§= 
brudf,  at§  ha^  Sfteole,  bie  ©ee(e  f eiber;  bie  S^emuBtjeinlöorgänge  feien 
nur  58etf)ätigungen  ber  Seele,  nid)t  aber  bie  Seele  fetbft;  fie  mödjten 
fommen  ober  gefjen,  fie  fönnten  aud^,  tt)enigften§  jeitmcilig,  ganj  an^= 
fallen;  bie  ©eelenfubftanj  bteibe  babei  in  unüeränberter  unb  unöer= 
minberter  SSirf(idE)feit  beftet)en. 

(5§  fdjeint  mir  ööUig  unmöglicf),  an  biefer  58orfte(Iung  feft* 
§uf)alten.  3)ie  Seeteufubftauäen  finb  gan^  baSjelbe,  \va§  bie  Seelen» 
fröfte  finb,  ^ijpoftafierungen  öon  Vorgängen,  fie  finb  gleic^fam  §i)po= 
ftafieruugen  in  ^wcikv  ^oteng;   bie  Seelenfubftan^   ift  \)ü^  35ermögen 


368    II.  93uc^:  (5rfenntni§t^eor.  «Probleme.   1.  Kapitel:  ®a§  «ßroblem  be§  SBefenei. 

ber  Sßermögen,  ha§>  ©eneratoermögen  ju  jenen  (Spegialoermogen.  2Bie 
bie  5!raft  nur  beftniert  werben  fann  burc^  i()re  2Strfungen,  jo  fonn 
bie  (Sub[tan5  nur  befintert  tuerben  burc^  bie  Gräfte:  jie  ift  nic^t§ 
anbere§  at§  ein  Inbegriff  üon  Gräften,  al\o  gule^t  ein  Inbegriff  öon 
möglichen  (Sreigniffen.  ®a§  Sofeiu  ber  @eele  befte{)t  in  if)rem  Seben, 
in  ber  @in£)eit  auf  einanber  belogener  pjt)(^iic!^er  SSorgänge;  ne{)men 
mir  bieje  Xüzq,  \o  bleibt  fein  9^üd[tanb.  Seuju^tfeingüorgänge  [inb  ha§> 
an  unb  für  fidj  2Bir!(ic§e,  fie  bebürfen  nid)t  eine§  anbern,  eines  @eelen= 
fubftantiate,  ba^  if)nen  erft  ^ur  SBirfüi^feit  Reifen  ober  fie  in  ber 
2öir!(id)feit  galten  unb  tragen  müBte;  fo  etmaS  giebt  e§  überfjaupt  ni(f)t. 

2)em  gefunben  SOZenfdjenöerftanb  n^irb  ber  ^Serjicfit  auf  ein  foI(f)e§ 
f)altenbe§  unb  tragenbeS  ©tinaS  junädift  a{§>  eine  ^arte,  ja  oI§  eine  gan§ 
unerfüllbare  gorberung  üorfommen.  (Sine  ©mpfinbung  ober  ein  @efüf)l 
fanu  bocfj  nidjt  abfolut  eyiftieren,  e§  muB  ein  empfinbenbe§  ober 
füf)(enbe5  SSefen  ba  fein,  bo§  fie  ^at;  ein  SSorfteüen  o'^ne  einen,  ber 
norftellt,  f(f)on  bie  (Spracf)e  tt)eift  bie  ßumutung  §urü(i.  Unb  ttjie  tt)ill 
man  oI)ne  (geele  3:l)atfad^en ,  lüie  bie  @int)eit  bes  Sett)uBtfein§ ,  bie 
Stufmerffamfeit ,  bie  @eIbftbeobad)tung  ober  bie  8elbftbef)errfd)ung 
fonftruieren? 

9iun,  natürlid)  giebt  e§  eine  Seele,  unb  auf  feine  SBeife  fjanbett 
e§  fid)  barum,  fie  gu  befeitigen,  fonbern  allein  barunt,  fid)  barüber 
ju  oerftönbigen,  rüaS^  fie  ift.  9lid^t  ift  fie,  fo  lüirb  f)ier  bel)auptet,  ein 
unoeränberlidjeS,  ftarreS,  abfolut  bef)arrli(^e§  ^ealität§pünftd)en,  ba^, 
an  unb  für  fid)  e^-iftierenb,  ben  Gräften  unb  Siorgöngeu  ai§:  5tnf)alt§punft 
in  ber  2Birftid)feit  biente,  fonbern  fie  ift  bie  @inf)eit  be§  Seelenleben^, 
bie  @efanitl)eit  auf  einanber  belogener  beiüuBter  unb  unterbeiou&ter 
innerer  S^orgänge  felbft,  an  ober  in  ber  jeber  einzelne  al§  ein  §uge= 
^örige§  ©lieb  be§  ©anjen  ift  unb  gewußt  n)irb.  :3ene  üorau§gefe|ten 
Srödc^en  allgemeinen  9?ealitätÄftoffe§  bagegen  ejiftieren  überf)aupt  nid)t 
in  ber  3Sirflid)feit,  fie  finb  nid)t§  als  Ijtipoftafierte  Schatten  falfc^er 
metapl)t)fifd)er  Segriffe. 

®aB  nnfer  Senfen  an  bem  für  fic^  feienben  (Seelenfubftantiale 
nic^t  einen  fo  foftbaren  unb  unentbel)rlid)en  Sd)a^  befi^t,  wie  bie 
5ßulgärmetapl)t)fif  glaubt,  baoon  überzeugt  man  fic^  üielleid)t  am  erften, 
menn  man  fid)  einmal  ju  bem  3Serfuc^  nötigt,  auf  fragen,  mie  bie 
folgenben,   fid)   eine  3lntwort    ju   geben.     Sßorin   befielt   ha§    2Sefen 


2.  2Bteber]^er[teIIung  ber  tealiftijc^en  Sluffafjung  für  bie  gnnenttjelt.     369 

jeneg  (Seelenfubftantiale  ?  @§  mufe  bocf)  etiraS  an  fic^  @eienbe§  fein, 
obgefefjen  üon  feinen  5Iccibengen,  benn  e§  joü  ja  bie  33orQU§je^ung 
biefer  jein.  2Ba§  ift  e§  oljo?  Slannft  bu  e§  jagen'?  Dber  get)t  e§ 
bir,  tt)ie  einft  £oc£e,  q(§  er  ben  begriff  ber  ©ubfionj  überlegte:  er 
finbet,  fie  fei  ein  Srgenbettt)a§,  befjen  Söejen  nid)t  angegeben  raerben, 
fönne.*)  9iun,  jo  wirft  bu  bocf)  beutüdj  mad^en  fönnen,  tt)a§  fie  tf)ut 
ober  leiftet?  —  ^iatürlid),  fie  ift  ber  SCräger,  bem  bie  Stcciben^en  an= 
l^angen  ober  inf)ärieren.  —  5Iber  xoa^  bebeuten  biefe  5lu§brü(fe?  Sc^ 
tt)ei6  njo^l,  n)a§  e§  bebeutet,  tt}enn  bu  fagft:  ein  ^ferb  trägt  einen 
Üieiter;  trägt  bie  (Seele  ebenfo  it)ren  ©ebanfen?  ober  ^ängt  if)r  eine 
£eibenfd)aft  an,  wie  bie  garbe  ber  Seinraanb?  —  S)u  fagft,  ta^  finb 
unpaffenbe  Silber.  —  ^Jlun,  fo  jeige  bie  2(nfrf)auung,  bie  ^ier  burd^ 
bie  SSorter  bejeicfinet  ujirb.  SSirft  bu  titoa  fagen:  bie§  fei  f)ier  ge» 
meint,  ba'^  bie  @ubftan§  bie  Stccibenjen  au§  if)rem  SBefen  l^eroorbringt 
ober  ficf)  in  it)nen  üerttjirflidjt  ?  5tber  fiet)  ju,  ob  t)iermit  gef)oIfen 
ift.  ^d)  ttjeiB  n)ot)l,  wal  eg  bebeutet,  wenn  bu  fagft:  ein  Saum 
bringt  Slüten  unb  grüd)te  ^erüor,  ein  Ä'eim  üerujirflid^t  fid)  in  ber 
(Snttt)ic!elung  öon  3:rieben,  Keimblättern  u.  f.  tt).  Slber  »a^  e§  fjeiBt: 
ein  immaterielle^  Srgenbetwal  bringt  Sorfteflungen  unb  @efül)le  au§ 
fid)  t)eroor,  baä  mi^  id)  ma^rlid)  nid^t.  Wix  fd)eint,  e§  finb  lauter 
leere  SSörter,  lauter  Stnnjeifungen  auf  einen  6inn,  ben  bie  3tnfd;auung 
fid)  njeigert  ein§utbfen. 

Slber,  fagft  bu,  bie  (Sinl^eit  be§  @eIbftbemuBtfein§  mirb  boc^ 
allein  burd^  eine  einf)eitlid)e  unb  bet)arrlid^e  (Seelenfubftanj  erflörlid). 
Sd)  gefte{)e,  ic^  oermag  auc^  nic^t  ju  faffen,  ma§  l^ier^u  ba§  @ub= 
ftantiale  f)elfen  foü.  @§  ift  eine  Z\)at\ad)t,  baB  bie  Vorgänge  be§ 
Snnenlebeng  nidjt  ifoliert  auftreten,  unb  ba^  jeber  mit  bem  SerauBtfein 


*)  effai)  II.  tap.  23:  „SBenn  jemonb  ficf)  jelber  prüfen  lüiH  ^infic^tlid) 
feines  93egriff§  üon  einer  reinen  ©ubftanj  im  aEgemeinen,  fo  wirb  er  finben,  er 
f)at  öon  i^r  feine  anbere  SBorfteEung,  oI§  bie  Sfnnal^nte  eine§  unbeftimmten  2räger§ 
ber  Cualitäten,  bie  in  uni  einfacf)e  SBorftettungen  beroirfen."  —  SBürbe  er  gefragt, 
ttJoS  biefer  Sräger  ift,  bem  bie  Qualitäten  abf)ärieren,  „fo  roäre  er  nid^t  in  öiel 
befferer  Soge,  al§  jener  ^nbier,  ber  bef)auptete,  bie  3BeIt  merbe  oon  einem  großen 
©lefanten  getrogen.  'äU  mon  if)n  meiter  frogte,  morouf  ber  ©lefont  fte^e? 
antwortete  er:  ouf  einer  großen  S^ilbfröte.  ^o  mon  ober  meiter  in  i^n  brong, 
ttjooon  benn  bie  brcitrücfige  ©cf)itbfröte  getragen  roerbe?  gab  er  gurSfntmort:  üon 
irgenbrooS,  er  wiffe  nid^t  ttjoi." 

*13aulieu,  Ginleituug.    ü.  SUifl.  24 


370    il-  S3ud^:  ©rfenntniät^eor.  Probleme.    1.  Äapttel:  ®a§  Problem  be§  3Sßejen§. 

ber  3w9^^örigfeit  ju  bem  einf)eit(id^en  @an§en  btefeS  inbioibueden 
£eben§  erlebt  rairb.  SSie  jo  ettüoS  gejc^e^en  fann,  bo»  »eiB  icf)  nicfjt 
gu  fagen,  fo  tüenig  aU  id)  ju  jagen  ineiB,  tuie  SeiüuBtjein  ü6erf)aiipt 
mogIi(^  ift,  bQ§  ober  meine  icf)  beut(id)  ju  je^en:  jener  angenommene 
„Präger,"  jene^  Svgenbtüos,  ha§>  man  ©eelenfubftan^  tituliert,  ^itft 
auf  feine  SSeife  bie  Qad)t  begreifüd)er  §u  marfjen;  e§  n^äre  felbft  ein 
9flötfel,  aber  ni(i)t  bie  2öfung  eines  9?ötiel§.  —  Unb  joKte  ettüa  fd)on 
baburi^,  ha'B  bie  SSorgänge  a,  b,  c  bemjelben  A  „inf)ärieren,"  ba» 
S3emuf)tiein  if)rer  ©in^eit  belt)ir!t  merben?  5(ber  bann  müfete  ja  8e(bft- 
betüUBtjein  bie  gorm  aller  ^ufammenfafiung  öon  Slccibenjen  in  einer 
<Sub[tan5  jein.  (£§  mu^  alfo  norf)  eine  befonbere  Dualität  ber  ©eelen- 
jubftan,?,  ^in§u!ommen,  um  if)re  Stcciben^en  ju  ©liebern  einer  53erauBt= 
feinsein^eit  gu  matten.  Unb  fo  märe  bemnatfj  bieje  Cualität  auf§u= 
geigen,  trenn  ha^  gubftantiale  etma§  Reifen  foü.  Stljo,  fo  öiel  ic^ 
fe^e,  oerüeren  mir  mirfüc^  gar  nichts,  menn  mir  bieje§  „Srgenbma§, 
irf)  meiB  ni^t  ma§"  fahren  laffen. 

DZatürlic^  merben  mir  nun  nictjt  fagen:  alfo  giebt  e§  feine  Seele, 
Jonbern  oielme^r:  @eete  ift  bie  auf  ni^t  meiter  fagbare  SBeife  gur 
(£inf)eit  üerbunbene  Q3ietf)eit  innerer  (Sriebniffe.  Unb  am  @pracf)gebrauci) 
merben  mir  gar  nid)t§  änbern,  mir  merben  nad)  mie  üor  oon  ber 
8eele  reben  unb  üon  SSorgängen,  bie  in  if)r  fic^  gutragen,  üon  @e= 
banfen,  bie  fie  hervorbringt,  unb  üon  inneren  9f^egungen,  bie  fie  f)egt 
ober  ab(ef)nt.  2öir  merben  un§  aud)  nid)t  fd)euen,  ha§^  SSort  ©ubftanj 
oon  ber  Seele  gu  braudien  unb  Don  it)ren  ^uftänben  unb  öigenfdjaften 
§u  reben;  felbft  ha^  oerpönte  SBort  ©eelenoermögen  merben  mir  nidjt 
oermeiben.  @5  tjanbelt  fid)  nur  barum,  ein  für  allemal  unS  beutlic^ 
gu  mad)en,  mas  mir  bamit  meinen.  Unb  es  mirb  fic^  bann  ^erau§= 
ftellen,  bafe  alle  jene  l)erfömmlid)en  Segeidjuungen  in  ber  2:f)at  einen 
guten  Sinn  l)aben,  nur  nid)t  ben,  ben  eine  üom  pl)t)fifalijd)en  Sltomi§mu§ 
mißleitete  9Jfetapl)i)fif  i^nen  beilegt.  9lennen  mir  Subftang  bas,  ma§ 
felbftänbigeS  SDafein  l)at  (mit  Spinozas  g^ormel:  id  quod  in  se  est 
et  per  se  concipitur),  fo  fommt  ber  Seele  allerbingS  Subftantialität, 
ben  einzelnen  Vorgängen  ^Iccibentalität  (in  alio  esse  et  per  aliud 
concipi)  gu;  fie  finb  unb  merben  begriffen  nur  in  bem  ganzen  Seelen= 
leben.  ©§  ift  eine  5:l)atfad)e,  ha^  ©mpfinbungen,  35orftellungen, 
©ebanfen,   Seftrebungen  niemals,  fooiel  mir  miffen,   oereinjelt  in  ber 


2.  SEßieberfierftcIIung  ber  reaUftifdien  5tuffaffung  für  bie  ^nnentDelt.      371 


SBirf(id^!eit  öor!ommen,  fonbern  immer  nur  all  ©lieber  in  einer 
fold^en  ©efamt^eit  innerer  S3orgänge,  bie  wir  ein  ©eelenleben  nennen, 
llnb  jn^ar  entfielt  biefe§  nid)t,  n)ie  ein  Sompofitum,  qu§  ben  t)orf)er 
fertigen  einzelnen  Elementen,  fonbern  ha^  ©anje  ift,  um  jeneS  SBort 
be§  SlriftotelcS  nocf)maI§  gu  n)ieberf)o(en,  öor  ben  ^^eiten:  bie  einzelnen 
(Elemente  luerben  gteidifam  öon  bem  ©angen  al§  gu  if)m  ge{)örige,  jur 
©arftellung  feiner  felbft  erforberlid^e  ü)?omente  f)eroorgebrac^t  ober  mit 
innerer  SfJotn^enbigfeit  gefegt. 

©in  S3ilb  mad^t  iia§>  ^er^ältni»  beutlic!^.  (Sine  ©procEie  be[tcf)t 
an§>  SSörtern;  unb  gmor  be[tefjt  fie  nur  in  ber  ®efQmtt)eit  ber  Söörter 
unb  formen;  nimmt  man  alle  SSörter  meg,  fo  ift  aud)  bie  @prarf)e 
nirf)t  mef)r;  fie  Beftel)t  nic^t  all  ein  befonberel  2Birflic^e§,  eine  'Bprad)- 
fubftang  neben  ben  SSörtern.  5(ber  onbererfeitS  ift  fie  nic^t  ein 
^ompofitum  ou§  ben  üorfjer  feienben  einzelnen  Söörtern,  wk  eine  9}?auer 
au§  ben  fertigen  ©teinen  gufammengefe^t  upirb.  ©onbern  bie  ©prodje 
bringt  beftänbig  SBörter  f)eröor  ober  oern^anbett  fie  bem  33ebürfni§ 
entfpredt)enb ;  jebel  SBort  ift  ein  jufäHigeS,  öergängticE)e§  Stccibenl,  ba^ 
fie  fcf)afft,  umbilbet  unb  enblid)  tt)ieber  falten  (öBt.  (Sbenfo  ift  eine 
3)irf)tung  nid^t  ein  ^ompofitum  au§  eingelnen  SSerfen,  aber  aud)  ift 
fie  nid)t  auBer  ben  einzelnen  53erfen  ai§>  eine  für  ficE)  feienbe  (Subfton^. 
fonbern  fie  ift  in  if)nen,  borf)  fo,  bafj  bie  Sbee  be§  QJan^en  ha§>  ©ingelne 
fe|t  ober  im  ©inäelnen  ficf)  entfaltet.  —  9^un,  auf  biefelbe  SBeife  ift 
bie  Seele  ni(i)t  auBer  ober  unter  ben  S3emuBtfein§üorgangen,  al§  ein 
^arte»,  ftarrel,  unücränberlidjeS  '\Rcak,  fonbern  fie  ift  allein  in  i^nen, 
aber  freilief)  nirf)t  fo,  ta^  fie  au§  ben  oorfjer  fertigen  unb  felbftänbigen 
(SIementen  §ufammengefe|t  n^ürbe,  fonbern  fo,  ha"^  fie  bie  einzelnen 
©(emente  ^eroorbringt  unb  fidj  in  if)nen  oerrairflirfjt.  ®ie  Sbee  be§ 
©anjen  fe^t  aud)  t)ier  ha§:  (Sin^elne:  ein  ®eban!e,  ein  ©efü^I,  ein  9Ser= 
langen,  e§  !ann  in  biefer  beftimmten  ©eftalt  nur  in  biefem  ßeben  öor- 
fommen  unb  begriffen  ttjerben,  oerplt  fid^  alfo  gu  if)m  wie  ein  5(cciben§ 
§ur  ©ubftanj. 

Sft  fo  gegenüber  bem  einzelnen  ^eiüufetfeinSetement  aU  einem 
anf)angenben,  unfelbftänbigen  unb  oorübergetjenben  haS'  gange  ©eelen= 
leben  ein  fclbftönbigeg  unb  bauernbeS  SSefen,  eine  ©ubftang,  fo  !ann 
man  nun  freilid)  f)ier  nid^t  ftet)en  bleiben,  fonbern  muB  biefe§  ©ange 
wieber  al§  unfelbftänbigeS  unb  obf)ängige§  ©lieb  eineS  größeren  ©angen 

24* 


372    n.  33u(^:  (Sr!enntmltI)eor.  «Probleme.  1.  Äopitel:  S)ag  «ßroblem  be§  SOScfenä. 

fonftruieren;  ba»  Snbiöibudleben  öer^^äü  fid;  äum  SSolf Sieben  tüieber 
tüie  ein  5lcciben§  jur  ©ubftanj.  2)a§  3SoIf  ober  bie  ißolfsfeete  i[t  nur 
in  ben  ©injelfeeten,  aber  mieber  nid^t  \o,  ha^  fie  au§  i^nen  §ujammen= 
gefegt  ttJÜrbe,  jonbern  fo,  boB  fie  fie  qu§  fic^  f)erüürbringt  unb  in 
if)nen  fid^  öertt)irf(id^t.  Unb  »ieber  fügt  ficE)  ein  93oIf§Ieben  einem 
grijfeeren  Seben  ein,  bem  9Jienf(f)^eit§Ieben,  unb  mit  biefem  ift  e§  ein= 
gef(f)Ioffen  in  ha§>  einfieitlidje  ©efomtleben  ber  (Srbe,  beffen  öu|ere  (£r= 
fd^einung  bie  pf)t)fifd^e  @rbgefd)id§te  in  ben  Umriffen  befcE)reibt.  (Snblid^ 
aber  füeBt  aüe§  Seben  au§  einem  üllumfoffenben  Seben,  bem  eint}eit* 
liefen  Seben  @otte§.  Unb  bamit  mären  mir  auc^  üon  biefer  Seite  t)er 
bei  bem  @eban!en  angelangt:  ®ott  ift  bie  ©ubftan§,  ha^  eine  einzige, 
maf)rl)aft  felbftänbige,  burd^  fid)  feienbe  SSefen,  ju  bem  fi^  aße§  einzelne 
2Bir!Iid;e  al§  unfetbftänbigeg  5Iccibenö  uerfjält.  — 

S)er  eben  au§gefüf)rte  @eban!e  ift  nic^t  neu;  ja  man  fann  fagen, 
er  gel)t  burc^  bie  gan^e  ©efc^ic^te  ber  ^^i(ofopt)ie.  3d)  raitt  l^ier  nic^t 
feine  @efd)id^te  fd^reiben,  bod^  beute  id^  ein  paor  ^un!te  an. 

5Durc^  erfenntni§tf)eoretif(^e  5(nalQfe  ift  SD.  §ume  auf  it)n  geführt 
morben;  mie  er  bie  Diebel  jerftreut  f)at,  mit  benen  ber  S3egriff  be§ 
2Bir!en§  in  ber  ©d^ulmetop^l^fif  umgeben  ift,  fo  t)at  er  aud^  \)a§:  @e= 
fpenft  eines  hinter  bem  Seelenleben  öerborgenen  ©eetenfubftantialeS 
öerbannt.  Sn  feinem  erften  SBer!,  ber  51bf)anblung  über  bie  menfd^ti(^e 
9iZatur,  unterwirft  er  in  ben  te|ten  Slbfdjuitten  beS  erften  S3ud)eS  ben 
hergebrachten  metapf)t)fifd§en  Segriff  einer  @eelenfubftan§  ber  ^ritif. 
(Sr  finbet  an  if)m  gar  nid^t§  faltbares ;  e§  fei  üöHig  unmögüd^,  aud) 
nur  ben  ©inn  ber  ^rage  ju  öerftet)en:  ob  SSorfteüungen  in  einer 
materiellen  ober  immateriellen  ©ubfianj  in!t)ärieren?  gefc^meige  benn, 
ba^  er  fid^  üon  ber  9lotmenbig!eit  ber  S(nnaf)me  einer  immateriellen 
©ubftauä,  um  at§  STröger  öon  SSorftetlungen  ju  bienen,  überzeugen 
fönne.  (Sr  giefie  e§  ba^er  üor,  bei  bem  fte{)en  gu  bleiben,  ma§  gegeben 
fei:  eine  burd)  @ebäd§tni§  unb  faufale  Se^ieljungen  jur  C£inf)eit  §u= 
fammengef afete  $8ielf)eit  üon  S3emuBtfeinSüorgöngen.  „(5§  giebt  ^f)iIo= 
fopf)en",  tjeifet  e§  in  einer  oft  angefüt)rten  ©teile,  „meldje  meinen,  mir 
feien  in  jebem  Slugenblide  un§  innigft  beffen  bemüht,  maS  mir  unfer 
©elbft  nennen,  mir  füllten  fein  SDafein  unb  feine  g^ortbauer  im  SDofein 
unb  feien  mit  met)r  als  bemonftratiüer  @emifel)eit  feiner  ooüfommenen 
Sbentitöt  unb  (Sinfad)I)eit   gemi^."     @r  I)abe  nid^t  ba§  ®Iüd,  foldje 


2.  SBieberl^erftellung  ber  realiftijd^en  2Iuffaffung  für  bic  ^nnentoett.     373 


Seo6Q(f)tiingen  511  mod^en;  „fo  oft  ic^  in  ba§>,  h)Q§  ic^  mein  ©elbft 
nenne,  einbringe,  [tofee  id)  immer  auf  bie  eine  ober  onbere  befonbere 
^erjeption,  SSärme  ober  Äülte,  Sic^t  ober  ©chatten,  Siebe  ober  §aB. 
SfJiemoIg  fann  icE)  ba»  ©elbft  ol^ne  eine  ^ergeption  erfafjen  unb  niemals 
etma§  anbereS  al§  bie  ^erjeption  bemerfen." 

95on  meta|)^^fif(i)er  ©pefulation  au§ge^enb  mar  ©pino^a,  beffen 
X^zoxk  übrigen^  §ume  in  feine  eben  ermäf)nte  Erörterung  üerf(ocf)ten 
f)at,  §ur  Umbilbung  be§  ©ubftan§begriff§,  ober  ju  feiner  5tuf^ebung 
in  bem  gemeinen  ©inn  gefommen.  SDie  (Sinjelbinge  finb  nicf)t  ©ub= 
ftanjen,  fonbern  Stcciben^en  (modi);  bo§  gilt  oon  ben  Körpern  mie  oon 
ben  ©eelen:  ©ubftan^,  felbftänbig,  ift  nur  @ott,  ber  Inbegriff  ber 
3öir!(id)feit;  jiiht§>  einzelne  3Birf(irf)e  ift  in  bem  Stü^ßinen  a(§  ein  5tb= 
gängiges  unb  93ef(f)rän!te§  mit  logifd^^maf^ematifdfier  9?otmenbigfeit  ge= 
fe^t.  ©elbftoerftänblicf)  ift  @otte§  ©ubftantialitöt  nicf)t  nad)  bem 
©c^ema  eine§  au§gebef)nten  ^örperatom§  ober  eine§  unauSgebe^nten 
©eeIenatom§  ju  beulen,  ©eine  ©inlEjeit  beftet)t  nicf)t  in  Äontiguitöt 
ober  ^unftualität,  fonbern  ift  bie  (Sinfieit  einer  :5bee,  bie  in  einer 
Sßiel^eit  oon  SOZomenten  fidf)  oernjirflirfit.  —  Slud^  ßeibnij,  ber  i)a§> 
SSefen  ber  ©ubftanj  in  Gräfte  fe^t,  unb  äule|t  bie  oielen  enblicf)en 
©ubftan§en  in  bie  (Sint)eit  ber  einen  ©ubftonj  sufommenfafet,  bleibt  im 
Öirunbe  innerhalb  biefer  ^Infc^auung. 

3Son  ^ume  au§gef)enb,  fielet  fid^  .^ant  auf  bie  93etra(f)tung  ge= 
fü{)rt,  ba^  ©ubftantialitöt  unb  Snpreng  al§  3)en!form,  nid^t  al§ 
(Sfiftenjform  angufcl^en  feien.  S)amit  ift  bie  ^.^orfteHung,  q1§  fei  bie 
©ubftauä  ein  an  unb  für  fid)  feienbeS  SSirfüd)e§,  natürlid^  aufgegeben, 
©ubftanj  ift  tiaS'  ^erburabte  ber  6  r  f  d)  e  i  n  u  n  g.  ®ann  mirb  freilid) 
burd^  bo§  2)ing  an  fid),  ta§>  t)inter  ben  ßrfd^einungen  fteden  foü,  bie 
©od^e  mieber  einigermaßen  oerbunfett;  e§  f)at  ^in  unb  mieber  ben  5(n= 
fdE)ein,  al§  fei  ha^  ®ing  an  fid)  bie  oerborgene  ©ubftang,  ha§>  „3rgenb= 
ma§,  idj  meiß  nic^t  ma§"  Sode§.  —  §ier  fe^t  nun  i^id)te  ein,  unb 
ba^  ift  bie  eigentliche  Sebeutung  feiner  oielberufenen  9(uff)ebung  be§ 
®inge§  an  fic^:  ©ein  ift  Seben,  Innenleben,  bo§  ift  t^id)te§  @runb= 
anfdf)auung;  ein  tote§,  ftarre§,  abfolut  bef)arrlid^e§  ©ein,  ein  ©eelen= 
atom  hinter  bem  ©eelenleben  giebt'S  nid)t;  eine  bloß  feienbc  ©nbftan^ 
ift  fo  menig  in  ber  gciftigen  9öelt  mie  in  ber  förperlid^en,  bie  ja  über= 
t)oupt   fein   abfotuteS  ®afein   ()at,   fonbern   nur   eine  ©piegelung  ber 


374    n.  93ud^:  erfenntniStl^eor.  «ßroblente.    1.  Äapitel:  ®og  Ißroblem  be§  2öefen§. 

Snnennjelt  i[t.  Unb  biefer  ©ebanfe  bleibt  bie  ©runboorausje^ung  ber 
ganzen  fpefulatitien  ^f)i(o jop()ie,  in  ber  man  feinen  @d)ritt 
tf)un  fann,  o{)ne  i^n  fic^  ju  eigen  gemacht  ju  {)aben.  33on  {)ier  ^at 
it)n  ßo^e;  mit  (Sntfdf)ieben^eit  üeririrft  er  bie  Sßorfteüung  öon  einem 
allgemeinen  SSirflid^feitsftoff,  üon  bem  ein  ©tü(f(f)en  in  jebem  2öirf= 
lid^en  qI§  fein  innerster  Äern  verborgen  fein  muffe;  bie  <£eele  ift  if)m 
ni(i)t§  Qnbere§  al§  eine  feienbe,  auf  unbegreiflid^e  Söeife  in  ber  g^orm 
n)irfung§fä()iger  ©elbftänbigfeit  gefegte  Sbee,  unb  gar  nic^t  fc^eint  fie 
i^m  eines  n:)eiteren  S(n^att§pun!teö  ju  bebürfen,  um  mirfüd)  ju  fein. 
(Sbenfo  bleibt  ged)ner  in  biefer  2(nfd)auung  unb  neuerbings  befennt 
ficf)  3S  u  n  b  t  ^u  if)r  mit  bem  aftuellen  (Seelenbegriff.*)  S)er  2tu§brucf 
lüeift  auf  ben  actus  purus  ber  Sc^olaftüer,  auf  bie  reine  (Snteled)ie 
be§  S(  r  i  ft  0 1  e  1  e  §  gurüc! :  öott  ift  actus  purus,  nidjt  tote§  ©ein,  fein 
3Befen  ift  ha§>  eirige  3)enfen  bes  abfoluten  @ebanfen§,  welcher  bie 
2Sirf(id)feit  ift.  Unb  bamit  fommen  mir  benn  auf  ben  legten  Urfprung 
biefer  gangen  öebanfenbilbung  jurücE,  auf  ^ lato,  ben  großen  5Be= 
grünber  ber  abenblänbifd)en  ^t)ilofopt)ie:  bie  SBirüicfjfeit  ift  eine  Sbeen^ 
tuelt,  ein  feienbeS  ©ebanfenfijftem,  unb  biefe  ©ebanfen  finb  ha^  ttjirflic^ 
SSirflidjc  felbft  unb  bebürfen  feineg  Stnbern,  an  bem  unb  burd)  ha^ 
fie  mären,  ^ie  Sbeen  finb  ja  nid)t  ftarre  53ilber,  bie  n^ie  ftumme 
£}Igi3|en  ber  Sßelt  §ufc^auen,  foubern  ein  lebenbiger  Snf)Qlt,  mie  er 
fid)tbar  in  ber  ©eele  aU  folc^er  fid)  barftellt. 

2öie  fommt  e§  boc^,  ha^  bie  gemeine  SßorfteHung  gegen  bie  Qu-- 
mutung,  biefen  ©ebanfen  ^n  benfen,  fo  (ebtjaft  fid)  fträubt?  ®enn 
bie  erfte  ©mpfinbung,  inenn  man  i^m  jum  erften  Wlai  begegnet,  ift 
ja  oI)ne  3^^^f^^  ^^s-  ^^^  ^1^  unbenfbar,  ein  @eban!e  muB  an  einer 
©eelenfubftanj  fein,  fonft  üerfinft  er  in§  Seere.  Unb  e§  I)ilft  menig, 
menn  man  bie  @ebred)ü(^feit  biefer  (Stü|e  §eigt;  bie  Ük(gärmeta= 
p!)i)fif,  bie  übrigens  nid)t  allein  bei  ^öt)lern  unb  ß^^G^^öi^ßni^ern  fid) 
finbet,  befteljt  bod)  barauf,  of)ne  ein  Si^genbmaS,  ha^  il)n  trögt,  ot)ne 
ein  2öirflid)feit§flö^c^en,  n^oran  er  befeftigt  ift,  ift  feine  SBirflic^feit 
unbenfbar.  SSielleic^t  ift  ber  Urfprung  biefer  Unbenfbarfeit  in  3^olgen= 
bem  gu  fudjen. 

Wan  fann  gttjei  5(rten  öon  2)enfnotmenbigfeit  unterf (Reiben:    bie 


*)  So^e,  ajiifrotogmog  ü,  143,  111,531.    mttap^t)\it,  109,480.    geebnet, 
Sttomcnle^re  114.    SBunbt,  ©Qftem  bec  ^fiilof.  289,  585. 


2.  SBiebetfierj'tellung  ber  reoliftijd^en  Sluffoffung  für  bie  SnncntoeU.     375 

ec^te  ober  Iogijcf)e  unb  bie  fotjc^e  ober  pft)(^oIogifcf)e.  Sene 
fommt  jebem  formell  rirf)tig  gefolgerten  (Sa|  ju;  wer  bie  ^rämiffen 
Qnerfannt  tjat,  fanu  fid)  bann  ber  ^onflufion  nic^t  ent^ieljen.  2)ie 
unechte  ober  pfi)d)oIogifdje  9iotiüenbig!eit  bogegen  entfpringt  qu§  ber 
@etoöf)nung;  tDQ§  luir  oft  ober  immer  fe^^en,  f)ören,  benfen,  erfc^eint 
un§  jute^t  qI§  notlrenbig,  fein  ©egenteil  al§  unmöglich.  5tl§  bem 
^önig  öon  <Biam  oon  einem  ^oflönbifdien  ©efanbten  erää()It  n)urbe: 
in  feiner  ^eimot  merbe  ba§  SSoffer  gu  3^^^^^  ^Q^t  ""^  f^^^  f^^ 
boB  man  barauf  ge()cn  fönne,  fom  bem  ^önig  bie  (SQrf)e  oöllig  un= 
ben!bar  iinb  unmöglich  oor.  .Spätte  er  in  feiner  Sugenb  fd)oIaftifcf)e 
^i)iIofopt)ie  ftnbiert,  fo  njürbe  er  fid;  oermutlid)  nic^t  oerfagt  ^oben, 
bie  Unmöglidjfeit  audj  §u  bemeifen :  flüffig  fein  get)ijre  gum  SSefen  be§ 
SBofferg,  otfo  fei  e§  unmögüd),  ba^  e§  ftarr  merbe. 

©iefer  5trt  oon  9^otn)enbigfeit  begegnet  man  überall.  2Ba§  ic^ 
nie  gefef)en  ^aU,  ift  unmögtidj,  ba§  ift  ha^  gro^e  ^rinjip,  oon  bem 
\)a§^  Urteil  be§  2)urd)fc^nitt§üerftanbel  bel)errfd)t  mirb.  (Sin  9Jiann 
oon  S3ilbung,  ber  felbft  feine  9fteIigion  ^ot  unb  oud)  nie  Seute  gefefjen 
!^at,  bie  mirflid)  Üietigion  Ratten,  glaubt  nid)t,  baB  fo  ettt)a§  überf)aupt 
möglich  fei;  e§  !ann  nur  §eucl^elei  unb  betrug  fein,  im  beften  galt 
©elbftbetrug.  ©in  ^^ijfiolog,  ber  niemals  f)t)pnotifc^e  ©rfd^einungen 
beobad)tet  f)atte,  erflörte  mit  ß^^öerfidjt  aüe  berartigen  SDinge  für  un= 
möglid).  2)urd)  biefetbe  2)en!notnjenbig!eit  raerben  bie  SSorfteüungen 
oon  ber  ß^^w^ft  gebunben:  ma§  (jeute  nid)t  ift,  fanu  unb  loirb  niemals 
fein.  @§  giebt  feine  gro^e  ^eräuberung  im  gefd)id^tlid)en  2eben,  bereu 
Unmöglidjfeit  nic^t  öor^er  flar  bemiefen  toorben  »äre:  of)ne  ©flaoerei 
ift  geiftige  Kultur  unbenfbar;  of)nc  ^rügel  ift  ©iSgipün  in  ber  9Irmee 
unbenfbar;  ofjue  ben  lateinifc^en  5(uffa^  ift  \)a§'  ®t)mnafium  unbenfbar. 

5)iefelbe  Senfnotmenbigfeit  bef)errfc^t  aud^  bie  gemeine  ^^t)fif. 
@in  fdjlnerer  Körper,  ber  nic^t  uuterftü^t  wirb,  mu&  faüen,  e§  ift  un= 
benfbar,  ha'^  er  frei  fd)tt)cbenb  an  feinem  Drt  bleibt.  S}a  bie  (£rbe 
ein  fdjioerer  Körper  ift  unb  nid^t  fäUt,  wie  ber  5(ugenfd;ein  Iel)rt,  fo 
mu^  fie  unterftü^t  fein;  ta^  ift  ber  Slu§gang§punft  oüer  primitioen 
Kosmologie.  Wlan  lö^t  fie  bafjer  etwa  auf  bem  SSaffer  fc^mimmen, 
ober,  wie  jener  fdjon  erwäf)nte  inbifc^e  ^^itofopf),  oon  einem  großen 
(glefanten  getragen  werben  unb  ftü^t  biefen  etwa  wieber  auf  eine 
©c^ilbfröte  unb  fo  fort,  bis  ber  %xa%zx  mübe  wirb  ju  frogen. 


376    II.  Sud):  erfenntniSt^eor.  Probleme.    1.  Äopitel:  2)o§  «ßroblem  bei  SCßefenS. 

9^un,  ganj  üon  berfelben  5Irt  ift  bte  9^ottDenbig!eit  be§  @eelen= 
l'uBftantialeg.  2)ie  finnüd^e  2(nfc^auung  ^etgt  uns  beftdnbig  alle  @tgen= 
](f)Qften  unb  SSorgönge  an  einem  Stoff  ^aftenb:  garbe,  ©eiütc^t, 
SBärme,  Setregung  finb  immer  an  einem  Körper,  einem  greifbaren 
(Stoff,  ^olglid)  muffen  aud)  55orftelIungen  unb  ©ebanfen  an  einem 
Stoff  fein.  2:iefer  Stoff  ift  für  bie  gemeine  S^orftellung  natürlirf) 
5unä(f)ft  ber  ßeib.  iJiun  geigt  fid)  aber  eine  tt)unberlicf)e  Sd^mierigfeit. 
2)ie  ^ft)d)ifd^en  SSorgänge  ujollen  fid)  an  ben  au§gebet)nten  Stoff  nid^t 
anlief ten  taffen;  mie  ift  e§  üorjuftetlen,  ein  @efüf)t  ber  Siebe  ober  be§ 
§affe§  in  ober  an  einem  ®e{)irn  ober  einer  @ang(ienäelle?  3ft  ha^i 
@efüt)I  felbft  oerteilt  über  bie  ausgebefinte  3J?affe?  S^Jimmt  ber  Segriff 
be§  ^reife§,  net)men  bie  ^arallelenfäle  einen  9f^aum  im  ®ef)irn  ein? 
(£§  mag  fein,  baB,  wenn  ber  ©ebanfe  gebadet  n^irb:  bie  Üuabratur 
be§  ßi'^^^^^  ^f*  unmöglid),  eine  9f?ei^e  öon  Semegungen  ober  d^emifd)en 
Umfe|ungen  ober  was  immer  für  Vorgänge  burd^  me{)r  ober  minber 
ausgebetjute  Partien  ber  grauen  SuBftans  oertaufen,  aber  ha§>  ift  bod) 
nid)t  ber  ©ebanfe  felbft;  biefer  fonn  offenbar  nid^t  al§  ein  im  9iaum 
jerftreuter  Vorgang  öorgefteüt  ujerben.  2)iefe  SdE)roierigfeit  ift  e§,  bie 
jur  Sitbung  be§  Segriff e§  einer  befonberen  Seelenfubftanj  gefüt)rt  f)at; 
ber  gemöt)nü(^e  au§gebet)nte  Stoff  ift  ^ier  nid)t  üerrtienbbar,  auf  einen 
Stoff  überhaupt  fann  man  nid^t  nergiditen;  folglid)  mu^  es  einen  un= 
au§gebef)nten  ober  immateriellen  Stoff  geben,  ba§  ift  bie 
Seelenfubftanj. 

greilid),  bie  immaterielle  Subftang  bleibt  ein  munberlic^eS  SBefen; 
tt)a§  fie  mit  ber  einen  §anb  gab,  iia§>  nimmt  fie  mit  ber  anbern, 
2)a^er  bleibt  bie  Steigung,  biefen  unmirflic^en  Sd^atten  eine§  Stoffe 
gegen  ben  mirflid^  greifbaren  Stoff  n)ieber  eingutaufdien,  ba  ujeiB  man 
bod),  Xüo  unb  mie.  Wlan  fann  überall  beobadjten,  mie  bie  natürlid)e 
Steigung  bes  ®en!en§  bie  fpiritueüe  Subftang  immer  lieber  §u  materia- 
lifieren,  als  einen  feinen,  gang  ätt)erifd)en  Stoff  fid)  oorguftellen  ftrebt. 
^amit  ift  erft  bem  SBort  ein  anfc^aulid^er  Sinn  gegeben;  ha^  un= 
au5gebel)nte,  immaterielle  Seelenatom  bietet  ber  Stnfd^auung  gar  feinen 
2(nl)alt.  ®af)er  fällt  ber  Spiritualismus,  ber  ein  Seeleufubftantiale 
nötig  l)at,  immer  roieber  in  ben  ü)?ateriali§mu§  gurüd.  —  Su  ber 
Tf^ai,  mer  nid)t  beulen  fann,  baB  ein  ©ebanfe  aU  ein  für  fic^  feienbeS 
SBirflic^eS  ol^ne  21nl)eftung   an   ha§>  Subftantiale  efiftiert,   ber  bleibt 


2.  aSJieberl^erftenung  bcr  reaUfti)d^en  5luffaffung  für  bic  Innenwelt.     377 

notmenbig  in  ber  moteriaüftifcfien  Stnfd^auung,  er  mag  fid^  bagegen 
[träuben,  wie  er  luill.  2öir!Iid)  burd)gefüf)rter  (Spiritualismus  ift  nur 
möglich,  irenn  man  auf  jenen  ©djatten  be§  !örperlid)en  @toffe§  üer= 
giertet  unb  pft)d)ijc^e  95orgönge  ebenfo  ot§  frei  in  ber  Sßirflidjfeit 
fdiujebenb  betracf)tet,  wie  wir  un§  gewöhnt  f)aben,  bie  §immel§förper 
a(§  frei  im  9\aum  fdjWebenb  üoräufteden.  — 

2Bir  fetjren  nun  ju  ber  5^'age  gurüd,  öon  ber  wir  ausgingen: 
erfennen  wir  unfer  eigene^  innere,  wie  e§  an  fic^  i[t?  SSir  antworten: 
fic^erlid),  e§  ift  im  SewuBtfein,  wie  e§  an  fid)  i[t.  ®efüt)te,  Se* 
ftrebungen,  ^orftellungen,  ©ebanfen  werben  gefüt)It,  öorgeftellt,  gebadjt, 
wie  fie  an  fic^  finb:  i^r  (Sein  ift  ja  nid)t§  anbereS,  aU  i^r  @efüt)It= 
unb  ©ebad^twerben.  Sft  nun  bie  @eele  nid)t§  anbere§,  al§  ha§^  (2eelen= 
leben  felbft,  bleibt  f)inter  i^m  !ein  bunfle§,  unburc^bringlid)e§  (Seelen- 
otom  at§  9iüc!ftanb,  fo  werben  wir  alfo  fagen:  bie  Unterfdjeibung  oon 
©rfc^einung  unb  2)ing  an  fid)  !^at  !£)ier  überf)aupt  feinen  ©inn.  (Sein 
unb  erfannt  werben  fallen  f)ier  in  ein§  jufammen.  Sn  empirifc^er 
|)infi(^t  ift  allerbingS  aud)  bie  (£r!enntni§  öon  bem  eigenen  Sdj  eine 
befd)rän!te  unb  mange(f)afte.  $ßon  bem  üergangenen  Seben  ert)alten 
fic^  im  @ebäc^tni§  nur  Fragmente,  bie  unter  bem  öinflufe  beffen, 
xoa^  eben  im  Sßorbergrunb  be§  SewuBtfeinS  fte^t,  balb  fo,  balb  anber§ 
§u  einer  ©efamtanfid^t  gufammengefügt  unb  gebeutet  Werben;  unb  be= 
ftänbig  fpieten  fid)  unter  ber  (Schwelle  be§  SewufetfeinS  taufenb  ^or* 
gänge  ab,  bie  nur  gelegentlich  iljre  ©djatten  in§  SewuBtfein  werfen 
ober  mit  ©türungen  in  t)a§^  bewußte  ^orfteüungS^  unb  @efüf)llleben 
tlinüberwirfen.  ©agu  ift  bie  B^^^^^^f*  ^«i^^^I;  ^^\^  aUmöf)tid)  entf)üüt 
im  gortfc^ritt  be§  2eben§  haS^  eigene  ^sd)  fic|  fetber,  nid)t  feiten  feine 
eigenen  Söorftettungen  unb  (Erwartungen  öon  fic^  täufdienb.  (S§  ift 
bemnac^  of)ne  3^^if^^  ^^"^  i^^^  ^^^^  au§gebef)ntere  unb  tiefere  (Sr= 
fenntniS  meinet  Selbft  benfbar,  at§  id)  fie  befi^e;  bi§  gu  einem  ge= 
wiffen  ©rabe  wirb  foId)e  unter  Umftänben  fogar  burd)  einen  anberen 
aRenfc^en  erreidjt;  ber  Siograp^,  ber  ben  Vorteil  f)at,  haS^  gan§e 
Seben  abgefd)Ioffen  mit  feinen  ^orau§fe^ungen  unb  feinen  SBirfungen 
auf  anbere  §u  überfe^en,  urteilt  oft  flarer  unb  fieserer,  ai§>  ber  ^etb 
felbft.  2(ber  bog  atleS  bebeutet  nur  eine  empirifc^e  33efc^rän!tf)eit 
ber  (Selbfterfenntnil;  oon  einer  tranfcenbentalen  bagegen,  oon  einer 
Unterfd)eibung  §wifd)en  5ln=fid)  unb  ©rfc^einung  ift  ^ier  überall  nid)t 


378    n.  S3ud^:  erfenntnisit^eor.  Probleme.    1.  Äapttel:  Soi  «Problem  beg  aSejenS. 

bie  Sflebe.  Unb  fomit  tüäre  ^ier  ein  erster,  fefter  ^un!t  für  bie 
realiftijdfie  5Infid^t  öon  ber  @rfenntni§  raieber  geiüonnen;  icE)  er  = 
fenne  bie  2BirfIid)feit,  njie  jie  an  fic^  ift,  foweit  id) 
jelber  fie  bin. 

Wü  einem  Söort  berühre  id)  ein  53ebenfen,  ba§  gegen  biefe 
S3ef)auptung  au§  einer  früheren  Setrad)tung  entnommen  toerben  möchte. 
S)ie  3^it/  fagten  wir  mit  Äant,  i[t  nicfjt  eine  objolut  jeienbe  £)rbnung 
ber  abfohlten  3Bir!Ii(f)feit,  fonbern  eine  fnbjeftiüe  SlnfcEiauungsform; 
unb  ic^  glaube  nid)t,  boB  tüir  biefe  5Infic^t  ^urücfne^men  fönnen; 
bie  ßnt  lä^t  fid^  nur  als  eine  Crbnung,  in  bie  mir  bie  SemufetfeinS- 
elemente  jufammenfügen,  !onftruieren,  e§  bleibt  benfbar,  ha^  für  eine 
anbere  Sntelligeng  bie  Orbnung  be§  3Sorf)er  unb  9lac^f)er  nid)t  gilt  ober 
fo  nid^t  gilt,  fie  mag  bie  äöirflic^feit  ,^eitIo§,  sub  specie  aeternitatis, 
mit  Spinoza»  5(uöbrucf,  anfcE)auen.  Xa  mir  nun  unfer  Innenleben 
notmenbig  al§  geitlic^en  SSerlauf  öorftellen,  fo  frf)eint  bamit  bie  ^t)äno= 
menalitöt  aud)  in  unfere  SelbfterfenntniS  I)ineinäufommen. 

Sei)  ermibere:  aucf)  f)ier  f)anbett  e§  fid)  bod)  me^r  um  eine 
empirifcf)e,  al§  um  eine  tranfcenbentale  33efc^ränft^eit,  man  fann  nidjt 
fagen,  ba'^  unfere  ©rfenntniS  be§  eigenen  Innenlebens  baburd)  g(eid)= 
fam  oerfätfc^t  mirb.  Sene  abfolute  intelligent,  meiere  bie  2BirfIid)!eit 
üU  jeittog  beftef)enb  auffaßte,  mürbe  in  meinem  Seben  boc^  nid)t 
eigentlid)  einen  anbern  Snf)att  erblicfen.  2öäre  ha^  ber  ^all,  bann 
mürbe  id)  fagen:  ha^  bin  id^  nid^t  mef)r,  bie  ^^önomenalität  ober 
3nabüC)uatt)eit  ift  bann  ni(^t  auf  meiner,  fonbern  auf  jener  (Seite. 
Sene  angenommene  abfotute  Sntelligenj  fiefjt  nidjt  etmaS  anberes  bem 
:3n^att  nad^,  fie  fie^t  nur  anber§,  fie  fief)t  benfelben  Snf)alt  mit  um= 
faffenberem,  mit  aüumfaffenbem  S3Iicf.  SSer  ben  jäf)rlid)en  ©onnen» 
umtauf  ber  ßrbe  mit  einem  33Iicf  überfä^e,  mie  unfer  Stuge  bie 
©dimanfnng  eines  ©efunbenpenbelS  fiet)t,  ober  mer  bie  SntmicEetung 
eines  ^(anetenft)ftemS  überfä^e,  mie  mir  ha§>  21uffcf)metlen  unb  SSer- 
melfen  einer  S31üte  fe^en,  für  htn  mären  3cil)rtaufenbe  ein  Stugenblid 
ber  ©egenmart.  33or  bem  ^uge  beS  ©migen  oerfrfjminbet  bie  ßeit 
überf)aupt.  ©ein  Slicf  fielet  33ergaugeneS  unb  3"fünftigeS  in  ©ins; 
er  fie^t  in  jebem  $untt  alle  llrfad)en  unb  alle  SSirlungen,  ha^  f)eiBt, 
er  fief)t  bie  2Öirftid)teit  atS  ein  eintjeitlidjeS  öan^eS,  alS  ein  ibeeüeS 
©t)ftem,   in  bem  jebeS  SDbment   burdj   ha^  ©an^e  bebingt  ober   sunt 


3.  2)te  ©rfenntni^  ber  STuBemüelt.  379 

@an§en  notiüenbig  ift.  ©in  Änobe,  ber  ju  lejen  anfängt,  f{e'£)t  erft  nur 
Suc^ftaben,  allmäf)li(^  SBörter,  bann  lernt  er  8ö^e  5ufammenfe|en 
unb  it)ren  Snf)alt  faffen,  unb  äule^t  erreid^t  e§  ber  9JZann,  ein  53uc^ 
al§  einen  einzigen  großen  ©ebanfen  aufjufaffen,  ber  feinen  Snl^alt 
in  einer  Sßieltjeit  non  9Jionienten  entfaltet.  S)er  3ufammenf)ang  biefer 
SJZomente  ift  nnn  für  i^n  fein  jeitücfjer,  fonbern  ein  innerlicher;  eine 
logifc^e  ober  äftl)etifd)e  'Diotn^enbigfeit  umfpannt  alle  Steile  unb  njeift 
jebem  feinen  Ort  an.  @o  fiet)t  ®ott  alle  2)inge:  ^ü'a  ^eitlid^e  2(u§= 
einonber  tierliert  fiel)  üor  ber  inneren  53ejie§ung,  ber  inneren  S3e« 
bingungSorbnung,  mit  2o^t  ^u  reben  (S[Rifrofosmu§  III,  599),  in  ber 
in  feinem  Semu^tfein  ha^  g^ernfte  unb  SflädEifte  oer!nüpft  ift.  Unfer 
armeö  Semufetfein  mü^t  fid)  ah,  SSörter  unb  ^dUn  ju  umfpannen, 
felbft  feinen  eigenen  Sut)alt  üermag  e§  nur,  burd^  fucceffiöeS  2)urd^* 
taufen  in  ber  (Erinnerung  gu  erf äffen;  unb  öon  ben  taufenb  33e* 
5ief)ungen,  in  benen  e§  fte{)t,  föUt  nur  ()ie  unb  ha  ein  9J?oment  mit 
l^inein,  ton  feinen  Urfarfjeu  unb  nod^  me!§r  oon  feinen  SSirfungen 
ttjeife  e§  faum  in  ben  aügemeinften  Umriffen.  Unfer  2eben  gleicfjt  bem 
5;appen  in  einem  Irrgarten;  ®otte§  (Sr!enntni§  unfere§  £eben§  gleidjt 
ber  5(nfid^t  beffen,  ber  öon  oben  ^ineinfiet)t  unb  alle  3Serfcf)(ingungen 
mit  einem  ^ölicf  überfcfjout. 

3.  ®te  ©rfenntnt§  ber  Stu^cnwelt. 

35ie  STuBenttjett  ift  ber  S^orfteüung  oI§  eine  SSelt  bemegter 
Körper  gegeben.  Äörper  aber,  fo  mar  ha§i  @rgebni§  ber  er!enntni§* 
t^eoretifdjen  9iefIei-ion,  oon  ber  mir  ausgingen,  finb  ©rfc^einungen, 
fubje!tioe  ©ebitbe,  beren  Suf)alt  3Sa^rnef)mung§=  unb  3^orftenung§= 
etemente  finb.  SlUe§  ma§  mir  oon  einem  Körper  auSfagen  fi)nnen, 
ha^  er  füB,  ifeiB,  fc^mer,  au§gebef)nt,  unburdfibringlid),  im  3Baffer 
löSlid^,  in  biefe  c^emifd)en  (Stemente  jertegbar  ift,  fommt  ^utefet  immer 
auf  (ämpfinbungSqualitäten  unb  2Sa^rnet)mung§iut)aIte  ^inau§.  Äörper= 
lic^e  Objefte  finb  permanente  ©enfibilien,  it)r  SSefen  befte^t  in  ben 
t)erfd)iebenen  Seiten  itjrer  ©enfibilität.  Ober  mit  S-  ®t.  SOHH: 
S^örper  finb  permanente  Ü)?i)glid}feiten   ber  (Smpfinbung.*)    235enn  ic^ 


*)  ig.    ©t.   SJiill,    An  Examination   of   Sir  W.   Hamiltons    philosophy 
(1865),  Ch.  XL 


380    n.  aSuc^:  erfenntniSt^eor.  «ßrobleme.    1.  Äapttel:  2)a§  Problem  be§  aBejeni. 

fage:  bies  !örperlic^e  ®ing  eyiftiert,  \o  ^ü^t  ha§,  auf  feinen  eigent= 
lid^ften  5(u§bruc!  §urütfgefüf)rt:  id)  bin  überzeugt,  ha'^  foIrf)e  unb  folc^e 
2ÖQf)rne!^mungen  in  folifiem  ß^W^^^^^^^^^Ö  ntögüc^  finb.  SBenn  \6) 
fage:  ^ier  liegt  ein  <BtM  Rapier,  fo  f)eifet  ta^:  id)  \)aht  biefe  ®efid^t§= 
ttjal^rne^mungen,  icf)  neunte  an,  ha'^  id^  biefe  unb  biefe  ^^oftma^r^ 
ne^mungen  ^aben  föürbe,  »enn  ic^  biefe  Bewegungen  ausführte.  ^6) 
fage,  n^enn  icf)  bas  ^intmer  oerlaffe:  brin  auf  bem  ^lifcf)  liegt  ein  Statt 
Rapier;  ba§>  Reifet  »ieber:  ict)  bin  überzeugt,  ujenn  ic^  ober  aurf)  ein 
anberer  t)ineinge^t,  fo  njirb  er  bie§  ober  ha§>  fet)en  unb  füt)Ien  !önnen. 
©laubte  id)  ha§>  nid^t,  fo  tt)ürbe  i^  jene  33et)auptung  nid^t  macE)en; 
fänbe  id)  t)ineinget)enb  e§  nid^t  fo,  fo  ttJÜrbe  id)  fagen:  haQ  ^opier 
ift  tt)eggef ommen ;  glaubte  id)  md)t,  ha^  e§  nod^  irgenbmo  möglid) 
ftiäre,  biefe  2Sat)rnef)mungen  gu  madjen,  fo  mürbe  id)  fagen:  ha^^  'papier 
ejiftiert  nidjt  met)r,  njenigftenS  nid)t  in  feiner  alten  ©eftalt;  unb  glaubte 
id^  nid^t,  bafe  e§  mijglid^  märe,  irgenbmo  feine  Überrefte  in  ^orm  oon 
%\d)t  ober  S[Rober  irgenbmie  §ur  finnlid^en  SSat)rnet)mung  gu  bringen, 
fo  mürbe  ic^  fagen:  e§  t)at  übertjaupt  aufget)ört  mirftidf)  ^u.  fein.  9(Ifo 
überall  bleibt  bit  Sejietiung  auf  bie  2Ba^rne!^mung:  ÜJJögtid^feit  ber 
2Bat)rnet)mung  meinen  mir,  menn  mir  oon  ber  3SirfIid)feit  förperüd^er 
S)inge  reben.    ©an^  fo  miü  e§  auc^  ^ant. 

Slber,  mirb  ber  gefunbe  3)?enfd)enoerftanb  fagen,  t}a§>  Rapier 
bleibt  bod^,  aud)  menn  id^  ouff)öre  ma^r§unef)men ;  bie  Elemente,  au§ 
benen  e§  beftet)t,  merben  nod)  ta  fein,  menn  e§  längft  fein  ßeben 
me^r  auf  ber  örbe  giebt,  mie  fie  benn  aui^  maren,  et)e  e§  Seben 
unb  (Smpfinbung  gab.  —  @emi^;  nur  ift  bie  Sebeutung  ber  2tu§fage, 
ber  @inn  be§  ^röbifats  „mirflid)"  aud^  f)ier  fein  anberer  al§  ber: 
menn  ein  empfinbenbe§  unb  üorftellenbeg  SSefen  ha  gemefen  märe,  bann 
mürbe  e§  fold^e  unb  foldje  2Sa^rnef)mungen  fjaben  mad)en  fönnen, 
mürbe  bie  (Srbe  etma  a(§  glutflüffige  SOIaffe  gefet)en  ^aben  unb  barin 
aud^  ben  Äot){enftoff,  ber  bann  burc^  taufenb  Transformationen  enbtid^ 
in  bies  Rapier  überging.  Stber  auf  feine  SBeife  mirb  man  biefen 
93e5ief)ung§punft,  ein  fo  beftimmte§  53emufetfein,  überhaupt  Io§;  man 
fann  e§  al§  regelmäßige  unb  allgemeine  ^i^orauSfe^ung  in  jebem 
einzelnen  g^all  üernad)täffigen,  aber  man  fann  e§  nid)t  überf)aupt  bei 
©eite  bringen,  ßinem  förperlic^en  Sing  S)afein  unb  Seftimmungen 
beilegen,  fjeifet  immer,  e§  at§  Inbegriff  mögtid)er  SSa^rne^mungen  für 


3.  ®ie  erfenntnig  ber  Slufeentuett.  381 

ein  mög(icf)e§  Seluufetfein  fe|en;  of)ne  SSa^irne'fintung  unb  SerauBtjein 
!ein  Körper.  Körpern  fommt  bemnatf)  nur  relatioe,  nic^t  objolute 
©fiftenj  ju;  ober  mit  5lant§  Slu^brucf,  fie  finb  Grfdjeinungen  für  ein 
„Sett)uBtjein  überf)aupt." 

©ntfpric^t  biefem  relatiüen  ®afein,  bem  ®aiein  für  ein  Senjufet- 
fein,  ein  abfoIuteS  ^afein,  ein  2)aiein  an  unb  für  fic^  ?  @inb  bie  ör= 
fcf)einungen,  bie  n^ir  Körper  nennen,  .^inweifungen  auf  ein  2öirflic^e§, 
\)a§  otjue  alle  9iüc!fic^t  auf  mein  SSettJu^tfein  5)afein  {)at? 

5ltle  9JJenf(f)en  finb  baüon  überzeugt.  Sebermann  glaubt,  bafe 
bie  äöett  met)r  al§  eine  ^^anta§magorie  in  feinem  58ett)uBtfein,  boB 
bie  erfc^einenbe  ^örpermelt  auf  ein  Stn-ficf),  t)a§'  in  if)r  erfd^eint,  f)in- 
toeift.  233a§  ift  bie§  2tn=fic^?  Äant  fagt:  mv  ttjiffen  e§  nic^t  unb 
!önnen  e§  nic^t  miffen;  e§  ift  ha^^  notwenbige  Senfeitg  be§  SerauBtfein^, 
ha^  Xranfcenbente.  —  Siegt  bie  ©ac^e  roirüid)  fo  hoffnungslos?  ^d) 
meine  nic^t.  3<i)  glaube,  man  barf  mit  ©(i)open{)auer  unb  mit 
aller  ibeaüftifc^en  ^^f)i(ofopf)ie  fagen:  etmaS  oon  bem,  tt)a§  ba§  2Bir!= 
lid^e  an  fid)  f eiber  ift,  n^iffen  mir  aüerbingS;  öon  ben  lebenben  @e= 
fd^öpfen  ttjenigftenS  glauben  alle  ju  ttjiffen,  tüa§>  fie  an  fic^  finb. 
©egeben  finb  fie  un§  als  Körper  mit  eigentümlidjer  ©truftur  unb 
mannigfadjen  äußeren  unb  inneren  S3ett)egungöüorgängen;  aucf)  bie  ein= 
bringenbfte  pf)i}fiotogif(f)e  Unterfud)ung  geigt  nicfjts  anbereS.  SennodE) 
gtaubt  jebermann,  ba§  f)ier  no^  etwa»  anbereS  n)irt(ic^  ift,  ba^  ift  ein 
Innenleben,  oergleidjbar  bem,  baS  er  in  fid^  f eiber  erlebt. 

äöaS  ift  ber  ©runb  biefer  Slnnaljuie?  Offenbar  ^at  ©d^open^ouer 
red§t,  n)enn  er  ben  @runb  bafür  in  ber  X^atfac^e  finbet,  ha^  mir  un§ 
felbft  auf  boppelte  äöeife  gegeben  finb.  3c^  »ei^  unt  mid)  ganj  un* 
mittelbar  als  ein  molIenbeS,  fü^IenbeS,  empfinbenbeS,  norftellenbeS 
SSefen.  StnbererfeitS  bin  idj  mir  als  förperlic^eS  SSefen  gegeben,  ic^ 
nefime  meinen  Seib  n)ot)r  unb  ftelle  i^n  öor  otS  ein  forperlidieS  Cbjeft 
unter  ben  übrigen.  9Zun  finbet  ^mifc^en  53orgängen  beS  Innenlebens 
unb  beS  leiblid^en  SebenS  regelmäßige  Äorrefponben^  ftatt;  ©efüljle 
toerben  öon  Sßeränberungen  im  Slutumlauf  unb  in  ber  ^örperl^altung, 
Striebe  unb  33eftrebungen  Don  Seroegungen  beS  DrganfljftemS  im  (Sin= 
jelnen  ober  im  ©anjcn  begleitet;  (Sinmirhingen  auf  ben  Seib  erfd^einen  in 
inneren  S^orgiingen,  in  @efüt)ten  ober  ©mpfiubungen.  Sllfo  mein  leiblid^eS 
Seben  ift  ber  ©piegel  meines  (Seelenlebens;  baS  leiblid)e  Crganft)ftem  ift 


382    IL  S8u^:  ecfenntm§t^eor.  «Probleme.   1.  Kapitel:  ®a§  «ßrobtem  bei  SBejenä. 

bie  äuBerlicf)  wahrnehmbare  ^arftellung  be§  SBillens  unb  fetne§  5:rieb- 
j^ftem^,  ber  Seib  i[t   bte  @icf)tbarfeit  ober  bie  (Srj(f)einung  ber  Seele. 

2)aö  ^d),  ha§,  auf  jolcfie  Söeije  ftcf)  jetber  als  ^oppelraefen  ge= 
geben  ift,  »irb  nun  ber  ©d^Iüffet  §ur  S)eutung  ber  SIuBennjelt.  ©c^open^ 
f)auer  erinnert  an  bie  jn}eifprad^ige  Snj(i)rift  üon  Üiofette,  burc^ 
njelc^e  bie  Gntäifferung  ber  ägiiptij(f)en  .*pierog(t)pf)enjc^rift  guerft  mög= 
lief)  tourbe.  3Bie  f)ier  ha§>  Sf^ebeneinanber  be^jelben  Sn^alt§  in  be= 
fannter  unb  unbefannter  Sd^rift  ^ur  2^eutung  ber  unbefannten  3^^"^^" 
führte,  \o  mxh  ba§  9Zebeneinanber  ber  3nnen*  unb  StuBenfeite  ber 
Söirflidjfeit  im  Eigenleben  jum  Scfjlüjjel  für  bie  2)eutung  ber  S(uBen= 
feite  überf)aupt;  mir  lernen  bie  !örperlicf)en  formen  unb  Sßorgönge 
o(§  ©Qmbole  innerer  ^ßorgänge  auffaffen.  9JJenfcf)en  gegenüber 
bringen  mir  e§  gu  einer  erftaunüc^en  (Sicf)erf)eit  ber  5)eutung;  jebe 
53emegung,  jeber  G5eftu§,  jebe  3"cf"i^9  ^^^  @efid)t§mu5feln  mirb  un§ 
gum  oerftänbIi(f)en  @t)mboI  eine§  inneren  S8organg§;  bei  ber  Siebe 
öergeffen  mir  überf)aupt,  baB  mir  e§  mit  (2t)mbolen  gu  tf)un  ^aben, 
mir  meinen  unmittelbar  ©ebanfen  ^^u  f)i3ren  ober  ^u  lefen;  mir  muffen 
un§  erft  barauf  befinnen,  ha"^  atleS,  ma§  öon  au^en  ^n  un§  fommt, 
nic{)t5  als  Sufterfdjütterungen  finb,  bie  öon  einem  Körper  burrf)  einen 
eigentümlichen  SJiec^anismu»  f)eroorgebracf)t  merben;  unb  ebenfo  befte^t 
alleg,  ma§  ein  S3u(f)  unferer  2öat)rne^mung  barbietet,  lebiglid)  in  fteinen 
?{nt)äufungen  üon  2^rucferfd)märje  auf  meinem  Rapier,  ©ebanfen 
fteden  fo  menig  §mif(f)en  ben  blättern  eine§  33ucf)e§,  mie  fie  burif) 
bie  ßuft  f)erü6erfd)mirren  ^u  unferem  C^r;  bie  ©ebanfen  erzeugt  ber 
öefer  ober  ^orer  burcf)  Interpretation  jener  an  fic^  gor  ni(f)t  ge* 
banfenf)aften  3i)mboIe.  Sögen  bie  ©ebanfen  fertig  im  Surf),  fo  baB 
man  fie  nur  t)erau55unet)men  braurfjtc,  fo  bebürfte  e§  ja  aurf)  feiner 
Snterpretationstunft,  aurf)  gäbe  e§  feine  9J?einung§nerfrf)iebenf)eit  über 
ben  Snf)a(t. 

2Bie  meit  reicht  nun  biefe  Seutung?  —  (S§  töfet  firf)  feine  fefte 
©renje  gietjen;  im  allgemeinen  fann  man  fagen:  bie  S)eutbarfeit  ber 
fi3rperli(^en  Söett  nimmt  in  bem  9J?aBe  ah,  als  bie  fi3rpertirf)en  SSor= 
gonge  an  5tf)nlic^feit  mit  ben  SSorgängen  meines  (eiblid^en  2eben§  oer= 
lieren.  Se  größer  bie  Si§nürf)feit  unb  je  näf)er  ber  $8erfet)r,  befto 
firf)erer  ift  bie  3Iu§(egung.  'am  beften  oerftef)en  mir  unfere  näd^fte 
Umgebung;  mit  abne^menber  (Sirf)erf)eit  bie  (Stamme§=  unb  35oIf§genoffen. 


3.  %\t  erfenntnig  ber  StuBenirett.  383 

^ie  ©lieber  eine§  fremben  Sßot!e§  Bieten  ber  Deutung  fc^on  beträc^ttidje 
©djiüierigfeiten,  namentlich)  U)q§  bie  feinere,  geiftigerc  (Sntwicfelung  ber 
Snneniüelt  onlongt:  erft  burrf)  ben  müf) Jörnen  ^roje^  ber  (Erlernung 
ber  ©prac£)e  ttjerben  ttjir  in  ben  Sefi|  be§  micfjtigften  @ebanfenft)tnboI- 
ft)ftem§  gefegt,  unb  meift  bleibt  biefer  Sefi|  mef)r  ober  minber  unt)oü= 
!ommen;  für  bie  feineren  @rf)attiernngen  ber  S3or[tel(nng§=  nnb  @cfüt)l§- 
tüelt  reicht  bie  Snterpretation§!nnft  nirfjt  ju;  nur  njer  burrf)  langet 
Seben  mit  bem  fremben  S^olf  nern)äd)ft  unb  gleidjfam  ein  ©lieb  bel= 
felben  njirb,  ertongt  jenes  feine  SöerftänbniS,  ha§:  mir  für  bie  Snnen= 
melt  be§  eigenen  5]oI!e§  t)Qben.  Übrigen^  jie^en  auc^  innerhalb  be§ 
9SoIf§  gefellfdiafttic^e  Trennungen  bem  $ßerftänbni§  mef)r  ober  minber 
fd)arfe  ©rengtinien.  9^oc^  öiel  uuüoüfommener  ift  ha§>  35erftänbni§ 
jmifc^en  oerfijiebenen  Siaffen,  öerfdjiebcnen  ^ulturf reifen;  eS  fängt  t)ier 
an  auf  bie  gröberen  Umriffe  be§  SßorftelIung§=  unb  @efüt)I§Ieben§  fic^ 
einäufcfiränfen.  Steigen  mir  jur  2:iermelt  f)erab,  fo  fällt  mit  ber 
©pradie  ba§^  feinfte  (Si)mboIfl)ftem,  in  bem  fid)  befonberS  bie  SSor* 
ftellungSfeite  be§  Innenlebens  objeftitjiert,  überf)aupt  fort,  baf)er  mir 
un§  nur  fe^r  unbeftimmte  SSorfteüungen  oon  biefer  ©eite  beS  tierifdjen 
Innenlebens  5U  machen  öermögen.  ^ßerftänbüc^er  bleibt  unS  bie  SSiüenS^ 
feite;  bie  gleidjartigen  Organf^fteme  unb  i§re  35errid)tungen  beuten  mir 
auf  gleid)artige  ^Triebe  unb  ®efüf)I§erregungen.  3n  bem  SJZoBe  mie 
bie  ©leid^fi^rmigfeit  beS  OrgQnft)ftemS  abnimmt,  in  bemfelben  SOia^e 
nimmt  and)  bie  ^orm  beS  S3erftef)enS  ab;  in  ber  nieberen  2;iermelt 
reid)t  bie  5InaIogie  nur  nod)  auS,  um  bie  gröbften  Umriffe  eines  3nnen= 
lebenS  erfennen  ju  laffen.  3u  ber  ^ftauäenmett  lä^t  bie  gäljigfeit 
beS  25erftcf)enS  noc^  met)r  nad)  unb  in  ber  unorganifd)cn  oerfc^minbet 
auc^  ber  le^te  @d)immer;  bie  ^örpermelt  ^ört  ^ier  ganj  auf,  ein  unS 
entzifferbares  Symbol  eineS  SunenlebenS  gu  fein.  2)aB  aber  in  2öir!= 
Iid)!eit  audj  fjier  nod)  eine  3nnenfeite  oorfjanben  ift,  barauf  füt)rt  bod), 
mie  früljer  bie  mctap{)t)fifd)e  Setradjtung,  meiere  ben  beftönbigen  Qu= 
fammcnljang  beS  unorganifdjen  unb  organifd)en  3}afeinS  betonte,  fo  l^ier 
bie  erfenntniStl^eoretifd)e  53etrad)tuug.  Sagen,  bie  unorganifc^en  Körper 
feien  btoB  Körper,  f)ei^t  fagen,  ba^  fie  nur  relatiöe  ©i'tftenj  f)aben  unb 
übertjaupt  nid)t  etmaS  an  fic^  finb.  SBer  baS  nidjt  fogcn  mitl,  mirb  p= 
geben  muffen,  bafe  aud)  bie  Elemente  ber  unorganifdjen  9J?aterie  @i)mboIe 
eines  S(n=fi(^  finb,  beffen  S3eftimmung  mir  nur  in  ber  Sfiidjtung  fudjen 


384    n.  $Bu(^:  erfenntm§tf)eor.  «Probleme.   1.  Äopitet:  2)ag  «ßroblem  bei  SBefeng. 

fönnen,  bie  un§  burrf)  bie  ©nttüicfetung  angezeigt  rairb,  bie  biefe§  Stn^fic^ 
in  ber  tierijd^en  SSelt  nimmt. 

2)a§  (Snbe  biejer  Setrad^tung  tuäre  alfo:  irf)  erfenne  ba§ 
SSirüic^e,  mie  e§  an  jic^  ift,  fomeit  ic^  jelbft  e§  bin, 
unb  jofern  e§  eben  ha^  ift  ober  bem  äf)nlic^  ift,  n)a§ 
ic^  bin,  nämlic^  ©eift.  ®a§  ift  bie  SSa{)r{)eit  jener  alten  Diebe 
ber  grie(f)iidf)en  ^{)iIofop()ie:  ha§:  ©leic^e  rairb  nur  burd)  ba§  ©leid^e 
erfannt. 

Semerten^mert  ift  babei  ein  eigentümlid^eS  3Seri)öÜni§  §mifd)en  ber 
äußeren  ober  pf)änomenaIen  GrfenntniS  unb  bem  auf  Interpretation 
beruf)enben  SSerftänbniS  ber  ©rfc^einungen.  SJJan  !ann  e§  ju  ber 
^arabojie  gufpi^en:  je  me^r  ujir  bie  2)inge  begreifen,  befto 
lueniger  oerftet)en  mir  fie,  unb  umgefef)rt.  2Sir  begreifen  am 
beften  bie  Sßorgönge  in  ber  unorganiic^en  2Selt,  t)a§>  ^ei^t,  mir  finb 
t)ier  imftanbe,  fie  burd)  fo  ftrenge  begrifflid^e  gormetn  ^u  faffen,  ha'B 
fie  bered^enbar  merben.  S)ie  2eben§pro§effe  fe^en  ber  begriff(icl^=matf)e- 
matifdien  Formulierung  unb  Sered^nung  fef)r  öiel  größeren  Söiberftanb 
entgegen,  bie  33ioIogie  arbeitet  burd)meg  mit  empirifc^en  ©efe^en,  bie  auf 
bie  legten  elementaren  9Jaturgeie|e  o^ne  9Reft  gurücfäufü^ren  fic^  bi§{)er 
nocf)  immer  al§  uuburd)füf)rbar  ermiefen  f)at.  2tm  unberedjenbarften 
ift  ber  SJJenfct);  bat)er  man  bis  auf  biefen  SEag  nid)t  aufget)ijrt  f)at, 
fein  §anbe(n  überhaupt  für  geie|Io§  ober  für  SBirfungen  eine§  gefe^= 
tofeu  2(gen§,  be§  fogenannten  freien  SSiüeng,  anjufefjen,  momit  jeine 
33egreifüd)!eit,  feine  g^aparfeit  burd^  ben  33egriff  übert)aupt  in  Stbrebe 
gefteüt  ift.  Umgefef)rt  aber  üerf)ält  e§  fic^  mit  bem  5ßerftef)en; 
menid)ticf)e§  2eben  allein  oerftef)en  mir  gang;  in  ber  @efd)ic^te  ift  bo§ 
äJkjimum  be§  S3erftet)en§;  e§  nimmt  ah  in  ber  Zoologie  unb  Sotanif 
unb  erlifd)t  gang  in  ber  ^l)t)fi!  unb  Slftronomie,  mo  ha§i  matf)ematifd)e 
Segreifen  am  nollfommenften  ift. 

ßufammenfaffenb  fönnen  mir  mit  einem  Silbe  fagen:  bie  2BeIt 
ift  in  einer  an  3^^<^^n  überreichen  (^e^eimfd)rift  gejc^rieben.  3ebe§ 
ßeid^en,  jebe§  me^r  ober  minber  felbftänbige  förperlicf)e  ©t)ftem  be- 
beutet  einen  ©ebanfen  @otte§,  eine  fonfrete  3bee,  bie  ein  9J?oment  ber 
einen  großen  aüumfoffenben  Sbee  ber  3Sir!Iid^feit  ift.  Son  biefen  be= 
beutungSooIIen  S^idjm  oerftel)t  ber  3)?enid)engeift  einige  menige  mit 
einiger  ©id)erf)eit  ju   entziffern,  e§  finb  bie  ©ijmbole  be§  menfd^Iidj= 


3.  ®ie  erfenntnig  ber  STuBenttJelt.  385 

geiftigen  ßeben§,  bie  feine  näd)[te  SebenSumgebung  bilben.  Slnbere 
geigen  mit  biefen  eine  gen?iffe  S3ertt)anbt)c^Qft,  bie  2;i)pen  be§  organifd)en 
2eben§  ber  @rbe,  bocf)  i[t  f)ier  fdjon  bie  (Sntgifferung  —  man  benfe 
an  bie  Snftinfte  ber  Stiere  —  fef)r  nnoollfommen.  ©nblid)  finb  mir 
umgeben  mit  einer  unabfet)baren  SJJenge  öon  3^^^^"^  ^^^^"  2)ajein  mir 
jmar  bemerfen,  beren  @inn  [id)  aber  jebem  S^erfurf)  ber  ©nt^ifferung 
entjiel^t,  hü§>  ift  bie  2öe(t  ber  p^t)fi!aIijdE)=cfjemifcfjen  nnb  ber  a[tro= 
nomifdjen  St^atfac^en.  — 

9)?it  einem  SBort  ge()e  idj  nnn  nocf;  auf  bie  3^rage  ein:  mie 
entftetjt  ber  ©laube,  ha'^  eine  oon  meiner  Söorftellung 
unobf)ängige  SSirf lid^feit  ha  ift?  Unmittelbar  gegeben  finb 
mir  nnr  meine  Semufetfeinlöorgänge;  mie  !ommt  e§,  hü'^  ict)  barüber 
ju  einer  tranfcenbenten  Söirflid^feit  ^inau§ge{)e  unb  mic^  nnb  mein 
93emuBtfein  mit  feinem  3nf)alt  al§  ein  abhängiges  ©lieb  biefer  feienben 
SSelt  fe^e? 

©einer  allgemeinen  9)Zögtidj!eit  nad)  berutjt  biefer  (glaube  mo!£)I 
auf  ben  (Sriebniffen,  bie  ha^  ^d)  al§  moUenbeS  SSefen  mac^t. 
ignbem  e§  feiner  eigenen  Seftrebungen  unb  i^rer  Xenbeng  inne  mirb, 
mirb  e§  gugleid^  l^emmenber  SSiberftiinbe  inne.  Sie  (Srmortung§oor= 
fteHungen,  in  benen  e§  bie  3iif""ft  t>orau§nimmt,  merben  burd)  bie 
mirf(id)e  2Ba^rnel)mung  getäufd)t,  ber  $ßorfteHung§oerIauf  mirb  öon 
feiner  fpontanen  9^id)tung  abgebröngt,  Stbfid^ten  merben  burd)freuät, 
93emegungen  nerfefjlen  i^r  ^id;  innere  (Sriebniffe  non  biefer  5(rt  finb 
gemil  bie  erfte  53ebingung  ber  ^onftruftion  ber  3Birf(id)feit  nad)  bem 
©c^ema  öon  ^6)  unb  9^ic^tid).  2öo  fie  ganj  fehlten,  ha  mürbe  e§  ju 
biefer  Gntgegenfe^ung  überljoupt  nid)t  fommen.  ©in  bloB  oorfteüenbeg 
SBefen,  beffen  ^ßorftellungen  o^ne  @efü()I§betonung  mären,  ober  ein 
SÖSefen,  beffen  SBille  fic^  abfotut  burdjfe^te,  bem  fic^  jeber  gemollte  Sßor= 
fteflung§inf)alt  fogleic^  al§  ma^rgenommene  2BirfIic^!eit  barftedte,  ba§ 
mürbe  bie  ^orftellung  einer  objeftiöen  3öirflid)feit  jenfeitS  feiner  ^or= 
ftetlung^melt  nidjt  fierüorbringen,  e§  mürbe  feine  25orfteÜungen  oor= 
fteüen  unb  feine  @eban!en  benfen,  mie  ein  äJJat^ematifer  feine  g^ormeln 
unb  Figuren  benft. 

2)ie  meitere  S)urc^fü§rung  ber  (Sntgegenfe^ung  öon  ^d)  unb  DJic^tic^ 
in  ber  2öirflid)feit§anfdjauung  bürfte  bann  mefentlid)  folgenbe  SOZomente 
ju  ifirer  33orau§fe|ung  f)aben. 

«Baulfen,  Ginleitmig.    6.  ÜUift.  25 


386    n.  93u(^:  erfenntniStl^eor.  «Probleme.    1.  topitel:  2)og  «Problem  be§  SSejeng. 

1)  i5){e  Unterfdjeibung  be§  eigenen  2eibe§  öon  ben  übrigen 
Körpern,  ^er  eigene  Seib,  ber  gunäd^ft  burc!^  finnlid;e  SßQljtne'^mung, 
ni(f)t  anberS  ol^  bie  anbern  5iörper,  gegeben  ift,  genjtnnt  notroenbig 
eine  einzigartige  Stellung  jci)on  boburd^,  bo|  feine  33en)egungen  unb 
S3erü^rungen  mit  anbern  Körpern  ju  SBißenSerregnngen  unb  ©efü^Ien 
in  einer  unmittelbareren  S3e§ief)ung  fte'^en,  al§  bie  93en)egungen  unb 
S3erü^rungen  onberer  Körper;  ferner  baburd),  ha^  bie  2öaf)rne^mung 
feiner  SEeile  unb  S3en}egungen  ben  beftänbigen,  ibentifc^en  ^intergrunb 
für  bie  2Sa'f)rnef)mung  aller  anbern  bilbet. 

2)  ®ie  Unterfcfjeibung  ber  m  ö  g  I  i  cf)  e  n  üon  ben  ttj  i  r  f  I  i  d^  e  n 
SE5a't)rne^mungen,  ber  fonftanten  @ e n f i b i ti e n  oon  ben  öorüber== 
get)enben  ©enfationen,  ober,  mit  ^ant,  ber  (£ r f rfj e i n u n g e n 
üon  ben  (Smpfinbungen.  ^nä)  baQ  ift  eine  Unterfd)eibung,  bie 
jebermann  mad)en  lernt,  ^d)  fe^e  einen  ©egenftanb,  fd)IieBe  bann  bie 
fingen  unb  fel^e  it)n  nun  nidjt;  ober  ic^  bin  überzeugt,  icf;  fann  i^n 
jeben  Stngenbticf  mieber  fe'^en;  ber  SSerfud)  ift  bie  ftet§  bereite  S3e= 
ftätigung  ber  Überzeugung.  Sc§  öerlaffe  mein  .^aus,  meinen  SSo^nort, 
fef)e  taufenb  frembe  ®inge,  babei  bin  id^  überzeugt,  ba^  gu  §aufe  nod^ 
olleg  an  feinem  ^(a|  fte^t,  ha^  fjeiBt,  ha^  id)  jeberjeit,  »enn  ic^  biefe 
drtStierönberung  au^fü^rte ,  alle  jene  be!annten  3)inge  tüieberfef)en 
fönnte.  Unb  menn  id)  f)eim!ef)re,  finbet  es  fid)  fo;  unb  nun  gef)t  e§ 
mit  ber  SSelt  brausen  ebenfo,  fie  ftefjt  ha,  ber  SBiebererneuerung  burd^ 
2öaf)rnet}mung  ftet§  gen)ärtig.  ©o  baue  id)  eine  SSelt  au§  möglid)en 
Sßa^rnef)mungen  auf,  unb  bie  mirflid^en  2öat)rnef)mungen  erfd)einen 
a(§  ein  öerfc^minbenber  2(usfd)nitt  an§:  ben  möglichen.  2)iefe  mijglid)en 
SSaf)rnef)mungen  finb  nun  eben  ha§',  nja§  in  gemöf)nlid§er  ü^ebe  bie 
objettiüe  2öirflid)feit  fjeifit;  unb  bie  mirflic^en  2Sof)rnef)mungen  werben 
aU  ©inrairfungen  biefer  objeftiöen  SSeÜ  auf  ha§:  Semu^tfein  be§  @ub* 
jeftS  !onftruiert:  bie  ©enfibitien  Urfad)e  ber  Senfationen. 

2)a§  Übergemid^t,  ha^  fo  bie  SSelt  ber  möglichen  über  bie  wirf* 
lid^en  SBa^rne^mungen  gewinnt,  fann  man  bann  mit  %  (St.  SJJiH*) 
etwa  auf  fotgenbe  SSeife  erflären.  Sie  möglid^en  2öat)rnef)mungen 
ober  bie  ©rfdieinungen,  im  Unterfdjieb  öon  ben  wirfüdien  3Sal^r= 
nel^mungen,  finb  bef)arrlid^   unb   unabf)öngig   oon  ber  SSiflfür.    2)ie 


*)  An  examination  of  Sir  W.  Hamiltons  philosophy,  ®.  192  ff. 


3.  ®ie  erfenntniä  ber  2lu6enttjeU.  387 

ttjirf  liefen  SBa^rnefjmungen  tüecf)fetn  öeftänbig,  ber  S8etüuBtfein§in{)aIt 
ift  in  jebem  5(ugenBIicf  ein  anberer,  unb  jiüar  i[t  ber  SSedjfel  obfiängig 
öon  meiner  SSillfür,  jebe  SSenbung  be§  5(uge§  füf)rt  einen  anbern  Sn^ott 
l^erBei.  S)agegen  bie  möglirf)en  SSafjrne^mungen,  bie  ©enfibilien, 
finb  Bef)Qrrti(^  unb  unofitjäng  oon  ber  2öiQfür;  n)äf)renb  id)  bie  n)irf= 
lirfien  SBaf)rne^mungen  ieber^eit  üerfc£)tüinben  laffen  fann,  finb  bie  mög= 
lid^en  im  großen  unb  ganzen  beftänbig;  id)  fann  ber  2Baf)rnet)mung 
be§  9J?onbe§  am  §immet  mic^  jeben  S(ugenblic!  entjie^en,  aber  bie 
9}?öglic^feit,  if)n  bort  ju  jef)en,  fann  id^  nicf)t  ebenfo  befeitigen.  Somit 
l^ängt  gufammen,  ba'^  bie  möglidjen  SSa^rne^mungen  unb  if)re  3"= 
jammen^änge  für  öerfc^iebene  ©uBjefte  gemeinfam  finb,  bie  mirflid^en 
nid^t;  fomie,  boB  ta§i  ©intreten  ber  mijgüd^en  2Baf)rne^mungen  6ered^en= 
bar  ift,  ha§  ber  njirflid^en  nic^t.  SBann  ber  9J?onb  fidjtbar  n^erben, 
b.  t).  aufgef)en  wirb,  löfet  ficf)  berecfinen,  bagegen  auf  feine  SBeije,  n^ann 
unb  ob  ber  (Singeine  i^n  mirflic^  fef)en  n^irb.  2)at)er  aüe  SSiffenfc^aft 
allein  ben  möglid^en  SSaf)rnef)mungen  ober  ben  (Srfd^einungen  unb  i^ren 
3ufamment)ängen  nadifrogt,  nic^t  aber  ben  jufäüigen  ßufammen^ängen 
ber  ft)irflid)en  SSa^rneljmungen  im  ©näelbeUiuBtfein :  S^^aturgefe^e 
finb  gormein,  biefonftante^gejie^ungen  ber  ©rfd)  einungen 
barfteüen,  im  Unterfdjieb  oon  5tffoäiationenbonS8orftetIungen 
im  f üb jeftiüen  Semufetfein. 

@o  entftef)t  bie  S^orfteüung  einer  objeftioen  SSelt.  Sem  SemuBt= 
fein  bleibt  biefe  pfl)c^otogifd)e  SSermittelung  oöüig  fremb;  bie  ^örper= 
toelt  ftefjt  i^m  gegenüber  aU  abfolut  feienbe  2BirfIid)feit.  @rft  bie 
erfenntni§tI)eoretifc^e  9^efIejion  fül)rt  auf  bie  S3etrad)tung,  ta^  ber  not= 
njenbige  33e5iel)ung§punft  für  biefe  objeftiüe  SBelt,  mie  taut  fagt,  ein 
„Semufetfein  überl)aupt",  ein  fonftruftioe§,  mit  ft)ntl)etifdjen  gunftionen 
au§geftattete§  (Subjeft  ift;  unb  ha^  I)inter  ber  ©rfdjeinung  noc^  ein 
on  fid^  @eienbe§  öorauSgefe^t  luerben  muB,  beffen  (St)mboI  bie  (Sr= 
fc^einung  ift.  2öa§  bie§  fein  fönne,  ift  im  ^Sorigen  angebeutet  ujorben: 
ein  für  fid;  feienbe§  Sunenleben  erfüllt  allein  bie  Sebingung  be^  ob= 
foluten  Safeinl. 


25= 


gtreitcs  Kapitel. 


Sie  g^roge  nad)  bem  Ursprung  ber  (£r!enntni§  giebt  pr  (Snt- 
fte'f)ung  bes  ©egenfa^eS  öon  9tationaIi§mu§  unb  @m|)iri§mu§ 
(ober  @enfualilmu§j  SSeranlafjung.  ^er  (£mpiri§mu§  leitet  QÜe 
(Sr!enntnt§  an§>  ber  2Ba§rnef)mung  ab;  ber  3flationati§mug  bagegen  be= 
t)auptet:  rt)iffenfd)aft(ic^e  (Sr!enntni5  fann  überfjaupt  nidjt  au§  ben  ©innen 
fontmen,  \i)v  i[t  Sdigemeinfieit  unb  9^ottt)enbigfeit  Ujefentlirf),  ai]o  i[t  fie 
ein  (ärjeugniS  be§  53er[tanbe§. 

Sd^  üerfud^e  bie  33ebeutung  ber  beiben  2;^eorien  unb  meine 
Stellung  gu  i^nen  in  g^orm  einer  gefd^icfjtüc^en  ^Darlegung  flar  gu 
machen.'") 

1.  ®ci:  9iattona(t§mu§. 

2)er  @tQnbpun!t  ber  gemeinen  9J?einung  in  biefer  5^age,  jott)eit 
benn  überaß  baoon  bie  Stiebe  fein  !ann,  tt)irb  bem  @enjuali§mu§  am 
nä(f)ften  fommen:  unjere  Kenntnis  ber  S)inge  [tommt  aus  ber  finntic^en 
3SaI)rnei)mung. 

©obalb  fic^  bie  ^t)iIofopt)ie  üon  ber  gemeinen  3öe(tüorfteIIung 
Io§Iö[t  unb  if)r  entgegenfteüt,  ent[tef)t  bie  rotionaliftifc^e  X^eorie.  ®ie 
^f)iIoiopt)ie  nimmt  für  fid)  einen  anberen  Urfprung  in  SInfprucf),  al§ 
fie  ber  gemeinen  SJIeinung  5ugeftet)t;  biefe  möge  in  ber  Xi^at  it)re  ^unbe 
ber  2)inge  au§  ben  ©innen  geminnen,  miffenfcfjoftüdje  (är!enntni§  ba- 
gegen ober  ^f)i(ofopf)ie  ftamme  feine§meg§  aus  ber  3Sat)rnet)mung, 
fonbern  au§  bem  2)enten  ober  ber  S3ernunft. 


*)  SSgl.  21.  SRief)!,  ®et  p^ilojop^ifd^e  tritiäi^mu?  unb  ^eine  93ebeutung  für 
bie  po[ttiöe  SBiffenfc^aft.  ^cf)  l^abt  über  f  ant§  (£rtenntntltf)eorie  unb  if)re  ge= 
j(f)ic^tU(^e  (Steßung  in  meiner  Snttridelung^gefc^ic^te  ber  Äantijc^en  ©rfenntniS» 
tf)eorie  (1875)  unb  neuerbing^  in  einer  ©eiamtbarftellung  beä  S^ftentl  Q.  Äant, 
\.  Seben  u.  )'.  iJe^re,  2  2t.  99)  eingef)enb  ge^anbelt. 


1.  ®er  fRaüomü§mu§.  389 


.^ierin  !ommen  bie  erften  groBen  @t)[tembi(bungen  ber  gried^ifcfien 
^f)iIofop^ie  ade  überein.  @o  öerfdjieben  if)re  §(n[id)t  über  boS  SOSejen 
ber  5)inge  ift,  in  ber  Slnfic^t  finb  fie  einig,  ha^  bie  S2?a!^rf)eit  nic^t 
au§  ben  ©innen  fomme.  ©o  jc£)itt  ^eroflit  bie  6inne:  jd)Iec^te 
ßeugen  finb  ben  9J?enfd)en  5Iugen  unb  Dl^ren  foId)er,  bie  nicfjt  \pxad)= 
funbige  ©eelen  ^aben;  er  meint,  \)a'Q  nur  ber  burrf)  bie  ©inne  belehrt 
n)irb,  ber  mit  fritifcf^em  35er[tanb  i^re  5tu§JQgen  ju  interpretieren  meiB- 
S^od^  fcfjärfer  fpric^t  bie  ^f)i(ojop]^ie  ber  SIeoten  ben  ©innen  unb 
ber  SOZeinung  bie  3Baf)rf)eit  ah;  biefe  i[t  allein  im  SSer[tanbe,  jene  er= 
jeugen  nur  einen  trügerifcf)en  ©d^ein,  fie  geigen  ha§>  (Sine  unb  ©eienbe 
a(§  $8iele§,  33ett)egte§,  3Berbenbe§  unb  95erge^enbe§.  3^"o  unter= 
nimmt  burrf)  ©enfen  bie  Unbenfbar!eit,  atfo  llnmöglirf)!eit  unb  llnn)irf= 
lic^feit  ber  finnlid^en  SBelt  barjutfiun.  9Zirfjt  minber  fommen  bie  beiben 
anberen  Slntipoben,  ©emofrit  unb  ^Tato,  f)ierin  überein,  bofe  ber 
SBerftanb  attein  gur  SBar)r'^eit  fü^re,  nid^t  bie  335a^rnef)mung.  9catürlirf), 
bie  ©inne  fef)en  meber  hk  %tomc  nod)  bie  Sbeen,  bie  fiet)t  allein  ber 
ißerftonb,  ber  burd^  bie  SlJJannigfoItigfeit  ber  (£rfrf)einungen  gu  ben 
legten  ©rünbcn,  bem  eigentlid^  2öirf(irf)en,  burd^bringt. 

(Sbenfo  finb  bie  erften  großen  ©ijfteme  ber  mobernen  ^f)iIofop'^ie 
in  ber  @rfenntni§tt)eorie  rotionaliftifd^:  ®e§corte§,  §obbe§, 
©pinojo,  Seibuig.  @ie  gelten  au§  üon  ber  äJJat^ematif;  eine 
mat^ematifc^e  ^f)t)fif,  gule^t  eine  mat^ematifrf)e  SBeltttjeorie  ift  il)r  ßkl 
9latürli(f)  fann  eine  fo(d;e,  fo  raenig  tt)ie  bie  reine  3Jfatf)ematif  felbft, 
burd£)  3Baf)rnet)mug  ober  (Srfatjrung  ^uftanbe  gebrad^t  luerben.  ^ierju 
!ommt  nod^  ein  2öeitere§:  bie  neue  ^^ilofopl^ie  foll,  n)enigften§  bei 
einigen  ber  neuen  ^{)iIofopl^en,  ebenfo  tok  bie  alte  ©rf)uI'p^iIofop^ie, 
aud^  al§  rationale  2;^eo(ogie  bienen  unb  ha§:  5)afein  @otte§  unb  bie 
Unfterblid^feit  ber  ©eele  bemeifen;  njogu  benn  freiürf)  bie  @rfaF)rung 
nidE)t  f)inreid|t.  S)ie§  Sßer^öItniS  l)Qt  ber  rationaliftijd^en  @r!enntni§= 
tf)eorie  ben  9tuf  ber  guten  ©efinnung  eingetragen,  iüäf)renb  ber 
(Smpiri§mu§  bi§  auf  biefen  Stag  profaner  ©efinnung  berbärf)tig  ift; 
aurf)  l^ente  norf)  ift  e§,  UJenigftenS  in  S^entfd^Ionb,  übtirf)  §u  fageu: 
ber  (5mpiri§mu§  fü{)rt  jum  9Jiateriati§mu§  unb  5tt^ei§mu§. 

®er  Üiationaü§mu§  ift  alfo  bie  erfte  g^orm  ber  n)iffenfc^aftürf)en 
Gr!enntni§t^eorie;  er  ift  aU  if)re  erfenntni§tt)eoretifd^c  9iec^tfertigung 
öon  ben  großen  metapf)t)fifrf)en  ©ijftembitbungen  f)eroorgebrad)t  njorben. 


390  II.  93ud^:  er!enntm§t^eor.  Probleme.  2.  ^ap.:  S)o§  «Problem  be§  UrfprungS  rc. 

SDer  @mpiri§mu§  ift  späteren  UrjprungS;  er  entfielt  in  ®e[tQlt  ber 
Slritt!  ber  metopti^fifd^en  ©ijfteme  unb  i^rer  (är!enntni§t{)eorie. 

3d)  enttüirfele  sunäcfift  bie  rationaliftifdje  ST^eorie  in  ben  @runb= 
gügen.  3f)re  S3el)auptung  ift  aljo:  alle  eigent(i(i)e  ober  tt)iffenj(i)aftü(^e 
@r!enntni§  tt)irb  üom  S^erftanbe  burd§  immanente  (Sntttjidelung  au§ 
nrfprüngüd)  gewifjen,  nid^t  burd^  2Ba^rneI)mung  gettjonnenen  ober 
burrf)  @rfo{)rnng  fontroüierbaren  ^rin^ipien  f)eröorgebrad)t.  S)a§  SSor= 
öilb  biefe§  SSerfo^ren§  bietet  bie  9JJat^emoti!.  —  ßroti  ^^rogen  bröngen 
fid)  auf,  unb  it)re  Seontwortung  mad)t  eigentlich  bie  (gr!enntni§tf)eorie 
be§  9f{ationaIi§mu§  au§:  1)  SBie  !ommen  toir  ju  jenen  erften  ^rin= 
jipien,  ben  aBfohiten  ?tu§gong§pun!ten  be§  2öiffen§?  2)  2öie  !ommt  e§, 
boB  ein  foIdjeS  bnrd)  reine  5ßerftaube§t^ätig!eit  !onftruierte§  @i)ftem 
un§  objeftiöe  ör!euntni§  ber  SBir!Iidj!eit  üerfdjafft?  3)enn  ba§  ift 
bod)  bie  Sl6fid)t  aller  Sßiffenfd^aft,  bie  2SirfIid)!eit  bar^ufteHen;  offenbor 
aber  ift  bie  Übereinftimmung  eine§  foId)en  apriorifc^en  @eban!enfl)ftem§ 
mit  ber  mirüic^en  SSelt  nic^t  felbftoerftänblid),  fonbern  im  ©runbe 
fet)r  überrafc^enb. 

SJJan  !ann  brei  ©runbformen  be§  9f?ationa(i§mu§  unterfd^eiben, 
fie  finb  unterfd)ieben  burc^  bie  oerfd)iebene  SSeantinortung  biefer  beiben 
fragen:  ben  metapt)t)fifd)en,  ben  matljematif d)en,  ben 
formalen  9iationaIi§mu§.  ^lato,  ©pinoja,  Ä'ant  mögen  bie 
brei  ©runbformen  repräfentieren. 

5)er  metapf)l)fifc^e  9flotionoli§mu§  beruljt  auf  ber  $8orau§= 
fe|ung,  ha^  bie  2BirfIid)feit  on  fid^  fetbft  ©ebanfe  ift;  borum  !ann 
fie  bnrd)  reine§  teufen  erfannt  merben.  @§  ift  ^(oto,  ber,  burd^ 
eleatifd)e  ©pefulation  öorbereitet,  jum  erfteumal  biefen  ©ebanfen  §um 
©runbpfeiler  eine§  großen  p't)iIofopt)ifd)en  (S^ftemS  gemadjt  I)at.  ®er 
fefte  Drientierung§pun!t  ift  i^m  bie  Überzeugung:  bie  SSelt  ber  finn= 
liefen  2Sat)rne'^mung  ift  nid^t  bie  tt)irflid)e  2Be(t,  bie  2Bir!Iid)!eit  an 
fid)  ift  ein  feienbeS  S8egriff§=  ober  ©ebonfenf^ftem,  eine  Sbeenmelt. 
2Bie  fommen  mir  gu  if)rer  (5r!enntni§?  ^atoS  5lntmort  ift  nid)t 
eigentlid)  er!enntni§tf)eoretifd),  fonbern  ein  @tüd£  feiner  9Jcetap'^t)fi!: 
bie  ©eele  ift  etma§,  ma§  mit  bem  mirf(id)  SSir!tid)en  urfprüngüd^e 
2Befen§gemeinfd)aft  t)at.  ©ie  ift  felbft  S)enfen  ober  ©eift,  nämlid^ 
eigentlid)  ober  on  fid).  Sn  il)rem  irbifc^en  S)ofein  erfdjeint  fie  nic^t 
al§  bo§,  ma§  fie  eigentlich  ift,  al§  reine§  ®en!en;  f)ier  ift  i^r  SBefen 


1.  ®er  SRationoIi§mu§.  391 


öerl^üHt  ober  entfteHt  burd^  bie  S3eimijcE)itng  beg  ©innlid^en,  ber  SSa'^r= 
itet)mung  unb  23egierbe.  5(6er  bie§  irbifdje  Seben  i[t  blo^  eine  ^fjafe 
il^reS  2)QJein§;  fie  je(6[t  War  öor  ber  Snforporierung  unb  n)irb  nad) 
ber  Söfung  öom  2eibe  fein.  Sn  bem  leiblofen  ®ajein  ift  fie  eigent(icf), 
h)a§  fie  ift,  unb  ftefjt  t)ier  in  unmittelbarem  58erfef)r  mit  bem  lüirfticf) 
SSirflidjen,  frfjauenb  bie  Sbeen,  iia§>  tjei^t,  benfenb  bie  feienben  ©ebanfen. 
Sn  bem  Ieiblirf)en  Seben  ift  if)r  2)enfen  getrübt  burc^  bie  ©innlic^feit. 
2ßie  93?enf(f)en,  fo  fagt  jene§  berühmte  53itb  in  ber  Stepublif,  bie  in 
einer  §öf)Ie,  ben  Ü^ücEen  gegen  ben  (Singang  gettienbet,  gefeffelt  fi|en, 
auf  ber  9^ücfroanb  bie  @rf)otten  ber  ©inge  öorbeijie^en  feljen,  bie  ficf) 
bronzen  öor  bem  Eingang  üorüber  beroegen,  fo  fi^t  bie  (Seele  in  ber 
§öf)(e  be§  Seibe§  unb  fief)t  allerlei  ©d^atten  ber  S)inge,  bie  burd^  bie 
Öffnungen  be§  Seibeg,  bie  Stugen  unb  D^ren,  öon  üorüber^ie^enben 
SDingen  lEjineingettiorfen  n^erben.  (Sin  (Scf)immer  be§  eigentlid^en 
SDenfen§  ift  i^r  atlerbingS  geblieben,  tt?ie  eine  (Erinnerung  au§  jenem 
^uftanbe  ber  Seiblofigfeit  unb  be§  ^ellfef)en§.  Unb  if)re  5(ufgabe  in 
biefem  Seben  ift  nun,  fort)eit  al§  möglich  ha§>  SDenfen  frei  ju  mac£)en 
öon  ber  @inntid)feit,  bie  e§  mit  Schein  unb  93Ienbn)er!  öerfd^üttet  ^at. 
SOiatt)ematif  unb  3)iale!tif,  bie  beiben  großen  formen  be§  begrifftid^en 
5[)en!en§,  finb  fjier^u  ber  2Seg. 

5(uf  bie  ^riti!  biefe§  Ü^ationati§mu§  unb  bie  Sfniäufe  ju  einer 
bem  (5mpiri§mu§  näf)er  fommenben  ©rfenntni§tf)eorie,  tt)ie  fie  bei 
51  r  i  ft  0 1  e  t  e  §  fidj  finben,  n^ill  id)  nid^t  eingeben.  ^riftoteleS  f)at 
^ier,  ein  fo  {)arter  unb  oft  unbilliger  Sftic^ter  ^tatoS  er  ift,  boc^  gar 
nid^tg  (55an§e§  an  bie  ©teße  gu  fe^en  geUJuBt:  ein  STnfa^  §u  einer 
empiriftifdjen  STtjeorie,  au§  feiner  Beobachtung  ftammenb,  unb  ein 
Slnfa^  5U  einer  rotionaliftifd)en  Xf)eorie,  au§  ber  (St)IIogiftif  ftammenb, 
bleiben  uuöermittett  neben  einanber  fte{)en.  dagegen  ttiiü  id^  barauf 
t)inn)eifen,  ttiie  bie  ^latonifdje  5(nfd)auung  in  ber  fpefulatiöen  ^f)i(o= 
fop^ie  unfereS  Sai)tf)unbert§  erneuert  Ujorben  ift.  SBei  §egel  finben 
toir  biefelbe  ©runbanfc^auung:  bie  3Bir!Iid)!eit  ift  an  fic^  @eban!e, 
eine  mit  innerer  9Jottt)enbig!eit  fid)  entfaltenbe  Sbee;  tia§'  öotlfommene 
(Srfennen  beftet)t  in  bem  9Zad)benfen  ber  feienben  (55ebanfen;  in  ber 
bialeftifd^en  53ett)egung  be§  t>^iIofopt)ifd)en  3)en!en§  n)ieberf)o(t  fid^  ober 
öielmel^r  erfaßt  fid)  felbft  mit  @eIbftben)uBtfein  bie  in  (ebenbiger  @etbft= 
bettjegung  feienbe  abfolute  Sbee. 


392  n.  93uci):  (grfenntmät^eor.  Probleme.  2.  Äop. :  S)a§  Problem  be§  Urfprungg  zc. 

(Sine  gtüeite  g^orm  be§  9f?atiDnati§mu§  i[t  ber  nt atfjemattf dfie 
9fiationaIi§mu§  be§  fiebgefinteu  Satjrfjunbertg.  ßr  unterfdjeibet  jic^  oon 
bem  ^(atonijc^en  boburcl),  bafe  er  immanent  bleibt,  ©eine  33ef)anptung 
ift:  aUt  SSiffenfd^aft,  im  bejonberen  unb  junMjft  bie  D^aturmiffenjdjaft, 
fann  unb  muB  bie  gorm  ber  9JjQtf)ematif,  b.  Ij.  bie  gorm  eine§  qu§ 
^rinjipien  abgeleiteten  bemon[tratioen  (Si)[tem§  annefjmen.  ^e§  = 
carteg  unb  §obbe§  begegnen  fid)  in  biefer  @runböorau§je|ung; 
©pinoga  f)at  in  feiner  (St{)i!  ben  SBerfud)  i^rer  förmlichen  Surc^* 
fü^rung  gemacht;  Seibnig,  ber  fic^  fc^on  mit  ber  injwifclen  f)eröor= 
getretenen  empiriftifcf)en  ßtiti!  auSeinanber  fe^t,  |at  fie  mit  @infd)rän= 
fungen  feftju'^alten  gefud^t. 

S)ie  Stntmort  auf  bie  beiben  oben  bejeidfineten  S^ragen  be§ 
üiationaliSmug  geftattet  fic^  ^ier  nun  fo.  2(uf  bie  grage  nac^  ber 
9^otur  ber  erften  ^ringipien  be§  bemonftratiüen  (SrfennenS  antwortet 
®elcarte§  \üot){  and)  mit  berSSenbung:  e§  feien  angeborene  Sbeen. 
^er  SluSbruc!  ftammt  an§:  ber  ^Iatonifd)en  ^t)iIofopf)ie;  aber  e§  ift 
nur  ber  alte  9^ame,  nic^t  ber  alte  (Sinn.  Se§carte§  n)eiB  nichts  üon 
^räefifteng  unb  Erinnerung.  SSa§  er  meint,  ift  bie§:  e§  giebt 
ßr!enntni§elemente,  bie  burcf)  ben  SSerftanb  urfprünglid)  f)erüor= 
gebrad)t  ttjerben  unb  feiner  53eftätigung  burc^  ßrfaf)rung  bebürfen. 
(So  ^eigt  e§  bie  9J?atI)emati!.  S^re  ^rin^ipien  finb  Definitionen  unb 
Stjiome;  beiber  SBa{)r^eit  beruf)t  nid)t  auf  SBa^rne^mung  unb  ^e= 
obacfjtung.  ®ie  Definitionen  be§  9)iatf)ematifer§  finb  53egriffe,  bie  ber 
SSerftanb  abfotut  fe^t;  nicf)t  auf  gegebene  2öaf)rnef)mung ,  fonbern 
lebiglic^  auf  feine  gun!tion  felbft  blidenb,  fe^t  er  ben  ©egriff  be§ 
Greifes  unb  ber  Dangente,  ber  ^oten^  unb  be§  2ogarit{)mu§.  @o  finb 
Stfiome  (Sä^e,  bereu  ©ültigfeit  nid)t  burc^  ©rfa^rung  bemiefen  uiirb, 
fonbern  bie,  fobalb  fie  begriffen  finb,  auc^  at§  abfolut  einteurf)tenb 
oom  QSerftanbe  aner!annt  n^erben. 

Da§  ift  nun  überall  bie  gorm  eigentlid)er  2BiffenfcE)aft.  (So 
äunäcf)ft  ber  ^{)t)fif;  fie  ift  eigentlich  nicf)t5  al§  ein  S^tiQ  ber  9}iatf)e= 
matif.  De§carte§'  '»ß^itofop^ie  ift  in  erfter  ßinie  eine  ©ebanfenbilbung 
äu  bem  3tt)ed,  bie  S[RögIic^!eit  einer  rein  mat^ematifcfjen  ^f)t)fif  bar= 
5Utt)un.  3u  biefem  ©übe  ujirb  ha§>  SSefen  be§  ^örper§  auf  bie  reine 
5lu§bef)nung  eingefd)rän!t;  er  ^at  feine  anberen  33eftimmungen  al§ 
geometrifdje,    feine    inneren    S3eftimmungen;    bamit    ift    er    ber    rein 


1.  ©er  gtationoligmug.  393 


ntatfjematijd^en  Sel^anbtung  unterluorfen.  Corpvis  est  res  extensa,  ba§f 
i[t  nun  eine  mati)ematifd)e  S)efinition,  nic^t  anber§  qIö  bie  5)efinition 
be§  2öinfe(§  ober  ^reife§.  @6enfo  öer'^ätt  e§  firf)  mit  bem  SSegriff 
ber  ©eele:  mens  est  res  (mere)  cogitans.  ©a^u  !ommen  nun  ?Ijiome, 
5.  93.  ber  ©q^  oon  ber  (ärf)altung  ber  (Sub[tau§:  ha§  Ouantum  ber 
3J?Qterie  trirb  tt)eber  öermef)rt  nocf)  üerminbert;  ober  ber  @q^  öon  ber 
(Srl^altung  ber  ^roft:  ha^  Ouantum  ber  Senjegung  ift  unoeränberlid); 
e§  finbet  ftjeber  (Sntftetjung  nocf)  SSernicfjtung  Don  93en)egung  ftatt, 
fonbern  nur  Übertragung  oon  einem  Körper  auf  onbere.  5(uf  ©runb 
biejer  ^Definitionen  unb  Stfiome  ift  nun  bie  3laturmiffenfcf)aft  al0 
bemonftratioeS  @t)ftem  ber  9)?ec^anif  ju  entmideln.  ®ie  93ebeutung 
ber  2Baf)rne^mung  ift  hierbei  prinzipiell  biefetbe,  toie  für  bie  ©eometrie : 
fie  !ann  ben  erften  HnftoB  §ur  Silbung  oon  Segriffen  unb  (Sä^en 
geben.  5lber  erft  mit  ber  SDemonftration  t)aben  mir  eigentlicf)e,  000= 
enbete  2öiffenfd)aft. 

©amit  ift  nun  audj  bie  Antwort  auf  bie  onbere  t^rage  gegeben: 
mof)er  bie  Übereinftimmnug  eine§  fotd^en  rein  immanent  entmicEelten 
(Stiftemö  oon  £e^rfö|en  mit  ber  2ßirf tic^feit  ?  ®e§carte§  antwortet: 
tüie  bie  mat^ematifd^en  Segriffe  bie  @en:)äf}r  i^rer  ©üttigteit  in  fic^ 
felbft  tiaben  unb  feiner  Seftätigung  burcf)  (Srfa^rung  bebürftig  finb, 
fo  and]  biefe  Definitionen.  Su  ^orm  eine§  allgemeinen  ©a|e§  fpric^t 
er  biefe  5Inficfjt  au§:  ma^r  ift,  tuo§  \d)  Uax  unb  beutlid)  einfet)e. 
Seber  in  fidj  flare  unb  beutlid^e  Segriff  f)at  eben  in  biefer  feiner 
S)en!barfeit  ober  9JUig(id)!eit  bie  @elnäf)r  feiner  ®ü(tig!eit;  quidquid 
clare  ac  distincte  percipio,  verum  est;  ein  @a|,  ber  beutli(^  feinen 
Urfprung  au§  bem  matl^ematifc^en  Deuten  oerrät.*) 


*)  ^n  ber  britten  ber  Meditationes  de  prima  philosophia  crfcf)eint  biefer 
©0^  ai§  abgeleitet  ou§  bem  cogito  ergo  sum.  ®o^  ift  notürlic^  ©d^ein;  toie  benn 
biefe  gange  ©ntlridelung  Dom  abfoluten  3*^£^f^l  h^^  abfoluten  ©eroi^^eit  be§ 
cogito  ergo  sum  unb  ber  f)ierou§  gefolgerten  ©jiftens  ®otteä  unb  feiner  3Ba^r=» 
t)aftig!eit,  bie  bann  föieber  ben  Unterbau  für  bie  ®ert)iB{)eit  aller  wiifenfc{)oftli(^en 
©r!enntnii  bitben  foll,  eine  :^intert)er  fommenbe  unb  ^ö(^[t  überftüffige  ®ubftru!tion 
Dörfer  feftfte{)enber  ©ebanfen  ift.  ®iefe  öort)er  feftfte^enben  ©ebanten  finb  aber: 
bie  SDZat^eniati!  ift  obfolute  3Siffenfd)aft,  an  it)r  gemeffen  finb  alle  bi§f)erigen  SBiffen» 
fc^aften,  fo  befonberS  bie  aJJetap:^i)fif  unb  bie  ®d^ulpf)i}ftf,  ungen^iß  ober  öietme:^r 
überfjaupt  nid)t  aBiffenfd)aften.  ©ic  fönnen  e§  aber  werben,  wenn  man  fie  matf)e= 
matifc^  madjen  fann.    ®a§  gef)t  nun,  feit  ©alitei,  für  bie  $^t)ftf;  bie  gefieimen 


394  n.  93uc^:  erfenntniSt^eor.  Probleme.  2,  Aap.:  ®a§  Problem  beg  Ursprungs  ic. 

Sn  öotlenbeter  2)urc^fü^rung  tritt  un§  biefe  5tnjrf)ouung  in  bem 
pf)iIofop^ifcfjen  ©t)ftem  © p i n o 5 o §  entgegen.  Ethica  more  geo- 
metrico  demonstrata,  fo  fünbigt  ficf)  fein  ^auptltierf  an.  9J2it 
eijerner  58e^arrlicfj!eit  ift  bie  matf)ematifcf)e  f^orm  burdigefüfirt;  oIIc 
SSiffenfdjaften,  bie  9JJetQp^l)fif,  bie  ^f)i)fi!  (burd)  ein  paar  2e^nfä|e 
im  jnjeiten  ^urf)  angebentet),  bie  ßrfenntni^t^eorie,  bie  ^fl)(i)oIogie, 
bie  @t^if  mit  ben  ©runbbegriffen  ber  ©taat§Ief)re  finb  nad)  bem 
geometrifd)en  (Schema  be!)anbe(t.  SebeS  Snd)  beginnt  mit  ^Definitionen 
unb  5(?:iomen,  e§  folgen  Se^rfä^e  unb  Senjeife,  ßorollarien  unb  ©d)oIien, 
bie  ganje  ^t)ilofopf)ie  ein  (2t)ftem  benfnotn^enbiger  formen,  au§  ben!= 
notmenbigen  Gegriffen  unb  5(jiomen  abgeleitet.  —  ^ie  SIntmort  anf 
bie  f^rage  nad^  ber  Übereinftimmung  biefe§  S^ftemS  mit  ber  SSirflid^* 
!eit  giebt  (Spinoza  au§  feiner  9J^etap^t)fif.  ®er  ^aradeli^mug  ber 
beiben  5(ttri6ute,  be§  2)en!en§  unb  ber  5{u§be{)nung,  mirb  gur  @ub= 
ftruftion  ber  GrfenntniSt^eorie  oermenbet:  e§  ift  ba§felbe  unb  eine 
SBefen  ber  ©uöftonj  ober  be§  Stünjirfüc^en,  ha§  fid)  in  ber  ft^örper« 
tt)elt  unb  in  ber  ©ebonfenmett  in  einem  (Softem  üon  SO^obififationen 
barfteüt.  Unb  barum  entfpric^t  bie  Orbnung  unb  95erbinbung  in  ber 
©ebanfenmelt  ber  Drbnung  unb  SSerbinbung  in  ber  ^örpertüelt;  ma§ 
^ier  al§  Urfac^e  unb  SSirfung  erfc^eint,  ha^  ift  bort  (^runb  unb  golge: 
sequi  unb  causari  ift  im  ©runbe  ba§felbe.*) 

2.  ®er  ©mptri§ntu§. 

®ie  ^ritif  biefe§  motf)ematifd)en  9^ationaIilmu§  ift  ^iftorifd) 
burc^   bie  jmeite  gro^e  (Snttt)ide(ung§reit)e   ber   mobernen  "pfiilofop^ie 


Gräfte  unb  Sntitäten  toerjc^tüinben  :^ier  unb  mot:^ematijd^e  ^onftruftion  unb  9ted^nung 
tritt  an  bie  ©teile,  ign  gejüiffer  SBeife  ge:^t  e§,  finbet  3)egcavte§  bann  weiter,  anä) 
für  bie  SOietap^i^fit ;  aud^  :^ier  fann  man  geroifje  begriffe  mit  absoluter  ®ültig!eit 
bilben,  j.  93.  ben  Segriff  eineg  oHerrealften  2Sefen»,  eineä  ens  realissimum  sive 
perfectissimum;  bie  neue  5ß^t)fif  brängt  felbft  ouf  biefen  93egriff  einer  obfoluten 
®int)eit  ber  SBirflic^feit  f)in.  Unb  nun  tt)irb  in  ber  fi)ftematifd)en  S^arfteHung  biefer 
93egriff  jum  (Jcfftein  gemad^t,  nicl)t  ol^ne  Iei(i)t  erfennbare  Stbfic^t. 

*)  Ethica  II,  7:  Ordo  et  connexio  idearum  idetn  est,  ac  ordo  et 
connexio  rerum.  SSSogu  benn  freiließ  gu  bemerten,  ba'^  ber  pf»)cf)opt)t)fifc^e  ^aroöe= 
Ii§mu§  gmifc^en  58ett)nBtfein5üorgängen  unb  Sfierüenproäeffen  I)ier  of)ne  aüe§  'Siidjt 
gu  einem  erfenntniittjeoretijdjen  ^^3aralleli§mul  gmifdien  logifdjen  33egriffgfom= 
binotionen  unb  naturgefe^mäfiigen  Semegungen  umgebogen  roirb. 


2.  ®er  em^jirigmug.  395 


öon§ogen  tuorben,  burd)  ben  engltfrfien  empirt§mu§.  S-  ßorfe 
iiub  ®.  §ume  finb  feine  ^auptoertreter. 

2)ie  ©runbanfdjQuung  biejer  9^id)tung  i[t:  el  giebt  jtüei  i()rem 
SSefeit  unb  if)rer  9JJetf)obe  nad)  uerfdji ebene  Strien  öon 
SBif fenf d;aften,  rein  begriff lid)e,  wie  bie  9J?atf)emati!,  unb 
gegenftän blicke,  n)ie  ^{)t)fi!  unb  ^f^diologie.  ®er  Irrtum  be§ 
^Nationalismus  Beftef)t  barin,  ba^  er  blofe  eine  gorm  ber  2Siffenfd)aft, 
bie  motf)ematifd)e,  fennt  unb  nod^  it)rem  (Schema  ade  SSiffenfdjoften 
gcftalten  lüiü.  S)a§  ift  ein  unmögüdjeS  Unternehmen;  bie  S£^atfac^en= 
iniffenfdjaften,  Sf^atur^  unb  @eifte§tt)iffenf(^often,  finb  nac^  Su^alt  unb 
9J?et^obe  non  ber  9JJat{)emati!  burdjauS  üerfdjieben.*) 

2)ie  9Jiatf)emati!  ift  baburc^  d)ara!terifiert,  ha^  fie  feine  58e^aup= 
tungen  über  S)ofein  unb  ^erf)alten  be§  SBirüid^en,  fonbern  lebiglid) 
über  folgen  au§  Segriffen  aufftellt.  3)ie  ©eometrie  fogt  nid)t:  biefe 
gigur  ift  ein  ^rei§,  biefer  Körper  ift  eine  Ä'ugel,  unb  feine  Seiüegung 
^at  bie  ©eftalt  einer  öQipfe,  fonbern:  au§  ber  S)efinition  be§  ^reife§, 
ber  (Se^ne,  folgen  biefe  unb  biefe  Slonfequeuäen.  333er  bie  Definition 
aner!ennt,  ber  muB  aud)  bie  Folgerungen  anerfennen,  er  ift  logifdj  ge= 
bunbeu;  ob  e§  Singe  in  ber  Söirflidjfeit  giebt,  bie  bem  Segriff  ent= 
fpred)en,  ift  tjierbei  oijllig  gleichgültig. 

©anj  QuberS  fte{)t  e§  mit  ber  anbern  ©ruppe  öon  SSiffenfc^aften, 
ber  gegenftönblidjen.  'ipi)l)fi!  unb  ^fijd^ologie  tootlen  un§  Ief)ren,  tt)ie 
fic^  5Dinge,  bie  unabtjängig  non  unferen  Segriffen  ba  finb,  t)erf)alten. 
äöie  fönnen  ttjir  Ijierüber  etft)a§  tuiffen?  Ser  @mpiri§mu§  antrtjortet: 
nur  burd)  @rfof)rung.  (5§  ift  tiöüig  unmijglid^,  au§  bem  Segriff  be§ 
SSüfferg  unb  ber  äöärme  abzuleiten,  )x>a§>  gefdje^en  lüirb,  luenn  ba^ 
2;f)ermometer  auf  ÖZuü  fintt  ober  auf  {)unbert  @rab  fteigt,  ober  au§ 
bem  Segriff  eine§  ^örper§  ju  entlüideln,  tt)a§  gefd^e^en  toirb,  xotxm 
man  it)m  feine  Unterftü^ung  nimmt.  S^^ur  bie  2öaf)rnef)mung  be(e!^rt 
un§,  ba^  er  bann  fönt,  ber  Segriff  lüBt  un§  gan^  ratloS.    'änä)  ber 


*)  Sie  Uuterfd)eibung  öon  bentonftrotiöer  unb  erfa^rung^mäfeiger,  auf  SBa'^r* 
nefimung  beru{)enber  ©rfenntni»  liegt  ber  ganjen  58etrad)tung  be^  öierten  58ud)eä 
öon  So(fe§  @[fa^,  bem  eigentlichen  §ouptftücf  be§  SBerf^,  ju  ©runbc,  o^ne  ha'ß 
e§  i>od)  ju  einer  ^räjifen  Formulierung  be§  Unterfc^iebl  fommt.  Stein  unb  Hat 
fteßt  |)umel  Enquiry  bie  nnterfrf)eibung  oll  9tus!ganglpunft  ^in  {^ap.  4  unb 
Äop.  12  ©c^IuB). 


396  n.  93uc^:  erfenntnigtfieor.  ?ßrobIeme.  2.  Äop.:  3)o§  Problem  bei  UrfprungS  ic. 

öollfommenfte  3Serftanb,  jagt  §ume,  ber  Sßer[tanb  SIbam§  üor  bem 
gaü,  f)ätte  if)m  nt(f)t  jagen  !önnen,  boB  er,  raenn  er  in§  SSafjer  fiele, 
unterfinfen  unb  erfticfen  luürbe;  ja  nicfjt  einmal  fönnte  er  it)m  offen= 
baren,  tüa§>  gejcfje^en  tt)erbe,  tüenn  ein  bettjegter  Äörper  mit  einem 
ruf)enben  äujammenjtöBt.  Unb  ebenjo  menig  öermag  bie  ^jQd^ologie 
au§  einem  objolut  geje^ten  S3egrijj  ber  (Seele  ob^uleiten,  ba^  fie  fü^lt 
unb  begef)rt,  folgert  unb  jc^üe^t,  ober  öorau^^ujefien,  ba'i^  Suft» 
jd)n}ingungen  eine  jTonempfinbung,  ein  Xvnd  auf§  5tuge  2icf)tempfinbung, 
ein  (Srf)tag  in§  ©efic^t  ein  3orngefiit)I  au§Iöft.  5IUe§  ha^  njijjen  mir 
nur  au§  @rfo{)rung. 

S-  2o(fe  f)at  biefe  S3etrad^tung  begonnen.  (Er  üerjucf)t  narf)= 
gumeijen,  mie  alle  unjere  Segriffe  aus  ber  @rfat)rung  ftammen.  SO^it 
einer  mef)r  a(§  nötigen  ®rünblid)feit  mad)t  er  firf)  in  bem  erften  Suc^ 
be§  S3erju^§  über  ben  menjc^Iic^en  93erftanb  baran  §u  geigen,  ba^  bie 
SOZenjc^en  mirfüc^  nidjt  mit  angeborenen  3been  jur  SSelt  fommen, 
eine  ^f)atjacf)e,  über  bie  t3ieneid)t  fein  ^f)i(ojopf),  jebenfaü^  ^e§carte§ 
nic^t,  belef)rt  gu  merben  broud)te.  ©er  mirflii^e  @egenja|  ber  STn^ 
fi(f)ten  ift  ein  anberer:  2)e§carte§  bef)auptet,  e§  fei  möglief),  in  ber 
^fjtifif  unb  ^jtjcfjofogie,  ganj  ebenjo  mie  in  ber  3[)'?atf)ematif,  Segriffe 
ju  bilben,  bereu  öüftigfeit  ober  2Saf)rf)eit  burc^  if)re  innere  9J?ögIic^= 
feit  bemiejen  merbe.  2;ie§  leugnet  ßocfe.  2)er  Segriff  be§  Körpers, 
bie  S)efinition:  corpus  est  res  mere  extensa,  ober  bie  ^Definition: 
mens  est  res  mere  cogitans,  mag  innerlich  möglirf),  ffar  unb  beutlic^ 
benfbar  fein,  bamit  ift  über  if)re  ©ültigfeit  nocf)  nid^tS  ausgemacht; 
man  fann  aud^  einen  golbenen  Serg  ficf)  flar  unb  beutlic^  oorftellen. 
2)ie  Sßa^rf)eit  ber  Segriffe  oller  3Bifjenjc^aften,  bie  oon  X^atjoi^en 
f)anbe(n,  berufjt  allein  barauf,  ha^  in  ber  5(njcf)auung  jolcfje  Zi)aU 
\ad)tn  unb  ß^M'^nii^ß^^'i^^Gs  gegeben  jinb.  2)amit  ift  meiter  gegeben, 
ha'^  bie  Segriffe  ber  gegenftänbli(f)en  SBijjenjc^aften  nicf)t  bie  fefte 
5Ibgejc^fojjenf)eit  ber  mat^ematiji^en  f)aben  fönnen:  jie  bleiben  ber 
©rmeiterung  unb  Umbifbung  burcfj  jortgeje^te  Seobadjtung  au5geje|t. 
Sm  Segriff  ®oIb  finb  alle  bi§f)erigen  Seobadjtungen  über  biejen 
Körper  äujammengefa^t :  er  f)abe  bieje  ^arbe,  biejec-  jpejifijc^e  öemicfit, 
t)erf)ält  fic^  jo  ^u  med)anijdjen,  d)emijd)en,  tfjermijdjen  öinmirfungen. 
ö§  ift  möglich,  boB  weitere  Seobac^tung  neue  ßigenjc^aften  fennen 
Ief)rt;    e§  ift  and)  möglid),   ba^  mir  einen  Körper  fennen  lernen,    ber 


2.  ®er  empiriämuS.  397 


alle  (Stgenjcf;Qften  be§  (^oIbe§  f)at,  nur  bofe  fein  (Sc^melgpunft  etttjaS 
!^ö{)er  ober  tiefer  liegt.  2öir  lüürben  bann  unfern  Segriff  fo  ernjeitern, 
ha^  er  biefe  St6lüeicl)ung  juIäBt.  ^er  mot^emotifdie  begriff  bagegen 
ift  gefdjtoffen :  eine  S^igur,  in  ber  bie  Ü^abien  nid^t  gQn§  gleirf)  finb,  ift 
!ein  Ärei§,  eine  ßinie,  bie  einen  ^teis  an  mef)r  al§  einem  ^unft  be= 
rüf)rt,  ift  feine  STongente.  (So  fte^t  e§  nun  audj  mit  jenen  Segriffen, 
bie  2)e§carte§  ber  ^^t)fi!  unb  ^ft)d)o(ogie  ju  ©runbe  legen  n)i(I,  fie 
finb  nic^t  obgefi^Ioffene,  matl^ematifdje,  fonbern  offene,  empirifd^e  S3e= 
griffe.  5)elcQrte§  erflärt:  ein  Körper  ift  ein  ®ing,  beffen  SSefen  in 
ber  5Iu§be^nung,  eine  @eele  ein  2)ing,  beffen  äSefen  in  SetnufetfeinS* 
erfdjeinungen  (cogitatio)  aufgefjt,  benn  id)  fann  ein  foId^e§  3)ing  ftor 
unb  beutlid)  beuten,  ^reilid;  fann  id)  ha§i',  aber  menn  mir  nun  bie 
©rfafjrung  geigte,  'öa'B  ba^felbe  ®iug,  hü§:  au§gebef)nt  ift,  aud;  benft, 
lt)enigften§  gelegentlid^,  ober  ha'i^  eben  bagfelbe  S3Sefeu,  ba^  benft,  aui^ 
forperlid^e  9}laffen  in  Semegung  fc^t,  fönnte  id;  haS^  nid)t  aud)  benfen? 
unb  lüäre  e§  bann  nod)  geraten,  bei  ben  obigen  ^Definitionen  fte^en  ju 
beiben?  Offenbor  bod)  nid)t,  fonbern  bann  ttJören  e§  jur  Segreifung 
ber  Xf)atfad)en,  tt)ie  fie  finb,  untauglid)e  Segriffe.  5tIfo,  alle  gegen= 
ftänblidjen  Segriffe  finb  offene  Segriffe,  fie  finb  in  beftäubiger  Se= 
tt)egung,  fid)  ber  in  ber  Seobadjtung  gegebenen  ^f)atfadjenmelt  genauer 
angupaffen.  3Jiit  foId)en  Segriffen  ift  ein  bemonftratioeS  Serfaf)ren, 
\ük  mit  matfjematifdjen  Segriffen,  unmöglich. 

Sode  betont  oft:  bie  formell  ooüfommenfte  ®rfenntni§  ift  bie 
nmtl)emotifd)e.  (Sr  bebauert  bie  engen  ®ren5en  biefer  ©rfenutni^meife, 
bie  er  ouBer  in  ber  eigentfi(^en  äJiat^ematif  nur  nod^  in  ber  Wioval 
für  mögtid)  l^ält:  aber  mir  muffen  anerfennen,  bie  gegenftänbtic^en 
SBiffenfd^aften,  mie  ^f)i)fif,  ©tjemie,  ^ft)djoIogie,  laffen  fic^  nad;  jenem 
©d)ema  nidjt  bef)anbeln,  f)ier  finb  Seobad^tung  unb  ©jperiment  not= 
ttJenbig. 

2).  §ume  f}at  biefe  Setradjtuug  aufgenommen  unb  ^u  @nbe  ge- 
füf)rt.  Sm  9J?itte(pnnft  feiner  furjeu,  fdilic^ten,  aber  in^a(treid)en 
Unterfuc^ung  über  ben  menfdjtidjen  Serftanb  ftef)t  bie  Unterfudinng 
bei  Segriffs  üon  Ur f ad; e  unb  Söirfung.  3)a§  ^aufalgefe| 
mar  immer  ein  ^auptftü^pnnft  be§  9iationati§mu§,  au§  ber  Urfac^e 
meinte  man  bie  SBirfung  ableiten  ju  fönnen;  ha^'  Serf)ältni§  öon  Vix= 
fodje   unb  Söirfung  ift  boSfelbe,  mie  \)a§>  Serf)ältni§  oon  ©runb  unb 


398  II.  93ud^:  (Srlenntmltfieor.  «Probleme.  2.  Äop.:  2)al  Problem  be§  UrjprungS  ic. 

golge  (sequi  =  causari).  §ume  geigt,  ba^  bie§  ein  iSrrtum  i[t;  an 
ber  §anb  be§  ^aujalgefe^e§  folgern  i[t  etn)a§  ganj  anbere§,  al§  on 
ber  ^anb  be§  Iogifd)en  ©efe^el  oom  SBiberfpruc^  fcf)üefeen.  ^DaS  S3er- 
t)ältni§  öon  Urjadje  unb  SSirfung  ift  überhaupt  fein  logifc^eS,  burd§ 
reines  S)en!en  erfaßbares.  Urfad^e  unb  Söirfung  njerben  in  ber  ^^t)fif 
unb  ^jt)c^oIogie  örjd)einungen  genannt,  bie  in  bem  S5er§öÜni§  fon= 
ftanter  ^ufeinonberfolge  in  ber  ßeit  ftet)en.  ®ie  SSa^rnef)mung  ber 
geitlidfien  Stufeinanberfolge  ift  ha§:  Singige,  xoa§>  ()ier  ttjirfüd)  beoba(^tet 
njirb;  eine  innere  SSerfnüpfung  ber  (5rf(f)einungen,  eine  9lot  = 
menbigfeit,  ttJeld^e  fie  öerbinbet,  ift  minbeftenS  nic^t  ©egenftanb 
ber  ^öeobadjtung.  ^d)  nefjme  tnaljr,  ha^i  ouf  biefen  SSorgang  ein  anberer 
folgt,  ic^  ern^arte,  ha'^i  tü§>  nädjftemal  auf  benfelben  35organg  berfelbe 
folgen  wirb;  baS  ift  ber  SInfang  ber  faufalen  Stuffaffung.  So  finben 
Wh  e§  bei  ben  Stieren;  auc^  fie  n)erben  burd)  @rfat)rung  flüger;  e§ 
gef(f)ie^t  in  ber  angebeuteten  SBeife:  ber  SBo^rnel)mung  einer  beftimmten 
^ufeinanberfolge  üon  ©reigniffen  folgt  bei  bem  äöieberoorfommen  beS 
erften  @reigniffe§  bie  ©rtnartung  ober  SSorau§firf)t  beS  gleiten.  33eim 
9J?enfc^en  ift  bieg  $8erf)a(ten  U)eiter  auSgebilbet;  nidjt  jebe  n^a^rge^ 
nommene  Slufeinanberfotge  beftimmt  un§  gur  ©rnjartung  if)rer  2Sieber= 
fef)r,  n)ir  lernen  atlmäfjlig  bie  fonftanten  ^otgeüerpltniffe  ber  (Sr- 
fdjeinungen  au§  ben  §ufäüigen  unb  Iö§Iid)en  angifd^eiben;  aber  bie  Ie|te 
©runblage  bleibt  biefelbe.  ?üif  feine  SSeife  ift  e§  möglid^,  burd) 
Iogifd)e§  ©daließen  au§  bem  Segriff  ber  Urfadje  bie  SBirfung  ^erou§= 
anbringen.  9J?an  ne^me  hü§>  einfod)fte  S3eifpie(:  bie  Semegung  eine§ 
Körpers  in  biefem  Zeitraum  ift  bie  Urfac^e  ber  g(eid)en  Semegung  im 
näc^ften  ^^^traum;  auf  feine  SSeife  fann  id^  ha§>  burd^  einen  Iogif(^en 
@d)(uj3  f)erau§bringen.  2(u§  bem  (Sa|:  biefer  Ä'i3rper  bemegt  fid^  in 
biefer  ©efunbe  mit  fold^er  ©efdjminbigfeit  unb  9tid)tung,  folgt  logifc^ 
überfiaupt  gar  nid^tS,  außer  ber  Unma^rl^eit  beS  ©egenteilS,  aber  gor 
nidjts  barüber,  n^aS  in  ber  f  o  t  g  e  n  b  e  n  ©efunbe  gefd^e^en  mirb.  3d^ 
er m arte,  auf  förunb  bi§f)eriger  S3eobad^tung,  baß  biefer  Körper  im 
folgenben  ß^itraum  mit  gleid^er  ©efd^minbigfeit  unb  in  gleid^er  Ü^idf)= 
tung  einen  gleid)  großen  Staum  burd^meffen  mirb.  5(ber  biefe  @r= 
njartung  f)at  feine  ®enf  not  inen  bigfeit,  mie  ein  mat^ematifd^er 
@a^.  Sd)  fann  and)  benfen,  ha^  bie  33emegung,  fei  eS  plö^üc^,  fei 
e§  aHmöfilid^,  öon  fetber  auff)ört,  ober  in  eine  beliebige  Sflic^tung  um= 


2.  ®er  empin§mu§.  399 


biegt.  ®ic  bil^erige  ©rfafirung  l^ot  regelmäßig  iene§  9?er^atten  erfennen 
laffen,  \)a^  lüir  in  bem  Xrägf)eitggeje^  formulieren;  ober  e»  i[t  feine 
logijdöe  91ottt)enbig!eit,  ba^  bie  ßufunft  ber  95ergangenf)eit  gleichen  muß. 
Überhaupt,  fagt  §ume,  unb  ba§  i[t  bie  oügemeinfte  gormel  feiner  33e^ 
tracfitung:  e§  giebt  fc^Iec^terbingS  feine  2:f)atfaclje,  beren  9Jid^tfein  nidji 
benfbor  ober  logifc^  möglich  märe.  ®al  9lic^tfein  jebeS  SiörperS,  t)a§i 
Sf^icfitgelten  jebe§  9lQturgeje^e§  ift  benfbar,  benn  t)a§>  S^liditfein  ber  SBelt 
überfjaupt  ift  bentbar. 

§ierau§  ergiebt  fid^  benn  bie  ^^olge:  in  ben  gegen ftänblicfien 
Söiffenfd^aften,  mie  ^^iifif  unb  ^fucfjologie,  giebt  e§  feine  im 
ftrengen  ©inn  allgemeinen  unb  notmenbigen  2Ba^r= 
'Reiten.  @§  giebt  f)ier  nur  präfumtiü  allgemeine  @ä^e,  jebcr 
gilt  mit  bem  felbftüerftänblid^en  Qii\a^:  öorbe^attüdj  ber  $8erid)tigung 
burc^  nacf)fotgenbe  ©rfa^rung.  3)ie  ©ä^e  ber  9)ZatI)emat()if  finb  abfotut 
allgemein  unb  notraenbig;  burc^  feine  58eoba(^tung  fann  ber  (Sa|,  ha'^ 
bie  ©nmme  ber  SSinfel  im  ebenen  3)reiec!  jmei  9ied)te  beträgt,  er= 
f (füttert  ober  üeränbert  merben;  er  ift  mit  ben  Segriffen  felbft  al^ 
logifcf)  notmenbige  golge  gefegt.  5)agegen  giebt  e§  feinen  (Sa|  in  ber 
^()^fif  ober  ^fi)djo(ogie,  ber  biefe  S^Jotmenbigfeit  befäße.  %üä)  ha§ 
^aufalgefe^  fetbft  mac^t  f)ierüon  feine  5(u§naf)me;  e§  ift  nur  ein 
präfumtit)  gültiger  ©a^,  ha^  ftrenge  ÜiegelmäBigfeit  in  ber  5tufein= 
anberfolge  ber  9^aturerfcf)eiuungen  Ijcrrfdjt.  Senfbar,  logifdj  möglid) 
ift  and),  ha^  (Srfdjeinungen,  bie  nötlig  be^icfiungslol  §u  allen  t)oran= 
gef)enben  unb  nadjfolgenben  finb,  eintreten,  ©otdje  ©rfdjeinungen 
ttjürben  mir  SBunber  nennen.  SBunber  finb  bemnac^  otjue  ßmeifel 
mögtid^,  für  unfer  3)enfen  gerabe  fo  mögtidj,  mie  Sri)atfad)en,  bie  fic^ 
nod)  unferen  Dlaturgefe^en  erflären,  b.  f).  bem  9laturäufammenf)ang 
nac^  Ü?egeln  einorbnen  laffen.  ®ie  grage  ift  nid)t  eine  grage  ber 
9Ki)gtid}feit,  fonbern  ber  SBirflic^feit:  finb  ^f)atfad)en,  bie  al§  SSunber 
betrachtet  merben  müßten,  mirfüd)  beobad)tet  morben?  ^ume  fet^t  biefer 
93ef)auptung  fef)r  entfdjiebenen  3^^if*^^  entgegen;  nad;  feinem  ®afür= 
f)atten  f)ot  bie  5(nnaf)me,  ha^  bie  angeblichen  SBunber,  mo  nidjt  eine 
:p{)t)fifaüfd)e,  fo  bodj  eine  pfi)d)oIogifd)e  (Srflärung  gulaffen,  fo  große 
2Baf)rfdjeinIic^feit,  baß  fie  praftifd^  ber  @emißf)eit  gteid;  gefteHt  merben 
fann.  Sie  ©rfafjrung,  ha^  menfd)Iid)e  ßeugniffe  auf  Säufdjuug,  mid* 
fürlidier  ober  unmiUfürlic^er,  beruf)en,  ^aben  mir  fo  oft  gemacht,  baß 


400  II.  Surf):  etfenutnilt^eor.  Probleme.  2.  ^ap.:  ®a§  ^ßroblent  beg  Urfprungä  k. 

e§  un§  Diel  möglicher  öor!ommt,  ein  behauptete!  SSunber  t)ierQuf 
^urücf^ufül^ren ,  aU  bie  (^runboorau§fe|ung  QÜer  unferer  9lac^= 
fori(f)ung,  bie  @efe|mä§ig!eit  be§  9JaturäufammenI)angg,  aufzugeben, 
^ieje  53orou§fe^ung  ift  freiü^  nic^t  logijrf)  notnjenbig,  aber  fie  i[t  fo 
t)ielfad)  burc^  bie  X^otfadjen  be[tötigt,  fie  ^at  fid^  fo  oft  bei  genauerer 
Beobachtung  aud)  angeblidjen  SSunbern  gegenüber  beftötigt,  baB 
n)ir  ein  ^td)i  f)aben,  neuen  SBunbern  gegenüber  a  priori  ungläubig 
äu  fein. 

S)a§  ift  bie  (5r!enntnigtt)eorie  be§  (£mpiri§mn§.  ^f)r  gegenüber 
unternimmt  e§  ^ant,  ben  ^Nationalismus,  allerbingS  in  bebingter  unb 
befc^rän!ter  g^orm,  lieber  ^ersuftellen. 

3.  ®er  formalifttfc^e  9?ationaIt§mu§  Äant§. 

S)ie  g^rage,  um  bie  eS  fid)  in  bem  (Streit  jtüifd^en  3fiationaIilmu§ 
unb  @mpiri§mu§  ^anbelt,  ift  nad)  bem  Obigen  bie:  giebt  eS  (£r!enntni§ 
t)on  ©egenftänben  a  priori  ober  au»  reiner  SSernunft?  S)er  Sftatio- 
naIiSmuS  bejatjte  bie  Bef)auptung:  burd)  reineS  teufen  geminnen  »ir 
eine  abfolute  (SrfenntniS  ber  Singe,  bie  burd)  bie  (Sinne  nid)t  möglich 
ift.  S)er  (SmpiriSmuS  öerneinte  bie  g^rage:  (SrfenntniS  öon  @egen= 
ftänben  t)aben  mir  lebigüd)  burd^  2Sat)rne^mung,  momit  benn  gegeben 
ift,  baB  tt)ir  feine  abfolute  ©rfenntniS  t)aben. 

^antS  (Steüung  ift  baburd)  gegeben,  ha'^  er  üon  jeber  ber  beiben 
entgegengefe^ten  3^^eorien  bie  nac^  feiner  2lnfid)t  mat)re  §älfte  nimmt 
unb  biefe  beiben  ^älften  gu  einer  neuen  Stieorie  üereinigt;  gegen  ^umeS 
©mpiriSmuS  fteüt  er  ha§i  alte  SDogma  be§  ^Nationalismus  mieber  f)er: 
eS  giebt  ©rfenntniS  üon  ©egenftänben  a  priori;  gegen  ben 
Nationalismus  beS  Seibniä=3BoIffifd)en  @l)ftemS  fügt  er  ^inju:  ober 
(ErfenntniS  ber  Singe  nur  mie  fie  erfd)einen,  ni(^t  mie  fie 
an  fic^  finb.  Sie  SSerbinbung  beS  ^^änomenaliSmuS  ober  SbealiS- 
muS  mit  bem  ÜNationaliSmuS  ift  ber  eigentlidj  d)ara!teriftifd^e  ^ug  ^'^^ 
ilantifd^en  (SrfenntniSttjeorie,  bist)er  mar  ber  9NationaüSmuS  immer 
reatiftifd)  gemefen,  mötjrenb  ber  ©mpiriSmuS  bei  93er!elei)  unb  ^ume 
ibealiftifc§  gemorben  mar. 

Sie  erfte  ^ölfe  ber  Ätitif  ber  reinen  3?ernunft,  bie  Stfttjetif 
unb  3(nalt)tif,  ift  bem  SSerfud;  gemibmet,  auf  biefer  ©runblage  ein 
neues  erfenntniSt^eoretifc^eS  (Softem  gn  etridjten.     Sie  jmeite  ^ölfte, 


3.  ®er  formoUftijdie  9iationaIigmu§  tont§.  401 

bie  SDialeftü,  enttt)i(fe(t  au§fiif)rli(^  ta^  i8er{)ältni§  ber  neuen  ^§iIo= 
\opty<i  ä«  ^er  alten  9}?etQp^t)fif:  [ie  seigt  bie  Unmögticfifeit  ber  rein 
rationalen  ^ftjc^oiogie,  ÄoSmoIogie  unb  Xf)eotogie,  bie  Unmögticf)  = 
feit,  n^enn  man  fo  will,  eine§  reali[tif^en  9tationaIi§mu§,  noc^= 
bem  bie  erfte  §älfte  bie  9}J i3 g li d^ ! e i t  eine§  p f) ö n  o m e n a H [t i f  d) e n 
iRationaü§mu§  entnjidelt  ^at.  —  SBir  f)aben  e§  ^ier  junädjft  nur  mit 
ber  erften  .^älfte,  ber  bebingten  SBiebertjerfteüung  be§  9f?ationaIi§mu§, 
3U  tl^un. 

dla(i)  §ume  joü  e§  ükr  ^^atfac^en  überhaupt  !eine  aügemeineu 
unb  notmenbigen  Urteile  geben;  aßen  unferen  9Zaturgefe|en ,  ben 
©efe^en  ber  Wk(i)amt,  wie  benen  ber  6f)emie  unb  ^f)t)fioIogie,  ja 
bem  Äaufalgefe^  jelbft  fotl  nur  präfumtioe  5lßgemeingü(tigfeit  äu= 
!ommen.  5Da§  ift,  fagt  ^ant,  oollftänbiger  ©feptijiSmuS;  bann 
giebt  e§  übertjaupt  fein  eigentüdieS  SSiffen  me^r;  benn  bem  SBifjen 
ift,  im  Unterfc^ieb  üon  ben  ^ffociationen,  tt)ie  fie  auc^  ba§  2ier  l^at, 
^IIgemeinf)eit  unb  91ottt)eubigfcit  eigen.  So,  §ume§  ©fepti^iömuS 
bleibt  nic^t  auf  ^f)i)fi!  unb  9J?etapt)t)fif  eingefc^ränft,  er  erftrecft  fic^ 
notn)enbig  aud)  auf  bie  SOZat^ematif.  3)amit  fü^rt  er  fid;  felbft  ad 
absurdum;  ha^  tf)atfäd)Iid)e  5Dafein  biefer  SBiffenfd)aft  geigt,  ba'Q  bie 
^rinjipien  be§  (£mpiri§mu§  unjulänglid)  finb.  (£§  ^anbelt  fic^  alfo 
eigentlid^  nur  barum  ju  jeigen,  wie  biefe  SSiffenfd^aften  möglid)  finb. 
SSie  ift  reine  9J?at{)ematif ,  mie  ift  reine  ^laturmiffeufc^aft,  mie  ift 
9J?etap^l)fit  möglid)?  Ober,  bie  ^'^oge  in  allgemeiner  ^^ormel  gefteüt: 
tüie  finb  f t)ntf)etif(^e  Urteile  a  priori  möglid)?  Sal  t)eiBt, 
erfenntnilt^eoretifd),  ni(^t  pfljdjologifd)  möglid);  mit  anberer  gormel: 
töie  fann  @ä^en,  bie  nic^t  au§  @rfaf)rung  ftammen  (Urteilen 
a  priori),  unb  bie  aud)  nid)t  logifc^e  ^Folgerungen  (aual^tif c^e 
Urteile)  finb,  ha§  9?ec^t  unb  ber  äöert  objeftioer  @r!enntni§ 
(ft)nt^etifc^er  Urteile)  jufommen? 

S)a§  ift  Äant§  Problem,  ©eine  ^ntn^ort  ift:  objeftiüe  ©ültigfeit 
fann  fold^en  @ö^en  nur  baburd)  gutommen,  t>a^  ber  S^erftanb  bie 
Dbjefte,  oon  benen  er  fie  auSfagt,  felbft  tjcroor bringt;  er 
erfennt  bie  ©egenftönbe  a  priori,  fomeit  er  fie  felber  f)eröorbringt. 
5J)a§  tfjut  er  in  ber  SOJatljematif;  f)ier  finb  bie  Dbjefte  nad)  Segriffen 
fonftruierte  reine  STnfc^auungen.  S)ie  S8efc^affenf)eiten  unb  Söejietjuugen 
öon  Sinien,    SB  infein,   ©reieden  unb  Greifen  fann  ber  ©eometer  in 

*J}aulien,  ßinleitung.    6.  SUitl.  26 


402  n.  93uc^:  (grfenntmätfieor.  ^Probleme.  2.  ^op.:  3)a§  Problem  be§  Uri>rung§2C. 

fl)ntt)etiftf)en  Urteilen  a  priori  barlegen,  tt»ei[  er  bie  DBjefte  felbft 
f)erborbrtngt.  Sn  gettjiffem  (Sinne  gilt  aber  ba§felbe  oucf)  üon  ber 
^l)t)[if.  ®ie  ©egenftänbe  beg  ^^l)fi!er§  finb  S^Joturerjc^einungen;  @r= 
fc^einungen  aber  finb  auf  gemiffe  SSeife  ^robu!te  be§  ©ubjeftg,  bem 
fte  erfcl)einen,  nnb  ol§  folcf)e  merben  fie  iljrer  allgemeinen  gorm  mä)' 
bnxä)  bie  Slatur  unb  S3ett)ätigung§n3eife  be§  @ubje!t§  bebingt  fein, 
©ofern  ttiir  alfo  unter  Statur  ben  Inbegriff  oon  @rjrf)einungen  üer= 
ftef)en,  unb  bie  ^fujfif  ^at  e§  nur  mit  9latur  in  biefem  ©inn  §u 
tl)un,  !ann  e§  audj  eine  apriorifcfie  @r!enntni§  ber  ^atur  unb  aller 
9laturgegenftänbe  geben,  nämlicf)  nac^  ©eiten  ber  allgemeinen  gorm 
it)rer  (Srfdfieinbarfeit.  —  Wogegen  !ann  e§  eine  @rfenntni§  a  priori 
ber  9^atur  nic^t  geben,  nienn  man  unter  9^atur  öerfte^t  eine  abfolutr 
unb  ol)ne  alle  93e5ief)ung  §um  erlennenben  ©ubjeft  ejiftierenbe  2öir!= 
lid)!eit.  S5on  ben  ©ingen,  n)ie  fie  on  fid)  felbft  finb,  unabljängig  oom 
©ubje!t,  fann  ber  SSerftonb  natürlich  nicl)t§  a  priori  n)iffen.  greilic^ 
fann  er  öon  i^nen  aud^  nici)t§  a  posteriori  erfal)ren,  benn  um  öon 
i^nen  etma§  ^n  erfaljren,  müßten  fie  ja  in  unjere  33orfteC(ung  eingef)en, 
olfo  (grfdl)einungen  merben.  Unb  alfo  ift  9J?etapt)i)fi!,  menn  man 
borunter,  tt}ie  l)erfömmlic^,  bie  (5r!enntni§  ber  3)inge  an  fic^  öerftel)!, 
überhaupt  nirf)t  möglic^.  9Ji5glic^  ift  fie  nur,  menn  man  barunter 
nicl)t§  nerftel)t  al§  „reine  Slaturlüiffenfcliaft",  b.  1).  eine  allgemeine 
^{jänomenologie  ber  9^atur. 

®a§  ift  ber  @eban!engang  be§  5l'ontifc^en  9Rationali§mu§,  njie 
er  am  prägifeften  in  ben  ^  r  o  I  e  g  o  m  e  n  e  n  5  u  einer  j  e  b  e  n 
fünftigen  9)Jetap:^t|ft!,  ber  @rläuterung§=  unb  SSerteibigung§= 
fdjrift,  bie  er  ber  Ätiti!  ber  reinen  SSernunft  folgen  lie^,  jur  ®ar= 
ftellung  fommt.  Sluf  gemiffe  SBeife  jeigt  bieje  ©c^rift  bie  Xenbenj 
be§  Äantifcf;en  ^DenfenS  om  beutlicl)ften,  fie  lö^t  ben  @egenfa|  gegen 
^ume  am  fc^ärfften  Ijeröortreten.  @§  ift  bie  SBirfung  ber  Slufna^me, 
n)elcf)e  bie  ^ritil  ber  reinen  3Sernunft  bei  ben  beutjrf)en  ßeitgenoffen 
gefunben  l)atte;  ilinen  maren  üor  allem  bie  ibealiftifd^en  unb  ffep= 
tifd^en  ßüge  aufgefallen,  bie  rationaliftifd)e  ©eite  tjotten  fie  überfe^en. 
©ie  bemerften  nur  ben  ®egenfa|  gegen  il)re  eigenen  @eban!en,  gegen 
bie  Ijerrfc^enbe  ©rf)ulpt)ilojopt)ie,  nidjt  ben  Ö5egeni"a|  gegen  ^ume§ 
©mpiri§mu§;  biefer  mar  i^nen  eben  fremb,  fie  l^atten  fiel)  burd)  |)ume§ 
ffeptijdje  ^etrad)tungen   bi§l)er   in   il)rem  ©enügen   an   ber  rationalen 


3.  ®er  formaUftijd)e  Üiotionalilmuä  ^ant§.  403 

5tf)eotogie,  ß^oSmoIogie  unb  ^jljdjologie  be§  SSoIffifd)en  @t)ftem§  auf 
feine  SSeije  [tören  (äffen. 

5Inbererfeit§  finb  atlerbingl  in  biefer  3)arfteIIung  bie  urfprüng* 
lid^en  ©ebanfen  I){n  unb  lüteber  ettüaS  öerfd^oben.  SBenn  ^ter  bie 
9}Jatt)emati!  unb  ^f)t)fif  ge(egentlirf)  aU  6e[tef)enbe  unb  gültige  SBiffen= 
fc^often,  bie  einer  erfenntni§tt)eoretifcf)en  9ied)tfertigung  il)rer  9}iögü(f)= 
ieit  eigentlicf)  gar  nic^t  bebürfen,  {)inge[tetlt  njerben,  fo  ift  ha^  freiüd^ 
gegen  bie  urfprünglicfje  9JJeinung.  2)er  5(u§gang§punft  be§  ^riti^ig* 
mu§  ift  oielme^r:  biefe  SSiffenfd^aften  finb  ^wax  üor^anben,  aber  fie 
finb  in  i^rer  objeftioen  ©ültigfeit  burc^  §uine§  (Sfepfiä  bebro^t; 
bie  Slufgobe  ift,  fie  ju  retten,  b.  i\.  i^re  objeftioe  ©ültigfeit  gu 
begrün ben.  S^re  3:^atfäcl^Ii(i)!eit  bebeutet  nicf)t§  al§:  e§  treten 
genjiffe  Sä^e,  bie  ben  Gtjarafter  ber  Stllgemeinfjeit  unb  9^ot  = 
ft)en  big  feit  in  ^Infprud)  nef)men,  gugteicf)  mit  bem  2(nfprud)  auf 
gegen ft anblicke  ©ültigfeit  ouf.  SOhn  ne^me  einen  @a^  wie  ben: 
'SJtakxk  entfielt  unb  üergeljt  nicfjt.  3)er  (Sa^  giebt  fid)  a(§  ein  oH* 
gemeines  unb  notiuenbigS  Urteit,  muB  olfo,  menn  er  e§  mirflid^  ift, 
a  priori  fein,  benn  @rfaf)rung  füf)rt  nidjt  jur  5tngemeint)eit  unb  9?ot= 
ftienbigfeit,  barüber  ift  ^ant  mit  ^ume  üöllig  einöerftanben.  5(nberer= 
feitS  ift  e§  ein  Urteil,  haS^  gegenftönblic^e  ©üttigfeit  beanfprudjt,  b.  i). 
fogt:  fo  etmaS  fann  in  ber  SBirftic^feit  nidjt  oorfommen.  ®§ 
ift  nid)t  ein  anaü)tifc^e§  Urteil,  mie  etma  ber  @a^:  jeber  5?örper 
ift  au§gebel)nt,  ber  3:eil  ift  f (einer  ai§>  ba»  ©an^e;  fonbern  ein 
fi)nt()etifd)e§  Urteit,  ein  (gjiftentiatjal}.  —  (Sbenfo  ber  @a^:  e§  ge= 
fd)iel)t  nidjt§  of)ne  Urfodje;  er  nimmt  in  Stnfprud),  äiifl^^i^  ^i" 
allgemeine»  unb  notmenbigeS  Urteil  unb  ein  Urteil  non  gegen= 
ftänblid)er  ©ültigfeit  gu  fein.  Unb  fo  fteljt  e§  aud)  mit  ben  5(i-iomen 
ber  Geometrie,  bie  ^^tjfifer  legen  it)nen  o^ne  weiteres  auc^  gegen- 
ftänbtid)e  ©ültigfeit  bei.  ©benfo  fel5en  fie  auc^  oorauS,  ba^  bie 
aus  ^Definitionen  unb  Sli'iomeu  entmidelten  Set)rfä^e  unb  bie  mit 
i^rer  §ülfe  angefteüten  Seredjnungen  nid)t  bloB  in  ber  ^^ed^nung, 
fonbern  aurf)  in  ber  äöirflic^feit  rid)tig  finb,  bo|  bie  9ktur  ber 
^inge  ber  matf)ematifcf;en  erfenntniS  unterworfen  ift.  —  äöie  fonn 
biefe  ?(nnaf)me  begrünbet  werben?  2öie  fann  bewiefen  werben,  ha^ 
jene  ©ä^e  üon  ber  (Sr^altung  ber  9)?aterie  ober  oon  ber  angemeinen- 
91oturgefe^mäBigfeit  nid)t  bloB,  wie  §ume  will,   SSorauSfe^ungen  tion 

26* 


404  n.  SBud^:  ©rfenntnistl^eor.  «Probleme.  2.  top.:  ®a§  Problem  be§ Urf))rung§  zc. 

präfumtioer  Slögemeingültigfeit,  jonbern  lüirflid)  notroenbige  unb  aii- 
gemeine  Slaturgeje^e  finb? 

Äant  ontttjortet  fiierouf  mit  jener  jrfjon  angebeuteten  S3erid)tigung 
be§  ^Begriffs  ber  ©rfa^rung.  ®ie  gemeine  SSorfteüung,  in  fenjualiftijc^en 
3:^eorien  begrifflich)  formuliert,  üerfte^t  unter  örfat)rung  bie  paffioe 
Slufnafime  üon  (Sinbrücfen  ber  SBirflic^feit.  S)ie  @eele  ift  it)r,  mit 
fiocfe§  5Iu§brucf,  ein  Statt  mei^e^  Rapier,  auf  ba§>  bie  ^inge  it)re 
3eirf)en  machen.  9^atürli(f),  ha§^  Rapier  !ann  nid;t  a  priori  wiffen, 
meiere  ßeid^en  e§  aufnef)men  tt)irb;  unb  ift  bie  @eete  ein  foId)e§  2)ing 
unb  befte^t  ©rfatjrung  in  einem  ät)nlict)en  33erf)a(ten,  fo  ift  a  priori 
örfenntniS  unb  bamit  Slügemein^eit  unb  9lotmenbigfeit  ber  @r!enntni§ 
unmöglid).  Stber  biefe  $ßorau§fe|ung  ift  falfc^.  @rfenntni§,  aud^ 
(Srfat)rung§erfenntni§,  ift  nic^t  ein  paffiö  au§  ber  äußeren  3Bir!(id^!eit 
ouf genommener  Suf)alt,  fonbern  ein  ©rseugniä  fpontaner  Xt)ätig!eit 
ber  Oeele.  2lIIerbing§  nid)t  einer  obfolut  fpontanen  ^t)ötig!eit,  e§ 
finbet  ftatt  ©rregung  gur  Srf)ätig!eit  burdj  bie  Umgebung;  aber  „(Sr= 
fatirung"  fommt  erft  baburd^  guftanbe,  hal^  bie  „?Iffeftionen"  burc^ 
bie  Sutelügeuä  bearbeitet  unb  geformt  merben.  @rfat)rung  ift  nic^t  ein 
^ufäüig  äufammengemürfetter  §aufe,  ein  „©ewül^I"  öon  Smpfinbungen, 
fonbern  ein  (Softem  nacf)  @runbfä|en  üerfnüpfter  örfcfjeinungen.  ©o 
ftellen  mir  ja  bie  9Jatur,  ben  ©egeuftanb  ber  ©rfa^rung,  üor:  a(§  ein 
einf)eitli(^e§,  üon  ®efe|en  be!§errfc^te§  ©tiftem  oon  SEfiatfac^en. 

9iun,  biefe  2::f)atfa(j|e,  ha^  bie  ^Zatur  me^r  al§  ein  üermorrener 
§aufe  üon  (Smpfinbungeu,  rot,  fü^,  feft,  flüffig,  üon  allerlei  Oualität 
unb  Quantität  ift,  \)a}i  fie  ein  fijftematifd)  aufgebautes  unb  geglieberteS 
©anjeä  ift,  bo§  ift  nid)t  bie  SSirfung  ber  ©mpfinbung,  ober  bo§  S3er= 
bienft  ber  (Sinbrüde,  fonbern  e§  ift  ba§  SBerf  ber  Snteßigenj.  S)ie 
Sntelligenj  mit  i^ren  beiben  ©eiten,  ©innlidjfeit  unb  SSerftaub,  fa^t 
unb  formt,  orbnet  unb  gliebert  jene§  gegebene  9J?annigfa(tige  ber  (£in= 
brüde  burd)  i^re  eigentümlichen  3:f)ätig!eiten,  bie  man  al§  3^  u  u  f  t  i  o  n  e  n 
ber  ©t)nt{)efiö,  ^^fammenf äffen  be§  ßerftreuten  unb  9JZannig=' 
faltigen  jur  @in{)eit  bejeidinen  !ann.  9^atürlid)  muffen  nun  biefe 
3^un!tionen  ber  Suteüigeng  in  if)rem  (£räeugni§,  ber  @rfat)rung,  an 
jebem  ^un!t  üorl^anben  fein  al§  if)re  formale  93eftimmt^eit;  unb  eben 
barum  !ann  bie  D^atur  nadj  ©eiten  ber  g^orm  a  priori  erfaunt  merben. 
SQ3ie  man  bie  @eftatt  ber  Singe,  bie  mit  berfelben  ©djabtone  angefertigt 


8.  3)er  formoltftifd^e  9?ottonali§mu§  Äant§.  405 

ftnb,  a  priori  tüei^,  fo  fann  man  alle  (Sr5eugniffe  ber  menfc^Itrfien 
SnteUigen^,  b.  t).  bte  gange  9iatur  unb  atle  ©egenftänbe  barin,  ber 
^orm  nacf)  a  priori  er!ennen. 

(Srfennen  aber  fann  man,  tt)a§  an  ber  S^iatur  au§  ber  form^» 
gebenben  ^^ätigfeit  ber  Sntetligens  ftamnit,  an  ber  Ö(eic§f5rmig!eit  be§ 
SOZannigfattigen.  3)ie  (Srfüüung  be§  9iaum§  mit  233iber[tanb  leiftenben 
Gräften  i[t  für  üerfcfiiebene  Drte  unb  t)erfd)iebene  ßeiten  üerf(^ieben, 
bie  Dualitäten  med^feln,  aber  ber  9ftaum  jetbft  mit  feinen  33eftim= 
mungen  ift  überall  unb  immer  berfelbe,  fo  boB  jeber  Ort  für  jeben 
anbern  eintreten  fann;  fo  ift  bie  3^^*  überotl  unb  immer  biefelbe,  fo 
nerfd^ieben  bie  Erfüllung  ift.  @o  ift  aucf)  bie  allgemeine  ©truftur  ber 
Söirflid^feit  überall  biefelbe;  bie  Urfad)en  unb  SBirfungen  finb  mannig^ 
faltig,  aber  ha^^  Ä'aufalüer^ättni§  felbft  ift  überaß  baSfelbe,  gleid) 
geltenb  gu  jeber  ßeit  unb  an  jebem  Drt.  Unb  fo  finbet  fid^  at§  ein 
anbere§  ©rnnbfcfiema  ber  SSirf lic^f eit  ha§'  $ßerl^ältni§  üon  ©  u  b  ft  o  n  § 
unb  3lccibenä,  oon  Sef)arrlid^em  unb  2öed^fe(nbem. 

Snbem  ßant  biefer  formalen  @eite  ber  @rfaf)rung  na(^gef)t, 
überall  auf  bie  in  aller  (Srfa^rung  ibentifcf)en  ÄonftruftionSfaftoren 
ad^tenb,  fommt  er  auf  jmei  5Irten  üon  gormelementen,  er  nennt  fie 
Stnfd^auuug§=  unb  ©enfformen.  Slnfd^auung^formen  finb  eben 
bie  gmei:  Sfiaum  unb  3^i^l  ^i^  ©enfformen,  er  nennt  fie  ^ote  = 
gorien,  bringt  er,  mit  §ütfe  ber  formalen  Sogif  unb  i^rer  (Sin= 
teilung  ber  Urteile,  auf  bie  runbe  ^^^blfjaf)!.  D^aum  unb  ^zit  finb 
atfo  nicf)t  feienbe  SSirflidjfeiten,  aud^  nid^t  on  fic^  mirf(id)e  Crbnungen 
ber  an  firf)  feienben  SDinge,  fonbern  bem  ©ubjeft  eigentümliche  g^unftionen 
ber  @t)ntf)efi§  be§  mannigfaltigen  (£mpftnbung§inf)a(t§.  Slüe  (Sm= 
pfinbungen  tt)erben  ^n  bem  ein^eit(idf;en  ©anjen  be§  3^itöerlauf§ 
gufammengeorbnet,  fo  ba&  jebe  ju  jeber  in  ber  Segietjung  be§  3^9^^^^^ 
ober  eine§  beftimmten  geitlidEien  SlbftanbeS  fte'^t.  5tlle  (Smpfinbungen 
ber  äußeren  ©inne  werben  in  ben  einf)eitltc^en  3iM'o"^i^^"^o"9'  ^^" 
wir  bie  räumticf)e  2BeIt  nennen,  eingeorbnet.  @o  entfteljt  burdj  bie 
^unftion  ber  Sofatifierung  unb  ber  Xemporaüfierung,  menn  bie  SBort- 
bitbung  geftattet  ift,  bie  eint)eitlic§e  anfcf)aulicf)e  örfd^einung^melt.  Unb 
in  bemfelben  Sinne  finb  aud^  bie  2)enffunftionen  formen  ber  5(n= 
orbnung  ber  Slnfc^auungen,  unb  gmar  if)rer  Drbnung  in  ber  Qt\t. 
©er  ju  ©runbe  liegenbe  allgemeine  @runbfa|  ^ei^t:  2lße  @rfcf)einungen 


406  n.  SBud^ :  erfenntniät^eor.  ^Probleme.  2.  ^ap. :  ®a§  ^roBIem  be§  UrfprungS  tc. 

fielen  if)rem  ©ofein  noc^  a  priori  unter  ülegetn  ber  93e[timmung  if)re§ 
S8erl)ä(tnijje§  unter  einanber  in  einer  3^^*-  ^lüe  ©rfc^einungen, 
fo  lautet  bann  ba§  ®efe^  ber  ©ubftanjialität  im  bejonberen,  entI)o(ten 
haS'  S3et)arrlid)e  al§  ben  ©egenftanb  felbft  unb  ha§>  SBanbelbare  al§ 
beffen  blo^e  Seftimmung;  unb  ba§  @efe^  ber  ^aufatität:  5(Ue§  tt)o§ 
gejc^ief)t  (anhebt  ju  fein),  je^t  etn)a§  üorauS,  tnorauf  e§  nad)  einer 
91  e gel  folgt.  (Sdjujerer  w'ixh  e§  it)m,  bie  übrigen  gefin  Kategorien 
al§  ©truüurelemente  ber  SSirflic^Mt  nadj^uweifen,  bie  meiften  finb 
SüdenbüBer.  — 

gügen  wir  nun  no(^  bie  5:f)eorie  biefeg  neuen  9^ationoIi§mu§ 
unferem  ©c^enio  ein,  fo  fönnen  tüir  jo  fogen.  Huf  bie  ^rage  nad) 
ber  92atnr  ber  ^rin§ipien  ber  rationalen  (Srfenntni§  antwortet  Kant: 
fie  finb  üort)anben  al§  53etf)ätigung§n)eifen,  at§  fi)ntf)etifd)e  g^unftionen, 
bie  bie  ^nteüigen^  überoll  unb  in  immer  ibentifd)er  SBeife  übt.  Sene 
matt)emotifd)en  unb  p^t)fifaltfc^en  Styiome  finb  gormein,  meld)e  bie 
g^unftion  auSbrüden,  unb  infofern  finb  fie  ^ringipien  einer  @r!enntni§ 
a  priori.  2)ie  g^uuftioneu  finb  nid)t  angeboren,  fie  werben  üielmef)r, 
wie  atle  gunftionen,  im  ßaufe  be§  Seben§  auggebilbet;  aber  barum 
fommen  fie  nid)t  non  aufeen,  burc^  ©inbrüde,  in  un§  f)inein,  bie  @in= 
brüde  finb  nur  @elegen{)eit§urfac^en  ii)xtv  ©ntwidetung.  (S§  ift  ba§ 
bie  Stntwort,  auf  bie  fc^on  Seibnig  in  feinen  neuen  Sßerfuc^en  über 
ben  menfd)Iid)en  S3erftanb,  bie  er  2ode§  Sßerfud)en  entgegenfteßte,  ge= 
fü{)rt  Worben  war.  Nihil  est  in  intellectu,  quod  non  antea  fuerit 
in  sensu,  fo  fagt  ber  ®mpiri§mu§  unb  I)at  barin  gang  redjt;  ober 
f)in5U§ufügen  ift:  nisi  intellectus  ipse;  olteS  ftammt  au§  ber  (5r= 
fat)rung,  nur  nic^t  bie  gö^igfeit  (Srfal)rungen  gu  madjen. 

2)amit  ift  bie  Stntwort  auf  bie  jweite  grage  fdjon  mitgegeben; 
fie  lautete:  wie  fönnen  ©ä|e,  o!t)ne  au§  ber  @rfa{)rung  §u  ftammen, 
bennod)  gegenftänblidje  @ü(tigfeit  l)aben  ?  2)ie  tranfcenbentate  2)ebu!tion, 
bie  übrigeng  feine§weg§  ein  9}?ufter  oon  ^röäifion  unb  KIarf)eit  ift, 
gietjt  fie  mit  müt)famen  2Bieber()oIungen  au§  ben  gegebenen  Sßorau§= 
fe^ungen  I)erau§:  ©ö^e,  'mcid)t  bie  ft)ntf)etifd)en  gunftionen  unferer 
@innlid}!eit  unb  unfereS  $ßerftanbe§  auSbrüden,  ^aben  eben  baburd^ 
jugteic^  bie  Öültigfeit  oon  D^Jaturgefei^en,  fofern  wir  unter  S^iatur  eben 
bo§  oerftef)en,  tüü§  alle  SSelt  tt)atfäc^Ud;  mit  biefem  Flamen  bejeidinet: 
ben  Inbegriff  öon  ©rfc^einungen.    9f?aum  unb  ß^i*   f^"^  öIs  formen 


3.  ®er  formaliftifc^e  «RottonaliSmuä  Äont§.  407 

unserer  2tnfd;Quung  suöleid)  nottüenbige  g^ormen  ber  9^Qtur,  e§  !ann 
nidjtg  ®egen[tanb  unjerer  5(nfd)auung  fein,  bog  nidjt  in  9iaum  unb 
3eit  ttJöre.  StCIe  @rjd)einungen  finb  eytenjiöe  ©röfeen,  fo  lautet  ber 
erfte  (SrfQ^rungSgrunbfa^,  ba^  „5tj:tom  ber  5(njd)auung";  unb  barum 
gilt,  fo  !önnte  bie  gortje^ung  (outen,  olleS  tuaS  üon  ber  ©fteufitöt 
überl^Qupt  Qu§gemad)t  ttjerben  fann,  i^re  Kontinuität  unb  Homogenität, 
i()re  Unbegrengtl^eit  unb  unenblidje  Xeilborfeit,  and)  öon  ber  rtiirflic^en 
IfiJelt.  Ober,  aUe§  n)a§  bie  reine  9JZQtt)emQtif  öon  9fiaum=  unb  @rö§en= 
t)er()ä(tniffen  Qu§mad)t,  ta§>  gilt  o{)ne  n)eitere§  and)  üon  allen  fingen, 
fofern  fie  Üiäumli^eit  unb  ©rö^e  f)aben.  (£6enfo:  raa§  bie  tran§= 
jcenbentafe  i]ogi!  öon  ber  S}laiüv  be§  35er[tanbe§  auSmad^t,  ha§'  gilt  oud) 
öon  ben  5)ingen,  fofern  fie  für  ben  ^erftanb  über^oupt  öorf)anben  finb; 
ift  ba§>  Äaufalgefel  ein  @efe|  be§  reinen  SSerftonbe§,  fo  ift  e§  eben 
tantit  gugteid)  ein  9fiatnrgefe^.  „2}er  ^ßerftanb  fd)öpft  feine  ®efe|e 
nidit  ou§  ber  S^^atur,  fonbern  f(^reibt  fie  biefer  öor." 

9}iit  einem  fet)r  einteud^tenben  S3ergleid^  ftellt  Kant  in  ber  Sßorrebe 
^ur  jnjeiten  ?(uf(age  ber  Kritif  bie  SBenbung,  bie  er  ber  (Srfenntniö* 
ti^eorie  gegeben  t)ahe,  mit  ber  SSenbung  ber  oftronomifd)en  SSeltanfidjt 
burd)  6opernicu§  jufammen.  33i§f)er  f)atte  man  bie  ©rfd^einungen 
<im  ^immet  burd^  bieSemegung  ber  f)immlifd)en  Körper  um  bie  Srbe 
€r!(ört;  6opernicu§  fonftruierte  fie  einfadjer  burd^  bie  5lnnal)me  einer 
93emegung  be§  S3eobad)ter§.  Slf)nüd^  ()atte  ber  (Smpiri§mu§  bie  (Sr= 
fenntnig  au§  einer  @inmir!ung  ber  SDinge  ouf  bie  Suteüigenj  erüärt; 
^ant  bagegen  fonftruirt  bie  ör!enntni§,  inbem  er  bie  ®tnge  „fel)r 
iriberfinnifd)"  nad)  unferen  Gegriffen  fid}  ridjten  (äfet:  ha§:  ®en!en 
bringt  bie  Objefte  ber  gorm  nad§  aüererft  t)erüor.  oben  barum  !ann 
€§  fie  infomeit  auc^  a  priori  erfennen  unb  atfo  in  oügemeinen  unb 
Tiotmenbigen  ©ä|en  feine  @rfenntni§  formulieren.  2)ie  ^tyiome  ber 
Geometrie,  ha^^  Kaufalgefe|,  finb  notmenbig  unb  allgemein  gültig  für 
olle  ©egenftänbe  unferer  Grfotjrung. 

©egeben  ift  bomit  auf  ber  onbern  @eite  ol§  bie  gugeprige 
^ülfte  biefeS  9^ationoli§mu§,  boB  e§  feine  rationofc  (Srfenntni^  geben 
tonn,  mo  eine  fold;e  Söeftimmung  ber  ©egenftänbe  burd^  ben  ^ßerftonb 
ni^t  ftattfinbet.  S)ie  „®inge  on  fic^  felbft"  unterliegen  notürlid;  nid)t 
ber  fi)ntl)etifd)en  gun!tion  unferer  Snteüigen§,  unb  borum  ift  Wtta= 
p()t)fif  in  beut  alten  «Sinne,  rationale  @rfenntni§  ber  obfolnten  2öir!= 


408  n.  93ud^:  (Srfenntm§tf)eor.  «Probleme.  2.  Aap.:  ®a§  Problem  beg  Urfprungg  tc. 


üd^teit,  unmöglich.  SDie  5(u§fü^rung  biefe§  3:^ema§,  bQ§  übrigen^ 
fd^on  in  ber  ^Inol^tif  überoü  geftreift  tüirb,  bilbet  ben  Sn^alt  ber 
äiüeiten  ^älfte  ber  Ätitif,  ber  ©iaieftif.  ©ie  ^ßigt  mit  manchen 
foft  unerträgüc^eu  ©c^ief^eiten  unb  @eU)Qttt£)ätig!eiten  ber  S)ar[tellung, 
wie  bie  Sßerjucfie,  in  einer  rationalen  ^fljc^ologie,  Ä'oSmoIogie  nnb 
Xf)eoIogie  ben  SSerftanb  unb  feine  ©enfformen  jur  ©rfenntniS  be§ 
SSejenS  ber  S)inge  jetbft  gu  öerttjenben,  fet)ljdj(agen  mußten,  hierauf, 
fowie  auf  bie  53erfuc^e,  ben  „Sbeen",  benen  i^re  fonftitutiöe  ©ültigfeit 
genommen  i[t,  „regulatitie"  93ebentung  für  bie  fpefulatiöe  unb  praftifc^e 
©ültigfeit  für  ben  SSiüen  n)ieber3ugen3innen,  ift  t)ier  nictit  m'ikx  ein* 
jugefien. 

dagegen  mijd^te  ic^  noc^  bie  ^antifc^e  5tnfid)t  burcf)  eine 
©djlu^formel  {enngeic^nen,  bie  i^m  fetbft  geläufig  ift,  lüenn  er  fie 
and),  foöiel  ic^  ttjeiB,  nirgenb§  auSbrüdlic^  formuliert  t)at:  bie  menf(^  = 
lidje  Suteüigens  ftet)t  in  ber  9Jiitte  gn^ifc^en  tierifc^er  unb  gött  = 
lieber  Sntelligen§.  S)a§  (grfennen  be§  Siere§  befte{)t  qu§  einem 
„®ett)üt)I  oon  ömpfinbungen",  5n)ifd)en  benen  gelegentlich  affo^iatioe 
Sejietiungen  ftattfinben;  e§  !ommt  aber  nid)t  gur  ©ntgegenfe^ung  öon 
©ubjeft  unb  Dbjeft,  3c^  unb  Statur,  e§  ift  barum  nid;t  obje!tiiie§, 
nid)t  gegenftänblid)e§,  überf)oupt  atfo  nid)t  eigentliches  ©rfennen, 
fonbern  rein  fubje!tiöer  SSorfteöungSöerlauf.  Stuc^  ba^  göttliche 
er!ennen  ift  fein  objeftiöeä:  ber  göttlicfje  SSerftanb  ift,  fo  beuten  irir 
ben  Segriff,  burc§  fein  S)en!en  Urtieber  ber  SBirfIicf)feit,  fie  ftef)t  if)m 
nicf)t  at§  ein  it)m  grembeS,  begebenes  gegenüber;  ber  iutellectus 
archetypus  ift  „anfcl)auenber  SSerftanb" ;  feine  ®eban!en  finb  feienbe, 
fon!rete  Sbeen,  nicf)t  abftrafte  93egriffe,  eine  aJJenfdjenfeele  ift  ein 
„©ebanfe"  @otte§.  S)a§  S)en!en  be§  fc^affenben  Sitünftterg  fann  ben 
Segriff  öerbeutlidjen;  unb  tt)ie  f)ier,  fo  fte{)en  and)  in  ®ott  alle  @e= 
bauten  in  einem  inneren,  äft^etifcf)=teteotogifct)en  ßufontmen^ang.  ®a§ 
menfct)Iicf)e  ©rtenneu  bagegen  ift  objettiöeS  ©rtennen;  e§  ift 
begreife nbe§  Ä^onftruieren  eine§  begebenen.  5lu§  bem 
gegebenen  SOJannigfaltigen  ber  (Smpfinbung  mad)t  bie  menfct)Iic^e 
Snteüigeuä  burdj  bie  it)r  eigentümtic£)en  f9ntt)etifd)en  gunttionen  ber 
Stnfcf)auung  nnb  be§  S)en!en§  ba§  eintjeitUd;e,  üon  ®efe|eu  be^errfdjte 
®t)ftem  öon  ©egenftönben,  haS^  luir  SfJatur  nennen.  ®ie  ©egenftönbe 
finb    it)rer   gorm   nad)  nur    burd)   ben  35erftanb,   aber   bem   2)afein 


4,  Äritifd^c  Stnmerfungen  ju  tantS  (£rIenntm§t^eorie.  409 

iiQc^  er!ennt  haS^  ©ubjeft  üjiten  UnoBpngigfett  öon  fid^  ^u  unb 
fe^t  fidj  5U  it)nen  als  OOjeft  unter  Cbjeften  in  naturgeje^mä^ige 
93eäief)ung. 


4.  Ärittfd^e  2(nmcrfungen  ju  ÄantS  erfenntntgt^eonc. 

Snbem  irf)  bie  im  öorigen  5Ibfd)nitt  borgelegte  5?Qntifc^e  ^^eorie, 
ber  e§  ttJeber  an  (Scf)Qrffinn  nocl)  an  2;ieffinn  fef)(t,  einer  Prüfung 
unterjietje,  n^iü  irf)  ä^nöc^ft,  föa§  mir  an  if)r  unfjattbar  erfdjeint,  fo 
f(ar  unb  prä^ife  oI§  möglich  begeidjnen,  um  bann,  ma§  an  if)r  bleibenb 
mertöDÜ  i[t,  am  (SditnB  l^ernorjnfieben. 

3cf)  (afje  äitnäd^ft  3).  ^ume,  gegen  ben  fic^  ^antg  Äriti!  in 
erfter  Sinie  ricf)tet,  feine  @ad;e  gegen  Äant  füf)ren.  3ft  burd)  ^ant 
bie  58et)auptung  miberlegt,  in  ber  |)ume  bem  (gmpiri^mug  feine  (e^te 
gormel  gegeben  I)atte:  e§  giebt  feine  @rfenntni§  oon  STfjatfac^en  burd) 
reine  Sßernunft,  unb  barum  giebt  e§  über  2;^atjacl^en  feine  fd)tecl^tl)in 
atigemeinen  unb  notttjenbigen ,  fonbern  nur  präfnmtiü  allgemein» 
gültige  Urteile?  ^at  Äant  f)iergegen  bie  SO^ogüdjfeit  eigentlich  atl= 
gemeiner  unb  notmenbiger  @ä^e  in  ber  9Zaturmifjenfd)aft  mirflid)  be= 
miefen? 

Sn  SDeutjd^tanb  l)at  bie§  lange  für  ausgemacht  gegolten,  ^d^  bin 
nid^t  ber  9}?einung;  id^  glaube  nid)t,  ha'^  ^ume  genötigt  ift,  bie§  an= 
juerfennen.  ^d)  miü  öerfudjen,  il)n  feine  S^^efe,  in  bem  beäeid)neten 
@inn,  gegen  Äant  öerteibigen  gu  loffen. 

SBa§  gunöd^ft  bie  Slrgumentation  ber  ^rolegomena  au§  bem  3Sor= 
f)anbenfein  „tnirflidjer  unb  jugleid^  gegrünbeter  unb  feiner  ©ebuftion 
bebürftiger  reiner  ©rfenntniffe  a  priori"  in  ber  reinen  S[Ratl)ematif 
unb  9^aturmiffenfcf)aft,  bie  benn  auä)  in  bie  fpäteren  5lu§gaben  ber 
^ritif  felbft  übergegangen  ift,  anlangt,  fo  mürbe  ^ume  fie  mit  Üiec^t 
al§  eine  petitio  principii  abgelel)nt  f)aben.  ^tvai  bie  2;l)atfäd)lic^feit 
biefer  SBiffenfd^aften,  fo  mürbe  er  tjaben  fagen  fönnen,  fei  ja  nid)t  §u 
bejmeifeln;  mof)(  aber  muffe  man  fragen,  unb  gerabe  i>a§^  fei  feine  3^rage 
gemefen,  in  meld;eni  «Sinne  i^ren  @ä|en  objeftiüe  ©ültigfeit  jufomme? 
(Sr,  §ume,  fei  auf  bie  ^nfidjt  gefüf)rt  morben,  ha^  bie  SDIatljematif 
al§  folcfje  überf)aupt  gar  nid^t  gegenftnnblicf)e  Öültigfeit  in  Stnfpruc^ 
nel)me.   SDie  ©eometrie  fage  nid)t§  über  bie  äöirflid^feit  au§;  fofern  aber 


410  11. 33uc^:  er!enntni§t^eor.  Probleme.  2.  top.:  ®a§$tobtem  beäUrfprunggjc. 

if)re  @Q|e  gur  58eftimmung  ber  2öir!Iid)!eit,  §.  S8.  in  aftronomifd^en 
iöererfjnungen,  öerlüenbet  ttjurben,  f)örten  fie  auf  apobiftijdjen  (Ifjorofter 
511  f)a6eu  unb  nätjmen  f)i)pott)etiici^en  an:  fofern  ber  pf)i)jijrf)e  '^anm 
bent  geometrtfc[)en  entfprid^t,  fofern  bie  SOIeffungen  üon  Entfernungen 
unb  SBinfeln  richtig  finb,  f)at  ber  SUJonb  biefen  ^bftonb,  bieje  ©röfee, 
biefe  S3en)egung  u.  f.  xo.  2^ie  ©ä|e  ber  Trigonometrie  ptten  apo= 
biftifc^e  ®ett}iBt)eit,  ober  feinem  @q|  ber  Slftronomie  fomme  foIrf)e 
5U.  ®ie  Slllgemeinfieit  unb  Slotmenbigfeit  ber  reinen  S[Ratf)emQtif 
berufie  eben  barauf,  boB  fie  fic^  ganj  innerf)alb  ber  S3egriffgn)e(t  be= 
Wege.  S)ie  ^f)t)fif  bagegen,  bie  @rfenntni§  ber  anfc|aulid)en  3öirf= 
ü(f)!eit  geben  ujoüe,  öergidjte  eben  bamit  auf  2(ttgemeinf)eit  unb  9iot= 
tt)enbig!eit,  b.  f).  im  ftrengen  @inn,  benn  präfumtiöe  5tngemeinf)eit 
gefte^e  er  5.  33.  ben  ©efe^en  ber  SJlecEjani!  natürlich  fo  gut  ^n  n)ie 
jebermann,  unb  bamit  aucf)  S^otraenbigfeit  in  bem  gemeinen  @inn  bc§ 
SBort§,  nur  eben  nid)t  bie  ^(llgemein^eit  unb  9^otmenbigfeit  matf)e= 
matifd^er  ©ä|e. 

Äaut  fage  einmal:  er  l\aht  bie  9Jietap{)i)fif  (ba§  ift  bie  reine 
9laturmiffenfc^aft)  in  bie  gute  @efeüfcf)aft  ber  9J?atf)emati!  gebrad)t. 
3n  ber  X^at,  fie  !önne  in  feiner  befferen  fein;  nur  f)ätte  er  nic^t  ben 
n)efentnc^en  Unterfd)ieb  gmifc^en  if)nen  oermifc^en  foUen.  ®a§u  aber 
fei  eben  bie  gormel  üon  if)m  erfunben:  ft)ntf)etifcf)e  Urteile 
a  priori;  unter  bem  gmeibeutigen  9hmen  „ft)nt^etifcf)"  faffe  er  bie 
rein  matf)ematifc^en  unb  bie  p^i)fifalifcf)en  (2ö^e  gufammen.  S)urc^  bie 
gonj  unbeftimmte  unb  untauglicf)e  Unterfc^eibung  „analt)tifd)er  unb 
ft)ntf)etifci^er"  Urteile  f)abe  er  ben  beftimmten  Unterfc^ieb  üon  Urteilen 
über  bie  SSerf)ä(tniffe  öon  33egriffen  unb  Urteilen  über  ha§>  SSer^alten 
üon  ©egenftänben  bei  ©eite  gebracht  unb  baburd)  bie  Unterfu(i)ung 
tieitloö  üernjirrt;  bie  (3ä|e  ber  ^f)t)fif  mürben  nun  ai§>  gteid^artige 
(Sä|e  mit  benen  ber  reinen  3)?atf)ematif  gufammengefteüt.  greiüd) 
oud)  nid^t  fonfequent.  3)enn  baneben  bleibe  auc^  immer  bie  ridjtige 
g^affung:  nid)t,  mie  ift  r  e  i  n  e ,  fonbern  mie  ift  a  n  g  e  m  e  n  b  e  t  e  SJJat^e» 
matif  möglid^?  @o  üor  aflem  in  ber  tranfcenbentalen  S)ebuftion  ber 
SD?atf)ematif,  bie  unter  bem  ^itel  „Hjiome  ber  Sfnfdjauung"  in  ber 
5(nalt)tif  fidj  finbe.  §ier  trete  ber  eigentlidie  ©ebanfe  Slantg  üößig 
ffar  fjerüor:  angemenbete 9JJatf)ematif  ift möglid^,  med  „bie  empirifdje 
S(nfd)auung  nur  burc^  bie  reine  (be§  9iaume§  unb  ber  ßeit)  möglich 


4.  Äritifd^e  ?tnmerfungen  5U  ÄantI  (grfenntniSt^eorie.  411 

i[t;  unb  olfo  tüa§  bte  Geometrie  non  biejer  fagt,  o{)ne  SBiberrebe  aud^ 
üon  jener  gilt  unb  bie  ^u§ftüd)te,  aU  tt)cnn  (^egenftänbe  ber  (Sinne 
ntd^t  ben  Siegeln  ber  ^onftruftion  im  9iaume  gemöfe  jein  bürden,  tt)eg= 
fallen."  Unb  ebenfo  in  ber  tranfcenbentaten  5Debuftion  ber  reinen 
9^aturtt)iffenjrf)Qft,  wo  auf  biejelbe  SBeije  ben  ©runbiä^en  be§  reinen 
SSerftanbeS  objeftiüe  ©ültigfeit  baburd)  üerjcfiofft  njerbe,  ha^  ha§>  empirifc^e 
®enfen  ber  @egen[tänbe  nur  burdE)  \)a§  reine  teufen  mögtid)  fei. 

^rüft  man  nun,  fo  tt)ürbe  §ume  Ijaben  fortfahren  !önnen,  biejen 
eigentlichen  ©ebonfen  5lant§:  @r!enntni§  a  priori  unb  atfo  allgemeine  unb 
notnjenbige  ©rfenntni^  öon  St^atfad^en  ift  mög(irf)  burd§  bie  opriorifi^en, 
nirf)t  au§  ber  (Srfa^rung  abgeleiteten  fi)ntt)etifc^en  gunftionen,  fo  erweift 
er  fid^  freiüd^  aud^  nidjt  al§  ftid^tjattig.  ©eben  mx  ^u,  föie  xdxx  benn 
ot)ne  3^^^ifß^  muffen,  baB  e§  berartige  fi)ntt)etifcf)e  g^unftionen  giebt, 
unb  ba^  fie  für  ben  §Iufbau  unferer  @rfaf)rung§tt)elt  oon  tt)ejentli(f)er 
93ebeutung  finb,  fo  erf)eben  fid)  bodj  gegen  bie  5?!antifd)e  S3etrad)tung 
fd;tt)ere  Sebenfen. 

3uerft  ergebt  fic^  bie  ^^rage:  auf  n)eld)e  SSeife  njiffen  tt)ir  um 
bie  ft)ntf)etifd)en  3^un!tionen,  a  priori  ober  burd^  (Srfa^rung?  Äant 
get)t  an  biefer  ^rage  üorüber;  unb  bod^  ift  otjue  i^re  33eantmortung 
in  feinem  ©inn  feine  9)lüt)e  üergeblidj.  §aben  lüir  feine  apriorifd^e 
Sr!enntni§  ber  gunftionen,  unb  id^  wüBte  nid^t,  n)eld)en  ©inn  man, 
aud^  innerf)atb  be§  Ä'antifd)en  ®eban!en!reife§  bleibenb,  mit  biejem  9(u§= 
brud  üerbinben  fönnte,  miffen  wir  um  fie  nur  burd;  (Srfal^rung,  natür= 
lid^  burd)  innere,  antf)ropoIogifd^e  (5rfaf)rung,  bann  !^ötten  bie  ®runb= 
fä^e,  in  benen  bie  ^orm  biefer  ^unftionen  befiniert  njirb,  bod)  n^ieber 
nur  empiri jd^e  ©ültigfeit.  ®ie  5öef)auptungen:  Ü^aum  unb  3<^it  finb 
Stnfd^auungSformen  ber  menfd)tid^en  @innUd^!eit,  bie  Kategorien  finb 
3)en!formen  be§  menfd^tid^en  ^ßerftanbe»,  UJären  nun  ©eneralifationen 
ber  Slnt^ropologie;  unb  bie  a^iomatifd^en  @ä^e,  bie  bie  Statur  unferer 
fRaumanfdjauung  ober  unferer  UrteiI§funftionen  a\§>  ©efei^  ber  3Sir!= 
Iid)feit  au§fpred)en,  blieben  jule^t  @ä^e  empirifd)en  Urfprung§  unb 
empirifc^er  ®ültig!eit;  e§  t)aftete  i^nen  bie  fetbftoerftänbüc^e  93ebingung 
an:  foweit  bie  fl)ntf)etifd)en  g^un!tionen  ibentifd)  bleiben.  6§  bliebe 
benfbar,  ha'iii  e§  SJJenfdjen  ober  menfdf)enät)ntid)e  3Bejen  mit  abtüeidienben 
formen  ber  Sntettigens  gäbe,  e§  bliebe  benfbar,  ha^  bie  Sntelligenj 
felbft  fic^  Ujanbelte,  ba'Q  unfere  9cad)!ommen,  ba'^  id)  felb|t  gu  anberen 


412  n.  SBucf):  er!enntm§t^eor.  Probleme.  2.  Aap.:  S)a§  Problem  be§  Ursprungs  zc. 

SluffoffungSformen  überginge;  ginge  ic^  etoa  ju  einer  üierbimenfionaten 
9fiaumanf(f)Qunng  über,  fo  tt)ürben  bie  5tjiome  au§  ber  alten  Sflaum- 
anfdjauung  if)re  gegenftänblic^e  ©ültigfeit  öerlieren.  Tian  mag  ^a§i 
für  jo  untt)a{)rjc^einlic^  {)alten,  tüie  man  mill,  e§  bleibt  benfbar;  unb 
bamit  ift  ber  S3emei§  für  bie  ftrenge  3lltgemein^eit  unb  Sf^otttjenbigteit 
jener  @runbfä|e  öerloren.  @ie  ftjürben  gelten  mit  ber  ^laufet:  jo 
lange  unb  fo  ttieit  fRanm,  ^dt  unb  Kategorien  in  biefer  beftimmten 
©eftalt  Äon[tru!tion§fa!toren  ber  @rfd|einung§meü  finb. 

SSon  S.  t^r.  5rie§  tft  in  feiner  „9?euen  Kritit  ber  35ernunft" 
bie  ^rage,  bie  Kant  umgef)t,  aufgemorfen  unb  im  Sinne  be§  @mpiri§= 
mu§  beantwortet  ttjorben:  (Sr!enntni§  ber  gormelemente  ber  @r!enntni§ 
l^aben  mir  nur  burc^  ©rfa^rung.  Tim  f)at  gefagt:  grie§  oerberbe 
bamit  Kant§  ©ebanfen;  bie  fritifc^e  ^t)iIofop^ie  ge^e  nidjt  auf  bie 
pft)c^oIogif(f)e  Sf^arfimeifung  einer  ant^ropoIogifcf)en  Stf)atfad^e  au§, 
fonbern  auf  bie  tranfcenbentale  Unterfuc^ung  ber  9JJögIi(i)!eit  ber  (Sr* 
fa^rung.  Unb  bie  geminne  man  nic^t,  inbem  mon  beobad^te,  ma§  bk 
3J?enfd)en  mirflid^  t()un,  fonbern  inbem  man  fic^  auf  bo§  befinne,  ma§ 
in  jeber  (Sr!enntni§  al§  uotmenbiger,  nic^t  o^ne  i^re  2Iuff)ebung  eliminier^ 
barer  S3eftanbteit  anerfannt  merben  muB,  auf  bie  afiomatifrfien  Elemente 
ber  t£r!enntni§,  al§  meldte  fid;  benn  bie  ft)nt^etifd)en  @runbfä|e  er= 
geben,  bie  bie  'Ratnx  ber  9iaum=  unb  ß^^taufd^auung,  fotoie  ber  3)en!* 
formen  auSfpred^en:  o^ne  SSorouSfe^uung  it)rer  ©ültigfeit  ift  ©rfa^rung 
überall  unmöglid). 

®ang  red^t,  fo  tüiß  e§  Kant  Slber,  fo  mürbe  §ume  ermibern, 
ha§>  ift  eben  bie  petitio  principii;  ic^  leugne  ben  afiomatifdjen 
ß^aralter  be§  Kaufalgefe^eg  in  bem  Kontifd^en  ©inne,  unb  gleidjmo^I 
l^alte  id)  ©rfal^rung  für  möglid^,  (Srfo^rung,  mie  mir  fie  in  ben 
SSiffenfdjaften  mirflid)  l^oben,  uid)t  jmar  al§  ©ijftem  ftreng  not= 
menbiger  unb  allgemeiner,  fonbern  präfumtiü  aflgemein  gültiger  @ä§e. 
hierfür  braudjt  ber  ^^t)fifer  mirftid^  feine  33orau§fe^ung,  al§  bie 
pröfumtioe  Slügemeingültigfeit  ber  tranfcenbentalen  (5Jrunbfä|e. 
(Sr  mirb  ru^ig  §ugeben  fönnen,  nid)t  nur,  ba'i^  eine  Söclt  benfbar 
ift,  für  bie  g.  S.  unfer  Kaufalgefe^  feine  Sebeutung  ^ötte,  fonbern 
aud),  ha%  in  unferer  Söett  ieben  $Iugenbtid  ein  (£reigni§  eintreten 
fann,  ha§>  fid^  nidjt  nad)  bem  Kaufalgefe^  fonftruieren  täfet,  eine 
^emeguug  j.  33.,   bie  oöüig   ifoliert,   be^iefjungglo^   SU    allen    ooran= 


4.  Äritijcfie  Stnmerfungen  ju  SantS  (Stfenntni§t:^eone.  413 


ge'£)enben  imb  natfjfotgenben  ftattfinbet.  3:f)Qtföcf)Iicf)  tüürbe  ber  ^f)t)ftfer, 
tüenn  i^m  ein  joIdjeS  SSorfommnig  tüirf(id)  begegnete,  nic^t  auff)5ren, 
nadf)  feiner  Urfad)e  unb  feiner  2Bir!ung  ju  fucfien,  er  n)ürbe  e§  alfo 
gar  nid^t  al§  fotd^eS  erfennen  ober  onerJennen;  ober  ben!bar  bleibt, 
ia^  el  njirüic^  feine  Urfac^e  unb  !eine  3Bir!nng  Ijot,  unb  benfbar 
bleibt  and),  ha^  mx  burd;  bie  ttjieberl^olte  (Srfaf)rung  böUig  ergebni§= 
lofer  9lac^forfc^ung  nad)  Urfac^e  unb  SBirfung  gemiffer  (Srfc^etnungen 
bennoc^  aümä^Iid)  beftimmt  tüürben,  bie  Kategorie  ber  ^aufaütät  nic^t 
niet)r  auf  fie  anjun^enben.  —  Unb  ebenfo  [tef)t  e§  mit  ben  ai-iontotifd^en 
©ä^en  au§  ber  Statur  be§  9iaume§:  Ujir  fe^en  üorou§,  bafe  ber  pf)i)fifc^e 
füaum  bem  geometrifc^en  öötlig  entfpric^t,  tüie  biefer,  fontinuierlic^ 
unb  f)omogen  ift.  Slber  benfbar  bleibt,  boB  er  e§  ni(^t  ift;  benfbar 
bleibt  5.  5Ö.  ein  pf)t)fifdjer  'Siamn  mit  inneren  Ungleidjartigfeiten.  2öir 
fe|en  oorauS,  ha^  eine  $8emegung,  fofern  fte  feinen  pfit^fifc^en  SBiber» 
ftanb  finbet,  mit  gleid^er  @efd^n)inbigfeit  fortbauert.  Unb  tt)o  ba^ 
nidit  ftattfinbet,  wo  ein  Körper  an  ©efc^n^inbigfeit  oerliert,  ha  fetten 
tüir  oorau§,  t)ü^  er  burd)  irgenb  irefc^e  pf)t)fifd)en  Prüfte  beeinflußt 
ttjirb.  ®§  bleibt  aber  benfbar,  ha^  bie  S3orau§fe^ung  nic^t  gutrifft, 
ta^  öerfd^iebene  9?äume  al§  foldje  öerfi^iebene  Permeabilität  l^aben, 
ha'^  im  9^aum  aU  f oId)em  fid^  g(eid)fam  metapf)t)fifd)e  Uneben- 
f)eiten  finben.  2öir  würben  aud)  f)ier,  tnenn  jemanb  burd)  foldje 
5lnna^me  etma  bie  SSerlangfamung  einer  fo§mifd)en  S3emegung  5U  er== 
flären  tiorfd;Iüge,  nidjt  barauf  eingeben,  fonbern  barauf  befte^en,  e§ 
feien  un§  unbefannte  SSiberftänbe  im  (Spiel;  unb  fc^merlic^  fönnten 
tüir  babei  be§  Srrtum§  überführt  merben.  SDennod^  ift  benfbar,  ha^ 
e§  ein  S^t-tum  märe.  Unb  me'^r  ift  nidjt  erforberlic^,  Ä'antS  S8emei§= 
füfjrung  §u  ftürjen. 

SBoüte  man  nun  aber  bem  gegenüber  fagen:  ^ant  f)obe  eben 
bargetf)an,  baß  ber  p^tjfifc^e  Sf^aum  üon  bem  geometrifc^en  nidjt 
üerfc^ieben  fei,  t>a'^  e§  bie  rein  fubjeftiüe  9iaumanfdjauung  fei,  in 
ber  bie  ganje  9iatur  au^gefpannt  fei,  fo  märe  f)icrauf  foIgenbe§  ^u 
ermibern. 

5UIerbing§,  ^ant  fe^t  öorau§,  ha^  9?aum,  3^^*  unb  Kategorien 
rein  fubjeftiüe  f^aftoren  ber  ©rfenntnil  finb  unb  al§  folc^e  5ttlgemein= 
f)eit  unb  DIotmenbigfeit  für  oHeS,  maS  ©egenftaub  beg  @ubjeft§  merben 
mog,  f)aben.    5lber,  mit  meld^em  fRec^t?    (Sr  fetbft  fonftruiert  mieber 


414  n.  93u(^ :  (Srlenntm^t^eor.  Probleme.  2.  tap. :  ®a§  Problem  be§  UrfprungS  k. 

alle  ©rfenntniS  qu§  glrei  ^aftoren,  ber  9latur  be§  ©ubjeftS  unb  ben 
Stffeftionen,  bie  e§  bitrcf)  bie  ®inge  erleibet.  2öie  lüill  er  beibe  rem= 
lic^  trennen?  2)a§  ^robuft  allein,  bie  ^orftetlnngsmelt,  i[t  gegeben, 
tt)ie  ttjiU  er  au§  bem  ^robuft  aöein  bie  gaftoren  beftimmen?  Slant 
jelbft  [teilt  bie  Se^auptung  anf:  „bejonbere  9^Qtnrgefe|e"  !önnten 
!eine§n)eg§  allein  ou§  bem  reinen  S^erftanbe  t)ergeleitet  n^erben,  f)ier§u 
jei  „t£rfal)rnng"  nötig.  D^tun,  njenn  gum  ®rat)itation§geje|  „(Srfafirung" 
fjingufommen  mnfe,  marum  nid)t  aucf)  pm  ^'auiafgefe|?  2Benn  gu 
jeber  beftimmten  2o!aIijation,  5.  93.  ber  geograp{)ijc^en  ober  aftro= 
nomijdjen,  „@rfat)rnng"  notmenbig  ift,  n^arunt  nicl)t  jur  93ilbung  ber 
SRanmüorftellung  felbft?  SSenn  aber  für  bie  ^eröorbringung  ber  9Raum= 
üorfteEnng  bie  9latur  ber  2Sir!Iicf)feit  an  ficfj  mitbe[timmenb  ift,  bann 
mürbe  ja  baefelbe  ©ubje!t,  in  eine  anbere  SSelt  öerfe^t,  eine  anbere, 
mit  unferem  9^anm  üielleic^t  gar  nid}t  vergleichbare  SlnfdjanungSform 
f)eroorbringen.  Unb  fo  mit  ben  S)en!formen;  baSjelbe  ©ubjeft,  in  eine 
anbere  Umgebung  öerje|t,  ftjürbe  nieUeid)t  einen  gan§  anberen  S3egriff 
üon  9laturgeie|mäBig!eit,  ober  auc^  gar  feinen,  tjeroorbringen.  Unb 
bamit  n)äre  benn  aucf)  :^ier  bie  gofge  gegeben,  ba'^  e§  feine  f(^(e(j^tf)in 
allgemeinen  unb  notn^enbigen  Urteile  über  ^^atfacf}en  geben  fönne;  bie 
©runbjä^e  njürben  bann  ©üttigfeit  ^aben,  joraeit  ber  95er[tanb  eine 
ber  unjrigen  gleicfiartige  äöirftidjfeit  oorfänbe;  barüber  f)inau§  nic^t. 
2Bie  eine  Sßelt  benfbar  ift,  bie  unferer  SuteÜigens  nicf)t  jur  |)eroor= 
bringung  be§  ©raüitation§gefe^e§  SSeranlafjnng  gäbe,  fo  aucf)  eine  2öeft, 
in  ber  fie  hü§  ^aufalgefe^  nid)t  entmicfeft  fjätte. 

©0  fönnte  §ume  fein  X^eorem,  ha^  e§  über  2§atfacf)en  feine 
allgemeinen  unb  notmenbigen  8ä^e  gebe,  gegen  Haut  oerteibigen.  Unb 
er  fönnte  f)inäufügen :  ixitmi  jemanb  berartige  (Sriüägungen  oon  2)enfbar= 
feiten  unb  9JJDgIicf)feiten  überftüffig  finbe,  für  bie  SBett,  in  ber  n^ir 
nun  einmal  lebten,  feien  unfere  9fiaumanfcf)auung  unb  unfere  ®enf= 
gefe^e  angemeffeue  5Iuffaffung§formen,  fo  l)abe  er,  §ume,  nichts  bagegen; 
muffe  bann  aber  barauf  f)inmeifen,  ha^  if)m  ^ant§  „Ü^ettung  ber 
3Siffenfcf)aften"  gegen  ben  (Sfepti^iSmuS  minbeften§  ebenfo  überffüffig 
erf(i)eine.  gür  ade  unfere  tf)eoretifc^en  unb  vraftifcf)en  ^medt  fei  bie 
Sluffaffuug  be§  Äaufalgefe|e5  at§  ber  fid)erften  ©eneralifation  unferer 
ganzen  6rfaf)rung  genau  fo  anSreic^enb,  wie  ß'ant§  apriorifc^e§  2)enf* 
gefe^.    (Sr  fei  fo  menig  geneigt,   SIu§naf)men  oom  ßoufaIgefe|  anju^ 


4.  Srttifcfie  SInmerfungen  ju  Äant§  erfenntni§t^eorie.  415 

nehmen  tüie  ^ant;  oorgeBIicfien  SSunbern   trürbe  er  ta§>  ^Qufatgefe^ 
ebenfo  wie  biejer  at§  „ojiomatifc^en"  <Ba^  entgegen  f)Qlten. 

(Sobonn  aber  Ijätte  §ume  üermutlid)  nod)  auf  ein  anbere§  aut= 
mer!jam  gemadjt,  nja§  ben  ©enjinn  ber  Äanttfc^en  Ütettung  oijllig 
iUuforifc^  mac^t.  ^ant  geftefjt  felbft  ju,  ba&  bie  (SrfenntniS  jebe§ 
befonberen  5öerI)äUnijfe§  öon  Ur]ad)e  unb  3Bir!ung  nur  burrf) 
(Erfahrung  mögtirf)  ift.  .^ierin  ift  er  mit  §ume  ööüig  einer  S(nfi(f)t, 
er  teilt  gar  nid)t  bie  5Inid)auung  be»  älteren  9^atiDnati§mu§,  ber  el 
für  möglid;  I)iclt,  au§  bem  33egriff  ber  Urfac^e  bnrd;  blofeeä  Renten 
in  einem  „anali)tifd)en"  Urteil  bie  beftimmte  Söirfung  abguteiten. 
5tIfo  jebe§  einzelne  Äanjott)erf)äItni§,  jebeS  Dcaturgefe^  unferer  SO^edianif 
unb  ^^t)fif  ift  aud)  nad;  ^ant  ein  empirifc^e§  ©efel^  unb  f)at  al§> 
foId)e§  feine  matf)ematifd)e  Stügemeinljeit  unb  Dlotluenbigfeit.  ^Blofe 
haS:  ^aufatgefe^  felbft,  bie  gormel:  atle§,  ma§  gefc^ieljt,  fe|t  etttjaS 
öorau§,  n)oranf  e§  nadi  einer  Siegel  folgt,  foü  rein  a  priori  unb  alfo 
allgemein  unb  notttjenbig  fein.  9lun,  bamit  lüäre  benn  in  ber  Stfjat 
nergweifelt  njenig  gewonnen;  aüeS,  n)a§  Ujir  nun  tt)üfeten,  wäre:  jebel 
(SreigniS  folgt  regelmäßig  auf  irgenb  ein  onbereS;  auf  raeld^e§? 
\)a§>  müßten  n)ir  erft  burd;  ©rfatjrung  lernen.  Unb  Ijier  bliebe  benn 
immer  bie  $OZögüd)!eit  einer  befferen  33e(el)rung  burd)  nad^folgenbe 
Srfo^rung  offen.  SBir  UJÜrben  gnjor  ttjiffen:  n^enn  bie§  ou§  ber  @r= 
fatjrung  abgeleitete  SSerf)äItni§  ber  O^olge  ein  Äaufalüerf)ä(tni§  ift, 
bann  ift  eg  unauflöslid;  unb  allgemeingültig,  aber  niemals  !önnten 
mir  abfolut  fidler  fein,  ha'^  mir  ein  mirflidieS  5?aufaIoert)äItni§  cor 
un§  f)aben,  nidjt  eine  bloß  zufällige  unb  auflösbare  golge.  @o  liegt 
e§  5.  S.  bem  gefunben  älJenfc^euüerftanb  naf)e,  auf  ©runb  ber  ©r= 
faf)rung  ein  allgemeines  9Iaturgefe|  §u  bitben:  bie  gallgefd§minbig!eit 
ber  Körper  ift  obtjängig  öon  i^rem  fpejififci^en  ©emic^t.  ^ie  ^f)t)fi! 
forrigiert  biefe  g-ormet:  fie  gilt  nur  unter  einer  Sebingung,  nämtid) 
ber,  ba^  ha§  fallen  burd)  ein  äöiberftanb  leiftenbeS  9}iebium  gefd;iet)t; 
mirb  biefer  Umftanb  befeitigt,  5.  33.  burd)  ^erfteüung  eineS  luftleeren 
9?aume§,  fo  fallen  alle  Körper  mit  gleidjer  ©efdjminbigfeit.  9^un, 
ebenfo  bleibt  eS  benfbar,  ha^  aud;  hü§>  ©rauitationSgefe^  oufgelöft 
mirb:  nur  unter  einer  Sebingung,  5.  33.  etma  beS  33or^anbenfeinS 
eines  5ltf)erS  ober  einer  eteftrifd^en  (Spannung,  graoitieren  bie  Steile 
ber  ponberabten  9Jkterie  gegen  einanber;  gelänge  eS  biefen  (äinftuß  ju 


416  n.  Sdnd):  ©rfenntnigt^eor.  Probleme.  2.  Äop.:  ®a§  Problem  be§  UrfprungS  k. 

eliminieren,  fo  rt)ürben  bie  ©rfd^einungen  ber  ©raüitation  auff)ören. 
©elbft  bQ§  ©eje^  ber  (Srt)Qttung  ber  Sertjegung  ober  ber  9J?Qterie 
mac^t  fjieröon  feine  ^lusnofime:  e§  bleibt  5.  33.  benfbor,  bafe  beftänbig 
9Jkterie  unb  Bewegung  öerloren  gef)t,  aber  burcl)  eine  un§  unbe!annte 
Urfotfie,  etnja  ein  tronjcenbenteS  SSefen,  beftänbig  in  gleichem  9JjQBe 
erfe^t  wirb;  wenn  bie  2;^ätig!eit  biefe§  2öefen§  aufhörte,  njürbe  ber 
(Sd)tt)unb  fidjtbar  n^erben.  ®a§  i[t  eine  übttig  lüillfürlic^e,  aber  e§  i[t 
eine  benfbare  SSorfteÜung. 

5I(fo,  fönnte  ^ume  jagen,  möge  ^ant  bie  ftrenge  5(llgemein* 
gü(tig!eit  be§  ^anfa(geje|e§  and)  gerettet  f)aben,  bie  ^f)t)[i!  ^ätte  feinen 
©eminn  baoon;  alle  if)re  ©efe^e  blieben  empirijc^e  ©efe^e  üon  nur 
präfumtiüer  SIQgemeingüÜigfeit.  ®er  mit  fo  großem  5lpparat  an- 
geftellte  SSerfud)  einer  „9flettung  ber  2Bifjenfd)aften  gegen  ben  @fep^ 
tijiSmul"  frfieine  if)m  bemnacf)  in  feinem  (Srgebni§  rec^t  befc^eiben,  um 
ni(i)t  §u  jagen  bürftig  auszufallen. 

©nblicf)  aber  §ätte  ^ume  in  feiner  ^titif  nod)  einen  ^unft  in§ 
Singe  f äffen  fönnen:  bie  ganje  ^'antifc^e  SIrgumentotion  bricf)t  in  ber 
W\tk  entgttjei.  ^ant  mufete  eigentlich  fagen  unb  fo  fagt  er  aurf) 
anfangt:  gegeben  finb  nur  oe reinreite  (SmpfinbungeU  mit  quaüta= 
tioer  ^eftimmtf)eit,  bagegen  ift  alle  SSerbinbung,  alle  S(norb  = 
nung  auf  bie  fi)nt^etijc^en  gunftionen  be§  ©ubjeftS  jurücf zuführen; 
burc^  bie  5(nfd}auung§formen  unb  Kategorien,  bie  ja  nur  ai§>  5unf= 
tionen  ber  3}erfnüpfung  unb  Stnorbnung  oorf)anben  finb,  mirb  jebem 
©lement  fein  Ort  im  ßuJaniJ^^n^ai^Ö  ^^^  D^^oturganäen  beftimmt.  ^or 
biefer  Konfequeuji  feiner  3Sorau§fe^ung  ift  Ä'ant  bann  aber  gurücf* 
gemidjen.  3n  ber  tranfcenbentalen  S)ebuftion  löBt  er  gu,  baB  bie 
geitüc^e  5(ufeinanberfo(ge  ber  (äreigniffe  auS  „(^rfa^rung"  ftammt, 
ha^  gur  ©rfenntnig  befonberer  Sf^aturgefele  „(Srfaf)rung"  f)in5U= 
fommen  muffe,  „^uf  mef)rere  ©efe^e  aber,  al§  bie,  auf  benen  eine 
9fi  a  t  u  r  überhaupt,  al§  ®efe|mäBigf eit  ber  ©rfc^einungen  in 
9^aum  unb  Qdt,  beruf)t,  reicf)t  ha§>  reine  ^ßerftanbegoermögen  nic^t  ju, 
burd)  blo^e  Kategorien  ben  @rfd)einungen  a  priori  ©efe^e  üorsu* 
fc^reiben.  Sefonbere  @efe|e,  mei(  fie  empirifc^  beftimmte  (!)  @r» 
frf)einungen  betreffen,  fönnen  baüon  nidjt  üoüftänbig  abgeleitet  merben. 

®§  mufe  (Srfat)rung  baju  fommen "     <Bo  fd)tieBt  bie  traufcen» 

bentale  ©ebuftion,  fid)  felber  mitten  ent§n)eibred)enb.    Kann  unb  mufe 


4.  Äritiid^e  5tnmerfungen  ju  Äont§  ©rfenntni^t^eorie.  417 

überhaupt  ^u  äeitlt(f)er  ?(norbniing  „Grfafining"  niittrirfen,  lüo  i[t  bie 
©renje?  33ebQrf  ber  ^ßerftonb  ^ur  93ilbung  ber  biotogtid^en  ©ene^ 
ratifationcn,  ber  ci^emifd)en  ?}ormeIn,  ber  p{)t)j'ifatijc^en  (5Jeje|e  ber 
^,SrfQt)rung",  luorum  follte  nid^t  für  bie  ©eje^e  ber  Äaufalität  unb 
©ubftansialität  ba^felbe  gelten?  SBeil  fie  allgemein  unb  notoenbig 
finb?    Stber  ha^^  [te^t  ja  eben  in  3^rage. 

2öie  I)eino§  ber  Srud),  tt)ie  unmöglid^  e§  ift,  au§  ben  reinen 
33er[tanbe§begriffen  ober  ben  fijnf^etifc^en  gunftionen  be§  Sßerftanbe§ 
unb  jenen  „empirijdjen  33e[timmungen"  ber  (Srjdjeinungen  bie  eint)eit= 
lidje  @rfat)rung,  wie  fie  in  ben  SSiffeufc^aften  üorliegt,  §u  fonftruieren, 
ha^:  jeigt  fid)  an  jebem  ^unft.  9Jian  lefe  bie  tranfcenbentate  ®e= 
buftion  in  i^ren  unenbli(^en  jd^Ieppenbeu  2Bieberf)oIungen,  tt)o  immer 
ba§  ©übe  unb  ber  SInfaug  lüiber  einanber  [inb,  biejer  mit  ber  SSorau§= 
fe|ung:  @t)ntf)e[i§  fommt  au§  bem  SSerftanb,  unb  jene§  mit  ber  nod^= 
l^infenben  (Sinjcf)rän!ung:  aber  bejonbere  SSerfnüpfung  ftammt  au§ 
ber  „(Srfafjrung",  in  iüe(d;en  boppeI[innigen  33egriff  \)a^  gange  @(enb 
t)erf)üllt  i[t.  Tlan  ad)te  auf  jene  SSerfud^e,  reine  SIpperjeption  unb 
empiri jdje  Hfiogiation  au§  einanber  ju  f)alten  unb  ujieber  §u  öereinigen; 
ober  man  adjte  auf  bie  oerglüeifelten  ^öerfuc^e  im  Kapitel  oom 
©d)emati§mu§  ber  reinen  93erftanbe§begriffe ,  bie  ©t)nt^efi§  be§ 
^enfen§  in  bie  finnlid)e  ©tjnt^efiS  ber  ©mpfinbungen  in  ber  ßeit 
I)inein5ubringen;  ober  auf  bie  nid^t  minber  oer^njeifelten  S3erfu(^e 
ber  ^rotegomena  (§  20),  an§>  „2Sa^rnet)mung§urteiIen"  „@rfaf)rung" 
gu  machen.  Sd^  glaube  nid^t,  baB  ein  SO^enfd)  fid)  rüf)men  !ann, 
biefe  ©ebanfen  tüirüid)  ju  oerfte{)en,  b.  f).  beuten  ju  fijnnen.  3?er= 
ftefien  !ann  man  fie  nur  pfQc^oIogifd) ,  inbem  man  bie  üerfc^iebenen 
eintriebe,  bie  ba§  Äantifd;e  2)enfen  nac^  üerfdjiebeneu  Seiten  au§- 
einonber  äief)en,  aufzeigt. 

SDem  gegenüber  werben  wir  nun  alfo  fagen:  e§  ift  eine  gan^ 
gerechtfertigte  33e^auptung  5lant§,  ha^  @rfa§rung  nid)t  ein  paffio  5hif* 
genommenes,  fonbern  ein  (SrjeugniS  ber  ©innli^feit  unb  be§  93erftanbe§ 
ift.  9}Jan  fann  and)  fagen:  bie  Suteüigeuä  probugiert  bie  9Zatur  felbft, 
a(g  Inbegriff  gefel3mäBig  nerfnüpfter  (Srfc^einungen.  Stber,  fo  mu§ 
man  ^injufügen,  fie  probugiert  fie  gan§  unb  gar  auf  beut  einen  unb 
gelben  SSege,  burc^  Seobadjtung  unb  Dkd^benfen.  Sn  Sa^rtaufenbe 
langer  Strbeit  f)at  ber  menfdjüd^e  ©eift  burd^  2öaf)rne^mung  unb  '^ad)' 

'iJ au Ifeit,  (äinleituug.    G.  Siufl.  27 


418  n.S3ud^:  ©rfenntniSt^eor.  «Probleme.  2.  Äop.:  S)a§  <ßrobtembe§UrfprunglK. 

ben!en,  burd^  ^orfd^ungSreifen  unb  pf)iIoto9ifcfj4)i[torijd)e  Unterjud^ung^ 
biirrf;  mifro=  unb  te(ejfopifcE)e  33eoba(i)tung  unb  matfjematijcEie  @pe!uIation, 
biircfj  pf)i)fifaüj(f)e  ©yperimente  unb  burcfj  begriffliche  2)ebu!tion  bie 
D^otur,  b.  t).  t)a§>  SSeltbilb,  tt)te  tttir  e§  gegenttjärtig  fe^en,  I)erüorgebrac^t. 
§ier  ift  fein  ^nnft,  ttjeber  in  ber  ^onftitution  be§  ßo§mo§  uod^  in 
ber  inneren  ©efe^möBigfeit  beg  9^aturlQuf§,  wo  nicf)!  33eobac^tung  unb^ 
^larfjbenfen  Ratten  §ufammenrt)ir!en  muffen.  S)ie  obfolute  ©onberung 
„empirifc^er"  unb  „apriorifdjer"  (Elemente  ift  nöllig  unou§füf)rbar. 
2(ud)  ba^'  ^aufolgefel  ift  ein  „empirifc^e§"  ®efe|,  nic^t  in  bem  Sinne, 
'öa'^  e§  bem  S^erftanb  öon  au^en  märe  imprimiert  morben,  ba§  finbet 
an  feinem  ^^un!t  ftatt,  raoJ)!  aber  in  bem  ©inne,  ha"^  e§  Beobachtung 
iiorou§fe|t,  ebenfo  gut  tük  ein  beliebiges  @efe^  ber  Sf)emie  ober  93ioIogie. 
SDer  ®runb  uufere§  ©laubenS  an  bie  allgemeine  9^aturgefe|mä&ig!eit 
ift  im  ©runbe  fein  anberer,  al§  ber  ©runb  be§  @lauben§  an  bie 
5(ügemeingültigfeit  ber  Sf^egel,  ba"^  jeber  9}?enfd^  einen  Spater  unb  eine 
SJhitter  !^at;  nidjt  eine  „apriorifd^e  S^otmenbigfeit",  fonbern  bie  (Sr= 
faf)rung  ift  feine  (gtü^e.  freilief;  nicl)t  bie  gemeine  (Srfaf)rung,  fonbern 
bie  tt)iffenf(^aftlid§e  ®rfaf)rung.  S)ie  gemeine  @rfaf)rung  fe|t  gar  nirf)t 
bie  '^lUgemeingültigfeit  be§  Äaufalgefe|e§  oorauS;  fie  red)net  audl)  fjente 
nocf)  mit  bem  ßn^aU  unb  ber  SSillfür;  fie  l)at  abfoluteS  (Sntfte^en  unb 
SSergeljen  fo  oft  ma^rgeuommen,  ha^  fie  baran  gar  feineu  5lnftoB 
nimmt.  (Srft  bie  Sßiffenfcl)aft  f)at  ben  S3egriff  ber  S^iaturgefelmöfiigfeit 
f)erOorgebracf)t.  SSorauf  fid)  ftü^eub?  9^uu  of)ne  ßmeifel  onf  bie 
jt^atfad^e,  ha'Q  fie  überaü  ha,  mo  fie  ben  S)ingen  mit  genauerer  ^Se* 
obad)tung  nä^er  trat,  urfädf)lidf)e  3ufammenf)änge  eutbedte  ober  nad)« 
meifen  fonnte,  mie  fc^eiubareS  ©ntftef)en  unb  SSerge^cn  in  2öaf)rf)eit 
bod)  nur  Übergang  üorfjaubener  Semegung  unb  üorljanbenen  ©toffes 
in  neue  g^ormeu  tüax.  Unb  biefe  taufenbmat  mieberijolte  (Srfaf)ruug 
formuliert  fie  nun  in  ben  ayiomatifdjen  <Sä|en,  meldje  bie  allgemeine 
Dlaturgefe^mä&igfeit  ausbrüden,  unb  fagt:  and)  ha  mo  mir  bie  Urfod^e 
ober  ha§^  @efe^  nodj  nii^t  fennen,  ift  e§  oorf)aubcn.  §ätte  fie  aber 
bie  begeid^nete  (Srfal)rung  nie  unb  nirgenb  gemad^t,  fo  mürbe  auc^  öon 
biefen  ^Ifiomen  nid)t  bie  9fiebe  fein. 

®§  ift  f)iermit  ein  ^unft  berührt,  auf  ben  idj  nod)  etma§  näf)er 
eingebe.  Äant  gef)t  öon  einer  biologifd)eu  5tnfdjauung  au§,  bie  für 
feine  ßdt  bie  gegebene  mar:  bie  Sf^atur  ber  Sebemefen  ift  unüeränber= 


4.  Sritijci^e  Stnmerfungen  ju  Santa  (Jrfenntniät^eorie.  419 

lic^.  So  [inb  i^m  and)  bie  5Infd^Qiiitng§=  unb  S)en!fornien  bie  ?tul= 
ftottung  einer  fonftantcn  Drganifattou  ber  SnteUigenä. 

S)ie  heutige  Slnt^ropologie  tuirb  biefe  Setradjtung  nid)t  qI§  eine 
gnlänglid^e  gelten  taffen.  (S§  giebt  nicf;t§  atifolnt  SeftnnbigeS  in  ber 
organifdjen  3BcIt;  aUt§>  in  i^r  ift  geworben  unb  ade»  i[t  manbelbar. 
3)ie  förderliche  Organifatton,  hü§>  9Jeroenfl)[tem  ift  burd)  eine  lange 
SfJei^e  non  Umbilbnngen  genjorben.  ®a§feI6e  njirb  al]o  and)  öon  ber 
intelleftuellen  Drganijation  gelten.  Üiaum,  ^ät  unb  ^aufalität  finb 
nid^t  ein  urfprünglid^er  eiferner  Seftanb  ber  menjd^Iidjen  intelligent, 
fonbern  [ie  finb  öon  ber  ©attung  im  Sauf  i'^reS  langen  2eben§  all= 
niäf)Iid)  entluidelt  iuorben,  wk  fie  benn  anc^  oon  bem  Snbioibuum, 
freilid)  auf  ©runb  ererbter  Stniage  unb  unter  S3eip(fe  ber  elterlidien 
Generation  enttt)icEett  n)erben.  Slm  fid)t6arften  bie  ^^unftion  ber  fau= 
falen  Sluffaffung  ber  2öir!(id)!eit:  fie  n)irb  oon  bem  Snbioibunm  er= 
lernt,  nidjt  anberS  aU  9iec^nen  unb  Sprechen.  ®a!E)er  e§  and)  yer= 
fdjiebene  Snbioibuen  in  ber  §anb;^abung  ber  ^aufatfunftion  üerfd)ieben 
weit  bringen,  mond)e  fommen  nid)t  über  bie  näd)ften,  praftifd^  tüid)tigen 
^aufal^ufammen^änge  tjinauS,  unb  ber  93egriff  einer  ftrengen  unb  all= 
gemeinen  9laturgefel3mäBig!eit  bleibt  üielen  überfjaupt  fremb. 

SSie  mir  im  Snbioibuum  bie  ßntmidelung  ber  Äaufatfunftion 
beobachten  fönnen,  fo  liegt  un§  auc^  if)re  (Sntfte^ung  in  ber  ©ottung 
im  UmriB  gefdjidjtlic^  oor  Stugen.  Sn  primitiüer  @efta(t  finben  mir 
fie  fdjon  bei  ^öfjer  fte^enben  Vieren,  fie  lernen  i^r  33erl)alten  ben  S3or= 
gongen  in  ber  Umgebung  anpaffen,  fie  werben  burc^  ßrfa^rung  ftüger. 
(S§  gefdjie^t  offenbar  in  ber  ^orm,  ha"^  bie  Stufeinanberfolge  oon  9Sor= 
gongen  fid^  einprägt;  beim  Eintreten  be§  S(nteceben§  wirb,  burdj  eine 
S(rt  oon  unabfi^tlid)er  g^ofgerung,  bo§  Gonfequenl  oorauSgenommen 
unb  ba^  praftifc^e  33  erhalten  burd^  bie  95orau§naf)me  beftimmt.  Unb 
in  einigem  Umfang  finbet  and)  bie  umgetet)rte  ^orm  ber  Folgerung 
ftott:  ha§'  (Sonfequen§  ift  ©egenftonb  ber  Segierbe,  e§  fü^rt  ha§ 
5(nteceben§  in§  Semufitfein,  al§>  9JJittet  gum  ^rvtä;  ber  ^unb,  bem 
nmn  bie  ^unft  be§  S(ufmarten§  beigebracht  {)at,  inbem  man  feine  erften 
Seiftungen  burc^  einen  guten  Siffen  lo'^nte,  braudjt  nun  bie  ^unft  a(§ 
SOlittel  ä"i"  3^0^'i-  ®'^  3^orme(,  nad)  ber  er  folgert,  wenn  er  fie  aud) 
nic^t  oI§  @a^  formuliert,  ift:  auf  bagfetbe  5lnteceben§  folgt  baSfelbe 
(5onfequen§,  wenn  aud^  nid^t  jebeSmal,  fo  barf  man  e§  bod^  immer  erworten. 

27* 


420  n.  93ud^:  (Jrfenntm§tf)eor.  «ProMeme.  2.  Äo^.:  ®a§<ßrobkmbe§Urfprung§2C. 

®a§  menfcfjtic^e  gotgern  ^ot  urfprüngtid)  feine  anbete  ®e[talt; 
ja  man  !ann  jagen:  niete  a)ienf(^en  fommen  ü6ert)aupt  ni(i)t  prinzipiell 
barükr  f)inan§,  wenn  fie  and)  ba§  35erfaf)ren  au§gebef)nter  unb  fieserer 
alö  \)ü§^  üügftc  3:ier  üben,  ©o  beftef)t  bie  gange  öoIfStümUc^e  9JJebi§in, 
if)re  ^atljologie,  ST^erapie  unb  ®iüteti!  au§  beobaditeten  (jei  e§  rid)tig 
ober  faljd)  beobachteten)  ^^olgen:  lüenn  man  bie§  tl)ut,  bann  ertöltet 
man  fidj,  ober  fjolt  jic^  gieber,  ttjenn  man  gieber  ^at,  muB  man 
fc§mi|en  ober  einnehmen.  Sei  mand)en  gef)t  ha§:  53ebürfni§  einer 
faufalen  (Srüörnng  über  foldje  ßufammen^änge  überhaupt  nidjt  ^inan§. 
Sind)  nehmen  fie  nid)t  meiter  2In[toB  baran,  inenn  haS^  9Jiittel  nidjt  in 
jebem  gaü  f)i(ft;  if)r  Äaufalgefet^  berlangt  ha§>  nid;t,  feine  formet  märe: 
auf  ba§felbe  folgt  in  ber  9ftegel  baSfelbe,  e§  !ann  aber  §umeilen  anc^ 
anberS  fommen.  Sn  ber  Zf)at  entfpridjt  biefe  gormel  gang  mot)I  bem 
nädiften  93ebürfni§;  ^a§:  praftifc^e  Seben  t)at  e§  ftet§  mit  jenen  fompli» 
gierten  ß^^jommen^öngen  §u  t{)un,  bie  nur  burd;  Siegeln  mit  5tu§= 
natjmen,  nidjt  burd^  ftreng  allgemeine  ©efe^e  gefaxt  merben  fönnen; 
ber  Sauer  ^at  mit  bem  SBetter  unb  mit  organifdjen  SebenSüorgöngen 
gu  tl)un,  bie  fid)  nic^t  berechnen,  fonbern  nur  nac^  jener  formet  ooraug= 
fe^en  laffen,  ber  ^anbmerfer  mit  SJZaterial  unb  SSerfgeugen,  bie  niemals 
ööllig  gteidje  ©truftur  tjaben,  ber  ßef)rer,  ber  Seamte  mit  menfd^Iid^en 
Sf^aturen,  bie  gmar  im  aügemeinen  einanber  g(eid)en,  aber  bod)  if)re 
Sefonber^eiten  Ijaben  unb  baf)er  nid^t  gteic^möBig  auf  biefelbe  @in= 
mirfung  reagieren. 

3a,  man  fann  fagen:  ouc^  bie  SSiffenfdjaft  ift  eigentlid^  erft  feit 
loenigen  Sal)rl)unberten  gu  einer  fc^örferen  ^^affung  be§  ^aufatgeje|e§ 
gefommen.  ^ie  oriftoteIijd)e  ^t)iIojop^ie  begnügt  fic^  noc^  mit  einer 
Sluffaffung  ber  Urfad)Ii(^!eit,  bie  and)  unfontroflierbare  2tu§na(}men 
gutä^t;  unter  bem  Xitel  oon  ^uf^IIen  merben  fie  §urüdgefüf)rt  ouf 
ben  unbeftimmten,  begriffe  unb  gefe^Iofen  gaftor  be§  S^aturprogeffeS, 
bie  SO^aterie,  mä^renb  bie  @efe|mäBigfeit  bem  anbern  gaftor,  bem 
begriff(id)en  SKefen,  eigen  ift.  2)af)er  fann  bie  SSiffenfd^aft,  fomeit 
biefer  ftörenbe  ^aftor  eingreift,  über  ba§^  „in  ber  Siegel"  nidjt  fjinau§= 
fommen.  ©rft  bie  moberne  ^I)t)fif  fjat  ben  Segriff  ber  9kturgefe^= 
mö^igfeit  fdjarf  burc^gefüfjrt;  bie  ©eje^e  ber  SO^edjanif  finb  ba§  tt)pifcl^e 
Seifpiel  ber  ©efe^möfeigfeit  überhaupt  gemorben.  S(uf  ©runb  ber 
^f)l)fif   ift   ber  ©ebanfe   ber   ftreng   allgemeinen  unb   auSnafjmSfofen 


4.  Äritifrfie  2tnmer!ungeu  gu  tanti  (£t!enntm§t:^eorie.  421 

(55efe|mäfj{gfeit  alle§  (^ejcf)ef)en§,  fotüol)!  in  ber  2tu|enn)e(t  a(§  and)  in 
ber  Snnenttjelt,  überhaupt  er[t  anSgebitbet  ttjorbcn;  '5)e§carte§  jief)!  bie 
^onfequenj  für  bie  Slu^ennjelt,  im  bejonberen  ouc^  für  ta§^  biologifc^e 
©ebiet,  §obbe§  unb  ©pino^a  QUd^  für  bie  Snnennjelt:  bog  SBoüen 
unb  3^üt)len  folgt  ebcnfo  au§na'^m§Iofen  ©efe^en  n)ie  bie  Settjegungen 
ber  Äörperroelt. 

SSie  ift  bie  S(u§bi(bung  ber  ^'onfolfunftion  im  menfdjlidien  Sßer= 
ftanbe  gef(i)ef)en?  Tlan  tann  t)ieranf  5unäd)ft  antnjorten:  burd^  bie 
5(u§bilbung  ber  j}äf)igfeit,  tompleye  ST^atfacfien  in  if)re  Komponenten 
ju  jerlegen.  2)a§  tierifd^e  SDenfen,  n^enn  ujir  fein  folgern  fo  nennen 
ttJoUen,  beftef)t  in  Stffojiationen  fomptejer  Sßorgönge  ober  Slnfdjauungen. 
(Sin  ^ferb,  ba§  auf  einem  .§of  einmal  gute§  ^utter  gefunben,  biegt 
noc^  nac^  Seilten,  menn  e§  besfetben  2öege§  fommt,  mieber  ein;  bie 
gefomte  £)rtIidE)!eit  ift  i^m  mit  gutem  g^utter  affojiert.  93ei  bem 
9Jienfcf)en  ift  biefelbe  ^tffojiation  tt)ir!fam;  aber  er  folgt  i^r  nid^t  of)ne 
njeitere»;  er  überlegt  erft,  ob  je|t  baSfetbe  ju  erwarten  ift,  tt)ie  bamal§: 
ob  nod^  berfelbe  Sewo^ner  ha  ift,  ob  biefelben  Umftänbe  oor^anben 
finb,  bie  i^m  bomaI§  bie  gute  2rufnat)me  üerfrfjafften.  ®er  ßootog 
3J?i)biu§  erjätilt  irgenbnjo  Don  folgenbem  33erfud;.  Su  ein  SSaffer- 
becfen,  "öa^  burc^  eine  @Ia§fdf)eibe  in  jujei  gegen  einanber  abgefc^Ioffene 
^ölften  geteilt  tüar,  mürbe  auf  bie  eine  (Seite  ein  ^ecfjt,  auf  bie 
anbere  aüertei  !(eine§  ©etier,  mie  e§  i^m  fonft  jur  Seute  bient,  ge= 
tl^an.  ^er  §ed[jt  fuf)r  al^botb  auf  bie  2;iere  ^u,  erf)ie(t  jebod),  ftatt 
be§  erwarteten  SiffenS,  an  ber  @la§frf)eibe  einen  empfinblidjen  ©toB. 
9ladf)bem  fidf)  biefeg  öfters  tt)ieberf)oIt  f)atte,  lernte  er  enblid^  auf  bie 
93eute  öer^ic^ten.  ^ad)  einigen  SBoc^en  luurbe  bie  ®Ia§fd}eibe  ^erauS» 
genommen;  ber  ,g)edE)t  fd^mamm  je^t  frei  unter  bem  übrigen  ©etier 
uml^er;  aber  er  lieB  fid)  nidf)t  beifommen,  auf  fie  Io§5ufaI)ren.  (Sr 
t)atte  offenbar  fid)  ein  „92aturgefe^"  gemad^t:  auf  biefe  2:iere  ftofeen, 
t)at  einen  ©djiag  auf  ben  9iacf)en  ^nx  ^olge.  (Sin  SDJenfd^  in  äfjulid^er 
Sage  n)ürbe  bie  fonipleje  ^^olge  in  it)re  einfad^en  Elemente  aufjulijfen 
ftreben.  @r  n^ürbe  fid^  fagen:  ber  ©c^tag,  ben  bu  ert)ältft,  ift  meüeidjt 
nid)t  eine  %o\Qt  ber  DZatur  biefer  93eute,  fonbern  irgcnb  eine»  ben 
2(ugen  freilid)  nidjt  fid)tbaren  §inberniffel.  @r  mürbe  fid)  alsbatb 
baran  mad)en,  bie  Statur  be§  §emmniffe§  mit  ber  toftenben  §onb  ju 
ermittetn,   unb  bann  öerfudien,  e§   §u   entfernen    ober  ju  überfteigen. 


422  II.  S3ud^:  er!enntni§t^eor.  Probleme.  2.  Äa^j. :  ®a§  «ßroblem  be§  Urf^rungS  2C. 

^iergu  Ijätte  in  biefem  %a[l  and)  eine  enttt)i(fettere  tierifi^e  Snteüigenj 
QuSgereidjt.  %ha  im  allgemeinen  ift  ha^  tierijcf)e  SSertjoIten  unb  ha^ 
®en!en,  üon  bem  e§  geleitet  lüirb,  im  Unterfdjieb  oom  menjdjüc^en, 
baburd)  djorafterifiert,  bo^  e§  mit  [tereotljpen  Folgerungen  unb  §anb= 
(ungen  auf  !om|)Iei*e  Situationen  ober  SSorgänge  reagiert.  S)a§  menfc|« 
lid^e  2)enfen  unb  in  ber  ?}otge  ba§  menfdjiidje  ^anbetn  i[t  bemeglid)er; 
e§  jerlegt  ben  %a[l  in  mefentlid^e  g^attoren  unb  jufätlige  Umftönbe 
unb  fommt  \o  gur  SluSfd^eibung  edjter,  fonftanter  ©equen§en  öon  5U= 
fälligen  unb  üorüberge^enben  Kombinationen. 

(S§  liegt  ouf  ber  §anb,  ha'iß  biefe  gä^ig!eit  auf§  engfte  mit  ber 
(Sigentümlid)!eit  §ufamment)ängt,  n^orin  man  öon  je  ben  S^orjug  be§ 
menfdjiidjen  Sen!en§  üor  bem  tierifdjen  gefefien  f)at:  bem  begriffe 
liefen  S)en!en.  S)a§  SSejen  be§  Begriff lid^en  ^enfen§  beruht  ouf 
ber  ^(uflöfung  ber  5(njdjauung§!ompIeje;  e§  beftel}t  in  ber  inneren 
Drganifierung  ber  2(nfc^auung;  2tnalt)fi§  unb  ©t)ntf)efi§  finb  bie 
beiben  «Seiten  be§  ^ro^effeS.  ^m  S3egriff  merben  bie  einzelnen  Seiten 
ber  2(nfd)auung  für  fid)  gefegt  unb  bann  im  Urteil  mieber  in  93e= 
5ief)ung  gu  einanber  gebracht.  S)er  fdimere  Stein  fin!t  im  SBaffer 
unter,  ba§  naffe  ^olg  brennt  nid)t:  ein  fo  einf adje§  3Bal)rnef)mung§* 
urteil  fe|t  bod)  eine  gemoltige  intelleftneUe  5Irbeit  üorauS.  S)o§  5Iuge 
be§  9J?enf(^en  fiet)t  nid)t  mel)r  at§  ha§>  be§  2iere§;  aber  ma§  im 
STierbemuBtfein  at§  ein  ftumpfer  5lnfd)auung§!ompIei-  bleibt,  hci§i  löft  bie 
menfdjlid^e  Sutelligenä  in  eine  S3ielt)eit  üon  Komponenten  auf,  bie  fie 
bann  mieber  gu  einem  eintjeitüdjen  Sljftem  gufammenfügt.  Sie  fe^t  ha^ 
SDing  fetbft  für  fid),  bann  feine  (Sigenfdjaft,  ebenfo  bie  S3emegung,  fie 
löft  mieber  uon  ber  93etuegung  bie  Sflidjtung,  bie  ©efdiminbigfeit  ab; 
bann  fa^t  fie  ade  biefe  9JJomente  be§  @efamtöorgang§  im  Urteil  gu 
einem  ©an^en  äufammen,  aber  einem  gegtieberten  (Jansen,  in  bem  nun 
jebe§  (Sinselne  feine  beftimmte  Stelle  tjot.  Offenbar  ift  allein  burd) 
biefe  Organifierung  ber  ?Infd)auung,  meld)e  bie  einbringenbe  5(natt)fi§ 
gur  SSoraugfe^ung  Ipt,  bie  @rfenntni§  üon  9'iaturgefetjen  moglidj  ge» 
morben.  örft  nad^bem  ou§  ber  5tnfd)auung  eine§  bemegten  Körpers 
bie  be^arrenbe  Subftan^  unb  ber  oorübergeljenbe  Siorgang  ber  Semegung, 
au§  ber  S3emegnng  miebcr  bie  3fiid)tung  f)eran§ge(öft  unb  relatiü  für 
fid)  gefe|t  mar,  fonnte  ber  35erftanb  jur  (gr!enntni§  be§  @raüitation§* 
gefe|e§  ober  be§  23ef)arrung§gefe|e§  fortfdjreiten.    ®ie  Sd)öpfung  jeneg 


4.  Äritifc^e  Srnmetfungen  ju  Äont§  @rfenntni§t:^eorie.  423 

©tjftemS  öon  Segriffen  unb  Kategorien,  boS  in  ber  ©prad^e  feine 
objeüiue  ©arftellnng  ^ot,  bie  bnrdjgängige  Strtifutotion  ber  2Sir!Ii(fj= 
!eit,  ttjeld^e  ber  ^(rtüulation  ber  SRebe  entfprid)t,  ha§i  ift  bie  unge= 
fjeure  §lrbeit,  lueldje  ber  SÜlenfcfjengeift  nerric^tet  f)Qt,  ef)e  er  an  bie 
tüiffenf(i)aftlicf)e  (grforfc^ung  ber  ®inge  fid)  moc^en  fonnte.  Set^t  ge= 
n^innt  ber  ßin^etne  in  ben  erften  paar  2e6en§iat)ren  mit  ber  Sprache 
biefen  ©rtrag  ber  5lrbeit  nngejätjüer  Generationen  oon  SSorfa{)ren  bei= 
naf)e  müf)eIo§,  um  bann  in  ben  folgenben  beiben  Satjrgefjnten  bie  3Sor= 
öottfommnung,  me((^e  biefe§  Segrifffijftcm  burc^  ha§i  miffenfd^aftlic^e 
^en!en  erf)alten  ^at,  burd)  ben  (Sd)u(nnterrid)t  fid)  anjneignen. 

geragt  man  nad)  ben  $öebingnngen  biefer  (Sntnjidelung  ber 
tf)eoretif(^eu  ^äf)igfeiten  im  9}Jenfd)en,  fo  ftierben  fie  ja  in  feiner  ganjen 
pft)d^o=pt)l)fifd)en  StuSftattung  gu  fud)en  fein.  (Sine  f)öc^ft  bebeutfame 
S^oHe  fpielte  babei  of)ne  3^cif^^  ^i^  .^anb.  2)ie  @inne§orgone  geigen 
!aum  eine  befonbere  Segünftigung  be§  9JZenfd^en,  bogegen  beft|t  er  in 
ber  §anb  ein  erftauntic^e§  2öerf§eug  ber  llnterfud)ung.  @ie  trennt 
unb  öerbinbet  in  ber  SBirflid^feit  bie  ®inge  unb  (Sigenfc^aften  ober 
ßnftänbe;  fie  giebt  unb  nimmt  einem  Ki3rper  ©eftalt,  Sage,  Semegung, 
Q^arbe.  SBie  f)iIfIo§  ftef)en  bagegen  bie  SSierfüBIer  üor  ben  Singen, 
nur  ein  SSerf^eug  gum  (ärfaffen  befi^enb,  bie  ^ä{}M.  Kein  SBunber, 
ha'^  bie  2)inge  if)rem  3Serftanb  fo  ftumm  bleiben  unb  beinat)e  nur  gu 
if)rem  9}?agen  gu  reben  fd^einen.  ^Dagegen  beadjte  man,  mie  fc^on 
ha§>  üeine  Kinb  mit  ber  .^anb  an  ben  Singen  experimentiert,  fie  ^in 
unb  ^er  ttjenbet  unb  befiet)t,  anffteüt  unb  umftoBt,  ^erlegt  unb  ^u« 
fammenfe^t.  Siefe  praftifdje  5(nali)fi§  unb  (5t)nt^efi§,  n)eld)e  bie  §anb 
an  ben  Singen  übt,  miebertjolt  fid^  in  ber  5(nali)fi§  unb  @t)ntt)efi§, 
n)eld)e  ber  95erftanb  an  ben  5(nfdjauungen  übt.  Sen  SSerf^eugen  ber 
§anb  entfpred)en  bie  93egriffe  be§  SSerftanbel.  äJJit  Üiedjt  ^at  man 
gum  nnterfi^cibenben  9J?er!maI  be§  SDJenfdjen  öon  ben  Siercn  bie§  beibe§ 
genommen,  ha'^ß  er  SSerfjeuge  madjt,  unb  ha'^  er  mit  33egriffen  bentt; 
e§  ^ängt  mirüii^  auf§  engfte  §ufammen.  SDo§  aftiöe  ^erfjolten  be§ 
9}?enfd)en  gu  ben  5(nfd;auungen,  bie  i)a§^  Sier  paffio  an  fidf)  uorüber= 
äietjen  Ui^t,  berut)t  feiner  erften  9JJ5gücf)feit  nad)  auf  bem  Sefi^  ber 
.^anb,  bie  ftet§  bereit  ift  in  ben  5lb(auf  ber  (Srfd^einungen  ei-perimen= 
tierenb  einzugreifen.  Sa§  (Syperiment  be§  9hturforfd^er§  ift  nur  eine 
SBeiterbitbung  be§  primitioen  @i-perimentieren§  ber  Kinber()anb.    Unb 


424  n.  S3uc^:  ©rfenntnigt^eor.  5ßro5Ieme.  2.  Aap. :  2)ag  Problem  beä  Urf^jrungä  2C. 

irer  Ttid^t  all  ßinb  mit  ben  3)ingen  auf  btefe  SBeife  fjanbgemein  ge= 
irorben  i[t,  ber  lernt  fte  in  feinem  £eben  nic^t  fennen,  unb  tüenn  er 
nüe  93urf)n)ei5f)eit  ber  SSelt  in  feinem  ^opf  oerfammelte. 

Äel^ren  mir  nun  gu  unferer  33etrad§tung  jurücf,  fo  n^erben  ttjir 
alfo  fagen:  öom  Stanbpunft  ber  (Sntmic!eIungetI)eorie  !ann  öon  einer 
abfoluten  Stpriorttät  gewiffer  gu^^tionen  überatt  nic^t  bie  D^ebe  fein. 
Sflaum,  ^dt  unb  Kategorien  finb  fo  gut  wie  Stugen,  D^ren,  @et)irn 
im  S3erlauf  ber  Gntmiifelung  angebtibet.  @ie  gepren  je|t,  n?ie  biefe, 
gur  erblid^en  Slulftattung  bes  Snbiüibuums,  menigftenl  in  gemiffem 
(Sinne,  Xük  man  aud^  ba§  gan^e  mit  ber  Sprache  überlieferte  Q3egriff§= 
fi^ftem  mit  §um  gefct)i(f)tli(^en  @rbe  be§  (Sin^elnen  rect)nen  muB,  e§ 
finbet  ftc^  längft  in  feinem  S3efi|,  menn  er  anfängt  felbft  §u  benfen^. 
es  bilbet  gleid)fam  bie  a  priori  ^^^^Qt  gu  ber  ©rtenntniS,  bie  er  im 
weiteren  Sauf  be§  £eben§  erwirbt.  (£§  ift  ja  auc^  gar  fein  3^ßifctf 
ha'^  burd)  biefeS  a  priori  feine  2BeItan]d)auung  überall  beftimmt  wirb; 
er  apper^ipiert  mit  ben  überfommenen  2(nf(^auung5=  unb  2)enfformen, 
was  immer  feiner  Sluffaffung  ficf)  barbietet.  5Inbererfeit§  werben  wir 
freiließ  nic^t  meinen,  ha'B  biefe§  geiftige  S3efi|tum  in  bem  @inne 
a  priori  fei,  bafe  es  als  ein  @t)ftem  abfolut  ftarrer  unb  jur  2Birf(ic^= 
feit  an  fic^  ööüig  begie^ungslofer  g^ormen  bie  Statur  ber  intelligent 
ausmacht.  33ielmef)r  werben  wir  fagen:  wie  alle  Organe  in  ber  S3e- 
rü^rung  be§  2ebewefen§  mit  ber  Umgebung  unb  angemeffen  §ur  Um= 
gebung  gebilbet  finb,  fo  auc^  ha^  atlerwic^tigfte  unb  feinfte  Organ, 
bie  Sntelligen§.  SBie  @cf)WimmfüBe  nur  in  einer  SBaffergegenb  unb  in 
beftönbiger  S3erüf)rung  mit  bem  SBaffer,  Ol)ren  nur  in  einer  Um= 
gebung,  bie  Schallwellen  fortpflanzt,  entftet)en  fonnten,  fo  fonnten  bie 
inneren  goi^wen  unferer  2lnfd)ouung  unb  unferel  2)enfen§  nur  in  ber 
Umgebung  entfielen,  wie  fie  unfere  SBelt  bietet,  g^reilidj  wir  fönnen 
f)ier  nid^t  bie  5lngemeffenf)eit,  wie  bei  ben  S(^wimmfüBen,  aufzeigen, 
wir  fönnen  nirf)t,  aus  unferer  Sßorftellungswelt  ^inauStreteub,  fie  mit 
ber  wirflicl)en  SBelt  üergleidjen;  aber,  wenn  wir  überl)aupt  ha^  Subjeft 
unb  feine  Sutelligeng  in  einer  feienben  '^ät  fic^  entwicfeln  laffen,  fo 
werben  wir  nid)t  umt)iu  fönnen,  bie  SSelt  al§>  mitwirfenb  bei  ber 
93ilbung  ber  intelligent  §u  beulen. 

Unb  ba^  Wäre  alfo  ber  Scf)lu6:  ^ant  ^at  fein  erfteS  unb  eigent* 
lid)e§  ßiel,  auf  ba§  bie  53ewei§fül)rung  ber  2lftl)etif  unb  Stnalt)tif  ge= 


4.  ^ittfd^e  Slnmerfungen  ju  tanti  ©rfenntniitfieone.  425 


richtet  ift,  nicf)t  erreid^t;  bie  SDfZögticfifeit  ber  @r!enntni§  öon  3:f)QtJQcf)en 
aug  „reiner  93ernunft"  unb  bomit  bie  9J?ög(id)feit  ftreng  allgemeiner 
unb  notttjenbiger  Urteile  über  5:^atjac^en  i[t  i^m  nicf)t  gelungen  §a 
betoeifen.  3n  biejem  ^^unft  bef)Q(t  ber  ©mpirigmu^  §ume§  gegen  if)n 
red^t.  — 

5tnbererfeit§  enthält  nun  ^ant§  (gr!enntni§tf)eorie  eine  9ieif)e  öon 
tDertöotlen  unb  bleibenben  ©(erneuten,  unb  bie  mödjte  icf)  nun 
nod^  fur§  ^ert)orf)eben. 

33or  allem  jc^ärft  fie  bie  njic^tige  SSa{)r^eit  ein,  bafe  ©rfenntni^ 
nid)t  eine  (Sammlung  oon  „(Sinbrüden",  joubern  ein  (Sräeugni§  jpon^ 
taner  ^t)ätigfeit  be§  @ub|e!t§  ift.  S)er  ©mpiri^muS  f)at  eine  Steigung 
ju  jenem  9JiiBöer[tänbni§:  bie  (Seete  urfprüngtic^  ein  93(att  n^ei^e^ 
Rapier,  morauf  bie  2)inge  burc^  bie  @inne  if)re  3eicfje"  eintragen. 
3)ieje  5lnftrf)t  jc^Ieppt  fic^  öon  bem  jenfnoliftifdien  9J?aterioti§mu§  be& 
9ntertum§,  ber  öon  ber  Cberpc^e  ber  ®inge  n^ie  §äutcf)en  fic^  ah=^ 
löjenbe  feine  !örperlid)e  ^öilbc^en  in  ha^  ©enforium  eimüanbern  liel,, 
burc^  fenjuali[tif(^e  unb  empiri[tifd)e  Xf)eorien  biä  ouf  bie  ©egenmart  fort. 

S)ie  ööüige  Unäulänglid^feit  einer  folcfien  58etrad)tung,  bie  ha§r 
©ubjeft  gu  einem  paffioen  ®efäB  für  ©inbrücfe  madjt,  ftellt  ^ant§ 
5:f)eorie  öorgüglid^  ang  Sid)t.  ©§  giebt  fd)Ied)terbing§  gar  nid)t§  in 
unferer  ©rfenntniS,  ba§  fo  öon  au^en  in  bie  ©eele  fjiueinmanberte. 
@c^on  bie  blo^e  (gmpfinbung,  2id)t,  2on,  ©efdimad,  mirb  if)r  nic^t 
öon  auBen  eingebrüdt,  fonberu  öon  i^r,  bei  ber  33egegnung  mit  ber 
Umgebung,  (leröorgebroc^t  a(§  etmaä,  ha^  fo  überhaupt  nur  in  if)x  al& 
if)r  eigenes  er§eugni§  ift.  2)ie§  fe^t  ^ant  al§  allgemein  anerfannt 
öorau§;  bagegeu  betont  er:  ouc^  bie  aUgemeinen  formen  ber  finnlic^= 
anfdjaulic^en  SSelt,  9^aum  unb  3eit,  fiub  öom  Subjeft  fpontan  fjeroor^ 
gebrad)te  Drbnungen,  feine§meg§  aber  Stbbrud  eine§  an  fic^  feienben 
leeren  9taume§  ober  leerer  ßeit.  ZsW  SSir!Iid)feit  beftef)t  aüein  in 
ber  lebenbigen  gunttion  be§  ©ubjeftS,  eine  SSieIf)eit  öon  (5mpfinbung§= 
elementen  §ur  (Sin()eit  einer  5(nfd)auung  sufammen^ufaffen. 

9Bir  fönneu  nid)t  umljin  ju  benfeu,  ha^  bie  an  fic^  feieube 
3öir!nd)!eit,  gu  ber  ba§  8ubje!t  in  einer  urfprüuglic^en  unb  nidjt 
meiter  befinierbaren  33e5iel)uug  ftef)t,  ju  biejer  5(rt  i()rer  ^orftetlnng 
irgenbmie  5?eranlaffung  mirb,  löir  mögen  it)r  „inteüigibte"  Drbnungen 
gufd^reiben,  ber  unfere  S(nf(^auung§formen  irgeubmie  forrefponbiereu; 


426  IL  93ud^:  erlenntnilt^eot.  ^Probleme.  2.  top.:  S)a§  Problem  beäUrlprungSic. 

aber  biefe  2(nicf)auung§formeit  fetbft  ftnb  nirfjt  Smpreffionen,  jonbern 
Schöpfungen  be§  8ubjeft§.  Unb  bamit  ift  gegeben,  ba^  auc^  bie 
©egenftänbe  ber  5IuBennpe(t  felbft  eine  Sd)öpfung  be§  Subjefts  [inb; 
bie  Körper  unb  i^re  ^öeujegungen  finb  örjc^einungen. 

9loc^  fid^tbarer  gi(t  basfelbe  öon  ben  93egriffen.  (Sin  93egriff 
i[t  nicf)t  eine  SInfammlung  üon  Ginbrücfen,  ein  5([Igemeinbi(b,  in  bem 
bie  gemeinjomen  ßüge  ficfj  üerftärft,  bie  abloeidjenben  öernjifcfjt  !)aben, 
n^ie  nmn  fotrfje  neuerbings  auf  ber  pfiotograpfjijcfien  ^(atte,  bie  man 
n)ieberf)oIt  äf)n(icf)en  Cbjeftcn  ausjefet,  ^erfteüt  unb  )o  ben  2;t)pug  be§ 
S(r,5te5,  be?  @ei[t(i(f)en  mecfjanijdj  J)erau§bringt.  2er  33egriff  ej:i[tiert 
nur  a[§>  bie  lebenbige  g^unftion  be§  93egreifenö  einer  9}?annigfaltigfeit 
üon  5{nicfjauungen.  93ei  ben  allgemeineren  ^Begriffen  liegt  bie  @acf)e 
gang  auf  ber  §anb;  !aun  man  ficf)  etma  norf)  barüber  täufd^en,  i>a^ 
ber  93egriff  bes  S(pfe(§  nad^  S(rt  jener  ®emeinpf)otograp{)ien  paffio 
im  ©ebäc^tnis  aufgef)oben  fei,  obmo^t  e§  bod)  and)  f)ier  fc^on  feine 
(Sd)mierigfeit  f)aben  möd)te,  ein  „öemeinbilb"  großer  unb  fleiner, 
roter  unb  grüner,  runber  unb  ecfiger  Sipfel  ju  SBege  gu  bringen,  fo 
ift  ja  bie  Unmög(idjfeit  eines  @emeinbilbe§  öon  Dbft  überhaupt,  worin 
2{pfe(  unb  Äirfc^en  unb  DKlffe  unb  Steigen  u.  f.  m.  gIeid)ermaBen  bar= 
geftedt  mären,  abfolut  einleucf)tenb.  Unb  nun  gar  haS^  ©emeinbilb 
einer  gruc^t  ober  eine§  ßörperS  ober  eines  S^inge§  überhaupt,  ober 
ta§>  @emeinbi(b  ber  ^arbe,  ber  ©eftalt,  ber  ©röfee,  ber  ©efd^minbigfeit, 
ber  Siicfjtung,  ber  (5inl)eit,  ber  93ie(^eit,  ber  2öirfü(i)!eit,  ber  9JJögü^= 
feit,  ber  3]erneinung!  (£§  ift  ftar,  ha'iß  begriffe  non  biefer  Sirt  nidjt 
burd^  irgenb  eine  S(rt  öon  p^otograpf)ifdf)em  ^ßerfa^ren  entfte^en  fi)nnen; 
fie  beftet)en  überhaupt  nic^t  in  3^orm  öon  anfc[)auücf)en  93itbern,  fonbern 
nur  in  ber  Xt)ätigfeit  bes  ^egreifenS,  bes  Cperierens  mit  einer  3SieI= 
f)eit  möglicher  Stnfc^auungen,  mobei  benn  in  gemiffem  «Sinne  ta^^  SBort 
ober  ein  anbere§  ^^^^^n  ^^^  Subftitut  ber  ^ßorftettung  bient.  g^reiüd^, 
of)ne  3{nf(i)auungen  gäbe  e§  and)  biefe  Segriffe  nid^t,  unb  if)re  33e= 
beutung  liegt  allein  barin,  ha^  es  bie  5(nf(^auungen  giebt,  bie  mir 
bnr(^  fie  begreifen  ober  be^errfdien. 

Sßir  merben  a(fo  fagen:  atle  (Srfenntni§  ift  Stf)ätigfeit  be§  SuB^ 
jeftä  unb  als  fo(d)e  a  priori,  ^reitidj  a  priori  nid)t  in  bem  Sinne, 
ha^  fie  ein  abfolut  begie^ungslofer  innerer  Vorgang  märe;  mie  alle 
S3etl)ätigung,   fo  ift  auc^  bie  58etl)ätigung    ber  intelligent   burd)    bie 


4,  Äritif(^e  Stnmerfungen  ju  ÄantS  (Srfenntniit^eone.  427 

9^atur  ber  5)inge,  auf  bie  fie  fid)  ricE)tet,  mitbebingt.  (Srnpfinbungen 
finb  93et^ätigungen  be§  ©ubjeÜS,  ju  beneu  c§  biirc^  bie  Umgebung 
^erauSgeforbert  luirb,  ber  Qiei^  be[timmt  bie  Cuatität  ber  Smpfinbung 
mit;  bie  ©mpfinbung  wirb  lüieber  jum  Üteig,  ber  bog  ©ubjeft  jur 
.^eruorbringung  ber  5(njd;auung,  tk  5In]cfjauuug  511m  9fleig,  ber  e§ 
gur  .S^erüorbringung  be§  begriffücfien  ©l)[tem§  f)erau§forbert.  SOlait 
fonn  alfo  and)  jagen:  alle  (Srfenntni§  i[t  a  posteriori,  bol  gilt  öon 
ben  f)DC^[ten  Kategorien  tt)ie  oon  ber  primitinften  (5mpfinbung.  — 
5)a§  will  im  ©runbe  and)  Siant;  e§  giebt  fein  wirüidjeS  (Srfennen, 
worin  nid)t  beibe§  wäre,  ein  apriorijdieS  unb  apo[teriorijd)e§  G(e= 
ment;  3(nfd)ouungen  o^ne  93egriffe  [inb  blinb,  Segriffe  ot)ne  'an- 
fc^auungen  finb  leer.  9hir  ha"^  jene»  Problem,  gewiffen  @ä^en,  ben 
„]i)ntl)etifdjen  (55runbjä|en  beg  reinen  33erftanbe§",  2ingemein|eit  unb 
9btwenbig!eit  gugleid)  mit  ber  gegenftänblid)en  ©ültigfeit  ju  retten, 
i^n  baran  feftt)alten  lie^,  'öa'i^  gewiffen  Elementen  reine  unb  abfolute 
SIprioritöt  jufomme. 

S)Qmit  ift  äugteid;  ein  anbereS  gegeben.  9JJit  Kant  unb  mit 
aßen  S^iationaliften  bi§  gurüd  ju  jenen  erften  griedjifc^en  ^f)i(ofop!^en 
werben  wir  fagen:  wiffenfdjaftlidje  ©rfenntniS  fommt  nidjt  au§  ben 
©innen,  fonbern  au»  bem  $ßerftanbe;  nic^t  burc^  SSafjrnel^mung, 
fonbern  burd^  begrifflid)e§  2)enfen  wirb  fie  t)ert)orgebrad)t.  g^reilic^, 
ber  pt)iIofopt)ifd)e  @mpiri§mu§  bebarf  t)ierüber  nid^t  ber  Sele^rung. 
§ume  unb  S-  @t.  SOliü  wußten  wo"^!,  wetd)e  Qiolle  ben  ©innen, 
Weld)e  bem  5)enfen  in  ber  SSiffenfdjaft  äufomme;  .!pume  Ijätte  feine 
2;^eorie  ber  @rfenntni§  unb  SJJiÜ  fein  ©t)ftem  ber  inbuftiüen 
9J?ett)obe  gejdjrieben,  wenn  fie  ber  ^ilnfid)t  gewefen  wären,  ha'ii  5(ugen 
unb  Of)ren  bie  eigentlichen  Drgane  ber  wiffenfd)aftlid)en  (SrfenntniS 
feien,  'änd)  Sacon  ift  nidjt  in  bem  ©inne  Gmpirift,  ha'^  er  all 
ber  erfte  feine  3^^*9^i^offeu  barauf  aufmerffam  gemadjt  f)ätte,  fie 
müßten  bie  Slugen  aufmad)en,  wenn  fie  non  ben  fingen  etwaS 
erfaljren  wollten.  Sm  ©egcnteil:  er  mad)t  barauf  aufmerffam,  bafe 
e§  nid^t  bamit  getrau  ift,  baB  man  3öaf)rnef)mungen  fammelt;  freiließ 
muB  man  aud^  ha§>  tf)un,  aber  bann  folgt  erft  bie  eigentlid)  wiffen> 
fd^aftlid)e  5(rbeit,  bie  inductio  vera.  ®ie  fdjled^te  Snbuftion,  bie 
inductio  per  enumerationem  simplicem ,  bie  begnügt  fid^  bamit 
einige  gäüe  aufäujäfikn  unb  bann  ein  aCfgemeineS  ®efe|  barauf  gu 


428  II.  93u(^:  ©rfenntniät^eor.  5ßrobIeme.  2.  top.:  S)a§  Problem beg  Urjprung§  2C. 

marfien.  SBa§  93acon  gefeiftet  ju  l^okn  meint,  bal  i[t  bie  (Sr= 
finbung  einer  9}?et^obe,  auf  @runb  üon  (Sinjelbeobac^tnngen  njirflic^ 
atlgemeingültige  Urteile  gu  bilben,  b.  ^.  2öiffenjd)Q|t  ^eröorjnbringen. 
Ob  er  l^ierin  glüdftid^  tüor,  ift  eine  anbere  5^age,  aber  bie  ?(ufgabe 
f)at  er  ridjtig  gefef)en. 

Sn  ber  %i}at,  nur  bie  oberflächliche  S3etrac^tung  fann  babei 
[te^en  bleiben,  ha'^  n)i[fenf(f)aftlicf)e  @rfenntni§  au§  ber  2Baf)rnef)mung 
flamme.  9^id^t  bie  @inne  f)aben  dopernicuS  §um  33egrünber  ber 
mobernen  Slftronomie,  ober  @ali(ei  jum  Söegrünber  ber  mobernen 
Diaturmiffenfc^aft  gemacfjt,  fonbern  ber  ^^erftanb;  ja  man  !önnte,  mit 
Erinnerung  an  ^tato,  fagen:  nur  burdj  ^uf Hebung  be§  ©innen= 
fc^ein§  finb  fie  jur  SSa{)rf)eit  burd^gebrungeu.  2)en  ©innen  ober  bem 
in  ber  2Ba^rnef)mung  öerf)arrenben  9JZenfc^en  ift  bie  geo^entrifctie 
Stnfdjauung,  ift  bie  ariftotelifc^e  Unterfdjeibung  leicfjter  unb  fcf)tt)erer 
Äörper,  oon  benen  jene  eine  Senbenj  ^aben  nai^  oben,  biefe  nad) 
unten  ficf)  §u  betoegen,  unb  gmar  nac^  bem  Wa^  i^rer  Seicf)tigfeit 
ober  (Sc^mere,  biet  einteucf)tenber,  al§  bie  2ef)re  ber  fjeutigen  SBiffen^ 
fc^aft.  ©0  aud^  ber  @a^  ber  ariftotelifdjen  3JJec§anif:  bie  burd)  äußere 
©ettjalt  bemirften  33en)egungen  pren  oon  felber  auf,  menn  bie  burc^ 
ben  ©toB  mitgeteilte  ®efc{)n)inbig!eit  aufgejefirt  ift.  ©o  geigt  e§  bie 
tägliche  „(£rfa()rung."  @§  ift  ha^  über  bie  2Ba^rnet)mung  f)inau§= 
ge^enbe  2)enfen,  t)a§>  gu  neuen  STnfiditen  fütjrt,  freiließ  inbem  e§  bie 
Sßaf)rne^mung  a(§  Q3eobacE)tung  in  feinen  ®ienft  nimmt.  ®a§  S)en!en 
löft  bie  mannigfacJ)en  Bewegungen  be§  ©teigen§  unb  g^aüenS,  be§ 
SSurfä  unb  ©tofeeS,  bie  bie  alte  ^^Qfif,  ber  SSaf)rnet)mung  folgenb, 
einfad)  al§  abfolute  Jfiatfadjen  f)innat)m,  in  i^re  Komponenten  auf; 
fo  erftärt  fie  bie  n)ir!Iicf)e  33en)egung  eine§  geftofeenen  Äijrperl  au§ 
bem  3uiQi^i»e»tt3ir!en  ber  S3e^arrung§tenben5  unb  be§  SSiberftanbeS, 
»eichen  er  fortraä^renb  gu  überminben  tjat,  bie  n)ir!Iic^e  gallbemegung, 
ob  fie  nun  a[§>  ^(ufmärtg^  ober  aU  Stblüärtsbeioegung  in  bie  @r= 
fc^einung  tritt,  au§  ber  allgemeinen  ©raüitationl*  unb  S3ef)arrung§= 
tenbeug  im  3"fQninienn:)ir!en  mit  ber  ftatifc^en  Senbeng  be§  9J?ebium§. 
©0  löfte  9^ett)ton  bie  ^immlifdjen  33en)egungen  auf,  inbem  er  fie  auf 
ba§  ßufammenlüirfen  einer  urfprünglid^en  2:augentialben)egung  mit  ber 
@rat)itation§tenben§  gu^^üdfüflfte.  2)ie  alte  K'oömologie  ^tte  aud^ 
^ier  einfad)  bie  2Ba()rue^mungen,  ttiie  fie  fid)   bieten,   formuliert:   bie 


4.  Äritifd^e  3tnmerlungen  ju  ÄontS  (SrlenntniSt^eorie.  429 

Setüegung  ber  I)immtiirf)en  Körper  i[t  bie  einfadje,  gleichförmige,  eiüige 
^rei§belDegiing.*) 

Stifo  3Biffenjd)Qft  fteüt  firf)  überall  bar  al§  ba§  SSerf  beg  öon 
ber  finnlidjen  3Bat)rne^mung  \\d)  emanäipiereiiben  Diadjbenfeng;  bie 
SBal^rne^mung  ift  in  ber  SSeobadjtung  ober  bem  ©jperiment  ^n  einem 
grt)ar  unentbef)rli(fjen,  aber  burd)an§  fefunbären  3)?oment  Ijerabgebrüdt. 
Se  lueiter  bie  SSijjenjcf)aft  \\d)  enüüidelt,  be[to  uner{)ebtid)er  ift  bie 
üioHe  ber  9Baf)rnet)mung.  @ef)r  fidjtbar  ift  biefer  ^ro^eB  ber  3"^"^^= 
briingung  ber  SSatjrnefjmung  gegentt)ärtig  in  ben  biologifdjen  3Biffen= 
fdjoftcn.  ^f)i)fioIogie  nnb  @nttt)ideIung§tf)eorie  tjaben  begonnen,  bie 
alten  „befd)reibenben"  SSiffenfdjaftcn,  bie  2Baf)rne^mungen  fammelten, 
in  @eban!enf^fteme  um^nn^anbetn.  (So  fann  man  andj  oon  SDarminS 
^f)eorie  fagen,  bn^  fie  in  bemfelben  Sinne  „n^iberfinnifd)"  ift,  in  bem 
^'ant  einmal  bie  (£opernicanifd)e  Xtjeorie  fo  nennt;  fie  n)iberfprid)t  ber 
2Baf)rt)eit  ber  2öa^rnet)mung,  boB  ber  5Irttt)pn§  !onftant  fei.  ©ogar 
bie  @efd)id)te  geigt  fid)  oon  biefer  Xenbeng  ergriffen,  an§  einer  @amm= 
lung  oon  2öa^rnel)mungen  (Erinnerungen  unb  3e"9"ifffi^)  \^^  i"  ^i" 
@t)ftem  einfet)barer  3Saf)rf)eiten  umjun^anbeln;  bie  Se'tire  oon  ben  @e= 
fe^en  be§  mirtfc^aftlid^en  2eben§  f)at  ben  ?(nfang  gemad^t,  nnb  offenbar 
ift  if)r  (SinflnB  auf  bie  ©eftattung  ber  gefdjidjtüdjen  2Siffenfd)aften  im 
fdjneüen  Steigen.  5(ugenfd)einlic^  finb  bie  @efe|e  ber  DJalionalöfonomie 
nid)t  au§  einer  5tnfammlung  oon  3Baf)rnet)mungen  fjeroorgegangen, 
fonbern  ha§>  bebuftioe  5)en!en  ^ot  fie  gefnnben.  Sa  man  !ann  meiter 
gef)en  unb  fagen,  and)  bie  @efdjic^t§forfc^ung  gewinnt  i^re  @infid)ten 
nid)t  burd^  ©ammtung  oon  ßeugniffen;  n^er  nid^t  a  priori  weife,  tt)a§ 
fid)  angetragen  l^at,  ben  !önnen  e§  bie  ßengniffe  nic^t  teuren;  wer 
nid)t  äu  fudjen  weife,  finbet  nidjtS,  wer  nic^t  jn  fragen  weife,  bem 
geben  bie  Oueüen  feine  Slntwort,  fonbern  überfd)ütten  it)n  mit  einem 
SSirrfal  oon  ©erüc^ten  unb  SJ^einungen.  i^va^tn  aber  fonn  nur,  wer 
weife,  worum  fid)'§  :^anbe(t.  ©ang  red;t  fagt  ber  atte  ^eraflit:  Sßiet= 
!unbe  ä^ugt  ni(^t  SSerftanb. 

*)  So^e,  Sogt!,  ©.  585:  ®ie  ©äge  bev  aKedjanif  finb  gefunbeu  tcorben, 
„ntd)t  out  3eugni§  loiebert)oltet  SBa^rnef)mungcn,  fonbern  burr^  eine  @eban!en= 
arbeit,  bie  in  einem  borgeftetlten  reinen  gaQ  mit  unmittelbarer  Sttar^eit  ha§  Setbft« 
berftänblid^e  faf)."  ^^re  eüibenj,  Ijeifet  e§  fpäter  (596),  ift  nid)t  eine  logifc^e, 
fonbern  eine  üftf)etifrf)e,  fie  I)at  nid)t  an  ber  ®enfnnmögUd)teit,  fonbern  on  ber 
eüibenten  3lbfurbität  \i)xt§  fontrabiftorifc^en  ®cgenteil§  if)ren  ^^rüfftein. 


430  II.  93ud^:  er!enntni§tf)eor.  Probleme.  2.  top.:  ®a§  Problem  be§  Urfprung§  zc. 

Snblid^  erinnere  tcf)  §um  (Sd)Iu§  nodjmolS  an  ben  ©ebanfen,  ber 
ben  9(ngelpun!t  ber  Äantifdjen  ^Pofoptjie  bilbet:  (£r!enntni§  ift 
eine  Q^unftion  beSSubjeÜä,  aber  ni(f)t  bie  einzige  unb 
nid§t  bte  tt}ttf)tigfte.  Sie  ift  un§  gegeben  ^ur  praftijd^en  Orien= 
tierung  in  ber  3Be(t,  nnb  boju  reidjt  fie  f)in,  nidjt  aber  i[t  fie  ge= 
geben  unb  nid)t  reidjt  fie  tjin  gu  einer  abjotuten  2)urd)bringnng  ber 
SBirfüdjfeit,  gur  S(uf(öiung  gleid)jam  ber  SBelt  in  ©ebanfen.  hierin 
ift  5lant  mit  ^ume  einig:  eine  abjolute  (SrfenntniS  ber  2Kir!(id)!eit 
ift  unmöglid^.  ®a§  ttjar  ber  Srrtum  be§  alten  9aationa(igmu§  ober 
Dogmatismus;  er  meinte  gugteic^,  in  biefe  (£rfenntni§  bie  SBürbe  be§ 
S[Renfd)en  unb  ben  ^nh^votd  beg  Sebeng  fe^en  gu  follen.  tiefem 
SBiffenjc^aft§^0(^mut,  in  bem  Sd)uIpt)ifoiopt)ie  unb  fdjolaftifc^e  St)eotogie 
übereinfommen,  tritt  Äant  mit  ber  nieberfd)logenbften  ^riti!  entgegen: 
e§  giebt  feine  SSifjenfdjaft  be§  5tbfoIuten  ober  beg  Überfinnlidjen.  ®§ 
giebt  ein  5(bfotute§  unb  Überfinnlic^eS,  aber  e§  liegt  jenfeitS  möglicher 
@r!enntni§;  fritifdje  93efinnung  geigt  un§,  ha^  unfere  ßrfenntniS 
auf  ha§>  ©ebiet  be§  ©inntidjen  ober  mi3glid)er  ßrfa^rung  eingefd)rän!t 
ift,  anbererfeitS  freiließ  Quci§  bie§,  ba^  unfere  @rfaf)rung§me(t  nidjt  bie 
2BeIt  ber  S)inge  an  fic^  fetber  ift.  ©o  meit  fü^rt  un0  bie  t^eoretifd^e 
Vernunft. 

©inen  (Sdjritt  meiter  fü^rt  bie  pra!tifd)e  Vernunft,  fü^rt  un§ 
eine  ^f)i(ofopf)ie,  bie  nid)t  bei  ber  tfjeoretifd^en  ©pefulation  über  bie 
9Zatur  ftef)en  bleibt,  fonbern  ben  aJJenfc^en  öon  feiten  feiner  $8e- 
ftimmung  in§  Singe  faßt.  Unb  ha§:  ift  erft  ^f)i(ofopt)ie  im  I)öd)ften 
Sinn,  ^t)i(ofopf)ie  in  if)rem  SSeltbegriff,  im  @egenfa|  gur  ^f)iIofo|3t)ie 
im  (Sinne  be§  ©djutbegriffS.  ©ie  geigt  un§,  bafj  bie  Seftimmung  unb 
bie  SBürbe  be§  SO^enfc^en  nic^t  gule^t  im  SBiffen,  fonbern  in  ber 
SSiüenSfeite  liegt.  §ier  liegen  auc^  bie  tiefften  SSnrgeln  unfereS  SBefenl, 
im  ©emiffen,  im  Semu^tfein  be§  @ittengefe^e§  merben  mir  if)rer  inne. 
Snbem  mir  unmittelbar  gemife  finb,  mit  biefer  tiefften  (Seite  unfereä 
SBefen§  in  ber  2öirf(id)!eit  felbft  gegrünbet  gu  fein,  nidjt  ber  Df^atur, 
mie  fie  ben  ©innen  unb  bem  SSerftanb  er]d)eint,  fonbern  ber  abfoluten 
SSirflic^feit  felbft  anguge^ijren,  entfpringt  ber  ©taube  an  eine  abfotute 
3mecforbnung  ber  Dinge,  eine  fittlidje  SSettorbnung,  üon  ber  bie  9^atur= 
orbnung  nur  ein  äuBerlidjer  SSiberjd)ein  ift.  3n  ber  Üieligion  fe|t 
ber  ©eift,  ma§  if)m  felber  bo§  §öd)fte  unb  S3efte  ift,  al§  5(u§flu&  be§ 


4.  Ärtttfcf)e  Slnmerfungen  ju  tant§  ©rfenntnist^eorie.  431 


tiefften  ®runbe§  ber  2Sir!ürf)feit,  fn^t  er  bie  SBirf(id)feit  a(§  (Srfcfjeinung 
eineö  9fteid)e§  ber  S'^v^dc,  al§  ©djöpfiuuj  unb  SBirhing^bereic^  @otte§. 
(Sine  Sßerirrung  ift  e§,  lüenn  man  nun  fjinter^er  meint,  ben  ©lauBeu 
ben^etjen  unb  bem  SSerftonbe  aufzwingen  §u  fi3nnen.  2)iefe  35erirrung 
ruft  bann  al§  9\eattion  ben  negatioen  2)ogmati§mu§  be§  materialiftifcfjen 
Ht^eilmn§  {)eröor.  ®ie  fritifc^e  ^i)i(ofopf)ie  geigt  bie  gleidje  lln= 
mi3glid)!eit  be§  pofitioen  unb  be§  negatiüen  Dogmatismus.  (Sben  bamit 
Begrünbet  fie  bie  9J?i3gtici^feit  beS  ©laubenS,  eineS  ©(auBenS,  ber  aßein 
unb  oI)ne  allen  ^emeiS  im  SBillen  ru^t:  icf;  !önnte  nicf)t  (eben,  nii^t 
frei  otmen  unb  tüirfen  in  einer  SBelt,  bie  nichts  als  eine  unge()eure 
finn=  unb  feelentofe  SDJafdjine  tnöre,  barnm  fann  ic^  nidjt  glauben, 
ba^  eS  fo  mit  il)r  fid)  nertjält,  barnm  glaube  id^,  ha^  fie  bie  Dffen= 
barnng  eineS  Htlujeifen  unb  Stüguten  ift,  auc^  luenn  meine  5(ugen  i^n 
nidjt  fel)en  unb  mein  ^erftanb  ii)n  nid)t  faffen  !ann. 


Jlnßang. 

@§  ift  eine  ^{)atfQc^e,  bo^  ber  SO^enfd)  gum  ^onbetn  burcf)  SO^otiue 
beftimmt  ttjirb,  bie  bie  ©eftott  eine§  ^ttjecfg,  b.  f).  ber  9Sor[teflung  eme§ 
biirrf)  ba§  §anbetn  gu  erreidjenben  @ute§  f)aben.  @o  ent[tet)t  bie 
groge:  tüü§  ift  ber  Ie|te  Qwed  ober  bQ§  I)ö(i)fte  @ut,  um  beffen 
tüillen  alle§  übrige  er[trebt  wirb?  5luf  biefe  g^rage  giebt  ber  ^ebo  = 
iii§mu§  jur  SIntraort,  bie  Suft;  [ie  ift  ha§,  um  beffen  lüillen  QÜe§ 
anbere  gettjollt  n^irb.  St)m  tritt  eine  anbere  2(nfi(f)t  entgegen,  bie  ha^ 
^öc^fte  @ut  nidjt  in  fubjeftioe  @efüf)(§erregungen,  fonbern  in  einen 
objeftiöen  2eben§in!)alt,  ober,  ba  Seben  53ett)ötigung  ift,  in  eine 
beftimmte  51  rt  ber  £eben§bett)ätigung  fe^t;  e§  fei  geftottet, 
biefe  ^nfic^t  (5nergi§mn§  ju  nennen. 

(S§  ift  eine  ^meite  S^atfadje,  ha^  bie  9JZenfd)en  über  boS  35er- 
tjolten  nnb  ^anbeln,  frembeS  unb  eigene^,  urteilen;  e§  gefc^ie^t 
bnrd)  bie  ^räbifate  gut  unb  böfe.  SSerf)aIten  unb  ©efinnung  eine§ 
SlJienfc^eu  erregen  bei  bem  ^uf^J'^«^^*  Ö5efü()le  be§  SBotitgefoUeng 
ober  be§  SJ^iBfoHeng;  tnerben  bie  @efüf)Ie  habituell,  fo  entfte{)en 
bie  ^ffe!te  ber  $ßeref)rung  ober  SSerac£)tung.  Segie^en  fid)  bie  ©efü^Ie 
auf  bQ§  eigene  ©elbft,  unb  fein  oergongeneS  ©ein  unb  3Ser^alten, 
fo  nennen  UJir  fie  9fleue  ober  @ett)iffen§unrnt)e,  ober  umge!et)rt  @elbft= 
ac^tung  unb  ©einiffenSfrieben.  93e3ie^en  fie  fid)  auf  mbglid)e§,  gu^ 
fünftigeS  ^anbeln,  fo  nennen  tt)ir  fie  ^:pftic^tgefüt)(,  ®efüf)I  be§  @oIIen§ 
ober  Si^iditfoüenS.  S)ie  ganje  ©eite  unfere§  äöefenS,  inoburd)  toir  un§ 
urteilenb  gu  un§  felbft  qI§  ujollenben  ober  f)anbelnben  äöefen  oer^alten, 
IjeiBt  @en:)iffen. 

(£§  entfte'^t  bie  grage:  tt}ot)er  entnimmt  biefeS  Urteil,  ha§ 
5unäc^ft  aU  oöHig  unabhängig  üon  bem  Urteif  über  ba§  mir  9^ü^(id)e 

*)  S)ie  folgenben  Slnbeutungen  f)aben  mef)t  bie  3tbftcf)t,  ben  Drt  ber  et^tfdf)en 
Unterjudiungen  onjubeuten  oll  if)n  aufzufüllen.  5)er  Sefer,  ber  \id)  bafür  interefftert, 
tüie  ic^  biefe  Singe  anfet)e,  finbet  eine  oulfü:^rIid)e  S)arfteIIung  in  meinem  ©t)flcm 
ber  et^ü.     (4.  Srufl.  1896.) 


®ic  «Probleme  btt  (St^tf.  433 


ober  ©d^äbtic^e  erfd)eint,  feine  ScftimnumgSgrünbe?  ft)a§  ift  ber  9J?Qfe= 
[tob,  an  bem  ©efimumg  iinb  öanblung  auf  if)rcn  morodfc^en 
Söert  geprüft  trerben?  5(uf  biefe  f^rage  giebt  e§  loieber  eine  boppelte 
2tnttt)ort:  1)  SDkBftab  be§  moralifcf^en  2Bert§  ift  bog  @ittengefe|,  ba§ 
jeber  in  fid^  trägt;  gut  ift  ein  ■g)Qnbetn,  bei  bem  ber  SSiüe  burc^  bie 
9^ü(ffid)t  auf  ha§  ©ittengefe^  beftimmt  wirb.  2)  SJ^a^ftob  ift  bie 
Sßirfnng  ber  ^anblung  für  bie  SSo^Ifofirt  aller,  auf  bie  if)re  2Bir!ung 
fid)  erftredt.  2)a§  ift  ber  Unterfd^ieb  ber  f  ormaliftif  d^en  unb  ber 
teleologifd^en  9J?oroIpf}itofopI)ie. 

2^er  ©egenfa^  öon  §eboui§mu§  unb  (Snergi§mu§  ift  ber 
©runbunterfrfjieb,  ber  bie  griedjifrfjen  9JJorotfi)fteme  bef)errfd^t:  5lriftipp 
unbGpifur  ftef)en  auf  ber  erften,  ^^(ato,  Slriftoteleö,  bie@toa 
auf  ber  gipeiten  Seite,  ^n  ber  mobernen  ^^iIofopf)ie  neigen  gum 
^eboni§mu§  öor  allem  bie  2(nf)änger  be§  englifd)en  (Smpiri§mu§  unb 
ber  analijtif^en  ^ft)d^oIogie ;  S.  93 entkam  unb  Sante§  ÜJJill  finb 
feine  fonfequenteften  93ertreter.  ®ie  pft)djo(ogifd^e  §Inatt)fi§,  fo  finben 
fie,  geigt,  ba^  allei  ^anbeln  au§naf)m§Io§  burd^  ba^  9J?otiü  beftimmt 
tt)irb,  £uft  ju  gettjinnen  unb  ©rfjmerä  g^i  öermeiben.  ©in  9}Ja?.;imum 
t)on  Suft  unb  ein  SOZinimum  öon  Unluft  ift  bemnad^  ta§>  notwenbige 
ßid  be§  menfd^tid^en  2öitlen§.  —  S)er  (änergi§mu§  ift  in  mannigfad)en 
formen  vertreten  burcf;  §obbe§,  ©pinoga,  ©f;afte§bun), 
Seibniä,  SSoIff:  ©elbfterf)attung  unb  @elbftburd^fe|ung,  ^reitjeit 
be§  üernünftigen  ©elbft  im  n)af)ren  SDenfen,  ^armonifd[)e  Entfaltung 
unb  Sett)ätigung  aller  Gräfte,  95on!ommenf)eit,  ba^  finb  g^ormeln  biefer 
Sluffaffung.  9?euerbing§  fommt  bie  eöotutioniftifdE)e  SDZoralp^ilofop^ie 
auf  biefe  Hnfidfit:  ein  gettjiffer  2eben§ti)pul  unb  feine  ^et^ätigung  ift 
ba§  tf)atfä(f)Ii(f)e  ßid  aüeg  2eben§  unb  ©trebenS. 

3(^  glaube,  bafe  ba§>  9iedE)t  auf  ber  Seite  be§  (Snergi§mu§  ift. 
^ie  anatt)tifd^e  ^fi)(f)o(ogie  ift  im  Irrtum,  n)enn  fie  meint,  bie  $ßor= 
ftellung  non  Suft  (idea  of  pleasure)  fei  überalt  ha§i  SOZotiü  menfrfjlic^cn 
SSillens;  e§  ift  eine  fatfc^e  S:l)eorie  be§  SBi(Ien§,  bie  if)n  gteidjfam  erft 
burd)  Erfahrung  üon  Suft=  unb  Untuftgefü^Ien  entftefjen  löfet.  (S§  ift 
nid[)t  fo,  ha'^  erft  burc^  Sia'^rnngSaufnatime  ober  ®efd)Ie(^t§funftion 
ein  Suftgefü^I  belrirft  tt)irb,  ba'Q  bann  t)inter^er  au§  ber  Erfahrung 
ber  Suft  bi:  örnjartung  unb  au§  ber  Srraartung  ber  auf  jene  2)inge 
gerid^tete  Xrieb  entfpringt;  aurf;  ift  e§  nicf)t  fo,  ba^  erft  Un(uftgefüt)Ie 

'IJautfcn,  Ginleituitg.    (5.  ätufl.  28 


434  Sln^ong. 

burd^  jene  g^unüion  Beseitigt  unb  bann  burd^  bieje  (Srfafirung  ber 
bauernbe  2;rieb  begrünbet  tt)irb.  (Sonbern  ber  SCrteb  i[t  bie  urfprüng= 
Iirf)e  SSejengbeftimmtfjeit,  im  $8elüu&tjein  tritt  er  nid)t  otS  ©djmerg, 
fonbern  q(§  gefül^tter  S)rang,  oB  58erlangen  ober  Suft  ju  jold^er 
S3etf)ätigung  Quf,  unb  nun  er[t  entfielt  ein  2u[tgefüf)I,  wenn  ber  STrieb 
fic^  burd)fe|t,  ein  ©cfimer^gefüf)!,  n^enn  er  gef)emnit  wirb.  SSiire 
nid)t  ber  Strieb,  jo  wäre  üon  ßu[t  unb  Unluft  nid)t  bie  9Rebe.  Unb 
ni(f)t  Quberä  i[t  e§  mit  ben  ^ö^eren  SBitlen^antrieben :  ber  3)rang  gu 
beftimmter  33etf)ätigung,  gum  laufen  unb  jpringen,  gum  fpielen  unb 
fc^affen,  gum  fämpfen  unb  f)errjc^en,  pm  ben!en  unb  bicfiten  tritt  ju 
feiner  ß^^t  ii"  Seben  {)eröor,  ol)ne  boB  ©c^mer§gefüf)Ie  öorfjergingeu, 
auf  bereu  93efeitigung  e§  babei  abgefe^en  märe,  ober  gar  2uftgefüf)Ie 
in  ber  95orftetIung  at§  ßiel  ber  Setljätigung  gebadet  mürben.  2)em- 
nad)  fagen  mir:  ba§  ßkl,  auf  ba§>  ber  SSille  gerid^tet  ift,  beftef)t  nid^t 
in  einem  9J?aj:imum  öon  2uftgefüt)Ien,  fonbern  in  ber  normalen  5tu§= 
Übung  ber  £e6eu§betf)ätigung,  auf  bie  bie  2(rt  angelegt  ift.  33eim 
SJienfc^en  mirb  bie  Siic^tung  ber  Seben^bet^ätigung  im  großen  burd^ 
ben  Snf)alt  ber  gefd}id^t(irf)en  ßebeu§einf)eit  beftimmt,  morau§  ber 
©injelue  al§  ©üeb  tjeroormädfjft.  ^ier  gefd)ief)t  e§  aud^,  ba^  mit  ber 
auffteigenben  ©ntmidelung  ht§>  55orfteüung§Ieben§  ber  objeftioe  2eben§= 
int)att,  auf  ben  ber  SSiUe  geridfjtet  ift,  in§  33emu&tfein  tritt;  ber 
2eben§tt)pu§  mirb  jum  oorgeftellten  SebenSibeal  (Sine  irgenbmeldje 
objeftioe  2öefeu§geftaltung  unb  ßebensbettjätigung,  tü^  2thm  be§ 
Ärieger«,  be§  gorfd)er§,  be§  ^eiligen,  ber  ©attin  unb  9J^utter,  ber 
barmherzigen  ©c^mefter,  mirb,  in  inbioibueller  3(u§bi(bung,  ha§>  ßki^ 
\)ü§  ben  SSiüen  an§ie{)t.  2)er  ©rfütlung  be§  ^iä§  folgt  Sefriebigung, 
9}?iBftimmung  uub  innerer  Unfriebe  folgt  bem  SSerfetjten. 

^ie  ^(ufgabe  ber  Gt^if  mirb  nun  bie  fein,  in  allgemeinen  ßüQtn 
bie  ^orm  be§  9J?enfd)enIeben§  bar^uftellen,  morouf  feine  Statur  angelegt 
ift.  SZatürtid^  fonn  fie  nid)t  ben  ßebenSin^alt  ober  ha§i  Sbeal  benx 
©ingeluen  in  concreto  üorftetleu,  ba§  ift  bie  <Ba6)t  ber  fd)öpferif{^eu 
9^atur  uub  in  gemiffem  @inne  ber  Äunft;  bie  SBiffenfdjaft  befd)ränft 
fid^  barauf,  bie  allgemeinen  g^ormen  gu  befd^reiben,  innertjatb  bereu 
allein  ein  menfd)Ud)  ootltommeneS,  ben  meufdjlid^en  äÖiUen  erfüttenbe^ 
unb  bauerub  befriebigenbeS  Seben  möglid)  ift.  (S§  gefd)iet)t  in  ber 
Xugenb=  unb  ^f(id^ten(et)re,  bie  übrigeng  in  if)rer  !onfreteu  StuSfü^rung 


3)ie  ^Probleme  ber  et:^tf.  435 

ftet§  burd)  SSot!  unb  ßcit  be[timmt  tüirb.  2)ie  (Stf)i!  ^at  bemnac^  sunt 
2eben  ein  ä^n(tcf)e§  $ßer()äUni§  \vk  bie  ©rammotif  jur  @prad)e,  bie 
?lft^etif  5ur  S?unft,  bie  3)iätetit  jum  leiblidjen  2ebeii,  fie  bejeidjnet  bie 
formen  be§  aj?i3güd)en  unb  3uläj[igen,  ba§  nun  »ieber  ntannigfottigfte 
erfüdiutg  juläfet.  ®q§  Q^oüfonimene  i[t,  tt)te  ba§  @cf)i3ne,  nic^t  ein 
uniformer  2;t)pu§,  jonbern  unenblic^e  3}?QnnigfaItigfeit  inbiüibueller 
©Übung.  —  SSa§  aber  \)a§  fittlid)  (Sc^(ed;te  ober  ha^  S3öje  anlangt, 
fo  wirb  bie  ®tf)if  e§  tonftruieren,  lüie  bie  mebi^inifdie  ^iäteti! 
(Störungen,  (Sd)n)ä(^en,  S[RiBbiIbungen  !on[truiert;  wie  tjier  biefe  Sßor= 
!ommniffe  aU  golge  öon  äußeren  Hemmungen  unb  Störungen  angefefjen 
werben,  bie  ber  Senben^  ber  Slnlage  §u  normaler  (Sntwideüing  ^uwiber 
waren,  fo  wirb  bie  etf)if  i^aS^  Sdjled)te  unb  93öfe  nid)t  auf  ben  eigent= 
liefen  SBiden  be§  3Befen§  fetbft,  ber  bietmefir  al§  auf  normale  (Snt= 
faltung  unb  33et^ötigung  im  Sinne  menfdjlidjer  33onfommen^eit  gerid^tet 
angufe^en  ift,  fonbern  ouf  ungünftige  (5utwidelung§bebingungen  jurüc!- 
füf)ren,  unter  benen  bie  Einlage  ocrÜimmerte  unb  äJJiBbilbungen  erlitt. 
S)aB  ba§  33üfe  gegen  ben  eigentlichen  SSefenwillen  ift,  boB  aud)  in  bem 
böfen  9)?enfc^en  auf  bem  @runbe  feine§  SSefenS  bie  Suft  gum  SBiüen 
®otte§  ift,  ba§  fommt,  fo  wirb  fie  ^in^nfügen,  barin  gur  (grfc^einung, 
baB  e§  ftet§  üon  innerem  Unfrieben  begleitet  ift ;  e§  ift  ba§  bie  Üteaftion 
be§  ©runbwiUenS  gegen  bie  einzelnen  Stugenblicf^erregungen  ober  gegen 
f)t}pertrop^ifd)  entwidelte  Seiten  be§  STriebtebenS,  bie  i^m  gleic^fam 
©ewatt  antf)un.  ®amit  ift  bo»  biätetifd)e  S5erfaf)ren  üorgegeidjnet: 
bie  ungünftigen  Umftäube,  bie  jur  Söerbitbung  fiif)rten,  befeitigen  unb 
bem  Söefcnwillen  gegen  bie  ?tu§wü(^fe  burd^  Sefd^neibung  unb  Unter» 
ftü^ung  5U  §ülfe  fommen.  — 

3Sir  wenben  un§  ju  bem  ©egenfa^e  ber  teleologifdjen  unb 
ber  formaIiftifd)en  9JJoraIp'^iIofopf)ie.  ®ie  erfte  ift  in  ber 
gried}ifd)en  ^^ilofoptjie  eint)eimifd) ;  man  ift  einig  barüber,  ha^  ber 
2Sertiinterfd)ieb  ber  fittlic^en  SSerl^altungSweifen  ^uletjt  auf  ber  93er- 
fc^iebenf)eit  ber  SSirfungen  beruht,  weldje  bie  oerfdjiebenen  ^ert)a(tung§= 
weifen  f)erooräubringen  tenbieren;  alle  fonftruieren  bie  (Stf)i!  au§  bem 
®efic^t§pun!t  be§  t)öd)ften  ®ute§,  ba§  alle  atg  (änbämouie  beftimmen. 
®er  burd)  ha§^  (5f)riftentum  beftimmten  SO?oraIp^i(ofop()ie  liegt  bie 
anbere  gorm  näljer:  ba§  ©ute  unb  ©öfe  wirb  beftimmt  nic^t  burc^ 
93e§ie^ung  be§  §anbe(n§   ju  einem  ßwecf,   fonbern  gu  einem   abfolut 

28* 


436  ansang. 

gültigen  @e|e^,  bem  ©efefe  @otte§,  lüie  e§  bie  ^ircf)e  Iet)rt.  ®ie 
moberne  ^^i(oiopI)ie  fe^rt  in  ber  erften  Gpoc^e  ^ur  teleologiic^en 
SefjanblungSweije  jurüc!;  »ir  finben  fie  bei  ©pinoga  nnb  SBoIff, 
bei  @f)afteöburt)  unb  §ume.  öine  mächtige  Üieaftion  gegen  bie 
„eubämoniftifc^e"  äJJoral  gu  öunften  ber  formaIiftiid)en  beginnt  mit 
ftant,  fie  mirft  in  ber  beutjcfjen  ^f)i(ojopf)ie  bi§  auf  biefen  3:ag  naä). 

3n  ber  %\)at  ^at  bie  formaüftifc^e  5UioraIp()ifofopt)ie  gunäc^ft  etft)a§ 
fe^r  Ginleuc^tenbeS:  nic^t  burc^  bie  2öir!ungen  ttjirb  eine  ^anblung  gut 
ober  böfe,  fonbern  fie  ift  e§  an  unb  für  ficf);  Süge,  Setrug  ift  an  fid) 
fd)(ec^t,  of)ne  9iücffirf)t  ouf  bie  Söirfungen,  unb  fo  ift  9Rerf)tf(^affen^eit 
unb  (2elbft6ef)errf(^ung  an  fic^  gut.  Cber,  mit  ßant:  ein  guter  SSiÜe 
ift  ha^  ©innige,  mas  an  unb  für  fic^  gut  ift,  er  ^at  abfoluten  SBert, 
gan§  unabhängig  oon  bem,  roas  er  in  ber  SSelt  au§rid)tet  unb  burd^= 
fe|t.  —  Sie  ^öeljauptung  fjat  if)ren  guten  (Sinn.  S)oc^  ift  e§  un* 
möglidj  t)ier  fte^en  §u  bleiben.  Tlan  fagt:  gerecfit  ^anbeln  ift  gut 
unb  ungered)t  f)anbe(n  ift  böfe,  einerlei,  tt)elcf)e  SBirfungen  bie  öanb= 
lung  in  SSirflidjfeit  fjat;  bie  ©efinnung,  nic^t  bie  ftetg  ungemiffe  2öir= 
!ung,  entfd)eibet.  —  ©etüi^,  werben  mir  fagen,  über  ben  moraüfc^en 
3Sert  biefer  ein^etnen  ^anblung  entft^eibet  allein  bie  @efinnung,  luorouS 
fie  f)erüorging.  2(ber  mürbe  oon  geredjt  unb  ungerecht  aui^  bann  bie 
9^ebe  fein,  menn  bie  ^anblungen  eines  aj^enfdjen  überf)aupt  gar  feine 
Söirfungen  auf  hü§>  (Ergeben  anberer  t)ätten  unb  ^aben  fönnten?  Dffen= 
bar  nidjt.  Soll  nun  tro|bem  ber  Söert  be§  .^anbe(n§  ooüftänbig  unb 
in  jeber  SSe^^iefiung  unabf)ängig  oon  feinen  3Sir!ungen  fein?  iJBürben 
mir  ba§  Unrec^tt^un  auc^  bann  fd)Ie(^t  unb  Dermerfüc|  nennen,  menn 
es  jeber^eit  unb  feiner  dlatux  nad)  nic^t  nad)teitig,  fonbern  förberfic^ 
auf  ha^  (Srget)en  aller  33etei(igten  einmirfteV  äBenn  e§  ber  Süge  eigen 
märe,  bem  SSelogenen  äured)t  ju  t)elfen  unb  bem  fiügner  SSertrauen  ju 
geminnen,  bliebe  e§  tro^bem  babei:  lügen  ift  böfe?  3öäre  bie§  Urteil  mie 
ein  aj:iomatif(^er  @a^  ober  mie  ein  SSa^rne^mungSurteil,  für  ha^  ein 
@runb  überfjaupt  nic^t  angegeben  merben  fann?  Cber  ift  es  möglid), 
einen  ©runb  bafür  anzugeben,  marum  e§  beffer  ift,  mäfeig  unb  be= 
fonnen,  gerecht  unb  mal)r^aftig,  friebfertig  unb  mot)lmollenb  gu  fein,  at§ 
ba§  Gegenteil? 

3d)  meine,  es  giebt  einen  ©runb,  e§  ift  eben  ber,  ben  in  taufenb 
<Sprid)mörtern  bie  Srfafjrung  aller  S3ölfer  au§fprid}t:  Süge  unb  Unred)t 


2)ie  Probleme  bet  et^if.  437 


unb  Übermaß  i[t  bet  Seilte  ^ßerberben,  an  if)nen  ge^t  ber  ©inäelne,  an 
i^nen  tje^en  aiid^  bie  Siölfer  ju  ©runbe;  unb  umgefe^rt,  @erec^tig!eit 
unb  Sefonnenfjeit  finb  ^fabe  be§  ^eil§.  3n  ber  Xf)at,  zugegeben,  bo^ 
|)anblungen  Söirfungen  für  ha§  @rgef)en  f)Qben  unb  bann  hod)  leugnen, 
ta'^  bie  2öir!ungen  beftimmenb  für  if)ren  2Bert  finb,  ha§>  gleicht  einiger^ 
maBen  jener  Xeteopljobie,  bie  fagt:  ttjeil  n)ir  5(ugen  fjaben,  fel)en  ttjir, 
aber  ni(f)t  baben  n)ir  5(ugen,  bamit  n^ir  fe^en.  @o  ^ier:  STugenben 
finb  Iebenert)altenb,  Safter  finb  tebengerftijrenb,  aber  ba§  Urteil  über 
ifjren  SBert  f)ängt  baüon  nidfit  ah. 

®ie  Stufgabe  ber  (St{)if  njirb  nun  eben  bie  fein,  bie  teleologif^e 
18etrad)tung  im  einzelnen  burd^^ufü^ren  unb  ju  jeigen,  mie  burd) 
Sugenben  Seben,  menfc!^Iid^=geiftige§  Seben,  ermatten  unb  geförbert,  burc!^ 
Safter  bagegen  gef)emmt  unb  gerftört  tt)irb.  Sfteblid^feit  ift  gut  unb 
S)iebftaf)t  in  jeber  gorm  ift  fdjterfjt;  benn  ®iebftat)t  ftört  §uerft  ba^ 
Seben  be§  S3eftof)lenen,  fobann  ba^  be§  ©tef)tenben,  er  bringt  itju  um 
ben  @egen  ber  5(rbeit,  ein  2)ieb  arbeitet  nid^t;  enblid^  ^erftört  er,  foöiel 
an  if)m  ift,  bie  (Sid^erf)eit  be§  (Sigentumg,  bamit  ben  (SigentumSerlüerb, 
S5ölfer  o^ne  (Sigentum§ficfjer^eit  üerarmen;  (Eigentum  aber  ift  bie  @runb= 
öorauSfe^ung  aller  ^öf)eren  (Sntnjicfetung  menfcE)tid^=geiftigen  Seben§. 
@o  ift  bie  2öat)rf)aftig!eit  gut,  Süge  fd^Iec^t,  meil  fie,  aufeer  ben 
©törungen,  bie  fie  im  engften  ^reil  f)erüorbringt,  ber  Söufd^ung  be§ 
^Belogenen,  ber  Sfo^ierung  be§  SügnerS,  bie  fefunbäre  SBirfung  ^at, 
ha§^  3Sertrauen  unter  9LlZenfcf)en  überf)aupt  gu  ^erftören;  3Sertrauen  aber 
ift  bie  ©runbbebingung  meufd^Iid^en  (^emeinfc^aftSlebeni;  unb  n^ieber, 
o'^ne  @emeinfd)aft  fein  eigentlich)  menfc^Iid^eS  Seben.  (gbenfo  ift  (S^e= 
brurf)  unb  Unjudjt  fcfited^t,  meil  fie  bo§  (äigenteben  dermüften  unb  ge= 
funbe§  g^amitienteben,  bie  SSurjel  gefunben  9)?enfd)enleben§  überhaupt, 
ju  jerftören  tenbieren;  unb  umgefefirt,  !eufd^  unb  jüdjtig  leben  in 
SBorten  unb  SBerfen  ift  gut,  meit  Iebenerf)attenb,  im  pf)l)fifd;en  unb  im 
geiftigen  @inn.  Unb  fo  überall:  gemiffe  SSert)a(tung§tt)eifen  finb  gut, 
fofern  fie  bie  STenbenj  ^aben,  menfd)Iid)e  Seben^güter  ^u  erljalten  unb 
gu  mef)ren,  anbere  finb  nermerfüd)  unb  fd)(edjt,  med  fie  bie  Xenbenj 
l^aben,  bie  93ebingiingen  eines  gefunben,  fdjönen,  unb  geiftig  reid)en 
9J?enfd^enIebcn§  §u  gerftören.  (Sofern  nun  SSo^lfa^rt  mit  ®efüf)(cn 
ber  SBefriebigung,  ^erfümmerung  unb  Untergang  mit  Unluftgefü^ten 
empfunben  mirb,  fann  man  aud^  fagen:  Stugenb  ift  ber  SSeg  jum  ©lud. 


438  Stn^ang. 

Softer  jum  Ungtütf.  2)ie  ßu[t  folgt,  nad)  ber  einfielt  beg  5lriftote(e§, 
ber  öoüenbeten  2;f)ätigfeit  als  ein  unBeQbfid)tigter  9lebenerfoIg. 

Sc^  füge  ein  paar  Stnmerfungen  t)inän,  biefe  5(nfcf)auung  gegen 
93ä&oerftänbniffe  unb  (äinmenbungen  gu  fd)ü|en.  ^ie  ^ßerrairrung,  bie 
an  biefem  ^unft  f)errfdjt,  fcf)eint  mir  wefentlid)  baüon  ab^u^ängen,  ba^ 
man  md)t  ^raifc^en  bem  boppe(ten  Urteil,  gu  bem  jebe  ^onbtung  SSer- 
antaffung  giebt,  unterjcfieibet:  bem  fubjeftiöen  über  ben  fittlicf;en 
äöert  be§  SSillenS,  ber  in  if)r  erfdieint,  unb  bem  objeftiöen  über 
ben  SSert  ber  Sanblnngsmeife  als  foId)en.  2)a§  erftere  get)t  allein  ouf 
bie  ©efinnung:  eine  §anblung  ift  moraüfc^  gut,  n^enn  fie  aus  einem 
guten,  b.  l).  burc^  ha§i  S3ett)u^tfein  ber  ^flid)t  beftimmten  SBillen  !ommt, 
it)re  folgen  mögen  fein,  n^ie  fie  moUen.  3Iber  bie  (Stt)if  ^at  e§  nid)t 
Ijiermit  aUein  unb  nic^t  üorjugsroeife  §u  tt)un;  gemi^  mufe  fie  mit 
Äant  fagen  unb  betonen,  bafe  ber  fittlic^e  SSert  be§  9JJenfd)en  nid)t 
abt)ängt  oon  bem,  tt)a§  er  in  ber  SSelt  auSrid^tet  unb  burdjfe^t,  fonbern 
üon  ber  Streue,  mit  ber  er  tf)ut,  ma§  er  als  feine  ^ftidjt  empfinbet 
unb  erfennt.  2(ber  it)re  eigentlid)e  Slufgabe  ift  bie  anbere:  ben  ob  = 
jeüiüen  SBert  ber  ^anblungen  unb  55ert)altung§n)eifen  gu  ermitteln. 
"S^iefer  aber  ift  nic^t  abf)ängig  oon  ber  ©efinnung.  S)er  2^iebftaf)(  be§ 
drifpinuS,  um  ein  alte§  3d)ulbeifpiel  gu  gebrauchen,  ftammt  au§  einem 
guten  SBiüen  unb  ift  infofern  eine  gute  Xtjat,  aber  er  ftetlt  g(eid)= 
geitig  eine  oermerfüc^e  .^anblungsmeife  bar,  njeil  2)iebftof)(  al§  folc^er, 
unabf)ängig  oon  ber  9J?einung  be§  8teI)Ienben,  bie  öigentumSorbnung 
untergräbt.  —  Übrigen§  get)t  and)  haQ  Urteil  über  bie  fubjeftioe  @e= 
finnung  gute^t  auf  teleologifc^e  Segrünbung  gurüd;  ein  guter  SSiüe 
ift  äule|t  bod)  gut,  ttieil  er  gu  etraaS  gut  ift,  nömlid)  meil  er  bie 
^enbenj  ^at,  gu  einem  SSerf)aIten  unb  ^anbeln  §u  beftimmen,  ba§ 
objeftiöen  SSert  l)at,  b.  t).  auf  ba§  Seben  im  (ginne  menfd)üd)er  33oII= 
fommen^eit  toirft. 

yid)  bemerfe  ferner,  baB  ber  SOZa^ftab,  an  bem  bie  50'?oral= 
pf)iIofopf)ie  ben  SSert  ber  S^er^altungsroeifen  mifet,  nid)t  aud)  ha^ 
ajiotio  be§  ^anbelns  ift  ober  fein  !ann.  S)ie  mirf(id)en  9}?otit)e  be§ 
^anbelns  finb  Dieigungen,  @en)ot)nf)eiten,  örunbfä|e,  beftimmte  fonfrete 
3n)ede,  Sßorfteüungen  oon  bem,  XDa§>  ^füd)t  unb  gejiemenb  ift.  (So 
ift  e§  unb  fo  mirb  e§  immer  fein;  bie  adgemeine  Stbfic^t,  bie  2öoJ)I= 
fa^rt  be§  9J?enfc^engefd^Ied)t§  ^u  beförbern,   mirb  nie  ha^  Wloüt)  be§ 


S)te  Probleme  ber  (St^ü.  439 


^onbetnS  lüerben;  fie  !ann  e§  nidjt  fein,  fdE)ün  borum  nic^t,  loeif  bie 
t)!öof)tfat)rt  be§  9}?enfd)engefd)(ecl)t§  nicf)t  in  concreto  üorgefteüt  njerben 
foun,  fobann  weil  bie  9^ed)nnng,  wie  bie  SSirfungen  biejer  beftimmten 
t^anblung  fic^  ^u  jenem  legten  Qxoed  üerf)alten,  nie  ausgeführt  werben 
fann.  S)ie  3Sir!ungen  jeber  ^onbtung  gef)en  in§  Unenblid)e,  fd^on 
bie  bireften  S^olgen  für  ben  ^anbetnben  unb  feine  Umgebung  finb 
nid^t  QU§5ured)nen,  nod)  weniger  bie  inbireften,  man  benfe  an  bie 
^irfuug  burc^  33eifpiel,  @ett)i3f)nung,  SSererbung.  äJZüBte  üor  bem 
^ntfc^IuB  bie  33erecf)nung  aller  mi3glid)en  günftigen  unb  ungünftigen 
Söirfungen  öoüenbet  werben,  fo  würbe  e§  nie  §um  ^anbeln  fommen. 
SDa^er  ha^  abgefürjte  $ßerfa{)ren;  .^anblungen  finb  in  ber  9?egel 
automatifc^e  Üieaftionen,  bie  ol^ne  öiel  Üted^nung  burd)  bie 
llrnftünbe,  ben  ?(n(a&  auSgelöft  werben;  für  bie  g^orm  ber  Dteaftion 
finb  bie  eben  genannten  SOZomente  entfc^eibenb:  Steigungen  unb  @e« 
wof)nf)eiten,  (Sitten  unb  @runbfä|e.  S)a^er  bie  grofee  S3ebeutung  ber 
Einübung  richtiger,  b.  ^.  im  allgemeinen  gwedmöfeiger  ober  im  @inne 
ber  äöot)Ifaf}rt  wirfenber  §(utomati§men  für  t)a§  Seben. 

Unb  f)ier  ift  nun  bemerfenSwert,  ba'^  bie  ÄoIIettiöwefen,  üI§>  beren 
©lieber  bie  Snbiüibuen  erfd)einen,  bie  3]ölfer,  mit  ber  aßen  organifdjen 
SBefen  eigenen  immanenten  ^n^^tfmäBigfeit,  für  bie  ßöfung  beftimmter 
£eben§aufgaben  fid^  automatifd)e  9^eaftion§formen  anbilben,  ha^  finb 
bie  ©itten,  worunter  f)ier  alle  für  bie  ©lieber  eine§  Sßotf§!örper§ 
öerbinblid^en  §anblung§=  unb  33erwattung§weifen,  mit  SinfdjIuB  ber 
red)tlid^en  SebenSformen,  oerftanben  werben.  (S§  wirb  baburd^  ben 
Snbiöibuen  bie  unlösbare  Stufgabe  ber  S3ered)nung  ber  SSirfungen  ah^ 
genommen.  Sie  fjonbeln  nun,  wie  ©itte  unb  Ü^ei^t  öorfd^reibt,  unb 
finb  baburd)  fowot)!  ber  UngewiBf)eit  ber  Ü^ed^nung  Dor  ber  .^anblung, 
al§  ber  Unfid^erJjeit  über  bie  folgen  nod)  ber  ^anblung  überhoben; 
fie  fjaben  auf  jeben  ^aü  gef)anbe(t,  wie  ein  red)tfdjaffener,  ein  „fittlic^er" 
9)?ann  in  foId)er  Sage  £)anbe(n  mufe.  SSie  im  tierifd^en  ßeben  ben 
Snbioibuen  \)a^  5(u§ben!en  unb  S3ered)nen  be§  für  bie  (Srtjaltung  unb 
Fortpflanzung  be§  SebenS  9Zü|Iid)en  unb  D^Jotwenbigen  burd^  bie 
Snftinfte  erfpart  wirb,  fo  ben  SOZenfc^en  burd)  bie  ©itten.  2Bie  bort 
bie  ererbten  automatif(^en  9iea!tion§formen  bie  58ett)ätigung  im  alU 
gemeinen  im  ©inne  ber  (Srtjaltung  be»  SnbioibuumS  unb  ber  ©attung 
beftimmen,  fo  fjier   bie   auf   ©runblage   ererbter  Snftinfte   burc^  (Sr= 


440  3rnf)ong. 

giel^ung  ongebifbeten  ©itten;  unb  eBenfo  n}entg,  mie  bort,  ftnbet  audf) 
f)ier  urfprüngtid)  eine  @r!enntni§  ber  3^^^<fntQBig!eit  be§  ^anbe(n§ 
wad)  ber  (Sitte  [tatt.  S)er  S^aturmenfd}  lueiB  um  bie  @itte,  ba^ 
geidjnet  if)n  öor  bem  ^ier  au§,  ba§  um  ben  Sn[tin!t  nid)t  toeife;  ober 
er  ireiB  nic^t,  tuarum  bie  ©itte  gilt:  fie  i[t  aU  objeftioe,  aber  nid^t  qI§ 
jubjeftiüe  Sßernunft  in  if)m.  (är[t  bie  Sflefiejion,  bie  in  ber  @tt)i!  §um  S(b= 
jdt)IuB  fommt,  fütjrt  gur  @infirf)t  in  bie  teleologifc^e  9lottt)enbigfeit  ber  ©itte. 

$ßon  {)ierau§  ergiebt  fic^  bie  SZatur  be§  ®en)iffen§.  3)a§ 
(S5ett)iffen  ift  in  feinem  Ursprung  nid;t§  anbereS  qI§  ba§  SSiffen  um  bie 
Sitte;  ber  (Singelne  meiB,  melrf)e§  35erf)a{ten,  j.  33.  gegen  bog  onbere 
©ejc^Ie^t,  it)m  burcf)  bie  ©itte  öorgej(f)rieben  wirb;  burd^  bie  @r= 
jietjung,  burcf)  ba§  Urteil  ber  ©efeüfctjaft  über  ha§:  Hnftdnbige  unb 
Unanftänbige,  burrf)  ba§>  9fiec^t  unb  bie  ©trafen,  enblic^  burd)  retigiöfe 
Gebote  ift  it)m  öon  !Iein  ouf  eingeprägt,  ttjie  er  ficf)  oert)aIten  f  o  IL 
2(n  biefeS  ©oll  plt  er  \)a§^  Sft  q1§  an  bie  ftetS  gegenmärtige  unb 
unbebingt  üerbinblicEie  Sf^orm,  e§  maf)nt  unb  treibt  an,  ei  marnt  unb 
ftraft.  3)a§  Soll  ift  babei  nicf)t  etmo§  bem  eigenen  SSiüen  grembeS; 
er  felbft  iniü,  boB  bie  S^lorm  gelte,  ba§  bie  Sitte  befolgt  merbe,  er 
üerlangt  e§  ftet§  bon  ben  anberen,  er  w'iü  ja,  ba^  bie  ®efamtt)eit, 
\)a§>  gefdjicEitlid^e  2ebett)efen,  gu  bem  er  gel) ort,  fid^  ert)alte  unb  lebe. 
'^ux  gufäHig  unb  gelegentlidf)  entftel^t  §mif(^en  bem  ©oß  unb  bem 
augenbIi(fticE)en  ^ßerlangen,  ber  ifoüerten  Segierbe,  3^MP<^ft.  g^reilid^ 
!ommt  eben  bann  ha§>  ©oH  am  ftär!ften  jum  93emuBtfein;  unb  fo 
fonnte  e§  fi^einen,  aU  fei  ber  ©egenfa^  gn^ifcfien  ^flitf)t  unb  3?eigung 
eine  für  bie  ©ittlic^teit  abfolut  mefentlirfje  ©rfd^einung. 

Stuf  ^ö^erer  (Snttt)icfefung§ftufe  nimmt  bo§  ©emiffen  eine  neue 
3^orm  an,  el  ioirb  ^ier,  entfpredjenb  ber  Snbioibualifierung  be§  geiftigen 
Sebeng,  i\i  einem  inbioibueHen  Seben^ibeal,  ha§>  \id)  fogar  gegen  bie 
©itte  erf)eben  fann.  Sn  aßen  großen  9?eformationen  be§  fittlid^= 
religiöfen  SebenS  ift  bie§  gefd^e^en,  unb  ha§,  ift  ber  fdjmerfte  tragifdje 
^onftüt:  im  ^ompf  für  eine  ^öt)ere  ©itt(id)feit  ber  gemeinen  geltenben 
©ittlidjfeit  entgegentreten  unb  üon  i§r  bo§  Urteil  empfangen.  Sefu§ 
unb  feine  jünger  ^aben  biefen  ^'ampf  ge!ämpft:  ©itte  unb  @efe|, 
Xempet  unb  <Bahhati)  finb  nic^t  ha§:  §öd)fte,  t)öf)er  ift  ba§  9^eic^  ®otte§. 
Unb  barum  ift  ber  53ürger  bei  ®otte§reid)§  über  bem  @efe|. 


tarnen-  nnö  ^ac^regiffer. 


3r. 

Stffefte  85. 
2tnoyogoro§  161  f. 
2fnt^ropomorp^i§mu§  235,   264  ff.;  f. 

anä)  S^ei^mug. 
?IriftoteIe§  22,  42,  58,  107,  161  f.,  228, 

240,  292  f.,  324,  374,  391. 
Slffojiation  227. 
9af)eilmu§  14,  256,  303. 
Sttont  137,  216  ff. 
3Itomigmug   49,    156,    fcitif    be§    31. 

214  ff. 
Stuge  159. 

3luguftinug  299,  324. 
SIuBentüelt  379  ff.,  385  ff. 

Sdacon  23,  427. 

93aer,  (S.  Ä.  b.  230,  238. 

begriff  426. 

93egriffUd^e§  Senfen  422. 

93enber  261. 

93erfelet)  62,  358. 

SBetDuBtfein  126  ff. 

SBö^me  275. 

93öfe,  ba§,  184,  274  f.,  335  ff.,  435. 

93ru*mann  206. 

93üd)ner  69,  88  f.,  90,  105,  335. 

93itbbf)ilmu§  185. 

$8unfen  331. 

S^riftentum  15,  185,  256,  258,  271, 

288,  338  ff. 
Somte  13,  27,  326,  348,  350. 


5?orit)in  37,  165  ff,  189  ff.,  215. 

3)emofnt  57. 

©cnfen  120,  422,  428. 

©e^carteg  23  f.,  59,  107,  164,  392  f. 

©etermini^mug  229. 

®ic^tung  239. 

®ogmen  257. 

%ötinq  17,  20. 

©uati^mug  58  f. 

5)uboi§=«Het)monb  80  f.,  83,  110,  246. 

Sü^ring  328. 

3)t)§teIcoIogie  174. 

em^ebofle?  161. 

empiriSmug  50,  351  ff.,  388  ff.,  394  ff., 

409  ff.,  425  ff. 
(£nergi§mu§  52,  432  ff. 
(SngetS,  ^r.  328  f. 
®ntttii(feIung§tf)eorie  188  ff. 
grfaf)rung  388,  404,  415  ff. 
(Srfenntniltfieone  42,  46,  50,  78,  110  f., 

351  ff. 
(Srüären,  naturtüiffenfd^afttid^eg  64,  82, 

168  f. 
m^it  51,  74,  432  ff. 
(Sucfen  300. 

gad)pt)ilofop^  42  f. 

galcfenbcrg  300. 

gediner  38,  54,  91,  96,  99,  102  f.,  112, 

114  f.,    134,   144,    195,   247,   252, 

310,  374. 


442 


Sachregister. 


geber  312. 

getifc^i^mug  277  ff.,  280  ff. 

geuerbad),  S.  283,  322,  327  ff. 

gtcf)te    5,     29,     271,     815    ff.,     325, 

361  f.,  373. 
ginalität  226  ff. 
gifc^er,  ft.  17. 
grteg  412. 

®, 

©abelen^,  ü.  b.  206. 

©alilei  59. 

®ebet  269. 

©ebäc^tnig  120,  150. 

©e^irn  66  ff.,  87  f.,  141. 

@ejc^icf)t§p^iIoiop^ie  179  ff.,  185,  324  ff. 

©ejegmäßigfeit  153  f.,  224,  419  f. 

©eftirnfeelen  112. 

(Setüiffen  210,  432,  440. 

©lauben  9  f.,  253  ff.,  324  ff. 

®oetf)e  14,   112,  194,  234,  264,  313, 

338  f. 
©Ott  11,  261  ff. 
@riec^ifd)e  ^^ilofop^ie  5, 20  f.,  31,  289 f., 

294,  349,  389. 
©ruber  343. 
©untrer,  S.  290. 

^. 

§aec!d  101,  105,  174,  195. 

§anb  423. 

^ornacf,  2t.  299. 

§artmann,  ü.  126,  171. 

|)ebonilmu§  52,  432  ff. 

^egel  29,  62,  318  f.,  324,  330,  391. 

^eraflit  389. 

iperbart  104,  118,  136  f.,  141,  144,  867. 

Berber  313  f. 

§obbeä  25,  61,  301. 

^öffbing  91. 

§oroj  44. 

|)umboIbt,  SJß.  ü.  37,  203. 


§ume  27,  222,  308  ff.,    350,   353  f., 
372,  395  ff-,  401  ff.,  409  ff. 


SbeaU§mu§  49,    50,  97  f.,    116,  324, 

352  ff.,  354  ff. 
Sbee  35,  290  ff. 
Sean  $aul  323. 
;5efug  258  ff.,  440. 
^mmaneng  266. 
Snber  295. 
Snteaigenj  117,  211. 
Intellectus  archetypus  361,  408. 
SnteEeftuoIiÄmug  13,  118,  167,  324. 
SobI  327. 

Sübifc^e§  Sßolf  183,  296  ff. 
Qugenbalter  214. 

tafton  334. 

tont  12,  17,  27,  32,  42,  45,  62,  78, 

115,    119,    218,    221,    251,    266, 

308  ff.,  332  ff.,  850,  358  ff.,  373, 

387,  400  ff.,  424  ff. 
toufofgefel  407,  412,  415,  419  ff. 
toufolität  152,  213,  219  ff.,  226  ff. 
tirc^e,  5ßer^ältnt§  jur  ^^ilof.  u.  SBiff. 

7,  13,  166. 
toämotogte  67  f.,  154  f. 
togmologifc^e  Probleme  49,  152  ff. 
troft  365  ff. 
troufe  327. 

Sogorbe  344. 

Somorcf  188. 

Songe,  (5.  85. 

Songe,  ^.  91.  38,  63,  78,  173,  240,  321. 

2eibniä  26,  50,  62,  87,  90,   164,  223, 

236,  275,  303  ff.,  358,  373,  406. 
ä\pp§  17. 
Socfe  25,  164,  305  ff.,  350,  369,  395  ff. 


©ac^regifter. 


443 


So&e,  38,  141  f,  219,   223,  225,  320, 

374,  879,  429. 
Sucrea  232. 
Suft  432  ff. 
Sut^er  13,  310. 
fit)ea  189. 

Wl. 

gWarj;,  t.  328  f. 

5matenoli§mug  49,  57,    63  ff.,   proft. 

Äonfequenäen  70  ff.,  triti!  b.  gjt.  77, 

243. 
ajiaterie  106,  137,  358. 
5DiatI)ematif  401,  403,  407,  409  ff. 
2Jied)aniftijd)e  9?aturerf(ärung  59,   163, 

168  ff.,  314. 
SKelonc^t^on  32. 

ÜJJetap^ljfit  42,  44,  46  ff.,  168  f.,  350  f. 
aßetjec  138. 
SKe^nert  79,  143. 

mm,  S-  ©t.  13,  275,  379  ff.,  386. 
SKimicrt)  193. 
aRitteloUetUc^e  «^J^ofop^ie  23,  31,  41, 

185,  311. 
ajjöbiug  421. 
aJJoberne  «ßf)itofop^ie  7,  23,  163,  301  ff., 

350,  389. 
SKoni^niuä  49,  57. 

2«onot^eigmu§  277  ff .,  287  ff.,  298  f.,  303. 
9KoraIp^iIofop^ie  f.  ©t^if. 
aRüÜer,  m.  209,  281  ff.,  295. 
2JJi)ftifer  300. 

5«ägeU  108,  248. 
dhnion  25,  428. 
9h!)iU^mug  72. 
Siorbau  70. 
»Jotraenbigfeit  229,  375  ff. 

O. 
CccafionoIt^muS  87. 
Dntologifc^e  Probleme  48,  55  ff. 
Dftroalb  138. 


<ßantf)ei§mu§    50,    157,    225,   241  ff. 

SSermtniä  äur  9ieUgton  261  ff. 
«ParaEeliftifc^e  Sfieorie  61,  87  ff.,   146. 
«ßejdiet  67,  283. 
^flonaenjeele  101  ff. 
«ßfleiberer  281,  300. 
$iänomenaUlmu§  50,  351,  362  ff. 
«ß^tIofopI)ie,  SBefen  1  ff.,  19,  SSerpltnig 

äur  ateligion  3  ff.,  11,  265,  323  ff. 
5ßIato  21  f.,  57,  141,  162,  290  ff.,  324, 

355,  358,  374,  390  f. 
<ßoIt)t^eigmu§  278  ff.,  287  ff. 
^ofitiöiimuä  13,  343,  350. 
^rop^eten  296. 
«ßrottften  100  f.,  146  f.,  197. 

9iotionaU§mu§  50,  307,  351,  388  ff., 
400  ff. 

9taunianfd)auung  357  ff.,  413. 

9iautt)cnI)off  260. 

9fteaUämu§  354  ff.,  362  ff. 

9?eimarug  172,  308. 

atetigion  3  ff.,  10,  240,  SBefeit  253  ff., 
338  ff.,  @efd)id)tüd)e  entwicfelung 
276  ff.,  aScrf)ältnt§  sur  <pf)Uof.  unb 
5Eßiffenf(^.  3  ff.,  165  ff.,  324  ff. 

«Renon  13,  39,  341. 

9?ief)I  17. 

«Ro^be  283. 

9ioufjeau  119. 

SRudert  250. 

^. 
©aüonarola  258. 
©cfiäfftc  200. 
©dieüing  29,  318. 
©d^Iei^et  44. 
@d)Ieicrmad)er  266,  317. 
©dimibt,  ü.  288. 
©t^neiber  119. 


444 


©od^regifter. 


©c^opentiauer  37,    62,    78,    99,    118, 

121  f.,  125,  170  f.,  237,  325,  381  f. 
©eele  55,  117,  2Iu§be:^nung  be§  (5eelen= 

lebend  97  ff.,  S8er^ältm§äum93ett)u6t- 

fein  126  ff.,  @i^  ber  ©.  139,  ©eelen- 

fubftans  133  f.,  364  ff. 
©etbftbeirufetiein  151. 
©enfuttU^rnui  388. 
©impüctug  294. 
©innesempfinbung    125,    148,    355  ff. 

425,  427  ff. 
©ttten  439. 
©ittengefel  74,  210. 
©!eptiät§mu§  852  f.,  401. 
©ofrate§  5,  21. 
©oUpfigmug  362. 
©oton  20. 
©op^tften  21. 

©oaiatbemofratie  14,  328  f. 
©pefulatibe  5t5^itofop:^ie  1,  16,  29  f.,  88, 

244,  816  ff.,  374. 
©pencer  13,  27,  62,  284  ff.,  320  ff. 
©pinoga  26,  60  f.,  90,  96,  164,  241  f., 

261  f.,  269,  275,  286,  301,  373,  394. 
©pintualt§mu§  49,  57,  60. 
©prac^e  120,  200. 
Staat  200,  208. 
©temt^al  202. 
©ubftanj  134  ff.,  367  ff. 
©i)ntf)etifd^e  Urteile  a  priori  401,  410. 

Seteotogte    157  ff.,    165  ff.,  168,   177, 

SSer^ältnig  jur  ÄoufoUtät  226  ff. 
Seleologifc^e  et^if  435  ff. 
Seteop^obic  230. 
^^aleg  21. 

%i)d§mn§  50,  157  ff.,  266,  299. 
S^eobicee  885. 
S^eologie  18,  49. 
Siebemann  201. 
Sronfcenbenj  266  ff.,  343  ff. 
Srenbelenburg  160,  168  f. 


u. 

Uebemeg  18. 
UnbeföuBte  126,  147. 
Unfterblicl)!eit  252,  307. 

SBonini  275. 

Sßernunftt^eologie  307. 

SBerftonb  125. 

Sßemorn,  m.  101,  146. 

Sßogt,  g.  81,  85. 

^ßoltelt  47. 

Sßolfmonn  104. 

aSoIuntoriftifdie  ^f^cf)oIogte  119  ff. 


SBa^rncf)mung  427  ff. 
Sßed)felmrfung  152  ff. 
Söeü^aufen  298. 
2BeItfeeIe  241  ff. 
SBielanb  312. 
SBiöe  117  ff.,  125,  198. 

mmüt  120. 

SBinbelbanb  290. 

2Biffenfc|oft  85,  STufgabe  64,  82,  168, 
Urfprung  211,  421  ff.,  SSer^äItni§ 
äur  SRel.  7, 10  ff.,  824  ff.,  SBer^ältnig 
jur  SQBaf)rnet)mung  427  ff. 

Söolff  26,  32,  44. 

SEßunbt  38,  91,  101,  103,  118,  126, 
132,  184  f.,  144,  197,  374. 


3eenopt)oneg  200. 


X, 


3. 


3eitanfd)auung  359,  878. 
3eno  354. 

3ielftrebig!eit  197,  226,  242. 
Zöllner  108,  221. 
3ttjeifcl  6. 


jttiilrelm  gtvl^  (3Se(Terri1)e  ^udiaaiiöfuim)  ^erUtt  W.,  JinRIlraße  33/34. 

mit  einem 

üon 

13i-ofe|for  an  bcr  Uniücrfitdt  Jöcrltii. 

Witttt  vttbtffertt  unb  ufrmtljrt«  ;3(uflflgc. 

1896.    67  Sogen  (Srofe  ®ftao.     gel;.  U  m.,  gebb.  in  £eint».  15  JTl. 

SSon  jitiei  ?J3unften  fd)eint  ba§  aller  Drten  neu  ftc^  rcgenbe  ^ntercffe  für 
bie  St^if  auljugcl^en:  einerfcitS  füt)ven  bic  immer  bringlic^er  auftrctenbcn  $ro= 
bicme  bc§  jojialen  £cbcn§  t)a^  Jiadibcnfeu  auf  bie  legten  5^09^"  na*^  SOißfe  unb 
Drbnung  aller  irbiid)=menfd)Uc^en  Sßerte  gurücf;  anbcrerfcttä  treiben  bie  neuen 
bioIogii(|en  Stnidiauungen  gur  erneuten  ^.)irüfung  unb  ju  Söerfuc^en  ber  3ieu= 
bcgrünbung  auci^  ber  moralp^tlofop^ifc^en  ?lnidE)auungen  an.  SBoju  benn  noc^ 
al^  ©rittet  fommt,  ta'^  bie  ©runblage,  lücldjc  bie  alte  2)ogmati!  unferer  SBcIt=  uub 
£eben§anjc^auung  barbot,  mit  i^r  iclb[t  mc^r  unb  me^r  ing  SBanfen   geraten  i[t. 

®a§  tjorliegenbe  2Ber!  nimmt  ju  aücn  biefen  ?^ragen  Stellung.  Stu^ge^enb 
üon  ben  neuen  biologifcftcn  unb  foäiologiid&en  3(nfc^auungen,  fud)t  e»  bie  (Sitten* 
gcjegc  a\§  9iaturgefegc  be§  nienfdiUc^cn  SBefenä  5U  bcgrünbcn  in  bem  ©inn,  ba^ 
i^re  5""e^'"'Itun9  "^^^  natürliche  93cbingung  ber  SBo^lfaftrt,  b.  1^.  einc§  gcfunbcn, 
tüchtigen,  j^önen  unb  glüdli^en  üchniä  für  ben  ©inscinen  mie  für  bic  ÖJcfamt^eit 
ift.  @§  fcf)Iie6t  firf)  bemna^  in  ber  gorm  an  bie  ältefte  gorm  bcr  rciffcnfc^aft* 
Iid)cn  ©t^if  übcrl)au4)t,  an  bie  tcIeoIogt)d)e  5ötoraIp^iIofopf)ie  ber  @rie(^en,  im  be= 
fonberen  be§  2triftoteIe§  an.  ®oc^  bemüht  cg  fic^  ni^t  minber,  bcr  äJcrinnerlic^ung 
unb  3}ertiefung,  bie  unfcre  moralifd^cn  2lnfcf)ouungen  burd)  baS  ©t)riftentum  er* 
fot)ren  ^aben,  gerecht  gu  tocrben. 

2Jer  !öerfaffer  menbct  fic^  mit  biefem  SScrf  ntd^t  blo^  nnb  nid)t  junädift 
an  bic  ®elcf)rtcn,  fonbcrn  an  aüe,  bie  ben  großen  fragen  bcä  2eben§  ernfte^ 
9?ac^benfen  gu  mibmcn  gefonnen  finb.  (£r  be^anbelt  nic^t  allein  unb  ni^t  eor* 
jugäroeife  bie  obftraftcn  Probleme  ber  p^ilofoptjifc^cn  ©t^it,  fonbcrn  ge:^t  überaß 
auf  bie  fonfrctcn  tJragcn  ein,  meiere  unfere  Qdt  unb  unfcre  3?crt)ältniffc  un§ 
oufgeben.  So  fc^eint  eg  eine  nicfit  leere  :poffnung,  ba^  ha^  93uc^  auc^  in  beu 
Greifen  berer,  bie  mitten  im  t^ätigen  ätben  flehen,  unter  Se^rcrn  unb  (5ccl= 
forgern,  unter  33eamten  unb  Sirjten,  unter  benfcnbcn  SJJännern  unb  f^raueit 
iJreunbe  gewinnen  rocrbe. 

Über  ben  Snt)flJt  ii"  einjelnen  orientiert  ba§  no(^ftef)cnbe  SSerjcic^ni§. 


Srftct  93anb. 
©inlcituufl.    SBefen  unb  Slufgabe  ber  (St^it. 

93egriff  —  ©teüung  im  ®i)ftcm  bcr  SSiffcnfdioften  —  Stufgabe  —  9)iet^obe  — 
Sittengefeg  unb  9Jaturgcfe&  —  23egriff  ber  58ollfommcn^cit  —  SlQgemein* 
gültigteit  ber  ©t^i!  —  *45rattifd^cr  SBert. 

"Etiles  Budj. 

|(mvi^  einer  dSefdiidtte  lietr^eben«iinrd)rtuun0  unXf  ^«valpUHofopifU* 

©rpcs  ÄJjyitel.    S)ie   Scbcnsanfc^auung   unb   9)ioralp^ilof opI)ie   ber 
&tiedjtn. 

^31nfc^auung  be§  griec^ifc^en  S^olteö  oom  :^öd)ftcn  ®ut  —  ©ofrateS  —  ^lato  — 
SIriftoteleg  —  ©totfcr  —  Spifur  —  ®emeinfame  G^arafterjüge  ber  griec^.  St^if. 


^mütts  fiapitcl.    Sic  SebcnSanfdöauung  be§  S:^riftentum§. 

®og  S^riftentum  ift  jupranaturo!tftii(^  —  ©eringldiä^ung  be§  3Bi[fen§  —  ber 
notütlid^en  Sugenben  —  bcr  %ap^nhit  —  ber  ©erecötigfeit  —  58er:^ältni§ 
gunt  Staat  —  jum  Scbenggenufe  unb  jur  Äunft  —  gum  JReic^tum  —  jut 
(J^re  unb  ©clbft)d)ä§ung  —  Söarmfjcrjlgfeit  bie  c^riftltc^e  Xugenb  —  SSer* 
:^ältnt§  gut  gomilie  —  ®a§  etotge  Seben  —  ®ie  libcraliftifc^e  SIuffa[futtg 
bc§  K^riftcntumg. 

Jlrittcs  fiopitßl.  Sie  93efet)rung  bcr  olten  233elt  gum  Sl^riftentum. 
Urteil  ber  olten  Sßclt  über  bo§  St)riftcntum  —  Untergang  ber  antifen  ©ittlid^» 
feit  im  röm.  9tcid)  —  3)a§  moralifd^e  ©clbfibetüufetfein  bcr  Äaifcrjeit; 
©piftct,  aJiarcug  'ölureliug,  ber  SficuptatoniSmuS  —  Söerlangen  na^  (Srlöfung^* 
religion  —  Überlcgcnf)eit  bc§  (Jf)riftentum§  —  Sinologe  @nttt)icfclung  in  ber 
inbtic^en  3BeIt. 

DicrtCB  ßnpttcl.    S)a§  SJJitteloItcr  unb  feine  Seben§onjd)auung. 

®ic  Scfebrung  ber  gcrmanifct)eit  SBöIfcr  —  Sebenäempfinbung  unb  2ebcn§» 
fü{)rung  —  ®er  S^Icruä  —  ©ci'c^i^tlidje  9Jottt)enbig!eit  für  bie  Kird^c,  bie 
SBcIt  in  Jid)  aufzunehmen. 

fünftes  Äflpitel.    2)ic  ntoberne  Seben^onfdiauung. 

9?aturaliftif(i)cr  G^orofter  bcr  S^Jcujctt;  3Rcnaiffance  —  ^Reformation  —  ©4ä|ung 
bcö  2Biffen§  —  %v.  33ocon  unb  fein  3ufunft^traum  —  di.  2)eäcortc§  unb 
fein  Kulturprogramm  —  ®ic  moberne  Stoat^miffcnfcfiaft,  %i).  ^obbe§  — 
Seibnig  —  (Sel'bftgefü^t  ber  9ceuäeit  —  S)a§  19.  Saf)r{)unbert;  «peffimi§mu§ 
—  9Jic^fd)eonigmu§  —  SSerf)äItni§  jum  ßt)rtftcntum. 

S«d))Us  fiapitel.    St)riftlic^e  unb  moberne  9[RoroIpt)iIof optjie. 

©t)riftlicf)e  9[JJoraIp^iIofop:^ie  —  K'at^olifc^e  SKoralttjeoIogie  —  2}Joberne  SJtoroI* 
p^iIofopf)ic  —  2:^.  §obbe§  —  ©pinoga  —  ®f)afte§burt)  —  ^umc,  S3cntt)am, 
MiU,  —  ©pcncer  —  Seibnig,  SBoIff  —  Äant  —  @pe!uloti0e  ^^ilofopt)ie, 
©d)Ieierma(^er  —  ^crbart  —  @d)opcn^auer  —  D^euefte  Sitteratur. 

gweifes  Sud;. 

©rfiesÄupitd.  ®utu.  fc^Iec^t.  Xelcologifc^eu.  formaliftifdic  Stuf f off ung. 
2)ie  möglichen  Sluffaffung^toeifcn  —  Sie  teleologifc^e  2Iuffaffung  —  ®ub= 
jeftiO'formale  unb  objcfttü  materiole  ^Beurteilung  —  ®cr  3trc(f  :^eiligt  ba^ 
SJiittcI  —  ®ie  S3ebeutfamfeit  bcr  einjelnen  §anblung  —  5Borläufige  2lblef)nung 
bc§  (£goi§mu§  —  Summe. 

3m£tt£0  ßflpitcl.  Sag  :^öd)fte  ®ut.  ^eboniftif  c^e  u.  cnergiftifcf)e  Stuffof  fg. 
Krittf  be»  §eboni§mu§:  2uft  nid)t  Qxoed  bei  §anbeln§  —  noc^  Befreiung 
üon  Scbmerj  —  Sricbe,  bie  auf  fdEimerjIidje  S3etl)ötigung  gcrid)tct  finb  —  33e« 
beutung  ber  Suft  öom  biologifdien  ©tanbpunft  —  ^ofitiöe  Scftimmung  bei 
f)öct)ften  ®utel  —  ®efd)id^tlid)e  33cftätigung. 

Urittes  ßopitd.    ®cr  ^cffimilmul. 

^cffimilmul  all  ©timmung  unb  S^eorie  —  ^eboniftifc^e  58ett)cilfüt)rung  — 
SWoroIiftifc^e  93ctt)eilfüf)rung  —  ®efcf)ic^tlpf)iIofop{)ifc^e  33etDeilfü^rung  in 
:^cboniftifct)er  —  in  moraliftifdjer  2lbfici)t  —  ©umme. 

liiertes  fiapitüi.    'iS)a§  Übel,  ba^  Söfe  unb  bie  Stjeobicee. 
Stjeobicee  —  ^^Dfifc^e  Übel  -  9JZoraIifc^e  Übel  —  ber  Sob. 

iFünftcö  Äflpitcl.     $flid)t  unb  ©cmiffen. 

Urfprung  be§  ^f(icf)tgcfü{)ll  —  $flid)t  unb  9ieigung  —  S?antl  Stnficbt  über 
ha§  S3er:^ältnil  oon  ^flic^t  unb  JJeigung  —  9ted)t  unb  Unrecht  ber  intuitioen 
(St^i!  —  Sol  ®ett)iffen,  Urfprung  unb  ©eltung  —  Snbioibuolifterung  bei 
ßJewiffenl  —  SJZoroIiftif^er  9?i^ililmul  —  3"!«  ©prac^gebrauc^. 

Scri))ics  ßapitcl.    (Sgoilmul  unb  2IItruilmul. 

Sein  obfoluter  ©egenfa^  —  2ttle  §anblungen  greifen  mit  ifjren  5Eßirfungen  — 
unb  mit  ii)ren  STiotioen  über  ben  ®egenfa^  über  —  2Birf(irf)el  58erf)ä(tnil  — 
Db   bie  oltruiftifcbcn  SBitlenlantriebe  im  gune^mcn  finb? 

Siebentes  ßnpitel.    Sugenb  unb  @Iüd. 

SBir!ung  heä  SSer^altenl  auf  ba§  ©rge^^en  —  SBirfung  be§  6rgef)enl  ouf  ben 
S^aroftcr. 


;3(il}Us  Äopttcl.    ®a§  9Ser^äItnt§  ber  Wotal  jur  ^Religion. 

$ifton)ci)er  3ufanii"en^ang,  feine  Ucfadien  unb  SBirfungen  —  DiJottDcnbigct 
innerer  3ufammcnt)ang  —  Sßcrl)ältni5  öon  afjcligion  unb  SBiffenf(^aft  —  2)er 
Ünflcrblidjfeitägloube. 

ItCUntfS  ßöpttcl.    5)ie  grci^eit  bc§  SBillenS. 

^iftorijdie  Orientierung  —  Darlegung  bor  %i)at\aiiitn  —  3)ie  SBcrontWortlid)" 
feit  —  2)ic  wirflic^e  58ebcutung  ber  ntenjcf)lid)en  {^rcil^cit. 

gtnciter  58anb. 

Drittes  Sud). 

I.  ^tc  *4}flirf)tcn  bcfli  eimelncu  «jcflen  ftdj  fclbft  unb  bie  inbibibitciliftifd^cn  Sugenben. 

Einleitung.    SBcfen  ber  SEugcnb. 

ClBrflcs  ßnpitcl.    ©elbftbet)crrjc^ung. 

(Sclbftbe^errfd)ung  —  SJJä&igfeit;  StSfefc  —  SSefd^eibcnl^eit  —  ^apferfeit  — 
«c^orrlicbfeit  unb  ®ebulb  —  ®eta[fen{)cit  -  SBei§f)cit. 

3t0«itC0  finpitcl.    S)a§  leibliche  Sebcn. 

93eftimmung  begjelbcn  —  (Srnö^rung;  Srunfju^t  —  Soba!  —  SBo'^nung  — 
Kleibung  —  ©picl  unb  ?Irbeit. 

ülrittCB  finpitel.    S)a§  roirtfdiaftlid^e  Scbcn. 

®tc  S3eruf§arbeit  notwcnbig  für  bie  SOäo^Ifa^rt  be§  ©igentcbenS  —  ^flicftt  gegen 
bte  ©efamti^eit  —  ®ci§  unb  SScrfctinjcnbung  —  ©ojialbfonomifi^e  Sßirfung 
ber  Sißcrfc^njenbung  —  2trmut  unb  3ftcid)tum. 

Witttes  üavi^ti.    ®a§  gciftige  Scbcn  unb  bie  SSilbung. 

8Q3efcn  unb  Scbeutung  ber  @rfenntni§  —  58ilbung,  Überbilbung,  Igalbbilbung 
—  SBefen  unb  93ebeutung  ber  tunft  —  Stellung  ber  S?unft  in  ber  QJegenroort. 

fünftes  Änpitd.    @f)rc  unb  et)rliebc. 

aSefen  ber  e:^re  —  93ebeutung  ber  (Sl^rc  für  bie  moroUfd^e  (Sntroidclung  — 
e^rlicbe  al§  ©tolä  —  et)rliebe  atg  ®emut  —  ©elbftgefüf)!  unb  ©clbft* 
erfenntniS  —  Sefd^eibenl^eit  —  ®a§  ^ueü. 

SjrijjifS  ßnpitcl.    S)er  Scibftmorb. 

2)ie  2;t)atfad^cn  —  ^a^  Urteil  barüber  —  ®ic  Urfad^en. 

II.  1:ie  ^iflidjtcn  gegen  anbcre  unb  bie  fosialcn  Sugcnben. 

Sijljjntcs  ßnpitcl.    SJiitlcib  unb  SBo^lwoHen. 
S)a§  SDiitleib  —  ®q§  SBo^IwoHen. 

;2Crijtcs  ßnpitd.    ®ie  ®crcd)tigfeit. 

S5?cfen  unb  9?QturgrunbIagc  ber  ®cred)tig!eit  —  S^rc  93cbcutung  —  DJotttJcnbig'' 
feit  einer  pofitiöcn  3tcc^t^orbnung  —  ©träfe  unb  ©trafred^t  —  ^flid^t  t>a^ 
SRed)t  äu  ücrtcibigcn,  frembe§  unb  eigene?  —  (Sro^ntut  unb  5Sergcbung  —  ®o§ 
^rinjip  ber  3te^t§bilbung  —  9tcct)t  unb  SJioral  infongruent,  S^otunrec^t  — 
^urücfbteibeu  be§  SRe(^t§  hinter  ben  fjorberungen  ber  ä)torol. 

neuntes  ßnpttel.    Sie  $Räc^ftcntiebe. 

93eftinimung  unb  SSegrenjung  ber  'ißflid)t—  S)a§  ^Itinof engeben  — ®ic  33ebeutung 
ber  gjäd^ftenliebc  —  ©antbarfeit  —  Siebe  ju  ^ciniat,  jum  SSoIf,  jur  9JZenfd)f)eit. 

5cljntCi5  Äapitel.    ®ie  SBa^rf)oftigfcit. 

9Jegotit)e   ©eite:   ®ic   Sügc   —   roarum   üerhjerflid) ?    —   Sßerleumbung, 

©d&mcid)elci,  ^eud^etei  —  3[Jieineib  —  9iottügc  —  SBo^cr  ber  9iigori§mu§  ?  —  $o=> 

f  itiüe  ©eitc:  ®ie  3Bat)rf)aftigfcit  —  im  33er^ältni§  jum  (ginäclnen  —  im  öffentlid^en 

SBafir^cit^bienft  —  SSarum  bie  neuen  S5?a^r{)citen  ücrfolgt  njerben  —  inmiefcrn  bie§ 

notroenbig  ift?  —  Ob  gerftörung  be§  Irrtum?  unter  aflcn  Umftänben  geboten  fei. 

Oicttcs  Bucfj. 

^it  formen  iira  C)$ettteinri^aft«Ub«it«. 

I.  ®te  ^nmilic. 

gomilie  \)a§  Urelement  ollcr  formen  be§  ®emeinf(^aftl(ebeng  —  5luf  i^r  beruht 
®efrf)icbtlid^fcit  be§  menfcf)Iid)en  Sebcn§  —  S8er^öltni§  ber  ®atten  —  eitern 
unb  Äinbcr;  (Srjic'^ung  —  gamilic  bie  ©c^ule  ber  moralifdien  2;ugenben  — 
e^elofigfcit  unb  ßölibat  —  9Jionogamie  —  e^efd)eibung  —  S^efrei^eit  — 
grauenemonäipation,  Urfad)en  biefer  Söeftrebungcn  —  3.  ©t.  Wiü  il)r  ^Inföatt 


—  tritif  feiner  9Infid)t  —  SiuSftc^ten  —  ®ejd^lec^tli^e  ©ittlid^feit  —  ®ie 
^roftttution  —  ®o§  ©eftnberocfen. 

II.  (^eieüigteit  unb  ^reunbfdiaft. 

SBebeutung  ber  ©efeHigfett  —  ®ejcQtge  2:;ugenbcn  unb  Softer  —  2)ie  gcfeHigen 
gormen  —  33erfct)iebent)eit  ber  SBölIer  in  ^infid^t  auf  bo§  gefeüige  geben  — 
S)cr  Umgang  mit  bor  Statur  —  Sie  grcunbf^aft. 

III.  ^n§  HJirtf^oftlicljc  Seben  unb  bic  (öcfcUfrfjaft. 

CBr|ics  ©flpitcl.    2)a§  Eigentum  unb  bie  @igcntum§orbnung. 

Söebeutung  bc§  6igcntum§  —  Urfprung  be§  @igcntum§rec^t§  —  93ebingt^eit 
unb  S8eränbcrlic^!ett  beSfelbcn. 

^mtitt$  Änpitd.    ©efellfd^aft  unb  OJefcIIfd^aftgorbnung. 

SBefen  ber  ©cfellfci^aft  —  SBirfung  auf  bie  Sebenägcftaltung  —  ®ie  ®efen= 
f(j^oft§orbnung  —  ®te  fopitaliftif^e  ®efetlfc§oft§orbnung;  i^r  Urfprung  — 
Statiftif^ei  —  äufoninicn^ang  mit  ber  Iibcraliftifcf)en  ^olitif  —  Sinflu^  ouf 
bie  Seben^geftaltung;  Steigerung  beg  9tationaIreid)tum§  —  3Sermef)rung  be§ 
Proletariats  —  9Kittt)irfenbe  Umftönbc  —  SBirtf(^aft§frifen  —  ®ie  foäiale 
t^ragc  —  Ob  bie  ©efeüfc^aft  bemofratifcfter  wirb? 

Drittes  üav'itsL    ©oäialiämu§  unb  fojialc  9f{cform. 

®er  ©ojialigmuS,  ®efci^ict)tlicftc§  —  ^olitifc^eg  Programm  ber  ©oäialbemofratie 

—  S)ie  atec^tgfragc  unb  bie  gragc  ber  ®ere(^tig!eit  —  2)oS  fojioliftifdie  @efell= 
fc^aft§progromm  —  3JtögIicf)e  ©ritjartungen  oon  feiner  SSermirfiii)ung  — 
Utopiftifd)c  $t)antaficn  —  2)oö  ®Iei(i^eit§prinäip  unüerträglicf)  mit  ber  £ebcn§» 
fä^igfeit  einer  fojialiftifc^en  ®efeEfc^aft  —  Db  grci^eit  bor  ^eruf§ma:^t  möglid)? 

—  S)ie  neue  ©efeHj^aftSorbnung  tann  nic^t  buxdi  politifc^e  Sieüolution  cnt* 
ftel^en  —  3unet)menbe  ©o^ialifierung  ber  ^robuftion  unb  moc^fenbc  StuS: 
bef)nung  ber  ©taatg=  unb  ©emcinbet^ätigfeit  tt)äf)renb  ber  legten  Qa^rfiunberte 

—  SBirb  oud^  in  gufunft  mac^fcn  —  ®ie  Dorauäfic^tlic^en  2öirtungen  biefer 
©ntroidelung  —  2trbeiterfc^u|gcfc^gcbung  —  ?lnbcrc  ©tütfc  ber  fo^iolcn 
9teform  —  Wrbeitergilben  —  S)a§  Sojialiftengefe^. 

IV.  ®cr  ^taat, 

(!Br)ies  iänpitcl.    SBefen  unb  Urfprung  be§  ©taot§. 

Segriff  bei  Staats  —  Stbfolutiftifcfte  X^eorie  —  Siberaliftif^e  2;^eorie  — 
SluSgIcicftung  ber  @egenfä|e  in  ber  SBirfUc^feit  —  SBarum  in  ber  griec^ifc^en 
^t)i(ofop^ie  bie  libcroliftifd^e  S^^eorie  fe^It  —  Urfprung  bc§  ©taatS. 

3mcttes  Änpitd.    2)ie  ©taatSform  ober  bie  SScrfoffung. 

®ie  SSerfaffungSformen  übcrt)aupt  —  SBebingungen  i^reS  93cfte^enS  —  JRcform 
unb  atcöoiution  —  2)a§  Königtum  —  ©eine  93ebcutung  —  S)ie  fonftitutioneüe 
Sßonarc^ie  —  ^arlamentarif(j|c  ^Regierung  —  ha^  SBa^trcc^t. 

Srtttcs  Äapitcl.    Umfang  unb  ©rcnjen  ber  ©taotSt^ötigtett. 

®te  'Qotmd  §umboIbtS  unb  SJtillS  —  Stnbere  gormcl  —  Sßac^Stum  ber 
©taatSt^ätigfcit  auf  bem  ©ebiet  bei  tt)irtfcl^_aftIi{|=gefcQfd^oftnc^en  —  ©in* 
fc^ränfung  auf  bcm  ©ebiet  be§  geiftig»»religi5)en  2ebcn§. 


^t.  "^dUffeit,  3)oö  tRcnrgtjmnuftum  unb  hie  ^uitittniftifc^c 
«ilbttttg.     1889.    ©e^eftet  80  $f. 

SBcrfe  bcffelbcn  SSerfafferS  in  onbcrem  S3erlag. 

—  ©cf^icljtc  bcct  Qeic^vten  Unterrirfitö  auf  bcn  bcittfctjcn  <^tf)ulen  unb 
Uniticrfttäten  tiom  iUudgottg  he^  W^littclaUet^  bi§  ^uv  ^egenhiatt 

Srccite  umgearbeitete  u.  fe^r  oerme^rte  Siuflogc.    2  93bc.   85  JBogen.  30  Wt. 

Seipjig,  $ßcit  &  So.     1896. 
I.  Söb.:  ®er  gclef)rte  Unterricht  im  Qcic^cn  beS  alten  |)umoniSmuS.  1450—1740. 
Il.Sb.:  ®er  gelehrte  Unterricht  im  3ci<i)en  beS  9teu^umaniSmu§.    1740—1892. 

—  Immanuel  Äant.  Sein  Scbcn  unb  feine  Sc^re,  gronin'Qnn^  $^iIo= 
fop^ifc^e  tloffifer,  93b.  VII.  3meitc  STufloge.  26  Siogen.  4  m.  Stuttgart, 
grommann.    1899. 


■Drucf  üon  J^eobor  ^lofmaun  iit  ®era. 


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DATE  DUE 

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GAYLORD 

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UC  SOUTHERN  REGIONAL  LIBRARY  FACv  '  • 


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