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BOOK 248.2.B85E c. 1
BUBER # EKSTATISCHE KONFESSIONEN
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EIN UND EIN VEREINET DA LIUHTET BLOZ IN BLOZ.
MEISTER ECKHART
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DIESE Mitteilungen von Menschen über ein Erlebnis, das sie
als ein übermenschliches empfanden, sind weder um einer
Definition noch um einer Wertung willen zusammengestellt
worden, sondern deshalb, weil in ihnen die Gewalt des Erlebnisses,
das Sagenwollen des Unsagbaren und die vox humana eine denk-
würdige Einheit geschaffen haben. Was von diesen Elementen
zeugte, was das Zeichen des Wortes trug, ist mir der Aufnahme
wert erschienen.
Es ist mir nicht darum zu tun, die Ekstase „einzureihen''. Was
mich angeht, ist das an ihr, was nicht eingereiht werden kann. Ge-
wiss hat auch sie eine Seite, durch die sie in den kausalen Zu-
sammenhang der Vorgänge eingestellt werden kann; aber die ist
nicht der Gegenstand dieses Buches. Der Ekstatiker mag psycho-
logisch, physiologisch, pathologisch erklärt werden; uns ist das
wesentlich, was jenseits der Erklärung bleibt: sein Erlebnis. Hier
hören wir nicht den Begriffen zu, die Ordnung schaffen wollen
auch noch in den dunkelsten Verstecken ; wir lauschen dem Spre-
chen eines Menschen von seiner Seele und von seiner Seele unaus-
sprechlichstem Geheimnis.
Es ist wie mit der Freiheit des Willens. Gewiss, die grosse Welt-
orientierung darf keine Lücke haben. Gewiss, alles ist determi-
niert. Aber dieser Mensch hat sich frei gefühlt. Widerlegt sein
Gefühl mit euren Begriffen ! Beweist, dass sein Gefühl eine Täusch-
ung ist: wie der Theologe beweist, dass Gott ist, weil alles eine
Ursache hat und also auch die Welt eine Ursache haben muss. Ihr
lacht den Theologen aus: die Kausalität gelte nur innerhalb der
Erfahrung; aber vielleicht ist das Erlebnis eben das, was jenseits
der Erfahrung steht: weil es vor der Erfahrung steht. Ich bin die
dunkle Seite des Mondes; ihr wisset um mein Dasein, aber was
ihr für die helle festsetzet, gilt für mich nicht. Ich bin der Rest der
Gleichung, der nicht aufgeht; ihr mögt mich mit einem Zeichen be-
legen, aber auflösen könnt ihr mich nicht. You would pluck out
the heart of my mystery? Dieser Mensch hat sich frei gefühlt;
hat Freiheit, Gottesfreiheit über seinem Handeln gefühlt. Eine
Täuschung? Gut denn, so ist die Täuschung das, was uns an ihm
wesentlich ist.
So ist es mit der Ekstase : das Wort geht uns an, das Wort des Ich.
Ich bringe in diesem Buche auch Äusserungen einiger Menschen,
die zu denen gehören, welche man krankhaft nennt. WiedieTäusch-
ung an der ,, Wahrheit", so wird die Krankheit an der „Gesund-
heit'' gemessen. Aber mich interessiert nicht, ob ein Arzt, der
die Anna Vetterin (S. i86ff,) untersuchen würde, sie als hyste-
risch befände; mich interessiert, wie dieses Frauenzimmer aus
der Not seiner Seligkeit redet. Ich weiss nicht, was der Wahn-
sinn ist; aber ich weiss, dass ich da bin, die Stimme des Menschen
zu hören.
Also ästhetisch? Nein, auch nicht ästhetisch. Ich meine nicht die
Worte und ob sie schön gefügt sind, ich meine das Wort. Dies ist
eine andere Schönheit als die des Ästhetischen: die Stimme des
Menschen, die in meinen Ohren schallt.
Des Menschen; und ich weiss nichts mehr von Graden, von der
Rangordnung der Geister. Da sind Plotin der Hohe und Attär,
der kühnste der Dichter, da ist Valentinos, der heimliche Dämon
einer Zeitenwende, und da Rämakrishna, durch den sich das ganze
Indertum in unseren Tagen noch einmal offenbart hat, da ist Sy-
meon, der byzantinische Freund und Sänger Gottes, und da Ger-
lach Peters, sein niederländischer Bruder, jung und sterbensfroh
und meinem Herzen weit näher als der Admirabilis; und da, neben
ihnen, ist diese Hirtin, Alpais (die mir fast schon zu klug redet),
da ist diese wilde Bauernmagd, Armelle, da sind die Camisarden,
die mir richtig beichten, von Sünde und Erlösung, da sind diese
einfältigen verliebten Nonnen, da sind diese ungelenken Bürgers-
leute, die ihre Wundermär herstammeln, Hans Engelbrecht und
Hemme Hayen. Da sind sie beieinander, miteinander, in der Ge-
meinschaft deren, die von jenem Abgrund zu erzählen wagten,
ich lebe mit ihnen, ich höre ihre Stimmen, ihre Stimme: die
Stimme des Menschen.
Man wird verstehen, warum ich, nur das Eine suchend, von dem
Vielen, sehr Vielen, das ich in den Jahren des Suchens zusammen-
brachte, nur dieses Wenige hier aufgenommen habe. Warum ich
nicht aufgenommen habe:
VI
alle nichtsubjektiv gehaltene Rede über die Ekstase (ich habe aber
aus einzelnem scheinbar Unpersönlichen das Persönlichste heraus-
zulösen versucht, und überdies in einem Anhang einige bedeutende
Dokumente nichtsubjektiver Äusserung aus Völkern und Kreisen,
die im Hauptteile nicht berücksichtigt werden konnten, zusammen
mit einem Stück aus dem „Traktat von Schwester Katrei", den ich
in diesem Buche nicht missen wollte, beigefügt); so fehlen hier
Philon und Proklos, Kabasilas und die Viktoriner, Ruysbroek und
Johannes vom Kreuze ;
alle Beschreibungen von Visionen nichtsubjektiven Charakters,
das ist in denen nicht ein wesenhaftes Wirken oder Leiden des
Schauenden selber sich darstellt (mit Ausnahme einer Vision der
Birgitta, die ganz subjektiv erscheint, obwohl sie selbst fast unbe-
teiligt ist); darum sind auch so merkwürdige Menschen wie Joa-
chim von Floris, Marguerite d'Oyngt, Zuster Hadewyck unberück-
sichtigt geblieben, insbesondere auch jene Topographen derVision
von Swedenborgs Art, dessen ungeheure spirituale Diarien mir
nur eine ungeheure Verwunderung geschenkt haben;
alles in scholastischer oder rhetorischer, das ist in mittelbarer
Weise Gesagte ;
alle autobiographischen Mitteilungen über Ekstasen als Gegen-
stand der Kuriosität und der Analyse (Cardano scheint mir hier
der Eigentümlichste zu sein);
alles Dichterische, das sich als eine Unterwerfung des Erlebnisses
unter den Rhythmus, das ist als ein Ersetzen des Hervorbrechenden
und Hinstürmenden durch ein gebundenes Auf- und Niederwogen
erweist (auch Jacopone, mir einer der Liebsten, muss ich hierher
zählen, wogegen ich Attär, Rumi, Symeon, Mechthild von Magde-
burg, Seuse glaubte aufnehmen zu dürfen; eine Scheidung, die
ich nicht durch die Formulierung eines Kriteriums, sondern nur
durch die Aufforderung zur Prüfung vertreten kann und die mir
für Jacopone nicht leicht geworden ist);
alle Psychologisierung des Erlebnisses, das ist jene Art des Be-
richtes, die das Erlebnis wie einen Vorgang des Kausalzusammen-
hanges beschreibt, es objektiviert, nicht aus seiner fortwirkenden
Gewalt, sondern aus einem Rekapitulieren, einem Darüberdenken
VII
redet, gleichsam nicht das Nachbild, sondern das Erinnerungsbild
betrachtet; verwandt damit ist die klassifizierende Darstellung der
berühmten Teresa, von der ich nur das Subjektivste und auch das
nicht ohne Widerstreben aufgenommen habe.
Anderseits ist weggeblieben alles Fragmentarische, das nicht zur
Gestalt der Aussprache einer Persönlichkeit gediehen ist; hievon
habe ich namentlich die indischen und gnostischen Stücke, sowie
ein reiches Material aus slavischen Sekten nur ungern unberück-
sichtigt gelassen (wie ich überhaupt von dem Vielen, das ich aus
neueren Sekten gesammelt habe, nur die eine Camisarden- Kon-
fession als repräsentativ gebracht habe; aus den älteren schien mir
nur Einiges aus dem urchristlichen Ketzertum zu wesenhaft, um
fehlen zu dürfen).
Wenn ich aber überall das Unmittelbare suchte, so habe ich doch
die Unmittelbarkeit der Überlieferung nicht zum Grundsatz für
die Aufnahme gemacht. Ich habe Konfessionen einbezogen, die
nicht von dem Mitteilenden selbst, sondern von Menschen seiner
Umgebung niedergeschrieben worden sind (die Worte Rämakrish-
nas und Anderer, insbesondere viele Dokumente der Klosterek-
stase sind von dieser Art), zuweilen von solchen, die irgendwie an
seinem Erlebnisse teilnahmen, so jenes seltsame Zeugnis einer
Ekstase zu Zweien, das von dem Beichtvater der Katharina von
Siena herrührt; einzelnes Anonyme, das der Untersuchung wider-
stand (der Sang von Blossheit und jene Vision des unbekannten
,, Edelknaben") ; ja auch manches offenbar Legendäre, in dem Worte
des Ekstatikers weiterlebten, durch die Treue, die Generationen
von Gläubigen dem Worte halten, unverkennbar bewahrt (so die
ersten Sufis, Aegidius von Assisi).
Vollständigkeit irgend einer Art habe ich nicht angestrebt. Jeder
Grundtypus schien mir durch wenige bedeutende Stücke hinrei-
chend vertreten. Nur ein Gebiet habe ich mehr berücksichtigt,
als es das Gleichmass des Buches verlangte: die Klosterekstase.
Das habe ich getan, weil mir hier in der äusseren Gleichförmigkeit
einer Institution, ja in der einer Regel ein wunderbar mannig-
faltiges Leben entgegentrat, weil es sich mir hier am Klarsten
zeigte, wie das innerlichste Erlebnis des Menschen zugleich das
VIII
allgemeinste und das persönlichste ist, das, an dem er sich zugleich
ganz als die Kreatur und ganz als ein unwiederholbar Einziges be-
kundet. Wie etwa in vier Jahrhunderten vier italienische Frauen
einander folgen: in der Zeit Duccios und der letzten Byzantiner
die kontemplative, gestaltfremde Angela, in der Zeit Giottos die
mit ihrem ganzen Körper inbrünstigeSienesin, in derZeitder Hoch-
renaissance die ruhevolle, klare, selbstgewisse Caterina Fiesca
von Genua, in der Zeit des Barocks die alle Schranken überstür-
mende Maddalena. Oder im ganz engen Raum und in einer kurzen
Zeitspanne: wie in dem Kloster Töss bei Winterthur, wahrschein-
lich nebeneinander, zwei sind, die Sofia von Klingnau, die nur sich,
und die Jützi Schultheiss, die nur die Welt erleben kann, aber die
erste nicht etwa Einzelnes von sich, sondern in allem ihr ganzes
Ich, und die zweite nicht etwa irgendwelche Dinge, sondern in
allen die ganze Welt: wie beide eigentlich dasselbe erleben und wie
verschieden. Noch Manches dieser Art wird man in den Doku-
menten der Klosterekstase finden können.
Schlimmer erscheint mir eine andere Ungleichmässigkeit : dass ich
aus dem Orient viel weniger bringe als aus dem abendländischen
Christentum. Das liegt ja zunächst daran, dass mir die meisten
orientalischen Sprachen unzugänglich und dass z. B. von den per-
sischen Texten nur sehr wenige in eine europäische Sprache über-
tragen sind. Aber da ist noch etwas Anderes : es scheint mir, dass
das asiatischeSchrifttum verhältnismässig wenige eigentliche Kon-
fessionen enthält. Die Ekstase ist im Orient eine weit häufigere,
gewöhnlichere, sozusagen normalere Erscheinung als in Europa;
ihre Äusserung geht daher, anstatt in ein besonderes Bekenntnis,
irgendwie in die Werke des Tages ein, in einen Liebesvers oder in
ein Tongefäss; man kann sie von persischen Zweizeilern, von
chinesischen Vasen ablesen. Nur selten schafft sich das Erlebnis
eine eigene Strasse. Dazu kommt, dass der Orientale nicht wie
der Europäer das Erlebnis als das seine in emporgehobenen Hän-
den vor seinen Blick hält; er fühlt: dieses wird erlebt.
Dies mag zur Erklärung dessen, was in diesem Buche steht, und
dessen, was darin fehlt, genügen. Ich muss noch einiges über die
IX
Art bemerken, wie ich die Texte behandelt habe. Dass ich Aus-
züge bringen, unwesenthche Stellen weglassen musste (sie sind
stets durch Punkte bezeichnet), ist in der Intention des Buches
begründet. Die lyrischen Stücke habe ich in Prosa übertragen,
da nur in dieser jene Art von Treue, die ich brauchte, möglich war.
Vorhandene deutsche Übertragungen habe ich nur in zwei Fällen
benützt, wo ich mir das Original nicht verschaffen konnte, sowie
in einem, wo ich einen persischen Text in keiner anderen Übertrag-
ung vorfand, und in einem, wo für einen indischen Text eine klassi-
sche deutsche Übertragung (die Paul Deussens) vorlag. Die Aus-
gaben und Übertragungen, die ich benützt habe, sind am Schlüsse
genannt.
Biographien der Menschen, von denen die Konfessionen stammen,
habe ich nicht beigefügt. Ihre Lebensumstände haben mit dem,
was hier von ihnen gegeben wird, nichts zu tun. Nur Zeit und
Sphäre habe ich angegeben, um die Einstellung der oft wenig be-
kannten Personen in den Weg der Menschheit zu erleichtern. Wo
Weiteres immerhin erwünscht sein könnte, wird man einen knap-
pen Literaturhinweis in den bibliographischen Notizen finden, so-
weit er nicht schon durch die Nennung von Ausgaben oder Über-
tragungen, die auch Nachricht über die Lebensumstände bringen,
hinreichend gegeben war.
MARTIN BUBER
EKSTASE UND BEKENNTNIS
UNSER menschliches Lebensgetriebe, das alles ein-
lässt, das ganze Licht und die ganze Musik, alle Toll-
heiten des Gedankens und alle Varianten desSchmerzes,
die Fülle des Gedächtnisses und die Fülle der Erwartung,
ist nur einem verschlossen: der Einheit. In jedem Blick
blinzeln heimlich tausend Blicke mit, die sich ihm nicht
verschwistern wollen, jedes schöne reine Staunen wird
von tausend Erinnerungen verwirrt, und noch in das
stillste Leid zischeln tausend Fragen. Das Getriebe ist
üppig und karg, es häuft und versagt das Umfangen, es
baut einen Wirbel von Gegenständen und einen Wirbel
von Gefühlen, Wirbelwand zu Wirbelwand, dass es ge-
geneinander und übereinander fliegt, und lässt uns hin-
durchgehen, diesenunsern Weg lang, ohne Einheit. Das
Getriebe lässt mich die Dinge haben und die Ideen dazu,
nur nicht die Einheit: Welt oder Ich, gleichviel. Ich, die
Welt, wir — nein,ichWelt bin das Entrückte, das nicht
zu Fassende, nicht zu Erlebende. Ich gebe dem Bündel
einen Namen und sage Welt zu ihm, aber der Name ist
keine Einheit, die erlebt wird. Ich gebe dem Bündel ein
Subjekt und sage Ich zu ihm, aber das Subjekt ist keine
Einheit, die erlebt wird. Name und Subjekt sind des Ge-
triebes, und mein ist die Hand, die sich ausstreckt — ins
Leere.
Aber das istder Gottessinn des Menschenlebens, dass das
Getriebe eben doch nur das Aussen ist zu einem unbe-
kannten und allerlebendigsten Innen und dass dieses In-
nen sich nur der Erkenntnis, die eineTochter desGetrie-
bes ist,nichtaberder schwingenden und sich befreienden
XI
Seele zumErlebnis versagen kann. DieSeele,die sich ganz
gespannt hat, das Getriebe zu sprengen und ihm zu ent-
rinnen, diese ist es, die die Gnade derEinheit empfängt.
Sie mag einem liebenMenschenbegegnenoderderLand-
schafteineswildenSteinhaufens, — an diesem Menschen,
an diesem Steinhaufen entzündet sich die Gnade, und
die Seele erlebt nicht mehr ein Einzelnes, um dastausend
andere Einzelne schwirren, nicht den Druck einer Hand
oder den Blick der Felsen, sondern sie erlebt die Einheit,
die Welt : sich selber. Alle ihre Kräfte spielen, alle Kräfte
geeint und als Eines gefühlt, und mitten unter den Kräf-
ten lebt und strahlt der geliebte Mensch, der geschaute
Stein : sie erlebt die Einheit des Ich, und in ihr die Einheit
von Ich und Welt; nicht mehr einen Inhalt, sondern das,
was unendlich mehr ist als aller Inhalt.
Und doch ist auch dies der Seele noch nicht eine ganze
Freiheit. Sie hat es nicht aus sich, sondern von dem An-
dern empfangen, und das Andere ist in der Hand des Ge-
triebes. So kann irgend ein Vorgang des Getriebes — ein
Gedanke, derdasGesicht des Geliebten, eine Wolke, die
das Gesicht des Felsens verwandelt — Macht über sie ge-
winnen und ihre Einheit verderben, dass sie wieder ver-
lassen und geknechtet steht im Wirbel der Gefühle und
der Gegenstände. Und auch in dem reinen Augenblick
selbst kann es erscheinen wie einZerreissen, wie einHer-
vorschauen, und statt der Einheitsind zwei Welten, und
der Abgrund, und dieschwankste allerBrücken darüber;
oder das Chaos, das Gewimmel der Finsternis, das keine
Einheit kennt.
Allein es gibt ein Erlebnis, das aus der Seele selber in ihr
wächst, ohne Berührung und ohne Hemmung, innack-
XII
ter Eigenheit. Es wird und vollendet sich jenseits des Ge-
triebes, vom Andern frei, dem Andern unzugänglich. Es
braucht keine Nahrung und kein Gift kann es erreichen.
Die Seele, die in ihm steht, steht in sich selber, hat sich
selber, erlebt sich selber — schrankenlos. Nicht mehr
weil sie sich ganz an ein Ding der Welt hingegeben, sich
ganz in einem Ding der Welt gesammelt hat, erlebt sie
sich als die Einheit, sondern weil sie sich ganz in sich ein-
gesenkt hat, ganz auf ihren Grund getaucht ist. Kern und
Schale, Sonne und Auge, Zecher und Trank zugleich.
Dieses allerinnerlichste Erlebnis ist es, das die Griechen
Ekstasis, das ist Hinaustreten, nannten.
Wenn wirklich die Religion, wie man sagt, sich »ent-
wickelt« hat, so kann man als ein wesentliches Stadium
dieses Vorganges die Wandlung ansehen, die sich in der
Auffassung Gottes vollzogen hat. Zuerst scheint der
Mensch mit dem Namen Gottes vornehmlich das er-
klärt zu haben, was er an der Welt nicht verstand, dann
aber immer öfter das, was der Mensch an sich nicht ver-
stand. So wurde die Ekstase — das, was der Mensch an
sich am wenigsten verstehen konnte — zu Gottes höch-
ster Gabe.
Jenes Phänomen, das man nach einem optischen Begriff
als Projektion bezeichnen kann, das Hinausstellen eines
Innerlichen, zeigt sich in seiner reinsten Gestalt an der
Ekstase, die, weil sie das Innerlichste ist, am weitesten
hinausgestellt wird. Der Gläubige des christlichen Zeit-
alters kann sie nur an den Polen seines Kosmos lokalisie-
ren : er muss sie Gott zuschreiben oder dem Teufel. Noch
Jeanne de Cambray schreibt an ihren Beichtvater: »Ich
II Buber, Konfessionen
XIII
bin genötigt, Euch die innere Not bekannt zu machen,
worin ich mich seit Euerm letzten Zuspruch befunden
habe, da Ihr mich noch immer im Zweifel lasset, ob es
Gott oder der Teufel sei, der mich regiert. Ist es der Teu-
fel, so ist all mein Gebet,worin ich mich nunmehr sieben-
unddreissig Jahre geübt habe, nichts nutze. « Aber nicht
bloss jene Zeiten, die das Leben zwischen Göttliches und
Teuflisches aufteilten, weil sie die Macht und Weite des
Menschlichen nicht kannten, haben die Innerlichkeit der
Ekstase nicht erfasst: es gibt fast keinen Ekstatiker, der
nicht sein Icherleben alsGotterleben gedeutet hätte (und
wie sehr man Gott auch zu verinnerlichen suchte, ganz
ins Ich als dessen Einheit hatihn kaumeinergenommen).
Das scheint mir im Wesen des Erlebnisses begründet zu
sein.
Im Erleben der Ekstase selbst weist noch nichts nach
Innen oder Aussen. Der die Einheit von Ich und Welt er-
lebt, weiss nichts von Ich und Welt. Denn — so heisst es
in denUpanischaden — so wie einer,von einem geliebten
Weibe umschlungen, kein Bewusstseinhatvondem,was
aussen oder innen ist, so auch hat der Geist, von dem Ur-
selbst umschlungen, kein Bewusstsein von dem, was
aussen oder innen ist. Aber der Mensch kann nicht um-
hin, auch noch das Subjektivste, Freiste, nachdem es ge-
lebt worden ist, in die Kette des Getriebes einzustellen
und dem, was zeit- und fessellos wie die Ewigkeit durch
die Seele fuhr, eine kleine Vergangenheit, die Ursache,
undeinekleineZukunft,dieWirkung,anzuschmieden.Je
eigener und gelöster aber das Erlebnisist, um so schwerer
muss es sein, es in den Kreis des Andern, Gebundenen
einzustellen, um so natürlicher und unwiderlegbarer, es
XIV
einem zuzuschreiben, der über der Welt und ausser aller
Bindung ist. Der Mensch, der in den Funktionen seiner
Körperhaftigkeit und Unfreiheit einherstapft Tag um
Tag,empfängtin derEkstase eineOffenbarungseinerFrei-
heit. Er, der nur differenziertes Erleben kennt — Erleben
eines Sinnes, des Denkens, des Willens, miteinanderver-
knüpft, aber doch geschieden und in dieserScheidung be-
wusst — , erfährt ein undifferenziertesErleben : das Erle-
ben des Ich. Überihn, der immer nur Einzelnes von sich
empfindet und weiss. Begrenztes, Bedingtes, gerät das
Wetter einerGewalt, eines Überschwangs, einer Unend-
lichkeit, in der auch seine ursprünglichste Sicherheit, die
Schranke zwischen ihm und dem Andern, untergegangen
ist. Er kann dieses Erlebnis nicht dem allgemeinen Ge-
schehen aufladen ; er wagt nicht, es aufsein armes Ich zu
legen,von dem er nicht ahnt, dassesdasWeltich trägt; so
hängt er es an Gott. Undwaservon Gott meint, fühltund
träumt, geht wieder in seine Ekstasen ein, schüttet sich
in einem Schauer von Bildern und Klängen über sie aus
und schafft um das Erlebnis der Einheit ein vielgestal-
tiges Mysterium.
Die elementare Vorstellung darin ist die einer — mehr
oder minder körperhaft gedachten — Vereinigung mit
Gott. Ekstasis ist ursprünglich: Eingehen in den Gott*,
Enthusiasmos : Erfülltsein vom Gotte. Essen des Gottes,
Einatmen des göttlichen Feuerhauchs, Liebeseinungmit
dem Gott(diese Grundform ist allerspäteren Mystik eigen
*Zu den bei Dieterich, Eine Mithrasliturgie (dieses Buch, das ein Vermächt-
nis ist, darf hier nicht unerwähnt bleiben), angeführten Belegen für die Auf-
fassung Gottes als des pneumatischen Elements, in dem der Gläubige steht,
sollte vielleicht noch der spätjüdische Gottesname Makom, das ist Ort, heran-
gezogen werden, der wie die letzte Spur eines urzeitlichen Bildes erscheint.
XV
geblieben), Neugezeugtwerden,Wiedergeburt durch den
Gott, Auffahrt der Seele zum Gotte, in den Gott, sind Ge-
stalten dieser Vorstellung. Paulus weiss nicht, ob seine
Seele in dem Leibe oder ausser dem Leibe war, und Haj
Gaon weist eineMeinung derMengezurück,wenn er von
dem Adepten, der die zehn Stufen überwunden hat, sagt :
»Dann öffnet sich der Himmel vor ihm, — nicht dasserin
ihn aufstiege, sondern es geschieht etwas in seinem Her-
zen, wodurch erin das Schauen der göttlichen Dinge ein-
tritt. « Und wie weit auch der Weg ist, der von diesem zu
den Piatonikern, zu den Sufis, zu den deutschen Gottes-
freunden führt, auch bei ihnen lebt immer nochder Gott,
mit dem die Ekstase vereinigt. NurinindischenUrworten
— und vielleicht hernach noch von Einzelnen in seltener
Rede — wird das Ich verkündigt, das eines mit dem All
und die Einheit ist.
Von allen Erlebnissen, von denen man, um ihre Unver-
gleichbarkeit zu kennzeichnen, sagt, sie könnten nicht
mitgeteilt werden, ist die Ekstase allein ihrem Wesen
nach das Unaussprechliche. Sie ist es, weil der Mensch,
der sie erlebt, eine Einheit geworden ist, in die keineZwei-
heit mehr hineinreicht.
Das, was in der Ekstase erlebt wird (wenn wirklich von
einem Was geredet werden darf), ist die Einheit des Ich.
Aber um als Einheit erlebt zu werden, muss das Ich eine
Einheit geworden sein. Nur der vollkommen Geeinte
kann die Einheitempfangen. Nun isterkein Bündel mehr,
er ist ein Eeuer. Nun sind der Inhalt seinerErfahrung und
dasSubjektseinerErfahrung, nun sind Welt und Ich zu-
sammengeflossen. Nun sind alle Kräfte zusammenge-
XVI
Schwüngen zu einer Gewalt, nun sind alle Funken zu-
sammengelodert zu einer Flamme. Nun ist er dem Ge-
triebe entrückt, entrückt ins stillste, sprachloseste Him-
melreich,— entrückt auch der Sprache, diedasGetriebe
sich einst in der Mühsal schuf zu seiner Botenmagd und
die,seitdem sie lebt,ewignach dem Einen, Unmöglichen
verlangt: ihren Fuss zu setzenaufdenNacken desGetrie-
bes und ganz Gedicht zu werden — Wahrheit, Reinheit,
Gedicht.
» Nun spricht « — so heisst es bei Meister Eckhart — » die
Brautim Hohenliede : Ich habe überstiegen alle Berge und
all meine Vermögen, bis an die dunkle Kraft des Vaters.
Da hörte ich ohne Laut, da sah ich ohne Licht, da roch
ich ohne Bewegen, da schmeckte ich das was nicht war,
da spürte ich das was nicht bestand. Dann wurde mein
Herz grundlos, meine Seele lieblos, mein Geist formlos
und meine Natur wesenlos. Nun vernehmet, was sie
meint! Dass sie spricht, sie habe überstiegen alle Berge,
damit meint sie ein Überschreiten aller Rede, die sie ir-
gend üben kann aus ihrenVermögen, — bis an die dunkle
Kraft des Vaters, wo alle Rede endet. «
So ganz über die Vielheitdes Ich, über das Spiel der Sinne
und des Denkens gehoben, ist der Ekstatiker auch von
derSprache geschieden, die ihm nicht folgen kann. Sie ist
als eine Speicherungvon Zeichen für die Affektionen und
Nöte des Menschenleibes entstanden ; sie ist gewachsen,
indem sie Zeichen bildete für die empfindbaren Dinge in
Nähe und Ferne des Menschenleibes; sie ist der werden-
den Menschenseelenachgegangen auf immer heimliche-
ren Wegen und hat Namen geformt, gelötet, ziseliert für
die trotzigsten Künste und für die wildesten Mysterien
XVII
der Tausendfältigen; sie hat den Olymp des Menschen-
geistes erstürmt, nein, sie hat den Olymp des Menschen-
geistes gemacht, indem sie Bildwort auf Bildworttürmte,
bis auch noch die höchste Aufgipfelung des Gedankens
imWorte stand ; und solches tut sie und wird sie tun ; aber
sie kann immer nur von Einem empfangen, Einem Genü-
ge tun: der zeichenzeugenden Vielheit des Ich. Niemals
wird sie in das Reich der Ekstase eingehen, welches das
Reich der Einheit ist.
Sprache ist Erkenntnis: Erkenntnis der Nähe oder der
Ferne, der Empfindung oder der Idee, und Erkenntnis ist
das Werk des Getriebes, in ihren grössten Wundern ein
gigantisches Koordinatensystem des Geistes. 'Aber das
Erleben der Ekstase ist kein Erkennen.
Das ist der Sinn dessen, was wir in dem Buche des Hiero-
theos (des Syrers Stefan bar Sudaili.^) lesen — desselben
Hierotheos, soweit wir urteilen dürfen, von dem es in
den areopagitischen Schriften heisst, er habe das Gött-
liche nicht bloss erfahren, sondern auch Qr\\tten,ovfiovop
» Mir scheint es recht, ohne Worte zu sagen und ohne Er-
kenntnis zu verstehen das, was über Worten und Er-
kenntnisist: dieses meine ich nichts anderes zu sein als
das geheime Schweigen und die mystische Ruhe, die das
Bewusstsein vernichtet und die Formen auflöst. Suche
denn, im Schweigen und im Geheimnis, jene vollkom-
mene und ursprüngliche Vereinigung mit dem wesen-
haften Urgut. «
Aber nicht bloss seiner früheren Vielheit gegenüber ist,
der die Ekstase erlebt, eine Einheit geworden. Seine Ein-
heit ist nicht relativ, nicht vom Anderen begrenzt, sie ist
XVIII
grenzenlos, denn sie Ist die Einheit von Ich und Welt.
Seine Einheit ist Einsamkeit, die absolute Einsamkeit:
die Einsamkeit dessen, der ohne Grenzen ist. Er hat das
Andere, die Anderen mit in sich, in seiner Einheit: als
Welt; aber er hat ausser sich keine Anderen mehr, er
hat keine Gemeinschaft mehr mit ihnen, keine Gemein-
samkeit. Die Sprache aber ist eineFunktion der Gemein-
schaft und sie kann nichts als Gemeinsamkeit sagen.
Auch das Persönlichste muss sie irgendwie in dasgemein-
same Erlebnis der Menschen überführen, irgendwie aus
diesem zurechtmischen, um es auszusprechen. Die Ek-
stase steht jenseits des gemeinsamen Erlebnisses. Sie ist
die Einheit, sie ist die Einsamkeit, sie ist die Einzigkeit:
die nicht überführtwerden kann. Sie istder Abgrund, den
kein Senkblei misst: das Unsagbare.
In jener Stelle des grossen Pariser Zauberbuches, die den
Apathanatismos, die Weisung an den Mysten zur höch-
sten Weihe, der Neugeburt zur Unsterblichkeit, enthält,
wird ihm gesagt : » . . . Sehen wirst du aber, wie die Götter
dich anblicken und gegen dich heranstürmen. Du aber
lege sogleich den Zeigefinger auf den Mund und sprich:
Schweigen, Schweigen, Schweigen — Symbolon des le-
bendigen, unvergänglichen Gottes — beschütze mich,
Schweigen! . . .WenndunundieobereWeltreinundein-
sam erschaust und keinen der Götter oder Engel heran-
stürmen, bereite dich zu hören Krachen gewaltigen Don-
ners, dass du erschüttert wirst. Du abersprich wiederum:
Schweigen. Gebet: Ich bin ein Stern, der mit euch die
Bahn wandelt und aufleuchtet aus der Tiefe. <^
Das Schweigen ist unser schützendes Symbolon gegen
XIX
die Götter und Engel des Getriebes: unsere Hut wider
seine Irrgänge, unsere Reinigung wider seine Unreinheit.
Wir schweigen das Erlebnis, und es ist ein Stern, der die
Bahn wandelt. Wir reden es, und es ist hingeworfen un-
ter die Tritte des Marktes. Wir sind dem Herrn stille, da
macht er Wohnung bei uns; wir sagen Herr, Herr, da ha-
ben wir ihn verloren. Aber so gerade ist es mit uns: wir
müssen reden. Und unsere Rede wölbt einen Him-
mel überuns, überuns und die Andern einen Himmel:
Dichtung, Liebe, Zukunft. Aber eines ist nicht unter die-
sem Himmel; das Eine, das not tut.
DasBewusstsein stellte die Ekstase hinaus in der Projek-
tion; der Wille stellt sie zum andern Mal hinaus in dem
Versuch, das Unsagbare zu sagen. Auch das innerlichste
Erlebnis bleibtvordemTriebezurVeräusserung nichtbe-
wahrt. Ich glaube an die Ekstasen, die nie ein Laut be-
rührte, wie an ein unsichtbares Heiligtum der Mensch-
heit; die Dokumente derer, die in Worten mündeten, lie-
genvormir. Hier sind Menschen, die ihre Einsamkeit,die
höchste, die absolute, nicht ertrugen, die aus dem Unend-
lichen, das sie erlebt hatten, mitten ins Endliche stiegen,
aus der Einheit mitten indiewimmelnde Vielheit. Sobald
sie sprachen, sobald sie — wie es der Rede Vorspiel zu
sein pflegt — zu sich sprachen, waren sie schon an der
Kette, in den Grenzen; der Unbegrenzte spricht auch
nichtzusich,insich,weilauchinihmkeineGrenzensind:
keine Vielheit, keine Zweiheit, kein Du im Ich mehr. So-
bald sie reden, sind sie schon derSprache verfallen, die al-
lem gewachsen ist, nurnichtdemGrunddesErlebens,der
Einheit. Sobald sie sagen, sagen sie schon d as An d ere.
Es gibt freilich ein allerstillstes Sprechen, das nur Dasein
XX
mitteilen, nicht beschreiben will. Es ist so hoch und still,
als sei es garnicht in der Sprache, sondern wie ein Heben
der Lider im Schweigen. Es übt keine Untreue, denn es
sagt nur aus, dass etwas ist.
Dieser kundige Rednerund Kirchenmann, Bernhard von
Clairvaux,hälteinmal plötzlich mitten in der Predigt inne
und sagtdann leise, nicht prahlend undauchnichtdemü-
tig, es ist kein Kunstgriff, sondern die Erinnerung hat ihn
überkommen und die Rede zerbrach in seinem Munde:
Fateor et mihi adventasse verbum: Ich bekenne, dass
auch mir das Wort genaht ist. Sodann spricht er weiter,
etwas lauter wohl, aber doch die wieder Einlass verlan-
gende Kunst mit schlichter Seele bezwingend: wie er
fühlte, dass es da war, wie er sich entsinnt, dass es da ge-
wesen ist, wie er geahnt hatte, dass es kommen würde,
und wie er doch Kommen und Gehen nicht empfand.
Wie es durch keinen Sinn eintreten konnte, das Unsinn-
liche, wie es nicht aus ihm selbst stammen konnte, das
Vollkommene. »Wenn ich hinausschaute, fand ich es
jenseits alles meines Aussen; wenn ich hineinsah, war es
meinem Innersten innerlicher. Und ich erkannte, dass es
wahr ist, was ich gelesen hatte : dass wir in ihm leben, uns
bewegen und sind; aber der ist glückselig, in dem es ist,
dervon ihm lebt,derdurch es bewegt wird. « — Ich glaube
ihm sein Bekennen. Ich fühle, dass er einst, als er noch
nicht wie heute reden konnte. Stunden hatte, da auch er
das Göttliche erlitt. Und all die schamlose Zierlichkeit
seines Redens ist mir dadurch erkauft, dass er so von sei-
nerStunde berichtet, dass er dasWort nicht denWorten
zum Prasse hinwirft, sondern für das Wort mit seinem
Schweigen zeugt wie ein Märtyrer mit seinem Blute.
XXI
Von diesem Sprechen führen viele Stufen zu jenem Er-
zählen von Gott und seinen Gaben, das nicht erschrickt
und nicht umkehrt, sondern sagt und sagt. Es ist nicht
weniger redlich, seine Sprache klingt nirgends gesprun-
gen, wir wissen, dass es nicht lügt, sondern Gemeintes
bekennt. Aber die Stille fehlt ihm, und wo keine Stille ist,
da ist die Stimme der Notwendigkeit wie eine Stimme
der Willkür zu hören.
Schon dasPhänomenderProjektion selbst — dass einer,
der sein Ich erlebt hat, sich und Andern verkündet, er ha-
beGott erlebt — muss Manchem als Willkür erscheinen:
dem Gottlosen als die Willkür eines überflüssigen Theis-
mus (oder unreinen Pantheismus), dem Frommen als die
Willkür der Überhebung und Blasphemie. »Und wenn
sie « , sagt Jeremy Taylor, der ein viel zu feiner Geist war,
um sich zu empören, statt zu verstehen, » Entzückungen
leiden über die Lasten und dieStütze der Vernunft hinaus,
leiden sie, sie wissen nicht was, und nennen es, wie es ihnen
beliebt (they suffer they know not what, and call it what
they please). « Und dochist da in WahrheitkeineWillkür,
sondern Not und Notwendigkeit.
Willkürlicher noch muss der Inhalt der Konfession des
Ekstatikerserscheinen,vorallendem,dernichtandereig-
nen Seele die Tragödie erfahren hat, die aus dem Zusam-
mentreffen des Triebes nach Veräusserung des Inner-
lichsten und Persönlichsten mit der gegebenen Men-
schensprache entsteht: den Kampf des Irrationalen mit
dem Rationalen, der ohne Sieg und Niederlage endet, in
einem beschriebenen Blatt Papier, das dem sehenden
Auge das Siegel eines grossen Leidens zeigt.
Bossuet, ein Geist weit geringerer Ordnung als Taylor
XXII
und ein Liebhaber der Logik (solange das Dogma durch
sie nichtgekränkt wird), will die Ekstatiker mit dem Witz
der Aufdeckung eines Widerspruchs vernichten. Sie sa-
gen, so ruft er aus, die Betrachtung schliesse nicht allein
alle Bilder im Gedächtnis und alle Spuren im Gehirn aus,
sondern auch jede Idee und jede geistige Erscheinung;
und während sie das sagen, sind sie gezwungen es nieder-
zureissen, nicht allein hinsichtlich der geistigen Erschei-
nungen und Ideen, sondern auch hinsichtlich der körper-
haften Bilder selber, da ja die Bücher, in denen sie sie aus-
schliessen, davon erfüllt sind.
In der Tat, ein Widerspruch ist aufgedeckt. Aber was
kann er für die Beurteilung von Menschen bedeuten, die
ihr Leben in der Pein eines Ungeheuern Widerspruchs
verbringen: des Widerspruchs zwischen dem Erlebnis
und dem Getriebe, aus dem sie emporstiegen und in das
sie wieder hinabstürzen Mal für Mal.?^ Das ist der Wider-
spruch zwischen derEkstase,die nicht in das Gedächtnis
eingeht, und dem Verlangen, sie für das Gedächtnis zu
retten, im Bild, in der Rede, in der Konfession.
Ja, es ist wahr : der Ekstatiker kann das Unsagbare nicht
sagen. Er sagt das Andere, Bilder, Träume, Gesichte; die
Einheit nicht. Er redet, er muss reden, weil das Wort in
ihmbrennt.DernichtzudenMenschenredete,hatzusich
geredet; er war heiliger, weil er nach aussen einsam blieb,
aber vielleicht blieb er einsam, weil es ihn nicht so schlug
und stiess, Botschaft zu den Andernzu tragen, dieunmög-
liche Botschaft .r*
Er lügt nicht, der in Bildern, Träumen, Gesichten von
der Einheit redet, von der Einheit stammelt. Gestalten
und Klänge, die, aus seinem Gottgefühl geboren, um das
XXIII
Urerlebniskreisten,sind in seinem Gedächtnis geblieben:
rings um den treibenden Brand, der allein als Spur des
Erlebnisses selber in ihm lebt ; vielleicht mischen sich, aus
dunklen Sphären seiner Seele tauchend, andere Gestal-
ten und Klänge darein, von denen er nicht weiss, woher
sie kommen, und nach denen ergreift, um sich selber zu
verstehen. Denn er versteht sich nicht; und doch ist in
ihm das Verlangen erwacht, das in der Ekstase erloschen
war : sich zu verstehen. Er sagt dieGestalten und Klänge,
und merkt, dass er nicht das Erlebnis sagt, nicht den
Grund, nicht die Einheit, und möchte innehalten und
kann nicht, und fühlt die Unsagbarkeit wie ein Tor mit
sieben Schlössern, an dem er rüttelt, und weiss, dass es
nie aufgehen wird, und darf nicht ablassen. Denn das
Wort brennt in ihm. Die Ekstase ist gestorben, hinter-
rücks ermordet von derZeit, die nicht will, dassman ihrer
spotte; aber sterbend hat sie das Wort in ihn geworfen,
und das Wort brennt in ihm. Und er redet, redet, er kann
nicht schweigen, es treibt ihn die Flamme im Worte, er
weiss, dass er es nicht sagen kann, und versucht es doch
immer und immer, bis seineSeele erschöpft istzumTode
und das Wort ihn verlässt. Dies ist die exaltatio dessen,
der in das Getriebe zurückgekehrt ist und sich mit ihm
nicht abfinden kann; dies ist seine Erhebung, die Erheb-
ung eines Redenden: der Erhebung des Dichters ver-
wandt, geringer als sie im Besitz, gewaltiger im Dasein.
Dies ist die Spannung zum Sagen des Unsagbaren, eine
Arbeit am Unmöglichen, eine Schöpfung im Dunkel. Ihr
Werk, die Konfession, trägt ihr Zeichen.
Und doch ist das Sagenwollen desEkstatikers nicht bloss
XXIV
Ohnmacht und Stammeln : auch Macht und Melodie. Er
will der spurlosen Ekstase ein Gedächtnis schaffen, das
Zeitlose in die Zeit hinüberretten, — er will die Einheit
ohne Vielheit zur Einheit aller Vielheit machen. Der Ge-
danke an den grossen Mythos erwacht, der durch dieZei-
ten der Menschheit geht : von der Einheit, diezur Vielheit
wird, weil sie schauen und geschaut werden, erkennen
und erkanntwerden, lieben und geliebtwerdenwill,und,
selberEinheit bleibend, sichalsVielheitumfasst; vondem
Ich, dasein Du zeugt; von dem Urselbst,dassichzurWelt,
von der Gottheit, die sich zum Gotte wandelt. Ist der My-
thos, den Veden und Upanischaden, Midrasch und Kab-
bala, Piaton und Jesus kündeten, nicht das Sinnbild des-
sen, was der Ekstatiker erlebt.? Haben die Meister aller
Zeiten, die ihn schufen und immer wieder neu schufen,
nicht aus ihrem Erlebnis geschöpft ? Denn auch sie haben
die Einheit erfahren ; und auch sie sind aus der Einheit in
die Vielheit gegangen. Aber wie ihre Ekstase nicht das
Hereinbrechen einesUnerhörten war, das dieSeele über-
wältigt, sondern Einsammlung und tiefstes Quellen und
eine Vertrautheit mit dem Grunde, so lag auf ihnen das
Wort nichtwie ein treibender Brand : es lag auf ihnen wie
die Hand eines Vaters. Und so lenkte es sie, das Erlebnis
einzutun — nicht als Ereignis in das Getriebe, nicht als
Bericht in die Kunde der Zeit, sondern es einzutun in die
TatihresLebens, es einzuwirken in ihrWerk,darausneu
zu dichten den uralten Mythos, und es so hinzusetzen
nicht als ein Ding zu den Dingen der Erde, sondern als
einen Stern zu den Sternen des Himmels.
Aber ist der Mythos ein Phantasma.? Ist er nicht eine Of-
fenbarung der letzten Wirklichkeit des Seins.? Ist nicht
XXV
das Erlebnis des Ekstatikers ein Sinnbild des Urerleb-
nisses des Weltgeistes? Ist nicht beides ein Erlebnis?
Wir horchen in uns hinein — und wissen nicht, welches
Meeres Rauschen wir hören.
XXVI
INDIEN: Bäba Läl • Rämakrishna
DIE MYSTIK DES ISLAM; DIE SUFIS UND IHRE NACH-
FOLGE: Räbia • Bäjezid Bestämi • Husain al Hallädsch •
Attär • Rumi • Ein Schüler des Mollä-Shäh
DIE NEOPLATONIKER: Plotinos
GNOSIS UND URCHRISTLICHES KETZERTUM: Valentinos •
Die Montanisten
DAS GRIECHISCHE MÖNCHTUM: Symeon
DAS ZWÖLFTE JAHRHUNDERT: Hildegard • Alpais von
Cudot
DIE FRANZISKANER: Aegidius
DAS DREIZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND:
Mechthild von Magdeburg • Mechthild von Hackeborn • Ger-
trud von Helfta
DAS VIERZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND:
Seuse • Die Ebnerinnen • Adelheid Langmann • Der Sang von
Blossheit
AUS DEUTSCHEN SCHWESTERNBÜCHERN: Adelhausen •
Töss
DAS VIERZEHNTE JAHRHUNDERT IM NORDEN: Birgitta-
Juliana von Norwich
DIE NIEDERLÄNDISCHE MYSTIK: Gerlach Peters
DIE ITALIENISCHEN FRAUEN: Angela von Foligno • Katha-
rina von Siena • Katharina von Genua • Maria Maddalena
de'Pazzi
DIE SPANISCHEN FRAUEN: Teresa • Anna Garcias
DAS SIEBZEHNTE JAHRHUNDERT IN FRANKREICH: Ar-
melle Nicolas • Antoinette Bourignon • Jeanne-Marie Guyon •
Die Camisarden
DAS SIEBZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND
UND DEN NIEDERLANDEN: Böhme • Ein Edelknabe •
Hans Engelbrecht • Anna Vetterin • Hemme Hayen
DAS NEUNZEHNTE JAHRHUNDERT: Katharina Emmerich
XXVII
ANHANG
DAS ALTE INDIEN: Aus dem Mahäbhäratam
DIE CHINESISCHE MYSTIK: Lao-tse und seine Schüler
DIE JÜDISCHE MYSTIK: Die Chassidim
KIRCHLICHE UND UNKIRCHLICHE MYSTIK DES FRÜH-
CHRISTLICHEN ZEITALTERS: Makarios • Die areopagiti-
schen Schriften
AUS DEM TRAKTAT VON SCHWESTER KATREI
XXVIII
AUS DEM GESPRÄCH DES FÜRSTEN DARA SHE-
KOH MIT DEM ASKETEN BÄBA LÄL IN DEN GÄR-
TEN DES DSCHAFFER KHAN SADUH, IM JAHRE
(niedergeschrieben von einem KschatriaundeinemBrah-
manen aus dem Gefolge des Fürsten)
1 ^ER Fürst: Wodurch unterscheiden sich die oberste
J y Seele und die lebende Seele?
Der Asket: Sie unterscheiden sich nicht, und Lust und
Leid, die derlebenden Seele zugeschrieben werden, kom-
men von ihrer Gefangenschaft im Körper. Das Wasser
des Ganges ist das gleiche, ob es im Strombette fliesst, ob
es in eine Kanne geschüttet wird.
Der Fürst: Welchen Unterschied mag dies erzeugen. f^
Der Asket: Einen grossen. Ein Weintropfen, zum Wasser
in der Kannegefügt,wirddemGanzen seinen Geschmack
mitteilen ; im Strome wäre er verloren. Die oberste Seele
ist daher ohne Zufall, aber die lebende ist von Sinn und
Leidenschaft heimgesucht. Wasser offen über ein Feuer
gegossen wird das Feuer löschen ; setze dieses Wasser in
einem Topfe aufs Feuer, und das Feuer wird das Wasser
verdunsten. So ist der Körper das eingrenzende Gefäss,
Leidenschaft das Feuer, und die Seele, das Wasser, ist
weit umher zerstreut. Die eine grosse oberste Seele ist
dieser Eigenschaften unfähig. Glückseligkeit kann dem-
nach nur in derVereinigung mit ihr erlangt werden, wenn
die zerstreuten und gesonderten Teile sich wieder mit
ihr verbinden wiedie Wassertropfen mit demväterlichen
Strom. Daher soll, wiewohl Gott des Dienstes seines
Sklaven nicht bedarf, dieser gedenken, dass er durch den
I Buber, Konfessionen
Körper allein von Gott getrennt Ist, und mag beständig
ausrufen: Gesegnetseider Augenblick, daichdenSchleier
von diesem Angesichthebenwerde. DerSchleier vordem
Angesicht meines Geliebten ist der Staub meines Leibes.
Der Fürst: Welches sind die Gefühle des vollkommenen
Fakirs?
Der Asket: Sie sind nicht beschrieben w^orden, sie sollen
es nicht, wie gesagt ist. Jemand fragte mich, welches die
Empfindungen eines Liebenden seien. Ich antwortete:
» Wenn du ein Liebender bist, wirst du es wissen « .
AUS DEM LEBEN RÄMAKRISHNAS ( 1 8 3 3 — 1 886)
Nach den Aufzeichnungen seines Schülers Vivekänanda
ER begann das Bild der Göttin Kali als seine Mutter
und die Mutter des Alls anzusehen. Er glaubte
daran, es lebe und atme und nehme Speise aus seiner
Hand. Nach den regelmässigen Formen des Dienstes
mochte er da Stunden und Stunden sitzen, Hymnen
singend zu ihr und zu ihr redend und betend wie ein Kind
zu seiner Mutter, bis er alles Bewusstsein der äusseren
Welt verlor. Zuweilen mochte er stundenlang weinen
und wollte sich nicht trösten lassen, weil er seine Mutter
nicht so vollkommen sehen konnte wie er wünschte . . .
Seine ganze Seele zerfloss in eine Tränenflut und er rief
die Göttin an, sie möge sich seiner erbarmen und sich
ihm offenbaren . . . Eine versammelte Menge umgab
ihn und versuchte ihn zu trösten, wenn das Blasen der
Muschelschalen den Tod eines neuen Tages verkün-
dete, er aber gab seinem Gram freien Laufund sprach:
,, Mutter, o meine Mutter, wieder ist ein Tag vergangen,
und ich habe dich noch nicht gefunden . . ."
Als er an einem Tage seine Trennung von der Göttin
sehr heftig fühlte und daran dachte, sich selbst ein Ende
zu machen, da er seine Einsamkeit nicht länger zu tragen
vermochte, verloreralleäussereEmpfindungundschaute
seine Mutter (Kali) in einer Vision. Diese Visionen kamen
wieder und wieder zu ihm, und er wurde ruhiger . . .
Diese Visionen wuchsen immer mehr und seine Ver-
zückungen wurden immer länger, bis jeder sah, dass es
ihm nicht mehr möglich war, seine täglichen Obliegen-
heiten zu verrichten. Es ist zum Beispiel in den Sästras
I*
3
vorgeschrieben, ein Mann solle auf sein eigenes Haupt
eine Blume legen und an sich als an eben den Gott oder
die Göttin denken, der zu dienen er sich anschickt.
Wenn Rämakrishna sich die Blume auflegte und sich als
mit seiner Mutter einsgeworden dachte, wurde er ver-
zückt und blieb stundenlang in diesem Zustand. Dann
wieder pflegte er von Zeit zu Zeit seine Identität völlig zu
verlieren, so sehr, dass er die der Göttin dargebrachten
Gaben sich selber zueignete. Zuweilen vergass er das
Bild zu schmücken und schmückte sich selbst mit den
Blumen . . .
Rämakrishnas brennende Seele konnte bei diesen häufi-
gen Visionen nicht untätig bleiben, sondern sie eiferte be-
gierig, die Vollkommenheit und die Vergegenwärtigung
Gottes in all seinen verschiedenen Erscheinungen zu er-
reichen. Er begann daher zwölf Jahre eines unerhörten
Tapasya, dasistasketischerÜbungen. Als er in seinen spä-
teren Tagen auf diese Jahre der Selbstpeinigung zurück-
blickte, sagte er, ein grosser religiöser Wirbelwind habe
dieseJahre hindurch in ihm gewütetund allesdurcheinan-
der geworfen. Er hatte damalskeineAhnung davon, dass
es so lange dauern sollte. Er hatte während dieser Jahre
nie einen Augenblick gesunden Schlafes, konnte nicht
einmal schlummern, sondern seine Augen blieben stets
offen und starr. Er dachte zuweilen, er sei ernstlich krank,
und einen Spiegel vor sich haltend, legte er seinen Finger
in seine Augenhöhle, um die Lider zu schliessen, aber sie
liessenes nicht zu. In seinerVerzweiflungschrieer:,, Mut-
ter, o meine Mutter, ist dies die Frucht meines Rufens zu
dir und meines Glaubens an dich.r^" Und sogleich kam eine
süsse Stimme, und ein noch süsseres lächelndes Ange-
sieht, und sprach: » Mein Sohn! wie kannst du hoffen, die
höchsteWahrheitzuempfangen,wenndudieLiebezudei-
nemKörperundzudeinemkleinenSelbstnichtaufgibst?«
,Ein Strom geistigen Lichtes*, sagte er später, ,kam da,
überflutete meinen Sinn und zwang mich vorwärts. Ich
pflegte zu meinerMutter zu reden: »Mutter! Ich kann nicht
von diesen herumirrenden Menschen lernen, aber ich will
von dir lernen, und von dir allein« , und dieselbe Stimme
sprach: »Ja, mein Sohn!«' ,Ich sah nicht einmal auf die
Erhaltung meines Körpers. Mein Haar wuchs bis es sich
verwirrte, und ich hatte keine Ahnungdavon. MeinNefTe
Hridaya pflegte mir täglich ein wenig Speise zu bringen,
undanmanchenTagengelangesihm,anmanchenTagen
nicht, einige Bissen in meinen Schlund zu zwingen, wie-
wohl ich davon keine Ahnunghatte. Zuweilen pflegte ich
in dieStube der Diener und Bodenfeger zu gehen und sie
mit meinen eigenen Händen zu säubern, und ich betete:
»Mutter! zerstöre in mir alle Vorstellung, dass ich gross
seiund dassich ein Brahmane sei, und dass sie niedrig und
Parias seien, denn wer anders sind sie als du in vielen
Gestalten?«' . . .
Ein Sannyäsin (Asket) konnte Rämakrishnas Liebe zu
seiner Mutter (der Göttin) nicht verstehen. Er redete da-
von als von blossem Aberglauben und spottete darüber.
DagabihmRämakrishnazuverstehen,dass es in dem Ab-
soluten kein Du, kein Ich, keinen Gott gebe, dass es über
allem Sprechen und Denken sei. Solange jedoch noch das
letzte Korn der Relativität da sei, sei das Absolute inner-
halbdesDenkensundSprechensundinnerhalbderGren-
zen desGeistes, welcher Geistdem allgemeinen Geist und
Bewusstsein unterworfen sei; und dieses allwissende,
5
allgemeine Bewusstseln sei für ihn seine Mutter und
Gott ...
Er begann das Vaishnava-Ideal der Gottesliebe zu üben
und zu verwirklichen. Diese Liebe wird nach den Vaish-
navas in einer der folgenden Bezieh ungen offenbar — der
Beziehung eines Dieners zu seinem Herrn, der eines
Freundes zu seinem Freunde, der eines Kindes zu seinen
Eltern und umgekehrt, und der eines Weibes zu seinem
Gatten. Die höchste Stufe der Liebe ist erreicht, wenn
die Menschenseele Gott lieben kann wie ein Weib seinen
Gatten liebt. Die Schäferin von Braja hatte diese Art von
LiebezumgöttlichenKrishnaunddarinwarkeinGedanke
an eine leibliche Verbindung. Niemand, so sagen sie, kann
diese Liebe von Sri Rädhä und Sri Krishna verstehen, ehe
er ganz frei ist von allen leiblichen Begierden. Sie ver-
bieten sogar gewöhnlichen Leuten die Bücher zu lesen,
die von dieser Liebe von Rädhä und Krishna handeln,
weil sie noch unter der Gewalt der Leidenschaft sind.
Rämakrishna kleidete sich, um diese Liebe zu erfüllen,
mehrere Tage in Frauengewänder, dachte sich als Weib
und es gelang ihm zuletzt sein Ideal zu gewinnen. Er
schaute die schöne Gestalt Sri Krishnas in einer Ver-
zückung und war befriedigt . . .
In seinen späten Tagen dachte er daran, die Lehren des
Christentums zu üben. Er hatte Jesus in einer Vision ge-
schaut, und drei Tage lang konnte er an nichts anderes
denken und von nichts anderem sprechen als von Jesus
und seiner Liebe. InallenseinenVisionenwardiese Eigen-
tümlichkeit, dass er sie stets ausserhalb seiner sah, aber
wenn sie entschwanden, schienen sie in ihn eingetreten
zusein . . .
Erwar eine wunderbare Mischung von Gott und Mensch .
In seinem gewöhnlichen Zustand sprach er von sich als
von einem Diener aller Männer und Frauen. Er sah sie
alle als den Gott an. Er selbst wollte nie als Guru, das ist
Lehrer, angesprochen werden. Niemals beanspruchte er
für sich einesohoheStellung. Erberührte ehrerbietig den
Boden, den seine Schüler getreten hatten . Aber dann und
wann kamen seltsame Anwandlungen vonGottbewusst-
sein über ihn. Da verwandelte er sich in ein völlig anderes
Wesen. Ersprach von sich alsfähigalleszutunundzu wis-
sen. Ersprach, alshätteerdieMacht, allen alles zu geben.
Er sprach von sich als derselben Seele, die vordem alsRä-
ma,alsKrishna,alsJesus,alsBuddhageborengewesenwar
und nun als Rämakrishna wiedergeboren wurde. Er sagte
zu Mathuränatha, lange bevor ihn irgend jemand kannte,
er habe viele Schüler, die bald zu ihm kommen würden,
und er kenne sie alle. Er sagte, er sei frei von aller Ewig-
keither, und die religiösen Übungen und Anstrengungen,
die er durchmachte, hätten bloss die Absicht, dem Volke
denWegzur Erlösung zu zeigen. Erhabefürsie alles allein
getan. Er sagte, er sei ein Nitya-mukta, das ist ewig frei,
und eine Verkörperung Gottes selbst. »Die Frucht der
Kürbispflanze«, sagte er, »kommt zuerst, und dann die
Blüten; soistesmitdenNitya-muktas,denen die von aller
Ewigkeit her frei sind, aber niedersteigen um des Heiles
der andern willen«.
Worte Rämakrishnas
I . Der Namen Gottes sind viele, und unendlich die Ge-
stalten, die uns hinleiten ihn zu erkennen. Mit welchem
Namen, in welcher Gestalt du ihn zu rufen begehrst, in
eben diesem Namen, in eben dieser Gestalt wirst du ihn
schauen.
2. Wie viele vom Schnee gehört aber ihn nicht gesehen
haben, so sind da viele religiöse Prediger, die nur in
Büchern von Gottes Attributen gelesen, aber sie nicht in
ihrem Leben erfahren haben. Und wie viele den Schnee
gesehenaberihnnichtgekostethaben,sosinddavielereli-
giöse Lehrer, die nur einen Blick der göttlichen Glorie er-
hascht aber ihr wahres Wesen nicht verstanden haben.
Wer den Schnee gekostet hat, kann sagen, wie er
schmeckt. Wer die Gemeinschaft Gottes in verschie-
denen Erscheinungen genossen hat, jetzt als Diener,
jetzt als Freund, jetzt als Geliebter, oder als in ihm Ver-
sunkener, der allein kann sagen, welches die Attribute
Gottes sind.
3 . Auf einer bestimmten Strecke seiner Andachtsbahn
findet der Andächtige Befriedigung im gestalteten Gotte,
auf einer andern im gestaltlosen.
4. So lange ein Mensch laut »Allah Ho! Allah Ho!« (O
Gott ! O Gott !) ruft, seid gewiss, dass er Gott noch nicht
gefunden hat, denn wer ihn gefunden hat, wird still.
5 . Ein Logiker fragte einst Sri Rämakrishna : » Was sind
Erkenntnis, der Erkennende und der erkannte Gegen-
stand.f^« Darauf erwiderte er: »Guter Mann, ich weiss all
diese Unterscheidungen der Schulweisheit nicht. Ich
weiss nur meine göttliche Mutter und dass ich ihr Sohn
bin « .
6. Die Erkenntnis Gottes kann einem Manne, die Liebe
Gottes einem Weibe verglichen werden. Erkenntnis hat
Zugangnurin die äusserenRäumeGottes, aber niemand
kann in Gottes innere Mysterien eintreten als ein Lieben-
8
der allein, dennwie demWelbe sind ihm die heimlichsten
Gemächer erschlossen.
7. Gott ist in allen Menschen, aber alle Menschen sind
nicht in Gott : darum leiden sie.
8. Er sprach zu den Frauen, die die Gesellschaft nicht an-
rühren mag: »Mutter, in der einen Gestalt bist du in der
Gasse und in einer andern Gestalt bist du das All. Ich
grüsse dich, Mutter, ich grüsse dich « .
VON RABIA (8. Jahrhundert)
MITTEN in der Nacht ging sie oftmals auf das Dach
. und rief: » O mein Gott ! Nun schweigt das Getüm-
mel des Tages, die Stimmen schweigen, und im heimli-
chen Gemach erfreutsich das Mädchen des Geliebten, ich
Einsame aber erfreue mich deiner Gegenwart, denn dich
bekenne ich als meinen wahren Geliebten! «
Einst wallfahrtete Räbia nach Mekka. Als sie die Kaaba
erblickte, zu deren Verehrung sie gekommen war, sprach
sie: » Ich bedarf des Herrn der Kaaba, was taugt mir die
Kaaba? Ich bin so nahe an ihn herangekommen, dass sein
Wort :,WermireineSpannenaht,demnaheich eine Elle^
von mir gilt, — was soll mir noch die Kaaba? «
Von Hassan Basri ermahnt, eine Ehe einzugehen, sprach
sie: »MeinWesenistlängstschonehelichgebunden. Des-
wegen sage ich, dass mein Sein in mir erloschen, in ihm
(Gott) aufgelebt ist. Und seit jener Zeit lebe Ich in seiner
Gewalt, ja ganz bin ich er. Wer mich nun zur Braut ver-
langt, verlange mich nicht von mir, sondern von ihm«.
Hassan fragte sie, wie sie sich zu dieser Stufe erhoben
hätte. Sie sprach: »Dadurch, dass ich alles, was Ich ge-
funden hatte, in ihm verlor«. Als jener weiterfragte: »Auf
welche Weise hast du ihn erkannt?« antwortete sie: >0
Hassan ! du erkennst auf eine bestimmte Art und Weise,
ich aber ohne Weise « .
Sie sprach: »Eine innere Wunde meines Herzens ver-
zehrt mich, die nur durch die Vereinigung mit meinem
IG
Freunde geheilt werden kann. Ich werde krank bleiben,
bis ich am jüngsten Tage mein Ziel erreiche « .
Räbia sprach zu Gott: »Ich bewahre mein Herz für den
Umgang mit dir, und lasse meinen Leib mit denen ver-
kehren, die nach meiner Gesellschaft verlangen. So ist
mein Leib derGefährtemeines Besuchers, abermeinViel-
geliebter ist der Gefährte meines Herzens « .
1 1
VON BÄJEZiD BESTÄMI (9. Jahrhundert)
MAN erzählt, dassBäjezid sprach: 'Zwölf Jahre hln-
^ter einanderwar ich der Schmied meinesWesens.
Ich legte es auf den Herd der Askese, Hess es aufglühen im
Feuer der Prüfung, setzte es auf den Ambos der Furcht
und schlug es mit dem Hammer der Ermahnung. Ich
machtesoausihmeinenSpiegel,dermirdazudiente,mich
selbst fünf Jahre lang zu betrachten, indem ich nicht auf-
hörte, mit Taten der Frömmigkeit und der Andacht den
Rost von diesem Spiegel zu lösen« .
Er sprach ferner: »Dreissig Jahre lang ging ich auf der
Suche nach Gott, und als ich am Ende dieser Zeit die Au-
gen geöffnethatte, entdeckte ich, dass er es war, der mich
suchte«.
Yahya, der Bäjezid zu sehen begehrte, machte sich auf
den Weg zu ihm, aber er fand ihn nicht zu Hause, weil er
damals inmitten der Gräber war, mit Taten der Andacht
beschäftigt. Es war die Stunde des Abendgebets. Yahya
ging Bäjezid zu suchen und fand ihn alsbald. Er sprach
zu sich: »Jetzt ist es Nacht, aber morgen in der Frühe
werde ich ihn begrüssen « . Bis zu den ersten Strahlen der
Morgenröte sah er Bäjezid aufrecht auf den Füssen,
Worte murmelnd, und er war von Staunen darüber be-
troffen. Als die Sonne aufgegangen war, ging Yahya, Bäje-
zid zu begrüssen. »Was machtest du in dieser Nacht«,
fragte er ihn. »In dieser Nacht«, antwortete Bäjezid,
>hat man mir zwanzig Grade gezeigt, die ich nicht ange-
nommenhabe,weilsieallewieVorhänge waren, die mich
12
hinderten, vorwärts zu gehen « . Da sagte Yahya : » O Bä-
jezid! gib mir einen Rat«. »Wohl«, sprach Bäjezid,
»wenn man dir auch den Grad anbieten sollte, den alle
Propheten erreicht haben, willige nicht ein, ihn anzu-
nehmen. Verlange noch weiter zu gehen, steigere deine
Ansprüche; denn wenn du einen Grad annimmst, wird
er für dich ein Vorhang werden, der deinen Gang hem-
men wird«.
Bäjezid sprach zu Ahmed Khizreviyeh: »Wie lange
noch wirst du die Welt nach allen Richtungen durch-
schreiten .^< »Wenn ein Wasser irgendwo stockend
wird«, antwortete Ahmed, »verdirbt es«. »So sei wie
das Meer«, sprach Bäjezid, »und du wirst nicht ver-
derben«.
Bäjezid sprach : » Als ich auf der Stufe der Nähe angelangt
war, hörte ich mich anrufen : » O Bäjezid ! Verlange alles,
was du zu verlangen hast « . » Mein Gott « , antwortete ich,
»du bist es, den ich verlange« . Es sprach: »O Bäjezid!
solange in dir ein Stäubchen weltlicher Begier bleibt und
du nichtaufderStufedesEntwerdens zu nichtsgeworden
bist, wirstdu nicht fähig sein unszufinden « . » MeinGott« ,
sagte ich, »ich werde von deinem Hofe nicht mit leeren
Händen zurückkehren, ich will etwas von dir verlangen « .
— » Wohl, so verlange es « . — » Gewähre mir die Gnade
für alleMenschen und erbarme dich ihrer« . EineStimme
erscholl: »O Bäjezid! erhebe die Augen«. Ich erhob die
Augen und sah, dass der erhabene Herr noch mehr als ich
selbst zur Nachsicht gegen seine Diener bewegt war.
»Mein Gott«, rief ich da, »schenke deine Gnade dem
13
Satan!« »O Bäjezid!« antwortete mir die Stimme, »der
Satan ist aus Feuer, und das Feuer bedarf des Feuers « .
Als man ihn über sein Alterfragte, antwortete er, er sei vier
Jahre alt. — » Wie das, o Scheich ? « — » Siebzig Jahrelang
warich in dieSchleier der niederenWelt gehüllt, und erst
seit vier Jahren bin ich ihrer entledigt und schaue Gott « .
In einerNacht sah ich den Herrn im Traume, der zu mir
sprach: »Was begehrst du, Bäjezid?« — »Was du selbst
begehrst, mein Gott!« — »O Bäjezid, du bist es, den ich
begehre, wie du mich begehrst « . — » Aber welches ist der
Weg, der zu dir führt?« — *0 Bäjezid, wer sich selbst
entsagt, kommt zu mir« .
Bäjezid sprach : » Ich bin wie ein Meer ohne Anfang, ohne
Ende, ohne Grund « .
Man fragte Bäjezid, was der neunte Himmel sei. » Ich bin
es « , antwortete er. — » Und der Thron, der darauf ruht?«
— » Auch dies bin ich « . Als man ihn weiter fragte, sprach
er: »IchbindieTafel,ichbinderGriffel. Ich bin Abraham,
Moses, Jesus. Ich bin Gabriel, Michael, Israfil. Wer in
das wahre Wesen kommt, geht in Gott auf, ist Gott « .
Bäjezid sprach: »Als der erhabene Herr mich in seiner
grossmütigenGnadezuden oberenStufen erhobenhatte,
erleuchtete er mit seinen Strahlen mein ganzes äusseres
und inneres Wesen, entschleierte mir alle seine Geheim-
nisse und offenbarte in mir seine ganze Grösse . . .
Als der erhabene Herr mein vergängliches Wesen ver-
nichtend mich an seiner unvergänglichen Dauer teilneh-
men Hess, ward die Klarheit meines Auges ins Unbeirr-
bare gesteigert. Gott mit Gottes Auge betrachtend, sah
ich Gott durch Gott; und mich in der Wahrheit verschan-
zend, blieb ich ruhig und friedsam . Ich schlossdie Öffnung
meines Ohres, ich zog meine Zunge in meinen ohnmäch-
tigen Mund zurück, und ich warf das geliehene Wissen
hin, das ich von den Kreaturen gelernt hatte. Dank dem
Beistande des erhabenen Herrn entfernte ich von mir
mein sinnlichesWesen, und in erneuter Huld gab mir der
Herr das anfanglose Wissen. Durch seine Grossmut hat
er in meinen Mund eine Zunge gesetzt, die zu reden ver-
mag,undhat mir ein Auge gegeben, dasaus seinem Lichte
stammt«.
Bäjezid sprach: »Wie lange noch wird es zwischen mir
und dir das Ich und das Du geben.? Hebe zwischen uns
mein Ich auf, mache, dass ich ganz in dich eingehe, dass
ich nichts werde. Mein Gott«, fügte er hinzu, »wenn ich
bei dir bin, tauge ich mehr als alle, und wenn ich bei mir
selbstbin, tauge ich wenigerals alle. Mein Gott, dieÜbung
derheiligenArmutundderunablässigen Strengehat mich
bis zu dir kommen lassen. In deiner Grossmut hast du
nicht gewollt, dass meine Mühen verloren seien. Mein
Gott, nicht die Askese ist es, deren ich bedarf, nicht das
Auswendigkönnen des Koran, und nicht die Wissen-
schaft; abergibmireinTeilindeinenGeheimnissen. Mein
Gott, ich suche meine Zuflucht in dir, und du bist es,
durch den ich zu dir komme. Mein Gott, dass ich dich
liebe, ist nicht erstaunlich, denn ich bin dein Diener,
schwach, ohnmächtig, bedürftig; aber seltsam ist, dassdu
mich liebst, du, der König der Könige! Mein Gott, jetzt
^5
fürchte ich dich, und doch liebe ich dich in so grosser In-
brunst! Wie erst werde ich dich lieben, wenn ich mein
Teil deiner Gnade empfangen habe und mein Herz von
aller Furcht frei sein wird < .
i6
VON HUSAIN AL HALLÄDSCH
(starb 3 09 H = 92 1 n. Chr.)
BEI dem Fest am Berge Arfat sprach er: » O du Weg-
weiser derStumpfsinnigen! « Und da er sah, dass alle
Menschen beteten,gingeraufeinen Hügel undschautezu,
und da alle zurückkamen, schlug er sich selbst und rief da-
bei: »Du erhabner Herr, ich weiss: du bist rein, und ich
sage : du bist rein von allem Lobe der Lobenden und allem
Preise der Preisenden und allen Gedanken der Denken-
den. Mein Gott! Du weisst, dass ich die Pflichten deines
Lobes nicht zu erfüllen vermag. Lobe du selber dich an
meiner Statt, das ist das wahre Lob « .
Man fragte ihn, ob ein Beschaulicher Zeit für sich übrig
habe. »Nein«, sagte er, »Zeit drückt den Zustand dessen
aus, derErleuchtungszeiten bedarf; wer nun mit diesem
seinem Zustande sich nicht begnügen kann, istein Erken-
nender. Dasheisst,man mussmitMuhammed sagenkön-
nen: Ich habe Zeiten bei Gott, wo kein Engel, ja kein
Cherub mich fasst« .
Man fragte ihn: »Welches istderWegzuGott.^^« Er ant-
wortete : » Ziehe beide Füsse zurück, und du bist bei ihm,
deneinenausdiesem,denandernausdemandernLeben«.
Desgleichen sagte er: »Erkenntnis bedeutet die Dinge
sehen, aber auch wie sie alle untergehen im Unbeding-
ten«.
Er sagte: »Wenn der Knecht zur Staffel der Erkenntnis
gelangtist, schickt Gottihm eine Eingebung, seineFreude
2 Buber, Konfesäonen
17
wirdstumpfundnichtsistmehrnachseinem Geschmack,
als allein der Genuss Gottes « .
Ferner sprach er: »Das sind grosse Leute, auf die die
Schmach derWelt nicht mehr wirkt, nachdem sie Gott
erkannt haben«.
Ferner: » Die Zunge ist das Verderben stiller Herzen ; das
GeschwätzistmitUrsachenverbunden, und Handlungen
mit Unglauben, das Wahre aber ist ein Leben, das von
alle dem frei ist«.
Er sprach ferner: » Die Blicke der Sehenden, die Kennt-
nisse der Erkennenden, das Licht der geistig Wissenden,
und der Weg der schnell Vorschreitenden, und die Ewig-
keit des Vordem und die Ewigkeit des Darnach und alles
was in der Mitte liegt, sind: Zeitlichkeit«. Wodurch er-
kennt man das.?* Husain antwortet : » Wer da ein Herz hat,
der werfe das Auge weg, dann wird er schauen « .
Desgleichen: »Der Gott sucht, sitzt im Schatten seiner
Busse, den Gott sucht, im Schatten seiner Unschuld « .
Desgleichen: » DerGottsucht,dessenLaufenrenntseinen
Offenbarungen voran, den Gott sucht, dessen Offenba-
rungen überholen sein Laufen « .
Desgleichen: »Göttliche Erleuchtungsstunden sind Mu-
scheln, die im Meere unseres Herzens liegen, der Morgen
der Auferstehung wirft sie ans Ufer und sie springen auf« .
Er sprach : » Ich bin erden ich liebe, und er den ich liebe ist
ich;wirsindzweiSeelendieineinemLeibewohnen.Wenn
i8
dumichsiehst,siehstduihn,undwennduihnsiehst,siehst
du uns«.
Da nun die Leute über ihn in Staunen gerieten , wurden
Lügner ohne Urteil und auch unzählige Anhänger offen-
bar. Man sah wunderbare Dinge von ihm. Man spitzte
die Zunge zur Afterrede und brachte seine Aussprüche
vor den Kalifen. Die Imamevon Bagdad gaben auch ihr
Urteil für seinen Tod, weil er gesagt hatte: Ich bin Gott!
Man verlangte, er solle sagen: Er ist Gott! Er erwiderte:
»Ja, Alles ist Er! Ihr sagt, er ist untergegangen [in den
Wesen], aber Husain ist untergegangen, das Weltmeer
geht nicht unter und vernichtet auch nicht « .
Als er zur Richtstätte zog, tanzte er auf dem Wege, die
Hände schleudernd, gleich einem übermütigen Hengste,
obwohlmitsechzehn Kettenbeladen. Mansprach: »Was
ist das für ein Gehen. f^« Er antwortete: »Gehe ich nicht
zu meiner Opferstätte.^« Darauf schrie er laut und sang
diese Verse:
Nimmer wollt ich, dass mein Ereund der Grausamkeit
beschuldigt werde.
Er reichte mir, was er selbst trinkt, wie der Gastwirt
dem Gaste tut.
Da aber die Becher kreisten, rief er nach dem Richt-
block und dem Schwerte.
So geht's dem, der Wein trinkt mit dem Drachen in des
Sommers Glut.
19
FARID-ED-DIN ATTÄR (geboren um 1 1 20)
Die sieben Täler (Aus dem » Gespräch der Vögel « )
DAS erste Tal, das sich darbietet, ist das Tal desSu-
chens, nach ihm kommt das der Liebe, das keine
Grenze hat, dasdritteistdasderErkenntnis,dasviertedas
der Selbstgenügsamkeit, dasfünftedasderreinen Einheit,
dassechstedasderBestürzung,dassiebenteendlichistdas
Tal der Auflösung und der Vernichtung, über das hinaus
du nichtfortschreiten kannst. Dawirstdu dich angezogen
fühlen und wirst doch nicht weiter ziehen können; ein
einziger Wassertropfen wird für dich wie ein Meer sein.
Das Tal des Suchens
Sobald du in das Tal des Suchens eingetreten bist, wird
hundertfache Pein dich wieder und wieder überfallen.
In jedem Augenblick wirst du da hundert Prüfungen er-
fahren; derPapageidesFirmaments^istdanureineFliege.
Du wirst viele Jahre in diesem Tale in mühevoller Span-
nung und steter Wandlung deines Zustands verbringen.
Du wirst deine Schätze verlassen und alles was du be-
sitzest ins Spiel werfen müssen. Du wirst in einem Blut-
strom schreiten müssen, dem Allverzicht ergeben. Und
hast du die Gewissheit gewonnen, dass du nichts mehr
besitzest, musstdu noch dein Herz ablösen von allem was
ist. Ist es von allem Anblick der Sonderung befreit, dann
leuchtetihmdiegöttlicheHerrlichkeitaufund durch die-
ses Licht, das sich dir offenbart, wächstdeinBegehrenins
Unendliche. Und erschiene ein Feuer am Pfade des geist-
* Der Perser nennt den Himmel grün, nicht blau
20
liehen Wandrers und tausend Schluchten öffneten sich
immer unwegsamer, von der Sehnsucht bewegt, würde
er wie ein Toller in die Schluchten dringen, wie ein
Schmetterling in die Flamme stürzen. Vom Liebeswahn
getrieben, wird er dem Suchen leben ; von seinem Mund-
schenk wird er einen Trunk verlangen. Hat er dieses
Weines etliche Tropfen gekostet, wird er beide Welten
vergessen. Eingetaucht im Meer des Schrankenlosen,
wird er seine Lippen trocken verspüren, und auf dem
Grunde seiner selbst wird er dem Geheimnis der ewigen
Schönheit nachfragen. In seiner Begier, es zu erkennen,
wird er vor den Drachen nicht weichen, die die Seelen
verzehren. Würden in diesem Augenblick der Glaube
und der Unglaube vorihn treten, er würde sie beide gleich
willig empfangen, wenn sie ihm nur die Pforte öffnen. Ist
diese Pforte offen, was ist dann noch Glaube oder Un-
glaube, da es doch jenseits des Eingangs weder den einen
noch den andern gibt.? .. .
Zusammengekauert wie das KindimSchossederMutter,
sammle dich in dir selber ein, in Blut getaucht. Verlasse
nicht dein Inneres, um dich ins Äussere zu bringen. Tut
dir Speise not, ernähre dich vom Blute. Das Blut allein
nährt das Kind im Schosse seiner Mutter; und aus der
Wärme des Inneren kommt es her . . .
Das Tal der Liebe
Um hier einzutreten, muss man ganz in Feuer tauchen,
ja man muss selber Feuer sein, denn sonst könnte man
da nicht leben. Der wahrhaft Liebende muss dem Feuer
gleich sein, entflammten Angesichts, brennend und un-
gestüm wie das Feuer. Um zu lieben, darf man keinen
21
Hintergedanken haben; man muss bereit sein, hundert
Welten ins Feuer zuwerfen; man muss weder Glauben
noch Unglauben kennen, weder Zweifel noch Zuversicht
hegen. Auf diesem Wege ist kein Unterschied zwischen
Gut und Böse; wo die Liebe ist, sind Gut und Böse ent-
schwunden . . .
In diesem Tale ist die Liebe das Feuer und sein Rauch ist
die Vernunft. Wenn die Liebe kommt, entflieht die Ver-
nunft in Eile. DieVernunftkannmitderRaserei der Liebe
nicht zusammen wohnen; die Liebe hat nichts zu schaffen
mit der Vernunft des Menschen. Gewännest du einen
rechten Blickder unsichtbaren Welt, dann erst vermöch-
test du zu erkennen die Quelle der geheimnisreichen
Liebe, die ich dir verkündige. Das Dasein der Liebe wird
Blatt für Blatt völlig zerstört von der Trunkenheit der
Liebe selbst.
Das Tal der Erkenntnis
Wenn die Sonne der Erkenntnis an der Wölbung dieses
Wegesstrahlt, den man nicht würdig zu beschreiben ver-
mag, . . zeigt sich in Klarheit das Geheimnis des Wesens
der Dinge, und der feurige Ofen der Welt wird zum Blu-
mengarten. Der Wandrer wird die Mandel unter ihrer
Schale schauen.* Erwirdsichselbstnichtmehrerblicken,
nichts mehr wird er erblicken als seinen Freund allein ; in
allem was er sehen wird, wird er sein Antlitz schauen, in
jedem Atom die Sphäre des Alls ; unterm Schleier wird er
zahllose Heimlichkeiten betrachten, die leuchten wie die
Sonne . . .
Die sichtbare Welt und die unsichtbare Welt sind für die
* Das ist: Gott in den Kreaturen
22
Seele nichts; der Körper ist der Seele nicht verborgen,
noch die Seele dem Körper. Bist du aus der Welt ausge-
gangen, die nichts ist, dann findest du den Ort, der dem
Menschen bestimmt ist .. .
Das Tal der Selbstgenügsamkeit
HieristkeineSucht undkein Forschen. Ausdieser Bereit-
schaft der Seele zur Genügsamkeit erhebt sich ein kalter
Sturm, dessen Gewalt in einem Augenblick einen unge-
heuren Raum verwüstet. Die sieben Ozeane sind dann
nur noch eineWasserlache; die sieben Wandelsterne ein
Funken; die sieben Himmel ein Leichnam; die sieben
Höllen zerschelltes Eis . . .
Sähest du eine ganze Welt, deren Herz ein Feuer frässe,
du hättest nur einen Traum. Die Tausende von Seelen,
die unablässig an diesem Meere niedersinken, sind da nur
ein leichter und unwahrnehmbarer Tau . . .
Dieses Tal ist nicht so leicht zu durchschreiten, wie du es
in deiner Einfalt glauben möchtest. Wenn auch das Blut
deines Herzens sich in dieses Meer ergösse, könntest du
nur die erste Station erreichen. Und durchliefest du alle
StrassenderWelt, du fändest dich immer,wenn du drauf
wohl achtetest, beim ersten Schritt. In der Tat hat kein
Wandrer das Ziel seiner Reise geschaut und die Heilung
seiner Liebe gefunden. Hältst du inne, wirst du verstei-
nert, oderdu stirbst und wirst eine Leiche. Setzest du den
Schritt weiter und schreitest immer vorwärts in dei-
nem Laufe, bis zur Ewigkeit wirst du den Schrei hören :
»Weiter noch!« Es ist dir nicht gestattet, fortzuschrei-
ten noch stehenzubleiben; es ist dir nicht erspriesslich zu
leben noch zu sterben. Welchen Gewinn hast du aus
23
all der Mühsal genommen, die du ertragen hast? Es
gilt gleich, ob du dir den Kopf schlägst oder ihn nicht
schlägst, o du der mich hört! Bleib stille, lass all dies und
handle. . .
Trachte danach, unabhängig und dir genug zu sein . . In
diesem vierten Tale strahlt der Blitz der Tugend, die dar-
in besteht, sich selber zu genügen , so stark, dass seine
Wärme Hunderte von Welten aufzehrt. Da Hunderte
vonWeltenzuStaubw^erden,wäreesaussergevv^öhnlich,
w^enn auch die Welt, die w^irbev/ohnen, verschwände.?..
In diesem Tale darf niemand in der Untätigkeit bleiben,
und nur in der Reife darf man es betreten. Es ist nun an
der Zeit zu handeln, anstatt in der Ungewissheit oder in
der Sorglosigkeit zu leben: erhebe dich also und durch-
schreite dieses mühsameTal,nachdemdu deinemGeiste
und deinemHerzenentsagthast; denn w^enndunichtdem
einen und dem andern entsagst, treibst du Vielgötterei
und die sorgloseste der Vielgöttereien. Opfre also deinen
Geist und dein Herz auf dieser Bahn, sonst musst du ver-
zichten, dir genügen zu können ...
Das Tal der Einheit
Dies istderOrtderEntblössung von allen Dingen und der
Einung. Alle, die in dieser Wüste das Haupt erheben,
ziehen es aus dem gleichen Kragen. Magst du auch viele
Einzelwesen sehen, es gibt in Wirklichkeit nur wenige,
nein, es gibt eines nur. Da die Mengevon Personen wahr-
haft nur eine ausmacht,istdiesevollkommeninihrer Ein-
heit. Was sich dir aber als eine Einheit darstellt, das ist
nicht verschieden von dem, was gezählt wird. Da das
Wesen, das ich verkündige, ausser dieser Einheit und
24
der Zahl ist, lasse du ab, der Ewigkeit des Vordem und
der Ewigkeit des Darnach nachzusinnen; und da die
beiden Ewigkeiten zerronnen sind, gedenke ihrer nicht
mehr. ..
Wenn der Wanderer in dieses Tal eingetreten ist, ver-
schwindet er wie die Erde unter seinen Füssen. Er wird
verlorensein,denndaseinzigeWesen wird offenbar sein.
Er wird stumm sein, denn das einzige Wesen wird reden.
Der Teil wird das Ganze werden, oder vielmehr er wird
weder Teil noch Ganzes sein. Es wird eine Gestalt ohne
Körper und Seele sein . . Was ist der Verstand.?* er ist an
derSchwelledesToresgeblieben,wie ein blindgeborenes
Kind. Wer etwas von diesem Geheimnis gefunden hat,
wendet das Haupt vom Reiche beider Welten ab . . Das
Wesen, das ich verkündige, ist nicht gesondert da; die
ganze Welt ist dieses Wesen; Sein oder Nichtsein, es ist
immer dieses Wesen . . .
Das Tal der Bestürzung
Auf das Tal der Einheit folgt das der Bestürzung. Da ist
mandieBeute derTraurigkeit und desStöhnens. Da sind
die Seufzer wie Schwerter, und jederHauch ist eine bittre
Klage. Da ist nichts als Weheruf, als Leid, als zehrende
Glut; da ist Tag und Nacht zugleich, und da ist weder
Tag noch Nacht. Da sieht man von jedes Haares Ende,
ohne dass es abgeschnitten würde, das Blut tropfen . .
Wie wird der Mensch in seiner Bestürzung weitergehen
können.?* Er wird betäubt werden und sich auf dem Wege
verlieren. Aber der die Einheit im Herzen eingegraben
hat,vergisst alles und vergisst sich selbst. Wenn manihm
sagt: »Bist du oder bist du nicht; hast du das Gefühl des
25
Seins oder hast du es nicht; bist du in der Mitte oder bist
du am Rande; bist du sichtbar oder verborgen; bist du
vergänglich oder unsterblich; bist du das eine und das
andere oder wieder das eine noch das andere; bist du du
selbstoderbistdues nicht? « wird erantworten: „Ich weiss
nichtsdavon,ichbin dessen unkundig und ich bin meiner
unkundig. Ich bin verliebt, aber ich weiss nicht in wen;
ich bin weder treu noch ungetreu. Was bin ich doch.? Ich
bin selbst meiner Liebe unkundig; ich habe das Herz von
Liebe voll und von Liebe leer zugleich" . . .
Wer in das Tal der Bestürzung eintritt, der tritt in jedem
Augenblick in einen so grossen Schmerz ein, dass er hin-
reichen würde, um hundert Welten zu betrüben. Aber
wie lange noch werde ich dieTrübsal und die Wirrnis des
Geistes ertragen.? Da ich verirrt bin, wohin werde ich
gehen.? Ich weiss es nicht, aber möge es Gott belieben,
dass ich es wisse ! . . .
Das Tal der A uflösung und der Vernichtung
Esistunmöglich, diesesTal zu schildern. Als sein wesent-
licher Zustand ist anzusehen das Vergessen, die Stumm-
heit, die Taubheit und die Ohnmacht. Da siehst du in
einem einzigen Strahl der Sonne die Tausende ewiger
Schatten verschwinden, die dich umgaben.
Wenn das Meer der Unendlichkeit seine Wogen zu regen
beginnt, wie sollten die Bilder dauern, die auf seiner
Fläche gezeichnet waren.? Diese Bilder sind die gegen-
wärtige Welt und die kommende Welt. Wer erklärt, sie
seien nicht, erwirbt ein grosses Verdienst. Wessen Herz
sich in diesem Meere verloren hat, ist darin für immer ver-
loren und bleibt in der Ruhe . . .
26
Ein unreiner Gegenstand mag in ein Meer von Rosen-
wasser fallen, er wird in derNichtigkelt bleiben durch sei-
ne Eigenschaft. Aber wenn ein reines Ding in dieses Meer
fällt, wird es sein besonderes Dasein verlieren, es wird an
der Bewegung der Fluten teilnehmen; indem es geson-
dertdazusein aufhört, beginnt es schön zu sein. Esistund
ist nicht. Wie kann dies geschehen ? Es ist dem Geiste un-
möglich, es zu fassen . . .
Wer die Welt verlassen hat, um dieser Bahn zu folgen,
findet den Tod, und nach dem Tode die Unsterblich-
keit...
Schlage den Mantel des Nichts um dich und trinke vom
Becher der Vernichtung, bedecke deine Brust mit der
Liebe zum Dahinschwinden und setze den Burnus des
Nichtseins aufs Haupt. Stelle den Fuss ins Steigeisen des
unbedingten Verzichtes und treibe entschlossen dein
Ross zum Orte, wo nichts ist. In der Mitte und ausser der
Mitte, drunter,drüber, in der Einheit, umgürtedeineLen-
den mit dem Gürtel des Entwerdens. Öffne deine Augen
und schaue, tue blaue Augensalbe an deine Augen. Wenn
du verloren sein willst, wirst du es in einem Augenblick
sein,dannwiederaufeineandereWeise; aber du schreite
ruhig, bis du zum Reiche der Aufhebung kommst. Besit-
zest du nur das Ende eines Haares aus dieser Welt, wirst
du nie eine Kunde von jener Welt empfangen. Bleibt dir
die kleinste Ichsucht, werden die sieben Ozeane dir voll
des Unheils sein...
Wirfalles was du hast ins Feuer, bis zu den Schuhen.
Wenn du nichts mehr hast, denk nicht einmal ans Lei-
chentuch und wirf dich nackt ins Feuer . . .
Wenn dein Inneres im Verzicht gesammelt sein wird,
27
dann wirst du jenseits von Gut und Böse sein. Wenn es
für dich weder Gut noch Böse geben wird, dann erst
wirst du lieben, und du wirst endlich würdig sein der Er-
lösung, die das Werk der Liebe ist.
Was mich betrifft, der ich weder ich noch ein andrer als
ich geblieben bin, . . ich habe mich ganz verirrt, weithin
von mir; ich finde in meinem Zustande kein andres Heil
als die Verzweiflung. Als die Sonne der Auflösung über
mich leuchtete, verbrannte sie beide Welten so leichtlich
wie ein Hirsekorn. Als ich die Strahlen dieser Sonne sah,
bin ich nicht gesondert geblieben: der Wassertropfen ist
ins Meer zurückgekehrt. Ob ich auch in meinem Spiele
zuweilen gewonnen und zuweilen verloren habe, zuletzt
warfichallesindasschwarzeWasser. Ich bin ausgewischt
worden, ich bin verschwunden ; nichts ist von mir geblie-
ben. Ich war nur noch ein Schatten, kein kleinstes Stäub-
chenwarvon mir da. Ich war ein Tropfen, im Ozean des
Mysteriums verloren, und jetzt finde ich auch diesen
Tropfen nicht mehr.
28
DSCHALÄL-ED-DINRUMl (1207— 1273)
Aus dem Masnawi
ZU Zeiten gleicht mein Zustand einemTraume, mein
^Träumen erscheint ihnen alsUngläubigkeit. Meine
Augen schlafen, aber mein Herz ist wach; mein Körper,
der starre, istTrieb und Kraft. . . Eure Augen sind wach,
undeuerHerz schläft fest, meine Augen sindgeschlossen,
und meinHerz istam offenen Tor. Mein Herzhatseineeig-
nen fünf Sinne ; diese Sinne meines Herzens erfahren die
beidenWelten.EinSchwächlingwieihrsollmichnichtrü-
gen; waseuchNachtscheint, ist mirlichterTag,waseuch
Kerker scheint, ist mir ein Garten, mühsamstes Tun ist
mir Rast. EureFüsse sind im Schlamm, mir wandelt sich
der Schlamm in Rosen, die Leichenklage eures Ohrs ist
mir die Hochzeitstrommel. Auf Erden scheineich zu sein,
miteuchim Hause zu weilen, und steige indes wie Saturn
zum siebenten Himmel auf. Nicht ich bin euch hier zuge-
sellt, es ist mein Schatten . MeineErhebung übersteigt eu-
re Gedanken, denn ich habe dasDenken überstiegen. Ja,
ich bin dem Bereich des Denkens enteilt. Ich bin Herr des
Denkens, nicht von ihm beherrscht, wie der Baumeister
der Herr des Baues ist. Alle Kreaturen sind dem Denken
unterworfen; darob sind sie traurig im Herzen und kum-
mervoll. Ich sende mich als Botschaft zum Denken und
entspringe ihm wieder nach meiner Lust. Ich bin wie der
Vogel des Himmels, das Denken wie die Fliege, — wie
kann die Fliege mir helfen wollen.?
29
Aus dem Diwan
Was ist zu tun, o Moslems? Denn ich erkenne mich selber
nicht. Ich bin nicht Christ, nicht Jude, nicht Parse, nicht
Muselmann. Ich bin nicht vom Osten, nichtvom Westen,
nicht vom Land, nicht von der See. Ich bin nicht von der
WerkstattderNatur,nichtvondenkreisendenHimmeln.
Ich bin nicht von Erde, nicht von Wasser, nicht von Luft,
nicht von Feuer. Ich bin nicht von der Gottesstadt, nicht
von dem Staube, nicht von Sein und nicht von Wesen . . .
Ich bin nicht von dieser Welt, nicht von der andern, nicht
vom Paradies, nichtvon derHölle. Ich bin nicht von Adam,-
nicht von Eva, nicht von Eden und Edens Engel. Mein
Ort ist das Ortlose, meine Spur ist dasSpurlose ; es ist we-
derLeib nochSeele, denn ichgehöre derSeeledesGelieb-
ten. Ich habe Zw^eiheit abgetan, ich habe geschaut, dass
die zw^ei Welten eine sind. Einen suche ich, Einen kenne
ich. Einen schaue ich. Einen rufe ich. Er ist der Erste, Er
ist der Letzte, Er ist der Äusserste, Er ist der Innerste. Ich
Weissnichts andres als »O Er« und »OEr der ist«. Ich
bin vom Becher derLiebe berauscht, die Welten sind aus
meinem Blick geschwunden; ich habe kein Geschäft, als
Geistes Gelage und wilde Zecherei. Habe ich einmal in
meinem Leben einen Augenblick ohne dich verbracht,
von dieser Zeit und von dieser Stunde will ich mein Leben
bereuen. Werde ich einmal in dieser Welt einen Augen-
blickmit dirgewinnen, will ich beideWelten niedertreten,
will imTriumphe tanzen in Ewigkeit.
30
AUS DER ERZÄHLUNG DES TEWEKKUL-BEG,
SCHÜLERS DES MOLLÄ-SHÄH(M. starb 1071 H =
1660/61 n.Chr.)
Über sein Mystisches Noviziat
W'ÄHREND einer ganzen Nacht sammelte er (der
Meister) seinen Geist auf mich, während ich meine
Betrachtung auf mein eigenes Herz richtete; aber der
Knoten meines Herzens löste sich nicht. So gingen drei
Nächte hin, während deren er mich zum Gegenstande
seiner geistigen Aufmerksamkeit machte, ohne dass
irgend eineWirkung sich fühlen Hess. In der vierten Nacht
sagte Mollä-Shäh:„IndieserNachtwerdenMollä-Senghin
und Salih-Beg,diebeidedenekstatischenErregungen sehr
zugänglich sind, ihrenganzen Geistauf diesen Neophyten
richten « . Sie gehorchten diesem Befehle, während ich die
ganzeNacht,dasAngesichtgegenMekkagewendet, sitzen
blieb und zugleich alle Fähigkeiten meinerSeele auf mein
eigenes Herz hinsammelte. Um die Morgendämmerung
zeigtesicheinwenigLichtundKlarheitinmeinemHerzen,
aberichkonnte weder Farbenoch Gestaltunterscheiden.
Nach dem Morgengebete begab ich mich mit den beiden
Personen, die ich eben genannt habe, zum Meister, der
mich begrüssteund sie fragte, wassieausmirgemachthät-
ten.Sie antworteten ihm: »Frage ihn selbst «.Zu mir ge-
wendet, forderte ermich auf, ihm meineEindrückezu er-
zählen. Ich sagte ihm, dass ich eine Helligkeit in meinem
Herzen wahrgenommen habe, worauf der Scheich leb-
hafter wurde und mir sagte: » Dein Herzschliesst eine Un-
endlichkeitvonFarbenein, aber esistso finster geworden,
dass die Blicke dieser beiden Krokodile des unendlichen
31
Ozeans (des mystischen Wissens) ihm den Glanz und die
Durchsichtigkeit nicht haben wiedergeben können. Der
Augenblick ist gekommen, da ich selbst zeigenwerde, wie
man es erleuchtet." Nach diesen Worten hiess er mich,
mich ihm gegenübersetzen, während meine Sinne wie
berauscht waren, und befahl mir, in meinem Innern sein
eigenes Bild zu erzeugen ; und nachdem er mir die Augen
verbunden hatte, forderte er mich auf, alle meine Seelen-
kräfte auf mein Herz hinzusammeln. Ich gehorchte, und
im Augenblick, auf die göttliche Gunst und den geistigen
Beistand des Scheichs hin, öffnete sich meinHerz. Ich sah,
dass in meinem Innern etwas war, das einem umgestürz-
ten Becher glich; als dieser Gegenstand aufgerichtet wor-
den war, erfüllte ein Gefühl uneingeschränkter Glück-
seligkeitmeinWesen. Ich sagte zum Meister: »Vondieser
Zelle, in der ich vor Dir sitze, sehe ich ein treues Bild in
meinem Innern, und das erscheint mir, als ob ein anderer
Tewekkul-Beg vor einem anderen Mollä-Shäh sässe « . Er
antwortete: »Das ist gut; die erste Erscheinung, die sich
deinem Blicke bietet, ist das Bild deines Meisters; deine
Gefährten (die anderen Novizen)sind daran durch andere
mystische Übungen verhindert worden; aber was mich
anlangt, ist es nicht das erste Mal, dass dieser Fall sich mir
darstellt«.
Er befahl mir sodann, meine Augen aufzudecken, was ich
tat, und da sah ich mit dem leiblichen Organe des Sehens
ihn vor mir sitzen ; er Hess mich sie von neuem verbinden,
und ich erblickte ihn in meinem geistigen Gesichte ebenso
vor mir sitzen. Des Staunens voll rief ich aus : » O Meister,
ob ich durch meine leiblichen Organe oder durch mein
geistiges Gesicht schaue, immer bist du es, den ich sehe! «
32
Ich fügte mich genau den Vorschriften meines Meisters
und von Tag zu Tag entschleierte sich mir die geistige
Welt immer mehr; am nächstenTagesahichdieGestal-
ten des Propheten und seiner Hauptgefährten, und Legi-
onen von Engeln und Heiligen zogen vor meinem innern
Blick vorbei. Drei Monate vergingen in dieserWeise, da-
nach öffnete sich mir die Sphäre, v^o jede Farbe verfliesst,
und da verschwanden alle Bilder. Während dieser Zeit
hörtederMeister nicht auf, mir die Lehre derVereinigung
mit Gott und des mystischen Schauens zu erklären ; aber
die absolute Wirklichkeit wollte sich mir noch nicht zei-
gen.Erstnach einem Jahre kam zu mir dasWissen der ab-
soluten Wirklichkeit in Beziehung auf die Erfassung mei-
neseigenen Daseins. DiefolgendenVerse offenbarten sich
in diesemAugenblickmeinemHerzen,vondem siegleich-
samohne mein Wissen auf meine Lippen übergingen :
Ich wusste nicht, dass dieser Leichnam etwas anderes sei
als Wasser und Erde ;
Ich kannte nicht die Kräfte des Herzens, der Seele, des
Leibes;
Welch Missgeschick, dass ohne dich diese Zeit meines
Lebens verging!
Du warst ich und ich wusste es nicht.
3 Buber, Konfessionen
35
PLOTINOS(204— 269)
OFTMALS wenn ich aus dem Leibe zu mir selber er-
wache und aus der Anderheit in mich selber trete,
schaue ich eine gar wunderbare Schönheit. Ich glaube
dann am stärksten, der grösseren Bestimmung anzu-
gehören, und wirke in meiner Kraft das vollkommene
Leben, und bin mit dem Göttlichen Ein Ding geworden,
und da ich darein gegründet bin, gelange ich zu jener Ge-
walt und hebe mich über alles Erkennbare. Steige ich,
nachdem ich so im Göttlichen gestanden habe, aus dem
Geiste insDenken nieder, dann weiss ich nicht : wie kann
dies sein, dass ich jetzt niedersteige, und wie konnte es
sein, dassdieSeele einst in meinen Leib geriet, da sie doch
das ist, als was sie sich mir nun, wiewohl im Leibe ver-
harrend, in sich selber offenbarte.?
Wer es geschaut hat, weiss, was ich sage : dass die Seele
dann ein anderes Leben empfängt, wenn sie herantritt
und schon herangetreten ist und schon Ihn besitzt, also
dass sie, dieses erfahrend, erkennt: der Chorführer des
wahren Lebens ist da und nun tut nichts anderes mehr
not, nein das Andere ist abzutun, und in diesem Einen
soll ich stehen und dieses Eine werden, wenn ich alles,
was mich umhüllt, weggestreift habe. So müssen wir
denn eilen hinauszukommen und unwillig werden über
unser Gebundensein, auf dass wir mit unserem ganzen
Wesen ihnumfangenundkeinenTeilmehranunshaben,
mit dem wir nicht Gott berührten. Dann dürfen wir ihn
hier schauen und uns selber, wie zu schauen frommt: uns
selber in derGlorie, des geistigen Lichtes voll, nein reines
34
Licht selber, unbeschwert, leicht, Gott geworden, nein
Gott seiend. Entbrannt sind wir da, sinken wir aber
wieder, wie ausgelöscht.
Warum bleiben wir aber nicht dort.?^ Weil wir uns noch
nicht ganz losgemacht haben. Es wird aber eineZeit sein,
da wir beständig schauen werden, ohne irgend eine Un-
ruhe des Leibes zu erfahren. Nicht aber istdasSchauende
das Beunruhigte, sondern das Andere ist es: wenn das
Schauende die Betrachtung entlässt , aber das Wissen
nicht endässt, das in Beweisen und Meinungen und in
dem Denken der Seele wohnt; das Schauen jedoch und
das Schauende ist nicht mehr Gedanke, sondern grösser
als der Gedanke und vor dem Gedanken und über dem
Gedanken, wie das Geschaute ist. Wer aber sich selber
geschaut hat, der wird, wenn er schaut, einen sehen,
der einfach geworden ist, vielmehr er wird mit sich als
mit einem solchen Zusammensein und wird sich als
einen solchen wahrnehmen. Vielleicht darf man sogar
nicht sagen: er wird schauen. Das Geschaute aber —
wenn man von diesen, dem Schauenden und dem Ge-
schauten, als von zweien zu reden hat und nicht viel-
mehr von beiden als von Einem, was freilich eine kühne
Rede wäre — schaut der Schauende dann nicht und
scheidet nicht und empfindet nicht Zweiheit, sondern
er ist gleichsam ein anderer geworden und ist nicht
mehr er selber und gehört sich dort selber nicht mehr:
Jenes Eigen gev/orden ist er mit ihm Eines, wie Mitte
auf Mitte gefügt; wie ja auch hier zusammenfallende
Dinge Eines sind und nur gesondert zwei. So reden
auch wir jetzt von einer Verschiedenheit. Darum auch
ist das Schauen unsagbar. Denn wie sollte einer das
3*
35
als ein Verschiedenes künden, was er, als er es sah, nicht
als einVerschiedenes schaute, sondern als Eines mit ihm
selber?
Dies meint offenbar das Gebot der Mysterien, den Un-
geweihten nichts mitzuteilen. Denn da Jenes nicht sag-
bar ist, verbot das Göttliche, es denen zu künden, denen
nicht gewährt ist, selbst es zu schauen .
Da also nicht zwei waren, sondern Eines waren der
Schauende und das Geschaute, gleich als wäre da nicht
Geschautes,nurGeeintes,so magwohl,derda mit Jenem
vermischt zu Einem wurde, in sich,wenn er sich entsinnt,
ein Bild von Jenem haben. Er war aber damals auch sel-
ber Eines und hatte in sich keinerlei Scheidung,nichtvon
sich und nicht von anderen; denn nichts bewegte sich in
ihm, nicht Zorn, nicht Begier nach anderem war inihm,
als er aufgestiegenwar, aber auch nicht ein Gedanke oder
irgendein Erkennen, ja ganz er selber nicht, wenn man
auch dieses sagen darf; sondern wie entrückt und be-
geistert stand er in einsamer Ruhe und wandellosem Be-
harren, mit seinem Wesen nirgendhin abweichend und
sich auch nicht um sich selber mehr drehend, gänzlich
feststehend und gleichsam Stillstand geworden. Auch
nicht dem Schönen gehörte er mehran, sondern auch das
Schöne hat er schon unter sich, auch über den Reigen der
Tugenden ist er hinweggeschritten, wie einer, der in das
innere Heiligtum eingedrungen ist und die Götterbilder
hinter sich im Tempel gelassen hat, sie, die ihm zuerst
wieder begegnen, wenn er aus dem Heiligtum tritt, wo
er geschaut hat und sich vereint hat mit dem, was nicht
Bild und Gestalt, sondern es selber ist ; nunmehr werden
jene ihm ein zweiter Anblick. Es war aber wohl gar kein
56
Schauen, sondern eine andere Art des Gewahrens, ein
Hinaustreten und Einfachwerden und sich Weggeben
und ein Verlangen nach Berührung und eine Ruhe und
ein Sinnen auf Vereinigung : wenn wirklich einer das Sei-
ende im inneren Heiligtum schauen wird.
37
VALENTINOS (2. Jahrhundert)
VALENTINOS sagt, er habe ein kleines, eben ge-
borenes Kind gesehen, von dem er durch Fragen er-
forscht habe, wer es sei. Das aber antwortete und sprach,
es sei der Logos. Dann setzt er einen tragischen Mythos
hinzu...
(Anfang des Mythos:)
Wie alles hangt, sehe ich im Geiste.
Wie alles getragen wird, erkenne ich im Geiste.
Das Fleisch sehe ich an der Seele hangen.
Die Seele von der Luft getragen werden.
Die Luft am Äther hangen.
Aus dem Abgrund aber sehe ich Früchte entsprossen,
Aus dem Mutterschosse ein Kind entsprossen.
?8
WORTE MONTANS UND DER MONTANISTIN-
NEN (2. Jahrhundert)
Montanas
DER Paraklet spricht : Siehe der Mensch ist wie eine
Lyra, und ich fliege hinzu wie ein Plektron. Der
Mensch schläft, und ich wache. Siehe der Herr ist's, der
Menschenherzen aus der Brust nimmt und ein Herz den
Menschen gibt.
Priska
Reinheit vereint, und sie sehen Gesichte, und das Antlitz
niederbeugend hören sie auch deutliche Worte, sowohl
heilsame als verborgene.
Maximilla
(Der Geist redet durch sie:) Ich werde verfolgt wie ein
Wolf unter Schafen ; ich bin kein Wolf; Wort bin ich und
Geist und Kraft.
39
SYMEON DER NEUETHEOLOGE(etwa97o- 1 040)
Liebesgesänge an Gott (ep2te2 t£n eEmN'YMNSiJV)
KOMM, den meine arme Seele verlangt hat und ver-
Jangt. Komm, Einsamer, zumEinsamen;denn ein-
sam bin ich, wie du siehst. Komm , der du mich abgeson-
dert und einsam auf Erden gemacht hast. Komm, der du
meinVerlangen geworden bist, und der du gemacht hast,
dassichdichverlange, dem zuzustreben niemand vermag.
Komm, mein Atem und mein Leben. Komm, Trost mei-
ner Seele. Komm, Jubel und Herrlichkeit, und mein be-
ständiges Ergötzen . Ich sage dir Dank, da du mit mir ohne
Vermischung,Umwandlungund Eintauschung einGeist
geworden bist, und der du Gott über allem bist, mir alles in
allem geworden bist. Unerklärliche Speise, die unmöglich
verzehrt werden kann, und die den Lippen meiner Seele
sich unablässig eingiesst und in der Quelle meines Her-
zens übervoll strömt. Blitzendes Gewand, das die Dämo-
nen versengt. Heimsuchung, die mich reinigt durch die
steten und heiligen Tränen, die deine Gegenwart denen
spendet, zu denen du kommst. Ich sage dir Dank, weil du
mir ein Tag ohne Abend geworden bist und eine Sonne
ohne Untergang : der du nicht hast wohin du dich verbär-
gest, da du mit deiner Glorie die Welten füllest. Niemals
hast du dich je vor irgend einem verborgen, sondern wir
selber verbergen uns vor dir, da wir zu dir nicht kommen
wollen. Denn wo solltest du dich verbergen, der du nir-
gends einen Ort zu ruhen hast.?* Oder warum solltest du
dich verbergen , der du von allen keinen verschmähst,
keinen scheust? So schlage denn, liebreicher Herr, ein
40
Zelt in mir auf und wohne in mir, und bis zu meinem Ab-
scheiden trennedichnicht und sondredich nichtvon mir,
deinem Diener, dass auch ich in meinem Tode und nach
meinem Tode mich in dir erfinde und mit dir herrsche,
Gott, der alles beherrscht. Bleibe, Herr, und lasse mich
nicht allein, dass wenn meine Feinde kommen, die unab-
lässig suchen meine Seele zu verschlingen, sie dich in mir
weilend erschauen und weit und weiter entfliehen, und
mir nicht obsiegen, da sie dich, der stärker ist als alle,
drinnen inderWohnung meinerdemütigen Seele ruhend
erblicken. Fürwahr, wie du eingedenk warst dessen, o
Herr, dass ich auf der Welt war, und ohne mein Wissen
mich erwählt und von der Welt weggehoben und vor das
Antlitz deiner Glorie hingestellt hast, so mache mich
innen gefestigt, immerdar unbewegt, und beschützemich
durch deinWohnen in mir, dass dich täglich anschauend
ich Toter lebe, dich besitzend ich Armer reich sei. So
werde ich mächtiger alsalle Könige sein : und dich essend
und trinkend und in besonderen Stunden mich in dich
hüllend unsagbarer Wonnen geniessen.
Meine Zunge entbehrt der Worte, und was in mir ge-
schieht, sieht mein Geist wohl, aber er erklärt es nicht. Er
betrachtet und will aussprechen, aber das Wort findet er
nicht. Erschaut dasUnsichtbare, das allerGestalt Ledige,
durchaus Einfache, nicht Zusammengesetzte, und an
Grösse Unendliche. Denn er erblickt keinen Anfang, und
keinEndeschauter, und istgänzlich keinerMittebewusst,
und weiss nicht, wie er das sagen soll, was er sieht. Etwas
Ganzes erscheint, wie ich meine, und nicht mit dem We-
sen selbst, sonderndurcheineTeilnahme.DennanFeuer
41
entzündest du Feuer und das ganze Feuer empfängst du :
jenes aber bleibt ungemlndert und ungeteilt wie vordem.
Gleichwohlsondert sich,wasmitgeteiltwird,von dem Er-
sten; und alseinKörperhaftesgehtesinmehrereLeuchten
ein. JenesaberisteinGeistiges,unermesslich, untrennbar
und unerschöpflich. Denn nicht scheidet es sich,wenn es
sichhingibt, in viele, sondern verharrt ungeteilt,und ist in
mir, und geht drinnen in meinem armen Herzen aufw^ie
eine Sonne oder runde Sonnenscheibe, dem Lichte ähn-
lich, denn es ist ein Licht. Ich weiss nicht, was ich davon
sagen soll. Und ich wollte schweigen, — dass ich's doch
vermöchte: aber das Wunder, des Schauers voll, erregt
dieSeele, und erschliesst meinen unreinen Mund : und der
nun in meinem dunkelnHerzendenAufgangerweckthat,
zwingt mich Unwilligen zum Reden, zum Schreiben.
Welches ist, omein Erlöser, dieses dein ungemessenes
Erbarmen.^ Wie wolltest du mich Unreinen, mich Ver-
lorenen, mich Verbuhlten zu deinem Gliede werden las-
sen.?^ Wie hast du mich mit dem hellsten Gewände be-
kleidet, das vom Glänze der Unsterblichkeit blinkt und
alle meine Glieder hell macht.^^ Denn dein ganzer, unbe-
fleckter, göttlicher, unvermischter, undin unaussprech-
licher Weise vermischter Körper blitzt im Feuer deiner
Göttlichkeit,unddieseshastdumirgeschenkt, mein Gott.
Denn dieser meiner schmutzigen, vergänglichen Hütte
vereint sich dein unbeflecktester Körper, und mein Blut
mischt sich deinem Blute, ich weiss, vereint bin ich auch
deiner Gottheit und bindein allerreinsterLeib geworden,
ein leuchtendes Glied, ein Glied, wahrhaft heilig, weithin
schimmernd. Ich schaue die Schönheit, ich schaue den
42
Glanz, ich betrachte das Licht deiner Gnade, und starr e
in den unerklärten Blitz, und gerate ausser mir, da ich
merke, welcher ich gewesen, welcher, oWunder, gewor-
den bin : und ich verehre und ich scheue mich selber, und
wie dich ehre und fürchte ich mich, und bin verwirrt,
und verzage, wohin ich mich setzen, wem mich nähern,
wo deine Glieder lehnen, zu welchen Werken, zu wel-
chen Taten ich so verehrungswürdigeundgöttlicheGlie-
der brauchen soll.
Mich liebt er, der nicht in dieser Welt ist. Und inmitten
meiner Zelle sehe ich ihn, der ausser der Welt ist. Auf
meinem Bette sitze ich, und weile ausser der Welt. Ihn
aber, der ewig und doch geboren ist, sehe ich, und rede
mit ihm und wage zu sagen : Ich liebe, denn er liebt mich.
Ich nähre mich vonderBetrachtung, ich kleide mich dar-
ein; ihm vereint übersteige ich die Himmel. Und dass
dies wahr und gewiss ist, weiss ich. Wo aber dann dieser
Leib ist, erkenne ich nicht. Ich weiss, dass hinabsteigt,
der unbewegt ist. Ichweiss, dass von mir geschaut wird,
der von Natur unschaubar ist. Ich weiss, dass er, der aller
Kreatur weit entrückt ist, mich in sich aufnimmt und
mich in seinen Armen verbirgt, und ich finde mich ausser
der ganzen Welt. Hinwieder schaue ich Sterblicher, und
in der Welt ein Geringer, den ganzen Schöpfer der Welt
in mir: und dieweil ich im Leben bin, umfange ich in mir
das ganze blühende Leben und weiss, dass ich nicht ster-
ben werde. In meinem Herzen ist er, und wohnt im Him-
mel : hier und dort sehe ich ihn in gleichem Leuchten.
Wir sind Glieder Christi, Christus unsere Glieder. Und
43
meine, des Allerärmsten Hand ist Christus und mein Fuss
ist Christus. Und Christi Hand und Christi Fuss ich, der
Ärmste. Ich bewege die Hand — auch Christus, denn er
ist ganz meine Hand: du musst verstehen, dass die Gott-
heit ungeteilt ist. Ich bewege den Fuss — er leuchtet wie
Jener. Sage nicht, ich lästerte, sondern bestätige dieses,
und bete Christum an, der dich so gemacht hat. Denn du
auch,wenndu willst,wirst zu seinem Gliede werden. Und
so werden alleGlieder einesJedenvon unsGliederChristi
werden und Christus unserGlied, und er wird alles Häss-
liche und Unförmliche schön und wohlgestaltet machen,
esschmückendmitderHerrlichkeitundEhreseinerGott-
heit; und wir werden allesamt Götter werden, mit Gott
vertraulich geeinigt, keines Makels an unserem Leibe ge-
wahr, sondern ganz der Ähnlichkeit des ganzen Leibes
Christi teilhaftig geworden,werden wir Jeder den ganzen
Christushaben. Denn derEine, zu Vielen geworden, bleibt
Einer ungeteilt; jeder Teil aber ist der ganze Christus.
Er selbst ist in mir gegenwärtig und strahlt in meinem ar-
men Herzen, kleidet mich in unsterblichen Glanz und
durchleuchtet alle meineGlieder, umfängt mich ganz,ge-
währt mir ganzdenKuss,undgibt sich ganz mir Unwürdi-
gem, und von seiner Liebe und Schönheit sättige ich mich
und werde erfüllt von derWonne und Süssigkeit der Gott-
heit. Teilhaft werde ich des Lichtes, teilhaftder Herrlich-
keit, und mein Angesicht leuchtet wie dessen, der mein
Begehren ist, und alle meine Glieder werden hell, präch-
tiger als die Prächtigen werde ich da, reicher als die Rei-
chen, machtvoller als alle Machthaber, und grösser bin
ich alsdie Könige, und um einVieles geehrter als allesicht-
44
baren Dinge, nicht als die Erde bloss und was auf Erden
ist, sondern als der Himmel auch und alles was in den
Himmeln ist, da ich den Bildner aller Dinge bei mir habe,
dem gebührt der Ruhm und die Ehre jetzt und in Ewig-
keit. Amen.
Als er mich mit himmlischer Freude erfüllt hatte, entflog
er und nahm meinen Geist, meinen Sinn und aller irdi-
schen Dinge Begier mit sich. Und ihm folgend verlangte
mein Geist den geschauten Glanz zu umfassen, aber er
fand ihn nicht als Kreatur und es geriet ihm nicht, aus den
Kreaturen zu gehen, dass er jenen unerschaffenen und
unerfassten Glanz umfange. Dennoch umzog erallesund
strebte jenen zu schauen. Er durchforschte die Luft, er
umwandelte den Himmel, er überschritt die Abgründe,
erdurchspähte,wie ihm schien, dieEndenderWelt. Aber
in alle dem fand er nichts, denn geschaffen war alles. Und
ich klagte und trauerte und brannte in Kerne, und wie ein
im Geiste Entrückter, so lebte ich. Er aber kam, als er
wollte, und wie eine lichte Nebelwolke niedersteigend,
schien er mein ganzes Haupt zu umlagern, dass ich be-
stürzt aufschrie. Er aber wieder entfliegend Hess mich al-
lein. Und als ich ihn mühevoll suchte, erfuhr ich jählings,
dasserinmirselberwar, undinderMittemeinesHerzens
erschien er wie das Licht einer kreisrunden Sonne. Als er
so sich offenbarte und ich ihn erkannteund empfing, trieb
er den Wirbel der Dämonen in die Flucht, stiess die feige
Scheu zurück, gab die Stärke ein, entblösste mein Gemüt
vom irdischen Sinn und umkleidete mich mit dem Sinne
des Geistes. Von den Dingen, die gesehen werden, schied
er mich ab, und mitdenen, die nichtgesehen werden,ver-
45
band er mich. Er gewährte mir, das Unerschaffene zu
schauen, und mich dessen zu erfreuen, dass ich vom Er-
schaffenen, vom Sichtbaren, vom Schnellvergänglichen
gesondert war und vereinigt dem Unerschaffenen, dem
Unsterblichen, das des Anfangs bar ist und von Keinem
erblickt werden kann. SolcherArt ist das Erbarmen.
Lasset mich allein, in meine Zelle eingeschlossen. Ent-
lasset mich mit Gott, der allein der Gütige ist. Tretet zu-
rück, entfernet euch. Lasset mich allein im Angesichte
Gottes sterben, der mich gebildet hat. Keiner poche an
dieTür. Keiner erhebe die Stimme. Keiner von den Ver-
wandten und Freunden suche mich heim. Keiner ziehe
meinenGeistvonderBetrachtungdesguten und schönen
Herrn. Keiner reichemirSpeise, keiner bringe mirTrank.
Denn es wird mir genügen zu ersterben im Anblick mei-
nes Gottes, des barmherzigen, des gütigen Gottes, der zur
Erde herabstieg, um die Sünder zu rufen und sie mit sich
in das himmlische Leben zu führen. Ich will nicht länger
das Licht dieser Welt schauen, noch die Sonne selber,
noch alles was auf der Welt ist. Denn ich schaue meinen
Herrn, ich schaue den König. Ich schaue das wahrhaft
seiende Licht und alles Lichtes Schöpfer. Ich schaue die
Quelle alles Schönen. Ich schaue dieUrsache allerDinge.
Ich schaue den Anfang, derdes Anfangs ermangelt, durch
den alles hervorgebracht wurde und durch den alles lebt
und Nahrung empfängt ; und aus dessen Willen alles ver-
scheidet und aufhört ... Da ich ihn schaute, kam ich von
Sinnen. Ihralso,denendieSinnebefehlen, entlasset mich,
und gewähret mir nicht bloss mich allein in der Zelle zu
verschliessen und drin zu sitzen ; sondern wenn ich mich
46
drin wie in einer Grube verbergen und ein Leben ausser
der ganzen Welt leben werde, anschauend meinen un-
sterblichen Herrn und Schöpfer, werde ich durch seine
Liebe sterben wollen, und werde wissen, dass ich durch-
aus nicht sterben werde.
Der du von der Allgemeinheit nicht ergriffen werden
kannst, wahrlich klein wirst du irgendwie in meinen
Händen, und meinen Lippen neigst du dich leuchtend
wie ein lichtes Euter und eine Süssigkeit, o des Geheim-
nisses. Und nun gib dich mir, dass ich michdeinersättige,
dassichküsseundumfangedeineunsägliche Herrlichkeit,
das Licht deines Angesichtes,und erfüllt werde und allen
anderen mitteile und abgeschieden ganz verherrlicht in
dich komme. Aus deinem Lichte selbst zu Licht gewor-
den, möge ich bei dir stehen, und der Sorgen der vielen
Übel entledigt, möge ich auch von derFurchtbefreitwer-
den, dass ich nicht wieder eingewandelt werde. Gib mir
auchdieses, Herr, teile mir auch dieses zu, der du mir Un-
würdigem alles andere gegeben hast. Dieses tut mir am
meisten not und in diesem ist alles. Denn wenn du auch
jetzt von mir geschaut wirst,wenn du dich auch jetztmei-
ner erbarmst, wenn du mich auch jetzt erleuchtest und
mystisch lehrest und mich bewachest und mit deiner
mächtigen Hand mich beschützest und mir beistehst,
und die Dämonen in die Flucht treibst, und sie vernich-
test, und alles mir unterwirfstund allesmirdarreichst und
mich mit allem Guten erfüllest, — mein Gott, dennock
gewinne ich aus alle diesem nichts, wenn du mir nicht ge-
währst, ohne Scham die Pforten desTodes zu überschrei-
ten; wenn nicht der Fürst der Finsternis herantretend
47
deine Herrlichkeit bei mir wohnen sieht und zu Schan-
denwird,derDunkleversehrtvondeinem unzugänglichen
Lichte , und mit ihm alle feindseligen MächtedasZeichen
deines Siegels schauen und sich davor zur Flucht wen-
den, ich aber deiner Gnade vertrauend unverzagt hin-
überschreite , mich dir nähere und vor dir niederfalle.
Welche Frucht werde ich davon empfangen, was jetzt in
mir geschieht? Wahrhaft keine, sondern dasFeuer in mir
wird es noch mehr entzünden.
Ich sah ihn wieder ganz in meinem Hause, und inmitten
dieses Gerätes erhob er sich unvermutet, und vereinte
sich mir unaussprechlicher Weise, verband sich unsäg-
licherWeisemit mirundschwangsich mirohneMischung
zu wie das Feuer dem Eisen, wie das Licht dem Glase.
Und ermachtemich dem Feuer, machtemichdemLichte
gleich. Und ich wurde das, was ich ehedem sah und aus
der Ferne schaute. Ich weiss nicht, wie ich dirdiese wun-
derbare Weise berichten soll. Denn ich konnte nicht er-
kennen und erkenne auch jetzt ganz und gar nicht, wie er
in mich eintrat, wie sich mir vereinte. Vereint aber mit
ihm, wie soll ich dir sagen,wer er ist, der mir, dem ich hin-
wieder mich vereint habe.? Ich fürchte, du möchtest et-
wa,wennichessage,esnichtglauben,undausdemNicht-
wissen in die Lästerung fallend, mein Bruder, deineSeele
verlieren. Eines sind ich und er geworden, dem ich ver-
eint bin. Aber wie soll ich mich nennen, der mit ihm
vereint wurde.? Gott,von Natur doppelt,vonWesen eins,
macht auch mich zwiefach, und wie du siehst, gab er mir
auch einen doppeltenNamen ein. Dies ist die Scheidung:
Mensch bin ich von Natur, von Gnaden Gott.
48
Wieder strahltmirdasLicht.Wiederschaueichdas Licht
in Klarheit. Wieder öffnet es den Himmel, wieder ver-
treibt esdieNacht.Wieder offenbart esalles. Wieder wird
es allein geschaut. Wiederführt es mich von allen sicht-
baren, allen dem Sinne zugehörigen Dingen ab, reisst mich
von ihnen los. Und der über allen Himmeln ist, den kei-
nerderMenschenjeerblickte,derkehrtwiederin meinem
Geiste ein, ohnedenHimmel zuverlassen, ohnedieNacht
zu zerteilen, ohne die Luft zu durchbrechen, ohne das
Dach des Hauses niederzuschlagen, ohne irgend ein Ding
zu durchdringen, und in die Mitte meines Herzens, o er-
habenes Geheimnis, da alles bleibt wie es ist, stürzt mir
das Licht und hebt mich über alles empor. Und ich, der
ich inmitten allerDinge war, stehe ausser allem, ich weiss
nicht, ob nicht auch ausser dem Leibe. Nun bin ich in
Wahrheit ganz da, wo das Licht allein und einfach ist,
und aus seiner Betrachtung gehe ich einfach in Unschuld
hervor.
4 Buber, Konfessionen
49
HILDEGARD VON BINGEN(i loo— 1 178)
Aus einem Brief e
O treuer Diener, ich armselige weibliche Gestalt rede
zu dir im wahren Gesichte diese Worte. Wenn es
Gott gefiele, dass er in diesem Gesichte meinen Leib
erhöbe, wie er die Seele erhebt, würde die Furcht aus
meinem Geiste und Herzen dennoch nicht weichen, denn
ich weiss, dass ich ein Mensch bin, wiewohl von meiner
Kindheit an eingeschlossen. Viele Weise sind durch
Wunder so verwirrt worden, dass sie manches Geheime
enthüllt haben, doch um des eitlen Ruhmes willen haben
sie es sich selber zugeschrieben und so sind sie gefallen.
Aber die im Aufstiege der Seele von Gott die Weisheit
schöpften und sich für nichts erachteten, die sind dieSäu-
len des Himmels geworden . . .
Und wie sollte dies sein, wenn ich Armselige mich nicht
erkennte.? Gott wirkt, wo er will, zum Ruhme seinesNa-
mens und nicht des irdischen Menschen. Ich aber habe
immer eine zitternde Angst, denn ich weiss keine Zuver-
sicht irgend einer Möglichkeit in mir; sondern meine
Hände strecke ich zu Gott, dass ich wie eine Feder, die
aller Schwere der Kräfte entbehrt und im Winde fliegt,
von ihm getragen werde. Und was ich schaue,vermag ich
nicht vollkommen zu wissen, solange ich im körperlichen
Amte bin und in der unsichtbaren Seele; denn in diesen
beiden ermangelt es dem Menschen.
Von meiner Kindheit an aber, da ich an Gebeinen und
Nerven und Adern noch nicht erstarkt war, schaue ich
dieses Gesicht immer in meiner Seele bis zur gegenwär-
tigen Zeit, da ich schon mehr als siebzig Jahre bin. Und
50
meine Seele steigt, wie Gott es will, in diesem Gesichte
zur Höhe des Firmamentes und indenWechsel verschie-
dener Lüfte und breitet sich zu mannigfachen Völkern
hin, die in weiten Ländern undRäumenmirentferntsind.
Und da ich dies in solcherWeise in meiner Seele schaue,
nehme ich esauchnachdemWechselderWolkenschicht
und anderer geschaffenen Dinge wahr. Nicht aber höre
ich es mit den äusseren Ohren, noch empfange ich es
in den Gedanken meines Herzens, noch irgend unter ei-
nem Beitrage meiner fünf Sinne, sondern in meiner Seele
allein bei offenen äusseren Augen , so dass ich niemals
in ihnen die Ermüdung der Ekstase erleide, sondern
wachend am Tage und in der Nacht schaue ich es. Und
beständig werde ich von Krankheiten bedrängt und oft-
mals in schwere Schmerzen so sehr verwickelt, dass sie
mir den Tod zu bringen drohen; aber Gott hat mich bis
zu dieser Zeit aufrecht gehalten.
Das Licht aber, das ich schaue, ist nicht örtlich, sondern
weit und weit heller als die Wolke, die die Sonne trägt.
Und nicht vermag ich Tiefe noch Länge noch Breite darin
zu erblicken. Und genannt wird es mir der Schatten des
lebendigen Lichtes. Undwie Sonne, Mondund Sterne im
Wasser Widerscheinen, so erglänzen mirdarindieSchrif-
ten und die Reden und die Kräfte und etliche Werke der
Menschen im Gebilde.
Was ich aber in diesem Gesichte schauen oder erfahren
mag, dessen Gedächtnis habe ich durch eine lange Zeit,
so dass ich mich entsinne, wann ich es geschaut und ver-
nommen habe. Und zur gleichen Zeit sehe ich und höre
ich und weiss ich es, und was ich weiss, besitze ich im
Augenblick. Was ich aber nicht schaue, das weiss ich
4*
51
nicht, denn ich bin ohne Gelehrsamkeit, und nur die
Buchstaben in Einfalt zu lesen bin ich unterwiesen wor-
den. Und was ich im Gesichte schreibe, das sehe und
höre ich, und ich setze keine anderenWorte,alsdie ich
höre, und in ungefeilter Sprache bringe ich sie vor, so-
wie ich sie im Gesichte höre. Denn nicht wie die Philo-
sophen schreiben,werde ich in diesem Gesichte zuschrei-
ben gelehrt. Und dieWorte in diesem Gesichte sind nicht
wie die Worte, die aus dem Munde des Menschen tönen,
sondern wie eine schwingende Flamme und wie eine
Wolke in reiner Luft bewegt.
Dieses Lichtes Gestalt vermag ich in keiner Weise zu
erkennen, wie ich das Kreisrund der Sonne nicht voll-
kommen anblicken kann. In diesem Lichte aber sehe
ich zuweilen und nicht häufig ein anderes Licht, das mir
das lebendige Licht genannt wird, und wann und in wel-
cher Weise ich dieses sehe, das weiss ich nicht zu sagen.
Und da ich es schaue, wird mir alle Traurigkeit und alle
Not entrafft, also dass ich alsdann die Sitten eines ein-
fältigen Mägdleins und nicht einer alten Frau habe.
Aber wegen der beständigen Schwäche, die ich leide,
widerstrebt es mir, dieWorte und die Gesichte, die mir
da gezeigt werden, auszusprechen. Doch bin ich in der
Zeit, da meine Seele sie schaut und geniesst,in eine so
andere Verfassung gebracht, dass ich, wie ich sagte, alles
Weh und Leid dem Vergessen übergebe. Und was ich
da in diesem Gesichte schaue und vernehme, das schöpft
meine Seele wie aus einer Quelle, die jedoch bleibt voll
und unerschöpft. Meine Seele aber entbehrt zu keiner
Stunde jenes Lichtes, das der Schatten des lebendigen
Lichtes geheissen wird. Und ich schaue es, wie ich in
52
einer lichten Wolke das Firmament ohne Sterne be-
trachte. Und darin schaue ich, was ich oftmals rede und
was ich antworte, wenn man mich nach dem Blitze jenes
lebendigen Lichtes befragt.
5^
ALPAIS VON CUDOT(i 1 50— 121 1)
^ / ON einem frommen Manne befragt, ob sie ihre Vi-
V sionen in dem Leibe oder ausser dem Leibe schaute,
und ob sie je im Geiste verzückt würde oder nicht, ant-
wortete sie: »Ob ich verzückt bin oder war, wage ich nicht
zu sagen, noch meine ich es, sowie ich nicht wage, von
diesen Visionen, die ich auf euer Drängen berichte, zu be-
haupten, in derWirklichkeitder Dinge sei es so geschehen
oder geschehe es so, wie es mir in meiner Ruhe als ge-
schehend gezeigt wird, sondern sicherer überlasse ich dies
dem göttlichen Urteil, dem nichts verborgen ist. Die Ge-
sichte aber, die ich euch berichte, die sehe ich in meiner
Ruhe so geschehen, wie ich sie berichte. Aber worauf
sie zielen oder was sie meinen oder was die meisten von
ihnen wollen und ob sie in dieser Weise und Ordnung
geschehen und eingerichtet werden , in welcher Weise
und Ordnung sie mir zu geschehen und eingerichtet zu
sein erscheinen, das erkenne ich nicht gut. Wie immer
sich aber auch die Wahrheit dieses Dinges verhalten
mag, dieses eine weiss ich, dass ich nicht getäuscht werde
noch täusche, denn was ich euch sage, sehe ich, wie
ich es sage, und ich sage es, wie ich es sehe. Ob ich aber,
was der Herr mir in seinem Wohlgefallen zeigt, wenn er
in mir oder mein Geist in ihm ruht, im Leibe oder ausser
dem Leibe sehe, weiss ich nicht. Er allein weiss es, der
alles weiss und der auch mich bald im Wachen bald im
Schlafen oder vielmehr im Ruhen schauen macht. Ein-
mal jedoch ist es mir erschienen —wenn ich es sagen darf,
obgleich ich es für gewiss nicht zu behaupten wage— ich
sei ausser meinem Leibe gewesen. Aber wie und wann
54
i
meine Seele aus ihrem Leibe ging und wie sie ihn ab-
streifte, das weiss ich durchaus nicht. Denn so leicht und
so plötzlich, in einem Augenblick, wie es mir schien,
streifte meine Seele das Gewand des Fleisches ab, wie
wenn ein mit einem oben offenen Gewände Bekleideter
eilend auf dem Wege läuft und dem Laufenden das Ge-
wand jählings von den Schultern gleitet, da er allein dem
Eifer des Weges und Laufes ergeben ist, und ganz ohne
sein Wissen zur Erde fällt; er aber merkt erst dann, dass
es gesunken ist, da er sich nackt und sein Gewand unter
sich am Boden liegend erblickt. So ist, wie mir scheint,
ganz ohne mein Wissen meine Seele jählings aus meinem
Leibe gegangen. Ich aber erfand es erst, als die Seele des
Fleisches entblösst ihren Leib zu betrachten begann, der
unbewegt auf dem Bette lag. Sie sah den Leib an und
freute sich am Schauen und ergötzte sich daran, denn
sehr schön war er ihrvon Ansehen, köstlich ihrem Blicke,
und sie betastete ihn undhobihnempor. Undsehrschwer
und lastend warmeinerSeele seinGewicht,dennochaber
liebte sie ihn und umarmte ihn mit wunderbarer Leiden-
schaft. Während meine Seele so ausser dem Leibe war
und ihn betrachtete, sah sie um sich schauend rings-
um eine unendliche Menge von Menschen hin und her
rennen nach derArtderwildenTiere,wie rasend und von
Sinnen, als begehrten sie zu fliehen und fänden den Pfad
derFluchtnicht. Bei ihrem Getöseerzitterteunderschrak
meine Seele, und schneller als ein Wort trat sie wieder in
ihren Leib, ich aber wusste ganz und gar nicht, wie und
wannsiedareinzurückkehrte.Dennwieichnichtwusste,
noch fühlte, in welcher Weise sie aus dem Leibe ging und
ihn abstreifte, so fühlte und fand ich nicht, in welcher
55
Weise sie in ihn heimkehrte. Wie einer in einem Schiffe
schlief, das sanft über das Wasser des Flusses hinfliegend
schon den Hafen erreicht hat, er aber weiss und versteht
nicht, in welcher Weise erzürn Ufer gekommen ist« .
Befragt, was für ein Ding die Seele sei und ob die Seele
sich selbst ebenso wie ihren Leib sehe, den sie verlassen
hat, und was für Augen sie habe, sich oder den Leib zu
schauen, antwortete sie, sie könne dies nicht deutlich er-
klären, denn es lasse sich in der ganzen Welt kein Gegen-
stand finden, nach dessen Bilde die Gestalt oder die Natur
der Seele darzulegen wäre. » Denn die Seele » , sprach sie,
»ist einfach, unsichtbar und unkörperhaft, ist nicht in
Teile geschieden wie der Körper noch in Glieder, denn
sie hat keine Hände oder Füsse, mit denen sie gehen
oder tasten, keine Augen und Ohren, mit denen sie sehen
oder hören könnte. Denn in allen ihren Handlungen
und Bewegungen ist sie ganz gegenwärtig. Was immer
sie daher berührt, sie berührt es ganz zugleich, und
ganz zugleich erfährt und erprobt sie Weiches oder
Hartes; Warmes und Kaltes unterscheidet mit der Fin-
gerspitze sie ganz; was sie riecht, riecht sie ganz und
nimmt ganz die Düfte auf; was sie schmeckt, schmeckt
sie ganz und unterscheidet ganz jeden Geschmack;
was sie hört, hört sie ganz und entsinnt sich ganz der
Töne; was sie sieht, sieht sie ganz und gedenkt ganz der
Bilder. Kurz: ganz tastet , ganz riecht, ganz schmeckt,
ganz hört, ganz sieht, ganz gedenkt die Seele. Und so
sieht sie sich auch, wenn sie vom Fleische gelöst ist.
Denn solange sie im Fleische ist, kann sie sich nicht
ganz sehen, weil sie sich nicht ganz in sich einsam-
meln kann, dass sie sich allein erblicke: Vorstellungen
56
und Bilder körperhafter Dinge laufen ihr unter, die sie
durch die Aussensinne des Körpers empfängt und durch
die sie gehindert wird, ganz sich selber zu schauen. An
keinem Orte ist die Seele gefasst, denn sie ist nicht ört-
lich, von keinem Räume wird sie begrenzt, denn sie
entbehrt der Ausdehnung, von keinen Gliedern wird sie
eingeschränkt, denn sie ist unkörperhaft. Sie wird nicht
durch des Ortes Grösse aufgehalten, dass sie mit einem
grösseren Teile einen grösseren Raum einnähme, mit
einem kleineren einen kleinen, oder dass in einem Teile
ihrer weniger wäre als im Ganzen. Denn in allen Teil-
chen des Körpers zugleich ist sie ganz gegenwärtig. An
welchem Orte immer daher ein noch so geringer Teil
des Körpers geschlagen oder gestochen wird, fühlt sie
ganz den Schmerz. Und nicht geringer ist sie in den klei-
neren Gliedern des Körpers, nicht grösser in den grösse-
ren, sondern in den einen blüht sie stärker, in den andern
schwächer, aber in dem kleinsten ganz, in den grössten
ganz, in allen ganz und in den einzelnen ganz. Denn wie
Gott überall ist, Gott ganz in seiner ganzen Welt und in
jeder seiner Kreatur ganz, alles belebend, bewegend und
regierend, wie der Apostel sagt, dass wir in ihm leben,
uns regen und sind, so ist die Seele in dem Leibe über-
all stark, gleichsam in ihrer Welt, so belebt, bewegt und
regiert sie ihn, kräftiger wohl im Herzen und im Gehirne,
sowie man sagt, Gott sei in besonderer Weise im Him-
mel. Und wie er in seiner Welt innen und aussen, oben
und unten ist, so ist die Seele in ihrem Leibe, ihn re-
gierend oben, ihn tragend unten, ihn erfüllend innen,
ihn umgebend aussen. So ist sie innen, wie sie aussen
ist, so umgibt sie, wie sie durchdringt, sie leitet, wie sie
57
trägt,sIeträgt,wiesIeleitet,undwIeGottwederimWach-
sen der Kreaturen wächst, noch in ihrem Schwinden
schwindet, so wird die Seele bei Minderung der Glieder
nicht gemindert, bei ihrer Mehrung nicht gemehrt « .
58
AEGIDIUS VON ASSISI
(von 1 208 an Jünger des heiligen Franziskus, starb 1 262)
IM sechsten Jahre nach seiner Bekehrung, als er im
Kloster zu Fabriano wohnte, kam eines Nachts die
Hand des Herrn über ihn. Während er mit Inbrunst be-
tete, wurde er von so grosser göttlicherTröstung erfüllt,
dass es ihm schien, Gott wolle seine Seele aus dem Leibe
führen, damit er seine Geheimnisse in Klarheit schaue.
Und er begann zu spüren, wie sein Körper erstarb, zuerst
in den Füssen und dann weiter, bis die Seele ausging. Und
ausserdem Leibe stehend, wie ihm schien, nach dem
Willen dessen, der sie dem Leibe verbunden hatte, er-
götzte sie sich ob der übergrossen Schönheit, mit der sie
der heilige Geist geschmückt hatte, daran, sich selbst zu
betrachten. Denn sie war sehr zart und sehr hell über
alles Mass, wie er selbst vor dem Tode erzählte. Dann
wurde diese sehr heilige Seele zum Schauen der himm-
lischen Geheimnisse hinweggeführt, die er niemals offen-
baren wollte.
Einmal sprach er: »Ich weiss einen Menschen, der Gott
so klar geschaut hat, dass er allen Glauben verlor« .
Ein andermal sprach Bruder Andreas zu ihm : » Du sagst,
dassGott dir in einerVision den Glauben genommenhat;
sage mir, wenn es dir gefällt, ob du die Hoffnunghast« . Er
antwortete : » Wer den Glauben nicht hat, wie sollte der
die Hoffnung haben .^< Sprach zu ihm Bruder Andreas:
» Hoffst du nicht,dass du das ewige Leben besitzen wirst ? «
Er antwortete : » Glaubstdu nicht, dassGott, wenn esihm
gefällt, ein Unterpfand des ewigen Lebens geben kann?«
59
Bruder Aegidius sagte einmal, er sei viermal geboren.
» Das erste Mal « , sprach er, » bin ich von meiner leiblichen
Muttergeboren, das zweiteMalimSakramentederTaufe,
das dritteMal,als ich in diesen heiligenOrden eintrat, das
vierte Mal, als Gott mir die Gnade seiner Erscheinung
schenkte«. Da sprach Bruder Andreas zu ihm: »Wenn
ich in ferne Länder ginge und ich würde gefragt, ob ich
dich kennte und wie es dir ginge, könnte ich so ant-
worten: ,Zweiunddreissig Jahre sind es, seit Bruder
Aegidius geboren wurde''', und bevor er geboren wurde,
hatte er den Glauben, aber nach seiner Geburt hat er den
Glauben verloren' « . Antwortete Bruder Aegidius: »Wie
du gesagt hast, so ist es. Wohl hatte ich vordem den
Glauben nicht so recht, wie ich ihn hätte habensollen,
dennoch hat ihn Gott mir genommen. Wer immer aber
ihn in vollkommener Weise hat, wie man ihn haben soll,
dem wird Gott ihn auch nehmen. Danach habe ich sol-
ches getan, dass ich verdiente, es würde mir ein Strick um
den Hals gebunden und ich würde schimpflich durch alle
Strassen dieser Stadt geschleppt« . Sprach abermals Bru-
der Andreas: »Wenn du den Glauben nicht hast, was
würdest du tun , wenn du ein Priester wärest und das
Hochamt feiern woUtest.r^ Wie könntestdu sprechen:, Ich
glaube an einen Gott.^' Wie es scheint, müsstest du spre-
chen: ,Ich erkenne einen Gott' '<. Da antwortete Bruder
Aegidius mit sehr freudigem Angesichte und sang mit lau-
ter Stimme: »Ich erkenne einen Gott, den allmächtigen
Vater«.
* D.h. seit der Erscheinung
60
Als der heilige Ludwig, der König von Frankreich, be-
schloss, zu den Heiligtümern zu pilgern und den Ruf der
Heiligkeit des Bruders Aegidius vernahm, nahm er in sein
Herz auf, ihn heimzusuchen. Als er deswegen auf seiner
Wanderschaft nach Perugia kam,wo,wie er gehörthatte,
jener weilte, ging er an das Tor der Brüder wie ein armer
Pilgrim und ungekannt, im Geleite weniger Gefährten,
und begehrte inständig nach dem heiligen Bruder Aegi-
dius. Der Pförtner ging und sagte esBruder Aegidius, dass
ein Pilgrim am Tore seiner begehrte. Sogleich erkannte
er durch den Geist, wer es war. Und wie trunken aus der
Zelle tretend, kam erineiligem Laufe zumTore undbeide
fielen miteinander in eine wunderbare Umarmung und
gaben einander knieend Küsse grosser Andacht, als ob sie
einander in uralter Freundschaftkennten. Und alssie sich
die Zeichen der innigen Liebe gegeben hatten, sprach kei-
ner zum andern ein Wort, sondern in jeder Weise das
Schweigen bewahrend, schieden sie voneinander.
Als aber der heilige Ludwig von dannen zog, fragten die
Brüder einenvon seinen Gefährten,werdieser sei, der mit
Bruder Aegidius so innige Umarmung gepflogen hatte.
Er antwortete, es sei Ludwig, der König von Frankreich,
der auf der Pilgerfahrt den heiligen Bruder Aegidius hätte
schauen wollen. Da klagten es die Brüder dem Bruder
Aegidius und sprachen : » O Bruder Aegidius,warum hast
du einem so grossenKönig,derausFrankreich gekommen
ist, um dich zu sehen und ein gutes Wort von dir zu ver-
nehmen, nichts sagen wollen.?« Antwortete Bruder Aegi-
dius: »TeuersteBrüder,wunderteuch nicht,wennweder
er mir, noch ichihm etwas sagenkonnte; dennsobald wir
einander umarmt hatten, offenbarte mir das Licht der
6i
göttlichen Weisheit sein Herz und ihm das meine. Und
im ewigen Spiegel stehend, erfuhren wir mit vollkom-
mener Tröstung, was er mir zu sagen gedacht hatte, was
ich ihm, ohne Geräusch der Lippen und der Zunge, und
besser, als wenn wir mit den Lippen geredet hätten. Und
hätten wir das, was wir innen fühlten, mit stimmlichen
Klängen erklären wollen, diese Rede hätte uns eher zur
Schwermut als zur Tröstung gereicht. Wisset also, dass
erwunderbargetröstetvondannenging«.
62
MECHTHILD VON MAGDEBURG (12 12— 1277)
Von der Hof reise der Seele bei der sich Gott zeigt
W'ENN die arme Seele zu Hofe kommt, ist sie weise
und wohlgezogen; da sieht sie ihren Gott fröhlich
an. Oh wie freudenreich wird sie da empfangen. Da
schweigt sie und begehrtunermesslich sein Lob. Da zeigt
erihrmitgrosserBegierseingöttlichesHerz. Das istgleich
dem roten Golde, dasda brennt in einem grossen Kohlen-
feuer. Da tut er sie in sein glühendes Herz, dass sich der
hohe Fürst und das kleine Mädchen also umhalsen und
vereint sind wie Wasser undWein. Da wird sie zunichte
und kommt ausser sich, soviel sie nur vermag. Da ist er
krank vor Liebe zu ihr, wie er von je war, denn ihm geht
weder etwas zu noch ab. Da spricht sie: Herr, du bist
mein Trost, mein Begehr, mein fliessender Quell, meine
Sonne, und ich bin dein Spiegel. — Dies ist die Hofreise
der liebenden Seele, die ohne Gott nicht sein kann.
Wie die Seele Gott empfängt und preist
Oh fröhliche Anschauung! Oh freundlicher Gruss! Oh
liebreiche Umhalsung! Herr, deinWunder hat mich ver-
wundet, deine Gnade hat mich überwältigt. O du hoher
Stein, du bist so wohl verborgen, in dir kann niemand
nisten als Tauben und Nachtigallen.
Wie Gott die Seele empfängt
Sei willkommen liebe Taube, du bist so sehr geflogen im
irdischen Reich, dass deine Schwingen gewachsen sind
fürs himmlische Reich.
6?
Gott vergleicht die Seele vier Dingen
Du schmeckst wie eine Weintraube, du riechst wie ein
Balsam, du leuchtest wie die Sonne, du bist ein Zuwachs
meiner höchsten Liebe.
Die Seele preist Gott in fünf Dingen
O du giessenderGott in deiner Gabe! O du fliessender
Gott in deiner Liebe! O du brennender Gott in deiner
Begier! O du schmelzender Gott in der Einung mit dei-
ner Geliebten! O du ruhender Gott an meinen Brüsten,
ohne den ich nicht sein kann !
Gott sagt der Seele Liebes in sechs Dingen
Du bist mein Lagerkissen, mein liebliches Bette, meine
heimlichste Ruhe, meine tiefste Begier, meine höchste
Ehre. Du bist eine Lust meinem Gottsein, ein Trost mei-
nem Menschsein, ein Bach meinem Brande.
Die Seele erwidert Gottes Lob in sechs Dingen
Du bist mein Spiegelberg, meine Augenweide, das Ver-
lieren meiner selbst, derSturm meines Herzens, der Zer-
fall und UntergangmeinesWesens, meine höchste Sicher-
heit.
Von der Erkenntnis und dem Genuß
Liebe ohne Erkenntnis dünkt die weise Seele eine Fin-
sternis. Erkenntnis ohne Genuss dünkt sie eine Höllen-
pein. Genuss ohne Sterben kann sie nicht verschmerzen.
Von Sankt Mariens Botschaft
Der süsse Tau der anfanglosen Dreifaltigkeit hat sich
gesprengt aus dem Quell der ewigen Gottheit in den
64
Schoss der auserwählten Magd, und des Schosses Frucht
istein unsterblicher Gott und ein sterblicherMensch und
ein lebender Trost der ewigen Freude, und unsre Erlö-
sung ist Bräutigam geworden . Die Braut ist trunken wor-
den vom Anschauen des edlen Antlitzes. In dergrössten
Stärke kommt sie aus sich selber, und in der grössten
Blindheit sieht sie am allerklarsten. In der grössten Klar-
heit ist sie zugleich tot und lebendig. Je länger sie tot ist,
umso fröhlicher lebt sie. Jefröhlicher sie lebt,um so mehr
erfährt sie. Je kleiner sie wird, um so mehr fliesst ihr zu. Je
reicher sie wird , um so ärmer ist sie. Je tiefer sie wohnt,
um so breiter ist sie. Je gebieterischer sie ist, um so tiefer
werden ihre Wunden. Je mehr sie stürmt, um so liebrei-
cher ist Gott gegen sie. Je höher sie schwebt, um so schö-
nerleuchtetsievon dem GegenblickderGottheit, je näher
sie ihm kommt. Je mehr sie arbeitet , um so sanfter ruht
sie. Je mehr sie erfasst, um so stiller schweigt sie. Jelauter
sie ruft, um so grössere Wunder wirkt sie mit seinerKraft
nach ihrem Vermögen. Je mehr seine Lust wächst, je
enger ersieumschliesst,um sogrösserwird das Glück der
Braut. Je inniger die Umhalsung wird, um so süsser
schmeckt das Mundküssen. Je liebreicher sie sich an-
sehen, um so schwerer scheiden sie. Je mehr er ihr gibt,
um so mehr verzehrt sie, wieviel sie auch haben mag. Je
demütiger sie Abschied nimmt, um so eher kommt sie
wieder.Jeheisser sie bleibt, um so eher entglimmt sie. Je
mehr sie brennt, um so schöner leuchtet sie. Je mehr
Gottes Lob verbreitet wird, um so weniger schwindet
ihre Gier.
Ei, wohin fährt unser Erlöser -Bräutigam in dem Jubel
der heiligen Dreifaltigkeit.? Da Gott nicht mehr wollte in
C Buber, Konfessionen
65
sich selber sein, da machte er die Seele und gab sich ihr zu
eigen aus grosser Liebe. Woraus bist du gemacht, Seele,
dass du so hoch steigst über alle Kreaturen, und mengst
dich in die heilige Dreifaltigkeit und bleibst doch ganz in
dir selber? — Du hast gesprochen von meinem Ursprung,
nun sage ich dir wahrlich : Ich bin an jener Stätte gemacht
ausderLiebe,darumkannmirkeine Kreaturnachmeiner
edeln Natur genugtun und keine mich öffnen als allein die
Liebe.
Du sollst bitten, dass dich Gott minne gewaltig, oft und lang,
so wirst du rein, schön und heilig
O Herr, minne mich gewaltig und minne mich oft und
lang ; je öfter du mich minnest, um so reiner werde ich ; je
gewaltiger du mich minnest, um so schöner werde ich ; je
länger du mich minnest, umso heiliger werde ich hier auf
Erden.
Wie Gott der Seele antwortet
Dass ich dich oft minne, das habe ich von meiner Natur,
denn ich bin selber die Liebe. Dass ich dich gewaltig min-
ne, das habe ich von meiner Begier, denn auch ich be-
gehre, dass man mich gewaltig minne. Dass ich dich lange
minne, das ist von meiner Ewigkeit, denn ich bin ohne
Ende.
Gott fragt die Seele, was sie bringe
— Du jagest sehr in der Liebe. Sage mir, was bringst du
mir, meine Königin }
— Herr, ich bringe dir mein Kleinod: das ist grösser als
die Berge, es ist breiter als die Welt, tiefer als das Meer,
66
höher als dIeWolken, glänzender als die Sonne, mannig-
faltiger als die Steine ; es wiegt mehr als die ganze Erde.
— O Bild meiner Gottheit, erhöht mit meinem Mensch-
tum, geziert mit meinem heiligen Geiste, wie heisstdein
Kleinod?
— Herr, es heisst meines Herzens Lust, die habe ich der
Welt entzogen, mir selber erhalten und allen Kreaturen
versagt, nun kann ich sie nicht weiter tragen. Herr, wo-
hin soll ich sie legen.^
— Deines Herzens Lust sollst du nirgendhin legen als in
meingöttlichesHerzund an meinemenschliche Brust. Da
allein wirst du getröstet und mit meinem Geiste geküsst.
Von der Liebe Weg in sieben Dingen, von drei Kleidern der
Braut und vom Tanze
Gott spricht: O liebende Seele, willst du wissen, welches
dein Weg sei .f^
Die Seele : Ja, lieber heiliger Geist, lehre mich .
Gott spricht: Wenn du über die Not der Reue kommst
und überdiePeinderBeichte,und über dieQualderBusse,
und über die Lust derWelt, und über die Versuchungdes
Teufels, und über den Überschwang des Fleisches, und
über den verderbten Eigenwillen, der manche Seele so
arg zurückzieht, dass sie nie mehr zu rechter Freude
kommt, und wenn du alle deine schlimmsten Feinde
niedergeschlagen hast, dann bist du so müde, dass du
sprichst: »Schöner Jüngling, mich gelüstet nach dir, wo
sollich dich finden. f^«
Dann spricht dtx Jüngling: » Ich höre eine Stimme,die tönt
mir wie von Liebe. Ich habe um sie geworben manchen
Tag, aber die Stimme war mir nicht nah. Nun bin ich be-
67
wegt, ich mussihr entgegen. Sie ist die, die Kummer und
Liebe zugleich trägt. Des Morgens in demTaue, dasist die
umschlosseneAndacht,diezuerstindieSeelekommt«.
Nun sprechen ihre Kämmerer, das sind die iüni Sinne:
» Herrin, Ihr sollet Euch ankleiden « .
Die Seele: » Liebe, wo soll ich hin ? «
Sinne: »Wir haben das Raunen wohl vernommen, der
Fürst will Euch entgegenkommen in dem Tau und in dem
schönen Vogelsange. Wohlan, Herrin, so säumet nicht
lange « .
Nun zieht sie ein Hemd der sanften Demut an, und so de-
mütigist es,dasssienichtsuntersich leidenkann. Darüber
ein weisses Kleid der lauteren Keuschheit, und so rein ist
es,dasssieanGedanken,anWorten und anBerührungen
nichtsmehrzuertragenvermag,wassiebeflecken könnte.
Dann nimmt sie den Mantel des heiligen Rufes um , den
sie mit allen Tugenden erworben hat.
So geht sie in denWaldjindieGesellschaftheiliger Leute.
Da singen tag- und nachtlang die allersüssesten Nachti-
gallen derwohlgestimmten Einung mitGott und manche
süsse Stimme hört sie da von den Vögeln der heiligen Er-
kenntnis. Noch kam der Jüngling nicht. Nun sendet sie
Boten aus, denn sie will tanzen, und sendet um den Glau-
benAbrahams, und um dieSehnsuchtder Propheten, und
um die keusche Demut unserer Frau Sankt Maria, und
um alle die heiligen Tugenden Jesu Christi, und um alle
die Frömmigkeit seiner Auserwählten. Da hebt sich ein
schönes Lobtanzen an.
Da kommt der Jüngling und redet sie an : »Jungfrau, Ihr
sollt so fromm nachtanzen, wie Euch meine Auserwähl-
ten vorgetanzt haben « .
68
Da spricht ^/e;
» Ich kann nicht tanzen, Herr,wenn du mich nicht führst.
Willstdu, dass ich hüpfe, so musst du selber voran singen.
Dann tanze ich in die Liebe, aus der Liebe in die Er-
kenntnis, aus der Erkenntnis in den Genuss, aus dem
Genuss über alle menschlichen Sinne. Dort will ich blei-
ben und will doch weiter schwingen « .
Und so muss denn der Jüngling also zum Tanze singen :
»Eür mich zu dir und für dich ausser mir, gerne bei dir,
ungern von dir weg « . —
Dann spricht der Jüngling:
»Jungfrau, dieser Ehrentanz ist Euch wohlgelungen. Ihr
sollet mit dem Sohn der Magd Euern Willen haben,
denn Ihr seid nun zu innerst müde. Kommet zu Mittag
zum schattigen Quell in das Bett der Liebe. Da sollet
Ihr Euch mit ihm kühlen « .
Da spricht die Jungfrau :
» O Herr, das ist übergross, dass die ist deiner Liebe Ge-
npss, die nicht Liebe in sich selber hegt, sie werde denn
von dir bewegt«.
Dann spricht die Seele zu den Sinnen, die ihre Kämmerer
sind : » Nun bin ich eineWeile des Tanzens müde. Lasset
mich, ich muss dahin gehen, wo ich mir Kühlung finde « .
Darauf sprechen die Sinne zu der Seele: »Herrin, wollt
Ihr Euch in den Liebestränen Sankt Maria Magdalenens
kühlen, da kann Euch wohl werden « .
Die Seele: »Schweigt, ihr Herren; ihr wisset nicht alles,
was ich im Sinne habe. Lasst mich ungehindert ziehn.
Ich will jetzt vom ungemischten Weine trinken « .
Sinne: »Herrin, in der Jungfrauen Keuschheit ruht die
grosse Liebe«.
69
Seele: » Das mag wohl sein, mir ist es nicht das Höchste « .
Sinne: »Im Blute der Märtyrer könnt Ihr Euch herrlich
kühlen«.
Seele: » Ich bin gemartert so manchen Tag, dass ich jetzt
nicht dahin gehen mag« .
5mnß;»ImRatederBekennerwohnenreineLeutegern«.
Seele: » ImRate will ich immerstehn mitTun undLassen,
doch mag ich jetzt nicht dahin gehn« .
Sinne: »In der Apostel Weisheit findet Ihr grosse Sicher-
heit«.
Seele: » Ich habe dieWeisheit hier bei mir, mit der will ich
das Beste wählen«.
Sinne: » Herrin, die Engel sind rein, und lieblich strahlend
anzusehen ; wollt Ihr Euch kühlen, hebet Euch dahin « .
Seele: » Der Engel Freude tut mir in meiner Liebe wehe,
wenn ich ihren Herrn und meinen Bräutigam nicht bei
ihnen sehe«.
Sinne: »So kühlet Euch in dem heiligen Büsserleben, das
Gott Johannes dem Täufer hat gegeben « .
Seele: »Zu der Pein bin ich bereit, doch geht der Liebe
Kraft über alle Mühseligkeit«.
Sinne: » Herrin, wollt IhrEuch in Liebe kühlen, so neiget
Euch in der Jungfrau Schoss zu dem kleinen Kind, und
schauet und kostet, wie die Wonne der Engel aus der
ewigen Magd die übernatürliche Milch sog«.
Seele: » Das ist eine Kinderlust, eines Kindes Säugen und
Wiegen. Ich bin eine vollerwachsene Braut, ich will zu
meinem Geliebten gehen«.
Sinne: » O Herrin, gehst Du dahin, dann müssen wir ganz
erblinden. Denn die Gottheit ist so feurig heiss,wieDu
selbst gut weisst, dass alles Feuer und alle die Glut, die
70
den Himmel und alle Heiligen durchleuchtet und durch-
brennt, all das geflossen ist aus seinem göttlichen Atem
und von seinem menschlichen Munde, durch denWillen
des heiligen Geistes. Wie könntest Du da auch nur eine
Stunde bleiben?«
Seele: »Der Fisch kann im Wasser nicht ertrinken, der
Vogel inderLuftnichtversinken. DasGoldkannimFeuer
nicht verderben, es empfängt da seine Reinheit und sei-
ne leuchtende Farbe. Gott hat allen Kreaturen das ge-
geben, dass sie ihrerNatur nach leben. Wie könnte ich da
meiner Natur widerstehen.? Ich musste aus allen Dingen
in Gott gehen, der mein Vater ist von Natur, mein Bruder
von seiner Menschheit, mein Bräutigam von Liebe und
ich sein ohne Anfang. Wollt ihr, dass ich das Meine nicht
ganz finde } Er kann beides, kräftig brennen und tröstlich
kühlen . Betrübt euch aber nicht zu sehr. Ihr werdet mich
einst noch lehren. Wenn ich wiederkehre, bedarf ich
eurerLehresehr,denndieErdeistvielerGefahrenvolI«.
SogehtdenndieAllerliebstezudemAllerschönstenindie
heimliche Kammer der unschuldigen Gottheit; da findet
sie der Liebe Bett und der Liebe Gelass und Gott und
Mensch bereit. Da spricht nun unser f/^rr." > Bleibt stehn,
Frau Seele«. — »Was gebietest du, Herr.?^« — »Ihr sollt
Euch ausziehen«. — »Herr, wie soll das sein können .f^«
— »Frau Seele, Ihr seid so sehr in mich genaturt, dass
zwischen Euch und mir nichts sein darf. Es war nie ein
Engel so hehr, dem das für eineStunde verliehen gewesen
wäre, was Euch auf ewig gegeben ist. Darum sollt Ihr
Furcht und Scham von Euch tun und alle äusseren Tu-
genden. Die Tugend allein, die Ihr in Eurem Innern von
Naturtraget,diesolltIhrinEwigkeitfinden wollen. Essind
71
Euer edles Verlangen und Euregrundlose Begier. Diewill
ich ewig füllen mit meinem endlosen Reichtum « .
— » Herr, nun bin ich eine nackte Seele , und du in dir ein
herrlicher Gott. Unser beider Gemeinschaft ist ewige
Wonne ohne Tod « .
Nun wird da ein seliges Stillen nach ihrer beider Willen.
Er gibt sich ihr und sie gibt sich ihm.Wasihrdageschieht,
das weiss sie, unddamit bescheide ich mich. Aber eskann
nicht lange dauern. Wo zwei Liebende heimlich zusam-
men sind, da müssen sie oft gar schnell voneinander
gehen. —
Lieber Gottesfreund, diesen Weg der Liebe habe ich dir
beschrieben. Gott möge ihn dir ins Herz geben. Amen.
Ein Sang der Seele zu Gott in fünf Dingen, und wie Gott das
Kleid der Seele ist und die Seele Gottes
DuleuchtestinmeineSeele,wiedieSonneinsGoldscheint.
Wenn ich in dir, Herr, ruhen darf, ist meineWonneüber-
gross. Du bekleidest dich mit meiner Seele und du bist
auch ihr nächstes Kleid. Dass da ein Scheiden sein muss,
nie fand ich ein gröss'res Herzeleid. Wolltest du mich
stärker minnen, ich käme sicherlich von hinnen und
könnte dich dann ohne UnterlassnachmeinemWunsche
minnen. Nun hab ich dir gesungen, noch ist's mir nicht
gelungen ; wolltest du mir singen, es müsste mir gelingen.
Ein Gegensang Gottes in der Seele in fünf Dingen
Wenn ich scheine, musst du leuchten. Wenn ich fliesse,
musst du wogen. Wenn du seufzest, ziehst du mein gött-
lichesHerz in dich. Wenn du nach mirweinst, nehme ich
dich in meinen Arm. Wenn du aber minnest, werden wir
72
zwei Eines. Und wenn wir zwei also Eines sind , da kann
nimmer ein Scheiden geschehen, nur ein wonniges War-
ten wohnt zwischen uns beiden.
(Die 5e^/e spricht:)
Herr, so warte ich denn mit Hunger und mit Durst, mit
Jagen und mit Sucht, bis an die spielende Stunde, da von
deinem göttlichen Munde die erwählten Worte fliessen,
die von Keinem gehört sind, nur von der Seele allein, die
sich der Erde entkleidet und legt ihrOhr an deinen Mund
— ihr wirdder Schatz der Liebe kund.
Von der Klage der liebenden Seele, daß Gott ihrer schone
und ihr seine Gabe entziehe. Von Weisheit, wie die Seele
Gott fragt, wer er sei und wie er sei. Von dem Garten, von
den Blumen und vom Gesang der Jungfrauen
O du unermesslicher Schatz in deiner Fülle! O du un-
fassbares Wunder in deiner Vielfältigkeit! O du unend-
liche Gewalt in der Herrschaft deiner Majestät! Wie
weh mir nach dir ist, da du meiner schonen willst, das
könnten dir alle Kreaturen nichtvöllig sagen, müssten sie
für mich klagen. Denn ich leide unermesslicheNot, mir
täte viel sanfter ein menschlicherTod. Ich suche dich mit
den Gedanken, wie eine Jungfrau heimlich ihr Lieb. Ich
muss heftig kranken, denn ich bin an dich gebunden. Das
Band ist stärker als ich bin, so kann ich die Liebe nicht los
werden. Ich rufe dich mit grosser Gier, mit jammervoller
Stimme. Ich harre dein mit schwerem Herzen, ich kann
nicht ruhen, ich brenne unauslöschbar in deiner heissen
Liebe. Ich jage dich mit aller Macht. Hätte ich aber auch
eines Riesen Kraft, sie ginge mir doch bald auf deiner
Spur verloren. Ach, Lieber, laufe mir nicht so weit voran
73
und ruhe ein wenig in Liebe, auf dass ich dich greifen
kann. —
O Herr, da du mir alles entzogen hast, was ich von dir
habe, so lass mir doch von Gnaden dieselbe Gabe, die du
von Natur einem Hunde gegeben hast, das ist, dass ich dir
getreu sei in meiner Not ohne alles Widerstreben. Da-
nach verlange ich wahrlich mehr als nach deinem Him-
melreich.
— Liebe Taube, nun höre mich. Meine göttliche Weis-
heit ist so gewaltig über dir, dass ich alle meine Gaben dir
so zuteile, wie du sie mit deinem armen Leibe tragen
kannst. Dein heimliches Suchen muss mich finden, dei-
nesHerzensJammerdarfmich zwingen, deinsüsses Jagen
macht mich so müde, dass ich begehre, mich zu kühlen in
deiner reinenSeele,dareinichgebundenbin.Deineswun-
den Herzens seufzendes Beben hat meine Gerechtigkeit
von dir vertrieben. So ist es recht für dich und mich. Ich
kannnichtohnedichsein.Wiesehrwir auch zerteilt sind,
wir können doch nicht geschieden sein. Wenn ich dich
noch so leicht berührte, täte ich deinem Körper masslos
weh. Sollteich mich dir zu allenZeiten geben nach deiner
Begier, ich müsste meiner süssen Erdenwohnung in dir
entbehren; denn tausend Leiberkönnten einerliebenden
Seele ihre Begier nicht erfüllen. Darum, je höher eines
Menschen Liebe , destomehr ist er ein heiliger Märtyrer.
— O Herr, du schonst meines unreinen Kerkers allzu-
sehr, darin ich der Welt Wasser trinke und mit grossem
Herzeleid den Aschenkuchen meiner Schwachheit esse.
Und ich bin verwundet auf den Tod von dem Strahl dei-
ner feurigen Liebe. Nun lassest du, Herr, mich ungesalbt
in grosser Qual liegen.
74
— Liebes Herz, meine Königin, wie lange willstdu so un-
gebärdig sein? Wenn ich dich am allerschmerzlichsten
verwunde, salbe ich dich am allerinnigsten in derselben
Stunde. Die Fülle meines Reichtums ist alle dein, und
über mich selber sollst du gewaltig sein. Ich bin dir in
Liebe hold; hast du dasWaglot, ich habe das Gold. Alles
was du um meinetwillen getan, gelassen und gelitten,
das will ich dir alles aufwiegen und will dir mich selber für
dieEwigkeitgeben,sovieldu mich immerwollen kannst.
— Herr, ich will dich um zwei Dinge fragen, deren belehre
mich nach deiner Gnade. Wenn meine Augen unselig
trauern und mein Mund einfältiglich schweigt und meine
Zunge ist im Herzeleid gebunden und meineSinne fragen
mich von Stunde zu Stunde, was mir sei, dann steht mir,
Herr, all das nach dir. Und mein Fleisch fälltab, mein Blut
verdorrt, mein Gebein erfriert, meine Adern krampfen
sich,undmeinHerzschmilztnachdeinerLiebe,und meine
Seele brüllt mit eines hungrigen Löwen Stimme. Wie mir
dann ist, wo du dann bist, Viellieber, das sage mir.
— Dir ist wie einer jungen Braut, von der im Schlaf ihr
einzig Geliebter gegangen ist, zu dem sie sich mit aller
Treue geneigt hatte, und sie kann es nicht ertragen, dass
er für eine Stunde von ihr scheide, und wenn sie nun er-
wacht, hat sie nicht mehr von ihm als soviel nur, wie sie in
ihren Sinnen trägt. Davon hebt ihre grosse Klage an. So-
lange der Jüngling seiner Braut nicht heimgegeben ist,
muss sie oft ohne ihn sein. Ich komme zu dir nach meiner
Lust, wann ich will. Sei du fromm und still, und birg dei-
nenKummer,wohindukannst;dann mehrt sich indirder
Liebe Kraft. Nun sage ich dir, wo ich dann bin. Ich bin in
mir selber an allen Orten und in allen Dingen, wie ich von
75
je ohne Anfang war, und ich harre dein in demGarten der
Liebe und breche dir die Blume der süssen Einung und
mache dir da ein Bett aus dem lieblichen Grase der hei-
ligen Erkenntnis, und die lichte Sonne meiner ewigen
Gottheit bescheint dich mit dem verborgenen Wunder
meinerWonne,davon du einweniges heimlichhastkosten
dürfen. Und da neige ich dir den höchsten Baum meiner
heiligen Dreifaltigkeit, und du brichst dann die grünen,
weissen, roten Äpfel meines milden Menschtums, und
dannbeschirmtdichderSchattenmeinesheiligenGeistes
vor aller irdischen Traurigkeit, — dann kannst du nicht
mehr denken an deinHerzeleid.WenndudenBaum um-
fängst, lehre ich dich der Jungfrauen Gesang, die Weise,
die Worte, den süssen Klang, den, die von der Unkeusch-
heit durchzogen sind, allein von sich aus nicht verstehen
können, aber sie alle werden einmal den süssen Wandel
gewinnen.
Liebe, nun heb an und lass hören, wie du es kannst.
— O weh, mein Viellieber, ich bin heiser in der Kehle
meiner Keuschheit, aber der Zucker deiner süssen Milde
hatmeine Kehle zumTönengebracht,dassichnun singen
kann also, Herr: Dein Blut und meines ist eins und un-
verderbt, deine Liebe und meine ist eins und ungeteilt,
dein Kleid und meines ist eins und unbefleckt, dein Mund
und meiner ist eine Seligkeit. —
Dies sind dieWorte, die der Liebe Stimme sang, aber der
süsse Herzensklang muss wegbleiben, denn den kann ir-
dische Hand nicht schreiben.
76
MECHTHILD VON HACKEBORN (1242— 1299)
Von allerlei Pein
DA sie in dieser Verlassenheit [krank und ohne » Got-
tes Besuch«] mehr als sieben Tage geblieben war,
goss der sehr gütige Herr, der immer nahe ist denen , die
betrübten Herzens sind, so überfliessenden Trost und
Süssigkeit über sie, dass sie oftmals von der Mette bis zur
Prime und von der Prime bis zur None mit zugetanen
Augen wie tot in Gottes Genüsse lag. In dieser Zeit offen-
barte ihr der sanfte Herr die wundersamen Dingeseiner
Heimlichkeiten und erfreute sie so sehrmitderSüssigkeit
seiner Gegenwart, dass sie wie trunken nicht länger an
sich halten konnte und jene innerliche Gnade, die sie so
vieleJahreverhehlt hatte, auch Gästen und Fremden mit-
teilte. Daher gaben Viele ihr Botschaft zu Gott; von
denen sieJeglichem,jenachdemGott sie der Kundewür-
digte, das Begehren seines Herzens eröffnete, darob sie
sehr erfreut Gott den Dank erwiesen . . .
Da sie klagte, dass sie durch Schmerzen des Hauptes den
Schlafverloren hätte, sagten die Leute, sie irre aus Krank-
heit, denn sie meinten, sie tätenichts anderes alsschlafen.
Aber da ihre Dienerin sie fragte, was sie täte, wenn sie so
mit geschlossenen Augen läge, antwortete sie: »Meine
Seele vergnügt sich in göttlichem Genüsse, schwimmend
in der Gottheit wie ein Fisch im Wasser oder einVogel in
der Luft; und kein Unterschied ist zwischen dem Gott-
genusse der Heiligen und der Einung meiner Seele, als
dieser, dass sie in derFreude, ich in der Pein ihngeniesse«.
In diesen Tagen ihrer Krankheit, als die Fastenzeit kam
und sie sich vorgesetzt hatte, mit dem Geiste beim Herrn
77
in derWüste zu sein, fragte sie in einer Nacht, daes ihr er-
schien, sie sei mit dem Herrn in der Wüste, ihn, wo er die
erste Nacht bleiben wolle. Da zeigte ihr der Herr einen
wundersam schönen aber hohlen Baum, der war der
Baum der Demut genannt, und sprach : » Hier werde ich
über Nacht bleiben « . Nachdem er dies gesagt hatte, ging
derHerr in den hohlen Baum. Da sprach sie: »Und wo
werde ich bleiben.?^« Darauf derHerr: »Weisst du nichtin
meinen Schosszu fliegen und da zu ruhen,wie die Vögel zu
tun pflegen ? « Und sogleich sah sie sich selber in der Ge-
stalt eines Vögleins in den Schoss des Herrn fliegen, und
ruhte darin gar friedsam . Und sprach zum Herrn : » Aller-
mildesterHerr, lege deinen Finger auf mein Haupt, dass
ich so einschlafe. « Und der Herr : » Weisst du nicht, dass
die Vöglein, wenn sie den Schlaf empfangen wollen, den
Kopfunter das Gefieder legen. ?^« Und sie: »Herr, welches
ist mein Gefieder.?« Er antwortete: »Dein Verlangen ist
eineroteFeder,weilesimmerbrennt. Deine Liebe ist eine
grüne Feder, weil sie immer grünt und wächst. Deine
HoiTnung aber ist eine gelbe Feder, weil du unablässig zu
mir eilst«.
Von der Macht der Liebe
Tax einer andern Zeit, da sie in der Wirkung der Gnaden
dieMachtder göttlichen Liebe bedachte, sprach derHerr
zu ihr : » Siehe, ich gebe mich in Gewalt deinerSeele, dass
ich dein Gefangener sei und du mir gebietest , was immer
duwillst:undichbinwieeinGefangner,dernichtsvermag,
als was sein Herr ihm befiehlt, zu all deinem Willen be-
reitet« . Sie aber, in wundersamem Danke solcher Huld
Worte vernehmend, bedachte in sich, was sie am besten
78
von Gottes Liebe begehren solle. Sie fand in ihrem Her-
zen, dass sie nichts der Gesundheit vorzöge, weil schon
dasOsterfest bevorstand und sievom Adventbis zu dieser
Zeit, mit Ausnahme der Weihnacht, um ihrer steten
Krankheit willen den Chor nicht betreten hatte. In sich
jedoch eingekehrt, da die Treue gegen den Herrn sie
zwang, sprach sie zu ihm : » O Süssester und Geliebtester
meiner Seele, wiewohl ich nun alle Stärke und Gesund-
heit, die ich je hatte, wiedererlangen könnte, möchte ich
es keineswegs. Sondern dieses eine will ich von dir, dass
ich nie uneins sei mitdeinemWillen, sondern alles,wasdu
willst und in mir wirkst, sei es Günstiges oder Widriges,
das möge ich immer mit dir wollen« . Sogleich erschien
es ihr, dass der Herr sie mit der Linken umfing und ihr
Haupt auf seine Brust neigte und zu ihr sprach : » Dieweil
dualleswillst,wasichwill,wirddeine Seele immer in mei-
ner Umarmung sein, und allen Schmerz deines Hauptes
werde ich, ihn in mich selber einziehend, mit meinen
Leiden opfern « .
Von der Umarmung und dem Herzen des Herrn
Zu einerandernZeit,dasieGottinihrer Krankheitklagte,
dass sie nicht in den Chor gehen und andre gute Werke
nicht tun könne, erschien es ihr, dass der Herr sich in das
Bett neben sie neigte, sie mit dem linken Arm umfangend,
so dassdieWunde seines holden Herzens sich ihrem Her-
zen verband. Da sprach er zu ihr: »Wenn du krank bist,
umfange ich dich mit der Linken , und wenn du genesen
bist, mit der Rechten ; aber dies wisse : wenn du von mei-
ner Linken umfangen bist, gesellt sich dirviel näher mein
Herz«.
79
wie Gott der Seele seine Sinne schenkt, dass sie sie gebrauche
Sie bat einmal den Herrn, dass er ihr etwas schenke, was
beständig in ihr sein Gedächtnis erregen möchte. Darauf
empfingsievom Herrn dieseAntwort: »Siehe,ichgebedir
meine Augen, dass du mit ihnen alle Dinge sehest, und
meine Ohren, dass du mit ihnen alle Dinge vernehmest;
auch meinen Mund gebe ich dir, dass du alles, was du an
Reden,BetenoderSingen auszusprechen hast, durch ihn
tuest. Ich gebe dir mein Herz , dass du dadurch alles den-
kest und mich und um meiner willen alle Dinge liebest « .
In diesemWorte zogGottdieseSeele ganz in sich und ver-
einte sie also mit sich, dass es ihr erschien, sie sehe mit
Gottes Augen, und höre mit seinen Ohren , und rede mit
seinem Munde , und fühle kein andres Herz zu haben als
das Herz Gottes. Dies ist ihr auch hernach oftmals zu
fühlen gegeben worden.
80
GERTRUD VON HELFTA (12 56— 1302)
Von der Lieblichkeit der Einwohnung des Herrn
DA du also an mir tatest und also meine Seele auf-
riefest, trat ich eines Tages, zwischen Ostern und
Himmelfahrt,vorderPrimeindenHof,setztemichanden
Weiher undbetrachtetedie Lieblichkeit diesesOrtes, der
mir wohlgefiel durch die Klarheit desvorüberfliessenden
Wassers, durch das Grünen der umstehenden Bäume,
durch die Freiheit der umherfliegenden Vögel und son-
derlich der Tauben, aber über allem durch die heimliche
Ruhe des verborgenen Sitzes. Ich begann in der Seele zu
bewegen,wasich diesen Dingen beifügen wollte, dass mir
das Ergötzen dieses Sitzes vollkommen erscheine : dieses
verlangte ich, dass der vertraute, liebende, schmiegsame
und gesellige Freund gegenwärtig sei und meine Einsam-
keit lindre. Da, o Urheber unschätzbarer Wonnen, mein
Gott, der du,wieich hoffe, den AnfangdieserBetrachtung
gelenkt hast, da zogestdu auch ihrEnde auf dich hin und
flösstestmirdiesesein : Wenn ich inunversieglicherDank-
barkeit ausderEinströmung deiner Gnaden mich in dich
zurückgiesse gleich dem Wasser; wenn ich in derÜbung
der Tugenden wachse und im Grün der guten Werke
blühegleichden Bäumen; wenn ich vonobendasirdische
überschauend dem HimmlischeninfreiemFlugezustrebe
gleich der Taube, und mit diesen körperlichen Sinnen
dem Getümmel der äusseren Dinge entfremdet, mit dem
ganzen Geiste dir obliege — dann wird meinHerzdireine
Stätte geben, die köstlicher ist als alle Lieblichkeit.
Da ich an jenem Tage mein Gedenken in diese Dinge ver-
senkt trug und am Abend vordem Schlafe mit gebogenen
6 Buber, Konfessionen
81
Knieen mich zum Gebete neigte, kam mir plötzlich diese
Stelle in den Sinn: »Wer mich liebt, der wird mein Wort
halten ; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden
zu ihm kommen, und Wohnung bei ihm machen« . Da
fühlte in mir mein erdhaftes Herz, dass du gegenwärtig-
lich angekommen warst.
Von der göttlichen Einströmung
Da ich so Unzusammenhängendes zu schreiben meinte,
dass ich meinem Gewissendarinnichtbeizustimmen ver-
mochte und daher diese Niederschrift bis zum Tage der
Kreuzerhöhung verschoben, an eben diesem Tage aber
unter der Messe mich anderen Dingen zuzuwenden be-
schlossen hatte, führte Gott meinen Geist durch diese
Worte zurück: »Wisse fürwahr, du wirst niemals aus
dem Kerker des Fleisches ausgehen, bis du auch diesen
Heller, den du jetzt zurückhältst, bezahlt hast« . Und als
ich in der Seele bewegte, dass ich alleZuteilungen Gottes,
wenn auch nicht durch die Schrift, so doch durch die
Rede zum Heile der Nächsten bewahrt hatte, warf mir
der Herr dasWort entgegen, das ich in der gleichen Nacht
bei der Mette hatte vorlesen hören: »Hätte der Herr
seine Lehre nur den Anwesenden gekündet, wäre nur
Rede, nicht Schrift. Nun aber ist auch Schrift zum Heile
der Vielen«. Und der Herr gab hinzu: »Ohne Wider-
spruch will ich ein gewisses Zeugnis meiner göttlichen
Liebe haben in deiner Schrift für diese letzten Zeiten, in
denen ich Vielen wohlzutun bestimme« .
Hierdurch belastet, begann ich in mir zu überdenken,wie
schwer, ja unmöglich es für mich wäre, solchen Sinn oder
solche Worte zu finden, mit denen das oft Gesagte ohne
82
Anstoss dem menschlichen Geiste übergeben werden
könnte. Der Herr, der wider solchen Kleinmut Hilfe
spendet, schien einen überreichen Regen über meine
Seele zu ergiessen, unterdessen ungestümem Sturze ich
geringes Menschlein, eine so junge und zarte Pflanze, ge-
beugt niedersank und nichts zu einem Nutzen einsaugen
konnte, als einige gar schwere Worte, zu denen ich mit
dem Verständnis der Sinne durchaus nicht hinanzurei-
chen vermochte. Dadurch noch mehr beschwert, über-
legte ich, was aus solchem kommen könne. Diese Last
enthob mir deine gütige Liebe, mein Gott, mit der ge-
wohnten Liebkosung und belebte meineSeelemitdiesen
Worten: »Weil die Überschwemmung dieser Fluten
dir nicht frommt, werde ich dich nun an mein gött-
liches Herz lehnen und sanft und mild, allmählich, nach
dem Masse deines Fassens das Wort in dich ergiessen « .
Dies allerwahrste Versprechen hast du gewisslich erfüllt,
Herr mein Gott. Du hast vier Tage lang in der Frühe zur
geeignetsten Stunde stets einen Teil der Rede mir so hell
und hold eingeflösst, dass ich ohne alle Mühe, wie etwas,
das ich viele Zeit im Gedächtnis gehalten hätte, das vor-
dem nicht Gedachte schreiben konnte. Du tatest es aber
mitdieserMässigung,dassich,wenn ich einen zusammen-
hängenden Teil niedergeschrieben hatte , mit der An-
strengung aller meiner Sinne nicht ein Wort von dem zu
finden vermochte, was mir am nächsten Tage so zuströ-
mend und ohne alle Schwierigkeit bei der Hand war. So
belehrtest und zugehest du mein Ungestüm, wie die
Schrift lehrt: niemand dürfe der Tätigkeit so sehr an-
hängen, dass er nicht der Betrachtung ergeben wäre. Du
eifertest mein Heil an und gewährtest den Aufschub, auf
83
dass ich mich Raheis süsser Umarmungen erfreue, aber
auch Leas ruhmreiche Fruchtbarkeit nicht entbehre.
Möge deine weise Liebe mir verleihen, beides zu deinem
Wohlgefallen zu vollziehen.
84
HEINRICH SEUSE (etwa 1 29 5 — 1 3 66)
IN seinem Anfang geschah es einstmals am St. Agnesen-
tag, dass er, als der Konvent das Mittagsmahl beendet
hatte, in den Chor kam. Er war da allein und stand in
dem niederen Gestühle des rechten Chores. Zur selben
Zeit hatte er eine sonderliche Bedrängung von schwerem
Leiden, das auf ihm lag. Und da er also trostlos stand und
niemand bei ihm noch um ihn war, wurde seine Seele
verzückt, in dem Leibe oder ausser dem Leibe. Da sah er
und hörte, was allen Zungen unaussprechlich ist. Es war
formlos und weiselos und hatte doch aller Formen und
Weisen freudenreiche Lust in sich. Das Herz war gierig
und doch gesättigt,derSinn fröhlich und wohlgeschaffen;
ihm war Wünschen gestillt und Begehren verloren. Er
tat nichts, als in den glanzreichen Widerschein starren,'
in dem er ein Vergessen seiner selbst und aller Dinge ge-
wann. War esTag oder Nacht, er wusste es nicht. Es war
eine hevorbrechende Süssigkeit des ewigen Lebens in
gegenwärtiger stillstehender ruhiger Empfindung. Er
sprach danach: »Ist dieses nicht Himmelreich, so weiss
ich nicht, was Himmelreich ist; denn all das Leiden , das
man in Worte zu bringen vermag, kann diese Freude
nicht zuRecht verdienen dem, der sie ewig besitzen soll » .
Diese überschwängliche Entrücktheit währte wohl eine
Stunde odereine halbe; ob die Seele im Leibe blieb oder
vom Leibe geschieden war, das wusste er nicht. Da er
wieder zu sich selber kam, war es ihm in jeder Weise wie
einem Menschen, der von einer anderen Welt gekom-
men ist. Dem Leibe geschah so weh von dem kurzen
Augenblick, dass er nicht glaubte , eskönne irgend einem
85
Menschen ohne den Tod in so kurzer Frist solches Weh
geschehen. Er kam mit einem urtiefen Seufzen zu sich,
und der Leib sank zur Erde nieder wider seinen Willen,
wie ein Mensch, der vor Ohnmacht zusammenbrechen
muss. Er schrie innerlich auf und seufzte im inneren
Grunde seiner selbst und sprach : » O wehe Gott, wo war
ich, wo bin ich nun?« undsprach: »Ach, herzliches Gut,
diese Stunde kann nimmermehr aus meinem Herzen
kommen« . Er ging da im Leibe, und niemand sah oder
merkte auswendig etwas an ihm, aber Seele und Sinn
waren in ihm inwendig voll himmlischen Wunders; die
himmlischen Blicke gingen hin und wiederinseiner innig-
sten Innerlichkeit, und es war ihm, als ob er in der Luft
schwebte. Die Kräfte seiner Seele waren vom süssen
Himmelsduft erfüllt, wie wenn man einen guten Balsam
aus einer Büchse giesst und die Büchse dennoch danach
den guten Geruch behält. Dieser himmlische Duft blieb
ihmdanach vieleZeit undgab ihm eine himmlischeSehn-
sucht nach Gott.
EinesTages las man bei Tische von derWeisheit, und da-
von wurde sein Herz von Grund aus bewegt. Sie sprach
also: »Wie der schöne Rosenbaum blüht und wie der
edle Weihrauch ungemengt duftet und wie der unver-
mischte Balsam riecht, so bin ich ein blühendes, wohl-
riechendes, unvermischtes Lieb ohne Reue und ohne
Bitterkeit in abgründlicher liebreicher Süssigkeit. Aber
alle anderen Liebchen haben süsse Worte und bitteren
Lohn, ihre Herzen sind des Todes Zugnetze , ihre Hände
sind Eisenfesseln, ihre Rede versüsstes Gift, ihre Kurz-
weil Ehrenraub«. Er dachte: »Ach, wie ist dies so
86
wahr!« und sprach freimütig in sich selber: »Wahrlich,
es muss so sein , sie muss fürwahr mein Lieb sein, ich will
ihr Diener sein«. Und dachte: »Ach Gott, wann könnte
ich die Liebste nur erst sehen , wann könnte ich nur erst
ihre Rede empfangen! Ach wie ist das Lieb gestaltet, das
so viele liebliche Dinge in sich verborgen hat? Ist es Gott
oder Mensch, Frau oder Mann, geheimes Wissen oder
Zaubermacht, oderwas mag es sein?« Und soweit er sie
in den dargelegten Gleichnissen der Schrift mit den inne-
ren Augen sehen konnte, zeigte sie sich ihm also: sie
schwebte hoch über ihm auf einem Wolkenthrone, sie
leuchtete wie der Morgenstern und schien wie die spie-
lende Sonne; ihre Krone war Ewigkeit, ihr Kleid war
Seligkeit, ihr Wort Süssigkeit, ihr Umfangen aller Lust
Erfüllung. Sie war fern und nah, hoch und niedrig,siewar
gegenwärtig und doch verborgen; sie Hess mit sich um-
gehen und doch vermochte sie niemand zu ergreifen. Sie
reichte über das Oberste des höchsten Himmels und
rührte an das Tiefste des Abgrunds. Sie breitete sich ge-
waltig von Ende zu Ende und schlichtete alle Dinge in
Süssigkeit. Wenn er jetzt wähnte, eine schöne Jungfrau
zu haben, geschwind fand er einen stolzen Jüngling. Bald
gebärdete sie sich wie eine weise Meisterin , bald hielt sie
sich wie ein stattlichesLiebchen. Sie beugte sich ihm lieb-
reich zu und grüsste ihn mit vielem Lächeln und sprach
gütig zu ihm: »Praebe, fili, cor tuum mihi! Gib mir dein
Herz, mein Sohn!« Er neigte sich zu ihren Füssen und
dankte ihr herzlich aus dem Grunde seiner Demut. Dies
wurde ihm damals, und mehr konnte ihm zu der Zeit
nicht werden.
Wenn er um diese Zeit manchmal in Gedanken an die
87
Allerlleblichste ging, tat er eine innerliche Frage und
fragte sein liebesuchendes Herz also: »Ach mein Herz,
schau, woher fllesst Liebe und alle Lieblichkeit? Woher
kommt alle Zartheit, Schönheit, Herzenslust und An-
mut? Kommt es nicht allesaus dem ausquellenden Ur-
sprung der reinen Gottheit? Wohlauf denn, Herz und
Sinn und Mut, hin in den grundlosen Abgrund aller schö-
nen Dinge! Wer will mich jetzt aufhalten? O ich um-
fange dich heute nach der Begier meines brennenden
Herzens!« Und dann drückte sich in seine Seele der ur-
sprüngliche Ausfluss alles Gutes, in dem fand er geistig
alles, das schön, lieblich und begehrenswert war; das war
alles da in unsäglicher Weise.
Damit kam er in eine Gewohnheit, wenn er Loblieder
singen hörte oder süsses Saitenspiel erklingen oder von
zeitlicherLiebehörtesagenodersingen,sowurdeihmsein
Herz und Sinn plötzlich mit einer abgelösten Einschau
in sein köstliches Lieb eingeführt, aus dem alle Liebe
fliesst.WieoftdieHerzlIebstemitliebeweinendenAugen,
mit weitgeöffnetem abgründigem Herzen umfangen und
an das liebereiche Herz inbrünstig gedrückt worden ist,
daswäre unsagbar. Ihm geschah davon, gerade wie wenn
eine Mutter ihr saugendes Kindlein in den Armen auf
dem Schosse stehen hat: wie das mit seinem Kopfe und
der Bewegung seines Leibleins sich der liebkosenden
Mutter entgegenregt und seines Herzens Freude mit den
lächelnden Gebärden erzeigt, regte sich ihm oft das
Herz im Leibe der lustreichen Gegenwart der ewigen
Weisheit in einem Hinfliessen seines Innern zu. Er dachte
dann: »O mein Gott, wäre mir jetzt eine Königin ver-
mählt, des genösse meine Seele, oh, jetzt aber bist du
88
meines Herzens Kaiserin und aller Gnaden Geberin! In
dir habe ich Reichtums genug, Macht so viel ich will. Von
allem was die Erde hat, wollte ich nicht mehr haben!«
Und als er so sann, ward sein Antlitz so fröhlich, seine
Augen so glücklich, sein Herz ward jubelnd und alle seine
innern Sinne sangen das: Super salutem usw., über
allem Glück, über aller Schönheit, du meines Herzens
Glück und Schönheit; denn mit dir ist mir das Glück ge-
kommen und alles Gut besitze ichin dir und mit dir< .
Wenner nach seinerGewohnheitnach der Mette inseine
Kapelle gekommen war und da zu einer kleinen Ruhe in
seinen Stuhl sich setzte — dieses Sitzen war kurz und
währte nicht länger als bis derWächter den aufgehenden
Tag ankündigte — , dann gingen ihm auch seine Augen
auf und er fiel schnell auf die Kniee und grüsste den auf-
steigenden lichten Morgenstern, die zarte Königin des
Himmelreichs, und meinte: wie die kleinen Vöglein im
Sommerden lichten Tagbegrüssen undihn fröhlichemp-
fangen, so grüsse er in der fröhlichen Begierde die Licht-
bringerin des ewigenTages ; und er sprach dann dieWor-
te nicht einfach hin, er sprach sie mit einem süssen stillen
Tönen in seiner Seele.
EinstmalssassersozurselbenZeitinseinerRuhe, da hörte
er etwas in seinem Innern so herzlich erklingen, dass sein
ganzes Herz bewegt ward, und die Stimme sang mit ei-
nem reinen süssen Hallen, indessen derMorgenstern auf-
ging, und sang diese Worte: »Stella Maria maris hodie
processit ad ortum, der Stern des Meeres Maria ist heute
hervorgekommen« . Dieser Gesang erscholl so überna-
türlich schön in ihm, dass ihm all sein Gemüt dahinge-
89
nommen wurde und er froh mitsang. Da sie es miteinan-
der freudig ausgesungen hatten, wurde ihm ein unsäg-
liches Umfangen, und darin wurde also zu ihm gespro-
chen : > Je liebreicher du mich umfängst und je unkörper-
licher du mich küssest, um so liebreicher und um so
freundlicher wirst du in meiner ewigen Klarheit umfan-
gen. « So gingen ihm die Augen auf, die Tränen stürzten
ihm das Antlitz hinab und er grüsste den aufgehenden
Morgenstern nach seiner Gewohnheit.
Es war in der Engelnacht*, da war es ihm in einem Ge-
sichte, als hörte er Engelsgesang und süsses himmlisches
Tönen. Davon ward ihm sowohl, dass er all sein Leiden
vergass. Da sprach ihrer einer zu ihm: »Sieh, wie du gern
von uns den Gesang der Ewigkeit hörst, so hören wir
gern von dir den Gesang von der ewigen Weisheit « . Und
danach sprach er wieder: »Dies ist aus dem Liede, das
die auserwählten Heiligen fröhlich singen werden am
jüngsten Tage, wenn sie schauen, dass sie in immer-
währender Freude der Ewigkeit bestätigt sind. «
Er hatte ein andermal an ihrem Feste viele Stunden in
solcher Anschauung ihrer Freuden verbracht, und da es
dem Tage zuging, kam ein Jüngling, der gebärdete sich,
als wäre er als himmlischer Spielmann von Gott zu ihm
gesendet. Mit dem kamen viele stolze Jünglinge, in glei-
cher Weise und Gebärde wie der erste, nur dass jener
mehrWürde als die anderen hatte, aiswäre er einEngels-
fürst. Dieser Jüngling kam recht wohlgemut zu ihm und
sagte, sie seien darum von Gott zu ihm herabgesendet,
dass sie ihm inseinenLeidenhimmlischeFreudemachen
* Vorabend des Festes aller Engel (29. September)
90
sollten, und sprach, er solle seine Leiden aus den Sinnen
werfen und Ihnen Gesellschaft leisten, und er müsste
auch mit Ihnen himmlisch tanzen. Sie nahmen den Die-
ner zum Tanze bei der Hand, und der Jüngling begann
ein fröhliches Lied von dem JesuskIndleIn,dasalsolautet:
in dulci jubllo usw. Da der Diener den gellebten Namen
Jesus so süss erklingen hörte , wurde sein Herz und seine
Sinne so recht wohlgemut,dassIhm entschwand, waser je
anLeldengehabthatte. Nunsah ermItFreuden,wIesiedie
allerhöchsten und die allerfrelesten Sprünge taten. Der
Vorsänger konnte sie gar wohl in Bewegung bringen, und
er sang vor und sie nach, und sie sangen und tanzten mit
jubelndem Herzen. Der Vorsänger machte den Kehrvers
wohl dreimal: Ergo merlto usw. Dieses Tanzen war
nicht In der Weise beschaffen, wie man in dieser Welt
tanzt; es war ein himmlisches Auswallen undWiederein-
wallen in den wilden Abgrund der göttlichen Heimlich-
keit. Diesesund ähnliches Himmelstrostes wurde ihm In
diesen Jahren unsäglich viel zuteil, und am allermeisten zu
den Zelten , da er mit grossen Leiden umgeben war, und
die wurden Ihm dann umso leichter zu leiden.
91
CHRISTINE EBNER ( 1 277 - 1 3 5 5)
ZU einer Zeit, da sie 24 Jahre war, träumte ihr, dass
sie unseres Herrn schwanger worden sei, und sie
war so voll Gnaden, dass kein Glied an ihrem Leib war,
das nicht besondere Gnaden davon empfand. Und sie
kam in eine solche Zärtlichkeit für das Kindlein, weil es
sich selbst so behütete, wie es ihr schien, dass sie, als sie
einmal auf ein Hüglein getreten war, fürchtete, es hätte
dem Kindlein weh getan. Und da dies in der Süssigkeit
war ohne allenVerdruss, so dass kein Kummerund keine
Traurigkeit sie berührte, und eine Zeit vergangen war,
da träumte ihr, wie sie ihn ohne alle Schmerzen gebären
sollte, und sie empfing eine gar überschwängliche Freude
von seinem Anblick. Und da sie eine Zeitlang mit dieser
Freude umging, da konnte sie es nicht mehr verhehlen
und nahm das Kindlein auf ihre Arme und trug es mitten
unter die Versammlung im Refektorium und sprach:
»Freuet euch mit mir allesamt, ich kann euch meine
Freude nicht länger verhehlen, ich habe Jesum empfan-
gen und habe ihn nun geboren. « Und sie zeigte ihnen das
Kindlein. Und da sie also in grosser Freude war, erwach-
te sie.
Er sprach: »Ich will dich ansehen mit meinen barmher-
zigen Augen, ich will dich bereichern mit meinem Reich -
tum,ich will dich erhöhen mit meiner Höhe « . Er sprach :
»Was soll ich dir noch tun.?' Ich habe so grosse Wunder
an dir getan, dass es dem Herzen unglaublich ist. Ich habe
den Schatz meiner Süssigkeit in dich gegossen. Du bist
der Menschen einer, denen ich vom Anfang der Welt das
92
Allerherrlichste gegeben habe. Meine Güte spielt mit
allen, denen ich gut bin« . Eines andern Tages sprach er
zu ihr : » Die hernach deine Schrift lesen, die wunderba-
ren Dinge, die ich dir getan habe, die sollen sich darüber
nicht wundern. Du hast sie um mich nichtverdient. Mich
hat ihrer gelüstet. Ich habe es von meiner spielenden
Gottheit, dass ich tue,was mich lüstet. Hätte ich tausend
Welten, dann hätte ich genug, jedem Menschen mit ei-
nem Dinge wohlzutun, das ich dem andern nicht täte « .
An einem Freitag sprach er : » Ich bin aus Liebe dein Ge-
fangener und komme willig zu dir. Ich will dich krönen
mit meiner Barmherzigkeit. Ich bin der Überwinder dei-
ner Sinne « . . . . Am Samstag sprach er zu ihr : » Du kommst
bald an einen Ort, wo all dein Elend ein Ende hat. Der
göttliche Strom, der da fliesst von mir in die Heiligen und
in die Laien, der fliesstindichundfliesst wieder ausdir«....
Am Sonntag sprach er: »Ich komme zu dir wie einer, der
ausLiebe tot ist. Ich komme zu dir mit Begierde wie ein
Gemahl zu seinem Brautbett. Ich komme zu dir wie einer,
der grosse Gabe gibt« Am Montag sprach er zu ihr:
» Ich bin der Überwinder deiner Sinne < . Es wurde auch
zuihrgesprochen:»Siehdenan,dendieEngelansehen«....
An Sankt Nikolaus Tag sprach er : » Ich mache dich edel
von meineredelnArt. Ichmachedichwürdigvonmeinem
Adel. Ich habe dich betaut mit meinem göttlichen Tau « .
Am Freitag sprach er : » Meine Geliebte , lass mich bei dir
ruhen, dass ich meine Feinde vergesse. Ich willdeine Tu-
gend reich machen » An Sankt LuciensTagsprach er:
»IchhabediralleGattentreuegehalten«.... Ersprach: »Es
spielt mir in meiner Gottheit, dass ich dir Gutestue. Es ist
95
mireineWonne,dass ich dir Gutes tue« »Er sprach:
» Meine Geliebte, nimm meineRede liebreich an, ich rede
jetzt mit niemanden so viel wie mit dir«. An Sankt Jo-
hannis Tag sprach er : » Ich will an dir all das tun , was an
einer Kreatur zu tun möglich ist « . Er sprach : » Ich erfülle
dich mit meiner göttlichen Süssigkeit, aber die dabei sind,
die will ich ansehen mit meinen barmherzigen Augen. Ist
dasnichteinWundervonmir, dassichdirmehrGnadeer-
weise als denen, die in den Wäldern und in hohlen Bäu-
men wohnen und ein hartes Leben haben, und dass ich
dir der Gnaden mehr erweise?«
Am Pfingsttag sprach er: »Dieses Tags muss Himmel
und Erde inne werden. Ich will dich alles Guten teilhaf-
tig machen « . Und er meinte die besondere Gnade , die er
seinen Freunden tut. Da fragte sie ihn , warum er ihr ein
so grosses Einströmen der Süssigkeit gebe. Da sprach er:
» Die Welt ist fortwährend in Unruhe. Wo ich daher ein
ruhiges Herz finde, da ist mir wohl « .
Sie fragte ihn : » Lieber Herr, hast du es [die Wunder, die
er mit ihr gewirkt] je einem Menschen mehr kundge-
tan als mir.f^« Da sprach er: »So gänzlich habeich es nie
einem Menschen kundgetan wie dir. Ich habe dir mehr
Süssigkeit gegeben als tausend andern Menschen. Ich
habe dich in ein göttliches Leben aus dir selber gezogen.
Ich habe dich wie ein Bild angesehen«. Das verstand
sienicht, wie er das meinte. Da antwortete er ihr: »Als
ich deine Seele formte in meiner Gottheit, da schaute sie
mir entgegen und sah alle die Dinge an, die ich mit dir tun
wollte. Da hat dich meine liebreiche Hand zu mirgezo-
94
gen. Ich, der Herr der Barmherzigkeit, habe dasWunder
der Wunder an dir getan « .
EinesTages hat sie unsern Herrn zu sich genommen. Da
sprach er: »MeinAdelhatdichhochgemacht.MeineHöhe
hat dich gross gemacht. Meine Gunst, die spielt mit dir.
Du bist der Menschen einer, dem ich jetzt auf Erden das
Allerbeste tue. Ich bin ein armer Pilgrim. Die Heiden, die
kennen mich nicht. Die Juden, die wollen mich nicht. Es
ist so grosse Wirrung in den christlichen Landen, dass
sie mich nicht wahrnehmen. Wo ich denn ein williges
Herz finde, da spiele ich darin, wie die Sonne in sich sel-
ber tut«.
Am heiligen Osterabend . . . mehrte sich die Gnade Got-
tes in ihrem Herzen in unaussprechlichem Reichtum, al-
so dass die Gnade aus der Seele in den Leib und in alle
ihre Glieder überfloss, dass sie von der Gnade besessen
und beschwert war wie eine schwangere Frau von einem
Kinde, und in dieser Fülle derGnade war sie lange Zeit.
Er sprach: »Ich wohne in dir wie der Duft der Rose. Ich
wohne in dir wie der Glanz in der Lilie. Ich edle Frucht,
ich habe aus dir geblüht«.
95
MARGARETHA EBNER ( 1 29 1 — 1 3 5 1 )
DA man nun zu der Zeit Alleluja geläutet hatte, fing
Ich mit der grössten Freude zu schweigen an und
insbesondere in derFastnachtwar ich in grossen Gnaden.
Und dageschahesamFastnachtsdienstag,dawarich nach
der Mette allein im Chorund kniete vordem Altar, und es
kam mir eine grosse Furcht, und da in der Furcht ward ich
umgeben mit einer übermässigenGnade. Ichberufe mich
für meineWorteaufdielautereWahrheit Jesu Christi. Mir
geschah ein Griff von einer inneren göttlichen Kraft Got-
tes, dass mir mein menschlichesHerz genommen wurde,
und ich spreche in der Wahrheit — die mein Herr Jesus
Christus ist — , dass ich desgleichen nie wieder empfand.
Mir wurde da übermässige Süssigkeit gegeben, dass mir
war, als würde mir die Seele vom Leibe getrennt. Und
der allersüsseste Name Jesus Christus wurde mir da mit
einer so grossen Inbrunst seiner Liebe gegeben , dass ich
nichts beten konnte alsnurein fortwährendes Sagen, das
mir von der göttlichen Kraft Gottes eingegeben wurde
und dem ich nicht zu widerstehen vermochte und von
dem ich nichts schreiben kann, ausser dass der Name
Jesus Christus beständig darin war.
Ich habe ein Bild der Kindheit unseres Herrn in einer
Wiege. Wenn ich dann von meinem Herrn so kräftig ge-
zwungen werde mit so grosser Süssigkeit und mit Lust
und Begierde und auch von seiner gütigen Bitte, und mir
auch von meinemHerrn zugesprochen wird : » Säugest du
mich nicht, so willich dir mich entziehen , wenn du mich
am allerliebsten hast« ,sonehmeich das Bildaus derWie-
96
ge und lege es an mein nacktes Herz mit grosser Lust und
Süssigkeit und empfinde dann die allerkräftigste Gnade
mit der Gegenwart Gottes, dass ich mich danach wun-
dere, wie unsere liebe Frau die stete Gegenwart Gottes
je ertragen konnte: dann wird mir geantwortet mit den
wirklichen Worten des Engels Gabriel »Spiritus sanctus
supervenit in te« . Aber meine Begierde und meine Lust
ist in dem Säugen , dass ich aus seinem lauteren Mensch-
tum gereinigt werde und mit seiner inbrünstigen Liebe
aus ihm entzündet werde und ich mit seiner Gegenwart
und mit seiner süssen Gnadedurchgossen werde, dassich
damit gezogen werde in das wahre Geniessen seines gött-
lichen Wesens mit allen liebenden Seelen, die in der
Wahrheit gelebt haben.
Am SanktStephanstag gab mir mein Herr eine liebreiche
Gabe für meine Begierde , da mir aus Wien ein liebliches
Bild gesandt wurde, das war ein Jesus in einerWiege und
dem dienten vier goldene Engel. Und von dem Kinde
wurde mir eines Nachts gegeben, dass ich es mit Freuden
und lebhaftem Gebahren mit sich selber in der Wiege
spielen sah. Da sprach ich zu ihm : »Warum bist du nicht
artig und lässt mich nicht schlafen.? Ich habe dich doch
gut gebettet«. Da sprach das Kind: >Ich will dich nicht
schlafen lassen. Du musst mich zu dir nehmen « . So nahm
ich es mit Begier und mit Freude aus der Wiege und
stellte es auf meinen Schoss. Da war es ein lebendiges
Kind. Da sprach ich: »Küsse mich, so will ich es fahren
lassen, dass du mich geplagt hast« . Da fiel es mit seinen
Armen um mich und halste mich und küsste mich.
7 Buber, Konfessionen
97
Wenn ich hernach an die Gesichte dachte, empfand ich
neue Süssigkeit, und es begann in mir eine neue Weise
mit geschlossenem Munde und mit inneren Worten zu
reden, die niemand verstand noch merkte als ich. Und
diese Worte machten mir eine süsse ungeformte Stimme
im Munde. Es waren diese : » Ego vox clamantis in deser-
to« usw., sodann: »Fac me audire vocemtuam,voxtua
dulcis« usw. , und dies geschah miroftmalsdanachindem
Jahr. Und dann wird mir der Mund mit Gewalt geschlos-
sen,dass ich keinWort auszusprechen vermag,und wenn
ich gleich sterbenmüsste. Und diese innere Rede, vonder
ich viel geschrieben habe, kommt mir dann mit einer
fröhlichen Leichtigkeit aus dem Herzen heraus, und sie
hebt da gerade so an, wie man ein liebliches Stück auf ei-
nem Saitenspiel in einer meisterlichen Weise mit einem
lieblichen Vorspiel beginnt und mit einem lieblichen
Nachspiel endet. Und es ist mir diese Frist übernatürlich
süss: gäbe eskein weiteresHimmelreich, mich dünkt,ich
hätte trotzdem genug, und alle Kreaturen miteinander
könnten mich von Gott nicht um ein Haar entfernen.
98
ADELHEID LANGMANN (st. 1375)
"XVy^AS schicklich, wohlgefällig, fromm und gottselig
Wwar, das hielt das Kind und war doch fröhlich mit
den Leuten ohne alle Ausgelassenheit. Wenn es mit sei-
ner Mutter zur Predigt ging, was es da hörte, das schloss
es in seines Herzens Schrein. Wenn es dann heimkam
und allein war, betrachtete es, was es in der Predigt ge-
hört hatte, und vornehmlich unseres Herrn Marter, die
betrachtete es gar gern, so sehres nur konnte. Das merk-
ten die Leute, die bei dem Kindewaren und sich seiner
annahmen. Die sprachen oftmals zu seiner Mutter: »Das
Kind gehört nirgends hin als in ein Kloster« .
Das dauerte, bis das Kind zu dreizehn Jahren aufwuchs.
Daverlobten sie ihre Freunde einem Jüngling. Derwurde
todkrank. Und als man die Hochzeit feiern wollte und
sie auf dem Brautstuhl sass, lag er den ganzen Tag zu
Bette. So siechte er immer mehr hin bis in das nächste
Jahr, da er starb.
Danach wollten sie ihre Verwandten wieder hingeben.
Da sprach unser Herr zu einem Menschen: »Und gebe
man sie dreissigen, sie müssten alle sterben. Sie muss mir
werden«. Da bat sie gute Leute, dass sie Gott für sie
bäten, er möge ihnen zu erkennen geben, was sein lieb-
ster Wille wäre. Ein guter Mensch war bei seiner An-
dacht, der bat unsern Herrn für sie, ob es sein Wille wäre,
dass sie in ein Kloster sollte. Da sprach unser Herr: »Ja
es ist mein Wille. Ich will sie haben, wo sie eins mit mir
ist«. Da sprach der Mensch: »Herr, wo ist sie eins mit
Dir?« Da sprach unser Herr: »Wo sie Niemandes ist«.
Danach an dem Tage der Apostel Philippus und Jacobus
7*
99
bat dieser Mensch die heiligen Apostel für sie und sprach:
» Vielliebe Heilige, ich verlange das von euch, dass ihr un-
seren Herrn befraget wiegen dieses Mädchens, ob es sein
Wille sei, dass sie in ein Kloster komme«. Da sprachen
die Heiligen: >Ja es ist sein Wille, dass sie uns nachfolge,
den Heiligen, und dass sie ihren eigenen Willen lasse w^ie
wir « . Da sprach der Mensch zu unserem Herrn : > Herr,
w^asw^illst du ihr dafürgeben?« DasprachunserHerr: »Ich
will ihr das Himmelreich geben « .
Nun hatte diese junge Witwe die Gewohnheit, dass sie
alle Tage sieben scharfe Disziplinen nahm, wenn ihre
rechtmässige Notdurft und Beschäftigung es zuliess. Nun
geschah es zu einerWeihnacht, dasssieam Christtage un-
sern Herrn empfing, und als sie unsern Herrn im Munde
hatte, legte er sich ihr so kräftig an den Gaumen, dass sie
ihn nicht verzehren konnte. Sie trank, das half ihr nicht.
Da dachte sie : > Viellieber Herr, was habe ich wider deine
Huld getan. f^« Da sprach unser Herr in ihrem Munde zu
ihr: »Du hast nichts wider mich getan. Du sollst mir ge-
loben, dass du in das Kloster zu Engeltal kommst, dann
empfängst du mich« . Da sprach sie : »Herr, das tue ich
nicht. Ich bin zu krank, ich kann nicht übel leben« . Da
sprach unser Herr: » Dann empfängst du mich nicht« . Sie
dachte, sie wolle es dem Pfarrer sagen, dass er ihr helfe.
Da antwortete unser Herr ihren Gedanken und sprach:
> Weder Priester noch alle die in der Kirche sind, können
dir dazu helfen, dass du mich empfangest, du gelobest es
mir denn « . Sie dachte, sie wolle es ihm geloben und wolle
den Pfarrer bitten, ihr das Gelübde zu lösen, weil sie
es nicht mit Willen getan hätte. Da antwortete unser
Herr wieder ihren Gedanken und sprach : » So will ich es
100
nicht. Ich will, das du es mir so gelobst, dass du es tust, ob
du auch sterben solltest«. Sie dachte: »Herr, so gelobe
ich es dir, ob ich auch sterben sollte « . Auf der Stelle emp-
fing sie ihn. Sie sprach: »Herr, ich habe dir heute meinen
Willen undmeinen jungen Leibgegeben. Sollichdennim
Kloster selig werden.?« Er sprach: »Ja, denn ich will dich
nimmer verlassen und willdirselberausallem Leidenhel-
fen, in das du je kommst, und will dir recht gütlich tun als
meiner Liebsten und willmichnimmervondirscheiden«.
An derselben Stelle nahm ihr unser Herr alle vergäng-
lichen Dinge und es wurde ihr einerechte Freude, dasssie
in das Kloster sollte.
lOI
AUS DEM KLOSTER ADELHAUSEN IN EREI-
BURG (13. und 1 4. Jahrhundert)
(Chronik der Anna von Munzingen)
Else von Neustadt
ES war eine Schwester, die hiess Schwester Else von
Neustadt und war wohl siebzig Jahre im Kloster
gewesen, und einige Zeit vor ihrem Tode wurde sie bett-
lägerig und wurde so lahm, dass sie einen Schritt nicht
gehen konnte. Da musste sie in einer besonderen Kam-
mer sein und wurde da so vereinsamt, dass sie von den
Leuten wenig Zuspruch hatte, nur so viel als sie zu ihrer
Notdurft brauchte. Und dass Gott ein Freund ist aller
elenden Leute und derer, die von allem leiblichen Tröste
abgeschieden sind, das hat er an dieser Schwester erzeigt,
wie sie es einer Schwester, die oft zu ihr ging, bestätigte.
Die Schwester fragte sie, ob sie noch an irgend ein Ding
dächte, das in der Welt wäre. Da sprach sie: »Ich habe
alle Dinge vergessen, ich kann aber wohl Gottes geden-
ken. Ich bin auch von der ganzen Welt verlassen, allein
Gott hat mich nichtverlassen, derhandelt allerwegen gut
und getreu an mir. Und sonderlich, da ich so siech und
ohnmächtig am Leibe geworden bin, übt er an mir beson-
dere Gnade«.
Da fragte sie die Schwester, ob es sie verdriesse, dass ihr
Leib in solcher Pein und Gebundenheit sei und so ganz
von den Leuten vereinsamt. Da sprach sie: »Mir ist so
wohl, als es einem Menschen auf Erden nur sein kann,
Gott hat mir mein armes elendes Leben vergütet und will
es immer mehrtun. Wie könntedenverdriessen,derGott
102
sieht? Ermachtmir die Zeit kurz und wohlgefällig«. Da
fragte sie die Schwester, ob sie unseren Herrn mit äusse-
rem Gesicht oder mit innerem sehe. Da sprach sie: »Ich
sehe ihn beides, äusserlich und innerlich« . Da fragte sie
wieder die Schwester, ob das äussere Gesichtbesser wäre
oder das innere und wie das innere wäre. Da sprach sie :
» Das äussere Gesicht ist nichts gegen das innere, denn das
innereGesichtisteinvollesundeingarstolzesDing«. Und
sie sprach wieder: » Es ist ein göttliches Gesicht, von dem
niemand sagen kann als der es sieht, und noch die, die
es sehen, die können nicht recht davon sagen « . Da fragte
siedieSchwester,obsie dann jemandesgedenken könnte.
Da sprach sie: >>Ich kann dann meiner selbst nicht gut
gedenken. Wohin Sinn oder Herz komme, als allein in
ihn, das weiss ich nicht. MeineSeelelegt sich dann in Gott
und weiss alle Dinge in ihm, und dann sehe ich die Lauter-
keit meiner Seele und dass sie ohne alle Flecken ist« . . .
Da fragte wieder die Schwester, wie derwäre, den sie mit
äusserem Gesicht sehe. Da sprach sie: »Er erscheint wie
ein schöner liebreicher Jüngling und die Kammer wird
voll von Engeln und Heiligen. Er sitzt bei mir und sieht
mich gar gütig an. Aber die Engel stehen alle vor ihm, er
kommtnieallein,die Engel kommen immermitihm.Und
er spricht zu mir: ,Ich will wieder und wieder kommen
und will dich bald zu mir nehmen und will mich ewiglich
nicht von dir scheiden' . Und er umfängt mich mit inner-
lichem Umfangen « . Da fragte sie die Schwester, was für
ein Gewand er an hätte, undnannteihrmancherlei Farbe
vor. Da konnte sie es keiner Farbe vergleichen, sondern
sprach : » An ihm erscheint alles was er will «...
Sie hatte ihren Willen so ganz in seinen Willen gegeben,
103
dass sie weder leben noch sterben wollte, sondern wie er
wollte,undsprachauchzuweIlen: »Wäre es Gott Heb und
gefiele ihm, ich wollte In dieser Pein sein bis an den jüng-
sten Tag«. Und wenn sie in sonderlichen Gnaden war,
war sie sehr fröhlich und redete gar liebliche Worte von
Gott, und sonderlich sprach sie diese Worte gar oft : » Gott
ist in mir und ich in Ihm, er ist mein und ich bin sein, er Ist
mir und ich bin ihm. Meine Seele ist schön und stolz und
hochgemut, denn Gott hat mir seine Gnade aufgetan und
Ichbinvonihmgeminnt.Dashatermirkundgetaninseiner
Herrlichkeit« . Da fragte sie sle,wie seine Rede wäre,wenn
er mit ihr redete. Da sprach sie: »Seine Rede ist solieb-
reich,dassdavonnIemandsagenkann.Erkannreden,dass
es durch die Seele geht und durch des Herzens Grund « .
Sie sprach auch gar oft : » Gott Ist in meinem Herzen und
In meiner Seele und geht selten von mir, nur manchmal
flieht er, das kann er auch gar wohl, da jage Ich ihm nach
mit meinem Gemüte und werde dann so froh. Und
spreche: Herzlieb, mein Trauter«. Viel solcher Worte,
diegarfreundlichundliebreIchwaren,sprachsIevonGott.
Sie fragte sie auch, woran sie es empfände, wenn Gott In
ihrer Seele wäre. Da sprach sie : » Ich empfinde es an aller
Freude undSeligkelt, die er mitsich bringt. Ererfreutund
weitet mein Herz und tut mir meine Seele auf und er-
schllesst sie mit seinen göttlichen Gnaden « . Da fragte sie
sie, wie man zu solcher Vertrautheit mit Gott kommen
könne. Da sprach sie : » Wenn man Ihn mit ganzer Treue
liebt und alle Sünde abtut und alles wird ein Lob Gottes,
so Ist es zugegangen «...
Als sie vor Alter und vor Siechtum wenig mehr leben
mochte, sprach die Schwester zu ihr: >Ach, was lebt In
104
Euch?« Da sprach sie: »Gott lebt in mir und ich in ihm«.
Und da sie bald sterben wollte, fragte sie die Schwester,
wie ihr wäre. Da zeigte sie ihr, wie sie da konnte, dass ihr
am Leibe gar weh wäre und im Herzen gar wohl zu Mute.
Da fragte sie, wessen sie sich freute. Da sprach sie: »Ich
freue mich Gottes, dass er mein ist und ich sein. Erhatmir
gesagt, er wolle mich zu sich nehmen, und alle die Furcht
und der Schrecken, die ich vor dem Tode hatte und vor
der Pein, die sind gänzlich aus meinem Herzen«. Die
Schwester sprach auch zu ihr: »Wie sollen wir. Eure be-
sonderen Freunde, uns verhalten, wenn Ihr sterbet.?*« Da
sprach sie: »Ihr sollt lachen und fröhlich sein, denn der
Himmel ist mir aufgetan«. Danach tat sie die Augen zu
und lag, als ob sie im Schlafe läge. Und die Schwester rief
sie an und fragte, ob sie schliefe. Da sprach sie: »Ich schlafe
nicht,meineRuheistinGott«. Dabegannsiesichgarübel
zu fühlen und sich dem Tode schnell zu nähern. Da er-
mahnte sie sie, dass sie sich die Mühsal nicht verdriessen
lasse, Gott wolle bald ein Ende machen. Da sagte sie ihr
wieder, es verdriesse sie nicht, wie lange auch Gott ihre
Mühsal ausdehnen wolle, das wolle sie gern leiden. So
verschiedsieheiligundseliginderZuversicht,dasssiebald
zu Gott kommen sollte.
Anna von Seiden
Sie hatte die Gewohnheit, wessen sie von Gott begehrte,
davon Hess sie ihm nimmer ab, biseres ihrgewährte. Und
einmal kam sie in eine solche Vereinigung mit Gott in
ihrem Gebete , dass ihr Gott so klar erschien , dass es
danach fünf Wochen währte, was immer sie da sah, da-
von wähnte sie, es wäre Gott.
105
Berchtevon Oberriet, die Ältere
Als sie sterben wollte, lag sie in ihrem Gebete und übte
nach ihrer Gewohnheit mit Lobpreisen unseres Herrn
Marter. Und es warihr, als würde sie auf ein Feld geführt,
da wollte man Gott martern, und ward ein grosser Ruf,
den hörte sie: »Will sich jemand für Gott hängen und
martern lassen?« Da rief sie: »Ja, ich gern«. Und ebenda
stiess sie der Tod an und die Andacht blieb ihr, bis ihr die
Seele ausging. Da tat sie das Wort: »Herr, ich hänge
an deinem Rücken , du musst mich von dir schütteln,
ich komme nimmer von dir«. Und in der Andacht ver-
schied sie.
ItavonNellenburg
Sie sprach : » Alles was in mirist, dasistGott, und zwischen
mir und Gott ist nichts als der Leib « .
Metze (MechthildJ Tüschel
Sie stand einmal vor dem Altar und begehrte von Herzen,
dass sie und Gott ein Ding würden. Und nach vieler Be-
gierde, die sie hatte, sprach sie : » Herr, du hast mich dazu
geschaffen, dass du billiger in meiner Seele wohnen soll-
test als in der Büchse«. Da sprach eine Stimme zu ihr:
» Wenn du so leer und aller vergänglichen Dinge so ledig
wirst wie diese Büchse aller Dinge ledig ist denn meiner
allein, so will ich in dirwohnen,sowesenhaftwie indieser
Büchse«.
Berchtevon Oberriet, die Jüngere
Sie hatte ein gar seliges Leben. Undeinmalwarsieineiner
grossen Begierde, dass ihr Gott eine besondere Gnade tue,
io6
und in dIeserBegierde wurde sie so erfüllt von überfliessen-
der Gnade, dasssiedavon nicht sprechen konnte, nur dass
es sie dünkte, ihre Seele wäre weiter als die ganze Welt.
Und als die Gnade so übermässig in ihr war, begehrte sie
von unserem Herrn, er möge sie mit leiblichem Auge das
Wunder sehen lassen, das in ihrer Seele war. Da dünkte
sie, es geschehe ihr, wie wenn man einem vollen Fasse
den Boden ausschlägt, gleicherweise war ihr, als ob die
Gnade ganz zu ihrem Munde ausginge. Und dIeseGnade
war das wonnigste Kind, das je ein Menschenauge sah.
Und sie hatte eine lange Weile gar grosse Freude mit dem
Kinde. Aber die Gnade und die Freude, die sie mit ihm
hatte, die war den tausendsten Teil so gross, wie da sie in
ihr war. Und sie begehrte von unserem Herrn, dass er ihr
die Gnade wiedergebe, die sie vordem gehabt hatte und
die so sehr gross war, als sie in ihr war. Da entzog ihr un-
serer Herr die Gnaden beide, dass sie das Kind nimmer
sah und auch die frühere Gnade ward ihr nicht v/ieder.
Reinlind von Villingen
Sie hatte eine Begier, dass sie gern gewusst hätte, wie ihre
Seele Gott gefiele; und als sie einmal in ihrer Andacht
war, da sah sie ihre Seele lauter wie ein Krystall. Und sie
sah, dass Gott ihrer Seele vereinigt war, wie eine lautere
Leuchte.
107
AUS DEM KLOSTER TÖSS BEI WINTERTHUR
(13. und 14. Jahrhundert)
(Elsbet Stagels Schwesternbuch)
Sofia von Klingnau
ALS sie das Jahr mit grosser Bitterkeit überstanden
chatte, sagte sie niemandem davon, welchen Trost
sie da von Gott empfangen hatte, bis sie am Tode lag und
baldsterbenwollte. DakameineSchwesterzuihr.dersie
lange besonders vertraut und hold gewesen war und die
auch oftmals an ihr befunden hatte, dass sie von Gott ge-
tröstet wurde. Die bat sie eifrig, sie möchte ihr um Gottes
willen sagen, wie der Trost wäre, den sie von Gott emp-
fangen hatte. Daraufantwortete sie und sprach : >Wüsste
ich, dass esGottesWille wäre, so sagte ich dirwohl etwas.
Nun weiss ich das nicht: darum kann ich dir jetzt nichts
sagen. Komm bald wieder; was dann Gottes Wille ist,
das sage ich dir « . So ging die Schwester von ihr und war-
tete, bis man die Complet gesungen hatte und es Nacht
wurde, und kam dann wieder zu ihr und fragte sie,wessen
sie sich mit Gott beraten hätte. Da sprach sie: » Richte
mich auf und gib mirWasser in den Mund, dass ich reden
kann ; so sage ich dir, was du gern hörst « . Da das geschah,
hub sie an zu sagen und sprach: »In dem zweiten Jahr,
nachdem ich das Gelübde des Gehorsams getan hatte, am
Feste der heiligen Weihnacht, blieb ich einesTages nach
der Mette allein im Chor und ging hinter den Altar und
legte mich da an eineVenie und wollte nach meiner Ge-
wohnheit mein Gebet sprechen. Und in dem Gebet kam
mir mein altes Leben in den Sinn, wie viele und wie lange
108
Zeit ich in der Welt üppig vertrieben hatte. Und sonder-
lich begannichdieUntreuezubetrachten und zuerwägen,
die ich Gott damit erzeigt hatte, dass ich des edlen und
würdigen Schatzes meiner edlen Seele, für die er sein hei-
liges Blut am Kreuze vergoss und die er mir in so grosser
Treue anbefohlen hat, dass ich die so nachlässig gepflegt
hatte und dass ich sie mit so vieler Sünde und Untugend
entreinigt und befleckt hatte, also dass sie seinen gött-
lichen Augen missfällig und zuwider sein müsste, die ihm
einst so wohlgeflel. Und von diesem Gedanken kam ich
in so grosse Reue, dass mein Herz bittrer und ungewöhn-
licher Qual voll wurde, unddie Qual wuchs so sehr in mir,
dassmirschien, ich empfändeleiblichesLeid und Schmer-
zen, als ob mein Herz eine leibliche Wunde hätte. In die-
sem Schmerz rief ich mitklagendemSeufzenmeinenGott
an und sprach : »Weh mir, weh mir, dass ich dich je er-
zürnte, mein Gott ! Vermöchte ich das zu wenden, dann
wollte ich mir erwählen, dass eine Grube hier vor meinen
Augen wäre, die bis in den Abgrund ginge, und dass darin
ein Pfahl geschlagen wäre, der bis an den Himmel ginge,
und dass ich mich an dem Pfahl immerhinaufwinden soll-
te bis an den jüngsten Tag: die Mühsal wollte ich gern lei-
den dafür, dass ich dich, meinen Gott, nie erzürnt hätte ! <
DaichindiesemWillenundindieserBegierdezuGottwar,
beganndieQualundderSchmerz,dermir im Herzen war,
so gewaltig zu wachsen, dass es mir war, ich könnte es
nicht ertragen, mein Herz müsste denn entzweibrechen.
Da dachte ich : Steh auf und sieh wasGott mitdirtun will.
Und da ich aufstand, war der Schmerz so gross und die
ÜbermachtderQual,dassmiralleleiblicheKraftund aller
Sinn entging, und ich fiel meiner ungewaltig nieder und
109
fiel in eine Ohnmacht, dass ich weder sah noch hörte
noch sprechen konnte. Und als ich so lange gelegen war,
wie Gott wollte, kam ich wieder zu mir und stand auf;
aber sobald ich aufstand, brach ich zusammen und fiel
wieder in Ohnmacht, und so geschah mir wieder zum
dritten Mal. Und als ich dann wieder zu mir kam, begann
ich zu sorgen, wenn ich an der Stelle eineWeile bliebe,
möchten die Schwestern mich entdecken und innewer-
den, was mir geschehen war. Und darum bat ich unseren
Herrn, er möchte mir soviel Kraftgeben, dass ich an einen
heimlichen Ort kommen könnte,wo mich niemand sähe
und merkte, wie es mir erging. Und so stand ich auf und
mit grosser Mühe kamichvordenAltarundstanddaund
sprach zu unserm Herrn : » O Herr, mein Gott, nun bitte
ich dich umGnade : nun erkenne ich michselbergänzlich
unwürdig aller der Gnaden, die du irgend einer Kreatur
auf Erden tust, und achte mich selber unwürdiger und
schmählicher vor deinen Augen als einen Wurm, der auf
der Erde kriecht, denn der erzürnt dich nie, ich aber habe
dich über alle Massen erzürnt; darum wage ich nicht zu
bitten,sondern ich ergebe michganzindeingöttliches Er-
barmen«. Und als ich das gesprochen hatte, neigte ich
mich und ging in das Dormitorium an mein Bett; da, so
dünkte es mich, wäre ich am allerverborgensten. Und als
ich an dasBett kam,war ich so sehr krank,dass ich dachte :
Dir ist wieder schlimm, du sollst eine Weile ruhen. Und
also machte ich ein Kreuz vor mir und wollte mich zur
Ruhe legen und las den Vers: Inmanustuas. Und als ich
den gelesen hatte, sah ich, dass ein Licht vom Himmel
kam, das war unermesslich schön und wonnig, und es
umgab mich und durchleuchtete mich und durchglänzte
I 10
mich ganz und gar, und mein Herz wurde gar plötzlich
verwandelt und mit einer unsäglichen und seltsamen
Freude erfüllt, also dass Ich ganz und gar all die Trübsal
und Qual vergass, die ich vorher je gekannt hatte. Und in
dem Licht und in der Freude sah ich und verspürte, dass
mein Geist aus dem Herzen emporgenommen und zum
Munde hinaus hoch in die Luft geführt wurde, und da
wurde mir gegeben, dass ich meine Seele klar und eigen-
tümlich mit geistigem Gesichte sah,wle ich mit leiblichen
Augen kein Ding je gesehen habe, und alle ihre Gestalt
und ihre Zier und Ihre Schönheit wurden mir völlig ge-
zeigt. Und was für Wunder ich an ihr sah und erkannte,
das könnten alle Menschen nicht zu Worten bringen « .
Da ermahnte sie dIeSchwester bei allerTreue und bat sie
mit allem Ernste, dass sleihrsage,wledle Seele beschaffen
gewesen sei. Da antwortete sie und sprach : » DieSeele ist
ein so ganz geistiges Ding, dass man sie keinen leiblichen
Dingen eigentlich vergleichen kann. Weil du es aber so
sehr begehrst, gebe Ich dir ein Gleichnis, daran du ein
wenig verstehen magst, wie ihre Form und Ihre Gestalt
war. Sie warein rundes,schönesunderleuchtendesLicht,
gleich der Sonne, und war von einer goldfarbenen Röte,
und diesesLIcht war so unermesslich schön und wonnig,
dass ich es mit nichts vergleichen kann. Denn wären alle
Sterne, die am Himmel stehen, so gross und so schön wie
die Sonne, und glänzten sie alle in eines zusammen, der
Glanz aller könnte der Schönheit nicht gleichen, die an
meiner Seele war. Und es dünkte mich, dass ein Glanz
von mir ausging, der die ganze Welt erleuchtete, und ein
wonniger Tag wurde über der ganzen Erde. Und in die-
sem Lichte, das meine Seele war, sah ich Gott wonnevoll
1 1 1
leuchten , wie ein schönes Licht aus einer schönen,
strahlenden Lampe leuchtet, und ich sah, dass er sich so
liebreich und so gütig an meine Seele schmiegte, dass er
ganz mit ihr und sie mit ihm vereint wurde. Und in dieser
Liebeseinung bekam meine Seele von Gott die Gewiss-
heit, dass mir alle meine Sünden vollkommen vergeben
worden seien, und dass sie so rein und so lauter wäre und
so ganz ohne alle Flecken,wiesiewar,daichausderTaufe
kam. Und hievon wurde meineSeelesohohen Mutesund
so freudenreich, dass es ihr schien, sie besässe alleWonne
und alle Freude, und hätte sie auch Wunsches Gewalt,
sie möchte und könnte und wollte nichts mehr wün-
schen . . .
Und als ich jetzt in der besten und obersten Freude war,
begann sich meineSeele wieder herabzusenken, wieGott
wollte, und kam über den Leib, der vor dem Bette lag wie
ein Leichnam, und es wurde ihr Frist gegeben, dass sie
nicht sogleich wieder in den Leib musste, aber sie musste
eine ganze Weile über dem Leibe schweben, bis sie seine
Ungestaltund Hässlichkeitwohl gesehen hatte. Und als
sie ihn recht gut beschaut hatte, wie todähnlich und wie
jämmerlich er war und wie ihm Haupt und Hände und
alle Glieder wie einem Toten dalagen, da gefiel er ihr gar
übel und erschien ihr gar widerlich und greulich. Und gar
bald kehrte sie ihren Blick von ihm ab und sich selber zu.
Und als sie hinwiederum sich selber ansah und sich so
schön und so edel und so würdig dem Leibe gegenüber
fand, da schwebte sie spielend mit solcher Freude und
Wollust über ihn hin, wie alle Herzen sie nicht erdenken
könnten. Und als ihr jetzt am allerbesten war und sie in
der obersten Wonne ihrer selbst und Gottes genoss, den
I 12
sie mit sich geeint sah, da kam sie in den Leib zurück, sie
wusste nicht wie. Und als sie wieder in den Leib gekom-
men war, wurde sie dieser fröhlichen Schauung nicht be-
raubt, sondern auch noch im Leibe wohnend schaute sie
sich selber und Gott in sich, so lauter und wesenhaft, wie
als sie aus dem Leibe verzückt gewesen war. Und die
Gnade währte in mir acht Tage, und als ich zum ersten
Male wieder zu mir kam und inne wurde, dass ein leben-
diger Geist in mir war, da stand ich auf und war der freu-
denreichste Mensch, so dünkte es mich, der je auf Erden
war. Denn ich achtete alle die Freude,die alle Menschen
je gewannen oder je bis an den jüngsten Tag gewinnen
können, so klein gegen meine Freude wie eines kleinen
Mückchens Kläulein gegen die ganze Welt ist. Und von
demÜberschwangeder masslosen Freude war mein Leib
so leicht und so behend geworden und so ganz ohne alles
Gebreste, dass ich die achtTage über nie empfand, ob ich
einen Leib habe, so dass ich keiner leiblichen Krankheit,
klein oder gross, innewurde und dass es mich nie hungerte
noch dürstete noch nach Schlaf verlangte, und doch ging
ich zu Tisch und zu Bett und zum Chore und glich mich
da den Anderen an, dass meine Gnade verborgen sei und
niemand sie bemerke. Und da ich die acht Tage so won-
nig verbracht hatte, wurde mir die Gnade entzogen, so
dass ich das Schauen meiner Seele und Gottes in meiner
Seele nicht mehr hatte, und da empfand ich erst, dass ich
«inen Leib habe«.
Jützi CLiiciaJ Schultheiss
... Da verhängte Gott eine grosse Anfechtung über sie,
dass es siedünkte und ihre Meinungwurde, sie soUteGott
.8 Buber, Konfessionen
IM
niemals schauen. Und davon kam sie in eine so grosse
Verachtung ihrer selbst, dass sie den Himmel nicht anzu-
sehen wagte und dass sie sich unwürdig dünkte, dass sie
derErdboden trug. Und dies währteanihrTagundNacht,
also dass ihr niemals eine Unterbrechung wurde, als nur
so lange, dass sie zu ihrer Notdurft ein Weniges ass und
schlief. Und in dieser grossen Not und Mühsal Hess sie nie
vonihrerAndachtabundvondemErnste,densiezuGott
hatte, und nahm noch mehr an göttlicher Liebe zu, so
dass sie völlig den Willen gewann, sollte sie bis zum jüng-
sten Tage leben , ihre Übung und den Ernst gegen Gott
nimmerabzutun,wiewohlsiekeineZuversichthatte,dass
es Gott von ihr genehm wäre. Aber durch die Milde Got-
tes kam ihr alles zu Gute, was ihr begegnete, und was sie
sah oder hörte, davon wuchs ihre Liebe zu Gott und sie
lobte ihn in ihremHerzen. Wenn sieeinenMenschensich
fröhlich gebärden sah, dachte sie : » Segne dich Gott, es ist
recht, dass du fröhlich seist, denn Gott hat dich dazu ge-
schaffen und bestimmt, dass du die ewige Freude und
Gottes Angesicht geniessen sollst, dessen ich armer
Mensch unwürdig bin « . Diese Pein litt sie von dem Tag
an, da man Alleluja zu sagen aufhört, bis zum grossen
DonnerstagvorderMette. Dawurde ihr garweh, dennsie
hatte ein neues Fieber bekommen zu der Krankheit, die
sie ehedem hatte, und war so krank, dass sie andemTage
das Gebet nicht gesprochen hatte, wie ihre Gewohnheit
war. Denn sie hatte den Brauch, dass sie es gern im Chore
sprach,oftauchwennsie so krankwar, dass man siekaum
in denChor bringen konnte, denn eswarihreGewohnheit,
dass sie esnichtanderswo vollbrachte. Und das hat sie an
diesem Tage unterlassen vor übermässiger Krankheit.
114
Und in der Nacht vor der Mette richtete sie sich im Bette
auf und wollte dasGebet sprechen. Da wurde ihr so übel,
dass sie esnichtmehrkonnte. Unddoch wolltesie esnicht
unterlassen, und fing wieder damit an. Und da hörte sie
eine Stimme, die sprach gar liebreich zu ihr: »Du sollst
ruhen und sollst mich dir weisen lassen, um was du bitten
sollst«. Unddaerschraksieundfürchtete, dass eseinTrug
wäre. DasprachaberdieStimmediegleichenWorte,und
da schwieg sie und lauschte. Und da sprach wieder die
Stimme : » Du sollst bitten für deine vergessenen Sünden
und fürdeine ungesagten Sünden undfürdeineunerkann-
ten Sünden und für die Sünden, die du nicht zu Worte
bringen kannst.Unddannsollstdubitten,dassdu Ein Ding
mit Ihm werdest, wie er mit dem Vater ein Ding war, ehe
er Mensch wurde. Und sollst bitten, dass nie mehr etwas
Trennendes zwischen dir und dem Vater sei. Und sollst
bitten, wie er heute ein Kommen geworden ist und eine
ewigeSpeise allderChristenheit,dass er alsodir ein Kom-
men werde und eine ewige Speise. Und sollst bitten, dass
er selber zudeinem Ende komme und diesallesvollbringe
und ewiglich bestätige« . Hievon empfing sie grosse und
masslose Freude und gewann Kraft am Herzen und am
Leibe. Doch erschien sie sich selber unwürdigderGnade
und des Trostes, so dass sie nicht gänzlich sicher zu sein
vermochte, ob es von Gott wäre. Und als die Mette her-
ankam, sie aber allein in ihrer Ruhe blieb und in dieser
Sorge war, da hörte sie eine Stimme über ihrem Haupte,
die sang so übermässig süsse deutscheWorte,dass weder
Weise noch Worte irgend welchen leiblichen Dingen
gleichen mochten. Und da richtete sie sich auf und wollte
hören, ob sie etwas von den Worten verstehen könnte.
8*
Und da begann sich dieStimmevon ihr zu entfernen, dass
sie keinWort zu begreifen vermochte. Und wohinsie sich
nach der Stimme kehrte, dünkteessie,eswäreanderswo,
und sie dachte: Herr Gott, ich kann mir nichts denken,
was dies andres sein mag als deine ewige Güte, dass du
mich sichern willst, dass ich keinen Zweifel haben soll.
Und da hörte sie die Stimme nicht mehr. Und da wurde
ihr die Anfechtung gänzlich genommen.
Und danach gingen alle Tage neueWunder und neue Er-
kenntnisse Gottes in ihr auf, dass sie im Klaren und jedes
für sich alle die Wunder erkannte, die Gott je im Himmel
und auf Erden gewirkt hat. Sie war auch so weise in die-
sen Stunden,dasssiealleWeisheiterkannteund verstand,
in der Schrift und in äusseren Werken; das verstand sie
besser als alle die Meister, die je davon, von Jeglichem ins-
besondere, gelernt hatte. Sie erkannte auch klar, wie das
ewige Wort war Fleisch worden in der Jungfrau Leib . . .
Und sie schauteunmittelbar, wie wirseine Gliedergewor-
den sind und zu ihm gefügt und geheftet, wie die Äste an
den Baum. . . Sie erkannte auch . . .,wie wir alle einander
gleich sind und ganz Ein Ding sind, und wie der Mensch
dem andern allesGuteschuldigistwie sich selber. Unddie
Erkenntnis,diesie von allenDingenhatte,dieGott je getan
hatoder noch tun will,war ihr an Jeglichem insbesondere
so offen,wie den Engeln im Himmelreich, und sie schaute
es so klar, wie sie es nach diesem Leben in der Ewigkeit
schauensollte. Und wenndieseErkenntnisvon Jeglichem
herankam, so ging sie so vorbei, dass ihr Herz nie darin
stehen blieb und dass sie keinen Trost daran gewann,
wie wenn es nie geschehen wäre. Sie erkannte auch son-
derlich, wie Gott in allen Dingen und in allen Kreaturen
ii6
ist . . Sie erkannte auch, wie Gott in einem jeglichen Gräs-
lein und in einem jeglichen Blümlein und Blatt ist, und
wie er allenthalben um uns und in uns ist . . .
Einmal sass sie in ihrem Bette in grosser Krankheit und
kam in so grosse Liebe und Gnade und kam Gott so nahe
und begehrte sogrosse Dinge von Gott, die überschwäng-
lich gross waren, und da sie in der Begierde war, hörte sie
eine Stimme, die sprach: »Was weisst du, ob dich Gott
dazu erwählt hat?« Da sie die Stimme hörte, erschrak sie
so sehr, dass sie in so grosseVerachtung ihrer selberkam,
dasssie ganz zu nichte ward. Und sie erkannte, dass sie
schmählicher war denn je ein Wurm und dass sie aus sich
selber nichts hatte als Sünde. Und in dieser grossen Ver-
achtung ihrer selbst erkannte sie doch,wasGottwar,und
fand keine Stätte in sich selber noch in der Hölle noch im
Himmel, deren sie sich würdig dünkte, denn allein im
Grunde der Hölle ... In diesem Dinge blieb sie bis zum
Morgen in der Messe. Da hörte sie wieder eine Stimme
inwendig, die sprach und gab ihr das vorgesprochene
Wort, das ihr in dem Gebete geworden war, lauter zu
erkennen, dass er und der Vater Ein Ding war, ehe er
den Menschen schuf oder selbst Menschwurde; dassdies
nicht anders ist, denn dass er Ein Wille und Eine Liebe ist,
und dass auch sie also mit ihm Ein Wille und Eine Liebe
werden solle. Und da kam sie in ein stetes Bleiben und
vereinte ihren Willen mit ihm . . .
Sie schaute auch klar was das ist : Gott sehen von Augen
zu Augen. Hievon konnte sie nicht sprechen. Sie schaute
auch klar und erkannte, wie der Sohn ewiglich von dem
Vater geboren wird , und dass all die Freude und die
Wonne,die da ist, inderewigen Geburt ruht. Wiesie tiefer
kam in das ewige Wesen Gottes, davon konnte sie nicht
sagen und wusste es auch nicht, denn sie verlor sich da
selber so sehr, dass sie nicht wusste, ob sie ein Mensch
wäre. Danach kam sie aber wieder zu sich selber und
war ein Mensch wie ein anderer Mensch und musste
glauben und alle Dinge tun wie ein anderer Mensch . . .
Inden sieben Jahren, da GottdieseWundermitihrwirkte,
kam sie fünf Jahre in keineStube und blieb nie eineWeile
bei den Leuten, wenn sie es vermeiden konnte. Und ein-
mal war es sehr kalt, so dassdieSchwester,die sie pflegte,
sie ernstlich bat, sie möchte sich indieStubehelfen lassen,
dieweil die Schwestern zu Vesper wären. Und da sie so
sehr krank war, folgte sie ihr und Hess sich in die Stube
zum Ofen führen. Und da sprach sie zu ihrer Pflegerin:
»Nun geh du zu Vesper und lass mich hier, dass Gott
etwas Lobes davon geschehe«; denn es war ein heiliger
Tag. Und da sie so allein blieb, sah sie, dass unser Herr
hereinkam, und er war in den Jahren, als er auf Erden
ging und predigte. Und mit ihm gingen Sankt Johannes
und Sankt Jacobus der Ältere, und sie erkannte sie zu-
sammen undaucheinjeglichesAntlitzinsbesondere.Und
sie führten ihn wie einen Herrn, um den sie sorgten, wer
ihnen etwa entgegentreten könnte, und hatten ihn um-
schlungen mit den Armen, einen Arm hinten, den andern
vorn. Und als sie so hereinkamen, Hessen sie ihn aus den
Armen,und erstellte sich vor ihnen hinundsprach: »Nun
schau, wie mein Leben auf Erden war!« Da schaute sie
klar, dass er so leidvoll war: seine Augen waren einge-
fallen, und seineWangen waren so jämmerlich von über-
schwänglichergrosserTrübsaldie erlitt. Unddannsetzte
er sich undkehrteihrdenRückenzu. Und daersich setzen
ii8
wollte, erkannte sie, dass er gar müde war von grosser
Mühsal, dass sein Rücken und alle seine Glieder erkrach-
ten und dass er in sich selber erknirschte. Und als er nie-
dersass, da setzten sich Sankt Johannes und Sankt Jaco-
bus zu ihm. Und danach sah sie, dass die Schwestern aus
und eingingen, und doch sprach keine : » Gottgrüss euch «
oder » Was wollt ihr.?^ « Und das sah so verschmäht und so
elend aus, dass es kein Herz betrachten könnte. Und als
dieSchwestern so aus- und eingingen, standen die Jünger
auf; aber unser Herr sass still. Sie sah auch, dass unseres
Herrn Kleid und Sankt Jacobi Kleid gleich waren, und
waren innen rot; aber Sankt Johannis Kleid war innen
nicht rot, aussen aber war es wie ihre Kleider. Die Jün-
ger waren gar wohlauf am Leibe. Und als sie in diesem
Schauen war, kam eine Schwester und redete mit ihr
und brachte sie wieder zu sich , und da sah sie nichts
mehr.
Ita von Sulz
Man hatte sie einmal zur Kellermeisterin eingesetzt, und
davon wurde sie sehr betrübt,denn siebefürchtete,durch
die Unruhe würde ihre Andacht gestört werden. Und da
ging sie in den Chor und klagte es unserm Herrn. Da trö-
stete er sie gar lieblich und sprach zu ihr: »Man findet
mich an allen Orten und in allen Dingen«. Und hievon
wurde sie gar wohl getröstet und empfing das Amt fröh-
lich, und unser Herr war ihr so vertraut und tat ihr so
gütlich wie nur je.
1 19
Mezzi Sidmbrin (Mechthild SeidempeberJ
Wie süss ihr Leben war, das kann man nicht zu Worte
bringen. Nur so viel, dass ihr Mund von süssen Worten
überfloss, ihre Augen ergossen beständig die süssen Lie-
bestränen, und mit Worten und mit Wandel tat sie ganz
als wäre niemand denn sie und Gott. Zuweilen sprach sie
vor grosser Liebe : » Herr, wärest du Mezzi Sidwibrin und
wäre ich Gott, so wollte ich dich doch Gott sein lassen
und wollte Mezzi Sidwibrin sein « .
Anna von Klingnau
Sie hatte so grossen Eifer zu den gewöhnlichen Arbeiten,
dass sie oft am Bettespann, und vorsieh auf der Kunkel
hatte sie diese Worte :
Je siecher du bist, desto lieber bist du mir.
Je verschmähter du bist, desto näher bist du mir.
Je ärmer du bist, desto gleicher bist du mir.
Diese Worte sprach sie oft mit Begierde, und sie sagte,
Gott spreche dies zu einem Menschen. Aber wir glauben,
dass sie der Mensch war.
Adelheid von Lindau
Wir hatten auch eine gar selige Laienschwester, die hiess
Schwester Adelheid von Lindau und war wohl hundert
Jahre alt, da sie starb, und war gänzlich erblindet,und lag
wohl drei Jahre lang vor ihremTod zu Bett in solcher Ge-
duld, dass ihre Pflegerin von ihr sagte, sie habe sie nicht
ein einziges Mal ungeduldig gesehen. Und sie betete gar
eifrig, so dass die Pflegerin sie immer betend fand bei Tag
und beiNacht, und warsofröhlich,dasssieoftmals schöne
Liedlein von unserm Herrn wohlgemut sang. Zuweilen
120
redete sie auch so liebreich mItGott,als sässeerinGegen-
wartvorihr. Zuweilen sprach sie:
»Ach lieber Herr, du bist mein Vater und meine Mutter
Und meine Schwester und mein Bruder.
Ach Herr, du bist mir alles was ich will.
Und deine Mutter ist mein Gespiel « .
121
DER SANG VON BLOSSHEIT
(Eine früher Tauler zugeschriebene Kantilene)
ICH will von Blossheit singen neuen Sang,
Denn rechte Lauterkeit ist ohn Gedank.
Gedanken mögen da nicht sein,
So ich verloren hab das Mein :
Ich bin entworden.
Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.
Mich irret nimmermehr mein Ungleich,
Ich bin so gern arm als reich.
Mit Bildern mag ich nicht umgehn.
Mein selbst muss ich ledig stehn :
Ich bin entworden.
Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.
Wollt ihr wissen, wie ich von den Bildern kam ?
Da ich rechte Einigkeit in mir vernahm.
Das ist rechte Einigkeit,
So mich entsetzt nicht Lieb noch Leid :
Ich bin entworden.
Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.
Wolltihrwissen,wie ich von dem Geiste kam.?
Da ich weder dies noch das in mir vernahm.
Denn blosse Gottheit ungegründet.
Da mocht ich längerschweigen nicht,ichmusste künden:
Ich bin entworden.
Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.
122
Seit ich also verloren bin in dem Abgrunde,
Da mocht ich länger reden nicht, ich war ein Stummer.
Also hat mich die Gottheit klar in sich verschlungen.
Ich bin entsetzet.
Des hat mich die Finsternis wohl ergötzet.
Seit ich also durchkommen bin vor den Ursprung,
Da mag ich länger altern nicht, ich musste jungen.
Also sind alle die Kräfte mein zumal verschwunden
Und sindgestorben.
Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.
So wer nun also verschwunden ist
Und hat befunden eine Finsternis,
Ist so reich ohn allen Kummer.
Also hat mich das liebe Feuer
Zumal verbrennet.
Und bin erstorben.
Wer also entgeistet wird, der mag nicht sorgen.
123
BIRGITTA VON SCHWEDEN (um 1 302— 1 373)
ES wurden von der Braut gesehen zwei Teufel, im
göttlichen Gerichte stehend, einander gleich an
allen Gliedern. Ihre Münder waren offen wie der Wölfe,
dieAugen flammendwie ein von innen erleuchtetesGlas,
die Ohren hängend wie der Hunde, derBauch geschwol-
len und allzuweit vorgestreckt, die Hände wie einesGrei-
fen, die Beine ohne Gelenke, die Eüsse waren wie ver-
stümmelt und wie bis zur Mitte abgehauen. Da sprach
der eine von ihnen zum Richter : » Richter, richte die mir
ähnliche Seele dieses Ritters mir zum Gemahl zu meiner
Vereinigung«. Der Richter antwortete: »Sage, welche
Gerechtigkeit und welchen Beweisgrund hast du gegen
sie.r^« Der Teufel antwortete: »Fürs erste frage ich dich,
weil du gerecht bist, ob man nicht, wo ein Tier einem an-
dern ähnlich befunden wird, zu sagen pflegt, dieses Tier
sei vom Löwen- oder vom Wolfsgeschlecht oder derglei-
chen. Nun frage ich dich, von welchem Geschlecht ist
diese Seele, oder wem gleicht sie, den Engeln oder den
Teufeln.?« Der Richter sprach: »Sie gleicht nicht den En-
geln,sondern dirunddeinesgleichen,wiegenugsam offen-
bar ist«. Da sprach der Teufel wie spottend: »Als diese
Seele von der Glut der Salbung, das ist deiner Liebe, ge-
schaffen wurde, glich siedir.Jetztaberhatsie deine Süssig-
keitverschmähtund istnachdreifachem Rechte mein ge-
worden. Zum ersten,weil sie mir gleich ist in der Bestim-
mung. Zum zweiten, weil wir einen gleichen Geschmack
haben. Zum dritten, weil wir einen gleichen Willen ha-
ben«. Der Richter antwortete: »Wiewohl ich alles weiss,
so sage doch wegen dieser meiner Braut, die gegenwärtig
124
ist, inwelcherWeiselstdirdieseSeele in der Bestimmung
gleich?« Und der Teufel sprach: »Wie wir gleichgestal-
tete Glieder haben, so haben wir auch gleichgestaltete
Taten. Denn wir haben offene Augen , aber wir sehen
nichts. Denn ich will nichts sehen, was dir und deiner
Liebe eignet, und so hat auch sie, als sie es konnte, nicht
sehen wollen, was dir und dem Heil der Seele eignet, son-
dern sie achtete nur ergötzlicher und weltlicher Dinge.
Auch haben wir Ohren, aber wir hören nicht zu unserem
Nutzen, so hat auch sie nichts hören wollen, was deiner
Ehre eignet,und gleicherweise ist mir alldasDeinebitter;
darum wird die Stimme deiner Süssigkeit und Vortreff-
lichkeit niemals in unsre Ohren zu unsrem Trost und
Frommen eingehen. Wir haben offene Münder; denn
wie sie ihren Mund offen hatte für alle Köstlichkeiten der
Welt, für dich und deine Ehrung geschlossen, so habe
auch ich meinen Mund offen zu deiner Beleidigung und
Betrübung, und niemals würdeich ihn hemmen, dirÜbles
zu tun, wenn es möglich wäre, dich zu zerstören oder aus
der Herrlichkeit zu wandeln. Ihre Hände sind wie eines
Greifen , denn was sie von den zeitlichen Dingen er-
langen konnte,das hat sie bis zumTode festgehalten, und
länger hätte sie es gehalten, wenn du ihr erlaubt hättest
weiter zu leben. So halte auch ich alle, die in die Hände
meiner Gewalt kommen, so mächtig, dass ich sie nie ent-
liesse,wenn sie nicht durch deine Gerechtigkeit mir Un-
willigem entführt würden. Ihr Bauch ist geschwollen,
weil ihre Gier sich ohne Mass erstreckte, denn sie füllte
sich und wurde nicht satt,und sogrosswar ihreGier,dass,
hätte sie allein die ganze Welt erlangen können, sie gern
sich angestrengt hätte und hätte noch überdies in den
125
Himmeln regleren mögen. Eine gleiche Gier habe auch
ich. Denn wenn ich alleSeelen im Himmel und aufErden
und im Fegefeuer gewinnen könnte, ich würde sie gerne
erraffen. Und wäre eineeinzigeSeelegeblieben,obmeiner
Gier entliesse ich sie nicht frei von der Pein. Ihre Brust
istganzkaltwie auch die meine; denn sie hatte keinerlei
Liebe zu dir und deine Ermahnungen haben ihr nicht ge-
schmeckt; so bin auch ich von keiner Liebe gegen dich
berührt, vielmehr vom Hasse, den ich wider dich hege,
und gern Hesse ich mich immerdar mit dem bittersten
Tode verderben und immerdar in der gleichen Marter er-
neuern,damitdu getötet würdest,wenn es möglich wäre,
dich zu töten. Unser beider Beine sind ohne Gelenke,
weil unser Wille einer ist. Denn vom Anbeginn meiner
Schöpfung bewegte sich mein Wille wider dich, und nie-
mals wollte ich wie du. So war auch ihr Wille immer
deinen Geboten entgegen. Unsere Füsse sind wie ver-
stümmelt,dennwiemanmitdenFüssenzumNutzendes
Körpers schreitet, so schreitet man mit der Inbrunst und
gutem Werke zu Gott. Und wie diese Seele niemals mit
der Inbrunst oder mit gutem Werke zu dir schreiten
wollte, so auch ich nicht. Also sind wir einander in der
BestimmungderGlieder in allem gleich. Wir haben auch
den gleichen Geschmack, denn wiewohl wir wissen,
dass du das höchste Gut bist, schmecken wir nicht, wie
süss und gut du bist. Da wir demnach in allen Dingen
gleich sind, so richte uns zur Vereinigung ... Ist es nicht
geschrieben in deinem Gesetze: wo ein Wille und eine
eheliche Übereinstimmung ist, da kann eine rechtliche
Vereinigung geschehen .^ So ist es zwischen uns, denn ihr
Wille ist der meine, und mein Wille ist der ihre. Warum
126
also werden wir der Vereinigung beraubt?« Der Richter
sprach : » Die Seele eröffne ihren Willen und was sie von
derVereinigungmitdirmeint«.DieSeeleantwortetedem
Richter : » Lieber will ich in der Höllenpein sein, als in die
Freude des Himmels kommen, auf dass du Gott keine
Tröstung von mir habest, denn so sehr bist dumirver-
hasst, dass ich mich um meine Qual wenig bekümmere,
wenn du nur nicht getröstet wirst« . Da sprach der Teufel
zum Richter:» Einen solchenWillenhabeauch ich. Denn
lieber wollte ich in Ewigkeit gemartert sein, denn in die
Herrlichkeit kommen,dass du davonTröstung hättest«.
Dasprach derRichterzurSeele :» DeinWilleistdein Rich-
ter, und nach ihm wirst du das Urteil empfangen « .
In der Nacht der Geburt desHerrn kam der BrautChristi
ein so wunderbarerund grossen AufschwungdesHerzens,
dass sie sich vor Freude nicht fassen konnte. Und in dem
gleichen Augenblick verspürtesie im Herzen eine fühlbare
und erstaunliche Bewegung, wie wenn in ihrem Herzen
ein lebendiges Kind sich hin und her rollte. Als diese Be-
wegung andauerte,wies sie es ihrem geistlichen Vater und
einigen geisdichen Freunden, ob es nicht etwa ein Trug
wäre. Die prüften es durch Anblick und Berührung und
bewundertendie Wahrheit. Danach erschien ihramglei-
chenTageimHochamtdieMutterGottesund sprach zur
Braut: »Tochter, du verwunderst dich über die Bewe-
gung, die du in deinem Herzen spürst. Wisse, dass es kein
Trug ist, sondern eine Darzeigung des Gleichnisses mei-
ner Süssigkeit und der Barmherzigkeit, die mir geschah.
Denn wie du nicht weisst, in welcher Weise dir unver-
sehens der Aufschwung des Herzens und die Bewegung
127
kam, so war das Kommen meines Sohnes in mich wun-
derbar und eilend. Denn als ich dem Engel zugestimmt
hatte, der mir die Empfängnis desSohnesGottes verkün-
digte, spürte ich sogleich in mir ein Erstaunliches und Le-
bendiges. Und als es aus mir geboren wurde, ist es mit
unsäglichem Jubel und ungemeiner Eile aus meinem ge-
schlossenen jungfräulichen Schosse gegangen. Darum,
Tochter, fürchte keinen Trug, sondern freue dich, denn
diese Bewegung, die du spürst, ist dasZeichen, dass mein
Sohn in dein Herz gekommen ist. Und wie mein Sohndir
den Namen seiner neuen Braut gegeben hat, so heisse ich
dich nunmehr Sohnsfrau. Denn wie Vater und Mutter
alternd der Sohnsfrau die Last aufladen und sie unter-
weisen, was im Hause zu tun sei, so wollen Gott und ich,
indenHerzenderMenschen altgeworden undvon ihrem
Liebesmangel erkaltet, unseren Freunden und der Welt
durch dich unsernWillen anzeigen. Diese Bewegung dei-
nes Herzens aber wird bei dir bleiben und wird sich meh-
ren nach deines Herzens Fähigkeit« .
128
JULIANA VON NORWICH
(Datum der Revelationen : 1 3 7 3)
UNSER guter Herr sprach zu mir segensvoll : » O, wie
ich dich liebe «.Als ob ergesagthätte:»MeinLiebling,
verharre und schaue deinen Gott,der dein Bildner ist und
deine endlose Freude. Schaue deinen eigenen Bruder,
deinen Erlöser, verharre und schaue, welches Ergötzen
und welche Seligkeit ich in deinerErlösung habe. Und für
meine Liebe freue dich mit mir« . Und um es noch besser
zu verstehen: Dieses gesegnete Wort: »O wie ich dich
liebe« war gesagt, als ob er sagte: ^Verharre und schaue,
dass ich dich so sehr geliebt habe, bevor ich fürdich starb,
dass ich für dich sterben wollte. Und nun bin ich für dich
gestorben und habe willig erlitten, was ich mochte. Und
nun ist alle meine bittere Pein und meine harte Wander-
schaft zu ewig währender Freude und Seligkeit gewor-
den, für mich und für dich. Wie sollte es nun Wohlsein,
dass du mich um irgend ein Ding bätest, das mir wohl ge-
fällt, dass ich es dir nichtgerngewährte.MennmeinWohl-
gefallen ist deine Heiligkeit und deine endlose Freude und
Seligkeit mit mir«.
Ob der grossen, unendlichen Liebe, die Gott zur ganzen
Menschheit hat, macht er keine Scheidung in der Liebe
zwischen der gesegneten Seele Christi und der geringsten
Seele,dieerlöst werden soll . . .Wir sollen unshochfreuen,
dass Gott in unserer Seele weilt, und noch höher sollen
wir uns freuen, dass unsere Seele in Gott weilt. Unsere
Seele ist gemacht, Gottes Wohnstätte zu sein, und die
Wohnstätte unsererSeeleistderungemachte Gott. Eine
9 Buber, Konfessionen
hohe Erkenntnis ist es, innerlich zu sehen und zu wissen,
dass Gott, der unser Schöpferist, in unserer Seele wohnt.
Und eine höhere Erkenntnis und eine innerlichere ist es,
zu sehen und zu wissen, dass unsere Seele, die geschaffen
ist, in Gott imWesen wohnt. Aus diesemWesen bei Gott
sind wir was wir sind. Und ich sah keinen Unterschied
zwischen Gott und unserem Wesen, sondern es war ganz
Gott.
Und dieses sah ich in voller Gewissheit, dass es für uns
leichter ist zur Erkenntnis Gottes zu kommen, als unsere
eigene Seele zu erkennen. Denn unsere Seele ist so tief in
Gott gegründet und so unendlich eingesammelt, dass wir
zu ihrer Erkenntnis nicht kommen können, ehe wir Er-
kenntnis Gottes haben, der der Schöpfer ist, dem sie eig-
net. Doch sah ich, dass es uns not tut zu begehren, weise
und wahrhaft unsere eigene Seele zu kennen; und daher
sind wir gewiesen, sie zu suchen, wo sie ist, und das ist in
Gott. Und so werden wir durch die gnädige Leitung des
Heiligen Geistes sie beide in Einem erkennen. Ob wir be-
wegt sind, Gott oder unsere Seele zu erkennen, es ist bei-
des gut und wahr. Gott ist uns viel näheralsunsere eigene
Seele, denn er ist der Grund, in dem unsere Seele steht . . .
DennunsereSeelesitztinGottin wahrer Ruheundunsere
Seele steht in Gott in sicherer Kraft und unsere Seele ist
in Gott gewurzelt in endloser Liebe. Wenn wir daher Er-
kenntnis unserer Seele haben wollen und Gemeinschaft
und Bund mit ihr, ziemt es uns, sie zu suchen in Gott un-
serem Herrn, in dem sie eingeschlossen ist.
130
Unser Herr öffnete mein geistiges Auge und zeigte mir in-
mitten meines Herzens meine Seele, und ich schaute die
Seele so weit, als wäre sie eine unendliche Welt und als
wäre sie ein gesegnetes Königreich.
9*
151
GERLACH PETERS ( 1 3 78— 1 4 1 1 )
DANK dir, du mein Licht, du ewiges Licht, du niege-
mindertes Licht, du höchstes und unwandelbares
Gut, vor dessen Angesicht ich stehe, dein armer und ge-
ringer Knecht.
Dank dir! Nun sehe ich ; ich sehe das Licht, das da leuch-
tet in der Finsternis.
Und was siehst du in diesem Lichte?
Ich sehe, wie gewaltig du mich liebst; und dass, wenn ich
indirbleibe, es so unmöglich ist, dassdunicht zuallerZeit,
an allen Orten und in allen Fällen mir zugetan wärest, wie
es unmöglich ist, dass ich dir je nicht zugetan wäre.
Und du gibst dich selber mir ganz, also dass du ganz und
ungeteiltmein bist, solangeichganzundungeteiltdeinbin.
Und bin ich so ganz dein, dann hast du, wie du dich von
Ewigkeit her geliebt hast, auch mich von Ewigkeit her ge-
liebt; denn dies ist nichts anderes, als dass du dich selber
in mir geniessest, und dass ich aus deiner Gnade dich in
mirgeniesse und mich in dir.
Und liebe ich mich so, dann liebe ich nichts anderes als
dich, denndu bist in mirundichindirwieeineinigesDing,
das aus Einung geworden ist und in Ewigkeit nicht mehr
geteilt werden kann. Und da jeder dasGute und die Kraft
im Andern liebt, so istdies nichts anderes, als dass dudich
selber liebst.
Bleibe ich aber ganz und vollkommen in dir: wie du nicht
zu Grunde gehen kannst, so kann ich nicht zu Grunde
gehen.
Ein Armer im Geiste, vom Herrn gestärkt, sprach, von
dem obern Teile seines Geistes redend, also :
132
siehe, Ich bin reich und habe Überfluss; denn Ich habe
schon das Ganze, was Ich von dieser Welt begehre; und
eben dies, das Ich habe, habeich, als hätte Ich es nicht;
denn nicht mit Liebe besitze Ich und könnte es auch ent-
behren, ohne dass Ich etwas von mir selber verlöre.
DIehöchste,blosse,unbIldlIcheundunwandelbareWahr-
helt selbst wohnt In dem obersten Teile meines Geistes
und zeigt mir Ihre unaussprechlichen Schätze,dlekelnem
Dinge sich vergleichen lassen; das eine einfache Wort, In
dem alles beschlossen Ist und über das Ich nichts anderes
suche.
Da wird mir mein Nichts und meiner selbst, als meiner
selbst, Nichtsein gezeigt; und alle Gebrechen, die dasGe-
müt nach Irgend einer Seite beugen könnten; und gezeigt
wird mir auch das wahre Wesen aller Dinge.
Auch schaue Ich nicht von unten die unteren Begeben-
heiten und Zufälle nach der wandelbaren Sinnlichkeit;
sondern von oben schaue Ich alles, und die Wahrheit ruft
für mich mItfurchtbarerStImmeauf alles Fremde,dasmlt
ihr nicht eins Ist, hinab : Nahet euch nicht, denn der Ort,
wo er steht, ist heilig.
Und so zeigt sie mir oftmals Ihr Angesicht, Im Chore, auf
dem Bette, am Tisch, in der Zelle, im äusseren Lärme, in
der Arbelt und bei mancherlei Geschäften; und sie lehrt
mich alle Dinge, die aussen sind, innen zu vereinfachen
und In ein Innerliches und gefestigtes Schauen zu ver-
wandeln.
Dies Angesicht aber ist so stark, dass es Herz und Leib
machtvoll überwältigt, also dass nicht bloss die Grund-
festen, sondern auch die Herzensschwellen des Gottes-
tempels bewegt werden zu antworten, sich hinzugeben.
getreu zu folgen, wohin es auch gehe, mit allen Kräften
dem gezeigten Lichte nachzufolgen und ohneUnterlass
alleszu opfern, was ist und sein kann, samt allem Geschaf-
fenen in der Zeit und in der Ewigkeit.
Und alsdann wäre es mir eine grosseTröstung und Leich-
terung des Herzens, wenn ich mich auch mit dem Leibe
unter alles Geschaffene beugen, niederdrücken, demüti-
gen und hinwerfen könnte.
Und das Angesicht macht mich — als mich selber, den
Gebrechlichen — fast zu nichts: es zeigt mir, dass alles,
was sich in ihm nicht eint, nichts ist.
Und nachdem ich also entworden bin, nimmt es mein
wollendes Schauen,drücktesseinem Schauen ein, vereint
es ihm unmittelbar , dass meines und seines Ein helles
Schauen werden, von keiner Seite zurückgewendet; und
alles, was ist und werden kann, schaue ich nach meiner
Art, in ihm und mit ihm, wie das Angesicht selber tut.
Daher bin ich meinetwegen unbesorgt , und getrost in
allem, was über mich kommen mag. Und was über mich
zu kommen Erlaubnis hatvonder unwandelbarenWahr-
heit und ewigen Bestimmung meines Herrn — dem ich
mein Leben und meinen Tod und alles, was ich bin und
sein kann, in Zeit und Ewigkeit übergeben habe, nichts
vermessentlich vorempfindend, nichts nach dem Beha-
generwählend— ,demgebeauchichErlaubnis,übermich
zukommen.
IM
ANGELA VON FOLIGNO
(zweite Hälfte des 1 3 .Jahrhunderts)
EINMAL in der Fastenzeiterschien es mir, ich seisehr
trocken und ohne Andacht. Und ich bat Gott, er
möge mir von sich geben , dieweil ich alles Guten ledig sei.
Und da wurden die Augen der Seele aufgetan und ich sah
die Liebe, die auf mich zukam. Und ich sah den Anfang,
aber ihr Ende sah ich nicht, nur ihren Fortgang. Und von
ihren Farben weissichkeinGleichniszusagen.Undalsdie
Liebe zu mir kam, sah ich alles dieses mit den Augen der
Seeleenthüllter, alsmanmitden Augendes Körpersetwas
sehen kann. Und die Liebe näherte sich mir in der Gestalt
einer Sichel. Man muss das aber nichtso verstehen, als sei
die Gestalt in der Grösse messbar gewesen, sondern sie
war wie eine Sichel, weil sie erst vor mich hintrat, dann
sich zurückzog, und nicht im gleichen Masse sich mit-
teilte, indemsie sich zu erkennen gab. Undalsbaldwurde
ich mit Liebe erfüllt und einer unaussprechlichen Sätti-
gung, die, wiewohl sie mich sättigte, doch den grössten
Hungerinmirerzeugte,sounsäglichgross,dass alle meine
Glieder sich lösten unddieSeeleschmachteteundzudem
Übrigen zukommenbegehrte. Undichwolltekeine Krea-
tur weder sehen noch hören noch verspüren. Und ich
sprach nicht. Aber meine Seele redete innen und schrie,
dass die Liebe sie nicht in so grosser Liebe schmachten
lasse, denn ich achtete das Leben für einen Tod.
Und als ich durch die Annäherung selbst ganz die Liebe
zu sein glaubte, die ich fühlte, sprach ich : Viele sind, die
glauben in der Liebe zu stehen, und stehen im Hasse ; und
viele hinwieder, die glauben im Hasse zu stehen, und sind
M5
in der Liebe. Meine Seele aber suchte dieses in grosser
Gewissheit zu schauen, und Gott gab es mir offenbar zu
fühlen, also dass ich da ganz befriedigt blieb. Von jener
Liebe aber bin ich so erfüllt, dass ich glaube, sie fürder nie
entbehren zu können. Und einer Kreatur, die Anderes
sagte, könnte ich nicht glauben ; und wenn ein Engel mir
Anderes sagte, ich würde ihm nicht glauben, sondern ant-
worten : Du bist der vom Himmel Gestürzte.
Und ich schaute in mir zwei Seiten, als wäre in mir eine
Strasse gemacht. Und aufder einen Seitesah ich die Liebe
und alles Gute, was von Gott war und nicht von mir ; und
aufder andern Seite sah ich mich dürre und dass von mir
nichtsGutesherstamme. Und dadurch erkannte ich, dass
nicht ich es sei, die da liebe, obgleich ich mich in der Liebe
sah, sondern jenes Liebende kam allein vonGott, und um
das Liebende sammelte sich die Liebe und teilte eine
grössere und feurigere Liebe mit als vordem,und ich hatte
ein Verlangen, zu jener Liebe hinzueilen. Und zwischen
dieser Liebe, die so gross ist, dass ich damals nicht wissen
konnte, es könne eine grössere Liebe geben, bis jene an-
dere todgleiche Liebe mich überkam, — zwischen der rei-
nenLiebe also undder andern todgleichenundallergröss-
ten Liebe ist ein Mittleres, davon ich nichts zu erzählen
vermag : denn esist von so grosser Tiefe,und von so grosser
Wonne, und von so grosser Freudigkeit, dass es nicht in
Worte gefasstwerdenkann.Undichwolltedamalsnichts
weiter von dem Leide hören, noch auch dass Gottvormir
genannt werde ; denn wenn ervor mirgenannt wird, fühle
ich ihn mit so grossem Ergötzen, dass ich vom Ver-
schmachten gepeinigtbinvor Liebe; undallesandere,was
weniger ist als er , wird mir zum Hindernis. Und nichtig
.j6
erscheint mir, was vom Evangelium gesagt wird oder vom
Leben Christi oder von irgend einer Rede Gottes; denn
Grösseres und Unvergleichliches schaue ich in Gott. Und
bleibe ich von jener Liebe zurück, ich bleibe ganz befrie-
digt, ganz engelhaft; also dass ich Kröten und Gewürm,
und auch die Teufel liebe. Und wenn ich in jenem Zu-
stande bin, wenn mich da ein wildes Tier verzehrte, ich
kümmerte mich nicht, und es erschiene mir, als litte ich
keinen Schmerz. Und dann ist auch das Erinnern und
das Gedenken des Leidens Christi nicht schmerzlich.
Auch gibt es in jenem Zustande keine Tränen.
Einmal wurde meineSeeleerhoben,und ich schauteGott
in so grosserKlarheit,wie ichihnniezuvorgeschauthatte,
und in einer so vollen Weise wie nie. Und ich sah in ihm
die Liebe nicht, und ich verlordie Liebe, dieich vordem ge-
tragenhatte,und ich wurdeNichtliebe. Und danachschau-
te ich ihn in einer Finsternis, und deswegen in Finsternis,
weil er ein grösseres Gut ist, als gedacht oder verstanden
werden kann, und keines, das gedacht oder verstanden
werden kann, reicht an diesesheran. Und dazumal wurde
der Seele ein urgewisser Glaube, eine zuversichtliche, fest-
gegründete Hoffnung, eine stete Sicherheit von Gott ge-
geben,alsodass sie alleFurchtverlor. Und in jenem Gute,
das in der Finsternis geschaut wird, sammelte ich mich
ganz, und wurde Gottes so sicher, dass ich niemals daran
zweifeln kann , Gott in grosser Gewissheit zu besitzen.
Undin jenem überaus wirksamen Gute, das in der Finster-
nis geschaut wird, ist meine ganze Hoffnung gesammelt
und sicher. Oftmals schaue ich Gott in dieser Weise und
in diesem Gute, das äusserlich nicht erzählt, noch auch
137
mit dem Herzen gefasst werden kann. In jenem ganz ge-
wissen und verschlossenen Gute, dasichmitderso grossen
Finsternis meine, habeich meine ganze Hoffnung, undim
Schauen habe ich, was immer ich haben will, ganz, und
was immer ich wissen will, weiss ich ganz, und ich sehe
darin alles Gute. Und im Schauen vermag die Seele nicht
zu denken, dass jenes Gut von ihr, noch dass sie von ihm
gehen könnte, noch auch dass sie von ihm würde schei-
den müssen, sondern sie ergötzt sich unaussprechlich in
jenem ganzen Gute. Und durchaus nichts sieht die Seele,
wassiemitdemMundeerzählenodermitdemHerzenbe-
greifen könnte; und sie sieht nichts, und sieht durchaus
alles. Und weil jenes Gut in der Finsternis ist, ist es um so
gewisser und allen Dingen um so überlegener, je mehr es
in der Finsternis geschaut wird, und es ist sehrverborgen.
Und später sehe ich in der Finsternis, dass es jeglichem
Gute überlegen ist,unddassallesund jegliches Anderevor
ihm finster ist und alles, was gedacht werden kann,weni-
ger ist als dieses Gut.
Und sogar dies,wenn die Seele die göttliche Macht schaut,
und wenn sie diegöttlicheWeisheitschaut,undauchdies,
wenn sie den göttlichen Willen schaut, was alles ich auf
eine wunderbare und unsägliche Weise geschaut habe,
all dies ist weniger als jenes ganz gewisse Gut. Denn jenes
Gut, das ich schaue, istdasGanze,diese anderen alle aber
sind ein Teil. Und wenn diese anderen geschaut werden,
bringen sie, wiewohl sie unaussprechlich sind, doch eine
grosse Freudigkeit, die sich in den Körper ergiesst. Wenn
aber Gott in jener Weise in der Finsternis geschaut wird,
bringt es kein Lachen in den Mund, kein Feuer und keine
Andacht ins Herz, und keine brennende Liebe. Denn der
138
Leib zittert nicht und wird nicht bewegt, noch auch ver-
ändert, wie es beim Schauen der andern zu geschehen
pflegte. Denn der Leib schaut nichts, sondern die Seele
schaut, der Leib aber ruht und schläft, und die Zunge ist
abgeschnitten, da sie alsdann nichts zu sagen vermag.
Und alle die vielen und unsagbaren Freundschaften, die
Gott mir erzeigt hat, und alle die süssenWorte, die er mir
gegeben hat, und alle andern Gaben und Taten sind um
ein so Vieles geringer als jenes Gut, das ich in der grossen
Finsternisschaue, dassich auf jene Dinge meine Hoffnung
nicht setze. Sondern wenn es möglich wäre, dass sie alle
nicht wahr wären,würde dies in keinerWeise meine Hoff-
nungmindern. . .
Und alles, was ich darüber sage, erscheint mir, als ob ich
nichts sagte. Ja es ist mir, als redete ich Übles, was immer
ich sage, und mein Reden erscheint mir als ein Lästern.
So sehr übersteigt jenes Gut alle meine Worte.
Und wenn ich jenesGutschaue, entsinneich mich,solange
ich darin bin, nicht der Menschheit Christi und nicht des
Gottmenschen, und keines andern Dinges, das Gestalt
hätte. Und doch schaue ich dazumal alles, und ich schaue
nichts.
Bin ich aber von jenem Gute geschieden, dann schaue ich
den Gottmenschen, und er zieht die Seele mit so grosser
Milde an sich, dass er zuweilen spricht : » Du bist ich, und
ich bin du. « Und ich schaue jene Augenund jenessohuld-
reiche Angesicht, dass meine Seele umfangen und ange-
zogen wird mit unendlicher Innigkeit. Und was aus jenen
Augen und aus jenem Angesicht hervorbricht, das eben
ist jenes Gut, von dem ich gesprochen habe, dass ich es in
der Finsternis schaue. Und es strömt hervor und kommt
M9
aus dem Innern, und es Ist eben dieses, das mich so sehr
erfreut, dass es nicht erzählt werden kann. Und in dem
Gottmenschen stehend ist meine Seele lebendig; weit
mehr aber stehe ich in ihm als in jener Finsternis. Jenes
Gutder Finsternis jedoch ziehtdieSeele weit mehr als das
des Gottmenschen, unvergleichlich mehr. Aber im Gott-
menschen stehe ich fast beständig, und dermassen be-
ständig, dass mir einmal von Gott Gewissheit gegeben
wurde, dass nichts Mittleres zwischen mir und ihm ist,
und seither war nicht ein Tag, noch eine Nacht, da ich
nicht beständig diese Freude von der Menschheit gehabt
hätte. Und ich habe dann das Verlangen zu singen und
Gott zu loben, und ich spreche: Ich lobe dich, geliebter
Gott. Aufdeinem Kreuze habe ich mich gebettet. Und als
Kopfkissen und Flaumbett habe ich die Armut gefunden,
und alsRuhelagerdenSchmerzunddieVerachtung. Denn
auf diesem Bette wurde ergeboren, daraufruhteundstarb
er. Und diese liebende Gemeinschaft, mit der Armut, dem
Schmerze und der Verachtung, hatGott Vater so sehr ge-
liebt, dass er sie seinem Sohne gab, und der Sohn wollte
immerdar auf diesem Bette liegen, und liebte es immer,
und war einig mit demVater. Und auf diesem Bette habe
ich geruht und ruhe, mein Bett ist es, und darauf hoffe ich
zu sterben, und dadurch glaubeich erlöst zu werden. Und
dieFreude,dieich erwarte von jenen Händen und Füssen,
kann nicht genannt werden. Denn wenn ich ihn schaue,
möchte ich niemals von dannen gehen, sondern näher
und näher kommen, und so ist mein Leben ein Sterben.
Und gedenke ich sein, kann ich nicht sprechen, denn die
Zunge ist abgeschnitten. Und gehe ich von ihm, dann
treibt mich die Welt, und alles was ich finde treibt mich,
140
jenes Bett noch mehr zu verlangen. Und so ist mir mein
Verlangen wegen derSchwermutder Erwartung einetöt-
lichePein.
Darnach wurdeich im Geiste erhoben undfand mich ganz
innen in Gott in einer anderenWeise, die ich nie erfahren
hatte. Und es erschien mir, ich sei mitten in der Dreieinig-
keit, in einerhöheren undgrösserenWeise,alsdieichsonst
kannte ; denn ich empfing grössere Güter aisgewöhnlich,
und war beständig in diesen Gütern , und war voll der
grössten und unsagbaren Freuden und Wonnen , die
durchaus über allem sind,was ich je erfuhr. Es geschahen
in der Seele so namenlose götdiche Wirkungen, dass sie
kein Heiliger, kein Engel erzählen oder erklären kann.
Und ich verstehe, dass jene götdichen Wirkungen und
jenen urtiefen Abgrund kein Engel noch irgend eine
Kreatur zu fassen fähig ist. Und es erscheint mir dieses,
was ich sage, als eine üble Rede und Lästerung. Und ich
bin aus allem gezogen, das ich vordem hatte und darin
ich mich zu ergötzen pflegte, das ist vom Leben und der
Menschheit Christi, und von derBetrachtung jener sehr
tiefen Gemeinschaft, die Gott von Ewigkeit so sehr ge-
liebt hat, die er auch seinem Sohne gab, und in der auch
ich meine Freude zu finden pflegte, nämlich in der Ar-
mut, in dem Schmerze, in der Verachtung des Sohnes
des lebendigen Gottes war gemeiniglich meine Rast und
meine Lagerstatt. Und auch aus jener ganzen Weise
Gott in der Finsternis zu schauen, die mich so sehr er-
freut hat, bin ich hinausgestellt. Und ich bin aus jenem
ganzen früheren Zustand mit so grosser Weihung und
Befriedigung gezogen, dass ich ihn mir in keiner Weise
141
vorstellen kann ; ich entsinne mich nur, dass ich ihn nicht
mehr habe.
Und in jenen unaussprechlichen Gütern und göttlichen
Wirkungen, die in meinerSeelegeschehen,zeigtGott sich
zuerst in der Seele und wirkt das Unsagbare. Danach of-
fenbart er sich und eröffnet sich der Seele und gewährt ihr
noch grössere Gaben mit noch grösserer Gewissheit und
in namenloser Helle.
Zuerst aber zeigt er sich der Seele in zwiefacherWeise. In
der einenWeise stellt ersieh innerlichin meiner Seeledar,
und dann gewahre ich ihn gegenwärtig und erkenne, wie
er in aller Natur gegenwärtig ist, und in jedem Dinge, das
Dasein hat, in dem Dämon, in dem guten Engel, in der
Hölle, im Paradiese, im Ehebruch, im Morde, in jedem
guten Werke, und in jedem Dinge, das in irgend einer
Weise Dasein hat, so in dem schönen wie in dem häss-
lichen. Daher freue ich mich in der Zeit, da ich in dieser
Wahrheitbin, ingleicherWeise, wenn ich Gott sehe oder
einen Engel oder ein gutesWerk oder aber ein böses ; und
in dieserWeise stellt sich Gott gar oft in meiner Seele dar.
Und dieses Sichdarstellen oder diese Gegenwart ist eine
Erleuchtung mit grosser Wahrheit und mit göttlicher
Gnade; also dass die Seele, wenn sie dieses schaut, an kei-
nem Dinge Anstoss nehmen kann . . .
In einer anderen Weise stellt sich Gott auf eine mehr be-
sondere und von jener sehr verschiedene Art dar und gibt
eine andere Freude und sammelt die ganze Seele in sich
ein und wirkt ein Grosses in der Seele mit weit mächtige-
rer Gnade und mit dem unnennbaren Abgrund der Freu-
den und Bestrahlungen , so dass dieses Sichdarstellen
Gottes ohne andere Gaben jenes Gut ist, das die Heiligen
142
im ewigen Leben besitzen. Und wiewohl ich nicht tauge
davon zureden, ja mein Reden mehr ein Verwüsten und
Lästern als irgend ein Mitteilen ist, so sage ich doch, dass
darin Erweiterungen der Seele sind, wodurch die Seele
fähiger wird, Gott zu fassen und zu haben.
Und sogleich, nachdem Gott sich derSeelegezeigthat, of-
fenbart er sich und eröffnet sich ihr,und erweitertdie Seele
und gibt ihr die Gaben und die Süssigkeiten, die sie nie vor-
dem erfuhr, und mit weit grösserer Tiefe, als ich gesagt
habe. Und alsdann ist die Seele aus aller Finsternis gezo-
gen, und ihr wird ein grösseres Erkennen Gottes zuteil,
als dessen Möglichkeit ich verstehen kann, und das mit
einer so grossen Helle und mit einer so grossen Süssigkeit
und Gewissheit und in einem so tiefen Abgrund, dass es
kein Herz gibt, das dieses erreichen könnte. Daher kann
auch mein Herz nachher nicht dazu kommen, etwas da-
von zu verstehen, noch etwas davon zu denken; dies eine
nur, dass es der Seele von Gott geschenkt wird, dass sie
darin erhoben wird , dass sonst aber nie ein Herz sich da-
hin zu spannen vermag. Und daher kann sie auch gar
nichts davon sagen, und nicht kann irgend ein Wort ge-
funden werden, das Jenes sagte oder austönte, noch auch
kann ein Gedankeoder irgend ein Verstand sich zudiesen
Dingen hinbreiten : um ein so Grosses sind sie über allem,
in diesem und in jedem andern Sinne, dass Gott durch
nichts, was gesagt oder gedacht werden kann, zu über-
geben ist. . .
Und wiewohl ich von aussen einGeringesanTraurigkeiten
undFreuden empfangenkann, so istdochinnen inmeiner
Seele eine Kammer, in die keine Freude oderTraurigkeit
oder das Ergötzen irgend einer Tugend oder irgend eines
M3
nennbaren Dinges eingeht; sondern dahin kommt jenes
alleinige Gut. Und in diesem Offenbaren Gottes (wiewohl
ich lästere, wenn ich Christum so nenne, denn ich kann
ihn mit keinem Worte vollkommen bezeichnen) ist die
ganze Wahrheit. Und in ihm erkenne und besitze ich die
ganze Wahrheit, die im Himmel und auf Erden und in der
Hölle und in aller Kreatur ist, mit so grosser Wirklichkeit
und mit so grosser Gewissheit, dass ich in keiner Weise,
und wenn die ganze Welt das Gegenteil bezeugte, ein An-
deres glauben könnte, ja ihrer spotten würde. Denn ich
schaue den, der das Sein ist; und so wie er das Sein aller
erschaffenen Wesen ist. Und ich sehe, wie er mich fähig
gemacht hat, alle diese Dinge besser zu verstehen, als ich
bisher getan habe, da ich ihn in jener Finsternis schaute,
die mich sosehr zu erfreuen pflegte. Und ich sehe mich
allein mit Gott, ganz rein, ganz geheiligt, ganz wahrhaft,
ganz redlich, ganz vergewissert, ganz himmlisch in ihm,
und wenn ich indiesemZustande bin, gedenke ich keines
anderen Dinges mehr. Und einmal, als ich in diesem Zu-
stand war, sprach Gott zu mir: »Tochter der göttlichen
Weisheit, Tempel des Geliebten, Wonne des Geliebten,
und Tochter des Friedens,in dir ruht die ganze Dreieinig-
keit, die ganze Wahrheit, also dass du mich besitzest und
ich dich besitze« . ..
Zu diesem Zustande aber bin ich nicht vorgeschritten,
sondern geführt und erhoben wurde ich von Gott, so dass
ich nicht wusste, diesen Zustand zu wollen noch zu be-
gehren noch anzustreben, und nun bin ich beständig dar-
in. Und gar oft wird meine Seele von Gott erhoben, und
meineZustImmung wird nicht gefordert. Denn während
ich es nicht erhoffe und nicht daran denke, wird plötzlich
144
die Seele von Gott dem Herrn erhoben, und ich umfasse
die ganze Welt, und es erscheint mir, ich sei nicht auf der
Erde, sondern stünde im Himmel, in Gott. Und dieser er-
habeneZustand,in dem ich nun bin, ist überden anderen
Zuständen, dieich bisher besass; denn eristvon so grosser
Fülle und von so grosser Klarheit und Gew^issheit und
Veredlung und Erweiterung, dass ich fühle : kein anderer
Zustand kommt ihm nahe. Und dieses Offenbaren Got-
tes hatte ich mehr als tausendmal; immer neu und im-
mer in verschiedener Weise.
10 Buber, Konfesdonen
145
KATHARINA VON SIENA(i 347— 1 380)
Aus den Aufzeichnungen des Raimund von Capua,
ihres Beichtvaters
ALS sie einmal, von vielen Schmerzen belastet, auf
JhremBettleinlag und mit mir etliche ihrvomHerrn
offenbarte Dinge zu besprechen begehrte, Hess sie mich
im Geheimen rufen. Und als ich zu ihr gekommen war
und an ihrem Lager stand, begann sie, wiewohl fiebernd,
nach der gewohnten Weise von Gott zu reden und die
Dinge zu erzählen, die ihr an diesem Tage offenbart wor-
den waren. Da ich aber so Grosses und Unerhörtes hörte,
sprach ich in mir selber, der ersten vordem empfangenen
Gnade uneingedenkundundankbar: »Vermeinst du, alle
die Dinge, die sie sagt, seien wahr.?*« Und während ich so
dachte und mich ihr, die redete, zukehrte, verwandelte
sich in einem Augenblick ihr Angesicht in das Angesicht
eines bärtigen Mannes, der, mich mit starren Augen be-
trachtend, mir einengrossen Schrecken gab. Unddas Ant-
litz war länglich, von mittlerem Alter, und hatte einen
nicht langen Bart von der Farbe des Kornes, und wies im
Anblick eine solche Majestät, dass es dadurch sich als der
Erlöser offenbarte. Auch konnte ich dazumal kein an-
deres Angesicht unterscheiden als dieses. Und da ich, be-
stürzt und entsetzt, dieHändezudenSchulterngehoben,
ausrief: »Wer ist es, der mich anschaut.f^« antwortete die
Jungfrau: »Er der ist« . Als dies gesagt war, verschwand
dieses Angesicht plötzlich, und ich sah deutlich die Züge
der Jungfrau, die ich vorher nicht zu unterscheiden ver-
mochthatte.
Als sie einmal mit grosser Inbrunst betete, sprechend mit
146
dem Propheten : » Ein reinesHerz schaffe mir, o Gott, und
einen getreuen Geist erneuere in meinem Innern«, und
sonderlich bat, dass der Herr ihr eignes Herz und ihren
eignenWillen ihr nehme, tröstete er selber sie mit diesem
Gesichte. Es erschien ihr, der ewige Bräutigam kämein
gewohnter Art zu ihr, öffnete ihre linke Seite, nähme ihr
Herz heraus und schiede von ihr, sie aber bliebe gänzlich
ohne Herz zurück. Dieses Gesicht war so nachhaltig und
dem Gefühle des Fleisches so einträchtig, dass sie in der
Beichte dem Beichtvater sagte, sie habe kein Herz mehr
in der Brust; und da er ob dieses Wortes scherzte, und
scherzend sie in gewisser Weise tadelte, wiederholte sie,
was sie gesagt hatte, und bestätigte es, sprechend: »In
Wahrheit, Vater, soweit ich nach dem körperlichen Ge-
fühleerkennenkann, dünke ich mich, desHerzensdurch-
aus zu entbehren, da mir der Herr erschien, mir die linke
Seite öffnete, dasHerz herausnahm und schied « . Und als
er erwiderte, essei unmöglich, dasssieohne ein Herz leben
könnte, erklärte die Jungfrau des Herrn, bei Gott sei kein
Ding unmöglich, und sie glaube gewisslich, des Herzens
beraubt zu sein. Und so wiederholte sie viele Tage das
Gleiche und sagte, sie lebe ohne Herz. Da sie aber eines
Tages in derKapelle derBrüderPredigerordens zuSiena,
wo sich dieSchwesternzuversammelnpflegen, nachdem
Fortgehen der andern im Gebete verblieben war und so-
dann, aus dem Schlafe der gewohnten Ablösung er-
wachend, sich erhob, um nach Hause zurückzukehren,
erglänzte plötzlich rings um sie ein Licht des Himmels,
und in dem Licht erschien ihr der Herr, der in seinen ge-
weihten Händen ein rötliches und leuchtendes Men-
schenherz trug. Und da sie bei der Ankunft des Urhebers
to*
147
des Lichtes zitternd zur Erde fiel, nahte ihr der Herr, öff-
nete von neuem ihre linke Seite, legte jenes Herz hinein,
das er in seinen Händen trug, und sprach: »Siehe, viel-
liebesTöchterlein, wie ich am andern Tage dir dein Herz
genommen habe, so gebe ich dir jetzt mein Herz, mit dem
du fortan leben wirst « .
148
KATHARINA VON GENUA (i 447— 1 510)
DIE reine und klare Liebe kann von Gott kein Ding
wollen, so gut es auch sein mag, das Teilnahme
hiesse,denn sie will Gott selber,den ganzen reinen, klaren
und grossen wie er ist; und wenn ihr das kleinste Pünkt-
chen fehlte, sie könnte sich nicht zufrieden geben , ja es
würde ihr scheinen, sie sei in der Hölle. Darum sage ich,
dass ich keine erschaffene Liebe will,keine Liebe,die man
kosten, fassen und geniessen kann. Ich willnicht, sageich,
eine Liebe, die durch den Verstand, durch das Gedächt-
nis, durch den Willen ginge; denn die reine Liebe über-
schreitet alle die Dinge und geht über sie hinweg und
spricht : Ich werde mich nicht beruhigen, bis ich verschlos-
sen und eingetan bin in jenen göttlichen Busen, wo sich
alle geschaffenen Formen verlieren und so verloren gött-
lich bleiben. Und anders kann sich nicht beruhigen die
reine, wahrhafte und klare Liebe.
Ich habe daher beschlossen, solange ich lebe, zuder Welt
zu sprechen; Aussen tue mit mir, was du willst, aber im
Innern lasse mich ; denn ich kann nichtund willnicht, und
möchte nicht wollen können, mich beschäftigen, es sei
denn in Gott allein, der sich mein Inneres genommen und
es in sich so eingeschlossen hat, dasser keinem öffnen will.
Wisse, dass er nichts anderes tut, als diese Menschheit,
sein Geschöpf, innen und aussen auszehren ; und wenn sie
ganz in ihm aufgezehrt sein wird, werden sie beide aus die-
sem Körper gehen und vereinigt zur Heimat aufsteigen.
Ich kann daher im Innern nichts anderes sehen als ihn, da
er keinen anderen einlässt, und mich selber weniger als
die andern, weil ich ihm feindseliger bin.
149
Und wenn es dennoch geschieht und mir not tut, dass ich
dieses Ich nenne, um des Lebens derWeltwillen,die nicht
anders zuredenweiss,nämlich wenn ichmichnenneoder
von anderen genannt werde, spreche ich in mir : Mein Ich
istGott, und keinandereslchkenneich,alsdiesenmeinen
Gott. Das Gleiche sage ich, wenn ich vom Sein spreche.
Jedes Ding, das das Sein hat, hat es von der höchsten
Wesenheit Gottes durch die Teilnahme; aber die reine
und klare Liebe kann sich nicht damit begnügen, sich
durch Teilnahme Gottes teilhaftig geworden zu sehen,
und nichtdamit, dass er in ihr als Kreatur sei, wie er in an-
deren Kreaturen ist, von denen die einen mehr, die an-
deren weniger an Gott teilhaben. Diese Liebe kann sol-
ches Gleichnis nicht ertragen, sondern mit grosser ver-
liebter Gewaltspricht sie : Mein Sein ist Gott, nicht durch
Teilnahme, sondern durch wahre Verwandlung und
durch Vernichtung des eigenen Wesens . . .
So ist in Gott mein Sein, mein Ich, meine Stärke, meine
Seligkeit, mein Trieb. Aber dieses Ich, das ich jetzt so oft
nenne, — ich tue es, weil ich anders nicht reden kann, in
Wahrheit jedoch weiss ich nicht mehr, was das Ich sei
oder dasMein oder derTrieb oderdasGute oder auch die
Seligkeit. Ich kann das Auge auf kein Ding mehr richten,
wo es auch sei, im Himmel oder auf der Erde. Und sage
ich doch einige Worte, die in sich die Gestalt der Demut
oder der Geistigkeit haben, drinnen im Innern weiss ich
nichts,fühle ich nichtsdavon ; ja ich binbestürzt, da ich so
vieleWorte sage, die von der Wahrheit und von dem,was
ich fühle, so sehr verschieden sind.
Ich will keine Liebe, die für Gott oder in Gott wäre. Ich
150
kann dieses Wort /wr, dieses Wort in nicht sehen, denn
sie deuten mir auf einDinghin, daszwischen mirund Gott
sein könnte. Dieses aber kann die reine und klare Liebe
nichtertragen,unddieseReinheitundKlarheitistso gross,
wie Gott selber ist, um sein eigen sein zu können.
Ich finde in mir durch die Gnade Gottes eine Befriedigung
ohne Nahrung, eine Liebe ohne Furcht, nämlich dass sie
mir je fehlen könnte. Der Glaube scheint mir im ganzen
verloren, die Hoffnung gestorben; denn ich scheine mir
zu haben und in Gewissheit zu hallen das, was ich zu an-
deren Malen glaubte und hoffte. Ich sehe keine Einung
mehr, denn ich weiss nichts mehr und kann nichts mehr
sehen, als ihn allein ohne mich. Ich weiss nicht, wo das
Ich ist, noch suche ich es, noch willich davon wissen, noch
Kunde haben. Ich bin so eingesetzt und untergetaucht in
der Quelle seiner unmessbaren Liebe , als wäre ich im
Meere ganz unter Wasser und könnte von keiner Seite ir-
gend ein Ding tasten, sehen, fühlen alsWasser. So bin ich
eingetaucht in dem süssen Feuer der Liebe,dass ich nichts
anderesfassen kann, alsdieganze Liebe, die mir allesMark
derSeeleund des Körpers schmelzt. Und zuweilen fühle
ich mich so, als ob der Leib ganzaus weichem Stoffe wäre ;
und durch dieEntfremdung, in der ich zu den körperlichen
Dingen stehe, vermag ich ihn nicht zu tragen.
Daher scheint es mir, ich sei nicht mehr von dieser Welt,
da ich nicht mehr wie die anderen die Werke derWelt tun
kann; ja jede Handlung, die ich von anderen sehe, stört
mich, denn ich wirke nicht,wie sie, noch wie ich selbst zu
tun pflegte. Ich fühle mich ganzden irdischen Dingen ent-
fremdet, und den meinen am meisten; so dass ich, bei
151
ihrem blossem AnblickjSienichtmehrertragenkann. Und
ich sage zu jedem Dinge : Lasse mich gehen,denn ich kann
deinnichtmehrSorgenochGedächtnishaben, sondern es
ist so, als ob du für mich nichtda wärest. Ich kann nicht ar-
beiten, nicht gehen, nicht stehen, nicht reden, sondern all
dies scheint mir ein unnützes und der Welt überflüssiges
Ding. Viele wundern sich darüber,und da sie die Ursache
nichtverstehen,nehmensieAnstoss.Undwahrlich,wenn
nicht dies wäre, dass Gott mir beisteht, würde ich man-
ches Mal von der Welt für toll gehalten werden ; und dies
ist, weil ich fast immer ausser mir selber lebe.
Gott ist Mensch geworden, um mich zu Gott zu machen,
daher will ich ganz reiner Gott werden.
152
MARIA MAGDALENA DE' PAZZI(i 566—1607)
7\ USSER der beständigen Inbrunst, die Ihr das Herz
.jT^schmelzen, sie unablässig an Gott denken, von Gott
reden, für Gott wirken machte und sie oftmals von Sinnen
brachte und ganz In Gott setzte, kam sie zuweilen In eine
so grosse Glut, dass sie sich nicht mehr In Ihrer Brust ver-
schlIessenlIess,sondernsIchüberIhrAngesIcht,InIhrTun
ergoss und InIhrenWorten ausbrach. Sie, die gewöhnlich
infolge der Busseübung schwach, hinfällig, bleich und ab-
gezehrt war, erstarkte ganz, wenn sie von diesen Flam-
men derLIebeüberraschtwurde,undIhr Angesichtwurde
voll und glühend, Ihre Augen wie zwei glänzende Sterne,
und der Blick heiter und froh wie eines seligen Engels. Sie
fand keine Ruhe, kein Bleiben. Um diese Glut auszu-
schütten, die sie In sich nicht halten konnte, war sie ge-
zwungen, sich zu regen und In wunderbarerWelse zu be-
wegen. Daher sah man sie In diesen Ausbrüchen schnell
von Ort zu Ort laufen ; wie rasend vor Liebe ging sie durch
das Kloster und rief mit lauter Stimme: »Liebe, Liebe,
Liebe.« UnddasIeelnensogrossenBrandderLIebenlcht
ertragen konnte, sprach sie: »O mein Herr, nicht mehr
Liebe, nicht mehr Liebe« ... Zu den Schwestern, die ihr
folgten, sagte sie: »Ihr wisset nicht, teure Schwestern,
dass mein Jesus nichts anderes ist als Liebe, ja toll von
Liebe. Toll von Liebe, sage ich, bist du, mein Jesus, und
stets werde ich es sagen. Du bist ganz lieblich und fröh-
lich, du erquickst und tröstest, du nährst und vereinigst,
du bist Pein und Kühlung, Mühe und Rast, Tod und Le-
ben in einem. Was ist nicht in dir.r' Du bist weise und mut-
willig, erhaben und masslos, wunderbar und unsäglich« .
Andere Male brannte sie vor Begier, dass dieser liebende
Gott von den Menschen erkannt und verehrt werde, und
zum Himmel gewendet sprach sie : » O Liebe, o Liebe ! gib
mireinesostarkeStimme,omeinHerr,dasswennsiedich
Liebe nennt, sie gehört werde vom Osten bis zumWesten
und von allen Teilen der Welt bis in die Hölle, damit du
erkanntundverehrtwerdestalsdiewahre Liebe. O Liebe,
du durchdringst und durchbohrst, du zerreissest und bin-
dest, du regierst alle Dinge, du bist Himmel und Erde,
Feuer und Luft, Blut und Wasser: du bist Gott und
Mensch«.
Einem Bilde des Jesuskindes die Zierate abstreifend,
sprach sie: »Ich will dich nackt, o mein Jesus, denn ich
könnte dich in der Unendlichkeit deiner Tugenden und
Vollkommenheiten nicht ertragen ; ich will deine nackte,
nackte Menschheit« .
Aus ihren Mitteilungen
Ich sah, dass Jesus sich seiner Braut mit engster Einung
vereinigte, sein Haupt auf das Haupt seiner Braut legte,
seine Augen auf die ihren, seinen Mund , seine Hände,
seine Füsse, alle seine Glieder auf die ihren, so dass die
Braut Ein Ding mit ihm wurde und alles wollte, was der
Bräutigam wollte, alles sah, was der Bräutigam sah, alles
kostete, was der Bräutigam kostete. Und nichts anderes
will Gott, als dass die Seele sich ihm in dieser Weise ver-
einige und dass er ganz mit ihrvereinigt sei. Und wenn die
Seele ihr Haupt an Jesu Haupte hat, kann sie nichts wol-
len, als sich mit Gott zu vereinigen, und dassGott sich ihr
vereinige. Gott sjeht sich ganz in sich und aus sich allein
ist er seiner fähig und sieht sich selber in allen Kreaturen,
auch in denen, die kein Empfinden haben, und in ihnen
durch die Kraft, da er ihnen das Sein gibt und sie wirken
und fruchttragen macht. So sieht die Seele, da sie ihre
Augen an denen Jesu hat, sich selbst in Gott und Gott in
allen Dingen.
Nach der allerheiligsten Kommunion betrachtete ich die
grosse Einung der Seele mit Gott durch das Sakrament,
und in einem Augenblick fand ich mich ganz mit Gott ge-
eint, in Gott verwandelt, und ausserhalb aller leiblichen
Empfindung, so dass ich, hätte man mich in einen Feuer-
ofen geworfen und verbrannt, nichts verspürt hätte. Ich
wusste nicht, ob ich tot, ob lebendig, ob im Leibe, ob in
der Seele, ob auf der Erde, ob im Himmel sei; ich sah al-
lein den ganzen glorreichen Gott in sich selber, sich selber
lauterlieben, sichselberunendlich erkennen, allegeschaf-
fenen Dingeinlauterer unendlicher Liebe umfangen, eine
Einheit in Dreien, eine ungeteilte Dreifaltigkeit, ein Gott
an Liebe schrankenlos, an Güte allerhaben, unfassbar
und unforschbar: so dass ich, da ich mit ihm war, nichts
mehr von mir fand ; sondern nurdieses sah ich, dass ich in
Gott bin, aber mich sah ich nicht, nur Gott allein.
155
THERESA VON JESU (i 5 1 5—1 582)
Brief an ihren Beichtvater, Pater Rodrigo Alvarez
ES ist so schwer,von den inneren Dingen zu sprechen,
und noch schwerer, dies auf eine Art zu tun, dass
sie verstanden werden könnten, namentlich aber in kur-
zer Weise, dass, wenn es der Gehorsam nicht wirkt, es
ein Schwieriges ist, das Rechte zu treffen, zumal bei so
schwierigen Gegenständen. Es schadet wenig, wenn ich
Ungereimtes vorbringe, da dieses in Hände kommt, wel-
che noch grössere Torheitenvon mir erhalten haben wer-
den. In allem,was ich sagen werde, bitte ich Euer Gnaden
zu bedenken, dass ich keineswegs die Absicht habe zu
meinen, ich hätte das Rechte getroffen; denn es könnte
möglich sein, dassichesselbernichtverstünde.Versichern
aber kann ich, dass ich nichts sagen werde, was ich nicht
einige Male oder viele Male selbst erfahren habe. Ob es
gut sei oder nicht, mögen Euer Gnaden beurteilen und
mich davon in Kenntnis setzen . . .
Das erste, wie mir scheint, übernatürliche Gebet, das ich
in mir wahrgenommen habe, . . . isteine innerlicheSamm-
lung, die in der Seele so empfunden wird, dass es ihr vor-
kommt, als habe sie andere Sinne als die äusseren und als
wolle sie sich aus dem Getöse dieser äusseren zurück-
ziehen. Es zieht sie zuweilen so nach sich, dasssiedie Lust
anwandelt, die Augen zu schliessen und nichts zu sehen,
nichts zu hören, nichts zu verstehen, als das, womit die
Seele sich eben beschäftigt, nämlich mit Gott ganz allein
zu verhandeln. Es verliert sich hier kein Sinn, keine Kraft,
alles bleibt unversehrt, jedoch nur um mit Gott umzu-
gehen. Dem so etwas gegeben wurde, wird es leicht ver-
.56
stehen, nicht aber, wem es nicht geschah ; wenigstens be-
darf es bei einem solchen vieler Worte und Gleichnisse.
Aus dieser Einsammlung entsteht oftmals eine Ruhe und
ein innerer Frieden, wobei die Seele sich also befindet,
dass ihr nichts zu tun übrig scheint; sogar das Reden ist
ihr lästig, ich meine das Hersagen des Gebetes und das
Sinnen der Betrachtung; sie will nichts als Liebe. Dies
währt eine Weile, und manche Weile.
Aus diesem Gebete geht gewöhnlich ein Schlaf hervor,
den man den Schlaf der Kräfte nennt, die jedoch weder
so betäubt noch so schwebend sind, dass man ihn eine
Verzückung nennen könnte; es ist auch keine Einung.
Zuweilen, ja oftmals nimmt die Seele wahr,dass ihrWille
allein geeint ist, und erkennt sehr klar (so scheint es mir
wenigstens), dass er ganz in Gott beschäftigt ist. Zugleich
fühlt die Seele die Unmöglichkeit, etwas Anderes zu sein
und etwas Anderes zu wirken. Die beiden andern Seelen-
kräfte sind frei für alle Geschäfte und Übungen im Dienste
Gottes . . .
Wenn eine Einung aller Seelenkräfte geschieht, ist es
ganz anders; denn alsdann können sie in keinem Dinge
wirken, denn derVerstand ist wie entsetzt. DerWille liebt
mehr, als er versteht; aber er versteht auch nicht, ob er
liebt, noch was er tut, dass er es sagen könnte. Das Ge-
dächtnis ist, wie mir scheint, hier gar nicht da, noch das
Denken, und die Sinne nicht wach, sondern es ist, als ob
man sie verloren hätte, damit die Seele dem, was sie ge-
niesst, mehr obliegen könne, wie mir scheint. Dieser Zu-
stand verliert sich in kurzer Zeit und geht schnell vor-
über . . .
Die Verzückung und die Erhebung sind,wie mich dünkt,
157
eines . . . Der einzige Unterschied zwischen ihr und der
Verzückung ist dieser : die Verzückung dauert länger und
ist im Äusseren wahrnehmbarer. Der Atem wird so ver-
kürzt, dass man nicht reden, auch die Augen nicht auftun
kann... Wenn dieVerzückunggrossist,werdendieHände
eiskalt und strecken sich zuweilen aus wie Stangen, und
der Körper verharrt in dem Zustand,worin sie ihn ergriff,
auf den Füssen oder kniend. Die Seele steht dabei so sehr
im Genüsse dessen, was der Herr ihr darstellt, dass es
ist, als vergesse sie den Leib zu beleben und lasse ihn hilf-
los zurück. Dauert dieser Zustand länger an, so bleibt in
den Gliedern eine Empfindung davon zurück . . .
Der Unterschied, der zwischen der Verzückung und der
Hinwegführungbesteht, istdieser, dassin derVerzückung
die Seele allmählich den äusseren Dingen abstirbt, die
Sinne verliert und Gott lebt ; die Hinwegführung aber fin-
det sich mit einer einzigen Erkenntnis ein, die Gott mit
einer solchen Schnelligkeit dem Innersten der Seele ein-
gibt, dass es scheint, ihr höherer Teil werde entführt; es
dünkt sie, er enthebe sich dem Leibe. Und sie bedarf
im Anfang des Mutes, um sich in die Arme des Herrn zu
werfen, dass er sie hebe, wohin er will. Denn solange
Gott die Seele nicht in den Frieden setzt, wohin er sie er-
heben will — erheben, sage ich, damit sie hohe Dinge ver-
nehme — muss sie wahrlich im Anfange wohl entschlos-
sen sein, für ihn zu sterben; denn die arme Seele weiss
nicht, was daraus werden solle . . .
Der geistige Flug ist ein Etwas, das ich nicht zu nennen
weiss und das aus dem inneren Seelengrunde aufsteigt . . .
Eskommtmirvor,alsmüsstenSeeleundGeistEinWesen
sein. Etwa wie ein Feuer, das gross werden soll und alles
158
zum Brennen bereit hat, so Ist die Seele mit der Bereit-
schaft, die sie für Gott hat, wie ein Feuer; es entbrennt
schnell,wirft eine Flamme und lodert empor, obwohl das
Feuer in seinemWesen unten ist, auch dadurch nicht auf-
hört, Feuer zu sein, dass die Flamme nach oben steigt. So
begegnet es der Seele, die aus sich so schnell etwas und
zwar etwas so Köstliches hervorbringt, das in die oberen
Sphären steigt und dahin kommt, wo Gott es haben will.
Es erscheint in Wahrheit als ein Flug; ich weiss kein an-
deres mehr geeignetes Gleichnis. Ich weiss nur, dass man
den geistigen Flug sehr deutlich wahrnimmt und dass
man ihn nicht verhindern kann.
Es scheint, als ob jenes Vöglein, der Geist, diesem Elend
desFleisches,diesemKerkerdes Leibessich entschwinge,
damites,ausihmbefreit,sichmehrdem hingeben könne,
was der Herr ihm gewährt. Es ist ein so zartes und feines,
köstliches Ding darum , soweit die Seele es verstehen
kann, dass es ihr vorkommt, es könne darin keine Täu-
schung obwalten, noch in irgendeinem dieser Dinge. Ist
der Zustand vorüber, so bleibt ein Bangen zurück, weil,
der da empfing, so gering ist, dass er alle Ursache zur
Furcht zu haben meint; wiewohl im Innern derSeeleGe-
wissheit und Zuversicht bleiben . . .
Den Ansturm nenne ich eine Begierde, die die Seele zu-
weilen befällt, ohne dass ein Gebetvoraufgegangen wäre;
meistens ist auch eine jähe Kunde da, dass Gott nicht hier
sei, und kein Wort, das die Seele vernähme, das zu ihm
ginge. Diese Kunde ist zuweilen so mächtig und von sol-
cher Stärke, dass sie in einem Augenblick von Sinnen
bringt. Wie wenn einem Menschen plötzlich eine
schmerzliche Nachricht oder eine grosse Überraschung
159
mitgeteilt wird oder anderes dieser Art, das dem Gedan-
ken die Überlegung raubt, sich trösten zu können, sodass
er wie betäubt ist. So ist es auch hier, nur dassdie Pein von
einer solchen Sache kommt, von der die Seele die Er-
kenntnis hat, dass ein Tod für sie wohl angewandt ist.
Daher kommt es, dass alles, was die Seele nun empfängt,
ihr nur zu grösserer Pein gereicht, als wolle der Herr nur
dies, dass ihr ganzes Sein zu nichts anderem nütze sei
und dass sie keinen Trost erhalten noch sich erinnern
solle, es sei Gottes Wille, dass sie lebe. Sie vermeint viel-
mehr, in einer grossen Einsamkeit und Verlassenheit von
allem zu sein, die sich nicht beschreiben lässt; denn die
ganze Welt mit allen ihren Dingen macht ihr Pein und es
kommt ihr vor, als ob keine Kreatur ihr Gesellschaft leis-
ten wolle.
Die Seele begehrt nichts als ihren Schöpfer; sie erkennt
nun, wie dieses ohne ihren Tod unmöglich ist; da sie sich
aber nicht selbst töten darf, stirbt sie aus Verlangen zu
sterben dergestalt, dass in Wahrheit Gefahr des Todes
darinist.Sieerblicktsich gleichsam zwischenHimmelund
Erde hängend und weiss nicht, was sie aus sich machen
soll. Von einer Zeit zur andern gibt Gott ihr eine Kennt-
nis seiner, auf das sie innewerde,wassieentbehrt;diesge-
schieht auf eine so seltsame Art, dass man es nicht sagen
kann, noch die Pein beschreiben; denn es gibt auf Erden
keine, wenigstens unter allen, die ich erllttenhabe, dieihr
gliche. Wenn sie nur eine halbe Stunde währt, wird der
Körper so aus seiner Verbindung gebracht und die Ge-
beine so zerrissen, dass den Händen nicht mehr so viel
Kraft bleibt, dass sie zu schreiben vermöchten . . .
Von alledem spürt die Seele nichts , bis jener Ansturm
i6o
vorüberist. Dennsiehatgenug damit zutun, ihn Innerlich
zu fühlen, und ich glaube , sie würde schwere Martern
nichtverspüren.SieistjedochbeivollenSinnenundkann
reden und blicken, gehen aber nicht,weil der grosseStoss
der Liebe sie niedergeworfen hat . . . Die Seele erkennt
wohl, dass es eine grosse Gnade des Herrn ist; dauerte es
aberan,dasLeben würdenichtlangemehrstandhalten . . .
Eine andere Art des Gebetes gleicht einer Verwundung,
die der Seele in Wahrheit erscheint, als ob sie ein Pfeil
durch das Herz, In Ihr Eigenstes träfe. Das erweckt einen
grossen Schmerz, der in Klagen ausbricht, aber so süss
ist, dass die Seele seiner nie entbehren möchte. Dieser
Schmerz ist nicht ein Empfinden der Sinne, noch ist zu
verstehen, dIeWunde sei eine leiblicheWunde, denn nur
im Innern der Seele ist der Eindruck, ohne dass ein Leid
des Körpers erschiene. Aber da es nicht anders kundzu-
geben ist als durch Gleichnisse, geraten sie wohl plump,
allein ich weiss es aufkelneandereWeisezusagen. Solche
Dinge lassen sich weder sagen noch schreiben ; denn es ist
keinem möglich sie zu begreifen, alsdem, der es selber er-
fahren hat, ich meine wie tief der Schmerz eindringt
Zuandern Malen erscheintes, alsob dleseWundederLIe-
be aus dem Innern Grunde der Seele die grossen Bewe-
gungen hervorlockte,dieheraufzubringen,wenn der Herr
sie nicht gibt, sie durchaus nicht vermag, deren sie sich
nicht erwehren kann, wenn es sein Wille ist, sie ihr zu
geben. Diese Bewegungen sind so lebendige und zarte
Wünsche nach Gott, dass man sie nicht aussprechen
kann ; da aber die Seele sich gefesselt sieht, dass sie Gott
nicht , wie sie möchte , genlessen kann , fasst sie einen
grossen Abscheu gegen den Leib. Er erscheint der Seele
II Buber, Konfessionen
i6i
wie eine hohe Mauer, die sie verhindert, daszugeniessen,
was sie vor dieser Zeit, wie ihr scheint, ohne dasHemm-
nisdes Leibes in sich geniessen würde.
Brief an Petrus von Alcantara
Die Weise, die ich jetzt im Gebete inne halte, ist diese:
Selten vermag ich, wenn ich im Gebete bin, mit dem
Verstände nachzudenken, denn alsbald beginnt dieSeele
sich einzusammeln und in die Ruhsamkeit oder Verzük-
kung zu gelangen, so dass siedieSinne durchaus nicht ge-
brauchen kann, dasGehör etwaausgenommen, undauch
dieses taugt dann nicht, etwas anderes zu vernehmen.
Es geschieht mir oftmals, dass ich, ohne irgendwie an
Gott denken zu wollen, vielmehr ganz anderen Dingen
nachsinnend, und in derMeinung, ich könnte es bei noch
so starkem Bemühen nicht zum Gebetebringen, weil ich
in grosser Dürre bin, wozu die körperlichen Schmerzen
beitragen, so jählings von der Einsammlung und der
geistigen Erhebung ergriffen werde, dass ich mich nicht
bewahren kann. Aber ein Augenblick reicht hin, um die
Wirkungen und den Gewinn zu hinterlassen, die daraus
folgen. Das vollzieht sich, ohne dass ich eine Vision hätte
oderetwas vornähme, oder wüsste,woich bin, nurscheint
mir meine Seele sich zu verlieren. Zugleich aber schaue
ich sie in so grossem Gewinne, dass, wenn ich auch ein
ganzes Jahr daraufwenden wollte, ihn zu erlangen, es
mirunmöglich gelingen würde.
AndereMaleüberfälltmicheinsomächtigerAnsturmmit
einem solchen Zergehen vor Gott, dass ich mich nicht
wahren kann. Es dünkt mich, mein Leben wolle zer-
rinnen, und so treibt esmich, laut aufzuschreien und Gott
162
anzurufen. Dies überfällt mich mit grosser Gewalt. Zu-
weilen vermag ich nicht, sitzenzubleiben, so grosseÄngste
werden mir eingetan. Diese Pein kommt mir, ohne dass
ich danach trachte, sie ist jedoch so beschaffen, dass die
Seele nimmer, so lange sie lebt, aus ihr herauskommen
möchte. Diese Ängste meinen den Willen, nicht mehr zu
leben,und eserscheintun^, aiskönne manimLebenkeine
Hilfe empfangen, der Tod aber sei das Mittel, Gott zu
sehen, ihn aber darf man sich nicht erwählen. Damit
scheint es dann meinerSeele, aisseien alle wohlgetröstet,
nur sie nicht, und als fänden alle Hilfe in ihrer Trübsal,
nur sie nicht. Dies schafft eine solche Bedrängnis, dass,
gewährte der Herr nicht Hilfe mit einer Verzückung, in
der sich alles beruhigt und die Seele in grossen Frieden
und grosses Genügen kommt, es unmöglich wäre, aus
dieser Pein sich su befreien.
Noch andere Male ergreift mich eine Begierde, Gott zu
dienen, unter einem so heftigen Ansturm, dass ich ihn
nicht gross genug darstellen kann; ihn begleitet ein
Schmerz über dieWahrnehmung, wie wenig nutzichbin.
Alsdann dünkt es mich, mir könne nichts, keine Be-
schwerde, keinTod, keine Martergeschehen, dieich nicht
mit Leichtigkeit ertragen müsste. Dies geschieht eben-
falls ohne Nachdenken in einem Augenblicke, darin ich
mich gänzlich verwandle, ohne dass ich wüsste, woher
solche Kraft mir kommt. Ich vermeine, ich müsste laut
rufen und allen zu erkennen geben, wie notwendig es
für sie ist, sich nicht mitWenigem zu begnügen, und wie
gross das Gut ist, das Gott uns geben wird, wenn wir uns
dafür bereiten. Ich sage, dass jenes Verlangen so heftig
ist, dass ich mich in mir selber zerstöre. Es scheint mir
163
dann, ich begehrte das, was mir nicht möglich ist. Es
scheint mir, ich sei an diesen Leib gebunden worden, um
ausserstand zu kommen, Gott und meinem Orden auch
nur in etwas zu dienen. Denn stünde ich nicht darin, ich
würdeungemeineDinge vollbringen, soweitmeineKräfte
es ermöglichen. Weil ich nun sehe, wie ganz ohne alle
Macht ich bin, Gott zu dienen, empfinde ich diesen
Schmerz dermassen, dassich ihn nicht darstellen kann.
Zuletzt aber erlange ich die Gabe: die Tröstung Gottes.
164
ANNA GARCIAS (ANNA A SAN BARTOLOMEO,
1549 — 1626)
ICH sah einmal meine Seele beschaffen wie ein kleines
Seiden würmlein, dasvon denen, die es aufzogen, fleissig
gespeist und sorgfältig bewahrt wird. Wenn es aber er-
wachsen ist, fängt es an mit seinem Schnäblein ein zartes
Seidenfädchen zu spinnen und sich ein kleines Hüttchen
zu machen, wobei es eine solche Süssigkelt geniesst, dass
es sein Sterben nicht merkt, bis es, aller seiner Kräfte
beraubt. In seiner Schale eingeschlossen und tot bleibt.
Nun sah meine Seele etwas Ähnliches In sich, denn eben
mit einer solchen Süssigkelt und Stille gab sie Gott dem
Allmächtigen alles, was sie an sich hatte, und schloss sich
wie das Seidenwürmlein in Ihrem NIchtwesen und der
Erkenntnis ihrer Nichtigkeit ein mit einer süssen Liebe,
die spinnt alle Zeit in meinem Herzen, das nicht mehr
sein und leben will, denn Sterben Ist das wahre Leben
def Seele.
165
ARMELLE NICOLAS (1606— 1671)
ICH sah mich wie eine arme Missetäterin an, die in ihres
Fürsten Gunst und Freundschaft zu kommen begehrt
... je elender ich mich sah, desto mehr wünschte ich mit
dem, den ich als mein einziges Gut und mein Alles er-
kannte, mich zu vereinigen.
So brachte ich die ganze Passionszeit zu. Am Charfreitag
aber ging ich in die Predigt. Da ich da noch keine Viertel-
stundelangvon den Leiden meinesHeilandsredengehört
hatte, war mein Herz schon von Schmerzen so gewaltig
gerührt und durchbohrt, dass ich, weil ich nicht mehr
bleiben konnte, gezwungenwar, wegzugehen, ausFurcht,
esmöchtemirinStückezerspringenoderdochseineheftige
Bewegung auf die eine oderdie andereWeiseoffenbaren.
Ich ging dann nach Hause, wo zur Zeit kein Mensch
war. Da schloss ich mich ein und lief von einem Ort zum
andern und rief, dass mir der Atem ausging, wie eine
Rasende oder wie eine, die ganz ausser sich selbst ist.
Hernach warf ich mich auf die Erde und schrie : » Gnade,
Herr, Gnade ! « Ich bat die ganze Himmelsschar um Bei-
stand und beschwor alle Heiligen, mir zu helfen .Und mich
zu Gott kehrend , sagte ich zu ihm mit flammender
Inbrunst : » O mein Herr und mein Gott, siehe der Tag ist
gekommen, da ich ganz dein sein muss. Reinige und
wasche mich in deinem teuren Blut. Salbe mein Herz mit
demÖldeinerBarmherzigkeit.Durchbohremichmitden
Pfeilen deiner heiligen Liebe. Nimm mich in die Zahl
deiner Jüngerinnen auf. Zeige dich mir und vereinige mich
mit dir«.
Mitten in diesem Gebet, da ich eben diese Worte sagte,
166
die mir innerlich eingegeben und gleichsam vorgespro-
chen wurden — denn ich selber wusste nicht, was lehr
sagte, verstand auch den Sinn dieser Worte nicht, noch
auch die darin enthaltenen Geheimnisse, allein ich war ge-
nötigt und gezwungen, sie zu sprechen und dieses tat ich
mit einer gewaltigen Heftigkeit , dass mich dünkte , jedes
Wort wäre ein scharfer, spitziger Pfeil, um bis in Gottes
Herz hineinzudringen — wie ich nun mitten in diesem
Gebet lag und mich abgemüht und abgequält hatte, da
wurde ich in einem Augenblick auf den höchsten Bo-
den des Hauses geführt und wusste doch nicht wie , son-
dern ich fand mich da, ob ich gleich vorhin nicht daran
gedacht hatte.
Da warf ich mich auf die Erde, weil ich mich nicht mehr
halten und tragenkonnte, sosehrwarichinalleräusserste
AngstundNotgebracht. Und siehe, indemselben Augen-
blick Hess Gott im Grunde meines Herzens einen Strahl
seines göttlichen Lichtes leuchten, durch den er sich mir
oflfenbarteundmir klar zu erkennen gab, dass der, nach
dem ich so sehr verlangt hatte, in mich einging und mich
in völligen Besitznahm. Wiemirdiesegrosse Gunstwider-
fuhr, fand ich mich wie mit einem Licht ganz umkleidet
und umgeben. Anfangs überfiel mich ein Entsetzen, aber
es währte nur einen Augenblick, denn sogleich wurde
mein Herz wieder in Sicherheit gesetzt und dergestalt
verändert, dass ich mich selber nicht mehr kannte, und
ich fühlte eine solche Sättigung aller Begierde, dass ich
nicht wusste, ob ich im Himmel oder auf Erden war. Ich
blieb einige Zeit unbeweglich wie ein gehauenes Bild, so-
dass ich mich nicht regen konnte. Und von dieser Zeit an
waren alle KräftemeinerSeelesoerfülltundvergnügtund
167
in allen meinen Sinnen war ein so grosser Friede, dassich
keineswegs zweifeln konnte, dass Gott sich nunmehr mit
mir aufs Innigste vereinigt und verknüpft hatte, wieesbis-
her mein inbrünstigerWunsch gewesen war. Und diese
Wahrheit war in mir so unfehlbar gewiss, als hätte ich sie
mit meinen eigenen Augen gesehen, denn das Licht, das
mir damals mitgeteilt wurde, übertraf bei weitem alles,
das man mit Augen sehen mag.
All mein Gut ist Gott allein, und weil er nunmehr durch
seine grosse Barmherzigkeit und Güte ganz mein eigen
ist, gleich wie ich ganz sein eigen bin, so ist es mir nicht
mehr vonnöten, mich zu mühen, etwas von neuem zu
erwerben. Ich habe weiter nichts zu tun, als in seinen
Gütern zu ruhen; wie er in mirruht, ruhe ich auch in ihm,
weil ich ganz in ihn eingeschlossenund vernichtetbin. Da
finde ich mich selber nicht mehr,und wenn ich sage: » Ich
geniesse, ich liebe, ich besitze «,sobinichs nicht mehr, die
dieses empfängt, sondern seine Liebe ist meine Liebe, sein
Reichtum ist mein Reichtum, sein Friedeistmeine Ruhe,
seineWege sind meine Lust und mein Ergötzen und so ist
es mit all seinen göttlichen Vollkommenheiten. Es gibt
nunmehr nichts mehr, was ich verlangen könnte, denn
ich bin mitGütern ganz überhäuft, muss auchnichtmehr
fürchten, sie zu verlieren, denn sie gehören ihm allein,
meiner Liebe und meinem Alles. Ich aberbesitze sienicht
mehr mit Eigenheit, sodass ich nicht zu fürchten habe,
dasssiemirgenommen werden könnten.
Jetzt ist Gott alles, ich aber bin nicht mehr, ich bin durch
sein Erbarmen wieder dahin gekommen, woraus ich ge-
i68
gangen war. Er allein, und nichtmehrich selbst, lebt und
regiert in mir, denn ich bin nicht mehr in mir selber, son-
dern in ihm, wo ich mich nicht mehr finde, sondern mich
verloren habe. Er istsallein,dersich selber das Leben gibt,
denn ich sehe nun nichtsmehr, dasnichterselberwäre. . .
OLiebe! OunendlicheGüte! Ich kanndirnichtmehrent-
fliehen, du läufst mir allenthalben voran und ich findedich
allenthalben. Ich sehe dich jetzt nicht mehr durch eine
Wolke, ich sehe dich ganz klar und offenbar, ohne Decke
oder Vorhang. Nun ist nichts mehr zwischen dir und mir.
Waswillst du, dassich tunsoll, undwiewerdeichkünftig-
hin auf Erden leben können bei dieser grossen Helligkeit
und diesem grossen göttlichen Feuer, das mich verzehrt.?
Niemalshabeichmichin solch einemZustandebefunden.
Die übermässige Gewalt, die ich fühle, übertrifft alles
Übermass und ich weiss nicht mehr, wohin ich mich
wenden, noch was ich sagen soll, nur dies, dass die Liebe
mich überall aus mir selber hinwegführtund überall mich
überwindet.
SeitdemFestmeinerheiligen Mutterhabeich meineSeele
von allen Dingen los und frei gesehen, so rein, so einsam,
soabgeschieden, dass es scheint, aiswohne sienichtmehr
inmeinemLeibe,derwiemichdünktnichtsanderessucht
als der Seele wie unempfindlich zu folgen. Ich habe keine
Gedanken noch irgend etwas mehr, das mich aufhielte
oder beschäftigte, wie es sonst gemeiniglich geschieht.
DasWesenunddieUnermesslichkeitGottesistdereinzige
Gegenstand, der meine Seele auf eine unbegreifliche
Weise durchdringt und verzehrt und durch dieses Ver-
169
zehrensiedergestaltausbreitet,dassichkeinZielundEnde
davon sehen kann. Zuvor wollte ich alles tun und allesan-
greifen, aber jetzt ist es ganz anders mit mir, denn nichts
nähert sich mir mehr. Ich begreife alles und werde von
nichts begriffen. MeineSeeleisteinsam, einfältig und rein,
und wenn ich sie so sehe, sehe ich ein grosses Wunder.
Wenn dieses noch einige Zeitinmirwährt,ichglaube, ich
werde darüber sterben müssen. Ich gehe und wirke im
Äusseren nachmeinerGewohnheit, ohnediesesSchauen
zu verlieren, aber mein Gott nimmt es mir zuweilen und
lässtzu, dass mir einige Gedanken ins Gemüt kommen,
diemichdavonabwenden,sonstwäreich schongestorben.
Die Liebe, die mich verzehrt, kann niemand aussprechen,
niemandverstehen.Sieistunendlichundwächstdennoch
alle Tage mehr und mehr.
170
ANTOINETTE BOURIGNON (r6i 6—1680)
Aus einem Briefe
UM die Anfrage zu beantworten, die Sie mir so oft
wiederholt haben, nämlich, wie ich Gottvernehme
und mit ihm rede, werde ich einfach sagen, was ich sagen
kann.
Gott ist Geist, die Seele ist Geist : sie teilen sich einander
im Geiste mit. EssindkeinesprachlichenWorte, sondern
geistige Mitteilungen, die jedoch verständlicher sind als
die kundigsten Beredsamkeiten der Welt.
Gott gibt sich der Seele durch innere Bewegungen kund,
die die Seele in dem Masse vernimmt und begreift, als sie
von irdischen Vorstellungen ledig ist; und je mehr die
Kräfte der Seele aufhören, desto verständlicher sind ihr
die Bewegungen Gottes.
Die Mitteilungen Gottes sind unfehlbar, wenn die Seele
alles Bildes leer ist und im Vergessen aller geschaffenen
Dingesteht; aber sie sindzweifelhaft, wenn siedurch Ein-
bildungen wirkt und die Empfindsamkeiten sucht oder
etwas anderes, was nicht in blosser Weise Gott ist. Die
Heiligen selbst haben in diesem Punkte geistige Eitelkei-
ten begangen, durch Visionen, Stimmen, Ekstasen und
andere Empfindsamkeiten , zu denen die Einbildungs-
kraft beiträgt.
Gott ist reiner Geist, die gereinigte Seele verwandelt sich
in ihn und bedarf keiner Worte und keines Blickes, um
ihn zu vernehmen, ebensowenig wie wir des Auges oder
der Zunge bedürfen, um unsere eigene Vorstellung zu
vernehmen. . .
Ich bin ein reinesNichts; aberGott istallesinmir. Erlehrt
171
mich, erwirkt, er redet in mir, ohne dass die Natur dazu
mehr beitrüge als das einfache Werkzeug, wie ein Pinsel
zur Kunst eines schönen Gemäldes beiträgt.
172
JEANNE MARIE BOUVIERES DE LA MOTHE
GUYON(i648— 1717)
EINE solche Seele empfängt alles aus dem Grunde
unmittelbar, und von da ergiesst es sich sodann auf
die KräfteundaufdieSinne,wieesGottwohlgefällt. Nicht
also ist esmitden andern Seelen, diemittelbarempfangen:
da fällt dasEmpfangene indie Kräfte und von davereinigt
es sich mit dem Mittelpunkt. In jenen Seelenaber entlädt
es sich aus dem Mittelpunkt auf die Kräfte und auf die
Sinne. Sie lassen alles vorübergehen, ohne dass etwas auf
ihren Geist oder auf ihr Herz einen Eindruck machte.
Überdies erscheinen ihnen die Dinge, die sie kennen oder
erfahren, nicht als aussergewöhnliche Dinge, als Weis-
sagung und dergleichen, wie sie den anderen erscheinen ;
man sagt sie ganz natürlich, ohne zu wissen, was man
sagt, und warum man es sagt; ohne irgend etwas Ausser-
ordentliches. Mansagtundschreibt,wasman nichtweiss;
und es sagend und schreibend, sieht man, dass es Dinge
sind, an die man nie gedacht hat. Es ist wie eine Person,
die in ihrem Grunde einen unerschöpflichen Schatz be-
sitzt, ohne je an ihren Besitz zu denken ; sie weiss ihre
Reichtümer nicht, sie schaut sie nicht; aber sie findet,
wenn es ihr nottut, in diesem Grunde alles, wessen sie be-
darf. DieVergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft
sind da in derArteines gegenwärtigen und ewigen Augen-
blicks, nicht alsWeissagung, die die Zukunft als ein Ding
betrachtet, das kommen soll, sondern alles in der Gegen-
wartin ewigem Augenblick, in Gott selbergeschaut; ohne
zu wissen, wie sie es sieht und kennt; mit einer sicheren
Treue im Sagen der Dinge, wie sie gegeben sind, ohne Ab-
173
sieht und Rückschau, ohne zu sinnen, ob man von der
Zukunft oder der Gegenwart rede ; ohne sich darüber zu
mühen, ob die Dinge sich erfüllen oder nicht, in dereinen
Weise oder einer andern, ob sie die eine Deutung haben
oder eine andre. Aus diesem also verlorenen Grunde
gehen die Wunder hervor.
Aismein Geisterleuchtetworden war, wurdemeineSeele
in eine unendlicheWeitegesetzt. Ich erkannteden Unter-
schied derGnaden, die diesem Zustande vorausgegangen
waren,undderen,dieihmgefolgtsind. Vordemsammelte
und verband sich alles innen, und ich besass Gott in
meinem Grunde und in der Heimlichkeit meiner Seele;
dann aber war ich von ihm besessen, in einer so weiten,
so reinen und so unendlichen Weise, dasses nichts Ähn-
liches gibt. Einst warGott wie in mireingeschlossen,und
ich war mit ihm in meinem Grunde vereinigt; dann aber
war ich wie untergegangen in dem Meere. Ehemals ver-
loren sich wohl die Gedanken und die Absichten, aber in
einer, wiewohl wenig, bemerkbaren Weise, die Seele
Hess sie fallen, und das ist noch ein Tun ; dann aber waren
sie mir verschwunden, und in einersonackten, so reinen,
so verlorenen Art, dass dieSeele keinerlei eignes Tun hat,
so einfach und zart es auch sei ; zumindest keines, das zu
ihrer Kenntnis geraten könnte. . .
Diese Weite, die von keinem noch so einfachen Ding be-
grenzt ist, wächstmit jedem Tage; sodass es scheint, die
Seele, die an den Eigenschaften ihres Bräutigams teilhat,
habe vorallem teil anselnerllnendllchkelt. Einst warman
wie nach innen gezogen und eingeschlossen; dann ver-
spürte Ich, dass eineHand, weit stärker als die erste, mich
174
aus mir selberzog und mich ohne Blick, ohne Licht, ohne
Erkennen in Gott versenkte.
Im Anfang des neuen Lebens sah ich klar, dass die Seele
mit ihrem Gott ohne Mittel und Mittleres vereinigt war;
aber sie war noch nicht vollkommen verloren. Sie verlor
sich mit jedemTage in ihm, wie man einen Fluss, dersich
im Ozean verliert, zuerst sich in ihn ergiessen, dann in ihm
aufgehen sieht, so aber, dassder Fluss sich noch eineZeit-
lang von dem Meere unterscheidet, bis er sich endlich all-
gemach in das Meer selber wandelt, das, ihm allgemach
seine Eigenschaften mitteilend , ihn so sehr in es um-
tauscht, dass er mit ihm nur noch ein einziges Meer ist.
Ich habe dieselben Dinge an meiner Seele erfahren, wie
Gott sie allgemach in ihm selber verliert, sie aus ihrer
Eigenheit zieht und ihr das Seine mitteilt.
DieSinne sind zuweilen wie schweifende Kinder, die um-
herlaufen; aber sie verwirren nicht diesen Grund ohne
Grund, der ganz verloren, ganz bloss ist und der durch
nichts mehr gehindert wird, wie er durch nichts mehr ge-
stützt wird.
Mein Gebet war immer das gleiche; nicht ein Gebet, das
in mir wäre, sondern in Gott, sehr einfach, sehr rein und
sehr klar. Es ist kein Gebet mehr, sondern ein Zustand,
von dem ich wegen seiner grossen Reinheit nichts sagen
kann. Ich glaube nicht, dass es auf der Welt etwas Ein-
facheres und Einigeresgeben kann. Esistein Zustand,von
dem man nichts sagen kann, weil er allen Ausdruck über-
trifft; ein Zustand, in dem die Kreatur so ganz verloren
und versunken Ist, dass sie, mag sie auch aussen frei sein,
innen nichts mehr besitzt. So ist denn auch ihrGlück un-
wandelbar. Alles ist Gott und die Seele wird nur noch
Gottes gewahr. Sie hat keine Vollkommenheit mehr zu
verlangen, hatkeinStreben mehr, keinenZwischenraum,
keine Vereinigung : alles ist in der Einheit vollzogen, aber
in einer so freien, so leichten, so natürlichen Weise, dass
die Seele in Gott und von Gott lebt , so unbefangen , wie
der Körper von der Luft lebt, die er einatmet.
176
AUS EINER AUSSAGE DES CAMISARDEN-FÜH-
RERS ELIE MARION IM JANUAR 1707
AM ersten Tage des Jahres 1703, als wir, die Familie
und einige Verwandte, uns zurückgezogen hatten,
um einen Teil des Tages mit Gebeten und anderen
frommen Übungen zuzubringen, empfing einer meiner
BrüdereineBegeisterung;undeinigeAugenblickedanach
fühlte ich plötzlich eine grosse Wärme, die mir das Herz
erfassteund sich in meinem ganzen Körper ausbreitete.
Ich fand mich auch ein wenig bedrückt und das zwang
mich, grosse Seufzer auszustossen ; ich hielt sie jedoch
zurück, soweit es mir möglich war, um der Gesellschaft
willen. Einige Augenblicke danach bemächtigte sich
meiner völligeineGewalt, der ich nichtmehrwiderstehen
konnte, und Hess mich in grosse Schreie ausbrechen, die
von tiefem Schluchzen unterbrochen waren, und meine
Augen vergossen Bäche von Tränen. Ich wurde durch
eine furchtbare Vorstellung meiner Sünden heftig ge-
schlagen, die mir schwarz, grauenhaftund in unendlicher
Zahl erschienen. Ich fühlte sie wie eine Last, die meinen
Kopf niederbeugte, und je mehr sie sich mir aufluden,
desto stärker wurde mein Schreien und Weinen. Sie
füllten meinen Geist mit Entsetzen ; und in meiner Angst
konnte ich weder reden noch zu Gott beten. Dennoch
fühlte ich etwas Gutes und Glückseliges, das meinem
Schrecken nicht erlaubte, sich in Murren oder Verzweif-
lung zu kehren. Mein Gott schlug mich und ermutigte
mich zugleich . Da fiel mein Bruder in eine z weiteVerzük-
kung und sprach mit lauter Stimme, es seien meine Sün-
den, die mich leiden machten. Und zur gleichen Zeit be-
12 Buber, Konfesäonen
177
gann er eine lange Aufzählung dieser Sünden herzusagen
und sie vor all den Leuten, die da waren, darzustellen,
wie wenn er sie gesehen oder in meinem Herzen gelesen
hätte: ich selbst hätte kein getreueres Bild meines eige-
nen Zustandes machen können.
Als er diese fürchterliche Schilderung beendigt hatte,
ohne irgend etwas zu vergessen, und mit Betonung der
Sünden, die am meisten meinen Geist betrübten, fühlte
ich mich sehr erleichtert. Da so einige Ruhe gekommen
war, wurde auch meine Last leichter und ich genoss mit
einer grossen Freude die Freiheit, die mirwieder gegeben
war, mein Herz und meine Stimme zu Gott zu erheben.
Ich nützte diese glückliche Zeit und hörte nicht auf, die
Gnade meines himmlischen Vaters anzuflehen, der nach
seinem unendlichen Erbarmen zu meinem Herzen vom
Frieden sprach und dieTränen meiner Augen trocknete.
Sanft verbrachte ich die Nacht; aber beim Erwachen fiel
ich in ähnliche Bewegungen wie die, die mich von dieser
ZeitbisjetztimmerinderVerzückung ergriffen haben und
die von sehr häufigem Schluchzen begleitet waren. Dies
geschah mirdreioderviermal täglich, während dreierWo-
chen oder eines Monats; und Gott gab mir insHerz, diese
Zeit auf Fasten und Beten zu wenden. Je weiter ich vor-
wärtsging,destomehr nahm meineTröstung zu, und end-
lich, gelobt sei dessen mein Gott, trat ich in den Besitz
dieser glückseligen Zufriedenheit des Geistes, die ein
grosser Gewinn ist. Ich fand mich ganz verwandelt. Die
Dinge, die mir die angenehmsten gewesen waren, bevor
mein Schöpfermir ein neuesHerzgemachthatte, wurden
mir widerwärtig, ja unerträglich. Und zuletzt war es eine
neue Freude für meine Seele, als nach einem Monat
178
stummer Verzückungen, wenn Ich sie so nennen darf, es
Gott gefiel, meine Zunge zu lösen und sein Wort in mei-
nen Mund zu legen. Wie sein heiliger Geist meinen Körper
bewegt hatte, um ihn aus seinem Starrkrampf zu er-
wecken und seinen Hochmut niederzuwerfen, so war es
auch sein Wille, meine Zunge und meine Lippen zu regen
und sich dieser schwachen Organe nach seinem Wohlge-
fallen zu bedienen. Ich werde nicht versuchen auszu-
sprechen, welche meine Bewunderung und meine Freu-
de war, als ich einen Bach heiliger Worte durch meinen
Mundströmenvernahm,derenUrhebernicht mein Geist
war und die meine Ohren erfreuten. In der ersten Begei-
sterung, die Gott mir sandte, als er meine Zunge löste,
sprach sein heiliger Geist zu mir in diesen Worten : » Ich
versichere dich, mein Kind, dass ich dich vom Mutter-
schosse an zu meiner Ehre bestimmt habe. « Glückselige
Worte, die bis zum letzten Seufzer meines Lebens in mei-
nem Herzen eingegraben sein werden. Dieser selbeGeist
der Weisheitund der Gnadeerklärte mir auch, es tuenot,
dass ich die Waffen nehme, dass ich mich meinen Brü-
dern anschliesse, die seit ungefähr sechs Monaten tapfer
für die Sache Gottes kämpften. Ich verliess daher das
Haus meines Vaters im Anfang des Monats Februar und
ging, mich einer Truppe christlicher Soldaten einzu-
reihen, die ich einige Zeit darauf zu befehligen die Ehre
hatte.
179
JAKOB BÖHME (i 575—1624)
ALS ich aberin solcherTrübsal meinen Geist, von dem
»^ich wenig und nichts verstand, was er war, ernstlich
in Gott erhob wie in einem grossen Sturme, und mein
ganzes HerzundGemütsamtallen andern Gedanken und
Willen sich darein schloss, ohne nachzulassen, mit der
Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu ringen, und ohne
nachzulassen, er segnetemich denn, dasist,er erleuchtete
mich denn mit seinem heiligen Geiste, damit ich seinen
Willen möchte verstehen und meiner Traurigkeit los
werden, — so brach der Geist durch.
Als ich aber in meinem angesetzten Eifer also hart wider
Gott und aller Höllen Pforten stürmte, als wären meiner
Kräfte noch mehr vorhanden, willens, das Leben daran
zu setzen, welches freilich nicht mein Vermögen wäre
gewesen ohne des Geistes Gottes Beistand, — alsbald
nach etlichen harten Stürmen ist mein Geist durch der
Höllen Pforten durchgebrochen bisin dieinnerste Geburt
der Gottheit und allda mit Liebe umfangen worden, wie
ein Bräutigam seine liebe Braut umfängt.
Was aber für ein Triumphieren in dem Geiste gewesen
sei, kann ich nicht schreiben oder reden, es lässt sich
auch mit nichts vergleichen als nur mit dem, wo mitten
im Tode das Leben geboren wird, und vergleicht sich
der Auferstehung von den Toten.
In diesem Lichte hat mein Geist alsbald durch alles ge-
sehen und an allen Kreaturen, auch an Kraut und Gras,
Gott erkannt, wer er sei, und wie er sei, und was sein
Wille sei.
180
EIN EDELKNABE (um 1 596)
^^ [ACH vier Wochen erschien mir abermals der süsse
X N EngelmeinesTrostes und redetemit mirvielvon der
Schönheit der Kinder Gottes und machte mir ein herz-
liches Verlangen, sie in ihrer herrlichen Majestät zu be-
schauen. Zu dem sprach ich : Ach du mein liebes Engelein,
du mein zartes Brüderlein, führe rriich doch noch einmal
in den Saal des hohen Himmels, zu den schönen Kindern
Gottes, dass ich ihr Antlitz sehen möge in Gerechtigkeit.
Und er nahm mich auf und führete mich in den Himmel,
da ich vor vier Wochen gewesen w^ar, und stellte mich
mitten unter die Kinder Gottes, die alle darin versammelt
waren. Ich sah aberGott den Herrn nicht auf seinem gol-
denenThronesitzen. Dasprachich:WoistGottderHerr,
mein allerliebster Vater.r* Er sagte: »Er ist in seinen Kin-
dern. Siehe, die Wahrheit Gottes ist in seinen Kindern.
DennseineSöhneundseineTöchtersindseineTempel,in
denen er wohnetunddieermitseiner Herrlichkeit erfüllet
hat. « Und ich sah mich um nach den tausendmal tausend
Gotteskindern, und ward gewahr, dass sie glänzten von
der innerlichen Wahrheit Gottes wie helle klare Sonnen.
Da sah ich lebendige Saphire und Rubine. Das Licht des
Herrn funkelte inihremKörperundtriebsie,dasssienicht
stille stehen konnten, denndieKlarheit desHerrn ist eine
lebendige Klarheit. Sie wurden aber gehalten von dem
Engel Gottes, dass sie nicht fliehen mussten, wohin sie
wollten, denn ihre Zeit war noch nicht gekommen. Da
sprach einervon den obersten derEngel : » Ihrseid alledes
lebendigen Geistes voll. Das ist eure Ehre wider derWelt
Unehre. Leidet auch deswegen und tröstet euch dieser
181
grossen Herrlichkeit. « In mir aber ging solch ein Lichtauf
von der Klarheit des Herrn, dass ich Gott mitten ins Herz
sehen undseinegrosseLiebeund seinen himmlischen Rat
gegen michwohl erkennen konnte. Ich sah ihnwohl nicht
äusserlich, und erkannte ihn doch innerlich, denn sein
Licht war in mir, ward auch voll derFreudenGottes, dass
ich davon bald gestorben wäre. Denn wo Gott der Herr
ist, da ist seine Weisheit und Freude.
Mir ward aber bald nach diesem Augenblick ein Pfahl ins
Fleisch, das ist grosse Traurigkeit ins Herz gegeben, auf
dass ich mich solchergrossen Herrlichkeit nicht erheben,
noch sie zur Sicherheit missbrauchen sollte. Es kam auch
ein jeglicher Erleuchteter mit mir wiederum an seinen
Ort und in sein Elend bis an den Tag der Wieder-
bringung.
182
HANS ENGELBRECHT (i 599—1642)
NUN wie ich also in solchem Streit im Kampf lag,
so traf mich mit derWeile der Tod an von unten auf;
und ich lagund starb von unten auf: zwölf Stunden währte
es, dass ich so starb, da ich ungefähr in acht Tagen nichts
gegessen und getrunken hatte. Wie ich mich am Freitag
niederlegte und krank ward, also am Donnerstag über
acht Tageungefähr, da starb ich. Den Donnerstag Nach-
mittagumzwölfUhr,dafühlte ich deutlich,dass mich der
Tod von unten auf antrat; und starb also von unten auf,
dass mein ganzer Leib so steif war, dass ich nichts mehr
fühlte von Händen und Füssen, ja nichts vom ganzen Lei-
be; und ich konnte auch endlich nichts mehr sprechen,
oder sehen; denn der Mund war mir so steif, ich konnte
denselben nicht mehr auftun, und fühlte ihn nicht mehr,
desgleichen auch die Augen, die brachen mir im Kopfe,
dass ich es deutlich fühlte. Aber ich verstand gleichwohl,
wassiemirvorbeteten,undhörtewohl, dass sie einer zum
andern sagten : » Fühlet ihm doch an die Beine, wie steif
und kalt sie ihm sind; es wird nun nicht lange mit ihm
währen. « Das hörte ich wohl, aber ich fühlte es nicht. Da
der Wächter aber elf rief zu Mitternacht, das hörte ich
noch wohl, und um zwölf um Mitternacht, da verging mir
auch das leibliche Gehör.
Da däuchte mich, ich ward mit dem ganzen Leibe aufge-
nommen und ward schnell weggeführt, wie ein Pfeil von
der Armbrust nicht tun kann : wie ich nachdem auch
sonderlich danach fragte, ob mein Leib weggewesen
wäre. Aber sie haben mir hernachgesagt, mein Leib wäre
nicht weg gewesen: wie lange aber meine Seele sei weg
185
gewesen,dashabensiesoeigentlichnIchtmerkenkönnen.
Doch so weit war ich gleichwohl vor ihren Augen tot ge-
wesen, dass meine Mutter hatte das Hemd allbereits
hergekriegt, und sie vermeinten mich anzukleiden: aber
Gott hat es nicht haben wollen und hat ihnen ihre Augen
verblendet, dass sie das nicht haben merken können, da
meine Seele ist verzückt gewesen aus dem Leibe vor die
Hölle und in den Himmel. Das ist gerade im Augenblick
vor sich gegangen: denn Gottkann jemandim Augenblick
mehr offenbaren und lehren, als man die Zeit seines Le-
bens aussprechen kann. Wie dieses Lernen zugeht, das
kann kein Mensch mit seiner Vernunft begreifen; das ist
übernatürlich im Geiste geschehen.
Wie lange aber meine Seele ist weg gewesen, das weiss
Gott und kein Mensch. Wäre meine Seele in der Freude
und Herrlichkeit geblieben, mein Leib würde längst auf
demKirchhof liegen. AberzuMitternacht,daderWächter
elf rief, da war die Entzückung noch nicht geschehen ; da
war ich steif und kalt, und fühlte nichts von meinem Lei-
be, konnte auch nicht mehr sehen und sprechen, nur das
leibliche Gehör hatte ich noch allein. Die umstehenden
Leute, die bei mir waren, die haben die Zeit eben nicht
merken können, da meine Seele vor der Hölle und im
Himmel war. Da aber der Wächter zwölf rief, da war die
Entzückung geschehen. Gleichwie ich denn von unten
aufwar gestorben, also lebte ich von oben an wieder auf,
bis unten hinaus.
Da ich nun wieder aus der Klarheit geführt ward, da
däuchtemich, ich wurde wiedermitmeinemganzenLeibe
auf die Stättegelegt, und da hörte ich erst leiblich wieder,
184
dass sie mir etwas vorbeteten. Das Gehör war also das
erste, das ich wieder bekam. Danach begann ich meine
Augen zu fühlen, dass so allgemach allmählich und all-
mählich mein ganzer Leib wieder stark wurde. Und da
ich denn meine Beine und Füsse wieder fühlte, da stand
ich wieder auf; und war so stark, als ich vormals mein
Leben lang nicht gewesen war: so stark war ich von der
himmlischen Freude, dass die Leute sehr darüber er-
schraken, dass ich in so geschwinder Eile wieder stark
wurde.
Ich bin nur ein totes Instrument, wie eine steifeOrgelpfeife;
wennnichtdaraufgeschlagenwird,kannsienichtklingen.
Also, wisset, binauchichgarsteif und kalt gewesen und
konnte nicht klingen: dass ich aber jetzt in dem Reden
klinge, das regiert der heilige Geist, und ich nicht. Ich bin
hier gelegen, wie ein toter Handschuh : wenn da keine
Hand drin steckt, kann sich der Handschuh nicht regen
und bewegen; aber wenn sich einelebendige Handdarein
steckt, kann sich der Handschuh regen. Aber der Hand-
schuh regiert sich nicht, sondern die Hand, die in dem
Handschuh steckt, die regt sich in dem Handschuh und
regiert den Handschuh : der Handschuh kann sich selber
nichtregieren. . . So ist es auch mit mir. Ihrhabt voreuren
Augen mich hierliegen sehen,wieeinentotenHandschuh,
dersich nichtregenund bewegenkann : aberdielebendige
Hand Gottes hat sich in mich gesteckt, in mein totes
Fleisch und Blut, das gar steif und kalt war, und hat es
wieder lebendig gemacht durch seine himmlische Kraft;
und die allmächtige Hand Gottes regiert jetzt in mir, und
ich nicht.
185
ANNA VETTER (Datum derVIsionen : 1 662)
Aus ihrem Lebenslauf, den sie auf Begehren eigenhändig
aufgeschrieben
ES möchte jemand fragen, wie ich so hoch von Gott
geliebt bin worden und was mein junger Lebenslauf
gewesen Ich war ein fröhliches und freies Mägdlein
und den Leuten lieb, suchte Ruhm in der Nähekunst bei
denMenschen, war frisch wie ein jungerHirsch,gerneum
Spielleute, liebte ehrliche Tänze und behielt darin vor
anderen Mägden den Preis ; ein jeder wollte mit derWeis-
senburgerin tanzen. Es ist mir aus dem Himmel kund
worden, dass es Gottes Willen gewesen, dass ich habe
hierher kommen müssen und habe mich mit einem Mau-
rer verheiratet ; und wie ich hernach gehört, haben wohl
zehn andere auf meinen Mann gewartet, da er ist mein
Liebster worden. Er sollte mich wieder fahren lassen,
allein ichhabe ihm verbleiben müssen, undhabeeineehr-
licheHochzeitgehaltenmitLustigkeit,undhabemitdem
stürmischen und fluchenden Manne zehn Jahre lang ge-
haust und immer mit ihm ums Ewige gestritten. Habe
keine Furcht Gottes bei ihm spüren können, dass er nach
dem Himmel getrachtet hätte; war ein irdischer Welt-
mann und ich wollte immer nach dem Himmel trachten
und dachte, er solle sein wie ich ; aber er wollte mir nicht
folgen, und wurde mir mein Leben recht sauer mit ihm.
Je länger ich mit ihm hauste, desto saurerermirsmachte,
bis die zehn Jahre herumkamen, in welcher Zeit ich mit
ihm sieben Kinder erzeugt habe, drei Knaben und vier
Töchter; und sind noch bei dem Leben zwei Söhne und
zwei Töchter, so lang Gott will. Im dreissigsten Jahre
186
meines Lebens wurde ich krank, fünf Wochen lang, und
musste ganz an meinem Fleisch absterben ; wobei ich an-
fänglich Verdacht hatte auf eine Nachbarin, welche der
Zauberei verdächtig war, und öfters sagte, dass sie die
Leute krumm und lahm machen könnte, mich auch oft
wegen meines fleissigen Kirchengehens verspottet und
gefragt hat, ob denn noch etliche Bilder in der Kirche
wären, denen ich die Köpfe noch nicht abgebissen ; allein
es äusserte sich bald, was die Ursach meines Abschwin-
densam Leibe war; ich sollte nämlich ein ganz anderer
Mensch werden, leiblich und geistig erneuert. In dieser
meinerKrankheitkam mein Mann einstsehrfrühausdem
Schloss und legte sich zumirundzwang mich, seines Wil-
lenszusein,und ich wurdezueinerTochterschwangerwi-
der meinen Willen und Begierde, denn ich war schwach
und krank. Diese Tochter hatte keine Seligkeit bei Gott,
so ganz war des Vaters Samen in den Sünden verderbt,
dass daher offenbar ist der Mensch der Sünden und das
Kind des Verderbens. Sie wurde zwar getauft, aber nicht
geschrieben in das Buch des Lebens. Da ichzehnTag mit
diesem Kind schwangerging, wurde ich in den Himmel
verzückt und sah unbeschreibliche Freude. O Freude!
O Herrlichkeit! O Ewigkeit! O Schönheit! . . . Endlich
sah ich auch den Predigtstuhl in der oberen Kirche zu
Onoldsbach [Ansbach] und ein grosses Volk, dass ich
ihnen predigen sollte; alsbald kamein brennendes Feuer
aus dem Himmel über mich unddurchflammtemichund
ich wurde des heiligen Geistes voll, mein Mund wurde
voll Feuerund Himmelspreis, lobeteJesumChristum und
seinen heiligen Namen ; und da ich zu mir selber kam, da
musste ich diese Geschichte schreiben, da ich vorher kei-
.87
nen Buchstaben schreiben konnte, denn in der Jugend
musste ich in der Fremde herumziehen, kam in keine
Schule. Ein weniges vor meinem Ehestand lernte ich fast
verstohlenerWeise von meinesMannes Bruder ein wenig
lesen und las weiter nichts als die Evangelien und den Psal-
ter, über welchem Lesen ich oftmals weinen musste. Das
wardasersteGesichtund Offenbarung, soichgehabt; dies
verschwieg ich dreiviertel Jahr lang, bis ich zu dem Kind
ins Kindbett kam; da ich ausdem Kindbettging und zwei-
mal in die Kirche ging, wann ich nach Haus kam, hatte
das Kind allezweimaldasFrais oder schwere Krankheit,
so dass ich wegen des Kindes nicht mehr in die Kirche
gehen durfte. Endlich musste ich aus Antrieb des heiligen
Geistes zu den drei Pfarrern gehn und ihnen anzeigen,was
ich vor dreiviertelJahren im Himmelgesehen. Sobald ich
wieder untermeinen Fenstern insHausging, da weissagte'
der heilige Geist mir und offenbarte sich bei mir und den
andern Tag auch wieder, da kam des Herrn Wort zu mir
aus dem Himmel : So spricht der Herr, Gott wolle ein
Grosses tun, aber jetzt hätte ich ein Schweres vor mir;
und zeigtemiran,dassich musste eineeiserne Kette tragen
an meinem linkenArm; einer grossenSau halber aufdem
Rathause würde man sie mir anlegen, aber ich würde die
junge Sau von der hohen Stiege stürzen, dass sie musste
herabfallen samt ihren Jungen. Da wurde mir angst und
bang und ging zu den Pfarrern und zeigte es wieder an;
und da ich heim kam, da sollte ich des andern Tages auf
den Predigtstuhl gehen und ich wollte lange nichtundge-
dachte, was die Leute sagen würden, predigtedoch sonst
kein Weib nicht ; da war der Herr zornigund schlugmich
mit einem grossen Stein auf meinen Kopf, ich sollte auf
i88
den Predigtstuhl gehen; dawollte ich doch nichtundwar
dem Herrn ungehorsam ; da kam Jesus Christus auf dem
grossen Wasser zu mir in einem Schiff und stellte mir die
zwei Städte vor das Gesicht, Onoldsbach und Weissen-
burg. Diese zwei Städte liegen in dem tiefenWasser und ist
stockfinster bei ihnen, und der Herr Jesus sprach zu mir,
gehe hin und nimm diese zwei Städte ein, so wirds besser
mit dir werden, spricht der Sohn Gottes; fürchte dich
nicht, esgeschiehtdirnichts.Ichmusstealsodochaufden
Predigtstuhl gehn in der Stadtkirche, aber der Kirchen-
diener führte mich wieder herunter, da weinte ich sehr
und sprach, er solle mich mit Frieden lassen, es sei mir
von Gottbefohlen, dassich predigen müsse; erabersprach
zu mir, wenns gleich von Gott befohlen wäre, ich sollte
in meinen Kirchenstuhl gehen. Ich war kaum nach Hause
gekommen, da kamen dieHerrnvomRathausegegangen,
der Stadtvogt und der Stadtschreiber, derBürgermeister
und derStadtknecht, bringen eine eiserne Kette mit sich,
machen ein Loch durch die Wand und legen sie mir um
mein linkes Bein, und fragen mich alles aus , wie mir ge-
schehen sei ; da sagte ich ihnen alles und sie sprachen zu
mir : Gott helfe, dass es möge ausschlagen zu Gottes Lob,
Ruhm und ewigem Preis! Und gingen von mir. Dalag ich
an der Kette und konnte meinem kleinen Kind nichts tun,
dass ich seinerwartete, und bat, man sollte mich in meine
andere Stube hinablegen, dass ich meines Kindes dabei
warten könnte. Da gab mein Mann einen grossen, vier-
eckigen, eichenen Klotz her, dassmandenKlobendarein
schlagen könnte, und legten ihn mir an die Beine, da
musste ich den Stock überall mitmir herumtragen in dem
Hause, was ichzutun hatteüberall.EtlicheWochen trug
189
ich den grossen, schweren Stockso mit mir herum, bisich
nicht mehr daheim bleiben konnte, da trug ich denStock
an der Kette mit der Hand und angeschlossenem Bein
unter dasTor ; da schlössen sie mich ab, trugen den Stock
heim und schlössen mich an den Bettstollen an, dass ich
nicht mehr gehen konnte, taten mir eine Kachel aus dem
Ofen heraus, dass ich meinem Kinde seinen Brei in der
Stube kochen könnte. Da fing mein Leiden gross an, wie
Gott zu mir geredet, er wolle ein Grosses tun, aber ich
hätte ein Schweres vor mir. Wie mich nun der Herr zu
leiden bereitet und zur schweren Last bestellt, wie ich
gezwungen bin worden zum Gehorsam, des Höchsten
Willen zu tun, istwundersam zu hörenundzuglauben. ..
Über eben dieses hatte ich auch dieses Gesicht : Ich hörte
in derStadt die armeSünderglockeläuten, derMarktwar
voller Menschen, und man führte den armen Sünder die
Stadt herab mit blossem Haupt und will den Stab über
ihmbrechen, dass ergerichtet werde; da kam ich, und der
arme Sünder erbarmte mich und ich fiel auf meine Knie
und sprach : Ach Herr, erbarme dich des armen Sünders,
vergib ihm seineSünden und nimm ihn wieder inGnaden
an
Ach Herr Jesus, erbarme dich doch wieder über uns; es
glaubtsdoch niemand, dass du so sehr zürnest, und wer
fürchtet sich vor deiner Ungnade überuns.^^ Herr, deine
Magd weinet, deine Magd flehet, deine Magd seufzet,
deine Magd betet ; Tag und Nacht trage ich Sorge für die,
so du mir gegeben hast, denn sie sind alle in den grossen
Schuldturm geworfen; du gerechter Richter Christus
Jesus, das Kerbholz hast du ganz vollgeschnitten von
unserenSünden,daistkeineBezahlung,keineRechnung
190
nach Ersetzung der grossen Schuld ; denn dasVolk ist toll
und voll geworden in ihrer Hurerei. So und auf derglei-
chen Art betete ich für das Volk; denn ich sah im Gesichte
einenWirtinseineStubehineintreten,derhatteein Kerb-
holz, das war ganz voll angeschnitten, und um Tisch und
Banksassen und lagen lauter vollgesoffene Männer, ein
Teil schliefen, ein Teil wachten und derWirt forderte die
Zeche; und ob sie sich gleich entschuldigten, sie hätten
nichts, drang er doch auf die Bezahlung, oder sie sollten
ins Gefängnis geworfen werden; und die Männer hatten
weder Hut noch Röcke, noch Schuhe an ihren Füssen;
da erbarmten mich diearmenLeuteundich bat denWirt,
ich wolle für sie bezahlen, er solle nur Geduld mit ihnen
haben ; da gab er sich zufrieden. DerWirt ist Jesus Chris-
tus, die Gäste das lutherisch Volk, meine Fürbitte jetzt
beschriebenes Gebet.
Endlich sah ich die Stadt als ein grosses, schwangeres
Weib, deren Zeit herbeigekommen, dass sie gebären
sollte, und ihre Ammenweiber sassen alle um sie herum,
undsiekonntendasKindnichtmit ihr gebären, und muss-
ten Mutter und Kind sterben und ewig verderben lassen.
Da gedachte ich, ich darf dies Weib nicht so verderben
lassen samt dem Kind, und machte mich zu dem Weib
und gebar mit ihr ein Knäblein, das brachte ich zu Gott.
Ich musste so grosse Schmerzen leiden, wie das Weib in
der Geburt mit grossem Geschrei ; Gott sei gebenedeit
und hochgepriesen, der mir hat überwinden helfen, es
hat mein Blut mit gekostet; es ist diese Geburt nichts
anderes als desSohnesGottes Leiden undSterben, da ich
seinem Bild muss gleich werden. Sein Spottund Gericht,
Marter und Pein ist an mir wieder völlig vollbracht wor-
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den; Ansbach ist wütend über mich worden, sie wissen
nicht, wassie tun, siesind trunken,ichfandsiesoimWirts-
haus der Welt. DiesKnäblein aber sind alle Seelen der
Menschen in der ganzen Stadt zusammen verbunden, in
einesKindesGestaltmirvorgestellt,das hatoben aus dem
Herzen müssen geboren werden und nicht wie ein leib-
liches Kind unten aus der Mutter brechen ; dies hat eben
aus dem Herzen kommen müssen und hatdiesaureArbeit
mir das Blut aus der rechten Seite gepresst,und ein Engel,
so im Gesicht bei mir war, der sprach , als ich darüber er-
schrak, es müsste also sein, eswürde bald besserwerden.
MeineTochter, so ich aisein verlorenes Kind mitmeinem
Mann gezeugt von seinem Samen, und dasKnäblein von
dem schwangern Weib sind eins; da bin ich siebenund-
zwanzigWochenfürsieinKettenundBandengelegen,bis
ich siebeidezu Gottgebracht, und damit ich für dieandern
Seelen der Menschen, so dasKnäblein abgebildet, desto
eifriger betete, musste mein eigenes Kind in dasBuch des
Lebens so lange nicht geschrieben sein, bis ich überwun-
den und versöhnt; da kamen zwei Engel vom Himmel
herab, schrieben an meines Kindes Wiege, und da ich sie
fragte, was sie da machten, antworteten sie, sie täten was
sie wollten, da wurde meine Tochter und das Knäblein
wieder in dasBuchdes Lebensgeschrieben. DieseBeiden
sind nun desTestamentsund Abbundes Anfang und En-
de; da ichdas Knäblein geborenhatte, ist derDrache, der
Teufel zornig über mich worden und schoss ein grosses
Wasser aus den Wolken nach mir und wollte mich ersäu-
fen, aber die Erde tat sich auf und verschlangden Wasser-
strom; da stieg ich in den Graben, welcher dies Wasser
verschlang, und schaute, wie tief er war, und er reichte
192
mir bis an die Mitte des Leibes; da musste ich fliehen vor
dem Drachen, und wurden mir, da ich zum Fenster
hinaus sah, viel Federn und ganze Flügel darunter
gezeigt, und stunden etliche Männer von Wedelsheim
dabei, die sprachen, komme zu uns; da nahm ich ein
Messer und schnitt die eisernen Ketten entzwei und floh
wahrhaftig dahin gegen Wedelsheim, fünf Meilen von
Ansbach. Wenn ich nicht aus dem Weib das Kind gebo-
ren hätte, so würde jetzt kein Mensch mehr selig; die
vorige Erlösung hat ein Ende, denn das Kind ist alle
Menschen zugleich, soviel tausend in einem einzigen zu-
sammen verbunden, ein Knäblein. Freue dich, du Toch-
ter Zion, Ansbach, die du dein Kind geboren und keine
Schmerzen empfunden; ich trete hier die Kelter alleine
und ist niemand mit mir gewesen —
Noch eines sehet an, das ich mit Jammer habe müssen
innewerden, da ich noch an meinemKreuzindenKetten
lag. Es war im Schloss eine Hochzeit und mein Mann
musste daselbst aufwarten den Gästen, da brachte er mir
gutes Essen heim, ich sollte es essen ; und da ich gegessen
hatte, mussteich des Mannes Willen sein, erüberwältigte
mich, ich konnte nicht entlaufen an den Ketten. Auf das-
selbige Mal wurde ich aus dem Himmel Verstössen, dass
ich des Mannes Willen gehorsamt; ich wusste nicht, dass
ich keinen Mann mehr erkennen durfte. O Herzeleid, das
ich zwei Tage und zwei Nächte erlitten, da ich von Gott
Verstössen war! Es kamen im Gesicht die Herren vom
Rathaus zu mir, und legten mir einen Schraubstock an
meine Finger und schraubten an und sagten : Warum ich
mich zu dem Mann gelegt.?^ Ich sollte es nicht mehr tun.
Und ich schrie überlaut, dass ich es nicht gewusst, dass
13 Buber, Konfessionen
ich keinen Mann mehr erkennen dürfte, und sie zwangen
mir meine Hände und Finger wie einer Übeltäterin. Da
Hess ich nicht ab, zwei Tage und zwei Nächte zu beten
und schreien, weinen und heulen, bis ich bin wieder auf-
genommen worden bei dem Vater und Sohn Bald
nach diesem Jammer erweckteGott dieNatur in mir und
ich wurde zur ehelichen Liebe mit dem Mann begierig;
und mirerschienderMann,alswenn ich mit ihm scherzte;
und ich sah in meinen Garten hinaus, und sah einen
schönen, jungen Baum aufwachsen, der hat mich hoch
erfreut. Das ist die Deutung, dass ich in derselben Nacht
bin von meines Leibes Samen schwanger worden, und
sollte das Kind aufwachsen in der Furcht des Herrn, wie
ein junger, schöner Baum in einem Garten aufwächst,
der allen Menschen gefällt; und das ist geschehen. Wie
ich von des Mannes Samen eine Tochter gebar, die hatte
keine Seligkeit im Himmel gehabt samt dem Knäblein
ausdem schwangern Weib, die wardesTestaments Ende
und Abbund ; als ich aber eine Tochter geboren von dem
Samen meines Leibes, die sollte in der FurchtGottes auf-
wachsen wie ein junger Baum, die ist in der Mutter heilig
und selig, und bedeutet einen Muttersamen. Mein Same
ist heilig und selig, aber des Mannes Samen wäre ver-
loren, wenn ich nicht ihm geholfen und ihn versöhnt
hätte.
Bald nach derGeburtdesKnäbleinskam der Sohn Gottes
zu mir vor mein Fenster und sprach, ich sollt ihm ein
Wasser geben ; da ich ihm nun Wasser zum Fenster hin-
ausgab, verwandelte er es in Wein und ich trank davon;
da merkte ich, dassdas Wasser Wein worden, und ich
gabs ihm wieder zum Fenster hinaus, da machte er das
194
Geschirr wieder ganz voll, und ich trank wieder davon;
da war der Wein noch besser, und was ich heraustrank,
das war gleich wieder ganz voll. Da erkannte ich, dasses
der Sohn Gottes war; und wurden mir meine Augen ge-
öffnet, und ich sprach zu ihm : O Herr Jesus, dies Zeichen
hast du mir gegeben. Da sprach der Sohn Gottes: Ich will
dir noch mehr Zeichen geben, verschweig es nicht. Da
sprach ich : O Herr, weil du mir das Zeichen gegeben, so
will ichs dem Stadtpfarrer hintragen, vielleicht glaubt er
mirdestoeher.Undichredeteweitermitihmundsprach:
Herr, was soll ich anheben mit dem Volk.? Sie wollen mir
nicht glauben, dass du mich zu ihnen gesandt. Da sprach
der Herr: Sie verfolgen mich wohl, sie verfolgen mich ge-
nug. Ich sprach: Herr, wo gehest du hin, wobei soll ich
dich erkennen, dass ich nicht verführet werde, der Satan
kann sich in allerlei Gestalt verstellen. Alsbald war er bei
mirin der Stube und stand vor mir; und ich sah ihn an,
und er stand in eines Bauern Gestalt mit einem hohen
Hut, groben Rock, niedrigen Schuhen an seinen Füssen,
freundlicher Rede, holdseligen Gesichts. Mein Geist hat
sich hoch über ihn erfreut; da verschwand er wieder vor
mir, und ich sah ihn nicht mehr ....
Ich sah ferner ein Gesicht, als ob ich an meiner Hochzeit
mitmeinenGästen auf dasTanzhaus ginge, und ein frem-
derMannkamzumeinerHochzeitaufdasTanzhaus,und
Sprach auf dem Tanzhaus überlaut: Wo ist die, die so
wohl tanzen kann.?* Und ich gedachte, ich weiss wohl,
dass ich's bin, wenn er mich nur sähe vor den Leuten und
nähmekeineandere;daersichaberunterdenHochzeits-
gästen umgeschaut, da griff er nach mir und tanzte mit
mir einen Reigen und verschwand vor unser aller
13*
'95
Augen; da weiss ich gewiss, dass Jesus Christus schon
an meinem Hochzeitstag zu mir gekommen und auf
mich gesehen hat, sich aus Liebe und Verbündnis zu
mir gemacht vor allen Hochzeitsgästen, nach derjenigen
gefragt, die so wohl tanzen kann ; denn in meinen jungen
Jahren habe ich unter den andern Mägden diesen Ruhm
gehabt, und da ich zehn Jahr in der Ehe gelebt habe, da
kam mein rechter Himmelsschatz und Bräutigam und
verband sich mit mir.
196
HEMME HAYEN (2. Hälfte des 17. Jahrhunderts)
Aus seinem Lebenslauf, von ihm selbst erzählt und von
seinen Freunden treulich aufgeschrieben am 10. Mai i68<^
ALS die Zeit meiner Erleuchtung herannahte, war
^ unser ganzes Hausgesind mit äusseren Heimsu-
chungen überschüttet. Da sagte ichoftmalszumirselber:
Wenn Gott uns heimsucht, denkt er an uns . . . Besonders
aber wurde unser Haus mit grossen Krankheiten ange-
tastet in eben der Woche, da mir Gott sein Gnadenlicht
offenbarte... Da begab es sich, dass mein Sohn sich den
Fuss verrenkte. Deswegen entbot ich am Sonnabend
einen Mann von den Mennoniten aus Oldenborg, einem
Dorf nahe bei Opgant gelegen, dass er den Fuss meines
Sohnes besehen möchte und dass ich sogleich mit ihm
von seiner Religion sprechen könnte. Doch als er am
Sonntag Vormittag nach Opgant kam, hatte mich Gott
bereits gnädiglich mit seinem heilsamen Licht besucht.
Denn an dem Morgen des 4. Februar 1 666 kurz vor Tag
wurde ich durch die Kraft dieses Lichtes aufgeweckt und
meine Gedanken fielen auf bestimmte Sprüche aus der
Schrift, dieich sogleich in ihrem geistigen Sinne verstand,
und ich hatte darin ein sehr tiefes Schauen, wie es mir zu-
vor niemals geschehen war. Ich dachte an andere Worte
der Heiligen Schrift und verstand auch diese alsbald sehr
klar. Ja worauf nur meine Sinne fielen, das begriff ich so-
gleich auf eine geistliche Weise und hatte da eine über-
natürliche,ganz unaussprechliche und wohl aufs höchste
übermenschliche himmlische Süssigkeit und eine Ge-
meinschaft mitdemallgemeinenWesen,sodassich durch
den Überfluss dieser Freude laut aufschrie und mich
197
dessen nicht enthalten konnte. Da stiess ich meine Frau
an und sagte sofreudigwie ich war: » Kind bist du wach?«
Sie aber wunderte sich, dass ich so fröhlich sprach, und
sagte: »Ja, ich wache und höre dich wohl. Was soll ich
tun.?« Ich antwortete: »Nun gibt unser lieber Herr mir,
um was ich ihn so lange gebeten habe. « Hierüber war sie
wie ich nicht wenig erfreut und selig vergnügt und sag-
te: »Ach hast du das nun bekommen.f^ Das ist gut. Aber
warum schreist du denn so.?« Ich antwortete: »Ich
schreievor grosser Freude.« Ich bliebauch die ganze Zeit
unablässig im Schreien und die Freudigkeit war sounaus-
sprechlich gross, dass ich mich des Schreiens nicht
enthalten konnte.
Als dies nun einige Zeit gewährt hatte, begann es allmäh-
lich ein wenignachzulassen, so dassich dann aufstandund
meine Kleider anzog, was ich zuvor wegen der grossen
Herrlichkeit dieser Gnade nicht hätte tun können. Indes
kam der Mennonit aus Oldenborg, sah nach dem Bein
meines Sohnes, verband es, und weil er um Mittag ange-
kommen war, ass er mit uns. Nach dem Essen ging ich
ein StückWeges mit ihm nach seinem Hause zu und wir
gerietenin einGespräch überJakob Böhme,damirdieser
erleuchtete Mannsehrim Sinne lag. Alsbald fragte er mit
einerRedensart,dieunterdiesenLeutengebräuchlichist:
»IstJakob Böhme auch von unseren Leuten gewesen.?«
Seine Meinung war: von seiner Religion. Dies verdross
und bekümmerte mich sehr, dass er die Gottseligkeit an
seine Gemeinde allein binden wollte. Auch verbarg sich
das Licht in mir während der Zeit, da wir mit einan-
der redeten ; aber einige Glut blieb noch zurück. Als wir
nun Abschied voneinander genommen hatten, kam ich
198
wieder nach Hause und wusste nicht, ob hierauf noch
mehr folgen sollte; aber die innere Arbeit wurde so stark,
dass ich desWeges dreiTagelangnichtausgehen konnte.
Während dieser Tage, vornehmlich am Montag und
Dienstag,warichüberausunruhig.Baldsassich ein wenig,
bald wandelte ich hin und wieder durchs Haus und war
gleich einerschwangeren Frau, die gebären sollte. Es war
wie eine Pein und dennoch mehr eine Süssigkeit als eine
Pein zu nennen, denn es war keinVerdruss dabei, son-
dern eine seltsame ganz übernatürliche Annehmlichkeit.
Mein Leibwardamals innerlich so sehrdavonerfülltjdass
ich das Bewegen deutlich fühlen konnte.
Am Sonntag Abend ging ich zu Bett und schlief diese
Nacht über. Am Montag stand ich bei Zeiten wieder auf
und hielt mich von allen Geschäften frei. Und als ich ein
wenig ermuntert war, las ich in Jesaia vom 5 5. bis zum
6 1 . Kapitel. Da verstand ich alles nach dem innern Grun-
de und sah sehr deutlich, wie der Geist Gottes da nicht
allein spricht von der Ankunft Christi im Fleische, son-
dern vornehmlich von seiner Ankunft nach dem Geiste.
Denn es ging mir zur Zeit, wie Paulus sagt: ich kannte
niemand mehr nach dem Fleische. Ja was ich las, wurde
mir alsbald hellscheinend in meinem Gemüt und ich
dachte bei mir selber: wie bin ich doch zuvor so blind ge-
wesen, dass ich dieses nicht habe sehen können. Danach
konnte ich eine Zeitlang nicht mehr lesen, weil meine
innereArbeit so grosswar; ichhabe es wohl versuchtaber
vergebens.
Diese Gnade wurde je länger desto grösser. In Sonderheit
offenbarte sie sich recht stark und mit grosser Kraft am
Dienstag in einem sehr angenehmen Geschmack oder
199
besser In einer unaussprechlichen Süssigkeit, so wie kein
Ding auf der Erde sein kann. In der Nacht von Montag
auf Dienstag und in der von Dienstag auf Mittwoch hatte
ich gar keinen Schlaf, ebenso in den drei folgenden Näch-
ten ; ja auch in der Nacht zwischen Samstag undSonntag
schlief ich fast garnicht. Ich hatte bisweilen wohl einige
sanfteSüssigkeiten und Erleichterungen, allein es konnte
kein Schlaf genannt werden. Die hohe Wirkung, die in
meinem Gemüte war, verursachte, dass ich nicht schla-
fen konnte.
Allein ich muss nun wieder fortfahren zu erzählen, was
ich übergangen habe. Als am Mittwoch Morgen die
schwerste Arbeit für diesmal vorbei war, ging ich um acht
oderneun Uhr wiederum einmal nach Marienhofen um
den Prediger Benjamin Potinius zu besuchen. Allein sein
Bruder, der Prediger von Dornum, war bei ihm, der hin-
derte mich daran, sogleich mit ihm zu sprechen, so dass
ich einige Zeit am Feuer bei ihnen sass, wie wohl mit Ver-
druss, denn es verlangte mich, den Prediger allein zu
sprechen und ihm zu erzählen, was sich mit mir zugetra-
gen hatte. Da begab es sich, dass des Predigers Söhnlein,
ein Kind von ungefähr drei Jahren, mich um einen Apfel
ersuchte, denn es war gewohnt, dass ich ihm etwas mit-
brachte, wenn ich kam ; doch diesmal hatte ich nicht da-
ran gedacht, das Gemüt war zu voll. Da stand der Vater
aufund gingin seineStudierstube um einen Apfel zu holen,
damit ich ihn dem Kinde gebe. Ich folgte ihm sogleich
in seine Studierstube auf dem Fusse nach und sagte
sehr fröhlich und eifrig, denn ich konnte mich nicht
zurückhalten: »Herr Prediger! Nun tut unser lieber
Herr mir die Gnade, um die ich ihn so lange gebeten
200
habe.« Er sprach: » Wie denn, Hemme Hayen?« Ich sag-
te : » Weil ich nun weiss und verstehe, wie ein Mensch zu
Gott kommen kann und dass es nicht an den Sekten liegt,
sondern allein daran, dass man Gott von Herzen suche.
Und was das tausendjährige Reich angeht, wovon wir
letzthin miteinander sprachen, als ich mich darüber ver-
wunderte, dass solche Meinungen in der Christenheit
wären, weil ich nichts wusste, davon ist mir aufgegangen,
dass es eine Zeit ist, die mit und unter der andern Zeit
durchgeht, die aber von denen allein empfunden und er-
kannt wird, an denen Gott die Gnade tut. Und ich habe
nun wohl gesehen, dass viele Menschen sind", die wahr-
haft und wesentlich diese allerglückseligste Zeit leben.«
Als der Prediger dies hörte, wurde er dergestalt bewegt,
dass ihm die Tränen über die Backen herunterliefen. Ich
schrie auch mit ihm, ja ich war beinahe niemals ohne
Schreien, nur wenn ich mich gewaltsam vor den Men-
schen zurückhielt. Wir wischten unsere Tränen ab und
gingen wieder in die Küche zu dem andern Prediger ans
Feuer. Da es Mittag war, nötigte mich der Prediger, bei
ihm zu essen, was ich auch tat. Doch von dem Tage an
habeich inden neun folgendenTagen und Nächten nichts
gegessen, nur bisweilen ein wenig Trank gebraucht zur
Erquickung, denn Durst hatte ich wohl dann und wann.
Dies schien mir den Durst zu bedeuten, der in mir nach
der Gerechtigkeit war. Deswegen sagte ich zu meinem
Hausgesind : » Ihr Leute solltet auch so dürsten nach der
Gerechtigkeit. « Was aber die Speise angeht, die war zu
dieser Zeit für mich zu grob.
Während wir bei dem Prediger am Tische sassen, spra-
chen die beiden Lehrer über verschiedene Stellen der
201
Schrift. DIeskammirfremd vor undich sagte zumirselbst:
Wie ist das? Mit diesen Sachen ist es ja ganz anders
und siesind so klar. Wie ist es,dasssiedasnichtverstehen
können .f^
Nach vollendeter Mahlzeit ging ich nach Hause und ge-
noss beständig eine süsse Gemeinschaft mit Gott. Am
nächsten Tage, es war der Donnerstag, kam mir in den
Sinn, diese fröhliche Botschaft auch meinerSchwesterzu
verkündigen, die zu Engerhofen eine Stunde südlich von
Opgant wohnte. . . Als ich hineinkam, sah ich sie beim
Herdeund siehatte eine Arbeit inden Händen. Daserste,
dass ich zu ihr sagte, war : » Schwester, ich bin im Him-
mel I« Denn die Freude war so gross, dass ich ausbrach
und mich nicht halten konnte.. . Wir führten liebliche
Reden miteinander und gegen Abend ging ich wieder
nach Hause und meine Schwester begleitete mich ein
Stück des Weges. Da sagte ich zu ihr: »Es ist noch eine
Zeit vormir,indermiretwas Sonderbares begegnensoll.«
Ich wusste aber selbst nicht, wie, was, oder wann es sein
oder geschehen sollte. Ich fühltees nur so im Gemüt spie-
len und sprach bisweilen die Worte aus, ehe ich es
dachte. . .
Ich ging nach Hause, ganz empor gehoben von Freuden,
und innerlich über die Maßen erfüllt und durchglüht,
dass ich meinte, ich müsste vergehen von der Herrlich-
keit. Denn der Leib war zu schwach, diesen Glanz zu er-
tragen. Dabat ich und sagte : » Herr, nicht mehr, oderich
muss zerbersten!« Und so ging ich in Süssigkeit weiter
nach Hause. Es war damalsauf das Höchste gekommen,
und hätte auch meiner leiblichen Schwäche nach nicht
höher sein dürfen.
202
Aisich nach Hause kam, fand ichunsereLeutezuBettund
setzte mich auch, mich auszukleiden. Da wurde mir als-
bald seitwärts vom Feuerherd auf einem platten Back-
stein ein kreisrundes Ding wie ein Reichstaler gross ge-
zeigt, das ganzhell und klar von Licht warwieein Kristall.
Darüber erfreute sich mein Gemüt aufs neue. Doch zwei-
felte ich, ob dies etwas Besonderes oder Gewöhnliches
sei, und ging ans Fenster zusehen, ob es durch den Mond
Verursachtsein könnte. Allein als ich mich recht bedach-
te, wusste ich, dass der Mond nicht schien. Da ging ich
wiederdarauf zu und besah esmit grosser Verwunderung
und es wurde mir innerlich sehr deutlich gesagt : » Dasist
einTeilchenvon der neuen Erde.« Nachdem ich oftmals
rund herum gegangen war und es genug besehen hatte,
kam es vor meinen Augen wieder weg.
Seht, diese und die vorigen Dinge erweckten immerneue
Verwunderung in mir. Ich überlegte die grossen Dinge
und stellte wieder meine Kleinheit dagegen. Dann ging
ich zu Bett. In einer dieser Nächte, ich weiss nicht mehr
in welcher, bekam ich eine ganz süsse Empfindlichkeit
an den äusseren Sinnen. Das Gesicht wurde sehr hell und
dasGehör so lieblich, dass der Klang, den ich da hörte, alle
weltlichen Melodien unvergleichlich übertraf und hin-
reichend bewies, dass er himmlisch war. . . Alles war
himmlisch und ganz vollkommen, sodass man dies nie-
mandem so erzählen kann, wie es geschehen ist. Nur die
esselbereinmal erfahren oder erfahren haben, können es
verstehen.
Am nächsten Tage, Freitag morgens, sobald der Tag an-
brach, sagte ich zu meiner Frau: »Stehe auf und mach
ein grosses Feuer an. Denn mir ist gezeigt, dass heute et-
203
was Wunderbares geschehen soll.« Ichwusste nicht ei-
gentlich,was; allein dass etwas kommen sollte, das hatte
mir derGeistschon kund getan. Darauf standmeineFrau
auf und tat es. Ich stand auch alsbald danach auf, kleidete
mich an und setzte mich ans Feuer. Und zurStundewur-
de in mir ein Zwiegespräch, wie zwischen einem Vater
und einem Sohn,daswohldrei Stunden währte, sehrklar
und stimmlich, und alles musste ich mit meiner natür-
lichenZungeaussprechen und beantworten. MeineHaus-
genossen, die dabei waren, hörten die göttliche Sprache
nicht, wiewohl sie sehr stark und unterschiedlich in mir
geschah, und darum musste ich sie nachsprechen. Dies
Gespräch ging ohne das geringste Nachdenken so leben-
dig und munter weiter, dass es nicht auszusprechen, zu
begreifen, noch zu glauben ist. Es war auch im Klange
unterschieden, anders die Stimme des Vaters, anders die
des Sohnes. Der allererste Anfang ging sanft inwendigvor
sich, nicht stimmlich, und hernach wurde es stimmlich.
. . . Der Sohn, das ist der neue Mensch, der in mir wieder-
geboren war, sagte : » Vater, spielst du so mit deinen Kin-
dern.? Bistduunssonahe.f^ wie bist duuns dann zuvor so
weit entfernt gewesen.?« Der Vater antwortete: »Ich bin
allezeit bei dir gewesen. Allein was dünkt dich wohl von
diesen Dingen.?« Dasagteich: »Herr, du weisstes. Und
ich vertraue, dass du allein dies bist und dies tust, und
kein anderer.«
204
ANNA KATHARINA EMMERICH (1774— 1824)
DER Engel ruft mich und führt mich dahin und dort-
hin. Gar oft bin ich mit ihm auf der Reise. Er bringt
mich zu Menschen, die ich kenne oder einmal gesehen
habe ; aber auch zu solchen, welche mir sonst ganz unbe-
kannt sind. Er bringt mich selbst übers Meer; aber das ist
schnell wie ein Gedanke, und ich sehe dann so weit, so
weit! Er war es, der mich zur Königin von Frank-
reich in ihr Gefängnis geführt hat. Wenn er zu mir
kommt, mich auf irgend eine Reise zu leiten, sehe
ich meist zuerst einen Glanz und dann tritt eine Ge-
staltplötzlich leuchtend aus der Nacht, wie etwa wenn
eine Blendleuchte auf einmal in der Nacht geöffnet wird.
Wenn wir reisen, ist esNacht über uns; an der Erde aber
fliegt Schimmer. Wir reisen von hier durch bekannte
Gegenden nach immer ferneren aus, und ich habe die
Empfindung ungemeiner Entfernung. Bald geht es auf
geraden Strassen, bald quer über Felder, Berge, Flüsse
und Meere. Ich muss allen Weg mit den Füssen messen,
oft mit Anstrengung selbst Berge hinanklimmen. Meine
Kniesind dann schmerzlich ermüdet, meine Füsse bren-
nen, ichbin immerbarfüssig. Bald mir voraus, baldneben
mirschwebtmeinFührer. Nieseheich, als bewegteerdie
Füsse. Er ist sehr schweigsam, ohne viele Bewegung,
ausser dass er seine kurzen Antworten mit derHandoder
mit dem Neigen des Kopfes begleitet. Er ist so durchsich-
tig und glänzend, oft ganz ernst, oft mit Liebe gemischt.
Seine Haare sind schlicht, fliessend und schimmernd. Er
ist ohne Kopfbedeckung und trägt einen langen, blond
schimmernden Priestertalar.Ichredemitihmganzdreist,
205
allein ich kann ihm nie recht in das Gesicht sehen, so ge-
beugtbinichvorihm. ErgibtmiralleWeisung. Ichscheue
mich, ihn viel zu fragen ; es hindert mich das selige Genü-
gen, wenn ich bei ihm bin. Er ist seinen Worten nach
immerso kurz. Ich sehe ihn auch in wachendem Zustan-
de. Wenn ich für andere bete und er ist nicht bei mir, so
rufeich nach ihm, dass er zum Engel der anderen gehe.
Oft auch sage ich, wenn er bei mirist, nun will ich bleiben,
gehe du da und da hin und tröste! und ich sehe ihn hin-
wandeln. Komme ich an grosse Wasser und weiss nicht,
wie hinüber, bin ich auf einmal drüben und sehe verwun-
dert rückwärts.
Ich wusste nichts von mir, ich dachte nur an Jesum und
meine heiligen Gelübde. Meine Mitschwestern verstan-
den mich nicht. Ich konnte ihnen meinen Zustand nicht
erklären. Ich war mitten darin. Jedoch hatte Gott noch
viele Gnaden, die er mir erwies, vor ihnen verborgen,
sonst würden sie ganz irran mir geworden sein. Bei allen
Schmerzen und Leiden war ich nie in meinem Innern so
reich. Ich war überglückselig. Ich hatte einen Stuhl ohne
Sitz und einen Stuhl ohne Lehne in meiner Zelle, und sie
war doch so voll und prächtig, dass mir oft der ganzeHim-
mel darin zu sein schien. Wenn ich aber manchmal
nachts in meiner Zelle von der Liebe und Barmherzigkeit
des Herrn hingerissen in trunkener vertraulicher Rede
gegen ihn ausbrach, wie ich es von Kind auf getanhabe,
und ich wohl belauert ward, ward ich grosser Keckheit
und Vermessenheit gegen Gott beschuldigt, und da ich
einmal unwillkürlich erwiderte, es scheine mir eine grös-
sere Vermessenheit, den Leib des Herrn zu empfangen,
206
ohne so vertraut mit ihm gesprochen zu haben, ach da
wurde ich sehr ausgeschmäht. Bei alledem lebte ich mit
Gott und all seinen Geschöpfen in seligem Frieden. Wenn
ich im Garten arbeitete, kamen die Vögel zu mir, setzten
sich mir auf den Kopf und die Schultern und wir lobsan-
gen Gott zusammen. Ich sah meinen Schutzengel immer
an meiner Seite, und so viel auch der böse Feind gegen
mich hetzte, ja mich selbst mit Foltern, Schlagen und
Werfen misshandelte, konnteer mirdochkeinengrossen
Schaden tun, ich hatte immer Schutz und Hilfe, und Vor-
warnungen. Meine Sehnsucht nach dem heiligen Sakra-
mente war so unwiderstehlich, dass ich oft nachts im
Schlafe zu ihm hingezogen meine Zelle verliess, und in
der Kirche, so sie offen war, oder an der verschlossenen
Kirchentüre, oder an der Kirchenmauer selbst im stren-
gen Winter mit ausgebreiteten Armen in Erstarrung
kniete oder lag, und so von dem Priester des Klosters,
der barmherzig früher kam, mir die heilige Kommunion
zu, reichen, gefunden wurde. Wie er aber nahte und die
Kirche öffnete, erwachte ich und eilte an die Kommu-
nionbank, und fand meinen Herrn und Gott. In meinen
Verrichtungen als Küsterin wurde meine Seele oft plötz-
lich wie weggerisssn, und ich kletterte, stieg und stand in
der Kirche auf hohen Stellen, an Fensterblenden, Vor-
sprüngen und Bildwerk, wo es menschlicher Weise hin-
zugelangen unmöglich schien. Da reinigte ich und zierte
dann alles. Immer war mir, als seien gütige Geister und
Wesen um mich, die mich oben hielten und mir halfen.
Ich hatte keinen Arg darüber, ich war es von Kind auf ge-
wohnt, ich war nie lang allein. Wir taten alles so lieblich
mitsammen. Nur unter manchen Menschen war ich so
207
allein, dass ich weinen musste, wie ein Kind das heim
will.
Ich sah unendlich Vieles, was sich gar nicht aussprechen
lässt. Wer kann mit der Zunge sagen, was eranderssieht,
als mit den Augen? . . .
Ich sehe das nicht mit den Augen, sondern es ist mir, als
seheich es mit dem Herzen, so mitten in der Brust. Es
bricht mirauch da der Schweiss aus. Ich sehe durch die
Augen zugleich die Gegenstände und Personen um mich
her; aber sie kennen mich nicht, ich weiss nicht, wer und
was sie sind. Ichbinjetztnochschauend,daichspreche...
Seit einigen Tagen bin ich stets zwischen sinnlichem und
übersinnlichem Sehen. Ich muss mir sehr Gewalt antun ;
denn mitten im Gespräch mit Anderen sehe ich auf ein-
mal ganz andere Dinge und Bilder vormir und vernehme
dann meine Rede, wie die eines anderen, der aus einem
hohlen Fasse grob und dumpfig spricht. Es ist mir auch,
als wäre ich berauscht und könnte fallen. Meine Rede
gegen die Sprechenden geht ruhig und oft lebhafter als ge-
wöhnlich fort, ohne dass ich nachher weiss, was ich ge-
sprochen, und doch rede ich ganz in der Folge. Ich muss
mich mit Mühe in diesem Doppel-Zustand halten. Ich
sehe mit den Augen das Gegenwärtige trüb wie ein Ein-
schlummernder, dem der Traum aufsteigt. Das zweite
Sehen will mich mit Gewalt hinreissen und ist heller als
das natürliche; aber es ist nicht durch die Augen.
Als sie einmal ein Gesicht erzählt hatte, legte sie ihre Ar-
beit weg und sagte: Ich bin den ganzen Tag so fliegend
und sehend, dass ich immer bald den Pilger [Brentano]
208
sehe, bald nichtsehe. Höret er dann nicht singen? Es ist
mir, als sei ich auf einer schönen Wiese und als wölbten
sich Bäume über mir. Ich höre es so wunderbar schön
singen, als seien es süsse Kinderstimmen. Es ist mir, als
sei die nahe, wirkliche Umgebung ein Traum ; es scheint
in ihr alles so trüb, undurchsichtig und unzusammen-
hängend, dass sie ein roher Traum scheint, zwischen
dem ich eine lichte, durch und durch verständliche und
immer bis in den innersten Ursprung und Zusammen-
hang aller Erscheinungen verständliche Welt schaue,
in welcher das Gute und Heilige tiefer ergötzet, weil man
seinen Weg aus Gott und in Gott erkennt, und in welcher
alles Böse und Unheilige tiefer betrübt, weil man seinen
Weg aus dem Teufel und in den Teufel und gegen Gott
und die Kreatur erkennt. Dieses Leben, in welchem ei-
nen nichts hindert, nicht Zeit, nicht Raum, kein Körper,
keine Verschwiegenheit, wo alles spricht und allesleuch-
tet, scheint so vollkommen und frei, dass dieblinde, lah-
rne, stammelnde Wirklichkeit ein leererTraum darin er-
scheint.
In diesem Gebete wurde ich ruhig und ich sah ein Antlitz
mir nahen, in meine Brust eingehen, als verschmelze es
mit mir. Und es war mir, als gehe meine Seele in diesem
Einswerden mit dem Antlitz in sich zurück und werde
immerkleiner,und mein Leib erschien miralseingrosses,
plumpes Wesen, gross wie ein Haus. Das Antlitz, die Er-
scheinung in mir schien wie dreifaltig, ward unendlich
reich und mannigfaltig und war doch immer eins. Esging
(d. h. seineStrahlen, seine Blicke) in alle Chöre der Engel
und Heiligen auseinander. Ich empfand Trost und Freu-
14 Buber, KoDfesstonen
de darüber und dachte : sollte dies Alles wohl vom bösen
Feinde sein? Und indem ich dies dachte, zogen alle Bil-
der klar und deutlich, wie ein Zug lichter Wolken, noch-
mals durch meineSeele durch, undichfühlte,dasssienun
ausser mir, zu meiner Seite in einem lichten Kreise stan-
den. Ich fühlte auch, dass ich wieder grösser war und
mein Körper mir nicht mehr so plump erschien. Es war
nur wie eine Welt ausser mir, in welche ich durch eine
LichtöfFnung hineinschauen konnte. . .
Die Art, wie man im Gesicht Mitteilung von seligen Gei-
stern empfängt, ist schwer zu sagen. Alles, was gesagt
wird, ist ungemein kurz. Mit einem Worte erfahre ich
mehr, als sonst mit dreissig. Man schaut den Begriff der
Redenden, sieht aber nicht mit den Augen, und doch ist
Allesklarer, deutlicher als jetzt. Man empfängt es mit ei-
ner Lust, wie kühles Windwehen im heissen Sommer.
Man kann es mit Worten nie ganz wiedersagen. . . .
Alles, was diese arme Seele mir sagte, war zwar auch kurz,
wie in allen solchen Mitteilungen, doch hatdas Verstehen
bei der Rede der Seele im Reinigungsort eine grössere
Schwierigkeit; ihre Stimme hat etwas Dumpfes, als
schalle sie durch eine den Ton trübende Hülle, oder als
wenn einer aus einem Brunnen, einem Fasse spricht. Zu-
gleich ist der Sinn schwerer zu fassen und ich muss viel
genauer achtgeben, als wenn mein Führer, oderderHerr,
oder ein Heiliger spricht; dann ist es, als wenn die Worte
Einen wie ein klarer Luftstrom durchströmen, und man
sieht und weiss alles, was sie sagen. Ein Wort stellt mehr
in unsere Seele, als eineganze Rede. . . .
210
Am 25. Juli 1821 rief Anna Katharina dem Pilger zu:
T> DerPilger ist ohne Feierlichkeit und betet in Angst alles
durcheinanderganzkurz.Oftseheich durch seinen Kopf
allerlei böse Gedanken laufen; sie sehen aus, wie ganz
wunderliche garstige Tiere! Er fängt sie nicht, treibt sie
auch nicht schnell fort; es ist, als wäre er sie gewohnt. Sie
laufen, quer durch, wie durch einen gebahnten Weg.«
DerPilger bemerkte hierzu : » Das ist sehr wahr leider! « .
Ich sehe aus dem Munde der Betenden eine Linie von
Worten wie einen feurigen Strahl hervorgehen und zu
Gott empordringen . Ich sehe und erkenne in den Worten
die Art der Schriftzüge des Betenden und lese Einzelnes.
Die Schrift ist bei jedem Menschen verschieden. In dem
Strome selbst wird einzelnes flammender, anderes blas-
ser, bald weitläufiger, bald reissender und enger. Kurz,
es ist so, wie man schreibt.
21 1
ANHANG
AUS DEM MAHABHARATAM
NUN aber will ich euch verkündigen jene ein verbor-
genes Dasein bewirkende, selige Einkehr, welche
in der Mitte aller Wesen erfolgt durch milde oder rauhe
Mittel.
Das Verhalten, welchem Tugend nicht mehr für Tugend
gilt, welches ohne Anhänglichkeit, einsam und frei von
denUnterschieden ist, diesesganzinBrahman aufgehende
Verhalten nennt man das auf die einzige Stätte gerichtete
Glück.
Der alsWeiser dieBegierde von überallher in sich zurück-
zieht wie die Schildkröte ihre Glieder, ein solcher leiden-
schaftsloser und nach allen Seiten freier Mann ist immer-
fortglücklich;dieBegierdeninseinInnereszurücktragend,
den Durst vernichtend, absorbirt und gegen alle Wesen
wohlwollend und freundlich, wird er tauglich zum Brah-
mansein.
Durch Niederhaltung aller nach den Dingen trachtenden
Sinnesorgane wird in dem Muni [Schweiger, Einsiedler],
indem er die Wohnstätten der Menschen meidet, das
Feuer des eigenen Selbstes entzündet.
So wie das durch Brennholz entflammte Feuer mit
grossem Scheine aufleuchtet, so wird durch Niederhal-
tung der Sinnesorgane der grosse Atman [das Selbst] auf-
leuchten.
Wenn einer alle Wesen mit ruhigem Selbst in seinem
eigenen Herzen schaut, dann dient er sich selbst als Licht
und gelangt aus dem Verborgenen zu dem allerhöchsten
Verborgenen.
Seine Sichtbarkeit ist Feuer, sein Fliessendes ist Wasser,
21 3
seine Fühlbarkeit ist Wind, sein scheussliches Schmutz-
tragendes ist Erde und sein Hörbares ist Äther;
von Krankheit und Leid ist er erfüllt, von den fünf Strom-
pforten [den fünf Sinnen] umgeben, aus den fünf Elemen-
ten zusammengeflochten, mit neunToren,vonzwei Göt-
tern [der höchsten und der individuellen Seele] bewohnt,
unsauber, unansehnlich, dreigunahaft[guna: Qualität],
dreigrundstoffhaft [Schleim, Galle, Wind], berührungs-
süchtig und voUTorheit, — das ist der Leib, das ist ge-
wiss.
Überall in dieser Welt schwer zu behandeln und die In-
telligenz als Stütze habend, rollt der Leib in dieser Welt
aufdem Wagen der Zeit dahin.
Diesen furchtbaren, unergründlichen, grossen Ozean,
der da heisst Verblendung, soll man abtun, soll man ver-
nichten und die unsterbliche Welt in sich zum Erwachen
bringen.
Begierde, Zorn, Furcht, Habsucht, Tücke und Unwahr-
heit, diese alle wirft er durch Unterwerfung der Sinnes-
organe ab, obgleich sie schwer abzuwerfen sind.
Wer diese, die Dreigunahaften, Fünfelementhaften in
der Welt überwunden hat, dessen Stätte ist im Himmel,
dem wird Unendlichkeit zuteil.
Ihm, der die fünf Sinne als grosse Ufer, der den Drang des
Manas als mächtige Strömung hat, den Fluss, der sich
zum See der Verblendung ausbreitet, soll man durch-
schwimmen und beides überwinden, die Begierde und
den Zorn.
Dann schaut man, befreit von allen Gebrechen, jenes
Höchste, dessen Manas [hier: Wille] in seinem Manas
einschliessend und das Selbst in seinem Selbst schauend.
214
In allen Wesen allwissend, findet er in seinem Selbst das
Selbst, indem er sich in eines oder in viele wandelt, bald
hier, bald dort.
Dann durchschaut er völlig dieGestalten, sowie man mit
einer Fackel hundert Fackeln entzündet, dann ist er
Vishnu und Mitra, Varuna, Agni und Prajäpati [die Göt-
ter];
dann ist er Schöpfer und Ordner, der Herr, der Allgegen-
wärtige, dann wird er als das Herz aller Kreaturen, als
der grosseÄtman erstrahlen ; dann werden ihm Brahma-
nenscharen, Götter, Dämonen, Halbgötter, Unholde,
Manen und Vögel, Koboldscharen, Gespensterscharen
und alle grossen Weisen für und für lobsingen.
215
WORTE LAO-TSES UND SEINER SCHÜLER
(6. und 5 . Jahrhundert v. Chr.)
Aus dem Buche des Wen-tse
WER die grosse allgemeineHarmonledurchdringt,
hält sich zurückgezogen wie einer, der von einem
edlenWeine trunken ist und sich infreundlichenCefühlen
niederlegt. Er bewegt sich in dieser unermesslichen Har-
monie als wäre er nie aus dem Schöpfungsgrunde der
Wesen gegangen. Dieses nennt man die grosse Durch-
dringung.
Dieses ist das Tun des Heiligen. Es regt sich der vollkom-
menen Leere zu. Er ergeht sein Herz in dem unbedingten
Nein. Er schreitet aus allem Räume hinaus. Er nimmt
seinen Weg wo keine Pforteist. Erhört was keinen Klang
hat. Er sieht was keine Gestalt hat. Er haftet nicht an der
Zeit. Er hat keine Gemeinschaft mit den Ungeweihten.
So bewegt er die Welt.
Aus den Büchern des Tschuang-tse
Die Menschen der höchsten Geistigkeit steigen zum
Lichte auf, und das Körperhafte entschwindet. Dieses
nennen wir hell und himmelhaft sein. Sie bringen die
Kräfte, mit denen sie begabt sind, zum Äussersten empor
und lassen nicht eine einzige Eigenschaft unerschöpft.
Ihre Freude ist die von Himmel und Erde, und die Bin-
dungen der Sachen schmelzen, vergehen; alle Dingekeh-
ren zum eigenen Wesen zurück. Dasistwasgenanntwird:
das Dunkel des Chaos.
216
Nach drei Tagen schied er sich vom Irdischen ab.
Nach sieben Tagen löste er sich von allen Dingen.
Nach neun Tagen schritt er aus seinem Sein hinaus.
Danach ward sein Geist strahlend wie der Morgen, und
er schaute das Wesen , sein Ich , von Angesicht zu Ange-
sicht.
Als er geschaut hatte, wurde er ohne Vergangenheit und
Gegenwart.
Er betrat das Reich, wo kein Tod und kein Leben ist, wo
man das Leben töten kann ohne sterben zu machen und
es erzeugen ohneleben zu machen, wo nichts ohne seine
Vollendung ist.
Tse-tschi von Nan-kuo sass über einen Tisch gelehnt. Er
sah zum Himmel, atmete leicht und schien entrückt
zu sein, als wären Leib und Seele geschieden. Yen
TschengTse-yü, der vor ihm stand, rief: »Was ist dies,
dass dein Körper wie ein dürrer Baum wird und dein
Geist wie tote Asche.^* Wahrlich, der Mann, der jetzt
über den Tisch lehnt, ist nicht der, der vordem hier war. «
Tse-tschi sprach: »Du fragst zu Recht, Yen. Ich hatte
mich selber begraben. Aber wie kannst du das ver-
stehen.? Du magst die Musik des Menschen gehört ha-
ben, aber nicht die Musik der Erde. Du magst die
Musik der Erde gehört haben, aber nicht die Musik des
Himmels.«
Aus dem Buche der steten Reinheit und Ruhe
Wer sich loszumachen vermag, der schaut innen in sich
sein nacktes Herz, und dieses Herz ist nicht sein Herz. Er
schaut aussen seine Körpergestalt, und diese Gestalt ist
217
nicht seine Gestalt. Weiter weg schaut er seine Gegen-
stände, und diese Dinge sind nicht seine Dinge.
Aus dem Buche T>Die rot gestreifte Höhle«
Ich trage es unablässig im Geiste: ununterbrochen ein-
dringend, schafft esalleScheidungenzwischenLeben und
Tod hinwegund macht mich eins mit Himmel und Erde.
Wenn das Sehen vergessen ist, wird das Licht unendlich
reich. Wenn das Hören vernichtet ist, sammelt sich das
Herz auf die ewigen Tiefen. Wenn die Sinne des Wahr-
nehmens aufgehoben sind, wird der Mensch fähig, sich
von allen Reizen der Weltloszuschliessen, rein, offenund
vollständig, in vollkommener Einung mit dem All, weit,
schrankenlos, wie ein belebender Lufthauch, keinen
Scheidungen des Menschentums Untertan.
218
VON DEN CHASSIDIM
{ostjüdische Sekte, entstanden um die Mitte des i8. Jahr-
hiindertsj
UEBER einen Zaddik* geriet die Inbrunst jedesmal,
wenn im Vortrage der Schrift die Worte kamen:
Und Gott sprach. Ein chassidischer Weiser, der diessei-
nenSchülernerzählte,fügtehinzu: »Aberauch ichmeine:
wenn einer in Wahrheit redet und einer in Wahrheit
empfängt, dann ist es genug an einem Worte, die ganze
Welt zu erheben und die ganze Welt zu durchläutern « .
Ein Zaddik stand im ersten Morgendämmer am Fenster
und rief zitternd: »Vor einer kleinen Stunde war noch
Nacht und jetzt ist Tag — Gott bringt den Tag herauf! «
Und er war voll der Angst und desZitterns. Auch sprach
er: »Jeder Geschaffene soll sich vor dem Schöpfer schä-
men. Denn wäre ervollkommen, wie ihm bestimmt war,
er müsste erstaunen und erwachen und entbrennen über
die Erneuerung der Kreatur zu jeder Zeit und in jedem
Augenblick«.
Von einem Meister wird erzählt, er habe in Stunden der
Entrückung auf die Uhr sehen müssen, um sich in dieser
Welt zu erhalten, und von einem anderen, er habe, wenn
er dieEinzeldingebetrachtenwollte, eine Brille aufsetzen
müssen, um seingeistigesSehen zubezwingen, dennsonst
sah er alle Einzeldinge der Welt als Eines.
Als ein Schüler einmal eines Zaddiks »Erkalten« be-
♦Zaddik: Gerechter, Heiliger, Name der chassidischen Rabbis, die als Mittler
zwischen Gott und Mensch angesehen werden.
219
merkte und tadelte, wurde er von einem andern belehrt:
»Es gibt ein sehr hohes Heiligtum. Wenn man dahin
kommt, wird man alles Wesens los und kann nicht mehr
entbrennen«.
Von dem Tanz einesZaddiks wird erzählt : Sein Fuss war
leicht wie eines vierjährigen Kindes. Und alle, die sein hei-
liges Tanzen sahen — da warnichteiner, der nicht zu sich
heimgekehrt wäre; denn er wirkte im Herzen aller, die es
sahen, beides, Weinen und Wonne in einem.
Ein Zaddik stand in den »furchtbaren Tagen« [Neujahr
undVersöhnungstagJimGebeteundsangneueMelodien,
Wunder der Wunder, dieernie gehört hatte und die kein
Menschenohr je gehört hatte, und er wusste gar nicht,
was er singt und welche Weise er singt, denn er war an die
obere Welt gebunden.
Es wird von einem Meister gesagt, er habe sich wie ein
Fremdling geführt, nach den Worten Davids des Königs :
» Ein Fremder bin ich im Lande « . Wie ein Mann, der aus
derFernekam, ausderStadtseinerGeburt. Ersinnt nicht
auf Ehre und nicht auf irgend ein Ding zu seinem Wohle.
Nur darauf sinnt er, heimzukehren zur Stadt seiner Ge-
burt. Nichts kann ihn besitzen, denn er weiss: das ist
Fremdes und ich muss heim.
Worte der Chassidim
Wenn ein Mensch die ganze Lehre und alle Gebote erfüllt
hat,aberdieWonne und dasBrennenhaternicht gehabt,
wenn der stirbt und hinübergeht, öffnet man ihm das
220
Paradies, aber weil er in der Welt die Wonne nicht ge-
fühlt hat, fühlt er auch die Wonne des Paradieses nicht.
Der Mensch soll den Stolz lernen und nicht stolz sein, den
Zorn kennen und nicht zürnen. Der Mensch vermag sich
mitallenWonnen zu kasteien. Er vermag zu blicken nach
welchem Orte er will und sich nicht über seine vier Ellen
hinaus zu verlieren, Worten des Scherzes zu lauschen
und sichzu betrüben. Undsogeschiehtes,dasserhiersitzt
und sein Herz ist oben, er isst und vergnügt sich in dieser
Welt und geniesst aus der Welt der geistigen Seligkeit.
Der Mensch vermag eitle Worte mit seinem Munde zu
reden und die Lehre des Herrn ist in seinem Innern zu
dieser Stunde; flüsternd zu beten und sein Herz schreit
in seiner Brust; in einer Gemeinschaft von Menschen zu
sitzen und er wandelt mit Gott, vermischt mit den Krea-
turen und abgeschieden von der Welt.
Wer eine Frau sehr begehrt und ihre buntfarbnen Ge-
wänder betrachtet, dessenSinn geht nicht auf dasPrunk-
zeug und die Farben, sondern auf die Herrlichkeit der be-
gehrten Frau, die in sie gehüllt ist. Aber die Andern sehen
nur die Gewänder und nichts mehr. So schaut, wer Gott
in Wahrheit begehrt und empfängt, in allen Dingen der
Welt nur die Kraft und den Stolz des Bildners des Urbe-
ginns, der in den Dingen lebt. Wer abernicht auf dieser
Stufe ist, sieht die Dinge von Gott getrennt.
Wenn der Mensch gewürdigt wird, die Gesänge der
Kräuter zu vernehmen, wie jedes Kraut sein Lied zu Gott
221
sprichtohneallesfremdeWollen und Denken, wie schön
und süss ist es, ihr Singen zu hören. Und daher ist es gar
gut, in ihrerMitte Gott zu dienen in einsamem Wandeln
über das Feld hin zwischen den Gewächsen derErdeund
seine Rede auszuschütten vor Gott in Wahrhaftigkeit.
Alle Rede des Feldes geht dann in deine ein und steigert
ihre Kraft. Du trinkst mit jedem Atemzuge die Lüfte des
Paradieses, und kehrst du heim, ist die Welt erneuert in
deinen Augen.
Wie die Hand vors Auge gehalten den grössten Berg ver-
deckt, so deckt das kleine irdische Leben dem Blick die
ungeheuren Lichter und Geheimnisse, deren die Welt
voll ist. Undweresvor seinen Augen wegziehenkann, wie
man eine Handwegzieht, derschautdas grosse Leuchten
desWelteninnern.
Die Schöpfung des Himmels und der Erde ist die Entfal-
tung des Etwas aus dem Nichts, das Hinabsteigen des
Oberen indasUntere. AberdieHeiligen,diesichvomSein
ablösen und Gott immerdar anhängen, die sehen und er-
fassen ihn in Wahrheit, als wäre das Nichts wie vor der
Schöpfung. Sie wandeln das Etwas in das Nichts zurück.
Und dies ist das Wunderbarere : das Untere emporbrin-
gen. Wie es geschrieben steht in der Gemara : » Grösser
ist das letzte Wunder als das erste « .
222
AUS DEN SCHRIFTEN MAKARIOS DES AEGYP-
TIERS(3oi— 391)
WENN die Seele dem Herrn anhangt, und der
Herr von Erbarmen und Liebe bewegt zu ihr
kommt und ihr anhangt, und der Sinn beständig in
der Gnade des Herrn verharrt, dann werden die Seele
und der Herr Ein Geist, Eine Beschaffenheit und Ein
Sinn. Und da der Leib dieser Seele am Boden liegt,
lebt ihr Geist ganz im himmlischen Jerusalem, steigt
bis zum dritten Himmel empor, hängt sich da an den
Herrn und dient ihm. Und er, der da sitzt auf dem
Throne der Herrlichkeit und der Höhe in der himm-
lischen Stadt, er ist ganz und gar bei ihr in ihrem Lei-
be. Denn ihr Bild hat er aufgerichtet in der himm-
lischen Stadt der Heiligen, im oberen Jerusalem, sein
Bild aber, seines heimlichen Lichtes und seiner Gott-
heit, hat er aufgerichtet in ihrem Leibe. Erdient ihr in der
Stadt des Leibes, sie aber dient ihm in der himmlischen
Stadt. Sie besitzt ihn als ihr Erbteil in den Himmeln, und
er hinwieder besitzt sie als sein Erbteil auf Erden. Denn
der Herr wird das Erbe der Seele und die Seele wird das
Erbe des Herrn.
22 j
AUS DEN DIONYSIOS DEM AREOPAGITEN ZU-
GESCHRIEBENEN SCHRIFTEN
Aus der Schrift von der mystischen Theologie
DARUM sagt der heilige Bartholomäus, die Gottes-
weisheit sei zugleich vielfältig und klein, das Evan-
gelium weitund gross und zugleich gedrängt. Mir scheint
er das übernatürlich gemeint zu haben: dassdie Ursache
aller Dingezugleich wortreich ist und wortkarg und wort-
los, dass sie weder Rede noch Denken besitzt, da sie über
alles Seiende überwesentlich hinausliegt und allein de-
nen unverhüllt und wahrhaft erscheint, die über alle
Schuld und Unschuld hinausschreiten, und über alles
Aufsteigen zu heiligen Höhen hinausschreiten, und alle
göttlichen Lichter und Töne und himmlische Rede ver-
lassenund indasDunkeltauchen,wo,wie dieSchriftsagt,
der wahrhaft ist, der jenseits von allem ist. Und nicht von
Ungefähr wird daher dem göttlichen Moses geboten, zu-
erst sich selber zu reinigen, sodann sich von den nichtGe-
reinigten zu sondern, und nach aller Reinigung hört er
die vieltönigen Posaunen, sieht viele Lichter, die reine
und vielfältige Strahlen werfen ; dann sondert er sich von
der Menge, und mit den auserwählten Priestern kommt
er zu der Höhe der göttlichen Aufstiege. Nach all diesem
aber ist er noch nicht zum Gotte gesellt, er sieht den Un-
sichtbaren nicht, nur den Raum darauf er steht. . . . Dann
aberwirderauch von dem Gesehenen und von demSe-
hendengelöstundtauchtindasDunkel desNichtwissens,
das wahrhaft mystische, in dem eralleWidersprüche des
Erkennens abstreift und in das durchaus Unfassbare und
Unschaubare aufgenommen wird, ganz dessen gewor-
224
den, der über alle hinaus ist, und niemandes eigen, nicht
seiner selbst noch eines Andern, mit dem vollkommen
Unerkennbaren durch die Authebung alles Erkennens
dem Kerne des eignen Wesens nach vereint, und indem
er nichts erkennt, über den Geist hinaus erkennend.
tS Buber, Konfessionen
AUS DEM (MEISTER ECKHART ZUGESCHRIE- j
BENEN) TRAKTAT »SCHWESTER KATREI« ^
NUN kommt die vorher genannte Tochter zu ihrem
ehrwürdigen Beichtvater und spricht: Herr, höret
mich um Gott. Er sprach : Von wannen kommst du ? Sie
sprach: Von fernen Landen. Er sprach : Wer bist du .?* Sie
sprach : Erkennet Ihr mich nicht.? Er sprach : WeissGott,
nein! Sie sprach: Das ist mir ein Zeichen, dass Ihr Euch
selber nie erkanntet. Er sprach: Das ist wahr. Ich weiss
wohl, erkennte ich mich selber, wie ich sollte, auf das Al-
lernächste, so kennte ich alle Kreaturen auf das Aller-
höchste. Sie sprach: Das ist wahr. Nun lassen wir diese
Rede bleiben. Höret mich um Gott. Er sprach: Gern,
sage an. Die Tochter tat ihre Beichte ihrem ehrwürdigen
Beichtvater so wie es in ihr war, dass seine Seele in ihm
erfreut wurde. Er sprach: Liebe Tochter, komm bald
wieder zu mir. Sie sprach: Fügt es Gott, es ist mir lieb.
Er ging hin zu seinen Brüdern und sprach : Ich habe
einen Menschen gehört, ich weiss nicht und zweifle, ob
es ein Mensch oder ein Engel sei. Ist er ein Mensch, so
wisset, dass alle Kräfte seiner Seele mit den Engeln im
Himmelreich wohnen, denn seineSeele hat ein Engelwe-
sen empfangen. Sie erkennt und liebt über allen Men-
schen, von denen ich je Kunde gewann. Die Brüder spra-
chen alle: Gelobt sei Gott. Der Beichtvater sucht die
Tochterin derKirche, wo er sie weiss, und bittet sie ge-
treulich um Gott, dass sie mit ihm rede. Sie sprach : Er-
kennt Ihr mich noch nicht.? Er sprach: Nein, das weiss
Gott. Sie sprach : So will ich es Euch aus Liebe sagen. Ich
226
bin der arme Mensch, den Ihr zu Gott gezogen habt. Da
offenbart sie ihm, wer sie sei. Da sprach er : Ach ich armer
Mann, wie mag ich mich schämen vor den Augen Gottes,
dass ich so lange geistigen Schein getragen habe und noch
so wenig gefunden habe göttlicher Heimlichkeit. Er
sprach : Ich bitte dich, liebeTochter, um der Liebe willen,
die du zu Gott hast, dass du mir offenbarest dein Leben
und deine Übung, die du seither gehabt hast, seit ich dich
zuletzt sah. Sie sprach: Davon wäre viel zu sagen. Er
sprach: Es kann nicht zu viel sein, ich höre alles gern.
Wisse, mir ist viel Wunders von dir gesagt. Die Tochter
hub an und sagte dem Beichtvater und sprach : Ihr sollt
mich nimmer verraten solange ich lebe. Er sprach: Ich
gebe dir mein Versprechen, dass ich dich nimmer an dei-
ner Beichte verrate, solange du lebst. Siefinganund sagte
ihm so viel Wunderbares, dass es ihn Wunder nahm, wie
ein Mensch so viel leiden möge. Sie sprach : Herr, mir ge-
bricht es noch. Ichhabealldas gelittenundüberkommen,
was meine Seele begehrt hatte, nur dass ich nicht wegen
meinesGlaubensangeklagt worden bin. Ersprach:Gelobt
sei Gott, dass er dich je erschuf; und nun lass es dir genü-
gen. Sie sprach: Nimmer solange meine Seele kein Blei-
ben hat an der Stätte derEwigkeit. Er sprach : Mir genüg-
te wohl, hätte meine Seele den Aufgang, den deine hat.
Sie sprach: Meine Seele hat einen steten Aufgang ohne
alles Hindernis; sie hat aber nichtein stetes Bleiben. Wis-
set, derWille genügt mir nicht; wüsste ich doch, was ich
mehr tun soll, dassich bestätigtwerde in der steten Ewig-
keit. Er sprach : Hast du danach so grosse Begierde. ^^ Sie
sprach: Ja. Er sprach: Dessen musst du bloss werden,
wenn du je bewährt werden sollst. Sie sprach: Ich tue es
227
gern, und setzt sich in eine Blossheit. Da zieht Gott sie in
ein göttliches Licht, dass sie wähnt eins mit Gott zusein
und es ist solange dies währt. Dann wird sie mit einer
überschwänglichen göttlichen Empfindung wieder in
sich selber geschlagen, dass sie spricht: Ich weiss nicht, ob
mir je Rat wird. Der Beichtvater geht hin zu derTochter
und spricht : Sage mir, wie geht es dir nun .? Sie sprach : Es
geht mir übel, mir ist Himmel und Erde zu eng. Er bat
sie, ihm etwas zu sagen. Sie sprach : Ich weiss so Geringes
nicht, dass ich esEuchsagen könnte. Er sprach: Tu es um
Gott und sage mir etwas. Sage mir doch ein Wort ! Er ge-
wann ihr eines ab. Da redete sie mit ihm so wunderbar
und so tief von der nackten EmpfindunggöttlicherWahr-
heit, dass er sprach : Wisse, dasist allen Menschen fremd,
und wäre ich nicht ein Gelehrter, dass ich es selber erfah-
ren habe in der Gottesweisheit, es wäre mir auch fremd.
Sie spricht : Das gönne ich Euch übel : ich wollte, dass Ihr
es mit dem Leben gefunden hättet. Er spricht: Dusollst
wissen, dass ich davon so viel gefunden habe, dass ich es
so gut weiss, wie dass ich heute Messe las. Doch wisse:
dass ich es nicht mit dem Leben in Besitz genommen ha-
be, das ist mir leid. Die Tochter sprach : Bittet Gott für
mich, und gehtinihreEinsamkeitundgeniesst Gottes. Die
Weile aberwährt nicht lang, dakommt sie wieder vor die
Pforte und verlangt ihren Beichtvater undspricht: Herr,
freuet euch mit mir, ich bin Gott geworden. Er sprach:
Gelobt sei Gott ! Nun geh von allen Leuten wieder fort in
deine Einsamkeit: bleibst du Gott, ich gönne dirs wohl.
Sie ist dem ehrwürdigen Beichtvater gehorsam und geht
in einen Winkel in der Kirche. Da kam sie dazu, dass sie
all das vergass, was je Namen gewann, und ward so fern
228
aus sich selber und aus allen geschaffenen Dingen gezo-
gen, dass man sie aus der Kirche tragen musste, und lag
bis an den dritten Tag, und man hielt sie für sicherlich tot.
Der Beichtvater sprach : Ich glaube nicht, dass sie tot sei.
Wisset, wäre der Beichtvater nicht gewesen, man hätte
sie begraben. Man versuchte alles, was man erdenken
konnte,ob dieSeele im Leibe wäre; daskonnte man nicht
erfahren. Man sprach : Gewiss, sie ist tot. DerBeichtvater
sprach : Gewiss, sie ist es nicht. Am dritten Tage kam die
Tochter wieder zu sich und sprach: Ach, ich Arme, ich
bin wieder hier.?^ Der Beichtvaterwar bereit und redetezu
ihrundsprach : Lass mich göttlicherTreuegeniessen und
offenbaremir,wasduerfahrenhast. Siesprach: Gottweiss
wohl, ich kann nicht. Was ich erfahren habe, das kann
ich nicht zu Worte bringen. Er sprach : Hast du nun alles,
was du willst.? Sie sprach: Ja, ich bin bewährt.
Sie sprach: Ich hatte alle Kräfte meiner Seele gezäumt
und gezähmt, so dass, wenn ich mich sah, ich Gott in mir
sah und alles wasGott je schuf im Himmel und auf Er-
den. Dies will ich euch noch besser erzählen. Ihr wisset
wohl, wer inGott gekehrtistundindenSpiegelderWahr-
heit, der sieht alles was nach dem Spiegel gerichtet ist, das
sind alle Dinge. Dies war meine innere Übung, ehe ich be-
währt wurde. Habt Ihr den Sinn wohl verstanden.?* Er
sprach : Es muss notwendig so sein. Ist aber deine Übung
nun nicht so.f* Sie sprach: Nein. Ich habe mit den Engeln
und mit denHeiligen nichts zu schaffen noch mit alle dem
was je geschaffen ward. Mehr: was je zu Worte ward,
damit habe ich nichts zu schaffen. Er sprach: Davon
berichte mir mehr. Sie sprach: Das tue ich. Ich bin be-
229
währt in der nackten Gottheit, darin nie Bild noch
Form bestand. Er sprach: Bist du da beständig? Sie
sprach: Ja. Er sprach: Wisse, diese Rede höre ich gern,
liebe Tochter, rede weiter. Sie sprach: Ich bin da
wo ich war, ehe ich geschaffen wurde, da ist bloss
Gott in Gott. Daist weder Himmel noch Heilige noch
Chöre noch Engel noch dies noch das. Manche Leute
sagen von acht Himmeln und von neun Chören;
dasistdanicht,woichbin.Ihrsolltwissen, alleswasman
so zu Worte bringt und den Leuten mit Bildern vorlegt,
das ist nichts als ein Anreiz zu Gott. Wisset, dass in Gott
nichts ist als Gott. Wisset, dass keine Seele in Gott kom-
men kann, sie werde denn zuvor so Gott wie sie Gott war
ehe sie geschaffen wurde.
Sie sprach: Ihr sollet wissen, wer sich damit lässt begnü-
gen, was man zu Worte bringen kann — Gott ist ein
Wort, Himmelreich ist auch ein Wort — , wer nicht wei-
ter kommen will mit den Kräften der Seele, mit Erkennt-
nis und mitLiebe,alsjezu Worteward,dersollgerechter-
weise ein ungläubiger Mensch heissen.Was man zu Wor-
te bringt, das begreifen die niederen Kräfte der Seele. Da-
mit begnügen sich die oberen Kräfte nicht: sie dringen
immer weiter, bis sie vor den Ursprung kommen, daraus
die Seele geflossen ist. Ihr sollt wissen, dass die Kräfte der
Seele nicht in den Ursprung kommen können. Die neun
Kräfte der Seele sind alle Knechte der Seelengewalt und
helfen der Gewalt vor den Ursprung und ziehen sie aus
den niederen Dingen. Wenn die Seele in ihrer eigenen
Majestät über allen geschaffenen Dingen vor dem Ur-
sprung steht, dringt die Gewalt der Seele in den Ur-
230
Sprung und alle Kräfte der Seele bleiben draussen. Das
sollt Ihr so verstehen. Es ist die Seele aller namenhaben-
den Dinge nackt und bloss. So steht sie die Einein dem
Einen, also dass sie ein Vorwärtsgehen hat in der nack-
ten Gottheit, wie das Öl auf dem Tuch, das fliesst weiter
und fliesst immer vor und vor, so lange, dass das Tuch
davon ganz übergeht. So sollt Ihrwissen: solangeder gute
Mensch in der Zeit lebt, hat seineSeele einen steten Fort-
gang in der Ewigkeit.
231
Ich habe die folgenden Editionen und Übertragungen benützt:
BÄBA LÄL H. Wilson : Sketch of the religious sects of the Hindus.
^Calcutta 1846 (auch schon in Asiatic Researches XVII).
RÄMAKRISHNA Max Müller: Rämakrishna. Hislifeandsayings.
London and Bombay 1898. Swami Vivekananda : Speechesand
writings. Madras 1905.
RÄBlATholuckiSsufismussivetheosophiaPersarumpantheistica.
Berlin 1 82 i . Ibn Challikan: Biographical dictionary, translated
by de Slane. I. Paris 1842. Tezkereh-i-Evliä. Le memorial des
saints, traduit par A. Pavet de Courteille. Paris 1889.
HUSAIN AL HALLÄDSCH Tholuck : Blütenlese aus der morgen-
ländischen Mystik. Berlin 1825.
BÄJEZID BESTÄMI Tezkereh-i-Evliä. Le memorial des saints,
trad. par A. Pavet de Courteille. Paris 1889. Tholuck: Ssufis-
mus sive theologia Persarum pantheistica. Berlin 1821. Für
den Anfang der letzten Stelle, dessen Wortlaut in den Über-
setzungen mir zweifelhaft erschien, habe ich durch die Freund-
lichkeit des Herrn Dr. Gotthold Weil den persischen Text ver-
gleichen können.
FARID-ED-DIN-ÄTTAR Mantic Uttair ou le langage des oiseaux,
traduit par Garcin de Tassy. Paris 1863. Pend-Nameh ou le
livre des conseils, traduit par Silvestre de Sacy. Paris 18 19.
(In den Anmerkungen hat de Sacy Stücke aus dem ,, Gespräch
der Vögel" nach einem andern Text als der von Garcin de Tassy
benützte übertragen.)
DSCHALÄL-ED-DIN RUMI Masnavi i ma'navi, translated by
E.H.Whinfield. Londoni887. Selected poems from the Diväni
Shamsi Tabriz, transl. by R. A. Nicholson. Cambridge 1898.
DER SCHÜLER DES MOLLA-SHAH A. de Kremer : Mollä-Shah
et le spiritualisme oriental. Paris 1869.
PLOTINOS IV. Enn. 8, i; VI. Enn. 9, 9, 1 1. (Plotini Enneades
rec. H. F. Mueller. Berlin 1878.)
VALENTINOS Hippolytus Phil. VI. 42, V. 37. Weinel: Die Wirk-
ungen des Geistes und der Geister im nachapostolischen Zeit-
alter. Freiburg i.B. 1899.
232
MONTANISTEN Die erhaltenen Worte sind bei Bonwetsch, Die
Geschichte des Montanismus, Erlangen 1881, zusammenge-
stellt.
SYMEON Tou ociou /cai 8-eo<popou Traxpo; i^jy.tov Sujy.swv tou veou -S-soXoyou
Ta £6pi<T;cop-£va. Venedig 1790. 2u[X£tov TOU vsou ^eo^-oyou Ta suptGxo-
f7.£va TravTa in Mignes Patrologiae GraecaeT. CXX. Paris 1 864.
Für einzelneStellen habe ich die Münchner Handschriftzur Text-
vergleichung herangezogen.
HILDEGARD AnalectaSanctaeHildegardisoperaSpicilegioSoles-
mensi parata ed J. B. Card. Pitra. Paris 1882. (Der Brief ist
an Gilbert von Gembloux gerichtet.)
ALPAIS Vie de la bienheureuse Alpais, publice pour la premiere
fois en latin d'apres un manuscrit chartrain du XIII. siecle par
l'abbe P. Blanchon. Marly-le-Roy 1893.
AEGIDIUS Chronica XXIVGeneralium Ordinis Minorum (Ana-
lecta Franciscana III.) Quaracchi 1897. C)ie Ludwig- Legende
nach dem Text der Actus beati Francisci et sociorum ejus (ed.
Sabatier, Paris 1 902), der älter ist als der der Fioretti.
MECHTHILD VON MAGDEBURG Offenbarungen der Schwe-
ster Mechthild von Magdeburg, herausgegeben von P. Call
Morel. Regensburg 1869.
MECHTHILD VON HACKEBORN Revelationes Gertrudianae
ac Mechtildianae II. Paris 1877.
GERTRUD Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae I. Paris
1877.
SEUSE Heinrich Seuse: Deutsche Schriften, herausgegeben von
Dr. Karl Bihlmeyer. Stuttgart 1907.
CHRISTINA Lochner: Leben und Gesichte der Christina Ebnerin,
Klosterfrau zu Engelthal. Nürnberg 1872. Strauch: Marga-
retha Ebner und Heinrich von Nördlingen. Freiburg i. B. und
Tübingen 1882. Zwei Stellen habe ich der Stuttgarter Hand-
schrift entnommen. S. auch Strauchs Mitteilungen im Anzeiger
für deutsches Altertum IX.
MARGARETHA Strauch: Margaretha Ebner und Heinrich von
Nördlingen. Freiburg i. B. und Tübingen 1882.
ADELHEID Die Offenbarungen der AdelheidLangmann, Kloster-
25?
frau zu Engelthal, herausgegeben von Philipp Strauch. Strass-
burg 1878.
DAS KLOSTER ADELHAUSEN J. König: Die Chronik der
Anna von Munzingen. (Freiburger Diöcesan-Archiv XIII. Band.
Freiburg i. B. 1880.)
DAS KLOSTER TÖSS Das Leben der Schwestern zu Töss, be-
schrieben von Elsbet Stagel, herausgegeben von Ferdinand
Vetter. Berlin 1906. Die Nürnberger Handschrift ist herange-
zogen w^orden.
Andere Dokumente der deutschen Klosterekstase in : Der Nonne
von Engelthal Büchlein von der genaden überlast. Tübingen
1871. Pez: Biblioteca ascetica (Regensburg 1723/6) VIII. (s.
auch Catharina von Gebsweiler: Lebensbeschreibungen der
ersten Schwestern der Dominikanerinnen zu Unterlinden,
deutsch von Clarus 1863.) Chronik des Bickenklosters zu Vil-
lingen (von Juliana Ernst), hsg. v. K. J. Glatz. Tübingen 1 88 1 .
Leben der Schwestern zu Diessenhofen, hsg. v. Birlingen, Ale-
mannia XV. (1870). Anderes Alemannia XI. u. XXI. (Kirch-
berg) und Zürcher Taschenbuch auf 1889 (Oetenbach).
DER SANG VON BLOSSHEIT Tauler: Von eym waren Evan-
gelischen Leben. Köln 1 543. Die letzte Strophe, die ins Dog-
matische einlenkt und wie künstlich angeheftet erscheint, ist
weggeblieben.
BIRGITTA Revelationes caelestes sanctae matris Birgittae. Mün-
chen 1680.
JULIANA Revelations of divine love shewed to Mother Juliana
of Norwich. London 1902. (Titel der Urausgabe: XVI Revela-
tions of Divine Love, Shewed to a Devout Servant of our Lord,
called Mother Juliana, an Anchorete of Norwich. 1 670.)
GERLACH PETERS Gerlaci PetriSoliloquia Divina. Paris 1659.
ANGELA BeataeAngelaeFulginatisvitaetopuscula.Foligno 1724.
KATHARINA VON SIENA Raimondo da Capua: Lavita di Santa
Caterina da Siena. Mailand 1842.
KATHARINA VON GENUA Marabotto e Vernazza: Vita mira-
bile e dottrina Celeste di Santa Caterina Fiesca Adorna da Ge-
nova. Padua 1743.
234
MARIA MADDALENA Vita e ratti di santa Maria Maddalena
de'Pazzi. Lucca 171 6. Puccini: La vita di santa Maria Madda-
lena de'Pazzi vergine nobile Fiorentina. Venedig 1675.
TERESA Cartas de Santa Teresa de Jesus. I. II. Madrid 1771
und 1778.
ANNA GARCIAS Aus ihrer Autobiographie (deutsch Köln 1669)
wiederabgedruckt bei Tersteegen : AuserleseneLebensbeschreib-
ungen heiliger Seelen. II. Frankfurt und Leipzig 173 5.
ARMELLE NICOLAS Die Schule der reinen Liebe Gottes, den
Gelehrten und Ungelehrten eröffnet in dem Wunderleben einer
armen unwissenden Weibsperson, die von Geburt eine Bäurin
und dem Stande nach eine Dienstmagd gewesen. Augsburg 1 73 6.
ANTOINETTE BOURIGNON La vie de Dlle. Antoinette Bouri-
gnon. (Oeuvres I.) Amsterdam 1683.
JEANNE MARIE GUYON La vie de Madame J.M.B.dela Mothe-
Guyon, ecrite par elle-meme. Nouvelle edition. Paris 1791.
CAMISARDEN Theatre sacre des Cevennes. London 1707 (vgl.
auch Ehe Marion: Avertissemens prophetiques 1707.)
BÖHME Morgenröte im Aufgang. Amsterdam 1682.
DER EDELKNABE Stephanus Praetorius: 58 schöne, auser-
lesene geist- und trostreiche Traktätlein von der güldenen Zeit.
.Goslar 1622.
ENGELBRECHT Der vom Tode erweckte Protestant, oder des
Einfältigen Busspredigers Hans Engelbrechts Schriften. 1 76 1 .
ANNA VETTER Beschreibung eines schon vor dreissig Jahren
erweckten, bisher aber anderer Orten verdeckten und unbe-
kannten prophetischen Weibes, namens Anna Vetterin, des
Schlosswächters zu Onoldsbach Eheweib. Aus ihrer eigenen
Handschrift und mündlichen Erzählung getreulich zusammen-
getragen. Abgedruckt bei Arnold: Kirchen- und Ketzer-Historie.
Frankfurt a. M. 1700. III.
HEMME HAYEN Levensloop van Hemme Hayen. Haarlem 1 7 1 4.
Deutsch bei J. H. Reitz: Historie der Wiedergebornen. 4. Aufl.
V. Bd. Itzstein 1 7 1 7. Eine andere Übertragung erschien unter
demTitel: Lebensgeschichte des Hemme Hayen, eines niederlän-
dischen Bauern und wahrhaften Clairvoyanten. Nürnberg 1 8 1 o.
KATHARINA EMMERICH Die Tagebücher Clemens Brentanos,
denen der Text entnommen ist, sind bisher nicht vollständig
veröffentlicht worden. Die von mir gebrachten Stellen finden
sich zum Teil bei Schmöger: Das Leben der gottseligen Anna
Katharina Emmerich (2 . Aufl. Freiburg i. B. 1873), zum andern
in dem vielfach aufgelegten ,,Das bittere Leiden unsers Herrn
Jesu Christi. Nach den Betrachtungen der Anna Katharina
Emmerich". Vgl. auch Emmerich: Das Leben Jesu Christi,
Regensburg 1 8 5 8 — 60, und Leben der heiligen Jungfrau Maria
(mehrfach aufgelegt).
AUS DEM MAHÄBHÄRATAM Die Übertragung ist dem Buche
Paul Deussens „Vier philosophische Texte des Mahäbhäratam,
Leipzig 1 906" mit Erlaubnis des Übersetzers entnommen, dem
ich meinen Dank für sein gütiges Entgegenkommen ausspreche.
Dieses Buch hat jetzt in der dritten Abteilung von Deussens
Allgemeiner Geschichte der Philosophie (Leipzig 1 908) eine
wichtige Ergänzung erhalten.
LAO-TSE F. H. Balfour: Taoist texts, ethical, political and spe-
culative. Shanghai 1884. J. Legge: The texts of Täoism (The
sacred books of the East. XXXIX. XL) Oxford 1891. C. de
Harlez: Textes täoistes (Annales du musee Guimet. XX.) Paris
1891. H. A. Giles: Chuang Tzu, moralist, mystic and social
reformer. London 1899. Das Hauptwerk der Schule, Lao-tse's
Tao-te-king, liegt in mehreren Übertragungen vor, von denen
neben der von Alexander Ular (Leipzig 1903) auch die vonViktor
v. Strauss (Leipzig 1 870) — die manche Stelle einem treuen Ver-
ständnis näher bringt als die sprachmutige Ularsche — Beacht-
ung verdient.
DIE CHASSIDIM Buber: Die Geschichten des Rabbi Nachman.
Frankfurt a. M. 1906. Buber: Die Legende des Baalschem.
Frankfurt a. M. 1908.
MAKARIOS SS. PP. Gregorii Thaumaturgi, Macarii Aegyptii et
Basilii Seleuciae opera omnia. Paris 1622.
DIONYSIOS Migne: Patrologiae Graecae T. III. IV.
KATREI Ich habe den Birlingerschen Text (Tractate Meister Eck-
harts, Alemannia III, 1875) unter Vergleichung und für einzelne
236
Stellen auch Heranziehung des Pfeifferschen (Deutsche Mystiker
des 14. Jahrhunderts II, Leipzig 1845) benützt. Über den Stand
der Textkritik informiert Otto Simon : Überlieferung und Hand-
schriftenverhältnis des Traktates „Schwester Katrei''. Halle
a. S. 1906.
An sonstiger Literatur seien hier nur genannt:
Über die Sufis: Browne, A literary history of Persia I, London
1902 (wo aber über al Hallädsch nur die feindlichen Quellen
benützt sind) ; Nicholson im Journal of the Royal Asiatic Society
1 906 ; Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des Islam,
Leipzig 1868; Merx, Grundlinien einer allgemeinen Geschichte
der Mystik, Heidelberg 1893.
ÜberSymeon: Holl, Enthusiasmus und Bussgewalt im griechi-
schen Mönchtum, Leipzig 1 898, und dessen Artikel in Herzogs
Realenzyklopädie, 3. Aufl., Bd. XIX.
Über Gerlach Peters: Auger, Etüde sur les mystiques des Pays-
Bas, in Memoires de l'academie royale en Belgique 1892. Moll
in Kerhistorisch archief II. (1859).
BERICHTIGUNG
S. 3 1 soll die Überschrift lauten: Aus der Erzählung des Tewek-
kul-Beg . . . über sein Mystisches Noviziat.
S. 39 soll es heissen : Prisca.
S. 40 soll es im Untertitel heissen: Aus den Liebesgesängen an
Gott.
S. 59 soll die Überschrift lauten : Von Aegidius von Assisi.
S. 92 soll es in der Überschrift heissen: Christina.
S. 1 3 2 sollte nach der drittletzten Zeile eine Zeile frei bleiben, da
mit den Worten ,,Ein Armer im Geiste" ein neues Stück
anfängt.
S. 146 soll die Überschrift lauten: Von Katharina von Siena.
S. 1 5 3 soll es in der Überschrift heissen: Maddalena.
S. 1 56 soll es in der Überschrift heissen: Teresa.
Zwischen S. 2 1 6 und 2 1 7 sollte eine Zeile frei bleiben, da auf S.2 1 7
ein neues Stück anfängt.
INHALT
VORWORT V
EINLEITUNG: EKSTASE UND BEKENNTNIS XI
INHALTSBLATT XXVII
INDIEN: Aus dem Gespräch des Fürsten Dara Shekoh mit dem Asketen
Bäba Läl i- Aus dem Leben Rämakrishnas 3.
DIE SUFIS UND IHRE NACHFOLGE: Von Räbia lo- Von Bäjezid
Bestämi 12- Von Husain al Hallädsch 17- Farid-ed-din Attär 20-
Dschaläl-ed-din Rumi 29- Aus der Erzählung des Tewekkul-Beg, Schülers
des Mollä-Shäh, über sein Mystisches Noviziat 31
DIE NEOPLATONIKER: Plotinos 34
GNOSIS UND URCHRISTLICHES KETZERTUM: Valentinos 38. Worte
Montans und der Montanistinnen 39
DAS GRIECHISCHE MÖNCHTUM: Symeon der neue Theologe 40
DAS ZWÖLFTE JAHRHUNDERT: Hildegard von Bingen 50- Alpais von
Cudot 54
DIE FRANZISKANER: Von Aegidius von Assisi 59
DAS DREIZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND: Mechthild
von Magdeburg 63- Mechthild von Hackebom ']']• Gertrud von Helfta 8i-
Heinrich Seuse 85
DAS VIERZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND: Christina
Ebner 92- Margaretha Ebner 96- Adelheid Langmann 99- Der Sang von
Blossheit 122
AUS DEUTSCHEN SCHWESTERNBÜCHERN: Aus dem Kloster Adel-
hausen in Freiburg 102- Aus dem Kloster Töss bei Winterthur 108
DAS VIERZEHNTE JAHRHUNDERT IM NORDEN : Birgitta von Schwe-
den 124- Juliana von Norwich 129
DIE NIEDERLÄNDISCHE MYSTIK: Gerlach Peters 132
DIE ITALIENISCHEN FRAUEN: Angela von Foligno 135- Von Katharina
vonSiena 146« Von Katharina von Genua 149- Maria Maddalenade'Pazzi 153
DIE SPANISCHEN FRAUEN: Teresa von Jesu 156- Anna Garcias (Anna
a San Bartolomeo) 165
DAS SIEBZEHNTE JAHRHUNDERT IN FRANKREICH: Armelle Ni-
colas i66- Antoinette Bourignon 171- Jeanne-Marie Bouvieres de laMothe
Guyon 173- Aus einer Aussage des Camisardenführers Elie Marion 177
DAS SIEBZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND UND DEN
NIEDERLANDEN: Jakob Böhme iSo- Ein Edelknabe 18 1- Hans
Engelbrecht 183- Arma Vetter i86- Hemme Hayen 197
238
DAS NEUNZEHNTE JAHRHUNDERT: Anna Katharina Emmerich 205
ANHANG
DAS ALTE INDIEN: Aus dem Mahäbhäratam 213
DIE CHINESISCHE MYSTIK: Worte Lao-Tses und seiner Schüler 216
DIE JÜDISCHE MYSTIK: Von den Chassidim 219
KIRCHLICHE UND UNKIRCHLICHE MYSTIK DES FRÜHCHRIST-
LICHEN ZEITALTERS: Aus den Schriften Makarios des Aegyptiers 223-
Aus den Dionysios dem Areopagiten zugeschriebenen Schriften 224
AUS DEM TRAKTAT »SCHWESTER KATREI« 226
BIBLIOGRAPHISCHE NOTIZEN 232
TITEL UND EINBAND VON EMIL RUDOLF WEISS
VON DIESEM BUCHE WURDEN 20 ABZÜGE ZUM PREISE VON
FÜNFUNDZWANZIG MARK FÜRJEDES EXEMPLARAUF ECHT
JAPAN -BÜTTENPAPIER HERGESTELLT/ IN GANZPERGA-
MENT GEBUNDEN UND HANDSCHRIFTLICH NUMERIERT
DRUCK VON
POESCHEL & TREPTE
IN LEIPZIG
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